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Full text of "Kleine Schriften zur alten Geschichte"

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S3 


I 

I 

I 


KLEINE  SCHRIFTEN 


'  I  ZUR 


ALTEN  GESCHICHTE 


VON 


JOHANN  GUSTAV  DROYSEN 


IN   ZWEI  BÄNDEN 


ERSTER  BAND 


MIT  DEM  BILDNISS  J.  G.  DROYSENS 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  VEIT  &  COMP. 

1893 


Werke 

VOU 

Johann  Gustav  Droysen 

aus  dem 

Verlag  von  VEIT  &  COMP,  in  Leipzig. 


^Äbllttttbltttisen.   3ur  neueren  ®efc^id)tc.   gr.  8.    1876.    ge^.   8  jH. 

Sitl^alt:  I.  8uT  ®eid)id)te  ber  ^olitif  in  ben  Salven  1830-1832.  —  II.  «ßmifeen 
xmb  \^Qi^  8l)ftem  ber  ©rofemäc^tc.  —  III.  '^wx  ©efcftit^te  ber  beutfc^en  ^ortei  in 
2)€Utf(^(onb.  —  IV.  (Sin  ^iftorifrfjer  33eitrag  gur  Seigre  tum  \ivx  ßongrcffen.  — 
V.  3)er  9?ijmp5enbuigei-  Sertrog  x^^w  1741.  —  VI.  Sriebric^ö  be^  öroften  ))oIi= 
tifd^e  8teEung  im  3(nfangc  be§  fd)Iefi)cf)en  .triege«.  —  VII.  %\t  SBicncr  ^flianj 
öom  5.  Sebntar  1719.  —  VIII.  3ur  Äritif  ^ufenborf•c^  —  IX.  Tn^  ©tral^Ien:^ 
borff' fc^e  ©utnc^tcn. 

lies  3lriflO|ll|atte0  tUerke.    Überfe^t.    dritte  [umgearbeitete]  ?luflage 
2I^ctIc.    gr.  8.    1881.    ge^.  \2  JH\  geb.  tu  ®anjl.  13  JK  60.^ 

{)aB  £eben  \t%  JelbmatfdiaUs  (trafen  ^orh  MXi  IDartenbitrg 

Sehnte  Aufrage.    SKtt  gorf  g  93ilbni^,  geftod^en  üon  S.  3acobt|  unb 
8  5ßlänen.    ^m\  Steile  in  einem  83anb.    gr.  8.    1890.    ge^.  7  Jl 

elegant  gebunben  8  Jl 

ßrundrisS  der  HistOrik.     Dritte  umgearbeitete  Auflage,     gr.  8 
1882.     geh.  2  Ji 


KLEINE  SCHRIFTEN 


ZUR 


ALTEN  GESCHICHTE 


VON 


JOHANN  GUSTAV  DROYSEN 


ERSTER  BAND 


MIT  DEM  BILDNIS8  J.  G.  DROYSENS 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  VEIT  &  COMP. 

1898 


Druck  TOD  Metiger  A.  Wittig  in  Lelpslg. 


•*>-    v*^    -    a^ 


^ 
> 


Vorwort. 

Der  'Gedanke  Johann  Gustav  Droysens  kleinere  Schriften  zu 
sammeln,  gleich  nach  seinem  Tode  (am  19.  Juni  1884)  gefaßt,  gelangt 
aus  yerschiedenen  Gründen  erst  jetzt  zur  Ausführung.  So  fern  dem 
bescheidenen  Sinn  des  Verstorbenen  jede  Überschätzung  des  Anteils  lag, 
den  die  Fortschritte  der  Geschichtswissenschaft  seiner  rastlosen  und 
selbstlosen  Arbeitsfreudigkeit  danken,  so  erhellte  doch  den  Ausgang 
der  ,,Nachtwache  seines  Lebens'^  die  Freude  daran,  daß  alle  seine 
größeren  Werke  inmier  wieder  in  nicht  alternder  oder  zeitgemäß  ver- 
jünger  Gestalt  hervortraten.  Denn  sie  schlingen  immer  von  neuem 
und  immer  fester  das  Band  des  innigsten  Zusammenhangs  mit  der 
Jugend  Preußens  und  Deutschlands  in  den  verschiedensten  Berufs- 
kreisen, der  ihm  so  sehr  am  Herzen  lag.  Auch  der  Neuherausgabe 
verschiedener  unter  seinen  kleineren  Arbeiten  war  er  nahe  getreten. 
Aus  ihnen  in  seinem  Sinn  eine  Auswahl  zu  treffen  und  sie  in  seinem 
Geiste  neu  herauszugeben  war  daher  das  vornehmste  Bestreben  der  zu 
dieser  Aufgabe  Berufenen  unter  seinen  Angehörigen.  Es  durfte  davon 
weder  in  der  fast  übertriebenen  Strenge,  mit  der  er  selbst  über  viele 
seiner  Jugendarbeiten  urteilte,  ausgeschlossen  werden,  was  zwar  nicht 
mehr  ganz  dem  heutigen  Stande  der  Forschung  entspricht,  aber 
wesentlich  zu  dessen  Erreichung  beigetragen  hat,  noch  auch  aus  persön- 
lichen Gründen  aufgenommen  werden,  was  für  den  Verfasser  und 
seine  Art  immerhin  in  hohem  Grade  bezeichnend,  aber  durch  seine 
eigenen  spateren  und  größeren  Arbeiten  überholt  ist.  Daß  nach  beiden 
Seiten  hin  mit  voller  Unbefangenheit  verfahren  wurde,  dafür  bürgt, 
daß   die   Auswahl   der    zunächst   erscheinenden    Arbeiten    zur   alten 


IV  Vorwort 

Geschichte  von  dem  ältesten  Sohn,  Professor  Gustav  Droysen  in  Halle, 
und  dem  unterzeichneten  Schwiegersohn  getroffen  worden  ist  unter 
Teilnahme  der  bewährtesten  Kenner  auf  diesem  Arbeitsgebiet  Droysens, 
der  Herren  Ulrich  Köhler  in  Berlin  und  Eduard  Meyer  in  Halle. 
Der  erste  Aufsatz,  ursprünglich  beiseite  gelegt,  ist  aufgenommen  worden, 
weil  er  nach  dem  Urteil  von  Ulrich  Wilcken  in  Breslau  „trotz  des 
damals  so  viel  geringeren  Vergleichungsmateriales  in  den  Lesungen 
und  Erklärungen  bewunderungswürdig  viel  Richtiges  enthält  und  in- 
sofern auch  für  den  Verewigten  besonders  charakteristisch  ist,  als  er 
zeigt,  wie  gewissenhaft  er  in  der  selbständigen  Verarbeitung  und  Ver- 
tiefung auch  scheinbar  geringfügiger  Details  vorging,  um  sie  dann 
seinen  großen  Gedankenkreisen  einzuordnen'^ 

Die  Aufsätze  teilen  sich  nach  ihrer  Entstehung  und  nach  ihrem 
Inhalt  von  selbst  in  drei  größere  Gruppen. 

Die  erste  Gruppe  umfaßt  hauptsächlich  die  vor  und  neben  den 
ersten  Ausgaben  des  Alexander  (1833)  und  der  Diadochengeschichte 
(1836)  entstandenen  geschichtlichen  und  geographischen  Arbeiten.  An 
ihrer  Spitze  steht  die  schon  erwähnte  noch  vor  der  Doctordissertation 
verfaßte  Erstlingsarbeit  vom  Jahr  1830,  die  Niebuhr,  dem  sie  der  junge 
Verfasser  übersandte,  sofort  in  sein  Rheinisches  Museum  aufnahm.  Die 
scharfsinnige  Dissertation  de  Lagidarum  regno  Piolemaeo  VI  Phüo- 
metore  rege  (1831)  ist  nur  deshalb  nicht  aufgenommen  worden,  weil 
sie  als  selbständige  Schrift  erschienen  und,  wenn  auch  in  seltenen 
Exemplaren,  noch  zu  erlangen  ist.    Auch   fallt  sie  durch  ihren  der 

* 

römischen  Zeit  angehörenden  Inhalt  und  die  lateinische  Abfassung  aus 
dem  Rahmen  der  übrigen  Aufsätze  heraus.  Es  folgen  die  kurz  begrün- 
deten Vermutungen  zur  Geschichte  der  Kelten  (1834  und  1836)  und 
die  größeren  Aufsätze  über  Päonien  und  Dardanien  (1836  und  1837). 
Sie  verdienten  es  wohl,  aus  der  Vergessenheit  veralteter  Zeitschriften 
und  der  Einsargung  in  die  große  Hallische  Encyklopädie  wieder  an 
das  Licht  gezogen  zu  werden.  Den  Kern  und  Mittelpunkt  der  ganzen 
Gruppe  aber  bildet  die  große  noch  keineswegs  veraltete  Untersuchung 
über  die  Urkunden  der  Demosthenischen  Kranzrede  (1839)  mit  ihren 
Fortsetzungen  (1845  und  1846).  Daran  schließen  sich  die  beiden  Briefe 
an  Theodor  Bergk  und  Justus  Olshausen  (1841  und  1843),  die  einen 
neuen  Einblick  gewähren  in  die  weitumfassenden  Gedanken,  denen  alle 


Vorwort  V 

großen  und  kleinen  Arbeiten  Droysens  ihre  Entstehung  verdanken. 
Den  Schloß  bildet  der  mit  Unrecht  in  Vergessenüeit  geratene  Aufsatz 
über  die  attische  Commnnalverfassung  (1847). 

In  der  zweiten  Gruppe  sind  auf  die  Geschichte  der  griechischen 
Dichtung  bezügliche  Aufsätze  vereinigt,  die  sich  an  die  ewig  jungen 
Übersetzungen  des  Aischylos  und  Aristophanes  (1832  und  1835)  un- 
mittelbar anschließen.  An  die  beiden  bahnbrechenden  Abhandlungen 
über  des  Aristophanes  Vögel  und  die  Hermokopiden  (1835)  und  über 
Phrjnichos,  Aischylos  und  die  Trilogie  (1842)  sind  einige  kleinere 
verwandten  Inhaltes  aus  den  gleichen  und  den  nächsten  Jahren  ange- 
reiht worden.  Zu  dieser  Gruppe  bildet  einen  passenden  Anhang  die 
gedankenreiche  Erklärung  zu  den  Wandgemälden  im  Ball-  und  Konzert- 
saal de»  Dresdener  Schlosses  von  Eduard  Bendemann  (1858),  die 
weiteren  Elreisen  bisher  so  gut  wie  unbekannt  geblieben  ist 

Die  dritte  Gruppe  besteht  aus  den  antiquarischen,  historischen  und 
nxmiismatischen  Aufsätzen,  die  durch  die  Neubearbeitungen  des  Alexander 
und  der  Diadochen  und  Epigonen  veranlaßt  in  den  letzten  Lebens- 
jahren (1874  bis  1882)  geschrieben  wurden.  Sie  zu  überarbeiten  und 
neu  herauszugeben  war  einer  der  letzten  litterarischen  Pläne  Droysens. 
Daß  sie  auch  ohne  eine  solche  Verjüngung,  die  nur  durch  ihren  Ver- 
fasser selbst  hätte  ausgeführt  werden  können,  den  Wiederabdruck  ver- 
dienen konnte  niemals  zweifelhaft  sein. 

Die  Abhandlungen  sind  sämtlich,  wie  es  sich  von  selbst  versteht, 
im  wesentlichen  unverändert  wieder  abgedruckt,  dabei  auch  gewisse 
TJngleichmäßigkeiten  in  der  Schreibung  der  griechischen  Namensformen 
nicht  ängstlich  gemieden  worden.  In  den  Handexemplaren,  die  dem 
am  ihre  Aufbewahrung  gänzlich  unbekümmerten  Verfasser  zufallig 
geblieben  waren,  fanden  sich  nur  wenign  Zusätze  und  Berichtigungen; 
sie  sind  natürlich  stillschweigend  aufgenommen  worden.  Die  Ver- 
weisungen sind  nachverglichen  und  soweit  nötig  auf  die  jetzt  gebräuch- 
lichen Texte  gestellt  worden.  Die  in  EHammern  hin  und  wieder  bei- 
gefugten kurzen  Anmerkungen  bezwecken  nur  Thatsächliches  richtig 
zu  stellen.  Sie  werden  zum  größten  Teil  den  beiden  obengenannten 
Gelehrten  verdankt,  deren  Rat  bei  der  Auswahl  eingeholt  worden  ist. 

Die  Aufsätze  der  ersten  Gruppe  füllen  den  ersten,  die  der  zweiten 
und  dritten  den  zweiten  Band.   Am  Schluß  des  zweiten  Bandes  befindet 


VI  Vorwort 

sich  ein  chronologisches  Verzeichnis  sämtlicher  Arbeiten  Droysens  zur 
alten  Geschichte  und  zur  griechischen  Dichtung. 

Das  Münzbild  auf  S.  79  wird  der  gütigen  Mitteilung  F.  Imhoof- 
Blnmers  in  Winterthur  verdankt 

Das  beigegebene  Bildnis  ist  eine  Photogravüre  nach  der  leben- 
sprühenden Kreidezeichnung  in  natürlicher  Größe,  die  der  Jugendfreund 
Droysens  Eduard  Bendemann  in  Dresden  im  Jahr  1855  in  wenigen 
Stunden  hingeworfen  hat.  Die  Benutzung  des  Originals  wird  der  Witwe 
,des  Meisters  verdankt,  in  deren  Besitz  es  sich  befindet 

Auf  die  Zeit  der  Heldenverehrung,  in  der  Droysen  seinen  Alexander 
und  seinen  Friedrich  schuf,  ist  freilich  eine  andere  gefolgt,  die  seine 
Ideale  bemängelt  und  der  nachschaffenden  Phantasie,  mit  der  er  die 
Lücken  der  Überlieferung  ergänzte,  nicht  folgen  mag.  Aber  aus  der 
warmherzigen  Begeisterung,  die  sich  von  jenem  Mittelpunkte  aus  auch 
auf  die  kleinsten  Nebenuntersuchungen  erstreckt,  werden  inuner  neue 
Geschlechter  Belehrung  und  Erhebung  schöpfen. 

Berlin,  Mftrz  1S93. 

E.  HObner. 


Inhalt 


Seite 
I.  Die    griechipchen    Beischriften    von     fünf    ägyptischen 

Papjren  zu  Berlin 1 

Anhang 89 

U.  Zur  Geschichte  der  Kelten 

a.  De  foniibus  veUrum  auetorum  in  eocpeditiombua  a  OaUis  in 
Macedaniam  atque  Oraeeiam  susceptiSf  scripsit  Dr,  Gust  Ad. 
Sekmidt.    Berol.  1834 42 

b.  Die  Kelten  bei  dem  Komiker  Ephippos 46 

III.  Päonien  und  Dardanien 

a.  Pftonien,  Geographie,  Ethnographisches,  Geschichtliches     .    .  48 

b.  Zur  Geschichte  der  Pfionier  und  Dardanier 79 

IV.  Demosthenes 

a.  Über  die  Echtheit  der  Urkunden  in  Demosthenes  Bede  vom 

Kranz 

I.  länleituDgi 95 

II.  Aiiohines  KlageMhrift  §  54   und  Ktesiphons  Antrag  §  118  108 

m.  Das  Dionyrisohe  Oeseta  §  120 119 

lY.  Aktenstücke  für  den  Krieg  yon  Ol.  110  2  und  3     ...  121 

Amphikiyonen-Decret  I  §  154 135 

Amphiktyonen-Decret  11  §  155 138 

Xqwoi  §  153 140 

Philippe  Brief  (an  die  Peloponneeier)  §  157 141 

Psephiama  der  Athener  §  164 146 

Psephisma  der  Athener  §  165 150 

Philipps  Brief  an  die  Athener  §  166 152 

ÄnoHOurig  ßiißaioig  §  167       153 

Psephisma  des  Demosthenes  §  181 154 

V.  Urkunden  aus  dem  Kriege  von  Bysans  Ol.  109  4.  110  1  164 

Psephisma  der  Athener  wegen  der  Schiffe  §  73   .     .     .     .  172 

Psephisma  der  Athener  (Aristophon)  §  75 177 

PhUipps  Brief  §  77 182 

Psephisma  der  Bysantier  §  90 183 

Psephisma  der  Chersonesiten  §  92 185 

VI.  Urkunden  sum  euböisehen  Kriege 186 

Ehrenantrag  des  Aristonikos  §  83 189 

Zeugnis  &her  Anazinos  §  137 191 


■  [Aus  dem  Hudejcemplar  des  Yerf.]. 


Vitt  Inhalt 

Seite 

VIT.  Urknnden  über  den  Frieden  des  Philokratee 198 

Psephisma  wegen  Friedenagesandtsohaft  §  20 198 

Peephisma  des  KalUsthenes  (axavafiafüiy)  §  38   .     .     .     .  204 

Philippe  Brief 211 

VIII.  Die  Elirendeorete  für  Nauiiklee,  Ciiaridemoe,  Diotimoe  .     .  218 

Peephisma  für  Naoaiklet  §  115 214 

Psepiiitma  für  Cliaridemoe  und  Diotimoe  §  116  .     .     .    .  224 

IX.  Dai  Zeugnis  der  Areopagiten 232 

X.  Das  Trierarohische  Oesets 238 

XI.  Qesamturteil 246 

XII.  Über  den  Ursprung  der  Dokumente 246 

b.  Die  Urkunden  in  Demosthenes  Rede  vom  Kranz  betreffend  257 

c  Über  daa  Geburtsjahr  des  Demosthenes 271 

V.  Zur  Geschichte  des  Hellenismus 

a.  Vorwort  zur  Gtsschichte  des  Hellenismus  II       298 

b.  Über  die  sigeische  Inschrift .  814 

VI.  Die  attische  Communalverfassung 828 

Zu  den  griechlachen  Beischriften  von  fünf  ägyptischen  Papyren 

zu  Berlin,  Nachtrag  von  U.  W.  .     . 386 


I. 


Die  griechischeii  Beischriften 
von  fünf  ägyptischen  Papyren  zn  Berlin. 

Rheinisches   Museum    für   Philologie ,    Geschichte   und   griechische  Philosophie 
herausgegeben   von  B.  G.  Niebuhr  und  Ch.  A.  Brand is.    Dritter  Jahrgang 

IV    Bonn  1829     S.  491—541. 


Die  dem  Avftatz  beig^gebene  Tafel  ist  fortgelassen  worden,  da  sie  den  heutigen  Anforderungen  an  Ge- 
nauigkeit der  Wiedergabe  nicht  entspricht  und  Hir  das  Verstflndnis  der  Erläuterungen  entbehrlich  ist. 


Unter  den  wertvollen  Schätzen  ägyptischer  Altertümer  zu  Berlin, 
dorch  deren  Ankauf  des  regierenden  Königs  Majestät  die  Museen  seiner 
Residenz  auf  eine  ebenso  interessante  als  den  Wissenschaften  ersprieß- 
liche Weise  bereichert  und  vervollständigt  hat,  befinden  sich  viele 
Papyre,  welche,  einige  der  früheren  Sammlung  Passalacqua  abgerech- 
net, ohne  bedeutende  Verletzung  entwickelt  und  den  Forschern  zu- 
ganglich gemacht  sind.  Die  von  Herrn  von  Minutoli  in  Ägypten  ge- 
sammelten Bollen  werden  einstweilen  noch  von  den  anderweitigen 
Altertümern  gesondert  in  der  Königlichen  Bibliothek  aufbewahrt;  der 
großen  Gute  des  Herrn  Professor  und  Oberbibliothekar  Wilken  habe 
ich  hier  öffentlich  meinen  Dank  zu  sagen,  der  mir  nicht  nur  eine  Zeit 
hiudurch  mich  mit  denselben  vertraut  zu  machen  Gelegenheit  bot, 
sondern  mit  der  größten  Bereitwilligkeit  meinen  Wunsch  genehmigte, 
die  griechischen  Beischriften  von  fünf  enchorisch  geschriebenen  Papy- 
ren dem  gelehrten  Publikum  bekannt  zu  machen.     Es  sind  zunächst 

Droysen,  Ki.  Schrillen  I.  i 


2  Die  griechiBchen  Beischriften 

die  Resultate,  die  sich  aus  der  Entzifferung  dieser  Beischriften  ergeben, 
haben,  nicht  eben  viel  mehr  als  Bestätigung  einiger  sonst  schon  be- 
kannter Data,  wenn  nicht  ein  geübteres  Auge  zwischen  den  Zeilen  noch 
liest,  was  mir  entgangen  wäre ;  dennoch  haben  sie,  wie  jedes  Document 
früherer  Zeit,  vollgültigen  Anspruch  auf  Interesse  und  geben  Anlaß  za 
Untersuchungen  [492]  mancher  Art;  sie  entziffert  vor  sich  zu  haben  wird 
nicht  ohne  erfolgreiche  Anwendung  auf  die  ihnen  vorgeschriebenen,  encho- 
rischen  Contractformeln,  deren  Hauptpunkte  sie  unleugbar  recapitulieren, 
und  mit  deren  Entzifferung  sich  noch  kürzlich  Herr  Professor  Seyffarth 
beschäftigt  hat,  bleiben  können.  Femer  haben  schon  einige  andere  Kauf- 
contracte  mit  ihren  Beischriften  sich  auf  höchst  interessante  Weise  an 
die  Prozeßakten  des  Hermias  angeschlossen;  und  da  fast  alle  bis  jetzt 
gefundenen  Papyre  sich  auf  wenige  Familien  und  Fundorte  zurück- 
führen lassen,  so  ist  es  mehr  als  leere  Hoffnung,  es  möchten  in  diesen 
oder  jenen  Sammlungen  andere  Documente  aufbewahrt  werden,  mit 
denen  die  unseren  zusammengestellt  wer  weiß  welche  tiefe  Blicke  in 
das  engste  Privatleben  einer  längst  verschollenen  Zeit  zu  thun  möglich 
machen  werden. 

Unter  den  Papyren  der  Sammlung  Minutoli  zu  Berlin  befinden 
sich  im  ganzen  sechs  mit  griechischen  Beischriften  oder  richtiger  Unter- 
schriften versehene;  sie  sind  bezeichnet:  pap.  BeroL  Nro.  36,  erklärt  von 
Buttmann  „Erklärung  einer  griechischen  Beischrift  auf  einem  ägyptischen 
Papyrus"  in  den  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  1824;  über  den 
enchorischen  Text  desselben  Papyrus  hat  Kosegarten  in  zwei  Abhand- 
lungen, „Bemerkungen  über  den  ägyptischen  Text  eines  Papyrus  aus 
der  Minutolischen  Sammlung,  Greifswald  1824"  und  „de  prisca  Aegyp- 
tiorum  literatura,  Vimariae  1828"  Wichtiges  zusammengestellt.  Ferner 
pap.  Berol.  Nro.  37,  Nro,  38,  Nro.  39,  Nro.  40,  Nro.  41,  über  deren 
enchorischen  Text  gleichfalls  in  Kosegartens  zweiter  Abhandlung  sowie 
in  Seyffarths  Rudimentis  einzelne  Bemerkungen  zu  finden  sind;  von 
ihrem  griechischen  Texte  ist,  so  viel  ich  weiß,  noch  nichts  weiter  be- 
kannt geworden,  als  über  No.  38  einige  beiläufige  Notizen  bei  Butt- 
mann und  über  No.  37  einiges  bei  Kosegarten  in  der  zweiten  Schrift 
S.  57,  sowie  bei  Ideler  Handbuch  der  Chronologie  I  S.  124.  Über 
die  Geschichte  dieser  Papyre  genügt  es,  Buttmanns  Bericht  zu  wieder- 
holen; er  sagt,  „daß  über  [493]  den  Fundort  der  einzelnen  Rollen  sich 
gar  nichts  angeben  läßt;  wie  bekannt,  sind  die  ersten  Finder  gewöhnlich 
jene  Katakomben  durchwühlenden  Araber,  welche  so  wie  sich,  so  auch 
dem  ihnen  in  den  Wurf  kommenden  Europäer  vollkommen  Genüge 
zu  leisten  glauben,  wenn  sie  ihm  ohne  alle  weitere  Nachricht  da« 
Kleinod  verkaufen.    Herr  von  Minutoli  vollends,  der  die  meisten  dieser 


'  von  fünf  Sgyptischen  Papyren  zu  Berlin  3 

Bollen'  als  eine  yon  anderen  nach  nnd  nach  schon  gemachte  Samm- 
lung erwarb,  konnte  von  dieser  Seite  auch  nicht  den  mindesten  Auf- 
schloß erlangen.  Wir  müssen  uns  also  mit  der  allgemeinen  Notiz 
behelfen,  daß  diese  Bollen  gewöhnlich  in  den  Mumiensargen  und  in 
den  Umhüllungen  der  Leichname  selbst,  vielleicht  auch  bisweilen  in 
anderen  zu  dem  Sarge  in  die  Grabhöhlung  gestellten  Gegenstanden 
sich  befinden'*. 

Wir  lassen  nun  die  einzelnen  Papyrus  mit  der  Angabe  ihrer 
äußeren  Gestalt  und  den  griechischen  Text,  soweit  es  uns  gelungen  ist, 
die  einzelnen  Buchstaben  zu  erkennen,  folgen,  führen  sodann  das  All- 
gemeine über  das  Wesen  und  die  Form  dieser  griechischen  Beischriften 
aus,  und  erklären  endlich,  soweit  es  sich  thun  läßt,  die  einzelnen  Pa- 
pyre  mit  hinzugefügter  vollständiger  Schreibung  der  Texte. 

Pap.  BeroL  Nro,  37. 

Er  enthält  zweimal  denselben,  enchorisch  geschriebenen  Contract; 
denn  als  Contractformel  erkennt  man  beide  Absätze  an  dem  nach  dem 
ausführlichen  Datum  gesetzten  enchorischen  Zeichen  vJ,  welches  das 
Antigr.  Grey.  übersetzt  fierä  xu  xoivä  rdSs  Xi/ei.  Die  beiden  encho- 
rischen Sätze  stehen  auf  dem  sehr  breiten  Papyre  in  gleicher  Höhe 
neben  einander;  der  Satz  auf  der  linken  Seite  besteht  aus  7^,  der  zur 
rechten  aus  8^  etwas  kürzeren  Zeilen;  unter  dem  letzteren  steht  un- 
mittelbar eine  enchorische  Unterschrift.  In  der  Mitte  unter  beiden 
eine  Hand  breit  tiefer  ist  folgende  griechische  Beischrift; 

hn.  1.  BTOvq  vß  naxcov  le  rar  stii  rrjv  sv  sq  tq  s(p  cg  [494]  ^/i/i"*  i 
eyx  xarcc  rfjv  Siayg  nroksfiaiov  rs^  v(p  rjv  vnoyQ 

lin.  2.  uänoXkcovioq  o  ccvriyg  svrjQig  (oqov  'kpiXor^  Q^  tv  naxefiBi 
ov  6(0^  AfiiKxivuov  rov  &OTOvrog  rak  ß  tb^o 

lin.  3.  Afnx^  TQ 

Papyr.  BeroL  Nro.  38. 

Er  enthält  einen  enchorischen  Contract,  6|-  Zeilen  in  ziemlicher 
Breite;  die  griechische  Beischrift,  welche  zwei  Zoll  breit  darunter  ziem- 
lich flüchtig  geschrieben  ist,  heißt  also: 

lin.    1.      BTOVq    XCC     (pafiBVO&    Xa    TBT    BTII    T1]V    BV    BQflCOV&Bl    TQCCTtB- 

^av  Bfp   ijg  AnokXcoviog  x    Byx  xarcc  rtjv   naga  ZfXivog 
xai  TCDV  ....  rcov  itQog  rrji  covth  Siaygacpriv  vcp  rjv  vito- 
yga^Bi  cefifjiGyviog  o  avriyg 
lin.  2.    (ovfjg  cjQog  cjqov  xpiXor^ . . .  ß  xai  rcov  avcotxio^  rcov  ovrcov 

1* 


4  Die  griechiBcheii  Beischriften 

aito  yo  xai  A  . . .  tö>i/  (laf  ev  nrovrei  ....  7]g  at  ynxviat 

TtQOXBiVTcct   8tu  TjjQ  SiuyQ  ov  f]yoQ  nagu  TBPvrjatog  r«ys 
Ifjuav&co  xai 
lin.  3.    (TBfjifjiiviog  tt;^  nerex^ovrog  /^raA  ß  tbIoq  e^axocnag  y  x 
AnoXkmviog  xo 

Papyr,  BeroL  Nro,  39. 

Er  enthält  einen  enchorischen  Contract  in  10  mäßig  langen  Zeilen; 
die  griechische  Beischrift  ist  mit  steifer  Hand  und  vielen  Abkürzungen 
geschrieben,  in  folgender  Art: 

lin,  1.    erovg  tS  rov  xcci  la  fie/etQ  . . .  ter  btii  Tt]v  ev  bq  tq  B(p 

i}g  Siov  i  Byx  xara  ttjv  diayQ  \pBvx^ 
lin.  2.    T6^  v(p  f]v  vnoyg  i}q  o  avriyg  afpano  o<TOQf]()tg  (oqov 

ano  . . .  otx  cjx^S^  ^ai  Sbv 

lin.  3.    g'  . . .  Bvr,g   rov  cpQOVQiov  ,  .  .  ov  b&bto  avtcoi    ravovg 

lin.  4.  nQog  x  ^«^  ß  tb  dia  A  tq 

[495]  Papijr.  BeroL  Nro.  40. 

Er  enthält  einen  enchorischen  Contract  in  18^  kurzen  Zeilen,  die 
sehr  flüchtig  geschrieben  sind;  unmittelbar  darunter  in  kleinen  scharf 
gezeichneten  Buchstaben  steht  folgende  griechische  Beischrift: 

lin.  1.    BTOvg  i8  rov  icc  (paQyLOv&i  b  tbt  bth  ttjv  bv  bq  tq  B<p 

ijg  Siov  i  eyx  xaTa  SiccyQ  'ipBvx^ 

lin.  2.    T6^  v(p  fjv  vTioyQ  ijq  o  avTtyo  tb^  mvrig  oaoQorjQig  tov 

(OQOV    OiX    0)X0S0fl1]fJLBV7]g 

i 
lin.  3.    xai  TB&VQ(ofiBvr]g  bv  t(oi  ano  votov  iibqbi  nBQi  tu  fjLBfi- 

VOVBU    g     fJLBQOg 

lin.  4.    ov  Bcov*i  nuQ  avaxofivBog  tov  x^^XQ^^^og  ^y^^-^ 

Papyr.  BeroL  Nro.  4L 

Er  enthält  4|  Zeilen  schön  enchorisch  geschrieben;  darunter  8t.eht 
in  großen,  unbehülflichen  Buchstaben  folgende,  am  Ende  ein  wenig 
beschädigte  griechische  Beischrift: 


von  fünf  Ägyptischen  Papyren  zu  Berlin  5 

lin.   1.    lixy  x^'^X   ^^   ^^   ^ Q    ^  eyxvxXtov   ev   Siog^ 

Tfjt  fiy 
lin.  2,    oixiag  ent  rov  7]Qax'ketov  tjV  eyoQaaev  aQtavg  tfjevavvrio^ 

lin.  3.    &(avT(og  fi  xat  (Tsv&ovrcjii  ^  xa&  ov  TtQOxeivrai 

Man  erkennt,  wie  oben  angezeigt  ist,  schon  die  enchorischen  Texte 
in  diesen  Papyren  an  einem  in  allen  wiederkehrenden  Zeichen  sehr 
bestinunt  für  Contractformeln.  Femer  weiß  man  aus  Papp.  Taurr.  I 
S.  4  1.  14,  daß  in  Ägypten  ein  Gesetz  gewesen  sei  ^bqI  rod  xa  fii] 
ävayeyQafjiiiiva  alyvnrta  awaXläyfiara  äxvgcc  sivuty  so  daß  man  also 
für  jeden  ägyptischen  Contract  {(TvvüXXccyfia  s.  (Tvyygaipi))  eigentlich 
eine  griechische  Beischrift  erwarten  müßte,  das  sogenannte  nr&iia 
(denn  in  dem  Antigr.  Grey.  heißt  dieser  Teil  der  Copie  [496]  &vTiyQa(pov 
nrcaficerog)',  woher  es  komme,  daß  eine  größere  Zahl  ägyptischer  Con- 
tracte  ohne  solche  griechische  Beischrift  ist,  hat  Peyron  Papp.  Taurr.  I 
S.  156  zu  entwickeln  sich  bemüht.  Der  Grund  für  jenes  Gesetz  aber 
ist  leicht  zu  erkennen;  denn  wenn  Ägypter  miteinander  Contracte 
schließen  wollten  und  zwar  nicht  unmittelbar  Tor  der  griechischen 
Behörde  der  Agoranomie,  so  bedienten  sie  sich  der  sogenannten  jjlovÖ' 
ypa^oij  Schreiber  ven  irgend  einem  PriestercoUegio,  die  in  ägyptischer 
Sprache  die  Punkte  des  Contractes  niederschrieben;  indem  aber  zugleich 
eine  Steuer  z.  B.  von  dem  Kaufpreise  des  Gegenstandes,  über  dessen 
Verkauf  (kontrahiert  worden  war,  entrichtet  werden  mußte,  so  war  es 
notwendig,  daß  irgendwie  durch  ein  gerichtliches  Verfahren  solches 
Stipulieren  von  Contracten  zur  Kenntnis  der  betreffenden  Steuerbehörde 
kam.  Ebenso  mußten  die  jedesmaligen  Inhaber  von  Häusern,  Grund- 
stücken, Privilegien  u.  s.  w.  für  ihren  Besitz,  für  den  Ertrag  ihres 
Ackers,  für  ihre  Liturgien  eine  gewisse  Grund-  oder  Gewerbesteuer 
entrichten,  wozu  wieder  erfordert  wurde,  daß  bei  jedem  Verkauf  zur 
Kenntnis  der  mit  den  Steuereinnahmen  beschäftigten  Behörden  kam, 
von  wem  welches  Besitzrecht  an  wen  überlassen  sei  (nach  dem  Ttgöa- 
TuyiAU  nagl  r^s  ävayQa(pr]g  pap.  Taur.  I  S.  6  lin.  31).  So  ist  es 
denn  in  Ägypten  Gebrauch,  daß  die  Contracte  bei  dem  Steueramte 
präsentiert  werden,  damit  von  ihnen  die  gewöhnüche  Steuer  gezahlt, 
als  gezahlt  quittiert,  und  zugleich  die  Hauptpunkte  des  Contractes  in 
die  allgemeinen  Grundbesitz-  und  Abgabenbücher  wegen  der  richtigen 
Erhebung  der  jährlichen  Grund-  und  Gewerbesteuer  eingetragen  werden 


6  Die  griechischen  BeiBchriften 

können  \  Nach  dieser  doppelten  Beziehung  findet  man  denn  auch  auf  man- 
chen Papyren  eine  doppelte  Unterschrift,  nämlich  das  sogenannte  trape- 
zitische  Register,  welches  über  die  richtige  [497]  Zahlung  der  Steuer 
von  dem  Kaufe  u.  s.  w.  quittiert,  und  das  andere,  von  Peyron  entdeckte 
graphische  Register,  welches  bescheinigt,  daß  der  Contract  in  der 
Registratur  des  Nomos  {^v  T(p  yQatfiw)  sei  vorgezeigt  worden  und  auf- 
geschrieben {ävayQaq^eiv,  elg  dvuyQcc(pjjv  fiBTccXafißüvBtv)  in  den  Grund- 
besitz- und  Abgabenbüchem  des  Nomos,  aus  denen  Abschriften  gleich 
den  Contracten  selbst  vor  Gericht  respektiert  wurden.  Diese  zweite 
Art  von  Unterschriften  besteht  nach  Peyron  erst  seit  dem  Jahre  36 
Philometoris ;  doch  bedarf  sie  noch  vieler  Aufklärung,  und  auch  der 
Umstand,  daß  sie  so  äußerst  selten  gefunden  wird,  einer  zuverlässigeren 
Begründung,  als  bis  jetzt  hat  können  gegeben  werden.  Wir  halten 
uns  für  den  Augenblick  noch  nicht  fähig,  auch  nur  einen  kleinen 
Schritt  über  Peyrons  Ansicht  hinauszuwagen;  auch  ist  zunächst  für 
die  hier  in  Rede  stehende  Erklärung  der  Beischriften  die  Untersuchung 
über  graphische  Register  ohne  besonderen  Einfluß. 

Desto  genauer  müssen  wir  die  trapezitischen  Register  betrachten. 
Peyron  pap.  Taur.  I  S.  138  hat  für  dieselben  ein  allgemeines  Formular 
aufgestellt,  und  wir  finden  auch  in  allen  bisher  bekannten  mit  Aus- 
schluß unseres  No.  41  dasselbe  Schema  "u  Grunde  liegen.  Die  gram- 
matische Structur  in  diesen  Registern  wird  von  Buttmann  und  Peyron 
durchaus  verschieden  erklärt  Legen  wir  den  schon  entzifferten  und 
von  Buttmann  edierten  pap.  Berol.  Nro.  36  zum  Grunde,  welcher  also 
lautet: 

krovg  lg  Xoicex  t^  reraxtai  km  ti]v  kv  AiotrnoXti  tj?  fieyaXy 
T()cme^av,  B(p  ijg  Avatfiaxo^,  etxofxrijg  kyxvxhov,  xaxa  Siayga- 
(fijv  !A(Txh]niadov  xcci  Z^iviog  reXcovcov,  v(p  ijv  vnoyQacpti 
nTolefiaiog  6  dvTiy()a(f6vg,  'i2Qog  'Qqov  Xokxvrr]g  (bvtjg  t&v 
Xoyevofjiavcov  St*  avrcov  x^Qt'^  7ö>^  xei^ievcov  vbxqcjv  kv  oig  kxovmv 
kv  TOig  MB^vovBiotg  rijg  Atßvi^g  rov  IleQt&Tjßag  ratpotgy  ävd'  ijg 
noiovvxai  keirovQytag,  ä  kwvijGccro  naQ*  *  Ovv(o(pQiog  rov  '  ii()ov 
^aheov  raL    y'  xh'kog  kvvaxoaiag  y^ ^  Avaifia^og  TQane^irfjg. 

[498]  So  ist  nach  Buttmanns  Ansicht  die  Grundlage  der  Structur:  rirax- 
rai^ilQog  TfiAog;  riraxTai  stehe  hier  nach  der  Analogie  \on  j^rürro/jicci 
(plQBiv  (pÖQov,  mir  wird  Steuer  auferlegt",  der  Infinitiv  sei  nicht  aus- 
gedrückt, weil,  sowie  man  sage  rdzTo  nvl  cpÖQoVy  die  Sprache  auch 

^  Der  weitere  Zusammenhang  dieser  Bestimmungen  ist  erläutert  in  unserem 
Aegyptus  sub  Ptolemaei  Philometoris  imperio,  welches  demnächst  im  Drucke 
erscheinen  wird.   D.  Verf.    (Vergl.  das  Verzeichnis  der  Schriften  des  Verf.  No.  2.) 


von  fünf  ägyptischen  Papyreu  zu  Berlin  7 

mit  sich  bringe  zu  sagen  rärrofjLm  (p6Qov\  die  Zeitbestimmung  bei 
eifern  Perfekt  könne  nicht  von  dem  Tage  der  Handlung  dieses  Verbi 
gelten;  denn  für  diesen  Sinn  müsse  es  heißen  kxdx^n^  es  sei  also 
vielmehr  der  Termin  ad  quem  darin  bezeichnet ,  der  Zusammenhang 
im  ganzen  dann  so  aufzufassen:  ,,auf  den  und  den  ist  Horus  angewiesen 
zu  zahlen  an  Zoll  so  und  so  viel".  Aber  es  entsteht  aus  dieser  Er- 
klärong  mehr  als  ein  Übelstand ;  man  fragt,  warum  wurde,  sobald  die 
ägyptische  avyyvatfri  präsentiert  war,  nicht  sogleich  die  Steuer  ent- 
richtet und  darüber  quittiert,  sondern  mit  vieler,  ganz  lästiger  und 
zureckloser  Umständlichkeit  erst  der  Käufer  an  die  Trapeza  beordert, 
um  seinen  Contract  also  unterschreiben  zu  lassen:  er  sei  beordert,  auf 
einem  zweiten  Termine  zu  erscheinen,  wo  er  diesen  nicht  gar  großen 
und  leicht  zu  überrechnenden  resp.  Zehnten  oder  Zwanzigsten  einzahlen 
solle.  Ferner  finden  wir,  daß  erst  durch  diese  trapezitischen  Register 
die  Contracte  gerichtliche  Autorität  bekamen,  d.  h.  der  Kauf  wurde  als 
in  Form  Eechtens  geschehen  anerkannt,  wenn  nachgewiesen  werden 
konnte,  daß  xä  Tcaß-ijxovra  rtXri  entrichtet  seien,  als  wodurch  die 
Handlung  gerichtlich  vollständig  und  beendet  war;  bei  der  von  Butt- 
mann angenommenen  Erklärung  ist  dagegen  die  Unterschrift  nichts 
weiter  als  eine  Citation,  wenn  auch  Böckh  meint,  „dies  riraxtai  habe, 
wenn  nicht  ausdrücklich  hinzugefügt  wäre,  daß  der  Citierte  nicht  ge- 
kommen sei,  soviel  gegolten,  als  wenn  es  hieße  Terccyfiavog  nageartf 
es  stellt  sich  der  erhaltenen  Anweisung  gemäß  Oros  im  Amte".  Ich 
glaube,  gerade  diese  Art  von  Brachylogie  würde  für  den  ^Kanzleistil 
nicht  die  passendste  sein,  der  die  wesentlichen  Punkte  lieber  zu  weit- 
läufig, als  kurz  und  prägnant  bestimmt;  überdies  [499]  würde  in  dieser 
Erklärung  von  Böckh  die  Structur  von  reAog  durchaus  undeutlich  sein, 
und  sich  am  wenigsten  mit  der  Buttmannschen  vereinigen  lassen;  gegen 
Buttmann  wieder  müßte  man  mit  Recht  noch  einwenden,  daß  das 
xcträ  SiayQacpjjv  u.  s.  w.  seiner  Stellung  nach  eher  selbst  auf  die  ci- 
tierten  Personen,  als  auf  das  riXog  am  Ende  bezogen  werden  würde. 
Kurz  es  sind  die  in  diesen  Erklärungen  eingeschlagenen  Wege  durch- 
aus unbequem,  und  führen  zu  keinem  Resultate,  bei  dem  man  sich 
beruhigen  könnte.  Das  hat  bereits  Peyron  ausgesprochen,  und  auf 
zwei  Stellen  seiner  Hermiasacten  eine  neue  Erklärung  gegründet.  Näm- 
lich in  pap.  Taur.  I  S.  5  1.  18,  S.  9  L  13  findet  man  &v  (nicht  (rvy- 
yQaq)&Vj  wie  Peyron  meint,  denn  nicht  vom  Contracte,  sondern  vom 
Eau^reise,  d)vi}^  oder  dem  Gegenstande  des  Kaufes,  was  natürlich  das- 
selbe ist,  wird  gesteuert;  also  r&v  ....  ni^x^oov  oder  dergleichen)  &v 
xal  rä  rilfj  xBxdx&cci  slg  rrjv  rov  kyxvxXiov  djvi^v,  quarum  (nicht 
8^fi%grapharum,  sondern  renjum  venalitmi)  tribiUa  relaia  esse  in  registrum 


8  Die  griechisohen  BeiBchriften 

officii  redemtionis  annui  tribuU;  hiernach  sei  die  Structur  der  trapezi- 
tischen  Register,  die  hier  offenbar  angedeutet  wird,  passivisch,  yjTiraxrai 
Tilog,  an  dem  und  dem  Tage  wurde  einregistriert  ....  die  Steuer". 
Obschon  die  Grundlage  dieses  Beweises  unumstößlich  zu  sein  scheint, 
so  müssen  wir  doch  das  Bewiesene  ablehnen,  indem  es  in  vollstem 
Widerspruche  ist  mit  den  zu  erklärenden  Registerformeln,  in  welchen 
Tslog  so  wenig  Nominativ  ist,  daß  in  Papp.  Berol.  Nro.  37  und  38 
die  Apposition  zu  riXog,  die  Zahl  der  Drachmen  im  Accusativ  ausge- 
drückt ist,  als  wahrer  und  alleiniger  Subjektsnominativ  dagegen  der 
Name  des  Käufers  dasteht,  über  welchen  Casus  sich  Peyron  nicht  er- 
klärt hat.  Ebenso  heißt  es  in  den  Petrettinischen  Papyren  der  Zois 
Nro.  3:  max&ui  Zd'iSa  rijv  itQcdrtjv  ävacpogäv  xai  vvv  rdtTfrerat 
Tiiv  SwTBQap,  und  das  schreibt  sie  in  einem  Briefe  an  die  Könige,' 
d.  h.  an  das  königliche  Zollamt,  noch  ehe  sie  zur  Zahlung  citiert  ist; 
ebenso  heißt  es  Pap.  Taur.  X  6 :  ö  [500]  ccvrög  riXog  riraxTai  u.  s.  w. 
Nicht  minder  ist  mir  rerccxTUi  im  Sinne  von  referre  in  registrum  ganz 
unwahrscheinlich;  man  würde  in  Ägypten  ävct(fkQBiv,  xarazcopi^eiv  und 
dergleichen  erwarten.  Allerdings  ist  in  beiden  von  Peyron  angezogenen 
Stellen  die  Structur  von  raraxd-ai  durchaus  passivisch;  aber  sie  selbst 
durften  so  nicht  zur  Erläuterung  der  Registerformel  gebraucht  werden; 
denn  in  diesen  letzteren  ist  die  Hauptsache  zu  sagen,  daß  der  N.  N. 
seine  Steuer  entrichtet  habe,  dort  dagegen,  daß  die  Steuer  über  einen 
Kauf,  zu  welchem  der  vor  Gericht  als  Document  gebrauchte  Contract 
gehöre,  enirichtet  sei,  der  angefahrte  Contract  somit  gerichtliche  Gültig- 
keit habe.  Nur  so  viel  kann  man,  glaube  ich,  aus  der  Vergleichung 
des  beidesmaligen  riraxTai  entnehmen,  daß  die  Bedeutung  nicht,  wie 
sie  Buttmann  und  Böckh  nahmen,  „vor  das  Zollamt  eitleren"  sein 
könne,  indem  es  sonst  den  Charakter  eines  technischen,  d.  h.  im  wesent- 
lichen Constanten  Ausdruckes  verlieren  würde.  So  scheint  mir  nichts 
übrig  zu  sein,  als  jenes  reraxTai  der  Register  für  denselben  medialen 
Ausdruck  zu  nehmen,  der  sich  z.  B.  bei  Herod.  III  13  zeigt:  xai  cpÖQov 
kra^ccvro  xai  S&Qa  i'JiBfiTioVf  wo  rÜTTOfiai  (pögov  nicht  heißt,  „ich 
werde  zu  einem  Tribut  angewiesen,"  oder  „mir  wird  ein  Tribut  aufer- 
legt," sondern  „ich  weise  mich  zu  einem  einzubringenden  Tribut  an, 
entrichte  ihn  ohne  weitere  Citation".  Danach  hätten  wir  in  den  Re- 
gistern als  Gerippe  der  Structur:  Tiraxrai  ^ilgog  riXog  i^axoaiag 
SgaxfJidg,  „es  hat  entrichtet  Horus  —  seine  Steuer  600  Drachmen"; 
natürlich  hat  auf  diese  Erklärung  Buttmanns  Einwand  wegen  des 
Datums,  das  krü/'&fj  erfordern  würde,  keinen  Einfluß;  man  kann  mit 
Böckh  7tÜQB(TTi  rarayfiivog  periphrasieren.  Besonders  prägnant  aber 
ist  hier  das  Medium  mit  seiner  Bedeutung  „aus  freien  Stücken  zahlen"; 


TOD  fünf  ägyptischen  Papjren  zu  Berlin  9 

es  war  natürlich ,  daß  jeder,  der  etwas  kaufte,  nach  den  einmal  be- 
stehenden Gesetzen  sich  melden  mußte  ohne  weitere  Citation,  sich  selbst 
nach  dem  Gesetze  stellend,  ra^äfievog.  Von  diesem  Medium  aus  hat 
nun  [501]  augenscheinlich  die  offizielle  Sprache  ein  neues  Passivurn,  in 
welchem  das  Objekt  der  medialen  Handlung  Subjekt  wird,  sich  gebildet 
für  die  Bezeichnung,  rä  reXt]  reräx^ai,  über  deren  weiteren  Sinn 
unten  mehr  wird  zu  sprechen  sein. 

Eine  zweite  Schwierigkeit  ist,  in  welcher  Structur  der  Genitiv 
Bixoarfjq  kyxvxXiov  abhangig  zu  erklären  sei.  Buttmann  verbindet 
km  Ttjv  roäne^ccv  {h(p  fjg  Avaificcxog)  hyxvxXiov,  „das  Zollamt  des 
gewöhnlichen  Zwanzigsten;"  sonderbar  wäre  schon  die  Parenthese,  noch 
sonderbarer,  daß  in  den  einzelnen  Städten  für  die  Kaufsteuer  oder  den 
Zwanzigsten  eine  eigene  rgana^a  bestanden  hätte.  Nicht  besser  scheint 
Peyrons  Structur  zu  sein:  ^(jr'  fjg  Avaificcxog  alxoarTjg  hyxvxXiov^  wel- 
ches heßen  soll:  cm  mensae  praeest  Lys.,  redemtor  anrmae  vigesimae; 
wenigstens  d  knl  rfjg  elxoarfjg  oder  6  ngdg  ry  elxocrry  würde  man 
erwarten.  Vielmehr  ist  dieser  Genitiv  abhängig  von  riXog,  das  ganz 
am  Ende  des  Registers  steht,  „entrichtet  hat  N.  N.  des  gewöhnlichen 
Zwanzigsten  ....  Steuer,"  so  daß  also  zu  diesem  rilog  drei  Genitive 
gehören,  einmal  welcher  Art  die  Steuer  sei,  rikog  eixoarijg  iyxvxhov, 
sodann  von  welchem  Gegenstande  riXog  d)vi]g,  rilog  tptXordiiov ^  dv 
ktypYjaaro  ...,  endlich  die  Apposition  dieses  Genitives  des  Gegenstandes, 
der  in  Zahlen  ausgedrückte  Kaufpreis  raXävrwv  n.  n.  riXog]  gerade 
diese  Schwerfälligkeit  ist  die  Würze  und  der  rechte  Rhythmus  des 
Kanzleistils.  Der  Grund  nun,  warum  dieser  Genitiv  elxotrrrjg  hyxvxXiov 
so  weit  vorweg  genommen  ist,  scheint  leicht  zu  finden;  es  müssen 
nämlich  die  allgemeineren  Titel  vorangestellt  werden,  als  die  Grund- 
lage für  diesen  einzelnen,  näher  zu  spezialisierenden  Fall;  wieder  ein 
rechtes  Zeichen  des  Kanzleistils,  der  durch  die  Behendigkeit  der  grie- 
chischen Sprache  im  Ordnen  der  einzelnen  Satzteile  ungemein  be- 
günstigt wird.  Wir  können  somit  als  die  zum  Grunde  liegende  Struc- 
tur der  Trapezitenregister  folgendes  Schema  aufstellen:  „erovgKN.ri' 
raxTC4i  int  rijv  kv  N.  N.  TQÜiie^civ,  hcp  jjg  N,  N.,  slxoarTjg  {Sexär^jg) 
iyxvxkiov  xuTÜ  [502]  Siccyo(X(pijv  N. K,  v(p*  ijv imoyoätpei N,N..,,,  KN, 

6  rov  N.  N,  ,..  ((bvfjg) raXävrcov  {S^axficHv)  n.  n.  rekog  S^a/fiag 

».  n."     „Im  Jahre den hat  N.  N.  entrichtet  des  gewöhnlichen 

Zwanzigsten   oder  Zehnten  Steuer  von  dem  Kauf ,  von  so  und 

so  viel  Talent,  so  und  so  viel  Drachmen".  Wir  haben  cbvfjg  einge- 
klammert, weü  es  bisweilen  ausgelassen  wird,  und  dem  Sinne  nach 
füglich  ausgelassen  werden  kann,  indem  statt  dessen  der  Gegenstand 
der  gekauft  wurde,  mit  seinem  Werthe  angeführt  steht.    Pejron  sagt. 


10  I^ie  griechischen  Beischriften 

daß  auch  (bvy  gefnnden  werde,  welches  grammatisch  wohl  zu  erklären 
wäre;  jedoch  ist  mir  noch  kein  überzeugendes  Beispiel  vorgekommen, 
vielmehr  ein  finales  g  leicht  mit  i  zu  verwechseln. 

Fernere  Bestimmungen,  die  sich  in  den  Trapezitenregistem  wieder- 
finden, sind  1)  das  Datum;  es  wird  regelmäßig  nur  angegeben,  an 
welchem  Tage,  in  welchem  Jahre  des  regierenden  Königs  gezahlt  worden 
sei,  nicht  zugleich  der  Name  des  regierenden  Königs  genannt;  dies  ist 
natürlich,  indem  jedesmal  die  vorstehende  (TvyyQa<pi^  in  aller  Ausführ- 
lichkeit dieses  Jahr  bezeichnet;  wir  werden  daher  oft  genug  uns  an 
den  enchorischen  Text  wenden  müssen,  um  das  in  der  Beischrift  nicht 
angegebene  ergänzen  zu  können.  Übrigens  zählt  die  Regierung  jedes 
Königs,  wie  bekannt,  nicht  vom  Tage  seiner  Thronbesteigung,  sondern 
vom  letzten  Neujahr  rückwärts,  d.  h.  dem  ersten  Thoth  vor  seiner  Re- 
gierung ab,  so  daß  z.  B.  das  ägyptische  Jahr  567  aer.  Nah.  vom  8.  Ok- 
tober 181  bis  8.  Oktober  180,  das  erst«  des  Ptolemäus  Philometor  ist: 
obschon  sein  Yater  noch  bis  zum  Frühlinge  180  lebte,  so  daß  man 
möglicherweise  noch  Documente  aus  den  ersten  Monaten  des  Jahres  25 
des  Ptolemäus  Epiphanes  Eucharistos  datiert  finden  könnte.  2)  Das 
Zollamt  mit  den  Zöllnern,  bei  welchen  die  Steuer  entrichtet  wird, 
inl  Ti]v  kv  iV.  N.  rgäTte^av,  k(p*  ijq  N.  K  Jenes  knl  rijv  rgaiiB^av  hat 
Böckh  bei  Buttmann  S.  108  mit  Stellen  aus  Demosthenes  [503]  erläutert« 
Schon  oben  ist  gesagt  worden,  daß  für  jeden  Nomos  eine  solche  roa- 
ns^a  gewesen  zu  sein  scheint,  die  nach  den  Petrettinischen  Papyren 
der  Zois  zu  urteilen  auch  ßaaiXixi}  rguTte^a  genannt  wurde;  es  wurde 
nach  den  überlieferten  Beispielen  in  diesen  Zollämtern  die  Kauf-  und 
Salzsteuer  {vtrQixtj]  anders  erklärt  es  Letronne),  ingleichen  die  Erb- 
schaftssteuer {dnaQx/j)j  das  Kaufgeld  für  confiscierte  und  vom  Staate 
versteigerte  Güter,  wahrscheinlich  auch  die  oYvov,  TQO(pi}g  tUt],  sowie 
die  TsräQTf]  u.  s.  w.  gezahlte  Wir  halten  dafür,  daß  an  der  Spitze 
dieses  großen  Bureaus,  dessen  Geschäftskreis  noch  ausgedehnter  wurde, 
seitdem  Ptolemäus  Epiphanes  die  Priester  der  Verpflichtung,  gewisse 
Steuern  in  Person  zu  Alexandria  abzuliefern,  entband,  der  bisweilen 
genannte  inl  rcDv  TiQoaöSojv  rov  vöjnov  stand,  ein  wichtiges  Amt,  das 
daher  selbst  einem  avyytvrjg  xctl  kinaroXoyQdcpoq  übergeben  wurde. 
Unter  seinem  Präsidio  arbeiten  nun  natürlich  eine  Reihe  verschiedener 
(?ommissioneu  (z.  B.  für  die  'ivXriifjig  rfjg  virQtxfjg,  für  die  olxovo^iia 
T&v  äpyvQix&v  u.  s,  w.),  ebenso  verschiedene  Arten  von  Beamten  (so 
d  olxovöfioQ  rov  ßccaiUooq  in  der  Sammlung  Passalacqua  Nro.  1564, 
der  kTtifxsXrjTjjg  für  die  ivlrjrfjtg  rijg  virgixfjg  u.  s.  w.).  Besonders  wichtig 
für  die  Erklärung  unserer  Papjre  sind  die  rgane^irccij  die  Zöllner, 
offenbar  beauftragt  mit   der  unmittelbaren  Einnahme   der  zahlbaren 


von  fönf  Ägyptischen  Papyren  zu  Berlin  1 1 

Steuern;  daher  müssen  sie  die  Register,  welche  Quittungen  über  die 
gezahlten  Steuern  sind,  mit  ihres  Namens  Unterschrift  attestieren;  denn 
man  kann  annehmen,  daß  irgend  ein  Schreiber  bei  der  Zahlung  der 
Steuer  die  Quittung  schreibt,  der  und  der  habe  bei  dem  und  dem 
Zollamte,  bei  welchem  N.  N.  Steuereinnehmer  oder  Zöllner  sei,  seine 
Steuer  eingezahlt;  das  zur  Bestätigung  unterschreibt  dann  der  besagte 
Zöllner  oder  Steuereinnehmer  eigenhändig,  und  man  erkennt  jedesmal 
sehr  deutlich  die  verschiedene  Art,  wie  in  den  Registern  selbst  und  in 
der  eigenhändigen  Unterschrift  des  Zöllners  sein  Name  geschrieben  ist. 
Offenbar  übrigens  ist  [504]  dieser  Trapezite  ein  königlicher  Beamter;  denn 
nur  so  kann  seine  Unterschrift  die  Quittung  vor  Gericht  rechtskräftig 
erscheinen  lassen.  Dagegen  ist  3)  der  rBXcüvr^q  oder  Zollpächter 
eine  Privatperson.  Peyron  hat  dargethan,  daß  die  in  den  Registern 
anwendbare  Bedeutung  von  StccyQucpri  nicht  Geldwechsel  u.  s.  w.  sein 
könne,  sondern  allein  partitio  pecuniae  impositae  ac  persolvendae;  wenn 
er  aber  fortfahrt,  „daß  diese  Verteilung  nötig  gewesen  sei,  wegen  der 
großen  Verparzellierung  der  Grundstücke,  daß  man,  um  von  diesen 
kleinen  Parzellen  noch  gehörig  die  Abgaben  einfordern  zu  können, 
genaue  Kenntnis  der  Teilung  und  gerichtliche  Verteilung  der  Abgaben 
für  die  einzelnen  Besitzteile  auf  die  einzelnen  Besitzer  habe  veranlassen 
müssen",  so  übersieht  er,  was  zunächst  sich  aus  den  Registerformeln 
nur  ergiebt;  denn  es  heißt,  daß  die  gewöhnliche  Steuer  des  Zehnten 
oder  Zwanzigsten  von  dem  Kaufpreise  gezahlt  werde  xarä  StayQUfpiiv 
des  und  des  Zollpächters;  wonach  die  SiayQacpi)  weiter  nichts  sein 
kann,  als  die  Berechnung  der  Steuer  für  den  jedesmaligen  Kaufpreis 
nach  dem  respektiven  Steuerfuß.  Also  bei  dem  Zollpächter  präsentiert 
der  Käufer  zunächst  seinen  Contract,  über  dessen  Inhalt  er  steuern 
will,  der  Zollpächter  [riktbvtjq)  macht  nun  die  8iayQa(pi),  d.  h.  er  be- 
rechnet, daß  nach  dem  geltenden  Steuerfuß  für  so  und  so  viel  Kauf- 
preis der  N.  N.  so  und  so  viel  zu  steuern  habe.  Die  Anweisung  für 
die  Zahlung  muß  aber  noch  erst  von  einem  königlichen  Beamten,  (4) 
dem  &vTiyQaq)Bvq  oder  Conjtrolleur  unterschrieben  werden  (uqp'  iiv 
Siayga^ijv  viioyQÜtpBi  N,  N,  ö  ävrtyQatpevg)  und  kommt  so  revidiert 
an  den  Trapeziten  oder  Zöllner,  der  nun  infolge  derselben  die  Steuer 
einnimmt,  den  Contract  von  seinem  Schreiber  mit  dem  Register,  das 
als  Quittung  gilt,  versehen  läßt,  und  endlich  seinen  Namen  unter- 
schreibt Statt  eines  TaMvrig  oder  Zollpächters  machen  auch  zwei 
oder  mehrere  die  SiayQcccpi^,  je  nachdem  die  Steuer  von  einem,  zweien 
oder  einer  ganzen  Gesellschaft  (die  denn  wohl  einen  Vorsteher  [505]  hatte, 
z.  B.  den  ^nifjiekfjTfig  bei  der  'ivXTjrfjig  rfiv  viTQtxi]g)  gepachtet  war. 
Dies   angegebene  Verfahren  wird  einigermaßen  wenigstens  durch  die 


12  Die  griechischen  Beischriften 

Petrettinischen  Papyre  der  Zois  bestätigt;  dort  nämlich  ist  1)  eine 
Quittung  über  Schuldzahlung  wegen  Pacht  der  vitqixi^:  „TtiifVGJxsv  inl 
Ttjv  äv  Mifitpet  ßaathxijv  zQcine^av  an  Chäremon,  den  Stellvertreter  des 
Zöllners  HerakÜdes,  nach  Maßgabe  der  nachstehenden  Siaygatpif]^^.  Es 
folgt  nun  2)  die  Zuschrift  des  Theodoros  an  den  Zöllner  Heraklides: 
,;daß  er  in  Empfang  nehmen  und  aufschreiben  solle  die  und  die  Summe 
nach  Maßgabe  der  nachstehenden  SiccyQatpi'u  die  der  ControUeur  Dorion 
unterschreibe,  daß  nichts  vergessen  sei.  Dann  wieder  folgt  3)  eine 
Eingabe,  in  welcher  die  Einzahlung  der  Schuld  von  Seiten  der  schulden- 
den Person  annonciert  wird,  und  endlich  4)  die  Sidyqa^ri  selbst:  näm- 
lich Theodoros,  der  also  wohl  Zollpächter  war,  schreibt,  man  solle  die 
annoncierte  Summe  in  Empfang  nehmen,  nachdem  der  ControUeur 
Dorion  werde  unterschrieben  haben,  daß  nichts  vergessen  sei;  sodann 
unterschreibt  Dorion,  der  ControUeur,  man  könne  die  Summe  in  Em- 
pfang nehmen  u.  s.  w. ;  noch  folgen  zwei  andere  Unterschriften,  die  der 
Schuldzahlung  eigentümlich  zu  sein  scheinen.  Nach  dieser  infolge  der 
Eingabe  Nro,  3  concipierten  und  darauf  controUierten  SiayQccq)ri  ist 
ist  also  die  Anweisung,  jene  Zahlung  entgegenzunehmen,  in  Form  einer 
Zuschrift  Nro.  2  an  den  Zöllner  Heraklides  geschickt,  der  demnach 
die  Zahlung  entgegennimmt  und  über  sie  quittiert  Nro.  1.  Die  Ord- 
nung, in  welcher  die  einzelnen  Stücke  auf  dem  Papyre  erscheinen, 
erklärt  sich  daraus,  daß  das  Ganze  nur  als  aktenmäßige  Abschrift  für 
die  zahlende  Person,  für  welche  die  Quittung  natürlich  obenan  steht, 
verfaßt  ist. 

Nach  diesen  Bestimmungen  des  Datums,  Zollamtes,  der  hyxvxXioqy 
öiayQa(pi),  vitoyoucpi)  folgt  in  dem  gewöhnlichen  Formular  der  trape- 
zitischen  Register  der  Name  des  Käufers,  dann  die  Bezeichnung  des 
Gekauften,  bald  mehr,  bald  [506]  minder  genau,  ferner  der  Name  des 
Verkäufers,  endlich  die  Sunmie  des  Kaufpreises,  sowie  der  davon  ent- 
richteten Steuer.  Wir  lassen  zur  Anwendung  des  Gesagten  auf  ein 
schon  mit  Sicherheit  entziffertes  Register  die  Übersetzung  des  oben 
mitgeteilten  griechischen  Textes  von  Pap.  Berol.  Nro.  36  folgen: 

„Am  9.  Choiak  des  Jahres  36  hat  an  das  zu  Großdiospolis  be- 
findliche Steueramt,  bei  welchem  Lysimachos  Zöllner  ist,  die  Steuer 
des  gewöhnlichen  Zwanzigsten  nach  der  Anweisung  der  Steuer- 
pächter Asklepiades  und  Zminis,  welche  der  ControUeur  Ptolemäos 
unterschreibt,  Horos,  des  Horos  Sohn,  der  Cholchyte,  von  dem 
Kaufe  der  CoUecten,  die  sie  (die  Cholchyten)  von  wegen  der 
Leichen,  die  in  den  ihnen  zukommenden,  in  den  Memnonien  des 
zu  Perithebas  gehörenden  Libyens  befindlichen  Gräbern  liegen, 
für  die  Amtsverrichtungen,  welche  sie  thun,  einsammeln,  welche 


von  fünf  ägyptischen  Papjren  zu  Berlin  13 

(CoUecte)  er  von  Onnophris  des  Horos  Sohn,  dem  Cholchyten, 
kanfte,  yon  drei  Eupfertalenten  neunhundert  Drachmen,  900  dreh., 
entrichtet. 

Lysimachos,  Zöllner". 

Wir  sind  in  dieser  Übersetzung  nicht  wenig  von  Buttmann  und 
Böckh  abgewichen/  worüber  wir  uns  kurz  erklären  zu  müssen  glauben. 
Die  Worte  (bvfjg  r&v  Xoyevofjiiv(ov  A'  cAx&v  /apif  rdh/  u.  s,  w.  konnten 
kaum  richtig  verstanden  werden,  so  lange  nicht  das  ävriyQcctpov  des 
ägyptischen  Contractes,  dem  diese  Quittung  beigefügt  ist,  bekannt  war; 
ans  demselben  aber  ersieht  man,  daß  den  Cholchyten  für  ihre  Liturgien 
oder  Amtsverrichtungen  in  bezug  auf  die  Leichen  gewisser  Ortschaften 
Ton  den  Anverwandten  der  Verstorbenen  gewisse  CoUecten  {Xöyeicc  oder 
Aöyia)  einzusammeln  zukam.  Ein  bestimmtes  Quantum  von  Leichen 
mit  den  auf  sie  bezüglichen  Liturgien  ist  unter  drei  Cholchytenfamilien 
geteilt;  einer  dieser  Teile  kommt  zur  Hälfte  dem  Asos,  jüngerem  Sohne 
des  Horos,  die  andere  Hälfte  seinem  Vetter  Onnophris  zu;  diese  zweite 
Hälfte  nun  kauft  des  Asos  älterer  Bruder  Horos,  von  [507]  Onnophris 
sig  nXfiocDGtv  rov  xqItov,  d.  h.  um  mit  seinem  Bruder  Asos  ein  volles 
Drittel  jenes  Quantums  von  Toten  und  der  einzufordernden  CoUecten 
zu  haben.  Über  die  Steuer  von  diesem  Kaufe  quittiert  nun  das  vor- 
liegende trapezitische  Register,  also  über  xiXo^  dbvfjg  x&v  XoyevofjLEvo)v 
AY  uvT&v.  Die  Worte  xCiv  Xoyevofjiivoov  hat  Biittmann  kunstlich  genug 
erklärt;  aber  in  jedem  Begister  kommt  die  Siay^a^tj  vor,  die  deshalb 
nicht  mit  rä  Xoyevöfievcc  die  von  ihm  vorausgesetzte  Verbindung  haben 
kann.  Man  ersieht  aus  dem  ävriyQa(pov  das  Sichtige,  daß  nämlich 
rä  Xoyevö flava  hier  dasselbe  sind,  was  rä  Xöyicc  dort,  eine  Toten- 
collecte  (s.  Schömann  bei  Kosegarten  Bemerkungen  S.  21);  daß  jenes 
Verbum,  welches  aus  gut  griechischer  Zeit  nicht  bekannt  ist,  diese  Be- 
deutung haben  könne,  sieht  man  aus  Edict.  Capit  lin.  34,  wo  es  heißt, 
daß  der  Strateg  der  Thebais  alle  vier  Monate  die  Logisterien  inspi- 
cieren  und  an  den  Eparchen  von  Ägypten  rä  kx  rov  XoyiaxriQiov 
xal  Tovg  kxXoyKTTÜg  schicken  solle,  iV  käv  ri  itaqu  xh  Sixcctov  AaAo- 
ysvfUvov  fj  nenQccyfiivov  ^,  xovxo  SioQ&c5(T(oficet,  Nehmen  wir  diese 
Bedeutung  an,  so  ist  auch  die  Schwierigkeit  des  x^Q^'^j  über  welches 
die  früheren  Erklärungen  auf  keine  Weise  hinaus  konnten,  gehoben. 
Über  die  Verrichtungen  bei  den  Leichen,  für  welche  die  Cholchyten 
ihre  CoUecte  einsammeln,  hat  Peyron  Papp.  Taurr.  I  S.  68  vollkommen 
aufgeklärt.  Einzelne  Ungenauigkeiten  in  den  Angaben  dieses  Registers 
sind  darauf  zu  schieben,  daß  es  nicht  sowohl  auf  eine  durchaus  genaue 
Bezeichnung  des  Kaufgegenstandes,  der  schon  in  der  ägyptischen  avy- 
yQUffil  genugsam  charakterisiert  ist,  als  vielmehr  darauf  ankam,   die 


14  1)16  griechischen  Beischriften 

Steuerzahlang  zu  besoheinigen.  So  geht  das  Si^  air&v  auf  nichts  in 
dem  Register  selbst  angegebenes,  sondern  auf  die  im  ägyptischen  Gon- 
tracte  genannten  Cholchyten;  ebenso  müßte  eine  genaue  Bezeichnung 
lauten:  dyvf^q  rot?  ijfXitTovg  rov  rgirov  rijg  XoyBiccQi,  dafür  aber  wird 
allgemeiner  gesagt  rä  koyBvöfieva,  Nach  dem  Angeführten  ist  auch 
erklärlich,  wie  in  der  Pariser  Copie  [508]  dieses  Registers  geschrieben 
werden  konnte:  äv&^  J/tj  noieirai  XBirovQyiag  statt  unseres  noiovvrai. 
Wir  Ijtösen  nun  die  fünf  Trapezitenregister  in  vollständiger  Lesung 
mit  Übersetzung  und  Erklärung  folgen. 

Papyr,  Berolin,  Nro,  37, 

(1)  jyErovii  vß"  na/ojv  le  riraxrm  knl  Tfjv  kv  'Epfjiciv&si  rgane- 
^aVj  k(p^  Jytj  !AfXfjicivtOi;,  Ssxartjg  kyxvxXiov  xara  StayQacpiiv  IItoXb^ 
fimov  TBkcivov,  v(f  'fjv  vnoyQcctpBi  (2)  'AnoXXcovto*;  6  ävriyQatpev^j 
''Lvf]Q(g  "Qqov  ilJt?.ot67iav  nfjxsig  ^  h  Ilaxifiet,  6v  kcovTjaaro 
nccQ^   '4fjLiÄ(ovUov  rov  Oörovro^j  raXävrcov  ß'  riXog  f^a\ 

!Afifi(6vtog  TQanB^ixrjq^^. 
„Im  Jahre  52  den  15.  Fachen  hat  an  das  Steueramt  zu  Hermon- 
this,  bei  dem  Ammonios  Zöllner  ist,  die  Steuer  des  gewöhnlichen 
Zehnten  nach  der  Anweisung  des  Steuerpächters  Ptolemäos,  die 
der  ControUeur  ApoUonios  unterschreibt,  Eneris,  des  Horos  Sohn, 
von  einer  Baustelle  zu  900  Ellen  in  Pakemis,  die  er  von  Am- 
monios, Thotus  Sohn,  kaufte,  von  zwei  Talenten  1200  Drachmen, 
entrichtet.  Ammonios,  Zöllner". 

Das  Datum  ist  das  52.  Regierungsjahr  des  zweiten  Euergetes,  wie 
man  aus  dem  Anfange  der  ägyptischen  avyyQacprj  ersieht,  die  ge- 
schrieben ist  „im  Jahre  52,  am  3.  Pachon  des  Königs  Ptolemäos  Gottes 
Euergetes,  des  Ptolemäos  Sohn,  und  der  Königin  Kleopatra  seiner 
Schwester,  und  der  Königin  Kleopatra  seiner  Nichte,  der  Götter 
Euergetes".  Es  ist  bekannt,  daß  Euergetes  II  nach  seines  Bruders 
Philometor  Tod  (nach  dem  Juni  145)  dessen  Witwe  und  Schwester 
Kleopatra,  und  bald  hernach  deren  Tochter,  seine  Nichte  Kleopatra 
heiratete;  Letronne  meint,  daß  beider  Königinnen  Namen  erst  nach 
132,  wo  Euergetes  auf  Anstiften  der  Schwester  Kleopatra  vertrieben 
wurde,  und  sich  wieder  mit  ihr  aussöhnte,  in  den  Acten  gefunden 
werden  könne;  [509]  dem  aber  widersprechen  die  enchorischen  Papp. 
Beroll.  Nro.  44  b  vom  Jahre  13G:  „Ptolemäos  Gott  Euergetes,  Sohn  des 
Ptolemäos  und  der  Kleopatra,  der  Götter  Epiphanes,  und  die  Königin 
Kleopatra  seine  Schwester,  und  die  Königin  Kleopatra  seine  Nichte", 
und  Nro.  45,  welcher  mit  denselben  Worten  beginnt.  Das  im  Register 
bezeichnete  Datum  ist  auf  unsern  Kalender  reduciert  (wir  folgen  den 


von  fünf  ägyptischen  Papyren  zu  Berlin  15 

Bestimmnngen  Idelers,  ChroDologie  I  S.  124,  nicht  den  Tabellen  des 
Herrn  Champollion  Figeac)  der  2.  Jnni  118,  das  im  Contract  angegebene 
der  22.  Mai  118. 

Wir  haben  hinter  dem  Datum  xiraxrai  nach  dem  Vorgange 
des  Pap.  BeroL  36  geschrieben,  indem  wir  die  an  dieser  Stelle  stehende 
AbbreTiatur  dafür  nehmen  zu  können  glauben;  man  erkennt  in  der- 
selben (Tf)  wohl  ungefähr  noch  ein  t  und  «;  es  ist  dasselbe  Zeichen 
an  dieser  Stelle  in  der  Nechutesurkunde,  sowie  im  Anfang  des  Pap. 
Taur.  X  b  d  avrbq  xkXoq  "Z^. 

'Eni  rriv  hv  'EQficjv&ei  TQccTta^av  mit  den  gewöhnlichen  Ab- 
kürzungen geschrieben,  über  deren  Bedeutung  man  nicht  zweifeln  kann. 
Unsere  vier  ersten  Papyre  sind  datiert  von  dieser  kv  EQfic^v&ei  tqu- 
ni^a,  obschon  sie  sich  wenigstens  nicht  alle  auf  Grundstücke  im  her- 
monthitischen  Nomos  beziehen  können;  ebenso  ist  der  Nechutescontract 
stipuliert  vor  den  Agoranomen  des  pathyritischen  Nomos,  gesteuert 
aber  ist  für  ihn  beim  Steueramt  zu  Hermonthis;  ebenso  haben  die 
Cholchyten  für  das  im  sudwestlichen  Teile  Thebens  belegene  Haus  des 
Hermias  die  Kaufsteuer  zu  Hermonthis  gezahlt  (s.  die  Greyschen  Zöli- 
akien); diese  Cholchyten  sind  in  den  Memnonien  ansässig  {rijv  xccroi- 
xiav  ixovreg  kv  rotg  Msfxvoveioig  Pap.  Taur.  I  S.  1  lin.  24,  womit  die 
pathyritischen  Memnonien  gemeint  sind,  wie  immer,  wenn  nicht  ein 
Zusatz  wie  rfjg  Atßinjq,  rfjg  IleQi&ijßag  ausdrücklich  etwas  anderes 
angiebt);  wo  Nechutes  wohnte,  wird  zwar  nicht  gesagt,  aber  er  kauft 
vor  den  pathyritischen  Agoranomen  seine  Baustelle,  die  gleichfalls  im 
(510)  südlichen  Teile  der  Memnonien  liegt;  ebenso  finden  wir  in  unserem 
Pap.  Nro.  40  die  Angabe,  daß  das  gekaufte  Haus,  für  welches  in  Her- 
monthis gesteuert  wird,  auch  im  südlichen  Teile  der  Memnonien  liege. 
Nun  läßt  sich  nachweisen,  daß  der  pathy ritische  und  perithebäische 
Nomos  verschieden  \  daß  (511)  die  Beamten  des  pathyritischen  Nomos 

^  Peyron,  dem  es  darum  zu  thun  war,  der  Tbebais  in  der  Lagidenzeit  nur 
zehn  Nomen  zuzugestehen,  behauptete,  daß  sowohl  6  HeQi&ijßagj  als  6  Ua&vQi- 
Tjfg  den  Nomos  von  Diospolis  Magna,  der  zu  beiden  Seiten  des  Nils,  unter  dem 
hermonthitischen,  ober  dem  koptischen  und  tentyritischen  Nomos  hege,  bezeichne; 
der  Name  6  Ueqi&i^ßag  sei  von  den  Griechen  gebraucht,  weil  die  alte  weitläufige 
Diospolis  zu  ihrer  Zeit  nur  noch  xcofAjjdov  bewohnt  gewesen  sei,  er  bezeichne 
namentlich  den  Teil  des  Nomos  auf  der  rechten  Seite  des  Nils,  dagegen  6  Ha- 
xhjQiTtjg  mehr  den  Teil  auf  der  linken,  beide  Namen  aber  brauche  man  promiscue 
für  den  ganzen  Nomos.  Wenn  nun  jemand  ohne  vorgefaßte  Meinung  diese 
zwei  Namen  für  Nomen  liest,  so  hält  er  sie  zunächst  für  verschieden,  zumal 
weil  kein  äußerer  oder  triftiger  Grund  für  die  doppelte  Bezeichnung  anzugeben 
wäre;  fände  er  nun  bei  Ptolemäos,  daß  Pathyris  eine  Ortschaft  auf  dem  linken 
Nilufer  sei  und  zum  tentyritischen  gehöre,  so  könnte  ihm  das  als  Beleg  gelten, 
wie  sehr  die  gegenüberliegenden  Ufer  getrennt  waren,  da  doch  jedenfalls,  wenn 


16  Die  griechibchen  BeiBchriften 

niedrigeren  Banges  waren,  als  dieselben  Beamten  z.  B.  des  perithebäischen 
Nomos.  Es  scheint  mir  demnach  nicht  unmöglich,  daß  für  diesen 
gewiß  unbedeutenderen  pathyritischen  Nomos  kein  eigenes  Steneramt 
war,  sondern  die  in  demselben  Ansässigen,  um  ihre  £[au&teuer  zu  ent- 
richten, in  das  hermonthitische  Amt  gehen  mußten,  mochte  das  von 


irgend  jemals  das  linke  Ufer  mit  dem  rechten  zu  einem  Nomos  gehört  hatte, 
dasselbe  linke  Ufer  der  alten  Verbindung  hätte  zurückgegeben  werden  mfissen. 
Diese  Nomenvereinigung  ist  nach  Plinius  Zeit  eingetreten,  der  den  tentyritischen 
und  pathyritischen  noch  gesondert  auffuhrt,  dagegen  den  peritheb&ischen,  nach- 
Iftssig  wie  oft  in  der  ägyptischen  Geographie,  ganz  ausläßt;  und  doch  gilt  be- 
sonders Plinius  Autorität,  diese  Identität  zu  beweisen;  ein  wirklicher  und  über- 
zeugender Beweis  würde  sein,  wenn  aus  Documenten  eine  sichere  Verwechselung 
beider  Bezeichnungen  könnte  nachgewiesen  werden,  so  daß  also  bei  demselben 
Namen  in  demselben  Papyrus  z.  B.  bald  tniaiaxfig  xov  He^id-qßag^  bald  inuria- 
rrjg  rou  üa&vqLiov  gefunden  würde.  Dafür  ist  aber  durchaus  kein  Beispiel; 
wohl  aber  verklagt  ein  in  Diospolis  ansässiger  Paraschist  (Pap.  Taur.  VIII)  einen 
anderen  Paraschisten,  der  in  den  Memnonien  wohnte,  bei  dem  ininiaxiig  tov 
Jhqi&ijßaCy  und  bekommt  sein  Recht  vor  dem  tnKTiaTTjg  tov  Ua&vgliov ,  als  in 
welchem  Nomos  der  Angeklagte  wohnte;  und  in  dem  Contract,  den  dieser  nicht 
gehalten,  hatte  jener  aus  Diospolis  die  Liturgien  in  namhaft  angeführten  Ort- 
schaften T^^  Aißvrjg  tov  Ha&vqLjov  xal  Komirov  von  dem  anderen,  der  andere 
von  ihm  die  Liturgien  in  namhaft  angeführten  Ortschaften  tov  UeQi&rjßag  ein- 
getauscht. Daraus  scheint  mir  unwiderleglich  zu  folgen,  daß  die  fraglichen 
beiden  Namen  nicht  denselben,  sondern  zwei  verschiedene,  durch  den  Nil  ge- 
trennte Nomen  bezeichnen.  Noch  bleibt  ein  Einwand  gegen  den  letzten  Punkt 
zu  berücksichtigen:  in  dem  Antig.  Grey.  wird  &vyußovfovi^y  wahrscheinlich  eine 
xdjfjiTjf  bezeichnet  dv  rfj  Äißvt}  tov  UeQi&f'/ßng  iv  xoU  MBiivoveioig,  so  daß  also 
Memnonien  auf  der  libyschen  Seite  zu  dem  perithebäischen  Nomos  gehörten; 
und  doch  gehören  im  Pap.  Taur.  VIII  die  Memnonien  zum  pathyritischen.  Dieser 
Widerspruch  läßt  sich  so  vielleicht  beseitigen:  es  sind  die  Memnonien  Grab- 
stätten in  bedeutender  Ausdehnung  längs  der  libyschen  Bergkette,  in  deren 
Nähe  Wohnhäuser,  iv  rotg  Mefiyoyeioig  oder  negl  zu  Me^voveta  (Pap.  Berol.  40) 
genannt,  liegen;  diese  Gräber  gerade  scheinen  von  besonderer  Heiligkeit  gewesen 
zu  sein,  aus  entfernten  Gegenden  schickt  man  Leichen  hierher  zur  Bestat- 
tung. Ist  nun  erst  in  späterer  Zeit,  als  die  große  Stadt  zu  beiden  Seiten  des 
Stromes  anfing  zu  veröden  und  sich  in  einzelne  Flecken  aufzulösen,  vielleicht 
erst  mit  den  Lagiden  die  Gegend  in  die  zwei  oft  genannten  Nomen  getrennt, 
so  mußte  man  den  Einwohnern  des  perithebäischen  Nomos  wenigstens  ihre  alten 
heiligen  Gräber  auf  der  libyschen  Seite  des  Flusses,  wo  es  gewiß  der  Religion 
wegen  heilig  war  begraben  zu  werden,  lassen,  und  so  konnte  es  geschehen,  daß 
eine  Gegend  dt^  Toig  Afefivoyeioig,  die  Ortschaft  Svvaßovvovv  zum  jenseitigen  No- 
mos geschlagen  wurde.  Wir  haben  im  obigen  Ila&vgirr^g  geschrieben,  wie  es 
sich  stets  in  den  Documenten  vorfindet;  die  Form  Tafhfffiiijg  ^  die  Böckh  und 
Buttmann  zu  lesen  glaubten,  ist  von  Herrn  St  Martin  im  Jour.  des  Sav.  1824 
S.  692  als  unrichtig  nachgewiesen.  Jablonaki  erklärt  das  Wort  aus  dem  Kop- 
tischen als  regio  meridiei\  leichter  wäre  vielleicht  eine  Derivation  von  der  Göttin 
ÄdA)i^  mit  dem  Artikel. 


von  fiinf  ägyptischen  Papyren  zu  Berlin  1  ^ 

ihnen  Gekaufte  nnn  im  pehthebäischen  oder  pathyritischen  oder  in 
welchem  Nomos  sonst  liegen.  Die  Ton  uns  angenommene  Schreibung 
"Eofu&v&K^,  die  nur  Steph.  Byz.  hat,  während  die  anderen  Schriftsteller 
"Egpkov&iq  geben,  ist  gesichert  durch  Pap.  Berol.  Nro.  38  und  Pap. 
Taur.  Vm  1.  43. 

Den  abbrevierten  Namen  des  Zöllners  haben  wir  ^fjLficiviog  ge- 
geben; denn  in  Register  und  Unterschrift  erkennt  man  deutlich  Afiii"", 
welches  zunächst  auf  den  gegebenen  Namen  vermuten  läßt.  Eose- 
garten  de  prisca  u.  s.  w.  S.  57  las  Avaificcxog;  „pro  nomine  Lysimaehi 
fortasse  ApoUonii  vü  aliud  legendum  estf^ ;  ebenso  fehlerhaft  las  er 
uxoax^q  kyxvx?uov,  JlroXafjLaiOi^  6  ävriy(}cc(p6vg,  ganz  sich  leiten  lassend 
durch  [512]  Buttmanns  Lesung  des  Pap.  Berol.  Nro.  36.  Aber  es  ist 
unfehlbar  SexüzTjg  kyxvxUov  zu  lesen,  indem  SBxärrjg,  wie  stets,  aus- 
gedrückt wird  durch  das  Zahlzeichen  /,  über  welchem  der  senkrechte 
Strich  den  Bruch  -^^  bezeichnet  Die  Sexärrj  und  eIxo<jtti  ist  nach 
Böckhs  Darstellung  „der  ordinäre  Zehnte  oder  Zwanzigste,  also  eine 
gewöhnliche  indirekte  Steuer,  wie  in  fiom  die  centesima  rerum  venaMum, 
im  Gegensatz  gegen  einen  außerordentlichen,  besonders  auferlegten 
Zehnten  oder  Zwanzigsten,  der  z.  B.  eine  Vermögenssteuer  sein  konnte'^ 
Übrigens  ist  dies  Segister  das  früheste,  auf  dem  der  Zehnte  als  Kauf- 
steuer genannt  wird;  nach  diesem  findet  er  sich  auf  den  späteren  Re- 
gisem  Pap.  BeroL  40.  39  Pap.  Anastasy,  dessen  Register  quittiert  über 
600  Drachmen  Zoll  von  einem  Kupfertalent  gemünzten  Goldes  {xccX- 
xov  vofugfjLccTog  =  a,  welches  Böckh  unrichtig  für  601  Stück  Kupfer- 
geld nahm).  In  den  übrigen  Papyren,  die  freilich  alle  aus  den  Zeiten 
des  Epiphanes  und  Philometor  sind  (so  die  Greyschen  Zollakten,  Papp. 
Beroll.  38.  36.  41),  wird  stets  der  Zwanzigste  als  gewöhnliche  Kauf- 
steuer  genannt,  so  daß  also  wahrend  der  Regieiiing  des  £uergetes 
zwischen  145  und  119  so  bedeutend  erhöht  worden  ist;  eine  Verände- 
rang,  die  durch  das  Bekanntwerden  mehrerer  Papyrus  sich  vielleicht 
auf  eine  genauere  Zeitangabe  zurückführen  und  mit  anderweitigen  ge- 
schichtlichen Ereignissen  dieser  Zeit  in  Zusammenhang  bringen  lassen 
wird. 

Im  folgenden  treten  die  gewöhnlichen  Abkürzungen  für  Stay()a<pi/, 
Tihhvfig,  v'^oyQcctpfi,  üvTiyQa(pevg  ein;  der  Name  des  GontroUeurs 
Apollonios  ist  zwar  vollständig,  aber  sehr  undeutlich  geschrieben;  na- 
mentlich ist  das  a  des  Anfanges  hier  wie  in  ävTiyQaq>evg  das  gewöhn- 
liche, etwas  verzogene  A  der  Papyre,  während  es  im  Namen  !AfifjLcjviog 
ganz  die  Gestalt  unseres  cc  hat,  zwischen  welchen  beiden  Extremen 
sich  in  den  Papyren  mancherlei  Spielarten  und  Übergänge  finden. 
Noch  undeutlicher  ist   der  Name   des   Käufers   geschrieben;   ich   las 

Droysen,  Kl.  Schrilten  I.  2 


18  Die  griechischen  Beischiiften 

anfangs  EixQtg  und  dachte  an  den  Namen  [513]  n^revQig  bei  Young 
account  S.  127;  doch  schien  mir,  was  ich  für  v  nahm,  leicht  ein  anderer 
Buchstabe,  namentlich  v,  sein  zu  können;  was  ich  für  x  las,  ist  nichts 
als  ein  etwas  formierter  Klecks,  der  sich  ebenso  gut  zu  einem  t]  qualifi- 
ciert;  wollte  man  ein  sehr  unbedeutendes  Pünktchen  zwischen  v  und  ty 
berücksichtigen,  so  würde  man  EvorjQig  lesen  mit  einer  sehr  großen 
Analogie  ägyptischer  Namen,  z.  B.  OaoQotjQtg  u.  a.  Doch  ist  mir 
jenes  Pünktchen  fast  zu  klein,  und  ich  lese  lieber  Evsgig,  ähnlich  dem 
OtTOQfjQig  in  Pap.  Berol.  Nro.  39.  Kosegarten  findet  (de  prisca  u.  s.  w. 
S.  59)  im  enchorischen  Texte  unseres  Papyres  den  Namen  des  Käufers 
Osoroes  natus  Or;  jedoch  ist  im  Register  wenigstens  E. .  gig  Qgov  zu- 
verlässig, mag  das  fehlende  vrj  oder  vtj  oder  vx  lauten. 

Es  folgt  hierauf  die  Bezeichnung  des  verkauften  Grundstückes: 
"ipiXoTÖnov  ^,  verstehe  n^j/aig;  ^ipiXorönov  muß  man  oflFenbar  die 
zwar  etwas  verzogene,  aber  in  ihren  Elementen  doch  deutliche  Ab- 
breviatur lesen.  Böckh  hat  in  der  Nechutesurkunde  unter  dieser  Be- 
zeichnung den  Begriflf  der  yf]  ipih)  im  Gegensatz  der  /^  neq>vT6vfUvi] 
zu  finden  geglaubt;  doch  scheint  die  Zeit  und  die  Eigentümlichkeit  des 
ägyptischen  Landes  den  attischen  Begriff  der  yrj  xfjih'j  etwas  umgeformt 
und  der  yfl  trirotpÖQog  gegenübergestellt  zu  haben;  denn  als  yfj  ^pih) 
findet  man  fast  jedesmal  das  Grundstück  bezeichnet,  wenn  ein  Haus 
oder  eine  Baustelle  verkauft  wird;  vergl.  Peyron  Papp.  Taurr.  IS.  113; 
und  was  z.  B.  in  dem  Papp.  Taur.  I  5.  9  Tt/j/eig  olxoneStxoi  heißt, 
wird  in  dem  dahin  gehörenden  Reg.  Grey.  als  ipdöronog  bezeichnet. 
Es  ist  wohl  ganz  paßlich,  daß  der  Hauptunterschied  der  sehr  genau 
benutzten  und  vermessenen  Grundstücke  des  engen  Nilthaies  sich  da- 
nach machte,  ob  sie  Eruchtland  {yf}  mrocpÖQogy  yfj  dfineXtrigj  nand- 
dsKTog  u.  s.  w.),  oder  nicht  Fruchtland  [xffMronog)  waren,  welches 
dann  gewiß  nicht  Heideland  oder  dergleichen,  sondern  in  der  Regel 
wenigstens  Hausstelle  sein  mochte.  Das  folgende  Zahlzeichen  ist,  wie 
man  aus  Vergleichung  mit  dem  Schlüsse  des  Pap.  Berol.  86  rAog 
[514]  hvvaxoaiag  /  ^  sieht,  das  gewöhnliche  Sanpi  für  900;  natürlich 
sind  Ellen,  nrj/eig,  zu  verstehen,  welches  Wort  hier,  wie  in  dem  Reg. 
Grey.  2,  ausgelassen  ist,  in  welchem  es  heißt:  chvTjg  ^nlov  rönov  ßC 
rod  övTog  u.  s.  w.;  der  Contract  über  den  Kauf  von  nij/Big  oIxoubSixoi 
ovo  fjfxtfTv,  zu  dem  dies  Greysche  Register  eben  gehört,  wird  in  Pap. 
Taur.  I  5  1.  10  citiert,  woher  man  eben  die  Bedeutung  jener  Zeichen 
ersieht.  Der  Kaufpreis  für  diese  2^  Elle  war  1  Tal.  4000  Drachmen 
Kupfer,  die  Steuer  nach  dem  damals  geltenden  Zwanzigsten  500  Drach- 
men; und  in  unserem  Papyr,  nicht  ganz  30  Jahre  später,  finden  wir 
für  900  Ellen   den  Kaufpreis   nur  2000  Drachmen   höher.     Offenbar 


von  ftlnf  ägyptischen  Papyren  zu  Berlin  19 

sind  also  in  beiden  fiegistem  die  Ellen  in  verschiedener  Bedeutung 
gebraacht;  jene  2^  Ellen  nämlich  bezeichnen  die  Breite  eines  100 
Ellen  langen  Grundstückes;  s.  Peyron  I  S.  135;  oder  von  einer  Axura 
(10000  D  Ellen),  die  man  in  40  gleiche  Streifen  geteilt  hätte,  einen 
solchen  Streifen  von  250  D  Ellen.  In  der  Nechutesurkunde  wird  ein 
yifiUxonoq  nrix^iq  ev  n^Qirovfj  verkauft,  d.  h.  ein  Platz  von  5050  D- 
Ellen;  s.  Böckh  S.  29,  welches  nach  der  anderen  Bezeichnung  lauten 
würde  ni^x^tg  nevri^xovrcc  fjfjLtav,  50\  Elle  Breite;  daß  übrigens  für 
diese  50^  Ellen  nur  1  Talent  gezahlt,  für  jene  2\  Ellen  dagegen 
1  Talent  4000  Drachmen,  möchte  so  zu  erklären  sein,  daß  jene  wirk- 
lich nur  yjiXÖTOTtoQj  Baustelle,  waren,  auf  diesen  2\  Ellen  dagegen 
wirklich  ein  Teil  Haus  stand,  darum  sie  auch  olxoTtsSixoi  heißen. 
Dieselbe  Art  von  Maß  wie  in  der  Nechutesurkunde  scheint  in  unserem 
Papyrus  angewandt  zu  sein;  denn  daß  nicht  ein  Grundstück  von  900 
Ellen  Breite,  d.  h.  eine  Fläche  von  9  Aruren  gemeint  sei,  ist  daraus 
zu  schheßen,  daß  zu  Memphis  ein  Garten  von  6-^  Arura  10  Tal.  4000 
Drachmen  galt,  wogegen  diese  9  Aruren  einen  fast  achtmal  niedrigeren 
Preis  gehabt  hätten,  daß  ferner  die  Baustelle  des  Nechutes  fast  neun- 
mal teurer  gewesen  wäre.  Vielmehr  sind  auch  bei  uns  900  nrj/ei^ 
TiBoiTovfj  gemeint,  d.  h.  [515]  von  einer  Arura  ein  Streifen  9  Ellen 
breit  Daß  dieser  Streifen  dann  nur  um  ^  teurer  war,  als  der  dreimal 
kleinere  von  2\  Ellen,  also  dreimal  weniger  kostete,  mag  seinen  Grund 
haben  in  eigentümlichen  Verhältnissen,  unter  denen  jeder  von  beiden 
gekauft  wurde,  in  der  Lage  der  Hausstelle,  in  der  Baulichkeit  des 
Hausteiles  selbst,  das  auf  diesem  Grundstücke  stand;  denn  in  jedem 
Falle  möchte  ich  diese  9  Ellen  auch  für  oixoitBSixoi  halten,  da  für 
die  unbebauten  50^  Ellen  nur  1  Tal.  gezahlt  wurde,  unsere  9  Ellen 
also,  wären  sie  gleichfalls  unbebaut  gewesen,  kaum  hätten  1000  Drach- 
men gelten  können,  oder  zwölfmal  teurer  von  Eneris  als  von  Nechutes 
gekauft  worden  wäre. 

'Ev  IlaxifLsi  bezeichnet  oflFenbar  die  Gegend,  in  welcher  das  Gut 
lag;  wir  haben  an  einem  anderen  Orte  vermutet,  es  möchte  Pakemis 
eine  xijjfi^j  gewesen,  und  unter  dem  in  der  Aufzählung  der  Komen  des 

pathyritischen  Nomos   vorkommenden   xal  IIa xai  u.  s.  w.  (Pap. 

Taur.  VIII)  verborgen  sein.  Denn  es  scheint  in  den  Papyren  die  Lage 
der  Grundstücke  meist  nach  den  Komen  bezeichnet  zu  werden;  so 
heißt  es  Iv  reo  än6  vörov  fii^ei  r&v  Msfivovecov  kv  x(6fi7]  KaXhS^ 
(Pap.  Taur.  X)  und  in  den  Petrettinischen  Papyren  der  Zois  wird  ein 
Garten  in  Memphis,  die  natürlich  auch  als  xtbytri  gilt,  bezeichnet  naga- 
hhov  rov  övroq  kv  Mifi(pBi,  aber  um  die  Gegend  in  dieser  großen 
^tadt  näher  zu  bezeichnen,  hinzugefügt  iv  röntp  !/4(TxXrj7tBi(p\  denn  die 

2* 


20  ^16  griechischen  Beischriften 

TÖnoi  sind  eine  Unterabteilung  der  xoj fjLrj,  wie  sich  schon  aus  dieser 
Ordnung  der  oresitischen  Inschrift:  ol  ßamXixol  y^afificcTBig  xal  xfofio- 
y^afifiareTg  xal  roTtoyQafificcreTg  (Classic.  Joum.  XVIII  S.  366)  und 
aus  ihrer  Erwähnung  in  der  x<6fii]  BomiQig  in  der  Inscr.  Busirit.  er- 
giebt,  wonach  des  Herrn  Letronne  Angabe  {recherohes  S.  397)  zu  be- 
richtigen. 

Das  folgende  bv  hmvijtTccTo  ist  zwar  abbreviert,  aber  leicht  in  seinen 
Elementen  ca}*?  und  aus  dem  Zusammenhange  zu  erkennen.  Der  Name 
des  Verkäufers  ist  wieder  sehr  [516]  undeutlich  geschrieben;  er  fängt 
des  vorhergehenden  nag  wegen  mit  einem  Vokal,  der  nur  a  oder  i  sein 
kann,  an;  der  Schluß  des  Namens  ist  deutlich  vuov\  in  der  Mitte  hat 
sich  der  Schreiber  verschrieben  und  verbessert:  ich  vermute  Api^foviaov 
oder  Ifjuovieov,  sage  aber  nichts  über  die  Formation  dieses  Namens. 
Der  folgende  Name  rod  Oovovrog  oder  rov  Gorovrog;  letzteres  scheint 
mir  besser  nach  der  Analogie  von  Toterjg  (Inscr.  Basilist.  1.  52,  Torofjg 
Ant  Grey.);  auch  möchte  ich  diesen  Namen  für  einen  weiblichen  halten 
der  Endung  Oorovg,  Gorovrog  wegen;  vergl.  Böckh  S.  19. 

Schließlich  kommt  die  Bezeichnung  des  Kaufpreises  und  der  Steuer 
in  Zeichen  ausgedrückt,  über  deren  Sinn  nach  Buttmanns  und  Letronnes 
Untersuchungen  (im  Joum.  des  Savans  1828)  kein  Zweifel  mehr  sein 
kann:  von  2  Talenten  Steuer  1200  Drachmen,  also  die  Steuern  genau 
10  Procent  oder  Sexänj  von  dem  Kaufpreise.  Durch  Peyrons  zweites 
Heft  Turiner  Papyre  bekommt  eine  aus  Polybius  bekannte  Notiz,  daß 
man  in  Ägypten  ebenso  wohl  nach  Kupfer-  als  nach  Silbertalenten 
rechnete,  neue  Bestätigung.  Man  kennt  aus  Papyren  bis  jetzt  für  die 
Lagidenzeit  folgende  Geldbezeichnungen:  ;^ftrAxot;  ralavra  Antigr. 
Grey.  reg.  syngr.  Nechus  reg.,  x^^^orvTirovrcov  {rdXavra)  Pap.  Taur. 
IV  16,  xccXxov  vofiiiTfiarog  rälccvra  syngr.  Nech.  Pap.  Taur.  IV  25 
VIII  35,  /akxov  ov  cckkayij  rükavrcc  nach  Letronnes  Ijesung 
mehrmal  in  den  Pap\ren  der  Zois,  ie()ccg  äQyvQiov  iniayfAov 
Spazfjidg  Pap. Taur.  IV  26,  VIII  37,  ä^yv^iov  Sgaxiiüg  Pap. Taur. 
XIII  mehrmal.  Ob  diese  sechs  verschiedenen  Bezeichnungen  ebensoviel 
verschiedene  Münzsorten  bezeichnen,  oder  nicht,  muß  für  jetzt  unent- 
schieden bleiben;  gewiß  aber  erkennt  man  den  Unterschied  von  Kupfer- 
geld und  Silbergeld,  und  zwar  wird  in  beiden  nach  Talenten,  das  Talent 
zu  je  6000  Drachmen  gerechnet  Wo  die  UQal  ä^yvQiov  imai^fiov 
Sga/fiai  genannt  werden,  sind  sie  nach  der  ausdrücklichen  Angabe  in 
den  angeführten  Stellen  als  [517]  Strafgeld  an  den  König  zu  zahlen; 
in  Privatgeschäften  sowie  bei  der  Zahlung  der  Kaufsteuer  wird  nach 
Kupfergeld  gerechnet^  in  den  Papyren  der  Zois  ist  auch  das  Pachtgeld 
für  die  evXrjifjtg  rTig  virQixijg,  sowie  das  Kaufgeld  für  einen  vom  Staate 


von  fünf  ägyptischen  Papyren  zu  Berlin  21 

verlicitderten  Garten  in  Kupfertalenten  zahlbar.  Der  Wert  der  eineD 
nnd  anderen  Talente  ergiebt  das  Verhältnis  des  Silbers  zum  Kupfer  in 
dieser  Zeit,  welches  Peyron  ungefähr  auf  30 : 1  bestimmt,  so  daß  also 
ein  Eupfertalent  =^  200  Silberdrachmen  gewesen  wäre.  Ich  kann 
nicht  umhin  anzumerken,  daß  im  Jahre  44  des  zweiten  Euergetes 
(126  a.  Ch.)  für  einen  nicht  gehaltenen  Contract  an  den  beeinträch- 
tigten Contrahenten  20  Kupfertalente  (nach  dem  angegebenen  Verhält- 
nisse 30 : 1  =:  4000  Silberdrachmen),  an  den  König  als  Strafgeld  400 
heiUge  Silberdrachmen,  also  genau  eine  Sexürri  Ton  dem  änhifwv  (Pap. 
Tanr.  IV);  in  einem  anderen  Contracte  vom  Jahre  51  (120  a.  Ch.) 
30  Talente  Kupfergeld  =  6000  Silberdrachmen  an  den  beeinträchtig- 
ten Contrahenten,  und  an  den  König  300  heilige  Silberdrachmen,  also 
genau  eine  aixoari^  gezahlt  werden  sollten;  und  die  Saxattj  und  dKoarij 
waren  zugleich  die  gewöhnlichen  Procente,  die  von  dem  Werte  der 
Gegenstände,  über  welche  man  contrahierte,  als  Steuer  in  das  Amt 
gezahlt  wurden.  Ich  kann  dies  Ergebnis  nicht  für  so  zufällig  halten, 
daß  ich  nicht  eine  große  Bestätigung  des  von  Pejron  aufgestellten 
Verhältnisses  darin  finden  sollte.  Aber  welchen  Wert  hatte  das  ägyp- 
tische Silbertalent  im  Verhältnis  zu  anderen  Talenten?  Es  wird  ge- 
sagt: 1500  attische  Drachmen  seien  einem  ägyptischen  Talente  gleich 
(also  das  Verhältnis  \\  PoUux  IX  86);  ferner  1  Ptolemäische  Mine  sei 
gleich  \  äginetischer  Mine,  danach  wäre  das  alexandrinische  Talent  =  ^ 
attischem  (Böckh  Staatshaushalt  I  20,  I^  S.  20,  27);  nach  anderen  ist  das 
euböische  Talent  =  7000  alexandrinischen  Drachmen,  das  euböische 
Talent  verhält  sich  zum  attischen  wie  75 :  73,  das  attische  Talent  wäre 
also  =6813^  alexandrinischen  Drachmen.  Welche  von  [518]  diesen  drei 
Bestimmungen,  die  wir  als  die  am  meisten  von  einander  abweichenden 
hier  aufnehmen,  die  richtige  sei,  ist  durchaus  unzuverlässig  zu  ent- 
scheiden; die  Entscheidung)  die  ich  selbst  versuchen  werde,  ist  durchaus 
prekär  und  von  hypothetischem  Gewicht.  Nämlich  zu  Athen  wurde 
zu  Lysias  Zeit  ein  Plethron  Acker  bei  einem  Hause  mit  90  Drachmen 
attisch  bezahlt  (Böckh  Staatshaushalt  I  68,  I'  S.  80,  der  den  gewöhn- 
lichen Wert  eines  Plethrons  zu  50  Drachmen  taxiert),  in  Memphis 
ein  Garten  von  6^  Arura,  ungefähr  =  14^  Plethron,  mit  64000 
Drachmen  Kupfer  =  2133^  ägypt.  Silberdrachmen;  nach  dem  attischen 
Preise,  für  1  Plethron  90  Drachmen,  wären  ungefähr  1305  Drachmen 
attisch  gezahlt  worden;  in  Ägypten  kostete  also  ein  Plethron  Garten 
etwa  147 — 150  ägyptische  Silberdrachmen.  Nechutes  kaufte  einen 
fiUroTtov  von  \  Arura,  etwa  also  1/^  Plethron,  für  1  Talent  Kupfer 
=  200  ägyptische  Silberdrachmen:  hier  kostete  also  das  Plethron 
VftXöronog  126J-  ägyptische  Silberdrachmen.    Wir  finden  so  folgende 


22  ^ic  griechiBchen  Beischriften 

Verhältnisse:  der  Preis  eines  Flethron  in  Attika  zu  50  Drachmen  ge- 
nommen sind  dieselben  Verhältnisse  in  ägyptischem  Gelde  |  für    1 
Plethron  Garten  und  -J^  für  1  Plethron  xffMronog;  doch  scheint  mir 
Böckhs  Schätzung  eines  Plethron  in  Attika  zu  50  Drachmen  zu  niedrig, 
und  ich  nehme  die  andere  zu  90  Drachmen  attisch;  so  daß  das  Durch- 
schnittsverhältnis  der  Preise  eines  Plethron  in  Attika  und  eines  Plethron 
in  Ägypten  (einmal  150,  das  anderemal  125  Silberdrachmen,  Durch- 
schnitt 136)  sein  würde  90:136.    Haben  nun  in  dubio  gleich  große 
Orundstücke  in  Attika  und  Ägypten  gleich  gegolten,   so  ergiebt  sich 
als  ungefähres  Verhältnis  des  attischen  und  ägyptischen  Silbertalentes 
^^  =  il  =  ffH-    N^^  ergeben  die  oben  angeführten  Notizen  über 
den  Wert  des  ägyptischen  Talentes  im  Vergleich  mit  dem  attischen 
folgende  Verhältnisse:   ^,  |,  f  =  i  •A3_|ij j_AiiL6  ^   unter  welchen   das 
letzte  l^fg  dem  oben  gefundenen  Verhältnisse  von  fff^  in  soweit  am 
nächsten  zu  kommen  scheint,  daß  wir  die  stattfindende  [519]  Differenz 
auf  Veränderung  des  Wertes,  ungenaue  Rechnung,  mangelhafte  Voraus- 
setzungen u.  s.  w.  schieben  können.    Hiemach  glauben  wir  denn  an- 
nehmen zu  dürfen,  daß  das  attische  Talent  =  6813^  ägyptischen  Silber- 
drachmen sei,  das  ägyptische  Silbertalent  um  ein  Geringas  kleiner  als 
das  attische,  nämlich  =1210  Thalem,  die  ägyptische  Mine  ^  20^  rth., 
die  ägyptische  Silberdrachme  =  6  sgr.  1^  Pfennig;   das  Kupfertalent 
=  200  S.  Drachmen  =  41  Thalem,  die  Kupfermine  =  20^  sgr.,  die 
Kupfetdrachme  =  2^  Pfennig.    Sehen   wir  nach   dieser  Berechnung 
einige  Notizen  des  ägyptischen  Altertums  an:  Ptolemäos  V  übersandte 
den  Rhodiern  nach  jenem  Terwüstenden  Erdbeben  300  Talente  Silber 
=  363000  rth.  und  1000  Talente  Kupfer  =41000  rth.,  im  Ganzen 
404000  rth.,  eine  königliche  Unterstützung.   Die  Einkünfte  des  Lagiden- 
reiches  betragen  unter  Ptolemäos  II:  14800  Tal.  (Silber)  =  17908000 
rth.,  unter  Ptolemäos  Auletes  12500  Talente  =  15125000  rth.    Der 
Schatz   des  Philadelphos  betrag  nach  Appians  urkundlichem  Bericht 
740000  Talente,  gewiß  nicht  Kupfer  {=  30340000  rth.),  sondern  Silber 
=  895 400000  rth.;  denn  nur  so  konnte  allein  sein  Service,  welches  er  bei 
dem   unsäglich   pomphaften  Feste   des   Regierungsantrittes  ausstellte, 
einen  Wert  von    10  000  Talenten   Silber    =    12100  000  rth.   haben 
(Athen.  V  203  b).    Für  die  ängstliche  Sparsamkeit  seines  Vaters  giebt 
es  manche  lustige  Anekdote.    Syriens  Tribut  trug  8  000,   zu  Zeiten 
10000  Kupfertalente  Pacht  =  328000  und  656000  rth.    Ein  Garten 
zu  Memphis  von  6^  Arura  kostete  in  öflFentlicher  Versteigerang  64000 
Kupferdrachmen  =437  rth.;   \  Arura   \ptl6ronoq  41  rth.,   9  Ellen 
xpiXÖTonog  in  unserem  Papyras  82  rth.,  so  teuer  wegen  des  Stückes 
Haus   auf  demselben;   in  Pap.  39    wird   für   den  sechsten  Teil  eines 


von  fönf  ägyptischen  Papjren  zu  Berlin  23 

Hanses  von  5000  D  Ellen  Areal  oder  50  Ellen  Breite,  also  für  8^  Ellen 
Haus  82  rth.  gezahlt.  Im  Pap.  Taur.  VIII  wird  eine  Artabe  Gerste 
(fast  gen&n  ein  Berliner  Scheffel)  taxiert  auf  2  Silberdrachmen  =  12  sgr. 
4  Pfennig;  in  Athen  [520]  aber  kosteten  zu  Sokrates  Zeit  Gersten- 
graupen  13  sgr.;  s.  Böckh  Staatsh.  I  S.  101,  P  S.  117. 

Papyr,  BeroL  Nro.  38. 

(1)  „TiVoi/fcj  kä  (l>aiiiBv6&  xä  rkraxTUi  knl  rijv  hv  'EofKov&ei 
TouTie^aVy  i(f  Ijg  'AnoTJktovioq,  elxofTrfJg  iyxvxXiov  xarä  ri]v 
nuoä  Zfiivog  xai  r&v  fXBT6x(ov  r&v  noög  TJj  (ovy  äiayQccq>'fjv, 
v(f  ifV  vTtoyQciffSi  AfificjviO'^  6  ävnyQatpBVi^,  (2)  (bvfjg  ^£2Qog 
"iioov  y^tXoTÖnov  :tij/sig  ß"  xcd  r&v  ccvtoxlov  r&v  Övroiv  dnd 
vÖTOv  xai  Xißög  .  ,  ,  tcuv  fisyaXcov  iv  TlrovTEi  ....  J/tj  al  yeirviat 
itQoxitvrat  Siu  rfjg  (Tvyyüa(p7jg,  8v  ijyÖQcca^v  nagu  Tevv/jmog 
Tfjg  'IpLwv&d}  xai  (3)  ^sfifiiviog  rfjg  /Zetc/övto^,  x^^^^^  rakav- 
Tö>v  ß"  riXog  i^axoaiag  y^ x  'AnoXkdjviog  TQCde^irtjg^^, 

„Im  Jahre  31  den  21.  Phamenoth  hat  an  das  Steueramt  zu  Her- 
monthis,  bei  dem  ApoUonios  Zollner  ist,  die  Steuer  des  gewöhn- 
lichen Zwanzigsten  nach  Anweisung  des  Zminis  und  seiner  Genossen, 
der  Kaufsteuerpächter,  welche  der  ControUeur  Ammonios  unter- 
schreibt, Tom  Kaufe  Horos  des  Koros  Sohn  für  eine  Hausstelle 
von  2  Ellen  und  demjenigen,  was  ober  dem  Hause  ist,  so  im 
Südwesten  der  grossen  ....  in  Ptoutis  liegen,  deren  Nachbar- 
schaften durch  den  Contract  vorliegen,  welche  er  von  Tennesis 
der  Tochter  des  (oder  der)  Imontho  und  Semminis  der  Tochter 
des  (oder  der)  Petechont  kaufte,  von  zwei  Talenten  Kupfer  sechs- 
hundert Drachmen  entrichtet.    Schreibe  600. 

ApoUonios,  Zöllner". 

Da  in  der  Regierung  mehrerer  Lagiden  ein  31.  Jahr  gezählt 
wird^  so  müssen  wir  uns  aus  dem  Anfange  des  enchorischen  Contractes 
Rat  holen;  er  beginnt  also:  „Im  Jahre  31  den  4.  Tybi  der  Könige 
Ptolemäos  und  Kleopatra  seiner  Schwester,  der  Kinder  des  Ptolemäos 
und  der  Kleopatra,  Götter  Epiphanes,  unter  den  Priestern  u.  s.  w.". 
ilit  Ausschluß  [521]  von  Jahr  und  Tag  genau  derselbe  Anfang  vom 
enchorischen  Contract  Pap,  BeroL  Nro.  36,  den  Buttmann  nach  Spohns 
Lesung  in  das  36.  Jahr  des  zweiten  Euergetes  setzen  will;  femer  be- 
ginnt Pap.  BeroL  Nr.  47  seine  enchorische  Contractformel  eben  so: 
r.im  Jahre  6  den  20.  Tybi  des  Ptolemäos,  Sohnes  des  Ptolemäos  und 
der  Kleopatra,  Götter  Epiphanes  u.  s.  w.",  und  in  der  Ueberschrift  dieses 
Contractes  liest  Kosegart^n  de prisca  u.  s.  w.  tab.  13:  „anno  VI  Tybi  XX 


24  Die  griechischen  Beischriften 

regis  Piolemaei  ....  mater  vidua{?)".  So  viel  ist  klar,  daß  in  diesem 
letzten  Gontract  nur  Fhilometor  gemeint  sein  kann,  nicht  sein  jüngerer 
Bruder  Euergetes  II,  dessen  6.  Jahr  zugleich  Philometors  1 7.  gewesen 
wäre;  ferner  haben  alle  Contracte,  die  sicher  aus  Euergetes  11  Zeit  sind 
(was  man  besonders  an  der  Erwähnung  der  Kleopatra  Schwester  und 
Kleopatra  Nichte  ersieht)  jedesmal  die  Bezeichnung  „im  Jahr ....  des 
König  Ptolemäos  Euergetes".  Weil  dieser  Beiname  bei  uns  fehlt,  so 
glaube  ich  diesen  wie  den  Papyrus  Nro.  36  in  die  Regierung  des  Philo- 
metor  setzen  zu  müssen,  so  daß  letzterer  also  im  Januar  145,  unser 
Gontract  Nro.  38  am  31.  Januar  150  stipuliert  und  am  18.  April  ein- 
registriert ist.  Für  den  Pap.  Berol.  Nro.  36  finde  ich  die  Annahme, 
daß  Philometors  Regierung  gemeint  sei,  in  der  Angabe  der  Könige, 
nach  deren  Priestern  datiert  wird,  bestätigt;  Kosegarten  liest  nämlich: 
„Priester  des  Alexander,  der  Götter  Soteren,  der  Götter  Philadelphen, 
„der  Götter  Euergeten,  der  Götter  Philopatoren,  der  Götter  Epiphanes, 
„des  Gottes  Eupator,  der  Götter  Philometoren,  (in  Ptolemais  der  und 
,,der)  Priester  des  Ptol.  Soter,  Priester  des  Ptol.  Philometor,  Priester 
„des  Ptol.  Philadelphos,  Priester  des  Ptol.  Euergetes,  Priester  des  Ptol. 
„Philopator,  Priester  des  Ptol.  Eupator,  Priester  des  Ptol.  Epiphanes 
„Eucharistos,  Priesterin  u.  s.  w.".  Bezöge  sich  der  Papyrus  auf  die  Zeit 
des  zweiten  Euergetes,  so  dürfte  dessen  Priester  beide  Male  nicht  aus- 
gelassen sein,  wie  denn  auch  in  der  rosettischen  Inschrift  die  Priester 
[522]  des  regierenden  Königs  mit  genannt  werden;  daß  aber  die  Priester 
des  Gottes  Eupator  (der  kein  anderer  ist  als  Philometors  Sohn,  den 
später  sein  Oheim  Euergetes  II  ermordete)  schon  während  Philometors 
seines  Vaters  Lebzeiten  genannt  werden,  möchte  ich  also  erklären,  daß 
Philometor,  der  seines  Bruders  Euergetes  Gesinnung  in  vielfachen  Un- 
ruhen sattsam  erkannt  hatte,  noch  bei  seinen  Lebzeiten  seinen  kleinen 
Sohn  zum  König  und  Mitregenten  ernannte,  wie  denn  auch  Ptolemäos 
Philadelphos  noch  während  sein  Vater  lebte  König  war.  So  konnte 
es  denn  geschehen,  daß  Eupator  auch  schon  fünf  Jahre  früher  in 
unserem  Pap.  Nro.  38  genannt  wird;  denn  ich  lese  folgende  Königs- 
namen in  dem  enchorischen  Texte:  „Priester  des  Ptolemäos  Soter,  Ptole- 
„mäos  Philometor,  Ptol.  Philadelphos,  Ptol.  Euergetes,  Ptol.  Philopator, 
„Ptol.  Eupator,  Ptol.  Epiphanes  Eucharistos,  und  die  Priesterinnen  u. s.w.". 
Hier  wie  im  Gontract  Nro.  36  wird  Philometor  gleich  hinter  Soter 
genannt,  offenbar  als  der  regierende  König;  warum  aber  Eupator  in 
beiden  seine  Stelle  vor  Epiphanes  und  in  der  Nechutesurkunde  doch 
richtig  seine  Stelle  nach  Philometor  hat,  werde  ich  demnächst  in  einer 
Abhandlung,  die  die  sehr  verwickelte  Frage  über  Ptolemäos  Eupator 
zum  Gegenstande  hat,  zu  erklären  versuchen. 


von  fünf  Sgyptischen  Papyren  zu  Berlin  25 

Auffallend  ist  die  Schreibong  0afi6v6&,  da  sonst  in  alten  Denk- 
malen 0afjLBvcLf&  geschrieben  wird,  z.  B.  Pap.  Taur.  I  S.  2  lin.  32,  in 
der  Grabschrift  bei  Letronne  sur  Vobject  des  repr.  xod.  S.  4  n.  s.  w. 
Es  muß  dieser  Fehler  auf  die  Unwissenheit  oder  Flüchtigkeit  des 
Schreibers  geschoben  werden;  anch  im  folgenden  würde  man  Egficovoti 
lesen,  so  unbedeutend  klein  ist  das  t?  gerathen,  wäre  die  richtige  Form 
iv  TgfjLCLfvd-Bi  nicht  zu  geläufig. 

KuTce  T^iv  itccQcc  Zfitvog  xai  röv  ....  r&v  itQoq  rrj  (bvtj 
Siayoa<pi]v.  In  diesem  ist  die  Form  Zfnvög,  die  ganz  deutlich  zu 
lesen  ist,  gleichfalls  nur  der  Flüchtigkeit  des  Schreibers  zu  verdanken, 
es  müßte  heißen  Zfiivtog,  wie  [523]  dieser  Genitiv  in  den  Greyschen 
Begistem  lautet  und  lauten  muß,  wenn  man  den  Nominativ  Zfiivig 
in  dem  Antig.  Grey.  und  das  Compositum  Z^ji^vixvovßiq  in  der  Basi- 
listeninschrift  1.  29  vergleicht.  Die  Formel  ?;  nccgd  xtvoq  StccyQccfpt) 
findet  sich  in  den  drei  Greyschen  Registern  wieder.  Was  aber  bedeutet 
die  Abbreviatur  nach  xal  r&v?  Es  kann  nur  eine  Bezeichnung  der 
anderen,  der  Theilnehmer  rö^  nQÖg  xfj  covfj  sein,  es  kann  nichts  anderes 
hier  erwartet  werden,  als  was  das  Reg.  Grey.  3  vollständig  so  schreibt: 
xarä  rijv  nagä  2ccQani&voq  xal  x&v  fieröxcov  r&v  ngbq  rrj  chvTj 
ÖiuyQatpr'iv,  Ob  nun  unsere  Abbreviatur  als  fieröxcov  selbst  zu  lesen 
sei,  lasse  ich  dahin  gestellt  sein;  fast  jedes  andere  Wort  kann  unter 
diesen  ganz  charakterlosen  Zügen  versteckt  sein;  wenn  es  fAsröxcov  sein 
soll,  so  kann  man  den  oberen  Teil  der  geschweiften  Linie  für  ein  ver- 
kümmertes fi,  den  unteren  Teil  mit  dem  unteren  horizontalen  Strich 
für  B  ansehen.  Kosegarten  hat  vermuthet,  daß  „statt  des  in  Berlin 
zur  Welt  gekommenen  und  gevierteilten  XcjrXsvtprjg^^  der  Nechutes- 
urkunde,  an  dessen  Stelle  von  Böckh  und  Buttmann  späterhin  xarä 
(fiayocctpijv  /«  tbL  v(p  fjv  aufgefunden  ist,  besser  xarä  SiayQa(pijv 
HBTÖ^av  tbX(ov&v  könnte  gelesen  werden;  eine  Ausdrucks  weise,  die 
weder  im  Griechischen  noch  im  Deutschen  noch  sonstwo  Sinn  hätte. 
Aber  auch  das  von  Böckh  und  Buttmann  in  zweiter  Instanz  gefällte 
l'rteil  der  Vierteilung  hilft  diesem  Zollpächter  nicht  zu  seinem  Recht: 

in  dem  Facsimile  nämlich  von  Anastasy  steht  über  xarä  Siay^  das 
gewöhnliche  Zeichen  der  Abbreviatur  (-),  so  daß  man  sieht,  es  fange 
gleich  nach  dem  q  ein  neues  Wort  an,  nämlich  der  Name  des  Zoll- 
pächters; dessen  Anfang  ist  deutlich  genug  Wbv/'^;  aus  dem  über- 
schriebenen  cj  wieder  sieht  man,  daß  das  Wort  nicht  zu  Ende  ( wie 
oben^/i/i»),  sondern  eine  Endung  zu  ergänzen  sei,  nämlich  WBvxcLfvmog, 
wie  z.  B.  einer  der  Cholchytenbrüder  im  Hermiaspsozeß,  ein  Zeuge  im 
Antig.  Grey.  u.  s.  w.  heißt.  Derselbe  ^^Bvxfovmg  ist  in  unserem  Pap. 
^'ro.  39.  40  genannt. 


26  Die  griechischen  Beischriften 

[524]  Zminis  und  seine  Genossen  heißen  oi  Ttpdq  rp  (bvyy  ein 
Ausdruck,  der  in  den  drei  Grey sehen  Zollakten  wiederkehrt  und  Er- 
klärung fordert  *i2p/]  nämlich  ist  entweder  Kauf  und  Kaufpreis 
einer  Sache,  und  so  kommt  es  besonders  in  dem  (bvijg  riXog  der  Re- 
gister vor,  oder  es  ist  ein  gepachtetes  Gefälle,  wie  es  unläugbar 
hervorgeht  aus  Andocides  de  mysteriis  §  92:  KfjtpiiTiog  füv  ovroal 
TtQiüfjLevog  (bvijv  he  rov  dtjfiotriov  —  und  nacher  wird  ein  auf  seinen 
Fall  anzuwendendes  Gesetz  citiert:  —  6g  &v  nQidfuvog  rikog  fii^  xccru- 
ßccivp  u.  s.  w.;  letztere  Bedeutung  des  d)V7]  hat  Peyron  vornehmlich 
aulgenommen.  Aber  keine  von  beiden  Bedeutungen  scheint  recht  zu 
passen  zu  zwei  Verbindungen,  in  denen  das  Wort  in  den  Papyren  vor- 
kommt, nämlich  einmal  unser  ol  ngdg  rfj  (bvy,  sodann  wenn  es  in 
den  Hermiasakten  mehrmals  heißt,  daß  von  dem  und  dem  Gekauften 
xccl  rä  xaß-fjxovra  rihj  Teräxd-ai  elg  rijv  xoü  kyxvxXiov  d}vijv.  In 
dieser  letzteren  Formel  ist  der  Sinn  des  rerdxO-ai,  wie  oben  bereits 
erwiesen  ist,  nicht  „einschreiben,"  wie  Peyron  meint,  sondern  „ent- 
richten". Nun  aber  scheinen  beide  Bedeutungen  von  djvtj  „von  dem 
Gekauften  sei  die  gehörige  Steuer  entrichtet  an  die  Steuerverpachtung 
des  Zwanzigsten"  oder  ,^an  den  Kaufpreis  des  Zwanzigsten"  gar  nicht 
zu  passen ;  denn  was  geht  die  Verpachtung  des  Gefälles  die  Bezahlenden 
an?  Auch  wüßten  wir  keinen  Ausweg,  wenn  wir  nicht  in  den  Petret- 
tinischen  Papyren  der  Zois  Nro.  2  läsen:  xarazo^i^KTov  eig  rijv  evXtjyjiv 
rfjg  viTQixflg^  d.  h.  schreib  ein  in  die  Einsammlung  der  Nitrike;  es  ist 
hiermit,  so  zu  sagen,  ein  Contobuch,  in  welches  eingeschrieben  werden 
soll,  bezeichnet,  gleich  als  ob  es  unter  der  Reihe  anderer  Bücher  im 
Zollamt  auf  dem  Titel  geschrieben  trüge:  ''EvXriipig  rrjg  vizQixfjg,  In 
derselben  Art,  meinen  wir,  ist  nun  das  rilfj  rträxO-ai  elg  tijv  rov 
hyxvxXiov  (bvtjv  als  Titel  zu  verstehen:  die  Steuer  ist  eingezahlt  bei 
der  Section  des  Steueramtes,  welche  den  Titel  führt:  rov  iyxvxliov 
(hvTj,  Ist  dieser  Titel  nun  zu  übersetzen:  „Steuerverpachtung  des 
Zwanzigsten"  oder  [525]  „Kaufpreis  des  Zwanzigsten?"  Das  erste  ge- 
fällt nicht;  denn  wer  würde  eine  Section  im  Steueramte  darnach  be- 
zeichnen, ob  sie  verpachtet  sei  oder  nicht,  wo  es  bloß  darauf  ankonoimt 
zu  sagen,  welches  Gegenstandes  Steuer  gemeint  sei.  Und  wieder  das 
zweite  scheint  gar  noch  verkehrter  zu  sein,  indem  man  etwa  erwarten 
würde  rd  lyxvxXiov  rfjg  avTjg  oder  t6  hyxvxhon  riXog  rfjg  (bvfjg  oder 
am  liebsten  einen  Ausdruck  wie:  „gewöhnlicher  Zwanzigster  vom  Kauf". 
Und  doch  ist  dasselbe  zweite  nur  das  richtige,  nämlich:  entrichtet  ist 
die  Steuer  an  die  Section  wv/j,  so  daß  wir  also  im  Steueramte  diese 
Section  „Kauf"  finden,  wie  anderswo  die  Sektionen  rQotpi)^  olvog, 
SQaxfAth  rtrdgxf]  angedeutet  werden  (Journal  des  Savans  1828  S.  484). 


von  fünf  ägyptischen  PapTren  za  Berlin  27 

Stellt  Dim  auch  (bv^  fast  für  rsix^g  d)vfl<i,  so  konnte  doch  nicht  füglich 
gB^t  werden  t;  iyxvxkiog  d}vi^y  und  doch  war  die  Bezeichnung  kyxv- 
xhoq  notwendig,  um  diese  von  anderen  Sectionen  zu  unterscheiden; 
man  setzte  sie  also  in  den  Genitiv,  der  fireilich  dem  deutschen  Ohre 
fremder  klingt  als  dem  griechischen;  wir  würden  übersetzen:  die  Steuer 
sei  entrichtet  an  die  Section  „Kauf,  geltender  Taxe,"  oder  besser  „Kauf, 
cnrrenten  Steuerfiißes".  Was  wir  in  dieser  freilich  nicht  sehr  einfachen 
Erklärung  gewinnen,  ist  besonders,  daß  (bvi^  in  denselben  Kreisen  der 
offiziellen  Sprache,  wie  man  es  erwarten  muß,  dieselbe  Bedeutung  hat, 
eine  Bedeutung,  die  so  durchgreifend  ist,  daß  selbst  die  enchorisch 
geschriebenen  Kaufcontracte  iyx^Q^^  ^'^^  genannt  werden.  Natürlich 
hat  unser  ol  ngoq  rrj  d}vp  denselben  Sinn:  die,  welche  thätig  sind  bei 
der  Section  d)vi/]  und  ihr  vorstehen;  was  sollte  es  auch  heißen  „die, 
welche  der  verpachteten  Steuer  vorstehen,"  da  offenbar  die  verschieden- 
artigsten Steuern  verpachtet  wurden,  hier  aber  gerade  zu  bezeichnen 
war,  daß  die  Genannten  eben  der  in  diesem  bestimmten  Falle  zu  zah- 
lenden Steuer,  e&vij,  vorstanden,  und  dadurch  die  Competenz  zur  Sia- 
yQa(pi}  hatten. 

Im  Anfang  der  zweiten  Zeile  lesen  wir  (ovrjg  coQog  [526]  wgovy 
obechon  die  Worte  so  in  einander  geschrieben  sind:  cjvrjgcjo  o  <j(oqov, 

und  überdies  die  Endung  ov  unzuverlässig  ist,  so  daß  man  einen  Strich 
in  derselben,  der  zu  viel  ist,  auf  die  flüchtige  Schreiberei,  die  in  der 
ganzen  Urkunde  herrscht,  schieben  muß.  Nach  einigen  Zügen,  die  sich 
sogleich  als  rpikoronov  verrathen,  folgt  eine  Abbreviatur,  die  zuver- 
lässig eine  Maßbestimmung  enthält,  indem  hinter  ihr  das  Zahlzeichen  ß 
folgt  Natürlich  denkt  man  zunächst  an  ni^/eig  und  äQovgai,  den 
beiden  in  Aegypten  vorherrschenden  Flächenmaßen;  in  der  Abbreviatur 
ist  der  schräge  Strich,  der  einen  geschweiften  durchschneidet,  hin- 
reichende Andeutung  eines  /;  was  vorhergeht,   ordnet  sich  leicht  zu 

nrix\  der  geschweifte  Strich  selbst  ist  die  Abkürzung  für  Big,  So  er- 
kennen wir  hier  einen  'ipMronog  von  2  Ellen  Breite. 

Die  folgenden  Worte  haben  überaus  große  Schwierigkeit.  Ich  las 

zuerst  T(ov  avco  xio  d.  h.  xiovoovj  und  nahm  dies  Wort  für  (rnjk&Vy 
wie  es  wohl  vorkommt;  doch  war  nicht  zu  begreifen,  was  das  eigentlich 
bezeichnen  sollte:  zudem  steht  hinter  dem  ccvco  deutlich  ein  /,  so  daß 
ich,  wenn  ich  mich  nicht  selbst  täuschen  wollte,   lesen  mußte  rcjv 

uvmxio.  Ich  suchte  lange  umsonst  nach  Erklärung  und  fand  endlich 
nichts  besseres,  als  anzunehmen,  daß  der  Schreiber  schrieb,  wie  er 
sprach:  wenn  er  nun  avaxiov  sprach,  wie  man  sonst  h/cofiat,  äy^da 
und  anderes  hat,  so  konnte  diese  Synekphonesis  nicht  leichter  sein  als 


28  I^iß  griechischen  Beischriften 

dvtpx/ov,  äv(o  olxiov,  der  Genitiv  abhängig  von  rcc  üvcj,  nicht  „oberes 
Stockwerk  des  Hauses,"  sondern  „was  oberhalb  des  Hauses  liegt".  Man 
müßte  sich  also  einen  Streifen  nicht  beackertes  Land  denken,  welches 
an  die  Bergkette  hinauf  lag,  und  worauf  ein  Teil  eines  Hauses  stand; 
mit  beiden,  Hausteil  und  Streifen  Land,  wird  dasjenige  verkauft,  welches 
noch  höher  hinauf  als  das  Haus,  etwa  schon  in  die  Berge  hinein,  lag; 
was  das  gewesen  sei,  ob  ein  Grab  in  den  Felsen  oder  was  sonst,  weiß 
ich  nicht,  wird  aber  zuverlässig  in  dem  enchorischen  Contract  näher 
angegeben  sein. 

[527]  Noch  schwieriger  ist  mir  das  folgende  rcüv  övtcjv 

xai T&v  fABJ'.     Es   muß  hier  die   topographische   Bestimmung 

folgen,  wo  das  verkaufte  Grundstück  mit  Zubehör  liege;  man  erwartet 
also  Weltgegend  und  Ortschaft  bezeichnet  zu  finden.  In  den  ersten 
Zügen  nach  r&v  6vt(ov  erkennen  wir  ziemlich  deutlich  ccno  vo,  d.  i. 
änd  vöroVf  häufig  in  dieser  Art  abgekürzt;  da  eben  so  deutlich  das 
folgende  xai  dasteht,  so  muß  dahinter  der  sehr  flache,  nach  unten 
offene  Winkel  mit  dem  fast  senkrechten  Strich  darin  eine  zweite  Welt- 
gegend bezeichnen;  es  ist  A/,  d.h.  lißö^,  wie  änö  vörov  xccl  Xtß6^ 
auch  in  Pap.  Taur.  I  S.  1  lin.  27  zusammensteht.  Die  Zeichen  zwischen 
diesen  Worten  und  rmv  fiej^  sind,  was  sie  auch  bezeichnen  mögen,  eine 
durchaus  verkümmerte  Abbreviatur,  die  man  wegen  fuy  gern  für 
Jiogn6XBO}i;  lesen  würde,  wenn  rcov  nicht  so  unbescheiden  deutlich 
geschrieben  wäre,  daß  man  auch  nicht  einen  Augenblick  daran  zweifeln 
darf;  7<t«s  i]  fieyaXt],  die  Young  in  ähnlichen,  dunkeln  Stellen  zu  Hilfe 
gerufen  hat,  /;  fiey/art]  Oeä  "Hqu,  deren  nora^dv  im  Südwesten  von 
Theben  der  erste  Turiner  Papyrus  nennt,  können  mir  nicht  aus  dieser 
Not  helfen;  und  die  Züge  vor  xmv  für  Xu  zu  lesen,  also  Accxfov  {no- 
Xacog)  fieyaXtjg,  durfte  mir  nur  für  einen  Augenblick  meine  Ratlosigkeit 
eingeben.    Ich  überlasse  einem  glücklicheren  Auge  die  Enträtselung. 

Sodann  folgt  die  Bezeichnung  kv  nrovrai.  Schon  oben  ist  der 
Einteilung  Aegyptens  in  vofiot,  x&fiat  und  rönoi  erwähnt  worden; 
auf  eine  zweite  Einteilung  führt  Strabos  Angabe:  „die  meisten  Nomen 
seien  wieder  getheilt  in  Toparchien,  und  diese  wieder  in  andere  Theile, 
die  kleinsten  Teile  aber  seien  die  Aruren".  Hätte  er  die  politische 
Einteilung  Aegyptens  im  Sinne  gehabt,  so  hätte  er  weder  von  einigen 
Nomen  sagen  können;  was  offenbar  von  allen  gelten  mußte,  noch  das 
Mittelglied  der  x&ficct  übergehen  können;  auch  scheint  es  unmöglich, 
daß  die  rönot  ftir  die  Landesverwaltung  noch  mehrere  Unterabtei- 
lungen hätten  enthalten  [528]  können.  Wir  glauben  uns  berechtigt, 
neben  der  politischen  Einteilung  des  Landes  (für  die  Verwaltung)  eine 
agrarische  anzunehmen  und  auf  diese  die  Worte  des  Geographen  zu 


von  fünf  ägyptischen  Papyren  zu  Berlin  29 

beziehen.  Sie  brauchte  nicht  auf  alle  Nomen  angewendet  zu  sein, 
z.  B.  nicht  auf  den  von  Heroonpolis  oder  Arsinoe  am  Meerbusen,  in 
welchem  wohl  mehr  Handel  als  Ackerbau  war;  sie  konnte  bei  den 
Toparchien,  der  Einteilung  des  Nomos  in  Güter  oder  Feldmarken  be- 
ginnen, konnte  sodann  in  verschiedener  Weise  geteilt  sein  bis  endlich 
zn  den  kleinsten  Teilen,  den  Aruren  oder  Morgen  Landes.  Von  diesen 
agrarischen  Topoi  glauben  wir  einige  Spuren  zu  finden:  so  die  rönoi 
üpup^Qm  und  die  xönoi  xal  olxia  'EQiicjg  Pap.  Taur.  X;  auch  die 
rtfiXol  T6noi,  die  häufig  vorkommen,  gehören  hierher;  im  Antig.  Grey. 
ist  Erwähnung  des  rönov  !A(nr]rog  xccXovfdvov  0^6xccytji^,  welches 
Yonng  sehr  unpassend  übersetzt  a  place  on  tke  AsiaHc  aide,  ccUled 
Phrecages;  wir  verstehen  es  von  einem  Gute  des  Asies,  welches  Phre- 
kages  genannt  wird,  und  halten  dies  Phrekages  für  einen  agrarischen 
Tonog.  Ebenso  unsere  Ptoutis,  in  welcher  das  verkaufte  Grundstück 
liegt;  denn,  wie  im  folgenden  gesagt,  die  Nachbarn  von  Urovrig  sind 
im  enchorischen  Gontracte  angegeben,  und  das  würde  wohl  nur  auf 
einen  agrarischen  rönog,  auf  ein  Gut  oder  Vorwerk,  dessen  Besitz 
unter  Privatleute  verteilt  wäre,  nicht  auf  einen  rönog  oder  gar  eine 
xiofif}  der  allgemeinen  politischen  Landesteilung  passend  zurückgeführt. 
Sollte  man  diese  Vermutung  als  unnützes,  kleinliches  Suchen  nach 
Xenem  schelten  wollen,  so  darf  man  nicht  vergessen,  daß  es  besser  ist, 
bei  diesen  aus  der  Mitte  eines  verschollenen  Lebens  geretteten  Denk- 
mälern auf  jede  leiseste  Andeutung  zu  horchen  selbst  mit  der  Gefahr 
irre  geleitet  zu  werden,  als  eine  geringe  Spur  für  unbedeutend,  einen 
kleinsten  Schritt  für  zu  wenig  fördernd  und  unersprießlich  zu  halten. 
Wieder  folgen  einige  unverständliche  Zeichen,  die  man  unbefangen 
tür  Iloog  lesen  muß;  das  unbehülflichste  [529]  Auskunftsmittel  wäre, 
diese  Züge  mit  dem  vorigen  iv  nrovrei  noog  zusammen  zu  lesen; 
aber  nicht  minder  der  ganz  unägyptische  Klang  des  Namens,  als  der 
nach  der  Dativendung  -bi  eintretende  bedeutende  Zwischenraum  fordert 
Trennung.  Voll  Vorurteil,  wie  ich  gegen  die  Sorgsamkeit  und  die 
Kenntnisse  unseres  Schreibers  bin,  glaube  ich  npög  lesen  zu  dürfen, 
dem  sich  dann  die  lesbaren  und  verständlichen  folgenden  Worte  an- 
schließen: TtQÖg  Ijg  ai  ystrv/arjtQOxeTvrai  Siä  rfjg  (TvyyQCcq)fjg, 
In  anderen  Registern  findet  sich  die  Formel:  lg  al  ytnviai  SeSi'jkcjvrai 
()iu  ti;^*  7tQoxBifiev7]g  (Tvyyoatpijg]  ich  glaube,  was  wir  lesen,  ist  wieder 
eine  ungeschickte  und  logisch  fast  absurde  Verkürzung  der  gebräuch- 
lichen Formel;  es  mag  besagter  Schreiber,  der  uns  durch  mehr  als 
eine  Nachlässigkeit  seine  Schreiberei  zu  lesen  erschwert  hat,  ein  ägyp- 
tischer Ignorant  gewesen  sein,  der  freilich  sich  nicht  träumen  lassen 
konnte,  wozu  seine  ungeschickte  Hand  berufen  sei. 


30  I^ie  griechiBchen  Beischriften 

Ov  ijyÖQaffBv  ist  mit  der  gewöhnlichen,  leicht  verständlichen  Ab- 
kürzung geschrieben.  Schwerer  wieder  ist  es,  die  einzelnen  Namen 
mit  Sicherheit  zu  entziffern.  Ich  sehe  zuerst  nag  arevvtjtriog,  welches 
ich  für  7ia()ä  Tivvrinioq  halte,  ein  Name,  in  welchem  der  weibliche 
Artikel  und  die  in  Eigennamen  häufige  Endung  -rimg  st-att  -«r/$  zu 
erkennen  ist  (so  neraiöfjmg  Inscr.  Basilist.  1.  24,  IHrifiaiii  ibid.  1.  28, 
nerhjfTi*;  Inschrift  bei  Letronne  recherohes  S.  426,  Ilirtmq  Arrian. 
ni  5,  3,  Mc/T]<Ttgj  j4Q(nr}(ng  Antig,  Grey.).  Die  sicherste  Bestätigung, 
daß  TivvijfTig,  nicht  !ATevvi]<Tig  der  Name  sei,  giebt  uns  Pap,  Taur.  XI: 
0Bvv7jmo^  r/%'  yBvopiivii^  u.  s.  w.  Den  folgenden  Namen  lese  ich  mit 
ziemlicher  Zuverlässigkeit  lficov\^(6;  ganz  sicher  ist  JSsfifiiviOf^  tTi^ 

Die  letzten  Worte  enthalten  die  Angabe  des  Wertes:  2  Talente 
Kupfer  =  82  Thalem,  davon  Steuer  i^axoma^j  naturlich  SQccxficc^  = 
4  rth.  3  sgr.;  es  ist  hier  wie  in  Pap.  Berol.  36  die  Steuer  in  Zahlen 
und  in  Buchstaben  bezeichnet. 

[530]  Papyr,  Berol.  Nro.  40. 

Wir  nehmen  diesen  Papyrus  vor  dem  Nro.  39  durch,  da  ja  die 
kleinste  Bequemlichkeit  Berechtigung  genug  ist,  die  ganz  zußlllig  be- 
stimmte Rangordnung  dieser  Papyre  hintanzusetzen;  wir  ersparen  uns 
durch  diese  Umstellung  eine  Menge  von  Weitläuftigkeiten,  da  sich  die 
Enträtselung  von  Pap.  39  unmittelbar  aus  der  Erklärung  des  vor- 
liegenden Nr.  40  ergiebt.     Dieser  lautet: 

(1)  „"AVoi'ij  tS'  Toif  tu  0«ojUOImW  e'  riraxrai  in)  ri/v  iv  'Eo- 
^KÖv/ht  TociTTBLiccVj  ifp  //^*  Aiovmio^^  Saxfirij^  iyxvxh'ov  xaru 
ötccynafpifV  WBvxwvfTiog  (2)  reXfopoiK  vff'  //r  v7toyna(pBi  lln«- 
xXet(hj<;  6  ccvTiyQUifev^,  riXo^  (ovTi^  'OaoQÖfjotq  rov  "Lloov  olxia^ 
ri)xo(yofiijftiv7]ii  (3)  xa}  Te/hf()(üintvt^<^  Iv  rro  dno  votov  fiioBt  neo) 
TU  Meinvoreu  ixrov  ^ioo^,  (4)  6r  (sie)  kopt/fruTO  nuQU  JSvu/o- 
livio^  rov  Xunx{>cno4,  /ulxoV     dou^fi^v  y'  riXo^  r. 

AlOVViTlO^    TOUTtB^lTTJ^^^. 

„Im  Jahre  14  und  11  den  5.  Pharmuthi  hat  an  das  Steueramt 
zu  Hermonthis,  bei  dem  Dionysios  Zöllner  ist,  die  Steuer  des  ge- 
wöhnlichen Zehnten  nach  der  Anweisung  des  Psenchonsis  des 
Steuerpächters,  die  der  ControUeur  Heraklides  unterschreibt,  (die 
Steuer)  für  den  Kauf  Osoroeris  des  Koros  Sohn  für  ein  gebautes 
und  mit  Thüren  versehenes  Haus  in  der  Gegend  südlich  bei  den 
Memnonien,  einen  sechsten  Teil,  welches  er  kaufte  von  Snachom- 
neus  des  Chapchratos  Sohn,  von  3000  Drachmen  Kupfer,  300 
Steuer  entrichtet.  Dionysios,  Zöllner". 


von  fünf  ägyptischen  Papyren  zu  Berlin  31 

Das  Datum  unseres  Registers  hat  das  sonst  gebräuchliche  rov  xccl 
bei  doppelter  Jahresbezeichnung  in  ein  einfaches  rod  verwandelt  Die 
doppelte  Jahresrechnung  (welche  sich  natürlich  auch  in  dem  encho- 
riächen  Contract  wieder  findet:  den  20.  Phamenoth  des  Jahres  14 
und  11)  beruht  auf  den  bekannten  Ereignissen  nach  Euergetes  II  Tode; 
denn  als  dieser  im  [531]  Jahre  117  a.  Ch.  starb,  hinterließ  er  seiner 
dritten  Gemahlin  Eleopatra  Cocce  das  Reich  mit  der  Bestimmung,  sie 
solle  einen  ihrer  Söhne  zum  Mitregenten  annehmen.  Sie  mußte  den 
älteren  Soter  II,  den  sie  haßte,  wählen,  und  mit  ihm  zehn  Jahre 
regieren;  dann  drängte  sie  ihn  fort,  und  rief  den  geliebteren  Sohn 
Alexander  zur  Herrschaft,  der  nun  vom  Jahre  114,  wo  er  König  von 
Crpem  geworden  war,  seine  Regierung  datierte,  während  seine  Mutter 
von  1 1 7  ab  zählte.  Damach  ist  das  Datum  des  ägyptischen  Contractes 
der  28.  März  102,  das  griechische  Register  aber  drei  Wochen  später, 
Tom  21.  April.  Die  Nechutesurkunde  ist  zwei  Jahre  älter,  bei  dem- 
selben Steueramte  zu  Hermonthis  ^inregistriert,  und  stimmt  mit  diesem 
sowie  mit  Pap.  Berol.  39  in  den  Namen  der  bei  dem  Steueramte  be- 
schäftigten Personen  genau  überein,  woraus  man  wenigstens  sehen  kann, 
daß  dieselben  Steuerpächter  auch  mehrere  Jahre  hintereinander  bleiben 
(Tgl.  Joseph,  antqq.  lud.  XII  4,  4);  denn  die  evXrjxpig  rflg  virQtxfjg 
wurde  auf  jährige  Pacht  ausgegeben.  Es  sind  in  jenen  drei  Papyren 
namentlich  die  drei  Beamten  Dionysios  der  Trapezit,  dessen  eigen- 
händige Unterschrift  sich  in  den  drei  Papyren  gleich  bleibt  (Atj), 
sodann  Psenchonsis  als  Steuerpächter,  endlich  der  ControUeur  Hera- 
kleides, wie  dieser  Name,  den  in  unserem  Papyre  nur  die  Anfangs- 
buchstaben Hq  bezeichnen,  in  der  Nechutesurkunde  vollständig  ge- 
schrieben ist. 

Auf  die  gewöhnlichen,  stereotypen  Eingangsformeln  hinter  'H^cc- 
x'fMSriq  ^  ävTiyQucpevg  folgt  bei  uns  wie  in  der  Nechutesurkunde  tbX, 
ojv^g,  nicht  TeXcl}V7]g,  wie  Böckh  und  Buttmann  lasen  (denn  da  dürfte 
das  A  in  rc^  nicht  übergeschrieben  sein),  sondern  rilog  d)vf]g\  daß 
dasselbe  Hkog  am  Schlüsse  noch  einmal  vorkommt,  hat  durchaus  keine 
Schwierigkeit.  VtrooörjQig  ist  Käufer.  Schon  vierzig  Jahre  früher 
ist  im  Antigr.  Grey.  die  Familie  eines  Osoroeris,  Horos  Sohn,  unter 
denen  erwähnt,  deren  Leichen  zu  balsamieren  der  Cholchyte  Horos 
des  Horos  Sohn  kauft,  woraus  man  erkennt,  daß  sie  [532]  selbst  wohl 
keine  Cholchytenfamilie  war.  Im  Pap.  Taur.  V  nennt  sich  ein  Osoroeris 
als  ältester  unter  den  Pastophoren  der  Memnonien,  in  einer  Klagschrift 
des  Jahres  6;  man  wüßte  nicht,  in  welche  Regierung  dieselbe  gehörte, 
würde  nicht  eben  da  Hermokles  als  hoher  Beamter  (wahrscheinlich  als 
^^KTTUTTjg  des  pathyritischen  Nomos)  erwähnt;  von  demselben  Hermokles 


32  l^ie  griechischen  Beischriften 

existieru  ein  Attest  aus  dem  Jahre  52  (des  zweiten  Euergetes),  woraus 
man  schließen  muß,  daß  das  obige  Jahr  6  der  gemeinschaftlichen  Re- 
gierung der  Eleopatra  Cocce  und  ihres  Sohnes  Soter  II  angehörte; 
unser  Register  und  Contract  wäre  dann  acht  Jahre  später  verfaßt  Da 
man  die  bisher  aufgefundenen  Papyre  mehr  oder  minder  mit  einander 
in  Zusammenhang  zu  bringen  durch  die  eigentümliche  Art  ihrer  Er- 
haltung aufgefordert  wird,  so  ist  es  mir  nicht  unglaublich  Torgekommen^ 
daß  unser  Osoroeris  des  Horos  Sohn  derselbe  sei  mit  jenem  ältesten 
der  FastophorenfamiUe. 

Das  folgende  otsf  ist  olxiag  zu  lesen,  wie  man  aus  den  dazu  ge- 
hörenden Prädikaten  ersieht  Die  Auslassung  des  i  in  (axodofii]ijLivri<^ 
ist  orthographische  Nachlässigkeit,  nicht  etwa  Anzeige  schon  veränderter 
Aussprache  des  i  subscriptum,  welches  in  dem  qt  der  Flexionen  nie- 
mals fehlt,  also  noch  gesprochen  und  gehört  werden  mußte.  Aufifallend 
ist  die  Zusammengehörigkeit  der  beiden  Prädikate,  die,  sollte  man 
denken,  sich  bei  jedem  Hause  von  selbst  verstehen.  Aber  sieht  man 
die  Stellen,  wo  obcia  in  den  ägyptischen  Documenten  vorkommt,  ge- 
nauer an,  so  scheint  es  oft  fast  nur  die  Bedeutung  von  Haus-  oder 
Baustelle  zu  haben,  oder  doch  nichts  weniger  als  ein  Haus  in  bau- 
lichem und  bewohnbarem  Zustande  zu  bezeichnen.  Ich  will  nicht  dafür 
anfuhren,  daß  die  Cholchyten  des  Hermias  olxia  in  Diospolis  erst 
wieder  bauen  mußten,  um  es  bewohnen  zu  können,  indem  nur  noch 
die  ToTxoi  7t6Qiij<TaVy  vgl.  Pap.  Taur.  I  S.  1  lin.  30  II  lin.  25;  aber 
nach  Pap.  Taur.  III  nahmen  andere  Cholchyten  von  einer  olx/a  zu 
17  Ellen  Besitz  xal  neQiotxoSofiijfravTeg  iavroT^  oixTjTijQia  Ivot- [p33'\ 
xovaiv  ßtaicji^',  es  ist  dies  unmöglich  anders  zu  verstehen,  als  daß 
dieser  Platz  von  17  Ellen  olx/a  leer  und  öde  lag,  daß  aber  die  Chol- 
chyten sich  ihre  Häuserchen  da  umher  erbauten  und  bewohnten.  Ist 
dem  also,  so  erscheint  die  Hinzufögung  des  (pxoSofjnjfiivi]^  ganz  gescheidt. 
Aber  es  könnte  das  Haus  noch  wohl  sein  Dach  und  seine  vier  Wände 
gehabt  haben,  wie  jenes  des  Hermias,  i^^  oi  rolxoi  ittQifjaavj  aber  doch 
unbewohnt  und  unwohnlich  sein,  wie  eben  dasselbe  Haus,  welches  die 
Cholchyten  k%i(TXBva(TavTt^  rä  xa\fr]{iii^iva  fii^rj  ävqixovv;  wird  aber 
gesagt,  daß  es  noch  seine  Thüren  habe,  so  bezeichnet  dies,  daß  es  noch 
ziemlich  wohnlich  sein  mochte,  da  man  von  einem  nicht  bewohnten 
Hause  wegen  des  bekannten  Holzmangels  in  Aegypten  die  Thüren 
wohl  nicht  zuletzt  zu  anderem  Gebrauch  fortnahm.  Können  wir  uns 
auf  diese  Erklärung  verlassen,  so  gewinnen  wir  einen  charakteristischen 
Zug  für  den  Zustand  des  Landes  in  dieser  Zeit:  leerstehende,  ver- 
fallene Häuser,  und  das  in  der  größten  Stadt  des  Oberlandes,  wo  die 
höchsten  Behörden  des  Nomos  und  der  Epistrategie  ihren  Sitz  hatten; 


von  fünf  Sgyptischen  Papyren  zu  Berlin  33 

wie  wird  es  gar  in  den  Landstädten  und  kleineren  Ortschaften  ge- 
wesen sein. 

'Ev  T(Z  änd  v6rov  fie^ei]  es  liegt  das  verkaufte  Wohnhaus  in 
dem  südlichen  Teile  der  Menmonien,  sowie  das  in  der  Nechutesurkunde 
Terkaofte  Grundstück.  Der  wievielte  Teil  des  Hauses  verkauft;  sei,  zeigt 
das  vor  fUQog  stehende  Zeichen  an,  welches  man  als  Bruchzeichen  an 
dem  darüber  stehenden  schrägen  Striche  erkennt,  demselben  Striche, 
der  das  i  und  x  äyxvxhog  zur  Sexür?]  und  üxoaxi)  macht;  ich  halte 
den  übrigen  Teil  des  Zeichens  ohne  Zögern  für  g,  obschon  die  Form 
dieses  Zahlzeichens  in  den  Papyren  prägnanter  zu  sein  pflegt:  wir 
hätten  also  in  unserer  Stelle  ein  %xtov  fUQog  olxiag,  das  verkauft  wäre. 

Vv  k(ovfiauTo  iBt  so  deutlich  geschrieben,  daß  über  die  Richtig- 
keit der  Lesung  kein  Zweifel  obwalten  kann;  schwieriger  ist  die  Con- 
stroktion  des  &v.  Als  Schreibfehler  für  ijv  [534]  (oixiatf)  dürfen  wir 
es  nicht  leicht  ansehen,  da  es  sich  unter  den  gleichen  Umgebungen 
in  Pap.  39  wiederfindet;  der  einzige  Zusammenhang,  den  ich  diesem 
otr  ZQ  geben  weiß,  ist  anzunehmen,  daß  dem  Schreiber  bei  der  (bv?) 
das  tpihnönov . . . .  &v  kcovrjaaro  so  geläufig  war,  daß  er  damit  con- 
stroierte,  selbst  wenn  der  rpiXöronog  näher  bezeichnet  war  als  olxia. 
Jedoch  ist  diese  Erklärung  selbst  sehr  willkürlich,  und  jede  andere 
wäre  mir  lieber. 

Der  Verkäufer  ist  ^vccxofAv$vg  rov  XditxQcerog.  Denselben 
Namen  (vielleicht  JSvccxofivevg,  da  sonst  wohl  dekliniert  wäre)  hat 
Böckh  in  der  Nechutesurkunde  unrichtig  EvaxofAvtvg  gelesen;  diese 
richtigere  Lesung  ist  auch  aus  Antigr.  Grey.  bekannt  Daß  dieselbe 
Person  hier  xmd  bei  Böckh  gemeint  sei,  scheint  mir  darum  noch  wahr- 
scheüüicher,  weil  dort  wie  hier  das  verkaufte  Grundstück  in  dem  süd- 
lichen Teile  der  Memnonien  liegt.  Den  Vatersnamen  lese  ich  ganz 
deutlich  X.dnxQ(CTog  und  kehre  mich  nicht  an  den  XanoxQccrtjg  des 
Antig.  Grey.;  aber  ob  in  XanxQcrrog  die  Endung  nicht  ungenau  ge- 
schrieben sei  statt  XanxQccnog,  da  in  Pap.  39  das  Ende  lautet  Tot- 
vovq  rflg  XäiJtxQccTig,  oder  ob  man  dies  für  eine  Femininform,  Xccn- 
XQtsTog  für  einen  Genitiv,  für  indeklinabel  halten  soll,  ich  weiß  es  nicht. 

In  der  Angabe  der  Steuer  ist  das  Zeichen  nach  x^chcov  ^  offenbar 
nichts  anderes  als  dQaxfi&v;  denn  wie  man  aus  dem  hinzugefügten 
reXog  r  berechnet,  welche  300  Drachmen  als  Sixärrj  gesteuert  wurden, 
der  Kaufpreis  ist  3000  Drachmen;   dies  nun  konnte  ausgedrückt  sein 

durch  \  Talent  ( X  ^L^)  oder  durch  3000  Drachmen  (nach  gewöhn- 
licher Bezeichnung  X  /-  ^ ).  In  der  hier  gegebenen  Bezeichnung  aber 
ist  bei  dem  y  für  3000   der  die  Tausend  bezeichnende   geschweifte 

Drojsen,   Kl.  Schriften   I.  3 


84  l^ie  griechischen  Beischriften 

Strich  oben  am  Buchstaben  fortgelassen,   und  auch  das  Zeichen  für 
Drachme,  sonst  A  oder  z.  kommt  hier  dem  älteren  <  näher.  [535] 

Papyr.  BeroL  Nro.  40, 

(1)  ff'Erovg  iS'  rov  xai  lä  ine/eig  .  .  .  riraxTai  kiil  tijv  hv  '£q- 
fKtjv&Bi  Toäne^ccv,  ktp  Jj^  AiovitriOi;^  Sexdrrj^  hyxvxXiov  xara 
SiayQcc(piiv  WsvxdfVfnog  (2)  reXcöpov,  v(f)  fjv  vnoyQdecpsi  'Hoa- 
xXeiäfjg  6  ävTiy(}cc(pevgj  aifjano  Otro^rjptg  "üqov  üno  ....  olxiag 
(üxodofjLfjfiivrjg  xal  Öev  ....  (3)  ^xrov  ....  Ivr.g  rot)  (poovoiov  .  . . 
Sv  i&BTO  avT(p  Tavovg  rfjg  XÜTtxpccrig, 
ngbg  x^^od  xdXavTCC  ^  riXog  jua' 

Aiovvaiog  TQCCTtB^irrjg^^, 
,,Im  Jahre  14  oder  11  den  . . .  Mecheir  hat  an  das  Steueramt  zu 
Hermonthis,  bei  dem  Dionysios  Zöllner  ist,  (die  Steuer)  des  ge- 
wöhnlichen Zehnten  nach  Anweisung  des  Zollpäohter  Psenchonsis, 
die  der  ControUeur  Herakleides  unterschreibt,  Apsapo  Osoreris  des 
Horos  Sohn  von  ....  eines  gebauten  und  ....  Hauses  einen 
sechsten  ....  innerhalb  des  Kastells  .  . . .,  welches  ihm  Tanus  der 
Chapchratis  Kind  verkaufte,  entrichtet. 

für  zwei  Talente  Kupfer  1200  Drachmen  Steuer. 

Dionysios,  Zöllner**. 
Es  hat  dieses  Register  unüberwindliche  Schwierigkeiten  durch  eine 
Menge  wunderlicher  Abkürzungen;  ich  habe  oben  im  Grunde  schon 
mehr  als  sicher  gelesen  angeführt,  als  ich  verbürgen  könnte.  Im  Datum 
selbst,  welches  das  Ende  des  Februars  103  bezeichnet,  ist  der  Tag  des 
Mecheir  corrigiert,  so  daß  man  nicht  sieht,  soll  es  y  oder  g  oder  was 
sonst  sein.  Auch  der  enchorische  Contract  giebt  keine  Aufklärung: 
im  Jahr  1 1  Mecheir  ....  statt  der  einfachen  Zahl  folgen  einige  Zeichen, 
in  denen  keine  Spur  einer  Zahlenbezeichnung  sich  erkennen  läßt;  ich 
möchte  vermuthen,  daß  dort  irgend  ein  eponymischer  Tag  bezeichnet 
ist,  vielleicht  der  erste  des  Monates.  Die  zunächst  folgenden  Angaben 
der  Beamten  u.  s.  w.  stinmien  ganz  mit  denen  des  vorigen  Registers, 
welches  zwei  Monate  später  in  demselben  Steueramte  eingeschrieben  ist, 
überein;  erst  [536]  wo  beide  von  einander  abweichen,  beginnen  in 
diesem  die  Schwierigkeiten. 

In  dem  Nechutesregister  wie  in  dem  vorhergehenden  folgt  hinter 
'HgaxXeiSijg  6  ävriyQ,  das  riXog  ihvfig,  bei  uns  ein  unerklärliches 
aipccTio  oder  atfano,  sodann  der  Name  des  Käufers  Osoreris  Horos 
Sohn;  mit  dem  folgenden  and  beginnt  hier  wie  in  der  ersten  Grey sehen 
ZoUacte  die  Bezeichnung  des  Verkauften ;  ich  erkenne  die  Züge  olxi  .  .; 
das  Weitere  der  zweiten  Zeile  ist  unverständlich.  Die  dritte  Zeile  beginnt 


von  fünf  ägyptischen  Papyren  zu  Berlin.  85 

mit  g  mit  demselben  senkrechten  Striche,  der  im  vorigen  wie  im 
Petrettinischen  Papyre  der  Zois  Nro.  3  hcrov,  ein  Sechstel  bezeichnet; 
wieder  dann  ein  unerklärliches  Zeichen,  endlich  die  Angabe  der  geo- 
graphischen Lage.  Aus  den  beiden  verständlichen  Stellen  im  zweiten 
Abschnitte  des  Begisters  vermute  ich,  daß  Osoreris  des  Horos  Sohn  den 
sechsten  Teil  seines  so  und  so  großen  Hauses  gekauft  hat;  der  Kauf- 
preis für  diesen  Hausteil,  2  Talente,  läßt  auf  ein  bedeutendes  Areal 
des  Hauses  schließen,  welches,  wie  ich  vermute,  angegeben  ist  in  dem 
Zeichen  zwischen  dno  und  olxiag]  die  Angabe  müßte  ein  Zahlzeichen, 
die  Maßbestimmung  könnte,  wie  in  Pap.  37,  ausgelassen  sein,  und  sich 
niijctii^  von  selbst  ergänzen.  Sieht  man  nun  den  unteren  Teil  jenes 
Zeichens  an,  so  kann  man  es  wohl  für  ein  durch  übermäßiges  deutlich 
sein  sollen  undeutlich  gewordenes  e  halten;  der  Bogenstrich  darüber  ist 
schon  aus  anderen  Stellen  als  Zeichen  für  Tausend  bekannt,  so  daß 
wir  also  lesen  könnten:  &%b  n/j/B(ov  nevrccxKr/iXtcov  ol7eiaq\  gemeint 
wären  natürlich  5000  Quadratellen,  also  ein  Haus,  das  eine  halbe  Arura 
bedeckte;  von  diesem  würde  \  verkauft,  so  daß  also  8f  Ellen  oder 
833|^  D  Ellen  Haus  bezahlt  worden  wären  mit  zwei  Talenten.  In 
den  Zeichen  hinter  otxtaq  erkennt  man  ooc^S''  xm  Sev]  vergleicht  man 
den  vorigen- Papyrus,  so  kann  man  nicht  zweifeln  (pxoSofxijfievrjg  zu 
lesen.  Das  weitere  xai  Sev,  welches  nichts  von  xccl  re&vQGjfjLivfjg  an 
sich  hat,  könnte  mancherlei  bedeuten;  ich  zweifle,  [537]  ob  ein  schön 
angestrichenes  Haus,  was  in  Aegypten  schon  etwas  hätte  sagen  wollen, 
mit  äevfriTtoiovfiipfjg  könnte  bezeichnet  werden;  SevT6Q(ofiev7]g  zu  lesen, 
und  an  ein  repariertes  Haus  zu  denken,  scheint  am  nächsten  zu  liegen, 
wäre  dafür  in  Aegypten  nicht  avavevBOfiivrjg  zu  erwarten  (s.  Inschrift 
bei  Letronne  recherches  S.  52);  SevreQsvovfTTjg  zu  ergänzen,  und  etwa  ein 
Hintergebäude  oder  Gebäude  vom  zweiten  Bange  zu  verstehen  will  mir 
auch  nicht  in  den  Sinn.  Kurz,  ich  weiß  nichts  rechtes;  ebenso  wenig,  was 
sich  geschicktes  aus  a^ipano  machen  ließe;  unsere  letzte,  armseligste 
Ausflucht  ist  gewesen,  einen  Doppelnamen  Apsapo  Osoreris  zu  formieren, 
wie  sonst  wohl  Semmuthis  Fermiei,  Melyt  Persinei  u.  s.  w.  vorkommt. 
Aber  dies,  sowie  die  Erklärung  der  ganzen  Stelle,  ist  durchaus  prekär, 
zumal  da  wir  auch  dem  Zeichen  nach  %xrov  keinen  Sinn  zu  leihen 
wissen,  es  wäre  denn  statt  (i^Qog^  wie  im  Pap.  40,  welches  nicht  allzu- 
fremd, da  das  Zeichen  in  Pap.  38,  welches  wir  iitröxoav  lasen,  und 
also  den  Anfang  des  Wortes,  ^e,  bezeichnete,  genau  dasselbe  mit  dem 
hier  in  Frage  stehenden  ist,  so  enthielte  dies  die  gespreizten  und  ver- 
kümmerten Buchstaben  juc,  den  Anfang  von  iikgog. 

Es  folgt  sodann  hvrog  rov  (pQovQiov  .  .  .;  in  kvrög  ist  das  o  durch 
einen  BruQh  im  Fapyr  umgekonmien,  daß  es  nur  o,  nicht  oi  oder  at 

3* 


36  1^16  griechischen  Beischriften 

sein  konnte  y  ersieht  man  aus  dem  geringen  Raum  zwischen  v  und  r. 
Die  nach  (pQovQiov  folgenbe  Abbreviatur,  wohl  der  Name  des  Kastells, 
in  dem  das  verkaufte  Haus  lag,  ist  ganz  unleserlich,  üeber  &v  'idero 
ist  schon  oben  gesprochen.  Das  mir  nicht  geläufige  &i(T&ai  für 
verkaufen  kann  leicht  auf  die  aus  anderen  Papyren  bekannte  Formel 
xJicF&ai  (bvfiv  zurückgef&hrt  werden.  Den  Namen  Tavovg  sowie  den 
Weibemamen  TccvBifT  bei  Schow  S.  62  glaube  ich  in  Verbindung 
bringen  zu  können  mit  dem  Qöttemamen  einer  in  der  Gegend  zwischen 
Abusis  und  Memphis  von  Herrn  von  Minutoli  copierten,  von  Böckh 
mir  mitgeteilten  Inschrift;  sie  lautet  also: 

[538]  uAOMAIITANON  GEON  lAPYIANTO 


AYIlKPITOIAeHNAI 
ANAPOXAPII  NIIYPI 
MNAZirENHZ  BOIQT 
EniTEAHI  KYPANA 
ITPATQN  KAPYANA 


ZQIIKAHI  AGHNAI 
AHMHTPIOZ  AeHNAlO 
AnOAAQNIAHZ  KOPI 
ÜYeOAQPOZ  AOHNAI 
APIZTOBOYAOZ  AOHN 


KAI  THN  TPAfEZAN  ANEOE 
ZAN  AMYPTAIOZ  POAieZ 

eine  Inschrift,  die  nach  Böckhs  Ansicht  aus  der  Zeit  des  Chabrias  sein 
möchtet  Der  in  der  ersten ,  wie  Buttmann  meinte,  rhythmischen, 
Zeile  genannte  Gott  scheint  wie  Amonrasonther,  Amenekis  Tchon 
Smyrsos,  Peutnouphis,  Sempammon  (dieser  Name  bei  Eustat.  zu  IL  (V 
S.  332)  u.  s.  w.  aus  mehreren  Götternamen  den  eigenen  zusammen- 
gesetzt zu  haben,  von  denen  der  letzte  Tavov  mit  unseren  Tctvovg 
und  TavBVT  in  Verbindung  zu  bringen  wäre. 

Die  Unterschrift  unseres  Papyres  enthält  in  7t()dg  x^^od  räXavrcc  ß 
dasselbe  n^ög,  welches  wir  wiederfinden  in  den  Petrettinischen  Papyren 
der  Zois  Nr.  3  Siä  t6  SaSöcrOai  .  .  .  n(}6g  /cfÄ^oß  rdkawa  iß  u.  s.  w. 
Die  Steuer  für  diese  zwei  Eupfertalente  ist  natürlich  nach  der  Sexärt] 
1200  Drachmen,  die  beiden  Zeichen  hinter  rikog  also  a  mit  dem  ge- 
schweiften Strich  far  Tausend,  und  er. 

Papyr,  Berol.  Nro.  4L 

„Iä/  Xoiccx  x&'  ne7tT(6xa(Ti  x^^ov  Sgccxficci  q'  Btxoarfjg  kyxv- 
xUov  kv  Jioffnölsi  ry  fj^eyakt]  (2)  olxlaq  hnl  xov  'HgccxXaiov, 
i]v  hyÖQaaBv  IdQimq  WBvuvvxioq  nagä  2Bv&(Dvriog  fuyaX,  xai 
JSBvdmiriog  ^ixq.,  xaß-'  ov  Ttgoxairai  .  .  .  ." 

>  Jetzt  C.  I.  Gr.  N.  4702. 


von  fünf  ägyptischen  Papyren  zu  Berlin  37 

^Im  Jahre  23  den  29.  Choiach  kamen  ein  100  Eupferdrachmen 
gewöhnlicher  Zwanzigsten  in  Groß  Diospolis,  for  ein  Hans  bei  dem 
Herakleion,  welches  Arieus  Psenanytis  Sohn  von  Klein  Senthoytis 
and  Groß  Senthoytis  kaufte,  worüber  vorliegen  . .  . ." 
[539]  Das  abweichende  Formular  dieses  Registers  hat  seinen  Grund 
nicht  etwa  in  einer  eigenthümlichen  Bestimmung  des  Inhaltes,  sondern 
in  dem  Alter  des  Documentes,  das,  wie  der  Anfang  des  enchorischen 
Contractes  lehrt,  geschrieben  wurde  „Im  Jahre  23  den  19.  Choiach 
des  König  Ptolemaos  Sohnes  des  Ptolemäos  und  der  Arsinoe  Götter 
Philopatoren  ^'';   gemeint  ist  das  23.  Jahr  des  Epiphanes  Eucharistos, 
also  182  den  29.  und  25.  Januar.    Es  ist  auffallend,   wie  sich  auch 
in  den  Buchstaben  dies  Register  von  späteren  unterscheidet;  die  Schrift 
ist   äußerst  wenig  cursiv  und  kaum  ein  Anfang  gemacht  zu  jener 
leichteren  Weise,  die  fünfzig  Jahre  später  durchaus  vorherrschend  ist 
Eine  geringere  Abweichung  [540]  ist  im  Eingange  statt  des  gewöhn- 
lichen Irot/g  der  Documenta  jenes  Zeichen,  welches  man  durchgängig 


^  Wir  können  nicht  umhin,  bei  dieser  Gelegenheit  eine  in  der  Cyrenaika 
bei  Ptolemais  gefundene  Inschrift  zu  erwähnen,  die  von  Herrn  Letronne  fol- 
gendermaßen ergftnzt  wurde  (Journal  des  Savans  182S  S.  260  C.  I.  Gr.  N.  5184): 

BAZIAIZIAN  APIINOHN  0EA  ||  N  AAEA0HN 
THN  TTTOAEMAIOY  KAI  BEPENIKHI  ||  0EßN  IQTHPQN 

H  noAii 

Herr  Letronne  sagt :  „suchen  wir  in  der  Keihe  der  Lagiden,  welche  die  Arsinoe, 
die  Tochter  des  Ptolemäos  und  der  Berenike  sein  könnte,  so  finden  wir  nur  die 
zweite  Gemahlin  des  Ptolemäos  Philadelphos ,  seine  Schwester,  Tochter  des 
Soter  und  der  Berenike.  Aber  Philadelphos  ist  während  seiner  ganzen  Begie- 
rung  nicht  König  in  der  Cyrenaika  gewesen,  welche  in  dieser  Zeit  nacheinander 
den  Magas,  Demetrios  und  Ptolemäos  Euergetes  zu  Königen  hatte,  weshalb  denn 
auch  in  der  adulitanischen  Inschrift  unter  den  Provinzen,  die  Euergetes  von 
Philadelphos  überkam,  Cyrene  nicht  genannt  wird'^  Wäre  kein  anderer  Aus- 
weg, so  müßte  man  sich  freilich  darauf  einlassen,  daß  Philadelphos  nach  Been- 
digung der  Kriege  mit  Magas,  oder  während  sein  Sohn  Euergetes  in  Cyrene 
König  war,  irgend  eine  königliche  Gnade  gegen  die  Stadt  ausübte,  oder  die 
Stadt  ihn  wegen  anderer  Gründe  ehren  wollte.  Aber  eine  andere  Arsinoe  ist 
die  oben  genannte,  die  Tochter  des  Euergetes  und  der  cyrenäischen  Berenike 
Eueigetis,  Schwester  und  Gemahlin  des  Philopator;  s.  inscr.  Ros.  I.  5.  Justin. 
XXIX  1  nennt  sie  irrig  Eurydice;  die  nun  war,  ich  weiß  nicht  bei  welcher 
Gelegenheit,  von  den  Bürgern  von  Ptolemais  mit  einer  Statue  geehrt,  die  also 
folgende  Inschrifit  tragen  mußte: 

BAZIAIZIAN  APZINOHN  eEA[N  cDlAOüATOPA 

THN  TTTOAEMAIOY  KAI  BEPENIKHI  |;  GEÖN  EYEPfETßN 

H  noAiz 

Die  zweite  Zeile  darf  hier  etwas  kürzer  sein,  da  ihre  Buchstaben  kleiner  sind; 
daß  aber  H  TTOAIZ  genau  unter  die  Mitte  der  Zeile  kommen  müsse,  hat  Herr 
Letronne  wohl  zu  sehr  berücksichtigt 


38  I^ie  griechischen  Beiflchriften 

Xvxdßavroq  erklärt.  Diese  Erklärung  selbst  ist  sehr  zweideutig;  wie 
käme  solch  höchst  poetisches  Wort  in  die  alltäglichste  Sprache^  diese 
Form  des  A  in  altgriechische  Zeit;  man  sieht  vielmehr  aus  den 
Quittungen  u.  s.  w.  der  Papyre,  daß  dies  L  nichts  als  eine  Art  An- 
führungs-  oder  Aufmerksamkeitszeichen  sein  kann.  Für  die  Form  /oia/ 
(sonst  xoiäxy  in  römischer  Zeit  auch  /vcix)  fehlt  es  nicht  an  alten 
Beispielen;  s.  Buttmann  S.  96. 

Es  folgen  hierauf  einige  durchaus  schwierige  Zeichen;  erst  bei 
X  kyxv.  kommt  man  wieder  auf  sicheren  Boden.  Was  vorher  steht, 
war  ich  nahe  daran  rixuxrcci  inl  Ttjv  ßccfTiXixfjv  TQÜTte^ecv  zu  lesen, 
so  verwischt,  abgekürzt  und  verschnörkelt  sind  die  einzelnen  Sill)en; 
dagegen  sprach  einmal,  was  ich  über  riraxrui  meine,  welches  hier 
nicht  den  Namen  des  Käufers,  sondern  riXo^  zum  Subject  gehabt 
haben  würde,  da  der  Name  im  Zwischensatze  steht;  zu  solchem  „reAot? 
so  und  so  viel"  wäre  auch  nicht  einmal  am  Ende  des  Papyrs  hinter 
7i()oxeTrf4i  Raum,  das  doch  gewiß  nicht  fehlen  darf;  hätto  an  besagter 
Stelle  die  Angabe  der  Steuer  gestanden,  so  würde  man  sie  schon  deut- 
licher markiert  haben,  als  daß  sie  sich  in  den  vier  unlesbaren  ZeicJien 
am  Ende  unseren  Augen  entziehen  könnte.  So  machte  ich  einen 
anderen  Versuch  den  Anfang  zu  lesen;  was  mir  vorher  als  re  e  erschien, 
bezeichnet  sicherer  ;re;  nach  einigen  lückenhaften  Zügen  folgt  (o  mit 
einem  Abkürzungszeichen:  ;re .  .  .  o> .  .  .  im  Steuerregister,  das  in  offi- 
zieller Sprache  Ttrdüficc  heißt?  Ich  ergänze  dreist  ninrcoxBP  oder  TreTtrfo- 
xc4(Ti]  es  spricht  für  mich  das  gleiche  TtinTcoxev  im  Potrettinischen 
Register.  Aber  was  ist  an  das  Steuoramt  eingekommen?  ich  glaube 
die  nächsten  Zeichen;  denn  /  in  den  Papyren,  was  kann  es  sein  als 
/«^xoP?  Nach  einer  etwas  wunderlich  verzogenen  Figur  folgt  (/,  nichts 
anderes  als  das  Zahlzeichen  100;  was  davor  steht  ist  weder  ein  6  noch 
ein  T  oder  sonst  ein  Buchstabe;  in  der  späteren,  flüchtigeren  Schrift 
[541]  bezeichnet  A  die  Drachmen,  hier  haben  wir  an  diesem  Zeichen 
noch  oben  und  unten  ein  Häkchen ;  so  glaube  ich  wirklich,  dies  Zeichen 
soll  ÖQc/xfJf^^  sein,  daß  also  100  Kupierdrachmen  Kanfzehnten  von 
einem  für  2000  Kupferdrachmen  gekauften  Hause  gesteuert  wären. 
Bedenken  wir  was  olx/a  auch  bedeuten,  daß  hier  eine  genauere  Be- 
zeichnung vielleicht  eines  Hau  st  eil  es  ausgelassen  soin  kann,  so  wird 
uns  der  wohlfeile  Kauf  nicht  stören.  Es  folgt  dann  iv  Aio^nöX^t 
mit  derselben  Abkürzung  wie  in  den  (ireyschen  Registern  geschrieben; 
die  zunächst  stehenden  Züge  sind  eine  willkürliche  Abbreviatur  für  Ty\ 
denn  das  folgende  fity  kann  eben  nur  fieydXy  sein. 

Der  Anfang  der  zweiten  Zeile  ist  sehr  deutlich  oixiai^  knl  roO 
'JIquxIsiovj  oflenbar  ad  Ilrrar/eumj  einem  Heiligthum  des  Herakles, 


von  fünf  ägyptischen  Papyren  zu  Berlin  —  Anhang  39 

neben  dem  das  verkaufte  Haus  liegt;  iyoQaaiv  mit  dem  verkehrten  « 
>chrieb  der  Schreiber  vielleicht  seiner  falschen  Aussprache  nach.  Der 
Name  des  Käufers  ist  I^pieiJg,  seines  Vaters  Name  war  vergessen, 
mußte  darum  über  der  Zeile  eingeschaltet  werden;  ich  lese  ziemlich 
sicher  Wevavvnog,  ein  recht  ägyptischer  Name  P-sen-anyt;  man  mochte 
wohl  nicht  sehr  das  Ziel  verfehlen,  wenn  man  dies  Anvt  mit  Herodots 
Anysis,  d.  i.  eigentlich  Heracleopolis  (osn  Jesaias  30,  4.  2  «^HC.  Kopt.) 
vergliche;  weiterer  Combinationen  mit  unserem  'HoccxXetov  enthalte 
ich  mich.  Zwei  Menschen  haben  das  Haus  verkauft;  des  zweiten  Name 
ist  deutlich  SSevO-MVTiog,  von  dem  des  ersten  liest  man  auch  Anfangs 
der  dritten  Zeile  deutlich  {)ovTiog\  was  am  Ende  der  zweiten  Zeile 
steht  naga  ^e.  gehört  offenbar  dazu;  ein  Strichelchen  nach  diesem  -5*6, 
dessen  Fortsetzung  verwischt  ist,  ergänzt  sich  leicht  zu  v,  so  daß  beide 
Verkäufer  oder  Verkäuferinnen  2ÜBvd'(jovTig  heißen;  sie  unterscheiden 
sich  durch  hinzugefügte  Abbreviaturen,  beim  ersten  Namen  /it,  beim 
zweiten  ein  senkrecht  durchstrichenes  /u,  wohl  fit.  Aus  der  Nechutes- 
urkunde  ist  JVexovTfj^  pnxQoq  '!A(T(OToq  bekannt,  es  ist  nichts  leichter 
als  luyag  und  piixnög  zu  lesen,  nur  so  nah  liegendes  konnte  man  füg- 
lich abbrevieren.  Den  letzten  leserlichen  Worten  xa&'  ov  ngox^lrcti 
könnte  dem  Sinne  nach  sich  V;  avyyi)u(fii  anschließen,  doch  schließen 
sich  dem  die  Züge  des  ausgelöschten  Endwortes  nicht  an. 


Anhang. 

(Literarische  Zeitung  1840  Nr.  14  Berlin  den  1.  April  1840). 

Descriptian  of  the  GreeJc  papyri  in  the  British  Afusen/m.  Part.  1. 
London  1839  (Vgl.  1839  Art.  2099).  —  Die  Verwaltung  des  brittischen 
Museums  verdient  den  lebhaftesten  Dank  für  die  Herausgabe  dieser 
Reihe  von  Documenten  des  verschiedenartigsten  Inhaltes;  sie  sind  voll 
sprachlich  interessanter  Eigentümlichkeiten  und  in  Beziehung  auf  die 
administrativen  Verhältnisse  des  Lagidenreiches  höchst  belehrend.  Herr 
J.  Forshall  hat  die  nach  Ausweis  der  beigefügten  Abbildungen  meist 
sehr  schwierige  Schrift  mit  größter  Genauigkeit  und  mit  dem  glück- 
lichsten Erfolg  entziffert;  die  kurzen  Noten,  die  er  beifügt,  beziehen 
sich  fast  ausschließlich  auf  die  Lesung  der  noch  unsicheren  Stellen 
oder  enthalten  die  Ergänzung  kleiner  Lücken  in  den  einzelnen  Worten, 
hier  und  da  auch  Erklärung  einer  Abbreviatur  oder  Andeutungen  über 
die   durch    falsche    Aussprache    entstandenen    zahlreichen    Fehler   des 


40  Anhang 

Griechischen.  Der  überaus  schwierigen  sachlichen  Erklärung  hat  er 
sich  ganzlich  enthalten,  so  ergiebig  sie  für  seinen  Scharfsinn  hätte 
sein  müssen.  Die  publicierten  Papyre  beziehen  sich  zum  Teil  auf  Ver- 
hältnisse und  Personen,  die  schon  aus  denen  anderer  Sammlungen 
bekannt  sind.  Nach  Nr.  1,  dem  schon  öfters,  hier  aber  mit  voller 
Genauigkeit  edierten  Greyschen  ävriyQatpov,  folgen  fünfzehn  meist 
längere  Documente,  die  wie  es  scheint,  zu  ein  und  demselben  reichen 
Funde  gehört  haben,  von  dem  sich  in  sonstigen  Museen  noch  über 
zwanzig  auf  dieselben  Sachen  bezüglichen  Papyre  vorfinden.  Es  ist 
der  Makedonier  Ptolemaios  des  Glaukias  Sohn,  der,  ev  xaroxfji  im 
großen  Sarapeion  bei  Memphis,  bald  für  seinen  jüngeren  Bruder  Apol- 
lonios  und  dessen  Aufoahme  aig  ri]v  dB^eikaov  a^jfieav  petitioniert 
(Nr.  II  vgl.  Angelo  Mai  Auct  class.  t  v.  S.  353),  tqüs  desselben  Ein- 
gaben für  die  Zwillingsschwestem  Tagec  und  Tayt,  die  durch  ihn  wie 
raig  nQOvnuQxovaatg  ijfitov  ev  rwi  ronoDt  aXlaig  SiSvfiaig  die  zu- 
kommenden oder  rückständigen  Lieferungen  an  Oel,  Sesamöl,  Kiki, 
Brod  u.  s.  w.  erbitten,  nebst  den  Antwortschreiben  der  Beamteten,  Quit- 
tungen, Anweisungen  u.  s.  w.  Es  ist  derselbe  Handel  aus  den  Jahren 
des  Ptolemaios  Philometor  (165 — 157  vor  Chr.),  auf  den  sich  etwa 
sechs  Leydener  Papyre  (ßeuvens  lettres  d  M.  Leironne  III  S.  65  ff.), 
ein  Paar  vatikanische  (bei  Mai  Auct.  class.  IV  und  V)  und  etwa  zwölt 
Pariser  beziehen.  Eben  dahin  gehört  ein  von  Drovetti  der  Dresdener 
Bibliothek  geschenkter  Papyrus,  von  dem  Herr  Falkenstein  in  seiner 
schönen  Beschreibung  der  genannten  Bibliothek  einige  Nachricht  ge- 
geben hat;  derselbe  enthält  zwei  vollständige  Petitionen  ähnlichen  In- 
haltes und  den  Anfang  einer  dritten;  die  eire  vollständige  ist  eine  Art 
von  Entwurf  mit  vielen  Korrekturen;  der  zweite  lautet  nach  der  Ent- 
zifferung, die  der  Ref.  im  Herbst  1839  zu  versuchen  Gelegenheit 
hatte,  folgendermaßen:  ^agammvi  roov  SiaSoxfov  xai  vnoSioixfixi]t 
naifa  nroXtfiaiov  fiaxeSwv  rmv  ev  xaroxv  \\  ovtwv  ev  rmi  luyaXioi 
aagctnieimi  exog  rovzo  evSexccrov  xai  r(ov  SiSvpuoov  aneScaxa  aoi  ti]v 
naget  rov  \\  ßaatXecjg  xai  ri]g  ßaatXiarig  xexQf]fJiaTi(TfUvr]v  xcov  SiSvfMov 
evtev^iv  vneQ  xcov  xa&f]xovTOi>v  ||  avtaig  xar  eviavzov  xai  avvera^ag 
anoSovvai  ro  rov  ii]  xai  rov  lü  ekaiov  xai  xtxiog  \\  e^evtrov  (sie) 
eXaiov  fie  fie  (beides  halb  ausgewischt)  fie,  a  xai  xixiog  fie.  a  negi 
fiev  ovv  rovrwv  Soi  aoi  ||  o  aaganig  xai  r]  eiaig  enacpgodia  (sie)  /«- 
geiv  fiog(pr]v  ngog  rov  ßamXeia  xai  ti]v  ßaaihtTfrav  Si  fjg  exeig  \\ 
ngog  ro  &eiov  oaionjra  ngogSeofUvotg  d  exi  rvxeiv  xai  ev  rovroig 
awegyeiaig  a^ioD  ae  eni  ||  ngoogaifiai  anoxfogia&evTog  aov  eig  rovg 
avco  Tonovg  ov  Saßcoaiv  (vgl.  Hesych.  v.)  Sidvfiai  [  ra  rov  eixoarv 
erovg  eXaiov  xai  xtxi  voi]aavra  ort  av  iSioxQfJfiari^eig  ccvraig  \\  eXav 


Anhang  41 

xai  xixi  (die  drei  Worte  sind  wieder  ausgewischt)  yQccrjjai  fuvviSai 
Tcoi  snifjulfjrBt  anoSowcci  fioi  xai  tovtov  \\  rowov  ^rovg  rov  xcc&rj- 
xovra   aXaiov  fAeTQf}Tf]v  xai  xixiog  fAerQfirrjv  \\  fifjdiv  avTinsg  .  .  rcc 
(joi  Sß  ccBi  yevoiTO  ccv&  (ov  ngaa  .  .  ,  ov  oaKog  Siaxuaai  |j  xai  rov 
uooSaafAOv  xcci  rcov  ev  xoai  uqcoi  nctvxoDV  avTikafißccvu  |{  6naq>^o- 
Siaia  X^QU  fAOQfpr^  evr]ij,eQiai  xai  roig   aXXoig   $v   Bvrvxia   evrvxsi. 
Die  Lücken  und  Schwierigkeiten  dieser  Schrift  werden  sich  durch  Ver- 
gleich mit  den  brittischen  ziemlich  vollständig  aufklären  lassen.     Das 
darauf  folgende  Blatt  Nr.  18  ist  ein  Brief  der  Isias  an  ihren  Bruder 
Hephaistion,   an  den  auch  ein  vatikanischer  von  seinem  Bruder  Dio- 
nysios  gerichtet  ist.  Sehr  merkwürdig  ist  das  folgende  Briefchen  Nr.  19: 
^vp&avofuvf]  fiav&avsiv  cre  ra  aiyvnria  y^afAficcra  owexaQfjv  (toi 
xai  B(iavTi]t  ori  ffvyye  naQayevofuvog  Big  rrjv  itoXiv  SiSa^eig  naga 
(p  .  .  .  fiTi  latQOxlrrji  xa  naiSagia  xai  s^eig  B(po8iov  eig  ro  yrigag. 
Die  nächsten  Stücke,  unter  diesen  Nr.  28  leider  sehr  fragmentiert, 
enthalten  verschiedene  Rechnungen  und  Quittungen,   aus  denen  sich 
einige  Maß-  und  Bechenzeichen,  auch  in  Verbindung  mit  Nr.  14  die 
Bestimmung  der  Artabe  zu  6  Choiniken  oder  15  Paaren  {^Bvyri)  er- 
geben.    Der  Schluß  der  Sammlung  Nr.  24 — 44  besteht  aus  verschie- 
denen meist  sehr  fragmentierten  Stücken,  von  denen  Nr.  43  auf  der 
einen  Seite  durch  den  Anfang  xaiaaQ  xaio  und  das  Ende  xai  xXav- 
Siavov  sich  der  römischen  Kaiserzeit  zuweist,  während  auf  der  anderen 
HB]fi^iv  fjt€vviS  unzweideutig  beweist,  daß  diese  Seite  des  Papyrs  in 
der  oben   besprochenen  Zeit  der  Ptolemaios-  und  Zwillingspapyre  be- 
schrieben  wurde.    Aus  byzantinischer  Zeit  ist  Nr.  44,  wenigstens  die 
eine  entzifiFerte  Seite;  die  andere  höchst  verwischte  scheint  in  vier  neben 
einanderstehenden  Colunmen   ein   Glossar    zu   irgend   einer   fremden 
Sprache  (arabisch?)  zu  enthalten. 

[Am  SehluB  des  Bandes  sind  die  Texte  der  PapTTUSurkunden  in  der  Ab- 
schrift von  Prof.  U.  Wilcken  gegeben]. 


n. 

Zur  Geschichte  der  Kelten. 

a.  De  fontihus  veterum  auctorum  in  enarrandis  expeditionäms  a  GaUis 
in   Macedoniam   atque    Graeciam    susceptis.     Scripsit  Dr,    Guilelmus 

Ädolphus  Schmidt     Berolini  1834, 

(Zeitschrift    für    die   Altertumswissenschaft    herausgegeben   von    Dr.   L.    Chr. 

Zimmermann  1886  Xr.  73  Sp.  587  ff.) 

[587]  Mehr  als  sonst  wendet  sich  in  unserer  Zeit  die  historisclie 
Kritik  darauf,  die  Autorität  der  Überlieferungen  zu  prüfen.  Schwierig 
ist  die  Aufgabe  schon,  wenn  man  sich  den  unmittelbaren  Quellen,  den 
Angaben  der  Zeitgenossen  gegenüber  befindet,  ungleich  verwickelter 
wird  sie,  wenn  Erzählungen  und  Angaben  in  späteren  Autoren,  ohne 
Bezeichnung  der  Quelle,  eist  noch  die  vorläufige  Frage,  woher  diese 
das  Ihrige  schöpften,  notwendig  machen.  Unser  Leopold  Ranke  ver- 
anlaßt die  jüngeren  Gelehrten,  die  er  in  seinem  historischen  Seminar 
vereinigt  hat,  mehrfach  zu  derartigen  Arbeiten,  und  schon  sind  einzelne 
schätzbare  Untersuchungen  dorther  gekommen;  auch  die  vorliegende 
Dissertation  verleugnet  die  treflfliche  Schule  nicht,  und  man  darf  mit 
Recht  dem  Hm.  Verf.  zu  diesem  Anfang  seiner  schriftstellerischen 
Thätigkeit  Glück  wünschen. 

Bekanntlich  erzählen  den  gallischen  Einfall  vom  Jahr  280  Diodor, 
Justin  und  Pausanias  mit  ziemlicher  Ausführlichkeit  und  einer  bei  so 
seltsamen  und  wunderbaren  Einzelheiten  auffallenden  Übereinstimmung. 
Hieraus  vermutet  Hr.  Schmidt  und  wohl  mit  Recht,  daß  sie  dieselbe 
Quelle  benutzt  haben,  und  er  fragt,  wer  dieser  Quellenschriftsteller  ge- 
wesen sein  dürfte.  Er  muß  vor  Diodor  und  ein  Schriftsteller  von  An- 
sehen gewesen  sein,  er  wird,  nach  Diodors  sonstiger  Weise  zu  urteilen, 


Schmidt  de  fontibus  u.  s.  w.  43 

ein  jenen  Zeiten  nahe  stehender  gewesen  sein.  Hr.  Schmidt  versucht 
nun,  teils  auf  indirectem,  teils  auf  directem  Wege,  wie  er  es  nennt, 
die  Sache  zu  ergründen. 

In  dem  einen  Teile  der  Abhandlung  werden  nun  die  einzelnen 
Autoren  besprochen,  an  welche  man  denken  könnte.  Hier  finden  sich 
treffliche  litterarhistorische  Notizen  über  die  Galatika  des  Kallisthenes 
und  Timagenes,  über  Polemon,  über  Menodotos  von  Perinth.  Über 
Phylarch  hätte  können  genauer  untersucht  werden;  jedenfalls  sind  die 
28  Bücher  itTrogiai  in  einer  Weise  mit  Episoden  ausgefüllt  gewesen, 
daß  man  gar  nicht  sagen  kann,  irgend  etwas  habe  nicht  in  denselben 
gestanden;  die  ziemlich  zahlreichen  Fragmente  aus  den  verschiedenen 
Büchern  gehen  chronologisch  so  seltsam  durcheinander  und  oft  weit 
über  den  angeblichen  Anfang  (272  a.  Chr.)  hinaus,  daß  auch  nicht  die 
entfernteste  Vermutung  über  die  Reihenfolge  des  Inhalts  gemacht 
werden  kann.  Die  Vermutung,  daß  der  jüngere  Marsyas  entweder  dem 
Diodor  nicht  bekannt  war  oder  gar  nach  ihm  gelebt  hat,  ist  sehr 
plausibel  gemacht;  ich  hoffe  über  die  drei  Marsyas,  welche  Suidas  auf- 
führtj  nächstens  des  Gründlicheren  zu  sprechen.  Mit  Recht  macht  der 
Hr.  Verf.  geltend,  daß  die  'ElXrjvixü  und  MaxeSovixä  des  Samiers 
Duris  dasselbe  Werk  sind.  Nachdem  der  Hr.  Verf.  in  gründlicher 
Untersuchung  das  Geschichtswerk  des  Kardianers  Hieronymos  charak- 
terisiert und  bewiesen  hat,  daß  aus  diesem  so  wenig  wie  aus  den  oben 
genannten  oder  den  Atthidenschreibern  die  bekannte  märchenhafte  Er- 
zählung stammen  könne,  wendet  er  sich  auf  den  Tauromenier  Timäos 
und  entscheidet  sich  bei  der  Autorität  dieses  Historikers,  bei  der  Dispo- 
sition seines  großen  Geschichtswerkes  und  der  sonstigen  Weise  seiner 
[588]  Auffassung  dafür,  daß  von  ihm  her  die  Erzählung  bei  Diodor, 
Justin  und  Pausanias  entlehnt  sei. 

Der  zweite  Teil  der  Abhandlung  beschäftigt  sich  namentlich  damit, 
nachzuweisen,  daß  die  Art  der  Erzählung  vollkommen  dem  Charakter 
des  Timäos  entspricht.  Alles  Beifalls  wert  ist  die  kritische  und  chrono- 
logische Sorgfalt,  mit  der  der  Hr.  Verf.  in  dem  Geschichtlichen  die 
Widersprüche  aufdeckt  und  ausgleicht,  die  Schwierigkeiten  aufspürt  und 
löst  und  durch  eine  Reihe  trefflicher  Forschungen  endlich  die  Geschichte 
jenes  Gallierzuges  mit  so  vieler  Evidenz,  wie  es  bei  dem  traurigen 
Zustande  der  Überlieferungen  nur  irgend  möglich  ist,  entwickelt.  Es 
ergiebt  sich  hieraus  auf  das  Deutlichste,  daß  keinesweges  das  Heer  des 
Brennus  (oder  Fürsten)  Acichorius  gänzlich  vor  Delphi  zu  Grunde 
gegangen  ist,  sondern  daß  die  Überbleibsel  desselben  teils  unter  Batha- 
natius  gen  Ulyrien  zurückzogen,  teils  unter  Commontorius  gen  Thracien 
gingen  und  das  Reich  Tyle  stifteten;  und  daß  der  Gallierhaufen,  der 


44  Zur  Geschichte  der  Kelten 

mit  Brennus  ausgezogen  war,  sich  aber  schon  im  Dardanerlande  von 
ihm  getrennt  hatte,  unter  Leonorius  und  Lutarius  gen  Asien  zog. 

So  trefflich  die  üntersachung  im  Ganzen  und  so  wohlbegründet 
auf  den  ersten  Anblick  das  Resultat  erscheint,  so  scheint  es  dennoch 
keinesweges  gegen  jeden  Zweifel  sicher.  Zugegeben  auch,  daß  Timaos 
den  Gallierzug  in  solcher  Ausführlichkeit  behandelt  haben  kann,  so 
treten  doch  wesentliche  Bedenken  ein.  Die  Darstellung  ist  eine  sicht- 
liche Yerherrlichung  Griechenlands  und  namentlich  Athens;  Athen 
erscheint  als  der  fahrende  Staat,  der  Griechenland  wie  einst  vor  den 
Persem  so  jetzt  vor  den  Barbaren  des  Westens  gerettet  hat;  während 
offenbar  doch  die  Aetolier  die  Hauptmacht  in  jenem  Kriege  sind,  wird 
gesagt,  der  Athener  Feldherr  habe  den  Oberbefehl  gehabt;  während 
Athen  in  der  tiefsten  Ohnmacht  liegt,  wird  von  seiner  großen  See- 
macht gesprochen,  wie  wenn  es  noch  die  des  Themistokles  wäre.  Und 
gerade  damals  ist  in  Athen  an  der  Spitze  der  Angelegenheiten  jener 
Demochares,  den  Timaos  mit  so  bitterer  Parteilichkeit  verfolgt  hat; 
ihn  mußte  ein  guter  Teil  des  Ruhmes  treffen,  wenn  sich  damals  Athen 
so  ausgezeichnet  hätte,  und  das  sollte  Timaos  berichtet  haben?  Auch 
das  dürfte  nicht  im  Charakter  dieses  Schriftstellers  sein,  daß  er  etwa 
den  Herodot  oder  die  alte  gute  Zeit  bewundernd  den  gallischen  Ejieg 
nach  der  Analogie  der  Perserkriege  ausschmückte,  oder  daß  er  über- 
haupt einen  Kampf  der  Griechen  als  so  ein  Höchstes  von  Aufopferung, 
Begeisterung  und  Glorie  darstellte,  er  der  klatschsüchtige,  meist  bittere 
Tadler  alles  Großen. 

Freilich  nennt  Diodor  keinen  anderen  Autor,  aus  dem  jene  Ge- 
schichte genommen  sein  könnte;  aber  die  Notiz  mußte  gerade  in  den 
verlorenen  Büchern  gestanden  haben,  wie  begreiflich,  wenn  sie  in  den 
wenigen  Bruchstücken  jener  Bücher  nicht  vorkommt  Daß  aber  Justin 
oder  Trogus  Pompejus  den  Timaos  entweder  gar  nicht,  oder  nicht  aus- 
schliesslich benutzt  hat,  sieht  man  aus  dem  23.  Buch,  wo  Agathokles 
Tod  durchaus  abweichend  von  Diodor  und  zwar  so  erzählt  wird,  daß 
Trogus  einen  dem  Tyrannen  durchaus  günstigen  Autor  vor  Augen  ge- 
habt haben  muß. 

Sollte  ich  mich  nun  erklären,  aus  welchem  Autor  ich  jene  Er- 
zählung geschöpft  glaube,  so  würde  ich  den  [589]  Demochares  min- 
destens ebenso  wahrscheinlich  finden  als  den  Timaos.  Demochares, 
patriotisch  und  republikanisch  seiner  Gesinnung  nach,  ein  Bewunderer 
der  alten  Zeit,  und  während  der  gallischen  Züge  an  der  Spitze  der 
attischen  Demokratie,  hatte  in  seiner  tarwm  verum,  historic^  quae  erant 
ipsius  aetate  Äthems  gestae  (Cic.  Brut.  83)  gewiß  auch  noch  den  gal- 
lischen Krieg  zu  enählen;   er,   der  von  dem  Gifttode  seines  Oheims 


Schmidt  de  fontiboB  a.  s.  w.  45 

Demosthenes  berichtete ,  „daß  ihn  die  Gnade  der  Götter  schnell  und 
schmerzlos  von  hinnen  genommen/'  er  mag  auch  wohl  in  dem  gal- 
lischen Kriege  solcher  göttlichen  Wander  genug  gesehen  oder  min- 
destens berichtet  haben.  Daß  er  non  tarn  historico  quam  oratario  genere 
geschrieben,  erklärt  in  Verbindung  mit  seinem  Patriotismus  die  Über- 
treibungen in  Zahlen  und  sonstigen  Angaben.  Aber  war  Demochares 
ein  so  verbreiteter  Autor?  Hat  ihn  Diodor,  Pausanias  oder  Trogus 
auch  sonst  benutzt?  Letzteres  kann  ich  nicht  nachweisen ,  aber  daß 
er  ein  vielgelesener  Autor  war,  sieht  man  nicht  bloß  aus  Polybios  und 
Athenäos,  sondern  auch  aus  Cicero  und  was  wohl  noch  mehr  gilt,  aus 
Lucian,  der  in  den  „Langlebenden''  über  Agathokles  Tod  gerade  die 
Autorität  dieses  Historikers  anführt.  Tadelte  nun  Timäos,  der  heftige 
Gegner  des  Demochares ,  den  Agathokles  so  heftig  wie  es  geschah,  so 
ist  es  glaublich,  daß  Demochares  günstiger  für  ihn  sprach,  um  so  mehr, 
da  der  König  mit  Ptolemäos,  dem  Wohlthäter  der  attischen  Demo- 
kratie, in  freundlicher  Beziehung  war  und  Demetrios  der  Poliorket^  der 
Demochares  stets  verfolgte,  an  Agathokles  Tod  durch  seinen  Geschäfts- 
träger Oxythemis  Anteil  hatte.  Wird  hieraus  glaublich,  daß  die  An- 
gabe über  Agathokles  Tod  bei  Justin  und  Trogus,  die  nicht  aus  Timäos 
geschöpft  sein  kann,  auf  Demochares  zurückzuführen  ist,  so  gewinnt 
die  geäußerte  Yermuthung  noch  einen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit 
mehr.  Für  Pausanias  bin  ich  auch  sonst  geneigt,  die  Benutzung  des 
Demochares  anzunehmen;  die  2f achrichten  über  Olympiodor,  welche 
sich  80  sonderbar  vereinzelt  nur  im  Pausanias  finden,  leiten  auf  solcherlei 
Vermutungen. 

Jedenfalls  dürfte  man  demnach  behaupten  können,  daß  die  An- 
sicht, als  stamme  aus  Timäos  die  currente  Geschichte  der  Gallierein- 
fälle, noch  keinesweges  feststehe,  daß  man  mit  ebenso  vieler  Wahr- 
scheinlichkeit an  Demochares  denken  darf,  daß  nur  die  gleiche  Ab- 
stammung der  genannten  Berichte  feststeht,  endlich,  daß  wer  auch 
immer  die  erste  Quelle  sein  mag,  seine  Darstellung  voll  Märchen  und 
Übertreibungen  war,  wie  sie  damals  Mode  zu  werden  begannt 


'  [Die  Vermntang,  Demochares  sei  die  Quelle  der  Berichte  über  den 
Kelteneinfall,  ist  vom  Verf.  selbst  zuräckgenommen  worden.  Hellenism.  II'  2 
S.  342  Anm.  4.    £.  M.l 


46  Zur  Geschichte  der  Reiten 


b.  Die  Kelten  bei  dem  Komiker  Ephlppos. 

(Zeitschrift    für    die    Altertumswissenschaft    herausgegeben   von    Dr.   L.   Chr. 

Zimmermann  1836  Nr.  139  Sp.  1210). 

[1210]  Daß  die  Kelten  schon  geraume  Zeit  vor  ihrem  großen  Einfelle 
nach  Makedonien  und  Griechenland  den  Ländern  im  Süden  des  Haimos 
gefahrlich  waren,  ist  in  der  Geschichte  der  Nachfolger  Alexanders 
S.  649  (Hellenismus  11^  2  S.  340)  erwähnt,  auch  dort  die  Plinianische 
Stelle  angeführt  worden,  nach  welcher  bereits  Kassander  gegen  sie 
gekämpft  hat.  Wahrscheinlich  ist  eine  beiläufige  Notiz  über  sie  aus 
dem  Geryones  des  Komikers  Ephippos  noch  älter.  Nach  Athenaios 
VIII  S.  346c  erzählte  in  dieser  Komödie  ein  makedonischer  Befehls- 
haber unsinnige  Übertreibungen  von  einem  großen  Fisch:  wenn  er 
eingefangen  sei,  in  seinem  Umfang  größer  als  die  Insel  Kreta,  so 
kämen  die  umwohnenden  Völker,  JSivSovg  (d.  i.  ^ivrovg,  vgl.  Steph. 
Byz.  V.),  Avxiovg,  MvySovtovg,  KQccvaovg,  Uatpiovgf  und  fällten  Holz, 
d'jiörav  ßamXmjg  %\j)fj  rdv  fxiyav  l^^vv,  dann  werde  ein  ungeheures 
Feuer  angemacht  u.  s.  w.    Der  Andere  antwortete  darauf: 

Vv/QÖV   TOVTl 

Ttavacei  (pva&v,  Maxsdcjv  üqxcoVj 
aßivvv  Kslrovg,  fi)]  itQoaxavayg. 

• 

Es  scheint  nicht  glaublich,  daß  dies  von  dem  Perserkönig  gesagt  sei; 
ebenso  wenig  möchte  ich  mit  Meineke  quaest.  scen.  III S.  14  an  den  König 
Geryones  denken,  vielmehr  scheint  unter  diesem  Namen  der  gewaltige 
König  selbst,  von  dem  jener  MaxeScov  äo/cov  spricht,  maskiert  zu 
sein.  Und  an  wen  könnte  man,  wenn  ein  makedonischer  Großthuer 
so  von  seinem  Könige  prahlt  und  dabei  die  eben  genannten  Völker 
als  dienstbar  erwähnt,  an  wen  könnte  man  anders  denken  als  an 
Alexander?  Und  zwar  würde  jener  Kreis  von  Völkern,  der  in  den 
Sintern  und  Mygdoniem  Thrakier  und  Makedonier,  in  den  Kranaem 
wahrscheinlich  die  Athener  erkennen  läßt,  ungefähr  die  Zeit  des  Stückes 
erraten  lassen;  nach  dem  Jahr  330  würden  gewiß  Perser,  Meder, 
Inder  u.  s.  w.  nicht  fehlen  dürfen;  man  könnte  praeter  propter  das 
Jahr  dieser  Komödie  auf  332  bestimmen.  Aber  um  diese  Zeit  saßen 
die  Kelten  noch  am  adriatischen  Meere  und  schickten  von  dort  aus 
335  an  Alexander  eine  Gesandtschaft  an  die  Donau;  damals  fragte  sie 
der  König,  was  sie  am  meisten  fürchteten?  er  meinte,  sie  würden  ihn 
nennen;  sie  aber  sagten,  daß  der  Himmel  einfalle,  aber  Freundschaft 
mit  einem  Helden  wie  er  zu  schließen,  wünschten  sie  sehr  (Ptolemaios 


Die  Kelten  bei  Ephippos  47 

bei  Strabo  Vn  S.  301).  Sollte  sich  nun  obige  Antwort  aus  Ephippos 
auf  irgend  eine  andere  Fassung  dieser  Anekdote  beziehen?  Wenigstens 
an  eine  viel  spätere  Abfassung  des  Geryones  darf  man  auch  darum 
wohl  nicht  denken,  da  Ephippos  schon  vor  360  Komödien  auflFührte. 
Über  die  Form  Geryones  statt  Geryon  {tergemini  vis  G&ryonai  Lucret. 
V  28  und  ter  amplum  Oeryonem  Horat.  c.  II  14)  s.  Mus.  crit.  II 
S-   2581. 


^  [Meineke  fragm.  com.  Graec.  Ill  S.  323  und  Kock  com.  Attic.  fragm.  II 
S-  252  erwähnen  die  Vermutung  des  Vf.] 


m. 

Päonien  und  Bardamen. 

a.  Pftonien,  G^eographie,  £thnographiscIies,  G^esehiehtliehes. 

(Allgemeine  Encyklopftdie  der  Wissenschaften  und  Künste  herausgegeben   von 
J.  S.  Ersch  und  J.  G.  Gruber.  Section  III  Theil  9  Leipzig  1837  S.  197—211). 

Die  Geographie  der  Landschaften,  die  unter  Philipp  und  Alexander 
Makedonien  bildeten,  ist  in  vieler  Hinsicht  dunkel;  teils  fehlt  es  aus 
dem  Altertume  an  umfassender  und  genauer  Beschreibung,  teils  sind 
von  neueren  Beisenden  in  jene  Gegenden  wenige  gekomi](xen,  die  be- 
deutende Aufklärungen  gegeben  hätten.  Nach  den  trefflichen  Arbeiten 
Gatterers  {de  Herodoti  ei  Thucydidis  Thrada  in  den  Gommeni,  Gotting, 
t.  IV,  y,  VI)  und  Mannerts  ausführlicher  Darstellung  hat  namentlich 
C.  0.  Müller  (Über  die  Wohnsitze,  [198]  die  Abstammung  und  die 
ältere  Geschichte  der  makedonischen  Völker  [Berlin  1825])  mit  dem 
ihm  eigentümlichen  Scharfsinne  das  Feld  gelichtet  Nach  der  Edition 
seiner  Schrift  sind  besonders  zwei  neuere  Werke  erschienen,  die  für 
Makedonien  freilich  in  sehr  verschiedenem  Grade  wichtig  sind,  beide 
von  Männern,  die  selbst  jene  Gegenden  besucht  haben.  Cousin^ry  hat 
in  seiner  Voyage  dans  la  Macedaine  (Paris  1831,  2  voU.  4.)  die  Unter- 
suchungen und  Beobachtungen  niedergelegt,  zu  denen  ihn  ein  viel- 
jähriger  Aufenthalt  in  Salonichi  veranlaßte;  eine  Karte  des  südlichen 
Makedoniens  von  Lapies  Meisterhand  begleitet  sein  interessantes  Werk. 
Der  ausgezeichneten  Arbeit  Leakes  {Travels  in  northern  Oreece  London 
1835  4  voll,)  liegen  die  Reisen,  die  der  berühmte  Verfasser  im  An- 
fange des  Jahrhunderts  durch  verschiedene  Teile  des  nördlichen  Griechen- 
lands gemacht  hat,  zum  Grunde;  die  beigefügten  Karten  sind  teils 
nach  seinen  eigenen  Beobachtungen  und  Messungen,  teils  nach  den 
Mitteilungen  von  John  Hawkins  und  den  Küstenmessungen  der  eng- 
lischen  Admiralität   gezeichnet,    und   der  Unterzeichnete  hat  keinen 


Geographie  49 

Anstand  genommen,  das  beigefügte  Blatt  nach  der  Karte  bei  Leake 
(tom.  2)  fast  ausschließlich  zu  entwerfen^. 

Die  Gebirgslinie,  welche  dem  adriatischen  Meere  parallel  sich 
durch  Illyrien  und  Bosnien  hinzieht,  scheidet  sich  in  den  Quell- 
gegenden des  Värdhar  und  der  Moraven,  fast  im  rechten  Winkel. 
Von  hier  aus  streichen  südwärts  die  Gebirge,  welche  lUj^rien  von 
Makedonien  trennen,  und  sich  weiter  südwärts  unter  dem  Namen  des 
Pindus  fortsetzen;  ostwärts  dagegen  zieht  die  Gebirgsreihe,  welche  in 
späterer  Zeit  unter  dem  gemeinsamen  Namen  des  Hämus  die  Wasser- 
scheide zwischen  den  Flüssen,  die  zur  Donau,  und  denen,  die  zum 
ägäischen  Meere  gehören,  bildet.  Von  diesem  östlichen  Zuge  senkt 
sich  ein  Arm  südwärts  hinab  und  schliesst  das  morgenwärts  liegende 
Wassergebiet  des  Hebrus  (Maritza)  von  den  westlichen  Strömen.  Von 
den  so  eingeschlossenen  Landschaften  bildet  Päonien  im  allgemeinen 
den  nördlichen,  höher  liegenden  Teil. 

Dieser  päonischen  Landschaft  gehört  der  obere  Lauf  zweier  ziem- 
lich bedeutender  Ströme,  des  Axios  und  des  Strymon.  Der  Axios  (nach 
makedonischem  Dialekt  der  waldige),  dessen  heutiger  Name  schon  in 
dem  BaQSuQiov  der  Byzantiner  beginnt,  hat  seine  Quellen  in  dem 
Lande  der  Dardaner,  die  viele  Jahrhunderte  unabhängig  und  bisweilen 
im  Besitze  bedeutender  Macht  gewesen  sind;  sie  besaßen  die  Paßgegend, 
die  von  Norden  her  aus  dem  Triballerlande,  von  Westen  her  aus 
Illyrien  in  die  Ebenen  des  Axios  führt,  und  deren  Ausgang  durch  die 
feste  Stadt  Skupi  (Uskup)  beherrscht  wird;  zwar  wird  die  Stadt  erst 
von  Ptolemäus  genannt,  doch  ist  sie  wohl  älter,  da  bei  den  Dardanern 
unzweifelhaft  schon  in  makedonischer  Zeit  Städte  waren.  In  römischer 
Zeit  lag  die  Grenze  zwischen  Dardanien  und  Makedonien  einige  Meilen 
südwärts  von  Skupi,  wo  die  Peutingersche  Tafel  (mit  falscher  Meilen- 
zahl) den  Ort  ad  fines  ansetzt.  Hier  tritt  der  Axios  schon  als  schwer 
zu  durchwatender  Fluß  (Mannert  VII  S.  105)  in  päonisches  Gebiet; 
fast  südwärts  geht  er  bis  zur  Mündung  des  von  Westen  einströmenden 
Karasu;  hier  drängt  ihn  das  Boragebirge  ostwärts  und  bildet  mit  den 
gegenüberliegenden  Bergen  den  Paß  von  Demirkapi  (Cousinery  I  S.  59), 
durch  den  das  obere  Land  von  den  Ebenen  des  unteren  Axios  ge- 
schieden wird,  und  welchen  die  Peutingersche  Tafel  mit  dem  Namen 
Stonas  {Stena)  23  M.  P,  unter  Stobi  ansetzt.  Der  soeben  genannte 
Karasu  ist  der  bedeutendste  Nebenfluß  des  Axios;  daß  diesen  der  alte 
Name  Erigon  bezeichnet,  ist  jetzt  anerkannt  (Cousinery  I  S.  58,  Müller 
S.  4);    er  strömt  anfangs  südwärts,   den  Grenzgebirgen  Illyriens  und 


'  [Die  Karte,  durch  Kieperts  Arbeiten  überholt,  ist  hier  fortgelassen]. 

Drojsen,  Kl.  Schriften  I.  4 


50  Päonien  und  Dardanien 

dem  Axios  parallel,  dann  wendet  er  sich  durch  die  Wasser  des  Bevus 
(Liv.  XXXI  31  Steph.  Byz.  v.  Bsvtj)  verstärkt  ostwärts  und  weiterhin 
nordostwärts,  am  Abhänge  des  Boragebirges  hin,  um  sich  einige  Meilen 
unter  Stobi  in  den  Axios  zu  ergießen.  Nicht  weit  unterhalb  der 
Erigonmündung  ist  die  der  Vravnitza,  die  man  auch  den  Fluß  von 
Istib  nennt;  die  Peutingersche  Tafel  nennt  auf  dem  Wege  von  Stobi 
nach  Serdika  einen  Ort  Astibon,  dessen  evidente  Namensähnlichkeit 
mit  dem  heutigen  Istib  seine  Lage  feststellen  darf.  Und  wenn  Polyän 
(IV  12)  von  einem  Fluß  Astycus  erzählt,  in  dem  zu  baden  eine  Cere- 
monie  bei  der  päonischen  Königsweihe  war,  so  ist  alle  Wahrschein- 
lichkeit dafür,  daß  dies  eben  der  heutige  Fluß  von  Istib  ist^ 

Dem  Axios  an  Größe  und  Wasserfülle  gewiß  gleich  ist  der 
Strymon,  der  zweite  Hauptstrom  des  päonischen  Landes.  Nur  die 
mangelhafte  Kenntnis  der  Gewässer  jenes  Landes  macht  es  erklärlich, 
daß  man  bis  auf  die  neueste  Zeit  uneinig  sein  konnte,  welchen  Strom 
die  Alten  Strymon  nannten;  die  neueren  Untersuchungen  haben  hier- 
über Entscheidung  gebracht.  Der  Strymon,  der  heutige  Strumma  oder 
Karasu,  hat  seinen  Ursprung  an  dem  Südabhange  des  Skomiosgebirges 
(Thukyd.  II  96),  den  Livius  (XXVI  25)  bereits  mit  unter  dem  gemein- 
samen Namen  Hämus  begreift  Durch  eine  bergige  Landschaft  eilt 
er,  von  allen  Seiten  her  mit  kleinen  Zuflüssen  verstärkt,  südwärts 
hinab ;  etwa  in  der  Mitte  seines  Laufes  drängen  sich  Berge  von  beiden 
Seiten  her  dicht  an  ihn  und  erlauben  ihm  nur  ein  schmales  Bette, 
endlich  bei  Demirhissar  öffnet  sich  dies  Paßthal,  die  Berge  treten 
weiter  zurück,  es  beginnt  eine  schöne  und  überaus  fruchtbare  Thal- 
ebene, durch  welche  der  Strom  südostwärts  hinabgeht;  bald  erweitert 
er  sich  zu  einem  fischreichen  See,  von  wohl  sechs  Stunden  Länge 
(Cousinery  I  S.  136);  aus  diesem  vrieder  eilt  der  Strom  in  bedeutender 
Windung,  rechts  vom  Kerdylion  (Thukyd.  V  6),  links  von  den  Vor- 
bergen des  Pangäon  eingeschlossen,  bei  Amphipolis  und  Eion  vorüber 
in  den  strymonischen  Meerbusen. 

Dies  Kerdylion  ist  nur  der  südlichste  Vorsprung  einer  Gebirgs- 
kette, die  von  den  Engpässen  des  Axios  anhebend,  zwischen  diesem 
Flusse  und  dem  Strjonon  in  südöstlicher  Eichtung  hinabzieht.  Wir 
ersehen  aus  Thukydides  (II  98),  daß  wenigstens  ein  Teil  dieser  Gebirge 
den  Namen  Kerkine  führte;  denn  der  Odryserkönig  Sitalkes,  dessen 
Eeich  sich  bis  an  den  Strymon  ausdehnte,  ging,  um  einen  Einfall 
nach  Makedonien  zu  machen,   über  das  Waldgebirge  Kerkine,   durch 


*  [Im  Text  Polyains  ist  jetzt  aus  dem  cod.  F  tni   lov  Äaxlßov  notafiov 
hergestellt]. 


Geographie  51 

welches  er  selbst  bei  einem  früheren  Angriff  auf  die  Päonier  ^inen 
Weg  hatte  lichten  lassen;  [199]  die  päonische  Stadt  Doberus  war  der 
Ausgangspunkt  für  die  weiteren  Einfalle  in  die  Thallandschaft  des 
Axios.  Des  Ptolemäus  Bertiskos  gehört  derselben  Gebirgslinie  an,  wie 
man  ans  der  von  ihm  erwähnten  bisaltischen  Stadt  Berta  sieht.  Zu 
eben  dieser  Gebirgsreihe  muß  das  Dysorongebirge  gehören,  über  dessen 
Lage  die  verschiedenartigsten  Ansichten  aufgestellt  sind.  Müller  (S.  30) 
glaubt  es  unmittelbar  im  Westen  des  Axiosstromes  ansetzen  zu  müssen, 
während  Cousinery  (I  S.  54)  in  dem  doppelt  gespitzten  Berge  Kortiah, 
eine  Stunde  östlich  von  Salonichi,  diesen  Dysoron  zu  erkennen  glaubt. 
Von  falschen  Voraussetzungen  ausgehend,  hat  Gatterer  (III  S.  83)  die 
Lage  des  Gebirges  im  allgemeinen  richtig  getroffen. 

Um  diese  Frage  zu  erörtern,  muß  ich  etwas  weit  ausholen.    Der 

Kette  westwärts  vom  Strymon  gegenüber  liegt  jenseit  des  Stromes  eine 

andere   nicht   minder    bedeutende,    der   Cousinery   irriger   Weise   den 

Namen    Kerkine  beilegt.    Wie   aber  ist  der  Name   dieses  Gebirges? 

Nach  Arrian  (I  1,  5)  zog  Alexander  von  Amphipolis   aus   zu   einem 

Einfalle  nach  Thrakien  über  den  Nestus,   indem  er  Philippi  und  das 

Orbelusgebirge  zur  Linken  hatte;   dies  kann  also  nur  zwischen  dem 

Strymon  und  dessen   östlichem  Nebenflusse  oder  zwischen  diesem  und 

dem  Nestus   oder  überhaupt   zwischen   Strymon   und   Nestus  liegen. 

Hierüber  entscheidet  eine  Stelle  Herodot«  (V  16);  er  sagt:  „Megabazus 

unterwarf  alle  Päonier  bis  iwm  See  Prasias,  nicht  aber  die  nördlichen, 

und  die  auf  folgende  Art  in  dem  See  wohnen:    es  stehen  zusammen- 

gejochte  Gerüste  auf  hohen  Pßhlen  mitten  im  See,  mit  einem  schmalen 

Zugange  vom  Lande  durch  eine  einzige  Brücke.     Die  Stützpfahle  für 

diese  Gerüste  stellten  ursprünglich  alle  Bürger  insgemein  auf,  hernach 

fährten  sie  den  Brauch  ein,  sie  in  folgender  Art  aufzustellen:    geholt 

werden  sie  von  einem  Gebirge,  mit  Namen  Orbelos,  und  für  jede  Frau, 

die  einer  heiratet,   stellt  er  drei  Pföhle  unter;   es  nimmt  aber  jeder 

viele  Frauen.    Jeder  hat  auf  dem  Gerüste  seine  eigene  Hütte,  in  der 

er  lebt,   und  seine  eigene  Fallthür,   die  von  dem  Gerüste  in  den  See 

hinabgeht.    Ihre  kleinen  Kinder  binden  sie  mit  einem  Seile  am  Fuße 

an,  aus  Sorge,  sie  möchten  hinunterfallen.   Ihren  Pferden  und  Ochsen 

geben  sie  Fische  zum  Futter,  deren  ist  aber  eine  so  große  Menge,  daß 

einer,  wenn  er  die  Fallthür  aufmacht,  und  am  Strick  eine  leere  Reuse 

in  den  See  läßt,  sie,  ohne  lange  zu  warten,  voller  Fische  heraufzieht". 

Auch  darüber  ist  Streit,  wo  der  Prasiassee  zu  suchen  sei;   d*An- 

viUe  hielt  ihn  für  den  See  Bolbe,  Larcher  (t.  IV  S.  196)  für  den  See 

unter  Philippi,   den  der  Angites   bildet;   aus  Cousinörys  Darstellung, 

der  beide   tadelt,   dürfte   nicht   leicht  seine  Ansicht  erkennbar  sein. 


52  Päonien  und  Dardanien 

Leake  hat  auch  hier  das  Richtige  gezeigt,  indem  er  ihn  für  den  vom 
Strymon  gebildeten  See  hält,  der  späterhin  gewöhnlich  der  kerki- 
ni tische  See  genannt  wird;  noch  heute  ist  der  See  überaus  fischreich 
(Cousinöry  I  S.  136),  und  wenn  Plinius  (IV  10)  von  dem  Strymon 
sagt,  in  Septem  locus  eum  fundi,  pritcsquam  dirigat  cursum,  so  scheint 
die  Erzählung  Herodots  eine  Emendation  septum  lamm  anzuempfehlen. 
Wenn  dies  der  Prasiassee  ist,  aus  dem  sich  die  darin  Wohnenden  ihre 
Pfahle  aus  dem  Orbelos  holen,  so  ist  dies  Gebirge  das  zunächst  gen 
Osten  liegende.  Freilich  scheint  dagegen  eine  Angabe  Strabons  zu 
sprechen  (VII  fragm.  10),  der  in  der  Gebirgslinie,  die  vom  adriatischen 
zum  schwarzen  Meere  streicht,  nach  einander  „den  Skardos,  Orbelos, 
Rhodope,  Hämos^'  nennt;  daß  seine  Bezeichnung  nur  oberflächlich  ist., 
lehrt  die  Angabe  über  den  Rhodope.  Nun  sagt  Herodot  ferner  (V  17): 
„vom  Prasiassee  sei  nach  Makedonien  ein  ganz  kurzer  Weg,  zuerst 
nämlich  folge  nach  dem  See  das  Bergwerk,  aus  dem  später  dem 
Alexander  täglich  ein  Silbertalent  eingekommen  sei,  und  nach  dem 
Bergwerke  gehe  es  über  das  sogenannte  Dysorongebirge,  so  sei  man 
in  Makedoniens^  Müller  glaubt  hier  das  eigentliche  und  alte  Make- 
donien verstehen  zu  müssen,  das  nicht  bis  an  das  rechte  Ufer  des 
Axios  reichte  (S.  30),  da  ja  das  hinzueroberte  Bergwerk  deutlich  davon 
unterschieden  werde;  demgemäß  setzt  er  das  Dysorongebirge  nordwärts 
von  Edessa  an.  Dies  scheint  minder  richtig;  Herodot  macht  jene 
Angabe  bei  Gelegenheit  einer  Sendung,  die  Megabazus  vom  Prasias 
nach  Makedonien  schickt,  und  zu  Makedonien  gehörte  damals  schon 
die  mygdonische  Landschaft,  denn  schon  den  vertriebenen  Pisistratiden 
wurde  vom  König  Amyntas  Anthemus  zum  Geschenke  angeboten 
(Herod.  V  94).  Leider  kennen  wir  die  Stelle  jenes  Bergwerkes  nicht 
genau  (doch  s.  u.),  aber  die  Lage  des  Dysoron  ergiebt  sich  mit  ziem- 
licher Bestimmtheit. 

Auf  der  rechten  Seite  hat  der  Strymon  einen  ziemlich  bedeutenden 
Nebenfluß,  der  im  Norden  der  beschriebenen  Gebirgskette  sich  ostwärts 
hinab  und  sich  oberhalb  der  Pässe  von  Demirhissar  ergießt;  dies  ist 
der  heutige  Fluß  von  Strumdja  (Strümnilza  oder  Radovitz),  in  welchem 
Namen  Leake  (III  S.  468)  den  alten  Namen  Asträus  wiederzuerkennen 
glaubt.  Der  Bisaltes  (Steph.  Byz.  v.)  ist  wahrscheinlich  das  kleine 
Gewässer,  das  sich  vom  Kerdylion  gegenüber  von  Amphipolis  in  den 
Strymon  ergießt.  Den  Fluß  Pontus  im  Lande  der  Sintier  (nach  Antig. 
Caryst.  c.  136  West,  im  Lande  der  Agrianer)  zu  finden,  mußte  nach  der 
von  Aristoteles  erwähnten  Eigentümlichkeit  desselben  (bei  Steph.  Byz.  v. 
2ivTia)  nicht  schwer  sein.  Auf  der  linken  Seite  hat  der  Strymon 
namentlich  einen  bedeutenden  Zufluß;  zwei  Flüsse  nämlich,  von  Norden 


Geographie  53 

her  der  von  Nevrokopo,  der  eine  Strecke  unterirdischen  Lauf  hat  (Leake 
in  S.  183  Cousin^ry  II  46),  und  von  Süden  her  ein  bei  den  Ruinen 
von  Philippi  vorüberströmendes  Gewässer,  vereinigen  sich  in  der  Nähe 
des  heutigen  Ortes  Anghista  und  gehen  mit  diesem  Namen  in  den 
strymonischen  See.  Mehrere  Gelehrte  und  zuletzt  namentlich  Müller 
haben  die  Ansicht  geäußert,  dieser  Fluß  von  Anghista  sei  der  Strymon 
der  Alten;  aber  die  Gründe  dafür  werden  sich  im  Verlaufe  der  Dar- 
stellung als  unzureichend  ergeben,  und  die  Überreste  alter  Namen  in 
den  heutigen  Struma  und  Anghista  lassen  keinen  Zweifel.  Denn  eben 
dieser  Strom  von  Anghista  ist  der  von  Herodot  (VII  113)  Angites, 
von  Appian  (bell.  civ.  IV  106)  Gangas  oder  Gangites  genannte,  der 
seine  Quellen  wenig  östlich  von  Philippi  hat  und  mit  mehreren  kleinen 
Zuflüssen  aus  dem  Pangäongebirge  verstärkt,  durch  eine  tiefe  und  den 
Überschwemmungen  aller  dieser  [200]  Bergwässer  ausgesetzte  Ebene 
zur  Vereinigung  mit  dem  Zygaktes  hineilt,  wie  man  nach  Appian  (bell. 
civ.  IV  105)  wohl  den  Fluß  von  Nevrokopo  nennen  darf. 

Das  soeben  genannte  Pangäongebirge  erfüllt  den  Kaum  zwischen 
dem  Strymon,  dem  Angites  und  dem  Meere;  man  sieht  aus  genaueren 
Beschreibungen  (Dio  XLVII  35  Appian  a.  a.  0.),  daß  dieser  Name  ost- 
wärts nur  bis  gegen  Neopolis  hin  reicht,  denn  nach  Dio  Cassius  heißt 
das  demnächst  folgende  Gebirge  Symbolen,  weil  es  die  Verbindung 
zwischen  dem  Pangäon  und  einem  landeinstreichenden  Gebirge  macht 
{xa&'  8  rd  ÖQog  heetvo  irigo)  rivi  äg  fieaöycciav  dvaretvovTi  avpißccX' 
}.ti)y  und  es  liegt  das  Symbolen  zwischen  Neopolis  und  Philippi  (Dio 
a.  a.  0.);  auch  bestätigt  dies  Strabons  genaue  Angabe,  „daß  Philippi  mit 
seinen  Goldbergwerken  nahe  an  dem  Pangäon  liege,  aber  auch  das 
Pangäon  habe  Goldbergwerke".  Die  Gegend,  wo  Pangäon  und  Sym- 
bolon  zusammenstossen,  gerade  nordwäits  über  Neopolis,  bildet  die 
Pässe  der  Sapäer.  Welchen  Namen  das  Gebirge  weiter  im  Norden 
zwischen  Nestus  und  Zygaktes  geführt  hat,  ist  nicht  erkennbiir.  Der 
Ä6<fog  Atovvaov  bezeichnet  nur  eine  einzelne  goldreiche  Höhe  bei 
Philippi  (Appian  a.  a.  0.).  Wenn  römische  Dichter  Philippi  am  Fuße 
des  Hämos  belegen  nennen  {laiosque  Haemi  svb  nipe  Philippos  Lucan. 
I  680  vgl  Virg.  Georg.  I  492),  so  ist  dies  gewiß  eine  Phrase,  und 
Cousinery  hätte  nicht  auf  solche  Autorität  den  Anfang  des  Hämus 
hierher  versetzen  sollen.  Fußend  auf  die  oben  angeführte  Stelle  Arrians 
(daß  Alexander  über  den  Nestus  gegen  die  Thrakier  gegangen  sei,  zur 
Linken  Philippi  und  den  Orbelos  lassend),  möchte  ich  eher  glauben, 
daß  der  Orbelos  sich  vom  Strymon  bis  zum  Nestus  und  zum  Symbolen 
hinzieht,  und  dies  um  so  mehr,  da  der  Fluß  von  Nevrokopo  keinen 
Gebirgsdurchbruch  bildet,  sondern  nach  dem  Berichte  der  Augenzeugen 


54  Päonien  und  Dardanien 

unterirdisch  weiter  fließt,  sodaß  das  Gebirge  in  einer  Linie  bis  zum 
Nestus  sich  fortsetzt.  Da  wo  sich  an  dieses  Gebirge  gen  Süden  hin 
das  Symbolen  ansetzt,  scheinen  die  Pässe  zu  sein,  in  denen  man  vom 
Harpessus  nach  Philippi  kommt,  ohne  das  Sapäergebirge  zu  berühren 
(Appian  a.  a.  0.).  Jenseit  des  Nestus  zieht  sich  nordwärts  hinauf  das 
schneeige  Rhodopegebirge,  das  sich  in  der  Quellgegend  des  Strjmon 
mit  dem  großen  ostwärts  streichenden  Hauptgebirgszuge  vereint. 

Die  so  umschlossene  Landschaft  ist  im  allgemeinen  das  Terrain 
der  päonischen  Stämme.  Die  älteste  Erwähnung  derselben  finden  wir 
im  Homer;  dieser  nennt  unter  den  Verbündeten  der  Trojaner  mehr- 
fach die  Päonier  vom  Axiosstrome  {Ilaiovag  äyxvloTÖ^ovg  IL  II  848, 
dohxeyx^^'S  H.  XXI  155,  InitoxoQvardg  IL  XVI  287,  ^|  'AiivÖcovoq^ 
Uli  'A^iov  BV()v  QkovToq  ib.  he  [latovhj^;  kQißciXaxoq  IL  XVII  350). 
Pyraichmes,  Hippasides,  Asteropaios  sind  ihre  Führer;  der  letzte  rühmt 
sich,  des  Pelagon  Sohn,  den  der  Strom  Axios  mit  Periboia  zeugte,  zu 
sein.  Nach  dieser  Angabe  zu  schließen,  waren  die  Päonier  urheimische 
Anwohner  des  Axioslandes.  Amydon  (v.  L  Abydon)  ist  nach  den  Er- 
klären! zum  Homer  eine  päonische  Stadt;  man  darf  wohl  an  die  Ähn- 
lichkeit des  Namens  Mygdonien  erinnern. 

Nach  Polybius  (XXIII  10)  hat  die  Landschaft  Emathia  früher 
Päonien  geheißen,  und  Justin  (VII  1)  sagt  von  derselben:  popuhis 
Peiasgi,  regio  Boeotia  (wofür  gewiß  Paeonia  zu  schreiben  i).  Müller 
deutet  diese  Angaben  so,  als  wenn  in  diesen  Gegenden  der  alte 
Name  Emathia  erneut  und  auch  auf  den  päonischen  Strich  am  Axios 
ausgedehnt  worden  seL  Allerdings  nennt  Homer  zwischen  Pierien 
und  Chalkidike  die  Landschaft  Emathia  (IL  XIV  226  vgL  Hymn. 
in  ApolL  Pyth.  39),  welcher  Name  dem  Lande  nach  dem  autoch- 
thonischen  Konige  Emathion  gegeben  ist  (Justin  VII  1  Solin  IX  12); 
aber  dieser  Name  ist  wohl  stets  im  Gebrauch  gewesen,  und  wenn 
Ptolemäus  unter  den  Städten  des  Landes  auch  Gordynia  und  Idomenä 
nennt,  so  sind  gerade  diese  in  dem  Streifen  päonischen  Landes,  der 
sich  am  Axios  herabzieht  (Thukyd.  II  99).  Hierzu  kommt,  daß 
eine  Menge  päonischer  Städte  uralte  griechische,  und,  wenn  man 
will,  pelasgische  Namen  tragen,  so  Alalkomenä,  Idomenä,  Europos, 
Atalante  u.  s.  w.;  und  vergleicht  man  endlich  die  Äußerung  des 
Aeschylos  in  den  Schutzflehenden  (V.  254),  der  den  König  PeLosgos 
sagen  läßt:  xcci  näaav  alav  Jj*;  Si  ''AXyog  (?)  e()X^Tai  ^tqvhcov  t€, 
nQÖq  SvovTog  ijkiov  xqcct&^  so  dürfte  man  sich  wohl  übeneugen,  daß 
die  ursprüngliche  Bevölkerung  im  Westen  des  Strymon  über  das  Axios- 
land  hinaus  bis  zum  illyrischen  Gebirge  der  urgriechischen  gleich  war. 

*  [BotÜa  lesen  jetzt  die  Herausgeber]. 


Ethnographisches  55 

Merkwürdig  sind  in  dieser  Beziehung  die  genealogischen  Mythen, 
in  denen  der  Stammheros  Päon  erwähnt  wird.  Nach  der  Sage,  die 
Müller  die  orchomenisch-thessalische  nennt,  erzeugte  Minjas,  der 
Stammheros  der  Minyer,  mit  Päons  Tochter  Phanosyra  den  thessalischen 
Orchomenos  und  Athamas  (Müller  Orchomenos  S.  141);  nach  einer 
anderen  Sage  (ebend.  S.  250)  heißen  Päon  und  Edonos  oder  Päon  und 
Alenops  Söhne  des  Poseidon  und  der  athamantischen  Helle,  der  Enkelin 
des  Aeolus;  eine  dritte  Sage  (Paus.  V  1,  2)  nennt  Päon  Epeios  und 
Aetolus,  Söhne  des  Endymion.  Freilich  giebt  es  auch  andere  Sagen; 
Appian  namentlich  berichtet  eine  seltsame  Genealogie  (Illyr.  2),  in  der 
keltische,  thrakische,  illyrische  Stämme  als  Söhne  des  Illyrios  aufgeführt, 
ja  die  Päonier  mit  den  Pannoniern  identificiert  werden;  aber  die  ganze 
Zusammenstellung  von  Yölkem  lehrt,  daß  sie  aus  sehr  später  Zeit 
stammen  muß.  Wieder  eine  andere  Stammessage  finden  wir  von  den 
strymonischen  Päoniem  geäußert;  sie  erklärten  dem  Könige  Darius, 
sie  stammten  von  den  Teukrem  in  Troja  (Herod.  V  13  vgl.  Müller 
Prolegomena  S.  351).  Aber  sind  diese  Teukrer,  die  mit  den  Darda- 
niem  gemeinschaftlich  Troja  hatten,  nicht  in  Wahrheit  pelasgisch? 
reden  sie  nicht  eine  andere  Sprache  als  die  Phryger  (Hom.  Hymn.  in 
Aphr.  113)?  und  dieser  Name  findet  sich  mit  makedonischer  Abwand- 
lung (Bryger  oder  Briger)  wieder  am  Bermiosgebirge,  wo  die  Rosen- 
gärten des  Midas  sind,  als  thrakischer  Stamm  (Herod.  VI  45  vgl. 
Müller  Makedon.  Volk  S.  51). 

Doch  es  genüge,  diese  Beziehungen  angedeutet  zu  [201]  haben;  wo 
nur  immer  der  Name  der  Pelasger  zu  nennen  ist,  beginnt  ein  so  weites 
Feld  der  Vermutungen,  daß  man  nicht  vorsichtig  genug  sein  kann. 
Von  der  Sprache  und  Religion  der  Päonier  wissen  wir  so  unendlich 
wenig,  daß  sich  auch  nicht  das  Geringste  daraus  folgern  läßt,  doch 
sind  die  päonischen  Namen,  geographische  so  gut  wie  Personennamen, 
gleich  sehr  von  thrakischen  und  illyrischen  Barbarennamen  unter- 
schieden, und  in  ihren  Wurzeln  stets  dem  Griechischen  entsprechend, 
in  ihren  Formationen  wenigstens  nicht  ohne  allgemeine  Analogie. 

Jedenfalls  also  saßen  wohl  seit  uralten  Zeiten  als  Autochthonen 
Päonier  am  Axios;  bis  zur  Küste  hinab  reichten  sie  nicht,  hier  zwischen 
Axios  und  Strymon  (Thukyd.  11  99)  wohnte  in  der  Landschaft  Myg- 
donien  ein  den  Phrygem,  d.  h.  Thrakiem,  verwandtes  Volk  (s.  Müller 
Makedon.  Volk  S.  52),  offenbar  stammverwandt  den  Brygem  im  Bermios. 
Schon  früh  sind  sie  von  den  Edonen  verdrängt  worden,  einem  angeb- 
lich auch  thrakischen  Volke  (Müller  Dorer  I  S.  9),  das  freilich  in 
ganz  anderer  Weise  thrakisch  ist,  wie  die  Völker  im  Osten  des  Stry- 
mon; die  Edonen  selbst  mußten  vor  der  wachsenden  Macht  des  make- 


56  Päonien  und  Dardanien 

donischen  Königtums  sich  bald  zurückziehen  und  jenseit  des  Strymon 
ansiedeln,  ebenso  wie  die  ihnen  stammverwandten  thrakischen  Pierier, 
während  die  Bottiäer,  ein  Volk  griechischen  Stammes  (Müller  Makedon. 
Volk  S.  52)  nach  der  Chalkidike  gingen  (Thukyd.  I  57,  65  II  79,  101). 
Daß  aber  hinter  dieser  thrakischen  Küstenbevölkerung  zwischen  Strymon 
und  Axios  sehr  bald  und  noch  südwärts  vom  Dysoron  päonische 
Stämme  heimisch  gewesen  sein  müssen,  dafür  zeugt  der  Weg,  den 
Xerxes  von  Akanthos  nach  Thermä  nahm;  denn  er  kam  Siä  rfjg 
Ilaiovixfjg  xal  KQrjffrcavixTjg  zu  dem  Echedoros,  und  zog  dann  nach 
Thermä  hinab  (Herod.  VII  124);  daß  dies  Päonike  ziemlich  in  der 
Nähe  des  Bolbesees  zusammengedrängt  gewesen,  sieht  man  daraus, 
weil  zu  Xerxes  Zeit  bereits  die  Bisalten  über  Argilos  und  der  Küste 
saßen.  Herodot  spricht  von  ihrem  Könige  thrakischen  Stammes  (Vin 
116),  und  Konon  (im  XX.  Buche  der  Snjyijatiq  bei  Photius  S.  134  a 
ed,  Bekker)  nennt  sie  ausdrücklich  ein  thrakisches  Volk;  in  ihrem 
Lande  lagen  die  beiden  Städte  Kerdylion  (Thukyd.  V  6)  und  Argilos 
(Herod.  VIII  15  Thukyd.  IV  103),  von  denen  wenigstens  der  letztere 
Name  nachweislich  thrakisch  ist  (Heraclid.  Pont.  41). 

Ob  dasselbe  von  ihren  nördlichen  Nachbarn,  den  Krestonäem,  gilt, 
ist  sehr  zweifelhaft,  wenn  auch  der  thrakische  Fürst  der  Bisalten  zu- 
gleich über  sie  herrschte.  Entschieden  dafür  spricht  Stephanus  Byz., 
der  Kreston  (Greston)  eine  thrakische  Stadt  nennt;  und  Thukydides 
nennt  bei  Beschreibung  des  Völkergemisches  auf  der  Chalkidike  „pelas- 
gisches  Volk  von  den  Tyrsenern,  die  einst  auch  Lemnos  und  Athen 
besetzt  hatten;  ferner  bisaltisches,  krestonisches  und  edonisches  Volk" 
IV  109).  Aber  Herodot  sagt  ausdrücklich  (I  57):  „die  noch  jetzt  vor- 
handenen Pelasger,  die  Einwohner  der  Stadt  Kreston,  oberhalb  der 
Tyrrhener  (auf  der  Chalkidike)";  er  fügt  hinzu,  „daß  die  Krestoniaten 
eine  barbarische  Sprache  führen  und  mit  keinem  ihrer  Nachbarn  zu- 
sammenstimmen", nämlich  so  weit  Herodot  sie  kennt,  und  er  hat  nur 
die  von  Thrakiem  besetzten  Städte  besucht.  Die  Wohnsitze  der  Kre- 
stonäer  waren  (Herod.  VII  127)  an  den  Quellen  des  Echedorus,  und 
die  Euinen  der  Stadt  Kreston  glaubt  Cousinery  noch  neben  der  Höhe 
von  Lakhana  erkannt  zu  haben;  er  berichtet,  daß  der  krestonisohe 
Teil  des  Gebirges  entschieden  von  dem  bisaltischen  getrennt  und  nur 
durch  weiten  Umweg  zugänglich  sei  (Voy.  11  56). 

Bereits  oben  ist  angefahrt  worden,  daß  sich  bis  in  die  make- 
donische Zeit  ein  Streifen  päonisches  Land  am  Axios  erhielt;  Thuky- 
dides (II  99)  sagt:  „auch  gewannen  die  temenidischen  Könige  vor 
Alexander  von  Päonien  einen  schmalen  Streifen,  der  am  Axios  von 
den  oberen  Gegenden  bis  Pella  und  zum  Meere  (dies  ist  nach  Herod. 


Ethnographisches  57 

Vn  123,  127  nicht  genau)  hinabreicht".     Gerade  dies  ist  das  Land, 
welches  noch  bis  zum  peloponnesischen  Kriege  als  besonderes  Fürstentum 
für  des  Königs  Bruder  Philipp   abgezweigt  war,   und   in   demselben 
lagen  die  Orte  Idomene,  Gortynia,   Atalante,   Europos,   auf  die  sich 
Sitalkes  von  Doberos  aus  warf  (Thukyd.  II  100).  Die  Lage  von  Doberos 
erkennt  man  aus  dem  Zuge   des  Sitalkes  mit   einiger  Bestimmtheit: 
„er  kam  dorthin  durch  das  öde  Gebirge  Kerkine,  zwischen  den  Päo- 
niem,  die  ihm  zur  Rechten,  und  den  Mädern  und  Sintiem,  die  ihm 
zur  Linken  blieben,  hindurch,  und  auf  diesem  Wege  stießen  viele  der 
freien  Thrakier  (Mader,  Sintier  und  andere  strymonische  Thrakier)  zu 
ihm;  er  kam  dann  nach  Doberos,  verwüstete  von  da  aus  die  oben  ge- 
nannten Orte,  zog  in  das  makedonische. Land,  das  links  von  Pella  und 
Kyrrhus  liegt,  und  verheerte,  ohne  Bottiäa  und  Pierien  zu  berühren, 
Mygdonien,  Krestonien   und  Anthemus  (Thukyd.  II  96,   100)".     Die 
Stadt  mußte  also  auf  der  Südwestseite  der  Kerkine  liegen,  sie  mußte 
noch  in  dem  Gebirge  liegen,   da  von  Doberos  aus  in  das  Land  des 
Philipp,   also  in  das  am  Flusse  liegende  Päonien,   eingefallen  wurde, 
sie  mußte  oberhalb  Krestonike  liegen,   das  vom  Sitalkes  auch  heim- 
gesucht wurde.  Alle  diese  Bestimmungen  machen  wahrscheinlich,  daß 
Doberos  entweder  Doiran  (Tauriana  der  Itinerarien)  selbst  war,   oder 
in  deren  Nähe  lag.    Auch  Plinius  (IV  10),   Ptolemäus  und  Stephan. 
Byz,  kennen  Doberos,  das  als  Jovßr]Qog  oder  JioßvQog  noch  in  den 
Byzantinern  vorkommt  (v.  Interpret,  ad  Steph.  Byz.  v.  JößijQog).  Wir 
werden  den  Namen  der  Doberer  noch  an  einer  anderen  Stelle  finden. 
Derselbe  Schriftsteller  fuhrt  aus  der  Alexandrias  des  Hadrian  die  Worte 
an:    oi  S*  i^ov  ^aroaiav  tb  Aößr^QÜ  rc  .  .  .  .   Diese  Astraia  nennt 
Steph.  Byz.  (v.   'Aaroaiü)  fehlerhaft  eine  illyrische  Stadt;  Livius  (XL 
24)  nennt  sie  Astraeum  Paeoniae;   offenbar  hieß  die  Landschaft  dieser 
Stadt  Astraia  und  gehörte  mit  Doberos  zu  dem  von  Livius  (XLII  51) 
Paroreia  genannten  Päonierlande. 

In  derselben  Stelle  nennt  Livius  die  parastrymonischen  Päonier. 
In  diesem  Namen  scheinen  einige  Stämme,  die  in  früherer  Zeit  unter 
besonderen  Namen  vorkommen,  begriffen  zu  sein.  Denn  Thukydides 
(II  96)  giebt  an,  „daß  der  Strymon,  aus  dem  Skomiosgebirge  ent- 
springend, durch  das  Land  der  Graäer  und  Leäer  (v.  1.  Aaiatoi  Steph. 
Byz.  Aalvoi)  fließe,  und  daß  sich  [202]  Sitalkes  Herrschaft  gegen 
Westen  über  die  Agrianer,  Leäer  und  andere  päonische  Völker  aus- 
gedehnt habe,  die  an  die  Graäer  und  den  Strymon  anstießen,  von  dort 
an  aber  beginne  das  unabhängige  Päonien".  Nordwärts  von  den  Leäem 
saßen  die  Agrianer;  Herodot  erwähnt  sie  obenhin  (V  16),  sie  sind  die 
Päonier,  aus  deren  Lande  der  Iskos  (Oiskos)  entspringt  (IV  49).    Bei 


58  Päonien  und  Dardanien 

Thukydides  sind  sie  mit  den  Leäern  die  westlichsten  ünterthanen  des 
Sitalkes,  nach  Strabon  (VII  fragm.  37)  waren  ihre  Sitze  an  den  Quellen 
des  Str}Tnon,  bei  der  Rhodope;  ungenau  nennt  Herodot  (VIII  115) 
ebenda  an  den  Quellen  des  Strymon  Thrakier.  Die  Hauptstadt  ihres 
Landes  war  nach  Leakes  Untersuchung  (III  S.  475)  Pantalia  (heute 
Gustendil),  und  daß  Steph,  Byz.  mit  Unrecht  nairaUa  fioiQa  QQ^xfi^ 
schreibt,  beweisen  die  Münzen  mit  der  Umschrift  TTANTAAEQ  EN 
nAIQ  oder  ZTPYMQN  (s.  Eckhel  Doctr.  I  2  S.  37)  ^ 

Unter  Demihissar  und  den  strymonischen  Engen  beginnt  der  Teil 
des  päonischen  Landes,  der  den  meisten  ethnographischen  Verände- 
rungen ausgesetzt  gewesen  ist;  wir  sind  wenigstens  für  einige  Epochen 
über  die  dortigen  Völker  und  ihre  Sitze  unterrichtet. 

Aus  Herodots  fünftem  Buch  erfahren  wir,  daß  die  Päonier  einmal 
einen  Heereszug  bis  Perinth  gemacht  haben.  Die  Zeit  demselben  kennen 
wir  nicht,  doch  sehen  wir  daraus,  daß  es  eine  Zeit  gegeben  habe,  in 
der  den  Päoniem  die  Pässe  zum  Nestos  noch  nicht  durch  thrakische 
und  edonische  Volker  gesperrt  gewesen  sind;  und  wenn  wir  nun  er- 
fahren, daß  ein  päonisches  Völkchen,  Doberer,  ostwärts  vom  Prasias 
noch  um  480  saß,  so  wird  es  wahrscheinlich,  daß  dieser  Name  von 
dem  oben  genannten  Doberos  her  übertragen,  also  diese  Gegend  von 
den  Päoniem  nicht  urheimisch  besessen,  sondern  zu  irgend  welcher 
Zeit  besetzt  worden.  Dies  mag  zu  der  Zeit  gewesen  sein,  wo  die 
Edonier  noch  in  Mygdonien  saßen  und  die  Pierier  noch  nicht  Neu- 
pierien  am  strymonischen  Meerbusen  besetzt  hatten. 

Die  erste  ausführlichere  Ethnographie  jener  Gegenden  datiert  sich 
von  der  Zeit  um  508.  Herodot  erzahlt  in  demselben  fünften  Buche 
die  schöne  Geschichte  von  den  beiden  Päoniem  Pigres  und  Mantyes, 
die  den  Befehl  des  Perserkönigs,  die  Päonier  nach  Asien  zu  über- 
siedeln, veranlaßten.  Megabazos,  der  Satrap  von  Thrakien,  unternahm 
deshalb  einen  Heereszug  gegen  Päonien.  Die  Päonier  zogen  an  das 
Meer  hinab,  weil  sie  meinten,  von  dorther  würden  die  Perser  kommen 
(wohl  durch  die  Pässe  über  Neopolis);  diese  aber  nahmen  den  oberen 
Weg  (wohl  den  vom  Flusse  Harpessos  nach  Drabeskos,  Appian  bell, 
civ.  IV  103),  fielen  in  die  von  Verteidigern  entblößten  Städte  der 
Päonier  und  nahmen  sie  ein;  dies  Päonierheer  zerstreute  sich,  die  Siro- 
päonen,  Päoplen  und  alle  bis  zum  See  Prasias  wurden  von  ihren  Sitzen 
losgerissen  und  nach  Asien  gebracht,  aber  die  Völker  am  Pangäon, 
die  Doberer,  Agrianer,  Odomanten,  die  am  See  Prasias  und  in  dem- 
selben Wohnenden  blieben  im  Lande.     Einige  Jahre   später  kehrten 


^  [Die  Stadt  hieß  nach  den  Münzen  IlavxaXia,  vgl.  Head  H.  N.  S.  244]. 


Ethnographisches  59 

die  meisten  von  diesen  Päoniem  über  Chios,  Lesbos  und  Doriskos  heim 
(Herod.  V  15,  98).  Was  zunächst  die  Siropäonen  (Siriopäonen  nach 
St€ph.  Byz.  V.  2iQiq)  betriflFt,  so  findet  man  später  diesen  Namen  nicht 
mehr  erwähnt;  aber  ihre  Stadt  Siris  {^irae  Liv.  XLV  4  in  Inschriften 
1/  2iQQuifov  %oki(;  Cousinery  I  S.  226,  heute  Serres)  ist  bekannt  und 
bestimmt  die  Lage  dieses  Stammes;  wenn  Livius  eben  diese  Stadt  dem 
Gebiete  der  Odomanten  zurechnet,  so  scheint  es,  daß  diese  in  den 
Besitz  der  früheren  Siropäonen  getreten  sind.  Die  Sitze  dei  Päoplen 
werden  wir  unten  näher  kennen  lernen.  Die  Päonen  im  Pangäon 
müssen  am  Nordabhange  dieses  Gebirges,  dessen  Süd-  und  Westseite 
die  Edonen  damals  schon  inne  hatten,  gesessen  haben.  Megabazus 
durchzog  offenbar  die  Ebene  des  Angites  und  der  östlichen  und  nörd- 
lichen Ufer  des  Prasias,  die  Päonier  am  See  (offenbar  auf  der  Süd- 
westseite) blieben  unbewältigt.  Daß  die  Edoner  schon  um  diese  Zeit 
zwischen  Strymon  und  Nestos  saßen,  wird  durch  den  Umstand  erwiesen, 
daß  bald  darauf  Darius  den  edonischen  Ort  Myrkinos,  der  nicht  an 
der  Küste  gelegen  zu  haben  scheint  (Leake  III  180),  verschenken 
konnte.  Ob  femer  schon  zu  dieser  Zeit  die  thrakischen  Stämme  der 
Bisalten,  Sapäer,  Mäder,  Sintier  u.  s.  w.  westlich  vom  Nestos  ansässig 
waren,  darüber  giebt  es  keine  bestimmte  Angabe;  doch  lehrt  ein  ent- 
scheidendes Beispiel,  daß  thrakische  Stämme  seit  dieser  Schwächung 
der  Päonier  einzudringen  begannen. 

Sehr  belehrend  ist  der  Zug  des  Xerxes  ums  Jahr  481  (Herod. 

Vn  110  ff.).    Xerxes   zog  durch   folgende   thrakische   Völker , 

Bistonen,  Sapäer,  Dersäer,  Edonen,  Satren,  von  denen  nur  die  Satren 
zu  allen  Zeiten  in  ihren  schneeigen  Bergen  unabhängig  geblieben  sind. 
„Nachdem  Xerxes  das  besagte  Stück  vorbei  war,  zog  er  zum  zweiten 
Male  an  den  Festen  der  Pierier  vorüber,  von  denen  die  eine  Phagres, 
die  andere  Pergamos  hieß;  an  diesen  Festen  zog  er  vorüber,  indem  er 
zur  Linken  das  metallreiche  Pangäon  ließ,  das  die  Pierier,  Odomanten 
und  besonders  die  Satren  inne  haben".  Da  die  Lage  von  Phagres, 
einige  Stunden  östlich  der  Strymonmündung  an  der  Stelle  des  heutigen 
Orfano,  sicher  ist  (Leake  III  178),  so  ist  Xerxes  bis  nahe  an  die 
Strymonmündung  gezogen,  dann  zurückgekehrt  und  an  denselben  Festen 
vorüber,  um  das  Pangäongebirge  herum  und  durch  die  Ebene  des 
Angites  gezogen.  Daß  er  die  Edoner  im  Pangäon  nicht  erwähnt,  ist 
auffallend,  daß  gar  die  Odomanten  und  Satren  bis  zum  Pangäongebirge 
vorgerückt,  ist  ein  Beweis,  wie  seit  der  Schwächung  des  päonischen 
Stammes  durch  Megabazus  die  thrakischen  Stämme  vorgedrungen  sind. 
„Alsdann  ging  er  bei  den  Päoniem,  die  oberhalb  des  Pangäon  gegen 
Norden  wohnen,  bei  den  Doberem  und  Päoplen  vorbei  gegen  Westen 


60  Päonien  und  Dardanien 

und  bis  zum  Strymou  und  zur  Stadt  Eion;  diese  Landschaft  am  Fangäon 
heißt  Phyllis  und  reicht  gegen  Abend  bis  zum  Angites,  gegen  Mittag 
bis  zum  Strymon;  bei  Enneahodoi  wurde  geopfert".  Das  Auffallendste 
in  diesen  Angaben  ist  die  Bezeichnung  der  Flüsse,  und  Müller  hat  aus 
derselben  folgern  wollen,  daß  der  wahre  Strymon  der  Angites  sei  und 
der  von  Osten  her  strömende  Fluß  der  Strymon;  aber  bei  der  Biegung, 
die  der  Strymon  unter  Amphipolis,  der  Angites  bei  seiner  Mündung 
in  den  See  [203]  macht,  kann  Herodots  Bezeichnung  noch  für  genau 
gelten.  Die  Doberer  hier  sind  natürlich  nicht  mit  denen  in  der  Paroreia 
zu  verwechseln,  wenn  sie  auch  von  ihnen  herstammen  sollten;  einen 
Ort  Domeros  kennen  noch  die  Itinerarien,  13  if.  P.  von  Amphipolis, 
19  if.  P.  von  Philippi  entfernt.  Nach  ihnen,  also  gegen  die  Südspitze 
des  Sees,  saßen  die  Päoplen,  dieselben,  die  mit  nach  Asien  zu  wandern 
gezwungen  worden  waren;  Enneahodoi  war  damals  noch  ein  unbedeu- 
tender Ort  und  gehörte  den  Edonen.  Übrigens  muß  man  bemerken, 
daß  Xerxes  ungeheures  Heer  notwendigerweise  in  mehreren  Kolonnen 
marschierte,  die  sich  dann  nur  von  Zeit  zu  Zeit  bei  größeren  Städten 
versammelten;  solche  waren  Doriskos,  Eion,  Akanthos,  Thermä,  und  zu 
ihnen  Vorräte  vorausgesandt  (Herod.  VII  23,  125).  Von  thrakischem 
Stamme  waren  aus  dieser  Zeit  gewiß  schon  die  Bisalten  westwärts  vom 
Strymon  ansässig,  deren  König  um  keinen  Preis  mit  Xerxes  ziehen 
wollte,  sondern  in  das  Rhodopegebirge  (zu  dem  nicht  unterworfenen 
Volke  der  Satren  wahrscheinlich)  flüchtete  (Herod.  VIII  116). 

Den  Rückweg  des  Perserheeres  durch  das  Pangäon  und  der  Edonen 
Land  über  den  gefrorenen  Strj^mon  beschreibt  Aeschylus  (Pers.  500); 
bei  den  Päoniern  in  Siris  blieben  viele  Erkrankte  zurück.  Der  Bisaltier- 
König  kehrte  in  sein  Land  heim  (Herod.  VIII  115,  116). 

Einige  Jahre  später  bemühten  sich  die  Athener  an  der  Stelle  von 
Enneahodoi,  dem  edonischen  Orte,  ihre  Kolonie  Amphipolis  zu  be- 
gründen (Thukyd.  I  100  Diod.  XII  68  ff.)  „da  die  Athener  in  das 
innere  Land  der  Thrakier  vorrückten,  so  wurden  sie  von  der  Gesamt- 
macht der  Thrakier  bei  dem  edonischen  Orte  Drabeskus  geschlagen", 
daß  der  Ort  Drabeskus,  der  dem  heutigen  Dharma  entspricht,  edonisch 
ist,  macht  die  ethnographische  Schwierigkeit  jener  Gegend  nur  noch 
größer;  daß  die  Edonen  sich  gegen  die  thrakischen  Stämme  so  bedeutend 
ausgedehnt  haben  sollten,  ist  nicht  wahrscheinlich;  eher  glaublich 
scheint  es  mir,  daß  sich  zwischen  den  Edonen  am  Strymon  und 
denen  von  Drabeskus  die  thrakischen  Stämme  bis  zum  Pangäon  hinein- 
gedrängt haben,  wodurch  denn  auch  Herodots  Angabe  beim  Zuge  des 
Xerxes,  „er  sei  durch  das  Land  der  Sapäer,  Dersäer,  Edonen,  Satren 
gekommen",   den  Sinn  gewönne,   daß  diese  vier  Stämme  nicht  nach 


Ethnographisches  61 

einander,  sondern  von  verschiedenen  Kolonnen   ziemlich   gleichzeitig 
dorchzogen  wären. 

Wieder  eine  andere  Ansicht  gewahren  diese  Landschaften  zur  Zeit 
des  peloponnesischen  Krieges.  Es  war  in  Thrakien  das  Reich  der 
Odrysen  durch  Tereus  gegründet  und  hatte  bereits  um  480  unter 
Tereus  Sohn,  Sitalkes,  bedeutende  Ausdehnung  gewonnen;  südwärts 
erstreckte  es  sich  bis  Abdera  und  über  die  Sapäer  (Gatterer  III  78), 
westwärts  bis  zum  Oiskos  und  Strymon,  sodaß  die  Agrianer,  Leäer 
und  die  zunächst  wohnenden  Fäonier  zu  demselben  gehörten  (Thukyd. 
n  96).  Unabhängig  waren  die  jenseit  des  Strymon  wohnenden  Thra- 
kier,  die  Panäer,  Odomanten,  Droer,  Dersäer  (II  101).  Sitalkes  machte 
seinen  Einfall  nach  Makedonien  auf  folgendem  Wege:  ,,zuerst  zog  er 
dnrch  sein  eigenes  Gebiet  (bis  zum  oberen  Strymon),  dann  durch  die 
Kerkine,  das  die  Grenze  zwischen  den  Fäoniem  und  Sintiern  macht, 
gegen  Doberos,  zur  Rechten  die  freien  Päonier,  zur  Linken  die  Sintier 
und  Mäder  lassend.  Auf  diesem  Zuge  erlitt  Sitalkes  keinen  Verlust, 
sondern  sein  Heer  mehrte  sich,  da  sich  ihm  viele  freie  Thrakier  des 
Raubes  wegen  anschlössen  (Thukyd.  II  98,  das  waren  wohl  Sintier, 
Mader,  Bisalten)^^  In  diesen  Angaben  erscheinen  zum  ersten  Male  die 
beiden  thrakischen  Stämme  der  Sintier  und  Mäder  im  Westen  des 
Piusias.  Herodot  nennt  sie  noch  nicht  bei  dem  Zuge  des  Xerxes,  sie 
müssen  damals  noch  nicht  dort  gewesen  sein;  wohl  aber  kennt  er  in 
jenen  Sitzen  „nordwärts  von  den  Krestoniern"  thrakische  Stämme  (V  5). 
Nach  Strabon  sind  diese  Sintier  dieselben,  die  Homer  als  Bewohner 
von  Lemnos  nennt  (Gatterer  III  S.  56  S.  Baehr  zu  Herod.  VII  110); 
wie  es  sich  auch  mit  ihrem  Ursprünge  verhalten  mag,  jedenfalls  sind 
sie  auch  nach  Hesychius  ausdrücklichem  Zeugnisse  ein  thrakisches 
Volk,  und  die  Lage  ihrer  Hauptstadt  Heraklea  ist  nach  Leake  (III  227) 
dem  heutigen  Zervokli  entsprechend.  Die  Mäder  saßen  zwischen  den 
Sintiem  und  Bisalten  {ad  Bisaltas  usque  Plin.  H.  N.  IV  11);  iii 
spaterer  Zeit  finden  sich  Mäder  als  thrakisches  Volk  auch  im  Norden 
des  päonischen  Ijandes  (s.  u.).  Auffallend  ist  in  den  Angaben  des 
Thukydides,  daß  er  die  Odomanten  als  thrakisches  Volk  nennt,  während 
sie  Herodot  deutlich  zu  den  Päoniern  rechnet,  die  Megabazus  nicht 
unterworfen.  Mit  Thukydides  stimmt  Aristophanes  in  den  Achamem, 
der  die  Odomanten  als  Thrakier,  die  der  König  Sitalkes  den  Athenern 
zur  Hilfe  sendet,  einführt;  aus  beiden  haben  Steph.  Byz.  und  Suidas 
ihre  Angaben.  Thukydides  scheint  mir  ohne  Zweifel  die  entscheidende 
Autorität  zu  sein,  da  er  lange  Zeit  jenen  Völkern  nahe  wohnte  und 
seine  Angaben  sehr  genau  sind:  „es  fürchteten  sich  vor  Sitalkes 
wachsender  Macht  die  jenseit  des  Strymon  gegen  Norden  wohnenden 


62  Pftonien  und  Dardanien 

Thrakier,  so  viele  deren  in  der  Ebene  wohnen  {Saoi  neSia  eJ/ov),  die 
Panäer  und  Odomanten  und  Droer  und  Dersäer".  Also  die  in  den 
Bergen  fürchteten  sich  nicht,  diese  waren  die  unabhängigen,  schwert- 
tragenden Thrakier,  welche  meist  in  dem  ßhodope  wohnen,  Dier  genannt 
wurden  und  dem  Sitalkes  freiwillig  folgten.  Das  zu  Xerxes  Zeit  so 
mächtige  Volk  der  Satren  mit  ihrem  Priesterstamme  Bessi  wird  nicht 
genannt;  vielleicht  waren  gerade  diese  thrakischen  Stämme,  die  sich 
in  die  ehemals  päonischen  Gegenden  hinabgedrängt  hatten,  Teile  jenes 
größeren  Stammes;  wenigstens  blieben  die  Bessi  noch  lange  Jahr- 
hunderte unabhängig  in  den'  hohen  Gegenden  der  Rhodope.  Dieses 
Stammes  mußten  die  Dersäer  (Deräer  bei  Steph.  Byz.,  Darsier  bei  Hekat 
Miles.,  Deris  ein  Emporium  bei  Skylax)  und  die  Droer  (die  man  nicht 
mit  Gatterer  und  Poppe  Thukyd.  I  II  S.  380  hinauswerfen  darf), 
vielleicht  auch  die  Odomanten  sein;  die  Panäer  dagegen  sind  nach 
Steph.  Byz.  ein  edonischer  Stamm.  Aus  Thukydides  Angabe  ersieht 
man,  daß  diese  Stämme  sämtlich  die  Ebene,  nämlich  die  zwischen 
Orbelus,  Symbolen  und  Pangäon  inne  hatten. 

So  scheint  sich  die  Gestalt  des  östlichen  Päoniens  seit  der  Zeit 
der  Perserkriege  gar  sehr  verwandelt  zu  haben;  thrakische  Stämme 
waren  eingerückt,  hatten  sich  über  [204]  die  Ebene  des  Angites  und 
des  Prasias  bis  zur  Kerkine  und  den  Engen  des  Strymon  ausgebreitet, 
und  auch  die  Päonier  im  Osten  des  oberen  Strymon,  die  Agrianer, 
Leäer  und  andere  waren  unter  odrysische  Herrschaft  gekommen.  Von 
weiteren  Veränderungen  in  jenen  Gegenden  bis  auf  Philipps  Zeit  sind 
wir  nicht  unterrichtet;  dieser  König  machte  den  Nestus  zur  Ostgrenze 
Makedoniens  (Strabo  VII  fragm.  33),  und  Alexander  kämpfte  im  Jahre 
335  gegen  die  sogenannten  freien  Thrakier  auf  dem  rechten  Ufer  des 
Nestus,  indem  Philippi  und  der  Orbelus  zu  seiner  Linken  waren. 

So  viel  genüge  zur  Orientierung  in  den  Ländern  der  strymonischen 
Päonier;  sie  scheinen  nicht  weitere  Umwandlungen  durch  den  Heereszug 
der  Triballer  bis  Abdera  (Diod.  XV  36)  und  durch  die  makedonische 
Eroberung  erlitten  zu  haben;  die  Ansiedelung  der  Autariaten  in  Orbelus 
durch  Kassander  betraf  das  von  Odomanten  besetzte  Gebiet;  s.  u.  Auch 
die  Züge  der  Gallier,  das  durch  sie  veranlaßte  Drängen  der  Völker 
thrakischen  Stammes,  obschon  das  gallische  Reich  Tyle  nicht  ohne 
Einfluß  auf  die  strymonischen  Landschaften  geblieben  sein  kann,  be- 
traf gewiß  mehr  die  nördlichen  Päonier.  Namentlich  gingen  die 
Dentheleten  {Demeletae  Cicero  in  Pison.  34  Plinius  IV  11)  über 
das  Skomiosgebirge  südwärts,  und  drängten  sich  ziemlich  tief  in  das 
päonische  Land  hinein  (Polyb.  XXIII  8  Liv.  XXXIX  53  XL  22). 
Auch   die  Mäder   müssen  sich  erst  nach  Alexander,   also   nicht  von 


Ethnographisches  63 

den  Triballem  oder  Autariaten,  sondern  erst  von  den  Kelten  ge- 
drängty  über  den  Skomios  südwärts  gezogen  haben;  sie  besetzten  das 
Land  bis  zu  den  oberen  Ebenen  des  Axios,  und  Desudaba  war  noch 
in  ihrem  Lande  (Leake  III  S.  472);  sie  reichten  ostwärts  bis  an  den 
dardanischen  Stamm  der  Thunaten;  sie  benutzten  jede  Entfernung  der 
makedonischen  Heeresmacht  zu  immer  neuen  Einß,llen  und  der  Zug 
des  Königs  Philipp  gegen  sie  läßt  ihre  Sitze  an  den  Quellen  der  Morava 
deutlich  erkennen  (Polyb.  X  41,  4.  Liv.  XXVI  25  vgl.  Leake  a.  a.  0.). 

Südwärts  von  diesen,  im  Westen  des  Strjmon,  wo  zu  Sitalkes  Zeit 
das  Land  der  unabhängigen  Päonier  war,  scheint  der  Sitz  des  päonischen 
Königtums,  von  dem  unten  des  Weiteren  zu  sprechen  sein  wird,  ge- 
wesen zu  sein;  wo  bloß  Päonien  genannt  wird,  z.  B.  bei  der  römischen 
Teilung  Makedoniens,  ist  gerade  dieser  Teil  des  Landes  ostwärts  mit 
Einschluß  Astraias,  westwärts  bis  über  den  Axios  und  Stobi  hinaus 
gemeint.  Nach  Polyän  (IV  12)  lag  hier  am  Astykos  die  Residenz, 
und  in  dem  Flusse  wurde  das  königliche  Weihebad  gehalten;  später 
zu  erwähnende  Vorfalle  bestätigen  diese  Vermutung;  die  Residenz  selbst 
war  Astibon  auf  dem  Wege  von  Stobi  über  Pantalia  nach  Serdika; 
aber  die  bedeutendste  Stadt  Päoniens  war  Bylazora  (Polyb.  V  97  Liv. 
XLIV  27),  die  man  mit  Bestimmtheit  in  dem  heutigen  Velesa  wieder 
erkennt.  Sie  war  besonders  wichtig  als  Posten  gegen  die  Dardaner, 
und  die  Nähe  dieses  kriegerischen  Volkes  mag  der  Grund  gewesen  sein, 
daß  nicht  sie  zum  Königssitze  genommen  wurde.  Zu  diesem  Päonien 
im  engeren  Sinne  scheint  noch  Stobi  [Stobae  Paeoniae  Liv.  XXXni  19) 
gehört  zu  haben,  obschon  Ptolemäos  sie  mit  zu  Pelagonien  rechnet. 

Westlich  vom  Axios  am  oberen  Laufe  des  Erigon  lag  die  Land- 
schaft Deuriopos  (Liv.  XXXIX  53  Paeoniae  ea  regio  est).  Als  Städte 
dieses  Landes  {ai  r&v  AevQioitimv  nöXeig)  nennt  Strabo  (VII  327)  Bry- 
annion,  Alalkomenä,  Stymbara;  er  fügt  hinzu,  daß  sie  sämtlich  am 
Erigon  lagen.  Aus  den  Zügen  des  Königs  Philipp  gegen  den  Consul 
Sulpicius  (Liv.  XXXI  39)  sieht  man,  daß  Stymbara  (Stubera)  nörd- 
licher lag  als  Bryannion.  Über  die  Lage  von  Alalkomenä  (Alkomenä 
Arrian*  Ind.  18)  ist  nichts  überliefert. 

Gleichfalls  päonisch  ist  die  Landschaft  Pelagonia  (Strabo  VII  327 
Plin.  IV  10  u.  8.  w.);  ihre  Lage  erkennt  man  aus  dem  Wege  Philipps, 
der,  nachdem  er  eine  Grenzposition  gegen  die  Dardaner  {Dardanorum 
vrbem  in  Macedonia  sitam  transHum  Dardanis  factura/m  Liv.  XXVI  25) 
gewonnen  hatte,  per  Pelagoniami  et  Lyncum  et  Bottiaeam  in  Thessaliam 
descendit.  Als  Hauptstadt  wird  bei  der  römischen  Einteilung  Pelagonia 
genannt  (XLV  29).  Strabon  sagt:  rQinoXiq  ij  Ilelccyovia  ^yevBro, 
und  zu   dieser  Dreistadt   gehöre,   wie   zu   der  perrhäbischen  Tripolis 


64  Päonien  und  Dardanien 

(einem  pelasgischen  Ursitz),  ein  Ort  Azoros.  Von  dem  heutigen  Bitolia 
oder  Monastir  berichtet  Leake,  daß  die  Einwohner  römischen  Ruinen 
neben  der  Stadt  den  Namen  Tripolis  gaben,  sodaß  hier  die  Stelle  der 
Tripolis  Pelagonia  erkennbar  ist.  Aus  diesem  Teile  Pelagoniens  ver- 
proviantierte sich  Sulpicius,  als  er  von  Lynkestis  aus  gegen  Stubera 
vorrückte  (Liv.  XXXI  39).  Hier  waren  auch  die  Pässe  nicht  fem, 
die  aus  dem  Dardanerlande  nach  Pelagonien  führten;  als  Philipp  aus 
denselben  seine  Truppen  zurückzog,  war  der  Weg  zugleich  den  Dar- 
dauern  und  lUyriern  offen.  Beweis  genug,  daß  es  nicht  die  Pässe^  die 
am  Axios  zum  Dardanerlande  führten,  sein  konnten  (Liv.  XXXI  33. 
34  Polyb.  XXVIII  8).  Wahrscheinlich  gehörte  auch  zu  Pelagonien 
die  Stadt  Antigoneia  (Plin.  IV  10),  die  nach  der  Peutingerschen  Tafel 
12  M.  P.  von  Stobi  auf  dem  Wege  nach  Thessalonich  lag. 

Weiterhin  in  Lynkestis,  Elymaia  und  Orestis  saßen  Maketer,  Ma- 
kedner  oder  Makedonier,  denen  man  nach  Müllers  trefflicher  Unter- 
suchung, wie  ich  glaube,  mit  Unrecht,  illyrischen  Ursprung  zuschreibt. 
Daß  diesen  altmakedonischen  Stanmien  andere  von  thrakisch-phr}'- 
gischem  Ursprung  am  Bermios  und  bei  Edessa,  andere  edonische 
und  pierische  Thrakier  nach  den  kambunischen  Bergen  zu  in  ältesten 
Zeiten  nahe  gewesen,  ist  oben  bemerkt  worden.  Doch  sind  Spuren 
vorhanden,  daß  auch  päonische  Stämme  südwärts  über  das  Boragebirge 
hinausgereicht  haben.  Plinias  sagt  (IV  10)  ab  hoc  amne  {Axio)  Paeo- 
niae  gentes  Parorei  Heordenses,  Almopi,  Pelagones,  Mygdones.  Freilich 
haben  wir  schon  oben  die  Mygdonier  dem  phrygischen  Stamme  zu- 
schreiben müssen,  und  dies  macht  die  ganze  Stelle  verdächtig  (Müller 
S.  39).  Die  Almopier  nennt  auch  Thukydides  unter  den  Völkern,  die 
von  den  makedonischen  Königen  aus  ihren  Sitzen  vertrieben  worden 
(II  99),  und  Ptolemäos  kennt  noch  die  Gegend  [205]  um  Europus 
unter  dem  Namen  Almopia;  mit  Recht  erklärt  sie  Müller  (Orchomenos 
S.  139,  249)  für  einen  alten  Minyerstamm,  aber  ihre  Sitze  sind  nach 
Ptolemäos  (vgl.  Mannert  VII  S.  490)  am  Axios,  also  daß  Almopia  ein 
anderes  ist  als  das  an  der  thessalischen  Grenze  (gegen  Müller  Mak.  Volk 
S.  15),  und  nach  dem  früher  Gesagten  muß  Europus  noch  in  dem 
Streifen  päonischen  Landes  am  Axios  gelegen  haben.  Über  die  Eor- 
däer  scheint  ein  Zeugnis  Herodots  (VII  185),  der  Thraker,  Päoner, 
Eordäer  neben  einander  nennt,  gegen  Plinius  zu  sprechen,  und  leider 
ist  Steph.  ^Byz.  v.  fehlerhaft.  Thukydides  (II  99)  sagt,  die  makedo- 
nischen Könige  vertrieben  auch  die  Eordäer,  von  denen  die  meisten 
umkamen,  einige  aber  sich  nach  Physke  in  Mygdonien  flüchteten,  und 
Dexippus  berichtet  (Euseb.  Arm.  169  ed.  Mai),  Karanos  habe  sich  mit 
den  Oresten  gegen  die  Eordäer  (bei  Syncell  und  dem  griech.  Eusebius 


Geschichtliches  65 

steht  Dardaner)  vereinigt  und  durch  ihre  Besiegung  sein  Reich  he- 
gründet.  Suidas  in  den  Genealogien  sagt  (bei  Steph.  Byz.  v.  14fivQog), 
daß  die  Amjräer  erst  Eorder,  dann  Leleger,  Kentauren,  Hippokentauren 
genannt  worden  seien;  so  finden  wir  bei  den  Eordäem  eine  ähnliche 
Erscheinung  wie  bei  den  Pelagoniem,  und  die  Umwandlung  der  Namen 
führt  gewiß  eher  auf  pelasgi^ch-griechischen  Ursprung  zurück  als  auf 
thrakischen  oder  illyrischen.  Aber  angenommen,  daß  nach  diesen 
dunkeln  Spuren  einst  Päonier  im  Eordäerlande  gewohnt  haben,  so  sind 
diese  in  den  frühesten  Zeiten  durch  das  Vordringen  des  Karanos  und 
des  illyrisch-makedonischen  Stammes  yerschwunden. 

Aus  allen  diesen  ethnographischen  Bestinmiungen  scheint  sich  zu 
ergeben,  daß  der  päonische  Stamm,  mag  er  dem  pelasgischen  gleich 
gewesen  sein  oder  nicht,  in  frühesten  Zeiten  eine  größere  Ausdehnung 
gehabt  hat,  als  wir  sie  in  den  geschichtlichen  finden,  daß  vor  allen 
das  Vordrängen  des  illyrisch-makedonischen  Geschlechtes  ihn  von  Süden 
und  Westen  her  zurückdrängte,  daß  er  selbst  sich  eine  Zeit  hindurch 
ostwärts  auszubreiten  suchte,  daß  ihm  von  dieser  Seite  her  bald  thra- 
kische  Stänmie  entgegentraten  und  sich  in  seine  Sitze  drängten,  daß 
endlich  von  Norden  her  andere  illyrische,  thrakische,  mit  Galliern  ge- 
mischte Völker  von  päonischen  Ländern  Besitz  nahmen.  So  stellt  sich 
die  Geschichte  des  päonischen  Volkes  als  ein  allmähliches  Zusammen- 
schmelzen und  Verkommen  dar. 

tTber  die  Geschichte  der  päonischen  Stämme  ist  ungemein  wenig 
überliefert;  ein  guter  Teil  des  Wenigen  hängt  mit  den  ethnographischen 
Veränderungen  so  nahe  zusammen,  daß  Wiederholungen  hier  nicht 
ganz  zu  vermeiden  sein  werden.  Die  Geschichte  dieser  und  der  um- 
liegenden Landschaften  hat  ihren  Mittelpunkt  in  der  des  makedonischen 
Königtums  der  Temeniden,  von  dem  deshalb  hier  in  der  Kürze  mit 
zu  handeln  sein  wird. 

Mag  Perdikkas  oder  Karanos  der  Gründer  des  Königtums,  mögen 
die  Midasgärten  im  Bermiosgebirge  oder  Edessa  der  Ausgangspunkt 
desselben  gewesen  sein,  jedenfalls  galt  das  königliche  Geschlecht  selbst 
für  ein  herakUdisches  aus  Argos  und  das  erste  Gebiet  des  Pursten 
muß  in  der  Gegend  des  Bermiosgebirges,  wo  Edessa  oder  Aegä  bis  in 
späte  Zeit  der  Herd  ihrer  Herrschaft  blieb,  gewesen  sein  (Müller  S.  25). 
Nach  der  oben  angeführten  Sage  war  es  der  Sieg  über  die  Eordäer, 
durch  welchen  die  Temeniden  den  Grund  ihrer  Herrschaft  legten;  von 
hier  aus  begann  sich  dieselbe  bald  auszudehnen.  Es  ist  bemerkens- 
wert, daß  ziemlich  früh  genealogische  Sagen  im  Umlauf  waren,  welche 
das  makedonische  Volk  mit  den  griechischen  Heroen  in  Verbindung 
bringen;  schon  Hesiod  sagt:  „Thyias  gebar  dem  Zeus  den  Magnes  und 

Droysen,  Kl.  Schriften  L  5 


66  Päonien  und  Dardanien 

den  rosseliebenden  Makedon,  die  in  Pierien  und  am  Olymp  wohnten" 
(bei  Müller  Dorier  I  S.  4);  und  Hellanikos  (fr.  46  M.)  nennt 
Makedon  einen  Sohn  des  Aiolos,  ja  die  Erzählung  Herodots  (I  56), 
daß  der  dorische  Stamm  aus  Histiäotis  vertrieben  und  um  Pindus 
wohnend  der  makednische  hieß,  ist  so  einfach  und  zuversichtlich  aus- 
gesprochen, daß  man  wohl  Anstand  nehmen  muß,  dem  entgegen  die 
Makedonier  auf  illyrischen  Ursprung  zurückzuführen.  Die  Gründe  und 
die  Autorität  Strabos  kommen  dagegen  nicht  auf,  wenn  auch  der 
Temenide  Alexander  bei  den  olympischen  Spielen  für  einen  König  über 
Barbaren  galt;  es  muß  doch  die  Makedonia  für  ein  ebenso  hellenisiertes 
Land  gelten,  wie  es  die  Bevölkerungen  des  Peloponnes  durch  die 
dorischen  Einwanderungen  wurden.  Diese  Makedner  sind  natürlich 
noch  ein  gutes  Stück  hinter  den  Doriem  und  hinter  dem,  was  man 
Hellenen  nennt,  zurück  und  gewähren  allerdings,  in  der  historischen 
Zeit  wieder  hervortretend,  den  Anschein  von  Barbaren;  aber  von  den 
Illyriem  sind  sie  durchaus  verschieden.  Von  diesen  makednischen 
Gegenden  aus  begründeten  die  Temeniden  im  Süden  des  Eordäerlandes 
ihre  Herrschaft,  d.  h.  sie  makedonisierten  die  früher  thrakisch-phry- 
gischen,  thrakisch-pierischen,  päonisch-pelasgischen  Distrikte  im  Westen 
des  Axios,  die  von  nun  an  das  untere  Makedonien  im  Gegensatze  gegen  die 
früher  makedonisierten  Landschaften  des  oberen  Landes  hießen,  und  denen 
entsprechend  wenigstens  auch  die  Makedonier  in  dem  Kirkos  [?  der  Lyn- 
kestisStraboVII  326]  nachweislich  ein  dorisches  Fürstengeschlecht  hatten. 

Das  Wachstum  des  makedonisch -temenidischen  Fürstentums  be- 
schreibt Thukydides  (II  99):  „zusammengebracht  sei  es  von  Alexander  I. 
und  dessen  Vorfahren  (also  bis  zur  Zeit  der  Perserkriege);  diese  hätten 
zuerst  die  Pierier  aus  Pierien  vertrieben,  und  die  Bottiäer  aus  Bottiäa; 
auch  sei  von  ihnen  der  schmale  Streif  päonischen  Landes  am  Axios 
bis  Pella  und  zum  Meere  erobert  werden,  ebenso  Mygdonien  bis  zum 
Axios,  aus  welchem  Lande  sie  die  Edoner  vertrieben;  ebenso  hätten 
sie  die  Eordäer  aus  ihrem  Lande  und  die  Almopier  verdrängt,  und 
auch  die  Krestonier  und  die  Bisaltier  und  Anthemus,  sowie  einen 
großen  Teil  der  Makedonier  selbst,  unterworfen".  Ein  Teil  dieser  letzt- 
genannten Occupationen  ist  erst  nach  den  Perserkriegen  gemacht  worden. 

Den  Temeniden  muß  ihre  Verbindung  mit  den  Perserkönigen  viel- 
fachen Nutzen  gebracht  haben;  der  edle  Perser  Bupares  hatte  des 
Königs  Alexander  Schwester  geheiratet,  und  dieser  soll  Xerxes  bewogen 
haben,  dem  makedonischen  Könige  alles  Land  zwischen  Olymp  und 
Hämus  zu  schenken  (Justin  VII  4).  Jedenfalls  ist  von  ihm  das  bisal- 
tische  und  krestonische  Land,  vielleicht  auch  der  Streifen  am  Axios, 
erobert  worden. 


Geacbicbtlicbes  67 

[206]  Wir  finden  nämlich  um  die  Zeit  des  großen  Perserzuges 
einen  thrakischen  Eonig  über  Bisaltien  und  Krestonien,  der  flüchtig 
sein  Land  verließ,  aber  nach  479  zurückgekehrt  zu  sein  scheint;  in 
seinem  Lande  ostwärts  Ton  Dysoron  lagen  die  Silberbergwerke,  aus 
denen  späterhin  dem  König  Alexander  täglich  ein  Talent  einkam 
(Herod.  V  17);  diese  Angabe  und  dieser  veränderte  Besitz  wird  durch 
Münzen  bestätigt  Man  findet  Silberstücke  von  altertümlichem  Gepräge, 
auf  der  einen  Seite  haben  sie  einen  Mann  mit  der  Kausia  und  zweien 
Lanzen  in  der  Hand  bei  einem  rechtsschreitenden  Pferde,  mit  der 
Umschrift  BIIAATIKON,  auf  der  anderen  Seite  ein  quadratum  in- 
eu9uin;  dann  findet  man  andere  Münzen  mit  ganz  ähnlichem  Gepräge 
und  dem  quad.  ine.,  die  aber  statt  jener  Umschrift  AAEEANAPO 
haben  (Mionnet  I  470,  506  Suppl.  III  48,  177  Cousinöry  II  S.  180  ff., 
wo  die  Abbildungen).  Ebenfalls  hierher  gehören  die  Münzen  der  Stadt 
Ossa,  die  Ptolemäos  zum  bisaltischen  Lande  zählt  und  deren  Buinen 
wahrscheinlich  die  des  heutigen  Soho  sind  (Cousinery  II  58);  sie  haben 
Mann  und  Roß,  wie  die  obigen  Münzen,  und  in  dem  qtuidr,  im.  die 
sehr  altertümliche  Inschrift  OIIEQM  (Mionnet  Suppl.  III  49  pl. 
Y  6.  7  Millingen  Ancient  coins  S.  38  Cousinery  a.  a.  0.),  deren  aller- 
dings sehr  auffallende  und  sonst  wohl  nur  in  Italien  und  Kreta  vor- 
kommende Endung  den  großen  Eckhel  veranlaßte,  IIQMOZ  als 
Magistratename  zu  lesen  \  Gold-  und  Silberbergwerke  fanden  sich  nach 
Strabos  Zeugnisse  (VII  firagm.  36)  auch  diesseits  des  Strymon  bis 
Päonien  hin,  und  in  Päonien  soll  man  beim  Pflügen  Stücke  reines 
Gold  aufgescharrt  haben.  Ob  in  diese  Gegend  auch  die  Stadt  Nysa 
gehört,  die  Steph.  Byz.  eine  thrakische  nennt,  und  deren  Münzen  die 
Umschrift  NYIA  •  EN  •  TJMQ  tragen?  (Eckhel  D.  N.  I  2  S.  36); 
da  in  späterer  Zeit,  der  jene  Münzen  angehören,  diese  strymonischen 
Gegenden  nicht  Päonien  geheißen  haben,  so  wird  Nysa  wohl  irgendwo 
nördlicher  gelegen  haben. 

Der  päonische  Landesstreif  am  Axios  war  dem  Philipp,  dem 
Bruder  des  Perdikkas  (Thukyd.  I  57),  als  Fürstentum  gegeben  worden, 
und  dessen  Sohn  Amyntas  zum  makedonischen  Throne  zu  befordern 
unternahm  Sitalkes  seinen  mehrfach  erwähnten  Peldzug  (Thukyd.  II 
95,  100).  In  ähnlicher  Weise,  wie  dieses  Fürstentum,  verhielten  sich 
zum  Königtume  der  Temeniden  die  übrigen  Fürstentümer  im  oberen 
Makedonien.  Thukydides  sagt  (II  99)  „im  oberen  Makedonien  sind 
die  Elimioten  und  Lynkesten  und  andere  Völker,  die  zwar  den  Make- 
donien! verbündet  und  unterthänig  sind,   aber  doch  eigene  Fürsten 

'  [Die  Legende  der  Münze  wird  jetzt  MOIIEQ  gelesen], 

5* 


68  Päonien  und  Dardanien 

haben".  Mit  dieser  TJnterthänigkeit  war  es  ebenso  wenig  bei  Philipp 
wie  bei  den  anderen  Fürsten  zu  allen  Zeiten  sehr  ernstlich  gemeint. 

So  das  Fürstentum  Elimiotis.  Diese  Landschaft  mag  von  Alexander, 
Amyntas  Sohne,  unterworfen  worden  sein;  beim  Anfange  des  pelopon- 
nesischen  Krieges  ist  Derdas,  der  Sohn  des  Aridaus,  des  Sohnes 
Alexanders,  also  ein  Neffe  des  Perdikkas  und  Philipp,  Fürst  des  Landes 
(Schol.  zu  Thukyd.  I  57);  mit  Philipp  gemeinschaftlich  lehnte  er  sich 
gegen  Perdikkas  auf,  trat  mit  den  Athenern  gegen  ihn  in  Bund  und 
seine  Brüder  fielen  aus  dem  oberen  Lande  in  Perdikkas  Land  ein 
(Thukyd.  I  57,  59).  Auf  diesen  Fürsten  bezieht  Cousinöry  (II  S.  193) 
eine  Münze,  deren  Monogramm  allerdings  AEP  gelesen  werden  kann; 
ein  Sohn  oder  Bruder  von  ihm  war  Pausanias  nach  dem  Scholiasten 
zu  Thukydides  (I  61).  Etwa  50  Jahre  später  wird  ein  anderer  Derdas 
(wahrscheinlich  des  vorigen  Enkel)  als  Fürst  von  Elimiotis  genannt, 
der  mit  ungemeiner  Tapferkeit  die  Spartaner  gegen  Olynth  unterstützte 
(Xenoph.  Hell.  V  2,  38  fiF.);  über  sein  Verhältnis  zu  Amyntas  dem 
Kleinen  s.  Aristot.  Pol.  VIII  (V)  10;  noch  bei  Philipps  Regierungsantritte 
war  er  unabhängiger  Fürst,  und  vermählte  seine  Schwester  Phile  mit  dem 
Könige  (Athen.  XIII  S.  557);  mit  diesem  zog  er  um  350  gegen  Olynth 
und  wurde  gefangen  genommen  (Theopomp,  bei  Athen.  X  S.  436). 
Dieses  Derdas  Bruder  war  Machatas,  der  sich  in  der  Umgebung  Philipps 
aufhielt  (Plut.  apophth.  v.  fPiXtitTtog);  es  scheint,  daß  seit  Derdas  Ge- 
fangennehmung Elimiotis  aufhörte  unabhängig  zu  sein;  aber  dem  eli- 
miotischen  Fürstenhause  war  noch  hoher  Glanz  beschieden;  schon 
Machatas  Sohn  Harpalos  war  unter  Philipp  (Demosth.  in  Aristocr. 
149)  und  noch  mehr  unter  Alexander  in  hohem  Ansehen,  das  er 
freilich  durch  frevelhaften  Leichtsinn  gegen  Ende  seines  Lebens  ver- 
scherzte. Machatas  anderer  Sohn  war  Philipp,  der  unter  Alexander 
Satrap  von  Indien  wurde  (Arrian.  V  8,  3),  und  dessen  Sohn  wieder 
war  Antigonus  der  Einäugige,  jener  Held  der  Diadochenzeit,  dessen 
Sohn  Demetrius  der  Städtebezwinger,  dessen  Enkel  Antigonus  Gonata^^, 
dessen  weiteres  Geschlecht  das  herrschende  Königshaus  Makedoniens 
bis  zur  Eroberung  der  Römer  war  (s.  meine  Geschichte  der  Nachfolger 
Alexanders  Tabelle  V). 

Das  Fürstentum  der  Oresten  befand  sich  im  Anfange  des  pelopon- 
nesischen  Krieges  in  der  Hand  des  Antiochus  (Thukyd.  II  80);  viel- 
leicht derselbe  Fürst  war  es,  dessen  Bündnis  gegen  die  Lynkestier 
König  Archelaus  suchte  und  deshalb  ihm  und  seinem  Sohne  seine 
Töchter  vermählte  (Arist.  Pol.  VIII  (V)  10).  Unter  Alexander  finden  wir 
Perdikkas,  des  Orontes  Sohn,  aus  Orestis  (Arrian.  VI  28,  4);  er  führt 
die  Phalanx  der  Orestier  und  Lynkestier  (Diod.  XVII  57),   er  ist  aus 


Geschichtliches  69 

königlichem  Geschlechte  (Gurt.  X  7,  8);  was  liegt  näher  als  zu  ver- 
muten,  daß  sich  in  ihm  das  orestische  Fürstengeschlecht  fortgepflanzt? 

Merkwürdiger  ist  das  lynkestische  Fürstentum;  das  regierende  Ge- 
schlecht rühmte  sich  aus  dem  Stamme  der  korinthischen  Bakchiaden 
zn  sein  (Strabo  VII  326);  aus  diesem  herrschte  um  die  Zeit  des  pelopon- 
nesischen  Krieges  Arrhabaios,  des  Bromeros  Sohn  (Strabo  a.  a.  0.  Thuiyd. 
IV  79,  83),  der,  mit  Perdikkas  im  Streit,  Gefahr  lief,  von  der  ver- 
einigten Macht  der  Makedonier  und  Spartaner  in  seinem  Lande  ange- 
griffen zu  werden;  gegen  ihn  suchte  Archelaos  die  Freundschaft  des 
orestischen  Fürsten  (Arist.  a.  a.  0.).  Ich  habe  früher  vermutet,  daß 
Aeropos,  der  Usurpator  Makedoniens  um  396,  aus  diesem  Geschlechte 
gewesen  sei  (Geschichte  Alexanders  des  Gr.  S.  38  I*  1  S.  76);  jedenfalls 
ist  das  lynkestische  Fürstengeschlecht  in  die  Verwandtschaft  des  make- 
donischen [207]  Hauses  übergegangen;  des  obengenannten  Arrhabaios 
Tochter  war  Irrha,  die  Mutter  jener  Eurydike,  die  mit  Amyntas  ver- 
mählt den  Alexander,  Perdikkas  und  Philipp  gebar  (Strabo  a.  a.  0.). 
Ihre  nahen  Verwandten,  wahrscheinlich  ihrer  Mutter  Neffen,  sind  die 
hTikestischen  Brüder  Arrhabaios,  Hieromenes,  Alexander,  die  gegen 
Philipp  und  Alexander  mannigfache  Umtriebe  machten  und  die  Hand 
nach  der  makedonischen  Krone  auszustrecken  wagten;  hierauf  gründete 
sich  die  Vermutung,  daß  eben  ihr  Vater  Aeropos  der  einstige  König 
Makedoniens  und  dessen  Sohn  und  Nachfolger  Pausanias  ihr  ältester 
Bruder  gewesen  sei  (Gesch.  d.  Nachfolger  Alex.  Tab.  IV). 

Auch  das  Land  Parauaia,  am  oberen  Laufe  des  Aous,  hatte  um 
die  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  einen  eigenen  Fürsten,  Oroidos 
(Thukyd.  II  80);  daß  es  wahrscheinlich  unter  Philipp  makedonisch  ge- 
worden, sieht  man  aus  dem  Vertrage,  den  Pyrrhus  im  Jahre  295 
schloß  und  infolge  dessen  er  Tr}i/  rs  ^rvfKpaiav  xal  rtjv  IlaQccvaiav 
(statt  xal  rrjv  nagaliav)  TTjg  MaxiSoviaq  erhielt  (Plut.  Pyrrh.  6). 

Endlich  darf  man  wohl  auch  ein  Fürstentum  Stymphäa  nennen. 
Ein  Teil  der  Stymphäer  waren  die  Aethiker  an  den  Quellen  des  Peneios, 
ein  barbarisches  und  räuberisches  Volk  (Marsyas  bei  Steph.  Byz.  v. 
Alß:.)  als  dessen  König  {itQÖnoq)  Lykophron  den  berühmten  „Poly- 
sperchon  den  Stymphäer"  bezeichnet  (vgl.  Tzetzes  zu  Lycoph.  800). 
Nimmt  man  dazu,  daß  Polysperchons  Vater  Simmias  hieß,  daß  ein 
Simmias  unter  den  Söhnen  des  vornehmen  Stymphäers  Andromenes 
war  (Gesch.  d.  Nachfolger  Alex.  Tab.  XI),  daß  Polysperchon  in  Alexan- 
ders Heere  die  stymphäische  Phalanx  führte  (Diod.  XVII  57),  so  ergiebt 
sich,  daß  wir  in  dieser  Familie  vielleicht  ein  stymphäisches  Fürsten- 
geschlecht zu  erkennen  haben. 

So   die  Fürstentümer  im   oberen  Makedonien,   die   zur  Zeit  des 


70  Päonien  und  Dardanien 

peloponnesischen  Krieges  bereits  verbündet  und  nnterthänig  dem  make- 
donischen Königtum,  unter  Philipp  und  Alexander  demselben  ganz 
einverleibt  erscheinen. 

Auch  nach  der  thrakischen  Seite  hin  grenzten  mit  dem  Königtum 
selbständige  Fürstentümer;  von  diesen  lernen  wir  aus  der  Zeit  des 
peloponnesischen  Krieges  das  der  Odomanten  unter  PoUes  kennen 
(Thukyd.  V  6),  der  den  Athenern  Beistand  leistete.  Aus  derselben  Zeit 
finden  wir  den  edonischen  König  Pittakos  erwähnt,  der  durch  die  Söhne 
des  Goaxis  und  dessen  Frau  Brauro  ermordet  worden  (Thukyd.  IV 
107).  Einen  anderen  edonischen  König  lernt  man  aus  einer  Münze 
kennen,  deren  Legende  TETAI  HAONEON  BAIIAEYI  lautet  (Mil- 
lingen  Ancient  coins  S.  42),  nach  dieser  Umschrift,  dem  quad.  ine. 
und  dem  Typus  zu  urteilen,  ist  sie  älter  als  der  peloponnesische  Krieg; 
denn  den  Typus  und  die  ungemeine  Schwere,  sagt  Millingen,  hat  sie 
mit  einer  oreskischen  Münze  gemein,  die  auf  der  einen  Seite  das  regel- 
mäßig geteilte  quad.  ine.  hat,  auf  der  anderen  einen  Mann  mit  der 
makedonischen  Kausia  und  zwei  Speeren,  der  ein  Paar  Ochsen  führt. 
Auf  dieser  Münze  ist  die  Umschrift  OPPHIKION  in  altertümlichen 
Zügen,  auf  anderen  oreskischen  Münzen  findet  man  bisweilen  das  Wort 
mit  einfachem  P  oder  auch  QPHIKIQN  (Mionnet  Suppl.  III  37 
Cousinery,  Sestini,  Cadalvene,  Dumersan  u.  s.  w.),  doch  wechselt  die  Dar- 
stellung auf  den  oreskischen  Münzen,  namentlich  hat  Cousinery  Münzen 
von  dieser  Umschrift,  die  ein  qitad,  ine,  und  einen  mit  der  Kausia 
versehenen,  ein  anspringendes  Pferd  haltenden  Mann  oder  einen  Ken- 
tauren mit  einer  sich  sträubenden  Dirne  im  Arme  darstellen.  Genau 
dieser  letzte  Typus  findet  sich  auch  auf  Münzen  mit  der  sehr  alter- 
tümlich geschriebenen  Legende  TETAION  (nicht  AETAION,  wie 
Mionnet  und  Cousinery  lesen),  zwei  von  diesen,  die  bei  Cousinery  (II 
180)  abgebildet  sind,  haben  in  dem  quad.  ine,  einen  Helm  und  die 
eine  bei  diesem  das  retograde  NOIATEF  und  unter  dem  Helme  PET  ^. 
Endlich  giebt  es  eine  Münze  mit  der  Umschrift  QRHIKIQN,  die 
auf  der  Kehrseite  gleichfalls  den  Helm  und  bei  dem  Namen  ein 
Fischchen  hat  (Cousinery  II  S.  180),  welches  sich  auf  alten  Münzen 
von  Thasos  (das  im  Pangäon  Bergwerke  hatte)  und  von  Amphipolis 
wiederfindet  und  nach  Cousinerys  Angabe  Ähnlichkeit  mit  einer  Gat- 
tung von  Fischen  hat,  die  noch  jetzt  im  Prasias  gefangen  werden.  Es 
liegt  sehr  nahe,  diese  Sachen  in  Verbindung  zu  bringen;  der  Edoner- 
könig  Getas  wird  eine  Stadt  seines  Namens  und  eine  Stadt  Oreskos 
besessen  haben.    Die  oreskischen  Münzen  hat  man  bald  den  Oresten 


*  [Die  Legende  ist  AETAION  zu  lesen,  von  der  Stadt  Lete]. 


Geschichtliches  7 1 

im  oberen  Makedonien,  bald  der  Stadt  Orestias,  der  späteren  Adria- 
nopolis,  zugeschrieben,  aber  weder  die  Legende  der  Münzen,  noch  die 
sonstigen  Umstände  lassen  das  zu;  die  Formation  des  Namens  ist  ähn- 
lich der  von  Doriskos,  Drabeskos;  die  Kausia,  mehr  noch  das  Fischchen, 
spricht  für  die  Gegend  des  Prasias,  in  dessen  Nähe  fast  alle  die  obigen 
Münzen  gefanden  werden.  Die  Münzen  der  Getäer  und  Oreskier 
müssen  verschollenen  Orten  am  Pangaon  zugehört  haben,  und  finden 
wir  nun  denselben  Helm  im  gitad,  ine,  umschrieben  mit  APXEAAO 
(Cousinery  II  pl.  7  nr.  9),  so  scheint  es  nicht  unwahrscheinlich,  daß 
gegen  Ende  des  peloponnesischen  Krieges  durch  eben  diesen  make- 
donischen König  jene  edonische  Gegenden  in  Besitz  genommen  worden. 
Daß  die  Münzen  mit  der  Umschrift  TPAIAION,  die  gleichfalls  in 
der  Nähe  des  Sees  gefunden  werden,  dem  von  Steph.  Byz.  v.  xQdyiXo^j 
in  den  Itinerarien  Triulo  genannten  Ort  angehören,  hat  Leake  (III  229) 
erwiesen;  eine  Erklärung  hat  von  ihnen  Raoul-ßochette  gegeben  und 
im  Augusthefte  des  Journal  des  Savans   1836  zu  verteidigen  gesucht. 

Für  die  ältere  Geschichte  des  päonischen  Stammes  fehlen  uns 
selbst  diese  numismatischen  Überlieferungen;  es  ist  keine  bestimmte 
Angabe  darüber  vorhanden,  ob  sie  unter  verschiedenen  Fürsten  verteilt 
gewesen  oder  nicht  Doch  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  daß  sie  eine 
Herrschaft  bildeten.  Die  beiden  Päonier  Mantyas  und  Phagres  kamen 
zum  Darius  nach  Sardes,  um  durch  seine  Vermittelung  Tyrannen  in 
ihrer  Heimat  zu  werden;  sie  sagten  aus,  Päonien  sei  am  Strymonflusse 
belegen  {ettj  ry  Ilaiovh}  inl  toj  2tqvulovi  nenolKTfisvi]  Herod.  V  13). 
So  erscheinen  die  dortigen  Päonier  gesondert  von  ihren  westlichen  und 
nördlichen  Stammgenossen.  Bereits  oben  ist  ausgeführt  worden,  wie 
dies  Verhältnis  zu  Persien  für  Päonien  der  Anfang  großen  Unheils 
wurde  und  wie  [208]  namentlich  von  jener  Zeit  an  das  Vordringen 
thrakischer  Stämme  beginnt.  Fünfzig  Jahre  später  sind  bereits  die 
Agrianer,  Leäer  und  andere  Stämme  links  vom  Strymon  den  Odrysen 
unterthänig,  das  einst  päonische  Land  südostwärts  von  der  Kerkine 
und  den  Strymonpässen  von  thrakischen  Stämmen  besetzt,  das  päonische 
Land  am  unteren  Axios  unter  makedonischer  Botmäßigkeit.  Der  schnelle 
Sturz  des  Odryserreiches  wird  die  Päonier  am  oberen  Strymon  wieder 
befreit  haben.  Wie  sie  sich  bei  dem  großen  Zuge  der  Triballer,  die  im 
Jahre  376  bis  gegen  Abdera  vordrangen,  verhielten,  ist  nicht  überliefert 

Erst  mit  Philipp  beginnt  uns  einige  Kenntnis  über  Päonien  zuzu- 
kommen. Um  das  Jahr  360  war  der  König  Perdikkas  in  einer  großen 
Schlacht  gegen  die  Ulyrier  gefallen.  Das  Reich  war  in  höchster  Ver- 
wirrung, ein  Kronprätendent  rückte,  von  einem  thrakischen  Fürsten 
unterstützt,  heran,  ein  anderer,  von  den  Athenern  unterstützt,   drang 


72  Päonien  und  Dardanien 

von  der  Chalkidike  aus  bis  Aegä  vor;  die  Päonier,  die  nahe  bei  Make- 
donien wohnten,  brachen  plündernd  über  die  Grenzen.  In  solcher  Not 
ergriflF  Philipp  das  Regiment,  er  sendete  an  die  Päonier  und  wüßt« 
die  einen  durch  Geschenke,  andere  durch  friedliche  Anträge  zu  ge- 
winnen (Diod.  XVI  2,  3);  auch  der  anderen  Feinde  wurde  er  bald 
teils  durch  Unterhandlungen,  teils  durch  Gewalt  Herr.  Man  erkennt 
aus  jenen  Angaben,  daß  die  Päonier  damals  nicht  unter  einiger  Hoheit 
waren,  man  darf  nach  späteren  Yorfällen  annehmen,  daß  wenigstens 
die  Agrianer  ein  abgesondertes  Fürstentum  bildeten.  Jahres  darauf 
starb  der  päonische  Fürst  Agis  und  diese  Zeit  benutzte  Philipp  zu 
einem  Einfall  in  das  päonische  Land,  er  besiegte  sie  und  zwang  sie 
zum  Gehorsam  {rovg  ßuQßaQovg  vtxriauii  ijvüyxaas  rö  i&voq  nei&ao- 
XBiv  Totg  MaxeSö(Tt  Diod.  XVI  4). 

Wir  übergehen  Philipps  schnelle  Fortschritte  während  der  nächsten 
Jahre,  die  Einnahme  von  Pydna,  die  Wiederbesetzung  von  Amphipolis, 
die  Gründung  von  PhilippL  Mit  Sorgen  sahen  die  nächstwohnenden 
Völker  dies  Wachstum  der  makedonischen  Macht;  einzeln  zum  Wider- 
stände zu  schwach,  hofften  sie  durch  ein  Bündnis  ihm  gewachsen  zu 
sein;  so  vereinigten  drei  Könige,  der  der  Thrakier,  der  Päonier  und 
Illyrier,  ihre  Macht;  aber  Philipp  kam  ihnen  zuvor  und  zwang  sie  zum 
Gehorsam  {t]vdyxa(Ts  nQoa&ia&ai  rotg  MccxbS6(ti  Diod.  XVI  22). 
Also  trotz  der  früheren  Bewältigung  des  von  Agis  beherrschten  Päo- 
niens  war  dort  ein  eigener  König  geblieben. 

Um  das  Jahr  349  kämpft«  Philipp  gegen  Olynth,  mit  ihm  war 
der  Fürst  Derdas  von  Elimiotis;  die  Athener  schickten  den  Olynthiem 
ein  Heer  unter  Chares  zu  Hilfe,  der  einen  Sieg  über  Philipps  ^ivoi 
imter  Führung  des  Adaios,  den  man  den  Hahn  nannte,  erkämpfte 
(Athen.  XII  S.  532).  In  der  Geschichte  der  Nachfolger  Alexanders 
(^S.  617)  habe  ich  versucht,  diesen  Adaios  dem  päonischen  Königshause 
zu  vindicieren.  Der  Name  ist  von  dem  makedonischen  Worte  äS?], 
welches  Himmel  bedeutet  (Sturz  de  dial.  Mac.  S.  44),  abzuleiten.  Es 
giebt  Münzen  mit  seinem  Namen,  die  man  wegen  eines  falsch  gelesenen 
Monogrammes  auf  Heraklea  Sintika  bezogen  hat;  eine  von  diesen  führt 
die  Buchstaben  AE  1  (Dumersan  descr.  du  cab.  AUier  S.  31),  andere 
die  Monogramme  j^,  und  l^j.  Adaios  scheint  Fürst  der  Päonier  ge- 
wesen zu  sein,  und  dem  Philipp,  als  Verbündeter,  Truppen  {^ivoi), 
zugeführt  zu  haben;  er  kam  vor  Olynth  um  (s.  d.  Komiker  Her^lides 
und  Antiphanes  bei  Athen,  a.  a,  0.  und  Zenob.  prov.  VI  34). 

Schon  in  den  letzten  Lebensjahren  Philipps  unterhielt  der  Agrianer- 
fürst  Langaros  freundliche  Verbindungen  mit  Alexander  (Arrian  I  5,  2). 
Ob  sich  bei  Philipps  Tode  die  übrigen  Päonier  mit  den  meisten,  dem 


Geschichtliches  73 

makedonischen  Königtum  unterworfenen  Völkern  empört  haben ,  ist 
nicht  ganz  sicher.  Nur  Diodor  erzählt  die  Kämpfe  gegen  die  nörd- 
lichen und  westlichen  Völker  während  des  Jahres  335  kurz  zusammen- 
fassend: „Alexander  habe  die  empörten  Thrakier  wieder  unterworfen, 
habe  auch  die  Fäonier  und  Illyrier  und  die  ihnen  benachbarten  Länder 
angegriffen  nnd  viele  der  dort  heimischen  Barbaren,  die  abgefallen 
waren,  besiegt  und  alle  Barbaren  in  der  Nachbarschaft  sich  dienstbar 
gemacht  (XVII  8)".  In  der  ausführlicheren  Schilderung  dieser  Kämpfe 
bei  Arrian  werden  die  Päonier  nicht  erwähnt,  aber  freilich  erscheinen 
sie  nicht  wie  die  Agrianer  schon  bei  diesen  ersten  Kriegen  Alexanders 
als  Hilfetruppen  (Arrian  I  1,  11).  Wichtiger  ist,  daß  Arrian  (15,  1) 
angiebt,  Alexander  sei  bei  der  Nachricht  vom  Einfalle  der  Illyrier  gen 
Pelion  von  der  Donau  zurückgeeilt  durch  das  Land  der  Agrianer  und 
Päonier  (also  auf  der  serdischen,  nicht  auf  der  skupischen  Straße,  daher 
ist  denn  auch  Justins  Angabe,  er  habe  die  Dardaner  besiegt,  unwahr- 
scheinlich, XI  1).  Die  Autariaten  im  Norden  des  Skomios  wollten  ihm 
den  Weg  verlegen,  Langaros  übernahm  ihre  Bewältigung,  der  König 
lohnte  es  ihm  mit  reichen  Geschenken  und  verlobte  ihm  seine  Halb- 
schwester Kynane;  doch  starb  der  Fürst  vor  der  Vermählung  (Arrian  I  5). 

Bei  den  asiatischen  Feldzügen  zeichneten  sich  im  Heere  Alexanders 
namentlich  die  Agrianer  unter  ihrem  Führer  Attalos  (Arrian  II  9,  2) 
aus;  auch  Päonier  waren  bei  dem  Heere,  sie  standen  unter  Ariston 
(Arrian  11  9,  2  und  sonst). 

Erst  mit  dem  Jahre  310  erhalten  wir  wieder  bestimmtere  Nach- 
richt von  den  Päoniem.  Damals  waren  die  Autariaten  aus  ihren  Sitzen 
aufgebrochen;  in  großer  Bedrängnis  sprach  der  Päonierfürst  Audoleon 
den  damaligen  Machthaber  in  Makedonien,  den  Kassander,  um  Hilfe 
an,  der  denn  die  Autariaten  bewältigte  UTid  den  ganzen  Volksstamm, 
gegen  20000  Menschen,  in  dem  Orbelos  ansiedelte  (Geschichte  der 
Nachfolger  Alex.^  S.  402).  Dieser  Audoleon  heißt  in  einer  später  zu 
erwähnenden  Inschrift  Sohn  des  Patraos  oder  Patraios,  und  wir  werden 
bald  einen  Sohn  von  ihm  unter  dem  Namen  Ariston  erwähnt  finden. 
Nun  giebt  es  Münzen  von  sehr  verschiedenem  Gepräge  mit  der  Um- 
schrift TTATPAOY  (Mionnet  I  S.  451);  aus  ihrem  Typus  erkennt 
man  die  makedonische  Nachbarschaft  und  ungefähr  Alexanders  Zeit 
Wenn  nun  des  Fürsten  Audoleon  Vater  Patraos  geheißen,  so  ist  es 
wohl  so  gut  wie  gewiß,  daß  der  auf  den  Münzen  genannte  derselbe  ist. 
Als  Alexander  nach  Asien  zog,  waren  die  Päonier  unter  Führung  eines 
Ariston;  gewiß  hatte  [209]  der  König  nach  seiner  bekannten  Maxime 
(Frontin.  II  11,  3  Justin.  XI  5)  den  päonischen  Fürsten  selbst  mit- 
zuziehen veranlaßt    Dies  ist  um  so  eher  glaublich,   da  eben   dieses 


74  Pftonien  und  Dardanien 

Führers  Namen  wieder  Audoleons  Sohn  tragt.  Wenn  so  Ariston  der 
Päonierfürst  um  334  war,  so  fragt  es  sich,  in  welchem  verwandtschaft- 
lichen und  chronologischen  Verhältnisse  derselbe  zu  Patraos  gestanden 
haben  mag.  Ich  glaubte  sonst  (s.  meine  Abhandlung  über  das  päonische 
Fürstentum  unten  S.  79  ff.),  daß  Patraos  älter  als  Ariston  und  sein 
und  Audoleons  Vater  gewesen  sei.  Dies  scheint  mir  nicht  mehr  glaub- 
lich. 1)  Audoleon  war,  da  er  zwar  schon  310  regierender  Fürst  ist, 
aber  erst  290  eine  Tochter  Termählt  (s.  u.)  und  287  sein  Sohn  noch 
fiBiQÜxiovy  also  gewiß  nach  310  geboren  ist,  wohl  nicht  vor  334  ge- 
boren, und  gerade  in  diesem  Jahre  wäre  denn  schon  sein  Bruder 
Ariston  als  Führer  der  Päonier  mit  ins  Feld  gerückt?  Diese  Schwierig- 
keit ist  gering,  aber  doch  beachtenswert.  2)  Von  Patraos  und  Audo- 
leon sind  zahlreiche  und  verschiedenartige  Münzen;  wäre  Patraos  Zeit- 
genosse Philipps,  so  müßte  das  allerdings  auffallen,  die  Perserkriege 
konnten  reiche  Beute  und  die  A\'irren  der  Diadochenzeit  eine  selb- 
ständigere Macht,  als  Philipp  gegenüber  zu  behaupten  war,  gebracht 
haben;  ja,  irre  ich  nicht,  so  sind  auch  die  Embleme  der  Münzen,  der 
stehende  Adler,  der  Reiter,  der  den  schwerbewaffneten  Feind  nieder- 
wirft u.  s.  w.,  eher  im  Sinne  einer  späteren,  als  der  Philippischen  Zeit. 
So  glaube  ich,  Ariston  ist  der  Vater,  mindestens  der  Vorgänger  des 
Patraos,  und  unter  Alexander  mit  nach  Asien  gezogen;  Patraos  mocht<e 
während  der  Zeit  des  lamischen  Krieges  und  mehr  noch  während  der 
Kämpfe  zwischen  Olympias  und  Eurydike  Gelegenheit  haben,  der 
päonischen  Macht  größere  Unabhängigkeit,  als  sie  zu  Alexanders  Zeit 
gehabt  haben  kann,  zu  erwerben.  Bemerkenswert  ist,  daß  nach  der 
ersten  Teilung  des  Reiches  dem  Antipater  zugewiesen  wird  alles  Land 
jenseit  von  Thrakien,  Epirus,  Griechenland,  Makedonien  mit  den  Agri- 
anem,  Triballem  und  lUyriern  (wc;  iTtl  '4yQiävai^  x  r  L  ist  Arrians 
Ausdruck  bei  Phot.  S.  69  b;  richtiger  schließt  Dexippus  ebend. 
S.  64  a  die  drei  Völker  mit  ein).  Hier  sieht  man  deutlich,  daß  die 
Agrianer  dem  Reiche  einverleibt  worden  sind,  kcinesweges  das  eigent- 
liche päonische  Fürstentum. 

Um  das  Jahr  310  war  Audoleon  Fürst  in  Päonien,  damals,  wie 
es  scheint,  noch  nicht  vorgerückten  Alters;  um  290  vermählte  er  seine 
Tochter  an  den  König  Pyrrhus  von  Epirus.  Zahlreiche  Münzen  dieses 
Fürsten,  unter  ihnen  eine  mit  dem  stolzen  Gepräge  des  Zeus  Aöto- 
phoros,  beweisen,  daß  Päoniens  Macht  damals  bedeutend  gewesen  sein 
muß.  Noch  augenfälliger  wird  dies  durch  eine  attische  Inschrift  (s. 
archäologisches  Intelligen^iblatt  zur  hallischen  Litteraturzeitung  1834 
S.  250  und  meine  oben  erwähnte  Abhandlung:  das  päonische  Fürsten- 
tum, jetzt  C.  1.  A.  II  312).   Das  Datum  der  Inschrift  ist  nach  höchster 


Geschichtliches  75 

Wahrscheinlichkeit  vom  2.  Jul.  287  \  sie  dekretiert  für  Audoleon  Patraos 
Sohn  Statuen  und  Ehren^  ,yweü  Audoleon  dem  Demos  von  Athen  seit 
firüherer  Zeit  wohlgewogen  ist,  indem  er  ihm  Dienste  geleistet  und  zur 
Befreiung  der  Stadt  mitgewirkt  und  als  der  Demos  die  Stadt  wieder 
erhalten,  sich  über  solches  Glück  gefreut  hat,  in  der  Ansicht,  daß  das 
Wohl  der  Stadt  auch  ihm  ersprießlich  sei  —  ferner  weil  er  die  Athener, 
die  in  sein  Land  gekommen  sind  oder  dort  sich  aufhalten,  vielfaltig 
unterstützt  —  ferner  weil  er  dem  Volke  auch  7500  Scheffel  Getreide 
geschenkt  und  sie  auf  eigene  Kosten  in  die  Häfen  der  Stadt  geschickt 
hat,  —  femer  weil  er  auch  für  das  Weitere  seine  Hilfe  verspricht, 
mitzuwirken  zur  Wiedergewinnung  des  Piräeus  und  zur  Freiheit  der 
Stadt  u.  s.  w.".  Daß  die  Befreiung  der  Stadt,  zu  der  Audoleon  mit- 
gewirkt hat,  nicht  die  von  307  sein  kann,  ergiebt  sich  aus  den  poli- 
tischen Verhaltnissen  der  Zeit;  damals  wurde  aus  Athen  der  Phalereer 
Demetrius  vertrieben,  und  dieser  gehörte  ganz  dem  Interesse  des  mäch- 
tigen Eassander,  unter  dessen  Einfluß  Audoleon  seit  dem  Autariaten- 
zuge  310  unfehlbar  stand.  Aber  297  mit  Kassanders  Tode  begannen 
sich  die  Verhältnisse  zu  ändern;  nach  vier  Monaten  schon  starb  Kas- 
sanders Sohn  Philipp,  seine  beiden  Brüder,  Antipater  und  Alexander, 
1)egannen  den  gräßlichen  Kampf  um  das  Königtum,  der  den  um- 
wohnenden Fürsten  Gelegenheit  genug  gab,  ihr  Gebiet  zu  erweitem, 
oder  die  frühere  Abhängigkeit  zu  lösen.  Von  Kassander  noch  war 
Lachares  in  Athen  veranlaßt  worden,  nach  der  Tyrannis  zu  streben, 
bis  295  widerstand  dieser  den  Angriffen  des  Poliorketen  Demetrius, 
der  als  Befreier  in  Attika  aufgetreten  war;  es  war  die  richtige  Politik, 
wenn  Audoleon  sich  ihm,  dem  heftigsten  Gegner  Kassanders  und  des 
makedonischen  Königtums  näherte  und  zur  Befreiung  Athens  mitwirkte. 
Als  aber  im  Herbste  294  Demetrius  das  Diadem  von  Makedonien  selbst 
übernahm,  da  änderte  sich  freilich  die  Stellung  des  päonischen  Fürsten- 
tums; und  daß  Audoleon  diese  erkannt  hat,  beweiset  die  Vermählung 
seiner  Tochter  mit  Py rrhus,  dem  unermüdlichen  Gegner  des  Demetrius. 
Als  endlich  im  Frühjahr  287  der  große  Krieg  gegen  Demetrius  zum 
Ausbruche  kam  und  Pyrrhus  und  Lysimachus  zu  gleicher  Zeit  in  das 
Königreich  einfielen,  da  wird  Audoleon  nicht  unthätig  dem  Kampfe 
zugesehen  haben,  den  sein  Schwiegersohn  Pyrrhus  mit  so  schnellem 
Glücke  zu  Ende  führte.  Gleich  nach  der  Nachricht  von  Demetrius 
Gefahr  und  Fall  erhoben  sich  auch  die  Athener  zur  Freiheit  und  be- 
reits am  2.  Jul.  287  verfaßten  sie  jenes  Ehrendekret  für  Audoleon, 
der  ihnen  zur  Wiedergewinnung  des  Piräeus  und  zur  Freiheit  der  Stadt 
hilfreich  zu  sein  versprochen  hatte. 

1  [Vielmehr  Sommer  285,  Skirophorion  Ol.  123  3;  vgl.  unten  S.  80  ff.]. 


76  Päonien  und  Dardanien 

Polyän  erzählt  (IV  12,  3):  „Lysimachus  habe  den  jungen  Sohn 
des  Audoleon,  Namens  Ariston,  unter  dem  Vorwande,  ihn  in  sein 
väterliches  Fürstentum  zurückführen  zu  wollen,  veranlaßt,  mit  ihm 
nach  Päonien  zu  ziehen;  nach  dem  Weihebade  beim  Festmahle  seien 
Bewaffiiete  auf  den  Jüngling  eingedrungen,  der  sich  dann  mit  genauer 
Not  geflüchtet  und  nach  Sardika  hin  gerettet  habe''.  Das  ist  also 
nach  287,  vor  281,  dem  Todesjahre  des  Lysimachus,  gewesen.  Ariston 
scheint  seines  rechtmäßigen  Erbes  beraubt  gewesen  zu  sein;  wenn 
gerade  Lysimachus  den  Vorwand  brauchen  konnte,  sich  seiner  annehmen 
zu  wollen;  so  muß  es  wohl  sein  Gegner  Pyrrhus  gewesen  sein,  durch 
dessen  Zuthun  Ariston  sein  Land  eingebüßt  hat;  vielleicht  daß  Pyrrhus 
selbst,  als  er  den  größten  Teil  [210]  Makedoniens  in  Besitz  genommen, 
Audoleon  zu  beseitigen  gewußt  hat  Wir  wissen,  daß  sich  Lysimachus, 
um  gegen  Pyrrhus  Partei  zu  gewinnen,  vielfach  um  die  Gunst  der 
makedonischen  Großen  bewarb  (Plut.  Pyrrh.  12),  vielleicht  daß  er 
Audoleons  Sohn  mit  dem  Versprechen,  ihm  sein  Erbe  zurückzugeben, 
an  sich  lockte  und  dann,  als  Pyrrhus  vertrieben  und  Makedonien  sein 
war,  durch  jenen  Betrug  das  Land  occupierte;  es  mag  das  um  286 
geschehen  sein. 

Bald  darauf  begannen  die  Zerwürfnisse  zwischen  Lysimachus  und 
Seleucus,  der  Krieg  kam  zum  Ausbruche,  Lysimachus  fiel  in  der 
Schlacht  von  Korupedion  281,  ein  halbes  Jahr  später  ward  der  Sieger 
Seleucus  durch  Ptolemäus  Eeraunos  ermordet,  in  dessen  Besitz  Make- 
donien überging,  mit  Makedonien  wahrscheinlich  das  päonische  Land. 
In  damaliger  Zeit  erhob  sich  das  dardanische  Füi'stentum  unter  Mo- 
nunios  zu  bedeutender  Macht  (s.  unten  S.  87  flF.).  Monunios  unter- 
stützte des  Lysimachus  ältesten  Sohn,  der  gegen  Ptolemäus  Ansprüche 
auf  Makedonien  erhob;  als  aber  gegen  Ende  desselben  Jahres  280  die 
gräßlichen  Invasionen  der  Gallier  begannen,  beeilte  sich  der  dardanische 
Fürst  dem  Könige  Ptolemäus  20000  Mann  zum  Kampfe  gegen  den 
gemeinsamen  Feind  anzubieten.  Hieraus  dürfte  man  eine  Bestätigung 
entnehen,  daß  das  päonische  Fürstentum,  welches  sonst  Dardanien  und 
Makedonien  trennte,  nicht  mehr  existierte,  sondern  beide  Königreiche 
jetzt  an  einander  grenzten.  Ptolemäus  war  unsinnig  genug,  die  dar- 
danische Hilfe  von  der  Hand  zu  weisen,,  er  büßte  dafür  mit  schmach- 
vollem Untergänge.  Von  den  drei  Gallierzügen  des  Jahres  280  wandte 
sich  der  eine  unter  Brennus  (und)  Akichorius  gegen  Päonien,  also  kam 
er  über  das  Skomiosgebirge  zu  den  Quellen  des  Strymon.  Der  große 
Zug  des  Brennus  im  Jahre  279  ging  durch  das  Gebiet  der  Dardaner 
am  Axios  hinab  gegen  Makedonien  und  von  dort  nach  Griechenland; 
an  diesem  sollen  die  Dardaner  Anteil  genommen  haben  (Appian  Illyr.  5); 


Geschichtliches  7  7 

daß  die  Reste  des  bei  Delphi  geschlagenen  Heeres  heimziehend  im 
Dardanerlande  vollkommen  aufgerieben  worden,  ist  gewiß  eine  falsche 
Angabe  (Diod.  XXII  9),  die  Anarchie  in  Makedonien  und  die  Ent- 
femmig  der  epirotischen  Kriegsmacht  gab  den  Dardanern  Gelegenheit, 
ihre  Macht  ungemein  auszudehnen,  und  es  ist  aus  Münzen  nachgewiesen, 
daß  jener  Monunios  bis  Dyrrhachium  herrschte. 

Seit  sieben  oder  acht  Jahren  hatte  ein  eigenes  päonisches  Fürsten- 
tum aufgehört,  das  Land  war  in  makedonischen  Besitz  gekommen; 
jetzt  war  Makedoniens  Macht  vollkommen  gesunken,  und  wenn  Anti- 
gonus  Gonatas  endlich  um  277  das  Diadem  wirklich  gewann,  so  hatte 
er  vorläufig  noch  viel  zu  große  Sorge  um  die  Wiederherstellung  des 
königlichen  Ansehens  und  um  die  gefahrliche  Galliermacht  in  Thrakien, 
als  daß  er  an  die  Wiedererwerbung  Päoniens  hätte  denken  können. 
Wenn  um  200  Päonien  als  eigenes  Fürstentum  nicht  mehr  und  bis 
zur  Unterwerfung  durch  die  Römer  nicht  wieder  existierte,  und  wenn 
andererseits  das  Vorhandensein  päonischer  Fürsten  außer  den  oben 
genannten  und  nach  ihnen  konstatiert  ist,  so  müssen  sie  in  diese  Zeit 
zwischen  280  und  200  zu  setzen  sein.  Es  giebt  nämlich  Münzen,  die 
nach  dem  Urteile  der  Numismatiker  mit  ziemlicher  Gewißheit  dem 
päonischen  Lande  zugeschrieben  werden;  die  einen  haben  einen  lorbeer- 
gekränzten Kopf  und  auf  dem  Revers  einen  sitzenden  Herakles,  der 
gegen  einen  Löwen  kämpft,  unter  ihm  Bogen  und  Köcher,  mit  der 
Umschrift  AYKKEIOY  (s.  Cadalvene  tab.  I  no.  19),  die  anderen 
führen  einen  ähnlichen  Kopf  und  auf  der  Rückseite  ein  Schwert  mit 
der  Umschrift  EYTTOAEMOY  (s.  Mionnet  suppl.  II  fin).  Namentlich 
die  erst^  Münze  dürfte,  nach  der  Zeichnung  bei  Cadalvöne  zu  schließen, 
der  oben  bezeichneten  Zeit  angehören.  Es  scheint  mir  denkbar,  daß 
gerade  in  der  Zeit  des  Antigonus  Doson  das  päonische  Fürstentum 
noch  einmal,  freüich  in  sehr  beschränktem  Räume,   wieder  auflebtet 

Die  Landschaft  Pelagonien  war  und  blieb  dem  makedonischen 
Königtume  einverleibt,  auch  von  der  Landschaft  Deuriopus  erscheint 
wenigstens  Bryannion  und  Stubera  im  Besitze  des  Königs  Philipp 
(Liv.  XXXIX  53  XXXI  39).  Gegen  Norden  waren  die  Dardaner  in 
den  Besitz  der  sonst  päonischen  Landstriche  gekommen  und  selbst 
Bylazora  war  geraume  Zeit  in  ihrem  Besitze,  bis  es  Philipp  einnahm 
(Polyb.  V  97);   bei  späteren  Einfällen  drangen  sie  bis  Stobi  vor  (Liv. 

*  [Die  Münzen  mit  AYKKEIOY  gehören  in  das  vierte  Jahrhundert;  der 
Päonenkönig  Lykkeios  war  im  Sommer  356  mit  Athen  gegen  Philipp  verbündet. 
Ober  Münzen  und  Inschriften  eines  Päonenkönigs  Aganiav  und  der  Zeit  nach 
dem  Kelteneinfall  Siz  Ann.  de  num.  1883.  Über  die  Eupolemosmünzen  Head 
H.  N.  8.  201]. 


78  Päonien  und  Dardanien 

XXXIII  19).  Ostwärts  von  ihnen  hatten  die  Mäder  früher  päonisches 
Land  in  Besitz  genommen;  sieben  Tagereisen  weit  erstreckte  sich 
zwischen  den  Mädem  und  dem  Hamus  eine  Einode  (Liv.  XL  22),  so- 
dass sie  also  ziemlich  tief  in  die  Axiosebene  hinab  gewohnt  haben 
müssen.  Weiter  nach  Osten  saßen  die  Dentheleten  im  früher  päonischen 
Lande;  ein  Eriegszug  des  Philipp  vom  Jahre  182  gegen  sie,  gegen 
die  Bessen  und  und  Odryser,  bis  Philippopolis  hin,  zwang  sie  Bundes- 
genossen der  Makedonier  zu  werden  (Liv.  XXXIX  53  XL  22).  Nach 
der  Eichtung  dieses  Zuges  zu  schließen,  müssen  die  Agrianer  in  ihrem 
Gebiete  sehr  beschränkt  worden  sein;  zwar  werden  sie  im  Heere  des 
Antigonus  Doson  (Polyb.II  65),  des  Philipp  (Liv.  XXVIIl  5  XXXIII 18), 
des  Perseus  (Liv.  XLII  51)  genannt,  aber  auch  im  syrischen  Heere 
erscheinen  sie  als  leichte  Waffe  (Polyb.  V  79),  jedenfalls  sind  sie 
makedonische  Unterthanen.  Päonien  ist  unter  Philipp  als  Parastry- 
monia  und  Paroreia  makedonische  Provinz  und  steht  um  182  unter 
dem  Statthalter  Didas,  dem  Mörder  des  Demetrius;  Asterium  und 
Heraklea  liegen  in  seinem  Gebiete  (Liv.  XL  22,  24). 

Als  endlich  nach  der  Schlacht  von  Pydna  das  makedonische  Land 
in  die  Gewalt  der  Römer  kam,  wurde  es  in  vier  angebliche  Republiken 
verteilt,  ganz  nach  der  durchaus  äußerlichen  und  mechanischen  Weise, 
welche  stets  der  Vernichtung  alter  historischer  Verhältnisse  den  förder- 
lichsten Vorschub  leistet.  Bei  diesem  Anlasse  können  wir  noch  einmal 
das  nun  von  uns  vielfach  besprochene  Terrain  durchmustern  (Liv.  XLV 
29,  30). 

Das  erste  Makedonien  umschloß  das  Gebiet  zwischen  Strymon 
und  Nestus,  dazu  das  Land  im  Osten  des  Nestus,  was  Perseus  besessen 
hatte,  außer  Aenus,  [211]  Maronea  und  Abdera,  und  westwärts  vom 
Strymon  ganz  Bisaltien  mit  Heraklea  Sintika;  offenbar  reichte  dies 
Gebiet  bis  in  die  Gegend  der  Strymonquellen,  so  weit  makedonische 
Herrschaft  sich  erstreckt  hatte;  Amphipolis  war  die  Hauptstadt  dieses 
District.es. 

Das  zweite  Makedonien  umschloß  das  Land  zwischen  Strymon 
und  Axios  mit  Ausnahme  Bisaltiens  und  Herakleas,  mit  Einschluß  der 
Päonier  auf  der  Ostseite  des  Axios  (also  der  Landschaft  von  Doberos, 
Asterium  und  Astibon);  hier  war  Thessalonich  die  Hauptstadt. 

Das  dritte  Makedonien  mit  der  Hauptstadt  Pella  bildeten  die 
Gegenden,  die  der  Axios  im  Osten,  der  Peneios  im  Süden,  das  Bora- 
gebirge im  Norden  umgrenzen;  der  päonische  Streif  Landes  am  rechten 
Axiüsufer  wurde  dazu  gefügt;  auch  Edessa  und  Beröa  gehörten  zu 
diesem  Distrikt.  Die  Dardaner,  als  Verbündete  der  Römer,  hatten 
Ansprüche  auf  Päonien  gemacht,  das  ja  ihnen  auch  schon  gehört  habe 


Das  pBonische  Fürstentam  79 

und  ihren  Grenzen  nahe  liege;  sie  wurden  zurückgewiesen  und  ihnen 
nor  erlaubt,  daß  sie  ihr  Salz  aas  Stobi  entnähmen,  zu  welchem  Ende 
diesem  dritten  Distrikt  aufgetragen  wurde,  Salz  in  die  Magazine  nach 
Stobi  zu  liefern;  also  war  das  diesem  Bistrikt  zugefügte  Päonien  nicht, 
wie  Müller  meint,  der  unterhalb  der  Axiosengen  belegene  Streif,  son- 
dern um&Bte  wahrscheinlich  die  Ufergegenden  über  Stobi  nach  Byla- 
zora  hinauf  bis  zu  dem  oben  bezeichneten  Orte  ad  fines. 

Das  vierte  Makedonien  endlich  umfaßte  das  Land  jenseit  der 
Bora,  das  teils  an  Epirus,  teils  an  Illyrien  grenzt,  namentlich  Eordäa, 
Lynkestis,  Stymphäa,  Elimiotis,  Ätintania;  Felagonia  war  hier  die 
Hauptstadt 

Hiermit  glaube  ich  die  geschichtlichen  Angaben  über  Päonien 
schließen  zu  könneu;  weiterhin  geschieht  des  Namens  im  alten  Sinne 
nicht  weiter  Erwähnnng,  er  taucht  höchstens  auf  einzelnen  Münzen 
der  Eaiserzeit  als  Auszeichnung  einzelner  Städte  noch  auf. 


b.  Zar  Geschielite  der  Päouler  nud  Dardaner. 

(Zeitschrift    für    die    Altertamswissenachaft    herausgegeben    von    Dr.    L.    Chr. 
Zimmermann  III  18S6  Nr.   103.  104  Sp.  625  ff.) 


Das  päonische  Fürstentum. 

üeber  das  päonische  Fürstentum  des  Andoleon  und  seines  [825] 
Sohnes  Ariston  habe  ich  Geschieht«  der  Nachfolger  Alesanders  S.  402,  596, 
617(11^23.79)  das  bis  dahin  Bekannte  zusammengestellt.  Meine  Ansicht^ 
daß  Ariston,  von  Ljsimachns  unter  dem  Seheine  der  Freundschaft  um 
sein  Erbe  betrogen,  im  Jahr  287  flüchtig  zu  Demetrius  nach  Sardes 
gekommen  sei,  beruhte  auf  einer  Conjectur:  in  der  eorrumpierten 
Stelle  des  Polyän  IV  12,  3,  der  allein  von  jener  Sache  weiß,  steht 


80  Päonien  und  Dardanien 

(fvyüv  atpinndaccTO  elg  rijv  2uQ8dmv  (cod.  2aQ8avmv\  wofür  andere 
Emendationen  'ddgavhmv  oder  2avdtximv  wenigstens  nicht  minder 
dreist  scMenen,  als  wenn  ich  auf  Flut.  Demetr.  46  fußend  (,,einige 
Feldherm  des  Lysimachus  gingen  in  Sardes  zu  Demetrius  über")  ein 
Mißverständnis  des  Polyän,  wie  er  deren  mehrere  hat,  auf  diese  be- 
zeichnete Weise  hinwegräumte.  Erst  später  kam  mir  die  merkwürdige 
attische  Inschrift  über  Audoleon  und  ihre  vortreffliche  Erklärung  durch 
Hm.  Meier  (Archäologisches  Intelligenzblatt  zur  hallischen  Litteratur- 
Zeitung  1834  S.  250)^  zu  Händen.  Dieselbe  Inschrift  ist  es,  von  der  aus 
Leake  in  seinen  neuerdings  edierten  Travels  in  Northern  Oreece  III 
S.  463  und  IV  S.  585  eine  Hypothese  über  die  päonische  Fürsten- 
familie aufgestellt  hat,  die  vollkommen  irrig  ist  wegen  der  falschen 
Voraussetzung,  daß  der  in  der  Inschrift  erwähnte  Archon  Diotimos 
der  des  Jahres  354  ist;  da  in  der  Inschrift  zwölf  Prytanien  erwähnt 
werden,  so  ist  sie  nach  307  verfaßt.  Hr.  Meier  hat  mit  vielem  Scharf- 
sinn entwickelt,  daß  sie  gegen  Ende  von  Ol.  123  3  ^85)  verfaßt  sei; 
er  sagt:  von  307/6  bis  288/7  datierten  die  Athener  nach  den  iBQeTg 
T&v  acarijQCQv,  287/6  war  Diokles  Archon,  vor  dem  Tode  des  Lysi- 
machus (281)  starb  Audoleon ;  die  Zeitverhältnisse,  welche  die  Inschrift 
berührt,  ergeben  dann,  nach  seiner  Auffassung,  zwischen  286 — 281  das 
genannte  Jahr  285.  Mir  ist  et  stets  und  trotz  der  Angabe  Plutarchs 
unerhört  vorgekommen,  daß  die  Athener,  die  während  jener  zwanzig 
Jahre  "307 — 287  mehrere  Jahre  hindurch  mit  Demetrius  in  offenbarem 
Kriege  waren,  [826]  stets  nach  seinem  Priester  sollten  datiert  haben. 
In  der  Inschrift  selbst  findet  sich  ein  anderer  nicht  geringerer  Übel- 
stand; es  heißt:  „weil  Audoleon  dem  Demos  von  Athen  seit  der  früheren 
Zeit  wohlgewogen  ist,  indem  er  ihnen  Dienste  geleistet  und  zur  Be- 
freiung der  Stadt  mitgewirkt,  und  als  der  Demos  die  Stadt  wieder 
erhalten,  sich  über  solches  Glück  gefreut  hat  in  der  Ansicht,  daß  das 
Wohl  der  Stadt  auch  ihm  erspriesslich  sei,  —  ferner  weil  er  die 
Athener,  die  in  sein  Land  kommen  oder  dort  sich  aufhalten,  vielfaltig 
unterstützt^  —  femer  weil  er  auch  dem  Volke  7500  Scheffel  Getreide 
geschenkt  und  sie  auf  eigene  Kosten  in  die  Häfen  geschickt  hat,  — 
femer  weil  er  auch  für  das  Weitere  seine  Hilfe  verspricht,  mitzuwirken 
zur  Wiedergewinnung  des  Piräeus  und  zur  Freiheit  der  Stadt,  so  u.  s.  w.'*' 
Also  war  zur  Zeit  des  Decrets  der  Piräeus  nicht  in  Händen  der  Athener, 
Athen  selbst  nicht  frei;  und  doch  ist  es  gewiß,  daß  nach  dem  Sommer 
287,  nach  Demetrius  Abzug  gen  Asien  und  nach  dem  Besuch  des 
Pyrrhus  in  Athen  die  Stadt   ihre  volle  Freiheit   und   wahrscheinlich 

^  [Jetzt  C.  I.  A.  II.  312,  oben  S.  74]. 


Das  päonische  Fürstentum  81 

auch  den  Piraeus  hatte.  Hr.  Meier  beruft  sich  auf  Plut.  Demetr.  51. 
Demetrius  habe  aus  seiner  Gefangenschaft  bei  Seleucus  geschrieben 
noög  TOVQ  nBQi  ui&7jvag  xai  Kögtv&ov  7iyBfi6va>;  xal  (piXovg,  Aber 
das  spricht  nicht  gegen  den  klaren  Zusammenhang  der  Zeitverhält- 
nisse. Angenommen ;  Hrn.  Meiers  Ansicht  sei  richtig,  wie  sollte  man 
jene  erste  Befreiung  Athens,  bei  der  Audoleon  mitgewirkt,  verstehen? 
Doch  nicht  von  der  im  Jahre  307,  als  Demetrius  den  Phalereer,  den 
Freund  Kassanders,  vertrieb!  Audoleon  müsste  schon  einmal  gegen 
Demetrius  den  Poliorketen  geholfen  haben,  und  das  einzige  Mal  vorher, 
daß  Athen  sich  gegen  Demetrius  mit  Erfolg  {alg  r^jv  ilwd-BQtccv)  auf- 
gelehnt, war  301  nach  der  Schlacht  von  Ipsus  gewesen,  wo  man  nichts 
that  als  seinen  Besuch  verbat 

Darf  ich  einmal  die  Schwierigkeit,  welche  die  Nennung  eines 
Archonten  an  der  Stelle  eponymer  Priester  macht,  hintansetzen,  so 
findet  sich  sogleich,  daß  nur  vor  287  der  Piraeus  von  Demetrius  be- 
setzt, und  seit  292  die  Stadt  durch  den  Posten  auf  dem  Museum 
unfrei  war;  auch  sind  bis  zu  diesem  Jahre  die  Archonten  bekannt, 
mögen  es  die  Namen  der  eponymen  Priester  oder  der  neben  ihnen 
bestehenden  Archonten  sein:  es  fehlen  uns  die  für  293/2,  291/0, 
290/89,  289/8,  288/7;  unter  diesen  könnte  füglich  Diotimus  sein. 
Mit  Becht  vermutet  Schom  (Geschichte  Griechenlands  S.  20),  daß  wenn 
Demetrius  nach  Plutarch  eine  athenische  Gesandtschaft  zwei  Jahre 
lang  hinhielt,  ohne  sie  vorzulassen,  an  ein  wichtiges  Versprechen,  das 
der  König  nicht  abläugnen  konnte  und  nicht  erfüllen  wollte,  zu  denken 
sei,  nämlich  die  Befreiung  der  Stadt  und  des  Piraeus  von  der  Be- 
satzung; und  es  könnte  wohl  des  Audoleon  Versprechen  aweQycdv  bYq 
TB  rijv  Tov  UBiQaiiojg  xofiiSijv  xal  Tfjv  xTjg  ndXBiog  kXBv&B^iav  [827] 
daraufgehen,  daß  er  seinen  Einfluß  bei  Demetrius  dazu  verwenden 
wolle.  Doch  ist  thätige  Hilfeleistung  den  Worten  entsprechender  und 
wird  sich  weiter  unten  als  das  Richtige  ergeben.  So  bekommt  auch 
das  frühere  avvBQycDv  Big  rijv  hXBvd-Boiav  einen  guten  Sinn;  natürlich 
ist  nicht  die  Befreiung  vom  Jahre  307  gemeint;  damals  lebte  noch 
Kassander,  unter  ^dessen  Einfluß  Audoleon  310  gewiß  stand  (s.  Gesch. 
der  Nachfolger  S.  402  11«  2  S.  79).  Aber  gegen  Ende  des  Jahres  297 
starb  Kassander,  Lachares,  von  ihm  angestiftet,  bemühte  sich  um  die 
Tyrannis  in  Athen;  während  Kassanders  Sohn  Philipp  nach  viermonat- 
licher Regierung  starb  und  seine  Brüder  Antipater  und  Alexander  bald 
den  heftigsten  Kampf  um  das  Reich  begannen,  belagerte  Demetrius 
bis  zum  Herbst  295  den  Tyrannen  Athens;  zu  dessen  Vertreibung 
wird  Audoleon  mitgewirkt  haben.  Seit  Demetrius  Makedoniens  Diadem 
übernahm  (Herbst  294)  mußte  Audoleons  politische  Stellung  sich  viel- 

DroyseD,  Kl.  Schriften  I.  6 


82  Päonien  und  Dardanien 

fach  ändern;  er  hatte  jetzt  den  mächtigen  Demetrius  in  nächster  Nähe, 
es  war  natürlich,  daß  er  anderweitige  Verbindungen  suchte,  die  seine 
Herrschaft  sicherten.  So  vermählte  er  zwischen  295  und  290  seine 
Tochter  an  Pyrrhus  von  Epirus,  und  diese  Verbindung,  die  Lage 
Päoniens  an  den  Pässen,  welche  vom  Lande  der  Dardaner  und  Kelten 
her  nach  Makedonien  fahren,  endlich  die  vielfaltigen  Kämpfe  des 
Demetrius  gegen  Thrakien,  Aetolien  und  Epirus  mochten  allerdings 
dem  päonischen  Fürsten  Macht  genug  leihen,  daß  er  versprechen  konnte, 
sich  für  die  Befreiung  Athens  von  neuem  interessieren  zu  wollen. 

Ehe  ich  von  den  oben  genannten  Jahren,  die  möglicher  Weise 
mit  Diotimus  bezeichnet  sein  können,  ein  bestimmteres  herauswähle, 
muß  ich  noch  eine  Frage  erledigen.  Lysimachus,  sagt  Polyän,  führte 
den  Ariston  in  die  väterliche  Herrschaft  zurück  {inl  rijv  narQqiav 
ßatriXsiav  xaHjyayBv),  also  war  Audoleon  nicht  mehr  Regent,  und 
Ariston  nicht  daheim.  Wer  hatte  dies  Land  in  Besitz  genommen, 
Pyrrhus  oder  Demetrius?  Demetrius  kann  es  nicht  füglich  gewesen 
sein,  sonst  würde  sich  Ariston  wohl  zu  Pyrrhus  geflüchtet  haben;  auch 
hatte  Demetrius  andere  Dinge  genug  zu  schaffen,  und  Pyrrhus  war 
so  mächtig,  daß  er  289  noch  bis  Edessa  in  Makedonien  vordringen 
konnte.  Aber  als  Demetrius  287  im  Sommer  gestürzt  war  und  Pyrrhus 
den  größten  Teil  und  das  Diadem  von  Makedonien  erhielt,  da  wird 
er  auch  Päonien,  wo  Audoleon  gestorben  oder  beseitigt  sein  mag,  in 
Besitz  genommen  haben,  worauf  denn  natürlich  der  Erbe  des  Landes 
Zuflucht  in  Thrakien  suchte. 

So  mag  denn  Audoleon  bis  287  König  in  Päonien  gewesen  sein; 
wie  aber  die  Zeit  jenes  Decretes  finden?  Es  heißt  in  demselben:  „am 
26.  Skirophorion,  am  25.  Tage  der  Prytanie".  Seit  der  Zeit  der 
12  Phylen  gehen  die  Datierungen  der  Prytanien  und  Monate  ganz 
parallel;  und  da  in  den  hohlen  Monaten  wahrscheinlich  der  Tag  nach 
der  Blxüg  ausfiel,  so  daß  die  letzten  9  Tage  eines  hohlen  Monats  um 
eins  mehr  zählen  als  die  Prytanientage,  so  muß  das  Jahr  der  Inschrift 
ein  solches  sein,  dessen  Skirophorion  29  Tage  zählte.  Von  der  Art 
sind  nach  Idelers  Berechnung  des  Metonischen  Cyklus  unter  den  oben 
angegebenen  die  Jahre  293/2,  291/0,  288/7.  Das  erste  Jahr  anzu- 
nehmen, hindert  mich  der  Ausdruck  des  Psephisma;  [828]  denn  im 
Skirophorion  oder  Juni  292  war  der  mißglückte  Versuch  der  Athener 
unter  Hipparch  und  Mnesidamus,  unter  dem  Schutz  des  thebanischen 
Aufstandes  den  Piräeus  zu  befreien,  bereits  vollkommen  vereitelt,  und 
Demetrius  hatte  schon  die  Rückkehr  der  Verbannten  befohlen,  das 
Museum  besetzt  und  befestigt;  in  solche  Zeit  paßt  die  kriegerische 
Stimmung  des  Decretes  nicht.     Günstiger  scheint  das  Jahr  291/0;  im 


Das  päonische  Fürstentum  83 

Sommer  291  war,  wie  es  scheint  (Gesch.  der  Nachf.  S.  594  IV  2  S.  279), 
Demetrius  gegen  Lysimachns  gezogen,  in  seiner  Abwesenheit  empörte 
sich  Theben  und  machte  Pyrrhas  einen  Einfall  nach  Thessalien; 
schleunigst  kehrte  Demetrius  zurück  und  erst  nach  langwieriger  Be- 
lagerung nahm  er  Theben;  die  Aetoler  aber  blieben  unbesiegt,  so  daß, 
da  sie  die  Wege  gen  Delphi  sperrten,  das  Pest  der  Pythien  (Herbst 
290)  auf  Demetrius  Befehl  in  Athen  gefeiert  wurde.  Dennoch  scheint 
es  mir  unwahrscheinlich,  daß  die  Athener  noch  im  Juni  290,  als  die 
Belagerung  Thebens  sich  wenigstens  schon  dem  Ende  nahte,  wenn 
nicht  beendet  war,  jenes  Decret  gemacht  haben  sollten,  das  nur  in  der 
Voraussetzung  eines  beabsichtigten  Abfalls  von  Demetrius  seinen  Zu- 
sammenhang findet. 

So  bleibt  nur  der  2.  Jul.  287  als  Datum  jenes  Decretes;  und 
dies  paßt  in  jeder  Beziehung.  Mit  dem  Frühling  war  Lysimachus  und 
Pyrrhus  gegen  Makedonien  ins  Feld  gerückt,  mit  dem  Mai  Demetrius 
überwältigt  und  auf  der  Flucht.  In  wenigen  Tagen  konnto  die  Nach- 
richt in  Athen  sein;  nun  denke  man  sich  die  Aufregung,  die  dort 
eintreten  mußte;  es  ist  keine  Frage,  daß  Mitteilungen  seitens  der  ver- 
bündeten Fürsten  an  Athen  kamen,  es  war  ihr  Interesse,  dem  flüch- 
tigen Demetrius  seinen  wichtigsten  Posten  in  Griechenland,  das  attische 
Gebiet,  zu  entreißen.  Gleich  bei  der  Nachricht  vom  Sturz  des  Königs 
begann  der  Aufstand  in  Athen,  von  Olympiodor  geleitet,  der  eponyme 
Priester  wurde  nach  Plut.  Dem.  46  abgesetzt  {äQxovxaq  algtlad-ai 
ndXtv  ägnsQ  Jjv  ndxQiov^  \pri(piaäii%voi)^  das  Museum,  der  Piräeus, 
Eleusis  befreit,  die  Freiheit  wiederhergestellt.  Freilich  kam  bald 
darauf  Demetrius  mit  einem  bedeutenden  Heere  und  begann  die 
Belagerung  Athens;  aber  das  Anrücken  des  Pyrrhus  zwang  ihn, 
die  Belagerung  aufzugeben,  die  Freiheit  der  Stadt  anzuerkennen, 
sich  nach  Asien  einzuschiffen.  Mit  dem  Herbst  287  war  Demetrius 
in  Asien. 

So  gewinnen  wir  merkwürdige  Resultate.  Es  ist  kein  Hindernis 
mehr,  daß  hier  im  Jahre  288/7  ein  Archen  statt  eines  Priesters  der 
Better  genannt  wird,  da  mit  der  Nachricht  von  Demetrius  Fall,  also 
etwa  zwei  Monate  vor  Jahresende  diese  Jahresbezeichnung  abgeschafft} 
wurde,  so  daß  statt  des  Priesters  wieder  der  Archen  dem  Jahre  den 
Namen  gab.  Denn  gewiß  bestanden  die  Archonten  während  der  ganzen 
Zeit  der  durch  Demetrius  wiederhergestellten  und  gedrückten  Demo- 
kratie; und  man  muß  von  Plutarchs  Angabe  über  die  Wiedereinsetzung 
der  Archonten  wohl  einiges  subtrahieren. 

Ich  habe  oben  wahrscheinlich  gemacht,  daß  Audoleons  Herrschaft 
von  Pyrrhus  in  Besitz  genommen  worden;   dies  muß  in  der  zweiten 

6* 


84  Päonien  und  Dardanien 

Hälfte  des  Jahres  287  geschehen  sein,  da  mit  dem  Ende  desselben 
Pyrrhus  durch  Lysimachus  verdrangt  wurdet  Ich  weiß  nicht  anzu- 
geben, ob  Audoleon  gestorben,  von  seinem  Schwiegervater  Pyrrhus 
[829]  umgebracht  oder  sonst  wie  überseitigt  worden.  Man  kann  hier 
mehrere  Combinationen  finden:  Lysimachus  konnte  die  Zeit,  daß 
Päonien  ohne  Fürsten  war,  benutzen,  um  vor  dem  weiteren  Kampf 
gegen  Pyrrhus  das  wichtige  Paßland  zu  occupieren;  dann  war  Aristons 
Flacht  noch  im  Jahre  287  und  hätte  sehr  wohl  können  gen  Sardes 
gerichtet  sein.  Dies  scheint  mir  indeß  nicht  wahrscheinlich;  ich  glaube, 
nachdem  Lysimachus  die  Epiroten  verdrängt  hatte,  nahm  er  den  Schein 
an,  als  wolle  er  auch  das  Fürstentum  Päoniens  restaurieren,  und  be- 
raubte Ariston  auf  diese  Weise  aller  Hoffnung.    Es  scheint  mir  nicht 

•  _ 

mehr  richtig,  des  Polyän  Worte:  (pvycjv  ärpmitdaaro  tlq  rijv  JSaQSii(ov 
für  Sardes  zu  verstehen,  ist  vielleicht  an  Serdica  oder  Sardica,  das  im 
Mittelalter  Triaditza  hieß,  zu  denken? 

In  jenem  Decret  Z.  37  heißt  es:  hnaivkaai  tö/jl  ßamXeia  (sie) 
Av8(oXiovTcc  IIccTQc(..ov  Uaiöva,  es  fehlt  in  dem  Vatemamen  ein 
Buchstabe.  Dennoch  ist  es  für  vollkommen  gewiß  anzunehmen,  daß 
dieser  lückenhafte  Name  derselbe  ist,  welchen  man  in  neuester  Zeit 
mehrfach  auf  päonischen  Münzen  gefunden  aber  historisch  nicht  weiter 
zu  orientieren  gewußt;  Mionnet  und  andere  schreiben  TTATPAOY, 
aber  wenigstens  die  Abbildung  bei  Eckhel  (N.  V.  I  tab.  XIII  4)  läßt 
deutlich  die  Lücke  TTATPA..OY  erkennen;  eine  barbarische  Münze 
bei  Cadalvöne  S.  43  und  tab.  I  18  hat  nOAPTAY. 

Wir  wissen  aus  Diod.  XVI  4,  daß  Philipp  II.  um  359  den  Tod 
des  päonischen  Fürsten  Agis  benutzte,  um  sich  seines  Landes  zu  be- 
mächtigen {t6  i&vog  ijväyxaae  nen^aoz^Tv  roT^  Max$dö(Tiv).  Ich 
habe  (Gesch.  der  Nachf.  S.  618  2)  den  Namen  Adäus,  der  sich  auf 
Münzen  findet,  diesem  Fürstenhause  zu  vindicieren  gesucht  und  an 
den  Adäus  ^tXiitnov  dkexr^vcov  erinnert,  von  dessen  Tod,  wie  man 
aus  der  Erwähnung  des  Chares  und  seines  Sieges  über  die  ^ivoi 
Philipps  sieht,  um  348  (s.  Clinton  S.  147  ed.  Krüger)  die  Komiker 
Heraklides  und  Antiphanes  (bei  Zenob.  VI  34)  sprachen.  Daß  das 
päonische  Fürstentum  trotz  des  Sieges  von  359  bestehen  blieb,  be- 
weiset teils  Diodors  Bericht  (XVI  22),  daß  sich  356  die  Könige  von 
Thrakien,  Illyrien  und  Päonien  gegen  Philipp  empörten  {rjvdyxarre 
n()oqthi(T&cci  Tolg  MaxeSötriv),  teils  die  Patrausmünzen.  Nach  ihrem 
Typus  zu  schließen  sind  sie  aus  der  Zeit  Philipp  IL;   ob  Patraus  ein 


*  IHclienism.  II'  2  S.  328  findet  sich  eine  andere  Auffassung]. 

•  [Die  Anm.  fehlt  in  11«  2]. 


Das  päonische  Fürstentum  85 

Sohn  oder  Enkel  des  Agis,  maß  unentschieden  bleiben.  Auch  bei 
dem  Tode  Philipps  empörte  sich  mit  den  meisten  unterworfenen  Fürsten 
der  päonische  (Diod.  XVII  8),  woraus  sich  erklärt,  daß  Alexander  335 
bei  seiner  Sückkehr  von  der  Donau  nur  des  Agrianerfiirsten  Truppen 
gegen  die  Autariaten  verwendete.  Um  des  Gehorsams  der  Päonier 
wahrend  des  Feldzuges  nach  Asien  sicher  zu  sein,  nahm  Alexander 
einige  hundert  päonische  Reiter  unter  Ariston  mit  sich;  gewiß  hatte 
er  nach  seiner  bekannten  Maxime  (Frontin  II  11,  3)  den  päonischen 
Fürsten  selbst  mitzuziehen  veranlaßt.  Nannte  nun  Patraus  Sohn 
Audoleon  seinen  Sohn  Äriston,  so  ist  es  höchst  wahrscheinlich,  daß 
jener  Reiteroberst  unter  Alexander  des  Audoleon  Bruder  war. 

Indem  ich  einige  andere  auf  Münzen  genannte  Fürsten  des  päo- 
nischen Landes  für  jetzt  übergehe,  glaube  ich  für  die  besprochenen 
achtzig  Jahre  folgende  Tafel  entwerfen  zu  dürfen. 

[830]  Agis 

bis  360 

* 

Adäus 

> 

bis  vor  349 

Patraus  (Patraius?) 

Ariston  Audoleon 

um  334        vor  310  bis  287 


Tochter  Ariston 

G.  Pyrrhus       geb.  vor  300^ 

Nachschrift.  Wenige  Tage,  nachdem  Vorstehendes  abgesendet 
worden  war,  kam  mir  das  neueste  Archäologische  Intelligenzblatt  der 
haUischen  Litteratur-Zeitung  (Aug.  1836  Nr.  43)  zu  Händen,  in  welchem 
Hr.  Meier  eine  neuentdeckte,  für  die  oben  besprochene  Frage  höchst 
wichtige  Inschrift  mitteilt  Es  ist  von  dem  Ehrendecret  für  König 
Spartokos,  dessen  eine  Hälfte  schon  früher  bekannt  war  (C.  I.  Gr.  107), 
kürzlich  auf  der  Akropolis  die  andere  Hälfte  gefunden  worden,  welche 
namentlich  die  Eingangsformeln  in  ziemlicher  Conservation  enthält  2. 

Der  Anfang  der  Inschrift  ^nl  A]IOTIMOY  APXONTOI  lehrt, 
daß  diese  und  die  Audoleonsinschrift  aus  demselben  Jahre  sind.  Hr. 
Meier  hat  sich  durch  geschichtliche  Gründe  bewogen  gefunden,  diesen 


^  [Der  Nachfolger  des  Agis  war  Lykkeios;   Adäus  ist  aus  der  Liste  zu 
streichen]. 

2  [Jetzt  C.  I.  A.  II  311]. 


86  Päonien  und  Dardanien 

Archonten  dem  Jahr  Ol.  123  3  zuzuschreiben.  Außer  den  Schwierig- 
keiten in  den  politischen  Verhältnissen,  die  aus  dieser  Annahme  hervor- 
gehen, bietet  dieser  neuentdeckte  Teil  der  Spartokosinschrift  noch 
eine  viel  größere;  sie  datiert  nämlich  rAlßfjh&voq  yrj  xai]  NEAI, 
ENATHI  KAI  EIKOITHI  TH[s  TtQvraveiag.  Man  sieht  hieraus,  und 
aus  der  Audoleonsinschrift,  daß  in  diesem  Jahre  des  Diotimos  der 
üamelion  und  Skirophorion  hohle  Monate  waren.  Da  nach  der 
Idelerschen  Berechnung  des  Metonischen  Cyclus  dies  in  dem  von  Hrn. 
Meier  angenommenen  Jahre  286/5  nicht  der  Fall  ist,  so  glaubt  der 
treflFliche  Gelehrte,  es  müsse  aus  irgend  einem  Grunde  für  dies  Jahr 
von  der  üblichen  Weise  des  Metonischen  Cyclus  abgewichen  sein,  wobei 
er  selbst  bemerkt,  daß  dies  das  erste  Mal  wäre,  wo  die  Idelerschen 
Tabellen  nicht  mit  den  Factis  stimmten.  Es  war  für  mich  eine  große 
Freude,  meine  auf  anderweitige  historische  Gründe  gestützte  Ver- 
mutung, daß  das  Jahr  des  Diotimos  288/7  sei,  durch  die  neue  In- 
schrift bestätigt  zu  sehen;  denn  gerade  jenes  Jahr,  das  12.  aus  dem 
Cyclus,  hat  nach  Idelers  Tabellen  den  Gamelion  und  Skirophorion 
hohl,  ein  Fall,  der  außer  in  diesem  Jahre  nur  noch  in  drei  anderen 
Jahren  des  Cyclus  zusammentrifft.  Doch  darf  ich  nicht  übergehen, 
daß  dies  gerade  auch  in  dem  Jahre  293/2  der  Fall  ist,  welches  ich 
als  solches,  in  dem  möglicher  Weise  das  Audoleonsdecret  auch  ver- 
faßt sein  könnte,  bezeichnet  habe;  aber  gerade  das  Spartokosdecret 
wird  zeigen,  daß  dies  Jahr  wohl  nicht  das  des  Diotimos  sein  könne. 
In  diesem  Decret  nämlich  heißt  es  (bei  Böckh  Z.  7,  bei  Meier 
Z.  20),  daß  sich  Spartokos  bei  der  Nachricht  OTI  0  AHMOZ 
KEKOMIIT[a«  t6  äarv,  avv^WLQH  TOII  EYTYXHMAII  TOY 
AHM[ot;  und  12000  Medimnen  schenkte  und  auch  sonst  dem 
Volk  nützlich  [831]  zu  sein  verspreche  (rpEIAN  TTAPEEEIGAI  TQI 
Si^fup)]  zu  einer  Ergänzung,  daß  er  Beistand  zur  Befreiung  der  Stadt 
und  des  Hafens  zu  leisten  versprochen  habe  (wie  das  im  Audoleons- 
decret gerühmt  wird),  ist  in  dem  für  Spartokos  kein  Platz.  Dies 
Decret  ist  vom  7.  Februar  des  Jahres  287,  zu  einer  Zeit,  da  Demetrius 
noch  Makedonien  besaß,  noch  den  Piräeus  und  das  Museum  besetzt 
hielt;  erst  fünf  Monate  später,  als  Demetrius  bereits  aus  Makedonien 
vertrieben  war,  konnten  die  Athener  ein  Decret  entwerfen,  in  dem 
ausdrücklich  eines  Fürsten  Versprechen,  zur  Befreiung  der  Stadt  mit- 
wirken zu  wollen,  gerühmt  wurde;  und  doch  scheint  seitens  der  Athener 
ihr  Versprechen,  dem  Könige  im  Bosporos,  wenn  ihn  jemand  angreife, 
zu  Wasser  und  zu  Lande  helfen  zu  wollen  (Böckh  Z.  4.  5  Meier 
Z.  19.  20)  nicht  umsonst  erwähnt  zu  sein.  So  glaube  ich,  ist  nicht 
bloß  das  Geschenk  der  12000  Medimnen  Anlaß  zu  dem  Decret  und 


Das  dardanische  Fürstentum  87 

der  neuen  Ehrensäule  und  der  Gesandtschaft,  die  die  Athener  zu 
senden  beschließen,  sondern  die  weitere  Absicht,  des  Königs  Beistand 
für  eine  beabsichtigte  Bewegung  gegen  Demetrius  zu  gewinnen,  wird 
in  diesem  Decret  noch  verschwiegen,  während  sie  in  dem  fünf  Monate 
späteren  bereits  ausgesprochen  ist.  Dies  ist  es,  was  mir  das  Jahr  287 
wahrscheinlicher  macht  als  das  oben  erwähnte  292;  in  diesem  Jahre 
292,  dem  des  Au&tandes  von  Theben,  hätte  das  frühere  Decret  gerade 
das  kriegerischere  sein  müssen,  denn  der  thebanische  Aufstand,  der 
gegen  den  Frühling  hin  unterdrückt  wurde,  konnte  im  Gamelion  den 
Athenern  noch  Hoffnung  lassen;  —  aber  freilich  wäre  in  diesem  Jahre 
292  von  einer  Befreiung  der  Stadt  (im  Audoleonsdecret)  gar  nichts 
zu  sagen  gewesen,  da  wohl  erst  mit  dem  Sommer  die  Besetzung  des 
Museums  begann. 

Indem  ich  so  von  der  Überzeugung  ausgehe,  daß  beide  Decrete 
aus  dem  Jahre  287  sind,  darf  ich  nicht  unberührt  lassen,  daß  auch 
eine  zweite,  in  dem  obigen  freilich  dreist  genug  ausgesprochene  Ver- 
mutung einige  Wahrscheinlichkeit  mehr  erlangt  hat;  es  ist  die,  daß 
nicht,  wie  man  gewöhnlich  angenommen  hat,  erst  mit  dem  Sturz  des 
Demetrius  das  Institut  der  eponymen  Priester  abgeschafft  worden  ^ 
Jedenfalls  ist  im  Februar  287  Demetrius  noch  in  Makedonien  und 
Athen  Herr,  aber  doch  wird  in  einem  öffentlichen  Decret  Athens  aus 
der  Zeit  seiner  Herrschaft  nach  dem  Archonten  datieit.  Wie  weit 
überhaupt  die  Angabe  von  der  Datierung  nach  den  Priestern  der  So- 
teren  zu  beschränken  ist  oder  Wahrheit  hat,  ist  noch  auf  keine  Weise 
zu  bestinmien;  für  diese  und  viele  ähnliche  Fragen  werden  hoffentlich 
die  täglich  neuen  Entdeckungen  in  und  bei  der  Akropolis  reiche  Aus- 
beute geben. 

Das  dardanische  Fürstentum. 

Als  Ptolemäus  Keraunos  sich  zum  Könige  von  Makedonien  [833] 
gemacht  hatte,  versuchte  Ptolemäus,  der  älteste  von  den  drei  dem 
Könige  Lysimachus  von  Arsinoe  geborenen  Söhnen,  sich  durch  Hilfe 
eines  illyrischen  Fürsten  Monios  Makedoniens  zu  bemächtigen  (Trog. 
Pomp.  Prol.  24  bellum,  quod  Ptokmaeus  Ceraurms  in  Macedonia  cum 
Monio  lUyrio  et  Ptolemaeo  Lysimachi  fUio  habuit).  Dies  war  im  Jahre 
280,  wenige  Monate  vor  dem  Galliereinfall;  und  die  Notiz  sowie  der 
Name  des  illyrischen  Fürsten  steht  vollkommen  vereinzelt  in  der  Ge- 
schichte da.  Eine  Reihe  von  Combinationen,  die  sich  an  diese  Angabe 
knüpfen,  habe  ich  im  Verlauf  der  geschichtlichen  Darstellung  (Gesch. 


»  [S.  jetzt  Hellenism.  II»  2  S.  119  Anm.  2]. 


88  Päonien  und  Dardanien 

der  Xachf.  S.  647  IP  2  S.  338)  nicht  anzudeuten  gewagt.  Ich  will 
sie  hier  auiiiehmen,  indem  ich  hoffe,  ein  ziemlich  zuverlässiges  Resultat 
herausstellen  zu  können. 

Livius  XLIV  30  erzählt,  daß  Gentius  seinen  Bruder  ermordet 
habe:  fama  fuit  Ilonuni  Dardanortwi  principis  filiam  EttUatn  pacto 
fratri  eu/m  inindisse,  tamqiuim  his  nv/ptiis  adiungenti  aihi  Dardanorum 
gentem,  et  aimühis  id  vero  ferit  ducta  ea  virgo  Platore  (PleurcUo)  inter- 
fecto,  gravis  deinde  dempto  fratris  metu  popularibus  esse  coepit;  dasselbe 
bezeichnet  Polybius  XXIX  13.  5  (7)  änoxrsivccvrcc  Si  xal  üUvQarov 
TÖv  äSeXcpdv  yafietv  iiiXXovrct  rtjv  roO  Mbvovviov  d-vycttkQcc^  airöp 
yfjfiai  Tijv  naiSa  x  r  L  Dies  ist  unter  dem  Jahr  des  L.  Aemilius 
Paullus  II  und  C.  Licinius  Crassus  (168)  berichtet.  Man  hat  den 
Namen  Honuni  und  Mevovviov  aus  einer  Dyrrhachener  Münze  ver- 
bessert (Froohlich  Reg.  vet.  num.  anecd.  S.  46);  sie  führt  das  unzahlige 
Male  vorkommende  Gepräge,  die  Kuh  mit  dem  saugenden  Kalbe  auf 
der  einen  Seite,  auf  der  anderen  den  sogenannten  Garten  des  Alkinous, 
der,  wie  ich  mich  nach  Uhdens  Vorgang  bei  einer  Vergleichung  zahl- 
reicher Korkyräer  und  Dyrrhachener  Münzen  überzeugt  habe,  nichts 
ist  als  der  mehr  und  mehr  verflüchtigte  Zwillingsstem  (der  Dioskuren 
nach  Uhdens  schöner  Deutung),  der  auf  älteren  Münzen  vollkommen 
deutlich  und  erkennbar  ist.  In  den  Kreisabschnitten,  die  um  das 
Oblongum  dieses  Doppelstemes  übrig  bleiben,  steht  gewöhnlich  ein 
Magistratsname  nebst  AYPP,  auf  dem  Revers  ein  zweiter;  unter  jenen 
findet  sich  auch  der  Name  Movovviov.  Merkwürdig  ist  nun  die  Tetra- 
drachmo  aus  der  Sammlung  der  venetianischen  Familie  Teopoli,  wo 
in  den  Kreisabschnitten  steht  BACIAEQC  MONOYNIOY  AYPPA,  ohne 
Namen  auf  der  anderen  Seite.  Die  Gelehrten  sind  der  Meinung,  dies 
sei  der  von  Polybius  und  Livius  erwähnte  Fürst  der  Dardaner. 

Die  Sitze  der  Dardaner  beginnen  nach  Strabo  VII  316  da,  wo 
[834]  der  Drilonfluß  (Drino)  aufhört  schiff'bar  zu  sein,  und  reichen 
ostwärts  bis  in  die  Quellgegenden  des  Axios,  wo  die  wichtige  Position 
von  Skupi  noch  in  ihrem  Gebiet  lag.  Wir  werden  später  sehen,  wie 
sie  zu  gewissen  Zeiten  ein  weites  Gebiet  beherrschten;  die  angeführte 
Münze  beweiset,  daß  selbst  Dyrrhachium,  wenn  anders,  wie  nicht  zu 
zweifeln,  der  Name  Monunios  der  eines  dardanischen  Königs  ist,  ihnen 
zu  einer  Zeit  unterworfen  war. 

Dyrrhachium,  wie  sich  die  Stadt,  die  bei  den  Hellenen  stets  Epi- 
damnus  hieß,  selbst  nannte,  war  im  Jahr  314  von  Kassander  über- 
rumpelt und  mit  makedonischer  Besatzung  versehen  worden;  dann 
veranlaßte  Korkyra  die  Dyrrhachier  zum  Abfall  und  übergab  sie  an 
Glaukias,  den  Fürsten  der  Taulantiner  (Gesch.  der  Nachf.  S.  352.  365  11* 


Das  dardanische  Fürstentum  89 

S.  23. 37),  welches  Volk  nach  dem  Zeugnis  des  Thukydides,  Euphorien  und 
Eratosthenes  (bei  Steph.  Byz.  v.  Av^oaxiov)  der  Stadt  zunächst  wohnte. 
Seitdem  die  Bömer  ihre  Aufmerksamkeit  auf  die  makedonisch -helle- 
nischen Gegenden  zu  wenden  begannen,  wurde  Dyrrhachium  ein  Haupt- 
punkt für  sie.  Nur  kurze  Zeit  hatte  sie  der  illyrische  Fürst  Agron 
inne  (Appian  Illyr.  7),  nach  wiederholentlichem  Angriff  mußte  seine 
Witwe  die  Königin  Teuta  die  Stadt  aufgeben,  welche  sich  nun  226 
den  Römern  ergab  {napakaßövre^  elg  niariv  Polyb.  11  11.  10).  In 
dem  Vertrage  zwischen  Philipp  und  Karthago  wurde  ausdrücklich  be- 
stimmt, die  Römer  sollten  nicht  im  Besitze  von  Dyrrhachium  gelassen 
werden  (Polyb.  VII  9.  13),  aber  sie  blieben  es  (Liv.  XXXI  27.  XLII  48 
und  sonst)  und  die  Stadt  kämpfte  mit  ihnen  vereinigt  gegen  Gentius 
(Liv.  XLIV  30). 

Wenn  dem  so  ist,  so  kann  der  Monunios,  dessen  Tochter  Gentius 
heiratete,  um  durch  sie  die  Dardaner  zu  erhalten,  nicht  derselbe  sein 
mit  dem  König  Monunios,  der  laut  der  Münze  von  Dyrrhachium  dieser 
Stadt  Herr  war;  denn  fast  60  Jahre  vor  jener  Vermählung  war  die 
Stadt  bereits  den  Römern  zugethan. 

Die  Verhältnisse  der  iUyrischen  Völker  sind  besonders  dadurch 
überaus  schwierig,  weil  die  Geographie  der  vielen  kleinen  Stamme 
noch  unklar  ist  und  weil  die  alten  Schriftsteller  sehr  oft  von  einzelnen 
Stämmen  unter  dem  Gesamtnamen  lilyrier  sprechen.  Geschichtlich 
treten  in  der  Zeit  von  Philipp  IL  bis  Perseus  besonders  drei  Haupt- 
massen hervor:  die  Taulantiner  in  der  Nähe  von  Dyrrhachium  und 
Apollonia,  ein  mit  Epiroten  gemischtes  Volk  (Strabo  VII  326);  dann 
das  illyrische  Reich  an  der  Küste  zu  beiden  Seiten  des  unteren 
Brilon,  welches,  in  Philipp  II.  Zeit  von  Bardylis  gegründet,  bald  mehr 
bald  minder  machtig  unter  seinen  Nachkommen  bis  Gentius  hin  be- 
stand; endlich  die  Dardaner,  deren  Sitze  oben  bezeichnet  sind.  Ich 
muß  über  diese  einige  Notizen  zusammenstellen.  Sie  waren  ein  kriege- 
risches Bergvolk,  zogen  in  schwerer  Bewaffnung  in  den  Kampf,  fochten 
in  festen  Gliedern  (Liv.  XXXI  43),  so  roh  sie  waren,  liebten  sie  die 
Musik,  ihre  [835]  Wohnungen  waren  Erdgruben  mit  Mist  überdeckt 
(Strabo  VII  316  Plin.  IV  §  3),  doch  hatten  sie  auch  Städte.  Sie 
waren  dem  makedonischen  Königtum  sehr  feindselig  (Liv.  XL  57  und 
andere).  Schon  Philipp  11.  kämpfte  gegen  sie  (lustin.  Vni  6),  zu 
Alexanders  Zeit  scheinen  sie  ruhig  gewesen  zu  sein;  über  ihre  Ver- 
hältnisse in  der  Diadochenzeit  und  namentlich  zu  den  Kelten  werde 
ich  später  sprechen.  Dann  ist  längere  Zeit  von  ihnen  nicht  die  Rede. 
Demetrius  von  Makedonien  war  im  Kampfe  gegen  sie  229  gefallen 
(Trog.  Pomp.  proL  28)  und  Livius  (XXXI  28)  nennt  ihren  damaligen 


90  Päonien  und  Dardanien 

Fürsten  Longarus.  Als  darauf  Antigonus  Doson  das  makedonische 
Reich  übernahm,  berühmte  er  sich  in  seiner  Anrede  an  die  empörten 
Makedonier  ut  Dardcmos  Thessalosqtie  exultantes  morte  Demetni  com- 
pescuerit  (lustin.  XXYIII  3).  Die  Dardaner  scheinen  damals  von  aus- 
gedehnter Macht  gewesen  zu  sein;  kurz  zuvor  waren  lUyrier  aus  der 
Herrschaft  der  Königin  Teuta  zu  ihnen  abgefallen,  weshalb  die  Königin 
die  nach  Epirus  gesandten  Truppen  zurückberief  (Polyb.  11  6).  Als 
endlich  221  Philipp  Y.  sein  rechtmäßiges  Königtum  erhielt,  suchten 
die  Dardaner  und  die  anderen  benachbarten  Völker,  des  Königs  Jugend 
verachtend,  vielfach  Makedonien  heim,  wurden  aber  von  ihm  zurück- 
gedrängt (lustin.  XXIX  1.  Trog.  Pomp.  prol.  28.  29).  Im  Jahre  219 
erneuten  sie,  während  Philipp  im  Peloponnes  stand,  ihre  Einfalle  nach 
Makedonien;  bei  der  Nachricht  von  seiner  eiligen  Rückkehr  zogen  sie 
heim  (Polyb.  IV  66).  Zwei  Jahre  darauf  machte  der  König  einen 
erfolgreichen  Feldzug  gegen  sie,  und  nahm  die  wichtige  Position  Byla- 
zora  (Velesa  am  Axius)  im  Päoniergebiet,  welche  den  Dardanem  den 
Eingang  nach  Makedonien  hinfort  unmöglich  machte  (Polyb.  V  97). 
Um  die  Aetolier,  die  mit  den  Römern  ein  Bündnis  geschlossen,  desto 
ungehinderter  bekämpfen  zu  können  (210),  unternahm  Philipp  Streif- 
züge gegen  die  lUyrier  und  Dardaner,  und  gewann  wrh&m  in  Macedania 
sitam  transitu/m  Dardanis  facturam.  Im  Jahre  208  hatten  sie  die 
Abwesenheit  des  Königs  zu  einem  neuen  Einfall  benutzt,  besetzten  die 
orestische  Landschaft  und  verwüsteten  das  Aegesteier  Feld.  Bei  des 
Königs  schleuniger  Rückkehr  eilten  sie  mit  20000  Gefangenen  heim, 
(Liv.  XXVII  33.  lustin.  XXVIIII  4).  Jahres  darauf  zog  PhiUpp  von 
neuem  gegen  sie  (Liv.  XXVIII  8.  lustin  1.  c).  Als  im  Jahre  200 
der  Krieg  zwischen  Rom  und  Makedonien  zum  Ausbruch  kam,  fand 
sich  unter  den  illyrischen  Fürsten,  die  ihre  Hilfe  anboten,  im  Lager 
des  römischen  Consuls  auch  ex  Dardanis  Bato,  Langari  fUius  ein;  beUttm 
8tu)  nomine  ou/m  Demetrio  Philippi  paire  Longarus  gesserat  (Liv.  XXXI 28). 
Zwar  nennt  Strabo  (VII  314)  diesen  Bato  Hegemon  der  Daisi- 
diaten,  doch  hindert  das  nicht,  ihn  für  den  Dardanerfürsten  jener  Zeit 
zu  nehmen,  da  Livius  so  genaue  Bestimmungen  angiebt.  Der  Einfall 
vom  Jahre  200  mißlang  ihnen  (Liv.  XXXI  43),  und  als  sie  198  wieder 
vorgedrungen  waren,  wurden  sie  bei  Stobi  im  Päonierlande  gänzlich 
geschlagen  (Liv.  XXXIII  19).  Wenige  Jahre  nach  der  Niederlage 
Philipps  kämpfte  Lucius  Scipio  gegen  die  Dardaner  und  einige  ver- 
bündete Stämme,  angeblich  zur  Strafe  wegen  der  Teilnahme  an  dem 
Zuge  der  Gallier  (?)  gegen  Delphi;  aber  die  Dardaner  wußten  ihn  zu 
bestechen  (Appian  Illyr.  5).  Philipp  erholte  sich  allmählich  von  dem 
schweren  Schlage  bei  Kynoskephalä;   [836]   er  wollte   das  Volk   der 


Das  dardaniBche  Fürfitentom  91 

Dardaner  vernichten,  um  freie  Wege  gen  Westen  zu  haben;  er  forderte 
die  Bastamer  nndThrakier  zum  Kampf  gegen  sie  auf  (179);  die  Dar- 
daner wendeten  sich  Hilfe  bittend  an  Rom;  der  Thronwechsel  in 
Makedonien  und  Zerwürfnisse  des  Perseus  mit  den  Bastarnem  endeten 
die  Gefahr  (Polyb.  XXV  6.  Liv.  XL  57  XU  23). 

Um  diese  Zeit  muß  jener  Monunios,  dessen  Tochter  Gentius  heim- 
fahrte, König  der  Dardaner  gewesen  sein,  mag  er  der  unmittelbare 
Nachfolger  des  Bato  sein  oder  nicht.  Keinen  Falls  war  zu  seiner  Zeit 
das  Dardanergebiet  so  weit  westwärts  ausgedehnt,  daß  Dyrrhachium 
demselben  zugehören  konnte,  was  oben  schon  aus  anderen  Gründen 
als  unstatthaft  zurückgewiesen  ist;  und  zur  Zeit  des  Königs  Demetrius 
(239 — 229)  war  Longarus  König  der  Dardaner.  Wo  nun  jenen  so 
mächtigen  Monunios  finden? 

Hier  in  Berlin  befindet  sich  aus  der  früheren  Wiesielowskyschen 
Sammlung  im  Besitz  des  Herrn  Directors  und  Ritters  August  Döpler 
eine  Silbermünze,  welche  Aufschluß  zu  geben  verspricht.  Sie  ist  von 
Uhden  in  den  Abhandlungen  der  BerL  Akad.  1830  bekannt  gemacht 
und  erläutert,  doch  genügt  weder  die  beigefügte  Zeichnung,  wie  ich 
mich  durch  sorgfaltige  Vergleichung  mit  dem  Original  überzeugt,  noch 
hat  der  hochverehrte  Archäolog  auch  nur  das  Geringste  zur  historischen 
Würdigung  der  merkwürdigen  Tetradrachme  geleistet.  So  viel  ich 
weiß,  ist  das  genannte  Exemplar  bis  jetzt  das  einzige  dieser  Art,  das 
man  kennt;  zum  Glück  ist  es  von  der  vortrefflichsten  Erhaltung  \ 
Auf  der  einen  Seite  ist  ein  männlicher  Kopf  mit  der  Löwenhaut  be- 
deckt; TJhden  erklärt  ihn  ganz  entschieden  für  ein  Porträt,  was  ich 
nicht  zu  unterschreiben  wage.  Auf  der  anderen  Seite  ist  Zeus,  auf 
einem  Thron  sitzend,  sein  Oberkörper  bloß,  sich  vorwärts  neigend;  in 
seiner  Linken  der  Stab,  auf  der  Rechten  ein  Adler;  mit  der  Umschrift 
MONOYNIOY  .  .  IIAEQ.  Durch  das  verschobene  Gepräge  sind  einige 
Buchstaben  des  ßamlscjg  ausgefallen;  ein  Monogramm  ^-E  steht 
unter  der  Bechten  des  Zeus.  Diese  Münze  nun  ist  so  durchaus  im 
Typus,  in  der  Größe,  in  der  Darstellung  bis  in  das  kleinste  Detail 
hinein  den  Tetradrachmen  Alexanders  des  Großen  und  ihren  Wieder- 
holnngen  in  Makedonien  und  Thrakien  während  der  nächsten  50  Jahre 
entsprechend,  daß  man  sie  unmöglich,  wie  es  Uhden  gethan  hat,  in 
Philipp  V.  oder  Perseus  Zeit  verweisen  kann;  sie  muß  aus  den  nächsten 
50  Jahren  nach  Alexanders  Tod  sein. 

So  haben  wir  folgendes:  1.  der  Name  Monunios  kommt  im  Fürsten- 

'  [Es  befindet  sich  jetzt  im  Pariser  Münzkabinett;  nach  einem  Abdruck, 
den  A.  Imhoof-Blnmer  gütigst  zur  Verfügung  stellte,  ist  die  oben  S.  79  gegebene 
phototypische  Abbildung  ausgeführt  worden.   Die  Münze  wiegt  gr.  16,47]. 


92  Päonien  und  Dardanien 

hause  der  Dardaner  vor;  2.  wir  finden  einen  König  Monunios  auf 
Dyrrhachener  Münzen;  3.  wir  finden  eine  Monuniosmünze  mit  dem 
vollkommenen  Gepräge  Alexanders  von  Makedonien  und  seiner  Zeit 
nicht  fem;  4.  es  ist  demnach  wahrscheinlich,  daß  nicht  lange  nach 
Alexander  ein  machtiger  Dardanerfürst  Monunios  regiert  habe.  Von 
den  Dardanem  wissen  wir  aus  der  Diadochenzeit  wenig;  als  die  Auta- 
riaten  von  dem  keltischen  Volk  der  Skordisker  verdrängt  wurden, 
wandten  sie  sich  nicht  gegen  die  Dardaner,  sondern  gegen  die  Päonier, 
obschon  ihnen  beide  gleich  nahe  wohnten.  Zwanzig  Jahre  darnach, 
im  Herbst  280  begannen  die  bekannten  Züge  der  Kelten;  der  eine 
[837]  Schwärm  unter  Kerethrius  wandte  sich  ostwärts  gen  Thrakien, 
ein  zweiter  unter  Brennus  (und)  Akichorius  gegen  Päonien,  ein  dritter 
unter  Belgius  gegen  Makedonien  und  Ill^'rien;  diese  drohten  die  größte 
Gefahr.  Da  bot  der  Fürst  der  Dardaner  dem  Ptolemäus  Keraunos, 
dem  damaligen  Könige  Makedoniens,  20000  Mann  Hilfstruppen,  die 
aber  zum  größten  Unheil  des  Landes  verschmäht  wurden.  Im  nächsten 
Jahre  folgte  der  ungeheure  Heereszug  des  Brennus  gen  Delphi;  hätte 
Appians  seltsame  Angabe  Zuverlässigkeit,  so  müßten  an  dieser  Heerfahrt 
auch  die  Dardaner  Anteil  genommen  haben  (Illyr.  5).  In  dem  Lande 
der  Dardaner  trennten  sich  die  Haufen  des  Lutarius  und  Leonnorius 
von  dem  Hauptheer  und  gingen  gen  Byzanz  (Liv.  XXXVIII  16).  Die 
Überreste  des  großen,  bei  Delphi  geschlagenen  Zuges  zogen  278 
unter  Comontorius  gen  Thrakien,  unter  Bathanatius  gen  lUyrien;  der 
Rest  wurde  im  Lande  der  Dardaner  vollkommen  aufgerieben  (Athen. 
VI  S.  234  Polyb.  IV  45.  46  Diod.  XXII  9). 

Man  stelle  sich  nun  vor,  welchen  Ruhm  dem  Dardanerfürsten 
die  Vernichtung  der  Gallier,  welche  Schätze  die  ihnen  abgenommene 
delphische  Beute  bringen  mußte;  und  während  derselben  Zeit  war  die 
einzige  Hauptmacht  Epirus  durch  die  fast  sechsjährige  Abwesenheit 
des  Pyrrhus  ohnmächtig,  Makedonien  sank  mit  jedem  Tage  tiefer;  erst 
das  tolle  Regiment  des  Keraunos,  dann  die  furchtbaren  Galliereinfalle, 
die  Anarchie,  die  beginnende,  wieder  vernichtete  und  wieder  erstehende 
Herrschaft  des  Antigonus,  alle  diese  VorfiJle  in  einem  Zeitraum  von 
acht  Jahren  mußten  wohl  die  Kraft  des  einst  herrlichen  Landes  bis 
zur  äußersten  Erniedrigung  herabdrücken.  Das  Fürstentum  von  Päo- 
nien war  vernichtet  und  durch  die  Gallier  verwüstet;  die  ^Autariaten, 
einst  das  mächtigste  Volk  illyrischen  Stammes,  waren  aufgerieben  oder 
verpflanzt,  die  Illyrier  an  der  adriatischen  Küste,  so  viel  ihrer  zum 
Reich  des  Bardylis  (Klitus  Sohn,  Enkel  des  Bardylis,  Gesch.  der  Nachf. 
S.  596  11^  2  S.  282)  gehörten,  scheinen  durch  das  seit  Jahren  immer 
steigende  Drängen  der  Kelten   und   zuletzt   der  Skordisker  sehr   ge- 


Das  dardanische  Fürstentum  93 

schwächt  worden  zu  sein;  von  dem  Fürstentum  der  Taulantiner,  wo 
noch  um  302  der  alte  Glaukias  König  war,  wissen  wir  nicht,  ob  sein 
Sohn,  dessen  Hochzeit  jenes  Jahr  gefeiert  wurde,  noch  herrschte,  oder 
ob  Pjrrhus,  wie  man  aus  gewissen  Andeutungen  vermuten  kann, 
seiner  Herrschaft  auch  diese  illyrisch-epirotischen  Mischstamme  unter- 
worfen hatte.  Wenn  Liv.  ep.  15  erzählt,  die  ApoUoniaten  an  der 
illjrischen  Küste  hätten  nach  Rom  (etwa  271)  Gesandte  geschickt,  die 
dort  von  jungen  Leuten  mißhandelt  wurden,  so  scheint  es,  daß  man 
sie  als  Feinde  Roms,  als  Genossen  des  Pyrrhus  ansah;  man  darf  vor- 
aussetzen, daß  sie  Hilfe  bittend  kamen,  es  ist  aus  jenem  Vorgang 
wahrscheinlich,  daß  sie  nicht  gegen  Epirus  Hilfe  suchten,  sonst  hätten 
sie  in  Rom  populär  sein  müssen. 

Und  nun  finden  wir  jene  Monuniosmünze  mit  durchaus  demselben 
Gepräge,  welches  nach  Alexander  des  Lysimachus,  des  Philipp  III.,. 
fies  Demetrius  des  Poliorket«n,  des  Audoleon  Münzen  zeigen;  min- 
destens für  ein  Zeichen  der  Ohnmacht  wird  man  es  bei  Audoleon  und 
Monunios  nicht  nehmen  woUen,  sonst  würde  beiden  der  stolze  Titel 
ßaaiX^q  nicht  gestattet  worden  sein.  Wie  bedeutend  die  dardanische 
[838]  Macht  um  das  Jahr  280  war,  lehrt  das  Anerbieten  des  darda- 
nischen  Fürsten,  20000  Bewaffnete  zum  Kampf  gegen  die  Kelten  zu 
stellen;  daß  Ptolemäus  Keraunos  diese  Hilfe  eines  kriegerischen  Volkes 
zurückwies,  muß  jeden  befrenaden;  seine  Antwort:  „es  würde  um  Make- 
donien geschehen  sein,  wenn  es  nun  zum  Schutz  der  Grenzen  der 
Dardaner  Hilfe  brauchen  wolle"  (Justin  XXIV  4),  kann  nicht  die 
ganze  Begründung  dieser  auffallenden  Maßregel  enthalten;  und  wären 
die  Dardaner  mit  Makedonien  befreundet  gewesen,  so  hätte  sich  solche 
Gemeinsamkeit  der  Verteidigung  fast  von  selbst  verstanden.  Hier  nun 
erinnere  ich  daran,  daß  der  illyrische  Fürst,  der  gegen  Ptolemäus 
Keraunos  die  Sache  des  Prätendenten  Ptolemäus,  Lysimachus  Sohn, 
vertrat^  in  dem  24.  Prolog  des  Trogus  Pompeius  Monios  genannt  wird; 
es  scheint  mir  unzweifelhaft,  daß  dies  Monunios  ist,  dessen  Beistand 
nach  diesem  Vorgange,  der  etwa  acht  Monate  früher  als  der  Gallier- 
einfall datiert,  dann  von  Keraunos  mit  Recht  zurückgewiesen  wurde; 
der  Dardanerfürst  rief  bei  der  Antwort  des  Keraunos  aus:  , Jenes  hoch- 
berühmte  Makedonier-Reich  wird  in  kurzem  durch  die  Tollkühnheit 
des  Jünglings  {temerüate  immcUuri  iuvenis  ist  nahe  an  einem  Ana- 
chronismus) untergehen".  Er  sah  die  Gefahr  in  ihrer  ganzen  Größe 
voraus;  wie  es  auch  mit  seiner  oder  seines  Volkes  Teilnahme  an  dem 
Zug  der  Gallier  mag  ausgesehen  haben,  der  Rest  der  mit  reicher 
Beute  heimkehrenden  fand  im  Dardauerlande  den  Untergang.  Je  er- 
schöpfter und  zerrütteter  die  Länder  umher  waren,   desto  mächtiger 


94  Päonien  und  Dardanien 

erhob  sich  darcli  diesen  Sieg  der  Dardanerfürst;  nur  in  dieser  Zeit 
konnte  es  sein,  daß  sich  eines  Monunios  Herrschaft  bis  Dyrrhachium 
ausdehnte,  und  daß  Dyrrhachium  Münzen  prägte  unter  dem  Namen 
jenes  Fürsten.  Und  wenn  aus  dem  Inhalt  des  25.  Buches  des  Trogus 
Pompeius  angegeben  wird,  ut  Pyrrhus  Argis  interierit  /üiusque  eins 
Alexander  Blyricum  cum  Mytüo  bellum  habuerU,  so  ist  dieser  Mjtilus 
kein  Fürst  aus  dem  illyrischen  Seiche  an  der  Küste,  die  erst  nach 
230  Epirus  heimzusuchen  begannen  (Paus.  IV  35),  denn  wir  kennen 
die  Reihe  der  Fürsten  dieses  Reiches  von  dem  Gründer  Bardylis  bis 
zum  Untergänge;  an  die  Taulantiner  zu  denken,  scheint  nicht  geraten; 
hätte  ihr  Reich  bestanden,  so  würde  kein  Monunios  Dyrrhachium 
erobert  haben.  Es  ist  bei  weitem  das  Natürlichste,  auch  hier  statt 
Mytilus  den  dardanischen  Monunios  zu  setzen^,  der  durch  die  Be- 
setzung von  Dyrrhachium  den  Grenzen  des  eigentlichen  Epirus  nahe 
war,  ja  die  dem  epirotischen  Königtum  wahrscheinlich  unterworfenen, 
aus  Illyriern  und  Epiroten  gemischten  Völkerschaften  im  Norden  der 
keraunischen  Berge  bedrohen  mochte.  Daß  dieser  Krieg  vor  268, 
vor  der  Belagerung  Athens  durch  Antigonus  war,  sieht  man  aus  der 
Zeitfolge  bei  Justin  und  Trogus.  Und  nun  finden  wir  die  Gesandten 
von  Apollonia,  das  in  eben  diesen  Gegenden  liegt,  um  271  in  Rom; 
sie  werden  von  den  jungen  Römern  insultiert,  also  gewiß  weil  sie  für 
Freunde  von  Epirus  galten.  Es  ist  nichts  natürlicher,  als  daß  sie, 
wie  auch  später,  von  Feinden  bedroht  sich  an  Rom  wandten,  und  wer 
konnte  dieser  Feind  um  das  Jahr  270,  als  Dyrrhachium  in  Monunios 
Hand  war,  wer  konnte  es  anders  sein  als  Monunios  mit  seinen  Dar- 
danem? 


}  [Der  neueste  Herausgeber  verzeichnet  die  Verbesserung  Monunio  im 
kritischen  Apparat  S.  LVIII]. 


IV. 

Demosthenes. 

a.  Über  die  £ehthelt  der  Urkunden  In  Demosthenes  Bede 

TOm  Kranz. 

Citios  emergit  veritas  ex  errore  quam  ex  confusione. 

(Zeitschrift  für  die  Altertumswissenschaft  herausgegeben  von  Dr.  L.  Chr. 
Zimmermann  1839  Sp.  537  ff.  Hier  abgedruckt  nach  dem  Handexemplar  der 
Sonderausgabe  Berlin  1839,  205  und  VHI  S.  8.,  in  dem  vom  Verf.  einige 
Druckfehler  berichtigt  'sowie  einige  kleine  Zusätze  gemacht  sind,  die  besonders 

zu  bezeichnen  nicht  notwendig  schien). 

I.  Einleitung. 

Bekanntlich  fehlen  den  meisten  attischen  Gerichtsreden,  [537]  die 
ach  bis  auf  unsere  Zeit  erhalten  haben,  die  Urkunden,  Zeugenaussagen, 
Gesetzesstellen  u.  s.  w.,  auf  welche  die  Beweisführung  begründet  ist; 
gewöhnlich  sind  nur  ihre  Überschriften  übrig  geblieben  und  zeigen  die 
Stelle,  wo  sie  eingeschaltet  gewesen.  Jedoch  sind  solche  Documente 
wenigstens  teilweise  in  einigen,  in  etwa  drei  Beden  vollständig  erhalten. 

Es  liegt  die  Frage  nahe,  ob  ursprünglich  den  Beden  die  be- 
treffenden Urkunden  beigefügt  gewesen  oder  nicht.  Allerdings  wurden 
sie  bei  der  gerichtlichen  Verhandlung  nicht  von  dem  Sprecher  selbst, 
sondern  durch  den  Grammateus  mitgeteilt;  aber  es  ist  irrig,  sich  vor- 
zustellen, als  hätte  der  Grammateus  nur  Aktenstücke,  die  in  der  Ana- 
krisis  produciert  gewesen,  und  die  ihm  somit  seitens  des  algaycoyavg 
eingehandigt  worden,  vorgelesen.  Der  Bedner  konnte  mancherlei  mit- 
zuteilen das  Interesse  haben,  wovon  in  der  Anakrisis,  wo  es  sich  nur 
um  die  Constatierung  der  zur  Sache  gehörenden  Beweismittel  handelte, 
gar  keine  Bede  gewesen  war;  so  wird,  um  nur  ein  Beispiel  anzuführen, 
in  der  Bede  vom  Kranz  (§  289)  das  Epigramm  auf  die  bei  Chaironeia 
Gefallenen   gelesen.     Die   Midiana   hat   eine  nicht   kleine  Zahl  von 


96  Demosthenes 

Gesetzen,  Zeugnissen  iL  s.  w. ;  der  Prozeß  wurde  aber  vor  dem  Gerichts- 
tage aufgegeben,  als  bereits  die  Rede  geschrieben,  wenn  auch  noch 
nicht,  wie  noch  jetzt  der  Augenschein  lehrt,  gefeilt  war;  es  hätten 
nach  jener  irrigen  Voraussetzung  die  betreffenden  Documente,  in  dem 
ixivog  versiegelt,  für  Demosthenes  unzugänglich  sein  müssen  und 
könnten  nicht  in  der  Rede  stehen.  Jedenfalls  also  sind  die  Documente 
auch  in  den  Händen  der  Parteien;  sie  mußten  es  sein,  wenn  über- 
haupt auf  Grund  derselben  eine  Rede  ausgearbeitet  werden  sollte.  Ja, 
was  der  Grammateus  vorlas,  mag  es  irgendwie  von  der  Behörde  vidi- 
miert worden  sein,  jedenfalls  mußte  der  Sprecher  die  Reihenfolge 
der  zu  lesenden  Schriften  bestimmt  haben;  denn  gewöhnlich  findet  sich 
keine  nähere  Specificierung  des  zu  lesenden  Aktenstückes,  nach  der  es 
der  Schreiber  hätte  herausfinden  können.  Und  tritt  auch  häufig,  nach- 
dem derselbe  zum  Lesen  angewiesen,  noch  ein  neuer  Satz  mit  dem 
beliebten  xaitoi  ein,  so  ist  doch  wieder  in  den  meisten  Stellen  zwischen 
der  Aufforderung  und  dem  Lesen  keine  weitere  Zeit,  in  welcher  der 
[538]  Grammateus  nach  dem  betreflenden  Aktenstücke  hätte  suchen 
können.  Vielmehr  beweiset  das  so  häufige  Vorkommen  des  liye  fiot 
Xaß(6v  mit  dem  rodro  rd  ^ip/jipKTfia,  daß  der  Sprechende  entweder 
immer  oder  oft  dem  Grammateus  hingiebt,  was  er  lesen  soll,  wie  denn 
in  der  Rede  xar  !AQi(noxQdtovg,  nachdem  das  Convolut  Gesetze 
(§  22)  mit  dem  Mß^  xccl  kiye  in  des  Schreibers  Hand  ist,  bis  §  82 
die  weiteren  Gesetze  (ohne  Xaße  oder  kaßojv),  gelesen  werden,  und 
dann  der  Redner  sagt:  äpd  ris*  ^/jurv  in  loinög  ktm  vöfioq;  SeT^ov, 
ovToai,  Xiyt  rovrov  (vgl.  Andoc.  nB(}l  r&v  pLvanjQimv  §  87)  und 
einige  Paragraphen  später:  Xiye  rov  fiirä  tautcc  vöfiov,  ?y  ovrot 
navTsg  tlaiv.  Noch  deutlicher  ist  dies  aus  Demosthenes  n^gl  na^an. 
§  40  kiys  (jiOi  kaßcov  kx  rfjg  ngorigag  km<TroXf]g  avrd  rorro,  iv- 
i^-ivSe  Uye  und  in  der  Leptinea  §  84  käßs  Si]  xal  rd  T(p  XccßQi^e 
\lf/jq)i(TfjLcc  "(jjrjtpKT&av'  6^cc  Sij  xal  axöner  Sei  yuQ  ccvrö  kvTaij&'  üvai 
novj  wo  der  Redner  sichtlich  seine  zusammengeschriebenen  Urkunden 
hinreicht,  aber  nicht  eben  gleich  die  Stelle  genauer  bezeichnet,  wo  das 
Fragliche  steht.  Ähnlich  ist  xarä  'iQitrroxQ,  §  162,  wo  der  Redner 
sich,  nachdem  schon  ein  paar  Briefe  gelesen  sind,  die  Stelle  zeigen 
läßt,  die  er  weiter  gelesen  haben  will:  Uy  ^|  iri^ag  iniarolfig  km- 
Sti^ag.  Wenn  sich  dagegen  der  Redner  erst  eine  Urkunde  reichen 
{66g  Si  fioi  xä  Söyfiarcc  ravra,  so  iit^Q  Krtja.  §  153  156)  und  dann 
erst  sein  Xiye  folgen  läßt,  so  scheinen  die  beiden  Aufforderungen  an 
dieselbe  Person  gerichtet  zu  sein.  Jedenfalls  aber  ist  nur  daraus,  daß 
der  Redner  die  Urkunden  zum  Lesen  entweder  vor  oder  während 
seiner   Rede   hingiebt,    begreiflich,    wie   Demosthenes   dem   Aischines 


Die  Urkunden  der  Kran2xede  97 

vorwerfen  kann  rovg  vöfiovg  fieranot&Vy  r&v  S*  cc(paiQ&v  fj^i^rj,  ovg 
8Xovg  Sixaiov  Jjv  &vayiyv(j!)Gx%a&ai  roiq  ye  dfjbWfjLoxöm  xarä  rovg 
vöfiovg  ^pri(piua&ai  {vniQ  Krrjg.  §  121  vgl.  xarä  !Aqi(ttoxq.  §  88), 
eine  Stelle,  welche  beweist,  daß  das  Vorlesen  dnrch  den  Grammatens 
nicht  etwa  die  staatliche  Garantie  für  die  Richtigkeit  des  Gelesenen 
in  sich  schließt. 

Von  den  uns  erhaltenen  Gerichtsreden  sind  verhältnismäßig  sehr 
wenige  von  ihren  Verfassern  selbst  vor  Gericht  gesprochen;  alle  von 
Isaios  und  Deinarchos,  mit  einer  Ausnahme  alle  von  Lysias  und  von 
den  Demosthenischen  die  meisten  sind  in  fremden  Prozessen  und  auf 
Bestellung  geschrieben.  Der  koyoyQätpog  war  natürlich  bei  der  Ana- 
krisis  nicht  gegenwärtig,  ihm  mußten  die  Dokumente,  auf  die  es  bei 
[539]  der  gerichtlichen  Verhandlung  ankommen  konnte,  seitens  der 
Parteien  eingehändigt  werden,  welche  von  ihnen  und  an  welcher  Stelle 
jedes  er  in  der  zu  haltenden  Rede  anbringen  wollte,  mußte  natürlich 
so  genau  bezeichnet  sein,  daß  sich  der  Besteller  damit  zurecht  finden 
konnte.  Und  da  wir  keine  Spur  einer  Numerierung  oder  sonstiger 
Ordnungszeichen  vorfinden,  scheint  es  natürlich  anzunehmen,  daß  der 
XoyoyQÜ<pog  die  Aktenstücke  so  einschaltete,  wie  sie  der  Sprecher  ver- 
lesen lassen  sollte  und  wie  wir  sie  noch  in  einigen  Reden  eingeschaltet 
finden,  mögen  sie  dann  dem  Schreiber  einzeln  oder  vereinigt  in  Ab- 
schrift för  die  gerichtliche  Verhandlung  selbst  überreicht  worden  sein. 

Nachweislich  wurden  manche  gerichtliche  Reden  nicht  bloß  in 
dem  betreffenden  Gerichtshofe  gehalten,  sondern  hinterdrein  heraus- 
gegeben; und  solche  herausgegebenen  Reden  sind  wohl  nur  auf  unsere 
Zeit  gekommen.  Mochte  die  Absicht  sein,  über  einen  interessanten 
oder  politisch  wichtigen  Prozeß  allgemeinere  Kunde  zu  verbreiten  oder 
den  Ruhm  ausgezeichneter  logographischer  Kunst  zu  gewinnen,  jeden- 
falls mußten  die  beweisenden  Urkunden  an  der  Stelle  eingeschaltet  zu 
lesen  sein,  wo  sie  die  Richter  gehört  hatten.  Und  ahmte  Isokrates 
in  seiner  „Ttecn  dvriSöaBcjg^'  die  Form  gerichtlicher  Rede  nach,  und 
waren,  wie  manche  Gelehrte  annehmen,  Aischines  und  Demosthenes 
Reden  ^bqI  nuoaitQEffßeiag  ediert,  ohne  für  einen  wirklichen  Prozeß 
bestimmt  gewesen  zu  sein,  so  mußten  natürlich  die  Dokumente,  auf 
die  sich  die  Beweisführung  stützte,  in  ihnen  vollständig  mit  aufge- 
nommen sein. 

So  erscheinen  die  Urkunden,  Zeugnisse,  Volksbeschlüsse  u.  s.  w. 
als  notwendige  Teile  der  Rede,  wenn  sie  für  weitere  Verbreitung  ver- 
viellSltigt  vnirde.  Wollte  man  auch  annehmen,  daß  sich  vielleicht  eine 
oder  die  andere  Rede  ohne  weitere  Edition  im  Besitz  des  Privat- 
mannes,  der  sie  gesprochen,   und  seiner  Familie  erhalten  und  später 

Droysen,   Kl.  Schriften  I.  7 


98  Demosthenes 

den  Weg  in  die  alexandrinischen  Sammlungen  gefanden  habe,  so  würde 
man  doch  auch  da  voraussetzen  dürfen,  daß  sich  die  Dokumente  in 
ihnen  eingeschaltet  Torgefunden.  Doch  scheint  unser  Vorrat  von  Ge- 
richtsreden, wie  schon  erwähnt,  nur  aus  edierten  zu  bestehen,  und  wie 
viele  abschriftlich  verbreitet  gewesen  sein  müssen,  lehrt  ein  Blick  in 
Aristoteles  Rhetorik. 

Hieraus,  glaube  ich,  ergiebt  sich,  daß,  wenn  sich  in  einigen  Reden 
noch  jetzt  die  Aktenstücke  sämtlich  oder  teilweise  vorfinden,  dieselben 
ebenso,  wie  sie  der  Verf.  eingeschaltet,  überliefert,  keineswegs  erst  in 
späterer  Zeit  von  gelehrten  Editoren  aus  Archiven  und  Urkunden- 
sammlungen eingeschaltet  sind.  In  Demosthenes  Reden  gegen  Lakritos, 
gegen  Makartatos,  in  denen  sich  die  sämtlichen  Dokumente  vorfinden, 
handelt  es  sich  um  ganz  private  Verhältnisse,  und  es  ist  in  keiner 
Weise  denkbar,  daß  sich  die  dort  angeführten  Contracte  und  Zeugen- 
aussagen bis  zu  der  Zeit  der  gelehrten  Bearbeiter  in  den  öfientlichen 
Registraturen  erhalten  oder  in  den  Urkundensammlungen  des  Philo- 
choros,  Krateros  u.  s.  w.  eine  Stelle  gefunden  haben  sollten. 

Ist  dagegen  in  den  meisten  Reden  von  den  Urkunden  nichts  als 
die  Überschriften  geblieben,  so  lassen  sich  mancherlei  Möglichkeiten 
denken,  wie  das  gekommen.  Namentlich  dürfte  sich  der  Umstand 
[540]  anführen  lassen,  daß  das  Studium  der  attischen  Redner  bald 
überwiegend  im  Interesse  der  Rhetorik  und  der  attischen  Diktion  be- 
trieben wurde,  woraus  sich  denn  die  Auslassung  jener  Beilagen  von 
nur  sachlichem  Interesse  gar  wohl  erklären  ließe. 

Von  den  erhaltenen  Urkunden  aller  anderen  Reden  unterscheiden 
sich  die  in  der  demosthenischen  Rede  imio  KrrjaKp&vrog  auf  höchst 
auffallende  Weise.  In  keiner  anderen  Rede  findet  man  Dokumente, 
die  das  Faktum,  welches  sie  bewahrheiten  sollen,  entweder  gar  nicht 
berühren,  oder  ganz  anders  darstellen,  als  nicht  bloß  die  sonstigen 
tTberlieferungen,  sondern  die  nächststehenden  Worte  des  Redners  er- 
warten lassen  —  in  keiner  anderen  Zeugenaussagen,  in  denen  sich  die 
Zeugen  nur  mit  Hinzufügung  des  Vaternamens  nennen,  —  in  keiner 
anderen  so  mannigfache  Abweichungen  von  den  bekannten  Formen  des 
attischen  Staates  und  dem  offiziellen  Sprachgebrauch.  Dazu  kommt, 
daß  von  den  etwa  fünfzig  Namen  von  Zeugen,  Gesandten,  Rednern, 
Beamten  u.  s.  w.,  die  in  den  verschiedenen  Urkunden  genannt  und  zum 
Teil  mit  den  Namen  des  Vaters  und  des  Demos  näher  bezeichnet 
werden,  uns  aus  anderen  tTberlieferungen  her  so  gut  wie  keiner  be- 
kannt ist,  obschon  sich  der  Katalog  der  aus  Demosthenes  Zeit  bekannten 
attischen  Personen  auf  nahe  an  2000  Namen   beläuft,   Namen,   die 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  99 

natürlich  zum  größten  Teil  die  der  reicheren  und  bedeutenderen  Leute 
jener  Zeit  sind.  Endlich  werden  in  den  eingeschalteten  Volksbeschlüssen 
zur  Bezeichnung  des  Jahres  Archonten  angeführt,  die  entschieden  falsch 
sind;  weder  in  Inschriften,  noch  in  SchriftsteUem  (vielleicht  eine  Stelle 
ausgenommen)  finden  sich  sonst  diese  Pseudeponymen,  und  unsere 
Rede  bietet  deren  etwa  zehn  dar. 

Der  letzte  Umstand  ist  es  besonders,  der  zu  mehrfachen  Unter- 
suchungen Anlaß  gegeben  hat.  Das  große  historische  Interesse  der 
Urkunden  schien  es  besonders  wünschenswert  zu  machen,  daß  ihre 
Echtheit,  die  bei  solchen  Übelständen  allerdings  großen  Verdacht  gegen 
sich  hatte,  erwiesen  würde. 

Was  von  früheren  Gelehrten,  namentlich  von  Palmerius,  Corsini, 
Taylor  versucht  worden,  können  wir  übergehen,  da  in  den  letzten 
zwanzig  Jahren  mit  größerer  Schärfe  und  Umsicht,  als  früher,  das  Für 
und  Wider  durchgesprochen  ist. 

Zuerst  machte  Hr.  Schömann  die  Möglichkeit  geltend,  daß  die 
Namen  dieser  Pseudeponymi  vielleicht  substituierte  Archonten  bezeich- 
neten, wenn'  etwa  durch  Krankheit  oder  Tod  oder  durch  Absetzung 
des  Eponymos  ein  anderer  an  seine  Stelle  erlost  werden  mußte  {de 
ccmüiis  S.   145). 

Sodann  versuchte  Hr.  Spengel  in  seiner  trefflichen  Abhandlung 
„über  die  sogenannten  Pseudeponymi  in  Demosthenes  Rede  für  den 
Ktesiphon«  (im  Bhemischen  Museum  II  3,  182«  S.  366—404)  nach- 
zuweisen,  daß  die  Volksbeschlüsse  von  dem  Redner  selbst  in  die  Rede 
aufgenonunen  seien,  aber  ohne  Angabe  des  Datums  und  der  Archonten, 
und  daß  diese  erst  in  späterer  Zeit  irgend  ein  Unkundiger  beigefügt 
[541]  habe.  Letzteres  zu  bestätigen,  teilt  er  eine  Reihe  feiner  Beob- 
achtungen über  die  vorkommenden  Namen  und  Zahlen  mit,  in  denen 
sich  allerdings  die  armselige  Phantasie  des  Verfälschers  zu  verraten 
schien.  Eine  genauere  Untersuchung  über  den  Inhalt  der  Decrete  und 
die  Berücksichtigung  der  sonstigen  Urkunden  in  unserer  Rede  ver- 
mied er. 

Einige  Zeit  darauf  erschien  Hm.  Böckhs  meisterhafte  Abband- 
lund  ds  archonübus  Ättids  pseudeponymis  (Abhandlungen  der  Berl.  Akad. 
1827,  ediert  1830  kl.  Sehr.  IV  S.  266  ff).  Festhaltend  an  der  Echtheit  der 
Dokumente,  glaubte  er  aus  einer  Verwirrung  in  den  Archiven  nach- 
weisen zu  können,  wie  die  Archontennamen  durch  Mißverständnis  ent- 
standen und  Decrete,  die  auf  ganz  andere  Verhältnisse  bezüglich,  in 
Ermangelung  anderer  eingeschaltet  worden,  außer  Zusammenhang  mit 
den  Worten  des  Redners  seien.  Er  nimmt  an,  daß  in  dem  Archive 
die  Akten  eines  Jahres  in  Fächer  verteilt  bei  einander  gelegen  und 

7» 


100  Demosthenes 

alle  diese  Fächer  als  geineinscliaftliclie  Etikette  den  Namen  des  Archon 
gehabt  hätten,  so  daß  in  den  einzelnen  Dokumenten  der  Archon ten- 
name  weggelassen  und  nur  die  speciellere  Datierung  mit  dem  Namen 
des  Piytanienschreibers  darin  aufgenommen  worden  sei;  im  Laufe  der 
Zeit  hätten  sich  dann  jene  Etiketten  verloren,  und  von  den  Sammlern 
seien  die  Namen  der  Prytanienschreiber  irrtümlich  statt  derer  der 
Archonten  angenommen.  Man  kann  nicht  leugnen,  daß  diese  Hypo- 
these, die  Hr.  Böckh  mit  der  ihn  auszeichnenden  Eleganz  durchgeführt 
und  zur  Lösung  auch  der  historischen  Schwierigkeiten  ausgebeutet  hat> 
mit  überraschender  Einfachheit  die  ganze  Frage  löst,  und  es  scheint 
diese  Ansicht  die  allgemein  herrschende  geworden  zu  sein.  Hr.  Wi- 
niewskj  hat  dieselbe  im  Epilogus  seiner  commmiaini  in  Demostkenis 
orationem  de  Corona  (1829)  in  einigen  Punkten  weiter  verfolgt,  und 
Hr.  Westermann,  in  Sachen  des  Demosthenes  eine  Autorität,  hat 
für  sie  und  ihre  Konsequenzen  neue  Bestätigungen  geltend  gemacht 
(Zeitschr.  für  die  Altertumsw.  1837  Nr.  36). 

Einer  Erörterung  im  entgegengesetzten  Sinne  unterzog  diese  Ur- 
kunden Hr.  Brückner  in  seiner  fleißig  gearbeiteten  Schrift  „König 
Philipp  und  die  hellenischen  Staaten  1837".  Die  Untersuchung  wendet 
sich  namentlich  auf  den  geschichtlichen  Inhalt  der  Dokumente,  und 
Hr.  Brückner  glaubt  wenigstens  bei  mehreren  in  ihrem  unhistorischen 
Inhalt  den  sicheren  Beweis  der  Unechtheit  gefunden  zu  haben;  bei 
anderen,  wo  sich  derartige  Widersprüche  nicht  zeigen,  wagt  er  keinen 
Zweifel  geltend  zu  machen;  gegen  Böckhs  Annahme  erklärt  er  sich 
mit  einigen  allerdings  wesentlichen  Gründen.  Es  ist  zu  bedauern,  daß 
Hr.  Brückner  den  eingeschlagenen  Weg  nicht  weiter  verfolgt  hat,  er 
würde  zu  klarerem  Resultate  gekommen  sein,  und  jenes  „Schwanken 
im  Urteil,  das  nur  Ergebnis  eines  dunkeln  Gefühls,  nicht  das  eines 
eindringlichen  Forschens  und  deutlichen  Erkennens  ist"  (Zeitschr.  für 
die  Altertumsw.  1837  S.  301)  vermieden  haben. 

Der  letzte  Herausgeber  der  Rede  für  Ktesiphon  hat  sich  mit  so 
entschiedener  Vorliebe  auf  die  vernachlässigte  Erläuterung  demosthe- 
nischer  Kunst  gewandt,  daß  darüber  die  sonstigen  Schwierigkeiten 
[542]  fast  zu  sehr  in  den  Hintergrund  getreten  sind;  Dissen  schwankt 
zwischen  der  Billigung  jener  Hypothese  und  den  von  Hrn.  Brückner 
angeregten  Zweifeln;  und  von  den  Beurteilem  seiner  Ausgabe  in  Jahns 
Jahrbüchern  und  in  den  Münchener  Gelehrten  Anzeigen  ist  die  eine 
und  die  andere  Ansicht  in  Anspruch  genommen,  ohne  daß  wesentlich 
Neues  zur  Begründung  beigebracht  wäre. 

Jedenfalls  wird  man  zugestehen  müssen,  daß  die  vorliegenden 
Urkunden  verdächtig  erscheinen.  Von  den  vier  möglichen  Fällen,  daß 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  101 

sie  entweder  die  von  dem  Redner  selbst  eingelegten  Aktenstücke  sind  — 
oder  ein  späterer  Gelehrter  sie  aus  Archiven,  Urkuadensammlungen 
oder  dergleichen  eingeschaltet  hat  —  oder  daß  sie  untergeschoben 
sind  —  oder  daß  sie  aus  alten  von  dem  Redner  selbst  beigefugten 
Stücken  und  späteren  ungehörigen  Zusätzen  bestehen  — ,  von  diesen 
Tier  Möglichkeiten  können  wir  die  erste  sofort  ausscheiden,  da  die 
Worte  des  Redners  mehrfach  mit  dem  Inhalte  der  Urkunden  in  Wider- 
spruch sind  und  die  falschen  Datierungen  unmöglich  von  Demosthenes 
Hand  herrühren  können.  Auch  gegen  die  letzte  Möglichkeit  wird  sich 
der  Inhalt  der  meisten  Dokumente  geltend  machen  lassen.  So  bleibt 
denn  nur  die  Wahl  zwischen  der  gänzlichen  Unechtheit  und  jener 
Annahme  späterer  und,  wenigstens  muß  man  hinzufügen,  ungeschickter 
und  gedankenloser  Einschaltung. 

Gegen  die  Unechtheit  —  denn  wir  müssen  einige  allgemeine 
Punkte  vorweg  besprechen  —  macht  man  geltend,  daß  der  Fälscher 
gewiß  besser  den  Worten  des  Redners  entsprechend  untergeschoben 
haben  würde,  daß  die  angezweifelten  Stücke  „zu  reich  an  Specialitäten 
sind,  zu  sehr  das  Gepräge  der  Originalität"  tragen.  Aber  sind  eben 
diese  Specialitäten  im  Widerspruch  mit  den  sonst  dokumentierten 
Ereignissen,  so  wird  man  sich  berufen  können  auf  die  Briefe  des 
Demosthenes,  Aischines,  Piaton  und  anderer,  die  ebenso  voll  höchst 
detaillierter  Nachrichten  und  nichtsdestoweniger  erlogen  sind.  Das 
geringe  Geschick  aber,  das  der  Fälscher  bewährt  hat,  wäre  allerdings 
noch  am  meisten  geeignet,  seine  Ehrlichkeit  zu  retten. 

Nur  erheben  sich  gegen  die  andere  Möglichkeit,  die  einer  späteren 
Einfügung  durch  einen  Gelehrten,  nicht  kleinere  Schwierigkeiten.  Wir 
glaubten  annehmen  zu  müssen,  daß  ursprünglich  jede  Rede  mit  ihren 
Aktenstücken  ediert  worden.  Waren  diese  im  Laufe  der  Zeit  verloren 
gegangen,  so  wollen  wir  die  Möglichkeit  einräumen,  daß  sich  Gesetze, 
Psephismen,  Briefe  des  Philippos,  Amphiktyonenbeschlüsse  aus  öffent- 
lichen Archiven  oder  Urkundensammlungen  ergänzen  ließen;  aber 
Zeugenaussagen  wurden  gewiß  doch  nicht  über  Jahrhunderte  hinaus 
aufbewahrt,  und  deren  finden  wir  zwei  in  unserer  Rede.  Wir  nehmen 
gern  an,  daß  der  Gelehrte  fehlgreifen  konnte,  wenn  er  aus  einer  großen 
Menge  von  Urkunden  die  von  dem  Redner  gemeinten  herauszusuchen 
hatte;  aber  er  konnte  dort  unmöglich  Briefe  und  Beschlüsse  vorfinden, 
welche  ganz  etwas  Anderes  enthalten,  als  die  für  dieselben  Verhält- 
nisse wirklich  geschriebenen  nachweislich  enthielten,  und  deren  finden 
sich  ein  Paar  unter  den  vorliegenden.  Nehmen  wir  jene  hypothetische 
Verwirrung  in  dem  Archive  oder  der  dorther  stammenden  Urkunden- 
sammlnng  an,   so   muß  es  ein  seltsam  ungelehrter  [543]  Gelehrter 


102  Demoethenes 

gewesen  sein,  der  bei  so  großer  Bemühung,  die  zu  Demosthenes  Worten 
passenden  Aktenstücke  zu  finden,  so  arge  Fehlgriffe  machen,  der  die 
Namen  der  Prytanienschreiber  als  Archontennamen  aufführen  konnte, 
während  ihm  der  Katalog  der  Eponymen  bei  einiger  Kenntnis  gegen- 
wärtig oder  leicht  zugänglich  sein  mußte.  Endlich  aber  scheint  jene 
ganze  Hypothese,  so  fein  ersonnen  und  durchgeführt  sie  ist,  gegen  alle 
Glaublichkeit  zu  streiten.  Sie  setzt  voraus,  daß  die  in  öffentlichen 
Archiven  niedergelegten  Decrete  nicht  ausdrücklich  den  Namen  des 
Archonten  enthielten,  der  ja  in  dem  Gesamttitel  für  die  mehreren 
Fächer  desselben  Jahres  gestanden  habe;  sie  beruft  sich  auf  die  ähn- 
liche Weise  mancher  auf  Steinen  und  in  Reden  erhaltenen  Decrete. 
Aber  man  muß  geltend  machen,  daß  Inschriften  so  gut  wie  die  in 
Reden  vorkommenden  Beschlüsse  eben  Kopien  sind,  während  es  auf 
keine  Weise  denkbar  ist,  daß  der  wirklichen  Urkunde  die  wesentliche 
Genauigkeit  einer  durchaus  vollständigen  Datierung  gefehlt  haben 
sollte.  Unzweifelhaft  wurden  in  die  Archive  des  Metroons  die  Original- 
urkunden deponiert,  und  mag  es  immerhin  zur  Erleichterung  der 
Registratur  jene  Fachüberschriften  gegeben  haben  (obschon  diese  chrono- 
logische Anordnung  eines  fortwährend  zu  benutzenden  Staatsarchivs 
nicht  eben  sehr  wahrscheinlich  ist),  jedenfalls  mußten  die  einzelnen 
Aktenstücke  vollständigst  datiert  sein,  wenn  man  nicht  in  jedem  Augen- 
blick die  heilloseste  Verwirrung  riskieren  und  jede  Kontrole  unmöglich 
machen  wollte.  Die  oft  mißverstandene  Genialität  der  Athener  schloß 
keineswegs  eine  sehr  genaue  Buchführung  und  die  vorsichtigste  Sorg- 
falt in  jeder  Art  von  Geschäftlichkeit  aus.  Ich  glaube  behaupten  zu 
dürfen,  daß  die  xQ^^oi  ein  wesentlicher  Teil  jedes  Aktenstückes  waren; 
und  wenn  Aischines  {xaru  KniGKpGivro^  §  24)  sagt:  dvüyvtD&i  knl 
xivoq  äQXOVTog  xai  noiov  iii]v6q  xal  hv  rivi  ijfiiQ^  xccl  iv  %oi^ 
kxxhjtJi'a  kxet()OTOV7j&7j  Jijjj^oiTß-ivijg  (vgl.  nspl  napanQ,  §  91),  so 
wird  das  gewiß  ebenso,  wie  es  verlesen  wird,  in  der  Urkunde  gestanden 
haben,  und  nicht  etwa  der  Name  des  Archon  aus  der  Fachüberschrift 
entnommen  gewesen  sein. 

Dies  sind  die  Einwände,  die  sich  vorläufig  und  im  allgemeinen 
gegen  die  Hypothese  Böckhs  aufstellen  lassen;  Einwände,  welche  zu- 
nächst nur  dazu  dienen  sollen,  das  entschiedene  Vorurteil  für  dieselbe 
ein  wenig  zu  beschränken  und  eine  unbefangene  Würdigung  der  Akten- 
stücke möglich  zu  machen. 

Wir  werden  dieselben  einzeln  durchnehmen  müssen,  da  sich  ja 
doch  möglicher  Weise,  wie  in  anderen  Reden  einzelne  echte  Urkunden 
erhalten  haben  und  außer  ihnen  einige  erdichtete  eingeschalten  sein 
konnten.    Die  Reihenfolge,   die  Urkunden  zu  besprechen,   ist  gleich- 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  lOB 

gültig  und  kann   sich    nach    der   Bequemlichkeit   der  Untersuchung 
richten. 

II.  Aischines  Klageschrift  und  Ktesiphons  Antrag. 

Die  Klageschrift  des  Aischines  (§  54)  hat  allen  Schein  der  Echt- 
heit für  sich ;  sie  nennt  keinen  pseudeponymen  Archen,  sie  stimmt  mit 
den  Worten  des  EedDers  überein,  und  die  kleinen  sachlichen  Schwierig- 
[544]  keiten,  die  sie  darbietet,  können  eher  zur  Vervollständigung 
unserer  Kenntnis,  als  zur  Begründung  wesentlicher  Zweifel  zu  dienen 
seheinen.  Nach  den  Anfangsworten  der  y^aipi)  reichte  Aischines  die- 
selbe ein  kill  XaiQcivöov  äQXovrog,  'Ekcccprjßoh&vog  ^xry  iarayiivov. 
Chairondas  ist  der  Archen  von  OL  110  3,  dem  Jahre  der  Schlacht 
von  Chaironeia;  der  sechste  Elaphebolien  entspricht  nach  Idelers  Be- 
rechnung des  Metonischen  Cj^klus  dem  26.  März  337. 

Ktesiphons  Antrag  dagegen  (§  119)  erscheint  schon  durch  [545] 
seine  Datierung  ungleich  unzuverlässiger;  knl  äQxovxog  Ev&vxUovg, 
Ilvavsyjt&vog  hvccrri  äniövroq  q)v'kf]g  TtQvrccvevovaijg  Olvtjiäog  Krr]- 
{Titp&v  ABaxjO-ivovg  'dvatplvariog^  eine.  Man  könnte  in  der  falschen 
Stellung  des  äQ/ovrog  (es  mußte  nach  officiellem  Gebrauch  kn'  Ev&v- 
xUovg  ägxovTog  heißen)  einen  Beweis  finden,  wie  ein  nicht  hinreichend 
Unterrichteter  den  Kamen  des  Prytanienschreibers  irrig  für  den  des 
Archonten  nahm  und  eine  fehlerhafte  Ergänzung  machte.  Sei  denn 
Euthykles  Schreiber  der  dritten  Prytanie  im  Jahre  des  Chairondas 
gewesen,  so  würde  nach  Ausweis  dieser  Datierung  Ktesiphon  seinen 
Antrag  am  17.  Oktober  338  eingebracht  haben,  während  die  Schlacht 
von  Chaironeia  am  siebenten  Metageitnion  (Plutarch.  Camill.  19),  das 
heißt  am  4.  August,  geliefert  war. 

Man  stellt  sich  den  Zusammenhang  nun  so  vor.  Demosthenes 
war  bei  seinem  patriotischen  Eifer  für  den  Krieg  gegen  Phüippos  auf 
das  Jahr  des  Chairondas  zum  reixonoiog  und  zugleich  zum  Vorstand 
der  Theorikenkasse  ernannt  und  gab  zu  den  in  beiden  Ämtern  ihm 
anvertrauten  Geldern  Bedeutendes  von  dem  Seinigen,  besonders  als  es 
gleich  nach  der  unglücklichen  Schlacht  darauf  ankam,  die  Stadt  schnell 
in  Verteidigungsstand  zu  setzen.  Aber  sobald  der  Friede  vermittelt 
war,  begannen  seine  Gegner  ihn  auf  alle  Weise  anzufeinden,  und  um 
eine  Äußerung  der  Volksgunst  für  ihn  zu  gewinnen,  beantragte  Kte- 
siphon, Demosthenes  auf  den  nächsten  großen  Dionysien  zu  kränzen; 
dem  aber  trat  Aischines  mit  seiner  Klage   itaQavöiiiov  wenige  Tage 

'  Ich  übergehe  es  für  jetzt,  über  die  zwei  Ktesiphon,  die  Harpokration 
unterschieden  wissen  will,  und  über  Leosthenes,  den  angeblichen  Vater  des 
nnserigen,  zu  sprechen. 


104  Demosthenes 

vor  den  Dionysien  entgegen,  und  die  Sache  blieb  bis  zur  gerichtlichen 
Entscheidung,  das  heißt  bis  zum  Herbst  330  suspendiert,  wo  denn 
allerdings  gegen  den  Kläger  entschieden  worden. 

Ktesiphons  Antrag  ist  in  folgender  Art  motiviert:  ^;r6/^/;  AripLoa- 
\7evrjg  ....  y^vö^Bvo^  knifjLBkrjTijg  tTj^  t&v  reix^ov  hniaxtvflq  xal 
n^ogavakaxiag  elg  tu  iqya  and  rz/tj  ISia^i  oiaicc^  rata  räkavTCC 
ineS(ox6  ravra  rcj)  S/jfi(p  xal  int  rov  ß'ecoQixov  xaratTra&sii^ 
kniS(oxB  Tofvj  äx  naa&v  r&v  (fvXCHv  ^ewüixoTg  ixarov  fiväg  slg  ü^vaiagy 
SsSöz&ai  X  r  L  Mehrfache  Äusserungen  des  Aisohines  bestätigen, 
daß  jener  um  die  Zeit,  wo  Ktesiphon  diesen  Antrag  machte,  beide 
Amter  gehabt  habe.  Aber  Aischines  belehrt  uns  genauer  über  die 
Fassung  des  Antrages  §  236:  ijSicjg  S'  av  iycoyt  ivavriov  vfjL&v  äva- 
XoyKTaiuTjv  nQog  t6v  yQÜipavra  rb  tpijtpiafia^  Stä  noiag  svsQyefTtag 
ä^toi  AtJiioaO-ivijv  <TT%(pav&Gai'  el  fiiv  yccQ  Xiyeig,  Ö&ev  rijv  ÜQxh'^ 
Tov  'ipi^fpifTfiarog  knotrjaa},  ort  rag  racpQOvg  rag  negl  rä  rtixv 
xaXög  iraffoBvaBj  d-av/na^o)  aov.  Also  Ktesiphons  Antrag  muß  mit 
Erwähnung  von  Gräben,  die  Demosthenes  habe  ausführen  lassen,  be- 
gonnen haben;  aus  dem  gleich  folgenden:  ov  yuQ  n%Qtxa(}ax(bGavTa 
XQV  rä  TBixv  ovSi  rag  Sr]fio(Tiag  ratpäg  ävMvra  rov  ÖQÜög 
nanokiTev(aevov  SQ}()eäg  alraiVj  ersieht  man,  daß  um  dieser  Schanz- 
gräben willen  selbst  die  öffentlichen  Gräber  nicht  geschont  wurden. 
Dasselbe  freilich  mit  der  Färbung  der  entgegengesetzten  Parteiansicht 
bezeichnet  Lykurg,  wenn  er  die  Stimmung  und  das  Treiben  in  der 
Stadt  nach  der  Botschaft  der  Niederlage  schildert  {xarä  AecjxQcirovg 
§  44)  xairoi  xar  ixtivovg  tovg  ;^(jdvoi;*j  ovx  icmv  ijrig  ijXix/a  ov 
na()i(rxBTO  iavrijv  elg  rtjv  rfjg  nökecog  (TCi)Tt]Qtav,  Öre  ij  fjtkv  /dgce 
rä  öivSQU  (TVveßciXkBTO,  ol  Si  TBTBlavTtjxÖTBg  rag  {hi)xagy  oi 
cW  veo)  rä  ÖnXa'  inefjLBkovvro  ycsQ  oi  fjiiv  rTjg  rtöv  reixiSiv  xuraffxsvfjg, 
ol  Si  rfjg  T&v  raq)QcoVj  ol  Sh  TT^g  x€CQax(t)GB(og,  Auch  Demosthenes 
bezieht  sich  auf  diese  Gräben  an  mehreren  Stellen,  besonders  §  248: 
^arä  T7jv  fiaxh^  ai&ifg  6  Sf] lULog  .  .  .,  ijvix  ovS'  äyvcopiov^aai  ti 
&avfjLa(TTÖv  Jjv  TOvg  noXXovg  nQog  ^jue,  nQ&xov  fiiv  na()i  morriQtag 
Tf]g  nöXacjg  rag  ifiag  yvcöfiiag  Ix^'i^orövat,  xal  ndvd-'  8(Ta  rfjg  (pvla- 
xTjg  'ivaxa  hngarraro^  ij  Siara^tg  rcov  (fvlaxmv,  cd  Ta(p()Oi,  rä  elg 
rä  rai/f]  XQfJfJ^ccTa^  Siä  rßv  ifjLÖv  yj^j^iafiarcov  iyiyvaro'  'inaid^  algoxh 
fjiavog  aircjvtjv  kx  ndvrcov  ifii  äxaiQorövrjrrav  6  StjfjLog.  Demosthenes 
[546]  fügt  hinzu,  wie  sich  nachher  (jAarä  xadra)  die  Gegner  ein 
Geschäft  daraus  gemacht  hätten,  ihn  auf  alle  mögliche  Weise  anzu- 
greifen {yQaq)äg,  avtHvag,  algayyaX/ag,  ndvra  xavr  inayövrmv  fiot), 
so  daß  er  rovg  nQcirovg  xQÖvovg  xarä  zi/V  ijiniQav  ixä(TT7]v  vor 
Gericht  gestanden  habe. 


Die  Urkunden  der  Rranzrede  105 

Man  hat  diesen  Ausdruck  rov^^  itQrorovq  j^pdi^ov^  so  verstanden, 
als  heiBe  es  die  erste  Zeit  nach  der  Schlacht  von  Chaironeia;  aber 
dagegen  spricht  nicht  bloß  das  obige,  ^trcc  rr/v  fia^hv  sv&vg  sei  alles 
nach  seinen  Antragen  geordnet  worden,  und  dann  erst  {fjLera  ravTa) 
systematische  Anfeindung  der  Gegner  gefolgt;  wir  finden  in  den  frei- 
lich entstellten  Angaben  des  Aischines  noch  weitere  Bestätigung.  Nach 
der  Nachricht  von  der  Schlacht,  sagt  Aischines  §  159,  tqujqi]  itQoq- 
Xaßav  vficüv  xal  rovq  ''EXX7}vctq  ijQyvQoXöyrjcTB'  xccrccyovaijq  Sh  avrdv 
eig  rijv  Ttöhv  rijg  ängoqdoxrjrov  aoorrjQiag  rovg  fiiv  TtQcorovg 
XQOVOvq  vnÖTQOfiog  J]v  ävO-gconog,  xal  naQiMv  ijfjLi&vjjg  ini  rö 
ßr^ficc  elQT]voq:vka/  vfiäg  avrdv  kxiXavs  x^^QOtovbiv  vfieig  Si  xarä 
fUv  Tovg  TiQOfTOvg  XQ^'^^ovg  ovS*  kni  ra  ipi^tpiafiar  eläTS  ro  Arjfioa- 
&6vovg  kniyQÜ(pBiv  Örofia,  dkkä  NavaixXu  rovro  TugogeraTTsre. 
Hieraus  ergiebt  sich,  daß  Demosthenes  gleich  nach  der  Schlacht  noch 
mit  seinen  eigenen  Psephismen  die  Befestigungsarbeiten  so  gut  wie 
die  Aussendung  zu  den  hellenischen  Staaten  (das  betreffende  Psephisma 
wurde  in  Deinarchos  Rede  1.  c.  verlesen)  veranlaßte,  und  erst  nachdem 
der  Friede  geschlossen  war,  mag  er  jenen  vielfachen  Anfeindungen 
ausgesetzt  gewesen  sein  (vgl.  Aischin.  §  227).  Jedenfalls  aber  wurde 
gleich  damals  dem  Demosthenes  ein  Zeichen  allgemeiner  Achtung: 
[vTiiQ  Krria,  §  285)  ;if6ipoTO«/(öi/  yä{)  6  Sfjfxog  xbv  kQovvr  kni  rotg 
TeTakevT7]xö(ri  nap'  aircä  rä  (TVfißävra  ov  ai  kxBiQorövrjasv,  sagt 
Demosthenes  gegen  Aischines  ....  ovSi  AijfjLäSrjv,  aQxi  nenotrjxÖTa 
Tfjv  dQTiV7]v  X  X  A.  (vgl.  Aischiu.  §  152  irölfijjaev  rotg  Sganiraig 
7tO(Tiv  ävaßäg  iitl  rov  rüfpov  r&v  rsXBvrrjiTävTOJV  kyxco/jiiä^Biv  rijv 
ixBivcav  doerijv).  Es  ist  damit  die  regelmäßige  Totenfeier  gemeint, 
die  zum  Gedächtnis  der  Gefallenen  jährlich  am  bestimmten  Tage  {illo 
die  Cic.  Orat.  c.  44)  im  Kerameikos  gehalten  wurde  (vgl.  Isoer.  ne^l 
tlQTlv^vig  §  88).  Diese  Feier  aber  fällt  gewiß  nicht  zusammen  mit  dem 
Trauerfest  der  Genesien  am  fünften  Boedromion  (Bekker  Anecd.  S.  86), 
wie  Weber  in  seiner  treflFlichen  Abhandlung  „über  Perikles  [547]  Stand- 
rede" S.  19  vermutet;  Thukydides  (II  34  und  47)  bezeichnet  das 
Datum  dieser  Feier  mit  den  Worten  hv  reo  xsifi&vt  und  zwar  hat  er 
kurz  vorher  (c.  31)  das  cp&ivönco^ov  rov  d-igovg  erwähnt  (dies  reicht 
vom  21.  September  bis  5.  November,  nach  Ideler  Handbuch  der  Chrono- 
logie I  S.  252),  darauf  eine  andere  Begebenheit  rov  &iQovg  rovrov 
Ttkivrß^vrog,  dann  rov  imyiyvofjiivov  xaifjLCJvog  einen  Vorfall  in  Akar- 
nanien  und  dann  erst  kv  rw  airip  ;^6£jU<öy/  die  Leichenfeier  im  Kera- 
meikos; eine  spätere  Begebenheit  dieses  Winters  erwähnt  er  nicht. 
Diese  Notizen  und  die  Vergleichung  mit  anderen  Leichenfeiern,  nament- 
lich der  für  die  im  lamischen  Kriege  Gefallenen  (s.  meine  Geschichte 


106  Demosthenes 

des  Hellenism.  I  S.  74  11^  1  S.  59)  lehren,  daß  die  Feier  im  Kerameikos 
notwendiger  Weise  nach  dem  angeblichen  Datum  des  Ete^iphontischen 
Antrags,  nach  der  Mitte  Oktobers  ist  Ja,  wir  werden  sie  wohl  in 
den  tiefen  Winter  hinab  rücken  dürfen  und  halten  wir  die  Zeit- 
bestimmung jnuQ  uhxä  rä  avfAßüvra  und  ägri  7te7ioif]xÖTU  rijv 
bI()1]vi]v  auch  nicht  für  allzustreng,  so  ist  es  doch  immerhin  wahr- 
scheinlich, daß  geraume  Zeit  zwischen  der  Schlacht  von  Chaironeia 
und  dem  Friedensabschlusse  verging. 

Wir  können  somit  als  die  vorzüglichsten  Vorfalle  in  dieser 
Zwischenzeit  etwa  folgende  bezeichnen.  Gleich  nach  der  Schlacht  war 
man  in  Athen  eifrigst  bedacht  auf  weiteren  Widerstand.  Hyperides 
machte  sein  berühmtes  Decret,  den  Sklaven  die  Freiheit,  den  Einge- 
sessenen das  Bürgerrecht  zu  geben  (Lykurg,  xarä  Abcoxq.  §  37  Longin. 
Tiegl  iyj.  XV  10).  Man  erwartete  einen  Angriff  der  Makedonier  auf 
Attika,  eine  Belagerung  der  Stadt  Man  flüchtete  alles  bewegliche 
Gut  vom  Lande  herein;  man  ordnete  die  Wachtposten,  man  warf 
Schanzgräben  auf,  baute  Fallisadierungen,  stellte  in  möglichster  Eile 
die  Mauern  her.  Darauf  wurde  Demosthenes  zum  (nrdvijg  gewählt, 
offenbar  um  bei  der  erwarteten  Belagerung  die  Zufuhr  für  die  Tausende, 
die  sich  in  die  Stadt  zusammendrängten,  zu  besorgen.  Indeß  muß 
sich  der  Eifer  der  Bürger  allmählich  abgekühlt  haben;  Demades,  der 
bei  Chaironeia  gefangen  war,  kam  mit  Friedensanträgen  vom  Philippos 
(Diod.  XVI  87  Demades  frg.  vtibq  Scoäex.  §  9),  die  Friedenspartei  setzte 
es  durch,  daß  nicht  Charidemos,  sondern  Phokion  zum  I'eldherm  er- 
wählt wurde;  endlich  kam  der  Friede  zum  Abschluß,  vermutlich 
Anfangs  Oktober. 

Noch  haben  wir  ein  paar  Bestimmungen  nachzuholen.  Aischines 
äußert  §  159  ov  ri^v  üitb  (rrgaroniSov  fiövov  rü^iv  ähmv,  ci^ci; 
xal  Tiiv  bc  rT/g  nökeayi;  (vielleicht  älku  xcci  äitiSQu  kx  rT^g  nökBCjg 
vgl.  §  253)  TQn'iQt]  TTQoglaßcjv  vfi&v,  xccl  T0vg"£Xk7jvccq  iiQyvQo}.6yt](TB» 
Näher  bezeichnet  dies  Dinarch  {xarä  Atifioad',  §  80)  ünikvcci  (pfjal 
tä  %pii(fi(Tiia  (des  Demosthenes)  rug'-ijQijfiivag  TtQBfrßeiag,  inBiÖi)  ))xovaB 
fiBvä  rijv  fiüxiiv  .  .  .  ^iXiTtnov  Big  ri/v  x(ö()av  iifi&v  fiiXkBiv  BlgßäkkBiVy 
avTÖg  iavTov  itQBtrßBVTtiV  xaraaxBvüaag^  W  hc  tTjg  nöXBOjg  AnO' 
ÖQCchjf  (TvtTXBvatTÜfABvog  T//b*  SioiX)j(rB(og  dxrd)  rdXavra  ovSkv  (pQov- 
ritrag  rT/g  tötb  nuQOvmjg  d7io()tccg,  Ijvty  ol  ülXot  ndvxBg  kx  r&v 
ISicov  kTiBÖidotrav  Big  rt/v  vfiBziQav  fTcoT7]oiav.  Wir  wissen  Genaueres 
darüber  aus  Lykurgs  Rede  §  42,  wenn  er  sagt:  das  Volk,  das  [548] 
sonst  von  Sparta,  dem  Peloponnes,  von  den  Griechen  in  Asien  zu 
Hilfe  gerufen  wurde,  ot^ro^'  kÖBiro  r&v  ^|  '!AvSqov  xa\  Kico  xal 
TQOt^fjvog  xal  'EniSaigov  imxovgiav   avrfo   fiBTaTiifi^ipacTifai,     Das 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  107 

eben  ist  die  Gesandtschaft,  die  damals  Demosthenes  unternahm,  wahr- 
scheinlich nicht  bloß  nach  diesen  beispielsweise  genannten  Orten  hin. 
Hs  forderte  die  damalige  Lage  des  Staates  die  aufopferndste  Hingebung 
aller,  und  so  steuerte  denn  jeder  nach  seinem  Vermögen  bei,  ja,  zu- 
letzt gab  auch  Aristonikos  das  Geld,  welches  er  sich  bei  Freunden 
gesammelt  hatte,  um  sich  aus  der  Atimie  zu  lösen;  das  Land  gab 
seine  Bäume,  die  Toten  ihre  Gräber,  die  Tempel  ihre  geweihten  Waffen 
hin;  von  den  Bürgern  sorgten  die  einen  für  die  Zurüstung  der  Mauer, 
andere  für  die  Anlegung  der  Gräben,  andere  für  den  Bau  der  Palli- 
saden.  Und  die  Leitung  aller  dieser  Maßregeln  war  bei  Demosthenes: 
ndvd^  S(Ta  rfjq  (pvhjcxfiq  ^vaxa  kTtQÜTTero,  sagt  er:  ?;  Siära^ig  tGv 
fpvXuxC^j  ai  räcpQOij  rä  slg  tu  Tstxfj  j^oij/xcfrc^  ätä  r&v  ifjL&v  xfJtjcpKT- 
luirtav  iyiyvero.  Demosthenes  hatte  die  Sendung  zu  den  Inseln  bean- 
tragt, die  Aischines  mit  dem  Ausdruck  ij^yvQoXöyrjdB  bezeichnet; 
wahrscheinlich  forderte  Demosthenes,  um  Geld  zum  Mauerbau  zu 
schaffen,  außer  dem  äQyvQoXoyuv  auch  die  Epidosis,  die  freiwillige 
Beisteuer,  und  er  selbst  gab  sehr  reichlich,  wovon  gleich  ein  Mehreres. 

Die  gewöhnliche  Annahme  ist  nun,  daß  eben  in  dieser  Zeit  De- 
mosthenes TSixoTioiög  gewesen  und  bei  der  Gelegenheit  die  Epidosis 
gegeben  habe,  die  jedenfalls  von  Ktesiphon  als  Grund  der  Kränzung 
mit  angeführt  worden.  Auffallend  schon  ist,  daß  Demosthenes  §  248 
hervorhebt,  daß  er  zum  (Tir(&v7]g,  nicht  aber  daß  er  auch  zum  rsixo- 
^oiög  gewählt  worden,  und  doch  will  er  in  jener  Stelle  eben  die 
Zeichen  der  Volksgunst  auffahren;  man  könnte  sagen,  er  wurde  nicht 
erst  nach  der  Schlacht,  sondern  in  den  regelmäßigen  Archairesien 
gewählt  Aber  femer:  Demosthenes  hatte  zum  Mauerbau,  als  reixo- 
Tioidq  des  pandionischen  Stammes,  fast  zehn  Talente  hx  rfig  öioixtjcreaygj 
aus  der  Staatskasse  erhalten  (Aisch.  §  31),  ohne  Frage  war  jede  der 
zehn  Phylen  auf  gleiche  Weise  zum  Bauen  mit  Geld  versehen;  es  ist 
unwahrscheinlich,  daß  der  Staat  damals  an  100  Talente  für  den  Bau 
der  Mauer  aufbringen  konnte.  Doch  übergehen  wir  diese  und  ähn- 
liche Probabilitäten,  um  sofort  den  entscheidenden  Punkt  herauszu- 
stellen. 

Aischines  spricht  von  Demosthenes  Mauerbau  folgendermaßen  (§  27): 
ial  yäg  XaiQCJvSov  äg^ovroq  Oapyrjki&vog  firjvdg  äevTSQ^  (p&i- 
vovxog  ixxkrjfficcg  ovarjg  ÜyQayjs  yjijtpiafAcc  Jrjfioa&ivrjg  äyopäv  noifjaai 
T&v  (fvijöiv  ^xiQOtpooicüvog  SsvriQ^  iarafjiivov  xccl  TQirrjj  xai  äne- 
Tcc^sv  hv  TM  "kpfitpiafjtccTi  ixücry  röv  (pvXGtv  iXi(T&ai  tovg  knifieXi]- 
ffOfUvovg  Töiv  ÜQyav  ßnl  rä  Tet/rjJ  xal  rafiiccg  x.  t.  X.  Aus  diesem 
Zeugnisse  des  Aischines  ergiebt  sich,  daß  Demosthenes,  weit  entfernt, 
gleich  nach  der  Schlacht  reixonoiög  gewesen  zu  sein,   zehn  Monate 


108  Demosthenes 

später  (16.  Juni  337)  den  Antrag  machte,  in  den  nächsten  Tagen 
(19.  und  20.  Juni)  dergleichen  in  den  Versammlungen  der  Phylen  zu 
wählen.  Und  doch  ist  auf  seinen  Vorschlag  gleich  nach  der  Schlacht 
an  den  Mauern  und  Gräben  [549]  gebaut  worden!  Jenes  Zeugnis  hat 
man  auf  alle  Weise  zu  übersei tigen  gesucht,  da  es  allein  dem  hypo- 
thesierten  Zusammenhang  der  Verhältnisse  zu  widersprechen  schien, 
namentlich  hat  man  emendieren  wollen  7iq6  XaiQcjvSov  äg/ovrog, 
gegen  allen  officiellen  Gebrauch,  dem  sich  jene  Stelle  mit  ihrer  genau 
berechnenden  Datierung  anschließen  muß.  Wir  werden  finden,  daß 
sich  alles  vereint,  um  die  vollkommen  feststehende  Lesart  gegen  alle 
Emendation  zu  sichern. 

Als  festen  Punkt  wollen-  wir  einmal  die  Angabe  des  Aischines 
nehmen,  daß  am  Ende  von  Ol.  110  3  auf  Demosthenes  Antrag  aus 
jeder  der  zehn  Phylen  einer  gewählt  ist,  den  Bau  der  Mauern  zu 
leiten;  denn  was  gleich  nach  der  Schlacht  geschehen  war,  konnte  nur 
tumultuarisch  sein.  Und  gerade  dies  wird  uns  auf  die  überraschendste 
Weise  durch  eine  Inschrift  bestätigt,  welche  zuerst  von  Hm.  Franz  im 
BiiUetino  deff  instituto  di  corrispondenza  archeologica  per  fanno  1835 
S.  79  herausgegeben,  von  Hm.  Müller  in  der  Göttinger  Societät,  von 
Hm.  Meineke  in  der  Berliner  Akademie  in  besonderen  Vorträgen  er- 
läutert ist;  aus  Hm.  Müllers  Untersuchung  finden  sich  einige  sehr 
schätzbare  Notizen  in  den  Gott.  Gel.  Anz.  1836  Stück  53  flF.  Diese 
Inschrift^  enthält  die  Bruchstücke  eines  Volksbeschlusses,  daß  die 
Mauem  der  Stadt,  des  Peiraieus,  die  langen  Mauern  zu  einer  durch- 
gehenden Reparatur  sollen  verdungen  werden,  und  zwar  soll  6  ä^x*' 
TBXTcov  6  xBXBtpoTOvrjfABvog  vno  rov  8/jfiov  den  ganzen  Bau  in  zehn 
Teile  zerlegen  und  an  die  Bauunternehmer  vermieten  {oi  ina&m<Ta- 
fiBvoi)]  diese  sollen  dann  im  Rat  der  Fünfhundert  in  Eid  genommen 
werden,  daß  sie  alles  nach  weiter  unten  angegebenen  Bestimmungen 
anfertigen  und  zu  festgesetzter  Zeit  (wie  aus  dem  Späteren  erhellt,  in 
fünf  Jahren)  fertig  sein  wollen;  dann  heißt  es  weiter,  es  sollte  nach 
Vollendung  des  Werks  eine  Berechnung  der  geleisteten  Arbeit  aufge- 
stellt werden  knl  rov  tbixovq  xal  Big  t6  fiiiTQtpov  ngog  rov  Sfjfiov, 
und  es  soll  dabei  aufgezeichnet  werden,  ag  äv  BlgBviyxmaiv  oi  Aqx^- 
TBXTovBg,  Den  zweiten  Teil  der  Inschrift  bildet  die  Reihe  von  Be- 
stimmungen über  die  Anfertigung  des  Baues;  vom  und  gegen  Ende 
desselben  findet  Hr.  Müller  Gräben,  Pallisaden  u.  s.  w.  erwähnt.  Der 
dritte  beginnt  mit  den  Worten  xarä  tüSb  fiBfiicrdcarai  rä  iQyaafxiva, 

»  [Jetzt  C.  I.  A.  II  1  Nr.  167  S.  70  ff.  vgl.  add,  S.  411.  Ea  muß  heut- 
zutage als  fest£>tehend  angesehen  werden,  daß  die  Inschrift  in  das  Ende  des 
Jahrhunderts  gehört]. 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  109 

und  noch  sind  zwei  Bruchstücke  von  den  zehn  verschiedenen  Ver- 
dingongen  vorhanden.  Für  unseren  Zweck  ist  besonders  wichtig  Zeile  37: 
Ol  ncnkfixal  xai  ö  ini  ry  Sioixi)au  ^AßQ.  .  .  ovqiov,  ovrcAi/g,  was 
Hr.  Müller  vollkommen  überzeugend  hergestellt  hat:  jißQcav  AvxovQyov 
BovzaSijq.  Bekanntlich  hat  Lykurgos  drei  Pentaeteriden  hindurch  der 
Siotxf](Ttg  vorgestanden  in  der  Art,  daß  er  zwar  selbst  das  ganze  Rech- 
nungswesen leitete,  aber  immer  einen  seiner  Freunde  den  Namen  dazu 
hergeben  ließ  {rcHv  (pihov  äniyQayjäfjievög  nva),  den  vorher  das  Volk 
auf  seine  Veranlassung  zum  Schatzmeister  der  Verwaltung  gewählt 
hatte  (Müller  in  6.  G.  A.  1836  S.  523).  Diese  drei  Finanzperioden 
sind  nach  Böckhs  trefflicher  Untersuchung  entweder  von  Ol.  110  3 
bis  OL  113  3  oder  von  Ol.  109  3  bis  Ol.  112  3,  und  ich  glaube, 
man  muß  dieser  letzten  Bestimmung  [550]  den  Vorzug  gebend 
Nach  Ausweis  unserer  Inschrift  hätte  dann  mit  OL  110  3,  dem  Jahre 
des  Chairondas,  sein  Sohn  Habron  die  Stellung  als  6  knl  rfj  SioixtjaBi 
übernommen,  und  unter  seiner  Verwaltung  wäre  somit  der  Vorschlag 
des  Demosthenes  vom  Ende  des  Jahres  Chairondas  zur  Ausführung 
gekommen.  Den  Ruhm  dieser  großen  Maßregel  nimmt  allerdings 
Demosthenes  für  sich  in  Anspruch:  (§  299)  rov  Si  reixKTfJi^ov  tovtov, 
bv  av  fiov  SiifTVQe^j  xal  t)}v  TcctpQsiav  ä^ia  fdv  ^ä^i^og  xal  inaivov 
xQivG}  X  T  X,  Ol)  Xi&oig  iretXiCFcc  rijv  nöhv  oväi  nXlv&oig  kyd)  ovS* 
ijtl  rovxoig  fieyitTtov  r&v  kfiavrov  (pQov&  x  r  X.  Dies  kann 
sich  nicht  bloß  auf  die  extemporisierten  Maßregeln  gleich  nach  der 
Schlacht  beziehen,  die  so  bald  eine  weitere  Reparatur  der  Befestigungen 
nötig  machten;  es  hat  nur  Sinn,  wenn  es  Angesichts  der  großen,  fertig 

^  Diese  Frage  ist  in  nenester  Zeit  mehrfach  besprochen  worden.  Für  die 
Ansicht,  daß  seine  Verwaltung  erst  Ol.  110  3  angefiangen)  wird  besonders  an- 
geführt, daß  nach  dem  Decret  hinter  Plutarchs  X  Oratt.,  sowie  nach  der  oft 
citierten  Stelle  des  Hjperides  bei  Apsines  Lykurgos  jax&eig  ini  ifj  dioixr/asi 
den  Bau  des  Theaters,  der  Scbifiwerften  u.  s.  w.  besorgte,  alle  diese  Dinge  aber 
nach  Aischines  (xaiä  Kitja.  §  23)  bis  zum  Gesetze  des  Hegemon  unter  dem 
Theorikenyerwalter  standen.  Es  genügt  dagegen  anzuführen,  daß  als  Lykurgos 
diobcji<ng  nicht  bloß  die  erste,  sondern  alle  drei  Pentaeteriden  gerechnet  wurden, 
in  denen  er  entweder  selbst  oder  durch  andere  die  Verwaltung  leitete,  wie  dies 
aus  den  ausdrücklichen  Worten  des  Decretes  erhellt.  Das  Gesetz  des  Hegemon 
ist,  nachdem  Demosthenes  die  Theorikenkasse  verwaltete,  und  vor  dem  Prozeß 
gegen  Ktesiphon,  also  zwischen  Ol.  111  1  und  Ol.  112  3  gegeben;  und  jene 
Zweige  des  Staatshaushaltes  werden  wohl  in  der  zweiten  Pentaeteris  an  die 
dtounjag  zurückgefallen  sein.  Übrigens  wird  man  von  Aischines  Ausdruck  wohl 
Bedeutendes  subtrahieren  und  annehmen  müssen,  daß  die  Theorikenkasse  nur 
hier  und  da  einmal  alle  oder  die  meisten  der  dort  angeführten  Dinge  in  sich 
vereinigt  hatte;  Demosthenes  würde,  wenn  er  in  diesem  Amte,  noch  vor  Hege- 
mons Gesetz,  so  Bedeutendes  zu  verwalten  gehabt  hätte,  uns  nicht  geschenkt 
haben,  seine  Verdienste  aus  seinem  eigenen  Munde  zu  vernehmen. 


110  Demosthenes 

dastehenden  Neubauten  gesagt  ist;  und  eben  dies  ist  ein  Beweis  mehr, 
daß  des  Lykurgos  Verwaltung  von  Ol.  109  3  zu  datieren  ist;  denn 
hätte  Lykurgos  dies  Amt,  erst  110  3  beginnend  bis  Ol.  111  3  ver- 
waltet, und  wäre  ihm  dann  erst  sein  Sohn  Habron  gefolgt,  so  könnt« 
das  erst  in  fünf  Jahren  zu  beendende  Werk  nun  OL  112  3,  wo  der 
Prozeß  verhandelt  wurde,  nicht  so  fertig  dastehen,  wie  es  Demosthenes 
Worte  bezeichnen.  Gegen  unsere  Annahme,  daß  Demosthenes  An- 
trag derselbe  sei,  dem  jenes  große  Unternehmen  gefolgt  ist,  könnte 
man  die  aus  der  Inschrift  hervorgehende  Bestimmung  über  den  Archi- 
tekten und  die  ebenso  genannten  Unteniehmer,  durche  welche  ja  doch 
die  Ernennung  der  Epistaten  in  den  zehn  Phylen  überflüssig  werde, 
geltend  machen.  Aber  wenn  eben  das  gesamte  Unternehmen  in  zehn 
Abschnitte  geteilt  wird,  so  ergiebt  sich  daraus,  daß  es  eine  Beziehung 
zu  den  zehn  Phylen  haben  muß,  und  oflFenbar  ist  auf  den  Wetteifer 
der  Stamme  gerechnet  worden,  welcher  der  Pracht  und  Tüchtigkeit 
der  Ausführung  nur  forderlich  sein  konnte.  So  werden  denn  aus  der 
Staatskasse  an  die  Pandionis  (und  [551]  gewiß  ebenso  an  jeden 
anderen  Stänun)  fAixgoi)  SeTv  Skxa  rälavTa,  natürlich  für  jedes  Jahr 
verteilt,  und  in  jeder  einzelnen  Phyle  wird  ein  knifisXijTfjg  r&v  igyoyv 
knl  xä  T61XV  und  ein  rccfiiag  erwählt  («V  ^  nökig  i^xy  vnevOuva 
(Tcifiara,  nag'  wv  'ifxeXXB  rcDv  ävT]XG)fiip(ov  Xöyov  änoX^xpead-ai  Aischin. 
§  27).  Andererseits  ernennt  das  Volk  einen  Bauverstandigen  zur  Lei- 
tung der  Gesamtuntemehmung  und  verdingt  jede  der  zehn  Baustrecken 
an  ebenso  viele  Entrepreneurs,  deren  Verantwortlichkeit  sich  natürlich 
nicht  auf  die  Geldsachen,  sondern  nur  auf  die  Contractmässigkeit  dos 
Baues  bezieht. 

So,  glaube  ich,  haben  wir  mit  Bestimmtheit  eine  doppelte  Thätig- 
keit  des  Demosthenes  für  den  Mauerbau  zu  unterscheiden,  die  eine  in 
jener  tumultuarischen  Zeit  gleich  nach  der  Schlacht,  die  andere  wäh- 
rend des  großen  Baues,  wo  er  seine  Phyle  repräsentierte.  Wären  sie 
nicht  unterschieden,  sondern  Böckhs  Emendation  richtig,  nach  der  im 
Skirophorion  vor  Chairondas  der  Mauerbau  beschlossen  und  das,  was 
nach  der  Schlacht  geschah,  nur  dessen  Fortsetzung  sein  würde,  so 
hätte  Demosthenes  rov  reixic^fiov  rovxov  xal  ri/v  xatpQdav  nicht  erst 
§  299  erwähnt,  sondern  unter  den  Vorbereitungen  zum  Kriege  von 
Chaironeia. 

Hier  können  wir  ein  zweites  Decret  besprechen,   das  sich  leider 

nur  in  fehlerhafter  Abschrift  erhalten  hat;  es  ist  ein  Ehrendecret  des 

"^    ""^mochares  für  seinen  Oheim  Demosthenes,   lange  nach  dessen  Tode 

gemacJrtyiund   enthält   die  wichtigsten  Punkte  aus  dem   öffentlichen 

Leben  des^roßen  Eedners.     Es  heißt  dort:  xccl  elg  xijv  xetxoTtoitav 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  111 

dvälaxTB  ;^€£()OTOVi7«9'6Jg  V7i6  xov  Si^fiov  inidövrog  avrov  rgicc  rdXavta 
xal  uq  iniS(oxa  Svo  rdtpQovg  n^Ql  xov  ütigaiä  ratpQBvaag  xal  fierä 
TTiP  kv  XatQcavBi^  IJ^^x^lv  kniScDxe  rdXavTOv  xal  slg  rtjv  airmviav 
iniSmu  iv  ry  aitoSsi^  rüXavrov.  An  der  Echtheit  dieses  Decretes 
zu  zweifeln  ist  kein  Grand  vorhanden,  wohl  aber  gelten  die  Worte 
foi  Yerderbt,  so  daß  schon  mannigfache  Yersnche  durch  Auslassung 
oder  Yeranderung  zu  heilen  gemacht  sind.  Jedenfalls  lassen  sich 
nach  den  bereits  gemachten  Bemerkungen  hier  die  beiden  Bestim- 
mongen  fiBzä  t)jv  (läxfjv  und  elg  rrjv  nixonoiiav  x^^Qotovtj&bIq  vtiö 
Tov  S^fAov  deutlich  unterscheiden;  wir  finden  die  ratpgoi  und  die 
mxtavia  erwähnt,  die  unmittelbar  der  Schlacht  folgte;  und  irre  ich 
nicht,  so  enthält  diese  Stelle  auch  die  zweimaligen  Bauten  und  die 
Ton  Demosthenes  gemachten  Zuschüsse  erwähnt.  Aischines  (§  17) 
sagt:  Xi^Bi  yuQ  ovrog'  xBixonoi6g  elfii'  d/jLoXoycH'  AXX  knidiSmxa  xfj 
nöXei  fjLvßg  ixarov  xal  rö  ^Qyov  fisi^ov  i^si^yaorai.  So  konnte 
Ton  jenem  Eilbau  gleich  nach  der  Schlacht  nicht  geredet  werden. 
Leider  aber  finden  wir  in  Demochares  Beeret  nicht  die  hundert  Minen, 
sondern  drei  Talente,  und  es  ist  doch  kaum  glaublich,  daß  Aischines 
in  jener  Stelle  das  von  Demosthenes  Aufgewendete  zu  gering  sollte 
angegeben  haben,  ohne  daß  sich  eine  Entgegnung  in  dessen  Rede 
fände,  man  müßte  denn  annehmen  wollen,  daß  Aischines  in  nachträg- 
licher Überarbeitung  aus.  3  Talenten  P/g  zu  machen  für  gut  befunden 
habe,  was  doch  sehr  unwahrscheinlich  ist,  da  auch  [552]  hundert 
Minen  immer  noch  eine  anständige  Epidosis  sind.  Wir  haben  oben  die 
Worte  des  Aischines  gegen  Ktesiphon  (§  236)  angeführt:  d  fikv  yuQ 
liytig^  ....   '6x1   xäg  xdtpQOvg   xäg   izbqI  xä  xeixv  xaX&g  ixäfpQSVtrs, 

d-avfiä^G}  aov ov  yäg   nBQixaQaxdxravxa  XQh  '^^  ^«'V^  or J^ 

xäg  Sf]fAO(Tiag  xatpäg  äveXövxa  xov  dQ&&g  TtanoXixsvfiivov  Scagedg 
alxuv.  Wenn  Aischines  genau  gesprochen,  so  kann  mit  dem  SfifioGiag 
x(€(päg  nur  das  Feld  des  äusseren  Kerameikos  gemeint  sein,  während 
in  dem  Decret  zwei  Gräben  um  den  Peiraieus  genannt  werden;  aber 
ich  glaube,  Aischines  hat  übertreibend  absichtlich  ungenau  gesprochen, 
oder  auch  er  hat  sich  persönlich  gegen  Demosthenes  gewandt,  was 
durch  die  gesamte  Anordnung  des  Baues  notwendig  war.  Es  kommt 
folgendes  dazu:  in  der  großen  Bauinschrift  ist  die  ganze  Arbeit  in 
zehn  Teile  geteilt,  die  ngtoxri  fiaglg  ist  die  sogenannte  Nordmauer  von 
dem  SiaxBiXi(Tfjia  der  Stadt  bis  zu  einem  Thore  auf  dem  halben  Wege 
zum  Peiraieus,  der  fünfte  umfaßt  die  Südmauer  vom  Siaxeix^rficc  im 
Phaleros  bis  zum  Eephissos,  der  sechste  vom  Kephissos  ....  das 
weitere  fehlt;  aber  man  sieht,  daß  der  zweite  Teil  die  andere  Hälfte 
der  Nordmauer  bis  zum  Peiraieus,   der  dritte  und  vierte  die  Mauern 


112  Demosthenes 

der  Hafenplätze  und,  da  es  in  regelmäßiger  Folge  weiter  gehen  muß, 
namentlich  der  dritte  Teil  den  an  die  Nordmauer  anstoßenden  Peiraieus 
enthalten  haben  muß.  Wenn  der  Entrepreneur  des  ersten  Teiles  aus 
Korydallos  ist,  so  beweiset  das  nicht,  daß  jener  Teil  der  Hippothoontis 
zugefallen;  finden  wir  dagegen,  daß  der  Paianier  Demosthenes  zwei 
Gräben  in  dem  dritten  Abschnitte  des  Baues,  am  Peiraieus,  hinzu- 
gefugte, so  liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  eben  die  Pandionis,  nach 
der  Ordnung  der  Phylen  die  dritte,  jenen  Teil  bekommen  habe,  und 
umgekehrt,  daß  Demosthenes  Bau  der  Gräben  um  den  Peiraieus  eben 
in  die  Zeit  gehört,  wo  der  Peiraieus  die  dritte  Abteilung  des  Baues 
gewesen.  Mit  diesen  Dingen  das  Decret  des  Demochares  in  Über- 
einstimmung zu  bringen,  giebt  es  zwei  Wege;  entweder  man  verändere 
kniäövTog  avrov  Toia  rälavra  in  kniSövroq  ccirrov  TXXXX,  xah 
&g  iitiSoDXB  Svo  rätpQovg  x  r  A.,  oder  man  schreibe  kniSövrog  avroi} 
rgia  rcikccvra,  olg  xai  iniäfoxe  dvo  rä^Qovg  tcsqI  top  üeiQcciä  rcc- 
cpQwaag,  so  daß  also  Aischines  mit  seinen  hundert  Minen  nur  die  für 
die  Mauer  selbst  verwendeten,  die  beiden  Gräben  ungerechnet,  bezeichnet 
hätte.  Dürfte  man  frei  schalten,  so  würde  man  die  ganze  Stelle  so 
schreiben  können:  xul  eig  rijv  xeixonoitccv  ävakojas  ;if6£(>oroi'T/i9'€J$ 
vTid  Tov  Sjjfiov  hniSovxog  avrov  TÜ?<.avTOV  xul  olg  ineScjxa  Svo  ra- 
(pQOvg  %EQi  rbv  übiquiü  Ta(poev(Tag,  xal  fiarä  tijv  kv  Xaiocavei^ 
fiäxfjv  ßniScDxeJ  rdlavra  tqicc  xal  eig  rijv  .aixfDviav  hniSfoxB  iv  ry 
aiToSei^  rdXavTOv, 

Befriedigen  auch  diese  Änderungen  keineswegs,  so  scheint  [553] 
doch  jedenfalls  sich  als  sicheres  Resultat  der  bisherigen  Untersuchung 
folgendes  herauszustellen:  1.  gleich  nach  der  Schlacht  wurde  in  aller 
Eile  durch  freiwillige  Beiträge  die  Stadt  in  Verteidigungszustand  ge- 
setzt, und  Demosthenes  gab  dazu  nach  Vermögen.  2.  Mit  dem  nächst- 
folgenden Jahre  des  Phrynichos  begann  der  große  ßeparaturbau  der 
Mauern,  mag  von  Demosthenes  das  ganze  Unternehmen  oder  nur  die 
Zuziehung  der  zehn  Stämme  veranlaßt  worden  sein,  ein  Unternehmen, 
das  deutlich  zeigte,  wie  die  Lenker  Athens  gar  wohl  an  einen  neuen 
Krieg  mit  Makedonien  dachten  (s.  Gesch.  Alexanders  d.  Gr.  S.  57  I*  1 
S.  104).  3.  Demosthenes  war  seit  dem  Sommer  337  bei  eben  diesem 
Bau  Verweser  seitens  der  Pandionis,  welche  wahrscheinlich  die  Mauer 
des  Peiraieus  herzustellen  hatte;  er  verwendete  dabei  entweder  drei 
Talente  oder  1  Talent  4000  Drachmen  mit  Einschluß  der  beiden 
Gräben,  die  er  machte.  4.  In  beiden  Reden  über  den  Kranz  findet 
sich  keine  Andeutung  darüber,  daß  Ktesiphon  in  seinem  Vorschlag 
auch  die  vom  Demosthenes  als  (nrtovijg  gemachte  Epidosis  erwähnt 
habe,   und   da   derselbe   mit   dem  rag  rdfpQovg  rag  tibqI  rä  tb/xv 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  113 

xaX&g  raip^evaag  begann,  so  scheint  darin  auch  von  der  gleichzeitigen 
Epidosis  für  den  ersten  Mauerban  nicht  weiter  gesprochen  zu  sein. 
5.  Das  Decret  des  Etesiphon  und  somit  auch  die  Klage  des  Aischines 
muß  nach  dem  Sommer  337  gemacht  sein,  und  der  Archen  Chai- 
rondas  in  der  Klage  ist  nicht  minder  falsch,  als  der  Euthjkles  in 
Ktesiphons  Psephisma^ 

Daß  aber  das  Decret  der  Kranzung  nicht  später,  etwa  da  wirklich 
Ton  neuem  Krieg  mit  Makedonien  war  oder  drohte,  zu  setzen  ist,  lehrt 
Aischines  Angabe  §  219  dcntjvix^fj  yäq  i]  xarä  rovSs  rov  xprjtpia' 
liUToq  [554]  yQaq)riy  fjv  ovx  vtiIq  xi]q  n6XB(oq  äXX  vniQ  rfiq  ngbq 
!Aljk^avSQOv  ivösi^ecig  fu  (pTjq  dTtBveyxeiVj  in  <l}iXlnnov  ^cUvrogy  iiQtv 
uäXk^uvSQOv  eiq  rtjv  dQ^ijv  xccracrrfjvai  j  d.  h.  vor  dem  Herbst  336, 
so  daß  also  beide  Aktenstücke  notwendiger  Weise  in  das  Jahr  des 
Phrynichos  OL  110  4  gehören. 

Der  zweite  Grund  zur  Kranzung  des  Demosthenes,  der  in  dem 
fraglichen  Psephisma  des  Ktesiphon  (§  118)  angeführt  wird,  lautet: 
xal  k^l  Tov  &ea)Qixoi)  xccrccarcc&Sig  iitiSooxB  roig  hc  iiaa6iv .  r&v 
(fvX&v  &^toQtxoig  ixaröv  fiväg  Big  &vaiag. 

Zunächst  müssen  wir  bemerken,  daß  Demosthenes  Stellung  bei 
der  Theorikenkasse  wohl  zu  unterscheiden  ist  Ton  seinem  Amte  als 
aiT(&vfjg,  zu  dem  er,  nach  Demochares  Decret  und  seinen  eigenen 
Äußerungen  (§  248)  nach  der  Schlacht  von  Chaironeia  während  der 
atroSua  erwählt  wurde;  eine  Epidosis  von  einem  Talent  schützte  iho 
nicht  gegen  eine  Anklage  xXonfjg,  in  der  er  freigesprochen  wurde, 
wie  in  den  X  Oratt.  S.  875  berichtet  wird.  Doch  übergehen  wir  für 
diese  Untersuchung  zunächst  alle  Zeugnisse  späterer  Jahrhunderte;  in 
den  Rednern  selbst  finden  wir  nur  eine  und  nicht  einmal  sichere 
Spur  dieses  Prozesses  in  der  Äußerung  des  Deinarchos  {xccrä  Jijfio<T&. 
§  80),  avaxBvaadfiBVog  r^g  dtoixr^trscog  öxro)  raXavra  x  r  X.,  wo 
unter  den  bunt  zusammengewirkten  Lügen  die  Beziehung  auf  jene 
xlonti  verborgen  zu  sein  scheint. 

Die  Theorikenvorsteher  werden  nach  der  Ansicht,  welche  der  größte 
Kenner  des  attischen  Staatshaushaltes  wahrscheinlich  genannt  hat,  in 
den  großen  Dionysien  gewählt   Traten  sie  um  dieselbe  Zeit  oder  kurz 

^  Nach  dem  bekannten  Richtereid  ist  es  nicht  erlaubt,  ovo  ngx«?  aq^ai 
xov  avjov  iy  ta  otvru  ivtavx(^.  Aber  es  galt  der  leixonoioc  wohl  nicht  für  eine 
u^^,  wie  man  ans  Aischines  Bemühen  sieht,  es  zu  beweisen.  Die  attische  Ver- 
fassung war  in  diesen  Sachen  ziemlich  unklar;  sie  scheint  Eommissarien  über- 
haupt nicht  als  a^;ifat  anzusehen.  Wäre  das  Entgegengesetzte  bei  dem  aiKovrjg 
nachzuweisen,  so  könnte  auch  das  als  Grund  gelten  gegen  die  Annahme,  daß 
Demosthenes  vor  dem  Frühling  837  schon  an  der  Theorikenkasse  gewesen. 

Droysen,   El.  Schriften  I.  8 


114  Demosthenes 

darauf  ihr  Amt  an,  so  war  Demosthenes  in  dieser  Stelle  ein  wenig 
früher,  als  ihm  der  Bau  für  die  Pandionis  übertragen  wurde.  Doch 
wenn  man  auch  an  dieser  Bestimmung  zu  zweifeln  vorzieht,  jedenfalls 
war  Demosthenes  in  den  Dionysien  Ol.  110  4  (Frühling  336)  noch 
in  beiden  Amtern. 

Wenn  es  nun  in  Ktesiphons  Antrag,  wie  wir  ihn  lesen,  heißt, 
Demosthenes  habe  als  Vorsteher  der  Theorikenkasse  roig  kx  naa&v 
T&v  (pvX&v  ß-BcoQixoTq  ixarov  fjiväg  elg  &v(riag  als  Epidosis  gegeben, 
so  weiß  man  in  der  That  nicht,  was  man  mit  den  &6a}Qixoig  anfangen 
soll.  Der  gewöhnliche  Gebrauch  des  Wortes  würde  hier  das  Neutrum 
anzunehmen  nötigen,  aber  damit  läßt  sich  in  keiner  Weise  die  Präpo- 
sition kx  vereinigen,  da  das  Theorikengeld  ja  nicht,  wie  Bremi  zu 
dieser  Stelle  meint,  [555]  eine  Kollekte  aus  den  einzelnen  Phylen, 
sondern  vielmehr  eine  Auszahlung  aus  einer  Staatskasse  an  dieselben 
ist.  Gegen  alle  Gewohnheit  jenen  Genitiv  für  ein  Masculinum  zu 
nehmen,  würde  unsere  Lexica  mit  einer  sehr  eigensinnigen  Bedeutung 
des  Wortes  bereichem;  es  ist  nicht  abzusehen,  wie  oi  &e(aQixoi  Leute, 
die  das  &6(DQtx6v  annehmen,  bezeichnen  soll.  Nahe  liegt  es,  &6a}Q0ig 
zu  lesen  (und  so  hat  unzweifelhaft  aus  unserem  Decret  selbst  der  Ver- 
fasser der  X  Oratt.  S.  846),  aber  es  scheint  damit  nicht  viel  gewonnen. 
Es  müßten  die  Festgesandten  in  diesem  Falle  von  der  Theorikenkasse 
ausgestattet  worden  sein,  aber  mir  ist  kein  Fest  bekannt,  wo  das  der 
Fall  wäre;  und  wenn  der  Theorikenvorsteher  eine  natürlich  populäre 
Epidosis  machen  wollte,  so  müßte  das  Opfer  (und  für  60  Minen  konnte 
man  schon  eine  Hekatombe  schlachten)  daheim  zu  verzehren  sein; 
jedoch  ist  mir  kein  inländisches  Fest  bekannt,  auf  welches  die  hier 
nötigen  Bestimmungen  passen  würden.  Dennoch  glaube  ich,  daß  nicht 
etwa  ß-mxalg,  statt  dessen  &BmQixoTq  aus  Verwirrung  mit  einem  kurz 
davor  stehenden  &acjQixov  entstanden  sein  könnte,  sondern  in  derselben 
Bedeutung  &6(OQoTg  aus  der  Plutarchischen  Stelle  zu  lesen  ist.  Dies 
würde  nichts  Anstößiges  haben,  wenn  sich  nachweisen  ließe,  daß  man 
schon  zu  Demosthenes  Zeit  von  dem  decDQsTv  (Ulpian  zu  Dem.  vnk(} 
Krtja,  §  28:  trrjfieimtrai  Si  Öri  evQtaxtrai  xal  naQcc  QovxvSiSrj  xcct 
kvrav&a  rb  ß-BtoQüv  ävxl  xov  üeätr&ai)  zu  dem  Gebrauche  des  d-eojQÖiS 
statt  &6ccTtjg  fortgegangen  wäre,  was  allerdings  noch  dem  alten 
tragischen  Atticismus  (Aischyl.  Prom.  118  Choeph.  246)  eigentümlich 
war;  wohl  aber  ist  dieser  Gebrauch  in  späterer  Zeit  nachzuweisen, 
wofür  es  genüge,  auf  die  Erklärer  zu  Ammonius  und  Hesych.  v.  &eG)Qot 
zu  verweisen,  sowie  auf  die  Bemerkung  des  Möris  v.  &e(0()o}j  oi  rä^ 
ß-vaiag  dTiäyovreg  elg  xä  xoivu  iegä  xcci  xu  uavxeia  Idxxixoi'  ßea- 
xal  ^  avv&vxai  "E)Jki]veg, 


Die  Urkunden  der  Kranzi-ede 


115 


Nicht  minder  verdächtig  als  das  bisherige  ist,  daß  in  Etesiphons 
Beeret  und  Klageschrift  die  Worte,  welche  notwendiger  Weise  über- 
einstimmen mußten,  keineswegs  gleich  sind;  wir  schreiben  beide  zu 
dem  Ende  neben  einander: 


aus  dem  'ip^tpiafia 

SeSöx^cci  rf  ßovXfj  xccl  rtp  dijfAO) 
T(p  !A&7]vaia)v  hnaiviaai  ArifiotT' 
&ivr]v  Jf}fio(y&.  üaiccviia  &qb- 
rfjg  fivBxa  xccl  xaXoxäycc- 
&tccg,  fjg  'ix^v  StareXBi  iv  nuvri 
xaiQ(p  elg  t6v  S^fiov  röHv  'A&f]- 
vaicjv,  xccl  arBtpav&Gcti  XQ^^^p 
(TTBq>üvq)  xccl  ävccyoQBveai  röv 
(Tzicpavov  kv  rtp  ß-tccTQm  Aio- 
vvaiotg  rgaycLiSoig  xccivoTg. 


aus  der  ygcccpri 

{ßyQU^B  yj'^(pi<Tficc)  cbg  äga  Sei 
<TTB(pav&aai  JTjfjLoa&ivTjv  .  .  . 
ZQvtFM  arecpävqf  xccl  ävayoQBdaai 
kv  rm  i9'6aTQG)  Aiovvaioig  roig 
fAeyüXoig  tQuyqidoig xccivotg,  Ort 
artfpavoi  6  SfjfjLog  J7]fA0(T&ivT]v 
Afiiio<T&ivovg  ücciaviia  X(?^^<p 
fTTBfpdvfa  ÜQBTfig  tvBxa  xal  bv- 
voiccg,  Jyij  ix^'^  SiarBkBT  sYg  tb 
rovg  ^'EXXijvug  änccvxccg  xal 
röv  Sfjfiov  T&v  !A&fjvaiG)V  xal 
dvSpaya&iag,  xal  Siöri  Sia- 
xbXbi  nQaTxtov  [556]  xal  Ki- 
ytav  xä  ßkXxiaxa  xtp  Srinw, 
xal  nQÖö-VfjLÖg  kaxi  itoiBiv, 
8x1  äv  Svvfjxai  Aya&öv. 

Daß  die  Worte  der  Elage  die  richtigeren  sind,  lehren  die  mannig- 
fachen Äußerungen  in  beiden  Reden.  So  führt  Demosthenes,  gleich 
nachdem  die  Klage  verlesen  ist  (§57  vgl.  §  110)  die  Worte  an: 
noaxxovxa  xal  kiyovxa  xä  ßÜJXKTxd  fiB  xip  Si^fiq)  SiccxbXbTv  xal  tiqö- 
i9vfiop  Bivai  noiBiv  &xi  &v  Svvcofiai  äya&ov  xal  knaivBiv  inl 
xovxoig  (doch  fehlen  diese  letzten  Worte  auch  in  der  ygaff^ij).  So 
sagt  Aischines  §  49  „xcfJ  xov  xriQvxa  ävayoQBVBiv  kv  x(p  &BdxQm 
TtQog  xovg  '^EXXrjvag  6xi  axBcpavoi  ccvxöv  6  S^fjiog  6  x&v  [4&ijvai(ov 
äoexfjg  %VBxa  xal  AvSQayad-iag'^  xal  xb  iiiyiaxov  „3re  StaxBXBt  Xiyayv 
xal  ngaxxoDV  xä  äQKTxa  xm  Srjfiq)^^;  daß  das  auffallende  npög  xovg 
''EXXfivag  nicht  bloß  aus  der  Weise  des  Dionysischen  Festes  abgeleitet, 
sondern  aus  dem  wirklichen  Antrag  des  Ktesiphon  ist,  scheint  sich 
aus  Aischines  Worten  §  34,  die  der  Lesung  des  Antrags  unmittelbar 
folgen,  zu  ergeben;  auch  diese  fehlen  freilich  in  der  ygatpi].  Voll- 
kommen übereinstimmend  ist  sie  mit  den  bei  Aischines  §  101.  155. 
237  angeführten  Worten,  einige  Anspielungen  bei  ihm  und  Demosthenes 
(z.  B.  8(7rjv  BÜvoiav  ^/ö>v  kycb  SiaxBXß  xf/  xb  tiöXbi  im  Anfang  der 
Demosthenischen  Rede)  können  wir  übergehen.  Jedenfalls  ergiebt  sich 
mit  der  entschiedensten  Gewißheit,  daß  Ktesiphons  Antrag  so,  wie  wir 

8* 


116  Demosthenes 

ihn  lesen,   weder  im  Volk  vorgelegt,   noch  von  Aischines  angegrifiFen 
worden  ist. 

[561]  Der  Münohener  Becensent  der  Dissenschen  Ausgabe  hat  ge- 
rade in  diesen  starken  Abweichungen  eine  Bestätigung  der  Böckhschen 
Hypothese,  daß  die  Urkunden  in  dieser  Rede  später  aus  Archiven  oder 
Sammlungen  eingelegt  seien,  zu  finden  geglaubt.  Die  Formel  SbS6x- 
&ai  ry  ßovXy  xal  tc5  Stjfiqi)  tgJ  !A&f]vaia)v  lehre,  meint  er,  daß  das 
vorliegende  Decret  das  vom  Volk  angenommene  und  eben  in  der  Form 
sei,  wie  es  nach  dem  für  Demosthenes  glücklichen  Ausgang  des  Pro- 
zesses aufbewahrt  werden  mußte,  es  sei  dies  nicht  dasselbe,  was  an 
jener  Stelle  der  Rede  wirklich  vorgelesen  worden;  denn  Demosthenes 
selbst  bezeichne  jenes  als  Probuleuma  des  Senates  (§119  &  Si  (pTjmv 
7j  ßovXi]  SbTv  ävrl  tovtcov  yevia&cci  fwi  .  .  .),  das  uns  aufbewahrte 
dagegen  sei  das  nach  der  Beendigung  des  Prozesses  vom  Volk  in  ver- 
änderter Gestalt  angenommene  Decret  (ebenso  Winiewsky  S.  335). 
Diese  Vermutung  scheint  in  jeder  Weise  unhaltbar.  Wir  wissen  aus 
hinreichenden  Beispielen,  daß  dann  etwa  vor  der  Datierung  oder  vor 
dem  Krtjaicpöv  elTte  stehen  müßte  äSo^ev  r^  ßovXy  xal  xm  8t)fi(pj 
wodurch  erst  das  Ganze  die  Form  des  Beschlusses  erhielt.  Femer  ist 
durchaus  kein  Grund  zu  solchen  Veränderungen  abzusehen,  wie  sie 
das  vorliegende  Decret,  wenn  es  echt  wäre,  beweisen  würde;  durch 
Aischines  Klage  wurde  das  vom  Rat  und  Volk  angenommene  Decret 
suspendiert,  d.  h.  es  blieb  zunächst  nur  ein  Probuleuma;  war  im  Prozeß 
für  Ktesiphon  entschieden,  so  war  ohne  weiteres  der  schon  beratene 
und  vom  Volk  angenommene  Antrag  gültig  und  bedurfte  durchaus 
keiner  neuen  Redaction  oder  Beratung.  Femer,  wozu  sollten  denn 
auch  solche  Verändemngen  dienen,  wie  schon  im  Anfange  das  Fort- 
lassen der  Gräben,  oder  wie  weiterhin  die  Vertauschung  der  ävS^cc^ 
ya&ia  mit  xakox&yad'ia  oder  das  Auslassen  des  kncciveiVf  des  Uymv 
xal  iiQÜTTOiv  rä  ßklriara  T(p  S/jfi(p,  des  nQÖ&vfiög  hart  noteiv 
6x1  av  Svvrjxat  äyaß'öv  u.  s.  w.?  Und  gerade  bei  diesem  Psephisma 
muß  durch  ein  seltsames  Spiel  des  Zufalls  Demosthenes  den  Schreiber 
auffordem:  Xaßcjv  ävdyvmd'i  x6  'ip/j(pi(TfAa  Ö)^ov  x6  y^a<piv  fioi.  Wenn 
aber  Demosthenes  Ausdmck  ä  tpijaiv  ij  ßovXij  Setv  ytvhe&ai  (lot^ 
etwas  zu  bedeuten  hat,  so  muß  in  dem  wirklich  verlesenen  Antrag 
etwas  Derartiges  {eSo^ev  xy  ßovXTj  oder  vielleicht  besser  [562]  5r(>o6- 
ßovlBvcrev  ij  ßovXi}  oder  dergleichen)  angedeutet  gewesen  sein. 

Nach  allen  diesen  Bemerkungen  dürfte  es  nicht  gewagt  erscheinen, 
über  das  vorliegende  Psephisma  des  Ktesiphon  ein  Urteil  zu  sprechen. 
Es  fangt  nicht  mit  den  von  Demosthenes  gebauten  Gräber  an;  es 
hat  nicht  die  Wendungen,   die  von  Aischines  und  Demosthenes  aus 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  117 

demselben  citiert  werden;  es  ist  kein  Probuleuma,  als  welches  es  ver- 
lesen wird;  es  enthält  in  dem  Worte  ß-^oDQixoTq  entweder  etwas  Un- 
sinniges oder  in  der  wahrscheinlicheren  Form  ßBcoQoTq  ein  Zeichen 
späterer  Gräcität,  es  führt  einen  Archonten  an  der  Spitze,  der  falsch 
ist  Somit  glaube  ich  das  Psephisma  des  Ktesiphon  für  unter- 
geschoben halten  zu  müssen. 

Für  die  Klageschrift  des  Aischines  haben  wir  im  Vorher- 
gehenden schon  einige  wesentliche  Bestimmungen  gewonnen,  nament- 
lich, daß  der  Archen  Chairondas,  mit  dem  sie  beginnt,  ein  chrono- 
logischer Schnitzer  ist.  Wir  haben  auch  bereits  gefanden,  daß  die 
hier  aus  dem  Ehrendecret  citierten  Sätze,  wenn  auch  genauer  als  in 
dem  angeblichen  Psephisma  und  mit  den  gleich  folgenden  Anführungen 
in  Demosthenes  eigenen  Worten  übereinstimmender,  doch  keineswegs 
Tollständig,  wie  wir  sie  aus  den  beiden  Eeden  kennen,  wiederholt  sind; 
es  fehlt  xal  inmveTv  knl  tovtoiq  und  TiQÖg  rovg  ''EXXrjvag. 

Eine  nicht  geringe  Schwierigkeit  bietet  femer  die  ganze  einleitende 
Formel  dar:  knl  Xai()<6vSov  äQXOvrog  'Ekatprjßoh&vog  f^xry  iara- 
likvov  Alaxivriq  'ArQoyn'iTOV  Ko&(oxiSrjg  än^^veyxe  ngdg  x6v  ap- 
Xovra  naQavöficjv  yQcctpijv  xurä  Krrjcrup&VTog  rov  Ae(oa&ivovg 
IdvatpXvaxlov,  Öri  'i/gaipe  itaQÜvoyLOv  ipi^(pi<Tfi(x  cbg  &qcc  x  t  X, 
Wie  wenig  wir  auch  über  die  Form  der  Klageschriften  unterrichtet 
sind,  wahrscheinlich  ist  es  wenigstens  nicht,  daß  in  der  Klageschrift 
zugleich  protokolliert  steht,  daß  sie  überreicht  wurde;  und  daß  sie  so, 
durch  die  Zusätze  des  Schreibers  für  die  öffentlich  auszustellende  Ab- 
schrift verändert,  hier  vorgelesen  wurde,  wie  im  Attischen  Prozeß 
S.  607  vermutet  wird,  scheint  besonders  im  Vergleich  mit  Aristoph. 
Wespen  894  und  mit  Demosth.  xarä  JSxBcpdvov  §  44  nicht  recht 
wahj^cheinlich. 

Was  aber  mit  dem  unseligen  ngog  rdv  äQxovra  beginnen?  Denn 
nach  der  mehrfachen  Angabe  der  alten  Sammler  (s.  Schol.  zu  Aischin. 
x€£tä  TifiÜQx.  §  16  und  die  sehr  ähnlichen  Notizen  bei  PoUux  VIII  87 
und  andere)  gehört  die  Klage  7tccQccv6fji(ov  vor  die  Thesmotheten,  [563] 
und  ganz  so  finden  wir  es  in  der  Leptinea  §  98,  von  deren  Anakrisis 
es  heißt:  &  Si  npog  roTg  id-eafjLo&eraig  Heye]  ingleichen  in  der  zweiten 
Bede  xar  'dQiaroyeirovog  §  8  Örav  rtg  ipTjtpifTfjLarog  ^  vöfiov  yQcc- 
(pijv  äneveyxrj  ngbg  rovg  &eafjiO\feTag;  ist  diese  Rede  auch  aus  spä- 
terer Zeit,  so  kann  ihr  Zeugnis,  wenn  es  durch  ein  anderes  kontrolliert 
wird,  doch  wohl  gebraucht  werden.  Daß  aber  die  Klage  7tccQccvöfia)v 
bei  dem  Archen  angebracht  wird,  davon  findet  sich  außer  in  unserer 
Stelle  keine  Spur.  In  der  vollkommenen  Überzeugung  von  der  Echt- 
heit der  vorliegenden  Klageschrift  hat  man  ihre  Angabe  mit  der  durch 


118  Demosthenes 

zwei  Beispiele  im  Demosthenee  und  durch  die  gelehrte  Überlieferung 
garantierten  Einrichtung  in  einer  in  der  That  höchst  gewandten  Ver- 
mutung zu  vereinigen  gesucht.  Es  ist  nämlich  unzweifelhaft,  daß  die 
neun  Archonten  zusammen  mit  den  Namen  der  Thesmotheten  bezeichnet 
werden  (s.  Böckh  zum  Corp.  Inscr.  Gr.  I  S.  440);  vor  diese  neun  Thesmo- 
theten, meint  man,  habe  die  Klage  der  Paranomie  gehört,  was  denn 
von  den  alten  Gelehrten  mißverstanden  und  auf  die  sechs  Thesmo- 
theten allein  übertragen  worden  seL  Indeß  muß  man  sagen,  daß 
gerade  unter  dieser  Voraussetzung  der  Eponymos  eben  nicht  als  Archen, 
sondern  als  Thesmothet  erscheinen  müßte,  und  wenn  im  Attischen 
Prozeß  S.  41  vermutet  ist,  daß  der  Archen  als  Prytanis  dieses  ganzen 
ThesmothetenkoUegiums  erscheint,  so  konnte  die  officielle  Bezeichnung 
doch  eben  wieder  nicht  die  in  der  vorliegenden  Klage  gebrauchte  sein, 
sondern  es  mußte  notwendiger  Weise  so  heißen,  wie  in  den  beiden 
Demosthenischen  Stellen,  die  wir  angefahrt  haben:  dntjvsyxs  nQÖg 
Tovg  &e(Tfio&irag.  Nach  einer  anderen  Vermutung  (Attischer  Prozeß 
S.  41)  wären  die  Paranomien  nach  Maßgabe  ihres  Inhaltes  an  die 
einen  oder  anderen  der  neun  Thesmotheten  verteilt  gewesen,  so  daß 
also  dem  Basileus  gesetzwidrige  Vorschläge  in  heiligen  Sachen,  dem 
Polemarchen  in  Militärsachen  zugefallen  wären,  in  unserem  Fall  der 
Archen  genannt  wäre,  weil  derselbe  die  Leitung  der  großen  Dionysien 
hatte;  aber  wozu  denn  der  gemeinsame  Name,  den  die  sonst  in  ihrer 
amtlichen  Wirksamkeit  getrennten  doch  nur  fahren  können,  wenn  sie 
ein  CoUegium  bilden,  wo  demnach  die  Scheidung  ihrer  amtlichen 
Pflichten  aufgehoben  ist.  Ganz  unbrauchbar  ist  die  Ansicht  Bremis 
(zu  Dem.  de  cor.  S.  40),  die  Klage  nccQavöfMov  wäre  während  des 
letzten  Jahres,  wo  der  Vorschlagende  noch  die  Verantwortlichkeit  hatte, 
bei  dem  Archen,  nach  dieser  Zeit  bei  den  sechs  Thesmotheten  anzu- 
bringen gewesen;  das  Beispiel  der  zweiten  Rede  gegen  Aristogeiton 
und  das  Zeugnis  der  Grammatiker  ist  dagegen. 

Es  versteht  sich,  daß,  wenn  alles  in  der  y^aq^rj  unverdächtig  und 
in  Ordnung  wäre,  die  angeführte  Schwierigkeit  so  hingenommen  werden 
müßte,  aber  im  Verein  mit  anderen  Unrichtigkeiten  scheint  sie  mir 
ein  Grund  mehr  gegen  die  Echtheit  der  Klageschrift;  und  arg  genug 
ist  doch  der  falsche,  oder  vielmehr  der  mit  einem  Anachronismus  ge- 
brauchte Archen  und  die  nicht  ausreichende  Übereinstimmung  mit 
den  Worten  des  authentischen  Psephismas.  Von  den  beiden  in  der 
That  sonderbaren  Vorladungszeugen  Krjcptaotp&v  Ki]<piao(p(üVTog  'PccfA- 
[564]  vov(Ttog,  KU(ov  KU(ovog  Ko&coxiSi^g  wird  später  noch  zu 
sprechen  sein;  wenn  wir  sie  sonst  nirgends  nachweisen  können,  so  mag 
sich  wohl  der  sehr  vornehme  Aischines  ein  paar  gemeine  Leute  zu 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  119 

Zeugen  genommen  haben!  Auch  von  der  wunderlichen  Ellipse  rga-- 
ymd&v  ry  xccivfj  will  ich  nicht  sprechen,  da  gegen  diese  Lesart  der 
besten  Handschriften  einige  andere  Bequemeres  darbieten.  Das  urteil 
gegen  die  Echtheit  der  Klageschrift  glaube  ich  durch  das  oben 
Gesagte  hinreichend  begründet. 

[569]  III.  Das  Dionysische  Gesetz. 

Aischines  hatte  in  dem  Antrage  des  Ktesiphon  namentlich  drei 
Punkte  als  widerrechtlich  bezeichnet ,  1.  daß  er  ein  Deere t  mit  der 
falschen  Behauptung,  Demosthenes  habe  sich  als  wackerer  Bürger  be- 
währt^ in  Vorschlag  bringe  gegen  das  Gesetz  fAtjSivcc  xpevSfj  ygäfifucra 
kyYQUfpHv  kv  Toig  StjfjLoaiotg  yjfj^i(T(jLcc<Ti  (§  50);  2.  daß  er  den  noch 
in  zwei  Ämtern  Stehenden  zu  kränzen  vorschlage  vn^QitriSijaaq  rdv 
vöfwv  TOP  n€Ql  T&v  imtvdvvcjv  xeifAevov  (§  12);  3.  daß  er  die  Ver- 
kündigung des  Kranzes  im  Theater,  in  den  großen  Dionysien  bei  der 
Aufführung  neuer  Tragödien  verlange,  gegen  das  Gesetz  iäv  fUv  nvcc 
OTBfpavoi  i}  ßovXt],  hv  Tö5  ßovXevrfjQiq)  ävax7]QVTTB(T&cci,  iäv  öi  6 
SfipLoqj  hv  xfi  ixxXijaiaf  äÜ.o&i  Si  fi7]SafjLov  (§  32).  Aischines  fügt 
hinzu,  die  Gegner  werden  sich  auf  ein  anderes  Gesetz  berufen  {rdv 
AtowiTiuxbv  vöfAov)  xcci  /pijö-ovrai  rov  vöfiov  fUQei  rivi  xkinrovreg 
xiiv  äxQÖaaiv  vfi&v  xui  na^t^ovxai  vöfiov  ovSkv  nQoarjXOVTa  rfjS^ 
ry  yQccfpf]  (§  35.  36).  Gerade  dies  Gesetz  können  wir  mit  befrie- 
digender Vollständigkeit  aus  Aischines  Anführungen  wieder  herstellen. 
Er  s^,  da  jenes  ältere  Gesetz  von  den  Kränzen  des  Bates  und  des 
Volkes,  nicht  aber  von  denen  der  Fhylen,  Demen  und  fremden  Staaten 
sprechend  die  Verkündigung  im  Theater  verpönt  habe,  sei  es  üblich 
geworden,  solche  Kränze  von  Phjleten,  Demoten,  fremden  Staaten  ohne 
weiteres  im  Theater  bei  den  großen  Dionysien,  wo  Fremde  von  aller 
Welt  her  zusammenströmten,  zu  verkündigen,  wodurch  denn  natürlich 
der  Glanz  solcher  Verkündigung  die  vom  Bat  oder  Volk  im  Buleuterion 
oder  in  der  Ekklesie  verkündeten  Ehren  weit  überstrahlte;  auch  Frei- 
lassung von  Sklaven  habe  man  des  allgemeinen  Beifalles  wegen  im 
Theater  verkündet  Darum  sei  das  Dionysische  Gesetz  gegeben,  um 
die  Feier  von  diesen  lästigen  und  eitelen  Weitläufigkeiten  zu  befreien 
(§  44);  der  Gesetzgeber  habe  es  gemacht  ntgl  r&v  ävev  ifjfjtpitTficcrog 
iliurigov  (rTBg>avovfUvoi)v  im6  r&v  tpvXer&v  xccl  SrjfiOTöiiv  xdi  nepl 
T&v  Tovg  olxttag  äneX^v&BQOvvrmv  xal  ns()i  r&v  ^evix&v  aTB(pdv(oVy 
xal  SiaQ^äfjv  ünccyoQBVEi  fii]T  olxkrrjv  dTielav&BQOvv  kv  reo 
&eaT(>q}  fifjO''  vno  x&v  tpvXBtöv  ^  SrjfAor&v  ävayoQBVBaß'ai 
[570]  (rretpavovfievov,  fii]ä'  in*  äXkov,  (pijtri,  firjSevögj  7/ äri- 
(10 v  eivai  rov  xiiQvxa.  Hierzu  ergiebt  sich  eine  weitere  Bestimmung 


1 20  Demosthcues 

aus  §  47  xai  Siä  rovro  7i^ogi&i]XBv  6  vofAoß-irij^  fAtj  xt]QVTTe<T' 
&ai  rdv  äXXÖTQiov  Gxifpccvov  hv  T(d  &6(iTQ(p,  häv  fii]  xfjijtpi- 
(TfjTcci  6  Sfjfiog  iv  ij  nöktg  rj  ßovXofjtevTj  rivä  t&v  ijfiBTSQCov  arttpa" 
vodv  iiQBfTßsig  Ttifiifjarra  Sbtj&jj  tov  8rifxov  (vgl.  §  48).  Für  unsere 
Frage  genügt  es,  in  Demosthenes  eigenen  Worten  {§  121)  nU}v  kdv 
Tivaq  6  Sfjfiog  /}  /;  ßovkij  'if)i](piat]Tai'  Tovrovg  Si  ävayoQeviro)  Be- 
stätigung für  Aischines  Anführung  zu  finden,  um  so  mehr,  da  das 
dvayoQevBTQj  deutlich  genug  jenes  ürifiov  elvm  rdv  xijQvxa  indiciert 
Und  nun  der  vö^ioq  Jiovvataxögj  wie  wir  ihn  eingeschaltet  in 
Demosthenes  Rede  §  120  lesen:  äaovg  (mtpccvovcri  rivsg  t&v 
ä^fKoVj  xäq  ävayoQBVGBiq  r&v  GTB(päv(ov  noiBia&ai  hv  av- 
ToTq  ixüfTxovg  TOig  iStoig  SrjiJLOig,  käv  fi7j  rivag  6  8f]fjLog  6 
T&v  !A&r}vcct(ov  tj  rj  ßovXij  atetpavor  rovrovg  S'  k^eivat  äv 
T(p  &eäTOfü  Atovvaioig  ävayoQ^vBd&ai.  Es  macht  keinen  bedeu- 
tenden Unterschied,  daß  der  Cod.  2  i^etvai  ea&ai  liest,  und  aus 
anderen  Handschriften  andere  kleine  Abweichungen  bezeichnet  werden; 
es  macht  ebenso  wenig  einen  wesentlichen  Gewinn,  wenn  man  nach 
dem  Vorschlag  einiger  Gelehrten  statt  des  ganz  albernen  Gx^fpavoZ 
etwa  rfjfjtpiarjrai  schreibt.   Demosthenes  selbst  tobt  in  den  gleich  darauf 

folgenden  Worten  gegen  Aischines:   äXX   ovS'  altrxvvt] vöfiov^ 

fjLeranoi&Vj  r&v  S*  ätpcciQ&v  fß^Qt],  ovg  Skovg  Sixatov  fjv  ccvayiyvdaxBfT" 
x^ai  roTg  ye  dfjL(OfjLox6(Ti  xatä  rovg  vöfAovg  'ifjTjtpieTad'cci.  Aber  ihn 
selbst  würde  dieser  Tadel  nur  noch  starker  treffen,  wenn  er  das  Gesetz 
so,  wie  wir  es  lesen,  hätte  lesen  lassen;  denn  es  stimmt,  so  zu  sagen, 
nicht  ein  Wort  mit  den  Anführungen  bei  Aischines,  und  daß  diese 
wörtlich  sind,  dafür  bürgt  sein  fifj&*  vii  äXkov  (pi]ai  fifjSevög,  Aber, 
meint  man,  es  ist  nur  so  verstümmelt.  Vielmehr  das  Dionysische 
Gesetz  hat  neben  den  aus  Aischines  zu  nehmenden  Sätzen  diese  nicht 
enthalten  können,  wie  der  Augenschein  lehrt.  Oder  der  Gelehrte 
hat  vielleicht  ein  anderes,  als  das  hier  gemeinte  Gesetz  aufgenommen. 
Es  ist  ein  schlimmes  Ding,  einem  so  gelehrten  Forscher  so  dunmie 
Verwirrungen  aufzubürden.  Wer  sieht  nicht,  daß  das  vorliegende 
Gesetz  alle  Miene  macht,  in  den  Zusammenhang  zu  passen,  so  sehr, 
daß  er  selbst  des  Demosthenes  Citat:  [571]  nlijv  hdv  rtvag  6  dijfiog 
ij  i)  ßovltj  \prj(pi<77]Tcct  mißverstehend,  als  bezeichne  das  eine  von 
Rat  oder  Volk  decretierte,   nicht  bloß  erlaubte  Kränzung,   dafür  sein 

unverständiges  hdv  fjiij (rretpavoT  setzt.     Endlich  wie  soll  man 

glauben,  daß  in  Athen  geschrieben  wurde  r&v  SijfjLOJV  rtvig  statt 
SfjfjiOT&Vy  und  gar  rdg  ävayoQiva^ig  itoma&ai  hv  avroTg  ixdtrcovg 
(sc.  Sr'jfiovg)  TOig  ISiotg  S/jfiotg,  wo  nicht  einmal  der  rönog  &nov  S^T 
TouTo  y€vi(T&at,  nämlich  die  äyoQu  genannt  ist. 


Die  Urkuuden  der  Kranzrede  121 

So  ergiebt  sich  wohl  mit  Sicherheit,  daß  das  vorliegende  Gesetz 
weder  der  von  Demosthenes  und  Aischines  besprochene  vöfiog  Jiovv- 
maxögj  noch  überhaupt  ein  altes  und  echtes  Gesetz,  sondern  ein 
untergeschobenes  Machwerk  ist. 

IV.  Aktenstücke  für  den  Krieg  von  Ol.  110  2  und  3. 

Wir  befinden  uns  bei  der  Kritik  dieser  Urkunden  über  den  Krieg 
von  Amphissa  und  Chaironeia  mehr  noch,  wie  bei  anderen,  in  der 
unangenehmen  Verlegenheit,  die  historischen  Facta,  welche. uns  das 
sicherste  Kriterium  abgeben  müssen,  nur  aus  solchen  Quellen  schöpfen 
zu  können,  deren  Glaubwürdigkeit  nichts  weniger  als  unzweideutig  ist. 
Unsere  Kenntnis  jener  höchst  merkwürdigen  Epoche  beruht  fast  aus- 
schließlich auf  der  Autorität  der  Kedner,  welche  das  Factische  nicht 
ohne  absichtliche  Entstellung  vortragen.  Es  tritt  hier  das  sehr  wesent- 
liche Bedenken  auf,  daß,  wenn  die  Aktenstücke  mit  den  Angaben  der 
Bedner  nicht  stimmen,  die  Ansicht,  als  wenn  sie  zu  deren  Ausfallung 
erdichtet  wären,  ungleich  gewagter  sei,  als  der  gute  Glaube  an  ihre 
Echtheit,  und  sie  scheinen  zur  Kontrolle  der  Redner,  zum  Beweise, 
wie  entstellt  deren  Angaben  sind,  zur  Berichtigung  und  Erweiterung 
der  Geschichte  um  so  mehr  geeignet,  um  wie  viel  specieller  und  da- 
durch zuverlässiger  ihre  Angaben  sind  und  um  wie  viel  weniger  wir 
Quellen  oder  Notizen  nachzuweisen  im  stände  sind,  aus  denen  her  der 
Falsarius  geschöpft  haben  könnte.  Somit  werden  nur  factische  Absur- 
ditäten, chronologische  Unmöglichkeiten  und  ähnliche  unabweisbare 
Zeichen  litterarischer  Falschmünzerei  uns  zu  einem  dreisten  Urteil 
gegen  diese  Urkunden  berechtigen  können. 

Wir  müssen,  um  einen  chronologisch  festen  Punkt  zu  gewinnen, 
von  dem  Kriege  Philipps  gegen  die  Byzantier  ausgehen,  denen  Beistand 
zu  leisten  die  Athener  (wie  Philochoros  bei  Dionys.  ep.  ad  Ammaeum 
I  c.  11  [fr.  135  M.]  sagt)  ^/€/()ordi/»y<TCfv  rijv  pikv  (rri^krjv  xa&eXeTv  Ti]v 
TteQi  rfjg  ngög  ^iXinnov  elQijV'fjg  axaß-Hdav^  vavg  8h  nXriQOVv  xal 
rä  äXka  ive^yBiv  rä  rov  nolifwv.  Dionysios  fahrt  fort:  rccvrcc 
yoätpag  xarä  0e6(ppa(TTOv  ap/ot^ra  ysyovivcci,  tö5  fier  ix^Tvov 
kvicevxfo  rä  ifQccx^ivta  (urä  rtjv  Xvmv  rijtj  elQtjVfjg  inl  AvatfiaxiSov 
agxovTog  SiB^igx^Tai'  &7)(T(jo  Si  xal  tovtcov  ccirc&v  rä  ävayxcciörara. 
AvartficcxiSrjg  \4xcCQV^vg'  knl  rovrov  rä  fiiv  l^oya  rä  TtBQc  rovg 
VBoogoiXOvg  xal  rijv  axevo&i^xfjv  äveßäXovro  Siä  rbv  nöXsfjLOV  rdv 
7[()6g  0iXinnov  rä  3h  /p^Jjtiar  i\pfj(pi(Tavro  Tcüvr'  slvcci  arQctrKorixä 
AfipLoax^-ipovg  ygdrfjavrog  x  r  L  So  ergiebt  sich  aus  den  Worten 
[572]  des  durchaus  zuverlässigen  und  der  Zeit  so  nahe  stehenden 
Philochoros,   daß  der  Krieg  von  Byzanz  in  Ol.  110  1  und  2  gehört. 


122  DemoetheneB 

Philippos  mußte  erkennen,  daß  er  bei  der  lebhaften  Unterstützung,  die 
Byzanz  von  Athen  und  anderen  griechischen  Staaten  erhielt,  seinen 
Zweck  nicht  erreichen  werde ;  er  gab  deshalb  die  Belagerung  von  Byzanz 
auf  und  wandte  sich  nordwärts  gegen  die  an  der  unteren  Donau 
wohnenden  Skythen. 

Hier  schließen  sich  nun  die  amphiktyonischen  Angelegenheiten 
an,  die  Aischines  in  dem  xQiroq  r&v  xuiq&v  (§  106)  berichtet;  und 
diesen  rechnet  er  von  jenem  Tage  an,  r^s  rjfUgccg  heaivijQj  hv  y  xara-^ 
hlfffug  T7jv  vndgxovaav  BlQr'jvrjv  rp  nöXu  6  ccirög  ovrog  qi^tcjq 
HyQayjB  TÖv  nökefiov  (§  55),  das  heißt  also  vom  Jahre  des  Theophrastos 
OL  110  1;  es  ist  der  Friede,  der,  im  Frühling  Ol.  108  2  geschlossen, 
SiifieivBv  inTasTf]  xQ^'^ov  (Dionys.  HaL  ep.  ad  Ammaeum  I  c.  1 1). 

Aischines  nun  berichtet  (§  115  ff.),  daß  er  ^nl  Oeotp^äarov  &q- 
XovTog  zum  Pylagoros  erwählt  und  mit  den  zwei  anderen  erwählten 
Py lageren  Athens  gen  Delphi  gegangen  sei.  Dort  hätten  die  von 
Amphissa  imonenrc^xÖTsg  tötb  xccl  Seivc^g  &BQaitBvovTBg  rovg  Orj- 
ßaiovg  auf  fün&ig  Talent  Strafe  gegen  die  Athener  angetragen,  weil 
sie  in  der  erneuten  Weihung  goldener  Schilde  mit  der  Inschrift  'd&tj- 
vccioi  äno  MrjSoov  xal  QiißaioDv  x  r  k  allerdings  das  Qesetz,  über 
eine  eidgenössische  Stadt  keine  dauernden  Trophäen  zu  errichten 
{li&ivov  fj  xccheovv  zQÖncciov  Plut.  quaest.  Rom.  37  Cicero  de 
Inv.  II  23),  übertreten  hatten.  Hier  muß  zuerst  ein  Trugschluß  des 
Demosthenes  zurückgewiesen  werden;  er  meint  (§  150)  ovx  kvfjv  ävBv 
rot)  nQogxuXiaaadai  Srjnov  rolg  AoxQoig  Sixtjv  xurä  tfjg  TtölawQ 
TBkiaua&cci'  zig  ovv  ixli^TBV<7BV  vfjiäg;  And  noiag  &QX^^  x  r  X. 
Die  gleich  folgende  Exekution  gegen  die  Lokrer  vor  Amphissa  zeigt, 
daß  bei  einer  vor  Augen  liegenden  Uebertretung  amphiktyonischer 
Gesetze  dergleichen  nicht  nötig  war;  und  die  goldenen  Siegesschilde 
konnten  und  mußten  als  solche  gelten.  Daß  aber  zwischen  Athen  und 
Theben  damals  nicht  viel  an  einem  offenbaren  Kriege  fehlte,  lehrt 
unter  anderm  die  Besetzung  von  Megara  durch  Phokion  (Plut.  Phoc 
15),  die  nicht  in  die  von  Dem.  nBgl  nagangBaß.  §  326  besprochenen 
Verhältnisse  gehört,  sondern  später  ist;  siehe  unten. 

Jenem  Antrage  der  Lokrer  in  der  Amphiktyonenversammlung  trat 
Aischines  entgegen;  er  wies  darauf  hin,  wie  die  Amphissäer  einen  viel 
ärgeren  Frevel  auf  sich  geladen  hätten  durch  Beackerung  und  Be- 
bauung des  verfluchten  Feldes,  und,  wie  er  selbst  berichtet,  er  sprach 
mit  der  größten  Heftigkeit  Als  er  hierauf  abgetreten  war  {hnBiSf] 
noTB  än7]Xkay7]v  xccl  fiBTBavfjv  hx  rov  (tvvbSqiov  §  122),  entstand  groß 
Geschrei  und  Getümmel  unter  den  Amphiktyonen,  und  man  sprach 
bereits  nicht  mehr  von  den  Schilden,  die  Athen  geweiht,  sondern  schon 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  123 

von  der  BestrafTing  der  Amphissaer.  Da  es  schon  zu  spät  war,  um 
noch  desselben  Tages  die  Strafe  auszuführen ,  beschied  der  Herold  die 
Delphier  auf  den  folgenden  Tag  {fjxeiv  äfia  ry  ijfdQ^)  zur  Opferstatte 
und  eben  dahin  die  Pjlagoren  und  Hieromnemonen.  Aber  bei  der 
Exekution  am  folgenden  Tage  kamen  die  Lokrer  [573]  aus  Amphissa 
bewaffiiet  daher  und  die  heilige  Expedition  rettete  sich  nur  mit 
Muhe.  Am  folgenden  Tage  berief  Eottyphos  der  Pharsalier,  6  räq 
yvtSfuxQ  hntrpr}(pi^(ov,  eine  sogenannte  Ekklesie  der  Amphiktjonen,  wo 
denn  beschlossen  wurde,  ^xuv  rovg  iBQOfAvrjfiovag  tcqo  rfjg  hmovariq 
'XvXaiccq  kv  prjTfp  /prffw  eig  Uvkag,  i^^ovrccg  Söyfia  xa&'  8t c  Sixtjv 
Sc^ovaiv  Ol  jifjLcpKTGBig  X  T  L  In  Athen  wurde  das  von  Aischines 
Gethane  anfangs  gut  geheißen,  doch  brachte  es  Demosthenes  zu  einem 
anderen  Beschluß  (Aischin.  §  126),  des  Inhaltes,  daß  sich  Athen  jeder 
Teilnahme  an  der  außerordentlichen  Versammlung  in  den  Thermopylen 
und  der  Ausführung  der  dort  gefaßten  Beschlüsse  enthalten  solle; 
ebenso  nahmen  die  Thebaner  an  derselben  keinen  Anteil.  Dort  nun 
wurde  ein  Feldzug  gegen  die  Lokrer  beschlossen  und  Eottyphos  zum 
Feldherm  erwählt:  xal  nccQBX&övreg  rp  ngcory  GXQaxticc  xal  fidkcc 
fUTQtcag  ^/(>7)ö'ai^ro  roTg  'AfitpiaaBüai,  Es  wurde  ihnen  eine  Geld- 
strafe auferlegt,  die  sie  in  bestimmter  Frist  {iv  Qtjxm  X9^^<p)  ^^^  (^^tt 
erlegen  sollten,  und  die  Vertreibung  der  Schuldigen  von  ihnen  verlangt. 
Dann  fährt  Aischines  fort  (§  129)  inetSij  Sk  ovre  rä  XQni^^"^^  i^iri- 
vov  Tc5  ß-B^j  rovg  r  ivc^Big  xavi^yayov  odcl  rovg  ivaeßelg  xarek- 
d-dvrag  8iä  r&v  'ApLfptTnvövcov  k^ißaXoVy  ovxmg  yjSfj  ttjv  Sevri^av 
argarBtav  inoiyaccvro,  nokkcp  ;^(>rfi'ft)  v(ttbqov  x  t  X  und  zu  diesem 
wurde  Philippos  als  Feldherr  der  Amphiktyonen  berufen.  Demosthenes 
weicht  in  einigen 'Kleinigkeiten  von  Aischines  Erzählung  ab  (§  151); 
allerdings  sagt  er,  daß  zuerst  Eottyphos  Feldherr  war:  t6  fiiv  %q&tov 
T&v  !AfjL(pi7CTv6voi)v  ^a/B  axQariüv'  (bg  S'  oi  idv  ovx  fjXOov,  oi  S* 
ik&övreg  ovSkv  knoiow^  Big  rijv  kmovaav  Ilvkcctav  kiti  rov  <t>i- 
hnnov  Bv&vg  ijyBfAÖvcc  Jjyov  oi  xaTB(TXBvcc(TfjLivoi  nal  ndhxi  novtjQol 
T&v  QbxxuX&v  xal  r&v  iv  ralg  äXXatg  nöXstiiv.  Da  Demosthenes 
die  außerordentliche  Versammlung  nicht  erwähnt,  so  giebt  uns  seine 
Darstellung  die  wichtige  Notiz,  daß  in  der  nach  jener  delphischen 
nächstfolgenden  regelmäßigen  Versammlung  in  den  Thermopylen 
Philippos  zum  Feldherm  der  Amphiktyonen  gewählt  worden.  Wir 
wurden  mit  den  Zeiten  ganz  im  Elaren  sein,  wenn  es  nicht  streitig 
wäre,  ob  die  Frühlings-  oder  Herbstversammlung  in  Delphi  gehalten 
worden.  Eine  Entscheidung  geben  die  Zeitbestimmungen  bei  Aischines. 
Unter  dem  Archen  Theophrastos  wurde  er  als  Pylagoros  gewählt;  die 
Annahme,    daß  Aischines  etwa  zu  Ende  des  Jahres  des  Theophrastos 


124  Demosthenee 

gewählt  und  erst  in  der  nächsten  Herbstsitzung,  das  heißt  im  Boedro- 
mion  des  Archonten  Lysimachides,  also  mehr  als  drei  Monate  nach 
seiner  Ernennung  in  amtliche  Wirksamkeit  getreten  sei,  ist  nicht  bloß 
gegen  alle  Wahrscheinlichkeit  und  gegen  die  demokratische  Sitte,  son- 
dern es  würde  die  Angabe  bei  Aischines  gerade  die  Bezeichnung  der 
Zeit,  um  deren  willen  sie  beigefugt  ist,  undeutlich  machen.  So  muß 
also  Aischines,  im  Jahre  des  Theophrastos  als  Pylagoros  gewählt,  jene 
delphische  Versammlung  entweder  die  vom  Herbst  340  oder  vom 
Frühling  339  mitgemacht  haben.  Aischines  giebt  an,  daß  Eottjphos 
zum  Peldherm  ernannt  worden  (also  zur  Zeit  der  außerordentlichen 
Versammlung  in  den  Thermopylen)  [574]  ovx  kifiSfjfwvvrog  iv  Maxe- 
Sovi^  (l^iXinnoVj  ovS*  hv  tjj  'EXküSi  na^övrog,  dXX  iv  ^xvß-cci^ 
ovTü)  fjLaxQov  dnövToq.  Es  ist  möglich,  daß  Aischines  hier  etwas 
übertreibt,  daß  Philippos  noch  in  Thrakien,  vielleicht  noch  vor  Byzanz 
stand  in  der  Zeit  jener  außerordentlichen  Sitzung.  Nach  derselben 
folgte  die  Expedition  des  Kottyphos,  der  Zahlungstermin  für  die  Am- 
phissäer,  ihre  Weigerung,  die  Frevler  zu  vertreiben,  kurz,  eine  Reihe 
von  Begebenheiten,  welche  fuglich  drei  oder  vier  Monate  gekostet 
haben  mögen.  Die  Wahl  des  Philippos  endlich  erfolgte  in  der  nächst- 
folgenden regelmäßigen  Versammlung  noXXm  XQ^^  v^ttbqov  knave- 
Xfjlv&ÖTog  0tkt7inov  kx  r^g  knl  rovg  JSxv&ag  arQareiag,  was,  wie 
sich  von  selbst  versteht,  immerhin  heißen  kann,  daß  Philippos  viel 
später  aus  dem  skythischen  Feldzug  zurückgekommen  ist  Aus  dieser 
Zusammenstellung  ergiebt  sich,  daß,  da  Aischines  noch  unter  dem 
Archon  Theophrastos  (Ol.  110  1)  in  jener  delphischen  Pylaia  sprach, 
und  da  zur  Zeit  der  nächsten  regelmäßigen  Versammlung,  also  ein 
halbes  Jahr  später,  Philippos  schon  vom  skythischen  Feldzuge  zurück- 
gekehrt war,  derselbe  aber  dem  bis  in  den  Anfang  des  Jahres  des 
Lysimachides  (Ol.  110  2)  währenden  Kriege  gegen  Byzanz  folgte,  es 
ergiebt  sich,  sage  ich,  daß  die  erste  delphische  Pylaia  nur  die  Früh- 
lingsversammlung im  Jahre  des  Theophrastos  (Frühling  339)  gewesen 
sein  kann.  Hieraus  wird  auch  klar,  warum  man  mit  dem  Beschloß 
zum  ersten  Feldzuge  nicht  bis  zur  nächsten  regelmäßigen  Pylaia  in 
den  Thermopylen  wartete;  ein  Feldzug,  im  Herbste  beschlossen,  würde 
sich  wegen  des  nahen  Winters  ungebührlich  lange  verzogen  haben. 

Hiemach  muß  ich  mich  gegen  die  von  dem  hochverehrten  Heraus- 
geber des  Corp.  Inscr.  Gr.  I S.  808  geäußerte  und  von  unserem  Marburger 
Freunde  (Handbuch  der  griech.  Staatsalterth.  S.  39)  angenommene 
Ansicht,  daß  die  herbstliche  Versammlung  nach  Delphi  gehöre,  um  so 
mehr  erklären,  da  nach  Brückners  einsichtiger  Bemerkung  (S.  235) 
auch  eine  Notiz  in  Demosthenes  Rede  nsgl  nccgang.  auf  ein  ähnliches 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  125 

Resultat  führte  Und  wenn  Alexander  gleich  nach  seiner  Thron- 
besteigung gen  Hellas  ausrückend  die  Amphiktjonen  in  den  Thermo- 
pylen  versammelte  (Gesch.  Alex.  S.  60  1*  1  S.  109.  Diod.  XVII  4),  so 
könnte  das  ein  Beweis  mehr  sein,  daß  die  Herbstversammlnngen  eben 
dort  gehalten  worden,  wenn  Alexander  die  Versammlung  nicht  erst 
[575]  berief,  sondern  noch  beisammen  fand;  doch  sein  Regierungs- 
antritt ist  zweifelhaft;  siehe  unten. 

Noch  bleibt  eine  Schwierigkeit  zu  lösen.  Die  Herbstversanmilung 
der  Amphiktjonen  heißt  nach  Strabo  IX  S.  420  fjLertanoQivi]  nvkaia 
und  fallt  in  das  fßsrönmQov,  das  heißt,  in  die  Zeit  zwischen  dem 
21.  September  und  5.  November;  und  genau  so  finden  wir  einen 
Amphiktyonenbeschluß  in  Athen  publiciert  OL  100  1  in  der  dritten 
Prytanie,  die  in  dem  genannten  Jahre  etwa  vom  21.  September  bis 
zum  26.  Oktober  reicht  (hierbei  ist  ein  Irrtum  von  zwei  Tagen  mög- 
lich). Im  Oktober  339  also  ist  Philippos  bereits  von  seinem  skythischen 
Eeldzuge  zurück.  Rechnen  wir  nun  die  kürzeste  Zeit  für  diesen  Feld- 
zugf  so  fordern  die  Märsche  von  Byzanz  bis  in  die  Donaugegenden 
und  von  da  durch  das  Gebiet  der  Triballer  nach  Makedonien  zurück, 
die  Kämpfe  mit  den  Skythen  und  das  Aufbringen  von  20000  ge- 
fangenen Weibern  und  Knaben,  der  Kampf  mit  den  Triballem,  die 
den  Durchzug  weigern  —  alles  das  fordert  gewiß  eine  Zeit  von  wenig- 
stens zwei  Monaten,  so  daß  Philippos  spätestens  im  Anfang  des  ersten 
Monats  des  Jahres  Lysimachides  (Ol.  110  2)  die  Belagerung  von  Byzanz 
aufgegeben  haben  muß.  Aber  da  tritt  uns  die  mächtige  Autorität  des 
Philochoros  entgegen,  der  von  dem  Jahre  des  Lysimachides  berichtei: 
iTti  Tovtov  TU  fiiv  'iQya  rä  nsQi  rohg  vecago/xovg  xai  rrjv  axBvo- 
(fiixiiv  dveßäkovTO  8iä  xov  nöXefjLov  rov  ngbq  <J>ih,nnov  rä  Sk 
XQ^V^^  h^titpiaavxo  nuvx  eivcci  GTQcericjTixa.  Liest  man  die  Stelle 
des  Dionysios,  wo  diese  Auszüge  aus  Philochoros  stehen,  so  kann  man 
nur  an  den  Krieg  von  Byzanz  denken,   denn  er  nennt  dies  eben  rä 


^  Nach  Dionys.  Hai.  ep.  ad  Am.  I  c  10  ist  die  Bede  n.  n.  drei  Jahre 
nach  der  betreffenden  Gesandtschaft,  unter  dem  Archen  Pythodotos  373/2  ge- 
schrieben. Wenn  in  dieser  Rede  noch  nicht  von  der  Expedition  des  Philippos 
nach  Ambrakia  die  Rede  ist,  welche  in  der  Rede  über  Halonnesos  §  32  be- 
sprochen wird,  und  wenn  diese  Rede,  wie  unten  zu  erweisen  ist,  im  Winter 
des  Pythodotos  Ol.  109  2  (Anfang  842)  gehalten  wurde,  so  gehört  die  R  tt.  tt. 
in  die  erste  Hälfte  von  Ol.  109  2.  Demosthenes  spricht  (§  65)  von  seiner  neuer- 
lichen Anwesenheit  in  Delphi,  und  daß  er  als  Pylagoros  dort  gewesen  sagt 
Aischines  xuxä  JTri^a'.  §  114.  Wenn  man  diese  zwei  Angaben  kombinieren  darf, 
80  ist  die  R.  n.  n.  zwischen  dem  Sommer  343  und  dem  Anfang  von  342  ge- 
schrieben. [In  Betreff  der  Amphiktyonenversammlnngen  hat  Hyper.  loy.  tniTag>. 
VII  Aufschluß  gebracht]. 


1 26  Demosthenes 

npccx^ivra  fierä  rijv  Xvaiv  rfjg  c/pt/viyi;,  d.  h,  des  Philokrateischen 
Friedens.  Dies  scheint  nun  mit  dem  obigen  Resultate,  daß  Päilippos 
die  Belagerung  von  Byzanz  gleich  mit  dem  Anfang  von  Ol.  110  2 
aufgegeben  habe,  im  vollsten  Widerspruch.  Und  so  ist  es,  wenn  man 
glaubt,  daß  mit  Philippos  Abzüge  von  Byzanz  zugleich  ein  Frieden 
geschlossen  worden. 

Daß  damals  ein  Frieden  geschlossen  worden,  sagt  Diodor.  XVI  77 
ausdrücklich:  Q>iXtnno^  xarccnXriyBiq  ry  (TvvSQOfifj  r&v  'EiXi)v(ov  ri/v 
noXtOQxiccv  r&v  nöXecav  'iXv<7B  xcci  n{)d<;  !/4&fjva(0vg  xccl  rovg  äXXovi^ 
*'£lXrjvccg  rovg  ivavrtovfiivovg  trvvi&BTO  rijv  BlQrjvtjv,  Natürlich  einem 
ausdrücklichen  Zeugnisse  gegenüber  ein  so  auffallendes  Factum  zu 
leugnen,  hat  etwas  höchst  Bedenkliches;  jedoch  darf  man  zunächst 
geltend  machen,  daß  Ephoros  Geschichtswerk,  aus  dem  Diodor  besonders 
sein  XVI.  Buch  geschöpft  hat,  gerade  bei  der  Belagerung  von  Perin- 
thos  aufhörte;  Diyllos,  den  er  von  dort  an  benutzte,  hat  zwar  die 
weitere  Geschichte  bis  zum  Tode  des  Philippos,  wie  es  scheint,  aus- 
führlich genug  behandelt;  aber  begnügt  sich  Diodoros,  von  jenem 
ganzen  Kriege,  von  der  merkwürdigen  Teilnahme  hellenischer  Staaten, 
von  jener  Anstrengung  und  Kührigkeit  der  Athener  auf  Euboia  und 
im  Hellespont,  die  der  Hochherzigkeit  früherer  Zeiten  würdig  war,  in 
sechs  Zeilen  zu  sprechen,  so  muß  man  ihn  ja  nicht  für  den  großen 
Geist  halten,  der  mit  [576]  wenigen  kraftigen  Zügen  den  Kern  der 
Sache  herausfindet,  man  muß  vielmehr  auf  seiner  Hut  sein  und  ihm 
nicht  mehr  glauben,  als  man  sonst  woher  bestätigt  findet. 

[577]  Und  daß  nun  Philochoros  von  jenem  Frieden  entschieden 
nichts  weiß,  ist  ein  höchst  gewichtiges  Zeugnis.  Sodann  findet  sich 
weder  in  Demosthenes,  noch  in  Aischines  Rede  die  leiseste  Andeutung 
von  diesem  Frieden,  und  Aischines  hätte  sie  §  128  durchaus  machen 
müssen,  wenn  er  zeigen  wollte,  daß  der  von  ihm  angeregte  Beschluß 
gegen  die  Lokrer  nichts  Gefährliches  hatte,  er  hätte  sagen  müssen: 
Philippos  war  nicht  bloß  weit  hinweg  bei  den  Skythen,  sondern  wir 
und  alle  Hellenen  hatten  Frieden  mit  ihm,  oder  wir  schlössen  ihn 
gleich  darauf.  Dagegen  rechnet  Aischines  den  dritten  Abschnitt  in 
Demosthenes  öffentlichem  Leben  von  der  Auflösung  des  Philokrateischen 
Friedens  bis  zum  Ende  des  Krieges  von  Chaironeia  {tq/tov  Si  6v 
inokefioOfiev  XQ^'^ov  fxixQi  tTj^  ärvxiccg  Tf]g  iv  XaiQCJVBt^je  §  55). 
Überdies  sind  einige  Äußerungen  in  Demosthenes  Rede  von  der  Art, 
daß  sie  an  einen  Frieden  zwischen  der  Belagerung  von  Byzanz  und 
dem  Kriege  von  Chaironeia  zu  denken  unmöglich  machen.  Diese  Stellen 
sind  bereits  von  Brückner  S.  382  angeführt.  Nicht  hierher  gehört, 
wenn  Demosthenes  sagt  §  139,   nachdem  er  von  heimlichen  Unter- 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  127 

handlungen  des  Aischines  mit  Philippos  Emissären  gesprochen:  xal  tö 
jiiv  9i]  ngo   toi;   itoXefAeiv   cpccveQ&g    (Tvvccyo!)vi^B<r&ai    ^tkinncp 

SBiv6v  fxiv SÖTS  3'  airtm  tovto,    !AIX  knsiSij  ^Sf]  tpccvtg&q 

TU  nXoicc  hdMvXfirOy  Xs^pövrjaog  knoQ&UTO,  knl  rriv  'drxixijv 
InoQtvBß-^  äv&QG)i€og,  oifxir  iv  äfi(pi(Tßi]Tf](Tifi(p  rä  ngccyiiara  Jjv, 
üsUC  hf€(n^€i  nölBfiog  x  t  X.  Es  ist  hier  nicht  die  Rede  von  Phi- 
lippos Heranrücken  zom  Amphiktyonenkriege,  sondern  von  einer  sonst 
nicht  erwähnten  Diversion,  die  Philippos  etwas  früher  gemacht  haben 
muß  (s.  u.).  Desto  unwiderleglicher  sind  Demosthenes  Worte  §  145 
und  146.  Er  leitet  den  Amphiktyonenkrieg  also  ein:  oix  Jjv  tov 
nQog  tffAßg  noXkpLOv  nipag  ovS*  dnaXXayi]  <t>iXi7inq>j  el  fii] 
('hißuiovg  xal  OerraXovg  kxO-QOvg  noirjtreie  rrj  nöX^r  äXXä  xaineQ 
Ä&Xi&g  xal  xax&g  x&v  arzQaTfjy&v  x&v  vyLtrkQmv  noXefjLOvv- 
Ttov  avT(p,  Sficag  vn*  avrov  tov  noXifiov  xal  r&v  Xtiar&v  fjLVQta 
änccaxt  xaxA.  So  konnte  doch  durchaus  nicht  gesprochen  werden, 
wenn  nach  der  Belagerung  von  Bjzanz  ein  Friede  gemacht  worden 
war!  Dann  beschreibt  Demosthenes  den  Kriegszustand  weiter  [578] 
und  fugt  hinzu:  l]v  8i  oür'  kv  rf/  &aXdTT7j  rörs  xQtiTxaiv  ifA&Vj 
ovT  slg  TTjv  'Arrixijv  hX&Hv  Swarög,  fjn^re  0BTtaX6>v  äxoXov&ovv- 
rojv  ikrjTB  Ofjßaicov  Suevrcov  avveßatvB  S^  avrcp  ra  noXifjLq)  xga- 
rowTi  rovg  önoiovg  dii7io&*  vfjLSig  k^enifjLTteTS  axQarfjyovg  —  h& 
yäg  TOVTÖ  ye  —  crvr^  xrj  (pvGu  roi)  rönov  xal  r&v  vitaQX^vrtov 
ixcrtigoig  xaxona&Biv.  Und  wem  das  noch  nicht  genug  ist,  der  lese 
den  Bericht  Plutarchs  (Phokion  c.  14),  wie  Phokion  von  den  Byzan- 
tinern in  ihre  belagerte  Stadt  aufgenommen  worden,  wie  dann  Philippos 
mit  Schimpf  und  Schanden  abgezogen  {h^inB(T%  rov  'EXXrjfTnövrov  xal 
xctrB(pQOvr}&fi  Sox&v  äfAaxög  tig  elvai  xal  ävavTayc&vtarog),  wie 
Phokion  einige  Schiffe  des  Königs  nahm,  xal  (pQovQovfiivag  nöXeig 
dviXaße  xal  noXXax^&i  rfjg  x<^Qceg  ^^oßäaug  noioifxevog  knÖQ&ei 
xal  TcterkxQtXB  fiiXQi^  ov  TQavfjLara  Xaßcbv  vnb  x&v  nQogßoij&oivrmv 
dninXsvas.  Daß  aber  außer  diesen  glücklichen  Unternehmungen  noch 
andere  minder  erfolgreiche  seitens  der  athenischen  Feldherren  ausgeführt 
wurden,  lehren  Demosthenes  vorher  angeführte  Worte  deutlich  genug, 
und  daß  dies  nicht  etwa  den  Chares  bezeichnet,  versteht  sich  nach 
dem,  was  wir  von  Demosthenes  Verhältnis  zu  ihm  wissen,  von  selbst 
(s.  unter  anderen  Ulpian  zu  Dem.  tisqI  naqan,  §332  S.  157  ed.  Dobson). 
Wie  Diodor  dazu  gekommen,  von  jenem  Frieden,  der  nicht  ge- 
schlossen worden,  zu  sprechen,  dürfte  nicht  eben  mit  Sicherheit  nach- 
zuweisen sein:  doch  wollen  wir  uns  eine  Vermutung  nicht  versagen, 
die  vielleicht  zur  Lösung  der  Schwierigkeit  beizutragen  vermag.  Frontin 
erzahlt  (Strat.  14,  13)  cum  Gherronesum,  quae  juris  Atkeniensium  erat, 


1 28  Demo6thene8 

oecupare  prohiberetur,  tenentibus  transitwn  tum  Byxantiorum  tanium,  sed 
Ehodiomm  quoque  et  Chiorwm  navibus,  eoncüiavü  animos  earum  red- 
dendo  navea  quaa  ceperat,  quasi  sequestres  fuUuraa  ordinandae  pacis 
inier  se  atque  Byxantios,  qui  causa  beüi  erant;  tractaque  per  magnum 
tempus  posttUatione ,  cu/m  de  industria  subinde  aliquid  in  condicionibus 
reiexeret,  classem  per  id  tempus  praeparavit,  eaque  in  augustias  freii 
imparato  hoste  subito  evasit.  So  unklar  diese  Erzählung  ist,  jedenMls 
zeigt  sie,  daß  im  Laufe  des  byzantiner  Krieges  wirklich  vielfach  über 
den  Frieden  unterhandelt  worden  ist,  und  es  heißt  der  Gedankenlosig- 
keit Diodors  nicht  zu  viel  aufbürden,  wenn  man  annimmt,  daß  er  der- 
artiges mit  dem  plötzlichen  Abmarsch  des  Philippos  in  ungehörige 
Verbindung  gebracht  habe. 

[579]  Die  einzelnen  politischen  Beziehungen  dieser  Zeit  zu  ver- 
folgen, würde  zu  weit  führen;  nur  so  viel  muß  bemerkt  werden,  daß 
dieselben  keineswegs  so  schlicht  und  übersichtlich  sind,  als  man  nach 
der  herkömmlichen  Darstellung  erwarten  sollte;  und  es  ist  zu  bedauern, 
daß  Hr.  Brückner  in  seinen  sonst  scharfsinnigen  Untersuchungen 
nicht  auf  diese  Zusammenhänge  und  auf  die  kleinen  anekdotenartigen 
Notizen  bei  Polyainos,  Frontin,  Clemens  von  Alexandrien  u.  s.  w.«  welche 
oft  unerwartete  Aufschlüsse  darbieten,  mehr  Rücksicht  genommen  hat; 
schon  die  Verhältnisse  des  Skjthenkönigs  zu  den  Byzantinern  (Clem. 
AI.  Strom.  V  31),  Istrianern  (Justin.  IX  2),  Triballem  (lYontin.  II  4, 
20)  konnten  wesentliche  Berichtigungen  über  die  politischen  Zusammen- 
hänge des  Jahres  339  geben. 

Also  ohne  daß  die  Belagerung  von  Byzanz  und  der  Krieg  mit 
Athen  durch  einen  Frieden  beendet  worden,  machte  Philippos  in  den 
ersten  drei  Monaten  des  Jahres  Lysimachides  Ol.  110  2  jenen  sky- 
thischen  Feldzug,  der  bereits  beendet  war,  als  die  Aufforderung  des 
Amphiktyonenbundes  an  ihn  erging,  den  Krieg  gegen  Amphissa  zu 
übernehmen.  Daß  dies  im  Boedromion  des  Lysimachides  war,  und 
daß  damals  die  Stimmung  in  Athen  in  der  höchsten  Spannung  war, 
wie  sie  der  Beginn  großer  und  in  ihren  Folgen  unberechenbarer  Er- 
eignisse hervorbringen  mußte,  lehrt  die  Art,  wie  ein  Zeichen  bei  der 
Feier  der  Mysterien  aufgenommen  wurde  {t6  toT^  fivaTTjQioig  tpaviv 
(TijfuTov  tj  tQv  fiv(TT(üv  rehvTtj  Aischin.  §  130).  Man  schickte  nach 
dem  Rat  des  Ameiniades  gen  Delphi,  aber  der  Warnung  der  Pythia 
trat  Demosthenes  entgegen,  (pthnmXtiv  ri/v  UvO-iav  (pdaxcjv.  Wie 
hätte  man  diesem  Zeichen  Bedeutung  und  gerade  die  Deutung  auf 
einen  Krieg  mit  Makedonien  geben  können,  wenn  man  nach  dem 
glücklich  geführten  Kriege  von  Byzanz  seit  etwa  zwei  Monaten  einen 
Frieden   gehabt   hätte,   der  um   so   glorreicher  und  um  so   sicherer 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  129 

erscheinen  mußte,  wenn  sich  Philippos  gleich  nach  Abschluß  desselben 
gegen  die  Skythen  gewandt  hätte;  wie  konnte  jenes  Zeichen,  jene 
Warnung  der  Pythia  so  bedeutsam  erscheinen,  wenn  Philippos  nicht 
in  der  herbstlichen  Pylaia,  sondern  ein  halbes  Jahr  später  in  der 
Frühlingsversammlung  zum  Feldherrn  erwählt  worden  wäre.  Jenes 
Zeichen  aber  geschah  nach  dem  Scholiasten  zur  angeführten  Stelle  des 
Aischines  xareX&övroov  t&v  fjLvarßv  knl  rijv  O-üXaaaccv  knl  t6  xa^ 
&aQd-fivai^  das  ist  an  dem  Tage,  den  man  äXaS^  (ivarai  nennt 
(Hesych.  v.  aXaSi  (ivarai\  an  dem  unter  anderen  Chabrias  bei  Naxos 
gesiegt  hatte  (Polyaen.  III  11,  2)  am  16.  Boedromion  (22.  Sept.  339). 
Die  Geschichte  des  Krieges  von  Amphissa  faßt  Demosthenes  §  152 
mit  folgenden  Worten  kurz  zusammen:  jigidtj  yuQ  he  rovrcav  ijyeficjv 
xal  fUTU  xavz  cv^ccög  Siyva^iv  avkXi^ag  xai  ncc^Bk&ojv  (hg  knl  rijv 
Ki^Qcciccv,  ä^p&a&ai  (ppüaag  noTJku  KiQpaioig  xal  AoxQoTg  rijv 
'EhzTBiav  xccTotXa(jißdv%t.  Hieraus  ergiebt  sich  zunächst,  daß  Philippos 
nicht  säumte,  den  ihm  übertragenen  heiligen  Krieg  zu  beginnen,  und 
wir  werden  gleich  die  Bestätigung  finden,  daß  dies  vor  Ablauf  des 
Jahres  339  geschehen  sein  muß.  Auch  Aischines  (§  140]  beschreibt 
diese  Verhältnisse:  äXK  knsiStj  [580]  ^iXinnog  avr&v  dipsXöfjLBvog  Ni- 
xaiav  OerrakoTg  napiSfoxe  xal  rov  nökefiov,  6v  tiqötbqov  i^T]kafT6v 

^    ^?$  /öipCfS   T^S    T&V   BoKOT&Vj    TOVTOV    llähv    TOV   aVTOV   nökefjLov 

knijyayB  öiä  rf^g  (I^coxiSog  hii  airäg  rag  Qi'jßag  xal  t6  reXeV' 
ruiov  'Ekdreiav  xaralaßojv  kxaQÜxcoGB  xal  (pQOvpäv  Blfrtjyaye,  kv- 
rav&a  x,  r.  L  Auch  hier  sieht  man,  daß  zwischen  dem  Anrücken 
des  Philippos  und  der  Besetzung  von  Elateia  mehrere  Zeit  verflossen  ist. 

Die  Thebaner  waren  bereits  der  makedonischen  Sache  nicht  mehr 
ganz  ergeben;  Philippos  hatte  ihnen  schon  vor  341  die  Stadt  Echinus 
in  der  Nähe  von  Lamia  (Gesch.  des  Hellenism.  S.  82  11^  1  S.  70,  Dem. 
Philipp,  in  §  34)  genommen,  jetzt  wurde  ihnen  auch  Nikaia  am  Süd- 
eingange der  Thermopylen  abgesprochen  und  den  Thessaliern,  die  es 
schon  nach  dem  heiligen  Kriege  einmal  erhalten  zu  haben  scheinen 
(Dem.  Philipp.  II  §  22),  von  neuem  übergeben,  deren  Beistand  dem 
Könige  zunächst  höchst  wichtig  war.  Sobald  Elateia  besetzt  war,  traten 
die  Thebaner  mit  den  Athenern  in  Verbindung.  Aber  wann  ist  diese 
Occupation? 

Die  hervorstechenden  Punkte  in  diesem  Kriege  sind  die  Schlachten 
von  Chaironeia  am  7.  Metageitnion  (4.  Aug.  338),  ^  inl  rov  no- 
Taßu>€  und  tj  ;^cijt«(>iv^  (Dem.  §  216),  dann  die  vor  beiden  liegende 
Besetzung  von  Elateia.  Besonders  hat  die  /fii/ie(>fi^/}  sehr  vieles  leiden 
mossen,  da  sie  sich  mit  den  beliebten  Anordnungen  der  Verhältnisse 
gar  nicht  vereinbaren  wollte;  man  hat  das  Wort  emendieren,  hat  ihm 

Droysen,  Kl.  Schriften  I.  9 


130  DemostheneB 

die  Bedeutung  von  x^tfiiQiog  geben  wollen.  Aber  wenn  die  Hand- 
schriften einmal  ;t'€/jU€(>/i'/}  darbieten,  so  darf  die  Schlacht  keine  bei 
stürmischem  Wetter  gelieferte  sein;  das  Etym.  Gud.  v.  sagt  ausdrück- 
lich /€//i6^>/i^o§  nagä  rd  x^Tfia  (hg  naQa  t6  i^ap  haQivdg  ibv^  und 
somit  muß  die  fragliche  Schlacht  eine  winterliche  Schlacht  bleiben, 
sie  muß  vor  dem  März  838,  vor  dem  £laphebolion  des  Jahres  des  Lysi- 
machides  geliefert  sein.  Dieser  Schlacht  war,  nach  Demosthenes  Aus- 
druck zu  schließen,  schon  die  hnl  xoü  norafAod  vorhergegangen;  vor 
dieser  lagen  die  vielfachen  Unterhandlungen  des  Philippos  und  der 
Athener  mit  Theben;  vor  diesen  die  Besetzung  von  Elateia,  so  daß 
zwischen  der  und  der  winterlichen  Schlacht  gar  wohl  zwei  oder  drei 
Monate  verflossen  sein  mögen.  So  erhielten  wir  als  wahrscheinliche 
Zeit  der  Besetzung  von  Elateia  die  letzten  Monate  des  Jahres  839. 
Bestätigung  dafür  könnte  sein,  daß  Demosthenes  angiebt,  bei  der  An- 
kunft der  Nachricht  davon  seien  alle  Strategen  in  Athen  gewesen. 
Wir  werden  zwar  sehen,  daß  Phokion  erst  später  kam,  doch  der  Aus- 
druck des  Redners,  im  allgemeinen  richtig,  kann  als  Bestätigung  dafür 
dienen,  daß  es  bereits  spät  im  Jahre  war,  wenn  die  ausgesandten  Stra- 
tegen meist  heimgekehrt  waren  (vgl.  Dem.  §  146). 

Philippos  hatte  die  Thebaner  aufgefordert,  sich  mit  ihm  zum 
Amphiktyonenkriege  zu  vereinen,  und  nach  deren  Weigerung  berief 
er  die  peloponnesischen  Bundesgenossen  (Dem.  §  156).  Vergebens 
suchten  die  Feinde  des  Philippos  in  Athen  und  Theben  eine  Annähe- 
rung beider  Staaten  zu  bewirken,  Philippos  Freunde  in  denselben 
thaten  das  ihrige,  die  Abneigung  der  so  lange  Jahre  verfeindeten 
Völker  wach  zu  halten  (§  163).  Endlich  zog  Philippos  [581]  durch 
Phokis  (Aischin.  §  140),  also  wohl  von  den  Thermopylen  und  Nikaia 
aus,  das  ja  den  Thessaliem  abgetreten  war,  auf  dem  bekannten  Wege 
zwischen  Oita  und  Knemis  in  das  Kephissosland;  er  besetzte  Elateia, 
das  den  Weg  nach  Böotien  und  das  von  hier  stromauf  gelegene  Kyti- 
nion  (Philochor.  bei  Dionys.),  das  den  hohen  Paßweg  am  Parnaß  nach 
Naupaktos  und  Amphissa  beherrscht  (Thukyd.  III  95).  Die  Nachricht 
von  dieser  Occupation  bracht«  die  grr)ßte  Be?^türznng  in  Athen  hervor; 
Demosthenes  eilte  als  Gesandter  nach  Theben;  eben  dahin  kamen  Ge- 
sandte des  Philippos,  der  Thessalier,  Ainianen,  Aitoler,  Doloper,  Phthioten 
(Doraosth.  §  211  Philoch.  a.  a.  0.),  amphiktyonische  Namen  mit  Aus- 
schluß der  Aitolor,  die  wenigstens  nachweislich  später  erst  zum  Bunde 
gehöien.  Die  Thebaner  entschieden  sich  für  Athen,  wie  Aischines 
angiebt  (§  143),  sehr  bedeutender  Zugeständnisse  wegen,  die  ihnen 
gemacht  wurden.  Ein  attisches  Heer  rückte  in  Theben  ein  und  wurde 
mit  Freuden  aufgenommen;   zehntausend  Soldner  überließ  Athen  den 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  131 

Amphissaem  (Aischin.  §  146,  vgl.  Deinarch.  xara  Ai}iioa&,  §  74 
knl  rotq  ^ivoig  rotq  dg  ^!AyL(pi(yaav  GvXk^yBim  II()ö^evog  6  ngoSÖTtjg 
iyiv^o).  Die  Verbündeten  sperrten  dem  Könige  den  Weg  gen  Am- 
phissa  mit  sehr  bedeutender  Kriegsmacht,  und  Philippos  selbst  hielt 
es  für  Tätlich,  die  Ankunft  der  noch  nicht  eingetroffenen  Bundes- 
genossen abzuwarten  {ngogavccftsivag  rovg  ätpvareQOvvrccg  t&v  <TVfi- 
fiä^cDv  Diod.  XVI  85).  Hier  folgt  eine  Begebenheit,  die  wir  nur  aus 
Polyainos  kennen  (IV  2,  8):  ^iXinnog  hni  rijv  'Afxcpiaamv  hirtod' 
ravBV  '4iJfjvaToi  xcci  OrjßaToi  rä  arevä  TtQOxareXäßovro,  xal  fjv  i] 
SioSog  dfi^x^vog'  i^anar^  rovg  noXsfiiovg  0ihnnog  kmaro'krjv 
mn)M(Tfiivr]v  !AvTinürQ(o  nifiipag  kg  MaxeSoviav,  cog  rr}v  fiiv  (TT^a- 
TBiav  tijv  In  ^Afiffiaasig  dvaßaXkoiro,  (rnevSoi  Si  kg  Qq^xtiv  nenva- 
fjLBvog  rovg  kxet  vecjreQi^etv.  '0  yQafjLfjLavocpÖQog  Sid  t(öv  arevöjv 
(hier  ist  eine  Lücke)  oi  argarriyol  Xdgrjg  xal  Iloö^evog  aiQOVfriv 
avrdv  xai  rijv  kntarokrjv  dvay vövreg  niGTSvovai  roTg  yeyQafifAivoig, 
xal  ri/v  (fvkccxijv  r&v  (ttev&v  dnoXdnovai.  (ptXtnnog  Si  kaßöfievog 
i^T^fiiag  dcfvXdxTCDg  dieß^traro  xal  rovg  OTQarrjyovg  dvaarQixpavTug 
kvixfjaa  xal  rfjg  !Afi(pi(7(77]g  kxQdrrjcrev,  Freilich  erzählt  Frontin  (I  4, 
18)  genau  dasselbe  von  einer  ganz  anderen  Begebenheit:  PhiUppus  cum 
angustias  maris,  qucte  Ciena  adpdlantur,  tromsnavigare  propter  Athefnien- 
siwn  dassem,  quae  opportunitatem  lod  custodiebat,  non  passet  etc.  Man 
hat  wohl  mit  Recht  aus  dem  Ciena  der  Handschriften  Kyaneai  am 
Ausgang  des  Bosporus  (Schol.  zu  Theoer.  XIII  22)  emendiert;  ob 
Fhilippos  mit  derselben  List  die  Athener  zweimal  betrogen,  ist  wohl 
sehr  zweifelhaft  Aber  die  genauen  Namen  bei  Polyainos  sprechen  für 
die  größere  Richtigkeit  seiner  Angabe;  nur  ist  es  schwer,  sich  mit 
dem  Terrain  zurecht  zu  finden.  Daß  nicht  die  arevd  der  Thermopylen 
gemeint  sind,  wo  in  früheren  Jahren  ein  Proxenos  mit  der  attischen 
Flotte  einmal  seine  Station  gehabt  (Dem.  tibqI  nagaß.  §  50),  ergiebt 
sich  aus  dem  Umstand,  daß  die  Athener  mit  den  Thebanem  vereint 
sich  dem  Philippos  entgegenstellen,  was  erst  nach  der  Besetzung  von 
Elateia  geschehen  konnte;  auch  war  [582]  dieser  Proxenos  der  Athener \ 


*  Proxenos  wird  als  Feldherr  der  Athener  in  der  letzten  Zeit  des  heiligen 
Krieges  Ol.  108  1  und  2  einigemal  genannt  (Aischin.  ubqI  nngan.  §  133  Dem. 
Tic^t  naqnn,  §  50.  73.  154).  Der  Name  ist  üblich  in  dem  Geschlecht  des  Har- 
modios, der  von  Herodotos  als  Gephyräer,  von  Plutarchos  {quaesi.  symp,  I  10) 
als  Aphidnäer  und  Aiantide  genannt  wird.  Demosthenes  Tre^l  naqttn.  §  280 
berichtet  von  mehreren  Verurteilungen  wegen  Trnggesand tschaft:  nal  nQcoTjv 
SqnavßovXov  ixetpov  ibv  GQaavßovXov  rov  dijfiouxov  ....  xal  tov  acp*  AQfAoöiov 
wozu  ÜJplan  bemerkt:  top  Hqo^evov  ke^ei  xov  frxqaxr^Y^v  dxel&ey  yuq  i}y.  Aus 
den  gleich  folgenden  Worten  urixe  naiÖla  xXäovxa  öfitjwfia  xuv  evsQYexcjy  ergiebt 
sieb,  wie  auch  Ulpian  bemerkt,  daß  Proxenos  Sohn  Harmodios  geheißen  habe; 

9* 


132  Demosthenes 

der  bei  Polyainos  ein  Thebaner  (Deinarch.  xurä  Ai]yLoa&,  §  74).  Wenn 
ich  nicht  irre,  so  haben  die  Verbündeten  zwei  Positionen  gegen  Philippos 
besetzt,  einmal  um  Böotien  zn  decken,  die  Bergenge  von  Parapotamioi, 
wo  sich  der  Eephissos  in  einem  nur  fünf  Stadien  breiten  Thal  aus 
Phokis  nach  der  böotischen  Ebene  hinabdrängt  {(rrevrjv  hearioto&Bv 
diäövra  nÜQoSov  Theopomp,  bei  Strabo  IX  S.  424);  sodann,  um  Am- 
phissa  zu  sichern,  den  Paß  von  Tithoreia,  [583]  der  über  den  Parnaß 
in  die  krissaische  Ebene  hinabführte,  denselben,  welchen  des  Sulla 
Legat  Hortensius  überstieg  (Plut.  Sulla  15  vgl.  Herod.  VIII  32).  Wahr- 
scheinlichkeit erhält  diese  Angabe  daraus,  daß  die  Athener  den  Am- 
phissäem  10000  Soldner  (?)  überlassen  hatten,  und  daß  bei  Polyainos 

ob  dieser  sonst  noch  genannt  wird,  weiß  ich  nicht;  indeß  dürfte  der  Proxenos« 
der  den  alten  Deinarchos  um  sein  Geld  betrog  und  von  ihm  verklagt  wurde 
(s.  Dionys.  H.  vit.  Din.  3  Plutarch.  X  Oratt.  S.  379)  wohl  eben  aus  diesem 
Geschlecht  und  des  obigen  Proxenos  Enkel  sein.  Mit  mehr  Sicherheit  können 
wir  das  Geschlecht  aufwftrts  verfolgen.  Sein  Vater  ist  jener  Ilarmodios,  der 
den  Vorschlag,  Iphikrates  wegen  des  Sieges  über  die  spartanische  Mora  (Ol. 
96  4)  mit  einer  Bronzestatue  zu  ehren,  als  gesetzwidrig  verklagte,  s.  aus  der 
angeblich  Lysianischen  Gegenrede  Fragmente  bei  Aristot.  Rhet.  II  23  Plutarch. 
Apophtheg.  Iphicr.  S.  5  öfe  nohilitate  c.  21  vgl.  Hoelscher  de  vit  et  scr,  Lysiae 
S.  140  sqq.  Harmodios  hatte  den  Krieg  selbst  mitgemacht,  Isaios  nB^i  xov 
AixHLOf.  xXi]().  §  11.  Sein  Vater  Proxenos  der  Aphidnäer,  der  Ol.  92  3  Helle- 
notamias  war  (Corp.  Inscr.  Gr.  Nr.  147  =  C.  I.A.  Nr.  188),  hatte  sich  mit  einer 
Tochter  des  Ol.  80  2  bei  Halieis  (s.  Schoemann  zu  Isaeus  S.  312)  gefallenen 
Dikaiogenes,  der  Schwester  des  bei  Spartolos  Ol.  87  4  gefallenen  Menexenos 
vermählt,  und  von  seinen  zwei  Söhnen  Dikaiogenes  und  Harmodios  war  ersterer 
von  seines  Oheims  Menexenos  Sohn  Dikaiogenes,  der  im  Gefecht  bei  Knidos 
Ol.  92  1  fiel,  adoptiert  worden  und  wußte  sich  um  die  Zeit  der  Anarchie  in 
den  Besitz  der  reichen  Erbschaft  des  Dikaiogenes  zu  bringen,  bis  gegen  Ol.  98  1 
darüber  ein  großer  Prozeß  gegen  ihn  begonnen  wurde.  So  haben  wir  folgendes 
Stemma: 

Menexenos 

Dikaiogenes  f  Ol.  80  2. 

Proxenos  von  filia  Menexenos  t  Ol.  87  4 

Aphidna  bis 
nach  Ol.  92  3 


Harmodios  Dikaiogenes  Dikaiogenes  t  Ol.  92  1      4  Töchter 

I    um  Ol.  97 
Proxenos  der  Feldherr 
I        um  Ol.  107 
Harm  odios 
? 

I 
Proxenos  Deinarchs  Freund 
um  Ol.  122 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  133 

als  die  zurückweichenden  Feldherren  Chares  und  Proxenos  der  Thebaner 
erscheinen;  denn  Aischines  (§  143)  wirft  dem  Demosthenes  vor,  daß 
er  den  Thebanem  ganz  das  Kommando  zu  Lande  überlassen  habe, 
&4TTB  nuQcc  rhv  ysvöfjievov  nöXefiov  fjii]  xvqiov  yevia&ai  Stqu^ 
ToxXia  Tov  ijfUzBQov  (TTQccTrjydv  ßovXevaatT&ai  tibqI  rfji;  r&v  ctqu- 
ri(or&v  acoQrjQiag.  Eine  Niederlage  erlitten  die  Verbündeten  vor  der 
Schlacht  von  Chaironeia  (und  auf  diese  bezieht  sich  Aischines  erst 
später)  nicht  anders,  als  in  der  Gegend  von  Amphissa,  und  für  die 
Schlacht  von  Chaironeia  ist  bereits  auch  Lysikles  und  Chares  (Flut,  de 
nobil.  2  Bd-  VI  S.  415  ed.  Tauchn.)  an  der  Spitze  der  athenischen 
Truppen,  so  daß  Aischines  Äußerung  JErgaroxiAcc  rdv  rjfietBQOv  (ttqcc- 
Tf]y6v  sich  nur  auf  ein  früheres  Factum  beziehen  kann.  Mag  der 
Bote  des  Philippos  in  den  Pässen  von  Parapotamioi  aufgefangen  sein, 
dort  stand  wohl  das  Heer  der  Athener  und  Thebaner,  aber  Stratokies, 
der  athenische  Feldherr,  war  hier  unter  dem  Befehl  des  thebanischen 
Feldherm;  von  dort  aus  benachrichtigt  von  dem  Abzug  des  Philippos, 
mag  Chares  und  Proxenos  gern  mit  dem  Söldnerheer  —  denn  es  war 
ja  dies  vor  der  fuixti  /ßi/u^p^i/^,  also  gewiß  im  Spätherbst  oder  Winters- 
anfang —  aus  den  schneeigen  und  höchst  beschwerlichen  Paßhöhen 
von  Tithoreia  zurückgewichen  sein;  schnell  benutzte  dann  Philippos 
die  Gelegenheit,  über  den  Paß  zu  dringen,  der  ihm  den  Weg  nach 
Amphissa  öffnete;  vergebens  bemühte  sich  Stratokies,  die  Thebaner  zu 
bewegen,  daß  sie  jenen  zu  Hilfe  etwa  gegen  Elateia  hinaufrückten.  So 
wurde  Amphissa  von  Philippos  erobert  Und  nun  vergleiche  man 
Aischines  §  147  ri  yosQ  cev  oYstrd'e  ^iXinnov  hv  roTg  röte  xatQotg 
ev^aai9cci;  oi  x^Qh  A*^^  nQoq  rijv  TtoXirixfjv  Svvafiiv,  /(j^Qiq  Se  kv 
!Api(f>i(T(Tri  ngög  rovg  ^ivovg  SiaytoviGaad'cci ,  ä&vfiovg  äk  rovg 
^E)Jktivag  Xaßeiv  TfjXixavTi]g  Ttlrjyijg  yeyevrjfjievyg;^ 

Daß  dies  noch  nicht  die  erste  von  den  drei  bei  Demosthenes  er- 
wähnten Schlachten,  die  knl  roü  norafiov  war,  ergiebt  sich  daraus, 
weil  in  jener  Schlacht  um  Amphissa  Philippos,  in  dieser  die  Verbün- 
deten siegten,  so  daß  für  diese  in  Athen  feierliche  Dankopfer  angestellt 
wurden  (Dem.  §  217).  Es  fragt  sich,  ob  vor  oder  nach  den  beiden 
Schlachten  „am  Flusse^^  und  der  „winterlichen"  die  Friedensanträge 
des  Philippos  (Aisch.  §  151)  und  seine  erneuten  Einladungen  an  die 


^  Es  darf  ans  nicht  irre  machen,  wenn  es  Plut.  Dem.  IS  heißt  inel  0ilinnos 
VJio  jfjg  Ttegl  Tr}v  Aftq>i<r(Tav  svw/ia^  inaiQOfievog  eig  tiiv  *I^aiBiav  i^aiipvrjg  ivenBtJB 
wti  Ttpf  0Gixida  xaxiiFXB  x.  r.  A.  Philippos  konnte  gar  nicht  nach  Amphissa  ge- 
langen, ohne  vorher  Elateia  zu  besetzen,  der  gute  Plutarchos  versteht  so  wenig 
vom  Kriege,  daß  er  sich  nicht  einmal  mit  den  Gegenden,  in  denen  er  aufge- 
wachsen ist,  militärisch  zurechtfinden  kann. 


1 34  DemostheneB 

Feloponnesier,  Hilfe  zu  leisten  (Dem.  §  218)  gehören.  Er  bot  den 
Frieden  an,  [584]  als  Phokion,  den  wir  oben  nach  Philippos  Abzug 
von  Bjzanz  den  Krieg  mit  Erfolg  fortsetzen  sahen,  heimkehrte  {xccri- 
ytUvfTBv  änö  Tßv  vfi(T(ov  Plut.  Phoc,  16),  was  gewiß  spätestens  in  den 
Dezember  zu  setzen  ist  Von  Philippos  wird  man  wohl  erwarten 
dürfen,  daß  er  nur  nach  einem  glücklichen  Kampf  den  Frieden  an- 
bietet, und  so  erscheint  auch  bei  Aischines  der  Friedensantrag  (§  148) 
0(Xinnov  yccQ  oi  xurccfpQovodvroq  r&v  'Ekh)v(ov  oiS'  äyvooVvrog 
X  T  h  Da  ferner  Athen  und  Theben  schon  vereint  ist,  muß  dies 
nach  der  Besetzung  von  Elateia  geschehen  sein;  da  Philippos  schon 
offenbare  Erfolge  gehabt  hat,  scheint  das  Anerbieten  dem  Kampf  gegen 
die  Amphissaer  gefolgt  zu  sein.  Und  hiermit  stimmt  die  Anekdote 
bei  Plut.  Phokion  c.  16. 

Im  Laufe  der  späteren  Wint^rmonate  sind  dann  die  beiden  für 
Philippos  unglücklichen  Gefechte  geliefert  worden.  Stand  ihm  auch 
immer  der  Rückweg  nach  den  Thermopylen  noch  auf,  so  war  er  doch, 
so  lange  die  Verbündeten  die  Stellung  von  Parapotamioi  inne  hatten, 
vollkommen  im  Schach  gehalten.  Dort  liegt  auf  dem  linken  Ufer  des 
Flusses  ein  steiler  rings  abschüssiger  Felsen,  die  Burg  der  ParapotA- 
mier  (Plut.  Süll.  16).  Nun  erzählt  Polyaen  IV  2,  14:  (DiXinnog  rag 
nuQÖSov^  rT/g  BoKoxiug  BotcoT&v  (fvlccTTÖvratv,  yv  Sb  fTravog  ÖQOvg 
avxvv,  ovx  knl  rovrov  üpfifjaev,  äkkä  rijv  re  x^Q^'^  nvQnoX&v  (also 
wohl  im  Frühling  oder  später)  xal  rag  nökeig  noQfh&v  (puvsQÖg  Jjv 
(das  makedonische  Heer  war  durch  leichtes  Volk  ausgezeichnet);  Boko- 
toi  Si  ovx  vnofitivovreg  6q(cv  rag  Tiöletg  noQiJ-ov^iivccg  xarißriatxv 
ano  rot)  ÖQOvg.  Q>iXiitnog  vnoaxQixffai^  Stä  roü  ÖQOvg  Sn^inntvaccro 
(so  die  Codd.;  schlechte  Emendation  ist  du^tniaaro  [bei  Wölfflin  du- 
^anaiaato]).  So  rückte  denn  Philippos  in  die  Ebene  von  Böotien 
hinab;  aber  gegen  Anfang  des  August  stellten  sich  ihm  die  Verbün- 
deten von  neuem  entgegen,  nur  vierzig  Stadien  von  jenen  Bergengen, 
in  dem  Felde  von  Chaironeia,  dort  wurde  am  7.  Metageitnion  des 
Chairondas  (4.  Aug.  388)  die  lange  schwankende  Schlacht  geliefert^  die 
Griechenlands  Schicksal  entschied. 

Ich  habe  diese,  allerdings  stets  ungenügend  behandelten  Verhält- 
nisse so  ausführlich  besprochen,  wie  es  notwendig  schien,  um  für  die 
Untersuchung  der  auf  sie  bezüglichen  Urkunden  eine  sichere  Basis  zu 
gewinnen. 

Nachdem  Demosthenes  berichtet,  daß  Aischines  den  Sinn  der 
Amphiktyonen  auf  die  Amphissaer  gewendet,  daß  dieselben  bei  ihrem 
Umzüge  um  das  krissaische  Feld  von  den  Amphissäern  übel  zuge- 
richtet worden,   daß  darauf  zuerst  Kottyphos  zum  Feldherm  ernannt, 


Die  Urkunden  der  Kränzrede  135> 

in  der  nächsten  Pylaia  aber  dem  Philippos  die  Sache  übertragen  worden 
sei,  fahrt  er  fort:  Sog  Si  fjLot  rä  Sdy^iarcc  rccvra  xal  rovg  /()dvo?;s, 
ip  oiQ  hcaara  ningaKzai, 

[585]  Das  erste  Decret,  das  nnn  folgt,  beginnt  mit  den  Worten 
kni  Ugkcaq  KXeivayÖQov,  kagivfjg  JlvXaiag  iSo^e  x  r  L  Es  ist  der 
durch  Aischines  Antrag  bewirkte  Beschluß,  und  wir  sahen,  daß  der- 
selbe in  der  Prühlingsversammlung  des  Archonten  Theophrastos  gefaßt 
worden;  also  das  stimmt  trefflich.  Nicht  so  klar  ist  es  mit  der  Da- 
tierung; wenigstens  zeigen  Inschriften  des  nächstspäteren  Jahrhunderts 
(C.  L  Gr.  1689.  1689  b  xmd  die  Analogie  in  1694),  daß  die  voll- 
standige  amphiktyonische  Datierung  wohl  in  der  Aufführung  aller  be- 
schließenden Hieromnemonen  bestand,  während  das  specielle  Jahr  durch 
den  Eponymos  jedes  amphiktyonischen  Staates,  wo  der  Beschluß  erst 
publiciert  werden  mußte,  um  bindende  Kraft  zu  haben,  bezeichnet 
wurde;  daher  wir  in  den  angeführten  Inschriften  aus  Delphi  den 
delphischen  Archonten  vorangestellt  finden,  während  in  Nr.  1688(0. 1.  A. 
II 545)  der  attische  Archen  voransteht.  Von  einer  Datierung  nach  einem 
uQBvg  ist  sonst  nicht  die  Bede,  obschon  es  sehr  natürlich  wäre,  daß  die 
heilige  Versammlung  entweder  nach  dem  delphischen  Priester  datierte, 
oder,  was  noch  glaublicher  (s.  Boeckh  zu  C.  I.  Gr.  I  S.  808),  aus  ihrer 
Mitte  einen  Priester  ernannte;  nur  läge  dann  näher  zu  vermuten,  daß 
ö  rag  yvd}fxag  k7ii^f](pi^(ov  (Aischin.  §  124.  128),  der  auch  die  Ekklesie 
beruft  (Aischin.  §  124)  und  der  vielleicht  ausschließlich  6  uQopLvimcov 
heißt  (Aischin.  §  116,  doch  kann  man  an  dieser  Stelle  auch  den 
attischen  Hieromemnon  verstehen),  eben  dieser  Eponymos  wäre,  möchte 
er  es  als  UQ%vg  oder  als  iSQOfivi) fAwv  sein;  und  in  der  betreffenden 
Versammlung  hatte  Kottyphos  der  Thessalier  diese  Stelle.  Doch  können 
diese  Sachen  keinen  Einfluß  auf  die  Entscheidung  unserer  Frage  haben. 

Das  Decret  lautet  weiter:  *iSo^e  roTg  nvXayögoig  xai  roTg  <Twi- 
SQOig  T&v  ^fjKpixTvövofv  xai  T<p  xoivtp  r&v  '4fiq)iXTvöv(ov.  Was  ist 
mit  diesen  Ausdrücken  gemeint,  von  denen  uns  nur  der  Name  „Pyla- 
goren"  bekannt  ist?  Man  versteht  unter  to  xoivöv  r&v  ^A/KpixTvö- 
vcov  die  ixxhqaia  r&v  !Afxq)ixTv6v(ov ,  von  der  Aischin.  §  124  sagt: 
ixxkfjaiav  yäq  övofjid^ovaiv ,  Örav  fxij  fxövov  rovg  nvXccy6Qovg  xai 
Tovg  UgopLvrifxovag  (TvyxakiacoaiV ,  äXXä  xai  rovg  avvdvovxag  xai 
XQtofUvovg  T(p  &sw;  jedenfalls  also  dürfte  der  officielle  Ausdruck  nicht 
TO  XOIVÖV y  sondern  eben  hcxXrjaia  lauten.  Eemer  ol  (tvvsSqoi 
[586]  bezeichnen,  meint  man,  die  Hieromnemonen,  und  zwar  mit  einem 
Ausdruck,  der  damals  für  ähnliche  Versammlungen  in  Griechenland 
üblich  war,  und  ebenso  von  den  Amphiktyonen  selbst  gebraucht  wird, 
unter  anderen  bei  Aischines  §  112  und  Diodoros  XVII  4.   Ulpian  zu 


136  DemoBthenes 

Dem.  Ttaxu  Tiiaoxq.  §  150:  ieoofiv/jfKov  IXiyero  6  TtBiJi^nöfUvog  avvB' 
ÖQog  Big  Tovg  !Afi(piXTvovag  vnkQ  rT/g  nölEcog.  Aber  jedenfalls  ist 
dies  nicht  der  officielle  Ausdrack  für  die  Hieromnemonen,  um  so 
weniger,  wenn  sie  erst  mit  den  Pylagoren  zusammen,  wie  es  hier 
erscheint,  das  awiSptov  bilden.  Femer  aber  wissen  wir  aus  der  sehr 
detaillierten  Darstellung  bei  Aischines,  daß  jener  erste  Beschluß  nichts 
weniger  als  in  der  Ekklesie  gefaßt  war,  ja,  nicht  einmal  die  Pjlagoren 
nahmen  daran  teil.  Aischines  erzählt  (§  115),  daß,  sobald  er  mit  den 
beiden  anderen  Pjlagoren  Meidias  und  Thrasykles  nach  Delphi  ge- 
kommen, sowohl  der  attische  Hieromnemon,  als  auch  Meidias  krank 
geworden  sei,  oi  S'  äXXot  (Tvvexä&rjvro  '^nxptxrvovtg'  i^i]yyiXXBro 
S'  vfiiv  TtaQct  rCHv  ßovlofiivcov  aüvotav  ivSeixvvfT&cci  rfj  TtöXei,  ort 
oi  u4fjL(pi(T(TBtg  ....  elge^BQov  Söyfjicc  xccrä  Ttjg  7]fiBTBQag  n6XB(og.  Wie 
so  mußte  das  aus  der  Sitzung  her  den  athenischen  Abgeordneten  erst 
von  anderen  berichtet  werden?  Hätten  die  Pylagoren  Zutritt  gehabt, 
so  würden  doch  nicht  beide,  Aischines  und  Thrasykles,  die  Sitzung  ver- 
säumt haben;  eben  weil  der  attische  Hieromnemone  Erankheits  halber 
nicht  zugegen  war,  konnte  Aischines  nur  durch  andere  (Hieromne- 
monen)  von  jenem  Antrag  erfahren.  Das  folgende  bestätigt  diese  An- 
sicht durchaus:  fiBTaTtBfixffäfiBvog  S'  kfii  6  iBQOfivfjfKov  tj^/ov  BlgBX&Btv 

Big    rÖ    (TVvkSQtOV    XCCt    BiltBlV    Tt    TZQÖg    TOVg   14fJb(ptXTV0Vf4g    VTtiQ    Tt)g 

nö'iBfog,  Schon  hier  zeigt  sich,  daß  oi  HfxcfixxvovBg  ausschließlich  die 
Hieromnemonen  sind.  Des  weiteren  §  1 1 7  spricht  ebenfalls  dafür  Aqxo- 
fiivov  Si  fiov  UyBiv  xai  TiQOf^-v/xÖTBQÖv  7t(x)g  BigBhjlv&ÖTog  (Big  ro 
avveSoiov),  rcdv  aiJkwv  nvXayÖQtov  jj,b&B(tti]x6t(X)v  ävaßoijaag  rtg 
rcov  !Api(f>ia(Ti(ov  x  r  h  Sehr  gewandt  erklärt  mein  Freund  Wester- 
mann dies  so,  daß  die  anderen  Pylagoren  umgestimmt  worden  seien 
durch  Aischines  zuversichtliches  Auftreten.  Ich  gebe  zu,  daß  es  so 
erklärt  werden  könnte;  wenn  es  bloß  auf  die  XJmstimmung  der  Pyla- 
goren, nicht  auch  der  doch  anwesenden  und  mitstimmenden  Amphik- 
tyonen  (oder  Hieromnemonen)  ankäme;  gewiß  nicht  minder  naheliegend 
ist  die  Erklärung,  daß  die  übrigen  Pylagoren  sich  entfernt  [587] 
hatten.  Nun  ist  das  fUTÜfrrfjTB  ^|oj  als  Heroldsruf  bekannt  (Dem.  xccr 
'A{)i(TToy,  I  §  23),  und  Aischines  führt  eben  dies  officielle  fte&Bazf}' 
xörmv  Töv  äkXcjv  nvkayÖQcjv,  die  sich  etwa  aus  Neugier  in  dem 
Tempel  eingefunden  haben  mochten,  an,  um  zu  bezeugen,  daß  jetzt  die 
eigentliche  amphiktyonische  Sitzung  und  das  Gegeneinanderreden  des 
Aischines  und  des  einen  Amphissäer  Pylagoren  begann.  Dies  bestätigt 
auch  §  122  Toiavra  diB^Bli^-övrog  kptov,  änBiS/j  noTB  ä7(f]kkdy^jv 
XCCt  fjbBTB(TTr]v  ix  rov  (tvvbSihoVj  XQccvy}]  noXkij  xccl  xhÖQvßoq  l]v 
xbjv  !An(fixTv6v(ov  x,  r.  X,   Daß  wir  so  mit  Recht  die  Hieromnemonen 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  137 

mit  dem  Namen  der  Amphiktyonen  ausschließlich  bezeichnet,  von  ihnen 
allein  den  beschließenden  Rat  gebildet  nennen,  wird  auch  durch  andere 
Angaben  bestätigt.  Demosthenes  (§  149)  sagt  von  eben  dieser  Sitzung 
und  Aischines  Bede:  xal  köyovg  Bingoqd^novq  xccl  fivtJovg  (Tvv&slg 
xai  Sn^eX&ojv  äv&Qc&Tiovg  änetpovg  Xöymv  xccl  x6  fiilXov  oi  ngoo- 
o&fUvovg  Tovq  UQOfiV7]fiovag  nei&ei  '^ff]q)/(Ta(T&ai  nsQiak&eTv  xijv 
xdioav  X  r  X.  So  konnte  Demosthenes  nicht  sprechen,  wenn  auch 
die  Pylagoren,  die,  wie  in  Athen,  so  gewiß  überall  durch  Wahl  bestellt 
wurden,  mit  in  der  stimmenden  Versammlung  waren.  Die  Hieromne- 
monen  dagegen  sind  unter  den  durch  Loos  bestimmten  Beamteten  (s.  den 
Richtereid  in  Dem.  xarä  TifioxQ.  §  150)  und  zwar  nicht  lebenslänglich 
(wie  Tittman  irrig  behauptet  hat),  sondern  vielleicht  für  die  Dauer 
der  pjthischen  Pentaeteris,  womit  sich  das  Psephisma  des  Demosthenes 
bei  Aisch.  xarä  Kt^](t,  §  126  und  das  rf]TBg  iepofivrjixoveTv  bei  Aristoph. 
Nub.  624  sehr  wohl  vereinigen  läßt;  nur  sie,  nicht  die  Pylagoren, 
seheinen  das  Becht  der  ofQciellen  Beantragung  zu  haben,  wenigstens 
sagt  Demosthenes  (§  148)  sl  fiiv  rovro  (einen  amphiktyonischen  Krieg) 
tj  T&v  nuQ  iccvTOV  nsfjbTtofjbivcov  UQoiivi]fx6vmv  fj  r&v  kxtlvov  (rviA' 
fjLäzo>v  eigfjyoTrö  rtg.  Allerdings  finden  wir  in  einer  Inschrift  C.  L 
Gr.  1689  'iSo^B  roTg  ieoofiv/jfAoai  xai  roTg  AyoQcevQoTg,  doch  gehört 
diese  Inschrift  späterer  Zeit  an,  wo  sich  bereits  die  Verhältnisse  gar 
sehr  verwandelt  hatten  ^ 

So  erscheint  der  hier  vorliegende  Amphiktyonenbeschluß  mit 
solchen  Beschlußfassenden,  die  es  weder  nach  der  Darstellung  des 
Aischines  und  Demosthenes,  noch  nach  dem  Sinne  des  Institutes  sein 
konnten,  ja  die  nicht  einmal  mit  den  officiellen  Namen  bezeichnet  sind; 
Dinge,  die  eben  nicht  als  geeignet  erscheinen,  den  Glauben  an  dieses 
Aktenstück  zu  stützen. 

Die  Worte  der  Beschlußnahme  selbst  lauten  folgendermaßen:  kneiSfj 
!ApL(pia(TBTg  hmßaivovmv  knl  rijv  Uqccv  /öipav  xai  aitBiQovai  xai 
ßoexTjfia<Ti  xaravifjioViTij  kTfek^sTv  rovg  ITvlayÖQOvg  xai  xovg  Gvvi- 
Spovg  xai  ax^Xatg  SiaXaßeTv  rovg  ÖQovg  xai  dnemsiv  roTg  !Aii(pi(T' 
aevai  rov  ijoinov  firj  kmßaivuv.  [588]  Die  Darstellung  bei  Aischines 
(§  122)  zeigt,  daß  so  der  Beschluß  unmöglich  gelautet  haben  kann;  bei 
ihm  verkündet  am  Abend  jener  Sitzung  der  Herold:  AaXtp&v  Saoi  inl 
SuT%g  f]ß&<Ti  xai  SovXovg  xai  äXev&iQOvg  h'jxuv  äfia  rfj  ^fiiQa  ^;ifovTa5 


'  Zum  Teil  nur  darauf  müssen  sich  die  abweichenden  Angaben  bei  Strabo, 

dem  Scholiasten  zum  Aristophanes  u.  a.  zurückführen  lassen;  die  meisten  der 

oft  wunderlichen  Angaben  sind  wohl  aus  Unkenntnis  entstanden.   Wir  konnten 

sie  übei^ehen,  da  die  beiden  Reden  über  den  Kranz  hinreichenden  Stoff  bieten, 

sich  ein  Bild  von  der  damaligen  Oonstituierung  des  Bundes  zu  machen. 


138  Demosthenes 

äfucg  xcci  SixikXag  ngög  ro  &VTeTov  äxet  xakovfiBvov  xccl  ndXiv  & 
ccvTOQ  xfjQv^  ävrjyÖQSViTB  Tovg  iBQOfivrjfjLOvag  xccl  nvXayoQOvg  ^xtiv 
üg  TOP  ccvtöv  TÖnov  ßorj&ijaovrag  T(p  &B(p  xal  rrj  yfj  xrj  isQ^,  fjng 
S'  ctv  fiij  nccQfj  itöXig,  eYQ^ercci  rov  Uqov  xal  hvayijg  %(ncci  xal  ry 
äq^  'ivo/og.  In  dem  wirklieben  Beschluß  der  Amphiktyonen  muß 
jedenfalls  davon  gestanden  haben,  daß  der  Herold  die  Delphier,  Jüng- 
linge, Sklaven  und  Freie,  wie  es  Aischines  anführt,  und  die  anwesenden 
Bundesboten  aufbieten  soll,  dem  Gott  zu  helfen,  muß  femer  gestanden 
haben,  nicht  bloß  das  matte  (rri^kaig  diaXaßtlv  xovg  ÖQovg,  sondern 
daß  man  andern  Tages  in  Masse  ausziehen  soll,  die  fluchwürdigen 
Ansiedelungen  der  Amphissäer  zu  zerstören.  Freilich  sagt  Demosthenes 
(§  151)  nur  %€Quüvt(ov  rijv  x^Q^'^  'röv  !/4fjb<piXTVÖv<ov  xccrä  ri/V 
if(p7jyf]<Tiv  rijv  rovrov;  er  hat  eben  ein  Interesse  daran,  die  Veran- 
lassung zu  dem  Kriege  ganz  unbedeutend  erscheinen  zu  lassen,  damit 
derselbe  desto  mehr  aus  Aischines  argen  Intriguen  allein  entstanden 
zu  sein  scheine.  Aber  wenn  wirklich  nichts  geschah,  als  jenes  nsgiak- 
&61V  und  das  neue  Abpfählen  der  Grenze  des  heiligen  Feldes,  so  wäre 
eben  das  wütende  Herstürmen  der  Amphissäer  und  das  Niedermetzeln 
der  meisten  Delphier  und  Amphiktyonenboten  unbegreiflich. 

Ich  will  nichts  darauf  geben,  daß  in  dem  Decret,  wenn  erst  das 
Besäen  und  Beweiden  des  heiligen  Feldes  genannt  war,  unfehlbar  auch 
der  i^äytarog  xal  knccQarog  hfiijv  TEZBixioiiivog  (Aischin.  §  119.  107  fif.) 
angeführt  werden  mußte;  es  scheint  mir  die  durchaus  falsche  Angabe 
derer,  die  den  Beschluß  gefaßt  haben,  und  die  Unzulänglichkeit  dessen^ 
was  beschlossen  worden  ist,  diese  Urkunde  hinlänglich  als  unecht  za 
bezeichnen.  Oder  sollte  auch  hier  durch  Verwechselung  ein  zu  anderen 
Verhältnissen  gehörendes  Decret  statt  des  rechten  aus  dem  konfusen 
Archiv  entnommen  worden  sein?! 

Wir  kommen  zu  dem  zweiten  Amphiktyonendecret,  dem- 
jenigen, durch  welches  Philippos  zum  Feldherrn  des  Bundes  bestellt 
wurde,  dem  Decret  der  herbstlichen  Pylaia,  wie  wir  oben  sahen.  Frei- 
lich beginnt  die  Urkunde,  die  wir  jetzt  an  dieser  Stelle  lesen  (§  155), 
gerade  wie  die  vorhergehende:  h'Jtl  leQitog  KXsivayÖQov  kagtvflg  TTv^ 
Xaiag.  Denn  angenommen,  daß  die  vorige  echt  wäre,  so  müßt«  dieser 
zweite  Beschluß  doch,  unter  demselben  Kleinagoras  verfaßt,  einer  spä- 
teren, der  herbstlichen  Versanmilung  angehören,  und  so  hat  man  auch 
emendieren  wollen  öncjoivrjg;  —  oder  angenonunen,  daß  unsere  ganze 
obige  Deduction  verkehrt  und  Philippos  wirklich  in  einer  Fruhlings- 
versammlung  gewählt  sei,  so  müßte  doch  wohl  der  Eponymos  des 
Jahres  ein  anderer  sein;  oder  angenommen,  daß  der  Kleinagoras  etwa 
eine  pythische  Pentaeteris  hindurch  Eponymos  war,  so  könnte  es  eben 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  139 

doch  wieder  keine  zweite,  ein  Jahr  später  liegende  hccQivij  sein,  denn 
Demosthenes  läßt  gleich  darauf  die  x^^'^oi  lesen  und  sagt:  dfrl  yäg 
»aO^  ov^  knvXcsyÖQfjcrev  ovrog,  und  das  Pylagorenamt  war  nur  ein 
[589]  jähriges.  Es  bleibt  nur  die  eine  Bettung,  daß  man  annimmt, 
die  Datierung  des  ersten  Decretes  sei  irrtümlicher  Weise  auch  vor  dies 
zweite  gekommen!  Aber  weder  das  erste  ist  echt,  noch  fehlt  es  dem 
zweiten  im  weiteren  an  gründlichen  Fehlern. 

Gleich  nach  der  Datierung  folgt  wieder  das  arge:  äSo^e  rotg 
7ivhxy6QOi<i  xal  roTg  awiSgotg  r&v  'AfKpixrvövoov  xal  t0  xoiv(p  r&v 
JJfjufixTvövcoVj  worüber  wir  schon  entschieden  haben.  Ebenso  finden 
wir  nur  vom  Beackern  und  Be weiden  des  heiligen  Feldes,  nicht  vom 
Anbau  des  Hafens  erwähnt,   ganz  wie  in  dem  ersten  Decret    Dann 

heißt  es:  insiSij xcQlvöfievoi  tovto  nouiv  kv  toTq  ÖnXotg  nccga- 

yevöfievoi  ro  xoivov  t&v  'EXX^vcjv  dwiSgiov  xexcjlvxatri  fjLezä  ßiccg, 
Tivaq  Si  xal  TixQccvfiarlxccGi,  so  wolle  man  den  Kottyphos  an  Philippos 
schicken  u.  s.  w.  Also  keine  Erwähnung  von  jenem  Feldzug  des  Kot- 
typhos,  von  der  auferlegten  und  nicht  bezahlten  Geldbuße,  von  der 
nicht  veranlaßten  Verweisung  der  Schuldigen,  von  der  nicht  geschehenen 
^Wiederaufnahme  r&v  Si  avaißsiav  qjvyövrcov  (Aischin.  §  129).  Wem 
aber  dergleichen  Fehler  noch  nicht  hinreichender  Beweis  sind,  der 
findet  auch  noch  röv  arQaxi^yov  xov  tjQrjfiivov  xcjv  !Afiq)txxv6v(ov 
Koxxvcpov  xov  'AqxuScCj  während  ihn  Aischines  sehr  richtig  einen 
Fharsalier  nennt;  Demosthenes  sagt  ja  gerade  in  Beziehung  auf  ihn 
(§  151)  inl  xov  Q>iXinnov  Bvßvg  ijyefiövu  Jjyov  ol  xaxeaxevatr/xivoi 
xai  Tiakai  TCOvrjQol  xQv  OexxaXöiv  xcci  x&v  kv  xaig  üXXaig  nökeaiv; 
denn  Kottyphos  war  6  xöxe  xäg  yvdj^ag  kmyjrj^i^cav  (Aischin.  §  128). 
Freilich  hat  Winiewsky  vermutet,  daß  bei  Aischines  statt  Fharsalier 
vielleicht  Parrhasier  emendiert  werden  müsse;  aber  daß  die  Arkader 
weder  damals  noch  sonst  im  Amphiktyonenbunde  waren,  steht  wohl 
fest;  und  die  Notiz  bei  Ulpian  K6xxv(pog  i6()OfAvtjfi(ov  Jjv  Oexxalog 
Ji  jiQxäg  ndvxa  n^üxxoDv  vitig  Q>iXinnov  beweist  doch  nichts,  als 
daß  der  Erklärer  mit  diesem  falschen  Decret  zugleich  den  Aischines 
berücksichtigt  hat. 

Wenn  ferner  die  Structur  ä^iovv  iva  ßoi]&/j(Ty,  die  in  späterer 
Gracität  merklich  hervortritt,  und  das  Siöxi  statt  des  einfachen  Öxi 
in  Abhängigkeit  von  einem  Verbum  dicendi,  wie  es  für  Aristoteles 
vielleicht  noch  zweifelhaft,  bei  Polybios  dagegen  schon  ganz  ausgebildet 
erscheint,  in  unserem  Decret  gefunden  wird,  so  könnte  man  sagen,  es 
sind  eben  nicht  attische,  sondern  Amphiktyonenbeschlüsse,  und  die 
Hieromnemonen  nennt  ja  Demosthenes  selbst  ungebildete  Leute.  Aber 
das  Decret  giebt  ja  unter  den  Beschließenden  auch  die  Pylagoren  an, 


1 40  Demosthenes 

und  Leute,  wie  Meidias  und  Aischines,  werden  doch  attisch  geschriebea 
haben.  Doch  wird  man  sagen,  es  sind  ja  Leute  aus  allen  Gregenden 
Griechenlands ;  wenn  diese  attisch  schrieben,  so  war  es  nicht  ihr  heimat- 
licher Dialekt,  sondern  die  Sprache  der  Bildung,  die  überall  der  attischen 
Norm  folgte.  Aber  wir  wissen,  daß  noch  zehn  Olympiaden  früher 
wenigstens  die  Beschlüsse  noch  nicht  in  diesem,  sondern  einem,  wenn 
man  will,  delphischen  Dialekt  geschrieben  und  in  diesem  selbst  seitens 
des  attischen  Staates  publiciert  wurden  (Corp.  Inscr.  Gr.  Nr.  1688  C. 
L  A.  II  545).  Freilich  andere  zwanzig  Olympiaden  später  etwa  war  die 
xoivt)  auch  bis  zu  den  Sitzungen  der  [590]  Amphiktyonen  gedrungen; 
aber  man  darf  geltend  machen,  daß  seit  der  Schlacht  von  Chaironeia 
ganz  andere  Umwälzungen  in  der  hellenischen  Bildung  folgten,  als 
vor  ihr  möglich  gewesen  waren,  und  kann  der  Dialekt  auch  kein  neuer 
Grund  gegen  die  Echtheit  unseres  Dokumentes  sein,  so  ist  dasselbe 
doch  auch  kein  Beweis  mehr  für  den  amphiktyonischen  Gebrauch  des 
Atticismus  in  Demosthenes  Zeit. 

Demosthenes  hatte  (§  153)  sich  rä  Söyfiara  tccvru  xcci  tov^ 
XQÖvovi^,  kv  o}^  Ixaarcc  ninoaxTuij  reichen,  dann  den  Beschluß 
gegen  die  Amphissäer  wegen  des  heiligen  Feldes  und  den  Beschluß, 
Philippos  als  amphiktyonischen  Feldherrn  zu  berufen,  vorlesen  lassen; 
hierauf  sagt  er:  Xiyt  Stj  xal  rov^  /pdvovg,  kv  01%?  ravz  iyiyvBro* 
üal  yuQ  xccO-'  ovg  hnvlccyÖQfjfrev  ovrog,  UyB.  Dann  folgt  mit  der 
Überschrift:  XPONOI  folgendes:  ü(}X(ov  Mviiaid-tiS^jg,  fiijvög  'AvO-kt- 
T7}()iavog  %xTi]  iitl  dBxÜTfj.  Dicscr  Archon  ist  wieder  ein  Pseudepo- 
nymos,  der  nach  der  mehrfach  besprochenen  Hypothese  dadurch  erklärt 
wird,  daß  auch  hier  der  Name  des  Prytaniensohreibers  für  den  des 
Archonten  genommen  sei;  es  beziehe  sich  aber  diese  Zeitbestimmung 
auf  die  Wahl  des  Aischines  als  Pylagoros;  so  mußte  man  annehmen, 
weil  der  16.  Anthesterion  trotz  seines  Namens  nicht  der  haQivij  nv^ 
Xccia  angehören  kann,  da  der  Frühling  erst  mit  dem  Elaphebolion 
beginnt.  Angenommen  auch,  daß  der  Gelehrte,  der  die  Urkunden 
eingeschaltet  haben  soll,  das  Ernennungsdecret  des  Aischines  ohne 
Namen  des  Archon  vorfand  und  die  Zeitbestimmung  hier  so  verschlimm- 
bessernd einfügte,  so  hat  er  sich  doch  als  ein  sehr  ungescheuter  Mann 
gezeigt,  wenn  er  meinen  konnte, .  Demosthenes  habe  die  j(q6voi  von 
Aischines  Wahl  wollen  lesen  lassen;  dann  hätte  es  ja  heißen  müssen: 
„lies  die  Zeitbestimmung,  wo  Aischines  gewählt  worden,  denn  während 
er  Pylagoros  war,  geschah  das  alles''.  Und  auch  das  bleibt  nicht  zu 
seiner  Rechtfertigung,  daß  er  in  Ermangelung  des  eigentlich  Gemeinten 
etwas  Näohstverwandtes  nahm;  denn  wo  er  die  Amphiktyonenbeschlüsse 
fand,   mußten   auch   ihre   xqövoi   stehen,   nicht   bloß   „der  Priester 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  141 

Kleinagoras",  sondern  der  attische  Archon  und  auch  Prytanien- 
schreiber  u.  s.  w.,  unter  dem  der  Beschluß  in  Athen  publiciert  worden, 
wie  wir  solche  attische  Datierung  in  dem  Beschluß  Corp.  Inscr.  Gr.  Nr. 
1688  finden.  Wie  aber  jene  Hypothese  in  sich  selbst  unwahrscheinlich 
ist,  haben  wir  oben  bemerkt.  Es  mußten  hier  in  der  Wirklichkeit  die 
beiden  Zeitbestimmungen  stehen  „unter  dem  Archon  Theophrastos,  an 
dem  und  dem  Munychion  oder  Elaphebolion  u.  s.  w."  und  „unter  dem 
Archon  Lysimachides  an  dem  und  dem  Boedromion  u.  s.  w."  Der  Vor- 
schlag des  Aischines  wurde,  nach  Demosthenes  Worten  zu  schließen, 
nicht  vorgelesen. 

Wir  kommen  nun  zu  dem  Briefe  (§  156),  rjVj  ojg  ovx  vn/jxovov 
Ol  &)jßaioi,  nifinei  n^og  rovg  iv  IIeko7iovv/j(yq)  (TviA/xäxovg  6  (l^thnnog. 
Demosthenes  sagt,  er  lasse  ihn  lesen  tv  elSfjre  xcä  ix  ravrrjg  (Tcctpcjg, 
Ort  rrjv  fiiv  äXrj&Tj  ngö^affiv  r&v  ngayfiärcov  ....  dTtexpinrerOj 
xotvä  äi  xai  rotg  !ApL(fixxvoai  Sö^ccvra  noteiv  Tcgogenoteiro.  Jeden- 
falls also  muß  man  in  dem  Briefe  bezeichnet  erwarten,  daß  [591]  Phi- 
Uppos,  vom  Amphiktyonenbunde  zum  Feldherrn  ernannt,  dessen  Be- 
schlüsse gegen  die  Lokrer  ausfuhren  wollte;  aber  weder  von  den  Am- 
phiktyonen,  noch  von  deren  Beschlüssen  und  seiner  Ernennung  steht 
etwas  in  demselben.  Nicht  minder  aufTallend  heißt  es  in  dem  Briefe: 
AoxQol  Ol  xaXovfiBvoi  V^ökcci  xaroixovvreg  kv  !Aii(piG(jr]j  das 
schmeckt  eher  nach  der  Gelehrsamkeit  eines  späteren  Stilisten,  als  nach 
dem  officiellen  Schreiben  des  makedonischen  Königs.  Auch  folgendes 
kann  nicht  in  Philippos  Brief  gestanden  haben:  h%BiS)j  .  .  .  rttv  Uquv 
X^oav  ^(>/d/i€i/o/  iia&'  6%X(ov  kerjkarodfTi,  während  vom  Bebauen 
des  Feldes  u.  s.  w.  keine  Bede  ist.  Ich  übergehe  das  vielleicht  an- 
stößige Tovg  naQCcßaivovräg  ri  r&v  hv  dv&pcinotg  Bvaiß&v,  und  das 
durchaus  unverbesserliche  Ende:  xolg  Öh  fii]  (Twavxt'iacctji  navSijfiei 
XQVf^öfjLex^'cc  Tolg  Sk  avfißovXoig  ijfiiv  xeijj^evoig  kTti^rjfiioig,  Es  bleiben 
noch  zwei  wesentliche  Schwierigkeiten,  die  man  sich  vergebens  zu  lösen 
bemüht  hat. 

Der  Brief  beginnt  <t>ih7tnog  IlBlonowTjaitov  x&v  kv  rfj  (ivfifiaxicc 
To/\'  SfjfjiiovQ'yoig  xccl  roTg  (rwiSooig  xal  roTg  äkXoig  av/xfia/oig  nätri 
X^iottv.  Es  ist  nach  Demosthenes  Ausdruck  nifinei  TtQÖg  rovg  iv 
Üdonowi^aq^  (rvfjifuixovg  richtig,  daß  der  König  nicht  an  die  am- 
phiktyonischen  Staaten  im  Peloponnes,  sondern  an  seine  Bundesgenossen 
schreibt,  und  Theopompos  sprach  im  51.  Buch,  in  dem  eben  diese 
Zeit  nach  der  Belagerung  von  Byzanz  behandelt  war,  von  den  Freunden 
des  Philippos  in  Megalopolis  (Harpocrat.  v.  'IsQc^vvfiog)  und  Argos 
(Harpocrat.  v.  Mv^ng);  diese  Bundesgenossen  aber  waren  vor  allem 
die  Messenier,   Tegeaten,   Megalopoliten,   Argeier   (Polyb.  IX  28,  5), 


142  Dem  ostheneB 

außer  ihnen  noch  andere  Staaten.  Fhilippos  Brief  ist  nun  entweder 
an  die  einzelnen  Staaten  oder  an  eine  Versammlung,  die  den  Bund 
repräsentierte,  gerichtet.  Im  ersten  Fall  hätte  man  sich  zwar  nicht 
zu  wundem,  daß  die  Bundesstaaten  nicht  namentlich  aufgeführt  sind, 
wohl  aber  darüber,  daß  die  verschiedenen  Souveränitäten  der  Staaten 
nicht  richtig  bezeichnet  sind.  Wohl  gab  es  in  Argos,  in  Mantineia, 
in  Elis  Demiurgen  (Boeckh  Corp.  Inscr.  Gr.  I  S.  11)  und  die  (tvvi8(}oi 
scheinen  gleichfalls  als  aristokratischer  Rat  im  Peloponnes  vorzukommen 
(s.  Müller  Aeginetica  S.  138);  aber  waren  denn  die  Verbündeten  des 
Philippos  nur  Aristokratieen?  War  Megalopolis  und  Messenien,  wahr- 
scheinlich auch  Argos  demokratisch,  so  mußte  der  Oruß  nicht;  bloß 
den  Demiurgen  und  Synedren  (aristokratischer  Staaten),  sondern  auch 
den  d7jfiotg  entboten  werden.  Aber  freilich  in  späterer  Zeit  galt  die 
Bezeichnung  SrjfjaovQyoi  so  viel  als  naQcc  rotg  /ioDQiedai  oi  ÜQXovTBg 
rä  8f}fx6(Tia  ngärrovreg  (Hesych.  v.).  Ungleich  passender  wäre  es, 
wenn  Fhilippos  Brief  an  ein  crvviSQiov  der  Bundesgenossenschaft  im 
Peloponnes  gerichtet  wäre,  und  wir  wissen,  daß  der  achäische  Hund 
durch  zehn  Demiurgen  und  die  Bule  d.  i.  avvtSgoi  repräsentiert  wurde 
(vgl.  Polyb.  IV  28  Pausan.  VII  7,  1  Hermann  Handbuch  S.  415  f.). 
Aber  es  wird  ausdrücklich  berichtet,  daß  jenes  xoivöv  x&v  'EkXiivfov 
(TwiSgiov  in  Korinth,  das  [592]  forten  so  wichtig  für  die  griechischen 
Verhältnisse  werden  sollte,  erst  nach  der  Schlacht  von  Chaironeia 
berufen  wurde  (Justin  IX  5  Diodor  XVI  89),  und  auch  da  ist  das 
Institut  der  Demiurgen  wohl  schwerlich  nachzuweisen. 

Eine  weitere  Schwierigkeit  ist  in  folgenden  Worten   des  Briefes 
enthalten:  üart  (Twccvräre  fiera  r&v  Önkcov  elg  rijv  (l>a)xt8a,  äxovreg 

im(Ttrt(Tll6v    ijflBQÜdV    TBfTfTCCQÜXOVTa    TOV    iPB(TTÖJTOg  fjLTjvdg   AqioVf     fbg 

rifiBig  äyofiBV,  (og  Si  !A\%jvaioi,  Bof]S(}oni6>vog,  (hg  Si  Koo/vd-iot, 
ITavifiov.  Wie  beruft  ein  Feldherr  die  Bundestruppen  für  vierzig  Tage 
und  läßt  ihnen  zwischen  den  dreißig  Tagen  eines  Monats  die  Wahl,  an 
welchem  sie  kommen  wollen?  Wir  sehen,  daß  Philippos  in  der  jj^bto- 
no)()iv)i  nvXaia,  das  heißt  nach  dem  21.  September  oder  14.  Boedro- 
mion  339  zum  Feldherm  ernannt  worden;  wie  kann  er  nun  den 
laufenden  Monat  Boedromion  noch  als  den  bestimmen,  wo  sie  sich  in 
Phokis  mit  ihm  vereinen  sollen,  da  die  Botschaft  von  Thermopylä 
nach  Pella,  von  dort  nach  dem  Peloponnes,  dann  der  Aufbruch  und 
Marsch  der  Truppen  doch  nicht  in  vierzehn  Tagen,  wenn  man  auch 
recht  splendid  rechnen  will,  bewerkstelligt  werden  kann?  Denn  ange- 
nommen, daß  unsere  Berechnung  der  Amphiktyonenbeschlüsse  falsch 
und  Philippos  in  der  kaQivij  nvlcctcc  338  ernannt  ist,  so  muß  er  diesen 
Brief  um  dreißig  Tage  nach  demselben  Monat  Metageitnion  geschrieben 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  143 

haben,  an  dessen  siebentem  Tage  er  die  Schlacht  von  Chaironeia  schlug; 
nnd  doch  ist  dieser  Brief  noch  vor  der  winterlichen  Schlacht  and  der 
Schlacht  am  Flüsse  and  manchen  anderen  Begebenheiten. 

[593]  Zu  diesen  Verkehrtheiten  kommt  eine  nicht  geringe  Schwierig- 
keit. Plutarch  erzahlt  (Alex.  c.  3),  daß  Alexander  geboren  sei  laxa- 
^ov  ptrjvög  'Exccrofißcei&voQ,  8v  MaxeSöveg  ASov  xccXoDtn,  hcrrj. 
Er  sagt  ferner,  die  Schlacht  am  Granikos  sei  im  Daisios  der  Make- 
donier,  und  an  anderer  Stelle,  im  Thargelion  der  Athener  geschlagen 
(Alex.  16  Camill.  19).  Aus  den  „Tagebüchern"  ist  bekannt,  daß 
Alexander  gegen  Ende  des  Monats  Daisios  starb,  und  daß  dieser  Monat 
ein  voller  war.  Hieraus  ergiebt  sich,  daß  die  bekannte  Beihe  der 
makedonischen  Monate  nach  Plutarch  den  attischen  in  folgender  Art 
entsprach: 

10.  Leos    ....    Hekatombaion 

11.  Gorpiaios .     .    .    Metageitnion 

12.  Hyperberetaios  .     Boedromion 

1.  Dies     ....  Pyanopsion 

2.  Apellaios  .  .  .  Maimakterion 

3.  Audynaios  .  .  Poseideon 

4.  Peritios    .  .  .  Gamelion 

5.  Dystros    .  .  .  Anthesterion 

6.  Xanthikos  .  .  Elaphebolion 

7.  Artemisios  .  .  Munichion 

8.  Daisios      .  .  .  Thargelion 

9.  Panemos  .  .  .  Skirophorion 

Daß  der  Cyklus  der  makedonischen  und  attischen  Jahre  derselbe  ge- 
wesen, dürfte  sich  als  wahrscheinlich  aus  der  Chronologie  des  Todes 
Alexanders  ergeben.  Pur  ausgemacht  kann  angenommen  werden  (s.  Ideler 
in  den  Abh.  der  Berl.  Akad.  aus  den  Jahren  1820  und  1821),  daß 
Alexanders  Tod  in  die  letzten  Monate  von  Ol.  114  1  fallen  muß;  wir 
würden  auch  hier  sofort,  den  Tagebüchern  folgend,  den  Daisios,  den 
sie  angeben,  mit  dem  Thargelion  identificieren,  wenn  nicht  eine  be- 
deutende Schwierigkeit  einträte.    Arrian  nämlich  sagt  (VII  28)  kßlto 

Si  SvO   X€CI    TQICCXOVTCC   ixtl   XCcl    XOV   TQITOV   flfjVCCQ   kniXaßsV  dXTCJ,    fhg 

Uyai  MpKTTÖßovlog.  kßaaiXeve  Si  SdfSexa  Htj  xcci  rovg  öxro)  fiT/vag 
rovtovQ.  Nun  hat  aber  Plutarch,  wie  schon  erwähnt,  Alexanders 
Geburt  datiert  auf  den  6.  Loos  oder  Hekatombaion  des  Jahres  356, 
so  daß  der  König  am  28.  Daisios  oder  Thargelion  323  (wenn  wir  der 
Tabelle  folgen),  nicht  32  Jahre  8  Monate,  sondern  32  Jahre  und  über 
10  Monate  [594]  alt  gestorben  war.  Merkwürdig  ist,  daß  Arrian  sagt, 
er  habe  zwölf  Jahre  xccl  rovg  öxro)  jULfjvag  rovrovg  geherrscht,  wonach 


144  DemoBthenes 

Alexander  also  um  die  Zeit  seines  Geburtstages  auch  zum  Eönigtume 
gekommen  sein  mußte.  Entweder  muß  hier  Plutarchs  Datum  für  die 
Geburt  Alexanders  oder  Aristobuls  Angabe  über  die  Dauer  seines  Lebens 
fehlerhaft  sein;  ich  will  nicht  verhehlen,  daß  Aristobuls  Autorität  um 
so  größer  ist,  da  sie  Arrian  mit  seinem  rovg  dxrtb  fiijva^i  tovtov^ 
anerkennt,  und  daß  diese  Datierung  ganz  zu  Gunsten  der  in  unserem 
Briefe  vorliegenden  ist,  dagegen  mit  Plutarchs  Angabe  über  Alexanders 
Geburt  streitet.  Man  hat  zu  dem  Ende  angenommen,  daß  der  Loos, 
der,  wie  in  späteren  Zeiten,  so  in  den  Angaben  Plutarchs  dem  Heka- 
tombaion  entspricht,  vor  Alexanders  Expedition  dem  Boedromion  gleich 
gewesen,  daß  dann  aber  eine  Regulierung  im  makedonischen  Kalender 
eingetreten  sei,  und  daß  Plutarch,  diesen  regulierten  Kalender  auch 
auf  die  Zeiten  des  Philippos  übertragend,  die  in  attischer  Datierung 
bezeichneten  Facta  nach  dem  neueren  makedonischen  Kalender  der 
hyi)othesierten  Veränderung  uneingedenk  berechnet  habe.  Aber  man 
traut  dem  guten  Plutarch  viel  zu  viel  zu;  er  hat  nicht  erst  berechnet^ 
sondern  was  er  in  seinen  Quellen  fand,  niedergeschrieben.  Die  ganze 
Frage  dreht  sich  darum,  wann  Alexanders  Regierungsantritt  zu  setzen 
ist.  Während  Arrian  12  Jahre  8  Monate  als  die  Dauer  seiner  Re- 
gierung bezeichnet,  giebt  Diodoros  (XVII  117)  und  Eusebios  an  einer 
Stelle  12  Jahre  7  Monate,  an  einer  anderen  gar  12  Jahre  6  Monate 
an,  so  daß  uns  dies  zu  keinem  Resultate  führt.  Wichtiger  ist,  daß 
Arrian  (Indic.  21)  angiebt,  Nearchos  sei  vom  Indes  abgesegelt  am 
20.  Boedromion  (21.  September)  wtj  Sk  MccxeSöve^  xa\  !A(Tiavo)  iiyov 
rb  ivdixarov  ho^;  ßafTikevovrog  14X%^üvSqov\  Strabon  (XV  S.  721) 
sagt,  daß  diese  Fahrt  begonnen  sei  gegen  den  Spätaufgang  der  Plejaden 
(damals  etwa  den  28.  September);  dies  ist  im  Jahre  325  (s.  Gesch.  Alex. 
S.  478  P  2  S.  345  ff.;  nicht  im  Jahre  326,  wie  bei  Clinton  S.  245  ed. 
Krüger  angegeben  ist),  und  wenn  dies  noch  im  11.  Jahre  Alexanders 
war,  so  muß  er  notwendiger  Weise  seine  Regierung  erst  nach  dem 
Boedromion  336  begonnen  haben.  Ein  Blick  in  die  Geschichte 
von  Alexanders  erstem  Regierungsjahre  wird  zeigen,  wie  vortrefflich 
mit  diesem  Datum  die  sämtlichen  Begebenheiten  übereinstimmen.  In 
Übereinstimmung  damit  ist  die  Angabe  über  die  Dauer  seiner  Regie- 
rung; denn  fing  er  etwa  mit  dem  Pyanopsion  an  [595]  König  zu 
sein,  so  hatte  er  am  28.  Thargelion  beinahe  volle  8  Monate  über 
12  Jahre  regiert;  und  begann  er  etwa  einige  Tage  später,  so  ist  auch 
die  Angabc  richtig,  daß  er  12  Jahre  und  7  Monate  regiert  habe,  denn 
am  8.  Monate  fehlten  noch  mehrere  Tage.  Wie  kann  dann  aber  Arrian 
sagen  xccl  Tov<i  dxrm  fitjvccg  Tovtov(Sf  die  er  nach  Aristobul  über 
32  Jahre  gelebt  hat?  Ich  glaube,  hier  hat  schon  Arrian  einen  Fehler 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  145 

in  seiner  Handschrift  des  Aristobul  vorgefunden  und  ohne  Verdacht 
nachgeschrieben.  Denn  nehmen  wir  an,  daß  Aristobul  schrieb:  kßicj 
irq  9vo  xc&i  TQiaxovra  xal  rov  TQirov  fiijvaq  ETTEAABEN  I,  so  könnt« 
daraus  leicht  genug  ETTEAABEN  H  werden.  Mit  dieser  einen  Emen- 
dation^  wenn  man  sie  so  nennen  will,  sind  alle  Schwierigkeiten  gehoben 
und  die  sonderbaren  Ansichten  über  willküriiche  Umgestaltungen  des 
makedonischen  Kalenders  und  über  Plutarchs  Reductionsverfahren 
unnütz.  Daß  der  makedonische  und  attische  Cyclus  parallel  waren, 
lehrt  unter  anderem  der  Umstand,  daß  Ol.  114  1  der  Daisios  gerade 
wie  der  Thargelion  des  Jahres  im  Metonischen  Cyclus  ein  voller 
Monat  war;  denn  die  Tagebücher  erwähnten  die  Ssxütij  (p&ivovrog 
(Plut  Alex.  76),  daß  diese  Übereinstimmung  zwischen  dem  attischen 
und  makedonischen  Kalender  noch  Jahrhunderte  weiter  blieb,  hat  Hr. 
Ideler  aus  den  Observationen  im  Almagest  nachgewiesen  (Handbuch 
der  Chronologie  S.  396  und  405).  So  finden  wir,  daß  Alexander  am 
6.  Loos  oder  Hekatombaion  356  geboren  ist,  daß  er  mit  dem  Dios 
oder  Pyanopsion  336,  äficpl  xä  ^ixoaiv  'irrj  &v  (Arrian.  II)  König 
wurde,  daß  er  im  Anfang  des  Daisios  oder  Thargelion  334  am  Granikos 
siegte  ^  daß  er  im  Daisios  oder  Thargelion  323,  32  Jahre  und  10  Monate 
alt,  nach  einer  Regierung  von  12  Jahren  und  7  bis  8  Monaten  starb  2. 
Nach  diesen  Untersuchungen  glaube  ich  dem  vorliegenden  Briefe 
mit  der  Echtheit  zugleich  die  Wichtigkeit,  die  ihm  bisher  für  chrono- 
graphische Untersuchungen  beigelegt  worden  ist,  absprechen  zu  müssen. 
Leider  sind  wir  über  die  korinthischen  Monate  äuBerst  wenig  unter- 
richtet; ich  würde  zu  weit  zu  gehen  glauben,  wenn  ich  es  anstößig 
nennte,  daß  Philippos  nach  dem  Kalender  der  Korinthier,  die  in  der 
Schlacht  von  Chaironeia  gegen  ihn  kämpften  (Strabo  IX  S.  414),  nicht 
nach  dem  der  Arkadier  oder  Argiver  rechnet.  Es  scheint  mir  gleich- 
falls zu  gewagt,  von  dem  Panemos  der,  Böotier  einen  Schluß  auf  den 
der  Korinthier  zu  machen;  aber  nähme  man  ihre  Übereinstimmung 
an,  so  müßte  der  Panemos  dem  attischen  Metageitnion  entsprechen, 
indem  das  bei  Plutarch  (Cam.  19)  erwähnte  Datiim  der  Schlacht  von 
Leuktra  nach  attischer  und  böotischer  Bezeichnung  erweist,  daß  bereits 
damals  in  beiden  Staaten  der  gleiche  Schaltcyclus  galt. 


^  Absichtlich  ist  die  bekannte  Stelle  des  Aelian  (Y.  H.  II  25)  übergangen 
worden,  welche  angiebt,  daß  Alexander  am  6.  Thargelion  viele  Myriaden  Bar- 
baren vernichtet  habe  öte  xal  Aaqeiov  xa&BikBv  ÄkiJ^avöqog  ....  xnl  aviov  ds 
Tor  Äki^avÖQOv  ical  fsviad-ai  nal  anekd-etp  tov  ßiov  tfj  avvfj  ^(iSQ<f  neniGTevtai. 
Die  Tersuchten  Erklärungen  dieser  Verkehrtheiten  genügen  noch  nicht,  und  auch 
die  übrigen  Angaben  in  dem  genannten  Kapitel  sind  voller  Konfusion. 

"  [S.  jetzt  Gesch.  Alexanders  II*  S.  343  ff.]. 

DrojBeD,   KI.  Schriften  I.  10 


146  Demosthenes 

[596]  Fanden  wir  die  bisher  betrachteten  Urkunden  auch  sämtlich 
unecht,  so  standen  sie  doch  mit  den  nächsten  Worten  des  Redners  in 
befriedigendem  Zusammenhang;  den  demnächst  zu  betrachtenden  fehlt 
auch  dieses,  oder  besser  gesagt,  sie  sind  aus  unrichtiger  Auffassung 
des  vom  Redner  Gesagten  hervorgegangen. 

Demosthenes  beschreibt  (§  161)  dies  feindselige  Verhältnis  zwischen 
Athen  und  Theben  um  die  Zeit,  da  Fhilippos  zum  amphiktyonischen 
Kriege  berufen  wurde:  „ich  sah,  wie  die  Thebaner  und  fast  auch  ihr 
auf  Anlaß  derer,  die  der  Sache  des  Fhilippos  anhingen  und  von  ihm 
bestochen  waren  {nag  ixarigoig),  in  beiden  Staaten  dasjenige,  was 
beide  zu  fürchten  hatten  und  mit  aller  Sorgfalt  hätten  hüten  müssen 
(t6  töv  (pihnnov  häv  ccv^ävaa&ai),  übersähet  und  auch  nicht  in 
einer  Hinsicht  hütetet,  dagegen  zu  Feindschaft  und  gegenseitiger  An- 
feindung bereit  wäret'*.  Und  weiter  (§  163):  „doch  ich  kehre  zu  dem 
obigen  zurück;  als  dieser  (Aischines)  den  Krieg  in  Amphissa  erregt, 
seine  anderen  Gehilfen  aber  ihm  die  Feindschaft  gegen  Theben  hatten 
durchsetzen  helfen  [aviin%Qavaniv(ov),  so  geschah  es,  daß  Philippos 
daher  kam  gegen  uns,  H&bIv  k(p  h^ot^ij  ohnsg  %vBxa  tag  Ttöksi*^ 
ovTOi  avvkxQOVov,  Kcci  ü  fxfj  TtQOB^avientjfiBv  fitxQdv,  ovS*  ävakcc- 
ßeiv  &v  ijdvv/j&f]fxev'  ovtg)  fiixQ^  nd^Qm  nQ07]yayov  ovroi  t6  ngäyfia. 
'Ev  oig  S'  fjT6  fjSfj  ra  ngög  äll/jkovq,  rovrmv)  r&v  xfnitpiafjLdrcov 
äxovaccvreg  xal  x&v  änoxQtaecov  eYirea&e,  Kca  fioi  leys  ravxa  Aor- 
ßdiv.  Nachdem  die  Documente  gelesen  sind,  fährt  Demosthenes  fort 
(§  168):  ovrm  Stadeig  6  ^ikinnog  rag  nökeig  itQog  dkl/jlag  Siu 
TOVT(X)Vj  xal  TovTOig  hnagO'elg  rotg  it'r]q:>t(Tfia(Ti  xal  xatg  Ana- 
XQiaemVj  Ijxev  ü^g^v  r)}v  Svva^iv  xal  rljv  'Ekdreiav  xareXaßsv,  d)^ 
ovS'  av  6/'  Tt  yivoixo  eri  avfinvBvaövTfov  rjfjLöüv  xal  t&v  07jßatcot\ 
Nach  diesem  oUtq)  Sia&elg  6  <l>lhnnog  könnte  man  allerdings  meinen, 
daß  Philippos  unmittelbar  mit  eingewirkt  hätte,  also  Briefe  und  der- 
gleichen von  ihm  mit  gelesen  wären;  aber,  näher  betrachtet,  zeigt  sich 
die  Unmöglichkeit  dieser  Annahme,  denn  die  Beschlüsse  und  Antworten, 
durch  welche  Philippos  dreist  gemacht  wird  {hnagO-Blg),  können  doch 
nur  die  zwischen  Athen  und  Theben  gewechselten  sein;  und  eben  das 
lehren  die  vor  dem  Vorlesen  gesprochenen  Worte:  Sia&elg  dic^c 
TovTcov  bezieht  sich,  wie  natürlich,  auf  Aischines  und  seine  Mithelfer. 

Statt  des  erwarteten  Notenwechsels  zwischen  Athen  und  Theben 
finden  wir  nun  zwei  Anträge  der  Athener  an  Philippos,  eine 
Antwort  des  Königs  an  die  Athener  und  ein  Sendschreiben 
desselben  an  die  Thebaner!  Gut,  der  hypothesierte  Gelehrte  wird 
in  dem  konfusen  Archiv  oder  in  seinen  Sammlungen  gerade  die  be- 
treffenden attischen  und  thebanischen  Urkunden  nicht  mehr  vorgefunden 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  147 

and  statt  ihrer  die  Torliegenden,  die  denselben  kriegerischen  Zeitläuften 
angehören,  in  nnsere  Bede  eingeschaltet  haben.  Sind  also  diese  Ur- 
kunden, die  wir  jetzt  lesen,  nicht  die  von  Demosthenes  gemeinten,  so 
werden  sie  doch  echt  sein  und  in  die  nächstliegenden  Verhältnisse,  die 
wir  bereits  kennen  gelernt  haben,  passen  müssen.    Wir  wollen  sehen. 

Die  beiden  attischen  Beschlüsse  (§  164.  165)  datieren  in  üq^ov- 
[597]  Toq  'Hoonv&ov;  der  erste  ist  pir}v6<^  'EXacprißoXi&voq  üxrtj  (p&i- 
rovrog,  ^vXijg  nQvravBvov(Tr]q  'EQBxO'7]tSog,  der  zweite  fi7]vdg  Mov- 
wxicHvog  'ivTj  xal  vi^.  Wir  sind  schon  gewohnt,  falsche  Archonten- 
namen  zu  finden;  die  mehrfach  angeführte  Hypothese  erklärt  dieselben 
als  aus  Verwechselung  mit  den  Namen  der  Pry  tanienschreiber  entstanden. 
Da  das  Jahr  OL  110  2  im  Metonischen  Cydus  kein  Schaltjahr  ist, 
so  ist  die  Dauer  der  Prytanien,  mit  denen  auch  deren  Schreiber 
wechselt,  35  und  resp.  36  Tage.  Genau  genug  ist  vom  sechsletzten 
Elaphebolion  (er  ist  in  diesem  Jahr  ein  voller  Monat)  der  letzte 
Munychion  der  35.  Tag,  so  daß  man  nur  anzunehmen  braucht,  daß 
die  Erechtheische  Prytanie  mit  dem  Tage,  wo  der  erste  Beschluß  gefaßt 
ist^  angefangen,  und  mit  dem,  wo  der  zweite,  aufgehört  hat,  und  Hero- 
pythos  kann  der  Prytanienschreiber  sein,  der  zum  Archen  umgewandelt 
ist!  Oder  wem  das  denn  doch  zu  gewagt  erscheint,  der  kann  auch 
die  Vermutung  billigen,  daß  der  Archen  Heropythos  durch  Schuld  der 
Schreiber  aus  dem  ersten  in  das  zweite  Decret  eingeschmuggelt  worden, 
wie  wir  dergleichen  ja  schon  mit  dem  Priester  Kleinagoras  erlebt 
haben ! 

Femer  finden  wir  in  dem  ersten  Decret  nach  der  Datierung  die 
Formel  ßov)Sjg  xal  (TTQccrriy&v  yvdifxr},  Schömann  (de  comitiis  S.  99  flF.), 
Spengel  (S.  396)  und  Winiewsky  (S.  304  ff.)  haben  über  diese  in  den 
Decreten  unserer  Bede  oft  wiederkehrende  Formel  ausführlich  gehandelt. 
Da  in  der  Ekklesia  keine  Sache  änQoßovXevrog  verhandelt  werden  darf, 
so  ist  die  yvdfArj  ßovXfjg  ein  notwendiges  Ingredienz  jedes  Volksbe- 
schlusses, und  daß  wenigstens  yv(6fjL7]  ein  officieller  Ausdruck  ist,  lehrt 
außer  Xenoph.  Hellen.  I  7,  9  und  Harpocrat.  v.  nQoxuQoxovia  beson- 
ders die  Inschrift  im  Corp.  Inscr.  Gr.  108  [=  C.  I.  A.  II  594]  SsSöz&cci 
rfj  ßovXfj  Tovg  Xccxövrag  TiQoiÖQOvg  elg  rijv  imovaccv  kxxhjaiav 
ZQfJfMxriacci  %bqI  rovrmv,  yvc&fxrjv  Sh  avfißüXhia&ai  vT/g  ßovltjg  elg 
TOP  Sfjfiov  Sri  SoxsT  rf/  ßovkfj  kncciviacci  x  r  X,  Ist  das  die  Bedeu- 
tung des  ßov?Sjg  yvcjfir],  so  kann  man  sich  durchaus  nicht  vorstellig 
machen,  wie  noch  ein  Beamteter,  hier  also  die  Strategen,  noch  mit 
dazu  kommen  sollen.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  durchaus  nicht  in 
anderen  Decreten,  als  denen  dieser  Bede,  die  Formel  ßovlfjg  yvcifiy 
vorkommt.     Die  Sache  scheint  natürlich.     Der  Antragsteller  machte 

10* 


148  Demosthenes 

seinen  Antrag  {eine)  SeSöxä'ai  rf]  ßovXtj  xai  rc5  Sfjfiq).  Nahm  der 
Senat  den  Antrag  an,  so  wnrde  wohl  dem  6  Seiva  eine  und  der  vor- 
zuschreibenden Datierung  das  iSo^ev  rp  ßovlfj  vorgesetzt  und  der 
Antrag,  nun  ein  Probuleuma,  in  die  Ekklesia  gebracht  Nahm  das 
Volk  das  Probuleuma  unverändert  an,  so  wurde  der  Antrag  zum 
Psephisma  entweder,  indem  man  der  Datierung  eSo^ev  ry  ßovXfj  xal 
T(p  d/jfiq}  vorsetzte  und  dann  das  6  Öeiva  eine  SeSöx&cu  x  r  X 
unverändert  folgen  ließ,  oder  indem  man  das  SeSöx^^cci  in  die  Formel 
des  Beschlusses  'iSo^e  ry  ßovXf  xui  rw  8t)fm  verwandelte.  Wurden 
dagegen  in  der  Ekklesia  Amendements  gemacht  (s.  Corp.  Inscr.  Gr.  I 
S.  124),  so  folgte  dem  Probuleuma  der  Beschluß  des  Volkes:  eSo^B 
TCO  Sf'jiup  •  rä  füv  äXXa  xa&öri  Ij  ßovXij  i\pri(pi(Tccro  oder  dergleichen 
(Corp.  Inscr.  Gr.  106 1). 

So  scheint  die  Formel  ßovXfji^  y^ff^p^y  bis  auf  glaubwürdigere 
[598]  Nachweisung,  wenn  schon  sie  in  sich  nicht  unwahrscheinlich  ist, 
zweifelhaft,  die  Hinzufügung  <TTQaTf]y&v  yvco^y  oder  dergleichen  voll- 
kommen unmöglich;  und  weit  entfernt,  in  dieser  sonst  nicht  vor- 
kommenden Eigentümlichkeit  der  vorliegenden  Decrete  einen  großen 
Beweis  ihrer  Echtheit  zu  finden,  sehe  ich  darin  nur  einen  Beweis 
mehr,  daß  sie  irgend  einem  Halbwisser  und  einer  Zeit,  die  der  Leben- 
digkeit des  attischen  Staatslebens  schon  fem  stand,  ihren  Ursprung 
verdanken. 

Denn  man  sehe  nur  den  trefiFlichen  Inhalt  dieses  ersten  Pse- 
phismas  etwas  näher  an:  „da  Philippos  einige  Städte  eingenommen, 
andere  zerstört,  überhaupt  aber  die  bestehenden  Verträge  nicht  geachtet 
hat,  so  beschließe  das  Volk  Gesandte  zu  wählen,  die  um  Waffenstill- 
stand bis  zum  Monat  Thargelion  bitten  sollen".  Angenommen,  daß 
dieser  Beschluß,  wenn  nicht  der  von  Demosthenes  gemeinte,  aber  doch 
alt  und  echt  ist  und  der  Schlacht  von  Chaironeia  nahe  liegt,  so  müssten 
die  Athener  im  Elaphebolion  einen  WaflFenstiUstand  erbeten  haben, 
also  nach  den  zwei  glücklichen  Gefechten,  dem  am  Flusse  und  dem 
winterlichen,  in  der  Zeit,  wo  Philippos,  wie  Demosthenes  sagt,  in  der 
allergrößten  Bedrängnis  von  neuem  an  die  Peloponnesier  schrieb 
(§  218);  oder  richtiger,  es  machen  die  Einzelheiten  selbst  eine  solche 
Annahme  vollkommen  unmöglich.  Betrachten  wir  diese  Einzelheiten, 
so  finden  wir  zunächst:  kneiÖ)/  0iXt7i7iO(i  ag  fiev  xareilrirpe  Tiöket^ 
T(öv  ccorvyeiTÖvcov ,  rivus;  8h  itogO-elj  xe(pakai(p  Sa,  also  Städte,  die 
vier  Tagereisen   von  Athen   entfernt  sind,   soll   ein   attisches   Decret 

^  [Die  im  Text  angefahrte  Inschrift  ist  troizenischen  Ursprunges;  die 
attische  Formel  lautet  ohne  weiteres:  t«  fiev  uXXa  xu&un6(}  ifi  ßovXfj  oder  xne- 
x^anBq  b  öeiva]. 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  149 

äarvyeiroveg,  wie  Plataiai  {xarä  N6at()ag  §  107)  nennen?  Athen  soll 
das  Besetzen  und  Zerstören  von  auswärtigen  Städten  zum  Anlaß  einer 
Unterhandlung  um  Waffenstillstand,  als  wäre  der  Staat  selbst  ange- 
griflFen,  bei  noch  währendem  Frieden  nehmen?  man  soll  in  dieser  Zeit 
in  Athen  &g  fiiv  —  vi  vag  de  gesagt  haben?  was  gerade  so  klingt,  als 
wenn  wir  sagen,  weil  Philippos  welche  von  den  Städten  zerstört, 
andere  u.  s.  w.  (denn  die  ganz  vereinzelte  Stelle  in  unserer  Rede  §  71 
ist  nach  den  besseren  Handschriften  zu  berichtigen).  Doch  weiter: 
xt€faXatcp  dk  ini  rtjV  ^mxijv  naQccaxevä^Brai  naQccylyvia&ccij  nccQ 
ovSiv  7]yovfjLBVog  rag  ij/xeriQag  <rvv&/jxag,  xal  rovg  ÖQXOvg  kveiv 
iT^ißaXlerai  xai  rijv  Bi^/jvtjv  nagaßarvcov  rag  xoiväg  niensig  — 
jedenfalls  eine  reichlichst  pleonastische  Ausdrucksweise  für  das,  was 
Philippos  noch  gar  nicht  gethan  hat;  es  bestand  ja  kein  Friede,  seit- 
dem für  Byzanz  zu  kämpfen  die  Athener  die  Friedenssäule  umgestürzt 
hatt<en;  und  hätte  derselbe  bestanden,  so  wäre  ein  Angriff  auf  Amphissa 
im  Auftrag  der  Amphiktyonen  keine  Verletzung  desselben  gewesen;  und 
wäre  es  Friedensbruch  gewesen,  so  werden  die  Athener  infolge  dessen  doch 
nicht  den  unsinnigen  Beschluß  fassen  wie  folgt:  nifineiv  ngog  avrov 
fxtiQVxa  xai]  noiaßetg  o'iriveg  avnp  StaXk^ovrai  xal  TtaQaxeXsvaovtnv 
avrbv  fiüXicrrcc  fiiv  rijtf  TtQog  ijnäg  dfiövoiav  SiaTTjQsTv  xal  rag  avv&ri' 
xag,  sl  Si  fX7j,  nodg  ro  ßovkevaaff&ai  Sovvai  XQ^'^ov  rfj  nölei  xal 
rag  (i)  ävoxäg  itoniaaGd-ai  fie/Qi  rov  Oa^yrjh&vog  firjvög.  Man  muß 
einen  sonderbaren  Begriff  haben  nicht  bloß  von  der  attischen,  sondern 
überhauptvonjeder  Politik,  wenn  man  glauben  kann,  daß  solches  Gewäsch 
anderswoher,  [599]  als  aus  dem  beschränkten  Gesichtskreise  der  Schule 
und  ihrer  Umgebungen  herstammen  kann.  Und  nun  zum  guten  Ende 
werden  auch  die  drei  Gesandten  genannt;  und  wie  es  bei  Inschriften, 
die  nicht  einen  Beschluß,  sondern  das  infolge  desselben  Geschehene 
aufbewahren  sollen,  erklärlich  ist,  so  geht  hier  freilich  auffallender  die 
Form  des  Beschlusses  oder,  richtiger,  des  Antrages  in  die  eines  Proto- 
koUes  der  Wahl  über  mit  den  Worten:  rjQkihiiaav  ix  rTjg  ßovXfjg 
^Tfiog  IdvayvoäGiog  j  EvxfvSri^og  (I^kvätriog,  BovXayöoag  'AXfoitt- 
xr^depK    Man  wird  doch  zu  solcher  Sendung  nicht  die  ersten  besten 


'  Simos  ist  ein  in  Athen  seltener  Name,  doch  scheint  er  unter  anderem 
in  Corp.  Inscr.  Gr.  115  =  C.  J.  A.  11  329  in  der  falschen  Form  Jüvfiog  lEVw- 
xQuTov  Ai&aUÖT^g  enthalten  zu  sein.  Für  Bovla^ogag  ist  mir  sonst  kein  Beispiel 
in  Athen  aus  dieser  Zeit  bekannt.  Desto  häufiger  kommt  £v&vdrjfiog  vor;  aus 
Demosthenischer  Zeit  dürfte  der  Sohn  des  Pamphilos  (Dem.  ngbg  Boccjt.  vneq 
Tiqoixog  §  23)  und  des  Sti-atokles  Sohn  (xarn  Meiölov  §  165)  zu  nennen  sein; 
ob  einer  von  beiden  oder  überhaupt  ein  damaliger  Euthydemos  Phylasier  oder, 
wie  es  in  der  Urkunde  heißt,  Phlyasier  war,  weiß  ich  nicht. 


1 50  Demosthenes 

drei  aus  den  gelosten  Ratsmännern  wählen;  aber  nirgends  wird  nur 
einer  von  ihnen  genannt.  Und  was  soll  man  aus  dem  0Xva(Ttog 
machen?  er  muß  nach  attischer  Weise  <l>Xv6vg  oder  Q^vkämog  heißen, 
und  wer  an  dem  nichtsnutzigen  Aktenstück  emendieren  will,  kann 
dies  und  jenes  schreiben  und  oben  auch  xi'iQvxa  xccl  streichen,  da  zu 
den  Dreimännern  hier  kein  Herold  genannt  wird.  Nur  wird  damit 
das  untergeschobene  Machwerk  nicht  alt,  noch  echt 

[699]  Das  zweite  Psephisma  hat  nach  dem  schon  beleuchteten 
Datum  die  Formel  noXefiäQzov  yvcttfiy^  und  zwar  ohne  einen  weiteren 
Antragsteller,  so  daß  von  jener  yv(6fi7]  das  weitere  SeSö^O-cct  rfj  ßovlfj 
xal  T«  Si'iiica  abhängt.  Wäre  durchaus  nichts  Verdächtiges  an  diesem 
und  den  anderen  Decreten,  so  würde  man  die  Pflicht  haben,  eine  solche 
Seltsamkeit  als  ein  noch  Unerklärliches  anzuerkennen;  aber  so  viele 
attische  Inschriften  auch  gerettet  sind,  es  giebt  nicht  eine,  welche  so 
mannigfach  allen  sonstigen  Überlieferungen,  Formen  und  aus  dem 
Wesen  der  Demokratie  gefolgerten  Annahmen  widerspräche.  Es  muß 
als  vollkommene  Unmöglichkeit  gelten,  daß  ein  Volksbeschluß  nolt- 
fidg/ov  yvibyirj  gefaßt  wurde;  denn  die  Erklärung  ^^letnarchi  auctori- 
tote  latvm  esse  ad  popidum''  (Schoemann  de  comitiis  S.  102),  ist  nach 
attischen  Begriffen,  wo  diese  auctoritas  nur  der  ßovX7j,  dem  Archonten 
nur  das  Becht  der  Beantragung  zukommen  kann,  durchaus  unmöglich. 

Die  Anlässe  zum  Beschluß  lauten  wieder  sehr  sonderbar:  knuötj 
^UlhitTioq  slg  dkXoTQiÖT7]Tcc  Ojjßaiovg  n^ög  ijfiäg  iTtißüXXerai  xaxa- 
(TTTjGuiy  naQ6(TX6va<TTai  Si  xal  navrl  tm  (tt Qocx^viiari  HQog  tovg 
eyyiGTcc  TJjg  IdtrixT^g  naQuyiyvta&at  rÖTiovg,  naQaßccivcav  rag  nobg 
ijfiäg  vnaQXoioccg  ccvrtp  avv&fjxccg.  Also  auch  dies  Decret  ist  noch 
vor  der  Expedition  gegen  Amphissa,  der  sich  bereits  Athen  und  Theben 
gemeinschaftlich  widersetzen;  dabei  folgt  es  der  Zeit  nach  dem  vorigen 
Beschluß,  in  dem  es  bereits  heißt  nväg  Si  noQ&eT  {Ttökatg).  Und  wenn 
Philippos  seine  alten  Verbündeten,  die  steten  Feinde  Athens,  die  The- 
baner  versucht  dg  aXkoTQiörrira  xaraarTidaiy  während  sie  sich  doch 
erst  nach  der  Besetzung  von  Elateia  einander  näherten,  wenn  er  sich 
rüstet,  ganz  nahe  an  Attika  zu  kommen  (mit  einer  bemerklichen  Stei- 
gerung des  Ausdrucks  im  Verhältnis  zu  dem  obigen  Decret),  so  heißt 
das  die  mit  Athen  bestehenden  Verträge  übertreten?  Es  ist  also  in 
denselben  wohl  ausgemacht,  daß  Philippos  weder  mit  Theben  befreundet 
sein,  noch  sich  auf  mehr  als  so  und  soviel  Märsche  dem  attischen 
Gebiet  nähern  soll?  Und  wieder  [700]  diese  unleidlichen  Verträge,  die 
trotz  des  erbetenen  und  gewährten  Waffenstillstandes  [rag  ävo^c^i) 
noch  immer  in  Kraft  sein  sollen!  —  Der  Beschluß,  auf  den  dann 
angetragen  wird,  lautet:   Sedö/i^ai   rfj  ßovly  xal  t&>  Si]^  nifiyc^i 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  151 

:roo^  avTov  xf'iQvxcc  xcct  TtQiaßsigj  oiriveg  ä^Koaovai  xai  nagccxuXi- 
aovffiv  aircov  noi/jaaaO'ai  rag  ävoxag,  Önwg  kvSsxofiivcjg  6  STjfiog 
ßovkBVfTfjrai '  xccl  yäo  vvv  ov  xixQixe  ßor]&6iv  kv  ovSavi  röv  fierQimv. 
Bis  zum  Thargelion  hatte  das  erste  Beeret  Waffenstillstand  gefordert, 
am  Tage  Tor  dem  (ersten)  Thargelion  beschließt  man  an  Philippos  von 
neuem  zu  senden,  offenbar  um  den  Vertrag  zu  erneuern,  obschon  es 
nur  heißt  rag  ävoxug  nouiGuad-aiy  ohne  Erwähnung  des  35  Tage 
früher  beantragten  und  abgeschlossenen  Waffenstillstandes.  Der  Ver- 
fertiger des  Decretes  muß  sich  den  König  Philippos  sehr  nahe  bei 
Athen  gedacht  haben,  wenn  er  den  Beschluß  zur  Fortsetzung  des  Ver- 
trages erst  an  dem  Tage,  wo  derselbe  zu  Ende  geht,  fassen  laßt. 
Philippos  steht  bis  zum  Schlachttage  von  Chaironeia  über  drei  Tage- 
märsche  weit  von  Athen,  und  man  sollte  so  verkehrt  gewesen  sein, 
durch  zu  späte  Zusendung  sich  der  Gefahr,  daß  der  Krieg  ausbräche^ 
auszusetzen!  Man  kann  sagen,  es  wird  ja  ein  Herold  mitgeschickt, 
also  weiß  man,  daß  die  Gesandtschaft  nach  Ablauf  des  Waffenstill- 
standes die  feindlichen  Posten  berührt;  aber  ist  darum  die  Verkehrtheit 
jener  Beschlußnahme  geringer?  Und  nun  sehe  man  auf  die  ganze 
Fassung  des  Antrages;  die  Athener,  welche  vor  einem  halben  Jahre 
jene  glückliche  Expedition  gegen  Byzanz  gemacht,  welche  zehntausend 
Söldner  außer  ihrem  bürgerlichen  Heer  zur  Verfügung  und  eine  Flotte 
haben,  die  stets  Makedonien  selbst  gefährden  kann,  diese  Athener  unter 
Leitung  des  Demosthenes,  Hypereides,  Lykurgos,  diese  Athener,  die 
wenigstens  die  Phrasen  der  politischen  Größe  stets  zu  bewahren  ge- 
wußt, sie  sollen  sich  nicht  vor  sich  selbst  und  den  Hellenen  geschämt 
haben,  solche  elend  niedrigen,  bettelhaft  flehenden  Beschlüsse  zu 
fassen,  die  ein  größerer  Triumph  für  Philippos  als  der  vollkommenste 
Sieg,  eine  voUkonunene,  moralische  Niederlage  für  sie  selbst  gewesen 
wären? 

Ich  will  mich  nicht  darauf  einlassen,  ob  das  in  dem  Decret  vor- 
kommende Adverbium  kvSsxofjLivcog  bereits  in  Demosthenischer  Zeit 
nachzuweisen  ist;  jedenfalls  ist  es  erst  seit  Polybius  geläufig.  Anstoß 
hat  dagegen  das  ov  xixQixe  ßori&Eiv  kv  ovSevl  röv  fiezQiojv  erregt, 
und  man  hat  wohl  |u/y  und  infjSevt  verlangen  zu  müssen  geglaubt 
Will  denn  das  Volk  unter  keiner  mäßigen  Bedingung  ausziehen? 
Vielmehr  das  Volk  versagt  es  sich,  unter  mäßigen  Bedingungen  ins 
Feld  zu  ziehen.  Doch  wiederhole  ich  ein  für  allemal,  daß  anstößige 
Worte  und  Wendungen  nur  neben  und  nach  bedeutenderen  Verdachts- 
gründen gegen  diese  Urkunden  eine  Stelle  erhalten  dürfen. 

Den  Schluß  des  Decrets  bildet  die  Angabe:  yoi&rjfrav  ix  ßovlrjg 
JVeuQXog  JS(0(Tiv6fiov,   ITvXvxoarrjg  'EnifpQovog  xal  x/jqv^  Evvofiog 


152  Demosthenes 

'AvacpXvarioq  kx  rov  Stjfiov  ^.  Daß  dies  wieder  ganz  unbekannte  Leute 
[701]  sind,  versteht  sich  schon;  aber  weshalb  werden  die  beiden  Männer 
aus  dem  Kat  nicht  wie  die  im  vorigen  Beschluß  nach  ihrem  Demos 
genannt?  oder  hielt  es  der  Verfasser  für  unpassend,  die  Hrn.  Senatoren 
so  zu  bezeichnen,  wie  den  Herold  „aus  dem  Volk"? 

Die  Athener  haben  also  den  König  zweimal  um  WafiFenstillstand 
gebeten;  auf  den  zweiten  Antrag,  in  dem  sie  bereits  ihre  Verfeindung 
mit  den  Thebanem  beklagen,  ist  nun  der  erste  Brief  des  Königs 
die  Antwort.  Ich  wiederhole,  daß  Demosthenes,  wenn  er  sagt,  Xiye 
xul  rag  anoxQidiiqy  nichts  anderes  als  die  Antwortschreiben  der  The- 
baner  meint,  und  daß  überhaupt  von  Verhandlungen,  wie  sie  diese 
Aktenstücke  zeigen,  in  der  Wirklichkeit  nie  das  Geringste  existiert  hat. 
An  sich  ist  der  Brief  ganz  hübsch  und  charakteristisch  geschrieben, 
und  der  Verfertiger  hat  sich  gewiß  nicht  wenig  darauf  eingebildet,  daß 
er  den  tapferen  und  mit  steten  Kriegen  beschäftigten  König  sein  mar- 
tialisches ^1  vTiooTQocfJjg  schreiben  läßt.  Der  König  erklärt,  als  wäre 
er  der  Gebieter,  gegen  den  man  sich  aufgelehnt  habe:  er  wisse  sehr 
gut,  welche  Stellung  gegen  ihn  {TiQog  ijfxäg  aigiaiv)  die  Athener  von 
Anfang  her  genommen,  und  welchen  Eifer  sie  anwendeten,  die  Thessa- 
lier, Thebaner  und  Böotier  {in  8i  xal  Boicjtovg)  auf  ihre  Seite  zu 
ziehen.  Zugegeben,  daß  die  Athener  in  Thessalien  Anhang  zu  gewinnen 
versucht  haben,  jedenfalls  bleibt  das  'in  Sä  xcci  Boieorovg  sehr  seltsanL 
Seit  dem  Frieden  des  Philokrates  war  unzweifelhaft  Thebens  Gewalt 
nicht  bloß  über  Orchomenos  und  Koroneia  (Dem.  tieq!  üq^jv.  §  21 
und  uEiu  nciQunQtGß.  §  141),  sondern  über  ganz  Böotien  anerkannt, 
und  wollte  Athen  mit  Theben  in  Verhältnis  treten,  so  mußte  es  dessen 
Herrschaft  in  Böotien  anerkennen  (Aischin.  §  142  ixSorov  njv  Botco- 
nav  änaaccv  knoi7](T8  Oijßaioig)  und  nur  in  Theben  die  Böotier  reprär 
sentiert  finden  (Aischin.  a.  a.  0.  und  §  145);  woher  denn  nun  also 
diese  Trennung  zwischen  Thebanem  und  Böotiem,  eine  Trennung,  die 
erst  nach  der  Schlacht  von  Chaironeia  durch  Philippos  und  Alexandres 
mit  so  großem  Erfolg  geltend  gemacht  worden?  Philippos  fährt  fort: 
„da  jene  Staaten  aber  verständiger  gewesen  und  nicht  ihre  Politik  von 
Athen  abhängig  zu  machen  geneigt  (jiij  ßovlofievrov),  sondern  nur  auf 
ihren  Vorteil  bedacht  gewesen  seien,   so   machten   die  Athener  nun 

*  Ein  Nearchofl,  Charigenes  Sohn,  ist  im  Corp.  Inscr.  Gr.  214  [C.  I.  A.  II 
581:  xtt[XXl]aQxov?  Xai.QCY6Povg].  Sosinomos  heißt  ein  Wechsler  in  Athen,  Lysias 
7i(fbg  Aia/itnjv  bei  Athen  XIII  S.  611.  Dem.  vtieq  (P09/4.  §  50.  Polykrates  heißt 
unter  anderen  der  ziemlich  verrufene  Sophist,  s.  Hoelscher  de  vita  et  seriptis 
S.  201.  Epiphron  ist  mir  sonst  nicht  bekannt  Der  Name  Eunomos  ist  häufig, 
ihn  führt  der  Bruder  des  Aischin  es,  der  Bruder  des  Aristogeiton  u.  A. 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  153 

Kehrt  und  schickten  Gesandte  und  Herold,  erinnerten  an  die  Verträge 
und  bäten  um  WaflFenstiUstand,  von  dem  Könige  doch  in  nichts  beein- 
trächtigt. Der  Brief  schließt:  iyd)  fiivroi  äxovaccg  r&v  nQBtrßBvr&v 
(TVYxaTaxiü'ifKiat  roTg  naQccxcckovfihoig ,  xcci  Hoi/iög  elfii  nouTa&cci 
Taq  d:voxccg,  ävniQ  rovg  ovx  ÖQ&ßg  avfißovXevovrag  tffiiv  naga- 
nift-ifjavTBg  rfjg  nQogrixovmjg  dnfiiag  cc^idatjre.  Ich  übergehe  die 
hier  gebrauchte  Structur  (Tvyxarari&rjfiai  (vgl  Plato  Gorg.  S.  501  c), 
da  ich  über  dieselbe  nicht  hinreichend  im  Klaren  bin.  Wohl  aber 
muß  als  sachlich  auffallend  [702]  bezeichnet  werden,  wenn  Philippos 
als  Bedmgung  des  Waffenstillstandes  nicht  die  Auslieferung  der  Redner, 
wie  Alexandros  nach  offenbarem  Friedensbruch  seitens  der  Athener, 
sondern  eine  drifjua  xaxä  nQÖgra^iv  fordert,  gleich  als  ob  er  in  den 
inneren  Verhältnissen  eines  autonomen  Staates  zu  gebieten  hätte. 

Hiemächst  folgt  die  djtöxpKng&rjßatoig  des  Philippos,  ohne  daß 
wir  den  Brief  vorfinden,  auf  den  geantwortet  wird.  Dies  Schreiben  ist 
in  demselben  zuversichtlichen  und  übermütigen  Stil  verfaßt,  den  man 
in  den  sophistischen  Jahrhunderten  für  den  dem  makedonischen  Könige 
eigentümlichen  gehalten  zu  haben  scheint  Die  Annäherung  zwischen 
Athen  und  Theben,  wie  sie  hier  von  Philippos  bezeugt  wird,  ist,  wie 
wir  schon  öfter  gesagt,  durchaus  apokryphisch.  Man  könnte  sagen, 
daß  allerdings  die  Amphissäer  zunächst  aus  Freundschaft  für  Theben 
jenen  Antrag  gegen  Athen  (Frühling  339)  machten,  und  daß  Theben 
die  Herbstversammlung  in  den  Thermopylen,  wo  Philippos  gewählt 
Würde,  nicht  beschickte  (Aischin.  §  128),  sei  ein  Zeichen  für  die  be- 
ginnende Spannung  mit  Makedonien,  zu  der  Theben  durch  den  Verlust 
Ton  Nikaia  noch  mehr  Grund  hatte;  man  kann  ferner  jenes  ojg  ovx 
vn/ixovov  Ol  OfjßaToi  bei  Demosth.  §  156  hinzufügen,  infolge  dessen 
Philippos  die  Peloponnesier  zur  Teilnahme  an  dem  Amphiktyonenkriege 
aufforderte;  ja,  der  Notenwechsel  zwischen  Athen  und  Theben,  den 
Demosthenes  vorlesen  läßt,  ist  eben  ein  Zeichen,  daß  man  sich  zu 
nähern  versucht  hat.  Aber  gerade  das  wichtigste,  nämlich  daß  Theben 
nach  vergeblichen  Unterhandlungen  mit  Athen  den  Frieden  mit 
Phüippos  erneut,  gerade  das  ist  unmöglich,  weil  Demosthenes  sagt, 
der  König  inagß-elg  rovroig  roig  ifji](piaiiaai  xccl  ratg  änoxQiG%ai 
kam  und  besetzte  Elateia,  d)g  ov8'  äv  sY  n  yivoiro  'in  (rv^nvev- 
(TÖVToov  vfi&v  xal  Töv  0fjßai(ov  (§  168);  hätten  die  Thebaner,  wie 
der  .vorliegende  Brief  meint,  ihre  Ergebenheit  bezeugt  und  den  Frieden 
mit  Philippos  erneut,  so  hätte  er  sich  auf  mehr  als  die  bloße  Unwahr- 
scheinlichkeit,  daß  Theben  und  Athen  je  wieder  in  Einklang  kämen, 
verlassen  können.  Schließlich  will  ich  hinweisen  auf  die  Construction 
nwd-üvofiai  SiÖTi,  auf  den  Ausdruck  ßovlöfjLSvoi  vfiäg  avyxaxaivovg 


154  Demosthenes 

yBvia&ai  und  auf  das  hinzugefügte  roU  i'tt'  ccvtcop  (den  Athenern) 
naoaxaXovfiivoigy  was  nach  Ausweis  der  nächstvorhergehenden  Akten- 
stücke nichts  anderes  wäre,  als  der  Waffenstillstand;  und  die  Athener 
hätten  so  große  Anstrengungen  gemacht,  für  denselben  die  Fürsprache 
der  Thebaner  zu  gewinnen,  deren  Entfremdung  ja  eben  nach  dem 
zweiten  Beeret  der  Grund  war,  daß  sie  ihn  so  eifrig  nachsuchten! 

Noch  bleibt  uns  aus  diesem  Zusammenhang  von  Begebenheiten 
ein  Aktenstück  zu  betrachten,  das  Psephisma  des  Demosthenes, 
das  gleich  nach  der  Einnahme  von  Elateia  in  Antrag  gebracht  ist 
(§  181 — 187).  Wir  wollen  mit  der  Chronologie  desselben  beginnen. 
Das  Datum  des  Antrags  lautet:  knl  äo/ovrog  NccvaixUovg,  (pvkr^g 
TiQvravevovar/g  AlavxiSog  JSxiQO(fOQi(üvoq  ^xry  knl  Sixa.  Geben  wir 
den  verkehrten  Archen  einmal  ohne  weiteres  hin,  er  soll  der  Prytanien- 
schreiber  gewesen  sein,  der  Schreiber  der  zehnten  und  letzten  Prytanie 
[703]  des  Jahres  Lysimachides;  das  Datum  des  Beschlusses  wäre  nach 
unserer  Art  der  16.  Juni  338,  also  vor  der  am  4.  August  gelieferten 
Schlacht  von  Chaironeia  etwa  sieben  Wochen  voraus.  Wir  wollen 
femer  alle  unsere  früheren  chronologischen  Bestimmungen  noch  einmal 
als  zweifelhaft  preisgeben:  wir  wollen,  da  gerade  zu  diesem  entschei- 
denden Psephisma  und  der  Wahl  der  mit  Theben  Bündnis  schließenden 
Gesandten  kein  zweiter  analoger  Fall  vorgekommen  ist,  aus  dem  eine 
Verwechselung  zweier  ähnlicher  Decrete  hätte  entstehen  können,  dies 
vorliegende  als  festen  gegebenen  Punkt  ansehen  und  uns  von  da 
unbekümmert  um  die  anderen  Decrete  die  Chronologie  zu  konstruieren 
versuchen.  Also  vom  16.  Juni  ist  das  Decret,  Tages  nachdem  die 
Nachricht  von  der  Besetzung  Elateias  gekommen  ist;  die  Gesandten 
sollen  in  derselben  Ekklesie  noch  gewählt,  am  18.  Juni  in  Theben 
angekommen  sein,  wo  bereits  ein  Kongreß  der  verschiedensten  Lega- 
tionen bei  einander  ist.  Die  Verhandlungen  dauern  nach  Demosthenes 
Darstellung  gewiß  ein  paar  Tage,  nehmen  wir  an  bis  zum  25.  Juni; 
dann  ist  das  Bündnis  geschlossen,  das  Heer  der  Athener  vereint  sich 
mit  dem  der  Thebaner  und  rückt  gegen  Parapotamioi,  während  10000 
Söldner  den  Amphissiern  überlassen  werden;  die  Heere  können  unmög- 
lich vor  dem  5.  Juh  ihre  Positionen  genommen  haben;  auch  Philippos 
beginnt  nicht  die  Feindseligkeiten,  da  er  noch  erst  Verstärkungen  ab- 
warten muß.  Die  erste  Aktion  ist  der  Angriff  auf  Amphissa  und  die 
Einnahme  der  Stadt,  was  jedenfalls  einige  Tage  kostet,  etwa  bis  zum 
10.  Juli.  Philippos  hat  im  Laufe  dieses  Krieges  Frieden  angeboten, 
es  ist  für  diese  Rechnung  gleichgültig,  wann  wir  die  Zeit,  die  er 
brauchte,  ansetzen;  da  auch  in  Athen  darüber  verhandelt  wurde,  gingen 
wenigstens    zehn   Tage    damit    hin,    so   daß  vor    dem    20.   Juli   die 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  155 

Feindseligkeiten  nicht  wieder  eröflfnet  wurden.  Nun  siegten  die  Ver- 
bündeten in  der  Schlacht  am  Flusse,  etwa  den  21.  Juli;  dann  folgte 
die  winterliche  Schlacht,  und  wir  wollen  annehmen,  es  hat  da  in  Phokis  in 
Sonmiers  Mitte  geschneit,  wir  wollen  annehmen,  daß  die  beiden  Schlachten 
(denn  es  wurden  zwei  verschiedene  Beschlüsse  gefaßt,  Freuden- 
opfer darüber  anzustellen)  nur  acht  Tage  auseinander  liegen.  So  wären 
wir  schon  am  29.  Juli.  Nun  schickt  Philippos  in  höchster  Not  in  den 
Peloponnes,  die  Bundesgenossen  aufzurufen;  nach  zwei  so  schnell  hinter 
einander  verlorenen  Schlachten  wird  er  nicht  sogleich  wieder  die  Offen- 
sive ergriflTen  haben;  dann  macht  er  mit  leichtem  Volk  verwüstende 
Einfalle  in  die  böotische  Ebene,  lockt  die  Verbündeten  aus  ihrer  Posi- 
tion, gewinnt  ihnen  gegenüber  die  Stellung  von  Chaironeia,  —  und 
das  aUes  soll  zwischen  dem  29.  Juli  und  4.  August  abgemacht  sein!! 
Und  die  vorgelegte  Berechnung  ist  so  wenig  lang  gezogen,  daß  viel- 
mehr jeder  nur  einigermaßen  Unterrichtete  sagen  wird,  solche  Reihe 
von  militärischen  Bewegungen,  in  denen  wenigstens  80000  Kombat- 
tanten gegen  einander  gestanden,  könne  unmöglich  in  so  kurze  Zeit 
Zusammengedrängt  gewesen  sein.  Das  Datum  des  vorliegenden  Decretes 
ist  eine  Unmöglichkeit,  und  da  kein  zweites  Decret  von  ähnlichem 
Inhalte  in  den  verwirrten  Archiven  Athens  [704]  existieren  konnte,  ist 
diese  chronologische  Verkehrtheit  allein  schon  Beweis  genug  für  die 
Unechtheit  der  Urkunde. 

Ich  würde  noch  einen  zweiten  chronologischen  Beweis  außer  dem 
früher  Gesagten  geltend  machen,  wenn  derselbe  nicht  einiges  Bedenken 
hätte.  Nach  den  beiden  glücklichen  Schlachten  und  als  Philippos  sich 
mit  dringender  Bitte  um  Hilfe  an  die  Peloponnesier  gewandt  hatte, 
wurden  ihm  zwei  Kränze  beantragt  von  Hypereides  und  Demomeles^. 
Demosthenes  sagt  (§  223),  nachdem  er  die  Decrete  hat  lesen  lassen, 
TctüTi  XU  ifj^ritpiGyLara  rccq  cciräg  avXkaßäg  xai  tuvtcc  Qi)fiaTa  i/ei 
^^iQ  nQÖTBQOV  fdv  L4ot<rTÖvixog,  vvv  Se  KrriGKp&v  yiyQacpEV  ovroai' 
xal  ravT  ^laxivriq  ovr  iStcj^ev  avrog  ovre  rtp  yQccxfJUfiivto  avy- 
x(iTfjyÖQ7j(Tev.  Also  sind  beide  Kränze  in  den  Dionysien  verkündet, 
gewiß  nicht  in  den  Dionysien  sieben  Monate  nach  der  Niederlage  von 
Chaironeia,   denn   da  würde  Aischines  gewiß  ebenso  gut  wie  gegen 


^  Daß  dieser  Demomeles  der  Paianier  ist,  leidet  wohl  keinen  Zweifel;  er 
ist  dann  der  Sohn  von  Demosthenes  Oheim  Demon  und  derselbe,  gegen  den 
Demosthenes  früher  TQavfiaTog  ex  nqovoiag  vor  dem  Areopag  klagte,  nachdem 
er  sich  selbst,  wie  Aischines  will,  die  Wnnde  beigebracht  hatte.  Aischin.  iieql 
^<tQan.  §  93  und  daraus  Harp.  v.  Haiavievg  Aischin.  xaia  JTti/o-.  §  51  Suidas 
V.  AriyLOü^.,  wo  noch  immer  Jrj^alyeiog  steht.  Über  die  Verwandtschaft  s.  Boeckh 
im  Corp.  Inscr.  Gr.  Nr.  459. 


156  Demosthenes 

Ktesiphon  klagend  aufgetreten  sein,  sondern  in  den  Dionysien  OL  110  2, 
im  Frühling  338.  Daraus  folgt  mit  der  entschiedensten  Notwendigkeit, 
daß  die  Schlacht  am  Flusse  und  die  winterliche  Schlacht  vor  dem 
Elaphebolion  OL  110  2,  vor  dem  März  338  geliefert  sind,  und  daß 
somit  auch  von  dieser  Seite  her  das  Datum  in  Demosthenes  Decret 
unsinnig  ist.  Doch  ich  muß  mir  zunächst  diesen  Grund  selbst  ent- 
kräften. 

[705]  Demosthenes  sagt  §  83  inbezug  auf  die  Angelegenheiten  von 
Euboia:  (rrecpavcoffävTcov  vincDv  ifii  int  rovtoig  röre  xai  /(mxfjavro: 
'AqkttovIxov  rä^  avräc,  avX'kaßu^^  u^nEo  ovroai  Kt7](Ti<p&p  vvv 
yiyQacp^,  xul  dvc{^^7]&ivTog  iv  reo  O-butqco  tov  azBipdvov  xal  Sbv- 
rigov  XTjQvyfaaToq  YjStj  fioi  rovrov  yiyvofxivov,  ovr  icmumv 
Alaxivriq  naocbv  x  t  L  Dies  ist  von  dem  neuesten  Herausgeber  so 
verstanden,  als  wenn  vor  dem  Antrag  des  Aristonikos  Demosthenes 
schon  einmal  gekränzt  worden  wäre.  Aber  wir  wissen  sonst  nichts 
davon,  und  Demosthenes  würde  es  gewiß  nicht  verschwiegen  haben; 
auch  mußte  dann  wenigstens  ysvofievov  gelesen  werden;  endlich  aber 
will  der  Redner  nebenbei  bemerklich  machen,  daß  Aischines  nicht  um 
der  Gesetze  willen  den  Ktesiphon  verklage,  denn  sonst  würde  er  schon 
Aristonikos  Antrag  wegen  der  unerlaubten  Verkündigung  im  Theater 
haben  angreifen  müssen.  So  kann  der  Sinn  nur  in  etwas  loser  Ver- 
knüpfung der  Sätze,  die  aber  vollkommen  verständlich  ist,  folgender 
sein:  „da  Aristonikos  auf  Kränzung  für  mich  genau  ebenso  wie  jetzt 
Ktesiphon  antrug  und  der  Kranz  im  Theater  verkündet  wurde,  und 
demnach  diese  Verkündigung  der  Kränzung  durch  Ktesiphon  bereits 
meine  zweite  ist,  so  hat  doch  Aischines  nicht  schon  jene  erste  als 
gesetzwidrig  angegrifiPen".  Ist  also  das  x/jQvyfia,  das  Ktesiphon  ver- 
anlaßt hat,  das  zweite,  so  müssen  die  beiden  zwischenliegenden  Kränze, 
die  Demomeles  und  Hypereides  veranlaßt  haben,  nicht  in  den  Dionysien 
verkündet  worden  sein,  weil  sonst  dies  von  Ktesiphon  beantragte 
xi'iQvypicc  das  vierte  wäre.  So  entscheidend  dies  zu  sein  scheint,  so 
wenig  glaublich  ist  es,  wenn  man  folgendes  erwägt:  Demosthenes  sagt 
§  120,  wo  es  sich  über  den  vö^^lo^  Aiowataxö^  handelt:  n%Ql  xov  y 
iv  rw  {ymxQcp  x^nvxxwd'Ui  ^  x6  fiiv  iivQicixi^  /livoiov^^  xbxijqvx^'^^' 
iiaQct7Mn(o  xal  x6  noD^axig  avxog  i(TX€(pav6i(Tßat  iiqöxbqov,  wo 
der  Zusammenhang  fordert,  daß  dies  ktTxetfav&aü-cci  auch  die  Ver- 
kündigung im  Theater  in  sich  schließt.  Wichtiger  aber  noch  ist,  daß 
an  der  Stelle,  wo  von  den  zwei  Kränzungen  durch  Hypereides  und 
Demomeles  gesprochen  wird,  beide  Decrete  gelesen  sind,  und  dann 
Demosthenes  fortfährt,  daß  sie  xccg  avxä^  avllaßäg  xal  xavxä  pi'r 
fiaxa  haben,  wie  Ktesiphons  Decret,  und  sie  von  Aischines  doch  nicht 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  157 

[706]  angefochten  sind;  es  konnte  dann  die  von  Aischines  in  der  kurz 
zn?or  gesprochenen  Rede  so  stark  hervorgehobene  Verkündigung  in 
den  Dionysien  gewiß  nicht  fehlen.  In  dieser  Voraussetzung  konnte 
man  das  Sevr^oov  xi}Qvyna  aus  §  83  so  verstehen,  daß,  indem  weder 
Aischines  die  beiden  Kränzungen  durch  Hypereides  und  Demomeles 
angeführt,  noch  Demosthenes  bis  §  83  deren  erwähnt  hat  und  den 
Athenern  doch  nicht  zuzumuten  war,  daß  sie  alle  xrnfvyfiara  im  Kopfe 
hatten,  Demosthenes  die  erst  später  zu  erwähnenden  beiden  Kränze 
vor  OL  110.  2  noch  übergeht  und  vorläufig  nur  von  den  zwei  Krän- 
zungen durch  Aristonikos  und  Ktesiphon  Notiz  nimmt. 

Doch  wir  geben  das  Ganze  als  zweifelhaft  hin  und  haben  es 
darum  auch  nicht  oben  in  der  Bestimmung  der  Chronologie  erwähnt 
Dennoch  sind  die  Kränzungen  durch  Demomeles  und  Hypereides  ein 
Beweis  gegen  die  Richtigkeit  des  Datums  in  Demosthenes  Psephisma, 
und  zwar  in  folgender  Weise.  Wir  fanden  dies  Datum  in  Demosthenes 
Antrag  als  richtig,  angenommen,  daß  die  beiden  Schlachten,  denen  die 
Kränzung  folgte,  um  den  21.  und  29.  Juli  geliefert  sein  mußten;  die 
Anträge  sollen  den  Ereignissen  sehr  schnell,  den  24.  Juli  und  1.  August 
gefolgt  sein,  nun  wurde  die  Klage  naQavöfxfüv  vom  Diondas  eingereicht, 
es  wurde  der  Prozeß  instruiert,  Diondas  verlor  —  das  mußte  nach 
attischer  Weise  Wochen,  ja  Monate  lang  währen,  und  schon  am 
4.  August  war  die  entscheidende  Niederlage  erfolgt.  Diondas,  sagt 
Hr.  Spengel,  wird  zwar  §  249  unter  denen  genannt,  die  den  Demosthenes 
nach  der  Schlacht  angeklagt,  und  so  möchte  man  in  der  That  glauben, 
die  Bekranzung  sei  gleichfalls  nach  jener  gefallen.  Aber  entweder  hat 
Diondas  ihn  später  wieder  angeklagt,  oder  Demosthenes,  dem  dort 
<laran  lieget,  die  Thätigkeit  seiner  Feinde  hervorzuheben,  hat  das  Frühere 
in  spätere  Zeit  versetzt,  nach  einem  den  alten  Rednern  nicht  unge- 
wöhnlichen Kunstgriff  {/QÖvovg  fieracpkQeiv),  Welchen  Lärm  würde 
Demosthenes  zu  seinem  größten  Vorteil  nicht  erregen,  wäre 
er  nach  dem  Treffen  erst  bekränzt  worden. 

So  können  wir  denn  mit  dem  begründetsten  Mißtrauen  an  die 
weitere  Betrachtung  des  angeblich  Demosthenischen  Psephisma  gehen; 
und  wahrlich  Demosthenisch  erscheint  es  weder  in  Form  noch  Inhalt. 
Daß  Demosthenes  einmal  in  Beziehung  auf  die  euböischen  Angelegen- 
heiten ein  sehr  langes  Psephisma  gemacht  hat,  [707]  bezeugt 
Aischines  {xaru  Krrja.  §  100):  ravra  ö'  bIticjv  SiScoaiv  ävayv&vcci 
M't](pi<Tfm  Tip  y^afificcrei  ficcxQÖreQov  fdv  r/Ji?  'IkiaSog,  xevdrBQOV  Sk 
r&v  XöycoVj  ovg  eioi&a  liyetv  xai  rov  ßiov,  Sv  ßsßicoxe,  fiearov  S' 
O.niScov  ovx  iaofßAvayv  xcd  aTQccroniScov  ovSinore  (rvkkeyjjaofievojv. 
Aber  das  vorliegende  Psephisma,  das  an  Leerheit,  Schwülstigkeit,  Ge- 


158  Demosthenes 

dehntheity  Geschmacklosigkeit  alles  überbietet,  erwähnt  Aischines  iu 
derselben  Eede  gegen  Etesiphon  nicht.  Man  muß  das  Geschreibsel 
durchlesen,  um  sich  von  der  Unmöglichkeit  zu  überzeugen,  daß  De- 
mosthenes  dergleichen  den  Athenern  bieten  konnte.  Vorerst  ein  Vor- 
dersatz mit  inaiSyj  durch  drei  lange  Paragraphen,  der  ein  paarmal  zu 
neuen  Hauptsätzen  ausartet  und  sich  dann  endlich  mit  dem  vierten 
Paragraphen  zu  einer  Art  von  Nachsatz  mit  Sid  SiSoxrai  bequemt. 
Allerdings  hat  die  attische  Sprache  und  namentlich  auch  Demosthenes 
Anakoluthe  mancher  Art,  er  bildet  Vordersätze,  ohne  zum  Nachsatz  zu 
kommen  und  dergleichen;  aber  stets  nur,  wönn  die  Bewegtheit  der 
Rede  oder  sonst  ein  wohl  erkennbarer  Grund  dergleichen  motiviert  (so 
§  126);  aber  diese  Art  von  Construction,  wie  wir  sie  hier  lesen,  kann 
nur  aus  dem  albernen  Kopf  eines  Schönthuers  entsprungpen  sein,  der 
immerhin  gemeint  haben  mag,  den  rechten  Curialstil  oder  auch  die 
wahren  Eleganzen  Demosthenischer  Leidenschaftlichkeit  damit  zu  er- 
zielen. Nicht  minder  verdreht  ist  der  Inhalt,  auch  er  verrat  die 
konfuse  Gelehrsamkeit  und  die  geschmacklose  Phrasenmacherei  eines 
Spätlings,  und  es  wird  Mühe  kosten,  alle  Albernheiten  im  einzelneu 
aufzuzählen. 

Demosthenes  selbst  hat  den  Hauptinhalt  seiner  Rede,  mit  der  er 
dies  Psephisma  motivierte,  mitgeteilt  (§  174 — 179).  Er  forderte  (es 
war  gleich  nachdem  die  Nachricht  von  der  Besetzung  Elateias  ange- 
kommen war),  vor  allem  solle  man  die  zu  große  Furcht  aufgeben  xca 
tpoßua&ai  nüvra^  V7ci()  07]ßai(ov,  sodann  k^eX&övTag  'EkevaT- 
vciSe  Tov^  iv  ijXixtcc  xat  rovg  iiiitia<i  Sei^at  Ttätriv  ifjjiä^  avrox'i 
iv  roT^  ön).otq  övtccs^,  damit  die  Thebaner  sähen,  daß  es  den  Athenern 
Ernst  sei,  und  auf  diese  Weise  ermutigt  würden;  sodann  /aeooro- 
VTjrrai  xaksvco  8ixa  itgiaßttq  xal  itoiTiaai  rovrovg  xvqiov^  fXBTCc 
T&v  (TToarrjyßiv  xal  rov  tzötb  Sei  ßaSi^eiv  ixaiae  xal  tT,^ 
i^öSov,  Dann,  fährt  er  fort,  müsse  die  Instruction  von  der  Art  sein, 
daß  sie  die  Thebaner  keineswegs  bitten,  denn  das  wäre  zur  Schande 
der  Stadt,  sondern  nur  ihnen  die  Hilfe  Athens  anbieten,  wenn  sie  die- 
selbe verlangten.  Man  sieht,  daß  Demosthenes  Psephisma,  weit  entfernt 
von  leidenschaftlicher  Aufregung,  sich  in  diplomatisch  vorsichtigen 
Formen  bewegt  haben  muß,  ja,  daß  sein  Inhalt  im  wesentlichen  nicht 
viel  über  die  im  obigen  hervorgehobenen  Worte  hinausgegangen  sein  wird. 
Damit  kontrastiert  die  breite  Schwatzhaftigkeit  und  AfiFectation 
unseres  Decretes  denn  freilich  seltsam  genug.  Man  nehme  nur  gleich 
zu  Anfang 

iTiBiSij  Q^thnnosi  ev  tb  reo  naQBXtiXvffoTi  xpövo)  naQußaivmv  (fui- 
vBTCci  rag  yByBVT]iiBvccg  avrcp  (Tvv&yxcd;  TtQÖg  rov  !A&r}vai(ov  är^fiov 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  159 

TiBQi  r-tjQ  el(}7jvi]g,  vneQiSa)v  rovg  OQxovg  xai  rä  itaQcc  [708] 
näai  ToTq  ^'EXXriGi  vopLi^öiievu  elvai  Sixaicc  — 

Wie  weit  hergeholt  für  ein  Psephisma,  das  kein  Kriegsmanifest  sein 
soll,  wie  lässig  und  breit  und  ohne  bestimmte  scharfe  Bezeichnung; 
amplificaiionis  caussa  adieoit,  sagt  Dissen  von  den  letzten  Worten;  aber 
was  soll  dergleichen  Rhetorik  in  einem  Volksbeschluß? 

xcci  nöXeig  naQUigtirai  ovSiv  ccvnp  nQoqtjxovaag,  ztväg  Si  xccl 
!A&rivai(ov  ovaag  SoQVuXcbrovg  nenoirjxsv  — 

Wenigstens  ist  napaigsTrai  etwas  stark  für  xuTalaixßävei.  Auch 
SoovaXcjTovg  nsnoirjxev  scheint  mir  nicht  ohne  Anstoß;  nicht  als  ob 
der  der  Poesie  freilich  geläufige  Ausdruck  (so  bezieht  sich  die  Glosse 
bei  Suid.  und  Hey  seh.  auf  Soph.  Ai.  211)  nicht  in  der  attischen  Prosa 
vorkäme,  außer  der  Anfahrung  aus  Isocrat  tieq)  AvTiSöatoog  bei  dem 
!AvriaTTixi(TT7]g  in  Bekkers  Anecd.  S.  90.  21  hat  Xenophon  ihn  sowohl 
von  einer  Stadt  (Cyrop.  VII  5,  13),  wie  von  Menschen  (Hellen.  V 
2,  5);  aber  es  ist  nicht  abzusehen,  was  für  Orte,  die  den  Athenern 
gehörten,  seit  dem  Frieden  kriegsgefangen  gemacht  sein  sollten. 

'iv  TS  T(p  nccQÖvTi  knl  noXv  noodysi  rfj  t€  ßi^  xal  rf  dbfAÖTfjTi  — 

Dies  kv  nagövTi  kann  sich  natürlich  nur  auf  den  eben  jetzt  beginnenden 
amphiktyonischen  Krieg  beziehen,  dessen  erste  Bewegung,  die  Besetzung 
von  Elateia,  eben  das  Decret  des  Demosthenes  zur  Folge  hat;  erst 
danach  überfiel  ja  Philippos  Amphissa  u.  s.  w.  In  dem  vorliegenden 
Decret  aber  geht  es  etwas  bunter  her: 

xal  yäg  'EXkrjviSag  nöXsig  &g  ^liv  (!!)  hficpQovoovg  Ttoist  xal 
rag  Ttokiretag  xaraXveif  ztväg  8^  xal  k^avSQanoSi^öfjLevog  xaxa- 
(TxänrBiy  Big  hviag  Sk  xal  ävrl  'Ekh'jvcov  ßaQßägovg  xaroixi^si  ^nl 
rä  isgä  xal  rovg  Td(povg  kTtaycov  — 

Alles  das  sind  Dinge,  die  Philippos  wenigstens  für  den  Augenblick  in 
dem  soeben  erst  beginnenden  Amphiktyonenkrieg  noch  nicht  gethan 
hat,  und  doch  heißt  es  kv  zm  naoövri.  Es  gab  in  Phokis  seit  Ol. 
108.  2  keine  Politien  mehr,  keine  Städte  mehr,  die  hätten  verknechtet 
und  zerstört  werden  können;  denn  die  einzige  Stadt  Abai,  die  unzer- 
stört  geblieben  war  (Pausan.  X  3,  3),  lag  vorläufig  außer  Philippos 
Bereich,  und  wenn  Pausanias  von  den  durch  den  heiligen  Krieg  ver- 
jagten Phokiem  sagt:  'AürivaToi  xal  OfjßaToi  acp&g  Ijaav  oi  xarü- 
yovTBg,  TtQiv  T;  ro  kv  XaiQcovei^  avpißTivai  nraTafia  "EXhjatj  so  lehrt 
schon  die  Vereinigung  der  Athener  und  Thebaner,  daß  dies  erst  nach 
der  Besetzung  von  Elateia  und  infolge  der  zwei  glücklichen  Gefechte 
geschehen  sein  kann;  auch  der  Ausdruck  hnl  rä  iegä  xal  rovg  rdcpovg 


1 60  Demosthenes 

hitaycov  scheint  eine  Metapher  zu  enthalten,  die  nicht  eben  passend 
ist;  doch  kann  das  leicht  täuschen.  Übrigens  scheint  der  Verfasser 
Äußerungen  des  Demosthenes,  wie  Philipp.  III  §  33  im  Sinne  gehabt 
zu  haben.    Betrachten  wir  die  Worte  des  Deere tes  weiter: . 

ovSkv  ccXXÖToiov  noi&v  ovre  r//e  iccvrov  naxQiSoq  ovtb  tov  xoönoVj 
xal  rfi  vvv  avT<p  Ttagovar]  rvxf]  [707]  xarccxö^m^  ^^Qc^fievo^j  iiti- 
XiXijGpiivoq  iavTOVj  ort  kx  fiixQOv  xal  tov  rv/övrog  yeyovsv  äve).- 
mtTTwg  (liyag  — 

Freilich  spottet  Demosthenes  oft  genug  über  die  armselige  barbarisehe 
Heimat  des  Philippos,  auch  spricht  er  davon,  wie  er  von  geringem 
Anfang  her  groß  geworden  (so  z.  B.  Philipp.  III  §  21  8t i  fuyag  ix 
fuxQOv  xal  zaTtatvov  rö  xax  d())fäg  ijv^v^ai),  so  daß  wenigstens  der 
allgemeine  Eindruck,  den  man  aus  Lesung  des  Demosthenes  über  Phi- 
lippos Charakter  gewinnt,  allerdings  dem  hier  Bezeichneten  zum  Grunde 
liegen  mag;  nur  wird  man  gestehen  müssen,  daß  dergleichen  überall 
nicht  leicht  in  einem  Psephisma,  geschweige  denn,  wenn  es  einen  Zweck 
hat,  wie  das  von  Demosthenes  beantragte,  vorkommen  kann.  Die 
Structur  des  i:teiSij  ist  ganz  vergessen,  wenn  es  weiter  heißt: 

Kai  f^cog  fuiiv  nölBig  i(ü()a  naoaioovfievov  avrov  ßaoßaoovg  xal 
ISiag,  vTtBXafißavev  ikazrov  elvai  ö  Stjfxog  ö  !A&rjva(cov  rö  Big 
avrov  nhjfifisXsTa&ai,  vvv  Si  6q&v  'EXkrjviSag  nökeig  rag  fdv 
vßQi^ofiivag,  rag  S^  dvafTrärovg  yiyvofiivag,  Seivov  i^yeTrai  eivai 
xal  äva^tov  xT^g  tQv  Ttooyövrov  Sö^tjg  ro  iieqioqüv  rovg  "Ekktjvag 
xaraSovlovfiivovg, 

Also  wieder  die  factisch  unrichtige  Einnahme  und  Zerstörung  von 
Städten  in  dem  noch  kaum  begonnenen  Krieg!  Seltsam  genug  ist  auch 
ßaQßÜQOvg  xal  iSiag;  man  hat  ovx  iStag  schreiben,  man  hat  mit 
löiag  die  Städte  des  Philippos  oder  auch  solche,  die  barbarisch,  also 
ihm  ähnlich  sind  (!),  oder  auch  barbarische  Städte,  die  selbständig  sind, 
verstehen  wollen;  es  können  keine  anderen  sein,  als  die  den  Athenern 
angehörenden  Städte,  aber  schön  und  bestimmt  ausgedrückt  wird  man 
das  doch  wohl  nicht  nennen!  Nun  geht  es  über  zu  dem  eigentlichen 
Beschluß,  der  seltsam  genug  anhebt: 

8i6  SiSoxxai  (nicht  iSo^s)  xfj  ßovXfj  xal  x(p  dt'ifiq)  x<p  Id&iiVaio^v 
ev^afiivovg  xal  Ovrravxag  xotg  xJ-EoTg  xal  ijocoai  xoig  xaxi'/ovat 
xijv  TiöXiv  xal  xtjV  /(oQav  xijv  !Ax^rivaimv  xal  iv&vfiij&ivxag  xT^g 
x&v  TCQoyovcüv  aQBxTig^  8 toxi  Tteol  Ttkatovog  knoiovvxo  xijv  x&v 
'Ekh)v(ov  kXsv&SQiav  Sicrrrjoeiv  7)  xi^v  ISiav  naxQtSa  — 

Auch  hier  glaube  ich  deutlich  den  Spätling  zu  erkennen,   der   eine 
Feierlichkeit  und  Frömmigkeit  hineinmischte,  die  den  Athenern  entweder 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  161 

bei  Eröfihung  jedes  Krieges  üblich  war,  und  dann  war  die  ausführliche 
Erwähnung  statt  der  „üblichen  Opfer"  nicht  nötig,  oder  sonst  nicht 
so  beobachtet  wurde,  und  dann  war  für  dieses  Ausrücken  nach  Eleusis, 
was  zunächst  in  Rede  stand,  nicht  solche  Weitläufigkeit  nötig,  wie  sie 
freiüch  einem  Späteren,  der  den  Ausgang  des  Krieges  bereits  wußte, 
als  etwas  recht  Passendes,  als  eine  Art  Weihe  für  den  letzten  ent- 
scheidenden Kampf  sich  darstellen  mochte;  natürlich  konnte  derselle 
Fhrasemnacher  nicht  umhin,  auch  die  schöne  Anspielung  auf  die  sala- 
minische  Schlacht  mit  einzuflechten.  Übrigens  ist  es  bemerkenswert, 
daß  sich  gerade  in  Beziehung  auf  diesen  Feldzug  die  Athener  und 
namentlich  Demosthenes  nichts  weniger  als  fromm  gezeigt  haben 
(Aischin.  §  130);  man  achtete  weder  des  [710]  Todesfalles  in  den  Myste- 
rien, noch  der  Waraungen  der  Pythia,  noch  der  unglücklichen  Zeichen 
[ä&vT(ov  xcci  dxakkuQijTcjv  övrcov  rojv  ieq&v\  und  Demosthenes  war 
aufgeklärt  genug  zu  sagen,  die  Pythia  philippisiere.  Nach  allen 
solchen  Vorbereitungen  beschließt  das  Volk: 

ötcexotTiag  vavq  xa&ehcsiv  Big  rijv  OäXccrrav  xal  röv  vavaQ/ov 
dvanleiv  ivrog  IIvX&v,  xal  röv  (TXQarriyov  xal  xov  innaQXOv  rag 
ne^äg  xal  zag  inmxäg  Swäfiaig  'EksvaTväSe  i^ayeiv. 

Wissen  wir  auch  nicht  durch  sonstige  Nachrichten,  daß  sich  eine 
athenische  Flotte  in  den  malischen  Meerbusen  begeben  habe,  so  mag 
man  es  doch  für  wahrscheinlich  halten,  obschon  freilich  jene  Station 
keinen  Werth  hatte,  wenn  man  die  Thermopylen  nicht  auch  zu  Lande 
sperrte,  und  diese  waren  durch  den  Besitz  von  Nikaia  in  Philippos 
Hand.  Jedenfalls  sagt  Demosthenes  in  seiner  Rede  nichts  von  dieser 
Seeexpedition,  die  er  doch  wahrlich  nicht  hätte  übergehen  können,  da 
die  Athener  zur  See  sich  die  gewissesten  Erfolge  versprechen  konnten. 
Wie  das  auch  ist,  in  keinem  Fall  werden  die  Athener  jetzt  200  Trieren 
auszoschicken  beschlossen  haben,  während  sie  acht  Jahre  früher  unter 
nicht  minder  dringenden  Verhältnissen  50  für  hinreichend  hielten, 
jene  Station  zu  deckend  Und  was  soll  man  zu  dem  einen  Strategen 
und  dem  einen  Hipparchen  sagen?  wissen  wir  doch,  daß  Athen  deren 
zehn  und  zwei  jährlich  erwählte,  nicht  zu  sprechen  davon,  daß  uns 
Chares,  Stratokies,  Lysikles  ausdrücklich  genannt  werden,  als  in  diesen 
Krieg  mit  ausgezogen. 

itifi\(/ai  di  xal  nghaßeig  nobg  rovg  äXXovg  ''EXkrjvag,  ng&TOV  ()i 
ndvTCov  nQog  07]ßaiovg  Siä  rö  k/ywürco  eivai  röv  (Whnnov  xTjg 
hcBivojv  x^Q^if   nagaxaXßiv  ä'   avrovg  firjSev  xaxanXayivrag  xbv 

^  [Über  den  Nauarchen  s.  Herbst  Alkibiades  S.  9  und  meinen  [unten  ab- 
gedrackten]  Aufsatz  in  der  ZeitBchr.  fQr  Altert.  1845  S.  21.    Anm.  d.  Verf.]. 
Dropsen,  Kl.  Schriften    I.  11 


1 62  Demosthenes 

0ih7i7tov  ävxixtfT&cct   zT^g  iavrßv  xa)   zTiq   r&v    äklcov  'Elh'jvoyv 

Diese  Aufforderung  an  die  Thebaner  ist  nicht  in  dem  Sinne  der  von 
Demosthenes  §  178  gesprochenen  Worte:  man  wolle,  wenn  sie  es 
wünschten,  ihnen  helfen,  (hg  kxe/vcjv  fxiv  övrcov  kv  roTg  haxdrotq  xiv- 
Svvotgj  ijfi&v  Si  äpL^ivov  f]  ixiTvoi  [ro  piüJkov]  ngoo/m^ivcov, 

xa)  ort  6  '/tO-rjvccicov  Sfiiiog,  ovSiv  invijfTixax&v ,  ei  ri  TtQÖrsQOv 
ykyovtv  äV^öroiov  rccig  nökem  nQog  äXXtßag^  ßojj&rjfrei  xai  Sv- 
vüiuBfTi  xai  XQ/jfiaai  xal  ßiXtnt  xa)  Snkoig,  elSmgj  pxi 
avToTg  fiiv  noog  üXh'jlovg  diafjLcpifrßijTeTv  neoi  rT^g  ijyefioviag  omiv 
"EllrjfTi  xalöv,  imb  Sh  dkko(fvXov  äv&Qcoiiov  aQXtad-ai  xal  rTjg 
i/yefiovtag  anoGTEQEiG&ai  äva^tov  elvai  xa)  rr^g  r&v  'EkXi)v(ov 
öö^tjg  xai  vF^g  r&v  nooyövcov  dosTfjg. 

Das  ist  gewiß  nicht  nach  einem  officiellen  attischen  Psephisma,  zu  be- 
kennen, daß  der  Kampf  um  die  Hegemonie  zwischen  Athen  und  Theben 
so  etwas  Schönes  sei;  in  solchen  Wendungen  sieht  man  den  Unter- 
schied der  lebendigen  Oegenwärtigkeit  und  jener  summarischen  und 
in  Allgemeinheiten  aufgehenden  Unlebendigkeit,  die  den  späten  Ursprung 
bezeugen  können.  Auch  der  ülXöcfvlog  ävdQionog  scheint  von  dem- 
selben Kaliber  zu  sein.  [711]  Jetzt  beginnt  sich  das  Psephisma  in 
mythologische  Gelehrsamkeit  zu  vertiefen: 

in  8i  oi)Si  dkköroiov  ijyBiTat   eJvai   d  !A&Tjvaia)v  ST/fiog  rbv  Qt]- 
ßai(ov  Sfjfiov  oüre  rfj  avyyevat^  o&re  rc5  öfiocfvkq). 

Man  appelliert  also  an  die  geschlechtliche  und  Stammverwandtschaft; 
nicht  bloß  daß  beide  Völker  Hellenen  sind,  sondern  ein  noch  näheres 
Verhältnis  wird  geltend  gemacht ;  gewiß  mit  Recht  versteht  Dissen  die 
(Tvyyeveta  von  dem  boiotlschen  Ursprung  des  attischen  Demos  der 
Gephyräer,  und  darauf  sollte  sich  das  Psephisma  des  Demosthenes 
bezogen  haben? 

xal  yccQ  rovg  'HoaxXiovg  nalSag  dnofTreoovjuivovg  imb  röv  Tltko- 
novvTjfTicov  rTjg  itaxQfpag  dpx^/?  xarijyayov^  roTg  önloig  xgctri]- 
(Tavreg  rovg  ävrtßaivsiv  neiocofiivovg  roTg  ^HoaxiAovg  kyyövotg 
xai  rbv  OiStnow  xa)  rovg  fier  Ixeivov  kxTtstTÖvrag  vniS^ai.ud'a 
xa)  ^TBQa  TtokXä  ijfiev  vndQX^i  (ft'kavO'QOina  xal  ivSo^cc  ngb^ 
0f]ßa/ovg. 

In  der  That,  das  muß  die  Thebaner  gewonnen  haben!  Es  sind  das 
die  bei  den  Sophisten  der  Kaiserzeit  beliebten  Wendungen;  man  ver- 
gleiche Aristides  Aevxr^nxbg  d  S.  639  ß'  S.  667  ed.  Dind.:  ilitT&ftv 
de  i(p    olg  'HQaxkiovg  xal  r&v  'HgaxUovg  naiScov  kiivi^aö-fi  ng  .  .  . . 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  163 

&atf^d^(o  de  omo^  ov  xai  rov  OlStnovv  Tiooai&ijxav  (bg  kSB^üfie&a. 
S<>lche  Phrasen  will  man  doch  nicht  dem  praktischen  und  yerstandigen 
Demosthenes  zutrauen?  Der  alte  treffliche  Hieronymus  Wolf  sagt: 
quid  si  scfurra  guispiam  hoo  assuit?  Es  ist  ordentlich  schade,  daß  nicht 
auch  der  in  Theben  geborene  Gott  Dionysos,  den  zuerst  die  Athener 
anerkannt,  hier  figuriert    Endlich  der  Schluß: 

SiditEQ  ovSi  vvv  änofTTiifFBrat  6  14/^>)vai(ov  Si}ijLog  r&v  Orjßaiot^^ 
TB  xai  Totg  äkkoig  "EkXriai  avfKfBQÖvTcov,  2vv\^ia&(xt  8h  HQog 
avTovg  xctl  avpLiitcxiccv  xai  kmyccfxtav  noii)(Ta<7&ai  xai  ÖQxovg 
Sovvai  xae  XaßBtv, 

Man  soll  sich  denken,  daß  Athen  den  Thebanern,  den  xaranrixTroig 
xai  dvaarO'fjToig  und  wie  ihre  schönen  Prädikate  sonst  noch  bei  De- 
mosthenes lauten,  Epigamie  angeboten  habe,  und  das  in  dem  Decret 
zu  Unterhandlungen,  die  Demosthenes  mit  aller  diplomatischen  Vor- 
sicht und  Zurückhaltung  zu  machen  rät,  besonders  warnend,  daß  man 
sich  nicht  zu  sehr  um  ihre  Freundschaft  zu  bemühen  scheine. 

In  der  Überzeugung,  eher  das  Auffiftllende  besonders  in  den  ein- 
zelnen Ausdrücken  noch  nicht  genug  hervorgehoben,  als  zu  vieles  ver- 
dächtigt zu  haben,  glaube  ich  dies  Decret  bei  der  Verkehrtheit  der 
Form  und  des  Inhaltes,  bei  der  Oberflächlichkeit  und  Fehlerhaftigkeit 
der  historischen  Beziehungen,  bei  der  gänzlichen  Unpäßlichkeit  der 
an  der  Spitze  stehenden  Datierung  für  gänzlich  unecht  und  für 
ein  Machwerk  später  Zeit  halten  zu  müssen.  Nur  so  ist  es  be- 
greiflich, wie  folgende  Namen  als  die  der  Gesandten  vermerkt  sein 
können: 

[T12]  ITijiaßBig'  Jfjfio(TiHvi]g  jdijjiiotT&evovg  ITataviBvg.  'YTtBo/Stjg 
KXbüvSqov  JStpi'iTxiog.  Mvr^m&BiSjjg  !Avrt(fdvovg  <i>QBd^piog.  Ai}fAO' 
xoccTV/g  ^a>ffih>v  <l>kvBvg,  Käkkatrr/oog  Aior/fiov  Ko&coxiSijg, 

£&  sind  nicht  z^n,  wie  Demosthenes  vorgeschlagen,  sondern  nur  fünf 
Gesandte,  und  über  Demosthenes  hinaus  ist  die  Gelehrsamkeit  des  Spät- 
lings nicht  gegangen.  Die  Namen  sind  bunt  zusammengewürfelt  und 
nicht  einer  ist  nachweislich  richtig.  Oder  soll  man  glauben,  daß  die 
Gesandten  gen  Theben  gemeine  Leute  gewesen  sind?  daß  mit  De- 
mosthenes ein  anderer  Hyperides  ging,  als  der  bekannte?  der  aber  ist, 
wie  wir  aus  Plut.  X  Oratt.  S.  372  ed.  Reisk.  und  Suid.  v.  Photius 
Bibl.  S.  495  wissen,  ein  Kolytteer  und  zwar  der  Sohn  des  Glaukippos 
(oi  Si  üv&oxUovq  sagt  Suidas),  wie  der  Name  seines  eigenen  Sohnes 
Glaukippos  (bei  Athen.  XIII  S.  590  und  sonst)  bestätigen  kann.  Einen 
Hyperides,  Kleandros  Sohn,  kennen  Mir  sonst  nicht,  oder  hat  sich  unser 
Psephismenschreiber    den   Schauspieler    aus   Demosthenes  Rede    uQog 


164  Demosthenee 

Eißovh'Srjv  §  18,  der  freilich  alt  genug  ist,  hierher  genommen?  Es 
hat  sich  derselbe  phantasiereiche  Mann  noch  einen  Hyperides  ausge- 
dacht, der  §  137  als  Zeuge  figurieren  muß,  und  ihm  einen  Vater 
Eallaischros  gegeben.  Was  über  die  anderen  Namen  zu  bemerken  sein 
dürfte,  mag  lieber  in  einer  Note  seinen  Platz  findend 

Überblicken  wir  das  bisherige  Resultat  unserer  Untersuchung,  so 
finden  wir  bei  jeder  der  besprochenen  Urkunden  mehr  als  ein  Zeichen 
der  Unechtheit;  und  könnte  jedes  einzelne  derselben,  für  sich  betrachtet, 
für  nicht  bedeutend  genug  gelten,  einer  alten  Überlieferung  zu  wider- 
sprechen, so  muß  die  Menge  der  Zweifelsgründe  desto  entschiedener 
geltend  gemacht  werden.  Zugleich  wird  es  sehr  natürlich  sein,  daß 
man  an  die  Betrachtung  der  weiteren  Dokumente  mit  einigem  Vor- 
urteil gegen  ihre  Echtheit  geht,  obschon  wir  uns  bemühen  wollen, 
ohne  dasselbe  den  jedesmaligen  Thatbestand  möglichst  unbefangen  zu 
prüfen. 

[713]  V.  Urkunden  aus  dem  Kriege  von  Byzanz 

Ol.  109  4,  110  1. 

Wir  haben  früher  gesehen,  daß  Philippos  die  Belagerung  von 
Byzanz  gleich  mit  dem  Anfange  von  Ol.  110  2  in  der  Mitte  des 
Sommers  339  aufgab.  Die  diesen  Krieg  betreffenden  Aktenstücke  zu 
besprechen,  wollen  wir  wieder  zunächst,  ohne  sie  zu  berücksichtigen, 
den  Verlauf  der  Begebenheiten  betrachten. 

Wir  können  von  einer  Stelle  des  Philochoros  ausgehen,  die  Dionys. 
ep.  ad  Ammaeum  I  11  (fr.  135  M.)  bewahrt  hat:  „öcdqppaoros*'  ^Jri 
rovTov  ^^thnno<i  t6  fiiv  nQCtrov  dvanlevfFa^  ne()tvi9(p  nQO^kßuXtv 
änoTvzoiv  ö'  ivTSvd'ev  Bv^civriov  inohÖQxei  xai  inij/ccviifiarc/  nQO^- 
fjyBv^^.  Dann  ffibrt  Dionysios  fort:  ^jinetra  öie^el&cjv  Örra  roT^  '40-1]- 
vaioiq  6  <l>tkin7to^  hexdkei  öiä  ri}*;  intaroXfi^  xal  JrjfjLOfrflhov^ 
na{)axaXi(TavToq  avrovi;  ;r(>ot?  röv  nökefiov  xcci  ipijcpiafiara  yQÜijJcetfrOii 


^  In  unseren  Urkunden  kommt  Demokrates  von  Phlya  auch  als  Gesandter 
(§  29)  vor  unter  den  Pseudogesandten  Ol.  108  2,  und  er  mag  sich  seinen  Vaters- 
namen immerhin  vom  Sophokles  oder  Antiphon  erborgt  haben.  Das  weitere  s. 
unten.  Mnesitheides  war  einer  der  Dreißig;  der  Gesandte  in  unserer  Urkunde 
ist  wohl  derselbe  mit  dem  LOgenarchon  (§  155)  und  es  fehlt  nicht  viel,  so 
figuriert  derselbe  Mann  in  demselben  Jahre  als  Archen  und  Gesandter.  Der 
Name  Kallaischros  scheint  dem  Verfertiger  der  Urkunde  gefallen  zu  haben;  er 
nennt  so  auch  den  Vater  eines  Hyperides  (§  187);  ob  er  in  diesem  oder  in 
jenem  den  reichen  Mann  aus  der  Midiana  §  157  gemeint  hat,  gegen  welchen 
Deinarchos  eine  Rede  schrieb,  oder  den  alten,  den  Vater  des  Kritias,  das  weiß 
ich  nicht. 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  165 

lX^iQ0T6vrt<TB  rijv  fuv  aT/jXrjv  xa&eXeiv  rtjv  nsQt  r^s'  7t (j6^  (Pihnnov 
iip/iprj^  X  T  X.  Allerdings  erzählt  Diodoros  XVI  74 — 76  die  Belagerung 
von  Byzanz  noch  in  denoi  vorhergehenden  Jahre  des  Nikomachos,  aber 
seine  Chronologie  darf  nicht  gegen  eine  Angabe  des  Philochoros  in 
Anschlag  kommen;  wir  können  mit  Bestimmtheit  den  Sommer  340 
als  die  Zeit,  wo  Perinthos  belagert  worden,  annehmen.  Mancherlei 
Reibungen  waren  bereits  vorhergegangen,  über  die  uns  die  dritte 
Philippische  und  die  Rede  über  den  Chersones  unterrichtet.  Es  hatte 
Diopeithes,  der  mit  attischen  Kolonisten  vor  dem  Jahre  des  Pythodotos 
Ol.  109  2  in  den  Chersones  geschickt  war,  durch  freilich  nicht  sehr 
begründete  Ansprüche  auf  Besitzanteil  in  Kardia  dem  König  Philippos 
Gelegenheit  gegeben,  diese  wichtige  Stadt  zu  besetzen  und  so  den 
Chersones  zu  bedrohen  (de  Cherson.  §  58  Philipp.  III  §  35).  In  der 
Rede  über  Halonnesos  wird  erwähnt,  daß  sich  Fhilippos  zum  Schieds- 
richter über  den  Streit  der  Kolonisten  mit  Kardia  erboten  habe,  und 
sie  ist  aus  dem  Jahr  des  Pythodotos  Ol.  109  2;  sie  enthält  noch  keine 
Erwähnung  von  dem  Angriff  des  Philippos  auf  Thrakien.  Wohl  aber 
steht  in  derselben  bereits  von  dem  Feldzuge  des  Philippos  nach  Am- 
brakia  und  Akamanien  (§  32  vgl.  Philipp.  III  §  27.  34.  72),  und 
daß  zur  Zeit  dieses  Zuges  Pythodotos  Archen  war,  bezeugt  Dem.  xara 
[714]  VXvfinioS<Aoov  §  24.  26,  so  daß  die  Rede  über  Halonnesos  wohl 
in  den  Winter  oder  in  das  Frühjahr  Ol.  109  2,  in  den  Anfang  des 
Jahres  342  ftllt.  Nun  steht  in  der  Rede  vom  Chersones  §  2,  daß 
Philippos  bereits  elf  Monate  in  Thrakien  kämpfe,  rfjg  (TTgareiag  ijv 
ivSixccTov  fifjva  tovtovI  iv  Bq^xt]  TtoieTrat;  damit  vergleiche  man 
§  14  vvvi  Svvcc^uv  fieyülrjv  kxeTvog  'ex(ov  kv  Oq^xt]  diccTQißei  xai 
fiercenifiT^erai  TtokVf^v  üg  cpaaiv  oi  itUDÖvreg^  dno  Mccxsffoviag  xa) 
OhTTaUuq'  iäv  ovv  nsoifAsiva<i  tov^  irija/a*;  ini  Bu^civriop  kk&fov 
nohooxfj  X  T  A;  die  Etesien  aber  ((pvXci^ag  rovi^  kriifTlas;  ))  töv  xsi- 
fi&vce  Philipp.  I  §  31  bezeichnet  die  entgegengesetzten  Zeiten  des 
Jahres)  wehen  um  die  Zeit  des  Siriusaufganges.  Diese  Angabe,  die 
Nachricht  von  neuen  Truppensendungen  aus  Makedonien  und  Thessalien 
(im  Frühjahr),  endlich  die  Bezeichnung  des  verflossenen  Winters 
(§  35.  44)  beweist,  daß  die  Rede  vom  Chersones  etwa  in  den  Mai  341, 
in  die  letzten  Monate  von  Ol.  109  3  gehört. 

Die  gewöhnliche  Annahme,  die  bereits  von  Dionysios  von  Hali- 
karnaß  ausgesprochen  ist  (cp.  ad  Ammaeum  I  10),  setzt  die  dritte  Phi- 
lippische Rede  in  dasselbe  Archontenjahr  mit  der  vom  Chersones,  aber 
nach  derselben.  Doch  leiten  die  deutlichsten  Anzeigen  auf  die  um- 
gekehrte Stellung  beider  Reden.  Während  Demosthenes  in  der  vom 
Chersones  §  2  bereits  von  elf  Monaten,  die  der  Krieg  dauert,  spricht, 


1  (>6  Demosthenes 

heißt  es  in  der  Philipp.  III  vvv  inl  0(){ix7jv  naQtovra^  was  dem  An- 
fange des  Krieges  doch  wohl  näher  liegt.  Ferner  heißt  es  in  dieser 
dritten  Philippischen  §  20  ovSi  doxst  fiot  tiso)  X6^()ov/j(tov  vvv  gho- 
TtBiv  ovSi  Bv^avriov,  aXX  kna^vvai  fiiv  rovxoi^i  xal  diccTtjoTfaai  fii) 
Ti  na&(oGt  ....  ßovkBvaaat^ai  fiivroi  x  r  X,  so  daß  Demosthenes 
wohl  eine  Verbindung  mit  Byzanz  zu  machen  beantragen  wird;  — 
dagegen  heißt  es  in  der  Rede  vom  Chersones  bereits  §  14  Ttg&rov 
fiiv  oYefT&s  Tovg  Bv^avriovg  fisvetv  km  r/J^*  ävoiaq  rr^g  aircT^g  ütrireo 
vvv  xui  ovre  na^ccxaXiaBiv  vfiäg  ovre  ßo7]&eTv  avroTg  ä^icüaetv;  kyro 
pikv  ovx  oJfAai,  äXku  xui  et  riai  fiäXkov  otmfTTOVfTtv  J)  tifiTv,  xal 
TovTovg  eifT(f()/j(T6(T&at  fiüXkov  fj  'x€tpqy  naoaScbaeiv  rt^v  nöXtv^  woraus 
man  wohl  ersieht,  daß  nach  der  dritten  Philippischen  Rede  den  By- 
zantiem  Bündnis  angeboten  worden,  daß  sie  aber  dies  und  die  War- 
nung der  Athener  noch  nicht  eben  bereitwillig  angenommen  haben, 
sondern  dem  Philippos  (wenigstens  nach  Demosthenes  Darstellung) 
nichts  Übles  zutrauen,  mit  [715]  dem  sie  ja  noch  im  Bündnis 
stehen  (Philipp.  III  §  35  xal  vvv  ini  Bv^avriovg  no^ehrai  av^i/Aä- 
xovg  övra^y  ohne  das  verkehrte  ///uör,  das  nicht  einmal  handschriftlich 
empfohlen  ist).  Eine  nähere  Zeitbestimmung  ergiebt  §  32,  wo  es  von 
Philippos  heißt:  ov  7t(}6g  rro  nökeig  ävTj{)i]xivai  Ti&t]ai  fiiv  rcc  Ilv&ta 
(dies  sind  die  Pythien  gleich  nach  der  Zerstörung  der  phokischen  Städte 
Ol.  108  3)  x&v  avTog  fii;  na()fjy  rovg  Sovkovg  äycovo&er/jfTOVTai; 
rtsjunet]  woraus  sich  ergiebt,  daß  die  Rede  nach  den  Pythien,  also 
nach  dem  Herbst  Ol.  109  3  oder  342  gehalten.  Daß  sie  in  den 
Winter  gehören  dürfte,  scheint  sich  aus  den  Worten  §  50  zu  ergeben: 
xai  (Ti(on&  &e()og  xcd  /€/jt/(öi'a  cog  ovShv  Siu(fi()ei  ovo'  kfTTiv  i^ca- 
üSTog  (oQa  ng  fjv  ötaXetnei, 

Aus  diesen  Einzelheiten,  sowie  aus  der  gesamten  Fassung  beider 
Reden  entnehme  ich  die  bezeichnete  Stellung,  so  daß  also  in  den 
Sommer  342  der  Anfang  des  thrakischen  Krieges,  in  den  Winter  die 
dritte  Philippische  Rede,  in  den  Frühling  341  die  über  den  Chersones 
gehört. 

Leider  sind  die  Reden,  welche  die  nächstfolgende  Geschichte  an- 
gehen, namentlich  die  vierte  Philippische  und  die  Rede  über  den  Brief 
des  Philippos  unecht,  und  in  Ermangelung  eines  Kriteriums  für  das 
geschichtlich  Wahre,  was  ihnen  zum  Grunde  liegen  mag,  thun  wir 
besser,  sie  gänzlich  unbeachtet  zu  lassen.  Der  Brief  des  Philippos 
selbst  wird  in  der  Regel  für  weniger  bedenklich  gehalten,  ich  finde, 
daß  er  nur  geschickter  gemacht,  aber  gleichfalls  von  späterem  Ursprung 
ist;  es  seheint  der  Verfasser  desselben  namentlich  seinen  Theopompos 
fleißig  benutzt  zu  haben,  und  ich  würde  den  einzelnen  Angaben  des 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  167 

Briefes  nicht  eben  mißtrauen;  doch  ist  es  geratener,  auch  ihn  für  jetzt 
unbenutzt  zu  lassen. 

So  bleibt  denn  freilich  Ol.  109  4  das  Jahr  des  Nikomachos  für 
uns  fast  ohne  alle  historische  Notiz.  Indes  dürfte  sich  aus  den  wenigen 
sicheren  Nachrichten  eine  von  der  üblich  gewordenen  Darstellung  ab- 
weichende Sachlage  ergeben.     Demosthenes  sagt  in  der  Rede  für  Kte- 
siphon  §  87  von  Philippos:  ßovköfisvoi^  rijs  (rnonofima^  xvotog  ye- 
via&ai  naQ^X&mv  inl  Qo^xr]*;  Bvl^avxiovq   avfifiäxovg   Övrag   avrtp 
To  fiiv  Ttg&TOv   T]^tov  (TVfiTtokefAetv  röv  nQÖ^  vfiä^  nökafiov,   gj^  S* 
oinc  l^&sXov    ovd'    knl   rovroig   'iipatTav  ti^v  (TVfifiaztav   nenoiT^a&ai 
hyorrsg  dkrj&T],  /ägaxce  ßaköfnevog  nQÖg  rfj  nöXet  xal  ftrjxccv/jfAar 
iiiffT/jaag  knohÖQXBt,    Diese  Aufforderung  dürfte  sehr  bald  nach  der 
Rede  vom  Chersones  an  die  Byzantier-  ergangen  sein,  doch  war  Phi- 
lippos zunächst   noch   im  inneren-  Thrakien   beschäftigt  (de  Cherson. 
§  44   AQoyyiXov   xal   Kaßvhjv   xal   Maareigav   xal  a  vvv   k^atgei 
xccl  xaraaxevä^erai),  auch  Krankheit  hemmte  ihn  nicht  wenig  (§  85). 
Aber  mit   diesem   Sommer   341    scheint   auch   die   Bewältigung   der 
thrakischen  Fürsten  vollendet  worden  zu  sein  nach  Diod.  XVI  71,  der 
hinzuifügt,  die  hellenischen  Städte,  der  Furcht  vor  den  Thrakiern  frei, 
hätten  sich  dem  König  sehr  bereitwillig  verbündet,  und  der  König  an 
passenden  Orten  Städte  in  ihrem  Lande  angelegt;  unter  diesen  nament- 
lich Kabyle,  ov  itö^oco  rr^g  rcjv  !A(ttcHv  x^Q^^^  wie  Stephanos  v.  ge- 
nauer als  Strabo  die  Lage  dieser  Stadt  angiebt  (s.  Wichers  zu  Theopomp, 
frg.  S.  192).   Theopompos  [716]  hat  in  seinem  47.  Buch  von  Agessos, 
von  Kabyle  gesprochen,   so  daß  man  die   in  jener  Demosthenischen 
Stelle  bezeichneten  Verhältnisse  in  diesem  Buche  besprochen  voraus- 
setzen darf;  aber  in  demselben  Buch  war  '!d(TTaxog  von  ihm  als  Gebiet 
der  Byzantier  erwähnt  (Steph.  v.),  woraus  sehr  wahrscheinlich  ist,  daß 
wenigstens  noch  in  demselben  Herbst  341  der  Krieg  mit  Byzanz  selbst 
seinen  Anfang  genonomien  hat;    Offenbar  vermieden  die  Byzantier  zu- 
nächst die  Verbindung  mit  Athen  wegen  des  noch  nicht  vergessenen 
Bnndesgenossenkrieges;  sie  ließ  hoffen,  verstärkt  durch  die  verbündeten 
Städte  an  der  thrakischen  Süd-  und  Ostküste,   Widerstand  leisten  zu 
können.    Hierauf  scheint  sich  die  Angabe  Polyaens  (IV  2,  21)  zu  be- 
ziehen:  <l>iXtnjTog  kitoXiÖQXBi   Bv^avriovg  i'/ovrag  ovx  ökr/ijv  /€/"(>« 
fTVfifidxcov'   TOVTOvg  änoXmelv   rt^v   (Tviifiaxtav  krBXVüaaro   n^f^iiffag 
(cvtofiölovg  ayyekkovrag,  (hg  ai  nöksig  avrcjv  vTto  <l>tXtn7tov  noXiog- 

xoTvTo <l>ihnnog    (pavegog    Jjv    Siani^ncov    fieor]    Tt}g    arqa- 

^'«iJ  .  .  .  .  o*  avfifiaxoi,  ravra  ög&VTsg  xal  äxovovreg,  dnoXinövreg 
Bv^avTiovg  inl  rag  avr&v  nargiSag  iaTslkovro.  Es  scheint,  daß 
dies  nicht  die  Belagerung  von  339  Ol.  110  1  sein  kann,  denn  damals 


168  Demosthenes 

waren  die  Athener,  Chier,  Rhodier,  Perser  u.  s.  w.  Bundesgenossen  von 
Byzanz,  und  gegen  deren  Beistand  konnte  der  der  benachbarten  Städte 
für  ganz  unbedeutend  gelten,  wenn  dieselben  überhaupt  noch  Yon 
Philippos  unbewältigt  waren.  Wichtiger  ist  die  wenn  auch  unklare, 
doch  aus  trefflicher  Quelle  stammende  Angabe  bei  Justin  (IX  1,  2fL): 
Byxantium,  nobilem  et  maritimam  urbem  —  daudentem  sibi  portas  ob- 
sidione  Philippiis  einxit  ....  Igitv/r  longa  obaidionis  mora  exhuustus, 
pecunia  oommeroium  de  piraiica  mutiuitur.  Captis  üaque  oenium  septua- 
ginta  navürns  mercibusqus  distractis  anhdarUem  inopiam  pavUulum  recre- 
avit  Deinde  ne  univs  urbia  oppugnatione  tantus  exerdtus  teneretur,  profedus 
cum  fortissimis,  miUtas  Chersonensi  urbes  expugnai;  fUiumque  Alexandrum, 
decem  et  ocio  annos  natum,  ad  se  araessit.  Hieraus  ersieht  man,  daß 
schon  vor  dem  Plünderungszuge  nach  dem  Chersones  Byzanz  belagert 
war,  und  doch  ging  nach.  Dem.  v7ti()  Krija.  §  139  dieser  Zug  der 
Kriegserklärung  der  Athener  und  der  bekannten  Belagerung  von  Byzanz 
(339  Ol.  110  1)  vorher.  Die  Angabe  Justins  über  Alexandres  Alter 
ist  fehlerhaft;  richtiger  sagt  Plutarch.  (Alex.  c.  9)  (I^iXinnov  (rr^a- 
TBvovTO^  kni  Bv^avTiovg  Jjv  fxev  hcxaiSexinji^  6  !/4Xe^avSQog,  was 
ebenfalls  die  Chronologie  des  Krieges  bestätigen  könnte,  wenn  es  nicht 
so  oberflächlich  gesagt  wäre.  Endlieh  gehört  eben  hierher  Frontin 
I  3,  4:  Byxanili  adversus  Philippum  omne  proeliandi  discrimen  vitarUes, 
omissa  etiam  finium  tutela  (das  ist  eben  das  oben  genannte  ^daraxo^;) 
intra  munitiones  oppidi  se  receperunt  asseoutiqiie  sunt,  ut  Pküippus  oh- 
sidionalis  morae  impatiens  recederet;  bei  der  späteren  Belagerung  war 
vielmehr  das  Einrücken  der  attischen  Hilfsmacht  unter  Phokion  das 
Entscheidende  (Plut.  Phoc.  14).  Endlich  bekommen  aus  diesen  Zu- 
sammenhängen die  Worte  in  der  dritten  Philippischen  Rede  §  35  ^n) 
Bv^avTiovg  7io()eveTut  und  in  der  vom  Chersones  §  66  xal  vDv  ijii 
Bv^ävTiov  naQiövTO^  und  §  18  r/  S'  &v  tcn^Xd-cov  kx  0()^xi]<;  xat 
[717]  ni]Si  nQog^XO-ojv  Xe^(}OVfirTq)  firjdk  Bv^cevriw  änl  XaheiSa 
Vjxy  X  T  l,  diese  Äußerungen,  sage  ich,  bekommen  erst  ihren  Sinn, 
wenn  sie,  im  Winter  34^/^  und  im  Frühling  341  gesprochen,  wenige 
Monate  und  nicht  anderthalb  oder  zwei  Jahre  später  erst  wahr  ge- 
worden sind. 

Sind  diese  Combinationen  richtig,  so  bekommt  allerdings  der  Krieg 
mit  Byzanz  eine  sehr  andere  Gestalt,  als  er  bei  unseren  Historikern 
zu  haben  pflegt.  Beginnend  mit  dem  Herbst  341  (bald  nach  Anfang 
des  Archonten  Nikomachos),  hält  er  sich  der  Hauptsache  nach  um 
Byzanz,  das  durch  seine  überaus  günstige  Lage  von  der  Landseite  nur 
durch  ein  /a^äxcofia  gesperrt,  von  der  Seeseite  nur  durch  eine  über- 
legene Seemacht  gefährdet  werden  kann.   Daher  des  Philippos  Bemühen, 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  169 

Byzanz  zu  vereinzeln;  daher  seine  Verbindung  mit  den  ApoUoniaten 
(Justin.  IX  2,  1),  daher  sein  mit  aller  Macht  ausgeführter  AngriJBT  auf 
Perinthos,  die  mächtigste  unter  Byzanz  Verbündeten,  und  jene  Be- 
lagerung, die  Diodoros  mit  so  unverhältnismäßiger  Ausführlichkeit 
eicerpiert  und  dadurch  die  unrichtige  Ansicht  veranlaßt  hat,  als  ob 
sich  der  Krieg  anfangs  ganz  auf  Perinthos  und  von  dort  erst  nach 
Byzanz  gewälzt  habe.  Da  sich  das  große  Fragment  aus  dem  Anfang 
des  49.  Buches  des  Theopompos  bei  Athen.  IV  S.  166  und  Polyb. 
VIII  1 0  flF.  auf  die  Zügellosigkeit  in  des  Philippos  Umgebung  und  seine 
Terschwenderische  Art  mit  Geld  zu  wirtschaften  bezieht  {^nei  hyxQccrri^ 
%oXX&v  iyivero  XQVf^^'^f^'^  ovx  ävcikmaev  avrä  raxicjg,  äkX  k^ißaXt 
xai  ^QtxpBv)j  so  muß  dergleichen  allgemeine  Schilderung  doch  von 
der  Enählung  eines  bestimmten  Factums  veranlaßt  sein;  ich  glaube 
darin  die  oben  aus  Justin  angeführte  Plünderung  der  170  Schiffe  und 
das  anhelantem  inqpiam  pauMvlimi  recreavit  zu  erkennen,  und  bin  der 
Meinung,  daß  dieselbe  in  das  Frühjahr  340  gehört;  denn  longa  obsi- 
dionis  mora  exkaustus  kann  der  König  doch  nicht  im  Herbst  341,  wo 
die  Belagerung  von  Byzanz  erst  anfing,  genannt  werden.  Wir  haben 
früher  bemerkt,  daß  im  51.  Buch  des  großen  Geschichtswerkes  von 
der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  339  die  Rede  war;  wir  fanden  das 
48.  Buch  bis  zum  beginnenden  Krieg  mit  Byzanz,  Herbst  341,  fort^ 
geführt,  aus  dem  49.  Buch  wird  der  Name  einer  thrakischen  Völker- 
schaft erwähnt;  aus  dem  Anfange  des  50.  Buches  haben  wir  eine 
Charakteristik  des  Philippos,  die  sich  der  Erzählung  von  den  Kapereien 
im  Frühjahr  340  angeschlossen  zu  haben  scheint.  Nun  wird  aus  dem 
50.  Buche  erwähnt  Ka^bq  xfjnot  •  x^Q^^'^  0Q(ixi]g  (bei  Steph.  Byz.  v.), 
offenbar  derselbe  Ort,  den  Polyän  (IV  2,  20)  Käoag  öxvqov  /cöp/or 
nennt  und  von  dem  er  erzählt,  wie  Philippos  noXioaxcov  x(>^^(p  fiaxQco 
ihn  nicht  habe  einnehmen  können  und  sich  deshalb  mit  einer  Kriegslist 
ungestörten  Abzug  verschaflFt  habe.  Dieser  Ort  liegt  zwischen  Mesem- 
hria  und  Kallatia,  so  daß  man  denken  könnte,  der  König  habe  ihn 
auf  dem  Skythenzuge  im  Vorbeigehen  angegriffen;  aber  da  auf  diesen 
ganzen  Zug  nach  früheren  Bestimmungen  noch  nicht  drei  Monate  Zeit 
verwendet  worden  sind,  so  ist  das  unmöglich.  Ich  glaube,  daß  auch 
dieses  Unternehmen  gleichzeitig  mit  dem  gegen  Perinthos  und  Byzanz 
ist  und  also  in  das  Jahr  des  Theophrastos  3*^/3^  gehört. 

[718]  Philochoros  gab  unter  dem  Archon  Theophrastos,  der  mit 
dem  Sommer  340  beginnt,  an:  ^ni  rovrov  (t>iXm7tog  t6  iikv  TtQcoTov 
ävanhvaag  Il€QiV&(p  TioogißaXev  änorvxcjv  S'  kvrev&ev  Bv^ävriov 
hoh6ox€t.  Wichtig  ist  uns  die  Bezeichnung  ävanksvaag]  Philippos 
kam  von  der  Seeseite  und  zwar  vom  Hellespont  herauf,  wovon  freilich 


170  Demosthenes 

im  Diodoros  keine  Erwähnung  ist  Natürlich  ist  das  vor  den  Etesien, 
vor  dem  hohen  Sommer  340.  Den  Hellespont  hatten  ihm  die  Byzan- 
tier,  Khodier,  Chier  u.  s.  w.  gesperrt;  indem  er  den  Verbündeten  der 
Byzantier  ihre  gekaperten  Schiffe  zurückgab,  als  wolle  er  sich  durch 
sie  den  Frieden  mit  Byzanz  vermitteln  lassen,  gewann  er  bei  der 
Unachtsamkeit  der  Verbündeten  die  Einfahrt  in  den  Hellespont,  in 
angttstias  freti  imparato  hoste  evasit  (Frontin.  I  4,  13).  Die  Flotte  der 
Athener  wird  bei  dieser  Gelegenheit  nicht  mit  genannt.  Bereits  in 
der  dritten  Philippischen  Rede  §  7J  fordert  Demosthenes,  man  solle 
Gesandte  schicken  in  den  Feloponnes,  nach  Chios,  Rhodos,  an  den 
Großkönig;  dies  ist  gegen  Anfang  des  Jahres  341  gesprochen;  in  dem 
Herbst  desselben  Jahres  erfolgte  erst  der  Ausbruch  des  Krieges  zwischen 
Byzanz  und  Philippos,  und  da  der  König  nach  einer  bereits  sehr 
erschöpfenden  Belagerung  der  Stadt  eine  so  große  Zahl  Schiffe  zu 
kapern  vermochte,  scheinen  die  Seemächte  Rhodos,  Chios  u.  s.  w.  ihre 
Flotte  noch  nicht  mit  der  der  Byzantier  vereint  zu  haben;  doch  muß 
ihr  Beitritt  zur  Sache  der  Byzantier  bereits  erklärt  gewesen  sein,  indem 
sonst  des  Philippos  Kapereien,  die  ja  auch  ihre  Kauffahrtei  traf,  nicht 
wohl  zu  begreifen  wäre,  Wir  fanden  bereits,  daß  Philippos  mit  dem 
Sommer  340  seinen  verwüstenden  Einfall  in  den  Chersones  macht;  um 
dieselbe  Zeit  warf  er  sich  auf  Perinthos;  es  galt  eine  Station  für  die 
Flotte  in  der  Propontis  zu  gewinnen  und  die  für  Byzanz  nächste  und 
bedeutendste  Bundesstadt  zu  occupieren.  An  ihrer  Rettung  nahm, 
nach  Diodoros  ausführlicher  Darstellung,  der  Großkönig  den  lebhaftesten 
Anteil,  er  ließ  durch  Arsites,  den  Satrapen  am  Hellespont,  ein  Söldner- 
heer unter  dem  Athener  Apollodoros  zur  Unterstützung  der  gefährdeten 
Stadt  schicken  (Paus.  I  29,  10),  und  Byzanz  entblößte  sich  fast  von 
Vertheidigern  und  Streitmitteln,  jene  Stadt  zu  retten.  Hierauf  teilte 
Philippos  sein  Heer,  wie  Diodoros  sagt,  mit  einem  plötzlichen  Angriff 
Byzanz  zu  überrumpeln ;  man  sieht,  er  kehrte  in  die  schon  gewonnenen 
Positionen  vor  Byzanz  zurück,  er  belagerte  wenigstens  diese  beiden 
Städte  zu  gleicher  Zeit  (Diod.  XVI  77  r//v  nohogxiav  r&v  nöX^ayv). 
Es  ist  sehr  übel,  daß  wir  nicht  hinlänglich  genau  die  Zeit  und 
die  Art  der  Teilnahme  Athens  an  diesen  Kriegen  zu  erkennen  ver- 
mögen. Jedenfalls  forderte  Demosthenes  bereits  im  Winter  34^1,  man 
solle  dem  Heere  im  Chersones  Geld  schicken  und  Diopeithes  auf  alle 
Weise  unterstützen,  denn  der  angeblich  noch  bestehende  Friede  (des 
Philokrates)  sei  für  Philippos  nur  ein  Vorwand,  um  Athen  mit  desto 
besserem  Erfolge  zu  bekämpfen  (Phil.  III).  In  der  Rede  vom  Cher- 
sones (Frühling  341)  ist  bereits  Unterhandlung  mit  Byzanz  versucht 
worden,  aber  umsonst.   Diopeithes  hat  den  Thrakiern  Beistand  geleistet 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  171 

und  von  Athen  nicht  unterstützt  durch  Kapereien  und  Erpressungen 
seine  Heeresmacht  unterhalten  müssen.  [719]  Philippos  hat  darüber 
eine  sehr  ernstliche  Note  an  Athen  geschickt  und  namentlich  erklärt, 
er  werde  die  Chersonesiten  züchtigen,   er  fordere  Bestrafung  des  Dio- 
peithes,  der  den  Frieden  gebrochen  habe.     Demosthenes  verlangt  von 
neuem,  man  solle  Diopeithes  unterstützen,  um  dem  König  zu  begegnen, 
so  lange  er  noch  in  Thrakien  zu  thun  habe,  man  solle  durch  den  Frieden 
nicht  femer  sich  hemmen  lassen,   der  schon  langst  von  dem  Könige 
gebrochen  sei.     Demosthenes  sagt  in  der  Rede  für  Ktesiphon  §  244: 
ovSapLOv  jrö>;ror€,  Ünot  nQStrßevTfjg  knkfi<p&t]v  vfp  vfiöHv  hydj,  ;/rT7;i9"€/^ 
cc^Tikß-ov  T&v  nuQa  (I^ih'nnov  nQeaßecov,  ovx  ix  OerTahag,   ovx  h^ 
jt^ißQaxia^y    ovx  ^|  'IkXvotcDv,    oi)  nuQU  röv  Qg^x^iv  ßatrilemv 
ovx  ix  Bv^avTtov  x  r  X;   da  Demosthenes  nichts  von  diesen  ersten 
zwei  Gesandtschaften  in  der  Rede  vom  Chersones  erwähnt,  müssen  sie 
nach  dem  Frühling  341  gemacht  sein,  und  mit  dem  Herbst  desselben 
Jahres  waren  die  thrakischen  Fürsten  bereits  unterworfen.   Ferner  sagt 
Demosthenes  vnig  Krtifr.  §  87  vom  Philippos:  ßovlöfisvoi;  rfjg  (tito- 
nofjiniag  xvoioi^  yeviad-ai  naQek&d)v  inl  0Q^X7jg  Bv^ccvrtovg  avfxfia- 
Zovg  Övrag  avrq)  ro  fiiv  noCjTOV  ii^iov   (TVfinoXEfXBiv  röv  TiQog  vfuc^g 
:zö}^lnov,  cug  S'  ovx  i'i&ü^ov  ovo'  km  rovrotg  iffaaav  ri/V  (TVfifiaxiccv 
:z€7ioifl(r&aij  kiyovreg  äXijkf-Tiy  /cf(>ax(yjM«  ßaköfievog  ....  inoXiÖQxei. 
Wenn  jemals,   so  war  da  Gelegenheit,   daß   sich   die  Gesandten   des 
Philippos  mit  Demosthenes  in  Byzanz  begegneten,   und   eben   dieser 
Weigerung  der  Byzantier  allein  konnte  der  Krieg,  der  im  Herbst  341 
seinen  Anfang  nahm,   folgen.     Wir  haben  gesehen,   daß  damals  noch 
nicht  sofort   eine  Verbindung   zwischen  Athen   und  Byzanz   erfolgte, 
wohl  aber  werden  die  Athener  dem  Chersones  Unterstützung  zugesendet 
haben  (Dem.  vTtio  KrijfT,  §  80  rovg  äitocnö'kovg  ünavrag  änifrrBiXu, 
xa^'  ovg  Xe^QÖvtjfTog  i(T(üi%j  xcci  rö  Bv^uvriov  xai  nävrsg  oi  (tv^- 
fjtcexoi),  indem  sonst  nicht  abzusehen  wäre,  warum  Philippos  nicht  nach 
Bewältigung  von  Thrakien  von  Kardia  aus  den  Chersones  occupierte; 
ihn  mußte  eine  bedeutende  Streitmacht,  die  dort  vereinigt  war,  hindern. 
Vergebens  wurde  in  Athen  durch  Python  und  die  Gesandten  der  Ver- 
bündeten des  Philippos  unterhandelt  (denn  hierher  ist  Demosth.  v;r€(> 
KT7]f7.  §  136  zu  ziehen);   mit  dem  nächsten  Frühjahr  340  erfolgen 
die  mehrfach  erwähnten  Kapereien  des  Philippos  {xal  fiiv  ri^v  elo/jvrjv 
y   ixeivog  äXvae  rä  nXota  Xußct)v  Dem.  vnho  Kr^jfT,  §  73),  endlich  die 
Kriegserklärung  infolge  jenes  Brietes  voll  Beschwerden,  den  Philochoros 
(bei  Dion.  ad  Am.  I  11)  erwähnt,  und  an  dessen  Stelle  der  gut  com- 
ponierte,  aber  nicht  authentische  Brief,  der  unter  Demosthenes  Reden 
steht,  auf  unsere  Zeit  gekommen  ist.   Auf  Demosthenes  Antrag  wurde 


172  Demosthenee 

die  Säule  des  Friedens  umgestürzt,  des  Friedens,  der,  nach  Dionys. 
a.  a.  0.  inraerf)  xQ^'^ov  „vom  Archon  Themistokles  bis  zum  Nikomachos 
gedauert  hatte  und  unter  Nikomachos  Nachfolger  Theophrastos  auf- 
gehoben wurde".  Ist  diese  Angabe  nur  einigermaßen  genau,  so  muß, 
da  der  Friede  des  Philokrates  erst  gegen  Ende  des  Jahres  Themistokles 
(Frühling  346)  geschlossen  worden,  die  siebenjährige  Zeit  [720]  wenig- 
stens über  die  ersten  Monate  des  Jahres  Theophrastos  hinausreichen. 
Demosthenes  §  139  sagt:  knaiStj  (pavsQCjg  ^jSt]  rä  nXoTa  ^(TsavXfjro 
(Frühjahr  340),  X6^(}6vrifrog  inoo&eiTO  ....  ovxir  kv  äfA^i(TßrjTi](TiiJua 
rä  TtQäyjj^ar  tjv,  dkX  ^vedTj^xei  Ttöksfiog  x  r  X\  also  die  Kriegserklä- 
rung erfolgte  auch  nach  dem  Plünderungszuge  durch  den  Chersones, 
und  den  fanden  wir  oben  als  dem  Sommer  340  angehörend,  als  Phi- 
lippos von  der  schon  zu  lange  währenden  Belagerung  von  Byzanz  auf- 
brach, um  dieselbe  Zeit,  als  er  sich  gegen  Perinthos  wandte.  So  scheint 
alles  dafür  zu  sprechen,  daß  die  Kriegserklärung  Athens  etwa  mit 
dem  Herbst  340  erfolgte.  Plutarchos  (Phoc.  14)  sagt:  knü  di  fjLsydXa 
raTi^  iXnifTi  neotvordv  6  <l>ih7t7tog  c/t;  'EXh'jfTnovrov  rj^d-B  furä  Tiätrrjg 
Tfiq  Svvä/jiecog  (dies  ist  das  ävcenXevfrag  des  Philochoros,  im  Sommer 
340)  cbg  Xe^QÖvj]f70v  kv  rccinp  xai  IHQtvd-ov  l^^cov  xal  Bv^ävriov, 
(üQfirjfievmv  Si  t6)v  !A&r}vai(av  ßo7]d-6iVy  oi  p/jTOQeg  (gewiß  Demosthenes 
besonders,  der  stets  für  Chares  war)  iiyojviaavro  rov  XÜ()7]tcc  ar^a- 
T7jydv  ünocFTCcXTiVai  j  xal  nkevrrag  ixeivog  ovSiv  ä^iov  rTjg  Svpdfi€0)g 
MQarrtv j  ov(T  al  Ttökstg  hSixovro  rbv  (ttöXov,  ciXX  vnonrog  Av 
Tiäaiv  kiiXaväro  XQi]fxaTtl^6iiBVog  äiib  rCjv  (TVfiiadxcjv  xal  xaxatpQO- 
vov/jtevog  vnb  rcDv  7to?,efxi(ov,  Dies  scheint  wohl  noch  in  den  Spät- 
herbst 340  zu  gehören,  während  die  darauf  erwähnte  Aussendung  des 
Phokion  mit  dem  nächsten  Frühjahre  erfolgt  sein  mag. 

[799]  Jetzt  endlich  können  wir  zu  den  Aktenstücken,  die  sich  auf 
diesen  byzan tischen  Krieg  beziehen,  übergehen.  Es  handelt  sich  zu- 
nächst darum  nachzuweisen,  daß  nicht  Athen,  am  wenigsten  durch 
Demosthenes  veranlaßt,  sondern  Philippos  den  Frieden  gebrochen  hat 
Kc4i  fi)jv,  sagt  Demosthenes  §  73,  r//i/  B}Qi]iniv  y  ixeTvog  'ikvae  tu 
nXolu  Xcißfov,  ovx  h  TtöXig,  ^4i(TXtvfj,  (l^iQe  Öe  ccvrä  rcc  ifßtjtpifrfjuxTa 
xai  Ttjv  krcifTToVitV  rtjV  rov  <l>tli7Tnov  xat  XiyB  i(ps^f]g'  äno  yä{) 
roifTfoVj  rig  rlvog  aYriög  ifrrt  yev/jfTerai  (pavsQÖv  kiye.  Man  wird 
nach  den  bisherigen  Darstellungen  wohl  nicht  anders  erwarten,  als 
daß  es  sich  um  attische  Schiffe  handelt,  die  Philippos  im  Frühjahr 
340  bei  der  mehrfach  erwähnten  Kaperei  aufgebracht  hat;  auch  heißt 
es  §  139  von  demselben  Anfang  des  Krieges  knetSfi  (faveQcüg  ¥]Si]  rä 
nkoTa  kfrefTvkfjTO. 

Gleich  das  erste  Bedenken,  was  gegen  die  zwei  Decrete  (§  73 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  173 

und  75)  und  den  Brief  des  Philippos  (§  77)  geltend  gemacht 
werden  muß,  betrifft  den  geschichtlichen  Inhalt:  zwanzig  attische  Schiffe, 
bestimmt  zur  Eskorte  der  Getreideschiffe,  sind  von  Philippos  aufgebracht 
worden  und  werden  von  den  Athenern  zurückverlangt,  worauf  Philippos 
erklärt,  er  müßte  sehr  dumm  sein,  wenn  er  nicht  hätte  merken  sollen, 
daß  die  Schiffe  eigentlich  den  Seljmbrianem  zu  Hilfe  gesendet  seien, 
aber  er  schicke  sie  ihnen  zurück  u.  s.  w.  Wir  wissen  aus  sonstiger 
geschichtlicher  Überlieferung  zwar  nicht,  daß  Selymbria  von  Philippos 
belagert  worden,  aber  daß  es  geschehen,  ist  sehr  wahrscheinlich,  da 
diese  Stadt  seit  dem  Bundesgenossenkriege  von  den  Byzantiem  besetzt 
war  (Dem.  nsQi  rfjg  Tod.  Hbvö-.  §  26).  Bedenklicher  schon  ist,  daß 
Athen  der  von  Byzantiem  besetzten  Stadt  sollte  Hilfe  geleistet  haben, 
bevor  der  Krieg  erklärt  und  mit  Byzanz  Verbindung  geschlossen  war. 
Das  Wichtigste  [800]  aber  ist,  daß  nach  Demos thenes  Aussage  dies 
Rauben  der  Schiffe  endlich  den  Krieg  zum  Ausbruch  brachte,  während 
nach  Philippos  Brief,  wie  wir  ihn  vor  uns  haben,  den  Athenern  die 
Schiffe  zurückgestellt  und  damit  aller  Anlaß  zum  weiteren  Kriege  ver- 
mieden wurde;  auch  sagt  Demosthenes  ausdrücklich  in  Beziehung  auf 
den  Brief:  ovS'  6  (I^iktnitog  oiShv  alrißrat  kjj^k  vitig  rov  nokifiov, 
iriootg  kyxaX&v]  doch  davon  nachher  mehr. 

Der  erste  Beschluß  der  Athener,  des  Inhalts,  daß  man  wegen  der 
Wegnahme  der  Schiffe  an  Philippos  Gesandte  schicken  wolle,  ist  datiert 
iiti  äQxovToq  JVeoxkiovg,  fjLfjvdg  BoijSQOfii&vogj  k.xxXrjma  <TvyxX7]Tog 
vnb  (noaT7]y(ov,  EvßovXog  Mv7j<Ti&iov  Köngiog  elTtev.  Der  Pseude- 
ponymos,  den  wir  hier  in  der  schon  sonst  bemerklich  gemachten 
anrieh tigen  Wortstellung  finden,  kann  uns  nicht  mehr  als  Prytanien- 
schreiber  angerühmt  werden,  sondern  muß  bereits  als  Zeichen  ent- 
schiedener Unechtheit  in  Anspruch  genommen  werden.  Mag  bei  firjvdg 
BoriSQoijLici>vog  immerhin  durch  den  Abschreiber  die  Zahl  des  Tages 
ausgefallen  sein,  so  bleibt  doch  die  wesentlichste  Bedenklichkeit  übrig, 
wenn  anders  unsere  obigen  chronologischen  Bestimmungen  einige  Wahr- 
scheinlichkeit haben.  I)aß  die  Strategen  allein  ohne  Zuziehung  der 
Piytanen  das  Volk  berufen  haben  sollten,  scheint  eher  gegen  als  nach 
dem  Sinn  der  attischen  Demokratie  zu  sein;  jedenfalls  wird  es  in  Frage 
gestellt  bleiben  müssen,  bis  es  durch  sichere  Beispiele  garantiert  ist. 
Denn  bei  Thukyd.  IV  118  soll  die  Ekklesie,  in  der  über  den  Frieden 
beraten  wird,  von  den  Prytanen  und  Strategen  berufen  werden,  und 
dies  scheint  die  notwendige  Form  für  außerordentliche  Versammlungen 
zu  sein,  daß  der  Beamtete  die  Versammlung  durch  die  Prytanen  und 
mit  ihnen  gemeinsam  beruft;  dies  vereinigt  sich  sehr  gut  mit  Thukyd. 
II  59,  wo  es  heißt,  daß  Perikles  das  Volk  berief  in  ä'  i(TT()aT^yei 


174  Demosthenes 

und  III  36  naQBfTXBvaaav  rov^  äv  rikei,  axTTS  ccvd-t^  yvfoyia^  noo- 
xHivatj  wo  der  Scholiast  bemerkt:  rov^  GXQuriiyov^  liyet  rov^  h 
rikai'  ovroi  yäg  awTiyov  rijv  kxxXrjffiav.  In  beiden  Stellen  war  es 
nicht  nötig,  von  den  Prytanen  ausdruckliche  Erwähnung  hinzuzufügen, 
da  8ich  das  von  selbst  verstand;  eine  Erklärung,  die  auf  ein  officielle^ 
Aktenstück  keineswegs  anwendbar  ist. 

[801]  Besonders  ist  Evßovko<;  MvijfTiß-iov  Kdngtoq  elnev 
für  die  Kritik  dieses  Aktenstückes  interessant.  Daß  Demosthenes,  wenn 
er  dies  erste  Psephisma  das  des  Eubulos  nennt  (§  75),  keinen  anderen 
als  den  berühmten  gemeint  hat,  ist  aus  dem  Zusammenhange  voll- 
kommen klar  (vgl.  §  70.  75.  76.  162),  der  aber  ist  Anaphlystier,  wie 
Plutarchos  [noXir.  nuQuyy.  c.  15),  freilich  aber  auch  nur  der  bezeugt: 
doch  die  von  ihm  angeführten  Einzelheiten  lassen  an  der  Identität 
der  Person  nicht  zweifeln,  und  für  die  Richtigkeit  der  Benennung  bürgt 
die  Genauigkeit,  mit  der  jen«r  Aufsatz  gearbeitet  ist  Freilich  in  dem 
Plutarchischen  Leben  der  zehn  Redner  (S.  373  ed.  R.)  heißt  es  von 
Aischines  Prozeß  über  die  Truggesandtschaft  cWia  gvvu%6vto^  cevno 
EifßovXov  Tov  ^Sniv&ccQov  IlQoßa?*t(Tiov  SrjfjLccycoyoüvrog  rata- 
xovra  yj7'jq)0ig  änitpvytv.  Daß  diese  Notiz  zum  Teil  von  dem  Lampsa- 
kener  Idomeneus  herstammt,  ergiebt  sich  aus  Plutarchs  Biographie  des 
Demosthenes  c  15,  wo  sich  indes  nicht  jene  genauere  Nennung  des 
Eubulos  findet:  und  daß  der  gemeinte  Eubulos  kein  anderer,  als  der 
Anaphlystier  ist,  ergiebt  sich  aus  dem  bekannten  Verhältnis  des  Aischines 
zu  ihm  und  aus  der  Bemlxing  auf  den  Freund  am  Ende  der  Rede 
ntQl  7ta(}(X7t()B(Tß.  §  184  naQccxaXüj  8i  EvßovXov  fiiv  he  T(t)v  Ttoliti- 
K&v  xai  (7(a(p()öpcov  üvSqCjv  (Tw^yo()ov,  <Po)xi(ova  Sk  x  r  h  Aller- 
dings wird  Eubulos  der  Probalisier  als  Zeuge  aufgeführt  in  der  Rede 
xccTÜ  NaatQ.  §  48.  Daß  aber  des  Spintharos  Sohn  bei  Pausan.  I 
29,  10  derselbe  mit  diesem  Probalisier  ist,  erscheint  vollkonmien  un- 
möglich, so  bequem  es  durch  die  Stelle  der  X  Oratt.  vermittelt  zu 
werden  scheint  Denn  in  der  Stelle  des  Pausanias  ist  die  Rede  von 
den  Begräbnisstätten  des  Eubulos  und  derjenigen  Männer,  die  im  Kampf 
gegen  Lachares  (Ol.  121  1)  und  bei  der  xardkrj^pig  des  Pelraiens 
(Ol.  122  1)  gefallen  waren  (s.  Geschichte  des  Hellenismus  I  S.  567, 
587  I*  2  S.  252,  272),  das  Zeugnis  in  der  Rede  gegen  die  Neaira  dagegen 
bezieht  sich  auf  eine  sechzig  Jahre  frühere  Zeit  und  die  Identität  dieser 
beiden  Eubulos  ist  somit  vollkommen  unmöglich.  Wir  finden  in  De- 
mosthenes Rede  xarä  Kövmvog  §  8  in  einer  vornehmen  Trinkgesell- 
schaft (um  Ol.  109)  auch  den  Spintharos  Eubulos  Sohn  genannt;  man 
wird  nicht  zweifeln,  daß  dieser  der  Vater  des  etwa  zwölf  Olympiaden 
[802]  später  im  Kampf  gegen  Lachares  und  die  Makedonier  gefcJlenen 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  175 

Eubulos  ist;  ebenso  wahrscheinlich  dürfte  es  sein,  daß  dieses  Spintharos 
Vater  eben  der  berühmte  Eubulos  ist.  Hätten  wir  Sicherheit  für  diese 
Vermutung,  so  könnte  der  Bedner  Eubulos  nur  wieder  der  Sohn  jenes 
Spintharos  sein,  von  dem  Aristophanes  in  der  ersten  Parabase  der 
Vögel  sagt  bI  Si  rvyxccvBi  xiq  &v  0(>v|  ovSiv  }]ttov  2'Jiivd'aQov 
(t.  762),  denn  natürlich  nur  Tornehme  Leute  lohnt  es  so  als  Ein- 
dringlinge und  geborene  Sklaven  zu  verdächtigen.  Ob  der  schlechte 
Tragiker  mit  in  diese  Familie  gehört,  läßt  sich  nicht  sagen. 

Jedenfalls  ist  der  in   unserem  Decret  für  den  berühmten  Ana- 
pUystier  genannte  Koprier  ein  Pseudonymus  und  der  Vater  Mnesitheos 
nicht  minder.    Nicht  als  ob  wir  des  Namens  nicht  mehrere  Athener 
kennten;  hat  der  Yerfertiger  den  Namen  aus  seiner  Rednerlektüre,  so 
mochte  ihm  der  Zenge  ans  der  Midiana  §  82  {Mvijfrii^eog  !Akcj7texrji^6v) 
oder  der  Myrrhinusier  aus  Aischines  xarä  TifiäQx*  §  98  oder  6  tov 
HicyhiQov  xakovfiBvog  ebenda  §  158  vorschweben;  doch  ich  glaube  eher, 
daß  der  Name  selbständig  erfunden  ist.    Man  würde  die  ältere  Lesart 
KifnQiog  nicht  in  Köngiog  (s.  die  schöne  Erläuterung  Böckhs  zum 
Corp.  Inscr.  Gr.  I  S.  216)  verändern  dürfen,  wenn  nicht  die  besten  Hand- 
sdiriften  so  hätten ;  zu  hoch  aber  darf  dem  Yerfertiger  unseres  Decretes 
diese  Gelehrsamkeit  nicht  angerechnet  werden,  da  sich  ein  Name  wie 
Uistgau  seiner  Absonderlichkeit  wegen  dem  Gedächtnisse  schon  einprägt. 
Als  derjenige,  welcher  die  von  den  Makedoniern  aufgebrachten 
zwanzig  Schiffe  kommandierte,   wird  in  unserem  Decret  nicht  genau 
derselbe  Name  genannt,   wie  in  des  Philippos  Brief;   in  diesem  hat 
Bekker  AaofiiSayp]  cod.  JS  liest  Aaofiivcov,  andere  AaoScifuov,  Aea}- 
ädfiag]  in   unserem  Decret   hat   Bekker  AeaiSäfiavru   ohne  Varietät 
seinerCodd.,  andere  Handschriften  haben  AaofjLiSovra,  AaodäfiavTccxi.  s.  w. 
Aq8  dieser  bunten   Beihe  von  Namen  ist  allerdings  Leodamas   der 
Aehtmer  (Aischin.  xarä  Krrja,  §  138),  der  Bruder  des  Euaion  (Dem. 
xccTcc  MiiS.  §  71)  sehr  bekannt,  aber  als  Bedner,  nicht  als  Feldherr; 
derselbe  fiel  bereits  zehn  Olympiaden  vor  dem  hier  besprochenen  Er- 
eignis bei  der  Dokimasie  zum  Archonten  durch  (s.  Hoelscher  de  vita 
^  8cry[>Hs  Lysiae  S.  108),   so  daß  es  doppelt  unbequem  ist,   sich  ihn 
als  Nauarchen  Ol.  109  4  zu  denken. 

Wenn  als  der  makedonische  Nauarch,  der  die  attischen  Schiffe 
aufgebracht  hat,  Amyntas  genannt  wird,  so  [803]  ist  der  Name  häufig 
genug  unter  den  Makedoniern,  und  des  Balakros,  des  Sostratos  Vater 
nnd  mancher  andere  Amyntas  noch  könnte  wirklich  damals  des  Phi- 
Uppos  Flotte  gefuhrt  haben. 

Außer  den  Personalien  dieses  Decretes  bieten  mehrere  Einzelheiten 
'loch  Auffellendes  dar.  Zu  den  Worten  knatStj  nQogtiyytiXav  oi  ar^a- 


176  Demosthenes 

Tfjyol  .  .  .  «e  äQa  .  .  Gxütfjti  sYxomv  ....  Idixvvraq  xaray^iox^v  tlg 
MaxtSoviav  bemerkt  der  hochverehrte  Schäfer:  äQa]  malim  omissum. 
In  psephismati  quidem  sie  posititm  habet  quod  parum  placeat;  und  zu 
xaray'ijoxBv]  cod,  Bekk.  de  melioribits  xarcc/BioxsVj  quae  forma  videtttr 
satis  notabüis.  Etym.  M.  c.  9.  33  ro  fiivroi  äyeioxa  Boimrojv 
ä(7Ti  TQoitfj  Tov  t}  Big  t?jv  si  Siff&oyyov.  Jedenfalls  führt  Phrynichas 
die  Form  xarccytjöxccai  aus  Lysias  an.  Nicht  ohne  Anstoß  liest 
sich  (Txd(p7i  in  dieser  Stelle,  wo  man  %h}ia  oder  tQi/jQeig  erwarten 
würde,  da  axätpri  etwa  in  der  Weise  modificiert  ist,  wie  in  unserer 
Schiffersprache  der  Ausdruck  „Gefäß".  Doch  bin  ich  hier  vielleicht 
zu  weit  gegangen.  Ungleich  auffallender  ist  hmii%kri&fivai  rovg  ^ov- 
rdvstg  xul  rovg  arQccrrjyovg  Ö^cog  i]  ßovDj  GwaxO-Giai  xal  aioE- 
&öj(n  TiQiaßstg  ngog  <l>iXt7i7iov,  Diese  Verbindung  des  allerdin^rs 
coUectiven  ^  ßovki]  mit  dem  Plural  ist  den  Kritikern  so  aufifallend 
gewesen,  daß  die  einen  jj  ßovXij  xal  6  STj/iog,  die  anderen  nicht  minder 
willkürlich  awaxO'fj  mit  wertlosen  Handschriften  schreiben  wollten. 
Jedoch  ließe  sich  diese  Härte  noch  rechtfertigen;  so  heißt  es  in  einem 
Zeugnis  in  der  Midiana  §  168  navxbg  rod  aröXov  nXaövrojtf  iv 
ra^Btj  und  Dorville  citiert  zum  Chariten  S.  353  die  Lysianischen 
Worte  rijv  ßovlijv  —  dtiaavrag.  Das  bei  weitem  Auffallendere  ist, 
daß  Prytanen  und  Strategen  den  Rat  versammeln  sollen,  während  doch 
die  Bestimmung  lautet:  oi  ngyravtig  rijv  ßovXi/v  (rvväyovai  dtn'r 
fiegai  TtXijv  &v  äcptrög  rig  tj  PoUux  VIII  95;  wozu  dann  noch  das 
^mfiskfjd-fjvai,  wozu  die  Strategen  außer  den  Prytanen?  Auch  ist  es 
wohl  nicht  das  gewöhnliche,  daß  die  Gesandten  vom  Rat  erwählt 
werden  (s.  Schoemann  de  com.  S.  282). 

Ich  weiß  nicht,  ob  ich  zu  weit  gehe  das  Verbum  fUfi\f)inotQBiv 
auffallend  zu  finden;  wenigstens  beliebt  ist  es  erst  in  der  späteren 
Gräcität  und  der  küi^Qiog  xpöyog  (denn  so  erklärt  das  Wort  Clemens 
Alex,  paedag.  I  80),  will  auch  nicht  recht  nach  einem  officiellen  Akten- 
stück schmecken. 

Von  besonderer  Schwierigkeit  endlich  sind  die  Schlußworte  des 
Deorets,  zu  deren  Erklärung  wir  wenigstens  die  Übersicht  der  ganzen 
Construction  geben  müssen:  Evßovkog  eine  ....  kTtifieXrj&fjvai  roiv 
nQvrävBig  xal  rovg  (TTQavTjyovg  8^(og  ....  noefißeig  aiQtd'&aij  .  . . 
ot  StaXi^ovrai  nsgl  tov  x  t  A,  xal  sl  fdv  St  äyvoiav  ravra  nenoifixev 
6  !AyivvTagj  Öri  oi>  fiBfjLxfJifioiQsT  6  dflfnog  ovSiv  el  äi  ri  nXtjfifieXovvrce 
nagä  rä  inearaXfiiva  kaßthv,  Sri  iTiiaxBifjäfjievoi  lA&i]vaioi  hniri^i'}- 
rrovai  xaxä  rtjv  r^^  öXiytoQiag  cc^iav  ■  %l  8k  firjSezBQOV  rovxcov  iffriv^ 
älX  iSi^  äyvoopLOvovaiv  ^  6  d7to(TTeiXag  f)  6  dnecTTaXfiivog,  xat 
TOVTO  yQdyjai  kiyeiVy  iva  aia&avöfievog  6  Sfjfiog  ßovkevafjrat,  ri 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  177 

fe"  noiBiv,    Die  [804]  unterstrichenen  Worte  sind  nach  Bekkers  Text, 

aber  sie  haben  mannigfache  Abweichungen  in  den  Lesarten;   cod.  2 

hat  mit  einigen  anderen  Handschriften  bloß  xal  Uyttv^  andere  xa) 

yodipai  Xiysiv,  andere  lassen  das  Ganze  fort.    Nimmt  man  die  Lesart 

Bekkers,  so  steht  entweder  yQÜifjai  parallel  mit  i7iifisX7]d-f)vcct,   und 

das  könnte  dann  nur  heißen,   die  Prytanen  sollen  in  die  Instruction 

schreiben,  daß  die  Gesandten  oder  gar,  daß  Philippos  auch  dies  sagen 

solle,  eine  höchst  verkehrte  Ausdrucksweise!  —  oder  es  hängt  Uyeiv 

ziemlich  locker  ab  von  StaXe^ovrai,  die  Gesandten  sollen  dem  König 

sagen,  auch  dies  zu  schreiben,  in  freilich  sehr  handgreiflicher  Beziehung 

aaf  den  gleichfolgenden  Brief  des  Königs,  wenn  es  nur  nicht  so  übel 

ausgedrückt  wäre;  xai  tovto  Uyeiv  würde  bequemer  den  entsprechenden 

Sinn  geben.    Dissens  Erklärung  giebt  auch  kein  genügendes  Resultat, 

er  lässt  sein  xai  tovto  yQd'xfJcii  von  alifSi^cDai  abhängen,   so  dass  es 

in  ziemlich  lockerer  Weise  dem  ohiveg  StaU^ovTai  entspricht;   aber 

abgesehen  von  der  Nachlässigkeit  der  Structur,  bleibt  das  xai  in  dieser 

Erklärung  unerklärlich,  da  die  Gesandten  ja  eben  in  den  beiden  anderen 

Fällen  nicht  auch  zurückschreiben,  sondern  Auftrag  erhalten,  wie  sie 

entgegnen  sollen.   Das  Schwanken  der  Lesart,  das  nirgends  so  bedeutend 

und  so  voller  wesentlicher  TJnterschiedenheit  ist,  als  in  diesen  Urkunden, 

lässt  keine  Entscheidung  zu  über  das,  was  hier  das  Richtige  sein  muß. 

Ich  bin  weit  entfernt,  jeder  einzelnen  dieser  Bemerkungen  eine 
gegen  die  Echtheit  des  Documentes  entscheidende  Wichtigkeit  geben 
zu  wollen;  aber  wenn  nach  der  verkehrten  Datierung,  nach  dem  fehler- 
haft genannten  Eubulos,  nach  den  sehr  bedenklichen  Absonderlich- 
keiten in  Verfassungssachen  die  Unechtheit  der  Urkunde  unzweifelhaft 
ist,  bekommen  auch  die  sonstigen  Schwierigkeiten  eine  andere  Bedeutung. 

Nach  diesem  ersten  Decret  leitet  Demosthenes  mit  folgenden 
Worten  zu  der  weiteren  Lesung  hinüber:  tovto  iikv  to/vvv  t6  nn)- 
fftana  Evßov?.og  äyoce^jsvj  ovx  kyo),  t6  S'  ^(fe^rjg  ^Qi(7T0(p(dv,  el&' 
Hyi'iatnnog,  eiTa  'AgiGTocftov  ndXiv,  stTa  HiiXoxQccTi]g,  eha  KijcftGo- 
^f^iv,  thcc  navTtq  oi  äkkoi,  kyco  S'  ovSiv  ubqi  tovtwv  ?yiye  [t6  ipiicpKTf.iaJ, 
Im  cod.  JS  fehlt  dies  ro  ^prjfptafjLa,  in  anderen  Handschriften  steht  tö 
ßovhvfxa.  Nach  der  Lesung  sagt  Demosthenes:  ägneo  kyco  TavTu 
fhixvvo)  TU  'ipi'iCpiGficcTa,  ovtco  xal  <7v  Set^ov,  Alaxivi}^  dnoTov  fym 
yoüxiiag  yj7j(pjfTfia  aiTiög  Bifii  tov  nokifxov.  Hieraus  ersieht  man, 
daß  die  Lesung  der  Psephismen  ergeben  hat,  daß  die  anderen  Staats- 
männer mit  ihren  Anträgen  die  Sache  weiter  und  weiter  getrieben 
haben,  bis  endlich  der  entscheidende  Brief  des  Philippos  einlief,  infolge 
dessen  die  Stele  des  Friedens  gestürzt  worden.  Wie  kann  da  die 
Rückgabe  der  Schiffe  möglich  sein?    Statt  der  mehreren  Decrete,  die 

Droygen,  Kl.  Schriften    I,  12 


178  Demosthenes 

Demosthenes  keineswegs  bloß  hinhält,  um  sie  zu  zeigen  —  das  wäre 
ohne  alle  Bedeutung  — ,  folgt  nun  das  zweite  Decret,  gar  kein  Volks- 
beschluß, sondern  ein  mattes  Wahlprotokoll,  das  in  diesem  Zusammen- 
hang ohne  allen  Wert,  das  voller  Fehler  und  Verkehrtheiten  ist. 

Die  Datierung  ist  wieder  kni  NaoxUovg  äQxovTO(i  Boi]S(}Ofjiict>vog 
ivr]  xa)  vi^'  ßovXfi^;  yv(6fji7j  [805]  ngyrav^iq  xai  aroarriyol  ^/(;?/jWa- 
TifTuv  X  T  ?.\  Eine  höchst  seltsame  Bestimmung;  wenn  der  Rat  vom 
Volk  beauftragt  ist  zur  Wahl  der  Gesandten,  was  soll  da  noch  die 
Bestimmung  des  ßates  selbst?  Doch  könnte  dergleichen  noch  möglich 
sein.  Dissen  will  hinter  yvcüfjiy  interpungieren  und  die  Formel  für 
ädo^e  Tfj  ßovXf]  verstehen;  aber  es  handelt  sich  hier  gar  nicht  um 
einen  Beschluß,  sondern  um  eine  Wahl.  Femer  heißt  es,  die  Prytanen 
und  Strategen  hätten  die  Beschlußnahme  des  Volkes  im  Senat  zur 
Verhandlung  gebracht:  6tb  äSo^e  t(o  Sfjfico  nQiaßeiq  ikiad-ai  .  .  .  xai 
hvToXceq  Sovvcct  xai  rä  ix  rTjg  hxxhiaiat^  ipijcpifTfiaTa,  Was  sollen 
außer  den  Aufträgen  und  Instructionen  noch  diese  Beschlüsse?  Be- 
glaubigungsschreiben können  es  nicht  sein,  da  ja  der  Senat  wählt,  also 
das  Volk  nicht  erst  zu  bestätigen  haben  kann,  und  wenn  wirklich 
außer  den  ivroXalg  noch  das  vom  Volk  bestimmte  nötig  war,  so  mußte 
es  ja  eben  rd  kx  rfjg  ixxhjtriag  '\j*t)(fi(Tfxa  und  zwar  jenes  obige  des 
Eubulos  sein,  in  dem  die  kvroXa/  im  Wesentlichen  enthalten  waren. 
Aber  es  ist  deutlich  genug,  daß  der  Verfertiger  dieses  Aktenstückes 
die  verschiedenen  oben  genannten  Beschlüsse  des  Hegesippos,  Philokrates, 
Kephisophon  u.  s.  w.  mit  hineinbringen  zu  müssen  geglaubt  hat,  was  frei- 
lich keinen  grossen  Begrifi  von  der  Schärfe  seines  Verstandes  geben  kann. 

Kcd  eilovTO  rovgSe'  KrjtpKTOtpidvTa  Klkovog  !Avaq)Xvariov* 
ArifiöxQiTOv  Ar]fjLocf(TjvTog  !AvayvQdaiov'  UolvxQirov  !AnrifiävTov 
Ko&cjxiSrjv^,  wieder  drei  Männer,  die  obschon  in  wichtiger  Sendung 
durchaus  nicht  weiter  bekannt  sind,  und  —  fügen  wir  mit  voll- 
kommenster Zuversicht  hinzu  —  nie  existiert  haben. 


*  [Der  angeblich  gefundene  Stein,  Arch.  Ztg.  XXV  1867  S.  109  aus  der 
*£q)Tiu&Qig  jiüv  q)dofin&(üv  nach  der  Abschrift  von  Georgiadas  durch  Rhusopulos 
mitgeteilt,  hat  fcVrt  ytxofiuxov  liqx^^^^^j  sowie  IlokvxQiiov  Änt^^titviov  AtjfA  . . .  und 
ÄqiiJiocpCiv  Ä^iii'itv;^  und  erweist  sich  auch  damit  als  gefälscht.   An m.  des  Verf.]. 

*  Von  diesen  drei  Namen  ist  nur  der  erste  in  Athen  ziemlich  häufig,  und 
wir  werden  unten  genauer  über  die  Kephisophons  sprechen.  Von  den  Namen 
der  Väter  ist  Kleon  der  von  vier  verschiedenen  Personen  in  unseren  Decr^ten. 
Demophon  ist  aus  dem  Prozeß  des  Demosthenes  gegen  seine  Vormünder  bekannt, 
es  heißt  so  Demosthenes  Vetter,  der  Sohn  des  Demon,  der  Paianier,  und  er  wird 
es  wohl  sein,  dessen  Gedichte  auch  Kotys  Ephippus  verspottete,  Athen.  XI 
S.  482;  andere  des  Namens  übergehe  ich.  Es  hat  überhaupt  wenig  Nutzen  des 
weiteren  die  Namen  zu  untersuchen,  die  doch  nur  eben  zusammengewürfelt  sind. 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  179 

Denn  daß  dies  Decret  nimmermehr  echt  ist,  würde,  wenn  alles 
andere  in  Ordnung  wäre,  aus  den  Schlußworten  allein  schon  auf  das 
entschiedenste  folgen:  novrccveice  (pvXfjg  'iTtnod-oonvTiSo^  !Ai)iGTO(p&v 
KolvTTtv^  nQÖeÖQOi^  elnev.  Sonst  steht  diese  Formel  im  Anfang  und 
ich  glaube  unter  den  mannigfachen  Varietäten,  die  Prytanie  zu  be- 
zeichnen, kommt  die  hier  gebrauchte  sonst  nirgends  vor  (s.  Schoemann 
de  comitiis  S.  131  flf.).  Aber  was  soU  hier  dies  elnsy  da  ja  kein  Antrag 
gemacht,  sondern  im  Auftrag  der  Ekklesie  gewählt  wird,  und  tcqvtü- 
veig  xai  (TToarfjyoi  nach  dem  vorigen  Psephisma  den  Rath  zur  Wahl 
berufen,  also  auch  den  Auftrag  der  Wahl  mitzuteilen  haben.  Aber 
freilich  aus  den  nächst  vorhergehenden  Worten  des  Demosthenes  er- 
giebt  sich,  daß  dies  ein  Psephisma  des  Aristophon  sein  soll,  und  da 
muß  es  schon  heißen  !AQiGro(p&v  elTte,  Wenn  das  Decret  echt  wäre, 
so  würde*  [806]  es  durch  die  Bestimmung  TKjöedoog  wichtig  sein;  es 
ist  bekannt,  daß  in  früherer  Zeit  die  Proedroi  der  prytanierenden  Phjle, 
in  späterer  neun  aus  den  nicht  prytanierenden  Phylen  gewählte  Proedroi 
die  Leitung*  der  Beratungen  in  Rat  und  Volk  hatten  (s.  Boeckh  Corp. 
Inscr.  Gr.  I  S.  130);  daß  diese  Neuerung  bereits  zur  Zeit  des  Ktesiphon- 
tischen  Prozesses  eingeführt  war  (s.  den  Anfang  der  Rede  des  Aischines), 
ist  von  Boeckh  nachgewiesen;  aber  ebenso  bestimmt  ist  zur  Zeit,  da 
über  den  Frieden  des  Philokrates  verhandelt  wurde,  und  zur  Zeit  der 
Rede  gegen  Neaira  noch  die  alte  Einrichtung  im  Gange  (s.  xurä 
Neuioai;  §  90  und  Aischin.  neol  nuoanoEaß,  §  90  ^).  Also  zwischen 
OL  109  und  Ol.  112  2  ist  diese  neue  Einrichtung  getroffen  worden; 
die  Kolyttier  gehören  zur  Aigeis,  es  müßte  also  dieser  Proedros  Ari- 
stophon ein  non  eontribulis  sein,  und  danach  wäre  Ol.  109  4  bereits 
die  neue  Einrichtung  vorhanden.  Aber  daß  dies  nicht  so  ist,  dürfte 
sich  ergeben  aus  der  Erzählung  von  den  Beratungen  gleich  nach  der 
Einnahme  von  Elateia,  also  mehr  als  anderthalb  Jahre  später,  als  die 
in  unserer  Urkunde  besprochene  Angelegenheit  (Dem.  V7ti()  Ktij(t.  §  169): 
tfj  S*  v(TT60C4t^  .  .  ,  Ol  fiev  TiQvräveii;  rijv  ßovXijv  kxdXovv  eli^  rb 
ßovXfVTiiQtov  ....  xai  fjLeru  tuvtu  cog  eigT^Xß-ev  ij  ßovkij  (in  der  Volks- 
versammlung) xai  dnip/yeiXav  oi  7t()VTdv6ig  rä  TioogijyyBXiJLiva 
iuvrolg  x  r  X.  Hieraus  ergiebt  sich  die  überwiegende  Wahrscheinlich- 
keit, daß  das  Institut  der  proedri  non  contribules  jünger  ist,  als  die 
Schlacht  von  Chaironeia;  und  wenn  dem  so  ist,  so  haben  wir  in  diesem 


^  Dasselbe  Factum  erzählt  Aischines  xara  Kxrjc.  §  74,  aber  mit  ofiPenbaren 
Lügen.  Schoemann  Antiquitt.  jur.  pub.  S.  222  entnimmt  aus  dieser  Stelle  un- 
richtig, daß  Demosthenes  secundo  quidetn  die  kx  nagairxev^ig  proedrum  fuiase; 
Aischines  Worte  lauten  ßovXsvii/g  cjv  dx  nagaffxevfjg .  was  die  Frage  wesentlich 
modificiert 

12* 


180  DemoBthenes 

Proedros  aus  einer  nicht  prytanierenden  Phyle  wieder  einen  Beweis 
der  Unechtheit^. 

Endlich  kommen  wir  auf  den  merkwürdigsten  Fehler  in  den  Schluß- 
worten unseres  Decretes.  Ruhnken  hat  zuerst  in  seiner  Hietoria  critica 
geltend  gemacht,  daß  es  zwei  berühmte  Redner  des  Namens  Aristophon 
gebe,  von  denen  der  ältere  der  Azenier,  der  jüngere  dieser  Kolyttier 
sei;  er  hat  mit  seiner  anscheinend  sehr  gründlichen  Art  die  reichen 
Notizen,  die  uns  überliefert  sind,  zwischen  beiden  nach  Wahrschein- 
lichkeitsgründen verteilt,  und  seitdem  paradiert  nun  der  doppelte  Ari- 
stophon in  vielen  geschichtlichen  und  philologischen  Büchern.  Nur 
sonderbar,  daß  unsere  Urkunde  die  einzige  Autorität  für  einen  Kolyttier 
Aristophon  ist;  und  schon  in  dem  vorhergehenden  Psephisma  fanden 
wir  statt  des  bekannten  Anaphlystiers  Eubulos  einen  mit  fingiertem 
Vaters-  und  Demosnamen.  Es  läßt  sich  mit  vollkommener  Sicherheit 
erweisen,  daß  der  so  häufig  bei  Demosthenes,  Aischines  und  sonst 
genannte  Aristophon  stets  ein  und  derselbe  Azenier  ist.  Denn  Demo- 
sthenes sagt  {vTt^Q  Kti](t.  §  162),  er  habe  die  Verbindung  mit  Theben 
(vor  der  Schlacht  von  Chaironeia)  nicht  bloß  seiner  Ansicht  folgend 
äXX  elÖG)!^  !A()iGro(p&vra  xai  ndktv  Evßov).ov  ttüvtcc  top  /oövov 
ßovXofiivovg  %()a^at  ravrijv  ri/v  (fikiav,  [807]  xui  ne^l  tü)v  äXhov 
TtoXXäxig  dvTiXiyovTccg',  iccvroig  tqv&'  dfioyvojfnovovvraQ  äd'  ovg 
(TV  ^covrag  fiev  xokaxevcjv  Tta^ijxokov&eig  x  r  h  Hierzu  vergleiche 
man  Aischines  xaru  Krtja.  §  138  xairoi  noXXccg  fiiv  rovrov  nQdxBQOv 
Tt^BCFßeiag  hTCQiGßBvtruv  eig  Ofjßag  oi  fi.ah(TTa  olxeicog  ^xsivoig  Stce- 
xstfievoi,  nQdjTog  fxiv  f^QaavßovXog  6  KoXkvrsvg  ....  nüXiv  Oodacov 
d  'EQ/iSvg  .  .  .  AecoSdfiug  6  !AxccQvevg  .  .  .  'Aux^^ij^iog  6  U/jhj^  .... 
!AiiiGTQ(f(üv  6  !AC'tjvievg  tcXiTgtov  /(/övov  tijv  tov  ßoiwriä^eiv  vTto- 
fiBivag  alriav,  IIvoQavÖQog  6  \4va(flv(TTiog,  6g  'in  xai  vvv  ^f].  Es 
ist  die  fast  genaue  chronologische  Reihenfolge  der  Staatsmänner,  und 
der  Azenier  Aristophon  steht  zuletzt  vor  dem  (Ol.  112  2)  noch  lebenden 
Pyrrandros.  Wenn  Demosthenes  [intQ  Kti,(t,  §  219)  sagt  noXlol  tiuq 
vfjLiv  yeyövaai  pfjTOfjeg  evSo^oi  xat  n^ytcXot  -jiqo  hfxov,  KaXXlaToarog 
heeivog,  !A(}iGrocf(üv,  KicfaXog^  ^^aavßovXog.  Heooi  fivotot,  und  wenn 
er  in  dieser  Zusammenstellung  den  Aristophon  nicht  durch  seinen 
Demosnamen  unterscheidet,  so  kann  nicht  hier  der  Azenier,  und  in 
anderen  Stellen  derselben  Rede,  wo  Aristophon  ebenso  ohne  weiteres 
genannt,  ebenso  als  Staatsmann  ausgezeichnet  und  neben  Eubulos, 
Diopeithes  u.  s.  w.  genannt  wird,  der  angebliche  Kolyttier  gemeint  sein, 
der  ja  auch  zur  Zeit  dieses  Prozesses  schon  tot  sein  mußte  (nach  §  162). 

*  [DaBs  die  proedri  non  contribules  älter  als  die  Schlacht  bei  Chaironeia 
sind,  steht  jetzt  fest'. 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  181 

Aristophon  der  Azenier  war  um  Ol.  106  noch  in  Thätigkeit  im  Prozeß 
über   Leptines   Gesetz   (Leptinea  §  146),   in   dem  berühmten  Prozeß 
gegen  Timotheos  und  Iphikrates  (Athen.  XIII  S.  577),  und  wenn  Hype- 
rides  in  seiner  Rede  gegen  Aristophon  sagte;   olSe  yao  uvrcp  SbSo- 
/livf/v  äStiav  xat   noärrBiv  xal  y{)ä(pBiv  6ri   äv  äfißoccxv  ßovkrjrcci 
(Schol.  zu  Plat  Theag.  S.  384  ed,  Bekker),  so  wird  das  niemand  auf 
einen  Redner,   der  mit  Demosthenes,   Aischines,   Eubulos  u.  s.  w.   zu 
rivalisieren  hatte,  sondern  nur  auf  jenen  grossen  Staatsmann  beziehen, 
der  sich  rühmen  konnte,  fünfundsieben  zigmal  wegen  Paranomien  ver- 
klagt und  stets  freigesprochen  zu  sein  (Aischin.  xarä  Knia.  §  194); 
und  Hyperides  [fhätigkeit  als  Redner  begann  gewiß  nicht  vor  Ol.  107, 
wahrscheinlich  später.     Die  einzige  erhebliche  Schwierigkeit,  die  gegen 
unsere  Ansicht  erhoben  werden  könnte,  dürfte  das  Alter  des  Azeniers 
sein;  denn  schon  OL  92  1,  sagen  sie,  ward  er  als  Gesandter  der  Vier- 
hundert nach  Sparta  geschickt.     Aber  Thukydides  VIII  86  nennt  Ari- 
stophon an  jener  Stelle  keineswegs  Azenier,   und   die   sehr  deutlich 
erkennbare  politische  Ansicht  des  herrlichen  Mannes  ist  der  entschei- 
dendste Beweis  für  die  Unmöglichkeit,   daß  er  je  im  Interesse  jener 
Oligarchie  gehandelt  haben  könne.   Wohl  aber  beginnt  seine  Thätigkeit 
sofort  nach  der  Wiederherstellung  der  Demokratie.     Nach  Karystios 
(bei  Athen.  XIII  S.  577)  gab  er  im  Jahr  des  Eukleides  ein  Gesetz 
über  die  vöd-ot,  denn  daß  der  da  ö  qijtcoq  genannte  kein  anderer  als 
der  Azenier  ist,  wird  durch  die  Anspielung  in  der  Leptinea  §  149 
gewiß.     Nimmt  man  dazu  die  Notiz  aus  dem  Leben  der  zehn  Redner 
S.  358   !AQtaTO<p6iVToq  de   )]Sri   rtjv  7t()Oi;TU(7iav  Sta  yijoccg  xaraXi- 
TiövTog  xal  XH^vyoq  kyivBTo  [808]  At]fjiO(T9'ivijg  (um  Ol.  106),  so  mag 
damals  Aristophon  immerhin  fünfandsiebzig  Jahre  alt  gewesen  sein,  so 
daß  er  um  die  Zeit  des  Archonten  Eukleides  etwa  so  alt  war.   wie 
Alkibiades,  als  er  sich  zur  politischen  Thätigkeit  wandte.     Wenn  er 
noch  bis  gegen  die  Zeit  der  Schlacht  von  Chaironeia  lebte,   so  hatte 
er  freilich  ein  sehr  hohes,  aber  in  Athen  nicht  ungewöhnliches  Alter 
erreicht;  auch  Isokrates  war  siebenundneunzig  Jahr  alt,  als  er  seinen 
Panathenaikos  vollendet;  Phokion,  Eallias,  Leodamas,  manche  andere 
attische  Staatsmänner  sind  durchaus  bejahrt  noch  in  Thätigkeit  gewesen. 
So  lange  also  nicht  aus  anderen  sicheren  Notizen  die  Existenz 
eines  Kolyttiers  Aristophon,   der  Staatsmann  von  höchster  Bedeutung 
gewesen,  nachgewiesen  wird,  darf  er  aus  dieser  Urkunde  her  nicht  auf- 
geführt werden;  und  umgekehrt,  daß  dieselbe  uns  als  den  berühmten 
Aristophon  einen  Kolyttier  nennt,   ist  ein  Beweis  zu  vielen  anderen, 
daß  sie  unecht  ist.     Ob  der  cfOQolöyoq  in  der  Mediana  §  218  (vgl. 
Demosth.  nobq  Zfjvo&,  §   11)  oder  der  bekannte  Komiker  oder  der 


182  Demosthenefi 

ältere  Maler  oder  sonst  einer  ein  Kolyttier  gewesen,  weiß  ich  nicht,  nur 
von  dem  berühmten  Staatsmann  war  die  Identität  geltend  zu  machen. 
[809]  Wir  können  nun  zu  dem  Briefe  des  Philippos  übergehen, 
den  Demosthenes  verlesen  läßt,  indem  er  sagt  §  76:  xal  fiijv  ovS'  6 
<l>th7T7to^  ovSiv  airiärut  kfjii  V7ik()  rot)  nokifiov,  iriQOtg  iyxccXcDVj 
und  nachdem  der  Brief  gelesen  ist  §  79  hvrav&a  ovSufiov  Jijfiofr- 
divijv  yiygatptv,  ovo'  alriav  ovSsfitav  xar  kfxov*  ri  nor  ovv  roT^ 
äX)^oiq  hyxaXiüV  nov  ifxol  TteTroayfiivcov  ov^t  fiifjivi]rai]  x  r  X,  Also 
es  waren  in  dem  Briefe  die  Staatsmänner  bezeichnet,  welche  nach  des 
Königs  Meinung  den  Bruch  des  Friedens  veranlaßt  hatten.  Wir  finden 
statt  dessen  die  höchst  wunderliche  Äußerung:  xa)  ravra  gwetccxO-t} 
TW  vavü(JX(p  ävBV  fjAv  rod  Si/fiov  rov  Id&rivaiwv  vitb  Se  rivojv 
ä^j/övrcov  xa)  iriocjv,  ISkotOjv  iihv  vvv  Övtcjv,  ix  itavrbq  Sh 
TQÖnov  ßovXofxivmv  rdv  STjfiov  ävri  rfj^  vvv  v7iai)xovcFr]g  n(}6g  ifii 
(ftkiag  rdv  nökBfiov  ävaXaßtiv  x  r  L  Freilich  hält  das  ülpian  und 
mancher  neuere  Erklärer  für  einen  rednerischen  KnifiF,  daß  Demosthenes, 
da  er  nicht  ausdrücklich  genannt  sei,  sich  auch  nicht  gemeint  nenne, 
obschon  allerdings  unter  den  Idioten  besonders  er  gemeint  sei;  wie 
armselig  diese  Erklärung  ist,  sieht  jeder.  Wenn  Demosthenes  urgieren 
konnte,  daß  er  nicht  gemeint  sei,  so  mußten  die  Namen  der  anderen 
eben  in  dem  Briefe  stehen;  und  wenn  dieselben  in  dem  vorliegenden 
Briefe  nicht  stehen,  so  kann  es  unmöglich  derjenige  sein,  den  De- 
mosthenes verlesen  ließ.  Da  ferner  dieser  Brief  der  Anlaß  zur  Kriegs- 
erklärung wurde,  mochte  er  wohl  schwerlich  mit  der  Rückgabe  der 
Schiffe  schließen.  Offenbar  zählte  Philippos  in  diesem  Schreiben  alle 
Übertretungen  des  Friedens  auf,  die  den  Athenern  vorgeworfen  werden 
konnten,  und  nannte  dabei  die  Namen  derer,  welche  die  einzelnen 
Maßregeln  in  Antrag  gebracht  hatten;  Demosthenes  sagt  §  79,  der 
König  spreche  von  seinen  Antragen  nicht,  6ti  r6jv  äSixijfiarcov  uv 
äfiifivijTO  rßjv  iavTov,  bi  ti  Treoi  ifjLov  iyuarfB.  Kurz,  der  Brief,  der 
wirklich  hier  verlesen  wurde,  ist  derselbe,  auf  den  sich  Dionysios  Worte 
beziehen  (ep.  ad  Amm.  II)  intira  Sib^eIO-cov  (ö  ^lHi6xo{iog)  &aa  roTg 
!A\)i]V(aoiq  6  <l>ihniiog  kvexüXet  Stä  xT^g  iTttfxroXfjg  xal  J^jfiotr&ivovg 
n{)ogxaXiaavTog  f4VTovg  noög  rdv  TiöXefxov  x  r  A,  und  statt  des  Briefes 
ist  eine  doppelte  Erdichtung  auf  uns  [810]  gekommen,  der  vorliegende 
und  der  viel  geschickter  componierte,  zu  dem  die  ebenso  unterge- 
schobene Demosthenische  Rede  7t()dg  t^v  knifrroXfjV  Ttjv  <I^iXinnov 
gehört;  in  diesem  ist  weder  von  Selymbria,  noch  von  den  gekaperten 
Schiffen  die  Rede,  und  in  unserem  fehlen  alle  die  Beschwerden,  welche 
dem  Schreiben  des  Königs  seine  große  Bedeutung  geben,  und  um 
deren  willen  es  Demosthenes  eben  lesen  läßt,    damit  erhelle,   wie  die 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  183 

anderen  Staatsmänner,  nicht  aber  er,  von  Philippos  beschuldigt  und 
als  Anlaß  zum  Friedensbruch  angesehen  worden  sei. 

Mit  Übergehung  der  auflFallenden,  aber  nicht  zu  bedeutenden 
Einzelheiten,  wie  (paivea&e  kv  fieyäXr]  smj&ei^  iata&ai  oder  netgüao- 
yLai  x^yo)  Sia(pvXümiv  tjjv  6i()7jvr]Vy  will  ich  nur  eine  geographische 
Sonderbarkeit  hervorheben.  Es  heißt  in  des  Philippos  Brief,  die 
athenischen  Schiffe  seien  abgeschickt  dji^  rov  alxov  naQanifii^fovra  kx 
Tov  'EXXi](T7t6vTOv  elQ  Aj}fAvov,  und  in  dem  Deoret  des  Eubulos  rä 
fjLer  avrov  änoaraXivra  Gxdcpii  Bixoai  si^  r/jv  rov  airov  naganofi- 
:tijv  aig  'Elh'j<T:tovTov,  wo  man  ohne  des  Philippos  Brief  gewiß  das 
dg  nicht  zu  änoaraXivra^  sondern  zu  7ta(janofinjjv  ziehen  würde.  Ich 
will  nicht  erwähnen,  daß  dies  Convoi  sonst  die  Getreideschiffe  am 
Hieron  bei  der  Mündung  des  Bosporos  erwartet  und  durch  die  Meer- 
engen bis  wieder  in  die  offenbare  See  geleitet  (s.  Dem.  ngdg  Ilokv- 
xXka  §  19  und  sonst);  wenn  aber  die  Flotte  in  den  Hellespont  ge- 
schickt wurde,  wie  ist  sie  da  den  belagerten  Selymbrianem  zu  Hilfe, 
die  doch  weit  genug  entfernt  wohnen?  sie  konnte  es  nur  dadurch  sein, 
daß  sie  dem  makedonischen  Geschwader  den  Hellespont  sperrte,  aber 
dann  mußte  der  Brief  darüber  klagen;  der  Verfertiger  des  Briefes  scheint 
keine  deutliche  Vorstellung  von  der  Lage  Selymbrias  gehabt  zu  haben. 

Die  Ehrendecrete  der  Byzantier  und  derer  vom  Chersones 
(§  90  bis  §  92),  auf  die  wir  jetzt  übergehen,  scheinen  am  wenigsten 
dem  Verdacht  der  Unechtheit  ausgesetzt  zu  sein,  und  dürften  wir  uns 
nicht  von  den  für  die  übrigen  Urkunden  schon  gewonnenen  Resultaten 
einigermaßen  bestimmen  lassen,  so  würden  wir  uns  namentlich  gegen 
das  Decret  der  Byzantier  jeden  Zweifel  versagen.  Der  Dialekt  desselben 
ist  dorisch  und  zwar  in  Formen,  die  durchaus  nichts  Anstößiges  haben; 
die  Datierung  kitl  ieoofjLvüfiovog  Bo(T7io()ix(o  stimmt  mit  den  sonstigen 
Notizen  vollkommen  überein  (Polyb.  IV  52);  der  Inhalt  selbst  scheint 
sieh  auf  jede  Weise  zu  empfehlen. 

[811]  Dennoch  muß  ich  bekennen,  daß  ich  auch  diese  Urkunde 
für  unecht  halte,  wenn  schon  nur  schwache  Gründe  vorzubringen  sein 
werden.  Demosthenes  sagt:  keye  S'  avroTg  xal  rovg  rOjv  Bv^avrioiv 
f7TB(pävovg  xal  rovg  tcjv  Jleotv&tcoVy  olg  karecfävovv  ti^v  nöhv. 
Danach  muß  man  zwei  verschiedene  Decrete  erwarten;  statt  dessen 
heißt  es  in  dem  Decret:  Ssdö/ü'cci  tfo  öü^(p  reo  BvCccvt/cov  xai 
n€{>iv&iO}v  und  zum  Schluß  räv  Bv^avTicav  xal  TleotvO'/ojv  ev/aoia- 
Tiav.  Daß  die  Meinung  des  Beschlusses  nicht  ist,  es  hätten  sich  beide 
Staaten  zu  gemeinsamem  Beschlüsse  vereinigt,  ergiebt  sich  aus  der 
byzantischen  Datierung  und  aus  den  Ergänzungsworten  Jafiüyrjrog 
kv  T^  äh'^  äXe^av,  kx  rög   ßcoXäg  Xaßijv  p/jT(jav  (so  viel  als  7t oo- 


1 84  Demosthenes 

ßovlavfif^,  ähnlich  dem  BvO-Bu^t^  ^iiroai^  dvTanufiBißöfABvoi  des  Tjr- 
taios).  Aber  wie  kann  in  der  Ekklesie  der  Byzantier  der  Beschluß, 
der  das  keineswegs  unterthänige  Volk  der  Perinthier  zugleich  mit 
umfaßt,  decretiert  werden,  der  Perinthier,  die  hier  ausdrücklich  nur 
(rififjLaxoi  und  ffvyytvEU  der  Byzantier  heißen?  Auch  ist  es  nicht 
sehr  genau,  wenn  das  ursprünglich  ionische  Perinthos,  das  freilich  auch 
Megarer  in  sich  aufnahm  (Plut.  quaest.  gr.  c.  57),  den  Byzantiern 
fTvyyevfj^  genannt  wird.  Sollte  aber  der  Beschluß  namens  des  byzan- 
tischen  Bundes  gelten,  so  gehörte  ja  auch  Selymbria,  Chalkedon  u.  s.  w. 
zu  demselben,  und  Selymbria  hätte  Anlaß  genug  gehabt,  sich  diesem 
Ehrendecret  anzuschließen,  falls  den  vorigen  Documenten  etwas  Rich- 
tiges zu  Grunde  läge;  jedenfalls  aber  hätte  dann  das  xotvöv  des  byzan- 
tischen  Bundes,  nicht  aber  Rat  und  Volk  von  Byzanz  beschließen 
müssen.  Übrigens  weiß  ich  nicht,  ob  ich  Anstoß  daran  nehmen  darf, 
daß  die  Byzantier  und  Perinthier  zwar  eine  bildliche  Darstellung  der 
Kranzung  stiften,  diese  Kränzung  auch  in  den  großen  ^est^spielen  ver- 
künden lassen  wollen,  aber  eigentlich  doch  nicht,  was  die  Hauptsache 
ist,  beschließen,  fTTEffrcvtTxTca  XQvmp  tmrfuvfo, 

AufiFallend  ist  ferner  das  anoxcnifTrunB  räv  ncirotov  noXiniav 
xal  Tot^  vöfio)^  xa)  t(o^  rci(po)^,  teils  wegen  der  Verbindung  dieser 
drei  Substantive,  teils  weil  durchaus  keine  Veränderung  der  Verfassung 
in  Byzanz  und  Perinthos  während  der  erfolglosen  Belagerung  denkbar  ist. 

Nicht  dorisch  genug  könnte  iyxrum^^  statt  tfunum^  erscheinen, 
wenn  aus  dem  nmiroi^  fisru  (v.  1.  nso),  ne^nä)  tu  tenä  nach  den 
Andeutungen  der  Handschriften  Ttsdü  zu  lesen  sein  dürfte.  Auch 
würde  man  nicht  nuin]yvüt(4q,  sondern  navayvoui^  erwarten.  Daß 
diese  Festversammlungen,  auf  denen  das  Decret  verlesen  werden  soll, 
'In&iiiu  xal  IVi^m  xai  VlvfATiiK  xai  Tlvthtc  weder  in  ihrer  typischen, 
noch  in  der  chronologischen  Reihenfolge,  wie  sie  nach  einander  diesem 
Beschluß  folgen  werden,  sondern  in  alphabetischer  Ordnung  stehen, 
ist  auch  wohl  sonderbar. 

Erwähnen  will  ich  noch  die  Worte:  nxünm  Si  xui  ^Yxovccq  tq%U 
bxxc4idexunijx^t^  ^v  rot  lio(rno(tixfo  fTTerfuvovfievor  rov  Sä^ov  r6v 
Hthjvcacov  vnb  rtü  Ödiuo  nu  liv^avTicov  xca  nBotvO-Uov,  Das  Sach- 
liche anlangend  bemerkt  der  hochverehrte  Jacobs:  „ein  Demos  der 
Rhodier,  der  von  dem  Demos  der  Syrakusaner  [812]  gekrönt  wird, 
ward  vom  Hiero  und  Oelo  in  dem  Deigma  von  Rhodos  aufgestellt 
Polyb.  V  88".  Aber  was  heißt  kv  xm  liofTTtooixq)?  Die  Handschriften 
bieten  auch  liofrnoQBtxfo,  lioQixtp,  nicht  aber,  wie  man  hat  emen- 
dieren  wollen,  HofTTiöom;  es  wäre  auch  etwas  sonderbar,  die  meilen- 
lange Meerenge  mit  ihrem  di)ppelten  Ufer  als  den  Ort  zu  bezeichnen. 


Die  Urkanden  der  Kranzrede  185 

WO  dieses  Denkmal  errichtet  werden  solL  Soll  einmal  emendiert 
werden,  so  kann  nur  Boanogm  geschrieben  werden.  Denn  Steph. 
Byz.  V.  sagt:  Hysrai  xal  BoanÖQiov  rov  Bv^avrtov  Xi^irjv,  oi  ö' 
kyxd)OiOi  <U(oq(p6oiov  ccvxbv  xaXovm  TtuQuyoccfifAccTiXovTBg  (ähnlich 
wie  sie  IlvCceg  statt  Bv^ag  sagten  Bekker  Anecdot.  S.  1186,  und  daher 
häufig  auf  den  ältesten  Münzen  der  Stadt  TT  Y  ^) . .  .  ßr«  <l}iXinnov  rov 
MaxsSövog  SicjQv^ag  xarä  r//v  nohooxiccv  BigoSov  xQvnrijv,  6&av 
ä(pccv(dg  Oi  dQVTTOvrag  i^fiakkov  rov  öovyfjLccrog  ccvccSvvaij  ij  'Exärrj 
^(ogtpÖQog  ovaa  S^Sag  knoirifTE  vvxnoQ  rolg  nohrccig  (pavf^vai  xai 
ri,v  noXioQxiav  tpvyövTBg  ^l>(og<f6Qiov  rdv  rönov  (ovöfiacrav^.  Diese 
Erklärung  sieht  sehr  nach  einer  späteren  Periegetenanekdote  aus.  Jeden- 
falls ist  das  kv  BoGnoQi^cp  in  dem  Decret  durch  die  Handschriften 
garantiert;  es  wäre  möglich,  daß  der  Hafen  der  Stadt  mit  einer  dori- 
sierenden  Deminutivform,  die  bei  Personennamen  häufig  ist,  aber  auch 
in  dorüXtxog,  xötpizog,  xäSSt^og  u.  s.  w.  vorkommt,  der  kleine  Bos- 
poros  genannt  wurde.  Dann  ist  freilich  der  gleiche  Name  des  Hiero- 
mnamonen  wieder  sonderbar. 

Das  Decret  der  Chersonesiten  wird  angekündigt  mit  den 
Worten  Xiyt  rovg  naqä  rCDv  kv  XB^/wv/jtKp  (rre^ävovg^  und  der 
Beschluß,  den  wir  jetzt  lesen,  abgefaßt  kv  rw  xotva}  ßovksvTrjoico, 
beginnt  mit  den  Worten  Xe^povrjcnriüv  oi  xaromoüvreg  2r}Gr6vj 
'EkBovvrUy  MüSvroVj  'AkcjTiBxövptjaov  arBifavovai  x  r  L  Also  nur 
diese  vier  Städte  bildeten  einen  Bund,  in  dem  sich  Krithot«,  Paktye  u.  s.  w. 
nicht  befand?  Freilich  unmöglich  ist  das  nicht,  aber  wahrscheinlich  in 
der  That  ebenso  wenig.  Der  goldene  Kranz  von  sechzig  Talenten 
scheint  seiner  Größe  nach  hinreichend  durch  Böckh  erklärt  zu  sein, 
und  der  Beisatz  des  Gewichtes  kommt,  wenn  nicht  immer,  so  doch  in 
manchen  attischen  Decreten  vor.  Auff'allend  ist  mir,  daß  die  dank- 
baren Kolonisten  einen  Xcintrog  ßcofiov  xai  S/jfiov  U&ijvaicov  stiften 
wollen,  besonders  da  sie  !A&rivul(ov  ri^v  ßovXijv  xal  rov  Sijfiov 
kränzen;  auffallend  auch  die  gewiß  harte  Ellipse  k^slöfxevog  he  rfjg 
^tUnnoVy  auffallend  endlich  ovx  iXlmjm  iv/aniarcDv,  da  die  Atti- 
cisten  lehren,  %vxaQiGrtIv  ovSeig  ribv  Soxtfjubv  elntv  äXXä  /ü{)iv  %lSivai 
(vgl.  Boeckh  zum  Corp.  Inscr.  Gr.  I  34);  aber  es  sind  ja  die  Cherso- 
nesiten, die  das  geschrieben  haben,  sowie  auch  die  Byzantier  ihr 
Decret  mit  eizceot(rrta  schlössen! 

So  lässt  sich  allerdings  gegen  dies  Decret  derer  vom  Chersones, 
wenn  man  es  für  sich  betrachtet,  nichts  Wesentliches  geltend  machen; 


*  [Auf  den  Münzen  steht  die  alte  Form  des  Beta]. 

'  |VgL  Constantin.  Porphyr,  de  them.  H  fin.     Anm.  des  Verf.]. 


186  DemoatheneB 

aber  die  übrigen  Aktenstücke  mit  ihrer  Unechtheit  dürfen  wenigstens 
Verdacht  erregen,  und  man  vergesse  nicht,  wie  schwer  es  ist,  aus 
höchst  unzulänglichen  Nachrichten  einen  Beweis,  wie  wir  ihn  wünschen, 
zu  führen.  Die  Fassung  des  ganzen  Beschlusses  habe  ich  nicht  anzu- 
führen gewagt,  und  nur  andeutungsweise  füge  ich  noch  die  dem  Decret 
[813]  nachfolgenden  Worte  des  Redners  hinzu:  ovxovv  ov  fiövov  rö 
Xe^p6vfj(T0v  xcci  Bv^üvriov  (tcj(tcci,  ovSi  rö  xcaXvaai  rbv  'Ekk/jd- 
TtovTOV  vnb  (l>ili7in(p  yeviadai  rdr«,  ovSh  rd  rtfjLäa&ai  rijv  Tcöhv 
kx  rovT(ov  X  X  A.,  die,  wenn  sie  nach  der  sonstigen  Gewohnheit  der 
Bedner  aus  den  eben  verlesenen  Beschlüssen  entnommen  waren,  desto 
mehr  Energie  haben  mußten. 


VI.  Urkunden  zum  euböischen  Kriege. 

Aristonikos  betrantragte  Demosthenes  Eranzung,  weil  durch  seine 
Bemühung  des  Philippos  Einfluß  auf  Euboia  zerstört  worden  war 
[bni{}  KrrjfT.  §  83).  Es  kamen  auf  Euboia  besonders  die  Städte  Oreos, 
Chalkis  und  Eretria  mit  dem  Hafenort  Porthmos  in  Betracht. 

Bereits  mit  dem  Winter  von  Ol.  109  3  hatte  Philippos  auf 
Euboia,  obschon  Demosthenes  dagegen  arbeitete  {rijv  nQ^aßBiav  bI^; 
Evßoiav  iyomfjcc  Dem.  ini(}  KzTja.  §  79)  festen  Fuß  gefaßt;  in  der 
dritten  Philippischen  Rede  beklagt  Demosthenes  wiederholentlich,  daß 
Euboia  an  Philippos  verloren  sei;  von  einer  Partei  in  Eretria  berufen, 
habe  er  durch  Hipponikos  Porthmos  besetzen,  drei  Tyrannen  einsetzen 
lassen;  und  eine  zweimalige  Empörung  des  Volkes  von  Eretria  sei  ihm 
Anlaß  gewesen,  erst  Eurylochos,  dann  Parmenion  mit  neuen  Truppen 
zu  schicken  und  die  Bürger  aus  dem  Lande  zu  treiben;  ebenso  sei 
Oreos  durch  Philistides  und  seine  Genossen,  die  jetzt  in  der  Stadt  als 
Gewalthaber  herrschten,  an  Philippos  verraten  worden.  Nur  Chalkis 
hielt  sich;  aber  Demosthenes  sagt  ernst  genug  den  Athenern,  sie  sollten 
nicht  hoffen,  daß  etwa  Chalkis  oder  Megara  Griechenland  retten  werde. 
Einige  Monate  später,  im  Frühling  341,  zürnt  Demosthenes  (in  der 
Rede  vom  Chersones)  über  die  Athener,  daß  sie  die  günstige  Zeit,  etwas 
zur  Rettung  Griechenlands  zu  unternehmen,  verstreichen  ließen;  schon 
zehn  Monate  sei  Philippos  in  Thrakien;  Krankheit,  Winter,  Krieg  habe 
ihn  umringt,  so  daß  er  nicht  hätte  heimkehren  können,  aber  Athen 
habe  nichts  zur  Befreiung  von  Euboia  gethan,  vielmehr  habe  Philippos 
zwei  Tyrannen  in  Euboia  eingesetzt,  einen  in  Eretria  (von  den  oben 
bezeichneten  dreien  den  einen  Kleitarchos),  den  anderen  in  Skiathos; 
Euboia  sei  für  Philippos  nur  eine  Schanze  {iTTirei/KTfAa)  gegen  Athen; 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  187 

und  wie,  wenn  Philippos,  statt  auf  Byzanz  loszugehen,  nun  gen  Chalkis 
und  Megara  komme! 

In  Chalkis  hatte  Eallias  den  entscheidenden  Einfluß,  die  Redner 
nennen  auch  ihn  Tyrann;  früher  ein  Feind  Athens,  hatte  er  sich,  da 
er  mit  seinen  Plänen  bei  Philippos  nicht  Eingang  fand,  an  die  Athener 
gewendet,  um  mit  deren  Hilfe  einen  euböischen  Bund,  ja,  eine  allge- 
meine Symmachie  gegen  Philippos  zu  Stande  zu  bringen.  Er  reiste 
im  Peloponnes,  er  kam  nach  Athen  mit  dem  Bericht,  die  Achaier  und 
Megarer  würden  zur  gemeinsamen  Sache  sechzig,  die  Euboier  vierzig 
Talente  zahlen;  er  hatte  Demosthenes  für  seinen  Plan  gewonnen,  der 
denselben  auf  das  angelegentlichste  empfahl,  von  anderen  Bundes- 
genossen, die  er  gewonnen,  und  von  ihren  bedeutenden  Streitkräften 
sprach  und  ankündigte,  zum  16.  Anthesterion  würden  sich  die  Synedren 
der  Bundesgenossen  in  Athen  einfinden;  zugleich  forderte  er  auf,  Ge- 
sandte nach  Oreos  und  Eretria  zu  senden,  mit  der  Botschaft,  [814] 
daß  sie  ihre  Beiträge  nicht  mehr  nach  Athen,  sondern  an  Kallias  nach 
Chalkis  sendeten.  Und  für  dies  alles,  sagt  Aischines,  aus  dem  diese 
Angaben  sämtlich  entnommen  sind  [xarä  Krrja,  §  85 — 105),  empfing 
Demosthenes  ein  Talent  vom  Kallias,  ein  anderes  vom  Tyrannen 
Kleitarchos  aus  Eretria,  ein  drittes  aus  Oreos.  Diese  Erzählung  ist 
glaubwürdig,  da  Aischines  die  Aktenstücke  darüber  verlesen  ließ.  Durch 
die  Erwähnung  des  Tyrannen  Kleitarchos  ergiebt  sich,  daß  die  Sache 
nach  der  dritten  Philippischen  Rede,  also  in  den  Anfang  des  Jahres  341 
gehört.  Dies  wird  bestätigt  durch  Aischines  Angabe,  Demosthenes  habe 
für  Eallias  Antrag  sprechend  sich  erboten,  von  seiner  Gesandtschaft 
im  Peloponnes  und  nach  Ambrakia  wichtige  Dinge  zu  berichten,  und 
diese  Gesandtschaft  gehört  nach  Philipp.  III  §  72  ai  nkovfri  noKT- 
ßeiai  neQi  rijv  Ilikondvvijaov  hestvai  xul  !A^ßf)axiav  (nach  Winiewskys 
treflflicher  Emendation  für  xarijyootm)  in  das  Jahr  des  Pythodotos 
(Frühling  Ol.  109  2),  so  daß  der  zur  Bundesversammlung  angesetzte 
16.  Anthesterion  in  den  Februar  341  Ol.  109  3  ßlUt;  dies  gegen 
Hm.  Brückner,  der  die  Unterhandlungen  des  Kallias  in  den  Winter 
und  Frühling  109  2  setzt.  Zugleich  ergiebt  sich  hieraus,  was  die 
Äußerung  in  der  dritten  Philippischen  Rede  (§  74)  zu  bedeuten  habe: 
il  S'  oYead'e  XahctSiag  rijv  'EXXdSa  acoaBiv  ij  Msyagiccg,  vfietg  S' 
unoÖQCcGia&ai  xä  TtQciyfjLara,  ovx  öfydcjg  oie(Txte,  Es  ergiebt  sich 
femer,  daß  Kleitarchos  in  Eretria,  Philistides  und  seine  Genossen  in 
Oreos  nicht  sowohl  Herrscher,  als  vielmehr  die  leitenden  Staatsmänner 
waren,  die  Philippos  Einfluß  über  ihre  Gegner  erhoben  hatte,  und  daß 
sich  Philippos  Gewalt  auf  der  Insel  etwa  auf  eine  Besatzung  in  Porthmos 
und  bei  Oreos  beschränkte.     Philistides  sowohl  wie  Kleitarchos  unter- 


188  Demosthenes 

handelten  durch  ihre  Gesandten  in  Athen,  die  bei  Aischines  Aufnahme, 
beim  Volke  aber  nicht  Gehör  fanden  {v7te(}  Knia,  §  82).  Es  lassen 
sich  nicht  mehr  die  Angaben  des  Aischines  und  Demosthenes,  die  beide 
viel  verschweigen  und  einiges  lügen,  vereinbaren;  doch  scheint  man 
athenischerseits  den  Beitritt  zum  euböischen  Bunde  und  die  Ausweisung 
der  makedonischen  Besatzungen  verlangt  zu  haben:  als  diese,  wie  es 
scheint,  geweigert  wurde,  erfolgte  /;  ilq  'Qqböv  i^oäo^i  ovxert  no%aßda, 
xa\  ij  aig  EQBTQiav  {vnio  Krria.  §  79)  unter  Führung  des  Phokion; 
denn  Diodor.  XVI  74  sagt:  <l^xi(ov  fiiv  6  '4&7jvaTog  xarenoXifjLijaB 
KkBiraQXov  röv  'Eoeroiag  tv(jc4vvoVj  xa&errrafiivov  vnd  Q>iXlnnoxK 
Diodoros  erwähnt  dies  unter  dem  Archon  Nikomachos  und  mit  Recht; 
denn  Demosthenes  (a.  a.  0.)  sagt  gleich  nach  den  von  ihm  veranlaßten 
Expeditionen  nach  Euboia  iiaxä  tccvtcc  rov^i  dnocFTÖlovg  aTiavra^ 
äni(TTBiXu,  xaxf'  ovg  XB^(j6vT](Tog  ItTco&rj  xcci  rö  Bv^ävnov  und 
genauer  §  87  iTreiSij  i^ekä&t]  roTg  fUv  önkotg  vcp  vficDv  he  rf/g  Evßoiag 
6  (I>tktnnog,  rf/  Si  Ttolirei^  xai  roig  ^f*ri(fi(Tficc(Tiv .  • .  .  vn  tfiov, 
'tTe()ov  xarcc  Tf^g  nökecjg  kTtirsix'fTfiov  k^i/rei  x  r  A.,  und  darauf  erzählt 
er  den  Krieg  gegen  Byzanz,  der,  wie  wir  früher  sahen,  mit  dem  Herbst 
OL  109  4  (341)  seinen  Anfang  nahm. 

Und  Philippos  sah  diese  bedeutende  Mehrung  des  attischen  Ein- 
flusses ruhig  mit  an?  Man  sagt,  er  war  in  Thrakien  beschäftigt.  Aber 
wer  wird  glauben,  daß  er  [815]  darum  nicht  auch  anderer  Orten  seine 
militärischen  Maßregeln  traf.  Schon  bei  Betrachtung  seines  Krieges 
in  Thrakien  fanden  wir  ihn  an  mehreren  Punkten  zugleich  thätig; 
und  daß  er  gegen  die  um  sich  greifende  attische  Macht  Bewegungen 
unternahm,  wird  durch  Zeugnisse  bestätigt.  Leider  ist  der  Brief  des 
Philippos,  der  unter  Demosthenes  Reden  steht,  nicht  authentisch;  und 
wie  weit  die  darin  bezeichneten  Facta  aus  guten  Quellen  sind,  bleibt 
zweifelhaft.  Doch  steht  in  demselben  §  5  KaXXiag  roivvv  6  nuQ 
v^(üv  fTTüC4Ti]y6g  rag  fiiv  nöXeig  rag  kv  tö5  nuyacixii  x6?.7t(p  xaroi- 
xoviiivag  ÜMßiv  ü:idaug^  vfitv  fiiv  kvÖQXovg,  kfiot  Sk  (TVfjificcxfSc(g 
omag,  rovg  (Y  elg  MaxeSovtav  nXiovrag  ItkoXbi  navxag  TtoXafitovg 
XQivojv  xa)  öiä  ruvT  vfietg  iTir/vBlr  uvrbv  iv  roig  iptjtpiG^am  x  r  'L 
Es  würde  nahe  liegen,  an  Kallias  von  Chalkis  zu  denken,  der  nach 
Euboias  Befreiung  diese  Expedition  gemacht  haben  konnte.  Aber  wir 
haben  ein  anderes  und  besseres  Zeugnis,  das  auch  vorstehendes  als 
zur  Hälfte  unrichtig  erweiset.  Aischines  [xarä  Krtja.  §  83)  zählt  nach 
einander  auf^  wie  Demosthenes  viel  über  kleine  thrakische  Flecken  von 
unbekannten  Xamen  gesprochen  habe,  als  wären  sie  von  bedeutender 
Wichtigkeit,  wie  er  dann  in  dem  Streit  über  Halonesos  gewollt  habe, 
daß  die  Insel  nicht  gegeben,  sondern  zurückgegeben  genannt  werde 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  189 

(im  Winter  oder  Frühjahr  Ol.  109  2)  xal  rö  rekBvratov  GTBq:c4V(o<T(/.^ 
Tovg  fieru  'Aqi(ttoSi)^ov  sig  Oerrakiav  naQu  xäq  rfjg  ü{)t]vrt^  (tw- 
&7}xuq  knitTTQccrevaavTccg^  xal  Mayrrjaiav  rt/v  fiiv  6i(}/jvrjv  SikXvaBj  tj/V 
Si  <TVfA(poQäp  xal  x6v  %6i^(iov  naQeaxevacrev.  Statt  des  Aristodemos 
wird  wohl,  wenn  anders  die  Expedition  eine  athenische  ist,  Xa()iS/ifiov 
zu  schreiben  sein,  da  man  in  Athen  zu  so  wichtiger  Unternehmung 
gewiß  einen  erprobten  Feldherrn  wählte;  jedoch  könnte  es  gar  wohl 
sein,  daß  dieser  Aristodemos  vom  euböischen  Bunde  abgeschickt  worden 
wäre  oder  die  Athener  sonst  wie  unter  der  Decke  agiert  hätten,  da 
nicht  das  Factum,  sondern  der  betrefiFende  Kränzungsantrag  des  De- 
mosthenes  als  Friedensbruch  hervorgehoben  wird.  Jedenfalls  war  diese 
Unternehmung  vor  der  Aufhebung  des  Friedens  (Ol.  110  I  im  Herbst); 
sie  wurde  erst  möglich  durch  die  Befreiung  von  Oreos  (Herbst  Ol.  109  4). 
Nun  finden  wir  bei  Demosthenes  {vniQ  Krtja.  §  139)  die  Angabe: 
knu8f]  (pavBQ&q  i'jSfj  rä  nXoia  k<TB(rvXf]TO ,  XsQQÖvrjfyog  ino()i9etTO, 
ini  rijv  L4tt txijv  änoQevB&*  ävö Q(o%oqj  ovxar  kv  dfKpurßijTTj' 
(TifiG)  rä  nodyfjLcercc  ^v,  dkX  kvear^jxBi  nöXefiog  x  r  L  Also  auf  Attika 
rückte  Philippos  los  und  zwar  vor  der  Kriegserklärung  im  Herbst  340, 
nach  der  Plünderung  der  Schiffe  im  Frühjahr  340.  Es  scheint  mir 
unzweifelhaft,  daß  dieser  Zug  gegen  Attika,  wie  ihn  Demosthenes  nennt, 
eine  mit  der  Plünderung  des  Chersones  gleichzeitige  Demonstration 
gegen  die  Athener  war,  veranlaßt  durch  deren  Vertreibung  der  make- 
donischen Besatzungen  aus  Euboia  und  die  darauf  folgende  Invasion  der 
Thessalier.  Schon  vor  dem  Anfang  des  Jahres  841  hatte  der  König 
den  Thebanem  Echinus  genommen  (s.  o.);  jetzt,  so  scheint  es,  übergab 
er  den  ThessaUem  Nikaia  (s.  o.)  oder  vielmehr  er  legte  eine  makedonische 
[816]  Besatzung  dorthin,  um  so  die  steigende  Macht  Athens  zu  balanciren. 
Aristonikos  schlug  vor,  Demosthenes  wegen  der  Befreiung  Euboias 
zu  kränzen;  yQÜ^ipag  rag  ccvräg  avkkaßäg,  äan^Q  ovroal  KrfjtTKpcjv 
trvv  yiyoatp^  [vnkQ  Kri]<T.  §  83),  was  sich  wie  natürlich  auf  die  Krän- 
zung im  Theater  in  den  großen  Dionysien  bezieht.  Es  ist  nicht  deuk- 
bar,  daß  diese  Kränzung  länger,  als  bis  zu  den  nächsten  Dionysien 
verschoben  wurde,  somit  gehört  sie  in  die  des  Archonten  Nikomachos, 
d.  h.  in  den  März  340.  Statt  dessen  datiert  das  Decret:  hnl  XceiQcovSov 
'Hyifiopog  äQxovrog  rafifjhöüvog  herrj  dcmövrog.  Könnte  der  be- 
zeichnete Tag  auch  richtig  sein,  so  bleibt  die  Verkehrtheit  der  Jahres- 
bezeichnung. Allerdings  hat  eine  Handschrift  knl  XatQcovSov  ä(JXovTog 
TjyBfiötfog,  so  daß  man  wohl  daran  gedacht  hat,  iiyBfjiövog  sei  eine 
Glosse  zu  äQxovTog;  doch  gehört  dazu  ein  starker  Glaube.   Man  wird 


*  [Es  wird  jetzt  ngeaßtmuviac  gelesen]. 


1 90  Demosthenes 

Wühl  'Hyifjiovo^  oder,  wenn  man  es  nicht  ganz  so  toll  haben  will, 
'Hyij^ovoq  als  Vatersname  verstehen  müssen,  was  freilich  im  officiellen 
Stil  vollkommen  unerhört  ist;  will  man  gleichnamige  Archonten  unter- 
scheiden, so  nennt  man  wenigstens  in  späterer  Zeit  (Corp.  Inscr.  Gr.  I 
124  =  C.  I.  A.  II  475)  und  in  der  gelehrten  Chronologie  (so  Argum. 
Arist.  Lysist.)  den  Namen  des  Vorgängers  hinzu.  Aber  vielleicht  sagt 
man,  daß  dieser  Antrag  unter  dem  Archon  Nikomachos  gemacht  sei, 
ergebe  sich  nur  aus  Combination,  müsse  also  der  unmittelbaren  Über- 
lieferung dieses  Decretes  nachstehen,  der  Chairondas  sei  ja  kein  Pseude- 
ponymos,  sondern  Archon  des  Jahres  Ol.  110  3.  Wir  wollen  nicht 
das  schon  verdammte  Decret  des  Ktesiphon  (§  118)  zu  Hilfe  rufen, 
das  im  Pyanopsion  desselben  Jahres  gemacht  sein  will  und  also  nicht 
das  SevTSQOv  x/jQvyfia  (§  88),  sondern  älter  als  dies  des  Aristonikos 
wäre.  •  Es  reicht  hin  zu  bemerken,  daß  schon  im  Metageitnion  des 
Jahres  Chairondas  die  Schlacht  von  Chaironeia  geliefert  ist,  und  sieben 
Monate  später  niemand  auf  Eränzung  des  Demosthenes  für  die  einst- 
malige Befreiung  der  schon  wieder  von  Philippos  unterworfenen  Insel 
antragen  wird,  am  wenigsten  Aristonikos,  der  Staatsschuldner  und 
ärtpioq  geworden  war,  und  das  Geld,  das  er  zu  seiner  Lösung  zusammen- 
gebracht hatte,  zu  den  angestrengten  Rüstungen  gleich  nach  jener 
Niederlage  beisteuerte  [vnku,  Krrja.  §  312),  daß  aber  dieser  Pseude- 
ponymos  nicht  Prytanienschreiber  sein  kann,  ist  gewiß,  sobald  die 
Unrichtigkeit  dieser  Hypothese  uns  auch  nur  bei  einem  der  schon 
besprochenen  Pseudeponymen  nachzuweisen  gelungen  ist 

[817]  Der  Antragsteller  heißt  in  unserem  Decret  'Aüimovixo^ 
(l>()sü^()iog,  während  im  Leben  der  zehn  Redner  (S.  372)  steht  noförog 
fW  'iyoa^pe  arKpavcad-Tivat  avröv  XQ^<^^  (TTe(püvq)  !AQi(TT6vtxog  JVixo- 
cfävovg  !Avayv()a(nog,  vncopidGaro  Sk  AidivSa^;,  Diese  letzte  Notiz 
fällt  mit  Recht  auf,  da  nach  Dem.  viikQ  KrrifT.  §  223  Diondas  die 
Ehrendecrete  des  Hyperides  und  Demomeles  angriflF.  Hier  sind  zwei 
Erklärungen  möglich:  entweder  sind  die  Worte  vncjfiöaaro  dk  JicjvSag 
ein  späterer  Zusatz  entweder  des  Autors  oder  eines  anderen,  wie  sich 
deren  so  viele  und  oft  ungeschickte  in  den  X  Oratt.  finden,  und  wir 
selbst  oben  zu  dem  richtigen  EvßovXog  ö  ^mv&üoov  das  ungeschickte 
n()oßaXi(Tiog  aus  der  Rede  gegen  Neaira  beigeschrieben  fanden;  oder 
der  Zusatz  ist  richtig  und  Diondas  hat  so  gut  wie  den  Hyperides  und 
Demomeles  vorher  auch  den  Aristonikos  angeklagt  Und  dies  zu 
glauben  bin  ich  sehr  geneigt,  da  Demosthenes  (§  138)  klagt,  wie  vielerlei 
Hemmnis  eben  in  diesem  Winter  34^0  ihm  in  den  Weg  gelegt  worden 
sei;  SeScjxare,  fährt  er  fort,  i&et  rtvi  (pavXto  nöXkrjv  k^ovaiav  rw 
ßovlofjLivoi  Tov  ?yeyovTÜ   r/   r(ö«/  vfiTv  (TVfi(pB()6vT(ov  vTtoffxeh'^aiv  xai 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  191 

• 

(7vxo(pavTeTv ,  rfjg  kni  raig  kotSo^iaig  ijSovi}g  xal  /ao/rog  rö  rfjg 
nölecog  avfi(peoov  ävTakkarröfiievoi  x  r  L  Hieraus  sieht  man  wenig- 
stens, daß  Demosthenes  Feinde  eben  damals  nicht  ruhten  und  am 
wenigsten  eine  solche  Auszeichnung  unangefochten  gelassen  haben 
werden,  was  man  daraus  vermuten  könnte,  daß  Demosthenes  einer 
Klage  gegen  Aristonikos  Antrag  nicht  erwähnt.  Jedenfalls  thut  dieser 
nur  vielleicht  fehlerhafte  Beisatz  der  vorhergehenden  Notiz  nicht  Ein- 
trag, und  wenn  zwischen  ihrer  Autorität  und  der  des  vorliegenden 
Decretes  zu  wählen  ist,  wird  man  sich  ohne  Frage  für  die  ersteie 
entscheiden  müssen. 

Das  Decret  bietet  sonst  keine  wesentlichen  Schwächen  dar,  aber 
leugnen  will  ich  es  nicht,  daß  mir  auch  die  allgemeine  Fassung  nicht 
eben  zusagt  So  üblich  das  TtoXXäg  xal  fieydXag  X()eiag  in  derartigen 
Inschriften  ist,  ebenso  unglaublich  kommt  es  mir  vor,  daß  so  allgemeine 
Ausdrücke,  wie  /pc/c^g  naoitrxfjtai  reo  Stjfi(p  rtp  'A&rivaimv  xa) 
nokXoTg  r&v  (TVfifiäxoJv  oder  xat  rtvag  r&v  hv  rfj  Evßoicc  nöXeojv 
ijUv&ioiDxe  [818]  in  der  Wirklichkeit  gebraucht  sein  sollten.  Der 
Schluß  lautet:  r^g  Si  dvayoQevaecog  rov  aretfdvov  ^7ttfieX7jd'j]vai  rijv 
TiQvravsvovaav  (pv7.iiv  xal  rdv  (iy(ovo&iT7]v,  Einsv  'AQiarövixog 
<l>QeäQpiog.  Ausser  dieser  lästigen  und  nicht  officiellen  Wiederholung 
des  eiTtBv  x  r  L  fallt  es  auf,  daß  hier  die  prytanierende  Phyle  nebst 
dem  Agonotheten  die  Verkündigung  des  Kranzes  besorgt,  während  die 
noirjaig  desselben  niemandem  ausdrücklich  übertragen  wird:  in  den 
Ehrendecreten  für  Spartakos  u.  s.  w.  haben  ol  inl  rfj  Siotxijasi  rfig 
TcouiaBmg  rov  (Ttetpeivov  xai  rTjg  üvayoQBvatwg  zu  sorgen.  In  den 
Ehrendecreten  unserer  Rede  dagegen  ist  einmal  der  Agonothet  (§  1 1 9), 
ein  andermal  sind  die  Thesmotheten,  Prytanen,  Agonotheten  {§  116) 
mit  der  Verkündigung  und  nur  mit  ihr  beauftragt;  eine  dritte  Varietät 
bietet  der  vorliegende  Beschluß,  in  einem  vierten  ist  gar  nicht  gesagt, 
wer  die  Verkündigung  besorgen  soll.  Solche  Abwechselung  müßte  selt- 
sam erscheinen,  wenn  die  Echtheit  der  Urkunden  garantiert  wäre. 

Übergehend  zu  dem  Zeugnis  §  137  müssen  wir  zunächst  die 
Zeit^  wann  Anaxinos  in  Athen  als  Spion  hingerichtet  worden,  zu  fixieren 
suchen.  Die  Gesandtschaft  des  Python,  die  Demosthenes  kurz  vorher 
(§  136)  erwähnt,  haben  wir  uns  oben  veranlaßt  gesehen  in  den 
Winter  34^0  zu  setzen;  daß  dieselbe  nicht  mit  Winiewsky  in  Ol.  109  1 
zu  setzen  ist,  hat  Brückner  S.  216  ff.  befriedigend  nachgewiesen.  Python 
konnte  d>g  hv  alaxvvt}  tcouigodv  rijv  nöXiv  xal  Se/^cjv  äSixovaav  in 
der  That  nur  nach  den  Vorfällen  auf  Euboia  und  in  Thessalien,  d.  h. 
nach  dem  Sonuner  und  Herbst  341  sprechen.  Demosthenes  fährt  dann 
fort,  Aischines  habe  damals  mit  allem  Eifer  für  die  makedonische  Sache 


1 92  Demosthenes 

gesprochen,  xai  ovx  änixif'fi  ravra^  ccXXä  nüXiv  fierä  ravO-'  vartQov 
!Ava^iv(p  T(p  xaTCitTxönq)  (rwio)v  «/cj  rijv  0QÜ(T<ovog  oixiav  kkyff&i] .... 
xai  8ti  tuvt  d?*7j/)^7]  Xiyo),  xüXet  fioi  tovtcov  rovg  fjLciorvQccg.  Hieranf 
folgt  das  in  Frage  stehende  Zeugnis.  Dann  sagt  Demosthenes  weiter: 
er  könne  noch  tausend  Dinge  der  Art  anführen  ä)v  ovrog  xux  hcsivovg 
rovg  XQ^^ovg  roTg  fiiv  ^x^^Qolg  vnriQEx&v  ifxoi  S'  k7trj(}eä^(ov  evQS&j], 
Dem  Feinde  Beistand  zu  leisten,  bevor  der  Krieg  offenbar  ausgebrochen, 
sei  freilich  schrecklich,  doch  möge  das  sein,  äl?J  iTtetSt/  (pavig&g  ^Sjj 
TU  nXoTa  iaefTvhjTo  x  r  X.  Hieraus  ergiebt  sich,  daß  der  Vorfäll  mit 
Anaxinos  zwischen  der  Gesandtschaft  des  Python  und  der  Plünderung 
der  Schiffe,  zwischen  dem  Ende  [819]  des  Jahres  341  und  dem  Früh- 
ling 340  etwa  in  den  Gamelion  des  Jahres  Nikomachos  anzusetzen  ist. 
Aischines  (xura  Kr^ita,  §  223)  erzählt  die  Sache  des  Anaxinos 
folgendermaßen:  eben  habe  Demosthenes  von  ihm  mit  einer  Eisangelie 
(wohl  pii]  rä  ä(ji<TTa  Gv^ßovXemca  xQ^if^^'^^  Xaßojv  in  Beziehung  auf 
die  Angelegenheit  Euboias  §  221)  bebngt  werden  sollen,  da  habe  der- 
selbe den  Anaxinos  aus  Oreos,  der  für  Olympias  Waren  einzukaufen 
nach  Athen  gekommen  sei,  ergreifen,  foltern  lassen,  zum  Tode  gebracht 
(anhereivag,  vielleicht  nur  toten  wollen),  den  Anaxinos,  mit  welchem 
er  Gastfreund  gewesen  und  an  dessen  Tisch  er  gespeiset  habe;  darüber 
habe  er,  Aischines,  ihn  vor  allem  Volk  Mörder  des  Gastfreundes  ge- 
nannt, und  das  Volk  und  alle  Fremde,  die  umher  gestanden,  hätten 
aufgeschrieen  bei  Demosthenes  Worte:  daß  er  das  Salz  der  Stadt  höher 
schätze,  als  den  Tisch  des  Gastfreundes.  Dann  fährt  Aischines  fort: 
l^TTttrrokäg  Si  aiycD  VfevSBTg  xai  xarafrxömov  (rvXh'jifmg  xat  ßaftüvovg 
hn  alriaig  äyev/jroig  djg  ^juoi)  fiera  rivmv  hv  ry  nö^Bi  vaeoreoi^etv 
ßovlofiivov.  Hieraus  darf  man  abnehmen,  daß  das  Verfahren  gegen 
Anaxinos  sich  auf  Briefschaften  begründete,  von  denen  Demosthenes 
Kenntnis  erhalten  haben  wollte,  Briefe,  durch  welche  Aischines  com- 
promittiert  wurde,  daß  femer  die  Ergreifung  und  Folterung  des  Ana- 
xinos vorgenommen  wurde,  um  Zeugnis  gegen  Aischines  zu  gewinnen; 
aber  von  einem  Prozeß,  den  Demosthenes  gegen  Aischines  auch  nur 
begonnen,  ist  keine  Spur,  und  jedenfalls  hätte  ihn  Demosthenes,  wenn 
gegen  Aischines  entschieden,  Aischines,  wenn  er  freigesprochen  oder 
die  Klage  zurückgewiesen  wurde,  erwähnen  müssen.  Vielmehr  aus 
Demosthenes  eigenen  Worten:  Ssöcixare  i^&si  nv)  (pavho  noXlijv 
i^ovaiav  reo  ßovXofiivq)  rov  kiyovrä  ri  t6)v  vfiiv  avfKfBoövTcov  vnotrxa- 
?u^Btv  xai  (TvxotpavTBTv,  rijg  hnl  ratg  XoiSoQiatg  xai  ;(^c^(;/ro^  t6  rtig 
Ttökatög  avfxtfiQov  dwakkarTÖfievoi,  aus  diesen  Worten,  verglichen  mit 
dem  oben  aus  Aischines  angeführten,  geht  hervor,  daß  Demosthenes 
selbst  infolge  jenes  gewaltsamen  Verfahrens  mancherlei  Anschuldigungen 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  193 

hören  mußte  (bei  Dinarch  xarä  JrjfjLoad-.  §  63  ist  statt  'Aqxivov 
vielleicht  !Avcc^ivov  zu  schreiben,  wenn  schon  der  Thatbestand  dort 
bedeutend  anders  erscheint). 

Das  Zeugnis,  das  jetzt  in  Demosthenes  Rede  gelesen  wird,  lautet: 
TikiSfiiiiog  Kkitovog,  ^YnsQiStjg  KaXkaiaxQoVj  NiXÖpLccxog  /liotpavrov 
^uQtvQovai  Jrjfioa&ivBi  xai  kncjfiöaccvTO  inl  z&v  GrQarrjycjv^  eiSivai 
u.4laxivriv  ^TQOfifjrov  Ko&o)xiStjv  (TwsQ/öfuvov  vvxrog  Big  t)^v  0(>rf- 
ncavog  olxiav  xai  xoivoXoyovfjLevov  Idva^ivw,  6g  kxQi&r]  tlvai  xara- 
axonog  nagä  <l>ihnnov.  Avxcci  äneSöötjaav  ai  fiaoTV()icci  ini  Nixiov 
'Exarofißat&vog  tqitjj  iarafxivov.  Mit  bewunderungswürdigem  Scharf- 
sinn hat  Böckh  die  Seltsamkeiten  dieser  Worte  zu  einer  überraschenden 
Lösung  vereinigt,  der  dann  Winiewsky  eine  noch  feinere  Distinction 
zu  geben  gesucht  hat.  Sie  meinen:  Demosthenes  habe  Aischines  in- 
folge seiner  Zusammenkunft  mit  Anaxinos  bei  den  Strategen  denunciert, 
und  dazu  sei  dies  Zeugnis  beigebracht  und  vor  den  Strategen  be- 
schworen worden;  dies  Zeugnis  sei  dann,  wie  Böckh  meint,  von  den 
[820]  Strategen  an  den  Bat  übergeben,  der  die  Sache  nicht  zu  einer 
Untersuchung  gegen  Aischines  geeignet  befunden  habe;  nach  Winiewskjs 
Meinung  sei  Demosthenes  selbst  mit  diesem  Zeugnisse  von  den  Stra- 
tegen an  den  Bat  beordert  worden  und  habe  dort  mit  den  Zeugen, 
die  ihre  Aussage  schon  bei  den  Strategen  beschworen,  die  Sache  zur 
weiteren  Untersuchung  übergeben;  der  Prytanienschreiber  Nikias  habe 
dies  Zeugnis  einregistriert  am  3.  Hekatombaion;  die  Sache  sei  dann 
als  Eisangelie  an  das  Volk  gebracht,  aber  dort  zurückgewiesen  worden, 
und  aus  den  Akten  des  Bates  her  habe  jetzt  Demosthenes  das  Zeugnis 
entnommen. 

So  gewandt  diese  Erklärungen  sind,  so  dürften  sie  doch  keines- 
wegs befriedigend  genannt  werden  können.  1.  Es  wird  vorausgesetzt, 
daß  Demosthenes  die  Denunciation  an  die  Strategen  gebracht  und  bei 
denselben  durch  die  drei  Zeugen  erhärtet  habe;  praetores  mim,  sagt 
Winiewsky  S.  351,  solitos  esse  eis,  qui  cum  koste  familiaritatem  habuerint, 
proditionis  litem  iniendere  liquet  ex  catisa  Antiphoniea  et  ülo  senatus 
eonsulto,  quod  in  Äntiphontis  vita  servamt  Pseudopluiarchus  (vgl.  Schoemann 
de  comit.  S.  202).  Aber  diese  Berufung  ist  nicht  ganz  passend;  in 
Antiphons  Prozeß  machen  die  Strategen  die  Denunciation  bei  dem 
Senat,  der  ihnen  und  einigen  Senatoren  die  Klage  TtQoSoaiag  von 
Staatswegen  zu  machen  übergiebt;  der  Prozeß  selbst  wird  wie  stets 
Hochverrat  bei  den  Thesmotheten  verhandelt.  Wollte  Demosthenes 
gegen  Aischines  eine  Klage  %Qo8oatag  oder,  worauf  das  va(OT8o/^eiv 
in  Aischines  Angabe  zu  führen  scheint,  xaraXvaecjg  rov  St'i^ov  machen, 
so  konnte  er  entweder  unmittelbar  eine  yQatpi)  einreichen,   oder  die 

Droysen,  Kl.  .Schriften  I.  13 


194  Demosthenes 

Form  der  Eisangelie  wählen.  That  er  jenes,  so  mußte  die  yQcc(pri  bei 
den  Thesmotheten  eingereicht,  bei  ihnen  auch  das  betreffende  Zeugen- 
verhör vorgenommen  werden  und  das  kncofiöaavro  knl  rßiv  argarri' 
y&v  unserer  Urkunde  konnte  in  keinem  Stadium  dieses  Prozesses  vor- 
kommen. Wählte  Demosthenes  Eisangelie,  so  war  die  Denunciation 
den  Prytanen  zu  insinuieren,  die  entweder  im  Rat  oder  im  Volk  ab- 
stimmen lassen  mußten,  ob  die  Klage  angenommen  werden  solle,  und 
im  Falle  der  Annahme  ging  der  Prozeß  an  die  Thesmotheten  und  ein 
von  ihnen  geleitetes  Gericht,  wenn  nicht  das  Volk  selbst  auch  die 
Entscheidung  des  Prozesses  übernahm.  Wenn  in  diesem  Fall  die  Stra- 
tegen die  Leitung  der  richtenden  Ekklesie  erhielten  (was  durch  keine 
Nachricht  auch  nur  angedeutet  wird),  so  mochte  vor  ihnen  ein  Zeugnis 
beschworen  werden.  Aber  in  allen  Fällen  konnte  jenes  Zeugnis  nur 
erst  in  der  Anakrisis  angenommen  werden,  das  heißt,  nachdem  die 
Eisangelie  eingebracht  und  angenommen  worden;  daß  es  aber  so  weit 
nicht  gekommen,  geht  aus  dem  Stillschweigen  des  Aischines  hervor, 
der  das  größte  Interesse  hatte,  geltend  zu  machen,  daß  Demosthenes 
nicht  mit  der  Eisangelie  gegen  ihn  durchgekommen  sei,  oder  gar  bei 
der  Entscheidung  selbst  verloren  habe.  Möglich  wäre  noch,  daß  De- 
mosthenes die  Anzeige  bei  den  Strategen  zu  weiterer  Maßnahme  ge- 
macht hätte,  und  daß  von  diesen  dann,  wie  in  dem  Prozeß  des  Antiphon, 
die  Eisangelie  eingebracht  wäre;  natürlich  konnte  sie  auch  in  diesem 
Falle  nach  den  vorbemeikten  Gründen  nicht  bis  zur  richterlichen  Ent- 
scheidung gediehen  [821]  sein,  aber  es  wäre  eine  Möglichkeit,  wie  jenes 
Zeugnis  für  Demosthenes  bei  den  Strategen  abgelegt  sein  konnte.  Aber 
auch  dies  ist  undenkbar,  da  die  Strategen  in  solchem  Falle  nicht  das 
Becht  einen  Eid  entgegen  zu  nehmen  haben,  und  derselbe  wenigstens 
nicht  von  gerichtlicher  Gültigkeit  sein  konnte,  da  sie  ja  selbst  erst 
durch  Einbringung  der  Eisangelie  Kläger  wurden,  Demosthenes  aber 
ihnen  die  Sache  übergebend  ganz  in  den  Hintergrund  trat  und  für 
ihn  in  jener  Sache  ein  Zeugnis  abzulegen  gar  kein  amtlicher  Anlaß 
vorhanden  war. 

Demosthenes  sagt  vor  dem  Ablesen  des  Zeugnisses:  xdl^i  fiot 
rovTcov  rovq  (iccQTVQaq,  Wenn  diese  persönlich  auf  die  Bühne  traten 
und  in  ihrem  Namen  verlesen  wurde  fia^rvQovai  xcä  kncjfiöaavtOy 
so  kann  das  unmöglich  heißen,  sie  gaben  vor  Jahren  dies  Zeugnis 
ab  und  beschworen  es,  sondern  sie  bezeugen  es  eben  jetzt,  das  heißt, 
Demosthenes  hat  sich  gerade  für  diesen  Prozeß  ihr  Zeugnis  ausgebeten, 
mag  dasselbe  in  der  Anakrisis  vorgekommen  sein,  oder  was  wahrschein- 
licher ist,  nicht  vorgekommen  sein;  Demosthenes  hätte  sonst  durchaus 
nicht  unterlassen  können  zu  sagen,   daß  er  ein   früher  abgegebenes 


Die  UrkuDden  der  Kranzrede  195 

Zeugnis  vorlesen  lassen  wolle.  Oder  hat  auch  dies  Zeugnis  der  hypo- 
thetische Gelehrte  aus  den  Akten  des  Rates  entnommen,  während  das 
wirklich  vorgelesene  verloren  gegangen  ist?  Es  mag  verloren  gegangen 
sein,  jener  Gelehrte  mag  nach  Jahrhunderten  in  den  Akten  des  Kates, 
oder  wo  er  sonst  will,  nach  jenem  früheren  Zeugnis  gesucht  haben; 
konnte  denn  ein  dergleichen,  wie  er  uns  aufgetischt  hat,  konnte  es  in 
dieser  Form  existieren?  weder  durch  Eisangelie  noch  durch  Schrift- 
klage hat  Demosthenes  den  Aischines  infolge  des  Verkehrs  mit  Anaxinos 
wirklich  angeklagt,  und  wenn  er  es  hat  thun  wollen,  so  ist  die  Sache 
nicht  bis  zur  Anakrisis  gediehen,  und  wenn  es  so  weit  gediehen,  so 
hat  dies  Zeugnis  auf  keine  Weise  knl  r&v  GTQcerriy&v  beschworen 
werden  können,  es  müßten  denn  alle  sonstigen  Nachrichten  über  Hoch- 
verratsprozesse durch  dieses  eine  Beispiel  Lügen  gestraft  werden. 

Doch  wir  wollen  jede  beliebige  Annahme  zur  Erklärung  der  be- 
sprochenen Worte  zugeben,  es  soll  das  Zeugnis  wirklich  von  den  drei 
genannten  einst  abgegeben  worden  und  aus  den  Archiven  entweder 
von  Demosthenes  oder  dem  Gelehrten  eingeschaltet  sein,  so  wird  man 
doch  Anstoß  daran  nehmen  müssen,  daß  die  drei  Zeugen  sich  gegen 
allen  Brauch  nur  mit  ihrem  und  ihres  Vaters  Namen  nennen.  Wir 
haben  eine  Menge  von  Zeugenaussagen  bei  den  Kednem,  aber  nie, 
nicht  einmal  in  Privatprozessen,  nennt  sich  ein  Zeuge  auf  die  Weise 
wie  hier,  sondern  stets  mit  Hinzufügung  seines  Demos  und  zwei-  oder 
dreimal  aus  nachweisbaren  Gründen  nur  mit  seinem  Namen.  Daß  von 
drei  Zeugen  sonst  keiner  bekannt  ist,  mag  für  erklärlich  gelten;  die 
Namen  scheinen  wieder  bunt  zusammengewürfelte 


^  Die  drei  Zeugen  heißen  Teledemos  Kleons  Sohn,  Hyperides  Kallaischros 
Sohn,  Nikomachos  Diophantos  Sohn.  Der  letzte  Name  ist  für  die  attischen 
Genealogieen  von  einigem  Interesse,  und  es  mag  erlaubt  sein,  einiges  darüber 
mitznteilen.  Diophantos,  der  Sphettier,  war  nach  Harpocr.  v.  Melavion,  Schwager 
des  Melanopos  des  Sohnes  des  Laches,  Melanopos  aber  ist  ein  in  der  Familie 
des  Laches  wiederkehrender  Name,  wie  denn  der  Vater  dieses  Melanopos  selbst 
wieder  Laches  heißt  (Dem.  ep.  III  S.  21);  deshalb  weise  ich  diesen  Melanopos 
unbedenkUch  der  Familie  des  aus  dem  peloponnesischen  Kriege  berühmten 
Laches  zu.  Über  das  Verhältnis  desselben  zu  Kallistratos  hat  mein  Freund 
Bergk  commentt  S.  405  gesprochen  vgl.  Plut.  Dem.  c.  18;  er  war  Ol.  102  1 
unter  den  nach  Sparta  geschickten  Gesandten  (Xenoph.  HelL  VI  8,  2),  er  ist  es 
auch,  der  in  dem  Protesilaos  des  Anaxandrides  durchgenommen  wurde  (Athen. 
XII  558  XV  689),  welche  Komödie  um  die  Zeit  der  Vermählung  des  Iphi- 
krates  mit  der  Schwester  des  Kotys  aufgeführt  wurde,  also  um  Ol.  100  (Athen. 
IV  131).  Ist  nun  sein  Vater  der  berühmte  Laches?  Melanopos  war  Ol.  106  3 
unter  den  Gesandten  nach  Karlen,  über  welche  der  Prozeß  gegen  Timokrates 
handelt,  und  in  der  Rede  maxa  TifioxQUTovg  §  127  spricht  Demosthenes  von  dem 
Vater  Laches,  er  solle  ein  wackerer  Mann  gewesen  sein  (x^rjaTb^  xai  q>d6noXi^) 

13* 


196  Demosthenes 

[822]  Die  Schlußworte  mit  ihrem   avrccf   ai  imQTVQim   dienen 
nicht  eben  dazu,  die  Echtheit  des  Decretes  wieder  wahrscheinlicher  zu 

und  er  wolle  von  ihm  nichts  Schlechtes  sagen,  auch  nicht  ob  er  öffentliche^ 
Gelder  unterschlagen  habe,  was  sich  sehr  wohl  auf  die  Geschichte  beziehen 
ließe,  die  Aristophanes  so  lustig  als  Hundeprozeß  behandelt  hat  (s.  unsere  Ein- 
leitung zu  den  Wespen^  S.  13).  Aber  diese  Ansicht  läßt  sich  nicht  mit  dem 
Alter  der  betreffenden  Personen  vereinigen.  Laches,  des  Melanopos  Sohn,  der 
Aixoneer,  war  bereits  Ol.  91  1  bei  Omeai  gefallen  (Androtion  beim  Schol.  zu 
Arist.  Aves  13),  und  er  war,  wie  aus  dem  gleichnamigen  Platonischen  Gespräch 
hervorgeht,  älter  als  Lysimachos  und  Milesias,  die  auch  schon  herangewachsene 
Söhne  hatten.  Wir  finden  bei  Lysias  iiqbi;  ^ÜfKora  §  45  einen  Laches  als 
Taxiarchen  im  korinthischen  Kriege,  und  diesen  halte  ich  für  einen  Enkel  des- 
ersten,  für  den  Vater  unseres  Melanopos;  denn  in  der  um  Ol.  98  gehaltenen 
Rede  Tiegi  tov  Jix.  xXr'j^ov  §  32  finden  wir  einen  Melanopos  als  zum  Schieds- 
richter vorgeschlagen  (etwa  Ol.  97)  erwähnt,  der  den  Altersverhältnissen  nach 
nicht  der  obige,  sondern  nur  des  Taziarchen  Vater  sein  kann.  Seine  Enkelin 
gebar  dem  Diophantos  zwei  Söhne  (Dem.  n^og  Aaxg.  §  6)  Thrasymedes  und 
Melanopos,  und  jene  Rede  ist,  wie  man  aus  §  40  sieht,  noch  bei  Lebzeiten  des 
Isokrates  geschrieben,  so  daß  Diophantos  (fixet^ot;)  Söhne  wenigstens  vor  Ol.  110 
schon  Männer  waren.  Dieser  Diophantos  (wohl  zu  unterscheiden  von  dem 
6^<pav6c  bei  Aischin.  xaiä  Tifiaqx-  §  158)  wird  in  der  Rede  des  Isaios  uBql  tov 
J/vQQov  xX.  §  22  genannt,  deren  Zeit  sich  daraus  einigermaßen  bestimmt,  es  ist 
derselbe,  der  Ol.  107  1  das  bei  Dem.  negi  naqan.  §  86  erwähnte  Decret  machte, 
und  der  in  der  Leptinea  §  137  erwähnt  wird;  aber  ne^yl  naqan.  §  297  nennt 
ihn  Demosthenes  neben  den  großen  Rednern  (laxvQoi  '^c'^ovaai)  Aristophon  und 
KalliBtratos,  und  nach  jener  Stelle  war  Diophantos  damals  entweder  schon  tot 
oder  hochbejahrt.  Daher  glaube  ich,  daß  der  §  198  genannte  ein  anderer  ist. 
[Diophantos  bei  Nectanebos  Diod.  XVI  48  vgl.  Isocrates  ep.  8,  8.  Zusatz  des 
Verf.].  AVir  finden  Ol.  112  1  einen  Diophantos  an  Alexandros  gesandt  (Arrian. 
III  6,  2)  xal  ovtoi  T(üv  le  äXXcjy  Sxvxov  €ov  evexa  earuAi/aa»'  x  i  X.  und  Laches  der 
Sohn  des  Melanopos,  wurde  auf  Fürwort  des  Alexandros  von  den  Athenern  von 
einer  Strafe  befreit  (Dem.  ep.  III  a.  a.  0.),  was  ich  mit  jener  Sendung  zusammen- 
bringe und  woraus  ich  schließe,  daß  der  jüngere  Diophantos  wieder  ein  Ver- 
wandter des  Laches  ist;  ich  setze  vermutungsweise,  ein  Sohn  des  Sphettiers 
Melanopos.    So  erhalten  wir  folgendes  Stemma: 

Melanopos  der  Aixoneer 


Laches  t  Ol.  91  1 

I 
Melanopos 

I 

I 
Laches  um  Ol.  94 

Taxiarch 

A 

Melanopos    Brüder    Schwester  *>-  Diophantos  j  gegen  Ol.  108 

I  der  Sphettier 

Laches  -^  Demosthenes  Schwester?  rr^ "^TrT T^ 

um  Ol  112  Melanopos     Thrasymedes 


Diophantos 
um  Ol.  112 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  197 

machen.  Jener  Plural  ist  so  ohne  alles  Beispiel,  daß  sich  Winiewsky 
bewogen  fand,  diese  Unterschrift  des  Prytanienschreibers  Nikias,  wie 
er  meint,  auch  auf  das  zwei  Paragraphen  vorher  gelesene  [823]  Zeugnis 
auszudehnen,  das  sich  zwar  auf  einen  früheren  Vorfall  bezieht,  vom 
Aischines  aber  behufs  jener  Eisangelie  gegen  Demosthenes  beigebracht 
und  gemeinschaftlich  mit  vorliegendem  Zeugnis  dem  Prytanienschreiber 
eingehändigt  worden  sei.  Er  hat  zwar  kein  Beispiel  eines  solchen 
Ablieferungsscheins  an  einem  Zeugnis  aufzuweisen,  doch  mag  der 
Schreiber  dergleichen  notiert  haben;  obschon  nicht  recht  begreiflich 
wird,  wozu  es  dann  mitgelesen  oder  von  dem  gelehrten  Bearbeiter  der 
Kede  mit  abgeschrieben  sein  sollte.  Winiewsky  meint,  wie  gesagt,  das 
inl  Nixiov  bezeichne  nicht  den  Archen  (obschon  man  leicht  eine 
Corruptel  statt  Inl  Nixofidzov,  in  dessen  Jahr  die  Sache  mit  Anaxinos 
wirklich  vorgefallen  ist,  vermuten  könne),  sondern  den  Prytanien- 
schreiber. Dies  wollen  wir  annehmen;  am  dritten  Hekatombaion,  d.  h. 
am  4  Juli  341  müßte  demnach  ein  Verfahren  gegen  Aischines  schon 
eingeleitet  und,  da  es  im  Zeugnis  heißt  !Avcc^ivco,  8g  kxQi&rj  elvat 
xccxdaxonoqj  dieser  Anaxinos  bereits  gerichtet  gewesen  sein,  so  daß 
dessen  Ergreifung  wohl  ein  oder  zwei  Monate  früher,  etwa  im  Mai  341 
(Ol.  109  3)  erfolgt  wäre.  Ich  will  nichts  darauf  geben,  daß  gerade 
damals  im  Mai  oder  Juni  341  die  Rede  vom  Chersones  gehalten  worden, 
in  der  sich  nichts  vom  Anaxinos  findet;  entscheidend  ist,  daß  sich  in 
ihr  durchaus  nicht  die  allarmierte  Gesinnung  ausspricht,  aus  der  solche 
That  erklärlich  wäre.  Denn  das  Gericht  über  Anaxinos  ist  ein  höchst 
ungerechtes;  man  war  noch,  wenigstens  dem  Namen  nach,  mit  Phi- 
lippos im  Frieden.  Ein  so  gewaltsames  Verfahren  konnte  allenfalls 
entschuldigt  werden,  wenn  man  bereits  aus  Euboia  des  Philippos  Söldner 
vertrieben,  am  pagasaeischen  Meerbusen  Besitz  ergriffen  und  somit 
partiell  den  Krieg  eröffnet  hatte,  wenn  bereits  mit  Python  vergebliche 
Unterhandlungen  gepflogen  und  alle  Gemüter  auf  die  sofortige  Kriegs- 
erklärung gefaßt  waren;  ein  halbes  Jahr  früher  dagegen  wäre  solcher 
Justizmord  ohne  allen  Nutzen,  ohne  allen  Vorwand  und,  man  darf  es 
zu  Ehren  der  Athener  glauben,  undenkbar. 

Wenn  gleich  das  Gesagte  nicht  Ansprüche  darauf  machen  kann, 
unwiderleglicher  Beweis  zu  sein,  so  wird  man  doch  ebenso  wenig  die 
bemerklich  gemachten  Schwierigkeiten  hinwegleugnen  oder  die  ver- 
suchten Erklärungen  für  ausreichend  halten  können;  und  wir  müssen 
es  dem  Urteil  unserer  gelehrten  Leser  überlassen,  ob  sie  bei  der  offen- 
baren Unechtheit  der  Urkunden  in  unserer  Bede  den  anderen,  gegen 
welche  wenigstens  Verdachtsgründe  [824]  vorhanden  sind,  des  weiteren 
Glauben  schenken  wollen. 


198  Demosthenes 

[910]      VII.  Urkunden  Ober  den  Frieden  des  Philokrates. 

Die  Yerhandlungen  über  den  sogenannten  Frieden  des  Philokrates^ 
welcher  dem  heiligen  Kriege  OL- 108  2  ein  Ende  machte,  sind  aus 
den  [Darstellungen  des  Demosthenes  und  Aischines  in  ihren  Beden 
neQi  naQanQ6<Tße/aQ  ziemlich  genau  bekannt,  wenn  schon  sich  die 
Angaben  beider  in  manchen  Einzelheiten  geradezu  widersprechen. 

Die  Athener  hatten  sich  vergeblich  bemüht,  dem  Umsichgreifen 
des  Philippos,  namentlich  als  er  Olynthos  auf  das  Härteste  bedrängte, 
entgegenzutreten;  der  Fall  dieser  Stadt  und  die  geringen  Aussichten, 
wenn  der  Krieg  gegen  Makedonien  fortgesetzt  wurde,  dazu  das  Ent- 
gegenkommen des  Philippos  und  seine  Anerbietungen  machten,  daß 
des  Philokrates  Antrag,  Gesandte  ne^l  rfjq  bIqtjvtjq  nach  Makedonien 
zu  senden,  angenommen  wurde;  dies  war  im  Sommer  347,  in  der 
ersten  Zeit  des  Jahres  Themistokles,  in  welchem  Demosthenes  in  den 
Sat  gelost  war.  Nachdem  sich  diese  Gesandtschaft;  von  Philippos 
Absicht,  Frieden  zu  schließen,  überzeugt  hatte  und  nach  Athen  zurück- 
gekehrt war,  wurde  in  den  Versammlungen  am  18.  und  19.  Elaphe- 
bolion  der  Friede  beschlossen  und  am  25.  desselben  Monats  in  die 
Hände  der  nach  Athen  geschickten  Gesandten  des  Philippos  beschworen. 
Darauf  brachte  Demosthenes  im  Bäte  einen  Beschluß  durch  (am 
3.  Munychion  Aischin.  neQi  naganQ.  §  90),  die  Gesandten  knl  rovg 
6(fxovQ  sollten  so  schnell  als  möglich  abreisen,  um  von  Philippos  den 
von  den  Athenern  schon  beschworenen  Frieden  beschwören  zu  lassen. 

Dies  ist  der  Beschluß,  den  Demosthenes  §  29  unserer  Bede  vor- 
lesen lassen  will;  er  hat  ihn  schon  §  25  bezeichnet  mit  den  Worten 
kyd)  fjiiv  rot  VW  'iyQcapa  ßovkevcjv  änoTtkeiv  rijv  Tux^crrrjv  rovg 
TTQitrßeig  M  rovg  rönovgj  kv  olg  äv  övra  <I>ihnnov  nwOavaDv- 
rai  9cai  rovg  ÖQXovg  änoXccfißüvetv,  und  §  27  TtkeTv  kni  rovg  xöitovg 
kv  oig  &v  p  0ih7tnog  xai  rovg  ÖQXOvg  rijv  rctxicFxvjv  dnoXafißävBiv, 
Daß  das  Decret,  welches  §  29  gelesen  wird,  nicht  das  genannte  ist, 
[911]  ergiebt  sich,  den  Pseudeponymos  bei  Seite  gelassen,  aus  dem 
Datum,  indem  es  statt  im  Munychion  vom  letzten  Elaphebolion  datiert, 
aus  dem  SeSöx^cci  r^  ßovXfj  xccl  T(p  S^/xtp,  statt  daß  es  ein  bloßer 
Senatsbeschluß  sein  müßte,  aus  der  Zahl  und  den  Namen  der  fünf 
Gesandten,  die  gewählt  wurden  u.  s.  w. 

Dies  ist  von  Böckh  u.  s.  w.  anerkannt,  nicht  aber  damit  die  Un- 
echiheit  der  Urkunde  überhaupt  geltend  gemacht  worden.  Vielmehr 
wird  eine  Verwechselung  angenommen,  der  Gelehrte,  der  die  Urkunden 
in  unserer  Bede  eingelegt,  habe  ein  anderes  Decret  von  ähnlichem 
Inhalt  statt  des  passenden  eingelegt;   es  beziehe  sich  nämlich  dieser 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  199 

Antrag  des  Demosthenes  auf  den  Friedensabschluß  im  Sommer  339, 
welcher  der  erfolglosen  Belagerung  von  Byzanz  gefolgt  sei. 

Ist  unser  in  dem  früheren  geführter  Beweis,  daß  dieser  von 
Diodoros  angeführte  Friede  niemals  geschlossen  worden,  befriedigend, 
so  föUt  damit  die  scharfsinnige  Vermutung,  durch  welche  allein  die 
vorliegende  Urkunde  gerettet  werden  kann. 

Aber  wenn  wir  auch  annehmen  woDen,  daß  dieser  Friede  in  der 
That  geschlossen  worden,  so  werden  wir  die  Bestimmungen  in  unserer 
Urkunde  von  der  Art  finden,  daß  sie  sich  auf  keine  befriedigende 
Weise  mit  den  Umstanden  vereinbaren  lassen.  Die  Datierung  lautet: 
^Jii  ä{)XOVToq  Mvf]<n<pikov,  'Exarofißai&vog  'ivrj  xal  ve^,  (pvXfjg 
nQVTav€vovat]g  UccvSiov/Sog  Ji]fjiO(T&ivTj^  JtjfjLOtx&ivov^  Uaiavuvg 
tin%v.  Wir  müssen  uns  hier  wieder  in  Mnesiphilos  den  Schreiber  der 
Prytanie  gefallen  lassen;  es  würde  dann  ein  gar  sonderbarer  Zufall 
mit  im  Spiele  gewesen  sein,  von  dem  wir  bei  dem  nächstfolgenden 
Decret  zu  sprechen  haben  werden.  Die  Bezeichnung  des  letzten  Heka- 
tombaion  könnte  im  Verhältnis  zum  Ende  der  Belagerung  von  Byzanz 
richtig  sein,  doch  wenn  der  von  Philippos  beantragte  Frieden  nachher 
//  iniX^iQOTovfj&etaa  Iv  ry  nQdtrri  hcxlrjai^  heißt,  also  zwischen  dem 
10.  und  15.  Juli  in  der  Ekklesie  angenommen  war,  so  muß  Philippos 
den  Friedensantrag  entweder  sehr  übereilt  gemacht  haben,  oder  die 
Belagerung  von  Byzanz  hatte  wenigstens  schon  im  Mai  ein  Ende,  was 
wieder  mit  den  Verhandlungen  der  Amphiktyonen  nicht  recht  stimmen 
würde.  Doch  sind  diese  Gründe  erst  dann  von  überzeugender  Kraft, 
wenn  man  sie  mit  Plutarchos  Erzählung  (Phoc.  c.  14  und  16)  zu- 
sammenhält, auf  deren  Chronologie  wir  später  zurückkommen  werden. 

Der  Inhalt  unseres  Decretes  ist,  daß  am  letzten  Elaphebolion  (und 
allerdings  ist  nach  Ulpian  neoi  rriv  t{)iccxo(tti)v  regelmäßige  Ekklesie, 
s.  Schoemann  de  comitüs  S.  43)  das  Volk  beschließt,  Gesandte  zu 
wählen  zum  Abschluß  des  Friedens,  dessea  Annahme  man  wenigstens 
zwanzig  Tage  früher  bestimmt  hat.  Ist  es  denn  denkbar,  daß  dieser 
Beschloß,  Gesandte  hnl  rovg  ÖQxovg  zu  wählen,  nicht  sogleich  bei  der 
Epicheirotonie  des  Friedens  mit  gefaßt,  sondern  zu  demselben  erst  in 
einer  so  viel  späteren  Ekklesie  geschritten  wurde?  Hat  man  in  Athen 
solche  Eile,  den  Frieden  zum  Abschluß. zu  bringen,  wie  uns  unser 
Decret  will  glauben  machen,  woza  dann  die  Verzögerung,  daß  erst 
drei  Wochen  später  —  nicht  die  Wahl  vorgenommen,  sondern  sie  vor- 
zunehmen beschlossen  wird? 

[912]  Aber  wozu  überhaupt  solche  Eile,  daß  die  Gesandten  fifjöe- 
fiiav  vnBQßoXrjv  TtoiovfiBvoi  ÖTtov  &v  övra  nvv&avwvrai  röv  (^ihnnovy 
Ti}v  Taxi(TT7iV  den  Schwur  geben  und  nehmen  sollen,  einen  Frieden 


200  Deuiosthenes 

ZU  festigen,  den  abzuschließen  nur  Philippös  ein  Interesse  haben  konnte? 
Die  Athener  waren  durch  die  Rettung  von  Byzanz  und  Perinthos  im 
entschiedensten  Vorteil,  ja,  nach  derselben  noch  entriß  Phokion  dem 
Feinde  mehrere  Städte;  und  sowie  Philippos  die  Unterhandlungen  in 
Ol,  108  2  benutzt  hatte,  bis  zur  Beschwörung  des  Friedens  seine 
günstige  Stellung  und  die  Verluste  des  Feindes  zu  einigen  Occupa- 
tionen  zu  benutzen,  ebenso  hatten  die  Athener  jetzt  allen  Grund,  mit 
dem  Abschluß  des  Friedens  so  lange  zu  zögern,  bis  sie  möglichst  viel 
Vorteil  von  den  einstweiligen  Verhältnissen  gezogen.  Sage  man  nicht, 
daß  solche  politischen  Maßregeln  von  Philippos  Anhängern  behindert 
sein  werden;  denn  Demosthenes  ist  es  ja,  der  dies  Beeret  vorschlägt. 
Noch  weniger  mache  man  die  Generosität  der  Athener  oder  gar  des 
Demosthenes  geltend;  man  thut  beiden  Unrecht,  wenn  man  ihnen 
mehr  Seelenadel  als  Klugheit  zutraut.  Am  wenigsten  konnte  Demo- 
sthenes damit  einverstanden  sein,  einen  Krieg,  den  er  so  eifrig  be- 
trieben, in  der  Zeit  beendet  zu  sehen,  wo  eben  sich  wesentliche  Erfolge 
zu  zeigen  begannen.  Wenn  man  einigermaßen  die  Begebenheiten  im 
Zusammenhange  betrachtet,  wird  man  erkennen,  daß,  wenn  ein  Friede 
geschlossen  worden  wäre,  ihn  Philippos  und  nicht  die  Athener  anzu- 
bieten gehabt  hätten;  wie  hätten  dann  die  Athener  dazu  kommen 
sollen,  Gesandte  auszuschicken  zum  Abschluß  des  Friedens,  den  sie 
nicht  erbeten,  sondern  gewährt  hatten. 

Entscheidend  ist  endlich  die  Angabe  über  die  Gesandten  nQiaßii^ 
i]Qi&f](Tav  Evßovkog  j4vcc(pkv(TTiog ,  ^l(TXiV7jg  Ko&caxtSrjg,  Kr](pi<rO' 
(f&v  (v.  1.  KrrjaKpQv)  'Pafjtvovaiog,  ArnwxQdri^q  <I>lvavg,  KXiwp 
Ko&foxid^jg.  Man  vergegenwärtige  sich  die  Stellung  der  Parteien  in 
Athen.  Demosthenes  hatte  es  im  Anfang  von  Ol.  109  4  durchgesetzt, 
daß  der  Kampf  in  Euboia  unternommen  wurde;  vergebens  hatte  sich 
Aischines  bemüht,  bei  der  Anwesenheit  der  makedonischen  Gesandten 
im  nächsten  Winter  des  Philippos  Interessen  zu  wahren,  und  brachte 
ihm  auch  sein  Verhältnis  mit  Anaxinos  keinen  weiteren  praktischen 
Nachteil,  so  war  doch  natürlich  sein  Einfluß  in  demselben  Maße 
geringer,  als  der  des  Demosthenes  durch  die  schon  erreichten  Vorteile 
in  Euboia  und  Thessalien  und  durch  die  Kriegserklärung  OL  110  1 
überwiegend  geworden  war.  Es  ist  richtig,  daß  in  eben  diesem  Jahre 
Aischines  zum  Py lageren  ernannt  wurde;  aber  die  Art,  wie  er  auf  der 
Frühlingspylaia  (339)  das  Interesse  Athens  vertreten,  konnte  ihn  nicht 
zu  einer  Gesandtschaft  empfehlen,  die  dem  makedonischen  König  einen 
von  ihm  gewünschten  Frieden  überbringen  sollte.  Demosthenes 
hatte  etwa  im  Mai  dieses  Jahres  Beschlüsse  durchgesetzt,  durch  welche 
des  Aischines  Verfahren  in  Delphoi   entschieden   gemißbilligt   wurde; 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  201 

und  zwei  Monate  darauf  soll  nun  Demosthenes  für  einen  Frieden,  der 
nichts  weniger  als  in  seinem  Sinne  gewesen  wäre,  die  Wahl  von  Ge- 
sandten beantragt  haben,  und  diese  Wahl  soll  auf  ALschines  gefallen 
sein!  Es  wäre  die  entschiedenste  Niederlage  für  Demosthenes  gewesen, 
[913]  der  eben  damals  den  Dank  des  Volkes  im  reichsten  Maße  ver- 
diente. Diese  Gründe  bewegen  mich  noch  mehr  als  ein  ausdrück- 
liches Zeugnis,  die  Unmöglichkeit  geltend  zu  machen,  daß  in  dieser 
Gesandtschaft,  selbst  wenn  ein  Frieden  geschlossen  worden  wäre, 
Aischines  sich  befunden  habe.  Jenes  ausdrückliche  Zeugnis  aber  ist 
in  der  Rede  vnig  Krtja.  §  282  6g  ev&icag  fisrä  rrjv  iidxriv  (von 
Chaironeia)  TtQBfrßevzijg  knoQtvov  ngdg  (I^iXinnov  ....  xcci  rccOr  äQvov- 
(uvog  TtävTcc  röv  'ifi!Jt^O(T&BV  xqA'^ov  tccvttjv  rijv  ;^()€/ai/,  djg  Ttävreg 
taaaij  eine  Äußerung,  die  doch  Demosthenes  durchaus  nicht  hätte 
machen  können,  wenn  ein  Jahr  vor  dieser  Schlacht  Aischines  bei  jenem 
hypothetischen  Friedensabschluß  Gesandter  gewesen  wäre. 

Man  mache  ja  nicht  geltend,  daß  ja  hier  Eubulos  durchaus  rich- 
tiger Weise  als  Anaphlystier  genannt  wird:  daß  derselbe  infolge  eines 
Antrages  des  Demosthenes  gewählt  sein  sollte,  wäre  fast  nicht  minder 
seltsam  als  die  Wahl  des  Aischines,  da  Demosthenes  sich  gegen  diesen 
Staatsmann  nicht  bloß  in  der  Rede  über  die  Truggesandtschaft  und 
firüheren  Verhandlungen  sehr  stark  geäußert  hatte,  sondern  namentlich 
im  Anfang  eben  dieses  Jahres  des  Theophrastos  eine  Veränderung  in 
Athens  Finanzen  beantragte  und  durchsetzte,  die  Eubulos  bisherige 
Verwaltung  gänzlich  compromittierte. 

Ein  dritter  dieser  Gesandten  ist  Demokrates  der  Phlyer,  wohl 
derselbe,  der  als  ^iijfioxQÜr^jg  JSmtpikov  (plvevg  in  dem  falschen  Decret 
des  Demosthenes  §  187  auch  als  Gesandter  nach  Theben  figuriert? 
Allerdings  kennen  wir  einen  Demokrates,  von  dem  Aristot.  Rhet.  III  4 
S.  1407  den  artigen  (zum  besten  Teil  Aristophanischen)  Vergleich  zwischen 
den  Rednern  und  Ammen  erzählt,  die  den  Brei  verschlucken  und  nur 
mit  ihrem  Speichel  die  Kinder  beschmieren.  Die  Anekdoten  bei  Plu- 
tarchos  (reip.  gerend.  praec.  7)  zeigen,  daß  er  diesen  Zeiten  angehört, 
geben  aber  von  seiner  Persönlichkeit  keinen  großen  Begriff,  zeigen 
[914]  jedoch,  daß  er  zu  den  Gegnern  des  Demosthenes  gehörte.  Einen 
Aphidnäer  Demokrates  finden  wir  bei  Isaios  de  Philoct.  her.  §  22 
erwähnt,  aber  aus  der  Zeit  der  Thrasybule.  Ein  anderer  Aphidnäer 
Demokrates  spielt  bei  dem  Frieden  von  Ol.  108  2  eine  Rolle;  als  der 
Schauspieler  Aristodemos  mit  den  ersten  Friedensanträgen  des  Philippos 
nach  Athen  kam,  ohne  davon  Mitteilung  zu  machen,  trat  Demokrates 
in  den  Rat  und  forderte  denselben  auf,  Aristodemos  zum  Bericht- 
erstatten in  das  Rathaus  zu  laden  (Aischin.   Ttsoi  napan.  §  17).    Es 


202  Demosthenes 

ist  dies  gewiß  derselbe  Demokrates,  gegen  den  Dionysios  von  Hali- 
karnaß  unter  Deinarchos  Reden  eine  von  Menesaichmos  verfaßte  vor* 
fand  (iud.  de  Dinaroh.  c.  11).  Anch  im  Hanse  des  Aixoneers  Lysis^ 
des  Platonischen,  ist  der  Name  Demokrates  zu  finden.  Gern  gebe  ich 
zu,  daß  es  jener  Zeit  noch  manchen  Demokrates  gegeben  hat;  aber 
ging  ein  Demokrates  als  Gesandter  mit  Eubulos  und  Aischines,  wer 
mag  da  zweifeln,  daß  es  ein  bekannter  Mann  gewesen  sein  muß,  und 
der  einzig  bekannte  dieses  Namens  aus  dieser  Zeit  ist  kein  Phlyer^ 
sondern  ein  Aphidnäer,  und  der  von  uns  zuerst  genannte,  den  ich 
übrigens  mit  dem  Aphidnäer  für  identisch  halte,  Demosthenes  Gegner. 
Auch  Kephisophon,  der  Rhamnusier  (denn  die  Lesart  Ktesiphon 
gehört  den  minder  guten  Handschriften  an),  macht  ähnliche  Bedenken,, 
wenn  wir  von  der  Ansicht  ausgehen  dürfen,  daß  zu  dieser  Gesandt- 
schaft einigermaßen  distinguierte  Personen  erwählt  wurden.  Ich  über- 
gehe den  Kephisophon  Eephalons  Sohn  den  Aphidnäer  (Dem.  mtxa 
^TEfpdvov  I  §  19)  und  den  Kephisophon  vom  Peiraieus,  den  Vater 
des  Phormion  (Dem.  ngbq  Aäxoirov  §  14).  Wenn  in  der  voraus- 
gesetzten Gesandtschaft  sich  ein  Kephisophon  fand,  eo  konnte  es  nur 
der  Paianier  sein,  der  einer  namhaften  Verwandtschaft  angehörend^ 
in  Athen  damals  eine  Rolle  spielte  {eh  r&tf  cpihov  xal  ircciQoov  Xä- 
gijTOi^  um  Ol.  108  2  [915]  Aischin.  neQi  itagccn.  §  73);  daß  er  Schatz- 
meister der  Göttin  war  und  wegen  unerlaubten  Ausleihens  heiliger 
Gelder  von  Eubulos  verklagt  worden,  ergiebt  sich  aus  Dem.  nhQi 
nuQun.  §  293;  unter  den  von  Harpalos  Bestochenenen  wird  er  neben 
Demades  und  Demosthenes  genannt  (Deinarch.  xaxa  AripLoad'.  §  45), 
Auf  ihn  bezieht  sich  Dem.  xarä  JVeatQ.  §  10,  während  in  unserer 
Rede  §  21  EvßovXog  xal  Kricpiaocp&v  wahrscheinlich  xal  KrtjaKpcDv 
heißen  muß  nach  Dem.  negl  nagan,  §  97  und  mehreren  anderen 
Stellen  in  dieser  und  der  gleichnamigen  Rede  des  Aischines.  Von 
einem  Rhamnusier  Kephisophon  weiß  dagegen  niemand  etwas;  außer 
daß  Kf]<pt(TO(piS>v  Kfj<pi(TO(p&vTog  'Pafivovatog  in  der  schon  verurteilten 
y()a(pij  des  Aischines  vorkommt;  ein  Umstand,  der  gewiß  nicht  dazu 
dient,  die  Existenz  dieses  Individuums  wahrscheinlich  zu  machen.  In 
dem  sehr  beschränkten  Cyclus  von  Namen,  der  in  unseren  Decreten 
überhaupt  vorkommt,  findet  sich  ein  Kricpiaotpßiv  Kkicovog  !Ava(pXv<ntog 
(§  75)  als  Gesandter  in  dem  Decret  des  Kolyttiers  (!)  Aristophon. 


^  Die  verwandtschaftlichen  Verhältnisse  der  athenischen  Familien  zu  ver- 
folgen ist  in  mancher  Hinsicht  lehrreich;  die  des  Kephisophon  schließt  sich  an  die 
oben  mitgeteilte  des  Proxenos  an.  Wir  entnehmen  sie  einerseits  aus  Isaios  Bede 
Titql  Tov  JtxaioYBvovg  xXtjqov  gehalten  um  Ol.  98,  andererseits  ans  Demosthenes  Reden 
gegen  Boiotos.  Zunächst  das  Stemma  [vgl.  A.  Schäfer  Demostfi.  u.  s.  Z.  UV  S.  212]: 


Die  Urkunden  der  Kraiurede 


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204  Demosthenes 

Auch  den  Eothokiden  Eleon  kennen  wir  bereits  als  KUcjv 
KUavoq  Ko&cjxiSfjg  in  der  ygacpr}  des  Aischines,  Bekannte  Männer 
des  Namens  Kleon  sind  aus  dieser  Zeit  der  Sunier,  der  Trierarchos  um 
Ol.  107  war  (Dem.  xarä  Mstd.  §  168).  Ein  anderer,  der  Sohn  des 
Thudippos,  ist  bekannt  aus  Isaios  Rede  über  Astyphilos  Erbschaft,  die 
jedoch  nicht  mit  Schoemann  (ad  Isaeum  S.  406)  in  Ol.  97  3,  sondern 
später  zu  setzen  ist.  Der  Enkel  des  berüchtigten  Kleon,  der  Kyda- 
thenäer,  des  Kleomedon  Sohn,  mag  wohl  kaum  bis  in  diese  Zeit  her- 
unter gelebt  haben.  In  den  Decreten  unserer  Rede  giebt  es  nun  außer 
diesen  Kothokiden  einen  Phalereer,  der  Areopagit  gewesen  sein  soll 
(§  135),  einen  Anaphlystier,  den  Vater  des  soeben  erwähnten  Pseudo- 
gesandten  Kephisophon,  sodann  einen  Vater  des  Zeugen  Teledemos  in 
jenem  unmöglichen  Zeugnis  §  137.  Mag  auch  der  Name  Eleon  in 
Athen  häufig  gewesen  sein,  noch  viel  häufiger  wurde  er  in  späteren 
Zeiten  gebrauaht,  wo  er  in  den  Vorträgen  und  Übungen  der  Schule 
als  Cajus  und  Mucius  figurierte. 

So  finden  wir  seltsame  Leute  als  Gesandte  gewählt,  einen  Frieden 
abzuschließen,  von  dem  niemals  die  Rede  gewesen  sein  kann;  und 
unser  Decret,  das  sich  nicht  zu  dem  Frieden  von  Ol.  108  2  schicken 
will,  zu  dessen  Bewahrheitung  es  vorgelesen  wird,  paßt  ebenso  wenig 
zu  der  vorausgesetzten  Begebenheit,  in  deren  Zusammenhang  allein  es 
als  echt  und  alt  erscheinen  konnte.  Müssen  wir  es  demnach  für  ein 
späteres  Fabrikat  halten,  das  die  erzählten  Unterhandlungen  über  den 
Frieden  des  Philokrates  auszufüllen  erdichtet  wurde,  so  finden  wir  den 
im  nächsten  Decret  wiederkehrenden  Archonten  Mnesiphilos  und  die 
aus  §  25  und  27  entnommenen  Wendungen  [916]  Önov  &v  övra  nvv^ 
xf-dvoovrai  und  rrjv  Taxi<TTi]v  erklärlich  und  haben  uns  nicht  mehr 
über  die  seltsame  Zusammenstellung  von  Gesandten  zu  wundern,  die 
allen  Parteiverhältnissen  des  damaligen  Athen  Hohn  sprechen  würde. 
Es  wird  dann  auch  die  vneQßoh)^  die  sich  freilich  bei  Herodot  und 
den  Späteren  seit  Polybios  statt  ävaßoh)  findet,  bei  Attikem  aber  wohl 
auffallen  darf,  erklärlich. 

Das  nächstfolgende  Decret  des  Kallisthenes  (§  37)  hat  man 
durch  eine  ähnliche  Fiction  wie  das  vorhergehende  retten  zu  können 
geglaubt.  Demosthenes  nämlich  hat  den  weiteren  Verlauf  der  Friedens- 
unterhandlungen Ol.  108  2  erzählt,  wie  die  Gesandten  von  Philippos 
hingehalten  worden,  wie  er  sie  bethört  habe  mit  der  Hofl&iung,  ganz 
im  Interesse  Athens  gegen  Theben  den  heiligen  Krieg  beenden  zn 
wollen;  ri  ovv  <Tvvißi]j  fährt  Demosthenes  §  36  fort,  fiercc  ravTcc  Bv&vgy 
ovx  slg  fjiaxQÜv;  rovg  fikv  <I>a)xiag  änoXitrdca  xal  xaraGxa(pf]vai 
rag    Ttöketg   ccvr&v,    vfißg   S'   i}(Tvxiccv   äyayövrccg   xal    rovrq)    (dem 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  205 

Aischines)  n^iad-ivrai^  fiixgöv  vaxBQov  fTxevceyojyeiv  hx  röv  dy()€i>v . . ., 
Sri  Si  ovTüD  rat/T  ä/ai,  Xhye  fioi  rö  te  rov  KakXifT&ivovg  tp/jcpKTfjLcc 
xal  Ttjv  hniGToXijv  rov  Q^iXinnov,  Dies  Decret  des  Kallisthenes,  das 
wir  aus  Demosthenes  Bede  niQi  na^an^Baßeiag  §  86  und  126  ziemlich 
genau  kennen,  wurde  angenommen,  als  Derkyllos  dem  im  Peiraieus 
versammelten  Volk  die  Nachricht  von  dem  unglücklichen  Schicksal 
der  Phokier  brachte;  und  wurde  beschlossen  xal  natSag  xal  yvvatxag 
ix  x&v  äyQdv  xaraxofi/^etv  xal  rä  (pQOV{)ia  ämtTxsvü^eiv  xal  rov 
Jltigaiä  TSix^C^iv  xal  rä  'Hgccxkaa  hv  ÜfTzai  ß-miv.  Dies  geschah 
am  27.  Skirophorion  Ol.  108  2.  Schon  dies  Datum  beweist,  daß  unser 
Decret  nicht  das  ist,  welches  Demosthenes  vorlesen  lassen  will.  Ferner 
kam  die  Nachricht  den  Athenern  in  der  Ekklesie  [äny^yyBiXev  vfjLtv 
ixxXi]<Tiä^ov<Tiv  kv  IlHQaiü  Demosth.  §  125),  und  der  Antrag  des 
Kallisthenes  wurde  nach  Aischines  Darstellung  noch  in  derselben  Ver- 
sammlung gefaßt;  also  war  es  keine  außerordentliche  von  den  Stra- 
tegen berufene  Versammlung.  Endlich  fehlt  in  unserem  Decret  die 
Erwähnung  der  Herakleen  u.  s.  w. 

Diese  Schwierigkeit  glaubt  man  sich  auf  folgende  Weise  lösen  zu 
können:  allerdings  wurde  das  Psephisma  des  Kallisthenes  im  Monat 
Skirophorion  gemacht,  als  man  nach  der  Vereinigung  des  Philippos 
mit  den  Thebanem  einen  Angriff  auf  Attika  vermutete;  doch  beruhigte 
ein  Brief  des  Philippos  die  Gemüther;  als  aber  Philippos  unter  die 
Amphiktyonen  aufgenommen  und  mit  Ausfühning  des  Strafdecretes 
gegen  die  Phokier  beauftragt  war  (cum  ad  exsequenda  Amphictyonum 
iusaa  exerdtvs  ruraus  moveret,  Winiewsky  S.  329),  da  emeueten  die 
Athener  das  Decret  des  Kallisthenes,  jedoch  mit  Auslassung  der  [917] 
Herakleen,  die  bereits  vorüber,  und  der  Befestigung  des  Peiraieus, 
die  einstweilen  vollendet  war.  Eine  nicht  geringe  Bestätigung  dieser 
Annahmen  findet  man  in  Demosthenes  Worten  {ns^l  napan.  §  87). 

Ich  muß  von  diesen  anfangen;  denn  wenn  man  sie  im  Zusanmien- 
hange  betrachtet,  geben  sie  ein  anderes  Resultat,  als  Winiewsky  geltend 
macht.  Das  Decret  des  Kallisthenes  ist  eben  verlesen:  ravTa  tot 
i\pr](pi^BGxF  vfjLBig  öiä  rovxovgj  oix  knl  rairaig  Taeg  kkniaiv  ovtb 
xar  äQX^g  noirjtTÜfJLevoi  ttjv  elQTjvriv  xal  ri^v  avfjLiJ^axtav,  oij&*  vot€- 
oov  kyygd'ipai  7t€i(7&evTeg  avTff  „xal  roTg  iixyövoig^^  ccXK  cbg  d-avfxäat' 
ifXixa  neiaöfiavot  Stä  rovrovg  äya&ä'  xal  fiijv  fierä  ravTa  öfräxig 
Ttgog  IIoQ&fiip  ¥i  ngogMeyÜQOtg  äxovovTBg  Svvaniv  0ikin7tov 
xal  ^evovg  k&oovßeTfr&e,  navTsg  hniGTaa&e.  Damit  wird  aber 
nichts  weniger  als  eine  Bewegung  des  Philippos  gegen  Euboia  und 
Megara,  die  bereits  in  den  ersten  Monaten  nach  Abschluß  des  Friedens 
erfolgt   wäre,   bezeichnet;   denn  weder   in   der   nächstfolgenden   Eede 


206  Demosthenes 

ne(}l  d{>iivi}q,  noch  in  der  zweiten  Philippischen  ist  die  geringste  An- 
deutung davon,  die  Demosthenes  durchaus  nicht  hätte  übergehen 
können;  in  der  Rede  iibqI  nagccn.  erscheinen  diese  beiden  Punkte  zum 
erstenmal  gefährdet,  so  §  326  öfjfxfjHjQia  kcp  vfiäg  kv  Evßoi^  <l>ihnno<i 
nQoaxaraaxevci^eTai  xai  Fi^aiarw  xal  Meyägoig  kmßovi^vcov  Sia- 
Tslel  (vgl.  §  335).  Aber  ebenso  wenig  ist  von  einer  zweimaligen 
(TXBvaycoyicc  die  Rede,  die  Demosthenes  weder  in  der  Rede  Tts^l  naga- 
TiQBtrß.  §  87  noch  in  der  vti^q  Kttjq,  §  37  zu  bezeichnen  umhin  ge- 
konnt hätte,  und  wenn  das  Psephisma  des  Eallisthenes  nur  erneut 
wurde,  wie  kommt  es  denn,  daß  auf  dasselbe  nicht  Bezug  genommen 
wird?  und  ist  Eallisthenes  auch  der  Antragsteller  für  die  Wieder- 
holung der  (Txevceycoyia? 

Aber  das  alles  zugegeben,  wie  steht  es  mit  der  Zeit  dieses  vor- 
liegenden Antrages?  Am  23.  Skirophorion  (Ende  Juni  346)  hatte 
Phalaikos  mit  Philippos  capituliert  und  sein  Abzug  machte  das  pho- 
kische  Land  wehrlos;  Philippos  war  im  Besitz  von  Nikaia,  Alponos  und 
Thronion,  und  die  Phokier,  der  Verteidiger  entblößt,  konnten  sich 
durchaus  nicht  den  Makedoniern  widersetzen,  deren  Vereinigung  mit 
den  Thebanern  die  letzte  Schwierigkeit,  in  das  obere  Thal  des  Kephissos 
einzudringen,  hinwegräumte  (Dem.  negl  utagan.  §  60  Aischin.  7t€(}i 
%aQa%.  §  134 — 140).  Wenige  Tage  vorher  hatten  die  Athener  auf 
Antrag  des  Philokrates  eine  Gesandtschaft  an  Philippos  und  die  ver- 
sammelten Amphiktyonen  abgehen  lassen,  um  auf  die  Übergabe  des 
Tempels  seitens  der  Phokier  zu  dringen;  diese  kehrte  auf  die  Nach- 
richt von  der  Capitulation  um,  ging  aber  nach  Volksbeschluß  eiligst 
wieder  ab,  um  den  Verhandlungen  der  Amphiktyonen,  denen  das 
weitere  Schicksal  der  Phokier  überlassen  war,  beizuwohnen  (Aischin. 
tibqI  nuQan.  §  94 — 96;  Demosthenes  Angabe  n^Qi  %ccQcen,  §  128  und 
138,  die  Athener  hätten  aus  Erbitterung  die  Amphiktyonenversammlung 
gar  nicht  beschickt,  bezieht  sich  nur  auf  die  attischen  Pylagoren). 
Philippos  berief  die  Amphiktyonen  zu  einer  außerordentlichen  Ver- 
sammlung, zu  der  sich  die  Thessalier,  Thebaeer,  Oitäer  und  wohl  die 
anderen  [918]  nördlichen  Bundesvölker  einfanden.  Weder  die  Zu- 
sammenberufung, noch  die  Sitzung  konnte  viel  Zeit  kosten,  und  auch 
die  Ausführung  der  Beschlüsse,  die  Zerstörung  der  meisten  phokischen 
Städte  ging  gewiß  bei  dem  glühenden  Haß  der  Thebaeer,  Oitäer  u.  s.  w. 
nur  zu  schnell  von  statten.  Wie  soll  man  sich  nun  vorstellen,  daß  es 
fast  ein  halbes  Jahr  gedauert  habe,  bis  Philippos  die  Beschlüsse  aus- 
zuführen wieder  angerückt  sei  und  dadurch  die  Athener  zu  der  Er- 
neuerung jenes  Decretes  des  Eallisthenes  veranlaßt  habe?  Und  wo 
soll  denn  Philippos  gestanden  haben,  um  anzurücken?  Er  war  ja  eben 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  207 

in  Nikaia  und  Thronion,  in  der  Nähe  der  Amphiktyonensitzung,  ein 
Tagesmarsch  brachte  ihn  zu  jedem  beliebigen  Punkte  in  Phokis,  ja, 
seine  Truppen  mußten  schon  in  der  Landschaft  verteilt  cantonnieren; 
er  stand  diese  ganze  Zeit  hindurch  in  so  gefährlicher,  durch  seine 
Verbindung  mit  Theben  doppelt  gefährlicher  Nähe,  daß  die  Athener 
jeden  Tag  den  Beschluß  des  Eallisthenes  hätten  erneuen  müssen.  End- 
lich aber  geht  aus  Demosthenes  neQl  nagan,  §  62  und  63  hervor,  daß 
das  Urteil  der  Amphiktyonen  gegen  die  Phokier  unmittelbar  dem 
Abzüge  des  Phalaikos  folgte. 

In  derselben  Rede  §  111  heißt  es:  ^jxov  a>s'  v^<i  yayxo^  öcr- 
takoi  xai  Q^iXiitnov  TiQetrßeig  fiir  air&v  ä^iovvzeg  iffJiäg  <I>thnnov 
'4fiq>ixTvova  Bivc4t  ipT](pi<Ta(T9-ai.  In  Bezug  auf  diesen  Antrag  hat 
Demosthenes  seine  Rede  nsQi  elQijvrjg  gehalten  (nicht  bloß  geschrieben, 
wie  Libanius  meint),  in  der  es  §  14  heißt  rovg  (TvvshjXv&örctg  rov- 
rovg  xal  (püaxovrccg  !c4fi(piXTvovag  vvv  elvai.  Es  sind  hiermit 
unfehlbar  dieselben  Staaten  gemeint,  die,  von  Philippos  berufen,  das 
Gericht  über  die  Phokier  gehalten  haben.  Demosthenes  rät  dem  Ver- 
langen zu  willfahren,  damit  Athen  nicht  in  einen  Amphiktyonenkrieg 
verwickelt  werde;  des  Philippos  Absicht  bei  dem  letzten  Kriege  sei 
gewesen  (§  22)  rag  itaQÖSovg  IccßeTv  xal  Ti]v  äö^av  rov  noUfjLov  rov 
Soxstv  Si  avröv  xQi<nv  üXr}(pivai,  xal  ra  Ilvd-ta  &eTvai  Si  iavrou', 
es  wäre  unrecht  ^rpÄg  nävrag  negl  rfjg  kv  JeXtpoTg  (TXiäg  vvvl  noXE- 
fAjjaai.  Also  noch  war  Philippos  um  die  Zeit  dieser  Rede  vom  Frieden 
nicht  anstatt  der  Phokier  Mitglied  der  Amphiktyonie  geworden;  er 
konnte  daher  auch  nicht  vor  derselben  den  Pythien  präsidiert  haben, 
und  daß  er  die  Spiele  dieses  Jahres  Ol.  108  3  veranstaltete,  lehrt 
Philipp,  in  §  32.  Es  ist  unzweifelhaft  (unter  anderm  aus  der  Chro- 
nologie des  Prozesses  gegen  Ktesiphon),  daß  die  Pythien  im  Herbst, 
etwa  im  Boedromion  gefeiert  werden;  die  Rede  tisqI  slQijvrjg  gehört 
also  in  die  drei  ersten  Monate  von  Ol.  108  3,  und  daß  nach  Demo- 
sthenes Rat  entschieden  wurde,  folgt  aus  seiner  Rede  Ttepl  nagan. 
§  112  ff.  und  aus  der  inhg  Krtjg,  §  43  ^ysrs  ttjv  bIqi^vtjv  ÖfACjg.  Es 
ist  unmöglich,  daß  Philippos  im  fünften  Monat  desselben  Jahres  sich 
in  Marsch  gesetzt  habe,  die  phokischen  Städte  zu  zerstören  und  infolge 
dessen  die  Athener  das  Decret  des  Kallisthenes  erneuten  —  mit  einigen 
Portlassungen  erneuten,  als  ob  es  solche  Mühe  gekostet  hätte,  ein  den 
Umständen  entsprechendes  neues  Decret  zu  entwerfen.  Es  ist  unmög- 
üch,  daß  jener  ersten  (rxevayayyia  eine  zweite  folgte,  da  nirgends  auch 
nur  eine  Anspielung  auf  dieselbe  vorhanden  ist,  vielmehr  zeigt  Aischines 
[919]  (xarä  KvfifT,  §  80)  den  chronologischen  Verlauf  der  Begeben- 
heiten richtig  so  an:  c&g  yäg  raxi^ra  eYao)  Uvhjjv  (piXinnog  naofjMe 


208  Demosthenes 

xal  Tttt,"  TB  h'  fI>oxevfTi  nökeig  Ttagadö^tOi^  ävaarürov^  hnoifiGt^  (dir 
ßcciovg  Ö^,  ojg  TOT    v^aIv  kSöxsi  neQaiTeQOD  tov  xaiQov  xal  tov  vfie- 

TiQOV   (TVfiy^ioOVTOg   ItTXVQOVg   XaTBGXEVaGBV  ^    vfistg    Sk   Ix   TcDr   ciyQCJV 

(foß'tjO'ivTeg  ^(TXEvayiüyijaaTi  x  t  'L 

Dasä  Beeret  datiert  hnl  MvriGKpiXov  äQx^^'^oq ....  MaifiaxTj](jidhfog 
dexÜTfj  ämövTog,  Man  erinnere  sich,  daß  der  Antrag  des  Demosthenes, 
Gesandte  zum  Friedensabschluß  zu  schicken,  von  demselben  Archen 
Mnesiphilos  und  dem  letzten  Hektatombaion  datierte.  Die  Erzählung 
des  Redners  ergiebt,  daß  die  trxBvaycoyia  kurze  Zeit  nach  dem  Wahl- 
beschlnß  gemacht  ist.  Aber  das  ist  nur  ein  sonderbarer  Zufall,  sagen 
sie;  es  ist  gerade  Mnesiphilos  zweimal  Prytanienschreiber  gewesen,  und 
es  sind  irrigerweise  an  beiden  Stellen  Decrete,  die  sich  auf  ähnliche 
Verhältnisse  beziehen,  eingelegt  worden  u.  s.  w.  Es  ist  schlimm,  wenn 
bei  einer  dreisten  Hypothese  so  viel  auf  Zufall  und  Irrtum  gerechnet 
werden  muß.  Fanden  wir  einmal  die  zweite  (rxevaycoyia  im  Mai- 
makterion  346  und  das  angebliche  Decret  des  Demosthenes  dem  Inhalt 
nach  unmöglich,  so  ist  es  von  dem  Fälscher  der  Urkunden  leidlich 
geschickt  gemacht,  daß  er '  für  beide  hier  zu  belegende  Facta  den 
gleichen  Archonten  Mnesiphilos  annahm  und  die  nach  Angabe  des 
Redners  einstweilen  verlaufene  Zeit  durch  den  Hekatombaion  und  Mai- 
makterion  unterschied. 

Nur  so  wird  MatfiaxTtj()tcjvog  öexÜTrj  ümövTog  begreiflich,  denn 
dies  Decret  des  Kallisthenes  sollte  ja  in  OL  108  3  gehören,  und  in 
diesem  Jahre  ist  nach  Idelers  Berechnung  des  metonischen  Cyclus 
der  Maimakterion  ein  hohler  Monat,  so  daß  in  demselben  der  elxäg 
nicht  die  SexÜTtj,  sondern  die  ivÜTij  ämövrog  folgte.  Idelers  Berech- 
nung hat  sich  bisher  überall  bewährt;  bei  Dem.  neol  naijcen,  §  59, 
wo  die  voTiQa  SexaTt]  des  Skirophorion  Ol.  108  2  genannt  wird,  ist 
dieser  Monat  nicht  ein  hohler,  wie  Schoemann  (de  comit.  S.  36)  nach 
den  älteren  Berechnungen  angab,  sondern  ein  voller.  So  wird  der 
metonische  ('yclus  nicht  durch  unsere  Urkunde,  sondern  umgekehrt 
diese  durch  jenen  verdächtig. 

In  den  Einleitungsworten  heißt  es:  GvyxXt)Tov  hexkrjatag  vno 
iTT(jaT7/y(i)v  yBvopikvrig  \xai\  nQVTÜvecov  xal  ßovXijg  yvc^fiij,  mit  mehr- 
fachem Schwanken  der  Handschriften,  von  denen  die  besten  yevofjiivrig 
ganz  auslassen,  andere  es  vor  vtiö  stellen;  auch  hat  man  das  einge- 
klammerte xal  weglassen  wollen ;  wenn  das  Document  echt  sein  soUte, 
hätte  man  wohl  besser  geschrieben  vnö  (TT()aTiiycjv  xal  novTävetov, 
ßovlf]g  yvcjfif^,  wozu  ich  auf  die  oben  gemachten  Bemerkungen  verweise. 

Über  KaXXiad-ivr]g  'Eteovixov  Q^ahj^svg  bedauere  ich,  nicht 
genügende   Nachweisung    geben    zu    können.     Wir    kennen    mehrere 


Die  Urkunden  der  Ejranzrede  209 

bedeutende  Athener  dieses  Namens  in  Demosthenes  Zeit.  Ich  nenne 
zuerst  den  unglücklichen  Feldherm,  der  wegen  des  mit  Perdikkas  (also 
um  Ol.  104)  geschlossenen  Friedens  zum  Tode  verurteilt  wurde  (Aischin. 
[920]  nsQl  na^an.  §  30  flf.),  während  sein  Mitfeldherr  Ergophilos  mit 
einer  schweren  Geldstrafe  davonkam  (Dem.  tieqI  na^an.  §  180  und 
über  beide  Prozesse  Aristot.  Rhet  II  3  S.  1 380).  Einen  anderen  Kalli- 
sthenes  finden  wir  zwei  Jahre  vor  dem  Prozeß  gegen  Leptines  [ngo- 
nkQvai  Leptin.  §  33)  in  dem  Amte  eines  (TiT(6vrig,  wie  es  scheint,  in 
welchem  er  dem  Staate  einen  Überschuß  von  fünfzehn  Talenten  gewann. 
Wenn  aus  des  Lykurgos  Rede  tibqI  Siotx/jfTBojg  (bei  Harpocr.  v.  ore- 
(pav&v)  angeführt  wird:  äXkä  fxi/v  xai  KulXiad-ivriv  ixardv  fAvaig 
k<Tr6(pav<6(TccTB,  so  dürfte  sich  zu  einem  so  kostbaren  Kranz  nicht  leicht 
ein  anderer  Anlaß  und  ein  anderer  Kallisthenes  finden  lassen,  als 
dieser,  und  jene  sehr  einträgliche  Verwaltung,  die  in  jenem  Notjahre 
des  Agathokles  {ffiroSeiag  iiaQu  näaiv  äv&Qcbnoig  yevofjLsvtjg  Leptin. 
&  a.  0.)  nur  um  so  rühmlicher  war.  Die  Fragmente  aus  des  Deinarchos 
Rede  (und  er  begann  OL  111  1  Reden  zu  schreiben)  xarcc  KctXXia- 
divovg  slgayyekia  scheinen  sich  auf  die  Negotiationen  des  Kallisthenes 
beim  Getreideverkauf  zu  beziehen,  obschon  der  Inhalt  der  Eisangelie 
wohl  ein  anderer  gewesen  sein  möchte.  Wenn  Antiphanes  in  der 
^kuvofUvf],  die  etwa  Ql.  110  aufgeführt  wurde,  rov  xaXov  Kalhtr- 
&ivovg  erwähnt,  so  scheint  es  mir  nicht  wahrscheinlich,  daß  dies  der 
besprochene  Staatsmann  ist,  der  damals  doch  gewiß  ein  Fünfziger  war; 
viel  eher  möchte  der  in  des  Theophrastos  Testament  mehrfach  erwähnte 
(wo  an  den  Olynthier  natürlich  nicht  zu  denken  ist)  dieser  schöne 
Kallisthenes  sein.  Unter  den  Rednern,  deren  Auslieferung  Alexandres 
Ol.  111  2  forderte  (Plut.  Dem.  23),  war  Kallisthenes,  gewiß  derselbe, 
der  die  axBvaycoyia  beantragt  hatte,  gewiß  jener  oben  besprochene 
Staatsmann;  neben  Kallisthenes  nennt  Plutarchos  den  Demon,  und  der 
Komiker  Timokles  sagt  in  dem  interessanten  Bruchstücke  über  die  vom 
Harpalos  Bestochenen  (bei  Athen.  VII  S.  341)  sllrj^e  xal  Aijiicov  n  xai 
KaXXia&hnig*  nivrirtg  Jjaav  ügte  (Tvyyvc6fii]v  'i/o)  (dieser  Demon  ist 
der  Sohn  des  Demomeles,  der  seines  Verwandten  Demosthenes  Rück- 
kehr OL  114  2  beantragte;  vgl.  Corp.  Inscr.  Gr.  Nr.  213.  459  =  C.  I.  A. 
II  553.  1654.  Plut.  Dem.  27).  Doch  ich  entferne  mich  zu  weit  von 
der  Sache;  es  fragt  sich  über  die  Richtigkeit  der  Bezeichnung  !£r6o- 
vixov  0ccXi]Q6vg.  Ich  bekenne,  daß  ich  sie  nach  den  mehrfachen 
Beispielen  phantasierter  Bezeichnungen  in  unseren  Urkunden  für  ebenso 
falsch  halte,  als  die  dem  Aristophon,  dem  Eubulos  u.  s.  w.  beigefügten. 
Wir  kennen  einen  Sphettier  Kallisthenes,  der  dem  Demosthenes  be- 
zeugte, daß  er  Ol.  105  2  gegen  Meidias  ä^ovkrjg  geklagt  habe  {xazä 

Drojsen,  Kl.  Schriften  I.  14 


210 

MeiSiov  §  82),  wir  kennen  ferner  einen  KuiXta&ivrt^  NcewFiOPa^  den 
die  Aixoneer  kränzten  {top  äoxwna)  wegen  einer  fironunen  Feier  (Corp. 
Inscr.  Gr.  Nr.  214  =  C.  L  A.  U  581);  da  dies  OL  115  1  geschah,  ab  die 
makedonische  Herrschaft  in  Athen  entschieden  war,  so  ist  es  nicht 
eben  glanblich,  daß  der  Staatsmann  Kallisthenes  mit  diesem  dieselbe 
Person  ist,  aber  onmögiich  ist  es  auch  nicht  Eorz,  wir  müssen  ein- 
gestehen, für  diesen  Fall  nnsere  Zweifel  nicht  begründen  zu  können. 
[921]  Desto  entscheidender  ist  eine  in  dem  Decret  aasgesprochene 
gerichtliche  Bestimmung,  die  mit  der  sehr  erkennbaren  Natnr  des 
attischen  Staatsrechtes  sich  aof  keine  Weise  vereinbaren  läßt.  F^  heißt, 
jeder  Athener  soll  nirgends  anders,  als  in  der  Stadt  oder  dem  Peiraieos 
über  Nacht  bleiben,  aoßer  wer  auf  Posten  ist:  der  soll  sich  weder  Tag 
noch  Nacht  von  demselben  entfernen,  o^  S^  av  änud-iiGri  t^Sb  t« 
tl^fjfpifffjLart,  'ivoxo^  üaro}  rotg  rf^g  ^tjoSomag  i:nTtfiiOtg,  käv  pn)  n 
äSvparow  ijuSeixvvr,  tlboi  iavrop'  Tieot  de  tov  ddwärov  i:tixoiPerfo 
6  ini  xGtv  ozOäov  aroccTf^yog  xai  6  i:Ti  rf^g  Sioixt)GB€jg  xai  6  ygafi" 
IMcrivg  Tijg  ßovßJig.  Das  Wort  knixohtiv  ist  mir  im  attischen  Ge- 
richtsgebranch nicht  eben  bekannt  Plato  leg.  YI  18  S.  768  braucht  es 
yon  der  Entscheidung  des  Rates  in  dem  Fall,  wenn  sich  zwei  Inter- 
essenten über  eine  gemeinsam  zu  entscheidende  Alternative  nicht 
vereinigen  können,  ebenso  Dionys.  Hai.  XI  52  und  ähnlich  Plut 
Lycurg.  6.  Danach  würden  die  Dreimänner  unseres  Decret«s  etwa  zu 
bestimmen  haben,  ob  die  Angabe  der  Unmöglichkeit  begründet  ist  oder 
nicht;  und  da  die  Strafe  bereits  bestimmt  ist,  würde  mit  ihrer  inixQimq 
der  jedesmalige  Prozeß,  der  sich  um  nichts  Geringeres,  als  um  Todes- 
strafe handelt,  abgemacht  sein!!  Also  kein  Heliastengehcht?  also  ein 
Kriegsgericht  von  der  ungeheuersten  Veifassungswidrigkeit?  Oder  es 
mag  hntxoiviTG)  bedeuten,  daß  die  drei  die  Anakrisis  zu  machen  und 
die  Sache  vor  einem  Gerichtshofe  einzuleiten  haben,  so  muß  man  sich 
nicht  minder  verwundem  über  die  verrückte  Zusanmienstellung;  denn 
man  wird  doch  nicht  Corp.  Inscr.  Gr.  Nr.  123  =  C. I.A.  II  476  anführen 
wollen,  wo  die  Prytanen  und  der  ^rroaTfjyog  6  knl  rä  Ö:iXa  die  öflFent- 
lichen  Sklaven,  welche  die  Mustermaße  aufzubewahren  haben,  wenn 
sie  verfalschen,  züchtigen  sollen.  Stets  agieren  sonst  die  Strategen  in 
Gerichtssachen  als  CoUegium;  hier  wird  der  iTii  SioixriOBwq  (denn  es 
soll  doch  wohl  nicht  gar  der  Verwalter  der  Staatskassen  sein!)  neben 
dem  ini  r&v  onh&v  aufgeführt;  war  denn  nicht  einer  mit  etwaigen 
Beisitzern  genug?  Und  was  soll  gar  der  Prytanienschreiber  noch  dazu? 
Wozu  sollen  drei  Männer  die  7]yBfiovia  ötxafrrrjm'ov  haben?  Wie  man 
sich  drehen  und  wenden  mag,  die  Sache  bleibt  über  alle  Begreiflich- 
keit hinaus  verkehrt 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  211 

Will  es  einer  weit  treiben,  so  mag  er  auch  das  noch  sonderbar 
[922]  finden,  daß  die  weiter  als  drei  Meilen  von  der  Stadt  wohnenden 
TU  kx  T&v  icfQ&v  nach  Elensis,  Fhyle  n.  s.  w.  bringen,  selbst  aber  sich 
nach  Athen  und  dem  Peiraiens  begeben  sollen;  femer  daß  sie  ihre 
Güter  nach  Eleusis  und  Phyle  bringen  sollen,  da  beide  Orte  bei  dem 
gefurchtsten  Angriffe  des  Philippos  am  meisten  gefährdet  waren;  ferner 
daß  nicht  Salamis  lieber  nnter  den  Zufluchtsorten  genannt  wird,  da 
die  durchaus  überlegene  Seemacht  der  Athener  den  Makedonien!  einen 
Angriff  auf  die  Insel  leicht  unmöglich  machen  konnte.  Ohne  mich 
darauf  (und  auf  das  am  Ende  wiederholte  {Im  KaXXiaO-kvriq  (l^alrjQevg) 
[der  Zusatz  fehlt  im  Bekkerschen  Texte]  weiter  einzulassen,  glaube  ich 
die  entschiedene  ünechtheit  des  Decretes  geltend  machen  zu  können. 

Wir  kommen  nun  auf  den  Brief  des  Philippos  an  die  Athener. 
Es  ist  sehr  auffallend,  daß  Demosthenes  (vom  Aischines  ist  es  natür- 
lich) diesen  Brief  in  der  Rede  Tieoi  naoanQeaßBiaq  nicht  eingeschaltet 
hat,  wo  er  §  63  neben  dem  döyfia  !Aii(pixTv6v(ov  gewiß  einen  Platz 
verdient  hätte,  wenn  er  in  so  harten  Ausdrücken  verfaßt  gewesen  wäre, 
wie  wir  ihn  jetzt  lesen,  und  nicht  vielmehr  Dinge  enthielt,  die  sich 
Demosthenes  scheuen  mochte  in  Erinnerung  zu  bringen.  Philippos 
hatte  zwischen  dem  13.  und  27.  Skirophorion  den  Athenern  Briefe 
geschickt,  sie  aufzufordern  k^dvcci  nüati  rfj  Swüfiet  ßorj&^ffovrag 
ToTg  Sixaloiq  (Aischin.  ubqI  nccQan,  §  137  Dem.  %iqI  TtccQan,  §  51)  und 
die  Thebaeer,  Euboier,  die  Feinde  Athens  alle  besorgten,  es  werde  sich 
Athen  und  Makedonien  zu  ihrem  Verderben  vereinigen,  ja,  die  The- 
baeer rückten  mit  bewaffneter  Macht  aus  (Aischin.  §  137).  Phalaikos, 
der  vorher  das  Anerbieten  der  Athener  zu  kräftiger  Unterstützung 
zurückgewiesen  hatte,  capitulierte  mit  Philippos  und  erhielt  freien  Abzug 
(23.  Skirophorion),  wogegen  dem  Philippos  die  phokischen  Städte  über- 
geben vnirden.  Die  Bewegung,  welche  diese  Nachricht  in  Athen  hervor- 
brachte, veranlaßte  einerseits  das  Decret  des  Kallisthenes,  das  deutlich 
genug  zeigte,  mit  welchem  Mißtrauen  die  Athener  des  Philippos  Schritte 
beobachteten;  andererseits  mußte  Philippos,  selbst  wenn  es  seine  an- 
fängliche Ansicht  nicht  gewesen  war,  eine  Annäherung  mit  den  The- 
baeern,  den  erbitterten  •Feinden  der  Phokier,  wünschen,  wodurch 
natürlich  sein  Verhältnis  zu  Athen  in  Frage  gestellt  wurde.  Die  von 
Philokrates  beantragte  (dritte)  Gesandtschaft,  in  der  Aischines  war,  kam 
bei  Philippos  an,  bevor  die  versammelten  Amphiktyonen  über  das 
[923]  Schicksal  von  Phokis  entschieden  hatten  (Aischin.  §  171  ff.),  und 
daß  diese  Gesandtschaft  nicht,  wie  man  aus  Demosthenes  §  126  glauben 
könnte,  eine  Privatsache,  sondern  im  Auftrag  des  Staates  begonnen 
und  zu  Ende  geführt  war,  geht  aus  seinen  eigenen  Worten  nsQi  nagan^ 

14* 


212  Demosthenes 

§  129  hervor.  Also  nach  Ankunft  dieser  Gesandten  erst  wurde  die 
furchtbare  Strafe  über  Phokis  verhängt  — ,  und  doch  beginnt  des 
Philippos  Brief,  wie  wir  ihn  lesen,  mit  der  Anzeige,  daß  er  in  die 
Thermopylen  eingerückt  sei,  und  fügt  gleich  darauf  hinzu,  daß  er 
mehrere  Städte  der  Phokier  zerstört  und  verknechtet  habe.  Es  ist  nicht 
möglich,  daß  Philippos  noch  erst  die  Anzeige  von  seinem  Einrücken 
zu  machen  hat,  wenn  bereits  die  attischen  Gesandten  bei  ihm  einge- 
troffen sind  und  die  Bestrafung  der  Phokier  schon  ihren  Anfang  ge- 
nommen hat. 

Über  den  Inhalt  des  Briefes  unterrichtet  uns  Demosthenes  selbst 
durch  einige  Andeutungen  §  36  ri  ovv  (wvißrj  fierä  ravra  (nach  dem 
Bericht  des  Aischines  von  Philippos  Absicht   gegen   Theben)  eif&Vi^, 
ovx   elg  fmxQccv]    rovg  fiiv   (l>a)xiag  dno)A(T&ai   xal   xarcctTxacpfjvai 
rag  nöleig  air&v^  tf/iiäg  Ji  . . . .  axBvayojyetv  kx  t&v  äy^Ght ....  xai 
Hl  Tt^ög  TOVTOig  Ttjv  fiiv  äTtix&siav  rtjv  nQ6g  Orjßaiovg  xal  Oerra- 
kovg  Tfj  tiöXbi  yBvi(T&ai,    rrjv  Si  x^Q^'^  ^^^  vnhQ  r&v  nenQcc/fievoyv 
<i>iXinn(p  (ähnlich  sagt  Dem.  tcbqI  nagait.  §  85  vom  Aischines:   ovxog 
äTtccyydXcig  r  avavria  xal  (pccvsQOvg  hmSd^ag  iffiäg  oi/l  ßovXojj^ivovg, 
vfjuv  fiiv  T^i'   Hx&Qav  TTjv  TtQÖg  Gfjßatovg  fut^co,    <l>Mn7C(p    Si  rijv 
XÜQiv  TtBTtoiTjxB).    Diese  Sachen  zu  erweisen,  läßt  dann  Demosthenes 
das  Decret  des  Eallisthenes  und  den  Brief  des  Philippos  vorlesen,  in 
dem   also   von  der  Strafe  der  Phokier  und  irgendwie  auch  von  den 
Thessaliem  und  Thebaeem  die  Rede  gewesen  sein  muß.   Und  so  fugt 
er  denn  gleich  nach  Lesung  des  Briefes  hinzu  §  40  äxovevBj  (hg  aa- 
(p(dg    dfjXoT  xccl    SioQi^erai    kv    vfj    7i(j6g   vfißg  kitiffroky    JtQÖg    rovg 
iavTOi)  (TVfifiäxovgy    8ti    lym    ravra   Ttenoirjxa   äxövrcjv   !Aß"i}' 
vaioav  xal  kvnovfiivmv,   &(tt   bYtisq  bv  (pQOVBiTB,    &  Qi]ßaioi 
xal  0BTTakoi,    rovrovg  fiiv  ^x&Qovg   vnoXij-ifjBa&B^    kfiol   Si 
nt(TTBV(TBTBf    oi   TOVTOig   Toig   QTjpi,aGi    yQaxpag,    ravTa    Si   ßovXö^ 
fiBvog  ÖBixvvvai,     Sollten  die  guten  Athener  dergleichen  herauslesen, 
so  mußte  es  ziemlich  deutlich  in  dem  Briefe  gestanden  haben.    Phi- 
lippos mußte  den  Athenern  melden,  daß  er  die  Strafe  an  den  Tempel- 
räubem  nach  dem  Beschluß  der  Amphiktyonen  ausgeführt  habe,   er 
mußte    rühmen,    mit   welcher  Hingebung    ihm    und    dem   Gott  die 
Thessalier  und  Thebaeer  beigestanden;   er  mußte  bedauern,   daß  die 
Athener,  statt  sich  seiner  Aufforderung  gemäß  mit  ihm  zu  vereinigen, 
ihm  durch  ihr  Mißtrauen  und  ihr  zweideutiges  Benehmen  unmöglich 
gemacht  hätten,   ihrem  Wunsche  und  ihrem  Interesse  gemäß  zu  ver- 
fahren; er  mußte  sein  Mißfallen  zu  erkennen  geben,  daß  sie  aus  selbst- 
süchtigen  Rücksichten    Theben   und   Thessalien,    die  sich   so   wacker 
benommen,   mit  ihm  zu  verfeinden  gesucht  hätten,   und  dergleichen. 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  213 

Von  dem  allem  steht  nichts  in  dem  Briefe,  wie  wir  ihn  lesen,  and 
selbst  der  schärfeten  Aufmerksamkeit  würde  es  nicht  möglich  sein,  das 
aus  [924]  demselben  zu  entnehmen,  was  Demosthenes  deutlich  darin 
ausgedrückt  nennt 

Noch  ein  drittes  bleibt  zu  erwähnen.  In  unserem  Briefe  steht: 
äxovoav  Si  xal  tffiäg  nccQaaxBvä^sffOai  ßoriß-%Tv  airoiq  (den  Phokiem). 
Auch  dies  ist  unmöglich  inmitten  der  lebendigen  Gegenwärtigkeit  der 
Verhältnisse  geschrieben,  denn  hatten  auch  die  Athener  ihre  Habselig- 
keiten in  die  festen  Plätze  geflüchtet  und  sich  auf  einen  Angriff  des 
Philippos  gefaßt  gemacht,  so  war  doch  weder  von  einem  Heereszuge 
zu  Gunsten  der  Phokier  die  Rede,  noch  konnte  Philippos  dergleichen 
Nachricht  zu  haben  vorgeben,  da  sich  bereits  vor  diesem  Briefe  die 
attischen  Gesandten  bei  ihm  eingefunden  hatten,  die  sicheren  Bericht 
bringen  konnten. 

Schließlich  muß  ich  mich  in  Beziehung  auf  die  ganze  Fassung 
des  Briefes  auf  das  Gefühl  jedes  Lesers  berufen.  Wer  mit  Unbe- 
fangenheit liest,  wird  in  diesem  Schreiben  durchaus  nicht  die  Stellung 
des  makedonischen  Königs,  wohl  aber  den  Einfluß,  den  Demosthenes 
Baisonnement  in  der  Rede  hbqI  nagan.  §  44  und  sonst  auf  den  Ver- 
fasser gehabt  hat,  wieder  erkennen.  Die  Rede  vom  Frieden,  die  viel- 
leicht nur  einen  Monat  nach  diesem  Briefe  gehalten  ist,  zeigt  deutlich, 
daß  man  in  Athen  große  Besorgnis  vor  einem  amphiktjonischen  Kriege 
hatte;  darauf  überhaupt  liegt  bei  allen  diesen  Verhandlungen  der  ent- 
scheidende Nachdruck,  daß  der  Amphiktyonenbund  mit  im  Spiele  ist; 
wenn  Philippos  irgend  einen  ernsten  Ton  mit  hineinbringen  wollte  in 
seinen  Brief,  so  mußte  er  eben  darauf  hinklingen. 

Doch  räume  ich  ein,  daß  diesem  Baisonnement  vollständig  über- 
zeugende Kraft  abgeht,  die  uns  das  unumwundene  Urteil  der  Unecht- 
heit  auszusprechen  berechtigen  würde;  vielleicht  daß  scharfsinnigere 
Betrachtung  ein  befriedigenderes  Resultat  gewinnt. 

VIII.  Die  Ehrendecrete  für  Nausikles,  Charidemos,  Diotimos. 

Demosthenes  verteidigt  die  von  Aischines  angegriffene  Recht- 
mässigkeit der  Kränzung  vor  abgelegter  Rechenschaft  (§  114)  unter 
anderm  damit,  daß  dergleichen  schon  sonst  geschehen  sei.  IIq&tov 
fiiv  yccQj  sagt  er,  JVavaixkrjg  (TTQuxrjy&Vj  k(p  olq  &%6  rcdv  lSi(OP 
TiQoeiro,  no'k'kdxiq  karecpavcoTai  vfp  iffi&v  e7&*  Öre  Tag  ccaniSccg 
AiÖTifioq  *iSo}xe  xal  TtdXiv  XaoiS7jfiog  k(TTe(pavovvTO'  b1&'  ovrog 
JVeonTÖXefiog   nolX&v   'igymv  imardrijg   ä>v,    itp    oig  kniStDXB,    tbti- 

fA7jrcci "Ort  TOivvv  xavr    älr]&rj  kiyWj  ksye  rä  'iprj(pi(TficcTd  fioi 

rä  TOVTOtg  yeyevrjfjLiva  avrä  Xaßcov.  Es  müssen  also  folgen  ein  oder 


214  Demosthenes 

besser  einige  Ehrendecrete  für  Nansikles,  eins  für  Diotimos,  ein  anderes 
{xal  nähv)  für  Gharidemos,  eins  für  Neoptolemos.  Statt  dessen  finden 
wir  nnr  eins  für  Nansikles  nnd  ein  zweites  für  Diotimos  und  Ghari- 
demos; für  Neoptolemos^  [925]  keins,  die  Erklärer  meinen,  weil  er 
anwesend  ist  {oirvoal);  als  ob  man  sich  in  Athen  damit  geniert  hätte! 
Doch  mag  auch  das  sein,  wenn  nur  das  Vorhandene  gut  nnd  ohne 
Anlaß  znm  Zweifel  ist. 

Beide,  das  ifj?i<pi(TfjLcc  and  das  I^tbqov  ipi^q)i<Tjiicc ,  sind  von  dem- 
selben Phrearrbier  Eallias  beantragt;  der  Name  ist  so  gemein,  daß 
man  sich  darüber  beruhigen  könnte,  einen  Phrearrhier  Eallias  nicht 
zu  kennen.  Merkwürdiger  ist,  daß  nnr  das  erste  Decret  eine  Datierung 
hat;  man  hat  angenommen,  daß  dieselbe  auch  für  das  zweite  gelten 
solle,  und  die  Ansicht  empfiehlt  sich  dadurch,  daß  sonst  jeder  Beschluß 
unserer  Rede  mit  einer  dergleichen  versehen,  und  bei  den  doppelten 
Decreten  mit  den  Namen  Mnesiphilos,  Nausikles,  Heropythos  die  Monate 
und  Tage  unterschieden  sind. 

Die  Datierung  des  etsten  Decretes  lautet:  ""igxoiv  Jtjfiövtxog 
(pkvBifg,  ßofjSQOfiicjvog  f^XTfj  fisr  alxdcSa  yvcjfjLt]  ßovXfjg  xal  Srjfiov. 
Der  Pseudeponymos  beginnt  die  Reihe  der  Sonderbarkeiten;  nie  wird 
in  officiellen  Aktenstücken  der  Name  des  Archen  im  Nominativ  noch 
mit  Beifügung  des  Demosnamens  bezeichnet,  aber  gelehrter  Gebrauch 
scheint  es  wenigstens  seit  Philochoros  geworden  zu  sein.  „Um  so 
wahrscheinlicher  also  ist  unsere  Hypothese,  daß  ein  Gelehrter,  der  nach 
den  einzuschaltenden  Aktenstücken  suchte,  di)se  aber  nur  mit  dem 
Namen  des  Prytanienschreibers,  da  die  Fachtitel  des  Archivs  verloren 
waren,  vorfand,  des  officiellen  Gebrauches  unkundig,  nach  gelehrtem 
Gebrauch  den  vorhandenen  Namen  des  Schreibers  (und  bei  dem  steht 
ja  der  des  Demos  s.  Gorp.  Inscr.  Gr.  Nr.  81  90  [G.  I.  A.  II  23.  70])  als 
den  des  Archen  ergänzt".  Wieder  einmal  der  thörichte  Gelehrte!  Fand  er 
in  dem  Archiv  das  Aktenstück  unter  der  verlorenen  Rubrik  des  Archen, 
so  mußte  doch  in  demselben  stehen,  Arjfidvtxog  <l>kv6vg  kyQafifidvevBy 
und  wie  konnte  er  da  meinen,  daß  dies  der  Archen  war;  am  Ende 
müßten  wir  annehmen,  es  habe  unter  *der  allgemeinen  Fachtitulatur 
des  Archen  noch  die  besondere  der  zehn  Prytanienschreiber  gegeben, 
und  diese  sei  für  die  sämtlichen  Decrete  unserer  Rede  stets  an  seiner 


^  Neoptolemos  wird  wohl  der  reiche  Mann  sein,  den  Demosth.  xar»  MbiÖ^ 
§215  nennt,  derselbe  auch,  der  sich  nach  Flut  X  Oratt  S.  856  ff.  anheischig^ 
macht,  den  Altar  Apollons  auf  der  Agora  nach  dem  Orakel  zu  vergolden,  und 
dafür  nach  Lykurgos  Antrag  durch  einen  Kranz  nebst  Statue  geehrt  wurde; 
ist  das  richtig,  so  war  er  der  Sohn  des  Antikles.  [Vgl.  jetzt  C.  I.  A.  II  2  S.  510 
Nr.  741  mit  der  Anm.]. 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  215 

Stelle  gewesen !  „Nein,  der  Gelehrte  hat  die  Decrete  aus  einer  Samm- 
lang, und  die  Sammlung  hat  sie  aus  dem  Archive,  wo  die  in  einer 
Prytanie  gemachten  Decrete  von  dem  Schreiber  der  Prytanie  in  einem 
Hefte  zusammengeschrieben  und  etwa  auf  den  äußeren  Titel  des  ganzen 
Heftes  von  ihm  sein  knl  rov  Selvog  sc.  yQccfifiarioDq  rov  xaru  7t(}V' 
rapeitxv  geschrieben  wurde".  Wir  wollen  nicht  fragen,  wo  denn  die 
Originalien  der  Urkunden  blieben,  wenn  in  das  Metroon  Abschriften 
kamen;  wir  wollen  auch  nicht  mit  dem  Sammler,  noch  mit  dem  Ge- 
lehrten rechten ;  aber  woher  denn  mit  einemmal  der  Name  des  Demos 
bei  unserem  Demonikos?  Entweder  die  Prytanienschreiber  hatten  ihn 
stets  auf  dem  Deckel  der  Hefte  beizufügen,  und  dann  mußte  diese 
vollständige  Bezeichnung  auch  in  allen  unseren  Decreten  wiederkehren, 
oder  der  Demonikos  hat  einmal  etwas  Ungewöhnliches  gethan,  was  ein 
anderer  glaublich  finden  mag.  Und  warum  hat  sich  der  sorgfaltige 
Gelehrte  auch  hier  nicht  die  Mühe  genommen,  zu  dem  hnl  Jrjfiovixov 
4>ili;^Q7g  sein  ägxovxoq  hinzuzufügen  ?  Hieß  der  Titel  des  Heftes  viel- 
leicht Jfjfjuivixoq  <l>XvBvgj  wieder  einmal  ganz  [926]  abweichend?  — 
oder  ist  es  nicht  sehr  denkbar,  daß  der  Verfasser  dieser  falschen 
Urkunden,  der  mehr  seines  Philochoros  Atthis  als  dessen  Inschriften- 
sammlung im  Gedächtnisse  haben  mochte,  nach  der  Analogie  der  ge- 
lehrten Art  eine  Datierung  erdichtete? 

Freilich  ist  es  vorschnell,  daß  ich  schon  jetzt  spreche,  als  wäre 
die  Uneehtheit  unseres  Decretes  erwiesen.  Aber  gleich  das  nächste 
yv(6fifj  ßovlfjg  xal  S/jfiov  dient  nicht  eben  dazu,  mich  das  Gesagte 
bereuen  zu  lassen.  Also  Eallias  hat  sich  wohl  bei  dem  Rat  und  Volk 
die  Erlaubnis  ausgebeten,  einen  Antrag  zu  machen,  daß  fiat  und  Volk 
besehließe  u.  s.  w.?  Warum  ist  denn  in  keinem  Decrete  sonst  diese 
seltsame  Probole  des  Volkes  erwähnt?  oder  heißt  das  etwa  soviel  wie 
iSo^e  rij  ßovXfj  xal  rc5  Srjyicp^  warum  nicht  r^  !A&fjvai(ov,  oder  was 
wollen  denn  die  anderen  Psephismen  mit  ihrem  nolBfiaQ/ov  yvcjfjLfjf 
üXQarriy&p  yvcifiy  u.  s.  w. 

Die  Verbindung  KccXkiccq  bItibv,  8t i  SoxsT  rfj  ßovkrj  xal  reo 
Si'ifjup  ist  in  Psephismen  durchaus  unerhört.  Schoemann  de  comit. 
8.  134  erklärt  diese  Formel  mit  folgenden  Worten:  ibi  pro  infmitivo 
precativo  indicativus:  8t i  SoxbT,  propterea  credo,  quia  hoc  psephisma  non 
est  ipsa  rogcUio,  sed  actorum  relatio,  qvmn,  cum  rogatio  de  Nausielis 
honoribus  ex  avctorüate  senaius  ad  poptdum  relata  statim  a  populo 
oecepta  esset,  Callias,  qtd  senattcs  atictoritatem  populo  propostcerat ,  coti- 
scribendam  a  scriba  curaverat,  ut  in  tabulas  publicas  referretur.  Doch 
bleibt  bei  dieser  Erklärung  nicht  bloß  das  yvcjfArj  ßovkfjg  xal  Siiifiov 
unerledigt,   sondern  gerade  für  solche  bieten  die  Inschriften  ja  eben 


216  Demosthenee 

die  Formel  äSo^av  rfj  ßovky  xal  r^  dijfAo:)  dar,  und  es  würde  mit  dem 
8ti  SoxbT  eine  ProtokoUierang  bezeichnet  sein,  wie  sie  neben  dem  offi- 
ciellen  eina  doch  wieder  unmöglich  erscheinen  muß.  Auch  das  dürfte 
kaum  zu  ertragen  sein,  daß  Nausikles  nur  mit  seinem  Amte  6  inl 
T&v  ÖTcXcov,  nicht  zugleich  mit  Vaters-  oder  Demosnamen  bezeichnet 
wird.  Endlich  heißt  es  ov  SvvccfUvov  ^iXcavog  rov  knl  rfjg  Sioixriaamq 
x6xaiQOTOvf]fjLivov  Siä  Tovg  xatficüvag  nladacci  xal  fuff&oSoTfjtrai  rovg 
dnhrag.  Der  Zusatz  xaxaiQorovrjfjLivog  erscheint  schwierig  und  ohne 
hinreichende  Analogie;  weder  die  Erklärung  Schäfers  postquam  deciua 
erat  (App.  II  S.  172),  noch  die  von  Hieronymus  AVolf  „quaestor  desig- 
naius"  befriedigt  Und  soll  hier  knl  rfjg  Sioixtiaatog  der  rapuag  oder 
der  (TTQaTTiydg  inl  r.  S.  sein,  in  beiden  Fällen  muß  es  als  höchst 
seltsam  erscheinen,  daß  der  Beamtete  in  Person  herumreist,  den  Truppen 
Sold  zu  bringen.  Demosthenes  sagt  {naQi  rtüv  iv  Xa^p.  §  47)  xccTaiT- 
xavüaavrag  Sai  'Svvafiiv  xal  T()oq))^v  ravrij  noQiaavrag  xul  rafi/ag 
xal  8rjf.Loaiovg  xal  Öncog  ivi  rijV  rÖv  X()r]fiäT(i)v  q:vXaxijV  üxQißaG- 
raTTjv  yavBfT&ai,  oirto  noi/jaavTag  rdv  fiiv  vöjv  XQfificercov  X6yov 
napä  Tovrcjv  Xapißdvaiv,  rov  Si  tdiv  'i{)ya)v  naoä  t&p  arQarriY&v 
[xof)  (TTQatfjyov  Bekker].  Hieraus  ergiebt  sich,  daß  die  Feldherren 
selbst  die  Verwaltung  des  Geldes  unter  sich  hatten,  und  das  verrufene 
&QyvQoXoyaTv  und  die  avvoiai  sind  eben  daher  erklärlich;  man  ver- 
gleiche die  Rede  des  Demosthenes  gegen  Timotheos.  Aber,  wird  man 
sagen,  aus  der  Staatskasse  muß  dem  einzelnen  Feldherm  das  Geld 
doch  durch  den  betreffenden  Beamteten  gezahlt  werden;  aber  eben 
dafür  [927]  kennen  wir  aus  dem  Jahre  des  Chairondas  einen  rafuavaag 
Tiüv  axQartoDTtx&v  (Plut.  X  Oratt.  S.  852),  der  auch  in  der  Kaiserzeit 
noch  vorhanden  gewesen  zu  sein  scheint  (Corp.  Inscr.  Gr.  Nr.  416  =  Mitth. 
des  Athen.  Inst.  1884  S.  162);  mag  der  immerhin  persönlich  ausgefahren 
sein,  in  die  Hauptquartiere  der  attischen  Heere  das  Geld  zu  bringen, 
der  vafitag  Tfjg  (hoixijfracjg  konnte  gewiß  sich  nicht  auf  diese  Weise 
von  Athen  entfernen.  Der  (TXQarriybg  inl  rflg  Sioix/jfracjg  dagegen 
scheint  aus  der  Reihe  attischer  Beamten  gestrichen  werden  zu  müssen; 
wenigstens  kommt  er,  so  viel  mir  bekannt,  nur  in  den  Decreten  unserer 
Rede,  und  auch  da  nicht  einmal  mit  hinreichender  Deutlichkeit  genannt 
vor;  und  die  Bezeichnung  seines  Amtes  wäre  wenigstens  nicht  von 
der  Bestimmtheit,  die  man  in  Athen  erwarten  darf. 

Der  Name  Philon  ist  in  jenen  Zeiten  sehr  häufig;  ich  erinnere 
nur  an  -den  Paianier,  des  Philodemos  Sohn,  den  Schwager  des  Aischines 
(Aischin.  napl  nagan.  §  150),  der  unter  den  zehn  Gesandten  Ol.  108  2 
war  (Dem.  nagl  nagaii.  §  140),  und  an  jenen  Philon,  der  unter  der 
Verwaltung  des  Lykurgos  den  Bau  der  (Txavod-t)xv  und  etwas  später 


Die  Urkunden  der  Kranssrede  217 

den  eleusinischen  Weihetempel  vollendete  (s.  Vitruv.  VII  praef.  Plnt 
Sulla  14  vgl.  Müller  in  den  Gott  Gel.  Anz.  1836  S.  1031).  Immerhin 
mag  der  eine  oder  der  andere  dem  Yerfertiger  des  Decretes  vorge- 
schwebt haben ;  dem  Yerfertiger,  sage  ich,  denn  nach  dem  Besprochenen 
glaube  ich  überzeugt  sein  zu  dürfen,  daß  wir  nichts  weniger  als  eine 
echte  Urkunde  vor  uns  haben,  obschon  das  zum  Grunde  gelegte  Factum 
eben  nicht  als  ein  erdichtetes,  aber  auch  freilich  nicht  als  ein  wirk- 
liches nachgewiesen  werden  kann. 

Es  heißt  nämlich  in  dem  Decret:  orBcpav&iTcci  NcevaixUa  t6p 
inl  r&v  &nXoDv,  oxi  !A&i]vai(ov  dnXiz&v  SifT/iXiWv  övroyv  ip  ^Ifiß^tp 
xal  ßofi&ovvTODv  rofg  xaxoixovaiv  ^A&rivaimv  rijv  vfj(TOVj  oi  Swcc- 
fUvov  fpiXcovog  .  .  .  Sia  rovg  x^^f^^"^^^  nXsvrrai  xal  fjutr&oSoTfjffai 
Tovg  dnXirag,  ix  rfig  IStag  ovaiag  äScoxB  xal  ovx  eigsTcga^B  röv 
Sfjfiov,  Wenn  2000  Hopliten  zur  Bewachung  der  Insel  nötig  waren, 
so  muß  es  große  Gefahr  gehabt  haben.  Und  allerdings  finden  wir 
Imbros  sehr  gefährdet  um  Ol.  106  1  im  Bundesgenossenkriege  (Diodor. 
XVI  21),  wo  die  Byzantier,  Rhodier  und  Chier  mit  100  Schiften  Imbros 
und  Lemnos  verwüsteten  und  dann  nach  Samos  steuerten.  Hiermit 
verbinden  wir  eine  Stelle  in  der  ersten  Philippischen  Bede  §  34  in 
der  zweiten  Hälfte,  die  man-  mit  Dionjsios  von  Halikamass  die  sechste 
Philippische  nennen  kann,  und  die  einen  eigenen,  etwa  in  der  ersten 
Hälfte  des  Jahres  350  gehaltenen  Vortrag  zu  bilden  scheint;  an  dieser 
Stelle  sagt  Demosthenes  zur  Empfehlung  des  von  ihm  gemachten  Vor- 
schlags: Tov  naa^Biv  avrol  xax&g  ü^g)  yevijffsfft^s,  oi/  AaneQ  t6v 
napeX&övra  XQ^ov  eig  Afjfivov  xal  ^IfAßgov  kfißaXoiv  aixfMxhArovg 
nokiTag  viuriQovg  äx^r  lixo^v  x  r  L  Denn  daß  dieser  Angriff  des 
Philippos  in  die  nächste  Zeit  nach  dem  Bundesgenossenkriege  gehört, 
ergiebt  sich  sehr  deutlich  aus  der  geschichtlichen  Übersicht  bei  Aischin. 
ne^l  TtaQan.  §  70  ff.  besonders  aus  den  Worten  §  72:  ^>iXinnog  Si 
6Qfif]&Blg  he  [928]  MaxeSov/ag  oixi&'  vniQ  !Aiiq)iii6XB(og  ngbg  ijfAäg 
dy(Dvi^6T0y  &XX  ^Stj  nB(}l  A/jfivov  xal  'Ipißgov  xal  JSxvqov,  r&v 
fifisriQcav  xTfjfiar(ov  x  t  X,  Eine  dritte  Erwähnung  von  der  Geßhr- 
dung  der  Insel  findet  sich  in  der  Rede  xavä  Neaioag  §  3  und  ver- 
anlaßt uns  zu  einer  etwas  genaueren  Untersuchung. 

Im  Eingang  dieser  Bede  wird  der  einst  so  reiche  und  um  den 
Staat  vielfach  verdiente  ApoUodoros,  des  Pasion  Sohn,  für  den  De- 
mosthenes manche  Bede  geschrieben  hatte,  den  Richtern  bestens 
empfohlen;  es  wird  von  seinem  Vorschlag,  den  tTberschuß  der  Ver- 
waltungsgelder nicht  in  die  Theoriken-,  sondern  in  die  Kriegskasse 
abzuliefern,  gesprochen,  jenem  Vorschlag,  den  er  als  Buleut  gemacht 
hatte:   avfißävrog  xaiQov  ry  nöXet  roiovrov  xal  noXifiov  Hv  <p  l^v  fj 


218  Demosthenos 

»Qcczijtraaiv  iffiTv  fieyiaroig  riav  'EkXi)v(ov  dvai  xäi  ävafjupKrßfiTijTCjg 
TÜ  T<  ifUrsQa  avz&v  xexofjLi(T&ai  xai  xaranBTio^fifjxivcci  ^iXinnov 
fj  v(TT6Q7](Tce(Ti  Tf]  ßotj&si^  xal  7t(}06fiivoig  Tovg  (TVfifjuixovg  St 
änoQiccv  XQrjfiürtDv  xaTaXv&evrog  rod  argoxonkSov  rovxovq  x  imo^ 
"kkaai  xal  roTg  äiJjoig  "EkXritn  änifrtovg  dvcci  äoxsTv  xai  xivSwwetv 
nBQi  r&v  vnoXointDVj  ntgl  t6  A^fivov  xal  ''IfißQov  xal  SSxvqov  xal 
XeppovfitTOv,  xal  fiekXövT(ov  axQaxBma&ai  vfi&v  navStjfial  sYg  ts  EU- 
ßoiav  xal  '^OXvvß'oVj  HyQaifJB  ifj/j(pi(rfia  x  r  X.  Es  versteht  sich, 
daß  dies  die  in  der  Midiana  besprochenen  Expeditionen  nach  Eaboia 
und  Olynthos  sind,  in  Beziehung  auf  welche  ich  mich  ganz  den  von 
Herrn  Seebeck  (in  der  Zeitschrift  für  Altertumswissensch.  1838  Nr.  39  ff.) 
entwickelten  Ansichten  anschließe.  Es  war  das  Jahr  des  Aristodemos 
OL  117  1  (35Yj)y  in  dem  die  Athener  nach  der  schnellen  und  des 
Philippos  Rückkehr  bewirkenden  Expedition  nach  den  Thermophylen 
und  zugleich  durch  seinen  raschen  Einfall  nach  Thrakien  geschreckt^ 
die  Fortsetzung  des  Krieges  unter  steigendem  Zwiespalt  im  Innern 
betrieben. 

[929]  Der  Nachricht  von  des  Philippos  Krankheit  im  Maimakterion 
(Herbst  352  s.  Olynth.  III  §  4)  folgte  die  erste  Philippische  Rede; 
Meidias  verwickelte  den  Staat  in  die  euboiischen  Verhältnisse;  schon 
hatte  sich  Olynth  von  dem  Bunde  mit  Philippos  gelöst,  noch  in  dem- 
selben Herbst  ging  ein  Teil  der  attischen  Truppen  nach  Olynth  hin- 
über, das  schon  von  des  Philippos  Streifereien  heimgesucht  wurde 
(Philipp.  I  §  17).  Auch  die  Thessalier  waren  schwierig  und  zum  Abfiall 
yon  Makedonien  geneigt;  da  kam  die  Nachricht,  daß  Kallias  von  Ghalkis 
makedonische  Truppen  herbeirufe,  daß  das  attische  Heer  bei  Tamynai 
eingeschlossen  sei;  auch  aus  Thrakien  mochten  die  Nachrichten  ungünstig 
lauten;  die  Athener  im  Chersones  flüchteten,  denn  man  erwartete  sofort 
des  Philippos  Angriff.  Dies  war  die  Zeit,  wo  man  alles  daran  setzen 
zu  müssen  schien,  dies  die  Zeit,  in  der  Apollodoros,  gewiß  von  De- 
mosthenes  unterstützt,  seinen  Antrag  machte.  Aber  er  drang  nicht 
durch,  die  Partei  der  Reichen  war  höchst  geschäftig  gegen  Demosthenes 
und  seine  Freunde;  gegen  ihn  versuchten  sie  die  Klage  XsiTiora^ioVf 
und  statt  mit  der  Ritterschaft  {jtävrag  k^dvai  rovg  vnoXoinovg 
Initkag  Dem.  xarä  MsiS,  §  162)  zum  Entsatz  nach  Tamynai  auszu- 
ziehen, frevelt  Meidias  an  Demosthenes  dem  Ghoragen,  in  derselben 
Zeit,  wo  sein  Freund  Plutarchos  von  Eretria  durch  seinen  Verrat  das 
attische  Heer  bei  Tamynai  dem  Verderben  nahe  brachte  {xccrä  MsiS. 
§  110).  Vergebens  suchte  Meidias  den  gräßlichen  Mord  des  Nikodemos 
auf  Demosthenes  zu  wälzen  {xccrä  MeiS»  §  121);  vielmehr  wurde  Hege- 
sUeos  als  mit  Plutarchos  im  Einverständnisse  verdammt  (Ulpian.  ad 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  219 

Bern,  de  f.  1.  S.  151  ed  Dobs.),  ohne  daß  Eubulos  seinem  Verwandten 
beizustehen  wagte  (Dem.  nsQl  nagan.  §  290);  und  Demosthenes,  zum 
Buleuten  des  nächsten  Jahres  Ol.  107  2  erlöst,  wurde  auf  mannigfache 
Weise  ausgezeichnet  Indeß  ging  nach  der  Rückkehr  der  euboiischen 
Expedition  (hc  2rvQwv  Dem.  xccrä  MeiS.  §  167),  als  der  unfähige 
Molossos  auf  der  Insel  commandierte,  bald  das  Gewonnene  wieder  ver- 
loren, und  der  Feldherr  selbst  wurde  gefangen  (Plut  Phoc.  14).  Auch 
für  den  Ghersones  war  nichts  gethan,  die  im  Herbst  352  beschlossene 
große  Sendung  unter  Charidemos  ging  endlich  im  Boedromion  351  ab, 
aber  so  armselig  ausgestattet,  daß  an  Erfolge  nicht  zu  denken  war. 
[930]  Dem  nächsten  Frühling  gehört  der  zweite  Teil  der  ersten 
Fhilippischen  Bede  an;  Philippos  hat  bereits  einen  Drohbrief  an  die 
Euboier  geschrieben,  der  die  Athener  mit  gerechtem  Unwillen  erfüllt 
(Phil.  I  §  37);  der  Redner  spricht  nicht  mehr  von  jener  doppelten  Streit- 
macht, wie  im  ersten  Teil  der  Rede;  er  verlangt  nur,  daß  ein  Heer 
zu  aller  Zeit  in  der  Nähe  des  Hellespontes  gehalten  werde,  um  «nicht 
durch  die  Etesien  oder  die  Winterstürme  an  der  Beschutzung  des  Gher- 
sones gehindert  zu  sein.  Diese  Wortstellung  rovg  Hrjaiag  tj  t6v 
XBifißva  (§31),  mehr  noch  die  Strafrede,  daß  sie  für  die  Panathenäen 
und  Dionysien  stets  hinreichend  Geld  hätten,  spricht  dafür,  daß  die 
Bede  im  Frühling  350,  wenige  Monate  vor  den  großen  Panathenäen 
Ol.  107  3  gehalten  ist 

Wir  bezeichneten  oben  den  Winter  Ol.  107  1  als  die  Zeit,  wo 
ApoUodoros  seinen  Antrag  in  Betreff  der  Kriegsgelder  machte.  Apollo- 
doros  hatte  die  deshalb  von  Stephanos  gegen  ihn  gerichtete  Klage 
naQcevöfKov  bereits  verloren,  als  er  den  Prozeß  gegen  Phormion  verlor, 
in  dem  sich  Demosthenes  dazu  hergab,  gegen  ihn  die  noch  erhaltene 
Rede  vnig  0o(}fiia)voQ  zu  schreiben.  In  dieser  §  39  heißt  es  von  dem 
vielen  Gelde,  das  ApoUodoros  einst  besessen:  dXka  ravO-'  ij  nöhg 
tJfXfjqe  xal  Suva  nimov&ag  noXku  xccTaXsletrovQyrjxcjg.  In  derselben 
Rede  §  53  wird  dem  ApoUodoros  vorgeworfen,  gegen  wie  viele  er  schon 
Prozesse  geführt  habe,  unter  anderen:  oifxl  Tifiofiä/ov  xarfjyÖQBig', 
ovxi  Kuklinnov  rov  vDv  övvog  iv  SSixBlia;  womit  der  Prozeß  gemeint 
ist,  aus  dem  die  Demosthenische  Rede  ngdg  KdXhnnov  noch  erhalten 
ist  Diesen  Kallippos  nennen  die  Erklärer  als  denselben  Päanier,  der 
in  der  Rede  n^Ql  !A)iovvTjg.  §  42  als  Staatsmann  genannt  wird;  sehr 
mit  unrecht,  es  war  dieser  als  Demot  des  Archibiades  {jtQÖg  KakX. 
§  28)  vielmehr  ein  Lamp^rer  (§  3).  Die  Rede  für  Phormion  ist  ge- 
halten xaQilfjXv&ÖToov  kr&v  nUov  tj  sixoai  nach  dem  Tode  des  Pasion 
(§  26),  der  unter  dem  Archen  Dysniketos  Ol.  102  3  gestorben  war 
(xarä  2rB(pdvov  /S'  §  13),   so  daß,   da  der  Ausdruck  „über  zwanzig 


220  Demosthenes 

Jahre"  übertreibend  gebraucht  ist,  nicht  später  als  350  das  Jahr  der 
Rede  für  Phormion  sein  dürfte.  Jener  Lamptrer  Kallippos  also  befand 
sich  damals  in  Sicilien;  es  ist  derselbe,  der  anfangs  Freund  des  Dion 
ihn  später  (Ol.  106  4  gegen  Ausgang  des  Jahres  s.  Clinton  S.  140, 
also  Frühling  352)  ermordete  und  sich  selbst  die  Herrschaft  zu  ge- 
winnen suchte  (Aristot.  Rhet.  I  12  S.  1373  Athen.  XI  S.  508  Plut.  de 
sera  num.  vind.  8  u.  s.  w.)  und  in  der  That  stand  er  dreizehn  Monate 
im  Besitz  der  Macht  (Diod.  XVI  31)  accl  xareiXB  rag  ^VQaxovaaq 
xal  ngbq  Tijv  'ä&rivaieav  fyQaipe  n6hv  (Plut  Dio  58).  Aber  bei 
einem  Angriff  auf  Eatana  empörte  sich  Sjrakus  (also  etwa  im  Früh- 
ling 351);  dann  wandte  er  sich  gen  Messana  und  seine  Söldner  deser- 
tierten scharenweise;  so  von  allen  verlassen,  von  allen  sicilischen  Städten 
zurückgewiesen,  ging  er  nach  Italien  hinüber,  und  es  gelang  ihm,  mit 
Leptines  vereint,  Rhegion  dem  Dionysios  zu  entreißen,  worauf  er  dort 
die  Freiheit  proclamierte  (nach  Diod.  XVI  45  im  Jahre  des  Thessalos, 
also  wohl  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  350);  bald  darauf  aber  wurde 
er  von  Leptines  ermordet  (Plut.  Dio  58).  Da  die  Rede  für  Phormion 
gehalten  ist  während  der  Zeit,  als  Kallippos  in  Sicilien  war,  so  muß 
sie  spätestens  in  das  Jahr  352,  sie  kann  aber  auch  noch  in  353  ge- 
hören. Der  Brief,  den  damals  Kallippos  an  Athen  geschrieben,  scheint 
nichts  anderes  als  einen  Antrag  zu  freundschaftlicher  Verbindung  ent- 
halten zu  haben;  und  so  finden  wir  eine  belehrende  Notiz,  die  sich 
nur  hierauf  beziehen  kann,  in  Aristoteles  Rhetorik  II  7  8i6  xal  xovq 
TtQCüTOv  Sefj&ivrag  ri  alrrxvvovrat  cbg  ovSiv  Tcm  ijSo^Tjxöveg  kv  av- 
ToTg'  TOiodroi  S'  oi  re  üqti  ßovXöfiBvoi  tpiXoi  elvat,  rä  yccQ  ßiXncrrcc 
re&iavrai'  Siö  ev  f^/si  ij  rov  Ei)Qtni8ov  dnöxQKTig  itoög  rovg  JSvQa- 
xoaiovg.  Hierzu  bemerkt  der  Scholiast:  Ev()miSfjg  n^og  rovg  -St/por- 
xoaiovg  itQifrßvg  dnofrrakelg  xal  tisqI  si^iijvijg  nai  (piXiag  SBÖfievog, 
(bg  ixeivoi  ävivevov,  bItisv*  iSet,  ävS()6g  2vQax6mot,  ü  xal  Sij  ovSkv 
äXXo  äXXä  ys  Siä  rov  &qti  vii&v  Sisff&ai  al(TXvvB(T&ai  ijfiäg  (bg 
&avfiä^ovTag,  Ruhnken  in  der  bist.  crit.  S.  71  hatte  für  Earipides 
den  Hypereides  substituieren  wollen,  aber  der  Name  ist  vollkommen 
richtig,  es  ist  Euripides,  wenn  auch  nicht  der  Myrrhinusier  des  Adei- 
mantos  Sohn,  der  nach  Corp.  Inscr.  Gr.  Nr.  213  =  C.  I.  A.  11  553  einen 
Dionysischen  Sieg  gewann  (um  Ol.  96)  und  auf  den  Aristoph.  Eccles, 
825  geht,  so  doch  derselbe,  der  mit  Polykles  (etwa  Ol.  104)  Trierarch 
war  (Demosth.  ngog  üoXvxUa  §  68),  derselbe,  von  dem  Ephippos  in 
den  Epheben  sagt:  ov  xvfißioiaiv  nenoXifitix  EvQiittStjg  (Athen.  XI 
8.  482);  und  den  er  in  den  Obeliaphoren,  Anaxandrides  in  den  Nereiden 
wieder  mit  den  xvfißioig  zusammen  nennt  (Athen,  a.  a.  0.).  Von  jener 
Gesandtschaft  des  Euripides  aber  ist  auch  die  Erwähnung  in  Demosthenes 


Die  Urkunden  der  Eranzrede  221 

Rede  itQoq  NixoaxQ.  (§  5)  zu  verstehen,  wo  Apollodoros,  für  den  die 
Bede  geschrieben  ist,  sagt:  (TVfißaivei  St}  fioi  TQirjQaQXicc  negl  U^Xo- 
7i6wr]<Tov,  kxsT&6V  S"  elg  JSixskiav  HSsi  tovq  n^i^ßsig  äyeiv,  oüg  6 
SfjfWQ  ix^iQOTÖvfiasv,  Dies  war  nach  den  obigen  Angaben  in  OL  107  1, 
in  demselben  Jahre,  in  welchem  Apollodoros  auch  Buleut  war,  und 
wir  fanden,  daß  er  im  Winter  dieses  Jahres  seinen  Antrag  in  Betreff 
der  argccTKOTixü  machte,  infolge  dessen  er  mit  einem  Talent  Strafe 
belegt  wurde,  die  er  auch  zahlte  {xarä  JVsaiQag  §  8);  wenigstens 
wahrscheinlicher  dürfte  für  jene  Trierarchie  demnach  der  Herbst  352 
sein.  Ich  übergehe  es,  die  sehr  merkwürdige  Charakteristik  des  Partei- 
kampfes in  jenem  wild  bewegten  Jahre  Ol.  107  1,  zu  der  auch  der 
Prozeß  gegen  Nikostratos  einen  Beitrag  [932]  liefert,  weiter  zu  ver- 
folgen ;  man  muß  dieser  Art  Dinge  sich  genauer  ansehen,  um  von  der 
unglaublichen  Schändlichkeit  und  Verworrenheit  des  Parteilebens  in 
Athen  eine  hinreichende  Vorstellung  zu  gewinnen,  und  über  die  schönen 
Phantasien  hinwegzukommen,  die  man  noch  immer  so  gern  hegt. 

Doch  muß  ich  fürchten,  die  Aufmerksamkeit  meiner  Leser  von 
dem  Ehrendecret  für  Nausikles  und  seinem  Aufenthalt  in  Imbros  schon 
za  lange  abgezogen  za  haben.  Wir  fanden  einen  Angriff  auf  die  Insel 
um  357  seitens  der  Byzantier,  Rhodier  u.  s.  w.,  und  einen  zweiten 
seitens  des  Philippos  vor  350  und  vielleicht  genau  im  Jahre  351.  Nach 
der  Art  der  Athener,  dahin  Truppen  zu  senden,  wo  sie  eben  einen 
Schlag  erhalten  haben,  mag  man  sich  die  Expedition  des  Nausikles 
nach  jener  ersten  oder  dieser  zweiten  Heimsuchung  der  Insel  ausge- 
sendet denken;  aber  sehr  wenig  glaublich  erscheint  es,  daß  Athen  auf 
der  Insel  ein  so  bedeutendes  Heer  gehalten  haben  soll.  Standen  zu 
irgend  einer  Zeit  2000  Mann  Hopliten  zur  Deckung  der  Kolonisten 
auf  Imbros,  so  war  ja  auch  Lemnos  und  Skyros  gefährdet,  auch  der 
Chersones  gefährdet  und  die  Athener  mußten  dort  gewiß  nicht  minder 
bedeutende  Heere  zur  Deckung  der  Kolonisten  halten;  wer  aber  will 
glauben,  daß  die  Athener  dieser  Zeit  Heere  von  8000,  von  10000  Mann 
zum  Schutz  ihrer  Besitzungen  in  Sold  gehalten  haben!  Denn  es  ist 
etwas  Anderes,  wenn  sich  der  entscheidende  Krieg  um  Olynth  zusammen- 
drangt; dorthin  werden  nach  einander  2000,  4000,  2000  Mann  ge- 
sendet Man  könnte  meinen,  in  der  Zeit  des  Krieges  des  Philippos 
mit  Byzanz  sei  solche  Macht  wohl  auf  der  Insel  notwendig  gewesen; 
auf  dem  Chersones  war  dann  ein  Heer  noch  [notwendiger,  und  wir 
wissen  ja,  daß  Diopeithes  in  jenen  gefahrlichsten  Zeiten  dort  ein  Söldner- 
heer auf  eigene  Hand  aufbringen  und  erhalten  mußte.  Kurzum,  das 
ganze  Factum  scheint  mir  eben  so  aus  der  Luft  gegriffen  zu  sein,  wie 
das  gesamte  Decret  eine  Phantasie  ist.   Oder  will  man  glauben,  daß  in 


222  DemoBthenee 

einem  wirklichen  Decret  die  Hauptsache,  hier  die  Geldsumme,  die  Naiisikles 
geschenkt  hat,  oder  die  so  und  so  yiel  Zeit,  für  die  er  den  Sold  aus 
eigenen  Mitteln  bestritten  hat,  übergangen  worden  wäre? 

Endlich  will  ich  noch  auf  einen  Funkt  aufmerksam  machen,  der, 
wenn  auch  kein  entscheidendes  Resultat  begründen,  doch  dem  Inhalt 
des  Decretes  von  noch  einer  Seite  her  geföhrlich  werden  kann.  De- 
mosthenes  läßt  Decrete  yorlesen  zum  Beweise,  daß  Beamtete  während 
ihrer  Amtszeit,  bevor  sie  noch  Rechenschaft  abgelegt,  gekränzt  seien. 
Nach  unserem  Beschluß  wird  im  Boedromion  beschlossen,  Nauaikles 
in  den  Dionysien  zu  kränzen,  weil  er  Sold  an  die  Truppen  gezahlt, 
da  Siä  Toh^  /c/^öi/a«?  der  zur  Auszahlung  bestimmte  Beamte  nicht 
habe  nach  Imbros  kommen  können.  Versteht  man  unter  diesen  ;^6i- 
fi&vBq  die  Etesien  in  Mitten  des  heißen  Sommers,  so  beginnen  diese 
am  24.  Juli  oder  mit  Einschluß  der  sogenannten  7t()6S()Ofioi  mit  dem 
16.  Juli  und  wehen  bis  zum  3.  September.  Dies  würde  sich  mit  dem 
Datum  des  Decretes  wohl  vereinigen  lassen;  aber  noch  ist  nichts 
weniger  als  ausgemacht,  daß  die  zehn  regelmäßigen  Strategen  ihr  Amt 
etwa  mit  dem  [933]  Frühling  antraten;  sie  werden  in  den  äQXcciQBfricaq 
(natürlich  nicht  den  vier  letzten  Tagen  des  Jahres)  gewählt  (Aischin. 
xarä  KrrjfT.  §  13  Demosth.  xarä  'Aqkttox.  §  171  Flut.  Fhoc.  8),  und 
es  dürfte  darnach  glaublich  sein,  daß  sie  eben  als  regelmäßige  Beamtete 
auch  mit  dem  Jahresanfang  eintraten^.    War  dies  der  Fall,   so  muß 


^  Ich  weiß  sehr  gut^  wie  mancherlei  Bedenken  diese  Ansicht  hat,  aber  für 
die  Demosthenische  Zeit  seheint  sie  durchaus  begründet  werden  zu  können. 
Apollodoros  segelte  nach  Ausweis  der  Demosthenischen  Rede  n{^6g  Ilokvxkda 
unter  dem  Archon  Molon  (Ol.  104  3)  als  Trierarch  aus;  am  23.  Metageitnion 
war  der  dessfallsige  Volksbeschluß  gemacht  (§  4),  am  29.  sollte  bei  hoher  Strafe 
jede  Triere  bereits  zum  Aussegeln  fertig  sein  (ne^i  tov  aT6q)(tvov  jrjg  tqiijq.  §  4); 
Apollodoros  segelte  aus,  zwei  Monate  erhielt  er  Sold,  andere  acht  Monate  nicht, 
da  wurde  er  mit  Gesandten  nach  Athen  detachiert  {n^bg  IIolvxX,  §  12),  und 
brachte  zurückkehrend  an  die  Stelle  des  abgesetzten  Strategen  einen  anderen. 
Als  er  bereits  in  dem  Hellespont  angekommen  und  die  Zeit  seiner  Trierarchie 
vorüber  war,  kam  ein  neuer  Strateg:  ereQog  aiQaujybg  yxe  Tifiofia/og  xni  ovrog 
öittödxovg  (d.  h.  die  neuen  Trierarchen)  ovx  nyfßv  ini  ing  vavg.  Apollodoros 
blieb  Trierarch,  segelte  aus  zum  Geleit  der  Getreideflotte  nach  dem  Hieron  und 
wartete  dort  45  Tage  tug  b  ^xnkovg  rwv  nloiuv  tvjv  fiar  ÄQxtovQoy  tx  xov 
novTov  tyet'ero,  und  als  er  in  Scstos  ankam,  waren  schon  zwei  Monate  über 
seine  trierarchische  Zeit  verflossen  (§  20);  um  die  Zeit  des  Untergangs  der  Ple- 
jaden  bereits  drei  Monate  (§  23).  Aho  um  den  28.  Pyanepsion  {nXeutö(üv  dvmg) 
waren  drei  Monate  über  die  Zeit  verflossen;  als  deren  zwei  verflossen  waren, 
also  Ende  des  Boedromion,  war  Apollodoros  mit  der  Getreideflotte  bereits  in 
Scstos  angekommen,  die  er  am  Hieron  45  Tage  erwartet  hatte;  auf  die  Fahrt 
vom  Hieron  bis  Sestos  sechs  Tage  gerechnet,  hatte  er  dort  seit  dem  8.  Meta- 
geitnion etwa  stationiert.     Zu  dieser  Fahrt  hatte  er  vielerlei  neue  Werbungen 


Die  Urkunden  delr  Kranzrede  223 

es  undenkbar  erscheinen,  daß  der  Feldherr,  der  etwa  acht  oder  vierzehn 
Tage  Tor  den  Etesien  abging,  nicht  mit  dem  nötigen  Geld  for  die 
Zeit,  wo  man  nicht  von  Athen  nach  Imbros  hinauf  fahren  konnte,  ver- 
sehen gewesen  sein  sollte.  Aber  kann  man  sich  denn  vorstellen,  daß 
XBifA(S>v6g  die  regelmäßigen  Winde,  keineswegs  Stürme,  des  heißen 
Sommers  genannt  werden?  Dissen  sagt  daher:  proceüae  fuerunt,  non 
nveificera  ianhim  adversa.  Doch  nicht  etwa  ein  paar  stürmische  Tage 
nur?  Es  bleibt  nur  übrig,  an  Winterstürme  zu  denken,  die  die  Schiflf- 
fahrt  dauernd  hinderten.  An  den  Dionysien,  als  er  noch  im  Amte 
war,  sollte  Nausikles  gekränzt  werden,  war  im  Boedromion  beschlossen, 
weil  er  den  [934]  Sold  gezahlt  hatte,  den  die  Winterstürme  ihm  zu 
senden  gehindert  hatten;  nach  den  Dionysien  also  hatte  er  sein  Amt 
angetreten,  nach  der  Mitte  des  März,  und  da  sollten,  als  er  bereits  in 
Imbros  stand,  noch  Winterstürme  Zeit  gehabt  haben,  die  Geldsen- 
dungen zu  hindern? 

Das  Volk  kränzt  den  Nausikles,  und  es  sagt  nicht,  ob  mit  einem 
goldenen  Kranz  oder  mit  einem  Zweig?  Der  Kranz  soll  in  den  Dio- 
nysien verkündet  werden,  und  es  wird  nicht  hinzugefügt,  durch  wen, 
wie  wenigstens  in  den  anderen  Decreten  der  Bede. 

Demosthenes  sagt:  NccvatxXfjq  (jTQarriy&Vj  k(p  olq  äiib  r&v  ISloav 
nooeiTo,  Tiolkaxtg  ktTTB^üvcovai ,  und  wir  werden  es  uns  nicht  mehr 
kümmern  lassen,  daß  statt  der  mehreren  Decrete  für  Nausikles  jetzt 
nur  eins  und  zwar  ein  untergeschobenes  steht.  Ob  derselbe  je  in 
Imbros  commandiert  hat,  muß  dahingestellt  bleiben ;  wohl  aber  hat  er 
Ol.  107  1  den  Phokiem  ein  bedeutendes  attisches  Heer  nach  Phokis 
gefuhrt  (Diod.  XVI  37).  Wir  wissen  sonst  keine  bestimmten  Missionen, 
in  denen  er  Gelegenheit  gehabt  hätte,  imSörreig  zu  machen;  gewiß 
aber  war  er  nach  der  Schlacht  von  Ghaironeia  in  dieser  Weise  thätig, 
denn  Aischines  (xarä  Ktria.  §  159)  giebt  an,  damals  sei  Demosthenes 
im  höchsten  Grade  unpopulär  gewesen,  ovS'  kni  vä  ipf](piafiaTu  eläxB 


nnd  Rüstungen  zu  machen  gehabt,  und  als  er  diese  begann,  war  bereits  seine 
trierarchische  Zeit  um,  die  also  nicht  vom  Tage  des  Psephismas,  sondern  vom 
Anfang  des  bürgerlichen  Jahres  datierte.  Eben  damals  kam  der  ereQog  aTgarr^Yog 
ohne  die  trierarchische  Ablösung,  also  der  Strateg  begann  seine  Thätigkeit  mit 
dem  bürgerlichen  Jahre;  und  für  den  abgesetzten  Strategen  wurde  noch  ein 
anderer  etwa  im  Monat  Thargelion  abgeschickt.  Ein  gelehrter  Freund  hat  aus 
einer  Zusammenstellung  der  Strategen  in  den  ersten  Büchern  des  Thukydides 
ganz  dasselbe  Resultat  gewonnen,  daß  die  regelmäßigen  Strategen  ihr  Amt  mit 
dem  attischen  Jahre  begannen;  und  die  häufige  Bemerkung,  daß  ein  Trierarch 
auf  seinem  Schiffe  den  Strategen  führte,  wird  wohl  ebenso  auf  die  Absendung 
des  neuen  Strategen  im  Anfang  des  Jahres,  wenigstens  meistenteils,  zu  be- 
ziehen sein. 


224  Demofithenes 

t6  Jfifio(T&ivovg  l7tiyQdq>8iv  övofia^  AXKä  JVccvaixXet  rovro  ngoae- 
rävTBTBj  eine  Notiz,  die  um  so  merkwürdiger  ist,  da  Nausikles  —  denn 
daß  es  derselbe  ist,  wage  ich  nicht  zu  bezweifeln  — ,  OL  108  2  bei 
der  Wahl  der  Gesandten  an  Philippos  den  Aischines  vorschlug  (Aischin. 
nsQl  TiaQccit.  §  18),  ja  am  Schluß  der  Kede  von  demselben  als  einer 
hx  T&v  (fihov  xal  rßv  ^Xixicot&v  t&v  ifiawod  nach  Eubulos  und 
Phokion  zur  Verteidigung  aufgerufen  wird.  Die  Notizen  bei  Plut.  X 
Oratt  S.  859  und  Phot.  Bibl.  S.  498  a  enthalten  nichts  Bedeutendes. 

Das  folgende  Fsephisma  für  Charidemos  und  Diotimos  beginnt 
ohne  Archen  und  Datum,  und  Böckh  äußerte  die  Vermutung,  es  könne 
vielleicht  die  Datierung  des  vorhergehenden  Decretes  für  diese  mit- 
gelten, da  ja  auch  der  Antragsteller  in  beiden  derselbe  Ealliaa  sei. 
Diese  Vermutung  hat  Winiewsky  mit  zu  großer  Zuversicht  weiter  ver- 
folgt und  darauf  eine  Reihe  von  Combinationen  begründet,  die  nicht 
bloß  in  die  Luft  gebaut,  sondern  auch  in  sich  so  willkürlich  sind,  daß 
sie  der  Kritik  keinen  Augenblick  Stand  halten.  Was  der  Zweck  der 
Lesung  dieser  Decrete  ist,  zu  erweisen,  daß  Nausikles,  Charidemos  und 
Diotimos  gekränzt  worden  sind  während  der  Zeit  ihrer  Verantwort- 
lichkeit, gerade  das  ist  in  Winiewskys  Hypothese  gänzlich  verloren 
gegangen. 

Zugleich  aber  ist  dies  der  erste  Qrund  zum  Verdacht  gegen  dies 
zweite  Decret  des  Eallias,  daß  es  nicht  die  Zeitbestimmung  enthält, 
durch  welche  allein  die  Richtigkeit  der  gleich  folgenden  Worte  des 
Redners:  tovtcov  hcarrvog  rfjg  fiiv  ä^x^g  T]g  ^Q/ev  vnsi&vvog  tjv  x  r  h 
sich  erweisen  konnte. 

Das  Decret  beschließt  Verkündung  des  Kranzes  in  den  großen 
Panathenäen  und  in  den  Dionysien;  also  ist  vor  dem  Ende  des  Heka- 
tombaion  eines  dritten  Olympiadenjahres  und  zwar,  da  die  Dionysien 
die  an  zweiter  Stelle  genannten  sind,  nach  dem  Elaphebolion  eines 
zweiten  [985]  Olympiadenjahres  decretiert  worden.  Als  Grund  der 
Kränzung  wird  angeführt:  knBiSt}  XaQiärjfiog  6  ini  t&v  önXiT&v 
änoirrakelg  elg  2aXapuva  xal  Jidvifiog  6  kni  rßv  Innimv  kv  tij  inl 
Tot?  noTccfJLOd  fiäxf]  r&v  axQaxuoxöiv  rtvcjv  vnd  r&v  noXifiiojv  (txv- 
XBv&tvroav  ix  rcHv  ISiojv  ävakojfjLÜroiv  xa&(67th(xav  Tovg  veaviaxovg 
AtTitimv  dxraxoffiaig,  Sadöx&ai  x  r  k. 

Die  Nennung  von  Salamis  scheint  der  Forschung  den  Kreis  der 
Möglichkeiten  auf  sehr  ersprießliche  Weise  zu  beschränken;  entweder 
ist  Charidemos  nach  Cypem  oder,  freilich  mit  sonderbarem  Ausdruck 
dTtoffTalBig,  nach  dem  attischen  Salamis  abgeschickt.  In  Cypem  kennen 
wir  für  jene  Zeit  allerdings  einen  bedeutenden  Krieg  (Diod.  XVI  42 
und  46);  die  Insel  empörte  sich  gleichzeitig  mit  Phönikien,  Aegypten  u.  s.  w. 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  225 

im  Jahre  des  Thessalos  Ol.  107  2  und  gegen  dieselbe  wurde  der  Dynast 
von  Earien  zu  kämpfen  beauftragt:  6  Sk  ö^icog  TtccQccfTxevccirüfuvog 
TQifjQBig  fdv  TeaffaoäxovTCC,  GTQarifbraq  Sk  fii(Td'oq:ÖQOvg  öxtccxkT' 
Xi^ovq  i^iTtefiifjev  dg  rijv  Kviiqov  knKTrijaccg  arourriyovg  0(oxia)va 
Tov  '4&fjvaTov  xal  EvayÖQav ....  ovroi  Bv&vg  kni  rijV  fieyicrcrjv  rcHv 
möXBOfv  2aXaiiiva  rijv  Svvccfjiiv  ))yayov.  Im  folgenden  Jahre,  Ol.  107  3, 
erfolgte  dann  die  Eroberung  der  Stadt.  Aber  Phokion  erscheint  hier 
alB  Feldherr,  nicht  an  der  Spitze  von  attischen  Truppen,  sondern  als 
Fuhrer  von  Söldnern  im  Dienst  des  karischen  Dynasten;  er  muß  nach 
der  Schlacht  von  Tamynai  und  den  guten  Erfolgen  auf  Euboia,  womit 
auch  immer  unzufrieden,  den  Dienst  für  das  Vaterland  verlassen  haben, 
woraus  des  Plutarchos  Ausdruck  (Phoc.  14)  zu  verstehen  ist:  hnBi  8k 
ravTce  SianQa^dfitvog  dTiinkBVfTsv  6  (I^cjxicov,  rccxv  fiiv  hTiö&riaav 
Ol  (TVfipaxoi  Tf]v  X0fi(^TÖT7]Tcc  xcci  Sixato(Tvvf]v  avTOv,  Tcc/v  ä*  'iyvcjcrav 
Ol  Id^^-rivuioi  riiv  k^nBiQiav  xui  pcjjj^rjv  tov  ävS()6g,  Der  attische 
Staat  hatte  an  jener  kyprischen  Expedition  keinen  Anteil,  der  Groß- 
könig hatte  denselben  zur  Teilnahme  an  dem  Krieg  aufgefordert,  aber 
manche  Redner  forderten  vielmehr,  man  solle  den  Ägyptern  gegen  den 
König  Beistand  leisten  (Dem,  vnkQ  rfjg  'PoS.  kkev&.  §  5  vgl.  Aristot. 
Rhet.  II  20)  und  der  Staat  begnügte  sich  mit  einem  neutralen  Bündnis 
(Diod.  XVJ  44  und  im  ganzen  Demosthenes  Rede  über  Rhodos,  die 
im  Jahr  des  Thessalos  gehalten  ist).  Von  einer  anderen  derzeitigen 
Unternehmung  der  Athener  nach  Kypros  wissen  wir  nicht,  und  ihre 
Unmöglichkeit  geht  aus  den  Zeitverhältnissen  deutlich  genug  hervor. 
So  bleibt  nur  das  nachbarliche  Salamis  übrig.  Winiewsky  (S.  298) 
denkt  sich  die  Begebenheit  folgendermaßen:  Charidemos  wird  mit 
wenigen  Hopliten  nach  Salamis  abgeschickt,  dort  erleidet  er  eine  Nieder- 
lage, worauf  er  und  Diotimos  von  Athen  aus  800  Schilde  schenken, 
and  die  jungen  Leute  zur  Verteidigung  der  Insel  bewalBfnen;  da  man 
die  Insel  nicht  auf  solchen  Kampf  hinlänglich  mit  Truppen  versehen 
hat,  sondern  unerwartet  überfallen  worden  ist,  können  es  nur  die 
nächstwohnenden  Megarer  oder  Korinthier  sein,  welche  die  Insel  über- 
fallen. Und  dafür  bietet  die  Olynth.  III  §  20  einen  schönen  Beweis, 
wo  es  heißt:  oii  toi  fToacpQÖvcov  ov8h  yevvaicov  karlv  ävd'Qthntov  ÜJkii^ 
novrdg  ri  Si  Hvdeiav  [936]  /«ry^aröv  r6>v  tov  Ttolijuov  Bv/eg&g  tu 
roiccvra  övbiSt]  ^ioBiv,  ovS'  hitl  fiiv  Ko()iv&iovg  xai  MByccQBag 
uQndaavrag  rä  öttIcc  itoQBVBG&ai^  ^iXinitov  8h  k^v  TtölBtg  'EkXr}vi8ag 
ävSQano8i^B<T&cei  8i  änoQiuv  hcpoSimv  toTg  (TVQccTBvofiBvoig.  Hier- 
nach glaubt  Winiewsky  den  Krieg  auf  der  Insel  Salamis  dem  Früh- 
ling von  Ol.  107  2  (350)  zuschreiben  zu  können;  die  Schlacht  am 
Flusse  ist  an  dem  Bach  Bokalia  geliefert;   Charidemos  ist  der  Orite, 

DrojBen,  Kl.  Schriften    I.  15 


226  Demosthenes 

der  im  Herbst  vorher  mit  zehn  SchiflFen  in  den  Hellespont  gesendet 
worden. 

So  blendend  dies  Zusammentreffen  ist,  so  kann  es  doch  nicht  für 
einen  befriedigenden  Beweis  gelten.  Prüfen  wir  die  Sache  genauer. 
XJIpian  bemerkt  zu  den  citierten  Worten  des  Demosthenes  (S.  38  ed. 
Dobson):  änb  xoivod  t6  oiSaficjg  (y(0(fQÖva>v  karlv  oif3i  ytvvaicjv,  M 
fiiv  KoQivß'iovq  xal  MeyaQiag  8  ianv'^Ekkrjvag  övrag  GXQartvBaß'm^ 
hnl  8h  ^Ihnnov  rbv  ßccQßccQOV  övra,  fjL7j.  AI  8h  alriai  al  xarä 
MtyaQkoov  xal  KoQiv&icov  avxar  oi  Meya^eTg  rijv  VQyä8cc  nccoi- 
TSfjLVOv,  oi  Sh  KoQiv&ioi  (Tvvefiäxow  voig  MtyaQBvat  xa\  Siä  rovro 
Big  nöXefjLov  A&f]vcciotg  xaTi(Trri<Tav.  Ausfuhrlicher  ist  der  SchoL  Aug. 
(S.  240  ed.  Dobson)  naQÜSeiyfia  nQ6a(poQov  elcrtjyayev  ccvroTg*  noki- 
fX(ov  yuQ  fiifivrjrai  xai  xaTog&CQiaÜToyif  avroTg  ävev  xafiÜToyv  xat 
növa)v,  iva  radra  voiiiaooai  xal  knl  rov  naijövrog,  KoQiv&ioi 
keXvTiTjfjLivoi  xax  lAß'rjvrdoDV  xakovvreg  nüvrag  "Eilrjvag  eig  rä  ""la&fiia 
{xoivi]  yuQ  l]v  ij  navi)yvQig)  rovg  !A&7]vaiovg  nagfjxav.  ovroi  djg 
x9^eo<TeßeTg  övreg  *intpLrf)ccv  ri^v  &vmav  fierä  6n)uT&v  /V,  ü  Si^fovxai 
ccifTfjv,  vnöanovSoi  ävaaxQiiffcoaiv'  ov  yäg  hnl  röv  nöksfjLOV  h^ekrjXv' 
ß-zaav'  8  Sjj  xal  yeyevrjrai'  öpöirc^  yaQ  rijv  naoaaxevijv  oi  Koqiv- 
Oioi  hSi^avTO'  ävev  ovv  növcov  awißi]  xaroQ&6baai  ccircovg  rovro 
t6  nQßyfia.  Und  zu  Meyagiag'  rijv .  isgcev  yfjv  d)g  ÖQyaScc  xal 
äverov  hyecÜQyow  oi  MeyaQsig'  ndXiv  8h  (og  evaeßeTg  oi  !A&fjvaiOi 
h^ekü^övreg  ÜTtavtrav  avrovg  fiövjj  rrj  O'e^  vixijaavreg.  Es  ist  bekannt, 
daß  das  heilige  Feld  Orgas  besonders  den  Anlaß  zu  jenem  berühmten 
MeyaQixov  tf;7j(pi<Tina  gab,  durch  welches  die  den  peloponnesischen  Krieg 
eröffnenden  Feindseligkeiten  eingeleitet  wurden  (s.  SchoL  zu  Aristoph. 
Ach.  530  Nub.  320  Plut.  Pericl.  30  SchoL  zu  Aristid.  S.  184  ed. 
l'romm,  Harpocrat.  Suidas  v.  Av^efiöxQtrog  ÖQyag  u.  s.  w.);  jedoch 
ist  eine  Spur  von  einem  später  deshalb  mit  Megara  geführten  Kriege 
nicht  weiter  zu  finden.  Ebenso  bezieht  sich  die  Angabe  über  die 
Korinthier  auf  die  isthmischen  Spiele  von  Ol.  87  1;  denn  im  Ende 
des  Elaphebolion  überfielen  die  Thebaeer  Plataiai  (s.  Krüger  Studien 
S.  223),  achtzig  Tage  später,  also  im  Skirophorion,  brachen  die  Spar- 
taner in  Attika  ein,  und  kurz  vorher  beschickten  die  Athener  noch 
auf  die  angegebene  Art  die  Spiele.  Ich  denke  an  einem  anderen  Orte 
über  diese  Verhältnisse  des  weiteren  zu  sprechen;  ich  bemerke  hier 
nur,  daß  dies  Scholion,  das  dem  Inhalt  nach  mit  Aristides  Panath. 
S.  Sil  ed.  Dind.  übereinstimmt,  doch  nicht  daher  entnommen  ist,  son- 
dern auf  eine  andere  Quelle  zurückweiset. 

[937]  Indessen  muß  man  die  Richtigkeit  der  Erklärung,  die  der 
Scholiast  gegeben,  in  Zweifel  ziehen,  wenn  man  nicht  annehmen  will, 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  227 

daß  in  einer  etwa  vorher  gesprochenen  Bede  eines  anderen  Staats- 
mannes Yon  jenen  früheren  Zeiten  gesprochen  war,  und  Demosthenes 
nun  sich  auf  derartige  Äußerungen  bezieht.  Da  auch  das  die  Sache 
nicht  hinreichend  aufklären  würde,  so  glaube  ich  allerdings,  daß  De- 
mosthenes von  Verhältnissen  der  Gegenwart  spricht,  und  daß  Ulpians 
Erklärung  somit  die  richtigere  ist.  Für  den  Krieg  gegen  Megara 
glaube  ich  eine  nähere  Zeitbestimmung  zu  finden  in  Diog.  Laert.  II 
126  nsfjLifü-Big  3k  q)Q0VQ6g  6  MeveSrjfiog  vno  r&v  'EQevQieojv  elg 
MiyuQa  dvijk&ev  aig  'AxaSrjpiiav  TtQÖg  IIXccr(ovc(  xal  &r}()a&etg 
xccreXtTte  zfjv  argarBiav,  lYeilich  heißt  es  Diog.  L.  II  144  nach  Hera- 
kleides, daß  Menedemos  74  Jahr  alt  geworden;  aber  daß  er  über 
Ol.  125  3  (278)  hinaus  gelebt,  ergiebt  sich  aus  den  Siegen  des  Anti- 
gonos  über  die  Gallier  und  Menedemos  Äußerungen  darüber,  so  daß 
entweder  die  Angabe  des  Herakleides  fehlerhaft  oder  Menedemos  Ver- 
hältnis zu  PlatoD,  der  Ol.  108  1  starb,  ein  Autoschediasma  ist.  Nehmen 
wir  das  letztere  an,  so  wird  gewiß  der  alte  Erzähler,  aus  dem  Diogenes 
jene  Anekdote  schöpfte,  nicht  jene  Beziehung  zwischen  Megara  und 
Eretria  erlogen  haben;  nehmen  wir  Herakleides  Angabe  für  fehlerhaft 
(und  das  glaube  ich,  ist  sie),  so  mag  Menedemos,  um  Ol.  103  geboren 
und  etwa  als  achtzehnjähriger  unter  den  q)QovQoTg,  die  von  Eretria 
nach  Megara  geschickt  wurden,  gewesen  sein.  In  jedem  Falle  darf 
man  jene  Sendung  für  ein  historisches  Factum  annehmen;  und  finden 
wir  nun,  daß  ein  Jahr  vor  Piatons  Tod  Ol.  107  4  Gesandte  der  Euboier 
in  Athen  waren,  den  Frieden  zu  unterhandeln,  und  zugleich  des 
Philippos  Bereitwilligkeit  zu  einer  Aussöhnung  zu  erklären  (Aischin. 
ntQi  nagccn.  §  12),  so  ist  wohl  unzweifelhaft,  daß  die  Hilfssendung 
der  Eretrier  nach  Megara,  die  kurz  vor  Piatons  Tode  gemacht  sein 
muß,  eben  in  den  Krieg  gehört,  den  jener  Friede  beendete,  und  an 
dem  nebst  Eretria  auch  Megara  Anteil  nahm.  Allerdings  hatten  die 
Athener  nach  der  Schlacht  von  Tamynai  den  Tyrannen  Plutarchos 
vertrieben,  aber  ihr  Einfluß  auf  der  Insel  ging  sehr  bald  verloren,  die 
Stadt  war  zwar  in  den  Händen  des  Volks,  aber  ot  fikv  hcp  v^äg  Jjyov 
rä  nQäyfjLara,  ot  S'  hiti  [938]  ^ihnnov  sagt  Demosthenes  (Philipp. 
III  §  57),  und  zuletzt  behielten  die  Anhänger  des  Philippos  die  Ober- 
hand. Demosthenes  hielt  die  dritte  olynthische  Rede  in  der  Mitte  von 
OL  107  4,  im  Herbst  349;  im  Laufe  desselben  Jahres  also  mag  der 
von  ihm  bezeichnete  Auszug  gemacht  sein.  Im  Frühjahr  351  war  bei 
Tamynai  gekämpft;  erfolgte  die  Niederlage  des  Molossos  nach  Phokions 
Abzüge  noch  350,  so  mag  diesem  oder  dem  folgenden  Jahre  die  ver- 
einte Thätigkeit  der  Euboier,  Megarer,  Korinthier  gegen  Athen  ange- 
hören. 

15* 


228  Demosthenes 

Ist  das  nun  nicht  der  herrlichste  Beweis  für  die  Echtheit  des 
Decretes?  Keinesweges.  Demosthenes  spricht  in  der  angeführten  Stelle 
der  dritten  olynthischen  Rede  davon,  daß  man  um  jeden  Preis  den 
Olynthiem  helfen  müsse;  es  zieme  sich  keinesweges  für  verständige 
und  edle  Männer,  wegen  Mangels  an  Geld  für  den  Krieg  etwas  verab- 
säumend leichtsinnig  solche  Schmach  zu  ertragen,  noch  auch  gegen 
Ivorinthier  und  Megarer  die  Waffen  ergreifend  auszuziehen,  und  den 
Philippos  hellenische  Städte  verknechten  zu  lassen  wegen  Mangel  an 
Löhnung  für  die  Truppen.  Mit  dem  tä  8nXu  agnccGavTaq  itoQsvsff- 
i9ai  bezeichnet  Demosthenes  deutlich  genug  eine  unnütze  Kriegseifrigkeit 
gegen  kleinere  Staaten  im  Gegensatz  gegen  die  feige  Lässigkeit  gegen 
Makedonien.  Wäre  Athen  von  Megara  und  Korinthos  in  dem  eigenen 
Lande  angegriffen  oder  nur  ernstlich  gefährdet,  so  vrarde  Demosthenes 
von  dem  Ausmarsch  gegen  sie  nicht  so  mißbilligend  gesprochen  haben. 
Die  Notiz  des  Ulpian  dazu  genommen,  scheint  es  mir  unzweifelhaft, 
daß  die  Athener,  statt  mit  aller  Macht  Olynthos  zu  unterstützen,  wegen 
des  heiligen  Feldes  einen  Krieg  gegen  Megara  anfingen,  das  sich 
dann  zunächst  bei  den  Korinthiern,  des  weiteren  in  Euboia  Hilfe  suchen 
mochte;  von  dorther  erhielten  die  Megarer  nach  Diogenes  Ausdruck 
fpQovQovqj  also  handelte  es  sich  darum,  gefährdete  Plätze  zu  besetzen. 
Man  muß  es  für  unmöglich  halten,  daß  die  Megarer  und  Korinthier 
einen  Angriff  auf  Salamis  wagten,  was  nicht  einmal  im  peloponnesischen 
Kriege  geschehen  war;  und  die  attische  Seemacht  galt  doch  noch  ent- 
schieden als  die  erste  in  den  hellenischen  Gewässern.  Ja,  wäre  es  in 
jener  Zeit  jemals  geschehen,  daß  Megarer  und  Korinthier  einen  solchen 
Erfolg,  wie  das  Decret  uns  will  glauben  machen,  auf  attischem  Grund 
und  Boden  erfochten  hätten,  was  würde  darüber  von  den  Rednern 
gesprochen,  wie  von  jeder  Partei  der  anderen  die  Schuld  zugeschoben 
worden  sein?  [939]  Diese  Auffassung  bestätigt  sich  aus  der  Darstellung 
in  der  Rede  nB()l  awra^eo)!^  §  32  olov  &  tcqöq  rovg  xceraQärovg 
MeyccQiag  kxjjrjipifTacT&B  änoreiJLVofiivovg  rrjv  'O^yäSa,  i^iivaij  x(dXvuv^ 
f/tfj  kniTQkneiv. 

In  Megara  war  damals  bereits  Ptoiodoros  an  der  Spitze  der  An- 
gelegenheiten (Plut.  Dion  17),  derselbe,  den  Demosthenes  (vnkQ  Krria, 
§  295)  neben  Perilaos  und  Elixos  als  des  Philippos  Freund  in  Megara 
bezeichnet  (vgl.  Dem.  ntgl  nagccn,  §  295).  Für  Athen  war  es  von 
der  größten  Wichtigkeit,  entscheidenden  Einfluß  in  diesem  Ländchen 
zu  gewinnen,  aber  ebenso  natürlich  war  es,  daß  sich  die  Megarer,  von 
dorther  angegriffen,  nach  Freunden  umsahen.  Von  Korinthos  wissen 
wir  aus  diesen  Zeiten  eben  nicht  viel.  Nach  den  oben  erwähnten 
Mißverhältnissen  mit  Athen   muß   sich   der  Staat  entschiedener   dem 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  229 

antimakedonischen  Interesse  zugewandt  haben;  wenigstens  wird  am 
Ende  des  heiligen  Krieges  ihnen  die  Teilnahme  an  der  Leitung  der 
Pythien  genommen  Siä  t6  ixeraaxtjxivai  roTg  <I>(axsv(n  Ti}g  elg  ro 
i^-aTov  itaQuvoiiiaq  (Diod.  XVI  60).  Bald  darauf  wandte  sich  Korinthos 
überwiegend  den  sicilischen  Verhältnissen  zu;  seit  OL  108  4  kämpfte 
dort  der  edle  Timoleon  mit  dem  herrlichsten  Erfolge,  von  der  Vater- 
stadt mit  der  Hingebung  unterstützt,  die  nur  der  hohe  Sinn  jenes 
Helden  hervorzurufen  vermochte;  namentlich  Demaratos  und  Deinarchos 
zeichneten  sich  unter  seinem  Befehl  aus,  und  beide  werden  von  De- 
mosthenes  {irnkg  Ktt]<t.  §  295)  unter  den  Verrätern  Griechenlands 
genannt  (über  Deinarchos  s.  Geschichte  des  Hellenismus  I  P  S.  228). 
Gegen  ihren  Willen  also  war  es,  daß  sich  Korinthos  auf  die  Seite  der 
Athener  stellte  und  an  dem  Kriege  von  Chaironeia  thätigen  Anteil 
nahm  (Strabo  IX  S.  414)  und  den  wunderlichen  Diogenes  als  Spion 
brauchte  (Plut  de  exilio  c.  16  Diog.  L.  VI  43). 

In  Megara  folgten  jenem  Zerwürfnisse  mit  Athen  Parteikämpfe, 
von  denen  Demosthenes  {neol  nagan,  §  295)  um  343  so  schreibt:  hv 
MsyÜQOig  oix  oYetr^'  eivcci  rtva  xal  xXhntriv  xcci  nuQBxXiyovra  zu 
xoivä;  ävdyxrjj  xal  7ie<p7jvev.  xiq  aYviog  airrö&i  vvv  rovrcov  r&v 
avfißeßrjxÖTCJV  Tipayfidrcov;  ovSi  eig,  äkkcc  noToi  riveg  oi  rä  Ttjki' 
xavTcc  xal  rotavr  äSixovvTBg\  oi  vofitXovreg  avrovg  ä^töxQecjg  elvai 
Tov  (I>tki7t7tov  ^Bvoi  xal  tpiXot  noogayoQ6VB(T&ai,  oi  argarriyi&vTBg 
xal  itQoaxaaiag  ä^iov[jL%voi  ^  oi  ^ei^ovg  r&v  nolkcDv  olöfievoi  Ssiv 
atvai.  ov  JleQiXaog  ^xqivsto  ivayxog  iv  Msydgoig  hv  toig  TQiaxomoig, 
6t i  itQÖg  <Pihnnov  oKfixero,  xal  nag^kß-mv  JIvoiöScoQog  avxov  k^p- 
ri^aaro  xal  nXovrq)  xal  yivei  xal  Sö^rj  TiQCjrog  MeyaQsoov,  xal  ndXiv 
wg  ^ihiinov  k^eTtsfxxpBy  xal  fierä  radra  ö  ^ilv  Jjxev  äyoov  rovg  ^evovg 
6  d'  üvSov  krvQBVBv  x  x  X,\  (vgl.  §  204  MsydQoig  knißovXtvEiv  von 
Philippos  gesagt  §  326  Meydgotg  hinßovXsvcov  StarelsT  §  334  rig 
MiyaQa  TtQcprjv  öh'yov  .  .  .  dXkörota  nenoifjxe  vgl.  §  87).  Plutarchos 
(Phoc.  15)  erzählt  nach  dem  Kriege  von  Byzanz  und  dem  Kriege  von 
Chaironeia:  r&v  Si  Meya^icov  IntxaXovfjtivcjv  xQV(pa,  (poßov/uBvog  6 
0(oxiO)v  rovg BoicjToi'gj  filj  7iQoai(T&öfievoi  (f&dawcn  rijv ßoi)&%iav,,.. 
si&vg  dno  Tijg  hcxXrimag  Jjyav  rovg  !A&r]vaiovg  rä  OTika  Xaßövrag, 
ds^afievcov  Si  tcjv  Msya()io}v  nQO\)'v^mg  [940]  r//«/  t6  Niaaiav  irü- 
Xi(T6  xal  Sid  fiiffov  (TxeXtj  Svo  itQog  xb  kniveiov  dno  rov  äareog 
ivißaks  xal  atjvfj^je  rf]  ß-a'kdrri]  rijV  nöXiv,  äare  tCjv  xard  yTjV 
^oXefiiOfv  dXiyov  ^'jSrj  ^üovrt^ovfrav  i^rjQrfjffOai  tOjv  !dr^r]vaioi)v.  Daß 
dies  nicht  an  der  chronologisch  richtigen  Stelle  erzählt  ist,  liegt  auf 
der  Hand  und  hat  bei  Plutarchos  nichts  Auffallendes.  Aber  wohin 
gehört  es?    Nach  Winiewsky  (S.  147)  in  den  Frühling  343  Ol.  109  1; 


230  Demosthenes 

er  meint,  dies  sei  es  gewesen,  wodurch  Philippos  an  der  Besetzung  von 
Megara,  von  der  in  der  Rede  negl  nagan.  mehrfach  gesprochen  wird, 
behindert  worden.  Als  Philippos  nach  Megara  und  dem  Peloponnes 
vorzudringen  beabsichtigte,  rückten  die  Athener  nach  Panakton  und 
Drymos  aus  und  verlegten  ihm  so  die  Strasse  (Dem.  Ttepl  itccQocn, 
§  326  xarce  Kövcqv.  §  3);  damals  aber  hatte  man  nicht  zu  besorgen, 
daß  die  Thebaeer,  sondern  daß  Philippos  in  Megara  einbrache,  oder 
richtiger,  wenn  Megara  durch  Phokion  damals  schon  occupiert  war, 
so  konnte  Philippos  gar  nicht  mehr  den  Versuch  machen,  über  den 
Isthmos  in  den  Peloponnes  zu  dringen.  Auf  jenen  Versuch  bezieht 
sich  Demosthenes  in  der  dritten  Philippischen  Rede  §  17,  18,  27; 
ebenda  §  74  man  solle  von  Chalkis  und  Megara  nicht  die  Rettung 
Griechenlands  erwarten;  es  war  bereits  das  Bündnis  des  Kallias  ge- 
schlossen worden,  von  dem  oben  gesprochen  ist,  und  zu  dessen  weiteren 
Bestimmungen  sich  die  Gesandten  der  Verbündeten  im  Anthesterion 
341  in  Athen  versammeln  sollten.  Aber  noch  ein  paar  Monate  später 
droht  Demosthenes  {^bq!  xG>v  kv  Xe^p.  §  18)  mit  der  Möglichkeit: 
„wenn  Philippos  Thrakien  aufgebend,  nicht  auf  Byzanz  und  den  Cher- 
sones,  sondern  auf  Chalkis  und  Megara  losrückte".  Nach  dieser  Rede,  also 
nach  dem  Frühling  341  kann  Phokion  erst  jenen  megarischen  Zug 
gemacht  haben.  Nun  erzählt  Plutarchos  vor  demselben  die  byzan- 
tinischen Angelegenheiten  im  Zusammenhange,  von  Philippos  Angriflf 
auf  den  Chersones,  Perinthos  und  Byzanz  (also  von  341)  beginnend, 
und  nachdem  er  dies  bis  zur  Befreiung  von  Byzanz  durch  Phokion 
fortgeführt,  holt  er  den  megarischen  Zug  nach,  so  daß  derselbe  wohl 
später  anfangend  in  das  Jahr  340  gehören  dürfte;  und  in  welcher 
Stimmung  damals  Athen  und  Theben  gegen  einander  waren,  lehrte  die 
Pylaia  im  Frühling  339  (s.  o.).  So  war  Megara,  früher  den  Athenern 
mehr  Feind  als  Freund  (Dem.  V7ii{)  KtTja,  §  234),  zur  Bundesgenossen- 
schaft gewonnen;  und  Demosthenes  konnte  sich  rühmen  kx  iihv  fha- 
)AxTi}q  TTjV  Evßoiav  TiQoßaXiad'ai  tiqo  tt}^  uirrixT/g,  ,  .  .  .  kx  Si  rßv 
noög  IIbXo7cövv7](tov  t67io)v  tovcj  dfiÖQovq  rccvry,  d.  h.  Megara  und 
Korinth  {vti^q  KvrjfT.  §  301). 

Wir  kehren  endlich  zu  unserem  Decret  zurück.  Hat  sich  aus  dem 
obigen  erwiesen,  daß  die  AuflFassung  des  geschichtlichen  Zusammen- 
hanges, wie  sie  Winiewsky  gegeben,  durchaus  unglaublich  ist,  so  läßt 
sich  noch  eine  andere  vorschlagen.  Es  heißi  kv  rrj  ini  vov  norcefiov 
fiaxfi  seien  einige  Soldaten  von  den  Feinden  geplündert  worden;  man 
nehme  nun  diese  Bezeichnung  für  das,  was  sie  nach  Ausweis  von 
§  216  unserer  Rede  ist,  für  den  Namen  der  Schlacht,  die  im  Jahre 
339  nach  der  Besetzung  von  Elateia  geschlagen  worden.     Der  Kranz 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  231 

soll  verkündet  werden  an  den  Panathenaien  nnd  Dionysien;  für  jene 
[941]  kniSoffig  wäre  dann  der  Kranz  nach  den  Dionysien  OL  110  2 
decretiert  worden;  im  Anfange  des  Jahres  Chairondas  Ol.  110  3  waren 
die  großen  Panathenaien,  kurz,  alles  paßt  herrlich.  Nur  nicht  die 
Hauptsache;  denn  eben  daß  die  Feldherren,  während  sie  noch  rechen- 
schaftspflichtig sind,  gekränzt  worden,  wäre  da  nicht  möglich,  mag  man 
sich  ihren  Amtsantritt  mit  dem  attischen  Jahresanfang  oder  dem  be- 
ginnenden Frühling  denken.  Die  Schlacht  am  Flusse  war  vor  der 
winterlichen  Schlacht,  also  entweder  hatte  das  Amt  der  beiden  Feld-. 
herren  vom  Anfang  Ol.  110  2,  oder  gar  vom  Frühjahr  Ol.  110  2  be- 
gonnen, und  die  Panathenaien  lagen  nicht  mehr  in  ihrer  Amtszeit 
Und  so  haben  wir  denn  nicht  mehr  nötig  auseinanderzusetzen,  wie 
seltsam  in  diesem  Zusammenhange  die  Sendung  eines  Feldherrn  nach 
Salamis  erscheinen  müßte. 

So  unmöglich  eine  Erklärung  des  Inhaltes  ist,  so  glaube  ich  doch, 
daß  mit  der  Bezeichnung  rj  inl  rov  norafjLov  fjLäxv  keine  andere  ge- 
meint ist,  als  die  erwähnte,  ja,  daß  es  überhaupt  keine  andere  dieses 
Namens  in  jener  Zeit  gegeben  hat,  und  auch  dies  ist  ein  Beweis  für 
die  Unechtheit  des  Decretes ;  der  Verfasser  hat  sich  aus  der  Rede,  die 
er  zu  vervollständigen  meinte,  jene  Bezeichnung  entnommen,  wenig 
bekümmert  um  die  historische  Paßlichkeit  seiner  Erdichtungen. 

Ist  dies  Resultat  überzeugend,  so  braucht  man  nicht  mehr  dem 
KakXiag  üne  7tQVTÜvB(ov  X%y6vT<Dv  ßovkfjg  yvcb^y  grosse  Wichtig- 
keit für  die  Kenntnis  attischer  Altertümer  beizulegen.  Denn  sonderbar 
wäre  es  doch  sicher,  wenn  nach  Schömanns  Erklärung  „auf  Veran- 
lassung der  Prytanen  Kallias  vorschlugt*  oder  nach  Dissen  „ein  von 
den  Prytanen  in  der  Bule  gemachter  Vorschlag  des  Kallias  an  das 
Volk  gebracht  wurde".  Wenn  schon  es  nicht  undenkbar  ist,  daß  der- 
gleichen geschah,  so  ist  es  bei  einer  doch  nicht  bedeutenden  Bean- 
tragung auch  eben  nicht  wahrscheinlich.  Auch  was  man  sich  unter 
xa&(ä7iXi<Tav  rovg  veccviffxovg  denken  soll,  ist  nicht  eben  klar;  denn 
waren  es  jüngere,  als  die  Epheben,  die  von  16  bis  18  Jahren,  so 
wurden  solche  6<toi  knl  Sierkg  i]ßc5(Ti  allerdings  von  den  Amphiktyonen 
zur  Zerstörung  der  lokrischen  Ansiedelungen  aufgeboten  (Aischin.  xarä 
Krrjff,  §  122);  aber  daß  man  sie  in  Athen  als  Hopliten  mit  der 
schweren  äanig  bewaffnet  haben  sollte,  dürfte  erst  zu  erweisen  sein; 
und  wozu  nahm  man  gerade  die  allerjüngsten,  warum  nicht  auch  die, 
welche  über  das  Dienstalter  hinaus  waren?  Endlich  aber  dürfte  das 
ganze  attische  Land  bei  seinen  ungefähr  20000  Bürgern  nicht  viel 
mehr  als  1000  knl  Sierkg  ijßiuvTeg  aufzustellen  gehabt  haben,  und  diese 
Burschen   sämtlich    rückten    dann    nach   Salamis,    oder  waren    nach 


232  Demos  thenes 

Winiewsky  gar  aus  Salamis  allein?  Die  Verkündigung  an  zwei  Festen 
hat  eine  Analogie  in  Corp.  Inscr.  Gr.  Nr.  108  =  C.  I.  A.  11  594,  wo  es 
heißt:  äveiittiv  xov  (rritpavov  rovrov  Aiowaitav  r&v  kv  ^aXafim 
TQaycpSoiq  ....  xal  jiiavTBioig  T(p  yvfjLvix^  dy&vi.  Doch  lasse  ich 
dahingestellt,  ob  hinreichende;  was  aber  neben  den  Prytanen  und 
Agonotheten  bei  der  ävayÖQevffig  der  Thesmothet  soll,  ist  nicht  wohl 
abzusehen. 

Die  zu  kränzenden  Personen  werden  nur  nach  ihrem  Amte,  nicht 
nach  Vater  und  Demos  genannt  Ich  behalte  [942]  mir  vor,  an  einem 
anderen  Orte  über  Charidemos  den  Griten,  Charidemos  Strations  Sohn 
von  Oia,  Charidemos  den  Wechsler,  Charidemos  den  Sohn  des  reichen 
und  ökonomischen  Ischomachos  zu  sprechen.  Hier  nur  einiges  über 
Diotimos.  Plutarchos  X  Oratt.  S.  356  sagt  vom  Lykurgos  kyjjri^iGcno 
Si  xal  AioripLCo  Aiond&ovq  Evodvv^si  Tifiäg  kni  Krrjcrtxliovg  ägxov- 
Tog,  d.  h.  Ol.  111  3;  im  vorhergehenden  Jahre  war  von  Alexandros 
seine  Auslieferung  gefordert  worden  (Arrian.  I  10,  4  Dem.  ep.  III  S.  37). 
Derselbe  Diotimos  war  bereits  um  Ol.  107  unter  den  einflußreichsten 
Männern  des  Staates,  er  mit  einigen  anderen  von  den  Reichen,  sagt 
Dem.  xarä  MaiS.  §  208,  würden  sich  für  Meidias  verwenden,  neQt 
mv  ovSev  äv  einotfjLi  ngog  vfiäg  cpXavgov  fyoj,  xal  yuQ  &v  fiaivoifAfjv. 
Aus  diesen  Altersverhältnissen  ist  es  wahrscheinlich,  daß  sein  Vater 
Diopeithes  nicht  der  Feldherr  im  Chersones  Ol.  109  war,  der  so  oft 
von  Demosthenes  in  der  Rede  vom  Chersones  und  der  dritten  Phi- 
lippischen genannt  wird;  diesem  sandte  der  Perserkönig  große  Geschenke, 
die  aber  erst  ankamen,  als  er  schon  tot  war,  wie  Aristoteles  Rhet.  II  8 
S.  385a  irgend  eine  Rede  berücksichtigend  anführt.  Durch  diese  Umstände 
erhält  die  Angabe  des  ülpian  zu  Demosthenes  und  des  Scholiast^n  zu 
Ttegl  <TTe(p.  64  alle  Wahrscheinlichkeit,  daß  eben  der  Feldherr  Diopeithes 
der  Vater  des  Komikers  Menandros,  des  Kephisiers,  gewesen  sei.  Von 
dem  Zusammenhang  unseres  Diotimos  mit  dem  Nauarchen,  wie  ihn 
Harpokration  nennt,  und  anderen  desselben  Namens  unterlasse  ich 
absichtlich  zu  sprechen. 

IX.  Das  Zeugnis  der  Areopagiten. 

[945]  Das  vorliegende  Aktenstück  (§  135)  ist  nach  Winiewskys 
Vermutung  mit  der  schon  oben  besprochenen  Zeugenaussage  über 
Anaxinos  (§  137)  nicht  für  den  gegenwärtigen  Prozeß  über  den  Kranz 
aufgenommen,  sondern  bereits  früher,  als  Demosthenes  gegen  Aischines 
wegen  seines  Verhältnisses  mit  Anaxinos  hat  klagen  wollen,  abgegeben 
und  jetzt  etwa  zwölf  Jahre  später  aus  den  Akten  des  gar  nicht  zu 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  233 

Stande  gekommenen  Prozesses  entlehnt  worden.  Schon  früher  haben 
wir  unsere  wesentlichen  Bedenken  gegen  diese  Vermutung  geltend  ge- 
macht^ eine  Yermutung,  die  auf  Seltsamkeiten  in  jenem  durchaus  ver- 
dächtigen Zeugnisse  begründet  war.  Daß  vielmehr  die  beiden  Zeugnisse, 
die  Demosthenes  verlesen  läßt,  ausdrücklich  für  diesen  Prozeß  abge- 
geben waren,  ergiebt  sich  aus  dem  beide  Mal  gebrauchten  Ausdruck 
xäXsi  fioi  xovrmv  rovg  fidgrvQaQ,  Oder  sollte  der  voraussetzliche 
Gelehrte  Zeugenaussagen  von  einem  nie  geführten  Prozeß  eher  gefanden 
haben,  als  die  in  dem  berühmten  Prozeß  über  den  Kranz  wirklich 
abgegebenen?! 

Soll  also  dies  Zeugnis  überhaupt  echt  sein,  so  muß  es  dasselbe 
sein,  das  Demosthenes  hat  verlesen  lassen.  Nun  beginnen  die  Zeugen, 
vier  Areopagiten,  ihre  Aussage  folgendermaßen:  fjLaQTVQovai  JtjfjLoa- 
&ivei  vnhQ  änavrcov  otSe.  Wie  kann  ein  Factum,  das  wenigstens 
zwölf  Jahre  vor  dieser  gerichtlichen  Verhandlung  in  der  Sitzung  des 
Areopags  vorgekommen  war,  von  diesen  vieren  im  Namen  aller  Areo- 
pagiten bezeugt  werden,  deren  doch  natürlich  ein  großer  Teil  erst  seit 
jener  Zeit  in  den  Areopag  gekommen  sein  muß?  Femer  wenn  diese 
vier  im  Namen  aller  zeugen,  wozu  sind  denn  noch  vier  nötig,  warum 
nicht  lieber  eine  amtliche  Mitteilung  aus  den  Protokollen  der  Ver- 
sammlung? Aber  Demosthenes  ruft  ja  selbst  die  Zeugen  auf.  So  ist 
das  ein  Zeichen,  wenn  nicht  dafür,  daß  der  Areopag  keine  Protokolle 
führte,  so  doch  dafür,  daß  der  Areopag  hier  nicht  ein  amtliches  Zeugnis 
abgab,  sondern  die  Zeugen,  als  damalige  Mitglieder  des  Synedrions, 
das  von  Demosthenes  gewünschte  Zeugnis  in  ihrem  eigenen  Namen 
leisteten.  Und  das  ist  auch  natürlich;  denn  wie  wird  der  Areopag, 
was  doch  notwendig  gewesen  wäre,  in  einer  [946]  Sitzung  eigens  be- 
schlossen haben,  daß  die  und  die  namens  aller  zeugen  sollen?  Auf  die 
sehr  trivialen  Namen  ^  dieser  vier  Ehrenmänner  aus  dem  Areopag  ist 
nichts  zu  geben,  wohl  aber  mag  man  in  einem  Zeugnis  dieser  Art  eine 
Wendung  wie  8ti  rov  Sriiiov  Ttori  x^^QOTOvijaavroq  für  etwas  durchaus 
W'underbares  ansehen.  Ein  anderes  entscheidendes  Bedenken  wird 
weiter  unten  zur  Sprache  kommen. 

Demosthenes  läßt  dies  Zeugnis  vorlesen,  nachdem  er  erzählt,  wie 
Antiphon,  der  durch  die  Abstimmung  seiner  Demoten  als  Nichtbürger 
ausgestoßen  worden  sei,  dem  Philippos  sich  erboten  habe,  die  attischen 
Werften  zu  verbrennen,  wie  er  dann  durch  Demosthenes  ergriffen  und 
vor  das  Volk  gestellt  sei,  Aischines  aber  durch  sein  Geschrei  die  Los- 


^  Die  Areopagiten  heißen:  Kallias  der  Sanier ,  Zenon  der  Phlyer,  Kleon 
der  Phalereer,  Demonikos  der  Marathonier. 


234  Demosthenes 

lassung  erwirkt  habe,  worauf  der  Areopag  denselben  von  neuem  ergriffen 
und  der  Gerechtigkeit  überliefert  habe.  Darauf  habe  das  Volk  für 
den  von  den  Deliern  begonnenen  Streit  über  den  delischen  Tempel 
Aischines  als  Anwalt  gewählt,  der  Areopag  aber  denselben  aus  Rück- 
sicht auf  die  Antiphontische  Sache  zurückgewiesen  und  dem  Hyperides 
zu  sprechen  aufgetragen.  Über  diese  Dinge  hat  Böckh  in  seiner 
schönen  Abhandlung  ,.Erklärung  einer  attischen  Urkunde  über  das  Ver- 
mögen des  Apollinischen  Heiligtums  auf  Delos"  (Abh.  d.  Berl.  Akad. 
aus  dem  Jahre  1834  S.  11  ff.  kl.  Sehr.  V  S.  442  ff.)  gesprochen.  Deinarchos 
{xarä  /ifjfio<7&.  §  63)  sagt:  kSi&t]  r&v  ä^>  'dQiioSiov  ysyovÖTOfv 
Big  xarä  rd  aöv  Ttpögrayficc  h(TTQkßX(o<Tccv  !AvTi(p&vra  xcci  äTtexreivav 
ovToi  r^  Tfjg  ßovXfjg  äTtotpütret  neta&ivzBg.  Diese  Bezeichnung  des 
Antiphon  als  Nachkommen  des  Harm  odios  und  nicht  minder  das  Ver- 
hältnis, das  er  mit  Philippos  anknüpfte,  scheint  es  glaublich  zu  machen, 
daß  er  derselbe  ist>  der  OL  105  3  mit  Charidemos  an  Philippos  abge- 
sandt wurde,  wegen  Amphipolis  zu  unterhandeln  (Theopomp,  bei  Suidas 
Ti  k(TTi  [fr.  189  M.]).  Wie  arge  Dinge  bei  solchen  Abstimmungen  der 
Demen  vorkamen,  lehrt  unter  anderm  die  Demosthenische  Bede  gegen 
Eubulides,  und  daß  die  dort  besprochene  Siaiprjtpiatg  aus  dem  Jahre 
des  Archias  Ol.  108  3  zu  vielen  Intriguen  Veranlassung  gab,  zeigt 
unter  anderm  des  von  dem  Schauspieler  Philemon  (Aristot  Rhet.  III 
12  S.  1413  b)  bestochenen  Timarchos  Verfahren  gegen  Philotades  den 
Kydathener,  denselben,  gegen  den  in  [947]  anderer  Sache  eine  Rede 
des  Deinarchos  gerichtet  war  (s.  Dionys.  de  Din.  12  Aischin.  xarä 
TtfidQx*  §  114.  77).  Aus  dieser  öia\pi)cpiaig  auf  der  einen,  und  der 
bei  Demosthenes  gleich  nach  dem  vorliegenden  Zeugnisse  besprochenen 
Anwesenheit  des  Python  in  Athen  auf  der  anderen  Seite  hat  Böckh, 
indem  er  letztere  mit  Winiewsky  in  Ol.  109  1  setzt,  die  Zeit  des 
delischen  Rechtshandels  in  oder  gleich  nach  Ol.  108  3  bestimmt.  Jeden- 
falls muß  beides,  der  delische  Rechtshandel  sowie  das  Verfahren  gegen 
Antiphon  nach  Aischines  Rede  gegen  Timarchos  angenommen  werden, 
da  der  Redner,  wenn  er  zweimal  so  bitter  durch  den  Areopag  gekränkt 
worden,  wohl  nicht  jene  ehrenvolle  Schilderung  §  81  ff.  gemacht  haben 
würde.  Wir  haben  gefunden,  daß  die  Gesandtschaft  des  Python  in 
Ol.  109  4  gehört,  und  da  weder  Demosthenes  noch  Aischines  in  der 
Rede  nsgl  TtagaTtQBtrßsiag  das  Geringste  über  Antiphon  und  die  delische 
Angelegenheit  äußern,  glaube  ich  annehmen  zu  müssen,  daß  beide 
später,  als  diese  Reden  ediert  worden,  anzusetzen  sind.  Und  man  muß 
gestehen,  daß  etwa  das  Jahr  342  oder  341  für  diese  Angelegenheiten 
ungleich  passender  ist  als  ein  früheres.  Damals,  als  der  Krieg  gegen 
Byzanz   und   den  Chersones   begann,   konnte   Philippos   ein  Interesse 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  235 

haben,  die  attischen  Werften  zu  verbrennen,  oder  Demosthenes  es  den 
Areopagiten  wahrscheinlich  machen,  daß  er  es  beabsichtige.  Ja,  De- 
mosthenes deutet  weder  in  der  dritten  Philippischen  noch  in  der  vom 
Chersones  dies  höchst  wichtige  Factum  an  und  hätte  doch  namentlich 
in  der  letzten  §  45  {r&v  Sk  'A&rivaiayv  kifiivcov  xal  vecoQicjv  xal 
TQiijQwv  .  .  .  ovx  hm&viJL%iv)  kaum  davon  schweigen  können.  Ich  bin 
überzeugt,  daß  die  Ergreifung  und  Hinrichtung  des  Antiphon  in  den 
Herbst  dieses  Jahres  341  gehört,  wofür  auch  die  Stelle  in  der  Rede, 
wo  Demosthenes  davon  spricht,  entscheidet.  Nicht  mit  Unrecht  datiert 
er  (§  60  und  79)  vom  Jahre  des  Pythodotos  seine  Staatsverwaltung; 
seit  dieser  Zeit  leitete  er  die  Politik  der  Stadt,  unterstützt  durch  den 
Areopag,  seit  dieser  Zeit  wurden  höchst  energische  und  zum  Teil  rechts- 
verletzende  Maßregeln  ergriflFen,  um  das  Volk  zum  Kriege  und  zur 
höchsten  Anstrengung  zu  steigern,  um  es  dem  Einfluß  der  Reichen, 
der  Friedenspartei  zu  entziehen,  durch  die  eben  jetzt  die  Wahl  des 
Aischines  zum  Anwalt  in  der  delischen  Sache  und  im  folgenden  Jahre 
die  des  Aischines  und  Meidias  zu  Pylagoren  durchgesetzt  wurde.  Selt- 
sam genug  standen  die  zwei  Parteien  gegen  einander;  Demosthenes, 
der  sich  von  Anfang  her  den  Vertreter  der  Armen  gegen  die  Reichen 
genannt  hatte,  agierte  nun  mit  dem  Areopag,  dessen  Beruf  und  Stellung 
etwas  durchaus  Undemokratisches  an  sich  hatte,  und  jene  Reichen 
wieder,  deren  Führer  Eubulos,  so  lange  mit  dem  größten  Vertrauen 
von  Seiten  des  Volkes  ausgezeichnet,  den  entscheidenden  Einfluß  in 
der  Verwaltung  des  Staates  gehabt  hatte,  sehen  sich  jetzt  trotz  der 
Popularität,  die  sie  zu  haben  glaubten,  den  Anfeindungen  des  Areopags 
ausgesetzt,  den  man  seiner  Natur  nach  eher  auf  ihrer  als  der  Gegner 
Seite  zu  finden  erwarten  mußte.  Seit  derselben  Zeit  (Ol.  109  3)  über- 
nahm Lykurgos  die  Verwaltung,  die  er  so  rühmlich  führte,  und  seit 
derselben  Zeit  begann  jene  Verbindung  mit  dem  Peloponnes  [948]  und 
Euboia,  deren  nächste  Folge  die  Befreiung  der  Insel  und  der  Angriff 
auf  Thessalien,  die  Kriegserklärung  gegen  Philippos,  die  Rettung  von 
Byzanz  und  dem  Chersones  wurde. 

Nun  beachte  man  Aischines  Thätigkeit  in  Delphoiin  der  Früh- 
lingspylaia  389;  was  dort  geschah  war  den  Athenern  durchaus  uner- 
wartet, sonst  würde  man  unmöglich  Aischines  Wahl  als  Pylagoros  dem 
Areopag  zur  Kassierung  vorzulegen  unterlassen  haben.  Athen  entzog 
sich  der  außerordentlichen  A;mphiktyonenversammlung  und  decretierte 
an  dem,  was  dort  beschlossen,  gethan  oder  beraten  würde,  keinen 
Anteil  haben  zu  wollen.  Und  in  solchen  Zeitläuften  sollte  sich  Athen 
dem  Ausspruch  der  Amphiktyonen  in  Bezug  auf  den  delischen  Tempel 
ausgesetzt  haben?    Wurde  Antiphon  im  Herbst  341  hingerichtet,   so 


236  Demosthenes 

konnte  die  delische  Sache  erst  in  der  Frühlingspylaia  340  nach  Delphoi 
kommen;  und  damals  war  zwischen  Athen  und  Makedonien  schon  fast 
offenbarer  Krieg,  wenige  Monate  später  wurde  die  Stele  des  Friedens 
umgestürzt;  denselben  Verlauf  der  Dinge,  welchen  Demosthenes  und 
seine  Freunde  nach  Aischines  unseliger  Mission  als  unvermeidlich 
erkannten  {nöksfiov  Big  rijv  'drrtxijv  slgäyeig,  nökafiov  !Afi(ptXTV0Vix6¥ 
Dem.  ifTt^Q  KrTjfT.  §  143),  sie  sollten  ihn,  wenn  nicht  selbst  hervor- 
gerufen, so  doch  durch  Sendung  des  Hyperides  gleichsam  im  Voraus 
anerkannt  haben?  Doch  wird  man  sagen,  gerade  diese  Sendung  war 
das  einzige  Mittel,  solche  gefahrliche  Weiterungen  zu  vermeiden,  die 
sie  fürchten  mußten,  wenn  sie,  in  Delphoi  von  den  Deliem  verklagt, 
sich  diesem  Gericht  nicht  stellten;  und  da  wir  aus  Inschriften  folgern 
können  (Corp.  Inscr.  Gr.  Nr.l59  =  CIA.  II  824),  daß  Athen  in  diesem 
Prozeß  gesiegt,  so  ist  ja  ihr  Verfahren  ohne  alle  Gefahr  gewesen.  Wir 
nehmen  an,  daß  Delos  so  gut  wie  Athen  zur  Amphiktyonie  und  zwar 
zu  der  ionischen  Stimme  gehörte ;  daß  aber  der  Bund  ein  gerichtliches 
Verfahren  dieser  Art  zwischen  Amphiktyonengliedern  einzuleiten  gehabt 
habe,  müßte  erst  bewiesen  werden.  So  oft  Philippos  den  Athenern 
gerichtliche  Entscheidung  über  Halonesos,  Kardia  u.  s.  w.  anbot,  nie 
war  davon  die  Rede,  an  die  Amphiktyonie  zu  gehen.  Aber,  sagt  man, 
hier  handelt  es  sich  um  heiligen  Besitz.  Als  die  Athener  die  Insel 
besetzten,  als  sie  alles  bis  auf  das  Heiligtum  wieder  freigaben,  geschah 
es  wohl  xarä  /(jT^o-judv  riva,  wie  Thukydides  sagt,  aber  nicht  nach 
richterlicher  Entscheidung  der  delphischen  Amphiktyonie.  So  glaube 
ich,  daß  dieser  Streit  durchaus  nicht  von  der  delphischen  Amphiktyonie 
entschieden  werden  konnte.  Dafür  finden  wir  einen  Beweis  in  den 
Worten  aus  Hyperides  ^rjhaxög  (bei  Boeckh  S.  18  [fr.  71])  hvxccvxhl 
ß-mrai  rtp  'AnöXkcovi  6(r7]fieQai,  xal  fiBQtg  avr^  xccl  Seinvov  naga- 
Ti&BTcci,  Dies  „hier"  kann  durchaus  nicht,  wie  Böckh  meint,  Delphoi, 
es  kann  nur  Delos  oder  Athen  sein.  Und  allerdings  findet  sich  eine 
uralte  Amphiktyonie  von  Delos,  aber  —  diese  Amphiktyonen  von  Delos 
seit  der  Wiederherstellung  durch  Athen  sind  attische  Beamtete  {lApL- 
cpixTvovBq  A&ijvccimv),  wie  die  Inschriften  aus  den  Jahren  Ol.  100  4 
bis  Ol.  101  3  beweisen;  und  seit  jener  Zeit  bis  auf  Ol.  111  ist  keine 
Veränderung  in  diese  Verhältnisse  gekommen. 

Wie  man  sich  die  Sache  auch  sonst  fingieren  mag,  weder  vor 
[949]  den  delphischen,  noch  vor  den  delischen  Amphiktyonen  können 
die  Delier  ihre  Klage  anhängig  gemacht  haben,  und  in  Delos  oder 
Athen  muß  die  Sache  verhandelt  sein.  Demosthenes  sagt  (§  134):  ij 
ßovXrj  ij  ^1  'Aqbiov  ndyov  ....  xeiQorovtjffdvrcjv  ccvrdv  vfifdv  (rivSt- 
xov  vnkg  roi)  iegov  tov  kv  Ai)Xm  ....  d)g  nQOBiXBa&B  xccxbIvt^v  xccl 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  237 

Tov  nQÜypiaroq  xvQiav  knoi7}<TceT€,  tovtov  fuv  ev&v^  dnijlaaBV  djg 
nooSÖTi^Vj  'YnBQeiSrj  Si  Uysiv  ngogira^B,  und  dann,  nachdem  das 
Zeugnis  gelesen  worden:  ouxoVv  8ts  tovtov  fiikkoPTog  kiyeiVj  dn^Xaaev 
ecvTOv  1}  ßovkij  xal  ngoqiTU^BV  Mgo),  töts  xcci  ngoSÖTtiv  dvcci  xal 
xaxövow  vfiTv  äni(p7jv6vi  leider  ist  das  tbg  itQotiX^ad-t  xäxe/vtjv  durch- 
aus undeutlich  und  wird  auch  durch  die  Emendation  nQogBiXaff&e 
nicht  eben  besser;  die  Wendung  bei  Deinarchos  {xarä  AripL.  §  50) 
uvüyxf]  T7jv  ßovXi]v  t7jv  ^I  'Aquov  nüyov  xctTU  Svo  TQÖnovg  itout(T- 
^ttti  rag  ctnotpdaBig  ndaccg  .  .  .  ^toi  ccvtijv  TiQoskofjkevrjv  xal  ^fjn^^ 
(Tuauv  fj  TOV  S/jfiov  TtQogrü^avTog  uvttj,  diese  Wendung  würde,  wenn 
man  sie  als  die  des  ofüciellen  Sprachgebrauchs  nehmen  darf,  für  unsere 
Stelle  eine  Emendation  ergeben,  wie  man  sie  in  dieser  Rede  des  De- 
mosthenes  nicht  wagen  darf.  Gern  würde  man  aus  dem  xvglav 
inou^aara  und  dem  fiiXkovTog  Uyeiv  entnehmen,  daß  die  Sache  vor 
dem  Areopag  verhandelt  worden,  wenn  statt  des  zweimaligen  ngogTÜT- 
Tuv  etwa  xhktvuv  oder  ä^iodv  stände;  dasselbe  würde  unter  anderen 
auch  Philostratos  bestätigen  (Vit.  Soph.  I  18):  knl  S^  tö?  xuTatf)fiq)i(T' 
i^ivTi  !AvTicp&VTi  fJAco  jM/y  XQt&eig  xal  ätpuXovTO  avTOV  oi  k^  !dQeiov 
ndyov  xb  ijlt]  oi  awtinüv  atplmv  vnkQ  tov  Uqov  tov  kv  jd^kq).  So 
sonderbar  es  erscheinen  mag,  ich  glaube,  Delos  hat  Athen  in  Athen 
selbst  verklagt;  es  handelte  sich  ja  um  eine  Frage,  die  man  wenigstens 
als  eine  rein  juristische  ansehen  konnte,  und  Delos  riskierte  eben  nichts 
weiter,  wenn  es  den  attischen  Staat  dahin  bewegen  konnte,  einmal  die 
Sache  auf  gerichtlichem  Wege  zur  Entscheidung  zu  bringen  und  sodann 
sich  mit  den  Deliem,  nach  der  für  dergleichen  Verhältnisse  herkömm- 
lichen Weise  des  hellenischen  Staatsrechtes,  über  eine  nöhg  'ixxh]Tog 
oder  Austrägalinstanz  zu  verständigen,  an  die  beide  Parteien  nach 
erfolgtem  Spruch  appellieren  konnten.  Daß  sich  aber  Athen  auf  jenen 
gerichtlichen  Weg  einließ,  mag  hinreichenden  Grund  in  den  politischen 
Verhältnissen  der  Zeit  haben;  und  daß  Philippos  auch  auf  den  Inseln 
um  Delos  herum  sehr  thätig  war,  ergiebt  sich  aus  dem,  was  Demo- 
sthenes  {iniQ  Krria.  §  197)  über  Naxos  und  Thasos  sagt;  und  unter 
den  Plänen  des  Alexandres,  deren  Ausführung  sein  Tod  hinderte,  war 
auch  der  Bau  eines  Tempels  in  Delos  (Diod.  XVIII  4). 

Ohne  die  weiteren  politischen  Combi  nationen  zu  verfolgen,  die  sich 
hier  ergeben,  wiederhole  ich,  daß  von  einem  amphiktyonischen  Prozeß 
füglich  nicht  die  Bede  sein,  und  die  derartige  Bezeichnung  in  dem 
vorliegenden  schon  verdächtigen  Zeugnisse  nicht  eben  zu  seiner  Ehren- 
rettung dienen  kann. 


238  DemostheneB 

X.  Das  trierarchlsche  Gesetz. 

Die  Zeit,  worin  das  trierarcliische  Gesetz  des  Demosthenes  (§  105  ff.) 
[950]  beantragt  worden,  oder  richtiger  in  Wirksamkeit  getreten  ist, 
soheint  sich  aus  der  Anordnung  der  Rede  vom  Kranz  zu  ergeben; 
denn  wenn  die  rednerische  Anordnung  auch  keineswegs  die  einer 
strengeren  Chronologie  ist,  so  muß  sie  doch  von  derselben  insoweit 
beherrscht  werden,  als  die  Bedeutendheit  und  der  Einfluß  des  geltend 
zu  machenden  Factums  durch  sie  bedingt  ist,  und  erst  durch  die  Ein- 
sicht in  die  geschichtliche  Folge  der  besprochenen  Begebenheiten  kann 
man  die  ungemeine  Kunst  der  Anordnung,  die  Demosthenes  in  dieser 
schönsten  seiner  Reden  bewährt  hat,  vollständig  erkennen. 

Aischines  hatt«  Demosthenes  öffentliche  Thätigkeit  in  vier  Haupt- 
abschnitten betrachtet,  seine  Teilnahme  an  dem  Frieden  des  Philokrates, 
sein  Benehmen  während  dieses  Friedens  (346 — 341),  die  Kriegjahre, 
dann  die  Zeit  nach  der  Schlacht  von  Chaironeia  hintereinander  be- 
sprechend. Demosthenes  folgte  der  Aufforderung  des  Gegners  nicht, 
dieselbe  Anordnung  zu  beobachten;  als  draußen  liegend  absolviert  er 
in  der  Einleitung  jenen  ersten  Abschnitt;  von  der  Zeit  erst^  wo  seine 
eigentliche  Vorstandschaft  im  Staate  beginnt,  will  er  genauer  sprechen 
(§  60).  Aber  die  Auflösung  des  Friedens,  ma<5ht  er  geltend,  sei  auch 
noch  nicht  sein  Werk  gewesen  (§71  79),  die  Verhandlungen  über  die 
Plünderung  der  Schiffe,  die  den  Krieg  zur  Folge  hatten,  seien  durch 
Aristophon,  Eubulos,  Diopeithes,  nicht  durch  ihn  gemacht  worden. 
Aber  was  er  selbst  gethan  und  gewirkt,  das  nimmt  er  nach  einander 
und  natürlich  in  der  Weise  durch,  wie  jedes  am  bedeutsamsten  er- 
scheint, und  zwar  zuerst  seine  Thätigkeit  zur  Befreiung  von  Euboia, 
dann  die  Expeditionen  zur  Rettung  von  Bjzanz  und  Perinthos,  dann 
das  trierarchlsche  Gesetz.  Wäre  das  trierarchlsche  Gesetz  früher  als 
der  Seezug  von  Byzanz,  so  hätte  Demosthenes  es  nicht  bloß  vor  dem- 
selben besprechen,  er  hätte  geltend  machen  müssen,  daß  die  herrlichen 
Erfolge  jenes  Zuges  einzig  und  allein  durch  die  Verbesserungen,  die 
er  in  der  Trierarchie  gemacht,  möglich  geworden  seien;  das  aber  sagt 
er  nirgends.  Vielmehr  wo  er  von  dem  Seezuge  nach  Byzanz  spricht 
{änofTTÖkovg  änavrccg  äniar^iXa  §  80),  erwähnt  er,  daß  er  die  Sen- 
dungen beantragt  habe,  spricht  er  noch  nicht  von  den  neugeordneten 
Trierarchien,  was  nicht  zu  vermeiden  gewesen  wäre,  wenn  sie  jenen 
vorausgingen.  Ebenso  weiß  Demosthenes  nach  Lesung  des  Gesetzes, 
wo  er  beweisen  will  netgav  iQytp  SzSmxivai,  nur  anzuführen,  daß 
keine  Klagen  der  Trierarchen  wegen  Bedrückungen  vorgekommen,  kein 
Schiff  verloren  oder  bei  der  l'ahrt  nachgeblieben  sei,   und  hätte  doch 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  239 

wieder  hier  von  dem  Einfluß  desselben  auf  die  glückliche  Beendigung 
des  Seezuges  sprechen  müssen,  wenn  es  demselben  vorausging.  Aber 
freilich  stehen  hier  die  Worte  (§  107):  ndvxa  yug  xbv  nöXefAov 
T&v  änocrtöXanf  yiyvofUvoov  xarä  rbv  vöfiov  rdv  ifiöv,  womit ,  heißt 
es,  man  doch  den  byzan tischen  Krieg  gemeint  voraussetzen  müsse. 
Allerdings  nach  der  unrichtigen  Ansicht,  als  wäre  im  Sommer  339 
Friede  gemacht  und  im  Frühling  338  der  Amphiktyonenkrieg  begonnen. 
Aber  wir  haben  uns  überzeugt,  daß  der  Krieg  ohne  Unterbrechung 
fortwahrte,  und  es  ist  keine  Frage,  daß  Athen  nach  dem  Entsatz  von 
Byzanz  seine  Seemacht  [951]  sowohl  diesen  Herbst  339,  als  im  nächsten 
Jahre  thätig  sein  ließ;  daß  dies  Demosthenes  übertreibend  ndvxa 
xbv  nölBfjLOv  nennt,  wird  niemand  auffallend  findend 

Daß  die  Trierarchie  mit  dem  Anfange  des  bürgerlichen  Jahres 
begann,  ist  unter  anderem  aus  der  Rede  des  Demosthenes  ngög  IToXv- 
xUcc  §  14  klar;  danach  zu  urteilen,  mußte  die  von  Demosthenes  ge- 
machte Neuerung  mit  dem  vollen  Jahre  und  zwar  Ol.  110  2  beginnen, 
das  Gesetz  aber,  da  es  die  Klage  der  Paranomie  vorher  durchzumachen 
und  gewiß  mit  vielen  Intriguen  der  Reichen  zu  kämpfen  hatte,  war 
gewiß  geraume  Zeit,  Monate  lang  vorher  beantragt  worden. 

Demosthenes  will  die  von  ihm  gemachten  trierarchischen  Bestim- 
mungen verlesen  lassen;  er  sagt  (§  105)  xai  (jloi  Uyt  ng&xov  fxkv  xö 
if}i](fiaiia  xa&'  6  slg^k&ov  xijv  ygatpiiv.  Statt  dessen  finden  wir  nun 
in  unseren  Büchern  ein  seltsames  Ding,  eine  Art  von  Protokoll  nicht, 
sondern  von  Bericht  über  die  Geschichte  des  Gesetzes:  dann  und  dann 
brachte  Demosthenes  ein  Gesetz  ein,  statt  des  bisherigen  trierarchischen, 
Rat  and  Volk  nahm  es  an,  Patrokles  klagte  dagegen  auf  Gesetz- 
widrigkeit und  gewann  nicht  den  fünften  Teil  Stimmen  und  zahlte 
die  fünfhundert  Drachmen  Strafe.  Daß  dies  es  nicht  ist,  was  DeAio- 
sthenes  hat  verlesen  lassen,  versteht  sich  von  selbst.  So  hat  wohl  der 
oft  besprochene  Gelehrt«,  der  die  Urkunden  einschaltete,  statt  des 
eigentlichen  Antrags,  den  er  nicht  in  den  Archiven  und  resp.  Samm- 
lungen fand,  dies  Protokoll  aufgenommen?  Boeckh  (de  arch.  pseud. 
S.  140  kl.  Sehr.  lY  S.  279]  sagt:  Mg  libdlus  de  absoluto  in  yq.  n,  Demosthene 
in  acta  senatus  et  pqptUi  relatus  ut  de  rcUihabüione  legis  constaret  u.  s.  w. 
Aber  wenn  ein  Psephisma  angenommen  war,  so  konnte  es  durch  eine 
YQCKfi]  7iagav6fjLG}v  zwar  einstweilen  suspendiert  werden,  trat  aber  nach 
glücklichem  Ausgang  des  Prozesses  in  seine  Gültigkeit,  ohne  durch 
jene  Klage  im  geringsten   besser  oder  schlechter  geworden  zu  sein; 


^  Um  £inwftnden  zu  begegnen,  bemerke  ich,  daß  ro  leleviaioy  bei  Aischin. 
xoToc  Krrjff.  §  223  keine  chronologische  Bestimmung  ist;  s.  Winiewsky  S.  850. 


240  Demosthenes 

WOZU  also  der  Beisatz?  Ferner,  mochten  die  Akten  der  IQage  immer- 
hin denen  des  Gesetzes  beigefügt  werden,  so  bildeten  sie  doch  keines- 
wegs etwas  wesentlich  Zusammengehörendes;  und  da  gleich  darauf  in 
unserer  Bede  auch  die  Kataloge  zu  lesen  sind,  so  muß  man  sich 
wundem,  daß  diese,  die  doch  ein  integrierender  Teil  des  Gesetzes  waren, 
gerettet  worden  sind,  während  das  Gesetz  selbst  verloren  ging.  In 
dem  Aktenstücke  des  Gesetzes  kann  demnach  das  Protokoll  nicht 
gestanden  haben;  so  wird  es  also  aus  einem  Journal  der  Bule,  der 
Ekklesie,  des  Metroons  u.  s.  w.  sein?  Oder  es  beginnt  mit  den  Worten 
ini  ÜQxovToq  TloXvxUovgy  und  der  muß  ja  nach  der  oft  besprochenen 
Hypothese  der  Prytanienschreiber  sein,  dessen  Name  an  die  Stelle  des 
als  Fachüberschrift  verlorenen  Archontennamens  gesetzt  worden  sein 
soll;  also  doch  wieder  aus  dem  Archiv  und  aus  dem  Aktenstücke  im 
Archiv.  Und  wieder  dies  ist  vollkommen  unmöglich;  es  heißt  knl 
äQXovroq   TloXvxXiovg,    fi7]vdg    [952]   BorjSQOfit&vog   herrj    knl    Sexa 

\_IIoXvxliovq] (fvlr^g    nQvravevovatjg   'Inito&oiovrtSoq    Jf]fAO(T' 

t^ivrjg  ,  .  .  tlgjjvsyxe  vöfiov  ....  xal  iitBX^'QOTÖvrjfTsv  ij  ßovki]  xal  6 
Sfjfjiog'  xal  dntjveyxs  nccQavöfjLcov  Arjfioa&ivsi  Uargox'kTig  ^Xv^vgy 
xal  rb  fiigog  röv  ifßtjipcjv  oi)  Xaßcov  äniriae  rag  nsvraxoaiag  Sga/fiäg. 
Soll  dieses  Aktenstück,  was  es  auch  immer  bedeute,  echt  sein,  so  mußte 
es  in  der  Datierung  kitl  üolvxXiovg  ohne  äQxovxog  gelautet  haben; 
Polykles  war  dann  Schreiber  der  dritten  Prytanie;  am  vierten  Tage 
derselben  brachte  Demosthenes  das  Gesetz  ein,  gewiß  erst  in  den  Rat; 
bis  es  dann  in  die  Ekklesie  kam,  die  Klage  eingebracht,  instruiert, 
vor  Gericht  verhandelt  wurde,  war  doch  wohl  die  dritte  Prytanie 
längst  za  Ende;  wie  konnte  denn  nun  noch  der  Schreiber  der  dritten 
Prytanie  an  der  Spitze  stehen?  Oder  sollen  die  Worte  von  xal  am)- 
veyxe  naQavöfuov  an  etwa  gar  von  der  Hand  eines  späteren  Prytanien- 
schreibers  beigefügt  sein?  Wozu  hätte  dann  sich  Polykles  die  Mühe 
genommen,  das  bei  dem  Aktenstücke  beizuschreiben,  was  fast  ebenso 
kurz  in  dem  Psephisma  selbst  stehen  mußte?  War  die  Beifügung, 
daß  das  Gesetz  die  Paranomie  glücklich  überstanden,  so  wichtig,  warum 
schrieb  der  Schreiber  der  späteren  Prytanie  nicht  nach  der  Datierung 
etwa  so:  „nachdem  Demosthenes  das  und  das  Gesetz  eingebracht,  und 
nachdem  es  vom  Patrokles  als  widergesetzlich  angeklagt  worden,  der- 
selbe aber  im  Prozeß  nicht  den  fünften  Teil  der  Stimmen  erhalten, 
und  in  die  betreffende  Strafe  verurteilt  ist,  tritt  das  Gesetz  in  Kraft". 
[953]  Somit  findet  die  Böckhsche  Hypothese  bei  diesem  Docu- 
ment  keine  Anwendung;  ebenso  wenig  ist  es  das  Psephisma,  welches 
Demosthenes  vorlesen  ließ;  ebenso  wenig  ist  ein  Zusammenhang  denk- 
bar, in  dem  diese  Art  amtlicher  Protokollierung  vorgekommen   sein 


Die  Urkiinden  der  Kranzrede  241 

könnte;  ebenso  wenig  endlich  ist  der  Inhalt  von  der  Art,  daß  er  dem 
Glauben  an  die  Echtheit  dieser  Urkunden  den  geringsten  Yorwand 
geben  könnte. 

Denn  paßt  nicht  einmal  die  Böckhsche  Hypothese  für  den  Pseu- 
deponymos,  so  ist  das  ^^r^  äQxovroq  IToXvxUovg  als  der  schlagendste 
Beweis  der  Unechtheit  und  als  ein  Zeugnis  für  die  Ignoranz  des 
Erfinders  nicht  mehr  abzuweisen.  Wenn  derselbe  schreibt  xai  inexei- 
QoxdvriaB  ij  ßovXij  xai  6  Srjfiogy  so  ist  gar  nicht  mehr  abzusehen,  was 
sich  derselbe  gedacht,  da  der  Hat  nur  das  ngoßovlavBiv  hatte.  Und 
zum  guten  Ende  fügt  derselbe  noch  hinzu  änizKre  rag  Tcevraxoaiag 
Sgaxfiägy  während  sich  von  der  Klage  nagaröfKov  namentlich  nach- 
weisen läßt,  daß  der  Kläger,  wenn  er  verlor,  1000  Drachmen  Strafe 
zu  zahlen  hatte  (Böckh  Staatsh.  I  S.  406  V  S.  448  ff.  Meier  und  Schö- 
mann  Att.  Proc.  S.  734);  es  ist  dies  das  einzige  Beispiel  einer  Strafe 
von  500  Drachmen.  Nach  diesen  Dingen  wird  man  nicht  mehr  nötig 
haben,  die  Worte  Jfjfioa&ivrjg  .  .  .  slgrjvsyxe  vöfjLOv  slg  t6  TQirjQccQ- 
Xixöv  ävri  roi)  nQOxiQOv^  xa&'  &v  al  awriXeiai  Jjaav  r&v  xQirjQdQ' 
Xtav  etwa  durch  das  Fortlassen  des  slg  x6  (das  in  einem,  aber  keines- 
wegs besonderen  Manuskript  fehlt)  zu  leidlichem  Sinne  zu  bringen;  es 
scheint  sich  der  Verfasser  gedacht  zu  haben,  daß  man  beifügen  müsse, 
bei  welcher  Behörde  das  Gesetz  eingebracht  sei,  oder  gemeint  zu  haben, 
für  die  Trierarehie  bestehe  ein  Amtshaus  rb  xQiriQaQxiocdv,  während 
doch  die  trierarchischen  Angelegenheiten  an  die  Strategen  gehören. 
Den  Phlyer  Patrokles  kennt  auch  niemand,  und  er  wird  auch  wohl 
ebenso  wenig  wie  der  Archen  Polykles  existiert  haben.  Wir  wissen 
freilich  nicht,  wer  diese  Klage  der  Paranomie  eingereicht  hat.  Man 
könnte  an  Aischines  selbst  denken,  denn  er  sagt  [xaxä  Krria.  §  222) 
rä  8i  nsQl  rag  rQiTJQStg  xai  rovg  xQirjQdQXOvg  agTiayfiara  zig  &v 
änoxQvtpai  XQ^'vog  Svvaiz  äv,  Öre  vofjLO&STtjaag  tibqi  r&v  TQiaxoaimv 
[vB&v]  xal  aavrov  neiaag  !A&r]vaiovg  kTtKrrarrjv  rü^ai  rov  vavrixov 
^iv^^TX^VQ  [954]  vn  kfjLod  i^rjxovra  xai  nivr%  vecDv  raxvvav- 
Tova&p  TQifiQdQxovg  vtprjQfjfiivog  x  r  k.  (vgl.  Dinarch.  xara  Atjfxoax^, 
42  und  Dem.  inkg  Krrja,  §  312).  Aber  wenn  Aischines  der  Kläger 
gewesen  wäre,  würde  Demosthenes  nicht  §  103  unserer  Rede  gesagt 
haben  xal  rb  fiigog  r&v  \f)i](p(ov  6  SkSxoov  o(jx  'ikaßsy  er  würde 
auch  §  124  und  125  nicht  so  gesprochen  haben,  wie  er  spricht.  Aischines 
ist  jedenfalls  bei  jenem  Prozeß  gegen  Demosthenes  als  avvriyoQog  des 
Klägers  thätig  gewesen. 

Schließlich  will  ich  die  Ansipht  Schömanns  (de  comitiis  S.  278) 
erwähnen,  die  uns  Gelegenheit  geben  wird,  zu  erkennen,  was  etwa 
in  Demosthenes  Antrag  gestanden  haben   dürfte.     Schömann   meint 

Drof  sen,  Kl.  Schriften    I.  16 


242  DemoBihenes 

i7tsxeiQor6v7}(T$  bezeichne  die  Abstimmung  darüber,  ob  das  neue  Gesetz 
an  die  Nomotheten  gebracht  werden  könne;  nach  dieser  Epicheirotonie, 
aber  vor  der  Sitzung  der  Nomotheten,  habe  denn  Patrokles  seine  Klage 
eingebracht;  der  26.  Boedromion  endlich  sei  nicht  das  Datum  für  das 
Einbringen  des  Antrags,  sondern  bezeichne  diem  &um,  quo  perscriptum 
erat  hoc  psephisma.  Daß  diese  Erklärung  nicht  mit  den  Worten  des 
Psephismas  stimmt,  ist  aus  dem  schon  Gesagten  klar;  aber  ebenso 
richtig  ist  wohl,  was  Schömann  geltend  macht,  daß  dies  neue  Gesetz 
nur  auf  dem  verfassungsmäßigen  Wege,  den  er  selbst  so  gründlich 
dargestellt  hat,  gemacht  werden  konnte;  und  eben  dies  giebt  uns  einen 
neuen  Beweis  für  die  Unechtheit  des  Documentes.  Nach  alter  Solo- 
nischer  Bestimmung  (s.  die  Gesetze  bei  Dem.  xarä  TifxoxQ,  §  20  ff.) 
wird  am  11.  Tage  der  ersten  Prytanie,  d.  h.  am  11.  Hekat^mbaion, 
die  inixsiQOTOvia  r&v  vöfuov  gemacht;  hier  mußte  das  neue  Gesetz 
in  Antrag  gebracht  werden,  worauf  das  Volk,  wenn  es  sich  auf  die 
Neuerung  einließ,  öffentliche  Anwälte  zur  Verteidigung  des  Herkömm- 
lichen ernannte;  in  der  dritten  Ekklesie  derselben  Prytanie  wurden 
dann  die  Nomotheten  aus  den  Geschworenen  des  Jahres  erlost  und 
ihnen  ihre  Instructionen  zugestellt,  worauf  dann  an  dem  in  der  In- 
struction bestimmten  Tage  über  das  Gesetz  vor  ihnen  in  Form  eines 
Prozesses  verhandelt  wurde.  Die  Billigung  des  neuen  Gesetzes  seitens 
der  Nomotheten  schloß  natürlich  die  Klage  itaQccvöfjuoDv  um  so  weniger 
aus,  je  sorgfaltiger  man  die  legislatorische  Thätigkeit  der  Demokratie 
in  Acht  nehmen  zu  müssen  glaubte.  Unzweifelhaft  hat  auch  das 
trierarchische  Gesetz  diese  Stadien  durchgemacht ;  und  wir  finden  noch 
deutliche  Spuren  davon.  Wenn  Dem.  nQoq  Aenr.  §  94  sagt:  hnira^tv 
(ö  26X(ov)  [955]  ix&eTvcci  {röv  vöfjLOv)  nQda&t  r&v  kTtcovvfiajv  xal 
xm  ygafAfiaru  TtccgaSovvaij  rovrov  S'  kv  ratq  ixxkTjffiaig  &va^ 
yiyvfAaxeiv,  iv  hcccaxoq  v^i&v  äxovaaq  noXXaxig  xcct  xarä  (txoXijv 
(rxeipü/ji^vog,  &v  rj  xcci  Sixaia  xal  <TVfi(piQOVtcc,  ravra  vofio&hxrj,  so 
erklärt  sich  hieraus  des  Deinarchos  Ausdruck  {xarä  Aj]fi.  §  42)  xai 
fUTBdxtva^a  rhv  vöfjLOv  xa&*  ixdfTrrjv  kxxXrjfTiav,  Somit  kann  denn 
auch  das  Datum  unserer  Urkunde  fif]v6>^  BoTjdQOfii&vog  hnti  knl 
dexa  .  .  .  JfjfAoa&evTjg  eig/jveyxs  vöfiov  nicht  richtig  sein,  da  dasselbe 
entweder  am  11.  Hekatombaion,  oder  wenn  das  Volk  schon  vorher 
damit  vertraut  werden  sollte,  einige  Zeit,  gewiß  aber  nicht  fast  zehn 
Monate,  vor  der  kmxBiQorovia  vöfuov  eingebracht  sein  mußte. 

Der  Antrag  des  Demosthenes  aber  mußte  dahin  lauten,  daß  das 
bisherige  trierarchische  Gesetz  abgeschafft  sein,  daß  die  Trierarchen 
nach  Maßgabe  ihres  Vermögens  trierarchische  Leistung  machen,  und 
die   Trierarchieen    von   dreihundert   Schiffen   auf  die   und   die   Weise 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  243 

geleistet  werden   sollten,    daß   somit  nach   beigefügtem  Katalog   die 
Leistungen  zu  machen  seien  u.  s.  w.  # 

Demosthenes  läßt  nach  dem  trierarchischen  Gesetz  den  früheren 
sowohl  wie  den  von  ihm  eingerichteten  Katalog  nacheinander  verlesen. 
Nach  dem  bisherigen  Gesetz,  sagt  er  §  102,  machen  sich  die  Reichen 
ärüieiQ  äitb  paxQ&v  ävcclMfiürafv  (d.  h.  von  anderen  Leitnrgieen  vgl. 
xatä  MsiS.  §  155  ro  fAtjSiv  ävaX&aai  xcei  SoxbTv  XikurovQyrixkvai 
xai  T&v  äkkmv  XBirovQyi&v  ärtkiai  yeysvfjtr&ai),  während  sie  nach 
dem  neaen  Gesetz  Leistungen  zu  machen  haben,  die  ihrem  Vermögen 
entsprechend  sind.  Nach  dem  früheren  Gesetz  hatten  je  sechzehn  die 
Ijoiturgie  zu  machen,  und  Demosthenes  sagt,  die  rj/efiöveg  r&v  trupL- 
ftoQi&v  und  die  Sbvtbooi  und  rgtrot  würden  viel  dafür  gegeben  haben, 
wenn  er  das  neue  Gesetz  hätte  zurücknehmen  wollen;  nach  diesem 
neuen  Gesetz  wurde  bestimmt,  ro  yiyvöfievov  xaxä  rrjv  ovaiav  IxatTxov 
Ti&ivat  xai  SvoTv  hq>dvri  TQni()a()Xog  6  rfjg  fjLiäg  Hxrog  xccl  Sixarog 
TigÖTSQOv  (TwreXtjg. 

Dies  sind  die  Bestimmungen,  aus  denen  uns  die  zwei  Kataloge, 
wie  wir  sie  in  der  Rede  vorfinden,  zusanunengeschmiedet  zu  sein 
scheinen.  Denn  daß  die  armseligen  Dinge,  die  hier  als  alte  Urkunden 
figurieren,  nicht  die  echten,  ja  überhaupt  keine  Kataloge  sind,  ergiebt 
sich  von  selbst;  auch  Böckh  (Staatsh.  II  S.  115  [I*  S*  661])  erkannte 
wenigstens  die  Unvollständigkeit  derselben  an,  und  nach  den  bei  den 
übrigen  Urkunden  der  Rede  gewonnenen  Resultaten  wird  man  diese 
Unvollständigkeit  wohl  abzuschätzen  wissen. 

Wir  wagen  nicht,  uns  in  die  Untersuchung  über  das  trierarchische 
Institut  eben  jetzt  einzulassen,  wo  die  demnächst  zu  erwartende  Edition 
der  großen  trierarchischen  Inschrift  [Urkunden  über  das  Seewesen  des 
attischen  Staates  1840,  C.  I.  A.  U  789]  und  ihrer  Erklärung  durch 
Böckh  die  wesentlichste  Aufklärung  zu  bringen  verspricht  Doch 
glauben  wir  aus  dem  Inhalt  der  Kataloge  selbst  ihre  Unmöglichkeit 
wahrscheinlich  machen  zu  können. 

Der  ältere  Katalog  soll  gelautes  haben:  rovg  TQirjpäQxovg  xaksTa- 
&CCI  knl  rijv  TQirjQf}  evvexxaiSaxa  he  tcjv  iv  roig  lö/oig  avvTBXei&v, 
ä%6  aixoai  xccl^  nivre  hr&v  dg  rertaQÜxovtaf  ini  Yaov  rfj  xoQW^ 
XQfOfUvovg  [956].  Wir  kennen  den  Ausdruck  Xöxoi  sonst  nicht  bei 
der  Symmorien-  und  Trierarchen  Verfassung;  jedenfalls  muß  er  Abtei- 
lungen irgend  welcher  Art  bezeichnen,  und  aus  der  Zusammenstellung 
mit  den  (rwreXeimg  erhellt,  daß  diese  eine  Unterabteilung  der  kö^oi 
sind,  zugleich  aber,  daß  nicht  alle  in  den  Xö/oig  zu  den  Syn teilen 
gehören.  Da  die  Trierarchie  auf  die  Symmorieneinteilung  für  die 
dgtfOQÜ  begründet  ist,  für  diese  aber  nicht  bloß,  wie  für  die  Trierarchieen 

16* 


244  Demosthenes 

(s.  xarä  Mei3.  §  155)^  die  1200,  sondern  alle  steuern,  so  kann  man 
sich  vorstellen,  daß  X6/og  eine  jede  der  20  Symmorien  mit  dem  zuge- 
ordneten  (zwanzigsten)  Teil   der  übrigen  beisteuernden   Bürgerschaft 
genannt  worden.  Als  Trierarchen  zu  einer  Triere  würden  nach  diesem 
Gesetz  je  16  aus  den  Syntelien  (wenn  nicht  awreXav  zu  schreiben 
ist)  in  einem  Lochos,  das  heißt  je  16  von  60  berufen;  —  und  somit 
könnten  nach  diesem  Oesetz  nur  20  Trieren  aufgestellt  werden!  Eine 
andere  Möglichkeit  wäre,  daß  man  (mit  Hier.  Wolf)  mit  Xö^oig  eben 
die  S3anmorien  bezeichnet  annähme,  wenn  schon  da  der  Ausdruck  ix 
T&v  kv  ToTg  nicht   sehr  genau  wäre;   und    das   mag  noch   mit   den 
Worten  des  Gesetzes  vereinbar  gelten,   daß  alle  in  den  Symmorien, 
die  zwischen  25  und  40  Jahre  alt  sind,  zur  Trierarchie  berufen  werden. 
Man  wird  fragen  müssen,  wozu  dann  noch  die,  die  älter  als  40  Jahre 
sind,   zu  den  Lochen  gehören;   mag  es  in  Rücksicht  auf  die  elgfpoQä 
sein.   -Also  von  den  1200  sollen  nur  die  zwischen  25  und  40  Jahren 
berufen  werden;  nach  massigem  Überschlage  wird  ein  Drittel  älter,  als 
40  Jahre  sein;   die  übrig  bleibenden  800,  zu  je  16  Mann  für  eine 
Triere  verteilt,  geben  deren  nur  50,  und  wir  wissen,  daß  meist  eine 
ungleich  größere  Flotte  in  See  war.    Böckh  ist  der  Ansicht,  der  Ka- 
talog sei  unvollständig,  etwa  in  der  Art,  fügen  wir  hinzu,  daß  voraus- 
ging, wenn  300,  wenn  200,  wenn  100  Schiffe  ausgehen  sollen,  wird 
es  so  und  so  gehalten,  und  wenn  50  (oder  20)  Schiffe  auslaufen  soUen, 
„so  werden  als  Trierarchen  zu  einer  Triere  je  16  von  25  bis  40  Jahren 
berufen,  die  zu  gleichen  Teilen  die  Choregie  machen".  Aber  die  letzte 
Bestimmung  inl  Y<tov  x  t  L,  die  nach  den  Worten  des  Redners  durch- 
gehend galt,   durfte  nicht  bei   dem  einzelnen  Paragraphen,   sondern 
mußte  bei  den  allgemeinen  einleitenden  Bestimmungen  stehen;   und 
sodann  ist  in  keiner  Weise  der  Sinn  der  Altersbestimmung  abzusehen. 
Das  dienstpflichtige  Alter  reicht  bekanntlich  vom  18.  bis  60.  Jahre, 
das  sind  die  42  kTtdfvvfioi,  nach  denen  die  Kataloge  gemacht  wurden 
(s.  Harp.  V.  knc^vvfiog  und  <tt gareia);  und  bei  einer  besonders  lebhaften 
Kriegsrüstung  befahl  man  rovg  fiix(f^  nivrt  xai  rsTraQdxovrcc  kr&v 
die  Schiffe  zu  besteigen  (Dem.  Olynth.  III  §  4  und  Ulpian),  das  heißt 
nicht  bloß  42,  sondern  45  Altersklassen,  so  daß  auch  die  Leute  von 
63  Jahren  mit  ausziehen  sollten  (s.  die  schöne  Anmerkung  von  Taylor 
zu  Lys.  S.  245  ed.  Reisk.).     Aber  weder  für  die  Trierarchie  noch  für 
den  sonstigen  Heerdienst  hat  das  Alter  von  25  und  40  Jahren  die 
geringste  Bedeutung.   Ob  sich  der  Verfertiger  dieses  falschen  Katalogs 
jener  Stelle  der  olynthischen  Rede  erinnerte,   ohne  sie  zu  verstehen, 
und  danach  seine  überraschend  detaillierte  Angabe  extemporisierte,  weiß 
ich  nicht. 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  245 

[957]  Nicht  so  leicht  anzugreifen  ist  der  zweite  Katalog.  Ich 
führe  zuerst  an,  daß  Demosthenes  gesagt  hat  (§  104):  he  Si  rov  hfiov 
vöfiov  ....  SvoTv  kcpüvT]  TQujQa^/og  6  rfjg  fiiäQ  hcroq  xal  Skxaroq 
n^ÖTBQov  (TWT€Xrjg,  womit  er  oflFenbar  den  bedeutendsten  Gegensatz 
bezeichnet,  den  seine  gerechtere  Bestimmung  gegen  die  frühere  unbillige 
hervorbrachte;  hätte  er  höhere  Ansätze  als  je  zwei  Trieren  gemacht, 
so  würde  er  diese  der  früheren  Weise  entgegenstellen.  Statt  dessen 
sagt  der  Katalog  ^a>g  rgi&v  nXoicjv  xal  vnrjgerixov  i]  XairovQyia 
ioTG)  (wobei  auch  die  für  spätere  Zeit  erst  geläufige  Structur  von  ^cog 
wohl  zu  beachten  ist;  doch  Aristot.  Insomn.  c.  7  ^cog  rijg  äQX^ig). 
Böckh  meint  nun  diesen  Widerspruch  zu  lösen  (Staatsh.  II  S.  114  [1* 
S.  662]):  es  scheint  beinahe,  als  ob  damals  höhere  Schätzungen  nicht 
vorhanden  waren,  wiewohl  im  Gesetz  auf  höhere  gerechnet  war;  in 
der  That  eine  sehr  kühne  Annahme!  Ferner  enthält  der  Katalog  die 
Bestimmung  rovg  xgiriQaQXovg  aiQBia&ai  hnl  rijv  tqi/jqt]  ecno  rijg 
ovaiag  xarä  riiiriaiv,  dno  rakävrmv  Shecc,  Böckh  (Staatsh.  II  S.  113 
\V  S.  662])  sagt,  der  Ausdruck  zeige  deutlich,  daß  die  zehn  Talente 
nicht  Vermögen  schlechthin,  sondern  in  die  Schätzung  eingetragenes 
Vermögen  oder  Steuerkapital  seien;  demnach  hätte  eine  Triere  zu 
rüsten,  wer  50  Talente  Vermögen  besitzt,  während  einige  zwanzig 
Jahre  früher,  wie  Böckh  anführt,  Demosthenes  trierarchiepflichtiges 
Haus  15  Talente  Vermögen  besaß  und  Isaios  (%bqI  rov  Aixaioy.  xlriQ, 
§  17)  es  rügt,  daß  jemand  bei  80  Minen  Einkünften,  was  etwa  ein 
Vermögen  von  11  Talenten  repräsentiert,  nicht  Trierarchie,  nicht  ein- 
mal Syntrierarchie  leistete.  Dies  Resultat  erscheint  vollkommen  unwahr- 
scheinlich. Ferner  kann  man  fragen,  ob  nach  Demosthenes  Gesetz 
alle  Bürger,  oder  nur  die  bis  zu  einem  gewissen  Grade  wohlhabenden 
(denn  das  sind  seine  Ti^vrjrsg  §  107,  ebenso  wie  die  iiixQia  fj  fiixgcc 
xiXTTjfiivoi  §  102  und  die  änoooi  §  104),  etwa,  wie  früher  1200, 
Trierarchie  leisteten;  der  treffliche  Katalog  enthält  darüber  nichts,  aber 
aus  der  Natur  der  Sache  scheint  letzteres  zu  folgen.  War  das  der 
Fall,  so  mußte,  nach  dem  Ansatz  von  einer  Triere  auf  zehn 
Talent  ztfirjfAa  in  den  Händen  der  1200,  wenigstens  3000  Talente 
Steuerkapital,  das  heißt  mehr  als  die  Hälfte  des  Gesamtvermögens 
(wenn  man  die  Schätzung  des  Nausinikos  als  ungefähren  Maßstab 
annehmen  darf)  befindlich  sein;  was  nicht  eben  wahrscheinlich  sein 
dürfte. 

Dies  sind  die  Gründe,  aus  denen  mir  die  Echtheit  dieses  Docu- 
mentes  unglaublich  erscheint.  Ich  habe  absichtlich  von  allem  dem 
nicht  gesprochen,  was  man  in  einem  derartigen  Katalog  zu  finden 
erwarten  dürfte,   und  wovon  in  dem  vorliegenden  nichts  steht.     Ich 


246  Demosthenes 

wiederhole,  daß  von  der  trierarchischen  Inschrift  auch  für  diese  Sachen 
weitere  Belehrung  zn  hoffen  ist. 

XI.  Gesamturteil. 

Es  ist  gesagt  worden,  die  vorliegenden  Urkunden  trügen  zu  sehr 
das  Gepräge  der  Originalität  an  sich  und  verrieten  eine  zu  genaue 
Kenntnis  der  historischen  und  der  lokalen  Verhältnisse,  als  daß  man 
sie  für  eine  Erfindung  der  späteren  Zeit  halten  könnte.  Der  erste 
Teil  dieser  Behauptung  ist  eine  Insinuation,  eine  Berufung  an  das 
subjective  Gefühl,  das  keine  Entscheidung  haben  [958]  kann.  Der 
Widerspruch  mit  lokalen  und  historischen  Verhältnissen  ist  nach- 
gewiesen worden.  Und  die  große  Specialität  der  Angaben  beweist  für 
unsere  Urkunden  nicht  mehr  als  ähnliche  Erscheinungen  in  den  spät 
componierten  Briefen  des  Menandros,  des  Demosthenes,  des  Aischinesu.s.  w. 

Die  Hypothese  über  die  pseudeponjmen  Archonten  hat  sich  an 
einigen  Stellen  als  unanwendbar  nachweisen  lassen,  und  das  ist  ge- 
nügend, ihre  Unbrauchbarkeit  überhaupt  zu  constatieren. 

Unter  achtundzwanzig  Urkunden  fanden  wir  keine,  die  nicht 
nach  Form  und  Inhalt  wesentliche  Bedenken  veranlaßte;  von  der  bei 
weitem  grösseren  Mehrzahl  konnte  die  Unechtheit  mit  vollkommener 
Sicherheit  nachgewiesen  werden.  Die  Verdächtigkeit  der  übrigen  wird 
dadurch  in  dem  Maße  gesteigert,  daß  wir  die  Unechtheit  aller  in 
dieser  Rede  vorhandenen  Urkunden  für  entschieden  halten. 

XII.  Ober  den  Ursprung  der  Documente. 

Die  Verteidiger  der  vorliegenden  Urkunden  haben  als  notwen- 
digen Bestandteil  eines  etwaigen  Beweises  ihrer  Unechtheit  gefordert, 
daß  nachgewiesen  werde,  wann  und  von  wem  dieselben  untergeschoben 
worden.  Sie  würden  in  dieser  Notwendigkeit,  wenn  man  sie  aner- 
kennen müßte,  allerdings  ein  glückliches  Mittel  die  gefährdeten  zu 
schützen  gefunden  haben,  da  weder  die  eine  noch  die  andere  Frage 
auch  nur  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  zu  beantworten  sein  dürfte. 
Jedoch  scheint  derartiges  einem  durchaus  anderen  Kreise  von  Unter- 
suchungen anzugehören,  als  in  welchem  wir  uns  bisher  zu  bewegen 
hatten,  und  so  wichtig  eine  nähere  Bestimmung  für  die  Litteratur- 
geschichte  und  für  gewisse  Eigentümlichkeiten  der  späteren  gelehrten 
Gräcität  sein  dürfte,  so  unwesentlich  ist  sie  für  die  Aufgabe,  die  wir 
uns  gestellt  hatten.  Dies  ist  der  Grund,  warum  ich  über  die  ange- 
führten Fragen  nur  anhangsweise  spreche;  auch  sind  meine  Studien 
für  jetzt  von  den  Teilen  derLitteratur  weit  entfernt,  aus  deren  genauester 


Die  Urknnden  der  Kranzrede  247 

und  lebendigster  Kenntnis  allein  einigermaßen  bestimmte  Resultate 
gewonnen  werden  könnten. 

Handschriftlicli  sind  die  Urkanden  im  ganzen  sicher  gestellt,  doch 
nicht  so,  daß  nicht  mannigfache  Sonderbarkeiten  zu  bemerken  wären. 

Die  samtlichen  Urkunden  fehlen  nach  Bekker  zu  §  77  1  in  der 
Pariser  Handschrift  2940  (Cod.  5  bei  Bekker),  die  nach  Taylor  (tom.  V 
S.  XCY  ed.  Dobs.)  aus  dem  13.  Jahrhundert  stammt.  Ebenso  fehlen 
die  Urkunden  mit  Ausnahme  der  sechs  ersten  in  dem  Aug.  I.  Ein 
und  der  andere  Codex  hat  einzelne  Urkunden  am  Bande  beigeschrieben, 
so  Cod.  Y,  Cod.  X  (§  29.  37.  77),  oder  auch  an  falsche  Stellen  versetzt 
(so  Aug.  4  §  155  hinter  §  158).  Doch  scheinen  die  Angaben  der 
Gelehrten,  welche  die  Handschrift  benutzten,  nicht  Hinreichendes  über 
diese  Dinge  darzubieten.  Die  Pariss,  3  und  7  bei  Taylor  sind  von 
zu  jungem  Ursprung,  als  daß  sie  in  Betracht  kommen  könnten. 
Die  Abweichungen  in  den  Überschriften  der  Urkunden  haben  keine 
Wichtigkeit 

[959]  Ebenso  wenig  sind  wir  hinreichend  unterrichtet  über  die 
Zeichen,  die  sich  bei  den  Urkunden  zum  Teil  vorfinden;  es  scheint 
derartiges  nur  vereinzelt  notiert  worden  zu  sein.  Ich  entnehme  aus 
Schäfers  Apparat  folgendes  über  den  von  Beiske  genau  verglichenen 
cod.  Bavaricus.  Bei  der  Urkunde  §  29  ist  nach  dem  Uye  des  Bedners 
das  Zeichen  ö  (App.  crit  S.  53),  ebenso  bei  §  54  hinter  Xaßdv  das 
Zeichen  ö  (App.  er.  S.  89),  ebenso  bei  §  73  hinter  (pavsQÖv  ö  (App. 
er.  S.  111).  Bei  §  75  steht  hinter  \fji](pi(Tficc  das  Zeichen  ö^  >  (App.  er. 
8.  117)  und  §  77  hinter  rov  Q^iXinnov  das  Zeichen  ö>  (App.  er. 
S.  119);  §  90  hat  rriv  nöXiv  6  iiJi^g)iafAa,  Ob  bei  den  übrigen  Ur- 
kunden keine  Zeichen  stehen  oder  nur  nicht  vermerkt  worden  sind, 
weiß  ich  nicht  Das  eine  Zeichen  ist  wohl  die  naQÜygacpoq  {?jg  rö 
(TX^ifAcc  YQccpi^fj  Tig  kari  ßga^ua  äaneg  xivä  ariyfjirjv  kv  T(p  äxQ^ 
'izovaa  Schol.  zu  Aristoph.  Plut.  253),  das  andere  die  SiTikij  'iao) 
vevBvxvTa.  Allerdings  bezeichnen  diese  Zeichen  beide  nur  Abteilungen, 
so  häufig  bei  den  Parabasen  der  Komödie  (s.  außer  den  Schollen 
Hephästion  c.  15),  und  namentlich  ist  Schol.  zu  Thukyd.  I  12  anzu- 
führen, wo  es  heißt:  XQix&q  SielXe  rrjv  äQx^tokoyiccv,  eig  xu  ngo 
T&v  Tqg)ix0v,  dg  avrä  xä  Tgcoixä^  slg  xä  kx6iiBvcc  avx&v,  xccd'' 
fbcaaxov  Si  fiipog  Sinkt]  naQäyQa(pog  xeixai.  Doch  daß  diese  oder 
ähnliche  Zeichen  auch  andere  Bedeutung,  wenigstens  in  der  älteren 
Gelehrsamkeit,  hatten,  lehrt  für  den  Piaton  Diog.  Laert.  II  68.  Für 
unseren  Fall  mag  es  genügen,  darauf  hingedeutet  zu  haben,  da  sich 
vielleicht  doch  in  den  von  den  Editoren  vernachlässigten  Zeichen  irgend 
ein  weiterer  Zusammenhang  vorfindet. 


I 


248  Demosthenes 

Von  ganz  besonderer  Wichtigkeit  för  die  Frage  über  die  Zeit, 
wann  diese  Urkunden  entstanden  sind,  müßten  natürlich  unzweideutige 
Anführungen  aus  denselben  bei  den  Alten  selbst  oder  nachweisliche 
Benutzung  von  irgend  welcher  Art  sein.  Derartiges  findet  sich  aller- 
dings. Das  Etjm.  M.  hat:  vTtsQßolijv,  ri]v  ävaßoXijv  xccl  ini^d-eaiv 
xai  kv  T(p  tieq!  (TTBtpdvov  JijfiofT&ivfjgf  was  sich  nur  auf  das  erste 
Psephisma  §  29  fiTjäefiiccv  vneQßoXi^v  notovfiivovg  beziehen  kann,  wo 
Bekker  aus  dem  cod.  JS*  und  anderen  Handschriften  die  richtige  Lesart 
hergestellt  hat.  Nicht  so  sicher  ist  die  Beziehung  von  Harpocrat  v. 
yQafifiarevg,  Jrjfioa&ivijg  inkg  KxfiGi(p&VTog  x  r  L  auf  die  Urkunde 
§18,  wo  der  ygafAfiarsig  rTjg  ßovkfjg  vorkommt,  von  dem  allerdings 
auch  jener  Artikel  des  Harpokration  handelt.  Aus  Aischines  Klage- 
schrift (ich  übergehe  den  späten  Georgius  Lekapenus,  der  aus  ihrem 
Anfang  citiert)  hat  der  Peripatetiker  Syrianus  (ad  Hermog.  bei  Schaefer 
S.  90)  zwar  nicht  wörtlich,  aber  doch  deutlich  erkennbar  die  drei 
Rechtsgründe  des  Aischines  gegen  Ktesiphons  Antrag  entnommen. 
Auch  Harpokration:  avyx'krirog  ixxXfjtria  ....  JrjfiotT&ivTjg  hv  rtp 
xar  ^IfTxivov  und  der  dorther  stammende  Artikel  bei  Photius  und 
Etym.  M.  v.  wird  von  Reiske  und  Schäfer  auf  unsere  Urkunde  und 
zwar  auf  §  73  bezogen,  doch  mit  [960]  Unrecht;  es  bezieht  sich  auf 
die  Rede  negl  nagan,  §  122,  welche  Rede  Harpokration  oft  xar 
^laxiifov  nennt,  wie  z.  E.  v.  ß-öXoq,  jdrjfioa&ivjjg  iv  T(p  xcct  Alaxivov 
sich  nicht  auf  vnhQ  Krria,  §  91,  wo  einige  Handschriften  norl  &6Xov 
statt  nö&oSov  haben,  sondern  auf  nsgl  naQccTi,  §  249  bezieht,  s.  be- 
sonders den  Artikel  nQoßaXkofxivovg^  wo  es  heißt  JrjfjLotT&ivfjg  vitig 
Kri]ai(p&vroq'  liv  t6  rp  xax'  Alaxlvov  x  r  X, 

[961]  Die  ältesten  Autoren,  in  denen  wir  die  Urkunden  benutzt 
zu  finden  glauben,  sind  Plutarchos  und  Aristeides.  Das  Sijfiotr^svi^Biv 
des  Aristeides  ist  bekannt,  es  besteht  zum  guten  Teil  darin,  daß  er 
sich  Demosthenische  Wendungen  aneignete.  Namentlich  ist  die«  er- 
kennbar in  seinem  avfigjicczixog  ä  und  /?',  von  denen  der  erste  als 
Überschrift  folgende  Situation  schildert:  <l>di7t7iov  SiöSov  cchovvroq 
na^ä  Ofjßaiwv  hn  ]4ür/vaiovg  7jxov<xiv  !A&rjvaToi  ixövrsq  iavrovq 
elg  (TVfjifia/iav  ätSövrag.  In  dieser  Rede  findet  sich  außer  anderen 
Beziehungen  auf  die  Demosthenische  vom  Kranz  auch  folgende  Stelle: 
Xfoolq  Si  rovTCov  änavrag  &v  oJfiai  (TVfjLCpTicrai  rö  fiiv  ijfi&g  Övrag 
"ElXfivc4g  xal  dfiorpvkovg  Iqi^biv  nQÖg  dlh'jlovg  vnkg  äQX^g  xal 
rä^ecog  även/(p&ovov  eJvai  xal  r&v  vevofiKTfiivon',  x6v  8'  5Aö>g  e^rüd- 
TOiov  firjÖBfitäg  ÖQyTjg  fir]d'  eotSog  XQ^J'^^'  TtQogtaa&cci,  äXXä  rbv 
uvrbv  TQÖnov  äansQ  äv  6/  Öv  dSeXcpot  nocoTBkov  ijfi(pi(TßrjTovv  kv 
acpiaiv  uvToTg,  %v  /  av  ixetvo  zavTov  kyiyvoyaxov^   Bi  rig  ^ivog  xal 


Die  Urkunden  der  Kranzrede  249 

fjLTjSiv  nQogfjXCjv  *kßtd^9T0,  xoivaiq  raiq  &v{)ccii^  dnoxls/Biv,  oürcog  iiil 
T&v  'EXXf}vix6jv  fAfjSevl  rcjv  'i^o)&ep  XccßijV  elvcci  xä  xaff  rjfiäg  ccv- 
Tovg  dnö^pfjra  —  ovtg)  yäg  xai  Xiyetv  ä^iov  TtSQi  aircjv  — •  dXXä 
vofjLiXBiv  TOvg  fdv  T&v  'EkXfivoov  n()6g  dXh'ßovis  noX^fiovg  xai  rä 
kyxX'fipLctxcc  Tccig  (Träffsai  ngogaoixivai  x  x  X,  ÖXcog  S'  d  fniv  i^^etrxi 
fivtjmxaxBiVf  Sixcciov  fiiv  ov,  XQ^^^^  ^\  «'  ßovXstnd'B,  xovxq)'  sl 
3i  X  X  L  (I  S.  720  ed.  Dind.).  Hiermit  vergleiche  man  folgende  Stelle 
aus  dem  Antrag  des  Demosthenes  (§  185):  xccl  äxi  6  'Aßrjvamv  Sflfiogy 
oifSiv   fjLVfjaixccxcL^   sY  xi  nQÖxsQOv  yiyovev   äXlöxQiov   xalg   nöXatri 

ngog  dXXi^Xag,   ßori&rjati «/^cbg,    6xi   [xctY]   avxoig  fdv  npog 

üXX'^Xovg  SiafjL(pi(Tßr]XBTv  itsQi  xTjg  ijyefioviag  ovaiv  "EXXrjai  xaXöVy 
vnb  Sh  &XXo(fvXov  äv&QÜTCOv  ap/ectS'a«  xai  xfjg  ijysfioviag  dno- 
<TX6Q6T(T&ai  ävü^iov  elvai  xai  xfjg  x&v  'EXXijvmv  Sö^rjg  xai  xfjg  x&v 
nQoyöviov  dgexT/g.  Man  vergleiche  auch  folgende  Stellen:  äXX  kv&v- 
fjLfjid'ivxag  %a^  vfiiv  avxoig,  Sxi  ^>iXinnov  fiiv  aiQovfievoi  ßägßaQOv 

äv&Qmnov  xai  (pvau  xsxcoQiafievov  aiQsTa&e ^/AßS  Si  olxeiov- 

fjLBvoi  TtQ&xov  fjiiv  "EXXrjvag  xai  dfio^vXovg,  intix  ätrxvysixovag  xai 
awTiO'Big  kx  naXaiov  xai  vvv  vitig  vfißhf  7C6(poßf}fiivovg  olxeiova&s 
[962]  (Aristid.  I  S.  730)  und  dagegen  Demosthenes  (§  186)  hri  Si 
ovSi  ctXXöxQiov  ijyetxai  6  !A&f}vai(ov  Sfjfiog  xöv  Orjßaicov  Sfjfiov  oiixs 
xrj  (TvyyevBi^  övxe  t«  dfiog)vX(p  x  x  X,  Natürlich  sind  diese  Stellen 
nicht  wörtlich  übereinstimmend,  aber  sie  enthalten  so  übereinstimmende 
Auffassung,  daß  man  wohl  an  unmittelbare  Abhängigkeit  des  einen 
von  dem  andern  denken  kann,  und  namentlich  erscheinen  Aristeides 
Äußerungen  als  Ausweitungen  dessen,  was  im  Antrag  des  Demosthenes 
zu  lesen  ist,  so  daß  man  wohl  nicht  glauben  darf,  es  sei  der  Demo- 
sthenische  Antrag  aus  jener  Darstellung  des  Aristeides  abgezogen.  Eine 
andere  Parallele  aus  demselben  Antrag  des  Demosthenes  ist  bereits 
früher  angeführt. 

Dies  würde  noch  entschiedener  sein,  wenn  sich  mit  Sicherheit 
nachweisen  ließe,  daß  auch  Plutarchos  auf  diese  Urkunden  schon  Rück- 
sicht genommen  hat.  Wäre  der  Ursprung  der  ßioi  x&v  Sixa  qtixöqcov 
sicherer,  so  ynirden  sie  uns  einen  entscheidenderen  Beweis  liefern;  denn 
was  dort  S.  846a  steht:  x&v  xsixcov  ^TttfjtsXijx/jg  x^^QOxovrj&alg  dnd 
xfjg  ISiag  ovaiag  slg/jvayxs  xo  ccvaXco&hv  ßcQyvQiov  fivßg  ixaxöv. 
knhSmxa  Ök  xai  d-atogoTg  yLvoiag,  dies  ist  aus  der  Urkunde  §  118  ent- 
standen, ysvöfjLevog  kTtifxeXfjxijg  xf/g  x&v  xaix&v  knKrxevfjg  xai  ngog-' 
avaXdxrag  elg  xd  'igya  dnb  xfjg  iSiag  ovaiag  xQia  xdXavta  knidmxa 
xavxa  x(p  Sfi^Ko,  xa)  kni  xov  &sq)qixov  xaxaaxa&eig  ^nidcoxs  xoTg 
kx  naa&v  (pvX&v  ß-acoQixoig  kxarov  fxväg  elg  d'vaiag.  Denn  daß  die 
Plutarchische  Stelle  trotz  der  Verwirrung  in  den  Zahlen  nicht  anderswoher 


250  Demosthenes 

stammt,  ergiebt  sich  aus  dem  roTg  &e(OQOig,  das  nirgends  sonst  vor- 
kommt, als  eben  in  jener  falschen  Urkunde.  Wichtiger  aber  ist,  daß 
in  den  Parallelen  des  Plutarchos  ein  Fehler  vorkommt,  der  nur  aus 
den  falschen  Urkunden  herstammen  zu  können  scheint.  Plutarchos 
(Dem.  24)  sagt:  slg/ixO-ij  Si  tötb  xal  ij  na^l  rot?  tnsfpüvov  yQa(py 
xarä  KrriGttptüvroq  yQatpeltra  fih  iTci  Xccigcivdov  ÜQXovToq^  fiixQÖv 
knavw  r&v  XaiQ(ovtxcHVj  xQi&^Taa  8k  vgtbqov  ireai  Sixa  knl  !AQi<nO' 
(p(dvTog.  Der  gute  Plutarchos  kümmert  sich  nicht  viel  um  Chrono- 
logie und  seine  Zeitbestimmung,  pnxQov  hndvtD  x&v  XatQCJvtxdiv  darf 
uns  nicht  irre  machen ;  wenn  er  dagegen,  durchaus  fehlerhaft,  angiebt, 
daß  die  yga^pri  des  Aischines  unter  dem  Archen  Chairondas  eingereicht 
worden,  so  ist  das  eben  aus  der  Klageschrift,  die  auch  wir  noch  in 
unseren  Büchern  haben  (§  54)  entnommen,  und  sie  ist  darum  nicht 
minder  untergeschoben. 

[963]  Dagegen  scheint  der  Zeitgenosse  des  Augustus  Dionysios 
von  Halikamass  diese  Urkunden  noch  nicht  gekannt  zu  haben.  In 
dem  Briefe  an  Ammans  I  c.  11  sucht  Dionys  das  Jahr  zu  fixieren,  in 
dem  die  athenische  Gesandtschaft,  welche  Theben  für  den  Krieg  gegen 
Philippos  gewann,  nach  Theben  gekommen  ist;  er  nimmt  zu  dem  Ende 
die  Zeitbestimmungen  des  Philochoros,  die,  nach  Nennung  des  Archonten, 
das  in  dessen  Jahr  Geschehene  aufzählen,  durch  und  «agt  dann:  (pcc- 
viQOv  Si  yByovÖTog  rov  xqövov,  xad*  &v  elgfjX&ov  eig  Otjßag  ot  r 
!A&fjvccioL)v  itQiaßttq  oi  ne^l  Arjfioa&ivi}  xal  oi  itagä  ^tkinnov,  &ri 
xarä  Avaifia/iSrjv  ägx^'^^  ntTtTBi  naQsaxBvacfiivfov  i'jSij  rä  nQog 
rdv  TiöXsfAOV  äfKporiQcov  avrdg  6  /dtjfioff&ivTjg  noiijGei  (pavsQÖv  kv 
r(p  TtBQl  (TTBcpdvov  &7jaoi)  3'  ^  avrfjg  Xaßojv  rflg  kxBivov  Xi^Boag  rä 
avPTBivovxa  nQog  rh  ngäy^xa.  Und  nun  beruft  er  sich  nicht  etwa 
auf  die  Urkunden  in  der  Rede,  die  doch  am  ersten  geeignet  sein 
würden,  ihm  den  gewünschten  Erweis  zu  liefern,  ja,  die  Anführungen 
aus  Philochoros  überflüssig  gemacht  haben  würden,  noch  sagt  er,  daß 
etwa  diese  Urkunden  wegen  unrichtiger  Archontennamen  unbrauchbar 
seien,  sondern  er  schreibt  ab,  was  gleich  nach  der  Urkunde  §  164 — 167 
folgt:  ovroj  ötartt^eig  x  r  L  bis  Oijßaimv.  Dann  ükXä  fii/v  rä  röre 
(rvfißävra  Su^el&ajVj  Ste^BX&ü)v  Si  xal  roifg  Qij&ivrag  v(p  iavrov 
löyovg  inl  rr^g  kxxXi]<Tiag  {§  174 — 178)  xal  (og  TtQetrßsvrijg  in'  'A&i}- 
vaimv  elg  0t/ßag  kiihn(p&7jy  ravra  xarä  ki^iv  kniridriGi'  „wg  cäry/- 
xöfiB&a  X  T  L  (§  211)  bis  zu  den  Worten  rovg  S'  hcBivov  &()a(TBTg". 
'EnBixa^  fahrt  Dionysios  fort,  kmaroh'jv  rtva  xB^Bvoag  dvayvGxr&fJvaiy 
ravx'  knixix%}<ji.  Dies  ist  der  Brief,  der  §  212  freilich  auch  in  unseren 
Büchern  fehlt;  aber  würde  Dionysios  so  geschrieben  haben,  wenn  er 
diesen  Brief  vor  sich  gehabt  hätte?  Oder  würde  dieser  Brief  in  seinem 


Die  Urkunden  der  Ejranzrede  251 

Exemplare  gefehlt  haben,  wenn,  wie  jetzt,  alle  Urkunden  bis  zu  diesem 
Paragraphen  noch  vorhanden  gewesen  wären? 

Aus  den  beiden  Umstanden,  daß  Dionysios  diesen  Brief  nicht 
mehr  vorgefunden  zu  haben  scheint,  und  daß  er  sich  weder  zur  Zeit- 
bestimmung der  Gesandtschaft  nach  Theben,  noch  zu  den  anderen 
chronologischen  Angaben  auf  die  vorhandenen  Urkunden  beruft,  glaube 
ich  schließen  zu  dürfen,  daß  die  Urkunden  zu  Dionysios  Zeit  entweder 
noch  gar  nicht  existierten,  oder  wenigstens  in  dem  Exemplar  des 
Demosthenes,  das  er  brauchte,  nicht  vorhanden  waren,  und  doch  wird 
er  wohl  in  seinem  Demosthenes  „von  5  bis  6  Myriaden  Zeilen"  eine 
so  vollständige  Ausgabe,  wie  sie  damals  nur  zu  haben  war,  besessen 
haben. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  ich  hiermit  nicht  für  unum- 
stößlich gewiß  erwiesen  zu  haben  meine,  als  müssten  die  Urkunden 
in  jenem  ersten  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  entstanden  sein. 
Aber  haben  wir  uns  einmal  davon  überzeugt,  daß  sie  weder  die  echten, 
noch  überhaupt  aus  Demosthenes  Zeit  sind,  so  läßt  die  seltsame  Art 
von  Fehlem  und  Ungründliehkeiten,  auf  die  wir  unsere  Beweise  beson- 
ders begründen  zu  müssen  glaubten,  die  Vermutung  Bestätigung  ge- 
winnen, daß  sie  in  einer  der  lebendigen  Gegenwärtigkeit  der  betreffenden 
[964]  Verhältnisse  ziemlich  fem  liegenden  Zeit  entstanden  seien. 

Allerdings  würde  ein  Betrüger  mit  leichter  Mühe  seinen  Betmg 
mehr  haben  verbergen  können.  Leicht  hätte  er  aus  Philochoros  und 
woher  sonst  die  richtigen,  oder  wenigstens  richtige  Archontennamen 
entnehmen  können,  und  für  die  Form  der  Beschlüsse  hätte  einige 
Beachtung  vorhandener  Sammlungen  und  Inschriften  auch  das  Passen- 
dere leicht  dargeboten.  Spengels  Beobachtung,  daß  die  gebrauchten 
Namen  so  höchst  trivial  sind,  und  daß  die  verschiedenen  Datierungen, 
die  vorkommen,  stets  andere  Tage  nennen,  scheint  von  keiner  wesent- 
lichen Bedeutung.  Was  sich  mir  in  Bezug  auf  den  Ursprung  der 
Urkunden  als  wahrscheinliches  Resultat  darstellt,  kann  ich  in  folgende 
Hauptpunkte  zusammenfassen: 

1.  Ich  glaube  nicht,  daß  die  Urkunden  zum  Betrüge  gefälscht 
sind,  da  ein  Betrüger  mit  geringer  Mühe  geschickter  gearbeitet  haben 
würde;  sie  scheinen  aus  den  Übungen  der  Schule  hervorgegangen,  oder 
als  Muster  für  dieselbe  bestinmit  zu  sein.  Die  Reden  des  Demosthenes 
haben  ja  in  der  mannigfachsten  Weise  zu  schulmäßigen  ExempMca- 
tionen  und  Aufgaben  dienen  müssen,  und  besonders  die  vom  Kranze 
ist  eine  der  beliebtesten  gewesen.  In  der  Schule  war  es  lediglich  auf 
das  Stilistische  abgesehen;  es  kam  da  nur  auf  ungefähre  Richtigkeit 
des  Sachlichen  an;  man  konnte  sich  Namen  ersinnen,  wie  wir  sie  in 


252  DemoBthenes 

den  Urkunden  für  Zeugen,  Archonten,  Gesandten  u.  s.  w.  reichlich 
finden;  man  brauchte  die  nach  attischer  Verfassung  notwendigen  Formen 
nicht  zu  genau  zu  beobachten,  und  konnte  sich  erlauben,  nach  Ana- 
logie zeitlich  und  räumlich  näher  liegender  Verhältnisse  dies  und 
jenes  zu  modificieren;  eine  Annahme,  die  des  weiteren  zu  verfolgen 
mir  für  jetzt  noch  nicht  möglich  ist.  Entstanden  die  Urkunden  auf 
diese  Weise,  so  erscheint  es  nicht  auffallend,  daß  unter  anderem  auch 
der  im  dorischen  Dialekt  geschriebene  Beschluß  der  Byzantier  vor- 
kommt, da  derartige  Dinge,  wie  z.  E.  die  Schrift  de  Dea  Syria  und 
ähnliches  zeigt,  beliebt  und  gebräuchlich  waren. 

2.  Die  Urkunden  sind  ohne  Zuziehung  weiterer  Hilfsmittel  und 
allein  auf  Grund  des  in  Demosthenes  Rede  Angedeuteten  gemacht 
Nicht  einmal,  was  doch  nahe  genug  lag,  nicht  einmal  die  Gegenrede 
des  Aischines  ist  mit  zu  Rate  gezogen,  geschweige  denn,  daß  genaue 
Kenntnis  der  Redner  überhaupt  oder  ein  weiteres  Studium  ihnen  zum 
Grund  läge.  Der  Verfertiger  war  kein  Gelehrter,  keiner  jener  philo- 
logisch-gebildeten Griechen,  deren  ernstes  Studium  nur  zu  früh  von 
der  belletristisch-rhetorischen  Schönthuerei  der  Sophistik  überwuchert 
worden  ist.  Vielmehr,  was  sich  an  den  Stellen,  wo  die  Einschaltung 
von  Urkunden  bemerklich  gemacht  war,  aus  den  Worten  des  Demo- 
sthenes zum  Teil  in  sehr  oberflächlichem  Verständnis  des  Zusammen- 
hanges als  ungefähren  Inhalt  der  Urkunde  darbot,  wurde,  so  gut  oder 
schlecht  es  eben  ging,  mit  den  nötigen  Erweiterungen  zu  einer  Urkunde 
zurecht  geformt,  ohne  daß  der  Ausdruck  immer  einen  sorgfaltig  ge- 
sichteten Vorrat  von  Atticismen  bekundete. 

3.  Ich  finde  keinen  Grund  anzunehmen,  daß  die  Urkunden  etwa 
von  mehreren  verfaßt  sind.  Allerdings  [965]  weichen  die  beiden 
Decrete  §  119.  120  wesentlich  in  der  Eingangsformel  von  den  übrigen 
ab,  aber  auch  in  denen  ist  ein  ziemlich  bunter  Wechsel  in  denjenigen 
Bestimmungen,  die  in  derselben  Zeit  auch  wohl  im  ganzen  dieselben 
gewesen  sind.  Die  Mannigfaltigkeit  in  diesen  Dingen  scheint  eben  für 
eine  Mustersammlung  ganz  geeignet,  und  die  Rede,  auf  welche  in  den 
rhetorischen  Vorträgen  unzähligemal  zu  verweisen  war,  bot  nun,  mit 
den  verschiedenartigen  Beispielen  von  öffentlichen  Urkunden  bereichert, 
dem  fleißigen  Schüler  eine  desto  vielseitigere  Ausbeute.  Zieht  aber 
jemand  vor  zu  glauben,  daß  diese  eingeschalteten  Unterschieblinge 
nicht  Musterstücke,  sondern  Schülerarbeiten  sind,  so  kann  ich  auch 
dagegen  nichts  einwenden. 

4.  Daß  die  Urkunden  nach  §  90  nicht  vorhanden  sind,  scheint 
nicht  sowohl  in  dem  Ermüden  der  Abschreiber,  wie  man  vorausgesetzt 
hat,  sondern  in  einem  mit  dem  vorhergehenden  zusammenhängenden 


Die  Urkunden  der  Rranzrede  253 

Umstände  seinen  Grund  zu  haben. .  Noch  sollten  zwei  Briefe  (§212 
und  221)y  ein  Beschluß  der  Thebaner  (§  214),  zwei  Ehrendecrete  far 
Demosthenes  (§  223),  Beschlüsse  der  Athener  nach  den  zwei  glück- 
lichen Gefechten  (§  217),  und  eine  Zeugensage  (§  267)  folgen;  es 
mochten  mit  den  schon  gegebenen  Urkunden  genug  Paradigmen  mit- 
geteilt zu  sein  scheinen. 

5.  Jedenfalls  ist  nach  jenem  langem  Decret  des  Demosthenes 
noch  ein  Stück  ebenso,  wie  es  Demosthenes  durch  den  Schreiber  hat 
verlesen  lassen,  vorhanden;  dies  ist  das  Epigramm  auf  die  von  Chai- 
roneia  Gefallenen  (§  289)  \  Es  hat  sich  dies  ebenso  vereinzelt  gerettet, 
wie  hier  und  da  in  anderen  Reden  einzelne  Aktenstücke.  Werden  in 
den  alten  Erklärungen  zum  Demosthenes  zwei  heSöastg,  die  ä^x^cicc 
und  Sfjfic^Sfjg  genannt  (die  Stellen  s.  bei  Taylor  in  der  Dobsonschen 
Edition  V  S.  Gl),  so  sind  wir  über  die  Eigentümlichkeit  beider  nicht 
hinreichend  unterrichtet,  um  etwa  sagen  zu  können,  daß  in  der  Jiy/Acö- 
Sf]g  unsere  Urkunden  gestanden,  während  sie  in  der  &qx^^<^  fehlten, 
oder  umgekehrt.  Unzweifelhaft  aber  hat  der  auf  diese  zweideutige 
Weise  bereicherte  Demosthenes  früh  Eingang  gefanden  und  ist  uns 
im  ganzen  so  überliefert,  wie  ihn  die  spätere  Eaiserzeit  las. 


[^  S.  jetzt  über  das  Epigramm  G.  Kaibel  de  monumentorum  aliquot  Gfrae- 
corum  carmmibus  (1S71)  und  die  übrige  Litterator  bei  Schäfer  Demosthenes 
n.  8.  Z.  III'  S.  87.  Dass  das  Urteil,  welches  Schäfer  in  der  Vorrede  zu  seinem 
Werk  über  die  oben  wieder  abgedruckten  Untersuchungen  Droysens  fällt,  dem 
Verdienst  Droysens  nicht  ganz  gerecht  wird,  braucht  kaum  bemerkt  zu 
werden.    U.  K.] 


Ohronologische  Übersicht. 


(B  bezeichnet  ein  attisches,  1 

b  ein  julianisches  Schaltjahr). 

8.  Jul. 

Aristodemos 

107.  1  B. 

8. 

Okt. 

1.  Pyan. 

2.  Aug. 

1.  Met. 

7. 

Nov. 

1.  Maim. 

1.  Sept 

1.  Boed. 

6. 

Dez. 

1.  Pos. 

80.  Sept. 

1.  Pyan. 

5. 

Jan. 

349  b  1  Garn. 

80.  Okt. 

1.  Maim. 

Philipp  krank. 
Dem.  Phil.  I  a 

3. 

Febr. 

1.  Anth. 

4. 

März 

1.  Elaph. 

28.  Nov. 

1.  Pos.  I 

Die  Athener  nap- 

8. 

April 

1.  Mun. 

Ötjfiei  nachEuboia 

2. 

Mai 

1.  Tharg. 

28.  Dez. 

351  I.Pos.  II 

ApollodorsAntrag 
für  (TtQatuaTixa 

1. 

Jun. 

1.  Skir. 

Dem.  Olynth.  I, 

bald  darauf  II. 

26.  Jan. 

1.  Garn. 

30. 

Jun. 

Kallimachos 

1074.B.Athengeg. 

25.  Febr. 

1.  Anth. 

Korinth,  Megara 

26.  März 

1.  Elaph. 

Demosth.  Choreg. 
KampfbeiTamynai 

30. 

Jul. 

1.  Met 

Uilfesend.  der  Ere- 
trier  nach  Megara 

25.  April 

1.  Mun. 

Nikodemos  er- 

28. 

Aug. 

1.  Boed. 

mordet 

27. 

Sept 

1.  Pyan. 

24,  Mai 

1.  Tharg. 

26. 

Okt 

1.  Maim. 

28.  Jon. 

1.  Skir. 

25> 

Nov. 

1.  Pos.  I 

Dem.  Olynth.  III 

22.  Jul. 

Thessalos 

107.2.Demosthe- 
nes  Buleut 

24. 

Dez. 

3481.  Pos.  II 

tf 

21.  Aug. 

1.  Met. 

23. 

Jan. 

1.  Garn. 

19.  Sept. 

1.  Boed. 

Charidemos  gen 
Thrakien 

25, 
23. 

Febr. 
März 

1.  Anth. 
1.  Elaph. 

\  euböische  Ge- 
)  sandte  in  Athen 

19.  Okt 

1.  Pyan. 

• 

21. 

April 

1.  Mun. 

18.  Nov. 

1.  Maim. 

21. 

Mai 

1.  Tharg. 

17.  Dez. 

1.  Pos. 

Nemeen 

20. 

Jun. 

1.  Skir. 

16.  Jan. 

350  l.Gam. 

1  Dem.  Phil.  Ib; 
1  Dem.  Mid. 

19. 
18. 

Jul. 
Aug. 

Theophilos 
1.  Met 

108.  1 

14.  Febr. 

1.  Anth. 

16. 

Sept. 

1.  Boed. 

16.  März 

1.  Elaph. 

16. 

Okt 

1.  Pyan. 

14.  April 

1.  Mun. 

14. 

Nov. 

1.  Maim. 

14.  Mai 

1.  Tharg. 

14. 

Dez. 

1.  Pos. 

12.  Jun. 

1.  Skir. 

12. 

Jan. 

347  l.Gam. 

12.  Jul. 

Apollodoros 

107.  8. 

11. 

Febr. 

1.  Anth. 

10.  Aug. 
9.  Sept. 

1.  Met. 
1.  Boed. 

12. 

März 

1.  Elaph. 

]  Philokrates  erster 
1  Antrafi: 

Chronologische  Übersicht 


255 


11.  April 

10.  Mai 
9.  Jun. 

8.  Jnl. 

7.  Aug. 
5.  Sept 

5.  Okt. 

4.  Nov. 

3.  Dez. 
2.  Jan. 

31.  Jan. 
2.  März 

31.  Mftrz 
30.  April 
29.  Mai 

28.  Jan. 

27.  Jul. 
26.  Ang. 
24.  Sept. 

24.  Okt 
22.  Nov. 
22.  Dez. 
21.  Jan. 

19.  Febr. 

20.  März 
18.  April 
18.  Mai 
16.  Jan. 
16.  Jul. 
14.  Aug. 
13.  Sept 

12.  Okt 

11.  Nov. 
10.  Dez. 

9.  Jan. 
7.  Febr. 
9.  März 
7.  April 
7.  Mai 

6.  Jun. 

5.  Jul. 

4.  Aug. 


1.  Mun. 
1.  Tharg. 
1.  Skir. 
Themistokles 

1.  Met 
1.  Boed. 

1.  Pyan. 
1.  Maim. 
1.  Pos. 
346  1.  Garn. 
1.  Anth. 
1.  Elaph. 

1.  Mun. 
1.  Tharg. 
1.  Skir. 

Archiajs 

.  Met. 
.  Boed. 
.  Pyan. 

.  Maim. 

.  Pos.  I 
846bl.P.U 

.  Garn. 

.  Anth. 

.  Elaph. 

.  Mun. 

.  Thaig. 

.  Skir. 
Eubulos 

.  Met. 

.  Boed. 

.  Pyan. 

.  Maim. 

.  Pos. 
344  1.  Garn. 

.  Anth. 

.  Elaph. 

.  Mun. 

.  Tharg. 

.  Skir. 
Ljkiskos 
1.  Met 


108.  2  Demostfae- 
nes  Buleut 

Philokrates  zwei- 
ter Antrag 


Friede  in  Athen 
beschworen 


Rückkehr  der  at- 
tischen Gesandten 

108.3  B.Eallisthe- 
nesDecret  27.  Skir. 


Dem.  de  pace 

Philipp  feiert  die 
Pythien 


108.  4 


109.  1  B 


2. 

Sept 

2. 

Okt. 

30. 

Okt 

29. 

Nov. 

28. 

Dez. 

27. 

Jan. 

25. 

Febr. 

27. 

März 

25. 

April 

25. 

M|U 

24. 

Jun. 

24. 

Jul. 

23. 

Aug. 

21. 

Sept. 

21. 

Okt 

19. 

Nov. 

19. 

Dez. 

17. 

Jan. 

16. 

Febr. 

17. 

März 

16. 

April 

15. 

Mai 

14. 

Juni 

13. 

Jul. 

12. 

Aug. 

10. 

Sept. 

10. 

Okt 

8. 

Nov. 

8. 

Dez. 

7. 

Jan. 

5. 

Febr. 

6. 

März 

4. 

April 

4. 

Mai 

2. 

Jun. 

2. 

Jul. 

31. 

Jul. 

30. 

Aug. 

28. 

Sept. 

28. 

Okt 

26. 

Nov. 

1.  Boed. 
1.  Pyan. 
1.  Maim. 
1.  Pos.  I 
3431.  Pos.  n 
1.  Gam. 
1.  Anth. 
1.  Elaph. 
1.  Mun. 

1.  Tharg. 

1.  Skir. 
Pythodotos 

1.  Met 

1.  Boed. 

1.  Pyan. 

1.  Maim. 

1.  Pos. 

342  1.  Gam. 

1.  Anth. 
1.  Elaph. 
1.  Mun. 
1.  Tharg. 
1.  Skir. 
Sosigenes 

1.  Met 

1.  Boed. 
1.  Pyan. 
1.  Maim. 
1.  Pos. 
1.  Gam. 
341  b.1.  Anth. 
1.  Elaph. 

1.  Mun. 

1.  Tharg. 

1.  Skir. 
Nikomachos 

1.  Met 
1.  Boed. 
1.  Pvan. 
1.  Maim. 

1.  Pos.  I 


Demosthenes  als 
Pylagore  in  Delphi 


109.  2 


Dem.  de  fals.  1^. 


1 


Orat  de  Halon- 
neso 


109.  3  Pentaeteris 
des  Lykurgos 

Philipp  gen  Thra- 
kien 

Pythien 

}  Dem.  Philipp.  HI 


Bündnis  des  Kal- 
lias 

1   Dem.    de   Cher- 
J   soneso 

109.  4  B.  Demo- 
sthenes in  Byzanz 

Phokion  in  Euboia 

Philipp  geg.Byzanz 

Antiphons  Hin- 
richtung 


256 


Chronologische  Übersicht 


26.  Dez. 

24.  Jan. 

28.  Febr. 

25.  Mftrz 

28.  April 
28.  Mai 

21.  Jun. 

21.  Jul. 

19.  Aug. 

18.  Sept. 
17.  Okt. 

16.  Nov. 

15.  Dez. 
14.  Jan. 
12.  Febr. 
14.  März 

12.  April 

12.  Mai 
10.  Jun. 

10.  Jul. 

9.  Aug. 

7,  Sept. 

7.  Okt. 

6.  Nov. 
5.  Dez. 

8.  Jan. 
2.  Feb. 
8.  März 


340  I.Pos.  II 
.  Garn. 

.  Anth. 

.  Elaph. 

.  Mun. 
.  Tharg. 

.  Skir. 

Theophrastos 

.  Met. 

.  Boed. 
.  Pyan. 

.  Maim. 

.  Pos. 
339  1.  Garn. 
.  Anth. 
.  Elaph. 

.  Mun. 

.  Tharg. 
.  Skir. 

Lysimachides 

.  Met. 

.  Boed. 
.  Pyan. 

.  Maim. 

.  Pos. 

338  1.  Garn. 

.  Anth. 

.  Elaph. 


Python  in  Athen 

Anaxinos 

Philipps  große 
Kapereien 

DemosthenesRranz 
durch  Aristonikos 


I 


Kallias  gen  Pa- 
gasai 

Philipp  genPerinth 
und  Chersones 

110.  1 

IPhokion  in  Me- 
gara 

Athens  Kriegserkl. 
gegen  Philipp 

Chares  gen   By- 
zanz 


Phokion  gen  By- 
zanz 

Pylaia  in  Delphi. 
Zug  gen  Amphissa 

Ende  der  Belage- 
rung von  Byzanz 

110.    2   Außeror- 
dentliche Pylaia 

1  SkythischerFeld- 
j  zug 

Das   Zeichen 


m 


den  Mysterien 

Die  Pylaia  in  den 
Thermopylen 

Philipp  in  Elateia; 
Athen  u.Theb.  verb. 

Philipp  erobert  u. 
zerstört  Amphissa 

Die  Schlacht  am 
Flusse 

Die  winterliche 
Schlacht 


2. 

1. 
81. 
29. 

29. 

27. 


April 
Mai 
Mai 
Juni 

Jul. 

Aug. 


26.  Sept. 


26. 

25. 

24. 
22. 
21. 
21. 
20. 
19. 

18. 
17. 

16. 
15. 
14. 
13. 
12. 
11. 
9. 
11. 

9. 
9. 

7. 

7. 
5. 

4. 
3. 


Okt. 

Nov. 

Dez. 

Jan. 

Febr. 

März 

April 

Mai 

Jun. 
Jul. 

Aug. 

Sept 

Okt. 

Nov. 

Dez. 

Jan. 

Febr. 

März 

April 

Mai 

Jun. 

JuU 
Aug. 

Sept. 
Okt 


2.  Nov. 


.  Mun. 
.  Tharg. 
.  Skir. 
Chairondas 

Met. 

.  Boed. 

.  Pyan. 

.  Maim. 

.  Pos.  I 

837b  iP.n 
.  Gam. 
.  Anth. 
.  Elaph. 
.  Mun. 
.  Tharg. 

.  Skir. 
Phrynichos 

.  Met 
.  Boed. 
.  Pyan. 
.  Maim. 
.  Pos. 
336  1.  Gam. 
.  Anth. 
.  Elaph. 

.  Mun. 
.  Tharg. 
.  Skir. 

Pythodemos 
.  Met. 

.  Boed. 
.  Pyan. 

1.  Maim. 


110.  3  B.  Pent&e- 
teris  des  Habron 

Schlacht  von  Chai- 
roneia  (7.  Meta^.) 

Eiliger  Mauerbau. 
Demosth.  tnrdiyrjg 

Frieden    zwischen 
Athen  und  Philipp 

I  Demosthenes  hält 
)  den  Epitaphios 


Demosthenes   Ge- 
setz zumMauerbau 

110.  4  Demo- 
sthenes reixonovog 


?  Demosthenes 
Theorikenvorsteh. 


P  Ktesiphons  An- 
trag 

111.  1 

?  Aischines  Klage 
gegen  Ktesiphon 

Philipps  Ermor- 
dung 


b.  Die  ürkanden  in  Demosthenes  Bede  rom  Kranz  betreffend. 

(Au8  Bergk  and  Caesars  Zeitschrift  für  die  Altertamswissenschaft  III  1845 

Sp.  13  ff.) 

[13]  Von  mehreren  Seiten  her  bin  ich  aufgefordert  worden,  mich 
über  Hm.  Böhneckes  Rechtfert^ang  und  Benutzung  jener  Urkunden, 
deren  Unechtheit  ich  nachzuweisen  versucht  habe,  zu  äußern.  Die 
„Forschungen  auf  dem  Gebiet  der  attischen  Eedner"  sind  die  Frucht 
vieljahriger,  mit  seltener  Beharrlichkeit  durchgeführter  Studien;  ein 
überaus  reiches  Material  ist  zusammengebracht,  mit  Umsicht  benutzt 
und  mit  Gewandtheit  zu  neuen  Ergebnissen  combiniert;  und  wenn  die 
Resultate  auch  keines weges  immer  so  überzeugend  sind,  wie  der  Hr. 
Verf.  glaubt,  so  wird  man  seiner  Untersuchung  doch  auch  da  mit 
Interesse  folgen,  wo  sie  zu  dreist  oder  in  falscher  Richtung  Torzugehen 
scheint. 

In  der  zweiten  Abteilung  dieser  Forschungen,  der  (rwayonyr}  tprj- 
(fiafiärayv,  stellt  Hr.  B.  die  Geschichte  der  Jahre  von  Ol.  108  2  bis 
Ol.  112  2  in  der  Art  dar,  daß  er  die  Urkunden,  deren  sich  besonders 
in  den  Rednern  eine  nicht  geringe  Zahl  angedeutet  oder  vollständig 
mitgeteilt  findet,  in  chronologischer  Folge  und,  so  weit  es  möglich 
schien,  die  nur  angedeuteten  ergänzend  aufführt  und  das  zwischen 
durch  Geschehene  erläuternd  berichtet.  Eben  da  tritt  nun  die  Frage 
über  die  Urkunden  in  der  Rede  vom  Kranz  mit  besonderem  Gewicht 
hervor;  von  der  Beantwortung  derselben,  darf  man  behaupten,  hängt 
zum  großen  Teil  die  Geschichte  der  Philippischen  Zeit  ab.  Hr.  B.  ist 
nicht  bloß  von  der  Echtheit  jener  Urkunden,  sondern  auch  von  der 
Richtigkeit  der  von  ihm  aufgestellten  Chronologie  der  pseudeponymen 
Archonten  in  dem  Maße  überzeugt,  daß  er  sagt:  „er  dürfe  das  Be- 
kenntnis ablegen,  daß  keiner  derselben  von  ihm  einem  unrichtigen 
Jahre  zugewiesen  sei,  und  daß  er  niemals  diese  seine  Über- 
zeugung aufgeben  werde"  (S.  XIX).  Ich  darf  meinerseits  bekennen, 
daß  ich  es  dankbar  und  bereitwillig  annehmen  würde,  wenn  durch  die 
völlige  Beseitigung  der  gegen  die  Urkunden  erhobenen  Bedenken  für 
die  Geschichte  jener  Zeit  ein  so  reiches  Material,  wie  sie  enthalten, 
endlich  nutzbar  gemacht  werden  könnte.  Prüfen  wir,  was  in  dieser 
Beziehung  die  Forschungen  gewähren. 

Hr.  B.  geht  von  dem  Glauben  an  die  Echtheit  jener  Urkunden 
aus:  „noch  bemerke  ich'^,  sagt  er,  „daß  ich  jedes  aus  dem  Altertum 
überlieferte  Aktenstück  so  lange  für  echt  halte,  bis  das  Gegenteil 
vollständig  erwiesen  ist  oder  unabweisbare  Gründe  zur  Verdächtigung 

Droyson,  Kl.  Schriften  I.  17 


258  Demosthenes 

vorhanden  sind"  (S.  XYIII).  Allerdings  sind  diese  Aktenstücke  aus 
dem  Altertum  überliefert,  aber  doch  nicht  in  einer  Art,  die  jedes  [1 4] 
Bedenken  ohne  weiteres  niederschlägt.  Hr.  B.  hätte  sich  wohl  auf 
folgende  Vorfrage  einlassen  müssen.  Die  Bede  vom  Kranz  ist  nicht 
die  einzige,  in  der  sich  Urkunden  erhalten  haben.  Kamen  die  Urkunden 
in  diese  wie  in  jene  Bede  auf  dieselbe  Weise?  oder  um  gleich  der 
Frage  eine  entschiedenere  Wendung  zu  geben:  haben  die  Bedner  selbst 
in  den  Beden,  die  sie  veröflFentlichten,  die  Urkunden  mit  ediert  oder 
nicht? 

Entweder  sie  thaten  es;  dann  hat  Demosthenes  auch  in  der  Bede 
vom  Kranz,  da  er  sie  edierte,  die  Urkunden  selbst  mitgeteilt.  Aber 
wir  haben  anerkannter  Weise  in  den  vorliegenden  Aktenstücken  nicht 
diejenigen,  welche  Demosthenes  selbst  eingelegt  hat,  da  mehrmal  die 
Urkunden  nicht  zu  dem  paßen,  was  sie  beurkunden  sollen  u.  s.  w.  Es 
müssen  demnach  die  in  der  ursprünglichen  Publikation  der  Bede  mit- 
geteilten Aktenstücke  sich  bei  wiederholtem  Abschreiben,  bei  Zurück- 
treten des  sachlichen  gegen  das  rhetorische  Interesse  aus  den  gewöhn- 
lichen Ausgaben  verloren  haben.  Die  uns  vorliegenden  Aktenstücke 
sind  erst  später  und  ohne  Zuziehung  vollständiger  Exemplare  der  Bede, 
wie  sie  etwa  in  Alexandrien  u.  s.  w.  zu  finden  sein  mochten,  beigefügt 
worden:  von  wem,  wann,  wie,  das  sind  weitere  Fragen. 

Oder  gaben  die  Bedner  ihre  Beden  ohne  die  Aktenstücke  heraus? 
dann  allerdings  konnten  die  vorliegenden  Urkunden  nur  durch  gelehrte 
Forschung  aufgefunden  werden,  dann  allerdings  konnten  Irrtümer 
mancher  Art  einschleichen.  Aber  man  wird  vor  allem  nachzuweisen 
haben,  wie  die  Aktenstücke  nicht  bloß  in  die  Bede  vom  Kranz,  sondern 
auch  in  die  nicht  wenigen  anderen,  die  deren  noch  haben,  eingelegt 
werden  konnten.  Verträge  und  Zeugenaussagen  in  ganz  privaten  An- 
gelegenheiten, Aktenstücke  für  Prozesse,  die  vor  ihrer  Beendigung  auf- 
gegeben worden,  die  aufzubewahren  das  Öffentliche  keine  Pflicht,  ja 
nicht  einmal  Gelegenheit  hatte,  können  in  der  That  nicht  in  den 
öffentlichen  Archiven  von  späteren  Gelehrten  aufgefunden  und  für  die 
Ergänzung  der  betreffenden  Beden  copiert  sein ;  Zeugnisse,  daß  etwa  A 
der  Vetter  von  B  und  der  Neffe  von  C  ist,  kann  man  weder  im  Archiv 
aufbewahrt  haben,  noch  war  später  irgend  ein  Interesse  vorhanden 
etwa  für  die  Bede  gegen  Makartatos  die  langweiligen  Zeugenaussagen 
aufzusuchen  und  nachzutragen. 

Oder  haben  die  Bedner  die  Urkunden  bald  eingelegt,  bald  fort- 
gelassen? Das  wäre  gar  wohl  denkbar;  aber  dann  fügten  sie  die- 
selben in  den  Fällen  gewiß  bei,  wenn  sie  ihre  Beden  zu  edieren  zu- 
gleich ein  publicistisches  Interesse  hatten.     Und  die  Bede  vom  Kranz 


Zu  den  Urkunden  der  Rranzrede  259 

war  bestimmt,  die  ganze  öffentliche  Stellung  des  Aischines  zu  ver- 
nichten, in  den  Augen  des  ganzen  Griechentums  ihn  zu  brandmarken; 
hier  galt  es  die  überzeugendsten  Beweise  vorzulegen;  hier  vor  allem 
mußten  die  beweisenden  Dokumente  mit  in  die  Hände  des  lesenden 
Publikums  kommen. 

Nicht  unwichtig  erscheint  folgender  Umstand«  Die  stichometrischen 
Angaben,  welche  im  Cod.  2  hinter  den  einzelnen  Reden  vorkommen, 
zeigen  mit  hinreichender  Evidenz,  daß  sich  in  derjenigen  Handschrift, 
auf  welche  sie  sich  bezogen,  die  Urkunden  [15]  nicht  vorfanden.  Die 
drei  olynthischen  Beden  können,  da  sie  keine  Urkunden  enthalten,  am 
füglichsten  einen  Maßstab  gewähren;  zur  reichlicheren  Vergleichung 
füge  ich  noch  die  Zählung  von  ein  paar  anderen  Beden  hinzu;  ich 
stelle  im  folgenden  die  Zeilenzahl  der  größeren  Züricher  Ausgabe  der 
alten  Stichometrie  gegenüber;  in  der  dritten  Zahlenreihe  steht  das 
Resultat,  wie  viel  Zeilen  der  Stichometrie  auf  100  Zeilen  der  Züricher 
Ausgabe  kommen,  wobei  die  Bruchzahlen  nicht  ganz  scharf  ge- 
nommen sind. 


cod.  2. 

ed.  Turic. 

auf  100 

Olynth.  L      265 

243 

109 

„        IL     290 

269 

107»/, 

,,        III.   325 

309 

105V3 

de  Chers.       590 

560 

105V3 

Philipp,  m.  580 

530 

109  Vi, 

defals.  leg.  3280 

3068 

106«/e 

in  Macart.      670 

614 

109 

(Urkunden  233) 
de  coron.      2758  2592  lOßV^ 

(Urkunden  445) 

Das  Ergebnis  ist  deutlich;  nur  wenn  man  in  den  beiden  letzten  Beden 
die  Urkunden  nicht  mitrechnet,  kommt  man  zu  einem  Ergebnis,  das 
mit  den  übrigen  Beden  stimmt;  wollte  man  die  Urkunden  mitzählen, 
so  würde  man  folgendes  erhalten 

in  Macart.      670  847  79Vio 

de  coron.      2758  3037  OO^/g 

Ist  das  Besultat  auch  nicht  ganz  so  augenfällig  bei  den  übrigen  Beden 
mit  Urkunden,  so  ist  doch  hinreichend  deutlich,  daß  die  Handschrift, 
auf  welche  sich  die  stichometrischen  Angaben  bezogen,  keine  Urkunden 
enthielt  Was  folgt  daraus?  Es  ist  keine  Frage,  daß  jene  Sticho- 
metrieen  auf  eine  sehr  alte  Tradition  zurückgehen  (s.  Sauppe  epist. 
crit.  S.  49).    Man  hat  nur  die  Wahl,  entweder  alle  Aktenstücke,  die 

17* 


260  Demoethenes 

im  Demosthenes  noch  vorkommen,  für  untergeschoben  zu  halten,  oder 
anzunehmen,  daß  nicht  alle  Handschriften  der  Beden,  namentlich  die 
Originale  nicht,  die  Urkunden  in  der  Art,  wie  jene  uns  stichometrisch 
bezeichneten,  entbehrten.  Noch  halte  ich  das  letzte  für  wahrschein- 
licher; denn  allerdings  empfiehlt  sich  die  Annahme  einer  ursprüng- 
lichen Mitherausgabe  der  Aktenstücke  doch  gar  sehr,  und  sodann 
scheinen  die  Urkunden  in  den  übrigen  Beden  keine  Gründe  zum  Ver- 
dacht darzubieten,  deren  in  der  Bede  vom  Kranz  so  viele  sind.  Frei- 
lich mit  Zuversicht  ihre  Echtheit  auszusprechen  vermag  ich  nicht;  es 
würde  dazu  einer  sorgfältigeren  Untersuchung  bedürfen,  als  ich  jetzt 
zu  beginnen  Muße  habe.  Auch  bedarf  die  Frage,  die  mir  eben  vor- 
liegt, nicht  notwendig  eine  Entscheidung  über  jenen  Zweifel. 

Nach  dem  obigen  darf  man  vermuten,  daß  die  Handschrift,  auf 
welche  sich  jene  stichometrischen  Angaben  beziehen,  mit  ausgelassenen 
Urkunden  etwa  eine  Handausg.,  vielleicht  die  attikianische  gewesen 
ist,  daß  in  älteren,  etwa  der  äQxcciu^  die  Urkunden  gestanden  haben 
werden,  aber  in  den  Abschriften  zum  Schulgebrauch  u.  s.  w.  ausgelassen 
wurden,  daß  sich  in  der  Tradition  unserer  Handschriften  wie  auch 
immer  für  einige  Beden  die  alten  Urkunden  [16]  eingeschlichen  oder 
erhalten  haben  (wenn  anders  die  außer  der  Bede  vom  Kranz  echt  sind). 

So  also  steht  es  mit  der  äußeren  Beglaubigung  der  Echtheit 
unserer  Urkunden.  Wir  würden  mit  ihnen  die  Urkunden  in  allen 
anderen  Beden  verwerfen,  wie  es  die  Züricher  Editoren  gethan  haben, 
wenn  wir  in  denselben  solche  sachlichen  Anstände  fanden,  wie  deren 
die  in  der  Bede  vom  Kranz  so  zahlreiche  haben;  was  sie  schützt,  ist 
nicht  ihre  äußere  Beglaubigung,  sondern  ihre  innere  Wahrscheinlichkeit 
und  Tadellosigkeit;  um  derenwillen  darf  man  das  Bedenkliche  und 
Zweideutige,  was  ihrem  Vorhandensein  anhaftet,  irgend  wie  zu  erklären 
versuchen.  Wenn  den  Urkunden  in  der  Bede  vom  Kranz  diese 
Empfehlungen  abgehen,  so  kann  ihr  Vorhandensein  am  wenigsten 
beweisen,  daß  sie  alt  und  echt  sind. 

Könnte  man  doch  Näheres  über  jene  Handschrift  erkunden,  auf 
welche  sich  die  Stichometrie  bezieht.  Hr.  Sauppe  scheint  nicht  abge- 
neigt, diese  Zeilenzählung  bis  nach  Alexandrien  hin,  bis  in  die  n/vaxe^ 
des  Kallimachos  oder  Hermippos  zurück  zu  verlegen.  Mir  ist  es  wohl 
aufgefallen,  daß  die  Zeilen  dieser  alten  Handschrift  bis  auf  einige 
vierzig  Buchstaben  enthalten  haben  müssen,  also  bis  auf  das  Doppelte 
mehr  als  durchgehend  die  herculanensischen  Papyre  und  als  nament- 
lich auch  jenes  von  Letronne  edierte  Fragment,  das  vor  der  Mitte  des 
zweiten  vorchristlichen  Jahrhunderts  geschrieben  ist.  Und  doch  wieder 
wegen  der  längeren  Zeilen,  wie  sie  mit  dem  Pergament  übüch  werden 


Zu  den  Urkunden  der  Kranzrede  261 

mochten,  an  pergamenischen  Ursprung  jener  Stichometrie  zu  denken, 
scheint  um  so  weniger  rätlich,  da  unter  den  von  Bitschl  gesammelten 
Beispielen  die  wenigen,  die  wir  noch  controllieren  können,  gleichfalls 
längere  Zeilen  als  die  der  angeführten  Papyre  zu  haben  scheinen.  Ich 
würde  dies  nicht  erwähnen,  wenn  nicht  Dionjs  die  Angabe  hatte  von 
den  TtivTs  ))  l|  fAVQiciSe<i  (tt/xohv  des  Demosthenes.  Nach  einem  Über- 
schlag, der  sich  auf  die  stichometrischen  Angaben  der  zehn  ersten 
Beden  stützt,  muß  die  Handschrift,  welche  uns  so  repräsentiert  ist, 
natürlich  mit  Weglassung  aller  Urkunden,  34000  Zeilen  etwa  gehabt 
haben.  Sollte  am  Ende  doch  Dionysios  eine  Handschrift  mit  kürzeren 
Zeilen  gehabt  haben?  Könnte  diese  Frage  mit  einiger  Sicherheit  ent- 
schieden werden,  so  würden  sich  daraus  sehr  merkwürdige  Consequenzen 
ergeben. 

[17]  Nun  zurück  zu  Hrn.  Böhnecke;  er  handelt  nur  von  den 
Urkunden  in  der  Rede  vom  Kranz.  Er  sagt  S.  350:  diese  Akten  seien 
nicht  von  Demosthenes  selbst  ausgegangen  [acta  .  . .  non  ab  ipso  Den 
mosthene  profecta  ist  sein  Ausdruck),  sondern  aetate  non  admodwn  seriore 
ex  ipsis  tabularii  Attici  autographis  petita  et  orationi  addiia  sunt  a  viro 
quodam  doeto.  In  den  Addendis  wird  jene  aetas  näher  dahin  bestimmt, 
daß  vielleicht  der  bekannte  Apellikon  in  der  Zeit  des  ersten  mithra- 
datischen  Krieges  die  Urkunden  eingelegt  habe,  vielleicht  aber  auch 
sonst  ein  beliebiger  semidoctus,  der  dessen  Bibliothek,  in  welche  auch 
die  Autographa  des  attischen  Archivs  gekommen  waren,  benutzen  konnte. 
Ausdrücklich  ist  nicht  das  die  Meinung,  als  wäre  etwa  in  jenem  Archiv 
ein  Convolut  Akten,  den  Prozeß  wegen  des  Kranzes  betreflFend,  vor- 
handen gewesen  und  von  dem  vir  doctus  benutzt  worden:  sondern  aus 
den  mannigfaltigen  Fächern  des  Archivs  und  nur  daher  soll  derselbe 
die  Urkunden  zusammengesucht  haben,  die  uns  noch  vorliegen  (die  in 
den  Addendis  geäußerte  Vermutung,  die  auf  ein  wesentlich  anderes 
Verhältnis  führt,  übergehen  wir  im  weiteren).  So  Hm.  B's.  Ansicht 
Aber  konnten  sich  alle  diese  Aktenstücke  in  dem  attischen  Archiv 
vorfinden?  Da  lesen  wir  unter  den  fünf  Briefen  Philipps  zwei,  die 
nicht  an  Athen  gerichtet  sind  {§  157  und  167);  es  ist  wahr,  sie  können 
abschriftlich  dort  vorhanden  gewesen  sein;  aber  weder  ist  das  sonst 
erwiesen,  daß  gerade  in  dem  attischen  Archiv  eine  Rubrik  für  der- 
artige Copieen  fremder  diplomatischer  Noten  vorhanden  gewesen,  noch 
kann  man  recht  absehen,  warum  man  ein  diplomatisch  so  völlig  inter- 
esseloses Schreiben,  wie  das  an  die  Peloponnesier  §  157  ist,  abschrift- 
lich im  Archiv  sollte  aufbewahrt  haben.  Von  den  Beschlüssen  der 
Byzantier  und  Chersonesiten  werden  freilich  officielle  Abschriften  nach 
Athen  geschickt  sein  (s.  Franz.  Elem.  S.  316).     Aber  wie  die  beiden 


262  Demosthenes 

Zeugnisse  §  135  und  §  137  in  dem  Archiv  zu  finden  gewesen  sein 
sollten,  ist  schwer  zu  begreifen.  Hr.  B.  meint  S.  335,  sie  seien  im 
Sommer  330  kurz  vor  der  Prozeßverhandlung  von  Demosthenes  besorgt 
worden;  sie  betreflfen  Sachen,  die  auf  den  juristischen  Inhalt  des  Pro- 
zesses ohne  alle  Beziehung  sind,  also  in  keiner  Weise  bei  der  üvaxQKnq 
vorkommen  konnten;  sie  dienen  nur  dazu,  die  Person  des  Gegners  in 
ein  möglichst  schimpfliches  Licht  [18]  zu  setzen;  wie  sollen  sie  in  dem 
Staatsarchiv  eine  Stelle  gefunden  haben? 

Warum  überhaupt  diese  ganze  Annahme  eines  im  Staatsarchiv 
arbeitenden  vir  doctus?  Weil  die  Urkunden  nicht  immer  auf  das 
passen,  was  sie  bezeugen  sollen  und  weil  ihrer  mehrere  Archonten 
nennen,  die  es  nie  gewesen  sind.  Das  zu  erklären,  muß  eine  eigen- 
tümliche Ordnung  oder  Unordnung  in  dem  Staatsarchiv  vorausgesetzt 
werden;  diese  dann  nach  Maßgabe  der  vorliegenden  Verkehrtheiten 
hypothetisch  zurecht  gelegt,  wird  sicher  die  Übelstande  alle  erklären, 
welche  die  Motive  zu  jener  Hypothese  hergegeben  haben. 

Zu  dem  Ende  geht  Hr.  B.  von  der  Ansicht  aus,  daß  die  pseplm- 
mata  avröyQCCfpu  rogaiorwm  manu  scripta  ,  ,  .  .  in  tabtUario  Attioo  repo- 
nebantur,  und  daß  diese  avröyQcctpa  non  eadem  forma  olvm  extabant, 
qtta  nohis  in  oraiione  de  Corona  offeruntur  (S.  355).  Hier  ist  zunächst 
die  Erklärung  des  Wortes  aifröyQatpa  sehr  bedenklich;  nicht  als  hätte 
das  Wort  nicht  diese  Bedeutung,  aber  man  kommt  in  Verlegenheit., 
wenn  man  sie  annimmt.  Etesiphons  Antrag  zur  Kränzung  des  De- 
mosthenes, wie  er  §  118  gelesen  wird,  ist  entschieden  der  nicht,  welchen 
Aischines  angreift,  entschieden  der  nicht,  welchen  Ktesiphon  nieder- 
geschrieben hat;  in  dem  vorhandenen  Aktenstück  sind  mehrere  Worte 
und  Wendungen,  welche  Ktesiphons  Antrag  hatte,  ausgelassen.  Hr.  B. 
sucht  S.  583  nachzuweisen,  daß  diese  Auslassungen  durch  die  ver- 
änderten Zeitverhältnisse  motiviert  seien,  daß  der  ursprüngliche  Antrag, 
verfaßt  im  November  337,  entweder  kurz  vor  dem  Prozeß  (Sommer 
330)  von  Ktesiphon  selbst  oder  nach  demselben  ex  ivdimm  sententia 
verändert  und  so  in  das  Archiv  deponiert  sei.  Wäre  das  erste  der 
Fall,  hätte  sich  Ktesiphon  veranlaßt  gesehen,  einige  Lobeserhebungen 
für  Demosthenes  in  dem  Ehrendecret  zu  streichen,  wie  würde  das 
Aischines  in  seiner  Rede  hervorheben:  Ktesiphon  wage  ja  nicht  mehr 
ävS(}ayccd'iag  'ivsxa  den  Demosthenes  zu  loben,  da  er  sich  so  und  so 
oft  feig  benommen,  Ktesiphon  müsse  sogar  jenes  xal  sivoiag  ijg  'ix(ov 
SiUTtkBi  elii  Tovg  ''£Xh]vag  ÖTtavTag  weglassen  u.  s.  w.  Selbst  wenn 
anzunehmen  wäre,  daß  Ktesiphon  seinen  Antrag  noch  habe  ändern 
können,  nachdem  der  Rat  ihn  durch  ein  Tiooßovksvfia  zu  dem  seinigen 
gemacht,   dennoch  würde  man  für  den  vorliegenden  Fall  entschieden 


Zu  den  Urkunden  der  Kranzrede  263 

leugnen  müssen ,  daß  es  geschehen  sei,  da  Aischines  davon  schweigt 
Also  müssen  jene  Veränderungen  ex  ivMoum  senimtia  gemacht  sein; 
wie,  nachdem  Demosthenes  [19]  gesiegt?  kraft  welches  Eechtsgrundes? 
zu  welchem  Zweck?  ohne  Widerstreben  des  Demosthenes,  dem  diese 
Minderung  seiner  Anerkenntnis  schimpflicher  gewesen  wäre  als  die 
gänzliche  Weigerung?  Aber  es  sei,  das  Decret  sei  ex  ivdicum  serUentia 
verändert  worden,  wie  steht  es  dann  mit  der  Lehre  von  den  autograr 
phischen  Urkunden? 

Hr.  B.  bemerkt  weiter:  in  diesen  Anträgen,  wie  sie  von  der  Hand 
der  Antragsteller  niedergeschrieben  ins  Archiv  niedergelegt  worden, 
seien  von  den  Antragstellern  selbst  keinesweges  die  Datierungen  bei- 
gefugt worden,  sondern  erst  nach  der  Annahme  des  Antrages  sollen 
diese  in  singulari  tabella  vel  schedula  cuique  addita  aufgemerkt  worden 
sein  (S.  357).  Eben  da  wird  gesagt,  nicht  der  Name  des  Archonten 
sei  mit  in  den  Datierungen  aufgezeichnet  gewesen,  cum  acta  publica 
per  archontes  disposita  et  cmusvis  anni  coüeotioni  exterius  eponymus 
adscriptus  fuisse  videaiur.  Mit  einem  videtur  einen  wesentlichen  Punkt 
begründen,  ist  wenigstens  bedenklich. 

Wir  wollen  zugeben,  daß  Anträge  beim  Rat  wie  beim  Volke  ihre 
Datierung  erst  erhielten,  wenn  sie  in  das  Archiv  gelegt  wurden  und 
zwar  auf  einem  besonderen  Zettel,  und  zwar  ohne  Beifügung  des  Archen. 
Wie  aber  nun  mit  den  Zeugnissen,  deren  wenigstens  das  §  137  unter 
einem  pseudeponymen  Archonten  abgegeben  ist?  denn  es  ist  nicht 
bestimmt  in  das  Archiv  gelegt  zu  werden,  sondern  Demosthenes  hat 
es  sich  für  einen  bestimmten  Passus  in  seiner  Prozeßrede  beschaflft. 
Wenn  es  in  der  noch  vorliegenden  Abschrift  gar  keine  Datierung  hätte, 
so  wurde  man  nicht  dawider  sagen  können,  es  wäre  diese  eben,  wie 
bei  so  vielen  Zeugenaussagen  in  den  Rednern  nicht  mit  abgeschrieben ; 
aber  das  Zeugnis  selbst,  das  Demosthenes  für  den  Prozeß  urkundlich 
beibrachte  und  vorlesen  ließ,  muß,  wenn  es  eine  Datierung  hatte,  eine 
vollständige  gehabt  haben,  da  es  ja  nicht  in  jene  mit  dem  Namen  des 
Archen  überschriebenen  Schränke  niedergelegt  zu  werden  bestimmt 
war,  sondern  zu  Demosthenes  Privatpapieren  gehörte.  Noch  weiteres 
Bedenken  veranlassen  die  nicht  attischen  Beschlüsse  in  dieser  Rede. 
Man  wird  doch  nicht  annehmen  dürfen,  daß  die  Amphiktyonen,  daß 
Byzanz  ein  besser  geordnetes  Archivwesen  gehabt  habe  als  Athen; 
wenn  sich  in  deren  Beschlüssen  nun  ordnungsmäßig  der  Eponymos 
genannt  findet,  —  nun  so  wird  man  in  Delphi  und  Byzanz  dafür 
gesorgt  haben,  daß  in  den  für  Athen  bestimmten  Abschriften  der  Be- 
schlüsse der  Namen  des  Eponymos  über  dem  Jahresschrank  gehörig 
beachtet  und  richtig  verzeichnet  wurde!    So  fand  der  vir  doctus  diese 


264  Demo6thene9 

genauen  ävriyQUffal  im  Archiv.  Seltsam,  daß  er  in  der  eben  so  amt- 
lichen Abschrift  des  Decretes  der  Chersonesiten  den  Eponymos  nicht 
Yorgefanden  oder  mit  abgeschrieben  hat!  —  Also  Decrete  bekamen 
erst,  wenn  sie  ins  Archiv  niedergelegt  wurden,  ihre  Datierung.  Mit 
den  Zeugenaussagen  war  es  schon  bedenklich.  Wie  mag  es  mit  Klage- 
schriften gewesen  sein?  Die  Beispiele,  welche  wir  sonst  kennen,  sind 
ohne  Datierung;  wenn  eine  dergleichen,  wie  natürlich,  bei  jeder  Klage 
sein  mußte,  konnte  man  die  Hauptsache  der  Datierung,  [20]  die  Be- 
zeichnung des  Jahres  (durch  den  Archen)  auslassen?  oder  soll  man 
meinen,  das  Amt,  welches  die  Klage  entgegennahm,  habe  erst  die 
Datierung  beigeschrieben,  aber  ohne  Namen  des  Archen,  der  gewiß  in 
Archiven  jedes  Amtes  wieder  über  den  Schranken  jedes  Jahres  gestanden 
haben  wird! 

Also  in  das  attische  Staatsarchiv  ging  der  vir  doctus,  um  die 
fehlenden  Urkunden  in  der  Bede  vom  Kranz  zu  ergänzen.  Ein 
Exemplar  der  Rede  mit  vollständigen  Urkunden  muß  ihm  nicht  mehr 
erreichbar  gewesen  sein;  er  hätt^.  sonst  weniger  Mühe  und  ein  gewisseres 
Resultat  gehabt.  Merkwürdig  nun,  wie  er  sich  in  dem  Archiv  benahm. 
Er  wußte  nichts  mehr  von  der  Einrichtung  desselben  mit  oben  über 
den  Schränken  verzeichneten  Archonten;  kein  Archivbeamter  könnt« 
oder  wollte  ihm  das  Richtige  sagen.  Er,  der  sich  die  sehr  gelehrte 
Mühe  nahm,  die  Urkunden  aus  dem  großen  Archiv  zu  ergänzen,  war 
nicht  gelehrt  genug,  die  Archonten  der  etwa  fünfzehn  Jahre,  um  die 
es  sich  handelte,  nach  ihren  Namen  zu  kennen;  er  konnte  gewisse 
Namen,  die  sich  den  Urkunden  beigefügt  vorfanden,  für  die  der 
Archonten  halten;  statt  gewissenhaft  die  Urkunden,  so  wie  er  sie  vor- 
fand, zu  Gopieren  und  einzuschalten,  erlaubte  er  sich  die  Datierung  in 
der  Weise,  daß  er  dem  mißverstandenen  Namen  sein  hnl  . .  .  äQxovro^^ 
beifügte. 

Diese  kühne  Hypothese  ist  nicht  neu;  aber  Hr.  B.  fügt  eine  weitere 
Vermutung  hinzu,  die  noch  nicht  versucht  worden.  Jene  Namen,  die 
der  vir  doctus  zu  Archonten  gestempelt,  hielten  die,  welche  an  die 
Echtheit  jener  Urkunden  glaubten,  mit  Böckh  für  Prytanienschreiber. 
Hr.  B.  giebt  dies  auf;  er  findet,  jene  mißverstandenen  Namen  müssen 
irgend  eine  jährige  Magistratur  bezeichnen;  er  erklärt  sich  für  die 
Strategen.  S.  362  sagt  er:  diese  hätten  in  Athen  eine  bedeutende 
Rolle  gespielt,  es  sei  nicht  unwahrscheinlich  [non  a  pröbabilitate  ab- 
harret) j  daß  einer  der  Strategen  (nicht  etwa  auf  dem  autographischen 
Psephisma,  sondern)  in  tabella  qua  tempora  n^yiabaniur  seinen  Namen 
beigeschrieben  habe,  zum  Zeugnis  rata  es»se  decreia  et  in  tabulario  repo- 
nenda,     Giebt  es  für  diese  phantasievolle  Combination  irgend  welche 


Zu  den  Urkunden  der  Kranzrede  265 

„guten  Gründe?"  In  einer  Anmerkung  spricht  Hr.  B.  über  das  kni 
XuiqAvSov  ^jyefiövog  &QxovToq  §  84;  unter  den  mehreren  Erklärungen, 
die  dies  zulasse,  findet  er  auch  die,  daß  der  vir  doäus  auf  der  Urkunde 
gefunden  haben  könne  XcciQdvSov  ffyefjLÖvog  in  genetivo  absoltUo  et 
ini  ÜQxovroq  de  suo  addidisse  u.  s.  w.  Hr.  B.  scheint  den  Leser  meinen 
lassen  zu  wollen,  daß  diese  Unterzeichnung  des  Hegemon  beweise,  wie 
treffend  die  Vermutung  über  den  Strategen  seL 

Ich  darf  nicht  unterlassen  zu  bemerken,  was  Hr.  B.  in  der  Vor- 
rede S.  XIX  schreibt:  „was  den  amtlichen  Charakter  jener  rätselhaften 
Archonten  betrifft  —  eine  Frage,  die  für  das  Historische  durchaus 
unwichtig  ist  — ,  so  lege  ich  auf  die  von  mir  aufgestellte  Vermutung, 
wiewohl  ich  sie  auch  jetzt  noch,  nachdem  die  Unhaltbarkeit  aller  bisher 
darüber  aufgestellten  Hypothesen  dargethan  ist,  für  die  wahrschein- 
lichste halte,  die  man  wagen  könne,  [21]  weniger  Gewicht".  Aber 
gerade  jene  Frage  ist  für  das  Historische  von  entscheidender  Wichtig- 
keit. Wenn  ich  die  Unechtheit  der  Urkunden  erwiesen  zu  haben 
glaubte,  so  durfte  ich  die  Frage  über  die  Entstehung  derselben,  die 
ich  nachträglich  und  ohne  Anspruch  auf  ein  entscheidendes  Besultat 
berührte,  mit  YoUem  Fug  als  unwesentlich  bezeichnen.  Aber  wer  der 
entgegengesetzten  Ansicht  ist,  der  hat  vor  allem  den  argen  Anstoß, 
den  diese  falschen  Archonten  bieten,  nicht  auf  willkürliche,  sondern 
überzeugende  Weise  zu  beseitigen  und  nachzuweisen,  wie  sie  einem 
begreiflichen  Irrtum  ihre  Entstehung  danken.  So  lange  dies  nicht 
geschieht,  sind  und  bleiben  die  Urkunden  verdächtig,  und  es  muß  ihre 
Echtheit  nachgewiesen  werden. 

Wäre  die  Echtheit  der  Urkunden  anderweitig  hinreichend  doku- 
mentiert und  über  allen  Zweifel,  so  würde  es  erlaubt  sein,  zur  Er- 
klärung jener  Pseudeponjmen,  die  ja  nur  ein  Irrtum,  ein  Mißverständnis 
sein  könnten,  eine  Hypothese  zu  bilden;  nur  die  mit  Strategen  müßten 
wir  eben  so  zurückweisen,  wie  die  mit  den  Prytanienschreibem.  Aber 
die  Urkunden  sind  ebenso  wenig  durch  äußere  Zeugnisse  gesichert,  wie 
durch  die  verkehrten  Archonten  allein  verdächtig;  sie  bieten  außer 
zahlreichen  anderen  Unerklärlichkeiten,  deren  durch  Hm.  Vömels 
umsichtige  Untersuchung  doch  nur  einige  wirklich  erledigt  sind,  nament- 
lich eine  Anzahl  politischer  und  historischer  Notizen,  die  mit  dem  uns 
sonst  Überlieferten  nichts  weniger  als  in  Übereinstimmung  sind.  Was 
kann  es  nützen  zu  sagen,  viele  Staatseinrichtungen  kennen  wir  zu 
wenig,  wenn  wir  sie  gerade  genug  kennen,  um  specielle  Fehler  der 
Urkunden  aufzudecken;  so,  um  ein  früher  von  mir  Übergangenes  nach- 
zuholen, wird  in  zwei  Urkunden  §  184  und  §  73  ein  attischer  Nauarch 
genannt;  eine  Bezeichnung,   die  für  Athen  sonst  völlig  unerhört  ist, 


266  Demosthenes 

während  gerade  in  Beziehung  auf  das  attische  Seewesen  ein  großer 
Reichtum  von  Angaben  vorhanden  ist  (Xenoph.  Hell.  I  6,  29.  7,  32 
bezieht  sich  nicht  auf  Athen).  Was  kann  es  nützen  die  Geschichte 
jener  Zeit  so  zu  recken  und  zu  strecken,  daß  endlich  diese  Urkunden 
hineinpassen,  und  dann  zu  sagen,  die  Geschichte  selbst  beweise  ihre 
Echtheit?  Das  ist  ein  Verfahren,  daß,  wer  unbestochen  urteilt,  sich 
nicht  verhehlen  kann  {ut  gut  integre  iudiccU,  non  sihi  celare  possit 
S.  329),  daß  es  unkritisch  ist 

Von  der  Menge  sonstiger  Verdachtsgründe  gegen  die  Urkunden 
nimmt  Hr.  B.  wenig  Notiz;  er  begnügt  sich,  denjenigen  in  möglichst 
starken  Ausdrücken  zu  perhorrescieren,  der  dieselben  zusammengestellt 
Ich  will  nicht  unbemerkt  lassen,  welches  Zugeständnis  bereits  ein 
eifriger  Verteidiger  der  Urkunden  gemacht  hat  Hr.  Vömel  ist  auf- 
richtig genug,  in  Beziehung  auf  das  lange  Beeret  des  Demosthenes 
§  181  zu  bekennen:  „ich  finde  den  breiten  Ton  desselben  nicht  Demo- 
sthenisch  und  hätte  nichts  dagegen,  wenn  man  dies  eine  und  letzte 
der  in  der  Rede  de  Corona  enthaltenen  Decrete  für  unecht  erklärte" 
(Frankfurter  Programm  1842  S.  9).  Ich  denke,  dies  eine  wird  die 
anderen  nachziehen.  [22]  Noch  von  einer  anderen  Seite  her  ist  für  die 
Unechtheit  ein  bedeutendes  neues  Moment  gewonnen;  Hr.  Ahrens  in 
seinen  meisterhaften  Untersuchungen  über  den  dorischen  Dialekt  weist 
nach,  wie  die  Decrete  der  Byzantier  und  Chersonesiten  nicht  den  sprach- 
lichen Charakter  tragen,  den  sie  müßten;  nos  hide,  sagt  er  S.  21,  cer-- 
tissima  fraudis  argumenta  petimus. 

Von  Hrn.  B's.  historischen  Aufstellungen  will  ich  ein  paar  bei- 
spielsweise besprechen.  Es  sind  die  beiden  Decrete,  welche  den  Archen 
Mnesiphilos  an  der  Stirn  tragen  (§29  und  §  37). 

Es  wird  anerkannt,  daß  beide  Decrete  nicht  diejenigen  sind,  welche 
der  Redner  meint  [non  ea  acta  afferuntvr,  qtuie  orator  inieUigit  S.  353). 
Es  muß  also,  da  ja  die  Urkunden  echt  sein  sollen,  der  vir  dootus  sie 
irriger  Weise  hier  eingeschaltet  haben.  Wohl,  er  sah  entweder  nicht, 
daß  er  verkehrte  Urkunden  hier  einlegte,  und  dann  war  er  einfaltiger 
oder  flüchtiger,  als  man  seinem  archivalischen  Eifer  und  Forechungs- 
geist  gern  zutrauen  wird,  oder  er  wußte  es,  daß  er  unrichtige  Urkunden 
beifügte,  und  dann  wird  man  an  seiner  Redlichkeit  irre.  Aber  es  soll 
das  eine  oder  andere  gewesen  sein:  da  beginnt  eine  neue  Schwierigkeit 
Man  weiß,  unter  wie  sehr  eigentümlichen  Verhältnissen  der  Friede  des 
Philokrates,  von  dem  Demosthenes  in  jener  Stelle  spricht,  endlich 
beschworen  wurde.  Philipp  suchte  allerlei  Weigerung,  um  noch  gewisse 
Vorteile  zu  erreichen  und  namentlich  thrakische  Ortschaften  (rcöv 
vfiETiQcov  (TVfifiüxGJv)  ZU  occupiereu,  die  nach  definitivem  Abschluß  des 


Zu  den  Urkunden  der  Kranzrede  267 

Friedens  gesichert  waren.  Darum  beantragte  Demosthenes,  Gesandte 
sollten  nach  den  Gegenden,  wo  sie  hörten,  daß  gerade  Philipp  sei, 
eilen  und  so  schnell  als  möglich  die  Beschwörung  des  Friedens  ent- 
gegen nehmen.  Mit  dem,  was  hiervon  in  der  Rede  vom  Kranz  steht, 
stimmt  allerdings  das  dort  eingelegte  Decret  merkwürdig  genug,  ju 
zum  Teil  wörtlich;  und  doch  weiß  man  aus  anderweitigen  Verhältnissen, 
daß  dies  nicht  das  Decret  sein  kann,  welches  Demosthenes  meint.  Es 
muß  sich  also  ein  ganz  ähnliches  Verhältnis  wiederholt  haben,  wo 
eV)enso  Demosthenes  einen  Antrag  machte,  ebenso  eilige  Gesandten, 
ebenso  an  Philipp,  ebenso  Ssrot;  ßv  Övrcc  nvvddv(ovxcci  röv  ^>ihnnov 
abzuschicken,  ebenso  zur  Beschwörung  eines  bereits  abgemachten  Frie- 
dens, ebenso  avfinBQihxfißdvovra^;  xccl  rov^  ixcerigov  (xvfifiaxov^. 

Hr.  B.  glaubt,  diese  eigentümliche  Wiederholung  von  Verhält- 
nissen durch  folgende  Combination  zu  entdecken.  Allerdings  folgte 
der  Schlacht  von  Chaironeia  der  sogenannte  Friede  des  Demades;  aber 
es  entstanden  wahrscheinlich  über  das  Prinzip  der  Autonomie  bald 
neue  Weitläufigkeiten  zwischen  Philipp  und  Athen;  es  scheint  nahe 
daran  gewesen  zu  sein,  daß  von  neuem  Krieg  ausbrach.  Schon  vor 
dem  Frühling  336  wird  Philipp  nach  Athen  Gesandte  geschickt  haben, 
mit  der  AuflForderung  tä  tt-iremes  et  copias  sisterent  (S.  603).  Als  der 
König  nun  den  Krieg  gegen  Persien  begonnen  (durch  die  Expedition 
des  Parmenion),  so  mußte  ihm  viel  daran  liegen  Athen  ruhig  zu  wissen. 
So  schickte  dann  Philipp  Gesandte  nach  Athen  ut  pax  iterum  cum  [23] 
popuh  firmaretur,  und  in  Athen  machte  Demosthenes  den  Antrag, 
welchen  wir  noch  lesen,  fünf  Gesandte  zu  schicken  u.  s.  w.  Dies  geschah 
am  letzten  Hekatombaion  336  (3.  August).  Unt^r  den  erwählten  Ge- 
sandten nennt  das  Decret  den  Aischines,  und  eine  notüia  aurea  in  der 
Rhetorik  des  Apsines  sagt:  „Aischines  wird  als  Gesandter  zum  Philipp 
geschickt;  da  er  diesen  schon  gestorben  findet,  schließt  er  Vertrag  mit 
Alexander  und  wird  wegen  Truggesandtschaft  verklagt".  Man  muß 
also  annehmen,  daß  Philipp  im  Anfang  des  Metageitnion  (etwa  den 
ersten  zehn  Tagen  des  August)  ermordet  worden.  Die  Kunde  davon 
ward  in  Athen  mit  freudigster  Bewegung  begrüßt;  aber  nur  zu  bald 
sah  man  sich  enttäuscht.  Alexander  rückte  heran,  am  21.  Maimak- 
terion  (22.  November)  beschloß  man  alles  bewegliche  Eigentum  nach 
Athen  u.  s.  w.  zu  flüchten;  das  ist  das  Decret  des  Kallisthenes  zur 
Skeuagogie  (§  37).  In  der  That,  Hr.  B.  hat  seine  Hypothese  geschickt 
zu  stützen  gewußt,  namentlich  überrascht  jenes  Zeugnis  des  Apsines, 
es  überrascht  unter  den  fünf  Gesandten  des  Sommers  336  neben 
Aischines  die  beiden  Männer  zu  finden,  die  als  Kletoren  in  der  Urkunde 
seiner  Klage  gegen  Ktesiphon  §  54  vorkommen,  Ktesiphon  und  Kleoh; 


268  Demosthenes 

es  überrascht  die  Combination  dieser  Absendung  mit  der  Vertagung 
des  Prozesses  über  den  Kranz:  Demosthenes  habe  diese  drei  nebst 
Demokrates  und  Eubulos  abzusenden  veranlaßt,  um  den  ärgerlichen 
Prozeß  gegen  Ktesiphon  damit  zu  unterbrechen. 

Schade  nur,  daß  zunächst  der  Name  des  Aischines  selbst  unter 
jenen  fünf  Gesandten  des  Decretes  im  hohen  Maß  unsicher  ist,  wie 
Vömel  gezeigt  hat:  „es  muß  hier*',  sagt  derselbe,  „der  Name  eines 
anderen  Eothokiden  (als  Aischines)  gestanden  haben*^  Darnach  bliebe 
denn  Aischines  ganz  fort  aus  jener  hypothetischen  Gesandtschaft  an 
Philipp.  Aber  die  notitia  aurea  des  Apsines?  Hr.  B.  unterläßt  es  zu 
bemerken,  in  wie  geringem  Maße  historische  Glaubwürdigkeit  derartige 
^fjTf'ificcra  der  Rhetoriker  haben.  Gleich  nach  jener  Aufgabe  propo- 
niert  Apsines  die  bekannte:  „nach  Athen  kommt  die  Nachricht,  daß 
Philipp  Elateia  eingenommen;  ein  Gesetz  befiehlt  innerhalb  dreier 
Tage  über  Krieg  zu  berathen,  Demosthenes  fordert,  man  soll  desselben 
Tages  ausziehen,  Aischines  widersetzt  sich".  Hr.  B.  hütet  sich  wohl 
(8.  516)  dieser  Schulaufgabe  mehr  Bücksicht  zu  schenken,  als  sie  ver- 
dient; die  ganze  Situation  ist  nachweislich  eine  fingierte.  Und  die 
notitia  aurea?  Üeber  Aischines  Anwesenheit  in  Makedonien  beim  Tode 
Philipps  findet  sich  in  seiner  Rede  vom  Kranz  so  wenig  eine  Spur 
wie  sonst  irgendwo,  noch  weniger  über  jene  Verträge,  die  Aischines 
mit  Alexander  geschlossen  haben  soll;  sie  auf  Autorität  eines  Schul- 
themas zu  glauben  ist  gegen  das  kritische  Gewissen. 

[25J  Ist  denn  wirklich  im  Sommer  336  zwischen  Athen  und 
Philipp  über  den  Frieden  verhandelt  worden?  Hr.  B.  sagt  es;  aber 
mit  welcher  äußeren  Begründung?  mit  welcher  inneren  Wahrschein- 
lichkeit? Wären  die  Verhandlungen  ausdrücklich  so  überliefert,  wie 
Hr.  B.  sie  hypothesiert,  so  würde  man  bekennen,  daß  die  Überlieferung 
seltsame  Dinge  enthielte;  wie,  würde  man  sagen,  Philipp  sollte  nicht 
gleich  bei  dem  Frieden  nach  der  Schlacht  von  Chaironeia  von  Athen 
mit  dem  Beitritt  zum  hellenischen  Bunde,  den  er  verlangte,  die  Aner- 
kenntnis allgemeiner  Autonomie  gefordert  haben,  die  als  Grundlage 
jenes  Bundes  betrachtet  werden  mußte?  Athen  and  gar  Demosthenes 
sollte,  wenn  Philipp  zum  Perserkriege  Frieden  zu  haben  wünschte, 
sich  dermaßen  beeilt  haben  ihn  zu  ratificieren?  Statt  daß  Philipp, 
der  ihn  wünschte,  seine  nach  Athen  geschickten  Gesandten  hätte  bevoll- 
mächtigen sollen  die  Eide  zu  geben  und  zu  empfangen,  muß  Demo- 
sthenes vorschlagen,  möglichst  eilig  sollten  die  fünf  attischen  Gesandten 
reisen?  Hätte  nicht  gerade  Demosthenes  jetzt  alles  eher  als  Frieden 
wünschen  sollen?  Und  da  finden  wir  von  Hrn.  B.  selbst  mitgeteilt 
eine  Notiz  des  Syrian,  die  wir  mit  demselben  Fug  wie  er  seine  fwtitia 


Zu  den  Urkunden  der  Kranzrede  269 

aurea  brauchen  wollen :  „es  führen  mit  einander  Philipp  und  der  Groß- 
könig Krieg,  von  beiden  kommen  Gesandte  ein  Bündnis  zu  beantragen: 
Demosthenes  rat  mit  dem  Großkönig,  Aeschine^  mit  Philipp  Bündnis 
zu  schließen^^  Und  eben  da  soll  Demosthenes  so  den  Frieden  beeilt 
haben  ? 

Noch  ein  anderes.  Hr.  B.  meint^'  die  Gesandten  werden  möglichst 
bald  abgereist  sein;  da  sie  ankamen,  Mitte  Metageitnion  etwa (20.  Augast), 
fanden  sie  den  König  Philipp  nach  der  notitia  aurea  schon  tot.  König 
Philipp  ist  also  im  Anfange  August  ermordet  worden.  Wenn  irgend 
etwas  ohne  ausdrückliche  Angabe  durch  Combination  sicher  gestellt 
werden  kann,  so  ist  es,  daß  Philipps  Tod  nach  dem  September  336 
fällt;  Hr.  B.  freilich  hat  von  dieser  ihm  unbequemen  Erörterung  keine 
Notiz  genommen.  Nicht  bloß  die  sieben  Monate,  die  Alexander  bei 
seinem  Tode  (Anfang  Juni  323)  über  zwölf  Jahre  regiert  hatte,  führen 
darauf  hin  (das  Genauere  will  ich  nicht  wiederholen),  sondern  ent- 
scheidend ist,  daß  nach  Arrian  Ind.  21  der  Anfang  der  Stromfahrt 
auf  dem  Indus  (am  21.  September  325)  noch  in  das  elfte  Jahr  des 
Alexander  fallt;  d.  h.  das  erste  [26]  Jahr  Alexanders,  wie  es  in  dieser 
Datierung  gerechnet  wird,  beginnt  nach  dem  21.  September  336.  Ent- 
weder ist  dies  erste  Jahr  von  dem  Tage  des  Regierungsanfangs  an 
gerechnet,  so  daß  hiemach  feststehen  würde,  daß  Alexanders  Regie- 
rungsantritt und  Philipps  Ermordung  nach  dem  21.  September  336 
stattfand.  Oder  —  worauf  der  Ausdruck  Arrians  <bq  sl  Maxedövs,; 
xai  !AGiavoi  Jjyov  führt  —  es  ist  diese  Berechnung,  ähnlich  wie  die 
im  Kanon  der  Könige,  so  gemeint,  daß  das  Jahr,  innerhalb  dessen 
Alexander  zur  Regierung  kam,  sein  erstes  genannt  wird,  mit  dem 
nächsten  Neujahrstage  aber  sein  zweites  beginnt.  Das  makedonische 
und  asiatische  Jahr  beginnt  mit  dem  Monat  Dios,  welcher  dem  Pya- 
nopsion  entspricht;  wenn  im  Jahr  325  am  21.  September  noch  Alexan- 
ders elftes  Jahr  datiert  wurde,  so  begann  das  scj^enannte  erste  Jahr 
Alexanders  im  Laufe  desjenigen  makedonischen  Jahres,  welches  mit 
dem  ersten  Dios  336,  d.  h.  mit  dem  3.  Oktober,  begann;  also  diesen 
erlebte  Philipp  noch;  er  könnte  jener  Bezeichnung  nach  Wochen,  Monate 
später  noch  regiert  haben;  aber  die  Notizen  über  Alexanders  Regierungs- 
dauer und  andere  machen  es  so  gut  wie  gewiß,  daß  Philipps  Ermor- 
dung nicht  später  als  in  den  November  fiel.  Dies  genügt,  um  zu 
zeigen,  daß  die  eilige  Gesandtschaft,  welche  am  5.  August  abgegangen 
sein  soll,  nicht  nach  Ermordung  des  Königs  angekommen  sein  kann, 
wie  die  notitia  aurea  angiebt. 

Ich  hoflFe  mit  dem  Angeführten  die  Hypothese,  welche  das  Decret 
§  29  erklären  soll,  hinreichend  beleuchtet  zu  haben.   Andere  Hypothesen 


270  Demostjienes 

Ter  wirft  Hr.  B.  selbst  mit  vollem  Recht;  ist  aber  nun  auch  die  seinige 
so  unannehmbar,  wie  sie  es  ist,  so  wird  kein  anderer  Ausweg  sein, 
als  die  ünechtheit  des  fraglichen  Aktenstückes  einzugestehen.  Eben 
aus  der  nächst  vorhergehenden  Darstellung  des  Redners  sind  die  Motive 
zu  diesem  angeblichen  Decret  entnommen  und  danach  ein  Aktenstück 
fabriziert,  das  historisch  ohne  Wert  ist. 

Aus  dem  weiteren  Verlauf  der  Darstellung  bei  Demosthenes  ergiebt 
sich,  daß  des  Kallisthenes  Antrag  zur  Skeuagogie,  von  dem  er  spricht, 
nicht  lange  nach  jener  Gesandtschaft  gemacht  worden  ist,  die  er  in 
Antrag  gebracht  hat.  Der  Mann,  welcher  die  Urkunden  fabriziert  hat, 
sah  das  natürlich  auch,  weshalb  er  denn  den  im  vorigen  Decret  ange- 
wandten Archon  Mnesiphilos  auch  in  diesem  §  37  benutzt.  Von  den 
sonstigen  Wundersamkeiten  dieses  Decretes  will  ich  nicht  von  neuem 
.  sprechen.  Hr.  B.  weiß  für  dasselbe  eine  wenigstens  überraschende 
[27]  Combination  aufzustellen.  Unter  den  festen  Plätzen  nämlich,  zu 
denen  man  Hab  und  Gut  retten  soll,  nennt  dies  Decret  auch  die  Feste 
Phyle  auf  der  Nordseite  Attikas.  Nun  ist  im  siebenten  Buch  der 
Atthis  des  Philochoros  von  der  Festung  Phyle  die  Rede  gewesen 
(Harpocrt.  v.  (pvXr})\  indem  Hr.  B.  als  ausgemacht  hinstellt,  daß  in 
diesem  siebenten  Buch  der  Atthis  die  res  Aiticae  inde  a  pugna  Ome- 
ronens^i  vd  Phüippi  obitu  descriptae  erani,  gewinnt  er  ein  Zusammen- 
treffen, das  gar  leicht  blenden  kann;  er  glaubt  sagen  zu  dürfen:  Uaque 
etia/m  Philochori  testimonio  coniectura  nostra  com/prohatur.  Man  muß  sich 
durch  die  kleine  Unredlichkeit,  die  hier  mit  unterläuft,  nicht  täuschen 
lassen.  Es  ist  nichts  weniger  als  sicher,  daß  jenes  siebente  Buch  mit 
dem  Jahr  338  oder  336  begonnen;  es  ist  vielmehr  nicht  ohne  Grund 
vermutet  worden,  daß  es  erst  mit  Ol.  115  2  angefangen,  so  daß  also 
die  Erwähnung  von  Phyle  im  siebenten  Buch  wohl  in  den  Krieg  des 
Polysperchon  und  Kassander  gehören  wird. 

Es  ist  meine  Absicht  nicht  gewesen,  Hrn.  B's.  Darstellung  ihrer 
ganzen  Ausdehnung  nach  durchzunehmen;  nach  dem  hier  Besprochenen 
wird  dieselbe  nicht  geeignet  scheinen,  die  einen  in  ihrem  guten 
Glauben  an  die  Echtheit  jener  Urkunden  zu  befestigen  und  die  anderen 
in  ihrer  begründeten  Überzeugung  von  der  Ünechtheit  derselben  irre 
zu  machen. 

Kiel,  Dezember  1843. 


e.  Über  das  Geburtsjahr  des  Demosthenes  ^ 

(Rheinisches  Museum  für  Philologie  herausgegeben  von  F.  G.  Welcker  und 
und  F.  Ritschi,  Vierter  Jahrgang  Frankfurt  a.  M.  1846  S.  406—438). 

Die  Geschichte  der  Demosthenischen  Zeit  ist  bei  verhältnismäßig 
großem  Beichtum  an  Überlieferungen  auf  eigentümliche  Weise  unklar; 
es  sind  nicht  etwa  nur  einzelne  Punkte  unentscheidbar,  sondern  das 
Ganze  bekommt  eine  andere  und  andere  Gestalt,  je  nachdem  ein  paar 
Fragen  beantwortet  werden,  welche  nicht  sowohl  die  Summa  der 
Schwierigkeiten  zusammenfassen  als  vielmehr  den  Weg  zu  ihrer  Lösung 
sperren.  Ungemein  oft  und  mit  großem  Aufwand  von  Scharfsinn  und 
Gelehrsamkeit  sind  einzelne  dieser  Schwierigkeiten  untersucht  worden. 
Ein  neuestes  Werk  „Forschungen  auf  dem  Gebiet  der  attischen  Redner 
und  der  Geschichte  ihrer  Zeit,  von  Karl  Georg  Böhnecke"  stellt  sich 
umfassender  die  Aufgabe,  „einer  Philippischen  Geschichte  den  Weg  zu 
bahnen  und  vor  allen  die  Grundlage  für  sie  festzustellen";  Hr.  Böhnecke 
glaubt,  „alle  bedeutenderen  schwierigen  Fragen,  welche  uns  in  der  Chro- 
nologie des  Philippischen  Zeitalters  entgegentreten  —  nach  einem  eine 
Beihe  von  Jahren  denselben  gewidmeten  Studium  glücklicher  als  seine 
Vorgänger  gelöst,  andere  der  Entscheidung  näher  gebracht  zu  haben" 
(S.  IX). 

Drei  Fragen  sind  es,  auf  deren  Entscheidung  es  insbesondere 
ankonmit.  Die  eine  ist:  sind  die  Urkunden  in  der  Bede  vom 
Kranz  echt  oder  unecht.  Ob  Hm.  Böhneckes  Urkundensammlung 
dazu  angethan  ist  die  Zweifel,  welche  gegen  die  Urkunden  ausge- 
sprochen sind,  zu  überseitigen,  habe  ich  in  einem  der  Zeitschrift  für 
Altertumswissenschaft  bestinmiten  Aufsatz  ausführlicher  besprochen 
[oben  S.  257  ff.]. 

Die  zweite  Frage,  die  nach  der  chronologischen  Folge  der 
beratenden  Beden  des  Demosthenes,  ist  besonders  [407]  dadurch 
verwickelt,  daß  gegen  mehr  als  eine  der  vorliegenden  Beden  der  Verdacht 
der  Unechtheit  geltend  zu  machen  ist;  Hr.  Böhnecke  nimmt  sie  sämt- 
lich für  echt,  ohne  die  Gegen  gründe,  namentlich  die  sprachlichen  und 
rhetorischen,  hinreichend  gewürdigt  oder  auf  überzeugende  Weise  ent- 
kräftet zu  haben. 

Die  dritte  dieser  Hauptfragen  will  ich  im  folgenden  näher  erörtern: 
wann  ist  Demosthenes  geboren?  Ich  setze  die  Untersuchungen 
von  Böckh,  Clinton,  Ranke,  Thirlwall,  Seebeck  als  bekannt  voraus;  im 
entferntesten  nicht  mag  es  für  eine  Mißachtung  ihrer  Arbeiten  ange- 
sehen  werden,   wenn   ich   nur   Hrn.   Böhneckes  Aufstellungen   näher 

1  [Vgl.  Schafer  Demosthenes  u.  s.  Z.  III  2  S.  38  ff.]. 


272  Demosthenes 

berücksichtige;  auch  dies  wird  nur  so  weit  geschehen,  als  es  das 
Interesse  der  Untersuchung  fordert. 

Unter  den  verschiedenen  Angaben  alter  Autoren,  auf  welche  man 
sich  bei  dieser  Untersuchung  beziehen  kann,  finden  sich  zwei,  welche 
das  Jahr,  in  welchem  Demosthenes  geboren  ist,  angeben;  aber  sie 
weichen  um  vier  Jahre  von  einander  ab. 

In  dem  angeblich  Plutarchischen  Leben  der  zehn  Redner  S.  845  d 
heißt  es:  „37  Jahre  alt,  wenn  man  vom  Archon  Dexitheos  (OL  98  4) 
bis  zum  Archon  Kallimachos  (Ol.  107  4)  rechnet,  riet  Demosthenes  den 
Olynthiem  Hilfe  zu  senden"  u.  s.  w.  Kallimachos  ist  der  37,  Archon 
von  Dexitheos  an,  wenn  man  diesen  mitzählt;  unzweifelhaft  meint  diese 
Berechnung,  daß  Demosthenes  im  Jahr  des  Dexitheos  geboren  ist  Es 
würde  bei  der  Eigentümlichkeit  dieser  Sammlung  biographischer  Notizen 
an  sich  kein  Grund  diese  Nachricht  zu  verwerfen  in  dem  Umstände 
liegen,  daß  weiterhin  (S.  847  b)  über  das  Alter  des  Demosthenes  bei 
seinem  Tode  zwei  Nachrichten  gegeben  werdön,  von  denen  keine  mit 
jenem  Geburtsjahr  in  Übereinstimmung  ist. 

Dionys  von  Halikamass  sagt  in  dem  Briefe  an  Ammaios  (C.  4), 
Demosthenes  sei  in  dem  Jahr  vor  der  hundertsten  Olympiade  geboren 
{kvtavT(p  'jtQÖTEQOv  T/'Js  ixuToaT'fj^  ^Oky/juitäSog).  Allerdings  darf  die 
Autorität  des  Dionys  im  allgemeinen  höher  gelten  als  die  jener  bio- 
graphischen Sammlung.  Nicht  als  ob  wir  ihm  überall  ohne  weiteres 
trauen  möchten;  aber  gerade  jener  Brief  ist  recht  eigentlich  in  chrono- 
logischer Absicht  geschrieben;  daß  [408]  Demosthenes  in  seiner  Bered- 
samkeit von  Aristoteles  unabhängig  sei,  soll  aus  dem  Alter  beider 
nachgewiesen  werden.  Dionys  hat  zu  dieser  Untersuchung  die  Attlus 
des  Philochoros  und  die  ßiot  t(ov  üvSqiov  benutzt. 

So  diese  beiden  Angaben.  Hat  nun  notwendig  die  eine  oder  die 
andere  Recht?  hat  man  keinen  anderen  Grund  sich  zu  entscheiden  als 
die  größere  allgemeine  Glaubwürdigkeit,  die  etwa  der  Rhetor  vor  dem 
biographischen  Sammler  voraus  hat? 

In  Demosthenes  Reden  finden  sich  einige  Andeutungen,  aus  denen 
sich  das  Jahr  seiner  Geburt  bestimmen  zu  lassen  scheint.  Die  be- 
stimmteste ist  in  der  Rede  gegen  Meidias  S.  564:  dort  nennt  er  sich 
32  Jahre  alt.  Und  nun  giebt  Dionys  im  Fortgang  desselben  Briefes 
an,  daß  die  Rede  gegen  Meidias  in  dem  Jahre  des  Kallimachos  Ol.  107  4 
geschrieben  ist;  es  ergiebt  sich,  daß  Demosthenes,  wenn  man  das 
von  Dionys  angegebene  Geburtsjahr  als  sein  erstes  setzt,  in  dem  Jahre 
des  Kallimachos  sein  dreiunddreißigstes  hatte,  also  volle  32  Jahre 
alt  war. 

Kann  bei  solcher  Übereinkunft  noch  Zweifel  sein?     Man   würde 


über  das  Geburtsjahr  273 

sich  alles  weiteren  bescheiden  müssen,  wenn  nicht  eine  andere  Demo- 
sthenische  Angabe  zu  einem  abweichenden  Ergebnis  führte. 

Demosthenes  hatte,  sobald  er  mündig  geworden  war,  seine  drei 
Vormünder  wegen  der  betrügerischen  Verwaltung  seines  Vermögens 
zur  Rechenschaft  gefordert.  Wir  kennen  namentlich  seine  Händel  mit 
Aphobos.  Zuerst  ward  die  Sache  vor  befreundete  Männer  gebracht  (kv 
ToTg  fpiXotq  SiaSixuGaa&ai^  gegen  Onetor  I  §  2),  dann  unter  vielen 
Weitläufigkeiten  von  selten  des  Aphobos,  vor  einem  Diaiteten  verhandelt; 
endlich  kam  es  zum  Prozeß  vor  den  Heliasten.  Sie  entschieden  zu 
Gunsten  des  jungen  Demosthenes,  sie  stimmten  für  das  volle  Tt'firjfjLa 
von  10  Talenten,  das  er  beantragt  hatte.  Aber  noch  fehlte  viel,  daß 
Aphobos  hätte  zahlen  mögen.  Um  sich  auf  alle  Fälle  einflußreiche 
Verbindungen  zu  sichern,  hatte  Aphobos  sich  kurz  vor  der  Mündigkeit 
des  Demosthenes  mit  der  Schwester  des  reichen  Onetor,  die  sich  eben 
in  Güte  von  Timokrates  geschieden  hatte,  verheiratet.  Als  nun  Demo- 
sthenes infolge  des  ßichterspruches  und  da  Aphobos  nicht  zahlte,  von 
dessen  Grundstück  [409]  Besitz  ergreifen  wollte,  trat  Onetor  entgegen: 
das  Grundstück  sei  pfandweise  für  die  Mitgift  seiner  Schwester  in 
seinen  Händen,  seine  Schwester  sei  von  Aphobos  wieder  geschieden. 
Demosthenes  klagte  hierauf  gegen  Onetor;  in  der  uns  vorliegenden 
Rede  führt  er  aus,  wie  das  ganze  Verfahren  der  Gegner  auf  Lug  und 
Trug  beruhe.  Zunächst  gilt  es  nachzuweisen,  daß  bei  der  Verheiratung 
die  Mitgift  an  Aphobos  gar  nicht  ausgezahlt,  sondern  verzinslich  bei 
dem  ersten  Ehemann  stehen  geblieben  ist;  dies  wird  durch  Zeugen- 
aussagen bestätigt.  Sodann  muß  erwiesen  werden,  wie  unwahrscheinlich 
es  ist,  daß  Aphobos  während  der  Zeit  seiner  Ehe  die  Mitgift  ausgezahlt 
erhalten  habe.  Demosthenes  sagt  (gegen  Onetor  I  §  15):  sie  ver- 
heirateten sich,  als  Polyzelos  Archen  war  im  Monat  Skirophorion 
(Ol.  103  2  etwa  Juni  366)  und  die  Trennung  der  Ehe  wurde  bei  der 
Behörde  aufgezeichnet  als  Timokrates  Archen  war  im  Monat  Posideon 
(Ol.  104  1,  etwa  Dezember  364)  hyoj  Si  Bv&ifg  fjtsrä  rovg  yäfiovg 
Soxifiaa&elg  hfsxäkovv  xal  Xöyov  äTtfjTOvv  xai  tiüvtcov  ccnoarBgov- 
fjLSPog  rag  Sixag  hhiyx^'^ov  hnl  rov  airov  ÜQXovrog  (Hr.  Böhnecke 
versteht  S.  69  unter  diesem  Archen  den  Timokrates)-  6  Sri  XQ^^og 
ovTog  dfpBiXfjaai  fjbiv  ivSixBTcci  xcerä  rag  öfioXoyiag,  ccitoöovvai  S*  oinc 
ix^i  niaxiv.  Dies  Enthymema  (wenigstens  nach  Aristoteles  Theorie  ist 
es  ein  solches)  ist  vortrefflich:  zwei  Jahre  und  einige  Monate  drüber 
hat  die  Ehe  gedauert;  die  Ehe  ist  so  kurz,  daß  es  nichts  Unwahr- 
Bcheinliches  hat,  wenn  es  während  derselben  mit  der  Mitgift  in  der 
bei  der  Verheiratung  beliebten  Disposition  blieb;  dagegen  ist  es  im 
hohen  Maße  unwahrscheinlich,  daß  die  Mitgift,  wenn  sie  einmal  nicht 

Droysen,  Kl.  Schriften    I.  18 


274  Demosthenes 

gleich  Anfangs  ausgezahlt  worden,  an  Aphobos  nachher  sollte  über- 
wiesen worden  sein,  da  er  bereits  wegen  Fährung  der  Vormundschaft 
zur  Rechenschaft  gefordert  und  damit  sein  ganzes  Vermögen  bis  zur 
Entscheidung  der  Sache  in  Verhaft  war;  unwahrscheinlich  um  so  mehr, 
da  seine  unverantwortliche  Verwaltung  des  Demosthenischen  Vermögens 
stadtbekannt  war  und  nicht  eben  ein  für  ihn  günstiger  Ausgang  der 
bereits  eingeleiteten  Untersuchungen  erwartet  werden  konnte.  Hat 
also  Aphobos  die  Mitgift  nicht  gleich  bei  der  Verheiratung  erhalten, 
so  ist  sie  ihm  später  gewiß  nicht  [410]  ausgeliefert,  ja  auch  nicht 
einmal  in  der  ersten  Zeit  nach  der  Hochzeit  (§  14);  denn  sv&vg  furä 
Tovg  yäfjiovg  kam  die  Prüfung,  sofort  begann  das  kyxccXüv  und  Xöyov 
änaiTuv  und  damit  war  die  finanzielle  Sicherheit  des  Aphobos  viel  zu 
sehr  gefährdet,  als  daß  man  ihm  noch  irgend  ein  Kapital  hätte  anver- 
trauen können;  vielmehr  bestimmten  eben  dieser  Unsicherheit  wegen 
schon  die  Ehegatten  die  Mitgift  bei  dem  ersten  Ehemann  verzinslich 
stehen  zu  lassen.  „Jener  Beweis  nun^^  sagt  Demosthenes,  „daß  die 
Heirat  wirklich  in  der  angegebenen  Zeit  (Skirophorion  des  Polyzelos) 
gemacht  ist,  daß  wir  in  der  Zwischenzeit  schon  als  AvriSixot  gegen 
einander  standen,  und  daß  die  Trennung  der  Ehe  später  als  der  Beginn 
des  förmlichen  Prozesses  war  {üaregov  S'  tj  kyoj  tijv  Sixrjv  akcsxov\ 
dafür  lies  die  Zeugnisse^.  Folgen  die  Zeugenaussagen,  oder  genauer, 
wie  man  aus  dem  weiteren  sieht,  die  Zeugnisse  zunächst  über  die  Zeit 
der  Verheiratung;  dann  fahrt  Demosthenes  fort;  „nach  diesem  Archen 
(d.  h.  Polyzelos)  folgte  Kephisodor,  Chion ;  kni  tovtoov  ivsxükow  Soxt- 
pLccird-sigy  ÜMXov  äi  zijv  Six^v  ini  Tifioxgärovg^'  (§  17).  Folgt  das 
zweite  Zeugnis  betreffend  rä  kv  t(p  fisrcc^v  x^öpq),  also  die  Verhand- 
lungen vor  den  Freunden,  das  Verfahren  vor  dem  Diaiteten,  die  Ein- 
leitung des  förmlichen  Prozesses  betreffend;  dann  folgt  ein  drittes  Zeugnis 
über  die  Zeit  der  Trennung  der  Ehe. 

Es  war  unvermeidlich,  diese  ganze  Reihenfolge  von  Verhältnissen 
darzulegen,  weil  auf  ihrem  richtigen  Verständnis  die  Entscheidung  der 
ganzen  Frage  beruht.  Daß  Demosthenes  rtjv  Sixtjv  Hax^  unter  dem 
Archon  Timokrates  und  zwar  vor  der  Scheidung  im  Posideon  (vor 
Dezember  364)  ist  klar.  Aber  ist  nicht  alles  übrige  ebenso  klar?  Ich 
würde  nicht  weiter  davon  sprechen,  wenn  nicht  Hr.  Böhnecke  ein 
Mißverständnis  hineingetragen  hätte,  das  freilich  notwendig  ist,  wenn 
seine  Ansicht  nicht  von  dieser  Demosthenischen  Stelle  compromittiert 
werden  soll.  Wie  oben  erwähnt,  versteht  er  die  Worte  hnl  rod  avrov 
äQXovTog  so,  als  wenn  Timokrates  damit  gemeint  wäre.  Aber  was 
that  Demosthenes  knl  rov  ccirtov  äQxovvoq?  er  sagt:  sb&v^  futä  rovg 
yäfjLovg    doxtfKXfT&stg    kvBxükow    xui    löyov    dniJTOVV    xa\    nävtcov 


über  das  Grebortsjahr  275 

AnotTTiQOv^voq  räq  Sixccg  iXüyxccvov  [411]  (nicht  iht^ov)-^  wenn 
alles  das  anter  demselben  Archon  Timokrates,  wie  Hrn.  Böhneckes 
Interpretation  will,  geschahen  sein  sollte,  wie  konnte  denn  Demosthenes 
später  sagen,  „nach  Polyzelos  folgte  Kephisodor,  €hion,  knl  rovtiov 
kvBxdXow  Soxtfiec(T%9B/g?  Aber  indem  «r  das  tkax^^  ^^  ^^^  Sixtjv 
ini  Tifiox^ürovQ  gleich  hinzufügt^  klärt  er  for  jeden,  der  den  Aorist 
Yom  Imperfectum  zu  unterscheiden  weiß,  die  Sache  völlig  auf.  Vorerst 
also:  kni  tov  ccirrod  äQxovrog  ist  kein  anderer  als  Polyzelos;  und  noch 
unter  diesem,  in  dessen  letztem  Monat  (etwa  Juni  366)  erfolgte  die 
Dokimasie  des  Demosthenes ;  nach  Ablauf  des  Monates  begann  er  seine 
Maßregeln  gegen  die  Vormünder  zu  treffen,  beschweiie  sich  in  Gegen- 
wart bezeugender  Freunde  über  deren  Verwaltung  seines  Vermögens, 
forderte  Rechenschaft,  gab  zu  erkennen,  düß  er  an  das  Gericht  zu 
gehen  entschlossen  sei  u.  s.  w.  Zunächst  mochten  die  Vermittelungs- 
Tcrsttche  d^r  Befreundeten  sich  geraume  Zeit  hinziehen.  Als  sie  ohne 
Resultat  blieben,  ging  man  an  die  Diaiteten,  wo  Aphobos  in  der  Ana- 
krisis  und  weiterhin  Weitläufigkeiten  in  Menge  machte;  denken  wir, 
daß  damit  der  Rest  des  Jahres  Eephisodoros  und  dann  zum  Teil  das 
Jahr  des  Gfaion  verfloß;  denn  in}  tovtohv  ivwdlovr,  ein  Ausdruck, 
der  allerdings  nicht  völlig  scharf  das  Verfahren  vor  den  Diaiteten  mit 
bezeidmet.  Als  auch  hier  erfolglos  verhandelt  war,  mußte  die  Sache 
an  ein  Heliastengericht  gebracht  werden;  wahrscheinlich  hatte  Demo- 
sthenes bei  dem  Einfluß  des  Gegners  und  seiner  Gomplicen  (Onetor, 
Meidias  u.  s.  w.  ja  möglich,  daß  der  Archon  Timokrates  eben  der  frühere 
Mann  von  Onetors  Schwester  war,  denn  die  Ardionten  sind,  wie  nach- 
gewiesen werden  kann,  meist  Männer  von  Distinction;  freilich  das 
%QO<n:ävTig  tov  npäyficcrog  in  der  ersten  Rede  gegen  Onetor  §  18 
wird  aus  dem  Texte  weichen  müssen)  —  wahrscheinlich,  sage  ich,  hatte 
Demosthenes  Mühe  genug  vrjv  Sixf}v  TMyxdvBiv^  wie  es  später,  als  er 
gegen  Meidias  i^ovXriq  verfahren  wollte,  Jahre  lang  währte  (mehr  als 
acht  Jahre,  wenn  dem  Zeugnis  in  der  Rede  gegen  Meidias  §  81  zu 
trauen  ist),  ehe  er  riiv  Sixtjv  ihxx^*  Natürlich  hat  diese  Verteilung 
dessen,  was  kv  T<p  fiera^v  XQ^^<P  geschehen  ist,  keinen  weiteren  An- 
sprach auf  [412]  Genauigkeit,  aber  auch  keine  Wichtigkeit  far  die 
Frage,  die  uns  vorliegt 

Aus  dem  Bisherigen  ergiebt  sich,  daß  Demosthenes  Dokimasie 
in  den  letzten  Monat  des  Polyzelos  (etwa  Juni  366)  gehört,  daß  es 
zwei  volle  Jahre  währte,  bevor  der  Prozeß  gegen  Aphobos  zur  helia- 
stischen  Entscheidung  eingeleitet  wurde,  daß  diese  Einleitung  (es 
ist  für  uns  gleichgültig,  ob  mit  dem  rfjv  Sixrjv  äkaxB  der  Anfang 
der  Anakrisis  beim  Archon  oder  was  sonst  bezeichnet  ist)  im  Jahre 

18* 


276  Demosthenes 

des  Timokrates  und  zwar  vor  dem  Posideon  (etwa  Dezember  364) 
stattfand. 

Dionys  sagt  in  der  mehrfach  erwähnten  Stelle:  Jr/fioad-iviig 
hyBVvfi&rj  fj^v  kviccvT<p  TtQÖreQov  rrjg  ixuroavTjg  'OXvfimüSoq,  äg^ovroq 
Sk  TifioxQäzovg  elg  ärog  Ijv  ifißeßijxcjg  inrccxaiShcarov,  Wenn  diese 
Angabe  richtig  ist,  so  war  Demosthenes  im  Ausgang  des  Jahres  Poly- 
zelos  (OL  103  2)  in  sein  fünfzehntes  Jahr  getreten,  und  seine  Dokimasie 
fand  also  statt  nach  vollendetem  vierzehnten  Jahr;  in  welchem  Ab- 
schnitt des  fünfzehnten,  bleibt  unentschieden.  Wenn  Hr.  Böhnecke 
(8.  69)  sagt,  die  Dokimasie  fand  statt  „unter  dem  Archon  Kephisodor 
Ol.  103  3,  als  Demosthenes  im  sechszehnten  Jahre  seines  Alters  stand^^, 
so  ist  das  eine  Behauptung,  die  mit  der  richtigen  Interpretation  des 
knl  Tov  avTov  (!^()/ovtos  in  Widerspruch  steht  und  selbst  durch  die 
falsche  nicht  empfohlen  wird. 

Über  die  Dokimasie  hat  Hr.  Böhnecke  eine  lehrreiche  Zusammen- 
stellung der  Überlieferungen  gegeben.  So  mannigfach  die  Angaben 
über  die  Zeit,  wann  sie  eintrat,  abweichen,  so  findet  sich  doch  keine, 
die  das  vollendete  neunzehnte  Lebensjahr  dafür  anspräche.  Begreiflich; 
denn  diejenige  körperliche  Entwickelung,  auf  welche  sich  eben  jene 
Prüfung  besonders  bezieht,  ist  mit  dem  vollendeten  vierzehnten  Lebens- 
jahr erst  im  Beginne.  Vollkommen  richtig  ist  die  Erklärung,  welche 
Hr.  Böhnecke  dem  kniSierig  ijßäv  giebt;  es  sind  damit  die  zwei  Jahre 
von  den  ersten  Regungen  der  Pubertät  bis  zu  ihrer  völligen  Ausbildung 
bezeichnet.  Wir  verstehen  mit  ihm,  gestützt  auf  Didymos  (bei  Harpocr. 
V.  kniSterig  ^ßfjaai):  häv  ixxaiSsxcc  kr&v  yivtovrai  (und  der  Verlauf 
der  Darstellung  wird  es  völlig  rechtfertigen),  unter  diesen  zwei  Jahren 
unbedenklich  [413]  das  fünfzehnte  und  sechszehnte;  gewiß  mit  seltenen 
Ausnahmen  wird  ein  attischer  Knabe  mit  Vollendung  seines  sechs- 
zehnten Jahres  in  der  Weise  körperlich  entwickelt  sein,  wie  es  die 
Prüfung  fordert  Ferner  findet  sich  aus  einer  Rede  des  Hyperides 
folgende  Stelle  citiert  (Harporcrat.  a.  a.  0.)  hnü  3i  kveyQdtprjv  t/ca  xal 
6  vöfAog  dneScDXB  rtjv  xofiiSiiv  r&v  xaraleKp&ivTmv  xf  jtw7T(>i,  &g 
xBXemi  xvQiovg  eivcct  rr/g  knixX'/iQOv  xal  xTlg  omiag  Aitdarig  xovg 
ncciSag  kneiSäv  kniSiexig  fjß&Giv,  Ganz  dasselbe  ergeben  andere 
Stellen,  namentlich  Isaios  über  Eirons  Erbschaft  (§31).  Also  nach 
dem  Gesetz  erhält  der  Sohn  die  väterliche  Verlassenschaffc,  wenn  er 
in  sein  siebzehntes  Jahr  getreten  ist,  vorausgesetzt,  daß  die 
Dokimasie  ihn  hinreichend  entwickelt  gefunden  hat. 

Wir  überzeugten  uns,  daß  Demosthenes  Dokimasie  im  letzten 
Monat  des  Polyzelos  OL  103  2  (etwa  Juni  366)  stattfand.  Also  war  er 
bereits  in  sein  siebzehntes  Jahr  getreten,  als  dem  Polyzelos  Kephisodor 


über  das  Geburtsjahr  277 

folgte;  er  war  in  sein  neunzehntes  Jahr  getreten,  als  Timokrates  begann 
Ol.  104  1  (etwa  Juli  364). 

Aber  das  Zeugnis  des  Dionys?  Aus  Demosthenes  selbst  ist  nach- 
gewiesen, daß  die  Angabe:  ägxovroq  Si  TifioxQärovg  slg  Hrog  ^v 
ifißeßrjxmg  inraxaiShcarov  falsch  ist.  Da  Dionys  Angabe  über  Demo- 
sthenes Geburtsjahr  mit  dieser  über  dessen  Alter  beim  Beginn  des 
Timokrates  in  Tölliger  Übereinstimmung  ist,  so  kann  auch  sie  nicht 
länger  für  richtig  gelten;  Demosthenes  ist  nicht,  wie  Dionys 
behauptet,  Ol.  99  4  geboren.  Aber  wie  ist  es  zu  erklären,  daß 
diese  Datierung  genau  zu  den  32  Jahren  in  der  Rede  gegen  Meidias 
stimmt?  Eben  nur  Tom  Dionys  selbst  erfahren  wir,  daß  diese  Rede 
Ol.  107  4  geschrieben  ist.  Schon  von  Böckh  ist  es  ausgesprochen,  daß 
Dionys  seine  Angabe  über  das  Geburtsjahr  des  Demosthenes  nicht  etwa 
aus  einer  alten  bewährten  Überlieferung  entnommen  haben  kann,  son- 
dern daß  dieselbe  wahrscheinlich  von  Dionys  selbst  berechnet  ist,  und 
zwar  berechnet  aus  den  noch  vorliegenden  und  eben  besprochenen 
Daten.  Ich  glaube  nicht,  daß  Dionys  einen  so  künstlichen  Fehler 
gemacht  hat  wie  derjenige  ist,  mit  welchem  sein  Fehler  hat  verteidigt 
werden  [414]  sollen;  Dionys  wird  aus  der  besprochenen  Stelle  gegen 
Onetor  entnommen  haben,  daß  Demosthenes  im  Jahr  des  Timokrates 
mit  Aphobos  prozessierte,  was  bekanntlich  gleich  nach  dem  Ende  der 
Vormundschaft  geschehen  sei;  und  da  die  Vormundschaft  ende,  wenn 
man  elg  ärog  kfjbßeßTjxcjg  inrccxaiSixarov  ist,  so  müsse  Demosthenes 
OL  104  1  in  sein  siebzehntes  Jahr  getreten,  also  Ol.  99  4  geboren  sein. 
Die  Rede  gegen  Meidias,  nur  geschrieben,  nicht  gesprochen,  ließ  sich 
aus  der  Angabe  der  32  Jahre  berechnen.  Ich  sage,  Dionys  selbst 
wird  diese  Berechnung  gemacht  haben;  allerdings  leitet  er  seine  chrono- 
logische Übersicht  mit  den  Worten  ein:  ävüyxrj  S'  Xacog  nQ&xov,  oaa 
naoiXccßov  hc  rßtv  xoiv&v  iaroQt&v,  &g  xaxiXinov  rjfiTv  oi  rovg  ßiovg 
rß)v  ävS()öjv  (Tvvtcc^äfievoi ,  nooeinBiv,  und  es  könnte  darnach  wohl 
möglich  sein,  daß  die  Angaben,  wie  er  sie  vorlegt,  nicht  erst  von  ihm 
berechnet  seien,  sondern  bereits  von  früheren,  z.  B.  von  Hermippos. 
Für  unseren  Zweck  macht  das  keinen  Unterschied,  es  würde  nur  be- 
weisen, daß  man  schon  hundert  oder  hundertundfünfzig  Jahre  nach 
Demosthenes  in  Alexandrien  keine  authentische  Überlieferung  über  sein 
Geburtsjahr  hatte,  sondern  dasselbe  und  zwar  falsch  berechnete. 

Sind  wir  nicht  im  stände  das  Geburtsjahr  des  Demosthenes  seinen 
eigenen  Angaben  gemäß  zu  bestimmen?  Nicht  so  ganz.  Es  ist  doch 
nicht  ausgemacht,  ob  sofort  nach  vollendetem  sechzehnten  Jahr  die 
Dokimasie  eintrat.  Einerseits  stellt  Hr.  Böhnecke  auf  Anlaß  einer 
Äußerung  in  Bekkers  Anekd.  S.  235  14  die  Vermutung  auf,   daß  es 


278  DemoBthenes 

mit  von  dem  Ermessen  der  Vormünder  abgehangen  habe,  wann  die 
Prüfung  vorgenommen  werden  sollte  (Forschungen  S.  62).  Ich  finde 
keine  Angabe,  aus  der  sich  mit  Sicherheit  das  Gegenteil  erweisen  ließe; 
jedenfalls  scheint  in  dieser  Beziehung  gegen  Demosthenes  nichts  Unge- 
bührliches geschehen  zu  sein,  da  er  sonst  nicht  unterlassen  haben 
würde,  auch  diese  Chicane  seiner  Vormünder  ans  Licht  zu  ziehen;  aber 
eben  darum  kann  ich  jene  Vermutung  nicht  wahrscheinlich  finden, 
denn  diese  Vormünder  würden  eine  so  vortreffliche  Gelegenheit  zum 
Ghicanieren  auszubeuten  verstanden  haben.  Andererseits  ist  denkbar, 
daß  nicht  für  jeden  einzelnen  eine  Prüfung  angesetzt  wurde,  sondern 
einmal  oder  einige  [415]  Male  im  Jahr  ein  Tag  der  Dokimasie  für 
die  inzwischen  Herangewachsenen  stattfand,  und  dann  würde  man 
nichts  Näheres  bestinmien  können,  als  daß  Demosthenes  im  Laufe  von 
Ol.  1 03  2  sein  sechszehntes  Jahr  vollendet  hatte,  also  OL  99  2  geboren 
war.  Oder  auch  es  ist  denkbar,  daß  Demosthenes  Stä  rijv  rov  adh- 
juarog  ä(T&ivetav  xai  &Q\y\piv  (Plut.  Dem.  4)  bei  vollendetem  secbs- 
zehnten  Jahr  noch  nicht  den  Forderungen  der  Prüfung  entsprach,  erst 
ein  oder  zwei  Jahre  später  reif  befunden  wurde:  ja  man  könnte  auf 
den  Einfall  kommen,  die  Datierung  im  Leben  der  zehn  Redner  auf 
diese  Weise  zu  erklären.  Nur  die  dionysische  Berechnung  für  das 
Geburtsjahr,  für  das  Alter  des  Demosthenes  im  Jahr  des  Timokrates 
und  für  die  Zeit  der  Bede  gegen  Meidias,  findet  hier  keine  Möglichkeit 
einer  Beehtfertigung. 

Gegen  die  erste  dieser  Denkbarkeiten  finde  ich  eben  nichts  Posi- 
tives geltend  zu  machen;  weiß  man  doch  nicht  einmal,  wer  die  hq^g- 
ßvzBQoi  sind,  welche  die  Dokimasie  vornahmen  (Schol.  Aristoph.  Vesp. 
578);  wenn  Aristophanes  seinen  Philokieon  das  naidmv  Soxifia^ofUvcov 
aiSoia  ß'täGÖ'ai  als  eine  der  Anmutigkeiten  des  Bichterseins  bezeichnen 
läßt,  so  ist  wohl  schwerlich  die  Meinung,  daß  jede  Dokimasie  dort  vor- 
genonunen  wurde,  sondern  das  Gericht  wird  nur  eingetreten  sein,  wenn 
eine  Dokimasie  vnöStxog  wurde.  Aus  der  Natur  der  Sache  jedoch 
scheinen  sich  einige  Schlüsse  zu  ergeben.  Weder  der  Beginn  der 
Pubertätsentwickelung  noch  ihre  Vollendung  ist  in  dem  Maß  genau 
zu  datieren,  daß  man  das  kmSiBTk^  i]ßfj<Tat  von  seinem  Anfang  her 
genau  nachrechnen  oder  für  den  Schluß  dieser  zwei  Jahre  eine  andere 
Bestimmung  aufstellen  konnte  als  die  summarische  eines  Alters,  in 
dem  die  erforderliche  Entwickelung  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  völlig 
beendet  ist.  Ward  das  vollendete  sechszehnte  Jahr  einmal  als  dieser 
Punkt  bestimmt,  so  wäre  es,  da  die  Dokimasie  die  Vormundschaft 
endete  und  das  Vermögen  in  die  Hände  des  jungen  Mannes  gab,  wenig 
gerecht  gewesen,  wenn  der  seinem  Alter  nach  zur  Mündigkeit  beföhigte 


über  das  Geburtsjahr  279 

noch  so  und  so  viel  Monate  bis  zu  dem  nächsten  Prüfangstermin  hätte 
warten  müssen,  um  zu  dem  unschätzbaren  Recht  der  Mündigkeit  und 
Selbstverwaltung  seines  Vermögens  zu  kommen;  die  Redlichkeit  und 
[41 6]  Sorgfalt  attischer  Vormünder  war  keinesweges  Ton  der  Art^  daß 
man  ihre  Befugnis  länger  als  durchaus  notwendig  war,  hätte  mögen 
fortdauern  lassen.  Nach  solchen  Betrachtungen  würde  man  sich  die 
Dokimasie  möglichst  nahe  mit  dem  Beginn  des  siebzehnten  Jahres 
zusammenfallend,  würde  man  sich  Demosthenes  Geburt  in  den  Skiro- 
phorion  Ol.  99  2  (etwa  Juni  382)  gehörig  zu  denken  haben. 

Über  die  andere  Frage,  ob  nicht  Demosthenes  Tielleicht  seiner 
Schwächlichkeit  halber  in  dem  bezeichneten  Lebensalter  apodokima- 
siert  worden,  wäre  eben  nichts  weiter  zu  ergründen,  wenn  sich  nicht 
aus  den  eigenen  Angaben  des  Demosthenes  das  Entgegengesetzte 
schließen  ließe. 

Und  damit  komme  ich  zu  einem  zweiten  Hauptpunkt  Demo- 
sthenes spricht  in  seinen  vier  Vormundschaftsreden  (die  dritte  gegen 
Aphobos  yßBvSofiaQtvQißv  halte  ich  für  unecht)  mehrfach  von  den 
„zehn  Jahren^,  da  er  unter  Vormundschaft  gestanden;  so  gegen 
Aphobos  I  §  6  Sixcc  Ht]  iifiäg  knixQonBvtrccvTBq^  §  68  Skxct  hr&v  Sia- 
yBvofiivGnff  vgl.  §  24,  26,  29,  59,  gegen  Onetor  I  §  14  Ökoig  ixBaiv 
Sixu.  Daß  trotzdem  der  Ausdruck  keineswegs  genau  ist,  spricht  sich 
mit  hinreichender  Deutlichkeit  aus.  Der  Schluß  der  ersten  Rede  gegen 
Aphobos  lautet:  jitpoßov  Si  fjirjS*  fjv  iXaße  tiqoTx  k&ilovra  änoSov- 
vm,  xccl  taüT  Hbi  SBxärG);  ein  Ausdruck,  der  freilich  auf  ein 
anderes  Bedenken  leitet,  von  dem  nachher  zu  sprechen  sein  wird. 
Femer  sagt  §  19  derselben  Rede:  ,;der  eine  Vormund  Therippides  habe 
die  Fabrik  sieben  Jahre  verwaltet,  der  andere  Aphobos  zwei,  und  zwar 
die  ersten  zwei''.  Darf  man  auch  annehmen,  daß  nach  dem  Sterbefall 
einige  Zeit  darüber  hinging,  ehe  diö  Vormünder  die  Masse  der  Ver- 
lassenschaft ordneten  und  die  verschiedenen  Geschäfte  auseinander 
wickelten,  so  zeigt  doch  diese  Berechnung,  daß  die  Vormundschaft,  mit 
deren  Ende  die  Fabrik  an  den  jungen  Demosthenes  überging,  nicht 
zehn  Jahre,  sondern  nur  bis  ins  zehnte  Jahr  gedauert  hat,  etwa  so 
lange  über  volle  neun  Jahre,  als  nach  dem  Tode  des  Erblassers  Zeit 
verging,  bis  die  Verlassenschatt  geordnet  war.  Ich  bemerke,  daß  beim 
Tode  des  Vaters  die  Fabrik  dreißig  Sklaven  zählte,  von  denen  die  Vor- 
münder die  Hälfte  verkauften,  daß  [417]  Aphobos  für  die  zwei  Jahre, 
da  er  die  Fabrik  inne  gehabt,  gar  kein  Einkommen  in  Rechnung  stellte, 
„bald  vorgebend,  die  Fabrik  habe  müßig  gestanden'',  und  doch  zahlte 
er,  wie  Zeugenaussagen  erweisen,  für  die  paar  Sklaven,  die  er  von 
Therippides  mietete,   den  Lohn  von  zwei  Jahren  (gegen  Aphobos  11 


280  Demosthenes 

§12)  „bald  nicht  er,  sondern  Milyas  der  Freigelassene  habe  sie  ver- 
waltet, von  dem  möge  man  Rechenschaft  fordern";  was  wenigstens  für 
die  kurze  Zeit  zwischen  dem  Tode  des  Vaters*  und  der  beendeten 
Anordnung  der  Yerlassenschaft  richtig  sein  mag,  nur  daß  auch  darüber 
die  Vormundschaft  Eechenschaft  zu  fordern  und  zu  leisten  gehabt 
hätte. 

Demosthenes  sagt,  „sterbend  habe  ihn  der  Vater  inrä  kr&v 
övra  zurückgelassen"  (gegen  Aphobos  I  §  4).  Auch  diese  Angabe 
kann  wohl  nicht  völlig  scharf  genommen  werden.  Da,  wie  nachge- 
wiesen, die  Vormundschaft  neun  Jahre  und  einige  Zeit  darüber  währte, 
so  muß,  wenn  überhaupt  die  Dokimasie  mit  gerade  vollendetem  sechs- 
zehnten Jahr,  wie  wir  das  wahrscheinlich  fanden,  eintrat,  Demosthenes 
beim  Tode  des  Vaters  nicht  voll  sieben  Jahre  gewesen  sein;  er  war 
damals  wohl  so  viel  über  sechs  Jahre,  als  der  Dauer  der  Vormund- 
schaft an  vollen  zehn  Jahren  fehlte.  Wenigstens  gegen  diese  Dar- 
legung spricht  es  nicht,  wenn  Demosthenes  sagt:  el  xcn:el6i(p&f]v  fdv 
Iviavaioq,  ?|  ini  di  n()oaeneTü07iev&rjv  (gegen  Aphobos  I  §  63);  das 
^viavaiog  ist  hier  ebenso  wenig  genau  wie  das  imd  krmv  im  Obigen. 

Wir  sehen,  wie  diese  zweite  Reihe  von  Angaben,  die  Dauer  der 
Vormundschaft  und  Demosthenes  Alter  bei  ihrem  Beginn  betreffend, 
wenn  nicht  mit  völliger  Präcision,  so  doch  mit  größter  Wahrschein- 
lichkeit ein  Resultat  giebt,  das  dem  früher  aus  den  angeführten 
Archontenjahren  gewonnenen  entspricht.  Zehn  Jahre  und  sieben  Jahre 
sind  bei  Demosthenes  nur  ungefähre  Bestimmungen,  runde  Zahlen, 
wie  sie  für  den  Vortrag  vor  den  Geschworenen  dem  Redner  geeignet 
erscheinen;  aber  wenigstens  für  die  eine  der  beiden  Angaben  ist  eine 
genauere  Bestimmung,  aus  Demosthenes  selbst,  mit  Sicherheit  nach- 
zuweisen. Wollte  man  unsere  Erklärung  der  zweiten  Angabe,  die 
sieben  Jahre  betreffend,  auch  verwerfen,  so  würde  doch  das  Resultat 
sein,  daß  Demosthenes  im  Lauf  seines  siebzehnten  [418]  Jahres  geprüft 
worden,  also  vom  Skirophorion  des  Archonten  Polyzelos  rückwärts 
gerechnet  im  Lauf  von  Ol.  99  2  geboren  sei.  Wir  finden  also  in  dieser 
zweiten  Reihe  von  Angaben  allerdings  keine  Hilfsmittel,  das  früher  aus 
der  Natur  der  Sache  Geschlossene  zu  bestätigen,  daß  jeder  mit  dem 
Eintritt  in  sein  siebzehntes  Jahr  und  nicht  alle  von  gleicher  Alters- 
klasse an  einem  oder  einigen  jährlichen  Terminen  geprüft  seien;  wir 
finden  hier  das  früher  gewonnene  Geburtsjahr  des  Demosthenes,  wenn 
auch  nicht  ausdrücklich  den  Monat  seiner  Geburt  bestätigt;  der  Ge- 
danke an  eine  Siä  rijv  xov  (TCjfiarog  äad-ivtiav  ungewöhnlich  spät 
eingetretene  Mündigkeit  des  Demosthenes  hat  sich  hier  von  selbst 
erledigt. 


über  das  Geburtsjahr  281 

Somit  dürfen  wir  als  Resultat  folgendes  aussprechen:  die  Angabe 
des  Dionys  über  das  Geburtsjahr  des  Demosthenes  ist  ebenso  falsch 
wie  die  in  dem  Leben  der  zehn  Redner;  sicher  ist,  daß  Demosthenes 
geboren  ist  zwischen  dem  Skirophorion  von  Ol.  99  1  und  dem  von 
Ol.  99  2,  d.  h.  zwischen  Juni  383  und  Juni  382;  wahrscheinlich 
ist,  daß  er  im  Skirophorion  des  Phanostratos  OL  99  2,  d.  h.  etwa  Juni 
382,  geboren  ist.  Demosthenes  ist  in  dem  letzten  Monat  des  Polyzelos 
(etwa  Juni  366)  geprüft  und  mündig  erklärt  worden;  er  hat  gleich 
damals  und  noch  vor  Beginn  des  Archen  Kephisodoros  die  ersten 
Schritte  gethan,  seine  Vormünder  zur  Rechenschaft  zu  ziehen. 

Man  wird  zugestehen,  daß  das  so  gewonnene  Resultat  auf  einer 
wohl  gesicherten  Grundlage  ruht;  daran  zu  erinnern  ist  notwendig, 
indem  sich  in  den  Vormundschaftsreden  noch  gewisse  Andeutungen 
finden,  welche  zu  einem  ganz  anderen  Ergebnis  zu  führen  scheinen  und 
namentlich  von  Hm.  Böhnecke  in  solcher  Weise  geltend  gemacht  sind. 

Wenn  Demosthenes  nachweisen  konnte,  daß  die  Vormünder  aus 
der  Verlassenschaft  des  Vaters  zinstragende  Kapitalien  hinter  sich  ge- 
bracht hatten,  so  durfte  er  gewiß  mit  vollem  Fug  außer  diesen  Kapi- 
talien auch  die  Zinsen  fordeni  und  zwar  die  Zinsen  bis  zu  dem  Augenblick 
hin,  wo  das  Kapital  selbst  wieder  in  seiner  Hand  war.  Hatte  also 
z.  B.  Aphobos,  der  nach  dem  Willen  des  [419]  Erblassers  seine  Witwe 
heiraten  und  80  Minen  Mitgift  erhalten  sollte,  die  Mitgift  gleich  beim 
Anfang  der  Vormundschaft  genommen  und  des  weiteren  behalten,  ohne 
die  Witwe  zu  ehelichen,  so  hatte  er,  scheint  es,  nicht  bloß  die  Mitgift 
in  dem  Augenblick,  wo  der  Sohn  infolge  der  Dokimasie  xvQiog  der 
Mutter  wurde,  zurückzuzahlen,  sondern  auch  für  die  Zinsen  dieses 
Kapitals  und  zwar  für  die  ganze  Zeit,  daß  sich  dasselbe  unrechtmäßiger 
Weise  in  seinen  Händen  befand,  aufzukommen.  Demosthenes  würde 
also  für  diesen  Fall,  wenn  unsere  Berechnungen  richtig  waren,  von 
Aphobos  außer  den  80  Minen  Mitgift  die  Zinsen  derselben  sowohl  für 
die  mehr  denn  neun  Jahre  der  Vormundschaft,  als  auch  für  die  dritte- 
halb Jahre  fordern,  die  zwischen  der  Dokimasie  und  der  richterlichen 
Entscheidung  verflossen  sind.  Statt  dessen  sagt  Demosthenes  (gegen 
Aphobos  I  §  17):  „da  Aphobos  meine  Mutter  nicht  geheiratet  hat,  so 
befiehlt  das  Gesetz,  daß  er  die  Mitgift  zu  9  Obolen  (18  Prozent)  ver- 
zinse; doch  will  ich  nur  zu  einer  Drachme  (12  Prozent)  rechnen;  das 
giebt,  wenn  man  Kapital  und  Zinsen  der  zehn  Jahre  zusammenrechnet, 
ungefähr  3  Talente  (rd  r  dQx^^ov  xal  rö  ioyov  r&v  Sixa  krcDv). 
Allerdings  giebt  es  hier  eine  Lesart  röv  Sd)8txa  hr&v\  aber  die  fidhfrrcc 
TQia  rälavta  sprechen  selbst  gegen  sie;  die  Zinsen  von  10  Jahren 
lassen  nur  4  Minen  an  drei  Talenten  fehlen,  während  die  von  12  Jahren 


282  DemoetheneB 

mehr  als  15  Minen  über  drei  Talente  geben  wurden.  Also  Demo- 
sthenes  fordert  hier  nicht,  wie  nach  unserer  Berechnung  der  Zeiten 
erwartet  werden  mußte,  die  Zinsen  von  12  Jahren. 

Ganz  ebenso  in  zwei  anderen  Stellen  §  35  und  §  39.  In  der 
ersten  sagt  er:  „was  die  Vormünder  gleich  nahmen,  war  nicht  viel 
weniger  als  vier  Talente;  rechnet  man  dazu  die  Zinsen  von  den  zehn 
Jahren  {t6  iQyav  r&v  Sina  kr&v)  auch  nur  zu  monatlich  einer 
Drachme  (12  Prozent),  so  geben  Zinsen  nnd  Kapital  zusammen  8  Ta- 
lente und  1000  Drachmen".  In  der  anderen  Stelle  derselben  ersten 
Kede  gegen  Aphobos  §  39  heißt  es:  Aphobos  gesteht  ein,  daß  er  für 
sich  allein  108  Minen  genommen  habe,  ^;^€f  xccl  ctvtäQ  xcel  ro  Jig/ov 
Sixa  kröVf  fidhara  tqiu  räXavra  xal  x^^^^-  Also  auch  hier  wieder 
sind  die  Zinsen  von  [420]  zehn  vollen  Jahren  berechnet,  nicht  von 
mehr  als  zwölf,  wie  wir  erwaiiien  mußten.  Ähnlich  ist  eine  vierte 
Stelle  §  23:  Aphobos  habe  in  den  zwei  Jahren,  daß  er  die  Fabrik 
unter  sich  gehabt,  30  Minen  gewonnen,  xccvxccq  exei  xoiüxovra  fiväg 
xcel  rö  'ipyov  avr&v  dxro)  it&v.  Also  Demosthenes  sagt:  jetzt  wo 
ich  spreche,  hat  Aphobos  den  Zinsertrag  von  8  Jahren  von  demjenigen 
Gewinn,  den  er  in  den  ersten  zwei  Jahren  meiner  Vormundschaft  an 
der  Fabrik  gemacht  hat;  und  nach  unserer  Berechnung  sind  zur  Zeit 
der  Rede  mehr  als  zwölf  Jahre  seit  dem  Tode  des  Erblassers,  also 
gewiß  zehn  Jahre  seit  dem,  daß  Aphobos  die  Fabrik  abgetreten,  ver- 
flossen. 

Diese  Umstände  beweisen  nun  nach  Hm.  Böhnecke  auf  das  Sicherste, 
daß  seit  dem  Tode  des  Vaters  bis  zur  Zeit  der  gerichtlichen  Verhand- 
lungen zehn  Jahre  verflossen  sind,  Demosthenes  also  in  einem  Alter 
von  siebzehn  zurückgelegten  Jahren  die  formliche  Klage  gegen  seine 
Vormünder  anstellte  (S.  77);  da  das  Gericht  später  als  im  Posideon 
des  Jahres  Timokrates  (Ol.  104  1,  etwa  Dezember  364)  gehalten  worden, 
so  muß  demnach  der  Vater  volle  zehn  Jahre  vorher  gestorben,  der 
damals  sieben  oder  gegen  sieben  Jahre  alte  Demosthenes  also  Ol.  99  4 
geboren  sein  —  gerade  wie  Dionys  angegeben  hat. 

Was  sollen  wir  machen?  Die  eine  Reihe  Demosthenischer  Angaben 
führt  zu  einem  Resultat,  das  völlig  mit  dem  streitet,  was  aus  desselben 
Demosthenes  Angaben  in  denselben  Reden  hervorgeht;  denn  auf  Hm. 
Böhneckes  Mißverständnisse  in  betreff  der  Archonten,  von  denen  oben 
gesprochen  ist,  haben  wir  nicht  noch  einmal  zurückzugehen.  Was 
also  thun?  Entweder  Demosthenes  schreibt  vollkommen  konftis  — 
was  sonst  seine  Art  eben  nicht  ist  —  oder  der  Widerspruch  ist  nnr 
ein  scheinbarer;  und  in  diesem  Fall  sind  entweder  die  Schlüsse,  die 
man  aus  seinen  Zinsberechnungen  zu  machen  hat,  die  bindenden  — 


über  das  Geburtsjahr  283 

nnr  ist  schwer  abzusehen,  wie  man  seine  Archontenangaben  ans  dem 
Wege  schaffen  soll,  ohne  „einen  Fehler  zur  rechten  Zeit",  —  oder  diese 
Archontenangaben  und  ihnen  zur  Seite  „die  sieben  und  die  zehn  Jahre*' 
fordern  uns  auf,  die  Schlüsse  aus  den  Zinsrechnungen  noch  einmal  zu 
prüfen. 

[421]  Allerdings  fanden  wir  Demosthenes  mit  der  Bezeichnung 
der  „zehn  Jahre"  oder  der  „vollen  zehn  Jahre"  seiner  Vormundschaft 
keineswegs  genau.  Hat  man  Recht  zu  behaupten,  daß,  wenn  Demo- 
sthenes immer  nur  Zinsen  für  zehn  Jahre  berechnet,  vom  Tode  seines 
Vaters  bis  zur  Einbringung  der  Klage  eben  auch  zehn  Jahre  verflossen 
sind?  Hr.  Böhnecke  behauptet,  daß  Demosthenes  in  einem  Alter  von 
siebzehn  zurückgelegten  Jahren  die  formliche  Klage  gegen  seine  Vor- 
münder anstellte;  er  meint  damit  das  Jahr  des  Timokrates;  er  findet, 
daß  Demosthenes  im  Jahr  des  Kephisodor  seine  Mündigkeit  erhalten 
habe,  zwischen  beiden  ist  der  Archen  Chion,  wenigstens  unter  dem 
wird  vor  den  Diaiteten  verhandelt  worden  sein;  hat  da  in  der  Ana- 
krisis  Demosthenes  etwa  Zinsen  von  neun  Jahren  berechnet?  Glaubt 
man  es  mit  der  Zinsenberechnung  einmal  genau  nehmen  zu  müssen, 
so  ist  es  verkehrt  zu  sagen,  die  zehn  Jahre,  nach  denen  Demosthenes 
die  Zinsen  berechnet,  seien  da  voll  gewesen,  als  er  die  Klage  anbrachte; 
gewiß  erst  nach  dem  Posideon  des  Jahres  Timokrates  ist  der  Prozeß 
vor  die  Geschworenen  gekommen,  es  müssen  die  zehn  Jahre  erst  da 
voll  gewesen  sein,  als  Demosthenes  zu  den  Geschworenen  sprechend 
seine  Berechnung  auf  Zinsen  für  zehn  Jahre  machte;  und  das  ist  über 
anderthalb  Jahre,  vielleicht  zwei  Jahre  und  länger  nach  der  Doki- 
masie;  die  Zeit  der  Vormundschaft,  die  Demosthenes  immer  auf  zehn 
Jahre  angiebt,  wäre  höchstens  volle  acht  Jahr  und  einige  Monate 
gewesen. 

Ich  führe  das  nicht  weiter  aus,  da  die  ganze  Combination  auf 
falschen  Prämissen  gebaut  ist.  Mit  voller  Entschiedenheit  darf  aus- 
gesprochen werden,  daß  Demosthenes  bei  der  Zinsberechnung  inmier 
nur  die  „zehn  Jahre**  der  Vormundschaft  meint,  die  Zinsen  der  auf- 
geführten Summen  inmier  nur  für  die  Zeit  der  Vormundschaft,  die  er 
freilich  rundweg  als  zehn  Jahre  rechnet,  in  Ansatz  bringt.  Dies  geht 
daraus  hervor,  daß  er  die  zehn  Jahre  der  Zinsberechnung  mit  dem 
Artikel  bezeichnet,  und  damit  als  eben  die  zehn  Jahre  bezeichnet,  von 
denen  immer  in  dem  Prozeß  die  Rede  ist;  geht  femer  aus  §  35  und  36 
der  ersten  Rede  gegen  Aphobos  hervor,  wo  dicht  nach  einander  t6 
äoyov  T&v  Sixa  kz&v  und  [422]  ißSofifjxovra  fßväg  iv  rolq  Skxa 
ireatv  tQO€pi)v  steht,  also  die  zehn  Jahre,  nach  denen  die  Zinsen 
berechnet  werden,   als  eben  dieselben   bezeichnet  sind  wie   die   zehn 


284  Demosthenes 

Jahre,  für  welche  die  Vormünder  den  Unterhalt  der  Sklaven  in  der 
Fabrik  zu  verrechnen  hatten ;  endeten  diese  zehn  Jahre  mit  der  Mündig- 
keit des  Demosthenes,  mit  dem  Archon  Polyzelos  oder  wenigstens 
Eephisodor  (um  Hrn.  Böhneckes  falsche  Annahme  zu  berücksichtigen), 
wie  können  dieselben  zehn  Jahre  denn  noch  über  den  Archon  Chion 
hinaus  bis  über  die  Hälfte  des  Jahres  Timokrates  reichen? 

Obschon  die  Vormundschaft  entschieden  nicht  zehn  Jahre  dauerte, 
berechnet  Demosthenes  unbedenklich  seine  Zinsen  immer  auf  volle  zehn 
Jahre;  denn  er  forderte  nicht  die  einzelnen  Posten  von  seinen  Gegnern, 
er  führt  sie  überhaupt  nur  beiläufig  an,  um  seinen  Antrag  auf  zehn 
Talente  Strafe  zu  motivieren;  was  er  fordert,  ist  ein  Pauschquantum, 
oder  richtiger,  ist  nicht  (wie  es  römischer  Weise  sein  würde)  Ersatz 
der  einzelnen  Schädigungen  und  Beeinträchtigungen,  sondern  ein  Straf- 
geld, das  im  wesentlichen  den  erlittenen  Schaden  deckt.  Was  er  zehn 
volle  Jahre  ansetzend  zu  viel  rechnet,  wird  hinreichend  dadurch  aus- 
geglichen, daß  er  mehrfach  statt  der  ihm  zuständigen  9  Obolen  Monats- 
zins nur  eine  Drachme  rechnet. 

Er  rechnet  nur  die  Zinsen  für  die  zehn  Jahre  der  Vormundschaft, 
er  verzichtet  auf  die  Zinsen,  die  ihm  sein  Vermögen,  wenn  es  ihm 
redlich  zur  Zeit  seines  Mündigwerdens  überliefert  worden  wäre,  seitdem 
gebracht  haben  würde,  und  die  nun  seit  zwei  Jahren  und  länger  seinen 
Vormündern,  je  nachdem  sie  hinter  sich  gebracht,  zu  Gute  kommen. 
Wohl  am  wenigsten  aus  Großmut;  vielleicht,  weil  das  Ttfirjfiaf  wenn 
er  eS  zugesprochen  erhält,  ihn  auch  dafür  schadlos  hält,  denn  seine 
Kapitalansätze  sind  nicht  eben  bescheiden  (s.  Böhnecke  S.  75);  vielleicht 
auch,  um  weitere  Chicanen  zu  vermeiden.  Denn  die  Vormünder 
konnten  ihm  mit  dem  Sophisma  entgegen  treten,  daß  sie  ihm  mit  der 
Dokimasie  sein  Vermögen,  wie  es  im  Lauf  der  Jahre  geworden  war, 
übergeben  hätten,  daß  sie  ihm  freilich  des  weiteren  mit  der  Summa 
ihrer  Habe  verhaftet  seien,  daß  er  aber  auf  einzelne  Kapitalien  ihres 
Vermögens  und  deren  Zinsen  keinen  Anspruch  habe;  ihre  Verwaltung 
[423]  der  V-erlassenschaft  könne  er  angreifen,  und  dafür  müßten  sie 
aufkommen;  aber  fernere  Zinsen  für  Kapitalien,  die  bei  der  Übergabe 
gar  nicht  vorhanden  gewesen  seien,  und  die,  so  lange  nicht  ein  Richter- 
spruch das  Gegenteil  ausgesprochen,  als  ohne  ihre  Schuld  verloren 
gelten  müßten,  habe  er  durchaus  nicht  zu  fordern. 

Aber  ich  will  mich  nicht  auf  das  Feld  advokatischer  Spitzfindig- 
keiten wagen;  ich  habe  nicht  zu  erklären,  warum  Demosthenes  sich 
mit  seinen  Zinsforderungen  auf  die  zehn  Jahre  der  Vormundschaft 
beschränkt,  sondern  nur  nachzuweisen  und  ich  denke  nachgewiesen, 
daß  er  es  thut.    Im  entferntesten  nicht  bieten  die  Zinsberechnungen 


über  das  Geburtsjahr  285 

haltbare  Gründe  diejenigen  Resultate  anzugreifen,  die  wir  aus  viel 
unmittelbareren  und  yerhältnismäßig  genauen  Angaben  des  Redners 
gewannen.  Von  einem  Widerspruch  beider  ist  bei  näherer  Betrachtung 
nicht  weiter  zu  sprechen. 

Man  wird  es  nach  dem  Zusammenhang  unserer  Beweisführung 
begreiflich  finden,  wenn  ich  ihr  Resultat  als  in  sich  begründet  nicht 
weiter  von  anderweitigen  Bestätigungen  abhängig  zu  machen  nötig 
finde.  Aber  da,  wenn  es  so  richtig  ist,  wie  ich  glaube,  mit  demselben 
einige  andere  Angaben  des  Demosthenes,  die  sich  auf  die  Zeit  der 
Vormundschaft  und  ihren  Ausgang  beziehen,  übereinstimmen  müssen, 
so  will  ich  auch  diese  noch  besprechen,  um  an  ihnen  gleichsam  die 
Probe  für  die  Richtigkeit  unserer  Berechnung  zu  machen. 

Doch  zuvor  noch  ein  Anderes.  Falsch  fanden  wir  das  Geburts- 
jahr des  Demosthenes  sowohl  bei  Dionys  wie  in  dem  Leben  der  zehn 
Redner  angegeben  oder  vielmehr  berechnet.  Ob  es  überhaupt  keine 
authentische  Überlieferung  über  das  Geburtsjahr  gegeben  hat?  Wenn 
sie  fehlte,  konnte  jeder,  der  die  attischen  Rechtsverhältnisse  genauer 
kannte,  sie  mit  Leichtigkeit  aus  den  noch  vorliegenden  vormundschaft- 
lichen Reden  ergänzen;  nur  Dionys  oder  gar  der  Verfasser  jener  bio- 
graphischen Sammelei  war  für  solche  Berechnung  weder  unterrichtet 
noch  genau  genug.  Von  beiden  abhängig  ist  die  Angabe  des  Libanios 
im  Leben  des  Demosthenes:  dxr(oxaiSexa  ir&v  J]v  8tb  ngog  rovg 
kntTQÖnovg  iiy(oviC,BTo\  er  führt  dies  an,  weil  manche  die  Vormund- 
schaftsreden dem  Isaios  zuschreiben  [424]  wollten  Siä  rijv  fjltxiav 
Tov  p7]roQog  dmarovvTaQ.  Wir  fanden,  daß  Demosthenes  mit  dem 
Anfang  von  Ol.  104  1,  dem  Jahre  des  Timokrates,  in  dessen  Verlauf 
er  jene  Rede  hielt,  sein  achtzehntes  Jahr  vollendet  hatte.  Gellius  sagt 
(XV  28)  iütid  adeo  ab  utriusque  oratoris  studiosis  animadversum  et 
scriptum  est,  quod  Demosthenes  et  Cicero  pari  aetate  ühistrissimas  ora- 
tiones  in  causis  dixerint,  alter  xarä  L4vSooTiCovog  xat  xarcc  TtfioxQä' 
Tovg  Septem  et  viginti  annos  naiusj  alter  anno  minor  pro  P,  Qmntio, 
septimoque  et  vicesimo  pro  Sex.  Rosdo;  vixerunt  qtu)qiie  non  nimi^ 
ntMneru/tn  annorv/m  diverstmt,  alter  tres  et  seacagirUa  annos,  Demosthenes 
seocaginta.  Auch  Dionys  in  dem  Briefe  an  Ammaios  nennt  als  die 
erste  öffentliche  Rede  des  Demosthenes  die  gegen  Androtion,  und  setzt 
sie  in  das  Jahr  des  Kallistratos,  aber  er  nennt  dies  das  fünfundzwanzigste 
Jahr  des  Redners  {ebcoarbv  xal  nifinrov  irog  'i^cov),  während  nach 
unserer  Berechnung  Demosthenes  im  Anfang  von  Ol.  106  2,  dem  Jahre 
des  Kallistratos,  eben  sein  siebenundzwanzigstes  Jahr  vollendet  hatte. 
Daß  Gellius  ungenau  auch  die  Rede  gegen  Timokrates  mit  heranzieht, 
ungenau  oratümes  in  causis  dixerint  sagt,  darf  uns  nicht  stören.     Die 


286  Demoflthenes 

zweite  Angabe  des  Gellios  spricht  nicht  minder  für  uns,  wenn  wir 
betrachten,  daß  er  Ciceros  Alter  auf  63  Jahre  angiebt,  da  derselbe 
doch  63  Jahr  und  etwa  11  Monate  alt  starb.  Demosthenes  Tod  fallt 
bekanntlich  in  den  Oktober  322  Ol.  114  3;  s.  Gesdüchte  des  Hellenis- 
mus I  S.  95  [I^  S.  82];  er  war  nach  unserer  Re(dinung  also  60  Jahre 
und  etwa  4  Monat  alt;  nach  der  Berechnung  bei  Dionys  würde  er 
höchstens  in  den  ersten  Monaten  seines  sechzigsten  Jahres  gewesen  sein. 

So  stimmen  denn  zwei  alte  Schriftsteller,  beide  von  einander  unab- 
hängig, für  .die  von  uns  aus  Demosthenes  selbst  entwickelte  Berechnung, 
und  gegen  Dionys.  Nicht  als  meinte  ich,  daß  sie  alte  bewährte  An- 
gaben über  Demosthenes  Greburtsjahr,  die  weder  Dionys  noch  der  wirk- 
liche Plutarch  zur  Hand  hatten,  benutzt  haben  müßten;  aber  wenn 
sie  wie  Dionys  das  Geburtsjahr  des  Demosthenes  berechneten,  so  sind 
wir  auf  dem  Wege  der  Berechnung  [425]  zu  demselben  Resultat  wie 
sie  gelangt,  während  der  Fehler,  der  der  Rechnung  des  Dionys  zum 
Grunde  liegt,  mit  ziemlicher  Bestimmtheit  bezeichnet  werden  konnte. 

Demosthenes  sagt  (gegen  Aphobos  I  §  13,  14):  gleich  nach  dem 
Tode  des  Vaters  {sv&vg  fiBrä  vov  vov  naxQoq  d-avccxov)  sei  Aphobos 
in  das  Haus  gezogen,  habe  die  Goldsachen  der  Mutter  und  einige 
Trinkschalen  im  Wert  von  50  Minen,  sowie  aus  dem  Erlös  für  die 
von  den  beiden  anderen  Vormündern  vertauschten  Sklaven  weitere 
30  Minen  an  sich  genommen,  um  seine  80  Minen  Mil^ft  voll  zu 
haben,  xal  iTtaiSij  at/ev,  kxnkeTv  fiilkcDv  sig  Kipxvffav  T^ti)aQX^^ 
&7iiyQocif*€v  Tocvra  ngog  OfjQtTtniSrjv  üzorra  iccvrdv  u.  s.  w.  Im  Boe- 
dromion  Ol.  101  1  (etwa  September  376)  siegte  Chabrias  bei  Naxos; 
diesem  großen  und  viel  verheißenden  Siege  folgte  die  Aussendung  des 
Timotheos  um  den  Peloponnes  herum  nach  Kerkyra  und  die  Insel 
schloß  sich  ihm  sofort  an ;  Sparta  sandte  eine  bedeutende  Flotte  nach, 
aber  Timotheos  besiegte  sie  bei  Alyzia  gegenüber  von  Leukas.  Dieser 
Sieg  war  im  Skirophorion  desselben  Olympiadenjahres,  etwa  Juni  375 
(s.  Polyän.  III  10,  4  Sievers  Geschichte  Griechenlands  S.  225),  Aus 
der  Zeit  des  Sieges  darf  man  entnehmen,  daß  Timotheos  früh  im  Jahre 
ausgesegelt  sein  wird.  Die  Athener  wünschten  nach  solchem  Erfolge 
Frieden  mit  Sparta,  er  wurde  in  der  zweiten  Hälfte  von  Ol.  101  2 
(Frühling  374)  abgeschlossen;  aber  neue  Verwickelungen  über  Zakynthos 
hinderten  dessen  Ausführung.  Die  Spartaner  sandten  von  neuem  eine 
Flotte  nach  jenen  Gegenden,  die  die  Kerkyraier  gar  bald  auf  das 
Äußerste  bedrängte.  Umsonst  harrten  sie  auf  Hilfe,  erst  im  zehnten 
Monat  des  Archen  Sokratides  (Ol.  101  3,  April  373)  kann  Timotheos 
absegeln  (Demosth.  gegen  Timoth.  §  6);  aber  auch  da  noch  nicht 
eilt  er  den  Peloponnes  zu  umschiffen,   sondern  geht  nach  den  Inseln 


über  das  Geburtsjahr  287 

oder  nach  Thrakien  (so  abweichend  Diod.  XV  49  und  Xenoph.  Hell. 
VI  2,  5);  da  endlich  wird  ihm  der  Oberbefehl  genommen  und  an 
Iphikrate^  übertragen,  der  denn  auch  wirklich  nach  Eerkyra  kam; 
gewiß  erst  im  hohen  Sommer,  wie  denn  auch  in  der  Rede  gegen  Neaira 
§  35  dieser  sogenannte  varepog  [426]  TtökBfAog  in  das  Jahr  des 
Asteios  (seit  Sommer  373)  gesetzt  wird.  Nach  Hm.  Böhneckes  Be- 
rechnung bezieht  sich  das  ixnksTv  fiikkcov  auf  diesen  zweiten  Zug; 
denn  Demosthenes  Vater  ist  nach  ihm  gegen  den  Herbst  374  gestorben. 
Nach  unserer  Berechnung  ist  der  Vater  Ol.  101  1  und  wahrscheinlich 
in  der  ersten  Hälfte  des  Jahres,  also  vor  Ende  376  gestorben,  und  die 
Trierarchie  des  Aphobos  gehörte  zu  jenem  glänzenden  Seezug  des  Timo- 
theos,  der  mit  der  kurzen  Bezeichnung  „Zug  gen  Eerkjra^  bezeichnet 
zu  werden  verdiente. 

Wenn  Demosthenes  später  in  der  Rede  gegen  Meidias  von  den 
Zeiten  seines  Prozesses  im  Herbst  374  sprechend  sagt:  ijv/xa  rag  Sixag 
ikaxov  ToTg  imroönotg  fiBiQccxvkkiov  &v  xofxidf]  (§  78)  und  sich 
veog  &v  xopLiStj  nennt  und  seine  zwei  Jahre  jüngere  Schwester  naiSog 
ovatig  x6(}fjg  (§  80,  79)  oder  wenn  er  von  der  Trierarchie,  die  er  eben 
damals  übernehmen  müssen,  sagt:  kxQtriQdQxovv  av&vg  he  naiSeav 
i^Bkßfhv  —  so  sind  das  freilich  etwas  stark  aufgetragene  Ausdrücke; 
denn  Demosthenes  war  damals  bereits  über  achtzehn  Jahre  alt  und 
seine  Schwester  sechzehn;  ja  diese  Ausdrücke  würden  der  Wahrheit 
entsprechender  sein,  wenn  Hr.  Böhnecke  Recht  hätte.  Nur  beweisen 
dieselben  nichts,  als  daß  Demosthenes  eben  übertreibt  Die  Antidosis, 
die  Meidias  und  dessen  Bruder  dem  jungen  Demosthenes  antrugen, 
und  die  Injurienklage,  die  sich  aus  ihrem  damaligen  Benehmen  ent- 
wickelte, geben  keinen  Anlaß  zu  näherer  Besprechung. 

Eine  Anekdote  scheint  uns  in  Verlegenheit  setzen  zu  wollen.  Als 
Eallistratos  in  dem  Prozeß  wegen  Oropos  auftreten  sollte,  war  ganz 
Athen  sowohl  wegen  der  Wichtigkeit  der  Sache  als  wegen  der  Bered- 
sunkeit  des  Eallistratos  sehr  in  Spannung;  da  bat  denn  auch  Demo- 
sthenes seinen  Pädagogen,  ihn  hinzuführen;  und  dieser,  bekannt  mit 
den  öffentlidien  Dienern  die  bei  dem  Gericht  hmgierten,  fand  Einlaß 
und  einen  Platz,  wo  der  Knabe  (ö  nalg)  unbeachtet  hören  konnte. 
Ergriffen  dann  von  der  Gewalt  dieses  Vorganges,  verließ  Demosthenes 
fortan  rä  koinä  fjtcc&f'^fuxta  xod  rag  ncuSixäg  StcrrQißäg,  wandte  sich 
auf  das  Studium  der  Beredsamkeit  u.  s.  w.  So  erzählt  Platarch  (Demosth. 
C.  5)  und  nach  [427]  dem  Leben  der  zehn  Redner  ist  Hegesias  der 
Magnete  die  Quelle  dieser  Erzählung  (X  Orat.  S.  844;  statt  Hegesias 
Demetrios  zu  schreiben  ist  durchaus  willkürlich).  Mit  Recht  wird 
dieser  Prozeß  über  Oropos  in   den  Sommer  366   gesetzt;   und  nach 


288  Demosthenee 

unserer  Darstellung  war  Demosthenes  etwa  im  Juni  desselben  Jahres 
mündig  geworden;  nicht  bloß  wird  damit  der  Pädagog  aufgehört  haben^ 
sondern,  da  sich  Demosthenes  sogleich  nach  seiner  Dokimasie  gegen 
die  Vormünder  wandte,  wird  er  gewiß  nicht  jetzt  erst  die  ncaStxag 
SiuxQißdq  mit  ernsteren  Beschäftigungen  vertauscht  haben.  Hegesias 
mag  selbst  noch  Demosthenes  gesehen  haben;  sein  Bericht  könnte  uns 
bedenklich  machen,  wenn  nicht  sein  schriftstellerischer  Charakter  hin- 
reichend bekannt  wäre;  was  wir  aus  seiner  Geschichte  Alexanders 
wissen,  berechtigt  uns  auch  hier  vorauszusetzen,  daß  er  wirklich  Ge- 
schehenes durch  Ausschmückung  und  Zustutzung  phrasenhaft  entstellt 
überliefert.  In  der  That  haben  wir  einen  anderen  Bericht,  der  die 
von  Hegesias  bereiteten  Schwierigkeiten  beseitigt;  Demosthenes,  heißt 
es,  besuchte  admodum  adolescens  die  Akademie  und  Piatos  Unterricht; 
einst  auf  dem  Wege  dorthin  sah  er  viele  Leute  in  Bewegung  und  da 
er  fragte  was  es  gäbe,  erfuhr  er,  daß  sie  den  Kallistratos  hören  wollten; 
so  ging  auch  er  und  hörte  dessen  Rede  in  dem  Prozeß  von  Oropos 
an,  und  ward  so  ergriffen,  ut  GaUisirahim  iam  inde  seotari  ooeperit, 
Aeademiam  Gum  Piatone  rüiquerit.  So  erzählt  Gellius  III  13;  hier  ist 
kein  Pädagog,  Demosthenes  erscheint  als  admodum  adolescens,  was 
wenigstens  nicht  admodum  puer  ist  (wie  Quintilian  übertreibend  sagt: 
admodv/m  puerum  pupülares  acfiones  kabuisse  manifestum  est  Instit.  I  6,  1). 
Gellius  hat  seine  Erzählung  aus  Hermippos,  dem  gelehrten  Kallimacheer; 
freilich  sind  es  äSkanora  vnoiivijyiaTu  gewesen,  aus  denen  Hermippos 
entnahm,  daß  Demosthenes  den  Unterricht  Piatos  genossen  habe  (Plut. 
Demosth.  5);  aber  ist  denn  das  in  der  That  so  unglaublich,  daß  man 
darum  jene  anonymen  Denkwürdigkeiten  als  unbrauchbar  verwerfen 
müßte?  Ungeschminkter  jedenfalls  als  Hegesias  berichteten  sie;  und  die 
Fassung  der  Anekdote,  wie  sie  nach  Hermippos  vorliegt,  tritt  mit  ihrem 
admodum  adolescens  keineswegs  der  Berechnung  entgegen,  die  wir  [428] 
vorlegten.  Ich  möchte  nicht  mit  Westermann  (Quaest.  Dem.  III  S.  6) 
dafür  halten,  daß  die  a4stio  de  Oropo  publica  erat  nequs  in  iudioio  sed 
in  foro  coram  populo  agebaiur,  noch  seiner  Folgerung  beistimmen: 
sequitur  ut  alia  Gällistrati  cau^a  intellege  nda  sit,  non  causa  de  Oropo 
amissa  u.  s.  w.  Aber  freilich  in  der  Fassung  wie  die  Anekdote  vorliegt, 
ist  schwerlich  der  rechte  Punkt  ihrer  Bedeutung  getroffen.  Dies  zu 
erläutern  bedürfte  es  einer  ausführlicheren  Betrachtung  der  attischen 
Paiteiverhältnisse,  als  ich  mir  hier  erlauben  darf. 

Und  nun  zum  Schlüsse  die  Rede  gegen  Meidias  und  deren 
Zeit  Zunächst  darf  ich  nicht  anbemerkt  lassen,  daß  durch  die  Art, 
wie  Hr.  Böhnecke  seine  Untersuchung  gefuhrt,  diese  Frage  eine  falsche 
und  irreführende  Stellung   bekommen    hat.     Hr.  Böhnecke   geht  von 


Ober  das  Geburtirjahr  289 

der  petiHo  prindpii  aus,  daß  in  Beziehung  auf  Demosthenes  Geburts- 
jahr entweder  Dionys  oder  die  biographische  Sammlung  Recht  haben 
müsse;  darauf  sucht  er  aus  den  geschichtlichen  Andeutungen  in  der 
Rede  gegen  Meidias  zu  erweisen  ^  daß  die  dieser  Rede  von  Dionys 
angewiesene  Zeit,  die,  wie  oben  bemerkt,  von  dessen  Berechnung  des 
Geburtsjahrs  abhing,  die  richtige  ist;  er  kommt  darnach  auf  die  Yor- 
mundschaftsreden,  um  deren  unzweideutige  Bezeichnungen  durch  falsche 
Interpretation  mit  der  Berechnung  des  Dionys  in  Übereinstimmung  zu 
bringen.  Fehlerhaft;  ist  dieser  Gang  der  Untersuchung  aus  dem  Grunde, 
weil  die  historischen  Andeutungen  in  der  Rede  gegen  Meidias  so  wenig 
für  sich  ein  entscheidendes  Resultat  gewähren,  daß  sie  vielmehr  selbst 
erst  durch  die  chronologische  Feststellung  der  Rede  geschichtlich 
brauchbar  werden;  irreleitend,  weil  Hr.  Böhnecke  auch  hier  immer  nur 
die  Alternative  im  Auge  hat,  ob  man  mit  dem  biographischen  Sammler 
Demosthenes  Geburt  in  Ol.  98  4  und  die  Rede  in  Ol.  106  3  (85^/3) 
oder  mit  Dionys  die  Geburt  in  OL  99  4  und  die  Rede  (genauer  ihren 
Anlaß)  in  Ol.  107  3  (8^749)  setzen  will;  aber  die  Sache  ist  damit  noch 
bei  weitem  nicht  entschieden,  daß  nachgewiesen  ist,  die  Rede  könne 
nicht  Ol.  106  3  geschrieben  sein. 

Ist  unsere  Darlegung  über  das  Geburtsjahr  des  Demosthenes  so 
Wühl  begründet,  wie  ich  denke,  daß  sie  es  ist,  so  erscheinen  die  [429] 
in  der  Rede  gegen  Meidias  vorliegenden  historischen  Beziehungen 
wesentlich  limitiert,  und  wir  haben  nicht  aus  ihnen  die  Zeit  der  Rede 
erst  zu  suchen,  sondern  sie  auf  dieselbe  gleichsam  zu  projicieren. 

Demosthenes  sagt  (gegen  Meidias  §  154):  „Meidias,  der  vielleicht 
fünfzig  Jahre  alt  ist  oder  etwas  jünger,  hat  dem  Staat  um  nichts 
mehr  Liturgien  geleistet  als  ich,  der  ich  zweiunddreißig  Jahre  alt  bin 
{&g  Svo  xai  Totäxovra  irrj  yi/ovcc).  Er  war  Ol.  99  2  und  wahr- 
scheinlich im  letzten  Monat  des  genannten  Jahres  geboren;  unter  dem 
Archonten  Thessalos^  Ol.  107  2  und  wahrscheinlich  im  letzten  Monat 
desselben  (etwa  Juni  350)  vollendete  er  sein  zweiunddreißigstes  Jahr. 
Da  die  zweiunddreißig  Jahre  nicht  mit  größter  Genauigkeit  gebraucht 
sein  werden,  so  kann  die  Rede  einige  Zeit  vor  oder  nach  dem  Juni  850 
geschrieben  sein,  oder  Demosthenes  schrieb  so  in  der  Erwartung,  daß 
bis  zur  Verhandlung  der  Sache  vor  den  Geschworeneu  wohl  noch  die 
Zeit,  die  ihm  an  zweiunddreißig  Jahren  fehlte,  verlaufen  würde.  Am 
wenigsten  denkbar  ist^  daß  Demosthenes  die  Rede  geschrieben,  nachdem 
er  die  dreißig  Minen  in  Empfang  genommen,  die  ihm  Meidias  für 
Aufgeben  der  Klage  zahlte;  ja  es  scheint  das  moralisch  unmöglich, 

*  [Der  richtige  Name  des  Archon  ist  Theellos'. 
Droyien,  Kl.  Schriften  I.  19 


290  DemoBthenes 

wenn  man  liest,  auf  welche  Weise  der  Redner  sich  verschwört  und 
verpflichtet  y  um  keinen  Preis  die  Klage  aufzugeben.  Die  Kede  ist 
nicht  nachtraglich  als  politische  Broschüre  herausgegeben,  sondern  vor 
dem  Abkommen  mit  Meidias  aufgeschrieben,  und  zwar  konnte  Demo- 
sthenes  sich  füglich  32  Jahre  alt  nennen,  auch  wenn  er  es  dermalen 
noch  nicht  ganz  war. 

Die  Klage,  die  Demosthenes  gegen  Meidias  erhebt,  ist  gegen  die 
Mißhandlungen  gerichtet,  die  sich  Meidias  in  den  Dionysien  gegen 
Demosthenes  erlaubt  hat;  bald  folgte  die  scheußliche  Ermordung  des 
Nikodemos,  die  Meidias  auf  Demosthenes  zu  wälzen  suchte;  gleichwohl 
wagte  er  nicht,  Demosthenes  Eintritt  in  die  Bule  zu  hindern;  Demo- 
sthenes sagt:  „obschon  er  mich  so  beschuldigte,  ließ  er  mich  das  Ein- 
weihungsopfer für  den  Bat  halten,  ließ  mich  für  die  Stadt  heilige 
Handlungen  begehen  und  opfern,  ließ  mich  als  Architheoros  die 
nemeische  Festgesandschaft  führen"  u.  s.  w.  (§  114).  Daß  mit  dem 
Agxi&eioQovvTa  äyayeTv  töJ  Ja  r^  [430]  IVefjieiq)  rijv  xoivijv  imkQ 
rfjg  !TrfÄ€W5  &t(OQiav  die  regelmäßige  Festgesandtschaft  zu  den  nemeischen 
Spielen  gemeint  ist,  versteht  sich  von  selbst.  Der  Cyclus  der  nemeischen 
Festfeier  ist  ein  sehr  eigentümlicher  i;  daß  die  sommerlichen  Nemeen 
um  den  Anfang  des  vierten  olympiadischen  Jahres  gefeiert  wurden, 
hat  neuerdings  Schömann  dargethan  (Plut.  Agis  et  Oleom,  prolegg. 
S.  XXXIX  ff.).  Ebenso  bestimmt  ist  von  ihm  nachgewiesen,  daß 
winterliche  Nemeen  Ol.  139  1  gefeiert  sind.  Aber  nicht  minder  gewiß 
ist,  daß  Diodor  diejenige  Feier,  welche  er  XIX  64  erwähnt,  mit  Becht 
in  das  zweite  Jahr  der  116.  Olj'mpiade  setzt;  der  ganze  politische 
Zusammenhang  der  Verhältnisse,  die  dort  Diodor  bespricht,  zeigt  dies 
deutlich;  Schömanns  Bemerkung  non  admodu/m  gravis  hie  de  hmusniodi 
rebiLs  tesiis  est,  so  passend  sie  für  andere  Teile  der  sehr  ungleich 
gearbeiteten  Bibliothek  ist,  trifft  die  Bücher,  welche  die  Diadochenzeit 
behandeln,  noch  am  wenigsten ;  Diodor  hat  für  diese  sehr  gute  Quellen 
benutzt,  und  wenigstens  was  er  sagt,  ist  meist  gut;  und  seine  chronb- 
logischen  Bezeichnungen  sind,  wenn  man  nur  erst  ihre  Art  kennt,  hier 
mit  wenigen  erkennbaren  Ausnahmen  gut.  Ein  zweites  Beispiel  winter- 
licher Nemeenfeier  in  einem  zweiten  olympiadischen  Jahre  glaube  ich 
für  Ol.  1 36  wahrscheinlich  gemacht  zu  haben  (Geschichte  des  Hellenis- 
mus II  S.  443).  Ein  dritter  Fall  ist  allerdings,  wie  Schömann  bemerk- 
lieh  macht,  nicht  sicher;  Livius  (XXXIV  41)  sagt:  nobüe  ludienmi 
Nemeorum,  die  stata  propter  beUi  mala  praetermissum ,  in  aduentutn 
JRomuni  exerdtus  indixerunt,  und  nun  wird  es  gefeiert  Ol.  146  2.     Es 

*  [Vgl,  über  die  Zeit  der  Nemeen  den  Aufeatz  in  Bd.  II]. 


über  das  Geburtsjahr  291 

fragt  sich,  ob  die  Feier  nur  um  Tage  oder  Wochen  verschoben  oder 
in  ein  anderes  olympiadisches  Jahr  verlegt  worden.  Argos  war  seit 
OL  145  3  in  der  Gewalt  des  damals  mit  den  Römern  verbündeten 
Tyrannen  Nabis;  noch  im  Winter  Ol.  146  1  war  Friede,  so  daß  man 
da  füglich  die  Nemeen  hätte  feiern  können;  wenigstens  belli  mala  gab 
es  nicht,  daß  man  sie  hätte  verschieben  müssen.  Erst  mit  dem  Früh- 
ling OL  146  1  erhielt  der  römische  Feldherr  Befehl  Nabis  anzugreifen, 
und  die  Römer  wandten  sich  zuerst  gegen  Argos,  bald  darauf  gegen 
Sparta;  die  Nachricht  von  der  Bedrängnis  des  Tyrannen  in  Sparta  und 
die  [431]  Entfernung  des  größeren  Teils  seiner  Besatzung  in  Argos 
ermutigte  die  Argiver  sich  zu  empören  und  den  Rest  der  Besatzung 
zu  verjagen.  Eben  da  nahm  der  Tyrann  die  Bedingungen  des  römischen 
Feldherm  an,  der  nun  zur  nachträglichen  Feier  der  Nemeen  mit  seinem 
Heere  in  Argos  ankam  und  dann  die  Winterquartiere  in  Elateia  bezog. 
Hiemach  wird  man  doch  wohl  annehmen  müssen,  daß  die  Feier,  die 
OL  146  1  noch  ungestört  hätte  vor  sich  gehen  können,  nun  aber  wegen 
des  zur  Entscheidung  drängenden  Ejieges  und  dicht  vor  der  Empörung 
von  Argos  aufgeschoben  und  um  wenige  Tage  oder  Wochen  später 
nachgeholt  worden  ist. 

Also  die  winterlichen  Nemeen  werden  bald  im  ersten,  bald  im 
zweiten  olympiadischen  Jahre  gefeiert.  Demosthenes  war  OL  107  2, 
in  seinem  zweiunddreißigsten  Jahre;  er  vollendete  es  gegen  Ausgang 
dieses  Jahres  des  Thessalos.  Darnach  ist  es  gewiß,  daß  die  Nemeen, 
zu  denen  er  die  Theorie  führte,  die  des  Winters  von  Ol.  107  2  (35 Yo) 
sind,  daß  Demosthenes  für  eben  dies  Jahr  des  Thessalos  zum  Buleuten 
erlost  war,  daß  die  Dionysien,  in  denen  Demosthenes  geschlagen  wurde, 
die  von  OL  107  1  (Frühling  351)  sind. 

Aus  der  Rede  gegen  Meidias  (§  161  und  197)  ist  zu  ersehen,  daß 
damals  Athen  gleichzeitig  nach  Euboia  und  Olynth  Truppen  gesandt 
hatte.  Nach  Hm.  Böhnecke  und  seiner  fehlerhaften  Alternative  muß 
dieser  Doppelzug  in  den  Frühling  von  Ol.  107  3  (349)  gehören.  Ich 
werde  nicht  nötig  haben,  seine  Behauptungen  im  einzelnen  zu  wider- 
legen; nur  wenn  er  unter  anderen  die  Fragmente  Theopomps  von 
Buch  20  bis  30  aufführt  zum  Beweise,  daß  zwischen  OL  107  1  und 
OL  108  3,  welchen  Zeitraum  die  zehn  Bücher  umfassen,  jener  gleich- 
zeitige Krieg  in  der  von  ihm  bezeichneten  Zeit  stattfand,  so  darf  man 
dagegen  geltend  machen,  daß  die  wenigen  Fragmente  aus  den  einzelnen 
Büchern  immer  nur  zeigen,  was  auch  in  ihnen  vorgekommen,  aber 
keineswegs,  was  nicht  in  ihnen  vorgekommen  ist.  Daß  der  Krieg  in 
Euboia  auch  noch  Ol.  107  3  und  länger  gewährt  habe,  ist  kein 
Zweifel  und   die  Fragmente  des  Buches  24   finden   eben   darin   ihre 

19* 


292  Demoethenes 

Erklärung;  daß  aber  der  euboische  Krieg  schon  Ol.  107  1  begonnen 
haben  kann^  [^^2]  ^^^^  ^^i^i^  ^^  einzige  Fragment  des  19.,  die 
Tier  Fragmente  des  20.  Buches  nichts  davon  enthalten,  versteht  sich 
von  selbst. 

Den  euböischen  Krieg  von  Ol.  107  1  (Anfang  351)  veranlaßte  der 
Hilferuf  des  Plutarch  von  Eretria,  gegen  den  Kleitarchos  mit  den 
„Bürgern"  der  Stadt  stand  (s.  Forschungen  S.  14).  Aus  dem  nächst- 
vorhergehenden Frühling  oder  Sommer  352  ist  die  Rede  gegen  Aristo- 
krates,  und  in  der  wird  §  124  Menestiratos  als  Gebieter  von  Eretria 
genannt.  Es  liegt  nahe,  dies  in  der  Art  zu  combinieren,  daß  dieser 
im  Lauf  des  Sommers  352  seinen  Tod  fand  und  nun  Plutarch,  in 
seinen  Anfangen  durch  Kleitarchos  bedroht,  attische  Hilfe  suchte.  Aber 
wie  ist  es  so  zusammenzureimen,  daß  man  mit  diesem  Feldzug  (die 
Gefechte  bei  Tamynai  bezeichnen  ihn)  gleichzeitig  einen  Zug  gen  Olynth 
unternahm?  Schon  in  der  Bede  gegen  Aristokrates  §  107  heißt  es: 
so  lange  die  Olynthier  sahen,  daß  Philipp  ihnen  treu  und  Freund  sei, 
waren  sie  seine  Bundesgenossen  und  kämpften  durch  ihn  mit  euch 
Athenern.  Da  sie  aber  erkannten,  daß  er  zu  mächtig  wurde  (psi^w 
r^g  Tipoi;  iavrovq  ni(ntG}q  yiyvöfisvov),  sind  sie  so  weit  entfernt  g^gen 
Nachstellungen  wider  sein  oder  seiner  Freunde  Leben  Beschlüsse  zu 
fassen,  daß  sie  vielmehr  euch,  von  denen  sie  wissen,  wie  gern  ihr  den 
Philipp  selbst  töten  würdet,  zu  ihren  Freunden  gemacht  haben  und 
auch  zu  Bundesgenossen  machen  wollen  {cpiXov^  7iBiioh]vrca,  cpccai  Sk 
xcci  avpL^üxov^  7iottj(T€a&at),  Wenn  so  bereits  im  Frühling  oder 
Sommer  352  im  Gericht  zu  Athen  gesprochen  wurde,  so  ist  gar  wohl 
denkbar,  daß  am  Ausgang  desselben  Jahres  352  das  Bündnis  mit 
Olynth  abgeschlossen  war  und  von  Athen  aus  in  der  Weise,  wie  es  die 
Rede  gegen  Meidias  Äwähnt,  Hilfe  gegen  Philipp  gesandt  wurde.  Auch 
in  der  ersten  und  dritten  olynthischen  Rede  (§13  und  §  5)  sagt 
Demosthenes  ausdrücklich,  daß  Philipp  gleich  nach  dem  thessalischen 
Feldzug  (bis  Frühling  352)  sich  nach  Thrakien  gewendet,  dort  Könige 
ab-  und  eingesetzt  habe;  da  ergriff  ihn  eine  Krankheit  (Herbst  352); 
„von  dieser  genesen,  überließ  er  sich  nicht  unthätiger  Schlaffheit,  son- 
dern griff  sogleich  die  Olynthier  an".  Eben  aus  dieser  Bezeichnung 
erkennt  man  mit  Sicherheit,  daß  dieser  Krieg  gegen  Olynth  nicht  erst 
zwei  [433]  Jahre  oder  noch  später  nach  dem  thrakischen  Zuge  gefolgt 
sein  kann.  Endlich  finden  wir  in  der  ersten  Philippischen  Rede  §  17 
bei  Gelegenheit  des  Vorschlages,  Transportschiffe  für  die  Hälfte  der 
attischen  Reiterei  in  Bereitschaft  zu  setzen,  folgendes:  „diese,  meine  ich, 
müssen  vorhanden  sein  gegen  die  plötzlichen  Kriegszüge  Philipps  von 
seinem  Lande  aus  nach  den  Thermopylen,  dem  Chersones,  Olynth  und 


über  das  Geburtsjahr  293 

wohin  er  sonst  will'';  denn  daß  wenigstens  die  erste  Hälfte  dieser  Rede 
in  das  Jahr  des  Aristodemos,  wie  es  Dionys  angiebt^  und  genauer  in 
den  Spätherbst  352  gehört,  hat  Seebeok  (in  der  Zeitschrift  für  Alter- 
tumswissenschaft 1838  N.  91)  trefflich  nachgewiesen.  EDr.  Bohnecke 
freilich  verlegt  die  ganze  Rede  in  den  Frühling  348,  aber  mit  Gründen, 
die  im  entferntesten  nicht  überzeugen  können. 

Mit  einer  so  bedeutenden  Macht,  wie  die  des  olynthischen  Staates 
war,  verbündet  den  Makedonier  an  seinen  Grenzen  zu  bedrohen,   das 
mußte  der  attischen  Politik  allerdings  der  geeignetste  Weg  scheinen, 
nicht  bloß  den  durch  Philipp  gefährdeten  Ghersones  zu  sichern,  sondern 
seinen  Übergriffen  ein  für  allemal  Schranken  zu  setzen.    War  es  im 
Herbst  352  den  Athenern  gelungen,  Olynths  Bundesgenossenschaft  zu 
gewinnen  (und  mit  allen  Mitteln  reizte  man  diese  Menschen  zum  Kriege 
gegen  Philipp,  heißt  es  Olynth.  III  §  7),  so  konnte  man,  sobald  man 
nur  einigermaßen  bedeutende  Anstrengungen  machte,  große  Resultate 
erwarten.    Sehr  schön  bezeichnet  die  Rede  gegen  die  Neaira  diesen 
Moment  (§  3):   „als  für  den  Staat  eine   solche  Lage  der  Dinge  und 
des  Krieges  eingetreten  war,   daß  ihr,   wenn  ihr  siegtet,  die  größten 
unter  den  Hellenen  geworden  wäret,  und  unzweifelhaft  euren  früheren 
Verlust  wieder  eingebracht,  Philipp  niedergekämpft  haben  würdet,  im 
Gegenteil  aber  zögernd  mit  eurer  Hilfe,  und  indem  wegen  Mangel  an 
Geldmitteln  eure  Heere  auseinanderlaufen  mußten,  die  Bundesgenossen 
sich  selbst  überlassend,  ihr  diese  verlieren,  den  übrigen  Hellenen  treulos 
erscheinen,  selbst  für  eure  noch  übrigen  Besitzungen  Lemnos,  Imbros, 
Skyros  und  den  Ghersones  fürchten  mußtet,  —  als  diese  Lage  der 
Dinge  eingetreten  war  und  ihr  insgesamt  nach  Euboia  und  Korinth 
ausrücken  wolltet,   da  machte  ApoUodor  den  [434]  Antrag  die  Über- 
schüsse der  Einnahmen  nicht  in  die  Theoriken-,  sondern  in  die  Kriegs- 
kasse zu  zahlen'^  Man  war  bereits  mit  Olynth  verbündet,  Demosthenes 
hatte  bereits  in  seiner  ersten  Philippischen  Rede  (erste  Hälfte)  aus- 
geführt,  wie  man   schnell  und   kräftig  Hilfe  dorthin   leisten   müsse, 
als,  durch  Meidias  besonders  empfohlen,   der  Krieg  für  Plutarch  von 
Eretria  beschlossen  wurde.    Nun  bedurfte  es  doppelter  Anstrengungen, 
die   freiwilligen   Leistungen   (die   Sevrepat   hniS6(TBi(;  in  Mid.  §  161) 
genügten   nicht  mehr,    es   trat  Demosthenes   Freund   Apollodor  mit 
seinem  durchgreifenden   Antrage   auf.     Welche  Konflikte    sich    hier- 
aus  entwickelten,   ist   an   einem   anderen  Ort  dargestellt   („über  die 
Echtheit  der   Urkunden"  oben  S.  217  flf.):   es   war    das    erste   große 
Zusanuuenstoßen  der  Partei,  welche  Demosthenes  führte  und  welche 
man  die  patriotische  nennen  kann  mit  der  des  Eubulos;   es   folgten 
jene  Gewaltsamkeiten  des   Meidias  gegen  Demosthenes,   die   Probole 


294  Demosthenes 

gegen  den  Übermütigen,   der  Mord  des  Nikodemos,   der  Verrat  des 
Flutarch  an  den  Athenern. 

Es  würde  mich  in  die  Frage  über  die  Reihenfolge  der  beratenden 
Reden  des  Demosthenes  einzugehen  nötigen,  wenn  ich  den  weiteren 
Verlauf  der  Verhältnisse  auf  der  Ghalkidike  bis  zu  dem  entscheidenden 
Kriege  darstellen  wollte.  In  der  dritten  oljnthischen  Rede  §  30  be- 
zeichnet Demosthenes  ganz  ähnlich  wie  in  der  Rede  gegen  die  Neaira 
geschieht,  die  Wichtigkeit  jenes  Momentes:  auf  die  Nachricht  von 
Philipps  Angriff  auf  Heraion  Teiehos  hätten  die  Athener  sofort  40  Schiffe 
wohlbemannt  auszusenden,  60  Talente  aufzubringen  beschlossen  —  die 
Aufregung,  in  der  Athen  war,  bezeichnet  auch  Aeschines  über  die 
Truggesandtschaft  §  72  — ,  als  aber  die  Nachricht  gekommen,  daß 
Philipp  krank  oder  gar  tot  sei,  habe  man  die  großen  Anstrengungen 
nicht  mehr  nötig  geglaubt;  „das  war  aber,  fahrt  Demosthenes  fort,  der 
passende  Zeitpunkt,  denn  hätten  wir  damals  rasch  wie  wir  beschlossen 
Hilfe  geleistet,  so  könnte  Philipp  jetzt  nicht,  weil  er  damals  davon 
kam,  uns  zu  schaffen  machen^^  Die  Sendung  nach  dem  Chersones 
verschob  man,  da  die  Gefahr  dort  nicht  mehr  dringend  erscheinen 
mochte;  erst  im  Herbst  351  gingen  zehn  leere  [435]  Schiffe  dorthin 
ab;  die  Entscheidung  schien  sich  nach  der  Ghalkidike  zu  drängen. 
Aber  indem  Athen  sich  in  die  euböischen  Verhältnisse  verwickelte, 
konnte  es  dort  nicht,  wie  es  mußte  und  mit  der  olynthischen  Macht 
vereint  auch  vermocht  hätte,  angreifend  verfahren.  Und  doch  hatte 
Athen  auf  alle  mögliche  Weise  Olynth  zum  Kriege  zu  treiben  gesucht 
(I  %  1  djg  'Okvv&iovg  ixnokefiö^aai  3eT  <I>iki7iT(p,  III  §  7  ixnokefjLÖtrcci 
SbTv  füöfie&u  tovc  dv&(j(6novQ  kx  navrog  rpönov);  die  Olynthier  waren 
es,  die  den  Frieden  mit  Philipp  brachen.  Hr.  Böhnecke  freilich  stellt 
die  Sache  gar  anders  dar;  er  sagt  unter  anderem  (S.  160):  ,jjetzt  in 
ihrer  Not  und  Bedrängnis  wandten  sich  die  Olynthier  an  Athen  um 
Schutz  für  die  Städte,  welche  ehemals  Besitzungen  der  Athenäer  ge- 
wesen waren  und  welche  sie  zum  größten  Teil  ihnen  entrissen  hatten, 
Hilfe  gegen  den  zu  erbitten,  den  sie  noch  kurz  zuvor  als  ihren  lieben 
Verbündeten  betrachtet  und  dem  sie  Werkzeuge  seiner  Vergrößerung 
gewesen  waren.  Ein  Volk,  welches  minder  edel  war  als  das 
athenäische,  hätte  über  ihr  Unglück  Schadenfreude  empfunden  oder 
ihre  Anträge  als  unverschämt  zurückgewiesen.  Aber  Athen  schloß 
Symmachie  mit  ihnen  unter  Bedingungen,  die  milde  gewesen  zu  sein 
scheinen".  Man  kann  die  Verhältnisse  jener  Zeit  nicht  ärger  mißver- 
stehen; es  ist  nicht  der  Mühe  wert,  auf  Widerlegung  solcher  Verkehrt- 
heiten einzugehen.  Nicht  einmal  Demosthenes  spricht  in  seinen  herr- 
lichen olvnthischen  Reden  davon,  daß  Athen  aus  Edelmut  den  Olvnthiem 


über  das  Geburtsjahr  295 

helfen  müsse;  er  sagt,  nicht  bloß  ein  Schimpf  würde  es  sein,  Olynth 
jetzt  zu  Yersänmen,  sondern  noch  viel  wichtiger  gilt  ihm,  daß  jetzt 
zögern  Athen  in  die  äußerste  Gefahr  bringen  würde.  Allerdings  hatte 
Athen  im  Herbst  352  Olynth  auf  jede  Weise  zum  Kriege  zu  treiben 
gesucht;  aber  es  ist  mit  fast  völliger  Evidenz  zu  erweisen,  daß  Philipp 
damals  aus  Thrakien  heimkehrend,  ein  feindliches  Zusammentreffen 
mit  der  Macht  der  Olynthier  vermied,  nur  eine  Verhandlung  mit  den 
chalkidischen  Städten  ergiebt  sich  aus  Theopomp  (XX  fr.  139).  Die 
Fragmente  des  XXI.  Buches  lassen  schließen,  daß  sich  Philipp  zunächst 
während  des  Jahres  351  gegen  die  Illyrier  wandte.  Und  Athen,  statt 
eben  da  zum  Angreifen  zu  drängen,  verwickelte  sich,  wie  [436] 
erwähnt,  in  die  euböischen  Yerhältnisse.  Allerdings  gegen  Demosthenes 
Ansicht;  die  Bede  über  die  Freiheit  der  Rhodier  aus  dem  Herbst  351 
zeigt,  wohin  sich  seine  Bemühungen  wandten;  durch  Unterstützung 
der  Demokratie,  wo  immer  sie  gefährdet  war,  mochte  er  hoffen  für 
Athen  den  hellenischen  Einfluß  wieder  zu  gewinnen,  dessen  einzig 
haltbare  Grundlage,  Yertrauen  zur  Aufrichtigkeit  und  Uneigennützig- 
keit  der.  attischen  Politik,  durch  die  zwanzig  Jahre  der  Symmachie 
und  deren  Bruch  im  Bundesgenossenkriege  zerstört  worden  war;  nie« 
niand  traute  den  Athenern.  Auch  drang  Demosthenes  Antrag  nicht 
durch;  man  gab  Rhodos,  Eos  und  Chios  dem  karischen  Dynasten 
preis,  während  zugleich  die  Sache  der  Athener  auf  Euboia  von.  eben 
dem  Plutarch,  für  den  man  gegen  Eleitarch  und  die  „Bürger^^  sich 
erhoben  hatte,  verraten  wurde.  Und  nun  kam  Philipp,  die  Olynthier 
für  den  Friedensbruch  zu  strafen;  hatte  Athen  früher  geglaubt,  Olynth 
auf  alle  mögliche  Weise  zum  Kriege  treiben  zu  müssen,  nun  war  er 
da;  6  nävre^  k&gvXovv  rico^f  rovro  ninQaxxai  vvvl  ÖTKoaStjnoTB 
(Olynth.  III  §  7),  vvv  irenov  nolifiov  xcei^o^  ijxa  rtg. 

Soviel,  um  das  Verhältnis  zwischen  dem  olynthischen  Kriege  von 
Ol.  107  3,  4  und  dem  in  der  Rede  gegen  Meidias  erwähnten  Zuge 
nach  Olynth  von  Ol.  107  1  zu  bezeichnen.  In  Beziehung  auf  den 
diesem  letzteren  gleichzeitigen  Krieg  um  Tamynai  findet  sich  noch 
eine  Angabe,  welche  ich  der  Vollständigkeit  wegen  noch  besprechen 
will.  In  der  Demosthenischen  Rede  gegen  Boiotos  über  den  Namen 
§  16  wird  angeführt:  xai  vvv  oze  e/t,'  Tapivvuq  TtccoTjk&ov  ol  äXkoi. 
Die  Chronologie  dieser  Rede  ist  nicht  bestimmt;  sie  kann  uns  daher 
nicht  eine  Bestätigung  für  die  oben  gefundene  Zeit  des  Feldzuges 
nach  Tamynai  gewähren.  Vielmehr  hat  Dionys  diese  Erwähnung  von 
Tamynai  benutzt,  um  daraus  die  Zeit  der  Rede  zu  bestimmen.  Er 
sagt  von  Deinarch,  unter  dessen  Reden  sie  aufgeführt  werde,  könne 
sie  des   Alters  wegen  nicht  sein;   fie^ivr/tai  yäu  wg   vemarl    t//s  elg 


296  Demosthenes 

fiijSov  ä()XOPTog  äyevBTO  r^iaxcciSixarov  iroq  AeivaQX^^  «/ovrog  (de 
Dio.  iud.  C.  13).  In  einer  anderen  Stelle  (C.  11)  sagt  er:  6  ^ikv  yao 
Jf]fiO(ri9ivoVi;  [437]  ne()i  rod  dvöjnazo^  löyo*;  xarä  Oaafrakop  tj 
'47tolk6da}()ov  ÜQxovra  miUarai,  Hier  sind  mancherlei  Fehler.  Die 
Rede  erwähnt  nur  den  Auszug  nach  Tamynai;  daß  Dionys  diesen 
nicht  gekannt  und  den  nach  den  Thermopylen  dafür  genommen  haben 
sollt«,  wäre  um  so  denkbarer,  da  derselbe  kn)  OovStjfjLov  Ol.  106  4 
geschah,  und  das  verkehrte  knl  QovfiySov  verändert  sich  am  leich- 
testen in  diesen  Namen;  aber  das  Jahr  des  Thudemos  ist  nicht  das 
dreizehnte  des  Deinarohos,  den  Dionys  Ol.  104  4  geboren  sein  läßt, 
sondern  dies  Geburtsjahr  mitgerechnet  das  neunte.  Die  andere  An- 
gabe, daß  die  Rede  unter  Thessalos  oder  ApoUodor  gehalten  sei, 
empfiehlt  sich  durch  ihre  Richtigkeit;  denn  des  Thessalos  (Ol.  107  2) 
ist  das  Jahr  nach  dem  Auszuge  gen  Tamynai;  und  das  xcct  vDw  der 
Rede  wird  man  füglich  in  einiger  Weite  verstehen  können,  wenigstens 
Dionys  setzt  dafür  t/soxTr/,  so  daß  er,  nach  der  so  aufgefaßten  Zeit- 
angabe in  der  Rede  rechnend,  sie  füglich  noch  um  ein  Archontenjahr 
später  ansetzen  konnte.  Hiemach  zu  schließen,  muß  Dionys  allerdings 
den  Auszug  nach  Tamynai  gekannt  haben:  sehr  dreist  ist  Hrn.  Böh- 
neckes  Vermutung,  daß  derselbe  im  Philochoros  nicht  auf  diese  Weise 
bezeichnet  vorgekommen  sei.  Oberschätzt  man  die  gelehrte  Kritik 
des  Dionys  nicht,  so  wird  man  ihm  schon  zutrauen,  daß  er  einmal 
die  Rede  nB()i  övöfiaroq  richtig  nach  dem  Zuge  gen  Tamynai  be- 
stimmt, und  ein  andermal,  wo  es  gilt,  die  Zeit  der  Rede  gegen 
Meidias  zu  finden,  sich  mit  der  Berechnuag  der  32  Jahre  nach 
Maßgabe  des  aus  den  Vormundschaftsreden  (falsch)  berechneten  Ge- 
burtsjahres begnügt,  ohne  den  in.  eben  der  Rede  erwähnten  Zug  gen 
Tamynai  auch  nur  zur  Controle  zu  brauchen.  Was  Dionys  an  der 
oben  zuerst  citierten  Stelle  über  die  Rede  gegen  Boiotos  angiebt, 
ist,  wie  es  nun  vorliegt,  völlig  verkehrt;  wenn  Dionys  das  Richtige 
geschrieben  haben  sollte,  mußte  es  heißen:  fiifivijrcct  yicQ  rog  vsaxTvi 
TfjQ  alg  Tafivvaq  k^öSov  yayBvijfiip/jii'  y  S'  alg  Tafivva^  'AO-ijvaioav 
H^oSoq  kni  !Aoi(TToSiiixov  ce{)xovTog  hyivaro,  Sixarov  ^ro^  Jbivüqxov 
liXOVTog. 

Ich  will  hiemit  meine  Bemeikungen  schließen,  da  es  nicht  not- 
wendig scheint,  nach  allen  Seiten  hin  die  Consequenzen  des  über 
Demosthenes  Geburtsjahr  gefundenen  Resultates  zu  verfolgen.  Der 
[438]  Kundigere  wird  schon  aus  dem  Mitgeteilten  entnehmen,  wie 
diese  Entscheidung  der  Frage  nicht  ohne  Einfluß  auf  die  Beurteilung 
der  allgemeinen  Verhältnisse  jener  Zeit  ist;  zu  einer  tieferen  uud  wahr- 


über  das  Geburtsjahr  297 

haft  historischen  AoffiAssung  des  großen  Kampfes  der  Fhilippischen 
Zeit  wird  man  nicht  eher  gelangen,  als  bis  man  sich  über  die  Sym- 
pathien für  den  attischen  Partiknlarpatriotismns  za  einem  hellenischen 
Standpunkt  der  Betrachtungen,  zur  Anerkenntnis  dessen,  was  das 
allgemeine,  das  nationale  Interesse  der  Hellenen  daheim  wie  im  Westen 
und  Osten  forderte,  erheben  lernt;  —  eine  M.ahnung,  die  deutschen 
Porschem  um  so  verständlicher  und  dringender  sein  sollte,  je  schmerz- 
licher wir  die  Folgen  gleicher  Zersplitterung,  Eifersüchtelei,  Klein- 
staaterei, gegenseitiger  Entfremdung  zu  tragen  haben.  Was  mochte 
Aristoteles  empfinden,  als  er  von  dem  Griechentum  schrieb:  8vva(uvov 
&QXUV  änüvrmv  fitäg  xvyxccvov  nohrsiag, 

Kiel,  im  Juli  1844. 


V. 

Zur  Geschichte  des  Hellenismns. 

a.  Vorwort  zur  Gresehichte  des  Hellenismus  II  ^ 

(Hambuig  1848  S.  III  ff.,  bis  auf  den  ersten  Absatz  nur  in  wenigen  Exemplaren 

gedruckt). 

Kiel,  den  9.  Mai  1843. 

[III]  Mit  einem  Gruß  an  Sie,  lieber  Olshausen,  will  ich  meine 
Arbeit  schließen.  Es  ist  eine  hoch  bedeutsame  und  doch  fast  ver- 
schollene Entwickelung  politischer  und  nationaler  Beziehungen,  die  es 
galt  zu  erforschen  und  darzustellen.  Um  dieser  Würdigkeit  der  Auf- 
gabe willen,  um  der  Mühe  willen,  die  mir  der  Versuch  sie  zu  lösen 
gemacht,  ist  mir  das  Buch  wert  genug,  daß  ich  es  Ihnen  darbringe. 
Und  doch,  was  ist  es,  das  die  Gabe  des  Dankes  wert,  den  Dank  der 
Gabe  froh  macht?  Sei  sie  Ihnen  lieb  als  ein  Zeugnis  der  herzlichsten 
Verehrung,  die  zu  bekennen  mir  Freude  ist. 

Manches  einzelne  hätte  ich  befürwortend  dem  Buch  voraussenden 
mögen;  doch  scheint  es  mir  wichtiger,  auf  gewisse  allgemeine  Dinge 
einzugehen,  deren  Besprechung,  so  nahe  sie  auch  die  letzten  Gründe 
unserer  Wissenschaft  angehen,  fast  geflissentlich  gemieden  zu  werden 
scheint.  Ich  habe  dazu  um  so  mehr  Anlaß,  da  ich  für  meine  Aufgabe 
zwischen  zwei  gleich  hartnäckigen  Vorurteilen  eine  Stellung  zu  ge- 
winnen suchen  mußte,  und  in  dem  Maß,  als  ich  den  Widerspruch 
beider  erwarte,  die  Pflicht  habe,  mich  über  den  Standpunkt  zu  recht- 
fertigen, den  ich  nehmen  zu  müssen  geglaubt  habe. 

Das  Interesse  der  Gelehrsamkeit  kommt  leicht  dazu,  sich  mit  dem 
zu  begnügen,  was  eben  da  ist.  Wie  wenige  von  den  Fragen,  die  die 
Geschichte  aufwirft,  gewinnen  dorther  die  ersehnte  Antwort  Aber  es 
ist  in  hohem  Grade  wichtig,  daß  die  Gelehrsamkeit  der  Lücken  ein- 
gedenk bleibe,    die   jene   Fragen   ihr  bezeichnen.    [IV]   Denn  leicht 


Vorwort  299 

gewöhnt  sie  sich  an  die  Yoraiissetznng,  es  sei  das  Überlieferte,  oft 
sehr  sporadische,  sehr  zufällige  Bruchstück  aus  einer  reichen  Ver- 
gangenheit, wenn  auch  nicht  ein  volles  und  rings  ausgeprägtes  Lebens- 
bild jener  Wirklichkeiten,  so  doch  deren  ein  wesentlicher  und  charak- 
teristischer Teil,  der  Typus,  nach  dem  man  sich  das  Ganze  ergänzen, 
das  Gesamtbild  entwerfen  müsse.  Für  die  ersten  Jahrhunderte  des 
Hellenismus  —  in  den  späteren  übersieht  man  gern  die  ethnische 
Litteratur  über  die  prätensiöse  Leerheit  der  rhetorischen,  die  Bedeu- 
tung der  socialen  Verhältnisse  über  den  römischen  Staat,  der  welt- 
beherrschend sie  tief  unter  sich  subsumiert  —  für  die  zwei  ersten 
Jahrhunderte  sind  es  die  tTberbleibsel  alexandrinischer  Studien,  welche 
überwiegend  daß  Vorurteil  der  Gelehrsamkeit  bestimmt  haben.  Es 
mußte  meine  erste  Sorge  sein,  zu  erforschen,  ob  in  der  That  „ein 
heftiger  Trieb  zu  massenhaftem  Lesen  und  Schreiben,  Polymathie  und 
Polygraphie  die  Hebel  der  von  Alexander  gestifteten  Welt  sind",  ob 
nicht  vielmehr  jene  Studien  nur  ein  Teil,  vielleicht  nur  ein  kleiner 
Teil  aus  dem  reichen  Gewebe  mannigfaltigster  Interessen  sind,  die 
jene  Zeit  gehegt  hat 

Wie  kommt  die  Geschichte  zu  ihren  Fragen?  wie  kjmn  sie  es 
wagen,  den  vorliegenden  Überlieferungen  ihre  Lücken,  ihre  Fehler,  die 
Schiefheit  der  Gesamtauffassung,  die  sich  aus  ihnen  ergeben  hat,  be- 
zeichnen zu  wollen?  Sie  kann  es,  wenn  sie  über  die  monographische 
Betrachtungsweise  hinaus  den  Zusammenhang  geschichtlicher  Ent- 
wickelungen  zu  erkennen  vermag.  Der  Hellenismus  ist  nicht  eine 
abgerissene  unorganische  Monstrosität  in  der  Entwickelung  der  Mensch- 
heit; er  hat  die  Erbschaft  der  Griechenwelt  wie  des  morgenländischen 
Altertums  mit  allen  aeiivis  und  pctssivis  übernommen,  und  mit  diesem 
Gegebenen  weiter  schaltend  und  sich  weiter  arbeitend  entwickelt  er 
ein  Anderes,  Neues,  das  so  vermittelt  immer  wieder  auf  seine  nächste 
Vorstufe  zurückweiset.  Die  Zeit  des  Hellenismus,  namentlich  den  hier 
vorliegenden  Abschnitt  derselben  zu  verstehen,  würde  man  nach  der 
Dürftigkeit  der  Überlieferungen  kaum  den  Versuch  wagen  dürfen, 
wenn  nicht  klar  vorläge,  von  wannen  sie  kommt  und  wohin  sie  geht, 
und  wenn  nicht  das  eine  wie  andere  in  einer  reicheren  Mannigfaltigkeit 
[V]  von  Momenten  bezeichnet  erkennbar  wäre.  Da  ei geben  sich  jene 
hypothetischen  Linien,  jenes  Netz  von  Vermittelungen  von  jenem  zu 
diesem  herüber,  jene  Fragen,  die,  mögen  sie  aus  dem  Vorhandenen 
beantwortet  werden  können  oder  nicht,  vollkommen  berechtigt  sind, 
das  zußlllig  Erhaltene  auf  seine  Competenz  zurückzuführen. 

So  dürftig  das  Überlieferte,  so  entstellt,  verwittert,  unbedeutend 
noch  von  diesem  Wenigen  das  Meiste  ist,   sobald   nur  gewußt  wird, 


300  ^ur  Geschichte  des  Hellenismus 

was  man  und  in  welcher  Richtung  man  suchen  muß,  finden  sich  noch 
immer  kleine  Stückchen  hier  und  da,  welche  in  jene  hypothetisch 
gezeichneten  Linien  erfreulich  sich  einfugend  bestätigen,  daß  sie,  wenn 
auch  dreist,  doch  richtig  gezeichnet  waren. 

Ich  darf  es  mir  nicht  verbergen,  daß  ich  zu  einer  Auffassung  der 
hellenistischen  2jeit  gekommen  bin,  welche  von  der  herkömmlichen  toU- 
kommen  abweicht.  Während  diese  Zeit  mißachtet  zu  werden  pflegt 
als  eine  große  Lücke,  als  ein  toter  Fleck  in  der  Geschichte  der  Mensch- 
heit^ als  eine  ekelhafte  Ablagerung  aller  Entartung,  Fäulnis,  Erstorben- 
heit,  erscheint  sie  mir  als  ein  lebendiges  Glied  in  der  Kette  mensch- 
licher Entwickelung,  als  Erbin  und  thätige  Verwalterin  eines  großen 
Vermächtnisses,  als  die  Trägerin  größerer  Bestimmungen,  die  in  ihrem 
Schoß  heranreifen  sollten.  Möchte  es  mir  gelungen  sein,  diese  ihre 
Bedeutung  überzeugend  nachzuweisen.  Die  höchste  Aufgabe  unserer 
Wissenschaft  ist  ja  die  Theodicee. 

Wenigstens  sollte  sie  es  sein.  In  Beziehung  auf  die  Geschichte 
des  Altertums  kann  sie  sich  am  wenigsten  rühmen.  Bedeutendes  in 
diesem  Sinn  geleistet  zu  haben.  Von  der  einen  Seite  scheint  nicht 
einmal  dies  Ziel  anerkannt  zu  werden;  von  der  anderen  wird  ihm  eine 
Fassung  unterschoben,  welche  alle  Geschichte  so  zu  sagen  doketisch 
macht 

Es  gab  eine  Zeit^  wo  man  die  Heidenvölker  des  Altertums  in  vUae 
corUumeliam  et  mortis  exitium  geschaffen,  als  wisa  irae  von  Gott  ver- 
lassen und  verstoßen,  zur  ewigen  Verdammnis  prädestiniert  nennen 
mochte.  Eben  da,  wo  solches  Bekenntnis  galt,  erhob  sich  der  Wider- 
spruch des  kühlsten  Bationalismus;  mit  den  schamlosen  Resultaten 
jesuitischer  Pädagogik  schnell  sich  einigend,  [VI]  durchdrang  er  ein 
Jahrhundert  lang  die  Bildung  Europas.  Noch  einmal  schien  sie  sich 
völlig  an  das  Diesseits  zu  verlieren;  alle  sittlichen  Mächte  gab  sie 
hin  in  den  Dienst  des  Eudämonismus;  Pflichterfällung  und  Tugend- 
übung galt  ihr  nur  als  eine  Gattung  des  Genusses;  was  sie  von  Reli- 
gion bewahrte,  war  ein  subjecüves  Bedürfnis  der  Rührung  und  des 
seelischen  Genusses,  ohne  allen  positiven  Inhalt,  ohne  alle  historische 
Bedingtheit,  die  man  maß  und  verwarf  nach  den  Normen  der  Ver- 
nunftreligion, gleich  als  gälte  es,  sich  über  die  empirischen  Anfönge 
seiner  selbst  wie  der  Gattung  hinwegzulügen.  Damals  schwand  der 
geschichtlichen  Betrachtung  das  Interesse  an  die  Stiftung  des  Christen- 
tums so  gut  wie  völlig;  das  Ereignis,  das  sich  auch  dem  blödesten 
Blick  als  die  große  Scheide  in  dem  Gesamtleben  der  Menschheit,  als 
der  Angelpunkt  ihrer  Geschichte  zeigt,  ward  als  nicht  in  die  Geschichte 
gehörig  über  Seite  geschoben,  etwa  mit  der  zweideutigen  Ausweichung, 


Vorwort  301 

nicht  Wunder,  sondern  Facta  habe  sie  zu  betrachten;  mochte  die 
Theologie  fortfahren,  sich  mit  dem  prekären  Ausgangspunkt  ihrer  Dis- 
ziplinen zurecht  zu  finden  und  die  Menge  mit  ihren  Illusionen  zu 
erbauen.  Ich  habe  nicht  auszufuhren,  welche  positiven  Elemente  in 
diesen  Yerirrungen  lagen.  Wie  mächtig  ist  der  Umschwung  in  dem 
religiösen  Leben  des  heutigen  Protestantismus;  wie  bedeutsam  —  man 
sollte  das  nicht  verläugnen  — ,  daß  er  nicht  von  Melchior  Göze  oder 
Pfenniger,  sondern  von  Lessing  und  Kant,  von  platonischen  Studien 
ausging;  nicht  die  bewahrende  Kirche  brachte  ihn,  sondern  die  suchende 
Wissenschaft,  die  zu  ihr  wie  der  verlorene  Sohn  der  Parabel  endlich 
heimkehrend  in  das  Vaterhaus  mit  Freuden,  und  festlichen  Kleidern 
empfangen  ward.  Von  der  Wissenschaft  her,  wenn  so  einmal  die  Ge- 
samtheit idealer  Errungenschaften  der  geschichtlichen  Arbeit  genannt 
werden  darf,  durchdrang  die  Kirche  ein  neues  Leben,  in  den  Dienern 
am  Wort  zunächst  statt  der  aufgeklärten  Flachheit  nützlicher  Moralien 
oder  der  selbstzufriedenen  Bequemlichkeit  einer  traditionellen  Orthodoxie 
das  Bedürftiis  tieferer  Forschung  erweckend,  durch  schärfere  Zweifel, 
durch  nun  näher  gerückte,  nun  sjmplejadische  Gegensätze  hindurch 
zu  tieferer  sittlicher  und  intellektueller  Kraft  führend,  —  in  den  Ge- 
meinden [VIT]  die  alten  glimmenden  Glaubensfunken  von  neuem  an- 
fachend, mit  neuer  Nahrung  mehrend,  den  Beginn  eines  lebendig  teil- 
nehmenden Verhaltens  zu  den  geistlichen  Interessen,  die  nicht  mehr 
ein  undurchdringlicher  Hag  scholastischer  Formeln  und  gelehrter  Ab- 
strusitäten  unzugänglich  machte,  ermöglichend,  auf  daß  endlich  das 
Wort  von  dem  allgemeinen  Priestertum  aller  Christenmenschen  eine 
Wahrheit  werden  könne,  —  überall  endlich  den  gesteigerten  Ansprüchen 
der  Subjektivität  zu  vertiefterem  Verständnis  jene  Geschehnisse,  jene 
Dogmen  vermittelnd,  in  denen  für  immer  die  tiefsten,  die  wesentlichen 
Bezüge  menschlichen  Daseins  niedergelegt  sind.  Denn  das  ist  die 
wundervolle  Tiefe  der  christlichen  Lehre,  die  unerschöpfliche  Kraft  ihres 
geschichtlichen  Lebens,  daß  sie  zuerst  und  für  immer  das  persönliche 
Wesen  des  Menschen  nach  seiner  ganzen  Fülle  von  „Schuld  und 
Ohnmacht  und  Erwählung^*  erfaßt  und  ausgesprochen  hat,  also  daß 
hinfort  jede  wahrhafte  Weiterentwickelung  in  dem  Leben  der  Menschheit 
nur  ein  tieferes  Verständnis  dieser  Lehre  vermittelt,  nur  sie  selbst  in 
reicherer,  freierer  Ausführung  darstellt.  —  Freilich,  es  rufen  die  Zions- 
wächter  unserer  Tage  Anathema  dahin  und  dorthin;  sie  verschmähen 
die  Errungenschaft  tiefer  geschichtlicher  Arbeit,  Irrens  wie  Findens; 
nicht  den  Christus,  den  löyog  hv  Aqxv^  der  bei  uns  ist  bis  an  der 
Welt  Ende,  sondern  den  „historischen"  Christus  wollen  sie;  sie  sagen: 
„siehe,   so   viele  Jahre  diene  ich  dir",   und   sind   zornig  über  jenen 


302  Zur  Geschichte  des  Hellenismus 

verlorenen  Sohn,  der  sein  6nt  verpraßt  hat  und  dann  des  Vaters  Haas 
wiedersucht,  ,,da&  er  mit  Freuden  empfangen  worden,  da  er  verloren 
war  und  ist  wiedergefunden'^  Dieselbigen  sind  es,  welche  liebäugeln 
mit  der  dreifachen  Krone  und  sich  an  dem  Gedächtnis  Luthers  ver- 
sündigen, die  nach  der  Magie  traditioneller  Weihe  seufzen  und  eine 
mündliche  Tradition  vom  Berge  Sinai  her  neben  dem  Gesetz  voraus- 
setzen, nur  um  der  Geschichte  nichts  zu  danken;  sie  verläugnen  den 
heiligen  Geist,  der  Christi  Kirche  vorbereitet  und  geleitet  hat,  ver- 
läugnen Gottes  ewige  Weisheit  und  Liebe,  die  sich  zu  keiner  Zeit 
unbezeagt  gelassen  hat  und  auch  an  den  Heiden  offenbar  geworden 
ist,  deren  Leben  es  war,  ihn  zu  suchen;  sie  erheben  wieder  ein  Rufen 
und  Hadern  über  die  vasa  irae,  über  die  Sündenlust  der  [VIII]  Götzen- 
diener und  die  Teufels  werke  klassischer  Kunst;  sie  denuncieren  die 
Jugendbildung,  daß  sie  sich  besudle  mit  dem  heidnischen  Greul. 

Nachher  soll  diesem  letzten  Vorwurf  begegnet  werden.  Die  Ge- 
schichte hält  fest  an  dem  Glauben  an  eine  weise  und  gütige  Welt- 
ordnung Gottes,  die  nicht  bloß  einige  Gläubige,  noch  ein  auserwähltes 
sondern  das  ganze  Menschengeschlecht,  alles  Erschaffene  umfaßt;  und 
darin,  daß  sie  diesem  Glauben,  „das  ist  eine  Zuversicht,  nicht  zu 
zweifeln  an  dem,  was  man  nicht  siebet'^,  nachringt  mit  dem  Erkennen, 
daß  sie  den  unendlichen  Inhalt  dieses  Glaubens  in  endlich  mensch- 
licher Weise,  in  den  Kategorien  des  Denkens  und  Begreifens  immer 
von  neuem,  in  immer  engerer  ümzirkelung  auszusprechen  versucht, 
darin  und  nur  darin  weiß  sie  sich  als  Wissenschaft.  Sie  beruft  sich 
auf  das  große  Wort  des  Heidenapostels:  „als  die  Zeit  erfüllet  war*% 
zum  Zeugnis,  daß  die  Stiftung  des  Christentums  nicht  ein  willkürlicher 
und  zusammenhangsloser  Gnadenakt  göttlichen  Beliebens  war,  sondern 
Gottes  ewiger  Batschluß  von  Anbeginn  zu  diesem  Punkte  hin  die 
Völker,  Juden  wie  Heiden,  geleitet,  erzogen  und  geweiht  hat 

Ich  habe  mich  nach  einer  zweiten  Seite  hin  zu  wenden.  Ich  muß 
besorgen,  mit  meiner  Betrachtungsweise  auch  von  den  Philologen  ge- 
scholten zu  werden,  ich  meine  jenen  begeisterten,  die  nicht  müde 
werden,  das  klassische  Altertum  als  ein  verlorenes  Paradies  alles 
Schönsten  und  Edelsten  sich  zu  schmücken  mit  den  lieblichsten  Bildern 
der  Phantasie,  mit  den  utopischen  Idealen  voraussetzender  Bewunde- 
rung. Schon  sonst  haben  sich  deren  etliche  an  mir  geärgert,  wenn 
ich  nicht  patriotisch  blind  mit  Demosthenes  haßte  und  in  Aristophanes 
mehr  den  Schalk  als  den  Tugendprediger  sah.  Wie  weit  bin  ich  ent- 
fernt, die  Herrlichkeit  des  klassischen  Altertums  zu  verkennen;  aber 
hier  wie  so  oft  paßt,  was  Lichtenberg  von  dem  Tausendfuße  sagt,  der 
doch  nur  vierzehn  Füße  hat.  —  Ich  wünschte  wohl,  mich  mit  denen 


Vorwort  303 

ZU  yerständigen,  deren  Bereich  ich  so  oft,  wenn  auch  anderen  Zielen 
zu,  zu  durchpilgem  habe. 

Die  Geschichte  der  Philologie  wird  es  nicht  minder  rechtfertigen, 
wie  ihr  Beruf  in  der  Gegenwart,  wenn  sie  sich  überwiegend  [IX]  im 
Interesse  der  Pädagogik  gestaltet  hat.  Nicht  das  Altertum  in  seiner 
historischen  Wirklidikeit  und  Bezüglichkeit,  sondern  die  Ideale  des 
Altertums  sucht  sie,  erläutert,  yergegenwärtigt  sie.  Was  jene  hoch- 
begabten Volker  als  ihr  edleres  Selbst  geahndet^  in  ihren  Mythen  und 
Götterbildern  ausgeprägt,  in  ihren  Verfassungen,  in  ihrer  Ethik  aus- 
zusprechen versucht)  was  sie  als  das  Wahre,  Berechtigte,  Bleibende  in 
ihrem  buntbewegten  Leben  erkannt  haben,  das  ist  es,  was  die  Philo- 
logie zu  erforschen  und  dem  lebendigsten  Verständnis  zu  yermitteln 
den  schönen  Beruf  hat.  Es  sind  die  edelsten  und  vollendetsten  Bilder 
rein  menschlichen  Dichtens  und  Trachtens,  die  höchsten  Gestaltungen, 
zu  denen  sich  der  natürliche  Mensch  in  der  Fülle  glücklichster 
Begabung  zu  erheben  vermag;  mit  feinem  Sinn  ist  das  Wort  Huma- 
nität zur  Bezeichnung  dieser  Studien  und  ihres  Zieles  gewählt  worden. 
Um  keinen  Preis  wird  die  Geschichte  die  Ideale,  die  einer  Zeit,  einem 
Volk  aufgegangen  sind,  zugleich  die  Blüte  ihrer  Entwickelung  und  die 
Norm,  an  der  sie  ihre  Wirklichkeiten  selbst  bemessen,  sich  entgehen 
lassen;  wenn  irgend  wo,  so  spricht  sich  in  ihnen,  in  der  immer 
reicheren  und  tieferen  Ausbildung  der  Vorbildlichkeiten,  zu  denen  sich 
der  einzelne  emporzuarbeiten,  in  denen  die  Gesamtheit  ihre  Aufgabe 
zu  erfassen  versucht,  der  ununterbrochene  Fortschritt  in  der  Gesamt- 
entwickelung der  Menschheit  aus.  Aber  ebenso  gewiß  ist  das  ewig 
irrationale  Verhalten  der  empirischen  Wirklichkeiten  zu  jenen  eben  die 
Unruhe,  die  Lebendigkeit,  das  stete  Weiterdrängen  alles  menschlichen 
Daseins,  das  in  der  Fülle  seiner  Bewegung  zu  verfolgen  der  Geschichte 
obliegt.  So  lehrreich  es  ist,  in  Kaphaels  Madonnen,  in  Glucks  Iphi- 
genien  Ideale  zu  sehen,  die  in  dem  Bereich  der  Anschauungen  ihrer 
Zeit  lagen,  so  wenig  wird  man  etwa  nach  jenen  die  holdseligste 
Frömmigkeit  für  den  Hof  des  sechsten  Alexander,  des  zehnten  Leo 
vindicieren,  in  diesen  ein  Gesamtbild  sittlicher  Schönheit,  wie  sie  die 
Zeiten  des  Diderot  und  des  parc  aux  oerfs  gezeigt  hätten,  wiedererkennen 
wollen.  So  aber  scheint  vielfach  die  Philologie  zu  irren;  nach  den 
Idealen,  die  ihr  griechische  Plastik  und  Poesie  zeigt  oder  das  ver- 
schönende Gedächtnis  des  späteren  Römertums  in  Fabricius,  in  Begulus 
anschaut,  denkt  [X]  sie  sich  gern  die  Gesamtheit  der  Wirklichkeiten 
im  hellsten  Sonnenlicht,  in  farbigster  Lebenspracht,  um  so  plastischer 
die  einzelnen  Charaktere,  um  so  typischer  die  einzelnen  GroBthaten, 
je   sparsamer    die  Notizen    sind,    die    das    alleinige   Motiv    zu    dem 


304  Zur  Geschichte  des  Hellenismus 

unwillkürlich  ergänzten  Gresamtbilde  des  Mannes,  des  Ereignisses  geben. 
Lächelnd  mag  die  Geschichte  auf  die  lieblichen  Tanschungen  schanen, 
an  denen  sich  ihre  treue  Genossin  freut;   gern  läßt  sie,  die  trübere, 

• 

schmucklosere,  jener  den  Vorgang,  wo  es  gilt,  in  die  Herzen  der  nach- 
wachsenden Gesohlechter  große  und  erhebende  Bilder  menschlicher 
Entwickelungen  niederzulegen.  E&  hat  eine  tiefe  Berechtigung,  daß 
sich  die  Jugendbildung  vertraulich  an  jene  Ideale  des  klassischen 
Altertums  anschmiegt,  sich  entschieden  nicht  auf  die  heiligeren  des 
alten  Testaments,  auf  die  unendlich  tieferen  christlicher  Weltuischauung 
beschranken  will. 

Dieselbe  Berechtigung,  die  es  hatte,  daß  der  reformatorischen 
Bewegung  des  fanfeehnten  Jahrhunderts  die  Begeisterung  für  das 
klassische  Altertum  zur  Seite  trat;  erst  beide  vereint  erfaßten  die  Grund- 
schwächen der  Zeit,  die  es  galt  zu  überwinden.  Ich  habe  an  einem 
anderen  Orte  nachzuweisen  versucht,  wie  dem  heidnischen  Altertum, 
das  auf  dem  Boden  des  natürlichen  Daseins  wurzelnd  ganz  dem  Dies- 
seits angehört  hatte,  in  gleicher  Einseitigkeit  nur  dem  Jenseits  zuge- 
wandt und  die  Welt  mißachtend  die  Jahrhunderte  des  Mittelalters 
gegenüberstehen,  wie  das  sinkende  Heidentum  zur  Weltentgötterung 
und  zum  Akosmismus,  das  sinkende  Mittelalter  zur  Gottentweltlichung 
und  zur  wüstesten  Verwilderung  des  kreaturlichen  Daseins  hat  führen 
müssen,  wie  mit  der  Reformation  und  der  gleichzeitigen  Rückkehr  zum 
Altertum  die  Versöhnung  eingeleitet  ist  zwischen  dem  Diesseits  und 
Jenseits,  die  lebendige  und  positive  Vermittelung  des  großen  Gegen- 
satzes, der  die  Welt  wie  das  Leben  des  einzelnen  durchdringt,  ein 
Durchgeistigen  der  stummen  Endlichkeiten,  daß  die  Welt  in  Wahrheit 
eine  Gotteswelt  werde,  ein  kühneres  Ringen  des  Geistes  mit  der 
Natur  und  ihren  Mächten,  „daß  er  ein  Priester  der  Schöpfung  werde, 
durch  den  sie  als  ein  reines  Opfer  emporsteige  an  den  Thron  Gottes**. 

[XI]  Mag  dies  zugleich  dienen,  den  Schlußworten  des  Buches 
ihren  weiteren  Zusammenhang  zu  sichern.  Es  klingt  frommer  als  es 
ist,  über  die  Ohnmacht  und  Verlorenheit  menschlichen  Wesens  zu 
seufzen.  Ist  jede  Kreatur  ein  Dasein  ihrer  Gattung,  Trägerin  ihres 
GattungsbegriflFes,  so  ist  die  Geschichte  der  Gattungsbegriff  des  Menschen. 
Wie  einsam,  verloren,  trostbedürftig  ist  der  einzelne  in  dem  Gefühl 
seiner  empirischen  Endlichkeit,  seiner  Schwäche  und  Verzagtheit;  da 
ist  es,  wo  er  der  Gottheit  sich  zuwendet,  unablässig  ringt,  ihrer  gewiß 
zu  sein.  Aber  zugleich  fühlt  er  nicht  bloß  dieser  einzelne,  sondern 
ein  Glied  zu  sein  in  dem  Kreise  seines  Volkes,  seiner  Zeit,  ein  Glied 
in  der  großen  Continuität  der  Geschichte,  erfüllt  und  getragen  von 
dieser  Allgemeinheit,  dem  Quell  seiner  Sittlichkeit,  mitberufen  zu  dem 


Vorwort  305 

großen  Werk  der  Menschheit.  So  vernimmt  er  den  Ruf,  der  auch  an 
seine  Schwachheit  ergeht;  er  richtet  sich  auf,  sein  Wollen  zu  üben, 
sein  Können  zu  versuchen,  mitzuwirken  so  viel  er  vermag  zu  der 
großen  Arbeit  des  Geschlechtes,  „der  Rückleitung  der  Schöpfung  zu 
Gott",  wie  ein  altes  mystisches  Wort  es  nennt;  er  ist  nur,  indem  er 
dies  rastlose  Weiterwirken,  den  Gattungsbegriff  des  Geschlechtes  auch 
an  seinem  Teil  zur  Darstellung  bringt  —  Oder  ruft  man  mir  zu:  das 
ist  Pelagianismus,  das  ist  der  Hochmut  der  Selbstgerechtigkeit?  Christi 
Wort,  d-toi  koTSy  kann  nicht  vergebens  sein;  die  Geschöpfe  nach  Gottes 
Ebenbild  geschaffen,  sind  keine  ichlosen  Phantome,  keine  Nebelbilder, 
zu  verschwimmen  und  zu  vertäuen  in  dem  Licht  des  Überirdischen. 
Aber  zwischen  Gott  und  uns  ist  die  Welt.  Es  gilt,  die  Welt  zu  über- 
winden. Es  gilt  —  ein  endloses  Werk  —  forschend  und  gestaltend, 
nützend  und  begreifend  alle  Weiten  und  Tiefen  zu  umspannen,  alle 
Massen  und  Femen  zu  durchdringen,  dies  Ich,  den  Keim  Göttlichkeit 
in  uns,  nach  seiner  unendlichen  Eraftmöglichkeit  zu  entwickeln,  nach 
seiner  ungemessenen  Machtberechtigung  zu  bethätigen,  immer  wieder 
erregt  durch  die  unmittelbaren  Anlässe  eudämonistischen  Bedürfens, 
getragen  von  den  machtigen  Normen,  die  der  Staat  gewährt,  verklärt 
durch  die  Beziehung  zu  dem  ewigen  Licht,  in  dessen  Strahl  erst  diese 
Sonnenstäubchen  Endlichkeit  leuchten  und  sich  regen.  Welch  ein 
Anblick,  diese  Wunderkraft  [XII]  des  Menschengeistes  arbeiten  zu  sehen; 
der  Natur  lauscht  er  ihre  geheimsten  Kräfte  ab,  beherrscht  sie  mit 
ihren  Gesetzen,  macht  ihre  elementaren  Gewalten  seinen  Zwecken 
dienstbar,  daß  sie  selbst  ihm  zu  einer  Fortsetzung,  Mehrung,  Poten- 
zierung seiner  Organe  werden;  Riesen  baut  er  sich,  die  für  ihn  arbeiten; 
er  bev^afihet  sein  Auge,  daß  es  die  Tausend teilchen  eines  Sandkorns 
erspäht  und  in  der  toten  Materie  ein  erstorbenes  Leben  wiedererkennt; 
mit  der  Eile  der  Sekunde  wetteifernd  überholt  er  die  Räume ;  an  einem 
Eisenfaden  leitet  er  die  Zeichen  seines  Wortes  soweit  hin  er  will,  daß 
es  dort  gezeichnet  steht  in  dem  Moment,  da  er  es  ausspricht;  was  da 
ist  und  war,  alles  erfaßt  er  mit  der  Wunderkraft  des  Gedankens,  bannt 
es  forschend  und  begreifend  nach  seinem  Wesen  und  Gesetz,  das  ist 
seinem  wahrhafteren  Inhalt  nach,  in  die  lebendige  Gegenwärtigkeit  des 
Bewußtseins;  spricht  es  aus  in  der  Wissenschaft,  die  seine  Schöpfung 
ist,  wie  Gottes  die  Welt  Freilich,  seine  Schöpfung;  aber  den  Sabbath 
der  Ruhe  bringt  sie  ihm  nicht;  sie  kann  uns  jene  stille  Zuversicht 
des  Glaubens,  jenen  tieferen,  nie  versiegenden  Lebensborn  nimmermehr 
versagen  noch  ersetzen  wollen.  Es  ist  doch  in  dem  einzelnen  noch 
ein  anderer  Inhalt  als  der,  der  Continuität  der  Gattung  anzugehören; 
vielmehr,  sie  ist  selbst  nur,  indem  sich  in  jedem  einzelnen  das  Mysterium 

Droysen,  Kl.  Schriften  I.  20 


306  Zur  Geschichte  des  Hellenismus 

ihres  Anfanges  erneut,  von  dem  aus  er  nacheilend  sie  geistig  durchlebe. 
„Wo  aber  der  menschliche  Geist  sich  selbst  oder  der  Wirklichkeit 
voraneilt,  da  regt  sich  in  ihm  die  Idee  Gottes". 

Ich  habe  dies  andeuten  zu  müssen  geglaubt,  da  die  Natur  meiner 
Aufgabe  mich  notwendig  über  das  Gebiet  des  äußerlich  Geschichtlichen 
hinaus  führt,  mich  in  Fragen  verwickelt,  deren  Beantwortung  durch 
den  Standpunkt,  von  dem  aus  sie  betrachtet  werden,  wesentlich  modi- 
ficiert  erscheint.  Ich  habe  absichtlich  das  verrufene  Wort  Eudämonis- 
mus  gebraucht,  um  zu  bezeichnen,  weshalb  ich  nicht  in  die  Jammer- 
klagen über  die  sogenannten  materiellen  Interessen  mit  einstimmen 
kann,  die  manchem  seraphischen  Gemüte  die  Gegenwart  ganz  verloren 
und  verworfen  erscheinen  lassen;  ihre  Bedeutsamkeit  für  das  Ver- 
ständnis der  hellenistischen  Zeit  forderte  eine  Bezeichnung  ihrer  Be- 
rechtigung. Nun  und  [XIII]  nimmermehr  wird  sich  eine  sittliche 
£thik  gestalten  oder  die  christliche  Moral  über  das  Gesetz  hinaus- 
kommen, wenn  nicht  dem  Eudämonismus  sein  Recht  und  seine  Stelle 
wird;  mahnt  doch  das  Wort  des  Apostels,  dem  Fleisch  seine  Ehre  zu 
geben.  Die  Welt  überwinden  heißt  nicht  sie  verwünschen  und  über- 
springen; gälte  es,  den  Leib  nicht  zu  adeln  und  zu  verklären,  sondern 
zu  mißhandeln  und  zu  ertöten,  so  wäre  jene  Muckerei  beschämenden 
Andenkens  im  Rechten. 

Noch  finde  ich,  um  die  vorliegende  Darstellung  des  Hellenismus 
zu  bevor  Worten,  einen  Punkt  hervorzuheben,  für  den  freilich  in  dem 
Bisherigen  wenigstens  der  Zusammenhang,  in  dem  ich  ihn  betrachten 
zu  müssen  glaube,  erkennbar  sein  wird.  Ich  befinde  mich  in  der  Ver- 
legenheit, mich  auf  Erörterungen  einlassen  zu  müssen,  welche  nur  dann 
zu  einem  befriedigenden  Resultat  führen,  die  volle  Kraft  des  Beweises 
gewinnen  könnten,  wenn  ihnen  innerhalb  einer  Historik,  einer  Wissen- 
schaftslehre der  Geschichte  ihre  Stelle  vindiciert  werden  könnte.  Es 
giebt  wohl  kein  wissenschaftliches  Gebiet,  das  so  entfernt  ist,  theoretisch 
gerechtfertigt,  umgrenzt  und  gegliedert  zu  sein,  als  die  Geschichte; 
über  die  Virtuosität  ihrer  Technik  und  die  überreiche  Aufhäufung 
neuer  Materialien,  über  die  dreiste  Absichtlichkeit  der  Publicistik  und 
den  raschfertigen  Dilettantismus  der  Philosophie  scheint  die  Wissen- 
schaft zu  vergessen,  was  sie  entbehrt.  Wie  in  jenen  in  Selbsttäuschung 
glücklichen  Zeiten  des  Wolfianismus  und  der  Encyklopädisten  die  Philo- 
sophie mit  einer  Menge  von  sporadischen  Ideen  und  Resultaten  her 
und  hin  naturalisierte  und  dem  Jahrhundert  ihren  Namen  geben  zu 
können  glaubte,  bis  dann  das  mächtige  Wort  Kants  den  Krystalli- 
sationspunkt  darbot,  um  den  sich  alle  jene  unruhige  Gährung  zu  klaren 
festgefugten  Gestaltungen  niederschlug,   ebenso  irrt  und  wirrt   auch 


Vorwort  307 

unsere  Wissenschaft  ^  mit  deren  Namen  unsere  Zeit  sich  in  mannig- 
fachen Tendenzen  zu  bezeichnen  liebt,  noch  umher,  ohne  ihren  Lebens- 
punkt als  Wissenschaft  und  damit  ihr  Gesetz,  ihren  Bereich,  ihre 
Gliederung  gefunden  zu  haben;  noch  glaubt  sie  bald  da,  bald  dort  ihn 
borgen  zu  müssen,  gegängelt  heut  von  Patriotismus  oder  banausischer 
Moral,  morgen  zurecht  gewippt  nach  der  Mechanik  diplomatischer  Kunst, 

[XIV]  ein  andermal  von  plastischen  oder  romantischen  Monomanien 
überfüttert,  dann  wieder  von  frommem  Zelotismus  in  Sack  und  Asche 
gesteckt  oder  von  hektischer  Kritik  bald  ins  Mystische  verdüftelt,  bald 
ins  Triviale  abgedämpft.  Uns  thäte  ein  Kant  not,  der  nicht  die  histo- 
rischen StoflFe,  sondern  das  theoretische  und  praktische  Verhalten  zu 
und  in  der  Geschieht«  kritisch  durchmusterte,  etwa  in  einem  Analogon 
des  Sittengesetzes,  einem  kategorischen  Imperativ  der  Geschichte,  den 
lebendigen  Quell  nachwiese,  dem  das  geschichtliche  Leben  der  Mensch- 
heit entströmt.  Oder  hätte  die  „Philosophie  der  Geschichte"  das  schon 
gewährt?  ich  glaube  nein,  wenn  anders  sie  das,  was  war  und  ist,  für 
Exemplification  der  Logik,  die  Geschichte  für  den  Automaten  eines 
wenn  auch  noch  so  großartigen  Systems  dialektischer  Bewegung  ge- 
halten hat;  ich  glaube  nein,  wenn  sie  auch  in  dem  Prinzip  der  Per- 
sönlichkeit einen  neuen  Ausgangspunkt  erringend,  doch  nur  das  Uner- 
klärliche in  millionenfacher  Wiederholung  postuliert  zeigt  Willkommener 
könnte  eine  „Theologie  der  Geschichte"  sein,  wenn  nicht  Gefahr  wäre, 
daß  der  Name  einem  noch  ärgeren  Dilettantismus,  einer  noch  dreisteren 
Absichtlichkeit  Thür  und  Thor  öffnete.  Und  doch  scheint  manches 
darauf  hinzudeuten,  daß  der  tiefer  erfaßte  Begriff  der  Geschichte  der 
Gravitationspunkt  sein  wird,  in  dem  jetzt  das  wüste  Schwanken  der 
Geisteswissenschaften  Stätigkeit  und  die  Möglichkeit  weiteren  Fort- 
schrittes zu  gewinnen  hat. 

Ich  begegne  zunächst  einer  trivialen  Frage.  Heißt  nicht  mit 
rollern  Recht  die  Zeit  des  Hellenismus  die  eines  allgemeinen  Verfalls? 
Man  ist  mit  Worten  wie  Blüte,  Verfall  gar  schnell  bei  der  Hand;  je 
einseitiger  die  Betrachtung,  desto  entschiedener  und  umfassender  das 
Urteil.  Nicht  immer  ist  mit  dem  Verfall  staa-tlicher  Gestaltungen  der 
des  religiösen  Lebens,  der  socialen  Entwickelungen  gleichzeitig;  noch 
weniger  bedingt  die  Blüte  der  Gewerbe,  des  Handels,  der  Künste  not- 
wendig die  des  sittlichen  Fortschrittes,  der  nationalen  Kraft.  Die 
unendlich  reichen  Beziehungen,  die  in  ihrem  tausendfach  geschürzten 
Gewebe  erst  das  Leben  der  Geschichte  darstellen,  wie  selten  lassen  sie 
sich  auf  so  abstrakte  Gesammtausdrücke  zurückführen.  Allerdings  giebt 
es  ein  geschichtliches  Verfallen  des  einzelnen  Volkes;  es  ist  dann,  wenn 

[XV]  der  belebende,  geistige  Inhalt  aus  seinem  Leben  schwindet,  wenn 

20» 


308  Zur  Geschichte  des  Hellenismus 

es  aufhört,  die  Lebenskraft  zu  neuen  Metamorphosen,  zu  neuen  Yer- 
impfungen  und  Angliederungen  zu  haben,  wenn  es  in  seine  ürstande, 
in  jene  bloß  natilrlich  vegetaÜTe  Weise  des  empirischen  Daseins  zurück- 
sinkt Wie  wenig  das  von  der  Zeit  des  Hellenismus  gesagt  werden 
kann,  glaube  ich  nachgewiesen  zu  haben.  Wohl  kann  man  sie  als 
Verfall  bezeichnen,  wenn  man  gewisse  Einzelnheiten,  die  nun  verfielen 
oder  verfallen  waren,  angiebt  und  diese  zum  alleinigen  Maßstab  des 
ürteilens  macht,  —  etwa  die  künstlerische  Herrlichkeit  der  klassischen 
Zeiten,  wobei  man  denn  freilich  von  der  reicheren  Wissenschaftlichkeit 
der  hellenistischen  absehen  muß,  —  oder  die  treuherzige  Frömmigkeit 
der  Marathonskämpfer,  wobei  freilich  unberücksichtigt  bleibt,  weß  In- 
haltes sie  war.  Der  Hellenismus  ist  die  moderne  Zeit  des  Heidentums. 
Und  damit  komme  ich  zu  einem  Zweiten.  Man  hat  versucht, 
jenes  Unbestimmte  und  Abstrakte  auf  ein  erkennbares  und  wesent- 
liches Maß  zurückzuführen;  man  nimmt  an,  daß  in  der  angeborenen, 
naturbestimmten  Begabung  eines  Volkes  eine  bestimmte  Reihe  von 
Kräften,  Befähigungen,  Richtungen  liege,  welche  sich  hinaus  zu  gestalten 
hätten;  wenn  dieser  Kreis  von  Verwirklichungen,  die  geschichtliche 
Aufgabe  eines  Volkes,  vollbracht  sei,  so  beginne  dessen  Verfall.  Ich 
habe  in  den  Schlußworten  dieses  Buches^  Anlaß  gehabt,  mich  über 
diese  organische  oder  richtiger  vegetative  Ansicht  zu  äußern.  Keines- 
wegs in  so  einfachem,  vielleicht  für  die  rein  natürlichen  Existenzen 
ausreichenden  Schematismus  gestaltet  sich  geistiges  Leben.  Dieser 
Schematismus,  wie  ähnliches  in  vielen  Fällen  in  einseitiger  Betrach- 
tungsweise von  der  conventioneilen  Schätzung  des  griechischen  Alter- 
tums abstrahiert,  stimmt  keineswegs  mit  der  Mehrzahl  historischer 
Erscheinungen,  deren  allgemeines  Gesetz  zu  sein  er  in  Anspruch  nimmt 
Er  hat  vielleicht  nur  für  den  sogenannten  Naturstaat  eine  allgemeine 
Anwendbarkeit,  nur  so,  daß  nach  Überschreitung  dieser  ersten  Stufe 
nationaler  Existenz  dasselbe  Volk  durch  äußere  oder  innere  Impulse 
bestimmt,  sich  zu  neuer  entwickelterer  Thätigkeit  zu  erheben  vermag, 
wie  denn  eben  dies  die  hellenistische  Zeit  in  einigen  charakteristischen 
Beispielen  zu  zeigen  scheint.  Und  dann  [XVI]  wieder:  wie  die  Kenn- 
zeichen jener  naturbestimmten  Mitgaben  umgrenzen?  genügt  es,  den 
heimischen  Boden  als  präformierend,  Licht  und  Luft  als  bestimmend 
zu  verst-ehen,  warum  wirken  sie  denn  nicht  wieder  in  allen  Generationen 
oder  auf  Einwandernde  anderen  Stammes  dieselben  Resultate?  und 
trägt  die  Disposition  eines  Stammes  Wesentliches  bei,  wie  denn  anders 


*  [Sie   sind   in   der   zweiten  Bearbeitung   vom   Verf.   wesentlich  gekürzt 
worden!. 


Vorwort  309 

die  Mitthätigkeit  dieses  Faktoren  messen,  als  eben  in  dem  geschicht- 
lichen Erscheinen  seiner  Wirksamkeit;  aber  Sprache  und  Mythos,  gewiß 
die  ursprünglichsten  und  bezeichnendsten  Formen  nationaler  Phy- 
siognomik, verwandeln  sich  ja  mit  der  Oeschichte;  wo  hört  denn  diese 
auf,  organisch  zu  sein?  Oder  hätte  die  ganze  romanische  Welt,  deren 
Sprachen  ja  keine  organische  Ursprünglichkeit  bewahrt  haben,  die  ganze 
germanische  Welt,  die  mit  ihrem  Eintreten  in  die  Oeschichte  für  ihren 
Mythos  die  Evangelien  und  Legenden  der  Heiligen  eingetauscht  hat, 
keine  Oeschichte?  Man  sieht,  wie  unzulänglich  diese  Theorie  ist,  in 
der  „Metamorphose^^  der  Völker  das  bestimmende  Oesetz  zu  bezeichnen. 
Es  ist  ein  merkwürdiges  Zeichen  der  Zeit,  daß  sich  diese  Theorie  der 
Naturwüchsigkeit  mit  dem  Prinzip  der  Christlichkeit  hat  verbinden 
wollen;  es  ist  charakteristisch,  wenn  der  berühmte  Vertreter  dieser 
Verbindung  das  als  den  Segen  wahrer  Not  für  die  Völker  wie  für  den 
einzelnen  bezeichnet,  daß  ihre  eigenste  Natur,  das  Angeborene,  GK)tt- 
gegebene  in  ihnen  „im  Zorn  oder  in  anderer  unbesinnlicher  Begung^' 
wieder  hervorbreche,  und  daß,  wo  nur  überhaupt  wahrer  Charakter 
(das  heißt  ein  so  Angeborenes,  Ursprüngliches)  sei,  derselbe  ein  Unver- 
wüstliches sei,  bis  die  Sünde  ganz  des  Menschen  Herr  geworden.  Ich 
zweifle,  daß  das  Christentum  so  die  unbesinnlichen  Regungen,  den 
natürlichen  Menschen,  über  die  Sünde  stellen  kann;  ich  zweifle,  daß 
die  wahrhaftige  Lehre  von  der  Erbsünde  ihre  Stelle  behält,  wenn  die 
Kreatürlichkeit  auf  solche  Weise  liebkost  wird.  Was  die  Lehre  der 
Natnrwüchsigkeit  vertritt,  ist  nichts  anderes  als  das  Heidentum  selbst; 
und  doch  wird  mit  demselben  Munde  Bann  und  Buße  gefordert.  Irre 
ich  nicht,  so  spricht  sich  hier  auf  das  Stärkste  der  Drang  echt  pro- 
testantischer Entwicklung  aus,  dem  Natürlichen,  Heidnischen  eine 
positive  Beziehung  zum  Christlichen  zu  erwerben  und  mit  demselben 
jenes  zu  verklären;  [XVII]  nur  daß  in  dieser  Form  beide  Momente 
noch  starr  und  unvermittelt  neben  einander  stehen,  jedes  über  das 
andere  hingreifend,  ohne  es  noch  fassen  zu  können.  Jene  Ansicht  der 
Naturwüchsigkeit  übersieht,  wie  diese  selbst  nur  darin  ihre  Bedeu- 
tung hat,  daß  sie  sich  zur  geschichtlichen  Bewegung  erschließt  und 
so  an  sich  selbst  eine  Continuität  von  Umbildungen  geschehen 
läßt,  deren  Wesen  es  ist,  die  Resultate  geschichtlicher  Bewegung, 
Theorien,  Prinzipien,  Ideale,  zu  verwirklichen,  dem  Gegebenen  anzu- 
naturen.  Die  Naturwüchsigkeit,  in  die  Oeschichte  tretend,  bereichert 
sich  so  fort  und  fort  mit  dem  wachsenden  Reichtum  geschichtlicher 
Erarbeitungen. 

Auf  diesen  Pränüssen  ruht  diejenige  Ansichtsweise,  welche,   eine 
Weiterführung  jener,    unter    dem  Namen   der   historischen   recht 


310  Zur  Geschichte  des  Hellenismus 

eigentlich  in  Anspruch  nimmt,  die  Bedeuteamkeit  der  geschichtlichen 
Entwickelung  zu  vertreten.  Sie  sieht  in  dem  ruhig  dahin  strömenden 
Verlauf  geschichtlichen  Werdens,  das  weit  hinaus  über  List  und  Willkür 
des  einzelnen  „sich  wie  von  selbst  macht",  eine  Berechtigung,  eine 
Autorität,  deren  Anerkennung  ihr  außer  aller  Frage  ist.  Bis  dann 
eine  Zeit  gekommen,  wo  sich  der  eigenwillige  Verstand  gegen  diese 
Autorität  erhoben,  eine  Berechtigung  in  ihm  selbst,  zu  fragen,  zu  ent- 
scheiden, nach  eigenem  Ermessen  zu  schalten,  in  Anspruch  genommen, 
„die  Wurzeln  jenes  weltalten  Baumes  fürwitzig  entblößt  und  ertötet 
hat".  Sie  sieht  von  dem  an  statt  der  Entwickelung  Verwilderung, 
statt  des  Fortschreitens  allgemeine  Auflösung,  ein  immer  wachsendes, 
immer  weiteres  Verfallen.  Sie  sieht  durch  die  Aufklärung  des  vorigen 
Jahrhunderts  und  ihre  furchtbare  Bethätigung  in  der  französischen 
Revolution  den  Zusammenhang  geschichtlicher  Entwickelung,  die  Be- 
ziehung der  Gegenwart  zu  den  früheren  Jahrhunderten  gewaltsam 
durchrissen;  sie  erkennt  da  eine  Tendenz,  die,  für  Sitte,  Recht,  Staat, 
Religion  gleich  verderblich,  an  die  Stelle  ruhiger  Weiterbildung  revo- 
lutionäre Ideen,  die  Ungeduld  rationeller  Forderungen  und  abstrakter 
Theorien,  die  Frevellust  des  destruierenden  Verstandes,  die  Frechheit 
allgemeiner  Menschenrechte  treten  lasse,  alles  Ehrwürdige  und  Her- 
kömmliche, alle  wohlerworbenen  Rechte,  alle  wohlthätigen  und  durch 
die  Treue  uralter  Gewohnheiten  geheiligten  [XVIII]  Unterschiede  miß- 
achtend und  freventlich  zerstörend.  Diese  Ansicht  ist  es,  der  die 
gegenwärtige  Welt  aus  ihren  Fugen  gerenkt  erscheint,  die  das  einzige 
Heil  darin  sieht,  daß  man  solchen  Übermut  des  menschlichen  Geistes 
niederwerfe,  den  wilden  Strom  zuschütte,  seine  Quellen  verstopfe,  daß 
man  die  Zeit  der  Aufklärung,  der  Revolution  möglichst  aus  dem  Ge- 
dächtnis der  Menschen  tilge  oder  sie  wenigstens  in  ihrer  abschreckendsten 
Zerrgestalt  darstelle,  daß  man  zu  den  Ehrwürdigkeiten  und  Herkömm- 
lichkeiten zurückkehre,  die  weitere  gesundende  Entwickelung  der  Gegen- 
wart an  die  historische  Continuität  von  ehemals  anknüpfe,  sorgsam  die 
Trümmer  bewahrend,  die  noch  vorhanden  sind,  das  Zerstörte  wieder 
aufbauend,  das  Zersprengte  wieder  zusammenfügend. 

Wenn  diese  Entgegensetzung  des  Historischen  und  Rationellen 
überhaupt  richtig  ist  und  wenn  sie  die  geschichtliche  Betrachtung  zu 
normieren  in  Anspruch  nehmen  darf,  so  wird  die  Zeit  des  Hellenismus, 
wenigstens  nach  der  Auffassung,  welche  in  dem  vorliegenden  Buche 
dargelegt  ist,  sich  gefallen  lassen  müssen,  im  wesentlichen  ähnlich  wie 
das  letzte  Jahrhundert  beurteilt  zu  werden.  Eben  dies  giebt  mir  den 
Anlaß,  diese  Betrachtungsweise  hier  zu  besprechen,  obschon  die  dürftige 
Überlieferung  der  hellenistischen  Zeit  bei  weitem  nicht  gestattet,  Jhre 


Vorwort  311 

Gestaltungen  mit  denen  der  analogen  EntwiGkelungssphäre  innerhalb 
der  christlichen  Welt  in  Vergleich  zu  ziehen. 

Der  sogenannten  historischen  Ansicht  gegenüber  ist  zunächst  gel- 
tend zu  machen,  daß  eben  jene  rationelle,  unhistorische  Weise  recht 
eigentlich  ein  Resultat  tiefer  historischer  Zusammenhange  ist  und  damit 
das  volle  Recht  hat,  ebenso  gut  wie  jedes  andere  Glied  in  der  Con- 
tinuitat  der  Geschichte  als  historisch  anerkannt  und  in  seiner  relativen 
Geltung  belassen  zu  werden.  Hat  die  sogenannte  historische  Ansicht 
kein  höheres  Kriterium,  als  das  des  fcvU  acoompU,  als  das  einer  durch- 
gesetzten faktischen  Geltung,  so  kann  sie  konsequenter  Weise  keine 
Art  von  Instanz  gegen  die  Vha&e  von  Entwickelungen  geltend  machen, 
welche  sie  verdammt  Es  ist  eine  Gedankenlosigkeit,  sich  auf  die 
Autorität  historischen  Rechtes  zu  berufen,  ohne  zugleich  das  Recht  der 
Geschichte  anerkennen  zu  wollen. 

[XIX]  Es  kann  die  Meinung  nicht  sein,  die  Dürre  und  Fadheit 
der  Aufklärung  wieder  auf  den  Schild  heben,  ihr  jetzt  noch  mehr  als 
eine  relative  Berechtigung  einräumen  zu  wollen.  Und  wenigstens  das 
hat  der  triviale  Liberalismus  unserer  Zeit  mit  ihr  (freiUch  auch  mit 
dem  wieder  beliebten  Pietismus,  dem  alten  Genossen  der  Aufklärung) 
gemein,  daß  er  in  dem  Bedürfnis  subjectivster  Mitbeteiligung  die  schein- 
bare Last  mannigfaltigster  Bedingungen  und  Beziehungen  von  sich 
wirft,  in  jedem  Augenblick  von  vom  anfangen  und  mit  behendem 
Sprung  das  schließUche  Ziel,  ein  absolut  Bestes  erreichen  zu  können 
wähnt,  also  daß  die  ganze  Fülle  und  Breite  der  Wirklichkeiten  für 
nichts  ist,  als  nicht  vorhanden  außer  Acht  und  Arbeit  gelassen  wird. 
Wahrlich,  es  lag  in  der  historischen  Tendenz  eine  tiefe  Berechtigung 
gegen  die  Aufklärung  wie  gegen  den  Liberalismus;  ihr  schneller  Sieg 
war  ein  Beweis,  welche  bedeutsamen  Momente  jene  außer  Acht  gelassen 
hatten.  Aber  will  die  historische  Tendenz  nicht  bei  der  Zerrgestalt 
der  Restauration  stehen  bleiben,  will  sie  der  Gegenwart  werden,  was 
sie  ihr  werden  muß,  so  sei  sie  ehrlich  und  wahrhaftig,  werde  sich  ihrer 
ganzen  Aufgabe  und  Verpflichtung  bewußt,  wage  sich  ihrer  eigenen 
Eonsequenzen  zu  bemächtigen;  vor  allem  versuche  sie,  den  wahren 
Inhalt  ihrer  Ansprüche  zu  ergründen.  So  lange  sie  in  der  Geschichte 
nur  eben  das  Recht  der  vis  inertiae  sieht,  kann  sie  sich  nur  mit  Excla- 
mationen  rechtfertigen,  nur  auf  die  Sympathie  mitbeteiligter  Vorteile 
rechnen,  und  ihr  Urteil  ist  nur  Willkür  und  Vorurteil,  verwirrend  statt 
aufeuklären,  erbitternd  statt  die  Versöhnung  zu  bereiten,  die  doch  nur 
sie  tief  und  nachhaltig  zu  gewähren  vermag.  Denn  allein  eine  wahr- 
haft historische  Ansicht  der  Gegenwart,  ihrer  Aufgabe,  ihrer  Mittel, 
ihrer  Schranken  wird  im  stände  sein,  die  traurige  Zerrüttung  unserer 


312  Zur  Geschichte  des  Hellenismus 

staatlichen  nnd  socialen  Verhältnisse  auszuheilen  und  die  rechten  Wege 
zu  einer  froheren  Zukunft  anzubahnen. 

Man  whrd  sagen  dürfen,  daß  die  derzeitig  vorherrschende  Auf- 
fassung der  Geschichte  des  klassischen  Altertums  im  wesentlichen  jene 
sogenannte  historische  ist,  so  freilich,  daß  eine  eigentümliche  Art  von 
Parteilichkeit,  —  man  möchte  sagen,  ein  Patriotismus  der  Bildung  für 
den  Boden,  auf  dem  sie  groß  [XX]  gezogen  —  die  schon  einseitige 
Auffassung  noch  mehr  trübt  Gerade  die  griechische  und  römische 
Geschichte  erinnert  in  jedem  Augenblick  daran,  wie  wenig  die  histo- 
rischen Rechte  gelten  gegen  das  Recht  der  Geschichte;  die  eine  wie 
andere  ist  unerklärlich,  so  lange  man  nicht  den  Inhalt  dieses  Hechtes 
zu  erfassen  vermag.  Ich  will  von  Rom  nicht  sprechen;  es  liegt  mir 
hier  näher,  den  Blick  auf  Griechenland  zu  wenden;  gemeinsam  ist 
beiden,  sich  je  länger  je  mehr  zu  denationalisieren,  sich  endlich  völlig 
man  möchte  sagen  aufzulösen  zu  Allgemeinheiten,  Prinzipien,  Potenzen. 
Das  eben  ist  es,  wovon  sich  die  sogenannte  historische  Ansicht  mit 
ebenso  lautem  Unwillen  abwendet  wie  von  der  wüsten  neuesten  Zeit; 
scheint  ihr  die  hellenische  Geschichte  bis  Alexanders  Zeit,  die  römische 
bis  etwa  zu  den  Gracchen  wie  von  selbst  in  schönster  „organischer'^ 
Ebenmäßigkeit  erwachsen,  so  sieht  sie  dann  Epochen  beginnen,  von 
denen  alles  Ärgste  zu  sagen  für  Einsicht,  Gesinnung,  ja  Tugend  gilt. 
Bis  zum  Ekel  wiederholt  wird  es,  wie  der  arge  Philipp  von  Make- 
donien die  griechische  Freiheit  brach,  wie  mit  Demosthenes  und  Aristo- 
teles eigentlich  alles  aus  ist,  alles  geschichtliche  Leben  stockt  und  stirbt, 
nichts  bleibt,  als  eine  öde  Nacht  Mag  solche  Ansicht  sich  recht 
attisch,  recht  hellenisch  dünken,  geschichtlich  ist  sie  nicht  Wohl  hat 
Philipp  das  gebrochen,  was  man  die  Freiheit  in  Griechenland  nannte; 
aber  weß  Inhaltes  war  diese  Freiheit?  Man  sehe  nur  redlich  hin  und 
man  wird  erkennen,  daß  Makedonien  Kraft  desselben  Rechtes  die 
Hegemonie  errang,  welches  nacheinander  Sparta,  Athen,  Theben  geltend 
gemacht  hatte.  Wer  wird  nicht  das  Athen  des  Themistokles  und 
Perikles  bewundern?  aber  warum  vergessen,  daß  es  eine  Gewaltherr- 
schaft war,  die  jener  gründete,  dieser  über  das  halbe  Griechentum 
ausbreitete  und  hart  genug,  ja  mit  dem  Bewußtsein  übte,  daß  Athens 
Macht  eine  Tyrannis  sei.  Man  verkenne  doch  nicht  die  negativen 
Momente  in  dem  attischen,  in  dem  hellenischen  Wesen,  sehe,  wie  diese 
auszugleichen  und  zu  überwinden  die  weitere  Geschichte  gearbeitet  hat 
Wohl  ist  es  ein  herrlich  Ding  um  die  Freiheit;  aber  so  wenig  in 
unserer  Zeit  jemand  im  Ernst  den  Untergang  jener  alten  feudalen 
Stände  beklagen  oder  verkennen  wird,  daß  in  dem  Siege  der  Souveränität 
über  jene  das  Prinzip  [XXI]  des  Staates  und  damit  der  Freiheit  den 


Vorwort  313 

entscheidenden  Schritt  vorwärts  gethan  hat,  ebenso  wenig  sollte  man 
die  hergebrachten  Phrasen  gegen  jene  monarchischen  Tendenzen  wieder- 
holen, in  denen  sich  doch  seit  Sokrates  und  Dionysios  Zeit  die  fort- 
schreitende Entwickelang  des  Oriechentoms  hat  darsteUen  müssen. 
Wäre  man  sich  nur  im  entferntesten  bewußt,  worauf  es  in  der  Ge- 
schichte Griechenlands  ankommt,  man  würde  aufhören  dieselbe  für 
Athen  zu  monopolisieren  oder  gar  für  Sparta  eine  Art  ausschließlicher 
Schwärmerei  gerechtfertigt  zu  finden. 

Ich  habe  den  Hellenismus  bezeichnet  als  die  moderne  Zeit  des 
Altertums.  Ich  denke,  man  wird  diese  Bezeichnung  in  ihrem  ganzen 
Um&nge,  in  gewissem  Betracht  auch  für  die  Entwickelung  Roms, 
geltend  machen  dürfen.  Freilich  erscheint  dann  auch  das  Voraus- 
liegende  in  gar  anderem  Licht  Man  erkennt,  wie  die  Entwickelung 
des  hochbegabten  Griechenvolkes  schrittweise,  in  wetteifernder  An- 
strengung edelster  Geister,  ununterbrochen  auf  ein  Ziel  hin  drängt,  das 
nicht  hat  erreicht  werden  können,  ohne  daß  tausend  Rechte  gekränkt, 
schönste  Blüten  geknickt;  lebensvollste  Gestaltungen  entkräftet  und 
zerstört  wurden.  Aber  ist  nicht  auch  für  den  Jüngling  die  süße 
Unschuld  der  Einderspiele  dahin?  und  wieder,  wie  völlig  entfremdet 
sich  dem  Mann  die  kecke  Begeisterung  der  Jünglingsjahre;  alternd 
mag  er  sich  trösten,  in  seinen  Kindern  den  Lebenskreis,  der  ihm  sich 
zu  schließen  eilt,  erneut  zu  sehen,  reicher,  so  hofft  er,  sicherer  erfüllend, 
was  er  zu  erringen  sich  umsonst  bemüht  hat  Ist  denn  die  Geschichte 
nicht  reich  genug,  jeden  Verlust,  den  sie  bringt,  mit  vollen  Händen 
zu  ersetzen?  Entzücken  wir  uns  doch  am  Homer  und  beklagen  es 
nicht,  daß  in  seinen  heiteren  Göttergestalten  die  alte  tiefsinnige  Mystik, 
darinnen  der  Glauben  an  sie  einst  erwachsen  war,  überholt  und  ver- 
schollen ist 

Also  immer  das  Spätere  ist  so  viel  besser,  als  das  zuvor?  Ich 
habe  nicht  nötig,  mich  gegen  böswillige  Mißdeutung  zu  verwahren; 
der  wahre  Inhalt  jener  Betrachtungsweise  ist  im  bisherigen  zur  Genüge 
motiviert  und  spricht  sich  selbst  unverfänglich  aus.  Nur  in  der  Gesamt- 
auffassung der  Geschichte  als  der  Entwickelung  der  Menscbheit  kann 
den  einzelnen  Gestaltungen,  [XXII]  Völkern,  Kulturen,  Staaten,  Indi- 
viduen ihre  rechte  Bedeutung  gewonnen  werden;  selbst  was  schön, 
wahr,  recht,  edel  ist,  steht  nicht  über  Raum  und  Zeit,  sondern  hat 
sein  Maß  und  seine  Energie  darin,  daß  es  gleichsam  projiciert  erscheint 
auf  ein  Hier  und  Jetzt.  Und  wieder,  dies  Gesamtleben  der  Menschheit 
ist  ein  ununterbrochenes  Strömen,  —  in  dem  tausendfachen  Wellen- 
kräuseln und  Strudelspiel  hinauf  und  hinab  eine  Richtung,  der  alle 
die  Wasser,  sei  es  hastiger,  sei  es  träger,  folgen,  —  ist  ein  rasüoses 


314  ^v  Geschichte  des  HelleDismae 

Weiterdrängen,  dessen  Ziel  wir  ahnden  mögen  ans  der  Bichtung. 
Xieht  80  ein  Strömen,  daß  nieht  an  Ufersiand  sich  stagnierend  Pfützen 
und  Lachen  bildeten,  aber  die  nächste  Überseh wemmong  reißt  auch 
sie  mit  stromhinab;  nicht  so  ein  Fortschreiten,  daß  sich  jede  Weise 
geistigen  Daseins,  jede  Form  menschlicher  Bethätigong  gleichzeitig 
in  gleichen  Pnisen  höher  entwickelte.  Und  eben  da  ist  es,  wo  des 
Betrachtenden  Blick  so  leicht  irre  wird;  noch  eben  schwelgend  in  der 
plastischen  Yollendang  hellenischer  Ennst  fühlt  er  sidi  verletzt  Ton 
den  unschönen  Formen  jener  hellenistischen,  ethnischen  Litterator,  die 
einen  tiefer  anfgewühlten  Lebensinhalt  nnr  irgendwie  za  fassen  nnd 
auszusprechen  ringt;  oder  nach  der  stolz  gefugten  Staatlichkeit  der 
alten  Somerweise  widert  ihn  jene  Lnperatorenzeit  an,  wo  der  alten 
Tagend  nichts  bleibt  als  Selbstmord,  and  dem  Recht  nichts  als  das 
Hein  and  Dein;  oder  die  bransende  Gärang  der  Gegenwart,  die  alles 
zertrümmert,  was  war  und  galt;  sie  beängstigt,  erschüttert  ihn,  grausend 
blickt  er  hinweg  von  der  schon  hereinstürzenden  Weltverwilderung, 
klammert  sich  fest  an  dem  Gedächtnis  des  glückseligen  Ehedem,  und 
warnt  und  zürnt,  daß  man  sich  rückgewandt  festhalte  an  dem  histo- 
rischen Becht;  —  und  nur  die  Gegenwart  scheint  ihm  außer  der  Cre- 
schichte,  außer  der  allwaltenden  Sorge  des  Alten  der  Tage. 

Sei  es  genug.  Den  Glücklichen,  welchen  die  Geschichte  ein  Bilder- 
buch ist  oder  ein  Fachwerk  für  Urkunden  und  gelehrte  Notizen,  mag 
ich  der  unnützen  Thorheit  schon  zu  viel  gefabelt  haben.  Mich  aber 
trieb  es  einmal  von  dem  zu  sprechen,  was  mir  wert  und  wichtig  ist 


b.  Über  die  sigeisehe  Inschrift  \ 

(Ein  Schreiben  an  Bergk.    Aub  Bergk  und  Caesars  Zeitschrift  für  die  Alter- 
tumswissenschaft I  1848  Sp.  52  ff.) 

Kiel,  den  7.  Jan.  1843. 

Sie  fordern  mich  auf,  lieber  Freund,  Ihnen  ungesäumt  für  den 
neuen  Jahrgang  dieser  Zeitschrift  etwas  zu  senden.  Ich  will  meinen 
ersten  Beitrag  den  Wunsch  sein  lassen,  daß  die  Zeitschrift  unter  Ihrer 
und  Hrn.  Caesars  Leitung  die  ganze  Energie  und  den  Einfluß  ent- 
wickele, den  ein  solches  Blatt,  im  Centrum  deutscher  Studien  für  die 
Altertumswissenschaften  stehend  und  zu  deren,  ich  möchte  sagen,  Con- 
trole  berufen,  in  Ihren  Händen  gewinnen  kann.  Denn  in  der  That, 
das  ist  nicht  mehr  allein  die  Aufgabe  einer  solchen  Zeitschrift,  daß 

*  [C.  I.  Gr.  8595  Dittenberger  Syll.  inscr.  Gr.  156], 


über  die  sigeische  Inschrift  315 

sie  ein  Magazin  für  Allerlei,  ein  Depot  für  Oelegentliches  und  Ver- 
sprengtes sei.  Vielleicht  keine  Disciplin  hat  mehr  als  die  philologische 
Anlaß,  sich  immer  wieder  zu  sammeln  und  ihrer  großen  Aufgabe  und 
Aufgaben  in  ihrem  Zusammenhange  bewußt  zu  bleiben.  Erinnern  Sie 
sich  noch  unseres  schönen  Planes  mit  einem  philologischen  Repertorium? 
Wer  ist  denn  noch  im  stände,  die  in  der  That  übergroße  Fülle  philo- 
logischer, linguistischer,  historischer,  antiquarischer  Arbeiten  zu  über- 
sehen und  mitarbeitend  zu  beherrschen,  welche  —  ich  will  nur  von 
Deutschland  sprechen  —  mit  jedem  Jahre  wachsend  und  fast  schon 
unübersehlich  den  Gewissenhaften  mehr  zu  beängstigen  als  zu  fordern 
beginnt;  die  wenigen  Fürsten  der  Wissenschaft  sind  vielleicht  im  stände, 
ihr  Beich  mit  großem  Blick  immer  noch  zu  überschauen,  —  oder  auch 
ziehen  sie  es  vor,  ihren  großen  Weg  für  sich  gehend  und  um  jene 
Fülle  unbekünunert  einen  großen  Teil  ersprießlicher  und  gewissenhafter 
Arbeiten  zu  ignorieren  und  damit  vergeblich  zu  machen.  Noch  eine 
andere  Seite  ist  da.  Wir  besitzen  in  Deutschland  eine  in  der  That 
große  Arbeitskraft;  aber  in  ihrer  Verwendung  mag  man  nicht  [53] 
selten  etwas  von  jener  Mataioponie  wieder  finden,  mit  der  Strabo  die 
Ägypter  bezeichnet.  Wir  hofften,  daß  auch  in  dieser  Beziehung  ein 
Bepertorium  von-  bestem  Erfolg  sein  könne.  Wenn  jedes  Jahr  mit 
sich  Abrechnung  halt,  was  es  der  Wissenschaft  Neues  und  Förderliches 
gebracht,  so  tritt  mit  völliger  Bestimmtheit  heraus,  welche  Lücken  da 
und  dort,  welche  Aufgaben  noch  ungelöst,  welche  Wege  noch  unge- 
bahnt, welche  Fragen  noch  gar  nicht  versucht  sind.  Die  Zeitschrift 
unter  Ihrer  Leitung  wird  sich  dieser  Centralverwaltung  der  philo- 
logischen Interessen  zu  bemächtigen  haben;  sie  wird  vereinzelte  Be- 
mühungen im  Süden  und  Norden  unseres  Vaterlandes  zu  verknüpfen, 
zu  gemeinsamer  und  damit  potenzierter  Arbeit  zu  verbinden,  das 
gesellige  Werk  der  Philologenversammlungen  nachhaltig  in  gemein- 
samer und  erfolgreicher  wissenschaftlicher  Thätigkeit  fortzuführen  wissen. 
Erinnern  Sie  sich,  wie  wir  uns  ein  Corpus  fragmentorum  der  griechischen 
Litteratur  dachten?  Die  Musterarbeit  für  die  Komiker  liegt  ja  nun 
vor;  für  die  Lyriker  sorgen  Sie;  aber  was  bleiben  da  noch  für  Arbeiten! 
Die  philosophischen,  die  historischen  Fragmente  übersteigen  des  rüs- 
tigsten Einzelarbeiters  Kraft.  Freilich  es  nennt  sich  ein  Didotscher 
Band  Corp.  fragm.  histor.;  aber  manchem  wird  er  wie  mir  seine  Bücher- 
sammlung nur  um  einige  Doubletten  bereichert  haben. 

Ich  will  meinen  Brief  nicht  ins  Weite  und  Weitere  fuhren,  obschon 
jene  Didotsche  Sammlung  außer  einigen  nationalen  Empfindungen  auch 
das  Bedauern  wecken  könnte,  die  deutsche  Philologie  für  den  Stand 
der  philologischen   Bildung,   wie   er  nun  einmal   in   Frankreich   ist, 


316  Zur  G-eschichte  des  Hellenismus 

arbeiten  zu  sehen.  Von  alledem  spreche  ich  nicht;  aber  ich  wünschte 
wohly  daß  Sie  davon  und  Ton  vielem  ähnlicher  Art  sprächen,  und  ich 
würde  mich  freuen  zu  lesen ,  wie  Sie  das  Ziel,  die  Methodik,  die 
Grenzen,  die  Grundlagen  der  Wissenschaft  bezeichnen  werden. 

Aber  Sie  haben  eine  andere  Art  Beitrag  von  mir  erwartet  und 
schnell  zu  erhalten  gewünscht,  und  so  will  ich  nicht  zaudern  und  viel 
Anstalten  machen,  sondern  rasch  hinweg  von  Gontinentalsperre  und 
freier  Flagge  und  droit  cC^ve,  die  mich  den  Winter  hindurch  beschäf- 
tigen, einen  wenn  nicht  bedeutenden,  so  doch  für  gewisse  Dinge  lehr- 
reichen Locus  aus  der  hellenistischen  Geschichte  besprechend 

Es  ist  bekannt,  daß  im  Hause  der  Lagiden  für  die  Königinnen 
der  Name  Schwester  ebenso  das  verwandtschaftliche  Verhältnis  be- 
zeichnet, wie  ein  Ehrentitel  ist  In  der  sogenannten  sigeischen  Inschrift 
wird  des  ersten  Antiochos  Gemahlin  als  dessen  Schwester  bezeichnet; 
es  fragt  sich,  ob  dies  hier  ein  ein  Ehrentitel  war  oder  nicht 

Ich  muß  erst  den  Satz  ein  wenig  näher  beleuchten.  Bekanntlich 
ist  es  nach  attischem  Brauch  erlaubt,  [54]  die  eodem  patre  natas  uxorea 
ducere;  er  mag  allgemein  griechisch,  auch  makedonisch  gewesen  sein. 
Wenigstens  der  erste  Ptolemaios  vermählt-e  sich  in  späterer  Ehe  mit 
seines  Vaters  Lagos  Tochter  Berenike.  Berenike  nenne  ich  Lagos 
Tochter  nach  dem  ausdrücklichen  Zeugnis  des  Scholiasten  zu  Theoer. 
XVn  34;  freilich  „indocH  hominis  esse  videiur",  wiederholt  auch  Hr. 
Geier  in  seiner  sorgfaltigen  Abhandlung  de  Ptol.  Lagid.  vüa  S.  5;  aber 
nicht  bloß  das  Zeugnis  des  Herodian  I  3,  das  er  mit  Recht  nicht  hoch 
anschlagt,  besagt  dasselbe,  sondern  —  freilich  auch  keine  grosse  Auto« 
rität  —  Tzetz.  ChiL  I  586;  bei  so  bestimmten  Angaben,  von  denen 
wenigstens  zwei  von  einander  unabhängig  sind,  wird  man  nicht  füglich 
nach  einer  nackten  Wahrscheinlichkeit  widersprechen  können.  Aber 
von  einer  anderen  Mutter  war  Berenike.  Ich  muß  hier  einen  Irrtum 
Letronnes  Reoueü  S.  180  berichtigen,  der  ihm  nicht  begegnet  wäre, 
wenn  er  es  für  gut  fände  von  den  deutschen  Arbeiten,  die  sich  in 
seinen  Händen  befinden,  die  gebührende  Notiz  zu  nehmen.  Der 
Scholiast  zu  Theoer.  XVn  58  sagt:  ö  (l^iXddeXtpog ....  iytvvii&r}  imb 
BeQsvixfjg,  ij  ycsQ  Bs^evixtj  xhjydxriQ  Idvtiyövrjg  rotf  KaaadvSQov 
rov  IdvTindxQOv  äStkq>ov  rov   kanovSccxötog  x  r  L     Letronne  will 

die  Stelle  so  parenthesieren,  daß  vno  BeQBvixtjg  (^  yaQ !Avti' 

ndxQov)  äS6X(pov  zusanunengehört  Ich  will  nur  einen  Beweis  gegen 
diese  Erklärung  geltend  machen.  Berenike  gebar  schon  316  dem 
Ptolemaios  die  Arsinoe  (Hellenismus  I  S.  555  11*  1   S.  236),   welche 


^  [Vgl.  dazu  Hellenismus  IIP  1  S.  266  Anm.]. 


über  die  sigeische  Inschrift  317 

bereits  280  einen  erwachsenen  Sohn  hatte,  der  mit  den  Dardaniem  im 
Verein  Makedonien  zu  erkämpfen  versuchen  konnte;  Berenike  hatte  in 
früherer  Ehe  schon  den  Magas  und  zwei  Töchter  geboren ;  ja  es  konnte 
Magas  bereits  308  die  Verwaltung  der  Gyrenaika  übernehmen;  er  wird 
also  wohl  spätestens  325  geboren  sein.  Und  jünger  als  fünfzehn  Jahre 
konnte  seine  Mutter  Berenike  damals  gewiß  nicht  sein.  Dann  gehört 
ihre  Geburt  spätestens  in  das  Jahr  340,  ihrer  Mutter  Geburt  unzweifel- 
haft Tor  355.  Nach  Letronnes  Farenthesierung  ist  die  Mutter  der 
Berenike  eine  Tochter  von  dem  bekannten  Eassander,  dem  Sohn  des 
Antipater;  der  war  nun  355  noch  ein  Knabe,  6  KaaaüvSQov  yäfAog 
fallt  zwischen  348  und  340  (Diog.  L.  IV  1).  Die  anderen  Schwierig- 
keiten bei  Letronnes  Erklärung  übergehe  ich;  man  überzeugt  sich,  daß 
der  Eassander,  dessen  Enkelin  Berenike  war,  nicht  der  Sohn,  sondern 
nur  der  Bruder  Antipaters  sein  kann.  Die  konfase  Stelle  bei  Tzetz. 
ad  Lyc.  S.  263  habe  ich  absichlich  übergangen;  sie  gewährt  keine 
weiteren  Momente. 

Also  mit  seiner  Halbschwester  war  Ptolemaios  Soter  vermählt; 
das  verletzte  den  griechischen  Brauch  nicht,  und  wie  Andokides  o. 
Alcibiad.  §  33  die  ähnliche  Ehe  des  Eimon  so  bezeichnet:  i^oxrcQÜ' 
xioav  [55]  KifjL(ova  Sia  nagavofjiiav^  so  ist  das  ein  Zeugnis  mehr 
gegen  jene  Rede,  deren  Echtheit  ich  gegen  Meiers  scharfsinnige  Unter- 
suchung nicht  mehr  behaupten  kann.  Aus  jener  Ehe  waren  Ptole- 
maios Philadelphos  und  Arsinoe.  Und  diese  beiden,  leibliche  Geschwister, 
sie  vermählten  sich.  Daß  diese  Ehe  den  Griechen  aller  Orten  anstößig, 
ja  blutschänderisch  erschien,  bezeugen  nicht  bloß  die  späteren  Zeugnisse 
des  Paus.  I  7,  1,  das  incesti  foedus  amoris  in  der  Moseila  des  Ausonius, 
sondern  ebenso  der  durch  seinen  traurigen  Ausgang  bekannte  Witz 
des  Sotades  und  das  starke  Hervorheben  des  isQÖg  yüfiog  des  Zeus 
und  der  Hera  {xccfriyvrjröv  t%  nöaiv  re)  in  dem  um  256  geschriebenen 
siebzehnten  Gedicht  des  Theokrit.  Ich  glaube  noch  ein  anderes  Zeugnis 
hierauf  beziehen  zu  müssen.  Aus  dem  Hypobolimaios  des  Alexis 
(Meineke  III  S.  494  Kock  II  S.  386)  werden  folgende  Verse  citiert: 

i/(y  TTroXe/jiaiov  rov  ßaaiXewg  xirraQu 
XVTQiSi    äxgdrov  rfjg  x    üStktpfig  nqoa'kaßtbv 
Ttjg  rov  ßaaiXk(og  xavx\  änvtvaxL  x   heTncov 
(bg  äv  xig  i'jSirrx    Yaov  Xatp  xexQafjIvov, 
xai  xTig  6fji.ovoiagy  Siä  xi  vvv  jjlij  xcofAciaat 
ävev  kvxvovxov  ;r(>6s  x6  xrihxovxo  (p(tig\ 

Von  Alexis  sollten  diese  Verse  sein?  wurde  er  auch,  geboren  vor  der 
Zerstörung  Thurüs  390,  sehr  alt,  er  müßte,  sollte  dies  auf  Philadelphos 


318  Zur  Geschichte  des  Hellenismus 

und  Arsinoe  gehen,  die  nach  280  sich  erst  verheiratet  haben,  über 
die  110  Jahre  alt  noch  gedichtet  haben,  was  Plin.  h.  n.  YII  48  nicht 
unbemerkt  gelassen  haben  würde.  Darum  blieb  Meineke  nicht  bei  jener 
in  der  bist.  crit.  S.  375  geäußerten  Meinung,  sondern  deutete  in  der 
Erklärung  dieses  Fragments  die  bezeichnete  Ehe  auf  den  ersten  Ptole- 
maios  und  Berenike,  freilich  ohne  sich  auf  die  bisher  immer  bestrittene 
Geschwisterlichkeit  beider  einzulassen.  Aber  paßt  denn  auf  ihre  Ver- 
bindung jenes  Fragment?  es  muß  doch  wohl  um  die  Zeit  ihrer  Ver- 
mählung geschrieben  sein;  aber  seit  der  makedonischen  Occupation 
318  hat  Athen  zehn  Jahre  lang  nicht  viel  mit  Ägypten  zu  teilen,  und 
die  OMONOIA  ist  nicht  etwa  die  tUriusqtte  concordia  d.  i.  caniugium, 
sondern  wie  es  auf  den  Münzen  der  Städte  Eleinasiens  so  häufig 
erscheint,  ein  politisches  Verhältnis  zwischen  Athen  und  dem  Könige; 
endlich  hat  das  Ifaov  Haco  xBx^ccfdvov  doch  gar  wenig  Salz  in  einer 
Beziehung,  die  den  Athenern  nicht  eben  ungewöhnlich  sein  konnte. 
Wie  bitter  ist  dagegen  der  Witz,  wenn  er  sich  auf  die  leiblichen  Ge- 
schwister bezieht.  Aber  die  OMONOIA?  Ich  hoflFe,  in  der  Fortsetzung 
des  Hellenismus  der  glänzenden  Entdeckung  Niebuhrs  in  Beziehung 
auf  den  chremonideischen  Krieg  einige  neue  Consequenzen  abzuge- 
winnen; hier  nur  soviel,  daß  er  von  266  bis  263  geführt  wurde,  daß 
Athen  in  engster  Verbindung  mit  Ägypten  stand.  [56]  In  oder  kurz 
vor  denselben  gehört  jenes  Fragment  des  Hypobolimaios,  der,  ich  be- 
haupte es  mit  Entschiedenheit,  nicht  von  dem  Thurier  Alexis  ist^  gehört 
auch  wohl  die  geschwisterliche  Hochzeit.  Denn  Sotades  wurde  von 
dem  ägyptischen  Feldherrn  Patroklos  auf  der  Insel  Kaunos  gefangen 
und  wegen  jenes  Majestätsverbrechens  ersäuft,  wie  Hegesander  bei  Athen. 
XIV  S.  621  berichtet;  aus  seinen  Worten  kxnXevaavra  yäg  avrov  r?^ 
!AXB^avSQBiccg  xai  Soxovvra  8ia7tE(fEvyivcct  tÄv  xivSvvov  .  .  .  nürQü- 
x^og  Xaßmf  avrov  x  r  k,  sieht  man,  daß  die  Strafe  unmittelbar  der 
Flucht  folgte;  und  der  Anlaß  zu  dem  Witz  wird  wohl  nicht  gar  viel 
älter  sein,  da  Sotades  schon  sonst  e/^  röv  ßamXia  IlroXBfiarov  noXXä 
ÖBivä  gesagt  hatte,  und  dieser  Hohn  über  die  Oeschwisterehe  nur  eben 
das  Maß  voll  machte.  In  Kaunos?  dies  war  eine  rhodische  Besitzung; 
Plinius  sagt  von  Protogenes  (XXXV  §  101)  patria  ei  Ckzunusy  genüs  Rho- 
diis  subieetae;  aber  daß  Rhodos  einmal  den  Besitz  dieser  Station  ver- 
loren hatte,  sieht  man  aus  Polyb.  XXXI  7,  6;  für  200  Talente  ward 
sie  von  den  ägyptischen  Feldherrn  an  Rhodos  zurückgegeben;  daß  dies 
nach  der  Seeschlacht  von  Kos  264  geschah,  in  der  die  ägyptische 
Marine  gegen  Makedonien  erlag,  will  ich  hier  nur  anführen.  Patroklos 
war  mit  dem  Jahre  266  in  eben  dem  chremonideischen  Kriege  an  der 
attischen  Küste  und  blieb  dort,  bis  ihn  jene  Seeschlacht  nötigte,  seine 


über  die  sigeische  Inschrift  319 

Station  bei  der  nach  ihm  genannten  Insel  zu  verlassen;  nur  vor  seiner 
Fahrt  gen  Attika  oder  nach  der  Schlacht  von  Eos  in  der  Zwischenzeit 
bis  zur  Rückgabe  der  Stadt  an  Rhodos  konnte  Patroklos  dort  den 
Sotades  gefangen  nehmen.  Ist  das  letztere  wahrscheinlicher?  Dann 
müßt«  es  also  264  oder  263  geschehen  sein,  Sotades  wäre  nach  der 
schon  Ton  den  Ägyptern  occupierten  Stadt  geflüchtet,  was  völlig 
unglaublich;  ja  es  läßt  sich  noch  nachweisen,  daß  die  Ehe  der  Ge- 
schwister früher  geschlossen  sein  muß.  Arsinoes  Jugend  war  es  unmög- 
lich, was  den  jüngeren  Bruder  reizen  konnte,  sie  war  um  die  Zeit,  da 
dieser  Krieg  begann,  hoch  in  den  Vierzigern;  ihre  früheren  ehelichen 
Verhältnisse  lassen  sie  auch  eben  nicht  sehr  liebenswürdig  erscheinen; 
mit  Lysimachos  vermählt,  hatte  sie  dessen  edlen  Sohn  Agathokles  ihrer 
Liebe  und  ihrem  Haß  geopfert;  Amastris  war  um  ihretwillen  verstoßen 
worden,  und  dann  hatte  Lysimachos  der  Begehrlichen  das  herakleotische 
Fürstentum  am  Pontus  mit  den  Städten  Herakleia,  Amastris,  Tios 
geschenkt,  hatte  ihr  Eassandreia  geschenkt,  hatte  nach  ihrem  Namen 
das  erneute  Ephesos  genannt,  und  eben  dahin  flüchtete  sie  beim  Sturz 
des  Lysimachos  281  und  von  dort,  da  sie  die  nahenden  Feinde  fürchten 
mußte,  gen  Eassandreia. 

[57]  Es  war  eine  umfassende  politische  Combination,  wie  Phila- 
delphos  seine  alternde  Schwester  zur  Gemahlin  nahm,  und  die  Lob- 
hudeleien der  alexandrinischen  Hofpoeten,  die  von  ihrer  süßen  Schönheit 
sangen,  können  die  Sache  nicht  ändern.  Jener  chremonideische  Erieg 
war  ein  Erieg  Ägyptens  gegen  Syrien  und  Makedonien,  und  die  Hand 
Arsinoes  brachte  dem  Bruder  die  Ansprüche  auf  höchst  wichtige  Posi- 
tionen am  schwarzen  Meer,  in  der  Mitte  loniens,  an  der  makedonischen 
Eüste.  Aber  wo  nur  ist  das  alles  zu  finden?  Nur  hier  und  da  ein 
Bröcklein  davon.  Steph.  Byz.  v.  BaQevTxai  ^  hat  die  Angabe,  daß  Tios 
den  Namen  Berenike  geführt  habe,  eben  jenes  Tios  im  ehemaligen 
Fürstentum  der  Arsinoe,  von  dem  Herakleia  sich  seit  281  mächtig  zur 
Freiheit  erhoben  und  sich  vor  allem  in  dem  Bündnis  mit  Bithynien 
von  280  den  Besitz  eben  dieser  Stadt  Tios  hätte  garantieren  lassen. 
Und  derselbe  Steph.  Byz.  v.  '!Ayxvoa  hat  aus  dem  XVII.  Buch  der 
KaQtxü  des  Apollonius  die  bisher  unenträtselte  Notiz:  Mi&QaSdry 
xal  IdQioßuQJ^dvrj  (so  ist  zu  schreiben  statt  der  Accusat.)  vBtjXvSaq 
Tovg  rcclärccg  (TVfifia)C'>j<^ccvTag  Si&^ai  rovg  vno  TTrokeiAaiov  ara- 
Uvrag  Alyvnriovq  äx()i  d-ccXdrrfjq  x  r  X.  Also  dort  auf  der  Eüste 
des  Pontes  in  der  Nähe  von  Tios-Berenike  —  das  natürlich  den  Hera- 
kleoten  entrissen  war  —  kämpften  die  Ägypter  gegen  Mithradat,  der 

^  [Die  Has.  haben  Chios,  daher  der  Verf.  die  Combination  später  fallen  ließ]. 


320  Zar  Geschichte  des  Hellenismus 

266  starb,  und  gegen  dessen  Sohn  und  Nachfolger  Ariobarzanes;  und 
umsonst  sucht-e  Herakleia  Amastris  zu  gewinnen,  dort  hielt  sich  Eu- 
menes  —  wer  mag  zweifeln,  daß  er  des  Tianers  Philetairos  in  Pergamos 
Bruder  oder  vielmehr  Bruderssohn  ist,  derselbe,  der  ihm  im  Besitz  der 
pergamenischen  Dynastie  263  folgte;  und  er  schenkte  Amastris  an 
Ariobarzanes,  ich  denke,  da  er  gen  Pergamos  ging,  ich  denke  dem 
ägyptischen  Interesse  nachgebend,  um  nur  nicht  die  Stadt  an  Herakleia 
kommen  zu  lassen.  Jedenfalls  also  vor  266  schon  kämpften  an  der 
Küste  des  Pontes  die  Ägypter,  —  versuchten  den  ehemaligen  Besitz 
Arsinoes  geltend  zu  machen.  Die  Vermählung,  Sotades  Flucht  wenig- 
stens, gehört  in  das  Jahr  266;  denn  erst  als  der  Krieg  gegen  Syrien 
ausgebrochen  war,  hatte  Philadelphos  Anlaß,  [58]  das  Gebiet  des  neu- 
tralen Bhodos  zu  verletzen,  um  in  Kaunos  den  wichtigsten  Angriffs- 
punkt gegen  das  Seleukidische  Karlen  zu  gewinnen.  Auf  der  Insel 
Kaunos  ergriff  Patroklos  den  Sotades,  mag  damit  die  kleine  Rhodossa 
gemeint  sein  oder  ein  anderes  Eiland  neben  der  Stadt,  die  feste  Stadt 
gewann  erst  darnach  Philokles  nicht  ohne  Anstrengung  (Polyaen.  lU  16). 
Ich  gehe  nun  zu  der  eigentlichen  Frage  über,  welche  sich  der 
Hauptsache  nach  auf  die  sigeische  Inschrift  zu  stützen  hat.  Daß  sie 
zu  Ehren  des  ersten  Antiochos  verfaßt  ist,  spricht  sie  selbst  aus; 
Zeile  23  heißt  es  k^i  äyccd-^l^  rov  ßamXioog  xccl  rfjg  äSeXtpfjg  avxov 
ßaaiUfrariq,  Entweder  ist  hier  Stratonike,  Demetrios  Tochter,  gemeint, 
die  einzige  Gremahlin  des  ersten  Antiochos,  von  der  wir  mit  Sicherheit 
wissen,  und  dann  ist  äS%}xpil)  ein  Ehrentitel  wie  in  Ägypten,  —  oder 
man  muß,  um  dies  zu  vermeiden,  voraussetzen,  daß  Antiochos  sich 
mit  einer  Halbschwester  vermählt  habe,  ein  Factum,  worauf  allerdings 
zwei  Spuren  fuhren.  Die  eine  ist,  wenn  Polyaen  VIII  50  von  dem 
Sohn  dieses  Antiochos  sagt:  uivrioxog  6  TiQoaccyopwöfjLevog  Geog 
ey7]fiB  AaoStxfjv,  dfAonuTQiav  äSekfpi^v.  Hiemach  also  hätte  Antiochos  I. 
außer  Stratonike  eine  zweite  Gemahlin  gehabt,  die  Mutter  dieser  Lao- 
dike,  der  Gemahlin  seines  Sohnes,  und  zwar  müßte  diese  zweite  Ge- 
mahlin des  ersten  Antiochos,  um  jenes  r^/e  äSsktpflg  aircoü  ßaaiTUaafiq 
zu  erklären,  eine  Tochter  seines  Vaters  Seleukos  gewesen  sein.  Aber 
diese  ganze  Combination  hält  nicht  Stand;  das  ausdrückliche  2ieugnis 
des  armenischen  Eusebius,  dessen  hohen  Wert  Niebuhr  so  glänzend 
ins  Licht  gesetzt  hat,  nennt  eben  diese  Laodike  eine  Tochter  des 
Achaios,  und  die  Geschichte  des  syrischen  Hofes  bestätigte  diese  Annahme 
vollkommen,  was  ich  hier  nicht  weiter  verfolge.  Es  hat  Polyaen  geirrt 
und  sein  Irrtum  oder  dessen,  den  er  ausschrieb,  konnte  aus  Unkenntnis 
jenes  Titels  entstanden  sein.  Und  eben  das  hilft  uns  über  eine  andere 
Stelle  oder  wenigstens   über  deren   plausibelste  Emendation    hinweg. 


über  die  sigeische  Inschrift  321 

Appian  Sjr.  65  sagt  von  diesem  Antiochos  Theos,  der  infolge  eines 
späteren  Friedens  und  als  Bürgschaft  desselben  Laodike  verstieß  und 
Philadelphos  Tochter  Berenike  zur  Gemahlin  nahm:  Svo  Sk  etx^ 
{ywcetxag)  AccoStxriv  xal  BeQBVixrjv  k^  I^qwtöq  tb  xal  fyYvtjg  .... 
UrokefAaiov  rov  (l>tkccSiX(pov  [59]  xf-vyccxiQa,  wo  man  sehr  geschickt 
ergänzt  hat:  kyyvrjg  [rijv  fdv  öfjLonüzQtov  dSBXq)ijv,  riiv  Sk"]  üroXt- 
fiaiov  X  T  L,  wo  freilich  die  Lücke  mit  einem  bloßen  cbg  yielleicht 
hinlänglich  gefüllt  wäre.  So  viel  von  der  einen  Spur;  sie  führt  nicht 
zu  dem  Resultat,  das  gesucht  wird.  Die  andere  ist  im  Steph.  Byz.  t. 
!AvTiöxBia'  l4vTt6x(p  yuQ  rtp  ^eXevxov  TQeTg  yvvaixBq  hni(m}aav 
övccg  onhai  nöXtv  kv  Kccqicc  ixüarrj  Xiyovfra-  6  Si  vnokceßojv  rijv 
fifjtiQa  xal  rijv  yvvaixa  xal  tijv  aStkqjiiV  xri^si  TQSig  nöketg'  and 
fUv  Tfjg  dSskfpf/q  AaoSixr]g  Aaoöixeiav,  und  (U  rfi^  yvvaixoq  Nvati^ 
Nvaav^  änh  Sk  rfjg  fAfjTQÖg  IdvTiox'Sog  !AvTi6xBiav.  Aber  seine 
Mutter  hieß  nicht  Antiochis,  sondern  Apama^  so  wie  seine  an  Magas 
von  Eyrene  vermählte  Tochter;  Laodikeia  in  Earien  wurde  nicht  von 
ihm,  sondern  von  seinem  Sohn  gegründet  (Steph.  s.  v.),  und  endlich 
stützt  jene  Angabe  die  des  Polyän  um  so  weniger,  da  sie  wohl  des 
Antiochos  Schwester  Laodike  kennt,  aber  von  der  Schwester  die  Ge- 
mahlin unterscheidet.  Kurz  mit  der  Belehrung  aus  jener  Stelle  des 
Stephanus  steht  es  noch  schlechter  als  mit  der  doch  bloß  unkundigen 
Auffassung  des  Polyän;  und  wir  überzeugen  uns,  daß  in  den  Autoren 
treine  garantierte  Angabe  über  eine  Gemahlin  des  ersten  Antiochos 
außer  der  Stratonike  vorhanden  ist 

Keine  Partie  des  Altertums  ist  geschichtlich  schwieriger  als  die 
Zeit  der  Epigonen;  man  muß  eine  Vorstellung  von  der  kläglichen  Zer- 
störung der  Überlieferung  haben,  um  nachsichtig  zu  sein,  wenn  die 
Besultate  der  Untersuchungen  fast  stets  ungenügetad,  selten  durch  hin- 
länglichen Beweis  gesichert  erscheinen.  So  ist  es  mit  der  Frage,  die 
ich  mir  vorgelegt.  Es  wäre  ja  natürlich  nun  auszufahren,  daß  in  der 
Zeit,  der  die  sigeische  Inschrift  angehört,  Stratonike  noch  lebte,  noch 
Königin  und  Gemahlin  des  Antiochos  war.  Aber  wie  viel  fehlt,  daß 
wir  dies  stringent  nachweisen  könnten;  nicht  einmal  welchem  Jahr  die 
Inschrift  angehört,  vermögen  wir  zu  bestimmen. 

Aber  versuchen  will  ich  es.  Die  Inschrift  beginnt  mit  folgenden 
Wendungen:  „Da  Antiochos  die  väterliche  Herrschaft  übernehmend 
seinem  hohen  Beruf  gemäß  den  Aufruhr  in  den  Städten  der  syrischen 
Seleukis  unterdrückte  schnell  den  vorherigen  glücklichen  Friedensstand 
herstellend  —  und  zugleich  die  ihn  feindselig  angriffen  {rovg  km&B- 
fßrivovg  ToTg  n^dyiiam)  aus  dem  Felde  schlug,  so  den  Städten  den 
Frieden,    dem    Eeich    die    alten    Grenzen    {riiv    äg^t^iav    SiaOemv) 

Droysen,  Kl.  Schriften  I.  21 


322  Zur  Greschichte  des  Uelleiiismiis 

wiederherstellend  —  und  da  er  nun  in  die  Landschaften  diesseits  des 
Tauros  kommend  den  Städten  den  Frieden  bereitet  und  seine  Politik 
{rä  itodypLceza)  sowie  das  Beich  zu  einer  höheren  und  glänzenderen 
Stellung  gebracht  hat  —  da  auch  schon  früher ,  da  der  König  des 
Vaters  Beich  übernahm,  der  Demos  der  Hier  für  ihn  Opfer  und  Gebete 
zu  [60]  halten  beflissen  war,  so  beschließt''  u.  s.  w.  Wie  aus  der  wei- 
teren Erwähnung  der  Gesandten  des  Königs  zu  ersehen,  er  ist  nicht 
in  Ilion,  aber  diesseits  des  Taurus.  Die  Hier  erinnern  daran,  dafi  sie 
dem  Antiochos  gleich  bei  seinem  Segierungsantritt  ihre  Ergebenheit 
bezeugt  haben;  als  Seleukos  in  den  ersten  Tagen  des  Jahres  280  er- 
mordet wurde  und  Ptolemaios  Keraunos  wenigstens  die  europäischen 
Länder  seiner  Eroberung  an  sich  riß,  war  es  ein  Bedeutendes,  daß  die 
Dier  so  nah  dem  Hellespont  sich  für  ihn  erklärten;  das  nahe  Pergamos 
war  zweideutig,  Bithjnien  erhob  sich  gegen  den  Syrer,  Herakleia  erklärte 
sich  unabhängig,  beide  traten  mit  einander  und  mit  Ptolemaios  Keraunos 
in  Bündnis;  die  Herakleoten  halfen  ihm  zu  dem  Seesiege  gegen  Anti- 
gonos,  der  Makedonien  in  Anspruch  zu  nehmen  kam,  während  in 
Bithjnien  das  syrische  Heer  überfallen  und  vernichtet  wurde.  Dies 
Heer  hatte  Antiochos  gesandt,  während  er  selbst  jenseits  des  Tauros 
war;  Syrien  war  ihm  gefährdet  durch  inneren  Aufruhr  und  durch  den 
Angriff  des  Philadelphos,  der  bei  dieser  Gelegenheit  wenigstens  das 
palästinensische  Syrien  und  Damaskos  gewann,  was  freilich  in  dem 
Ehrendecret  der  Hier  verdeckt  wird.  Aber  Memnon  c.  15  bestätigt  es 
durch  folgende  Wendung:  6  8i  ^bIsvxov  'Avxioxoq  noXkoiq  noXkuoi^ 
d  xai  fjLÖhg  xae  ovSi  näaav  öfioo^  ävaatoaüfievo^  rijv  nocTQi^ap 
ägxh'^  TiifinBi  aTQcrcfiyov  ,  .  ,  ,  elg  ri^v  kiii  rüäe  roV  TctvQov,  Mit 
diesen  Vorgängen  ist  das  Jahr  280  vergangen;  mit  dem  Ausgang  des- 
selben ist  Ptolemaios  Keraunos  gegen  die  Gallier  gefallen,  sie  haben 
Makedonien  überflutet;  während  sie  279  ihre  Invasion  erneuen,  auch 
Sosthenes  fallt,  Makedonien  herrenlos  ist,  die  gallische  Invasion  im 
Spätherbst  durch  die  Thermopylen  vordringt,  scheint  Antiochos  in 
Kleinasien  gerüstet  zu  haben,  seine  Autorität  hier  wie  in  Thrakien  und 
Makedonien,  der  Eroberung  seines  Vaters,  durchzusetzen;  und  Niko- 
medes  von  Bithynien  erkauft  die  Bundesgenossenschaft  der  Herakleoten 
gegen  Syrien  mit  bedeutenden  Zugeständnissen.  Das  Jahr  278  scheint 
den  entscheidenden  Kampf  bringen  zu  müssen.  Noch  gegen  Ausgang 
279  sendet  Antiochos  ein  Corps  nach  den  Thermopylen,  neben  den 
Truppen  des  Antigenes  gegen  die  Galater  zu  kämpfen;  nach  ihrem 
Bückzug  erhebt  sich  Antigonos,  das  herrenlose  Makedonien  in  Besitz 
zu  nehmen;  er  muß  es  gegen  Antiochos  gewinnen;  das  ist  der  Krieg, 
den  Memnon  c,  18  bezeichnet    Herakleia  und  Nikomedes  waren  die 


über  die  sigeische  Inschrift  323 

Verbandeten  des  Antigonos;  ihre  Flotte  stand  der  des  Syrerkönigs 
gegenüber,  aber  ovSersgot  fiäxvi  VQ^^'^i  ^^^  angccxroi  SuXv&riacnf, 
sagt  Memnon.  Der  Hauptteil  der  syrischen  Seemacht  mußte  gegen 
Antigonos  operieren.  Wir  finden  bei  Trog.  prol.  XXIV  heUum  quod 
ifUer  Aniigonum  Oonatam  et  Antiochtmi  Sdetsei  filium  in  A$%a  gestrnn 
[61]  est;  nur  infolge  eines  Seesieges  konnte  Antigonos  dort  landen, 
und  eben  diesen  Seesieg  erkennen  wir  unzweifelhaft  wieder  in  Diog.  L. 
IV  39  in  der  Biographie  des  Arkesilaos  von  Pitane,  und  eben  dieser 
Arkesilaos  kngiaßBvae  vniQ  r^g  narQtSog  elg  JtjfAfjTQidSa  nQÖg  'Avti- 
yovov,  man  sieht,  Antigonos  hatte  in  Aeolis  zu  gebieten.  Er  war  nach 
jener  Seeschlacht  und  Occupation  mit  glänzender  Flotte  gen  Lysimachia 
gezogen,  hatte  dort  die  Galater  bewältigt  in  jenem  hochberühmten 
Siege,  zu  dessen  £hren  die  Eretrier  ein  Decret  verfaßten,  das  Diog.  L. 
II  140  aufbewahrt  hat.  Erst  nach  diesen  Erfolgen  konnte  er  sich  gen 
Makedonien  wenden,  —  imd  der  Anfang  des  Königtums  des  Antigonos 
in  Makedonien  ist,  was  ich  hier  nicht  weiter  ausführen  will,  sicher 
nach  dem  Sommer  278,  in  Ol.  125  3,  nach  Trogus  richtiger  Angabe 
vor  Nikomedes  Ladung  der  Gallier  nach  Asien. 

Schon  etwas  früher  war  ein  Haufe  hinübergegangen.  Von  dem 
Zuge  von  279  hatte  sich  bereits  eine  Schar  unter  Leonorius  und  Lu- 
tarius  im  dardanischen  Lande  von  der  großen  Masse  getrennt,  und 
war,  während  diese  südwärts  strömte,  gen  Osten  gegen  Byzanz  und 
den  Chersones  gegangen,  hatte  dort  furchtbar  gebeert,  versuchte  die 
schönen  Ufer  des  Hellespont  zu  gewinnen.  Der  Präfekt  der  Küste 
Antipater  (offenbar  ein  syrischer)  unterhandelt  mit  ihnen;  des  Wartens 
müde,  zieht  Leonorius  mit  seinem  Haufen  ab  von  neuem  gen  Byzanz; 
aber  Lutarius  bemächtigt  sich  der  fünf  SchiflFe,  die  Antipater  angeblich 
seine  Gesandten  zu  bringen  geschickt  hat,  und  setzt  auf  ihnen  hinüber 
(Liv.  XXXVIII  16).  Dies  mag  gegen  Ende  279  oder  Anfang  278 
geschehen  sein.  Er  wirft  sich  auf  Ilion,  eben  die  Stadt,  die  unsere 
Inschrift  decretiert  hat,  einen  festen  Punkt  für  seine  Raubzüge  zu 
gewinnen;  Sicc  to  äreixttTTov  sagt  Hegesianax  (bei  Strabo  XIII  S.  594) 
habe  er  sie  verlassen;  der  jüngere  Polybius  (V  111,  4)  giebt  an,  daß 
die  Belagerten  durch  schnelle  Hilfesendung  aus  dem  troischen  Alexan- 
drien  entsetzt  worden.  Lutarius  zieht  nun  verwüstend  weiter.  Dann 
folgt  der  schon  besprochene  Krieg  zwischen  Antiochos  und  Antigonos, 
des  letztem  Occupation  auf  eben  dieser  Küste,  sein  Sieg  bei  Lysimachia 
über  die  Gallier;  es  sind  die,  welche  nach  der  delphischen  Niederlage 
unter  Komontorios  durch  Makedonien  zurückgekehrt  sind  und  sich  das 
Reich  von  Tylis  im  thrakischen  Hämus  gründen;  ohne  jene  Niederlage 
wären  auch  sie  nach  Asien  hinübergeströmt.   Pausanias  (X  23,  9)  setzt 

21* 


324  Zur  Geschichte  des  Hellenismus 

den  Übergang  der  Galater  nach  Asien  in  OL  125  3,  d.  h.  nach  dem 
Sommer  278;  er  meint  damit  nicht  jene  Schar,  die  über  den  Helle- 
spont  kam,  sondern  die,  welche  Nikomedes  von  der  Umgegend  von 
Byzanz  herüberlnd;  denen  sich  dann  freilich  jene  schon  umherraubenden 
unter  Lutarius  [62]  anschlössen.  Es  waren  20000  Mann;  sie  kämpften 
für  ihn  gegen  seinen  Bruder  Zipoites,  der  die  thynische  Landschaft 
genommen,  die  ihm  verbündeten  Herakleoten  bewältigt,  in  der  eigent- 
lich bithjnischen  Landschaft  selbst  Anhang  gefunden  hatte;  mit  Hilfe 
der  Galater  bewältigte  er  den  Bruder  und  die  empörte  Landschaft 
(Menmon  c.  19). 

Weder  Livius  noch  Memnon  noch  sonst  jemand  spricht  davon, 
daß,  wie  neuerdings  behauptet  worden,  Nikomedes  mit  diesen  Galliern 
gegen  Antiochos  gekämpft  habe;  beide  vielmehr  berichten,  wie  die 
Galater  gleich  nach  jenem  bithynischen  Kriege  trotz  der  geschlossenen 
Verträge  ihre  verwüstenden  Züge  durch  Kleinasien  beginnen,  alles  Land 
innerhalb  des  Tauros  in  Schrecken  gesetzt  haben,  bis  Ephesos,  Milet> 
Themisonion  in  Karlen  gestreift  seien.  Es  wird  eine  Schlacht  erwähnt, 
in  der  Antiochos  die  Galater  völlig  bewältigt  habe;  hätten  sie  im  Dienst 
des  Nikomedes  gekämpft,  so  wäre  das  der  Untergang  seines  kleinen 
Beiches  gewesen;  es  kommt  dazu,  daß  das  Lokal  jener  Schlacht,  zu 
der  Antiochos  schnell  die  nächsten  Truppen  zusammenraffend  auszog, 
wahrscheinlich  fern  östlich  in  der  Nähe  des  Tauros  war;  übt  sii  Äpamea 
condita  a  Sdeuco  rege  .  .  ,  et  quomam  ferodssimas  gentes  damuisset, 
inüio  Dameam  vocaiam  (Plin.  V  30),  wo  denn  freilich  der  Name  des 
Gründers  unrichtig  sein  müsste.  Wie  der  Krieg  zwischen  Antigenes 
und  Nikomedes  auf  der  einen,  Antiochos  auf  der  anderen  Seite  endete, 
wird  nicht  überliefert.  Aber  Trog.  XXV  sagt:  lU  Oaüi  transienint  in 
Asiam,  bellumque  cum  rege  ArUigono  et  BUhi/nio  gesserunt,  quas  regiones 
Feiini  (?)  occuparuni.  Der  Abbe  Longnerue  wollte  die  Lesart  der  beiden 
Vatic.  Handschriften  Antioeho  aufnehmen;  aber  dann  heißt  der  Satz 
am  wenigsten,  daß  die  Galater  in  dem  Kriege  des  Nikomedes  gegen 
Antiochos  gekämpft  hätten,  sondern  beide  wären  als  ihre  Gegner' be- 
zeichnet; soll  geändert  werden,  so  mag  man  cum  rege  Antioeho  et 
AnOgano  et  Bithynio  schreiben^;  Antigonos  war  wegen  seiner  Occupation 
auf  der  asiatischen  Küste  interessiert.  Es  ist  denkbar,  daß  sich  die 
drei  Könige  angesichts  dieser  furchtbaren  gallischen  Invasion  zum 
Frieden  vereinigt  haben;  Bithynien  und  Antiochos  gaben  dann  einige 
Landstriche  im  Innern  Kleinasiens  hin  und  Antigonos  trat,  was  ich 
hier  nicht  weiter  erweisen  will,  seine  Occupation  in  Kleinasien  um  die 


*  [Der  neueste  Herausgeber  liest  Antioeho  et  Bithunia  und  Tyleni], 


über  die  sigeische  Inschrift  325 

thrakisehe  Küste  an  Syrien  ab,  wogegen  Antiochos  seine  Herrschaft 
in  Makedonien  anerkannte.  Eine  Spur  von  diesem  Frieden  ist  in 
Justin.  XXV  1,  1  inter  dttos  reges  statuta  pace,  cum  Antigonus  in  Mac&- 
doniam  reverteretur  — ;  folgt  dann  die  Galaterschlacht  von  Lysimacbia. 
Leider  ist  Justin  ein  ganz  elender  Schriftsteller,  er  verwetzt  und  ver- 
tüncht mit  seiner  Schönrednerei  und  Unwissenheit  alles  was  er  im 
Trogus  Gutes  vorfand;  hätte  er  mit  jener  Folge  [63]  der  Begebenheiten 
Becht,  so  würde  der  Krieg  zwischen  Antiochos  und  Antigenes  kaum 
vier  Monate  gedauert  haben,  von  dem  auch  Memnon  sagt  z9<ivov 
avzvdv  xarixQixp^v. .  Aber  der  Friede  ist  geschlossen  worden;  ihn  zu 
besiegeln  vermählte  Antiochos  dem  Makedonier  seine  Schwester  Phila. 
nicht  die  Tochter  des  Antipater,  wie  Niebuhr  (kleine  Schriften  I  S.  227) 
dem  Suidas  nachspricht,  sondern  des  Seleukos  und  der  Stratonike,  die 
nun  Antiochos  Gemahlin  war;  Antigenes  war  nun  des  Syrers  Schwieger- 
sohn und  Schwager. 

Aus  diesen  Darstellungen  läßt  sich  die  Zeit  der  Inschrift  wenigstens 
annähernd  bestimmen.  Jener  Friede  ist  zwischen  278  und  274,  wo 
Pyrrhos  bereits  Makedonien  wieder  eroberte,  geschlossen  worden.  Eine 
bekannte  Überlieferung  besagt,  Antiochos  habe  infolge  jenes  Sieges  über 
die  Galater  (dessen  Zeit  leider  durchaus  nicht  zu  bestimmen  ist)  den 
Beinamen  Soter  erhalten;  ich  will  bemerken,  daß  gerade  auf  den 
Münzen,  welche  durch  das  Bild  des  Elefanten  eben  jenen  Sieg,  der 
besonders  durch  die  Tiere  errungen  worden,  feiern,  der  JBeiname  Soter 
nicht  erscheint.  In  der  Inschrift  kommen  die  Worte  vor:  a(o]TTiQa 
yeyovöra  rov  Si/fiov.  Man  hat  das  Beeret  darum  nach  dem  Gallier- 
siege setzen  zu  müssen  geglaubt,  aber  jener  Ausdruck  zeigt  deutlich, 
daß  er  nicht  den  constanten  Beinamen  des  Königs  bezeichnen  will; 
ähnlich  in  Corp.  Inscr.  Gr.  n.  3075  xal  Idvndxov  ßaatXkcoq  xai  (tco- 
rfjoog.  Näher  bestimmt  sich,  so  scheint  es,  die  Zeit  durch  die  Aus- 
drücke vvv  T€  7ta(}ayev6fi€vog  inl  rovg  rönovg  rovg  hni  rüde  rov 
TccvQOv  .  .  .  xal  ralg  itöXiaiv  rijv  elQtjvrjv  xartaxEvaaBv  xal  rä  nQÜy- 
fiara  xal  rijv  ßaaikeiav  elg  fAei^o)  xal  ?Mfjinoorei)av  Siä&eaiv  äy/joxB. 
Man  könnte  geneigt  sein  zu  glauben,  daß,  da  dieser  Satz  dem  von 
der  Beruhigung  Syriens  gleich  nach  Übernahme  des  Königtums  gegen- 
übergestellt ist,  die  Ankunft  des  Königs  in  den  Gegenden  diesseits  des 
Tauros  sich  etwa  auf  das  nächstfolgende  Jahr,  auf  die  Zeit  vor  dem 
Kriege  mit  Antigonos,  vor  Lutarios  AngriflF  auf  Ilion  bezieht.  Aber 
weder  von  Vergrößerung  des  Reiches  in  Kleinasien  ist  da  eine  Spur, 
noch  konnte  von  Frieden  die  Bede  sein,  da  der  Krieg  mit  Herakleia 
und  Bithynien  noch  nicht  beendet  war,  der  mit  Antigonos  gerüstet 
wurde.    Wenigstens  wahrscheinlicher  mag  es  sein,   daß  zur  Zeit  der 


326  Zui*  Geschichte  des  Hellenismus 

Inschrift  der  Krieg  mit  Aütigonos  schon  beendet,  der  Friede  geschlossen 
war;  er  brachte  große  und  glänzende  Erwerbungen,  wie  das  Decret  sie 
bezeichnet,  brachte  die  nahe  Verbindung  mit  Makedonien,  die  hinfort 
fünfzig  Jahre  hindurch  unverbrüchlich  bewahrt  worden  ist  und  dem 
Seleukidenreich  in  den  schwierigsten  Zeiten  Rückhalt  und  Bettung 
gegeben  hat.  Mag  dieser  Friede  277  oder  276  geschlossen  sein,  es 
findet  [64]  sich  im  Süden  und  Westen  des  Galatergebietes  eine  merk« 
würdige  Reihe  neuer  Städte,  die  zum  Teil  sich  noch  spät  als  make- 
donische auf  ihren  Münzen  bezeichnen  oder  von  den  Schriftstellern  als 
solche  bezeichnet  werden.  Sobald  Antiochos  Frieden  hatte,  mußte  sein 
hauptsachlichstes  Augenmerk  sein,  gegen  die  Raubfahrten  der  Gallier 
jede  mögliche  Sicherung  und  Umwallung  zu  gewinnep;  als  ihnen  der 
Süden  und  Westen  gesperrt  war,  wandten  sie  sich,  so  scheint  es,  ost- 
wärts zum  Tauros;  dort  überwältigte  sie  der  König  in  jener  Schlacht 
bei  Dameia. 

[65]  Und  in  dieser  Inschrift  von  Ilion,  die  überdies  durch  ihre 
ganze  Fassung  zu  zeigen  scheint,  daß  sie  von  des  Königs  Regierungs- 
anfang nicht  weit  entfernt  ist,  gewiß  nicht  über  fünf  Jahre,  heißt  die 
Königin  seine  Schwester.  Ist  das  Stratonike?  oder  soll  man  eine  Hypo- 
these bauen,  die  durchaus  keinerlei  Bestätigung  in  den  Schriftstellern 
findet?  Es  zeigt  sich  uns  die  Hoffnung  einer  völlig  sicheren  Ent- 
scheidung. Bei  Gruter  288,  4  findet  sich  folgendes:  NeapoH  in  hasi 
siatnae  muliebris,  cujus  ambae  marms  sunt  involutae  vesit: 

BAIIMIIAN  APIINOHN  BAIIAEQI 
ÜTOAEMAIOY  KAI  BAIIAIZIHI  BEPENIKHI 
ITPATONIKH  BAIIAEQI  AHMHTPIOY^. 

Haben  wir  hiermit  nicht  die  beste  Lösung?  Arsinoe,  die  nicht 
viel  vor  266  Gemahlin  ihres  Bruders  und  Königin  von  Ägypten  wurde, 
ist  mit  dieser  Statue  geehrt  worden  von  der  Königin  Stratonike,  die 
also  zur  Zeit  der  sigeischen  Inschrift,  etwa  zehn  Jahre  früher,  unzweifel- 
haft noch  lebte,  noch  Königin  war,  eben  die  neben  Antiochos  genannte 
üSektftj  aircoü  ßaaihrrfraj  und  äÖBXtpr)  ist  unzweifelhaft  bloßer  Ehren- 
titel. Leider  steht  diese  ganze  Combination  nichts  weniger  als  fest; 
die  Statue  kann  eben  sowohl  zehn,  zwanzig  Jahre  früher  geweihet  sein. 
Schon  vor  281  war  Arsinoe  Königin,  Gemahlin  des  Lysimachos,  Stra- 
tonike Gemahlin  des  Antiochos;  auch  in  diese  frühere  Zeit  könnte  die 
Inschrift  gehören.  Eine  Entscheidung  zu  finden  ist  nicht  möglich. 
Doch  lassen  sich  folgende  Betrachtungen  machen.   Warum  ist  Arsinoe 


*  [Kaibel  hißcr.  Graecae  Sicil.  et  Ital.  n.  727]. 


über  die  sigeische  Inschrift  327 

nach  Vater  und  Mutter,  Stratouike  nur  nach  dem  Vater  genannt? 
Denaetrios,  Stratonikes  Vater,  war  seit  296  wenigstens  Gegner  des 
Lysimachos;  nach  der  Entthronung  des  Demetrios  287  waren  Lysi- 
Biachos  und  Seleukos  ihm  feind;  damals  ungeMr  trat  der  Vater  dem 
liebenden  Sohn  die  Gemahlin  ab,  und  ihr  Vater  saß  in  Gefangenschaft 
in  Apameia;  schon  war  Zerwürfnis  zwischen  den  Höfen  von  Lysimachia 
nnd  Antiochia^  veranlaBt  und  genährt  durch  eben  diese  Arsinoe.  Denn 
mit  Lysimachos  Tod  war  sie  flüchtig,  es  mochte  nicht  eben  Anlaß  sein, 
sie  als  [66]  Königin  zu  ehren.  Wenigstens  vor  das  Jahr  280  möchte 
die  Inschrift  nicht  leicht  gesetzt  werden  können.  Dagegen  scheinen 
die  Verhältnisse  von  280  passend.  Ptolemaios  Eeraunos  hat  Arsinoe 
zur  Ehe  begehrt,  dann  ihre  Söhne  ermordet,  sie  selbst  flüchtet  aus 
ihrer  Stadt  Eassandrea  nach  Samothrake;  derselbe  Eeraunos  ist  der 
Mörder  des  Seleukos,  Usurpator  Makedoniens,  das  nach  dem  Recht  der 
Eroberung  dem  Gemahl  der  Stratonike  gebührt;  und  wider  Eeraunos 
erhebt  sich,  in  diesem  Moment  von  gleichem  Interesse  mit  Antiochos, 
ihr  Bruder  Antigenes,  während  Philadelphos  ebenso  mit  dem  Bruder 
in  Makedonien  verfeindet  scheint,  auf  dessen  Eosten  er  ja  die  Erbschaft 
Ägyptens  erhalten.  Doch  bekenne  ich,  daß  mir  es  passender  scheinen 
will,  wenn  wir  das  zuerst  Geäußerte  annehmen,  daß  nämlich  die  Statue 
Arsinoe  als  schon  Eönigin  in  Ägypten  geehrt  habe;  gegen  die  Hoch- 
gestellte paßte  das  eher  als  gegen  die  flüchtige  Witwe  eines  gestürzten 
Fürsten ;  die  Nennung  beider  Eltern  hat  dann  eine  rechte  Bedeutsam- 
keit, und  von  Philadelphos  ist  bekannt,  wie  er  immer  des  Vaters  Ge- 
dächtnis und  Vorbild  erhob,  sich  selbst  fast  dagegen  in  den  Schatten 
stellend.  Doch  ich  lasse  die  Sache,  ich  erwähne  nur  dies  eine,  daß 
man  in  der  Auslassung  der  Bezeichnung  Eönigin  für  Stratonike  keine 
chronologische  Bestimmung  wird  suchen  dürfen,  da  Stratonike  von 
300 — 293  als  Seleukos  Gemahlin  Eönigin  war,  und  seit  293  Antiochos 
mit  ihrer  Hand  vom  Vater  das  Eönigtum  des  oberen  Asien  erhielt; 
Arsinoe  war  aber  ebenfalls  erst  seit  300  Lysimachos  Gemahlin  und 
Eönigin. 

So  weit  können  wir  mit  den  vorhandenen  Mitteln  kommen;  eine 
größere  Sicherheit  der  Entscheidung  vermag  ich  wenigstens  nicht  zu 
finden.  Gewiß  ist  die  größere  Wahrscheinlichkeit  dafür,  daß  in  der 
sigeischen  Inschrift  die  Bezeichnung  Schwester  als  Ehrentitel  gebraucht 
ist,  wie  ja  aus  den  Antiquitäten  des  Josephus  bekannt  ist,  daß  der 
Name  Bruder  ebenso  von  den  syrischen  Eönigen  als  Titel  erteilt  wurde. 
Wäre  die  teische  Inschrift  (Corp.  Inscr.  Gr.  n.  3075)  erhaltener,  so 
würden  wir  vielleicht  völlige  Gewißheit  haben. 


VI. 

Die  attische  Conununalyerfassnng. 

(Allgemeine  Zeitschrift  für  Geschichte  herausgegeben  von  Dr.  W.  Adolf 

Schmidt  Bd.  VIII  Berlin  1847  S.  289  ff.). 

L 

Die  Leser  dieser  Zeitschrift  werden  sich  des  in  einem  früheren 
Jahrgange  mitgeteilten  sehr  lehrreichen  Aufsatzes  ^^über  die  griechische 
Eomenverfassung  als  Moment  der  Entwickelang  des  Stadtewesens  im 
Altertum"  erinnernd  Mit  vollem  Recht  ward  in  demselben  auf  die 
Bedeutsamkeit  der  Eomen  und  ihres  Verhältnisses  zur  nöXig  aufmerk- 
sam gemacht,  nachgewiesen,  wie  sich  die  innere  Geschichte  des  Griechen- 
tums zum  großen  Teil  um  diesen  Fortschritt  zur  stadtischen  und  staat- 
lichen Concentration  bewegt.  Es  würde  eine  dankbare  Mühe  gewesen 
sein,  dies  bedeutsame  Verhältnis  ausführlich  auch  nach  seinen  Be- 
dingungen und  Wirkungen  zu  untersuchen;  es  würde  sich  vielleicht 
gezeigt  haben,  daß  eigentlich  von  einer  Eomenverfassung  nicht  wohl 
die  Rede  sein  könne;  es  würde  in  den  wirtschaftlichen  Unterschieden 
von  xdffjifj  und  nökigj  die  sich  teils  aus  der  Natur  der  Sache  ergeben, 
teils  aus  bestimmten  Überlieferungen  erkennbar  sind,  die  politische 
Bedeutung  dieses  Gegensatzes  noch  anschaulicher  geworden  sein;  nament- 
lich die  Stellung  Spartas  der  fortschreitenden  Bewegung  des  Griechen- 
tums gegenüber  hätte  durch  eine  derartige  Betrachtung  mannigfache 
Erläuterung  gewinnen  können. 

Man  ist  wohl  zu  dem  allgemeinen  Satze  gekommen,  daß  das 
Eigentümliche  des  klassischen  Griechentums  die  Identität  von  Stadt 
und  Staat  in  dem  Begriff  der  nöXtg  sei.     Es  wäre  verkehrt  leugnen 


^  [E.  Kuhn  über  die  griechische  Komen Verfassung  in  Schmidts  Zeitschrift 
IV  1845  S.  50  ff.  Vgl.  desselben  Verf.  Aufsatz  zur  Komen  Verfassung  Rhein 
Mus.  XV  1860  S.  1  ff.]. 


Die  attische  Communalverfassung  329 

ZU  wollen,  daß  diese  Auffassung  etwas  Richtiges  enthalte.  Aber  eine 
sorgsamere  Betrachtung  zeigt,  daß  dieselbe  teils  zu  viel,  teils  zu  wenig 
aussagt. 

[290]  Ich  will  im  folgenden  ein  Moment  der  inneren  Entwickelungen 
zu  erläutern  versuchen,  das  sich,  wenn  nicht  ausschließlich  oder  zuerst, 
so  doch  so  weit  unsere  Kunde  reicht  am  vollständigsten  im  attischen 
Staate  ausgebildet  zeigt.  Ich  meine  die  von  Kleisthenes  gegründete 
Einrichtung  der  Phylen  und  Demen,  deren  Bedeutung  mit  dem  in  der 
tTberschrifli  gebrauchten  Ausdruck  im  voraus  angedeutet  sein  mag. 
Denn  es  ist  mit  derselben  keineswegs  nur  eine  administrative  Ein- 
teilung des  einigen  Staates  beabsichtigt,  sondern  der  Versuch  gemacht, 
die  nöhg,  die  Staatseinheit,  zu  einem  System  wirklicher  Gemeinden 
zu  gliedern;  und  diese  Gliederung  ist  nicht  etwa  eine  historisch  er- 
wachsene, diese  communalen  Autonomien  sind  nicht  etwa  die  Elemente, 
aus  denen  der  Staat  zusammengesetzt  oder  zusammengewachsen  ist, 
sondern  der  einheitliche  Staat  schafft  sie  durch  einen  Akt  positiver 
Gesetzgebung,  man  könnte  sagen  eine  Selbstbeschränkung,  die  sein 
eigenes  Wesen  um  so  reiner  hervortreten,  um  so  kräftiger  werden  ließ. 

So  viel,  um  im  allgemeinen  die  Kichtung  zu  bezeichnen,  in  der 
sich  die  folgenden  Betrachtungen  bewegen  werden.  Man  würde  das 
wahrhaft  großartige  Werk  des  Kleisthenes  nicht  richtig  zu  würdigen 
im  Stande  sein,  wenn  man  sich  nicht  die  früheren  Verfassungsverhält- 
nisse Attikas,  mehr  als  gewöhnlich  zu  geschehen  pflegt,  klar  machte. 
Ich  darf  es  mir  nicht  versagen  über  diese  zu  sprechen. 

Nur  daß  wir  gleich  da  in  betreff  der  ältesten  Geschichten  inmitten 
der  größten  Schwierigkeiten  sind.  Die  staatlichen  Anfange  Attikas  sind 
so  mit  Mythen  und  Sagen  durchwachsen,  daß  die  erste  Frage  für  uns 
sein  muß,  inwieweit  in  diesen  ein  historischer  Inhalt  vorauszusetzen 
oder  wieder  zu  erkennen  ist.  Oder  soll  man  im  Sinne  der  älteren 
Doktrin,  die  neuerdings  einen  ebenso  gelehrten  wie  beredten  Verteidiger 
gefanden  hat,  das  was  sich  die  Hellenen  selbst  von  ihren  Urzeiten 
erzählt,  als  Thatsachen  —  nicht  bloß  „des  Bewußtseins"  —  hinnehmen, 
geltend  machen,  daß  jener  Kekrops  wirklich  aus  Ägypten  hergekommen 
und  wahrscheinlich  die  Buchstabenschrift  mit  sich  [291]  gebracht,  daß 
wirklich  ein  gewisser  Triptolemos  die  und  die  agrarischen  Einrichtungen 
erfunden,  ein  gewisser  Ion,  des  ApoUon  Sohn,  die  und  die  Einteilungen 
gegründet  hat?  Oder  werden  wir  uns  jener  Art  construktiver  Kritik 
anschließen,  die,  am  glänzendsten  von  C.  0.  Müller  vertreten,  die  mythi- 
sierendjß  Natur  jener  alten  Überlieferungen  anerkennt  und  dann  mit 
sinniger  Behutsamkeit  aus  der  Fülle  bedeutsamer  Verknüpfungen  und 
Ausschmückungen  heraus  den  historischen  Kern  zu  gevrinnen  bemüht 


330  I^ie  attische  CommimalverfassuDg 

ist?  jener  Art  yon  Kritik,  die  freilich  die  Persönlichkeis  des  Erech- 
theus,  des  Ion,  des  Theseus  als  solche  nicht  annimmt,  wohl  aber  in 
ihnen  Personifikationen  historischer  Zustande  und  Entwickelungen 
wiederfindet? 

Es  will  mir  scheinen,  als  wenn  beide  Weisen  dem  religiösen 
Charakter  des  Griechentums  nicht  angemessen  seien.  Vielleicht  ist 
gerade  das  von  Attikas  Anfangen  Überlieferte  in  besonderem  Maße 
geeignet  zum  Nachweis  der  eigentlichen  Natur  derartiger  Überliefe- 
rungen, zur  Erhärtung  des  Satzes  zu  dienen,  daß  die  angeblich  älteste 
Geschichte  der  griechischen  Landschaften  eine  heilige  Geschichte,  daß 
sie  Religion  ist.  Achte  man  nur  darauf,  mit  welcher  Sorgfalt  und 
Anschaulichkeit  auch  kleinste  Momente  aus  der  Geschichte  des  Eephalos, 
des  Eeleos,  des  Aias  festgehalten  werden,  und  man  wird  es  erkennen, 
daß  hier  ein  anderes  als  das  bloß  historische  Interesse  gewaltet  hat. 
Und  wieder  wenn  diese  Attiker  —  und  vor  allen  Hellenen  hatten  sie 
den  Ruhm  der  Frömmigkeit  —  ihre  Boedromien,  ihre  Plynterien,  ihre 
Apaturien  feiern,  wenn  sie  in  unzähligen  lokalen  Diensten  dem  Nausi- 
thoos,  der  Hekate,  dem  Eonnidas  Opfer  bringen,  wie  nur  will  man 
meinen,  daß  die  Sage  von  Ions  Hilfezug  gen  Eleusis,  von  den  drei 
Töchtern  des  alten  Königs  Kekrops,  von  der  trügerischen  List  des 
Melanthos,  falls  sie  nichts  weiteres  als  die  Erinnerung  dieser  ehemaligen 
Personen  und Thatsachen  enthielt,  das  religiöse  Bedürfnis  dieses  fromm 
gläubigen  Volkes  befriedigt  haben  könne?  oder  was  für  eine  Art  von 
Frömmigkeit  soll  sich  daran  erbaut  haben,  daß  Hekate  den  Theseus 
gastlich  aufgenommen,  Konnidas  ihn  unterrichtet,  Nausithoos  sein  Schiff 
gesteuert  habe,  wenn  Theseus  [292]  nichts  war  als  ein  ehemaliger 
König  oder  gar  die  Personifikation  einer  Verfassungsänderung? 

Mit  einem  Wort:  wo  irgend  sich  an  einen  Namen  aus  ältesten 
Zeiten  ein  Dienst,  ein  Cult  knüpft,  darf  man  ohne  bestimmteste  Gegen- 
beweise annehmen,  daß  die  bezeichnete  Person  eben  nicht  eine  histo- 
rische ist,  sondern  in  den  Bereich  der  heiligen  Geschichte  gehört.  Es 
ist  meine  Aufgabe  hier  nicht,  auf  den  religiösen  Inhalt  des  hellenischen 
Heidentums  einzugehen.  Wenn  aber  unbestreitbar  ein  großer,  ja  der 
größte  Teil  des  Mythos  das  Leben  der  äußeren  Natur  zur  Basis  hat, 
so  sind  nicht  etwa  die  Götter  und  Helden,  ihr  Thun  und  Leiden 
Symbole  oder  Allegorien  für  diese,  sondern  das  Wechseln  und  Werden 
in  der  Natur  selbst  wird  angeschaut  als  das  Dasein  der  ewigen  Mächte 
und  deren  Geschichte,  das  ebenso  in  alles  Menschen  thun  hineinragt 
und  es  mit  seinem  Segen  und  seinen  Strafen  durchdringt. 

In  der  Natur  der  Sache  liegt  es,  daß  dem  Griechen  —  denn  an 
der  Facticität  jener  heiligen  Thatsachen,   an  der  Persönlichkeit  jener 


Die  attische  Communalverfassang  331 

Götter  und  Heroen  hat  er  keinen  Zweifel  —  die  heilige  Geschichte  der 
Anfang  seiner  wirklichen  Geschichte  ist,  daß  er  in  ihr  die  Ursprünge 
seines  Volkes,  die  Gründung  der  frühesten  staatlichen  und  socialen 
Einrichtungen  findet,  ja  daß  sie  überhaupt  in  dem  Maße  als  der  Glaube 
lebendig  ist,  fortlebt  und  fortwirkt,  lebendiger  als  die  kleinen  That- 
sachlichkeiten  des  wirklichen  Lebens.  Sie  selbst  mit  nichten  starr  und 
ein  für  allemal  geschlossea;  vielmehr  wandelt  sich  ihre  Fassung,  ihr 
Verständnis,  ihr  Umfang  fort  und  fort  in  dem  Maße  als  überhaupt 
die  Entwickelung  des  Volkes.  Aber  ebenso  liegt  in  jenem  Glauben 
der  Weg  zum  Euhemerismus  nahe,  so  daß  lange  bevor  dieser  Name 
entstand,  schon  in  den  Anfängen  historischer  Forschung  die  Tendenz 
erkennbar  ist,  die  Grenzen  der  heiligen  Geschichte  und  der  historischen 
Wirklichkeit  zu  verwischen  und  aus  dieser  in  jene  hinauf  zu  ratio- 
nalisieren, für  diese  und  nach  ihrem  Maß  jene  zu  systematisieren.  Aber 
es  trennt  —  und  nirgends  schärfer  als  in  den  attischen  Überliefe- 
rungen —  beide  eine  unzweideutige  Kluft  Bald  nach  [293]  dem 
sogenannten  trojanischen  Kriege  schließt  plötzlich  die  Fülle  jener 
schmuckreichen,  bis  ins  Kleinste  anschaulichen  Erzählungen,  und  in 
der  conventioneilen  Chronologie  von  fast  vier  Jahrhunderten  stehen 
kaum  zwei  oder  drei  Thatsachen  aufbewahrt,  —  erste  Erinnerungen 
wirklicher  Begebenheiten,  dürftige  Anfange  einer  wirkhch  historischen 
Tradition.  Von  dena,  was  voraus  liegt,  darf  man  das  hellenische  Sprich- 
wort brauchen:  „es  ist  älter  als  Kodros". 

Natürlich  kann  es  unsere  Meinung  nicht  sein,  als  wäre  während 
und  vor  dieser  leeren  Zeit  in  Attika  und  resp.  Hellas  gar  nichts  passiert; 
denn  auch  dieser  Einwurf  ist  neuerdings  nicht  ohne  Gepränge  von 
selten  der  orthodoxen  Philologie  erhoben  worden.  Wenn  auch  nicht 
die  Völkertafel  in  der  Genesis,  das  Vorkommen  des  Namens  der  lonier 
auf  den  Monumenten  der  Sesostriden  ist  ein  Beweis,  wie  jung  die 
Geschichte  der  Hellenen  ist.  Ja  noch  mehr,  es  ist  gar  wohl  anzu- 
nehmen, daß  wirklich  historische  Thatsachen  in  die  mythischen  Erzäh- 
lungen, in  die  Stammsagen,  in  die  epische  Poesie  mit  verschlungen 
sind.  Nur  daß  niemand  glauben  möge,  sie  mit  einiger  Sicherheit  aus- 
scheiden zu  können.  An  der  Analogie  der  germanischen  Urzeiten  hätte 
man  die  Behutsamkeit,  deren  die  Forschung  bedarf,  zu  lernen  Gelegen- 
heit. Freilich  bewahrt  das  Nibelungenlied  auch  historische  Motive, 
man  möchte  sagen  den  allgemeinen  Eindruck  der  sogenannten  Völker- 
wanderung; aber  wie  seltsam  verzogen,  wie  verschlungen  mit  dem,  was 
einst  Göttergeschichte  gewesen;  historische  und  mythische  Personen 
verkehren  dort  auf  gleichem  Boden.  Aus  diesen  Liedern,  aus  den 
Stammsagen  bei  Paul  Warnefried,  Jornandes  u.  s.  w.  etwa  der  von  den 


332  I^ie  attische  Communalverfasaang 

göttlichen  Ahnherrn  der  Amaler,  von  Lamissios  Mutter  der  Meerfei  o.  s.  w., 
die  deutsche  Urgeschichte  zu  entnehmen  fällt  niemandem  mehr  ein. 
Einst  wenn  von  irgend  einem  Tacitus  der  Kamessidenzeit  ein  Werk 
de  situ  moribibs  ei  poptüis  Oraedae  auftauchen  oder  wenn  die  Backsteine 
des  Nimrodturmes  und  die  Marmorplatten  von  Ehorsabad  uns  uner- 
wartet neue  Quellen  eröfinen  sollten,  mag  es  möglich  werden  zu  be- 
stimmen, ob  und  inwieweit  sich  in  den  Gesangen  [294]  von  Troja  oder 
Theben  Motive  der  althellenischen  Völkerwanderungen  erhalten  haben. 
Noch  ein  Punkt  bleibt  uns  zu  berühren.  Allerdings  erscheinen 
wie  überall  im  hellenischen  Lande  so  auch  in  Attika  die  ältesten  In- 
stitute staatlicher,  kirchlicher  und  bürgerlicher  Ordnung  an  jene  heilige 
Geschichte  angeknüpft,  als  Gründungen  der  Götter  oder  Heroen,  als 
fortdauernde  und  gegenwärtige  Wirkungen  der  heiligen  Vorgange,  deren 
Chronologie  sich  mit  jedem  Pestcyclus,  jedem  Kirchenjahr  der  Gläu- 
bigen erneut.  Aber  so  wenig  ist  für  Stammeinteilungen,  Staatsein- 
richtungen, lokale  Gründungen  u.  s.  w.  aus  jenen  Mythen  und  Sagen,  auf 
die  sie  sich  stützen,  sichere  historische  Erläuterung  zu  entnehmen,  daß 
vielmehr  umgekehrt  diese  Anknüpfungen  selbst  in  erster  Reihe  zum 
Verständnis  jener  Mythen  und  Sagen  verwendet  werden  mögen.  Wenn 
von  Kekrops  gesagt  wird,  daß  er  „die  zwölf  alten  Burgen  Attikas 
gegründet  habe"^,  so  ist  freilich  die  Existenz  dieser  Burgen  unzweifel- 
haft; aber  erst  wenn  man  in  der  mythischen  Gestalt  des  Kekrops  die 
Motive  findet,  die  diese  Gründungen  gerade  an  seinen  Namen  zu 
knüpfen  Anlaß  waren,  hat  man  diese  Sage  verstanden,  und  wieder  zu 
ihrem  Verständnis  führt  es,  daß  er  unter  anderem  als  Gründer  der 
zwölf  Burgen  hat  gedacht  werden  können.  Wenn  die  Vereinigung  des 
ganzen  attischen  Gebietes  zu  einem  Staate  mit  dem  Fest  der  Synoikien 
an  Theseus  Namen  geknüpft  erscheint,  so  wäre  es  euhemeristisch,  in 
Theseus  den  großen  Mann,  der  dies  bedeutende  politische  Werk  voll- 
bracht habe,  wieder  erkennen  zu  wollen;  aber  was  Beligiöses  in  diesem 
Poseidonssohn  angeschaut  wurde,  muß  von  der  Art  gewesen  sein,  daß 
eben  solche  Landeseinigung  und  Befriedigung  an  seinen  Namen  ge- 
knüpft werden  konnte.  Daß  sie  vor  sich  gegangen,  daß  sie  nicht  das 
Ursprüngliche,  sondern  ein  Moment  in  der  Entwickelung  der  wirk- 
lichen Geschichte  Attikas,  wird  sich  erweisen  lassen;  aber  den  [295] 
pragmatischen  Zusammenhang  dieses  Vorganges  aus  der  Sage  vom 
Theseus  herausdeuten  wollen,  wäre  völlig  unkritisch  oder  kritisch  in 
der  Art  jenes  jungen  Theologen,  der  sich  ernstlich  dagegen  verwahrte 


^  Etym.   M.   *^naKqia,   x^Q^j   Ädijvaiovg  naXai  x(Ofii]dby    otxovviag    ngarog 
KsxQOtp  iTvyaYaijrcjv  xataHiasp  etg  n6Xet^  Övoxaiöenot» 


Die  attische  Communalverfiiesang  333 

als  könne  er  glauben ,  daß  der  heilige  Geist  in  Gestalt  einer  Taube 
erschienen  sei;  aber  dann  auf  die  Frage,  in  welcher  Weise  denn  er  es 
sich  denke,  erklarte,  ein  Vogel  werde  es  doch  wohl  gewesen  sein. 

Nach  dem  bisher  Bemerkten  —  mag  es  für  unseren  Zweck  aus- 
reichend erscheinen  —  werden  wir  uns,  um  die  früheren  Rechtsver- 
hältnisse des  attischen  Staates  zu  erforschen,  keineswegs  an  jene  viel- 
gestaltigen Traditionen  wenden,  noch  die  chronologischen  Bestimmungen, 
die  sie  darzubieten  scheinen,  als  feste  Punkte  annehmen,  am  wenigsten 
aber  uns  begnügen  dürfen,  das  von  Hellanikos  begonnene  und  von  den 
Isokrateem  und  Atthidenschriftstellern  ausgebaute  System  altattischer 
Geschichte  zu  restaurieren,  als  wäre  —  denn  so  hat  man  sich  neuer- 
dings getröstet  —  ein  Irrtum  mit  ihnen  immerhin  noch  gut  genug. 
Den  einzig  festen  Boden  für  die  Forschung  über  jenes  Altertum  ge- 
währen die  alten  Institute,  die  in  die  geschichtliche  Zeit  hinab  erhalten 
als  Zeugen  jener  sonst  völlig  verschollenen  Zustände  betrachtet  werden 
können.  In  ihrer  Art,  in  den  Bedingungen,  die  ihre  Entstehung  vor- 
aussetzt, in  den  gegenseitigen  Beziehungen,  die  zwischen  ihnen  der 
Natur  der  Sache  nach  stattfinden  mußten,  endlich  in  der  Analogie 
anderer  namentlich  hellenischer  Staatsbildungen  werden  wir  Momente 
der  ältesten  attischen  Geschichte  wieder  zu  erkennen  versuchen  dürfen. 

Daß  die  Attiker  lonier  waren,  ist  unbestreitbar.  Wie  sie  es  ge- 
worden, ob  sie  es  immer  gewesen,  darüber  giebt  es  (trotz  Herod.  VI 
137  und  Vin  44)  keinerlei  sichere  tTberlieferung.  Am  wenigsten  darf 
man  den  blendenden  Combinationen  Müllers  darin  beistimmen,  daß  die 
attische  Bevökerung,  früher  pelasgisch,  durch  die  angebliche  Einführung 
des  Apollocultes  oder  doch  im  Zusammenhang  mit  derselben  hellenisch 
geworden  sei;  wie  denn  überhaupt  die  ganze  Frage  über  Felasger  und 
Hellenen,  die  zwei  Decennien  hindurch  mit  so  lebhaftem  Eifer  be- 
sprochen worden,  nur  dazu  gedient  [296]  hat,  die  Forschung  über  die 
Anfange  der  klassischen  Völker  auf  falscher  Fährte  zu  halten. 

unter  den  alten  Instituten,  auf  die  wir  unsere  Betrachtung  zu 
gründen  haben,  sind  besonders  die  verschiedenen  Ordnungen,  nach 
denen  das  Volk  geteilt  war,  von  Wichtigkeit.  Es  ist  zunächst  die 
Einteilung  in  die  vier  Phylen,  sodann  die  weitere  Teilung  jeder  Phyle 
teils  in  Trittyen,  teils  in  Phratrien,  teils  in  Stände;  dies  nach  der  aus 
Aristoteles  Schrift  über  die  attische  Verfassung  stammenden  Notiz: 
!^&7jvfj<Ti  Sixa  {S')  fdv  Jjtrav  (pvhxi,  SitjorjTO  Se  ixaari]  tovtcjv  elg 
TQia,  dg  xQtTTvag,  %lg  äöPTj,  sig  cpQaxQiaq  (Schol.  Plat  de  rep.  V 
S.  406  ed.  Bekk.,  vgl.  die  anderen  Citate  bei  Meier  de  gentilitate  S.  7 
und  8).  Wunderlich  ist  in  dieser  Darstellung,  daß  auch  die  Teilung 
nach  Ständen  als  auf  Grund  der  Phylen  gemacht  angeführt  wird.  Eine 


334  I^ie  attische  Communalverfassung 

weitere  Frage  aber  ist  sofort,  ob  diese  vier  Ordnungen  alle  gleiches 
Alters,  alle  von  Anfang  an  im  attischen  Staatsrecht  gewesen  seien,  oder 
ob  sich  zwischen  ihnen  ein  Früher  nnd  Später  unterscheiden  lasse. 

So  entschieden  ist  der  ursprungliche  Verfassungstypus  des  Griechen- 
tums —  um. nicht  noch  allgemeineres  zu  sagen  —  der  Geschlechter- 
staat, daß  auch  in  staatlichen  Gründungen,  in  denen  natürliche  Ver- 
wandtschaft notorisch  nicht  das  Zusammenhaltende  ist,  der  neue  Staat 
seine  Formen  in  der  Analogie  geschlechtlicher  Verwandtschaft  sucht; 
selbst  ausdrücklich  auf  Eroberung  gegründete  Staaten  (die  dorischen) 
gründen  sich  in  diesen  Formen,  nur  daß  diese  dann  nicht  die  Unter- 
worfenen mit  umfassen.  Es  ist  die  frühste  und  naivste  Spekulation 
über  den  Ursprung  und  das  Wesen  des  Staates  ihn  für  die  erweiterte 
Familie  zu  halten  und  das  Factum  seines  unvordenklichen  Bestehens, 
seiner  Gewährungen  und  Ansprüche  aus  eben  den  gemütlichen  Be-' 
Ziehungen  herzuleiten,  die  sich  innerhalb  der  Familie  immerfort  neu 
erzeugen.  Indem  diese  politischen  Verwandtschaften,  wie  sie  in  das 
Gebiet  des  Rechtes  hinübergehen,  eine  Theorie,  eine  Voraussetzung, 
eine  Satzung  werden,  so  erscheinen  in  ihnen  sofort  normierende  Zahlen- 
verhältnisse, zu  deren  Annahme  [297]  die  Analogie  sonst  wie  bedeu- 
tender klykischer  Erscheinungen  mitgewirkt  haben  mag. 

So  darf  es  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  sich  die  attische  Bevöl- 
kerung —  ähnlich  den  verschiedenen  Völkern  aus  Terachs  Geschlecht  — 
in  zwölf  großen  Brüderschaften  {(fQctxQicct^)  zusammengehörig  glaubte, 
deren  jede  wieder  dreißig  Geschlechter  yivi]  in  sich  begreift;  „so  daß 
die  Zahl  der  attischen  Geschlechter  der  der  Tage  des  alten  Jahres 
gleich  ward"  meinte  Philochoros,  der  auch  die  vier  Phylen  mit  den 
Jahreszeiten  zusammenstellt  (Suid.  v.  yBvvfiTat)  ohne  zu  bedenken,  daß 
die  ältere  griechische  Jahresteilung  weder  vier  Jahreszeiten  noch  das 
Jahr  zu  360  Tagen  hatte.  Doch  diese  Analogien  sind  für  uns  ohne 
Wichtigkeit.  Fügen  wir  hinzu,  daß  auch  jedes  Geschlecht  wieder  in 
gleicher  Weise  geteilt,  dreißig  Männer  (ßv^peg)  enthielt  und  eben  daher 
auch  T(}iccxäg  genannt  wurde. 

Aber  ist  es  nicht  vollkommen  undenkbar,  daß  solche  Normierungen 
alt,  daß  sie  praktisch  gewesen  seien?  muß  nicht  diese  hübsche  Abmn- 
dung  der  Zahlen  durch  die  lebendige  Bewegung  der  Population  in 
jedem  Augenblick  über  den  Haufen  gestürzt  worden  sein?  Ich  denke, 
in  diesen  Zahlen  ist  zwar  nicht  ein  tiefer  mystischer,  aber  doch  ein 
sehr  praktischer  Sinn.  In  dem  Wesen  des  Geschlechterstaates  liegt 
bei  weitem  noch  nicht  die  Seßhaftigkeit  der  Bevölkerung;  aber  wo 
dieselbe  eintritt,  wo  sich  der  Geschlechterstaat  auf  ein  begrenztes  Ge- 
biet mit  begrenzter  Ertragsfähigkeit  einzurichten   hat,   da  treten  für 


Die  attische  Commanalverfassang  335 

denselben  gewisse  Notwendigkeiten  ein,  die  seinem  ursprünglichen  Wesen 
gleichsam  einen  zweiten  Faktor  hinzufügen.  Als  wesentlich  seßhaft 
erscheint  die  attische  Bevölkerung  schon  in  der  Gemeinüberzeugung 
ihrer  Autochthonie,  mehr  noch  in  der  Eigentümlichkeit  der  wichtigsten 
Culte;  endlich  ist  der  attische  Boden  zum  großen  Teil. von  der  Art, 
daß  er  —  wie  auch  die  Sage  von  den  Pelasgem  auf  dem  Hymettos, 
der  nichts  als  öövvai  xcä  acpdxEXoi  tragt,  andeutet  —  nur  dem  regel- 
mäßigen Fleiße  Ertrag  gewährt.  Schon  aus  dem  Umstände,  daß  mehrere 
der  späteren  Demen  die  Namen  alter  Landesgeschlechter  tragen,  [298] 
dürfte  man  auf  die  Vermutung  kommen,  daß  jeder  solcher  Name  den 
Wohnsitz,  das  Ackergebiet  des  genannten  Geschlechtes  bezeichne,  daß 
also  wohl  der  alten  Geschlechterteilung  entsprechend  das  Gebiet  Attikas 
geteilt  gewesen  sein  werde.  Die  Erklärung  der  10800  ävSQsg  liegt 
nun  nahe:  es  umfaßte  jedes  Geschlecht  mit  seinen  30  ävS()6g  ebenso 
viele  feste  Erbe,  geschlossene  Grundstücke,  deren  jedesmalige  Inhaber 
eben  damit  die  aktiven  Bürger  des  Geschlechterstaates  waren;  und  ich 
bin  sehr  geneigt,  jenen  „Adel  des  Ackerbaues",  der  neuerdings  mit 
gerechtem  Preise  in  den  altitalischen  Verhältnissen  nachgewiesen  ist, 
auch  für  die  Anfange  Attikas  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Also  keine  Teilbarkeit  des  Grundbesitzes?  Eigentum  Bedingung 
der  Vollfreiheit?  vielleicht  gar  Unveräußerlichkeit  des  Erbgutes? 

Die  Natur  des  Gegenstandes  erlaubt  nicht,  auf  diese  Fragen  mit 
Sicherheit  zu  antworten.  Doch  bemerke  ich  folgendes.  Wir  finden 
bei  Hesychios:  ^|ö)  xQiaxaSoq  ol  fxij  fjLBTakafißavovreg  nalSeg  ^  äy- 
XtareTg  xXijQov  TBkevTrjtTavrög  xivog  lA&tjvfjaiv  hecckeiro  (sehr,  ixa- 
XovvTo).  Also  die  nicht  ein  Erbe,  xli)Qogf  erhalten  sind  ä^cj  rgiaxccSog^ 
sind  &TQi(ixa<not,  Daß  diese  merkwürdige  Angabe  (wahrscheinlich 
aus  Aristoteles  Schrift  über  die  attische  Politie)  sich  auf  die  vorsolo- 
nische  Zeit  bezieht,  ergiebt  sich  aus  der  bekannten  erbrechtlichen  Be- 
stimmung, die  Selon  machte:  änavrag  rovg  yvrjmovg  laopLoigovg  elvai 
rdiv  nuTQipmv,  Man  wird  sich  denken  können,  daß  die  Erblosen  dann 
unter  der  politischen  Vertretung  ihrer  Familienhäupter,  ihrer  ävSpeg 
standen,  man  wird  annehmen  dürfen,  daß  sie  entweder  als  freie  Arbeiter 
mit  auf  dem  Erbe  saßen,  oder  auch  wohl  ihre  Arbeit  frei  verdingen 
konnten  u.  s.  w.;  vor  allem  aber  mag  aus  diesem  jüngeren  Volk  manche 
Schar  ausgezogen  sein  auf  Seeraub  und  Heerfahrt  oder  zu  den  ionischen 
Ansiedelungen  im  Osten  und  Westen.  Jedenfalls  als  den  Kern  der 
Bevölkerung  wird  man  die  auf  geschlossene  Hufen  gegründete  Bauern- 
schaft ansehen  dürfen. 

Fügen  wir  ein  Zweites  hinzu.  Bis  auf  Solon  war  das  [299]  Recht 
testamentarischer  Verfügung  nicht  vorhanden,   dXX  kv  rw  yivai  rov 


336  Die  attische  CommunalverJBEissang 

TS&vfjxörog  üSei  tu  /Qijfiara  xai  rov  oixov  xatafiivetv  (Plut.  Sol.  21). 
Seit  Solon  ist  die  wesentliche  Form  der  Stad-r^xt]  xctxä  86aiv  die 
Adoption,  d.  h.  die  Übernahme  des  zum  Erben  Bestimmten  in  das 
Geschlecht  und  die  Phratrie  des  Erblassers.  In  der  einen  wie  anderen 
Form  ist  das  wesentliche,  daß  der  olxoq  erhalten  wird;  was  die  der 
älteren  Zeit  betrifft,  wird  man  doch  nicht  annehmen  können,  daß  das 
offene  Erbe  habe  aufhören  können,  einen  eigenen  olxoq  zu  bilden,  daß 
es  an  einen  der  schon  angesessenen  ävS^sg  des  Geschlechtes  oder  gar 
in  den  ager  pviblicus  des  Geschlechtes  habe  zurückfallen  dürfen;  viel- 
mehr da  es  galt  den  olxog  zu  erhalten,  wird  jemand  zur  Übernahme 
des  un vertretenen  xXfjQoq  bestellt  worden  sein,  natürlich  durch  das 
Geschlecht,  natürlich  einer  der  ccxQidxaaroi  des  Geschlechtes;  eine 
Bestimmung,  die  zeigen  würde,  wie  allerdings  erst  mit  dem  Solonischen 
Erbrecht  wahres  Eigentum  gegründet  worden  ist  [rä  xi>Vf^^'^^  «^'}- 
ficcra  hnoifjaB  Plut.  Sol.  21).  Sollte  es  vielleicht  möglich  sein,  in 
diesem  Zusammenhange  endlich  die  Erklärung  der  schwierigen  Begriffe 
dfjioyaXaxTBq  und  yevvTjrcci  zu  gewinnen?  Philochoros,  wenigstens  nach 
der  Fassung  bei  Suidas  unter  jenen  beiden  Worten,  giebt  an,  daß  so 
genannt  seien  oi  he  rov  avrov  71(jcjtov  {aitov  xal  ngcorov)  r&v  X 
yev&v.  Die  wunderliche  Angabe  t&v  k'  yspcDv,  die  eigentlich  zu  keinem 
der  alten  Verhältnisse  passen  will,  wird  man  für  irgendwie  fehlerhaft 
oder  mißverstanden  halten  müssen.  Wäre  je  das  erste  unter  den  dreißig 
Geschlechtem  jeder  Phratrie  bezeichnet,  so  würden  nur  zwölf  Ge- 
schlechter, nur  zwölf  mal  dreißig  ävSoeg  in  Attika  wahrhaft  gennetisch 
gewesen  sein  und  der  Name  der  Genneten  hätte  eine  Beschränkung, 
die  mit  seinem  natürlichen  Sinn  in  W^iderspruch  stände;  es  würde 
überdies  das  avrov  wenigstens  ein  müßiger  Zusatz  sein.  Völlig  anders, 
wenn  man  annimmt,  daß  nur  diejenigen  ävS^eg  innerhalb  eines  Ge- 
schlechtes als  dfAoyükaxTBg  oder  yevvTjrai  im  vollen  Sinne  gelten,  die 
von  dem  ersten  Gründer  in  unmittelbarer  Descendenz  abstammen; 
Geschlechtsgenossen,  die  nur  durch  [300]  Substitution  in  ein  eröffnetes 
Erbe  eintraten,  konnten  wohl  an  den  Heiligtümern  des  Geschlechtes 
teil  nehmen  {fxarix^iv),  wie  es  gewiß  auch  die  ^|ö)  xQiaxüSoq  thaten, 
konnten  wohl  6Qy%ß)VBg  sein,  aber  im  vollsten  Sinn  yevvfltai  waren 
sie  nicht.  Demnach  würde  der  wunderliche  Ausdruck  des  Suidas  röv 
r  yev&v,  eigentlich  die  je  dreißig  Geschlechter  in  jeder  Phratrie  gemeint 
haben  und  ix  rov  avrod  nQchrov  nicht  auf  yivoq  zu  beziehen,  sondern 
etwas  wie  Gründer,  Stammvater  zu  denken  sein.  Es  sprechen,  wie 
mir  scheint,  auch  andere  Umstände  für  solche  Auffassung;  Aristoteles 
(Polit.  I  1,  7),  wo  er  die  xdjpii]  als  nächsten  Verein  über  der  Familie 
bezeichnet  und  sie  „gleichsam  eine  änotxia  rr^g  olxiug^^  nennt,   sagt 


Die  attische  CommuualyerfiussuDg  337 

von  deren  Genossen:  ovq  xaXovai  rivtq  iyLoydhjcxxccq,  naiSäg  r«  Mal 
naiSo»»  natSaq,  Und  in  derselben  Weise  verstanden,  erhält  eine  merk- 
würdige Notiz  des  Harpokration  ihre  volle  Kraft:  ovx  ol  trvyyBvsTg 
fUVTOi  äni^g  xal  ol  k^  aifiarog  yBvvfjrai  tb  oeul  hc  tov  ccirov 
yiwyvg  kxccXoiJvxo^  äXX  oi  ^|  oiqxV£  ^'^  ^«r  xaXovfßsva  yhr}  xaravefif}- 
&ifVTeg  (S.  48, 12  B.).  Endlich  will  ich  nicht  unterlassen  daran  zu  erinnern, 
daß  nach  den  Solonischen  Gesetzen  es  keineswegs  erlaubt  war  xräai^ai 
yfjv  dsiöatjv  &if  ßovXfiTul  rrg  (Arist  Polit.  II  7,  4).  Leider  ist  nicht 
die  positive  Bestimmung  Erkennbar,  aber  es  liegt  nahe  zu  vermuten, 
daß  eine  so  einschneidende  Verordnung  selbst  in  der  Solonischen  Legis- 
lation nur  dadurch  möglich  wurde,  daß  sie  im  wesentlichen  die  Er- 
neuerung uralten  Rechtes  war.  Vielleicht  galt  einst  in  Athen,  wa« 
nach  Aristoteles  kv  noiJkaig  nöXsaiv  vor  Alters  Gesetz  war,  yLtiSk  niaXeiv 
i^Bivai  Tovg  nQd)xovg  xhliQovg  (Arist.  Pol.  VI  2,  5). 

Schon  aus  dem  Bisherigen  dürften  sich  einige  wesentliche  Motive 
des  altattischen  Geschlechterstaates  ergeben  — ,  denn  es  sei  uns  erlaubt 
hier  zu  antidpieren,  was  sich  später  bestätigen  wird,  daß  eben  er  die 
Basis,  älter  als  die  Anordnung  nach  Stämmen,  Ständen  und  Leistungen 
ist.  War  das  attische  Gebiet  mit  Ausschluß  der  heiligen  Bezirke,  der 
Wald  weide,  der  Gewässer  u,  s.  w.  in  10800  Erbe  gennetischer  Voll- 
bürger geteilt,  stand  neben  diesen  eine  gewiß  nicht  unbedeutende  Zahl 
jüngerer  Brüder  und  ihrer  Desoendenz,  [301]  die  freilich  von  dem 
Gremeinderecht  der  Vollbürger  ausgeschlossen  waren,  aber  doch  nur  so, 
daß  sie  bei  jeder  nächsten  Erledigung  eines  xXfiQog  in  die  Triakaden 
einrücken  konnten,  so  war  —  denn  Sklaven  fehlten  so  gut  wie  ganz 
(Herod.  VI  137)  —  theoretisch  wenigstens  jene  Gleichheit,  ij  k^  Xaov 
yivzaigy  vorhanden,  die  Plato  als  das  Eigentümliche  des  attischen  Alter- 
tums bezeichnet,  und  welche  so  zu  sagen  das  gesamte  Volk  adelte: 
!Arrixol  fidvoi  Sixaimg  Bvysvaig  cevröx&oveg  sagt  Anstophanes.  Aller- 
dings sind  unter  den  Namen  altattischer  Geschlechter,  deren  wir  noch 
eine  große  Zahl  finden,  auch  solche,  die  gewerbliche  Betriebe  bezeichnen : 
Färber,  Schmiede,  Boten,  Herolde,  Brunnengräber  u,  s.  w.;  es  wäre  völlig 
unrichtig  darum  zu  glauben,  daß  sie  neben  dem  Gewerbe,  das  als 
wohlerprobte  Kunstfertigkeit  in  ihren  Häusern  erblich  oder  auch  privi- 
legiert gewesen  sein  mag,  nicht  auch  einen  ländlichen  Betrieb  gehabt 
haben  sollten;  eine  Bemerkung,  die  darum  notwendig  erscheint,  weil 
man  sonst  auf  diese  Namen  Vorstellungen  aus  entwickelteren  gesell- 
schaftlichen Verhältnissen  übertragen  könnte. 

Noch  eine  Eigentümlichkeit  dieses  alten  Geschlechterstaates  bleibt  uns 
zu  betrachten  übrig;  vielleicht  daß  sie  schon  nicht  mehr  seiner  ältesten 
Fassung  angehört.    Wenigstens  dürfte  es  schwer  sein   nachzuweisen, 

Droysen,  Kl.  Schriften  T.  22 


838  ^ie  attische  Communalverfassiing 

daß  es  in  seinem  Wesen  liegt,  ein  Königtum  zu  haben,  wenn  sich 
auch  die  Attiker  ihre  älteste  Zeit  nie  ohne  dasselbe  dachten:  ßccaiksTg 
yaQ  all  rjfiTv  tlaiv  ovrot  Si  roxi  ^kv  he  yivovg,  rori  Si  aiQSToi 
(Plat.  Menex.  S.  238  d).  Wir  finden  in  Attika  zwölf  alte  Burgen  er- 
wähnt; und  man  wird  es  wohl  der  auch  von  Thukydides  angeführten 
Überlieferung  glauben  dürfen,  daß  das  älteste  Attika  xcerä  nöXetg 
Prytaneien  und  Obrigkeiten  hatte;  es  war  im  wesentlichen  ein  Verband 
Yon  zwölf  kleineren  Staaten.  Schon  andere  haben  mit  Wahrschein- 
lichkeit nachgewiesen,  daß  jene  zwölf  Burgen  mit  den  zwölf  Phratrien, 
eben  diesen  kleinen  Staaten,  im  wesentlichen  Zusammenhang  stehen. 
Wenn  die  ionischen  Auswanderer  gen  Asien  sich  wieder  in  zwölf  Städten 
ansiedeln,  jede  zunächst  [302]  mit  ihrem  Prytaneion  und  ihrer  Obrig- 
keit, so  kann  man  freilich  nicht  sagen,  daß  sie  Fortsetzungen  der  zwölf 
attischen  Phratrien  sind;  aber  es  ist  doch  bedeutsam,  daß  sie  die  festere 
politische  Einigung,  die,  wie  aus  dem  mit  übertragenen  Institut  der 
vier  Phylen  zu  erweisen  ist,  zur  Zeit  ihrer  Gründung  in  Attika  schon 
bestand,  nicht  versuchten,  sondern  die  losere  des  Panionions  vorzogen. 
Dem  gegenüber  ein  anderes.  Ich  bin  nicht  gemeint,  die  homerischen 
Gedichte  als  eine  Quelle  für  geschichtliche  Ereignisse  zu  benuteen; 
aber  gleich  wie  die  Nibelungenlieder  die  Verfassungsformen  —  man 
möchte  sagen  das  politische  Kostüm  —  vergegenwärtigen,  die  zu  der 
Zeit,  da  sie  fixiert  worden,  herrschten,  ebenso  darf  man  in  jedem  der 
beiden  homerischen  Gedichte  ein  bestimmtes  Stadium  hellenischer  Ver- 
fassungsentwickelungen wieder  erkennen.  Und  da  zeigt  denn  die  Odyssee 
die  schon  werdende  Zerrüttung  des  altheroischen  Königtums;  nur  in 
dem  glücklichen  Phaiakenlande  ist  noch  die  alte  schöne  Ordnung:  die 
Sc^Ssxa  xarä  Sfjfwv  äQiitQBniag  ßaailfjsg  jeder  mit  seinem  yi^ag,  8 
VI  Sfjfiog  äSojxev  (Odyss.  VII  150),  und  Alkinoos  der  Oberkönig  als  der 
selbdreizehnte  mit  ihnen.  Ich  meine,  es  ist  dies  ein  allgemeines,  wenn 
man  will  ein  Idealbild  der  „guten  alten  Zeit^^,  dem  auch  der  Zustand 
Attikas  vor  dem  sogenannten  (Tvvotxi(Tfi6g  entsprochen  haben  wird. 
Sollen  wir  noch  weiter  gehend  auch  daran  erinnern,  daß  nach  der 
Odyssee  zwar  das  ßaatkemtv,  das  Oberkönigtum,  y%v6p  naromov 
genannt  wird,  aber  zugleich  doch  &e&v  hv  yovvam  xeTrcci  StTzig  — 
ßa<TtXBV(T8i  lAxcciß^  (Odyss.  I  384  flF.)  und  daß  das  königliche  yi^ag, 
wie  Odysseus  (Odyss.  XI 175),  wie  Achill  (495)  fürchtete,  auch  an  andere 
der  Fürsten  im  Lande  übergehen  kann?  sollen  wir  vermuten,  daß  erst 
i98o€  Se^iog  ÖQvig  entschied,  etwa  die  Wahl  bestimmte?  (vgl.  Nitzsch 
zu  Odyss.  I  S.  62).  Oder  sind  die  Verhältnisse  der  Odyssee  selbst 
schon  zu  weit  entwickelt  oder  verwirrt,  als  daß  die  Attikas  damit  zu 
vergleichen  wären?    Sollen  wir  das  offenbar  noch  ältere  Schema  der 


Die  attische  Communalverfassang  389 

Yerfassangy  wie  es  sich  endlich  noch  in  der  delphischen  Amphiktyonie 
bewahrt  hat,  zum  Vergleich  herbeiziehen,  daran  erinnern ,  daB  die 
Attiker  einen  [803]  Heros  Amphiktyon  verehrten,  der  dem  Eranaos 
als  König  gefolgt  sein  soll?  Freilich  man  wird  es  nie  erforschen 
können,  ob  Attika  eine  Zeit  gehabt  hat,  in  der  die  zwölf  Phratrien 
ohne  die  gemeinsamen  Heiligtümer  der  Akropolis  gewesen;  und  das 
Fest  der  Apaturien,  in  dem  sich  alle  Geschlechter  der  zwölf  Phratrien 
als  eine  Verwandtschaft  zusammenfanden,  mag  um  nichts  jünger  sein 
als  der  politische  Anfang  dieses  Volkes;  man  müßte  deon  in  dem 
Umstände,  daß  in  der  Sage  auch  Könige  von  Orten  genannt  werden, 
die  nicht  unter  den  zwölf  Burgen  erscheinen  (Myrrhinus,  Athmononu.s.w.), 
Andeutung  von  Verhältnissen  finden  wollen,  die  denen  der  gegründeten 
zwölf  Brüderschaften  vorausgingen.  Wenn  aber  überhaupt  in  diesem 
Oeschlechterstaat  Könige  ursprünglich  sind,  so  gewiß  nicht  in  der 
Weise,  daß  das  Oesamtkönigtum  früher  als  die  Könige  der  einzelnen 
Burgen  sind,  —  ist  es  doch  selbst  eine  der  zwölf,  die  sich  zur  dauernden 
Vorortschaft  über  alle  erhebt,  Sitz  des  Gesamtkönigtums  wird;  — 
sondern  wo  es  eintritt,  wird  mit  dem  Staat  eine  Umwandlung  beginnen, 
welche  das  alte  gleiche  Recht  der  Phratrien  entschieden  beeinträchtigt. 

Diese  Umwandlung,  so  scheint  es,  ist  in  der  Einrichtung  der 
sogenannten  vier  ionischen  Phylen  erkennbar. 

Unter  den  Namen  derselben  ist  nur  der  eine  der  dnXijTaq  ohne 
Schwierigkeit;  und  es  scheint  zu  demselben  die  Sage,  daß  Ion,  der 
Vater  der  vier  Eponymen,  Stratarch  der  Athener  gewesen  sei  (Herod. 
VIII  44)  auf  treffliche  Weise  zu  passen.  Desto  unklarer  sind  die  drei 
anderen  Namen.  Unmöglich  kann  doch  raUovTBQf  —  denn  so,  nicht 
TbUoptbq  haben  die  Inschriften  —  von  y6(&ks(og  hergeleitet  werden, 
eine  Formation,  die  eher  dem  Zeitalter  der  korrumpiertesten  Gräcität 
als  dem  ursprünglicher  und  sicher  gefühlter  Sprachbildung  angetiören 
könnte.  Für  L4QyüSeig  schwankt  die  Erklärung  zwischen  der  Ableitung 
von  igyop  und  äQyogj  zwischen  „Werklingen  und  Flurlingen",  nur  daß 
in  dem  einen  wie  anderen  Falle  die  patronymische  Endung  unberück- 
sichtigt bleibt.  Endlich  was  besagt  der  Name  AlytxoQBiq?  bezeichnet 
er  wirklich  Ziegenfütterer?  oder  soll  man  der  Etymologie  [304]  des 
Euripides  Glauben  schenken,  der  die  Göttin  Athene  dem  Eponymos 
dieses  Stammes  nach  ihrer  Aigis  {hiii]g  äii  AlyiSoq)  den  Namen  geben 
laßt?  Schon  unter  den  alten  Autoien  giebt  es  solche,  die  da  meinen, 
diese  vier  Namen  bezeichneten  ebenso  viele  ßlot,  politische  Unter- 
scheidungen weder  nach  der  Abstammung  noch  nach  dem  Lokal,  son* 
dem  nach  den  Lebensbeschäftigungen,  förmliche  Kasten:  nach  diesen, 
sagt  Plutarch  (Selon  23),  nicht  nach  den  Söhnen  des  Ion  seien  nach 

22* 


'340  I^ie  attische  Coinmunalverfassang 

der  Meinung  einiger  die  Stamme  genannt  und  zwar  seien  diese  ßloi 
die  Kasten  der  Krieger,  Handwerker,  Ackerleute  (yt8iovTBq\  Hirten;  — 
während  nach  Strabo  Ackerleute,  Handwerker,  Priester  und  Krieger 
die  ßloi  sind.  Man  sieht,  den  Alten  war  der  Ursprung  jener  Namen 
so  dunkel  wie  uns,  auch  sie  suchten  deren  Erklärung  durch  Hypothesen. 

Von  dem  Namen  der  Hopleten  und  der  Stratarchie  des  Ion  aus- 
gehend hat  man  neuerer  Zeit  die  Hypothese  einer  ionischen  Eroberung 
Attikas  vollständig  ausgebildet.  Am  consequentesten  Matthiä  (Zeit- 
schrift für  Altertumswissenschaft  1840  S.  760  ff.):  er  findet,  auch  die 
Namen  der  AlyixoQBtq  und  IdoydS^tq  bezögen  sich  auf  die  Bewafl&iung, 
jener  bezeichne  die  mit  der  Aigis,  dem  Ziegenfell  bekleideten  oder 
geschirmten,  dieser  die  celeres\  in  den  Geleon ten  erkennt  er  „einen 
hervorragenden  Kriegerstamm",  sich  stützend  auf  eine  Reihe  etymo- 
logischer Combinationen,  die  ich  hier  nicht  wiederholen  will;  denn  die 
ganze  Ausführung  wird  man  verwerfen  müssen.  Nicht  bloß  daß  dies 
künstliche  System  verschiedenartiger  Bewaffnung  für  älteste  Zeiten  — 
auch  nicht  eine  Spur  davon  ist  in  den  dorischen  Phylen,  sie  sind 
sämtlich  hopletisch  —  ohne  alle  Frage  unanwendbar  ist,  es  wäre 
unzweifelhaft  nach  Maßgabe  der  höheren  oder  niederen  Bewaffnung 
ein  Rangunterschied,  eine  Stufenfolge  in  den  vier  Phylen,  der  weder 
nachgewiesen  noch  nachzuweisen  ist  Entweder  es  müßte  mit  der 
Eroberung  und  Gründung  der  vier  Phylen  die  Geschlechterverfassung 
erst  geschaffen  sein  oder  sie  hätte  den  Geschlechterstaat  bereits  vor- 
gefunden, ihn  mit  übernommen;  in  beiden  Fällen  ist  die  Zahl  der 
10800  [305]  ävÖQsg  vollkommen  unbegreiflich.  Nach  Niebuhrs  An- 
sicht hätte  die  Eroberung  die  alte  Bevölkerung  zur  „Gemeinde"  {SfIfAog) 
gemacht,  ihr  die  „Geschlechter"  gegenübergestellt;  meint  er  damit  jene 
860  mit  ihren  10800  Männern,  so  ist  leicht  nachzuweisen,  wie  diese 
allein  schon  eine  Bevölkerung  reprä^ientieren,  die  auf  dem  kleinen, 
nicht  einmal  fruchtbaren  Gebiet  Attikas  für  einen  SfjfAog  wenig  Raum 
übrig  lassen  (s.  u.).  Und  hat  nicht  fortan  jeder  Attiker  Phratrie  und 
Geschlecht?  wie  soll  es  geschehen  sein,  daß  die  Gemeinde  in  die  Ge- 
schlechter eindringt?  Träger  der  wichtigsten  Culte  des  Gesamtstaates 
waren  zu  allen  Zeiten  urheimische  agrarische  Geschlechter,  wie  die 
Buzygen,  Butaden,  Lykomiden  u.  s.  w. ;  sollen  sie  miteroberte  oder  mit- 
erobemde  gewesen  sein? 

Mir  will  es  scheinen,  als  wenn  man  bei  dieser  ganzen  Unter- 
suchung von  falschen  Prämissen  ausgehe.  Ich  will  mich  nicht  darauf 
berufen,  daß  es  eine  der  Burgen  ist,  die  sich  über  alle  erhebt  Muß 
denn  aber  jene  Vierteilung  ein  System  enthalten,  dessen  einzelne  Be- 
nennungen charakteristische  systematische  Unterschiede  angeben?  muß 


Die  attische  Communalyerfassung  341 

aus  jenen  Namen  der  EinteUungsgrund  erkannt  werden  können?  Nicht 
als  wenn  sie  nicht  irgendwelche  Bedeutung  hätten;  aber  welche  Zu- 
fälligkeit nicht  könnte  die  der  „Glänzenden'^,  —  denn  n,ur  das  heißt 
yekiovTsg  —  veranlaßt  haben?  Und  wenn  am  Ende  Alyixoifüq  wirk- 
lich soviel  als  Ziegenfötterer  bedeutet,  so  hat  das,  wenn  es  rovq  hnl 
vofAccTg  xccl  nQoßccTuuig  Star^ißovTccg  bezeichne  sollte,  etwas  so  ver- 
ächtliches an  sich,  daß  es  eher  einem  Parteinamen  als  dem  einer  ehr- 
baren politischen  Einteilung  ähnlich  sieht.  Endlich  aber  beachte  man, 
wie  diese  Einteilung  sich  nach  ihren  Namen  verhält:  der  eine  bezeichnet 
eine  Eigenschaft,  der  zweite  ist  patroi^ymisch,  ein  dritter  klingt  wie  ein 
Scbimp&amen,  nennt  einen  ganzen  Stamm  nach  einer  der  niedrig^en 
ländlichen  Beschäftigungen,  der  letzte  endlich  bezeichnet  die  Schwer- 
bewaffiaeten. 

Mit  einem  Wort,  es  ist  Täuschung,  daß  eine  sogenannte  ionische 
oder  hopletische  Eroberung  das  Institut  der  attischen  Fhiylen  erklärlich 
mache.  Aber  ebenso  wenig  erscheint  [306]  dasselbe  als  ein  ursprüng- 
lii^hes,  zugleich  Qüt  den  Pbratrien  und  6eschlechter^  gegebenes.  Es 
scheint  sich  nur,  aber  auch  völlig,  als  Resultat  einer  gewissen  umeren 
Entwickelung  begreifen  zu  lassen. 

Als  der  jüdische  Geschlechterstaat  im  gelobten  Lande  ansässig 
wurde,  bestand  —  und  soweit  wird  man  unbedenklich  den  im  alten 
Testamente  aufgezeichneten  Sagen  trauen  dürfen  —  die  durchgreifende 
Veränderung  darin,  daß  ein  einiges  Priestertum  eingerichtet  wurde, 
welches  die  zwölf  Stämme  verband;  aber  in  der  eigentümlichen  Agrar- 
verfassung  lag  das  entschiedene  Gegengewicht  gegen  den  weiteren 
Fortgang  der  Eastenbildung,  zu  der  das  Levitentum  ein  Ansatz  war. 
Plato  denkt  sich  nicht  ohne  ein  tiefes  Verständnis  staatlicher  Anfange 
in  der  Urzeit .  Attikas  eine  Art  Eriegerkaste:  t6  (tüxi-^ov  in  ävS^&v 
&Bi(av  XUT  ägx^^  üffOQia&iv  qixsi  x^Q^^  —  iSiav  fxiv  uin&v  avSüg 
oiSiv  xexTfifihoq,  anavxa  Sä  ndvrcov  xoivä  vofu^ovrBi;  avr&v  (Kritias 
S.  110  C).  Ist  nicht  auch  im  germanischen  Altertum  das  reisige  Kriegs- 
gefolge  der  Anfang  jener  Umbildungen,  denen  der  alte  Geschlechter- 
staat, denen  endlich  auch  die  altheimische  Bauemfreiheit  hat  erliegen 
müssen?  Aber  erobernd  zogen  diese  Gefolgschaften  aus  der  Heimat 
und  auf  eroberter  Erde  entstand  das  neue  Königtum  upd  der  feudale 
Militärstaat  Auch  im  alten  Hellas  haben  solche  Eroberungen  den 
spartamschen  Hoplitenstaat,  das  makedonische  Königtum  gegründet. 

Wie  nun  Attika?  Es  ist  doch  bemerkenswert,  daß  selbst  im  Mythos 
dies  Königtum  nicht  erobernd  erscheint.  Wie  wenig  den  anderen 
Helden  vergleichbar,  wie  nüchtern  und  beiläufig  tritt  Menestheus  in 
der  Hias  auf;  und  was  immer  von  Theseus,  Ion,  Erechtheus  Kriegerisches 


342  I^ie  attische  Communalverfassung 

berichtet  wird,  immer  nur  ist  es  Schatz  des  Landes  und  seiner  Grenzen 
oder  innerer  Krieg.  Attika  hat  so  wenig  erobert,  wie  es  erobert  worden 
ist.  Und  doch,  meine  ich,  ist  in  dem,  was  Plato  hypothesiert,  etwas 
Bichtiges  enthalten. 

Daß  aus  den  zwölf  Phratrien  ein  einiger  Staat  hat  werden,  daß 
sich  die  Akropolis  über  die  anderen  Burgen,  der  [307]  kekropische 
König  über  die  Prytanen  der  einzelnen  Phratrien,  die  Pallantiden, 
Eumolpiden,  Titakiden  u.  s.  w.  hat  erheben  können,  setzt  eine  zunehmende 
Kraft  der  in  den  Apaturien  angebahnten  Einheitlichkeit  voraus.  Und 
hier  will  ich  gleich  ein  Moment  hervorheben,  das  mir  als  ein  besonders 
merkwürdiges  auch  für  die  weitere  Betrachtung  erscheint.  Gewiß  mit 
gutem  Grunde  hat  Thukydides  den  alten  attischen  Ruhm  der  Autoch- 
thonie  anerkannt,  rijv  !Arr ixf]v  äv&Qmnoi  äxovv  oi  cchrol  äei;  aber 
sogleich  fugt  er  hinzu,  daß  sich  die  mächtigsten  Geschlechter,  die 
anderswo  in  Hellas  durch  Krieg  oder  Aufruhr  verdrängt  worden,  nach 
Attika  gewandt  hätten  cjg  ßißaiov  dv;  das  wird  auch  wohl  an  d^ln 
angeblichen  vöiioq  der  Athener  ^ivovg  BigSix^<^^cci  rovg  ßovkofievovg 
Tcöv  'Ekkfjvoov  (Ephoros  bei  Suid.  v.  ÜBQi&oTSai)  das  Wesentliche  sein. 
Gewiß  nicht  altheimisch  in  Attika  war  das  Haus  des  Isagoras  (Herod. 
VI  128  V186),  waren  die  Gephyräer;  und  die  verschiedenen  Geschlechter, 
die  ihren  Ursprung  auf  Neleus  zurückführen,  die  Medontiden,  Alk- 
maioniden,  Peisistratiden  u.  s.  w.,  sind  doch  wohl  ohne  Zweifel  einge- 
wanderte. Natürlich  daß  sie  wie  die  Appier  in  Rom,  wie  die  Molrinen- 
slacht  und  die  Bielken  in  Dithmarschen,  in  den  alten  Geschlechterstaat 
mit  eingereiht  wurden;  aber  —  und  dies  sei  für  das  weitere  voraus- 
gesandt —  diese  Einreihung  selbst  war  doch  nicht  möglich  ohne  eine 
Auflockerung  der  alten  strengen  Erb-  und  Geschlechterverfassung.  Wer 
nun  konnte  so  mächtigen  Fremdlingen  Aufnahme  schaffen?  und  wieder 
welches  Interesse  konnte  obwalten,  ihre  Aufnahme  zu  veranlassen? 
Sollen  wir,  die  erste  Frage  anlangend,  an  jene  Vorstellungen  von  Be- 
lehnung denken,  die  sich  im  Homer  finden?  Denn  die  Zweifel,  welche 
gegen  II.  IX  149  und  Odyss.  IV  174  erhoben  sind,  berühren  die  Be- 
deutung jener  immerhin  interpolierten  Verse  far  die  Geschichte  des 
hellenischen  Staatsrechtes  nicht.  In  der  ersten  Stelle  bietet  Agamemnon 
dem  Achill,  wenn  er  seinen  Zorn  lassen  wolle,  zum  Geschenk  inrä 
ivvatöfieva  nToh'e&(}a,  deren  Einwohner  ihn  SojrivrjfTi  &b6v  &g 
TifAi)<Tovat  xal  —  hnaQug  rakiovat  &ejun(TTag;  also  Ehrengeschenke 
und  Gerichtsgelder  [308]  als  Einnahme.  In  der  zweiten  Stelle  sagt 
Menelaos,  er  würde  den  Odysseus  gern  als  Zeichen  seiner  Dankbarkeit 
aus  Ithaka  a-vv  xTrjfjLa<Ti  xai  rixei  (o  xal  itä<n  Xaoiai  herübergeladen 
und  ihm  yLiuv  nöhv  k^uXanä^ag  ai  TiBotvatBraovaiv  geschenkt  haben. 


Die  attische  Communal Verfassung  343 

Also  es  hat  in  der  hellenischen  Vorstellung  irgend  welcher  Zeii  gelegen, 
daß  der  König  so  über  Land  und  Leute  verfugen,  so  bedeutende  Fremd- 
linge aufnehmen,  mit  Herrenrechten  ausstatten  könne.  Und  wieder, 
als  Bellerophon  zu  den  Lykiem  kam  und  das  Land  von  der  Chimaira 
befreite,  gegen  die  Solymer,  gegen  die  Amazonen  schützte,  da  gab  ihm 
der  König  seine  Tochter  und  rtfifjg  ßccmXritSoq  ijfuav  nüarjQ,  und  die 
Lykier  teilten  ihm  ein  Landgut  ab  {rifuvog  täfiov  —  xaXov  (pvrakifjg 
xal  ÄQovQfjg,  6(pQcc  vifwiro  IL  VI  193).  Es  wird  schwer  sein  zu 
behaupten  oder  zu  leugnen,  daß  in  ähnlicher  Weise  jene  Geschlechter 
in  Atüka  angesiedelt  worden  seien;  aber  es  verdient  bemerkt  zu  werden, 
was  nach  Ephoros  Angabe  mit  dem  thessalischen  Geschlecht  des  Peiri- 
thoos  geschah:  roinoiq  Sh  xal  x<Aqccv  ifieQiaav  ^v  xakoUtn  niQißoiSug^ 
den  späteren  Demos  des  Namens. 

Ich  meine,  es  wird  das  Gesamtkönigtum  gewesen  sein,  das  den 
mächtigen  Fremdlingen  die  Au&ahme  bereitet,  und  wieder  sie  werden 
auf  dessen  Seite  gestanden  haben.  Und  konnte,  wenn  bei  der  im 
Gedränge  der  Völkerbewegung  wachsenden  Gefahr  der  Grenzen,  als 
eine  starke  und  einheitliche  Verteidigung  jdringend  notwendig  werden 
mußte,  eben  von  der  Akropolis,  dem  Mittelpunkt  des  Landes  aus,  und 
mit  der  steigenden  Befugnis  des  Gesamtkönigtums  über  das  ganze  Land 
der  Gefahr  nicht  ungleich  wirksamer  begegnet  werden,  als  früher  von 
den  zwölf  einzelnen  Burgen  aus  und  mit  den  360  ävÖQtg  in  ihrem 
Bereich  möglich  gewesen  war?  Und  ist  es,  nach  so  zahlreichen  Spuren 
in  der  Sage  und  nach  manchen  Einzelnheiten,  die  als  Brauch  und 
Satzung  sich  erhalten  haben,  als  gewiß  anzunehmen,  daß  oft  die  ein- 
zelnen Gebiete  Attikas  mit  einander  in  Fehde  waren,  mußte  da  nicht 
das  Ende  dieser  inneren  Zerrüttungen  allen  erwünscht  sein?  wie  anders 
aber  konnte  der  [309]  kyi([pvhog  '^Qrjg  gebändigt  werden,  als  wenn 
sich  über  die  Zersplitterung  der  Gesamtstaat  und  dessen  straffere  Ge- 
walt erhob?  Dazu  dann  die  pfjrä  ykqa  des  Königtums  und  die  Be- 
deutung der  Gesamtheiligtümer  auf  der  Akropolis  und  immerhin  die 
allgemeine  Bewegung  des  sogenannten  heroischen  Zeitalters  —  und 
man  wird  sich  vorstellen  können,,  wie  allmählich  das  Königtum  Athens 
über  ganz  Attika  Gewalt  errang.  Es  mögen  die  der  Akropolis  nächsten 
Phratrien,  die  im  n%Siovy  zunächst  gewonnen  worden  sein;  in  diesem 
Zusammenhang  ergäbe  sich  die  Entstehung  des  Namens  der  Eopleten 
leicht  genug.  Man  kann  sich  dann  weiter  denken,  daß  etwa  der  nörd- 
lichste Teil  der  Landschaft,  da  wo  in  den  Phelleis  die  Ziegenheerden 
weideten,  am  längsten  widerstrebt  und  der  Parteiname,  der  üblich 
geworden  sein  mochte,  dann  bei  Feststellung  der  vier  Phylen  für  die 
Phratrien  jener  Gegend  fixiert  wurde. 


344  Die  attische  Gommuiutlyerfaasang 

Docli  genug  der  vagen  Möglichkeiten.  Es  kam  nur  darauf  an, 
anzudeuten,  wie  sich  aus  dem  alten  Geschlechterstaat  an  der  Hand 
des  Gesamtkönigtums  der  Übergang  zu  den  vier  Phylen  vermittelt 
haben  wird;  es  ist  schon  klar,  daß  dieselbe  Bewegung  endlich  zum 
awoixKTfiög  führen  mußte. 

Zuvor  noch  eine  Bemerkung.  Die  alte  Tradition  wiederholt  bekannt- 
lich die  Yierteilung  des  attischen  Landes  in  verscUedenen  Formeln. 
Von  Erichthonios  soll  die  Teilung  nach  den  vier  (rottheiten  —  Dias, 
Athenais,  Posödonias,  Hephaistias  —  herstammen.  Mögen  die  Mytho- 
logen  ihren  Einteilungsgrund  finden,  denn  auf  dem  religiösen,  nicht 
auf  dem  historischen  Gebiet  li^  ihre  Bedeutung.  Wer  in  dem  Fehlen 
der  ApoUonias  etwas  Yorionisdies  wittert,  der  mag  nicht  übersehen, 
daß  auch  keine  Demetrias  vorhanden  ist;  oder  zieht  er  es  vor,  eben 
darum  zu  den  Zeiten  wo  Eleusis  noch  nicht  attisch  gewesen  zurück- 
zugehen, so  ist  freilich  die  Sache  ja  erklärt  Unter  Eekrops  sodann 
soll  das  Land  die  Phylen  Eekropis,  Autochthon,  Aktaia,  Paralia,  unter 
Kranaos  die  Phylen  Eranais,  Atthis,  Mesogaia,  Diakria  gehabt  haben. 
Wunderliche  Dinge;  Pandion  aber  —  so  heißt  es  —  teilte  das  Land 
unter  seine  vier  Söhne,  so  daß  Megara,  Akte  mit  der  [310]  Ebene 
{neSiäg),  Paralia  und  Diakria  die  einzelnen  Gebiete  bildeten.  Es  ist 
wohl  geltend  gemacht  worden,  daß  diese  Einteilungen  vortrefflich  der 
Ortlichkeit  entsprachen;  sie  selbst  beweisen  das  Gegenteil.  Attika  ist, 
wenn  man  einmal  seine  charakteristischen  Ttile  scheiden  will,  mit  Aus- 
schluß von  Megara  nicht  in  vier,  sondern  in  fünf  Gebiete  zu  zerlegen, 
wie  Leake  nachgewiesen.  Idi  führe  dies  an,  weil  dadurch  unsere 
Ansicht,  daß  die  alte  Phratrieneinteilung,  nicht  aber  die  topc^aphisehe 
Gliederung  Attikas  als  Grundlage  der  vier  Phylen  anzunehmen  sei, 
eine  kleine  Stütze  mehr  zu  erhalten  scheint  Ob  Megara  jemals  attisch, 
ob  in  die  zwölf  Phratrien  eingereiht  gewesen  und  wie,  wenn  es  dann 
ausgefallen,  dafür  Ersatz  geschafft  ist,  das  sind  „nicht  aufzuwerfende'' 
Fragen. 

Über  den  (rvvotxKTfiög,  zu  dessen  Betrachtung  wir  uns  nun  wenden, 
haben  wir  die  treffliche  Darstellung  des  Thukydides  (II  15).  Es  kommt 
ihm  darauf  an,  darzulegen,  warum  es  der  Bevölkerung  Attikas  so 
schwer  gefallen,  sich  wie  es  bei  spartanischer  Invasion  431  notwendig 
wurde,  nach  Athen  zu  flüchten  und  dort  auf  längere  2^it  ihren  Auf- 
enthalt zu  nehmen:  diä  rd  äel  eita&ivcci  Tov<i  noXXovg  kv  roig  äyQoiq 
Siairäad-ai;  so  wenig  städtisch,  so  überwiegend  bäuerlich  —  auch 
Aristophanes  stellt  es  so  dar  —  war  das  wackere  Geschlecht  der 
Marathonskämpfer.  Denn,  sagt  Thukydides,  zur  Zeit  des  Eekrops  und 
der  ersten  Eönige  bis  auf  Theseus  wohnte  die  Bevölkerung  Attikas 


Die  attische  Communalverfassung  345 

xccrä  ndXng  n^vrccvaid  t6  l^avacc  xai  &qx^^^^j  ^™^  wenn  nicht 
etwas  zu  forchten  war,  kam  man  nicht  zu  Yersanmüungen  beim  Könige, 
sondern  jegliche  für  sich  ratschlagten  und  regierten  sieh  {airoi  hcatreoi 
InoXtTsifovTo  xml  kßovXavavro)  und  manche  kriegten  auch  unter  ein- 
ander, wie  die  Eleusinier  unter  Eumolpos  gegen  Erechtbeus.  Als  aber 
Theseus  König  war,  ein  Fürst  von  Maeht  und  Einsicht,  ordnete  er 
überhaupt  die  Angelegenheiten  des  Landes  und,  namentlich  die  Buleu- 
terien  und  die  Obrigkeiten  (rag  äQX^g)  der  übrigm  Städte  auflösend, 
vereinigte  er  alle  {aw(6»i<TB  ndvretq)  zu  der  jetzt  vorhandenen  nöXig, 
indem  er  ein  Buleuterion  und  ein  Prytaneion  [311]  machte,  und 
notigte  sie,  freilich  mit  Belassung  der  bisherigen  Selbstverwaltung,  sich 
an  diese  eine  Stadt  (oder  Staat)  zu  halten,  die  indem  alle  dorthin  ihre 
Leistungen  machten,  schon  groß  von  Theseus  seinen  Nadifolgem  ver- 
erbt wurde;  „den  Athenern  also^,  so  schließt  Tfaukjdides,  „wurde  sowohl 
wegen  des  lange  Zeit  unabhängig  auf  dem  Lande  Wohnens  (r^  knl 
nokv  xcrrä  ttjv  x^^^  ecvrovd^  oIxi^4tbi  fMjBiXO^)  als  auch  weil 
nach  dem  Synoikismos  die  Menge  in  der  Gewohnheit  blieb  mit  ihrer 
ganzen  Wirtschaft  auf  dem  Lande  ztt  leben,  —  es  wurde  ihnm  darum 
schw^y  sieh  in  die  Stadt  zu  übersiedeln^^ 

Es  hat  mir  nicht  gelingen  wollen,  die  scharfen  und  vielbezeich- 
nenden Wendungen  des  Schriftstellers  genau«:  zu  verdeutschen;  aber 
es  wird  klar  sein,  was  seine  Ansicht  ist  Er  spricht  allerdings  nicht 
von  Phjlen  oder  Phratrien,  ihm  kommt  ^  nur  auf  den  Gegensatz 
von  xcnä  nöketg  und  fita  nöhg  an;  aber  es  wird  keines  Beweises 
bedürfen,  daß  jenes  xarä  nökstg  entschieden  nieht  mit  der  Phylen- 
einriehtung  identisch  ist.  Inwiefern  es  mit  dem  Phrairienwesen  identisch 
sein  könne,  ist  aus  dem  Mber  Bemerkten  zu  ersehen.  Sehr  eigen* 
tümlich  nun  sind  die  Wendungen,  mit  denen  Thukjdides  die  wesent- 
lichen Veränderungen  bezeichnet  Es  handelt  sich  -r-  so  dürfte  man 
nach  heutiger  Ausdrucksweise  sagen  —  um  die  drei  wesentlichen  Attri- 
bute der  Souveränetat  Thukydides  bezeichnet  sie  mit  den  Worten 
^oidTBvsa&sci  xcel  ßovkBvetr&a^  —  itQVTccvetec  xctl  ÜQXO'vreq  —  ßov- 
XsüT^iQta  xccl  Aqx^^  —  ßovXfvrij^ov  xai  x^vraveiav.  Früher  —  so 
stellt  er  es  dar  -^  waren  auch  die  allgemeinen  Angelegenheiten  bis 
auf  seltene  Ausnahmen  {önörs  jui^  rt  Sai(f$icev)  ganz  in  dem  Bereich 
der  ^zelneu  Glieder  oder  Gebiete,  die  den  lose  zusammenhängenden 
Gesamtstaat  bildeten;  jedes  für  sich  hatte  Beschließung  und  Regierung, 
jedes  seine  Obrigkeit  und  sein  Prytaneion  —  und  mit  dem  Begriff 
des  Prytaneions  ist  namentlich  auch  die  Jurisdiktion  mit  umfaßt  Es 
ist  ähnlieh  dem,  was  Cäsar  von  dem  Geschlechterstaat  der  Germanen 
berichtet:  in  pace  nuUtis  est  communis  magistrcdus,  sed  prinoipes  regiovmm 


346  1^16  attische  Commnnal Verfassung 

et  pagorum  inter  snoa  ius  ddeunt  controversiasque  [812]  rmnuAmt  (de  belL 
GalL  VI  23).  Die  ÄnderoDg,  welche  der  avpotMiafiög  heryorbringt^ 
besteht  dann  wesentlich  darin,  daß  die  Handhabung  der  allgemeinen 
Angelegenheiten  —  man  möchte  sagen  die  Summe  der  Hoheitsrechte  — 
an  die  eine  nöhg  übergeht,  daß  Atüka  an&ngt  fu^  nöUi  xccvrfj  XQ^^ 
(T&at  und  zwar  in  der  Art,  daß  den  einzelnen  Gebieten  —  den  Phra- 
trien  wie  wir  meinen  — ,  in  denen  bisher  communale  und  staatliche 
Funktionen  vennischt  waren,  eben  die  staatlichen  entzogen,  sie  in 
diesen  Beziehungen  der  einheitlichen  Gewalt  untergeben  werden.  Aus- 
drücklich hebt  es  Thukydides  hervor,  daß  in  dieser  festeren  Einigung 
nicht  etwa  die  früheren  GenossenschafUichkeiten  aufhörten:  p$fjt6fAevo€ 
rä  airc&v  hcaaroi  blieben  sie,  wenn  auch  wesentlich  yerkürzt,  wenn 
auch  ohne  die  xaxä  rijv  x^Q^^  airrövofiog  oYxijaig  bestehen. 

Es  wird  der  allgemeinen  Glaubwürdigkeit  der  thukydideischen 
'  N^Nachricht  wohl  nicht  Abbruch  thun,  wenn  sie  das  Geschehene  an  den 
lihizj^eifelhaft  mythischen  Namen  des  Theseus  knüpft.  Ich  zweifle 
nicht,  tdaß  sich  in  Attika  auch  außer  dem  Fest  der  Synoikien  und 
dem  Dienst  (Aar  jifpQoSirfi  näpStjfjLog  (Paus.  I  22,  3)  Überlieferungen 
von  jener  großen  Stteoi^Ryeranderung  erhalten  hatten;  noch  mochte  da 
und  dort  ein  altes  Prytaneioir  yorhanden  sein,  dessen  Bedeutung  nur 
der  Zeit  yor  dem  awoixiafA6g  angehören  konnte,  wenn  auch  auf  die 
Erinnerung  an  jene  ältesten  Prytaniei»  in  Mensis,  die  König  Eeleos 
eingerichtet  haben  sollte  {BiSoxifKov  xat'  tdf^ad&v  AvSq&v  avvoSog 
xa&fifUQivi^  Plut.  Symp.  lY  4  §  1),  nicht  vief  ^gegeben  werden  mag. 
Über  die  Einzelnheiten  der  Verfassung  nach  ä^m  (TwotxiafMÖg  ist 
natürlich  nicht  eben  viel  zu  berichten.  Das  InstitiK(|  der  vier  ^i;Ao* 
ßaaiistg  wird  doch  wohl  von  der  Einrichtung  der  yifer  Phylen  her 
datieren;  es  mußte  ja  bei  der  Einigung  des  ganzen^  Landes  von 
Wichtigkeit  sein,  daß  das  Land  nach  seinen  wesentliche^  Teilen  bei 
dem  Könige  vertreten  sei,  ihm  etwa  im  Prytaneion  zur l  Seite  seine 
Vertreter  stellte;  denn  nicht  Beamtete  des  GesamtkönigtuWs  können 
die  (pvXoßamkeTg  gewesen,  sie  müssen  aus  den  Phylen  selbst  [313] 
hervorgegangen  sein.  Doch  ist  dies  ganze  Institut  von  größter  Schwierig- 
keit. Betrachten  vrir  weiteres.  Ich  weiß  nicht,  ob  auf  eine  ^JN^otiz  aus 
Apollodor  napl  &€&v  viel  zu  geben  ist,  nach  der  das  Heiligftum  der 
ld<pQo8ixfi  nävSfjfwg  auf  dem  alten  Markt  Siä  rö  kvrccv&cc  nöivxa  röv 
SfifjxMf  (Twdyaa&ai  gegründet  war(Harpocr.  v.  ndvSri^og  !A(pQoSi  S.  144, 
2  B.).  Merkwürdig  scheint  eine  andere  Angabe,  nach  der  iv  'd&fi^aig  860 
Leschen  gewesen  seien,  eine  Zahl,  die  deutlich  genug  die  Gescfhlechter 
des  ganzen  Staates  angeht  (Proklos  zu  Hesiods  Werken  und  Tage|n  V.  492 
citiert  bei  Meier  S.  21);  soll  man  meinen,  daß  diese  Zusammenkünfte 


Die  attische  CommunalyerfassuDg  347 

der  Geschlechter  mit  dem  (rwoixiafxÖQ  nach  Athen  hin  verlegt  worden 
seien,  oder  ist  iv  !AOi^paiQ,  wie  allerdings  oft,  für  Attika  gesetzt? 

Wie  dem  auch  sei,  der  Hauptgewinn  der  großen  Yeränderung 
wird  neben  der  größeren  Sicherheit  gegen  Angriffe  von  Außen  die 
innere  Beruhigung  gewesen  sein,  das  Aufhören  der  ardaig  ifjupvlog^ 
wie  sie  Selon  nennt,  die  zerstörend  genug  getobt  haben  mochte,  so 
lange  die  Autonomie  der  Phratrien  aus  sich  selbst  keine  Abwehr  und 
Befriedigung  zu  erzielen  vermochte.  Des  Königs  Ruhm  ist  es  solchem 
Unheil  zu  wehren,  wie  in  der  Odyssee  gesagt  wird  von  Antinoos  Vater, 
der  da  flüchtete  SfjfjLov  vitoSS^iaccqy  bei  Odysseus  Schutz  suchte:  t6v 
Qj  i&sXov  fpß-iaai  xal  äno^paitrcci  (ptkov  1]toq  — ,  äXX  VSvcevQ  xccri- 
QvxB  xccl  H(Txs&6v  Ufdvovq  TCBQ  (Odyss.  XYI  425).  Ist  es  da  nicht 
bezeichnend,  daß  fortan  im  Fest  der  Synoikesien  der  Eirene  geopfert 
wird  —  ElQt'ivrj  ^g  6  ßcofidg  oix  ccif/Lurodrai  (Schol.  Arist.  pac.  1010). 
Und  an  diesem  Punkt,  wo  es  den  Frieden  des  Landes  gilt,  scheint 
sich  mit  einer  gewissen  Notwendigkeit  eines  der  merkwürdigsten  In- 
stitute Attikas  anzuknüpfen.  Denn  in  der  Blutrache,  der  heiligen 
Pflicht  der  Verwandten,  mochte  wohl  lange  schon,  wenn  Mörder  und 
Ermordeter  von  derselben  Phratrie  waren,  deren  gerichtliches  Ein- 
schreiten mit  Strafe  und  Sühne  die  Wut  der  Selbsthilfe  hemmen,  q>övov 
SiuiQtiv  d^vfifjvirov  Sixaq.  Wie  aber,  wenn  Blutschuld  war  zwischen 
Geschlechtem  verschiedener  Phratrien?  mußte  sie  nicht  zu  allem  Ärgsten 
fahren,  zu  endlosem  Unheil?  Es  war  eine  [314]  Hauptpflicht  der 
neuen  Staatseinigung,  über  alle  Phratrien  ein  Blutgericht  zu  bestellen, 
das  von  Staatswegen  die  Blutrache  regelte  und  vertrat,  —  igv^Mi  t« 
X^Qccg  xal  nöXemg  (TwriJQiov.  Es  ist  der  hohe  Bat  auf  dem  Areiopag, 
von  dem  wir  sprechen. 

Um  seine  Bedeutung  —  denn  sie  ist  eine  ungleich  weitere  — 
zu  würdigen,  müssen  wir  auf  eine  Frage  eingehen,  die  unter  allen, 
welche  das  attische  Altertum  betreffen,  vielleicht  die  schwierigste  ist. 
Ich  darf  bemerken,  daß  wenn  auch  deren  Lösung  nicht  gelingen  sollte, 
das  bisher  Erörterte  dadurch  nicht  bloßgestellt  wird. 

Unter  den  Einteilungen  der  Phylen  wird  auch  die  in  Stände  an- 
geführt; TQia  Si  Jjv  rä  'i&vr}  ndXai  EiTtaxQtSai,  rstüfiÖQot,  JrjfAiovQyoi 
(Pollux  Vin  111 B.).  Es  wird  die  Einführung  dieser  Einteilung  wohl  auf 
Theseus  zurückgeführt:  er  habe  den  Eupatriden  übertragen  yivciaxeiv 
rä  &€ia  xal  napixBiv  üqx^'^^^  ^^<  vö^mov  SiSafrxäkovg  eivai  xal 
daimv  xal  Uq&v  k^ijyrjräg  roTg  äXXoig  noXixatg  (Plut.  Thes.  25).  In 
der  Erzählung  von  dem  Aufstand  des  Menestheus  gegen  Theseus  heißt 
ed:  Menestheus  des  Erechtheus  Urenkel  habe  die  Mächtigen  {rovg 
Swarovg)  leicht  gegen  Theseus  aufzubringen  vermocht,  weil  sie  überzeugt 


348  I^ie  attische  CommunalverfassuDg 

gewesen  seien,  daß  er  jeden  der  Eupatriden  {ixü(TTov  r&v  xccrä  S^^iov 
EvnaxQiS&v)  seiner  königlichen  Gewalt  beraubt  und  sie  in  eine  Stadt 
zusammenzwingend  zu  ünterthanen  und  Sklaven  gemacht  habe  (Plut 
Thes.  32).  In  den  Lexicographen  findet  sich  dann  die  Erklärung: 
EimaxQiSai  kxcckovvro  ol  avro  ro  ätnv  olxovvtBq  xal  furixoiVT^ 
rov  ßamhxov  yivovg,  rijv  r&v  Uq&v  hnipiiXticcv  noiovfuvoi  (Bekker 
Anekd.  257  Etj'm.  M.  y.).  Neben  dieser  Erklärung  aber  steht  eine 
andere,  EvnccTQiSai  8h  nag  'Atxixoiq  ol  avröxOovBg  xal  naQcc  rodro 
iifyavsig  (SchoL  zu  Soph.  Philoct.  25  bei  Wachsmuth  I  S.  850);  und 
Moeris:  EifTtargiScci,    Idxrixor   aixöx^ovag^  "Ekkfjveg;   und   Hesych. 

Wenn  die  bisherige  Darstellung  uns  überzeugt  hat,  daß  die  Ge- 
schlechtsverfassung mit  ihren  Grundbesitzverhältnissen  nicht  eine  durch 
fremde  Eroberung  begründete  Einrichtung  [315]  sein  kann,  sondern 
die  ursprüngliche,  gleichsam  natürliche  des  attischen  Volkes  gewesen 
sein  muß,  so  ist  klar,  daß  die  Ständeunterschiede,  wie  sie  in  jener 
Fassung  erscheinen,  erst  in  dem  Maße  Raum  gevrinnen  konnten,  als 
die  alte  Verfassung  stumpfer  wurde.  Ich  muß  hier  noch  einmsd  auf 
die  Populationsverhältnisse  zurückkommen,  um  einige  Momente  hervor- 
zuheben, die  in  der  Natur  des  attischen  Bodens  ihre  Bürgschaft  haben. 
Das  Fruchtgebiet  desselben  ist  keineswegs  von  der  Ausdehnung  und 
Ergiebigkeit,  um  eine  bedeutende  Bevölkerung  aus  eigenen  Mitteln  zu 
ernähren;  erst  in  dem  Maße  als  sicherer  Seeverkehr  —  eines  der 
großen  Besultate  der  marathonischen  Zeit  —  und  die  reichen  Erträge 
der  Eleruchengebiete,  besonders  Euboias,  sich  steigerten  und  gleichzeitig 
die  aufblühende  Industrie  Werte  zum  Einkaufen  schuf,  konnte  die 
Bevölkerung  bis  zu  der  enormen  Höhe  von  etwa  10000  Menschen  auf 
einer  Quadratmeile  anwachsen.  So  lange  Attika  wesentlich  auf  seinen 
eigenen  Fruchtertrag  an  Gerste  und  Weizen  angewiesen  war,  mußte, 
wie  sorgsam  man  auch  selbst  die  nackten  Felsen  hinan  Anbau  ver- 
suchte, die  Gesamtbevölkerung  eine  ungleich  mindere  sein.  Die  10800 
ävSQtq  des  alten  Geschlechterstaates  —  Wirtschaften,  Familien,  initrxia 
würde  Herodot  sagen  —  repräsentieren  allein  schon  eine  so  bedeutende 
Seelenzahl  Vollfreier,  daß,  wenn  man  die  der  dxgtüxccffxoi  nur  ebenso 
groß  voraussetzt,  die  Gesamtbevölkerung  auf  den  etwa  50  Quadrat^ 
meilen  des  attischen  Gebietes  füglich  auf  100000  Seelen  zu  schätzen 
ist,  eine  Dichtigkeit,  die  für  eine  wesentlich  agrarische  Bevölkerung 
doch  in  Wahrheit  höchst  bedeutend  sein  würde.  Bei  den  Germanen 
gab  es  über  dem  Vollfreien  den  Adel,  unter  ihm  Läten  und  Sklaven; 
aus  dem  Bemerkten  wird  sich  ergeben,  daß  im  alten  Attika  für  einen 
Stand,    der   außerhalb   der  geschlechterlichen   Verbindung   gestanden 


Die  attische  Communal Verfassung  849 

hätte  (denn  die  H^  r^iaxdSog  sind  doch  in  derselben),  für  Läten 
und  Sklaven  wenig  Saum  war.  Wenn  sich  die  attische  Bevölkerung 
zu  irgend  einer  Zeit  in  Adel,  Bauern  und  Handwerker  trennte,  so  darf 
man  behaupten,  daß  diese  Trennung  nur  auf  Kosten  der  alten '/cro/oi'/c^ 
und  [316]  xarä  fpvaiv  laovo^ia  (Plat.  Menex.  S.  239  a)  möglich 
gewesen  ist. 

Ich  möchte  damit  nicht  behauptet  haben,  daß  unter  den  360 
alten  Geschlechtem  keine  edleren,  keine  wirklichen  Adelsgeschlechter 
existiert  hatten.  Die  altgermanischen  Rechtsverhältnisse  zeigen,  daß 
keineswegs  Adel  neben  Vollfreiheit  des  Bauern  unmöglich  ist;  trotz 
der  gemeinsamen  Abstammung  von  Mannus  und  Thuiskon  gab  es  bei 
den  Germanen  den  Vorzug  edlerer  Geburt;  und  wie  unter  dem  attischen 
Volk,  ysvBäg  x^ovitov  ä%  !£p«;^i9'6/^Äi/,  ein  adliger  Stammbaum  be- 
schaffen sein  mußte,  lehrt  das  Beispiel  des  armen  Amphitheos  in  den 
Achamem.  Es  wird  das  Secht  und  Kennzeichen  aller  Vollfreien 
Attikas  jenes  altgermanische  swim  quisque  sedem,  suos  penates  regit 
gewesen  sein;  und  nach  derselben  Analogie  könnte  in  dem  reges  ex 
nobilitate  sumimt  jene  Begrifisbestimmung  der  Eupatriden:  fjLBrixovrsg 
rov  ßauiXixov  yivovq  ihre  Erklärung  finden,  sobald  man  nur  darüber 
einig  ist,  nicht  an  die  Gesamtkönige  allein  zu  denken.  Aber  ausreichend 
ist  das  in  Wahrheit  nicht  Schon  jene  andere  Erklärung  BvnatQiSai  — 
icvröxO-oveg  muß  um  so  mehr  Bedenken  machen,  da  ja  eine  Beihe 
eupatridischer  Geschlechter  für  fremden  Ursprungs  galt;  von  anderen 
Mißständen  noch  zu  schweigen. 

Irre  ich  nicht,  so  ist  mit  dem  Begriff  Adel  in  Attika  eine  ähn- 
liche Umwandelung  vor  sich  gegangen,  wie  sie  in  den  deutschen 
Rechtsaltertümem  nun  endlich  klar  nachgewiesen  ist. 

Sichten  wir  zunächst  unsere  Aufmerksamkeit  auf  zwei  andere 
Gebiete  hellenischer  Entwickelungen,  um  an  ihnen  das,  was  in  Attika 
vor  sich  vorgegangen,  zu  messen.  Der  achäische  Staat,  wie  er  in  den 
homerischen  Gedichten  erscheint,  hat  allerdings  noch  deutlich  genug 
die  Basis  des  Geschlechterstaates  —  xoTv  ävSpag  xarä  tpvXa  xccl 
xaru  (pQiiTQaq  (II.  II  362)  — ,  aber  schon  ist  über  dem  Volk,  den 
Gemeinfreien,  ein  ijfii&iiov  yivoi^  ävÖQ&Vy  eben  jene  Geschlechter  der 
Häuptlinge,  die  mit  dem  Könige  Bat  pflegen  und  Gericht  halten;  so 
jene  zwölf  bei  den  Phaiaken,  ausgezeichnet  [317]  durch  ihre  xr/ificcr 
kvi  ^iyÜQOKTi  yi()ccg  if'  6  ri  Sr/fiog  iScoxe  (Odyss.  VII  150);  es  giebt 
in  jenem  Zeitalter  bereits  standischen  Unterschied,  aber,  die  doch  nicht 
zahlreichen  Sklaven  in  den  fürstlichem  Häusern  und  das  Gesinde 
i&'fjTeg)  abgerechnet,  nur  Volk  und  fürstlichen  Adel,  und  das  Volk 
nichts  weniger  als  unterthänig  (vgl.  Nitzsch  zur  Odyssee  I  S.  69).   Ein 


S50  I^ie  attische  CommunalverfEiBsung 

völlig  anderer  Zustand  entwickelt  sich  mit  den  dorischen  Gründungen  — 
fürstlicher  Adel,  hoplitischer  Demos,  die  alte  Bevölkerung  teils  in  bloß 
privatem  Recht,  teils  in  völliger  Leibeigenschaft,  überdies  Sklaven. 

Wie  nun  in  Attika?  Wenn  es  auch  keineswegs  als  Thatsache 
gelten  kann,  daß  der  sogenannte  Theseus  den  Eupatriden  jene  hohe 
Ausstattung  mit  Rechten  und  Befugnissen  gegründet  habe,  die  wir 
anführten,  —  Thatsache  ist,  daß  die  Eupatriden  dieselben  erworben 
und  zum  Teil  lange  in  drückender  Ausschließlichkeit  behauptet  haben. 
Es  wird  glaublich  sein,  daß  schon  vor  dem  awoixiapidq  sich  in  den 
einzelnen  Phratrien  die  Macht  der  fürstlichen  Häuser  und  ihrer  eupa- 
tridischen  Verwandtschaft  auf  Kosten  der  Oemeinfreien  steigerte,  daß 
sich  die  Kluft  zwischen  beiden  vergrößerte;  aber  nur  um  so  weniger, 
das  darf  man  wohl  mit  Zuversicht  behaupten,  hatte  dieser  alte  Adel 
ein  Interesse  die  Landeseinigung  zu  fördern,  die  ja  notwendig  seine 
unabhängige  Stellung  mindern  mußte.  Mit  anderen  Worten:  die  attische 
Oesamtmonarchie  war  nicht  das  Werk  des  alten  Landesadels;  vielmehr 
wider  dessen  Interesse  setzte  eine  der  fürstlichen  Familien  ihr  Ober- 
königtum über  das  ganze  Land  durch.  Und  doch  ist  es  sofort  mit 
erlauchten  Geschlechtem  umgeben,  so  daß  das  Mitwohnen  iv  nökat 
zum  Wesen  der  Eupatriden  gerechnet  wird;  ja,  nicht  lange  und  das 
Königtum  erliegt  eben  diesem  Adel,  wird  förmlich  zu  einem  Amt  in 
dessen  Dienst.  Aber  nicht  etwa  so,  daß  nun  die  alte  Herrschaft  inner- 
halb der  Phratrien  sich  erneut,  oder  dem  zerstörten  Gesamtkönigtum 
die  Auflösung  des  Staates  in  lose  zusammenhängende  Sonderherrschaften 
folgt,  wie  doch  nahe  gelegen  hätte,  wenn  die  Eupatriden  der  alte 
fürstliche  Geschlechteradel  waren. 

[318]  Ich  denke  man  sieht  schon,  wohinaus  diese  Betrachtung 
will;  es  muß  uns  vergönnt  sein  weit  auszuholen. 

In  der  Zeit  der  Kylonischen  Bewegung  war  die  Gewalt  bei  den 
Prytanen  der  Naukraren^:  oi  itQvrüvtsg  x&v  Nuvxqüqcov  oineg  ^b/wv 
rdre  rag  'Ad'fivccq  (Herod.  V  71).  Wir  erwähnten  schon  der  Einteilung 
der  Phylen  in  Trittyen  und  Naukrarieu.  Daß  die  T(>irri;6s,  deren 
jede  Phyle  drei  enthielt,  eine  territoriale  Einteilung  gewesen,  ergiebt  sich 
aus  dem  EnAKPEQN  TPITTYOZ  bei  Boss  Demen  S.  8  [C.  L  A.  II  1053]; 
eine  andere  Inschrift  aus  bester  Zeit  [C.  I.  A.  II  570]  erwähnt  die  Steuern 
des  Demos  Plotheia  hq  rä  Uqu  ))  ^g  Ilho&mq  fj  kg  'EnccxQkccq  $  hg 
*4d-f]vatovg  (c.  2  no.  82).  Jedes  der  zwölf  Drittel  Athens  war  in  vier 
Naukrarien  geteilt,  über  deren  Bedeutung  schon  der  Name  sich  deutlich 
ausspricht:  vavxQccQia  Si  htccarrj  Svo  inniocg  tcocquxb  xal  va€v  puav\ 


^  JS6l(ovog  ovTCj  dvofiavaviOy  sagt  PhotiosÜ 


Die  attischs  Oommanalyerfassung  351 

man  könnte  sie  mit  dem  altnorwegisohen  Ausdruck  skipsreida  nennen. 
Daß  für  die  einzelnen  Naukrarien  nicht  etwa  mehrere  Chefs,  wie 
Schoemann  meint,  sondern  eben  nur  einer,  der  Naukrar,  bestellt  wurde, 
wird  man  daraus  folgern  dürfen,  daß  die  Naukraren,  wie  mehrfach 
angegeben  wird,  einen  ähnlichen  Geschäftsbereich  wie  späterhin  die 
Demarchen  hatten  (tA  nceXceidv  ^di^-jjvytnv  ol  vDv  S^fmQZOi  Phot.); 
hierher  gehören  könnte  vielleicht  auch  die  Notiz:  k^  ixätrcrig  x<^Q^^ 
rag  dqtpoQctq  k^iXeyov  (Hesych.  v.  vavxXaQoi).  Doch  wir  kommen 
später  hierauf  zurück.  Genug,  die  Einteilung  Attikas  in  Trittjen  und 
Naukrarien  war  wesentlich  zum  Behuf  der  Leistungen.  Und  eine 
Bepräsentation  auf  Grund  dieser  Einteilung,  die  Prytanen  der  Nau- 
kraren, hatte  zur  Eylonischen  Zeit  die  Gewalt  im  Staat.  Auch  Thuky- 
dides  berichtet  über  diese  Geschehnisse  (I  126),  die  Athener  seien  auf 
die  Kunde  von  Eylons  Vorhaben  navSfjfxe}  hc  r&v  Ayg&v  zum  Angriff 
auf  die  occupierte  Akropolis  geeilt,  hätten  aber  der  längeren  Belagerung 
überdrüssig  rolq  kwicc  ä^xovai  die  Wache  und  Yollmacht  zu  allem 
weiteren  überwiesen;  tötb  Si  tä  noXkä  r&v  noXixtx&v  ol  hvvkcc 
äQXOf^reg  i^nQaaaov  (ähnlich  Paus.  [319]  VII  25,  1  ot  l^x^vr^g  rag 
^QX^q\  Allerdings  ist  zwischen  Herodot  und  Thukydides  eine  merk- 
würdige Differenz:  genau  dasselbe  was  Herodot  als  Yon  den  Prytanen, 
nennt  Thukydides  als  Ton  den  neun  Archonten  geschehen,  obenein 
steht  bei  beiden  derselbe  Ausdruck  {Avaariiacevr^q  Si  avroig  Thukyd. 
Tovrovg  äviariaai  Herod.);  entweder  sie  folgen  verschiedenen  XTber- 
lieferungen  —  und  dann  hat  es  der  Zeit  in  Athen  zwei  Behörden 
gegeben,  deren  Competenz  sich  doch  wunderlich  ähnlich  .gewesen  sein 
müßte;  oder  —  die  Prytanen  und  die  Archonten  sind  dieselbe  Behörde. 
Wie  da  entscheiden? 

Zunächst  ein  anderes.  Der  entsetzliche  Druck,  unter  dem  damals 
die  Masse  der  attischen  Bevölkerung  schmachtete,  wird  genügend  be- 
weisen, daß  die  naukrarisch  geordnete  Staatsverfassung  nicht  etwa  im 
demokratischen  Sinne  zu  Gunsten  der  armen  Menge  gemacht  worden. 
Etwa  zwölf  Jahre  vor  Kylons  Versuch  auf  die  Erbitterung  der  Masse 
gestützt  eine  Tyrannis  zu  gründen,  hatte  Drakon  seine  „blutige'^  Legislation 
gemacht:  rp  vnaQXovari  noXtrei^  vöfiovg  Jid-rjxs,  wie  Aristoteles  sagt. 
Also  nicht  erst  von  ihm  stammt  das  Institut  der  Naukrarien  und  die 
naukrarisch  geordnete  Staatsverfassung;  und  eben  diese  gab  die  Mög- 
lichkeit, jene  Strenge,  die  immerhin  nach  dem  bisher  ungeschriebenen, 
dem  Gewohnheitsrecht  gültig  war,  als  Gesetz  zu  formulieren.  Wer 
auch  immer  die  Naukraren  gewesen  sein  mögen,  so  viel  ist  klar,  daß, 
wenn  bereits  mit  dem  <rvvoixi(Tfi6g  die  altattische  Bauemfreiheit  an- 
brüchig geworden  war,  mit  der  naukrarischen  Verfassung,   die  neun 


352  Die  attische  Communal Verfassung 

Archonten  an  ihrer  Spitze,  die  arme  Masse  von  Taglöhnem,  Pächtern, 
Handwerkern  u.  s.  w.  ganz  darnieder  getreten  ist;  denn  so  TöUig  hilflos 
und  zu  allem  Äußersten  entschlossen  findet  sie  Solon. 

Auf  Drakon  wird  das  merkwürdige  Institut  der  £pheten  zurück- 
geführt: itpirai  xbv  fUp  ägi&fidv  eig  xal  nevryxovra^  Aqüxwv  S* 
airovg  xitritTTtjaev  äQtarivSriv  aiQS&ivrag  (PoUux  VIII  125).  Die 
Bedeutung  dieser  Zahl  ist  schon  von  anderen  gewürdigt:  als  Kleisthenes 
statt  der  vier  Phylen  zehn  einrichtete,  erhöhte  er  die  Zahl  der  Nau- 
krarien  von  48  auf  [820]  50;  sie  blieben  die  Grundlage  der  attischen 
Steuer  Verfassung,  wahrscheinlich  bis  zum  Jahre  des  Nausinikos.  Ist 
späterhin  noch  die  Zahl  der  Epheten  auf  die  der  Naukrarien  projiciert, 
—  denn  der  51.  ist  der  ßaaiksvg  —  und  das  in  Zeiten,  wo  auch 
nicht  der  geringste  bedingende  Zusammenhang  zwischen  der  Steuer- 
verfassung und  den  speciellen  Kriminalsachen,  die  den  Epheten  blieben, 
mehr  stattfand,  so  kann  man  gewiß  sein,  daß  dieser  Zusammenhang 
früher  eben  wesentlich  war  und  sich  aus  der  Zeit  der  lebendigen  Be- 
deutsamkeit der  Epheten  in  die,  wo  sie  eine  „alte  Satzung^'  waren  und 
„wegen  geringer  Dinge  versammelt  wurden^',  bedeutungslos  fortgesetzt 
hat  Daher  wird  man  aus  der  Sage  von  dem  wegen  des  Palladien- 
raubes bestellten  Gericht  über  Demophon,  zu  welchem  Agamemnon  je 
50  Athener  und  Argeier  berief  (Harpocr.  v.  kni  IlakkaSiq)  S.  8 1 ,  27  B.),  nicht 
etwa  annehmen  dürfen,  daß  in  ältester  Zeit  schon  50  Epheten  gewesen 
seien,  —  so  wenig  wie  man  aus  den  50  attischen  Scluffen  des  Menestheus 
im  Schif&katalog  der  Ilias  einen  Beweis  gegen  die  Angabe,  daß  vor 
Kleisthenes  nur  48  Naukrarien  gewesen,  wird  finden  wollen. 

Also  zwischen  den  Epheten  und  Naukrarien  ist  ehedem  ein  Zu- 
sammenhang gewesen.  Was  nur  bedeutet  er?  Erst  die  entwickeltere 
Verfassung  Athens  hat  Administration  und  Justiz  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  trennen  gelernt;  früher  waren  nicht  bloß  die  Könige  und  resp. 
Archonten  zugleich  Richter,  sondern  die  Epheten,  was  sind  sie  anders 
als  die  nur  eben  als  Gericht  agierenden  Naukraren,  dieselben,  deren 
Prytanen  wir  zu  höchster  Befugnis  bestellt  fanden.  Und  war  nicht 
auch  der  berühmte  Gerichtshof,  ij  kv  Id^d^  nüytp  ßovh'j,  eben  eine 
ßovh)?  Es  wird  wohl  gesagt,  erst  Solon  habe  ihn  eingesetzt  Aller- 
dings so,  wie  er  bis  Ephialtes  bestand;  aber  er  war  uralt  Drakon 
hatte  ihn  abgeschafft  oder  richtiger  hatte  auch  den  Areopag  an  die 
Epheten  überwiesen  (Plut  Sol.  19);  und  wenn  einer  Angabe  nach 
die  Anhänger  Kylons  %lg  vfjv  x^iaiv  xccrißfjfTccv  kv  !Aquw  ndyo) 
(SchoL  Arist  equit  447  Plut  Sol.  12),  so  waren  es  die  Epheten,  vor 
denen  sie  Recht  nehmen  wollten.  Zur  Zeit,  da  [321]  Solons  große 
Amnestie   erlassen   wurde,   etwa   dreißig  Jahre   nach   dem  Arcfaontat 


Die  attische  CommanalverfaASUDg  353 

Drakons,  gab  es  noch  solche,  die  durch  den  nicht  ephetischen  Gerichts* 
hof  auf  dem  Areiopag  landesverwiesen  waren  (Plut.  a.  a.  0.).  An  den 
Heiligtümern  des  Areiopag  hafteten  so  zu  sagen  „die  vier  hohen 
Rügen'',  namentlich  der  (pövog  hcovaiog  mit  allen  zugehörigen  Sühnen, 
Weihen  u.  s.  w.;  an  den  vier  anderen  Mahlstätten,  wo  über  (pövog 
äxovatoq  Gericht  gehegt  wurde,  hatte  ehedem  der  König  geurteilt 
(PoUux  VIII  125),  dann  also  der  zehnjährige  Archon,  der  seine  Stelle 
vertrat.  Es  war  doch  ein  großes  Zugeständnis,  wenn  zunächst  diese 
Mahlstätten  den  Epheten  —  Naukraren  —  geöffnet  wurden,  ein  noch 
größeres,  als  sie  auch  den  Sitz  der  alten  ßovh'i,  den  Areiopag,  ein- 
nahmen. 

Zugeständnis  von  wem?  an  wen? 

Die  Angabe  des  PoUnx,  daß  erst  Drakon  die  Epheten  eingesetzt 
habe,  scheint  mir  nicht  völlig  richtig;  der  Irrtum  konnte  leicht  aus 
der  Notiz  über  die  Besetzung  des  Areiopag  mit  Epheten  entstehen. 
Wichtiger  ist  es,  daß  ohne  alle  Frage  die  Verfassung  der  naukrarischen 
Prytanen  älter  als  Drakon  ist.  Ihr  Eintreten  ist,  wie  mir  scheint,  ein 
entscheidender  Wendepunkt  in  der  attischen  Verfassungsgeschichte,  eine 
völlige  TJmwandelung  des  Prinzipes;  sie  mußte  eine  ganze  Reihe  von 
Änderungen  bedingen,  Änderungen  in  den  wichtigsten  Verhältnissen 
des  Staates. 

Man  wird  die  Überlieferung  von  der  allmählichen  Minderung  der 
attischen  Königswürde  unbedenklich  annehmen  dürfen,  wenn  auch  die 
Chronologie  namentlich  in  betreff  der  ersten  Wandelung  bedenklich 
ist.  Wir  bemerkten  schon,  daß,  wenn  diese  Schwächung  des  König- 
tums nicht  zu  der  früheren  Lockerheit  des  Geschlechterstaates  zurück- 
führte, eben  mit  der  Einigung  und  unter  ihrem  Einfluß  sich  neue 
Elemente  im  Staat  entwickelt  haben  müssen,  die  den  vom  Königtum 
gewonnenen  Vorteil  der  Einigung  erbten.  In  der  Natur  der  Sache 
liegt  es,  daß  sich  gegen  die  Königsgewalt,  die  einst  mächtig  genug 
gewesen  war,  den  alten  Geschlechterstaat  zur  Einheitlichkeit  zu  zwingen, 
eben  diejenigen  Kräfte  erhoben,  mit  denen  die  Könige  ihr  Werk  durch- 
gesetzt hatten.  [322]  Mit  Medon  dem  Sohne  des  Kodros  beginnt  die 
Verantwortlichkeit  der  Könige,  mit  Charops  (752)  die  Wahl  eines 
Medontiden  auf  je  zehn  Jahre,  mit  Leokrates  (717)  wird  auch  das 
königliche  Geschlecht  verlassen;  einunddreißig  Jahre  später  erfolgt  die 
große  Verfassungsänderung,  daß  das  Königsamt  in  neun  gleichzeitige 
Beamtungen  mit  jährlich  wechselnder  Besetzung  ^|  Evnax^id&v  (Syncell.) 
geteilt  wird.  Was  nun  hat  zu  dieser  großen  Änderung  getrieben?  wer 
waren  die,  denen  Medon  Rechenschaft  zu  leisten  sich  verpflichten  mußte? 
wer  waren  die  Wähler  des  Charops?  wer  die  Wähler  der  neun  Archonten? 

Droysen,  Kl.  Schriften  I.  23 


354  I)ie  attische  Com munal Verfassung 

Es  muß  bei  der  Schwierigkeit  dieser  Untersuchung  schon  verziehen 
werden,  wenn  sie  sich  krümmt  und  windet,  um  da  oder  dort  ein 
Streifchen  Licht  zu  erhaschen.  Wir  sahen  was  die  Naukrarien  zu 
bedeuten  hatten;  mit  Zuversicht  darf  behauptet  werden,  daß  sie  dem 
Zeitalter  des  sogenannten  heroischen  Königtums  fremd  waren.  Da- 
mals —  wir  sehen  es  aus  dem  Homer  —  hatte  der  König  seine  Domäne 
{rifievog),  seinen  Ehrenteil  an  den  öffentlichen  Opfern,  seine  Einnahme 
für  das  Oerichthegen,  und  endlich  was  ihm  außerordentlicher  Weise 
an  Geschenken,  als  Beuteteil  u.  s.  w.  einkam.  So  lange  die  alte  Frei- 
heit des  Geschlechterstaates  bestand,  war  in  der  That  keine  Möglichkeit 
förmlicher  Besteuerung.  Wenn  aber  Thukydides  von  Athen  nach  dem 
Synoikismos  sagt,  die  Stadt  sei  schnell  groß  geworden  änüvrcov  ^Stj 
<TWTekovvTO)v  kg  airci'iv,  so  mag  man  darin  zunächst  zwar  nicht  viel 
mehr  als  den  Gegensatz  gegen  die  frühere  Art,  nach  der  die  Gerichts- 
gelder, Opfer,  Ehrengaben  u.  s.  w.  überwiegend  an  die  zwölf  Burgen 
kamen,  finden  wollen;  aber  der  Ausdruck  ist  doch  gar  entschieden. 
'  Und  insofern  der  Gesamtstaat  Interessen  vertrat,  die  nicht  wie  bisher 
unmittelbar  die  jeder  Pbratrie  waren,  mußte  sich  mit  Notwendigkeit 
das  Bedürfnis  einer  Besteuerung  ergeben.  Über  das  hohe  Alter  der 
Kolakreten  hat  Böckh  (Staatsh.  I  S.  189  1^  S.  213  ff.)  lehrreiche  Winke 
gegeben;  es  ergiebt  sich  aus  der  Geschichte  dieses  Namens,  daß  älter  als 
die  ionische  Wanderung  dieser  Anfang  staatlicher  Finanz  ist.  Mag  der 
Staat  [323]  zunächst  besonders  Naturalleistungen  gefordert  haben  — 
so  wie  man  über  den  Zehnten  von  Früchten  und  Fleisch  hinauskam, 
wie  man  Stiere  für  die  Staatsopfer,  Pferde,  Schiffe  u.  s.  w.  brauchte, 
wie  beschaffte  man  da  diese  Einkünfte?  Dazu  eben  sind,  denke  ich, 
die  Naukrarien  geordnet  worden:  doch  wohl  so,  daß  in  jedem  derartigen 
Bereich  die  betreffenden  Leistungen  auf  die  Grundbesitzer  repartiert 
und  in  Geld  geleistet  wurden;  es  waren  das  die  (pÖQOi,  die  bis  Solon 
bestanden  (Flut.  Sol.  19).  Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  der  Naukrar, 
der  Vorstand  solcher  Steuergenossenschaft,  einstweilen  dem  Gouverne- 
ment für  die  Leistung  aufkam.  Und  wieder  gegen  die  Eingesessenen 
seiner  Naukrarie  hat  er  Gelegenheit  genug,  sich  nachsichtig  und 
menschenfreundlich  zu  zeigen  —  wie  Exekestides  Solons  Vater,  der 
sein  Vermögen  eig  (piXavd'Qwniag  xtväg  xal  ;ifcJ(>ir«^s  verwandte  ^ 
olxiag  ysyovojg  üd-Kifiivqg  ixiooig  ßorj&etv  — ,  aber  auch  Strenge  zu 
üben,  den  weniger  Wohlhabenden  zu  drücken,  mit  Vorauslagen  zu 
wuchern,  Äcker  unter  den  Pfandstein  zu  bringen,  sich  zu  bereichem. 
Mögen  zur  Wahl  der  Naukraren  die  Steuergenossen  beftigt  gewesen 
sein,  ihre  Wahl  mußte  ja  wohl  auf  den  reichen  Mann  fallen.  Begreif- 
lich daß  die  altadligen  Familien  die  reichsten  waren:  gaben  doch  schon 


Die  attische  Gommunalyer^usung  355 

die  priesterlichen  Befugnisse,  die  sie  hatten,  mancherlei  yigcc,  so  das 
Priestertum  der  Polias  im  Hause  der  Eteobutaden,  das  für  jeden  Ge- 
burts-  und  Sterbefall  einen  Obolos  und  je  einen  Choinix  Gerste  und 
Weizen  brachte  (Arist.  Oecon.  III  5);  eintraglich  mußten  auch  die 
mancherlei  Exegesen  des  heiligen  Rechtes,  die  Weihungen  und  Theorien 
(so  die  pythische,  die  aus  den  vavxkfjQixotg  bezahlt  wurde),  die  Dienste 
der  Eentriaden,  Buzygen,  Keryken,  der  Eudanemoi  u.  s.  w.  sein ;  auch 
wird  es  mancherlei  Bann  für  Brunnengraben  (im  Geschlecht  der 
(pgecjQvxoi),  für  Olpflanzungen  (bei  den  Phytaliden)  u.  s.  w.  gegeben 
haben.  Man  erkennt  wohl,  wie  sich  aus  der  alten  laoyoviu  Ungleich- 
heiten entwickeln  konnten,  die  den  kleinen  Bauer  und  Handwerker  — 
und  das  wachsende  Bedürfnis  mehrte  gewiß  den  Gewerbsstand,  führte 
ihm  namentlich  die  &rQidxuaroi  reichlich  zu  —  tiefer  und  [324] 
tiefer  sinken,  zum  armen  namenlosen  SfjpLoq  werden  ließen.  In  dem- 
selben Maße  steigerte  sich  die  Gewalt  der  Reichen,  es  mußte  sich 
allmählich  ein  Kreis  naukrarischer  Häuser  bilden,  und  eben  damit  der 
mittlere  Stand  von  Wohlhabenheit  and  Unabhängigkeit  inuner  mehr 
zusammenschrumpfen,  eine  förmliche  patrimoniale  Gewalt  der  Reichen 
über  die  Masse  der  Bevölkerung  entstehen. 

Entsetzlich  ist  die  Schilderung  des  Zustandes  in  Attika  vor  Solons 
Gesetzgebung.  „Die  Kluft  zwischen  Reichen  und  Armen  war  auf  das 
höchste  gesteigert;  das  ganze  Volk  den  Reichen  verschuldet;  die  einen 
bauten  das  Feld,  jenen  den  sechsten  Teil  des  Ertrages  entrichtend  — 
davon  ixTtjfiÖQioi  oder  ö-^ras  genannt  — ,  die  anderen,  für  Vorschüsse 
den  Gläubigern  mit  ihrem  Leibe  verpfändet,  waren  entweder  daheim 
in  Sklavendienst  oder  wurden  von  den  Schuldherren  in  die  Fremde 
verkauft;  manche  waren  gezwungen  ihre  Kinder  zu  verkaufen  oder 
vor  der  Härte  der  Gläubiger  in  die  Fremde  zu  fliehend  So  Plutarch 
(Selon  13);  und  Solons  eigene  Verse  bezeugen,  daß  es  so  war.  Unter 
anderen  spricht  er  von  den  8Qo^  itavxaxf]  rnnriyÖTt^]  also  es  gab 
allerdings  noch  freie  xXfiQoi,  aber  die  Pfandsteine  auf  den  Feldern 
zeigten,  wie  der  Bauernstand  im  Dahinsterben  war. 

An  dieser  Stelle  ist  es  angemessen,  auf  die  Ständeunterschiede 
zurückzukommen.  Der  Name  der  Geomoren  selbst  ist  ein  Zeugnis  von 
der  allmählichen  Erniedrigung  des  Standes,  den  er  bezeichnet.  Denn 
es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  wie  überall  —  auch  Aischylos 
bezeichnet  den  SfjpLoq  ütXaay&v  als  yccfiÖQoi  —  so  auch  in  Attika 
die  Geomoren  ursprünglich  die  Landeigentümer  sind.  Aber  je  stolzer 
sich  die  Reichen  erhoben,  je  mehr  Erdhufen  sie  zusammenzubringen 
verstanden,  desto  bedrängter  wurde  der  alte  freie  Bauernstand,  er 
mochte  mehr  und  mehr  zu  jenen  armen  Tagelöhnern  und  Pächtern 

23* 


356  Die  attische  Communalverfiissang 

hinabgedrängt  werden,  die  auf  den  Gütern  der  Reichen  saßen,  ent- 
weder als  ixTfjpuioioi  Pachtland  {knifioQog  yif)  bestellend  oder  als 
O-fiXBq  (pi  i^vexa  TQO(fTjg  SovXsvovreg  —  i^-fjrsveiv  fAi(T&^  hgya^tadai 
Phot)  förmliches  Hofgesinde.  Waren  nun  diese  mit  in  dem  Stand  der 
Geomoren  begriflFen  ?  [325]  Man  darf  dies  mit  Entschiedenheit  bejahen, 
da  eben  nur  die  drei  Stande  vorhanden  sind;  aber  eben  damit  zeigt 
sich,  daß  die  Geomoren  als  Stand  politisch  nichts  bedeuteten,  und  daß 
der  kleine  freie  Mann,  wenn  er  sich  wirklich  auf  seiner  Hufe  zu 
halten  wußte,  doch  staatsrechtlich  um  nichts  höher  stand  als  die 
Pächter  und  das  Hofgesinde;  wenn  auch  nicht  nachzuweisen  ist,  in 
welcher  Form  er  unter  der  Patrimonialgewalt  der  naukrarischen  Herren 
gestanden. 

In  betreff  der  Demiurgen  muß  zunächst  daran  erinnert  werden, 
daß  auch  in  der  Solonischen  Verfassung  noch  die  Steuerpflichtigkeit 
gegen  den  Staat  nur  auf  Grundeigentum  ruht;  man  wird  ohne  Bedenken 
annehmen  dürfen,  daß  die  nur  Gewerbtreibenden,  eben  weil  sie  nicht 
unmittelbar  in  den  Steuergenossenschaften  waren,  von  dem  aktiven 
Staatsbürgertum  ausgeschlossen  waren.  Daß  in  den  früheren  Zeiten 
Athens  das  Gewerbe  keineswegs  nur  einem  untergeordneten  Stande  zu- 
gewiesen war,  erweisen  die  früher  besprochenen  Namen  alter  erlauchter 
Geschlechter;  aber  auch  hier  haben  sich  natürlich  die  reichen  Häuser 
von  der  Masse  gesondert  und  sind  in  jenen  ersten  Stand  mit  einge- 
treten, der  endlich  auf  so  vollständige  Weise  die  Summe  staatlicher 
Befugnisse  an  sich  zu  raffen  gewußt  hat. 

Wie  dies  geschehen?  Die  angeführte  Steuereinrichtung  erklärt 
es  wenigstens  unter  einer  Voraussetzung.  Und  hiermit  kehre  ich  zu 
der  oben  unterbrochenen  Frage  über  den  Areiopag  zurück. 

C.  0.  Müller  hat  aus  der  Abstimmung  der  Areiopagiten  in  den 
Eumeniden  des  Aischjlos  schließen  zu  können  geglaubt,  daß  der  alte 
Bat  auf  dem  Areiopag  zwölf  Mitglieder  gehabt  habe.  Er  findet  diese 
Annahme  durch  die  Sage,  daß  einst  die  zwölf  Götter  auf  dem  Areiopag 
gerichtet  hätten  und  durch  den  Umstand,  daß  eben  diese  Zahl  in  den 
Batversammlungen  heroischer  Zeit  gegolten  habe,  bestätigt.  Aber  ein 
ausdrückliches  Zeugnis  besagt  ja:  6  ägi&fjLdg  r&v  !AQ€ionccyir&p  k' 
xal  iig  (Schol.  Aeschyl.  Eum.  733);  und  daß  die  so  fixierte  Zahl  nicht 
der  Zeit  nach  Solon  angehören  könne,  ergiebt  sich  aus  dessen  bekannter 
Bestimmung  über  [326]  die  Besetzung  des  Areiopags.  Schon  im 
„Attischen  Prozeß"  S.  10  ist  darauf  hingewiesen,  daß  jene  Zahl,  wenn 
man  den  König  als  den  31.  rechne,  der  Zahl  der  Geschlechter  in  einer 
Phratrie  entspreche,  „so  daß  also  die  oberste  Phratrie  des  herrschenden 
Stammes,  mag  man  diesen  nun  in  den  Geleonten  oder  in  den  Hopleten 


Die  attische  Communal Verfassung  357 

finden,  im  Areiopag  repräsentiert  wäre^  Anders  denkt  sich  die  Sache 
Lachmann  in  seinem  Buch  über  ,,die  spartanische  Verfassung^'  S.  270  ff. 
Er  glaubt  zu  finden,  daß  unter  den  dreißig  Geschlechtem  jeder  Phratrie 
zehn  Adelsgeschlechter  gewesen  seien;  die  je  zehn  Adelsgeschlechter 
der  drei  Fhratrien  der  herrschenden  (ionischen)  Phyle  hätten  dann  den 
Sat  auf  dem  Areiopag,  gleichsam  die  hopletische  Gerusia,  bestellt,  so 
daß  diese  ähnlich  der  spartanischen  Gerusia  die  dreißig  herrschenden 
Geschlechter  Attikas  repräsentiert  habe.  Lachmann  stützt  sich  beson- 
ders auf  ein  Gesetz  in  Demosthenes  Bede  gegen  Makartatos  (§  57);  es 
wird  in  demselben  bestimmt,  wie  bei  <p6voq  dxomiog  die  Sühne  zu 
bewerkstelligen  sei;  wenn  nicht  Vater,  Bruder,  Sohn  vorhanden  cciöe- 
iräa&anf  ol  fpQÜroQSi^  äv  ß-iXwai  Sexa,  rovrov^  Si  ol  nBVTfjxovrcc 
xccl  iiq  (das  Gericht)  ccqkttivStjv  aig€t(r&(ov.  Gewiß  nicht  mit  Becht 
hat  Schoemann  &yxi<nivSfiv  vermutet,  denn  eben  wo  die  &Yxi(rcBicc 
nicht  ausreicht,  soll  die  Phratrie  eintreten.  Wie  zur  Zeit  die  Unter- 
suchung über  die  Echtheit  der  in  den  Demosthenischen  Beden  vor- 
kommenden Urkunden  und  Gesetze  steht,  wird  man  auch  dies  Gesetz 
nicht  ohne  Mißtrauen  benutzen  dürfend  Nehmen  wir  indeß  an,  daß 
es  echt  sei  —  die  51  Bichter  zeigen,  daß  wenigstens  diese  Fassung 
jünger  als  Eleisthenes  ist  — ,  so  folgt  zunächst  aus  dem  ägiarhSriv^ 
daß  es  in  jeder  Phratrie  Adel  gab.  Sodann  aber  aus  dem  tpQaroQeg 
&v  &iXa}ai  Sixa  kann  man,  in  der  Voraussetzung,  daß  diese  Zahl  ein 
wesentliches  Verhältnis  repräsentiere,  folgern,  daß  wenn  zehn  Phratoren 
von  Adel  statt  der  ganzen  Phratrie  verhandeln  dürfen,  eben  zehn  adlige 
Geschlechter  unter  den  dreißig  jeder  Phratrie  waren.  Sonach,  schließt 
Lachmann,  ist  es  begreiflich,  daß  der  Areiopag  aus  dreißig  Mitgliedern 
außer  dem  präsidierenden  besteht.  Diese  dreißig  sind  eben  [327]  die 
adligen  Bepräsentanten  der  drei  Phratrien  einer  Phyle  — ,  natürlich 
eben  derjenigen,  die  damals  die  herrschende  war. 

Beide  Erklärungen  haben  ihre  großen  Bedenklichkeiten.  Schlichter 
scheint  die  erste,  nach  der  die  dreißig  Geschlechter  einer  Phratrie, 
eben  der  in  der  Nähe  der  Burg  seßhaften,  den  Areiopag  besetzt  hätten. 
Aber  dann  werden  die  attischen  Phylen  unbegreiflich;  dann  müßte 
Attika  unmittelbar  aus  der  Zeit  der  zwölf  Phratrien  in  die  des  Ober- 
königtums der  kekropischen  Burg,  in  die  Unterthänigkeit  der  elf 
anderen  Phratrien  unter  diese  eine  übergegangen  sein.  Gegen  die 
Lachmannsche  Ansicht  erheben  sich  andere  Bedenken;  zugegeben,  daß 
jenes  Gesetz  echt  ist,  folgt  denn  aus  demselben  schon  jene  überkünst- 
liche Einteilung  der  Geschlechter  in  adlige,  bäuerliche  und  handwerker- 


»  [S.  jetzt  C.  I.  A.  I  61]. 


358  ^^6  attische  CommunalverfaBsang 

liehe?  Die  Zahlenverhältnisse  in  den  Phratrien  und  Geschlechtem  hatten 
einen  guten  Sinn  durch  ihre  Beziehung  auf  die  Ackerlose,  aber  wie 
kommt  man  zu  dieser  Zahlenfixierung  in  den  standischen  Unterschieden? 
Endlich  wo  liegt  die  Nötigung,  sich  den  hohen  Rat  des  Areiopag  auf 
die  alte  Phratrieneinrichtung  projiciert  zu  denken?  Und  wenn  sie  es 
war,  warum  stand  für  das  königliche  Geschlecht  der  König  nicht,  wie 
in  Sparta,  mit  in  der  Reihe?  oder  gab  es  außer  dem  Könige  noch 
einen  Repräsentanten  des  königlichen  Geschlechtes? 

Immerhin  mag  es  denkbar  sein,  daß  es  in  ältesten  Zeiten  einen 
Rat  von  Zwölf  auf  dem  Areiopag  gegeben  habe;  es  könnten  die  Häupter 
der  zwölf  Phratrien  sich  dort  versammelt,  dort  beraten  haben,  etwa  wie 
die  zwölf  Städte  im  Panionion,  die  zwölf  Stämme  in  der  delphischen 
Amphiktyonie.  Aber  erst  mit  der  wachsenden  Macht  des  Gesamt- 
künigtums  wird  dieser  Rat  seine  umfassende  Bedeutung  gewonnen 
haben,  er  wird  gleichsam  eine  curia  regte  geworden  sein.  Ich  glaube 
jener  Angabe,  daß  es  81  Mitglieder  des  hohen  Rats  auf  dem  Areiopag 
gab;  aber  ich  bin  weit  entfernt  anzunehmen,  daß  diese  Zahl  auf  die 
eine  oder  andere  Weise  aus  der  Geschlechterverfassung  hervorgegangen 
wäre;  wie  denn  das  Königtum,  die  Staatseinigung,  sich  auf  Kosten  des 
alten  Geschlechterwesens  durchgesetzt,  sich  gleichsam  [328]  über  das- 
selbe erhoben  hat  Was  jene  Zahl  bedeutet?  wenn  überhaupt  etwas, 
so  vielleicht  eine  gewisse  Analogie  der  Zahl,  die  sich  in  dem  herkömm- 
lichen Geschlechterstaat  so  oft  wiederholte  — ,  etwa  mit  der  Fiction, 
daß  wie  sonst  jedes  Geschlecht  30  ävSgtq  habe,  so  nun  das  Königtum 
als  seine  specielle  Genossenschaft  selbst  vorsitzend  jene  dreißig  bestelle. 
Oder  vielmehr,  ich  glaube  auch  nicht  einmal  an  diese  Analogie.  Ich 
will  nicht  auf  die  Bezeichnung  Ions  als  Stratarchen  zurückkommen, 
noch  Gewicht  legen  auf  Piatons  Schilderung  von  der  kasemenmäßigen 
Bewohnung  der  Burg  oder  auf  des  Königs  Kranaos  Flucht  avv  roJq 
{TT()ari(&rmqj  als  ihn  Amphiktyon  vertrieb.  Aber  noch  einmal,  wenn 
sich  das  kekropische  Königtum  über  die  anderen  Phratrien  erhob, 
hatte  es  wahrlich  noch  anderer  Hilfsmittel  not  als  der  Peitho  (Paus.  I 
22,  3);  es  brauchte  wackere  Genossen  zu  Schutz  und  Trutz. 

Ich  meine  es  hat  doch  eine  große  Bedeutung,  daß  es  eine  Zeit 
gegeben,  wo  in  Griechenland  eben  solche  Verhältnisse,  wie  wir  sie  für 
Attika  voraussetzen  zu  müssen  glauben,  die  fast  durchgängigen  waren; 
ich  erinnere  daran,  wie  recht  eigentlich  als  ein  Kriegsgefolge  Achills 
iraiQoi  unter  ihren  fünf  ijyefidvBg  erscheinen,  auch  daran,  daß  eben 
dieser  Name  der  iraiQoi  sich  in  Makedonien  bis  spät  hinab  als  der 
des  Adels  erhalten  hat.  Wir  sahen  schon,  wie  fremde  Geschlechter  in 
Attika  Eingang  fanden;   wer  will  zweifeln,   daß  auch  unter  den  Ein- 


Die  attische  Communal Verfassung  359 

heimischen  denen,  die  ihre  alte  Freiheit  und  die  avTÖvofAo^  xarä  rijv 
X^Qccv  oixfjaiq  mit  dem  Konigsdienst  vertauschen  wollten,  der  Eintritt 
in  die  Hetairie  des  Königs  gern  gestattet  war.  Und  eben  diese  Königsleute 
werden  gen  Athen  gezogen  sein  und  sich  um  den  König  gehalten 
haben,  werden,  was  sie  von  Erbgutem  im  Lande  hatten,  verpachtet 
oder  durch  Gesinde  bewirtschaftet  haben.  Bei  so  kleinem  Gebiet,  bei 
der  fortdauernden  Bedeutung  der  Phratrien  und  Geschlechter  für  die 
untergeordneten  Verhältnisse  konnte  es  kaum  einen  Anlaß  geben,  Ver- 
treter des  königlichen  Amtes  auszusenden  und  in  entlegeneren  Ort- 
schaften des  Landes  mit  Dotationen  ansäßig  zn  machen.  [329]  Man 
sieht,  warum  hier  eine  Reihe  von  Entwickelungen  nicht  eintrat,  die 
bei  den  Germanen  aus  ähnlichen  Grundlagen  erwachsen  sind.  In 
Attika  war  die  Jurisdiction  im  wesentlichen  in  der  Hand  des  Königs 
und  an  Athen  geknüpft,  für  die  schwersten  Fälle,  wenn  der  Landfrieden 
gebrochen,  wird  der  König  eben  die,  welche  ihn  mit  ihm  hüteten, 
man  könnte  sagen  wie  ein  Kriegsgericht  zugezogen  haben;  nur  für 
gewisse  Fälle  {rpövoq  äxovmoQ)  scheinen  die  (pvXoßaaiXetg  eine  Mit- 
wirkung gehabt  zu  haben  —  begreiflich,  da  die  Vermittelung  der 
Sühne,  also  die  Teilnahme  der  Beteiligten  in  den  Geschlechtern  und 
Phratrien  in  diesen  Fällen  eine  Hauptsache  sein  mußte.  Und  endlich 
mit  wem  wird  der  König  zu  Bäte  gegangen  sein?  es  mag  seine  Zeit 
gewährt  haben,  ehe  der  alte  Staat  so  weit  abgestumpft  war,  daß  eben 
nur  solche,  die  sich  in  des  Königs  Dienst  gegeben,  zum  Bat  auf  den 
Areiopag  gerufen  wurden ;  aber  eben  dieser  Bat  war  es,  der  den  ifKpv- 
hog  ^Qv<;  thatsächlich  und  mitrichtend  hemmte;  je  mehr  seine  Bedeu- 
tung und  das  Ansehen  seiner  Mitglieder  wuchs,  desto  bedeutungsloser 
wurden  die  alten  Zusanmienkünfte  in  den  Phratrien  und  Phylen;  der 
alte  Demos  kam  in  Vergessenheit. 

Allerdings  ist  dies  alles  völlig  hypothetisch  und  man  würde  sich 
nicht  herbeilassen,  dergleichen  Möglichkeiten  auszusinnen,  wenn  es 
möglich  wäre.  Bestimmteres  zu  gewinnen;  die  Überlieferungen  sind  in 
so  kläglichem  Zustande,  daß  man  mit  ihnen  allein  durchaus  zu  keinem 
Be^ultate  gelangen  kann.  Wollte  man  zum  Beispiel  geltend  machen, 
daß  freilich  als  Mahlstätte  der  Areiopag  früh  bestanden  haben  möge, 
daß  aber  eine  ßovh'j  auf  dem  Areiopag  erst  seit  Solon  genannt  werde, 
also  von  ihm  erst  gegründet  sei,  wie  dies  schon  im  Altertum  behauptet 
worden  ist  (Cicde  oflF.  I  22  Plut.  Sol.  19),  so  läßt  sich  freilich  der  Beweis 
des  Entgegengesetzten  nicht  geradezu  fuhren;  aber  seit  dem  awotxtafiög 
hat  ja  iv  ßovXtvxiiQiov  bestanden,  und  wenn  man  nun  umherschaut, 
wo  dies  ßovUvtiiQiov  seine  Stelle  gehabt  haben,  wie  besetzt  gewesen 
sein  könne,  so  wird  man  gedrängt,  sich  eben  doch  für  den  Areiopag 


360  I)ie  attische  Com munal Verfassung 

ZU  entscheiden  und  für  [330j  eine  solche  Besetzung,  wie  wir  sie  hypo- 
thesieren;  die  Betrachtung  der  weiteren  Verhältnisse  führt,  wie  mir 
scheint,  mit  Entschiedenheit  dahin.  Nicht  als  ob  diese  Hypothesen 
damit  erwiesen  wären;  aber  sie  sind  wenigstens  um  nichts  minder 
berechtigt  als  diejenigen  Vorstellungen,  welche  nur  den  Vorzug  haben, 
daß  man  sich  an  sie  gewöhnt  hat;  und  ich  denke,  jene  erklären  mehr 
als  diese,  sind  in  sich  überzeugender. 

Zunächst  erklären  unsere  Hypothesen,  wie  mir  scheint,  den  eigen- 
tümlichen Verlauf  des  attischen  Königtums  und  den  Umstand,  daß 
dessen  Absterben  im  entferntesten  nicht  zur  Auflockerung  der  staat- 
lichen Einheit  geführt  hat.  Eben  jene  iraTQOt  des  Königs,  erst  sein 
Kriegsgefolge,  dann  ihm  Grenossen  in  Bat  und  Halsgericht,  allmählich 
werden  sie  neben  ihm  eine  Macht,  fordern  von  ihm  Verantwortlichkeit, 
erniedrigen  das  Königtum  zu  einem  Amt,  beschränken  es  auf  zehn- 
jährige Dauer,  entziehen  es  endlich  ganz  dem  königlichen  Geschlecht, 
ofTenbar  um  aus  ihrer  Mitte  zu  wählen. 

Sodann  aber  —  und  hiermit  kehren  wir  zu  früher  aufgeworfenen 
Fragen  zurück  —  mit  jener  Hypothese,  aber  auch  nur  mit  ihr  wird 
die  große  Verfassungsänderung  begreiflich,  welche  zur  Einsetzung  der 
neun  einjährigen  Archonten  führte. 

Haben  wir  im  früheren  die  Bestimmung  der  Naukrarien  richtig 
bezeichnet,  so  mußte  sich  mit  den  Leistungen  an  den  Staat  in  gleichem 
Maße  die  Geltung  derjenigen  Familien  steigern,  welche  wir  als  die 
naukrarischen  bezeichnet  haben.  Und  zwar  ihre  Geltung  nicht  bloß 
gegen  die  ärmeren  Eingesessenen  ihrer  Steuerdistrikte,  sondern  und 
namentlich  auch  gegen  das  Gouvernement.  An  dem  guten  Willen  der 
Naukraren  hing  es,  daß  die  nötigen  Leistungen  und  Lieferungen  ein- 
kamen, wie  sie  mußten;  das  wachsende  Bedürfnis  des  Staates  oder  auch 
die  wachsende  Habsucht  der  Herrschenden  mußte  die  Wichtigkeit  der 
Naukraren,  der  Vermittler  zwischen  den  Zahlenden  und  dem  fordernden 
Staat,  fort  und  fort  steigern.  Und  darf  man  annehmen,  daß  die 
Herrschenden  nur  um  so  mehr  den  naukrarischen  Häusern  [331] 
nachsahen,  ihnen  Übergriffe  und  Härte  gegen  den  kleinen  Mann  ge- 
statteten, so  war  die  Folge  nur,  daß  diese  Wohlhabenden  immer 
mächtiger  wurden,  immer  mehr  verlangten,  um  so  mehr,  da  dieser 
Verlauf  der  Verhältnisse  zwischen  ihnen  und  den  derzeit  herrschenden 
alle  anderen  Unterschiede  mehr  und  mehr  verwischte.  Gonflicte  waren 
da  unvermeidlich,  sie  führten,  meine  ich,  zu  der  Verfassung  von  688, 
die  nichts  anderes  war,  als  die  Aufnahme  dieser  Reichen  in  den  Mit- 
besitz der  öffentlichen  Gewalt. 

Es  würde  sehr  unrichtig  sein,    in    dieser   Neuerung    nur    eine 


Die  attische  Commun&l Verfassung  361 

Modifikation  des  herrsclienden  Personales^  keine  Wandelung  auch  der 
Yerfassungsformen  erkennen  zu  wollen.  Irre  ich  nicht,  so  ist  in  dem 
damals  Angeordneten  ein  gewisser  Demokratismus,  der  sich  freilich 
auf  die  Genossen  des  ersten  Standes  beschrankt,  erkennbar. 

So  gleich  die  nächste  und  auffalligste  Umänderung.  Dies  bisher 
auf  zehn  Jahre  einer  Hand  anvertraute  Archontat  wurde  in  neun 
Stucke  zerlegt,  durch  jährlichen  Wechsel  der  Bestellten  noch  weiter 
geschwächt.  Es  ist  schwer  zu  erraten,  ob  mehr  die  Eifersucht  der 
bisherigen  Herrscher  oder  das  Belieben  der  Emporgekommenen  dahin 
gewirkt  habe;  aber  es  war  eine  außerordentliche  Umwandlung,  wenn 
zu  der  bisherigen  Verantwortlichkeit  eine  solche  Abhängigkeit,  wie  sie 
die  kurze  Amtszeit  und  die  Teilung  notwendig  bedingten,  hinzugefügt 
wurde.  Natürlich,  daß  durch  diese  Beweglichkeit  des  Archontates 
noch  weit  mehr,  als  bisher  der  Fall  gewesen,  der  Schwerpunkt  des 
Staatswesens  auf  die  Seite  der  Ernennenden  verlegt  wurde;  und  in 
demselben  Maße  mußte  sich  die  Bedeutung  dieser  Befugnis  praktisch 
darstellen.  Wir  fänden  früher,  daß  nach  den  Berichten  über  die 
kylonischen  Vorgänge  die  neun  Archonten  und  die  Prytanen  der  Nau- 
kraren  entweder  Behörden  von  merkwürdig  übereinstimmender  Com- 
petenz  gewesen  sein  müssen,  da  genau  dasselbe,  was  Herodot  von  den 
einen,  Thukydides  von  den  anderen  geschehen  sein  läßt  —  oder  daß 
beide  Namen  dieselbe  Behörde  bezeichneten.  Letztere  Ansicht  wird 
um  so  wahrscheinlicher,  da  beide  Schriftsteller  mit  ihrer  [332]  Erzäh- 
lung erklären  wollen,  wie  das  Geschlecht  der  Alkmaioniden  in  Blut- 
schuld gekommen  sei;  und  es  war  Megakles  eben  damals  Archon. 
Gerade  die  Identität  beider  Bezeichnungen  meint«  wohl  der  ältere 
Autor,  aus  dem  Harpokration  und  Photios  v.  vavxQaQtcc  geschöpft 
haben:  vavxQdQOvg  yäg  t6  naXaibv  Tovq  ägxovraq  äXeyov  cbg  xai 
'HQöSoToq  kv  c'  icrtogtcDv.  Aus  der  Bezeichnung  Prytanen  der  Nau- 
kraren  folgt  aber,  wie  mir  scheint,  eine  weitere  bedeutsame  Bestimmung; 
die  Prytanen  späterer  Zeit  waren  ein  im  Laufe  des  Jahres  mehrfach 
wechselnder  Ausschuß  der  ßovh)y  die  Prytanen  der  Naukraren  sind, 
denke  ich,  der  für  das  ganze  Jahr  bestellte  Ausschuß  der  naukrarischen 
ßovXi],  also  recht  eigentlich  deren  Beauftragte  für  Gericht  und  Ver- 
waltung, natürlich  so,  daß  sie  Mitglieder  der  ßovh)  blieben.  Wir 
fanden  femer,  daß  die  unter  dem  Namen  der  Epheten  agierenden 
Bichter  mit  den  48  Naukraren  identisch  zu  sein  scheinen.  Sollten 
sie  als  Epheten  wirklich  für  nicht^s  als  für  die  Prozesse  über  (p6vog 
äxovaiog  bestellt  worden  sein,  bevor  sie  auch  den  Areiopag  erhielten? 
Und  was  bedeutet  denn  ihr  Name?  Es  ist  doch  nur  eine  Vermutung, 
die  PoUux  ausspricht  [Soxovaiv  (uvofiäa&ai  VIII  125),  wenn  er  ihn 


362  I^ie  attische  Communalverfassung 

von  der  gerichtlichen  iq>6(TtQ  ableitet.  Nur  der  stringen teste  Beweis, 
sollte  ich  meinen,  darf  zu  der  Annahme  führen,  daß  im  attischen 
Recht  ^  und  gar  unter  solchen  Verfassungsverhältnissen  ein  „Appella- 
tionsgericht" habe  eingesetzt  werden  können,  wenn  anders  man  nicht 
mit  dieser  Bezeichnung  spielt  Überdies  hat  diese  Ableitung  des 
Namens  der  Epheten  unüberwindliche  grammatische  Schwierigkeiten. 
Ich  vermute,  daß  der  Name  gar  nicht  auf  die  gerichtliche  Bedeutung 
des  k(pirifu  zurückzuführen  ist,  sondern  daß  die  Epheten  vielmehr 
{i(ptf](Tr  intTQS'TtBt  Phot.)  die  Beauftragenden  sind,  und  daß  die  Nau- 
kraren  diesen  Namen  führen,  insofern  [333]  sie  in  eine  ßovX^  vereint 
die  Summe  der  öffentlichen  Gewalt  übertragen.  Namentlich  die  Juris- 
diction übertragen  sie  so  an  ihre  Prytanen,  die  neun  Archen ten;  diese 
sind  infolge  solches  Auftrages  xvqioi  &(ttb  tgts  St'xag  ccvrorshig 
nouTa&m,  Nur  nicht  in  der  Blutgerichtsbarkeit.  Wir  haben  gesehen, 
daß  bis  auf  Drakon  die  alte  nicht  ephetische  Bestellung  des  Areiopags 
blieb,  daß  wahrscheinlich  nicht  erst  Drakon  die  Epheten  einsetzte.  Nach 
dem  Verzeichnis  der  Mahlstätten,  wo  vor  Selon  die  neun  Archonten 
zu  Oericht  saßen  (Bekker  anecd.  S.  449),  darf  man  annehmen,  daß  sie 
keine  der  vier  Statten,  wo  über  tpövog  äxoiatoq  gerichtet  wurde,  inne 
hatten;  und  wenigstens  bei  dem  einen  Ephetenhofe  finden  wir  spät 
hinab  noch  die  ^pvloßamkalg  thätig.  Möglich,  daß  diese  den  q)övog 
tcxovGiog  unter  sich  hatten,  bis  die  naukrarische  Umwälzung  ihnen 
das  rag  Sixag  airotBleTg  noieta&ai  legte  und  die  Jurisdiction  den 
Naukraren  übertrug,  welcAie  nun  in  diesen  alten  Mahlstätten  jedesmal 
in  Gemeinsamkeit  erschienen,  wenn  es  dort  einen  Prozeß  gab  {nsgu- 
övreg  hSixa^ov  Phot.);  die  (pvloßaatl^ig  aber  mochten  wegen  der 
heiligen  Begehungen  zu  belassen  sein,  welche  die  Sühne  forderte  und 
welche  an  ihren  Namen  und  die  religiösen  Beziehungen  ihrer  Bestellung 
geknüpft  waren.  Noch  bleibt  eine  Frage:  gab  es  in  der  Zeit  dieser 
naukrarisohen  Verfassung  eine  Ekklesie?  Wenn  in  der  kylonischen 
Sache  den  neun  Archonten  aufgegeben  wird  rt^v  <pvkaxijv  xai  ro  nüv 
avTOXtjarooeg  Sia&Btvai  fj  &v  (iQtffvu  Stayiyvt&ffxcoa/v,  so  sind  freilich 
die  IntToeyjccvreg  nach  Thukydides  oi  nokloi,  welche  nccvSfjfAel  ix  x&v 
äyQcjv  zur  Belagerung  der  Eyloniden  gen  Athen  geeilt  sind;  aber  ich 
wage  selbst  gegen  solche  Autorität  zu  vermuten,  daß  dieser  Ausdruck 
ungenau,  wenigstens  nicht  so  zu  verstehen  ist,  wie  er  nach  dem  Sprach- 
gebrauch  der  thukydideischen  Zeit  verstanden  werden   mußte.    Sind 


^  Plutarcbs  Angabe  von  einer  ^ipeaig  von  den  Archonten  an  die  dutaar^Qm 
ist,  wie  wohl  nachzuweisen  sein  dürfte,  eines  der  Mißverständnisse,  an  denen 
Plutarch  in  betreff  alter  Staats-  und  Rechtsverhftltnisse  nur  zu  reich  ist. 


Die  attische  Communalverfassang  363 

nicht  die  Epheten  selbst  die  ämTpitpavTeg,  so  kann  —  denn  die  Voll- 
macht muß  doch  in  förmlicher  Weise  ausgestellt  worden  sein  —  nur 
an  eine  Ekklesie  gedacht  werden,  und  unmöglich  hatten  in  derselben 
die  Thetes,  die  Hektemorioi,  die  -Demiurgen  u.  s.  w.  Stimme:  ich  [334] 
meine,  nur  die  naukrarischen  Männer  bildeten  die  Ekklesie  jener  Zeit, 
wenn  anders  es  eine  gab,  wenn  sich  nicht  vielmehr  in  diesem  ganzen 
Yerfassungssystem  der  Ansatz  zu  einer  Repräsentation  erkennbar  macht, 
die  freilich  keine  weitere  Entwickelung  im  attischen  und  hellenischen 
Staatsrecht  hat  finden  sollen. 

Bitter  genug  mag  die  arme  Masse  bald  den  Herrenwechsel 
empfanden  haben;  am  übelsten  natürlich  in  der  Rechtspflege  der 
neuen  Herren.  Möglich,  daB  bedenkliche  Stimmungen  in  der  Masse 
den  Anlaß  zu  jener  Legislation  des  Drakon  gaben,  welche  freilich  der 
richterlichen  Willkür  ein  geschriebenes  Recht  entgegenstellte,  aber  dafür 
auch  die  ganze  furchtbare  Hart«  der  üblich  gewordenen  Rechts-  und 
Strafbestimmungen  sanctionierte.  Diese  Legislation  Drakons  aber  hat 
noch  eine  zweite  Seite.  Wir  überzeugten  uns  schon,  daß  der  Areiopag 
erst  durch  sie  ephetisch  besetzt  worden  sei,  bis  dahin  also  seine  alte 
Besetzung  behalten  hatte,  immerhin  nach  ausdrücklichem  Vorbehalten 
derer,  die  683  nachgeben  mußten.  Nun  aber  waren  die  Geschlechter, 
die  früher  allein  geherrscht,  unzweifelhaft  nicht  minder  naukrarisch 
als  diejenigen,  welche  damals  in  die  Mitherrschaft  eintraten ;  es  mochte, 
nachdem  man  die  wichtigste  Ausschließlichkeit  eingebüßt  hatte,  kaum 
noch  von  bedeutendem  Wert  sein,  den  Areiopag  allein  zu  besetzen, 
zumal  da  die  eigentlich  buleutischen  Geschäfte,  vielleicht  alles  außer 
den  q)ovixoig,  nicht  mehr  auf  den  Areiopag  gehören  konnten,  seit  die 
Naukraren  die  rechte  ßovli^  bildeten.  So  lag  es  nahe  diese  letzte 
Unterscheidung  der  alten  und  neuen  Eupatriden,  oder  wie  sie  sich 
sonst  unterscheidend  genannt  haben  mögen,  aufzuheben  und  auch  den 
Areiopag  an  die  Epheten  zu  überweisen.  Allerdings  hatte  damit  der 
Adel,  den  wir  uns  von  des  Königs  Dienst  herstammend  denken,  seine 
bisherige  Stellung  aufgegeben;  er  verschmolz  mit  demjenigen  Stande, 
der,  ein  Überbleibsel  der  alten  freien  Bauernschaft,  auf  ererbter  Hufe 
saß  und  statt  des  Ruhmes,  einst  auf  der  Burg  mit  gehauset  zu  haben, 
den  der  Autochthonie  geltend  machen  konnte.  Aber  indem  der  Expo- 
nent der  Verschmelzung  nicht  [335]  die  svysveicc,  sondern  der  Güter- 
besitz war,  schloß  und  consolidierte  sich  der  Stand  der  Herrschenden 
nur  um  so  fester;  und  wenn  Aristoteles  die  attische  Verfassung  dieser 
Zeit  bezeichnet  als  eine  bUyuQx^^  ''•''^^  üxQaTog  oiau  (Pol.  XI  9,  2), 
so  muß  man  sich  erinnern,  daß  nach  seiner  Definition  nXovToq  ÖQog 
dXtyaQx^'^^  ist.    In  den  zahlreichen  Fragmenten  solonischer  Gedichte 


364  I^i6  attische  Commanalyerfaasung 

ist  immer  nur  der  Gegensatz  von  arm  und  reich,  zum  sicheren  Zeugnis, 
daß  die  naukrarische  Nobilitat  mit  dem  alten  Greschlechteradel  mit 
Nichten  identisch  ist 

So  weit  hinweg  war  man  nun  von  der  alten  Schlichtheit  des 
Geschlechterstaates.  Wohl  bestanden  noch  die  alten  Phratrien  und 
Geschlechter;  aber  auch  da  werden  endlich  die  Armen  in  ähnliche 
Unterordnung  wie  in  allen  anderen  Verhältnissen  gekommen,  nur 
Orgeonen,  den  Gentilheiligtümern  der  großen  Häuser  Untergebene 
geworden  sein.  Ich  meine  nicht  so,  daß  sich  etwa  in  jedem  der  360 
Geschlechter  ein  eupatridisches  Haus  oder  eine  normierte  Zahl  eupa- 
tridischer  Häuser  zu  dem  Best  geomorischer  und  demiurgischer  ävSQeg 
gefunden  haben  müßte;  mit  der  Zerrüttung  des  alten  strengen  Besitz- 
standes hatten  auch  diese  Zahlenverhältnisse  ihre  Wichtigkeit  verloren. 
Was  sollten  noch  die  30  ävSpag  eines  Geschlechtes?  man  wird  sich 
gewöhnt  haben  innerhalb  der  Geschlechter  von  Familien  oder  Klüften 
zu  sprechen;  so  gab  es  in  dem  yivog  der  Eeryken  eine  nccrQid  der 
Kentriaden,  und  diese  nach  ihrer  Befugnis  bei  den  Opfern  gewiß  so 
eupatridisch  wie  die  Kerykenfamilien  des  Andokides  und  des  Hipponikos; 
und  wieder  wenn  Aischines  seinem  gar  niedrigen  Ursprung  einigen 
Wert  geben  will,  so  rühmt  er  sich  %lvm  hx  (fargiag  {(pargtä,  t^p 
'IcoPBg  ituTQid  Etym.  M.)  ro  yivog  fj  röv  avr&v  ßcDficjv  'ErBoßov* 
räSatg  fisrix^^  (de  fals.  leg.  §  147). 

Freilich  die  Starrheit  und  Geschlossenheit  des  alten  Geschlechter- 
staat^s  war  überwunden,  die  Population  hing  nicht  mehr  von  der  Hufe 
ab,  und  namentlich  die  kleinen  gewerblichen  Betriebe  mögen  in  rascher 
Zunahme  gewesen  sein.  Aber  wie  jammervoll  der  Zustand  der  Masse 
war,  sahen  wir  [336]  schon.  Das  ky Ionische  Wagnis  war  nur  der 
Anfang  heftiger  innerer  Zerrüttungen;  die  Gräuelthat  der  Alkmaioniden 
gab  den  Freunden  Kylons  {r&v  KvXcaveioov  oi  neQiyevöfievoi  TcdXiv 
7]aav  laxvQoi  Plut.)  neue  Kraft;  es  kam  die  Spaltung  des  Volkes  zur 
gefahrlichsten  Höhe.  Da  nun  trat  Solon  der  Kodride  ein;  auf  seinen 
Rat  ward  ein  Gericht  von  300  äQtcnttfStjv  bestellt  und  die  Fluch- 
beladenen verurteilt;  „die  Lebenden  jagte  man  aus  dem  Lande,  die 
Toten  wurden  aus  den  Gräbern  gewühlt  und  über  die  Grenzen  ge- 
worfen". So  erzählt  Plutarch.  War  das  wirklich  ein  Gericht  {Stxa- 
^övTCJv  sagt  Plutarch),  so  war  es  ein  völlig  außerordentliches;  und 
daß  sich  die  Alkmaioniden  dem  fügten,  ward  ihnen  mit  solcher  Strafe 
gelohnt?  Thukydides  sagt  nichts  von  einem  Gericht;  er  spricht  nur 
vom  Austreiben  {fjkaaavj  k^ißaXov).  Es  sind,  scheint  mir,  da  Vorgänge 
von  viel  tieferer  Bedeutung,  als  wir  jetzt  sehen,  verborgen.  Ich  meine 
es  ist  beachtenswert,   daß  die  Alkmaioniden  eines  von  den  eingewan^ 


Die  attische  Communalverfafisung  365 

derten  Geschlechtern  sind,  Neleiden  aus  dem  pylischen  Lande  — 
unzweifelhaft  eines  der  Geschlechter^,  die  in  der  alten  Eupatridenzeit 
mitgeherrscht;  jener  Archen  Megakles  —  war  es  um  die  Tyrannis 
mit  Stumpf  und  Stiel  auszurotten,  oder  um  der  yerachtlichen  Menge 
jeden  Gedanken  an  Neuerung  zu  verleiden,  oder  trieben  kühnere  Pläne 
zu  einem  ersten  Versuch  trotziger  Eigenmacht  — ,  er  hat  jene  Blut- 
that  nicht  gescheut,  und  diesen  ihren  kühnen  Vorkämpfer  gaben  die 
300  Männer  der  naukrarischen  Oligarchie  preis;  oder  ob  sie  sich  des 
vielleicht  schon  zu  Mächtigen  entledigen  wollten?  wer  kann  es  sagen. 
Ich  übergehe  nun  was  Selon  weiter  vornahm,  die  [337]  Weihungen 
durch  Epimenides,  die  Seisachthie,  die  neue  Legislation,  das  große 
Amnestiegesetz,  das  auch  die  Alkmaioniden  zurückführte.  Es  galt  mit 
den  bisherigen  Besprechungen  den  Boden  für  die  Betrachtung  der 
Communalverhältnisse  Attikas  zu  gewinnen;  es  wird  nun  um  so 
leichter  sein,  diese  in  ihren  Hauptpunkten  zu  bezeichnen,  da  sich  eine 
Reihe  von  negativen  Bestimmungen  aus  dem  Bisherigen  mit  Sicherheit 
ergeben. 

IL 

[385]  Wir  werden  es  unterlassen  dürfen,  eine  Untersuchung  über 
den  Begriff  Commune  vorauszusenden.  Es  genügt  far  unseren  Zweck  als 
die  wesentlichen  Kennzeichen  die  örtliche  Geschlossenheit,  die  relative 
Autonomie  und  die  den  Zwecken  des  Gemeindeverbandes  entsprechende 
innere  Organisation  anzuführen. 

Nach  diesen  Kennzeichen  ist  eigentlich  von  einer  Communalver- 
fassung  im  älteren  attischen  Staatsrecht  gar  nicht  zu  sprechen.  Denn 
in  dem  alten  Geschlechterstaate  ist  überhaupt  der  Gegensatz  des  Staat- 
lichen und  Communalen  als  solcher  nicht  vorhanden,  da  die  autonomen 
Glieder  des  locker  zusammenhängenden  Staatsganzen  aus  ebenso  locker 
zusammenhängenden  kleineren  Gliedern  gebildet  sind  bis  zur  Familie 
hinab.  Wenn  dann  durch  das  erstarkende  Königtum  eben  der  Staat 
als  solcher  Geltung  gewinnt,  so  geschieht  dies  allerdings  mit  wachsen- 
dem Zurückdrängen  der  Geschlechterverfassung  auf  untergeordnete 
Kreise,  aber  so  daß  weder  die  Geschlechter  und  Phratrien  zu  wirk- 


^  Wenn  Isokrates  von  Alkibiades  sagt,  er  sei  yom  Vater  her  aus  eupa- 
tridischem  Geschlecht  und  mütterlicherseits  gehöre  er  zu  den  Alkmaioniden,  so 
scheint  es  mir  doch  dem  unermüdlichen  Antithesenjäger  zu  yiel  Ehre  angethau, 
diese  um  seinetwillen^  weil  sonst  seine  schöne  Phrase  ein  wenig  schielend  wäre, 
aus  der  Reihe  der  attischen  Eupatriden  zu  streichen.  Pindars  ÄXxfjavidnv  evQv- 
a&svsl  'j'eye^  yerbietet  ebenso  sehr  als  das  Archontenamt  des  Megakles  vor  Solon 
an  dem  Adel  des  Geschlechtes  zu  zweifeln. 


366  I^ie  attische  CommunalverfiiBanng 

liehen  Communalyerbänden  werden  —  denn  sie  sind  und  bleiben 
wesentlich  mit  dem  Religiösen  durchwachsen,  überwiegend  kirchlicher 
Art,  —  noch  der  wachsenden  centralen  Potenz  gegenüber  einen  festen 
Kreis  eigener  politischer  Befugnis  gewinnen;  Beweis  dafür  ist  der  Um- 
stand, daß  man  zur  Unterscheidung  der  drei  Stände  hat  gelangen  können. 

Allerdings  hat  es  einen  gewissen  Sinn,  wenn  Theseus  als  Gründer 
der  Demokratie  gerühmt  wird.  Durch  den  (rwoixKTfiÖQ  ist  aus  den 
Phratrien  und  Greschlechtem  ein  äfjfAog  geworden,  in  dem  Maße,  daß 
die  ganze  Gestaltung  der  attischen  Verhältnisse  bis  683  dahin  gewandt 
erscheint  die  [386]  früher  besprochene  Identität  von  Stadt  und  Staat 
durchzuführen.  Die  Einführung  der  Trittyen  und  Naukrarien  kann 
als  ein  erster  Versuch  gelten,  die  Einheit  zu  gliedern ;  aber  indem  sich 
diese  Gliederung  zunächst  und  wesentlich  auf  die  Leistungen  für  den 
Staat  bezieht,  indem  sie  den  Ständeunterschied  nicht  überwindet,  son- 
dern ihm  nur  mit  verändertem  Ausdruck  eine  desto  schärfere  Bedeu- 
tung giebt,  erreicht  sie  entschieden  nicht  die  innere  Organisation,  die 
das  Wesen  der  Gemeinde  ausmacht,  sie  bezeichnet  als  Selbstzweck. 
Und  wenn  dann  diesen  naukrarischen  Verhältnissen  der  Gesamtstaat 
überwiesen  wird,  so  ist  damit  nur  ein  anderer  Ausdruck  versucht,  die 
Identität  von  Stadt  und  Staat  auszusprechen,  nur  daß  dieselbe  noch 
nicht  über  den  Bereich  der  mit  Grundeigentum  Angesessenen  hinaus- 
reicht. 

Merkwürdig  nun,  wie  die  Solonische  Verfassung  den  nächst  weiteren 
Schritt  thut    Verweilen  wir  einen  Augenblick  dabei. 

Ich  bin  nicht  eben  gemeint,  für  sie  den  sehr  zweideutigen  Buhm 
einer  organischen  Fortentwickelung  des  Früheren  in  Anspruch  zu 
nehmen.  Ein  Beispiel  für  vieles  ist  die  völlig  äußerliche  Art,  wie  sie 
an  den  Namen  der  ßovltj  auf  dem  Areiopag  die  Gründung  eines  voll- 
kommen neuen  Institutes  knüpft.  Aber  gerade  der  theoretische  Ver- 
stand und  die  Kühnheit,  mit  der  sie  völlig  neue  Verhältnisse  zu 
schaffen  unternimmt,  ist  um  so  bewunderungswürdiger,  da  ein  so 
ungemein  künstliches  und  rationelles  System  von  Normierungen  und 
Bindungen  in  den  wichtigsten  Beziehungen  doch  der  lebendigen  Wirk- 
lichkeit der  Verhältnisse  entweder  entsprach  oder  sie  umzuprägen  ver- 
stand. Letzteres,  vor  allem  im  Familienrecht  und  dem  Recht  des 
Besitzes  von  größter  Bedeutung,  geht  uns  hier  nicht  näher  an.  In 
betreff  des  öffentlichen  Rechtes  das  größte  und  wichtigste  ist  offenbar 
die  Anerkenntnis  aller  Freien  als  aktiver  Staatsbürger  und  der  an  die 
freie  Geburt  allein,  nicht  an  das  Eigentum  geknüpften  Mitgliedschaft 
in  der  Staatsgemeinde.  Unzweifelhaft  hatten  drohende  Bewegungen 
in  der  Masse  zu  einer  Maßregel  gedrängt-,  die  dem  verständigen  Inhalt 


Die  attische  Communalyerfaseung  367 

ihrer  Forderungen  [387]  gesetzliche  Anerkennung  gewährte,  bevor  sie 
sich  selber  gewaltsam  Bahn  brachen.  Es  war  gewiß  ebenso  klug  wie 
hochherzig,  die  Masse  nicht  bloß  mit  privatrechtlichen  Erleichterungen 
für  den  Augenblick  .abzukaufen,  sondern  ihr  eine  staatsrechtliche  Stel- 
lung zu  bereiten;  nur  wird  man  sich  Solons  Meinung  nicht  eben  im 
Sinne  der  späteren  Zeit  demokratisch  denken  dürfen.  Sein  Hauptaugen- 
merk war,  den  Hader  der  Armen  und  Reichen  zu  stillen,  die  traurige 
3v(TvofjLif],  die  i^ycc  Sixocrrccatfjg,  ä^yaHriq  igiSoq  ;^(JAoi'  zu  hemmen ; 
und  so  rühmt  er  sich: 

SitiKp  ytiv  yccQ  i3(oxu  röaov  xQccTog,  Öaaov  knuQXBij 

Tifjiflg  OVT   (iq)6?^Q)v  ovt    knoge^üfievog, 
ot  S*  bIxov  SvvayLiv  xal  ;|f(>?}juarT/v  l]<Tav  äyrjTOt, 

xal  ToTg  icpQaaüfxrjv  fir]Stv  deixig  axetv 
i<TTfjv  S*  äficptßalcjv  XQUxtQov  adxog  äiKfOxiooiaiv, 

Vixäv  d'  ovx  siaa    ovSeri^ovg  ädixcog. 

So  gab  denn  seine  Verfassung  dem  Volk  nicht  mehr  als  die  „aller- 
notwendigste  Macht'':  t6  xug  ägz^Q  aiQüad-ai  xal  av&vvEiv\  „denn, 
fügt  Aristoteles  hinzu,  wenn  das  Volk  nicht  einmal  diese  Befugnis  hat, 
ist  es  Sklave  und  Feind".  Nach  derselben  Autorität  gehört  noch  ein 
Drittes  hinzu:  zbv  SfjfAov  xariarTjffe  rä  Stxaari^Qia  notrjGag  hc  nüvxcov. 
Ich  darf  die  bedeutende  Controverse  hier  übergehen,  die  sich  an  diese 
Notiz  knüpft;  nur  halte  man  fest,  daß  nicht  etwa  der  Sfjfxog  als  solcher 
die  Justiz  hat,  sondern,  wie  demokratisch  auch  immer  die  Grerichte 
besetzt  sind,  wesentlich  als  geschworene  Richter  haben  die  Heliasten 
zu  urteilend  Merkwürdig  [388]  nun,  wie  dem  einen  und  gleichen 
Sfiiiog  gegenüber  die  sogenannten  &qx^^  organisiert  werden ;  alle  diese 
Beamtungen  (auch  die  ßovXri  gehört  dazu)  werden  an  einen  bestimmten 
Census  geknüpft;  es  ist  gewissermaßen  eine  Fortsetzung  der  naukra- 
rischen  Prinzipien,  nur  daß  jetzt,  wie  gewiß  nicht  früher,  die  Schätzung  — 


^  Ich  zweifle  nicht ,  daß  das  daiallieiv ,  so  weit  es  Solon  dem  Volke  zuge- 
wandt, in  dem  Ausdruck  des  Aristoteles  aiqew&ai  xal  ev&vveiv  enthalten  sein 
muß;  ein  Aristoteles  ist  nicht  so  fahrlässig  in  der  Au&ählung  der  von  Solon 
dem  Volke  gewährten  Verfassungsrechte  das  dixal^Biv  auszulassen,  wenn  es  in 
dem  Umfang  gewährt  war,  wie  Plutarch  will  glauben  machen,  daß  nämlich  von 
dem  Urteil  der  Archonten  an  die  Volksgerichte  habe  appelliert  werden  können. 
Was  dem  Volk  von  der  richterlichen  Gewalt  zustand,  beschränkte  sich  auf  die 
Bv&vvm,  Daß  aber  die  solonische  Heliaia  nicht  aus  5000  Heliasten  bestanden 
haben  wird,  darf  man  schon  wegen  der  Zahl  der  Phjlen  behaupten.  Ich  denke, 
seine  Institution  werden  die  „vier  Gerichte**  von  500,  50,  200,  100  sein,  die 
Steph.  Byz.  v.  'Hliaia  anfuhrt,  jedes,  so  scheint  es,  für  einen  gewissen  Kreis 
von  8Vi9vyai, 


368  I^ie  attische  Commun&lver&ssung 

natürlich  nur  vom  Grandeigentum,  nicht  von  beweglichem  Gut  — 
vier  Yermögensklassen  begründet,  von  denen  nur  die  erste  zu  den 
wichtigsten  Ämtern  befähigt  Indem  die  Verfassung  zugleich  die  ßovXi) 
auf  dem  Areopag  mit  höchsten  Befugnissen  ausstattet,  sie  eben  denen, 
die  diese  Ämter  untadlig  verwaltet,  überweiset,  giebt  sie  dem  Vermögen, 
das  bisher  naukrarisch  die  Herrschaft  geübt  hatte,  eine  wenigstens 
ebenso  große  Machterhöhung,  als  ihm  der  Miteintritt  des  dfjpixiq  in  die 
staatlichen  Verhältnisse  Abbruch  gethan  hat 

Doch  genug  des  Allgemeinen;  für  unseren  Zweck  dürfte  insonder- 
heit noch  folgendes  hervorzuheben  sein.  Die  solonische  Verfassung  hat 
entschieden  eine  communale  Gliederung  nicht,  sondern  im  vollsten 
Maße  ist  die  Staatsgemeinde  als  solche  eine  einheitliche,  ich  möchte 
sagen  monadische.  Denn  wo  wäre  diese  Gliederang?  Politisch  unter- 
gegangen ist  der  Unterschied  der  drei  Stande,  den  man  freilich  in 
den  attischen  Verhältnissen  kaum  als  eine  Gliederung  betrachten  darf, 
unzweifelhaft  bestehen  die  Trittyen,  die  Naukrarien  fort,  aber  sie 
müssen  durch  die  Schatzungsansätze  wesentliche  Modificationen  erlitten 
haben;  der  Natur  der  Sache  nach  bleiben  die  nicht  mit  Grandbesitz 
Ansässigen  außerhalb  dieser  Teilungen,  haben  also  bei  der  Wahl  der 
Naukraren,  bei  den  Versammlungen  der  Steuergemeinden  xl  s.  w.  keine 
Beteiligung;  und  wenn,  wie  alte  Zeugnisse  angeben,  die  Naukraren 
mannigfach  Ähnlichkeit  mit  der  Stellung  der  späteren  Demarchen 
haben,  so  können  die  naukrarischen  Verbindungen  um  so  weniger  die 
Stelle  von  [389]  Communen  vertreten,  als  von  der  Teilnahme  an  ihren 
Befugnissen  viele  ausgeschlossen  sind,  die  in  der  Staatsgemeinde  zu 
"Wahl,  Rechenschaft  und  Gericht  vollständig  berechtigt  sind;  ein  Miß- 
verständnis eigentümlicher  Art,  und  wir  werden  später  sehen,  daß  es 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  noch  viel  schrofferer  Art  war.  Aber  sind 
vielleicht  die  alten  Formen  des  Geschlechterstaates  eine  Schadloshaltung? 
Allerdings  tritt  das  Institut  der  vier  Phylen  mit  Entschiedenheit  in 
den  Solonischen  Einrichtungen  hervor,  aber  so  wenig  wie  früher  bilden 
sie  jetzt  communale  oder  auch  nur  landschaftliche  Geschlossenheiten; 
die  einzige  Beamtung,  die  für  die  Phylen  als  solche  und  von  ihnen 
bestellt  gelten  darf,  das  Amt  der  Phylobasileis,  hat  fast  nur  noch 
religiöse  Bedeutung.  Bedeutsamer  könnten  die  Phratrien  und  Ge- 
schlechter erscheinen;  nicht  bloß  daß  die  solonische  Verfassung  sie 
aufrecht  erhalten  hat,  man  wird  annehmen  dürfen,  daß  sie  ihnen  in 
Sachen  des  Familien-  und  Erbrechtes  eine  bedeutende  Stelle  anwies, 
daß  sie  namentlich  das  Recht  des  Bürgertums  an  die  gennetische  Aner- 
kennung knüpfte  u.  s.  yv.  Allerdings  hatten  die  Phratrien  und  Ge- 
schlechter etwas  von  Gemeinden  an  sich,   aber  von  kirchlichen;   sie 


Die  attische  Ck>mmanal Verfassung  369 

ähneln  im  entferntesten  nicht  mehr  dem  nun  herrschenden  sehr  ratio- 
nalen System  der  Politie,  das  sich  doch  auf  ihre  auch  politische  Mit- 
wirkung einläßt;  wohl  haben  sie  Zusammenkünfte,  Vorstände,  gemein- 
same Begehungen,  Gesamtbesitze  u.  s.  w.,  aber  alles  das  nicht  auf  die 
ortlichen,  die  Communeinteressen  gewandt;  diese  ihnen  zu  überweisen 
würde  bei  den  eigentümlichen  Unterordnungen  und  Scheidungen,  bei 
den  altertümlichen  Satzungen,  den  heilig  bewahrten  Besonderlichkeiten, 
die  an  ihnen  haften,  der  yölligen  Einigung  und  der  freien  Bewegung 
des  neu  gewordenen  Staates  nur  zum  Nachteil  gereichen  können.  Mit 
einem  Wort,  hier  ist  eine  große  Lücke  in  der  Solonischen  Gesetzgebung; 
es  ist  die  nächste  und  größeste  Aufgabe  für  den  neuen  Staat,  sich 
eine  Communalordnung  zu  schaffen,  die  seinem  eigenen  Prinzip  ent- 
spricht. 

Es  würde  allerdings  unrichtig  sein,  wenn  man  diesen  Mangel  als 
den  einzigen  Grund  der  inneren  Erschütterungen  [390]  bezeichnen  wollte, 
die  die  Solonische  Verfassung  so  bald  zur  Tyrannis  führten.  Solons 
Voraussage  war:  AvSq&v  kx  fjLsyühüv  Ttöhi;  öXlvrai;  und  keineswegs 
allein  die  Tyrannis  des  Peisistratos  bestätigte  diesen  Ausspruch.  Sei 
es  erlaubt,  hier  auf  die  Parteiungen,  den  Kampf  der  Diakrier,  Pediaier 
und  Paralier  einzugehen,  die  in  der  verknöchernden  Überlieferung 
allmählig  zu  r^eiq  rd^eig  xuru  rovg  ^6ka>vog  vöfjLovg  (Schol.  Arist 
Vesp.  1218)  umgewandelt  erscheinen.  Nach  Herodots  ausdrücklichem 
Zeugnis  (I  59)  standen  die  Pediaier  unter  Lykurgos  (ob  er  doch  ein 
Eteobutade?)  und  die  Paralier  unter  Megakles,  jenes  Blutschuldigen 
Enkel,  wider  einander.  Daß  die  Pediaier  als  Partei  in  der  That  die 
reichen  Grundbesitzer  sind,  geht  aus  Arist.  Pol.  V  4,  5  klar  hervor; 
und  war  nicht  bei  den  Reichsten  das  Archontenamt  und  die  weit- 
reichende Befugnis  des  Areiopag?  die  Pediaier  werden  das  ihre  gethan 
haben,  die  nun  mitberechtigten  Minderen  zurückzuschieben.   Solon  sagt: 

dfjfjLov  &'  ijyefiövtov  äSixog  vöog  .  .  . 
ov  yuQ  hjiiaravxai  xaxix^iv  xöqov  oiäk  nagovaag 
Biq>QO(Tvvag  xofffuTv  Sairhg  hv  riavxiri» 

'    TiXTBi  yaQ  xÖQog  üßQiv,  ÖTccv  nolvg  öXßog  litf^rcct. 

Was  aber  wollen  die  Paralier?  Irre  ich  nicht,  so  sind  sie  und  ihr 
Führer  Megakles  recht  eigentlich  die  Vertreter  der  Solonischen  Ver- 
fassung. Der  Anmestie  Solons  dankten  die  Alkmaioniden  nach  jenem 
Gericht  über  die  kylonische  Blutschuld  die  Bückkehr.  Alkmaion, 
Megakles  Vater,  war  der  attische  Feldherr  in  jenem  krissäischen  Kriege, 
zu  dem  Solon  in  der  Amphiktyonenversammlung  geraten  hatte  und 

Drojsen,    Kl.  Schriften   I.  24 


370  I^ie  attische  Gommunal7erfas8ung 

dessen  Gesamtfülirung  Kleisthenes  von  Sikyon  erhielt;  und  derselbe 
Alkmaion  war  Gastfreund  des  Eroisos,  dessen  Beziehungen  mit  Selon 
ja  bekannt  sind.  Alkmaions  Sohn,  eben  jener  Führer  der  Paralier, 
war  schon  zur  Zeit  dieser  erneuten  Zerwürfhisse  in  Attika  mit  der 
Tochter  des  sikyonischen  Kleisthenes  vermählt;  vor  allen  anderen 
Freiem  —  Herodot  schildert  diese  prächtige  Brautwerbung  —  war  er 
erwählt  worden,  nicht  sein  gefahrlichster  Mitbewerber  Hippokieides, 
[391]  zu  dessen  Verwandtschaft  dann  die  Miltiades  und  Isagoras  ge- 
hören. Auch  solche  Familienbeziehungen  werden  ihre  Einwirkung  auf 
die  öflFentlichen  Verhältnisse  gehabt  haben.  Gegen  beide  Parteiführer 
Lykurgos  und  Megakles  erhob  sich  Peisistratos  —  ¥jyeiQB  tqitvv  arüfriv 
sagt  Herodot;  also  er  schuf  erst  diese  Partei,  die,  woher  auch  immer, 
den  Namen  von  der  Diakria  erhielt;  es  waren  die  kleinen  Leute,  nament- 
lich Landleute,  die  er  um  sich  sammelte  und  deren  Sache  er  gegen 
die  Reichen  vertrat  Aristoteles  sagt,  wo  er  von  der  Gründung  der 
Tyrannis  spricht,  weil  damals  die  Städte  noch  nicht  groB  waren,  son- 
dern der  Demos  auf  seinen  Äckern  lebte,  vollauf  mit  seiner  Feldarbeit 
beschäftigt,  so  gewannen  die  Volkshäupter  (o/  itQotnüzat  roü  Si^fiov) 
wenn  sie  kriegerisch  waren,  leicht  die  Tyrannis;  nävrsg  Si  rodro 
i3Q0)v  vitb  Tov  ätjfiov  TttfTTevOevreg,  rj  Sh  niarig  T/v  //  änkxO-Bta  // 
ngbii  Tovg  nlovfftovg'  otov  !A&/jvfj(rt  nBKTlGXQazog  (rraaidaag 
itQÖg  Tovg  ntStfixovg,  Der  behutsame  Aristoteles  erwähnt  die  Paralier 
nicht. 

Schon  hieraus  wird  man  ersehen,  wie  Megakles  allerdings  eine 
mittlere  Stellung  zwischen  der  Tyrannis  und  der  Dynasteia  hatte,  — 
ich  brauche  dies  höchst  gehässige  Wort  der  SwcctruBia  (vgl.  Thukyd. 
III  62),  weil  Herodot  iSwätTrevs  von  jenem  Miltiades  sagt,  der  ä/&ö- 
fjL6vog  Tjj  TE  IJettTiOTQdTOv  äQXfi  *<^i  ßovXöfiBvog  kxnoScbv  stvai  den 
Chersones  colonisierte,  dort  Tyrann  ward.  Ich  übergehe  die  weiteren 
Kämpfe  in  Attika,  die  endlich  feste  Gründung  der  Tyrannis,  die 
dauernde  Entfernung  dei  Alkmaioniden. 

Nach  dem  mißglückten  Versuch  des  Harmodios  und  Aristogeiton 
begannen  die  Verbannten  unter  Führung  des  Alkmaioniden  Kleisthenes 
und  des  Medontiden  Alkibiades  den  Kampf  gegen  die  Tyrannis;  sie 
setzten  sich  auf  Leipsydrion  in  attischem  Gebiet  fest;  ÄBixtwSQtov  ngo- 
ömairawov  wie  es  im  Liede  heißt,  so  unheilvoll  ward  es  ihnen;  sie 
wurden  überwunden,  viele  Wackere,  fiax^adai  dya&ol  re  xal  tima- 
TQtdai  ot  TOT  eSst^civ  oitav  nariocov  ifrav,  fanden  den  Tod.  Aber 
Kleisthenes  und  seine  Freunde  gaben  die  Hoffnung  nicht  auf;  war 
Sparta  nicht  aller  Orten  den  Tyrannen  feind?  so  [392]  suchten  und 
fanden  die  athenischen  Männer  den  Beistand  Spartas. 


Die  attische  Oommunalyerfassuiig  371 

Während  der  ganzen  Zeit  der  Tyrannis  hatte  die  Solonische  Ver- 
üeissung  vollständig  bestanden;  die Peisistratiden,  sagt Thnkydides^  sorgten 
nur  dafür,  daß  immer  einer  von  ihnen  iv  ratq  Aqxcci^  wäre;  auch 
war  ihre  Herrschaft  im  entferntesten  nicht  für  die  Menge  drückend 
{inax&rig  kg  rovg  noXkoig),  sondern  sie  wußten  sie  ungehässig  zu 
machen;  und  für  den  Zehnten,  später  sogar  nur  den  Zwanzigsten,  vom 
Peldertrage  {r&v  yiyvo^vmv)  bauten  sie  Tempel  und  Straßen,  ver- 
richteten sie  die  Opfer,  bestritten  sie  die  Kriege,  für  die  sie  sich  stehende 
Truppen  hielten.  Wie  sie  für  den  kleinen  Mann  sorgten,  ihm  die 
Oründimg  eigener  Feldwirtschaft  erleichterten,  beweist  manche  Erzäh- 
lung: das  xarmvdxag  (poguv  ist  wahrlich  nicht  zum  Schaden  des 
Landes  und  des  Volkes  gewesen,  kein  Vorwurf  gegen  die  Tyrannen; 
mancher  Wackere  hat  sie  Könige  genannt.  Freilich  seit  Hipparchs 
Ermordung  war  die  Tyrannis  härter  geworden,  viele  Bürger  hatte 
Hippias  töten  lassen;  aber  die  Menge,  so  scheint  es,  war  mit  Nichten 
wider  ihn;  wie  hätte  sonst  die  Unternehmung  von  Leipsydrion  und 
der  erste  Angriff  der  Spartaner  mißglücken  können.  Erst  beim  zweiten 
kamen  die  Spartaner  und  die  Alkmaioniden  nach  Athen,  belagerten 
die  Burg  ä^icc  'A&rivaicov  roiai  ßovXofiivoKTi  etvai  hhv&iQoiai  Herod. 
V  64.    Ein  Zufall  bewog  die  Peisistratiden  zur  Capitulation. 

Einer  Herstellung  der  Solonischen  Verfassung  bedurfte  es  nicht 
erst.  Aber  sofort  kam  man  zu  denselben  Parteiungen,  die  der  Grün- 
dung der  Tyrannis  vorausgegangen  waren;  nun  standen  Kleisthenes 
und  Isagoras  gegenüber;  käwäarevov  sagt  Herodot  von  ihnen;  wenn 
selbst  Kleisthenes  sich  der  Menge  ab  wandte,  wie  wird  dann  erst  der 
oligarchisch  gesinnte  Isagoras  sich  verhalten  haben.  Und  entschieden 
überholte  Isagoras  seinen  Gegner,  unzweifelhaft  dieselben  Mittel  anwen- 
dend, wie  einst  Lykurgos,  nur  jetzt  um  die  Erfahrungen  der  durch- 
lebten Tyrannis  schroffer.  Da  nun  trat  die  bedeutsamst«  Wendung 
ein;  Kleisthenes  beharrte  nicht,  wie  sein  Vater,  in  der  unhaltbaren 
Mitte,  sondern  ergriff  selbst  die  [393]  Sache  der  Menge:  t6v  Sfjfiov 
nQÖTSQOV  äna)(Tfxevov  töts  nävrcc  nQog  ttjv  itovrov  fiOiQtjv  nQoae- 
-d-i'ixazo  — ,  rbv  Sfjfiov  ngoasrccigi^BTcci  (Herod.  V  69.  66).  Dar- 
auf machte  er  jene  großen  Reformen,  die  sogleich  näher  besprochen 
werden  sollen.  Wie  tief  eingreifend  sie  waren,  erkennt  man  an  den 
gewaltsamen  Gegenbestrebungen  der  Gegner.  Isagoras  wandte  sich  an 
den  Spartanerkönig,  veranlaßte  ihn  die  Ausweisung  derer,  die  mit  der 
kylonischen  Blutschuld  behaftet  seien,  zu  verlangen.  Kleisthenes  ging; 
dennoch  erschien  der  Spartaner  mit  einem  zahlreichen  Heer,  trieb  noch 
700  Familien,  die  Isagoras  bezeichnete,  aus  dem  Lande,  ernannte  300 
Männer,  Anhänger  des  Isagoras,  als  ßovlifj  an  die  Stelle  der  400;  und 

24* 


372  I^ie  attische  CommunalveTfassang 

da  diese  sich  weigerten  zu  weichen,  besetzte  er  die  Akropolis.  Da  aber 
erhoben  sich  die  Athener,  schlössen  die  Burg  ein,  zwangen  Kleomenes 
zum  Abzüge,  Isagoras  zur  Flacht,  legten  seine  Anhänger  in  Banden. 
Kleisthenes  und  die  Vertriebenen  700  kehrten  heinL 

So  der  Verlauf  dieser  Dinge.  Es  scheint  mir  nicht  nötig,  wie 
neuerdings  geschehen  ist,  anzunehmen,  daß  die  Beform  des  Kleisthenes 
erst  diesem  Siege  gefolgt  sei;  Herodots  Zeugnis  ist  dem  entgegen. 
Wohl  aber  brachte  die  Reform  eine  so  große  Zahl  von  Geschäften, 
Ablösungen,  Übertragungen  u.  s.  w.  mit  sich,  daß  sie  unmöglich  in  der 
knrzen  Frist  vor  dem  Archontat  des  Isagoras  508/7  beendet  sein 
konnten. 

Kommen  wir  endlich  auf  die  große  Grründung  des  Kleisthenes. 
Was  bezweckte  er?  und  auf  welchem  Wege  suchte  er  es  zu  erreichen? 
war  er  wirklich,  wie  Böckh  meint,  „in  allem  neuerungssüchtig**? 

Freilich  der  alte  gute  Herodot  ist  mit  seinem  äoxisiv  h/jLoi  rasch 
fertig:  wenn  je  so  darf  man  sich  hier  über  die  politische  Beschränkt- 
heit oder  verkehrte  Naivetat  des  Vaters  der  Geschichte  argem,  der 
nichts  klügeres  findet,  als  daß  Kleisthenes  seine  neuen  Phylen  einge- 
richtet habe  vneQtScbv  ^Imvaq,  „damit  sie  in  Athen  nicht  mehr  die- 
selben Phylen  wie  die  lonier  hätten.*'  Nicht  weniger  wunderlich  ist 
der  Grund,  der  wer  weiß  aus  welchem  älteren  Autor  beim  Scholiasten 
[394]  zum  Aristeides  (citiert  von  Valkenaer  zu  Herod.  V  66)  angeführt 
wird:  Kleisthenes  habe  vier  Phylen  gefährlich  gehalten,  weil  dann 
leicht  eine  über  die  anderen  Herr  werden  könne  (Tvoavvfi(Tut)\  bei 
zehn  Phylen  werde  es  einer  nicht  so  leicht  werden,  die  anderen  zu 
beschwatzen!  Ungleich  weiter  hilft  uns  eine  Bemerkung  des  Aristoteles 
(Pol.  VI  2,  11).  Indem  er  von  der  Demokratie  spricht,  in  der  alle  an 
der  Regierung  Anteil  nehmen,  und  die  Mittel  zu  deren  Förderung 
angiebt,  sagt  er:  „ersprießlich  für  eine  solche  Demokratie  sind  auch 
solche  Veranstaltungen,  wie  sie  Kleisthenes  in  Athen  anwandte  ßovXö- 
fuvog  aif^fjffai  rijv  SrjfioxQaTiap,  und  die  Gründung  der  Demokratie 
in  Kyrene;  man  muß  nämlich  andere  und  mehr  Phylen  und  Phratrien 
(v.  1.  (patQiai)  einrichten,  die  Sonderculte  [xä  r&v  iStojv  i6Q€t>v)  auf 
wenige  und  allgemeine  zurückführen,  überhaupt  alles  darauf  anlegen, 
daß  alle  möglichst  unter  einander  gemischt,  die  alten  Genossenschaften 
aufgelöst  werden".  Gewiß  enthält  diese  Bemerkung  des  Philosophen 
etwas  sehr  richtiges,  aber  sie  reicht  bei  weitem  nicht  aus;  ein  Vorwurf, 
der  nicht  sowohl  ihn  als  die  Neueren  trifft,  die  wirklich  weiter  nichts 
in  den  Anordnungen  des  Kleisthenes  zu  entdecken  vermocht  haben. 
Was  Aristoteles  bezeichnet,  ist  nicht  bloß  die  nur  negative  Seite  in 
jener  Reform,  sondern  man  muß  sich  auch  erinnern,   daß  weniger  in 


Die  attische  Commnnalyerfassang  373 

den  Phylen  als  in  den  Phratrien  und  Geschlechtern  die  Energie  der 
alten  Verbindungen  ruhte,  daß  Eleisthenes  das  Institut  der  Phratrien 
und  Geschlechter,  so  weit  unsere  Kunde  reicht  —  wenn  jene  unsichere 
Ijesart,  die  oben  bemerkt  ist,  übergangen  werden  darf  — ,  unverändert 
i^elassen  hat,  und  daß  seine  wesentliche  Beform  darin  bestand,  jenen 
alten  religiösen  Verbindungen  für  die  anderen  Kreise  des  öffentlichen 
Lebens  andere  politische  gegenüberzustellen,  die  dann  freilich  auch 
ihre  Heiligtümer  u.  s.  w.  erhielten,  aber  gleichsam  außer  Zusammenhang 
mit  jener  alten  Art. 

Es  will  mir  scheinen,  als  wenn  Aristoteles,  wie  es  auch  uns  wohl 
ergeht,  die  Einrichtungen  des  Kleisthenes  beurteilend  sich  nicht  von 
den  Eindrücken  der  sie  schnell  ausweitenden  Entwickelungen  frei  zu 
halten  vermocht  hat.  So  [395]  wenig  ist  in  den  Vornahmen  des 
Kleisthenes  ein  av^fjtrai  rrjv  SrjfjLoxgccriccv  in  Aristoteles  Sinn,  daß 
nach  Plutarchs  Ausdruck  Kimons  Bestreben  darauf  gewandt  war  rijv 
änl  KXeta&ivovg  hytiQBiv  äQiaroxpcrciav ,  wie  denn  auch  Kleisthenes 
jüngerer  Freund,  der  hehre  Aristeides  —  ä&r]kog  tnnq)  n&kog  — ,  recht 
im  Sinne  des  großen  Alkmaioniden  gegen  Themistokles  stand:  ^rpccro 
ÜQKFToxQccTtxfjg  TtokiTsiaQ  (Plut.).  Klelstheucs  änderte  weder  an  der 
Klasseneinrichtung  Solons,  noch  am  Areopag,  noch  an  dem  Vorrecht 
der  ersten  und  der  drei  ersten  Klassen;  und  wenn,  wie  wahrscheinlich, 
von  ihm  statt  der  Wahl  der  Archonten  das  xvdficp  luy/üveiv  —  schon 
zur  Marathonischen  Zeit  ist  es  da  —  eingeführt  ist,  so  kann  das  so 
wenig  für  eine  demokratische  Maßregel  gelten,  daß  es  vielmehr  eines 
der  wichtigsten  Verfassungsrechte  des  Gesamtvolkes  aufhob.  Denn  es 
konnte  natürlich  nur  zwischen  den  Genossen  der  ersten  Schatzungs- 
klasse gelost  werden;  alle  Wahlumtriebe,  aber  auch  aller  guter  Dienst 
der  vielen  gegen  die  Vornehmen  hörte  in  den  Archairesien  der  wich- 
tigsten Beamtung  auf. 

Wir  nähern  uns  dem  Kern  der  Sache.  Später  wo  der  attische 
Demos  Regent  eines  bedeutenden  Reiches  ist  und  für  alle  Ausübung 
seiner  Regentenpflichten  in  Rat  Ekklesie  und  Gericht  Diäten  erhält, 
kommt  der  kleine  Mann  von  seinem  Acker  gern  zur  Stadt  sein 
Stückchen  Volkssouveränität  mit  auszuüben;  nicht  bloß,  daß  ihm  sein 
Versäumnis  vergütigt  wird,  das  Richten  und  Regieren  wird  ein  Geschäft, 
das  einen  sicheren  Unterhalt  abwirft  Bei  weitem  anders  in  der  alten 
Zeit  Denke  man  sich  nur  die  kleinen  Leute  in  den  Demen  umher; 
sie  sollen,  wenn  sie  nach  Athen  müssen,  ihre  politischen  Obliegenheiten 
zu  erfüllen,  Acker  und  Wirtschaft  versäumen  und  die  entfernteren  — 
die  von  Rhamnus  und  Sunion  haben  ja  fünf  Meilen  )>is  zur  Stadt  — 
wohl  gar  über  Nacht  von  Hause  bleiben.  Fürwahr  dem  kleinen  Mann 


374  I^ie  attische  Communalyerfassung 

bringt  es  nur  Versäumnis  und  Mühe  das  Mitregieren;  und  was  hat  er 
Gewinn  davon?  was  kann  er  da  groß  leisten?  „fax  sich,  hat  Solon  von 
seinen  Attikem  gesagt,  für  sich  geht  jeder  des  Fuchsen  Wege,  aber 
allen  zusammen  ist  der  Kopf  hohl  [396]  {/advog  ivaari  vöogf^.  Ich 
denke  doch,  dieser  „politische  Indiflferentismus"  der  vielen  wird  es  vor 
allem  den  Reichen  möglich  gemacht  haben,  fünfidg  Jahre  früher,  trotz 
der  Verfassung,  solch  ein  Übergewicht  zu  erlangen,  bis  sich  Peisistratos 
entgegenwarf;  und  er  sorgte  dann  möglichst  dafür,  daß  sich  die  Leute 
ihrem  eigenen  Geschäfte  zuwandten.  Wird  es  denn  beim  Ende  der 
Peisistratiden  viel  anders  geworden  sein?  der  kleine  Mann  ist  zufrieden, 
wenn  das  öffentliche  Wesen  ruhig  seinen  Gang  geht  und  ihn  möglichst 
wenig  in  seinem  eigenen  Betriebe  stört;  viel  wichtiger  als  die  Staats- 
angelegenheiten sind  für  ihn  die  nächsten  nachbarlichen  Verhältnisse 
auf  seiner  Flur  und  in  seinem  Dorf,  und  daß  er  da  in  seinem  Recht 
sich  frei  und  selbständig,  mithandelnd  und  mitratend  bewegt  In  der 
Communalfreiheit  ist  der  beste  und  einzige  Schutz  gegen  die  Erneue- 
rung solcher  Übel,  wie  man  sie  ein  Menschenalter  hindurch  erlitten. 
Dies,  meine  ich,  sind  die  Gesichtspunkte,  aus  denen  die  Reform 
des  Kleisthenes  zu  betrachten  ist.  Er  so  wenig  wie  Solon  hat  darauf 
hinausgewollt,  das  attische  Volk,  wie  man  es  in  unseren  Tagen  nennt, 
„politisch  zu  erziehen^',  durch  erst  gewährte  kleinere  Befugnisse  zu 
größeren  zu  gewöhnen  und  allmählig  „reif  zu  machen^';  er  wie  Solon 
hat  vor  allem  im  Auge  den  Staat  so  einzurichten,  daß  auch  der  Mann 
aus  der  Menge  seines  Rechtes  leben  möge,  fjL^re  kiriv  dve&elg  fm^re 
nie^d^^'^og,  tüchtig,  ehrbar  und  schlicht;  nicht  einen  Staat  der  herrsche, 
erobere,  in  Macht  und  Glanz  prunke,  wollen  sie,  sondern  einen  solchen, 
in  dem  jedem  Schutz  und  Gedeihen  und  der  Segen  jener  evvofßia  zu 
teil  werde,  die 

T()axicc  XaiaiVBiy  navai  xöqov,  vßgiv  ccfAav()oT, 

avaivBi  S'  äTijg  ävfhau  (pvöfxavcc, 
av&vvai  Sk  Sixag  axohug^  vnaQi'ifpavd  r    6{jya 

nguivaij  nami  S'  Hoya  Sixoaraaitjg. 

So  hat  Solon  geschrieben;  aber  freilich  seine  Verfassung  hatte  mit 
ihren  Wahlen,  Rechenschaften,  Volksgerichten  das  Gewaltstreben  der 
äwafTTBvovTsg  nicht  zu  fesseln  vermocht,  und  die  Bewegungen,  die 
dem  Sturz  der  Tyrannen  folgten,  [397]  zeigten  die  Demokratie  nur  in 
erneuten  Wehrlosigkeiten.  Es  galt  dem  Volke,  je  mehr  es  in  kleine 
Gemeinden  geordnet,  sich  besonders  auf  die  nächsten  Interessen  wenden 
und  die  Gesamtleitung  des  Staates  den  Händen  der  Reichen  und  Ein- 
sichtigeren vertrauen  sollte,   desto  entschiedenere  Garantien  gegen  die 


Die  attische  Communalverfassung  375 

Möglichkeit  neuer  Tjrannis,  neuer  Oligarchie  zu  geben.  Kleisthenes 
tand  ein  einfaches  Mittel;  es  war  mehr  als  Ersatz  für  die  Archairesien, 
die  da  aufhörten.  Einmal  in  jedem  Jahre,  so  ward  bestimmt,  ver- 
handelt das  Gesamtvolk  darüber,  ob  jemand  im  Staate  zu  mächtig 
und  dem  Bestände  der  Gresetze  gefahrlich  sei;  ward  diese  Frage 
bejaht,  so  trat  das  bekannte  Verfahren  des  Ostrakismos  ein,  nicht 
ein  Gericht,  sondern  eine  Sicherheitsmaßregel,  die  die  Staatsgemeinde 
zu  ihrer  Selbsterhaltung  ausübt,  ohne  Schande  und  Schaden  für  den 
Betroffenen. 

Die  zweite  und  allerdings  tief  eingreifende  Maßregel  des  Kleisthenes 
ist  die  Gründung  der  Demen  und  der  zehn  Phylen. 

Es  gab  schon  Demen  in  Attika,  Ortschaften,  nach  denen  man  die 
Herkunft  der  Leute  z.  B.  auf  Gräbern  bezeichnete;  und  daß  solcher 
Ortschaften  hundert  gewesen,  ergiebt  sich  sowohl  aus  Herodots  Angabe 
(V  69):  „daß  Kleisthenes  die  Demen  zu  je  zehn  an  die  Phylen  ver- 
teilt habe"  {xarä  Sixa  wie  Sauppe  verbessert  hat),  als  auch  aus  der 
Erwähnung,  daß  Araphen,  nach  dem  der  Demos  der  Araphenier  heißt, 
eJg  TiSyv  ixaröv  fiQd)(ov  sei  (Sauppe  de  dem.  urb.  Ath.  S.  5).  Kleisthenes 
nun  vermehrte  die  Zahl  dieser  Demen  ^  um  ein  [398]  Bedeutendes, 
gab  ihnen  eine  völlig  neue  Bedeutung,  gab  ihnen  ein  Communal- 
wesen. 

Es  wurde  dasselbe,  wenn  ich  recht  sehe,  auf  eine  zwiefache  Grund- 
lage errichtet.  Sowohl  die  freie  Bevölkerung  wie  der  Grund  und 
Boden  Attikas,  so  weit  derselbe  nicht  Staatsdomäne  war,  mußte  auf 
die  Demen  verteilt  sein.  In  betreff  der  Bevölkerung  geschah  dies 
nicht  etwa  so,  daß  eine  möglichste  Gleichheit  der  Einwohnerschaft  in 
den  Demen  beabsichtigt  wurde,  sondern  in  Anleitung  der  vorhandenen 
Ortschaften  und  Anbaue,  mochten  sie  größer  oder  kleiner  sein,  wurden 
Gemeinden  gemacht,  wie  denn  z.  B.  Acharnai  im  Anfang  des  pelopon- 
nesischen  Krieges  3000  Hopliten  stellte,  während  Halimus  zur  Zeit 
des  Demosthenes  überhaupt  nur  78  mündige  Demoten  hatte.  Werden 
mehrfach  dieselben  Demennamen  durch  xa&vneQ&av  und  vnivepOBv 
(so  Agryle,  Paiania)  oder  durch  andere  Bezeichnungen  (Halai,  Kolonos) 
unterschieden,  so  glaube  ich  nicht,  daß  dergleichen  erst  allmählig  ge- 

^  Es  ist  streitig)  ob  die  174  Demen,  die  nach  Polemon  vorhanden  waren, 
erst  allmählig  so  hoch  angewachsen  sind,  oder  schon  von  Kleisthenes  —  die 
ÄXe^avÖQBig,  BsQevuiidai  u.  s.  w.  ausgenommen  —  eingerichtet  seien.  Nach  dem 
streng  geschlossenen  Heimatsrecht  der  Demoten  muß  man  annehmen ,  daß  nur 
in  ganz  außerordentlichen  Fällen,  wenn  es  galt,  mächtigen  Fürsten  eine 
Schmeichelei  zu  machen,  solche  Abzweigungen  neuer  Demen  stattfanden,  daß 
sie  dem  Staatsrecht  der  guten  Zeit  Attikas  völlig  fremd  waren. 


376  I^ie  attische  Communalyerfasstuig 

• 

worden,  sondern  dem  Lokalan terschiede  gemäß  schon  von  Kleistbenes 
bestimmt  worden.  Nur  Athen  ist  gewiß  von  Anfang  an  in  mehrere 
Demen  (nur  glaube  ich  nicht  gerade  in  zehn)  getrennt  worden,  vielleicht 
auch  die  „Stadn^^  Brauron.  Merkwürdig  nun  ist  die  Bestimmung,  daß 
jeder  dem  Demos  angehört,  dem  bei  Begnlndung  dieser  Einrichtung 
seine  Familie  zugeschrieben  ist;  wo  er  auch  immer  geboren  sein  mag, 
er  ist  geborener  Demot  seines  väterlichen  Demos;  nur  auf  dem  Wege 
der  Adoption  kann  er  in  einen  anderen  Demos  übergehen.  So  hat  es 
geschehen  können,  daß  Mitglieder  desselben  Geschlechtes  verschiedenen 
Demen  angehören;  so  sind  von  den  Keryken  die  Leagoras  und  Ando- 
kides  Eydathenaier,  die  Kallias  und  Hipponikos  nach  Melite  gehörig; 
und  mancher  Demos  hat  seinen  Namen  nach  einem  Geschlecht,  wäh- 
rend Angehörige  dieses  Geschlechtes  zu  einem  anderen  Demos  zählen. 
So  war  Eimon  von  Geschlecht  Philaide,  gehörte  aber  nicht  zu  diesem 
Demos,  sondern  zu  dem  der  Lakiaden,  und  Demades,  von  Geschlecht 
Lakiade,  war  zum  Demos  der  Paianier  gehörig.  Ich  meine,  diese  Be- 
stimmungen sind  im  hohen  Maß  lehrreich;  dem  Gesetzgeber  [399]  ist 
alles  daran  gelegen  an  feste  Besitze,  an  ererbte  Heimatlichkeit  und 
ruhige  Seßhaftigkeit  zu  gewöhnen;  und  diesem  Gewinn  opfert  er  gern 
die  größere  Beweglichkeit  des  inneren  Lebens,  die  leichtere  Verwert- 
barkeit der  Grundstücke.    Fürwahr  ein  Zug  tiefer  politischer  Ethik. 

Wie  nach  den  Familien,  ebenso  geschlossen  war  jeder  Demos  nach 
dem  Grundbesitz;  will  ein  fremder  Demot  sich  in  demselben  ankaufen, 
so  hat  er  ein  Einkaufsgeld  {iyxTtjrixöv)  zu  zahlen,  natürlich  ohne 
damit  selbst  in  den  Demos  eingetreten  zu  sein.  Es  befanden  sich  in 
dem  Kataster  des  Demos  {änoyQutpai)  nicht  bloß  die  Grundstücke  der 
Privaten,  sondern  alles  was  bei  der  üatpogd  mit  angezogen  wurde, 
also  auch  die  Grundstücke  (Äcker,  Gebäude,  Wald  und  Wiese  u.  s.  w.), 
die  den  Phratrien,  den  Geschlechtem,  den  6fioTÜ(poigj  (rutTtriroig, 
&ia(T(ATccig  u.  s.  w.  gehören  mochten.  Endlich  scheint  jeder  Demos 
als  solcher  mit  Gemeinbesitz  {rifjiavog)  ausgestattet  oder  ihn  zu  erwerben 
veranlaßt  worden  zu  sein.  Man  sieht  schon,  wie  alle  Verhältnisse  des 
Grundeigentums  wesentlich  communaler  Art  sind,  in  die  Gompetenz 
der  Demen  gehören;  aber  eben  darum  ist  es  consequent,  daß  die  Güter 
des  Staates  nicht  innerhalb  des  Gemeindeverbandes  sind. 

Der  Gemeinde  gehört  die  Verwaltung  ihrer  inneren  Angelegen- 
heiten in  völliger  Selbständigkeit.  Sie  selbst  bestellt  ihre  Behörden, 
den  Demarchen,  den  Schatzmeister,  den  dvriyQafpevi;  u.  s.  w.]  in  den 
Gemeindeversammlungen  {ßeyoQai)  werden  jene  gewählt,  wird  über  Aus- 
gaben und  Einnahmen  beschlossen,  wird  die  Einzeichnung  der  mün- 
digen Demoten  in  das  Xfj^iuQX'^^'^  vorgenommen,   natürlich  mit  der 


Die  attißche  Communalver&ssung  377 

nötigen  Präfang.  Der  Autonomie  des  Demos  kommt  auch  die  Ein- 
richtung von  Communalsteuern  zn;  wir  finden  rikrj  erwähnt,  auch  eine 
dxomv  angedeutet  (Corp.  Inscr.  Gr.  Nr.  101  und  89  =  C.  I.  A.  II 589. 572). 
Alle  diese  gemeinsamen  Verwaltungen  und  Verhandlungen  geben  die 
Motive  zu  einem  sehr  regsamen  Gemeindeleben:  nimmt  man  zu  diesen 
mannig&chen  geschäftlichen  Berührungen  der  Gemeindegenossen  die 
gemeinsamen  Feste  und  Mahle,  den  traulichen  Verkehr  der  Nachbar- 
lichkeit, das  [400]  Verschwägern  der  Familien,  so  wird  man  ein  Bild 
haben,  wie  entschieden  nicht  zur  Gentralisation  in  Athen  des  Kleisthenes 
Gesetzgebung  gewandt  war. 

In  betreff  des  Verhältnisses  zum  Staat  hat  der  Demos  vor  allem 
zwei  wichtige  Aufgaben.  Die  Gontrole  über  das  Bürgerrecht  nämlich 
überweiset  der  Staat  vollständig  den  Demen;  allerdings  bleibt  auch 
femer  noch  das  Zugehören  in  Geschlecht  und  Phratrie  für  jeden 
Athener  eine  wichtige  Sache,  aber  der  Staat  als  solcher  empfangt  seine 
Bürger  durch  die  Demen  und  macht  in  zweifelhaften  Fällen  von  ihrer 
öicnpi^tpiatg  deren  Hecht  abhängig  —  vorbehaltlich  der  richterlichen 
Entscheidung,  wovon  gleich  ein  Mehreres.  Ebenso  —  und  das  ist  das 
zweite  —  vermittelt  der  Staat  seinen  Ansprach  an  das  Grundvermögen 
seiner  Bürger  durch  die  Demen;  wenn  eine  Vermögenssteuer  erhoben 
wird  {iäv  ng  üatpoQu  yiVfjrai  äitö  r&v  x<x>9ta}v  rof)  Tifi^fiaTog  Corp. 
Inscr.  Gr.  Nr.  103  =  C.  I.  A.  II  1059),  so  läßt  sie  der  St^at  nach  den 
äitoyQcetpaiq  der  Demarchen  und  mit  ihrer  Hilfe  erheben.  Nur  will 
es  mir  scheinen,  als  ob  der  Demarch  unmittelbar  im  Namen  des 
Staates  eigentlich  nie  verfahrt;  wie  denn  die  Anfertigung  der  Kataloge 
für  den  Heerdienst,  die  Sicrip7j(pi(rig  unter  unmittelbarer  Mitwirkung 
der  Bule  vor  sich  geht;  ebenso  wird  die  üatpoQd  durch  Vermittelung 
einer  anderen  Behörde  zwar  nicht  eingezogen,  aber  doch  an  den  Staat 
gebracht  sein  (s.  u.). 

Noch  bleibt  uns  ein  Umstand  zu  besprechen,  der,  wie  mir  scheint, 
für  das  Wesen  der  attischen  Gemeindeverfassung  sehr  bezeichnend  ist. 
Wohl  kann  ein  Demos  in  der  Stccifßijiftaig  einen  Demoten  als  nicht 
berechtigt  ausschließen,  aber  es  steht  dem  frei  an  ein  Gericht  zu 
appellieren.  Ich  erinnere  mich  keiner  Stelle,  nach  der  das  kmßoXijv 
ämßäkXsiv  der  Gemeinde  zuständig  wäre;  wenn  aber,  so  waren  das 
Polizeistrafen  xmd  stand  gewiß  der  Rekurs  an  das  Gericht  frei.  Weder 
die  Diaiteten  noch  die  Vierzig  sind  in  irgend  einer  Weise  demotisch; 
sie  verfahren  von  Staatswegen.  Mit  einem  Wort,  die  richterliche  Ge- 
walt ist  in  Attika  auf  vollständigste  Weise  ein  Hoheitsrecht,  nur  im 
Namen  des  Staats  und  durch  die  von  Staatswegen  Erwählten  oder 
[401]  Erlosten  wird  das   Recht   gehandhabt,   ein   Umstand,   der  die 


378  ^^6  atÜBche  Communal Verfassung 

attische   Communalyerfassung   auf  die  YoUstäDdigste   Weise   von   den 
meisten  Gemeindebildungen  anderer  Zeiten  unterscheidet  ^ 

Mit  den  Demen  zugleich  wurden  die  zehn  Phylen  eingerichtet. 
Der  Staat  nämlich  bedurfte,  wenn  er  nicht  völlig  unbehülflich  sein 
wollte,  Gliederungen  für  seine  Administration;  daß  die  etwa  170  Ge- 
meinden diese  nicht  sein  konnten,  liegt  in  der  Natur  der  Sache.  Er 
konnte  sich  der  herkömmlichen  zwölf  Phratrien  oder  der  zwölf  Trittyen 
oder  der  vier  alten  Phylen  bedienen.  Aber  keine  dieser  Teilungen 
hatte  diejenige  innere  Organisation,  die  dem  demokratischen  Charakter 
nicht  bloß  der  Demen,  sondern  auch  der  Gesamtverfassung  entsprechend 
gewesen  wäre;  man  hätte  Änderungen  mit  ihnen  vornehmen  müssen, 
die  zum  teil  religiöse  Verhältnisse  mit  verletzt  hätten.  Es  war  leichter 
lieber  völlig  neue  Einrichtungen  zu  trelBfen,  man  konnte  sie  dann  völlig 
dem  Zweck  angemessen  machen.  Man  gewann  damit  zugleich  den 
Vorteil,  eine  Menge  alteingewurzelter  Beziehungen,  deren  Einfluß  sich 
oft  genug  verderblich  gezeigt  hatte,  dem  Bereich  der  staatlichen  Ver- 
hältnisse fem  zu  halten. 

Dieselbe  Sicherheit  und  Kühnheit,  die  schon  die  Gründung  der 
Gemeinden  auszeichnet,  offenbart  sich  nur  in  noch  höherem  Grade  in 
der  Einrichtung  dieser  neuen  Phylen. 

Wenn  man  sagen  sollte,  auf  welche  Basis  diese  Einteilung  gemacht 
worden,  so  würde  man  in  einige  Verlegenheit  geraten;  entschieden 
keinerlei  historische  oder  geographische  Motive  lassen  sich  entdecken. 
Aber  darin  gerade  steckt  das  wesentliche.  Es  ist  ganz  bezeichnend, 
was  irgendwo  erzählt  wird:  Kleisthenes  sei  gen  Delphi  gegangen  und 
habe  [402]  den  Priestern  die  Namen  von  hundert  Heroen  vorgelegt 
zur  Auswahl  der  zehn,  die  er  brauchte.  Zehn  Namen  aus  der  mythischen 
Geschichte  Attikas,  ohne  alle  Beziehung  unter  einander  oder  zu  dem, 
was  sie  benennen  sollen,  werden  die  Eponymen  dieser  neuen  Einteilung; 
jedem  wird  eine  Anzahl  Demen  —  ob  ungefähr  dieselbe,  ist  nicht  zu 
sagen  —  zugewiesen,  aber  so,  daß  diese  Demen  nicht  etwa  einander 
nahe  liegen,  sondern  über  die  ganze  Landschaft  zerstreut.  Warum 
das?  offenbar  nicht  in  der  Besorgnis  für  die  öffentliche  Sicherheit,  die 
ein  früher  angeführter  Scholiast  dem  großen  Staatsmann  zutraut,  son- 


^  Auch  Wachsmuth  noch  schreibt  den  Demen  das  Münzrecht  zu;  ee  wäre 
eine  wunderliche  Anomalie  in  der  Verfassung.  Wie  jetzt  die  Numismatik  Attikas 
steht,  sind  nur  Münzen  von  Eleusis  sicher;  die  von  Anaphlystos  ist  ein  bedenk- 
liches Unikum;  die  von  Dekelcia  hat  nur  der  alte  Froehlich  gesehen,  seitdem 
ist  sie  verschollen;  die  mit  AAYPES2N  falsch  gelesen,  die  von  Marathon  fnlflch, 
andere  angeblich  attische  haben  gar  keine  attischen  Namen. 


Die  attische  Commiinalverfassung  379 

dem  damit  jede  landschaftliche  Sonderung  und  Verschiedenheit  sich 
desto  völliger  ausgleiche,  in  jeder  Phyle  Yon  dem  attischen  Gesamt- 
Yolk,  dieser  idealen  Einheit  aller  lokalen  Unterschiede,  ein  gleicher 
Teil  sei. 

Jede  dieser  Phylen  bildet  nun  zunächst  in  sich  selbst  wieder  eine 
Gemeinde,  in  ihrer  Verfassung  der  der  Demen  analog,  mit  Versamm- 
lungen, Beamteten  {imfuXrjri^gj  rccfuccg  u.  s.  w.),  eigenem  Grmidbesitz 
(namentlich  refiivi]  der  Eponymen),  eigener  Verwaltung  u.  s.  w.  Freilich 
der  behagliche  Verkehr  naher  Nachbarlich keit  und  die  stete  Gemein- 
samkeit der  nächsten  Interessen  ist  es  nicht,  wie  in  den  Demen;  die 
Zusanunenkünfte  der  Phyleten  haben  der  Natur  der  Sache  nach  etwas 
Feierlicheres,  Offizielleres;  die  Interessen,  die  man  in  der  Phyle  mit 
einander  hat,  sind  größerer  Art.  Es  versteht  sich  nach  der  attischen 
Weise  von  selbst,  daß  nicht  die  Demen  als  solche  Bestandteile  der 
Phylen  sind,  und  also  an  Collectivstimmen  oder  Repräsentation  nicht 
zu  denken  ist,  wenn  auch  immerhin  die  äußere  Ordnung  innerhalb  der 
Phyle  nach  den  Demen  bemessen  sein  wird. 

Im  Verhältnis  zum  Staat  haben  die  Phylen  eine  doppelte  Bedeu- 
tung. Einmal  sind  sie  die  wesentlichen  Organe  zur  Ausführung  alles 
dessen,  was  der  Staat  an  Leistung  für  das  0£fentliche  vom  Gesamtvolk 
erwartet;  sodann  bieten  sie  die  Form  dar,  in  der  das  Gesamtvolk  als 
Staat  constituiert  ist  und  sich  regiert  Ich  brauche  diese  loseren  Aus- 
drücke, um,  wie  ich  hoflfe,  die  Gesamtheit  der  betrefifenden  [403]  Ver- 
hältnisse damit  zu  umfassen.  Zunächst  muß  wieder  darauf  aufmerksam 
gemacht  werden,  daß  nicht  etwa  die  Phylen  als  solche  die  Bestand- 
teile des  Staates  bilden,  wie  etwa  vom  ältesten  attischen  Staat  gesagt 
werden  konnte,  er  bestehe  aus  den  zwölf  Phratrien,  sie  seien  die  Mo- 
naden; vielmehr  die  Staatseinheit  ist  und  bleibt  die  Monade,  aber  fär 
die  inneren  praktischen  Thätigkeiten  des  Staates  gliedert  sie  sich  zu 
jener  phyletischen  Einteilung,  um  nicht  zu  sagen  Verteilung. 

In  betreff  der  beiden  oben  erwähnten  Beziehungen  genügt  es,  das 
Wesentliche  hervorzuheben.  Es  ist  bekannt,  wie  seit  Eleisthenes  in 
allen  öffentlichen  Verhältnissen,  namentlich  in  den  coUegialischen  Staats- 
behörden (die  sechs  Thesmotheten  sind  fast  die  einzige  Ausnahme)  die 
Zehnzahl  vorherrscht;  überall,  wo  sie  ist^  zeigt  sie  die  Projizierung  auf 
die  Phylen  an,  und  zwar  eine  solche,  daß  in  jeder  solchen  Behörde 
je  einer  aus  jeder  Phyle  ist;  so  die  zehn  Strategen,  rafiiai,  a(oq)QO' 
viarai  u.  s.  w.  Auch  die  ßovXy  hat  in  ähnlicher  Weise  je  fünfzig 
Mitglieder  aus  jeder  Phyle,  und  in  der  Bule,  wie  wenigstens  meist  in 
den  anderen  ägx^^^t  wechselt  dann  der  Vorsitz  nach  den  Phylen.  Bei 
der  Bestellung  dieser  Behörden  aber  scheint  ein  anderes  Prinzip  obzu- 


380  I^ie  attische  Communalverfaesang 

walten,  als  bei  der  der  phyletischen.  Wir  sahen  schon,  daß  das  Losen 
der  Archonten  wahrscheinlich  von  Heisthenes  eingeführt  worden;  ich 
denke,  er  wird  auch  das  Losen  der  übrigen  zahlreichen  Beamtungen  — 
denn  bei  den  meisten  gilt  fortan  das  Los  —  eingeführt  haben,  er  wird 
namentlich  auch  die  unendlich  weitläufigen  Wahlen  der  500  Buleuten 
abgestellt  und  dafür  das  Losen  aus  den  drei  ersten  Klassen  veranlaßt 
haben.  Alle  diese  Behörden  aber,  geloste  wie  gewählte,  gehen,  obschon 
sie  nach  Phylen  besetzt  werden,  nicht  etwa  aus  der  Wahl  oder  Losung 
der  einzelnen  Phylen  hervor,  sondern  die  gesamte  Ekklesie  oder  das 
Losen  unter  Leitung  der  Staatsbehörde  bestellt  aus  jeder  Phyle  einen. 
Eine  Verbindung  beider  Prinzipien  scheint  in  der  Bestellung  der  He- 
liasten  erkennbar  zu  sein,  wenn  anders  ich  mir  erlauben  darf,  über 
eine  viel  verhandelte  Streitfrage  [404]  mit  so  positiven  Äußerungen 
hinwegzugehen:  durch  die  Archonten  werden  aus  jeder  Phyle  600 
Bichter  durch  das  Los  bestellt,  die  dann  wieder  in  zehn  Sixaart'iQta 
zu  500  und  je  100  Ersatzmännern  verteilt  werden;  aber  diese  dixaa- 
xiiQia  sind  nicht  phyletisch  bei  einander,  sondern  aus  allen  Phylen 
gemischt. 

Die  Leistungen  für  das  Öffentliche,  die  durch  die  Phylen  ver- 
mittelt werden,  sind  mannigfacher  Art  Zunächst  erwähne  ich  die 
Choregien,  Speisungen,  Gymnasiarchien  u.  s.  w.,  die,  wenn  nicht  zu 
freiwilliger  Leistung  von  einzelnen  angeboten,  den  durch  ihr  Vermögen 
dazu  Verpflichteten  innerhalb  jeder  Phyle  nach  bestimmter  Folge  auf- 
getragen werden;  wenn  anders  schon  Kleisthenes  diese  verschwende- 
rischen Leistungen  verfassungsmäßig  festgesetzt  haben  sollte.  Minder 
zweifelhaft  scheint  es,  daß  schon  damals  die  mannigfachen  Bauunter- 
nehmungen, die  den  Nutzen  und  die  Sicherheit  des  gesamten  Staates 
betrefien,  dem  Wetteifer  der  Phylen  überwiesen  worden  sind.  Vor 
allem  aber  kommt  in  diesem  Zusammenhange  das  Militärwesen  in 
betracht.  Die  Schätzung  bestimmte  die  Verpflichtung  der  einzelnen 
Bürger  zum  Dienst  als  Reiter,  als  Hopliten,  zur  See  (resp.  als  x/jiXoi), 
daher  war  der  Demarch  bei  Anfertigung  des  xaräloyog  notwendig; 
aber  die  Aushebung  geschieht  nicht  durch  den  Demos,  sondern  nach 
dem  Erlaß  des  CoUegiums  der  Strategen  (enthaltend  die  Angabe  der 
„Eponymen"  s.  Harpoc.  v.  argaTiicc)  durch  die  Taxiarchen  (und  Phyl- 
archen),  die  gleichfalls  erwählte  aus  jeder  Phyle  sind;  erwählt  durch 
die  Phyleten,  wie  ich  doch  glauben  möchte,  und  nicht  in  der  Ekklesie. 
So  besteht  denn  das  attische  Heer  aus  den  zehn  phyletischen  rd^eii^ 
und  den  ebenso  vielen  Reitergeschwadern.  Immerhin  mag  in  der  ein- 
zelnen rä^ig  sich  die  demotische  Genossenschaft  geltend  gemacht,  auch 
wohl  zusammengehalten  haben;  offiziell  ist  die  rä^ig  schwerlich  nach 


Die  attische  Communal Verfassung  381 

Demen  geschart,  wie  denn  auch  die  Verzeichnisse  der  Gebliebenen 
(Corp.  Inscr.  Gr.  No.  165 — 171  =  C.L  A.  I432fif.)  aus  vormakedonischer 
Zeit  nur  die  Phylen  nennen:  das  Speziellere  darf  ich  übergehen.  Ich 
fuge  nur  noch  ein  Wort  über  das  Seewesen  hinzu.  Nach  der  Ver- 
fassung des  Eleisthenes  [405]  bleiben  die  Naukrarien,  aber  nach  dem 
System  der  zehn  Phylen  auf  fünfzig  erhöht;  und  aus  den  fünfzig 
Schiffen,  die  Athen  vor  der  Zeit  der  marathonischen  Schlacht  zu  stellen 
vermag,  wird  man  entnehmen  dürfen,  daß  die  Naukrarien  ihre  Be- 
ziehung auf  das  Seewesen  behalten  haben.  Verpflichtete  die  Schätzung 
der  zweiten  Klasse  zum  ßeiterdienst^  die  der  dritten,  der  Hufner,  zum 
Hoplitendienst,  so  werden  die  Pentakosiomedimnen  wohl  die  Pflicht 
der  Trierarchie  gehabt  haben;  denn  als  Strategen,  Taxiarchen,  Hipp- 
archen, Phylarchen  konnte  doch  immer  nur  ein  kleiner  Teil  der  Mit- 
glieder dieser  Klasse  in  Anspruch  genommen  sein.  Hiernach  wäre 
also  anzunehmen,  daß  die  Mitglieder  der  ersten  Klasse  in  jeder  Phyle 
in  fünf  Naukrarien  verteilt  gewesen  seien,  jede  mit  der  Pflicht  eine 
Triere  zu  leisten,  deren  Trierarch  dann  der  Reihe  nach  je  einer  dieser 
Naukrariengenossen  werden  mußte.  Wie  bald  dies  System  Themistokles 
mit  der  Gründung  freiwilliger  Trierarchien  durchbrach  (Polyaen.  1 30,  5), 
ist  bekannt  An  diesem  Punkte  dürfen  wir  zu  einer  früheren  Andeu- 
tung zurückkehren.  Thukydides  sagt  (III  19),  zum  ersten  Male  hätten 
sich  im  Jahr  428  die  Athener  eine  Bla(poQa  auferlegt;  und  es  dürfte 
schwer  sein,  einer  so  ausdrücklichen  Angabe  geradehin  zu  wider- 
sprechen; wenigstens  vorgesehen,  sollte  man  meinen,  müßte  in  der  Ver- 
fassung des  Kleisthenes  der  Fall  einer  solchen  außerordentlichen  Be- 
steuerung sein.  Aber  hätte  denn  wirklich  in  der  Solonischen  Verfassung 
eine  Staatsbesteuerung  gar  nicht  existiert?  und  doch  sollte  sein  ganzes 
System  der  politischen  Einteilung  eben  nach  dem  Maße  des  steuer- 
baren Vermögens  gemacht  sein?  und  wird  nicht  angegeben,  daß  eben 
Selon  den  Namen  der  cpögoi  in  den  gelinderen  der  awrü^etg  ver- 
wandelt habe?  Ich  denke  es  wird  niemandem  glaublich  erscheinen, 
daß  Peisistratos  die  Sexärrj  erst  eingerichtet  habe;  es  scheint  eine  alte, 
durch  Selon  vermöge  des  rtfirjfjbcc  allerdings  wesentlich  erleichterte 
Steuer  gewesen  zu  sein,  welche  Peisistratos  fort  erhob,  bis  seine  Söhne 
sie  auf  eine  dxoary  herabsetzten.  Nun  finden  wir  fernerhin  eine 
BixoaTfj  vom  Grundertrag  als  Staatssteuer  nicht  mehr,  wohl  aber  wird 
unter  den  Gemeindebeamten  ein  [406]  dxooroMyoq  genannt.  Es 
wäre  nicht  unmöglich,  daß  Kleisthenes  die  dxoarti  zu  einer  Communal- 
abgabe  gemacht  hätte,  das  um  so  mehr,  da  der  Staat  schwerlich  eine 
andere  Ausstattung  für  die  neugegründeten  Communen  und  für  deren 
vielfache  Ausgaben  (Bafuten,  Straßen,  Gymnasien,  Feste  u.  s.  w.)  auf- 


382  Die  attische  Commanalver&ssung 

bringen  konnte,  und  da  andererseits  kaum  eine  andere,  wenigstens 
keine  gerechtere  Steuer  für  die  Gemeinden  denkbar  ist  als  diese  regel- 
mäßige Vermögenssteuer  auf  Grund  der  änoyQatpcclj  die  in  den  Händen 
der  Demarchen  waren.  Wenn  so  nach  Kleisthenes  Verfassung  der 
Staat  mit  einem  guten  Teil  der  Verpflichtungen,  die  früher  ihm  obge- 
legen, auch  eine  regelmäßige  Einnahme  an  die  Communen  abtrat,  so 
mußte  er  für  den  Fall,  daß  zu  den  regelmäßigen  Ausgaben,  für  die 
seine  regelmäßigen  Einnahmen  ausreichten,  deren  außerordentliche 
kamen,  sich  außerordentliche  Maßregeln  vorbehalten,  eben  die  eiatpopä; 
und  die  nötigen  Bestimmungen  für  dieselbe  werden  bereits  von  Klei- 
sthenes getroffen  worden  sein,  wenn  auch  der  herrliche  Wetteifer  frei- 
williger Leistungen  in  der  Zeit  der  Perserkriege  es  nicht  nötig  gemacht 
haben  sollte,  eine  solche  zu  fordern.  So  dürfen  wir  hier  von  der 
Bla(f'OQÜ  sprechen.  Allerdings  haben  die  Demarchen  mit  derselben  zu 
schaffen.  Aber  wie  wird  sie  beschafft?  Der  Staat  verpachtet  sie  nicht 
wie  seine  meisten  anderen  Einnahmen;  soll  er  nun  unter  dringenden 
umständen  warten,  bis  alle  die  kleinen  Einzahlungen  zusammen- 
kommen? soll  er  selbst  die  säumigen  einklagen?  Aus  der  Analogie 
späterer  Einrichtungen  wird  es  wahrscheinlich,  daß  nach  der  Eleisthe- 
nischen  Verfassung  jene  fünfzig  Naukrarien  der  Pentakosiomedimnen 
verpflichtet  sind,  die  sofortige  Einzahlung  zu  machen,  wofür  ihnen  dann 
die  weiter  Verpflichteten  schuldig  sind  und  durch  Vermittelung  der 
Demarchen  die  geleisteten  Vorschüsse  einzahlen.  Eine  Annahme,  zu 
der  ich  einen  Anlaß  in  der  schon  früher  angeführten  Notiz  über  die 
Naukrarien  fiüde:  oinvsg  Acp  ixätrrrjg  x^Q^'i  '^^^  dafpoQccq  i^iXeyov, 
wobei  freilich  die  Bedeutung  des  Wortes  Naukraren  für  die  naukrarisch 
eingeteilten  Pentakosiomedimnen  zu  belegen  keine  weiteren  Beispiele 
[407]  vorliegen.  Daß  es  im  Demosthenischen  Zeitalter  nicht  mehr  so 
war,  würde  kein  Gegenbeweis  sein. 

Haben  diese  Gombinationen  einige  Wahrscheinlichkeit,  so  muß 
man  annehmen,  daß  nicht  die  Pentakosiomedimnen,  sondern  der  ganze 
Grundbesitz  innerhalb  jeder  Phyle  —  doch  wohl  nach  Demen  —  in 
fünf  Naukrarien  verteilt  war.  Mit  gutem  Grunde  ist  vermutet  worden, 
(laß  auch  für  den  Reiterdienst  in  der  neuen  Verfassung  die  Analogie 
der  früheren  naukrarischen  Bestimmungen  geblieben  sei,  daß  also  auch 
ferner  jede  Naukrarie  zwei  Reiter  stellte,  natürlich  aus  der  Klasse  der 
inTteiQ  und  unter  ähnlichen  Bestimmungen  wie  für  die  Trierarchie 
stattfanden.  Und  endlich  wird  nicht  auch  die  Bemannung  der  Trieren 
nach  derselben  naukrarischen  Weise  aus  dem  Katalog  derer,  die  das 
i^f]T txov  relaiv  bezeichnet,  bestellt  sein?  Mit  einem  Wort,  das  ganze 
Kriegswesen   mit   Einschluß   der   BlacpoQä    —   denn   die   bezüglichen 


Die  attische  Communalverfasaung  383 

Prozesse  gehören  vor  die  Strategen  —  hat  die  modifizierte  naukrarische 
Einrichtung  zu  ihrer  Grundlage. 

Früher  bildeten  ja  vier  Naukrarien  eine  TQiTTvq\  bei  der  neaen 
Einrichtung  blieb  zwischen  den  Naukrarien  und  Phylen  keine  Stelle 
mehr  für  die  Trittyen.  Wenn  Aeschines  (gegen  Ktesiphon  §  30)  nach 
Phylen,  Trittyen  und  Demen  erwählte  Beamtete  mit  der  Bestimmung 
Tcc  SrjfAÖaia  /pz/jtiaTa  Siccx^tgiC^Biv  erwähnt,  so  mögen  diese  Trittyen 
einer  späteren  Einrichtung  angehören  (in  Demosthenes  Symmorienrede 
findet  sich  darauf  hinführendes).  Etwas  sehr  anderes  muß  .Plato  (Rep. 
VS.  475  a)  im  Sinne  gehabt  haben,  wenn  er  dem  (rcgatriyBlv  das 
TQixrvaQx^iv  als  etwas  sehr  Hohem  sehr  Unbedeutendes  entgegensetzt. 
Was  aber  mit  dem  früher  angeführten  ETTAKPEQN  TPITTYOI  an- 
fangen? Die  damit  erwähnten  Opfer  (?y  k<;  Illm&iag  ?)  ^g  'Enax^iag 
fi  kg  'A&rivaiovg)  lassen  glauben,  daß  sich  die  Erinnerungen  und  Heilig- 
tümer der  alten  Trittyen  noch  späthinab  erhalten  haben;  und  das  ist 
um  so  denkbarer,  da  sie  die  einzigen  wirklich  landschaftlichen  Ver- 
bindungen waren,  die  es  in  Attika  gab,  Verbindungen,  die  doch  eine 
gewisse  Lebendigkeit  behaupteten,  wie  man  dem  wackeren  Philokieon 
in  Aristophanes  [408]  Wespen  wohl  anmerken  mag.  Doch  ich  be- 
kenne, daß  diese  Lösung  der  Frage  mir  selbst  nicht  genügt. 

Schließen  wir  hiermit  die  summarische  Übersicht  des  attischen 
Communalwesens,  wie  es  Kleisthenes  gegründet.  Möge  sie  es  zur  An- 
schauung gebracht  haben,  welche  eigentümliche  Stellung  innerhalb  der 
attischen  Verfassung  diese  Phylen  und  Demen  einnehmen,  die,  wie 
wir  es  zu  Anfang  aussprachen,  nicht  historisch  erwachsene  Organismen, 
sondern  recht  eigentlich  Schöpfungen  staatsmännischer  Intuition  zu 
nennen  sind.  Es  wird  nun  gerechtfertigt  erscheinen,  daß  wir,  um 
diese  Gründungen  zu  erläutern,  uns  auf  eine  Durchmusterung  der 
früheren  staatsrechtlichen  Entwickelungen  eingelassen  haben;  erst  im 
Verhältnis  zu  diesen  erhalten  jene  ihre  rechte  Bedeutung.  Wie  merk- 
würdig geschieden  und  geordnet  stehen  nun  die  verschiedenen  Ablage- 
rungen der  attischen  Geschichte  als  ebenso  viele  wesentliche  Momente 
einer  erfüllten  Gegenwart  da.  Die  Formen  des  alten  geschlechter- 
lichen  Staates  tragen  und  halten  noch  immer  die  Summe  des  religiösen 
und  Familienlebens;  auch  Culte  wie  die  Eleusinien,  wie  der  Dienst 
der  Polias  und  des  ApoUon  Patroos  ruhen  auf  ihnen.  Entschieden 
nicht  hat  Kleisthenes  sie  in  diesen  gedeihlichen  Wirksamkeiten  stören 
wollen,  aber  es  werden  ihnen  die  Kreise  allein,  die  ihnen  gebühren, 
überlassen.  Wir  sahen,  wie  allmählig  sich  die  Idee  der  Staatseinheit 
durchbildete,  wie  sie  nach  und  nach  alle  Stände  aufnahm;  auch  ihre 
Culte  hat  sie  sich  geschaffen.  Diese  einheitliche  Gewalt  der  Staatsidee 


384  Die  attbcbe  Commonalyer&asung 

gewann  ihren  vollsten  Ausdruck  in  der  Solonischen  Legislation  in  der 
Art,  daß  das  erhabenste  Prinzip  des  antiken  Staates  xvQioq  6  vöfAog 
sie  bezeichnet  Man  braucht  wohl  die  banale  Phrase:  im  Altertum 
sei  der  Mensch  gar  nichts  anderes  als  politisch;  eine  Abstraction,  die 
von  dem  Spartanertum,  wie  es  wenigstens  der  Theorie  nach  war,  sehr 
unbehutsam  auf  alles  Mögliche  übertragen  worden  ist;  in  der  attischen 
Demokratie  hatte  nicht  bloß  das  häusliche  und  Privatleben,  die  Sitten 
und  die  socialen  Verhältnisse  einen  weiten  und  freien  Raum,  sondern 
in  jedem  Communalwesen  schuf  Kleisthenes  diejenige  [409]  Sphäre, 
die  zwischen  jenen  und  dem  staatlichen  Leben  eine  fühlbar  gewordene 
Lücke  füllte.  Man  mag,  wenn  man  will,  in  der  scharf  ausgeprägten 
Plastik  dieser  Verhältnisse  etwas  recht  hellenisches  finden;  es  ist  be- 
wunderungswürdig, wie  klar  und  entschieden  alle  diese  Kreise  gegen 
einander  abgesetzt,  jeder  völlig  rein  neben  dem»  anderen  geschlossen 
ist;  es  dürfte  schwer  sein,  irgend  eine  Verfassung  älterer  oder  neuerer 
Zeit  zu  finden,  in  der  auf  gleich  musterhafte  Weise  Staat  und  Gemeinde 
gegen  einander  abgegrenzt  wären.  Der  attische  Staat  besteht  nicht 
aus  monadischen  Gremeinden,  aber  auch  die  Gemeinden  sind  nicht 
Staatsfragmente,  sondern  der  Staat  hat  sich  damit  erst  rein  und  völlig 
als  Staat  constituiert,  daß  er  die  communalen,  die  religiösen,  die  stän- 
dischen u.  s.  w.  Verhältnisse  gleichsam  aus  sich  entläßt;  hier  wo  das- 
selbe Volk  Herrscher  und  beherrscht  ist,  dasselbe  Volk  Träger  des 
Staats,  der  Gemeinden,  der  Geschlechtergemeinschaften,  der  Mysterien, 
der  mannigfachsten  religiösen  und  socialen  Vergesellschaftungen  ist, 
hier  giebt  es  keinerlei  Eifersucht  zwischen  Staat  und  Commune, 
keinerlei  Rivalität  zwischen  Staat  und  Kirche,  keinerlei  patrimoniale 
Polizeilichkeit  des  Staates  gegen  die  private  Freiheit.  &  sind  Ver- 
hältnisse, die  in  ihrem  Inneren  alle  Garantien  der  Sicherheit,  des 
gedeihlichen  Bestandes,  der  allgemeinen  Befriedigung  haben,  ein  inneres 
Gleichgewicht  aller  Kräfte,  aller  Bedingungen  und  Wirkungen,  in  dem, 
so  scheint  es,  auch  die  Leidenschaften  gebunden  sein  und  weiteres 
Verlangen  ruhen  könnt«,  wenn  nicht  beide  auch  ihr  Recht  forderten, 
„sich  frei  in  moralischer  Richtung  zu  entwickeln". 

In  Wahrheit,  auf  eine  friedliche,  ehrbare,  man  möchte  sagen  selbst- 
genügsame  Weise  des  inneren  Lebens  war  dieser  Staat  des  Selon  und 
Kleisthenes  eingerichtet,  stark  genug  nach  Aussen,  wie  damals  die 
hellenischen  Verhältnisse  waren,  sich  seine  Selbständigkeit  in  fester 
Abwehr  zu  sichern,  im  Inneren  von  der  schönsten  Harmonie  der 
Pflichten  und  Rechte,  die  Einheitlichkeit  durch  Gericht  und  Ekklesie 
wohl  gewahrt,  die  Verwaltung  auf  Grund  der  Phylen  reich  gegliedert, 
die   naukrarischen   Leistungen   mäßig,    für   den  W^etteifer   [410]    der 


Die  attische  Communalverfassung  385 

Kelchen  zum  Wohlwollen  gegen  den  kleinen  Mann  ein  weites  Feld, 
ohne  anderen  Antrieb  als  gerechten  Ehrgeiz,  ohne  anderes  Verpflichten 
als  den  Dank  unabhängiger  Menschen;  —  ein  rechter  Friedensstaat. 
Da  mochte  Eleisthenes  wohl  meinen,  was  einst  Aristeides  ausgesprochen: 
man  habe  das  Ziel  erreicht.  Aber  es  gab  schon  andere,  die  da  meinten: 
nun  erst  fange  man  an. 

Es  folgten  schwere  Kriegsjahre:  der  Neid  der  Nachbarn  stürzte 
sich  auf  Attika;  glorreich  bestand  man  sie  alle;  dann  stürmten  die 
Perser  daher;  bei  Marathon  wehrte  man  die  Barbaren  ab,  die  Peisi- 
stratiden  mit  ihnen.  Der  kühne  Themistokles  entzündete  den  Ehrgeiz 
einer  großen  Zukunft;  seinen  trierarchischen  Gründungen  dankte  Athen 
und  Hellas  den  Tag  von  Salamis.  Man  ertrotzte  eine  gleiche  Stellung 
mit  den  stolzen  Spartiaten,  zum  steten  Kampf  gegen  die  Barbaren, 
zur  Befreiung  der  ionischen  Hellenen  jenseits  des  Meeres.  Es  ward 
jene  Eidgenossenschaft  gegründet,  deren  Beitrage  Aristeides  ordnete. 
Man  war  an  dem  entscheidenden  Punkt. 

Macht  und  Buhm  sind  für  edles  Streben  schönster  Lohn;  aber 
als  Ziel  des  Strebens  mißleiten,  entadeln  sie  es,  überreizen  die  Stre- 
benden, um  sie  dann  verwildern  oder  erschlafTen  zu  lassen.  Kvqiov 
(üivBi  riXog.  Wie  großartig,  glänzend  und  hehren  Ganges  auch  Perikles 
Staatslenkung  erscheint,  er  hat  den  attischen  Staat  aus  seinen  Fugen 
getrieben:  die  Gründungen  des  Selon  und  Kleisthenes  trugen  den 
kühnen  Bau  nicht,  den  Perikles  über  sie  emportürmte;  und  neue 
Formen  für  den  tiefgewandelten  Inhalt  fand  er  nicht  Als  dieser  Staat 
zu  einem  Reich,  die  Eidgenossenschaft  zu  TJnterthanen,  der  Demos  von 
Athen  zum  Begenten,  seine  Herrschaft  —  das  ist  Perikles  eigenes 
Wort  —  zur  Tyrannis  wurde,  da  war  es  freilich  das  kleinste  Übel, 
daß  der  Areiopag,  wie  ihn  Selon  ausgestattet,  gebrochen  wurde,  das 
größere,  daß  der  kleine  Mann  mit  Eitelkeit  und  Gewinn  und  stolzem 
Schaugepräng  gen  Athen  geködert  wurde  von  seiner  Hufe  und  seinem 
Gewerbe  hinweg,  das  größte,  daß  dies  Völkchen  altertümlicher  Sitte 
und  schlicht  bäuerlicher  Pfiffigkeit  [411]  in  das  Prunken  und  Prahlen 
kam,  sich  an  Genießerei,  Frivolität  und  Frechheit  gewöhnte,  in  kaum 
drei  Menschenaltem  bis  zu  jenem  völligen  Verderbnis  gelangte,  das 
selbst  Alkibiades  Genialität  nicht  vergessen  macht,  selbst  Aristophanes 
unvergleichliche  Kunst  nicht  rechtfertigt  —  ein  Verderbnis,  wie  es  in 
Rom  erst  dem  mißglückten  Streben  der  Gracchen  und  nicht  aus  dem 
Glückesübermut,  sondern  dem  Elend  der  Menge  gefolgt  ist. 

Kiel,  April  1847. 


DroyBCD,  Kl.  Schriften    1.  25 


Zn  den  griechischen  Beischriften 
von  fonf  ägyptischen  Papyren  zn  BerUn 

(oben  S.  1  flp.,  vgl.  S.  41). 

Mit  den  von  Droysen  zuerst  gelesenen  Texten  hat  sich  seitdem 
E.  Revillout  (in  seiner  Nouvelle  Chrestomathie  Demotiqm  und  in  seiner 
Bevue  Egyptologique)  gelegentlich  beschäftigt.  Für  den  vorliegenden 
Zweck  schien  es  nicht  geeignet,  die  Abweichungen  seiner  Lesungen 
von  den  meinigen  anzuführen.  Icli  gebe  nur,  was  ich  auf  den  Originalen 
gelesen  habe. 

^o.  37. 

1.  'Etov^  vß Ucc/mv  Tb  Ti[TaxTat)  kni  rijv  iv'Eon{(üV\fii)  rQÜ[7tB^av\ 
h(f>  i;t;  !Afip(A{viog),  7  (=  SexÜTijg)  kyxv[x)Jov)  xarä  Stay()u[(pijv) 
ÜTolBfiatov  TBl{(6voif),  vcp    fjv  V7lOyO(i{(pBl) 

2.    jifijlKüVlOg     6     dsVTiyQCc{(fBVg),      '£(TOfj()ig    "Si(JOV     flJ/).{ov)     Td(yTOl') 

n{fj/(üv)  i  hv  ITaxifiB/,  Sv  ymfi){(TaTo)  nccQ  Ifiovßov  tov  Qotbv' 
Tov  Ta[Xccvrcöv)  ß  TiX[o^  arr, 
3.  !Afjip(^{vio<^)  T{}a{7iB^hji>;), 

No,  38, 

1.  'Etov^  Xa  <l>afjLBVfüih  xa  Ti(TCCXTai)  kni  ri^v  kv  'EoncuvtHi  tqu- 
TiB^ccv,  k(p  liq  !/inoX'Müvtog,  ^  (=  Blxofrrfjg)  iyxv{x)jov)  xarci 
T/jv  naQcc  ZfiTvoi^  xai  riov  plb{tö^(ov)  röv  n{)6g  tTji  rovrji  Sta- 
yocecf'hv,  vcf'  tiv  vnoyQÜtfBi   'Aiipuovioq  6  ccvTiyQ[a(pBvg), 

2.  (hvTi^  ^^oog  "iioov  xfJi)J{ov)  TÖ{7tov)  nt]/{cHp)  ß  xai  rcuv  apcoi- 
xoSo[fii]yBV(tni)  TÖv  6vT(ov  ünb  v6[tov)  xai  Xi{ßdc;)  fiB{QOvg)  rtor 
MBfi(vovBt(ov)  kvrbg  tov  TBi'xovg,  i^g  ai  yBiTOviai  nQOXBtvrai  öiä 
rTjg  (Tvyy^{a(pTjg)j  ov  ijyÖQa{fTBv)  naQcc  ^Bvv/jmog  Tijg  'Ifiov- 
»^01'  xai 


Zu  den  griechischen  Beischriften  u.  s.  w.  887 

3.  SSBfifiivtog  Tfjg  IlBTBX&vrog  ;|fa(Äxoö)  TCc{?.(ivT(ov)  ß  riXog  i^a- 
xoGiaqy'X'  ^noXkfüVtog  rQix{nB^iri]g). 

No.  39, 

(1)  ^Erovg  i8  Tov  xai  ta  Mbxb)(j  A  Ti{Tccxrcci)  int  rijv  kv  'Eq- 
fi{(&vd'Bi)  r(}a{n6^av),  ktp  J;§  AiOvv[aio<i)j  ^  {=  SsxÜTijg)  iyxv{xXiov) 
arorror  Staypcc{(piiv)  V^evxc^votog)  (2)  rBX{(6vov\  v(p  fjv  imoy(}ä{(pBi) 

a 

*HQa{xlBidT]g)  6  üvTty(}a(p{Bvg),  ***'  äno  *0<TOQflQtg  (*'*)  "il{)ov  üno 
Tc{Xot»s)  (?)  oix^ag)  (üxodo{fit}fiBV7]g)  xai  Sbx  (lies:  SBSoxtofiivrjg)  (3)  c:' 
(=  IxTOv)  fiB{Qovg)  ivT\_d']g  rod  (pQOVQtov  t((i>v)  Mb(i{vovbUov\  8v 
i^&Bro  ccvTß>t  Tavovg  rf^g  XtxnxQ&rig  (4)  ngbg  Xf^Xxov)  rü[XavTa) 
[ß]  rBX{og)  Uta.     Jt{ovvatog)  TQix{nB^iTi]g). 

No.  40. 
Z.  2  1.  '0(Toooi)()iog.  —  Z.  4  1.  JSvaxofAVBvg. 

No.  41. 


1,  L(=  izov^  xy  Xoiax  xO-  niitrcoxBv  x  (=  bIxo(ft fjg)  hyxvxXiov 
iv  Aiog  n6[XBi)  tTji  jaB{yäX'iji) 

2.  olxiag  int  tov  'HQaxXBiov,  ijv  iyögccaBv  (sie)  EgtBvg  WBvccv(fTiog 
naQcc  2bV' 

8.  A-awriog  iAB{yaX7jg)  xai  JSBV&mvriog  f/Li{xgäg)  xud-ört  nQÖXBiTat 
ävff   /y[ ]  .  . 

Breslau»  Dez.  1892. 

u.  w. 


25 


Ti  f  r 


KLEINE  SCHRIFTEN 


ZUR 


ALTEN  GESCHICHTE 


VON 


JOHANN  GUSTAV  DHOYSEN 


ZWEITER  BAND 


LEIPZIG 

VERLAG   VON  VEIT  &  t!OM?. 

1894 


Druc^  TOD  Meftgger  &  Wittig  in  Lelprig. 


Vorwort. 

Auf  den  mehrfach  von  Fachgenossen  geäußerten  Wunsch  haben 
wir,  entgegen  dem  im  Vorwort  zum  ersten  Band  (S.  IV)  gesagten,  die 
Doktordibsertation  vom  Jahr  1831  als  Anhang  hier  wiederholt  Bei  der 
lebhaften  Teilnahme,  die  sich  durch  die  großen  Funde  von  Papyrus- 
Urkunden  jenen  Zeiten  jetzt  von  neuem  zuwendet,  schien  es  doppelt 
geboten  auch  diese  Arbeit  wieder  zuganglicher  zu  machen,  in  der 
der  umfassende  Blick  und  die  gestaltende  Kraft  des  jungen  Verfassers 
trotz  der  fremden  Sprache  schon  so  glänzend  hervortreten.  Professor 
Ulrich  Wilcken  in  Breslau  hat,  um  ihre  Benutzung  zu  erleichtem, 
eine  Reihe  von  Anmerkungen  hinzugefügt;  wofür  ihm  besonderer 
Dank  gebührt 

Berlin,  Mai  1894. 

E.  H. 


.    I     ; 


t  ■ 


Inhalt. 


Seite 

Vorwort III 

I.    Des  Aristophanes  Vögel  und  die  Hermokopidon      ...  1 

A.  Chronologie  des  Hermokopidcnprozesses 2 

B.  Der  Hermenfrevel       12 

C.  Die  Prozesse  vor  Abfahrt  der  Flotte 20 

D.  Die  Prozesse  nach  Abfahrt  der  Flotte 34 

E.  Die  Komödie  in  Ol.  91  2 48 

IL    Zur  griechischen   Litteratur 

Anzeige  von  Bernhardy,  Wogcncr  und  Ritschi 62 

III.  Zur  griechischen  Tragödie 

a.  Phrynichos,  Aischylos  und  die  Trilogie 75 

b.  Kritische  Notizen  zum  Aischylos 104 

c.  Die  Tetralogie 118 

IV.  Die  Auffüh-rung  der  Antigone  dos  Sophokles  in  Berlin    .  146 
V.    Die  Wandgemälde  im  Ball-   und  Concortsaal   des  König- 
lichen  Schlosses  zu  Dresden 153 

Die  Anordnung  des  Saales       155 

Die  Hochzeit  der  Thetis 156 

Apollon  und  Dionysos 158 

Das  Alexanderfest 164 

Die  Künste 169 

Griechisches  Leben 176 

VI.    Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen 182 

V^IL    Zu  Duris  und  Hieronymos 201 

VIIL    Alexander  des  Grossen  Armee 208 

IX.    Beiträge    zu    der  Frage    über  die   innere  Gestaltung  des 

Reiches  Alexander  des  Grossen 232 

X.    Die  Festzeit  der  Nemeen 253 

XL    Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäcr     .     ,          275 

Anhang  1.    Arsinoe  Philadelphos 295 

Anhang  2.     Die  KupferwÄhrung 298 

XIL    Zum  Finanzwesen  des  Dionysios  von  Syrakus 306 

XIII.    Zum  Münzwesen  Athens 321 

Anhang  I.     Die  Abnutzung  des  attischen  Silbergcldes  ....  342 

Anhang  IL     Die  Legierung  als  Criterium 344 


IV  Inhalt 

Seite 
Anhang:  De  Lagidarum  regno  Ptolemaeo  VI  Philometore  rege 

Praefatio 351 

Caput  primum 354 

Caput  secundum '. 363 

Caput  tertium 400 

Theses  controversae 431 

Vitae  corriculnm 432 

Anmerkungen  von  U.  Wilcken ^  432 

Verzeichnis  von  Joh.  Gust.  Droysene  Schriften  zur  alten  Geschichte  und 

zur  griechischen  und  römischen  Litteratur 444 


I. 

Des  Aristophanes  Vögel  und  die  Hemokopiden. 

Kheinisches  Museum  für  Philologie  herausgegeben  von  F.   G.  Welcker  und 

A.  F.  Näke  Bd.  HI  1835  S.  160  fF.  IV  1836  S.  27  ff. 

[161]  Als  ich  neuerdings  veranlaßt  war,  mich  mit  den  Aristo- 
phanischen Vögeln  genauer  bekannt  zu  machen  und  die  treffliche 
Abhandlung  unseres  Süvem^  in  ihrem  reichen  Detail  näher  zu  prüfen, 
drängten  sich  mir  zwei  Fragen  auf,  welche  ich  von  ihm  und  den 
früheren  Auslegern  jener  Komödie  nicht  berücksichtigt  fand. 

Die  Vögel  des  Aristophanes  sind  so  geistreich  und  so  künstlerisch 
vollendet,  daß  man  sie  leicht  die  schönste  unter  den  erhaltenen  Ko- 
mödien nennen  möchte;  dennoch  ist  dem  concurrierenden  Stücke  des 
Ameipsias  der  Preis  zuerkannt  worden*:  hatte  das  attische  Publikum 
noch  irgend  Geschmack,  und  daß  es  ihn  bei  allen  Verirrungen  der 
modischen  Kunst  mindestens  für  die  Komödie  noch  hatte,  beweiset  der 
Sieg  der  Acharner,  der  Kitter,  der  Frösche,  so  naüssen  andre  als  kunst- 
richterliche Gründe  die  allgemeine  Stimme  geleitet  haben.  Aber  welche 
sind  diese?    Waren  sie  vielleicht  politischen  Charakters? 

Hieran  schließt  sich  eine  zweite  Frage.  Unter  der  bedeutenden 
Zahl  von  Personen,  die  in  dem  Stücke  durchgezogen  werden,  ist  keine, 
deren  Namen  in  dem  großen  Hermokopiden-  und  Mysterienprozeß  des- 
selben Jahres  Ol.  91  2  vorkäme,  obschon  die  etwa  sechzig  oder  siebzig 
Männer,  die  wir  als  in  demselben  verwickelt  namentlich  kennen, 
mehr  oder  weniger  zu  den  Notabilitaten  Athens,  auf  welche  natürlich 
die  Geißelhiebe  der  Komödie  zunächst  und  zumeist  fallen,  zu  [162] 
zählen  sind.   Warum  nennt  Aristophanes  keinen  von  diesen  allen?  denn 


*  Über  die  Vogel  des  Aristophanes,  in  den  Denkschriften  der  Berliner 
Akademie  aus  dem  Jahre  1827. 

'  Argum.  ad  Aristoph.  Aves. 

Drojaen,   KL  Schriften  11.  1 


2  Des  Aristophanes  Ydgel 

daß  ich  es  nur  gestehe,  auf  Alcibiades,  wie  es  Süvern  so  stark  hervorhebt, 
ist  in  dem  Stücke  wenigstens  die  Beziehung  nicht,  welche  er  zu  finden 
gemeint  hat. 

Diese  Fragen  führten  mich  darauf,  den  großen  Prozeß  jenes  Jahres 
näher  zu  durchforschen,  in  der  HoflEnung,  in  demselben  einigen  Auf- 
schluß zu  finden;  und  wenn  schon  die  Resultate  nicht  von  der  Art 
gewesen  sind,  wie  ich  sie  erwartet  hatte,  so  glaube  ich  doch  für  die 
folgende  Mitteilung,  wenn  sie  die  Chronologie  und  einzelne  Haupt.- 
punkte  in  dem  stcUics  caicsae  jenes  Prozesses  näher  bestimmt,  Ent- 
schuldigung zu  finden. 

A.  Chronologie  des  Hermokopidenprozesses. 

Nach  den  bekannten  Untersuchungen  von  DodwelP  und  Corsini* 
ist  der  Verlauf  des  großen  Prozesses  in  neuerer  Zeit  von  Sluiter^  und 
von  Hm.  Wachsmuth®  mit  einiger  Ausführlichkeit  dargestellt  worden. 
Die  Irrtümer,  die  sich  hier  und  dort  eingeschlichen,  hat  Hr.  Becker^ 
in  seinen  Untersuchungen  „über  das  Leben,  die  Schriften  und  die  Litte- 
ratur  des  Andocides"  nicht  Gelegenheit  genommen  zu  berichtigen.  Auch 
in  dem  von  Hm.  Schiller  besorgten  Wiederabdmck  der  Sluiterschen 
Arbeit®,  der  mir  soeben  zu  Händen  kommt,  finde  ich  nichts  Wesent- 
liches nachgetragen. 

Die  Hermokopidensache  steht  in  unmittelbarer  Berührung  mit 
den  Verhandlungen  über  die  große  zweite®  sicilische  [163]  Expedition. 
Die  Egestaner  hatten  in  Athen  um  Hilfe  gegen  Selinus  gebeten  und 
große  Dinge  versprochen;  athenäische  Gesandte  gingen  mit  ihnen 
nach    Sicilien,    sich    von    der    Wahrhaftigkeit    ihrer   Versprechungen 


'  Aunall.  Thucydid.  p.  184  sqq. 

♦  Fasti  Attici  T.  1  p.  246  sqq. 

*  Leetiones  Andocideae  ed.  Schiller  p.  82  sqq. 

•  Hellenische  Altertumskunde  Th.  2  S.  192  und  fiinfte  Beilage  S.  444  ff. 
'  Andocides  übersetzt  und  erläutert  von  A.  G.  Becker  S.  18  ff. 

*  Sluiter  leetiones  Andocideae,  Lipsiae  1834. 

'  In  der  Regel  beachtet  man  es  zu  wenig,  daß  bereits  zehn  Jahre  vor  der 
großen  Expedition  ein  Zug  nach  Sicilien  unternommen,  ja  daß  ein  solches  Unter- 
nehmen schon  bei  Periklcs  Lebzeiten  ein  Lieblingsproject  der  ultrademokratischen 
Männer,  der  Bewegungspartei  war.  S.  Plutarch  Pericles  20  Diodor.  XII  54. 
Erst  nach  dem  Tode  des  großen  Mannes  kam  die  Sache,  der  er  sich  stets  wider- 
setzt hatte,  zur  Ausfuhrung;  seit  dem  Frühjahr  426  gingen  mehrere  Gesdiwader 
nach  einander  gen  Sicilien,  und  nach  dem  Falle  von  Pylos,  als  das  Volk  über- 
stolzer Hofiiiungen  voll  war,  dachte  man  schon  auf  einen  Angriff  gegen  Karthago; 
es  ging  das  Gerücht,  Hyperbolos  werde  auf  die  Ausrüstung  von  100  Trieren  zum 
Seezuge  gegen  die  Puuier  antragen  (Aristoph.  Equit.  174.  1308.) 


und  die  Hermokopiden  3 

ZU  Überzeugend^.  Zugleich  mit  dem  Frühling  Ol.  91  1  (415)  kamen 
sie  mit  den  besten  Nachrichten  nach  Athen  zurück  ^\  worauf  sofort  eine 
Volksversammlung  gehalten  wurde,  um  den  Krieg  zu  decretieren  und 
Feldherm  zu  wählen.  Wenn  man  die  Angabe  des  Thucydides  „zugleich 
mit  dem  Frühling"  in  der  Weise  genau  nehmen  dürfte,  daß  die  Rück- 
kehr der  Gesandten  wenige  Tage  vor  oder  nach  dem  astronomischen 
Anfang  des  Frühlings  anzusetzen  wäre,  so  würde  diese  erste  Versamm- 
lung etwa  zwischen  dem  15.  und  31.  März,  d.  h.  dem  3.  und  19.  Elaphe- 
bolion  des  Archonten  Arimnestus  gehalten  sein;  indes  lehrt  eine  andere 
Stelle  des  Thucydides  ^^,  daß  wir  diesen  Ausdruck  „zugleich  mit  dem 
Frühling"  weiter  fassen  müßten,  wenn  nicht  andere  Bestimmungen 
Näheres  ergäben.  Am  fünften  Tage  darnach  wurde  von  neuem  Ekklesie 
gemacht  und  in  derselben  jene  denkwürdige  Verhandlung  gepflogen,  die 
Thucydides  ihren  Hauptzügen  nach  mitteilt  ^^.  Der  Kedner  (Th.  über- 
geht seinen  Namen),  welcher  unumschränkt  Vollmacht  für  die  Feldherm 
und  [164]  Truppenaushebung  bei  den  Bundesgenossen  beantragte,  war 
Demostratos  ^*;  es  war  ein  trauriges  Zeichen,  daß  gerade  während  dieser 
Beratungen  die  Wehklage  der  Weiber  um  den  Adonis,  dessen  Fest  eben 
gefeiert  wurde,  von  den  Dächern  umher  erscholl".  „Sofort  wurden 
nun  alle  Anstalten  getroffen;  man  schickte  zu  den  Bundesgenossen,  man 
nahm  in  Attika  die  Kriegslisten  auf  u.  s.  w.;  —  so  war  man  dort  mit 
den  Rüstungen  beschäftigt.  Da  {kv  rovro))  geschah  es,  daß  in  einer 
Nacht  die  meisten  Hermenbilder  verstümmelt  wurden"^®.  Plutarch  be- 
richtet, daß  dies  l^vrjg  xal  veag  ov(r7]g  geschehen  sei^^;  und  wenn  Diodor 
statt  dessen  die  vovfxrjvicc^^  den  ersten  Monatstag  und  den  Neumonds- 
tag, nennt,  so  ist  der  Unterschied  nur  der,  daß  Plutarch  dieselbe  Nacht 
zum  vorhergehenden,  Diodor  zum  folgenden  Tage  zählt,  letzteres  offen- 
bar nach  griechischem  Gebrauch  {vvxäij/ASQov),  indem  nach  Censorin 
Athenienses  ab  oocasu  ad  occaswm  solis  rechnen^®.    Da  der  Hermenfrevel 


»«  Thucyd.  VI  6  Diod.  XII  83. 

**  Thucyd.  VI  8  tov  dnifiYvofiepov  &eQovg  üfia  j/qi. 

^^  Thucyd.  V  19,  20  sagt,  daß  der  Friede  des  Nicias  am  24.  Elaphebolion 
d.  h.  11.  April  421  geschlossen  sei  und  auch  dies  nennt  er  äfia  t/gt.  Manche 
Chronologen  sind  der  Ansicht,  daß  Thucydides  seine  Anfänge  von  Sommer  und 
Winter  zugleich  mit  den  Anfängen  der  Monate  Munychion  und  Pyanopsion  setze ; 
dies  ist  wegen  des  Unterschiedes  von  oft  30  Tagen  nicht  möglich. 

"  Thucyd.  VI  9—26. 

"  Plutarch.  Nicias  12  Alcib.  18  Aristoph.  Lysist.  390  Eupolis  Demen  34 
Frommel  ad  Schol.  in  Aristid.  p.  176. 

"  Aristoph.  Lysist.  397.  "  Thucyd.  VI  27. 

"  Plutarch.  Alcib.  20.  "  Diodor.  Xm  2. 

"  Ideler  Handbuch  der  Clironologie  I  S.  80. 


4  Des  Aristophanes  Vögel 

noch  unter  dem  Archonten  Arimnestus  begangen  worden,  so  ist  die 
bezeichnete  Nacht  entweder  die  letzte  des  Elaphebolion  (10. — 11.  April) 
oder  des  Munychion  (10. — 11.  Mai)  oder  des  Thargelion  (8. — 9.  Juni). 
Wie  aber  hier  wählen? 

Corsini  und  Dodwell  haben  gemeint,  daß  aus  der  Zeit  des  Adonis- 
festes  die  Nacht  des  Hermenfrevels  näher  zu  bestimmen  sei;  sie  haben 
sich  durch  Plutarch  tauschen  lassen,  welcher  behauptet,  das  Fest  sei  in 
die  Tage  der  Abfahrt  und  um  die  Zeit  des  Frevels  gefallen  ^^;  sie  haben 
die  Stelle  aus  der  Lysistrata  übersehen,  aus  der  sich  auf  das  Deutlichste 
[165]  ergiebt,  daB  das  Adonisfest  mit  der  zweiten  Ekklesie  zusammen- 
fiel, also  wohl  im  Monat  Elaphebolion  zu  suchen  ist  Ich  bemerke, 
daß  dies  die  einzige  Notiz  zur  Zeitbestimmung  der  attischen  Adonien  ist ; 
indes  finde  ich  eine  Stelle  im  Macrobius*^,  in  der  es  von  der  morgen- 
ländischen Feier  der  Adonien  heißt:  ritu  eorum  xaraßatrsi  finita  simu- 
UxtUmeqVie  luctua  peracta  cekbratur  laetitiae  exordium  a.  d,  VIII  kcU.  Aprilis, 
qttam  diem  Hüaria  adpellani,  quo  primum  tempore  sol  diem  nocte  longiorem 
protendit.  Dies  bezeichnet  gewiß  nicht  zwei  Tage,  die  ein  halbes  Jahr 
von  einander  liegen  (denn  auch  so  ist  diese  Stelle  gedeutet  worden), 
sondern  es  wird,  wie  auch  sonst  in  ähnlichen  Festen,  dem  Tage  der 
Trauer  unmittelbar  der  der  Freude  gefolgt  sein;  demnach  wäre  für 
den  Tag  der  Hilarien  der  erste  nach  der  Frühlingsnachtgleiche  zu 
nehmen.  Da  diese  Zeitbestimmung  in  dem  Wesen  des  Adoniscultus 
begründet  ist,  so  zweifle  ich  nicht,  daß  sie  auch  von  den  Athenern 
wenigstens  mit  der  Bestimmung  angenommen  worden,  daß  das  Fest 
auf  den  Monatstag  fixiert  wurde,  auf  welchen  in  dem  Metonischen 
Epochenjahre  die  Frühlingsnachtgleiche  fiel;  dies  war  im  Jahre  43 ^/j 
der  13.  Elaphebolion,  und  diesem  Tage  entspricht  im  Jahre  415  der 
24. — 25.  März,  so  daß  also  das  Trauerfest  des  Adonis  und  die  zweite 
Ekklesie  auf  den  24.  März,  die  erste  auf  den  19.  März  gefallen  wäre. 
Ich  erinnere,  daß  die  Adonien,  hiernach  zu  vermuten,  nicht  unter 
die  &%0(pQ(iSiq  iifUgai  gehört  haben  *2. 

Eine  bemerkenswerte  Bestätiguncf  für  dies  angenommene  Datum 
glaube  ich  in  einer  alten  Abrechnungsurkunde  gefanden  zuhaben, 
welche  Hr.  Böckh  bereits  in  den  Beilagen  der  Staatshaushaltung *^ 
ausführlich  erläutert  hat.  Er  glaubte  damals  die  Wortö  ^  nava&i)vaiu 
rä  fieyäka  (v.  6)  [166]  zu  lesen;  und  da  sich  überdies  das  äg  rag  vavs^ 
räq  kq  2i  ,  ,  ,  .  (v.  15)  ungezwungen  zu  kg  2£ixtXiuv  ergänzte,  auch 


•0  Plutarch.  Alcib.  18. 

^^  Macrobius  Saturn.  I  21,  10.        ''  Schoemanu  de  comitiis  p.  50. 

••  Staatsbauflhaltung  II  182  ff.  [II'  S.  26  ff.     C.  I.  A.  1 180—183.] 


und  die  Hermokopiden  5 

(v.  17)  (TTQcerTjyw  r<p  iv  0BQfjLceiq>  xöknq)  vorkam,  so  erklärte  er  die 
Inschrift  für  ein  Finanzdocument  von  Ol.  91  3.  Indes  hat  sich  er- 
geben **,  daß  statt  rä  fiByükce  auf  dem  Steine  !AiAkfinr(p  steht,  so  daß 
wenigstens  der  stringente  Beweis  für  ein  drittes  Olympiadenjahr  hinweg- 
fallt. Sehr  gern  würde  ich  der  Meinung  meines  hochverehrten  Lehrers 
beipflichten,  daß  ja  kq  Tlavad-iivccia  auch  die  großen  Panathenäen  be- 
zeichnen, oder  deren  Erwähnung  in  einer  der  vielen  Lücken  der  Inschrift 
gestanden  haben  könnte,  wenn  sich  nicht,  wie  mir  scheint,  wesentliche 
Bedenken  gegen  Ol.  91  3  erheben  ließen*).  Es  sind  nämlich  während 
der  VIIL  Prytanie,  welche  Ol.  91  3  vom  21.  Mäxz  bis  28.  April  reicht*«, 
folgende  Posten  verausgabt: 

a)  am  zehnten  Tage  (31.  März)  den  Hellenotamien krates 

von  Euonymia  und  seinen  Amtsgenossen  für  Truppen  .... 

b)  am  dreizehnten  Tage  (3.  April)  den  Hellenotamien krates 

von  Euonyma  und  seinen  Amtsgenossen  hundert ....  Talente; 
diese  aber  gaben  sie  .... 

c)  am  zwanzigsten  Tage  (10.  April)  den  Hellenotamien  ....  krates 
und  seinen  Amtsgenossen  für  die  SchiflFe  nach  Sicilien  .... 

d)  am  zwei  und  ....  zigsten  Tage  (12.  oder  22.  April)  dem  Bei- 
sitzer Philomelos  von  Marathon  und  dem  Feldherrn  im  Ther- 
mäischen  Meerbusen  .... 

Hr.  Böckh  bezieht  nun  die  drei  ersten  Posten  auf  die  Sendung  des 
Demosthenes  nach  Sicilien;  aber  Thucydides*®  sagt  von  diesem:  „im 
Winter  (nachdem  die  Briefe  des  [167]  Nicias  eingekommen  waren) 
rüstete  er,  da  er  sogleich  mit  dem  Frühling  auszusegeln  gedachte,  in- 
dem er  zugleich  die  Bundesgenossen  zur  Stellung  ihrer  Truppen  veran- 
laßte,  und  von  dort  her  Geld  und  Truppen  heranzog^',  und  etwas  später*^: 
„gerade  als  der  Frühling  anfing,  segelte  Demosthenes  ab".  Es  können 
also  die  Gelder  zu  seinen  Rüstungen  nicht  erst  im  Laufe  der  Prytanie, 
die  nach  Frühlingsanfang  eintrat,  angewiesen  sein,  ja  sie  scheinen  über- 
haupt nicht  aus  dem  Schatze  zu  kommen.  Dagegen  passen  diese  so 
wie  die  übrigen  Posten  der  Inschrift  treflflich  auf  Ol.  91  1.  So  sind 
in  der  dritten  Piyt^nie  (28.  September  bis  1.  November  416)  aus  dem 
Schatz  248  Stateren  nebst  7  Stateren  Zins  für  die  Panathenäen  an  die 
Hellenotamien  und  Athlotheten  leihweise  gezahlt  worden;  nämlich  für 
die   kleinen,   denn   die  großen  kosteten  dem  Staate  Ol.  92  3  bis  an 


**  Corp.  Inscript  nr.  144  [=  C.  I.  A.  I  ISSd,  wovon  jetzt  weit  mehr  Vorliegt]. 
*)  [Anin.  des  Vf.:    Die  angeführten  Stellen  gehören  in  Ol.  91  2;  sind  also 


für  die  Frage  der  Hermokopiden  ohne  Wert.] 
^^  Staatshaushaltung  II  S.  196. 
«•  ITiucyd.  Vn  17.  "  Thucyd.  VII  20. 


6  Des  Aristophanes  Vögel 

6  Talente*®,  während  die  248  Stateren  nach  höchstem  Ansatz*®  kaum 
ein  Talent  betragen.  So  sind  ferner  in  der  vierten  Prjianie  die  Zah- 
lungen (TTQaTicjraig  für  die  noch  währende  Belagerung  von  Melos,  wo 
gerade  im  Lauf  des  Winters  Verstärkungen  eintrafen'®.  So  in  der  achten 
Prytanie  am  1.,  4.,  11.  April  die  drei  Posten  für  die  große  sicilische 
Expedition,  für  welche  also  etwa  8  Tage  nach  der  Ekklesie,  in  der  über 
die  Mittel  und  Wege  decretiert  war,  die  erste  Zahlung  von  den  Schatz- 
meistern an  die  Hellenotamien  gemacht  worden  ist.  Was  endlich  den 
vierten  Posten  dieser  Prytanie  anbetrifft,  so  wissen  wir'^,  daß  damals  der 
Krieg  in  Makedonien  fortwährte,  und  daß  namentlich  gegen  Ende  des  Win- 
ters lakedämonische  Einmischung  den  Operationen  neue  Regsamkeit  gab. 
Wenn  nun  so  von  Seiten  dieser  Inschrift  das  oben  aufgestellte  Datuna 
für  die  Ekklesien  und  das  Adonisfest  einige  Bestätigung  erhalten  hat, 
so  kann  ich  zu  der  unterbrochenen  [168]  Frage  nach  dem  Datum  der 
Hermokopiden nacht  zurückkehren.  Ich  habe  bereits  angeführt,  daß 
dies  nach  dem  Zeugnis  des  Diodor  und  Plutarch  am  Monatsende  und 
also  bei  Neumond  geschehen  ist.  Corsini  hat  dem  widersprochen: 
Diokleides  habe  bei  seiner  Denunciation  behauptet,  die  Frevler  im  Lichte 
des  Vollmondes  gesehen  zu  haben;  wäre  nun  die  Angabe  des  Diodor 
und  Plutarch,  man  habe  des  Diokleides  Lüge  daran  erkennen  können, 
daß  in  jener  Nacht  Neumond  gewesen,  richtig,  so  hätte  Andocides  in 
si^iner  Rede  dies  stärkste»  Argument  gegen  Diokleides  nicht  übergehen 
können.  Dies  ist  nicht  treflfend,  da  Andocides  in  seiner  Rede  von  den 
Mysterien  nicht  die  Absicht  hat,  die  von  Diokleides  eingestandene  Un- 
wahrheit jener  Denunciation  noch  durch  andere  Beweise  zu  erhärten. 
Für  den  ersten  Monatstag  scheint  überdies  der  Umstand  zu  sprechen, 
daß  Diokleides  angab  ^*,  er  habe  gerade  nach  Laurion  hinausgehen 
wollen,  um  sich  von  einem  seiner  Sklaven,  der  dort  Arbeit  genommen 
hatte,  den  dafür  zu  entrichtenden  Zins  von  demselben  einzukassieren,  und 
diese  änocfOQä  wird  doch  wohl  monatlich  {evTäxTiog)  gezahlt  worden 
sein^'.  So  hat  es  gewiß  mit  der  vovfiijv/a,  dem  Neumond  und  Monats- 
wechsel seine  Richtigkeit,  Aber  welches  Monates  erste  oder,  wie  wir 
rechnen,  letzte  Nacht  war  die  des  Frevels?  Dodwell  meint,  auf  eine 
unsichere  Berechnung  der  Adonien,  die  überdies  gar  nichts  zur  Sache 
thun,  gestützt,  es  sei  die  Nacht  des  ersten  Thargelion,  also  die  Nacht 
vom  10.  zum  11.  Mai  gewesen.  Ich  gestehe,  daß  ich  keine  bestimmt« 
Angabe  entdecken  kann,  die  uns  die  Wahl  zwischen  den  drei  Nächten 


"  Corp.  Insc.  nr.  147  [=  C.  I.  A.  1 188]. 

"  Staatahaushaltung  I  S.  31  ;  I«  S.  39]. 

w  Thücjd.  V  116.  "  Thucyd.  VI  8,  10. 

»«  Andocid.  de  mjst.  §  38.  •"  Vgl.  Valesius  ad  Harpocrt  v.  n7zoq>oQn. 


und  die  Hermokopiden  7 

des  10.  April,  10.  Mai  und  8.  Juni  entscheiden  könnte.  Der  einzige 
Anknüpfungspunkt,  den  ich  finde,  ist  die  Aussage  des  Diokleides,  daß 
er  wenige  Tage  nach  der  Nacht  zu  einem  jener  Männer,  die  er  im 
Mondlicht  erkannt  habe,  gegangen  und  mit  ihm  übereingekommen  sei 
[169]  er  wolle  schweigen,  wenn  ihm  im  Laufe  des  Monats  {rov  daiövra 
fif/va)  zwei  Talente  ausgezahlt  würden;  dies  sei  nicht  geschehen  und 
darum  denunciere  er^*.  Dies  sagte  er,  wie  sich  unten  ergeben  wird, 
im  Laufe  des  Hekatombäon;  das  Nächstliegende  wäre  also  zu  vermuten 
Diokleides  zeigte  in  diesem  Monate  an,  da  er  den  vorhergehenden 
gewartet  hatte,  ohne  befriedigt  zu  werden;  dies  würde  den  nächtlichen 
Frevel  auf  den  9.  Juni  verweisen.  Das,  ich  leugne  es  nicht,  erscheint 
mir  vollkommen  unglaublich  und  mit  dem  Gange  des  gerichtlichen 
Verfahrens,  wie  es  sich  weiterhin  ergeben  wird,  unvereinbar.  Eben  so 
läßt  der  Ausdruck  Diodors  i'jdrj  rov  gtöXov  nccgetrxBvaafjiivov^^  nicht  die 
Annahme  zu,  daß  der  Frevel  bereits  in  der  Nacht  des  10.  April,  unter 
welchem  Datum  erst  das  Geld  für  die  Flotte  gen  Sicilien  angewiesen 
worden,  begangen  worden.  So  bin  ich  überzeugt,  daß  Dodwell  richtig 
die  Nacht  vom  10.  zum  11.  Mai  als  die  des  Hermenfrevels  bezeichnet 
hat,  obschon  ich  keine  überzeugenden  Gründe  anzuführen  vermag. 

Sobald  die  That  ruchbar  geworden  war,  folgten  Ratssitzungen, 
Volksversammlungen^®,  Aufruf  zur  Denunciation  auch  von  anderweitigem 
Religionsfrevel.  Man  fand  keine  Spur  der  Thäter.  Schon  waren  die 
Bundestruppen  in  Athen  ^^,  schon  lag  eins  der  Admiralschiflfe  vor  dem 
Hafen.  Da  endlich  brachte  Pythonikos  gegen  Alcibiades  das  Zeugnis 
eines  Sklaven  Andromachos  wegen  Mysterien  Verletzung  bei;  drauf 
erfolgten  zwei  Anzeigen  des  Metöken  Teukros  wegen  anderweitiger 
Mysterienverletzung  und  wegen  der  Hermen;  dann  die  Anzeigen  der 
Agariste  und  des  Sklaven  Lydos,  beide  wegen  Mysterienverletzung. 
Das  [170]  Fest  der  Panathenäen  Ol.  91  2,  also  der  kleinen,  die  auf 
den  22.  Juli  415  fielen,  wurde  zur  Vertheüung  der  Preise  bestimmt; 
ein  Geschworenengericht  von  Eingeweihten  erkannte  im  Gerichtshofe 
der  Thesmotheten  für  Andromachos  und  Teukros  die  Preise^®.  Leider 
finden  wir  von  der  Nacht  des  Hermenfrevels  bis  zu  diesen  Panathenäen, 
also  während  ganzer  drittehalb  Monate,  kein  bestimmtes  Datum;  nur 
annäherungsweise  läßt  sich  die  Abfahrt  der  Flotte  bestimmen.  Thucy- 
dides  sagt,  sie  sei  &kQovg  fjeaovvrog  i'iS't]  erfolgt^®.     Von  der  Jahres- 


■*  Andocid.  §42. 

'*  Diodor  XIH  2;  Cornel.  VlI  3  sagt:  cum  bellum  adpararetur,  priusqicam 
classts  exiret 

^  Plut.  Alcib.  18.  "  Thucyd.  VI  27,  29. 

^  Andocid.  §  11—28.  "  Thucyd.  VI  30. 


8  Des  Arietophanes  Vögel 

hälfte,  die  er  unter  dem  Namen  des  Sommers  begreift,  machen  der 
Skirophorion  und  Hekatombäon  ungefähr  die  Mitte  aus;  meint  er  nun 
den  Skirophorion  des  Arimnestos  (9.  Juni  bis  8.  Juli)  oder  den  Heka- 
tombäon des  Chabrias  (9.  Juli  bis  7.  August)?  Dodwell*^  hat  mit  sicherem 
Takt  wegen  des  yjSfj  des  Thucydides  den  Skirophorion  vorgezogen,  und 
dies  wird  durch  ein  Zeugnis  bestätigt,  das  er  übersehen  hat;  Isäus 
nämlich*^  datiert  ausdrücklich  „52  Jahre  seit  der  Abfahrt  der  Flotte 
nach  Sicilien,  seit  dem  Archen  Arimnestos".  Niemand  wird  dagegen 
das  Zeugnis  Diodors  geltend  machen*^,  der  ja  bekanntlich  die  attischen 
Archonten,  um  sie  mit  den  römischen  Consuln  zusammenzustellen,  meh- 
rere Monate  zu  früh  datiert,  und  somit  alles  bisher  Erzählte  schon  dem 
Jahre  des  Chabrias  zuschreibt. 

Ist  nun  die  Flotte  im  Skirophorion,  also  zwischen  dem  9.  Juni 
und  8.  Juli  415  abgesegelt,  so  fragt  es  sich  weiter,  ist  von  den  genannten 
Denunciationen  des  Andromachos,  des  Teukros,  der  Agariste  und 
des  Lydos  die  eine  oder  andere  später  als  die  Abfahrt  der  Flotte?    Dies 
hat  Hr.  Wachsmuth  dahin  beantwortet,  daß  gleich  nach  der  ersten  An- 
zeige [171]  die  Sache  abgebrochen  und  die  Flotte  abgesegelt,  hinterdrein 
erst  die  Angabe  des  Teukros,  der  Agariste  und  des  Lydos  erfolgt  sqL 
Hr.  Wachsmuth  hat  seine  Ansicht  nicht  weiter  begründet;  er  hätte  sich 
auf  das  ausdrückliche  Zeugnis  Plutarchs"  berufen  können;  doch    ist 
in  solchen  Dingen  niemand  unzuverlässiger  als  der  berühmte  Biograph, 
der  historische  Notizen  lieber  nach  seinem  Belieben  arrangiert  als  er- 
örtert  oder  zu  verstehen  sich  bemüht.    Es  lässt  sich  das  Entgegen- 
gesetzte  ziemlich   sicher   erweisen.     Denn   nach   der  zuletzt   erfolgten 
Anzeige,  der  des  Lydos,  war  unier  andern  Leogoras  von  dem  Basileus 
Speusippos  vor  Gericht  gebracht  worden;  diesen  belangte  Leogoras  darauf 
wep:en  Paranomia  und  trug  über  ihn  den  Sieg  davon  **.  Leogoras  also  war 
in  einer  Sache  äfreßetag  vor  Gericht  gefordert;  durch  Bürgschaft  hatte 
er  sich  der  persönlichen  Haft  entzogen  und  schwankte  lange,  ob  er  sich 
nicht   vor  einer   möglichen   Gefahr   durch  die  Flucht  retten   sollte*^; 
nachdem  er  die  übliche  imojfAotf/a  geleistet  hatte,  konnte  er  daran  gehen, 
seinen  Prozeß  na()av6fi(ov  gegen  den  Basileus  zu  verfolgen.    Wie  aber 
steht  es  mit  Klagen  gegen  Beamtete?    Sie  können  eingebracht  werden 
entweder  nach  beendetem  Amtsjahre  in  der  Zeit  der  Verantwortnng, 
der  Euthynen,  oder  während  der  Amtszeit,  wo  dann  der  Kläger  in  der 
Epicheirotonie,  die  in  jeder  Kyria,  der  ersten  regelmäßigen  Ekklesie 


*^  Dodwell  p.  186.  **  Isaeus  de  Philoctem.  her.  14. 

«  Diodor.  XIII  2  ff.  "  Plutarch.  Alcib.  20. 

**  Andocid.  de  myst.  §  ^^'  **  Andocid.  §21. 


and  die  Hermokopiden  9 

jeder  Prytanie  gehalten  wird,  vom  Volke  die  Erlaubnis  erhält  den  Be- 
amteten gerichtlich  zu  verfolgen  *®.  Wir  wollen  zunächst  diesen  zweiten 
Fall  betrachten;  so  mußte  Leogoras  in  der  nächsten  Kyria  die  Probole 
des  Volks,  den  Basileus  wegen  Paranomie  belangen  zu  dürfen,  veran- 
lassen. Die  Kyria  welcher  Prytanie  könnte  dies  nun  gewesen  sein? 
und,  um  noch  weitläufiger  zu  fragen,  [172]  gehört  sie  in  die  Prytanien 
des  Jahres  Ol.  91  1  oder  Ol.  91  2,  war  Speusippos  College^  des  Arim- 
nestos  oder  Chabrias?  Im  Jahre  des  Ghabrias  während  des  August 
war,  wie  sich  unten  zeigen  wird,  Leogoras  zum  zweiten  Male  denunciert 
und  in  Haft;  wäre  nun  Speusippos  unter  den  CoUegen  des  Chabrias 
gewesen,  so  hätte  sein  Verfahren  gegen  Leogoras  während  der  ersten 
Prytanie  stattfinden  und  dem  Geschädigten  in  der  Kyria  der  zweiten 
Prytanie,  welche  in  die  zwanziger  Tage  des  August  gefallen  sein  wird*^, 
die  Probole  zur  Klage  gegeben  sein  müssen;  weitere  Zeit  hätte  die 
Instruktion  dieses  Prozesses  nccQavöfxmf,  das  Foltern  der  Sklaven  u.  s.  w. 
gekostet  — ;  Leogoras  aber  war  bereits  wieder  in  Haft.  Somit  ergiebt 
sich,  daß  Speusippos  Basileus  neben  Arimnestos  war,  daß  also  die  An- 
zeige des  Lydos  nicht  wie  die  des  Diokleides  oder  Andocides  in  das 
Jahr  des  Chabrias  gehört.  Hat  nun  Leogoras  die  Befugnis  zur  Klage 
7tccQav6yL(Dv  gegen  den  Basileus  in  einer  Epicheirotonie  erlangt,  so  kann 
dies  spätestens  in  der  Kyria  der  letzten  Prytanie,  in  der  ersten  Hälfte 
des  Juni  geschehen  sein,  wodurch  sich  ergiebt,  daß  die  Anzeige  des 
Lydos,  aus  welcher  der  Anlaß  zur  Paranomie  des  Speusippos  her- 
vorging, vor  dieser  Zeit,  vor  dem  Skirophorion,  vor  der  Abfahrt  der 
Flotte  anzusetzen  ist  So,  wenn  Leogoras  den  Basileus  während  seines 
Amtsjahres  belangt  hat;  möglich  aber  wäre  auch  der  Fall,  daß  er 
ihn  in  den  gewöhnlichen  Euthynen,  nach  Verlauf  der  Amtszeit,  also 
nach  dem  9.  Juli  TiaQccvöfKov  verfolgte.  Dann  mußte  ihn  Speusippos 
spätestens  im  Skirophorion  vor  Gericht  gebracht  haben  (denn  die 
Ansicht,  daß  in  diesem  Monat  Gerichtsferien  gewesen*®,  ist  gewiß 
falsch),"  und  die  Anzeige  des  [173]  Lydos,  die  bei  Andocides  als  die 
letzte  erscheint,  wäre  dann  mindestens  mit  der  Abfahrt  der  Flotte 
in  demselben  Monat.  Indes  sagt  Thucydides  ausdrücklich,  „daß  von 
einigen  Sklaven  und  Metöken  denunciert,  daß  sodann  Alcibiades  in 
diese  Sache  verwickelt  worden,  daß  endlich  nach  vorläufiger  Suspen- 


^®  Schoemann  de  comitiis  p.  229. 

*^  Mit  Recht  behauptet  Schömann  de  comitiis  p.  47,  daß  der  Tag  der  xvgia 
nicht  fixiert  gewesen  sein  könne ;  dennoch  scheint  man  bei  den  mancherlei  Hin- 
deutungen  alter  Philologen  annehmen  zu  dürfen,  daß  sie,  wenn  es  ging,  um  den 
10.  Tag  der  Prytanie  gehalten  zu  werden  pflegte. 

"  Hudtwalker  Diäteten  S.  30. 


10  Des  Aristophanes  Vögel 

dierung  seines  Prozesses  die  Flotte  abgesegelt  sei"*®.  Eben  so  äußert 
sich  Plutarch:  „es  seien  einige  Sklaven  und  Metöken  vorgebracht"*^; 
und  Isokrates  sagt,  „Alcibiades  sei  abgesegelt  d)g  ÄnrjXXayfAivog  ^St] 
Tijq  SiaßoXfjg^^^K  Daß  die  vier  fraglichen  Deminciationen  ziemlich  bald 
nacheinander  und  jedenfalls  noch  vor  Abfahrt  der  Flotte  erfolgten,  wird 
sich  weiter  unten  noch  deutlicher  ergeben;  das  Nacheinander,  wie  sie 
bei  Andocides  erscheinen,  hat  Hrn.  Wachsmuth  zu  einem  Fehler  verleitet, 
der  von  Einfluß  auf  seine  Darstellung  des  ganzen  Verfahrens  gewesen 
ist;  weder  er  noch  Sluiter  haben  es  versucht,  die  scheinbar  wider- 
sprechenden Angaben  des  Andocides  auf  der  einen,  des  Thucydides  und 
Plutarch  auf  der  andern  Seite,  in  Beziehung  auf  den  Verlauf  der 
ersten  Prozeßreihe,  zu  vereinbaren. 

Bald  nach  dieser  begann  der  zweite  Akt  des  wohlangelegten 
Intriguenstückes,  durch  welches  den  Alcibiades  seine  Feinde  zu  stürzen 
hofften.  Trotz  des  Versprechens  die  Sache  bis  zur  Beendigung  de« 
Feldzugs  ruhen  zu  lassen,  forderten  zwei  der  Inquisitoren  weitere  Unter- 
suchung; Diokleides  trat  mit  seiner  großen  Denunciation  auf.  Es  er- 
folgten mehrere  Verhaftungen,  ein  paar  denuncierte  Katsherren  entflohen 
zu  den  Spartanern,  die  eben  auf  den  Isthmus  gekommen  waren;  die 
übrigen  Denuncierten  wurden  in  Fesseln  gelegt;  die  Stadt  war  in  der 
höchsten  Aufregung,  die  Böotier  bezogen  an  der  Grenze  ein  Lager,  die 
Bürger  Athens  blieben  die  Nacht  hindurch  unter  den  Waffen**.  Täg- 
lich [174]  stieg  die  Erbitterung,  so  daß  noch  mehrere  ergriff'en  wurden ^^; 
da  machte  einer  von  den  Eingekerkerten,  den  man  für  den  schuldigsten 
hielt,  Andocides,  des  Leogoras  Sohn,  eine  Anzeige,  die  für  wahr  ge- 
halten wurde;  in  dem  Heranrücken  der  Spartaner  und  gewissen  anti- 
demokratischen Bewegungen  zu  Argos  glaubte  man  Alcibiades  Machi- 
nationen zu  erkennen  ^*,  und  Thessalos,  des  Gimon  Sohn,  machte  gegen 
ihn  eine  Eisangelie,  infolge  deren  die  salaminische  Triere  ausgesandt 
wurde  ihn  und  die  übrigen  Schuldigen,  die  sich  beim  Heere  befanden, 
aufzuheben;  er  aber  flüchtete  zum  Peloponnes^^ 

Wie  nun  verhalten  sich  diese  verschiedenen  Dinge  chronologisch 
zu  einander?  Die  militärischen  Bewegungen  zwischen  Alcibiades  Ab- 
reise von  Katana  und  dem  Wintersanfang,  wie  sie  Thucydides  erzählt ^^, 
enthalten  nach  einer  oberflächlichen  Berechnung  gegen  150  Seemeilen, 

"  Thucyd.  VI  28,  29.  *«  Plutarch.  Alcib.  19. 

**  Isocrates  de  bigis  7. 

"  Andocides  §§40     46  Thucyd.  VI  61. 

*8  Thucyd.  VI  60.  ''*  Thucyd.  VI  61. 

"  Thucyd.  1.  c.     Plutarch.  Alcib.  22.     Diodor.  XIII  5. 

»•  Thucyd.  VI  62. 


and  die  Hermokopiden  11 

zu  denen  mindestens  20  Tage  erforderlich  waren,  überdies  Landmärsche 
im  Betrag  von  etwa  30  Meilen,  zu  denen  auch  wohl  10  Tage  gebraucht 
wurden;  anderen  wahrscheinlichen  Aufenthalt  mit  eingerechnet  dürften 
also  zwischen  Alcibiades  Abfahrt  und  dem  Wintersanfang  (Ende  Sep- 
tember) wohl  40  Tage  verflossen  sein.  Die  Salaminia  wird  also  Mitte 
August  auf  der  Höhe  von  Eatana  erschienen  und,  wenn  sie  sehr  schnell 
gesegelt  war,  spätestens  im  Anfang  desselben  Monates  in  See  gegangen 
sein.  Ein  Spartanerheer  war  um  die  Zeit,  da  Diokleides  denuncierte, 
aaf  den  Isthmus  gerückt;  nun  ist  bekannt,  daß  die  Spartaner  im  Monat 
Kameios  nicht  vor  Vollmond  ins  Feld  zogen '^^e  Die  Karneen  aber 
werden  nicht  lange  nach  den  Olympien  und  in  dem  Monat  nach  den 
Hyakinthien  [175]  gefeiert,  welche  nach  dem  längsten  Tage  (21.  Juni) 
fallen^®;  so  daß  also  die  Spartaner  nicht  vor  dem  zweiten  Vollmond 
nach  dem  Sommersolstitium  ausziehen  durften.  Täuscht  mich  meine 
Rechnung  nicht,  so  traf  dieser  zweite  Vollmond  im  Jahre  415  auf  den 
24.  Juli,  und  die  Spartaner  konnten  nicht  füglich  vor  dem  28.  Juli  auf 
dem  Isthmus  sein.  So  drängen  sich  die  oben  angeführten  Thatsachen 
des  erneuten  Prozesses  nach  dem  Fest  der  kleinen  Panathenäen  auf 
die  zweite  Hälfte  des  Hekatombäon  des  Archonten  Chabrias  zusammen. 

Alcibiades  war  von  Thurii  aus  gen  Kyllene  im  elischen  Lande 
geflüchtet,  hatte  mit  den  Spartanern  Unterhandlungen  angeknüpft,  und 
begab  sich,  als  von  Athen  aus  sein  Todesurteil  proklamiert  worden 
war,  im  Laufe  des  Winters  nach  Sparta^®.  Den  Spartanern  riet  er 
jene  zwei  Expeditionen,  welche  Athens  Macht  brechen  mußten,  die 
Hilfesendung  nach  Syrakus  und  die  Occupation  von  Dekeleia.  Schon 
mit  dem  Ende  des  Mai  414  ging  Gylippos  gen  Sicilien  unter  SegeP^, 
und  wenngleich  man  erst  nach  einem  Jahre  (April  413)  bis  zur  Er- 
oberung der  attischen  Grenzfestung  gelangte  ®\  so  wurden  doch  schon 
mit  dem  Frühling  414  die  Einfälle  in  das  argivische  Gebiet  begonnen, 
durch  welche  man  die  Athener  zu  offenbarem  Friedensbruch  zu  reizen 
hoffte®^.  In  den  Lenäen,  während  des  Januar  414,  führte  Aristophanes 
seinen  Amphiaraos,  in  den  großen  Dionysien,  um  den  9.  März,  seine 
Vögel  auf. 

Um  die  Übersicht  zu  erleichtern,  lasse  ich  hier  eine  chronologische 
Tabelle  folgen,  welche  die  verschiedenen  Zeitabteilungen  und  die  er- 
mittelten Daten  während  der  Jahre  des  Arimnestos  und  Chabrias 
enthält. 


"  Boeckh  Index  lect.  aest.  Berol.  1816  =  Kleine  Schriften  IV  S.  85. 
»«  Herodot.  VIII  72.     0.  Müller  Dorier  I  355. 
»»  Thucyd.  VI  93.  «<>  Thucyd.  VI  94,  104. 

"  Thucyd.  VII  19.  «»  Thucyd.  VI  95. 


12 


Des  Aristophanee  Vögel 


Olympiade 

und 
att.  Archont 

Ol.  91  1. 
Arimnestus 


415 
Sommers  A. 


Ol.  91  2. 
Chabrias 


Winters  A. 


Anfllnge  der 
attischen  Monate 


Anfänge  der 
Prytanien 


1 .  Hecat. 
1.  Metg. 
1.  Boedr. 
l.Pyan. 

1.  Maim. 
1.  Posid. 
1.  Gam. 
l.Anth. 
1.  Klaph. 


20.  Juli 
18.  Aug. 
17.  Sept. 
16.  Okt. 


I. 

II. 

III. 

IV. 


20.  Juli 
24.  Aug. 
28.  Sept. 
2.  Nov. 


V.  =    7.  Dez. 


15.  Nov. 
14.  Dez. 
13.  Jan. 
11. Febr.    VII. 
13.  März 

VIII.  =  23.  Mäi-z 


VI.  =  11.  Jan. 
15.  Febr.;] 


Zahlung  für  Panathenäen. 
Zahlung  axqajtfaxatg  gegen 
Melos. 


l.Muny.    =  11.  April 


1 .  Tharg. 
l.Sciropb. 
1.  Hecat. 


11.  Mai 
9.  Juni 
9.  Juli 


IX.  =  28.  April 


X. 

I. 


3.  Juni 
9.  Juli 


1.  Metag.  =    8.  Aug. 


1.  Boedr. 
1.  Pyan. 
1.  Maim. 
1.  Posid. 
1.  Gam. 
1.  Anth. 

1.  Elapb. 
1.  Muny. 


6.  Sept. 
6.  Okt. 
4.  Nov. 
4.  Dez. 
2.  Jan. 


II.  =  13.  Aug. 
III.  =  17.  Sept. 


[Eupolis  BnnxoLi. 

Erste  Ekklesie  19.  März. 
Zweite  Ekklesie.    Adonien 
24.  März. 

Zahlung  für  die  Expedition, 

1.,  4.,  11.  April. 
Hermenfrevel  11.  Mai. 
Denunciation,   Pythonikos. 
Abfahrt  der  Flotte. 
Kl.  Panathenäen   22.  Juli. 
Vollmond    24.  Juli.      Dio- 

kleides. 
Thessalos.    Salaminia. 
Alcibiades    Flucht.      Mitte 

August 


IV.  =  22.  Okt. 
V. 
VI. 


26.  Nov. 
31.  Dez. 
=    l.Febr.  VII.  =    4.  Febr. 


1.  März 
31.  März 


Alcibiades  in  Sparta. 


Aristophanes    Amphiaraos. 
Januar. 

VIII.  =  11.  März     Aristoph.  Vögel.     9.  März. 
IX.  =  16.  April    Gylippos      nach     Sicilien. 

Ende  Mai. 


1.  Tharg.  =  29.April! 


B.  Der  Hermenfreyel. 

Nach  der  Feststellung  der  chronologischen  Verhältnisse  habe  ich 
nun  zunächst  den  Thatbestand  des  begangenen  Frevels  und  das  zur 
Ermittelung  desselben  eingeleitete  Verfahren  zu  untersuchen. 

Unter  den  unzähligen  Hermenbildern,  die  sich  in  und  um  Athen 
befanden,  waren  die  berühmtesten  und  in  die  Augen  fallendsten  die 


und  die  Ilermokopiden  13 

auf  der  Agora\  welche  bei  der  Poikile.  und  der  Königsstoa  begannen 
und  sich  vor  einer  Reihe  öffentlicher  und  Privathäuser  in  der  Richtung 
welche  die  panathenäische  Prozession  zu  nehmen  pflegte,  dahinzogen. 
Diese  Hermen  waren  es,  die  man  am  Morgen  des  11.  Mai,  wie  oben 
wahrscheinlich  gemacht  ist,  mutwillig  verletzt  fand;  es  waren  ihre  Ge- 
sichter verstümmelt*,  die  Köpfe  von  den  Stelen  heruntergestürzt^,  ihnen 
der  Phallus  ausgebrochen  1  Es  mußte  auffallend  sein,  daß  unter  den 
vielen  Hermen  der  Agora  gerade  die  durch  ihre  Größe  und  Schönheit 
am  meisten  auffallende  vor  dem  Heroon  des  Phorbas^  allein  unversehrt 
stand;  dicht  daneben  lag  das  Haus  des  Leogoras,  Vaters  des  Andocides, 
aus  dem  Geschlecht  der  Keryken;  er  wohnte  dort  mit  seinem  unver- 
heirateten. Sohne  Andocides,  [178]  welcher  in  jener  Zeit  bedeutenden 
Anteil  an  den  öffentlichen  Geschäften  hatte.  Es  war  in  Athen  üblich 
jene  Herme,  obschon  sie  von  der  ägeischen  Phyle  geweiht  war,  tov 
'Egiifiv  xbv  !AvSoxi8ov  zu  nennen®. 

Es  waren  auch  sonst  schon  Verstümmelungen  öffentlicher  und 
heiliger  Bildwerke  vorgekommen^;  man  wußte,  daß  junge  Leute,  wenn 
sie  nacht«  von  Gelagen  kommend  in  trunkenen  Schwärmen  durch  die 
Straßen  zogen,  gern  dergleichen  Mutwillen  ausübten®.  Diesmal  konnte 
die  Menge  der  zerstörten  Stelen  auffallen;  es  mußte  sich  eine  große 
Zahl  frecher  Hände  vereinigt  haben,  um  so  vielen  Frevel  in  einer  Nacht 
zu  Ende  zu  bringen;  diese  thätliche  Beleidigung  der  öffentlichen  Re- 
ligiosität durfte  um  so  gefahrlicher  erscheinen,  da  eine  weit  verzweigte 
Verabredung,  wie  sie  hierzu  nötig  gewesen  war,  noch  Ärgeres  fürchten 
ließ.  Zwar  meinten  einige,  die  ganze  Sache  habe  nichts  zu  bedeuten, 
es  sei  eben  nichts  anderes,  als  was  sonst  schon  ohne  weitere  Folge  und 


^  Nach  dem  Zeugnis  des  gleichzeitigen  Historikers  Kratippos  bei  Plutarch. 
X  Grat.  p.  834.  Die  Lokalitäten  anlangend,  nach  den  Mitteilungen,  die  Ilr. 
Schaubert  aus  Athen  bei  seiner  vorjährigen  Anwesenheit  in  Berlin  machte,  und 
von  denen  einzelnes  im  „Berliner  Museum  1833"  Nro.  32—35  bekannt  gemacht 
ist,  scheint  es,  daß  die  Agora  mit  den  Statuen  der  £ponymen  durchaus  im  Norden 
des  Areopags  zu  fixieren  ist;  die  Hermen  müssen  vom  Nordabhange  des  Berges 
nordwestwärts  den  Markt  hinab,  nach  der  Straße  zum  Dipylon  hin  gestanden 
haben.  Im  einzelnen  kann  ich  auf  die  Citate  bei  Leake  in  mehreren  Stellen 
seiner  trefflichen  Topographie  und  auf  die  Nomcnclatur  bei  Sluiter  p.  22  sqq. 
verweisen. 

*  Thucyd.  VI  27  Plut.  Alcib.  18. 

»  Plut.  X  Orat.  1.  c.  Comel.  VII  3. 

*  Photius  V.  *JEQ[ioxonldat,  Aristoph.  Lysistr.  1094. 

*  Plutarch.  Alcib.  21  Harpocrat.  v.  (poQßdviewv  Leake  Nachträge  S.  399. 

*  Aeschin.  inTimarch.  125.  Beck.  Harpocrat.  v.'^i'5ox^iJavl?s'(>,uvj;.  ilesychius. 
^  Thucyd.  VI  28  vgl.  Plutarch.  X  Orat.  p.  834  (Lysias  in  Andoc.  p.  210). 
»  Thucyd.  I.  c.  Plutarch.  Alcib.  18. 


14  Des  Aristophanes  Vögel 

Gefahr  geschehen  sei®.  Andere  gaben  zu,  daß  allerdings  das  Geschehene 
mehr  denn  ein  öffentliches  Ärgernis,  daß  es  ein  besorgliches  Zeichen 
für  die  beabsichtigte  Expedition  sei,  sie  vermuteten,  daß  die  Korinthier 
den  Frevel  angestiftet  hätten,  in  der  Hoffnung  durch  ein  so  böses  Vor- 
zeichen die  Gefahr  von  ihrer  Tochterstadt  Syrakus  abzuwenden  ^^.  Beide 
Ansichten  fanden  wenig  Eingängig,  vielmehr  lieh  man  dem  Vorfall 
eine  höhere  Bedeutung,  man  glaubte  nicht  anders,  als  daß  es  eine 
Verschwörung  zum  Sturz  der  Demokratie  sei^^. 

[179]  Gleich  am  Morgen  nach  geschehenem  Frevel  wurde  eine  Bats- 
versammlung  gehalten,  das  Volk  zu  einer  außerordentlichen  Ekklesie 
berufen,  auf  den  Antrag  des  Peisandros'  für  die  erste  Anzeige  eine 
Prämie  von  10000  Drachmen  ausgesetzt,  dem  Senat  Vollmacht  ge- 
geben, eine  Anzahl  Inquisitoren,  unter  ihnen  Diognetos,  Peisandros  und 
Charikles  ernannt^'.  Es  folgte  keine  Anzeige,  keine  Entdeckung;  Volks- 
versammlungen folgten  schnell  aufeinander^*,  schon  begannen  auf  der 
Pnyx  die  Parteien  sich  gegenseitig  zu  verdächtigen;  es  wurde  decretiert, 
wer  irgend  sonst  einen  Religionsfrevel  in  Erfahrung  gebracht,  der  könne 
ihn  anzeigen  ^^;  auf  Kleonymos  Antrag  wurde  ein  neuer  Preis  von 
1000  Drachmen  für  die  zweite  Denunciation  ausgesetzt^*.  Alles  das 
blieb  für  den  Augenblick  erfolglos. 

Auf  den  ersten  Anblick  erscheinen  diese  Maßregeln  zweckmäßig, 
gesetzlich  und  unverfänglich.  Allerdings  lag  es  in  der  Befugnis  des 
Staates,  die  Religion  der  Väter  in  ihren  Gebräuchen  und  Mysterien 
zu  vertreten,  man  konnte  in  dem  Decret  des  Diopeithes,  das  zunächst 
gegen  Perikles  und  Anaxagoras^^  gerichtet  gewesen  war,  eine  Präcedenz 
für  den  allgemeinen  Aufruf  zur  Denunciation  gegen  Religionsfrevel  auf- 
stellen; man  mochte  hoflfen,  durch  Anzeige  von  anderweitigen  Gott- 
losigkeiten den  Hermokopiden  auf  die  Spur  zu  kommen  oder  diejenigen 
kennen  zu  lernen,  von  denen  man  sich  wohl  eines  Frevels  dieser  Art 
versehen  durfte.  Aber  gerade  hierin  lag  das  außerordentlich  Gefahrliehe 
dieser  Maßregel;  es  war  nun  aller  Verleumdung,  allem  Parteihaß  [180] 
und  Sykophantismus  Thür  und  Thor  geöffnet.  Die  Zahl  der  Anklag- 
baren mußte  um  so  größer  sein,  je  mehr  die  Irreligiosität  damals  zum 
guten  Ton  gehörte  und  je  weniger  bisher  noch  geschehen  war,  ihrem 


^  Thucyd.  1.  c.     Plutarch.  1.  c.  ^°  Photius  v.  'U^fioxoniöat. 

"  Plutarch.  Alcib.  18.  »«  Thucyd.  VI  27.     Cornel.  VII  3. 

"  Andocid.  de  myst  §§  93.  96.  15.  Schömann  de  comitiis  p.  221  meint,  erst 
nach  erfolgter  Anzeige  des  Pythonikos  sei  dem  Senat  Vollmacht  erteilt  und  zur 
Ernennung  der  Inquisitoren  geschritten  worden;  dies  ist  irrig  nach  Andocid.  §  30. 

>*  Plutarch.  Alcib.  18.  »  Thucyd.  VI  27. 

>ö  Andocid.  §  27.  "  Plutarch.  Pericles  32. 


und  die  Hermokopiden  15 

Umsichgreifen  entgegenzuwirken.  Seit  zwei  Jahrzehnten  und  länger 
arbeitete  in  Athen  jene  Aufklärung,  die  in  der  Sophistik,  in  der  un- 
umschränkten Demokratie  und  ihrem  politischen  Übergewicht  unter 
den  hellenischen  Staaten  Nahrung  und  Vorschub  fand;  die  überlieferte 
Religion  verlor  an  Glauben,  Wert  und  Würde,  im  besten  Falle  war 
man  gleichgültig  gegen  die  Götter  und  ihren  Dienst.  Bei  vielen, 
namentlich  jüngeren,  vornehmeren,  gebildeteren  Athenäem  ging  die 
Frivolität  bis  zum  offenbaren  Spott  der  sanctionierten  Culte,  von  denen 
bald  nichts  als  die  Gewohnheit  üppiger  und  prunkender  Feste  Wert 
zu  behalten  schien;  und  während  man  sich  ganz  dem  selbstischen 
Genüsse  des  Momentes  hingab,  schien  Verhöhnung  und  Nachäfierei 
des  Heiligsten  der  schoji  übersättigten  Lust  neuen  Reiz  zu  gewähren. 
So  die  Schattenseite  dieser  sonst  so  großartigen,  in  jeder  wissenschaft- 
lichen und  künstlerischen  Beziehung  fruchtbaren  Zeit  der  beginnenden 
Aufklärung;  das  Gift  der  neuen  Zeit  hatte  mehr  oder  minder  die 
gesellschaftlichen  Zustände  ergriffen  und  sich  im  einzelnen  zu  un- 
zähligen Formen  von  Entsittlichung,  Ei*schlaflfung  und  Sünde  modi- 
ficiert;  es  hatte  ungehindert  weiter  fressen  können  und  selbst  da,  wo 
entschiedene  Opposition  gegen  das  Neue  war,  zeigte  es  die  Gewalt 
seines  Einflusses,  indem  es  zu  den  Extremen  des  Gegensatzes  trieb 
oder  dieselben  hervorrief.  Oder  war  in  der  preislichen  Frömmelei  des 
Diopeithes^®,  in  der  pfaffisch  [181]  hochmütigen  Zudringlichkeit  des 
Hierokles^®,  in  der  Deisidämonie  des  Nicias,  in  dem  Aberglauben,  der 
Zaubersucht,  dem  Fremdgötterwesen,  wie  es  in  der  Menge  mit  jedem 
Tage  mehr  um  sich  griff,  das  Absterben  der  alten,  ehrenwerten 
Frömmigkeit  etwa  minder  traurig  und  fühlbar,  wie  in  jener  sophistisch 
modernen  Aufklärung,  zu  der  sich  der  gebildetere,  geistig  regsamere, 
in  der  Bewegung  der  Zeit  lebende  Teil  der  athenäischen  Bevölkerung 
offen  erklärte,  und  die  nur  des  jugendlichen  oder  adlichen  tTbermutes 
bedurfte,  um  bis  zu  jeder  Art  von  Gottesleugnung  und  Gottesläster- 
lichkeit fortzugehen?    Dinge  der  Art  müssen  in  Menge  vorgekommen 


^^  So  charakterisiert  diesen  priesterlichen  Mann  die  Komödie;  er  ist  kini()o^ 
des  Nicias  (Schol.  Equit.  1085,  wo  seine  zur  Dorodokie  geöffnete  Hand  veran- 
schaulicht wird);  er  ist  Fanatiker  für  die  alte  gute  Weise  und  alles  zu  thun 
tollkühn  bereit  (daher  Aristoph.  Vesp.  380  tfiTilrjiru^dvoi  Ai(mBi&ov<;)\  er  gehört 
zu  einem  bigott  auszufahrenden  Opfer  unweigerlich  und  bei  Phrynichos  im 
Kronos  (Schol.  Arist.  Aves  988)  sagt  einer:  „Alles  ist  zum  Opfer  fertig,  willst  du, 
so  hole  ich  den  Diopeithes  und  die  Tympanen'^  Auch  bei  den  Prophezeiungen 
ist  Jwnel&yjg  6  finivouevog  eine  Hauptperson  (Ameipsias  im  Konnos  heim  Schol. 
1.  c).  In  den  Vögeln  1.  c.  heißt  es :  jeder  Orakelmann  verdiene  Schläge,  und  wÄr' 
es  Lampon  selbst  oder  6  ^i^ng  Jionei&ijg. 

"  Vgl.  Aristoph.  Pac.  v.  1046  sriq.     Eupolis  JIöXhs  fr.  16. 


16  Des  Aristophanes  Vogel 

sein;  und  die  Komödie,  dies  überwilde  Zerrbild  jeder  vorhandenen 
Schwäche  oder  Entartung,  stellte  diesen  gottlosen  Sinn  der  Zeit  mit  nur 
noch  gefahrlicherer  Gottlosigkeit  an  den  Pranger.  So  hatte  Eupolis 
kurze  Zeit  vor  dem  Hermenfrevel  seine  Komödie  „die  Bapten''  auf- 
geführt^^ und  in  derselben  den  Geheimdienst  einer  liederlichen  Göttin 
aus  der  Fremde,  wie  er  von  Alcibiades  und  dessen  Genossen  gehalten 
zu  werden  pflege,  auf  das  Zügelloseste  dargestellt  Vergleicht  man 
überhaupt,  mit  wie  unbegrenzter  Frivolität  und  krasser  Verständigkeit 
die  Komödie  alles  Heilige  und  Göttliche  in  das  Niveau  alltägücher 
Gemeinheit  und  Armseligkeit  herabzieht,  so  wird  man  ein  Bild  von 
den  religiösen  Zuständen  des  athenäischen  Volkes  gewinnen,  dem  diese 
Art  von  Festspielen  die  liebsten  waren. 

Diesen  Zusammenhang  muß  man  festhalten,  um  einzusehen,  wie 
der  Aufruf  zu  Denunciationen  von  ßeligionsfrevel  [182]  wirken  konnte; 
in  der  That,  wäre  es  das  Interesse  gewesen  die  gefährdete  Religion  zu 
schützen,  es  wäre  zu  Verfolgung  und  Inquisition,  wie  sie  sich  in  ähn- 
lichen Zeiten  der  arbeitenden  Aufklärung  greuelvoll  genug  gezeigt  hat, 
aller  Anlaß  gewesen.  Es  charakterisiert  den  damaligen  Zustand  der 
Religiosität,  daß  sich  die  ganze  Gefahr  sofort  gegen  eine  bestimmte 
Partei,  ja  gegen  ein  Individuum  wendete,  und  daß  die  Maßregel,  die 
alle  religiösen  Interessen,  wenn  sie  mehr  als  Vorwand  gewesen  wären, 
hätte  in  Thätigkeit  setzen  müssen,  nichts  als  eine  politische  Bewegung, 
nichts  als  ein  Staatsstreich  wurde,  den  das  souveräne  Volk  gegen  sich 
selbst  ausführen  ließ. 

Nichts  Seltsameres,  als  dies  souveräne  Volk  von  Athen;  stets  eifer- 
süchtig auf  seine  Demokratie,  stets  in  fieberhafter  Angst  wenn  der 
demokratische  Feuerlärra,  daß  Oligarchie  oder  Tyrannis  drohe,  erhoben 
wurde,  überließ  es  sich  blindlings  der  launenhaften,  selbstsüchtigen 
und  oft  unvernünftigen  Führung  der  Demagogen;  und  während  nichts 
höher  galt  als  volle  Freiheit  und  Gleichheit,  übte  derselbe  Demos 
schadenfroh  den  ärgsten  und  despotischesten  Druck  gegen  Reiche  und 
Hochgebome;  rücksichtslos  wurden  Liturgien  und  Leistungen  aller 
Art  ihnen  aufgebürdet;  und  trotz  Reichtum  und  Adel  streng  und  oft 
ungerecht  zu  verdammen  war  dem  Heliasten  höchster  Genuß.  Die  Vor- 
nehmen griffen  zu  dem  Mittel,  welches  ihnen  am  nächsten  lag;  gesellige 
Verbindungen  {iraig/ai)  wurden  zu  politischen  Klubs  erweitert,  mit  den 
Bestimmungen,  daß  sich  die  Teilnehmer  gegenseitig  bei  Wahlen  und 


^  Banxai^  gleichsam  die  Getauften,  d  h.  die  Betrunkenen^  in  welchem  Sinne 
Plato  im  Gastmahl  (p.  176  B),  das  dieselbe  Zeit  fingiert,  den  Aristophanes  von 
einem  gestrigen  Trinkgelag  sagen  läßt:  xai  fo^q  ^y^  ^^f**-  "^^^ X^^^  ßsßantiefi^rfov. 


und  die  Hermokopidcn  17 

Prozessen  unterstützen  sollten  21.  Bald  bildeten  diese  Klubs  eben  so 
viele  Koterien  gegeneinander;  durch  Sykophantismus,  Porismus  und 
Demagogenkünste  suchten  sie  sich  einander  den  Bang  abzulaufen,  dann 
wieder  vereinigten  sich  die  [183]  eine  und  andere,  um  eine  dritte  zu 
stürzen,  oder  irgend  eine  Maßregel,  die  ihnen  nützte,  durchzusetzen. 
So  lag  in  den  Hetärien  damals  das  bewegende  Element  des  öffentlichen 
Lebens,  und  während  sich  die  schwachen  Reste  des  alten  ehrenwerten 
Aristokratismus,  zu  dem  sich  ein  Cimon  oder  Thucydides  bekannt  hatte, 
um  Nicias  sammelte,  stand  die  jüngere  Generation  attischen  Adels  in 
den  Hetärien  des  Alcibiades,  Phäax,  Euphiletus  und  mehrerer  anderer 
zusammen.  Das  entscheidendste  Übergewicht  hatte  Alcibiades;  vom 
höchsten  Adel  und  bedeutendem  Vermögen,  mit  allen  Vorzügen  der 
Natur  verschwenderisch  ausgestattet,  ganz  im  Sinne  der  Zeit  gebildet^ 
m  jeder  Beziehung  das  lebendige  Bild  des  damaligen  athenäischen 
Lebens,  stand  er  an  der  Spitze  der  Bewegungspartei  und  war  der 
eifrigste  und  radikalste  Depiiokrat,  den  Athen  noch  gehabt  hatte;  jede 
seiner  Maßregeln  hatte  die  Steigerung  der  Demokratie  im  Innern  und 
nach  außen  zum  Zweck  oder  zum  Erfolg;  er  erweckte  den  Krieg  gegen 
die  oligarchischen  Staaten  von  neuem,  er  bewog  das  Volk  zu  der  Ex- 
pedition, die  das  Ziel  der  Bewegungspartei  schon  seit  Perikles  Zeiten 
gewesen  war;  es  war,  als  wolle  er  dem  Demos  alle  Banden,  die  noch 
etwa  hemmten,  lösen,  um  inmitten  der  vollkommenen  Auflösung  und 
Bewegung  aller  Staatskräfte  sein  Talent  und  seine  Kraft  unentbehrlich 
zu  wissen.  Es  war  kein  Zweifel,  daß  er  zum  Herrschen  geboren  war, 
wiederholentlich  ward  er  vor  dem  Volke  des  Strebens  nach  der  Tyrannis 
verdächtigt;  und  der  Prunk  seines  Lebens,  sein  stolzes  Verachten  alles 
Herkömmlichen  und  Bestehenden,  sein  souveränes  Benehmen  gegen  den 
einzelnen  des  Volks,  sein  übermächtiger  Einfluß  bei  den  Bundesstaaten, 
seine  immer  kühneren  Entwürfe  und  Hoffnungen  konnten  mit  Recht  für 
die  Zukunft  besorgt  machen;  vielleicht  hätte  ihm  ein  glücklicher  Erfolg 
in  Sicilien  zu  der  letzten  Bedingung  der  Tyrannis,  zu  einer  militärischen 
Macht,  verhelfen.  Noch  aber  war  die  Zeit  nicht  gekommen,  und  seine 
[184]  Gegner  sorgten,  daß  sie  nie  kam.  Verzweifelnd  ihn  um  seine 
Macht  über  die  Menge,  die  er  mit  unwiderstehlicher  Gewalt  beherrschte, 
bringen  zu  können,  vermochten  sie  nichts  anders,  als  die  Menge  selbst  um 
ihre  Macht  zu  bringen  und  die  Gewalt  des  Staates  in  den  Bereich  einer 
auserlesenen,  unter  sich  einverstandenen,  gegen  den  Demos  souveränen 
Oligarchie  zu  vereinigen.     Man  darf  behaupten,  daß  die  ersten  oligar- 


'*  Thucyd.  VIH  54  atmofiotriai  tnl  öixai^  xnl  (igj^ccu.    Plato  Theaet.  p.  173 
anovdai  biaiQBiTov  in    (tQxäg  xai  avyoöoi,  xal  ösinvu  xai  uvv  avXtjTQun  xcjftoi. 
Droysen,  Kl.  Schriften  II.  2 


18  1^68  Aristophanes  Vogel 

chischen  Bestrebungen  von  der  Opposition  gegen  Alcibiades  her  datierten ; 
an  den  Volksmannem,  jenen  banausischen  und  bissigen  Vorschreiem 
des  Pöbels,  konnte  sie  hoffen,  kühne  Verbündete  zu  finden,  da  Alci- 
biades ihrem  marktschreierischen  Gewerbe  den  Markt  verdarb;  sie 
konnte  darauf  rechnen,  im  Volke  selbst,  da  Alcibiades  gegen  den 
einzelnen  nie  anders  als  rücksichtslos,  hochfahrend  und  selbst  herrisch 
war,  viele  Stimmen  gegen  ihn  aufzubringen,  und  tausend  Vorurteile, 
Verhältnisse  und  Privatinteressen  durch  ihn  beleidigt  zu  finden,  die, 
wenn  sein  persönliches  Ansehen  und  seine  Gewalt  über  das  Volk  durch 
irgend  eine  Zufälligkeit  für  den  Augenblick  wirkungslos  oder  anbrüchig 
war,  sich  gegen  ihn  anklagend  und  verdammend  erheben  würden.  Und 
daß  ihnen  wurde,  was  sie  wünschten,  ist  der  Todesstoß  für  die  attische 
Demokratie  geworden. 

Jenen  erwünschten  Anknüpfungspunkt  gab  den  Gegnern  des  Alci- 
biades der  Hermenfrevel;  sofort  war,  wie  es  Isokrates  ausdrücklich  be- 
zeugt, dieselbe  oligarchische  Partei,  welche  drei  Jahre  darauf  die  Ver- 
fassung umstieß,  gegen  Alcibiades  zu  machinieren  thätig««.  Leicht  genug 
mochte  es  sein,  dem  Volke  einzureden,  daß  solcher  Frevel  nur  Symptom 
tyrannischer  oder  oligarchischer  Bewegungen  sei,  denn  beide  BegrifiFe 
verwechselte  der  Demos  auf  das  Wunderlichste ;  und  wenn  irgend  eine 
Gefahr  der  natürlichen  Verfassung  drohe,  so  sei  ja  Alcibiades  derjenige, 
den  man  vor  allen  andern  fürchten  müsse;  es  sei  ganz  in  seinem  auch 
sonst  wüsten  und  zügellosen  Leben,  dergleichen  [185]  zu  begehen.  So 
wandte  sich  alsbald  die  öffentliche  Stimme  gegen  ihn,  und  schon  die 
Wahl  der  Inquisitoren,  soweit  wir  deren  politischen  Charakter  zu  er- 
kennen vermögen,  fiel  auf  solche,  die  wir  mit  Gewißheit  als  Oligarchen 
bezeichnen  können. 

So  zunächst  Charikles,  des  Apollodoros  Sohn 2^,  der  von  dieser 
Zeit  an  zu  den  populärsten  Männern  Athens  gehörte  und  als  solcher 
im  Jahre  413  eine  Expedition  zu  führen  erhielt  2*.  Über  sein  Verhalten 
zur  Zeit  der  Vierhundert  ist  nichts  überliefert;  desto  bezeichnender  ist 
es,  daß  er  sich  nach  der  Schlacht  im  Hellespont  unter  den  Dreißigen 
befindet*^  und  unter  diesen  mit  Kritias  Führer  der  äußersten  Oligarchie 


**  Isocrates  de  bigis  5. 

*^  Thucyd.  VII  20.  Dieser  Apollodor  ist  natürlich  weder  der  Phalereer, 
dessen  Plato  im  Gastmahl  und  sonst  öfter  erwähnt,  noch  einer  von  den  bei 
Isaeus  orat  VII  und  X  genannten;  auch  der  Vater  des  Hippokrates  und  Phasen 
(Plato  Protag.  p.  310,  316)  scheint  es  nicht  zu  sein. 

"  Thucyd.  VII  20,  26. 

*'^  Xenophon  Hell.  II  3,  2  Memor.  I  2,  31. 


und  die  Hermokopiden  19 

war*^  Ebenso  gehört  der  zweite  der  Inquisitoren  Peisandros^^  seiner 
politischen  Tendenz  nach  auf  das  Bestimmteste  zur  Oligarchie;  er  ist 
es  besonders,  auf  dessen  Betrieb  im  I'ruhjahr  Ol.  92  1  die  Demokratie 
aufgelöst  und  die  Verfassung  der  Vierhundert  eingeführt  wurde  ^®;  und 
als  sich  zwischen  den  Machthabern  selbst  verschiedene  Ansichten  geltend 
machten,  gehörte  er  mit  Phrynichos,  Antiphon  und  Aristarchos  der  am 
wenigsten  gemäßigten  Fraktion  an 2®.  Über  Diognetos  habe  ich 
nichts  Näheres  finden  können,  bemerke  jedoch,  daß  Hr.  Schiller  zu 
Sluiter  lectt.  Andocid.  p.  190  auf  Bremi  ad  Lysiae  oratt  p.  192  ver- 
weist; [186]  das  Buch  ist  mir  nicht  zur  Hand;  vielleicht  steht  dort 
mehr  über  Diognet,  als  in  dem  gleich  darauf  von  Hrn.  Schiller  ver- 
merkten Citat  zu  dem  Namen  Pythonikos  „v.  Boeckh  Corp.  Inscr.  T.  I 
p.  476",  wo  dieser  Name  Pythonikos  nur  beispielshalber  erwähnt  wird*). 
Über  Kleonymos,  der  den  Antrag  zur  zweiten  Prämie  machte,  etwas 
Bestimmtes  zu  sagen  ist  schwierig;  unzählige  Male  bei  Aristophanes 
als  Feigling,  Schildabwerfer,  Fresser,  Meineidiger,  Sykophant  genannt, 
erscheint  er  doch  nie  so,  daß  seine  Partei  genau  bezeichnet  wäre. 
Wenn  er  indes  bei  der  Aufführung  kurz  vor  dem  Frieden  des  Nikias 
(oder  besser  des  Lampon)  als  der  dem  Frieden  geneigteste  Athener 
genannt  wird'®,  so  kann  dies  nur  seiner  Feigheit  zu  Liebe  gesagt  sein 
und  wird  doppelt  bitter,  wenn  er  in  der  Pnyx  stets  die  entgegen- 
gesetzte Tendenz  geltend  machte;  daß  er  es  that,  dafür  spricht  sein 
mächtiger  Schild  und  Helmbusch  *^;  und  auch  in  den  Wespen  heißt 
es  von  ihm,  er  sage  stets  zum  Volk,  er  werde  es  nicht  verlassen,  er 
wolle  kämpfen '^  Der  gar  häufige  Spott  der  Komödie  gegen  ihn  zeigt, 
daß  er  ein  volksbeliebter  Mann  gewesen  sein  muß;  er  scheint  eine  von 
jenen  sonderbaren  republikanischen  Figuren  gewesen  zu  sein,  denen 
sich,  wären  sie  auch  ohne  anderes  Talent  als  das  des  Bramarbasierens 
und  der  Gemeinheit,  die  Menge  blindlings  anvertraut,  weil  sie  in  ihnen 
etwas  von  verwandter  Natur  fühlt,  während  sie  gegen  höhere  Fähigkeiten 
und  Tendenzen  stets  Scheu,  Argwohn  und  die  schadenfrohe  Erbitterung 
der  Niedrigkeit  bewahrt. 


*•  Aristot.  Polit.  V  p.  1305  b  26  ed.  Bekker  Andocid.  de  myst.  §  101  Lyeias 
in  Erat.  55  Isocrates  de  bigis  42. 

"  Dies  ist  6  aiQtßXog,  zum  Unterschiede  von  dem  dpoxivÖiog,  der  als  Eupolis 
den  Marikas  aufführte  Ol.  89  3  bereite  gestorben  war.  Schol.  ad  Aristoph.  Aves 
1554  vgl.  Meineke  Quaest.  Seen.  II  p.  21  vgl.  Aristot.  p.  1419  a  27. 

"  Thucyd.  VIII  64.  "  Thucyd.  VIII  90. 

*)  [Bremi  hftlt  ihn  für  den  Diognetos  Lys.  18  9,  der  wahrscheinlich  des 
Nikias  Bruder  ist] 

*»  Aristoph.  Pax  674.  "  Aristoph.  Vesp.  19  Aves  290. 

••  ovxl  nQodacstv  vfiag,  nsql  xov  nX^&ovg  de  fiaxiad^ai,  Vesp.  592. 

2* 


20  r)e8  Aristophanes  Vögel 

C.  Die  Prozesse  ror  Abfahrt  der  Flotte. 

Trotz  der  ziemlich  ausführlichen  Nachlichten,  die  über  [187]  diese 
Prozesse  auf  uns  gekommen  sind,  hat  ihre  Darstellung  große  Schwierig- 
keiten; denn  die  Hauptquellen  Thucjdides  und  Andocides  scheinen  sich 
oft  und  in  wesentlichen  Punkten  zu  widersprechen;  und  doch  muß  man 
behaupten,  daß  beide  die  besten  Gewährsmänner  sind,  die  man  sich 
wünschen  kann;  aus  dem  Geschichtswerke  des  Kratippus,  das  gleiche 
Autorität  haben  würde,  ist  kaum  eine  Notiz  auf  uns  gekommen.  Ein 
guter  Teil  jener  Widersprüche  fallt,  wenn  man  beachtet,  daß  Thucydides 
diese  Prozesse  überall  in  ihrer  Beziehung  auf  Alcibiades  darstellt,  wogegen 
Andocides  entschieden  die  in  der  Tendenz  seiner  Rede  liegenden  persön- 
lichen Rücksichten  vorwalten  läßt;  er  will  sich  von  aller  Schuld  frei 
darstellen,  den  wirklichen  Thatbestand  zu  ermitteln  oder  zu  referieren 
liegt  außer  dem  Zweck  seiner  Rede,  die  fünfzehn  Jahre  nach  abge- 
urteilter Sache  gehalten  worden.  Da  unter  den  Richtern  noch  viele 
jene  Verhältnisse  genau  kennen  mußten,  so  darf  man  der  Zuverlässig- 
keit dessen,  was  er  sagt,  nicht  weniger  als  der  des  Historikers  trauen; 
des  letzteren  Vorzug  besteht  darin,  daß  er  streng  und  scharf  die  Um- 
risse des  Hauptprozesses  zeichnet,  während  der  Redner  sich  oft  mit 
Andeutungen  begnügt,  sich  ungenaue  oder  leicht  zu  mißdeutende  Wen- 
dungen nachsieht,  endlich  auch  manches,  was  ihm  nicht  nützen  würde, 
in  falschem  Lichte  darstellt  oder  gar  verschweigt.  Zu  seinen  Angaben 
finden  wir  dann  einzelne  Nachträge  in  der  Rede  gegen  Andocides,  die 
dem  Lysias  zugeschrieben  wird,  aber  jüngeren  Ursprungs  ist,  in  des- 
selben Reden  gegen  Alcibiades  gleichnamigen  Sohn,  in  Isokrates  Rede 
für  denselben  „über  das  Zweigespann"  und  in  der  Plutarchischen  Bio- 
graphie des  Andocides.  Plutarch  im  Leben  des  Alcibiades,  Diodor  und 
Comel  haben  einzelne  gute  Notizen,  aber  sie  sind  ohne  gründliche 
Kenntnis  des  Sachverhältnisses  und  voll  störender  Fehler.  In  neuerer 
Zeit  hat  Sluiter  den  Gang  des  Prozesses  darzustellen  versucht,  aber 
verzweifelt  die  widersprechenden  Angaben  zu  vereinigen;  seine  sonst 
fleißig  geschriebenen  [187]  lectiones  Andocideae  p.  32 — 42  haben  in 
dieser  Partie  kaum  den  Wert  einer  gründlichen  Vorarbeit.  Der  sum- 
marischen Übersicht,  welche  Hr.  Schömann  in  seinem  trefflichen  Werke 
de  comitiis  p.  190  und  p.  220  von  dem  Verfahren  in  diesen  Prozessen 
gegeben  hat,  kann  ich  in  einigen  Punkten  nicht  beipflichten,  welche 
genauer  zu  bestimmen  dem  treflFlichen  Gelehrten  leicht  gewesen  wäre, 
wenn  eine  detailliertere  Behandlung  des  Gegenstandes  in  seinem  Plane 
gelegen  hätte. 

Es  scheint  mir  am  passendsten,  den  Bericht  des  Thucydides  zum 


und  die  Hermokopiden  21 

Grunde  zu  legend  Er  sagt  etwa  folgendes:  „es  wurde  von  einigen 
Metöken  und  Sklaven  denunciert,  zwar  nicht  in  BetreflF  der  Hermen, 
aber  wegen  früherer  Verstümmelungen  anderer  Götterbilder,  die  durch 
junge  Leute  in  der  Trunkenheit  und  aus  Mutwillen  geschehen  sei,  und 
zugleich,  daß  die  Mysterien  in  gewissen  Privathäusem  mit  höhnendem 
Scherz  nachgemacht  würden.  Dessen  wurde  nun  auch  Alcibiades  be- 
schuldigt. Dies  ergriffen  seine  Gegner;  mit  der  NachäflFung  der  My- 
sterien und  dem  Hennenfrevel  sei  der  Sturz  der  Demokratie  beabsichtigt, 
nichts  von  alledem  sei,  woran  Alcibiades  nicht  Anteil  habe,  sein  sonstiges 
Leben  könne  als  Beweis  dafür  gelten.  Er  aber  wies  die  Anschuldigungen 
zurück,  forderte  gerichtet  zu  werden,  um  entweder  schuldig  das  Härteste 
zu  erdulden  oder  gerechtfertigt  als  Feldhen  nach  Sicilien  zu  gehen. 
Aber  seine  Gegner  wagten  es  nicht,  jetzt  die  Sache  zu  einer  rechts- 
kräftigen Entscheidung  kommen  zu  lassen,  sie  stifteten  andere  Redner 
auf,  welche  die  Vertagung  der  Sache  bis  zu  seiner  Rückkehr  beantragten, 
und  das  Volk  beschloß  nach  diesem  Antrage". 

In  diesem  Bericht  finden  wir  nur,  was  auf  Alcibiades  Bezug  hatte; 
was  aber  geschah  mit  den  andern  Denuncierten?  Femer,  wenn  Alci- 
biades wegen  Verbrechen,  auf  die  der  Tod  stand,  denunciert  war,  wie 
wurde  er  nicht  sofort  festgenommen?  wie  war  es  möglich,  daß  sich  in 
der  Volksversammlung  [189]  jene  Verhandlung  entspann,  wie  sie  von 
Thucydides  skizziert  ist? 

Hierauf  sind  die  Antworten  größtenteils  aus  Andocides  zu  nehmen. 
Er  berichtet  etwa  folgendes^:  als  die  Flotte  bereits  zur  Abfahrt  fertig 
lag,  und  die  drei  Feldherrn  eine  Volksversammlung  berufen  hatten^, 
trat  ein  gewisser  Pythonikos  auf  und  sprach  also:  „o  Athenäer,  ihr 
sendet  ein  Heer  aus  und  so  große  Kriegsrüstung  und  seid  im  Begriff 
euch  ein  großes  Unglück  zu  bereiten;  ich  will  darthun,  daß  Alcibiades  in 
einem  Privathause  mit  anderen  die  Mysterien  feiert,  und  wenn  ihr,  worauf 
ich  antrage,  Sicherheit  zu  sprechen  {üSbiuv)  zusichert,  so  soll  der  Sklave 
von  einem  der  hier  Anwesenden,  obschon  uneingeweiht,  euch  die  Mysterien 
erzählen ;  falls  ich  die  Wahrheit  nicht  gesagt,  verfahrt  mit  mir,  wie  es 
euch  gefallt".  Alcibiades  widersprach  ausführlich;  dennoch  entfernten  die 
Prytanen  alle  Uneingeweihten  aus  der  Versammlung,  holten  den  Sklaven, 
und  erfuhren  von  ihm  von  der  Mysterienfeier  im  Hause  des  Polytion. 


*  Thucyd.  VI  28,  29.  *  Andocid.  de  myst.  §§  11,  12. 

'  Das  rjv  ixxli](Tia  tou  aiQuiii^oi^  kann  wohl  nichts  anderes  sein  sollen,  als 
das  offizielle  avyxXr/wv  ixxXr^aia^  xmo  or^orn/yüiy  avvax&siarj^  in  mehreren  Pse- 
phismen.  [Die  vorstehende  Formel  findet  sich  nur  in  den  unechten  Akten- 
stücken der  Kranzrede;  vgl.  indes  C.  I.  A.  H  489  ßovXti  avyxXrjio;  (TTQavtj'jrtüv 
nttQayY^iXavKjjy  xai  anö  ßovXij;  dxxXrjtria.] 


22  I^es  Arifltophanes  Vögel 

Hier  fragt  sich  vor  allem,  war  das,  was  Pythonikos  that,  eine 
bloße  Anzeige  oder  vielmehr,  wie  es  in  der  Regel  genommen  wird,  eine 
formliche  Eisangelie?  Für  das  letztere  würde  der  Ansdruck  des  Ando- 
cides  Ilv&övixog  shifjyyetkev  kv  rq)  Si/jfiq»  tibqI  !AXxißtdSov  sprechen  % 
wenn  statt  des  n^i^l  der  bloße  Accusativ  stände ;  so  aber  scheint  tlaay- 
yiXlw  hier,  wie  oft,  eine  bloße  fit'iwmg  zu  bezeichnen.  Eben  dies  wird 
durch  andere  Umstände  bestätigt;  Pythonikos  hätte,  wenn  er  eine 
Eisangelie  einbrachte,  nicht  gesagt:  „wenn  ich  nicht  die  Wahrheit  sage, 
verfahrt  mit  mir  wie  ihr  wollt,"  da  das  Annehmen  oder  Ablehnen  einer 
Eisangelie  von  seilen  [190]  des  Volkes  ohne  alle  Gefahr  für  den  Kläger 
war*.  Ferner  berichtet  Isokrates,  daß  die  erste  Eisangelie  gegen  Alci- 
biades  bei  dem  Rate  eingebracht  worden®,  und  dies  bestätigt  der  An- 
trag, den  Androkles  späterhin  macht,  dem  Rat  eine  der  Prämien  zu 
decretieren.  Endlich,  wenn  Pythonikos  Eisangelie  gemacht  hätte,  so 
wäre  sofort  über  deren  Annahme  zu  entscheiden  gewesen,  und  doch 
bezeugen  Thucydides,  Isokrates  und  Plutarch  ausdrücklich,  daß  erst  nach 
mehreren  Denunciationen  darüber  verhandelt  worden,  ob  Alcibiades 
in  Anklagestand  zu  versetzen  sei. 

Somit  ergiebt  sich,  daß  Pythonikos  weiter  nichts  that  als  die  erste 
Anzeige,  die  des  Andromachos,  welcher  Sklave  des  Polemarchos 
war  ^,  zu  ermitteln.  Dieser  nun,  von  den  Prytanen  vorgeführt,  gab  vor 
dem  Inquisitor  Diognetos  zu  Protokoll:  es  seien  im  Hause  des  Polytion^ 
durch  Alcibiades,  Nikiades  und  Meletos®  die  Mysterien  dargestellt,  auch 
andere  Personen  seien  zugegen  gewesen,  [191]  namentlich  Archebia- 


*  Andocid.  §  14.  Vom  Gebrauch  des  eiaa^Y^lXa  für  die  fii^waig  ß.  Scboe- 
mann  de  comitt.  p.  221. 

^  Erst  bei  der  Entscheidung  Über  schuldig  oder  nicht  schuldig  läuft  KlSger 
Gefahr,  wenn  er  nicht  den  fünften  Teil  der  Stimmen  hat,  mit  tausend  Drachmen 
gebüßt  zu  werden. 

^  Isocrates  de  bigis  6. 

'  Ist  dieser  Polemarchos  vielleicht  des  reichen  Metöken  Kephalos  Sohn, 
der  Bruder  des  Redners  Lysias,  den  man  den  Philosophen  nannte?  vgl.  Plato 
Phaedrus  p.  257. 

^  Das  Haus  lag  auf  dem  Wege  vom  (piräischen)  Thore  zum  Kerameikos 
(-Markt)  nah  beim  Gymnasium  des  Hermes  (Pausan.  I  3);  es  war  sprüchwörtlich 
wegen  seiner  Pracht  (Aeschin.  Eryxias  p.  394,  400).  Infolge  der  vorliegenden  Pro- 
zesse kam  es  in  Subhastation  (Pherecrates  'Invog  fr  2)  und  wurde  in  späterer  Zeit 
dem  Dionysos  Melpomenos  geweiht  (Pausan.  1.  c.  vgl.  Suidas  v.  t^cjQx^trafnjr), 

^  N  i  k  i  a  d  e  s  ist  mir  nicht  weiter  bekannt  M  e  1  e  t  o  s ,  minder  richtig  Melitos, 
ist  der  spätere  Ankläger  des  Sokrafes,  der  freilich  jetzt  noch  sehr  jung  sein  mußte 
(Plato  Euthyphron  p.  2);  es  hieß  von  ihm,  daß  er  sich  dem  reichen  Kallias,  dem 
Daduchen,  Preis  gab,  weshalb  er  von  Aristophanes  boshaft  genug  und  zugleich 
mit  Beziehung  auf  seine  verunglückte  Oedipodea  6  Äaiov  (nicht  6  AagoVi  wie 
Suidas  hat)  genannt  wurde  (Aristoph.  /acu^^.  fr.  19  nelaQY-  fr«  1)*  Er  gehörte  der 


und  die  Hennokopiden  23 

des^®,  Archippos^^  Diogenes  ^2,  Polystratos^*,  Aristomenes^*,  Ionias^^,Pa- 
naitios  ^^,  außer  diesen  mehrere  Sklaven,  er  selbst^  sein  Brüder,  des  Meletos 
Sklav,  der  Flötenspieler  Hikesios*).  Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  die 
Genannten,  so  lange  nicht  durch  förmliche  Vorladung  vor  Gericht  der 
Prozeß  gegen  sie  begonnen  war,  auf  freiem  Fuß  blieben;  und  die  meisten 
benutzten,  sei  es  im  Gefühl  ihrer  Schuld  oder  aus  Besorgnis  vor  dem 
Ausgang  des  Prozesses,  diese  Zeit  sich  aus  der  Stadt  zu  entfernen. 

[192]  Die  zweite  Anzeige  war  die  des  Metöken  Teukros^',  der, 
wie  man  aus  seinen  Verbindungen  schließen  darf,  wie  Eephalos,  des 
Lysias  Vater,  und  andere  in  Athen  ansässige  Fremde  von  ausgezeich- 


Hetärie  des  Euphiletoe  an,  und  war  zugleich  doch  mit  Alcibiades  im  Hause  des 
Polytion;  daß  es  derselbe  Meletos  war,  der  wegen  der  Tempelverletzung  von 
Eleusis  gegen  Andocides  Ol.  95  2  Endeixis  machte,  ist  wohl  nicht  mehr  zweifelhaft. 

^^  Arcbebiades  scheint  ein  naher  Verwandter  des  Alcibiades  gewesen 
zu  sein.  Lysias  in  Alcib.  27  fr.  5;  ob  Archibiades  des  Demoteles  Sohn  der 
Aläer  bei  Demosthenes  (in  Con.  7)  sein  Enkel  ist,  weiß  ich  nicht. 

*^  Archippos  ist  wohl  weder  der  Vater  des  Nauarchen  Aristeides  von 
OL  88  4  (Thucyd.  IV  50),  noch  der  von  Tisis  so  scheußlich  mißhandelte  junge 
Mann,  für  den  Lysias  eine  Rede  schrieb  (fr.  275),  noch  der,  gegen  welchen  die 
fünfzehnte  Rede  des  Isäus  gerichtet  war.  Der  hier  gemeinte  scheint  bei  Lysias 
in  Andoc.  11,  12  gemeint  zu  sein,  wo  er  als  Vertheidiger  des  Aristippos  gegen 
Andocides  genannt  wird. 

'*  Unter  dem  Namen  Diogenes  ist  aus  jener  Zeit  besonders  der  Tragödien- 
dichter bekannt,  dem  Suidas  s.  v.  durch  einen  Irrtum  oder  einem  Witz  der  Komödie 
folgend  den  Beinamen  Oivofiaog  giebt  und  gegen  welchen  des  Aeschyleiden  Melan- 
thos  Wort,  „man  sehe  seine  Poesie  vor  lauter  Beiworten  nicbt^*  gerichtet  war 
(Plutarch.  de  audiend.  poet.  c.  7).  £0  dürfte  derselbe  mit  dem  tragischen  Schau- 
spieler bei  Aelian  V.  H.  III  30  VI  1  sein.  Von  Lysias  gab  es  eine  Rede  „über 
die  Erbschaft  des  Diogenes^^  (Nr.  70),  in  der  von  der  Zeit  der  Dreißig  und  der  Zehn 
geredet  war  (Harpocrat  v.  MoXnig)  und  eine  andere  gegen  Diogenes  wegen  Haus- 
miethe  (Nr.  71),  in  der  derTragikerätheneloserwähntwurde(Harpocrat.  v.^^fiVeXo;). 

^"  Des  „Hermokopiden  Polystratos^'  erwähnte  Lysias  in  der  Rede  gegen 
Thrasybul  (Nr.  96)  s.  Harpocrates  s.  v.  Suidas  s.  v.  Näheres  weiß  ich  nicht  von  ihm. 

^*  Aristomenes  könnte,  der  Zeit  nach  mindestens,  mit  dem  beilsaeus  10^  4 
genannten  Sypalletier  derselbe  sein. 

^^  Ion  las  ist  mir  sonst  nicht  bekannt. 

^^  Panaitios  scheint  ohne  Frage  derselbe  zu  sein,  welcher  in  Aristophanes 
Rittern  nebst  Simon  Chorführer  ist  (v.  242),  und  welcher  in  den  Vögeln  (440), 
ohne  daß  sein  Name  genannt  ist,  durchgezogen  wird;  vgl.  Aristoph.  Nrjaoi  fr.  5. 
Als  fid'jrag  tCjv  inniavy  als  nl&TjxoCf  als  fiaxai^onowg,  als  unter  dem  Regiment  seiner 
ehebrecherischen  Frau  stehend  (v.  Suidas  fiBfalr}  fvvtf)  verhöhnt  ihn  die  Komödie. 

*)  [Betreffs  der  in  den  Prozeß  verwickelten  Personen  sind  jetzt  die  Rech- 
nungen über  den  Verkauf  der  eingezogenen  Güter  der  „Hermokopiden^*  G.  I.  A. 
I  n.  274  ff.  und  IV  g.  35.  73.  176  ff.  zu  vergleichen.] 

^^  Phrynichos  (wahrscheinlich  im  ^ovoiqonog)  nannte  ihn  naXa^vaiog  ^evog 
(Plut.  Ale.  20). 


24  Des  Aristophanes  Vögel 

neter  Vornehmheit  war.  Teukros  war  infolge  der  gerichtlichen  Maß- 
regeln, die  gleich  nach  dem  Hermenfrevel  getroffen  waren,  wie  der 
Melier  Uiagoras^®  und  viele  andere,  die  sich  in  der  Stadt  nicht  mehr 
sicher  wußten,  geflohen  und  hatte  sich  nach  Megara  begeben;  er 
mochte  Bedeutendes  an  Hab  und  Gut  in  Athen  zu  verlieren  haben; 
ob  ihn  dies  oder  was  sonst  immer  veranlaßte,  er  berichtete  von  Me- 
gara aus  an  den  Senat,  daß,  wenn  ihm  äS^ta  gegeben  werde,  er  über 
Mysterien  Verletzung  und  Hermenfrevel  Anzeige  machen  werde,  da  er 
in  beiden  Mitschuldiger  sei.  Dies  nahm  der  Senat  an,  und  nach  Athen 
zurückgekehrt  denuncierte  Teukros  folgende  Männer^®  wegen  My- 
sterienverletzung: Phaidros^^,  Gniphonides,  Isonomos,  Hephaistodoros^i, 
Kephisodoros^^,  [193]  Diognetos^^,   Smindyrides,  Philokrates**,  Anti- 

"  Schol.  Arist.  Aves  1073  Nub.  828  Ran.  320  und  außer  andern  späteren 
Rhetoren  und  Kirchenscribenten  Tatian  adv.  gent.  p.  1 64,  zu  dessen  gewähltem 
Ausdruck  t^oQ/rjaüfievo^'  ni  nng  ^Ä-d^i^vaiou  fivcrrjQia  man  Huidas  v.  fc|(u^yy/cr«ui/j' 
vergleichen  kann. 

*•  Andocid.  de  myst.  §  15. 

^  Es  scheint  mir  wahrscheinlich,  daß  dies  derselbe  Myrrhinusier  ist,  den 
Plato  außer  in  dem  gleichnamigen  Gespräch  auch  im  Protagoras  S.  315  und  im 
Gastmahl  S.  176  erwähnt,  und  von  welchem  Athen.  XI  505  sonderbarer  Weise 
behauptet,  es  sei  ein  chronologischer  Schnitzer  Piatos,  wenn  er  ihn  als  Zeit- 
genossen des  Sokrates  aufführe.  Zum  Überfluß  könnte  man  dies  aus  Lysias  de 
Arist.  bon.  14  beweisen,  wo  die  Witwe  des  Phaidros  „der  nicht  durch  seine 
Schuld  verarmt  war",  die  Enkelin  des  Feldherm  Xenophon  (Thucyd.  II  70,  74 1, 
etwa  seit  Ol.  95  an  den  reichen  Aristophanes  verheiratet  erscheint 

**  Über  diese  drei  Männer  finde  ich  keine  weitere  Notiz. 

*'  Corp.  Insc.  n.  188  [=  C.  I.  A.  I  129]  nennt  Ol,  88  einen  Kephisophon, 
Kephisodors  Sohn,  aus  Hermos;  dieser  dürfte  wohl  für  unsern  Fall  zu  alt,  der 
bekannte  Schüler  und  Vcrtheidiger  des  Isokrates  zu  jung  sein;  der  Zeit  nach 
passender  wäre  der  in  Corp.  Inscr.  n.  85  [  =  C.  I.  A,  11 555]  in  einem  Decret  von 
Ol.  101  1  genannte,  wo  es  heißt:  'Oyt^itog  Ki}(f>iaodb)Qov  Mehtev^  et-ns.  Indes  ist 
gerade  dieser  Name  in  Athen  ein  sehr  häufiger. 

*'  Diognetos,  wohl  nicht  der  oben  genannte  ^'^rj/r/Jc. 

**  Philokrates  heißt  ein  Prytane  des  nächsten  Jahres  (Andocid.  §  46); 
der  also  ist  hier  nicht  gemeint.  Ein  anderer  ist  des  Demeas  Sohn,  der  die  Expedi- 
tion gegen  Melos  zu  Ende  gebracht  hat  (Thucyd.  V  116),  wie  ich  glaube,  derselbe, 
den  Aristophanes  in  den  Vögeln  (13  1077)  als  nivttxoniühjg  und  o  fc|  'Offvscjg  und 
fteXni)rxoX(üf  vornimmt;  auch  an  den  möchte  ich  hier  niclit  denken.  Wohl  aber 
an  den  Sohn  des  Ephialtes  und  Bruder  des  Iphikratcs,  denselben,  welcher  fünf- 
undzwanzig Jahre  später  mit  Ergokles  gemeinschaftlich  an  der  letzten,  trotz 
Demosth.  adv.  Leptinem  59  nicht  ehrenvollen  Expedition  des  Thrasybul  jenen 
einträglichen  Anteil  nahm,  über  den  sich  der  Prozeß  bei  Lysias  Or.  28  und  29 
entspann;  vgl.  Demosth.  de  fals.  leg.  180  Xenophon  Hell.  IV  8,  24  mit  der  schönen 
Anmerkung  Schneiders.  Sein  Vater  Ephialtes  dürfte  dem  gleichnamigen  Stücke 
des  Phrynichus  wohl  eher  den  Namen  gegeben  haben,  als  der  Alp  oder  ein 
mitdichtender  Sklav  dieses  Namens;  Meiueke  Quaest.  Seen.  II  p.  8,     Ob  dieses 


und  die  Hermokopiden  25 

phon**,  Tisarchos,  Pantakles^® —  wegen  Hermenfrevels:  Euktemon^^,  [194] 
Glaukippos  *®,  Eury machos,  Polyeuktos*®,  Piaton,  Antidoros,  Charippos'^, 
Theodoros'^,  Alkisthenes'^,  Menestratos^*,  Eryximachos**,  Euphiletos^^, 


Geschlecht  von  dem  ehrenwerten  Ephialtes  Sophonides  Sohn  (Aelian.  V.  H. 
II  43  III  17),  dem  treuen  Mitarbeiter  des  Periklcs,  herstammt,  habe  ich  nicht 
ergründen  können;  denn  den  Plutarchischen  Apophthegmen  ist  nicht  zu  trauen. 

'^  Ich  nehme  keinen  Anstand  zu  behaupten,  daß  dieser  Antiphon  nicht 
der  berühmte  Rhamnusier,  des  Sophilos  Sohn,  ist;  weder  Plutarch  (X.  Oratt.)  noch 
Thucyd.  VIII  68  hätten  es  vermeiden  können,  ihn  als  in  diesen  Prozessen  ver- 
wickelt zu  bezeichnen;  auch  müßte  er  jetzt  aus  Athen  geflüchtet  sein,  wovon 
sich  das  Gegenteil  aus  der  Geschichte  des  Jahres  Ol.  92  1  ergiebt.  Hr.  Ranke 
(de  vita  Aristoph.  p.  CCXI  sqq.)  hält  den  berühmten  Redner  und  den  Tragödien- 
dichter für  dieselbe  Person  und  baut  darauf  mancherlei  Folgerungen;  er  hat 
Aristot  Rhet.  II  p.  1385  übersehen,  wo  von  des  Poeten  Antiphon  Aufenthalt  bei 
Dionys  dem  Tyrannen  die  Rede  ist;  dies  ist  nicht  vor  Ol.  93  3  gewesen,  wäh- 
rend der  Redner  schon  Ol.  92  1  hingerichtet  wurde.  Aber  auch  dieser  Tragiker 
wird  wohl  mit  Recht  von  einem  zweiten  Redner  Antiphon,  dem  Sohne  des  Lysi- 
donides,  unterschieden,  dessen  besonders  Plut.  X.  Oratt.  p.  833  erwähnt;  endlich 
kommt  Antiphon,  des  Pyrilampes  Sohn,  hinzu,  der  sich  mit  Pferdezucht  beschäf- 
tigte, s.  u.  Note  41.  Einer  der  beiden  letztgenannten  dürfte  der  im  Text  gemeinte 
sein.     Über  den  te^aioaxonog  dieses  Namens  s.  Xenoph.  Memor.  I  6  c.  intpp. 

*•  Pantakles  ist  der  von  Aristoph.  Ran.  1038  und  Eupolis  /^vrr.  j'eV. 
fr.  10  linkisch  genannte,  „dem  man  umsonst  Lust  und  Geschick  zum  Kriege 
zu  erwecken  suchen  würde". 

"  Euktemon  kann  der  Feldherr  bei  Thucyd.  VIII  30  nicht  sein;  ob  etwa 
der  Archon  Ol.  93  1  oder  der  begüterte  Vater  des  Philoktemon  bei  Isaeus  Or.  6, 
will  ich  nicht  behaupten  noch  leugnen.    S.  Aristot.  Rhet.  I  p.  1374  b. 

*®  Glaukippos  ist  doch  wohl  nicht  des  Redners  Hyperides  Vater;  Ol.  92  3 
war  ein  Archon  des  Namens. 

'*  Von  Polyeuktos  ist  es  bekannt,  daß  er  gegen  Sokrates  mit  Anytos 
und  Meletos  Partei  nahm  (Diogen.  Laert.  II  38);  von  Antiphon  war  eine  Rede 
gegen  ihn  (Nr.  33). 

^  Diese  drei  sind  mir  unbekannt. 

'^  Des  Namens  Theodoros  sind  aus  jener  Zeit  mehrere  Athenäer  bekannt; 
hier  kann  weder  der  Hierophant  (Plutarch.  Alcib.  33)  noch  des  Isokrates  Vater 
gemeint  sein.  Die  Wahl  bleibt  zwischen  dem  Diomeer,  den  Aristoph.  Acharn.  605 
als  einen  von  den  jungen  leichtfertigen  Gesandtschaftsherren  bezeichnet,  und  dem 
Phegäer,  der  späterhin  in  der  Eisangelie  des  Thessalos  genannt  wird  (Plutarch. 
Alcib.  22);  für  letzteren  möchte  ich  mich  entscheiden.  Ob  dieser  oder  einer  von 
diesen  des  Feldherm  Prokies  Sohn  (Thucyd.  III  91)  oder  Enkel  des  Archonten 
Ol.  85  3  ist,  weiß  ich  nicht. 

•*  Alkisthenes  hieß  auch  des  Feldherm  Demosthenes  Vater. 

^^  Dies  könnte  etwa  derselbe  Mencstratos  sein,  der  unter  den  Dreißig 
so  arg  denuncierte. 

•*  Eryximachos  wird  wohl  der  aus  Plato  wohlbekannte  Sohn  des  Arztes 
Aknmenos  sein;  Plato  Protag,  p.  315  Phaedrus  p.  268  Sympos.  176  etc. 

'^  Der  Name  Euphiletos  ist  in  Athen  nicht  selten;  berühmtere  Häuser, 
in  denen  er  heimisch  war,  sind  die  des  Feldherm  Charoiades  (Thucyd.  III  86) 


26  Des  Aristophanes  Vögel 

Eurydamas,  Pherekles,  Timanthes'^,  Meletos*',  Archidamos*®,  Teleni- 
kos'®.  Bei  diesen  Denunciationen  des  Teukros  [195]  rerdient  es  be- 
achtet zu  werden,  daß  in  ihnen  Alcibiades  nicht  genannt  wird,  and 
daß  sie,  nach  der  Äußerung  des  Thucy dides  zu  schließen,  anderweitige 
Hermenverstümmelungen,  nicht  die  des  11.  Mai  bezeichneten. 

Eine  dritte  Anzeige  ging  von  Agariste,  der  Frau  des  Alk- 
mäonides,  die  früher  mit  Dämon  verheiratet  gewesen  war,  aus*®; 
sie    gab    an,    in    dem    Hause    des    Charmides*^    pflegten    Alcibiades, 

und  des  Simon  (Demost  c.  Neaer.  24).  Des  Simon  Sohn  Euphiletos  war  es,  der 
in  dem  Prozeß  gegen  die  Neära  Zeugnis  ablegte,  und  dieser  Simon  scheint  .der- 
selbe zu  sein,  von  welchem  Lysias  8  §  28  ff.  eine  saubere  Jugendgeschichte  erzählt 
(nicht  vor  Ol.  95);  den  vor  dem  Frieden  des  Nicias  demagogisierenden  Bitter 
Simon  dürfte  man  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  seinen  Großvater  nennen 
(Aristoph.  Equit  242  Nub.  351  Eupolis  noXetg  fr.  13). 

^  Diese  drei  sind  mir  sonst  nicht  bekannt 

'^  Gewiß  der  oben  genannte  Meletos. 

'^  Archidamos  ist  wohl  ^iQx^^otfiog  (bei  Isaeus  de  Apoliod.  her.  18),  den 
die  Witwe  des  Thrasyllos,  welcher  als  Trierarch  in  Sicilien  gefieüilen  war,  heiratete. 

'^  Telenikos  ist  bis  auf  die  Erklärung  des  jeXeyixiaai  bei  den  Lexiko- 
graphen (s.  Kratin.  Seriph.  fr.  10)  verschollen. 

*®  Andocid.  de  myst.  §  63.  Dieser  Dämon  ist  wohl  nicht  der  berühmte 
Musiker  und  Freund  des  Perikles,  da  der  noch  nach  der  Schlacht  der  Arginusen 
lebte  (Aeschin.  Aziochus  p.  364).  Alkmäonides,  über  den  ich  sonst  nichts  weiß, 
könnte  allenfalls  dem  gleichnamigen  Geschlecht  angehören. 

**  Dieser  Charmides  ist  der  von  Plato  oft  genannte  Vetter  des  Kritias, 
und  der  Sohn  des  Glaukon.  Da  mehrere  dieser  Familie  für  diese  Zeit  von  Inter- 
esse sind,  so  will  ich  deren  Stammbaum,  so  weit  er  nachzuweisen  ist,  verzeichnen, 
und  einige  Notizen  hinzufügen. 

[196]     'HSrixsffTiörjg 


I 


'  N 

N.  N.  KQiTing  I. 

I  AvTiqiuy  I. 


filia  fUia  *>-  Ka IXaiaxQogl.    T), avxcjpl,  ~  Jl6(fixn6yrj  (?)   UvQikafintig 

Andocidis  ux. 


1 


ÄB(0f6^ag  JT^iriag  II.  JCa Q^iöijg       He Qtxuoyrj 

I  I  \.  HvQiXa^nrjgm, 

Ävdoxidrjg  II.  (KaXXaiaxQog  IL)  2.  ÄqI(tx(üv  6  ÄQiaioxXsovg  m. 


Ävxi.(f(üv  II.      2.  ÄqiCTOxXTjg      2.  rXuvxfov  II.      Jiöeifiapiog      2.  HeQuctiovr^ 
\  (IlXaifüf)  JEvqvfi^diay  m. 

i.  ,1 

filia  ^TiBvauxnog 

Die  Sage,  daß  des  Solon  Vater  Exekestides  zugleich  des  Dropides  Vater  gewesen, 
ist   zu  verbreitet,   als   daß   wir  ihr  nicht  folgen  sollten.     Des  Dropides  Sohn 


und  die  Hermokopiden  27 

Axiochos*^  und  Adeimantos^^  die  Mysterien  zu  machen;  es  scheint,  daß 
im  Text  des  Andocides  der  eigentliche  Katalog  der  von  Agariste 
Denuncierten  verloren  ist**. 

Endlich  eine  vierte  Anzeige  war  die  des  Lydos,  eines  Sklaven 
des  Themakeers  Pherekles*^;  er  sagte  aus,  daß  in  seines  Herren  Hause 
die  Mysterien  gemacht  worden  seien,  er  nannte  unter  anderen  Teil- 
nehmern den  Leogoras,  Akumenos  [197]  und  Autokrator*®;  Leogoras 
aber  habe  in  seinen  Mantel  gehüllt  geschlafen. 


Rritias  (I)  sah  als  Knabe  noch  seinen  Oheim  Solon  (s.  Bach  Critiae  fragm.  p.  7); 
für  mehrere  andere  verwandtschaftliche  Verhältnisse  ist  der  Charmides  des  Plato 
nebst  Schleiermachers  Anmerkungen  zu  vergleichen.  Kallaischros  I.  und  Glau- 
kon  I.  waren  in  den  ersten  Jahren  des  Krieges  bereits  tot  Glaukon  I.  hatte 
sich  mit  der  Schwester  des  reichen  Pyrilampes  (Sohnes  des  Antiphon),  die  ich 
vermutungsweise  Periktione  nenne,  verheiratet,  und  aus  dieser  Ehe  den  Char- 
mides (etwa  Ol.  84)  und  die  Periktione  geboren;  letztere  scheint  die  filtere. 
Diese  war  zuerst  an  ihren  mütterlichen  Oheim  Pyrilampes  verheiratet  und  gebar 
demselben  einen  Knaben,  der  nach  dem  Großvater  Antiphon  genannt  wurde, 
lauge  Zeit  in  fireundUchem  Verkehr  mit  Pythodoros,  dem  Sohn  des  Isolochos, 
der  noch  den  Zeno  gehört  hatte,  lebte  und  sich  dann  xara  tbv  naivnov  xai 
öfiüjyvfioy  nqbg  innixfj  wandte  (s.  Plato  Parmen.  p.  127).  Nach  Pyrilampes  Tode, 
der  schon  vor  Ol.  87  erfolgt  zu  sein  scheint,  verheiratete  sich  Periktione  an 
Ariston,  des  Aristokles  Sohn,  und  gebar  Ol.  87  3  den  Aristokles,  der  unter  dem 
Namen  Plato  so  berühmt  werden  sollte,  späterhin  dessen  Geschwister.  Lysias  (in 
Erat  66)  nennt  unter  den  Vierhundert  einen  Kallaischros;  da  dies  nicht  des  Kritias 
Vater  sein  kann,  so  vermute  ich,  daß  es  dessen  Sohn  ist,  und  das  um  so  mehr,  da 
die  Tochter  des  Antiphon,  der  unter  den  Dreißig  hingerichtet  wurde  (des  Pyrilampes 
nicht  des  Lysidonides  Sohn,  wie  Plutarch.  X.  Orat.  p.  833  vermutet),  von  einem 
Kallaischros  in  Anspruch  genommen  wurde  (Lysias  Or.  nr.  45)  als  Erbtochter. 

**  Daß  Axiochos,  des  Aleibiades  Oheim,  gemeint  sei,  dürfte  nicht  zweifel- 
haft sein;  früher  auch  haben  beide  gemeinschaftlich  Abenteuer  gemacht.  Lysias 
fr.  4  cf.  Athen.  XII  525. 

^'  Für  den  oben  genannten  Adeimantos  dürfte  man  Piatos  Bruder  wohl 
noch  für  zu  jung  halten;  und  Adeimantos,  des  Kepis  Sohn,  (PUt.  Prot  315)  ist, 
wie  es  scheint,  nicht  von  sehr  vornehmer  Familie.  Wahrscheinlicher  möchte  man 
an  des  Leukolophides  Sohn  (rov  noq&aovog,  Eupolis  noleig  fr.  12)  denken,  dem- 
selben, von  welchem  es  hieß,  er  habe  später  mit  Aleibiades  gemeinschaftlich  die 
Flotte  im  Hellespont  verraten  (Xenoph.  Hell.  II 1,  32  Aristoph.  Ean.  1513  Lysias 
in  Alcib.  I  38  Plutarch,  Alcib.  36  Pausan.  IV  17,  2). 

^  Dies  vermute  ich,  da  von  diesen  nur  dreien  gesagt  wird:  „diese  alle 
ergriffen  die  Flucht"  Andocid.  §  16. 

**  Andocid.  de  myst  §  17.     Pherekles  ist  der  von  Teukros  denuncierte. 

^^  Mit  diesen  beiden  Namen  bin  ich  ratlos;  oder  wäre  Akumenos  der 
Vater  des  schon  oben  denuncierten  Eryximachos,  der  aus  Plato  bekannte  Arzt? 
Von  Autokrator  weiß  ich  gar  nichts  zu  sagen;  denn  wenn  Andocides  (§18) 
fortfährt:  „rufe  mir  (zu  Zeugen)  den  Kallias  und  Stephanos,  den  Philippos  und 
Alezippos,  denn  dies  sind  des  Akumenos  und  Autokrator  Verwandte,  die  bei 
der  Anzeige  entflohen,  des  einen  rechter  Vetter  ist  Autokrator,  des  andern  Oheim 


28  T)e&  Aristophanes  Vögel 

Dies  waren,  so  viel  wir  wissen,  die  Anzeigen,  welche  vor  Abfehrt 
der  Flotte  gemacht  wurden,  und  auf  welche  sich  die  gerichtlichen 
Prozeduren  gegen  die  Angezeigten  begründeten.  Infolge  derselben 
konnte  entweder  auf  dem  gewöhnlichen  [198]  Wege  Rechtens  oder 
auf  außerordentlichem  Wege  und  namentlich  durch  Eisangelie  ver- 
fahren werden  und  letzteres  war  gegen  die,  welche  im  Staatsdienst 
standen,  wenn  sofort  etwas  geschehen  sollte,  notwendig. 

Sämtliche  vorliegende  Anzeigen  motivierten  die  Klage  äaeßeiag^^; 
welche  vor  den  Basileus  gehörte  und  in  den  vorliegenden  Fallen  wahr- 
scheinlich von  einem  Heliastenhofe  gerichtet  wurde;  als  Kläger  werden 
die  Inquisitoren  aufgetreten,  die  Klageform  yQatpij  äaeßetag  gewesen 
sein.  Sobald  nun  denunciert  war,  hatte  die  Behörde  die  Angeklagten 
vor  Gericht  zu  fordern.  Viele  von  den  Denuncierten  entflohen,  ehe  es 
zu  einer  weiteren  Maßregel  kam,  nur  Poly Stratos  aus  dem  Katalog 
des  Andromachos,  Leogoras  aus  dem  des  Lydos,  und  einige  aus  der 
Hermendenunciation  des  Teukros  blieben  in  Athen  und  warteten  das 
Urteil  ab.  Die  da  geflohen  waren,  wurden  in  contumaciam  zum  Tode 
verdammt  und  ihre  Güter  confisciert*^;  viele  von  ihnen  starben  im 
Auslande,  andere  sind  bei  den  demnächst  erfolgenden  Veränderungen 
der  athenäischen  Verfassung  heimgekehrt.  Die  in  Athen  Zurückgeblie- 
benen wurden  sämtlich  mit  Ausschluß  des  Leogoras  zum  Tode  ver- 
dammt und  hingerichtet. 

Über  den  Prozeß  gegen  Leogoras  sind  wir  etwas  genauer 
unterrichtet,  weshalb  ich  bei  demselben  verweilen  will.  Leogoras,  da- 
mals in  dem  Alter  von  75  bis  80  Jahren*^,  war  aus  einer  der  edelsten 
Familien,  der  der  Keryken,  der  Sohn  des  Andocides,  weicher  Ol.  83  3 
mit  den  Spartanern  das  dreißigjährige  Bündnis  abgeschlossen  hatte; 
[199]  nach  Art  der  meisten  Reichen  jener  Zeit  hatte  er  sein  Leben 
ziemlich  wüst  hingebracht,  und  noch  in  seinem  hohen  Alter  verthat 

Akumenos'^  —  so  ist  nicht  bloß  die  Bezeichnung  undeutlich,  sondern  auch  dajB 
Verwandtschaftliche  jener  Pereonen  nicht  weiter  zu  ermitteln.  Stephanos  könnte 
eben  so  gut  der  Sohn  des  reichen  Thallos  (Lysias  de  Arist.  bon,  46)  wie  der 
Sohn  des  Thucydides,  des  Sohnes  des  Melesias,  sein  (Aeschin.  de  virtute  p.  378 
und  sonst).  Der  Name  des  Kallias  ist  so  häufig,  daß  er  ohne  nähere  Bezeich- 
nung kaum  noch  bezeichnet,  und  Philippos  heißt  von  damals  bekannten  Leuten 
nur  des  Phönix  Vater  (Plato  Symp.  init.)  und  des  Aristophanes. 

*'  Attischer  Prozeß  S.  301  ff.  Daß  diese  angewendet,  ersieht  man  daraus, 
daß  der  Basileus  die  Jurisdiktion  übernahm  (Andocides  §  22). 

*®  Andocides  de  myst.  §  146.  52. 

**  Andocides  war  bereits  78, 1  geboren,  sein  Vater  mußte  mindestens  6  Olym- 
piaden älter  sein.  Seine  Mutter  war  eine  Tochter  des  Tisandros,  des  Sohnes  des 
Epilykos  (Andocid.  de  myst.  §  117),  deren  jüngere  Schwester  an  Perikles  Sohn 
Xanthippos  verheiratet  wurde  (Plutarch  Perikles  36,  wo  'laovöqov  irrig  steht) 


und  die  Herrn okopiden  29 

er  seine  Habe  mit  Hetären  und  in  schwelgerischen  Gelagen^®.  Sein 
Sohn  war  Andocides,  der  bereits  Ol.  86  2  als  Befehlshaber  einer  Flotte 
in  See  ging^^,  dann  wiederholentliche  Gesandtschaftsreisen  unternahm, 
und  unter  den  Oligarchen  einer  der  ausgezeichnetsten  und  beredtesten, 
mehrere  Mal  in  die  Gefahr  des  Ostracismus  geriet  ^^.    Von  dem  Vater 


^  Aristoph.  Nub.  109  c.  Schol.  Eupolis  AvToXvxog  fr.  11  Aristoph.  Vesp. 
1269  vgl.  Sluiter  p.  7. 
"  Thucyd.  I  51. 

^'  Andocides  in  Alcib.  §§  8,  40.  Diese  Rede  ist  bekanntlich  der  Gegenstand 
mannigfacher  Controversen  gewesen.  Daß  sie  nicht  von  Phaiax,  wie  Taylor  ver- 
mutete, sein  kann,  ist  wohl  nach  Ruhnkens  und  Valckenaers  Untersuchungen  aus- 
gemacht. Aber  neuerdings  haben  sich  Hr.  Meier  (AUg.  Litt.  Zeit.  1827  Nr.  118) 
und  Hr.  Becker  (Andocides  S.  17)  gegen  die  Echtheit  der  Rede  erklärt.  Ich 
glaube  mich  für  dieselbe  entscheiden  zu  müssen.  Das  Altertum  legt  sie  dem 
Andocides  bei,  und  sie  hat  in  der  That  den  tumultuarischen  Charakter,  der 
diesem  Redner  eigentümlich  ist;  nicht  bloß  Plutarch  im  Alcibiades,  sondern  schon 
Demosthenes  in  der  Midiana  scheint  aus  ihr  geschöpft  zu  haben ;  wäre  die  Rede 
aus  der  Zeit  des  Demetrius,  wie  Hr.  Becker  meint,  so  hätte  sie  gewiß  irgend 
welche  chronologische  Fehler.  Freilich  hat  man  diese  auch  zu  finden  gemeint: 
es  handelt  sich  um  den  Ostracismus  zwischen  AIcibiades,  Nikias,  Andocides,  und 
das,  wie  man  aus  der  erwähnten  Eroberung  von  Melos  sieht,  Ol.  91  1;  und  doch 
wissen  wir,  sagt  Hr.  Becker,  daß  der  Ostracismus  seit  Hyperbolus  Fall  auf- 
gehoben worden.  Dies  ist  zuverlässig  zu  viel  behauptet;  nur  factisch  kann  das 
Institut  seit  Hyperbolus  in  Verfall  gekommen  sein;  erst  die  Oligarchie  wird  es 
vollkommen  aufgehoben  haben.  Es  ist  bekannt,  daß  jedes  Jahr  in  der  sechsten 
Prytanie  das  Volk  zur  Procheirotonie,  ob  jemand  den  Ostracismus  erleiden  solle, 
aufgefordert  wurde;  bei  der  Gelegenheit  waren  dann  Reden,  wie  die  fragliche, 
an  ihrer  Stelle.  Die  sechste  Prytanie  Ol.  91  1  ist  zwischen  dem  10.  Januar  und 
15.  Februar  (415);  innerhalb  dieser  Zeit  mußte  die  Rede  gehalten  sein;  und  in 
der  That  stimmen  damit  alle  Einzelheiten.  Die  dem  Alcibiades  gemachten  Vor- 
würfe in  Beziehung  auf  sein  Betragen  bei  der  Feier  der  olympischen  Spiele  sind 
um  so  mehr  bedeutender,  wenn  man  annimmt,  daß  in  dem  letzt  verwichenen 
Sommer  selbst  diese  Spiele  gefeiert  waren,  und  wenn  der  Redner  sagt,  den  Erfolg 
der  Tributerhöhung,  die  vor  einigen  Jahren  durch  Alcibiades  eingeführt  war, 
werde  man  sehen,  „öiav  ^fitv  xal  Aaxeöaifiovioig  ifivrjiai,  vavtiHbg  nokefiog^'^  (§  12), 
so  paßt  dies  gerade  trefflich  in  jene  Zeit,  wo  bereits  die  Gesandten  wegen  der 
sicilischen  Expedition  nach  Egesta;  gegangen  waren.  Nur  eine  Angabe  scheint 
bedenklich:  Alcibiades,  der  Urheber  des  Antrags,  die  Melier  in  Sklaverei  zu 
verkaufen,  habe  mit  einer  kriegsgefangenen  Melierin  einen  Sohn  erzeugt;  indes 
währte  die  Belagerung  von  Melos  lange  genug,  daß  ein  melisches  Mädchen  vor 
mehr  als  neun  Monaten  in  Gefangenschaft  geraten  und  an  Alcibiades  verkauft  sein 
konnte.  Daß  diese  Verhandlung  über  Ostracismus  keine  Verbannung  zur  Folge 
hatte,  ist  aus  der  Art,  wie  jenes  Institut  seit  Hyperbolus  angesehen  wurde, 
begreiflich;  auch  daß  Andocides  nur  gegen  Alcibiades  spricht,  erregt  kein  Be- 
denken; und  wenn  er  sich  über  die  Unzweckmäßigkeit  des  ganzen  Verfahrens 
sehr  bestimmt  erklärt,  so  scheint  das  ein  Grund  mehr,  die  Rede  der  angenom- 
menen Zeit  zu    vindicieren   und  den  Verdacht  der  Unechtheit  oder  die  Ver- 


30.  Des  Aristophanes  Vögel 

[200]  schien  er  mit  der  Parteiansicht  da^  tumultuarische  und  aus- 
schweifende Leben  ererbt  zn  haben;  wegen  Verletzung  der  Mysterien 
und  wegen  Hermenfrevel,  so  wird  erzählt,  war  er  schon  früher  einmal 
mit  einer  Eisangelie  beim  Senat  verfolgt,  die  Klage  war  von  dem  Senat 
an  das  Volk  gebracht,  und  Andocides  ließ  seinen  Sklaven,  auf  dessen 
Zeugnis  die  Eisangelie  begründet  gewesen  zu  sein  scheint,  umbringen, 
damit  er  nicht  Zeugnis  geben  könnte.  So  scheint  er  sich  damals  ge- 
rettet, zugleich  aber  allgemeines  Vorurteil  gegen  sich  erregt  zu  haben**; 
ingleichen  konnte  es  nicht  unbekannt  sein,  in  wie  naher  Verbindung 
Andocides  damals  mit  Meletos,  Euphiletos  und  dessen  Hetärie  stand** 
Nun  erfolgte  gegen  Leogoras  die  Anzeige  von  selten  des  Lydos,  daß 
er  im  Hause  des  Pherekles  gewesen,  als  dort  die  Mysterien  gefeiert 
worden;  manche  mochten  dem  alten  Manne  raten,  sein  Heil  in  der 
Flucht  zu  suchen,  aber  andere  Verwandte  und  namentlich  sein  Sohn 
bewogen  ihn  durch  Bitten  und  Zureden  [201]  zu  bleiben  ^^  Dies  ge- 
schah; als  der  Basileus  Speusippos  die  von  Lydos  Denuncierten  dem 
Gerichtshofe  übergeben  hatte,  stellte  Leogoras  Bürgen  und  verklagte  den 
Basileus  wegen  Paranomie.  Diese  Klage  entzog  ihn  der  Notwendig- 
keit sich  vor  Gericht  &aBßtia(i  zu  verteidigen,  muß  also  gegen  ein 
Psephisma  des  Basileus,  ihn  vor  Gericht  zu  bringen,  insofern  gerichtet 
gewesen  sein,  daß  es  dasselbe  als  widergesetzlich  anklagte  und  somit 
durch  die  Hypomosie,  das  vorläufige  Garantieren,  die  Klage  nagccvöiicov 
anstellen  zu  wollen,  das  bereits  angenommene  Psephisma  in  seiner  Wirk- 
samkeit suspendierte^®.  Wes  Inhaltes  nun  das  Psephisma  gewesen,  kann 
ich  nicht  nachweisen;  beispielshalber  stelle  ich  auf,  daß  Leogoras  im 
Staatsdienst  war,  daß,  indem  keine  Eisangelie  gegen  ihn  eingebracht 
war,  Speusippos,  um  nicht  erst  die  Zeit  der  Euthynen  abzuwarten,  dem 
Volk  ein  Beeret  vorschlug,  den  Leogoras  sofort  festnehmen  zu  dürfen, 


mutung,  sie  sei  zur  Übang  geschrieben,  zurückzuweisen.  Nimmt  man  sie  für 
echt,  so  enthält  sie  die  interessantesten  Beiträge  zur  Geschichte  damaliger  Par- 
teiungen. 

"  Dies  beruht  auf  dem  Zeugnis  bei  Plutarch.  X  Oratt.  p.  884,  der  es  nicht 
aus  Lysias  in  Andocidem  21  entnommen  zu  haben  scheint;  denn  Lysias  fOgt  nicht 
hinzu,  weshalb  er  vor  Gericht  gezogen  (ix  ttj^  ßovkijg  eianxx^elg  etg  tb  öutatTrtJQioy 
statt  ef  tnißoltjg,  was  ohne  allen  Sinn  ist);  indes  scheint  mir  Plutarchs  Angabe 
„wegen  Hermenfrevel  und  Mysterienverletzung"  bedenklich  und  dem  späteren 
nachgebildet;  die  Mysterienverletzung  leugnet  Andocides  selbst  durchaus  ab  de 
myst.  §  10. 

"  Andocid.  de  myst.  §  61  sqq. 

*•  Andocid.  de  myst.  §22.  Geg^n  den  Vorwurf,  als  habe  er  seinen  Vater  denun- 
ciert,  scheint  sich  Andocides  vollkommen  gerechtfertigt  zu  haben  de  myst.  §§22 — 25. 

^  Schoemann  de  comitiis  p.  1 59  sqq. 


und  die  Hermokoplden  31 

welches  denn  quoad  maferialia  gegen  die  bestehenden  Gesetze  verstieß*^; 
—  oder:  da  bisher  die  meisten  Denuncierten  sich  dnrch  die  Flucht 
der  Strafe  entzogen  hatten,  mochte  Speusippos  beantragt  haben,  es 
sollte  das  Gesetz,  „die  durch  eine  yQatptj  Verfolgten  sollten  nicht  in 
persönliche  Haft  verfallen",  aufgehoben  und  dagegen  die  Bestimmung, 
die  bei  Apagoge,  Endeixis,  Ephegesis  und  Eisangelie  eintrat,  angenommen 
werden,  daß  nämlich  Verklagter  entweder  verhaftet  werden  oder  hin- 
reichende Bürgen  stellen  sollte^®.  Vor  Gericht  geladen  [202]  mußte 
nun  Leogoras  die  Bürgen  stellen,  durfte  aber  demnächst  vor  dem  Volke 
sich  durch  Hypomosie  verpflichten,  den  Basileus  wegen  dieses  Psephisma 
nagavd^oov  zu  verfolgen,  wozu  überdies,  da  der  Basileus  noch  im  Amte 
stand,  die  Probole  des  Volkes  nötig  war.  Die  Sache  wurde  nun  an 
einen  Heliastenhof  verwiesen,  und  Leogoras  hatte  vor  demselben  aus- 
zuführen, daß  des  Basileus  Decret  wider  bestehende  Gesetze  verstieße, 
dem  Staat  nicht  nütze,  gegen  ihn  selbst  ungerecht  sei;  er  reinigte  sich 
von  der  Beschuldigung  des  Lydos  durch  ein  alibi,  er  sei  niemals  bei 
Pherekles  gewesen;  er  drang  darauf,  die  Sklaven  foltern  zu  lassen,  er  bat 
von  ihm  diesen  Beweis  seiner  Unschuld  anzunehmen,  und  die,  welche 
dasselbe  weigerten,  dazu  anzuhalten.  Der  Erfolg  war,  daß  unter  den 
6000  Stimmen  kaum  200  zu  Gunsten  des  Basileus  entschieden,  daß  somit 
das  Decret  des  Speusippus  überseitigt  war;  es  scheint,  daß  Leogoras  zu- 
gleich von  der  Beschuldigung  des  Mysterienfrevels  freigesprochen  worden. 
So  das  Verfahren  gegen  Leogoras  und  gegen  diejenigen,  welche 
infolge  der  Denunciationen  durch  die  ygatpii  äfreßetag  verfolgt  wurden 
Anders  stand  es  mit  Alcibiades,  dem  vom  Volke  erwählten  Feldherrn; 
auch  er  war,  mindestens  in  den  zwei  Anzeigen  des  Andromachos  und 
der  Agariste,  unter  den  Schuldigen  genannt,  aber  seine  amtliche  Stellung 
sicherte  ihn  vor  einer  bloßen  ygcc^v;  er  mußte  entweder  in  einer 
Epicheirotonie  von  selten  des  Volkes  seines  Amtes  entsetzt,  oder  eine 
Eisangelie  gegen  ihn  versucht  werden.  „Die  Beschuldigung  gegen  ihn 
griffen  besonders  diejenigen  auf,  welche  ihm  feindselig  waren,  weil  er 


"  Diese  Annahme  scheint  mir  wenig  haltbar  zu  sein,  da  einerseits  keine 
amtliche  Stellung,  die  Leogoras  damals  gehabt  hätte,  nachzuweisen  ist,  anderer- 
seits es  zu  verwundem  wäre,  daß  nicht  dasselbe  Verfahren  gegen  Alcibiades 
angewendet  worden;  überdies  hätte  mit  derselben  Leichtigkeit,  wie  ein  solches 
Privilegium  gegen  Leogoras,  eine  Eisangelie  gegen  denselben  beim  Volke  durch- 
gesetzt werden  können;  oder  es  ist  doch  wohl  nicht  anzunehmen,  daß  nur  Privat- 
leute die  Befugnis  zur  Eisangelie  gehabt  hätten? 

^^  Ich  stimme  hier  ganz  der  Ansicht  bei,  daß  tiberall  die  fqaq>ri  nicht  per- 
sönliche Verhaftung  oder  Bürgenstellung  seitens  des  Verklagten  motivierte,  und 
daß,  wenn  dergleichen  eintreten  sollte,  andre  Klagform  zu  wählen  war  (Attischer 
Prozeß  8.  581). 


32  I^es  Aristophancs  Vögel 

ihnen  bei  ihren  Absichten  auf  dauernden  Einfluß  beim  Volk  im  Wege 
stand,  in  der  Hofihung,  wenn  sie  ihn  einmal  entfernt  hätten,  die  erste 
Rolle  zu  spielen"^®.  Es  wnrde  das  Volk  bearbeitet,  [203]  das  Ge- 
schehene vergrößert,  die  öffentliche  Meinung  so  aufgeregt,  daß  man  sich 
von  einer  förmlichen  Klage  gegen  den  Feldherrn  besten  Erfolg  versprach. 
Man  mußte  die  Eisangelie  wählen;  wer  sie  machte,  wird  nicht  ausdrück- 
lich berichtet,  aber  nach  den  Äußerungen  Plutarchs^®  ist  es  kaum 
zweifelhaft,  daß  es  Androkles  war®^  Seine  Eisangelie  lautete,  „daß 
Alcibiades,  des  Kleinias  Sohn  von  Skambonidä,  eine  Hetarie  vereinigt 
habe  um  Neuerungen  zu  machen,  und  daß  die  Hetarie  im  Hause  des 
Polytion  beim  Gelage  die  Mysterien  gemacht  habe"®^  Die  Eisangelie 
konnte  nun  entweder  beim  Senat  oder  unmittelbar  beim  Volk,  da  jedoch, 
wie  es  scheint,  nur  in  der  Kyria  der  Prytanie  eingebracht  werden  ®^ 
Vielleicht  mochte  diese  zu  fern  sein,  die  Eisangelie  wurde  beim  Senat 
eingereicht.  Dem  Senat  stand  es  frei,  entweder  selbst  zu  richten,  falls 
die  Strafe  nicht  seine  Competenz  überstieg,  oder  die  Sache  an  einen 
Gerichtshof  oder  endlich  an  das  Volk  zu  überweisen.  Letzteres  geschah 
in  vorliegendem  Falle®*;  und  eine  außerordentliche  Versammlung  wurde 
anberaumt  ®'^.  In  der  Ekklesie  begannen  nun  [204]  die  Verhandlungen 
mit  der  Frage,  ob  es  dem  Volke  gut  scheine,  die  Eisangelie  gegen 
Alcibiades  anzunehmen  oder  zurückzuweisen ^^  Die  Prytanen  befragen; 
Kläger  von  seinen  Freunden  unterstützt  spricht  für  Annahme  der  Klage. 
Dann  erhebt  sich  Alcibiades,  verteidigt  sich  zunächst  gegen  die  vor- 
gebrachten Denunciationen  und  stellt  deren  Wahrhaftigkeit  in  Abrede; 


»0  Thucyd.  VI  28. 

^  Plutarch.  Alcib.  19.  Wenn  derselbe  eben  da  sagt,  daß  die  Klagepuukte 
der  (ersten)  Eisangelie  in  der  des  Thessalos  zu  lesen  seien,  so  ist  das  ein  Irrtum, 
der  alles  verwirrt;  in  der  ersten  Eisangelie  war  die  Mysterienfeier  im  Hause  des 
Polytion  und  als  besonders  thätige  Teilnehmer  Nikiades  und  Meletos  genannt^ 
in  der  zweiten  dagegen  die  im  Hause  des  Alcibiades  selbst  unter  besonderer  Mit- 
wirkung des  Theodoros  und  Polytion ;  von  der  im  Hause  des  Charmides  scheint, 
ich  weiß  nicht  aus  welchen  Gründen,  in  keiner  von  beiden  Erwähnung  zu  sein. 

®*  Schon  in  den  Seriphiern  und  den  Iloren  des  Kratinos  war  Androkles 
der  Pittheer  (Arist  lihet.  II  p.  1400a)  verspottet,  und  Ekphantides  nannte  ihn 
einen  Beutelschneider  (Schol.  ad  Arist.  Vesp.  1187  Runkel  Eupolis  et  Phere- 
cratcs  p.  193);  als  die  Oligarchie  der  Vierhundert  begann,  war  er  der  erste,  den 
man  in  der  Hoffnung,  dem  Alcibiades  zu  gefallen,  todt  schlug  (Thucyd.  VIII  65). 

®'  Isocrat.  de  big.  6. 

^  PoUux.  VIII  95  Schoemann  de  comitiis  p.  204  [vgl.  Arist.  pol.  Ath.  43,41. 

^*  Wahrscheinlich,  weil  er  durch  Entscheidung  des  Volkes,  ob  die  Klage 
anzunehmen,  zugleich  suspendiert  wurde  in  seinem  Amte. 

®*  Isoer.  1.  c. 

^  Man  vergleiche  den  Prozeß  gegen  die  Feldherrn  der  Arginusenschlacht 


und  die  Hermokopiden  33 

nicht  um  der  Eisangelie  zu  entgehen;  mit  überraschender  Wendung 
fordert  gerade  er  dasselbe  wie  sein  Kläger,  Untersuchung  und  strenges 
Gericht;  werde  er  schuldig  erkannt,  so  wolle  er  seine  Strafe  leiden; 
finde  man  ihn  ohne  Schuld,  wie  er  es  sei,  so  wolle  er  Feldherr  bleiben. 
Die  Gegner  beginnen  für  den  Erfolg  ihrer  Maßregel  besorgt  zu  sein; 
sie  fürchten,  daß,  wenn  die  Klage  angenommen,  entweder  in  der 
Ekklesie  oder  vor  Gericht  zur  Entscheidung  kommt,  Alcibiades  die 
Stimmen  derer,  die  im  Heere  sind,  für  sich  haben  wird,  daß  auch  das 
übrige  Volk,  da  unter  den  Bundesgenossen  namentlich  die  Argiver  und 
Mantineer  von  außerordentlicher  Anhänglichkeit  für  den  Feldherm  sind, 
denselben  nicht  wagen  wird  zu  verurteilen,  um  nicht  die  Bundesgenossen 
zur  Heimkehr  oder  gar  noch  Ärgerem  zu  bewegen.  So  veranlassen 
Alcibiades'  Feinde  einige  Redner,  die,  ihm  im  Herzen  feind,  äußerlich 
seiner  Sache  anhängen,  gegen  die  Annahme  der  Eisangelie  zu  sprechen: 
es  sei  weder  schicklich,  noch  zum  Besten  des  Staates,  den  Feldherm 
einem  Prozeß  auszusetzen,  das  Volk  möge  befehlen,  Alcibiades  solle 
für  jetzt  in  See  gehen  und  den  Zug  nicht  weiter  verzögern,  nach 
seiner  Rückkehr  aber  solle  die  Sache  vorgenommen  und  entschieden 
werden.  Alcibiades  erkennt  sehr  wohl  die  arge  Absicht  dieses  Vor- 
schlages, er  stellt  dem  Volke  vor,  wie  unverantwortlich  es  sein  würde, 
ihn  mit  solchen  Beschuldigungen  belastet  als  Feldherm  auszusenden, 
er  müsse  entweder,  wenn  er  sich  nicht  verteidigen  könne,  zum  Tode 
[205]  verdammt  werden,  oder  wenn  er  seine  Unschuld  erwiesen,  ohne 
Furcht  vor  seinen  Verleumdern  gegen  den  Feind  gehen  können.  Es 
ist  vergebens:  das  Volk  beschließt,  die  Eisangelie  wegen  der  Hetärie 
zu  Neuerungen  und  wegen  der  Mysterienverletzung  im  Hause  des 
Polytion  solle  bis  zu  seiner  Rückkehr  über  Seite  gelegt  werden,  er 
selbst  sich  einschiffen '^ 

Leider  kennen  wir  die  Namen  der  Redner  nicht,  welche  die  Ver- 
legung des  Prozesses  in  Vorschlag  brachten;  uns  würde,  kennten  wir 
sie,  das  Getriebe  der  Parteien  um  vieles  deutlicher  hervortreten.  Wer 
sie  auch  waren,  man  sieht,  welchen  bedeutenden  Stoß  der  Einfluß  des 
Alcibiades  erlitt,  wenn  er  nicht  einmal  mit  einer  so  billigen  Fordemng 
durchdrang.  Und  ist  diese  selbst  nicht  ein  großer  Beweis  seiner  Un- 
schuld? Ich  glaube,  nein;  es  ist  wohl  kein  Zweifel,  daß  er  unter  den 
Schuldigen  der  Mysterienverletzung.  Zwar  sagt  Isokrates  an  der  mehr- 
fach erwähnten  Stelle,  daß  Alcibiades  die  Unwahrheit  der  gegen  ihn 
vorgebrachten  Beschuldigungen  erwiesen  habe,  so  daß  das  Volk  gem 
von  seinen  Anklägern  Strafe   genommen   hätte;  indes  scheint  dieser 


«  Thucyd.  VI  89  Plutarch.  Alcib.  19. 
Droysen,  KL  Schriften  n. 


34  Des  Aristophanes  Vögel 

Ausdruck  in  einer  Rede  zu  Gunsten  Alcibiades  des  Sohnes  nicht  allzu 
streng  genommen  werden  zu  dürfen.  Wenn  trotz  des  Bewußtseins 
seiner  Schuld  Alcibiades  auf  sofortiges  Gericht  drang,  so  war  seine 
Absicht  offenbar,  mit  aller  Kraft  seines  persönlichen  Einflusses,  unter 
Mitwirkung  seiner  Hetärie,  unterstützt  von  der  Ungeduld  der  ver- 
sammelten Bundestruppen  und  der  Besorgnis  des  Volks»  vor  den  Folgen 
derselben,  einen  Richterspruch  zu  gewinnen,  der  ihm  und  seiner  Partei 
sofort  das  ganze  moralische  Übergewicht  eines  Sieges  da  in  Händen 
gab,  wo  man  seinen  Sturz  unvermeidlich  geglaubt  hatte.  Die  Nieder- 
lage, welche  er  durch  den  bezeichneten  Ausgang  der  Eisangelie  erlitte, 
gab  seinen  Gegnern  Anlaß  und  Mut  zu  neuen  und  kühneren  Machina^ 
tionen. 

D.  Die  Prozesse  naeh  Abfahrt  der  Flotte. 

[206]  Die  durch  die  obigen  Denunciationen  veranlaßten  Unter- 
suchungen mochten  sich  zum  Teil  über  die  Abfahrt  der  Flotte  hinaus 
fortsetzen;  namentlich  scheint  die  Hermendenunciation  des  Teukros  auf 
bedeutende  Spuren  geleitet  zu  haben,  wennschon  sie  nicht  den  neuerlich 
verübten  Frevel  anging.  Mindestens  erklärten  die  beiden  Inquisitoren 
Peisandros  und  Charikles,  die  damals  als  patriotische  Männer  gerühmt 
wurden,  der  begangene  Hermenfrevel  sei  nicht  das  Werk  einiger  weniger, 
er  zwecke  vielmehr  auf  den  Umsturz  der  Demokratie  ab;  man  müsse 
weitere  Untersuchungen  anstellen,  und  sich  mit  den  bisherigen  Er- 
gebnissen nicht  genügen  lassend  Es  begann  eine  fürchterliche  Zeit; 
wer  nur  irgendwie  beschuldigt  war,  wurde  un verhörter  Sache  in  Ver- 
haft  genommen*,  gegen  Alcibiades  wuchs  die  Erbitterung  mit  jedem 
Tage,  auf  ihn  wurde  alles  zurückgeschoben,  wer  nur  mit  ihm  verwandt, 
befreundet,  bekannt  war,  erfuhr  die  Wut  des  Volkes^;  der  Staat  war 
in  solchem  Zustande,  daß,  sobald  der  Herold  in  das  Rathaus  berief, 
sich  der  Senat  eiligst  versammelte,  die  Bürger  aber,  welche  auf  dem 
Markte  zusammenstanden,  auseinander  liefen,  weil  jeder  für  seine  Person 
verhaftet  zu  werden  befürchtete*  und  in  seinem  Hause  die  Sicherheit 
suchte,  die  ihm  sein  Herd  gewährte.  Allgemein  war  die  Überzeugung, 
daß  dem  Geschehenen  eine  oligarchische  oder  tyrannische  Verschwörung 


^  Andocid.  de  myst.  §  36. 

'  Dies  daher,  weil  man  die  ganze  Sache  nun  nicht  mehr  als  naeßeia,  sondern 
als  7T()oSo(Tia  oder  richtiger  xaiälvai^  rov  ör/fiov  betracht<ete,  somit  nach  dem 
Decret  des  Kanuonos  t('tv  ng  tov  ötjfiov  döixfj  u.  s.  w.  ohne  weiteres  persönliche 
Haft  oder  hinreichende  Bürgschaft  eintreten  mußte,  s.  Hudtwalker  Diaet.  S.  95. 

'  Plutarch.  Alcib.  c.  19.  *  Andocides  de  myst  §  37. 


und  die  Hermokopiden  35 

zum  Grunde  liege;  ins  Ungemessene  mehrte  sich  der  gegenseitige  Arg- 
wohn, die  Zahl  der  Verhaftungen^;  die  allgemeine  Aufregung  war 
[207]  um  so  wilder,  da  sich  das  eigentliche  Verbrechen  aus  jener 
Frevelnacht  immer  noch  auf  das  Hartnäckigste  verbarg. 

Da  reichte  Diokleides,  ein  athenäischer  Bürger,  bei  dem  Senat 
eine  Denunciation  ein,  in  der  er  behauptete  die  Personen  zu  kennen, 
welche  die  Hermen  in  jener  Nacht  verstümmelt  hätten;  es  seien  ihrer 
etwa  dreihundert.  Er  sagte  aus®:  er  habe  einen  Sklaven,  der  in  Laurion 
Arbeit  genommen  habe;  nun  sei  es  gerade  imi  die  Zeit  des  Hermen- 
frevels gewesen,  daß  er  habe  hinausgehen  und  sich  dessen  Apophora 
holen  wollen;  das  helle  Licht  des  Vollmondes  habe  ihn  getäuscht,  so 
daß  er  in  der  Nacht  bereits  aufgestanden  und  ausgegangen  sei.  Als 
er  nun  zur  Vorhalle  des  Dionysostheaters  gekommen,  habe  er  viele 
Menschen  vom  Odeum  herab  nach  der  Orchestra  zu  gehen  sehen,  habe 
sich  aber  vor  ihnen  gefürchtet  und  sei  in  den  Schatten  zwischen  einer 
Säule  und  dem  Piedestal  der  Strategenbildsäule  getreten;  von  hier  aus 
habe  er  jene  Männer,  fast  dreihundert  an  der  Zahl,  betrachtet,  und 
gesehen,  wie  sie  in  einzelnen  Gruppen  von  fünf,  zehn,  auch  zwanzig 
dagestanden;  beim  Mondschein  habe  er  die  Gesichter  der  meisten  er- 
kannt Nachdem  er  dies  gesehen,  sei  er  nach  Laurion  gegangen;  und  des 
andern  Tages  habe  er  gehört,  daß  die  Hermen  verstümmelt  seien.  Gleich 
habe  er  sich  gedacht,  daß  die  That  wohl  von  jenen  Männern  geschehen 
sei.  Als  er  zur  Stadt  zurückgekommen,  habe  er  bereits  die  Inquisitoren 
ernannt  gefunden,  auch  gehört,  daß  dem  Anzeiger  der  That  100  Minen 
Belohnung  ausgesetzt  seien.  Da  habe  er  den  Euphemos,  des  Kallias 
Sohn  ^,  in  seiner  Eisenwerkstätte  sitzen  sehen,  sei  mit  ihm  in  das  [208] 
Hephästeum  gegangen  und  habe  zu  ihm  gesagt,  daß  er  sie  gestern  Nacht 
erkannt  habe,  daß  er  eben  so  gern  von  ihnen  als  vom  Staat  Geld  nehmen 
und  sie  sich  gern  verpflichten  würde.  Das  habe  Euphemos  gar  sehr  ge- 
billigt-, habe  ihn  aufgefordert,  mit  ihm  zum  Hause  des  Leogoras  zu  gehen, 
um  mit  Andocides  und  den  andern,  die  es  anginge,  weiter  zu  verhandeln. 
Andern  Tages  sei  das  geschehen,  und  als  man  gerade  an  die  Thür  ge- 
pocht, sei  Leogoras  zufällig  ausgegangen  und  habe  gesagt:  „erwarten  sie 
dich  denn  nicht?  solche  Freunde  darf  man  nicht  abweisen",  sodann  habe 


»  Thucyd.  VI  60  Andocid.  de  reditu  §  8. 

*  Andocid.  §§  37 — 43.  Über  Diokleides  ist  mir  nichte  Weiteres  bekannt 
^  Ich  zweifle,  daß  dieser  Euphemos  noch  anderswo  außer  in  dieser  Rede 
genannt  wird;  mindestens  ist  der  um  wenige  Zeit  später  in  Sicilien  anwesende 
natürlich  nicht  dieser  (Thucyd.  VI  75),  und  auch  für  den  in  Aristoph.  Vesp.  599 
genaimten  Exxpijfiio?  ist  kein  Grund  zur  Identität  mit  dem  unsrigcn.  Übrigens 
war  des  Lysias  Or.  90  [fr.  103.  104  Didot]  gegen  einen  £uphemos  gerichtet. 

3* 


36  Des  AiistophaneB  Vögel 

er  die  Thür  geöShet    Hierauf  sei  das  Übereinkommen  getroffen,  daß 
man  ihm,  dem  Diokleides,  statt  der  100  Minen,  die  der  Staat  ausgesetzt^ 
120  Minen  im  nächsten  Monat  zahlen  wolle,  man  habe  darüber  im 
Hause  des  Eallias  und  mit  dessen  Beistimmung  abgeschlossen,  und  das 
Oanze  auf  der  Burg  beschworen ;  da  nun  die  Zahlung  nicht  eingehalten 
sei,  so  denunciere  er.    Zugleich  überreichte  er  eine  liste  von  42  Per- 
sonen, die  er  unter  jenen  dreihundert  zu  kennen  behauptete,  und  an  deren 
Spitze  zwei  anwesende  Senatoren,  Mantitheos  und  Aphepsion^,  standen. 
[IV  27]  So  die  ausführliche  Anzeige  des  Diokleides  •;  der  Eindruck, 
den  dieselbe  auf  die  Versammelten  machte,  war  außerordentlich;  Pei- 
sandros  trag  darauf  an,  daß  das  Psephisma  des  Skamandrios^^  aufge- 
hohen  und  die  Denuncierten  auf  die  Folter  gebracht  würden,  damit  noch 
vor  Anbruch   der  Nacht  alle  Teilnehmer  des  Frevels,   denn  nur  42 
waren  ja  erst  namentlich  bekannt,  entdeckt  würden.    Der  Senat  schrie 
laut  Beifall;  Mantitheos  und  Aphepsion  aber  setzten  sich  an  den  Altar 
und  flehten,  man  möchte  sie  nicht  foltern,  man  möge  sie  Bürgen  stellen 
lassen  und  dann  vor  Gericht  ziehen.    Mit  Mühe  erlangten  sie  Gehör  und 
was  sie  wünschten;  sie  stellten  Bürgen,  und  setzten  sich  sofort  zu  Pferde, 
um  zu  dem  Lager  der  Spartaner,  die  gerade  auf  dem  Isthmus  erschienen 
waren,  zu  flüchten.    Der  Senat  aber  stand  auf  und  ließ  die  übrigen 
Denuncierten  in  aller  Stille  in  Haft  bringen;  darauf  berief  er  die  Stra- 
tegen und  ließ  bekannt  machen,  daß  die  Bürger  in  der  Stadt  den  Markt, 
die  zwischen  den  langen  Mauern  das  Theseion,  die  im  Piraeus  den  Hip- 
podamischen  Markt  besetzen,  die  Reiter  sich  auf  das  Signal  der  Trom- 
pete beim  Anakeion  stellen,  der  Senat  auf  der  Burg,  die  Prytanen  im 
Tholos  übernachten  [28]  sollten.    Man  glaubte,  die  Spartaner  seien  nicht 
der  Böoter  wegen,   wie  es  wirklich  war,   sondern  im  Einverständnis 
mit  den  Verschworenen  ins  Feld  gerückt  und  würden  nun,  von  den 
beiden  flüchtigen  Senatoren  über  die  ihren  Anhängern  drohende  Gefahr 
unterrichtet,  sofort  auf  Athen  losgehen;  und  noch  war  von  den  drei- 
hundert, die  man  als  Verräter  fürchten  zu  müssen  glaubte,  erst  der 
kleinste  Teil  bekannt;  von  den  andern  mußte  man  das  äußerste  erwar- 
ten, da  jede  Zögerung  ihnen  Untergang  bringen  konnte  ^^    Um  die 

^  Mantitheos  ist  natürlich  nicht  der  aus  Lysias  Or.  16  bekannte,  mit 
aller  Wahrscheinlichkeit  aber  der  in  Xenoph.  Hell.  I  1,  10.  3, 18  genannte,  welcher 
Ol.  92  2,  nach  dem  Sturz  der  Oligarchie  in  Karien  von  Tissaphemes  gefangen 
war,  dann  aber  als  Gesandter  an  den  GroßkSnig  ging.  Aphepsion  [Apsephion, 
vgl.  0. 1.  A.  1288]  ist  mir  sonst  nicht  bekannt. 

*  Andocides  sagt  etaa^^^Aea,  in  der  Bedeutung  von  fij^waig, 

^^  Nicht  mit  Unrecht  hält  man  allgemein  dafür,  daß  durch  dies  Decret  das 
Foltern  der  Freien   verpönt  war.    Vgl.  Meier  de  bon.  damn.  p.  53  Anm.  165. 

"  Andodd.  de  myst.  §  45. 


nnd  die  Hermokopiden 


37 


Verwiirüiig  und  Erbitterrmg  noch  zu  mehren  kam  eben  jetzt  ans  Argos 
die  Nachricht^  daß  dort  von  den  Gastfreunden  des  Alcibiades  der  Versuch 
gemacht  sei  die  Demokratie  aufzulösen";  ja  von  der  Nordgrenze  her 
ward  berichtet  die  Böotier  hätten  ein  Lager  an  der  Grenze  bezogen  ^'. 
So  schien  sich  von  allen  Seiten  her  die  furchtbarste  Gefahr  über  Athen 
zusammengezogen  zu  haben;  man  zweifelte  nicht,  daß,  hätte  Diokleides 
nicht  denunciert,  alles  verloren  gewesen  wäre;  er  ward  als  der  Retter 
der  Stadt  gepriesen,  das  Volk  zog  seinen  Wagen  in  das  Prytaneum, 
kränzte  und  bewirtete  ihn  dort^*. 

Indes  waren  die  von  ihm  namentlich  Angezeigten  in  Verhaft  ge- 
bracht; es  befanden  sich  unter  denselben  besonders  der  alte  Leogoras, 
sein  Sohn  Andocides,  sein  Schwiegersohn  Eallias,  dessen  Bruder  Eu- 
phemos,  femer  Charmides^^,  [29]  Taureas^®  und  dessen  Sohn  Nisaios, 

"  Thucyd.  VI  61.  *»  Andocid.  1.  c.  "  Andocid.  1.  c 

"  Um  die  Übersicht  zu  erleichtem,  teile  ich  hier  die  Stammtafel  für  Andoci- 
des Haus  mit,  im  einzelnen  abweichend  von  Bossler  de  gentibus  et  familiis  Atticae 
p.  31  (die  Descendenz  des  Leogoras  I  ist  mit  griechischen  Lettern  bezeichnet). 

AsoYOQttg  I. 


Ävdoxldrjg  L 


N.  N. 


Epilycus 

I 

Tisander 


ejus  uxor 


uxor 
Callaeschri 


filia      N.  N. 
u.  Alcmaeonis 


AeafOQagH.      filia        Critias 
^^^  -^  ^^^^^  Ariatotelieux. 

m.  Glauco  Leagri  f. 


filia    filia 


Callaeschrus 


XaQfiLdrig 


KixXUag     Tavqiag 


(N.  N.)     Nivatog 


Telecles 


N.  N. 


Leager      fdia       Ävöoxiöijg    filia 
m.  Öallias    nat  Ol.  78 1 


mar.  Callias     £uphemns       ftJia     (Phrynichus) 

u.  Eucratis 

Charmides  des  Aristoteles  Sohn  scheint  sonst  nicht  weiter  vorzukommen, 
wohl  aber  sein  Vater  Aristoteles;  der  war  der  Sohn  des  Timokrates  und  Ol.  88  8 
Befehlshaber  der  Flotte  (Thucjd.  III  105);  derselbe  ist  der  unter  den  Dreißig 
genannte  Aristoteles  (Plato  Farmen,  in.).  Ich  glaube,  daß  der  in  Aristoph.  Acharn. 
1166  Av.  712.  1491  genannte  Lopodyt  Orestes,  den  die  Scholien  ad  Av.  1491 
des  Timokrates  Sohn  nennen,  des  Aristoteles  Bruder  ist;  wäre  es  ein  gemeiner 
Dieb,  warum  sollte  von  ihm  die  Bede  sein?  Die  Emendation  Schweighäusers  zu 
Athen.  XIII  p.  568  statt  Tifioxgajovg  ein  TifioxXdovg  zu  lesen,  ist  ganz  unstatthaft. 

^^  Dies  ist  derselbe  Taureas,  dessen  Palfistra  Plato  (Charmid.  init)  und 
Lucian  im  Parasiten  erwähnt,  und  von  dem  Andocid.  in  Alcib.  20  und  aus  ihm 
Plutarch.  Alcib.  16  erzählt,  daß  er  im  choregischen  Wettkampf  von  Alcibiades 
geohrfeigt  worden. 


38  I^es  AriBtophanes  Vögel 

Kallias  des  Alkmaion  [30]  Sohn",  Phrynichosi«,  Eukrates^»,  Kritias^o, 
sämtlich  nähere  oder  entferntere  Verwandte  des  Andocides.  Alle 
wurden  sie  in  dasselbe  Gefiingnis  gebracht;  mit  der  Nacht  kamen  die 
Frauen,  Schwestern,  Mütter  und  Kinder  zu  den  Ihrigen,  und  begannen 
zu  jammern  und  zu  wehklagen.  Da  wandte  sich  einer  der  Mitge- 
fangenen^^ an  Andocides,  und  [31]  forderte  ihn  auf,  ein  Geständnis 
zu  machen;  da  man  ihn  allgemein  für  einen  der  Schuldigsten  halte, 
werde  man  ihm  glauben,  er  aber  werde  durch  die  verheißene  Straf- 
losigkeit sich  selber  erretten  und  überdies  die  Aufregung  der  Stadt 
beenden,  auch  die  andern,  die  durch  Diokleides  schuldlos  ins  Gefängnis 
gekommen  seien,  von  weiterer  Gefiihrde  befreien;  überdies  seien  ja  die, 
mit  denen  er  sonst  in  Verbindung  gewesen  und  um  deren  Willen  er 
seine  Verwandten  vernachlässigt  habe,  größtenteils  alle  durch  Teukros' 
Anzeige  landesflüchtig  oder  hingerichtet ^^    Andocides  entschloß  sich 


"  Über  diesen  Kallias  ist  mir  weiter  keine  Notiz  bekannt;  seinen  Vater 
Alkmäon  möchte  ich  nicht  für  einen  Bruder,  sondern  für  einen  Schwager  des 
Andocides  I  halten;  nun  ist  es  auffallend,  daß  im  Geschlecht  der  Alkmäoniden 
von  Megakles  Söhnen  der  eine  nach  dem  mütterlichen  Großvater  Kleisthenes 
(der  berühmte),  ein  zweiter  nicht  etwa  nach  dem  väterlichen  Großvater  Alkmäon, 
sondern  mit  entfernterem  Namen  Hippokrates  genannt  wird;  da  dies  gegen  allen 
Gebrauch  ist,  so  vermute  ich,  daß  Megakles,  der  berühmte  Gegner  des  Pisistratos 
einen  dritten  Sohn  Namens  Alkmäon  gehabt  und  dieser  sich  mit  der  Tochter 
des  Leogoras,  der  ein  thätiger  Tyrannenfeind  war,  vermählt  hat. 

**  (pqvptx^g  6  o^rjdufA^vo^y  dtfeipiOy  Andocid.  §  47;  gewiß  ist  die  Bezeichnung 
6  d^jjfjyo'tt^fii'oj  falsch,  die  von  Heiske  vorgeschlagenen  Verbesserungen  6  *JEqx^^ 
dfibg  dverpibg,  6  ÄQ/eßiadov,  6  Jixovudvov  haben  keinen  sichern  Grund :  es  ist  nach 
der  Stellung  der  Parteien  wahrscheinlich,  daß  Phrynichos  der  Deiradiote  [Harpo- 
krat  s.  V.]}  der  unter  den  Vierhundert  so  berüchtigt  werden  sollte,  gemeint  ist; 
zwar  soll  dieser  nach  Lysias  pro  Polystr.  11  von  armem  Geschlecht,  vom  Lande 
her,  in  seiner  Jugend  Hirte  gewesen  sein,  indes  ist  das  sichtlich  übertrieben;  da 
ich  seines  Vaters  Namen  nicht  weiß,  so  kann  ich  nicht  sagen,  was  ich  für 
6  ö^/i7<ra,<ifyo?  zu  lesen  für  wahrscheinlich  halte. 

**  Eukrates,  des  Nikeratos  Sohn,  des  berühmten  Nikias  Bruder,  der  minde- 
stens zur  Zeit  der  Dreißig  sich  als  entschiedensten  Volksfreund  gezeigt  hat  (Lysias  18). 

^^  Kritias  des  Kallaischros  Sohn,  damaliger  Zeit  ein  treuer  Anhänger  des 
Alcibiades  (Critiae  fr.  3.  4). 

'^  Nach  Andocides  (de  myst.  §  48)  war  dies  Charmides  AristoteleB  Sohn, 
Plutarch  (Aicib.  21)  dagegen  nennt  einen  Timaios,  der  minder  vornehm  als 
Andocides,  aber  schlauer  und  kühner  gewesen  sei;  wenn  nicht  Nisaios  statt  dessen 
gemeint  ist,  so  weiß  ich  nicht,  wer  der  Mann  gewesen. 

*'  So  Andocid.  §  49,  woraus  man  noch  immbr  entnehmen  kann,  was  Thucy- 
dides  (VI  60)  andeutet,  daß  der  gute  Freund  auch  nötigenfalls  ein  falsches 
Zeugnis  für  nützlich  erachtet  habe.  Plutarch  1.  c.  scheint  ohne  weitere  Quellen, 
und  um  die  Sache  nach  seiner  Weise  dramatischer  zu  machen,  die 'Notwendigkeit 
einer  falschen  Angabe  zu  stark  hervorzuheben. 


und  die  Hermokopiden  39 

ZU  der  Anzeige;  nach  seinem  eigenen  Berichte  sagte  er  vor  dem  Senat 
aus,  „daß  er  die  Personen  kenne,  die  den  Hermenfrevel  begangen 
hätten;  Euphiletos  habe  während  eines  Gelages  die  That  zu  verüben 
in  Vorschlag  gebracht,  und  er,  Andocides,  sich  dem  widersetzt  und 
bewirkt,  daß  sie  damals  nicht  zur  Ausführung  kam;  bald  darauf  habe 
ihn  ein  Sturz  vom  Pferde  auf  das  Krankenlager  geworfen,  und  diese 
Zeit  habe  Euphiletos  benutzt  um  seine  Hetären  zu  überzeugen,  daß 
Andocides  sich  endlich  habe  bereden  lassen  an  der  Sache  teilzunehmen 
und  daß  er  die  Herme  vor  dem  Phorbanteion  verstümmeln  werde; 
darum  sei  diese  Herme  allein  unverstümmelt  geblieben.  Als  nun  anderen 
Tages  die  Hetären  diese  unverstümmelt  gesehen  hätten,  sei  es  ihnen 
bedenklich  geworden,  daß  Andocides  um  den  Frevel  wisse  ohne  Mit- 
schuldiger zu  sein;  darum  seien  Euphiletos  und  Meletos  zu  ihm  ge- 
kommen, und  hätten  ihm  eröffnet,  was  sie  gethan,  [32]  und  daß,  wenn 
er  schwiege,  sie  nach  wie  vor  gute  Freunde  sein  würden,  wenn  aber 
nicht,  sie  ihm  als  Feinde  gefahrlicher  werden  würden,  wie  vielleicht 
gewisse  andere  ihretwegen  ihm  Freund  werden  möchten.  Darauf  habe 
er  sich  noch  einmal  sehr  ernstlich  gegen  das  Geschehene  erklärt,  im 
übrigen  gesagt,  daß  er  schweigen  werde".  Zur  Bestätigung  dieser  An- 
gaben brachte  Andocides  Sklaven  und  Sklavinnen  vor,  die  bekannten, 
daß  er  zur  Zeit  des  Hermenfrevels  wirklich  bettlägerig  gewesen  sei. 
Da  nun  seine  Aussage  mit  der  des  Diokleides  im  geraden  Widerspruch 
stand,  so  daß  entweder  die  eine  oder  die  andere  lügenhaft  sein  mußte, 
so  wurde  die  Sache  vom  Senat  und  den  Inquisitoren  weiter  untersucht, 
Diokleides  vorgefordert  und  scharf  inquiriert;  es  wurde  zur  Sprache 
gebracht,  daß  er  die  Leute  im  Lichte  des  Vollmondes  erkannt  zu  haben 
behauptete,  da  doch  in  jener  Nacht  des  Frevels  Neumond  gewesen  sei  ^^ 
u.  s.  w.  Bald  genug  gestand  Diokleides,  daß  er  gelogen  habe,  daß  er 
sich  habe  zur  falschen  Anzeige  erkaufen  lassen,  und  zwar  durch  den 
Phegusier    Alcibiades    und   Amiantos    von   Ägina^*,    daß    [33]    man 


''  Diodor  XIII  2,  der  nur  diese  Anzeige  kennt;  Plutarch.  Alcib.  20,  der 
zugleich  aus  Phrynichos,  wahrscheinlich  dessen  Monotropos,  welche  Komödie 
Ol.  91  2  aufgeführt  worden,  folgende  Verse  citiert: 

O  liebster  Hermes,  hüte  dich  sehr,  damit  du  nicht 
Hinfällst  und  entzwei  brichst  und  ein  zweiter  Diokleides  so, 
Der  auch  verleumden  möchte,  von  dir  ein  M&rchen  spinnt. 
Hermes.  Ich  werde  mich  hüten.    Auch  dem  Teukros  möcht  ich  nicht, 
Dem  blutigen  Fremdling,  neue  Prftmien  bringen  — 
'^  Dieser  Alcibiades  ist  sicher  der  Sohn  des  Aziochos,  der  der  jüngere 
Bruder  von  Alcibiades  Vater  Kleinias  war;  er  flüchtete  jetzt  und  befand  sich 
Ol.  92  4  auf  der  Flotte  der  Syrakusier,  fiel  in  dem  Gefecht  bei  Methymna  in  die 
Hände  des  athen&ischen  Feldherm  Thrasyllos,  der  ihn  steinigen  ließ.    Xenoph. 


40  Des  Aristophanes  Vdgel   . 

Barmherzigkeit  gegen  ihn  haben  möchte.  Er  aber  wurde  dem  Gericht 
übergeben,  nnd  nach  dem  Gesetz  über  falsche  Denunciation^'^  zum 
Tode  verdammt;  Alcibiades  aber  und  Amiantos  ergriffen  die  Flucht. 
So  die  Erzählung  des  Andocides^®;  in  wesentlichen  Punkten  wei- 
chen andere  Angaben  hiervon  ab.  Thucydides,  der  es  dahingestellt 
sein  läßt,  ob  Andocides  Anzeige  wahr  oder  erlogen  gewesen,  sagt,  daß 
er  sich  selbst  mit  unter  den  Hermenverstümmlem  genannt  habe  2'; 
ebenso  Plutarch  an  einer  Stelle 2®,  an  einer  andern**  fügt  er  hinzu, 
daß  Andocides  roitg  tibqI  rä  Uqcc  äfiagrövrccg^  und  unter  diesen  sei- 
nen Vater  angezeigt,  denselben  aber  dadurch  gerettet  habe,  daß  er  ver- 
sprach, sein  Vater  werde,  wenn  man  ihm  Straflosigkeit  zusichere,  eine 
dem  Staat  höchst  wichtige  Anzeige  machen,  worauf  beides  erfolgt  sei, 
Straflosigkeit  für  Leogoras  und  dessen  Angabe  von  Unterschlagung 
öffentlicher  Gelder.  Endlich  [34]  in  der  angeblich  Lysianischen  Rede 
gegen  Andocides  geht  alles  durcheinander;  Andocides  sei  nach  dem 
früher  verübten  Frevel  ein  Jahr  lang  in  Haft  geblieben  und  habe 
dann  seine  Freunde  und  Verwandten  vom  Gefängnis  aus  denunciert'®. 
Dies    letzte   Zeugnis  ist  in  jeder   Beziehung  unbrauchbar;    und   was 


Hell.  I  2f  13:  JiXxißiädov  oyja  apstpiov  xai  (Tv^q^vyatia,  jtaidleviTey.  Palmerius  hat 
xarikvcrep  emendiert  und  in  der  Teubnerschen  Edition  steht  nTJsXvirev,  eine  Ver- 
änderung, die  für  unseren  Prozeß  von  außerordentlicher  Wichtigkeit  ist.  Nämlich 
der  berühmte  Alcibiades  war  damals  wieder  Feldherr  der  Athenäer;  wenn 
Thrasjllus,  der  kurz  darauf  mit  seinem  Geschwader  zu  ihm  stieße  seinen  Vetter, 
den  er  mit  den  Waffen  in  der  Hand  gefangen,  frei  gab,  so  mußte  der  Phegnsier 
Alcibiades  mit  seines  Vetters  wegen  frei  gegeben  werden,  stand  mit  ihm  im 
besten  Vernehmen,  hatte  also  die  Denunciationen  des  Diokleides  veranlaßt  um 
seinem  Vetter  Vorschub  zu  leisten.  Dagegen  aber  ist  einzuwenden,  daß  der 
Phegusier  dann  gewiß  nicht  mehr  bei  den  Feinden  Athens  sein  durfte,  sondern 
daß  aus  Rücksicht  für  seinen  Vetter  seine  Verdammung  aufgehoben  worden 
wäre;  auch  erinnere  ich  mich  nicht,  daß  seiner  später  Erwähnung  geschieht, 
was  z.  B.  im  Dialog  Axiochos  kaum  zu  vermeiden  gewesen  wäre;  endlich  ist  es 
augenfällig,  daß  die  von  Diokleides  Denuncierten  zum  Teil  Freunde  des  Alci- 
biades waren,  ja  der  jüngere  Alcibiades  wäre  gewiß  nicht  der  Verdächtigung  und 
Einkerkerung  entgangen,  wenn  man  ihn  nicht  für  einen  Gegner  seines  Vetters 
gehalten  hätte.  So  glaube  ich  ist  die  alte  Lesart  xeTelavtrev  richtig,  wie  denn 
überdies  xmelvaev  ungewöhnlicher  Ausdruck  wäre.  Amiantos  von  Ägina 
ist  eine  nur  vermutete  Person;  denn  die  Handschriften  geben  'A^iav  toviov 
d(  Atylvr^g,  woraus  man  eben  so  leicht  ÄdsifAaviov  xbv  fc|  Jltyivti^  machen  könnte; 
wer  der  ist,  weiß  ich  nicht. 

"  Andocides  de  myst.  §  20.  "  Andocid.  §  48  ff. 

"  Thucid.  VI  60.  "  Plutarch.  Ale.  21. 

*®  [Plutarch.]  X  Oratt.  p.  834  vgl.  die  noch  weiter  ausgeschmückte  Erzfthlung 
bei  Tzetzes  Hist.  Chil.  VI  v.  367. 

"^  Lysias  in  Andocid.  §  23. 


und  die  Hermokopiden  41 

Plutaroh  von  der  Anzeige  gegen  Leogoras  sagt,  hat  mindestens  das 
ausdrückliche  Zeugnis  des  Andocides  gegen  sich.  Nur  durch  falsche 
Interpretation  einer  Stelle  in  der  Rede,  die  Andocides  Ol.  92  2  über 
seine  Rückkehr  gehalten,  bringt  Hr.  Becker  es  heraus,  daß  der  Redner 
seinen  Vater  als  schuldig  angezeigt  habe.  Er  übersetzt:  „ich  kam  in 
„solche  Geistesverwirrung,  daß  ich  zwischen  zwei  der  größten  Übel 
„wählen  mußte,  entweder,  wenn  ich  die  Urheber  jenes  Frevels  nicht 
„nennen  wollte,  für  mein  eigenes  Leben  besorgt  zu  sein  und  selbst 
„meinen  Vater,  der  doch  nichts  verbrochen,  mit  mir  aufzuopfern  — 
„denn  dieses  mußte  erfolgen,  wenn  ich  jenes  nicht  thun  wollte  —  oder, 
„wenn  ich  das  Geschehene  mitteilte,  mich  selbst  von  der  Todesstrafe 
„zu  retten,  und  zugleich  der  Mörder  meines  Vaters  zu  werden";  im 
Text  (de  reditu  §7)  steht  gerade  das  Gegenteil,  wie  sich  auch  von 
selbst  verstehen  würde  ^^  Was  demnach  mit  der  Angabe  des  Plutarch 
über  die  Anzeige  des  Andocides  gegen  seinen  Vater  zu  machen,  ist 
nicht  recht  abzusehen,  man  müßte  denn  annehmen,  daß  irgend  etwas 
Wahres,  etwa  des  Leogoras  Angabe  über  Unterschleif  von  Staatsgeldem, 
in  späteren  Prozeßreden  gegen  Andocides  so  zu  dessen  Nachteil  aus- 
geschmückt worden  und  in  Plutarchs  Notizensammlung  über  das  Leben 
des  Redners  übergegangen  sei. 

Andocides  nun,  nachdem  er  das  oben  Berichtete  über  den 
[35]  Hermenfrevel  angegeben,  bezeichnete  als  Teilnehmer  an  dem- 
selben außer  den  bereits  von  Teukros  Denuncierten,  welche  teils  hin- 
gerichtet, teils  entflohen  waren,  noch  vier  andre ^*  aus  derselben 
Hetärie   des  Euphiletos,   namentlich   den  Panaitios^^,   Chairedemos  ^*, 


'*  Es  heißt  de  reditu  7  fj  firj  ßovXjjd-evti  xaTemeiv  —  rbv  naTifta  ovdev  ddixoUvra 
(Tvv  cjuatrrfi)  ttnoxTeivaiy  —  tj  xatemdvTi  rä  ye^Byr^fiepa  avrbv  fxkv  aq>e&evTa  fiij 
te&vapaiy  xov  öe  ifiavTOV  narQog  fif]  (povia  Yevead'ai, 

'^  Von  diesen,  meint  Andocides  (de  myst.  §  52),  war  vorauszusetzen,  daß 
sie  überdies  von  Diokleides  denunciert  worden;  sie  müssen  also  in  die  Kategorie 
derer  gehört  haben,  die  der  jüngere  Alcibiades  im  Interesse  der  Oligarchie  zu 
vernichten  wünschte.  Wenn  es  nach  Thucydides  klar  ist,  daß  mehr  als  diese 
vier  von  Andocides  denunciert  waren,  so  muß  man  berücksichtigen,  daß  eben 
nur  diese  die  bisher  noch  nicht  angezeigten  waren.  Übrigens  sind  gerade  diese 
vier  späterhin  in  ihr  Vaterland  zurückgekehrt  und  in  Athen  zu  der  Zeit,  als  Ando- 
cides in  seiner  Mysterienrede  wiederholt,  daß  er  sie  gerechterweise  angezeigt  habe ; 
dies  wflre  nicht  möglich  gewesen,  wenn  seine  Angaben  erlogen  gewesen  wäre. 

"  Sluiter  p.  41  nimmt  Anstoß  an  dieser  Erwähnung  des  Panaitios,  und 
allerdings  war  der  von  Andrem aohos  Denuncierte  gewiß  entflohen;  so  muß  denn 
dieser  ein  anderer  desselben  Namens  gewesen  sein. 

^  Bis  jetzt  ist  mir  nur  ein  Chairedemos  aus  Demosthenischer  Zeit  (Ur- 
heber des  JPsephisma  über  sofortige  Lieferung  von  Schifisgerätschaften  in  der 
angeblich  Demosthenischen  Rede  gegen  Euergos  und  Mnesibulos  §  20)  bekannt 


42  Des  Aristophanes  Vögel 

Lysistratos^*  und  Diakritos^®.  Darauf  wurde  Andocides  und  die  übrigen, 
die  er  nicht  genannt  hatte,  freigegeben'^,  auch  denjenigen  aus  der 
Liste  des  Diokleides,  welche  geflohen  waren,  die  Erlaubnis  zur  Rückkehr 
gegeben;  alle  aber,  welche  Andocides  angezeigt  hatte,  wurden  verurteilt 
und  wer  von  ihnen  im  Gefitngnis  war  hingerichtet,  wer  entflohen  war 
zum  Tode  verdammt  und  [36]  Preise  auf  ihre  Köpfe  gesetzt'®.  Die 
Bürger  aber,  die  noch  seit  dem  vorigen  Tage  unter  Waffen  waren, 
gingen  in  Frieden  nach  Hause. 

Schon  oben  ist  bezeichnet  worden,  daß  Thucydides  in  Zweifel  war, 
ob  des  Andocides  Angabe  richtig  gewesen  sei  oder  nicht.  Es  ist  nicht 
zu  verlangen,  daß  wir  Sicheres  darüber  ermitteln;  aber  leugnen  will 
ich  es  nicht,  daß  Andocides  alle  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat  Schon 
daß  er  selbst  und  die  von  Teukros  Denuncierten  auch  sonst  den  ähn- 
lichen Frevel  begangen,  spricht  dafür;  wären  andere  Schuldige  als  die 
Angegebenen  gewesen,  so  hätte  es,  bei  den  vielen  und  schnell  aufeinander 
folgenden  politischen  Veränderungen  zu  Athen,  kaum  ausbleiben  können, 
daß  später  die  Sache  nach  ihrer  Wahrheit  ans  Licht  kam.  Thucydides 
scheint  bei  seiner  sichtlichen  Parteilichkeit  gegen  Alcibiades  trotz  der 
richterlichen  Entscheidung  und  der  Anzeige  des  Andocides  noch  immer 
gemeint  zu  haben,  daß  Alcibiades  auch  an  diesem  Frevel  Anteil  gehabt'®, 
eine  Ansicht,  die  im  Lauf  der  Zeit  zu  einer  historischen  Tradition  ge- 
worden ist*^;  wie  ich  glaube,  mit  größtem  Unrecht.    Mindestens  darf 


'*  Lysißtratos,  wohl  nicht  des  Moiychides  Sohn  von  Pallene  (Corp.  Inscr. 
u.  138  [=  C.  I.  A.  I  129,  130]);  eher  glaube  ich,  daß  der  Cholargier,  der  herunter- 
gekommene Ritter  gemeint  ist  (Aristoph.  Acham.  855  Equit.  1265  Vesp.  788). 
Ein  anderer  ist  des  Makareus  Sohn;  der  von  Xenoph.  de  vectig.  3  erwähnte  Feld- 
herr ist  aus  einer  späteren  Zeit 

^  Man  hat  den  Namen  Diakritob  in  Lakritos  verwandeln  wollen;  beide 
Namen  würden  eben  so  unbekannte  Personen  bezeichnen  wie  Diakritos,  das 
durch  die  Bücher  an  zwei  Stellen  (§  52  und  67)  sicher  sein  dürfte. 

'^  Thucyd.  VI  61.  Wenn  es  heißt,  Andocides  habe  fast  noch  ein  Jahr 
gefangen  gesessen  (Lysias  iu  Andoc.  23),  so  ist  gegen  das  ausdrückliche  Zeugnis 
des  Historikers  darauf  nicht  viel  zu  geben:  daß  er  aber  in  Atimie  verfiel,  ist 
wahrscheinlich  (Sluiter.  p.  73). 

^^  Thucyd.  1.  c.  Plutarch.  21  Philochorus  apud  Schol.  ad  Arist  Avea  v.  766 
(111  M.). 

^^  Mindestens  spricht  er  mit  absiclitlicher  Undeutlichkeit;  er  sagt  (cap.  62) 
,, gegen  Alcibiades  waren  die  Athener,  gereizt  von  seinen  Feinden,  welche  ihn 
„bereits  vor  der  Abfahrt  angegriffen,  sehr  erbittert.  Und  weil  sie  über  den 
„Hermenfrevel  genau  unterrichtet  zu  sein  meinten,  so  glaubten  sie  um  so  mehr, 
„daß  auch  die  £ntwcihung  der  Mysterien,  deren  er  beschuldigt  war,  in  derselben 
„Absicht  wie  die  Conspiration  gegen  das  Volk  von  ihm  betrieben  sei." 

*^  Schon  in  Demosthenes  Zeit  gilt  dieser  Glaube  (in  Midiam  143),  und  aus  den 
folgenden  Zeiten  könnte  man  eine  große  Reihe  von  Beweisstellen  zusammenbringen. 


and  die  Hermokopiden  43 

man  behaupten,  daß  in  der  Anzeige  des  Andocides  nichts  gegen  ihn 
enthalten  war;  sonst  hätte  es  Andocides  selbst  in  seiner  Mysterienrede, 
mehr  noch  Thncydides  und  Plutarch,  ausdrücklich  erwähnen  müssen 
und  in  der  gleich  zu  nennenden  Eisangelie  des  Thessalos  hätte  es 
nicht  fehlen  dürfen;  [36]  nicht  zu  erwähnen,  daß  mindestens  im  all- 
gemeinen die  Hetärie  des  Euphiletos  oligarchisch  gesinnte  Männer  und 
Gegner  des  Alcibiades  enthält. 

Bei  dieser  Entwickelung  der  ganzen  Sache  hätte  sich  das  Volk 
beruhigen  können  und  allerdings  war  man  nun  überzeugt,  daß  die 
Gefahr,  die  sich  in  dem  Hermenfrevel  vorgedeutet  hatte,  vorüber  sei 
Aber  es  trat  hier,  wie  so  oft  in  den  Bewegungen  der  Menge,  eine 
seltsame  Verkehrung  ein;  man  hatte  hinter  dem  Hermenfrevel  tiefere 
Tendenzen  gefürchtet,  und  da  man  sie  nicht  fand,  suchte  man  sie 
irgendwo  sonst,  eben  weil  man  sie  fürchtete;  man  hatte  auf  oligarchische 
und  tyrannische  Verschwörungen  inquiriert  und  glaubte  nicht  eher 
sicher  zu  sein,  als  bis  diejenigen,  welche  man  fürchten  zu  müssen 
glaubte,  als  Opfer  gefallen  waren.  Diese  Verkehrung  in  der  öfiFentlichen 
Meinung  bewirkten  die  Gegner  des  Alcibiades  in  ihrem  Interesse 
um  so  leichter,  da  das  Volk  gegen  ihn  seit  der  ersten  Eisangelie  her 
immer  mehr  argwöhnisch  geworden  war  und,  nicht  mehr  durch  die 
persönliche  tTberlegenheit  des  großen  Mannes  beherrscht,  gegen  ihn  um 
so  erbitterter  und  leidenschaftlicher  wurden,  je  tiefer  sie  sich  ihm 
sonst  in  Ergebenheit  gebeugt  haben  mochten.  Dazu  kam,  daß  gerade 
jetzt  spartanische  Truppen  auf  dem  Isthmus  erschienen  waren,  und 
man  überredete  sich  leicht,  daß  dies  nicht  gegen  die  Böotier,  sondern 
gegen  die  athenische  Demokratie  und  zwar  auf  Alcibiades  Veranstaltung 
geschehen  sei;  nicht  minder  legte  man  ihm  die  oligarchischen  Be- 
wegungen zur  Last,  die  eben  jetzt  in  Argos  von  einigen  seiner  Gast- 
freunde gemacht  worden  waren,  und  man  ging  so  weit  die  Geißeln, 
welche  bei  Einrichtung  der  argivischen  Demokratie  gestellt  worden 
waren,  dem  dortigen  Demos  zur  Hinrichtung  auszuliefern.  Es  gehörte 
in  Wahrheit  die  ganze  fieberhafte  und  unverständige  Leidenschaftlichkeit 
des  athenischen  Demos  dazu,  sich  einreden  zu  lassen,  Alcibiades  woUe 
jetzt,  da  er  entfernt  sei,  den  Sturz  der  Verfassung  oder  habe  je  daran 
[38]  gedacht  mit  Hilfe  der  Spartaner,  die  er  oft  und  auf  jede  Weise 
geschädigt,  gekränkt  und  gefährdet,  sich  in  Athen  zu  fordern.  Aber 
das  Volk  war  verblendet,  haßte  blindlings  wie  es  blindlings  folgte  und 
gab  so  derjenigen  Partei,  die  kaum  drei  Jahre  später  die  Oligarchie 
proklamierte,  Gewalt  gegen  den  Mann,  der  Athen  in  seiner  demo- 
kratischen Größe  zu  schützen  fiihig  und  berufen  gewesen  wäre. 

Wie    aber    gegen    den    Feldherrn    ankommen,    der,    unter    den 


44  1^68  Aristophanes  Vögel 

Hermenfreylem  nicht  geuanDt,  in  Sachen  der  Mysterienverletzungy  über 
die  ihn  Andromachos  und  Agariste  denunciert  hatten,  sowie  wegen  Con- 
spiration  zum  Umsturz  der  Verfassung  durch  Volksbeschluß  bis  zur 
Beendigung  des  Feldzuges  Vertagung  erhalten  hatte?  Es  ist  mit  Sicher- 
heit anzunehmen,  daß  gegen  ihn  eine  neue  Denunciation  wegen 
Mysterienyerletzung  in  seinem  eigenen  Hause  herbeigeschafft 
worden*^;  Thessalos  begründete  darauf  eine  neue  Eisangelie;  sie 
lautete:  ,,Thessalos  des  Cimon  Sohn,  der  Lakiade,  macht  gegen  Alci- 
„biades  des  Eleinias  Sohn  von  Skambonidä  die  Eisangelie,  daß  er  ge- 
„frevelt  hat  gegen  die  beiden  Göttinnen,  indem  er  die  Mysterien  nach- 
„geahmt  und  seinen  Hetären  das  Heilige  gezeigt  hat  in  seinem  eigenen 
„Hause,  mit  demselben  Gewände  angethan,  wie  der  Hierophant,  wenn 
„er  das  Heilige  zeigt,  und  sich  selbst  Hierophanten  nennend,  Folytion 
„aber,  seinen  Daduchen,  den  Phegäer  Theodoros,  seinen  Herold,  die 
„andern  Hetären,  Mysten  und  Epopten,  und  das  alles  gegen  das  heilige 
„Recht  und  die  Satzungen  der  Eumolpiden,  Keryken  und  Priester  von 
„Eleusis".  Diese  Eisangelie  nahm  das  Volk  an  und  versetzte  dadurch 
den  Feldherm  in  Anklagestand;  die  salaminische  Triere  wurde  abge- 
sandt, ihn  aufzuheben;  und,  da  er  sich  durch  die  Flucht  rettete,  auch 
an  den  wiederholten  Terminen  nicht  in  Athen  vor  Gericht  erschien, 
sprach  das  Volk  [39]  das  Todesurteil  über  ihn  aus,  confiscierte  seine 
Güter  und  befahl  den  Priestern  und  Priesterinnen  des  Landes  den 
Fluch  über  ihn  auszusprechen  *2. 

So  der  Zusammenhang  der  Prozesse  über  Hermenfrevel  und 
Mysterienverletzung.  Ich  habe  mehrfach  darauf  auänerksam  gemacht, 
daß  überall  politische  Parteiung  im  Hintergrunde  lag,  und  daß  noch 
namentlich  die  Männer  der  drei  Jahre  später  proklamierten  Oligarchie 
den  Sturz  des  Alcibiades  herbeiführten.  Es  ist  zu  bedauern,  daß  wir 
über  das  innere  Getriebe  dieser  Parteiungen  so  wenig  unterrichtet 
sind,  und  daß  namentlich  Thucydides  es  nicht  für  die  Sache  des 
Historikers  gehalten  hat  von  diesem  innem  Leben  des  Staates  aus- 
führlicher zu  handeln.  Mit  Mühe  und  nicht  ohne  Unsicherheit  müssen 
wir  nun  aus  zerstreuten  Angaben  und  Andeutungen  die  Zusammenhänge 
ergänzen,  durch  welche  die  inneren  politischen  Bewegungen  Athens 
erst  begreiflich  werden.  Nichts  ist  in  dieser  Beziehung  wichtiger  und 
unklarer  zugleich  als  das  Hetärieenwesen,  das  gerade  in  der  Zeit 
des  peloponnesischen  Krieges  in  seiner  Blüte  war;  ich  finde  über  diesen 


^'  Denn   wegen   der   früheren   Denunciationen   war   die   erste  Eisangelie 
eingereicht  und  vertagt  worden. 

*«  Thucyd.  VI  61  Plutarch.  AIcib.  21  u.  s.  w. 


and  die  Hermokopiden  45 

GegeDstand  eine  Schrift  von  Hm.  Hüllmann  citiert^',  habe  sie  aber 
nicht  einsehen  können;  ich  muß  befarchten,  manches  von  ihm  bereits 
Erörterte  zn  wiederholen,  und,  wenn  er  die  Sache  vielleicht  schon  zum 
Abschluß  gebracht  hat,  noch  in  der  Irre  zu  gehen;  dennoch  kann  ich 
es  nicht  vermeiden,  bei  den  Hetärieen  zur  Zeit  unserer  Prozesse  einen 
Augenblick  zu  verweilen. 

Den  nächsten  Anknüpfungspunkt  bietet  das,  was  Andocides  in 
seiner  Mjsterienrede  über  Euphiletos  und  dessen  Freunde  beibringt. 
Andocides  selbst,  die  von  Teukros  denuncierten  Männer,  endlich  die 
vier  von  Andocides  hinzugefügten  gehörten  dieser  Hetärie  an,  die  ich 
mir  erlaubt  habe,  die  des  [40]  Euphiletos  zu  nennen,  da  dieser  mehrfach 
als  das  Organ  derselben  erscheint.  Nach  dem  begangenen  Hermenfrevel 
hatten  Euphiletos  und  Meletos  zu  unserm  Redner  gesagt:  wenn  er 
schwiege,  würden  sie  ihm  Freunde  wie  bisher  sein,  wenn  aber  nicht, 
würden  sie  ihm  gefahrlichere  Feinde  werden,  als  vielleicht  ihretwegen 
gewisse  andere  ihm  Freunde  werden  dürften.  Dazu  muß  man  anderer- 
seits nehmen,  welche  Männer  infolge  der  falschen  Denunciation  des 
Diokleides  festgenommen  wurden,  und  wie  Charmides  im  Gefängnis 
seinem  Vetter  Andocides  den  Vorwurf  macht,  daß  er  wegen  der  Männer, 
mit  denen  er  bisher  in  enger  Verbindung  gestanden,  seine  Verwandten 
vernachlässigt  habe*^  Hier  sind  zwei  Verbindungen,  die  sich  einander 
ziemlich  entgegenstehen;  für  die  zweite  weiß  ich  den  Namen  des  Führers 
nicht;  aber  es  ist  zii  bemerken,  daß  der  jüngere  Alcibiades,  der  Fhe- 
gusier,  den  ich  oben  als  politischen  Gegner  seines  Vetters  bezeichnen  zu 
müssen  geglaubt  habe,  den  Diokleides  zu  jener  Denunciation  veranlaßte, 
in  deren  Folge  Männer,  die  entschiedene  Anhänger  des  älteren  Alcibia- 
des, z.  B.  Kritias,  oder  der  Demokratie,  z.  B.  Eukrates*^  waren,  in  die 
geföhrlichste  Lage  kamen.  Wenn  sich  unter  diesen,  die  durch  Diokleides 
Anzeige  gestürzt  werden  sollten,  auch  oligarchische  Männer,  z.  B.  Ando- 
cides selbst,  befanden,  so  beweist  dies  nur,  daß  sich  die  athenischen  Vor- 
nehmen nicht  bloß  nach  der  Alternative  politischer  Prinzipien  sonderten; 
sondern  daß  vielmehr  zwischen  Männern  von  gleicher  Ansicht  die  gegen- 
seitige Eifersucht  und  das  Bestreben,  Einfluß  zu  gewinnen,  neue  Tren- 
nungen hervorbrachte,  die  vielleicht  erst  um  die  Oligarchie  der  Vier- 
hundert zu  begründen  für  kurze  Zeit  ausgeglichen  wurden.  So  sind 
die  Hetärieen  in  der  That  weniger  Parteien  als  Coterieen,  und  es  wird 

*'  Programm  de  Atheniensium  avpufioaiatg  etc.  Königsberg  1814  [Vergeb- 
lich gesucht]. 

^  Andocid.  de  myst.  §  49. 

^'  Mindestens  preiset  ihn  in  seinem  Verhältnis  zu  den  Dreißig  Lysias  in 
der  Rede  f&r  seine  Söhne  4. 


46  Des  Aristophanes  Vögel 

begreiflich,  wie  ein  Meletos  und  Theodoros  zugleich  in  [41]  Alcibiades 
Gesellschaft  die  Mysterien  schänden  und  von  der  Hetarie  des  Euphiletos 
sein  konnten.    Leute  solcher  Art  waren  jene  scheinbaren  Freunde  des 
Alcibiades,  die  in  der  Ekklesie  auf  Vertagung  der  ersten  Eisangelie 
antragen    konnten.      Eine    andere    Hetarie    dürfte    die   sein,    welche 
die   Mysterienanzeige   des  Teukros  bezeichnet;   sie  aber  ist  in   ihrer 
politischen  Bedeutung  nicht  zu  erkennen.    Von  der  Hetarie,  die  sich 
um  Phaiax,  den  Sohn  des  Erasistratos,  und  um  Nikias,  den  Sohn  des 
Nikeratos,  vereinigt  hatte,  kennen  wir  weitere  Teilnehmer  nicht.   Wich- 
tiger scheint  die  Trinkgesellschaft,  zu  welcher  sich  in  den  Aristophanischen 
Wespen  (V.  1300  S.)   der  Alte  begiebt,   um  einmal  mit  vornehmen 
Leuten  lustig  zu  sein;  sein  Sohn  hat  ihm  den  Vorschlag  zum  PhUok- 
temon  zu  gehen  gemacht,  und  der  alte  Herr  findet  da  bei  einander 
den  Hippyllos,  Antiphon*®,  Lykon*^,  Lysistratos,  Thuphrastos*®,  rovg 
nepl  0Qvvixov*^,  zum  Teil  heruntergekonunene  Vornehme,  offenbar  eine 
Hetarie,  die  zur  Zeit  der  Wespen  von  Bedeutung  gewesen;  ob  sie  zur 
Zeit  des  Hermenfrevels  noch  bestand,  weiß  ich  nicht  nachzuweisen ;  wenn 
sie  aber  bestand,  so  mag  sie  eine  von  den  gewiß  zahlreichen  Verbin- 
dungen gewesen  sein,  die  mehr  oder  minder  offenbar  gegen  Alcibiades 
machinierten.  Mit  aller  Zuversicht  darf  man  behaupten,  daß  alle  Männer 
Athens,  die  beratend  oder  führend  [42]  an  dem  öffentlichen  Leben  teil- 
nahmen, in  dieser  Zeit  der  Entscheidung  für  oder  wider  Alcibiades  thätig 
waren,  und  dennoch  kennen  wir  außer  den  Denuncierten  nur  die,  welche 
ihren  Namen  hergaben.    Es  fehlen  uns  Nachrichten  über  jene  große 
Zahl  von  Notabilitaten,  die  den  Staat  damals  auszeichneten:  von  Aristo- 
krates,  von  Kallias,  von  Lykurgos,  von  Phäax,  von  Perikles  Sohn,  von 
Aristarchos  und  Theramenes,  von  allen  denen,  nach  welchen  man  sich 
zuerst  umsehen  mochte  bei  einer  Haupt-  und  Staatsaktion^®,    wissen 

*•  Es  scheint  mir  in  jeder  Hinsicht  wahrscheinlich,  daß  dieser  Antiphon 
der  berühmte  Rhamnusier  ist,  von  seiner  Armut  oder  Verarmung  wissen  wir  frei- 
lich sonst  nichts  Erhebliches;  sein  Redenschreiben  für  andere  konnte  der  Komödie 
Anlaß  geben,  ihn  als  einen  um  Lohn  arbeitenden  armen  Mann  darzusteUen. 

*'  Ich  denke  an  Lykon  „Prahlhans"  (Schol.  ad  Aristoph.  Vesp.  1169),  den 
Vater  des  schönen  Autolykos,  der  auch  unter  Sokrates'  AnklSgem  genannt  wird 
Plat.  Apol.  p.  23  E  Diog.  Laert.  II  39. 

**  Über  Thuphrastos  sowie  über  Hippyllos  ist  mir  för  den  Augen- 
blick nichts  weiter  bekannt,  als  waa  sich  aus  der  angeführten  Stelle  des  Aristo- 
phanes ergiebt. 

*»  Gewiß  keine  bloße  Umschreibung,  wie  man  Formen  dieser  Art  so  oft  erklfirt. 

^  Nur  einige  der  berühmten  Namen  jener  Zeit  habe  ich  nennen  wollen; 
es  wäre  leicht  den  Katalog  zu  vermehren.  Bei  dieser  Gelegenheit  mag  ich  die 
Bemerkung  nicht  unterdrücken,  wie  unser  Urteil  über  Personen  jener  Zeit, 
indem  besonders  nur  die  Klatschgeschichten  und  Karrikaturen  der  Komddie  auf 


und  die  Hermokopiden  47 

wir  bei   diesem   Prozesse   nichts;    sie   führten   ihr  Spiel  hinter  dem 
Vorhange. 

Ob  von  der  Hetarie  des  Euphiletos  mit  dem  Hennenfrevel,  den 
man  ihr  wohl  wird  zuschreiben  müssen,  eine  politische  Demonstration 
beabsichtigt  worden,  nehme  ich  keinen  Anstand  verneinend  zu  be- 
antworten; sie  hätte  in  "Wahrheit  nichts  Thörichteres  thun  können, 
als  ihre  Tendenz  durch  eine  That  zu  verraten,  die  nichts  nützen  und 
viel  schaden  konnte.  Andererseits  aber  darf  man  der  Vermutung  nicht 
Baum  geben,  daß  sie  ein  Verbrechen  begangen  habe,  um  dessen  Schuld 
hinterher  dem  Alcibiades  aufzubürden  und  ihn  so  zu  stürzen;  auch  da 
würde  sie  vorsichtiger  zu  Werke  gegangen  sein,  würde  sich  mit  anderen 
Hetarieen,  die  dem  großen  Feldherm  gleich  feindlich  waren,  ver- 
bündet und  so  dafür  gesorgt  haben,  daß,  wenn  ihre  Schuld  entdeckt 
würde,  sie  dennoch  sich  der  Strafe  entziehen  konnte.  Vielmehr  war 
die  Sache  so,  wie  sie  die  Verstandigen  von  Anfang  her  ansahen,  ein 
freventlicher  Übermut,  [43]  der,  wenn  man  ihn  strafen  wollte,  durch- 
aus von  allen  Tendenzprozessen  fernzuhalten  gewesen  wäre.  Aber 
gerade  indem  man  unter  dem  Verwände,  die  beleidigte  und  gefährdete 
Keligion  rächen  zu  wollen,  den  Angebereien  Thür  und  Thor  öffnete, 
vermochten  die  oligarchischen  Intriguen,  unterstützt  von  dem  wüsten 
Geschrei  der  Volksmänner,  jenen  politischen  Sturm  heraufzubringen, 
der  den  athenischen  Staat  zum  erstenmal  gegen  die  Klippen  schleu- 
derte, von  denen  er  erst  als  Wrack  wieder  frei  kommen  sollte.  Daß 
sich  nach  begangenem  Frevel  der  Argwohn  des  Volkes  gegen  Alci- 
biades wandte  oder  leicht  wenden  ließ,  lag  in  der  Natur  der  Sache; 
und  wenn  man  einmal  jede  Äußerung  oder  Bethätigung  antireligiösen 
Sinnes  als  Verbrechen  gegen  den  Staat  stempelte,  so  war  Alcibiades 
schuldig.  Ich  will  meine  Bewunderung  für  ihn  mich  nicht  dazu  ver- 
leiten lassen,  die  gegen  ihn  erhobenen  Anklagen  der  Lüge  zu  zeihen; 
ja  ohne  Schuld  wäre  Alcibiades  nicht  mehr  er  selbst.  Wohl  aber  darf 
man  behaupten,  daß,  wenn  er  schuldig  war,  vielen  und  den  besten 
Männern  in  Beligionssachen  mannigfache  und  vielleicht  dem  Staat  ge- 
fährlichere Schuld  nachzuweisen  gewesen  wäre;  daß  aber  damals  nicht 
mehr  an  den  Tag  kam,  als  da  gekommen  ist,  dürfte  sich  durch  das 
heimliche  Wirken  der  Oligarchie  allein  erklären  lassen;  was  Diokleides 
gethan  zu  haben  log,  war  ganz  in  der  damaligen  Weise:  der  Wissende 

uns  gekommen  sind,  über  alle  Berechnung  ungerecht  und  übel  begründet  ist;  erst 
wenn  man  nah  und  näher  mit  jener  größten  Epoche  des  athenischen  Lebeus  bekannt 
wird,  kann  man  die  Schwierigkeit  derartiger  Untersuchungen  einsehen ;  und  doch 
sind  sie  von  der  größten  Wichtigkeit,  da  gerade  damals,  wie  in  jeder  Kulmination 
des  öffentlichen  Lebens,  der  Pragmatismus  in  den  persönlichsten  Verhältnissen  ruht. 


48  Des  Arifltopluuies  Vogel 

feilschte  mit  dem  Privatmann  und  verkanfte  ihm  sein  Gewissen ,  das 
Interesse  des  Staates  galt  keinem  mehr  neben  dem  persönlichen.  Leicht 
konnten  die  höheren  Zirkel  es  hintertreiben,  daß  gegen  sie  dennndert 
wurde,  da,  der  es  konnte,  gewiß  erst  zu  ihnen  kam,  nm  za  handeln; 
nur  wenn  sich  solcher  Stimmen  eine  gegnerische  Coterie  bemächtigte, 
konnte  sie  ge&hrlich  werden;  und  so  wurde  namentlich  gegen  Aldbiades 
und  dessen  Anhang  verfahren.  Nicht  auch  gegen  Euphiletos  und  dessen 
Hetarie?  Des  Teukros  Denunciation  scheint  in  ihrer  parteilosen  Un- 
abhängigkeit von  den  Privatverhältnissen  dieses  Metöken  bestimmt  ge- 
wesen zu  sein;  aber  gerade,  daß  nach  [44]  seiner  Anzeige  noch  so 
lange  Zeit  verstreichen  konnte,  ehe  sich  von  dem  letzten  Hermenfreyel 
auch  nur  eine  Spur  finden  ließ,  zeigt,  mit  welcher  Leichtigkeit  sich 
weitere  Anzeigen  finden  ließen,  da  doch  offenbar  Sklaven  und  öffentliche 
Mädchen  von  jenem  Trinkgelage  und  dessen  Folgen  wußten. 

Ich  habe  im  frühem  die  Angabe  des  Isokrates,  daß  die  Manner 
der  kurz  darauf  proklamierten  Oligarchie  des  Alcibiades  Sturz  bereitet 
hätten,  ohne  Bedenken  als  richtig  angenommen;  für  jetzt  wußten  sie 
noch  unter  der  Maske  der  größten  Zuneigung  für  das  Volk  zu  agieren  '^^ : 
erst  als  sie  die  Demokratie  ihres  rechten  Führers  beraubt  und,  da  nur  er 
dem  sicilischen  Unternehmen  Glück  und  Erfolg  bringen  konnte,  des 
Staates  Macht  sowie  die  Blüte  der  Bürgerschaft  in  nur  zu  sichere  Gefahr 
gebracht  hatten,  traten  sie,  sobald  üble  Kunde  von  Sicilien  herüber 
kam,  mit  ihren  Plänen  bestimmter  hervor.  Im  Herbst  01.91  4  setzten 
sie  die  Ernennung  von  Probulen  durch  ^^;  dem  Wesen  nach  ein  oligar- 
chisches  Institut  ^^  bereitete  es  sicher  zur  Veränderung  der  Verfassung 
vor;  und  mit  dem  nächsten  Frühling  war  man  so  weit  das  Volk  zur 
Auflösung  der  Demokratie  bereden  und  die  Oligarchie  proklamieren  zu 
können.  Des  Alcibiades  momentanes  Verhältnis  mit  dieser  Partei  zu 
entwickeln,  würde  mich  für  jetzt  zu  weit  führen. 

fi.  Die  KomOdie  in  OL  91  2. 

Wir  wissen,  daß  Ol.  91  2  in  den  Lenäen  des  Aristophanes  Am- 
phiaraos,  in  den  Dionysien  dessen  Vögel,  des  [45]  Ameipsias  Komasten, 
des  Phrynichos  Monotropos  aufgeführt  sind.    Amphiaraos  anlangend 


^^  Der  Ausdruck  dafür  scheint  in  jener  Zeit  evvotKnatoi  gewesen  za  sein. 
Andocid.  de  myst  §  86  Lysias  in  Erat  65  pro  Polystrato  7  u.  s.  w. 

"  Thucyd.  VIII  1  cf.  Kruger  ad  Dionys.  Hai.  p.  273. 

^  So  Aristot.  Polit  VI  5,  13.  Auf  welchem  Irrtum  es  beruht,  wenn  Diodor 
XII  75  ihr  Bestehen  bereits  von  Ol.  39  4  datiert,  weiß  ich  nicht;  aus  der  Zahl 
dieser  Probulen  ist  mir  wenigstens  des  Theramanes  Vater  Hagnon  bekannt  (Lysias 
in  Eratosth.  65). 


und  die  Ilermokopiden  49 

hat  Süyem  die  Yermntung  geäußert,  daß  er  gegen  Nikias  gerichtet  ge- 
wesen, und  obschon  Hr.  Dindorf  sich  mit  starkem  Zweifel  gegen  diese 
Ansicht  erklärt,  dürfte  sie  doch  in  jeder  Beziehung  zu  billigen  sein;  ist 
denn  nicht  Nikias,  wie  weiland  Amphiaraos  in  dem  gleichen  Fall  wider 
Willen  in  einen  Krieg  zu  ziehen,  auf  den  sein  Gegner  dringt,  nnd 
dessen  üblen  Ausgang  er  vorhersieht?  sind  nicht  beide  berühmt  wegen 
ihrer  Deisidämonie  und  steter  Eücksicht  auf  Zeichen  und  Vorbedeutung? 
und  wenn  uns  die  22  Fragmente,  die  Hr.  Dindorf  aus  dieser  Komödie 
gefunden,  kein  deutlicheres  Bild  geben,  so  sind  sie  mindestens  nicht 
gegen  die  Süyemsche  Ansicht.  Das  Stück  des  Ameipsias  hat  den  Namen 
Komasten  und  bezeichnet  mit  demselben  einen  Chor  nächtlich  Um- 
herschwärmender, die  vom  Gelage  kommen,  wie  deren  Art  aus  dem 
verhängnisvollen  Beispiele  des  Hermenfrevels  bekannt  ist;  es  wäre  bei 
einem  Stücke  dieses  Namens  und  Jahres  unmöglich,  den  Gedanken  an  die 
Komasten  der  Mysterienfrevel  und  der  Hermenverstümmelung  zu  unter- 
drücken; so  glaube  ich,  daß  Ameipsias  eben  über  jene  Frevel  ein  lustig 
Spiel  gemacht  hat,  wie  es  den  Athenäem  schmecken  mochte.  Phrynichos 
nahm,  wie  es  scheint,  die  entgegengesetzte  Weise  vor;  wir  wissen,  wiesehr 
die  furchtbaren  Prozesse  das  gegenseitige  Vertrauen  erschüttert,  wie  die 
Furcht  vor  geheimen  oligarohischen  oder  tyrannischen  Umtrieben  gerade 
jetzt  einen  Indiflferentismus  gegen  das  öffentliche  Leben  hervorgerufen  hatte, 
der  der  intriguierenden  Partei  außerordentlich  Vorschub  leistete.  Es  scheint 
mir  wahrscheinlich,  daß  diese  traurige  Verwandlung  der  Sitte  das  Allge- 
meine in  dem  Monotropos  oder  Einsiedler  des  Phrynichos  war;  da  die 
Zahl  der  Fragmente  unbedeutend  ist,  so  läßt  sich  näheres  nicht  ergründen. 
Wie  nun  steht  es  mit  den  Vögeln  des  Aristophanes?  Süvem  hat 
das  ganze  Stück  zu  einer  Allegorie  gemacht;  es  [46]  solle  die  Unsinnig- 
keit der  sicilischen  Expedition  veranschaulicht  werden;  die  Vögel  seien 
die  Athener,  die  Götter  der  Spartaner  Macht,  die  Opfer  gebenden  Men- 
schen die  Bundesgenossen,  welche  durch  die  Seemacht  in  der  Wirklichkeit, 
durch  die  Luftmauer  in  der  Komödie  abgesperrt  würden;  Peisthetairos, 
der  Stifter  des  Projekts,  sei  Alcibiades,  mindestens  zum  Teil,  und  das 
Ende  mit  der  Basileia  die  große  Lehre,  daß  Alcibiades  auf  diese  Ex- 
pedition hin  seine  Tyrannis  gründen  werde.  Das  arme  luftige  Stück! 
Man  könnte  eben  so  bequem  das  Entgegengesetzte  aufstellen,  daß  näm- 
hch  die  Vögel  die  Spartaner  seien,  zu  denen  ja  eben  jetzt  Peisthetairos- 
Alcibiades  gekonunen  mit  seinem  großen  Projekt  zum  Sturz  Athens 
und  zur  Wiedererlangung  der  alten  Macht,  die  sie,  die  Vögel-Spartaner, 
eher  gehabt  als  die  Götter-Athener.  Beide  Ansichten  sind  entschieden 
unrichtig,  weil  sie  zu  materiell,  mit  der  Chronologie  in  Widerspruch 
und  überdies  zur  Erklärung  des  einzelnen  doch  nicht  ausreichend  sind. 

Droyeen,  El.  Schriften  II.  4 


50  ^^  Aristophanes  Vögel 

Gerade  das  muß  vor  allem  aufrecht  erhalten  werden,  daß  das  Ganze 
ein  vollkommen  phantastisches  Spiel  ist,  daß  sich  alles  Wirkliche  und 
Faktische  durch  eine  in  sich  ganz  verständige  Logik  zu  lauter  Ideali- 
tat und  Überspanntheit  sublimiert,  die  doch  wieder  an  allen  merklichen 
Momenten  der  Gegenwart  dicht  dahinstreift;  das  Ganze  erscheint  wie 
eine  Fata  Morgana,  die  die  Wirklichkeit  jedoch  wieder  durch  alle  diese 
verzogenen,  körperlosen,  wehenden  Bilder  hindurchschimmern  läßt 

Man    vergegenwärtige  sich   den  Zustand  Athens:   Alcibiades  ist 
politisch  tot;  der  Feldzug  in  Sicilien  im  Gange,  ohne  überraschende 
Erfolge,  die  Prozesse   haben  viele  Verhältnisse  zerrüttet,   nun  ist  es 
stiller  in  der  Stadt,  auch  der  Parteikampf  ist  abgestumpft,  das  Volk 
mit  heimischen  Dingen  übersättigt,  von  Sicilien  redet  man  mit  Langer- 
weile; man  ist  blasiert;  man  will  neues,  neue  Projekte,  je  toller,  desto 
besser,  so  reizt  es  doch.     Dies  ist  die  Stimmung,  zu  der  die  Vögel 
der  poetische  Ausdruck  sind.    Man  wird  gegen  Sparta  [47]  kämpfen. 
Alltäglichkeiten !  man  L<?t  gegen  Sicilien  ausgezogen  und  will  Hesperien 
und  Libyen  erobern.    Kleinigkeiten!  man  wird  Asien  und  Afrika  unter- 
werfen,  Sparta  zerschmettern,   die   ganze  Welt  demokratisieren,  um 
Athens  Freiheit  zu  schützen  —  ewiges  Einerlei !  es  werden  die  Atiiener 
doch   stets  im   Gerichte  gaflFend  sitzen  und  in  der  Pnyx  wie  Schafe 
dem  Demagogen  Leithammel  nachblöken  und  nachlaufen.     Des  sind 
nun  zwei  Ehrenmänner  überdrüssig,  der  HoflFegut  und  der  Leitefreund 
sie  wollen  auswandern,  wollen  sich  beim  König  Kuckuck  (so  müßte  man 
Deutsch  sagen)  erkundigen,  ob  er  ihnen  „so  eine  wohlige,  wollige  Stadt 
wohl,  nennen  will,  wo  man  weich  und  warm  in  der  Wolle  sitzen  und 
wohnen  kann".    Er  nennt  diese,  jene  Stadt,  keine  gefallt;  wie  ist  denn 
bei  den  Vögeln  hier  das  Leben?    Gar  billig,  gar  bequem:   Jn  den 
Gärten  picken  wir  weiße  Zuckererbsen  aus,  Johannistraube,  Myrte,  Mohn, 
Trittvögelchen"  —  ein  wahres  Hochzeitsleben!  ein  Reich  großer  Zukunft! 
Dem  Leitefreund  kommt  der  große  Gedanke:  „baut  eine  Stadt  zwischen 
Himmel  und  Erde,  so  beherrscht  ihr  die  Welt,  zwingt  die  Götter,  euch 
Tribut  zu  zahlen,  gewinnt  die  Herrschaft  wieder,  die  euch  nach  unvor- 
denklichem Rechte  zukommt!    König  Kuckuck  ist  entzückt,  er  beeilt 
sich  die  Vögel  zu  berufen,  er  geht  an  den  Busch  seine  Nachtigall  zu 
wecken,  daß  sie  mit  ihm  den  Lockruf  anstimme;  er  singt: 

Süß  Weibchen,  auf,  auf,  und  verscheuche  den  Schlaf, 
Laß  quellen  den  Born  des  geweihten  Gesangs, 
Den  so  süß  hinströmt  dein  seliger  Mund, 
Wenn  um  mein,  wenn  um  dein  Kind  Itys  du 
In  unendlicher  Sehnsucht  hell  wehklagst 
Aus  tiefister  Brust! 


und  die  Hennokopiden  51 

Von  der  säuselnden  Linde  Gezweig  steigt  rein 
Dein  Schall  zum  Thron  des  Kroniden  empor, 
Wo  der  goldengelockte  Apoll  dein  lauscht, 
Und  zu  deinem  Gesang  in  die  Lyra  greift, 
[48]  Und  zu  deinem  Gesang  den  umwandelnden  Chor 
Der  Unsterblichen  führt; 
Und  es  weht  von  der  Lippe  der  Himmlischen  dir, 

Mittrauemd  mit  dir, 
Der  Götter  selige  Wehmut! 

Es  folgt  der  Lockruf,  die  Vögel  kommen,  erst  einzelne,  hier  ein  fliegender 
Flamingo,  dort  auf  eitel  hohen  Spitzen  stolzierend  der  Hahn,  dann  ein 
anderer  Kuckuck  mit  ruppigem  Gefieder,  wieder  dann  watschelnd  und 
dickkropfig  eine  Kropfgans,  vulgo  Nimmersatt;  dann  kommen  sie  bei 
Paaren,  bei  Vieren,  dann  der  ganze  Chorus,  so  viel  da  noch  fehlt. 
Das  Stuck  ist  eingeleitet,  man  ist  allmählich  und  mit  herrlicher  Kunst 
aus  dem  Felde  der  Wirklichkeiten  in  das  Vogelreich  eingeführt;  erst 
in  weiter  W^ildnis  zwei  Vögel,  unscheinbar  auf  der  Wanderer  Faust, 
dann  der  Zaunkönig,  der  König  Kuckuck  im  Vogelkönigsstaat,  aus  der 
Waldung  hervor,  nun  das  ganze  Schwärmen  und  Lärmen  des  Vogel- 
tums,  das  sich  zur  Beratung  versammelt  hat 

Das  erste  Entsetzen  der  Vögel  beim  Anblick  der  Menschen,  das  Par- 
lamentieren,  Leitefreunds  Deklamationen,  der  tiefe  Eindruck,  den  seine 
Schilderung  der  alten  Vogelgewalt  auf  die  Versammelten  macht,  seine 
begeisternden  Pläne,  das  Entzucken  und  freudige  Beistimmen  der  Vögel 
—  das  alles  will  ich  nicht  schildern;  es  ergiebl  sich  Scene  für  Scene 
auf  ganz  ehrbare  und  natürliche  Weise.  Die  Vögel  aber  fühlen  sich  in 
ihrer  Herrlichkeit;  sie  singen  ihre  Verkündigung:  „0  Menschen  ihr  rings, 
Nachtwandler  am  Tag,  Herbstlaub  in  dem  Walde  des  Lebens  u.  s.  w." 

Es  beginnt  die  zweite  Scenenreihe:  HofiFegut  und  Leitefreund  kommen 
aus  dem  Busch  zurück,  zu  Vögeln  umnaturt;  alles  Menschliche  ist  ab- 
gethan,  hier  ist  nichts  als  Luft  und  Vögel.  Was  ist  nun  zu  thun? 
erst  taufen  wir  die  Stadt,  dann  weihen  wir  sie  mit  frommem  Opfer 
und  beginnen  ihren  Bau.  Aber  kaum,  daß  die  Opfer  beginnen,  so 
kommt  auch  schon  [49]  drunten  von  den  Menschen  herauf  wer  nur 
immer  bei  einer  neuen  Gründung  seinen  Vorteil  zu  machen  hofft,  der 
Gelegenheitspoet,  der  Feldmesser,  der  Orakelmann,  der  geheime  Agent, 
der  Gesetzeshändler,  all  dies  Bettelvolk  geht  in  reliefartigem  Zuge,  wie 
es  die  Weise  der  Komödie  überhaupt  ist,  über  die  Bühne;  auf  das 
Lustigste  werden  sie  von  hinnen  geprügelt,  das  Vogelreich  ist  sich  selber 
genug.  Es  folgt  hier  die  zweite  Parabase  mit  ihrer  schönen  Schilderung 
von  der  Vögel  Göttermacht,  ihrem  Aufruf  gegen  Vogelßnger  und  Vogel- 
händler, dem  Liede  von  dem  süßen  Geschick  der  Vögel: 


52  I^es  Aristophanes  Vögel 

Wohl  sind  wir  Vogelscharen 

Gluckaelig,  trotz  des  Winters  Frost 

Bedürftig  keines  Kleides; 

Auch  brennt  nns  nicht  der  Sonne  Glut, 

Der  Pfeil  des  schwülen  Sommers. 

Im  Blumenwiesengronde  kühl 

In  Laubes  Schoß,  da  schlaf  ich, 
Wenn  im  Kornfeld  heimlich  zirpend  Heimchen  seinen  bangen  Ruf 
Von  des  Mittags  glühnder  Stille  wie  im  Wahnsinn  jammernd  ruft. 

Zum  Winter  kehr*  ich  in  Höhlen  ein 

Und  spiele  mit  den  Nymphen, 
Speise  rote  Frühlingserdbeem,  Mädchennaschwerk,  weiße  Myrte, 

Lauter  Frucht  aus  dem  NymphengSrtlein! 

Nun  folgt  der  dritte  Teil  des  Lustspiels,  das  Weihopfer  ist  vollbracht, 
Leitefreund  kommt  wieder  ins  Freie:  wie  mag  es  mit  dem  Bau  der 
Stadt  stehen?  Und  schon  kommt  ein  Bote  herangeeilt,  von  dem  un- 
geheueren Mauerbau  zu  berichten.  Ein  staunenswürdig  Werk!  von  wem 
ist  es  so  schnell,  so  riesengroß  emporgebaut? 

Die  Vögel,  niemand  anders,  kein  äg3rptischer 
Handlanger,  Steinmetz,  Zimmermeister  half  dabei, 
[50j  Sie  bauten  eigenhändig,  staunend  sah  ich  es. 
Aus  Libyen  kamen  dreißigtausend  Kraniche, 
Die  Steine  verschlungen  hatten  zum  ersten  Unterbau; 
Dann  hauten  die  Krexe  diese  mit  ihren  Schnftbeln  zu; 
Zehntausend  Storche  strichen  Ziegeln  fordersamst; 
Es  trugen  Wasser  vom  untern  Raum  in  die  Luft  herauf 
Die  Regenpfeifer  und  Wasservögel  aller  Art 
Leite  freund.    Wer  machte  den  Lehm  an? 

Bote.  Hoher  Herr,  die  Reiherschaft 

In  Mulden. 

Leitefr.        Wie  aber  brachten  sie  da  den  Ijchm  hinein? 

Bote.  Das  war,  o  Herr,  auf  höchst  geistreiche  Art  erdacht 

Die  schnatternden  Gänse  klätschelten  ihn  wie  mit  Hacken  los 
Und  schlenkerten  ihn  mit  den  Füßen  behend  in  die  Mulden  hinein. 

Leitefr.        Was  doch  die  Füße  nicht  zu  allem  fähig  sind! 

Bote.  Dann  trugen  die  Enten,  meiner  Seel,  hochaufgesterzt 

Die  Ziegel  heran;  die  Mauerkelle  hinter  sich. 
Den  Lehm  im  Schnäbelchen,  flogen  emsigst  flinken  Flugs, 
Lehrjungen  gleich,  die  kleinen  Schwalben  her  und  hin. 

Leitefr.        Wer  wollte  nun  noch  bauen  lassen  für  Tagelohn? 

Sag'  an,  wie  weiter?    Für  die  Mauer  das  Zimmerwerk, 
Wer  machte  das? 

Bote.  Höchst  kluge  Vögel  Zimmerer, 

Die  Meister  Pelikanen,  die  mit  den  Schnäbeln  schnell 

Die  Thore  beilbehauten;  und  es  war  der  Schall 

Von  ihrem  Beilschlag,  wie  es  in  Schifisbauwerften  dröhnt 


und  die  Hermokopiden  53 

Und  nun  ist  alles  wohlgethort  mit  Thttr  und  Schloß 
Und  wohl  verriegelt,  wohl  bewacht  im  Kreis'  uiQher. 
Die  Runde  geht,  es  schallt  das  Wachtglöcklein,  es  stehn 
[51]  An  allen  Orten  Wachen  aus,  Fanale  sind 

Auf  allen  Thtlrmen.    Aber  ich  will  eiligst  fort, 
Mich  abzuwaschen.    Alles  andre  ordne  du! 

Kaum  ist  er  fort,  so  kommt  auch  schon  ein  zweiter  Bote,  von  der 
Tageswache  am  Thor,  daher:  Fürchterliches  ist  geschehn,  von  den 
Göttern  ist  wer  durch  das  Thor  passiert,  wer  es  ist,  weiß  niemand,  nur 
daß  er  Flügel  hatte,  sah  man: 

wir  sandten  ihm 

Gleich  dreiBigtausend  Falken  als  fliegende  Jäger  nach, 
Und  ausgerückt  ist  was  nur  Klau  und  Kralle  trägt, 
Thurmfisdke,  Würger,  Stößer,  Habicht,  Adler,  Weih; 
Von  ihrem  Sausen,  Schwarmesrauschen,  Flügelschlag 
Stürmt's  wild  im  Äther,  indem  sie  suchen  des  Gottes  Spur. 
Auch  kann  er  nicht  mehr  weit  entfernt  sein,  sondern  muß 
Hier  nahe  sitzen! 

Höchstes  Getümmel  unter  den  Vögeln;  und  sieh,  da  weht  ein  Mäd- 
chen in  Eegenbogensgestalt  über  dem  Gebüsch  lustig  her  und  hin. 
Es  ist  Iris,  die  die  Götter  gesendet  haben,  die  Menschen  zum  Opfer 
zu  ermahnen,  denn  hat  sie  auch  nichts  von  Mauer  und  Thor  gemerkt, 
so  ist  doch  der  Weg  zwischen  Himmel  und  Erde  gesperrt;  und  leicht 
hinwehend  wie  sie  kam,  fliegt  sie  von  hinnen,  die  holdseligste  Gestalt, 
die  je  die  Komödie  erfanden  hat.  Was  aber  wird  sie  ausrichten  bei 
den  Sterblichen? 

Denn  auch  Leitefreund  hat  schon  zu  den  Menschen  hinunterge- 
sandt, ihnen  das  Götterreich  der  Vögel  zu  verkündigen;  von  dorther 
kommt,  als  kaum  der  Götter  Botin  fort  ist,  der  Herold  zurück  zu  be- 
richten, wie'  sich  bei  den  Menschen  alles  geändert  habe;  denn  ehe  dies 
neue  Babylon  gegründet  war, 

Lakonisierten  alle,  trugen  langes  Haar, 
[52]  Und  turnten,  hungerten,  wuschen  sich  nie,  sokratelten  viel; 

jetzt  dagegen  voglisiert  alles  Tag  und  Nacht,  viele  tragen  Vogelnamen, 
bald  werden  bei  tausenden  Kolonisten  von  dort  herkommen  sich  hier 
anzusiedeln.  Und  eiligst  werden  große  Waschkörbe  mit  Federn  heraus- 
gebracht, um  die  neuen  Ankömmlinge  zu  Vögeln  machen  zu  können. 
Die  Federn  werden  ausgelesen  und  geordnet  nach  Singfedem  und 
Springfedem,  nach  marinen  und  terrinen,  daß  jeder  hier  männiglich 
das  entsprechende  Gefieder  sofort  finde.  Es  kommen  denn  auch  also- 
bald  ein  „ungeratener  Sohn",  der  berühmte  Modedichter  Kinesias,  ein 


54  Des  Aristopbanes  Vögel 

Sjkophant,  der  eine,  um  nach  Vogelsatzang  den  Vater  schlagen  zu 
dürfen,  der  andre,  ans  Wolken  und  Schneegestöber  sich  fliegend  die 
Phrasen  seiner  Poesie  aufzuschnappen,  der  dritte,  um  desto  eüiger  zu 
den  Inseln  und  wieder  heim  nach  Athen  zu  fliegen,  wenn  er  einen 
Beichen  verleumderisch  verklagt;  allen  dreien  wird,  was  sie  wollen,  und 
überdies  Beflügelung  mit  der  Earbatsche. 

Ist  das  vorüber,  so  kommt  in  tiefer  Verhüllung,  denn  er  fürchtet, 
daß  ihn  der  unbewölkte  Zeus  erblicke,  Prometheus  nach  seiner  alten 
Philanthropie  demVogelarchon  Leitefreund  zu  raten;  die  Götter  hungern, 
nichts  von  Opfer  kommt  mehr  gen  Himmel,  die  Barbarengötterschaft 

Vor  Hunger  beulend,  zfthnefletsohend  ihr  Kauderwelsch 
Drohn  Zeus  mit  Krieg  yon  Norden  ber  za  überziehn, 
Wenn  er  nicht  sofort  der  großen  Sperre  ein  Ende  macht 

Es  werden  Gesandte  kommen,  man  mache  keine  Zugeständnisse,  es  werde 
denn  den  Vögeln  das  Scepter  abgetreten  und  dir,  Leitefreund,  die  Basileia. 
Nach  dieser  Anweisung  rüstet  sich  der  alte  Mann  wieder  zu  gehen: 
„gieb  mir  den  Feldstuhl,  den  Schirm,  damit  mich  Zeus,  wenn  er  her- 
unter sieht,  für  einer  Kanephore  Bedienten  hält".  So  geht  er,  über- 
schirmend den  Stuhlgang  seiner  Angst. 

Die  Gesandten  erscheinen,  Poseidon,  Herakles,  Triballos;  [53]  hinten 
in  der  Küche  sitzt  Leitefreund,  dort  werden  einige  Vögel  gebraten; 
der  Duft  schmilzt  des  Heros  Herz,  umsonst  verwarnt  ihn  Poseidon; 
er  steht  zwischen  Bratenduft  und  Pflicht,  Herakles  am  Scheidewege; 
schon  innerlich  verführt  durch  den  Bratenduft  und  die  eventuelle  Ein- 
ladung zum  Mahl,  erliegt  er  leicht  den  Sophismen  Leitefreunds ;  protestiert 
auch  Poseidon,  so  ist  doch  des  Barbarengottes  Sprache,  dem  Zwitschern 
der  Schwalben  gleich,  den  Schwalben  allein  verständlich,  und  die  abso- 
lute Majorität  hat  für  Leitefreands  Antrag  entschieden.  Er  zieht  sich 
ein  hochzeitlich  Kleid  an,  um  mit  in  den  Himmel  zu  gehen  und  die 
Basileia  heimzuführen.  Bald  kommt  er  zurück;  mit  dem  Brautzuge 
und  dem  „Juchhe,  Juchheißa,  Hochzeit!'^  schließt  die  Komödie. 

So  die  Umrisse  dieses  wunderherrlichen  Stückes;  es  hieße  die 
Poesie  desselben  gänzlich  zu  Grunde  richten,  wollte  man  es  für  nichts 
als  eine  Earrikatur  zum  sicilischen  Feldzuge  und  zu  Alcibiades  nehmen. 
Hat  das  der  Dichter  gewollt,  warum  bezeichnet  er  Sicilien  nirgends? 
warum  nennt  er  nicht  den  Alcibiades,  den  er  nicht  mehr  zu  fürchten 
hat?  wie  sollte  „der  Alte",  der  Leitefreund,  den  schönen  und  jugend- 
lichen Alcibiades  vorstellen?  u.  s.  w.  Wenn  Süvern  selbst  erkennt,  daß  in 
Leitefreund  auch  etwas  vom  Gorgias  stecke,  beweist  das  nicht,  daß 
derselbe  gar  nicht  mehr  eine  besondere  Person,  sondern  eine  allgemeine 


und  die  Hermokopiden  55 

Figur  ist,  die  sophistische  Kunst,  die  Frojektenmacherei,  tausend  andere 
Eigentümlichkeiten  damaliger  Zeit  in  sich  vereinigte?  Er  und  sein 
Kamerad  sind  so  das  Ganze  des  athenäischen  Wesens;  er,  „ganz  Kopf, 
ganz  Umsicht,  ganz  Projekt,  ganz  Spekulation",  der  andere,  Hans 
HoflFegut,  ein  rechter  athenischer  Partikulier,  immer  lustig  und  voll 
Spaß,  nie  überrascht,  nicht  von  großer  Kourage,  ohne  eigenen  Willen, 
stets  räsonnierend,  anstellig  zu  allem.  Kann's  da  fehlen,  daß  man  zu 
beiden  Figuren  unter  den  Athenern  Vorbilder,  Ähnlichkeiten,  Parallel- 
narren in  Menge  findet?  Aber  beide,  so  wie  die  ganze  Fabel,  sind  für 
[54]  spezielle  Personen  und  Fakta  zu  allgemein;  alles  Faktische  und 
Persönliche,  gleichsam  aufgelöst  zu  einem  allgemeinen  Eindruck,  zu 
einer  Stimmung,  einem  durchaus  Innerlichen,  und  in  dem  die  Farben 
der  Wirklichkeit  zu  Einem  Lichtton  verschwimmen,  das  ist  der  StoflF, 
aus  dem  diese  Komödie  geworden  ist,  und  darum  ist  sie  so  vollkommen 
Poesie. 

Nun  aber  ist  das  gerade  das  Wesen  der  alten  Komödie,  daß  ihre 
phantastische  Welt  sich  mitten  in  die  Alltäglichkeit  hinstellt  und  aller 
Enden  das  Hier  und  Heut  seine  leibhaftigen  Angesichter,  nebst  Arm 
und  Bein  und  mehr  noch  hindurchsteckt;  diese  gehören  dann  mit 
hinein,  und  werden  ordentlich  mythisch  anzusehen,  und  wieder  der 
Mythos,  in  den  sie  hineintappen,  wird  gerade  so  täppisch  alltaglich, 
wie  sie;  das  ist  denn  der  Humor  davon.  So  in  den  Vögeln;  daß  das 
Vogelreich  und  die  Wolkenstadt  und  alles  Wesen  und  Treiben  da 
wieder  Athen  ist,  versteht  sich  von  selbst ;  was  giebt's  denn  sonst  noch 
in  der  Welt;  nur  daß  es  ein  Traum- Athen  ist  und  man  träumend  zu 
wachen  meint,  alles  Bekannte  traumhaft  verzogen  an  sich  vorüber 
schimmern  sieht  und  endlich  am  Schluß,  wenn  man  erwacht,  sich  die 
Augen  reibt,  umherfühlt,  endlich  sich  überzeugt,  daß  es  nur  ein  Traum 
war,  ein  seltsamer  Traum!  In  demselben  sind  tausenderlei  Dinge  des 
Heut  und  Hier  vorgekonunen,  und  das  Wirklichste  ist  wie  Märchen, 
das  Märchenhafte  wie  wahr  und  wirklich  gewesen;  der  Zusammenhang 
aller  der  Dinge  ist  dann  nicht  ihr  äußerlich  faktisches  Verhalten  in 
und  zu  der  Wirklichkeit,  nicht  eine  gewisse  mechanische  Tendenz,  die 
das  Kunstwerk  zu  einem  Mittel  erniedrigte,  nicht  ein  fabula  docet  oder 
die  Bedeutung  einer  allegorischen  Composition,  sondern  eben  jene 
Stimmung,  jene  Atmosphäre  der  Wirklichkeit,  jenes  Allgemeine,  aus 
dem  das  seltsame  Bild  wie  ein  Traum  heraufgetaucht  ist. 

Man  meine  nicht,  daß  ich  hiermit  den  alten  Dichter  zu  einem 
Romantiker  mache;  auf  solcher  Basis  von  Mythisieren,  Verinnerlichen, 
zur  Stimmung  Auflösen  oder  wie  man  es  sonst  [55]  nennen  will,  ruht 
alles  poetische  Thun  in  jeder  Kunst;  das  Unterscheidende  beginnt  erst 


56  '  I^es  AristopbaDes  Vögel 

mit  den  Gestalten  und  auch  da  mag  man  sich  hüten,  Grenzmarken  zu 
fixieren,  die  herüber  und  hinüber  vielfach  überschritten  sind. 

So  viel  von  dem  Stück  im  allgemeinen;  ich  darf  mich  jetzt  zu 
den  Fragen  wenden,  die  ich  im  Eingang  dieser  Abhandlung  aufgeworfen 
habe;  aber  auch  die  kann  ich  nicht  ohne  neuen  Umschweif  beantworten. 
In  der  Regel  hält  man  die  alte  Komödie  und  namentlich  den  Aristo- 
phanes  für  höchst  patriotisch,  höchst  sittlich,  höchst  ehrenwert;  man 
denkt  sich  ihn  als  streng  sittenrichterlichen  Ehrenmann,  der  nur  die 
lachende  Maske  vorhält,  um  mit  tiefem,  moralischem  Ernst  zu  rat'en, 
was  allein  dem  Staate  helfen  könne,  u.  s.  w.  Sofort  müßte  man  gesteho, 
daß  er  wenigstens  sehr  zweideutige  Mittel  zu  solchem  Zwecke  braucht; 
verleumdend,  um  Verleumder  zu  züchtigen,  Sykophant  mit  arger  Frech- 
heit, voll  Gotteslästerlichkeit,  wo  er  den  Verfall  der  Religion  beklagt, 
schwelgend  in  der  stinkendsten  Sittenlosigkeit,  über  die  er  so  oft  mora. 
lisiert,  ist  er  durch  alle  die  Fehler,  die  er  lustig  an  den  Pranger 
stellt,  selbst  so  liebenswürdig  und  geistreich,  wie  er  es  ist  Es  ist 
ein  schlimmes  Ding,  von  einem  Spötter  Gesinnung  zu  erwarten,  auf 
deren  Kosten  ja  der  Spott  selbst  nur  möglich  ist;  es  wäre  eine  morose, 
abständige  und  langweilige  Komik,  die  eigentlich  nur  Moral  zu  predigen 
im  Sinne  hätte,  und  die  Moral  selbst  wäre  doppelt  schlimm  daran, 
solche  Priester  zu  finden,  die  da  an  dem  Beispiel  und  der  Lust  des 
Lasters  die  Tugend  lehren  möchten.  Freilich  ist  die  Komödie  von 
tiefem  und  erschütterndem  Ernst,  der  aber  liegt  außer  ihr  und  ihrem 
Zweck,  er  würde  in  dem  Volke  erwachen,  wenn  das  nicht  so  gar  sehr 
lachen  müßte;  es  vergißt  für  den  Augenblick  den  Ernst  der  Wirklich- 
keiten, von  der  dies  Spiel  das  furchtbar  getreue  Abbild  ist,  und  lachend 
geht  es  dem  Untergange  zu. 

Aber  ist  nicht  dagegen  das  ausdrückliche  Zeugnis  des  [56]  Aristo- 
phanes  selbst?  sagt  er  nicht  oft,  wie  er  es  ernst  meint?  Gewiß  sagt 
er  es  und  ändert  die  Sache  damit  nicht.  Wie  schön  sind  nicht  die 
Phrasen,  die  etwa  H.  Heine  macht,  wie  wunderbar  und  begeisternd 
spricht  er  von  allem  Heiligen  und  Schönen,  um  es  im  nächsten  Augen- 
blick in  den  Kot  zu  treten.  In  Zeiten  gesteigerter  Civilisation,  wenn 
das  Scheidewasser  der  Aufklärung  alles  Leben  angefressen,  wenn  man 
über  Sitte  und  Vorurteil  hinwegräsonniert  hat,  wenn  in  der  Fäulnis 
der  sittlichen  und  religiösen  Zustände  das  wurmhaft  wimmelnde  Einzel- 
leben immer  beweglicher  und  bunter  durcheinander  arbeitet,  dann 
sind  in  der  Poesie  Erscheinungen  wie  die  alte  Komödie  möglich  und 
an  der  Zeit. 

Was  immer  ich  mit  solchem  Urteil  dem  Aristophanes  abspreche, 
ihm  fehlt  es,  wie  es  seinem  Zeitalter  fehlt;  ihm  bleibt  das,  was  ihn 


und  die  Hermokopiden  '  57 

in  demselben  und  für  alle  Zeit  groß  gemacht  hat,  die  unendliche  Fülle 
seiner  Poesie.  Wir  mögen  den  Menschen  vergessen,  um  den  Dichter 
zu  bewundem;  es  wäre  Prüderie,  vor  einer  Madonna  Raphaels  seiner 
Maitressen,  oder  über  die  Großthaten  Alexanders  seiner  Trunkenheit 
nicht  vergessen  zu  können;  und  wie  geneigt  wir  sind,  an  großen 
Geistern  auch  ihr  Alltägliches  bewundernswert  zu  wünschen,  so  müssen 
wir  doch  um  des  einen  willen  nicht  das  andere  verunglimpfen  oder 
nach  engherzigem  Belieben  zurechtrücken;  ja  selbst  in  dem,  was  wir 
gern  anders  sahen,  finden  wir  bei  ernster  Betrachtung  sicherlich  tiefen 
Sinn  und  bedeutende  Charakteristik. 

Eine  weitere  Begründung  obiger  Ansichten  über  Aristophanes  muß 
ich  für  jetzt  mir  versagen,  wennschon  ich  besorge,  daß  sie  mir  mannig- 
fach werden  mißdeutet  werden;  sie  würden  minder  kühn  erscheinen, 
wäre  man  nicht  vielfach  gewöhnt  sich  das  Altertum  überhaupt  ohne 
die  feste  und  gesunde  Leibhaftigkeit  zu  denken,  durch  die  es  erst 
historische  Wahrheit  erhält,  welche  aber  gar  manchen  Philologen  als 
Entweihung  und  Befleckung  des  allzuschönen  Idealbildes,  zu  [57]  dem 
sich  ihnen  das  klassische  Altertum  verklärt  hat,  erscheint. 

Wenn  man  von  jenen  Ansichten  aus,  zu  denen  ich  mich  bekenne^ 
die  Aristophanische  Komödie  und  ihre  politische  Bedeutung  betrachtet, 
so  wird  man  sich  leicht  überzeugen,  daß  sie  im  Grunde  keiner  Partei 
so  angehört,  daß  sie  mit  einiger  Consequenz  für  dieselbe  arbeitete; 
Männer  von  jeder  Farbe  zieht  sie  in  den  Bereich  ihres  Hohnes,  da  ist 
keine  Tugend  so  erhaben,  kein  Laster  so  abscheulich,  daß  sie  nicht 
eine  lächerliche  Seite  an  demselben  herausspürte;  sie  ist  gerade  wie 
der  liebe,  leichtfertige,  klatschhafte,  gallen-  und  lachsüchtige  Demos 
selber,  um  dessen  Gunst  sie  buhlt,  mag's  mit  Schmeichelworten  oder 
mit  bitterlichen  Vorwürfen  sein;  und  nimmt  sie  denn  wirklich  einmal 
einen  Anlauf  gegen  Kleon  oder  Sokrates,  so  ist  das  unendlich  amüsant, 
hat  aber  nie  oder  selten  irgend  einen  Erfolg,  als  daß  das  Volk  lacht. 
Sie  ist  keine  Censur,  keine  politische  Macht. 

Endlich  nun  die  Fragen  des  Anfangs.  Nennt  Aristophanes  in  den 
Vögeln  wirklich  keinen  der  vielen  Namen,  die  wir  in  den  kurz  vorher 
verhandelten  Prozessen  genannt  finden?  Er  nennt  den  Diagoras 
(V.  1072),  doch  dürfen  wir  den  als  Ausländer  über  Seite  lassen;  und 
daß  Philokrates  (V.  1077  und  14)  des  Demeas  Sohn,  nicht  aber  der 
von  Teukros  denuncierte  sei,  ist  bereits  oben  vermutet  worden  (S.  24 
Anm.  24).    Außerdem  erklären  die  Scholiasten  zu  V.  766: 

„Wenn  den  Verbannten  Pisias  Sohn  die  Thore  verräterisch  öffnen  will", 

daß  man  „des  Pisias  Sohn"  nicht  weiter  kenne,  daß  aber  entweder 
er    oder    sein   Vater    einer    der  Hermokopiden    gewesen   sein   müsse. 


58  I^es  Aristophanes  VGgel 

Yielleicht  ist  diese  Angabe  aus  einer  Namensverwechselung  des  wirklich 
denuncierten  Meletos  mit  dem  6  Iluaiov  Mikfjg,  dem  schlechtesten 
Eitharöden,  wie  ihn  Fherekrat«s  in  den  Wilden  (Fr.  1)  nannte,  ent- 
standen; mindestens  kann  der  Sohn  nicht  anter  den  Hermokopiden 
gewesen  sein,  [58]  da  er  nach  Beendigung  der  Prozesse  noch  in  Athen 
war  und  verdächtigt  werden  konnte  den  Verbannten  die  Thore  öffnen, 
die  Stadt  Verraten  zu  wollen;  und  des  Vaters  Namen  Fisias  finden 
wir  gleichfalls  nicht  aufgezeichnet,  da  wir  doch  gerade  die  wegen 
Hermenfrevel  mit  einigem  Fuge  Denuncierten  alle  namentlich  kennen. 
Endlich  könnte  man,  wenn  Leitefreund  (V.  67)  gefragt,  was  denn  er 
für  ein  Vogel  wäre,  antwortet:  'EmxtxoSm  ^ycoye  (pamccvixög  eine 
Anspielung  finden  auf  Andocides,  den  vor  Angst  denuncierenden 
{(paaiavoq  hat  ävriQ\  der  zugleich  der  Sohn  des  Leogoras  ist,  welcher 
ia  in  Athen  seiner  Fasane  wegen  bekannt  ist;  doch  ist  dies  mehr  als 
zweifelhaft.  Man  wird  also  mit  Recht  fragen,  wie  es  kommt,  daß 
Aristophanes  von  den  in  den  Prozessen  belangten  keinen  komodiert? 
Nahe  würde  es  liegen  zu  antworten,  er  sei  von  der  Partei,  die 
unterlegen.  Aber  war  denn  etwa  die  Verbindung  des  Andocides  und 
Euphjletos  von  gleicher  politischer  Farbe  mit  Alcibiades'  Partei?  hing 
der  Komiker,  was  nicht  der  Fall  gewesen  sein  dürfte,  diesem  an,  warum 
zieht  er  nicht  in  den  Vögeln,  wie  doch  sonst,  jene  oligarchische  Hetärie 
durch,  etwa  den  Lysistratos  oder  Panaitios  —  doch  ja,  diesen  soll  er 
ja  nach  dem  Scholiasten  V.  440  bezeichnet  haben;  warum  hütet  er 
sich  denn  nun  so  geflissentlich  seinen  Namen  zu  nennen,  da  er  doch 
die  schöne  Klatschgeschichte,  die  auf  den  Namen  „des  Mannes  mit  der 
großen  Frau"  erzählt  wird,  nicht  entbehren  kann?  Andererseits  sind 
die  in  dem  Stücke  durchgezogenen  Personen,  so  viel  sich  erkennen 
läßt,  von  den  verschiedenartigsten  politischen  Tendenzen;  da  ist  von 
der  höchsten  Aristokratie  Nikias  (V.  639),  Aristokrates  des  Skellias 
Sohn^  [59]  (V.  125),  Lykurgos  aus  dem  Geschlecht  der  Eteobutaden* 
(V.  1296),  von  Volksmännem  der  bramarbasierende  Kleonymos  (V.  1475. 
290),   Syrakosios,   der   klaffende  Hund   der  Rednerbühne»  (V.  1297), 


^  Sein  Geschlecht  wird  mit  dem  des  Nikias  und  Perikles  zu  den  vornehmsten 
Athens  gezählt  (Plato  Gorgias  p.  472) ;  unter  den  Vierhundert  trat  er  der  gemäßig- 
ten Partei  bei  (Thncyd.  VIII  92  Lysias  in  Erat.  66)  und  die  Oligarchie  rächte 
sich  in  dem  Prozeß  nach  der  Arginusenschlacht,  von  deren  Feldherm  er  gewesen 
war  (Xenopb.  Hellen.  I  6).  Mit  ihm  starb  sein  Geschlecht  aus  und  sein  Name 
ging  über  in  das  Haus  seines  Bruders  (Demosth.  in  Theoer.  67). 

*  Hr.  Runkel  Cratin.  fragmenta  p.  12  nennt  ihn  sonderbar  genug  homo 
ignobilis. 

'  £upolis  nolaig  h,  8. 


and  die  Hermokopiden  59 

Kleisthenes  des  Sibyrtios  Sohn,  der  Genosse  des  Androkles*  (V.  831), 
von  Oligarchen  der  Daduche  Kallias  (V.  283),  Peisandros  (V.  1556), 
Diitrephes^  (V.  798),  auch  des  Sellos  Sohn  Aeschines  (V.  823),  und 
Theagenes  und  Proxenides,  die  Prahlhänse  (V.  1127);  selbst  der  bigotte 
Diopeithes  fehlt  nicht,  noch  der  hochpreisliche  Lampon,  noch  Eieokritos, 
der  Herold  der  Mysten®.  Indem  so  der  Dichter  Männer  von  allen 
Parteien  vornimmt,  dürfte  es  schwer  sein  zu  sagen,  mit  welcher  er  es 
eigentlich  hält;  wenn  er  von  den  freilich  jetzt  verbannten  Mitschuldigen 
des  Hennenfrevels  oder  der  Mysterienverletzung  in  den  Vögeln  keinen 
nennt,  während  er  doch  in  andern  Stücken  weder  der  Landesflüchtigen 
noch  selbst  der  Toten  schont,  so  glaube  ich  hat  das  nicht  in  seiner 
Gesinnung,  sondern  in  irgend  sonstigen  Umständen  seinen  Grund.  Nun 
sagt  der  Soholiast  zu  den  Vögeln  (V.  1297),  Syrakosios  scheine  ein  Ge- 
setz gegen  das  övoiiaaxl  xcjfKpSaTv  durchgebracht  zu  haben,  und  Phry- 
nichos  sage  im  Monotropos: 

A.  W&q'  H^Bi  JSvgaxdaiov, 

B.  'EitKpavriq  yä()  ccvrq) 
xal  fieyälf]  rv^or 

äfpeikero  yäQ  [y  -  \j  z.  B.  Teoirjtaig] 

XODfJLfpSeTV  OVQ  kTte&vfiovv. 

Ohne  dieses  Citat  aus  einer  Komödie  dieses  Jahies  würde  der  Scholiast 
nicht  Gewährsmann  genug  für  eine  so  merkwürdige  Sache  sein;  aber 
Phrynichos  Worte,  wenn  auch  im  einzelnen  noch  der  Verbesserung 
bedürftig,  besagen  ganz  deutlich,  daß  des  Syrakosios  Psephisma  gerade 
diejenigen,  die  man  am  liebsten  möchte,  zu  verspotten  verbiete.  Gewiß 
richtig  hat  der  Scholiast  övoiiaari  zugefügt,  da  der  anonyme  Spott  in 
Athen  jeder  ControUe  überhoben  war.  Diese,  ovq  kTte&vfiovVy  wer 
könnten  sie  gewesen  sein?  etwa  die  auf  der  Flotte?  Nikias  muß  ja 
herhalten;  etwa  die  anerkannt  bestgesinnten  und  partriotischen  Bürger, 
die  den  Staat  gerettet?  Peisandros  und  Kleonymos  werden  des  Gründ- 
lichsten gehechelt  Ich  meine,  es  liegt  nichts  näher  als  gerade  an  die 
in  den  Prozessen  Verurteilten  zu  denken;  so  hatte  dies  Psephisma  nicht 
etwa  die  Absicht  das  rdv  jiBaövra  kccxriffai  nXiov  barmherzigerweise 


*  Aristoph.  Vesp.  1187. 

*  Thucyd.  VIII  64  Cratin.  Chirones  fr.  8. 

^  Aves.  988,  521,  877  vgl  Xenoph.  Hell.  II  4,  20.  Eine  große  Zahl  solcher, 
deren  politische  Tendenz  uns  nicht  bekannt  ist,  habe  ich  nicht  erwähnt,  wenn 
schon  sich  bedeutende  Figuren  des  Staatslebens,  wie  Rinesias  der  Dithyrambikcr, 
Lysikrates,  Meidias  und  andere  darunter  finden. 


60  1^66  Aristophanes  VSgel 

ZU  hindern,  sondern  war  eine  poUtisch  richtige  Vorsichtsmaßregel,  die 
der  Hauptsache  nach  sicher  gegen  Alcibiades  gerichtet  war.  Schön 
hat  Aristophanes  in  den  Fröschen  (1425)  mit  einem  travestierten  Verse 
des  geistreichen  Ion  von  Ghios  die  Stimmung  der  Stadt  gegen  Alci- 
biades ausgedrückt: 

no&ei  fUv,  kx^ctiQBi  Si,  ßoH^xai  fff^x^iv. 

So  wunderbar  war  die  Persönlichkeit  des  außerordentlichen  Mannes,  daß 
man  nun,  da  er  hinweg  und  gestürzt  war,  nichts  mehr  fürchtete,  als 
des  Volkes  Sehnsucht  nach  seinem  Liebling  wieder  erwachen  zu  sehen; 
jede  Erinnerung  an  ihn  mußte  gemieden,  womöglich  sein  Name  der 
Vergessenheit  übergeben  werden;  gewiß  war  es  im  Sinne  der  Oligarchie, 
daß  Syrakosios  jenen  Vorschlag  durchgebracht  hatte. 

Wenn  aber  so  durch  Gesetzeskraft  verpönt  war  der  Condemnierten 
namentlich  zu  gedenken,  konnte  da  die  Komödie  des  Ameipsias  unter 
den  Komasten  die  Hermen-  und  Mysterienfrevler,  wie  oben  vermutet 
worden,  darstellen?  Ich  meine,  ja;  auch  Aristophanes  Vögel  enthalten 
Anspielungen  der  [61]  Art.  Wenn  König  Kuckuck  den  beiden  Aus- 
wanderern zum  Beispiel  eine  Stadt  am  Boten  Meere  nennt,  wo  sich's 
gut  wohnen  ließe,  so  denkt  Leitefreund  gleich  an  die  Salaminia,  die 
eines  schönen  Morgens  im  Hafen  erscheinen  wird  auch  sie  heimzuholen; 
die  Vögel,  die  in  Herakles  Gegenwart  gebraten  werden,  sind  zum  Tode 
verdammt  wegen  Verschwörung  gegen  die  Vögeldemokratie;  der  geheime 
Agent  droht,  wenn  er  geprügelt  ist,  dem  Leitefreund  mit  Denunciation: 
gedenke  wie  du  an  die  Stele  gestern  Abend  genotdurftet  hast,  u.  s,  w. 
Gewiß  durfte  Ameipsias  über  den  bekannten  Komastenunfag  komodieren, 
wenn  er  es  geschickt  machte;  und  daß  er  es  geschickt  machte,  daß  er 
namentlich  der  allgemeinen  Stimmung  zu  Dank  gedichtet  hatte,  dafür 
spricht  der  erste  Preis,  der  ihm  zuerkannt  worden.  Es  mochte  mit 
.  Becht  das  KomastiCnspiel,  in  dem  gewiß  alle  Unfläterei  und  Frevellust 
der  Vornehmen  recht  sichtlich  vor  Augen  gestellt  war,  dem  Volke  besser 
gefallen,  als  das  Einsiedlerstück  des  Phrjnichos  oder  diese  ausgelassene, 
übersprudelnde  Tollheit  der  Vögel,  in  der  die  Athener  das  Bild  ihrer 
vogelhaften,  gedankenlosen,  stets  leicht  mißbrauchten  Charakterschwäche 
scharf  genug  dargestellt  erkennen  mußten,  das  aber  in  den  feinen  Zügen 
und  Inventionen  ihnen  gewiß  zu  fein  war. 


So  die  Resultate,  die  ich  von  der  Vergleichung  der  Hermokopiden- 
und  Mysterienprozesse  mit  den  Aristophanischen  Vögeln  freilich  be- 
deutender erwartet  hatte;  vielleicht  wäre  es  von  Interesse  gewesen,  die 


und  die  Hermokopiden  61 

Dentongen  Süverns,  da  sie  vielen  Eingang  gefanden  haben,  noch  im 
einzelnen  zu  beleuchten  nnd  namentlich,  was  er  auf  Alcibiades  Bezüg- 
liches gefanden  za  haben  meint,  in  dem  Zusammenhange  hinzustellen, 
wie  ich  es  sehen  zu  müssen  glaube;  indes  würde  mich  eine  Darstellung 
der  Art  zu  weit  aus  dem  Bereich  meines  Planes  hinaus  und  in  das 
einzelne  der  Komödie  geführt  haben.  [62]  Auch  bei  der  Entwickelung 
des  politischen  Lebens  der  Athener,  als  dessen  Mittagshöhe  ich  nicht 
Perikles,  sondern  Alcibiades,  den  Eroberungszug  nach  Sicilien,  die  auf 
das  äußerste  gesteigerte  und  in  sich  selbst  zum  anderen  Extrem  um- 
schlagende Demokratie  ansehe,  hätte  ich  gern  länger  verweilt;  aber 
noch  liegt  hier  das  meiste  und  wichtigste  gar  sehr  im  argen,  und 
nicht  ohne  Scheu  habe  ich  hier  und  da  einen  Schritt  weiter  in  das 
weite  Trümmerfeld  hinaus  zu  machen  gewagt. 

[Einige  Abschnitte  dieser  Abhandlung  sind  in  die  Einleitung  zu  des  Verf. 
Übersetzung  der  Vögel  des  Aristophanes  aufgenommen  worden.] 


II. 

Zur  griecWsclien  Litteratur. 

Hallische    Jahrbücher    für    deutsche   Wissenschaft    und   Kunst   herausgegeben 
von  Dr.  A.  Rüge   und   Dr.  Th.  Echtermeyer   in  Halle     I.  Jahrgang  1838 

Nr.  169—171    Sp.  1349  ff. 

G.  Bernhardy,  Grundriß  der  griechischen  Litteratur  mit  einem  ver- 
gleichenden Überblick  der  römischen.    Erster  Teil  Halle  1836. 

Caspari  Frederici  Wegener,  D.  de  aula  Attalica  literarum  artiumque 
fautrice  libri  sex.   Vol.  I    Havniae  1836. 

Dr.  Friedrich  Ritschi,  Die  alexandrinischen  Bibliotheken  unter  den 
ersten  Ptolemäem  und  die  Sammlung  der  Homerischen  Gedichte 
durch  Fisistratus,  nach  Anleitung  eines  Flautinischen  Scholions. 
Nebst  litterarhistorischen  Zugaben  u.  s.  w.   Breslau  1838. 

[1349]  Unternehmen  wir  es  in  diesen  Blättern  über  Schriften, 
wie  die  eben  genannten,  die  überwiegend  dem  fachmäßigen  Interesse 
der  Gelehrsamkeit  angehören,  zu  sprechen,  so  geschieht  es  in  der 
Absicht  von  ihnen  aus  auf  das  eigentümliche  Verhältnis  dieser  Litte- 
ratur zur  Entwickelungsgeschichte  der  Menschheit  überhaupt  hinzu- 
weisen. Nicht  selten  verschmäht  es  die  Gelehrsamkeit  in  der  rücksichts- 
losen Bewunderung  für  das  erwählte  Gebiet  sich  zu  erinnern,  daß  es 
nur  ein  Teil  von  dem  großen  Reiche  menschlichen  Wissens  ist;  ja  man 
hört  neuester  Zeit  derartiges  Vor-  und  Rückwärtsschauen  wohl  als  un- 
gründlich und,  wie  sie  es  nennen,  geistreich  verdächtigen;  es  komimt 
dazu,  daß  die  stupende  Arbeit  der  bis  in  die  dunkelsten  Winkel  hinab- 
steigenden Forschung  und  die  kecken  Combinationen  einer  mit  Zuversicht 
oder  Feinheit  gehandhabten  Kritik  ungleich  mehr  imponieren,  als  die 
Durchführung  von  Gedanken,  deren  jeder  seine  eigenen  zu  haben 
glaubt.  Aber  die  einzelne  Wissenschaft  darf  sich  dem  Bewußtsin  des 
Allgemeinen  so  wenig  verschließen,  daß  sie  in  demselben  erst  den 
rechten  Schutz  vor  Einseitigkeit  und  Verdumpfung  findet,  und  eben 


Zur  griechiscben  Litteratur  63 

daher  selbst  die  bedeutendsten  Auüschlüsse  erhält  und  sich  über  ihre 
wesentlichsten  Entwickelungen  klar  wird. 

Wir  glauben  ein  namhaftes  Beispiel  der  Art  in  der  Geschichte 
der  griechischen  Litteratur  zu  finden.  Es  ist  die  herkömmliche  Vor- 
stellung, daß  von  echter  griechischer  Litteratur  etwa  nur  bis  auf 
Alexanders  und  Aristoteles'  Zeit  die  Rede  sein  kann;  dann,  denkt  man 
sich,  folgt  eine  lange,  dumpfe  Nacht,  in  der  nur  hier  und  da  ein- 
zelne Sternchen  oder  auch  Irrlichter  zu  sehen  sind.  Es  heißt,  „mit 
Aristoteles  [1350]  habe  sich  das  litterarische  Dasein  des  hellenischen 
Volkes  vollendet;  das  Leben  der  antiken  Hellenen  sei  fertig  und  abge- 
schlossen in  den  Hintergrund  getreten;  niemand  habe  es  können  fort- 
setzen wollen,  nur  es  umzusetzen,  zu  begreifen  und  den  umgeänderten 
Verhältnissen  anzueignen  habe  man  bemüht  sein  können  und  müssen'^ 
(Bemhardy  S.  341). 

Solche  Ansichten  sind  unleugbar  richtig,  wenn  man  griechische 
Litteratur  nur  das  nennen  will,  was  sich  Litterarisches  in  den  reichen 
Zeiten  des  freien  und  erst  zur  Weltherrschaft  heranreifenden  Griechen- 
tums entwickelt  hat.  Aber  wie  dasselbe  Griechentum  herangereift  und 
durchgebildet  die  Welt  erobert  und,  nach  kurzer  politischer  Einheit 
zersplittert,  mehr  als  ein  halbes  Jahrtausend  hindurch  als  Sprache  und 
Bildung  geherrscht,  wenn  es  diese  ganze  Zeit  hindurch  in  unendlich 
mannigfaltiger  und  folgereicher  Thätigkeit  gearbeitet  hat,  soll  man  da 
nicht-s  als  Festhalten  einer  untergegangenen  Herrlichkeit,  keine  Ent- 
wickelung  und  keinen  Fortschritt  finden  können?  ermangeln  hier  wirk- 
lich „Zeitalter  und  Individuen  eines  stetigen  Zusammenhanges,  einer 
geistigen  Gemeinschaft"  (Bemhardy)  ?  Die  griechische  Litteratur  ist  bei 
weitem  nicht  auf  das  Gebiet  rein  griechischer  Nationalitat  beschrankt. 

Schon  daß  in  dem  Mittelpunkte  jener  Jahrhunderte  und  aus  dem 
Schöße  der  hellenistischen  Bildung  das  Christentum  mit  seinem  ehr- 
würdigen Gefolge  apologetischer,  patristischer,  häretischer  Litteratur 
hervorgegangen,  müßte  zu  einer  anderen  Betrachtung  dieser  späteren 
Zeit  führen.  Solche  Erscheinungen  sind  für  den  Forscher  wie  hervor- 
ragende Zielpunkte,  nach  denen  er  auf  seiner  Wanderung  den  Weg 
abmißt  und  lenkt;  wenn  er  zu  ihnen  gelangt  ist,  mag  er  von  der 
Höhe  aus  das  Vorwärts  und  Rückwärts  überschauen  und  den  Weg,  den 
er  mühsam  zurückgelegt,  mit  allen  Krümmungen  und  Umgebungen, 
die  er  wandernd  fast  übersehen,  im  Zusammenhange  erkennen. 

Das  Griechentum  ist  berufen  gewesen,  den  tTbergang  aus  der 
heidnischen  in  die  christliche  Welt  zu  erarbeiten;  es  hat  das  schwie- 
rigste und  fruchtreichste  Tagewerk  in  der  Geschichte  der  Menschheit 
vollbracht. 


64  Zu'  griechischen  Litteratur 

Sehr  schön  hat  man  die  Geschichte  der  Menschheit  ein  ,,Süchen 
Gottes"  genannt.  Durch  die  eigene,  freie  Menschenkraft  sucht  ihn  das 
Heidentum;  in  dem  Walten  der  umgebenden  Natur,  in  den  Gestal- 
tungen, Zwecken  und  Verhältnissen  des  eigenen  Lebens  glaubt  es  ihn 
zu  finden;  da  ist  der  Gott,  was  der  Mensch  Bestes  zu  haben.  Wich- 
tigstes zu  erkennen  glaubt;  von  der  Erde  emporbauend  meint  er  den 
Himmel  zu  erklimmen.  Die  eigene  treibende  Unruhe  zwingt  den  Geist 
weiter  und  weiter  zu  ringen,  er  ist  unermüdlich  in  diesem  Üben  der 
eigenen  Kraft,  und  immer  neue  Völker  fuhrt  er  an  die  Arbeit,  die 
ermüdeten  abzulösen  und  ihr  Werk  weiter  zu  fordern.  Erst  wenn  alle 
seine  Mittel  und  Kräfte  entwickelt  sind  und  in  höchster  Anstrengung 
und  Vollendung  gearbeitet  haben,  wenn  das  lebendigste  Gefühl  ihrer 
Erschöpfung  und  Unzulänglichkeit  wach  geworden  ist,  wenn  das  kecke 
und  freudige  Vertrauen  auf  die  eigene  menschliche  Kraft  der  Sehn- 
sucht nach  einem  höheren  Beistande,  nach  einer  unendlich  über  alles 
Menschliche  hinausreichenden  Kraft  weicht,  erst  da  kommt  der  trost- 
bedürftigen Menschheit  die  Gnade  der  göttlichen  Offenbarung  entgegen, 
und  die  einst  so  stolze,  nun  in  sich  [1351]  gebrochene  Kraft  des  end- 
lichen Geistes  beugt  sich  in  stiller  Demut  vor  der  Herrlichkeit  des 
ewigen  Vaters. 

Das  Griechentum  ist  diese  Vollendung  des  Heidentums,  diese  vollste 
und  reichste  Entwickelung  des  Menschengeistes  nach  seiner  eigensten 
Kraft.  Ohne  Störung  und  Verkümmerung,  nicht  durch  fremde  Tradi- 
tion belastet,  noch  durch  bewältigende  Übermacht  der  Natur  gehemmt, 
nur  an  sich  selber  lernend  und  im  organisch-lebendigen  Fortschritte 
jede  Form  und  Gestaltung  erarbeitend,  die  das  ewige  Gesetz  geistigen 
Lebens  bestimmt,  hat  dies  herrliche  Volk  in  seiner  Geschichte  das 
voUommene  Paradigma  rein  menschlicher  Entwickelung,  wie  es  kein 
anderes  Volk  in  dieser  Allseitigkeit  und  Consequenz  aufzuweisen  hat., 
gegeben,  hat  es  das  Heidentum  an  die  letzten  Grenzen  seines  Könnens 
und  über  sich  selbst  hinausgeführt.  Freilich  ist  damit  die  Nationalität 
erschöpft,  und  sie  stirbt  allmählich  ab,  aber  ihre  Sprache,  ihre  Bildung 
und  Litteratur  wird  das  Gesamteigentum  der  Welt,  durch  sie  werden 
die  Völker  aus  dem  Heidentume  hinausgeführt,  durch  sie  wird  der 
neue  Glaube  mit  immer  herrlicheren  Siegen  gegen  das  Heidentum  und 
die  aus  demselben  Boden  erwachsenen  Häresieen  vertheidigt,  bis  endlich 
das  Dogma  und  die  allgemeine  Kirche  begründet  ist  und  der  hellenisierte 
Ost^n  den  Muhamedanem  erliegt,  während  die  Westwelt  mit  ihren  Ger- 
manen von  dem  Stuhle  Petri  aus  die  Impulse  neuen  Lebens  empfingt 

Für  die  Geschichte  der  griechischen  Litteratur  oder  richtiger  für 
die  weltgeschichtliche  Entwickelung  des  Griechentums  ist  keineswegs 


Zur  griechischen  Litteratur  65 

Alexanders  Eroberung  der  entscheidende  Wendepunkt;  sie  mit  ihren 
reichen  Folgen  ist  nur  die  Frucht  und  Erfüllung  eines  eigentümlichen 
Verhältnisses,  dessen  Entwickelung  an  Athen  geknüpft  ist. 

Mit  ausgezeichneter  Schärfe  und  Gründlichkeit  hat  Hr.  Bernhardy 
(S.  294  flF.)  den  attischen  Geist  und  Volkscharakter  geschildert;  er  hebt 
es  hervor,  wie  sich  in  Athen  die  partikulären  Leistungen  der  verschie- 
denen griechischen  Stämme  durchdrangen,  wie  sich  in  dieser  Aufhebung 
der  gesonderten  Bildungen  und  Selbständigkeiten  eine  universelle  und 
objektive  Form,  eine  Schriftsprache  bildete.  Um  die  Zeit,  als  das  athe- 
nische Volk  an  die  Spitze  des  griechischen  Lebens  trat,  hatte  eine 
eigentümliche  Bewegung  der  Gemüter  begonnen.  Jene  sinnige  und 
dichterische  Weise  alter  Zeit,  die  in  der  Außenwelt  und  den  Erfahrungen 
des  Lebens  nur  Material  und  Anknüpfungspunkte  für  das  phantasie- 
reiche Schaifen  finden  mochte,  war  vorüber;  mannigfache  Verhältnisse 
hatten  das  Interesse  rationeller  Betrachtung  der  Dinge  und  Verhältnisse 
erweckt,  man  empfand  die  Unzulänglichkeit  dichterischer  Vorstellungen, 
man  suchte  in  den  Dingen  selbst  ihre  Bestimmung,  ihr  Maß  und 
Gesetz,  der  Geist  begann  zum  Bewußtsein  seiner  selbst  zu  gelangen. 
Nach  der  eigentümlichen  Folgerichtigkeit  des  griechischen  Wesens  fand 
diese  neue  Richtung  sofort  ihre  entsprechende  Form;  es  begann  die 
prosaische  Darstellung  zugleich  mit  der  prosaischen  Auffassung;  aber 
weder  die  eine  noch  die  andere  war  ihrer  selbst  schon  gewiß;  grandiose 
Gedichte,  wie  die  des  Empedokles,  die  tiefsinnigen  Aphorismen  eines 
Heraklit,  die  merkwürdigen  Institutionen  des  Pythagoras,  [1352]  die 
das  Alte  und  Herkömmliche  durch  Reflexion  erneuen  und  zeitgemäß 
machen  sollten,  sie  alle  gingen  aus  dieser  neuen  Tendenz  hervor. 

Das  attische  Leben  war  bestimmt  den  Kanipf  des  Alten  und 
Neuen,  der  Poesie  und  des  Rationalismus  in  sich  durchzukämpfen.  In 
diesem  Gegensatze  hat  sich  die  vollendete  Herrlichkeit  der  attischen 
Tragödie  entwickelt,  deren  Geschichte  selbst  das  immer  steigende  Über- 
gewicht des  prosaisch  Rationellen  dokumentiert;  wenn  sie  fast  schon  in 
Reflexionen  und  Absichtlichkeiten  untergeht,  erhebt  sich  die  Komödie  in 
den  übermütigsten  und  willkürlichsten  Ausgelassenheiten  der  Phantasie 
die  letzte  Kraft  des  Poetischen  zu  vergeuden  und  gegen  das  Neue  mit 
ohnmächtigem  Stachel  zu  wüten. 

Die  begonnene  rationelle  Entwickelung  des  Geistes  mußte  zu  un- 
widerstehlichen Consequenzen  treiben.  Nach  dem  Zusammenhange  und 
den  Gründen  der  Erscheinung  forschend  war  die  Philosophie  tief  und 
tiefer  in  Zweifel  und  Verneinungen  hineingekommen.  Sie  hatte  eine 
Hülle  nach  der  andern  abgeschält,  schon  war  die  gänzliche  Nichtig- 
keit des   menschlich  Wahrnehmbaren   prädiciert,   es  blieb   nur  noch 

Droysen,  Kl.  Schrifteii  II.  ^ 


66  Z^ii"  griechischen  Litteratur 

Übrig,  die  schneideade  Waffe  der  Dialektik  gegen  den  letzten  Rest  von 
Positivitaten  zn  wenden  und  den  Geist  von  aller  Schranke  des  Ge- 
gebenen und  Geglaubten  zu  befreien.  Es  war  das  große  Werk  der 
Sophistik  zu  zeigen,  daß  nichts  sei  als  das  subjektive  Meinen,  daß  alles 
Bestehende  nur  Gesetztes  und  Willkürliches,  daß  der  Mensch  in  seiner 
Subjektivität  das  Maß  von  allem  sei.  Mit  Recht  hat  man  diesen  Zeit- 
raum den  der  hellenischen  Aufklärung  genannt;  sie  wurde  in  Athen 
mit  der  lebhaftesten  Begierde  aufgenommen  und  gehegt.  Indem  sie 
über  den  Sachen  zu  stehen,  ihren  Zusammenhang  zu  erkennen,  das 
Zweckmäßige  von  dem  Unwichtigen  zu  sondern  lehrte,  gab  sie  den  so 
Ausgerüsteten  ein  Übergewicht  über  die  nur  von  dem  Momentanen 
und  Nächstliegenden  bestimmte  Menge.  Die  Sophistik  wurde  die  Bil- 
dungsschule für  den  Staatsmann.,  Zum  erstenmal  in  der  Welt  trat 
der  Unterschied  zwischen  Gebildeten  und  Idioten  in  seiner  ganzen 
Bedeutsamkeit  hervor,  und  diese  Richtung,  die  auf  demselben  Boden 
mit  der  Demokratie  erwachsen  war,  entwickelte  sich  zu  dem  entschie- 
densten Gegensatze  gegen  die  demokratische  Gleichheit,  in  der  man 
das  Wiesen  der  Freiheit  finden  zu  müssen  geglaubt  hatte.  So  mußte 
in  oligarchischen  Umtrieben  die  Verfassung  und  die  Macht  Athens 
stürzen,  eine  wilde  taumelhafte  Zeit,  der  eine  trostlos  leere  Restauration 
folgte;  edle  Gemüter  zogen  sich  von  der  Misere  des  öffentlichen  Lebens 
zurück,  es  löste  sich  das  politische  Interesse  mehr  und  mehr,  der  Staat 
war  nicht  mehr  Brennpunkt  und  Ziel  aller  Bestrebungen  und  die  fak- 
tische und  anerkannte  Grundlage  menschlicher  Existenz;  man  begann 
die  Politik  theoretisch  zu  behandeln.  Athen  selbst,  in  politischer  Hin- 
sicht unbedeutend,  gewann  die  höhere  Bedeutung  der  geistige  Mittel- 
punkt des  hellenischen  Lebens  zu  sein,  das  sich  unter  der  Potenz  dieser 
attischen  Bildung  über  die  Stamm-  und  Verfassungsunterschiede  hinaus 
als  ein  geistig  einiges  zu  fühlen  und  zu  entwickeln  begann. 

[1357]  Wenn  die  Sophistik  sich  zunächst  als  praktisch  höchst 
nutzbar  für  die  Befähigung  zum  öffentlichen  Leben  empfohlen  und  als 
Gipfel  ihrer  schulmäßigen  Bildung  eine  ausführliche  Wissenschaft  der 
Redekunst  aufgestellt  hatte,  so  hatte  sie  doch  ihrem  innersten  Wesen 
nach  eine  ungleich  tiefere  Bedeutung  für  das  geistige  Leben  überhaupt, 
und  die  von  ihr  angeregten  Fragen  weiter  zu  führen  mußte  die  Auf- 
gabe weiteren  Fortschrittes  sein.  Eigentümlich  treten  nach  dem  pelo- 
ponnesischen  Kriege  zwei  Richtungen  einander  gegenüber,  welche  beide 
bei  dem  allgemeinen  Interesse  für  Bildung  dieselbe  vollständig  zu  be- 
wirken gemeint  waren.  Isokrates  erklärte,  die  Redekunst  sei  das  wahr- 
hafte Mittel  der  Gesamtbildung,  denn  wahrhaft  gebildet  seien  die,  welche 
mit  den  Menschen  umzugehen,  sich  in  die  Verhältnisse  zu  schicken. 


Zar  griechischen  Litteratur  67 

die  Leidenschaften  zu  beherrschen  und  sich  im  Glück  zu  mäßigen 
wüßten,  and  das  eben  lehrten  die  Lehrer  der  Bedekunst ,  nicht  alle, 
sondern  die,  welche  über  die  wichtigsten  allgemeinen  Gegenstände  zu 
schreiben  wußten;  die  Bedekunst  lehre  nicht  das  Material,  denn  das 
hänge  von  Umständen  u.  s.  w.  ab,  sondern  nur  die  Form.  So  war  die 
Bildung  auf  die  Bhetorik,  mit  Hinweglassung  des  tieferen  Gehaltes, 
den  die  Sophistik  mit  ihr  vereinte,  zurückgeführt,  auf  die  ganz  formelle 
Fähigkeit  des  Bäsonnements,  über  jede  Sache  nach  äußerlichen  Ge- 
sichtspunkten, ohne  sich  in  sie  selbst  zu  versenken,  zu  sprechen  und 
zu  urteilen  und  das  Gefundene  oder  Beabsichtigte  in  formell  vollendeter 
Weise  darzustellen.  Die  Isokratische  Schule  in  ihrer  Oberflächlichkeit 
und  Äußerlichkeit  ist  für  die  griechische  Litteratur  von  ungemeinem 
und  noch  bei  weitem  nicht  hinreichend  ergründetem  Einflüsse  ge- 
wesen. Diesem  äußerlichen  Wesen  gegenüber  erscheinen  die  von  So- 
krates  herstammenden  Bichtungen  als  die  der  Innerlichkeit  zugewan- 
dten; in  ihnen  ist  der  Fortschritt  der  Zeit;  hatte  die  Sophistik  nichts 
als  das  von  allen  Positivitäten  befreite  Ich  gelassen,  so  war  es  Sokrates 
große  Bedeutung,  dieses  Ich  als  ein  durch  sich  selbst  bestimmtes  auf- 
zuweisen und  auf  das  Bewußtsein  von  dem  Schönen  und  Guten  zu 
dringen;  es  war  das  größere  Werk  des  Plato,  aus  diesem  lebendigen 
Bewußtsein  heraus  eine  Welt  des  Idealen  zu  entwickeln,  die  im  mannig- 
faltigsten Widerspruche  mit  der  konfusen  Wirklichkeit  den  Geist  nur 
noch  mehr  der  wirklichen  Welt  entfremden,  ihn  von  dem  Unglücke  der 
Zeit  in  das  stille  Beich  der  Gedanken  flüchten,  ihn  in  edler  Be- 
geisterung schwärmen  und  schauen,  ihn  schwelgen  ließ  in  dem  reinen 
Äther  der  Geistigkeit,  für  die  hinieden  keine  Stätte  mehr  zu  sein 
schien. 

Und  diese  Welt  der  Wirklichkeiten  war  doch  der  Boden,  auf  dem 
das  Heidentum  mit  seinen  Göttern  und  Festen  und  Dichtungen  erwachsen 
war;  ja  sie  selbst  war  einst  voll  Götter  gewesen,  und  jede  Quelle  hatte 
ihre  Nymphe  und  jedes  Plätzchen  seine  heilige  Geschichte;  mit  ihr  war 
das  Griechenvolk  mit  den  innersten  Wurzelfasem  des  Lebens  verwachsen 
gewesen  und  hatte  sich  heimisch  und  froh  gefühlt  in  der  Nähe  seiner 
Götter.  Wie  tief  war  diese  schöne  Welt  nun  hinabgesetzt  gegen  die 
Ideale  des  Geistes,  wie  war  sie  öde  und  tot  und  verachtet  von  dem 
Geiste,  der  aus  ihr  geboren  worden? 

[1358]  Dieser  Widerspruch  mußte  gelöst  werden.  Aus  Piatos  Schule 
hervor  ging  Aristoteles,  der  größte  Geist,  den  das  Altertum  hervor- 
gebracht hat;  mit  wahrer  Vorliebe  wendet  er  sich  dem  Bestehenden  und 
der  Wirklichkeit  zu,  mit  der  bewundernswürdigsten  Gründlichkeit  umfaßt 
er  die  Mannigfaltigkeit  der  empirischen  Einzelheiten ;  er  hält  nichts  so 


68  Zur  griechischen  Litteratur 

gering,  daß  er  es  nicht  betrachtete,  und  er  sucht  die  wesentlichen  Be- 
stimmungen daraus  hervor,  mit  dem  guten  Zutrauen  auch  da  Geistiges 
wirken  und  sich  bethätigen  zu  sehen;  diese  Bestimmungen  selbst  aber 
fuhren  ihn  weiter  und  weiter  zu  den  höchsten,  zu  den  ewigen  Ideen 
hinauf.  So  ist  Aristoteles  Philosophie  gleichsam  eine  Rechtfertigung  der 
Wirklichkeit  der  Platonischen  gegenüber;  sie  erscheint  wieder  begeistet 
und  von  dem  lebendigen  Hauche  des  Gedankens  durchweht.  Aber 
freilich  die  so  nachgewiesene  Geistigkeit  ist  nicht  mehr  die  altpoetische 
des  Griechentums;  die  alten  Gottheiten  sind  gewichen,  dialektische  For- 
meln und  natürliche  Gesetze  beherrschen  die  einst  so  schöne  Welt  Die 
Prosa  in  ihrer  ganzen  Strenge  und  Kälte  hat  den  vollkommensten 
Sieg,  nachdem  sie  in  letztem  Kampfe  den  schönen  Traum  einer  Ideen- 
welt überwunden  hat 

Nach  demselben  Ziele  der  Empirie  hin  drängten  auch  andere  bedeu- 
tende Bestrebungen  der  Zeit.  Die  Isokratische  Schule  hatte  sich  mit 
Vorliebe  auf  geschichtliche  Stoffe  gewandt,  und,  wenngleich  zunächst 
in  dem  Interesse  künstlerischer  Darstellung  und  sittenrichterlichen  Ur- 
teils, ein  bedeutendes  Interesse  für  längstvergangene  Vorfalle  erweckt; 
unter  ihrer  Hand  war  auch  die  Mythenzeit  ihrer  poetischen  Bedeu- 
tung entkleidet,  und  die  Geschichte  der  Götter  und  Heroen  wurde 
systematisch  zu  einem  Pragmatismus,  wie  ihn  die  Zeit  forderte,  umge- 
wandelt. Auch  in  der  Platonischen  Schule  brachte  der  Grundsatz  des 
Meisters,  die  Wissenschaften  auf  eine  allgemeine  Wissenschaft  zurückzu- 
führen, eine  Art  encyklopädisches  Studium  hervor,  die  sich  nicht  minder 
in  der  gelehrt-eklektischen  Weise  des  pontischen  Heraklides  äußert  als 
in  dem  bekannten  Worte  des  Speusippos,  man  müsse,  um  eine  rich- 
tige BegriflFserklärung  zu  geben,  alles  wissen,  um  alle  Unterschiede  des 
zu  Erklärenden  von  andern  Dingen  anzugeben.  Gelehrte  Forschungen 
über  Homer  und  andere  Dichter  waren  seit  den  ersten  Zeiten  der 
Sophistik  üblich  gewesen  (wir  erinnern  nur  an  Prodikos,  Stesimbrotos, 
Anaximander  von  Milet);  sie  prewannen  in  dem  verrufenen  Zoilos,  der 
„Homersgeisel"  (dem  Zeitgenossen  nicht  des  Ptolemäus  II,  sondern 
des  Aristoteles)  eine  eigentümliche  und  einflußreiche  Gestalt  Astro- 
nomie, Mathematik,  Heilkunde,  Grammatik,  die  Wissenschaft,  von  der 
organischen  und  unorganischen  Natur,  kurz  der  ganze  Kreis  dessen, 
woran  Jahrhunderte  wieder  gelernt  und  weiter  gebildet  haben,  ist  in 
jenem  Zeiträume  begonnen  worden  und  in  unmittelbarem,  ununter- 
brochenem Zusammenhange  an  das  alexandrinische  Zeitalter  über- 
gegangen, wo  es  die  reichste  Pflege  finden  sollte.  Alexanders  Welterobe- 
rung, der  unmittelbare  Gewinn,  der  für  die  Wissenschaften  aus  der 
Kenntnisnahme  neuer  Objekte  entstand,  der  ungleich  größere,  der  die 


Zur  griechischen  Litteratur  69 

unendliche  Mehrung  des  Verkehrs  und  die  weiten  Verhältnisse,  in  denen 
man  sich  bewegte,  hervorbringen  mußte,  endlich  der  edle  Wetteifer  jener 
Fürsten,  die,  wie  Alexander  selbst,  sich  gern  als  Kenner  und  Beschützer 
der  Wissenschaft  zeigten,  das  alles  wirkte  auf  die  erfolgreichste  Weise 
mit  zur  Ausbildung  der  Richtung,  die  man  mit  zu  beschrankendem  und 
[1359]  zurücksetzendem  Namen  die  gelehrte  hat  nennen  wollen.  Es 
ist  vielmehr  Erstarkung  des  Geistes,  wenn  er  fest  und  frei  aus  sich 
hinaustreten  kann,  wenn  er  nicht  immer  nur  sich  mit  seinen  Phanta- 
sieen  und  Ahnungen  in  dem  Draußen  wiederfindet,  sondern  sich  als 
Kraft  entwickelt  fühlt,  die  jedes  Objekt  frei  zu  erfassen  und  zu  durch- 
dringen vermag.  Sind  auch  viele  und  die  schönsten  Blüten  des  helle- 
nischen Lebens  hiermit,  wie  mit  einer  entschwundenen  Jugendzeit 
verwelkt,  so  ist  das  ungleich  Höhere  errungen:  der  Menschengeist  ist 
mündig  geworden.  Diese  Freiheit  und  Mündigkeit,  von  dem  Boden 
der  enggeschlossenen  Heimatlichkeit,  auf  dem  das  Heidentum  wurzelt, 
losgelöst,  von  den  Schranken  partikulärer  und  traditioneller  Bestim- 
mungen befreit,  befähigt,  sich  jeder  neuen  Heimat  zu  assimilieren,  in 
jedem  neuen  Verhältnisse  geltend  zu  machen,  jedes  neue  Objekt  der  Er- 
kenntnis zu  beherrschen,  ist  des  Griechentums  Beruf,  sich  in  die  Welt 
zu  zerstreuen  und  die  Schule  für  die  Völker  zu  werden,  deren  Heiden- 
tum nicht  minder  ausgelebt  ist,  aber  nicht  die  selbständige  Kraft  wei- 
terer Entwickelung  hat. 

Noch  verdient  ein  Moment  hervorgehoben  zu  werden,  das  bis  auf 
die  neueste  Zeit  hin  Anlaß  zu  vielen  Mißdeutungen  gegeben  hat.  Es 
ist  nicht  zu  leugnen,  daß  die  Formen  der  attischen  Litteratur  ungleich 
reicher  und  künstlerischer  sind,  als  die  der  Alexandrinerzeit;  aber  man 
thut  Unrecht  den  stilistischen  Wert  der  Schriftsteller  mit  ihrer  litterar- 
historischen  Bedeutsamkeit  zu  identificieren.  In  dem  oben  angedeuteten 
Verhältnisse  des  Dichterischen  zum  Rationellen  mag  teilweise  der  Grund 
dafür  liegen,  daß  in  Athen  selbst  das  Prosaische  zunächst  in  künstlerischer 
Weise  aufgetreten  ist;  aber  wo  es  sich  ernstlich  um  die  Sache  handelt, 
ist  die  Form  die  beste,  welche  auf  das  Bestimmteste  dem  Gedanken 
seinen  Ausdruck  leiht;  und  je  gründlicher  und  schärfer  der  rationelle 
Gedanke,  desto  gleichgültiger,  ja  desto  rücksichtsloser  wird  er  gegen 
seine  Versinnlichung  sein.  Man  preist  Plato  oft  wegen  seiner  schönen 
künstlerischen  Dialoge;  man  muß  sagen,  daß  seine  reizendsten  Dar- 
stellungen am  weitesten  von  W^issenschaftlichkeit  entfernt  sind,  wie  denn 
bis  auf  diesen  Tag  noch  dainiber  gestritten  wird,  was  denn  eigentlich 
sein  „Symposion"  meint.  Wenn  sein  großer  Antagonist  Isokrates  die 
künstlerische  Form  zum  Kriterium  litterarischen  Wertes  gemacht  hat,  so 
ist  er  selbst  ein  großes  Beispiel  dafür,  wie  sich  mit  der  größten  Kunst 


70  Zur  griechischeu  Litteratur 

die  größte  Gehaltlosigkeit  verbinden  kann,  und  in  mehr  oder  minder 
zusammenhängender  Fortsetzung  stammt  aus  seiner  Schule  her  eine, 
man  möchte  sagen,  belletristische  Richtung  der  Litteratur,  die  sich  dann 
zu  dem  leeren  Bombast  des  asianischen  Stiles  aufgeblasen  hat 

Den  allgemeinen  Charakter  der  alexandrinischen  Litteratur  schil- 
dert Hr.  Bemhardy  mit  folgenden  Worten  (S.  371):  „Ein  heftiger  Trieb 
zu  massenhaftem  Lesen  und  Schreiben,  Poljmathie  und  Polygraphie 
sind  die  Hebel  der  von  Alexander  gestifteten  Welt;  schöpferisches  Genie 
hat  in  ihr  keine  Geltung,  so  wenig  als  Vollkommenheit  und  Pflege  der 
Form  gefordert  wird;  buchmäßiger  Stoff  muß  vielmehr  das  Ziel  sein, 
und  wenn  hieran  nicht  selten  die  böse  Außenseite  des  Mechanismus,  der 
einschichtenden  Compilation  und  toten  Leserei  haftet,  so  bleibt  als  Ver- 
dienst und  notwendige  Bestrebung  stets  die  systematische  Wissenschaft 
zurück,  die  mit  der  höchsten  Spannung  des  [1360]  Verstandes  geübt 
wird  und  in  eigentümlicher  Entsagung  nicht  den  Genuß  des  Forschers 
oder  das  subjektive  Interesse  bezweckt,  sondern  versunken  in  Mühselig- 
keit nur  für  die  Nachwelt  zu  arbeiten  scheint".  Es  ist  eigentümlich, 
von  unserer  Zeit  und  ihren  in  der  That  nicht  unähnlichen  Bestrebungen 
aus,  solches  Urteil  zu  hören;  es  ist  ungerecht,  einem  Zenodotos,  Eu- 
klides,  Eratosthenes,  Hipparchos  schöpferisches  Genie  und  den  Genuß 
des  Forschens  absprechen  zu  wollen;  und  urteilte  jemand  nach  den 
zahllosen  Citaten,  nach  den  feinen  Kleinigkeiten  der  Kritik  oder  nach 
den  Meßkatalogen  und  ihren  vielseitigen  Büchertiteln  über  unsere  Zeit, 
so  möchte  er  nach  Verhältnis  jener  Äußerungen  kaum  imstande  sein 
die  Geistlosigkeit  unsers  geistigen  Lebens  hart  genug  zu  tadeln.  Viel- 
mehr aber  muß  man  für  jene  alexandrinische  Zeit  gestehen,  daß  vielleicht 
nie  wieder,  selbst  zur  Zeit  der  Mediceer  nicht,  mit  solcher  Genialität 
und  Großartigkeit,  mit  so  glorreichen  Erfolgen  und  solcher  Jugendlust 
des  Forschens  in  den  Wissenschaften  gearbeitet  worden  ist;  sie  waren 
in  der  That  das  höchste  Interesse,  das  man  kannte,  wissenschaftliche 
Bedeutung  die  ruhmvollste,  die  man  zu  erstreben  vermochte,  und  um 
welche  selbst  Könige  gern  warben.  Die  Religion  war  in  jener  Zeit  zur 
Ceremonie  geworden,  die  Philosophie  trat  in  die  Stellung  von  Ansichts- 
weise und  Lebensmaxime,  sie  gab  bestenfalls  Formeln  für  Theorie  und 
Systematisierung  her;  sie  war  mit  der  Rhetorik  Mittel  zur  Bildung, 
als  deren  Gipfel  die  Wissenschaftlichkeit,  die  Kenntnis  der  empirischen 
und  exakten  Disciplinen  erschien. 

Unser  Wissen  von  jener  Zeit  und  ihrer  Thätigkeit  ist  leider  auf 
so  vereinzelte  und  zertrümmerte  Überlieferung  begründet,  daß  nur  die 
angestrengtesten  Forschungen  ein  zusammenhängendes  Bild  des  Allge- 
meinen zu  geben  vermögen.    Es  war  ein  glücklicher  und  zeitgemäßer 


Zar  griechischen  Litteratur  71 

Gedanke,  daß  seitens  der  Berliner  Akademie  die  Geschichte  des  alexan- 
drinischen  Museums  zum  Gegenstande  von  Freisbewerbang  gemacht 
wurde  ^;  die  gekrönte  Arbeit  hat  das  Verdienst  in  klarer  Zusammen- 
stellung zu  zeigen,  wie  weit  ungefähr  die  Forschungen  bis  jetzt  gediehen 
sind.  Die  fleißige  Arbeit  von  Wegener  sucht  das  Bild  von  Seiten  der 
pergamenischen  Schule  her  zu  ergänzen;  wir  hoffen  bald  von  Thiersch 
weitere  Forschung  über  dieselbe  Schule  veröffentlicht  zu  sehen.  Dazu 
arbeitet  Lehrs  mit  höchst  fruchtreicher  Gründlichkeit  über  die  kritische 
Thätigkeit  jener  ältesten  Philologen  för  Homer  und  Hesiod;  bald  wird 
ans  ein  jüngerer  Gelehrter,  Hr.  Schneider,  ähnliches  für  die  Erklärer 
des  Aristophanes  bringen.  Und  mit  der  vorsichtigsten  Feinheit  unter- 
sucht unser  Ritschi  einzelne  Verhältnisse,  deren  Bestimmung  von  unge- 
meinem Erfolg  für  diesen  Teil  der  griechischen  Litteratur  zu  werden 
verspricht  Kurz  es  scheint  sich  die  Gelehrsamkeit  endlich  auch  dieses 
so  lange  vernachlässigten  Feldes  annehmen  zu  wollen,  und  man  darf 
der  Resultate  gewiß  sein* 

[1366]  Vielleicht  die  schwierigste  und  zugleich  wichtigste  Frage  ist 
die  über  die  litterarische  Stellung  der  von  dem  Griechentum  unterwor- 
fenen Völker,  deren  mehrere  eine  alte  Bildung  und  Litteratur  besaßen. 
Zunächst  tritt  hier  als  wichtiges  Moment  die  Übersetzung  ethnischer 
Schriften  und  deren  zum  Teil  frühes  Vorkommen  in  der  alexandrinischen 
Bibliothek  ein.  Mag  die  Notiz  aus  Maribas  dem  Armenier  zweifelhaft 
sein,  daß  schon  Alexander  dergleichen  für  eine  Bibliothek  in  Ninive 
veranlaßt  habe,  an  der  Bibelübersetzung,  an  Bearbeitung  altägyptischer 
Tempelnachrichten  und  Lapidarchroniken  durch  Manetho  und  Erato- 
sthenes  ist  nicht  zu  zweifeln ;  ja  eine  Plinianische  Notiz  über  Zoroaster 
aus  Hermippos  großem  litterarhistohschen  Werke  scheint  sichtlich  das 
Vorhandensein  eines  älteren  Zendavesta  im  Kataloge  der  alexandrini- 
schen Bibliothek  zu  bezeichnen.  Ähnliches  muß  durch  Berosos  und 
Abydenos  für  die  babylonische  und  assyrische,  durch  Menander  und 
Asitos  (oder  Chaitos)  für  die  phönizische  Litteratur  geschehen  sein.  Viel- 
leicht machen  gründlichere  Forschungen  noch  mehr  von  dem  freilich 
etwas  seltsamen  Katalog  bei  Epiphanios  (de  pond.  et  mens.  9)  wahr. 

Die  hellenische  Bildung  hat  natürlich  der  Exponent  sein  müssen, 
unter  dem  die  Verschmelzung  mit  dem  morgenländischen  Leben  vor 
sich  ging;  die  hellenistischen  Völker  mit  ihrer  erstorbenen  Nationalität 
und  ihren  stagnierenden  Kulturen  haben  durch  den  griechischen  Geist 


^  Soeben  kommt  uns  die  Schrift  von  Hrn.  Klippel  ,,Über  das  alexan- 
drinische  Museum**  zu,  welche  seitens  der  Akademie  durch  das  Accessit  aus- 
gezeichnet wurde. 


72  Zur  griechiBchen  Litteratur 

wieder  geweckt  werden  müssen;  sie  haben  npben  der  heimischen  die 
griechische  Sprache  angenommen  und  die  Errungenschaft  des  grie- 
chischen Lebens  ist  mehr  oder  minder  vollständig  auf  sie  übertragen. 
Es  vermitteln  sich  so  jene  seltsamen  Mischzustande,  von  denen  aus 
neben  der  wissenschaftlichen  und  [1367]  gelehrten  Bildung  sich  eine 
andere,  welche  man  die  ethnische  nennen  kann,  gemacht  hat;  es  ver- 
mittelt sich  die  Möglichkeit  jener  Völkerstimmung,  die  in  der  astro- 
logischen Schule  von  Kos,  in  den  sibyllinischen  Orakeln,  in  der  her- 
metischen Weisheit,  in  den  wunderbaren  Weihen  der  Isis,  des  Mithras 
und  Serapis  ihren  Ausdruck  finden.  Seit  die  politische  Bedeutendheit 
der  hellenistischen  Macht  im  Sinken  ist,  greift  dieser  ethnische  Cha- 
rakter mehr  und  mehr  um  sich  und  entwickelt  jenen  neuen  Gärungs- 
prozeß des  weiteren  Fortschrittes,  der  endlich  die  nationalen  Schranken 
nach  jeder  Richtung  hin  durchbrochen  und  zum  erstenmal  in  der  Ge- 
schichte eine  allgemeine  Weltbildung  allseitig  und  folgenreich  durch- 
geführt hat. 

Waren  durch  den  Hellenismus  alte  Nationalitaten  wieder  belebt 
worden,  so  hatte  doch  das  Alte  selbst  einen  veränderten  Charakter  ange- 
nommen, es  hatte  seine  eng  und  bestimmt  geschlossene  Unmittelbarkeit 
verloren;  es  war  in  Beziehung  zu  der  Aufklärung  getreten,  die  das 
Griechentum  brachte,  war  combiniert  und  ausgeglichen  mit  ähnlichem 
in  der  Nähe  und  Ferne;  es  war  eine  Mischung  und  gegenseitiger  Aus- 
tausch der  Lebensweisen,  der  Kulte,  der  Erinnerungen,  der  nationalsten 
Besonderheiten  begonnen  und  das  Griechentum  gab  die  Sprache  und 
den  Geist  der  Aufklärung  und  Wissenschaftlichkeit  her,  in  dem  sich 
alles  vereinigte.  Was  nun  als  Religion  und  geschichtliche  Erinnerung, 
als  Glaube  und  Einsicht  da  war,  galt  nicht  mehr  wie  früher,  sondern 
wesentlich  nur  in  dem  gewußten  Zusammenhange  des  Allgemeinen; 
und  das  Griechentum,  wie  es  sich  in  sich  selbst  von  dem  eigenen  Boden, 
auf  dem  es  erwachsen  war,  losgerissen,  so  wirkte  es  bei  den  helleni- 
stischen Völkern  zu  denselben  Entwickelungen  hin.  Hier  war  der  wahr- 
hafte Untergang  des  Heidentums,  der  Menschengeist  löste  sich  von  der 
Erde,  an  die  er  gebunden,  und  von  der  er  hervorgegangen  war.  Aber 
es  wurde  ihm  hiermit  sein  positiver  Inhalt  und  seine  Haltung  entrissen, 
er  war  ohne  Götter,  einsam  bei  sich,  er  war  voll  Grausen  und  Verzagen. 
Es  ist  erschütternd,  zu  sehen,  wie  sich  alles  vereinigt  hat,  die  geistigen 
Zustände  jener  Zeit  entsetzlich  zu  machen.  Äußere  Verarmung  und 
Verkümmerung,  furchtbarer  Druck,  herrschende  Willkür  und  Gesetz- 
losigkeit, Reflexion  genug,  um  das  Gefühl  der  politischen  Erniedrigung 
tief  und  tiefer  in  die  Seele  zu  bohren,  vollkommene  Hoffnungslosigkeit, 
der  gespenstisch  weiterschleichenden  und  überwältigenden  Römermacht 


Zur  griechischen  Litteratur  73 

gegenüber,  dazu  das  eigene  Innere  ohne  die  alte  beruhigende  Gläubig- 
keit, ohne  die  alten  schirmenden  Götter,  vollkommenste  Trostlosigkeit 
und  Öde.  Glücklich  die,  welche  in  strenger  Wissenschaftlichkeit  für 
die  zehrende  Kraft  des  Geistes  Nahrung  oder  in  litterarischer  Eitelkeit 
und  Berühmtheit  Selbstvergessen  finden;  andere  suchen  Trost  in  frem- 
den unverstandenen  Zauberformeln  und  astrologischen  Hirngespinsten, 
aber  die  ekle  Selbsttäuschung  hält  nicht  in  schlimmster  Stunde  vor  und 
macht  endlich  die  innere  Ode  noch  fühlbarer;  andere  stürzen  sich  in 
den  ekstatischen  selbstzerfleischenden  Dienst  orgiastischer  Mysterien,  aber 
die  Selbstbetäubung  ist  kein  Trost,  und  den  Lärm  der  Tympana  über- 
tönt doch  der  Schmerzensschrei  der  Seele;  andere  beten  zu  den  Göttern, 
die  sie  doch  nicht  glauben,  bauen  Tempel  und  Altäre  den  Machthabem, 
die  sie  peinigen;  andere  [1368]  suchen  in  den  alten  Mythen  und  Sagen 
einen  tieferen  Sinn,  bauen  sich  philosophische  Systeme,  um  über  die  End- 
lichkeit hinaus  zum  Himmel  zu  gelangen;  man  träumt  von  einer  ursprüng- 
lichen Weisheit  und  sucht  bei  fernen  Völkern  umher,  ihre  Überbleibsel 
zu  finden,  man  erkennt  eine  ursprüngliche  Einheit  aller  Religion  und 
bemüht  sich  in  den  durch  Priestertrug  und  Mißbrauch  der  Jahrhunderte 
entstellten  Lehren  und  Ceremonieen  sie  wiederzufinden.  Der  Menschen- 
geist ist  so  weit  gekommen,  als  er  durch  sich  allein  hat  kommen  können 
er  hat  seine  volle  Kraft  verbraucht,  sich  von  der  Erde  zu  lösen,  die 
Unmittelbarkeit  um  sich  her  in  ihrer  Nichtigkeit  zu  erkennen,  das  Be- 
dürfnis eines  Jenseits  zu  entwickeln,  das  ihm  zunächst  in  der  Gestalt  eines 
räumlich  und  zeitlich  Femen  erscheint;  bis  dann  der  stille  Stern  der  Offen- 
barung aufgeht  und  das  Sehnen  des  menschlichen  Geschlechtes  erfüllt. 
Natürlich  findet  sich  diese  Reihe  von  Übergängen  am  wenigsten 
in  den  Werken  der  gleichzeitigen  Litteratur  ausgesprochen,  die  seitens 
der  Philologie  noch  mit  einiger  Berücksichtigung  besprochen  werden; 
man  muß  eine  große  Kluft  zwischen  den  ethnischen  und  klassischen 
Bestrebungen  der  Jahrhunderte  um  Christi  Geburt  anerkennen.  Und 
waren  letztere  während  der  hellenistischen  Herrschaft,  unter  den  La- 
giden,  Attaliden,  Antigoniden  und  Seleuciden  überwiegend  auf  sachlich 
gelehrte  und  wissenschaftliche  Forschung  gewandt,  so  verwandelten  sie 
sich  im  Verhältnis  zu  der  vornehmen  römischen  Welt  in  Schönrednerei, 
Ostentation  und  Affektation  einer  Klassicität,  deren  Geist  für  immer 
dahin  war.  Die  Vollendung  dieser  klassischen  Studien  in  der  vornehmen 
Römerwelt  war  die  sogenannte  Sophistik  mit  ihrer  ganzen  Ausbreitung 
von  Technik,  höfischer  Eleganz,  Konkurrenz  bei  Lehranstalten  u.  s.  w.; 
wie  diese  Sachen  Bemhardy  S.  406  ff.  höchst  einsichtsvoll  und  beleh- 
rend zusammengestellt  hat.  Dem  gegenüber  aber  steht  eine  für  die 
Entwickelung  des  geistigen  Lebens  der  Jahrhunderte  unendlich  reichere. 


74  Zur  griechischen  Litterator 

in  ihrer  Darstellung  freilich  weni^-^  elegante  volkstümliche  Litteratnr, 
beginnend  mit  den  Schriften  des  Testamentes  und  den  gleichzeitigen 
des  tiefsinnigen  Philo;  eine  Litteratur,  welche  die  Philologie  sehr  un- 
recht gethan  hat  ganz  den  theologischen  Studien  zu  überlassen. 

Ich  breche  hier  die  Übersicht  über  die  Entwickelung  der  grie- 
chischen Litteratur  und  des  in  ihr  gestalteten  geschichtlichen  Lebens 
ab,  die  natürlich  erst  durch  die  Nach  Weisungen  des  Allgemeinen  in 
dem  Einzelnen  ihre  rechte  Belebung  erhalten  würde.  Es  ist  das  schwie- 
rigste Werk  in  diesem  Sinne  eine  Litteraturgeschichte  zu  schreiben, 
und  man  muß  sagen,  daß  es  vor  Hm.  Bemhardy  auch  nicht  einmal 
versucht  worden;  man  müßte  denn  die  schönen  Phrasen  Schölls  und 
die  systematische  Unordnung,  mit  der  er  den  überreichsten  Stoff  zu 
bewältigen  gedacht  hat,  mit  sehr  vieler  Nachsicht  zu  beurteilen  geneigt 
sein.  Möchte  Hr.  Bemhardy  bald  Gelegenheit  haben,  den  zweiten 
Teil  seines  Werkes,  die  „Geschichte  der  äußeren  Litteratur*'  folgen  zu 
lassen;  seine  originelle  Auffassung  und  seine  musterhafte  Gründlichkeit 
laßt  uns  Vortreffliches  erwarten.  Wünschenswert  wäre  es,  daß  er  jene 
äußere  Litteraturgeschichte  zugleich  zu  einem  Kepertorium  der  für 
jeden  einzelnen  Autor  vorhandenen  Arbeiten  u.  s.  w.  in  möglichster 
Vollständigkeit  machte. 


III. 

Zur  griechischen  Tragödie. 

a.  Phrynichos,  Alschylos  und  die  Trllogle. 

Kieler  philologische  Studien,  Kiel  1841  8.,  S.  43  ff. 

[43]  Phrynichos  und  Aischylos  haben  den  Krieg  gegen  Xerxes 
zum  Gegenstande  dramatischer  Gedichte  gemacht;  ich  werde  versuchen, 
in  einer  teilweisen  Vergleichung  beider  einen  besonders  wichtigen  Fort- 
schritt der  tragischen  Kunst  nachzuweisen  und  zugleich  die  politische 
Stellung  des  einen  und  des  anderen  Gedichtes  zu  fixieren.  Es  wird  sich 
die  Untersuchung  nicht  immer  in  geradem  Wege  verfolgen  lassen  und 
sich  schließlich  der  Titel  dieses  Aufsatzes  als  nicht  genug  und  zugleich 
als  zu  viel  umfassend  herausstellen;  aber  es  ließen  sich  die  mitzuteilen- 
den Beobachtungen  nicht  ohne  einen  etwas  breiten  Zusammenhang  klar 
machen. 

Suidas  und  mit  ihm  Eudokla  geben  von  Phrynichos  dem  Sohne 
des  Polyphradmon  an:  xQaymSiai  Si  avrod  üalv  hvvka  avrai''  IlXiv- 
Qoriftai,  Alyvnxioi,  !Axraia)v,  '^kxrjariQy  !AvTaiog  ^  Atßveg,  Aixaiot, 
UeQaai,  JSvv&taxot,  JccvcetSeg.  Ich  bemerke,  daß  fünf  Handschriften 
bei  Gaisford  Alxaioi  fj  IHqgcci  ^  2!vv&(oxoi  lesen,  wie  gewiß  der  nicht 
geschrieben  hat,  der  hier  neun  Dramen  zählte.  Nachdem  dann  im  Suidas 
ein  Artikel  über  Phrynichos  den  Komiker,  ein  anderer  über  Phry- 
nichos den  Sophisten  notiert  ist,  folgt  ein  vierter  aus  dem  Scholiasten 
zu  Arist  Vesp.  1481  entnommen  über  0Qvvixog  MeXav&ß,  mit  der 
Angabe,  daß  von  ihm  lAvS^ofiiSec  und  'Hgiyövr]  sei,  und  daß  die  Athener 
ihn  wegen  der  Tragödie  äXcotrig  Miki^rov  gestraft  hätten.  Daß  dieser 
vierte  Phrynichos  mit  dem  ersten  identisch  sei,  ist  unter  andern  von 
Welcker  (Nachtrag  S.  285)  nachgewiesen.  Aber  auch  diese  [44]  zwölf 
Namen  von  Dramen  sind  noch  nicht  der  vollständige  Katalog.    Auf 


76  Zur  griechischen  Tragödie 

eine  Tragödie  des  troischen  Fabelkreises  führt  der  auf  Troilos  gesagte 
Vers  bei  Athen.  XIII  564  f. 

Eine  Tragödie  Tantalos  erwähnt  Hesychios  v.  itpiSgava.  Ob  aus  der 
Notiz  bei  Hesychios  v.  ägyiiitirag  xavQoq'  raxvfjLfjzig  .  .  .  Xiyfxai  St 
ini  rov  Siaxofiiaavrog  rijv  EvQCLtnrjv,  etwa  auf  eine  Tragödie  Europa, 
wie  eine  dieses  Titels  auch  von  Aischylos  verfaßt  war,  zu  schließen 
sei,  lasse  ich  dahingestellt.  Jedenfalls  ein  mehrfach  erwähnter  Titel, 
der  der  Phoinissen,  fehlt  in  jenen  Katalogen  gänzlich. 

Oder  scheint  er  nur  zu  fehlen?  0.  Müller  hat  im  Lektionsver- 
zeichnis für  den  Winter  1835  die  Vermutung  geäußert,  daß  die  Titel 
äXcodig  MiXijTov  und  <^oiviaaaty  die  in  dem  ersten  Katalog  fehlen, 
Nebentitel  zu  den  Ilhgaai  und  den  JSvv&ojxoi  gewesen  seien.  Die 
abstrakte  Möglichkeit  läßt  sich  nicht  bezweifeln,  aber  ein  Grund  zu 
dieser  Hypothese  würde  nur  dann  vorhanden  sein,  wenn  Phrynichos  über- 
haupt nur  neun  Dramen  geschrieben  hätte  und  dann  auch  Erigone  und 
Andromeda  in  jenen  neun  Titeln  als  Nebentitel  unterzubringen  wären, 
—  oder  nein,  auch  der  Tantalos  bleibt  ja  noch  und  vielleicht  Troilos, 
Europa  u.  s.  w.,  und  überdies  führt  ja  jener  erste  Katalog  selbst  einmal 
einen  Nebentitel  an  'AvraTog  fj  Aißveg.  Hr.  Welcker  (die  griechischen 
Tragödien  S.  27)  geht  noch  weiter;  er  hält  die  Lesart  der  fünf  Gaisford- 
schen  Handschriften  für  die  Emendation  eines  Kundigen  und  findet,  die 
Phoinissen   hätten  auch  die  Titel  Aixatoi  ükoaui  ^vv&cjxoi  gehabt 

Durch  Zusammenstellung  der  wenigen  Fragmente  läßt  sich,  glaube 
ich,  ein  anderes  Resultat  gewinnen.  Im  Argument  zu  Aischylos  Persern 
heißt  es:  FlaiJxog  kv  roTg  nB()i  AlxvXov  fiv&otg  hc  r&v  <PoiviGa(dv 
fftjcrl  <pQvvlxov  Tovg  IliQaag  7taQa7i67toirj<T&ar  kxri&tjai  ya{)  xal  rt^v 
ä^Xfjv  rov  Soüfjiarog  ravrijv 

xäS  h,ax\  ÜBQaojv  rcov  nciXai  ßeßtjxörcov, 

nVijV  ixu  Evvodx^g  ^criv  äyykXXwv  kv  ägxf]  ttjv  rov  SsQ^ov  ijrrav, 
atOQvvg  re  ß-oövovg  tivag  roig  rijg  äQXh'i  itccgkdQotg,  Daß  diese  nä- 
qbSqoi  bei  Phrynichos  gerade  wie  bei  Aischylos  [45]  die  persischen  Greise, 
ütga&v  TU  Ttiarä,  rcHv  äcpvt&v  iSgaviov  (pvkaxig,  den  Chor  bildeten, 
versteht  sich  von  selbst.  Wie  hieß  doch  des  Phrynichos  Tragödie? 
Daß  der  Namen  Phoinissen  von  einem  wirklich  auftretenden  Chor 
phönizischer  Mädchen  oder  Frauen  entnommen  war,  ergiebt  sich  nicht 
bloß  aus  dem  Namen  selbst,  sondern  auch  aus  einer  sonderbaren  An- 
führung bei  dem  Scholiasten  zu  Arist.  Vesp.  220. ...  ort  Si'  övöficcrog 
fjv  xai^-ölov  fih  6  0Qvvtxog  kiti  fxakonoit^,  nähara  Si  xb  ix  Ooivia- 
a(bv  airod  to 


Phrjmcbos,  Aischylos  und  die  Trilogie  77 

[xai]  ^iSß>vog  nQoXinovacc  rov  vaöv 

^iSdiviov  ä(TTV  Xinovaa 

oder  wie  es  vollständiger  nach  der  von  Bergk  verbesserten  Glosse  des 
Hesychios  v.  ylvxBQa}  ^iScoviq)  heißt  (s.  Zeitschrift  fär  Altertumswissen- 
schaft 1835  S.  968)* 

JSiSthvtov  äaxv  hnövrtq  xal  SooaBQccv   !Aqcc8ov. 

Es  versteht  sich,  daß  der  Scholiast  die  Anfänge  zweier  verschiedener 
Chorlieder  anführen  will;  und  es  ist  kaum  eine  Möglichkeit  zu  ersinnen, 
wie  derselbe  Chor  von  sich  sprechend  zweimal  in  so  ähnlicher  Weise 
begonnen  haben  sollte.  Daher  hat  Bergk  unrecht,  wenn  er  auch  in 
dem  restituierten  Verse  aus  Hes3'chios  hnovaai  lesen  will.  Der  erste 
Liedesanfang  ist,  wenn  ich  so  sagen  kann,  die  nÜQoSoq  der  Phoinissen, 
und  zwar,  da  sie  aus  dem  Tempel  kommen,  mögen  sie  von  ihrer  Heimat 
zur  Mitfeier  des  erwarteten  Sieges  etwa  gesandt  sein,  wenigstens  in 
irgend  welchem  öffentlichen  Auftrage  kommen  sie.  In  Beziehung 
auf  den  zweiten  Liedesanfang  heißt  es  bei  Hesychios:  S()ä(xa  de  kanvj 
^v  S  tTjq  &VfxiX7jg  ap;^€Tai  ovrcog  x  r  A.,  Siußeßörjzo  di  fxi()og 
TovTo.  Mit  diesem  Verse  wird,  denke  ich,  der  Gesang  begonnen  haben, 
in  dem  eine  Aufzahlung  der  gen  Hellas  gezogenen  Streitkräfte  ge- 
macht war,  gesungen  von  dem  Paredrenchor,  —  oder  es  singen  die 
Phoinissen  von  den  Scharen  der  Ihren,  die  von  Sidon,  Arados  u.  s.  w. 
hinauszogen  zum  Tod;  jedenfalls  war  das  „süße  JSiScoviov^^,  wie  es  irgend 
ein  Komiker  genannt  hat,  einst  ebenso  berühmt,  wie  jenes  JSiSdjvog, 
worauf  des  Aristophanes  ä()xcciofieki(Ti8(ovo(pQvvtxi/()ccTcc  sich  bezieht. 
[46]  Ein  viertes  Fragment  hat  Athen.  XIV  S.  635  c  xal  0Qvvtxog 
ff  Iv  fpoiviaaaig  ei()f]XB 

"ipalfioiaiv  ävTiGTiaaT   äsiSovreg  fiiXfj, 

Der  Zusammenhang  bei  Athenaios  erklärt  diesen  Vers  hinlänglich;  die 
Magadis  und  Pektis  wird  nicht  wie  die  Leier  mit  dem  Plektron,  sondern 
mit  der  Hand  [Stä  ipakfiov)  gespielt;  es  sind  nicht  die  Paredroi,  son- 
dern die  Phoinissen,  welche  mit  Harfen  versehen  den  Chor  singen; 
das  ävTiGnaara  ist  dasselbe,  was  Pindar  dvritp&oyyov  xfjaXfxöv  nennt; 
Sia  t6  Svo  yBvöjv  äfice  xal  Siä  natr&v  'i/siv  rijv  (xvvcpSiaVj  ävSocov 
TB  xal  TtaiSayVy  erklärt  das  Pindarische  Athenaios  aus  Aristoxenos;  er 
führt  auch  die  Stelle  aus  Sophokles  Mysiern  an: 

Tiokvg  Si  Q^gv^  TQiyayvog,  ävTianaara  re 
AvSf^g  iipvfivBi  nfjxridog  avyxoQÖia, 


78  Zui*  griechischen  Tragödie 

Für  das  weitere  verweise  ich  auf  Boeckh  de  metris  Pind.  VI  S.  11. 
Also  ein  männlicher  Chor  {äeiSovreg)  singt  üvrianccGTa,  d.  h.  in  den 
Oktaven,  gegen  den  Weiberchor  der  Phoinissen  und  deren  Saitenspiel; 
also  beide  Chöre  sind  zugleich  vor  den  Augen  des  Zuschauere.  Natür- 
lich traten  beide  Chöre  nicht  zugleich  auf,  sondern  es  begann  ein 
zweiter  Teil  der  Tragödie  da,  wo  die  phönizischen  Hierodulen  herein- 
zogen. Wenn  nun  Aischylos  Perser  nach  der  Tragödie  des  Phrynichos 
gearbeitet  sein  soll  {nccQccuBnoiTiGd m\  so  kann  die  Ähnlichkeit  nur  in 
der  wesentlichen  Analogie  auffallender  Motive  bestanden  haben.  Es 
liegt  in  der  Natur  der  Sache,  daß  die  Niederlage,  von  der  der 
Eunuch  berichtete,  und  um  die  sich  die  Klagen  erst  der  Paredroi,  dann 
der  Phoinissen  drehten,  zur  unmittelbaren  Anschauung  gebracht 
wurde;  und  auch  der  Schluß  der  Aischyleischen  Tragödie  zeigt  den 
Xerxes  nach  der  Niederlage;  ebenso  wird  Phrynichos  endlich  den 
Xerxes  mit  dem  Rest  seines  Heeres,  das  heißt  mit  einem  Chor  von 
Persern  auf  die  Bühne  geführt  haben  als  einen  neuen  schmerzlichen 
Anlaß  zu  vollständiger  Klage.  Und  wir  finden  unter  den  Titeln  bei 
Suidas  auch  TUgaat.  Ist  etwa  der  Gesamttitel  der  ganzen  Tragödie 
Uipaai  ri  Q>oivia<jai  gewesen?  gewiß  nicht;  wohl  hat  Phrynichos 
Doppelnamen,  aber  in  dem  Beispiel  [47]  ^Avzaiog  7]  Aißveg  heißt  das 
Stück  nicht  nach  zwei  Chören.  Wohl  aber  hat  dieselbe  Tragödie  drei 
Titel  gehabt;  denn  ^vv&cDxot  oder  Sv&ccxot  (Hesysch.  v.  v.)  ist  nichts 
anderes  als  näQaSQoi,  und  Glaukos  hat  nur  dies  gewöhnlichere  W^ort 
gebraucht,  um  eben  die  erklärend  zu  bezeichnen,  welche  der  Dichter 
JSvv&coxoi  genannt  hatte.  Vollkommen  verkehrt  ist  es,  daß  in  den 
Gaisfordschen  Handschriften  Aixmoi  i]  IliQaai  ))  ^vvd-toxoi  steht 
Der  Titel  des  Phrynicheischen  Gedichtes  hieß  ^vv&axoi,  IHgam, 
Q>oivi(T(Tai  nach  den  drei  auftretenden  Chören  ^ 


^  Außer  den  angeführten  Fragmenten  dieser  Tragödie  findet  sich  noch  ein 
Bruchstück  in  Bekkers  Anecdotis  S.  114  agp//xc5ant'  xo  örjaaiy  0Qvvixog  0otvi(T<Tatg 
vgl.  Schol.  Ilom.  II  Q^  52.  Die  Notiz  aus  Anecd.  S.  116  ^elw  t«  toig  nt^eow' 
ov  fiovov  argenrn '  (pqvvixog,  ist  bereits  von  Blomfield  praef.  ad  Aeschyl.  Pers.  S.  IV 
mit  Eecht  zu  dieser  Tragödie  gezogen.  Wichtiger  ist  ein  anderes  Bruchstück 
bei  Hephaistion  S.  67  .  .  .  olov  ian  ib  tov  0Qvvixov  r^ay^McotJ  tovto 

t6  y^  M'^i^  feil'/«  dovaaig,  Xo^og  üaneQ  A^yerai, 
oliani  xairoTefieiy  d^i'i  ;f«Xxw  xerpnXny. 

Ich  hatte  diese  Verse  in  der  Übersetzung  des  Aischylos  II  S.  297  ed.  I  den  Phoi- 
nissen zugewiesen;  ebenso  that  es  0.  Müller;  aber  wunderlich  ist  seine  Erklärung: 
hos  versus  a  femvnis  pronunciatos  esse  manifestum^  a  PkoenissiSy  etiam  propter 
lonicum  versuum  genus  (I),  quo  Asianorum  hominum  molUtiem  significare  solent 
poetae,  probabUe  est  Hoc  esse,  tnquiunt,  hospitalia  munera  offerentibus,  ut  in 
provefino  dicatuVj  captU  praetndere,     Quae  profecto  eommode  dici  poierant,  st 


PhrynichoB,  Aischylos  und  die  Trilogie  79 

Man  sieht  schon,  worauf  die  Sache  hinaus  will.  Wenn  die  obigen 
Vermutungen  gegründet  sind,  so  haben  wir  für  die  Geschichte  der  dra- 
matischen Kunst  einige  sehr  merkwürdige  Momente  gewonnen. 

Da  das  Stück  nach  der  ausdrücklichen  Angabe  des  Glaukos  mit 
dem  Bericht  von  der  Niederlage  begann,  so  konnte  der  weitere  Verlauf 
des  Dramas  keine  neuen  Verwickelungen  bringen,  sondern  er  war  darauf 
beschränkt,  ein  Auseinanderlegen  der  Stimmungen  und  Situationen  im 
Verhältnis  zu  diesem  Faktum  zu  sein;  es  war  hier  kein  Fortschreiten 
der  Handlung,  sondern  nur  der  Situationen;  es  war  kein  Drama,  sondern 
dramatisierte  Lyrik.  Lehrreich  ist  an  dieser  Stelle  Aristoteles 
(probl.  XIX  31)  Siä  ri  oi  nsQl  ^givtxov  rjfTav  fiäXlov  (itkonoioi; 
7j  8iä  t6  noXXanXdata  eivai  töts  rä  fiilrj  kv  roTg  tGjv  fiirgtov  tqcc- 
ytpöimq;  Und  so  sehen  wir  denn  die  Tragödie  vom  Perserkriege  in 
ihrer  ganzen  Anlage  auf  eine  möglichst  reichhaltige  und  mannigfal- 
tige Lyrik  eingerichtet.  Dem  Prolog  des  Eunuchen  folgten  die  Ge- 
sänge der  Synthoken;  vielleicht  wissen  sie  schon  von  der  Niederlage, 
vielleicht  teilt  ihnen  der  Eunuch  oder  die  im  ersten  Epeisodion  auf- 
tretende Atossa  den  ersten  vorläufigen  Bericht  mit,  der  nach  Susa  ge- 
kommen ist.  Nach  einem  zweiten  klagenden  Chorlied  mochte  eine 
Scene  des  genauer  berichteten  Boten  folgen;  dann  kamen  die  phöni- 
zischen  Mädchen  mit  ihren  Harfen,  um  statt  freudiger  Siegeskunde 
die  jammervollste  Botschaft  zu  erfahren.  Ein  drittes  Epeisodion  war 
das  des  Xerxes,  an  der  Spitze  seines  Perserchores  erschien  er;  die  reich- 
lichsten dramatischen  [48]  Ausführungen,  Wechselgesänge  der  drei 
Chore  u.  s.  w.  mochten  den  Schluß  des  Stückes  füllen.  Die  Erzäh- 
lungen der  Auftretenden,  ihre  Dialoge  mit  dem  Chor  u.  s.  w.  dienten 
nur  dazu,  die  neuen  Standpunkte  für  die  verschiedenen  lyrischen  und 
kommatischen  Gesänge  anzugeben  oder  neue  Situationen  herbeizu- 
führen, die  zu  neuen  Gesängen  Anlaß  geben  konnten.  Das  ganze 
war,  da  es  nicht  neue  und  neue  Verwickelungen  darbot,  sondern  ein 
und   dasselbe  Faktum   in   seinen   verschiedenen  Lichtbrechungen  und 


Xerxes  reXy  qui  etiam  Herodoto  teste  (  VIII 90)  magna  propter  Salaminiam  cladem 
ira  in  Phoenices  incensus  eraif  in  patriam  reverstis  Pkoenissis  Ulis  et  toti  genU 
interitum  minabatur.  Daß  solche  Wendung  des  Dramas  nicht  im  Sinne  der  vor- 
euripideischen  Poesie  wäre,  sieht  jeder.  Aber  was  Müller  meint,  steht  gar  nicht 
in  den  Worten,  lofog  ücntq  liftiai  bezeichnet  nimmermehr  ein  Sprichwort,  sondern 
eine  alte  Sage.  Wenn  sich  irgend  eine  Combination  in  der  Peraeussage  nach- 
weisen ließe,  zu  der  jene  übrigens  leicht  corrumpierten  Verse  passen,  so  würde 
ich  noch  jetzt  glauben,  daß  sie  in  unsere  Tragödie  gehörten,  in  der  eine  Be- 
ziehung auf  Perseus  den  Stammvater  des  Volkes  sehr  wohl  vorkommen  konnte. 
Aber  ich  glaube,  man  wird  sich  wohl  auf  eine  andere  Deutung  des  Fragmentes 
einlassen  müsse. 


80  Zur  griechischen  Tragödie 

Keflexen  zeigte,  wesentlich  eine  Tragödie,  aber  nach  dem  Aoftreten 
der  drei  Chöre  in  eben  so  viele  Haaptteile  gespalten;  es  war  eine  tri- 
logische  Composition. 

Eine  Vergleichung  der  Aischyleischen  Perser  mit  dieser  Tragödie 
des  Phrynichos  zeigt,  welche  Vertiefung  die  dramatische  Kunst  durch 
Aischylos  erfahren  hat.  Er  begann  das  Drama  mit  der  Besorgnis 
statt  mit  der  Entscheidung;  er  brachte  damit,  ähnlich  jenen  alten 
Meistern,  die  zuerst  ihre  Statuen  mit  gelösten  schreitenden  Füßen  dar- 
zustellen wagten,  Bewegung  in  die  Figuren,  Fortschreiten  in  ihre 
Stimmungen,  dramatisches  Interesse  in  die  Composition;  unzweifelhaft 
von  seiner  Erfindung  war  jener  Schatten  des  Dareios,  der  über  den 
Bereich  der  einzelnen  Tragödie  hinaus  ihre  Verbindung  mit  einer  vor- 
hergehenden und  einer  folgenden  vermittelt. 

Man  erinnere  sich,  vrie  hohen  Ruhm  Phrynichos  hatte;  etwa  fünf 
Jahre  vor  Aischylos  Persem  führte  er  (nach  einer  vollkommen  wahr- 
scheinlichen Combination)  seine  Phoinissen  auf  und  gewann  den  Sieg. 
Sollen  wir  glauben,  daß  sein  Gedicht  in  demselben  Maße  anfanger- 
maßig  war  wie  undramatisch?  Es  war  vielmehr  eine  ganz  andere 
Art  von  Poesie  als  die  spätere  dramatische.  Die  Tragödie  war  un- 
mittelbar aus  der  dithyrambischen  Lyrik  entsprungen,  und  sie  erhielt 
sich  zunächst  auf  diesem  lyrischen  Standpunkt.  Faßt  man  die  Tragödie 
des  Thespis  und  der  anderen  älteren  so  als  dramatisierte  Lyrik,  so 
sind  alle  die  Notizen,  welche  über  sie  vorliegen,  vollkommen  klar  und 
treifend;  nicht  auf  Handlung  war  es  abgesehen,  sondern  der  Schau- 
spieler diente  nur  dazu  die  Situation  zu  fixieren,  an  welche  [49]  sich 
das  reiche  Gewebe  lyrischen  Gesanges  anknüpfen  sollte.  Nicht  ein 
bäurisches,  marionettenhaftes  Spiel  war  die  anfangliche  Tragödie  des 
Thespis;  wie  hätte  sie  da  in  der  Nähe  des  hochgebildeten  Peisistratiden- 
hofes  autkommen,  wie  die  Grundlage  zu  der  hochfeierlichen  Kunst 
der  attischen  Bühne  werden  wollen?  Sic  war  vielmehr  in  der  Höhe  der 
lyrischen  Poesie  jener  Zeit,  ausgestattet  mit  allen  den  künstlerischen 
Mitteln,  mit  denen  Lasos,  Simonides  und  Pindar  zu  schalten  verstanden, 
reicher  um  jenes  mimische  Element,  das  dem  lyrischen  Gesänge  des 
Chors  die  größere  Unmittelbarkeit  und  Gegenwärtigkeit  persönlicher 
Teilnahme  an  dem  besungenen  Vorgange  gewährte,  reicher  um  dies 
scenische  Element,  daß  die  Lieder  innigster  Teilnahme  veranlaßt  wurden 
durch  das  unmittelbare  Auftreten  dessen,  der  leiden  sollte,  oder  des 
Boten,  der  ihn  leiden  gesehen,  oder  der  Mutter,  des  Vaters,  der  Ge- 
schwister, die  ihre  Klagen  mit  denen  des  Chores  vereinten.  Aber 
freilich,  das  war  nicht  die  alte  attische  Weise  des  Dionysosfestes;  statt 
der  Lustigkeit  der  Satyrn  gab  Thespis  ein  ernstes  feierliches  Spiel,  und 


Phrynichos,  Aischylos  und  die  Trilogie  81 

statt  des  Weingottes  und  seiner  wunderbaren  Geschicke  sang  er  andere 
und  andere  Heroen.  Hat  Onomakritos,  der  Aioviati)  avvii^ijxsv  ÖQyicc 
(Paus.  VIII  37,  5),  der  auch  sonst  in  poetisch  ordnender  Thätigkeit 
am  Hofe  des  Peisistratos  ausgezeichnet  war,  diesem  neuen  Thespisspiel 
die  städtischen  Dionysien  geöffnet?  bildete  es  fortan  den  Hauptbestand- 
teil der  regelmäßigen  Festfeier?  OvSiv  nQog  tov  Aiövvaov  mag  da 
das  Volk  gerufen  haben.  Aber  Pratinas  der  Phliasier  schon  dichtete 
mit  der  höheren  Kunst  der  dramatisierten  Lyrik  auch  Spiele  mit  Sa- 
tyrnchor; man  wird  gern  der  alten  Gewohnheit  des  Volkes  nachge- 
geben und  die  stete  Verbindung  eines  tragischen  und  eines  Satyrspieles 
veranlaßt  haben. 

So  die  neuen  dramatischen  Aufführungen  bis  gegen  die  Zeit  des 
ionischen  Krieges;  sie  unterscheiden  sich  nur  formell  von  den  sonstigen 
Aufführungen  lyrischer,  dithyrambischer  Gesänge;  der  Chor  ist  noch 
entschieden  das  Wesentliche.  Erst  von  Aischylos  heißt  es:  rä  tov 
XOQov  7jXÜTT(0(7e  (Aristot.  poet.  4).  Durch  ihn  wurde  das  Drama  erst 
dramatisch,  [50]  mit  Hecht  heißt  er  der  Vater  der  Tragödie.  Fortan 
gewann  die  Handlung  in  der  Tragödie  immer  mehr  an  Umfang,  der 
Chor  verlor  in  demselben  Maße  seine  Bedeutung,  das  lyrische  Element 
der  Tragödie  wurde  endlich  zu  einem  beiläufigen  Schmuck.  Es  liegt 
in  diesen  Verhältnissen  ein  überaus  merkwürdiger  und  nachwirkender 
Unterschied  zwischen  den  Anfangen  der  griechischen  und  der  modernen 
Dramatik;  diese  ist  von  dem  neugierigen  Interesse  an  dem  empiri- 
schen Verlauf  eines  merkwürdigen  Geschehnisses,  jene  von  der  teil- 
nehmenden Betrachtung,  von  der  Äußerung  lebhaften  und  sinnigen 
Mitempfindens  ausgegangen;  die  empirische  Richtung  der  modernen, 
die  ideale  der  antiken  Tragödie  ist  in  ihren  ersten  Anfängen  vor- 
gebildet; ihre  Geschichte  ist  dann,  sich  zu  dem  Entgegengesetzten  hin 
zu  entwickeln. 

Aber  vielleicht  haben  wir  aus  jenen  Phoinissen  des  Phrynichos 
schon  zu  viel  gefolgert,  vielleicht  hat  er  nur  eben  einmal  drei  Chöre 
so  zusammengeordnet  Glücklicherweise  sind  noch  Spuren  vorhanden, 
daß  er  auch  sonst  so  gethan.  Da  sind  die  beiden  Titel  Alyv^noi 
und  AccvatÖBii,  beide  in  dem  ersten  Katalog  des  Suidas  so  auseinan- 
der gehalten,  wie  IliQaai  und  2^vv&(oxoi,  Gehören  denn  beide  auch 
gewiß  zu  derselben  Fabel?  könnte  nicht  etwa  Alyvnrtoi  die  Sage  von 
Busiris  oder  dergleichen  enthalten  haben? 

Hesychius  hat  folgende  Notiz  wlaiverat'  xo^Mvraij  kntxifaivezai' 
nccQcc  röv  löv,  Q>()vvixog  Alyvnrioig,  Daß  dies  7ia()ä  ri/v  'Ich 
heißen  muß,  ist  klar.  Was  Aischylos  im  Prometheus  Vers  880  die  lo 
selbst  sagen  läßt: 

Droysen,  Kl.  Schriften  II.  o 


82  Zur  griechischen  Tragödie 

fxaviai  &aknovaj  oifrcQov  9  äpSig 

dies  Entbrennen  der  Wut  los  war  in  den  Aigyptiern  offenbar  im  Chor- 
gesange  dargestellt,  wie  ja  auch  in  Aischylos  Schutzflehenden  auf  die 
Geschichte  der  lo  zurückgegangen  wird.  Wie  den  Schutzflehendon 
des  Aischylos  die  Aigyptier  verbunden  waren,  ebenso  sind  in  der  Com- 
position  des  Phrynichos  diese  zwei  Chöre  der  Aigyptossöhne  und  der 
Danaostöchter  aufgetreten;  es  liegt  in  der  Natur  [51]  des  Stoffes,  daß 
noch  ein  dritter  vermittelnder  Chor  hinzukomme,  etwa  Argeier.  Jeden- 
falls ist  es  nicht  zu  viel  gewagt,  hier  eine  trilogische  Composition  ähn- 
lich der  der  Phoinissen  wieder  zu  erkennen. 

Auch  die  durch  Herod.  VI  21  berühmt  gewordene  Tragödie  äXmatq 
MikriTov,  die  das  Volk  so  rührte,  daß  man  den  Dichter,  der  an  das  Un- 
glück der  stammverwandten  und  im  Unglück  verlassenen  Stadt  erinnert 
hatte,  mit  tausend  Drachmen  strafte  und  weitere  Aufführungen  des 
Stückes  verbot,  —  auch  dieser  Gesamttitel  wird  eine  nach  der  be- 
sprochenen Weise  gegliederte  Composition  in  sich  umfaßt  und  das 
schwere  Unglück  der  einst  so  herrlichen  Stadt  in  ergreifenden  Gesängen 
geschildert  haben.  Wir  werden  spater  sehen,  Phrynichos  hat  hier  wie 
in  den  Phoinissen  eine  bestimmte  politische  Ansicht  vertreten;  auch 
hierin  steht  die  ältere  Tragödie  der  Lyrik  ihrer  Zeit  nahe.  Wie  Pindar 
in  seinen  Siegesgesängen  die  kunstvollsten  und  eindringlichsten  Parai- 
nesen  für  diesen  oder  jenen  Fürsten  oder  Edlen  aufstellt,  ebenso  die 
volkstümliche  neue  Kunst  der  Tragödie,  nur  daß  es  das  Volk,  der 
Staat  und  seine  Politik  insbesondere  ist,  die  sie  ins  Auge  faßt.  Ein 
glänzendes  Beispiel  Lst  das  berühmte  Hyporchema  dos  Pratinas  r/tj  ö 
t^-ÖQvßo^  ods  X  r  L  Man  darf  behaupten,  daß  die  griechische  Tragödie 
diesen  parainetischen  Charakter  nie  aufgegeben  hat;  Aischylos  zeigt  ihn 
auf  das  unzweideutigste^,  bei  Euripides  tritt  er  häufig  höchst  absicht«- 


^  [75]  In  Beziehung  auf  die  Oresteia  wird  dies  hoffentlich  bald  SchÖU  in  der 
Fortsetzung  seiner  Beiträge  zur  „Geschichte  der  griechischen  Poesie'*  nachweisen; 
ich  habe  die  Hauptpunkte  ihrer  politischen  Bedeutsamkeit  in  der  neuen  Ausgabe 
der  Übersetzung  dargelegt  und  verweise  [76]  auf  dieselbe.  Ahnliches  läßt  sich  für 
jedes  der  vier  erhaltenen  Stücke,  wenn  auch  nicht  in  gleichem  Umfange,  nach- 
weisen; ja  selbst  von  den  verlorenen  Stücken  kann  man  hier  und  da  noch  einen 
Zusammenhang  ahnen.  Wer  wird  sich  enthalten  können  bei  der  Oreithyia  des 
Aischylos  an  Beziehung  auf  den  Porserkrieg  zu  denken;  denn  Oreithyia  ist  des 
Erechthcus  Tochter,  die  Boreas  raubt;  es  muß  irgend  etwas  Weiteres  noch  hinzu- 
gekommen sein,  eine  Handlung  hervorzubringen,  etwa  eine  Versöhnung  des  Erech- 
thcus mit  Bor(»ji8,  etwa  nach  vorher  beabsichtigter  Befreiung  der  Geraubten  durch 
ihre  Brüder,  der  dem  Gott  mit  jenen  Drohungen  entgegentrat: 


Phrynichoß,  Aiscliylos  und  die  Trilogie  83 

voll  hervor,  während  Sophokles,  überall  zarter  und  mäßiger,  mehr  aus 
den  allgemeinen  künstlerischen  Impulsen  herausarbeitet,  um  dann  mit 
seinen  treffenden  Bezüglichkeiten  desto  eindringlicher  zu  wirken;  ich 
erinnere  an  den  Anfang  des  Königs  Oidipus  und  dessen  Coincidenz 
mit  der  attischen  Pest,  worauf  ich  in  den  Jahrbüchern  für  wissen- 
schaftliche Kritik  1833  II  S.  127  aufmerksam  gemacht  habe. 

xttl  fiT^  xafiivov  o^üjcrt  fiüxuriov  aeXag' 

ei  ijruQ  TW'*  sanovxov  oy/ofiai  fiovov, 

fiiav  nagsiQag  nXexxavrjv  xs*-f^otQQOoy 

atdpjv  TivQCoaci}  xai  xaravd'Qaxcjaofiai. 

vvv  J"  ov  xexQaya  nu  t6  ffBvvatov  fidXog. 
Sein  Land  zu  retten  wird  Erechtheus  zu  jener  gewaltsam  gegründeten  Ver- 
bindung seine  Einwilligung  gegeben  und  dafiir  die  Verheißung  erhalten  haben, 
daß  Boreas  allezeit  ein  treuer  Schützer  und  Bundesgenosse  des  attischen  Landes 
sein  werde.  Und  allerdings  bewährte  sich  dieses  xfjdog;  zweimal  stürzte  sich 
der  gewaltige  Gott  zerstörend  auf  die  Flotte  der  Perser;  zuerst  erlag  ihm  jene, 
die  den  Athos  umschifiPen  wollte  (Ilerod.  VI  44);  sodann,  da  die  Perserflotte  bei 
Artemision  lag,  kam  den  Athenern  der  Götterspruch  ihren  Schwager  zu  Hilfe 
zu  rufen,  und  sie  opferten  dem  Boreas  und  der  Oreithyia  und  aus  heiterer  Luft 
her  stürmte  dej  Gott  und  zerstörte  zum  zweitenmal  der  Perserschiffe  eine  große 
Zahl,  worauf  die  Athener  dem  Gott  ein  Heiligtum  am  Ilissos  gründeten  (Herod. 
VII  189  Paus.  I  19,  6).  Daß  Aischylos  diese  bedeutsame  Beziehung  nicht  über- 
gangen haben  wird,  versteht  sich  von  selbst;  auch  Simonides  verknüpfte  in  dieser 
Weise;  Schol.  Apoll.  Rhod.  I  212  ^  de  'SlqeL^ia,  'ÜQex^scog  ^vyuttjq,  ;>  t| 
JiiTixijg  uqnaaag  6  BoQBctg  ri^afsy  eig  Sqaxriv  x^xetae  avvekif-üjp  ^xexe  ZijTijtf  xal 
JLttka'iVy  ug  2!i(ji(avlörjg  tv  rfj  vnvfinxiot,  natürlich  der  Naumachie  von  Art«mision, 
die  wie  ich  glaube,  nicht  elegisch  sondern  melisch  war.  Höchst  merkwürdig  ist 
die  Notiz  bei  demselben  Scholiasten:  0iv6vg  de  KXeonaiqav  ri/y  'Slgeiihjiag  nQuir/»^ 
^YTifiBv.  Hätten  wir  nicht  die  Didaskalie  der  Persertrilogie,  wie  zuversichtlich 
würden  wir  vermuten,  daß  den  „Persern"  die  ,, Oreithyia"  vorausgegangen  sei; 
ob  im  „Phineus"  das  Verhältnis  des  Boreas  zu  Athen  und  dessen  Beihilfe  am 
Athos  und  Artemision  erwähnt  worden,  [77]  muß  unentschieden  bleiben.  Ist  die 
historische  Beziehung  der  „Oreithyia"  unzweifelhaft,  so  wird  sie  nach  480  aufge- 
führt sein,  das  heißt  in  einer  Zeit,  wo  Aischylos  unzweifelhaft  schon  tetralogisch 
dichtete;  ein  Satyrspiel,  wie  Scholl  vermutet  (Beiträge  S.  8),  war  dies  Drama  nach 
den  von  Longinus  de  subl.  3  gemachten  Bemerkungen  und  der  Analogie  der 
Sophokleischen  Oreithyia  gewiß  nicht.  Aber  zu  einer  trilogischen  Zusammen- 
stellung bieten  sich  unter  den  erhaltenen  Titeln  Aischyleischer  Stücke  gar  keiner 
dar;  auch  ist  ein  sachlicher  Zusammenhang  von  Mythen,  in  den  sich  diese  Boreas- 
sage  fügen  könnte,  nicht  vorhanden;  das  Drama  muß  zu  einer  ideelleren  Com- 
Position  nach  Analogie  der  Perser  gehört  haben.  Wenigstens  in  Beziehung  auf 
Athen  könnten  sich  demselben  die  „Herakliden"  an  die  Seite  stellen.  Jedoch  ist 
es  besser  sich  hier  alles  Vermutens  zu  enthalten.  Eine  Beziehung  der  Trilogie 
Iphigeneia  und  namentlich  des  Telephos  auf  Themistokles  glaubt  0.  Jahn 
zu  erkennen  und  wird  darauf  in  seiner  Zuschrift  an  Welcker:  „Telephos  und 
Troilos"  demnächst  aufmerksam  machen  [Kiel  1841;  S.  37];  ich  bekenne,  daß 
mir  dieselbe  zu  äußerlich  scheint,  da  sie  nichts  als  die  gleiche  Situation  des  Tele- 
phos am  Herd  des  Agamemnon,  des  Themistokles  an  dem  dos  Admetos  enthält 

6* 


84  Zur  griechischen  Tragödie 

Die  Aischyleischen  Trilogien  der  Perser,  der  Danaiden  haben,  wie 
wir  sahen,  Phrynicheischen  Dichtungen  über  denselben  Inhalt  ent- 
sprochen. Leicht  dürfte  es  derselbe  Fall  gewesen  sein  mit  dem  Tan- 
talos,  ans  dem  die  Niobetrilogie  des  Aischylos  hervorgegangen  ge- 
dacht werden  könnte.  Hesychios  [52]  sagt  v.  ktpiSQava-  k(p  mv  xa- 
ß-fjVTO  Ol  Tccg  kvQag  H^ovcri'  Q>()vvixog  Tavrülq),  also  auch  hier  ein 
Chor  von  Lautenschlägem,  ähnlich  dem  der  Phoinissen;  aber  freilich, 
für  alle  weiteren  Vermutungen  ist  kein  Substrat  vorhanden.  Auch  der 
Aktaion  des  Phrynichos  findet  unter  den  Aischyleischen  Dramen  ein 
entsprechendes ^    Von  den  übrigen  Tragödien  will  ich  nur  die  Alkestis 


'  Dies  Drama  glaube  ich  in  den  ro^oTideg  zu  erkennen,  worauf  schon 
in  der  Übersetzung  des  Aischylos  II'  S.  243  hingedeutet  war;  Welcker  hat  diese 
Ansicht  weiter  verfolgt  (die  griechischen  Tragödien  I  S.  49).  Natürlich  muß 
nun  diese  Tragödie  aus  der  Trilogie  Aithiopis  ausscheiden,  die,  wie«  ich  glaube, 
aus  den  Nereiden,  der  Seelenwägung  und  den  Brautkammerbauenden  be- 
stand. Die  letzte  der  genannten  Tragödien  hatte  ich  mit  Welcker  zu  der  Tri- 
logie Iphigeneia  gezogen;  aber  diese  begann  vielmehr  mit  dem  Telephos;  nach 
der  Tragödie,  in  der  Klytaimnestra  ihres  Sohnes  Orestes  Leben  daran  wagt  den 
I'Vemdling  aus  Mysien  zu  retten,  folgt  die,  in  der  Agamemnon  seine  Tochter 
Iphigeneia  dem  Opfertode  hingiebt,  um  den  troischen  Zug  möglich  zu  machen; 
in  der  dritten,  den  Priesterinnen,  sühnt  die  gerettete  Iphigeneia  den  Bruder, 
der  die  Mutter  gemordet;  nicht  bloß  die  große  poetische  Schönheit  dieser  Zu- 
sammenstellung spricht  für  ilire  Richtigkeit,  sondern  auch  ein  fast  ausdrück- 
liches Zeugnis.  Zu  dem  Verse  des  Aristophanes  Ran.  1302:  xvÖktt  Ä^^aidv, 
ÄxqiuiQ  noXvxoiqave  fiuy&aye  fiov  nai,  bemerkt  der  Scholiast:  jiqiaiaqxog  xai  ÄtioX- 
Xdjvwc,  iniaxB^paträ-e  no&ev  dal,  Tifiaxldac  de  tx  Trile<pov  AiGX^lov^  Äaxlfjniadijg 
dt  e|  ^IqnfBVBittg.  Es  war  die  Anrede  des  [78]  Telephos  an  Agamemnon,  Timachi- 
das  zitierte  den  Namen  der  Tragödie,  Asklepiades  den  der  Trilogie.  Wohin 
mag  nun  des  Aktaion  Drama  der  To^otlöeg  gehören?  Zweimal  erinnert  £u- 
ripides  in  den  Bakchen  (Vers  830  und  1292)  an  Aktaions  Tod,  und  Aktaion.s 
Mutter  war  Autonoe,  die  Schwester  der  Semele.  Stesichoros  und  Akusilaos  er- 
wähnten, daß  Aktaion  den  Tod  gefunden,,  weil  er  Semele  zum  Weibe  begehrt 
habe  (Paus.  IX  2,  8  ApoUod.  III  4,  4).  Nun  ist  aus  der  Tragödie  Semele  oder 
die  Hydrophoren  ein  Fragment  (208)  erhalten: 

Zevg  og  xaiexut  loviov 

es  bezieht  sich  auf  den  Tod  des  Aktaion,  der  Semele  begehrte,  die  Zeus  selbst 
sich  zum  Weibe  erlesen  hatte.  Wie  schon  in  diesen  Zusammenhang  die  Frag- 
mente der  Schützinneu  passen,  werde  ich  an  einem  andern  Orte  nachweisen 
[Aeschylusübersetzung*  (1842)  S.  484],  Das  zweite  Stück  dieser  Trilogie  war 
eben  die  Semele  oder  die  Hydrophoren;  Wasserträgerinnen  bilden  den  Chor, 
aber  nicht  um  den  Palast,  der  bei  Dionysos  Geburt  in  Brand  geraten  ist,  zu 
löschen,  sondern  diese  Hydrophoren  bringen  das  Totenopfer  für  Aktaion,  dessen 
'J'od  die  erste  Tragödie  gezeigt  hat.  Über  diese  Hydrophonen  s.  Preller  Demeter 
S.  229.  Aischylos  Anwendung  dieses  Totenbrauches  ist  für  die  Erklärung  des 
noch  dunkeln  Sinnes  der  Hydrophone  sehr  lehrreich.  Das  dritte  Stück  war 
PeutheuB  oder  die  Xantrien. 


Phrynichos,  Aischjlos  und  die  Trilogie.  85 

noch  erwähnen.  Ein  anapästisches  l^Yagment  ans  derselben  ist  beiHesych. 

(T&fia  9  äOafißkq  yvioSdviGTOV 
ttjqbL 

Welcker  (die  griechischen  Tragödien  S.  21)  schreibt  reiQei:  „Herakles 
preßt  den  Tod,  so  wie  er  es  bei  Enripides  Vers  845  zu  thun  droht,  und 
es  spricht  dies  wohl  nicht  ein  Bote,  sondern  der  Chor,  welcher  dieser 
Scene  bei  dem  Grab  der  Alkestis  von  der  Orchestra  zuschaute".  Ich 
glaube  nicht;  der  Chor  würde  dergleichen  nicht  in  Marschrhjthmen  be- 
richten; auch  scheinen  die  beiden  Adjective  für  den  gepreßten  Tod  nicht 
bezeichnend.  Die  Lesart  T?]QeT  ist  ganz  schön;  Alkestis  die  hinsterbende 
ist  es,  die,  wie  auch  die  Todesschauer  ihren  Leib  schütteln,  ihn  hütet, 
daß  er  kein  Zagen  zeige.  Natürlich  liegt  sie  so  hinsterbend  nicht  auf 
der  Bühne,  sondern  im  Palast;  der  Chor  hat  sie  dort  gesehen,  heraus- 
tretend mit  anapästischem  Gesänge  erzählt  er  nun  Ton  jenem  mitleid- 
würdigen Anblick.  In  welcher  Stelle  des  Dramas  standen  diese  Verse? 
entweder  gleich  nach  dem  Prolog  tritt  der  Chor  mit  ihnen  auf,  und 
dann  haben  wir  ein  neues  Beispiel  von  der  un dramatischen  Weise  des 
Phrynichos,  indem  er  nicht  in  dem  großartigen  Entschluß  der  Königin, 
sondern  in  dem  weiteren  Verlaufe  der  Situationen  sein  tragisches  Sujet 
fand;  dann  hatte  der  Tod  den  Prolog  gesprochen,  in  dem  er  angab, 
daß  Alkestis  für  ihren  Mann  zu  sterben  bereit  sei  und  er  sie  drum 
holen  werde;  oder,  was  minder  glaublich,  dieser  Chor  trat  in  einem 
späteren  Stadium  der  Tragödie  aus  dem  Palast,  so  beweist  er,  daß 
ein  anderer  für  die  früheren  Stadien  bereits  vorhanden  war,  und  wir 
sehen  ein  Beispiel  mehr  für  [53]  das,  was  wir  an  dem  dreichorigen 
Drama  des  Perserkrieges  zu  entwickeln  versuchten. 


Überblicken  wir  die  Resultate  des  obigen,  so  finden  wir:  von 
Thespis  begann  die  neue  Kunst  der  Tragödie,  sie  war  wie  das  Satyr- 
spiel des  Pratinas  dramatisierte  Lyrik,  eine  Tragödie  und  ein  Satyr- 
spiel wurde  zur  Aufführung  in  den  Dionysien  verbunden;  bei  Phryni- 
chos sehen  wir  bereits  die  Tragödie  umfassender:  drei  Chöre  traten, 
durch  neue  und  neue  Epeisodien  eingeleitet,  nach  und  zu  einander  auf 
und  bildeten  so  die  Grundlage  für  die  neue  dramatische  Form  der 
Trilogie  (oder  Tetralogie),  deren  vielfach  angezweifelte  Weise  in  diesem 
Zusammenhang,  wie  ich  glaube,  eine  neue  Sicherung  und  jedenfalls 
eine  begreiflichere  Stellung,  als  sie  bisher  gehabt  hat,  erhält  Die 
fünfzig  Choreuten,  die  nach  der  Weise  der  alten  kyklischen  Aufifüh- 


86  Zur  griechischen  Tragödie 

nmgen  dem  tragischen  Dichter  zugewiesen  wurden,  begannen  sich  mit 
der  Einführung  des  Satyrspiels  bereits  zu  teilen;  eine  weitere  Teilung, 
um  innerhalb  der  Tragödie  mehr  Chöre  auftreten  zu  lassen,  war  da- 
mit schon  eingeleitet.  Hier  tritt  denn  ein  unerkläxbarer  Punkt  ein;  wir 
sehen  in  der  Phoinissentragodie  drei  Chöre;  hat  es  auch  Tragödien  mit 
zwei  Chören  gegeben?  hat  früh  eine  künstlerische  Convenienz  oder  sonst 
ein  Grund  jeae  Dreiteilung  der  Tragödie  fixiert?  Die  dramatische  Gewohn- 
heit, die  wir  schon  mit  den  Persern  des  Aischylos  (472)  ausgeprägt  und 
seitdem  unverändert  beibehalten  finden,  spricht  für  das  letztere. 

Daß  seit  jener  Zeit  stets  von  jedem  der  wettkämpfenden  Dichter 
drei  Tragödien  und  ein  satyrisches  Spiel  aufgeführt  worden,  ist  aus- 
gemacht (s.  Schoell,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  tragischen  Poesie  der 
Griechen  I  S.  199).  Die  weitere  Frage  ist,  ob  solche  vier  Stücke  bezie- 
hungslos und  wie  ein  dramatisches  Konzert  willkürlich  zusammengestellt 
waren,  oder  ob  sie  in  wesentlichem,  das  Verständnis  der  einzelnen 
Stücke  bedingenden  Zusammenhang  standen. 

Überliefert  sind  sieben  vollständige  Didaskalien:  [54] 

Aischylos  1.  Phinms,  Perser,  Glaukos  Potnieus,  —  Pi'ometheus  Argum. 

Pers. 

2.  Agamemnariy  Choeplioren,  Etmieniden,  —  Proteus  Arg. 
Agam.;  Oresteia  heißt  das  ganze  bei  Aristoph.  Ran.  1124. 

3.  Edonier,  Bassariden,  Jünglinge  —  Lykurgos  Schol.  Rav. 
zu  Arist.  Thesm.  135.  Lyktirgeia  heißt  das  ganze  bei 
Arist  a.  a.  0. 

Euripides    4.  Alexandras,  Palamedes,  Troerinnen,  —  Sisypkos  Aelian. 

V.  H.  II  8. 

5.  Kreterinnen^  Alhnaion  in  Psophis,  Tdephos^  —  AlkesHs 
Eurip.  Alcostis  ed.  Dindorf.  Oxon.  1884. 

6.  Medeia,  Philokietes,  Dikiys,  —  die  Schnitter  Argum.  Med. 
Xenokles    7.   OidiptLs,   Lykaon,  Bakchen  —  Athamas  Aelian.  a.  a.  0. 

Ferner  wird  erwähnt: 

Philokles   %,' Tetralogie  Pandionis  ohne  Angabe  der  einzelnen  Dramen 

Schol.  Arist.  Av.  282. 

Ebenfalls  eine  Tetralogie  oder  Trilogie  wird  gewesen  sein: 
Meletos       9.  CHdipodeia,     Schol.  Plat.  S.  330  ed.  Bekker. 

Endlich  ist  bekannt,  daß  Plato  in  jungen  Jahren  eine  Tetralogie 
dichtete,  auf  welche  ich  jedoch  die  Notiz  bei  Bekker  Anecd.  S.  352  i^t^rj- 
va^s'  niärrov  Iv  'OSvaasta  nicht  zu  beziehen  wage.  Die  'Iffixkua  des 
Sophokles  ist  zu  zweifelhaft,  um  mit  berücksichtigt  werden  zu  können. 


Phrynichoe,  Aischylos  und  die  Trilogie  87 

Von  der  größten  Wichtigkeit  für  diese  ganze  Frage  ist  die  oft  be- 
sprochene Notiz  über  Sophokles  bei  Suidas:  Jjq^^  Sg&fia  ngog  SQßficc 
ayrnvi^Bod-aiy  äkkcc  fiij  rsTQaXoyiag,  Den  Sinn  dieser  Bezeichnung 
erkennt  man  aus  genauer  Erklärung  einer  Bemerkung  über  Aischylos 
Oresteia  beim  Scholiasten  zu  Aristoph.  San.  1122,  wo  es  sich  um  den 
Prolog  der  Oresteia  handelt.  Der  Scholiast  sagt:  rarQcckoyiav  (piQovmv 
rtjv  VQBcmiav  cci  StSatrxakicciy  !Ayafiifivovcc,  Xorjfpögovg,  EvfXBviSa^, 
IlQcoTicc  acrrvQixöv.  ^piorap/og  xae  ^nolhAviog  TQiXoyiav  [55] 
Xiyovm  x^Qh  t&v  aaxvQix&v.  Aristarch  und  ApoUonios  meinten  nicht 
etwa,  daß  dies  Satyrspiel  gar  nicht  mit  diesen  drei  Tragödien  zu- 
sammen aufgeführt  sei,  —  die  Didaskalie  lag  ihnen  ja  vor,  —  noch 
auch,  wie  mein  Freund  Scholl  meint,  das  Satyrspiel  sei  ihnen  (nach 
der  Analogie  der  Alkestis)  mehr  tragisch  als  satyrisch  erschienen*; 
sondern  jene  Kritiker  fanden,  daß  sich  der  Name  Oresteia  nicht  fug- 
lich von  den  vier  Stücken  brauchen  lasse,  da  der  Proteus,  wenn  schon 
er  noch  eine  auch  in  dem  Agamemnon  (Vers  603)  angedeutete  Be- 
ziehung zur  Oresteia  hat,  doch  außer  dem  unmittelbaren  und  prag- 
matisch bedingenden  Zusammenhang  der  Orestessage  steht.  Hiernach  ist 
der  Gebrauch,  den  die  alten  Gelehrten  von  dem  Namen  Tetralogie  machten, 
vollkommen  klar;  sie  nannten  Tetralogie  die  vier  Stücke  einer  tragi- 
schen Didaskalie,  wenn  dieselben  den  zusammenhängenden  Verlauf  einer 
Geschichte  darstellten;  ein  vollkommenes  Beispiel  ist  die  Lykurgeia. 
Es  liegt  aber  in  der  Natur  der  Sache,  daß  sich  nicht  viele  tragische 
Stoffe  mit  einem  satyrischen  Ausgang  bearbeiten  ließen ;  waren  nur  die 
drei  Tragödien  zusammenhängend  gearbeitet,  so  nannte  man  dies  eine 
Trilogie,  und  die  Form  der  Trilogie  mochte  demnach  häufiger  sein, 
als  die  der  Tetralogie,  und  wenn  Aristophanes  von  Byzanz  die  Plato- 
nischen Gespräche  in  Trilogien  (Diog.  Laert  III  61),  Thrasyllos  in  Te- 
tralogien ordnete  (Diog.  a.  a.  0.),  so  sahen  sie  eben  auf  den  Zusammen- 
hang der  in  den  Gesprächen  verhandelten  Sachen.  Aber  das  Beispiel 
des  Proteus  zeigt,  wie  eng  beschränkt  die  alten  Gelehrten  den  BegriflF 
des  Zusammenhanges  faßten;  was  sie  ein  für  sich  bestehendes  Satyr- 
spiel nannten,  konnte  immer  noch  eine  wesentliche,  eine  idealere,  oder 
selbst   eine   stoflfmäßige   Beziehung  zur  Trilogie  haben.     Begann  nun 

*  [78]  Scholl  hebt  fiir  seine  Ansicht  hervor,  daß  bei  Athen.  IX  S  394a  ^y 
JlQ(t)i6t  1(7}  TQayix^  zitiert  wird;  schon  dieser  Beisatz  wäre  seltsam,  wenn  nicht 
der  Gegensatz  gegen  ein  anrvQutoy  damit  bezeichnet  sein  sollte;  und  wenn  auch 
einige  Gelehrte,  wie  Scholl  annimmt,  den  Proteus  für  mehr  tragisch  als  saty- 
risch hielten,  so  zeigt  ja  doch  die  erhaltene  Didaskalie  ausdrücklich,  daß  seine 
kurrente  Bezeichnung  IIqo)tbv^  o-nrrt'^ixoj  war.  Vs  ist  dies  roa^ixo)  nichts  als  einer 
der  vielen  Irrtümer  der  „Gelohrtenschmausdialojijc" ,  die  Scholl  selbst  so  richtig 
charakterisiert  hat  (S.  397). 


88  Zur  griechischen  Tragödie 

Sophokles  Drama  gegen  Drama  zu  kämpfen,  so  heißt  das  zunächst  nur, 
daß  seine  Didaskalien  nicht  eine  in  sich  fortlaufende  Geschichte  durch 
die  vier  Dramen  fortführten,  aber  keineswegs  ist  damit  ausgeschlossen, 
daß  sie  noch  in  irgend  welcher  anderen  Art  der  Beziehung  zu  einander 
standen.  Überdies  bedeutet  jenes  Jjq^b  —  dycjvi^Ba&ai  nicht  etwa, 
daß  er  bei  seiner  ersten  Aufführung  diese  [56]  neue  Form  aufgebracht, 
sondern  nur,  daß  er  der  erste  war,  der  sie  anwendete. 

Wie  doch  entstand  der  Begriff  der  Trilogie?  In  dem  Namen  des 
Logeion  zeigt  sich,  daß  Ad/os*  ursprünglich  im  Gegensatz  gegen  den 
Gesang  des  Chors  das,  was  der  Schauspieler  sprach,  bezeichnet;  daher 
noch  bei  Aristophanes  mit  altfränkischem  Ton  das  S>vS()6<;  oi  nagövrei; 
hv  köycü  (Av.  30)  und  ähnliches  sonst  ^  Dieser  Xöyog  ist  es,  den 
Thespis  erfand,  wenn  es  heißt  itQÖloyöv  re  xcci  Qfitnv  k^evQBv  (Aristot 
apud  Themist.  XXVI  p  382  ed.  Dind.).  Immerhin  mag  das  ganze  En- 
semble von  Gesängen  des  Chores,  Reden  des  Schauspielers  und  Ge- 
sprächen beider  allmählich  Xöyog  genannt  worden  sein.  Ob  der  Name 
TQiloyta  schon  von  Phrynichos  gebraucht  worden,  weiß  ich  nicht; 
aber  die  Sache  hatte  er,  wenn  er  z.  B.  in  seinem  Drama  vom  Perser- 
kriege den  Schauspieler  (vielleicht  außer  im  Prolog)  noch  dreimal  in 
verschiedenem  Kostüm  zu  dreifachem  Xöyog  auftreten  ließ,  dem  ent- 
sprechend dann  auch  der  Chor  in  drei  verschiedenen  Abteilungen  nach- 
einander hereingezogen  kam;  das  eine  Gedicht  war  nun  in  sich  ver- 
dreifacht; es  war  eine  roiXoyia.  Schon  der  Name  zeigt,  daß  die  drei 
tragischen  Gedichte  eine  Einheit  bilden,  etwa  im  Gegensatz  gegen  den 
(TarvQixbg  Xöyog, 

So  fand  Aischylos  die  Dramatik,  und  er  schloß  sich  dem  be- 
stehenden Gebrauch  an;  die  Trilogie  blieb  ihm  wesentlich  eine  Tragödie, 
aber  an  die  Stelle  der  bloß  äußerlichen  Folge  dreier  Situationen  einer 
Begebenheit  trat  ihm  ein  tieferer  Zusammenhang,  der  das  ganze  be- 
herrschte.   Während  bisher  die  Tragödie  Thaten  und  Leiden  beschrieb 

(denn  Plutarchs  Äußerung  Symp.  I  1,  5  (I>qvvixov  xal  AlxvXov 

T//1/  TQaycpSlav  eig  ^vß^ovg  xa)  Tia&'tj  nQoayövrcDv  ist  von  verkehrter 
Auffassung  der  Poesie  des  Thespis  veranlaßt),  begann  Aischylos  das 
Handeln  und  Leiden  selbst  zu  zeigen,  und  statt  in  großartigen  oder 
heiligen  Begebenheiten  rührende  Situationen,  —  in  Entschluß  und  That 
den  tragischen  Schwerpunkt,  die  Kraft  des  Willens  und  dessen  Ohn- 
macht, zur  Darstellung  zu  bringen;  während  Phrynichos  was  er  dar- 

*  [78]  Etwas  anders  im  Anfang  der  Eumcniden,  wo  die  Pythias  die  einen 
Götter  anredend  tV  Bvxnu  q>i)oiiiut'^o^ai  sagt,  sodnnn  J/ttlXnc  ...  tV  l6yoic  TtgstT- 
(ievBini.  Ich  glaube  jene  ersten  Bvxni  sind  gesangartig,  vielleicht  gar  mit  Beglei- 
tung vorgetragen  worden. 


Phrynichos,  AischyloB  und  die  Trilogie  89 

stellte,  gleichsam  von  einem  menschlichen  Standpunkte  [57]  aus  den 
Zuschauenden  zeigte,  suchte  Aischylos  nach  tieferer  Fassung,  versenkte 
sich  gleichsam  in  die  ewigen  Gedanken  der  weltregierenden  Mächte 
und  ließ  von  diesem  innersten  Mittelpunkte  alles  Geschehens  den  Be- 
trachtenden die  Zusammenhänge  einer  ewigen  Notwendigkeit  erkennen. 
Seine  Tragödien  wurden  Theodiceen  der  göttlichen  Weltordnung,  und 
in  immer  großartigerer  und  umfassenderer  Mächtigkeit  lehrte  er  das 
Thun  und  Leiden  einzelner,  ganzer  Geschlechter,  ja  ganzer  Völker  er- 
fassen. So  mußte  sich  ihm  die  schon  trilogische  Tragödie  weit  und 
weiter  vergrößern,  jeder  der  drei  Xöyoi  wurde  ihm  wieder  eine  analog 
in  sich  vervielfachte  Tragödie,  aber  so,  daß  sie  des  ganzen  nur  einen 
Teil  umfaßte  und  über  sich  hinaus  zu  den  andern  hinwies. 

Es  war  eine  vollkommen  neue  Weise  der  Poesie,  die  Aischylos 
aufbrachte.  Nicht  von  außen  her  betrachtete  und  bedichtete  er  die 
Stoffe;  er  ließ  sie  von  innen  heraus,  aus  dem  lebendigen  Gedanken 
einer  ewig  gerechten  und  ordnenden  Fügung  erwachsen  und  gleichsam 
organisch  sich  selbst  gestalten,  nicht  nach  der  Analogie  empirischer 
Wirklichkeit,  sondern  nach  der  idealen  Eurhythmie  gedankenmaßiger 
Entwickelung.  Und  so  gewaltig  war  diese  organisch  bildende  Kraft, 
daß  sie  selbst  über  das  Gebiet  der  Trilogie  hinüberzugreifen  und  das 
Satyrspiel  in  diesem  Sinne  zu  rhythmisieren,  es  sich  einzubilden  ver- 
mochte.   So  die  Tetralogien  des  Aischylos. 

Ich  muß  nun  die  gefundene  Fährte  einen  Augenblick  verlassen, 
u}n  etwas  an  der  Seite  Liegendes  aufzunehmen.  Es  war  die  herrliche 
Entdeckung  Welckers,  daß  sich  an  den  erhaltenen  Aischyleischen 
Dramen  stets  deutliche  Spuren  ihrer  Beziehung  zu  anderen  vor  oder 
rückwärts  liegenden  zeigten.  Es  würde  unbegreiflich  sein,  daß  diese 
Entdeckung  Widerspruch  erfahren,  wenn  nicht  die  tägliche  Erfahrung 
zeigte,  daß  ein  ästhetisch  richtiges  und  gebildetes  Empfinden  seltener  als 
Gelehrsamkeit  und  kritischer  Scharfsinn  ist.  Jetzt  steht  die  Forschung 
bereits  auf  dem  Punkt,  für  die  erhaltenen  Dramen  die  Ergänzung  mit 
überzeugender  Gewißheit  andeuten  und  auch  von  den  meisten,  nur  in 
sehr  [58]  unbedeutenden  Fragmenten  erhaltenen  Stücken  ihre  trilo- 
gische Composition  mit  einiger  Frobabilität  nachweisen  zu  können.  Da 
ist  nun  folgende  Beobachtung  lehrreich:  die  Trilogie  des  Prometheus 
stellt,  freilich  in  der  großartigsten  Fassung,  das  Geschick  eines  Indi- 
viduums, die  der  Sieben,  der  Danaiden,  des  Orestes  das  Geschick  eines 
Geschlechtes  dar,  aber  so,  daß  in  beiden  Gattungen  die  Geschicke  weit 
über  den  Bereich  des  einzelnen  und  des  Geschlechtes  hinaus  in  weiten 
Wellenkreisen  umher  mitempfunden  werden.  Das  Einheitliche  in  diesen 
großen    Compositionen    ist   nicht,   daß   dieselbe  Person   oder   dasselbe 


90  Zur  griechischen  Tragödie 

Geschlecht  handelt  und  dafür  leidet;  sie  sind  nur  wie  Beispiele  zu 
weit  umfassenderen,  zu  allgemeinen,  zu  den  höchsten  ethischen  Verhält- 
nissen, in  der  Art,  daß  eine  Modalität  der  weltregierenden  Gottheit 
sich  an  ihnen  bethätigt  und  bewahrheitet,  in  ihnen  sich  offenbart;  es 
ist  die  tiefste  Erfassung  des  Mythos,  seiner  Zufälligkeit  als  vereinzeltes 
Faktum  entnommen  als  die  heilige  Geschichte,  als  die  begriffene  Offen- 
barung einer  ewigen  Macht  dargestellt  zu  werden.  Und  dies  hat 
Aischjlos  mit  der  höchsten  dichterischen  Kraft  vollbracht.  Wie  frei  und 
kühn  umspannt  er  in  der  heiligen  Geschichte  des  Prometheus  Jahr- 
tausende! wie  frei  und  kühn  gipfelt  er  den  Oidipusfluch  in  dem  Unter- 
gang seiner  Stadt  und  seines  Volkes,  oder  den  Atreusfluch  in  der 
Stiftung  des  heiligen  Gerichtes  auf  dem  Areiopagos!  Freilich  die 
alten  Gelehrten  haben  nur  das  Trilogie  und  Tetralogie  nennen  wollen, 
was  unmittelbaren  pragmatischen  Zusammenhang  einer  Begebenheit 
darstellt;  die  drei  Stücke  des  Gedichtes  vom  Perserkampf  würden  sie 
nicht  Trilogie  genannt  haben.  Aber  Aischylos  hat  sie  auf  die  kühnste 
Weise  in  gegenseitige  Beziehung  gebracht,  oder  richtiger,  in  nicht  küh- 
nerer Weise  als  jede  seiner  andern  Trilogien;  es  ist  ja  eben  auch  da 
der  Zusammenhang  eines  Gedankens,  einer  bestimmten  Offenbarung  der 
weltregierenden  Gottheit,  wie  der  Dichter  sie  in  den  Schicksalen  seiner 
hellenischen  Heimat  eben  so  tiefsinnig  wie  fromm  erkannt  hat. 

Aber  wir  sehen  schon,  wie  weit  bereits  diese  Aischyleischen 
Fassungen  über  die  ursprüngliche  Weise  der  [59]  Trilogie  hinausragen 
Und  nun  die  Satyrspiele.  Nach  der  Nennweise  der  alten  Gelehrten 
ist  die  Lykurgeia  für  eine  vollkommene  Tetralogie  zu  halten ;  das  Satyr- 
spiel setzt  die  in  der  Trilogie  behandelte  Geschichte  unmittelbar  fort. 
Zweifelhaft  erschien  es  ihnen  bei  der  Oresteia;  aber  sollten  wir  meinen, 
daß  Aischylos  darum,  weil  sich  das  Sujet  des  Proteus  in  der  Vetter- 
schaffc  des  Orestes  hielt,  dies  Satyrspiel  an  diese  Trilogie  angeschlossen 
habe?  Ich  glaube  ferner  mit  Recht  vermutet  zu  haben  (Übersetzung 
des  Aischylos  II  S.  103),  daß  Amymone  das  Satyrspiel  für  die  Danaiden- 
trilogie  war;  nicht  weil  die  alten  Gelehrten  auch  hier  vielleicht  eine 
Tetralogie  anerkennen  würden,  sondern  weil  in  dem  innersten  Wesen 
dieses  Nachspiels  eine  bedeutsame  Beziehung  zu  dieser  Trilogie  lag. 
Und  wenn  die  alten  Didaskalien  Prometheus  den  Feuerzünder  als 
Satyrspiel  zur  Persertrilogie  nennen,  so  fehlen  auch  da  nicht  die 
Möglichkeiten  eines  wesentlichen  Zusammenhanges.  Kurz  ich  glaube 
für  Aischylos  voraussetzen  zu  dürfen,  daß,  seitdem  er  in  der  ihm 
eigentümlichen  W^eise  gedichtet  hat,  seine  Satyrspiele  stets  in  gedanken- 
maßigem  Zusammenhang  mit  der  Trilogie  waren;  und  wenn  die  Zahl 
der  Aischyleischen  Satyrdrameu  im  Verhältnis  zu  den  Trilogien,  die 


PhrynichoB,  AischjloB  und  die  Trilogie  91 

wir  noch  zu  erkennen  glauben,  zu  klein  ist,  so  meine  ich  keineswegs, 
daß  er,  wie  später  Euripides,  an  vierter  Stelle  bisweilen  eine  Tragödie 
zugefügt  hat  —  er  selbst  würde  dem  Gott  Abbruch  zu  thun  gemeint 
haben  — ,  sondern  es  werden  von  Satyrspielen  mehr  Titel  verschollen 
sein,  als  von  Tragödien. 

Oberflächlich  und  nach  der  Weise  der  alexandrinischen  Gelehrten 
betrachtet,  finden  wir  somit  bei  Aischylos  bereits  drei  Arten  von  Didas- 
kalien;  die  einen,  wo  alle  vier  Stücke  dieselbe  Geschichte  in  ihrem 
Verlauf  darstellen,  —  die  zweite,  wo  wenigstens  die  Tragödien  in  dieser 
Weise  zusammenhängen,  —  die  dritte,  wo  wie  in  den  Persern  auch 
die  Tragödien  ohne  diesen  Zusammenhang  sind.  Ausdrücklich  sage 
ich  oberflächlich  betrachtet;  denn  in  allen  drei  Fällen  finde  ich  das 
Wesentliche  in  dem  idealen  Zusammenhang  der  vier  Stücke,  den  man 
freilich  im  zweiten  und  [60]  dritten  Fall  nicht  leicht  ohne  Anleitung 
einer  erhaltenen  Didaskalie  würde  erraten  oder  wiederherstellen  können. 

Wie  verhält  es  sich  nun  mit  Sophokles,  der  Drama  gegen  Drama 
aufzuführen  begann  und  nicht,  so  sagen  die  alten  Gelehrten,  denen 
Suidas  folgt,  mit  Tetralogien  kämpfte? 

Zur  Antwort  hierauf  muß  ich  erst  etwas  anderes  besprechen.  Daß 
die  pragmatisch  zusammenhängenden  Didaskalien,  die  eigenthchen  Te- 
tralogien, nicht  ganz  abkamen,  beweist  die  Pandionis  des  Philokles; 
und  Meletos  Oidipodeia  muß  wenigstens  eine  Trilogie  gewesen  sein, 
beide  aus  der  Zeit  kurz  vor  oder  nach  Sophokles  und  Euripides  Tod. 
Verloren  gegangen  war  also  das  Bewußtsein  von  der  ursprünglichen 
Zusammengehörigkeit  der  Dramen  einer  Didaskalie  keineswegs.  Ja  daß 
auch  Sophokles  Trilogien  in  diesem  Sinn  gedichtet  hat,  ist  von  Scholl 
auf  das  glänzendste  an  dem  Aias  nachgewiesen  und  für  einige  andere 
Gedichte  wahrscheinlich  gemacht. 

Und  seine  anderen  Didaskalien  hätten  aus  vier  willkürlich  zu  ein- 
ander gewürfelten  Dramen  bestanden? 

Scholl  hat  femer  auf  überzeugende  Weise  dargethan,  daß  die 
Dramen  in  den  drei  erhaltenen  Euripideischen  Didaskalien  ohne  ge- 
schichtliche Continuität  zu  haben,  doch  in  sehr  spezifischem  inneren 
Zusammenhange  stehen.  Die  Tetralogie  der  Troaden  hat  ihren  Schwer- 
punkt in  des  Dichters  Auffassung  der  durch  die  Hermokopiden-  und 
Mysterienprozesse  wildbewegten  Zeit  ihrer  Aufführung;  die  der  Alkestis 
stellt  in  kunstreicher  Combination  eine  Galerie  weiblicher  Charaktere 
dar;  in  der  der  Medea  ist  der  gemeinsame  Gedanke  das  Band  des 
Vaterlandes  und  des  Stammblutes  auf  der  einen,  das  Fremdenlos  und 
Fremdenrecht  auf  der  andern  Seite.  Natürlich  sind  solche  Zusammen- 
hänge schwerlich  ohne  Anleitung  einer  Didaskalie  herauszustellen ;  aber 


92  Zur  griechisclien  Tragödie 

in  mehreren  Beispielen  einmal  mit  »Siüherheit  nacbgewiesen  lassen  sie 
auf  ein  allgemeines  Gesetz  schließen. 

Und  nun,  wie  verhält  sich  dies  Gesetz  zu  dem  der  Aischyleischen 
Composition?  Man  betrachte  das  allgemeine  Verhältnis  zwischen  der 
Poesie  des  Aischjlos  und  Euripides;  wenn  jener  den  Mythos,  die  heilige 
Geschichte,  in  voller  [61]  Gläubigkeit  erfaßt  und  die  Gegenwart  selbst 
mit  ihren  bestehenden  religiösen  Instituten  in  der  dramatischen  Durch- 
arbeitung der  denselben  zum  Grunde  liegenden  Sagen  gleichsam  von 
neuem  rechtfertigt  — ,  so  sieht  Euripides  dieselben  Mythen  wie  an- 
ziehende Novellen  an,  bei  denen  er  nach  seinen  weiteren  künstlerischen 
und  philosophischen  Interessen  willkürlich,  wenigstens  ohne  Rücksicht 
auf  den  heiligen  Inhalt  ab-  und  zudichtet.  In  der  Analogie  dieser 
Auffassungsweisen  sind  auch  die  Zusammenhänge  in  der  Tetralogie 
beider  Dichter.  Dem  einen  ist  es  nur  um  jenes  innerste  Walten  und 
Weben  der  ewigen  Mächte  zu  thun,  deren  Offenbarung  er  in  aller 
Dinge  Verlauf  mit  frommer  Begeisterung  wiedererkennt;  dem  andern 
existiert  dieser  Pulsschlag  höchsten  geistigen  Lebens  nicht,  nach  äußer- 
lichen Gesichtspunkten,  nach  willkürlichen  Kategorien  sucht  er  sich 
die  Stoffe  zusammen,  die  ihm  zu  Exemplifikationen  seiner  modernen 
Philosophie  dienen  sollen.  Und  doch  wird  man  nicht  verkennen,  daß 
diese  Euripideische  Weise  noch  immer  an  die  ursprüngliche  Bestimmung 
tetralogischer  und  trilogischer  Composition,  Zusammenhängendes  zu  sein, 
erinnert.  Dasselbe  weist  Scholl  (S.  166)  an  der  Didaskalie  des  Xe- 
nokles  nach,  die  „in  ihren  einzelnen  Tragödien,  obligat  den  gleichzeitigen 
Religionsprozessen  in  Athen  (415),  furchtbare  Heimsuchung  der  Gölter- 
verachtung an  dem  ganzen  Geschlecht  und  im  Satyrspiel  den  Begna- 
digungsfall des  schon  den  Göttern  verfallenen  Mannes  darstellt". 

Äußerlich  betrachtet,  fanden  wir  bei  Aischylos  drei  Formen  von 
Tetralogien;  diese  moralistische  des  Euripides  und  Xenokles  ist,  wenn 
man  will,  eine  vierte;  gewiß  eine  eigene  Gattung  ist  die,  welche  die 
Didaskalie  der  Alkestis  zeigt,  in  der  an  der  Stelle  des  Satyrspiels  eine 
Tragödie  steht. 

Und  nun  kehre  ich  wieder  zum  Sophokles  zurück.  Er  hat  wohl 
eine  neue  Gattung  von  Tetralogien  aufgebracht,  wenn  er  vier  Stücke 
ohne  allen  Zusammenhang  und  Verbindung  zu  einer  Aufführung  zu- 
sammen that?  Das  hätte  der  sinnigste  aller  Dichter  wirklich  gethan? 
hat  er,  der  weiseste  von  allen,  es  über  sich  gewinnen  können,  auch 
nur  [62]  bisweilen  den  Vorteil  dreifacher  und  vierfacher  Wirkung  auf 
einen  Punkt  hin  zu  verschmähen,  um  dafür  durch  ein  buntes  Allerlei 
verschiedenartigster  Gemütsstimmungen  und  Empfindungen,  die  sich 
gegenseitig  abstumpfen  müssen,  zu  zerstreuen?  hat  er,  der  vor  allen 


Prynichos,  AischjloB  und  die  Trilogie  98 

fromme,  nach  der  furchtbaren  unverschnldeten  Strenge  des  Schicksals 
gegen  den  König  Oidipus  ein  versöhnendes  Bild  der  ewig  gnädigen 
Mächte  zu  zeigen  sich  versagen  können?  Glaube  das,  wer  es  kann; 
für  das  Gegenteil  spricht  wenigstens  die  vollendete  und  bewußte  Kunst, 
die  der  Dichter  in  allem  anderen,  je  mehr  man  ihn  studiert,  desto  mehr 
bewährt.  Aber  freilich  mehr  als  diesen  guten  Glauben  an  seine  Kunst 
haben  wir  für  jetzt  nicht  geltend  zu  machen;  zum  Beweise  müßten 
sich  noch  neue  Quellen  erschließen;  eine  Didaskalie  wäre  hinreichend. 
Oder  würde  sie  vielleicht  noch  eine  andere  Möglichkeit  bestätigen,  etwa 
ein  harmonisch  geordnetes  Hervorrufen  unter  sich  wähl  verwandter  ästhe- 
tischer Stimmungen,  etwa  ein  Arrangement  nach  dem  Hermannsohen 
Schema  von  Auge,  Ohr,  Geist  und  Herz?  Wer  ein  Künstler  ist,  kann 
nicht  anders  als  harmonisch  Geordnetes  hervorbringen;  aber  die  sinn- 
liche Wirkung  ist  nicht  der  Zweck,  sondern  das  Mittel  des  künstlerischen 
Thuns,  und  nur  die  kokette  Kunstkennerei  liebt  es,  in  der  Anerkennt- 
nis der  „guten  Arbeit"  sich  selbst  die  Folie  nächster  Vertrautheit  mit 
dem  Thun  der  Künstler  zu  schaffen,  ohne  zu  sehen,  daß  über  das 
Lembare  hinaus  erst  die  rechte  Sphäre  des  künstlerische  i  Thuns  liegt. 
Ich  habe  diesen  Zusammenhang  der  dramatischen  Technik  und 
ihrer  allmählichen  Gestaltung  darzustellen  versucht,  um  die  Stellung, 
die  Aischylos  einnimmt,  schärfer  zu  bezeichnen.  Wir  sahen,  er  gab  der 
trilogischen  und  tetralogischen  Composition  nicht  bloß  großartigeren 
Umfang,  sondern  begründete  vor  allem  das  wesentlich  dramatische 
Interesse,  das  der  fortschreitenden,  sich  erst  entwickelnden  Handlung; 
er  minderte  den  Umfang  der  Chorgesänge,  um  ihr  Raum  zu  schaffen. 
In  dem  Wesen  der  Handlung,  wie  Aischjlos  sie  sich  gestillten  ließ, 
lag  die  Notwendigkeit,  die  gegeneinander  wirkenden  Kräfte  unmittelbar 
zur  [63]  Anschauung  zu  bringen.  Er  erfand,  heißt  es,  den  zweiten 
Schauspieler.  Aber  wie  verwandte  er  ihn?  es  drängt  sich  hier  eine 
Beobachtung  auf,  welche  wieder  für  die  Entwickeluug  der  Dramatik 
bedeutsam  ist.  Erst  in  der  Oresteia  treten  die  beiden  Personen,  in 
denen  sich  die  tragisch  gegeneinander  wirkenden  Kräfte  darstellen,  also 
Agamenmon  und  Klytaimnestra,  Klytaimnestra  und  Orestes  u.  s.  w.  un- 
mittelbar und  agierend  gegeneinander;  in  den  vier  anderen,  den  älteren 
Dramen  ist  stets  nur  die  eine  in  dem  Protagonisten  dargestellt,  wäh- 
rend die  andere  nur  in  ihren  Befehlen,  Wirkungen  u.  s.  w.  repräsen- 
tiert wird.  So  erscheint  im  gefesselten  Prometheus  des  Titanen  Gegner 
nicht  persönlich,  sondern  in  der  Eepräsentation  der  Hephaistos,  Hermes 
u.  s.  w.;  ebenso  tritt  Polyneikes  in  den  Sieben  nicht  persönlich  auf,  und 
doch  ist  die  Tragödie  gehalten  durch  den  Gegendruck  wider  ihn ;  ebenso 
wird   in   den  Persern   die  siegende  Gewalt  der  Hellenen   nur  in   der 


94  Zur  griechischen  Tragödie 

Erzählung  des  Boten  u.  s.  w.  zur  Anschauung  gebracht,  in  den  Schutz- 
flehenden die  Wildheit  der  Verfolger  nur  durch  den  Herold  vergegen- 
wärtigt. Ich  muB  hinzufügen,  daß  die  Oresteia^  obschon  sie  in  dieser 
Technik  bereits  um  einen  guten  Schritt  den  übrigen  Tragödien  voraus 
ist,  doch  nur  eine  scheinbare  Ausnahme  von  dem  Sinn,  der  dieser  Er- 
scheinung zu  Grunde  liegt,  macht  Das  ist  der  unendhche  Fortschritt 
der  Sophokleischen  Dramatik,  daß  dies  Gegeneinandertreten  der  Per- 
sonen nicht  ein  äußerliches  Nebeneinander  bleibt,  sondern  ihr  Sprechen 
selbst  Handlung,  Entwickelung,  gegenseitige  Bestimmung  und  gleichsam 
chemische  Durchdringung  ist,  während  die  Charaktere  bei  Aischylos, 
vollkommen  fertig  und  unbeweglich  in  sich,  nebeneinander  hingehen 
ohne  durch  die  Gegenseitigkeit  ihrer  Beziehungen  im  Fortschritt  des 
Dramas  aufeinander  bestimmend  und  verwandelnd  einzuwirken.  Aischy- 
los hat  Handlung,  aber  sie  liegt  bei  ihm  außerhalb  der  Darstellung, 
ja  ich  möchte  sagen,  außerhalb  der  Personen  nicht,  wohl  aber  der 
Charaktere.  Während  bei  Sophokles  das  Drama  eine  vollkommene 
Peripherie  ist,  in  der  alle  Momente  des  zusammenhängenden  und  sich 
weiterdrängenden  Verlaufes  der  unmittelbaren  Anschauung  klar  [64] 
vorliegen,  besteht  das  Aischyleische  Drama  gleichsam  nur  aus  einzelnen 
Punkten  in  dieser  Peripherie,  die  den  Blick  zwingen,  sich  die  centrale 
Kraft  zu  suchen  und  sich  in  diese  zu  versenken,  um  von  ihr  aus  den 
nur  angedeuteten  Kreis  ihrer  Äußerungen  zu  ergänzen.  So  tiefsinnig 
und  gedankenmächtig  Aischylos  ist,  seine  Kunst  ist  nur  erst  die  stili- 
sierte Symbolik  ihres  Inhalts;  Sophokles  ist  voUkommner  Künstler. 


Die  oben  entwickelten  Ansichten  über  die  Aischyleische  Poesie 
bewähren  sich  auf  das  unzweideutigste  in  der  Tetralogie  der  Perser. 
Ich  würde  ihre  Composition  und  ihren  dramatischen  Zusammenhang 
hier  ausführlicher  entwickeln,  wenn  dies  nicht  schon  von  Welcker  in 
seinem  Aufsatz  „über  die  Perser  des  Aischylos"  (Rhein.  Mus.  Bd.  5 
[Kl.  Sehr.  IV  S.  145—179])  gründlichst  geschehen  wäre.  Sehr  richtig 
hat  Welcker  erkannt,  daß  für  das  Verständnis  dieser  Dichtung  ihre 
politischen  Beziehungen  namentlich  bedeutend  seien ;  er  untersucht 
in  dieser  Hinsicht  das  Verhältnis  der  Phoinissen  des  Phrvnichos  zu  den 
Persern  des  Aischylos  und  findet,  daß  Aischylos  eben  so  für  Aristeides 
wie  Phrynichos  für  Themistokles  Partei  nahm.  Ich  glaube,  diese  Ansicht 
ist  in  dieser  Entgegenstellung  unrichtig;  eine  Übersicht  der  betrelBFenden 
Verhältnisse  wird  uns  ein  umfassenderes  Resultat  geben. 

Wir  wollen  ausgehen  von  der  Rivalität  des  Aristeides  und  Themi- 
stokles; sie  waren  die  Männer,  um  welche  sich  seit  der  salaminischen 


Phryiiichos,  Aischylos  und  die  Trilogie  95 

Schlacht  und  schon  einige  Jahre  früher  die  Politik  Athens  drehte. 
Schon  vor  derselben  hatte  Themistokles  seines  Nebenbuhlers  Ostrakis- 
mos  durchgesetzt,  aber  zur  Zeit  der  Gefahr  selbst  dessen  ßückberufung 
veranlaßt;  seitdem  standen  sie  als  Fuhrer  entgegengesetzter  Prinzipien 
einander  gegenüber.  Wenn  Themistokles  mit  dem  Siege  von  Salamis 
die  hellenische  Freiheit  gerettet  zu  haben  schien,  so  hatte  Aristeides 
in  eben  jener  Schlacht  durch  den  AngriflF  auf  Psyttaleia  dem  Siege 
erst  seine  volle  Wirkung  verschafft;  wenn  Themistokles  den  Ruhm  von 
[65]  Plataiai  nicht  mit  ihm  teilte,  so  ertrotzte  er  dafür  von  den  Spar- 
tanern das  lange  geweigerte  Zugeständnis  zur  Befestigung  Athens 
und  der  Häfen.  Aber  freilich  der  durchdringende  und  entschiedene 
Herschergeist  des  Themistokles,  sein  rasches  und  rücksichtsloses  Vor- 
wärtsdringen mußte  bald  die  Zahl  seiner  Feinde  mehren  und  ihren 
Eifer  provozieren,  während  des  Aristeides  gehaltene  Ruhe,  das  Ver- 
trauen der  eben  jetzt  unter  Athen  vereinten  Bundesgenossen  zu  seinem 
Charakter,  sowie  die  deutlich  ausgesprochene  Bevorzugung,  die  ihm 
und  seinem  jungen  Freunde  Kimon  seitens  der  Spartaner  zu  teil 
wurde,  ihn  in  den  Augen  des  Volkes  als  weit  geeigneter  zur  Führung 
des  Staates,  den  Themistokles  als  gefährlich  und  entbehrlich  erscheinen 
lassen  mochte.  So  gelang  es  den  Ostrakismos  des  Themistokles  durch- 
zusetzen. 

Plutarch  hat  im  Leben  des  Themistokles  c.  5  folgende  Notiz: 
Mxtjae  Sk  xal  xoQtjyci^v  TQaywSoTg  iaeyäkf]v  }]Si]  rdr«  anovSrjv  xai 
(piXoTifiiav  Tov  dyöHvog  H^ovrog'  xal  nivaxa  r^g  vixrjg  äve&^jxs 
T0iavT7jv  i7iiyQcc(p)jV  ixovTa'  0Bfii<TTOxi.fjg  Q>Qta^Qioq  kxoQVT^'j  ^i^v- 
vixog  iSiSccaxev,  ^ASeifiavrog  ^p/ßi'.  Adeimantos  Archontenjahr  reichte 
bis  in  den  Sommer  476,  der  Ostrakismos  dieses  Jahres,  der  wenigstens 
den  großen  Dionysien  vorausging,  hatte  ihn  noch  nicht  verbannt.  Im 
1 7.  Kapitel  sagt  Plutarch,  daß  bei  den  nach  dem  Perserkriege  nächsten 
Olympien  Themistokles  Gegenstand  allgemeiner  Bewunderung  gewesen 
sei;  diese  waren  im  Sommer  476®,  und  es  ist  wohl  denkbar,  daß  diese 


^  Ungefähr  auf  dieselbe  Zeit  fuhrt  das  Bruchstück  des  Timokreon  bei  Flut. 
Them.  c.  21 


iikX'  el  TVffB  HavaoLviav  7/  xal  rvyB  ^ut'ffiTrnoy  uiviei^ 
fj  Tvye  Aeviv^idav,  eyw  d'  ÄQiaiBi&av  bnnipscj 
[79]  äyög'   ieqav    cm    Ä&avav 
ikäslv  Bvn  Icaaiov  x  t  l. 

Dies  führt  auf  die  Zeit  nach  477,  denn  in  diesem  Jahre  hatte  Aristeides  mit 
Kimon  die  attischen  Schiflfe  der  Bundesflotte  unter  Pausanias  Oberbefehl  zuge- 
führt (Plut.  Arist.  23).  Weiter  schimpft  dann  Timokreon  auf  Themistokles  und 
sein  gewaltsames  Verfahren  in  Beziehung  auf  Rhudos 


96  Zur  griechischen  Tragödie 

Übergroße  Teilnahme  der  Hellenen  für  ihn  den  Athenern  ein  AnlaB 
mehr  war,  gegen  ihn  mißtrauisch  zu  sein;  bei  solcher  Stimmung  des 
Volkes  konnte  es  gelingen,  den  Ostrakismos  durchzusetzen.  Als  er  nun 
verbannt  in  Argos  lebte,  wandte  sich  Pausanias  der  Spartaner  an  ihn 
mit  geheimer  Botschaft  von  seiner  Verbindung  mit  dem  Perserkönij^e, 
zu  der  er  auch  jenen  einlud.  Pausanias  hatte  diese  Verbindung  mit 
dem  Könige  bereits  477  nach  der  Einnahme  von  Byzanz  eingeleitet; 
er  wurde  zurückberufen  und  obschon  ihm  nichts  nachgewiesen  werden 
konnte,  doch  nicht  wieder  an  die  Spitze  des  Heeres  gestellt,  dem  sich 
eben  jetzt  die  [66]  Bundesgenossen  entzogen  hatten,  um  unter  athe- 
nischer Führung  den  Krieg  fortzusetzen.  Dennoch  kehrte  Pausanias 
476  nach  Byzanz  zurück;  aber  von  den  Verbündeten  gezwungen  die 
Stadt  zu  verlassen,  ging  er  nach  dem  Gebiet  von  Troas  dort  seine 
Unterhandlungen  mit  Persien  fortzusetzen,  vermählte  sich  mit  der 
Tochter  des  Achaimeniden  Megabates  (Herod.  V  32),  traf  alle  weiteren 
Veranstaltungen  zur  Verknechtung  Griechenlands.  Zum  zweitenmal 
forderten  die  Ephoren  ihn  nach  Sparta  (475),  und  er  folgte,  um  nicht 
dem  Verdacht  Vorschub  zu  leisten  und  in  der  Hofhung,  durch  sein 
Gold  jede  Anklage  niederzuschlagen  (Thucyd.  I  131);  man  warf  ihn  ins 
Gefängnis,  aber  er  bewirkte,  daß  man  ihn  wieder  losließ,  und  erklärte 
sich  bereit  denen,  die  ihn  eines  Vergehens  zeihen  wollten,  sich  vor 
Gericht  zu  stellen.  Während  diese  Untersuchung  mit  großer  Bedacht- 
samkeit und  Langsamkeit  geführt  wurde  (Thucyd.  a.  a.  0.),  begann  Pausa- 
nias die  heimliche  Aufregung  der  Heloten,  von  der  auch  Aristoteles 
(Polit.  V  1)  weiß.  Erst  jetzt  wird  Pausanias  seine  Eröffnungen  an 
Themistokles  den  Verbannten  gemacht  haben;  es  kann  dies  nicht  füglich 


Tovg  fiBv  xaiayojv  udUütgj  tovg  S*  ixdidtxfoVf  tov^  öe  xaivay 

HQY'^Qefüv  vn6nXeb)Q'  'la^fioi  öe  napöoxee  feXoibig 

rffvxQci  xqia  naqBx<ov' 

oi  d'  rja&iovy  xevxoyio  fir^  iaqav   SefjiaToxlevg  ysydad-at. 

Die  isthmischen  Spiele,  auf  welchen  diese  Speisung  durch  Themistokles  veran- 
staltet worden  —  ähnliches  hatte  er  schon  früher  bei  den  Olympien  gethan 
(Plut  Them.  c.  5)  — ,  müssen  nach  480  sein;  es  waren  entwedcrdie  von  Ol.  76  1 
oder  76  3,  das  heißt  entweder  im  Sommer  476  oder  474.  Timokreon  nennt  den 
Themistokles  in  eben  jenem  Fragment 

^evcnayy  udixoVj  ngoSorav, 

was  man  gern  auf  die  schon  bekannte  Verbindung  mit  Pausanias  beziehen  würde^ 
wenn  nicht  Plutarch  ausdrücklich  dies  Bruchstück  als  vor  der  Verbannung  ge- 
schrieben bezeichnete.  Die  Art,  wie  Pausanias  hier  noch  erwähnt  wird,  scheint 
wahrscheinlich  zu  machen,  daß  die  Isthmien  von  476  gemeint  sind;  wären  es 
die  von  474,  so  könnte  Themistokles  nicht  vor  Anfang  478  verbannt  sein,  was. 
wie  sich  unten  zeigen  wird,  höchst  unwahrscheinlich  ist. 


Phrynichos,  Aischylos  und  die  Trilogie  97 

vor   474  gewesen  sein.     Der  Ostrakismos  des  Themistokles  ist  somit 
entweder  im  Anfang  des  Jahres  475  oder  des  Jahres  474  erfolgt. 

Man  nimmt  allgemein  und  wohl  mit  vollstem  Hecht  an,  daß  in 
der  oben  angeführten  Choregie  des  Themistokles  im  Frühling  476  die 
Phoinissen  des  Phrynichos  aufgeführt  wurden.  Unter  dieser  An- 
nahme in  der  That  eine  merkwürdige  Feier;  der  Sieger  von  Salamis 
selbst  war  es,  der  die  Tragödie  von  seinem  Siege  in  glänzender  Cho- 
regie dem  Volke  vorführte.  Und  er,  dessen  That,  wie  die  Tragödie 
zeigte,  das  weite  Asien  durchschüttert  und  die  Burg  von  Susa  mit 
Jammer  erfüllt  hatte,  er  mußte  schon  zu  solchen  Mitteln  greifen 
sein  wankendes  Ansehen  zu  erneuen;  schon  wurde  er,  sagt  Plutarch 
(c.  22),  so  oft  und  so  arg  bei  seinen  Mitbürgern  verschwärzt,  daß  er 
genötigt  war  mit  öfterer  Erwähnung  seiner  Thaten  lästig  zu  werden; 
und  da  man  ihm  dies  übel  deutete,  sprach  er:  seid  ihr  es  denn  müde 
das  Gute  von  denselben  Händen  fort  und  fort  zu  [67]  empfangen? 
Lehrreich  ist  diese  Bezüglichkeit  zugleich  für  die  Charakteristik  des 
Phrynichos.  Seine  Tragödie  Synthoken  Phoinissen  Perser  begann,  wie 
wir  sahen,  mit  dem  Bericht  des  Eunuchen  von  der  Niederlage  und 
schloß  mit  dem  Auftreten  des  Xerxes  und  des  mit  ihm  geflüchteten 
Perserchors.  Da  konnte  also  nur  von  dem  Verlauf  des  Krieges  bis 
zur  Salaminischen  Niederlage  die  Rede  sein;  die  Schlacht  von  Plataiai, 
die  Aristeides  Ruhm  war,  lag  außer  dem  Bereich  seiner  Darstellung; 
sie-  reichte  nur  so  weit  als  seines  Choregen  Themistokles  ruhmwürdige 
Leitung  des  Kampfes.  Daß  aber  Phrynichos,  den  wir  hier  ganz  dem 
Interesse  des  Themistokles  hingegeben  sehen,  eben  der  Parteiansreh t, 
die  dieser  vertrat,  angehörte,  erkennen  wir  aus  einem  anderen  Beispiel 
deutlich  genug.  Oder  in  welchem  Sinne  sonst  hatte  er  die  ähorng 
MtXfjTov  dichten  können?  War  es  denn  im  Sinne  des  Themistokles 
gehandelt,  wenn  man  die  stammverwandten  Hellenen  der  asiatischen 
Küste,  denen  man  anfangs  Beistand  geleistet  hatte,  dann  verließ  und 
durch  vorsorgliche,  selbstsüchtige  Teilnahmlosigkeit  der  Wut  der  Bar- 
baren überantwortete?  und  welche  Parteiansicht  beherrschte  damals 
das  Volk,  als  es  durch  Phrynichos  erschütternde  Darstellung  gerührt 
dennoch  den  hochherzigen  Dichter  zu  einer  Geldbuße  verurteilte?  The- 
mistokles wetteiferte  bereits  in  der  marathonischen  Schlacht,  vier  Jahre 
nach  dem  Falle  von  Miletos,  mit  Aristeides  an  Tapferkeit,  ja  schon  vor 
derselben  hatte  er  die  hohe  Würde  eines  Archen  bekleidet  und  die  ersten 
Anfange  gemacht  dem  Staate  die  Richtung  auf  das  Seewesen  zu  geben, 
welche   die   entgegenstehende  Partei  zurückzudrängen  sich  bemühte'; 

^  £b  ist  das  ausdrückliche  Zeugnis  des  Dionys.  ant  VI  84,  daß  Themi- 
stokles Ol.  71  4  d.  i.  493  Archon  war;  freilich  könnte  dieser  ein  anderer  gleichen 

Droysen,  KI.  Schriften    II.  7 


98  Zur  griechischen  Tragödie 

bald  nach  der  Schlacht  trat  gegen  Miltiades  Xanthippos  des  Perikles 
Vater  auf  und  setzte  dessen  Verurteilung  wegen  des  parischen  Seezugres 
durch.  Wohl  also  war  um  die  Zeit  der  marathonischen  Schlacht  schon 
eine  Partei  kühner  vorwärtsdrängender  Männer  da,  der  sich  Phrynichos 
anschließen,  von  der  getragen  Themistokles  seinem  Volk  die  größten 
Anstrengungen  und  Opfer  zumuten  konnte,  um  es  zu  dem  glorreichen 
Kampf  gegen  Persien  vorzubereiten  und  zu  befähigen.  Ihm  dankt  das 
Volk  [68]  nach  dem  marathonischen  Siege  die  Begründung  einer  See- 
macht, welche  bei  Salamis  Griechenland  rettete.  Aber  die  Entfernung 
der  Gefahr  gab  der  ruhigeren  Partei  bald  wieder  das  Übergewicht, 
umsonst  verbanden  sich  Themistokles  und  Phrynichos  in  der  Dionysos- 
feier 476.  den  Sieg  zu  verherrlichen,  den  man  dem  rüstigen  Vorwärts- 
schreiten allein  zu  verdanken  schien;  der  Feldherr  wurde  des  Landes 
verwiesen,  und  der  Dichter  ging  nach  Sicilien,  an  den  Hof  des  mäch- 
tigen Hieron,  wie  es  scheint  (Anon.  de  com.  bei  Meineke  I  S.  536). 

Namens  gewesen  sein,  aber  ein  so  viel  mir  bekannt  stets  übersehenes  Zeugnis 
spricht  für  die  Identität;  es  ist  das  des  fast  gleichzeitigen  Stesimbrotos  von  Thasos. 
Plntarch  (Themist  c.  4)  spricht  nicht  ohne  vielfache  Confusion  davon,  daß  The- 
mistokles die  Athener  zum  Bau  von  Schiffen  veranlaßt  und  dem  Seemannsleben 
zugewandt  habe:  ^qa^e  de  Tavta  JüfiXjiaöov  KgaTr/aag  avtiXeYOVTOg ,  ag  ärroQ^t 
ZxrjtrLußqotog.  Wann  kann  denn  nun  Miltiades  widersprochen  haben?  Nach 
der  marathonischen  Schlacht  zog  er  gegen  Faros  und  da  er  nach  Com.  Nep.  7 
eine  zufällige  Feuersbrunst  in  der  Feme  für  ein  Signal  der  nahen  Perserflotte 
halten  konnte,  so  wird  wohl  dieser  Zug  der  im  hohen  Sommer  gelieferten  Schlacht 
bald  gefolgt  sein.  Seiner  Rückkehr  folgte  die  Anklage,  gegen  die  er  durch 
seine  Fußwunde  gehindert  nicht  selbst  sich  verteidigen  konnte,  und  bald  sein  Tod 
an  eben  dieser  Wunde,  die  sich  entzündet  hatte.  Also  vor  dem  [80]  maratho- 
nischen Kriege  ist  jene  Verhandlung  mit  Themistokles  gepflogen,  und  er  hat 
seinen  Plan  durchgesetzt;  und  siehe  da,  während  die  Athener  im  Kriege  gegen 
die  Aigineten  (491/2)  fünfzig  Schiffe  besaßen  (Heiod.  VI  89),  begehrte  Miltiades 
zu  seiner  parischen  Expedition  siebzig  Schiffe  und  erhielt  sie.  Somit  scheint  es 
vollkommen  sicher,  daß  Themistokles  Ol.  71  4  d.  i.  493/2  Archon  war;  er  b^ann 
damals  den  Bau  des  Peiraieus  (Thucyd.  I  98),  der  dann  freilich  geraume  Zeit 
liegen  blieb;  auch  die  Vermehrung  der  Flotte  datiert  unzweifelhaft  von  seinem 
Archontenamte,  wenn  schon  die  nächsten  Jahre  vor  dem  salaminischen  Kriege 
erst  die  lebhaftere  und  anhaltendere  Mehrung  aus  den  laurischen  Geldern  ver- 
anlaßt haben  werden.  Ich  will  die  Einzelheiten,  die  man  zum  Teil  mit  Spitz- 
findigkeit gegen  die  Angabe  des  Dionys  geltend  gemacht  hat,  für  jetzt  nicht 
weiter  durchnehmen;  sie  lassen  sich  übrigens  sämtlich  mit  der  aufgestellten 
Ansicht  sehr  wohl  vereinigen.  Ich  mache  nur  darauf  noch  aufmerksam,  daß 
man  sich  die  Kivalität  des  Aristeides  und  Themistokles  stets  gegenwärtig  halten, 
sich  auch  erinnern  muß,  daß  Aristeides,  durch  den  Ostrakismos  verbannt,  von 
Aigina  ziur  salaminischen  Sehlacht  kam;  so  oft  und  so  lange  sein  Ansehen 
prävalierte,  konnte  von  erneutem  Angriff  der  Athener  gegen  Aigina  nicht  die 
Rede  sein.  [Die  Vermehrung  der  Flotte  gehört  nach  Aristot.  nol.  Ä&.  22  erst 
in  das  Jahr  483/2.     E.  M.] 


Phryniohos,  Aischylos  und  die  Trilogie  99 

Zwei  Jahre  etwa  Dach  der  Yerweisimg  des  Themistokles,  in  den 
Dionysien  des  Jahres  472  führce  Aischylos  seine  Tetralogie  der  Ferser 
anf^.  Betrachten  wir  wie  sich  die  hellenischen  Verhältnisse  gestalteten; 
die  Schlacht  am  Eurymedon  mag,  da  ihre  Chronologie  endlich  als  fest- 
stehend angesehen  werden  darf,  als  nächster  Grenzpnnkt  gelten;  sie 
fiel  in  Ol.  77  3,  in  die  erste  Hälfte  des  Jahres  469. 

Themistokles  war,  wie  wir  oben  sahen,  von  Fausanias  znr  Teil- 
nahme an  der  heimlichen  Verbindung  mit  Fersien  aufgefordert  worden; 
war  er  auch  nicht  auf  diese  Anträge  eingegangen,  so  hattte  er  doch 
wenigstens  nicht  Anzeige  davon  gemacht,  und  die  Spartaner  fanden 
bei  der  Untersuchung  gegen  Fausanias  Documente  vor,  welche  sie  in 
den  Stand  setzten  in  Athen  für  Themistokles  dieselbe  Strafe,  die  ihr 
Feldherr  gelitten  hatte,  zu  beantragen.  Da  sandten  die  Athener  in 
Verbindung  mit  den  Spartanern  Leute  aus  den  Themistokles  zu  greifen, 
wo  sie  ihn  träfen.  Themistokles  flüchtete  aus  Argos  nach  Eerkyra, 
von  dort  zum  König  der  Molosser,  der,  obschon  ihm  sonst  feind,  ihn 
den  Spartanern  und  Athenern  nicht  auslieferte,  sondern  nach  Fydna 
sandte,  von  wo  Themistokles  zum  Ferserkönige  zu  fliehen  gedachte. 
Unter  mannigfachen  Gefahren  —  ein  Sturm  trieb  ihn  nach  Naxos,  das 
eben  von  einer  attischen  Flotte  umlagert  wurde  —  gelangte  er  an  die 
asiatische  Küste,  zog  dann  mit  einem  Ferser  nach  den  oberen  Frovinzen 
und  richtete  ein  Schreiben  an  den  König  Artaxerxes,  der  eben  jetzt 
seinem  Vater  Xerxes  gefolgt  war,  des  Inhaltes,  „daß  er  schon  sonst 
den  Fersem  wichtige  Dienste  geleistet  habe  und  [69]  jetzt  deren  noch 
größere  in  Beziehung  auf  die  Bewältigung  der  Griechen  leisten  könne, 
und  daß  er  nach  Jahresfrist  dem  Könige  seine  Fläne  eröffnen  werde". 
Nachdem  er  sich  in  dieser  Zeit  mit  der  Sprache  und  den  Sitten  der  Ferser 
vertraut  gemacht,  erschien  er  bei  dem  Hofe  und  erlangte  das  höchste 
Ansehen,  besonders  auch  dadurch,  daß  er  dem  Könige  Hoffnung  machte 
ihm  die  hellenischen  Staaten  zu  unterwerfen.  So  Thucydides  I  137  ff.; 
er  fügt  hinzu:  „er  starb  an  einer  Krankheit;  nach  einigen  Berichten 
hingegen  soll  er  sich  durch  Gift  getötet  haben,  weil  er  sich  außer 
stände  glaubte  dem  Könige  seine  Versprechungen  zu  erfüllen  . . .;  sein 
Grabmal  steht  in  Magnesia,  denn  er  war  Herr  (^p/a)  dieser  Gegend 


^  Ich  führe  als  die  Zeit  der  Aufführung  die  großen  Dionysien  an,  weil  es 
mir  vorkommen  will,  als  wenn  in  diesen  Zeiten  die  neuen  und  großartigen  Auf- 
fuhrungen nur  an  diesem  Feste  vorgekommen  seien.  Wären  die  Perser  aber 
auch  in  den  Lenaien,  etwa  zwei  Monate  früher,  aufgeführt,  so  würden  die  mit- 
geteilten Combinationen  dadurch  nicht  beeinträchtigt;  an  eine  Aufführung  in  den 
herbstlichen  Dionysien  etwa  im  November  472  ist  nicht  fÜglicb  zu  denken;  sie 
würde  die  im  Text  anzustellenden  Betrachtungen  sehr  erleichtert  haben. 

7* 


100  Zur  griechischen  Tragödie 

gewesen,  da  ihm  der  König  Magnesia,  Lampsakos  und  Myus  zugewiesen 
hatte".  Mannigfach  abweichend  sind  die  späteren  Nachrichten;  nament- 
ich  geben  sie  an,  daß  Themistokles  noch  an  Xerxes  Hof  gekommen 
sei;  aber  das  schon  vollgültige  Zeugnis  des  Thucydides  ägnifinat  ygäfji' 
fiara  (bg  ßaaiXia  !AQTO^iQ^i]v  rov  S^o^ov  vb(0(Tti  ßaatXtvovra  wird 
durch  einen  Zeitgenossen,  der  unter  persischer  Hoheit  lebte,  durch 
Charon  von  Lampsakos  (bei  Plut.  Them.  c.  27)  hinlänglich  gesichert. 
Aber  freilich  ist,  wenn  wir  diesem  Zeugnisse  folgen,  der  Regierungs- 
anfang des  Artaxerxes,  den  alle  späteren  Autoren  mehrere  Jahre  später 
ansetzten,  aus  der  Geschichte  des  Themistokles  selbst  erst  zu  entnehmen. 
Die  Angabe  des  Thucydides,  er  habe  sich  vergiftet  äSivarov  vofiiaavrcc 
aivai  kniTBUrrai  ßaatlel  &  vni(TXBTO,üniet  sich  beiPlutarch(Them.c.31) 
weiter  ausgeführt:  Y<T(og  ^Uv  ovx  icpixrdv  rjyovfjievog  t6  ä()yov,  äkko}^ 
TB  fisyakovis  Tfj(i  'EkXa8oq  hxovmiq  atQarriyovq  rdr«  xai  Ktficovoi^ 
v7i6Q(pv(Oi^  Bi)7JixeQovvTog  hv  Toig  'EX?^7]vixoig,  Ja  wir  finden  eine  höchst 
lehrreiche  Notiz  bei  Suidas  v.  Kifiorv*  Kifimv  MiknäSov  knl  rovg  avv 
0Bfjn(TTOxlBi  xaTeX&övTccg  ßagßäQovg  ^<tt QccHjyfjGBv.  Dieser  Feldzug 
ist  kein  anderer  als  der,  welcher  mit  der  glorreichen  Schlacht  am 
Eurymedon  (Frühling  469)  endete;  ein  mächtiges  Landheer,  eine  mäch- 
tige Flotte  war  schon  bis  Pamphylien  vorgegangen,  um  dann  von 
Themistokles  geleitet  nach  Europa  hinüberzugehen;  aber  Themistokles 
gewann  es  nicht  über  sich  gegen  sein  Vaterland  zu  kämpfen,  [70]  mag 
er  Gift  genommen,  mag  ein  natürlicher  Tod  ihn  erlöst  haben.  Noch 
muß  angeführt  werden,  daß  Diodor  (XI  58)  „nach  einigen  Geschichts- 
schreibern" berichtet,  Xerxes  (nach  der  falschen  Chronologie  der  späteren) 
sei,  da  Themistokles  gestorben,  von  seinem  Vorhaben  gegen  Griechen- 
land zu  ziehen  abgestanden.  Dies  wird  glaublich,  wenn  man  bei  Plutarch 
(Cim.  c.  12)  liest,  daß  ein  großes  Perserheer  in  Pamphylien  stehe  {itpe- 
Sqbvbiv  nBQl  UafKpvXiav  fiByüXm  argarq  xai  vuval  itoXkaiq)  und  daß 
Kimon,  obschon  davon  unterrichtet,  sich  (nach  Diod.  XI  60)  erst  noch 
in  Besitz  der  Städte  Kariens  und  Lykiens  zum  Teil  durch  Belagerung 
setzte.  So  meine  ich,  daß  Themistokles  Tod  im  Winter  von  Ol,  77  3 
erfolgt  ist,  als  schon  Kimon  mit  seiner  Seemacht  an  der  karischen 
Küste  erschienen,  die  persischen  Streitkräfte  in  Pamphylien  zusammen- 
gezogen waren.  Die  Perser  hatten  nach  ihrer  Weise  zu  diesen  Rüstungen 
gewiß  ein  Jahr  gebraucht,  und  der  Plan  des  Themistokles  war  nicht 
später  als  am  Ende  des  Jahres  471  zur  näheren  Beratung  genommen. 
Ein  Jahr  Frist  hatte  er  sich  beim  Könige  ausbedungen,  er  konnte 
also  nicht  später  als  gegen  das  Ende  von  472  am  Hofe  in  Susa  er- 
schienen sein;  wohl  aber  mehrere  Monate  früher;  darauf  führt  die  Angabe 
des  Thucydides:  ätpixdixBvog  ök  fiarä  rdv  kviccvxbv  yiyvBxm  naq  avxtp 


PhrynichoB,  Aischylos  und  die  Trilogie  101 

(dem  Könige)  [üyai^  xal  Üaoq  ovSBiq  mo  nSv  'EXX/jvtoVf  und  nicht 
weniger  Plutarchs  Angabe  (Them.  c.  29),  daß  viele  Veränderungen  bei 
Hofe  und  in  der  Umgebung  des  Königs  vor  sich  gingen,  die  man 
seinem  Einfluß  zuschrieb,  und  daß  er  in  des  Königs  Nähe  bei  Festen 
und  Jagden  war,  auch  der  Königin  Mutter  Gesellschaft  leisten  mußte 
ja  den  Unterricht  der  Magier  mit  des  Königs  Erlaubnis  hören  durfte. 
Nehmen  wir  also  an,  daß  Themistokles  etwa  inmitten  des  Sonmiers  472 
in  Susa  erschien,  so  kann,  da  die  Reise  dorthin  mehrere  Monate  dauerte, 
und  durch  die  Art,  wie  Themistokles  reiste,  neue  Verzögerungen  er- 
halten mußto,  seine  Ankunft  in  Kyme  wohl  nicht  früher  als  Ende  473 
erfolgt  sein.  Damals  wurde  Naxos  belagert,  damals  ungefähr  ward 
Xerxes  ermordet.  Nach  Kyme  war  Themistokles  über  Pydna,  das 
Molosserland,  Kerkyra  unter  mannigfachen  [71]  Gefahren  geflüchtet; 
bei  Admetos  hatte  er  lange  genug  geweilt,  daß  ihm  Weib  und  Kind 
nachgesandt  werden  konnten  (Stesimbrotos  bei  Plut.  c.  29);  seine  Ver- 
folgung war  erst  nach  dem  über  Pausanias  verhängten  Tod  begonnen 
worden.  War  dieser  etwa  im  ersten  Viertel  des  Jahres  473  condem- 
niert  worden,  so  hatte  er,  da  sein  Prozeß  mit  großer  Langsamkeit  ge- 
führt wurde,  im  Laufe  des  Jahres  474  seine  Eröfi&iungen  an  The- 
mistokles gemacht,  der  während  seiner  Verbannung  in  Argos  bereits 
mehrfach  Eeisen  im  Peloponnes  umher  gemacht  hatte;  da  Themistokles 
somit  schon  geraume  Zeit  in  Argos  gewesen  sein  muß,  so  wird  sein 
Ostrakismos  im  Anfang  des  Jahres  475  verhängt  worden  sein,  etwa 
sechs  Monate  nach  den  oben  besprochenen  olympischen  und  isthmischen 
Spielen,  nicht  voll  ein  Jahr  nach  der  Choregie  für  Phrynichos. 

In  dem  Zusammenhang  dieser  Verhältnisse  glaube  ich  die  Perser- 
tetralogie des  Aischylos,  die  im  Frühjahr  472  aufgeführt  wurde,  ver- 
stehen zu  müssen.  Auf  Forderung  der  Spartaner  war  Themistokles 
wegen  landesverräterischer  Verbindung  mit  Pausanias  und  dem  Groß- 
könig durch  Leobotes  den  Sohn  des  Alkmaion  auf  den  Tod  verklagt 
und,  wie  man  aus  allem  weiteren  sieht,  in  contumaciam  zum  Tode 
verdammt  worden,  Frühling  473;  nun  war  er  für  Athen  politisch  tot. 
Aber  es  standen  noch  manche  seiner  alten  Freunde  in  Athen  mit  ihm 
in  heimlicher  Verbindung;  Epikrates  sandte  ihm  Weib  und  Kind  nach, 
aber  er  wurde  von  Kimon  verklagt  und  zum  Tode  gebracht.  Man  ist  ge- 
neigt zu  fragen,  ob  denn  dieser  Liebesdienst  oder  auch  die  Nachsendung 
seines  Geldes,  wenn  auch  sie  Epikrates  besorgt  hatte,  ein  todwürdiges 
Verbrechen  war?  {Ißd-e  yag  avrm  jjareoov  ix  r«  'A&ijv&v  naQcc  röv 
(fiXcjv  xal  i|  A^yov^  a  vitB^ixsiro  Thucyd.  I  137).  Es  scheint  uns 
hier  aus  einer  großen  Reihe  von  Verhältnissen  ein  unbedeutendes 
Bruchstück  erhalten  zu  sein;  jenes  Todesurteil  gegen  Epikrates  muß 


102  2iur  griechischen  Tragödie 

anders  motiviert  gewesen  sein;  es  wird  sich  darauf  gestützt  haben,  daß 
Epikrates  eben  mit  Themistokles  in  Verbindung  stehe,  der  ja  schon 
im  Verhältnis  zu  Fausanias  als  Verrater  bekannt  geworden  sei  und 
durch  seine  Flucht  [72]  ein  Bekenntnis  seines  Schuldbewußtseins  ab- 
gelegt habe,  der  nun  gar  vom  Admet  hinweg  nach  Asien  gegangen 
sei,  —  ja  man  wird  sich  auf  jenen  Plan  berufen  haben,  den  Themi- 
stokles dem  Großkönige  zur  Verknechtung  von  Hellas  vorschlagen  wolle 
oder  vielleicht  schon  (in  dem  vorausgesandten  Schreiben  bei  ThucI  137) 
vorgeschlagen  habe.  Man  wird  die  alten  Freunde  des  Themistokles  mit 
in  den  Plan  verwickelt  genannt,  Verrat  in  der  eigenen  Stadt  gearg- 
wöhnt haben;  und  Kimon  war  es,  der  den  Epikrates  zum  Tode  brachte! 
Was  man  sich  von  Themistokles  versehen  mochte,  lehrt  eine  Angabe 
des  Stesimbrotos,  die  wenigstens  als  Grerücht  in  jener  Zeit  —  und 
Stesimbrotos  gehört  ihr  ja  als  ein  jüngerer  an  —  gegolten  hal)en  muß; 
Themistokles,  heißt  es,  sei  vom  Admet  zuerst  nach  Sicilien  zum  Hieron 
gegangen,  habe  um  dessen  Tochter  geworben  und  sich  anheischig  ge- 
macht ihm  Hellas  unterthänig  zu  machen;  da  zurückgewiesen  sei  er 
erst  nach  Asien  geeilt.  Man  sieht,  der  Blick  der  Athener  verfolgt  in 
banger  Erwartung  den  gewaltigen  Mann  wie  eine  furchtbare  Wetter- 
wolke, die  sich  unheildrauend  her-  und  hinzieht,  und  die  man  in 
jedem  Moment  sich  allverderblich  entladen  zu  sehen  fürchtet 

Eben  in  dieser  Zeit  (473)  war  im  hohen  Persien  der  König  Xerxes, 
der  terror  ante  gentium,  hello  in  Oraedam  infelioiter  gesto  etiam  suis 
coniemtui  esse  coepii  (Justin.  lU  1),  ermordet  worden;  sein  noch  junger 
Sohn  Artaierxes  hatte  die  Tiara  erhalten  und  gleich  in  der  Bestrafung 
des  Rädelsführers  seine  Energie  bewährt.  Wohl  ist  es  glaublich,  daß 
die  edlen  Perser  vor  Begier  brannten  die  Schmach  von  Salamis  zu 
rächen  und  die  verlorenen  Gebiete  am  hellenischen  Meere  wieder  zu 
gewinnen.  Und  eben  jetzt  kam,  von  den  verblendeten  Athenern  ver- 
bannt und  verdammt,  der  Held  von  Salamis  gen  Persien,  bereit  den 
Barbaren  den  Weg  zum  Siege  über  sein  undankbares  Vaterland  zu 
zeigen;  den  Athenern  aber  mußten  die  Vorgange  in  Asien,  die  kriege- 
rische Stimmung  der  persischen  Großen,  wenn  auch  noch  nicht  Xerxes 
Tod  bekannt  sein.  Nun  vergegenwärtige  man  sich  die  Stimmung,  die 
in  Athen  zur  Zeit  der  Perseraufführung  (März  472)  herrschen  mochte. 
Man  wußte  nun  [73]  schon,  daß  Themistokles  allen  Bemühungen  und 
Nachstellungen  zum  Trotz  mitten  durch  die  athenische  Flotte  vor 
Naxos  glücklich  nach  Asien  entkommen  sei;  er,  dem  man  allein  die 
Befreiung  Griechenlands  dankte,  war  nun  bei  den  Persern;  und  hart 
genug  war  er  von  seinem  Vaterlande  behandelt,  um  die  gegen  ihn  ge- 
richteten Beschuldigungen  nun  auch  wahr  zu  machen;  mit  Freuden 


Phiynichoe,  Aiscbylos  und  die  Trilogie  103 

werden  ihn  die  Perser  anfnehmen  und  wie  sie  einst  von  Hippias  ge- 
leitet bei  Marathon  gelandet,  so  unter  seiner,  des  unübertroffenen  und 
kühnen  Feldherm  Leitung  gen  Athen  heranstürmen.  Wer  wird  dann 
den  Staat  retten?  wer  soll  Führer  sein?  wer  wird  gegen  Themistokles 
das  Feld  zu  halten  vermögen?  wer  den  mächtigen  Funierschiffen  sich 
entgegen  wagen,  wenn  sie  der  Held  von  Salamis  führt?  Und  schon 
sind  die  Bündner  vielerorten  schwierig,  noch  hält  sich  persische  Be- 
satzung auf  dem  Chersones  und  die  thraldschen  Völker  hangen  ihnen 
an  (Plut.  Cim.  c.  13);  die  Thessalier,  die  Thebaner  werden  sogleich  ihre 
alte  Freundschaft  mit  den  Persern  erneuen;  die  Spartaner,  auf  die 
rasch  emporblühende  Macht  der  attischen  Demokratie  sichtlich  eifer- 
süchtig, werden  sich  noch  weniger  wie  bei  Marathon  und  Plataiai 
beeifern  Beistand  zu  leisten;  Athen  wird  allein  den  Barbaren  gegen- 
überstehen und  dem  größten  Feldherrn,  dem  Themistokles  gegenüber 
rPittungslos  erliegen. 

Wohl  mochte  es  bei  so  banger  Stimmung  der  Menge  an  der  Zeit 
sein,  dieselbe  durch  die  Erinnerung  an  die  schnelle  und  völlige  Be- 
wältigung der  Perser  im  letzten  Kriege  zu  ermutigen,  darzustellen, 
daß  nicht  die  Zufälligkeit  eines  einmaligen  Sieges  Hellas  gerettet  habe, 
sondern  daß  eine  höhere  Sicherung  für  das  freie  Hellenenvolk  da  sei, 
daß  die  ewigen  Bestimmungen  des  Verhängnisses,  die  großen  und  all- 
gemeinen Gesetze  der  Geschichte  den  Barbaren  die  Herrschaft  diesseits 
der  Meere  versagen.  Diese  ewigen  Gesetze,  nicht  die  That  des  Themi- 
stokles, so  stellt  es  Aischylos  dar,  haben  Griechenlands  Freiheit  ge- 
rettet; sie  haben  in  einer  Reihe  glänzender  Thaten  und  unerwarteter, 
durch  keines  Menschen  Klugheit  herbeigeführter  Ereignisse  sich  selbst 
bewahrheitet  Nicht  bloß  den  (durch  [74]  Themistokles)  erzwungenen 
Angriff  bei  Salamis,  auch  den  kühnen  Kampf  (des  Aristeides)  bei 
Psyttaleia,  die  Hungers-  und  Wassersnot  des  zurückfliehenden  Heeres, 
die  verräterische  herbstliche  Eisdecke  über  den  Strymon,  den  neuen  Sieg 
(des  Aristeides  und  Pausanias)  bei  Plataiai,  dies  alles  miteinander  haben 
die  ewigen  Götter  zur  Errettung  der  Hellenen  gewährt;  ihre  Götter 
und  ihr  Land  kämpfen  mit  ihnen  und  für  sie  (Aischylos  Perser  775). 
Wie  will  man  da  noch  mutlos  sein?  wie  um  des  einen  Mannes  willen 
zagen,  der  gegen  die  heilige  Muttererde  zu  kämpfen  denkt?  Ja  die 
Perser  selbst  werden  nicht  noch  einmal  einen  Kampf  wagen,  von  dem 
sie  erkannt  haben  müssen,  daß  er  ihnen  nimmer  glücken  wird;  unge- 
heure Verluste  haben  sie  im  hellenischen  Lande  erlitten,  alle  ihre 
tapfersten  und  edelsten  Führer  sind  umgekommen,  ihre  Völkerheere 
sind  wie  Spreu  zerstoben  und  wie  Schnee  geschmolzen;  ihr  Hochmut 
und  ihr  Mut  ist  gebrochen,  die  Völker  selbst  beginnen'  sich  gegen  das 


104  Zur  griechischen  Tragödie 

ihnen  aufgebürdete  Joch  aufzulehnen  (Perser  578  flF.).    Vor  den  Persem 
mag  Hellas,  mag  Athen  ohne  Furcht  sein. 

In  diesem  Sinne,  meine  ich,  hat  Aischylos  seine  Tetralogie  ge- 
dichtet In  den  verlorenen  Teilen  derselben  mußte  sich  mannigfach 
Gelegenheit  darbieten,  eben  diese  Gesichtspunkte  noch  entschiedener 
hervorzuheben  oder  auf  die  betreffenden  Verhältnisse  der  Gegenwart 
bestimmter  einzugehen  (s.  die  Darstellung  in  der  zweiten  Auflage  der 
Übersetzung  des  Aischylos).  Also  nicht  den  Gegensatz  des  Aristeides 
gegen  Themistokles  hebt  der  Dichter  hervor  oder  berücksichtigt  er  auch 
nur;  von  beiden  ist  nicht  die  entfernteste  Erwähnung  in  der  Tragödie, 
und  „der  hellenische  Mann"  Vers  347  ist  nicht  Themistokles,  sondern 
sein  Bote.  Wohl  aber  erkennt  man,  im  Sinne  welcher  Partei  der  Dichter 
gesprochen  hat;  nicht  bloß  auf  der  Bühne  war  der  Eupatride  Aischylos 
ein  Rival  des  Phrynichos. 


b.  Kritische  Notizen  zam  Aischylos. 

Zeitschrift  für  die  Altertumswissenschaft  herausgegeben  von  Dr.  L.  Chr.  Zimmer- 
mann 1841    Sp.  217  ff. 

[217]  Bei  Gelegenheit  einer  Durcharbeitung  meiner  Aischylosüber- 
setzung  behufs  eines  neu-en  Abdruckes  derselben^,  habe  ich  eine  Anzahl 
von  Einzelheiten,  von  Emendationen,  chronologischen,  geschichtlichen, 
dramaturgischen  Bestimmungen  notiert,  über  die  ich,  da  eine  weitere 
Begründung  außer  dem  Plan  jener  Übersetzung  liegt,  anderweitig  mich 
zu  rechtfertigen  mir  vorbehielt.  Ich  erlaube  mir  einige  dieser  Sachen 
in  diesen  Blättern  mitzuteilen. 

Ich  will  zunächst  von  den  Eumeniden  sprechen.  Noch  viel  bedeut- 
samer und  umfangreicher,  als  man  bisher  angenommen,  ist  in  dieser 
Tragödie,  wie  in  der  ganzen  Oresteia,  die  Beziehung  auf  politische  Ver- 
hältnisse der  Gegenwart;  hier  hebe  ich  nur  hervor,  daß  die  Frage  über 
den  Areopag  bereits  im  Sommer  461  ^,  da  Kimon  auf  einem  Seezuge 
abwesend  war,  entschieden  worden,  daß  er,  heimgekehrt,  die  veränderte 
Verfassung  wieder  herzustellen  versuchte,  aber  nicht  auf  gesetzlichem 
Wege,  da  er  nicht  wegen  Paranomie,  sondern  wegen  xaraXvatq  rov 
S/jfiov  angeklagt  wurde,  wie  es  nach  Demosthenes  gegen  Aristokrates 
scheint  {xccl  Kificova  Sri  tijV  TlaQicov  fiBraxivjjde  noXntiav  itp 
iavTovy  wo  natürlich  Tiaroiov  mit  cod.  JS  zu  schreiben  ist);  mit  Mühe 

*  [Vgl.  die  4.  Aufl.  (Berl.  1884)  S.  470  ff.  466.1 

*  [Der  Ansatz,  unter  dem  Archon  Konon  462/1,  ist  durch  Aristot.  ttoA.  Ji&. 
25  erwiesen.     E.  M.| 


Kritische  Notizen  zum  Aischylos  105 

nur  entging  er  der  Todesstrafe;  das  Kriegsjahr  460  zeigte  den  Athenern, 
wie  notwendig  eine  stete  und  gesicherte  Verbindung  der  Stadt  mit  der 
See  sei;  und  ^o  wurde  noch  460  der  Bau  der  langen  Mauern  begonnen, 
bei  dem  Kimon  durch  äußerst  splendiden  Aufwand  seine  wankende 
Popularität  wieder  herzustellen  versuchte  (Plut.  Cim.  13);  aber  schon 
im  Anfang  des  nächsten  Jahres  459  traf  ihn  der  Ostrakismos.  Im 
Herbste  desselben  zogen  die  Spartaner  ihren  Stammgenossen  in  Doris 
zu  Hilfe,  natürlich  nur  in  der  Absicht  um  den  Oligarchen  in  Mittel- 
griechenland, namentlich  in  Theben,  nahe  zu  sein;  die  Athener  ver- 
legten ihnen  den  Weg  nach  der  Heimat,  und  die  Spartaner  legten  sich 
mit  ihren  Verbündeten  hart  an  die  attische  Grenze.  Eben  damals 
versuchten  die  Oligarchen  den  edeln  Ephialtes,  dessen  Verhältnis  mit 
Perikles  in  etwas  gestört  sein  mochte,  durch  Bestechung  für  sich  zu  ge- 
winnen, aber  sie  oompromittierten  sich,  und  bald  darauf  wurde  Ephialtes 
ermordet  gefunden  (Ende  459  oder  Anfang  458).  Da  gab  es  furchtbare 
Anfeindungen  hin  und  [218]  her;  die  Volkspartei  mochte  den  Oligar- 
chen den  Mord  zuschreiben,  diese  wieder  den  Perikles  verdächtigen.  Wie 
Thucydides  ausdrücklich  angiebt,  die  Oligarchen  standen  mit  den  Spar- 
tanern an  der  Grenze  in  heimlicher  Verbindung,  in  der  Absicht  mit  ihrer 
Hilfe  die  Demokratie  aufzulösen,  dem  Mauerbau  ein  Ende  zu  machen ; 
Bürgerkrieg  drohte  zu  der  Gefahr  von  draußen.  Dieser  entsetzlichen 
Spannung  machte  endlich  die  Schlacht  von  Tanagra  ein  Ende  (August 
oder  September  458).  Kimon  hatte  sich  erboten,  zum  Beweise,  daß  er 
sein  Vaterland  mehr  als  die  Spartaner  liebe,  mitzukämpfen,  ward  aber 
zurückgewiesen,  worauf  er  seine  Freunde  ermahnte,  sich  statt  seiner 
zu  bewähren ;  und  es  fielen  deren  in  der  Schlacht  hundert  (Plut.  Cim.  1 7 
Perikl.  10).  Plutarch  stellt  die  Rückberufung  des  Kimon  so  dar,  als 
ob  sie  im  Winter  nach  dieser  Schlacht  erfolgt  sei,  und  setzt  doch  hinzu: 
ev&vg  fiiv  ovv  6  Kificov  xaxBX&ijv  iXvaa  rov  nöXB/jiov,  und  seit  dem 
unglücklichen  Ausgang  des  ägyptischen  Krieges  454  begannen  erst  die 
Unterhandlungen,  zu  denen  Perikles  den  Kimon  nicht  entbehren  konnte. 
Auch  Hr.  Krüger  in  seinen  sonst  gründlichen  „historisch-philologischen 
Studien"  (S.  155)  hat  sich  durch  Plutarch  irre  führen  lassen;  überhaupt 
ist  dieser  Teil  seiner  Arbeit  der  am  wenigsten  befriedigende,  da  er  sich 
die  reichen  Notizen,  die  Aischylos  und  Pindar  bieten  konnten,  hat  ent- 
gehen lassen.  Die  oben  angeführte  Notiz  über  Kimons  Teilnahme  am 
Mauerbau  lehrt,  daß  derselbe  noch  460  in  Athen  war,  und  daß  ihn 
der  Ostrakismos  des  Jahres  459  und  nicht  458  traf,  erkennt  man  aus 
dem  Zusammenhange  der  politischen  Verhältnisse,  worauf  ich  hier  nicht 
eingehen  will.  Nun  sagt  Theopomp  (beim  Schol.  ad  Arist  S.  528)  ed. 
Dind.    ovSiiKo   Sk   itivrt   krcDv   naQtki}Xv&6r(ov   noXifiov   Gvptßüvxoii 


106  Zui*  griechiBchen  Tragödie 

TSQog  AaxBdaifioviovg  6  Sfifioq  lurenifixpccro  xbv  Kifuova  vofAi^oav  3ict 
ri]v  ngo^^viav  ra;^i<m?«/  ctv  avTov  slQr/vfjv  noifjGaad'ar  6  Si  naga- 
yBvöfievog  rp  nöXei  xov  nöXtfiov  xarekvaev.  Auch  hiernach  erhalten 
wir  für  die  Rückkehr  des  Kimon  das  Jahr  454. 

Wie  80  Aischylos  nach  dem  Sturz  des  Areopags  und  nach  dem 
vergeblichen  Versuch  des  Kimon  zu  seiner  Wiederherstellung  in  der 
Oresteia  von  neuem  für  denselben  zu  sprechen  gewagt  hat,  das  über- 
gehe ich  hier,  da  darüber  nicht  nach  Citaten,  sondern  nach  gründlicher 
allgemeiner  Betrachtung  der  attischen  Verhältnisse  zu  entscheiden  ist, 
welche  besser  in  der  Einleitung  zur  Übersetzung  ihre  Stelle  findet. 
Hier  will  ich  zunächst  [219]  versuchen,  einige  Stellen  der  Tragödie  aus 
eben  jener  politischen  Zusammenstellung  zu  erklären. 

Wiederholentlich  ist  in  den  Eumeniden  der  Wunsch  zu  lesen, 
daß  nur  kein  innerer  Krieg  entstehen  möge:  vor  allem  merkwürdig 
ist  Eum.  933  ed.  Well.  [955  KirchhoflF] 

Tuv  S'  änXfj(TT0V  xax&v  firjnoT    kv  nöXti  ardatv 

fA7]Si  itiovaa  xöviQ  fiiXccv  alfia  no'kix&v 
Si  ÖQyäv  noiväg  &vxi(p6vovg 
äxag  agnaXiaai  Ttökscog, 

Diese  Stelle  würde  unverständlich  oder  wenigstens  unbedeutend  sein, 
wenn  man  nicht  wüßte,  daß  eben  damals  die  Stadt  in  wildester  Auf- 
regung wegen  Ephialtes  Ermordung  war,  deren  Zusammenhang  zu 
ergründen  jetzt,  da  dem  Areopag  die  hohe  polizeiliche  6(walt  früherer 
Zeit  genommen,  sich  die  ungeübten  und  ungeschickten  demokratischen 
Behörden  umsonst  bemühten.  In  denselben  Zusammenhang  gehört  eine 
andere  Stelle,  die  man  vielfach  mit  Emendationen  und  verkünstelten 
Erklärungen  heimgesucht  hat.  Athene  bittet  (v.  823  flf.  [845  K.])  die 
Eumeniden,  durch  ihren  Haß  nicht  Bürgerkrieg  anzufachen: 

firjx'  l^skovf/  (bg  xcegSicev  äXaxxÖQCJV 
iv  xoig  ifioTg  äaxoiüiv  ISgiarig  '!AQfi 
kfjL(pvhöv  xe  xai  ngög  &Xh)Xovg  xhQuavv. 
ßvQaiog  iaxco  nöX^fiog  ov  fiöXig  nagrov, 
kv  c5  xig  iaxai  Seivög  aixXsiag  kgmg' 
kvoixiov  8'  ÖQViß-og  ov  Xiycj  fiüxv''^* 

Ich  lasse  dahingestellt  sein,  ob  statt  l^elova  etwa  kx^iova  zu  schrei- 
ben ist,  wozu  des  Scholiasten  Erklärung  ävanxegÜGaau  ziemlich  passen 
würde;  die  wesentlichste  Schwierigkeit  fand  man  in  ov  fiöhg  nagcav. 
Unzweifelhaft  ist  ov  fi4hg  eine  Verstärkung,  nicht  mehr  kaum,  sondern 
völUg;  so  Agam.  1052  [1035  K.] 


Kritische  Notizen  zum  Aischjlos  107 

cc7tdfXe<Tag  yaQ  ov  fiöXiq  rö  Sbvtsqov. 

Versteht  man  nuQcbv  hier  von  der  räumlichen  Entfernung,  so  ist  nicht 
hinauszukommen.  Dagegen  sehe  man  die  Zeitverhältnisse  an.  In  der 
Stadt  droht  täglich  der  Ausbruch  des  Bürgerkrieges,  auf  der  Grenze 
stehen  die  Spartaner,  mit  einer  Partei  in  der  Stadt  verbunden,  man 
hat  sich  schon  zum  Kampf  vorbereitet,  auch  die  Thessalier,  die  Argiver 
kommen  schon  zum  attischen  Heer  (vgl.  Eum.  734  fif.);  jeden  Augenblick 
muß  man  den  Ausbruch  der  Feindseligkeiten  erwarten,  in  dem  sich 
zum  erstenmal  die  neue  Macht  Athens  mit  Sparta  messen  wird,  daher 
der  8Biv6q  evxXsiag  'iQ(og,  Um  jeden  Preis  wünscht  Pallas  heimischen 
Krieg  vermieden,  außer  den  Grenzen  des  Landes  brenne  der  schon  ganz 
nahe  Krieg  los.    Und  so  wünscht  denn  später  der  Chor  v.  938  [962  K.] 

xäQfiarcc  S*  icvriSiSoUv 
xoivo(piXeT  Siccvoia, 
xal  (TTvyeTv  fii^  (pQBvr 
nokköv  yuQ  töS'  kv  ßQoroTg  äxog. 

Merkwürdig  ist  in  mancher  Beziehung  der  Fesselhymnus;  es  ist,  als 
ob  dem  Dichter  fortwährend  der  Gedanke  an  Ephialtes  Mord  und  an 
den  noch  unbekannten  Mörder,  der  wohl  mit  unter  dem  zuschauenden 
Volke  weilt,  vorschwebt;  V.  305  [312  K.] 

[220]  öarig  S'  dlircjv  .  .  . 

X^^Qf^g  (poviag  knixQvnxeij 
(idQTVQBg  ÖQd-al  roTcri  O'avovGiv 
naQayiyvöfievai,  TtQÜxroQsg  aifiarog 
avTcp  rekicog  k(p(ivr]fiBV' 

wo  für  fiÜQTVQBg  offenbar  fxÜGroQeg  zu  schreiben  ist.    Aischylos  äußert 

ganz  bestimmt,  von  wem  er  den  Mord  begangen  oder  veranlaßt  glaubt; 

V.  334  [343  K] 

ScofiäroDv  yäg  siXöfiuv 

ävccTQonccg,  Örav  '^^rjg 

Ti&aaog  &v  (pikov  ^ky 

knl  zbvj  Ä,  Siöfjievcci 

XQCCTBQOV  ÖV&'  ö/jioicog 

fiav()ovfiev  v(p    aifiarog  viov. 

Noch  deutlicher  spricht  er  sich  aus  in  der  dritten  Strophe  und  Gegenstrophe 

[359  K.] 

S6^ai  T    &vSq(üv  xal  (lüV  vn'  al&igi  (refiva} 

rccxöfievai  xccrä  yäv  fjuvv&ovmv  ärifioi 

fjfieriQCCig  h(p6Soig  fiekaveifiofTiv  öqxV' 

(TfioTg  T*  inKf&övoig  noSög. 


108  Zur  griechischen  Tragödie 

Es  muß  zu  Anfang  Sö^m  S'  stehen ,  wie  auch  der  cod.  Med.  hat. 
Hieran  schließt  sich  in  allen  Handschriften  ein  wildgetanzter,  heftig 
bewegter  Satz,  den  die  neueren  höchst  verkehrt  an  die  vorhergehende 
Gegenstrophe  angeschlossen  haben;  es  ist  ja  eben  die  Beschreibung 
jener  ÖQX'i^f^P^oi  [372  K.]: 

(idXa  yaQ  ovv  äXoyLiva 
dvixa&ev  u.  s.  w. 

Die  Gegenstrophe  lautet  [368  K.]: 

itlittcov  S'  ovx  olSev  t68'  in    äcpQovt  kvficc- 
xoiov  kn\  xvi(pag  Avdgl  fivaoq  nenörcctui, 
xal  SvotpBQccv  Tiv    dx^ifv  xarcc  Scjfiarog  avSä- 
rai  noXvfTTOvog  <pärig. 

Zunächst  begreift  man  nicht,  was  eine  vielseufzende  Rede  hier  soll; 
sehr  richtig  sagt  der  Scholiast  xaxij  Si  (pTjfXfj  negl  rot)  oYxov  avrov 
Uyerai.  Jener  hochgerühmte  Mann,  er  stürzt  unter  dem  gewaltigen 
Angriff  der  mordrächenden  Furien  hin,  aber  in  seiner  Verblendung 
erkennt  er  nicht,  woher  ihm  der  Sturz  komme;  so  nächtig  umhüllt  ihn 
der  Fluch,  der  auf  ihm  lastet;  und  noXvatofiog  q^ang,  tausendfacher 
Mund  spricht  von  einem  Schatten,  der  durch  sein  Haus  geht  Wessen 
ist  denn  nun  dieses  Geschlecht?  Wer  ist  dieser  hochgepriesene  Mann, 
der,  so  stark  er  ist,  doch  stürzen  wird?  In  dem  nächstfolgenden  Chor- 
gesang (468  ff.  [486  K.])  wird  davon  gesprochen,  daß  die  Mißachtung 
der  Erinnyen  (und  mit  ihrem  Heiligtum  ist  ja  der  Areopag  eng  ver- 
bunden) allem  Mord  Thür  und  Thor  öffne  [512  K.]: 

i^ad-'  Ö710V  ro  Seivöv  ev' 
xal  (pQBV&v  iniaxoTtov 
Sei  fiBveiv  xa&^fievov. 

Schon  dieses  und  noch  mehr  das  folgende  leitet  die  Anschauung  ganz 
hinüber  auf  den  Areopag,  auf  den  ßcofiov  Sixag  [532  K.], 

lirjSi  viv  xi^Sog  iSd)v  ädi(p  noSi 
Xä^  ärifTjjg'  %oivä  yccQ  hniarai. 

[221]  Der  Schluß  dieses  Gesanges  enthüllt  endlich  alle  diese  Rätsel 

[548  K.]: 

Tov  ävTiToXfiov  Sk  ffufii  TOP  ituQaißdSav 

rcc  TtoXXä  navTÖffvoT*  ävsv  S/xrjg 

ßiaicjg  ^vv  /prfi'W  xa&ijCTtiv 

XaTfpog  örav  Xüßrj  ndvog 

d-Quvopiivag  XBQaiag' 


Kritische  Notizen  zum  Aischylos  109 

xakBi  S*  üxovovraq  ovSiv  [iv\  fietra 

Svanalsl  re  Siva* 

yik^  Sä  Sccifuov  kn    üvSqi  &eQfji<p, 

t6v  ovnor'  avxovvr'  iSojv  äfAtjxccvoig 

Svaiq  XanaSvov  ovo'  ißnsQ&iovr'  äxoav  u.  s.  w. 

Wer  ist  denn  nun,  der  sich  rühmte,  er  wisse  noch  immer  Bat,  auch 
in  den  verwickeltsten  Schwierigkeiten  sei  er  nicht  gefangen?  der  zugleich 
aus  so  hohem,  aber  schuldigem  Geschlecht  stammt?  der  zugleich  so 
mächtig  und  berühmt  ist?  Niemand  anders,  als  Perikles;  er  hat,  so 
meint  Aischylos,  den  Sturz  des  Areopages  xsQSog  IScüv  veranlaßt;  er 
hat  den  Staat  in  alle  diese  Verwirrungen,  Kriege,  Maßlosigkeiten  ge- 
stürzt, in  denen  er  selbst  versinken  wird.  Er  ist  es,  in  dessen  Geschlecht 
jener  dunkle  Schatten  umgeht;  er  stammt  ja,  wie  es  späterhin  von  den 
Spartanern  so  stark  hervorgehoben  wurde,  aus  dem  Geschlecht  der  Alk- 
maioniden.  Und  nun  vergleiche  man  den  zweiten  Chorgesang  im  Aga- 
memnon (v.  360  [366  K.]) 

ovx  *i(pcc  ng  &aovg  ßQor&v 
ä^iovad-ui  fiikaiv 
Öaoig  ä&ixTcov  x^Q^£ 
naTOi&''  6  S'  ovx  sirreßrig. 

Wessen  dieser  atheistische  Ausspruch  war,  des  Demokrit  oder  Anaxa- 
goras  oder  wessen  sonst,  weiß  ich  nicht. 

nitpuvrai  d'  kyyövovg 

äToXfAf/TCüV  !AQri 

nviövTCov  /jLeT^ov  fj  Sixaiiog^ 
(pkBÖvTOJv  ScQ/jiÜTCüv  V7ie()(pev 
vniQ  t6  ßkkriatov 


ov  yÜQ  k(TTiv  inak^ig 
nXovTov  itQog  x6qov  üvöqI 
XaxriaavTi  füyav  S/xccg 
ßwfibv  dg  dq)üveiav' 
ßtärcu  S'  ä  rdXaivu  netß-o) 
itQoßovUnmg  &(ptQTog  ärag  u.  s.  w. 


Man  schreibe  statt  iyyövovg  mit  leichter  Veränderung  kg  yövovg,  „ge- 
zeigt hat  es  sich,  daß  die  Götter  doch  des  Frevlers  acht  haben,  bis 
auf  die  Nachkommen  der  allzu  kühnen,  der  allzu  dreisten  —  Alkmaio- 
niden;  —  Keichtum  wird  ihn,  der  den  Areopag  aus  Übermut  gestürzt 
und  bis  zur  Nichtigkeit  reduziert  hat,  dereinst  nicht  schützen"  —  der 


110  Zur  griechischen  Tragödie 

unglückliche  Zauber  seiner  Rede  zwingt,  fuhrt  das  Volk  gleichsam  wider 
Willen  und  mit  Gewalt  zu  jenem  Sturz  des  Areopags 

äxog  Sh  nafifiüraiov  oix  hcQvq)&fi, 

Vergebens  hat  Kimon  versucht,  die  unselige  Neuerung  wieder  abzu- 

schafiFen,  aber  kein  Mittel  hilft;  der  Schaden  ist  nun  da  und  schon  zu 

Tage  gekommen,  ein  grausig  [222]  scheinendes  Licht;  der  arge  Neuerer, 

einer  falschen  Münze  gleich,  verliert  er  bald  den  Goldschein  (v.  379 

[375  K.]) 

xaxov  Si  xc^^^ov  tq6%ov 

TQtßm  [re]  xal  n^ogßolaTg 

fieXafjLnayi]g  Ttiksi  Sixaico&uq  u.  s.  w. 

Doch  genug  mit  diesen  politischen  Andeutungen,  die  ich  an  dieser  Stelle 
nur  in  einigen  Hauptpunkten  zu  begründen  hatte.  Ich  will  hinzufügen, 
daß  diese  Bezüglichkeiten  nicht  etwa  nur  eine  Eigentümlichkeit  der 
Eumeniden  oder  der  Orestestrilogie  sind,  sondern  daß  sie  sich,  mehr 
oder  weniger  stark  ausgebildet,  in  jeder  Aischyleischen  Tragödie  finden; 
ein  Umstand,  den  man  nicht  auffallend  finden,  sondern  als  ein  Postulat 
anerkennen  wird,  wenn  man  sich  erst  über  die  Stellung  der  traschen 
Aufführungen  klar  ist. 

Für  die  Textkritik  der  Eumeniden  sind  die  letzten  Jahre  sehr 
ergiebig  gewesen,  aber  noch  bleiben  der  Schwierigkeiten  nicht  wenige 
übrig.  Ich  will  im  folgenden  einige  von  den  Stellen  anführen,  in 
denen  ich  mich  von  den  bisherigen  Texten  entfernen  zu  müssen  ge- 
glaubt, ohne  in  anderen  mir  bekannt  gewordenen  Emendationen  Befrie- 
digendes zu  finden.  Ich  bedauere,  daß  mir  von  Hermanns  und  Fritzsches 
Bemerkungen  nur  die  kurzen  Notizen  vorliegen,  die  ich  mir  fnlher  dar- 
aus aufgezeichnet. 

Eine  oft  besprochene  Stelle  ist  Eum.  35  [34  K.] 

Ij  Setvä  Xi^aiy  öetva  3'  dtpi^-aXfioig  SQaxeiv, 

nahv  fjü   'insfiifjsv  hc  Söfiojv  r&v  Ao^iov, 

(bg  jiji/jTS  (7(DxeTv  fif'jTB  fi    dxTcciveiv  arüaiv  [ßüaiv  K.]. 

Wunderlich  genug  hat  man  (tcoxbTv  für  „stille  stehen"  nehmen  wollen, 
während  es  durchaus  „können"  heißt;  mit  ItT/vco  erklärt  es  der  Scho- 
liast,  Hesychius  u.  a.  Nach  einer  von  Wellauer  angeführten  Stelle 
erklärt  Phrynichus: 

ovx  Ix    ÖQß'ovv  Svvafiai  kfACCvröv. 
Ich  lese: 

(bg  fiijTB  (TcoxBiv  fifjd'  kfi  äxraiveiv  ardtriv. 


Kritische  Notizen  zum  Aischylos  111 

Statt  eines  zweiten  iiijTi  folgt  dann  sehr  natürlich  rp€/r»>  Sk  /apö-iv, 
—  ähnlich  wie  Suppl.  965  [954  K.]  xal  fiijrs  .  .  .  ß-avmv  Id&oifii, 
Xc^Q^  S*  äx^og  ahi^wv  niXoi. 

In  der  Anrede  Apolls  v.  75  [K.]  heißt  es: 

hX&Gi  yÜQ  ae  xal  Si'  rjneiQOv  ficcxQßg 
ßeß&T    &v  alel  rijv  nXavocmßfj  x^^'^^- 

Die  Veränderung  von  ANAIEI  in  AAATEI,  die  Müller  vorschlägt,  ist 
nicht  so  leicht  wie  AAAIZI,  wie  Eurip.  Orest.  56  äXuiai  nXayx^^^^ 
hat;  die  var.  lect.  des  cod.  Med.  ßsß&vr  führt  auf  die  Form  ßißövr. 
Schwierig  ist  die  Rede  Apolls,  mit  der  er  Hermes  und  Orest  ent- 
läßt; er  sagt:  du  Orest,  laß  dich  nicht  von  Furcht  bewältigen,  und 
du,  Hermes,  sei  deinem  Namen  gemäß  [91  K.]: 

TtofinaTog  Xa&i  —  t6v8b  noifiaivcov  tfiöv 
ixBTTjv'  aißei  roi  Zsvg  töS'  ix  vö/icdv  (rißccg, 
ÖQfidfievov  ßgoTolfTiv  einöfinoi>  rvxv- 

Hier  aißccg  vom  Amte  des  Hermes  zu  verstehen,  verwickelt  in  nnauf- 
lösliche  Schwierigkeiten;  das  sinöfiitG)  rvxf]  weist  deutlich  zurück  auf 
nofxnaiogy  „das  (7eßag  hat  glücklich  das  gute  Geleit  des  Hermes  gefun- 
den". [223]  Indem  (rißei  voransteht,  ist  dies  so  entschieden  der  Haupt- 
begriflF,  daß  er  ausdrücklich  das  Gegenteil  ausschließt  Mit  dem  Worte 
t6v  S'  .  .  ifjidv  ixirrjv  hat  sich  der  Gott  mit  irgend  einem  Gestus  an 
Orest  gewandt,  ihm  die  Hand  auf  die  Schulter  gelegt  oder  dergleichen; 
ihm  zum  Tröste  sagt  er  das  weitere:  sein  Aufzug  als  Hilfeflehender 
ist  das  aißccg,  das-  Zeus  gewiß  ehren,  nicht  mißehren  wird.  Bisher 
nämlich  hat  Orest  noch  keinem  anderen  Herde  sich  als  Schutzflehen- 
der nahen  dürfen  (Choeph.  1035  [K.]);  der  Zeig  ixitriog  hätte  ihn,  den 
Blutbefleckten,  nicht  geehrt,  nun  ist  er  gereinigt,  V.  272  [278  K.] 

noTcciviov  yuQ  dv  nQog  ifTTicc  x^-eov 
0oißov  xa&aQfioTg  ijXü&i}  j^fo^poxrdi/o/s* 

nach  dieser  ßeinigung  im  Tempel  hat  ihn  der  Gott  hinausgeführt; 
Orest  mochte  besorglich  meinen,  er  werde  nun  seinem  Schicksal  anheim- 
gegeben werden,  ApoUon  genug  gethan  zu  haben  meinen :  darum  sagt 
der  Gott  gleich  beim  Hinaustreten  (v.  64  [K.]) 

OVTOl  7tQoS(6aco' 

nun  ist  Orestes  ein  ixemog  ohne  Tadel,  ein  svvofiov  aißag. 

In  der  Bede  der  Klytaimnestra  (v.  94  [K.])  kommt  es  besonders 
auf  genaue  Verbindung  der  Sätze  an,  ich  verweise  auf  die  Übersetzung; 
die  viel  besprochene  Stelle  v.  103  flF.  [K.]  schreibe  ich 


112  Zur  grichischen  Tragödie 

BVfJovaa  yäg  (pQtjv  ÖfifiatJiv  kafiTiovpetat, 
kv  ijfiiQ^  Se  fiuvQu  ngöaxonog  ßQor&v 

statt  xaQÖi^  ai&Ev,  ivöovaa,  fioiQ    ängögxonog. 

In  dem  ersten  Chorgesang  hat  besonders  die  Stelle  v.  158  [162  K.] 

Schwierigkeit  gemacht.    Ich  meine,  man  muß  nur  die  Interpunktion 

ändern: 

Toiavrcc  äQCHmv  ol  vecötBQOi  &boi 

xQaTovvreq  t6  näv  dixccg  Ttkiov 

(povoXißfi  &q6vov' 

es  würde  xoccTouvreg  x()ÜTog  keinen  Anstoß  haben;  daß  statt  dessen 
O-QÖvov  eintritt,  ist  wie  im  Anfang  des  Agamemnon  (f>QovQäq  —  — , 
'iiv  xoificofievog  und  ähnliches  häufig;  will  man  genaue  Responsion, 
mit  dem  strophischen  Verse  fieaoXaßBi  xivrgtp^  so  kann  man  mit 
Fritzsche  statt  ßoövov  wohl  &ßxov  lesen,  doch  scheint  dies  nicht  not- 
wendig. Jedenfalls  muß  hinter  xivr^co  wie  hinter  &q6vov  eine  schei- 
dende Interpunktion  stehen,  es  folgt  jedesmal  darauf  eine  andere  Stimme, 
bedeutend  genug  durch  die  gleichen  Ausdrucksformen,  durch  die  Para- 
kataloge  bezeichnet: 

vnb  g)Qivag,  vno  Xoßov  nccQBtni  fiaaTtxTogog  u.  s.  w. 
und 

nBQi  TtöSa,  nBQt  xci^a  itugBari  yßg  6fji(paX6v  u.  s.  w. 

In  Beziehung  auf  die  Verse  des  Chors  v.  235  S.  [250  K.]  will  ich 
eine  Beobachtung  erwähnen,  die  sich  mir  aufgedrängt  hat.  Genauer 
betrachtet  nämlich  zeigen  sich  mehrere  einzelne  Stimmen,  die  wieder  sich 
nach  dem  Sinne  zu  kleineren  Ganzen  zusammenschließen.  Ich  werde 
so  schreiben,  wie  ich  lesen  zu  müssen  geglaubt  habe.  [224]  Zuerst  die 
Worte  der  Chorführerin,  soweit  die  Trimeter  reichen;  sie  schließt  damit 
daß  sie  Witterung  des  Flüchtlings  hat: 

a,  xal  vvv  8S'  hvd-üS'  kari  nov  xaranraxatv 
öafiij  ßQOTBtcüV  (xifiütQ)v  fiB  n()ogyB}.^' 

Dann  fordert  eine  Stimme  (die  erste  Halbchorführerin)  auf,  genauer 
umherzuspähn : 

ß",  6(}a,  6qc4  fiäk'  ccv, 

XBv<T<rk  TB  nccvTcc,  fiij  XüO-rj  (fvySa  ßäg 
6  fjiaT()0(p6vog  ärirag. 


Kritische  Notizen  zum  Aischylos  113 

Eine  andere,  die  zweite  Halbchorführerin,  erblickt  ihn;  während  jene  Öga 
sagt,  könnte  sie  ISov  sagen.   Nach  Wieselers  ansprechender  Emendation: 

7'.  83'  avTÖfF  ovv  [avxi  yovv  K.]*  dXxav  Slxfov 

vnöSixoq  Oiksi  yBvia&ai  ;^6(>d>i/. 

Dann  folgen  drei  Stimmen:  er  hat  Blut  vergossen,  er  darf  nicht  Schutz 
finden: 

^.  tb  S'  oif  7tdQB(TTiv'  alfia  fifjT()(pov  /ccficcij 
a.  Svaayxöfiiarov,  nccnai. 
g.  rö  SiBQOv  niSoi  /i)jU€ro«/  oi'/erai. 

Die  folgenden  vier  Stimmen  sagen,  er  soll  gestraft  werden  bis  in  den 
Hades  hinab: 

^.  äkX  ävriSovvai  Sei  <r'  äno  ^öjvrog  QO(paiv 

hgvd'Qov  he  fiekicav  nikavov. 

f/.  änd  di  aov  ßoaxäv  (peQOifiav  ncjfiarog  3v(TnÖTOV. 

&\  xal  t/ovrd  a   i(Txvava(T   änä^ofjLai  xärco, 
i\  ävTKpövov  arivoiq  [ävrinoivovg  tivtjq  K.]  fjL7]T()0(p6vov  Svag. 

Ich  habe  nicht  nchiiaroq  roxi  Svanörov  schreiben  wollen,  da  es  hier 
nicht  den  Gegensatz  von  einem  nddfAa  gilt,  sondern  ähnlich  dem  Oiccfia 
Sva&earov  oder  dem  ä  ndxBQ  cclvönccreQ  u.  s.  w.  ist.  Endlich  die 
fünf  letzten  Stimmen  sagen  von  den  Qualen  im  Hades: 

i(/.  öyjei  Si  xeY  rig  äkkog  ^kirsv  ßporcjv 

iß",  t]  Osöv  tj  ^ivov  riv    äaeß&v  t)  roxiag  (ptlovg, 

i/.  üxovd-'  ^xacFTOV  rtjg  Sixrjg  inü^ia. 

iS',  fiiyag  yuQ  '!Ai8rig  kariv  ev&vvog  ß^orcjv 
iva^&B  x^ovög, 

ia\  Sakroygdtpq)  Sh  ndvr   kncoTi^  (pQevt, 

Daß  die  einzelnen  Stimmen  sich  auf  diese  Weise  zusammenordnen,  zeigt 
der  Sinn  deutlich  genug;  nach  der  Folge  der  Äußerungen  ergiebt  sich 
folgende  sonderbare  Figur: 

cc, 
ß.    y. 

f.      rj.      &,      I. 
ta.     iß.     ly,     iS.     iB, 

Ich  zweifle  nicht,  daß  der  Chor  so  keilförmig  geordnet  hereingekommen 
ist;  er  stellt  ja  eine  Meute  von  Hunden  dar,  die  ihr  Wild  verfolgen, 

Uroysen,  Kl.  Schri/ten  II.  8 


114  Zur  griecbiächen  Tragödie 

nnd  jede  Hetzjagd  kann  es  lehren,  daß  die  verfolgende  Meute  diese 
keilförmige  Gestalt  annimmt 

[225]  Eine  besonders  merkwürdige  Stelle  ist  in  Orestes  Anruf  an 
Pallas  (V.  282  [288  K.]  flF.) 

äXX'  bYtb  z^Q^Q  ^^  TÖnoig  AtßvartxoTg 
TQiT(üvoq  äfupi  x^V^  yeve&Xiov  nÖQOv 
Ti&Tjaip  öq9ov  ?;  xccrtjQBipfj  nöScc, 
(fiXoiq  aQfiyova'j  bYtb  ^^Bygaiccv  nXdxa 
^QcciTvg  tccyovxoq  (hg  äinjQ  kniaxonBi^ 
aX&oi  ,  .  . 

Zunächst  will  ich  die  große  Zahl  von  Bemerkungen  über  xtxrtjQBfft} 
ndSa  mit  einer  neuen  vermehren.  In  Aristophanes  Wespen  V.  1294 
heißt  es  von  den  Schildkröten: 

ojq  Bv  xaxfiQBrpaadB  xtxl  vovßvartx&g 
XBQti/Up  t6  v&tov. 

Dieser  Vers  bringt  mich  darauf  unter  xccTtjQBfpfi  nöSa  den  mit  dem 
Schilde  überdachten  Fuß  zu  verstehen,  der  dann  natürlich,  wie  es  auch 
alte  Kunstwerke  häufig  zeigen,  ein  wenig  vorgeschoben  und  gebogen 
erscheint,  so  daß  sich  so  eine  Art  von  Gegensatz  zu  dem  ögflöp  darin 
zeigt  Gewisser  ist,  daß  Aischylos  nicht  ohne  Beziehung  Libyen  und 
das  phlegräische  Feld  genannt  haben  wird ;  in  der  Nähe  des  tritonischen 
Wassers  (wenn  man  es  nicht  zu  genau  nimmt)  in  Ägypten  kämpften 
damals  die  Athener  gegen  Persien,  daher  ist  sehr  passend  an  die  (piXoig 
ÜQi'iyovtra,  in  der  Stellung  der  Promachos,  zu  erinnern.  Bei  den  phleg- 
räischen  Feldern  nur  an  die  Gigantomachie  zu  denken  ist  gar  nicht 
in  Aischylos  Sinn;  ich  glaube,  er  meint  die  Felder  von  Cumä;  dort 
hatte  475  Uieron  die  Etrurier  bewältigt,  aber  aus  ihrem  campanischen 
Laude  wurden  sie  nicht  vertrieben;  ich  glaube  mit  Bestimmtheit  an- 
nehmen zu  dürfen,  daß  eben  jetzt  (458)  wieder  ein  bedeutender  Krieg 
der  italischen  Griechen  gegen  die  Etrurier  geführt  wurde. 

Doch  genug  von  den  Eumeniden;  mögen  noch  einige  Bemerkun- 
gen über  die  Schutz  flehenden  folgen,  die  bekanntlich  der  Textkritik 
unter  allen  Aischyleischen  Stücken  am  meisten  zu  schaffen  machen. 
In  Beziehung  auf  ihre  trilogische  Verknüpfung  sowie  auf  ihre  Chrono- 
logie nehme  ich  zurück,  was  ich  in  der  ersten  Ausgabe  der  Übersetzung 
gesagt  habe;  in  der  neuen  Bearbeitung  habe  ich  zu  erweisen  versucht 
daß  in  der  Tetralogie  „Schutzflehende,  [226]  Ägyptier,  Danaiden,  Amy- 
mone'^  eine  mehr  als  nur  politische  Idee,  eine  wahrhaft  sittliche  die 
Einheit  bildet,  daß  es  namentlich  der  Zorn  der  die  Ehe  überwachenden 


Kritische  Notizen  zum  Aischylos  115 

Hera  ist,  welcher  lo  und  ihr  Geschlecht  verfolgt,  die  Danaostöchter  in 
eben  so  fehlerhaften  Abscheu  vor  ehelicher  Pflicht  wie  die  Aigyptos- 
söhne  in  sündhaft  heiTische  Begier  verfallen  laßt,  bis  Hypennnestras 
Hingebung  und  Lynkeus  Mäßigung  ihren  Zorn  versöhnte  zum  Segen 
des  argivischen  Landes.  Der  Ausgang  der  Trilogie  ähnelt  den  Eume- 
niden  in  einiger  Beziehung;  wie  dort  Athene,  so  in  den  Danaiden  Hera, 
wie  dort  Apollon,  so  hier  Aphrodite. 

Die  Trilogie,  so  glaube  ich  nachweisen  zu  können,  ist  entweder 
462  oder  461  aufgeführt  worden,  d.  h.  vor  der  Verbindung  Athens  mit 
Ägypten  zum  Kampf  gegen  Persien  und  nach  der  Zerstörung  Mykenäs 
durch  die  Argiver  und  der  Auswanderung  der  meisten  Mykenäer  gen 
Makedonien.  Nach  Diodor  freilich  (XI  65)  fallt  die  Zerstörung  von 
Mykenä  in  das  Jahr  des  Theagenides  (468/7);  aber  der  pragmatische 
Zusammenhang,  den  er  angiebt,  namentlich  daß  die  Argiver  durch  die 
Empörung  der  Heloten  gegen  Sparta  sich  in  den  Stand  gesetzt  gesehen 
hätten,  die  den  Spartanern  befreundeten  Mykenäer  anzugreifen,  —  diese 
Zusammenhänge  geben  den  Beweis,  daß  der  Fall  von  Mykenä  nicht 
Ol.  78  1,  sondern  OL  79  1  zu  setzen  ist  Femer  zeigt  die  Fassung  der 
Schutzflehenden  und  namentlich  der  merkwürdige  Chorgesang  v.  620  fil, 
daß  Argos  zur  Zeit  der  Aufführung  schon  den  Athenern  verbündet 
war;  und  der  Bund  mit  Argos  ist  nach  der  unwürdigen  Bücksendung 
des  Eimon  und  der  athenäischen  Hopliten  Ol.  79  2  Herbst  463  geschlossen 
worden. 

In  eben  diesem  Chorgesange  ist  manches  schwierig;  ich  will  nur 
den  Anfang  hervorheben.  Der  Chor  fangt  in  der  ersten  Strophe  sein 
Gebet  mit  folgendem  an  (V.  627  [612  K.]): 

fjL7j7iOT8  nvQicpaxoq  {nvQitparov  ruv  K.]  TIt}jU(syittv  %6Xiv 
xhv  äzoQov  ßoäv  xziaai  fiäz^ov  ^Qfj, 
TÖv  äQÖTOig  &6Qi^ovta  ßQÖTOvg  kv  äXkoig. 

Was  ist  denn  „Ares,  der  in  anderem  Felde  (als  er  pflegt)  seine  Ernte 
hält"?  Was  soll  die  Erwähnung  des  Feuers,  was  der  müßige  Zusatz 
äxoQog?  Doch  zuerst  muß  die  Construction  eingerenkt  werden;  ich  finde 
zwischen  röv  .  .  .  fiäx^ov  und  tov  .  .  .  ^bqi^ovtu  eine  so  deutliche 
Responsion,  daß  xxiaca  unmöglich  das  Yerbum  des  Satzes  sein  kann; 
das  Verbum  muß  in  nvQitparov  [227]  corrumpiert  vorhanden  sein  und 
TtvQKpccyBiv  ist  gewiß  nicht  zu  kühn.  Der  eigentümlich  genauen  Be- 
stimmung dieser  Bitte  gegen  Feuersbrunst  muß  eine  ebenso  bestimmte 
Vorstellung  zum  Grunde  liegen,  und  ich  meine,  dies  ist  keine  andere, 
als  die  des  furchtbaren  Schicksals  von  Argos  im  Kriege  gegen  Eleo- 
menes,  die  von  Herodot  (VI  80)  erzählt  wird.   Nach  einem  unglücklichen 

8* 


116  Zur  griechischen  Tragödie 

Gefecht  waren  die  Argiver  in  den  heiligen  Hain  des  Argos  geflüchtet  and 
dort  umzingelt,  der  Hain  mit  Holzstößen  umlegt  und  in  Brand  gesteckt 
worden,  6000  Argiver  waren  auf  solche  Welse  umgekommen  (Herod. 
VII  148).  Zu  diesen  Erinnerungen  passen  jene  Worte;  denn  freilich 
der  heilige  Hain  ist  zu  Chorliedem  und  Festen  bestimmt»  nicht  zu  wil- 
dem Mordgeschrei,  und  freilich  das  ist  das  Feld  nicht,  wo  Ares  seine 
Ernte  feiern  sollte.  Wie  auch  die  weiteren  geschichtlichen  Verhältnisse 
von  Argos  in  diesem  Chorgesange  berücksichtigt  sind,  ist  in  der  Über- 
setzung nachzusehen. 

Eine  Anspielung  auf  den  in  Rhodos  von  den  flüchtenden  Da- 
naiden  erbauten  Athenetempel  hat  Clausen  in  folgenden  Versen  (V.  136 
[132  K.])  vermutet: 

&iXov(ja  S'  av  ß-iXovGav  ayvü  fi*  kniSerco  At6<i  xÖQa, 
i^Xov<Ta  (Tifiv   hvdini    &<T(pcclig. 

Doch  ist  nach  der  sonstigen  Weise  des  Stückes  nicht  Athene,  sondern 
Artemis  die  Göttin,  welche  sie  anrufen,  und  ich  glaube  schreiben  zu 
dürfen 

a^ovaa  (TxifjLfi   iv  mnl  ätrtpaXeg, 

Sehr  verwirrt  sind  die  Worte,  die  der  König  Pelasgos  spricht, 
nachdem  er  sich  überlegt  hat,  was  er  mit  den  Schutzflehenden  thun 
müsse  (V.  433  [426  K.]ff.);  es  sind  namentlich  die  Worte: 

xal  ;if(>/}/ia<TiV  [/QfjfAdrojv  K.]  fiiv  kx  Söfiojv  nogd'ovfAiifcoif 

äzTjQ  ye  fiai^ojv  \äri]v  ye  fABt^co  K.]  xal  fiiy  kfi7iXy<Tag  yöfAOV  [yöfiov  K.] 

yivoiT    äv  üXXa  xtijctiov  Jiog  /apiv. 

Daß  dies  keinen  Sinn  giebt,  ist  schon  oft  bemerklich  gemacht  worden; 
man  wird  wohl  etwas  stark  dreinschneiden  müssen;  ich  lese: 

xal  /(>7;^e^o'£i'  fxiv  ix  S6/jlcjv  noQ&ovfuvoDV 
&xdTi}v  yefii^cjv  xal  fAerefjLTtyjaag  yöfiov 
yivoiT    &v  äkkfj  XTfjffiov  Jiog  ;^cJ(>i§. 

Die  Construction  absoluter  Nominative  in  dieser  Form  hat  Aischylos 
häufig.  Unzweideutig  bereitet  hier  Aischylos  die  Auswanderung  des 
Königs  nach  Makedonien  vor.     Es  folgt  hierauf: 

xal  yX&atra  xo^Bvaaaa  fii]  rä  xatQia, 
yivoiTO  pivd-ov  fiv&og  &v  &akxTi]Qiog, 
iXyeivä  &vfiov  xdQxa  xivf]Tif]Qia' 
Sncog  S*  Öfiaifiov  alfia  fiij  yBVijfTBrai 

Sil  XÜQXa   &VHV  u.  8.  w. 


Kritische  Notizen  zum  Aischylos  117 

Der  Zusammenhang  des  königlichen  Basonnements  ist:  mag  ich  den 
Danaiden  helfen  oder  ihnen  Hilfe  verweigern,  in  jedem  Falle  habe  ich 
zu  leiden;  die  einzige  Art  dem  zu  entgehen  ist,  wenn  ich  Argos  ver- 
lasse. Diesen  Satz  mit  fUv  führt  er  so  aus:  wenn  ich  dabei  auch 
vieles  verliere  und  nur  weniges  rette,  so  wird  mir  Zeus  wohl  neuen 
Segen  gewähren;  —  und  was  die  Danaiden  anbetrifft,  werden  sie  durch 
meine  Rede  tief  verletzt,  so  [228]  wird  sie  mein  Beden  auch  wieder 
besänftigen;  denn  freilich,  was  einen  schmerzt,  regt  ihn  sehr  auf  u. s.  w. 
So  der  Satz  mit  fiiv;  doch  andererseits  {Si)  will  ich  alles  thun,  um 
durch  Opfer  und  Gebet  dem  Kampf  vorzubeugen  u.  s.  w. 
Ohne  Sinn  ist  jetzt  v.  80  [78  K.]  ff. 

el&Bii]  Ai6q  ev  navaXfi&cjq* 

Aioq  ifieQog  ovx  ev&i^occrog  kxvxO'f}, 

nüvra  [navrä  K.]  xoi  (pkeye&Bi  x&v  [xäv  K.] 

(TXÖTq)  fieXaivfe  ^vv  rvx^ 

jASQÖnetrai  Xaoig. 

Der  Chor  ist  den  Altaren  nah;  er  fleht  die  Göttin  um  Beistand  an; 
auch  den  im  Kriege  Bedrängten,  sagt  er,  ist  der  Altar,  auch  den  Kampf- 
flüchtigen die  Ehrfurcht  vor  den  Göttern  ein  Schutz.  Der  Vergleich 
mit  der  Gegenstrophe  lehrt,  daß  nun  folgen  muß:  wenn  doch  auch  für 
uns  dieser  Altar  so  ein  Schutz  wäre;  aber  wer  weiß,  ob  es  so  sein 
wird,  Zeus  Wege  sind  dunkel.  Die  einzig  bedeutende  Ijesart  ist  die 
schlecht  garantierte  ^vvrvxicct,  die  auch  der  Scholiast  vor  sich  gehabt 
zu  haben  scheint  {äXXä  ^kXaivü  r/g  airovg  xarixBi  avvxvxicc)\  ich  lese: 

ü  &eirj  d'edg  ev'  Ticcvalrj&ßg 
Jiög  ifjLBQog  ovx  eif^i^oarog  irvx^V* 
navT^  TOI  (fX%yi&ti, 
x&v  (Txörq)  fjbsXaivai  ^vv  Tv^cc  fABQÖTieffm  XaoTg, 

Das  7iavccXi]&6jg  ist  hier  in  dem  Sinn,  die  folgende  halb  sprichwört- 
liche Redensart  zu  bestätigen:  gar  richtig  heißt  es,  Zeus  Wille  ist  nicht 
leicht  zu  erjagen.  Die  Form  des  Asyndeton  ist  in  Aischyleischen  Chor- 
gesängen häufiger  als  die  Interpreten  zugeben  wollen. 

Ich  behalte  mir  vor,  später  von  anderen  Punkten  zu  sprechen. 


118  Zur  griechischen  Tragödie 

e.  Die  Tetralogie. 

Zeitschrift  für  die  AltertomswisseiiBchaft   II.  Jahrgang  1844   Sp.  97  ff. 

[97]  Mag  es  mir  nicht  mißdeutet  werden,  wenn  ich  noch  einmal 
auf  eine  Frage  zurückkomme,  über  welche  jüngst  der  größte  Kenner  des 
griechischen  Altertums  geurteilt  hat,  sie  sei  erschöpft,  und  man  thue 
vorerst  besser,  abzuwarten,  ob  nicht  vielleicht  irgend  ein  glücklicher 
Zufall,  etwa  unter  so  vielen  Auffindungen  neuer  Inschriften  die  einer 
didaskalischen,  neues  Material  darbieten  werde  (Ind.  lect.  Ber.  1841/2 
[KL  Sehr.  IV  S.  505  ff.]).  Die  herzliche  Weise,  in  der  Böckh  meiner 
in  jenem  Programme  gedenkt,  ist  mir  ein  lieber  Anlaß  mit  einem  eben 
so  herzlichen  Grußwort  der  Dankbarkeit  und  Verehrung  eben  diesen 
Aufsatz  zu  beginnen,  der  sich  zum  Teil  gegen  die  von  ihm  gewonnenen 
Ergebnisse  wenden  und  versuchen  soll,  ob  nicht  der  vielbesprochenen 
Frage  noch  eine  Seite  abzugewinnen  ist 

Ich  darf  mir  erlauben  die  früheren  Untersuchungen  unbesprochen 
zu  lassen;  Böckh  hat  in  der  vorsichtigen  und  klaren  Weise,  die  ihm 
vor  allen  eigentümlich  ist,  die  Frage  auf  die  feste  Grundlage  aus- 
drücklicher Zeugnisse  zurückzuführen  und  von  da  aus  ein  definitives 
Kesultat  zu  gewinnen  gesucht.  Er  beginnt  damit  die  Competenz 
ästhetischer  Gesichtspunkte  von  der  Hand  zu  weisen,  sich  gegen  eine 
beiläufige  Äußerung  in  meinem  Aufsatz  „Phrynichos,  Aischylos  und  die 
Trilogie"  wendend,  der  er  freilich  die  Deutung  giebt,  als  hätte  ich  nicht 
gewisse  factische  Übelstande  bezeichnen,  sondern  eine  in  der  That  sehr 
einseitige  Theorie  kritischer  Thätigkeit  aufstellen  wollen.  So  sehr  bin 
ich  seiner  Ansicht,  daß  die  wahre  Kritik  beide  Momente,  das  kritische 
und  gelehrte  mit  dem  ästhetischen  in  völliger  Durchdringung  fordere, 
daß  ich  eben  in  dem  verhältnismäßig  ungleich  seltneren  Vorhandensein 
des  einen  dieser  Momente,  des  ästhetisch  richtigen  und  gebildeten  Em- 
pfindens, den  Grund  fand,  warum  ein  glänzendes  Resultat  der  wahren 
Kritik  so  hartnäckig  habe  bestritten  werden  können.  Da  ich  für  die 
folgende  Erörterung  mich  jeder  ästhetischen  Betrachtung  enthalten  zu 
können  glaube,  so  ziehe  ich  es  vor  die  weitere  Bechtfertigung  des  von 
mir  Geäußerten  hier  nicht  aufzunehmen. 

Böckh  geht  von  dem  Satz  aus:  guadripartiia  didascalia  sit^e  can- 
nexae  inter  se  fabidae  fuerint  sive  tum  nexae  plurimis  visa  est  rerpcf- 
Xoyia  vocata  esse;  er  bespricht  dann  die  wenigen  Fälle,  in  denen  die 
uns  vorliegenden  Quellen  das  Wort  Tetralogie  gebrauchen;  er  sucht 
nachzuweisen,  daß  jedem  dieser  Fälle  jene  Deutung  des  Wortes  genügt 
Danach  [98]  geht  er  zu  der  bekannten  Notiz  des  Suidas  über,  Sophokles 


Die  Tetralogie  119 

J]Q^B  SQßficc  HQoq  ÖQäfia  äycovi^sa&ai  äXXä  fiij  rsTQccXoyiav,  es  ergebe 
sich  demnach  aus  derselben:  singtüae  fabukie  ex  hoc  instüuto  inier  se 
eompositae,  non  tetralogiae,  de  singtdis  mdicatum  est,  non  de  quatemis, 
singuiae  vicertmt,  non  qtuUemae,  vi  tarn  nihil  caitsae  esset,  quare  singuli 
poetcte  coimnitterent  quaiemas  fabulas  iis  quidem  ludis,  in  quibus  novo 
hoc  modo  certareiur. 

Die  Notiz  des  Suidas  namentlich  ist  es^  in  deren  Interpretation 
sich  die  beiden  entgegengesetzten  Ansichten  über  den  Begriff  Tetralogie 
feindlich  begegnen.  Böckhs  Deutung  derselben  würde  völlig  unzweifel- 
haft und  in  keiner  ihrer  Consequenzen  zu  bestreiten  sein,  wenn  die  von 
ihm  vorausgeschickte  Bestimmung  jenes  Begriffes  unbedenklich  wäre. 
Aber  er  begnügt  sich  nachzuweisen,  daß  die  Ansicht,  für  die  er  sich  ent- 
scheidet, jenes  utplurimis  visum  est,  nicht  mit  den  Fällen,  in  denen  das 
Wort  vorkommt,  streitet;  die  entgegengesetzte  Ansicht  hat  ebenfalls  einige 
Verbreitung,  streitet  ebenfalls  nicht  mit  jenen  Beispielen.  Man  wird,  da 
die  Notiz  des  Suidas  sich  nicht  anders  als  nach  Feststellung  jenes  Be- 
griffes benutzen  läßt,  es  aufgeben  müssen  über  jene  höchst  wichtige  Frage 
eine  Entscheidung  zu  gewinnen,  wenn  sich  nicht  irgend  ein  anderer 
Weg,  als  die  bis  jetzt  versuchten,  zum  Verständnis  des  Wortes  finden  läßt. 

Unter  solchen  Verhältnissen  darf  man  auch  wohl  combiniertere 
Mittel  versuchen,  wenn  sie  irgend  Aussicht  zu  gewähren  scheinen.  Ich 
will  von  demselben  Punkt  ausgehen,  in  dem  Böckh  die  entschiedene 
Bestätigung  für  seine  Darlegung  fand.  Es  giebt  ein  paar  Notizen,  nach 
denen  möglicherweise  in  Athen  eine  einzelne  Tragödie  aufgeführt  sein 
könnte;  ein  derartiges  Beispiel  ist  vollkommen  sicher,  jenes  Platonische 
Stb  Tfj  TCQCJTfj  TQaywdi^  kvixrjGBv  'Ayd&mv.  Mit  vollem  Rechte  sagt 
Böckh,  es  könne  das  nicht  soviel  heißen,  als  Agathen  habe  r^  nQthry 
didaaxalicg  gesiegt;  es  kann  auch  nicht  heißen,  Agathen  siegte  mit 
dem  ersten  der  vier  Dramen  seiner  Didaskalie;  Agathen  siegte  eben  mit 
seiner  ersten  Tragödie.  Es  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  in  Athen 
irgendwie  die  Aufführung  von  einer  einzelnen  Tragödie  eines  Dichters 
möglich,  daß  die  vierteilige  Didaskalie  nicht  die  einzige  Art  drama- 
tischer Aufführungen  war.  Hier  sind  nur  zwei  Möglichkeiten  denkbar: 
entweder  bei  allen  dionysischen  Festen  durften  die  Aufführenden  nach 
Belieben  mit  einem  oder  mit  vier  Dramen  concurrieren  (von  zwei  oder 
drei  spreche  ich  nicht)  —  oder  es  gab  Feste,  bei  denen  nur  je  vier, 
andere,  bei  denen  (auch  oder  nur)  mit  [99]  einem  Drama  concurriert 
wurde.  Wir  wissen  von  vierteiligen  Didaskalien  des  Aischylos,  Euripides, 
Xenokles,  Philokles  u.  s.  w.;  noch  für  OL  108  können  deren,  wie  Böckh 
nachgewiesen  hat,  und  wie  in  einer  Nachschrift  zu  diesem  Aufsatz 
näher  besprochen  werden  soll,  wiedererkannt  werden;  kurz  in  der  ganzen 


120  Zar  griechischen  Tragödie 

Zeit  von  den  Perserkriegen  bis  zur  Schlacht  von  Chaironeia  erhält  sich 
die  vierteilige  Didaskalie.  x\lso  es  gab  in  Athen  fort  und  fort  Feste,  in 
denen  vier  Dramen  eines  Dichters  als  eine  Didaskalie  aufgeführt  werden 
konnten.  Es  fragt  sich,  ob  mußten^  d.  h.  ob  gegen  solche  vier 
Dramen  ein  einzelnes  eines  andern  Dichters  zur  Concurrenz  zugelassen 
wurde  oder  nicht  Da  uns  weder  Zeugnisse  noch  bestimmte  Beispiele 
eine  Entscheidung  gewähren,  so  werden  wir  versuchen  dürfen,  sie  in 
der  Natur  der  Sache  zu  finden. 

Daß  solche  vier  Dramen  von  dem  Preisgericht  als  eine  Gesamtheit 
beurteilt,  mit  einem  Urteil  alle  vier,  nicht  mit  besonderem  jedes  einzelne 
bezeichnet  wurden,  scheint  unzweifelhaft.  Mit  den  vier  Stücken  in  der 
Didaskalie  der  Medeia  erhielt  Euripides  den  dritten  Preis,  mit  den  vier 
in  der  der  Alkestis  den  zweiten,  mit  den  vier  Dramen  der  Oresteia 
Aischylos  den  ersten,  mit  den  vier  Dramen  der  Didaskalie  der  Troaden 
Euripides  den  zweiten  gegen  die  vier,  die  Xenokles  dagegen  aufführte. 
Daß  in  allen  diesen  Fällen  sich  nie  eins  der  vier  Dramen  einer  Didas- 
kalie besser  oder  minder  gut  als  ein  anderes  gezeigt  haben  sollte,  ist 
völlig  undenkbar.  Auch  die  wahrscheinlichen  Ergänzungen  der  nach- 
träglich zu  besprechenden  Inschrift  werden  uns  das  gleiche  Resultat 
geben.  Ich  muß  den  Satz  de  singiUi-s  iudicatum  est,  non  de  quatemis 
für  unrichtig  erklären;  diese  Consequenz  aus  dem  Zeugnis  des  Suidas 
streitet  gegen  das  fast  evidente  Zeugnis  der  vorliegenden  Facta;  sie 
macht  gegen  die  Eichtigkeit  der  Deutung  desselben  mißtrauisch. 

In  jener  Didaskalie  der  Medeia  heißt  es:  Euphorien  erhielt  den 
ersten,  Sophokles  den  zweiten,  Euripides  mit  den  vier  namentlich  auf- 
geführten Dramen  den  dritten  Preis  und  ähnlich  sonst  Es  steht  da 
nicht,  daß  Sophokles,  daß  Euphorion  mit  einem  einzelnen  Drama  con- 
currierten.  Wurden  die  vier  Dramen  eines  Dichters  als  eine  Gesamt- 
heit beurteilt,  so  wäre  es,  wie  schon  oft  ausgeführt  worden,  die  aller- 
seltsamste  Inconvenienz  gewesen,  wenn  gegen  sie  ein  Drama  eines  andern 
Dichters  in  die  Schranken  hätte  treten  dürfen;  zur  Concurrenz  geborte 
notwendig,  daß  man  unter  äußerlich  gleichen  Bedingungen  concurrierte. 
Die  Stellung  der  Chöre  war  eine  öffentlich  vom  Staat  beaufsichtigte 
Pflicht.  War  es  möglich,  daß  ein  Drama  mit  zwölf  oder  fünfzehn  Cho- 
reuten gegen  vier  mit  fünfzig  in  die  Schranken  trat,  so  war  bei  der  Zu- 
teilung der  Chöre  die  Überlastung  oder  Zurücksetzung  der  einen  Phjle 
gegen  die  andere  unvermeidlich,  und  der  Choreg  für  vier  Dramen  hatte 
gegen  den  mit  einem  Drama  schon  durch  den  viermal  größeren  Auf- 
wand an  Unterhalt,  Einübung  und  Ausrüstung  seines  Chores  den  Sieg 
davon  getragen,  ein  Verhältnis,  das  in  gewissem  Betracht  auch  dann 
eingetreten  wäre,  wenn  man  (ich  [100]  spreche  natürlich  nur  von  den 


Die  Tetralogie  121 

Anffuhningen  seit  Aischylos)  das  Undenkbare  voraassetzen  wollte,  daß 
solches  eine  Drama  eben  so  viele  Choreuten  hatte,  wie  die  vier  zusammen- 
genommen.  Endlich  waren  die  dramatischen  Aufführungen  eine  Fest- 
feier; mit  einer  gehörigen,  ja  liturgisch  bestimmten  Festordnung  wäre 
solche  Willkür  in  der  Zahl  der  aufzuführenden  Dramen,  Choreuten  u.  s.  w. 
unvereinbar  gewesen. 

Demnach  wird  man  anzunehmen  haben,  daß  seitdem  die  Ordnung 
mit  vier  Dramen  aufzutreten  bei  einem  der  dionysischen  Feste  einge- 
führt war,  in  demselben  Feste  die  Aufführung,  die  Concurrenz  einer 
einzelnen  Tragödie  nicht  zugelassen  werden  konnte.  Dies  sagt  auch 
Böckh :  nee  dubitamus,  quin  tetralogias  iantwm  crnn  tetrcUogiis  commissae 
sifUj  non  0wm  singtUarüms  fabtUis,  Wenn  er  fortfahrt:  sed  posstmt 
eadem  aetate,  modo  tetralogiae  cwm  tetralogiis,  modo  singulae  fabukie 
cum  singtUis  fabulis  in  certamen  commissae  esse  aut  in  diversis  solem^ 
nibus  atU  in  eodem  adeo  festi  generCy  prout  nomina  professi  essent 
poetae  vel  seoundu/m  hos  professiones  videretur  magistratibus,  so  deutet  dies 
zweite  auch  eine  Hypothese  an,  die  in  dem  bisherigen  schon  mit  erledigt 
sein  dürfte.  Daß  es  von  der  Vereinbarung  zwischen  den  concurrieren- 
den  Dichtem  oder  der  Bewilligung  der  Magistrate  sollte  abgehangen 
haben,  ob  dem  Volke  je  vier  oder  je  ein  Drama  vorgeführt  werden 
sollten,  ist  wenig  glaublich,  wenn  man  die  Natur  der  Choregien  und 
die  Würde  des  Festes  berücksichtigt;  oder  leistete  in  solchem  Falle  der 
Choreg  nur  für  fünfzehn  Choreuten?  konnte  man  das  schauende  Volk 
auf  den  vierten  Teil  des  Vergnügens  reduzieren?  war  der  Wetteifer  der 
Chormeister  und  Choregen  dahin  zu  bringen,  sich  zu  solchen  kleineren 
Aufführungen  zu  verstandigen?  Böckhs  Annahme  stützte  sich  offenbar 
auf  die  Voraussetzung,  daß  auch  bei  den  vierteiligen  Didaskalien  jedes 
Drama  besonders  beurteilt  worden;  wir  sahen,  daß  diese  Voraussetzung 
unhaltbar  ist.  Man  wird  zugeben,  daß  diese  Wendung  in  sich  nicht 
wahrscheinlicher  ist  als  die  Annahme,  mit  einer  einzelnen  Tragödie 
habe  gegen  vier  Dramen  concurriert  werden  können.  So  lange  nicht 
das  eine  wie  das  andere  durch  ausdrückliche  Beispiele  oder  durch  aus- 
drückliche und  glaubhafte  Zeugnisse  nachgewiesen  ist,  muß  es  dafür 
gelten,  daß  diese  wie  jene  Willkür  der  attischen  Bühne  fremd  gewesen. 
Ich  sage  der  attischen:  ich  spreche  nur  von  den  Festen,  bei  denen  man 
annimmt,  daß  der  Gesamtstaat  beteiligt  war;  was  die  Bühne  der  ein- 
zelnen Demen  angeht,  so  mag  es  sich  da  immerhin  anders  verhalten 
haben,  selbst  wenn  auf  der  einen  oder  andern  neue  Tragödien  zur  Auf- 
führung gekommen  sein  sollten. 

In  den  Kieler  Studien  S.  80  [oben  S.  98]  äußerte  ich  in  Beziehung 
auf  die  Zeit  der  Perserkriege:  es  wollte  mir  scheinen,  als  wenn  in  dieser 


122  ^ur  griechischen  Tragödie 

Zeit  die  neuen  und  großartigen  Auffuhrungen  nur  an  den  großen  Dio- 
nysien  vorgekommen  seien.  Ich  hatte  eben  jenes  Factum  im  Sinn,  daß 
Agathen  einmal  mit  einer  Tragödie  gesiegt  hatte;  ich  nahm  an,  daß  der- 
artige Auffahrungen  einem  andern  Feste  zugewiesen  werden  müßten,  als 
dem,  welchem  die  größeren  mit  [101]  je  vier  Dramen  zugehören;  ich  hielt 
es  für  sehr  wahrscheinlich,  daß  der  größere  Aufwand  von  Geld,  Übung, 
Kunstleistung  eben  dem  dionysischen  Gesamtfeste  der  zehn  Phylen, 
das  durch  die  Anwesenheit  der  Gesandtschaften  aller  Bündner  verherr- 
licht wurde,  den  städtischen  Dionysien  werde  zugewiesen  worden  sein. 
Agathons  Sieg  mit  seiner  einen  Tragödie  war  in  den  Lenäen  (Athen 
V  S.  217).  Die  einzige  Didaskalie  mit  vier  Dramen,  von  der  wir  die 
Zeit  der  Aufführung  aufgezeichnet  finden,  gehört  den  großen  Dionysien 
an  (Böckh  S.  11).  Ich  enthalte  mich  absichtlich  jeder  weiteren  Mut*- 
maßung  über  die  Festordnung  der  Lenäen,  da  es  sich  hier  zunächst 
nur  um  die  Feststellung  des  Begriffes  Tetralogie  handelt. 

Nun  zur  Notiz  über  Sophokles:  ^(>|e  S()äfjLa  nQog  Sgäfia  äytovlfytT' 
&cci  äXXu  fitj  TaTQuXoyiav.  Über  die  Lesart  (nQaroXoyua&ai  d.  i.  re- 
T()aXoyBT(T&ai,  über  die  Emendation  rezQaXoyi^,  über  die  grammatische 
Struktur  des  Ganzen  verweise  ich  auf  Böckhs  Auseinandersetzung.  Mit 
Recht  fordert  Böckh,  daß  man  sich  vor  allem  an  dem  genauesten  Ver- 
ständnis so  ausdrücklicher  Zeugnisse  halten,  von  ihnen  aus  so  verwickelte 
Fragen  zu  lösen  suchen  müsse.  Aber  eben  so  wichtig  ist  es  sich  über 
die  Autorität  derartiger  Zeugnisse  klar  zu  sein.  Gewiß  stammt  Suidas 
Angabe  aus  einer  gelehrteren  Quelle,  aber  wer  weiß  durch  die  wievielte 
Hand.  £s  ist  wahrscheinlich,  daß  da  über  Sophokles  als  Dichter  und 
über  sein  Verdienst  um  die  dramatische  Kunst  gehandelt  wurde.  Jene 
Notiz  nimmt  nicht  Rücksicht  darauf,  ob  es  Feste  gab,  wo  eine  einzelne 
Tragödie  aufgeführt  werden  konnte;  sie  scheint  Sophokles  Neuerung 
nicht  im  Interesse  der  etwa  durch  ihn  veränderten  Festordnung,  son- 
dern in  dem  der  fortschreitenden  dramatischen  Kunst  zu  betrachten. 
Jedenfalls  spricht  sie  aus,  daß  Sophokles  Neuerung  im  Gegensatz  gegen 
die  bis  zu  ihm  übliche  „Tetralogie"  auftrat.  Was  heißt  nun  Tetralogie? 
Es  versteht  sich  vier  Dramen  als  zu  einander  gehörig  betrachtet  Diese 
Zusammenhörigkeit  kann  entweder  die  äußerliche  sein,  daß  die  vier 
eine  Didaskalie  ausmachen,  von  einem  Chormeister  an  einem  Feste  als 
eine  Partei  der  Concurrenz  aufgeführt  werden,  —  oder  es  ist  mit  dem 
Wort  außer  dieser  äußeren  Verbindung  auch  eine  weitere,  sich  auf  irgend 
welchen  innem  Zusammenhang  der  vier  Dramen  beziehende  ausgedrückt. 
Suidas  Notiz  kann  demnach  auf  doppelte  Weise  verstanden  werden: 
entweder  Sophokles  habe  die  bisherige  Ordnung  der  vierteiligen  Didas- 
kalie aufgegeben  und  eingeführt,  daß  Drama  gegen  Drama,  eins  gegen 


Die  Tetralogie  123 

eins  gekämpft  würde;  und  dann  minderte  er  den  Glanz  der  Festfeier, 
gab  statt  vier  Dramen  ein  einzelnes,  etwa  eine  Tragödie,  nnd  dann 
fehlte  das  Satyrspiel,  oder  ein  Satyrspiel,  dann  fehlte  die  Tragödie  — ; 
oder  es  heißt:  Sophokles  gab  nicht  mehr  vier  irgendwie  in  sich  inner- 
lich zusammenhängende  Stücke,  sondern  ließ  jedes  der  vier  Dramen 
seiner  Didaskalie  eben  ein  Kunstwerk  für  sich  sein,  stellte  so  seine 
Tier  Kunstwerke  gegen  das  eine  tetralogische  seines  Gegners,  wenn 
der  nicht  vorzog  sich  der  Neuerung  zu  akkomodieren.  Sophokles 
mehrte  dann  [102]  in  gewissem  Betracht  den  Glanz  der  Festfeier,  ver- 
vierfachte das  Interesse  der  Auffuhrungen.  Nach  der  ersten  Erklärung 
bezeichnet  die  Notiz  des  Suidas  eine  Änderung  in  der  Festordnung, 
nach  der  zweiten  eine  weitere  Entwickelung  in  der  dramatischen  Poesie. 
Wir  wollen  nicht  viel  darauf  geben,  daß  der  Ausdruck  Sgäfsa  ngoq 
SQäfjLa  weniger  für  eine  Reduzierung  von  vier  auf  eins,  als  für  eine 
Mehrung,  für  das  Ausbilden  eines  Ganzen  nach  seinen  Teilen  zu  spre- 
chen scheint  Haben  wir  mit  unserer  Annahme  über  die  liturgische 
Ordnung  in  der  Feier  der  großen  Dionysien  recht,  so  kann  Sophokles 
nicht  gegen  die  dort  üblichen  vierteiligen  Aufführungen  mit  einem 
einzelnen  Drama  aufgetreten  sein.  Also  nicht  jene  vierteilige  Didaskalie 
begann  er  aufzuheben,  sie  blieb  bis  in  späte  Zeit,  wohl  aber  die  Tetra- 
logie. Tetralogie  aber  bezeichnet  keineswegs  bloß  die  äußerliche  Ver- 
bindung von  vier  Dramen  zu  einer  Didaskalie,  sondern  irgend  welchen 
weiteren  inneren  Zusammenhang  derselben.  Diesen  hob  Sophokles  auf, 
sagt  Suidas.  Aber  man  achte  wohl  auf  den  Wert  dieser  Notiz;  er 
kämpfte  Drama  gegen  Drama,  sagt  sie;  und  doch  fanden  wir,  daß  die 
Richter  nicht  Drama  gegen  Drama  der  Didaskalie  beurteilten,  sondern 
die  vier  Stücke  jedes  Chormeisters  und  die  Leistungen  des  Choregen 
für  dieselben  in  Gesamtheit  richteten.  Femer  Sophokles  Neuerung  trat 
gegen  die  Tetralogie  auf;  nun  gab  es  ein  Fest,  wo  man  nachweislich 
mit  einer  Tragödie  (nicht  einmal  Tragödie  und  Satyrspiel  ist  zu  ver- 
muten, eher  oder  Satyrspiel)  concurrierte;  diese,  wenn  ich  so  sagen  darf, 
kleinere  Art  der  Feier  (das  Fest  der  Lenäen,  denke  ich,  wird  viel  älter 
sein  als  das  der  großen  Dionysien)  wurde  also  von  Sophokles  Neuerung 
nicht  infiziert;  in  der  Notiz  des  Suidas  ist  auch  darauf,  wie  oben  schon 
in  anderem  Zusammenhang  bezeichnet  worden,  keine  Rücksicht  ge- 
nommen. Oder  will  man  mutmaßen,  eben  die  kleineren  Aufführungen 
der  Lenäen  seien  durch  Sophokles  eingerichtet?  Von  allem  anderen 
abgesehen,  Suidas  Notiz  sagt  von  den  Lenäen  nichts,  gerade  die  Haupt- 
sache würde  sie  ausgelassen  haben. 

Nach    diesen   Combinationen    also   ist  in   der   Notiz   des   Suidas 
Tetralogie  in  dem  Sinne  gebraucht,  der  durch  Welckers  Meisterhand 


124  Zur  griechischen  Tragödie 

erschlossen  eine  so  hohe  Bedeutung  für  die  tiefere  Erkenntnis  der 
griechischen  Dramatik  gewonnen  hat^  Sehen  wir  nun  zu,  ob  das  son- 
stige Vorkommen  des  Wortes  Tetralogie  dieses  Besultat  bestätigt  oder 
nicht;  ich  habe  hier  die  einzelnen  Notizen  anzuführen,  die  Böckh  be- 
spricht, um  seine  Bedeutung  des  Wortes  zu  sichern. 

[103]  Als  Tetralogie  bezeichnet  finden  wir  die  Pandionis,  die  Ore- 
steia,  die  Lykurgeia,  beide  letzteren  mit  Angabe  ihrer  je  vier  einzelnen 
Dramen.  DaB  in  diesen  drei  Fällen  nicht  bloß  das  äußere  didaskalische 
Band,  sondern  ein  innerer  Zusammenhang,  die  Fortfuhrung  desselben 
Mythos,  die  vier  Stücke  verband,  ist  klar.  Wenn  das  zufallig  und  für 
unsere  Auffassung  des  Wortes  Tetralogie  irrelevant  ist,  wie  Böckh  gel- 
tend macht,  so  beweist  es  gegen  dieselbe  natürlich  noch  viel  weniger. 
Sodann  heißt  es  in  den  Scholien  zu  den  Fröschen  V.  1155:  r^QaXoyicev 
(pBQOVfTi  TTjv  V^eareiav  ai  JidaaxaXiai,  'Ayapiiiivova^  XotjfpÖQOvg, 
EvfieviSa^,  ÜQ^xia  (TccrvQiXÖv,  'AoiarttQXO^  xai  !AitoXk(hvioq  rgtXoyiav 
Xiyovai  x^Qh  t&v  aaxvQix&v.  Warum  schieden  beide  Gelehrte  das 
Satyrspiel  aus  der  Tetralogie  aus,  wenn  Tetralogie  nichts  ist  als  die 
qtuidripartita  didascalia  sive  connexae  inter  se  fabtUae  fuerint  sive  non 
nexae?  Die  ihnen  vorliegenden  Didaskalien  zeigten  ihnen  ja,  daß  die 
vier  Dramen  zusammen  eine  Didaskalie,  also  eine  Tetralogie  in  diesem 
Sinn  waren.  Aber  sie  wollten  die  drei  Tragödien  und  das  Satyrspiel, 
wie  dieselbe  Didaskalie  sie  umfaßte,  nicht  ebenso  mit  demselben  Namen 
Tetralogie  umfaßt  wissen,  also  mußte  ihnen  wohl  der  Name  eine  andere 
Verbindung  als  die  nur  äußere,  in  dieselbe  Didaskalie  zu  gehören,  be- 
zeichnen, sie  nannten  die  drei  Tragödien  eine  Trilogie;  ob  alle  ist  nicht 
zu  entscheiden;  gewiß  die  drei  der  Oresteia,  und  diese  enthalten  die 
Fortsetzung  desselben  Mythos.  Die  alten  Gelehrten  haben  die  Schriften 
Piatos  und  Demokrits  bald  in  Trilogien,  bald  in  Tetralogien  geteilt 
Besonders  lehrreich  ist  die  Stelle  bei  Diog.  L.  III 56  überPlato:  QgdfnsX- 
log  Si  cp7]Gi  xal  xccrä  ttjv  rgaytxijv  terQaXoytccv  hcSovvai  avrov 
Tovg  SiccXöyovQ'  oiov  ixelvoi  rirraoai  dgä^aai  ijytavi^ovro,  Aiowaioig, 
Arjvaiotg,  Ilavcc&fjvaioig,  XvTQOig'  o)V  t6   reraQzov  ^v  aazvQixdv, 


^  Ich  darf  bemerklich  machen,  daß  dies  Resultat  auch  dann  feststeht,  wenn 
man  in  der  Stelle  des  Plato  nicht  notwendig  die  Aufführung  einer  Tragödie 
ausgedrückt  finden  sollte.  Dann  würde  das  einzige  sichere  Beispiel  einer  solchen 
Einzelauffuhrung  fehlen,  und  das  Wort  Tetralogie  bekäme  nur  um  so  viel  mehr 
die  Bedeutung,  die  wir  festhalten.  Aber  es  scheint  mir  jene  Deutung  des  Plato- 
nischen Ausdruckes  durchaus  notwendig.  Wenn  übrigens  Plato  gleich  darauf 
von  den  30  000  Hellenen,  in  deren  Gegenwart  Agathon  gesiegt  habe,  spricht, 
so  widerspricht  dem  nicht  das  Aristophanische  avxol  yctQ  ^<Tfiev,  wenn  man  nur 
annimmt,  daß  in  den  Lenäen  nicht  wie  in  den  großen  Dionysien  die  Fremden 
gleichsam  offizieller  Weise  zugegen  waren. 


Die  Tetralogie  125 

rä  Si  xixraQa  SQdfiara  kxaXeizo  TBZQaXoyia,  Dies  nennt  Böckh  die 
ThrasjUische  Definition  der  Tetralogie,  sie  bezeichne  nichts  anderes, 
als  daß  die  vierteilige  Didaskalie,  ohne  Rücksicht  ob  die  vier  Dramen 
unter  sich  verbunden  waren  oder  nicht,  Tetralogie  geheißen  habe.  Ich 
will  nichts  darauf  geben,  daß  inmitten  dieser  angeblich  Thrasyllischen 
Definition  jene  unsinnige  Beifügung  der  vier  Feste,  an  denen  die  Auf- 
führungen stattgefunden,  steht,  eine  Verkehrtheit,  der  auch  mit  der 
feinen  Emendation  Fritzsches  nicht  abzuhelfen  ist  Es  kann  diese  An- 
gabe des  Diogenes  weder  für  die  Thrasyllische  Definition,  noch  über- 
haupt für  eine  Definition  gelten.  Thrasyllos  hat  ja,  wie  Diogenes  weiter 
ausführt,  die  Platonischen  Stücke  nach  dem  Zusammenhang  ihres  In- 
halts, nach  der  xoivri  vnö&Bmg  zusammengestellt;  Böckh  sagt,  das  könne 
für  die  dramatischen  Tetralogien  nichts  beweisen;  för  die  Zusammen- 
ordnung der  Platonischen  Stücke  habe  der  Inhalt  allein  einen  Anlaß 
bieten  können,  während  die  vier  Dramen  eben  nach  ihrem  Beieinander- 
sein in  einer  Didaskalie  und  nur  danach  als  Tetralogie  bezeichnet 
worden  seien.  Aber  schon  wie  der  gelehrte  Aristophanes  dieselben 
Gespräche  nicht  nach  Tetralogien,  sondern  nach  Trilogien  ordnete, 
[104]  zeigt  sich,  daß  man  wohl  nicht  bei  jenem  rein  äußerlichen  Be- 
griflf  stehen  bleiben  wollte.  Bedeutender  ist  eine  andere  Betrachtung. 
Diogenes  sagt,  daß  sich  in  ganz  paralleler  Weise  mit  der  dramatischen 
Kunst  die  Philosophie  entwickelt  habe;  dann  fährt  er  fort,  Thrasyllos 
sage,  es  habe  Plato  auch  xarä  rijv  zQccyixijv  rerQaloyiav  seine  Ge- 
spräche herausgegeben.  Also  die  Verbindung  der  Dialoge,  die  er  her- 
stellte, glaubte  er  von  Plato  selbst  bei  deren  Herausgabe  beabsichtigt; 
die  Analogie  mit  der  dramatischen  Tetralogie,  die  nach  seiner  Meinung 
Plato  beabsichtigte,  konnte  allerdings  darin  bestehen,  daß  Plato  je  vier 
Gespräche  zugleich,  ohne  Zusammenhang  in  sich,  herausgab.  Dies  ist 
nicht  geschehen;  eben  nach  dem  Zusammenhang  ihres  Inhaltes  stellte 
Thrasyllos  die  Tetralogie  so  wieder  her,  wie  er  glaubte,  daß  sie  Plato 
selbst  ediert  habe.  Danach  ist  nicht  zu  glauben,  daß  die  Thrasyllische 
Definition  in  jenen  Worten  des  Diogenes  erschöpft,  in  jenem  qvMri- 
partita  didascalia  sive  connexae  inier  se  fahvlae  fuerint  sive  non  nexae 
genügend  ausgedrückt  sei. 

Fassen  wir  das  Gesagte  zusammen.  Tretralogie  heißt  in  der  Notiz 
bei  Suidas,  wenn  man  die  wahrscheinliche  Festordnung  berücksichtigen 
darf,  eine  Gesamtheit  von  vier  in  innerem  Zusammenhang  stehenden 
Dramen.  Tetralogie  heißen  drei  dramatische  Compositionen  (Oresteia, 
Lykurgeia,  Pandionis),  deren  jede  denselben  Mythos  durch  die  vier 
Dramen  der  Didaskalie  fortführte.  Tetralogien  bildete  Thrasyllos  aus 
den   Dialogen   Piatos    nach   Maßgabe   ihres   zu   einander   gehörenden 


126  Zur  griechischen  Tragödie 

Inhaltes,  nach  ihrer  xoivi]  vnö&ecng,  nnd  zwar  so,  daß  er  annahm,  Plato 
selbst  habe  sie  nach  der  Ane^logie  der  dramatischen  Tetralogien  ediert. 
Tetralogie  wollten  Aristarch  und  Apollonios  die  Tier  Dramen,  zunächst 
der  Oresteia,  nicht  nennen,  um  nicht  das  in  seinem  Charakter  merklich 
gesonderte  Satyrspiel  mit  in  dem  gemeinsamen  Begriff  zu  befassen,  sie 
nannten  die  drei  Tragödien  Trilogie.  Alle  diese  Fälle  sprechen  dafar, 
daß  Tetralogie  eine  innigere  als  die  bloß  didaskaUsche  Zusammenhörig- 
keit bezeichne.  Ein  Beispiel  oder  ein  Zeugnis,  daß  Tetralogie  nur  diese 
bezeichnete,  giebt  es  nicht;  die  Hypothese,  welche  diese  Bedeutung 
annimmt,  widerstreitet  dem  natürlichen  Sinn  jenes  Namens,  wider- 
streitet der  Toraussetzlichen  Ordnung  des  Festes,  ohne  für  ihre  Wahr- 
scheinlichkeit etwas  Positives  anführen  zu  könnnen,  es  wäre  denn  das 
plurimia  visum  est,  von  dem  Böckh  ausgeht.  Ich  denke  auch  die  frühere 
Geschichte  des  Wortes  oder  der  Sache  wird  sich  zu  unseren  Gunsten 
entscheiden.  Wir  vermögen  nicht  nachzuweisen,  wie  früh  die  Namen 
Trilogie  und  Tetralogie  im  Gebrauch  gewesen  sind. 

[105]  Wenn  sich  sollte  erweisen  lassen,  daß  die  Tragödie,  hervor- 
gehend aus  dem  Dithyrambus,  zunächst  ein  Gedicht  war,  sich  dann 
in  sich  erweiterte  und  gliederte  zu  drei  Auftritten,  die  dann  selbst  an 
Umfang  wachsend,  und  als  eben  so  viele  Momente  einer  fortschreitenden 
Handlung  ausgestaltet,  in  sich  selbst  zu  kleineren  dramatischen  Ganzen 
wurden,  ähnUch  wie  die  Einzelstatuen  in  einer  Gruppe  sich  zu  dem 
großen  dramatischen  Ganzen  verhaltend;  wenn  es  sich  dann  zeigte  daß 
auch  das  Satyrspiel  in  die  Gesamtgruppierung  als  ein  vierter  Auftritt 
mit  hineingezogen  werden  konnte,  und  wenn  man  nun  als  Gesamt- 
bezeichnungen die  Namen  Trilogie  und  Tetralogie  vorfindet,  Namen, 
welche  die  Entwickelung  aus  einer  Einheit,  die  Gliederung  eines  Ganzen 
zu  bezeichnen  scheinen  — ,  so  ist  in  thesi  anzunehmen,  daß  beide  Namen 
sich  nicht  gleichgültig  gegen  den  Zusammenhang  der  von  ihnen  be- 
zeichneten Gliederungen  oder  Vielheiten  verhalten.  Aus  jener  hypothe- 
tisch verzeichneten  Geschichte  der  dramatischen  Anfange  sind  wenig- 
stens einige  Punkte  nachweislich,  was  ich  hier  nicht  weiter  ausführe.  Es 
kann  im  allgemeinen  für  zugestanden  gelten,  daß  Aischylos  wenigstens 
vorherrschend  seine  dramatischen  Stoffe  in  drei  zusammenhängenden 
Tragödien  behandelte,  bisweilen  auch  den  Mythos  der  Tragödien  noch 
in  dem  vierten  Drama  der  Didaskalie,  dem  Satyrspiel,  fortsetzte.  In 
der  That  eine  sonderbare  Erscheinung;  jene  Zahlen  drei  und  eins,  die 
dann  in  so  bemerkenswerter  Weise  in  der  weiteren  Geschichte  der  Tragik 
erkennbar  bleiben,  woher  nur  kommen  sie?  haben  sie  gar  keinen  Zu- 
sammenhang, keine  Bedeutung?  sind  sie  willkürlich  vom  Aischylos 
gewählt?  wieso  wurden  sie  die  normierenden? 


Die  Tetralogie  127 

Diese  Frage,  kaum  daß  man  sie  bisher  aufgeworfen,  ihrer  Lösung 
einen  Schritt  näher  zu  führen,  war  ein  Teil  der  Aufgabe,  welche  ich  mir 
für  den  Aufsatz  „Phrynichos,  Aischylos  und  die  Trilogie"  (Kieler  Studien 
1841  S.  41  [oben  S.  75]  flF.)  gestellt  hatte.  Ich  habe  die  Freude  gehabt 
von  mehreren  Seiten  her  Billigung  meiuer  Vermutung  zu  erfahren. 
Die  Wichtigkeit,  welche  die  Sichei*stellung  derselben  für  die  von  mir 
vertretene  Bedeutung  des  Wortes  Tetralogie  hat,  mag  es  rechtfertigen, 
wenn  ich  versuche,  die  dagegen  erhobenen  Bedenken  zu  entkräften, 
obschon  ich  mich  damit  in  eine  Art  von  Controverse  einzulassen  ge- 
nötigt sein  werde,  die  ich  vorgezogen  haben  würde  stets  von  mir  fem 
zu  halten.  Bei  [106]  Fragen  von  so  rein  sachlichem  Interesse  kann,  sollte 
man  meinen,  nur  Anlaß  sein  zu  ruhiger  Besprechung  und  Verstän- 
digung, zur  gegenseitigen  Förderung  in  der  gemeinsamen  wissenschaft- 
lichen Arbeit.  Wenn  Hr.  H.  L.  Ahrens  in  einer  Recension  der  Kieler 
Studien  (Gott.  Gel.  Anz.  1843  Nr.  43.  44)  meinen  Aufsatz  beurteilend 
vorgezogen  hat,  sich  einer  anderen  Weise  zu  bedienen,  so  wird  man  es 
mir  gern  erlassen  darüber  ein  weiteres  zu  sagen;  es  genügt  an  ein  ernstes 
Wort  von  G.  Hermann  zu  erinnern:  daß  die  Achtung  des  Menschen 
sich  nach  dem  Grade  der  Würde  und  des  Anstandes  richtet,  mit  dem 
man  sich  selbst  seine  Stelle  anweist.  Ich  würde  wie  natürlich  von  Hm. 
Ahrens  Becension  keine  Notiz  nehmen,  wenn  es  nicht  das  Interesse  mei- 
ner Aufgabe  forderte,  die  von  ihm  gemachten  Einwendungen  zu  prüfen. 

Hr.  A.  bezeichnet  ganz  richtig  die  Absicht  meines  Aufsatzes,  wenn 
er  beginnt:  „der  Ver£  glaubt  die  Entdeckung  gemacht  zu  haben,  daß 
der  alte  Tragiker  Phrynichos  in  jeder  Tragödie  die  drei  verschiedenen 
Chöre  hinter  und  zu  einander  auftreten  ließ,  daß  drei  Akte  eines  Stückes, 
jeder  durch  das  Auftreten  eines  neuen  Chores  bezeichnet  wurde,  daß 
ein  einziges  Stück  von  seinen  drei  Chören  drei  verschiedene  Namen 
führen  konnte,  kurz  daß  die  Phrynicheische  Tragödie  etwa  als  ein  Em- 
bryo der  Aischyleischen  Tragödie  zu  betrachten  sei.  Die  Entdeckung 
würde  sehr  merkwürdig  und  belohnend  sein,  wenn  sie  nur  richtig  wäre 
und  nicht  vielmehr  auf  einer  Reihe  von  offenbaren  Mißverständnissen 
und  falschen  Schlüssen  beruhte".  Das  mag  nachher  besprochen  werden. 
Zunächst  aber  verdiente  hervorgehoben  zu  werden,  daß  die  Erscheinung 
einer  völlig  ausgebildeten  trilogischen  Form  Lei  Aischylos  auf  den  Ge- 
danken führen  könne,  ja  müsse,  Anbahnungen  dazu  in  der  Tragödie 
vor  ihm  zu  erwarten;  wie  denn  dies  der  Ausgangspunkt  meiner  Nach- 
forschungen gewesen  ist.  Sagt  doch  Aristoteles:  nolkcsg  fieraßolag 
fjLsraßakodda  inavaaro  ij  r^ccycpSia,  ine)  HaxB  Tr/v  iavrfjg  (pvaiv. 
Meine  offenbaren  Mißverständnisse  und  falschen  Schlüsse  sind  nun  fol- 
gende: daß  die  rTig  ü^x^g  naghSgoi,  denen  nach  Glaukos  im  Anfang 


128  Zur  griechischen  Tragödie 

der  PhöDissen  des  Phrynichos  der  Eunnch  die  Sitze  bereitet,  gerade 
wie  bei  Aischylos  die  persischen  Greise  den  Chor  bildeten,  versteht 
sich,  sagte  ich,  von  selbst.  Darauf  entgegnete  mein  Herr  Rec:  doch 
wohl  nicht  ganz,  denn  ein  auf  der  Bühne  sitzender  Chor  kommt,  mit 
Ausnahme  der  Eumeniden  (und  auch  da  ist  die  Sache  keineswegs 
vollkommen  klar)  in  der  griechischen  [107]  Tragödie,  wenn  wir  uns 
recht  erinnern,  nicht  weiter  vor*'.  Allerdings  wird  von  einigen  Ge- 
lehrten bezweifelt,  daß  man  die  schlafenden  Eumeniden  gesehen  habe. 
Aber  ich  hatte  nichts  davon  gesagt,  daß  der  Chor  der  Paredroi  auf 
der  Bühne  sitzen  sollte,  auch  Glaukos  sagt  nichts  davon;  wozu  also 
das  beifügen,  wenn  es  genau  gemeint  war;  wenn  aber  nicht  genau, 
so  hätte  sich  Hr.  A.  nur  zu  erinnern  nötig  gehabt,  daß  Danaos  in  den 
Schutzflehenden  zu  seinen  Töchtern  sagt  (V.  219)  iv  äypip  d'  irrfAog 
(bg  nekeiüSmv  i^ea^s,  worauf  sich  die  Mädchen  doch  wohl  gesetzt 
haben  werden,  natürlich  da,  wo  der  Chor  hingehört,  eben  da,  wo  der 
Eunuch  die  Sessel  bereit  macht  für  die  ParedroL  Oder  sollte  Hr.  A, 
eine  Schwierigkeit  darin  finden,  daß  der  Schauspieler  sich  anderswo  als 
auf  der  Bühne  zeigt?  er  wird  sich  erinnern,  wie  nicht  gerade  selten 
derartiges  vorkommt.  Weiteres  übergehe  ich,  da  das  gesagte  hinreichen 
wird  die  Dürftigkeit  dieses  Einwandes  zu  bezeichnen.  „Der  Verf.  findet 
einen  solchen  (sitzenden  Chor)  auch  im  Tantalus  des  Phrynichus  nach 
Hesych.  s.  v.  kq>iSQavcc,  aber  mit  nicht  größerem  Recht".  Die  Worte 
des  Hesychius  lauten:  itphSgava'  k(p  wv  xaü-ijvro  ot  rag  XvQag  ä^ovct, 
und  ich  vermutete  danach  einen  Chor  von  Lautenschlägem,  und  ähn- 
lich wenigstens  ist  der  Ort  des  Chores  mit  dem  IsTq)'  iSQceva  der 
Aischyleischen  Schutzflehenden  V.  832  bezeichnet;  ähnliches  noch  sonst 
oft  genug.  Aber  freilich  es  konnte  jenes  htpiSgava  möglicherweise 
auch  in  einer  Erzählung  vorkommen.  Doch  spricht  die  Fassung  der 
Erklärung,  dünkt  mich,  mehr  für  jenes.  Jedenfalls  war  dieser  Punkt 
für  den  Zweck  meiner  Darlegung  ohne  Bedeutung.  Hr.  A.  fahrt  gegen 
meine  Annahme,  jene  mighSgoi  seien  der  Chor  bei  Phrynichos  gewesen, 
also  fort:  „warum  sollte  man  nicht  stumme  Personen  erkennen  dürfen 
wie  die  Areopagiten  in  den  Eumeniden,  oder  glauben,  daß  einer  das 
Wort  für  sie  geführt  habe,  wie  im  König  Oedipus  der  Priester  für 
die  Deputation  des  Volkes?  etwa  aus  dem  einzigen  Grunde,  weil  nach 
dem  Zeugnis  des  Glaukos  Aischylos  die  Phönissen  in  seinen  Persem 
nachgeahmt  hat?  Wenn  dieser  so  sklavisch  gefolgt  ist,  warum  ist 
denn  bei  ihm  kein  Eunuch?  warum  sitzen  die  nKrrd  nicht  auf  der 
Bühne?  warum  fehlen  die  Phönizierinnen  gänzlich?"  Fragen  genug; 
die  drei  letzten  werden  wohl  nur  zur  Mehrung  des  Totaleindruckes  hin- 
zugefügt sein,  und  die  beiden  ersten  erledigen  sich  aus  der  einfachen 


Die  Tetralogie  129 

Betrachtung,  daß  jene  Paredroi,  wenn  anders  das  Bereiten  ihrer  Sitze 
durch  den  Eunuchen  nicht  anzeigen  sollte,  daß  sie  fortblieben,  sich 
eben  auf  die  Kunde  von  der  Niederlage,  von  der  der  Eunuch  im  Prolog 
spricht,  versammeln,  daß  sie  zu  keinem  andern  Zweck  als  zu  beraten 
und  zu  klagen  zusammenkommen  können,  daß  sie  als  stumme  Personen 
nicht  etwas  zu  thun  finden  wie  die  Areopagiten,  und  als  „Deputation^' 
mit  einem  repräsentierenden  Sprecher  an  der  Spitze  niemand  vorfinden, 
an  den  sie  sich  wenden  könnten,  wie  der  Priester  mit  dem  Volk  im 
Oedipus,  noch  etwas  zu  petitionieren  haben  wie  diese.  Hätte  sich  Hr.  A. 
recht  erinnert,  so  würde  er  seine  Eragen  mit  der  Ökonomik  [108]  der 
Mittel,  wie  sie  die  Tragödie  stets  zeigt,  unvereinbar  gefunden  haben. 
Weiter  dann:  „übrigens  sollen  diese  Paredroi  bei  Phrynichos  selbst  2vv' 
ß-coxoi  geheißen  haben,  weil  dieser  Titel  eines  Phrynicheischen  Stückes 
genannt  wird".  Diese  Vermutung  hat  0.  Müller  in  seinem  Programm  de 
Phrynichi  Phoenissis  prolusio  (1835)  aufgestellt  und  Welcker  (die  griech. 
Trag.  S.23)  hat  sie  sehr  ansprechend  gefunden;  bei  beiden  sind  die  Gründe 
für  diese  sehr  leichte  Combination,  die  ich  schon  vor  fünfzehn  Jahren 
in  Böckhs  Seminar  vorschlug,  dargelegt  Hr.  A.  fahrt  dann  fort:  „daß 
in  den  Phönissen  der  männliche  Chor  gegen  den  Weiberchor  der  Phö- 
nissen  und  deren  Saitenspiel  in  Oktaven  gesungen  habe,  also  daß  beide 
Chöre  zugleich  vor  den  Augen  der  Zuschauer  gewesen  seien,  wird  ge- 
schlossen aus  dem  Fragment  ifjalfioitriv  ävTianaGt  äeiSovreg  fUXtj, 
Der  Verf.  verweist  hier  selbst  auf  Böckh  de  metr.  Pind.  VI  11  (ich 
schrieb  freilich:  für  das  weitere  verweise  ich  . . .),  wo  er  bei  nicht  ganz 
flüchtiger  Ansicht  hätte  lernen  können,  daß  dvTi(pi9'oyyov,  AvTiaita" 
(TTOv,  ävriC^vyov  die  Eigentümlichkeit  der  Magadis  und  ähnlicher  In- 
strumente bezeichnen,  auf  denen,  weil  sie  wenigstens  zwei  Oktaven  um- 
faßten, beim  Anschlagen  eines  jeden  Tones  zugleich  nach  bekanntem 
Gesetze  seine  Oktave  ertönte'^  Ich  habe  jetzt  leider  nicht  Böckhs 
Pindar  zur  Hand  und  erinnere  mich  nicht  mehr,  was  er  näheres  über 
jenes  bekannte  Gresetz  beibringt;  in  jener  seltsamen  Form  wird  es  da 
wohl  nicht  stehen;  jedenfalls  haben  die  Alten  selbst  schon  besser  die 
Lehre  von  den  mitklingenden  Tönen  {aipicpmifoi  cpß-öyyoi  unter  andern 
bei  Theo  Smymaeus  Cap.  6  S.  80)  gekannt  und  namentlich  gewußt,  daß 
bei  einer  Besaitung  von  zwei  Oktaven  weder  für  jeden  Ton  seine  Ok- 
tave noch  bloß  die  Oktave,  sondern  noch  allerlei  anderes  mitklang  „nach 
bekannten  Gesetzen'^,  die  ich  meinem  Hm.  Bea  also  nicht  weiter  bemerk- 
lich machen  will.  Aber  wie  soll  eine  Anwendung  dieser  Berichtigung, 
die  mein  Hr.  Kec.  beibringt,  auf  Phrynichos  Vers  herauskommen?  es 
wäre  sehr  dankenswert  gewesen,  wenn  Hr.  A.  dies  erläutert  hatte; 
die  ävxlanaaxa  fiikr],  die  gesungen  werden,  können  doch  nicht  die 

Droysen,  Kl.  Sohriflen  II.  9 


130  Zur  griechischen  Tragödie 

freiwillig  mitklingenden  Töne  des  Instruments  sein  sollen?  Hr.  A.  fihrt 
fort:  y,wie  Hr.  Droysen  zu  seiner  eben  so  neuen  als  sonderbaren  Inter- 
pretation gekommen  sei,  würde  man  gar  nicht  zu  enträtseln  wissen, 
wenn  nicht  die  Erklärung  des  Pindarischen  ävTi(p&oyyov  ipakpLÖv  von 
Aristoxenos  bei  Athen,  beigeschrieben  wäre:  Stä  rb  Svo  ytp&v  6fia 
xal  Siä  nuG&v  üx^iv  rijv  awq)Siav  ävSg&v  re  xal  naidcDV,  Den 
Ausdruck  yivf}  erklärt  Böckh  vom  acutum  und  grave  genus  sonorum 
(darauf,  sagt  Hr.  A.,  geht  natürlich  auch  die  Erwähnung  der  Männer 
und  Kinder);  sollte  Hr.  Dr.,  der  ausdrücklich  das  AvTirFnaara  des 
Fhrynichos  und  das  üvTirpß-oyyov  des  Pindar  für  gleichbedeutend 
erklärt,  bei  Svo  yivrj  an  die  beiden  sexus  gedacht  haben  ?^'  Das  Vor- 
aussetzen einer  solchen  Gedankenlosigkeit,  wie  mein  Hr.  Rec.  die  Stirn 
hat  hier  mir  unterzuschieben,  ist  freilich  auch  eine  Art  Urteilen,  nur 
nicht  das  eines  redlichen  Bec.  Genau  dieselbe  „eben  so  neue  wie 
sonderbare  Interpretation"  hat  auf  die  vorliegende  Stelle  0.  Müller  an- 
gewandt: [109]  ita  tU  conoentu  diapason  reaponderent  (principes  Perscu) 
mtUiebri  caniui,  qui  ad  pectiden  Lydiam  aliudve  simile  organon  tempe- 
ratus  est;  und  Welcker  nahm  (S.  27)  diese  Erklärung  an:  „wie  schön 
die  musikalische  Beziehung  des  männlichen  Chors  zu  dem  weiblichen 
durch  den  Vers  ausgedrückt  sei,  zeigt  Müller^^  Mich  wird  die  Autorität 
beider  gegen  die  zudringlichen  Insinuationen  meines  Hm.  Bec.  vertei- 
digen. Ich  bedaure,  daß  in  seinen  Bemerkungen  so  wenig  Belehrendes 
zu  finden  ist;  es  wäre  bei  einer  so  leichten  Stelle  interessant  ge- 
wesen die  abweichende  Erklärung  des  als  gründlichen  Sprachkenners 
bewährten  Herrn  zu  erfahren.  So  bleibt  mir  nur  übrig  nach  wie  Yor 
mit  Müller  und  Welcker  dafür  zu  halten,  daß  jener  Vers  aus  den 
Phönissen,  also  dem  Stück,  dessen  Chor  aus  phönicischen  Weibern  be- 
stand, den  Gesang  von  Männern  gegen  den  oktavisch  begleitenden 
Klang  der  Saiten  bezeichnet,  und  daß  er  sich  eben  am  leichtesten  durch 
jene  Dichorie  erklärt,  wie  sie  schon  Müller  annahm,  und  wie  sie  mit 
der  Bezeichnung  singender  Männer  {AeiSovreg)  in  dem  Stück,  das  nach 
dem  Weiberchor  benannt  ist,  sich  deutlichst  indiziert.  Endlich  die  letzte 
Anführung  „aus  der  Reihe  von  offenbaren  Mißverständnissen  und 
falschen  Schlüssen",  die  in  meiner  Vermutung  über  den  trilogischen 
Charakter  der  Phönissen  des  Phrynichos  nachgewiesen  werden  sollten, 
ist  folgende:  „endlich  wird  aus  der  von  Glaukos  bezeugten  Ähnlich- 
keit der  Perser  des  Aischylos  mit  den  Phönissen  geschlossen,  daß  auch 
in  diesen  zuletzt  Xerxes  mit  dem  Best  des  Heeres,  d.  h.  mit  einem 
Chore  von  Persern  erschienen  sei.  Nun  findet  sich  aber  im  Verzeichnis 
Phrynicheischer  Stücke  auch  ITigacci  genannt;  also  — ".  Ich  schloß 
doch  nicht  so  ohne  weiteres,  obschon  selbst  die  Zusammenstellung,  wie 


Die  Tetralogie  13  t 

sie  mein  Hr.  Bec.  giebt^  die  Wahrscheinlichkeit  des  Schlusses  deutlieh 
zeigt;  ich  sagte:  wenn  Aischylos  Perser  nach  der  Tragödie  des  Phrj«^ 
nichos  gearbeitet  sein  sollen,  so  kann  die  Ähnlichkeit  nur  in  der 
wesentlichen  Analogie  auffallender  Motive  bestanden  haben;  es  liegt  in 
der  Natur  der  Sache,  daß  die  Niederlage,  von  der  der  Eunuch  berich- 
tete, und  um  die  sich  die  Klagen  erst  der  Paredroi,  dann  der  Phönissen 
drehten,  zur  unmittelbaren  Anschauung  gebracht  wurde ;  und  auch  der 
Schluß  der  Aischyleischen  Perser  zeigt  den  Xerxes  nach  der  Nieder- 
lage. Doch  ich  mag  mich  nicht  weiter  abschreiben;  es  gehört  ein 
Minimum  von  Einsicht  in  das  Wesen  dieser  Art  von  Poesie  dazu  zu 
erkennen,  welchen  hohen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit  das  schließliche 
Auftret.en  des  Xerxes  mit  seinen  Begleitern  hat  Jedenfalls  ist  der 
letzte  Einwurf  meines  Hrn.  Rec.  eben  nicht  starker  oder  begründeter 
als  alle  früheren ;  durch  seine  Bemerkungen  ist  die  Hypothese,  die  ich 
darzulegen  versucht  habe,  auch  nicht  im  geringsten  erschüttert.  Ich 
meine  darum  nicht  etwa,  daß  sie  mit  mathematischer  Sicherheit  be- 
gründet dasteht;  in  Sachen  dieser  Art  wird  man  sich  immer  mit  dem 
Wahrscheinlichen  begnügen  müssen. 

Ich  glaubte  auch  noch  in  anderen  Notizen  über  Phrynicheische 
Gedichte  leise  Spuren  einer  ähnlichen  [110]  trilogischen  Compositions^ 
weise  zu  erkennen.  Hr.  A.  wendet  sich  gegen  das  über  die  Ägypter  und 
Danaiden  bemerkte;  und  da  bot  ich  ihm  allerdings  eine  Blöße,  wenn 
ich  schrieb:  „Hesychius  hat  folgende  Notiz  v.  Iccivsrccr  /oÄovTat  im^ 
xQccivsrar  Ticcgä  rdv  löv.  (pQvvixog  Alyvmioiq.  Daß  dies  iiaQu 
rriv  7eb  heißen  muß,  ist  klar'^  Ich  glaubte  also  in  den  Ägyptiem  eine 
Erwähnung  der  lo  aufeuspüren  und  fand  darin  eine  Ähnlichkeit  mit 
den  analogen  Beziehungen  in  den  Schutzflehenden  des  Aischylos.  Mein 
Hr.  Bec.  bemerkt  dagegen  folgendes:  „Bef.  vermutet,  daß  die  Emendation 
nagä  ri]v  'Id)  nach  einem  ihm  unbekannten  Sprachgebrauch  so  viel 
bedeuten  soll,  als  n€Ql  rfjg  lovg;  indes  auch  die  Möglichkeit  dieses 
Sinnes  und  die  Richtigkeit  der  Änderung  angenommen,  dürfte  der 
Schluß  von  der  Erwähnung  der  lo  in  den  Ägyptiem  auf  die  Identität 
mit  den  Danaiden  wohl  ein  sehr  kühner  genannt  werden;  außerdem 
ist  zu  erinnern,  daß  Alyvnnoi  nicht  Ägyptossöhne  heißen  kann,  es 
müßte  denn  Aischylos  einmal  dem  böotischen  Dialekt  gefolgt  sein. 
Aber,  was  das  schlimmste  ist,  der  Verf.  hat  gänzlich  übersehen, 
daß  bei  Hesychius  schon  längst  mit  dei  unzweifelhaftesten  Evidenz 
nagä  xbv  löv  geschrieben  ist^  d.  h.  laivtxm  in  der  Bedeutung  zürnt 
kommt  von  I6q  Gift  her,  ebenso  wie  Hesychius  Ita^aig  durch  d^w&eig 
erklärt  wird.  Außerdem  ist  das  sinnlose  knixQaivBrai,  an  dem  Hr.  Dr. 
keinen  Anstoß  nahm,  in   nixoaivBxai  korrigiert,  richtiger  wohl  noch 

9* 


132  Zur  griechischen  Tragödie 

kxitix^aivBTcci^K  Ich  hatte  den  Albertischen  Hesjchius  vor  mir  und 
hätte  da  sehr  füglich  das  mxQcciverai  aus  der  Note  entnehmen  können, 
wenn  ich  nicht  eben  die  Notiz  wie  sie  im  Text  stand  hätte  wiedergeben 
wollen;  daß  ich  an  dem  inix^aivtrai  keinen  Anstoß  nahm,  ist  eine 
Vorranssetznng  meines  Hm.  Rea,  deren  Absicht  sich  meiner  Competenz 
entzieht.  Ebenda  in  der  Note  habe  ich  gar  wohl  die  Emendation 
nuQa  Tov  I6v  gelesen,  die  mein  Hr.  Rec.  so  gütig  ist  sehr  populär 
zu  erläutern,  sie  muß  mir  wohl  eben  nicht  gefallen  haben;  jedenfalls^ 
wenn  es  das  schlimniste  ist,  dergleichen  schon  Gemachtes  zu  über- 
sehen, so  sind  die  möglichen  Versündigungen  auf  philologischem  Gebiet 
nicht  allzu  schwer.  Es  ist  sehr  nachsichtig  von  meinem  Hrn.  Bec.,  daß 
er  mir  die  Möglichkeit  eines  so  unerhörten  Sprachgebrauches,  daß  nagä 
rriv  statt  %bqI  rfiq  stehen  könne,  zugeben  will.  Aber  ich  rechnete  nicht 
darauf,  daß  man  das,  was  ich  sagte,  anders  verstände  als  wie  es  heißen 
kann,  und  ich  durfte  erwarten  mit  wohlgemeinten  Sprachfehlem  nicht 
behelUgt  zu  werden.  Bekannt  genug  ist  es  ja,  wie  die  Tragödie  mit 
Etymologien  spielt;  wenn  Odysseus  in  einem  Sophokleischen  Verse  seinen 
Namen  erklären  kann  mit  den  Worten  noXXol  yuQ  (bSmccvzo  Svarr^ßeTg 
ifwi,  wenn  Eassandra  sagen  darf  ÜAtioIXov,  &n6Xkmv  kfiög,  änc&l^aaq 
fäg  X  T  A.,  so  war  es  am  Ende  nicht  zu  dreist,  Phrynichos  das  Wort 
iaivBTcci  von  'M  ableiten  zu  lassen,  und  der  Lexikograph  hatte  sich 
mit  naQa  rr^v  leb  (oder  napä  t6  7A  was  noch  leichter  gewesen  wäre) 
völlig  korrekt  ausgedrückt,  so  wie  es  beispielshalber  im  Etym.  M.  heißt: 
xai  C^v^^iv  t6  TiQäyfia  nagä  t6  Ztvq-  avrög  yaQ  nQ&zog  ü^tv^ep 
[111]  iffiiövovg  inl  anoQ^  xagn&ff,  Worte,  die  mit  der  leichten  Ver- 
änderung ^ifiiovov  und  einer  kleinen  Umstellung  im  Anfang  trimetrisch, 
ihren  ungefähren  Ursprung  verraten.  Aber  ich  habe  eine  Blöße  gegeben, 
wenn  ich  von  jener  Emendation  sagte,  sie  sei  klar;  höchstens  ist  sie 
möglich  zu  nennen.  Der  Übergang  aus  der  nächsten  Bedeutung  des 
IcchcQ  zu  der  des  Entflammens  ist  leicht  genug,  daß  man  eben  nicht 
nötig  hat  an  die  speziellere  Ableitung  von  log  zu  denken,  und  die 
beiden  Notizen  des  Hesychius  in  iw&sig  und  i<6&f]  zeigen,  daß  diese 
Bedeutung  des  Entflammens  nicht  eine  so  völlig  vereinzelte  nur  in  den 
Ägyptiern  war;  da  konnte  es  mir  wohl  beikommen  an  eine  andere 
Emendation  zu  denken;  und  gerade  in  der  von  mir  angeführten  Stelle 
des  Aischylos,  welche  dieselbe  Situation  der  lo,  an  welche  ich  für  dies 
Bruchstück  der  Ägyptier  dachte,  bezeichnet,  heißt  es:  xai  (pQBvonktjyeig 
fiaviai  &ceXnov<T\  Aber  allerdings  das  von  mir  vermutete  ist  zu  dreist, 
als  daß  ich  darauf  und  darauf  allein  den  Schluß  hätte  bauen  können, 
daß  in  den  Ägyptiern  des  Phrynichos  die  Geschichte  der  von  lo  stam- 
menden Danaiden  behandelt  gewesen  wäre.    Aber  gehörten  nicht  auch 


Die  Tetmlogie  188 

Aischylos  Ägyptier  in  die  Trilogie  der  Danaiden?  Das  ist  wahrlich 
ein  sehr  bedeutender  Fingerzeig.  Oder  wird  mein  Hr.  Reo.  für  Phry- 
nichos  Ägyptier  den  Busiris  vorziehen?  oder  jivratoq  ^  Aißveg  in 
eine  unerwartet  neue  Combination  stellen?  oder  irgend  eine  Helena 
mit  einem  Chor  von  Ägyptiem  umgeben?  oder  was  sonst?  denn  zu 
sagen,  das  kann  man  nicht  wissen,  ist  eine  Art  Vorsicht,  die  nur  den 
Unkundigen  imponiert;  den  Kreis  des  Möglichen  kann  man  in  diesem 
Fall  ziemlich  vollständig  bezeichnen.  Übrigens  fand  auch  Welcker 
(S.  27)  die  Zusammenhörigkeit  der  Danaiden  und  Ägyptier  des  Phryni- 
chos  wahrscheinlich.  Was  endlich  die  Äußerung  ^jAlyintioi  heiße 
nicht  Ägyptossöhne'^  anbetrifft,  so  hätte  ich  wohl  gewünscht,  Hr.  A. 
hätte  es  der  Mühe  wert  gehalten,  diese  von  ihm  zuerst  ausgesprochene 
Bedenklichkeit  weiter  zu  verfolgen,  und  namentlich  auszuführen,  wo- 
nach er  sich  das  Aischyleische  Stück  Myvnrioi  genannt  denkt  Frei- 
lich er  kann  sagen,  sowohl  G.  Hermann  wie  Welcker,  samt  allen  denen 
die  nach  beiden  die  Aischyleische  Trilogie  anerkannt  haben,  irren 
wenn  sie  annehmen,  daß  die  Alyvnnoi  dahinein  gehören,  nur  wolle 
er  dann  gefalligst  hinzufügen,  was  sonst  unter  diesem  Titel  für  ein 
Mythos  behandelt  worden,  der  freilich  kein  Satyrspiel  sein  dürfte,  und 
wie  die  Lücke  in  der  Trilogie  der  Danaiden  auszufüllen,  welche  dann 
entsteht,  wenn  man  die  Tragödie  von  den  in  den  Schutzflehenden  so 
oft  genannten  Alyvnxov  ncclStq  nicht  mit  jenen  Alyvnnoi  identifi- 
zieren soll.  Oder  ist  etwa  diese  Tragödie  doch  hierher  gehörig  aber 
nach  einem  Chor  von  Ägyptiem,  den  Begleitern  der  Ägyptossöhne, 
genannt?  Dann  hätte  ich  im  wesentlichen  doch  recht,  und  das  selt- 
same wäre  nur,  daß  Aischylos  das  Stück,  in  dem  die  Ägyptossöhne 
die  Hauptrolle  spielten,  nicht  nach  ihnen,  sondern  nach  dem  Chor 
ihrer  Begleiter  genannt  hätte,  dessen  Existenz  wahrlich  noch  viel  [112] 
zweifelhafter  ist,  als  daß  Aischylos  einmal  sich  böotisch  ausgedrückt 
hätte;  —  wenn  es  überhaupt  böotisch  und  nicht  herkömmlich  ist 

So  weit  der  Nachweis  „offenbarer  Mißverständnisse  und  falscher 
Schlüsse",  mit  denen  Hr.  A.  einen  Teil  meines  Aufeatzes  hat  behelligen 
wollen;  was  er  sonst  noch  geäußert  hat,  lasse  ich  gern  unangerührt, 
da  es  ohne  Beziehung  auf  die  Sache  ist,  die  ich  hier  zu  besprechen 
habe.  Ich  kann  nach  diesem  unangenehmen  Seitenwege  zu  meiner 
Hauptfrage  zurückkehren. 

Aus  kleinem  Anfang  her  erwuchs  die  Tragödie,  die  Tochter  des 
Dithyrambus.  Also  die  Lyrik  war  ihr  Ausgangspunkt;  sie  machte  sich 
in  den  nächsten  Entwickelungsstufen  noch  überwiegend  geltend;  wie 
die  Tragödie  des  Phrynichos,  der  Aischylos  in  den  Persem  (nicht  in 
der  Trilogie  der  Perser)  folgte,  mit  dem  Bericht  von  der  Niederlage  der 


134  Zur  griechischen  Tragödie 

Perser  begann,  so  konnte  im  weiteren  Verlauf  des  Gedichtes  von  einer 
pramatischen  Entwickelung  und  Spannung  nicht  mehr  die  Rede  sein. 
Ich  bezeichnete  Phrynichos  Poesie  daher  mit  dem  Namen  dramatisierte 
Lyrik;  erst  Aischylos  schuf  die  Handlung  im  Drama.  Ich  machte 
wahrscheinlich,  daß  in  eben  jener  Tragödie  des  Phrynichos  drei  Chöre 
nach  und  zu  einander  auftraten,  und  wenigstens  die  besprochenen  Gegen- 
bemerkungen haben  diese  Wahrscheinlichkeit  nicht  verändert  Es  wird 
somit  noch  immer  gelten  dürfen,  was  ich  vermutete,  daß  die  Anbah- 
nungen zu  der  bei  Aischylos  vollendet  erscheinenden  Compositionsweise, 
die  doch  irgendwo  zwischen  den  ersten  Anfängen  und  Aischylos  gesucht 
werden  müssen,  sich  eben  in  jener  als  wahrscheinlich  erkannten  Weise 
des  Phrynichos  erkennen  lassen.  Sachlich  war  die  Trilogie  damit  vor- 
handen; ob  der  Name  zugleich  in  Übung  kam,  bleibe  dahingestellt 
Über  das  Hineinziehen  des  Satyrspiels  ist  bereits  gesprochen.  So  wie 
das  geschah,  hatte  man  die  Tetralogie.  Wann  die  gewiß  nicht  ursprüng- 
liche Vierteiligkeit  der  tragischen  Didaskalie  für  die  großen  Dionysien 
als  wesentliche  Festordnung  fixiert  worden,  ist  nicht  zu  bestimmen;  bis 
in  die  Demosthenische  Zeit  blieb  sie  nachweislich. 

Sind  diese  Beobachtungen  richtig,  so  war  wenigstens  die  Trilogie 
von  Anfang  her  auf  das  bestimmteste  ein  Complex  innerlich  verbun- 
dener Dramen,  war  ein  Gedicht  Das  Satyrspiel,  wo  der  Dichter  der 
Tragödie  ein  solches  beizufügen  hatte  (also  gewiß  bei  den  großen  Dio- 
nysien), war  zunächst  wohl  schwerlich  in  innerem  Zusammenhang  mit 
der  Tragödie;  sie  mochte  sich  zu  drei  Auftritten,  zur  Trilogie  entwickelt 
haben,  als  noch  das  Spiel  der  Satyren  fremd  neben  ihr  stand,  nur  didas- 
kalisch  mit  ihr  in  Beziehung.  Gewiß  ist  es,  daß  Aischylos  es  zur  Fort- 
führung des  in  den  drei  Tragödien  behandelten  Stoffes  zu  benutzen 
verstand.  Sobald  es  gestattet  wurde  an  vierter  Stelle  statt  des  Satyr- 
chors einen  tragischen  vorzuführen,  war  die  tetralogische  Gestaltung 
der  Didaskalie  desto  leichter. 

[113]  Die  alten  Gelehrten  oder  wenigstens  unsere  dürftigen  Notizen 
aus  denselben  stellen  sich  offenbar  die  Übergänge  in  der  Entwickelung 
der  tragischen  Kunst  zu  schroff  und  zu  äußerlich  vor.  Sie  stimmen 
keineswegs  miteinander  stets  überein.  Die  einen  nannten  die  Oresteia 
eine  Tetralogie;  lose  genug  ist  der  sachliche  Zusammenhang  des  Proteus 
mit  den  drei  Tragödien;  noch  loser  der  Zusammenhang  des  Satyrspiels 
Prometheus  mit  der  Persertrilogie,  ja  in  stofflicher  Beziehung  wird  er 
ganz  gefehlt  haben;  und  doch  mußte  das  ganze  eine  Tetralogie  sein, 
wenn  erst  Sophokles  die  Tetralogie  auflöste;  —  noch  mehr,  die  drei 
Tragödien  derselben  Trilogie  der  Perser  zeigen  einen  rein  idealen  Zu- 
sammenhang in  ganz  ähnlicher  W^eise  durch  die  Weissagungen  getragen, 


Die  Tetralogie  135 

wie  in  der  Enripideischen  Trilogie  der  Troaden  die  Weissagungen  der 
Kassandra  {xccxdv  fiiv  Tgtoal^  nfj^  S'  'EkXaSi?)  und  der  gottgesandte 
Traum  der  Hekabe,  Sakod  ntxQÖv  fjiifirjfia  (Troad.  V.  931  [922  K.]).  Man 
sieht  schon,  jene  Notiz  des  Suidas  enthält  eine  viel  zu  schroffe  Angabe; 
weder  Drama  gegen  Drama  hat  Sophokles  gekämpft,  denn  die  Richter 
urteilten  nach  wie  vor  über  die  Gesamtheit  der  vier  Stücke  eines  Dich- 
ters, —  noch  hat  er  streng  genommen  die  Tetralogie  aufgelöst,  denn 
schon  bei  Aischylos  beginnt  diese  Auflösung  deutlich  genug,  und  zwar 
in  einer  Tetralogie,  die  vor  dem  Anfangen  des  Sophokles  gemacht  ist. 
Daß  Sophokles  die  Trennung  des  Satyrspiels  von  den  Tragödien, 
der  Tragödien  von  einander  noch  weiter  führte,  wird  allerdings  wahr- 
scheinlich sein;  doch  glaube  ich  nach  dem  bisherigen  der  Notiz  des 
Suidas  keinesweges  eine  so  große  kunstgeschichtliche  Bedeutung  ein- 
räumen zu  können,  wie  bisher  geschehen  ist.  Mehr  noch  nach  dem 
allgemeinen  Gang  der  Entwicklung  der  tragischen  Kunst  und  nach  dem 
in  sich  abgerundeten  und  abgeschlossenen  Charakter  Sophokleischer 
Dramen  (nur  der  Aias  macht  eine  Ausnahme)  als  auf  die  Autorität 
jener  Notiz  des  Suidas  wird  man  Trennung  der  Dramen  in  Sopho- 
kleischen  Didaskalien  anzunehmen  haben.  Freilich  hier  steht  die  For- 
schung an  einer  Grenze,  die  sie  nicht  zu  überschreiten  wagen  darf; 
ohne  Auffindung  Sophokleischer  Didaskalien  wird  es  unmöglich  sein, 
zu  entscheiden,  ob  zwischen  den  zusammen  aufgeführten  Dramen  doch 
noch  ein  Zusammenhang,  wenigstens  irgend  ein  idealer  blieb.  Wenn 
ich  (Kieler  Studien  S.  62  [oben  S.  93])  geäußert  habe,  daß  ich  nach  der 
[114]  hohen  Vollendung  der  Sophokleischen  Kunst  dies  glaubte,  aber 
freilich  nichts  weiter  als  den  guten  Glauben  dafür  anzuführen  hätte,  so 
ist  wenigstens  die  entgegengesetzte  Ansicht,  welche  jede  innere  Beziehung 
der  zusammen  aufgeführten  und  demselben  Gesamturteil  der  Richter 
vorgelegten  Dramen  verwirft,  eben  so  weit  entfernt  durch  genügende 
äußere  Zeugnisse  gestüzt  zu  sein;  der  Beweis,  daß  derartige  Beziehungen, 
die  künstlerisch  betrachtet  ungleich  näher  liegen  als  das  Gegenteil,  in 
den  Sophokleischen  Aufführungen  gefehlt  hätten,  ist  eben  so  wenig  zu 
fahren  als  der,  daß  sie  vorhanden  waren.  Da  hat  sich  die  Forschung 
zu  bescheiden.  Für  ein  völliges  Verkennen  der  Aufgaben  wie  der 
Mittel  philologischer  Forschung  muß  ich  es  halten,  wenn  man  mit  wie 
glänzendem  Aufwand  von  Scharfsinn  und  dichtenscher  Begabung  auch 
immer  den  Versuch  hat  wagen  zu  können  geglaubt,  aus  gewissen  Zeit- 
anlässen her  die  Motive,  die  Gedankencomplexe  zu  entnehmen,  um  nach 
ihnen  Sophokleische  Trilogien  zusammenzustellen,  oder  gar  gegen  die 
ausdrückliche  Überlieferung  die  drei  Thebäischen  Dramen  zu  einer 
Didaskalie  zusammenzubringen. 


136  ^ur  griechischen  Tragödie 

Doch  Ton  Sophokles,  Ton  Enripides  ziehe  ich  vor  nicht  weiter 
zu  sprechen;  es  kam  mir  nur  darauf  an,  die  Bedeutung  des  Wortes 
Tetralogie  womöglich  fester  zu  bestimmen  und  namentlich  gegen  die 
Erklärung  Böckhs  zu  sichern.  Zur  völligen  Evidenz  ist  allerdings  die 
Sache  nicht  gebracht,  da  die  ganze  Auseinandersetzung  eben  doch  nur 
auf  die  in  aller  Grenauigkeit  genommene  Angabe  über  die  lenäische 
Auffuhrung  des  Agathen  und  auf  die  Hypothese  von  der  liturgisch 
geregelten  Festordnung  der  großen  Dionysien  gebaut  ist 

Allerdings  sind  die  Resultate  zum  Teil  auffallender  Art,  aber  ich 
denke  sie  sind  in  consequenter  Durchführung  jener  beiden  Ausgangs- 
punkte gewonnen.  Man  wird  keine  Instanz  gegen  das  Ergebnis  darin 
finden  wollen,  daß  es  das  Aufgeben  mancher  Annahmen  und  Vorurteile 
nötig  macht^  an  die  man  sich  gewöhnt  hat.  Namentlich  für  die  Fest- 
feier der  Lenäen  dürften  sich  nicht  geringe  Modificationen  ei^ben. 
Ich  will  diese  für  jetzt  nicht  weiter  ausführen;  ich  begnüge  mich  an- 
zuführen, daß  wenn  man  aus  der  Inschrift  Corp.  Inscr.  Ör.  Nr.  213  [C.  I. 
A.  II  553]  einen  Schluß  machen  darf,  die  Lenäen  keineswegs  wie  die 
großen  Dionysieu  als  ein  Fest  der  zehn  Phylen  anzusehen  sind,  so  wenig 
wie  die  Dionysien  im  Peiraieus  und  die  sonstigen  ländlichen  Dionysien, 
ein  Umstand,  der  den  Gebrauch  kleinerer  Aufführungen  in  [115]  den 
Lenäen  anzunehmen,  nicht  wenig  empfehlen  würde. 


Nachschriftlicherweise  will  ich  noch  zweierlei  besprechen,  einmal 
die  Didaskalie  der  Euripideischen  Troaden,  sodann  eine  didaskalische 
Inschrift. 

Wir  fanden  nur  ein  ausdrückliches  Beispiel  für  eine  dramatische 
Auffuhrung  in  den  großen  Dionysien,  und  diese  war  eine  vierteilige. 
Doch,  denke  ich,  läßt  sich  noch  ein  zweites  eben  so  sicheres  nachweisen. 
In  der  Lysianischen  Rede  änoXoyia  äfOQoSoxiccq  sagt  der  Sprecher, 
xarcctTTag  Si  xoQvyog  xQccywSoig  (im  dritten  Monat  vor  den  Thargelien, 
also  in  den  großen  Dionysien  unter  dem  Archon  Theopomp  410)  habe 
er  30  Minen  aufgewendet;  wenn  derselbe  dann  angiebt,  daß  er  später 
XG}fjL(pSotQ  xoQvy^'^  siegte  und  avv  rfj  rijg  tJXBvfig  AvctO-kau  16  Mineo 
aufgewendet  habe,  so  muß  man  sich  erinnern,  daß  der  komische  Chor 
halb  so  stark  als  der  tragische  war,  und  daß  die  Vorübung  für  die 
Tragödie  wohl  längere  Mühe  nötig  machte,  so  daß  die  komische  Choregie 
mit  Einschluß  der  dväi^errtg  nicht  viel  über  die  Hälfte  der  tragischen 
Choregie  kosten  konnte,  wenn  nämlich  diese  nicht  eine  Tragödie  son- 
dern vier  Dramen  umfaßte. 


Die  Tetralogie  137 

Ich  meine  ein  drittes  Beispiel  wird  die  Didaskalie  der  Troaden 
geben.  Scholl  (Beitrage  I  S.  69)  hat  sie  den  Dionysien  im  Feiraieus  im 
Herbst  415  zugewiesen  und  eine  Reihe  der  feinsten  Beobachtungen  über 
die  politischen  Beziehungen  in  dieser  Didaskalie  daran  geknüpft  Bei 
näherer  Untersuchung  finde  ich  seine  Darstellung  nicht  mehr  haltbar. 

Wir  finden  drei  Angaben  über  die  Zeit  ihrer  Auffuhrung.  Der 
Palamedes,  das  zweite  Stück  der  Didaskalie,  ist  nach  den  Schollen  zu 
Arist  Aves  843  nicht  viel  vor  den  Vögeln  (Dionysien  414)  aufgeführt. 
Der  Scholiast  zu  Arist.  Vesp.  1317  giebt  an:  vittbqsT  rj  rßv  TQ&kdämv 
xä&aai^  H$aiv  inrä,  also  sieben  Jahre  nach  den  Wespen,  welche  den 
Lenäen  OL  89  2  zugehören.  Der  gelehrten  Quelle  des  Scholiasten  lagen 
natürlich  Didaskalien  nach  Olympiaden  und  Archonten  geordnet  vor; 
rechnete  er  wie  wahrscheinlich  das  Jahr  der  Wespen  als  das  erste,  so 
waren  Ol.  90  4  die  sieben  Jahre  vollendet,  und  die  Troaden  gehören  in 
Ol.  91  1  (416/5).  Dies  scheint  sich  durch  die  Angabe  Älians  V.  H.  II  8 
zu  bestätigen,  der  die  Zeit  der  Aufführung  so  bezeichnet:  xarä  Ttjv 
nQ(x)ri}v  xal  kPBvrjxoarijv  VkvfjLitidSeCy  xcc&'  i]v  ivixa  'E^aiverog  6  !AxQa- 
yccvrivoq  arüSioVj  d.  h.  Ol.  91,  und,  wie  schon  Böckh  bemerklich  gemacht 
hat,  ist  mit  dieser  Art  der  Bezeichnung,  wie  gewöhnlich,  so  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  auch  hier  eben  das  erste  Jahr  der  Olympiade  be- 
zeichnet; eine  Annahme,  die  sich  durch  die  Angabe  des  Scholiasten 
zu  den  Wespen  nicht  wenig  empfiehlt.  Danach  wird  ohne  sehr  starke 
Gegengründe  die  Didaskalie  der  Troaden  nicht  über  Ol.  91  1,  d.  h.  über 
die  erste  Hälfte  von  415  hinabzurücken  sein.  Nicht  minder  bedenk- 
lich scheint  es,  die  Aufführung  dieser  vier  neuen  Dramen  den  länd- 
lichen Dionysien  im  Spätherbst,  wenn  auch  denen  des  Feiraieus  zuzu- 
weisen. Scholl  verweist  auf  Allan  V.  H.  II  13.  Dort  heißt  es:  ö  <Ji 
2wxQdrriq  aitdviov  jwiv[116]  knatpoira  rotg  ^edtpotg,  eY  nore  Si  Evqi- 
niSrjg  6  rijg  TQuy^Siaq  noiririjg  ijywvi^ero  xaivoig  rgayq)SoiQ,  t6tb 
ye  drpixvtiro'  xal  ÜBiQaioi  Sh  äycovi^ofiivov  xal  ixei  xcerfjBi,  Mxatpe 
yaQ  T(p  dvSgi  x  r  X,  Der  Sinn  dieser  Stelle  kann  endlich  doch  wohl 
nur  sein,  daß  Sokrates  nicht  bloß  zu  den  neuen  Tragödien  (in  den 
Dionysien  und  Lenäen),  sondern  auch  zu  denen  im  Feiraieus,  d.  h.  also 
wo  nicht  neue  Tragödien  aufgeführt  wurden,  ging.  Und  eine  andere 
Stelle,  welche  die  Aufführung  neuer  Tragödien  im  Feiraieus  bezeich- 
nete, ist  nicht  nachzuweisen;  wenigstens,  daß  man  dort  jene  großen 
vierteiligen  .Auffuhrungen  gemacht  hal?en  sollte,  die  jedem  der  Con- 
currierenden  ein  halbes  Talent  kosten  konnten,  abgesehen  von  den 
Kosten,  die  der  Gemeinde  für  Schauspieler  u.  s.  w.  daraus  erwuchsen, 
und  die  für  die  großen  Dionysien  der  Gesamtstaat  trug,  ist  nicht  sehr 
wahrscheinlich.    Aber  zwingen  die  von  Scholl  bezeichneten  politischen 


138  Zur  griechischen  Tragödie 

Beziehungen  vielleicht,  gegen  diese  genauere  Erklärung  der  chrono- 
logischen Angaben  und  trotz  dieser  Wahrscheinlichkeit  die  Didaskalie 
in  den  Herbst  415  zu  setzen?  Sie  sind  teils  allgemeiner,  teils  sp^ 
zieller  Art.  Vor  allem  bezeichnend  ist  der  Chorgesang  der  gefangenen  . 
Troerinnen  (Y.  197  ff.),  in  dem  sie  wünschen:  sie  möchten  gen  Athen 
in  Dienstbarkeit  kommen  —  nur  nicht  zum  Eurotas  —  oder  gen  Thes- 
salien, oder  gen  Sicilien  {xal  räv  ^irvaiav  x^Q^'^  •  •  •  &xov(d  xaQva- 
(TBa&cci  (TTB(pdvoig  äQSTßg)  oder  nach  dem  Lande  des  schönfärbenden 
Krathis  (Thurioi).  Aber  diese  Wendungen  haben  ihre  hinreichende 
Beziehung  auch  wenn  die  Expedition  noch  nicht  begonnen,  sondern 
erst  projektiert  war;  und  den  Winter  416/5,  sagt  Thukydides,  machten 
sie  dies  Projekt,  schickten  sie  Gesandte  nach  Sicilien  (VI  1  und  7); 
namentlich  jene  ari(favoi  ägstäq  bezieht  Scholl  (S.  71)  auf  den  Sieg 
der  Athener  unter  Nikias;  aber  ich  zweifle,  daß  der  Ausdruck  sich 
auf  etwas  anderes  als  auf  xrjQvyficcTcc  über  Siege  sicilischer  Männer 
etwa  in  den  olympischen  Spielen  u.  s.  w.  beziehen  kann.  Zwei  andere 
Stellen  (Y.  95  und  400)  können,  wenn  sie  einer  Beziehung  bedürfen, 
auch  im  Frühling  415  hinreichende  Deutung  finden.  Anderes  darf 
ich  als  noch  weniger  entscheidend  übergehen.  Die  allgemeinen  Be- 
ziehungen, welche  in  der  gesamten  Disposition  der  Didaskalie  und  ihrer 
steten  Gegenbildlichkeit  zu  den  wirklichen  Verhältnissen  gefunden 
worden,  sind  natürlich  gar  sehr  von  subjektiver  Auffassung  abhängig; 
für  die  Troaden  wenigstens  würde  das  Schicksal  von  Melos,  das  sich 
in  ihnen  so  eindringlich  spiegelt,  hinreichende  Analogie  darzubieten 
scheinen.  Noch  eine  andere  Betrachtung  darf  hier  eine  Stelle  finden. 
Man  weiß,  mit  welcher  Heftigkeit  gerade  im  Zusammenhang  mit  den 
Hermokopidenprozessen  gegen  Religionsfrevel  und  Atheismus  verfahren 
wurde;  Scholl  bewundert  den  energischen  Freimut  des  Euripides,  wenn 
er  trotzdem  in  stärkster  Weise  die  Troaden  mit  eben  solchen  Ansichten 
und  Wendungen  schmückt^  wie  deren  eben  dem  Diagoras,  dem  Prota- 
goras  die  höchste  Gefahr  gebracht  haben.  Man  sieht,  wie  viel  leichter 
sich  eben  dies  Argument  gegen  die  Aufführung  unmittelbar  nach  jenen 
Prozessen  wenden  läßt 

[117]  Hiemach  glaube  ich,  daß  man  dem  genauen  Verständnis 
der  chronologischen  Angaben  gemäß  diese  Didaskalie  in  Ol.  91  1  wird 
setzen  müssen.  Dürfben  wir  schon  als  erwiesen  annehmen,  daß  in  den 
Lenäen  keine  vierteiligen  Didaskalien  aufgeführt  worden,  so  wäre  diese 
ohne  weiteres  den  großen  Dionysien  415  zuzuweisen.  Daß  die  Ver- 
knechtung  von  Melos  und  die  furchtbaren  Schicksale  der  unglücklichen 
Melier  in  den  Troaden  dem  Dichter  vorgeschwebt,  dürfte  kaum  zu 
bezweifeln  sein;  Melos  aber  fiel  während  des  Winters.   Sollte  Euripides, 


Die  Tetralogie  139 

der  langsam  arbeitete,  schon  zu  den  Lenäen  seine  Tragödie  fertig  ge- 
habt haben,  die  nach  einigen  schon  in  den  Dezember,  spätestens  in 
den  Januar  und  Anfang  Februar  fallen?  Wir  gewinnen,  meine  ich, 
^  hier  die  größte  Wahrscheinlicheit,  daß  diese  Didaskalie  in  den  großen 
Dionysien  aufgeführt  ist  — ,  also  ein  drittes  Beispiel  einer  vierteiligen 
Didaskalie  in  den  großen  Dionysien. 

Nun  zu  der  didaskalischen  Inschrift,  die  Corp.  Inscr.  Grr.  Nr.  231 
[C.  I.  A.  n  972  besser  nach  Le  Bas]  mitgeteilt  ist.  Sie  zeigt  zwei 
Kolumnen;  in  der  links  sind  Aufführungen  von  Komikern,  in  der  andern 
viel  verstümmeiteren  tragische  Aufführungen  verzeichnet.  Daß  es  nicht 
Aufführungen  verschiedener  dionysischer  Feste  sind,  ergiebt  sich  mit 
Sicherheit  aus  dem  Umstände,  daß  in  dieser  nach  den  Archonten  fort- 
schreitenden Aufzahlung  keine  unterscheidende  Bezeichnung  verschiedener 
Feste  angemerkt  ist.  Ich  schreibe  die  linke  Seite,  wie  sie  von  Böckh  er- 
gänzt ist,  auf;  die  rechte  bleibe  zunächst,  wie  sie  in  der  Fourmontschen 
Abschrift  ist: 

T€ ]    fFTlÖl  ElP 

vnB.  !Aqi(7töijl]ccxoq  YTTE 

!AvTi(pavif\q  nifx.    '^varrw^olfAevoii^]  YTTO 

vTie,  'AvT^Kfüvi]^,  ETTI 

5  .  .  .  cüvvfj^og  ivixa,  APA  5 

inl  Ji]ortfjiov  J^ifivXoq  \nQ&  .  .  .  YTTE 

(Ticc^  vne,    !A()i(7TÖfAaxog  HPA 

JiöSojQog  Ssv.    N^xQa  6HZH 

V71B.  LjQifTTÖfAazog  lYTTO 

10  Aiodmoog  T(ji\    Maivofievfp  ETTIAPXH  10 

i^ne,    Ki](pifFioq  TYPOI 

r/i?  T6.    noriTBi  YÜEiAYIlKPAT 

m.%  ,.,,..']  7/^  KAAAIITPATOI 

AM0IAOXQIIHIO 
YnE:KAAAinn     15 
OiKAAAirni 
NTI 
Die  Breite  der  linken  Kolumne  läßt  sich  genau  taxieren,  da  von 
Z.  7    ihre  Anfänge   unverletzt  sind;   die  rechte  Columne  kann  nicht 
wohl  viel  breiter  gewesen  sein,  mochte  neben  ihr  eine  dritte  stehen 
oder  nicht.    In  ihr  föngt  Z.  7  ein  neues  Archontenjahr  an,  und  zwar, 
wie  Böckh  bereits  vermutet,  wird  es  heißen  müssen  ^nl  !Aqx(ov  d.  h. 
Ol.  108  3,  wenn  man  sich  nämlich  durch  den  Archon  Diotimos  in  der 
linken  Kolumne   einigermaßen   darf  leiten   lassen;  sonst  würde   man 
hnl   IdQX^'^'^ov    zu    lesen    genötigt    sein    und    damit    bis   Ol.   114  4 


140  Zur  griechischen  Tragödie 


hmabgehen;  denn  gar  über  das  Jahr  des  Eukleides  hinatifzüsteigen, 
zu  Ol.  90  2,  scheint  doch  zu  widersinnig.  Der  nächste  Anknüpfangs- 
pnnkt  zu  [118]  weiterem  Verständnis  ist  Zeile  14  IdfA^iMxq^,  l^io[vt. 
Böckh  sagt:  haee  dtio  nomina  docent  teircUogiain  hoc  loco  nominatcmi  esse. 
Also  noch  zwei  Namen  von  Stücken  mußten  zu  diesen  hinzukommen^ 
es  mußte  wie  man  aus  dem  öfteren  YTTE  in  beiden  Kolumnen  sieht, 
der  Name  des  Schauspielers  folgen,  und  wie  sich  von  selbst  versteht  j 
der  Name  des  Dichters  oder  Chormeisters  vorhergehen.  Zeile  12  zeigt.  I 
mit  dem  inexpivero  Avffixgat  . .  .,  daß  dort  die  Angaben  über  einen 
Dichter  mit  seinen  Stücken  und  seinem  Schauspieler  zu  Ende  waren, 
mit  dem  KuXkifrrQccxoq  der  folgenden  Zeile  haben  wir  den  Namen  j 

eines  andern  Dichters,  hinter  diesem  mußte,  da  sichtlich  in  diesem 
Jahre  des  Archias  mehr  als  ein  Dichter  auftrat,  eine  Zahlenbezeichnung 
etwa  TPI:  folgen;  da  in  der  linken  Kolumne  die  breiteste  Zeile  etwa 
28  bis  30  Buchstaben  umfaßt,  KAAAIITPATOI:  TPI:  da  aber  bereits 
17  Stellen  verbraucht,  so  war  in  dieser  Zeile  nur  noch  für  den 
Namen  eines  Dramas  Raum,  und  das  vierte  Drama  stand  in  der 
folgenden  Zeile  hinter  IZIO[«^i,  und  zwar,  wenn  es  ein  Satyrspiel  war, 
wahrscheinlich  ohne  die  volle  Bezeichnung  ZATYPOII.  Dies  fuge  ich 
hinzu,  weil  Böckh  Zeile  11  so  gut  wie  TvqoI  auch  2a\TVQoi[(;  für 
möglich  hält.  Dies  wird  nicht  möglich  sein,  wenn  man  den  Baum 
beachtet.  Denn  Zeile  10  lYTTO  mit  ihm  als  Erwähnung  des  Schau- 
spielers zu  verstehen  und  zu  emendieren,  ist  unmöglich;  es  würde  nach 
diesem  YTTE:  der  Name  des  Schauspielers,  dann  der  Name  des  folgen- 
den Chormeisters,  seine  Zahl  AEY:,  die  Namen  seiner  vier  Dramen 
folgen  und  das  alles  in  zwei  Zeilen,  was  unmöglich.  Vielmehr  ist  mit 
viel  leichterer  Verbesserung  jenes  lYTTO  als  Evn6\}^pioq  zu  lesen  und 
als  Name  des  in  der  Reihe  dieses  Jahres  zweiten  Dichters  oder  Chor- 
meisters zu  verstehen,  also  EvnöllBnoq.'SBvr^  danach  könnte  in  dieser 
Zeile  noch  der  Name  von  einem,  höchstens  von  zweien  Dramen  folgen. 
Die  nächste  Zeile  begann  mit  dem  zweiten,  allenfalls  mit  dem  dritten 
Drama,  also  nicht  mit  ^a\TVQOi\ßj  sondern  mit  TvQot,  und  es  folgten 
noch  resp.  ein  oder  zwei  Titel  von  Stücken,  die  Eupolemos  aufgeführt. 
Ob  sein  Schauspieler  Av(TixoaTi]g  oder  AvmxQaTtSrjg  geheißen,  bleibt 
unentschieden.  Eine  ähnliche  Betrachtung  macht  es  wahrscheinlich, 
daß  Zeile  9  0Tj<Tei  an  vierter  Stelle  steht,  denn  in  dieselbe  Zeile  müßte 
noch  kommen  [vne:  6  Silva].  Ob  es  ein  Satyrspiel  war?  wer  ein  Freund 
von  dreisten  Hypothesen  ist,  kann  sich  erinnnem,  daß  Theodektes,  der 
ja  in  dieser  Zeit  dichtete,  ein  Stück  schrieb,  in  dem  ein  äygoixdq 
ävriQ  den  Namen  des  Theseus  nach  der  Gestalt  der  Buchstaben  be- 
schrieb u.  s.  w. 


Die  Tetialogie  141 

Ungleich  schwieriger  als  das  bisherige  ist  Anfang  und  Schluß 
dieser  Inschrift.  Böckh  findet,  daß  mit  dem  ETTI  in  Zeile  4  eine  Ar- 
chen tenbezeichnung  beginnt;  der  danebenstehende  Strich  (Anfang  von 
Af  A  u.  s.  w.)  wird  leicht  fehlerhaft  sein  können,  so  daß  man  nicht 
gerade  nötig  hat,  auf  denjenigen  unter  den  Archonten  vor  Archias 
zurückzugehen,  der  mit  solchem  Strich  anfangen  könnte  (also  Ol.  107  1 
Ä^ristodemos),  sondern  da  gewiß  jedes  Jahr  gefeiert  wurde,  dreist  inl 
[0Bfit<TTOxUovg  schreiben  könnte.  [119]  Dann  wären  für  die  Auf- 
führungen des  Festes  von  346  nur  die  drei  Zeilen  4,  5,  6,  von  denen 
die  erste  zum  guten  Teil  durch  den  Archonten,  die  zweite  nicht  minder 
durch  M'fi^lßififfovi,  was  Böckh  wahrscheinlich  findet,  weggenommen, 
die  dritte  für  den  Schauspieler  allein  wäre;  dann  wäre  in  diesem  Jahre 
gar  keine  Concurrenz  gewesen  (es  war  das  Frühjahr,  in  dem  der  Friede 
des  Philokrates  beschworen  wurde);  es  könnte  das  dann  eine  tragische 
Aufführung  in  der  Art  gewesen  sein,  wie  ein  paar  Inschriften  sie  mit 
dem  6  Sijfiog  kzo(j7'jyBi  bezeichnen;  doch  nein,  auch  da  ist  Concurrenz, 
wie  man  aus  den  in  jenen  Inschriften  bezeichneten  Siegen  sieht;  der 
Demos  leistete  zu  seinem  Vergnügen  gern  die  Kosten  von  mehr  als 
einer  Choregie.  Allerdings  sagt  Demosthenes  in  der  Midiana,  daß  sich 
in  seiner  Phyle  schon  im  dritten  Jahr  kein  Choreg  gefunden  habe,  und 
die  bekannten  Klagen  des  Demosthenes,  daß  die  öffentlichen  Gelder  auf 
Theater  und  Feste  statt  auf  den  Krieg  verwendet  würden  (ähnliches 
hat  Justin.  YI  9  wohl  aus  Theopomp),  könnte  man  als  Zeichen  für  den 
sinkenden  Wetteifer  mit  heranziehen.  Aber  eben  so  kann  man  geltend 
machen,  daß  wenn  der  Dsmos  so  viel  für  sein  Vergnügen  that,  er  sich 
gewiß  nicht  mit  einer  so  aruiseligen  Aufführung  begnügt  haben  werde, 
wie  die  Böckhsche  Erklärung  der  Didaskalie  bezeichnet.  In  der  That 
bringt  die  Annahme  jener  Ergänzung  des  ETTI  so  seltsame  Folgerungen 
und  ist  in  so  starkem  Contrast  mit  der  lebhaften  Concurrenz  des  fol- 
genden Jahres,  daß  man  jede  andere  Möglichkeit  der  Erklärung  wird 
vorziehen  müssen.  Da  bietet  sich  vielerlei:  'Lmvavaifiäxfjf  'Eniyovoi, 
inxä  in)  0/jßaig  u.  s.  w.  Die  einzige  Schwierigkeit,  die  es  hat,  von 
Böckhs  Vermutung  abzuweichen,  ist  die,  daß  man  vor  dem  neuen 
Archen  in  Zeile  7,  also  am  Schlüsse  der  Aufführungen  aus  dem  vorigen 
Jahr,  die  Bezeichnung  6  Seivcc  kvixa  erwarten  muß,  und  diese  Bezeich- 
nung in  der  linken  Kolumne  eine  eigene  Zeile  bildet.  Aber  ich  denke 
nicht,  daß  diese  Schwierigkeit  unüberwindlich  ist;  hatt^  der  Schauspieler 
einen  kurzen  Namen,  etwa  wie  IIcDkog,  und  der  Sieger  nicht  einen  un- 
gewöhnlich langen,  kürzte  man  das  kvixa  vielleicht  noch  ab,  so  gut 
wie  das  vtib:,  so  könnt«  man  füglich  das  alles  in  eine  Zeile  bringen: 
vTte.    n&kog,  !A(fao%vq  hvixa  oder  dergleichen. 


142  '  Zur  griechiBchen  Tragödie 

Nach  dieser  Annahme  lassen  sich  nun  für  die  ersten  Zeilenan- 
fange  folgende  Beobachtungen   machen.     Zeile  1  mag  mit  dem  ElP 
einen  UeiQi&oog  bezeichnen;  daß  dies  wohl  das  dritte  Drama  eines 
Dichters  war,  sieht  man  daraus,  daß  die  folgende  Zeile  den  ihm  zuge- 
hörigen Schauspieler  nannte.    Mit  der  dritten  Zeile  begann  ein  neuer 
Dichter  oder  Chormeister  mit  seinen  Stücken;  nur 'YnolßoXifuciog  wird 
er  nicht  geheißen  haben;  daß  ein  Buchstabe  des  Namens  in  der  vorigen 
Zeile  gestanden  habe  (etwa  Eimökafiog)  ist  nach  der  Art  dieser  Inschrift 
nicht  anzunehmen;  eher  könnte  das  YTTO  um  eine  Stelle  zu  weit  ein- 
gerückt sein,  wie  für  das  n^iQi&ooq  der  ersten  Zeile  anzunehmen  war; 
doch  scheint  es  leichter  [120]  das  0  für  falsch  abgeschrieben  zu  halten, 
dann  wäre  der  Name  wohl  'YnBQBiSrjg  oder  ähnlich,  obschon  Namen 
mit  Tn  beginnend  höchst  selten  sind.    BUernach  mußte  folgen,  als  der 
wievielte  dieser  in  der  Reihe  der  Concurrierenden  auftrat,  etwa  TPI: 
oder  eine  andere  Zahl.    Noch  haben  wir  nicht  mehr  als  etwa  1 3  Buch- 
staben für  diese  Zeile;  es  könnte  noch  wohl  der  Name  eines  Stückes 
in  dieser  gestanden  haben ;  dann  wäre  das  ETTI ...  in  der  folgenden 
Zeile  der  Namensanfang  für  die  zweite  Tragödie;  aber  inivccvaifuixy 
nicht,  noch  weniger  imyövoig  würde  die  Zeile  füllen;   es  müßte  in 
derselben  noch  der  Name  des  dritten  Stückes  gestanden  haben,  und 
!Aycx[fdfjLvovi  würde  an  vierter  Stelle  stehen.    Aber  weder  dieser  noch 
ein  anderer  gleich  anfangender  Name  dürfte  hinreichen  die  Zeile  zu 
füllen,  wenn  nicht  ein  längeres  Beiwort  etwa  dabei  stand;  es  ist  wohl 
wahrscheinlicher,  daß  !Aya{ßifivovi,  !Aycc[vr}  oder  wie  sonst  die  Ergän- 
zung versucht  wird,  das  dritte  Stück  war,  und  dann  ist  das  ETTI  wahr- 
scheinlicher auf  OlSinoSi]  hnl  [KoXwv^  oder  dergleichen  zu  deuten, 
so  daß  der  Anfang  dieses  Titels  der  ersten  Tragödie  noch  in  Zeile  4 
stand. 

Soviel  von  den  ersten  Zeilen.  Völlig  unklar  sind  mir  die  zwei 
letzten.  Der  Name  KaXkinniSriq  tritt  da  deutlich  genug  hervor;  aber 
war  er  Sieger?  folgte  er  als  vierter  Concurrent  mit  einer  neuen  Reihe 
von  Dramen?  Ich  würde  unbedenklich  letzteres  bejahen,  wenn  nicht 
das  0:  ihm  vorherginge,  wofür  ich  weder  eine  Deutung  noch  eine  be- 
friedigende Verbesserung  vorzuschlagen  weiß,  darum  lasse  ich  das  NTI, 
für  das  sich  leicht  mehr  als  ein  Tragödienname  darbietet. 

[121]  Es  dürfte  hiemach  diese  tragische  Kolumne  der  Inschrift 
sich  etwa  folgendermaßen  ergänzen  lassen, 

ir]uQ[i&6(py • 

V7t^\\  d  Suva. 

'Ynh\fiBi5f}g  rgli^)  OlSinoäi  (jf) 

krti  [Kola)Vfp  (?), , 


Die  Tetralogie  143 

Ldyc^ßifjivovi  (?),  .....,..• 
vm[i  6  äeiva  :  6  Silva  kvixa 
'Eni  !Aqxi\pv  6  Suva  ngcj: 

'HQa[xkBi , , , 

017^76/ [:  imB  :  6  äeiva, 

Eif7tö[XBfAog  Sei  : , 

TvQoi{j , • 

KaXkifTrQUToq  [rp/: , 

!AfjL(pMx(Pf  *I^io[vt, • 

ins  :  KakXinni[Sfjg, 

?:Kakli7ii[Svg  t«:(?) Jlla  (?) 

VTl 

Hiernach  hätten  wir  also  ans  den  Jahren  346  nnd  345  folgende  vier- 
teilige Anffuhrungen 

von 1 

2 

3.  Peirühoos 

4 

Schauspieler 

von  Hypereiies  1.  Oidipus  auf  Eolonos 

2 

3.  il^amemnon 
4 

Schauspieler 

von 1.  Herakles 

2 

3 

4.  Theseus 
Schauspieler 

von  .E^olemos   1 

2.  7^0 

3 

4 

Schauspieler  LysikrcUes 
von  KaUisiratos  1 

2.  Amphüochm 

3.  Ixion 
4 

Schauspieler  KaUipides, 


144  Zur  griechiflchen  Tragödie 

Noch  eine  Frage  bleibt  für  unsere  Aufgabe  hier  übrig:  welchem 
Feöt  gehört  dies  Verzeichnis  an?  [122]  Ich  denke  Böckhs  Antwort^ 
es  seien  die.  großen  Dionysien,  ist  richtig.  Allerdings  könnte  es  nach 
der  Parabase  der  in  den  großen  Dionysien  aufgeführten  Vögel  des 
Aristophanes  so  scheinen ,  als  sei  an  diesem  Feste  die  Tragödie  der 
Komödie  vorausgegangen,  denn  die  Vögel  sagen:  wie  schön,  wenn  die 
Herren  Zuschauer  hungrig  und  gelangweilt  bei  dem  tragischen  Chor 
heimfliegen,  frühstücken  und  dann  zur  Komödie  wieder  auf  ihren 
Plätzen  sein  »könnten.  Aber  das  Gesetz  bei  Dem.  in  Mid.  §  4  hat  fol- 
gende Ordnung:  tj  nofintj  rtp  Jiovvtrq)  äv  ÜBigaitl  xal  oi  x(Ofjup3oi 
xal  oi  TQccymSol  —  xal  r]  Inl  Afjvuiq)  nofini]  xal  oi  TQaycöSoi 
xal  oi  x(DfAq>Soly  xal  roig  kv  äaret  Jiovvaioig  ij  nofinij  xal  oi 
TcalSsg  xal  6  x&fxoq  xal  oi  xcofioodol  xal  oi  rgaymSoi,  Man  wird 
diese  Ordnung  der  Festlichkeiten  an  den  verschiedenen  Festen  nicht 
für  willkürlich  halten,  noch  weniger  für  stilistisch  motiviert,  quod  verba 
xal  6  xßfioQ  xal  oi  x(Ofi(pSol  origine  et  natura  siui  arde  cohaermt\  es 
kann  wohl  nur  die  Reihenfolge,  die  die  Festordnung  bestimmte,  zum 
Grunde  liegen.  Die  Frage  über  xaival  TgaywSiai  habe  ich  absichtlich 
ganz  unberührt  gelassen.  Ich  denke,  das  wird  der  Grund  sein,  den 
Böckh  (C.  I  S.  354)  in  der  Abhandlung  über  die  Dionysien  (sie  ist  mir 
nicht  zur  Hand)  anführt,  wenn  er  annimmt,  daß  in  den  großen  Dio- 
nysien die  Komödien  den  Tragödien  vorangehen,  und  in  unserer  In- 
schrift ist  ja  eben  dies  der  Fall;  sollte  sie  die  Aufführung  der  Lenäen 
enthalten,  so  würden  die  tragischen  Aufführnngen  in  der  linken  Ko- 
lumne gestanden  haben. 

Ist  nun,  um  auch  das  noch  zu  besprechen,  diese  Inschrift  ein 
Bruchstück  der  offiziellen  Didaskalie  der  großen  Dionysien?  'Böckh 
ist  der  Meinung  (C.  I  S.  350).  Wenn  die  Didaskalien  der  Demosthe- 
nischen  Zeit  im  wesentlichen  so  eingerichtet  waren  wie  die  früheren, 
so  möchte  ich  es  bezweifeln.  Nicht  sowohl,  weil  die  Angabe  über  die 
Oresteia  auch  den  Choregen  nennt;  schon  Böckh  führt  dafür  eine 
Erklärung  an,  die  allerdings  befriedigen  kann.  Aber  bedenklicher 
scheint  mir  der  Umstand,  daß  die  didaskalischen  Notizen,  die  wir 
kennen,  mehrfach  anführen  wer  den  ersten,  zweiten,  dritten  Preis  ge- 
wann ;  Angaben,  die  doch  wohl  nur  den  offiziellen  Aufzeichnungen  ent- 
nommen werden  konnten.  Ganz  eben  so  ist  es  mit  den  didaskalischen 
Notizen  über  die  Komödie  der  Aristophanischen  Zeit,  und  doch  er- 
scheint in  unserer  Inschrift  für  die  Komödie  nur  einer  als  Sieger;  die 
anderen  beigefügten  Zahlen  bezeichnen  nur  die  durch  das  Los  oder 
wie  sonst  bestimmte  Reihenfolge  der  Aufführungen;  ich  meine  in 
[123]  der  tragischen  Kolumne  unsrer  Inschrift  wird  die  Reihenfolge 


Die  Tetralogie  145 

der  Dichter  eben  so  motiviert  sein;  nnd  wenn  unsere  Ansicht  über  die 
Breite  dieser  Colunme  richtig  war,  so  wird  eben  nur  Platz  für  den 
Sieger,  der  den  ersten  Preis  erhielt  (Zeile  6),  übrig  sein.  Aber  viel- 
leicht ist  der  dramatische  Wettkampf  geändert  worden ;  vielleicht  wurden 
früher  nur  drei  Dichter  zugelassen,  und  die  Abstufung  ihrer  drei  Siege 
bezeichnete  ihre  Würdigkeit;  vielleicht  mehrte  man  später  die  Zahl 
der  Concurrierenden,  und  bestimmte  einen  Preis  für  den  würdigsten; 
und  ich  möchte  nicht  wagen,  auf  Tzetzes  Autorität  hin  (Chil.  V  178) 
zu  behaupten,  daß  noch  Ol.  103  1  für  die  Lenäen  der,  alte  Brauch 
bestanden  habe.  Aber  es  ist  besser  diese  Möglichkeiten  beiseite  zu 
lassen  und  sich  der  Bestimmung  darüber  zu  enthalten,  ob  unsere  In- 
schrift ein  Bruchstück  der  urkundlichen  Didaskalien  ist  oder  nicht; 
doch  wenn  sie  es  nicht  ist,  so  dürfte  schwer  abzusehen  sein,  zu  wel- 
chem Zwecke  sonst  sie  gemacht  sein  sollte. 


Droysen,  Kl.  Schriftan  IL  10 


IV. 

Die  Anffahnmg  der  Antigone  des  Sophokles 

in  Berlin. 

Berlinische  Nachrichten  von  Staats-  und  gelehrten  Sachen  (Spenersche  Zeitang) 

1842  Nr.  94  vom  26.  April,  erste  Beilage. 

Also  nicht  bloß  Sin  großartig  glänzendes  Hoffest,  ein  Kunstgenuß 
für  den  kleinen,  auserlesenen  Kreis  Hochgebildeter  sollte  die  Antigone 
sein.  Sie  ist  dem  öffentlichen  Theater,  dem  großen  Pnblilnim  über- 
geben worden.  An  drei  Abenden  nacheinander  wurde  sie  aufgeführt, 
stets  bei  überfülltem  Hause;  schon  sind,  wie  es  heißt,  für  zwei  nächste 
Vorstellungen,  die  man  erwartet,  fast  alle  Plätze  bestellt.  Die  Stadt 
ist  voll  von  Gesprächen  über  das  Stück,  die  Musik,  das  Spiel;  ein 
großes,  allgemeines,  wachsendes  Interesse  ist  unverkennbar.  Es  ist  als 
habe  ein  dunkeles  Gefühl  sich  verbreitet,  daß  damit  Bedeutsames  sich 
vorbereite,  schon  im  Werden  sei. 

Aber  zunächst,  welchen  Eindruck  hat  das  Werk  gemacht?  Es 
kann  als  ein  gutes  Zeichen  gelten,  daß  sich  die  verschiedentlichsten 
Ansichten,  Wünsche,  Bedenken  hören  lassen.  Freilich  oft  genug  wunder- 
liche; findet  doch  ein  Berichterstatter,  daß  der  Beifall  seitens  des  Publi- 
kums nur  lau  war,  während  feiner  Beobachtende  dieses  Fehlen  des 
Klatschens  und  Bufens  dem  feierlichen,  tiefernsten  Eindruck  der  Auf- 
führung zuschreiben  wollen.  Gestehen  wir  es  uns,  das  Publikum  fühlt 
sich  zu  der  Antigone  in  einem  sehr  anderen  Verhältnis  als  zu  den  Kron- 
diamanten und  dem  Glas  Wasser;  es  fühlt  sich  nicht  aufgelegt,  die 
Virtuosität  der  Darstellenden  allein  zu  berücksichtigen;  es  vergißt  die 
Chöre  darauf  anzuhören,  ob  sie  korrekt,  gelehrt,  originell  und  was  weiß 
ich  sonst  sind;  es  hat  nicht  Muße,  einzelne  Stellen  oder  Situationen 
durch  besondere  Beifallsbezeugungen  zu  begünstigen;  der  Eindruck 
des  ganzen  ist  unerwartet  und  fremdartig  genug,  um  die  bekannten 


Die  Aufführung  der  Antigene  des  Sophokles  in  Berlin  147 

Trivialitäten  der  Kunstkennerei  un anwendbar  zu  machen;  großartig, 
lawinenartig  genug,  um  das  Herz  am  tiefsten  zu  erfassen  und  nach- 
haltig zu  beschäftigen.  Allerdings  daheim,  am  nächsten  Morgen,  legt 
man  es  sich  wohl  zurecht,  sucht  sich  einzelnes  heraus,  billigt  dies  und 
vermißt  jenes,  macht  sich  sein  Urteil  für  die  Unterhaltung  zurecht, 
kurz  gewinnt  wieder  Position  gegen  das  mächtige  Werk,  das  wie  eine 
siegende  Gewalt  auf  uns  eingedrungen  war.  Man  geht  zum  zweiten- 
mal hin,  das  so  gewonnene  Urteil  nun  mit  lächelnder  Sicherheit  sich 
bestätigen  zu  sehen.  Aber  wieder  wirkt  das  ernste  Spiel  mit  neuer, 
doppelter  Gewalt,  durch  das  ganze  Haus  fühlt  man  diese  eine  Stimmung 
der  Feierlichkeit,  des  Selbstvergessens,  der  Hingebung.  Zunächst  diese 
Hingebung  ist  es,  die  wir  im  wohlverstandenen  Interesse  der  Kunst 
vor  allem  freudig  begrüßen  wollen:  zu  sehr  war  sie  aus  der  Gewohn- 
heit unseres  Theaters,  ja  unserer  ganzen  Kunstbetrachtung  verschwunden. 
Wenn  man  statt  zu  empfinden  nur  urteilt  oder  durch  die  Brille  frem- 
der Urteile  sieht,  statt  sich  selbst  zu  vergessen  und  sein  liebes  alltäg- 
liches Ich  schweigen  zu  lassen  vor  den  Offenbarungen  des  Genius,  mit 
dem  selbstzufriedenen  Bravo  des  Kenners  die  eigene  Eitelkeit  zu  kitzeln 
vorzieht,  wenn  man  in  der  echten  Kammerdienerweise,  die  von  dem 
großen  Mann  sehr  genau  die  Strümpfe  und  das  Nachthemd  und  den 
Kamm  kennt,  an  dem  Kunstwerk  das  Äußerliche  seines  Erscheinens,  an 
dem  Gemälde  den  pastosen  Pinsel,  in  der  Symphonie  die  treffliche 
Arbeit,  im  Gesang  die  Fiorituren,  im  Schauspiel  das  wohlangebracbte 
Schnupftuch  des  Marquis  Posa  bewundert,  wenn  man  sich  für  die  ge- 
schwinden dämonischen  Finger  des  Virtuosen  exaltiert  und  über  sie  den 
Bach,  den  Beethoven  vergißt,  den  sie  pulverisieren  — ,  dann  ist  die 
Kunst,  wehrlos  zwischen  Virtuosität  und  Kunstkenneriei,  übel  daran; 
sie  verliert  ihre  Weihe,  ihren  Boden,  ihr  Recht;  sie  versucht  den  un- 
edlen, unebenbürtigen  Wettkampf  mit  jenen,  der  sie  erniedrigt  und 
demoralisiert;  erst  buhlt,  bald  bettelt  sie  um  ein  Almosen  des  Beifalls; 
die  schreiende  Masse  wird  ihr  blinder  Führer,  und  in  der  Pöbelherr- 
schaft des  Geschmackes  erheben  sich  in  wüstem,  jähem  Wechsel  die 
Tyrannen  der  Mode,  heut  der,  morgen  jener. 

Es  war  ein  königlicher  Gedanke,  das  Herrlichste,  was  die  griechische 
Poesie  geschaffen,  unserer  Zeit  wieder  zu  beleben.  Aber  wie  sollte  es 
geschehen?  sollte  Antigene  etwa  ganz  so  auf  die  Bühne  kommen,  wie 
einst  in  Athen?  Dazu  genügte  nicht,  daß  man  ein  Theater  so  ein- 
richtete wie  man  meint,  daß  das  attische  gewesen;  man  hätte  auch 
ein  so  weiträumiges  Gebäude  errichten,  die  Antigene  von  einem  Mann 
spielen  lassen,  sich  die  helle  attische  Märzsonne  verschreiben,  die  Zu- 
schauer Heiden,  Athener  werden,  zwischen  durch  etwa  Knoblauch  kauen 

10* 


148  I^ic  Aufführung  der  Antigone  des  Sophokles  in  Berlin 

lassen  müssen;  und  dann  wäre  es  doch  noch  eben  nichts  gewesen.  Denn 
wie  die  Alten  getanzt,  gesprochen,  gesungen,  das  wissen  auch  die  Ge- 
lehrtesten nicht.  Also  kann  man  das  Alte  gar  nicht  wieder  erstehen 
lassen?  So  weit  es  nur  jener  Zeit  angehört^-  wahrlich  nicht;  aber  es 
hat  etwas  zu  allen  Zeiten  Großes  und  Wichtiges,  etwas  Unvergängliches 
an  sich;  und  das,  so  wird  der  Sinn  jenes  königlichen  Willens  gewesen 
sein,  soll  frisch  und  lebendig  in  unsere  Gegenwart  treten.  Bekennen 
wir  es,  das  ist  der  wahre  Inhalt  jener  Neigung  für  das  Historische  auch 
in  anderen  Gebieten;  wolle  Gott,  daß  sie  von  denen,  die  zu  ihrer  Ver- 
wirklichung berufen  werden,  kühn  und  tief  verstanden  werde.  Nicht 
die  abgestorbenen  Vergangenheiten  sollen  uns  wiederkehren;  aber  was 
in  ihnen  Großes  und  Unvergängliches,  das  soll  mit  dem  frischesten 
und  lebendigsten  Geist  der  Gegenwart  erfaßt,  von  ihm  durchdrungen 
zu  neuer,  unberechenbarer  Wirkung  in  die  Wirklichkeit  gefuhrt  werden ; 
kein  Babel  toter  Trümmerstücke,  sondern  ein  Pantheon  der  Vergangen- 
heit sei  unsere  Gegenwart 

So  die  Aufgabe;  die  herrlichsten  Kräfte  vereinten  sich  ihre  Lösung 
zu  versuchen.  Zunächst  der  Componist.  Auch  die  Griechen  haben  die 
Chöre  gesungen.  Aber  es  galt  nicht  etwa  den  Versuch  griechische 
Musik  zu  componieren;  wer  sollte  es?  weder  der  Componist,  noch  sonst 
jemand  weiß,  wie  sie  gewesen,  wenn  nicht  etwa  gewisse  Kritiker,  welche 
seine  Composition  nicht  griechisch  genug  gefunden  haben.  Seine  Auf- 
gabe war  eine  ungleich  idealere;  es  galt  mit  allen  Kunstmitteln,  die  ihm 
in  so  reichem  Maße  zu  Gebote  stehen,  das  alte,  gleichsam  verstummte 
Werk  wieder  zu  beleben  und  ertönen  zu  lassen.  Wer  tadelt  Raphael, 
daß  er  die  heiligen  Geschichten  malte  und  hatte  doch  das  Jesuskind 
und  die  Jungfrau  nie  mit  Augen  gesehen?  aber  er  hatte  sie  gesehen 
mit  den  Augen  des  Geistes;  in  den  heiligen  Schriften  lesend,  sah  er 
ihr  Bild  in  heller  Klarheit  vor  sich;  wie  er  hingeschaut,  so  wieder- 
erstanden erkannte  seine  Zeit  sie  in  seinen  Bildern.  So  auch  las  der 
Componist  das  Drama  des  Sophokles,  mit  seinem  Ohr  erlauschte  er  die 
Klänge  jener  Rhythmen,  das  Tönen  und  Hallen  jener  großen  Gescheh- 
nisse; und  sein  Hören  selbst  war  sofort  ein  neues  lebendiges  Verstehen, 
ein  Übertragen  in  unsere  Empfindungsweise,  „aus  dem  Schönen  in  das 
Schöne".  Denn  so  schien  uns  seine  Musik  zu  wirken;  es  sind  fremd- 
artige und  doch  verständliche  Klänge,  mit  denen  er  zu  uns  spricht; 
nicht  antike  Musik,  aber  der  Eindruck  antiker  Musik,  wie  sie  ihm 
sich  erschlossen.  Ja  noch  mehr;  jene  erste  Scene  zwischen  Antigone 
und  der  Schwester,  in  so  ungewöhnlicher  Umgebung,  mit  so  fremd- 
artigem Klang  des  Verses,  mit  dieser  Herbigkeit  der  Motive,  dieser 
Felsenhärte  des  Entschlusses,  —  sie  läßt  uns  zunächst  ziemlich  kalt;  wir 


Die  Aufführung  der  Antigone  des  Sophokles  in  Berlin  149 

sehen  den  Vorgang,  ohne  uns  recht  lebendig  hineinzufinden;  wir  finden 
es  ganz  interessant  auch  einmal  ein  klassisches  Spiel  zu  sehen;  —  dann 
kommt  der  singende  Chor,  und  sofort  mit  dem  Klange  der  Musik  wird 
uns  heimisch  zu  Mute,  wir  fühlen  uns  in  unserem  Gebiet,  in  unserer 
Empfindungsweise,  wir  werden  warm  und  wärmer;  die  nächste  Scene 
findet  uns  schon  vorbereiteter,  empfänglicher  über  uns  selbst  hinaus; 
der  folgende  Chorgesang  hat  uns  völlig  in  dieser  neuen,  idealen  Welt 
heimisch  gemacht;  immer  gewaltiger  erfaßt  uns  die  hoch  und  höher 
anschwellende  Gewalt  des  erbarmungslosen  Kampfes;  mit  dem  trocknen 
Blick  des  Grauens  sehen  wir  die  schwere  Katastrophe  nahen,  der  dann 
Schlag  auf  Schlag  die  furchtbarsten  Erfüllungen  folgen.  Mit  einem 
Wort,  wie  der  Übersetzer  das  Stück  unserem  Verständnis,  so  hat  die 
Musik  es  unserm  Empfinden  zugänglich  gemacht. 

Für  alles  Weitere  nun  ftoch  ein  paar  kurze  Bemerkungen.  Ich 
habe  sagen  hören:  wozu  das  alte  Stück  auf  die  Bühne  bringen,  wenn 
es  so  vieler  Anstrengungen  von  allen  Seiten  her  bedurfte,  um  ein  viel- 
leicht zweideutiges  Resultat  zu  erzielen?  Haben  wir  nicht  ein  reichliches 
Repertoire?  soll  man  Mühe  und  Geld  nicht  lieber  der  Förderung  neuer 
Talente  zuwenden?  Die  Fragen  beantworte  der  Erfolg.  Und  dann  — , 
als  zu  Lessings  Zeit  unsere  Bühne  von  der  hochgespreizten  Geschmack- 
losigkeit französischer  Alexandrinertragödien,  von  den  conventioneilen 
Empfindungen  und  den  gepuderten  Heldenphrasen  überwuchert  war, 
da  war  es  der  Anfang  einer  neuen,  wundervollen  Erhebung,  daß  die 
gesunde,  lebensprudelnde,  farbenglühende  Kunst  Shakespeares,  dieses 
dramatischen  Rubens,  auf  die  Bühne  kam.  Wie  schnell  sind  wir  zum 
anderen  Extrem  gekommen;  wie  sind  unsere  Romantiker  völlig  über- 
holt durch  den  kecken,  den  überpfefferten  Empirismus  der  neuen  Fran- 
zosen; wie  sträubt  sich  umsonst  unsere  idealere,  deutsche  Natur  gegen 
diese  wüsten  oder  eleganten,  firivolen  oder  effekthaschenden  Nichtig- 
keiten! Ob  unser  Theater,  Schauspiel  wie  Musik,  eines  neuen  leben- 
digen Impulses  bedarf? 

Sodann  ein  zweites.  Dies  Beispiel  einer  antiken  Tragödie  giebt  uns 
und  unserm  überwürzten  Kunstsinn  wieder  einmal  einfache  Kost,  zeigt 
uns  wieder  einmal  die  einfachsten  und  wahrhaften  Elemente  künstle- 
rischer Wirkung.  Wir  sind  so  weit  die  Natürlichkeit  für  das  höchste 
in  der  Kunst  zu  halten,  und  treiben  sie  bis  zur  Karrikatur  und  Quin- 
caillerie,  bis  zur  Affenliebe  für  das  Gefällige  und  albern  Faktische;  und 
in  der  Willkür,  in  den  Einfallen,  in  dem  Momentansten  und  Launen- 
haftesten glauben  wir  das  wahre  Wehen  des  Genius  zu  spüren.  Wir 
sind  so  weit  die  Kunst  nach  der  Täuschung  zu  messen,  die  sie  gewährt, 
ein  Madonnenbild   nach  dem  täuschend  gemalten  Leder  der  Schuhe, 


150  I^ie  Anfföhrung  der  Antigone  des  Sophokles  in  Berlin 

eine  tragische  Aufführung  nach  dem  tauschenden  Kostüm,  nach  der 
Portratahnlichkeit  der  Albas  nnd  Egmonts;  ja  das  urteil  eines  Reisenden, 
diese  Coulissen  seien  das  vollkommene  Bild  des  Towers,  des  Gartens 
von  Aranjnez,  ist  eigentlich  nnser  höchster  Stolz.  Wahrhaftig,  wir 
sind  endlich  so  weit,  daß  das  Daguerreotyp  der  größte  Künstler  ist. 
Der  Grieche  hätte  vor  diesen  geistlos  tauschenden  Portrats,  vor  dieser 
Richtigkeit  ohne  Wahrheit,  vor  diesem  Abklatschen  der  Wirklichkeit 
Ekel  empfunden.  Wir  müssen  sie  über  alles  preisen,  denn  da  ist  keine 
Gefahr,  daß  der  vermittelnde  Geist  einen  Fehler  hineinbringe;  fesseln 
sie  doch  von  der  Wirklichkeit  wenigstens  einen  Moment,  wenn  auch 
deren  Wahrheit  ist,  nicht  bloß  ein  Moment,  sondern  Leben  und  Ver- 
änderung zu  sein;  zeigen  sie  doch  wenigstens  die  ganz  genaue  Larve, 
die  Totenmaske  des  lebendigen  Antlitzes,  während  ein  Maler  Leben  und 
Veränderung  nicht  lassen  kann  hineinzumalen,  und  damit  nicht  das 
Antlitz,  wie  es  ist,  sondern  den  Menschen,  wie  er  ihn  erfaßt,  darstellt 
Wie  kommt  das  zur  Antigone?  In  keinem  Augenblick  will  uns 
der  Dichter,  wolle  uns  der  Schauspieler  täuschen,  —  aber  auch  nicht 
an  sich  erinnern.  An  der  Composition  bewundem  wir  vor  allem,  daß 
sie  mit  den  uns  wohlbekannten  Instrumenten  und  Stimmen  doch 
klingt,  wie  aus  femer  fremder  Zeit  her.  Ich  muß  die  treflTlichen  Künstler, 
die  in  jenen  Aufführungen  mit  liebevollstem  Bemühen  mitwirkten,  um 
Verzeihung  bitten,  wenn  ich  mir  gegen  ihre  Auffassung  der  Aufgabe 
einiges  einzuwenden  erlaube.  Ungestört  und  mit  voller  Hingebung 
habe  ich  der  Darstellung  beigewohnt;  aber  dann  mhiger  das  ganze 
durchdenkend  glaubte  ich  dies  und  jenes  zu  finden,  was  vielleicht  den 
Eindmck  noch  stärker,  dauernder,  ßrderlicher  macht  Zu  meiner  Recht- 
fertigung habe  ich  zunächst  den  oben  bezeichneten  Grundsatz  anzu- 
führen. Nicht  daß  sie  spielen  und  sprechen  sollten,  wie  einst  jene  alten 
Schauspieler,  deren  Namen  ein  wohlgesinnter  Veteran  in  das  Gedächtnis 
des  lembegierigen  Publikums  zurückgerufen  hat;  auch  daran  thun  sie 
recht,  daß  sie  die  gelehrte  Patina,  mit  der  der  Übersetzer  sein  Griechisch 
zu  sehen  gewohnt  war,  möglichst  abgewischt  haben.  Suchen  sie  mit 
ihren  besten  Kunstmitteln  den  wahren  und  unvergänglichen  Gehalt 
des  alten  ewig  jungen  Werkes  zur  Darstellung  zu  bringen;  nach  dem 
Prinzip,  dem  inneren  und  wahrhaften  Wesen  der  alten  Darstellung 
mögen  sie  streben.  Und  dies  ist?  Wenn  der  griechische  Bildhauer 
das  Meer  bezeichnen  wollte,  so  genügte  ihm  das  Bild  des  gaukelnden 
Delphins;  wenn  er  den  zierlichen  Akanthus  meißelte,  so  copierte  er 
nicht  dies  oder  jenes  Blatt,  sondem  er  fand  die  allgemeine,  die  typische 
Gestalt;  nicht  ein  Blatt,  sondem  das  Blatt  stellte  er  dar;  wie  sich  zu 
der  empirischen  Einzelheit  der  entsprechende  Begriff  des  denkenden 


Die  Aufftihrung  der  Antigone  des  Sophokles  in  Berlin  151 

Geistes  verhält,  so  zu  den  äußeren  empirischen  Wirklichkeiten  deren 
künstlerische  Nachbildung.  Wie  sich  die  Begriffe  gliedern  und  ordnen 
in  der  Eurythmie  der  Satzbildung,  so,  entfernt  von  Zufälligkeit  und 
Willkür,  ordnen  und  stilisieren  sich  die  Gewandungen,  die  verbindenden 
Bewegungen  y  die  Gruppen  alter  Kunst  Jede  griechische  Darstellung 
vom  flüchtigsten  Yasenbilde  bis  zur  Statue  des  Gottes  trägt  diesen 
Charakter  der  Idealität,  der  Stilisierung;  derselbe  beherrscht  die  Sopho- 
kleische  Poesie,  er  muß  —  man  erkennt  es  noch  —  auch  das  Spiel 
der  Schauspieler  und  des  Chors  bestimmt  haben.  Das  sei  auch  für 
unsere  Darstellung  maßgebend.  Vor  allem  hinweg  mit  den  kleinen 
zierlichen  Motiven  der  überfeinen  Mimik;  verdeckten  die  Griechen 
doch  das  individuelle  Antlitz  mit  der  großgeformten  Maske.  Wenn  die 
Königin  die  Todesbotschaft  gehört  hat,  so  gestikuliere  sie  nicht  erst  mit 
erhobenem  Finger  ihr  Überlegen  anzudeuten,  dann  mit  offener,  ab- 
gewandter Hand  den  Entschluß  zu  bezeichnen,  dann  mit  dem  Zu- 
sammenraffen und  Überwerfen  des  Gewandes  zu  zeigen,  daß  sie  ihn 
ausführen  wird ;  sie  höre  ohne  Erzittern  und  Ohnmacht,  sie  gehe  schwei- 
gend in  den  Palast:  das  ist  die  einzige,  die  stärkste  Mimik.  Und  ähnlich 
überall;  je  großartiger,  je  genereller  und  lapidarischer  die  Mimik  ist, 
desto  mächtiger  und  besonders  desto  weniger  zerstreuend  wirkt  sie;  der 
höchste  Triumph  des  Schauspielers  ist,  daß  man  ihn  über  das  Drama 
vergißt  Jenes  Stilisieren  sei  überall;  im  Sprechen  ist  es  fast  noch 
weiter  vom  leeren  Pathos  als  von  der  empirischen  Gewöhnlichkeit  ent- 
fernt Selbst  in  der  höchsten  Heftigkeit  wechselt  gemessen  Vers  um 
Vers,  jeder  gedankenreich,  volltönend,  streng  gefügt  Je  mehr  Sprechen 
und  Agieren  den  Charakter  gehaltener  Strenge,  straffer  Intensität,  herber 
Grazie  an  sich  trägt,  je  mehr  in  Schatten  und  Licht  Haltung,  Breite, 
runde  Yölligkeit  ist,  je  entschiedener  man  die  gewaltsam  ruhige  Be- 
wegung eines  mächtigen  Emporwogens,  dies  meergleich  große  Schwellen 
und  Fluten  empfindet,  desto  größer  xmd  antiker  ist  der  Eindruck.  Auch 
in  dem  äußeren  Arrangement  der  Darstellung  ist  diese  Stilisierung  ein 
Bedürfnis.  Die  Klage  Kreons  am  Schluß  ist  unverständlich,  wenn  nicht 
dieser  formulierte,  dieser  typische  Charakter  hervortritt;  nicht  umsonst 
ist  die  strophische  Einteilung  solcher  Partien ;  sie  haben  eine  fast  litur- 
gische Feierlichkeit  Nun  da,  dann  dort  stehend,  nun  so,  dann  so  gewandt, 
spricht  er  sein  Wehe  und  wieder  Wehe,  sucht  er  einen  letzten  Trost, 
um  auch  ihn  zu  zerstören.  Es  ist  nicht  der  bloße  natürliche  Erguß 
eines  klagenden  Vaters,  sondern  die  künstlerische,  die  stilisierte  Dar- 
stellung desselben.  Und  jede  Wendung  seiner  Klage  begleitet  der  Chor 
mit  seinen  Bewegungen,  er,  der  dem  Zuschauer  gleichsam  sein  eigenes 
Empfinden  vor  Augen  stellt  und  ihm  dasselbe  um  desto  starker,  desto 


152  I^e  AuffÜhrang  der  Antigone  deB  Sophokles  in  Berlin 

erschütternder  empfinden  läßt.    Denn  so  ist  die  alte  Tragödie;  nicht 
bloß  aufregen  will  sie  die  Menge  und  dann  das  weitere  dem  subjek- 
tiven Belieben  jedes  einzelnen  überlassen;  ganz  will  sie  den  einzelnen 
in  seinem  subjektiven  Empfinden  übermannen,  ihn  hinausreißen  aus 
demselben ;  er  soll  ganz  Hingebung  sein,  ganz  sich  vergessen.   Dasselbe 
Stilisieren   fordern   vor  allem  die  Gruppierungen  des  Chors  wie   der 
Schauspieler.     Mögen   sie  nicht,   den  Eingebungen  des  Augenblickes 
folgend,  die  schöne  Eurythmie  stqren,  durch  welche  der  antike  Ein- 
druck vor  allem  bedingt  ist.    Die  glückliche  Construction  der  Bühne 
und  der  Orchestra  drängt  in  jedem  Augenblick  zu  schönen  Gruppen, 
und  wir  haben   deren  vorzügliche  gesehen.     Und  doch  schienen  sie 
uns  überwiegend  mehr  pittoreske  als  plastische  Anordnung  zu  zeigen, 
freilich  bisweilen,  so  in  dem  Gesang  an  Eros,  von  der  wundervollsten 
"Wirkung. 

Wollte  ich  von  allem  Weiteren  noch  sprechen,  von  dem  zu  dunklen 
Oberkleid  Antigenes  und  dem  zu  hellen  Licht  im  Anfang  des  Stückes, 
von  dem  Wächter,  der  wie  ein  Feuermann  aussah,  von  dem  dürftigen 
Gefolge  des  Königs  u.  s.  w.,  ich  würde  kein  Ende  finden.  Alle  diese 
Kleinigkeiten  treten  zurück  gegen  den  mächtigen,  erschütternden  Ein- 
druck des  ganzen;  die  Erfahrung  wird  weiter  bessern.  Wünschen  wir 
uns  Glück,  daß  dieser  erste  Anfang  so  überraschend  schön  gelungen, 
in  die  Stimmung  des  Publikums  so  entscheidend  eingedrungen  ist; 
bleibe  es  kein  bloßer  Anfang.  Es  ist  eine  vollkommen  neue  Bahn,  die 
unsere  Kunst  betritt;  wer  will  sagen  wohin  sie  führt?  Oder  irren  wir 
uns?  wäre  diese  Antigone  nur  eine  Theatemeuigkeit,  nur  ein  Curiosum, 
ein  gelehrter  Leckerbissen?  Manchem  wird  es  so  erscheinen;  andere 
werden  finden,  daß  dieser  Anfang  nicht  ein  Vereinzeltes  ist,  daß  sieb 
hier  ein  größerer,  ein  allgemeiner  Impuls,  der  unsere  Gegenwart  an 
allen  Punkten  zu  bewegen  beginnt,  ausspricht,  eben  jener  Impuls,  der 
weder  das  tote  Vergangene,  noch  das  trag  Herkömmliche,  noch  die 
rationelle  tabula  rasa  will,  sondern  die  Gegenwart  mit  allem  Großen, 
Lebendigen,  Unvergänglichen  der  Vergangenheiten  zu  erfüllen,  ihr  damit 
die  Triebe  zu  immer  neuen,  immer  umfassenderen  Entwickelungen  ein- 
zupflanzen sucht  Und  fürwahr,  schon  zeigen  sich  da  und  dort  die 
Frühlingsboten  einer  neuen  Zeit,  schon  keimt  es  und  beginnt  es  zu 
grünen;  ein  fruchtbarer  Regen  noch,  und  das  alte  fahle  Wintergras 
ist  vom  frischen  Grün  überholt. 


V. 

Die  Wandgemälde  im  Ball-  und  Concertsaal 
des  Königlichen  Schlosses  zu  Dresden 

erfanden  und  ausgeführt  von  E.  Bendemann,  radiert  von  H.  Bürkner;  mit 
erklärendem  Text  von  J.  G.  Droysen.  Dresden  [1858],  Verlag  von  Ernst  Arnold, 

quer-fol. 
Die  römisohen  ZUAm  beseichnen  die  Tafeln  des  Werkes. 

Die  vorliegenden  Radierungen  geben  einen  Teil  der  Wandmalereien 
wieder,  mit  denen  königliche  Munifizenz  das  Schloß  zu  Dresden  hat 
schmücken  lassen. 

Dem  Künstler  war  die  Aufgabe  gestellt  worden:  drei  nebeneinander 
liegende  Säle  zu  malen,  von  denen  der  eine  —  der  Thronsaal  —  zur 
Eröffnung  und  Entlassung  der  Landtage,  ein  zweiter  —  der  Ball-  und 
Concertsaal  —  zu  Hoffesten  aller  Art  bestimmt  wurde;  der  zwischen 
beiden  liegende  —  das  Thurmzimmer  —  erhielt  keine  besondere  Be- 
stimmung. 

Dies  Thurmzimmer  bildet  architektonisch  den  Mittelpunkt  des 
königlichen  Schlosses.  Auf  der  Außenwand  desselben,  in  der  nach  dem 
Schloßhof  hinaus  liegenden  Loge  ist  ein  altes  jetzt  verblichenes  Gemälde, 
das  die  Anbetung  der  heiligen  drei  Könige  darstellt.  Diese  Anbetung, 
so  lautete  weiter  die  Aufgabe,  sollte  wiederhergestellt,  und  die  Compo- 
sitionen  für  das  Innere,  zunächst  die  für  das  Thurmzimmer  mit  der- 
selben in  Beziehung  gesetzt  werden. 

Aus  diesen  Motiven  ergab  sich  dem  Künstler  der  Grundgedanke 
seiner  Composition  in  folgender  Weise. 

War  der  eine  Saal  der  heiteren  Pracht  königlicher  Feste,  der 
andere  dem  Ernst  bedeutsamster  Funktionen  des  Königtums  bestimmt, 
so  schien  das  sie  verbindende  Thurmzimmer  die  Darstellung  dessen  zu 
fordern,  was  die  Gegensätze  des  Lebens,  das  Heitere  und  Ernste,  das 
Ideale  und  die  Wirklichkeiten  zu  höherer  Einheit  vermittelt,  zu  einer 
höheren  Autgabe  weiht,  in  der  höchsten,  die  menschliches  Leben  und 
Streben  hat,  verschmilzt  und  ihre  Stelle  finden  läßt 


154  ^^  Wandgemälde  im  Ball-  und  Concertsaal 

Die  Anbetung  der  Könige  gab  das  rechte  Wort:  „dein  ist  das 
Reich  und  die  Kraft  und  die  Herrlichkeit";  ein  Gedanke,  den  der  Mittel- 
punkt des  Königsschlosses  wohl  in  Demut  aussprechen  mag.  ^Dein 
Reich  komme'^y  das  ist  nicht  bloß  das  Gebet  aller  Gläubigen,  sondern 
dafür  zu  leben  und  zu  streben  die  Aufgabe  ihres  Daseins ,  die  Weihe 
ihres  Dichtens  und  Trachtens. 

So  entwarf  der  Künstler  für  das  Thurmzimmer  —  die  Ausführung 
ist  noch  nicht  erfolgt^  —  eine  Darstellung  des  „ewigen  Jerusalem*^. 
Wo  die  Wand  draußen  die  Anbetung  der  Könige  hat,  sollte  im  Innern 
der  Heiland  in  seiner  Herrlichkeit  erscheinen,  die  Erzväter,  die  Evan- 
gelisten und  Apostel  zunächst  unter  ihm;  dann  um  den  strömenden 
Brunnen  ewiger  Wahrheit  die  Propheten,  die  Kirchenväter;  alle  Völker, 
alle  Zeiten  und  Bildungen  hingewandt  und  hinwandernd  zu  diesem  Ziele 
aller  Sehnsucht;  von  links  her  die  vorchristlichen  Völker,  die  Juden 
mit  ihren  Königen  und  Hohenpiestem,  die  Heiden  mit  ihren  Sibyllen, 
ihren  Dichtern  und  Weisen,  von  rechts  her  die  christlichen  Völker, 
die  zur  Taufe  drängenden  Germanen,  die  Kreuzfahrer,  die  Dichter  und 
Denker,  die  Künste  u.  s.  w. 

Auf  dieser,  der  rechten  Seite  des  Thurmzimmers  führt  eine  Thür 
in  den  Thronsaal.  Hier,  wo  der  König  sein  Volk  in  denen,  die  es 
als  seine  Vertreter  sendet,  empfangt,  um  über  Friede,  Recht  und  Ord- 
nung, über  das  Wohl  des  Vaterlandes  mit  ihnen  zu  verhandeln,  ist  ein 
ruhiger  Ernst  der  Charakter  des  künstlerischen  Schmuckes. 

Zunächst  bis  in  die  Hälfte  des  Saales  sind  die  Plätze  der  Stände, 
ihnen  gegenüber  der  Thron. 

Die  Wände  der  Saalhälfte,  in  der  der  Thron  steht,  schmückt  ein 
Kreis  von  Gesetzgebern  und  großen  Königen  alter  und  neuer 
Zeit,  hohe  feierliche  Gestalten;  in  ihrer  Mitte  und  über  dem  Thron  die 
Saxonia.  Denn  das  Wesen  und  Thun  jedes  Staates  steht  in  dem 
großen  Zusammenhang  geschichtlicher  Entwickelungen,  hat  deren  Er- 
gebnisse, deren  Wahrheit,  wie  sie  in  den  großen  Männern  der  Geschichte 
ausgeprägt  ist,  in  sich  aufzunehmen  and  weiter  zu  führen. 

Auf  den  Wandflächen  der  andern  Saalhälfte  sind  die  vier  Stände, 
jeder  in  einem  großen  seine  Bedeutung  und  sein  geschichtliches  Wer- 
den bezeichnenden  Bilde  dargestellt.  Zwischen  dem  Bürger-  und  dem 
Bauernstand  auf  der  einen,  dem  geistlichen  und  Ritterstand  auf  der 
andern  Seite,  über  der  Thür,  die  zum  Thurmzimmer  führt,  der  Saxonia 
über  dem  Thron  entsprechend,  ist  ein  Bild,  das  die  vier  Stände  zu 
friedlicher  Gemeinsamkeit  im  Staate  vereint  darstellt 


*  [Und  leider  Überhaupt  unterblieben.] 


des  Röuiglicheu  Schlosses  zu  Dresden  155 

Der  Fries  des  Saales  ist  einer  Daratellung  des  menschlichen 
Lebens  mit  seinen  Arbeiten  und  Berufen,  seinen  Sorgen  und  Mühen 
bis  zu  den  letzten  Dingen  hin  gewidmet  Zunächst  der  Thür  zum 
Thurmzimmer  beginnt  die  Bilderreihe  mit  der  SchaflFiing  des  Menschen, 
dem  Sündenfall,  dem  veriornen  Paradies.  Wo  die  Langseite  des  Saales 
ansetzt,  trägt  ein  Engel  das  Kind  zur  Geburt  in  das  Zimmer  der  Wöch- 
nerin ;  es  folgen  die  Scenen  des  Kindesalters,  der  Jugend,  des  Mannes- 
alters; in  der  Saalhäfte  des  Thrones  Vorgänge,  in  denen  die  Gerechtig- 
keit, die  Weisheit,  die  Tapferkeit,  die  Mäßigung,  als  die  rechten 
Tugenden  des  Königtums,  in  der  Ausübung  ihres  Amtes  sich  bewähren. 
Dann  weiter  Darstellungen  des  Gewerbes,  des  Handels,  der  Wissen- 
schaften; sie  führen  zum  sinkenden  Alter,  zum  Sterben.  Hier  endet 
die  zweite  Langseite  des  Saales.  Ein  Engel  führt  den  vollendeten  Lebens- 
pilger aus  dem  Grabe  in  das  selige  Jenseits  und  dessen  Frieden;  damit 
schließt  die  Bilderreihe  über  dem  Eingang  zum  Thurmzimmer. 

Der  andere  Saal  —  links  vom  Thurmzimmer  —  ist  der  Feier 
glänzender,  reich  bewegter  Feste  gewidmet  Gilt  es,  für  heitere  Pracht, 
für  die  Freude  und  den  Genuß  des  Daseins  den  typischen  Ausdruck 
zu  finden,  so  bietet  ihn  die  Welt  des  Griechentums,  in  welcher  Schön- 
heit und  Adel  alle  Gestaltungen  beherrscht  und  alle  Gedanken  ge- 
staltet; in  allem  Griechischen  ist  der  Zauber  künstlerischen  Empfindens, 
und  in  allem  künstlerischen  SchaflFen  klingt  jener  Zauberton  wieder, 
den  doch  zuerst  die  Musen  Griechenlands  sangen. 

Aus  solchen  Gedanken  entstanden  die  Compositionen  für  diesen 
Saal;  die  Kunst  und  die  Griechenwelt  schienen  so  sich  zu  einem 
Ideenkreise  zusammenfassen  zu  lassen. 

Die  Anordnung  des  Saales. 

Der  Saal  hat  auf  seinen  beiden  Langseiten  je  vier  breite  Fenster, 
die  Pfeiler  zwischen  ihnen  sind  bis  zur  Decke  des  Saales  architektonisch 
abgeschlossen.  In  diesen  sechs  Feldern  sind  die  Künste  dargestellt 
über  den  großen  Gestalten  der  Malerei  (XIII),  Architektur  (XIV),  Skulp- 
tur (XV),  der  Tanzkunst  (XVI),  Musik  (XVII),  Schauspielkunst  (XVIII), 
in  kleineren  Abschnitten  oben  entsprechende  Gruppen  aus  dem  grie- 
chischen Mythos;  beide,  die  Künste  und  die  Gruppen  über  ihnen,  in 
voller  Farbenpracht  auf  goldenem  Grunde.  Goldene  Statuetten  schließen 
diese  Gruppen  zu  beiden  Seiten  von  den  entsprechenden  Feldern  über 
den  Fenstern  ab,  die  weiß  auf  blauem  Grunde,  als  wären  sie  Marmor- 
bilder gegen  die  Luft,  Scenen  des  griechischen  Lebens  darstellen. 

Die  beiden  schmalen  Seiten  des  Saales  sind  in  architektonisch  ähn- 
licher Weise  so  getheilt,  daß  sich  je  über  der  Thür  bis  zur  Decke 


156  Die  Wandgemälde  im  Ball-  und  Conoertsaal 

hin  ein  abgeschlossenes  Feld  bildet  Jede  der  beiden  Wände  erhält 
so  zur  Rechten  nnd  Linken  ihres  Mittelraomes  (mit  der  Thür)  je  ein 
großes  Feld,  dessen  oberer  Teil,  dem  in  den  Langseiten  des  Saales 
aof  den  Fensterpfeilem  und  über  den  Fenstern  entsprechend,  sich  za 
besonderer  Darstellung  von  dem  Hauptfelde  abtrennt  Doch  sind 
diese  vier  Oberteile  nicht  einfache  Streifen,  wie  die  über  den  Fenstern; 
sie  sind  der  Architektur  der  Fenster  entsprechend  in  flachen  Bogen 
geschlossen  und  krönen  so  die  Hauptfelder;  die  Abschnitte  zwischen 
dem  Flachbogen  und  der  rechtwinkligen  Umrahmung  bieten  noch  Baum 
zu  kleinen  emblematischen  Darstellungen. 

So  die  beiden  schmalen  oder  Thürseiten  des  Saales;  auf  ihnen  ist 
das  Griechentum  in  den  charakteristischen  Momenten  seiner  Entwicke- 
lung  dargestellt 

Zur  Linken,  wenn  man  aus  dem  Thurmzimmer  eintritt  (IX),  die 
Hochzeit  der  Thetis  und  über  ihr  der  Mythos  vom  Prometheus. 
Auf  der  Wand  gegenüber  links  (X),  Apollons  Zug  zum  Parnaß, 
darüber  das  delphische  Orakel;  rechts  (XI)  der  Zug  des  Dionysos, 
darüber  die  eleusinischen  Mysterien;  zwischen  beiden  über  der  Thür 
die  Poesie  (XX).  Endlich  dem  Dionysoszug  gegenüber,  auf  derselben 
Wand  mit  der  Hochzeit  der  Thetis,  die  Hochzeit  Alexanders,  dar- 
über das  platonische  Gastmahl;  über  der  Thür  zwischen  beiden,  gleich- 
sam zwischen  Anfang  und  Ende  des  Griechentums,  Homer  und  die 
drei  Stamme  des  Griechenvolkes  (XIX). 

Die  Hochzeit  der  Thetis. 

Die  Compositionen,  die  das  Blatt  IX  wiedergiebt,  stellen  dar,  wie 
aus  den  dunklen  Urzeiten  sich  endlich  die  helle.  Zeit  des  Heldentums 
hervorgerungen. 

Denn  nach  dem  Glauben  der  Griechen  sind  die  Urzeiten  von  wilden 
Götterkämpfen  erfüllt  Den  alten  Uranos  hat  sein  Sohn  Kronos 
gestürzt,  herrscht  dann  mit  seinen  Brüdern,  den  Titanen,  glückselige 
Zeiten.  Aber  auf  ihm  lastet  der  Fluch  des  Yaters;  vergebens  warnt 
Prometheus,  der  Zukunftkundige;  man  verachtet  den  Feind,  der  sich 
schon  erhebt,  den  Kronossohn  Zeus  und  die  jungen  Götter.  Dann 
beginnt  der  neue  Götterkampf;  mit  dem  Blitzstrahl,  den  Prometheus 
ihm  schmieden  lassen,  gewinnt  Zeus  den  Sieg;  nach  Prometheus  Bat 
stürzt  er  den  Vater  und  die  Titanen  in  den  Abgrund,  ordnet  er  die 
neue  Welt  und  die  Ämter  und  Ehren  der  Olympier.  Aber  im  Sturz 
hat  der  Vater  den  Sohn  und  dessen  neue  Welt  verflueht 

Das  Alte  ist  abgethan;  alles  soll  „neu  werden  nach  neuem  Gesetz". 
Auch  das  alte  Geschlecht  der  Sterblichen,  das  nur  für  die  friedensstille 


des  Königlichen  Schloases  zu  Dresden  157 

zeitlose  Zeit  des  Kronos  paßte,  nun  blöde  und  hilflos  in  der  neuen 
härteren  Zeit,  will  Zeus  vertilgen,  um  dann  ein  anderes,  wie  es  nun 
paßt,  zu  schaffen.  Für  die  armen  tritt  keiner  der  Götter  ein,  nur 
Prometheus  erbarmt  sich  ihrer,  er  birgt  von  Hephaistos  Flamme  in 
der  Ferulstaude  einen  Funken,  bringt  den  Menschen  das  himmlische 
Licht;  nun  erwachen  sie,  nun  beginnt  ihnen  Wollen  und  Können, 
Wissen  und  Streben,  ein  menschliches  Dasein. 

Aber  damit  hat  Prometheus  die  neue  Weltordnung,  die  er  selbst 
gründen  helfen,  verletzt;  er  hat  die  Ehre  der  Götter  verkürzt,  hat 
gefrevelt.  Gern  nimmt  Zeus  den  Anlaß,  den  letzten  der  Titanen  zu 
strafen;  er  läßt  ihn  für  ewig,  wie  er  schwört,  an  den  Felsen  schmieden, 
sendet  seinen  Adler,  sich  an  des  Gefesselten  immer  wieder  wachsender 
Leber  zu  weiden.  Und  diese  Strafe,  so  höhnt  der  Gott,  soll  währen, 
bis  der  Unsterblichen  einer  den  Tod  wünschen  wird. 

Äonenlange  Zeiten  sind  vergangen;  Zeus  ist  in  ungestörter  Herr- 
lichkeit, in  ruhigem  Besitz;  er  hat  längst  schon  die  Titanen  freigegeben; 
er  fürchtet  nicht  mehr.  Nur  Prometheus  duldet  noch;  aber  er  weiß 
das  Verhängnis,  den  Spruch  der  Moiren:  daß  auch  des  Kroniden  Macht 
einst  enden  wird.  Umsonst  sucht  Zeus  mit  freundlichem  Wort,  mit 
Drohungen  und  neuen  Qualen  ihm  sein  Geheimnis  zu  entreißen;  er 
bewahrt  es  und  harrt  des  Endes. 

Aber  auch  er  sehnt  sich  nach  Erlösung  und  Versöhnung.  Nun 
kommt  wandernd  des  Zeus  Sohn  Herakles,  der  durch  die  Welt  zieht, 
Ungeheuer  zu  vertilgen,  Riesen  zu  bekämpfen,  allem  Frevel  und  Leid 
zu  wehren,  zum  Felsen  des  Dulders;  er  sieht  den  nagenden  Adler, 
erlegt  ihn  mit  seinem  Giftpfeil. 

Das  ist  der  Inhalt  der  Darstellungen  über  dem  Thetisbilde.  In 
der  Mitte  der  feuerbringende  Prometheus,  in  den  Ecken  Kronos 
Sturz  und  Fluch  zur  Linken,  Prometheus  Strafe  und  Erlösung 
zur  Rechten. 

Die  That  des  Herakles  leitet  die  Versöhnung  ein.  Schon  findet 
auch  Zeus  Schwur  seine  Lösung.  Denn  durch  Zufall  hat  ein  Pfeil 
des  Herakles  einen  der  Unsterblichen  verwundet,  den  Kentauren  Chei- 
ron,  den  musenkundigen;  er  trägt  den  unendlichen  Schmerz  der  Wunde 
nicht,  er  sehnt  sich  nach  dem  Tode.  Gern  wird  ihm  Zeus  gestatten, 
in  den  Tartaros  hinabzusteigen.  Nun  weigert  Prometheus  nicht  mehr 
die  Gefahr  zu  nennen,  die  des  Kroniden  Macht  bedroht:  „wenn  der 
Gott,  so  lautet  der  Moiren  Spruch,  sich  der  Okeanide  Thetis  vermählt, 
so  wird  sie  einen  Sohn  gebären,  der  mächtiger  als  der  Vater  sein,  ihn 
stürzen  wird".  Prometheus  giebt  den  rettenden  Rat:  „ob  auch  zu 
ihr  in  Liebe  entbrannt,  möge  Zeus  auf  sie  verzichten,  sie  einem  der 


158  I^ie  Wandgemälde  im  Ball-  und  Concertsaal 

Sterblichen,  demAchäerfürstenPeleus,  dem  Zögling  Cheirons  vermählen; 
so  werde  sie  den  Liebling  der  Götter  und  Menschen,  den  ersten  Helden 
gebären".  Willig  folgt  Zeug ;  sein  Dank  ist,  daß  er  Prometheus  Fesseln 
löset;  nur  um  seines  Schwurs  willen  auferlegt  er  dem  Befreiten,  den 
Weidenkranz  um  sein  Haupt  zu  flechten ;  denn  der  Kranz,  der  Freuden- 
schmuck  des  Menschen,  ist  ein  Zeichen,  daß  sie  den  Göttern  ge- 
bunden sind. 

So  wird  denn  die  Hochzeit  der  Thetis  gefeiert  Es  ist  der 
Schluß  des  uralten  Götterhaders,  eine  erneuete  Weihe  der  nun  ge- 
sicherten Weltordnung,  der  Anfang  einer  neuen,  der  Heldenzeit,  an 
deren  Spitze  der  Peleide  Achilleus  steht,  der  Sohn  der  silberfüßigen 
Thetis. 

Das  Bild,  in  dem  diese  Bezüge  zusammengefaßt  sind,  ist  in  der 
Stimmung  der  frischen  Tagesfrühe  gehalten.  Der  alte  Okeanos,  von 
seinen  Töchtern,  den  Okeaniden,  von  jubelnden  Nereiden  und  blasenden 
Tritonen  umgeben,  hat  die  bräutliche  Tochter  zum  Strande  geleitet. 
Hymen  mit  der  Fackel  in  der  Hand  führt  die  schamhaft  Zögernde  dem 
Bräutigam  zu,  den  sein  Freund  Phoinix  —  einst  wird  er  Achills  Lehrer 
sein  —  und  Cheiron  mit  Prometheus  herbegleitet  haben.  Von  den 
Himmeln  herab  kommen  die  Hören,  als  die  Führerinnen  des  olym- 
pischen Festzuges,  mit  ihnen  den  andern  Göttern  vorauseilend  der 
Knabe  Dionysos,  der  bei  frohen  Festen  gern  mit  den  ersten  kommt 
und  mit  den  letzten  geht,  weiterhin  Zeus  selbst,  Hera  und  so  fort; 
sie  alle.  Hochzeitgaben  und  Göttersegen  bringend.  Im  Vordergrunde 
des  Bildes  sitzen  die  Moiren  (Parzen),  „jeglichen  Bundes  Segensspende- 
rinnen, jeglicher  Einigung  friedensmächtige  Hüterinnen";  sie  singen 
das  Brautlied  aus  den  uralten  Sprüchen,  und  in  der  Bolle,  aus  der 
sie  singen,  steht  Achills  Name.  , 

Apollon  und  Dionysos. 

Für  die  Composition  der  Bilder  X,  XX,  XI  dürfte  folgender  Ge- 
dankengang bestimmend  gewesen  sein. 

Beide,  Apollon  und  Dionysos,  haben  eine  gewisse  Beziehung  zum 
Parnaß,  dem  gewaltigen  doppeltgegipfelten  Berge,  an  dessen  Fuß  das 
delphische  Heiligtum  mit  dem  kastalischen  Quell  und  dem  Omphalos 
liegt,  der  Erdmitte,  wie  die  Griechen  glaubten.  Jedem  der  Götter  ist 
einer  der  Gipfel  geweiht.  Sonst  ist  ihnen  wenig  gemein,  sie  sind  in 
aller  Weise  einander  fern  und  fremd;  sie  und  ihre  Mythen  bezeichnen 
völlig  verschieden  geartete  Kreise  von  Gestaltungen  und  Vorstellungen. 
Es  sind  so  zu  sagen  zweierlei  Welten,  zweierlei  Weltanschauungen,  die 
sich  in  ihnen  ausprägen,  jede  in  sich  umfassend,  erschöpfend,  lebensvoll, 


des  Königlichen  Schlosses  zu  Dresden  159 

jede  von  der  Art,  daß  man  sagen  nauß,  sie  hat  ihre  Wahrheit;  aber 
doch  ist  sie  nur  eine  Weise  und  eine  Richtung, 

Es  ist  dieselbe  Doppelheit,  die  sich  in  allem  menschlichen  Leben 
und  Streben  wiederholt  und  nach  unsrer  sinnlich  geistigen  Natur  wieder- 
holen muß.  Daß  aber  die  eine  wie  die  andre  Weise  ihre  Wahrheit, 
ihre  Vollendung  und  Weihe  habe,  stellt  sich  dem  griechischen  Bewußt- 
sein in  den  beiden  Göttern,  ihren  Mythen  und  ihren  Kulten  dar. 

Denn  das  Wesen  der  apollinischen  Welt  ist^  daß  das  Geistige  her- 
niedersteige in  die  Wirklichkeiten,  um  in  ihnen  Gestalt  zu  gewinnen, 
sie  durchgeistige,  sie  in  Maß  und  Zucht,  in  großen  Zwecken  und 
harmonischer  Ordnung  adle,  so  die  rohe  Natürlichkeit  bewältige,  ver- 
wandle und  verkläre.  Alles  dagegen,  was  sich  um  Dionysos  schart,  es  ist 
immerhin  sinnlich  wild,  kreatürlich,  von  wüst-dunkler  Gewaltsamkeit; 
aber  in  Genuß,  Freude,  Schönheit  steigt  es  sich  reinigend  und  ver- 
klärend aufwärts,  und  den  Siegeszug  des  „Befreiers^'  umtost  sein  selig 
jauchzendes  Bacchanal. 

In  die  mannigfachen  Gegensätze,  die  das  griechische  Leben  spal- 
teten und  spannten,  spielt  immer  auch  dies  Gegeneinander  des  apolli- 
nischen und  dionysischen  Wesens  mit  hinein.  Apollinisch  ist  der  Typus 
des  heroischen  Adels,  des  dorischen  Lebens,  der  aristokratischen  Ver- 
fassungen, während  Bauern  und  Handwerker,  die  Demokratie,  Athen 
den  alten  Zug  zu  dem  ländlichen  Gott  festhalten.  Ihm  gehört  Flöte 
und  Thyrsos,  der  Dithyrambos  und  der  Tanz  Verkleideter,  mancherlei 
Mysterienfeier;  —  dem  ApoUon  Leier  und  Lorbeer,  strophischer  Gesang 
und  Beigen,  das  Orakel,  nackter  Einger  Wettkampf. 

Auch  den  Griechen  hatte  der  Parnaß  die  Bedeutung,  für  die  der 
Name  noch  immer  üblich  ist.  An  dem  Parnaß  haben  beide  Götter 
teil,  jedem  von  ihnen  gipfelt  er  sich.  Und  die  Musen,  die  dann  für 
immer  um  Apollon  geschart  bleiben,  waren  einst  helikonische  Quell- 
nymphen, und  unter  ihrem  Gesang  spielte  das  Knäbchen  Dionysos; 
sie  heißen  wohl  die  „flötenfrohen'^;  so  apollinisch  sie  sind,  mit  ihrer 
Kunst  bezaubert  der  dionysische  Sänger  Orpheus  Tier  und  Baum,  Fels 
und  Quell;  als  dionysische  Mänaden  ihn  zerrissen  haben,  bestatten 
ihn  die  Musen.  Und  wieder  aus  dem  Dithyrambos  und  dem  Tanz 
Verkleideter  erwächst  die  dramatische  Kunst,  gipfelt  sich  in  der  Trar 
gödie,  die  doch  durch  und  durch  apollinischen  Geistes  ist 

Und  so  mag  denn  mit  Becht  zwischen  dem  apollinischen  und 
dionysischen  Zuge  und  über  beiden,  gleichsam  auf  der  rechten  Höhe 
des  Parnaß,  die  Poesie  (XX)  ihre  Stelle  haben:  auf  den  Wolken  thor- 
nend,  nur  mit  der  Spitze  des  Fußes  die  Erde  berührend. 


160  I^ie  Wandgemfilde  im  Ball-  und  Concertsaal 

Wenden  wir  uns  zunächst  zu  den  Darstellungen,  die  dem  Apollon 
gewidmet  sind  (X). 

Der  Maler  hat  sie  an  das  delphische  Heiligtum  und  die  auf  das- 
selbe bezüglichen  Mythen  geknüpft 

Dorthin,  so  sagt  die  Überlieferung,  kam  Leto,  mit  den  eben  ge- 
bomen  Zwillingen  Apollon  und  Artemis  auf  den  Armen.  Sie  kam, 
das  alte  Erdorakel  zu  befragen;  denn  dort^  am  kastalischen  Quell  und 
in  tiefer  Erdschlucht,  ließ  Gaia  ihre  dunklen  Laute  vernehmen ;  Hüter 
des  Orakels  aber  war  der  Drache  Python,  eine  der  wüsten  Ausge- 
burten der  elementarischen  Zeiten,  geboren  aus  dem  von  der  Sonne 
erwärmten  Schlamm  des  tiefen  Bergthals.  Als  nun  Leto  nahte,  brach 
der  Drache  hervor,  sich  auf  sie  zu  stürzen;  mit  genauer  Not  rettete 
sie  sich  und  die  Kinder  auf  den  „heiligen  Stein  bei  der  Platane". 

Die  erste  That  des  jugendlichen  Apollon  war,  daß  er  den  erd- 
gebomen  Drachen  mit  seinem  Geschoß  tötete;  mit  diesem  Siege  gewann 
er  die  heilige  Stätte;  er  kränzte  sich  mit  dem  Lorbeer  und  sang  sein 
Siegeslied,  den  ersten  pythischen  Festgesang. 

Aber  der  Gott  war  blutbefleckt.  Er  hatte  das  Blut  des  Erden- 
sohnes, den  er  get-ötet,  zu  sühnen.  Er  selbst,  der  einst  der  Gott  aller 
Sühne  und  Reinigung,  der  Versöhner  aller  Mord  auf  Mord  zeugenden 
Blutrache  werden  sollte,  hat  zuerst  an  sich  selber  die  sühnende  Buße 
erfahren  in  achtjährigem  Dienen  und  Leiden.  Er  ist  des  Königs  Admetos 
Knecht  geworden,  sagt  die  heilige  Geschichte;  der  Name  Admetos  be- 
zeichnet den  „Unbezwinglichen**,  den  Gewaltigen  im  Totenreich. 

Dann,  nach  der  großen  Götterbuße,  gesühnt  und  in  völliger  Bein- 
heit,  kehrt  Apollon  zum  delphischen  Heiligtum  zurück  und  beginnt 
sein  heiliges  Amt  „Zeus  fehllosen  Ratschluß"  zu  verkündigen.  Aber 
mit  jedem  neunten  Jahre,  gleichsam  zum  Gedächtnis  der  Buße,  zieht 
er  fernhin  an  den  Rand  der  Erde,  zu  dem  seligen  Volk  der  Hyper- 
boreer, wo  „nicht  Siechtum  noch  Greisenalter,  nicht  Mühe  noch  Hader, 
sondern  steter  Friede  und  Festfeier  und  Gesang  der  Schwäne  auf  der 
stillen  Flut  des  Okeanos".  Dort  „an  den  Pforten  des  üranos  und  dem 
Born  der  Nacht"  weilt  er  von  Fnlhlingsanfang  bis  zum  Aufgang  der 
Pleiaden,  mit  dem  „geliebtesten  Volke"  Reigentanz  und  Gesang  zu 
feiern.  Dann  aber,  „wenn  die  Ähren  golden  werden",  in  der  Sommer- 
mitte, kehrt  er  zum  Parnaß  zurück;  Schwäne  ziehen  seinen  Wagen 
durch  die  Lüfte,  es  geleiten  ihn  hyperboreische  Jungfrauen  und  Jüng- 
linge, Fackeln,  Kannen  und  Schalen,  heilige  Geräte  tragend.  Feiernd 
und  Päane  singend  ziehen  die  Delphier  dem  wiederkehrenden  Gott  ent- 
gegen; es  singen  die  Nachtigallen  und  Cicaden,  und  die  Kastalia  rauscht 
„in  silbernem  Wellenspiel". 


des  Königlichen  SchlosseB  zu  Dresden  161 

So  in  dem  geordneten  Weohsel  der  Jahre  wiederkehrend,  neuer 
Weihe  voll  niedersteigend  zum  Heiligtum,  ,,den  Sterblichgebomen  des 
Rechtes  und  des  Guten  Prophet^,  waltet  der  Gott  in  dem  Leben  der 
Hellenen  sühnend,  ordnend,  Zeus  Willen  verkündigend. 

Nicht  ihn  selbst  vernehmen  die  Sterblichen.  Auf  dem  Dreifuß, 
über  der  dunkeln  Schlucht  im  Heiligtum,  von  Lorbeem  umschattet 
sitzt  die  pythische  Seherin;  von  heiligen  Schauern  ergriffen,  un- 
bewußt und  willenlos  „verkündet  sie,  wie  der  Gott  es  ihr  gebeut'^  Es 
sind  einzelne  Rufe  und  Worte,  welche  priesterliche  Männer  auffassen, 
ordnen  und  dolmetschen,  als  des  Gottes  Spruch  denen  sagen,  „die 
reinen  Herzens  nahn^^ 

In  solchen  Formen  leitet  der  Gott  das  Leben  und  Thun  seines 
Volkes.  In  allem  Großen  und  Schwierigen  wendet  man  sich  fragend 
an  ihn;  von  ihm  hat  sich  Lykurgos  die  Gesetze  lehren  lassen,  nach 
denen  er  dann  das  Staatswesen  Spartas  ordnete;  von  ihm  empfangen 
die  Städte,  die  an  innerem  Hader  kranken  oder  denen  ihr  Volk  daheim 
zu  groß  wird,  die  Weisung,  Kolonien  auszusenden  u.  s.  w. 

So  stellt  es  das  Bild  dar.  Auf  der  einen  Seite  der  Fythia  solche, 
denen  geboten  wird,  auszuwandern:  mit  dem  Feuer,  das  sie  am  Herde 
der  Stadt  —  im  Prytaneion  —  angezündet,  mit  dem  Bilde  des  hei- 
mischen Stadtgottes  ziehen  sie  über  Meer  zu  den  Barbaren,  sich  unter 
ihnen  eine  neue  hellenische  Heimat  zu  gründen;  —  auf  der  andern 
Seite  solche,  die  sich  ein  neues  Recht  für  ihre  Stadt  zu  holen  kommen, 
wie  denn  die  Herme  im  Hintergrund  zeigt,  daß  da  von  altgegründeten 
Zuständen  die  Rede  ist. 


Versuchen  wir  nun,  die  den  apollinischen  Compositionen  entspre- 
chenden zu  erläutern.  Der  Maler  hat  in  ihnen  (XI)  die  eleusinischen 
Mysterien  mit  den  Dionysien  verbunden,  wie  denn  in  dem  Glauben 
namentlich  des  attischen  Volkes  Dionysos  als  lakchos  und  Zagreus  in 
den  Kultus  und  Mythos  der  Demeter  in  tiefsinniger  Weise  verflochten  ist. 

Dunkle  und  trauerreiche  Vorgänge  bilden  den  Hintergrund  der 
dionysischen  und  eleusinischen  Feste.  Da  ist  überall  ein  schweres 
Ringen  mit  den  unteren  Mächten,  Götterleiden,  Göttertod,  Sieg  der 
finsteren  Gewalten;  aber  endlich  folgt  Befreiung  und  Versöhnung, 
seligstes  Schauen,  überreicher  Segen. 

Auf  jene  dunklen  Vorgänge  deuten  die  Eckbildchen  in  dem  oberen 
Teil  der  Composition.  Sie  stellen  den  Raub  der  Persephone  und 
deren  Wiederkehr  zur  trauernden  Mutter,  oder,  wie  die  Griechen  es 
nannten,  ihren  Niedergang  und  Aufgang  dar. 

Droysen,  Kl.  Schriften  IL  11 


162  I>ie  Wandgemftide  im  Ball-  und  Conoert-Saal 

Yon  der  Mutter  sagen  die  Griechen,  sie  habe  die  verlorne  Tochter 
auf  der  weiten  Erde  umherirrend  gesncht,  bis  sie  endlich  Ton  Helios, 
„der  alles  sieht^,  erfahren,  wie  Hades  die  blnmenpflückende  geraabt 
habe;  da  habe  sie  in  unendlicher  Trauer  aufgehört  ihres  göttlichen 
Amtes  zu  walten,  sich  des  Göttlichen  in  ihrer  Erscheinung  entkleidet, 
sei  Magd  geworden  im  Hause  des  Keleos  zu  Eleusis.  ,J)ie  Fluren  ent- 
erbten sich,  die  Ernte  yerschmachtete,  der  Acker  ward  öde,  die  Adern 
der  Erde  erstarrten,  kein  Quell  sprudelte  mehr;  die  Menschen  blieben 
ohne  Nahrung,  die  Altare  ohne  Opfer^'.  Es  hatte  der  Tod  in  die  blü- 
hende Natur  hineingegriffen  und  sie  starb  dahin«  Da  eilten  die  Götter, 
zu  retten,  was  noch  zu  retten  war;  sie  beredeten  den  Q^tem  Hades, 
daß  er  der  Geraubten  Sückkehr  gestatte:  wechselnd  ihm  und  der 
Mutter  sollte  sie  fortan  gehören.  So  yersöhnten  sie  der  Göttin  Zorn, 
es  ward  wieder  Friede:  freilich  nicht  mehr  yon  selbst,  wie  yordem, 
schmückte  sich  die  Erde  mit  nährender  Frucht;  aber  die  versöhnte 
Göttin  lehrte  die  Menschen  Rinder  yor  den  Pflug  spannen,  in 
dreimal  gepflügten  Acker  die  Saat  streuen,  sie  dem  Hades  zum 
Niedergang  anvertrauen,  daß  er  ihr  zu  rechter  Zeit  den  Aufgang 
gewähre. 

Was  die  eleusinischen  Mysterien  feiern,  ist  nicht  bloß  der  Raub 
der  Tochter  und  ihre  Wiederkehr,  noch  auch  die  nüchterne  Symbolik 
des  Säens  und  Emtens.  In  ihnen,  so  sagen  die  Griechen,  „ward  gehört 
und  geschaut,  was  den  Sterblichen  hinieden  Trost  und  for  das  Jenseits 
gewisse  Hofihung  gewährt^'.  Für  diese  Hoffnung  über  das  bange  und 
trauerreiche  Leben  hinaus  war  dem  Griechen  „der  Tochter  Leiden" 
nur  die  vorbildliche  Geschichte,  und  was  sich  alljährlich  in  des  Land- 
manns Arbeit  wiederholte,  erschien  ihm  als  ein  teures  Symbol  seines 
gewissen  Glaubens;  jede  neue  Ernte  war  ihm  eine  neue  Bewährung 
dieses  Glaubens,  auf  den  er  in  Eleusis  schauend  und  hörend  geweiht  war. 

Ähnliche  dunkle  Sagen  knüpfen  sich  an  Dionysos  Namen«  £r 
heißt  wohl  Semeies  Sohn;  aber  die  Matter  starb,  ehe  sie  ihn  geboren: 
sie  starb,  weil  sie  den  Vater,  den  gewaltigen  Donnerer,  in  seiner  olym- 
pischen Herrlichkeit  zu  sehen  Verlangen  trug.  Er  hatte  mit  dem  Götter- 
schwur  ihr  zugesagt,  zu  erfüllen,  was  sie  bitten  würde;  als  er  so  ge- 
bunden dem  verhängnisvollen  Wunsche  nach  erschien,  da  ertrug  sie, 
die  sterblich  gebome,  die  flammende  Herrlichkeit  des  Gottes  nicht,  in 
seinen  zehrenden  Feuern  starb  sie  dahin;  aber  das  göttliche  Kind  Ver- 
sehrte die  Flamme  nicht  und  Zeus  trug  es  zur  Demeter,  daß  sie  es 
auferziehe.  Andere  Sagen  wissen  davon,  wie  die  wilden  Titanen  des 
auf  der  Flur  spielenden  Knäbchens  sich  bemächtigt,  es  zerrissen,  die 
blutenden  Stücke  dem  Hades  überantwortet  haben;  aber  auch  ihm  war 


des  Königlichen  Schlosses  zu  Dresden  163 

es  beschieden,  wiederzukehren  und  den  Sterblichen  seine  Segnungen 
zu  bringen. 

Man  sieht,  welche  Bezüge  die  eleusinischen  Mysterien  um- 
faßten; aus  dem  Gesagten  wird  die  Composition  des  oberen  Bildes  ver- 
ständlich sein.  Es  zeigt  die  Göttin  in  ihrem  Heiligtum;  auf  ihrem 
Schooß,  sich  an  sie  schmiegend,  die  ihr  wiedergegebene  Tochter  und 
das  lakchosknäblein.  Ihr  zur  Seite  ruhend  Buzy ges,  den  sie  gelehrt, 
den  Stier  an  den  Pflug  zu  jochen  und  den  Acker  zu  pflügen ;  auf  ihrer 
andern  Seite,  den  drachenbespannten  Wagen  besteigend,  Triptolemos, 
den  sie  hinausfahren  heißt  die  neuen  Saaten  zu  säen;  mit  Lehre  und 
Mahnung  entläßt  sie  den  Liebling.  Das  ist  der  Vorgang  im  Tempel, 
wie  er  alljährlich  in  der  Mysterienfeier  „gezeigt  und  gelehrt"  wird;  ihn 
zu  „hören  und  zu  schauen",  ist  der  Gottesdienst  der  „Geweihten".  Auch 
diese  zeigt  das  Bild;  wohl  mag  der,  welchem  der  Priester  zum  ersten- 
mal das  Haupt  enthüllt,  vor  dem  Geheimnis,  das  er  nun  schaut  und 
hört,  in  tiefeter  Demut  sich  neigen,  in  Anbetung  versinken;  und  wer 
noch  so  oft  das  Fest  mitgefeiert:  immer  mit  neuem  freudigen  Staunen 
sieht  er  den  heiligen  Vorgang;  er  bringt  sein  Knäbchen  mit,  früh  zu 
gleicher  seliger  Schau  geweiht  zu  werden. 

So  erhebend  die  eleusinische  Feier  ist,  sie  giebt  doch  nur  Trost 
und  ferne  Hofihung;  aber  Freude  und  Genuß  und  das  selige  Entzücken, 
das  das  Vergangene  vergißt  und  des  Künftigen  nicht  denkt,  bietet  sie 
nicht.  Das  gewährt  von  allen  Göttern  nur  der  eine,  Dionysos,  der 
„Befreiende";  in  seinem  Bakchanal,  in  dem  Evoe  seiner  Thyrsophoren, 
in  der  entfesselten  Jubellust  seiner  Nachtfeier,  da  ist  der  Vollgenuß 
des  Augenblicks,  die  Summe  irdischer  Seligkeit. 

Solchem  Festzug  ist  das  Hauptbild  gewidmet.  An  der  Seite  des 
schönen  seligstillen  Gottes  jene  Ariadne,  die  verlassen  auf  Naxos 
trauerte,  als  der  Gott  daherzog  und  sie  zu  seiner  Braut  erkor;  nun 
ziehen  sie  auf  rebengekränzten  Wagen  daher,  und  der  Sänger,  der  jugend- 
liche Dithyrambos  —  freilich  die  Leier  hat  er  nun  hinter  sich  ge- 
geschoben —  tritt  halb  mit  hinauf  auf  den  Wagen,  sich  von  der  hold- 
seligen Dionysosbraut  seine  Schale  füllen  zu  lassen.  Panther  ziehen 
den  Wagen,  der  kleine  Eros  sollte,  darum  sitzt  er  auf  dem  schreitenden 
Tier,  ihr  Lenker  sein,  aber  die  eine  Hand  läßt  er  auf  den  Saiten  seiner 
Lyra  ruhen  und  mit  der  andern  hält  er  eine  üppige  Traube  über  den 
rückgelehnten  Eopf,  so  im  lüsternen  Schlürfen  des  kühlen  Saftes  ver- 
sunken, daß  er  nahe  daran  ist,  vom  Bücken  seines  Tiers  zu  gleiten. 
Eomos,  mit  geschwungenem  Thyrsos  voraustanzend,  lenkt  einstweilen 
des  Wagens  Deichsel  hinauf wärts;  voraus  jubelt  ein  Kentaur,  auf  dessen 
Rücken  sich  eine  nackte  Mänade  zu  dem  Gotte  hinwendet,  welcher  die 

11* 


164  T>ie  Wandgemälde  im  Ball-  und  Concert-Saal 

Freude  bringt.  Rings  toben  Cjmbeln,  Tympanen  nnd  bakchische  Flöten, 
und  ein  kleiner  hüpfender  Satyr  pfeift  auf  schrillender  Panflöte  mit  in 
den  Lärm  hinein.  So  zieht  der  trunkene  Festzug  in  die  Abendstille 
hinaus,  nach  der  Höhe  hinauf,  dort  die  Nacht  hindurch  in  Pannychien 
zu  lärmen  und  zu  schwärmen. 

Bas  Alexanderfest. 

Nach  der  Sage  der  Griechen  ist  Dionysos  erobernd  durch  die  Welt 
gezogen  bis  zum  fernen  indischen  Lande,  hat,  wohin  er  gekommen, 
neues  freudiges  Leben  verbreitet,  das  dann  nur  unter  der  Obmacht  der 
Barbaren  wieder  erstorben  ist.  So  mochte  man  Alexanders  Siege  an 
den  Zug  des  Gottes  knüpfen;  nicht  bedeutungslos  war  er  der  Olympias 
Sohn,  die  in  den  Bakchischen  Orgien  lebte  und  webte,  den  Thyrsos 
und  die  Schlange  schwingend  mit  den  Mänaden  durch  die  Berge  stürmte, 
in  orgiastischen  Träumen  das  Geschick  des  Sohnes  voraussah,  den  sie 
gebären  sollte.  Er  erneute,  was  der  Gott  gegründet,  vollendete,  was 
der  begonnen.  In  ihm,  dem  königlichen  Jüngling  aus  achilleischem 
Geschlecht,  hat  sich  das  Leben  des  Griechentums  vollendet 

Das  ist  es,  was  die  Compositionen  des  Blattes  XII  zusammenfassend 
darstellen. 

Das  weite  Asien,  einst  voller  Völker  und  Staaten,  die  nach  eigenem 
Recht  und  Glauben  lebten,  schmachtete  unter  der  Perser  Joch.  Immer 
weiter  um  sich  greifend  hatten  sie  Volk  auf  Volk  verknechtet,  auch  die 
hellenischen  Küstenstädte  Asiens  waren  bewältigt;  dann  hatte  Xenes  den 
Hellespont  überbrückt,  das  hellenische  Meer  zu  beherrschen  begonnen ; 
sein  Völkerheer  war  erobernd  über  Makedonien  und  Thessalien  ergossen, 
durch  die  Thermopylen  bis  Delphi,  bis  Athen  gedrungen;  dort  endlich  in 
ungeheuerm  Kampf  hatten  die  Griechen  ihre  Freiheit  gerettet  Von  dem  an 
ruhte  der  Kampf  und  der  Haß  zwischen  Hellenen  und  Barbaren  nicht 
mehr;  —  ein  endloser  Kampf,  wenn  man  in  diesem  Gegensatz  verharrte, 
wie  freilich  die  Natur  ihn  geschaffen,  die  Geschichte  ihn  entwickelt  hatte, 
wie  Land  und  Blut,  Sprache  und  Sitte,  alles  Göttliche  und  Menschliche  ihn 
bezeugte.  Es  war  ein  Gegensatz,  so  starr  wie  nur  je  der  zwischen  Zeus 
und  den  alten  Göttern,  zwischen  ApoUon  und  den  wüsten  Erdmächten, 
zwischen  Demeter,  Dionysos  und  den  finsteren  Gewalten  des  Jenseits. 

Aber  diese  hatte  das  Griechentum  in  sich  versöhnt;  sie  versöhnend 
hatte  es  sich  in  sich  selbst  entwickelt,  geklärt  und  geadelt  Gab  es 
auch  zwischen  Hellenen  und  Barbaren  die  Möglichkeit  einer  höheren 
Einigung?  eine  Sühne,  einen  Frieden,  über  Natur  und  Geschichte  hinaus 
ein  Neues  zu  schaffen? 


des  Königlichen  Schloeses  zu  Dresden  165 

Tief  in  dem  geistigen  Leben  der  Griechen  keimte  dies  Neue  heran. 
Sie  unt-er  allen  Völkern  zuerst  lernten  beaohten,  daß  das  Natürliche 
und  Unmittelbare,  was  sie  Athener,  Spartaner,  Korinther  sein  ließ,  doch 
nicht  ihr  ganzes  Wesen  noch  den  innersten  Kern  ihres  Wesens  bilde; 
nnd  als  sie  fortschreitend  alle  bei  aller  Verschiedenheit  sich  doch  als 
Griechen  einig  f&hlen  lernten,  ahnten  sie,  daß  in  ihnen  selbst  noch  ein 
Allgemeineres  und  Freieres  sei,  welches  nicht  bloß  bei  ihnen  sei,  in 
ihnen  selbst  nur  in  griechischer  Fassung  erscheine.  Sie  ahnten,  daß 
in  diesem  Griechischen  der  rechte  Kern  das  allgemein  Menschliche  sei, 
ja  daß  sich  ihr  eigenes  Griechenwesen  in  dem  Maße  sittlich  adle  und 
verkläre,  als  es  dies  rein  Menschliche  erfasse  und  darstelle.  Sie  wurden 
inne,  daß  dies  von  Anfang  her  der  unbewußte  Zug  ihrer  Entwickelungen 
gewesen  sei,  daß  sich  das  Dichten  und  Denken  ihres  Volkes  dahin  ge- 
richtet habe.  Schon  Homer  hatte  den  Göttern  rein  menschliche  Gestalt 
und  Empfindung  gegeben,  in  ihren  Tragödien  war  mehr  und  mehr 
die  alte  geheimnisvolle  Bedeutsamkeit  und  Deutbarkeit  der  Mythen 
geschwunden,  Götter  und  Heroen  blieben  nur  noch  die  schönen  und 
vollendeten  Gestaltungen  von  Leidenschaften  und  Charakteren.  Schon  be- 
gann die  Philosophie  nach  den  Kräften  und  Gesetzen,  nach  den  Ge- 
danken, welche  die  Dinge  tragen  und  bewegen,  zu  forschen ;  versuchte 
diese  ohne  die  plastische  Hülle,  die  sie  dem  Griechen  und  doch  nur 
ihm  verständlich  machte,  ohne  diese  Götter  und  ihre  heiligen  Ge- 
schichten zu  denken  und  auszusprechen.  Es  war  eine  staunenswürdige 
Entdeckung,  als  man  fand,  daß  in  dem  Denken  der  Menschen,  in  dem 
allen  Menschen  gemeinsamen  Denken,  die  Urbilder  alles  Wahren,  Guten, 
Schönen,  die  Ideen  seien,  daß  sie  nur  „wiedererinnert"  zu  werden 
brauchten,  daß  alles  Denken  das  Sichselbstfinden  und  Wiedererinnern 
dieser  Ideen  und  das  Messen  der  Wirklichkeiten  an  ihnen  sei 

An  Sokrates  Namen  knüpft  sich  diese  große  Wendung  im 
Griechentum,  die  dann  durch  den  hochblickenden  Geist  Fla  tos  und 
durch  die  tiefe  und  umfassende  Welterforschung  des  Aristoteles  voll- 
endet worden  ist. 

Verzeihe  man  den  weiten  Umweg,  dessen  es  bedurfte  den  Zu- 
sammenhang darzulegen,  in  dem  der  Maler  zu  der  Composition  ge- 
kommen ist,  welche  er  dem  Alexanderfest  als  oberes  Bild  hinzufügte. 
Es  giebt  unter  den  platonischen  Gesprächen  ein  vor  allen  schönes,  das 
den  Titel  Gastmahl  führt;  da  wird  das  Fest  geschildert,  das  der 
Dichter  Agathon  gegeben,  als  seine  Tragödie  den  Preis  gewonnen  hatte. 
Beim  Becher  wendet  sich  die  Unterhaltung  auf  den  Eros,  den  mäch- 
tigen Gott  der  Liebe,  dem  allein  noch  kein  Hymnus  gedichtet  sei,  auf 
seine  Macht,  sein  Wesen,  und  warum  Liebe  Getrenntes  zu  einander 


166  I^i^  Wandgemälde  im  Bali-  und  Concertsaal 

zwinge  und  nicht  eher  ersattigt  sei,  als  bis  sie  das  Getrennte  verbunden 
habe,  und  doch  der  Trennung  bedürfe,  um  sie  immer  wieder  anfza- 
heben.  So  sprechen  sie  nachthinein,  bis  endlich  Sokrates,  was  er  dar- 
über von  Diotima,  der  wunderbaren  Frau,  gehört  habe,  den  stannend 
Lauschenden  erzählt  Da  hört  man  draußen  frohen  Laxm  wie  von 
Nachtschwärmern,  die  daher  kommen;  es  ist  Alkibiades,  der  schönste 
Jüngling  Athens,  Sokrates  Liebling,  der  halbtrunken,  mit  einer  Flöten- 
spielerin und  einigen  Begleitern  hereinkommt  und  dem  Gelage  neue 
Lust  und  ein  rechtes  Liebesbeispiel  bringt;  die  andern,  allmählich  alle 
trunken  und  ermüdet,  schlafen  ein,  nur  Sokrates,  „den  nie  jemand  be- 
rauscht gesehen^',  bleibt  wach  und  geht  mit  der  Frühe  nüchtern  hinaus 
zum  Morgenopfer  und  zu  seinem  taglichen  Geschäft. 

Dieses  Symposion  hat  der  Maler  gewählt,  um  darzustellen,  wie 
jenem  Philosophieren  eine  neue  Welt  von  Gedanken  sich  entfaltete.  Er 
stellt  den  Eros  selbst  mit  zu  der  Gruppe  derer,  die  von  ihm  sprechen, 
aber  den  Eros  als  Statue;  der  Gott  ist  nur  ein  Bild  dessen,  was  Diotima 
schöner  in  Worten  gesagt  hat,  was  nun  die  Hörenden  bewegt  und  erfüllt; 
und  nicht  mehr  auf  das  stumme  Bild,  sondern  auf  den  sprechenden 
Sokrates,  den  Priester  des  rechten  Eros,  sind  ihre  Blicke  und  Gedanken 
gerichtet 

Ist  der  Gott  nur  ein  Bild,  was  bedarf  es  dann  noch  des  Gottes? 
In  der  einen  Ecke  hat  der  Maler  Plato  und  Aristoteles  dargestellt, 
neben  ihnen  steht  ein  Altar  mit  der  Opferflamme,  aber  ein  Götterbild, 
dem  sie  brennte,  ist  nicht  mehr  da.  In  der  Darstellung  gegenüber 
ist  aus  dem  Götterbild  eine  Antiquität  geworden:  auf  den  Quadern  eines 
zerfallenen  Gebäudes,  neben  einer  zerbrochenen  Tempelsäule  sitzt  die 
Forschung  von  Büchern  umgeben,  eine  brennende  Fackel  in  der 
Hand,  einen  leuchtenden.  Stern  über  ihrer  Stirn.  Es  ist  das,  was  nach 
Alexander  aus  dem  Griechentum  wurde. 

So  hat  der  Maler  in  der  Weise,  wie  ihm  seine  Kunst  zu  sprechen 
gestattet,  die  Bezüge  dargelegt,  in  denen  er  das  Hauptbild,  die  Hoch- 
zeit Alexanders  in  Susa,  aufgefaßt  hat.  Es  ist  ein  Fest,  wie  kein 
ähnliches  je  wieder  gefeiert  ist,  nicht  der  Pracht  und  der  Kunst  nach, 
mit  der  es  ausgestattet  worden,  sondern  dem  Gedanken  nach,  dessen 
Ausdruck  es  war. 

Ein  alter  Schriftsteller  sagt  von  Alexander:  „Allen  befahl  er,  als 
ihre  Vaterstadt  die  Welt,  als  deren  Akropolis  sein  Lager,  alle  Guten 
als  Verwandte  and  Kampfgenossen,  die  Schlechten  als  Barbaren  anzu- 
sehen'^  Er  war  nicht  nach  Asien  gezogen,  um  Beute  zu  machen, 
Lander  zu  unterwerfen,  Volk  auf  Volk  zu  verknechten;  es  galt,  dem 
überreichen  geistigen  Leben  des  Griechentums  eine  Welt  zu  neuer  Arbeit 


des  Königlichen  Schlosses  zu  Dresden  167 

ZU  Öffnen,  das  verkommene  Morgenland  mit  neuem  Leben  zu  durch- 
strömen, beide,  Griechen  und  Barbaren,  versöhnend  und  einigend  eine 
neue  Zeit  zu  gründen,  in  der,  wie  ein  Zeitgenosse  sagt,  alle  Menschen 
sich  für  Mitbürger  halten,  alle  in  einer  Ordnung  und  einem  Sinne 
leben  sollten,  wie  eine  friedlich  weidende  Herde  auf  gemeinsamer  Trift. 

In  einem  Jahrzehend  voll  staunenswürdiger  Thaten  vollendete 
Alexander  sein  Werk.  Vom  Hellespont  bis  zur  Sahara,  bis  zur  Wüst« 
jenseits  des  Jaxartes,  bis  zur  Wüste,  die  das  Indusland  vom  oberen 
Ganges  scheidet,  war  nun  ein  Beich;  am  Indus  wie  in  Ägypten,  am 
Euphrat  wie  im  baktrischen  Lande  begann  griechisches  Leben  in  neu- 
gegründeten Colonien  aufzublühen.  Schon  waren  edle  Perser,  es  war 
die  Jugend  des  Morgenlandes  in  das  Heer  aufgenommen,  in  ihm  gab 
es  den  Unterschied  von  Griechen  und  Barbaren  nicht  mehr. 

Das  große  Werk  der  Einigung  zu  vollenden  war  der  Zweck  des 
Alexanderfestes,  das  gefeiert  ward,  als  sich  der  König,  seine  Feldherren, 
Tausende  vom  Heer  mit  den  Töchtern  des  Morgenlandes  vermählten. 

Einen  bezeichnenden  Moment  aus  diesem  Feste  hat  der  Maler  vor 
Augen  gestellt.  An  Alexanders  Seite  sitzt  Stateira,  des  letzten  Perser- 
königs Tochter;  aber  nicht  nach  orientalischer  Haremsart  wird  sie,  eine 
unter  vielen,  des  Königs  Gemahlin  sein;  er  setzt  ihr  das  Diadem  auf, 
sie  wird  an  des  Königs  Seite  die  Königin  sein.  Das  Schmettern  der 
Heertrompeten,  der  Jubel,  die  freudige  Bewegung  durch  das  weite 
Festzelt  hin  zeigt,  wie  Großes  geschieht.  Dankende,  Glückwünschende 
drangen  sich  zu  dem  erhöhten  Sitze  des  Königspaares;  auf  der  einen 
Seite  Fürsten  und  Edle  des  Morgenlandes,  nach  ihrer  Art  zu  huldigen 
und  „anzubeten'':  auf  der  andern  alte  Kampfgenossen  des  Königs, 
Hephaistion,  sein  Herzensfreund,  dem  Stateiras  Schwester,  der  herr- 
liche Krateros,  dem  Stateiras  Base  zu  teil  geworden;  sie  und  andre 
nach  Hellenensitte  goldene  Kranze  als  Festgabe  weihend. 

Bedeutsam  ist  dies  Fest  als  ein  nächtliches,  von  flammenden  Al- 
tären, Kandelabern  u.  s.  w.  erleuchtetes  dargestellt.  Es  bezeichnet  den 
Schluß  des  Griechentumcs,  wie  das  nächste  Bild,  die  Hochzeit  der  Thetis, 
dessen  Aufgang.  Das  Heldentum  des  dort  verkündeten  Achill  hat  sich 
geschichtlich  in  Alexander  verwirklicht.  Alexander  selbst  empfand  so; 
als  er  seinen  Zug  beginnend  über  den  Hellespont  geschifft  war,  ging 
er  zuerst  nach  Ilion,  dort  den  Schatten  des  Priamos  zu  sühnen,  den 
Achills  Sohn  am  heiligen  Herde  erschlagen;  dann  opferte  er  an 
dem  kranzgeschmückten  Grabe  Achills  und  Hephaistion  an  Patroklos 
Grab;  Wettkämpfe  und  Spiele  schlössen  die  Feier  des  Helden,  den,  so 
war  Alexanders  Ausdruck,  er  nur  um  eines  beneide,  um  den  Sänger, 
der  ihn  besungen. 


168  Die  Wandgemälde  im  Ball-  und  ConcertBaal 

Homer  und  die  ^rleehenstämme. 

Zwischen  dem  Alexanderfeste  und  der  Hochzeit  der  Thetis  mußte 
eine  Composition,  welche  sie  vermittelt^  ihre  Stelle  finden.  Der  Künstler 
wählte  eine  solche,  die  in  einfachen  Zügen  die  Summe  dessen,  was  die 
Zeiten  von  Achill  bis  Alexander  bewegt  und  erfüllt,  so  zu  sagen  den 
Stoff  und  die  Art  des  geschichtlichen  Lebens  dieses  Griechentums  zu- 
sammenfaßt   Diese  zeigt  Blatt  XIX. 

Man  weiß,  was  Uomer  den  Griechen  bedeutete.  Wie  immer  in 
Stämme  und  Städte,  in  unzähliges  Sonderleben  geteilt,  in  Homer 
hatten  sie  den  Ausdruck  ihrer  geistigen  Einheit,  und  es  gab  nichts 
Griechisches,  das  nicht  in  ihm  seine  Keime  oder  Vorbilder  gefunden 
hätte.  Von  dem  Vater  Homer  her  klingt  durch  das  Griechentum  der 
Ton  der  Schönheit  und  sittlichen  Adels,  jener  Zauber  des  Idealen,  wie 
er  nie  wieder  ein  Volksleben  verklärt  hat 

Man  sieht,  warum  es  die  Herme  Homers  ist,  zu  der  der  Maler 
die  griechischen  Stämme  stellt,  drei  Knaben,  hier,  so  verschieden 
sie  geartet  sind,  in  traulicher  Gemeinsamkeit  An  dem  kurzen  Schwert 
und  dem  einfachen  Helm,  an  der  festen  Haltung  und  dem  gebräunten 
Körper  wird  man  den  kleinen  Dorer,  an  dem  Wanderhut,  der  wei- 
cheren Haltung,  an  dem  Bogen  und  Köcher,  mag  es  ein  kaljdonisches 
Jagdgeschoß,  mag  es  des  in  so  vielen  Liedern  gesungenen  Eros  Rüst- 
zeug sein,  den  äolischen  Knaben  erkennen;  den  kleinen  lonier  end- 
lich bezeichnet  das  Schiffsruder,  der  schmuckreiche  Helm,  und  mehr 
noch  die  nachlässig  zierliche  Haltung  des  geschmeidigen  Körpers  und 
das  ins  Hohe  und  Weite  schweifende  Auge;  man  glaubt  es  schon,  daß 
aus  diesem  Knaben  dereinst  ein  Alkibiades  werden  kann:  „was  sie  er- 
ringen, gilt  ihnen  als  unbedeutender  Gewinn  gegen  das,  was  ihrer 
Kühnheit  die  Zukunft  verspricht;  sie  scheinen  nach  ihrem  Charakter 
dazu  gemacht,  weder  selbst  Ruhe  zu  haben  noch  andern  Menschen 
Ruhe  zu  lassen'^ 

Noch  ein  Wort  mag  gestattet  sein  über  die  Stelle,  die  der  Maler 
diesem  Bilde  gegeben  hat;  denn  in  der  Ordnung  und  Stellung  der 
Bilder  wird  man  die  Bedeutung  zu  erkennen  haben,  die  er  ihnen  für 
das  Ganze  und  in  dessen  Zusammenhang  hat  geben  wollen.  Er  stellt 
dies  Bild  der  drei  Stämme  dem  der  Poesie  gegenüber.  Es  mag  das 
Griechentum  auch  anders,  nach  praktischen  und  pragmatischen  Gesichts- 
punkten betrachtet  werden  können;  der  Maler  faßte  es  —  das  Bild  des 
Homer  zeugt  dafür  —  in  der  Fülle  seiner  Poesie,  seiner  idealen  Bezüge. 

Es  ist  erläutert  worden,  warum  die  Poesie  zwischen  Apollon  und 
Dionysos  ihre  Stelle  hat.    Sie  bedeutete  nicht  die  Kunst  des  Verse- 


des  Königlichen  Schlosses  zu  Dresden  169 

machens,  die  technische  Arbeit  des  in  Rhythmen  und  Reimen,  in 
Worten  und  Begriffen  formenden  Poeten.  Die  Griechen  unterscheiden 
sinnig  das  Technische  der  Künste  von  dem  Musischen;  und  in  diesem 
haben  alle  Künste  ihr  eigentlich  schöpferisches  Element,  ihr  gemein- 
sames  ideales  Wesen,  mag  es  dann,  technisch  für  das  Auge  oder  für 
das  Ohr  gestaltet,  in  Handlungen  oder  Empfindungen,  in  gegenständ- 
licher oder  begrifflicher  Form  ausgedrückt  werden. 

Aus  dem  Gesagten  erkennt  man,  warum  und  in  welchem  Sinn 
hier  die  Poesie  von  den  andern  Künsten  getrennt  und  in  völlig  anderer 
Art  gefaßt  ist. 

Das  scheinbar  so  nahe  liegende  Motiv,  in  diesem  Saal  griechischer 
Darstellungen  die  Künste  nach  althergebrachter  Art  durch  die  Musen 
zu  repräsentieren,  wählte  der  Maler  mit  gutem  Grunde  nicht.  Er 
würde  damit  weder  die  Fülle  der  Gedanken,  die  er  aussprechen  wollte, 
auszudrücken  vermocht  haben,  noch  der  Gefahr  entgangen  sein,  in 
antiquarischer  Correctheit  und  hergebrachten  Typen  die  poetische  Frei- 
heit einzubüßen,  die  allein  das  Ferne  und  Vergangene  als  noch  un- 
vergangen und  in  der  Seele  gegenwärtig  mit  auf  die  Palette  nehmen, 
über  das  so  oder  so  Richtige  das  fQr  immer  und  in  sich  Wahre  stellen 
kann.  Der  Ort^  für  den  seine  Compositionen  bestimmt  waren,  gestattete 
ihm,  alles  das,  was  in  dem  Bewußtsein  der  höheren  Bildung  lebendig 
und  gegenwärtig  ist,  vorauszusetzen  und  aus  dem  reichen  Kreise  von 
Yorstellungen,  in  denen  zu  denken  und  zu  empfinden  immerhin  nicht 
den  vielen,  aber  gewiß  denen,  die  zum  Adel  der  Bildung  zählen,  ge- 
meinsam ist,  die  Darstellungen  zu  dichten,  in  denen  er  zu  uns  sprechen 
wollte. 

Die  Eflnste. 

Von  den  sechs  Bildern,  welche  je  eine  Kunst  darstellen,  sind  die 
drei  plastischen,  Malerei,  Baukunst,  Skulptur,  der  Fensterseite  zwischen 
der  Hochzeit  der  Thetis  und  dem  Apollofest,  die  drei  andern,  Tanz- 
kunst, Musik,  Schauspielkunst,  der  Seite  zwischen  dem  Dionysoszug  und 
dem  Alezanderfest  zugewiesen. 

Sprechen  wir  zunächst  von  jedem  einzelnen  dieser  Bilder  und  dem 
zugehörenden  oberen  Beibild. 

Zunächst  dem  Thetisbilde  die  Malerei  (XIII).  In  reicher  Ge- 
wandung lehnt  sich  die  ruhig  betrachtende  Gestalt  auf  einen  Lorbeer- 
stamm voll  frischer  Triebe;  so  auf  die  lebendige  Natur  gestützt  hat 
diese- Kunst  ihren  rechten  Halt;  denn  die  Wirklichkeiten  sind  es,  deren 
Schein  sie  uns  in  dem  Spiel  von  Linien  und  Farben,  von  Licht  und 


170  1^6  Wandgemälde  im  Ball-  und  Concertsaal 

Schatten  yorzuzaubem  hat    Der  Sonnenstrahl,  der  in  das  Bild  herab- 
scheint, giebt  den  beiden  Kindern  neben  ihr  bezeichnende  Motive.    Der 
Knabe,  über  den  sich  eine  Sonnenblume  stolz  zur  Sonne  kehrt,  selbst 
in  hellster  Beleuchtung,  fingt  den  vollen  Sonnenschein,  als  wollte  er 
ihn  wagen,  mit  der  Hand  auf,  während  die  andre  schon  wie  zum  wei- 
teren Spiel  ein  Prisma  erfaßt.     Das  kleine  Mädchen,   den  Kopf  tief 
in  ein  dunkelblaues  Tuch  gehüllt,  schmiegt  sich  in  den  Schatten  der 
großen  Gestalt,  aber  er  deckt  sie  nicht  ganz  und  gegen  den  blendenden 
Schein  hält  sie  die  Hand,  die  nun  scharf  beleuchtet  ist,  vor  das  Ange. 
Das  Bildchen  drüber  zeigt  die  sitzenden  Charitinnen  (Grazien) 
in  zierlich  ruhender  Stellung.    Ihr  Name  und  ihr  Wesen  ist  Anmut; 
und  wenn  ein  geistvoller  Mann  einmal  als  das  Wesen  der  malerischen 
Kunst  „die  Erfreulichkeit  des  Scheines^'  bezeichnet  hat,  so  erklärt  das 
die  Wahl  der  Charitinnen  für  diese  Stelle.    Die  vollblühende  Rose  be- 
zeichnet Thalia,   die  reife  Orange  Aglaia,   die  Blumen  im  Haar  die 
heiter  stille  Euphrosyne. 


Das  nächste  Bild  (XIV)  ist  das  der  Architektur.  Ein  Knabe 
mit  einem  Schurzfell,  ein  Lot  in  der  Hand,  hält  ihr  mit  Anstrengung 
eine  schwere  Platte  hin,  auf  die  sie  etwa  den  Grundriß  eines  Gebäudes 
zeichnen  wird ;  dies,  dann  ihre  derbe  Gestalt,  die  schurzfellartige  Form 
ihres  Obergewandes,  lassen  uns  da  etwas  Handwerksmäßiges  empfinden. 
Die  Baukunst  steht  dem  Handwerk  nahe,  sie  bliebe  ganz  in  demselben, 
wenn  sie  nicht  auf  den  Genius  hörte,  der  ihr  von  Höherem  in  das  Ohr 
flüstert;  ihrem  gesammelten  tiefen  Blick  sieht  man  an,  wie  ihr  nun 
erst  die  Welt  des  Schönen  sich  erschließt;  jener  Schönheit  vollendeter 
Eurhythmie,  davon  der  dorische  Tempel,  den  ihre  Linke  trägt,  ein  un- 
übertroflFenes  Vorbild  ist. 

Nicht  in  der  Natur  findet  sie  ihre  Muster,  geschweige  dehn  ihre 
Gesetze,  ihre  Gedanken;  das  Geheimnis  der  Zahlen  und  Verhältnisse, 
der  spannenden,  tragenden,  vermittelnden  Formen  ruht  in  der  Tiefe 
des  Geistes.  Aus  dem  toten  Stoß*,  welchen  die  Natur  bietet,  den  ge- 
brochenen Steinen,  den  gefällten  Baumstämmen  ein  Abbild  jener  ein- 
fachen Eurhythmie  von  Linien,  Flächen  und  Maßen,  wie  sie  im  Geist 
vorgebildet  ist,  einen  Kosmos  zu  schaffen,  der  sich  in  sich  selbst  be- 
stimmt und  schließt  und  menschlicherweise  so  vollendet  ist,  wie  der 
in  Harmonie  bewegte  Makrokosmos,  das  ist  es,  was  diese  Kunst  kann 
und  will. 

In  solchem  Gedankenzusammenhang  ist  der  Stoff  zu  dem  oberen 
Bilde  gewählt.     Es  ist  ein  Stückchen  uralter  Kosmogonie.    Zuerst,  so 


des  Königlichen  SchloBses  zu  Dresden  171 

sagen  griechische  Dichter,  war  das  Chaos  und  Nacht  nnd  Todesgranen, 
nicht  Himmel  noch  Erde  war;  aber  die  Nacht  gebar  den  Eros,  den 
goldenbeschwingten,  der  ertrug  nicht  das  Grauen  unendlicher  Einsam- 
keit, das  tote  Durcheinander  ungeformter  Elemente;  mit  mächtiger 
Hand  schied  er  ihr  wüstes  Gewirr,  und  aus  dem  Chaos  klärte  sich  die 
geordnete  Welt. 

Das  Bild  nun  zeigt  den  noch  währenden  chaotischen  Kampf.  Das 
wilde  Feuer  will  die  Erde,  die  schwer  niedersitzt,  wieder  emporrafifen, 
die  blitzschleudemde  Luft  versucht  dem  Wasser,  das  wellenhaft  sich 
gegenstemmt,  den  Dreizack  zu  entreißen;  aber  Eros  schwebt  zwischen 
sie  daher  und  trennt  den  wüsten  Kampf. 


% 


Das  dritte  Bild  (XY)  ist  das  der  Bildhauerkunst.  Eine  schlichte 
Gestalt,  wie  zur  Arbeit  leicht  gekleidet,  steht  sie  vor  einem  erst  wer- 
denden Werk;  es  wird  eine  Psyche  werden,  aber  der  Marmor  lebt  noch 
nicht,  es  fehlt  noch  der  beseelende  Hauch,  der  sie  künstlerisch  erwecken 
wird.  Warum  ruht  der  fleißige  Meißel  der  Bildnerin?  Sie  sieht  zu 
dem  Genius  hinab,  der  emsig  ist  ihn  zu  schärfen,  zu  ihr  den  Blick 
richtend,  als  wollte  er  in  ihrem  Auge  lesen,  wie  fein  er  ihn  zu  schärfen 
hat.  Unwillkürlich  hat  sie  die  Linke  auf  das  halbfertige  Bild  gelehnt, 
das  erst,  wenn  es  vollendet  ist,  für  sich  dastehen,  ein  eigenes  Leben 
haben  wird. 

Der  Skulptur  sind  als  obere  Bilder  die  Musen  zugeteilt,  nicht  die 
neun  späterer  Zeiten,  die  eben  so  viele  Kunstarten  bezeichnen,  sondern 
die  drei  des  älteren  Mythos,  Mneme,  Melete  und  Aoide,  das  ist:  Er- 
innern, Sinnen,  Sagen.  Nicht  in  aller  Kunst  sind  die  drei  in  gleicher 
Kraft:  die  eine  hat  in  der  Melete,  am  rastlos  strömenden  Sinnen,  an 
dem  Spiel  ihrer  Gedanken  und  Empfindungen  ihr  Bestes;  und  wohl 
ist  Mneme,  das  vielgedenke  Erinnern,  die  „Mutter  aller  Musenkunst''; 
aber  wo  sie  nur  mit  Rolle  und  Griffel  die  Fülle  äußerer  Stoffe  auffaßt, 
da  giebt  sie  wohl  wieder,  was  sie  empfangen  hat,  immerhin  Mannig- 
faltiges und  Reizendes,  immerhin  Richtiges,  aber  die  letzte  Weihe,  die 
der  tiefinnersten  Wahrheit,  bringt  sie  nicht.  Die  Wahrheit  ist  erst, 
wenn  in  Begeisterung,  der  Pythia  gleich,  Aoide  die  erschauten  Wirk- 
lichkeiten und  das  durchlebte  Sinnen  zu  einer  neuen  Schöpfung  hin- 
ausgestaltet; und  was  sie  geschaffen,  das  lebt,  und  der  Lebenshauch 
in  dem  so  Geschaffenen  ist  der  Geist  dessen,  der  es  schuf.  Wie 
Gott  den  Menschen  bildete,  „zum  Bilde  Gottes  schuf  er  ihn'',  und 
hauchte  ihm  den  lebendigen  Odem  seines  Geistes  ein,  so  schafft  der 
Künstler. 


172  Die  Wandgemälde  im  Ball-  und  ConcertBaal 

Aüch  der  Maler,  auch  der  Dichter  schafft  wohl  Gestalten ,  aber 
keine  andere  Kunst  ähnelt  so  der  des  Schöpfers,  als  die  plastische;  and 
so  mag  der  Maler  ihr  mit  Recht  das  Bild  der  drei  Musen  gegeben 
haben,  als  der,  die  deren  gemeinsam  einiges  Werk  am  einfachsten  übt. 


Auf  der  andern  Fensterseite  des  Saales,  dem  Dionysosfest  zunächst, 
folgt  die  Tanzkunst.  In  zierlich  geschürzter  Gewandung,  im  leichten 
Tanzschritt  bewegt  sie  sich  daher,  ihr  zur  Seite  in  entsprechender  Gegen- 
bewegung der  lockige  Knabe,  den  Thyrsus  schwingend,  mit  den  Castag- 
netten  in  der  Rechten,  die  den  Rhythmus  zum  Tanz  geben.  Beide 
sind  sie  in  die  Lust  der  schönen  Bewegung  und  in  den  Reiz  der  Gegen- 
seitigkeit vertieft;  gleich  werden  sich  ihre  Blicke  wiederfinden.  Es  ist 
die  Kunst  des  flüchtigen  Momentes. 

Darum  sind  drüber  im  oberen  Bilde  die  Hören  dargestellt,  die 
flüchtigen,  im  rastlosen  Wechsel  vorübereilenden  Jahreszeiten,  die  Tänze- 
rinnen des  Olymp;  sie  sind  im  Wechsel  ewig,  aber  sie  sitzen  auf  den 
rastlos  ziehenden  Wolken.  Die  jüngste  der  Schwestern  ist  Thallo,  die 
die  Frühlingsblumen  streut;  an  dem  vollen  Ährenkranz  ist  Karpo,  an 
dem  Füllhorn  mit  Früchten  und  dem  schweren  Rebenkranz  Opora,  der 
späte  Herbst,  erkennbar. 


Den  Darstellungen  der  Künste  sind  als  Unterschrift  bekannte 
Schillersche  Zeilen  zugefügt,  welche  mit  leichter  Modification,  wie  sie 
hier  erforderlich  waren,  so  lauten: 

Das  Leben  soll  sich  frisch  in  Farben  regen, 

Die  Säule  soll  sich  an  die  Säule  reih'n, 

Der  Marmor  schmelzen  unter  Hammers  Schlägen, 

Der  leichte  Tanz  den  muntern  Heigen  schlingen, 

Der  Strom  der  Harmonien  dir  erklingen. 

Die  Welt  sich  dir  auf  meiner  Bühne  spiegeln. 

Namentlich  für  das  Bild,  welches  der  Musik  gewidmet  ist,  scheint 
der  Maler  sein  Motiv  unmittelbar  aus  den  Worten  des  Dichters  ent- 
nommen zu  haben.  Der  wie  ein  Strom  wallende  blaue  Schleier,  aus 
dem  sich  das  aufwärts  gewandte  Antlitz  emporhebt,  zieht  zunächst  den 
Blick  auf  sich;  aber  je  länger  je  mehr  fesselt  ihn  das  entzückte,  ins 
Weite  gewandte,  ohne  bestimmten  Gegenstand  schauende,  man  möchte 
sagen,  mehr  horchende  als  schauende  Auge.  Es  ist  —  wenn  das  W' ort 
den  Eindruck  dieser  eigentümlichen  Conception  zu  bezeichnen  versuchen 


des  Königlichen  Schlosses  za  Dresden  173 

darf  -^  als  erwecke  der  Maler  jene  Weise  des  ästhetischen  Genusses, 
welche  der  Mnsik  eigentümlich  ist:  man  empfindet,  ohne  für  diese  Em- 
pfindung das  Wort,  die  Situation,  die  thatsächliche  Bestimmtheit  sagen 
zu  können.  Die  ganze  Gestalt  scheint  nach  dem  Antlitz,  nach  dem 
Blick  wie  nach  ihrem  Schwerpunkt  hin  zu  gravitieren;  sie  sitzt  aber 
wie  ohne  Schwere,  wie  emporhorchend;  aus  dem  weißen  Gewand,  das 
bis  zum  Schoß  hinauf  die  Formen  leicht  verhüllt,  hebt  sich  der  schöne 
nackte  Oberkörper,  als  schmiegte  er  sich  nach  oben  hinauf.  Es  ist  ein 
Moment  höchster  künstlerischer  Weihe;  dies  Auge  leuchtet  von  jenem 
Schauen,  in  dem,  wie  der  Dichter  sagt,  die  ewige  Liebe  ihres  Glanzes 
Abglanz  verkündet:  ich  bin  {perohe  stto  splendore  potesse,  risplendendo, 
dir:  sussisto,  Dante  Farad.  XXIX  15).  Man  wird  nicht  fragen,  warum 
hier  kein  Genius  mit  thätig  ist,  nicht  wenigstens  ein  Knabe  da  ist, 
auf  dem  Cello  oder  der  Flöte  zu  spielen,  die  jetzt  müßig  zu  den  Füßen 
der  Gestalt  stehen.  Ihrer  Zeit  wird  auch  diese  irdische  Musik  erklingen, 
sie  wird  ein  Nachklang  dessen  sein,  was  jetzt,  sei's  Klang,  sei's  Licht, 
sei's  welches  Ewige  immer,  die  Seele  erfüllt  hat 

Wohl  mochte  der  Maler  dies  Bild  in  dem  Eros,  der  durch  Har- 
monie die  Elemente  vereint,  weiterführen.  Denn  so  setzt  die  alte 
Kosmogonie  den  Mythos,  dessen  Anfang  bei  dem  Bilde  der  Architek- 
tur zu  melden  war,  fort.  Es  ist  die  schönste  und  erhabenste  der  Har- 
monien, die  der  weltordnenden  und  welterhaltenden  Liebe  {in  sua  eter- 
niid  . .  .  s'aperse  in  ntwvi  amor  Vetemo  amore»  Farad.  XXIX  18).  So 
zeigt  das  Bild,  wie  Eros  auf  dreisaitiger  Lyra  spielend  {oome  d'arco 
trioorde  ire  saeUe)  die  einst  wild  kämpfenden  elementaren  Gewalten  be- 
ruhigt und  zu  friedlicher  Segenswirkung  einigt.  Nun  schmiegt  sich 
die  Erde  mit  reichem  Füllhorn  in  den  Arm  des  schilf  bekränzten  Wassers, 
dem  der  Dreizack  nicht  mehr  entrissen  wird;  das  tückische  Feuer  hat 
seine  Flamme  in  die  sichernde  Fackel  beschlossen  und  alle  umfangt 
mit  ihren  ruhigen  Schwingen  die  Luft,  die  nicht  mehr  von  Gewitter- 
wolken trübe  das  Haupt  mit  hellen  Sternen  umleuchtet  zeigt 


Den  Schluß  dieser  Bilderreihe  bildet  die  Schauspielkunst;  nicht 
die  Kunst  der  Schauspieler,  nicht  die  dramatische  Poesie,  sondern  — 
wie  die  ernste  und  heitere  Maske  und  die  Lampe,  die  als  Embleme  an- 
gebracht sind,  uns  erinnern  —  jene  große  Kunstform,  in  der  Mimik 
und  Poesie,  Dekoration  und  Kostüm,  Orchestik  und  Musik  zusammen- 
wirken und  die  Schauenden  selbst  mit  ihrem  Verständnis  und  ihrem 
Beifall  wesentlich  mit  in  Rechnung  kommen.  Von  diesem  Motiv  ist 
die  Composition  des  Bildes  ausgegangen. 


174  £>ie  Wandgemälde  im  Ball-  und  Conoertsaal 

Denn   das* Drama  zeigt  die  Welt  in  seinem  Spiegel,   die   Welt 
menschlichen  WoUens  und  Treibens,  menschlicher  Leidenschaften  nnd 
Thorheiten,  die  sittliche  Welt    In  den  Wirklichkeiten  wird  des  einzelnen 
Thnn  nnd  Leiden  in  der  Fülle  unzähliger  Anlässe  und  Bedingangen, 
Zwecke  und  CoUisionen,  stets  unbegrenzt  und  verworren,  unberechenbar 
und  undeutbar  bleiben;  was  ist  da  wahr?    Ja  wer  ist  auch  nur  gegen 
sich  selbst  so  wahr,  daß  er  sieh  ganz  und  rein  erfaßte  und  verstünde, 
nicht  in  den  Anlässen  und  in  Zufälligkeiten,  in  den  wechselnden  Um- 
ständen, in  guten  Absichten  Yorwand  und  Entschuldigung  fände?    Aber 
die  Kunst  des  Dramatikers,  mag  sie  nach  Weise  der  Griechen  zeigen,  wie 
die  Menschen  sind  oder  wie  sie  sein  sollten,  mag  sie  nach  Shakespeares 
Art  zu  den  äußern  thatsäohlichen  Geschichten,  welche  den  Stoff  bieten, 
die  psychologischen  Zusammenhänge  dichten,  aus  denen  solche  Schuld 
oder  Thorheit  erklärbar,  solches  Lachen  oder  Leiden  wahr  und  über- 
zeugend wird  — ,  das  dramatische  Kunstwerk,  ein  Spiegelbild  der  sitt- 
lichen Welt,  aber  ein  umrahmtes  und  in  einem  Brennpunkt  gesammeltes 
Bild,  faßt  aus  der  wirren  Fülle  der  Wirklichkeiten  nur  das  auf,    was 
in  diesen  Rahmen  paßt,  in  diesem  Brennpunkt  sich  vereinigt.     Es  ist 
wahrer  als  die  Wirklichkeiten,  es  wirkt  mit  der  Kraft  dieser  gesam- 
melten und  zusammengefaßten  Momente,  es  zeigt  dem  Menschen  die 
Wahrheit    seines  Innern,    es    dringt    in   den   ethischen   Kern    seines 
Wesens. 

So  stellt  es  hier  der  Maler  dar.  Die  Gestalt  der  Kunst  sieht  auf 
den  Knaben,  um  den  Moment  zu  erfassen,  wo  er  sich  im  Spiegel  er- 
kennt; und  betreten  erkennt  der  Knabe,  daß  das  Bild  im  Spiegel  sein 
eigenes  Bild  ist;  nicht  auf  die  Kunst,  sondern  auf  sein  Bild  ist  sein 
Blick  gerichtet. 

Wie  von  selbst  ergiebt  sich  als  Beibild  zu  diesem  Bilde  die  Dar- 
stellung der  Moiren  (Parzen),  die  jedem  sein  Los  zuerteilen,  und 
nicht  als  ein  blindes  Fatum,  sondern  nach  ewigen  Gesetzen,  nach  den 
Ordnungen,  die  das  All  tragen  und  erhalten,  in  der  sittlichen  W^elt 
schalten.  Sie  spinnen  die  Fäden  menschlichen  Daseins,  die  Lebens- 
faden, welche  den  Kosmos  der  sittlichen  Welt  durchnetzen;  sie  führen, 
verschürzen  imd  entwirren  sie,  durchschneiden  sie  endlich.  Wir  nennen 
es  Tod,  wenn  der  einzelne  Faden  abreißt;  trauernd  sehen  wir  auch  das 
bedeutungsvollste  Leben  der  Nacht  des  Grabes  verfallen.  In  höherer 
Betrachtung  der  Dinge  ist  es  nicht  so;  daran  erinnert  neben  der  „un- 
abwendbaren", der  Atropos,  die  schon  im  BegriflF  ist,  den  Faden  zu 
durchschneiden,  die  Leuchte  mit  dem  hellen  Feuer;  es  ist  nicht  die 
Fackel,  die  der  Tod  auslöscht. 


des  Königlichen  Schlosses  zu  Dresden  175 

So  im  einzelnen  die  sechs  Künste  mit  den  zu  ihnen  gehörenden 
oberen  Bildern.  Kicht  ohne  mannigfache  Bezüglichkeit  ist  das  Neben- 
und  Gegeneinander  derselben,  wie  es  der  Maler  geordnet  hat. 

Zunächst  ist  es  ein  Bedürfnis  so  zu  sagen  des  künstlerischen  Wohl- 
lautes, vermittelnd  überzuführen  und  dem  sinnlichen  Auge  entweder 
in  Linien  und  Farben  oder  in  der  sachlich  leichten  Folgereihe  von 
Yorstellungen  die  wohlthuende  Empfindung  des  Zusammenhangs  zu 
geben.  Der  ruhige  und  harmonische  Eindruck,  den  der  sehr  reiche 
Bilderschmuck  dieses  Saales  auf  den  Beschauenden  macht,  beruht  zum 
guten  Teil  darin,  daß  nirgends  Hartes,  Sprunghaftes,  Unvermitteltes  das 
Auge  und  den  Sinn  beleidigt  oder  überreizt.  Effekte,  das  heißt  ästhe« 
tische  Faradoxien,  logische  Widersprüche  für  das  Auge,  wie  sie  der  Menge 
gefallen  und  dem  trägeren  Sinn  allein  der  Mühe  wert  scheinen,  würden 
hier  nicht  an  ihrer  Stelle  sein. 

Wenn  die  vier  großen  Bilder  der  Thürwände  sich  im  Licht  ein- 
fach als  Frühe,  Mittagshelle,  Abend  und  Nacht  ordnen,  so  folgt  dem 
Frühlicht  des  Thetisbildes  der  Sonnenstrahl  auf  dem  nächsten,  dem 
Bilde  der  Malerei,  und  die  Leuchte  auf  dem  Bilde  der  Schauspielkunst ; 
die  Flamme  oben  bei  den  Moiren  führt  das  Auge  zu  dem  Nachtbild 
des  Alexanderfestes  und  des  Symposions  hinüber.  In  den  Musen  über 
der  Skulptur  ist  schon  der  Lorbeer,  der  über  dem  delphischen  Bilde 
die  Pythia  umschatten  wird,  und  auf  die  Eleusinien  über  dem  Dionysos- 
fest folgen  die  Hören  mit  ihren  Blumen  und  Früchten,  auf  den  Dionysos- 
zug der  thyrsusschwingende  Tanz.  Genug,  um  anzudeuten,  was  es  mit 
der  harmonischen  Folge  auf  sich  hat. 

In  anderer  Weise  bedeutsam  ist  das  Gegeneinander  der  sechs 
Bilder,  welche  die  Künste  darstellen.  Man  braucht  sich  nicht  erst  des 
Schlegelschen  Wortes  zu  erinnern,  daß  die  Architektur  das  starre  Gegen- 
bild der  Musik,  die  Musik  das  flüssige  Gegenbild  der  Architektur  sei, 
um  das  Gegenüberstehen  der  am  meisten  technischen  und  am  meisten 
musischen  Kunst  zu  würdigen;  das  weitere  besagt  der  Eros  mit  den 
Elementen  hier  imd  dort  Dem  Drama  gegenüber  steht  die  Malerei, 
beide  Spiegelbilder  der  Wirklichkeiten,  beide  in  deren  Schein  den  er- 
scheinenden Gedanken  erfassend  oder  zeigend,  nur  daß  der  Maler  in  einem 
Moment  zusammengefaßt  und  gegipfelt  zeigt,  was  das  Drama  in  immer 
neuen  Gruppen  und  Scenen  in  der  Folge  seines  Auf-  und  Absteigens 
darstelUt  Und  was  ist  die  tanzende  Gestalt  anders  als  eine  Continuität 
statuarisch  schöner  und  bedeutsamer  Momente,  als  eine  bewegte  Plastik? 

In  solchen  und  ähnlichen  Bezügen  motiviert  sich  dem  Maler  die 
Anordnung  seiner  Darstellungen;  es  ist  die  Form,  in  der  er  die  Zu- 
sammenhänge, die  vermittelnden  Ideen,  die  verknüpfenden  Vorstellungen, 


176  Die  Wandgemälde  im  Ball-  und  Concertsaal 

für  die  seine  Eunstweise  keinen  unmittelbaren  Ausdruck  hat,  in  der 
Seele  des  Beschauenden  hervorlockt.  Man  muß  sie  mitempfinden,  um 
das  Ganze,  das  er  dichtend  gestaltete,  zu  verstehen. 

Griechisches  Leben. 

Die  acht  friesartigen  Felder  über  den  Fenstern,  die  weiß  auf  blauem 
Grunde  gegen  den  übrigen  farbigen  Bilderschmuck  des  Saales  bescheiden 
zurücktreten,  enthalten  in  reliefartiger  Darstellung  Scenen  des  griechi> 
sehen  Lebens.  An  bezeichnenden  Stellen  bilden  Gruppen  von  Göttern, 
als  lebten  sie  mitten  unter  dem  „geliebtesten  Yolke^',  Mittelpunkte  der 
Darstellung. 

L  lieber  dem  ersten  Fenster,  zwischen  dem  Frometheusbilde  und 
der  Gruppe  der  Grazien,  ist  die  Kind  er  zeit. 

Es  ist  attischer  Brauch,  daß  das  neugebome  Kind  am  siebenten 
Tage  nach  der  Geburt  im  Beisein  des  Vaters  um  das  Feuer  des  Herdes 
im  Lauf  getragen  und  damit  zum  Genossen  des  Hauses  geweiht  wird 
(Amphidromien);  spendend,  Kranze  bringend,  nehmen  die  Ge- 
schwister mit  an  dem  Weihlauf  teil 

Auf  einem  alten  griechischen  Yasenbild  ist  dargestellt,  wie  Einder- 
jubel die  erste  Schwalbe,  den  wiederkehrenden  Frühling  begrüßt 
Davon  geht  die  Composition  hier  aus;  der  Winter  mit  seinem  Regen 
und  Schmutz  draußen  und  dem  dunstigen  Kohlenbecken  im  engen 
Zimmer  ist  zu  Ende;  man  kann  wieder  hinaus  ins  Freie,  da  spielen, 
Blumen  suchen  und  Kranze  winden. 

Zwischen  den  beiden  Kinderscenen  eine  Göttergruppe.  Vater  2eus, 
der  Hüter  des  Herdes  (Hestios),  an  seiner  Seite  die  mütterliche  Hera, 
deren  Pfau  Hebe  (Jugend)  mit  Nektar  trankt;  endUch  Athene  Polias, 
die  Stadtschirmende,  in  deren  Obhut  das  Knäblein,  das  man  weiht, 
einst  zu  einem  wackem  Bürger  ihrer  Stadt  aufwachsen  wird. 

IL  Was  wir  Jugendbildung  nennen,  kannte  der  Grieche  nicht 
anders  als  in  der  Gestalt  gymnastischer  und  musischer  Übungen;  es 
galt  das  Können  dort  mehr  als  das  Wissen  und  Besserwissen. 

Zunächst  über  dem  Fenster  zwischen  Malerei  und  Architektur  die 
gymnastischen  Übungen,  nach  hellenischer  Art  sogleich  in  der 
Form  des  Wettkampfes;  denn  „der  Wettkampf  weckt  die  schlummernde 
Tugend"  und  es  giebt  keinen  ersehnt-eren  Schmuck  als  „der  Nike  Kranz". 

Der  Maler  wählte  den  Wettkampf  im  Lauf  (Dromos).  Die  Einen 
rüsten  sich  noch;  ein  Jüngling,  schon  entkleidet,  tritt  zum  Herakles, 
dem  die  Palästra  geweiht  ist,  ihm  zu  spenden ;  ein  andrer  löst  sich  die 
Sandalen,  ein  andrer  salbt  sich. 


dee  Königlichen  Schlosses  zu  Dresden  177 

Weiterhin  ist  bereits  ein  Lauf  nahe  daran  sich  zn  entscheiden. 
Der  alte  Sophronist  (Ordner)  und  ein  paar  Jünglinge  schauen  den 
laufenden  Freunden  mit  gespannter  Teilnahme  nach;  'schon  ist  einer 
gestürzt,  ein  zweiter,  in  höchster  Anstrengung  erschöpft,  nahe  am  Zu- 
sammenbrechen;  zwei  andre  erreichen  das  Ziel  fast  zugleich;  der  eine 
hebt  schon  den  Kranz,  der  auf  den  vorgestreckten  Armen  einer  Nike 
liegt,  während  der  andre,  ihm  den  Sieg  streitig  zu  machen,  nach  den 
flatternden  Bändern  greift;  aber  der  Knabe  und  der  Greis,  die  zu- 
schauend am  Ziele  sitzen,  zeugen  für  den  ersten.  Ihm  wird  der 
schmucke  Helm,  der  als  Preis  bestimmt  scheint,  nicht  so  viel  gelten, 
als  das,  was  nun  seiner  wartet. 

Den  Sieg  feiert  man  als  ein  Fest  der  Götter,  und  Palmen  tragen 
heißt  die  Götter  feiern.  Mit  einem  Palmenzweig  in  der  Hand  tritt 
der  Sieger  zu  den  Kampfrichtern,  und  Palmen  tragen  die  Mädchen 
und  das  Knäbchen,  unter  deren  Zuruf  er  mit  dem  Siegeskranz  ge- 
schmückt wird. 

IIL  Zahllos  sind  die  Arten  musischer  Übungen  und  Spiele;  aber 
die  schönsten  und  in  ihren  Formen  mannigfaltigsten  knüpfen  sich  an 
die  dionysischen  und  apollinischen  Feste. 

Zum  uralten  dionj^sischen  Cultus  gehört,  daß  ein  Bock  geopfert 
und  dazu  der  Dithyrambus  gesungen  (Tragodia),  toller  Bakchen-  und 
Satymtanz  getanzt  wird.  Es  geht  dabei  derb  genug  her,  wie  das  Bild  zeigt. 

Mehr  von  den  Grazien,  vor  deren  Altar  hier  der  Bock  geschlachtet 
wird,  hat  der  apollinische  Gesang  und  Tanz;  die  drei  Mädchen  am 
Altar  mit  Kithara  und  Doppelflöte  mögen  den  Hormos  singen,  den 
„Kranzreigen",  in  dem  Jünglinge  und  Mädchen,  abwechselnd  hinter- 
einander, tanzen  und  dann  sich  wie  ein  Kranz  zusammenschliessen. 

IV.  Das  nächste  Bild  stellt  eine  Hochzeit  dar.  Nach  griechischer 
Art  fahrt  der  Bräutigam  die  Braut  auf  einem  Wagen  heim;  ein  kleiner 
Eros  sitzt  als  Lenker  auf  dem  Pferde,  dem  zur  Seite  der  fackeltragende 
Brautführer,  voraus  ein  blumenstreuendes  Mädchen  schreitet;  hinter 
dem  Wagen  eine  andere,  die  den  Spinnrocken  und  ein  Mehlsieb  trägt 
zu  guter  Vorbedeutung  fleißiger  Häuslichkeit;  sie  schaut  auch  nach 
dem  Himmel  hinauf,  ob  da  irgend  ein  glücklicher  Vogel  oder  ein 
günstiges  Wetterleuchten  den  Weg  segnet  Der  rechte  Zugführer  aber 
ist  Hymen  mit  fröhlich  leuchtender  Hochzeitsfackel,  er  schreitet  eben 
an  der  in  voller  Schönheit  prangenden  Aphrodite  vorüber,  die  in  der 
Hand  nicht  den  Apfel  der  Eris,  weder  den  vom  Parisurteil  her,  noch 
den  häuslichen  Haders,  sondern  die  Granate  führt,  von  der  die  Braut 
essen  muß,  ehe  sie  ins  Brautgemach  geführt  wird.  Neben  ihr  gar 
sehr  in  traulichem  Gespräch  Ares,  und  weder  er  noch  sie  scheinen 

Droysen,  Kl.  Schriaen  II.  12 


178  ^16  Wandgemälde  im  Ball-  und  Concertsaal 

darauf  zu  achten,  daß  der  wackre  Schmied  Hephaistos,  der  Dan  ein- 
mal ihr  rechter  Eheherr  ist,  sieht  eben  zufrieden  dreinschaut. 

Zur  andern  Seite  der  Göttergruppe  folgt  das  Hochzeitmahl,  die 
beiden  Alten  fleißig  beim  Wein  und  mit  dem  hübschen  Schenken 
schäkernd,  während  ein  junges  Pärchen  sich  umschaut,  was  weiter 
geschieht:  es  öffnet  die  alte  Schaffnerin  soeben  das  Brautgemach,  schreitet 
voran  mit  der  Lampe;  der  Bräutigam  hat  die  Hand  der  Braut  in 
seiner  Hand,  sie  hineinzuführen;  schamhaft  zögert  sie  und  doch  drangt 
der  lächelnde  Eros, 

V.  Auf  der  Gegenseite  des  Saales,  zwischen  den  Eleusinien  un*i 
dem  Bild  der  Hören  folgt  das  Opfer,  in  der  Mitte  des  Bildes  die 
Gruppe  der  Götter,  die  das  Opfer  empfangen,  Poseidon  und  Amphi- 
trite  nach  der  einen,  Demeter  und  Dionysos  nach  der  andern  Seite 
gewandt,  zwischen  beiden  ein  Nereidchen,  das  einen  kleinen  Schelm 
von  Pan  auf  einer  Seemuschel  blasen  läßt. 

Zum  Poseidon  gehört  ein  Stieropfer;  mit  Kränzen  geschmückte 
mit  vergoldeten  Hörnern  liegt  der  gewaltige  Stier  vor  dem  schon 
flammenden  Altar,  den  geweihten  Schlag  zu  empfangen,  während  der 
Priester  mit  gehobener  Hand  das  Gebet  spricht;  dann  wird  er  mit 
dem  Messer,  sein  Begleiter  mit  dem  Beil  das  Tier  zerlegen,  und  der 
Priester  im  Hintergrund  die  Eingeweide  beschauen,  um  des  Gottes 
Zeichen  zu  deuten. 

Auf  der  andern  Seite  der  Göttergruppe  ein  unblutiges  Opfer. 
Zwei  dionysische  Priester  spenden  in  die  Flamme  des  Altars,  zu  dem 
Früchte  und  Wein  gebraucht  werden;  in  das  Gebet  hinein  brausen  die 
bakchischen  Flöten. 

VI.  Ein  besonderes  Bild  ist  den  Weinfesten  gewidmet,  wie  denn 
bei  ihnen  vielerlei  derber  und  übermütiger  Spaß  ländlicher  Lustbarkeit 
im  Schwünge  war. 

Zunächst  der  Schlauchtanz  (Askolia);  es  gilt  auf  einem  voUen, 
wohlgeölten  Weinschlauch  nach  dem  raschen  Ehythmus  der  Flöten  zu 
tanzen,  ohne  den  Takt  und  die  Balance  zu  verlieren.  Wie  lächerlich 
sich  der  Tänzer  dabei  gebärdet,  sieht  man  in  dem  Bilde  an  den  Zu- 
schauern; das  Mädchen  in  der  Ecke  muß,  wie  wir  sagen,  sich  formlich 
halten  vor  überlautem  Lachen;  und  so  gut  der  Bube,  der  auf  dem 
Boden  liegt,  wie  das  Mädchen  am  Baum,  die  beide  den  Schlauchtaaz 
spielen  sollten,  kann  vor  Lachen  nicht  weiter  blasen.  Denn  der  ge- 
schnellte ist  daran,  vornüber  zu  fahren,  die  Mutter  vor  ihm  hält 
schon  den  Arm  hoch,  ihr  Kind  zu  decken.  Der  Alte  weiterhin,  wohl 
der  wohl  weise  Kampfrichter,  sieht  schmunzelnd  drein,  und  der  neben 
ihm   sitzt  —  vielleicht   war   er  vorher  auf  dem  Schlauch  —  höhnt 


des  Königlichen  Schloeses  zu  Dresden  179 

auf  den  Springer  los:  ,,siehst  du,  Sosias,  du  machst  es  auch  nicht 
besser*'. 

Dann  folgt  das  Keltern.  Ein  Alter  schüttelt  die  gelesenen 
Trauben  in  den  Bottich,  ein  Mädchen  steigt  hinter  ihm  herauf  mit 
dem  Korb  voll  Trauben  auf  dem  Bücken;  begreiflich,  daß  beide  Auge 
und  Sinn  auf  die  lustige  Schlauchscene,  an  der  sie  vorüberkamen, 
wenden.  In  der  Mitte  des  Bildes  steht  die  Kelter,  in  der  zwei  nackte 
Buben  in  bester  Weinlaune  stampfen. 

Vor  der  Kelter  liegt  auf  ein  Fäßchen  gelehnt,  dem  er  schon 
fleißig  zugesprochen  zu  haben  scheint,  der  trunkene  dicke  Weinmeister, 
Vater  Silen  entweder  selbst  oder  einer,  der  ihm  gar  ähnlich  ist;  er 
weist  zu  den  Schaukelnden  hinüber,  als  lallte  er:  „diese  albernen 
Dirnen  auf  der  Schaukel,  sie  erinnern  mich  an  eine  merkwürdige  Ge- 
schichte, von  der  sie  freilich  nicht  wissen,  daß  es  zu  deren  Gedächtnis 
geschieht,  wenn  sie  nun  so  her  und  hin  fliegen^^ 

Denn  das  Schaukeln  (Aiora)  gehört  zum  Fest  von  der  Erigone 
her.  Erigone,  des  Ikaros  Tochter,  hatte  sich  mit  dem  Dionysos  gar 
weit  eingelassen  und  der  Yater  erhielt  zur  Begütigung  vom  Gott  ein 
Fäßchen  Wein;  ihn  aber^  da  er  mit  dem  Fäßchen  auf  dem  Karren 
auf  den  Dörfern  umherzog,  von  dem  noch  unbekannten  Getränk  zu 
verkaufen,  erschlugen  Hirten,  die  auch  gekauft  hatten,  in  ihrer  Trunken- 
heit, überzeugt,  daß  sie  vergiftet  seien.  Den  Erschlagenen  fand  endlich 
die  Tochter  und  ward  nun  inne,  daß  sie  alles  Unglücks  Schuld  sei; 
sie  erhenkte  sich  an  dem  nächsten  Baum  und  ihr  Leichnam  schaukelte 
nun  so  her  und  hin  im  Winde.  Die  beiden  Dirnen  auf  der  Schaukel 
scheinen  freilich  nicht  eben  daran  zu  denken,  daß  sie  eigentlich 
„Buß-Oscillen"  darstellen;  und  während  der  gute  Freund  vom,  die 
Frau  hinten,  die  Hände  bereit  halten,  die  kommende  Schaukel  zurück- 
zustoßen, langt  ein  lustiger  Gesell,  seitwärts  am  Baum  liegend,  hinauf, 
der  einen  Schauklerin  in  die  kitzlichen  Weichen  zu  greifen;  daß  er  es 
nicht  eben  mit  bescheidener  Geduld  meint,  zeigt  der  Weinkrug,  dem 
umgestürzt  das  edle  Naß  entströmt.  Ein  ander  Pärchen  aber  scheint 
auf  dem  besten  Wege,  die  Geschichte  von  Erigone  und  Dionysos  getrost 
von  vom  anzufangen. 

YII.  Dann  folgt  ein  Jagdbild.  Es  schildert  einen  Moment  nicht 
kleiner  Gefahr;  und  schuld  daran  scheint  die  Hamadryade  zu  sein, 
die  schalkhaft  zwischen  den  Zweigen  ihres  Baumes  hervorguckt  Denn 
das  Jagdnetz,  das  dort  festgemacht  war,  ist  gelöst;  das  zur  Wut  gereizte 
Schwarzwild  bricht  durch,  sich  auf  die  Jäger  zu  stürzen.  Schon  liegt 
ein  Alter  am  Boden,  der  Sohn  eilt  heran,  ihn  zurückzureißen,  denn 
der  Speer,  der  auf  des  Ebers  harten  Kopf  angesetzt  ist,  biegt  sich, 

12* 


180  I^ie  Wandgemälde  im  Hall-  und  Concertsaal 

wird  gleich  zersplittern,  wie  es  dem  zurückgetretenen  Jäger  zTinäch>t 
hinter  dem  Alten  schon  ergangen  ist.  Da  ist  Hilfe  Not;  laut  ruft  der 
zurückgetretene  den  nacheilenden  zu,  von  denen  der  eine  einen  Arm 
voll  neuer  Sauspieße  bringt,  ein  andrer  seine  Hunde  zurückhält,  damit 
sie  die  Tiere,  die  zu  stellen  nicht  mehr  nötig  ist,  nicht  noch  wütender 
machen. 

80  tobt  die  Jagd  der  Quelle  zu,  die  dort  unter  Busch  und 
Röhricht  versteckt  hervorsprudelt  Dort  im  Dunkel  des  Laubes  begiebt 
sich  eine  andere  Jagd;  ein  verliebter  Pan  hat  die  Quellnymphe  be- 
schlichen  und  faßt  sie  nun  in  lüsterner  Hast,  sie  zu  küssen;  sie  aber 
hält  ihm  schnell  die  Hand  vor  das  bocksbärtige  Gesicht 

Weiterhin  konmit  aus  dem  Wald,  das  erjagte  Beb  über  einen 
Zweig  gehängt,  ein  Alter  und  sein  junger  Genoß,  der  junge  neu- 
gierig um  die  Buschecke  nach  der  verliebten  Scene  schauend. 

VIII.  Endlich  über  dem  letzten  Fenster,  zwischen  den  Parzen  und 
dem  Symposion,  Alter  und  Tod. 

Mag  die  Jugend  sich  in  Wald  und  Feld  tummeln,  in  der  Palästra 
ringen  und  Mummenschanz  treiben,  die  Alten  sitzen  am  liebsten  in 
der  Lesche  an  der  wärmenden  Herdflamme,  bei  einander  zu  plandern 
oder  sich  erzählen  zu  lassen.  Nun  hören  sie  einem  Sänger  zu,  der 
von  den  „Zeiten  vordem,  die  besser  waren",  singt;  er  selbst  wie  einst 
Homer  blind;  neben  ihm  sein  Führer,  ein  Knabe,  der  die  Lieder  seines 
Alten  schon  oft  genug  gehört  haben  wird,  um  nun  lieber  sich  mit  den 
Täubchen  zu  freuen,  die  er  mit  den  Brocken  aus  seiner  ärmlichen 
Brottasche  heranlockt. 

Weit  zurückschauend,  sagt  ein  Dichter,  vergißt  das  Alter  die  Nähe 
das  Todes.  Ihnen  zunächst  in  der  Mitte  des  Bildes  sitzen  Apollon 
und  Artemis,  deren  Pfeile  Tod  bedeuten.  Schon  hält  Apollon  den 
Bogen  gespannt,  gleich  wird  er  ihn  heben,  den  unter  den  Greisen  zu 
treffen,  den  ihm  Artemis  schon  nennt  und  zeigt  Die  Herdflamme 
vorstreckend,  als  solle  sich  der  Bezeichnete  ihrer  noch  zum  letzten 
Male  freuen,  steht  hinter  Artemis  die  gütige  Hestia,  teilnehmend  in 
den  Kreis  der  Alten  schauend,  der  bald  zerstört  sein  wird.  Schon 
ist  Hermes,  der  Totenführer,  bereit  zu  neuem  Geleit,  wenn  er  auch 
noch  denen  nachschaut,  die  er  soeben  zum  dunkeln  Acheron  geleitet 
hat,  und  denen  Hekate,  Schlüssel  und  Schlange  in  der  Hand,  mit 
trüber  Fackel  zu  der  traurigen  Fahrt  hinüber  leuchtet 

Sie  fahren  auf  Charons  Kahn.  Ein  paar  Kinder  wie  gebrochene 
Knospen;  ein  paar  Greise,  die  wohl  des  Lebens  satt  nun  zu  ihrer 
Ruhe  kommen;  dann  das  händeringende  Madchen,  der  „der  Hymenaios 
nicht  mehr  erklang",  die  jammernde  junge  Frau,  für  deren  verwaiste 


des  Königlichen  Schlosses  zu  Dresden  181 

Kinder  nun  niemand  sorgt,  endlich  das  Mütterchen ,  über  den  Sohn 
gebengt,  der  noch  hier  das  tote  Antlitz  in  ihren  Schoß  beugt,  den 
letzten  Gram  zu  stillen.  So  fahrt  der  alte  Totenfahrmann  seinen  Kahn 
über  das  träge  Wasser  zum  dunkeln  Beich,  zum  Palast  des  Hades. 

Dort  thront  der  finstre  Gott,  „der  Toten  Zeus",  der  Allau&ehmer; 
an  seiner  Seite  die  bleiche  Persephassa,  die  er  einst  hinabgerissen; 
sie  wird  nicht  froh  blicken  bis  zu  der  Zeit  ihres  Anfangs,  wie  kleine 
Frist  ihr  auch  dort  in  der  lichten  Oberwelt  vergönnt  ist;  sie  wäre  für 
immer  zurückgekehrt,  wenn  sie  nicht,  da  die  Götter  sie  wieder  forderten, 
schon  von  der  Granate  gekostet  hätte,  dem  Zeichen  hier  der  traurigsten 
Hochzeit 

An  den  Stufen  des  Thrones  aber  liegt  der  dreiköpfige  Kerberos, 
angekettet,  damit  nicht  wieder  ein  Herakles  komme  und  ihn  raube. 


VI. 

Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen. 

Hermes  IX  1874  S.  1  £ 

[1]  I.  Aus  einer  attischen  Inschrift,  die  C.  I.  A.  I  Nr.  179  abge- 
druckt ist,  hat  Böckh  in  einer  akademischen  Abhandlung  von  1846  [Kl. 
Sehr.  VI  S.  72  flF.]  die  Zeit  der  Schlacht  von  Sybota  und  damit  für  die 
Chronologie  des  korinthischen  und  chalkidischen  Krieges,  die  nach  der 
Darstellung  des  Thucydides  unsicher  bleibt,  den  entscheidenden  Punkt 
festgestellt.  Indem  diese  Inschrift  die  Zahlungen  an  die  nach  Korkyra 
gesandten  attischen  Feldherrn  und  die  Termine  dieser  Zahlungen  an- 
giebt,  steht  es  fest,  dass  die  Schlacht  im  zweiten  oder  dritten  Monat 
des  Archonten  Apseudes  Ol.  86  4,  im  September  433  stattfand  ^ 

Die  Inschrift  scheint  noch  über  eine  andere  Frage,  die  für  das 
attische  Staatsrecht  von  großer  Bedeutung  ist,  einige  Aufklärung  zu 
geben.  Die  zehn  Strategen  der  marathonischen  Schlacht  haben  je  eine 
der  zehn  attischen  Phjlen  geführt,  jeder  die,  der  er  selbst  angehörte. 
Ob  die  Strategen  der  perikleischen  Zeit  und  der  des  peloponnesischen 
Krieges  ebenso  den  Phylen  entsprachen,  läßt  sich  aus  den  Angaben 
des  Thucydides,  Xenophon,  Diodor  u.  s.  w.  nicht  entscheiden,  da  sie 
die  Feldherren,  die  sie  anführen,  nicht  in  der  offiziellen  Weise  nach 
ihren  Demen  bezeichnen,  und  nur  zufällig  weiß  man  aus  sonstigen 
Angaben  von  einzelnen  derselben,  zu  welchem  Demos  sie  gehören.  In 
offizieller  Weise  [2]  bezeichnet  sind  die  Strategen  des  samischen  Krieges 
in  der  Liste,  die  der  Scholiast  des  Aristeides  (S.  485)  aus  der  Atthis  des 


^  Wenn  das  Jahr  des  Apseudes  nicht,  wie  Böckh  anfangs  angenommen, 
später  verworfen  hat  ein  Schaltjahr  war,  so  ist,  da  für  dies  Archontenjahr  durch 
die  Berechnung  des  Meton  der  13.  Skirophorion  =  27.  Juni  des  julianischen  Jahres 
432  feststeht,  die  erste  Zahlung  am  7.  Aug.,  die  zweite  am  29.  Aug.  433  erfolgt,* 
und  das  zweite  Geschwader  traf  am  Abend  der  Schlacht  bei  Sybota  ein. 


Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen  188 

Androtion  entnommen  hat,  und  sie  sind  da  in  der  verfassungsmäßigen 
Reihenfolge  der  Phylen  aufgeführt.  Unsere  Inschrift  giebt  sechs 
Strategen  eines  Jahres  in  gleicher  offizieller  Form  der  Bezeichnung. 

Nach  Thucydides  (I  45)  haben  die  Athener  nach  Abschluß  ihres 
Defensivbündnisses  mit  den  Eorkyrdem,  da  diese  von  einer  überlegenen 
Flotte  der  Korinthier  bedroht  wurden,  erst  zehn  SchiflFe  unter  den 
Strategen  Lakedaimonios  des  Kimon  Sohn,  Diotimos  des  Strombichos 
Sohn,  Proteas  des  Epikles  Sohn,  dann  (I  51)  wenig  später  {ov  noXX<p 
voTSQov)  20  Schiffe  unter  Glaukon  des  Leagros  Sohn  und  Andokides 
des  Leagoras  Sohn  nach  Eorkyra  gesandt. 

Die  Inschrift  giebt  an,  dass  die  Schatzmeister  am  13.  Tage  der 
ersten  Prytanie  den  Strategen  der  ersten  Sendung,  am  letzten  derselben 
[oder  der  dritten]  Prytanie  denen  der  zweiten  Sendung  die  Zahlungen 
gemacht  haben: 

itccQiSoaav]  <TTQaTi]yoT<i  kq  Köqxvquv  roiq 
TiQCLtTOtg  heyiliovai,  Aaxadccifiovitp  Accxia- 
Sy,  ÜQOifTi^']  Al^oovBly  AioxliMp  Evcovvfiei 

und  für  die  zweite  Sendung: 

nccQi'lSoffav  argarriyoiq  hq  KiQ" 
xvQccv  ToTg  SevTiQ]oig  ixnkiovai,  Flavxmvi 

"livBi  KoiksT,  AgaxovTi 

knl  xfig]  AlavxiSoq  nQvrccveiccg  u.  s.  w. 

Nur  den  ersten  dieser  drei  letztgenannten  Strategen  hat  Thu- 
cydides richtig  angegeben;  dieser  Glaukon  ist  der  Sohn  des  AiayQog 
lliavxcavogj  der  um  Ol.  78  2  als  Strateg  in  Thrakien  gefallen  ist 
(Herod.  IX  75).  So  ergiebt  sich  die  Ergänzung  der  Lücke,  die  15  Buch- 
staben umfasst:  Fkavxcovi  [hx  KeQafiioov ]  ivsi  KoiksL    Die  fünf 

Buchstaben,  die  an  dem  zweiten  Strategennamen  fehlen,  können  etwa 
mit  !ävTifUvet,  TiyLoyivaiy  KXetyevsi  ergänzt  werden,  nur  daß  sich  unter 
den  bekannten  Strategen  keiner  eines  solchen  Namens  findet;  für  unsem 
Zweck  genügt  der  erhaltne  Demosname.  Den  dritten  dieser  Strategen 
nennt  die  Inschrift  Aqccxovti^  man  darf  zweifelp,  ob  der  Name  Drakon 
in  Athen  in  tTbung  geblieben  ist;  wohl  aber  ist  Drakontides  unter  den 
angesehenen  Männern  dieser  Zeit;  er  war  es,  der  bei  der  Anklage  gegen 
Perikles  im  Sommer  430  den  Antrag  stellte,  für  die  Abstimmung  die 
feierlichste  Form,  die  auf  der  Burg,  [3]  eintreten  zu  lassen,  nicht,  wie 
es  scheint,  zur  Verschärfung  der  Gefahr  ffir  den  Verklagten  (Plutarch 
Per.  32).  Von  anderen  ist  darauf  hingewiesen,  daß  in  dem  AvaixXfjg 
AQaxovxidov  Barfjß'sv,  der  OL  91   1   y^afifiarevg  Tccpnö^v  rfjg  ß'mv 


184  Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen 

war,  wohl  der  Sohn  des  Strategen  zu  erkennen  sein  dürfte;  ich.  weiß 
nichts  Besseres,  und  wenigstens  würde  mit  ^QaxovTi\Sf]  Barfi&B^f  In} 
T^§]  AlavTiSo^  u.  s.  w.  gerade  die  Lücke  ausgefüllt  sein ;  freilich  mit 
anderen  Demenbezeichnungen  eben  so  gut 

Wenn,  wie  weiterhin  nachgewiesen  werden  soll,  die  Strategen  ihr 
Amt  mit  dem  Anfang  des  attischen  Jahres  antraten,  so  ist  noch  ein 
siebenter  Strateg  für  Ol.  86  4  bei  Thuc.  I  57  überliefert,  Archestratos 
des  Lykomedes  Sohn,  der  mit  andern  (/u€r  äXhov  Skxa  <nQaTtjyd>v: 
das  Sixa  ist  sicher  falsch)  im  Frühjahr  432  nach  Potidaia  geschickt 
wird,  vielleicht  derselbe,  der  noch  (Xenoph.  Hell.  I  5.  16)  unt^r  den 
zehn  Strategen  bei  den  Argin usen  war  und  in  Mitylene  starb  (Lys.  21,  8), 
der  Phrearrhier. 

Man  darf  wohl  noch  einen  achten  hinzufügen.  Plutarch  (Per.  1 6) 
giebt  in  etwas  unklarer  Weise  an,  daß  Ferikles  nach  dem  Ostrakismos 
des  Thukydides  fünfzehn  Jahre  lang  Jahr  auf  Jahr  Strateg  geweson 
sei  {xal  fiiccv  omav  iv  raig  arQccrrjyiccig  äQXV"^  xal  Svvaare/inf 
xT'tjadfievog).     Also  muß  er  es  auch  Ol.  86  4  gewesen  sein. 

Wir  hätten  also  für  das  Jahr  Ol.  86  4  acht  Strategen  aus  fol- 
genden Phylen  —  ich  fuge  die  Nummer  ihrer  verfassungsmäßigen 
Reihenfolge  bei: 

AccxsScctfiöviog  AaxtäSijg  aus  der  Oineis  VI 
ÜQüOTBag  Al^oovBvg Kekropis  VII 


.     Erechtheis  I 

.     Akamantis  V 

.     Hippothontis  VllI 

.  ?  Aigeis  II 

.  ?  Leontis  IV 

.     Akamantis  V 


/tiÖTifjLog  EifcovvfjLsvg     . 
rXavxmv  bc  KsQafiicav 

ivfjg  ix  Koikfjg 

AQccxovTi8rig  Bccrfj&ev? 
'4()xi(rT()aTog  0Qed^Qiog? 
ITeQixXTjg  XokaQyevg    .     . 

Perikles  und  Glaukon  sind  aus  derselben  Phyle;  daß  darum  nicht  die 
Ergänzung  rkavxcovi  [kx  Ksgafiicav  unrichtig  ist,  ergiebt  sich  aus  dem 
Strategen  Verzeichnis  des  samischen  Krieges,  in  dem  beide  in  gleicher 
Weise  vorkommen.     Dieses  giebt  folgende  Namen: 

^coxQccnig   '4vayvQa(Tiog     .     .     .     Erechtheis  I 
^otpoxXfjg  kx  KoXcovov  ....     Aigeis  11^ 


^  Daß  Kolonos  in  späterer  Zeit  zur  Antiochis  gehört  hat,  ergiebt  C.  I. 
Gr.  I  Nr.  172  |C.  I.  A.  II  944].  Aber  Nr.  115  [C.  I.  A.  II  329]  rechnet  diesen 
Demos  zur  Aigeis.  Böckh  hat  172  für  älter  erklärt  als  115,  weil  in  172  kein  Name 
wie  Seleukos,  Antiochos,  Ptolemaios  u.  s.  w.,  noch  weniger  römische  vorkommen. 
Auch  in  Nr.  115  kommen  deren  nicht  vor  und  doch  datiert  diese  aus  dem  Jahre 
des  Archontcn  Eubulos,  der  nach  Dittcnbergcr  (Hermes  II  S.  304)  den  Jahren 
zwischen  Ol.  126  1  und  128  1  angehört.    Wohl  aber  kommt  in  Nr.  172  ein  Jiööw^o^ 


L 


BeinerkuDgeu  über  die  attischen  Strategen  185 


'AvSoxiSi]g  Kvdccß-ijvevg 


Pandionis  III 


Leontis  IV 
Akamantis  Y 
Akamantis  V 
Oineis  VI 
Kekropis  VII 


K()i(ov  ^xa/xßcjviSf]Q 
UsQixXTjg  XoXaQyevg 
JTlavxcjv  kx  K^Qafiicov  . 
KttXXiaTQaxog  u4/a()V6vg 
Ssvofp&v  Me?uTevg     .     . 

Das  Verzeichnis  ist  unvollständig;  es  sind  nicht  zehn  Strategen,  wie 
der  Scholiast  aas  dem  Androtion  geben  wollte  {rßjv  Sexa  (TTQarfjycov 
Tcjv  Iv  ^üfio)  xcLx  LivSQCLiTlmvcc).  Es  entgeht  uns  damit  die  Mög- 
lichkeit zu  erkennen,  für  welche  von  den  drei  noch  übrigen  Phylen 
(Hippothontis  VIII,  Aiantis  IX,  Antiochis  X)  es  in  diesem  Jahr  keinen 
Strategen  gab;  denn  daß  die  vier  Strategen,  die  „später  nachgesandt" 
worden  sind  (Thuc.  1117)  Thucydides,  Hagnon,  Phormion,  Tlepolemos, 
aus  der  Wahl  des  nächstfolgenden  Jahres  sind,  ergiebt  Thucydides 
Angabe,  daß  zuerst  44  SchiflFe  UeQtxXiovg  Sbxütov  avrod  aroarrj' 
yovvxog  ausgesandt  worden  seiend 

Man  hat,  jene  Schwierigkeit  der  Doppelwahl  aus  einer  Phyle  zu 
erklären,  das  Auskunftsmittel  der  ausserordentlichen  Strategie  angewandt. 
Man  wird  nicht  umhin  können,  Kleons  Sendung  nach  Pylos  OL  88  3 
in  solcher  Weise  zu  deuten,  obschon  für  dieselbe,  so  viel  ich  weiß,  die 
Bezeichnung  Strategie  nicht  überliefert  ist*.     Aus  früherer  Zeit  giebt 

'Iffuysvovg  vor.  Ist  diese  Inschrift,  wie  Böckh  annahm,  ein  Verzeichnis  im  Kriege 
Gefallener  (aus  dem  Kerameikos),  so  hat  Isigenes  seinen  Namen  wenigstens 
50  Jahre  vor  dem  Kriege  erhalten,  in  dem  sein  Sohn  fiel;  und  nach  dem  Namen 
der  Isis  hat  schwerlich  vor  Ol.  117  2  ein  attischer  Mann  seinen  Sohn  genannt, 
wenn  auch  die  Ägypter  in  Athen  schon  vor  Ol.  111  4  (s.  den  Volksbeschluß  im 
Hermes  V  S.  351)  sich  ein  Heiligtum  der  Isis  hatten  gründen  dürfen.  Eine  so 
bedeutende  Zahl  attischer  Bürger,  wie  diese  Inschrift  Nr.  172  angiebt,  könnte 
nur  im  Chrcmouideischen  Kriege  Ol.  128  den  Tod  gefunden  haben.  Später  hat 
Böckh  (St.  I'  S.  698)  in  172  eine  Diaitetcnlistp  erkannt.  Warum  nach  Eubulos 
der  Kolonos  von  der  Aigeis  zur  Antiochis  verlegt  wurde,  ist  nicht  mehr  ersichtlich. 
Die  Reihenfolge  der  Namen  in  dem  Verzeichnis  des  Androtion  bezeugt,  daß 
Ol.  84  4  oder  wenigstens  zu  Androtions  Zeit  der  Kolonos  zur  Aigeis  gehörte.  [Es 
ist  jetzt  zweifellos,  daß  es  drei  Demen  KoXcjvogy  in  der  Aigeis,  Leontis  und 
Antiochis  gab;  der  des  Sophokles  gehörte  zur  Aigeis.     E.  M.] 

^  [Aus  der  vollständigen  Liste  bei Wilamowitz  de  Rhesi  scholiis  S.13  kennen 
wir  jetzt  auch  die  beiden  fehlenden  Strategen 

T'kavxhfjg  Ä^tjvievg      .     .     .     Hippothoontis  VIII 

KlBt,io(pC}v  ßoQaisvg    .     .     .    Antiochis  X 

Nicht  vertreten  war  also  die  Aiantis  IX.    £.  M.] 

^  Man  wird  nicht  dagegen  anführen  wollen,  daß  Demosthenes  (gegen  Boiotos 
i:^  25)  von  dem  Sohn  des  Klcon  sprechend  sagt:  ov  <fual  top  nnie^a  Klion'a  iCtv 
vufTtoiov  TtQOYOvuy  iTTQixirjyovi'Tu,  Anxf-öiUttovUov  .lokkoVr^  tv  Hvht}  CiüfTng  Xnßofin^ 
liükiaiu  nüyiüjy  iji  ;iu/.£i  kvöoxiniitna. 


186  Bemerkungen  über  die  attischen  Strat^en 

es  kein  sicheres  Beispiel  der  Art,  da  das  dafür  angeführte  des  Arche- 
stratos (Thucyd.  I  57)  fier  äXXtov  Sixa  oTQarijy&v  auf  unzweifelhaft 
verkehrter  Lesart  beruht;  denn  zu  dem  ersten  Auszug  nach  Potidaia 
im  Frühjahr  432  mit  nur  1000  Hopliten  und  30  Schiffen  brauchte 
man  sicher  nicht  alle  zehn  Strategen  und  noch  einen  elften  obenein; 
schon  6.  Hermann  hat  deshalb  ävo  für  Shea  korrigiert 

Über  die  Wahl  der  Strategen  fehlt  es  an  sicheren  Nachrichten. 
Eine  Stelle  im  PoUux,  die  das  für  die  vorliegende  Frage  Entscheidende 
geben  könnte,  ist  durch  sichtliche  Verwirrung  im  Text  ungeeignet  als 
maßgebend  zu  dienend 

Nach  der  Natur  der  Sache  sind  folgende  Fälle  möglich :  es  wählt 
entweder  jede  Phyle  für  sich  oder  das  ganze  Volk,  es  wählt  entweder 
jede  Phyle  aus  sich  oder  aus  allen,  oder  das  Volk  aus  allen  oder  je 
einen  aus  jeder  Phyle.  Xenophon  erzählt  (Memor.  III  4),  Sokrate^ 
habe  den  Nikomachides  aus  den  Archairesien  kommen  sehen  und  ihn  ge- 
fragt, welche  Strategen  gewählt  seien,  [6]  und  Nikomachides  darauf:  die 
Athener  hätten  nicht  ihn  gewählt,  obschon  er  wiederholt  seine  Dienst- 
pflicht als  Hoplit  geleistet  habe,  Lochage,  Taxiarch  gewesen  sei,  mehrere 
Wunden  habe,  sondern  den  Antisthenes,  der  nur  bei  den  Kittem  ge- 
dient habe  und  nur  Geld  zu  gewinnen  suchet     Nicht  gegen  seine 


^  Pollux  sagt  Vni  86  von  den  neun  Archonten:  xoivfi  usy  fyov<n  efovfrinr 
i^-rti'ofTot»  tap  Tig  xniifi  ottov  firj  ^6<ni,  %al  xItjqovp  ötxttarac  xal  a&lo&^xag  eWcr  xnrri 
(fXfltjp  ixacrtt/y  xal  crtQaTrj'jrovg  /at^oroyery  tf  anävjfov  xal  xad"*  ixa<mjv  TtqvTtt- 
vsutv  ineqioittv  ei  doxsi  xakcüg  nqx^^v  exndio:,  rov  d*  anoxBtqoxovijx^ivta  xgitfofnn, 
xni  iJinnqxovg  dvo  xnl  qyvkagxovg  dsxn  xal  ra^tnQXovg  dexa.  Wie  seltsam,  daß, 
während  bei  allen  andern  als  wesentlich  angegeben  wird,  wie  viele  za  wählen 
8ind,  nur  bei  den  Strategen  diese  Angabe  fehlt  und  statt  dessen  das  i$  aTramop 
zugefügt  wird,  das  man  bei  den  Hipparchen,  deren  nur  zwei  sind,  veronißt;  da 
Pollux  VIII  97  sagt:  tTinaQXOi  Se  ovo  tf  uTiavrap  Ä&ijvaUop  aiQe&epie^  u.  s.  w., 
so  wird  auch  hier  das  ef  aTtapTtap  hinter  5v(f  innaQxoißc  gestanden  haben.  Wie 
das  /et^oToveD'  jetzt  steht,  kann  es  schwerlich  auch  noch  auf  die  Hipparcbeii« 
Phylarchen  und  Taxiarchen  bezogen  werden;  auch  scheint  das  anoxei^oToreip 
nicht  bloß  für  die  Strategen  gelten  zu  dürfen,  sondern  für  alle  gelten  zu  müssen ; 
80  daß  der  Satz  xal  xn&*  ixnairjp  ....  xqipovm  entweder  die  Randbemerkung 
eines  Rund  igen  ist  oder  hinter  rn^iaqxovg  dexa  gestellt  werden  muß.  Ein  Frag- 
ment aus  Aristoteles  Politik  ist  diese  verworrene  Nachricht  schwerlich,  obschon 
sie  von  V.  Rose  unter  Nr.  374  aufgeführt  ¥rird. 

'  Xenophon  Mem.  III  4:  iöcjp  ße  noie  Nixo^tnxlSrjp  i^  a^xf^t'^sm^y  anioyja 
fjQeio'  Tipsg,  S)  ytxofinxidtj,  (TToartjYol  jjftrjvrai;  xal  öc,  ov  faq,  ^rj^  Si  ^cjxQaTeg, 
Totovioi  eifTLP  Ä&rjp<uoi  (ütrce  tfte  fiep  ovx  eikopTO,  og  ix  xaraXo^ov  axQaTevofieyog 
xarardviti^uai  xal  koxaycjp  xal  Ta^iagxf^f  ^oil  t^avaara  vnb  Tay  TioXe^Uüy  joirnvrn 
i'XtiiP  (äfia  de  ritg  ovXag  tcjp  rqav^iauoy  anoYVfiPOVfiePog  inedeixyvep) ,  JiyTia&sytjP 
öl/,  ^<prj,  fii'Aorro  ihp  ovie  ImXiirfV  tk'otxotb  (TTQatevtrafieyoy  bp  di  xotg  innevaiv  ovdir 
neql^Xenxop  noiyaapia,  tniaxafieyop  öe  äkXo  ovdey  y  /^r/juara  oviUUyeir. 


Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen  187 

Phyle,  sondern  gegen  die  Athener  insgemein  wendet  sich  sein  Vorwnrf. 
Also  die  Athener  nicht  phjlen weise,  sondern  insgesamt  wählen  die 
Strategen,  und  zwar  durch  Cheirotonie,  wie  Lamachos  in  den  Achar- 
nem  598  mit  Emphase  sagt:  kx^iQoxövriaav  yaq  fjLßf  und  Dikaiopolis 
darauf:  xöxxvyig  ys  rgeig  \ 

Die  Form  der  Cheirotonie  fordert  eine  Reihenfolge  von  Namen, 
über  die  abgestinunt  wird.  Mochten  einzelne  sich  selbst  zur  Wahl 
melden,  andere  von  wem  immer  vorgeschlagen  werden,  oder  mochte, 
was  am  wenigsten  wahrscheinlich,  jede  Phyle  zwei  oder  drei  Kandidaten 
vorzuschlagen  haben,  schließlich  mußte  für  den  Wahlakt  eine  List«  von 
Xamen  aufgestellt  sein,  über  die  der  Reihe  nach  abgestimmt  wurde. 
Die  Ordnung  dieser  Reihe  war  für  den  Ausfall  der  Wahl  von  Einfluß, 
weil,  wenn  der  zehnte  Strateg  gewählt  war,  die  etwa  noch  übrigen 
Namen  nicht  mehr  zur  Abstimmung  kamen.  Diese  Liste  konnte  so 
angelegt  sein,  daß  1)  entweder  aus  jeder  Phyle  oder  2)  für  jede  Phyle 
eine  gewisse  Zahl  von  Namen  aufgezeichnet  war  oder  3)  auch  so,  daß  gar 
keine  Rücksicht  auf  die  Phylen  genommen  war.  Im  ersten  Fall,  wenn 
aus  jeder  Phyle  eine  gewisse  und  wohl  die  gleiche  Anzahl  von  Namen 
aufgezeichnet  war,  wurde  natürlich,  falls  gleich  der  erste  die  Mehrheit 
der  Stimmen  erhielt,  über  den  zweiten,  dritten  u.  s.  w.  nicht  mehr 
abgestimmt,  sondern  zur  folgenden  Phyle  übergegangen ;  ein  Verfahren, 
bei  dem  es  unmöglich  war,  daß  zwei  Strategen  aus  derselben  Phyle 
für  dasselbe  Jahr  gewählt  wurden.  Wenn  aber  nicht  aus,  sondern  für 
jede  Phyle  die  gleiche  Zahl  von  Namen  aus  [7]  der  gesamten  Bürger- 
schaft aufgestellt  wurde,  so  blieb  dem  Zufall  der  Abstimmung  anheim 
gegeben,  aus  welchen  Phylen  man  Strategen  erhielt.  Noch  mehr  war 
das  der  Fall,  wenn  die  Liste  ohne  die  eine  und  andere  Rücksicht  auf 
die  Phylen  angefertigt  wurde.  Bei  dieser  dritten  wie  bei  der  zweiten 
Methode  bleibt  es  unerklärt,  daß  Ol.  84  4  unter  acht  Strategen  sieben, 
Ol.  86  4  unter  acht  Strategen  gewiß  fünf,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
aber  sieben  aus  verschiedenen  Phylen  gewählt  waren;  nicht  minder 
unerklärt,  daß  unter  den  Strategen  des  peloponnesischen  Krieges  sich 
vielleicht  nur  noch  zwei  Fälle  nachweisen  lassen,  wo  in  demselben 
Jahre  zwei  Strategen  aus  derselben  Phyle  sind^ 


^  Aus  späterer  2ieit  Demosth.  Phil.  1,  26:  ovx  exetgoiopsiTe  de  ef  vficjy  aviiop 
dexa  ra^tÜQX^'^»  *"^  aiQftJiiyov^  xnl  gwAri^/ovc  xni  inTinQ^oVy  Ovo; 

*  Laches  des  Mclanopios  Sohn  (Thucyd.  III  86)  aus  Aixonai  und  Hippo- 
nikos  des  Kallias  Sohn  (III  91)  aus  Melite,  beide  also  aus  der  Kekropis,  sind 
Strategen  Ol.  88  2.  Den  zweiten  Fall  giebt  C.  I.  A.  I  Nr.  188  (Ol.  92  3),  wo 
AqKTiofpuvei  Ävn  ....  nach  der  Zahl  der  fehlenden  Buchstaben  nur  JivapjQaaio)  oder 
Äfa(pXv(Tiicü  ergänzt  werden  kann,  während  in  derselben  Inschrift  schon  Ae^ixi^uTet 


188  Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen 

Daß  in  früherer  Zeit  jede  Phyle  von  einem  Strategen  aus  ihrer 
Mitte  geführt  wurde,  lehrt  die  marathonische  Schlacht,  wenigstens 
nach  den  Nachrichten,  die  Plutarch  benutzt  hat.  Man  wurde  dafür 
auch  dessen  Angaben  über  den  dramatischen  Wettkampf  zwischen 
Aischylos  und  Sophokles  nnführen  können,  für  den  der  Archen  die 
zehn  Strategen  als  Kampfrichter  bestellt  [xQlvai  Shea  övrag  he  q)vXr,^ 
fiiäg  Ixaarov  Plut.  Cim.  8).  Doch  scheint  mir  diese  Erzählung-  trotz 
der  eingehenden  Erläuterungen  Sauppes  (Sitzungsberichte  der  Leipziger 
Gesellschaft  der  Wissensch.  1855  S.  5),  anekdotenhaft  und  nach  der 
attischen  Verfassung  undenkbar,  wie  sie  ist,  des  Ursprungs  aus  später 
und  unkundiger  Quelle  verdächtig. 

Es  mag  sich  als  gutes  Herkommen  erhalten  haben,  daß  man  in 
der  Wahl  der  Strategen  so  viel  möglich  je  einen  aus  jeder  [8]  Phvle 
nahm.  Dies  könnt«  in  der  Aufstellung  der  Wahlliste  auf  mehrfache 
Weise  erleichtert  werden,  z.  B.  so,  daß  man  bei  der  dritten  Methode 
die  sämtlichen  vorgeschlagenen  Namen  so  ordnete,  daß  die  ersten, 
zweiten,  dritten  zehn  Namen  nach  der  Reihe  der  Phylen  geordnet  zur 
Abstimmung  kamen,  oder  so,  daß  man  bei  der  zweiten  Methode  dafür 
sorgte,  daß  bei  dem  Vorschlage  für  jede  Phyle  wenigstens  einer  der 
Vorgeschlagenen  aus  derselben  war.  Bei  jener  Form,  der  der  dritten 
Methode,  würde  nicht  begreiflich  sein,  wie  Nikomachides  sich  beklagen 
konnte,  daß  er  dem  Antisthenes  erlegen  sei;  denn  er  wäre  allen,  die 
gewählt  worden,  erlegen;  wenn  die  Wahl  zwischen  ihm  und  Antisthenes 
entschied,  so  muß  für  jede  Phyle  zu  wählen  gewesen  sein. 

So  ergiebt  sich  als  wahrscheinlich,  daß  in  den  Archairesien  das 
gesamte  Volk  nicht  aus  jeder  Phyle,  sondern  für  jede  Phyle  einen 
Strategen  wählte,  daß  die  Wahlliste  für  jede  Phyle  je  zwei  oder  mehr 
Namen  angab,  daß  diese  nicht  notwendig,  aber  nach  dem  Herkommen 


Ai^iXtet  aus  der  Antiochis  und  Ji[vxXei  ?]  Evawuei  aus  der  Erechtheis  in  dem- 
selben Jahre  Feldherm  sind.  Man  würde  einen  dritten  Fall  för  Ol.  90  4  an- 
erkennen müssen,  indem  da  Lamachos  und  Teisias  unter  den  Strategen  sind 
(Thuc.  y  84),  wenn  es  richtig  wäre,  daß  beide  aus  Kephale  sind;  allerdings 
giebt  das  die  Inschrift  bei  Böckh  Staatsh.  II*  31 ;  aber  die  Abschrift  von  Ban- 
gab6,  die  er  benutzt,  zeigt  schon  durch  ihre  an  dieser  Stelle  zusammengedrfing- 
teu  nicht  fjjoix^fiov  geschriebenen  Buchstaben ,  daß  sie  fehlerhaft  ist;  und  die 
genauere  Abschrift  Köhlers  (C.  I.  A.  I  S.  80)  giebt  statt  Böckhs  Lesung  or^Joi^- 
ffoi^  Aainax({i  KeqnXrtd^Bv  das  zu  Thuc  V  84  passende  TBi(T£\ff  TsKTcfjiaxov  KBapa- 
Xrjx^BP.  [Aristot  noX.  JiihfV.  c.  61  ;[f«^OTOi'oi5(Tt  de  xni  rac  ngbg  tbv  ndXefiov  a^a; 
anntrag,  ffTQaTtjyoxK  ösxn,  TiQoieQOv  fABv  aqp*  (exotori/c)  qivXrjg  Iva,  vvv  3*a*f  imayttsr. 
1  ).'&  Meinung,  daß  die  Strategen  vom  Gesamtvolke  filr  jede  Phyle  gewählt  seien, 
ist  schwerlich  richtig;  für  das  5.  Jahrhundert  hat  wohl  Beloch  mit  der  Annahme 
eines  aus  der  Gesamtheit  gewählten  Oberstrategen  recht    £.  M.] 


Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen  189 

möglichst  aus  der  Phyle  genommen  wurden,  für  die  sie  gewählt  werden 
sollten,  so  daß  in  der  Begel  die  zehn  Strategen  des  Jahres  je  aus 
einer  der  zehn  Phylen  waren,  aber  auch  zwei  oder  mehr  Strategen 
desselben  Jahres  aus  derselben  Phyle  sein  konnten. 

Vielleicht  ergiebt  sich  in  diesem  Zusammenhang  die  Deutung  einer 
Schwierigkeit,  welche  die  Totenliste  der  Erechtheis  von  Ol.  80  1  (C.  I. 
A.  I  433)  bietet.  An  der  Spitze  der  in  diesem  Jahr  Gefallenen  dieser 
Phyle  steht  der  OTQariiy&v  ^Qvvi]xoii,  und  nach  einer  Reihe  von 
Namen  folgt  am  Schluß  von  anderer  Hand  zugefügt  eine  zweite  kürzere 
Keihe  von  Namen,  beginnend  mit  axQarijybi;  Innodäfiag.  Man  konnte 
daraus  schließen,  daß  der  Erstgenannte  Strateg  und  aus  der  Erechtheis, 
aber  nicht,  wie  Hippodamas,  Strateg  der  Erechtheis,  sondern  einer 
andern  Phyle  gewesen  wäre.  Und  wenn  dieser  Schluß  annehmbar, 
so  würde  wieder  daraus  folgen,  daß  die  zehn  Strategen  nicht  insgemein 
und  nach  dem  unter  3  angeführten  Verfahren,  sondern  je  für  eine 
Phyle,  also  nach  dem  zweiten  Verfahren,  gewählt  worden  sind\ 

[9]  Sicherer  scheint  nach  dem  bisher  Erörterten  der  Schluß,  daß 
das  Verzeichnis  des  Androtion,  so  wie  es  vorliegt,  nicht  einer  offiziellen 
Urkunde  entnommen,  sondern  wohl  von  ihm  selbst  auf  Grund  der 
den  Namen  der  Strategen  beigefügten  demotischen  Bezeichnung  nacli 
der  verfassungsmäßigen  Reihenfolge  der  Phylen  geordnet  ist.  Wenig- 
stens in  der  amtlichen  Urkunde  über  die  Sendungen  nach  Korkyra 
stehen  die  je  drei  Strategen  die  sie  anfuhrt  keineswegs  nach  jener 
Reihenfolge;  nach  welcher  sonst,  ist  nicht  zu  erkennen. 

IL  Die  oben  angeführte  Stelle  des  Plutarch  über  die  fortgesetzte 
Strategie  des  Perikles  führt  auf  eine  weitere  Frage,  die  für  die  politische 
und  Rechtsgeschichte  Athens  von  besonderer  Wichtigkeit  ist. 

Thucydides  sagt,  man  habe  beim  ersten  Einfall  der  Spartaner 
Ol.  87  1  in  Athen  gegen  Perikles  gemurrt,  ort  (TTQccrrjydg  &v  ovx 
kns^äyoiy  er  aber  sei  dabei  geblieben  und  habe  keine  Ekklesie  noch 
sonstige  Versammlung  halten  lassen,  sondern^ die  Stadt  bewacht  und 
so  viel  möglich  in  Ruhe  gehalten.  Man  fragt  mit  Recht,  in  welcher 
amtlichen  Befugnis  Perikles  selbst  die  regelmäßige  Ekklesie  verhindern 

^  Da  die  Totenliste  mit  dem  tov  aviov  tpiaviov  dasselbe  Kriegsjahr  be- 
zeichnet, das  die  letzten  Monate  des  einen,  die  ersten  des  folgenden  bürgerlichen 
Jahres  bezeichnet,  so  ließe  sich  der  Unterschied  des  ajQarrjYuv  und  aTQttTTj/jro^ 
auch  so  erklären,  daß  Phrynichos  nach  einem  der  entfernten  Kriegstheater,  deren 
die  Inschrift  erwähnt,  nach  Cypem,  Phoinikien,  Ägypten  im  Frühling  als  aiQa- 
ifjyog  entsandt  und  bei  der  Neuwahl  nicht  wieder  gewählt  thatsächlich  als  Strateg 
weiter  fungierte,  bis  sein  Nachfolger  eintraf,  und  in  dieser  Zeit,  wo  er  nicht  mehr 
offiziell  Strateg  war,  fiel.  Doch  weiß  ich  nicht,  ob  man  in  amtlicher  Sprache 
dafür  den  Ausdruck  (nqairi/fdv  hätte  brauchen  können. 


190  Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen 

konnte  und  warum  ihn  und  nur  ihn  unter  den  Strategen  der  Vorwurf 
der  Menge  traf,  da  deren  noch  andere  in  Athen  waren  (Thua  II  23,  2). 

Dasselbe   wiederholt  sich   bei  dem  zweiten  Einfall  im  Frühjahr 
Ol.  87  2.    Perikles  hindert  wieder  jeden  Ausfall  (TTQaT7]ydg  a>v  (Thnc.  II 
59],  er  fahrt,  während  die  Spartaner  in  Attika  sengen  und  brenneD, 
mit  100  Trieren  und  4000  Hopliten  nach  dem  Peloponnes,  die  Spartaner 
zum  Abzüge  zu  nötigen;  wie  er  zurückgekehrt  ist,  gehn  mit  diesem 
Geschwader  Hagnon  und  Kleopompos  {^varQcerrjyot  ovtb^  ÜBQixXiov^ 
kaßövTsg   TJjv   (TCQccTiav   rjTtBQ   kzQyj^raTo)   nach   Potidaia.      Also    die 
beiden    ^vftTQarrjyoi,   mochten   sie   die   Fahrt  nach   dem  Peloponnes 
mitgemacht  haben  oder  nicht,  waren  zur  Zeit  des  spartanischen  Ein- 
falles, als  Perikles  jeden  Ausfall  hinderte,  in  Athen.     Wenn  trotzdem 
Perikles   allein  als  derjenige  genannt  wird  und  in  dem  Murren    des 
Volks  anerkannt  [10]  wurde,  der  GTQarrjydg  wi' jeden  Ausfall  hinderte, 
so  muß  er  doch  wohl  eine  höhere  amtliche  Competenz  und  Verant- 
wortlichkeit als  die  mitanwesenden  ^vtTZQaxrjyoi  gehabt  haben.     Der 
allgemeine  Unwille   gegen  ihn  fand  bald  nach  seiner  Rückkehr   Ge- 
legenheit sich  wirksam  zu  zeigen;  nicht  wegen  seiner  Kriegführung, 
aber  wegen  Unterschlagung  öiFentlicher  Gelder  angeklagt  wurde  er  zu 
einer  schweren  Geldbuße  verurteilt     Aber  nicht  lange  darauf,   sagt 
Thucyd.  II  65   {vfrreQov   S*    avß-ig   ov  nokX(p)j   wurden  die  Athener 
anderen  Sinnes,  nxQarjjyov  eilXovTo  xa)  ndvrcc  rä  nQÜyfiaza  inirQexffciv. 
Freilich  eine  unbestimmte  Bezeichnung,  wie  mehrfach  bei  Thucydide> 
an  Stellen,  wo  man  die  offizielle  lieber  sähe;  aber  sie  giebt  doch  wohl 
etwas  an,  was  nicht  schon  in  der  bloßen  Wahl  zum  Strategen  liegt    Es 
ist  in  dem  darauf  folgenden  Rückblick  —  denn  Perikles  starb  bald  nach- 
her — ,  daß  Thucjdides,  um  dessen  große  Stellung  in  Athen  zu  be- 
zeichnen, den  Ausdruck  braucht:  kyiyvtro  köyco  fiiv  SrjfioxQat/Uj  epyo* 
Si  vTid  Tov  nQd)Tov  dvS()dg  uqxV'     Man  fragt,  in  welchen  amtlichen 
Formen  und  Funktionen  Perikles  so  monarchisch  den  Staat  hat  lenken 
können;  denn  „Einfluß  haben  heißt  nicht  regieren". 

Daß  eine  dieser  Funktionen  die  Strategie  war,  sagt  die  oben  an- 
geführte Stelle  des  Plutarch,  sagt  nicht  minder  Diodor  XII  42:  axQce- 
Tfjydg  (OV  xae  t/jV  ÖXtjv  ijysfiov/av  'i;(Ci)v.  Beide  wiederholen  wohl  nur, 
was  sie  in  ihrem  Ephoros  fanden. 

Es  mag  dahingestellt  bleiben,  ob  jene  Anklage  gegen  Perikles 
nach  dem  zweiten  Einfall  der  Spartaner  sich  auf  die  zehn  Talente  bezog, 
die  er  zur  Zeit  des  euboeischen  Krieges  an  den  König  der  Spartaner 
gezahlt  hatte,  und  die  er  als  elg  rd  diov  verwandt  in  Rechnung  stellte; 
und  wenn  unter  anderen  auch  Theophrast  angab,  daß  die  zehn  Talente 
seitdem  jährlich  nach  Sparta  geschickt  worden  seien,  nicht  um  den 


Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen  191 

Frieden  zu  erkaufen,  sondern  um  Zeit  zu  gewinnen,  so  war  nach  dem 
zweiten  Spartanereinfall  eine  Anklage  wegen  dieser  vergebens  veraus- 
gabten Summe  um  so  leichter  zu  begründen.  Für  die  Frage,  die  uns 
angeht,  ist  es  von  Wichtigkeit,  daö  diese  Bezeichnung  slg  t6  diov  von 
Perikles  kv  rtp  Tfjg  aTQatfiyiaq  äTtoXoyiafjLÖ)  gebraucht  worden  ist. 
Also  als  Strateg  hatte  er  über  solche  Summen  zu  geheimen  Zwecken 
verfügt,  schwerlich  nach  einem  förmlichen  Beschluß  des  CoUegiums 
der  Strategen,  sondern  in  aller  Stille,  auf  seine  Verantwortung. 

[11]  Es  scheint  entweder  in  der  Strategie  an  sich  oder  in  der 
Art  wie  sie  in  der  perikleischen  Zeit  sich  ausbildete,  etwas  zu  liegen, 
was  sich  von  dem  sonstigen  Charakter  der  attischen  Demokratie  merk- 
lich entfernt. 

Aristoteles  (Pol.  V  5)  findet  ein  wesentliches  Moment  für  die 
Entartung  der  alten  Demokratien  in  der  Wahl  der  Ämter  durch  den 
Demos;  als  ein  Mittel  solche  Entartung  zu  meiden  oder  doch  zu  min- 
dern nennt  er  die  Wahl  durch  die  Phylen  (rd  rag  (pvkag  cpiQBiv  rovg 
ä()zovTag,  äXXä  fii]  itüvra  xbv  öfjfjLov).  Der  Zusammenhang  seiner 
Darstellung  gestattet  nicht  anzunehmen,  daß  er  gemeint  habe,  in  Athen 
sei  nach  der  Verfassung  des  Kleisthenes  auch  nur  zur  Strategie  phylen- 
weise  gewählt  worden. 

In  jener  alten  Zeit,  wo  man  nur  an  Kriege  in  nächster  Nähe  zu 
denken  hatte,  höchstens  einmal  ein  kleines  Geschwader  den  empörten 
loniem  zu  Hilfe  sandte,  genügten  für  das  attische  Kriegswesen  die 
einfachsten  Formen.  Damals  hatte  der  gelöste^  Polemarch,  wie  die 
Schlacht  von  Marathon  zeigt,  neben  den  gewählten  zehn  Strategen 
eine  Stimme  im  Kriegsrat  (Herod.  VI  109),  der  Heerbefehl  wechselte 
täglich  zwischen  den  zehn  Strategen,  deren  jeder  im  übrigen  die  Taxis 
seiner  Phyle  zu  führen  hatte,  wie  jeder  der  zehn  Phylarchen  die 
30  Reiter  seiner  Phyle.  Die  rasche  Steigerung  der  militärischen  Macht 
und  Bedeutung  Athens,  namentlich  seit  der  Gründung  der  Symmachie, 
forderte  unzweifelhaft  große  Veränderungen  in  der  Verwaltung  und 
Organisation  des  Kriegswesens.  Es  wurde  die  Zahl  der  Reiter  auf  600 
und  weiter  auf  1200  gebracht,  es  wuchs  die  Flotte  bis  auf  300  Trieren; 
es  wurden,  auch  wenn  nicht  Krieg  war,  jährlich  Geschwader  ausgesandt, 
um  die  Seepolizei  zu  handhaben  und  gelegentlich  schwierige  Bündner 
in  Respekt  zu  halten.  Schon  diese  Dinge  gaben  der  Kriegsverwaltung 
eine  Fülle  von  Geschäften.  Man  würde  eine  Reihe  weiterer  Competenzen 
der  Strategen  aus  der  reicheren  Überlieferung  der  demosthenischen 
Zeit  anführen  können,  wenn  es  nicht  geboten  erschiene,  das  attische 


^  [Ist  ein  Irrtum  Herodots.    E.  M.] 


192  Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen 

Staatsrecht  nach  dem  Archonten  Eukleides  strenger  als  es  gewöhnlich 
geschieht  von  dem  der  früheren  Zeit  zu  unterscheiden.    Aus  sicheren 
Quellen  ergiebt  sich  für  diese  frühere  Zeit,  daß  die  Strategen  bei  der 
Sicherheitspolizei  in  Attika  beteiligt  waren  (C.  I.  A.  Nr.  94),    daß    sie 
bei  drohendem  Feindeseinfall  ohne  weiteres  den  Auszug  befehligen  (Arist. 
Ach.  1073),  daß  sie  beim  Bau  der  Trieren  gewisse  Geschäfte  haben 
(C.  I.  A.  Nr.  74);  [12]  gewiß  lag  ein  Teil  der  Bundesgeschäfte  in   ihrer 
Hand,  wie  sie  in  C.  I.  A.  Nr.  20  bei  dem  Bundeseide  von  Hestiaia  er- 
wähnt werden;  es  scheint  in  der  Natur  der  Sache  zu  liegen,  daß  ihnen 
die  Aushebung  bei  den  Bündnern,  die  Con trolle  ihrer  Contingente  an 
Trieren  und  Mannschaften,  die  Beaufsichtigung  der  attischen  Gramisonen, 
z.  B.  in  Erythrai  (C.  I.  A.  1  8.  9)  oblag;  ebenso  konnte  nur  ihnen  das 
Aufgebot  zur  Trierarchie   und   zum   Dienst  nach   dem  Katalog,    die 
Leitung   der   aus   beiden   erwachsenden,   sowie   aller  auf  den    Dienst 
bezüglichen  Prozesse  zufallen;  und  mehrfach  wird  erwähnt,  daß  Stra- 
tegen zum  Beitreiben  der  Tribute  ausgesandt  worden  sind.    Es  ist  nicht 
überliefert,  aber  es  versteht  sich  von  selbst,  daß  für  die  Finanzen  Athens, 
in  denen  die  Ausgaben  für  das  Kriegswesen  den  bei  weitem  bedeutend- 
sten Posten  ausmachten,  die  Voranschläge  und  die  Forderungen   des 
Kriegsamtes  maßgebend  für  das  jährliche  Budget  sein  mußten.     Dies 
genügt,   um  erkennen  zu  lassen,   daß  das  Kriegsamt  zu  Athen    eine 
außerordentlich  weitreichende  Thätigkeit  und  unter  allen  Verwaltungs- 
zweigen  des  Staates  die  mannigfachsten,   wenn  nicht  die  wichtigsten 
Competenzen   umfaßte;  ihren  Vorträgen  in  der  Ekklesia  wird  es  vor- 
behalten, anderen,  die  auf  der  Tagesordnung  stehn,  vorauszugehn  K 

Mögen  die  neuen  Organisationen  des  attischen  Militärstaates  mit 
der  themistokleischen  Gründung  der  Flotte  eingeleitet,  mögen  sie  erst 
mit  den  Reformen  des  Ephialtes  eingetreten  sein,  in  der  perikleischen 
Zeit  hatte  das  Strategion  eine  Bedeutung,  wie  sie  in  der  kleisthenischen 
Verfassung  nicht  vorgesehn  war.  Seit  die  Kriegsmacht  Athens  nicht 
mehr  wesentlich  hoplitisch  war,  seit  Athen  Flotten  von  60,  100, 
150  SchiflFen  aussandte,  auf  welchen  von  den  früher  geschlossenen 
Bataillonen  der  Hopliten  1800,  3000,  4500  Mann  auf  die  Trieren 
verteilt  mit  auszogen,  konnten  die  Strategen  nicht  mehr  wie  bei 
Marathon  2  jeder  seine  Phyle  führen;  [13]  für  diesen  Zweck  mag  man 


*  C.  I.  A.  I  Nr.  40  ....  crvv^iog  de  noieiv  t«c  ixxlr^alng,  e'wc  nv  öianQtt;[d^i,. 
ullo  de  7i(^nxQij^iftTi(Tai  tovtcjv  f^tjöer  tav  fit]  n  oi  (TiQnjtiyol  ödtofTni, 

*  Und  vielleicht  bei  Plataiai,  denn  Herodot,  der  von  Aristeides  sagt  IX  28: 
k(TtQ(tTtJY6e  öe  nviMVy  spricht  c.  46  noch  von  anderen  attischen  Strategen:  oi  öt 
iSiqajriYoi  rwr  Äx^tjvaifüv  tlv^oi'ieg  tnl  t6  dt^iby  xi^ng  ü^e^ov  Ilnvaavhj  u.  s.  w.  *  und 
nach  ihm  Plutarch  Arist.  16  oi  fisv  ovv  ulXoi  (TT^nTtfiyol  tü)p  Äxhivaioiv, 


Bemerkungen  über  die  attisclien  Strategen  193 

damals  die  Wahl  der  zehn  Taxiarchen  angeordnet  haben,  während  die 
Strategen  teils  einzeln,  teils  mehrere  oder  auch  wohl  alle  als  Comman- 
dierende  ausgesandt  wurden,  in  den  meisten  Eällen  als  Commandierende 
zugleich  von  Trieren  und  Hopliten,  von  Hopliten  und  Reitern,  von 
Athenern  und  Bündnem,  recht  eigentlich  als  Generale.  Möglich,  daß 
mit  derselben  Neuerung  zugleich  über  die  zehn  Phylarchen  die  zwei 
Hipparchen  bestellt  wurden. 

Es  wird  sich  wahrscheinlich  machen  lassen,  daß  erst  nach  der 
Schlacht  von  Marathon  der  Dienst  der  neginokoi  organisiert  wurde, 
ein  Institut,  das  als  die  eigentliche  militärische  Schule  des  attischen 
Volkes  anzusehn  ist  *  Indem  die  Theten  für  die  rasch  vergrößerte 
Flotte  notwendig  wurden,  konnte  man  kaum  umhin  auch  den  Hopliten- 
dienst  neu  zu  organisieren,  so  zu  organisieren,  daß  Unterabteilungen 
jeder  Taxis  im  voraus  geordnet  waren,  um  als  Epibaten  auf  die  Schilfe 
abcommandiert  zu  werden.  Freilich  daß  die  Teilung  der  rü^Big  in 
mehrere  Lochen  zur  Zeit  der  Schlacht  von  Plataiai  schon  bestand,  folgt 
aus  Herodots  Ausdruck  (IX  21)  *40f]vai(ov  oi  TQirjxömoi  Xoyddeg  röv 
Ikoxi^yBi  VlvfjLTtiöSoDQog  noch  keineswegs^. 

Vor  allem  in  der  Gesamtleitung  des  Kriegswesens  trat  eine  große 
Veränderung  ein.  Es  liegt  nicht  die  geringste  Spur  mehr  vor,  daß  der 
Polemarch,  den  die  jährliche  Losung  bestellt,  noch  in  der  perikleischen 
Zeit  in  den  Geschäften  des  Strategion  oder  in  der  aktiven  Eriegs- 
führung  eine  Rolle  hatte  ^,  am  wenigsten  die  eines  Vorsitzenden  im 
Eriegsrat,  wie  doch  sichtlich  bei  Marathon.  Eines  solchen  Vorsitzenden 
aber  bedurfte  es,  mochte  er  wie  bei  den  Hellenotamien  wechseln  oder 
wie  beim  Schatz  der  Göttin  das  ganze  Jahr  hindurch  derselbe  sein, 
mochte  er  durch  die  Wahl  der  ^vaxQaxriyoi  bestellt  oder  durch  die 
Ekklesie  mit  dem  Vorsitz  betraut  werden.  Vielleicht  spricht  die  oben 
erwähnte  letzte  Wahl  des  Perikles,  jene,  von  der  es  heißt  xal  nävxa 
rä  TtQdyfmva  [14]  inirQstpaVj  für  die  Ernennung  durch  Volksbeschluß. 
Der  so  Bestellte  hätte  dann  die  leitende  Stellung  für  das  Eriegswesen 
des  Jahres  gehabt,  eine  ähnliche  wie  für  das  Schatzamt  die  Formel 
Tccfuai  iBQÖv  ;^(>iyjuaTCöv  6  Silva  xai  ^vvÜQxovTeg  zu  bezeichnen 
scheint  Er  war  damit  nicht  etwa  (TtQccTi]ydg  avroxQÜrcaQj  eine  Be- 
zeichnung, die  nur  die  Vollmacht  für  einen  bestimmten  militärischen 


^  Noch  weniger  beweist ,  wenn  Plut  Arist.  14  ihn  als  ngo^fioTaiov  xciv 
loxatjr&v  bezeichnet;  er  hat  nur  eben  Herodots  Ausdruck  breit  und  flach  gemacht. 

*  In  der  Inschrift  über  die  Erhöhung  der  Tribute  Ol.  88  4  (C.  I.  A.  I 
Nr.  37)  findet  sich  die  einzige  Stelle,  welche  die  Strategen  und  den  Polemarcheu 
zusammen  nennt,  wie  es  scheint,  in  Beziehung  auf  das  gerichtliche  Verfahren, 
das  da  angeordnet  wird. 

Proysen»  Kl.  Schriften  IL  13 


194  Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen 

Auftrag,  für  das  Commando  einer  besonders  schwierigen  oder  entfernten 
Expedition  bezeichnet;  wohl  aber  vereinigte  sich  in  dem  so  mit  dem 
Vorsitz  Betrauten  die  ganze  Autorität  des  Kriegsamtes  und  die  Ver- 
tretung desselben  in  der  Bule  und  Ekklesia. 

Der  scharfsinnige  Aristokrat,  der  die  Schrift   '4äijva/(ov  noXiratii 
geschrieben  hat,  sagt  von  den  Ämtern  der  Strategen  und  Hipparchen 
sprechend:   der  Demos   sei   gescheut   genug   sich   von   ihnen   fem    zn 
halten   und  sie   den   SwatcütdcToiq   zu   überlassend     Und  wenn    der 
Komiker  Eupolis  in  den  Demen,  die  doch  wohl  im  Eruhjahr  Ol.  91   3 
aufgeführt  sind,   auf  Anlaß  der  letzten  Strategenwahlen  klagt:    sonst 
seien  nur  Männer  aus  den  größten  Häusern,  an  Geschlecht  und  Reich- 
tum die  ersten,  die  man  als  Götter  und  mit  Recht  geehrt  habe,  gewählt 
worden,  jetzt  aber  die  ersten  besten  \  so  zeigt  sich  da  noch  ein  weiterem 
Moment  dieses  für  Athen  so  bedeutsamen  Amtes;  das  CoUegium    der 
Strategen  war,  seit  die  Kefonnen  von  OL  80  den  Areopag  seiner  großen 
staatsrechtlichen  Stellung  beraubt  hatten,  dem  Staat  für  das,  was  mit 
den  Competenzen  des  CoUegiums  der  bewährten  Staatsmänner  verloren 
gegangen  war,  ein  teilweiser  Ersatz.     Es  ist  beachtenswert,  daß  unter 
den  siebzehn  Athenern,  die  OL  89  3  den  Vertrag  mit  Sparta  beschworen, 
wenigstens  elf  sicher  strategische  Männer  sind.    Was  Xenophon  in  den 
Memorabilien  von  Nikomachides,  von  dem  jüngeren  Perikles,  was  Plato 
im  Euthydem  von  diesem  und  dessen  Bruder  erzählt,  zeigt,  wie  sich 
der  [15]  Ehrgeiz'  und  das  Studium  der  jungen  Männer  Athens  auf 
das  hohe  Amt  der  Strategie  richtete.     Nicht  minder  lehren  viele  Vor- 
gänge aus  der  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges,  ein  wie  energischer 
Geist  in  der  attischen  Marine  und  Armee  lebendig  war,  wie  hervor- 
ragende Strategen,  vor  allen  Phormion  und  Demosthenes,  ihn  zu  spannen 
und  zu  verwenden  verstanden,  Männer,  die  in  eben  so  starkem  Gegen- 
satz gegen  die  ränkesüchtigen  Oligarchen  wie  gegen  die  Schreier  und 
Sykophanten  des  Demos  standen;  es  läßt  sich  ein  Kreis  von  militärischen 


*  Die  Stelle  (1,  3)  ist  verdorben:  ovie  rwy  oT^«r//)'txwi'  xh'j{}(i)v  otovtai  aquji 
XQ^vni  fisieivai  ovre  liov  Innnf^iijjv ,  Yiyyuaxei  yaQ  6  dijfjog  ort  nleiü)  (afpelenai 
kv  TW  fiij  nvibg  aQ/iiy  inving  Tag  nQX^^^  "^^*  *'*''  ^^^^  övt'aTCOiiirovg  «^ew.  E^ 
muß  entweder  (TTQatrjYixvjv  «^/wi'  ....  innaQxutijv  geschrieben  oder  xXriQajv  ge- 
strichen und  (jiqnTTjyiCiv  geschrieben  werden.    [So,  ohne  xlrj^utv^  jetzt  KirchhoftV 

'  Lamachos  klagt  in  den  Achamei*n  1080:  (u  (rrQnitJYoi  nltioreg  rj  ßeXiiovfg. 

'  Man  hat  diesen  Ehrgeiz  geleugnet,  als  sei  bei  einem  so  demokratischen 
Volk  wie  die  Athener  dergleichen  „Militarismus^^  undenkbar;  mehi*  ak  eine 
Stelle  des  Aristophanes  schildert  den  echt  attischen  <T7TovÖnQxi^']?n  am  treffendsten, 
was  er  von  Diitrephes  (Vögel  800)  sagt: 

jiQexh]  qtvluQxog,  eti^  'irniaqxogt  bit    ef  ovöevbg 
fiei^nXn  ufiitriH,  xtiarl  itfvi  ^ov&og  i'mxaXBXjf^fav. 


Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen  195 

Familien,  wenn  ich  so  sagen  darf,  erkennen,  die  den  einen  wie  andern 
das  Gegengewicht  halten.  Und  es  hat  seinen  guten  Sinn,  wenn  in  den 
letzten  Agonien  des  Staates,  nachdem  die  Strategen  des  Arginusensieges 
hingerichtet  waren,  nach  der  durch  Verrat  verlorenen  Schlacht  im 
Hellespont,  als  die  spartanische  Flotte  bereits  vor  dem  Peiraieus  lag 
und  der  Fall  der  ausgehungerten  Stadt  unvermeidlich  geworden  war, 
die  Oligarchen  mit  ihren  Plänen  nicht  durchdringen  zu  können  meinten, 
wenn  sie  nicht  zuvor  wie  den  Kleophon,  so  die  Strategen  und  Taxi- 
archen über  Seite  geschafft  ^ 

Die  wahrhaft  staunenswürdigen  militärischen  Leistungen  Athens 
von  den  Tagen  von  Marathon  bis  zu  den  Dreißig  verdienen  es  wohl, 
daß  man  dieser  Seite  des  attischen  Staatslebens  eine  größere  Aufmerk- 
samkeit widmet,  als  in  der  Regel  geschieht.  Namentlich  die  letzten 
27  Jahre  dieser  Zeit  zeigen  eine  Zähigkeit  des  Widerstandes  und  eine 
Fähigkeit,  der  wachsenden  Macht  undWuth  der  Feinde  immer  wieder 
mit  geordneter  Macht  entgegenzutreten,  wie  sie  nur  einer  tüchtigen, 
fest  eingewohnten  und  über  alle  Kräfte  und  Mittel  des  Staates  und 
Volkes  verfügenden  Militärorganisation  möglich  ist.  Wie  man  auch 
über  die  attische  Demokratie  urteilen  [16]  mag,  man  wird  nicht 
glauben  dürfen  ihr  gerecht  zu  werden,  wenn  man  nur  ihre  Freiheits- 
prinzipien bewundert  oder  deren  Entartungen  verabscheut,  wenn  man 
unterläßt  zu  beachten,  wie  sie  in  allen  ihren  Wechseln  militärisch  fest 
und  straflF  blieb,  bis  es  den  oligarchischen  Conspirationen  gelang,  in 
den  Meutereien  der  Hopliten  gegen  Kleon  die  Bande  der  Disziplin  zu 
lockern,  in  dem  Hermokopidenprozess  gegen  Alcibiades  und  dessen  Aus- 
nutzung das  Volk  an  seinen  Führern  und  sich  selbst  irre  zu  machen, 
mit  dem  abscheulichen  Prozess  gegen  die  siegreichen  Feldherren  der 
Arginusen,  endlich  mit  dem  Morde  der  letzten  Strategen  und  Taxi- 
archen den  letzten  I\inken  des  Geistes  auszulöschen,  der  Athen  groß 
gemacht  hatte.  Von  da  an  war  das  attische  Volk  eine  ausgebrannte 
Schlacke  trotz  Timotheos,  Plato,  Demosthenes. 

III.  Noch  mag  es  gestattet  sein,  eine  Frage  zu  erörtern,  die  für 
die  chronologischen  Bestimmungen  in  der  Zeit  des  peloponnesischen 
Krieges  nicht  ohne  Bedeutung  ist. 

Es  ist  an  sich  wahrscheinlich,  daß  die  Strategen  in  derselben  Zeit 
gewählt  wurden,  in  der  überhaupt  die  Archairesien  stattfanden,  nach 
der  von  Köhler  mitgeteilten  und  erklärten  Inschrift  aus  freilich  späterer 

*  Lysias  XIII  §  7:  rjyovpto  de  ovöet^  aXXo  acpialv  ifinodcjv  eipai  Jy  jovg  jov 
ö/jfiov  ngoeairjxoiag  xal  lovg  aiqaji}YOvyjag  xai  xa^iaqxovvxctg.  Unter  diesen  Strom- 
bichides  des  Diotimos  Sohn,  desselben,  der  Ol.  86  4  Strateg  gewesen  und  über 
dessen  Geschlecht  die  ältere  Inschrift  im  C.  I.  A.  I  Nr.  388  Auskunft  giebt 

13* 


196  Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen 

Zeit  (Monatsberichte  1866  S.  342)  im  ausgehenden  Munychion.  In 
betreff  des  Amtsantrittes  der  neuen  Strategen  habe  ich  vor  Jahren  aus 
der  angeblich  demosthenischen  Bede  gegen  Polykles  nachzuweisen  ver- 
sucht (Zeitschrift  für  Altert  1839  S.  933  [oben  I  S.  222]),  daß  er  gleich- 
zeitig mit  dem  der  Archonten  stattfand;  eine  Ansicht,  die  Böckhs 
Zustimmung  fand  (Seeurk.  S.  172);  was  seitdem  dagegen  vorgebracht 
ist,  hat  mich  nicht  überzeugen  können. 

Wäre,  wie  man  zu  erweisen  versucht  hat,  die  Wahl  der  Strategen 
im  Winter,  ihr  Amtsantritt  im  beginnenden  Frühjahr  erfolgt,  wie,  so 
sagt  man,  für  die  Eriegsführung  notwendig  war,  so  würde  man  mit 
der  Strategie  des  Demosthenes  Ol.  88  2  in  nicht  geringe  Verlegenheit 
kommen.  Demosthenes  und  Prokies  sind  Ol.  88  2  mit  dem  Frühling  426 
(jov  kniyiyvofiivov  &6qovq  Thuc.  111  89)  nach  Akamanien  gesandt; 
des  Demosthenes  kühnes  Unternehmen  durch  das  Gebirge  nach  Boiotien 
zu  gehn  mißlingt,  endet  mit  schweren  Verlusten;  er  bleibt  bei  Naupaktos 
TOfij  TtenQccyfjiivoig  (poßovfievog  rovq  lA&rivaiovq  (III  98).  Schon  früher 
—  gewiß  beim  Heransegeln  der  attischen  Flotte  im  Frühling  —  haben 
die  Aitoler  nach  Sparta  gesandt,  um  Hilfe  zu  bitten  (rot;  uinov  ß-iQovg 
nQonifixpavTsg  nQÖTBQov)^  die  Spartaner  lassen  [17]  {nBQi  ro  fp&ivö- 
iKOQov,  also  etwa  im  September)  3000  Hopliten  über  den  Isthmos 
marschieren,  aber  ihr  Angriff  auf  Naupaktos  mißlingt,  da  Demosthenes 
die  Akamanen  zu  eiliger  Hilfesendung  zu  bereden  weiß,  in  yug 
krvyxccvBV  S>v  fisrä  rä  ix  r^g  AlrcoXiaq  tibqI  Navnaxxov  (III  102,  3). 
Thucydides  nennt  ihn  an  dieser  Stelle  Ariiioadiviiq  6  !A&i]vaiog,  er 
war  eben  nicht  mehr  Strateg.  Und  im  folgenden  Winter  (Thuc.  III 
105,  3)  schicken  die  Akarnanen  zu  ihm  nach  Naupaktos,  ihr  Anführer 
zu  werden:  knl  Jrj^ff&ivtjv  töv  ig  rijv  AlxioXiccv  GTQarrjyrjfTavra, 
An  der  Spitze  der  Akamanen,  der  2000  Messenier  von  Naupaktos  und 
60  attischer  Bogenschützen  erkämpfte  Demosthenes  eine  Reihe  glänzen- 
der Erfolge  Tov  imytyvofUvov  x^ifußvog  (III  103  105)  und  kehrte  dann 
mit  den  300  Panoplien,  die  ihm  als  Siegesbeute  auserlesen  waren,  nach 
Athen  zurück  (III  114).  Man  sieht  aus  diesem  Gang  der  Dinge,  daß 
Demosthenes  Strategie  mit  dem  hohen  Sommer  426,  mit  dem  Ausgang 
von  Ol.  88  2,  mit  dem  Archontenwechsel  in  Athen  zu  Ende  war,  daß 
also  sein  Amtsjahr  Ol.  88  2  mit  dem  Sommer  427  begonnen  hatte,  daß 
ihm  im  Lauf  desselben  im  Frühjahr  426  die  Expedition  nach  Akamanien 
übertragen  worden  war;  nicht  minder,  daß  er  in  den  Archairesien  für 
Ol.  88  3  nicht  wieder  gewählt  worden  war  und  daß  er  in  Naupaktos 
blieb,  bis  sieh  Gelegenheit  bot  die  Scharte  auszuwetzen,  um  dann  mit 
dem  vollen  Glanz  außerordentlicher  Erfolge  nach  Athen  zurückzukehren. 
i\jidererseits  ist  es  aus  diesem  chronologischen  Zusammenhang  erklärlich, 


Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen  197 

daß  Demosthenes  trotz  des  hohen  Rahmes,  den  er  gewonnen,  im 
Frühling  425  noch  Privatmann  ist,  daß  ihm  ISiürrj  övri  fierä  rijv 
dvax(AQr](nv  rijv  ^|  !AxccQvaviaq  (Thuc.  IV  2)  auf  seinen  Wunsch  ge- 
stattet wird,  mit  dem  nach  Sicilien  bestimmten  Geschwader  zu  gehn 
und  einen  Versuch  gegen  die  peloponnesische  Küste  zu  machen. 

Diese  Expedition  nach  Pylos  ist  für  unsere  Frage  von  besonderem 
Interesse.  Die  Strategen  Eurymedon  und  Sophokles  führen  das  Ge- 
schwader, das  nach  Sicilien  bestimmt  ist;  sie  fahren  aus  im  Frühling 
(Ol.  88  3),  nachdem  die  Spartaner  bereits  nglv  rbv  alrov  hv  äxfifj  eivai 
(Thuc.  rV  2)  in  Attika  eingefallen  sind.  Die  beiden  Strategen  fahren, 
nachdem  Demosthenes  bei  Pylos  ans  Land  gegangen  ist,  weiter,  indem 
sie  einige  Schiffe  bei  ihm  zurücklassen.  Auf  die  Nachricht,  daß  die 
Athener  sich  bei  Pylos  festgesetzt,  gehen  die  Spartaner,  zugleich  von 
Mangel  an  Lebensmitteln  [18]  gedrängt,  tov  gitov  'in  x^w()ov  Övrogj 
aus  Attika  zurück,  wo  sie  im  ganzen  15  Tage  geblieben  sind  (IV  6). 
Das  mag  gegen  den  1.  Mai  geschehen  sein.  Von  Sparta  aus  eilt  man 
Truppen  nach  Pylos  zu  senden,  die  Flotte  von  Korkyra  zurückkommen 
zu  lassen,  was,  da  die  attische  noch  bei  Zakynthos  liegt,  nicht  ohne 
einige  Verzögerung  geschehen  sein  kann.  Auch  die  attische  Flotte 
kehrt  auf  Demosthenes  Aufforderung  nach  Pylos  zurück.  Ehe  sie 
kommt,  hat  Demosthenes  ein  paar  Tage  harte  Kämpfe  mit  dem  weit 
überlegenen  Feinde  zu  bestehen.  Am  dritten  Tage  dieser  Kämpfe  kommt 
die  attische  Flotte  (IV  13);  nach  einigen  vorbereitenden  Maßregeln  folgt 
die  Seeschlacht,  infolge  deren  die  attischen  Schiffe  in  die  Bucht  von 
Pylos  eindringen,  die  Spartaner  ihre  Schiffe  auf  den  Strand  zu  ziehen 
nötigen,  damit  die  auf  der  Insel  Sphakteria  befindliche  Besatzung  völlig 
abschneiden.  Die  einzelnen  Ereignisse,  die  Thucydides  berichtet,  lassen 
schließen,  daß  darüber  10  — 14  Tage  vergangen  sind,  so  daß  die  See- 
schlacht gegen  den  10.  bis  15.  Mai  fallt  Und  72  Tage  nach  der  See- 
schlacht haben  die  auf  Sphakteria  capitulieren  müssen  (IV  39),  also  um 
den  21.  bis  26.  Juli:  Kleon  hatte,  da  sich  die  Entscheidung  verzögerte, 
auf  energische  Maßregeln  gedrungen,  den  Nikias  hinzusenden  empfohlen, 
der  dann  ihm  dem  Demagogen,  so  sehr  er  sich  weigern  mochte  {xcci 
ovx  icpij  ccvTog  äXK  kxeivov  (TTQanjystv  rV28),  die  Führung  zuschob; 
Kleon  übernahm  sie  t&v  kv  IlvXm  (TXQarriyöiv  %va  Ttifoaeköfisvog  JtifiO' 
(T&ivrjv  (IV  29),  und  die  Insel  wurde  genommen,  ehe  die  20  Tage,  in 
denen  nach  Kleons  Versicherung  alles  gethan  sein  solle,  um  waren 
(IV  39).  Wenn  der  eben  angeführte  Ausdruck  des  Thucydides  so  genau 
ist,  wie  er  zu  schreiben  pflegt,  so  war  Demosthenes,  als  Kleon  aus  Athen 
absegelte,  nicht  mehr  IStcitrjg,  sondern  Strateg,  d.  h.  er  war  in  den  jüng- 
sten Archairesien  zum  Strategen  gewählt,  und  das  neue  Jahr,  mit  dem 


198  Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen 

er  sein  Amt  antrat,  hatte  bereits  begonnen,  ehe  Kleon  abfahr.  Bangabe 
hat  überaus  scharfsinnig  aus  den  Zeitangaben  einer  Inschrift  über  die 
Penteteris,  die  Ol.  88  3  begann  (C.  I.  A.  I  Nr.  273),  berechnet,  daß 
Ol.  88  3  und  4  keine  Schaltjahre,  89  1  ein  Schaltjahr  war;  daraus  ist 
zu  schließen,  daß  Ol.  88  4  das  Jahr  des  Stratokies  früh,  noch  im 
Juni  425  begann,  sagen  wir  den  28.  Juni.  So  waren  etwa  44 — 49  Tage 
seit  der  Seeschlacht  verflossen,  als  Stratokies  Archen  wurde  und  Demo- 
sthenes,  einige  Wochen  früher  in  den  Archairesien  gewählt,  war  [19] 
nicht  mehr  iSicLfZfjg,  sondern  Strateg,  als  sich  Kleon  zur  Leitung  der  Ex- 
pedition verstehen  mußte.  Auch  Nikias  war  unter  den  Feldherm  dieses 
neuen  Jahres;  als  solcher  lehnte  er  diese  Expedition,  die  Kleon  forderte, 
ab;  kxiXevev  yv  xivcc  ßovXercci  Övvafiiv  Xaßövra  rö  inl  Gffäq  tlvat 
kntx^iQ^iv,  er  spricht  im  Namen  aller  Strategen;  xal  i^tGraro  rfjg  ini 
IlvXm  äQx^i^^  er  tritt  nicht  von  seinem  Strategenamt  zurück,  um  etwa 
Kleon  statt  seiner  in  das  CoUegium  treten  zu  lassen,  sondern  nur  diesen 
einen  Auftrag  schiebt  er  ihm  zu;  denn  wenig  später  {rov  avrov  ß-igov^ 
Thuc.  IV  42)  führt  er  mit  zwei  anderen  Strategen  die  Expedition  gegen 
Korinth,  die  Aristophanes  in  den  Rittern  600  ffi  feiert. 

Auch  die  Strategie  des  sicilischen  Krieges  führt  auf  dasselbe  Er- 
gebnis. Im  Laufe  des  Sommers  414  fordert  Nikias  wiederholt  Ver- 
stärkungen oder  seine  Abberufung  (Thuc.  VII  8),  um  so  mehr,  da  er 
krank  sei;  so  in  jenem  Briefe  (Thuc.  VII  16),  der  Anfangs  des  Winters 
Ol.  91  3,  d.  h.  etwa  im  November  414  nach  Athen  kam.  Aber  die  Athener 
beschließen  ihn  nicht  seines  Amtes  zu  entlassen  (ov  naQiXvaav  rfjg 
ßrp/^s),  sondern  ihm  vorerst  den  Menander  und  Euthydemos,  die  schon 
in  Sicilien  waren  (als  Trierarchen  oder  Taxiarchen,  oder  dergl.)  bei- 
zuordnen f^ojg  &v  tzEQoi  ^vvÜQxovTBq  aiQs&ivzeg  ätpixcjvTai.  Ernannt 
werden  dazu  Demosthenes  und  Eurymedon  {J^wÜQxovraq  ccvrtp  sikovro 
A,  xal  E,\  und  sie  werden  dem  Nikias  als  Mitcommandierende  gewählt 
und  gesandt  aus  den  ^varQccryyoi  des  Jahres.  Eurymedon  wird  so- 
gleich, um  die  Wintersonnenwende,  mit  10  Schiffen,  Demosthenes  im 
Frühling  mit  60  abgesandt.  Konnte  Eurymedon  im  Dezember  414 
ausfahren,  so  war  er  mit  Demosthenes  seit  Juli  414  unter  den  Stra- 
tegen für  Ol.  91  3  und  gewählt  in  dem  vorletzten  Monat  von  Ol.  91  2; 
daß  in  diesem  auch  Nikias  wieder  gewählt  war,  ergiebt  sich  aus  dem 
oi)  nuQekvaav  rfjq  d^QZ^Q- 

Wenigstens  erwähnen  will  ich  die  Strategie  des  Phrynichos  Ol.  91  4; 
im  Winter  (413/2)  spricht  Thuc.  (VIII 48)  von  ihm  als  (bQvvixcp  (tzqu- 
Tfjy^  in  övTi,  und  im  folgenden  Sommer  (VIII 90)  sagt  er  <bQvvtxoq, 
bq  xal  GT^uTijy/jaag  kv  rf,  2a(i(a  u.  s.  w.,  ein  Ausdruck,  der  das  ge- 
fundene Ergebnis  auf  erwünschte  Weise  bestätigen  würde,  wenn  nicht 


Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen  199 

gerade  die  Strategie  dieses  Jahres  durch  Absetzungen  erst  in  Athen 
(Thuc.  VIII  54),  dann  durch  die  Mannschaft  der  Flotte  (VIII  76)  zu 
genaueren  Bestimmungen  unbrauchbar  wäre. 

[20]  Ist  der  Amtsantritt  der  Strategen  im  Sommer  gleichzeitig  mit 
dem  attischen  Jahreswechsel,  so  gewinnen  die  Vorgänge,  die  Thucydides 
II  58  berichtet,  ihr  Licht.  Die  Spartaner  haben  mit  dem  Anfang  des 
zweiten  Kriegsjahres  {rov  &iQovg  ev&vg  «rp/OjU^voi;  II  47),  d.  h.  im 
März,  ihren  zweiten  Einfall  nach  Attika  gemacht,  der  vierzig  Tage 
dauert  (II  58).  Perikles  gestattet  keinen  Ausfall  gegen  sie,  aber  er  führt 
fTTQaxijyoq  &v  xal  tötb  (II  55)  100  Trieren  mit  4000  Hopliten  und 
300  Reitern  nach  dem  Peloponnes;  wie  dies  Geschwader  zurückkehrt, 
sind  die  Spartaner  aus  Attika  abgezogen.  Dann  fahrt  Thucydides  fort: 
Tov  cdrov  &B()ovq  seien  Hagnon  und  Kleopompos  mit  eben  jenem 
Geschwader  nach  Potidaia  gesandt  ^VGXQarrjyol  övreg  IleQixXeovg,  Da 
Thucydides  nicht  ^vGTQartiyiiaavrtq  nBoixUov<^  sagt,  so  war  Perikles 
Strategie  noch  nicht  zu  Ende,  als  sie  absegelten,  und  Hagnon  und 
Kleopomp  sind  für  dies  noch  laufende  Jahr  Ol.  87  2  431/30  mit  ihm 
gewählt  worden.  Hagnon  kehrte  nach  vierzig  Tagen  zurück  (II  58),  und 
erst  nach  einigen  anderen  Ereignissen  giebt  Thuc.  II  67  die  weitere 
Zeitangabe  rov  avrov  &eQovg  TeXsuTcDvTog ;  so  daß  man  Hagnons  Rück- 
kehr wohl  in  den  Juli  setzen  darf. 

Und  daraus  erläutert  sich  auch  das,  was  bei  Thuc.  II  59  S.  weiter 
berichtet  wird.  Infolge  des  zweiten  Einfalls  der  Spartaner  und  unter 
den  furchtbaren  Eindrücken  der  beginnenden  Pest  sind  die  Athener 
voll  Unmut  gegen  Perikles.  Sie  zu  beruhigen  hält  er  die  Ansprache 
an  sie,  di^  Thuc.  II  60  mitteilt:  ^vXloyov  notj/rragy  in  S'  ^örpar?;/«/, 
ein  Beisatz,  der,  da  er  nicht  mit  yäo  angeknüpft  ist,  nur  eine  Zeit- 
bestimmung kann  sein  wollen.  Also  Perikles  Strategie  war,  als  er  die 
Versammlung  berief,  noch  nicht  zu  Ende,  und  nach  der  Art,  wie  Thucy- 
dides seinen  Stoff  ordnet,  wurde  sie  gehalten  nach  der  Aussendung  des 
Hagnon  und  Kleopomp.  Thucydides  fügt  hinzu,  die  Athener  hätten 
sich  in  betreflF  der  Spartaner  nach  Perikles  Rat  gehalten,  seien  ihm 
aber  persönlich  mißgestimmt  geblieben  und  hätten  nicht  geruht  tiqIv 
ä^7jfxi(o(7av  /prjjwao-/!/.  Es  geschah  auf  Grund  einer  Anklage  xkonfjg, 
von  der  man  nicht  ohne  Wahrscheinlichkeit  vermutet  hat,  daß  sie  bei 
der  nächsten  Rechenschaftslegung,  also  in  der  ersten  Prytanie  des  fol- 
genden Jahres  —  August  430  —  erhoben  worden  sei.  Mochte  Perikles 
—  was  nach  der  Stimmung  in  Athen  zu  bezweifeln  —  für  das  Jahr 
Ol.  87  3  wieder  zum  Feldherrn  gewählt  worden  sein,  mit  dem  Prozeß 
und  der  Verurteilung  war  [21]  diese  Wahl  wirkungslos.  Thucydides 
fährt  fort:   vgtb()ov  ov  nokXco  habe  man  ihn  wieder  zum  Strategen 


200  Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen 

gewählt  und  alles  in  seine  Hand  gelegt.  Perikles  starb  bald  darauf; 
er  erlebte  (Thuc.  II  65 — 66)  zwei  Jahre  und  sechs  Monate  des  Krieges; 
und  den  Krieg  rechnet  Thucydides  in  den  älteren  Abschnitten  seines 
Werkes  vom  Thargelion  Ol.  87  1  (etwa  Mai  431)  an,  so  daß  Perikles  im 
Pyanopsion  (Ol.  87  3,  etwa  November  429)  gestorben  ist  Er  erlebte  also 
noch  die  Archairesien  im  Frühling  429;  er  konnte  noch  das  Strategen- 
amt im  Juli  429  antreten,  aber  er  war  ein  gebrochener  Mann. 

Wenn  so  die  Zeit  des  Archontenwechsels  als  Amtsantritt  auch  der 
Strategen,  wie  ich  glaube,  feststeht,  so  ergeben  sich  daraus  einige  wich- 
tige chronologische  Bestimmungen ;  ob  auch  für  die  Sohlacht  von  Aigos- 
potamoi,  lasse  ich  dahingestellt. 

[Die  vielumstrittene  Frage  nach  der  Zeit  der  Strategenwahlen  ist  jetzt  in  allem 
Wesentlichen  im  Sinne  D.*s  erledigt  durch  Aristot.  noL  Äd-rjy,  c.  44  noiovai  ös 
Hitl  ÄQxaiQeiriag  atnirj^fttv  xnl  Innaqx^^  ^ol^  '^^^  alXtop  t&v  fiQOg  jbvhoXefioy  »QX^^  ^^ 
tfj  ^xxXrjffUtf  Xttx^*  0  Tt  np  tw  örj/xtp  Öoxjj'  notovai  d*  oi  fieia  jrjp  ifxTtfp  n(ivt(tP8V0Pt8gf 
iq>    &p  np  eitarj^la  fdyrjtai'   det  Öe  nQoßovkevfin  flpea&ai  xnl  negi  tovkop.    E.  M. 


vn. 

Zu  Duris  und  Hieronymos. 

Hermes  X  1875  S.  458  ff. 

[458]  Bei  Justin  XIII  4,  12  heißt  es  in  dem  Verzeichnis  der  Ver- 
teilung der  Ämter  und  Würden,  die  nach  dem  Tode  Alexanders  statt- 
gefunden,  PUfio  Illyrius  Mediae  maiori,  AtrqpatQs  minori  socer  Perdieoae 
praeponiiur.  So  hat  Jeep  aus  den  vielerlei  Lesarten  der  Handschrift-en 
den  Text  hergestellt;  und  wenigstens  dasjenige  Wort,  das  für  die  folgen- 
den Bemerkungen  das  wichtigste  ist,  hat  in  den  Varianten  iUyrie,  ülyr, 
yüir,  ülyrios  (wie  schon  Orosius  III 23  in  seinem  Justin  las)  hinreichende 
Stütze  und  wird  durch  Justin  XIII  8,  10  cum  PUhone  lUyrio  et  Älceia 
bestätigt. 

Also  ein  Illyrier  erhielt  die  Sataprie  Großmedien  mit  der  Eönig- 
stadt  Ekbatana.  Daß  derselbe  Peithon  des  Krateuas  Sohn,  wie  aus 
Arr.  IV  28,  4  bekannt,  von  Alexander  in  die  Reihe  der  sieben  a(O(MXT0- 
(pvXaxsg,  also  in  eine  der  höchsten  oder  doch  wichtigsten  Stellungen 
in  der  Armee  berufen  worden  war,  ovdevdg  z&v  IdX^dvSgov  kemöfuvog 
(piXmv  äQBT^  TB  xal  dö^rj  wie  ihn  Diod.  XVIII  36  bezeichnet,  macht 
den  Illyrius  noch  sonderbarer.  Er  hat  nie  einen  Hellenen  zu  dieser 
Stellung  berufen  und  sollte  sich  einen  Illyrier  dazu  ausersehen  haben? 

Man  hat  darauf  hingewiesen,  daß  in  dem  Verzeichnis  der  Trier- 
archen der  Indusflotte  Arr.  Ind.  18  IIbi&gjv  Kgarevcc  !AlxofuvBvg  ge- 
nannt wird;  man  hat  an  Steph.  Byz.  v.  IdhcoiiBvai  erinnert,  der  erst 
eine  Stadt  dieses  Namens  in  Ithaka  nennt,  dann  hinzufügt,  icrri  Sk 
xal  Tfig  IXXvQiccg  nöhg,  Stephanos  wird  damit  einen  der  beiden  Orte 
gemeint  haben,  die  Strabo  VH  S.  357  b  u.  d  anfuhrt,  der  eine  !AXcchcQ^ 
fuvai  (so  giebt  Meineke  beide  Namen)  am  Erigon,  der  nordwärts  in 
den  Axios  fließt,  der  andere  in  der  Nähe  des  Ion,  der  aus  den  tym- 
phäischen  Bergen  südwärts  fließend  sich  mit  dem  Peneios  vereint;  beide 


202  Zu  Duris  und  Ilieronymos 

Orte  also  [459]  in  denjenigen  Bereichen  des  oberen  Makedoniens,  die 
nach  der  illyrischen  Grenze  zu  liegen.  Die  geographischen  Schwierig- 
keiten in  der  Angabe  Strabos,  die  Leake  North.  Greece  III  p.  340  er- 
örtert, sind  für  unsem  Zweck  nicht  von  Bedeutung.  Aber  aus  Strabo 
hat  Stephan  OS  nicht,  daß  Alkomenai  eine  Stadt  lUyriens  ist,  denn 
Strabos  beide  Stellen  stehen  in  dem  Abschnitte  von  Epeiros,  nicht  in 
dem  von  lUjrien. 

Daß  Peithon  des  Krateuas  Sohn  nach  makedonischer  Ansicht  kein 
lUyrier  war,  zeigt  schon  jenes  Verzeichnis  der  Trierarchen,  in  dem  es 
hinter  der  Reihe  derer,  unter  welchen  Peithon  genannt  wird,  heißt: 
ovToi  fiiv  Ol  (xvfi7tavTe<^  MaxeSöve^,  worauf  mit  'EXh'ivov  de  die  weitere 
Reihe  folgt.  Noch  bestimmter  ergiebt  sich  dasselbe  aus  dem  Verzeichnis 
der  sieben  Somatophylakes  beim  Aufbruch  aus  Indien  Arr.  IV  28,  4, 
das  unter  diesen  anführt  nTo).efiaTov  dk  rov  Aayov  xou  Tleix^cova 
KQateva  'EoQSalov^.  Also  gehört  nach  dieser  Stelle  Arrians  das 
Alkomenai  oder  Alalkomenai,  aus  dem  Peithon  stammt,  zur  Eordaia, 
dem  Thalkessel,  dessen  Mitte  der  See  von  Ostrowo,  der  locus  Begorrhites 
(Liv.  XLII  53)  füllte. 

Der  Historiker,  dem  Trogus  nachschrieb,  daß  Peithon  ein  lUyrier 
gewesen,  war  schwerlich  in  dem  guten  Glauben,  einfach  das  Richtige 
gesagt  zu  haben;  der  Grieche,  der  so  schrieb,  bezeichnet  damit  einen 
der  vornehmsten  Makedonier  als  zu  jenen  tättowierten,  wie  Schwalben 
zwitschernden  Barbaren  des  Nordens  gehörend,  die  sich  der  echt  grie- 
chische Nativismus  wie  alle  Barbaren  als  zu  Sklaven  geboren  denkt; 
er  schrieb  für  Leser,  die  gleich  ihm  sich  besseren  Blutes  und  höherer 
Gesittung  dünkten  als  diese  makedonischen  Kriegshelden,  mochten  sie 
auch  die  Welt  erobert  haben. 

In  demselben  Kapitel  der  Satrapienverteilung  hat  Justin  noch 
eine  zweite  bemerkenswerte  Notiz:  prima  Ptolemaeo  Aegi/ptus  et  Ast^e 
LihyaeqiLe  pa/rs  sorte  evenit,  quem  ex  gregario  niilite  Alexander  virtntis 
causa  provexerat. 

Es  giebt  noch  zwei  andere  Überlieferangen  über  das  Herkommen 
des  Lagiden.  Nach  der  einen,  die  Paus.  I  6.  2  berichtet,  ist  eigentlich 
König  Philippos  IL  sein  Vater,  er  hat  aber  die  schwangere  Mutter  dem 
Lagos  verheiratet;  darauf  bezieht  sich  Properz  IV  11,  40,  wenn  er  von 
Kleopatra  sagt  tma  Philippeo  sanguine  adusta  nota.  Eine  andere,  viel- 
leicht die  offizielle  Überlieferung  [460]  —  Satyros  giebt  sie  in  seiner 
Schrift  über  die  Demen  von  Alexandreia  fr.  21  —  bezeichnet  des 
Ptolemaios  Mutter  Arsinoe  als  zum  königlichen  Blut  von  Makedonien 
gehörend.  Die  Lücke  in  der  Aufzählung  des  Satyros,  wie  sie  vorliegt, 
läßt   vermuten,   daß  Arsinoe  als  Urenkelin  von  Amyntas  dem  Sohn 


Zu  Duris  und  Hieronymos  203 

Alexanders  L   galt,   desselben  Amyntas,   dessen  Urenkel  auch  König 
Philippos  war. 

Auf  beide  Überlieferangen  bezieht  sich  Curt.  IX  8,  22  samjuim 
erat  coniundtis  (Alexandro)  et  quidem  Fhüippo  genitum  esse  credebantj 
certe  peüice  eius  ortum  constabat. 

War  Ptolemaios  ein  Bastard  des  Philippos  IL  oder  war  seine 
Mutter  aus  dem  Eönigshause,  so  wird  er  wohl  unter  den  ßaaihxoi 
naiSeg  oder  wenigstens  in  den  Ilen  der  Edelleute  {itaiQOi),  nicht  aber 
als  gregarius  miles  seinen  Dienst  begonnen  haben.  Ptolemaios  ist  283 
im  84.  Jahre  gestorben,  also  war  er  um  368/7  geboren,  in  einer  Zeit 
wo  Philipp  noch  nicht  König,  erst  fünfzehn  Jahre  alt,  vielleicht  schon 
als  Geißel  in  Theben  war. 

Fällt  damit  die  eine  Überlieferung,  so  ist  die  andere,  die  des 
Justin,  eben  so  wenig  stichhaltig.  Wir  wissen  aus  Arrian,  d.  h.  nach 
Ptolemaios  eigener  Angabe,  von  jenem  vertrauteren  Kreise  von  Freunden, 
die  dem  jungen  Alexander,  als  noch  sein  Vater  lebte,  zur  Seite  waren 
und  ihn  berieten,  bis  sie  338/7  um  des  Sohnes  willen  vor  dem  er- 
zürnten Vater  Makedonien  verlassen  mußten  (Arrian  III  6,  5).  Erst  330 
gab  Alexander  dem  Ptolemaios  eine  der  sieben  Leibwächterstellen,  nicht 
die  erste,  die  seit  seiner  Thronbesteigung  frei  wurde;  aber  schon  in  der 
Schlacht  von  Issos  ist  Ptolemaios  bei  der  Verfolgung  in  der  unmittel- 
baren Nähe  des  Königs  ((TwsnKTnöfisvoq  röre  jiks^avSoG)  Arr.  II  11,  8); 
in  welchem  militärischen  Dienst  und  Kang,  ist  nicht  zu  ersehen.  Daß 
Ptolemaios  schon  335  den  Feldzug  an  der  Donau  und  gegen  Theben 
mitgemacht  hat,  wird  man  aus  seinen  Angaben  über  die  Vorgänge 
dort  schließen  dürfen.  Denn  daß  er  gleich  nach  dem  Tode  des  Phi- 
lippos zurückberafen  ist,  sagt  Arr.  III  6,  6;  natürlich  nicht,  um  als 
gregarius  miles  einzutreten.  Der  griechische  Schriftsteller,  der  dies 
angab,  wollte  entweder  das  Tröpfchen  königlichen  Blutes  in  den  Adern 
des  Lagiden  nicht  gelten  lassen,  das  ihm  so  oder  so  die  gemeine 
Meinung  zuschrieb,  oder  mochte  es  erhebender  finden,  wenn  der  König 
vom  gregarius  miles  auf  gedient  hatte,  wie  Justin  ja  auch  Agathokles 
von  Syrakus  gregariann  militiam  sortitum  beginnen  läßt  (XXII  1,  8). 

[461]  Nicht  minder  seine  eigenen  Wege  geht  der  Schriftsteller, 
aus  dem  Justin  oder  Trogus  geschöpft  hat,  in  der  Darstellung  der 
wüsten  Vorgange  nach  dem  Tode  Alexanders;  sie  liegen  uns  noch  in 
einer  zweiten  und  dritten  Gestalt  vor.  Die  einfachste  ist  die  in  Photios 
Auszügen  aus  Arrian  und  bei  Diod.  XVIII  2,  beide  sichtlich  auf  die- 
selbe Quelle  zurückweisend.  Erst  in  kurzer  Angabe  der  Zwiespalt  im 
Heere,  auf  der  einen  Seite  die  Somatophylakes,  die  andern  hohen 
Offiziere,   die  Ritterschaft  der  iraiQoi,   auf  der  andern  die  Hetairen 


204  Zu  Duris  und  Hieronymos 

vom  Fußvolk.  Hvpaspisten  und  Phalangiten;  dann  Verhandlung  zwischen 
beiden,  die  der  Strateg  Meleagros  führen  soll;  aber  Meleagros  tritt  auf 
die  Seite  des  Arrhidaios,  den  die  Fußvölker  als  König  proklamiert  haben ; 
dann  vermitteln  andere,  man  kommt  zu  einer  Aussöhnung. 

Sehr  viel  lebhafter  erscheinen  diese  Vorgange  bei  Curtius  und 
Justin;  aber  in  den  wesentlichen  Dingen,  in  der  Qesamtauflfassung  sind 
sie  einander  völlig  entgegengesetzt:  bei  Curtius  das  ganze  Heer  in 
tiefster  Trauer  und  Bestürzung  über  des  Königs  Tod,  bei  Justin  die 
Makedonen  insgemein  froh,  als  wenn  dieser  Tod  sie  von  ihrem  Feinde 
befreit  hätte  et  severitatem  nimiam  et  adsidua  belli  pericula  exeorantes, 
die  Großen  in  der  Hoffnung,  nun  Macht  und  Königreiche  zu  gewinnen 
u. s.w.  Dann  bei  beiden  Schriftstellern  die  Beratung  der  hohen  Officiere: 
bei  Curtius  erst  der  Vorschlag  des  Perdikkas,  überhaupt  die  Dinge 
hier  im  Bat  zu  entscheiden,  namentlich  zu  entscheiden,  ob  einer  oder 
mehrere  das  Regiment  führen  sollen,  zum  Schluß  der  Hinweis  auf  das 
Kind,  das  in  kurzem  Roxane  gebären  werde.  Dann  Nearchos  Vorschlag, 
des  Königs  Bastard  von  der  Barsine  zu  proklamieren,  darauf  Ptolemaios 
Einsprache  gegen  beide,  die  nicht  makedonischen  Blutes  seien,  sein 
Vorschlag,  die  bisherigen  nächsten  Genossen  und  Katgeber  des  Königs 
in  dessen  Namen  das  Reich  verwalten  zu  lassen;  endlich  Meleagros 
Verwerfung  aller  dieser  Vorschläge  mit  lärmender  Unterstützung  der 
schon  in  den  Saal  hineingedrungenen  Phalangiten.  Bei  Justin  eine 
sehr  andere  Reihe  von  Vorschlägen;  zuerst  Perdikkas:  man  müsse  die 
Entbindung  Roxanes  abwarten,  und  wenn  sie  einen  Sohn  gebäre,  dem 
die  Nachfolge  zuweisen;  darauf  Meleagros:  man  müsse  einen,  der  schon 
da  sei,  berufen,  entweder  des  Königs  Bruder  Arrhidaios  oder  seinen 
Bastard  von  der  Barsine;  dann  Ptolemaios:  den  stumpfsinnigen  Bastard 
Philipps  könne  man  nicht  brauchen,  am  besten  sei,  einen  unter  denen, 
die  [462]  dem  Könige  in  Rat  und  That  zunächst  gestanden  hätten, 
zu  wählen.  Hat,  wie  wahrscheinlich  ist,  Curtius  auch  hier  wiederholt^ 
was  Kleitarchos  erzählt  hat,  so  folgt  Trogus  hier,  wie  überhaupt  von 
hieran  (Xmff.),  einer  völlig  anderen  Quelle.  Derselbe  Gegensatz  zwi- 
schen beiden  tritt  mit  jedem  weiteren  Zuge  in  der  Erzählung  dieser 
anarchischen  Vorgänge  in  Babylon  hervor,  am  meisten  in  der  Art,  wie 
bei  Justin  Meleagros  mit  dem  Fußvolk  in  entschiedenem  Übergewicht 
erscheint  {eqiäies  trepidi  ab  urbe  discedunt  XIII  3,  5)  bis  die  kluge  Ge- 
wandtheit des  Perdikkas  sie  überholt,  während  bei  Curtius  die  hohen 
Offiziere  und  die  Ritterschaft  nach  dem  geglückten  Rückzuge  aus  der 
Stadt  auf  das  freie  Feld  so  entschieden  im  Übergewicht  sind,  daß  das 
Fußvolk  Anträge  auf  gütliches  Abkommen  stellen  muß.  Andere  ähn- 
liche Differenzen  können  übergangen  werden.    Hat  Curtius  oder  der. 


Zu  Duris  und  Hieronjmos  205 

den  er  lateinisch  bearbeitete ,  auch  für  diese  letzten  Kapitel  seines 
Baches  Kleitarchos  zur  Quelle,  so  ist  Trogus,  der  bis  dahin  denselben 
Eleitarchos  vor  sich  hatte,  vom  18.  Buch  an  einem  anderen  Autor 
gefolgt,  der  nicht  minder  lebhaft  und  rhetorisch  schrieb. 

Noch  ein  anderer  Punkt  bietet  Gelegenheit  zum  Vergleichen. 
Von  der  ersten  Verteilung  der  Satrapien  des  Reiches  nach  dem  Tode 
Alexanders  haben  wir  fünf  Verzeichnisse,  denen,  wie  die  Reihenfolge 
in  ihnen  zeigt,  ein  und  dasselbe  Schema  zu  Grunde  liegt  Da  stehen 
erst  die  westlichen  Satrapien  (die  der  Küsten,  Kleinasien,  Thrakien 
und  Makedonien),  dann  folgen  die  östlichen,  die  einen  wie  andern 
ziemlich  genau  in  derselben  Reihenfolge  der  einzelnen  Satrapien.  Zwei 
von  diesen  Verzeichnissen,  das  bei  Curt  X  10  und  das  des  Auszuges 
aus  Arrians  rä  fierä  jUb^üvSqov  haben  nur  die  erste  Hälfte,  während 
Diod.  XVIII  3,  Justin  XIII  4  und  Photios  Auszug  aus  Dexippos  rä 
fierä  'AXe^dvS^ov  die  vollständige  Reihe  geben  wollen.  Diese  drei 
stimmen  in  den  Hauptsachen  überein;  die  vorhandenen  Differenzen 
zeigen,  daß  Justin  eine  andere  Bearbeitung  des  Schemas  vor  sich  ge- 
habt hat  als  die  beiden  anderen.  Während  Diodor  und  Dexippos 
(Arrian  mit  ihnen)  Peithon,  der  Großmedien  erhält,  in  der  ersten 
Hälfte  aufzählen  —  der  Grund  davon  ließe  sich  leicht  finden  —  hat 
Justin  an  dieser  Stelle  zugleich  Kleinmedien,  das  Atropates  erhält,  hin- 
zugefügt. Während  Diodor  und  Dexippos  (auch  Arrian  und  Curtius) 
angeben,  daß  Großphrygien  nebst  Lykien  und  Pamphylien  Antigonos 
erhält,  sagt  Justin  Fhrygia  maior  Aniigono  adsignaiw,  [463]  Lyoiam  et 
Pamphyliam  Nearchus  .  .  .  sortüu/r.  Während  Dexippos  und  Diodor 
Susa  übergehen,  sagt  Justin  schon  in  der  ersten  Hälfte  nach  der 
jetzigen  Lesart  Susiana  gens  Coeno,  wofür,  da  der  einzige  namhafte 
Koinos,  der  Strateg,  bereits  tot  war,  wohl  zu  schreiben  ist  Susiana 
Phüoaxno.  Wenn  nach  Diodor  und  Justin  Archen  (des  Kleinias  Sohn) 
der  Pellaier  Satrap  von  Babylon  wird,  giebt  Dexippos  statt  dessen  den 
Seleukos,  ein  offenbarer  Fehler,  dessen  Ursprung  nicht  mehr  zu  er- 
kennen ist. 

Noch  bleibt  eine  bedeutendere  Differenz,  deren  Beachtung  zugleich 
weiter  führt;  sie  betrifft  Baktrien  und  Sogdiana.  Justin  sagt  nach  den 
Handschriften:  Bactrianos  Ämyntas  sortitwr,  Sogdianos  Sulceos  Staganos, 
Parthos  Philippm.  Amyntas  des  Nikolaus  Sohn  ist  380  von  Alexander 
zum  Strategen  von  Baktrien  bestellt  worden  (Arr.  IV  17,  3);  er  ist  mit 
3500  Reitern  und  10000  Mann  Fußvolk  kv  rfj  X(Aq^  tQv  BaxrQuov 
zurückgeblieben,  als  329  der  König  nach  Indien  zog;  wer  damals  den 
Befehl  in  der  Sogdiana  erhalten,  läßt  Arrian  unerwähnt;  nach  der  ange- 
führten Stelle  des  Justin  —  denn  er  sagt  ausdrücklich  in  Bactriatia  et 


206  ^u  Duris  und  Hieronymos 

/ndiae  regionibus  praefez-M  retenti  sunt  —  muß  man  schließen,  daß  Amyn- 
tas  Baktrien  behalten  hat,  und  jener  Soleos  Staganar  [so  Rühl]  Sogdiana. 
Diodor  hat  ^hXinnro  öi  nooaroQtaB  Hc^xrotavijv  x(A  SoySttivtjv. 
Dexippos  giebt  mehr:  ^IhUnnov  di  Jjv  ÜQxh  2!oyfimvoi  (er  wollte,  wie 
man  wohl  aus  der  Reihenfolge  bei  Diodor  schließen  darf,  Bc(XTütf4voi 

schreiben), rt^v  äi ^oydiuvwv  ßafTtXEiav'Ooomto^  eJ/ev  ov 7i(h(jior 

iX(f)V  dQ/ijV  üXKä  SövTo^  avrov  'AXt^avSoav  inBi  Üt  tv/ti  n^  uvTfp 
fTvvenefTBv  hnavatTTÜatut^  airiav  (fevyovTi  nc4Qf4lv{^TjVai  xTi^i  ÜQxti'^^ 
TÖre  xoiv(7}^  avTfov  rijv  ccijxh^  «Of««  Dies  xoiv&s;  ist  korrumpiert, 
vielleicht  dafür  kxeivo^  zu  lesen  und  auf  Philipp,  der  vorher  schon 
erwähnt,  zu  beziehen.  So  viel  ist  klar:  bei  einem  Aufstande  —  viel- 
leicht dem  von  325  Diod.  XVII  99,  (Jurt.  IX  7, 1 ;  Aman  erwähnt  ihn 
nicht  —  war  dieser  über  Sogdiana  gesetzte  Fürst  flüchtig  geworden; 
damals  wurde  Philippos,  Satrap  vcm  Baktrien,  —  Amyntas  mag  ge- 
storben sein  —  auch  mit  Sogdiana  betraut.  Bemerkenswerter  ist,  daB 
nach  dieser  Notiz  Alexander  den  Versuch  gemacht  hatte,  das  Land 
jenseits  des  Oxos  einem  heimischen  Fürsten  anzuvertrauen,  wie  er  ja 
auch  mit  Taxiles,  Porös  u.  s.  w.  in  Indien  that.  Man  hat  bei  dem 
V{)(oniOi;  an  einen  Fürsten  zu  denken  wie  jenen  Chorienes  Arr.IV  21, 1  fl'., 
der  in  seiner  Felsenburg  [464]  dem  Angriff  Alexanders  trotzt«,  dann 
unter  Vermittelung  des  Vaters  der  Roxane  seinen  Frieden  mit  ihm 
schloß,  das  Heer  Alexanders  auf  zwei  Monate  versorgte:  iv&tv  iv  TffiJi 
fiäXXov  r(o  'A'kB^dv(){)(i}  t/v,  oti;  ov  nndi^  [iiccv  fjiäXkov  //  xcirä  yvcjfitjr 

Aber  woher  diese  beachtenswerte  Nachricht  des  Dexippos?  Viel- 
leicht aus  Arrian,  der  ihm  wohl  noch  vollständig  vorlag,  vielleicht  aus 
derselben  Quelle,  die  Arrian  und  Diodor  für  das  Verzeichnis  benutzt 
haben.  Es  kommt  uns  recht  gelegen,  daß  in  diesem  Stück  aus  Dexippos 
die  Tvxv  ^'s*  vorkommt.  W.  Nitzsche  hat  jüngst  (in  dem  Programm 
des  Sophiengymnasiums  zu  Berlin  187(3  S.  32)  scharfsinnig  und  über- 
zeugend nachgewiesen,  wie  sich  auch  sprachlich  die  Kapitel  im  Diodor 
XVIII — XXI,  die  von  Agathokles  handeln,  von  denen  über  die  Ge- 
schichte der  Diadochen  unterscheiden,  wie  in  der  des  Agathokles  t6 
()cafiövioVy  t6  /htov  und  ähnliche  Ausdrücke  charakteristisch  sind, 
während  in  der  Diadochengeschichte  /y  tv/jj  di^  Geschicke  der  Men- 
schen b(^stiramt,  und  es  ist  dies  einer  seiner  Beweise  dafür,  daß  Diodor 
für  den  Agathokles  den  Duris,  für  die  Diadochen  den  Hieronymos  von 
Kardia  benutzt  hat.  In  Diodors  Diadochengeschichte  erkennt  man 
überall  die  sachkundige,  durchaus  nicht  rhetorisierende,  im  besten  Sinn 
pragmatische  Quelle  wieder,  die  diesem  Teil  seiner  Bibliothek  einen 
liervorragenden  Wert  giebt. 


Zu  Duris  und  Hicronymos  207 

Hieronymos  hat  sicher  nicht  die  Geschmacklosigkeit  gehabt,  Peithon 
des  Krateuas  Sohn  einen  lUyrier  zu  nennen.  Er  hat  lange  genug  in 
dem  Hauptquartier  Alexanders  zugebracht,  um  zu  wissen,  daß  Ptolemaios 
des  Lagos  Sohn  nicht  als  gregarius  miles  gedient  hat.  Duris  liebt  es, 
mit  solchen  Geschichten  Personen,  die  er  nicht  mag,  einen  Makel  mit 
auf  den  Weg  zu  geben,  wie  denn  gewiß  aus  ihm  Plutarchs  Nachricht 
stammt,  daß  der  Kardianer  Eumenes  eines  aimen  Fuhrmannes  Sohn 
gewesen  sei,  während  seine  andere  Angabe  {ßoxovai  ö'  eixöra  fiällov 
Uysiv),  daß  der  König  Philippos  mit  Eumenes  Vater  in  Befreundung 
und  Gastfreundschaft  gestanden,  eben  so  sicher  auf  Hieronymos  zurück- 
geht. Und  das  überschwängliche  Lob,  mit  dem  Justin  von  Lysimachos 
spricht,  die  Dinge,  die  er  von  dessen  Erlebnissen  unter  Alexander  er- 
zählt, recht  eigentliche  Jagdgeschichten  XV  3, 1  ff.,  legen  die  Vermutung 
nahe,  daß  Duris,  der  seiner  Zeit  Tyrann  von  Samos  war,  sich  diese 
Stellung  erworben  oder  erhalten  hat  [465]  durch  Anschluß  an  Lysi- 
machos, gegen  den  sich  schließlich  in  den  Städten  Kleinasiens  die  ^ekev- 
xi^ovTBg  erhoben  (Polyaen.  V1II57);  ein  Stück,  das  wohl  auch  aus  Duris 
ist  Duris  führte  seine  laTOQta,  wie  es  nach  fr.  33  scheint,  bis  281, 
dem  Kampf  zwischen  Seleukos  und  Lysimachos,  dem  Fall  des  Lysi- 
machos: und  Justin  XVII  1,9  sagt:  ultimum  hoc  certamen  commilitomim 
Alexandri  fuit  et  velut  ad  exemplum  fortunae  par  resenatum, 

Hieronymos  hat  sein  Geschichtswerk  über  den  Tod  des  Königs 
Pyrrhos  hinaus  fortgeführt  Er  hat  es,  nachdem  das  Werk  des  Duris 
veröffentlicht  war,  geschrieben ;  ähnlich  wie  Ptolemaios  nach  Kleitarchos 
geschrieben  hat,  vielleicht  in  der  gleichen  Absicht,  der  auf  den  Ge- 
schmack des  Publikums  berechneten  und  viel  gelesenen  Darstellung 
des  samischen  Litteraten  und  Tyrannen,  der  die  Erinnerungen  der 
Diadochenzeit  auf  höchst  willkürliche  Weise  entstellte,  ein  Werk  ent- 
gegen zu  stellen,  das  die  große  und  schwere  Zeit,  die  man  durchlebt 
hatte,  der  Nachwelt  in  ihrem  ernsten  pragmatischen  Zusammenhang 
überliefern  sollte. 


vin. 

Alexander  des  Grossen  Armee. 

Hermes  XII  1877  S.  226  ff. 

[226]  Bekanntlich  wird  die  Starke  des  Heeres,  das  Alexander  der 
Oroße  nach  Asien  führte,  von  den  gleichzeitigen  Schriftstellern  sehr  ver- 
schieden angegeben. 

Daß  die  Angabe  Arrians  I  11,  3  ne^ovg  fiiv  avv  \piXotg  tb  xai 
ro^örccig  oi  noXk^  nkeiovg  rßv  rQi<rfjLVQio)v,  Inniag  8k  inkg  roifg 
nevraxKTxMovg  aus  dem  Werke  des  Ptolemaios  stammt,  ergiebt  fr.  4  (bei 
[Plut]  de  fort.  Alex.  1.  3):  cbg  Si  IlrolefiaTog  6  ßccmXevg,  rgtafiypioi 
ntl^oi,  nevraxifTxii'ioi  Si  inneig,  wenn  schon  Plutarch  die  nur  approxi- 
mativen Angaben,  die  gewiß  original  sind,  in  runde  Zahlen  verwandelt. 
Die  Angaben  der  gleichzeitigen  Quellen  überhaupt  sind: 

Ptolemaios     (fr.    4)      30  000  F.     5000   E.       [Summa  35  000] 


Eallisthenes  (fr.  33) 

40000  „ 

4500    „ 

J? 

44  500] 

Anaximenes  (fr.  15) 

43  000   „ 

55001  „ 

w 

48  500' 

Aristobulos    (fr.  1") 

80000  „ 

4000    „ 

V 

34  OOO' 

Von  späteren  werden  noch  folgende  Zahlen  angegeben: 

Diodor  (XVII  17)  30000  F.  4500  R.  [Summa  34  500] 
Justin  (XI 6)  32  000  „  4500  „  [  „  36  500] 
Frontin  (IV  2,  4)  40000   „      „        [     „        ] 

Es  ist  mehrfach  versucht  worden,  auf  Grund  der  einander  nahe- 
stehenden Angaben  des  Ptolemaios,  Aristobulos,  des  Diodor  und  Justin 
die  Armee  Alexanders  nach  ihrer  Formation  und  der  [227]  Truppenstärke 


^  Plutarch  (Alex.  15)  will  die  niedrigste  und  höchste  Zi£Fer,  die  er  für  die 
Truppenstärke  angegeben  gefunden,  hervorheben  und  bezeichnet  als  letztere : 
ne^ovg  fiiy  ret^nKiax^^ovc  xni  r^nTfAvgiovc  innia^  de  inTnxKTxiUovg,  wofür  Sintenis 
schreibt:  ns^  ovgfjiiy  TeigaxiafjivQiov^  xni  ii^nr/iXiovi,  inniaz  ob  nBrrnxiaxiXiovg.  Die 
Zahlen  im  Text  sind  aus  [Plut.|  de  fort.  Alex.  1,  3. 


Alezander  des  Großen  Armee  20d 

der  einzelnen  Waffengattungen  festzustellen.  Im  folgenden  soll  unter- 
sucht werden,  ob  und  wie  weit  die  Elemente  zu  einer  solchen  Fest- 
stellung vorhanden  sind. 


Zunächst  eine  Vorbemerkung.  Allerdings  verdient  die  Angabe  des 
Ptolemaios,  wie  Arrian  sie  giebt,  allen  Glauben;  aber  ist  man  sicher, 
daß  sie  das  sagen  will,  wofür  sie  ohne  weiteres  als  Zeugnis  gilt? 

Arrian  sagt,  mit  jenen  „nicht  viel  über  30  000  Mann  Fußvolk  und 
über  5000  Keitem"  sei  Alexander  im  Frühling  334  aus  Makedonien 
aufgebrochen,  über  den  Strymon,  Hebros  nach  dem  Hellespont  marschiert. 
Nach  der  Quelle,  der  Diodor  und  Justin  folgen,  hat  König  Philipp  schon 
im  Frühling  336  ein  Corps  unter  Parmenion  und  Attalos  nach  Asien 
vorangesandt*  und  das  Corps  ist  von  Alexander  bei  seiner  Thronbestei- 
gung nicht  etwa  zurückberufen,  sondern  hat  335  noch  dort  gestanden 
und  mehrfache  Gefechte  gehabt;  sie  weiß  ferner,  daß  Attalos,  der  Oheim 
der  jüngst  mit  Philipp  vermählten  Kleopatra,  den  Versuch  gemacht 
habe  die  Truppen  zur  Empörung  gegen  Alexander  zu  bewegen,  daß 
Demosthenes  mit  ihm  in  Correspondenz  getreten  sei,  daß  die  in  Griechen- 
land beginnende  Bewegung  Anknüpfungen  mit  Persien  gesucht  habe, 
daß  Attalos  erschreckt  durch  Alexanders  raschen  Erfolg  im  Herbst  336 
demselben  die  Briefe  des  Demosthenes  zugestellt  habe,  um  durch  einen 
großen  Dienst  des  Königs  Gnade  zu  erkaufen,  daß  Alexander  ihn  durch 
Parmenion  habe  hinrichten  lassen. 

In  der  Ktesiphontea  des  Äschines  und  in  Deinarchos  Rede  gegen 
Demosthenes  geschieht  dieser  Dinge  ,  keine  Erwähnung.  Da  Arrian 
das  Schreiben  des  Dareios  an  Alexander  anführt  (II  14,  2),  in  dem  die 
Schuld  des  Friedensbruches  auf  Makedonien  geschoben  wird,  und  indem 
in  diesem  Schreiben  —  mag  es  ein  echtes  Aktenstück  oder  zur  Bezeich- 
nung der  Lage  componiert  sein  —  gesagt  wird,  daß  Philipp  ädixia^ 
TiQCJTog  äg  ßuGiXka  ''Agariv  ^o^ev  ovSiv  äxccQi  ix  TIbqgcüv  7icc&(6v, 
so  ist  kein  Zweifel,  daß  Arrian  diese  Expedition  des  Parmenion  nach 
Asien  gekannt  hat,  obschon  [228]  er  sie  da,  wo  von  ihr  die  Rede  sein 
müßte,  nicht  erwähnt.  Es  sind  nur  zwei  Fälle  denkbar:  entweder  hat 
Alexander  vor  dem  Beginn  seines  Ausmarsches  im  Frühling  334  das 
nach  Asien  vorausgesandte  Corps  zurückgerufen,  und  dann  konnte 
Arrian  immerhin  jene  verfehlte  Expedition  übergehen,  —  oder  er  hat  sie 
übergangen,  obschon  die  vorausgesandten  Truppen  noch  um  die  Zeit 


*  Diod.  XVI  91  *'Analop  xci^  Ha^fievicoya  TiQoanetneikev  eig  i/jy  Äaiav  fis^og 
Ttjg  Övvdfieag  dovg  xal  ngotna^ag  bXevdsQovv  tag  *£Xli]nöag  nolsig.     Trog.  Pomp, 
prol.  IX  cum  bella  Persica  moliretur  praemissa  dasse  cum  ducibus  .  . . 
Droysen,  Kl.  Schriften  IL  14 


210  Alexander  des  Grrofien  Aimee 

seines  Ausmarsches  entweder  sämtlich  oder  zum  Teil  auf  der  asiatischen 
Küste  standen,  und  dann  kommt  zu  der  Zahl  der  30  000  Mann  Fuß- 
volk und  5000  Reiter,  mit  denen  Alexander  aus  Makedonien  aufbrach, 
für  sein  erstes  Eriegsjahr  im  Osten  und  gleich  für  die  Schlacht  am 
Granikos  noch  die  Zahl  der  Truppen,  die  von  dem  336  nach  Asien 
gesandten  Corps  noch  dort  standen. 

Jene  Quelle  des  Diodor  und  Justin  giebt  an,  daß  Alexander 
nach  Attalos  Hinrichtung  an  Kalas  das  Commando  neben  und  unter 
Farmenion  gab.  Da  Parmenion  335  bei  dem  Zuge  Alexanders  nach 
der  Donau,  gegen  lUyrien  und  nach  Theben  nicht  erwähnt  wird,  so 
scheint  er  während  dieses  Jahres  bei  den  Truppen  in  Asien  geblieben 
zu  sein,  wie  Antipatros  als  Reichsverweser  mit  Truppenmacht  in  Make- 
donien zurückgeblieben  war.  Daß  Kalas  während  dieses  Jahres  in  der 
troischen  Landschaft,  Farmenion  in  der  Aiolis  in  Action  war,  erwähnt 
Diodor  XVII  7  und  aus  derselben  Quelle  Polyaen  V  44  (wo  Xühcag 
6  MaxsSojv  natürlich  Kalas  ist).  Gewiß  war  es  ein  militärischer  Fehler, 
eine  bedenkliche  Zersplitterung  der  Streitkräfte,  daß  Fhilipp  ein  nam- 
haftes Corps  im  Frühling  336  über  den  Hellespont  voraussandte,  wenn 
er  selbst  erst  im  Spätherbst,  vielleicht  erst  im  folgenden  Frühling,  nach- 
folgen wollte.  War  der  Fehler  einmal  gemacht,  so  hatte  Alexander 
sehr  triftige  Gründe,  die  eingeleitete  Expedition  nicht  sofort  rückgängig 
zu  machen;  selbst  als  diese  Truppen  in  Asien,  die  gegen  Ende  336 
südwärts  bis  Pitena,  ostwärts  bis  in  die  Xähe  von  Kyzikos  vorgedrungen 
waren,  von  dem  persischen  Strategen  Memnon  und  seinen  griechischen 
Söldnern  zurückmanövriert  wurden,  konnte  es  für  Alexander  von  Wich- 
tigkeit sein  eine  Stellung  jenseits  des  Hellespontes,  wie  einen  Brücken- 
kopf, zu  halten,  um  während  seines  Feldzugs  nach  der  Donau  335  im 
Rücken  gedeckt  zu  sein  und  Diversionen,  wie  die  Perser  sie  340  wäh- 
rend des  Krieges  gegen  Ferinth  und  Byzanz  versucht  hatten,  unmög- 
lich zu  machen.  Allerdings  wird  erwähnt,  daß  Farmenion  gewissen 
Beratungen  Anfangs  334  beigewohnt  habe;  sicherer  ist,  daß  er  bei 
[229]  Alexanders  Übergang  über  den  Hellespont  im  Frühling  334  sich 
bei  dessen  Armee,  nicht  in  Asien  befand;  und  das  letzte,  was  Diodor 
XVII  7  von  Kalas  vor  dem  Übergang  Alexanders  meldelt,  ist:  xal 
Xfj(pd'eig  &nBX(AQrjG6  ig  rd  'Poitbiov,  Aber  da  jener  Übergang  Ale- 
xanders nach  Rhoiteion,  Parmenions  nach  Abydos  auch  nicht  den  ge- 
ringsten Widerstand  fand,  da  Memnon  und  die  persischen  Satrapen 
mit  bedeutender  Heeresmacht  hinter  dem  Granikos  standen  und  stehn 
blieben,  obschon  die  Stadt  Lampsakos,  die. dem  Memnon  gehörte  ([Arist.] 
Oec.  II  30)  und  der  persischen  Sache  völlig  ergeben  war  (Paus.  VI 
18,  2),  ihnen  am  Hellespont  selbst  eine  sichere  Position  geboten  hätte 


Alexander  des  Großen  Armee  21 1 

SO  wird  man  geneigt  zu  vennuten,  daß  die  asiatischen  Ufer  des  Helle- 
spontes von  Rhoiteion  bis  Abydos  bis  zur  Ankunft  Alexanders  von  den 
Truppen  des  Kalas  besetzt  gehalten  worden  sind;  an  der  Flotte ,  die 
Alexanders  Heer  überzusetzen  dort  bereit  lag,  hatten  sie  hinreichenden 
Rückhalt. 

Nach  Polyaen  V  44  war  die  Starke  des  nach  Asien  vorausgeschickten 
Corps  10000  Mann;  nach  Diodor  XVII  7  waren  die  Truppen,  mit  denen 
Kalas  Ende  335  auf  Rhoiteion  zurückging,  Makedonen  und  Söldner; 
daB  bei  einem  so  bedeutenden  Corps  sich  auch  Reiter  befanden,  ver- 
steht sich  von  selbst  , 

Man  könnte  die  höheren  Ziffern  für  Alexanders  Armee,  die  Anaxi- 
menes  (43000  Mann  Fußvolk,  5500  Reiter)  und  Kallisthenes  (40  000 
Mann  Fußvolk  und  4500  Reiter)  angeben,  so  zu  erklären  versuchen, 
daß  sie  der  Armee,  mit  der  Alexander  aus  Makedonien  kam,  die  Truppen 
die  schon  in  Asien  standen,  zurechnen.  Aber  weder  würden  sich  damit 
jene  höheren  Ziffern  richtig  ergeben,  noch  läßt  der  Wortlaut,  in  dem 
sie  überliefert  sind,  diese  Auskunft  ohne  weiteres  zu.  Denn  nach 
Polyb.  XII  19  hat  Kallisthenes  gesagt,  Alexander  sei  mit  40000  Mann 
Fußvolk  und  4500  Reitern  nach  Asien  übergegangen  ( —  äxovra  rtjv 
elg  jiaiav  Sidßaaiv  non^aatr&cci);  und  Plut.  Alex.  15  steUt  die  höchste 
Ziffer  —  eben  die  des  Anaximenes,  den  er  nicht  nennt  —  und  die 
niedrigste  —  des  Aristobulos,  den  er  gleichfalls  nicht  nennt  —  ein- 
ander gegenüber,  sichtlich  in  der  Vorstellung,  daß  es  sich  nur  um  die 
mit  Alexander  aus  Makedonien  ausrückenden  «Truppen  handelt. 

Wie  glaubwürdig  an  sich  die  Zahlen  sind,  die  Arrian  nach  Ptole- 
maios  giebt,  es  bleibt  der  Zweifel,  ob  sie  die  ganze  Truppenstärke  be- 
zeichnen, mit  der  Alexander  an  den  Oranikos  marschierte  [230],  oder 
ob  er  nicht  noch  einige  tausend  mehr  gegen  den  Feind  führte. 

Für  die  weitere  Untersuchung  muß  zunächst  die  Angabe  Arrians 
so  gelten  wie  er  sie  giebt.  Wenn  Alexanders  Heer  mit  der  Landung 
auf  dem  asiatischen  Ufer  um  eine  bedeutende  Truppenzahl  stärker  ge- 
worden wäre,  würde  Arrian,  selbst  Soldat  und  ein  verständiger  Schrift- 
steller, es  wohl  nicht  unbemerkt  gelassen  haben.  Und  wenn  er  die 
Stärke  der  Armee  zunächst  wieder  unmittelbar  vor  der  Schlacht  von 
Gaugamela  angiebt  und  zwar  auf  40  000  Mann  zu  Fuß  und  7000  Reiter, 
so  thut  er  es  offenbar  in  Beziehung  auf  jene  frühere  Angabe. 


Die  Forscher,  welche  sich  mit  der  Frage  der  makedonischen  Heeres- 
formation beschäftigt  haben,  nehmen  unbedenklich  zur  Grundlage  ihrer 
Ansätze  den  Katalog,  den  Diod.  XVII  17  mitteilt;  er  gilt  ihnen  für 

14* 


21 2  Alexander  des  Großen. Armee 

genau,  weil  er  detailliert  ist  und  weil  er  in  seinen  Gesamtsummen  fast 
ganz  mit  Ftolemaios  Zahlen  stinmit 

Diod.  XVn  9  sagt,  Alexander  habe  in  der  Zeit,  als  er  vor  Theben 
stand  (Sept.  335),  mehr  als  30  000  Mann  zu  Fuß  und  nicht  weniger 
als  3000  Reiter  gehabt  Er  giebt  die  Zahl  der  nach  Asien  voraus- 
gesandten Truppen  nicht  an.  Nachdem  er  erzählt,  wie  Alexander  in 
Ilion  geopfert,  fahrt  er  fort:  airdg  Si  rdv  k^eraafjLÖv  rijg  äxokov- 
&ovar]g  SvvüfAecjQ  dxQißcjg  inoif'jaaro '  BVQi&fjaav  Si,  folgt  nun  der 
Katalog.  Man  könnte  danach  meinen,  daß  die  Zählung  erst  auf  dem 
asiatischen  Ufer  gemacht  sei,  aber  Diodor  fugt  nach  beendeter  Speci- 
fication  hinzu:  oi  fiiv  ovv  fier'  jiXB^dvSgov  ätaßdvTsg  elg  ti]v  !Aaiav 
roaovTOi  t6  nXfi&og  rjauv,  dagegen  seien  unter  Antipatros  Befehl  in 
Europa  so  und  so  viel  Truppen  zurückgelassen.  Nach  Diodors  Katalog 
hat  die  Zählung  der  Feldarmee  ergeben: 

Fußvolk:    12000  (v.l.  13000)  Makedonen^       \ 

7000  Bundesgenossen  >  unter  Parmenion 

5000  Söldner  J 

5000  (V.  1.   7000)  Odryser,  Illyrier,  Triballer» 
1000  Bogenschützen  und  Agrianer 

also  30000  (33000)  Mann  Fußvolk. 

[231]  Reiter:    1500   (v.  1.    1800)  Makedonen  unter  Philota^« 

1500   (V.  1.    1800)  Thessaler  unter  Kalas* 
600       ^  andere  Hellenen  unter  Erigyios 

900  thrakische   ngöSgopioi   und  Paionen 

unter  Kassandros 

also  4500  (5100)  Reiter. 

Als  Gesamtsumme  giebt  Diodor  selbst  30000  Mann  Fußvolk,  4500 
Reiter.  Er  fugt  hinzu,  daß  in  Europa  unter  Antipatros  Befehl  zurück- 
geblieben seien 

Fußvolk  12000  Mann. 

Reiter       1500  Mann«. 

Die  Varianten  sind  nicht  unerheblich,  doch  mag  vorerst  der  Text  gelten 
wie  ihn  Dindorf  1867  gegeben  hat.  Der  Katalog  giebt  zu  sachlichen 
Bedenken  Anlaß,  die  schwerer  ins  Gewicht  fallen. 


^  Nach  Dindorf:  diaxihoi  FLQT  Cospus,  die  anderen  codd.  tqkjxUlioi. 
'  iniaxLaxiXiOi,  FLQ. 

'  Alle  Codd.  geben  /Utot  xal  6xxax6atoiy  nur  T  hat  am  Rande  dafür  qi . 
*  Ebenso  wie  Note  8;  offenbar  beides  Verbesserungen  aus  Diodors  Ge- 
sammtzahl. 

'  Die  Codd.  geben  innti^  öt  fivfjioi  nal  /iXioi  xnl  netftnxocriou 


Alexander  des  Großen  Armee  213 

Zuerst  die  Einzelnheiten.  So  oft  Parmenion  bei  Arrian  genannt 
wird,  in  solcher  Stellung,  als  Befehlshaber  der  24  000  Mann  Fußvolk, 
gleichsam  als  Generaloberster  der  Infanterie,  erscheint  er  da  nie;  auch 
haben  die  avfificczoi  zu  Fuß  in  Antigen os  (Arr.  I  29),  die  ^ivoi  zu 
Fuß  in  Menandros  (Arr.  III  6,  8)  ihre  besonderen  Strategen. 

Noch  auffallender  sind  die  5000  Odryser,  Illyrier,  Triballer.  Die 
in  militärischen  Dingen  allein  zuverlässige  Quelle,  der  Arrian  in  der 
Kegel  folgt,  nennt  die  sonst  (I  1 4,  3  u.  s.  w.)  als  thrakische  Reiter  unter 
Agathen  angeführte  Truppe  Odryser  (III  12,  4);  thrakisches  Fußvolk 
unter  Sitalkes,  der  WaflFe  nach  Akontisten,  wird  häufig  genannt;  über 
die  Stärke  dieser  Truppe  hat  Arrian  keine  Angabe.  Illyrier  nennt 
Arrian  niemals  in  den  Actionen,  nur  in  einer  Ansprache  Alexanders 
(II  7,  5)  fuhrt  er  sie  mit  auf\  [232]  und  die  verdächtigen  Worte  xal 
IkXvQiovg  scbeinen  in  allen  Handschriften  zu  stehen.  Curtius  freilich 
IV  13,  31  kennt  Illyrier  als  ein  im  Heer  mitagierendes  Corps  und  VI 
7,  35  kommen  deren  3000  mit  anderem  Ersatz  nach  Asien ;  aber  Tri- 
baller als  Truppen  Alexanders  kennt  er  nicht. 

Als  Führer  der  thessalischen  Ritterschaft  wird  Kalas  auch  von 
Arrian  I  1 4,  3  in  der  Schlacht  am  Granikos  genannt  Diodor,  der  von 
ihm  noch  kurz  zuvor  (XVII  7)  angegeben  hatte,  daß  er  Ende  335  sich 
mit  dem  nach  Asien  vorausgesandten  Corps  nach  Rhoiteion  zurück- 
gezogen habe,  hat  nicht  für  nötig  gehalten  darüber  aufzuklären,  ob 
derselbe  mit  seinen  Truppen  zurückgerufen,  oder  wie  er  aus  der  frü- 
heren Stellung  zu  dieser  als  Hipparch  der  Thessaler  gekonmien  ist. 

Nach  Diodor  hat  den  Befehl  über  die  hellenischen  Contingente 
zu  Pferd  Erigyios,  während  nach  Arr.  I  14,  3  am  Granikos  Philippos 


^  ßaqßaQ(äv  te  av  <9^xac  xal  Uaiovag  xai  *IXlvQiovc  nal  Ä^Q^yng  tovc 
evqiaatoxarovg  tb  xStv  xma  irjv  ^VQÖnijv  xal  fia/ifKaraiovg  n^og  tcc  nnopäiaTa  je 
xnl  fiakaxiJiaTn  Trjg  Äaing  yfiVi/  dvuTa^ea&ai,  zum  SchluB  die  Weisung,  die 
Truppen  abkochen  zu  lassen.  Dieser  Anrede  im  Rriegsrat  nach  Eingang  des 
Berichtes,  daß  die  Perser  vom  Rücken  her  vorgehen,  folgt  bei  Arr.  II  10,  2  die 
zweite  vor  Beginn  der  Schlacht,  an  die  einzelnen  Führer  im  Vorüberreiten  ge- 
richtete. Bei  den  auf  Kleitarch  zurückreichenden  Schriftstellern  ist  statt  der 
ersten  Ansprache  die  Besorgnis  im  Heere  geschildert  (Curt.  III  8,  20:  und  zum 
Schluß)  ttaqae  corpora  militis  curare  iussit  Bei  Diodor  XVII  83  deutet  das 
xatanlrjxiuiSig  auf  den  Zusammenhang  seiner  Vorlage.  Die  zweite  Ansprache 
führt  Curt.  11  10,  4  {cum  agmini  ohequitaret)  genauer  aus;  da  heißt  es  III  10,  9: 
lÜyrioa  vero  et  Thraces  rapto  vivere  assuetoa  aciem  hoatium  auro  purpuraqm 
fulgentem  inhteri  vubebat,  praedam  non  arma  gestantem  u.  s.  w.  Und  Justin 
XI  9,  4:  singtdas  gentes  diver sa  oraiione  aüoqudtur;  Ulyrioa  ei  Tkracas  opum  et 
divitiarum  osieniattone  u.  s.  w.  Diod.  XVII  33  begnügt  sich  mit  den  Worten: 
jovg  fiev  GTQaJuajag  totg  oixeloig  lofoig  nagexakaaev  tnl  xbv  neqi  tcop  ölap  afCtva. 


214  Alexander  des  Großen  Armee 

des  Menelaos  Sohn,  und  erst  in  der  Schlacht  von  Gkingamela  Erigyios 
des  Larichos  Sohn  sie  führt  (III  11, 10). 

Nicht  einmal  so  für  eine  spätere  Zeit  richtig  ist  die  weitere  Angabe 
des  Eifctalogs,  daß  Kassandros  die  900  Paionen  und  Thraker  geföhrt 
habe;  die  Paionen  stehn  sicher  von  Anfang  an  unter  Ariston  (11  9,  2); 
die  Sarissophoren,  die  wie  die  Paionen  Prodromoi  sind,  hat  am  Granikos 
wie  es  scheint  Amyntas  (I  12,  7),  später  sicher  Protomachos  geführt 
(II  9,  2).  Daß  Kassandros  bei  seinem  Vater  Antipatros  in  Makedonien 
blieb  und  erst  824  nach  Babylon  zum  Heere  kam,  ist  außer  Zweifel. 

Nicht  minderen  Anstoß  bietet  die  Gesamtfassung  dieses  Katalogs. 
Auf  jede  Frage,  auf  die  man  aus  ihm  Belehrung  erhalten  möchte, 
giebt  er  eine  schiefe  Autwort;  will  man  erfahren  wie  viel  Peltasten 
Alexander  mit  sich  führte,  so  sagt  der  Katalog,  er  hatte  so  und  so 
viel  Makedonen,  Bündner,  Söldner  zu  Fuß;  [233]  fragt  man  ihn  ob 
die  Sarissophoren  in  Alexanders  Heer,  die  als  ngöSgopLoi  angeführt 
werden,  Makedonen  waren,  so  zählt  er  900  thrakische  und  paionische 
Prodromoi  im  Heere  auf;  will  man  wissen,  ob  Alexanders  Bogenschützen 
Kreter  waren,  so  ist  die  Antwort,  er  hatte  900  Bogenschützen  und 
sogenannte  Agrianer.  Gewiß  hat  Alexander  sein  Heer  auch  gemustert, 
aber  wenn  das  Ergebnis  der  Musterung  ein  solches  gewesen  ist,  wie 
dieser  Katalog  vor  Augen  stellt,  so  hat  der  Autor,  der  ihn  überliefert«, 
nur  die  Phrase  der  Musterung  und  von  einer  wirklich  angestellten 
keine  Ahnung  gehabt;  ja  man  kann  zweifeln,  ob  Alexander  bei  seinem 
Ausmarsch  erst  durch  eine  Musterung  in  Erfahrung  bringen  mußte, 
wie  viel  Truppen  zu  seiner  Verfügung  stehen  würden  —  wie  der 
jüngere  Kyros  dazu  Anlaß  hatte  {k^irccaiv  xal  äpi&^v  r&v  '£U,iivo}v 
knoifjaB  kv  nagaSBiaq)  Xen.  An.  T  2,  9  cf.  VII  1,  9),  —  ob  Alexander 
nicht  vielmehr  verfügt  haben  wird,  wie  viel  von  seinen  Makedonen, 
von  den  in  Dienst  genommenen  Söldnern,  von  den  Pflichtigen  Bundes- 
genossen mit  ausziehn  sollten. 

Sichtlich  stammt  der  Katalog  Diodors  aus  einem  Schriftsteller,  der 
entweder  selbst  für  militärische  Dinge  kein  Interesse  und  keine  Ein- 
sicht hatte  oder  voraussetzte,  daß  das  gebildete  Griechentum,  für  das 
er  schrieb,  den  Militarismus  gründlichst  satt  habe  und  von  Kriegs- 
geschichten vor  allem  Unterhaltung  und  Sensation  verlange,  allenfalls 
noch  dazu  eine  ungefähre  Übersicht  der  Ereignisse.  Daß  Kleitarchos 
in  der  Art  geschrieben,  daß  er  der  Vulgata  von  der  Geschichte  Ale- 
xanders ihre  Form  gegeben  hat,  ist  bekannt;  und  wie  er  geschrieben 
hat,  erkennt  man  noch  deutlich  genug  aus  Gurtius,  obschon  dessen 
Darstellung  nicht  einmal,  wie  doch  wohl  meist  die  des  Diodor,  unmittel- 
bar aus  ihm  geschöpft  ist 


Alexander  des  Großen  Armee  215 

Demnach  wird  man  darauf  verzichten  müssen,  den  Katalog  der 
angeblichen  Zählung,  wie  ihn  Diodor  giebt,  zu  benutzen,  wenn  es  sich 
darum  handelt  die  Formation  der  Armee  Alexanders  festzustellen. 

Nach  der  Eigentümlichkeit  der  Armee  Alexanders  werden  sich 
drei  Gesichtspunkte  unterscheiden  lassen,  nach  denen  mian  ihre  For- 
mation betrachten  kann:  der  der  Waffenart,  der  der  Nationalitat,  der 
des  Dienstverhältnisses,  in  dem  die  Combattanten  dieser  Armee  stehn. 
Der  zweite  dieser  Gesichtspunkte  verbindet  sich  in  solcher  Weise  mit 
dem  ersten  und  dritten,  daß  er  für  die  vorliegende  Aufgabe  keiner 
selbständigen  Erörterung  bedarf.  Denn  [234]  der  Vorzug  der  irmgia 
ßaaihxfij  den  die  Ilen  der  makedonischen  Bitterschaft,  die  Hypaspisten 
der  Hetairen,  die  makedonischen  Hopliten  als  Pezetairen  haben,  ist 
nicht  ein  nationaler,  da  es  makedonische  Waffengattungen  giebt,  die 
nicht  zu  den  fietairen  gerechnet  werden. 

Nach  dem  Gesichtspunkt  des  Dienstverhältnisses  stehen  in 
dieser  Armee  nebeneinander  1)  des  Königs  Unterthanen,  edel  und 
unedel,  welche  teils  nach  einer  Art  Lehnspflicht,  teils  nach  der  all- 
gemeinen Wehrpflicht  der  Makedonen  dienen,  2)  die  Bundesgenossen, 
die  dem  Könige  von  verbündeten  Staaten  auf  Grund  von  Verträgen 
als  Contingente  gestellt  werden,  3)  die  Söldner,  hellenische  und  nicht- 
hellenische, die  sich  durch  den  Werbevertrag  zu  dienen  verpflichten. 
Natürlich  verträgt  sich  mit  dieser  dreifachen  Unterscheidung  sehr  wohl, 
daß  der  König  die  Löhnung  und  Verpflegung  aller  Truppen  leistet^ 
nicht  minder,  daß  die  Bündner  ihre  Contingente  nach  Belieben  aus 
Bürgern  oder  Söldnern  bilden  können. 

Nach  den  Waffen  umfaßt  die  Armee  an  Reitern  1)  die  mehi 
oder  minder  schweren  Reiter,  der  Mann  mit  Helm,  Harnisch,  Arm- 
stücken u.  s.  w.,  das  Pferd  an  Kopf  und  Brust  bepanzert,  als  Waffe 
Stoßspeer  und  Schwert;  2)  die  leichten  Reiter  {nQÖdQOfAoi)  ulanen- 
artig mit  langer  Lanze  (Sarissophoren) ;  3)  die  noch  leichteren  Bogen- 
schützen zu  Pferd  {In^oro^ötai  und  Akontisten  zu  Pferd)  hat  Alexander 
erst  seit  329  in  seinem  Heer.  An  Fußvolk  1)  Hopliten,  mehr 
oder  weniger  schwer  bewafihete,  mit  mehr  oder  weniger  langem  Spieß 
{86()v  oder  adgiaau^  denn  auch  die  makedonischen  Sarissen  werden 
gelegentlich  Sögara  genannt  Arr.  I  6,  1  und  4);  2)  Pel tasten  oder 
Akontisten  mit  dem  Schilde,  zu  denen  die  makedonischen  Hypaspisten 
gehören;  3)  die  leichtbewafiheten  'kpiXoi  oder  richtiger  yvfivoij  teils 
Akontisten  ohne  Schild  (Agrianer),  teils  Bogenschützen  und  Schleuderer. 

Ob  es  eine  besonders  organisierte  Bedienung  der  fjLfjxccval,  der 
Feldgeschütze  gab,  die  zur  Armee  gehörten  (Arr.  I  6,  8),  ob  für  den 
bedeutenden  Train,  für  die  Pferdeknechte,  deren  jeder  schwere  Reiter 


216  Alexander  des  Großen  Armee 

einen  haben  durfte,  für  die  Trager  der  Hopliten  (und  Hypaspisten  [?]), 
auf  je  zehn  Mann  ein  Knecht  (Frontin.  IV  1,  6  ^i  molas  ei  funes 
ferrent),  für  die  vörrcav  ^eoaneia  (Xen.  Hell.  IV 1  vgl.  mit  Air.  IV  16,  6), 
für  die  Handhabung  der  [235]  Kriegsgefangenen  (Arr.  III  6, 6  Laomedon 
bestellt  inl  rotg  aixfic6X(Aroig  ßagßÜQoig)  besondere  Organisationen 
vorhanden  waren,  muß  dahin  gestellt  bleiben. 

Aus  der  Frage  nach  dem  Dienstverhältnis  ist  an  dieser  Stelle 
nur  ein  Punkt  hervorzuheben  und  dieser  auch  nur,  um  die  Lücken 
der  Überlieferung  zu  bezeichnen,  die  ein  sicheres  Verständnis  unmöglich 
machen. 

Die  thessalischen  Reiter  gehören  zu  den  (rvfifiaxoi  (Arr.  I 
24,  3),  aber  auf  Grund  anderer  Verträge  als  die  übrigen  Hellenen;  wie 
es  scheint  derer,  die  König  Philipp  mit  den  Thessalem  bei  der  Her- 
stellung der  Tetrarchien  342  geschlossen  (Dem.  Phil.  EI  §  26)  und 
Alexander  bei  seinem  ersten  Zuge  nach  Hellas  (Herbst  336)  erneut 
hat  (Aesch.  Ctes.  161  ^Srj  ä'  iifjfjcpiafjbivcjv  Oerralctiv  kniaTQcrrevetr 
knl  T7JV  vfjLereQav  nöXiv  xal  toi)  veaviaxov  u.  s.  w.).  Auf  Grund 
ähnlicher  Verträge,  wenn  nicht  infolge  der  amphiktyonischen  Bestellung 
zum  (TTQarfjyog  avTOXQUT(oQ  für  den  Feldzug,  die  Alexander  Herbst  336 
forderte  und  erhielt  (Diod.  XVII 4),  werden  auch  die  „zugewandten  Orte" 
Thessaliens,  die  Doloper,  Ainianen,  Malier,  Perrhaiber  u.  s.  w.  Heeres- 
folge geleistet  haben,  obschon  Arrian  ihrer  nicht  besonders  'erwähnt. 

Polydamas  der  Thessaler  sagt  bei  Xen.  Hell  VI  1,  8:  Thessalien 
könne,  wenn  es  einen  Tagos  bestelle,  gegen  6000  Heiter  und  mehr  als 
10000  Hopliten  stellen;  wie  nach  den  Verträgen  mit  Makedonien  das 
Contingent  der  Thessaler  und  die  der  Umlande  bestimmt  waren,  ist 
nicht  mehr  ersichtlich. 

Anderer  Art  war  das  Verhältnis  der  Hellenen  &Got  ivrdg  IIvl&v 
1j(Tccv,  wie  Niebuhr  bei  Arr.  I  1,  2  statt  kvrog  nü.onovvi)aov  treflFend 
emendiert  hat^  Sie  alle  —  nur  Sparta  war  ferngeblieben  —  hatte 
der  korinthische  Bund,  den  sie  mit  Philipp  nach  der  Schlacht  von 
Chaironeia  geschlossen,  mit  Alexander  im  Herbst  336  erneut  hatten, 
zur  Stellung  ihrer  Contingente  [236]  verpflichtet  Die  Stärke  dieser 
Contingente  beim  ersten  Abschluß  des  Bundes  giebt  Justin  IX  5,  4 
mit  folgenden  Worten  an:  auxUia  deinde  singularum  dviiatiu/m  descri- 


'  Daß  für  diese  Zeit  der  Ausdruck  förmlich  techniBch  war,  sieht  man  aus 
Dem.  d.  cor.  804:  wftre  Ein  Mann  in  jeder  Stadt  oder  vielmehr  nur  Ein  solcher 
in  Thessalien  und  Einer  in  Arkadien  gewesen,  der  wie  ich  gedacht  hfitte,  o\?dBU 
0VT8  tbjv  ^0)  ITvlcJv  ^EXh'jviüv  ovxB  Tbiv  stafü  xolg  naQovffi  xaxotg  ixexQ^t  av,  nlXa 
nnvTec  av  ovie?  ekev&eQoi  u.  s.  w.  Schon  Thucydides  II  101  unterscheidet  so  die 
Völker  Thessaliens  xai  ot  fJidxQi-  BeqiAonvlibv  "^Ikrjves^ 


Alexander  des  Großen  Armee  217 

huntuTj  sive  adiuvandus  ea  manu  rex  oppugnante  aliqtu)  foret  seu  duce  ülo 
bellurn  inferendum;  .  .  .  su/mma  auxUiorum  ducenta  millia  pedüum  fuere 
et  equitvm  quindeoim  miüia.  Unsinnige  Zahlen ,  die  die  Quelle  verraten 
ans  der  sie  stammen.  Was  die  hellenischen  Bundesstaaten  an  Con- 
tingenten  gestellt  haben,  wird  später  zu  erwägen  sein.  Für  die  Frage 
ob  die  Paionen,  Agrianer,  Odryser  als  ^ivot  oder  als  (TVfifiaxoi  mit 
ins  Feld  gezogen  sind,  findet  sich  in  unsern  Quellen  nur  eine  unsichere 
Andeutung,  und  von  den  Münzen,  die  mehr  zu  ergeben  scheinen,  will 
ich  hier  zu  sprechen  unterlassen. 


Es  empfiehlt  sich  zuerst  von  der  Kavallerie  Alexanders  zu  handeln, 
wie  sie  bis  zum  Herbst  331  gewesen  ist.  Denn  mit  dem  Aufbruch 
aus  Susa  beginnt  die  Umbildung  zuerst  der  Kavallerie,  dann  der  ganzen 
Armee,  die  mit  jedem  Jahre  mehr  die  früheren  Formationen  durch 
neue,  wie  die  anderen  Bedingungen  und  Aufgaben  sie  forderten,  ver- 
drängte, —  ein  Beispiel  organisatorischer  Kühnheit  und  imperatorischer 
Sicherheit,  wie  die  militärische  Geschichte  aller  Jahrhunderte  kein 
zweites  aufzuweisen  hat. 

In  Alexanders  schwerer  Kavallerie  hat  die  erste  Stelle  die  der 
makedonischen  Hetairen  {oi  inneig  rßv  iraiQcov  oder  wie  sonst  die 
Formel  ist)  unter  Führung  des  Philotas.  Sie  besteht  aus  acht  Ilen, 
von  denen  dem  Bange  nach  die  des  schwarzen  Klei  tos,  das  könig- 
liche Agema,  die  erste  ist  Diese  Hen  werden  bald  nach  ihren 
Darchen  genannt  (so  Arr.  III  9,  3 ,  wo  alle  acht  angeführt  sind),  bald 
nach  Districten  der  Heimat:  die  von  ApoUonia  (1 12, 7),  von  Anthemus 
II  9,  3),  von  Amphipolis,  von  Bottiaia  (I  2,  5),  aus  dem  oberen  Make- 
donien (zwei)  I  3,  5^,  und  nur  die  des  Kleitos  ist  vielleicht  aus  dem 
Adel  des  ganzen  Landes^. 


'  Die  siebente  bezeichnet  Arr.  II  9,  3  als  tfjp  ÄBVffaUtv  xaXovptevrjv,  da  un- 
mittelbar darnach  t^v  Äy&sfiovainv  ohne  xnXovfteyrjy  steht,  so  ist  Aevfaiavj  mag 
der  Name  auch  comimpiert  sein,  wenigstens  kein  lokaler.  Es  war  ungeschickt 
wenn  ich  früher  glaubte,  dafttr  Alifniav  vorschlagen  zu  dürfen;  ebensowenig  ist 
aus  dem  Philotas  Augeus  bei  Gurt.  V  2,  5  die  Verbesserung  zu  entnehmen. 

'  Wenn  am  Granikos  während  des  Gefechts  um  die  Person  Alexanders 
Demaratos  von  Korinth,  tIüv  afi<p  aviov  hnlQavy  in  des  Königs  Nähe  ist  und  ' 
da  dessen  Speer  bricht,  ihm  seinen  eigenen  reicht,  so  ist  der  Korinther  unter  den 
Combattanten;  und  daß  demnächst  Kleitos  einen  gegen  des  Königs  Nacken  ge- 
richteten Säbelhieb  pariert,  läßt  schließen,  daß  der  König  an  diesem  Tage  an 
der  Spitze  des  Agema  der  Hetairen  kämpfte,  zu  dem  auch  Demaratos  gehört 
haben  wird. 


218  Alexander  des  Großen  Armee 

[237]  Arr.  III  16,  11  giebt  an,  daß  Alexander  in  Susa  eine 
bedeutende  Menge  Ersatztrappen  aus  Makedonien  erhalten  hat,  xcei 
Tovrmv  rovq  fUv  innkaq  kq  rijv  tnnov  rijv  iratQixijv  xccrira^evj 
Tovg  nB^ovg  Si  itQoai&fjxe  raig  rd^ea^  ralg  äkkaig  xccrä  ü&vfj  ixd- 
(TTovg  ffvvrd^ag  \  Sind  die  Ilen  so  nach  ihren  Districten,  so  zu  sagen 
Rittersohaftskreisen  rekrutiert»  so  konnten  sie  nicht  von  gleicher  Stärke 
sein.  In  der  Schlacht  bei  Issos  werden  die  Agrianer,  Schützen  und 
Söldnerreiter  y  die  mit  der  Ile  von  Anthemus  und  der  leugaischen  die 
Flanke  gegen  die  feindliche  Umgehung  bilden,  zurückgezogen  und  zur 
Verstärkung  der  Front  benutzt,  da  vor  einem  heftigen  Angriflf  der 
Agrianer  und  Schützen  die  Feinde  zurückgewichen  sind:  hceivoig  Si 
Innkcg  xQiccxoaiovg  imxd^ai  i^i^^xetrev.  Also  diese  zwei  Ben  zahlen 
zusammen  300  Pferde. 

Nach  der  Schlacht  am  Granikos  detachiert  der  König  von  Sardeis 
aus  eine  Kolonne  Fußvolk  unter  Farmenion  mit  200  Beitem  riS>v 
iratimv,  eine  zweite  eben  so  starke  —  also  wieder  mit  200  —  von 
der  makedonischen  Bitterschaft  unter  Lysimachos;  er  sendet  folgenden 
Tages  das  übrige  Fußvolk  .  .  xal  r&v  iratQcjv  r^jv  ts  ßamhxyv  Utjv 
xal  ngdg  rccvrrj  rgelg  älkag  nach  Milet;  da  Arrian  (I  18,  3)  nicht 
sagt:  die  übrigen  innBlg  töv  hratQfov,  so  sind  jene  400  Beiter  nicht 
die  vier  andern  Ilen,  auch  wohl  nicht  zwei  Heu,  denn  sonst  wären 
sie  als  solche  bezeichnet,  sondern  Kommandos  aus  den  nicht  nach 
Milet  marschierenden  Ilen;  für  die  Gesamtstärke  der  acht  Ilen  ergiebt 
dieser  Fall  nichts  Sicheres.  Lehrreicher  scheint  der  Feldzug  nach  der 
Donau  335;  da  läßt  Alexander  in  dem  ersten  Gefecht  gegen  die 
Triballer  Philotas  rovg  he  Tf?s  ävco&Bv  MaxeSoviag  inniag  gegen  den 
[238]  rechten  Flügel  der  Feinde  „wo  sie  am  meisten  vorgedrungen 
waren''  vorgehn,  Herakleides  und  Sopolis  mit  denen  aus  der  Bottiaia 
und  Amphipolis  gegen  den  linken;  also  Philotas  hatte  wenigstens  auch 
zwei  Ilen.  Die  Phalanx  xccl  rijv  älXtjv  'innov  ngb  xi)g  (pdXayyog 
führte  der  König  selbst  gegen  die  Mitte  des  Feindes.  Dazu  dann  der 
Umstand,  daß  der  König  zu  der  Donauinsel,  auf  der  sich  die  Macht 
der  Geten,  gegen  4000  Beiter  und  mehr  als  10000  Mann  Fußvolk, 
befand,  mit  so  viel  Truppen,  als  seine  Fahrzeuge  u.  s.  w.  aufiiehmen 


^  Für  daa  Verhältnis  der  ersten' Quellen  ist  nicht  ohne  Bedeutang,  daß 
Curtius  y  2,  6  wohl,  wie  man  aus  der  entsprechenden  Stelle  Diod.  XVII  65 
sieht,  ans  Kleitarcb  schöpfend,  das  Gegenteil  von  dem  sagt,  was  Arrian  (nach 
Ptolemaios)  giebt;  er  sagt  von  den  Anordnungen  in  Susa:  in  diaeipUna  quoque 
mi/itaria  rei  a  maioribus  pleraque  tradita  summa  uHlitaie  mutavit;  natn  cum 
ante  equitea  in  siux/m  quisque  gentem  disoriberentur  seorsus  a  ceterisy  eüßemto 
nationum  discrimine  praefecHs  non  utique  suarum  genHum  sed  deleeHa  distribmi. 


Alexander  des  Großen  Armee  219 

konnten,  überging.  Es  waren  ,,gegen  1500  Reiter  und  3000  Mann  Fnß- 
Yolk'^,  die  Reiter  gewiß  nicht  die  leichten  ngöSQOfWi,  sondern  Hetairen ; 
also  wenigstens  deren  1500  hatte  er  zur  Stelle.  Aber  ob  diesen  Feld- 
zug von  385  nur  acht  Ilen  mitmachten,  wird  nicht  angegeben. 

Die  Starke  dieses  Corps  makedonischer  Bitterschaft  in  dem  ersten 
Feldzuge  nach  Asien  —  für  den  zweiten  333  kamen  300  makedonische 
Reiter  Verstärkung  (Arr.  I  29,  4)  —  kann  also  nur  ungefähr  geschätzt 
werden;  die  Ziffer  mag  zwischen  1200  und  2000  Mann  liegen. 

Zur  Schätzung  der  thessalischen  Ritterschaft  giebt  Arrian 
keinen  unmittelbaren  Anhalt  Man  sieht  aus  III  11,  10,  daß  ihre 
Gontingente  nicht  nach  den  Tetrarchien  gestellt  waren;  und  daß  oi 
T&v  0aQ(TccXia)v  innsTg  genannt  werden  als  ol  x^dritnoi  xal  nXBiarot 
Tfjg  0e(T<FccXixf]g  innov  läßt  auf  die  Ungleichheit  der  einzelnen  Ilen 
{rag  Ykag  r&v  OetTaaXß^  Arr.  II  11,  2)  schließen,  falls  auch  sie  xarä 
ä&vf]  formiert  waren.  Wenn  am  Granikos  und  wieder  bei  Gaugamela 
mit  ihnen  auf  den  linken  Flügel  die  (rvfifiaxoi  innatg  aus  Hellas  ge- 
stellt werden  und  entsprechend  auf  dem  rechten,  dem  Offensivflügel, 
die  makedonische  Ritterschaft  steht,  so  scheint  der  Schluß  nahe  zu 
liegen,  daß  die  thessalischen  und  hellenischen  Gontingente  zusammen 
nicht  eben  stärker  als  diese  gewesen  sein  werden.  Und  die  Angabe, 
daß  unter  den  Verstärkungen,  die  im  Frühjahr  333  zum  Heere  kamen, 
sich  neben  300  makedonischen  Reitern  200  thessalische  befanden,  mag 
ungefähr  dem  Stärkeverhältnis  beider  Gorps  entsprechen. 

Von  leichten  Reitern  hatte  Alexander  in  dem  Feldzug  von  334 
die  Sarissophoren,  die  Paionen,  die  Thraker  des  Agathen.  Wenig- 
stens die  beiden  ersten  werden  als  npöSgofioi  bezeichnet  {t&v  ngo- 
SQÖfAonf  Ol  IlaiovBg  Arr.m  8,1);  im  engeren  Sinn  heißen  die  Sarisso- 
phoren allein  npöSgofioi  (I  14,  6).  Bei  [239]  dem  Vormarsch  zum 
Granikos  wird  Amyntas  zum  Recognoscieren  vorausgeschickt  mit  der 
Ile  der  Hetairen  des  Sokrates  und  mit  vier  Ilen  rOv  nQodQÖfitov 
xalovfiivcjVj  am  Tage  der  Schlacht  rückt  er  zur  Rechten  der  make- 
donischen Ritterschaft  auf  rovg  re  aaQiaaoipÖQOvg  inniag  äxonv  xal 
Tovg  Ilaiovag  xal  ri^v  YXrjv  rijv  ^cjxQÜrovg,  und  erhält  dann  den 
Befehl  mit  den  nQÖÖQOfioi,  den  Paionen,  der  He  des  Sokrates  und 
einer  Taxis  Fußvolk  zuerst  über  den  Fluß  zu  gehn.  Also  sein  Gom- 
mando  wird  nach  und  nach  verstärkt,  zum  Recognoscieren  hat  er  nur 
erst  vier  Ilen  von  den  n^öSgof^oi  und  Sokrates  Ile,  in  der  Schlacht- 
ordnung werden  ihm  auch  die  übrigen  Sarissophoren  und  die  Paionen 
zugewiesen,  zum  Angriff  noch  eine  Taxis  (Hypaspisten).  Plutarch  sagt 
von  dieser  Schlacht  (Alex.  16)  (tvv  Yhxig  innicov  rpiaxalSaxa  ifjLßälUt 
T(p  psvfiari ;  wäre  diese  Zahl  zuverlässig,  so  hätte  es  im  Heere  Alexandere 


V-Ju}'. 


•,7'? 


220  Alexander  des  Großen  Armee 

—  denn  die  übrigen  sieben  Hen  Ritterschaft  führte  er  selbst  durch 
den  Strom  —  neben  nur  vier  Ilen  Sarissophoren  nur  eine  Ile  Paionen 
gegeben;  Plutarch  hat  wahrscheinlich  die  Angabe  seiner  Quelle  miß- 
verstanden; doch  darf  man  wohl  nicht  wagen  die  Zahl  13  als  die  der 
Ilen  des  von  Amyntas  geführten  Corps  zu  nehmen  und  aus  ihr  auf 
sechs  Ilen  Sarissophoren  und  sechs  Ilen  Paionen  zu  schließen.  Daß 
die  Sarissophoren  Makedonen  sind,  wird  nicht  ausdrücklich  gesagt, 
wenn  nicht  die  etwas  dunkle  Angabe  Arr.  II  8,  9  nagiiyayB  (nach 
dem  rechten  Flügel)  rovq  inniaq  rovg  t«  iraiQovg  xalovfiivovg  Kai 
Toug  0e<T(TaXovg  xal  rovg  MaxBSövag  so  zu  verstehen  ist;  denn  gleich 
darauf  II  9,  2  stehn  die  TCQÖSQOfioi  des  Protomachos  auf  dem  rechten 
Flügel  neben  den  Paionen. 

Die  Thraker  des  Agathen,  odrysische  Reiter,  sind  nicht  wie  die 
ihnen  verwandten  Geten  zu  Thucydides  Zeit  innoro^örai  (Thuc.1196, 1), 
denn  sonst  würde  Arrian  diese  Waffe  nicht  erst  seit  329  erwähnen;  sie 
stehn  am  Granikos  und  bei  Gaugamela  den  Sarissophoren  und  Paionen 
auf  dem  rechten  Flügel  entsprechend  auf  dem  linken,  sie  werden  in  der 
beilssos  nicht  erwähnt,  wenn  sie  da  nicht  in  dem  Ausdruck,  daß  Alexander 
rovg  Si  hx  n%Xonovv7j(Tov  {inmig)  xal  t6  äkko  rö  frvfjLfiaxixov  auf 
den  linken  Flügel  stellt,  mit  befaßt  sind.  Die  eqmtes  Agriani  in  der 
Schlacht  bei  Gaugamela  bei  Gurt.  IV  15,  21  sind  wohl  eine  Erfindung 
des  von  Curtius  bearbeiteten  griechischen  Originals  oder  seine  eigene. 

[240]  So  Alexanders  Kavallerie  im  Frühling  334;  nach  Arrians 
Angabe  „über  5000  Mann".  Für  die  Schlacht  von  Gaugamela  rechnet 
er  ig  inraxifrxtXiovg  III  12,  5.  Die  seit  dem  Granikos  hinzugekom- 
menen Reitercorps,  die  er  nennt,  sind  1)  die  fjLKT&otpÖQoi  LnntTg  des 
Menidas,  2)  ij  ^evixr]  innog  rj  t&v  iiiG&ocpÖQmv  unter  Andromachos, 
3)  ol  (TVfifiaxoi  inneig  ojv  JjQX^  Kotgavog,  unterschieden  von  den 
älteren  (röfifiaxoi  innsigj  die  Erigyios  führt  Leider  nennt  Arrian 
nicht  immer  die  bei  der  Armee  neu  eintrefifenden  Corps,  doch  giebt  er 
an,  daß  Anfangs  333  in  Gordion  eingetroffen  sind  300  makedonische, 
200  thessalische  Eeiter,  150  Reiter  aus  Elis  unter  Alkias  (I  29,  4), 
ferner,  daß  in  Memphis  331  von  Antipatros  nachgesandt  eintrafen 
gegen  400  hellenische  Söldner  unter  Menidas,  gegen  500  thrakische 
Eeiter  unter  Asklepiodoros.  Erwägt  man,  daß  von  dem  alten  Bestand 
der  Kavallerie  teils  durch  Tod  und  Krankheit,  teils  zu  Besatzungen 
(so  besonders  in  Ägypten)  nicht  wenig  zurückgeblieben  sein  muß,  so 
ist  klar,  daß  nicht  bloß  diese  1550  von  Arrian  erwähnten,  sondern 
mehr  als  noch  einmal  so  viel  Reiter  nachgekommen  sein  müssen,  um 
Alexanders  Kavallerie  von  den  5000  Mann  am  Granikos  auf  die  7000 
bei  Gaugamela  zu  brmgen. 


Alexander  des  Großen  Armee  221 

Weiter  reichen  unsere  Angaben  über  die  Starke  der  einzelnen 
Kavalleriecorps  von  Beginn  des  asiatischen  Feldzuges  nicht  Den 
sicheren  Zahlen  mögen  im  folgenden  Schema  ungeiahre  Schätzungen 
in  [  ]  zur  Seite  gestellt  werden. 

8  Ilen  makedonische  Ritterschaft  zu  [150—250]  [1800] 

Ilen  thessalische  Ritterschaft    ....  [1200] 

hellenische  Bundesgenossen [400] 

mehr  als  4  Ilen  [makedonische]  Sarissophoren    \  ri2001 

Ilen  Paionen  j 

Ilen  Odrysen ^_._  .  [600] 

mehr  als  5000 

Für  die  Infanterie  Alexanders  steht  die  Frage  der  Phalangen  im 
Mittelpunkt;  alle  anderen  werden  durch  sie  bestimmt  Sie  ist  darum 
so  schwierig,  weil  sie  sich  anders  löst,  je  nachdem  man  sie  nach  der 
Nationalitat,  nach  der  Waffe,  nach  dem  Dienstverhältnis  der  Truppen 
in  der  Phalanx  verfolgt 

Es  mag  gestattet  sein  hier  einiges  aus  dem  Feldzug  Alexanders 
nach  der  Donau,  gegen  die  lUyrier  und  nach  Theben  335  vorauszu- 
schicken. [241]  Unzweifelhaft  hatte  der  König  einen  bedeutenden 
Teil  seiner  Kriegsmacht  in  Makedonien  zurückgelassen,  so  wie  ein 
anderer  (angeblich  10000  Mann  Makedonen  und  Söldner)  bereits  in 
Asien  stand.  Von  den  Hopliten,  die  335  mit  ihm  ins  Feld  zogen, 
werden  genannt  die  xü^u^i  des  Koinos,  Perdikkas,  Amyntas  (I  6,  10 
I  8,  1).  Wenn  Meleagros  und  Philippos  I  4,  5  commandiert  werden, 
die  an  der  Donau  gemachten  Gefangenen  und  Beute  abzuführen,  so 
bezeichnen  diese  beiden  Namen  wohl  dieselben  Offiziere,  die  in  der 
Schlacht  am  Granikos  als  Phalangenführer  genannt  werden;  sie  werden 
mit  ihren  Phalangen  oder  größeren  Commandos  aus  denselben  die 
£skorte  gebildet  haben.  Ist  dies  wahrscheinlich,  so  sind  möglicherweise 
auch  Lysanias  und  Philotas,  welche  die  den  Triballem  abgenommene 
Beute  nach  den  Seestädten  eskortieren,  Phalangenführer  gewesen,  und 
eine  Phalanx  des  Philotas  ist  wenigstens  seit  329  beim  Heer  in  Asien 
(in  18,  6). 

In  der  kleinen  Ebene  bei  Pelion,  von  den  Illyriem  und  Taulan- 
tinem  eingeschlossen,  welche  die  Feste  und  die  Berge  ringsum  besetzt 
halten,  läßt  Alexander,  um  sich  hinaus  zu  manövrieren,  120  Mann  tief 
aufmarschieren  {ixTÜatrsi  rb  aroarbv  ^g  hcarov  xal  sixoai  ro  ßü&o^ 
Tilg  (pdXayyog  I  6,  1),  um  bald  vorwärts,  bald  rechts,  bald  links 
vorgehend  den  Feind  zu  täuschen  {avrijv  Öi  t),v  (füXayya  'ig  tb  to 


222  Alezander  des  Chrofien  Annee 

ngöaco  d^imq  hciVfjae  xal  inl  rd  xigarcc  äXXore  äXXti  naQffyaye), 
endlich  gehn  die  Hypaspisten  zuerst  über  den  FloB  xai  inl  rovrotg 
ai  td^uq  rOv  Max$S6v(ov  (I  6,  7).  Abgesehen  von  dem  Technischen 
dieser  sehr  unklaren  Evolutionen  scheinen  sich  aus  diesem  Bericht 
folgende  zwei  Punkte  zu  ergeben.  Einmal  da  120  nicht  das  Vielfache 
von  16  ist,  so  ist  entweder  die  Fundamentalordnung  der  Phalanx  nicht, 
wie  im  nachfolgenden  Jahrhundert  unzweifelhaft,  die  Rotte  von  16  Mann, 
oder  die  Hypaspisten  standen  nicht,  wie  sonst  in  der  Regel,  auf  dem 
rechten  Flügel,  sondern  an  der  Queue,  um  (m  der  Paragoge?)  bald 
rechts  bald  links  aufzumarschieren.  Sodann  wenn  die  Tiefe  der  Auf- 
stellung bis  auf  120  Mann  gebracht  wurde,  so  mußte,  scheint  es,  die 
Absicht  sein,  die  Front  so  weit  zu  verkürzen,  bis  sie  der  Tiefe  gleich 
war;  das  gesamte  Infanterieviereck,  Hopliten  und  Hypaspisten,  würde 
dann  14  400  Mann  enthalten  haben.  Mögen  Kundigere  diese  beiden 
Punkte  genauer  erörtern;  für  den  ersten  ist  es  eine  nicht  eben  große 
Hilfe,  daß  Kallisthenes  (fr.  83)  [242]  in  der  Schlacht  bei  Issos  die 
Phalanx  zu  acht  Mann  [ßefe  agieren  läßt,  worüber  Polybios  ihn  hart 
genug  tadelt;  der  Ziffer,  die  sich  bei  dem  zweiten  ergiebt^  widerspricht 
nicht,  was  Diod.  XVII  9  angiebt,  Alexander  habe  von  Theben  über 
30000  Mann  Fußvolk  gehabt;  die  Contingente  der  Phokier,  Plataier, 
Thessaler,  der  thessalischen  Umlande  u.  s.  w.  waren  zu  ihm  gestoßen. 
In  jeder  der  drei  großen  Schlachten:  am  Granikos,  bei  Issos,  bei 
Gaugamela  hat  Alexander  sechs  Taxen  oder  Phalangen  schweren  Fuß- 
volkes. Freihch  bei  Arrian  ist  nur  in  der  dritten  Schlacht  diese  Zahl 
unzweifelhaft  (III  11,  9).  In  der  am  Granikos  hat  sein  Text  (1 14,  2) 
ein  verkehrtes  hnl  Si  ij  KQctxiQov  rod  ^AXe^dvSQov  eingeschoben,  das 
man  streichen  muß,  da  ij  Kgcexigov  <pdXccy^  an  der  richtigen  Stelle 
später  (I  14,  3)  wiederkehrt.  In  der  bei  Issos  zählt  Arrian  II  8,  3  nur 
fünf  Taxen,  indem  er  Krateros  nur  als  Befehlshaber  des  linken  Flügels 
der  Phalangiten,  nicht  aber  seine  Taxis  anführt;  man  wird  Alexander 
nicht  für  so  thöricht  halten,  daß  er  zu  der  großen  Schlacht,  die  er 
erwartete  und  suchte,  statt  seine  Hoplitenmacht  zur  Stelle  zu  haben, 
eine  ganze  Phalanx  etwa  in  eine  Anzahl  kleiner  Garnisonen  zerstreut 
haben  sollte,  die  wie  das  Schicksal  der  in  Issos  zurückgebliebenen 
Kranken  zeigt  (Arr.  II  7,  1)  verloren  gewesen  wären;  Arrian  nennt  in 
der  Schlachtordnung  bei  Issos  erst  die  Phalangen  des  Keines,  des 
Perdikkas,  fügt  dann  hinzu  ovrot  (Uv  äara  knl  r6  fiiaov  rdHr  dnhr&v 
än6  toi}  St^iov  äg^afuvov  rarayfiivoi  JjfraVy  dann  folgen  die  des 
Amyntas,  Ptolemaios,  Meleagros  als  zum  linken  Flügel  gehörend; 
das  fiiaov  r&v  dnXivßv  fordert,  daß  etwa  nach  ÜBQSixxov  eingefügt 
werde:    ^ni   Si   rovrov^   ttjv   K^farkQov.     Daß   Krateros   den   linken 


Alezander  des  Grofien  Armee  228 

Flügel  der  Phsdangen  führt,  während  seine  Phalanx  nach  dem  Tages- 
wechsel der  Reihenfolge  zum  rechten  gehört,  hat  gewiß  kein  Bedenken; 
seine  und  jede  Phalanx  wird  neben  ihrem  Strategen  einen  Taxiarchen 
gehabt  habend 

[243]  Diese  Makedonen  der  Phalangen,  diese  Pezetairoi  sind  nicht 
die  einzigen  Hopliten  in  Alexanders  Heer.  Daß  in  demselben  hellenische 
Bündner  und  hellenische  Söldner,  Schwerbewaffnete  und  Peltasten 
waren,  versteht  sich  von  selbst  und  wird  durch  Arrian  bestätigt  Nach 
ihm  führt  die  (Tvfifiaxoi  ne^oi  zuerst  Antigonos  der  spätere  König 
(I  29,  3),  dann,  als  er  Satrap  in  Phrygien  wird,  Balakros  Amyntas 
Sohn,  nach  diesem  (ni  5, 6)  Ealanos.  Die  lei^oi  führt  erst  Menandros, 
T(dv  iraiQCDv;  als  dieser  die  Satrapie  Lydien  erhalten,  folgt  ihm  Elear- 
chos  (III  6,  8).  Eine  neue  Werbung,  die  Eleandros  in  der  Peloponnes 
gemacht,  bringt  4000  fH(T&o(pÖQoi  "EkhivBq^  die  in  Sidon  Frühling  331 
eintreffen,  das  sind  die  in  der  Schlacht  bei  Gaugamela  genannten  oi 
äQxccioi  xccXovfievot  §ivoi  (III  10,2);  ihre  Aufstellung  für  diese  Schlacht 
auf  dem  rechten  Flügel  im  zweiten  Treffen  den  thrakischen  Akontisten 
des  Sitalkes  auf  dem  linken  Flügel  im  zweiten  Treffen  entsprechend 
läßt  vermuten,  daß  sie  Peltasten  sind. 

Da  ist  es  nun  im  hohen  Maße  auffallend,  daß  in  keiner  dieser 
drei  Schlachten  hellenische  Hopliten,  weder  Bündner  noch  Söldner, 
erwähnt  werden,  Peltasten-Söldner  nur  in  der  von  Gaugamela  nach 
der  eben  geäußerten  Vermutung,  und  vielleicht  in  der  von  Issos 
diejenigen,  welche  Arr.  II  9,  4  als  r6)v  'Ekh'ivtav  fii<rd'0(p6Q(ov  i<niv 
Ol  bezeichnet 

Wie  ist  das  zu  reimen?  Gleich  nach  der  ersten  Schlacht  er- 
wähnt Arrian  (I  18,  2)  jene  zwei  Eolonnen  von  je  2500  Makedoniern, 
2500  na^ol  r&v  ^ivcav  und  200  Reitern,  von  denen  die  eine  die  Aiolis 
durchziehen,  die  andere  Magnesia  und  Tralleis  okkupieren  soll;  also 
wenigstens  5000  hellenische  Söldner  waren  zur  Zeit  der  ersten  Schlacht 
beim  Heer.  Und  eben  so  von  Sardeis  aus  schickt  der  Eönig  unter 
Ealas  und  dem  Lynkestier  Alexandres  eine  Golonne  ^nl  rijv  x^Q^''^ 
Tfjv  Mifivovog  und  zwar  rovg  re  IleXonovvTjffiovg  xa\  t&v  äXXcav 
fTVfifiäxcov  Tovg  noXXovg  nXijv  IdQyeicjv^  die  als  Besatzung  in  der  Burg 
von  Sardeis  bleiben;  daß  unter  diesen  trvfifiaxoi  die  thessalischen  Reiter 


^  So  ist  der  Strateg  AmyntaB  des  Andromenes  Sobn  Ende  882  zur  Truppen- 
anshebung  nach  Makedonien  gesandt,  seine  Phalanx  wird  bei  Gaugamela  von 
Simmias  gefuhrt  (Arr.  III  11,  9).  So  gehn  Herbst  334  von  den  „Strategen'^ 
Koinos  und  Meleagros  mit  den  Neuverbeirateten  für  den  Winter  auf  Urlaub 
nach  Makedonien,  während  ihre  Taxeis  wie  die  andern  den  Zug  durch  Pisidien 
mitmachten,  also  von  Stellvertretern  der  beiden  Strategen  geführt  wurden. 


224  Alexander  des  Großen  Armee 

sind,  ergiebt  An.  1 25, 1 ;  also  diese  Kolonne  ist  wie  die  beiden  früheren 
eine  gemischte,  an  Kavallerie  bedeutend  starker  als  jene,  wahrscheinlich 
auch  an  Infanterie;  man  hatte  in  Memnons  Gebiet  wohl  stärkeren 
Widerstand  zu  erwarten  als  in  den  hellenischen  Städten  der  Aiolis 
und  am  Maiandros.  Da  Daskylion  gleich  nach  der  Schlacht  von 
Parmenion  okkupiert  worden  war  (I  17,  2),  so  wird  Memnons  [244] 
Gebiet  etwa  die  Küstenlandschaften  Bithyniens  an  der  Propontis  und 
dem  Bosporos  bis  zur  Grenze  der  Herakleoten  umfaßt  haben,  so  wie 
er  ja  in  früheren  Jahren  zu  Gunsten  der  Herakleoten  einen  Zug  gegen 
den  Tyrannen  im  kimmerischen  Bosporos  unternommen  iat  (Polyaen.  V 
44,  1).  Mit  der  Kolonne,  die  nach  Magnesia  vorgeschickt  war,  hat 
Alexander  wohl,  als  er  nach  Milet  zog,  sich  wieder  vereinigt;  er  ließ 
die  Insel  Lade  mit  den  Thrakern  und  4000  tcHv  äXkcov  ^evoov  be- 
setzen (Arr.  I  18,  5).  War  die  nach  Aiolis  gesandte  Kolonne,  wie  es 
scheint,  noch  nicht  wieder  zu  Alexander  gestoßen,  so  hatte  er  außer 
jenen  zweimal  2500  Söldnern  noch  deren  wenigstens  2500  bei  sich, 
und  die  Gesamtzahl  seiner  hellenischen  Söldner  zu  Fuß  betrug  mehr 
als  6500  Mann. 

Wenn  in  den  drei  Schlachten  Hopliten  der  Bandner  gar  nicht, 
von  hellenischen  Söldnern  nur,  wie  es  scheint,  Peltasten  in  der  von 
Gaugamela  und  Issos,  aber  keine  Hopliten  erwähnt  werden,  so  sind 
folgende  Erklärungen  dafür  möglich:  entweder  1)  Alexander  hat  sie  in 
den  Schlachten  nicht  mit  kämpfen  lassen;  oder  2)  einige  von  den  sechs 
Phalangen  sind  nicht  makedonische,  sondern  bestehn  aus  hellenischen 
und  Söldner-Hopliten;  oder  3)  diese  sind  in  jene  sechs  Phalangen,  um 
Lücken  zu  füllen,  mit  untergesteckt;  oder  4)  sie  bilden  in  den  sechs 
Phalangen  hellenische  Abteilungen  neben  den  makedonischen. 

Alexander  verstand,  wie  die  Überlieferung  überall  zeigt,  zu  gut 
zum  entscheidenden  Schlage  seine  Streitkräfte  beisammen  zu  haben, 
als  daß  er  8 — 10000  Mann  seiner  besten  Soldaten,  ein  Drittel  seiner 
Infanterie,  in  Besatzungen,  Detachierung  u.  s.  w.  hätte  „verkrümeln" 
sollen.    Damit  erledigt  sich  die  erste  Möglichkeit 

Die  zweite,  daß  nur  drei  von  sechs  Phalangen  makedonische,  die 
drei  anderen  hellenische,  aus  Söldnern  und  Bündnem  bestehende,  ge- 
wesen seien,  hat  die  Zustinunung  Kundiger  gefunden.  Und  indem 
Diod.  XVII  57  drei  von  den  Phalangen,  Koinos,  Perdikkas,  Philippos 
(spater  Polysperchon)  mit  ihrem  landschaftlichen  Namen  anführt,  sieht 
man  darin  die  Bestätigung  dieses  erwünschten  Ausweges,  daß  die 
Phalangen  Meleagros,  Amyntas,  Krateros  hellenische  gewesen  seien. 
Wäre  nur  Diodor  der  Schriftsteller,  bei  dem  man,  wenn  er  nur  bei 
drei  Phalangen  den  landschaftlichen  Namen  anführt,  einen  vernünftigen 


Alexander  des  Großen  Armee  225 

Grand  dafür  voraussetzen  müßte,  daß  er  es  nicht  auch  bei  den  drei 
andern  that.  Seine  Reihe  der  sechs  Phalangen  bei  Gaugamela  [245] 
ist  obenein  fehlerhaft.  Er  nennt  von  rechts  nach  links  mit  Arrian 
übereinstimmend  Koinos,  Perdikkas,  Meleagros,  Polysperchon,  dann  folgt 
bei  Arrian  Amyntas,  in  dessen  Abwesenheit  Simmias  commandiert, 
endlich  Krateros;  Diodor  hat  an  vorletzter  Stelle  Philippos  des  Balakros 
Sohn,  eine  Persönlichkeit,  die  sonst  gänzlich  unbekannt  ist.  Curtius  (IV 
13,  28),  der  ja  auf  dieselbe  Quelle  wie  Diodor  zurückgeht,  hat  noch 
wüstere  Verwirrung:  Coenus,  post  eum  Oresiae  et  Ly^ncestae  (d.  h.  Per- 
dikkas), posi  iUos  Polysperchon  dux  peregrini  müitis^  (während  dieser 
nach  Diodor  die  stjmphäische  Phalanx  führt),  kuius  agminis  princeps 
Amyntas  erat:  Fhilippus  Balacri  eos  regebat  in  societatem  nuper  a^eiius. 

Es  mag  nicht  großes  Gewicht  darauf  gelegt  werden,  daß  Alexander 
schon  in  dem  Feldzug  von  335  die  Taxis  des  Meleagros  wahrscheinlich, 
die  des  Amyntas  gewiß  mit  sich  hatte;  man  könnte  ja  sagen,  beide 
hätten  schon  damals  aus  Söldnern  bestanden.  Von  größerem  Belaug 
ist  folgender  Umstand.  Nach  Arrian  III  16,  11  läßt  Alexander  bei 
seinem  Marsch  durch  die  Gebirge  nach  Persepolis  die  thessalischen 
Reiter  und  vom  Fußvolk  die  aififiaxot ,  die  fiia&o(pö()oi  ^ivoi  xal 
6(T0i  älXoi  Tov  (TTQUTBVfiaTog  ßaQVTBüov  cb7i?yt(7fiivoi  unter  Pamienion 
auf  der  großen  Straße  ziehen,  während  er  tov*;  ne^ovi;  rovg  MaxeSövag 
so  wie  die  und  die  anderen  Truppen  mit  sich  durch  die  Gebirgswege 
führt;  und  unter  denen,  die  er  mit  sich  hat,  ist  die  Taxis  des  Krateros 
des  Meleagros,  des  Amyntas,  eben  die  Phalangen,  welche  wesentlich 
nicht  makedonische  gewesen  sein  sollen.  Man  sieht,  mit  diesem  Expeditiv 
der  zweierlei  Phalangen  ist  nicht  durchzukommen. 

Eben  so  wenig  können  die  Bündner,  die  Söldner  in  die  make- 
donischen Taxeis  untergesteckt  sein,  um  ihre  Reihen  zu  füllen.  Wie 
hätten  rd>v  ns^eraiQCJV  xaXovfiivcov  al  rä^eig  (Arr.  IV  23,  1)  auch 
Nicht-Makedonen  enthalten  können?  wie  hätte  man  die  Contingente 
der  Bündner  so  auflösen  dürfen?  Hatten  einmal  die  Bundestruppen, 
die  Söldner  als  solche  mit  ihren  eigenen  Höchstcommandierenden  ihre 
eigene  Organisation,  so  ist  die  Möglichkeit  dieser  Erklärung  völlig 
ausgeschlossen. 

[246]  Bleibt  also  nur  die,  daß  es  in  den  Phalangen,  ob  in  allen 
oder  einigen  ist  gleichgültig,    neben  den  makedonischen  Abteilungen 


*  8o  Mützell;  Hcdieke  giebt:  post  illos  Polypercon,  Tum  peregrini  militis 
prificeps  aberat;  Philipptts  u.  s.  w.  Aus  den  verschiedenen  Lesarten  der  codd. 
Phaligrus  Balacriseos,  Balacricos  Barachilos  schließt  Mützell  auf  einen  Stamni- 
namen  und  er  findet  vom  paläographischcn  Standpunkt  aus  Parauaeos  em- 
pfehlenswert. 

Droyseu,  Kl.  Schrinen  II.  15 


226  Alexander  des  Großen  Armee 

(Lochen)  auch  solche  von  Bündnem  und  Söldnern  giebt;  auf  den  ersten 
Anblick  gewiß  das  Unwahrscheinlichste. 

Wenn  Demosthenes  in  der  Zeit  des  olynthischen  Krieges  den 
Athenern  das  makedonische  Fußvolk  schildert,  bezeichnet  er  sehr  deut- 
lich, wie  sich  die  nt^krai^oi  und  die  ^ivoi  in  ihrer  Art  und  Haltung^ 
voneinander  unterscheiden;  daß  die  Söldner  das  schwerere  Fußvolk 
sind,  ergiebt  der  angeführte  Marsch  durch  die  persischen  Berge;  gewiß 
hat  man  seit  Philipp  in  der  makedonischen  Armee  Formen  gefunden, 
Söldner  und  Makedonen  für  die  Action  zu  combinieren,  ohne  im  übrigen 
ihre  Unterscheidung  zu  verwischen. 

Das  Wort  Phalanx  bedeutet  bei  Arrian  1)  die  Schlachtordnung 
insgesamt  (LEI  12,  1.  I  28,  3);  2)  die  gesamte  Infanterie  m  haiaUU  mit 
Ausschluß  der  ^xfjikoi  (III  11,9);  3)  die  llopliten  m  bataille  {rj  (pdhxy^ 
rcjv  dnhr&v  I  13,  1)  und  zwar  in  dieser  Stelle  beim  Anrücken  iu 
zwei  Colonnen  {SinXfiv  tjjv  (püXuyya  . .  .  ragag);  4)  jede  einzelne  Taxis 
der  Hopliten  m  bataille  (1 14, 2  ij  ITB()dixxov,  ij  Koivov  u.  s.  w.  (pAXccy^, 
Das  Gemeinsame  in  diesen  Anwendungen  des  Wortes  ist  die  Aufetellung 
zum  Gefecht.  Wenn  auch  Arrian  in  seiner  Anwendung  der  Worte 
rd^iq  und  (päXay^  diese  Unterscheidung  nicht  durchführt,  so  wird 
doch  im  eigentlichen  Sinne  die  Phalanx  nicht  als  ein  administrativ- 
militärischer Körper,  sondern  als  ein  combinierter  „Schlachthaufen'' 
von  Hopliten  gelten  müssend 

Einige  Stellen  im  Arrian  bestätigen  diese  Deutung.  Amjntas  des 
Andromenes  Sohn  wird  nach  Sardeis  vorausgesandt,  die  Burg,  deren 
Übergabe  angeboten  ist,  zu  besetzen  —  also  doch  wohl  mit  seiner 
„Phalanx"  (Arr.  117,  4).  Dann  schickt  Alexander  die  Peloponnesier  und 
die  übrigen  Bündner  mit  Ealas  nach  dem  Lande  des  Memnon  mit 
Ausnahme  derer  von  Argos,  die  auf  der  Burg  von  Sardeis  bleiben 
(117,8);  ein  wenig  später  (120,5)  befindet  sich  die  Taxis  des  Amyntas 
mit  Alexander  auf  dem  Marsch  nach  Halikamass.  Also  ij  IdpLvvrov 
rä^ig,  welche  außer  makedonischen  [247]  Lochen  die  Hopliten  von 
Argos  umfaßte,  bleibt,  wenn  auch  die  argivischen  Bündner  nicht  mehr 
bei  ihr  sind.  Und  ähnlich  die  heUenischen  Söldner:  wenn  ihrer  zu 
jenen  beiden  Kolonnen,  die  nach  der  Aeolis  und  nach  dem  Maeandros 
marschieren,  je  2500  neben  eben  so  vielen  Makedonen  commandiert 
sind,  so  sieht  man,  daß  da  von  einem  phalangitischen  Verbände  nicht 


^  Daß  dieses  scheinbare  Durcheinander  praktisch  möglich  und  sachgemäß 
ist,  lehren  die  Armeen  der  ersten  HSlfle  des  18.  Jahrhunderts,  namentlich  die 
Maria  Theresias,  in  der  die  Grenadiercompagnien  der  Infanterie,  die  Karabiner- 
compagnien  der  Kavallerie  für  die  großen  Actlonen  aus  ihrem  RcgimeJitBverbande 
gezogen  und  zu  eigenen  Truppenabteilungen  formiert  wurden. 


Alezander  des  GhroBen  Armee  227 

die  Bede  ist;  die  Trappen  werden  wohl  in  einzelnen  Detachements  in 
die  Städte  dort  gesandt  sein,  sie  zu  okkupieren.  Wenn  nach  Arrian 
(ü  5,  6)  in  Eilikien  Parmenion  mit  den  Bündnem,  den  Söldnern  zu  Fuß 
und  andern  Truppen  ostwärts  vorausmarschiert,  während  Alexander  mit 
dem  übrigen  Heer  nach  Anchiale  und  dann  mit  drei  Taxen  weiter 
westwärts  ins  Öebirg  geht,  so  sieht  man  deutlich,  daß  die  Verbindung 
von  Makedonen  und  Hellenen  eben  nur  vorübergehend  und  für  die 
Au&tellung  en  bataiUe  ist. 

Eben  darum  haben  die  hellenischen  avfjLfiaxot  zu  Fuß  ihren  eigenen 
Strategen,  eben  so  die  ^ivoi  fjua&o^ÖQoi  ihre  eigenen  Commandierenden, 
natürlich  makedonische  Offiziere.  Mag  ein  für  allemal  bestimmt  sein, 
welche  Bündner  und  Söldner  zu  welcher  Taxis  commandiert  werden 
en  bataiOe  aufzurücken,  oder  mag  dies  je  nach  den  Umstanden  durch 
Tagesbefehl  bestimmt  werden,  es  hat  keinerlei  sachliche  Schwierigkeit,  so 
und  so  viel  Rotten  der  schweren  hellenischen  Hopliten  mit  den  Botten 
einer  makedonischen  Taxis  zu  einer  Phalanx  vereint  aufrücken  zu  lassen. 

Die  Führer  der  Phalangen  heißen  und  sind  (ngarfiyoi  wohl  des- 
halb, weil  sie  für  die  großen  Actionen  nicht  bloß  die  Makedonen  ihrer 
Taxen,  sondern  auch  Abteilungen  von  Söldnern  und  Bündnem  unter 
sich  haben.  Das  Gommando  über  sämtliches  Fußvolk  der  Bündner 
hat  ein  Strateg,  weil  er  Gontingente  groß  und  klein  unter  ihren 
Hegemonen  zu  regimentieren  hat,  nicht  in  der  Schlacht,  aber  vorher 
und  nachher,  und  in  allem  sonst,  in  Zucht,  Dienst,  Verpflegung  u.  s.  w. ; 
und  es  ist  bezeichnend,  daß  der  erste  von  den  drei  der  Strategen  der 
Bundesgenossen,  Antigonos,  als  Satrap  in  Phrygien,  der  zweite  Balakros 
als  Strateg  in  Ägypten  zurückblieb.  Auch  der  Commandierende  der 
^ivoi  wird  ein  Strateg  sein,  weil  er  viele  Söldnergenossenschafben  mit 
hren  Hegemonen  (Arr.  UI  9,  3)  in  gleicher  Art  zu  regimentieren  hatte. 

Geiriß  hat  weder  die  Taxis,  noch,  wenn  man  hier  diese  Unter- 
scheidung gestatten  will,  die  Phalanx  eine  normale  Starke  gehabt. 
Und  es  findet  sich  bei  Arrian  kein  sichrer  Anhalt  die  [248]  Gesamtzahl 
der  makedonischen,  der  bündnerischen,  der  geworbenen  Hopliten  zu 
bestimmen.  Daß  die  letzteren  nach  der  Schlacht  am  Oranikos  mehr 
als  5000,  ja  6500  waren,  lehren  die  beiden  oft  angeführten  Kolonnen 
und  die  Besetzung  der  Insel  Lade.  Und  aus  der  Expedition  in  das 
Gebiet  des  Memnon  dürfen  wir  schließen,  daß  die  Zahl  der  Bundes- 
genossen zu  Fuß  ohne  die  von  Argos  über  3000  Mann,  vielleicht  sehr 
viel  darüber  gewesen  sei. 

2.  Daß  die  gleiche  Verbindung  von  Makedonen  und  Hellenen  in 
den  Corps  der  Hypaspisten  {pl  vnaani(nal  t&v  iraiptov)  statt- 
gefunden hätte,  ist  aus  keiner  Andeutung  im  Arrian  erkennbar,  freilich 

15* 


228  Alexander  des  Großen  Armee 

auch  nicht  das  Gegenteil.  Eben  so  wenig  giebt  es  bei  ihm  irgend 
eine  Äußerung,  aus  der  die  Stärke  dieses  Corps  vor  dem  indischen 
Feldzuge  zu  erkennen  wäre;  in  der  Schlacht  am  Hydaspes  sind  es 
beinahe  6000  Mann  Arrian  V  14,  1. 

Wenn  Arrian  III  11,8  die  Schlachtordnung  bei  Gaugamela  be- 
schreibt, so  werden  beim  Fußvolk  zuerst  genannt  ro  äyrjfAa  röv  imaant- 
GTfüv  xai  Inl  TovTo  Ol  äXXoi  ifnacrnifTTai ;  daß  diese  andern  Hypaspisten 
in  Taxen  geteilt  waren,  also  das  äyrjfia  selbst  nur  als  eine  Taxis  zählt. 
ergiebt  sich  aus  Arr.  I  22,  4,  wo  Ptolemaeos  der  mofiaTotfvixc^  r//r 
T6  läSSaiov  xai  TifidvSgov  äfia  oi  rd^tv  äymv  den  Feind  angreift; 
in  diesem  Gefecht  filUt  HSSccioq  6  //A/flf(?/og,  vgl.  II  23,  2.  Man  wird 
aus  dem  Titel  wohl  keinen  Schluß  auf  die  Stärke  der  Hypaspistentaxis 
machen  dürfen;  und  ob  die  Führer  dieser  Taxen  überhaupt  Chiliarchen 
und  nicht  Taxiarchen  heißen,  oder  ob  Addaios  schon  mehr  als  Taxiarch 
oder  noch  nicht  Taxiarch  war,  läßt  sich  nicht  mehr  erkennen.  Schon 
329,  vielleicht  infolge  der  neuen  Organisation  der  Armee  sind  die 
Hypaspisten  in  Chiliarchien  geteilt  (röv  vnaaniaTGjv  /ihccQx^f^^  fjuav 
Arr.  III  29,  7),  und  zwei  Jahre  später  werden  deren  vier  erwähnt, 
Nearchos  und  Antiochos  als  x^^^^QX^i  rrov  vnatrmcfT&v,  und  zwar 
führt  letzterer  außer  seiner  Chiliarchie  noch  zwei  andere  (Arr.  IV  30,  6). 

Wenn  Arrian  III  1 6,  1 1  in  dem  Bericht  über  die  Verteilung  der 
aus  Makedonien  angekommenen  neuen  Mannschaften  angiebt  rovg  ne^ovg 
Si  noofri&Tjxe  xaiq  ra^eai  .  .  .  xarä  id-vi]  ixüatovg,  so  wird  man, 
da  unzweifelhaft  auch  die  Hypaspisten  Verstärkungen  erhielten,  an- 
nehmen müssen,  daß  auch  ihre  rd^nq  landschaftliche  waren,  das  äy^]pi{c 
(als  Garde)  vielleicht  ausgenommen. 

[249]  Daß  die  acjfjLccroipvlaxeg  ßaaihxoi  (Arr.  III  17,  2.  I  6,  5). 
die  Schar  der  jungen  Edelleute,  zu  den  Hypaspisten  gerechnet  wurden, 
ergiebt  sich  aus  der  Aufstellung  der  Truppen  bei  Arr.  V  13, 4  nQc&rovg 
fiiv  Tovg  inaanKTTceg  rovg  ßaaiXixovg,  fov  ijyeiTO  ^ikevxog,  knira^B  xTj 
inncpj  in}  Si  rovroig  ro  äyrjfia  ro  ßamhxdv,  i/ofiivovg  Si  tovtcqv  roig 
äXlovg  imaaniGräg,  ojg  hcdaroig  ai  ijye/jLoviat  h  zto  t6tb  ^wtßuivov, 

3.  In  die  Reihe  der  Peltasten  gehören  die  Thraker  des  Sitalkes 
oder  wie  Arr.  I  28,  4  sie  nennt  oi  dxovriaral  oi  0Qäxeg  mv  yysTro 
2:iTd}ixrjg.  Daß  dieselben  I  27,  8  bezeichnet  werden  als  ai  röy 
dxovTiGT&v  rd^Big,  wird  auf  die  Stärke  dieses  Corps  zu  schließen 
gestatten,  nicht  minder  der  Umstand,  daß  sie  in  der  Schlachtordnung 
von  Gaugamela  im  zweiten  TreflFen  auf  dem  linken  Flügel  den  4000 
alten  Söldnern  des  Klean dros  auf  dem  rechten  entsprechen. 

Ob  diese  Thraker  ein  Bundescontingent  oder  Söldner  sind,  läßt 
sich  aus  Arrian  nicht  (Mkennen,  da  sein  Ausdruck  I  18,  4  rovg  Og^ag 


Alexander  des  Großen  Armee  229 

xal  T&v  äXXmv  ^iv(ov  kq  tbt QcexKTXi^ovq  nicht  entscheidend  ist  Daß 
ein  thrakischer  Mann,  wohl  aus  dem  Fürstenhause,  ein  so  bedeutendes 
Corps  commandiert,  läßt  vermuten,  daß  er  wie  die  Fürsten  der  Paionen 
und  Agrianer  trififiaxog  war.  Frontin  II  11,  3  sagt:  Alexcmder  deviäa 
perdomitaque  Thrcuna  petens  Asiam,  veritus  ne  post  ipsius  disoessum 
sumerent  arma,  reges  eorum  praefectosque  et  omnes  quihtcs  videbatur  inesse 
oura  retrahendae  (v.  1.  detractae)  libertatis,  secmn  velut  honoris  causa  traxii 
u.  s.  w.  Und  Justin  XI  5,  3  reges  stipendiarios  conspeotioris  ingenii  ad 
commüüium  suum  trahit,  segniores  ad  iutelam  regni  relinquii, 

4.  Die  Agrianer  und  die  Bogenschützen  sind  die  xpikoi  in 
Alexanders  Heer.  In  dem  Feldzug  nach  der  Donau  335  hat  er  deren 
2000  mit  sich  gehabt  (Arr.  I  6,  6).  Wenn  im  indischen  Feldzuge  ol 
'AyQiäveq  ol  /ihoi  genannt  werden  (Arr.  IV  25, 6),  so  ist  dafür  gewiß 
nicht  Ol  ipikoi  zu  korrigieren,  da  von  schwer  bewafl&ieten  Agrianern 
im  Heere  nie  die  Rede  ist;  vielmehr  wird  man  schließen  dürfen,  daß 
in  der  Gesamtheit  der  im  Lauf  der  Feldzüge  viel  zahlreicher  gewor- 
denen Agrianer  diese  tausend  etwa  als  die  Veteranen  des  Corps  ausge- 
zeichnet werden.  Es  liegt  nahe  zu  vermuten,  daß  Alexander  wie  335  so 
334  an  Bogenschützen  und  Agrianern  2000  Mann  bei  sich  hatte;  wenig- 
stens [250]  ist  beachtenswert,  daß  schon  im  Herbst  334  Kleandros  der 
Führer  der  Bogenschützen  als  (TTQaTrjyög  r&v  ro^or&v  bezeichnet  wird 
(Arr.  I  28,  8).  Und  bei  Gaugamela  sind  der  Bogenschützen  so  viele,  daß 
sie  gleich  den  Agrianern  je  zur  Hälfte  im  ersten  und  im  zweiten  TrefiFen 
des  rechten  Flügels  aufrücken  (Arr.  III  12,  2).  Bei  Issos  werden  er- 
wähnt oi  TO^örai  Sv  ^q/b  Idvrioxoq  (Arr.  II  9,  2)  und  daneben  ol 
KQTiTeg  ro^örai.  Nach  Antiochos  Tod  erhält  der  Kreter  Ombrion 
dessen  Stelle  (III  5,  6),  und  wenn  Arrian  in  der  Schlachtordnung  bei 
Gaugamela  auf  die  Agrianer  des  Attalos  folgen  läßt  ol  MaxeSövBg 
To^ÖTcci  &v  BgiaoDv  JjQxev,  so  dürfte  für  diesen  Namen  vielleicht 
Vfißgicov  zu  lesen  sein;  denn  daß  Gurt.  IV  13,  31  sagt:  hie  Agriani 
erant  quH/us  Attalus  praeerat  adiunctis  sagittariis  Oretensibusy  hat  eben 
so  wenig  Gewicht  wie  seine  Meinung,  daß  die  Agrianer  Reiter  seien 
(IV  15,  21  equites  Agriani  cakaribus  subditis  harbaros  adorti). 

Schleuderer  kommen  neben  den  Bogenschützen  wohl  im  Donau- 
feldzuge, nicht  aber  in  den  asiatischen  Feldzügen  vor. 


Nach  diesen  wenigstens  in  den  Ziffern  sehr  unbestimmten  Er- 
gebnissen kann  sich  nur  ein  sehr  ungefähres  Bild  von  der  Verteilung 
der  „mehr  als  30  000  Mann  Fußvolk"  im  Heer  Alexanders  ergeben. 
Doch  wird  man  festhalten  dürfen,  daß 


230  Alexander  des  GroBen  Armee 

Söldner mehr  als    6500  M. 

Bündner  y  wenn  man  die  von  Argos 

auf  500  rechnet     ....         weit  über    3500  M. 

gewesen  seien.    Darf  man  femer 

die  Thraker  des  Sitalkes  auf  .    .    .  [etwa    4000  M.] 

die  Agrianer  auf [etwa    1000  M.] 

die  Bogenschützen  (Makedonen   und 

Kreter) [etwa    1000  M.] 

rechnen,  so  ergiebt  sich  als  Rest  für  die 

Makedonen [weniger  als  14  000  M.] 

und  zwar  so  viel  unter  14  000  Mann  als  die  Zahl  der  Söldner  über 
6500,  die  der  Bundesgenossen  über  3500  ist.  Es  ist  natürlich  rein 
willkürlich,  wenn  wir  zum  Ausgleich  dieser  Differenz  ansetzen 

Söldner  [7000  M.] 

Bundesgenossen     [5000  M.] 
Makedonen  [12000  M.] 

oder  richtiger:  nach  dem  Dienstverhältnis  würden  sich  ergeben 

[251]  Makedonen  mit  Einschluß  der  makedonischen 

Bogenschützen [12500] 

Bundesgenossen   mit  Einschluß  der  Agrianer 

und  der  Thraker  des  Sitalkes  .    .    .    [10000] 
Söldner  mit  Einschluß  der  kretischen  Bogen- 
schützen     .     .      [7500] 

30000  M. 

Auf  Grund  dieser  ungefähren  Zahlen  kann  man  sich  etwa  folgende 
Verteilung  des  Fußvolks  der  Waffe  nach  denken. 

Schwerbewaffnete : 

6    Taxen  der  Pezetairoi [9000] 

[in  jeder  etwa  3  Lochen  zu  etwa  500  M.] 
[8]  Lochen  Bundesgenossen     ....    [4000] 

[12]  Lochen  Söldner [6000] 

[19000  M.] 
Peltasten : 

[5]  Taxen  Agema  und  Hypaspisten  der 

Hetairen [3000] 

[2]  Lochen  Bundesgenossen     ....    [1000] 

[2]  Lochen  Söldner [1000] 

[4]  Taxen  thrakische  Akontisten  .    .    .    [4000] 

[9000  M.]^ 


Alexander  des  Großen  Armee  231 


Leichtbewaffnete: 

Makedonische  Bogenschützen  .    .     .  [500] 

Kretische  Bogenschützen    ....  [500] 

Agrianer  Akontisten [1000] 


[2000  M.] 

Wenn  Aman  die  Starke  des  Fußvolks  bezeichnet  als  „nicht  viel 
über  30000  Mann"  —  sagen  wir  100  oder  150  mehr  —  so  gehörten 
diese  möglicherweise  den  ßamltxol  ncciSsi^  die  schon  335  im  Kampf 
gegen  die  lUyrier  und  in  späterer  Zeit  unter  Seleukos  im  Führung  als 
Hypaspisten  erwähnt  werden. 

Für  die  ganze  Erörterung  nahmen  wir  zur  Grundlage,  daß  Arrian 
die  336  nach  Asien  vorausgesandten  Truppen,  von  denen  im  Frühling 
334  vielleicht  noch  ein  Teil  Bhoiteion  und  Umgegend  besetzt  hielt,  nicht 
mit  zu  der  aktiven  Armee  am  Granikos  rechnet.  Aber  wir  konnten 
nicht  verkennen,  daß  für  das  Verbleiben  jenes  Corps  oder  doch  eines 
Teiles  desselben  —  und  daß  es  zurückberufen  sei,  wird  nicht  über- 
liefert —  manche  Gründe  sprechen.  [252]  Will  man  diesen  nach- 
geben und  doch  nicht  die  Angabe  Arrians  verwerfen^  so  ließe  sich 
folgende  Lösung  denken.  Unter  den  160  Trieren  der  makedonischen 
Flotte  (Arr.  I  11,6)  sind  natürlich  auch  die  der  hellenischen  Städte; 
Athen  hat  deren  nach  Diodors  Angabe  (XYII  22)  zwanzig  gesandt, 
nach  Verhältnis  gewiß  die  anderen  Seestädte,  Korinth,  Epidauros,  Sikyon, 
die  Städte  auf  Euboia;  aber  sie  werden  schwerlich  zu  den  Schiffen  und 
den  Schiffsleuten  auch  die  nötigen  Epibaten  gestellt  haben,  und  die 
Flotte  fuhr  nach  der  Schlacht  am  Granikos  unter  dem  Nauarchen  Nikanor 
nach  Süden  gegen  die  persische  Flotte  zu  agieren.  Bechnet  man  etwa 
60  hellenische  Trieren  zu  den  100  makedonischen,  so  waren  für  jene 
gegen  1800  Mann  Bewaffnete  nötig;  mußten  auch  die  makedonischen 
noch  erst  Bewaffnete  an  Bord  nehmen,  so  kommt  man  auf  etwa 
5000  M.  Fußvolk,  die  auf  die  Schiffe  abcommandiert  werden  mußten, 
um  sie  für  mögliche  Gefechte  auszustatten  und  Besatzungen  —  wie 
in  Mitylene  (Arr.  II  1,  4)  —  abzugeben.  Doch  ist  dies  nicht  mehr  als 
eine  lose  Vermutung. 

Das  Ergebnis  dieser  ganzen  Darlegung  ist  nur  negativer  Art.  Hat 
sich  erwiesen,  daß  der  Katalog  Diodors  gänzlich  unzuverlässig  und  fehler- 
haft ist,  und  bleibt  für  die  Frage  über  die  Formation  des  zum  Feldzug 
nach  Asien  ausrückenden  Heeres  nur  das,  was  Arrian  gelegentlich  an- 
giebt  oder  andeutet,  so  muß  man  darauf  verzichten  eine  mehr  als 
sunmiarische  Vorstellung  von  diesem  Heere  und  seiner  Organisation 
gewinnen  zu  können. 


^m.» 


Beiträge  zu  der  Frage  über  die  innere  Gestaltung 
des  Reiches  Alexanders  des  Grossen. 

Monatsberichte  der  Königl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin  1877 

S.  23  E 

[23]  Die  historischen  Überlieferungen,  die  uns  über  die  Zeit  Alexan- 
ders des  Großen  vorliegen,  sind  nicht  der  Art,  daß  man  aus  ihnen  von 
der  inneren  Möglichkeit  des  Reiches,  das  er  hat  gründen  wollen,  von 
den  Formen  und  Organisationen,  welche  dann  für  die  hellenistische 
Welt  maßgebend  geworden  sind,  eine  zureichende  Vorstellung  gewinnen 
könnte. 

Es  würde  nicht  korrekt  sein,  wollte  man  sich  diese  Gründung  so 
oberflächlich  und  wirr  vorstellen,  wie  sie  in  unsem  Quellen  überliefert 
ist  Selbst  in  ihnen  führen  noch  einzelne  Spuren  darauf,  daß  es  bei 
der  Gestaltung  des  Reiches  weder  an  sicherer  Auffassung  der  Aufgabe 
noch  an  Verständnis  der  gegebenen  Bedingungen  und  Berechnung  der 
verwendbaren  Mittel  gefehlt  hat. 

Es  wird  möglich  sein,  diesen  Spuren  nachgehend  einige  Erläute- 
rungen und  Ergänzungen  aus  solchen  Materialien  zu  gewinnen,  die  als 
unmittelbare  Überreste  jener  Zeit  in  anderer  W^eise  Zeugnis  geben  als 
die  Quellen.  Die  folgenden  Bemerkungen  wollen  versuchen,  was  aus 
den  Forschungen  der  Numismatiker  für  den  angegebenen  Zweck  ver- 
wendbar scheint,  darzulegen. 

Es  sind  drei  wichtige  Fragen,  auf  die,  wie  es  scheint,  von  den 
Münzen  einige  Auskunft  zu  gewinnen  ist,  die  nach  der  inneren  Organi- 
sation des  Königtums,  das  Alexander  von  seinem  Vater  erbte,  die  nach 
dem  Verhältnis  Alexanders  zu  den  hellenischen  Staaten  in  Hellas  und 
Asien,  endlich  die  nach  der  Provinzialverwaltung  in  dem  neugeschaffenen 


Zur  Geschichte  Alexauders  des  Großen  233 

Keich.  Eine  vierte  Frage  wird  sich  aus  den  Bemerkungen  beantworten, 
die  vorausgeschickt  werden  mögen,  weil  das  Verständnis  des  weiteren 
davon  bedingt  ist. 

I. 

In  dem  zweiten  Buch  der  Olxovofiixd,  die  unter  den  Schriften 
des  Aristoteles  erhalten  sind  und  der  Diadochenzeit  angehören,  werden 
die  vier  Arten  der  Verwaltung,  die  königliche,  satrapische,  stadtische, 
private,  charakterisiert;  es  wird  von  der  königlichen  gesagt,  [24]  sie  habe 
vier  Zweige  (eiSr]),  die  Münzpolitik,  die  Export-,  die  Importpolitik,  die 
des  Hofhaltes;  am  wichtigsten  sei  die  Münzpolitik,  das  heifie,  in  welcher 
Weise  und  wann  das  Geld  billig  oder  theuer  zu  machen  sei.  So  be- 
stimmt also  erscheint  dieser  Zeit  das  Münzwesen  als  Kegal,  als  nutz- 
bares Recht  des  Königtums. 

Daß  Philipp  IL  es  in  diesem  Sinne  geübt,  daß  er  zuerst  in  seinen 
Landen  eine  allgemein  verbindliche  Münzordnung  eingeführt  hat,  ist 
bekannt.  Galt  im  Perserreich  seit  Dareios  I.  die  Goldwährung,  der 
Stater  oder  Dareik  zu  8,40  g  Gold,  und  wurde  dort  Silber  in  der  Art 
ausgebracht,  daß  einem  Goldstater  10  Stater  Silber  zu  11,2  g  gleich 
gelten  sollten,  so  sank  im  Handel  mit  der  griechischen  Welt,  wo  man 
Silberwährung  hatte,  der  Cours  des  Goldes  mehr  und  mehr.  Lag  dem 
persischen  Münzwert  das  Verhältnis  des  Goldes  zu  Silber  von  1 :  13,33 
zu  Grunde,  so  war  der  Handelswert  um  die  Zeit  des  peloponnesischen 
Krieges  wie  1 :  13,24  und  sank  weiter  unter  1:13,  ja  unter  1:12. 
Das  Bemühen  zwischen  beiden  Werten  Ausgleichung  zu  finden,  führte 
zu  den  vielerlei  Münzsystemen  der  griechischen  Staaten  und  zu  heilloser 
Münzverwirrung.  Der  trat  Philipp  mit  der  Einführung  der  Doppel- 
währang  entgegen;  er  schlug  Goldst^tem  etwas  höher  als  die  persischen, 
zu  8,64  g,  er  nahm  für  das  Silbergeld  den  rhodischen  Fuß  an,  7,24  g 
auf  die  Drachme;  er  fixierte  also  das  Verhältnis  von  Gold  zu  Silber 
auf  1:12,45. 

Sank  der  Wert  des  Goldes  weiter,  so  mußte  auch  aus  Makedonien 
das  Silber  abfließen,  wie  bisher  schon  aus  Persien.  Es  ist  sehr  denk- 
würdig, daß  Alexander  die  Doppelwährung  aufgab,  die  Silberwährun^ 
nach  dem  attischen  Fuß,  die  Tetradrachme  zu  17,27  g,  einführte;  und 
nicht  minder  bemerkenswert,  daß  sich  auch  nicht  eine  Drachme  oder 
Tetradrachme  Alexanders  findet,  die  nicht  auf  diesen  Fuß  geprägt  wäre; 
so  daß  man  annehmen  muß,  daß  er  gleich  im  Anfang  seiner  Begierung 
die  neue  Münzordnung  eingeführt  hat,  die  dem  persischen  Golde  so 
zu  sagen  den  Krieg  erklärte.  Denn  mit  dieser  neuen  Ordnung  war 
das  Verhältnis  von  Gold  zu  Silber  auf  1 :  12,30  gestellt  und  das  Gold 


234  Zur  Ge^ichichtc  Alexanders  des  Großen 

war  zur  bloßen  Ware  gemacht,  zu  einer  Ware,  die,  wenn  die  Schätze 
des  Perserkönigs  erobert  und  das  da  tot  liegende  Gold  dem  Verkehr 
zurückgegeben  wurde,  sich  immerhin  entwerten  konnte,  ohne  daß  die 
auf  Silber  gestellten  Preise  in  der  griechischen  Welt  dadurch  in  gleichem 
Maße  erschüttert  wurden. 

[25]  Wenn  Philipp,  wenn  Alexander  kraft  ihrer  königlichen  Macht- 
yollkommenheiten  neue  Münzordnungen  erließen,  so  traten  dieselben 
natürlich  überall,  soweit  die  Befehle  des  Königtums  gesetzliche  Ejraft 
hatten,  in  Geltung;  und  umgekehrt,  Gebiete  und  Städte,  wo  sie  nicht 
Aufnahme  fanden,  standen  nicht  in  solchem  Abhängigkeitsverhältnis 
zum  makedonischen  Königtum.  Gab  es  Städte  oder  Gebiete,  die  in 
dieser  Zeit  nach  dem  königlichen  Münzfuß,  aber  mit  autonomen  Typen 
prägten,  so  sind  sie  dem  neuen  Münzfaß  entweder  aus  eigener  Wniil 
gefolgt,  oder  sie  haben  bei  ihrer  Abhängigkeit  von  dem  Königtum  eine 
gewisse  communale  Autonomie  bewahrt 

n. 

Damit  ist  ein  Kriterium  bemerkenswerter  Art  gewonnen.  Wenn 
von  den  Griechenstädten  der  thrakischen  Südküste  in  Alexanders  Zeit 
nur  Byzanz  nicht  Silbergeld  nach  Alexanders  Münzfuß,  geschweige  mit 
Alexanders  Typen  und  Namen  geschlagen  hat,  so  ist  Byzanz  nicht  wie 
Abdera,  Maroneia,  Perinthos  u.  s.  w.  eine  unterthänige  Stadt  mit  immer- 
hin freier  Communalverfassung  geworden,  sondern  ein  autonomer  Staat 
geblieben.  Wenn  die  Stadt  Kardia  auf  der  Chersones  Tetradrachmen 
mit  Alexanders  Typus  und  Namen  prägte  und  sich  auf  denselben  nur 
mit  dem  bescheidenen  Beizeichen  der  Lanzenspitze,  dem  alten  Wappen 
der  Stadt,  als  Prägestätte  bezeichnete,  so  sieht  man  daraus,  daß  Heka- 
taios,  der  als  Tyrann  von  Kardia  von  335  bis  über  Alexanders  Tod 
hinaus  bekannt  ist,  nicht  souveräner  Herr  der  Stadt  in  dem  Sinne 
war,  wie  in  derselben  Zeit  Timotheos  und  dessen  Bruder  Dionysios  in 
der  pontischen  Herakleia,  denn  sonst  hätte  er,  wie  diese,  Münzen  mit 
seinem  Namen  geprägt. 

Daß  die  Fürstentümer  und  Yölkerstämme  von  der  Adria  bis  zum 
Pontes,  die  Makedonien  umgaben,  die  der  Epeiroten,  der  Agrianer,  der 
Paionen,  einige  illyrische,  die  thrakischen  der  Odryser,  Geten,  Triballer 
in  einer  gewissen  Abhängigkeit  von  dem  makedonischen  Königtum 
standen,  ist  aus  unsern  Quellen  ersichtlich,  nicht  aber,  wie  weit  sich 
diese  Abhängigkeit  erstreckte. 

Nur  von  den  Verhältnissen  des  paionischen  Landes  erfahren  wir 
einiges.    Diod.  XVI  2  und  4  berichtet,  daß  die  Paionen  [26]  kurz  vor 


Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen  235 

dem  Anfang  Philipps  IL  nach  Makedonien  eingebrochen  seien,  daß  um 
die  Zeit  seines  An&nges  der  Paionenkönig  Agis  gestorben  sei,  daß 
Philipp  sich  sofort  gegen  die  Paionen  gewandt,  sie  besiegt  habe,  rovg 
ßccQftÜQovg  vixf'jtrag  ijvdyxaaB  rb  i&voq  net&agx^i^  toTg  MaxeSömv. 
Drei  Jahre  später  356  erwähnt  er  (Diod.  XVI  22),  daß  die  Athener, 
als  sich  Philipp  der  Goldbergwerke  am  Pangaion  bemächtigt,  mit  drei 
Königen,  dem  der  Paionen,  dem  der  Thraker  und  dem  der  Ulyrier, 
ein  Bündnis  zum  Angriff  gegen  ihn  geschlossen  hätten,  daß  Phillipp 
ihrem  Angriff  zuvorgekommen  sei,  daß  er  sie,  ehe  ihre  Streitkräfte  sich 
vereinigt  hätten,  geschlagen  und  zur  Abhängigkeit  gezwimgen  habe  — 
äTttfpavelg  ätrwräxroig  xal  xarankrj^dfievog  i]vciyxa(T6  ngoa&ka&ai 
Tolg  MaxsSöm.  Von  eben  diesem  Bündnis  der  Athener  handelt  eine 
attische  Inschrift,  zu  deren  früher  schon  bekannter  ersten  Hälfte  1876 
durch  die  Ausgrabungen  am  Fuß  der  Akropolis  ein  zweites  bedeutendes 
Stück  hinzugekommen  ist  (C.  I.  A.  n  Add.  66^);  sie  giebt  die  Namen 
der  drei  Fürsten,  mit  denen  Athen  sich  verbündet  hat:  es  ist  der 
Thraker  Ketriporis  „und  seine  Brüder^',  der  lUyrier  Grabes,  der  Paione 
Lyppeios.  Es  giebt  Silbermünzen  mit  AYKKEIOY  (Lenormant  in  der 
Revue  Num.  1866)  oder  auch  AYKTTEIO  (Six  Numism.  Chron.  1875 
1  S.  20),  die  schon  Eckhel  nach  ihrer  Prägung  als  paionische  erkannte. 
Ein  attisches  Ehrendecret  von  286  (C.  I.  A.  II  Nr.  312)  nennt  den  König 
Audoleon  6  IIai6v(ov  ßatrtXivg  AiSaoUiov,  den  Sohn  des  Patraos^ 
Wir  wissen  aus  unsem  Quellen,  daß  Audoleon  schon  310  König  war 
(Diod.  XX  19  XXI  13),  und  daß  kurz  vor  281  sein  Sohn  Ariston,  als 
er  die  Erbschaft  des  Vaters  antreten  wollte,  von  König  Lysimachos 
vertrieben  worden  ist  (Polyaen.  IV  12,  3).  Damit  endet  das  Fürstentum 
der  Paionen;  das  Land  haben  dann  erst  die  Galater  überschwemmt, 
dann  die  Dardaner  unterworfen,  bis  diesen  König  Philipp  217  wenigstens 
die  paionische  Feste  Bylazora  am  Südeingang  der  Pässe  von  Skopia 
wieder  entriß  (Polyb.  V  97, 1). 

Von  Alexanders  Zuge  835  sagt  Diodor  XVII  8:  kaxQdtiva^  inl 
Ttjv  Qq^xtiVj  xal  noXkcc  fiiv  ii&vrj  Qg^xta  .  .  .  inoxccyflvai  xatfjvci- 
yxaatv  infjl&B  Si  xa\  ttjv  Uatoviav  xal  rijv  IkkvQtScc  xal  rovg 
öfiÖQOvg  Tcevratg  ;^c5()ofg,  xal  noXXovg  rßv  xarotxovprmv  ßagßdQmv 
äfpearrjxörag  x^iQf^oadfjLSVog  vnrixöovg  ndvrag  rovg  nXriaioxdiQOvg  ßag- 
ßdQovg  knon^tTOTo^.  [27]  Man  kann  zweifeln,  wieviel  man  von  diesen 
Ausdrücken  für  die  Paionen  in  Anspruch  nehmen  darf;  ebenso  muß 
noch  dahingestellt  bleiben,  ob  die  höchst  merkwürdige  Inschrift  auf  dem 

*  [Vgl.  oben  Th.  I  S.  79  ff.] 

*  Zehn  Jahre  frflher  führt  Isokrates  (Philipp.  §  21)  neben  den  Magneten 
und  Perrhaibem  die  Paionen  an:  xal  navxag  4fnri%6ovg  aviovg  e}liig>e¥. 


236  Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen 

Weihgeschenk  eines  paionischen  Königs,  die  in  den  letzten  Wochen 
in  Olympia  aufgefunden  worden  ist,  der  Zeit  zwischen  Lykpeios  und 
Patraos,  wie  vermutet  worden  ist,  angehört.  Es  giebt  vom  Audoleon, 
von  seinem  Vater  Patraos,  der  vielleicht  schon  zu  Alexanders  Zeit 
König  war,  Silbennünzen  mit  ihrem  Namen  und  Typus;  dieselben 
haben  weder  das  Gewicht  der  philippischen  Doppeldrachme  14,48  g, 
noch  das  der  Tetradrachmen  Alexanders  17,27  g,  sondern  das  des  Au- 
doleon wiegt  12,03  g,  das  des  Patraos  12,06  g,  das  des  Lykpeios  in 
verschiedenen  Exenaplaren  13,15  g,  12,74  g,  12,57  g.  Also  Paionien 
stand  wie  vor,  so  nach  der  Besiegung  durch  Philipp,  nicht  unter  dem 
makedonischen  Münzgesetz,  folgte  seinem  eigenen  Münzfuß^.  Einige 
Ilen  paionischer  Reiter  —  einen  solchen  zeigt  die  Münze  des  Patraos, 
wie  er  einen  behelmten  zu  Boden  geworfenen  Feind  durchsticht  — 
waren  in  dem  Heere  Alexanders,  das  nach  Asien  zog,  geführt  von 
Ariston,  vielleicht  einem  Bruder  des  Patraos,  wie  sein  Enkel  ja  wieder 
diesen  Namen  hat;  denn  als  Alexanders  Maxime  wird  überliefert:  rege^ 
{harharoruin)  praefeciosqtie  et  omnes  quibiis  videbatur  inesse  ctera  detradae 
libertatis  seoum  vel  honoris  causa  detraocit  (Frontin  II  11,  2  vgl.  Justin  XI 
5,  3).  Ob  diese  paionischen  Ilen  als  ^ivoi  oder  als  (rvfifiaxoi,  ob  auf 
Grund  eines  besonderen  Werbevertrages  oder  als  Contingent  des  pai- 
onischen Fürstentums  folgten,  muß  dahingestellt  bleiben  [s.  oben  S.  214]; 
Langaros,  der  Fürst  der  Agrianer,  der  335  dem  Könige  zum  Zuge  an  die 
Donau  1000  Mann  gestellt  hatte,  konnte  ihm,  als  er  durch  das  Agrianer 
Gebiet  zurückmarschierte,  noch  eine  bedeutende  Zahl  Hypaspist^n  vor- 
führen [28]  und  mit  diesen  die  Autariaten,  die  den  Makedonen  in  die 
Flanke  fallen  wollten,  zurückzutreiben  sich  erbieten. 

Von  Langaros,  von  dem  Triballerkönige  Syrmos,  von  dem  Tau- 
lantiner  Glaukias,  dem  Illyrier  Kleitos  sind  bis  jetzt  keine  Münzen  be- 
kannt, eben  so  wenig  von  den  odrysischen  Fürsten  dieser  Zeit,  obschon 
deren,  auch  nach  Beseitigung  des  Kersobleptes  und  Teres  durch  König 
Philipp,  wenigstens  einer,  vielleicht  einige  im  Hebroslande  geblieben 
sind^,  wenn  auch  neben  und  über  ihnen  ein  makedonischer  Strateg. 


'  Imhoof-Blumerfinv.  Sallet  Numismat.  Zeitschrift  I  S.  1 08)  macht  dar- 
auf aufmerksam,  daß  die  Münzen  von  Damastion  und  Pelagia,  iUyrischen  Berg- 
städten, in  denen  er  die  dann  Antigoneia  und  Antipatros  genannten  wieder- 
erkennt, nach  dem  gleichen  Fuß  wie  die  paionischen  geprägt  sind.  Daß  Audoleon 
auch  Tetradrachmen  mit  seinem  Namen,  aber  dem  Typus  Alexanders  geprägt 
hat,  ist  für  unsere  Frage  unwesentlich. 

*  Diese  Thatsache  ergiebt  sich  aus  der  Angabe  Diod.  XVITI 14,  vgl.  XIX  73,  daß 
Seuthes,  „König**  der  Thraker,  322  sich  gegen  Lysimachos  erhob,  und  aus  der  bei 
CurtiusXl,  45  auf  die  Vorgänge  von  330  bezüglichen:  Seuthes  Odrysas  populäres 
SIMS  ad  defecHonem  compulerat  u.  s.  w.,  endlich  aus  der  jüngst  gefundenen  attischen 


Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen  237 

Von  besonderem  Interesse  würde  es  sein,  genaueres  über  das  Ver- 
hältnis des  molossischen  Königtums  zu  Makedonien  finden  zu  können; 
um  so  mehr,  da  die  überaus  bedeutsame  Frage,  ob  der  Molosser  Alexander 
auf  eigene  Hand  oder  im  Zusammenhang  mit  der  makedonischen  Politik 
334/3  seinen  Zug  nach  Italien  unternommen  hat,  nach  den  Angaben 
unserer  Quellen  nicht  zu  erledigen  ist.  Der  molossische  König  Alketas 
wird  um  372  von  lason  von  Pherai  bei  Xen.  Hell.  Yl  l,  1  6  iv  ry 
'HnilQ(p  vnagxoqj  also  als  Untergebener  Thessaliens  genannt;  nach 
seinem  Tode  teilten  seine  Söhne  Neoptolemos  und  Arrybbas  nach 
längerem  Hader  die  Herrschaft,  und  als  Neoptolemos  starb,  blieben 
dessen  Kinder  Olympias  und  der  viel  jüngere  Alexander  in  des  Oheims 
Haus,  bis  Olj'mpias  mit  König  Philipp  vermählt  wurde.  Wenn  Satjros 
fr.  5  von  Philipp  sagt:  n^oaexHjtraro  xai  rtiV  Mokörrcov  ßuaikeiav 
ytjfia(s  VkvfiJttäda,  so  muß  eine  Art  weiblicher  Succession  in  Epeiros 
in  Geltung  gewesen  sein,  wofür  das  spätere  Verhalten  der  Olympias 
im  molossischen  Lande  mehr  als  einen  Beweis  giebt.  Wenn  Philipp 
ihren  Bruder  Alexander  342,  nachdem  er  Arrybbas  beseitigt,  in  den 
Besitz  des  ganzen  Landes  setzte  und  dasselbe  um  das  kassopische  Gebiet 
am  ambrakischen  Meerbusen  erweiterte,  so  scheint  die  Vermutung  nahe 
zu  liegen,  daß  das  molossische  Königtum  in  [29j  makedonischer  De- 
pendenz  blieb.  Aber  bei  den  schweren  Wirren,  die  Philipps  Ermordung 
in  Makedonien  hervorrief,  bei  der  schwereren  Gefahr,  mit  der  Alexanders 
Anfang  durch  die  Erhebung  der  Völkerschaften  in  Thrakien,  an  der 
Donau,  in  lUyrien,  durch  die  gleichzeitige  in  Hellas  bedroht  war,  findet 
sich  von  einer  epeirotischen  Hilfeleistung  zu  dem  Zuge  an  der  Donau, 
gegen  die  Illyrier,  nach  Theben  nicht  die  geringste  Spur.  Und  die 
silbernen  Großstücke,  die  der  junge  Molosserkönig  prägen  ließ,  und 
zwar  in  Tarent,  wie  die  Numismatiker  aus  dem  Stil  des  Gepräges 
entnehmen,  folgen  weder  dem  System  Philipps  von  14,48  g,  noch 
dem  Alexanders  von  17,27  g,  noch  dem  der  Tarentiner  von  7,70  bis 
7,90  g;  sie  wiegen  zwischen  10,75  und  10,50  g.  Sie  haben  die 
Umschrift  AAEEANAPGY  TOY  NEOÜTOAEMGY,  sie  stimmen  in 
ihrem  Typus  —  Schauseite:  Kopf  des  dodonaeischen  Zeus  mit  Eichen- 
laub gekränzt,  Rückseite:  Adler  auf  dem  Donnerkeil  stehend  —  ganz 
mit  denen  der  Stadt  Kassope  (Umschrift  der  R.  KAZZQTTAIQN),  nur 
daß  diese  in  der  Drachme  4,24  g  wiegen,  also  dem  attisch-makedo- 
nischen System  folgen.  Ich  entnehme  diese  Angaben  einem  Aufsatz 
von  Imhoof-Blumer  (in  v.  Sallet  Num.  Zeitschrift  III  S.  288). 

Inschrift,  über  der  eine  bildliche  Darstellung  mit  der  Unterschrift:  *l^i]i^ovhtg2svd-ov 
vioy'  Köivo^  itdslfpo^  «y^eA  .  .  .  .  ,  [0. 1.  A.  II  Add.  ITö**];  aus  der  man  schließen 
darf^  daß  wie  der  Vater,  so  der  Bruder  des  Genannten  Fürst  in  Thrakien  ist 


238  ^^ur  Geschichte  Alexanders  des  Grofien 

Es  ist  bekannt,  daß  firüher  in  Makedonien  teils  jüngere  Linien 
des  Königshauses  mit  eigenen  Herrsohaften  ausgestattet  wurden,  wie 
z.  B.  von  einem  jüngeren  Sohne  des  Philhellenen  Alexander  die  fürst- 
liche Familie  in  Elymioüs  stammt,  der  die  Derdas,  Machatas,  Harpalos 
angehören,  teils  älteie  erbliche  Fürstentümer  bestanden  hatten,  wie  das 
der  Oresten,  dem  Alexanders  Feldherr  Perdikkas,  das  der  Tymphaier, 
dem  Polysperchon  entstammte,  das  der  Bakchiaden  in  der  Lynkestis, 
das  vor  dem  Vater  Philipps  U.  einige  Jahre  selbst  das  makedonische 
Königtum  innegehabt  hatte.  Philipp  II.  selbst  ist,  bevor  er  das  König- 
tum übernahm,  ein  solcher  Teilfürst  gewesen  und  hat  als  solcher  Truppen 
gehalten,  wie  auch  von  Derdas  IL  in  Elymiotis,  von  den  Lynkesten 
in  früherer  Zeit  nachzuweisen  ist  Wenn  von  keinem  dieser  Fürsten 
Münzen  vorliegen,  so  wird  das  nicht  zufallig  sein;  sie  werden  nicht 
das  Münzrecht  gehabt  haben. 

Und  so  scheint  sich  in  dem  Bereich  des  makedonischen  König- 
tums und  seiner  Dependenzen  eine  Mannigfaltigkeit  von  Abhängigkeits- 
verhältnissen zu  ergeben,  die  dieser  Machtbildung  ihren  eigentümlichen 
Charakter  geben. 

m. 

[30]  Dieselbe  Eigentümlichkeit  in  anderer  Wendung  zeigen  die 
Stadtemünzen  Philipps  und  Alexanders.  Die  scharfsinnigen  Unter- 
suchungen von  li.  Müller  suchen  zu  erweisen,  daß  die  Monogramme 
auf  den  Münzen  Philipps  und  Alexanders  teils  wie  andere  kleine  Bei- 
zeichen die  Prägestatte,  teils  die  Namen  der  mit  der  Prägung  betrauten 
Beamten  bezeichnen.  Müller  hat  mehrere  Fälle  zu  erkennen  geglaubt^ 
in  denen  dasselbe  Monogramm  sich  auf  den  Münzen  Philipps  IL  und 
Alexanders,  Alexanders  und  Philipps  III.,  oder  auch  auf  den  Münzen 
mehrerer  einander  benachbarter  Städte  findet;  er  hat  daraus  geschlossen, 
daß  diese  Monogranmie  nicht  jährlich  wechselnden  städtischen,  sondern 
dauernd  angestellten  königlichen  Beamteten  angehören.  Die  Ergebnisse 
dieser  Untersuchung  sind  wohl  noch  nicht  derart,  daß  man  weiteres 
darauf  zu  bauen  wagen  könnte. 

Schon  die  Erwähnung  von  Byzanz,  Kardia,  Perinth,  Abdera  u.  s.  w. 
führte  uns  auf  das  Verhältnis  des  makedonischen  Königtums  zu  den 
griechischen  Städten.  Wenn  König  Philipp  dieselben  nach  der  Schlacht 
von  Chaironeia  in  dem  Bunde  von  Korinth  vereinigt,  wenn  Alexander 
diesen  Bund  nach  dem  raschen  Strafgericht  über  Theben  erneut  hatte, 
wenn  dieser  Bund  für  den  Krieg  gegen  die  Perser  und  die  Aufrecht- 
erhaltung von  Friede,  Recht  und  Ordnung  unter  den  Genossen  gegründet 


Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen  2Sd 

worden  war,  so  liegt  die  Frage  nahe,  ob  auch  die  hellenischen  Staaten 
außerhalb  des  eigentlichen  Griechenlands,  ob  namentlich  die  Oriechen- 
stadte  in  Eleinasien  und  die  Inseln  Genossen  dieses  'EXlrjvixöv  ge- 
worden, oder  in  welches  Verhältnis  sonst  sie  zu  Alexander  getreten  sind. 

Aus  den  Schriftstellern  ergiebt  sich  für  diese  Frage  wenig.  Für 
Thessalien  erhellt  aus  der  Liste  der  Ihessahrum  reges  bei  den  Chrono- 
graphen j  daß  die  Städte  dort,  wenn  auch  in  eigener  Art  und  Verfass  ng, 
seit  Philipp  IL  den  makedonischen  Königen  untergeben  waren;  iind  die 
Münzen  Philipps  und  Alexanders  bestätigen  es.  Daß  von  allen  Staaten 
„innerhalb  der  Thermopylen",  wie  in  jener  Zeit  der  technische  Aus- 
druck war,  nur  Sparta  den  Beitritt  zum  korinthischen  Bunde  versagte 
und  darüber  bedeutende  Gebietsminderung  erfuhr,  ist  bestimmt  über- 
liefert. 

Man  könnte  glauben,  daß  Byzanz,  weil  Alexander,  in  dem  Feld- 
zuge gegen  die  Geten  335,  Kriegsschiffe  der  Studt  zum  [31]  Übergang 
über  die  Donau  erwartete  und  wirklich  vorfand,  in  dieser  Hilfeleistung 
als  zu  dem  korinthischen  Bunde  gehörig  zu  erkennen  sei.  Aber  teils 
findet  sich  von  dem  Eintritt  der  Byzantier  in  diesen  Bund  sonst  keine 
Erwähnung,  teils  kann  diese  Hilfe  gegen  die  Geten  nicht  auf  Grund 
des  korinthischen  Bundes  gefordert  und  geleistet  worden  sein,  da  Alexan- 
der nur  für  den  Feldzug  gegen  Persien  zum  (TTQarfjyog  avroxQccrcoQ 
bestellt  und  der  Bund  nur  zur  Stellung  seiner  Contingente  gegen 
Persien  verpflichtet  war.  Somit  ist  jene  SchifFssendung  auf  Grund 
eines  besonderen  Vertrages  erfolgt,  der  wohl  auch  des  weiteren  die  Sym- 
machie  zwischen  Makedonien  und  Byzanz  geordnet  haben  wird. 

Aus  der  Darstellung  Arrians  ergiebt  sich  mit  Sicherheit,  daß  die 
Insel  Tenedos  in  den  korinthischen  Bund  getreten  ist;  wie  die  persische 
Flotte  im  Anfang  333  dorthin  konunt,  werden  die  (rrfjlat  ai  n^og 
!/4Xi^avSgov  xal  rovg  ""Ekktjvccg  yevöfuvai  a^piai  zerbrochen.  In  ähn- 
licher Weise  verfahren  die  persischen  Generale  in  Mitylene,  aber  der 
Ausdruck,  den  Arrian  da  braucht  (11  1,4)  xa&eUiv  rag  ngdg  !AXi' 
^avÖQÖv  <T(pi(Tt  yevofuvag  Grfihzg  ohne  xal  rovg  ""EXXrjvccg  läßt  wohl 
keinen  Zweifel,  daß  diese  Stadt  nicht  dem  xoivbv  r&v  'Ekh'ivcov  bei- 
getreten ist.  Wenn  nach  der  Ermordung  des  Dareios  die  hellenischen 
Söldner  und  Gesandschafben,  die  bis  zuletzt  in  seiner  Umgebung  ge- 
wesen waren,  in  Alexanders  Hand  fallen,  so  entläßt  er  den  Gesandten 
von  Sinope  6ti  2iv(onitg  ovre  rov  xoivod  rßtv  'EXk/jvcov  fiBreTxov 
0VT8  dmixöra  nonlv  kSöxovv  nagä  rov  ßaaiXicc  atp&v  nQBaßsvovrsg 
(Arr.  III  25,  4). 

Auf  die  Frage,  wie  Alexander  sein  Verhältnis  zu  den  befreiten 
Griechenstädten   der  asiatischen  Küste   geordnet   habe,   geben  unsere 


240  Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen 

Quellen  keinen  Bescheid.  Wohl  fuhrt  Aman  an  (I  17,  10),  daß  der 
König  in  Ephesos  die  Demokratie  hergestellt  und  den  bisherigen  Tribut 
der  Stadt  dem  Tempel  der  Artemis  überwiesen  habe,  nicht  minder  (I 
18,  1)  daß  er  eine  Kolonne  nach  der  Aiolis,  eine  zweite  zu  den  ionischen 
Städten  gesandt  habe  mit  der  Weisung,  überall  die  Demokratie  und 
Autonomie  herzustellen  und  die  Tribute,  die  sie  den  Barbaren  zahlen 
müssen,  ihnen  zu  erlassen.  In  ähnlicher  Weise  befreit  nach  der  Schlacht 
von  Issos  die  makedonische  Flotte  die  Inseln  Chios,  Kos,  vertreibt  die 
von  dem  Spartanerkönig  nach  Kreta  gesandten  Besatzungen  aus  den 
Städten  dort;  aber  nirgends  findet  sich  eine  Andeutung,  ob  die  befreiten 
Städte  dem  xotvov  rdv  'EXXiivcov  beigetreten,  ob  von  ihnen  irgend 
welche  [32]  Leistungen  für  den  Feldzug  gegen  Persien  gefordert  wor- 
den seien. 

Auf  die  erste  dieser  Fragen  scheinen  die  Münzen  Antwort  zu 
geben.  Es  finden  sich  Gold-  und  Silbermünzen  Alexanders  von  fast 
allen  Griechenstädten  Kleinasiens,  sowie  von  den  namhaftesten  Inseln; 
und  damit,  so  durfte  man  schließen,  ist  der  Beweis  geliefert^  daß  diese 
Städte  nicht  Staaten  waren,  wie  die  des  korinthischen  Bundes,  sondern 
wie  Perinth,  Abdera,  Maroneia,  immerhin  Freistädte,  aber  königliche  nnd 
zum  Königtum  nicht  im  Bundes-  sondern  Unterthanverhältnis  standen. 

An  dieser  Stelle  muß  der  sogenannten  Klassifikation  der  Alexander- 
münzen Erwähnung  geschehen.  Der  schon  genannte  Numismatiker 
Müller  erkannte  bei  sorgfältiger  Beobachtung  der  fast  2000  verschie- 
denen Typen  von  Alexandermünzen,  daß  die  silbernen  —  bei  den 
Stateren  tanden  sich  so  deutliche  Unterschiede  nicht  —  nach  der  Zeich- 
nung und  in  der  Technik  des  Gepräges  sich  in  sieben  Klassen  scheiden, 
von  denen  die  drei  ersten  sichtlich  die  älteren  sind,  die  drei  letzten 
einer  Technik  angehören,  die  erst  mit  dem  Ausgang  der  Diadochenzeit 
eintritt,  zwischen  beiden  eine  Klasse,  die  vierte,  für  deren  Zeit  ein  bei 
Patras  1850  gefundener  Schatz  einen  Anhalt  gab.  Es  waren  meist  Tetra- 
drachmen, die  ihren  Beizeichen  nach  in  Sikyon  geprägt  sein  mußten, 
und  Sikyon  war  erst  seit  der  Zeit  des  Reichsverwesers  Polyspcrchon, 
d.  h.  den  Jahren  316 — 308,  makedonisch.  Sehr  bemerkenswert  nun 
ist,  daß,  wie  Müller  aus  den  Beizeichen  zu  erkennen  glaubt,  die 
sämtlichen  in  den  Griechenstädten  Kleinasiens  geprägten  Tetradrach- 
men der  V.  und  VI.  Klasse,  die  von  Mesembria,  Odessos  und  an- 
deren Städten  an  der  Westküste  des  Pontos  der  VII.  Klasse  angehören, 
während  die  I.  Klasse  sich  nur  in  den  Prägungen  von  Makedonien, 
Thesvsalien,  dem  südlichen  Thrakien,  die  zweite  nur  in  denen  von  Kili- 
kien,  Syrien  und  Phoinikien  findet,  die  111.  auf  diese  beiden  Bereiche 
sich  verteilt. 


Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen  241 

Hierzu  kommt  noch,  daß  sich  durch  einen  Münzfand,  von  dem 
gleich  zu  sprechen  sein  wird,  erwiesen  hat,  daß  während  der  Zeit 
Alexanders  und  in  dem  Jahrzehent  nach  seinem  Tode  mehrere  dieser 
kleinasiatischen  Städte,  namentlich  Rhodos  Pergamon  Eios,  Stateren 
mit  ihrem  eigenen  Typus  geprägt  haben,  also  autonome,  nicht  Königs- 
stateren. Und  weiter:  die  rhodischen  Münzen  schon  seit  König  Philipp  II. 
haben  meist  immer  die  Namen  der  [33]  Münzbeamten  welche  für 
die  Prägung  verantwortlich  waren,  voll  ausgeschrieben;  vier  Namen 
solcher  Münzbeamten,  die  auf  rhodischen  Alexandertetradrachmen  der 
VI.  Klasse  von  17  g  Gewicht  vorkommen,  Stasion  Ainetor  Aristobulos 
Damatrios,  fanden  sich  zugleich  auf  autonomen  rhodischen  Doppel- 
drachmen rhodischen  Fußes  zu  etwa  14  g  (Müller,  Num.  d'Alex.  S.  260), 
ja  der  Name  Aristobulos  findet  sich  auch  auf  rhodischen  Stateren  mit 
den  Typen  und  dem  Namen  des  Lysimachos,  und  ein  fünfter  Name  jener 
autonomen  Münzen  Mnasimachos  erscheint  auf  einem  rhodischen  Stater 
mit  dem  Namen  und  Gepräge  Philipps  IL  Also  Rhodos  hat  im  Aus- 
gang der  Diodochenzeit  und  später  noch  sein  altes  Münzsystem  beibe- 
halten, wenn  auch  von  Seiten  des  Staates  daneben,  unzweifelhaft  im 
Interesse  des  Handels,  besonders  verbreitete  Münzen,  wie  Tetradrachmen 
Alexanders,  Stateren  des  Lysimachos,  Stateren  Philipps  IL  geprägt  wor- 
den sind.  Noch  augenfälliger  ergiebt  sich  das  gleiche  Verhältnis  bei 
Ephesos;  Drachmen  dieser  Stadt  mit  der  Biene  und  der  Umschrift 
APZI  statt  E<t)  (bei  L.  Müller,  Münzen  des  Lys.  No.  429—433),  also 
der  Zeit  zwischen  281  und  280  angehörend,  in  der  die  Stadt  nach 
Lysimachos  Gemahlin  Arsinoe  hieß,  —  diese  Drachmen  sind  nach  Im- 
hoof-Blumers  Wägungen  nicht  nach  dem  von  Lysimachos  beibehal- 
tenen Münzsystem  Alexanders  (4,25  g)  ausgebracht,  sondern  haben  in 
dem  besterhaltenen  Exemplar,  dem  Berliner  aus  der  Sammlung  Fox, 
5,59  g;  sie  sind  also  autonome  Münzen. 

Aus  diesen  numismatischen  Thatsachen  wird  man  berechtigt  sein 
den  Schluß  zu  ziehen,  daß  die  hellenischen  Städte  Kleinasiens  von 
Alexander  die  Herstellung  nicht  bloß  ihrer  Demokratie,  sondern  ihrer 
politischen  Selbständigkeit  empfingen,  daß  sie  seit  334  wieder  wirkliche 
Staaten  wurden,  wie  es  die  im  korinthischen  Bunde  des  Mutterlandes 
vereinten  geblieben  waren.  Wenn  sich  nicht  die  geringste  Spur  davon 
findet,  daß  die  asiatischen  Griechenstädte  in  diesen  eingetreten  seien, 
so  liegen  politische  Gründe  dafür,  daß  Alexander  ihren  Eintritt  nicht 
forderte,  nahe  genug.  Nicht  die  nationale  Einheit  des  Griechentums 
politisch  zu  gestalten  war  seine  Aufgabe;  bei  der  nichts  weniger  als 
zuverlässigen  Stimmung  mehrerer  und  der  bedeutendsten  Städte  jenes 
Bundes  empfahl  es  sich,  die  Griechen  Asiens  und  der  Inseln  in  anderer 

Drojaen,  Kl.  Schrifton  11.  16 


242  Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen 

Weise  an  das  Interesse  des  Reichs  zu  knüpfen  und  sich  in  ihnen  ein 
Gegengewicht  gegen  die  Föderation  des  Mutterlandes  zu  schaffen.  Über- 
dies mußte  [34]  es  angemessen  erscheinen,  einem  Bunde,  zu  dessen 
wesentlichen  Aufgaben  die  Erhaltung  und  Handhabung  des  Landfriedens 
in  dem  Bundesgebiet  gehörte,  nicht  Staaten  zu  überweisen,  die,  durch 
das  Meer  von  Hellas  getrennt,  nicht  füglich  bei  allen  Vorkommnissen 
das  Synedrion  von  Korinth  beschicken  konnten. 

Aber  hatten  diese  hergestellten  Staaten  Kleinasiens  und  der  Inseln 
nicht  in  gleicher  Weise  das  Bedürfnis  des  Landfriedens  und  eines  Ge- 
richtes, wie  die  Amphiktyonen  für  den  Bund  in  Hellas  waren?  bedurften 
sie  nicht  zugleich  für  die  Leistungen  zum  Perserkriege,  zu  denen  gewiß 
auch  sie  verpflichtet  wurden,  etwa  für  ihre  Contingente  an  Schiffen 
und  Manschaften,  einer  Organisation  der  des  Synedrions  von  Korinth 
analog?  Soviel  mir  bekannt,  giebt  es  in  unsem  Quellen  keine  Spur, 
die  zu  einer  Antwort  auf  diese  Fragen  führt;  es  müßte  denn  das  sein, 
was  Vitruv  IV  1  von  Smyma  angiebt:  regis  ÄttcUi  et  Arsinoes  benefido 
inier  lonas  est  recepta,  —  Smyrna,  das,  seit  der  Lyderzeit  aufgelöst  und 
dioikisiert,  erst  durch  Antigonos  und  Lysimachos  als  Stadt  wieder  her- 
gestellt worden  ist  \  Und  vielleicht  könnte  man  in  denselben  Zusammen- 
hang stellen,  was  Strabo  XIV  S.  644  von  der  Landenge  zwischen 
Klazomenai  und  Teos  angiebt,  die  Alexander  zur  Erleichterung  der 
Schiffahrt  zu  durchstechen  befohlen  hatte:  es  sei  dort  ein  heiliger  Hain 
und  Festfeier  dem  Könige  zu  Ehren:  xa)  dy6)v  rov  xoivov  r&v  *I(avrov 
lAX%^(ivSQua  xarccyyiXXBrai  (TvvrtXov^^voq  kvraviJa. 

Bedeutsamer  scheinen  beim  ersten  Anblick  zweiReihen  von  Mün- 
zen, silbernen  und  kupfernen,  mit  der  Umschrift  AIOAE  die  einen, 
NAH  die  andern;  Imhoof-Blumer  hat'^in  v.  Sallets  Numism.  Zeitschr.  III 
S.  315flF.  von  jenen  7,  von  diesen  23  Typen  beschrieben.  Er  weist  darauf 
hin,  daß,  während  die  mit  NAZI  auf  der  Schauseite  den  lorbeerbekränzten 
Kopf  des  ApoUon  (Hekatos)  haben,  die  mit  AIOAE  genau  den  Pallas- 
kopf der  Stateren  Alexanders  führen,  ihrer  Technik  nach  beide  auf 
Lesbos  oder  die  nächstgelegenen  Gebiete  weisen.  Man  konnte  vermuten, 
daß  diese  Münzen  für  Föderationen  der  Nesioten,  der  Aioleis  geprägt 
seien,  daß  Alexander  —  denn  alle  diese  Prägungen  gehören  seiner 
und  der  folgenden  Zeit  an  —  diese  Föderationen  veranlaßt  habe;  frei- 
lich war  dann  auffallend,  daß  auf  den  Münzen  der  Nesioten  nie  die 
ionische  Form  des  Namens  erschien,  daß  neben  dem  Bunde  der  Inseln 
noch  ein  zweiter  der  AloX^lq  bestanden  haben  sollte,  während  doch 


*  [Vgl.  das  Decret  des  ^luvcjv  t6  xoivov  rwy  TQii^ttidexa  noXetov  aus  Lysi- 
machos Zeit  DitUmberger  SyU.  137.     E.  M.; 


Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen  243 

die  Insel  Lesbos  von  den  ^JiolBlg  den  bedeutendsten  Teil  bildet.  [35] 
Jetzt  ist  durch  eine  Inschrift  (in  dem  Movauov  xal  BißXio&ifjX7i  tTj^ 
Bvayyehxrjq  (Txolfiq  IJegioS,  II  «t.I  iv  ^fjLvpvrj  1876  S.  128)  und 
durch  die  vortrefllichen  Erläuterungen,  mit  denen  sie  Hr.  Georg 
Earinos  begleitet  hat,  die  Bezeichnung  NAZI  dahin  festgestellt,  daß 
die  größte  der  zahlreichen  kleinen  Inseln  am  Festlande,  gegenüber  von 
Mitylene,  die  heutige  Moskonisos,  im  Altertum  Nätroq  genannt  war, 
wie  denn  in  jener  Inschrift,  deren  erstes  Drittel  bereits  C.  I.  Gr.  II 
No.  2166*'  App.  S.  1023  mitgeteilt  war,  Z.  40  6  dccfio,^  [6  Na]Gi(DTav 
das  Ehrendecret  für  Thersippos,  das  sie  enthält,  beschlossen  hat. 

Also  hier  findet  sich  nicht,  was  wir  suchen;  aber  an  einer  andern 
Stelle  zeigt  sich,  daß  wir  mit  unserer  Frage  auf  der  richtigen  Fährte 
waren.  Einiges  schon  ergiebt  eine  Inschrift,  die  in  Schliemanns  tro- 
janischen Altertümern  S.  204  mitgeteilt  ist.  Sie  stammt  aus  Hissarlyk, 
das  der  Zeit  Alexanders  für  das  homerische  Ilion  galt  und  als  solches 
hergestellt  wurde.  Diese  Inschrift  enthält  mehrere  Schreiben  des  Königs 
Antiochos  an  Meleagros,  seinen  „Satrapen  in  Phrygien  am  Hellespont", 
und  Schreiben  von  diesem,  in  denen  es  sich  um  Schenkungen  von  Land- 
gütern an  einen  verdienten  Assier  handelt,  Schenkungen  äno  rr^g  ßam" 
Xixtt^  XfoQccii  mit  der  Bedingung,  daß  diese  Güter  einer  der  umliegenden 
Städte  Skepsis,  Gergithos,  Ilion  zugewandt  werden  sollen.  Der  Grund  dieser 
auffallenden  Bestimmung  scheint  sich  aus  dem  Umstände  zu  ergeben, 
daß  mit  der  Schenkung  diese  Güter  und  die  auf  denselben  Wohnenden 
aufhören  königlich  zu  sein  und  damit  unter  der  Jurisdiction  und  dem 
Schutz  der  königlichen  Beamten  zu  stehen ;  und  indem  der  Beschenkte 
nicht  selbständiger  Dynast  ist  noch  werden  soll,  bleibt  nichts  übrig 
als  diese  Güter  und  ihre  Bewohner  unter  die  Competenz  einer  politisch 
selbständigen  Stadt  treten,  den  Beschenkten  gleichsam  Pfahlbürger  in 
derselben  werden  zu  lassen.  Der  Ausdruck  der  Inschrift  ist,  daß  die 
ßaathxoi  kaoi  oi  ix  rov  rönov  käv  ßovXcovrat  in  der  Feste  Petra, 
die  mit  geschenkt  wird,  sollen  wohnen  dürfen  äff(faX%iag  'ivexs]  und 
der  Beschenkte  soll  befugt  sein  nQoaBvkyxccad-ai  ngog  Jjv  uv  ßovkfjrat 
T(üv  nöX^cav  tQv  kv  ry  /c«l(;a  tb  xal  kv  rfj  ijfiBTi(}^  avpLnaxicc^'  Also 
die  genannten  Städte,  und  namentlich  Ilion,  das  der  Beschenkte  dann 
gewählt  hat,  sind  nicht  Unterthanen,  sondern  (Tvfifiaxoi  des  syrischen 
Königs.  Daß  dieser  König  wahrscheinlich  Antiochos  III.  ist,  ergiebt 
sich  aus  einer  schon  C.  I.  Gr.  II  3569  publiciei1;en  Inschrift,  die  [36] 
bei  Kum-Kiöi,  eine  halbe  Stunde  von  Hissarlyk,  gefunden  worden  ist 

^  [Zu  dieser  und  der  folgenden  Inschrift  vgl.  HeUenism.  II  2  S.  377  ff.  und 
Dittenberger  Syll.  158  und  125.    E.  M.] 

16* 


244  Zur  Greschichte  Alezanders  des  Großen 

Noch  bestiinmter  auf  unsere  Frage  antwortet  eine  große  Inschrift 
ebenfells  aus  Hissarlyk,  die  6.  Hirschfeld  in  der  Arch.  Zeitung  1875 
S.  151  ff.  mitgeteilt  hat    Es  sind  fünf  Decrete,  jedes  heginneni  ypcofAtj 
t(öv  (TwiSgcoVy   zu  Ehren  des  MaXovmoq  Baxxiov  FagyaQsvQy  für 
wiederholte   zinsfreie  Vorschüsse   und  sonstige  Leistungen   aller   Art. 
Der  erste  Beschluß  will  mit  der  gewährten  Ehre  bezeugen,  daß  t6 
xoivbv  T&v  Tiölecov  die  um  dasselbe  verdienten  Männer  auszuzeichnen 
wisse.    Der  zweite  Beschluß  giebt  die  bezeichnenden  Worte  änoareX' 
XövTwv   awiSgcüv   nQitrßeig  eiq  rhv  ßamXkcc  i^nhQ]   r^g  kXsv&BQia^ 
xat   ccvTOvofiiag  r&v  nöXscav  r&v  xoivoi)vov(TCj[v  ro0]  isQOv  xai  rf}^ 
navi]yvQtcog.     Also  das  xotvöv  ist  eine  politische  Föderation,  die  mit 
dem  Heiligtum  der  Athena  von  Ilion  verknüpft  ist;  und  so  wird  Ma- 
lusios  im  dritten  Decret  gerühmt,  daß  er  das  Synedrion  aufgefordert 
habe  anzugeben,  nöaov  Senat  nccQ  ccvxov  xQVf^'^f^^  ^^  ^^  ^^  xfiargov 
xul  Big  räXXa  xaxaaaxtvdaiiaTa  xal  slg  tIcc]  Uqu  xal  slg  ri]v  UQBa- 
ßeiccv.    In  dem  fünften  Decret  wird  beschlossen,  ävayQÜxfmi  ixtkarr/v 
[t&v  nökscav  r&v  xotv(ovov\GÖv  xov  Uqox)  xal  r^g  navriyvQBcog  xcel 
ß-Bivlai  Tfjv  oTiJA^v  6nov  &v  ixad^tr;  vöfiog  kaxiv.     Welche  Städte 
dies  xotvöv  bilden  wird  nicht  angegeben;  aber  da  Malusios  ein  Gargarer 
ist  und  da  die  Gargarer  mit  der  Herstellung  des  ersten  und  zweiten 
Decrets  beauftragt  werden  {kmfieXtjd'fjvat  Sk  rovg  raQyuQBlg  x  r  X. 
Zeile  21  und  35),  so  ist  Gargara  am  adramyttenischen  Meerbusen  eine 
Stadt  dieses  Bundes;  und  wenn  auf  das  fünfte  Decret  noch  ein  paar  leider 
verstümmelte  Zeilen  folgen,  deren  Anfang  ist:  ...  atfiaaXog  Accfixpa- 
xfjv[dg  stnsv  kTiBtSij  MaXovtTog]  6  FaQyccQBvg  u.  s.  w.,  so  ist  anbedenk- 
lich auch  Lampsakos  Mitglied  des  Bundes.     Die  Zeit  dieser  Decrete 
ergiebt  sich  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  daraus,  daß  in  dem  ersten 
eine  ngBaßBia  &7ioa[TBXXon£]vfi  ngdg  'Avriyovov,  im  zweiten  die  schon 
erwähnte  ngBtrßBia  Big  rdv  ßatrtXia  vnig  kXBv&BQiag  xal  airovofi/a^ 
erwähnt  wird.    Die  Sendung  Big  rov  ßaatXia  in  dem  zweiten  Decret, 
das  der  Zeit  nach  später  und  vielleicht  Jahre  später  als  das  erste  ist^ 
kann  nicht  vor  317  fallen,  da  sonst  wie  in  dem  Ehrendecret  der  Na- 
sioten  für  Thersippos  ig  rovg  ßamXiag  gesagt  sein  müßte.    Da  in  dem 
ersten  Decret  die  Gesandtschaft  nQog  'Avxiyovov  erwähnt  wird  —  denn 
für  die  freien  Städte  ist  er  weder  Satrap  noch  Strateg  —  und  da  Anti- 
genes erst  806  den  [37]  Tit«l  ßaatXBvg  angenommen  hat^,  erst  nach 
ihm  auch  Lysimachos,  Eassandros,  Ptolemaios,  Seleukos,  so  ging  die 
Sendung  Big  rdv  ßaatXka  in  dem  zweiten  Decret  entweder  an  Antigonos, 


^  Doch  findet  sich  in  einem  attischen  Decret  vom  Dezember  307  bereits 
ßnai\X6n  ÄviUfovoy  C.  I.  A.  IT  No.  238. 


Zar  Geschichte  Alexanders  des  Großen  245 

zwischen  306  und  301,  oder  sie  gehört,  was  minder  wahrscheinlich, 
der  Zeit  nach  dessen  Tergeblichem  Kampf  gegen  Ägypten,  gegen  Rhodos 
an  und  bezeichnet  den  König  Lysimachos,  der  die  Gegenden  am  Helle- 
spont  (seit  302)  und  lonien  in  Besitz  nahm.  Bis  zu  der  Zeit,  da  diesen 
Seleukos  besiegte  und  Herr  der  Küsten  wurde  (281),  wird  man,  da 
noch  drei  spätere  Decrete  für  denselben  Malusios  folgen,  nicht  wohl 
gehen  können. 

Jedenfalls  hier  in  dem  Bereich  Phrygiens  am  Hellepont  ist  damit 
in  dem  Jahrzehent  nach  Alexanders  Tod  eine  Föderation  hellenischer 
Städte  nachgewiesen;  sie  ist  gewiß  nicht  ei'st  in  den  Wirren  nach 
Alexanders  Tod,  nicht  etwa  Ton  Leonnatos,  Eumenes,  Arrhabaios,  Anti- 
genes, die  nacheinander  die  Satrapie  Fhrygien  am  Hellespont  inne 
hatten,  begründet  worden.  Vielmehr  wenn  erst  in  dem  zweiten  Beeret 
Big  xbv  ßaatXia  inig  rr^g  hX^vOtgiag  xcci  avrovofiiag  t&v  TtökecDv 
gesendet  wird,  so  scheint  den  Städten  des  Bundes  das  ihnen  von 
Alexander  zugestandene  und  garantierte  Recht  in  eben  jener  Zeit  der 
Wirren  mannigfach  verkürzt,  ja  auch  nach  dem  großen  Freiheitsdecret 
des  Antigen os  von  315  (Diod.  XIX  61)  und  trotz  des  ausdrücklichen 
Artikels  in  dem  Frieden  von  311  (Diod.  XIX  105)  noch  weiter  vor- 
enthalten  worden  zu  sein.  Aus  Diod.  XX  107,  2  sieht  man,  daß  302 
Lysimachos  über  den  Hellespont  ging  und  Aafiyjaxtjvovg  fiiv  xal 
IIciQtavovg  ixovaioDg  nQOff&sfievovg  äcpfjxBv  ilBv&iQOvg  j  ^iytiov  S 
henoXioQx^aag  (pQOVQUv  naQetai^yaye. 

Sind  wir  bis  jetzt  auch  außer  stände  eine  zweite  derartige  Födera- 
tion unter  den  griechischen  Städten  Asiens  als  von  Alexander  ge- 
gründet nachzuweisen,  so  erhellt  doch  auf  völlig  sichere  Weise,'  daß 
von  ihm  diesen  Städten  die  Stellung  freier  Bundesgenossen  im  Reich 
gegeben  worden  ist. 

In  der  von  E.  Curtius  edierten  Inschrift  von  Erythrai  (Monatsb. 
d,  Berl.  Akad.  1875  S.  554)  heißt  es  in  einem  Schreiben  Antiochos  I.^ 
an  die  Stadt:  ätön  hni  tb  j4Xb^üv3qov  xal  Idvriyövov  airövofiog 
Jjv  xal  ccq>o()oX6yijTog  ij  nöhg  ifficov,  ganz  so  wie  Strabo  XIII  S.  593 
von  [38]  Ilion  sagt:  oixoSofitaig  ävaXaßsIv  nQOfrra^ai  ['AXi^avSQOv) 
xoTg  kinpL%h]TaTg  kXev&i(}av  ts  XQivai  xal  ä(poQOV^, 


*  [Richtiger  Antiochos  II.,  s.  Dittenberger  Hermes  XVI 1881  S.197,  Syll.  166. 
E.  M.] 

'  Gegen  die  im  Text  entwickelte  Ansicht  scheint  zu  sprechen,  wenn  Plnt. 
Phoc.  18  angiebt,  Alezander  habe  den  828  heimziehenden  Krateros  angewiesen 

TKtgndovyai   t^   0uxUt)yi.     Ael.  V.  H.   I  25   nennt  statt  Gergethos  Patara  und 
braucht  den  Ausdruck  tva  ixjl  ^a^ove&at  xa^  ixei&ev  ixqoaodov;.    Von  Kios 


246  Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen 

Sehr  bemerkenswert  ist  nun,  daß  in  dem  eben  angefahrten  Schreiben 
des  Antiochos  I.  an  die  Stadt  Erythrai  gesagt  wird:  der  König  wolle 
wie  seine  Vorfahren  die  iYeiheit  der  Stadt  bewahren  ti)v  tb  uvrovofxiav 
v^iv  fTwSiaTf]^fj(F0fi6v  xal  (i(pOQo[XoyyjTov^  sivai  (Tvyx(OQOvfiEv  töjv 
TS  äXkfov  äitavT(üV  xal  [r&v  elg]  tu  FaXcirixä  awayofuv&v»  Also 
auch  die  Kriegssteuer  zur  Bekämpfung  der  Galater  wird  ihnen  erlassen. 
Eine  andere  Inschrift,  die  oben  erwähnte  der  Nasioten,  zeigt  de«  wei- 
teren, daß  es  Fälle  giebt,  in  denen  auch  diese  freien  Staaten  zu  zahlen 
verpflichtet  sind.  In  diesem  Ehrendecret  für  Thersippos  kommt  zuerst 
in  nicht  mehr  zu  ergänzenden  Zeilen  der  Name  Alexanders  vor,  dann 
wird  gesagt,  daß  nach  Hessen  Tod  unter  Philipp  III  Thersippos  ein 
Freund  der  Könige,  der  Strategen  und  der  übrigen  Makedonen  bei 
Antipatros  [TtokkcHv  äya\dCjv  aHrioq  yeyovs  r^  nölef  !A[yri'ndc]TQ(ü 
yuQ  knird^avToq  XQiificcrcc  si^  [tov  nölsujov  elL,(peo7jVj  nuvrfov  töv 
ä}Jkco\y  ÜG(f>B(}'\6vT(t}V  Oi^omiioq  7tQO(ryevöfievo\_iS  n^Oi^  TOv]q  ßaa/hicc^ 
xal  IdvrinccTQOv  ixo[v(pi(je  Ta]fi  Ttöktv,  inga^s  Sk  xal  itgbq  KX[hTTOv 
itsQi]  rag  elg  Kiitoov  axQaxuaq  xal  [ovx  6l,iya']<;  Sandvaq  elg  fnixQov 
(swdyaylß  xQ^^ov],  Es  ist  der  Krieg  von  322  und  321  gemeint,  in 
dem  Perdikkas  seinen  Untergang  fand;  und  dieser  Krieg,  in  dem  Ptole- 
maios,  Antipatros,  Krateros,  Antigonos  gegen  die  Usurpation  des  Per- 
dikkas auftraten,  ist  wohl  als  Befreiung  der  Könige  aus  der  frevelhaften 
[39]  Gewalt  des  Reichsverwesers,  als  ein  Reichskrieg  angesehen  worden, 
zu  dem  auch  die  freien  Staaten  pflichtig  gegolten  haben  werden,  wäh- 
rend später  die  Abwehr  der  keltischen  Invasion  als  die  Pflicht  de^ 
Königs  angesehen  sein  mag. 

Man  wird  annehmen  müssen,  daß  nach  der  Schlacht  am  Granikos 
das  politische  Verhältnis  der  befreiten  Griechenstädte  Asiens  zum  Reich 
durch  Verträge  geregelt  worden  ist.  Daß  in  denselben  Alexander  in 
der  Regel  die  völlige  innere  Autonomie  der  Städte  anerkannt  hat, 
zeigen  die  merkwürdigen  Inschriften  von  Eresos  über  die  Vertreibung 
und  Bestrafung  der  Tyrannen  und  die  in  Betracht  dieser  Sache  an  die 
Stadt  erlassenen  Schreiben  {öiay(}aifai)  der  Könige  Alexander,  Philipp, 
Antigonos  (Conze,  Reise  nach  der  Insel  Lesbos  S.  35).    Freilich  irgend 


giebt  es  autonome  Münzen  aus  dieser  Zeit.  Ob  Patara,  Gergethos,  Mylassa 
Städte  in  hellenischer  Art  waren,  vermafi^  ich  nicht  zu  sagen.  Waren  sie  es, 
so  könnte  man  an  einen  Unterschied  denken  wie  im  Deutschen  Reich,  wo  die 
Kaiser  in  den  einen  Städten  (Reichsstädten)  Grund-  und  Hofherren  waren  und 
nutzbare  Rechte  besaßen,  für  welche  sie  diese  Städte  verschenken,  verpfänden, 
verkaufen  konnten,  in  den  andern  nur  die  Huldigung  als  Kaiser  empfingen, 
daher  diese  (freie  Städte)  nur  einen  Beitrag?  zu  den  gemeinen  Kosten  des  Reichps 
schuldeten.     Arnold,  Verfassungsgeschichte  der  deutschen  Freistädte  H  S.  -115  ff. 


Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen  247 

näheres  über  diese  Verträge  und  namentlich  über  Einigungen  der  hel- 
lenischen Städte  der  asiatischen  Küste  ergeben  die  bisher  gefundenen 
Inschriften,  so  viel  ich  sehe,  eben  so  wenig  wie  irgend  sichere  Spuren 
von  Leistungen  derselben  für  den  weiteren  Kampf  Alexanders  gegen 
die  Perser.  Nur  von  Rhodos  erfahren  wir  ein  weniges.  Die  Insel 
hatte  wie  die  andern  Inseln  bis  zum  Hellespont  durch  den  antalkidi- 
schen  Frieden  Autonomie  erhalten  und  sie  mit  Hilfe  des  karischen 
Satrapen  und  Dynasten  Maussollos  im  Abfall  von  dem  zweiten  attischen 
Seebund  behauptet;  sie  war  dann,  als  Alexander  über  den  Hellespont 
kam,  auf  Seite  der  Perser  geblieben  und  hatte  ihre  SchiflFe  zu  der  per- 
sischen Flotte,  die  der  Rhodier  Memnon  führte,  gestellt.  Als  sich  nach 
dem  Siege  bei  Issos  die  persische  Seemacht  aufgelöst  hatte  und  die 
makedonische  Flotte  Chios  und  Kos  befreite,  aus  den  Städten  auf  Kreta 
die  dorthin  gesandten  Besatzungen  des  Spartanerkönigs  vertrieb,  hatte 
Rhodos  zehn  Schiffe  zur  Belagerung  von  Tyros  gesandt  wie  die  lykischen 
Städte  und  die  Könige  von  Kypros,  und  dafür  wurde  ihnen  allen  von 
Alexander  verziehen,  äSua  on  vn  ävüyxrjg  fiäklöv  rt  f)  xarä  yvdfi^jv 
TJ]v  (T(p&v  kd6xovv  ^vvraxOTivai  xoig  TliQfTaiq  k(i  rö  vavrtxöv.  Die 
makedonische  Besatzung,  die  nach  Rhodos  gelegt  wurde,  ist  wenigstens 
nach  Curt.  IV  8,  12  bereits  Anfang  331  wieder  abberufen  worden. 

Von  besonderem  Interesse  würde  es  sein  feststellen  zu  können, 
wie  sich  Alexander  zu  den  lykischen  Städten  und  zu  ihrem  altherge- 
brachten Bunde  verhielt.  Daß  sie  in  der  Zeit  des  Maussollos  der 
karischen  Satrapie  untergeben  worden  waren,  lehrt  eine  gelegentliche 
Notiz  in  (Arist.)  Oecon.  II  15;  ihre  Schiffe  waren  noch  [40]  bei  der 
persischen  Flotte,  als  Alexander  nach  Lykien  kam;  die  Städte  ergaben 
sich  ihm  und  er  forderte  nur  von  ihnen  naQccSovvai  rag  nöleig  roTg 
ini  TOVTcp  fTreXkofiivoig,  xai  naoeSöid'rjaccv  ^vfinaGcci  (Arr.  I  24,  6). 
Im  weiteren  giebt  Arrian  an,  daß  Nearch  zum  Satrapen  über  Lykien 
und  die  daran  grenzenden  Landschaften  bis  zum  Tauros  bestellt  worden 
sei  (Arr.  III  6,  6).  Daß  der  lykische  Bund  mit  seinem  Lykiarchen 
blieb  oder  erneut  wurde,  ergeben  Inschriften,  die  man  unbedenklich 
der  Zeit  der  Diadochen  zuweisen  darf.  Daß  goldene  wie  silbierne  Münzen 
von  Alexander  und  Philipp  Arrhidaios  mit  der  Bezeichnung  AY,  Tetra- 
drachmen Alexanders  wenigstens  von  der  IV.  Klasse,  vorhanden  sind, 
scheint  zu  erweisen,  daß  der  Bund  der  Lykier  nicht  als  Staat,  aber 
doch  als  in  inneren  Angelegenheiten  autonome  Föderation  fortbestand; 
ob  es  eine  Bedeutung  oder  welche  es  hat,  daß  nicht  mehr  das  alte 
Dreibein  oder  Vierbein  als  Wappen  des  Bundes  auf  den  Münzen  er- 
scheint, vermag  ich  nicht  zu  beurteilen. 

Noch  unklarer  sind  die  Verhältnisse  Pamphyliens.   Nach  Arr.  I  26 


248  Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen 

und  27  sollte  man  vermuten,  daß  Alexander  dort  ein  anderes  System 
befolgte  als  bisher.  Die  Städte  Aspendos,  Side,  Syllion  u.  s.  w.,  die 
ihres  griechischen  Ursprungs  nicht  mehr  eingedenk  waren  und  unter- 
handelnd ihn  zu  tauschen  versuchten,  wurden  angewiesen  dem  Satrapen 
zu  gehorchen,  den  er  bestellen  werde,  und  Tribut  zu  zahlen.  Aber 
Tetradrachmen  mit  Alexanders  Gepräge  von  Aspendos  (AI)  Philomelion 
(<t))  Syllion  (IIA)  findet  L.  Müller  erst  in  der  V.  und  VI.  Klasse  .und 
zwar  mit  Jahreszahlen  bis  31,  28,  33;  und  wenn  autonome  Tetra- 
drachmen von  Side  von  17,02  bis  16,78  g,  also  nach  dem  Münzsystem 
Alexanders,  angeführt  werden  (die  Citate  bei  Braudis  S.  496)  so  vermag 
ich  nicht  zu  sagen,  ob  sie  älter  als  die  Münzen  der  V.  und  VI.  Klasse  sind. 

Nicht  aus  den  schriftlichen  Überlieferungen,  wohl  aber  aus  den 
erhaltenen  Münzen  läßt  sich  mit  einiger  Sicherheit  entnehmen,  daß  das 
für  Pamphylien  noch  zweifelhafte  andere  System  in  dem  städtereichen 
Kilikien,  in  Syrien,  an  der  phoinikischen  Küste  in  Anwendung  gekommen 
ist.  Mehr  noch  als  die  Alexandertetradrachmen  dieser  Gebiete,  die 
nach  Müllers  Ansicht  sämtlich  der  IL  III.  IV.  Klasse  angehören,  er- 
hellt dies  aus  dem  dritten  Münzfunde  von  Saida. 

Beim  Umgraben  eines  Gartens  nahe  bei  dem  alten  Sidon  wurden 
1863  über  3000  Stateren  gefunden,  von  denen  Weckbecker,  [41]  der 
östreichische  Generalkonsul  dort,  noch  ehe  der  Fund  zerstreut  wurde, 
1530  Stücke  untersuchen  und  verzeichnen  konnte  (Bericht  in  Eggers 
Numism.  Zeit.  1865  II).  Schon  1829  und  1852  waren  in  demselben 
Garten  bedeutende  Münzfunde  gemacht  worden,  namentlich  der  von 
1852  wurde  auf  etwa  3000  Goldstücke  Alexanders,  einige  Hundert  mit 
dem  Namen  Philipps  II.  angegeben,  doch  sind  von  beiden  Fanden  nur 
einzelne  Stücke  in  europäische  Sammlungen  gekommen.  Unter  den 
1863  gefundenen,  mit  wenigen  Ausnahmen  Stateren  Alexanders,  waren 
mehrere  im  palästinischen  Ake  geprägte  mit  den  Jahresziffem  23  und 
24;  diese  wie  die  zahlreichen  von  Sidon  „noch  rauh",  sagt  Weckbecker 
in  seinem  Bericht,  „wie  sie  eben  vom  Prägstock  gekommen  zu  sein 
schienen".  Also  waren  sie  wohl,  ohne  erst  viel  in  Circulation  gewesen 
zu  sein,  und  bald  nach  dem  24.  Jahr  der  Aera  Alexanders,  nach  der 
in  Ake  gerechnet  wurde,  d.  h.  nach  310  vergraben  worden.  Außer  den 
Goldstücken  Alexanders,  die  man  nach  ihren  Beizeichen  in  den  phoini- 
kischen und  in  den  Städten  Makedoniens  Thrakiens  Thessaliens  geprägt 
erkannte,  fanden  sich  unter  den  1530  Stücken  2  von  Alexanders  Vater 
Philipp,  2  von  dem  König  Pnytagoras  im  kyprischen  Salamis,  femer 
von  autonomen  Stadtmünzen  2  Stateren  von  Kios,  1  von  Pantikapaion, 
1  von  Rhodos.  Waddington,  der  außer  dem  Bericht  Weckbeckers 
auch  den  des  Hrn.  Peretie,  des  Kanzlers  beim  französischen  Konsulat 


Zur  Geschichte  Alexanders  des  Großen  249 

in  Beirut,  benutzte  (Revue  numism.  1865  S.  1  ff.)  zählt  7  Stateren  von 
Kios,  2  von  Rhodos  auf  und  fügt  noch  ein  paar  Münzen,  die  aus  den 
früheren  Funden  stammen,  hinzu;  namentlich  einen  Stater  von  Philippoi 
in  Makedonien  von  autonomen  Gepräge,  einen  zweiten  ebenfalls  auto- 
nomen, der  durch  das  Palladien  als  nach  Ilion  gehörig  zu  erkennen 
ist  Es  verdient  angeführt  zu  werden,  daß  mehrere  Stateren  von 
Philipp  IIL  Arrhidaios,  die  mit  der  Sanmilung  von  Prokesch  in  das 
Berliner  Münzkabinet  gekommen  sind  und  über  deren  Provenienz  der 
Sammler  keine  Notiz  hinterlassen  hat,  ganz  die  charakteristische  Rauhig- 
keit der  sidonischen  Goldstücke  dieses  Fundes  haben.  Prokesch  hat 
in  der  1859  herausgegebenen  Schrift  „Inedita  meiner  Sammlung"  noch 
keins  von  diesen  Goldstücken  angeführt,  so  daß  es  nahe  liegt,  auch 
diese  dem  Funde  von  1863  zuzuzählen.  Der  Umstand  endlich,  daß 
sich  in  dem  Funde  von  1863  keine  Königsstateren  von  Ptolemaios 
Lysimachos  Kassandros,  keine  von  Antigonos  fanden,  der  doch  in  Syrien 
und  Phoinikien  Herr  war,  [42]  macht  es  in  hohem  Maße  wahrschein- 
lich, daß  der  Schatz  zu  einer  Zeit  vergraben  worden  ist,  da  es  solche 
Königsmünzen  noch  nicht  gab,  d.  h.  vor  der  Schlacht  bei  Salamis  306, 
infolge  deren  erst  der  Sieger,  dann  auch  die  Besiegten  sich  Könige 
nannten.  Demnach  wäre  dieser  Schatz  zwischen  310  und  306  vergraben. 
Aus  dem  Thatbestand,  den  dieser  Münzfund  umschließt,  ergeben 
sich  mehrfache  Bestätigungen  für  das  früher  Gesagte.  Namentlich 
treten  die  beiden  Systeme,  nach  denen  sich  die  Städte  in  ihrem  Ver- 
hältnis zum  Reich  unterscheiden,  deutlich  hervor.  Daß  Philippoi  in 
Makedonien  hier  mit  autonomen  Stateren  erscheint,  bestätigt  die  Frei- 
heit und  Autonomie  dieser  innerhalb  des  makedonischen  Gebietes  von 
Philipp  II.  begründeten  Bergstadt,  die  man  früher  schon  aus  den  Silber- 
münzen derselben  kannte,  die  nach  rhodischem  Fuß,  d.  h.  vor  336, 
geprägt  sind.  Wie  diese  Stadt,  so  gehören  auch  die  Staaten  des  korin- 
thischen Bundes,  auch  Byzanz  und  Rhodos,  aucti  die  kleinasiatischen 
Griechenstädte,  die  kyprischen  unter  ihren  Königen  zum  Reich,  aber 
sie  sind  gleichsam  reichsunmittelbar,  d.  h.  sie  stehen  nicht  unter  den 
Satrapen,  den  territorialen  Reichsbeamten,  auch  dann  nicht,  wenn  sie, 
wie  Rhodos,  zeitweise  makedonische  Besatzung  haben.  Und  andererseits, 
auch  die  Städte  Thessaliens  und  Makedoniens  mit  Ausnahme  von  Philip- 
poi, unter  dem  königlichen  Epimeleten,  auch  die  Kilikiens,  Phoinikiens 
haben  ihr  selbständiges  Gemeinwesen,  zum  Teil  unter  eigenen  Königen 
wie  Sidon,  aber  sie  sind  den  königlichen  Satrapen  untergeben,  sie  sind 
gleichsam  landsässige  Städte.  Es  ist  nur  die  Fortsetzung  dieses  Systems, 
wenn  die  griechischen  Städte  der  Kyrenaika,  als  Alexander  nach  dem  Am- 
monion  zog,  in  die  Bundesgenossenschaft  Alexanders  traten,  <pMav  xal 


250  ^ur  Geschichte  Alexanders  des  Großen 

(Tvnnaxi€iv  aifvafnro  :Todg  avrov^  (Diod.  XVII  49);  und  es  mag  als  ihre 
Leistunfe'  für  den  Bnndeskrieg  gegen  die  Perser  angesehen  werden  dürfen, 
wenn  sie  dem  Könige  300  Kriegsrosse  und  fünf  Viergespanne  stellten. 
Die  technischen  Ausdrücke  für  diese  mannigfachen  Rechtszustande 
sind  in  unserer  Überlieferung  nicht  so  scharf  und  klar,  daß  man  danach 
das  staatsrechtliche  Verhältnis  im  einzelnen  Fall  feststellen  könnte;  von 
den  Lydem  heißt  es:  roTg  vöfiotg  toT^  näkai  AvS&v  XQf}<^^€Si  ÜSfoxi  xai 
ikBv&egovg  Bivai  ä(p7jxev  ( Arr.  117,  4).  Aber  trotz  der  iKev&BQia  stehen 
sie  unter  einem  Satrapen;  und  so  entschieden  den  Städten  loniens  die 
Autonomie  gewährt  wird,  sie  müssen  sämtlich  die  Oligarchie  aufgeben 
und  Demokratie  [43]  einfahren  (Arr.  I  18,  2).  Aus  der  Anologie  der 
von  den  Bömem  gemachten  Institutionen  wird  man  keine  Schlüsse  auf 
die  Zeit  Alexanders  machen,  wohl  aber  auf  Verhältnisse  des  ersten 
attischen  Seebundes  hinweisen  dürfen,  in  dem,  wie  schon  jetzt  die  In- 
schriften erkennen  lassen,  die  Abhängigkeit  der  Bündner  in  den  mannig- 
faltigsten Formen  entwickelt  war. 

IV. 

Noch  für  eine  andre  Frage  scheint  der  Münzfund  von  Saida  einige 
Auskunft  zu  geben,  für  die  der  Provinzialverwaltung  im  Reich  Alexan- 
ders, wie  wir  sie  in  der  Einleitung  bezeichneten. 

Daß  der  Name  Satrap  in  dem  Reich  Alexanders  beibehalten  worden 
ist,  steht  jetzt  auch  urkundlich  fest;  so  durch  die  Inschrift  der  Priester 
von  Pe  und  Tep  (Lepsius,  Zeitschr.  für  ägy pt  Sprache  IX  1871  S.  l  flF.), 
in  der  Ptolemaios,  der  redend  eingeführt  wird,  sich  Satrap  (x^qir^en) 
nennt.  Es  fragt  sich,  ob  Alexander  mit  dem  Namen  auch  die  Functionen 
ließ,  die  den  Satrapen  im  Perserreich  zugestanden  hatten,  oder  ob  er  eine 
neue  Organisation  schuf,  auf  die  nur  der  alte  Name  übertragen  wurde. 

Wenigstens  einzelne  Anführungen  bei  Arrian  zeigen,  daß  Alexander 
die  Phorologie  und  das  Militärkommando  oft  von  der  Satrapie  trennte, 
daß  er  in  einzelnen  Gebieten,  z.  B.  in  Ägypten,  in  dem  Auseinander- 
legen der  Functionen  der  öffentlichen  Gewalt  noch  weiter  ging.  In 
der  Art,  wie  die  schon  früher  angeführten  Oixovo^ixä  das  Wesen  der 
Satrapen  Verwaltung,  der  königlichen  und  der  der  Politien  gegenüber, 
beschreiben,  dürfte  wohl  nicht  das  persische  System,  sondern  die  von 
Alexander  eingeführte  Competenz  der  Satrapen  zu  erkennen  sein;  es 
werden  für  die  sairapische  Ökonomie  als  wesentliche  Einnahmequellen 
angeführt:  die  von  dem  Boden  als  die  wichtigste,  also  die  Grundsteuer, 
die  als  Sexärij  bezeichnet  wird,  dann  die  von  den  Bergwerken  des 
Landes,  die  von  den  Häfen,  die  Abgaben  von  den  Erträgen  des  Ackers 
und  des  Marktverkehrs,  die  von  den  Herden,  endlich  Kopfsteuer  und 


Zur  Geschichte  Alexanders  des  Grroßen  251 

Gewerbesteuer;  Münzrecht  wird  in  dieser  Keihe  nicht  erwähnt,  sondern 
nur  in  der  königlichen  Ökonomie. 

Im  Perserreich  hatten  nicht  bloß  Dynasten  und  tributpflichtige 
Städte  auch  Geld  geschlagen,  und  zwar  Gold  so  gut  wie  Silber;  [44] 
sondern  auch  von  den  Satrapen  des  Reiches  giebt  es  zahlreiche  Münzen, 
von  Pixodaros  und  einem  ungenannten  ausLampsakos  auch  goldene;  und 
daß  die  Satrapen  nicht  erst  mit  dem  Verfall  der  königlichen  Autorität 
sich  das  Münzrecht  angemaßt  haben,  zeigt  die  bekannte  Angabe  des 
Herod.  IV  166,  daß  Dareios,  der  eigentliche  Begründer  des  persischen 
Verwaltungsorganismus,  den  ägyptischen  Satrapen  Aryandes  hinrichten 
ließ,  nicht  weil  er  Silbergeld  schlug,  sondern  weil  er  es  feiner  aus- 
brachte als  die  königlichen  Münzstätten,  worin  der  König  Empörungs- 
gelüste des  Satrapen  zu  erkennen  glaubte. 

Aus  Alexanders  Zeit  findet  sich  nicht  die  geringste  Spur  von  Münzen 
seiner  Satrapen.  Man  wird  annehmen  dürfen,  daß  er  entweder  in  seinen 
Städten,  unter  Verantwortung  der  städtischen  und  vielleicht  königlicher 
Beamten,  oder  durch  seine  Schatzmeister  Harp^los,  Philoxenos  u.  s.  w., 
gewiß  oft  genug  in  seinem  Hof-  und  Feldlager  prägen  ließ.  Wir  sahen 
bereits,  daß  sich  in  dem  Schatz  von  Saida,  der  nach  dem  Jahre  310 
vergraben  worden  ist,  auch  nicht  eine  Satrapenmünze  fand.  Wie  heftig 
vom  Tode  Alexanders  an  die  Großen  des  Reiches  gegen  einander  ringen, 
wie  schwach  Philipp  Arrhidaios  und  der  junge  Alexander  als  Könige 
sein  mochten,  die  Autorität  und  Einheit  des  Reichs,  von  den  Reichs- 
verwesem  vertreten,  war  der  Rechtstitel,  mit  dem  nacheinander  Per- 
dikkas  und  Eumenes,  Antipatros,  Polysperchon,  Antigenes  dem  Ehrgeiz 
der  Satrapen  und  anderer  territorialer  Beamtungen  entgegen  traten; 
ein  Rechtstitel  immer  noch  von  hinlänglicher  Bedeutung,  um  denselben 
wenigstens  die  formelle  Beschränkung  auf  ihre  amtliche  Competenz 
ratsam  erscheinen  zu  lassen.  Selbst  als  der  junge  Alexander  durch 
Kassandros  311  ermordet  und  damit  das  legitime  Königsgeschlecht 
erloschen  war,  wagte  keiner  der  Großen  auszusprechen,  daß  nun  das 
Alexanderreich  ein  Ende  habe;  man  fuhr  fort,  wie  ägyptische  Documente 
zeigen,  nach  den  Jahren  des  jungen  Alexander  zu  datieren,  der  schon 
tot  war;  man  fahr  fort  Münzen  auf  seinen  oder  Philipps  IIL  oder  des 
großen  Alexander  Namen  zu  prägen,  wenn  auch  in  bescheidenen  Bei- 
zeichen, wie  immer  schon  die  Städte  gethan  hatten,  nun  auch  die 
mächtigeren  Satrapen  zeigten,  daß  sie  die  prägenden  seien.  So  Lysima- 
chos  mit  dem  Vorderteil  eines  Löwen  und  AY  (L.  Müller,  Münzen 
des  Lys.  No.  1—36),  so  Seleukos  mit  dem  Anker  (L.  Müller,  Num.  d'Alex. 
No.  1355—1358,  1491—1514),  soPtolemaios  vielleicht  mit  dem  Widder- 
kopf [45]  des  Chnubis  (No.  1515—1517),  mit  dem  Isiskopf  (No.  1518), 


252  Zur  Geschichte  Alexanders  des  Grroß^en 

sicherer  mit  dem  Adler,  der  auf  dem  Blitz  steht  (so  auf  seinen  Groß- 
stücken  mit  der  Athene  Promachos  und  dem  Alexanderkop^  der  mit  der 
Elefantenhaut  bedeckt  ist).  Erst  als  Antigonos  der  Reichsverweser  über 
den  Satrapen  von  Ägypten,  der  sich  in  den  Besitz  von  Kypros  gesetzt 
hatte,  an  der  Küste  der  Insel  bei  Salamis  den  glänzendsten  Sieg 
gewonnen  hatte  und  nun  das  Diadem  des  Reiches  und  den  Königs- 
titel annahm,  folgten  die  Gegner  des  Siegers,  zuerst  wohl  Kassandros 
und  Lysimachos,  dann  auch  .Seleukos  und  Ptolemaios  selbst  dem  ge- 
gebenen Beispiel.  Das  galt  dem  Antigonos  als  Usurpation  und  in 
neuen  Kämpfen  versuchte  er  dieselbe  niederzuwerfen.  Erst  als  er  in 
der  Schlacht  bei  Ipsos  den  Sieg  und  das  Leben  verlor,  hatte  das  Reich 
Alexanders  ein  Ende. 

Dieser  charakteristische  Gang  der  Entwickelung  erklärt  zugleich 
die  Thatsache,  daß  von  keinem  der  zahlreichen  anderen  Satrapen  der 
Lande  bis  zum  Indus  und  Jaxartes  nach  Alexanders  Tod  Münzen  vor- 
handen sind;  der  Name  des  Reiches  hielt  so  lange,  bis  die  Teilfürsten 
Seleukos  im  oberen  Asien,  Ptolemaios  in  Ägypten,  Lysimachos  und 
Kassandros  in  Europa  so  weit  erstarkt  waren,  die  Autorität,  die  das 
einige  Reich  gehabt  hatte,  für  ihr  Diadem  {djfravst  xiva  ßamX^iav 
SoQixrrjTov,  Diod.  XIX  105,  3)  geltend  zu  machen  und  sie  gegen  die 
Satrapen  und  Strategen  in  ihrem  Machtbereich  aufrecht  zu  erhalten. 

Es  ist  bekannt,  daß  demnächst  in  dem  Reich  der  Lagiden  ein 
anderes  Münzsystem  eingeführt  worden  ist,  das  im  wesentlichen  auf 
den  alten  Münzfuß  der  phoinikischen  Städte  zurückging.  Die  oben 
angeführte  Tetradrachme  mit  der  Athene  Promachos  und  dem  Ale- 
xanderkopf mit  Elefantenhaut  und  Ammonshorn  hat  nicht  mehr  das 
Gewicht  der  Tetradrachmen  Alexanders  17,05 — 17,20  g,  sondern  nur 
15,52  g,  eine  Tetradrachme  mit  HTOAEMAIOY  IQTHPOI,  die  man 
wegen  des  K9  im  Felde  dem  Jahre  29  der  philippischen  Aera  (295) 
zugeschrieben  hat,  wiegt  14,2  g,  eine  andere,  die  für  tyrisch  gilt,  mit 
niOAEMAlOY  BAIIAEQI  14,25  g.  Wäre  die  Zuteilung  dieser  und 
ähnlicher  Münzen  an  Ptolemäos  1.  sicherer,  als  sie  ist,  so  würde  man 
erkennen  können,  ob  er  erst  als  König  und  wann  einen  neuen  Münzfuß 
in  seinen  Landen  eingeführt  hat 


X. 

Die  Festzeit  der  Nemeen. 

Hermes  XIV  1879  S.  1—24. 

[1]  In  der  Geschichte  der  Diadochen  und  Epigonen  würden  einige 
Thatsachen  chronologisch  schärfer  bestimmt  werden  können,  als  nach 
der  Überlieferung  der  Historiker  möglich  ist,  wenn  die  Festzeit  der 
Nemeen  feststände. 

Bei  der  Unzulänglichkeit  der  direkten  chronologischen  Angaben 
über  das  Fest  ist  man  genötigt  zu  versuchen,  ob  sich  dessen  Zeit  aus 
der  Chronologie  derjenigen  historischen  Thatsachen,  in  deren  Zusammen- 
hang Nemeen  erwähnt  werden,  fixieren  läßt. 

Der  Zweck  der  folgenden  Untersuchung,  die  oft  genug  recht 
mikrologisch  sein  wird,  ist  nur  festzustellen,  wie  weit  nach  unseren 
Mat-erialien   exakter  weise  auf  jene  Frage  zu  antworten  m-jglich  ist. 


L  Von  direkten  chronologischen  und  anderen  Angaben,  die  für 
unsem  Zweck  geeignet  sind,  liegen  folgende  vor. 

Die  Scholien  zu  Pindar  S.  426  ed.  Böckh  sagen  von  dem  nemeischen 
Agon:  xal  itm  xQuri}'^  raloiffievog  firjvl  Ilavrjfia)  iß".  Der  Panemos 
nach  welchem  Kalender,  ist  nicht  angegeben. 

Nach  der  Bezeichnung  rptsriig  sollte  man  glauben,  daß  das  Fest 
ein  Jahr  um  das  andere  in  demselben  Monat  gefeiert  wurde,  iv  Isqq- 
fifjvi^  NfifudSi  wie  Pind.  Nem.  III  2  sagt.  Aber  in  der  Charakteristik 
der  vier  großen  Agone  bezeichnet  der  Dichter  die  Isthmien  mit  dem 
Ausdruck  TavQ0(p6vq)  xQtBxriQiSi  und  läßt  darauf  die  Nemeen  folgen, 
„die  mit  dem  Laube  des  Löwen  kränzen'^  {liovto(;  ßorav^\  als  wenn 
trieterisch  zu  sein  das  die  Isthmien  Unterscheidende  wäre.  Ist  es  in 
diesem  Sinne,  daß  Ausonius  in  den  beiden  letzten  Eklogen  die  Nemeen 


254  t>ie  Pestzeit  der  Nemeen 

quienquennia  sacra  nennt?  [2]  oder  wird  man  nicht  mehr  daraut  geben 
dürfen,  als  wenn  Plinius  (H.  N.  IV  19  ed.  Detl.  und  nach  ihm  Solinus 
VII  14)  anch  die  Isthmien  als  qoinquennalisch  bezeichnet? 

Wenn  der  Scholiast  zur  Einleitung  von  NeoL  X  angiebt,  daß  der 
Pentathlos  mit  der  dreizehnten  Nemeade  eingeführt  sei  und  in  der 
vierzehnten  nQ&xo^  6  2:(OGiyivi}^  Aiytviixcjv  den  penthatlischen  Sieg 
in  Nemea  errungen  habe,  so  wird  sich  daraus  für  die  vorliegende  Frage 
wohl  nichts  entnehmen  lassen,  zumal  da  Leopold  Schmidts  Vermutung, 
daß  dieser  Angabe  eine  autoschediastische  Combination  zu  Grunde 
liegt,  die  Schwierigkeiten  beseitigt,  welche  aus  dieser  wirren  Angabe 
erwachsen. 

Von  Bedeutung  könnte  es  sein,  daß  zweierlei  Kranze  als  Preis  der 
Nemeen  erwähnt  werden.  In  der  Weihinschrift  C.  I.  Gr.  I  234  steht 
der  Name  der  Isthmien  in  einem  Fichtenkranz,  der  der  Panathenaien 
in  einem  Olivenkranz,  der  der  Heraien  (E£  APfOYI  AZT7II)  auf 
einem  Schilde,  der  der  Nemeen  in  einem  Eichenkranz.  Und  eben  so 
wie  der  Eichenkranz  auf  den  Zeuscult,  wird  von  Eckhel  I  2  S.  288 
die  Antoninsmünze,  die  den  Pfau  und  HPAIA,  den  Adler  und  NEMEIA 
hat,  gedeutet.  Andererseits  wird  in  dem  Epigramm  des  Archias  (viel- 
leicht des  aus  Ciceros  Zeit)  über  die  vier  großen  Agone,  das  Ausonius 
in  seiner  viertletzten  Ekloge  lateinisch  wiedergiebt,  der  Eppich  für  die 
Nemeen  angeführt-;  nicht  minder  nennt  Plinius  H.  N.  XIX  158  cqnum, 
—  honos  in  Achaia  ooronare  vidores  sacri  certaminis  Nemeae\  und  die 
UovTOQ  ßoräva  Pindars  wird  wohl  dasselbe  Gewächs  sein.  Daß  es  zu 
Pindars  Zeit  auch  für  die  Isthmien  als  Preis  gegeben  wurde,  zeigt 
der  Schluß  von  Lsth.  VII  68  6\,'  'I(T&fiiov  av  vdnog  Aoagiiov  &jxx^v 
Gtkiv(üv.  Der  Scholiast  zur  Einleitung  in  die  Nemeen  S.  426  und 
besser  der  zu  Olymp.  XIII 43  S.  274  sagt:  daß  in  den  Isthmien  trockner 
Eppich  {^7j()6v),  in  den  Nemeen  grüner  (/Ao>pdi/)  der  Siegespreis  ge- 
wesen sei;  eine  wunderliche  Angabe,  wenn  es  auch  Wlntememeen  gab 
und  wenn  die  Isthmien,  wie  wohl  mit  Recht  angenommen  wird,  in 
den  späten  Frühling  tallen.  Denn  der  irische  Eppich  kommt  mit  den 
Veilchen  und  Rosen  auf  den  Markt,  wie  sich  aus  dem  bekannten  nov 
fioi  xä  QÖSuj  nov  fxoi  tu  la  u.  s.  w.  ergiebt.  Freilich  hatte  man 
frischen  Eppich,  so  konnte  man  ihn  zu  den  Isthmien,  wenn  der  heilige 
Brauch  ihn  trocken  haben  wollte,  abgeschnitten  liegen  lassen  bis  er 
welk  war;  und  die  Winternemeen  betreflFend,  —  es  ist  ja  wohl  denkbar, 
daß  schon  [3]  die  Griechen  ihr  aikivov  (nicht  petroselinum,  sondern 
Sellerie,  wie  das  Blatt  auf  den  Münzen  von  Selinus  zeigt),  so  wie  es 
unsere  Hausfrauen  thun,  im  nassen  Sande  bis  in  den  Januar  und 
Februar  grün  zu  halten  verstanden  haben ;  ja  nach  A.  Mommsen  (Griech. 


Die  Festzeit  der  Nemeen  255 

Jahreszeiten  I  S.  56)  gehört  noch  jetzt  in  Griechenland  die  Sellerie  zu 
den  „Herbst-  und  Wintergemüsen,  die  durch  Nachsäen  und  Nachbau 
zu  verschiedenen  Zeiten  bis  zum  Mai  dauern".  Ungleich  wunderhcher 
scheint  es,  daß  Pindar  Nem.  IV  88  dem  schon  am  Acheron  weilenden 
Schatten  des  Kallikles  zuruft,  wie  er  einst  in  Poseidons  Agon  &üX7](tb 
Kooiv&iotg  asXivoig,  Unsere  Pindarscholien  sind  nicht  der  Art,  daß 
man  auf  Grund  ihrer  Lehre  vom  grünen  und  trocknen  Eppich  dem 
im  Ausdruck  feierlichsten  aller  Dichter  dies  abgeschmackte  Oxymoron 
„im  trocknen  Eppich  grünen"  zuschreiben  dürfte. 

Von  Winternemeen  spricht  nur  Pausanias,  aber  an  zwei  Stellen. 
In  der  ersten  (1115,2)  beschreibt  er  die  zwei  Wege  von  Kleonai  nach 
Argos:  der  eine  führt  durch  einen  Paß,  wo  die  Höhle  „des  Löwen" 
gezeigt  wird  und  15  Stadien  davon  i]  Nsfiea  rö  ;^fo(>/oi',  mit  dem  nicht 
eben  wohl  gehaltenen  Tempel  des  nemeischen  Zeus,  und  um  den  Tempel 
der  Cypressenhain,  wo  [ivTavß-a)  der  kleine  Opheltes,  von  der  Amme 
ins  Gras  gelegt,  von  dem  Drachen  getötet  sein  solle;  er  fährt  (§  3) 
fort:  &vovai  äi  !A(}yeToi  r(p  Ail  xcu  kv  t?/  Nt^iia  xal  Nefieiov  Aioq 
iegea  otiQovvTatj  xal  Ötj  xal  S^öfiov  nQOTt&earrtv  dycDva  ävögämv 
fbnhfjfjLivoiQ  Ne^Bicov  navrjyv^Bi  r&v  ;jf6/jW€(;/i/(Dx'*  kvTavOa  cVtti  pikv 
Vtpikrov  Td(po<i  u.  s.  w.  In  der  zweiten  Stelle  IV  16,  4  wird  von  dem 
Eleier  Aristeides  gesprochen,  der  mehrfach  gesiegt  habe,  auch  JVefjieiojv 
hv  naialv  knl  rw  innitp  {d^öfi(p)*  S^öfiov  Si  dm  tov  Inniov  fifjxog  fiiv 
öiavXoi  SifO'  heket(p&evTa  öi  ix  IVefieiojv  t€  xal  'Iff&fjLicov  avxbv  ßacri- 
kevg  läSQiavoq  iq  ß/^sfieicov  dycjva  tcjv  /6i^B()ivüjv  ccnaSojxev  'Agy^iotq. 

Aus  diesen  beiden  Stellen  hat  Unger  (Phil.  1876  S.  74  und  1878 
S.  574)  eine  Ansicht,  die  schon  Eckhel  D.  N.  I  2  S.  288  angedeutet 
hatte,  scharfsinnig  weiter  entwickelt.  Er  findet  in  Pausanias  Worten  aus- 
gesprochen, daß  der  Kaiser  Hadrian,  von  dem  auch  sonst  mannigfache 
Feste  und  Agone  in  den  hellenischen  Landen  hergestellt  oder  begründet 
worden  sind,  neben  den  weiter  bestehenden  alten  Nemeen  in  Nemea 
diese  winterlichen  in  Argos  gestiftet  habe;  er  übersetzt  demnach  die 
angeführte  erste  Stelle  [4]  des  Pausanias:  „es  opfern  aber  die  Argeier 
dem  Zeus  sowohl  in  Nemea,  als  auch  wählen  sie  einen  Priester  des 
nemeischen  Zeus  (in  Argos),  ja  sie  veranstalten  auch  einen  Wettkampf 
gewappneter  Männer  an  den  W^intememeen".  Er  hebt  hervor,  daß 
Pausanias  selbst  II 20, 3  das  Uqov  NB^Ltlov  Jiög  in  Argos  und  II 24, 2 
das  Stadion  erwähnt,  iv  cL  tov  äy&va  to5  Ne^iico  Ail  xal  rä  'Hoata 
äyovmv. 

Es  sind  drei  Fälle  möglich:  entweder  Hadrian  hat  die  Nemeen 
überhaupt  aus  Nemea  nach  Argos  verlegt,  oder  einen  der  zwei  alten 
Agone,  den  winterlichen,  in  Argos  feiern  lassen,  oder  zu  den  alten 


256  I^ie  Fest  zeit  der  Nemeen 

beiden  Festen  in  Nemea  neue  winterliche  in  Argos  gegründet  Es 
mag  gestattet  sein,  die  einzelnen  Momente,  die  zwischen  diesen  drei 
Fällen  entscheiden,  anzuführen. 

Kaiser  Julian  ep.  XXXV  spricht  von  der  Ungerechtigkeit  der 
Korinthier,  die  seit  sieben  Jahren  zu  ihren  Tierkämpfen  von  den  andern 
Städten  in  Hellas  Beisteuer  fordern  trotz  der  AteÜe,  die  den  Eleiem, 
Delphiern,  Argeiern  für  die  großen  Festspiele,  die  sie  herzustellen  haben, 
gewährt  ist;  besonders  Argos  treflfe  es  hart:  denn  die  Eleier  und  Del- 
phier Siä  Tfjg  Tiokvfl QvXX7]T0V  nevT(/6Ti]QiSog  äna^  kniTskaiv  eioLf&aai' 
Strra  Se  iari  JVifiea  nuQä  toiy;  lAgyiioi^  xa&ünsQ  ^lad-fiiu  nagä 
KoQiV&ioiii'  kv  fiivTOi  Tovrw  rd)  XQ^^^  *^^  ^^o  ngöxBtvrai  nagu 
Tolg  Id^ysioig  ccycüvsg  i^rsoot  oiäa,  (oars  stvai  xiGaaQug  navrag  ivtcev- 
Toiq  Ti(T(Ta()fTiv.  Daß  Argos  deren  im  dritten  christlichen  Jahrhundert, 
fünf  feierte,  lehrt  die  Inschrift  der  Stadt  Argos  zu  Ehren  des  T.  Statilius 
Timocrates  C.  I.Gr.  I  1124,  der  da  u.a.  bezeichnet  wird  als  äycovoi^irti^ 
'H^aicüv  xui  N%(iai(üV  xai  JS^ßarmicov  xai  /Vefieicov  xai  'Avxivotimv 
kv  AQyti  xai  !AvTtvoBi(ov  iv  Mavnveia  u.  s.  w.  Also  in  der  Pentaeteris 
zweimal  Nemeen,  nicht  noch  dritte,  jene  winterlichen. 

Femer:  Pausanias  beschreibt  in  der  ersten  Stelle  den  Weg  Ton 
Kleonai  nach  Argos;  er  erwähnt  bei  Nemea  den  Tempel  und  die  Stelle 
wo  der  kleine  Opheltes  umgekommen  (§  2);  wollte  er  mit  &vovgi  dt 
{§  3  Zeile  1)  Dinge,  die  in  die  Stadt  Argos  gehören,  namentlich  die 
Agone  und  die  Panegjris,  beifügen,  so  würde  man  das  §  3  Zeile  5 
mit  ivTuv&a  fiev  angeführte  Grab  des  Opheltes  natürlich  auch  in  der 
Stadt  suchen  müssen;  aber  daß  dies  so  wie  die  weiteren  Merkwürdig- 
keiten in  §  3,  die  Steinummauerung,  dio  Altäre  in  ihr,  das  Grab  von 
Opheltes  Vater,  die  [5]  Quelle  Adrasteia  u.  s.  w.  nicht  in  der  Stadt, 
sondern  in  Nemea  liegen,  versteht  sich  von  selbst  und  ergiebt  sich 
auch  aus  dem  Schluß  des  §  3  xai  ö{)o<i  '4ni(Taq  k^Ttv  vniQ  ri^v  Na^iav, 
Also  wird  der  entscheidende  Satz  ß'vovm  de  u.  s.  w.  wohl  nur  weiteres 
über  Nemea  und  die  dortige  Feier  angeben  sollen:  „geopfert  wird  von 
den  Argeiem  dem  Zeus  auch  in  Nemea"  u.  s.  w. 

Ferner:  wenn  Pausanias  die  Bezeichnung  TVe/^e/a  /c/ft€(>ff/c^  braucht, 
so  hat  er  im  Sinn,  daß  es  ihnen  gegenüber  andere,  nicht  winterliche 
Nemeen  giebt.  Mögen  Nemeen  auch  in  Megara,  in  Aitna,  in  der  Stadt 
Argos,  auch  mit  Agonen  gefeiert  werden,  die  eigentlichen  Nemeen  sind 
nur  die  beiden  in  Nemea.  Und  wenn  Pausanias  in  der  Beschreibung 
dieses  Lokals  von  winterlichen  Nemeen  spricht,  so  sind  es  eben  nicht 
die,  welche  er  II  26,  2  das  Stadion  in  der  Stadt  Argos  erwähnend  an- 
führt; Iv  <p  Tov  ccy&va  rrp  Ne/neiq)  Ail  xai  rä  'Hgaia  äyovai,  sagt 
er,  nicht  rä  Nkfxuu  tu  /6/jU€(>/i'öf  xai  rä  'Iloata, 


Die  Festzeit  der  Nemeen  257 

Ferner :  die  Argeier  haben  auch  ein  Heiligtum  des  Zeus  Meilichios 
(II  20,  1),  einen  Altar  des  Zeus  Phyxios  (II  21,  2),  des  Zeus  Hyetios 
(II  19,  8),  einen  Tempel  des  Zeus  Nemeios  (U  20,  3);  darum  sagt 
Pausanias  von  Nemeia  sprechend:  „es  opfern  die  Argeier  dem  Zeus 
auch  in  Nemea  und  wählen  einen  Priester  des  nemeischen  Zeus^'  — 
vielleicht  nur  für  das  Fest,  denn  in  Pausanias  Zeit  ist  der  Tempel  in 
Nemea  nicht  mehr  so  im  stände,  daß  man  da  an  ein  dauerndes  Priester- 
tum  und  dessen  Fürsorge  denken  könnte:  xavB^pvfjxBi  tb  6  ÖQotpog 
xal  äyaXfia  ovSiv  hi  iXBinBTO  (II  15,  2).  £s  mag  daran  erinnert 
werden,  dafi  die  Competenzverhältnisse  in  betreff  der  nemeischen  Feier 
streitig  oder  wechselnd  gewesen  sind;  Pindar  (Nem.  IV  7  KXBmvaiov 
ccn  äyßvog  und  X  42  KXBtavaimv  ngdg  AvSq&v)  zeigt,  daß  zu  seiner 
Zeit  Eleonai  das  Fest  hatte;  und  daß  in  Aratos  Zeit  Kleonai  und  Argos 
um  die  Feier  stritten,  ergiebt  Plut.  Arat.  25. 

Endlich:  in  der  zweiten  Stelle,  in  der  Pausanias  diö  Wintememeen 
nennt,  sagt  er,  das  Epigramm  des  Aristeides  erwähne  dessen  Sieg  in 
Olympia  (ßjrAoi;),  in  Delphoi  [SiavXov)^  in  Nemea  (ncciaiv  knl  T<p 
Inniq))]  er  fügt  hinzu,  daß  das  Wettrennen,  welches  in  den  Isthmien 
und  Nemeen  in  Abgang  gekommen  sei,  von  Kaiser  Hadrian  den  Ar- 
geiem  wiedergegeben  sei  ig  NB/ABtatv  äy&va  rcor  ;^e/jU6(>if^d)f^,  —  und 
nicht  ig  Nifuia  hv  '!AQyBij  könnte  man  hinzufügen,  wenn  nicht  dieser 
Ausdruck  ungenau  auch  von  [6]  den  Nemeen  in  Nemea  gebraucht 
würde,  so  C.  I.  A.  III  129,  einem  Verzeichnis  von  Siegen  des  Valerius 
Eclectus:  VXvfAnta  kv  JlBiaj]  ß'^  Ilv&ia  kv  ABkcpoig  /?',  NifiBia  iv 
^'Aqybi  /  u.  s.  w. 

Sind  diese  Bemerkungen  richtig,  so  wurden  noch  in  Pausanias 
Zeit  —  um  Ol.  240  —  die  Nemeen  in  Nemea  trieterisch  gefeiert,  und 
zwar  von  den  Argeiern,  das  eine  Fest  im  Winter,  das  andere  in  einer 
anderen  Jahreszeit;  für  jene  war  das  außer  Brauch  gekommene  Wagen- 
rennen durch  Kaiser  Hadrian  wieder  hergestellt,  —  etwa  durch  Ge- 
währung von  Geldmitteln  für  die  nötige  Stallung,  für  Futter  u.  s.  w. 
Auch  in  der  Stadt  Argos  gab  es  ein  Heiligtum  des  nemeischen  Zeus, 
dem  pentaeterische  Agonen  gefeiert  wurden;  ob  erst  seit  Hadrian,  ob 
schon  vor  ihm,  ist  nicht  mehr  zu  ersehen.  Ob  die  ^BßdtnBiu  in 
C.  I.  Gr.  1124  eben  diese  Agonen  oder  andere  sind,  muß  dahingestellt 
bleiben. 

Vielleicht  erhält  die  dargelegte  Auffassung  eine  Stütze  durch  die 
Siegesinschrift  des  Aurelius  Septimus  Irenäus  (C.  I.  Gr.  UI  4472),  in 
der,  wie  die  Erklärer  derselben  ausführen,  erst  die  Ehrenpreise,  dann 
die  Geldpreise,  die  er  gewonnen,  aufgeführt  werden;'  die  erste  Beihe 
schließt  mit  den  Worten  xccl  i^ycovitrüfiriv  knl  x6v  ari(pccvov  &vSq&v 

DroTsen,  Kl.  Schriften  IL  17 


258  l^ie  Festzeit  der  Nemeen 

nvyfirjv  Tfjg  ä^x^'^^  negiöSov  ^eßdafiia  JVifiia  rp  npo  tqi&v  Ka- 
Xavdcdv  lavovccQicjv  knl  rfls  TtsvraBTfjQiSog  MetTiräX^  xccl  Saßeiiftp 
vnäroig.  Abgesehen  von  den  vielfachen  Schwierigkeiten  in  diesen 
Worten,  ist  soviel  klar,  daß  hier  die  Nemeen  „Kaiserliche",  vielleicht 
dem  Hadrian  zu  Ehren,  genannt  sind  und  zwar  als  rfjg  äqx^^^^  nagiö- 
Sov.  Eine  bekannte  Stelle  des  Festus  sagt:  in  gymnids  certammibus 
perihodon  vicisse  dicüttr  qui  Pythia  Isthmia  Nemea  Olympia  nicit  a  oircuni- 
itu  eorum  apectaouhrum.  Unsere  Inschrift  selbst  lehrt,  daß  dann  auch 
jüngere  Feste  als  Periodos  zusammengefaßt  worden  sind;  aber  wenn 
die  Nemeen  hier  ausdrücklich  t^§  dpxf^^^^  nsQiöSov  heißen,  so  sind 
sie,  auch  mit  dem  privilegierten  Titel  „Kaiserliche",  wohl  das  alte  Fest 
in  dem  engen  Thal  von  Nemea. 

Von  großem  Interesse  wäre  die  Datierung  dieser  Inschrift,  wenn 
sie  sich  sicher  erklären  ließe.  Francke  (Griechische  Inschriften  gesammelt 
von  0.  Fr.  v.  Richter  S.  1 75)  wollte  aus  dem  Eni .  HI  HENTAETHRI AOZ, 
wie  Richter  aufgezeichnet  hatte,  lesen  knl  fAf](/  TtevTaBTtjQiSog.  Franz 
gab  nach  Chandler  und  Hauteroche  ^tcI  rfjg  und  bemerkte  erläuternd: 
es  bedeute  in  solemnibus  iis  quae  acta  sunt  Messala  et  Sabino  eass.  Das 
Jahr  dieser  Consuln  [7]  ist  967  der  Stadt,  214  n.Chr.,  nach  hergebrachter 
Rechnung  OL  248  2.  Wenigstens  so  viel  scheint  man  aus  den  Worten  ^/öj- 
vtaäfi7}v  . .  Niyna  rrj  ngö  r&v  xQt&v  KahxvS&v'IuvovaQioiv  entnehmen 
zu  dürfen,  daß  der  Tag  dieses  Wettkampfes  der  30.  Dezember  214  war. 

Eine  andere  Zeit  der  Winternemeen  ergab  sich,  wie  man  glaubte, 
mit  Sicherheit  aus  dem  Fragment  des  pindarischen  Dithyrambos  (fr.  46 
bei  Bergk):  hv  lAgysi^  IVsfiifc  fAävnv  ov  kav&üvei  (poivixog  i^gvo^ 
u.  s.  w.,  wie  denn  auf  Grund  dieser  Stelle  noch  Epigonen  n^  2  S,  37 
das  Fest  „etwa  dem  Februar*'  zugeschrieben  ist  Es  war  mir  Useners 
Nachweis  (Rhein.  Mus.  1868  S.  148)  entgangen,  daß  diese  Worte  hand- 
schriftlich nicht  sicher,  daß  sie  emendiert  sind  aus  ägyiavefABco,  daß  die 
beiden  besten  Handschriften  des  Dionys  de  comp.  verb.  c.  22  geben:  ev 
akyea  rsfietoi  und  ävagyia  vsfiicji.  Usener  schreibt  demnach  kvctQyiu 
tbUoov  aüficcT  oi  Xav&dvBi  u.  s.  w.,  so  daß  von  Nemeen  hier  nicht 
mehr  die  Rede  ist. 

Endlich  die  Zeit  des  anderen  Nemeenfestes.  Sie  zu  bestimmen  haben 
wir  die  Angabe  des  Scholiasten  zu  Pindar  S.  426:  l^ari  rp/cr^s  {6  äy^v). 
TsXovfiBvog  fjLfjvl  ITav^fup  SoDSexürtj,  Unger  sagt:  „hätte  es  zweierlei 
durch  ungleiche  Intervalle  geschiedene  Epochen  ihrer  Festzeit,  eine 
sommerliche  und  eine  winterliche  gegeben,  so  würde  unser  locus  dassicus 
wohl  nicht  schlechtweg  rguri^g  geben,  und  jedenfalls  müßte  er  zwei  Mo- 
nate statt  des  einzigen  Panemos  nennen".  Sehr  richtig,  nur  wird  man 
aus  dem,  was  dieser  Scholiast  nicht  sagt,  nicht  Schlüsse  machen  dürfen. 


Die  Festzeit  der  Nemeen  259 

Und  wie  natürlich  es  scheinen  mag,  daß  ein  trieterisches  Fest  in 
dem  gleichen  Monat  jedes  dritten  Jahres  gefeiert  sein  wird,  die  aus- 
drückliche Bezeugung  des  Gegenteils  —  wenn  Pausanias  Angahe  eine 
solche  ist  —  wird  man  eben  hinnehmen  müssen,  auch  wenn  das  Motiv 
dieser  zweierlei  Feier  sich  nicht  mehr  nachweisen  läßt. 

Was  aber  ist  mit  der  Angabe  „der  12.  Panemos"  gesagt?  Der 
Schoüast  zu  Ol.  VII 147  S.  179  (bei  Tycho  MommsenScholiaGerm.lS61), 
dem  Festlied  für  den  Rhodier  Diagoras,  giebt  zu  den  rhodischen  Tlepo- 
lemien  (Halien)  die  Bemerkung:  TsksTrai  8i  inl  fifjvog  roQniuiov  xb' 
^jtiipf^,  äiiix^i  8i  x&v  JVefjbicav  TjfUgag  ^.  Wenn  Böckh  aus  dieser 
Stelle  schloß,  daß  der  Gorpiaios  ein  rhodischer  Monat  gewesen  sei,  so 
hat  sich  unter  den  sehr  [8]  zahlreichen  Henkelinschriften  aus  Rhodos  (bei 
Franz  C.  I.  Gr.  III  S.  V),  aus  denen  sich  die  zwölf  rhodischen  Monate 
ergeben,  der  Name  des  Gorpiaios  nicht  gefunden.  Beide  Monate,  Panemos 
und  Gorpiaios,  hat  nur  der  makedonische  und  hellenistische  Kalender 
(K.  F.  Hermann  Griechische  Monatskunde  S.  104  und  119)  und  zwar  so, 
daß  zwischen  ihnen  der  Loos  ist.  Wenn  in  dem  Kalender  von  Seleukia 
in  Pierien  (bei  Ideler  I  S.  433)  unmittelbar  auf  Gorpiaios-Oktober  der 
Panemos-November  folgt,  so  wird  man  beachten  müssen,  was  Ideler 
bemerkt:  „es  ist  zweifelhaft,  in  wie  weit  man  sich  auf  diesen  Kalender 
verlassen  könne,  da  er  sich  bloß  in  der  Lejdener  Handschrift  findet^; 
es  fehlen  ihm  die  Monate  Februar,  Juni,  Juli.  Eine  dritte  Angabe  über 
die  Zeit  der  Nemeen  findet  sich  in  dem  Scholion  zu  Pindar,  das  Tycho 
Mommsen  in  dem  Frankfurter  Programm  von  1867  veröffentlicht  hat 
wie  ich  aus  TJngers  Angabe  (Philol.  1876  S.  64)  entnehme:  ^yero  8h  [rä 
Nkfi%a)  fifjvl  Ilccv^fjup  irj',  8g  kaxtv  lovkiog.  Auch  diese  Angabe  könnte 
wie  die  über  den  Gorpiaios  aus  besserer  Zeit  stammen;  leider  hat  Lehrs 
derartige  Spuren  in  den  Pindarscholien  nicht  verfolgt.  Die  Gleichsetzung 
des  Panemos  mit  dem  julianischen  Juli  führt  auf  den  Kalender  von 
Antiochien  (Ideler  I  S.  430),  und  von  dem  dortigen  12.  Panemos  bis  zum 
24.  Gorpiaios  sind  74  Tage,  so  daß  den  verdorbenen  Zahlen  in  dem  oben 
angeführten  Scholion  mit  der  einfachsten  Emendation  b^  statt  f^  (€<) 
nicht  geholfen  wäre;  man  müßte  zugleich  i8'  statt  x8'  schreiben.  Daß 
die  Notiz  über  die  Monate  der  Olympien  Schol.  Pind.  Ol.  III  35  S.  98  auf 
einen  anderen  Kalender  zurückführt,  mag  hier  wenigstens  erwähnt  werden. 

So  weit  die  direkten  Angaben  über  die  Zeit  der  Nemeen.  Sie  sind 
weit  entfernt  ein  sicheres  Resultat  zu  ergeben.  Es  fragt  sich,  ob  in- 
direkte Zeugnisse  weiter  führen,  namentlich  ob  sie  den  Wechsel  von 
Winter-  und  Sommememeen  bestätigen,  und  ob  sie  die  olympiadischen 
Jahre,  in  denen  die  einen  und  andern  gefeiert  worden  sind,  feststellen. 

17- 


260  I>ie  Festieit  der  ^ 

II.  Es  giebt  nicht  eben  zahlreiche  lalle,  in  denen  die  Xemeen 
im  Znsanunenhange  anderer  Ereignisse  oder  Vorgänge,  die  chronolo- 
gischen Anhalt  gewähren,  erwähnt  werden;  unter  den  nemeischen 
Siegen,  die  Pindar  feiert,  ist  keiner,  dessen  Jahr  mit  genügender 
Sicherheit  bestimmt  werden  kann. 

[9]  1.  Einen  ersten  Anhalt  giebt  die  Angabe  des  Poljbios  V  101,  6, 
daß  König  Philipp  die  Nachricht  Ton  der  Schlacht  am  trasimenischen 
See  durch  einen  aus  Makedonien  ihm  gesandten  Boten  bei  der  Feier 
der  Nemeen  erhielt  Wie  lange  Zeit  die  Botschaft  brauchte,  wissen 
wir  nicht;  sagen  wir  sechs  Wochen.  Wenn  Alex.  Biese,  wie  ich  glaube 
mit  Becht,  Ovid.  Fast  VI  763  guifUm  ab  extremo  mense  erü  tue  dies 
mit  Cod.  V  statt  quarttis  ab  exiremo  mense  bis  iUe  dies  schreibt  und 
V.  763 — 770  demgemäß  nach  V.  794  einschaltet,  so  ist  der  Tag  der 
Schlacht  der  römische  27.  Juni  (V  Kai.  JuL,  nicht  IX  Kai.  JuL).  Die 
julianische  Zeit  ist  nach  Monunsens  Ausdruck  „etwa  im  April  217K 
Man  würde  sie  aus  dem  Synchronismus  der  achäischen  Vorgänge,  wie 
sie  Polybios  erzählt,  genauer  bestimmen  können,  wenn  der  achäische 
Strateg  dieses  Jahres,  Aratos  der  Vater,  sein  Amt  in  der  regelmäßigen 
Zeit  11.  Mai  angetreten  hätte;  aber  nach  Polybios  V  30,  7  hat  sein  Vor- 
gänger Eperatos  vor  beendetem  Amtsjahr  abtreten  müssen  und  Arata<; 
ist  Tfls  d-6QBiag  iva()zopLiv7jg  ihm  gefolgt  Wenn  nach  liv.  XXII  32,  1 
der  Dictator,  der  nach  jener  Niederlage  ernannt  war,  die  Consuln  be- 
rufen läßt,  ut  eocercitus  ab  se  exacto  tarn  prape  semestri  imperio  oooiperenL, 
wenn  sie  daan  kommen  und  exercitu  accepto  hdbemaeulis  mature  com- 
munitis  —  extremum  autumni  erat  —  Fhbii  artibus  den  Krieg  weiter- 
führen, so  müßte  als  eactremum  autumni  schon  der  Ausgang  des  julia- 
nischen Oktobers  gerechnet  werden,  wenn  die  trasimenische  Schlacht 
noch  in  den  April  gefallen  sein  sollte;  das  Schema  bei  Mommsen  B.  Chr. 
S.  62  giebt  den  julianischen  10.  Nov.  als  Wintersanfang.  Die  Schlacht 
fiel  nach  Polybios  V 101, 3  in  die  Zeit,  als  König  Philipp  das  thessalische 
Theben  belagerte;  er  hatte  während  des  Winters  in  Thessalien  die  zur 
Belagerung  nötigen  Geschütze,  160  Katapulten  u.  s.  w.  bauen  lassen 
(V  99,  7).  Polybios  führt  die  Einzelnheiten  dieser  Belagerung  an;  nach- 
dem die  Stadt  sich  ergeben  hat,  die  Bürgerschaft  aufgelöst,  in  die  Stadt 
eine  makedonische  Kolonie  gelegt  ist,  führt  Philipp  seine  Flotte  durch 
den  Euripus  nach  Kenchreai,  schickt  die  großen  Schiffe  weiter,  die  Pelo- 
ponnes  zu  umschiffen  und  nach  Lechaion  zu  kommen,  während  die 
die  kleineren  auf  der  Holzbahn  über  den  Isthmos  geführt  werden;  er 
selbst  begiebt  sich  nach  Nemea  zu  den  Spielen.  Man  sieht^  es  liegt 
zwischen  dem  Fall  von  Theben  und  den  nemeischen  Spielen  einige 
Zeit,  eine  noch  etwas  längere  zwischen  dieser  und  der  trasimenischen 


Die  Fefstzeit  der  Nemeen  261 

Schlacht.  Fiel  diese  in  [10]  die  ersten  Tage  des  Mai,  Fabius  Ernennung 
zum  Dictator  drei  Tage  darauf  (Polyb.  VII  86,  6,  rgiraloq  war  die 
Nachricht  der  Niederlage  in  Rom),  so  wurden  die  Nemeen  im  Juni 
oder  Anfang  Juli  gefeiert,  also  auf  der  Scheide  von  Ol.  140  3/4  ^ 

2.  Auf  eine  zweite  Datierung  führt  Demosthenes  Bede  gegen 
Meidias,  die,  wenn  man  Schäfers  Erörterungen  gelten  läßt,  im  Herbst 
Ol.  107  4  geschrieben  ist.  Und  wenigstens  der  urkundliche  Einwand, 
den  Hartel  (Demosth.  Antrage  in  Comm.  phil.  in  Mommsenii  honorem 
S.  533)  dagegen  geltend  macht,  scheint  nicht  zwingend,  da  Köhlers 
Ergänzung  im  C.  I.  A.  II  105  inl  QüXXov  äo^ovrog  nicht  unbedenklich 
ist;  es  könnte  in  der  Überschrift  des  Psephisma,  die  nicht  völlig  regel- 
mäßig geschrieben  ist,  auch  inl  QovSri^ov  uQ/ovrog  auf  dem  Stein 
gestanden  haben;  und  in  dem,  was  von  dem  Inhalt  der  Inschrift  noch 
erkennbar  ist,  scheint  nichts  zu  liegen,  was  den  Beschluß  in  Ol.  106  4 
zu  setzen  hinderte.  Andere  Bedenken,  die  sich  gegen  Schäfers  Ansetzung 
erheben  lassen,  führen  zu  keinem  positiven  Resultat,  das  besser  begründet 
wäre.  Läßt  man  also  für  die  Zeit  der  Midiana  den  Herbst  Ol.  107  4 
gelten,  so  war  Demosthenes  in  den  Dionysien  Ol.  107  2  Frühling  350 
von  Meidias  geschlagen,  er  hatte  nach  der  Probole,  die  gleich  darauf 
folgte,  mehrere  Erbietungen  des  Gegners  zu  gütlicher  Beilegung  des 
Handels  im  Lauf  des  Jahres  des  Archon  ApoUodoros  Ol.  107  3  zurück- 
gewiesen, er  war  für  das  folgende  Jahr,  das  des  Kallimachos  Ol.  107  4 
zum  Buleuten  gelost.  Wenn  er  (§11 4)  anführt,  Meidias  habe  es  ruhig 
geschehen  lassen,  daß  er  das  Opfer  zum  Beginn  der  neuen  Bule  ge- 
bracht, daß  er  die  Architheorie  nach  Nemea  geführt  habe,  daß  er  zum 
Hieropoios  für  die  Semnen  bestellt  worden  sei,  so  ergiebt  sich  daraus, 
daß  in  diesem  attischen  Jahr  Ol.  107  4,  und  zwar  in  dem  Anfang 
desselben,  Nemeen  gefeiert  worden  seien. 

3.  Auf  ein  gleiches  Ergebnis  führen  die  Nemeen,  von  denen* 
Liv.  XXVII  30  und  31  spricht.  Indem  Livius  C.  35  die  in  dem  darauf 
folgenden  Herbst  geschehene  Wahl  der  Magistrate  für  das  nächste  Jahr 
anführt  und  zugleich  erwähnt,  daß  in  dem  beginnenden  römischen 
Jahre  die  Feier  der  Olympien  (Ol.  143  1  etwa  [11]  Juli  208)  bevor- 
steht (quod  Olympiae  hidienim  ea  aestate  futurum  eratjj  zu  der  T.  Manlius 
sich  zu  begeben  beauftragt  wird,  so  hat  König  Philipp  die  Feier  dieser 
Nemeen  —  cv/ratione  Heraeorum  Nemeorumque  suffragiis  populi  ad  eum 


^  Es  mag  gestattet  sein,  wie  hergebracht,  80  zu  rechnen,  als  ob  die  olym- 
piadischen Jahre  sich  mit  den  attischen  decken;  wenigstens  ungefähr  ist  dies 
richtig,  wenn  auch  gelegentlich  einmal  die  Olympien  sich  bis  in  den  attischen 
Metageitnion  verschieben  konnten. 


262  l^ie  Festzeit  der  Nemeen 

delaia  —  im  Laufe  des  Jahres  209  gehalten  und  zwar^  wie  man  aus 
den  von  Livius  angeführten  militärischen  Actionen  vorher  und  nachher 
sieht,  etwa  in  der  Mitte  des  Jahres,  d.  h.  entweder  in  den  letzten  Tagen 

01.  142  8  oder  den  ersten  yon  Ol.  142  4. 

4.  Daß  die  Nemeen,  die  der  Schlacht  von  Sellasia  folgten,  der 
gleichen  Sommerzeit,  dem  Anfang  von  Ol.  139  4,  angehören  ist  Epig.  11^ 

2,  152  nachgewiesen. 

5.  Wenn  Philopoimen  in  seiner  zweiten  Strategie  {oi  ndlai  xi,v 
kf  MavTivBicc  fiäxfjv  vBvtxf3X(Ag  Plut.  Philop.  11)  die  Nemeen  feiert,  so 
fallen  sie,  da  diese  Schlacht  im  achten  Monat  seiner  Strategie,  also 
zwischen  11.  Dezember  206  und  10.  Januar  205  OL  143  3(?)  geschlagen 
worden  ist,  wie  die  bisher  erwähnten,  auf  die  Confinien  eines  dritten 
und  vierten  Olympiadenjahres. 

Nicht  in  gleichem  Maße  einfach  ist  das  Ergebnis  der  Stellen,  welche 
die  andere  Nemeenfeier  betreffen. 

6.  Von  der  Feier,  die  Plut  Arat.  28  erwähnt,  kann  man  mit  einiger 
Wahrscheinlichkeit  nur  sagen,  daß  sie  weder  die  von  Ol.  135  4  (237) 
noch  die  von  Ol.  136  4  (233)  gewesen  sein  dürfte,  sondern  zwischen 
beiden  stattgefunden  haben  wird. 

7.  Die  C.  I.  A.  II  182  mitgeteilte  Inschrift  ist  ein  Volksbeschluß, 
der  sich  auf  die  nemeische  Architheorie  bezieht:  ^Enirikrjg  —  sln^v 
nsQl  [wv]  X[iy6i]  6  ä[(}X6&e(OQo]g  6  elg  rä  N\iii\Ba  xal  Aant^Qiq]  6 
7t[fi6^%voQ]  rfjg  nöXsoag  .  .  .  IS^eSöxlO-ai]  rw  SifjfjLip  u.  s.  w.  Sonderbar, 
daß  der  Architheoros  nicht  mit  Namen  genannt  ist;  die  sehr  zerstörten 
folgenden  Zeilen  lassen  erkennen,  daß  es  sich  um  Schwierigkeiten  in 
der  Bezahlung  zwischen  dem  Architheoros  und  dem  Proxenos  in  Eleonai 
gehandelt  hat,  und  daß  Bestimmungen  beschlossen  sind,  wie  es  damit 
künftig  gehalten  werden  soll  (a  16  [To]vg  7iQo^ivov[g[.  b  4  [röv] 
iS'SooqÖv  [rjofg  n()o^[ivoig'].  b  7  rovg  dk  änoäixTug  fUQi[(Tai  T(p  ä^xB}- 
i9'6c6p[G)]  6g  &v  ä%l  äQx[i\&[%oi}Qriai]  ro]  üqyvqiov.  Zum  Schluß:  daß 
der  Proxenos  Lapyris  von  Eleonai  auf  morgen  ins  Prytaneion  geladen 
werden  soll.  Die  Inschrift  ist  datiert:  Archen  Keplusodoros  11.  Hekatom- 
baion.  Also  der  Beschluß  ist  in  den  ersten  Tagen  des  attischen  Jahres 
Ol.  114  2  gefaßt;  der  [12]  ungenannte  Architheoros  hat,  obschon  er  nicht 
6  äQX6&ea>Q^{Tag  genannt  wird,  seine  heilige  Reise  wohl  schon  hinter 
sich,  vielleicht  noch  nicht  seine  Decharge;  ob  Tage  oder  Monate  seit 
der  Pestfeier  verflossen  sind,  ob  Lapyris  mit  der  zurückkehrenden  Theorie 
nach  Athen  kam  oder  bei  einer  späteren  Anwesenheit,  etwa  nach  allerlei 
Zahlungsdifferenzen  mit  dem  Architheoros,  diese  Regulierung  veranlaßte, 
die  ihm  zugleich  die  Auszeichnungen,  welche  das  Psephisma  erwähnt, 
einbrachte,   —  darüber  lassen  die  Reste  der  Inschrift  im  Unklaren. 


Die  Festzeit  der  Nemeen  263 

Aus  ihr  also  läßt  sich  nicht  bestimmen ,  ob  die  Nemeenfeier,  die  zu 
diesen  Anordnungen  Anlaß  gab,  um  den  Anfang  des  attischen  Jahres 
Ol.  114,  2  oder  Wochen,  Monate  früher  in  Ol.  114  1  stattgefunden  hat 

8.  Von  besonderem  Interesse  sind  für  unsem  Zweck  die  Nemeen, 
die  T.  Quinctius  Flamininus  nach  dem  195  v.  Chr.  mit  dem  Tyrannen 
Nabis  von  Sparta  geführten  Kriege  gefeiert  hat,  Jahr  und  Tag  nach 
den  berühmten  Isthmien,  in  denen  er  die  Freiheit  der  Hellenen  ver- 
kündet hatte. 

TJnger  (Philologus  1878  S.  543)  geht,  die  Zeit  dieser  Nemeen  zu 
finden,  von  der  fünf  Jahre  späteren  Sonnenfinsternis  aus,  die  (Liv. 
XXXVII 4)  ante  dum  quinttmi  idus  Qumtiles  564,  am  julianischen  14»  März 
190  V.  Chr.  stattfand.  Er  berechnet,  je  nachdem  die  Schaltmonate  in 
den  vorausgehenden  Jahren  560,  561,  562,  563  verteilt  gewesen  sein 
konnten,  den  römischen  Jahresanfang  von  559  auf  den  julianischen 
12.  August  oder  4.  September  oder  26.  September  195.  Da  die  Wahlen 
in  Rom  nach  dem  21.  Dezember  und  vor  dem  18.  Februar,  oder  vielmehr, 
weil  die  ersten  siebzehn  Tage  des  Februar  nicht  comitiale  gewesen 
seien,  den  2.  Februar  des  römischen  Jahres  stattgefunden  hätten  und 
schon  vor  den  Wahlen  die  Meldung  des  Quinctius  de  rebus  ad  Lacedae- 
monem  gestü  eingetroffen  sei,  so  müsse  der  Bote  des  Feldherm  späte- 
stens zu  Anfang  des  römischen  Januar,  d.  h.  vor  dem  julianischen  resp. 
26.  oder  4.  September  oder  12.  August  nach  Rom  abgesandt  worden  sein. 
Quinctius  feierte  nach  dem  Abschluß  des  Vertrages  mit  Nabis  nach 
Argos  ziehend  die  Nemeen,  die  man  des  Kriegs  wegen  verschoben  hatte; 
„da  nun  der  eigenUiche  Termin  der  Spiele  wenigstens  einige  Wochen 
vorher  eingetreten  sein  muß",  so  folgert  TJnger,  daß  die  rechte  Zeit 
der  Feier  „im  eigentlichen  Sommer  Ol.  146  2",  im  Juli  195  v.  Chr. 
stattgefunden  habe. 

Es  empfiehlt  sich  den  Krieg  des  Nabis  auch  von  seinem  Anfang 
[13]  her  anzusehn.  Schon  im  Spätherbst  196  ist  vom  Senat  erwogen 
worden,  ob  man  nach  der  Proklamierung  der  hellenischen  Freiheit  es 
ruhig  ansehen  könne,  daß  Nabis  mit  dem  Besitz  von  Argos,  wenn  die 
römischen  Legionen  Hellas  verließen,  Meister  der  Peloponnes  bleibe. 
Die  Entscheidung  wird  noch  verschoben  (Liv.  XXXIII  45).  Dann  em- 
pfängt Quinctius  in  den  Winterquartieren,  die  er  wieder  in  Elateia  ge- 
nommen hat,  das  Senatusconsultum,  das  ihm  den  Krieg  gegen  Nabis 
empfiehlt  (Liv.  XXXIV  22).  Er  läßt,  nachdem  er  eine  Versammlung 
der  Bundesgenossen  in  Korinth  gehalten,  welche  den  Krieg  zur  Be- 
freiung von  Argos  beschließt,  seine  Legionen  aufbrechen;  um  die  Zeit, 
in  der  das  Getreide  zum  Teil  schon  reif  ist  (um  Anfang  Juni),  steht 
er  nahe  bei  Argos  (Liv.  XXXIV  26),  wo  eine  starke  Besatzung  unter 


264  Die  Festzeit  der  Nemeen 

des  Tyrannen  Schwiegersohn  nnd  Schwager  Pythagoras  den  Versuch 
eines  Aufruhrs  niederschlägt  Quinctius  marschiert  in  drei  Tagen  an 
Tegea  vorüber  nach  Earyai,  während  sein  Bruder  L.  Quinctius  mit  der 
römischen  Flotte  von  Leukas  kommt,  die  rhodische  und  pergamenische 
Flotte  sich  mit  ihm  vereinigt.  Nach  einiger  Rast,  —  ibi  sociomm 
auxilia  exspectavit  .  .  .  oommea^ua  fmüimis  urbibus  impercUi  morabantur 
Bamanum  —  marschiert  T.  Quinctius  in  zwei  Tagen  bis  Sellasia,  wo 
beim  Lagerschlagen  ein  Oefecht  zu  bestehn  ist;  dann  geht  das  Heer 
an  Sparta  vorüber  nach  Amyklai,  lagert  dort,  verwüstet  die  reiche  Land- 
schaft, bezieht  dann  ein  Lager  am  Eurotas,  verwüstet  das  Land  am 
Taygetos  und  bis  zum  Meer  hinab.  Indes  hat  Lucius  {intra  paucos 
dies  nach  Vereinigung  der  Flotten  Liv.  XXXIV  29)  die  Belagerung  von 
Gythion  begonnen,  die  raschen  Fortgang  hat;  sed  tardavit  impetum  spes 
obiecta  dedendae  urbis;  denn  der  eine  Befehlshaber  der  Feste  erbietet 
sich  zur  Übergabe,  aber  der  andere  ermordet  ihn,  steigert  seinen  Wider- 
stand, et  difficüior  facta  erat  oppugnaüo,  ni  T,  Quinctius  cum  IV  miUibus 
snpervenisset.  Man  sieht  aus  diesen  Angaben,  daß  mehrere  Wochen  seit 
dem  Abmarsch  aus  der  Nähe  von  Arges  verflossen  sein  müssen;  vor 
Anfang  August  ist  Oythion  wohl  nicht  gefallen,  eher  später. 

Vor  der  Übergabe  von  Gythion  ist  Pythagoras  aus  Argos,  wo  er 
Timokrates  mit  geringer  Mannschaft  zurückläßt,  mit  3000  Mann  auf- 
gebrochen, nm  zu  Nabis  zu  stoßen.  Nachdem  Gythion  gefallen,  ver- 
sucht Nabis  zu  unterhandeln.  In  den  Erwägungen  des  römischen  Haupt- 
quartiers, die  Livius  ausführlich  darlegt,  wird  für  [14]  die  Gewährung 
namentlich  geltend  gemacht,  wie  schwierig  die  Belagerung  Spartas  in 
den  Winter  hinein  sein  würde  {eam  fore  ditUumam  ,  .  ,  ad  hoc  hiems 
accedit  ad  oomportandum  ex  Umquinquo  difficüis),  nicht  minder  die  Sorge, 
ne  novus  consul  provindam  sortiretur  et  inchoati  belli  victoria  suooessori 
irad&nda  esset  (Liv.  XXXIV  34  vgl.  Plut.  Flam.  13).  Nabis  weist  die  ihm 
angebotenen  Bedingungen  eines  Waffenstillstands  zurück,  der  auf  sechs 
Monate  geschlossen  und  in  Bom  erst  genehmigt  werden  soll;  —  sechs 
Monate  scheint  Quinctius  gefordert  zu  haben,  damit,  wenn  der  Kampf 
wieder  aufgenommen  werden  muß,  die  bessere  Jahreszeit  wieder  ge- 
kommen ist.  Nach  der  Ablehnung  wendet  sich  T.  Quinctius  gegen 
Sparta  selbst;  es  erfolgt  ein  erster  heftiger  Angriff;  nach  enger  Ein- 
schließung der  Stadt,  nach  einem  zweiten  Sturm,  dessen  Erfolg  nur  die 
Entschlossenheit  des  Pythagoras  hemmt,  nimmt  Nabis  jene  Bedingungen 
an.  Der  Bericht  darüber  ist  in  Bom,  bevor  der  Consul  Valerius  aus 
dem  Lande  der  Boier  nach  Rom  kommt,  die  Comitien  für  die  Consul- 
wahl  zu  halten  (Liv.  XXXIV  42).  Mit  dem  Anfang  des  neuen  Consu- 
lats  {prinoipio  eius  anni  quo  P,  Sdpio  Africanus  iterrnn  et  Ti,  Sempronius 


Die  Feetzeit  der  Nemeen  265 

LongtM  oonstUes  Yu^runt  c.  48)  kommen  die  Gesandten  des  Nabis  nach 
Kom ;  pax  quae  cum  T.  QuincHo  oonvenisset,  tU  rata  esset  petierunt  impetra- 
rtmtque.    Darauf  läßt  Livias  die  neue  Verteilung  der  Provinzen  folgen. 

Nach  üngers  oben  angeführter  Berechnung  würde  der  Amtsantritt 
der  neuen  Consuln  mit  den  Ideen  des  März,  2^2  Monat  nach  dem 
römischen  1.  Januar,  zwischen  dem  julianischen  1.  November  und 
15.  Januar,  ihre  Wahl  etwa  zwei  Monate  früher  fallen.  Freilich  liegt 
zwischen  diesem  Jahr  und  dem  der  Sonnenfinsternis,  564  der  Stadt, 
190  V.  Chr.,  von  der  aus  ünger  die  Wahlcomitien  u.8.  w.  des  Jahres  559 
berechnet,  der  Antrag  des  Consul  M.  Acilius  Glabrio,  der  auf  größere 
Wirren  im  römischen  Kalender  schließen  läßt. 

In  Argos  haben  nach  dem  Abmarsch  des  Pythagoras  auf  die  Ge- 
rüchte von  der  Bedrängnis  Spartas  —  iantu/m  non  iam  captam  esse, 
Liv.  XXXIV  40  —  die  Patrioten  die  schwache  Besatzung  vertrieben, 
Timokrates,  quia  dementer  praefueratj  frei  gegeben ;  huic  laeiitiae  T.  Quinc- 
tms  supervenit,  pace  data  tyranno  dimissisque  ah  iMcedaemone  Eumene 
et  Bhodiis  et  L.  Quindio  fratre  ad  classem;  laeta  dvitas  nobile  ludicru/m 
Nemeorum  die  stata  propter  belli  mala  praetermissum  in  adventum  Bomani 
eocerdtizs  dudsque  indixerunt  [15]  praefecenmtqtie  ludis  ipsis  imperatorem. 
Darauf  führt  Quinctius  seine  Truppen  nach  Elateia  zurück  —  quo  in 
kibema  reduxerat  copias,   totv/m  hiemis  tempus  iure  dicendo  amsumpsit. 

Schon  196  hatte  man  in  Bom  auf  Antiochos  von  Syrien  mit 
Besorgnis  gesehn,  man  fürchtete  dessen  Verbindung  mit  Hannibal. 
Diese  Sorge  war  mit  dem  Herbst  195  nichts  weniger  als  gemindert; 
Antiochos  stand  mit  bedeutendem  Heere  zu  beiden  Seiten  des  Helle- 
spontes; Hannibal  war  in  seinem  Lager.  T.  Quinctius  mußte  in  der 
Peloponnes  höchst  vorsichtig  verfahren;  man  darf  zweifeln,  ob  er,  da 
Nabis  Kriegsmacht  keinesweges,  wie  zwei  Jahre  vorher  die  des  make- 
donischen Königs,  durch  eine  große  Schlacht  vernichtet  war,  das  spar- 
tanische Gebiet  geräumt  hat,  bevor  die  Genehmigung  des  geschlossenen 
Vertrages  aus  Rom  eingetroflfen  war.  Die  nachträgliche  Feier  der  Nemeen 
würde  dann  in  die  ersten  zwei  Monate  des  Jahres  194,  in  die  beginnende 
zweite  Hälfte  von  OL  146  2  fallen.  Aber  wie  lange  nach  der  richtigen 
Zeit,  ist  nicht  mehr  zu  erkennen.  Und  wer  hatte  in  Argos  zu  bestimmen, 
ob  das  Fest,  als  die  übliche  Zeit  nahe  war,  gefeiert  oder  verschoben 
werden  sollte?  Wenn  diese  propter  mala  belli  versäumt  worden  ist, 
wenn  seit  dem  Juni  195  die  Umgegend  von  Argos  —  also  auch  Nemea 

—  militärisch  so  wenig  in  der  Gewalt  der  Römer  und  ihrer  Bundes- 
genossen war,  daß  Pythagoras  mit  dem  größeren  Teil  seiner  Truppen 

—  vor  dem  Fall  von  Gythion  —  ungestört  aufbrechen  und  nach  dem 
Eurotas  marschieren  konnte,  wenn  auch  nachher  noch  Timokrates  mit 


266  I^ie  Festzeit  der  Nemeen 

geringer  Trappenzahl  sich  in  Argos  behauptete,  bis* das  Gerücht  von 
dem  nahen  Fall  Spartas  den  Argeiem  den  Mut  gab  sich  zu  befreien, 
so  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  daß  die  Festzeit  der  verschobenen  Nemeen 
dem  Falle  von  Gythion  verauslag;  es  ist  wahrscheinlicher,  daß  sie  erst 
nach  der  Befreiung  der  Stadt  eintrat,  als  die  Bürger  der  Stadt  wieder 
das  Regiment  hatten  und  beschließen  konnten,  daß  die  Feier  bis  zur 
Ankunft  des  römischen  Feldherm  verschoben  werde;  denn  in  dem  super- 
venu  ianiae  laetitiae  wird  man  wohl  weniger  eine  chronologische  Angabe 
als  eine  stilistische  Yerbindung  sehen  dürfen. 

Genaueres  über  die  ordnungsmäßige  Zeit  der  Nemeen  läßt  sich 
aus  dem  Verlauf  dieser  Ereignisse  nicht  folgern;  sie  kann  in  einen  der 
fünf  letzten  Monate  des  Jahres  195  gefallen  sein;  jedenfalls  daß  sie 
in  den  Juli  195  gehört,  erweisen  die  Vorgänge  nicht. 

[16]  9.  Von  besonderem  Interesse  ist  das  Nemeenfest  des  Kassandros, 
das  Diodor  XIX  64  erwähnt  In  den  Diadochen  11^  S.  19  ist  durch  einen 
Druckfehler  „Ol.  116  1  etwa  August'^  als  die  Zeit^  die  sich  aus  Epig.  II  - 
S.  37  ergeben  werde,  bezeichnet  Ein  Carton,  der  erst  nach  Ausgabe  der 
ersten  Exemplare  gedruckt  worden  ist^  sagt  dafür:  „nachderEpig.U^S.37 
gemachten  Bemerkung  würden  diese  Nemeen  in  Ol.  116  1  etwa  Februar 
fallen,  was  undenkbar  ist;  die  Zeit  der  Feier  bleibt  noch  ein  Problem". 

Die  Lösung  desselben,  wie  sie  Unger  giebt,  stützt  sich  namentlich 
auf  den  Nachweis,  daß  Kassandros  diese  Nemeen  im  beginnenden 
Sommer  315,  Ol.  116  2  gefeiert  habe,  wie  sich  aus  der  chronologischen 
Anordnung  Diodors  und  dem  Synchronismus  der  Begebenheiten,  die 
derselbe  aus  dem  Kriege  zwischen  Antigenes  und  Eumenes  berichtet, 
ergebe.    Zur  Übersicht  diene  folgende  Tabelle: 

Archippos  Ol.  115  3  (318/7). 

Diodor  XVIII  58-75. 
Eumenes    in  Nora 

f,         in  Kilikien 
Antigonos  Sieg  bei  Byzanz 

„         Marsch  nach  Kilikien 
Eumenes    in  Phoinikien 

„         nach  Babjlonien 

„         Berufung  der  Satrapen 

Demogenes  Ol.  115  4  (317/6). 

Diodor  XIX  2—16. 

Eumenes    WQ.  in  Karrhai  Olympias  Sieg  über  Eurydike 

»         gegen  Peithon  Philippos  und  Eurydikes  Tod 

„         nach  Susiana  und  Seleukos        Olympias  Regiment  in  Makedonien 
jf         Vereinigung  mit  den  Satrapen 

Antigonos  WQ.  in  Mesopotamien 


Die  Festzeit  der  Nemeen 


267 


Demokleides  Ol.  116  1  (316/5). 

Diodor  XIX  17—36. 


Antigonos  Aufbrach  nach  Sube 

Niederlage  am  Kopratas 
nach  Medien,  Eumenes  nach 
PersiB 
Erste  medische  Schlacht 
Antigonos  und  Eumenes  WQ. 


n 


n 


Kassandroe  von  Tegea  gegen  Olympias 

Oljmpias  in  Pydna 

Das  Ersatzheer  geschlagen 


[17]  Diodor  XIX  37-54. 


Zweite  medische  Schlacht 

Eumenes  Tod 

Antigonos  WQ.  bei  Ekbatana 

gegen  Peithon 

gegen  die  Eumenianer 

nach  Persis 

nach  Susa 


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V 


Oljmpias  in  Pydna  belagert  (Winter) 
letzte  Anstrengungen 
Feldherr  Aristonus 
„        Tod 
Kassandros   Vermählung   mit   Thessa- 

lonike 
Iftßt  Roxane  und  ihren  Sohn 

töten 
nach    Hellas.      Herstellung 

Thebens 
bis  Messene 
Rückkehr  nach  Makedonien 


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Praxibulos  Ol.  116  2  (315/4). 

Diodor  XIX  55—64. 


Antigonos  nach  Babylon 
,,         nach  Mallos 

nach  dem  oberen  Syrien 
Belagerung  von  Tyros 
Feldherrn  nach  Rhodos, 

Hellas  u.  s.  w. 
Freiheitsdecret       für       die 
Griechen 


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Kassandros  Feldherr  in  Argos 
Marsch  nach  Hellas 
vor  Messenien 
Feier  der  Nemeen 
Rückmarsch    nach    Make- 
donien 


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n 


Diodor  hat  seine  Excerpte  für  die  Oescliichte  der  Diadochen  ganz 
oder  fast  ganz  aus  einer  vortrefnichen  Quelle  geschöpft;  seine  Autorität 
für  das,  was  er  aus  eigener  Einsicht  hinzufugt  —  die  Einschaltung 
der.  griechischen  und  römischen  Eponymen,  damit  die  chronologische 
Anordnung  der  erzählten  Thatsachen  —  ist  nichts  weniger  als  maß- 
gebend. Erzählt  er  doch  in  der  Reihe  von  Kapiteln  (XVIII  58 — 75), 
die  er  dem  Archen  Archippos  318/7  Ol.  115  3  zuweist,  des  Eumenes 
Aufbruch  aus  Nora  (Frühling  319),  dessen  Aufenthalt  und  Heeresorgani- 
sation in  Kilikien,  dann  dessen  Verweilen  in  Phoinikien  um  eine  Flotte 
zu  bauen,  des  Antigonos  Seesieg  bei  Bjzanz  (den  auch  Unger  in  den 
Herbst  318  setzt),  dann  wie  Eumenes  auf  die  Nachricht  von  diesem 


268  ^io  Festzeit  der  Nemeen 

und  dem  Anmarsch  des  Antigonos  von  Phoinikien  nach  Babylonien 
marschiert,  der  schweren  Gefahr  an  dem  Tigriskanal  entgeht,  die  Sa- 
trapen ans  den  oberen  Landen  zu  sich  bescheidet,  und  am  Schluß:  xai 
rä  fdv  xarcc  ri]v  'Amccv  fiixQi  rovr(ov  nQoißri  rodrov  top  ivtavTÖv 
(C.  73  Ende).  Die  Confusion  Diodors  wird  damit  nicht  beseitigt,  daß 
er,  wie  ünger  hervorhebt,  dies  Kapitel  73  aus  einer  [18]  anderen  als 
seiner  Hauptquelle  entnommen  hat,  zweimal  dasselbe  erzählend. 

Gehört  der  Anordnung  Diodors  zufolge  der  Tod  des  Eumenes  (XIX 
44)  in  das  Jahr  des  Demokleides  (XIX  17—54)  316/5,  Ol.  116  1,  wenige 
Tage  nach  der  Wintersonnenwende,  also  in  den  Anfang  315,  wie  ünger 
festhält,  so  ergeben  sich  daraus  unmögliche  Dinge.  Nach  Unger  ist 
die  letzte  Schlacht  zwischen  Antigonos  und  Eumenes  am  29.  Dezember 
316  geliefert;  drei  Tage  darauf  wird  nach  Diodors  Angabe  Eumenes 
von  seinem  Heere  ausgeliefert,  am  zehnten  Tage  hingerichtet;  dann 
geht  Antigonos  mit  seinem  Heere  nach  Ekbatana  hinauf,  überwintert 
dort  (;ra()6/«/jMa(r«),  indem  seine  Truppen  über  die  ganze  Satrapie  bis 
an  die  kaspischen  Pässe  in  Kantonnements  verlegt  werden.  Dann  hat 
er  erst  gegen  Peithon  (der  als  kv  roTg  kaxärotq  fiiQtat  t^c;  MrjSiaq 
XBifiü^cjv  bezeichnet  wird  Diod.  XIX  46)  seine  ganze  Macht  concentriert 
{(Twayaycjv  ro  ar^ardneSov  elg  ^va  rönov),  worauf  Peithon  sich  unter- 
wirft und  hingerichtet  wird.  Darauf  führt  Antigonos  sein  Heer  nach 
Ekbatana  zurück,  von  da  nach  Persepolis,  „ein  Weg  von  etwa  zwanzig 
Tagen"  (C.  47);  die  Bekämpfung  und  Hinrichtung  zweier  Eumenianer 
die  mit  ihren  Kriegshaufen  „Medien  mit  Unruhe  erfüllen",  wird  den 
Marsch  des  Antigonos  nicht  beschleunigt  haben;  doch  kommt  er  „so 
schnell  als  möglich"  {kuBiSij  räxitn  J]1&bv  C.  48)  nach  Persis.  Auch 
dort  ist  vieles  zu  ordnen  und  zu  strafen.  Dann  marschiert  er  nach 
Susa;  am  Pasitigris  kommt  ihm  der  Verwalter  des  in  Susa  liegenden 
Schatzes  entgegen,  der  die  Weisung  hat  ihm  denselben  zu  überantworten. 
Auf  Wagen  und  Kamelen  diesen  wie  den  medischen  Schatz  mit  sich 
führend,  erreicht  Antigonos  in  22  Tagen  Babylon.  Dort  kommt  es 
zwischen  ihm  und  Seleukos  zu  emst«n  Zerwürfnissen,  Seleukos  flieht 
mit  50  Beitem  nach  Ägypten;  Antigonos  bricht,  nachdem  er  die  Dinge 
in  Babylon  geordnet  hat,  auf,  nach  Kilikien  zu  marschieren;  er  legt, 
nachdem  er  Mallos  erreicht  hat,  sein  Heer  in  die  Winterquartiere: 
StsfÜQKTB  rijv  Svvafiiv  Big  naQccxBifiatriav  fiBzä  Svaiv  *ii(H(ovog  (C.  56). 
Dies  ist  nach  Ungers  Meinung  der  Spätuntergang  des  Orion  Ende  April 
und  nach  seiner  Berechnung  Antigonos  zwischen  28.  April  und  8.  Mai 
315  in  Mallos  angekommen. 

Nicht  bloß  die  Winterquartiere  im  Mai  sind  sonderbar.    Der  AVeg 
von  Ekbatana  über  Persis,  Susa  und  Babylon  nach  Mallos,  [19]  den 


Die  Festzeit  der  Nemeen  269 

Antigonos  vom  17.  Januar  bis  Anfang  Mai,  also  in  etwa  110  Tagen 
marschiert  sein  soll,  betragt  in  der  Luftlinie  reichlich  360  Meilen,  nach 
dem  gewöhnlichen  Ansatz  für  die  Di£ferenz  der  wirklichen  Marschwege 
420  Meilen.  Selbst  wenn  man  mit  Unger  Antigonos  in  Persepolis  nur 
drei  Tage,  in  Susa  drei  Tage,  in  Babylon  acht  Tage  verweilen  läßt,  hätte 
er  mit  seinem  Troß  von  belasteten  Wagen  und  Kamelen  in  weniger  als 
100  Tagen  mehr  als  400  Meilen  marschieren  müssen,  eine  militärische 
Leistung,  mit  der  ein  Feldherr  die  beste  Armee,  wenn  er  sie  ihr  zu- 
mutete, ruinieren  würde;  im  vorliegenden  Fall  war  sie  um  so  weniger 
nötig,  als  die  vorderen  Lande,  namentlich  Kilikien^  nicht  etwa  in  Feindes 
Hand  waren,  sondern  unter  Antigonos  Beamteten  und  Besatzungen 
standen. 

Unger  stützt  seine  chronologische  Anordnung  durch  eine  Angabe 
aus  dem  Zusammenhang  der  europäischen  Ereignisse,   welche  keinen 
Zweifel  zu  lassen  scheint  Wir  werden  sehen,  daß  Olympias  den  Winter 
317/6  hindurch  in  Pydna  von  Kassandros  eng  blockiert,  dann  roif  l^aQog 
dQXOfiivov  härter  bedrängt,  zur  Kapitulation  gezwungen  und  ermordet 
wurde;  ihr  tapferer  Strateg  Aristonus  hatte  den  Auftrag  Amphipolis  zu 
verteidigen;  er  hatte  Kassandros  Aufforderung  die  Stadt  zu  übergeben 
zurückgewiesen,  „weil  er  Eumenes  noch  lebend  glaubte  und  der  Meinung 
war,  daß  Polysperchon  und  Alexandres  Hilfe  leisten  würden";  auf  einen 
schriftlichen  Befehl  der  alten  Königin,  noch  vor  ihrer  Ermordung,  über- 
gab er  die  Stadt.    In  dem  Ausdruck,  den  Diodor  XIX  50  braucht: 
xcel  tÖv  EvfUvfj  ^&vra  TjyovfUVOQj  in  di  xovq  tisqi  'AX^uvSqov  xai 
UoXvfrniQxovTcc  vofii^cov  (TwsniX^'^BtTd'cci,   findet  Unger  den  Beweis, 
daß  Eumenes  in  dieser  Zeit,  im  Frühling  316,  noch  gelebt  habe,  weil 
nach  griechischer  Sprach  weise  bei  Worten  des  Meinens  das  Farticipium 
im  Unterschiede  von  der  infinitivischen  Construction  bedeute,  daß  das 
Geglaubte  in  der  Wirklichkeit  so  sei,  wie  man  glaubt.    Hat  wirklich  — 
wenn  ein  Nicht-Philologe  sich  erlauben  darf  solchen  Zweifel  zu  äußern 
—  die  syntaktische  DiflFerenz  der  beiden  Constructionsarten  dieses  Ge- 
wicht, diese  Schärfe?  ist  es  die  verbale  oder  die  adjectivische  Seite  des 
Participiums,  die  aus  Meinen  Gewißheit  macht?  gilt  diese  syntaktische 
Feinheit  auch  für  Stellen  wie  Plat  Phaed.  §  85:  yeloTöv  y\  &  vBccvia^ 
rd  äöyjJ'CC  i^ysig  xal  rov  ixalgov  avxvdv  SiafiaQrdvetg,  ü  air6v  ovroD 
Ttvä  ijyp  xf}o<po3ia'  Yaoog  Si  xal  r6v  XoiäoQoiffiBvov  avr(p  oUi  [20] 
vofii^ovra  Kiyeiv  &  ikeyov^  oder  bestätigt  gerade  dies  vopLi^ovra  diesen 
Unterschied?  hätte  Demosthenes  de  cor.  §  26  in  seinem  vofii^oov  Sneg 
r^v  äkrj&ig  und  folgenden  Infinitiv  sich  das  Önsg  Jjv  äXrj&ig  sparen 
können,  wenn  er  statt  des  Infinitivs  das  Participium  folgen  ließ?  und 
wenn   er  §  95  sagt:  rovro  fiiv  yäg  imdgxBiv  vfiäg  elSörag  rjyodfiat, 


270  Die  Festaeit  der  Nemecn 

oder  §  228  €jfto'*Myr,xa  pvpt  vfut^  vjtäoztiw  iypüHTfiirovg  itu  fdv  hkyuv 
v^iig  Tfjg  yfOTo/dog.  ist  da  das  Geglaubte  um  das  Participiiun  wirk- 
licher oder  um  den  InfinitiT  unsicherer  geworden? 

Vielleicht  weiter  fuhrt  in  der  chronologischen  Frage  ein  anderes 
Moment  Nach  Ungers  Ansetzung  fallt  die  Vereinigung  des  Eumenes  mit 
den  Satrapen  ,,in  den  Winter  oder  auch  erst  in  den  Frühling  316^,  die 
erste  der  beiden  medischen  Schlachten  in  den  Herbst  316.  Als  Eumenes 
mit  den  Satrapen  vereint  in  Persis  stand  und  in  Peukestas  Bemühungen 
um  deren  und  der  Soldaten  Gunst  dessen  Absichten  erkennen,  die  Lei- 
tung des  Krieges,  dessen  man  in  den  üppigen  Lagerfesten  vergaß,  in 
des  ehrgeizigen  Satrapen  Hand  übertragen  zu  sehen  fürchten  mußte« 
ließ  er  Briefe,  die  er  von  dem  armenischen  Satrapen  emp&ngen  haben 
wollte,  unter  den  Truppen  bekannt  werden,  nach  denen  die  Königin 
Olympias  mit  ihrem  Enkel  au5  Epeiros  zurückgekehrt,  Kassandros  ge- 
schlagen und  umgekonunen,  Makedonien  in  ihrer  Gewalt,  Polysperchon 
mit  den  Elefanten  nach  Asien  übergesetzt  und  im  Anmarsch  gegen 
Antigonos  sei  (Diod.  XIX  23,  Polyaen.  IV  8,  3).  Eine  solche  Nachricht 
konnte  nur  dann  Wirkung  haben,  wenn  sie  nach  der  Lage  der  Ding^ 
in  Europa  möglich  war  und  das  brachte,  was  die  Makedonen  in  Eumenes 
Heer  erwarteten  und  wünschten.  Daß  im  Frühling  317  Polysperchon 
sein  Heer  mit  dem  des  Königs  von  Epeiros  vereinigt  habe,  um  Olym- 
pias, während  Kassandros  in  der  Peloponnes  kämpfte,  nach  Makedonien 
zurückzufuhren  (Diod.  XIX  1 1),  konnte  man  in  Persepolis  drei  Monate 
später  wissen.  Es  war  das  Unternehmen,  das  mit  der  Rückkehr  der 
Olympias,  mit  der  Ermordung  des  König  Philipp  Arrhidaios  und  der 
Eurydike  im  Herbst  317  endete;  kurz  darauf  war  Olympias  von  Kassan- 
dros in  Pydna  eingeschlossen,  mit  dem  Frühling  316  ihr  Schicksal  so 
gut  wie  entschieden,  in  wenigen  Wochen  ihr  Anhang  im  Lande  ver- 
nichtet)  sie  selbst  getötet.  Jene  erdichteten  Nachrichten  des  Eumenes 
wären  nach  dem  Frühling  316  unglaublich  gewesen  und  würden  durch 
die  folgenden  Meldungen  vom  Fall  Pydnas  und  dem  [21]  Tode  der 
Olympias  —  Antigonos  und  dessen  Verbündete  hatten  Anlaß  und  Wege 
genug  sie  in  das  Heer  des  Eumenes  gelangen  zu  lassen  —  als  Täu- 
schung erkannt  und  zu  verhängnisvoller  Wirkung  verkehrt  worden  sein. 

Nun  zurück  zu  den  Nemeen  des  Kassandros,  die  Diodor  XIX  64 
eben  so  wie  des  Antigonos  Winterquartiere  in  Kilikien  unter  dem  Ar- 
chonten  Praxibulos  Ol.  116  2,  315/4  anführt  Man  wird  diese  Zeit- 
angabe aus  der  Beihenfolge  der  Begebenheiten  zu  kontrolieren  versuchen 
müssen. 

Einen  verhältnismäßig  sicheren  Ausgangspunkt  giebt  die  Ermor- 
dung des  Königs  Philipp  Arrhidaios  durch  Olympias,  die  Diodor  XIX  1 1 


Die  Festzeit  der  Nemeen  271 

in  dem  Jahr  des  Demogenes  Ol.  115  4  berichtet  mit  dem  Bemerken, 
daß  Philipp  sechs  Jahre  und  vier  Monate  König  gewesen  sei;  dessen 
Ende  also  fallt  in  den  Oktober  oder  November  317,  den  vierten  oder 
fünften  Monat  von  Ol.  116  4. 

Dann  erzählt  Diodor  XIX  35 — 54  im  Jahr  des  Demokleides  nach 
der  ersten  medischen  Schlacht  zwischen  Antigenes  nnd  Eumenes  Eas- 
sandros  eiligen  Marsch  ans  der  Peloponnes  nach  Makedonien,  die  Be- 
lagerung von  Pydna  (C.  37),  dann  nach  einer  zweiten  Einschaltung 
(Antigonos  /cijuafcov  in  Medien,  die  zweite  medische  Schlacht,  Eumenes 
Tod,  Antigonos  Marsch  bis  Susa  C.  37 — 48),  in  Europa  die  Fortsetzung 
der  Belagerung  von  Pydna  während  des  Winters,  im  Frühling  —  rov 
l^ccQog  äQxopi^vov  —  die  letzten  Anstrengungen  der  Königin,  ihre 
Niederlage  und  Hinrichtung,  Eassandros  Vermählung  mit  Thessalonike 
(C.  49—52).  Eein  Zweifel,  daß  diese  Vorgänge  dem  Winter  317/6,  dem 
Frühling  316  angehören,  wie  weit  sie  in  den  Sommer  316  Ol.  115 
4./ 11 6.  1  fahren,  ist  nicht  zu  bestimmen;  gewiß  aber  noch  in  diesen 
Herbst  316  fallt  des  Eassandros  Zug  nach  Hellas,  der  Befehl  zur  Her- 
stellung Thebens  (C.  52,  53),  dann  der  weitere  Marsch  gegen  Alexandres, 
Polysperchons  Sohn,  bis  Messene,  die  Bückkehr  nach  Makedonien,  wohl 
zum  Winter  (C.  54).  Daran  schließt  sich  was  Piodor  XIX  63 — 64  von 
den  europäischen  Begebenheiten  des  folgenden  Jahres,  Archen  Praxibulos, 
erzählt:  der  Strateg,  den  Eassandros  in  Argos  zurückgelassen,  bekämpft 
mit  Erfolg  den  Alexandres  und  die  Empörer  in  Argos;  dann  will  Eas- 
sandros auf  die  Nachricht,  daß  Antigonos  den  Milesier  Aristodemos  mit 
Schiffen  und  Geld  nach  der  Peloponnes  abgeschickt  habe  (C.  57),  diesem 
zuvorkommen  (C.  63);  er  versichert  sich  der  Dankbarkeit  der  hergestellten 
Thebaier,  [22]  erstürmt  Eenchreai,  nimmt  Orchomenos,  wirft  sich  auf 
Messene;  aber  da  Polysperchon  eine  starke  Besatzung  dorthin  gelegt 
hat,  giebt  er  für  jetzt  die  Belagerung  auf  [rb  fdv  noXioQxuv  aixriv 
inl  rov  nuQÖvroq  Aniyvm  G.  64),  er  geht  nach  Arkadien  zurück,  feiert 
dann  im  weiteren  Marsch  die  Nemeen,  kehrt  heim  nach  Makedonien. 

Ist,  wie  oben  dargelegt,  Antigonos  im  November  316  nach  Eilikien 
gekommen  und  hat  er  demnächst  —  sagen  wir  Anfang  315  —  den 
Aristodemos  mit  Geld  nach  der  Peloponnes  gesandt,  so  ist  es  sehr  natür- 
lich, daß  Eassandros  in  diesem  Frühling  315  nach  Hellas  marschierte 
und  dort  that  was  er  that.  Mit  dem  Sommer  315  begann  Ol.  116  2; 
Eenchreai,  Orchomenos  nahm  Eassandros  durch  Belagerung,  die  von 
Messene  unterließ  er  „für  jetzt";  ob  wegen  der  vorgerückten  Jahreszeit? 
wie  weit  sie  vorgerückt  war  als  er  diese  Nemeen  feierte,  ist  nicht  zu 
ersehen,  auch  aus  den  weiteren  Begebenheiten  nicht;  nur  daß  dies  Fest 
in  Ol.  116  2  nicht  in  das  Ende  von  OL  116  1  föUt,  ist  wohl  unzweifelhaft. 


272  Die  Festzeit  der  Nemeen 

10.   Es  bleibt  noch  eine  Nemeenfeier  zu  besprechen,  die  welche 
Flut.  Gleom.  1 7  erwähnt  wird.    Ihre  Zeit  ergiebt  sich  in  folgender  Art 
Die  Niederlage  beim  Hekatombaion  hatte  Aratos  so  entmutigt^  daß  er 
bei  der  demnächst  erfolgenden  Strategen  wähl  11.  Mai  224  Ol.  138  4 
sich  die  Wahl  verbat;  er  hatte  schon  im  Herbst  vorher  unter  der  Hand 
mit  König  Antigenes  von  Makedonien  wegen  eines  Bündnisses  gegen 
Eleomenes  von  Sparta  zu  unterhandeln  begonnen,  nach  seiner  Nieder- 
lage seinen  Sohn  zu  ihm  gesandt;  aber  daß  Antigenes  die  Abtretung 
von  Akrokorinth  forderte,  machte  die  Unterhandlung  scheitern;  ohne 
die  Aussicht  auf  makedonische  Hilfe  zog  Aratos  vor,  einem  andern  die 
Verantwortlichkeit  der  Strategie  zu  überlassen.    Timoxenos  wurde  ge- 
wählt; der  Bund  begann  Unterhandlungen  mit  Eleomenes,  der  nichts 
forderte  als  daß  ihm  die  Hegemonie  übertragen  werde,  dafür  die  freie 
Rückkehr  aller  Kriegsgefangenen,  die  Bückgabe  aller  eroberten  Plätze 
versprach.    Mit  Freuden  ging  man  darauf  ein,  berief  die  eidgenössische 
Gemeinde  nach  Lema,  ihm  dort  die  Hegemonie  feierlich  zu  übertragen. 
Ihn  warf  auf  dem  Wege  nach  Lema  ein  Blutsturz  danieder,  er  mußte 
nach  Sparta  zurückgebracht  werden.     Langsam  genas  er;  eine  neue 
Gemeinde  wurde  nach  Argos  berufen,  Kleomenes  dorthin  geladen;  in 
Tegea   [23]   emfing  er  Schreiben  von  Aratos  mit  wunderlichen  Zu- 
mutungen :  er  möge  ohne  Tnippen  kommen  und  ähnliches.    Kleomenes 
erließ  eine  hefkige  Erwiderung  über  dies  Verfahren  an  den  Bund,  kün- 
digte ihm  von  neuem  den  Krieg  an,  warf  sich  auf  Sikyon,  eilte  weiter 
nach  Pellene,  wo  die  Bürger  sich  für  ihn  erhoben,  ebenso  kam  Pheneos, 
PenteUon,  Kaphyai  in  seine  Gewalt;  man  fürchtete  den  Abfall  Korintbs, 
Sikyons;  von  Argos  sandte  man  Verstärkungen  dorthin.    Es  kam  die 
Zeit  der  Nemeen,  man  verlegte  sie  nach  Argos;  während  der  Festfeier 
erschien  Kleomenes  mit  seinen  Truppen  auf  den  Höhen  bei  der  Stadt; 
niemand  griff  zu  den  Waffen,  Argos  nahm  willig  eine  spartanische  Be- 
satzung auf,  trat  unter  die  Hegemonie  Spartas. 

Wann  sind  diese  Nemeen?  Unzweifelhaft  mehrere  Monate  nach 
dem  Anfang  der  Strategie  des  Timoxenos,  also  im  Lauf  von  Ol.  139  1; 
und  vor  der  neuen  Strategenwahl  im  Mai  223,  wie  sich  aus  Polyb.  II  53, 
1  und  Plut.  Arat.  40  und  41  ergiebt.  In  welchem  Monat,  läßt  sich 
nicht  mehr  erkennen;  aber  aus  den  weiteren  Vorgängen  (Epig.  II'  2 
S.  108  ff.)  wird  man  schließen  dürfen,  daß  die  Feier  wohl  im  späten 
Herbst  stattfand. 

Die  obigen  Zusammenstellungen  gewähren  kein  befriedigendes  Er- 
gebnis. Wenigstens  für  Nemeen  auf  der  Scheide  des  8./4.  Olympiaden- 
jahres zeugen  die  sicheren  Beispiele  4,  1,  3,  5. 


Die  Festzeit  der  Nemeen  273 

Ol.  139  4         Juü  221 

OL  140  4        Juni/ Juli  217 

Ol.  142  4         (Juni/JuU)  209 

Ol.  143  4        (Juni/ Juli)  205 
Von  den  anderen  Nemeen  sind  9.  und  10.  nur  dem  Jahre  nach  sicher, 
nämlich  die  des  Eassandros 

OL  116  2        Spätherbst  315, 
die  des  Kleomenes 

OL  139  1         Herbst/ Winter  224/3, 
auch  dem  Tage  nach  die  im  Abschnitt  I  angeführte  aus  der  späteren 
Kaiserzeit 

OL  248  2        30.  Dezember  214  n.  Chr. 

Wenn  Tansanias  zweimal  den  Ausdruck  JVifi^ia  x^ifJ^Q'^^i  braucht 
und  derselbe  nicht  auf  die  zuerst  von  Eckhel  angedeutete  Weise  zu 
beseitigen  ist,  so  wird  man  die  Thatsache,  daß  die  Nemeen  abwechselnd 
im  Sommer  und  Winter  gefeiert  worden  sind,  [24]  hinnehmen  müssen, 
wenn  man  sie  auch  nicht  erklären  kann.  Daß  die  Wintememeen  bald 
in  einem  ersten,  bald  in  einem  zweiten  Jahr  einer  olympiadischen  Ponte- 
tens  gefeiert  worden  sind,  ist  bis  jetzt  nur  aus  der  dürftigen  Beihe 
von  drei  Angaben  zu  entnehmen,  von  denen  die  präciseste  einem  ganz 
späten,  völlig  verwandelten  Zeitalter  angehört.  Wenn  sich  für  jenen 
Wechsel  weitere  Beweise,  etwa  aus  neugefundenen  Inschriften,  ergeben 
sollten,  so  würde  man  auch  gegen  solche  Wunderlichkeit  nicht  die 
Unmöglichkeit  einer  vernünftigen  Erklärung  geltend  machen  dürfen. 
Der  Versuch,  den  Heinrichs  (Zeitschrift  für  Gymnasial wesen  IX  1855 
S.  214)  gemacht  hat,  den  Cyklus  der  Nemeaden  zu  entwickeln,  war  zu 
hastig.  Kennte  man  die  Schaltperiode  des  Kalenders  von  Argos,  so 
würde  sich  da  möglicherweise  die  Formel  für  den  Wechsel  zwischen 
den  zweiten  und  dritten  olympiadischen  Jahren  ergeben,  etwa  so,  daß 
das  Winterfest  nicht  später  als  die  Wintersonnenwende  oder  die  nächste 
Mondphase  nach  ihr  fallen  durfte,  also  je  nach  dem  Schaltcyklus  18 
und  31  oder  25  und  25  Monate  zwischen  den  Sommer-  und  Winter- 
nemeen  liegen  mußten.  Doch  dies  nur  beispielsweise.  Die  Frage  der 
Wintememeen  bleibt  bis  auf  weiteres  ein  Problem. 


P.  S. 

Die  Panegyris,  welche  Polyb.  XXII  13,  1  erwähnt,  ist  auf  eine  Nemeen - 
feier  (die  von  Ol.  148  3/4)  gedeutet  worden.  Der  Wortlaut  der  Stelle  giebt 
keinen  Anhalt  dafür. 

Schoms  Vermutung,  daß  in  späterer  Zeit  die  Wahl  der  achäischen  Stra- 
tegen im  Herbst  stattgefunden  habe,  ist  durch  die  delphische  Inschrift  Nr.  109 

DrojBen,  KI.  Schriften  II.  18 


274  Die  Feeteit  der  N 

(A.  Mommsen  PhiJologiis  24  S.  17)  bestttigt.  Von  der  Wahl  OL  1S9  4  aigt 
Poljbioe  lY  27,  2  und  Y  1,  1,  dasB  dminals  (rar«)  in  den  Tagen  dea  Fleinden- 
aofganga  (11.  Mai;  gewShlt  wurde.  Wann  die  Yenchiebiing  der  Wahl  einge- 
treten, ist  nicht  aberliefert;  mSglidienretse  aehon  yor  OL  143  8.  Das  aar  Er- 
kllnmg  dea  (?)  Seite  262  Zeile  11. 

Es  gilt  jetzt  dal&r,  daß  Poljlnoa,  wenn  er  naeh  Olympiaden  datiert, 
Anfiug  am  die  HerbetSqoinoctien,  drei  Monate  apiter  ala  die  Zttt  der 
rechnet  Die  Art,  wie  er  lY  14,  9  daa  Ende  yon  OL  189  and  den  Anfang  von 
OL  140  bezeichnet,  verliehen  mit  lY  26,  1  and  lY  27,  1  lißt  keinen  ZweüeL 
daß,  wenn  er  nach  Olympiaden  rechnet,  er  die  wirkliche  Penteteiis  im  Sinne  hat. 

J.  G.  D. 


XI. 

Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer. 

Sitzangsberichte  der  Königl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin  1882 

S.  207  flF. 
(Gelesen  in  der  Sitzung  der  philosophisch-historischen  Klasse  vom  2.  Februar.) 

[207]  Es  hat  ein  großes  historisches  Interesse,  den  Umwandlungen 
nachzngehn,  welche  die  Eroberungen  und  Gründungen  Alexanders  des 
Großen  wie  in  den  politischen,  so  in  den  handelspolitischen  und  finan- 
ziellen Verhältnissen  der  alten  Welt  eingeleitet  haben,  Veränderungen, 
deren  Summe  dann  in  den  zwei  letzten  vorchristlichen  Jahrhunderten 
das  Partherreich  auf  der  einen,  das  Bömerreich  auf  der  andern  Seite 
gezogen  hat. 

Von  den  politischen  Umgestaltungen  in  dieser  hellenistischen  Zeit 
lassen  sich  die  in  der  äußeren  Politik  der  Mächte  und  Staaten  auf 
Grund  der  in  unseren  Quellen  erhaltenen  schriftstellerischen  Auffas- 
sungen einigermaßen  verfolgen;  für  die  der  inneren  Politik,  f&r  die 
wirtschaftlichen  und  sozialen,  sind  wir  fast  ausschließlich  auf  die  Über- 
reste angewiesen,  die,  wie  fragmentarisch  und  sporadisch  immer  sie 
vorliegen  mögen,  den  Vorzug  haben,  weil  sie  unmittelbare  Stücke  des 
einst  Wirklichen  und  Gegenwärtigen  sind,  je  schärfer  man  in  sie  ein- 
dringt sich  desto  ergiebiger  zu  erweisen. 

Freilich  fast  nur  das  ptolemäische  Ägypten  bietet  uns  in  solchen 
Überresten,  und  zwar  nicht  bloß  in  Inschriften,  Münzen,  technischen  und 
künstlerischen  Arbeiten,  sondern  und  namentlich  in  zahlreichen  geschäft- 
lichen Papieren,  griechischen  wie  demotischen,  die  Möglichkeit  wie  in 
einem  Beispiel  zu  sehen,  wie  sich  der  monarchische,  der  Staatsgedanke 
Philipps  und  Alexanders  hellenistisch  ausgebildet  und  umgebildet,  nur 
zu  schnell  verbraucht  hat. 

Eine  Preisaufgabe,  welche  1864  die  Pariser  Akademie  „über  die 
politische  Ökonomie  und  die  Verwaltung  Ägyptens   in   der  Zeit  der 

18* 


276  Zun)  Finanzwesen  der  Ptolemäer 

Lagiden"  stellte,  hat  zwei  Publikationen  hervorgerufen,  die  in  sehr 
dankenswerter  Weise  die  bis  dahin  gewonnenen  Materialien  gesichtet 
und  bearbeitet  und  damit  für  die  weitere  Forschung  eine  breite  und 
sichere  Basis  geschaffen  haben.  Die  Schrift  von  Lumbroso,  die  den 
Preis  erhielt,  hat  den  Vorzug  der  umfassenden  Benutzung  und  Inter- 
pretation [208]  der  griechischen  und  demotischen  Papyre,  das  Memoire 
seines  Concurrenten  Bobiou  ergänzt  sie  durch  eine  eingehendere  Erörte- 
rung der  Kolonial-  und  Handelsverhältnisse  des  ptolemäiscben  Ägypten. 
Seitdem  ist  von  Brugsch,  Leemanns,  Wessely,  Krall,  Robiou  u.  a.,  mit 
hervorragendem  Erfolg  von  Eugen  Rövillout,  weiter  gearbeitet  worden. 

Die  bedeutenden  Ergebnisse  dieser  Studien  machen  es  möglich,  eine 
Frage  wieder  aufzunehmen,  die  ihrer  volkswirtschaftlichen  Wichtigkeit 
wegen  mehrfach  besprochen  worden  ist  \  Es  handelt  sich  um  die  höchste 
Summe  in  einem  Besitz  aufgehäuften  Edelmetalles,  die  aus  dem  Alter- 
tum überliefert  ist. 

Appian  giebt  im  Proömium  seiner  römischen  Geschichte  an,  daß 
der  zweite  König  Ägyptens  so  und  so  viele  Truppen,  Kriegsschiffe,  Ele- 
fanten u.  s.  w.  und  in  seinen  Schatzhausem  740  000  ägyptische  Ta- 
lente gehabt  habe;  ungefähr  950  Millionen  Thaler,  wenn  er  Silbertalente 
gemeint  hat^ 

Begreiflich,  daß  diese  kolossale  Summe  Bedenken  erregte.  Wem 
sie  undenkbar  schien,  dem  mußte  entweder  Appians  Ziffer  für  fehler- 
haft gelten,  mochte  der  Autor  selbst  Falsches  geschrieben  oder  der 
Abschreiber  des  Textes  sich  in  der  Ziffer  versehen  haben,  —  oder  er 
mußte  diese  Angabe  so  erklären,  daß  die  genannte  Summe  in  den 
Grenzen  des  Möglichen  blieb. 

Freilich  ein  sicheres  Maß  für  das  Mögliche  hatte  man  nicht  Am 
wenigsten  auf  die  naheliegenden  Vergleiche  mit  fürstlichen  Schätzen 
in  den  letzten  zwei  oder  drei  Jahrhunderten  durfte  man  sich  stützen 
wollen,  wenn  man  nicht  zuvor  nachgewiesen  hatte,  daß  das  Finanzwesen 
des  Altertums  auf  wesentlich  anologen  Productions-,  Steuer-  und  Credit- 
verhältnissen  beruht  habe,  wie  das  der  modernen  Staaten,  denen  in 
gewissem  Sinn  die  Staatsschulden  statt  des  Schatzes  sind. 


'  Auch  in  der  neuen  Ausgabe  der  Geschichte  des  Hellenismus;  die  folgende 
Untersuchung,  zu  der  ich  jetzt  erst  die  Muße  fand,  mag  dem  da  Gesagten  als 
Ergänzung  dienen. 

'  In  dieser  Berechnung  ist  die  ptolemfiische  Drachme  von  3,^7  g  als  rein 
Silber  genommen,  wie  es  in  dem  attischen  und  römischen  Geld  nachgewiesen  ist. 
Der  preußische  Thaler  von  18,51g  hat  an  reinem  Silber  16,66  g.  Also  1  ptole- 
mäisches  Silbertalent  6000  x  3,57  g  =  1285V5  Thaler.  Wenn  Appian  Denar- 
talente gemeint  hat,  so  würde  sich  die  Summe  von  1036  Millionen  Thalem  ergeben. 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemfier  277 

Appian  selbst  weist  auf  einen  Maßstaab  hin,  der  uns  freilich 
nicht  mehr  vorliegt,  aber  doch  einigermaßen  reconstruiert  werden  kann. 

Er  spricht  in  jenem  Proömium  von  der  Größe,  Macht  und 
Dauer  des  römischen  Seichs;  er  sagt:  weder  die  griechischen  Staaten, 
noch  die  Reiche  der  Assyrer,  Meder,  Perser  könnten  sich  damit  ver- 
gleichen; [209]  dann  sei  das  Reich  Alexanders  gekommen,  das  in  seiner 
plötzlich  aufsteigenden  Herrlichkeit  wie  ein  Blitz  über  die  Welt  ge- 
leuchtet habe,  mit  des  großen  Königs  Tod,  als  das  Reich  in  eine  Reihe 
von  Königsherrschaften  zerfallen  sei,  hätten  noch  einzelne  dieser  Teil- 
reiche Glanz  und  Macht  gehabt,  wie  denn  der  nach  ihm  zweite  König 
von  Ägypten  —  und  nun  folgt  die  angeführte  Aufeählung  von  Truppen, 
Schiffen,  Rüstungen  und  endlich  jene  74  Myriaden  Talente.  Appian 
fügt  hinzu,  daß  auch  die  meisten  anderen  Teilreiche  unter  ihren  ersten 
Königen  dem  ägyptischen  nicht  viel  nachgestanden  hatten  \  aber  unter 
ihren  Nachfolgern  rasch  gesunken  seien. 

Wir  haben  keine  sicheren  Angaben  über  das,  was  man  den  Schatz 
Alexanders  nennen  könnte,  nur  gelegentlich  Notizen  über  die  von  den 
Perserkönigen  da  und  dort  aufgehäuften  Vorräte  an  Edelmetallen  und 
anderen  Kostbarkeiten,  die  in  seine  Hand  fielen.  Völlig  glaubwürdig 
ist  nur,  wenn  Arrian,  wie  man  leicht  erkennt,  der  besten  Quelle,  den 
Aufzeichnungen  Ptolemaios  I.  folgend,  angiebt  (III  16,  3),  in  Susa  habe 
Alexander  fünf  Myriaden  Silbertalente  und  die  übrige  königliche  Aus- 
stattung {xatacxev/j),  also  Gerate,  Schmuck,  Purpur  u.  s.  w.  erbeutet. 
Und  weiterhin:  er  habe  sich  des  Schatzes  in  Persepolis,  des  Schatzes 
des  Kyros  in  Pasargadai  bemächtigt  (III  18,  10).  Die  Sunmie  des  hier 
Erbeuteten  giebt  Diodor  (XVII  71),  Gold  und  Silber  zusammen,  auf 
12  Myriaden  Silbertalente  an;  und  Strabo  (XV  S.  731),  daß  außer  dem, 
was  Alexander  im  Lager  (bei  Arbela)  und  in  Babylon  gefunden,  die  in 
Susa  und  Persis  erbeuteten  Schätze  nach  einigen  vier,  nach  anderen 
fünf  Myriaden  betragen  hätten,  nach  anderen  seien  in  Ebatana  18  My- 
riaden Talente  niedergelegt  worden.  Vor  der  Schlacht  bei  Issos  hatte 
König  Dareios  das  meiste  von  dem,  was  er  für  seinen  campagnemäßigen 
Bedarf  mit  ins  Feld  genommen,  nach  Damaskos  abgehn  lassen,  wo  es 
Parmenion  erbeutete;  aus  dessen  Verzeichnis  der  gemachten  Beute  ist 
die  Angabe  erhalten  (Athen.  XI  S.  782),  daß  in  derselben  goldene  Trink- 
gefaße,  73  Talente  52  Minen,  und  goldene  mit  Edelsteinen  besetzte,  56 
Talente  34  Minen  nach  babylonischem  Gewicht  waren,  auf  ägyptische 
Silbertalente  reduciert  etwa  1660  Talente. 

Von  dem  was  Alexander  in  Baktrien,  in  Indien  an  Gold,  Silber, 


^   0aiv8Tai  de  xai  noXla  tatv  aXltay  aaxqaniav  ov  nolv  tovkop  dnoÖeopia, 


728  Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer 

Edelsteinen  u.  s.  w.  zusammengebracht  hat,  sind  keine  Angaben  über- 
liefert. Aber  wenn  Arrian  den  in  Pasargadai  erbeuteten  Schatz  als 
den  des  Kyros  bezeichnt^,  so  verdient  erwähnt  zu  werden,  was  Plinius 
(XXXIII  5)  von  df^mselben  sagt:  schon  Midas  und  Eroisos  hätten  große 
Massen  Gold  und  Silber  besessen  und  Kyros,  nachdem  er  den  [210] 
lydischen  König  besiegt,  habe  an  Gold  pondo  viginti  quaUuor  milia  außer 
den  goldenen  und  silbernen  Gefäßen  und  Gerätschaften,  und  an  Silber 
aus  dem  Mischkrug  der  Semiramis,  ouitts  pondus  quind&n/m  müia  talen- 
torum  gewesen  sei,  noch  arg&nii  quingenta  müia  abgeführt.  Also,  das 
Gold  ungerechnet,  an  Silber  SP/s  Myriaden  Talente.  Wenn  Plinius 
dazu  bemerkt,  daß  nach  Yarro  ein  ägyptisches  Talent  gleich  80  ru- 
mischen Pfunden  sei,  so  wird  das  nicht  bloß  beweisen,  daß  seine  An- 
gabe ägyptische  Silbertalente  meint',  sondern  wohl  auch,  daß  er  wie 
die  Gleichung,  so  das,  was  mit  ihr  erläutert  werden  soll,  aus  Yarro 
geschöpft  hat,  und  dann  hat  Yarro  seine  Angabe  einem  Autor  ent> 
nommen,  der  nach  ägyptischen  Talenten  zu  rechnen  gewohnt  war,  also 
wohl  einem  alexandrinischen. 

Alexander  war  weniger  darauf  gewandt  Schätze  zu  sammeln,  als 
die  totliegenden  Massen  edlen  Metalls,  die  er  vorfand,  in  Umlauf  zu 
bringen.  Welche  Massen  davon  er  zur  Yerfugung  hatte,  zeigen  einzelne 
Yorgänge,  die  Arrian  berichtet  und,  wenn  er  sie  ohne  „man  sagt"  und 
dergleichen  giebt,  aus  Ptolemaios  geschöpft  hat  Zum  Bau  des  Scheiter- 
haufens für  Hephaistions  Leiche  hat  Alexander  eine  Myriade  Silber- 
talente ^  angewiesen  (YII  14,  8)  „oder,  fügt  Arrian  hinzu,  „wie  andere 
sagen,  noch  mehr".  Er  hat,  als  er  in  Opis  nach  der  bewältigten  Meuterei 
1 0  000  Yeteranen  in  die  Heimat  entließ,  jedem  außer  dem  laufenden 
Solde  ein  Talent  Silber  gegeben  (YII  12,  1).  Den  schon  330  von  Ek- 
bataQa  heimgesandten  thessalischen  und  andern  Bundesreitem  hat  er 
außer  dem  laufenden  Sold  2000  Talente  gezahlt,  in  derselben  Zeit  dem 
Antipatros  zum  Kriege  gegen  Sparta  3000  Talente  gesandt  (III  1 9,  5 ; 
16,  10).  Was  die  Hochzeitsgeschenke  in  Susa  für  die  mehr  als  10  000 
Mann  vom  Heere,  die  Asiatinnen  heirateten,  dem  Schatze  gekostet  haben, 
wird  von  Arrian  nicht  angegeben  (YU  5,  4);  aber  als  in  denselben 
Tagen  der  König  Geld  auflegen  ließ,  von  dem  jeder  seiner  Soldaten 
so  viel  nehmen  konnte,  wie  seine  Schulden  betrugen,  sollen,  sagt  Arrian 
„bei  zwei  Myriaden  Talente  ausgezahlt  worden  sein".  Unter  den  Yer- 
fügungen  in  dem  Testament  Alexanders,  in  dem  unter  anderem  der  Bau 
von  1000  Kriegsschiffen,  größer  als  Trieren,  umfassende  Straßen-,  Kanal- 

*   Ta  bv  ILaaaqtfadaig  x^W^"^^  **''  ^®*^  Kvqov  tov  n^dorov  OrjaavQorg, 

'  Also  über  660  Millionen  Thaler. 

"  Die  Alexanderdrachme  za  4,32  g  gerechnet,  also  ungeföhr  15500000  Thaler. 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer  279 

und  Hafenbanten  angeordnet  waren,  war  auch  die  über  9000  Talente 
zum  Bau  von  sechs  Tempeln  in  der  griechischen  und  makedonischen 
Heimat.  Von  dem  Leichenwagen,  der  Alexanders  Leiche  nach  dem 
Ammonion  überführte,  und  von  dem  Trauerzuge  von  Babylon  dorthin 
ist  eine  Angabe  der  darauf  verwandten  Kosten  nicht  überliefert^;  aber 
die  [211]  Beschreibung,  die  Diodor  giebt  (XVIII  26),  läßt  vermuten, 
daß  dieselben  weit  über  die  auf  Hephaistions  Scheiterhaufen  verwandten 
hinausgingen. 

„Als  Alexander  die  Schatzhäuser  des  Morgenlandes  gewonnen  hatte," 
sagt  Athenaios  (VI  S.231)  „brach  der  Morgen  des  Reichtums  für  die  Welt 
an'^  Die  angeführten  Summen  geben  einen  Maßstab  für  das  damals  Mög- 
liche, wenigstens  insofern,  als  so  gut  in  dem,  was  Alexander  erbeutete, 
wie  in  dem,  was  er  verwendete,  nach  Tausenden  und  Zehntausenden  von 
Talenten  gerechnet  wird.  Und  wenn  diejenigen  unter  seinen  Nach- 
folgern, die  das  reiche  Nilland  beherrschten,  von  dort  aus  die  Küste 
des  Boten  Meeres,  den  Handel  nach  Arabien  und  Indien  gewannen, 
an  den  Küsten  des  goldreichen  Äthiopiens  ihre  Kolonien  gründeten, 
das  Nilgold  zu  gewinnen  fortfuhren*,  —  Regenten,  die  besser  als  andere 
der  Folgeherrscher  iuerativ  zu  wirtschaften  verstanden,  —  wenn  diese 
nach  Appians  Angabe  74  Myriaden  Talente  in  ihren  Sehatzhäusern 
gehabt  haben  soUen,  so  wird  man  diese  Ziffer  doch  nicht  einfach  darum 
für  falsch  erklären  dürfen,  weil  eine  solche  Summe  das  Maß  des  Mög- 
lichen überschreite.  Hat  doch  nach  desselben  Appians  Angabe  {bell 
dv,  n  102)  Pompeius  nach  seinen  Siegen  in  Asien  im  Triumphzug  außer 
silbernen  und  goldenen  Gerätschaften,  Statuen  u.  s.  w.  65  Myriaden 
Talente  Silber  und  2822  goldene  Kränze,  20  424  Litren  an  Gewicht 
aufgeführt,  d.  h.  6824  Zollpftind  Gold.  Andere  minder  verbürgte  Angaben 
mögen  zum  Vergleich  in  der  Anmerkung  angeführt  werden^. 


^  Diodor  sagt:  insi  öe  ib  xuTUincevaiT&ev  ^^f^v  u^ioy  vntt(ixoy  jijg  JUeiavÖQOV 
öofrjg,  ov  fiopov  xaxa  rrjv  danatfrjy  6irjvBf%B  xSiv  wXX(ov  (ag  av  6n6  noXXojv  jaXavTCjv 
xaTaaxevaa(^ev  aXla  xai  jfj  xaiä  jrjv  xixvfiv  ne^iTTdir^ri  nsQißoijiotf  vn^Q^s  u.  8.  w. 

'  Nub-en-mu,  Gold  des  WasBers,  schon  in  den  Schätzen  der  Pharaonen, 
LepsiuB  Abh.  d.  Berl.  Akad.  1871  S.  35.  Bei  den  gleich  zu  erwähnenden  An- 
fOhrungen  aus  Kallixenos  sagt  Athen.  V  S.  203:  ^oyog  yaq  cüc  aXrj&üg  6  XQ^- 
(TOQQOag  xaXovfißifog  NeiXog  fiexa  Tqo(f)6iv  uip&ovap  xai  x(}Vitov  itxißdriXov  xaxatpiiiitt 

'  Unter  mehreren,  die  Diodor  im  ersten  Buch  über  Schätze  der  alten  Pha- 
raonen giebt,  ist  die  über  Ramses  (I  62):  „er  habe  an  Gold  und  Silber  die 
meisten  Schätze  zusammengebracht,  an  die  40  Myriaden  Talente,  wie  überliefert 
sei",  eine  Angabe,  welche  die  Priester  dem  Diodor  oder  seinem  Gewährsmann 
aus  derselben  hieroglyphischen  Anagraphe  gemacht  haben  konnten,  die  teilweise 
von  OhampoUion  und  Roeellini  in  dem  Bau  des  Königs  Ramses  III  wieder- 
gefunden worden  ist.    Auch  mag  daran  erinnert  werden,  dass  König  Salomos 


280  Ziam  FinanzweBen  der  Ptolemäer 

Appian  beruft  sich  für  seine  Angabe  über  die  Truppen,  Schiffe, 
Elefanten  und  den  Geldvorrat  des  zweiten  Ptolemaios  auf  die  ßamXtxal 
ävccyQaq>ai^  in  denen  man  offizielle  Aufzeichnungen  zu  erkennen  glaubL 
Im  wesentlichen  dieselben  Angaben  bat  Hieronymns  in  seinen  Erklä- 
rungen zum  Propheten  Daniel,  nur  daß  er  statt  der  74  Myriaden  Talente 
Appians  das  jährliche  Einkommen  des  Königs  mit  14  800  Talenten  und 
P/2  Million  Artaben  Getreide  angiebt;  sein  Ausdruck  läßt  vermuten, 
daß  er  die  Einkünfte  von  Ägypten  allein,  die  der  Nebenländer  unge- 
rechnet,  meint 

[212]  Man  hat  an  diesen  14  000  Talenten  keinen  Anstoß  genommen. 
Wenn  Lumbroso  S.  318  und  andere  nach  ihm  für  diese  Summe  eine 
gewisse  Stütze  darin  finden,  daß  die  Einkünfte  Ägyptens  zu  der  Zeit, 
als  Ptolemaios  I.  die  Satrapie  übernahm,  8000  Talente  betragen  hatten, 
und  wenn  sie  hinzufügen,  daß  Ptolemaios  die  Bevölkerung  aus  politischen 
Gründen  noch  habe  schonen  müssen,  oder  auch,  daß  erst  allmählich 
das  ptolemäische  Yerwaltnngssystem  sich  entwickelt  habe,  so  bezeichnet 
Diodor  mit  seinen  8000  Talenten  keineswegs  das  Jahreseinkommen  der 
Satrapie,  sondern  er  sagt,  daß  Ptolemaios  mit  der  Satrapie  8000  Talente 
überkam  und  nun  Söldner  warb^;  diese  Summe  war  also  da  und  so- 
gleich zu  seiner  Verfügung. 

Besser  zum  Vergleich  geeignet  ist  Strabos  Angabe  (XVII  S.  798), 
daß  nach  einer  Rede  Ciceros  Ägypten  dem  Ptolemaios  XIII.  Auletes. 
dem  Vater  der  bekanntesten  Kleopatra,  in  einer  Zeit  also,  da  die  Macht 
des  Lagidenreiches  schon  gründlichst  zerrüttet  war,  jährlich  12  500  Ta- 
lente Einkommen  gebracht  habe.  Nicht  minder  eine  erwünschte  Ver- 
gleichung  bietet  die  Angabe  Diodors  (XIX  56),  die  unzweifelhaft  aus  dem 
Werke  des  sehr  zuverlässigen  und  kundigen  Kardianers  Hieronymos 


Ophirfahrer  von  ilirer  Expedition  420  Kikkar  Gold  mitgebracht  haben  sollen 
(1.  König.  9,  26  ff.)  und  daß  dieser  König  in  einem  Jahre  außer  dem,  was  er 
durch  Abgaben  erhielt,  666  Kikkar  Gold  eingenommen  habe  (1.  König.  10,  14); 
wenn  Brandis  (Münz-,  Maß-  und  Gewicbtskunde  S.  98)  diese  Summen  als  Reduc- 
tion  einer  echten  Angabe  nach  Silber  zu  erklären  glaubt,  so  ist  das  mehr  über- 
raschend als  überzeugend.  Die  Chronik  I  22  (21),  14  läßt  sogar  David  selbst 
■sagen,  er  habe  100  000  Kikkar  Gold  und  1000 mal  tausend  Kikkar  Silber  zum 
Tempelbau  beschafil,  und  30  (29),  4  noch  einige  tausend  Kikkar  Gold  und 
Silber  melu:  hinzufügen,  meldet  auch,  dass  die  Fürsten  und  hohen  Beamten  des 
Landes  noch  10  000  Kikkar  Silber  und  5000  Kikkar  Gold  und  10  000  Dareiken 
aufgebracht  haben. 

^  Diod.  XVIII  14:  Jlzoleftniog  fikv  axivÖvyfog  nagelaße  rifv  Atpmiojf  xai 
toig  fiiv  ifx^Q^^^S  (pikav\^qwi(ag  nqotTBipiqBxo,  naQaXaßtjy  öe  öxTUKiaxi^  ralayia 
fUfT&oq)6(}ovc  il&QOi^e  u.  s.  w.  Da  diese  Nachricht  wohl  aus  dem  Kardianer 
Hieronymos  stammt,  so  sind  mit  Diodors  Talenten  makedonisch-attische  ge- 
meint. 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer  281 

geschöpft  ist:  der  alte  Antigonos  habe  nach  den  großen  Siegen  in  Medien, 
in  denen  ihm  im  J.  316  Eiimenes  und  die  östlichen  Satrapen  erlagen, 
25  000  Talente  heimgebracht,  dann  für  den  neuen  Feldzag  gegen  die 
Machthaber  im  Westen  aus  dem  im  J.  320  nach  Eyinda  gebrachten 
Beichsschatz  10  000  Talente  entnommen,  außerdem  aus  den  Einkünften 
seiner  Gebiete  12  000  Talente  zusammengebracht;  also  eine  Eriegskasse 
von  vier  Myriaden  und  6000  makedonisch-attischen  Talenten. 

Durften  somit  die  14  800  Talente  Jahreseinnahme  auch  für  un- 
bedenklich gelten,  so  schien  es  doch  klar,  daß  bis  zum  Ende  des  zweiten 
Ptolemaios  aus  ihren  Überschüssen,  zumal  da  die  laufenden  Ausgaben 
für  Heer  und  Flotte,  für  zahlreiche  Kriege,  für  große  [213]  Stiftungen 
u.  s.  w.  Geld  vollauf  kosten  mußte,  eine  Summe  von  74  Myriaden 
Talenten  nicht  erspart  sein  konnte. 

Trotzdem  die  74  Myriaden  zu  retten,  nahm  Boeckh  an,  daß  Appian 
die  Jahreseinnahme  der  38  Jahre,  welche  Ptolemaios  II.  regiert  hat, 
zusammenaddiert  habe;  indem  er  ferner  für  1^2  Millionen  Artaben 
Getreide  nach  den  in  den  Papyren  vorkommenden  Preisen  jährlich 
500  Talente,  die  Jahreseinnahmen  aus  den  übrigen  ptolemaischen  Län- 
dern auf  etwas  über  4170  Talente  rechnete,  so  erreichte  er  die  74  My- 
riaden. Freilich  für  die  Einnahme  aus  den  Nebenländern  hatte  er  keine 
andere  Grundlage,  als  daß  ihm  gerade  38  x  4170  Talente  fehlten,  um 
die  gegebene  Summe  voll  zu  machen. 

Eine  andere  Lösung  der  Schwierigkeit  fand  Letronne,  in  der  That 
die  einfachste.  Nach  mehrfachen  Angaben  in  den  alten  Schrif tsteUem  ^ 
—  und  die  Papyre  bestätigen  sie  im  vollsten  Maß  —  ist  in  dem  ptole- 
maischen Ägypten  wie  nach  Silber-  so  nach  Eupfertalenten  gerechnet 
worden.  Letronne  halt  dafür,  daß  mit  den  74  Myriaden  Eupfertalente 
gemeint  seien,  und  berechnet  diese  Summe,  nach  dem  von  ihm  ent- 
wickelten Wertverhältnis  zwischen  Silber  und  Eupfer  in  Ägypten  1 :  60, 
auf  12  533  Talent  Silber. 

unsere  Münzsammlungen  zeigen,  daß  ptolemäisches  Geld  in  Gold, 
Silber  und  Eupfer  geprägt  worden  ist.  Hatten  die  drei  Metalle  als 
Münzen  fixierten  Wert?  oder  waren  zwei  von  ihnen  Ware,  deren  Preis 
an  der  dritten  gemessen  wurde? 

Die  italische  und  in  gewissem  Sinn  auch  die  sikeliotische  Münz- 
geschichte lehrt,  daß,  wo  ursprünglich  Eupfer  das  currente  Geld  war, 
dessen  Wert,  sobald  Silber  mit  in  Umlauf  kam,  rasch  im  Wert  sank 


*  So  schickt  nach  Polyb.  XXIII  9,  3  der  Ägyptische  König  den  Achaiei-n 
diax6fna  taXavTa  rofiluftatog  dniarjfiav  x<*^^ov,  —  und  früher  den  Rhodiem  nach 
dem  Erdbeben  Polyb.  V  89,  1  aQpjgiov  TaXavia  xqumoaia  .  .  .  x«i  :|frtAxou  vo/iig- 
fiaiog  TÖXavia  x^Xia. 


282  Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer 

und  durch  seine  Wertschwankungen  zeigte,  daß  es  nur  noch  Ware 
sei.  Es  scheint  unzweifelhaft,  daß  das  pharaonische  Ägypten  einhei- 
misches Geld  nicht  hatte,  wenn  auch  neben  anderen  Gegenständen  Gold, 
Silber,  Kupfer  in  Barren  und  in  Ziegeln  zu  Tausch  gebraucht  wurde. 
Mit  dem  Handel  und  der  hellenischen  Ansiedlung  in  Naukratis.  mit 
der  wachsenden  Ausfuhr  von  Getreide,  Glas,  bald  auch  Papyras,  mußte 
gemünztes  Edelmetall  des  Auslandes  nach  Ägypten  kommen,  seit  der 
persischen  Eroberung  das  Gold  und  Silber  des  Großkönigs,  Stateren 
xmd  Sekeln,  wie  sie  zuerst  Dareios  I.  prägen  ließ,  dort  häufig  werden; 
hat  doch  Dareios  I.  den  Satrapen  Aryandes  schwer  gestraft,  weil  er  das 
Silbergeld  —  denn  für  das  Reich  galt  die  Goldwährung  —  von  feinerem 
Gebalt  als  das  königliche  ausmünzte.  Alexanders  Eroberung  brachte 
die  Silberwährung  über  den  Osten  [214]  und  zwar  die  nach  attischem 
Fuß,  die  Drachme  zu  4,32  g,  obschon  er  zugleich  Gold  in  Menge  nach 
demselben  Gewichtssystem  prägen  ließ. 

Ftolemaios  L  blieb  hei  der  Silberwährung  Alexanders,  aber  er  ließ, 
—  es  ist  nicht  mehr  zu  erkennen,  von  welchem  Jahre  an  —  die  Drachme 
zu  3,57  g  Silber  prägen,  wohl  im  Anschluß  an  das  in  den  phonizischen 
Städten  hergebrachte  System,  die  schon,  ehe  von  Dareios  die  Geldprägung 
für  das  Reich  eingeführt  wurde,  nach  dem  sogenannten  kleinasiatischen 
Fuß  gu  prägen  begonnen  hatten. 

Daß  in  dem  ptolemäischen  Ägypten  so  gut  nach  Silber-  wie  Kupfer- 
talenten gerechnet  wurde,  genauer,  daß  die  Silber-  und  Kupferwährung 
nebeneinander  galten,  ist  nach  mehrfachen  Angaben  alter  Schriftsteller, 
sowie  aus  der  Art,  wie  nach  den  Papyren  von  Privaten  und  an  den 
königlichen  Kassen  Silber  und  Kupfer  gegeneinander  verrechnet  wurde, 
außer  Zweifel.  Es  ergiebt  sich  da  eine  Schwierigkeit,  die  für  unsere 
Frage  nicht  ohne  Bedeutung  ist. 

In  einem  griechischen  Schreiben  aus  der  Zeit  Ptolemaios  VI.  werden 
in  einer  Addition  von  mehreren  Posten  40  Silberdrachmen  gleich 
4260  Drachmen  Kupfer  gerechnet',  also  eine  Drachme  Silber  =  lOßYj 
Kupferdrachmen.  Wiederholt  kommt  in  Papyren  derselben  und  der 
nächstfolgenden  Regierung  der  Ausdruck  /aAjrog  ov  äXkuyii  vor*;  aus 
einer  demotischen  Papyrus   führt  Revillout'   die  Worte  an:    Veohange 


^  Notices  et  extraits  XVIII  2,  Papyrus  des  Loavre  59:  ibv  lo^ov  tc5v 
Xahibjv  nnetTTtjxa  h40  a^pj^iov  1-4260,  xai  natqa  <tov  hlOOO,  nenQaxa  t6  oxP^orioy 
h500,  xai  tb  ifiuiiov  h380,  jaXavia  1  hl40.  Also  im  ganzen  6140  Drachmen, 
von  denen  4260  in  40  Silberdrachmen  bar  vorlagen. 

'  So  in  den  Papyren  der  Zois,  die  Amad.  Peyron  in  den  Mem.  del  Accad. 
di  Tor.  XXXIU  S.  154  ff.  veröffentliqht  hat 

*  R^villout  in  der  Ägypt  Zeitschrift  18T9  S.  130. 


Zam  Finanzwesen  der  Ptolemfter  283 

de  cuivre  4tant  de  24  aereus  pour  deux  diodemea  a/irgenUu8\  also  da  gilt 
1  Drachme  Silber  im  Wechsel  120  Drachmen  Kupfer  ^ 

Auf  eine  sehr  andere  Bechnung  führen  andere  Papjre  derselben 
Zeit.  Der  Wiener  Tom  49.  Jahr  des  Ptolemaios  VII.,  welcher  die  Teilung 
{Si€CiQB<ng)  eines  Grundstückes  unter  mehrere  Geschwister  betrifft,  sagt 
in  der  trapezitischen  Beischrift  über  die  Erstattung  der  Teilungssteuer: 
daß  der  eine  der  sieben  von  1  Talent  Kupfer  den  Zehnten  mit  600 
Drachmen  gezahlt  habe  (xcckxoi)  räkccvra  ci  riAog  SQccxf^cig  z^heod 
i^ccxoaiag)  ^,  also  das  Kupfertalent  hat  6000  Drachmen.  Der  demotische 
Text  scheint  TöUig  anders  zu  rechnen;  da  heißt  es:  wer  von  den  Be- 
teiligten nicht  in  dem  Vertrage  bleibt,  paierapieces  [215]  graveea  d'argeni 
oinq,  sekels  vingt-cinq  pour  les  sacrifices  du  Eoi,  qu'ü  donne  autres  airgen- 
teu8  mil  dnq  cents,  en  talents  cinq^\  also  ist  1  Kupfertalent  gleich  800 
Silberdrachmen,  und  1  Silberdrachme  gleich  5  Sekel  oder  20  Kupfer- 
drachmen. 

Man  sieht,  da  sind  zwei  oder  drei  ganz  verschiedene  Berechnungen 
zwischen  den  beiden  Währungen;  nach  der  ersten  ist 

1  Silbertalent  =  IO6V3  Talent  Kupfer  oder  639  000  Drachmen, 
nach  der  zweiten 

1  Silbertalent  =  120  „  „  =720  000  „ 

nach  der  dritten 

1  Silbertalent  ==    20  „  „  =120  000         „ 

Die  Differenz  der  beiden  ersten  Ansätze  könnte  man  sich  als  Wert- 
schwankungen des  Kupfers  erklären,  aber  Schwankungen  bis  zum  Sechs- 
fachen des  Wertes  in  demselben  Jahre,  in  demselben  Rechtsgeschäft 
sind  unmöglich. 

Revillout,  der  diese  Dinge  zuerst  und  mit  allseitiger  Sachkenntnis 
erörtert  hat,  kommt  zu  dem  Ergebnis:  daß  der  Sekel  d.  i.  die  Tetra- 
drachme in  Kupfer  die  vmU  legale  sei  repondant  sans  doute  d  la  draekme 
d^argent  ptolemaique,  monnaie  isonome  {iaövofj^og),  c'est  d  dire  commune 
aux  deux  peuples*.  Er  findet  darin  die  Bestätigung  für  die  Angabe  des 
PoUux  (X  86)  und  anderer,  daß  das  ägyptische  Talent  1500  Drachmen 

^  Den  demotischen  Text  mit  Übersetzung  giebt  B^villout  Nouv.  Chrest. 
dc^mot.  S.  87.    Die  griechischen  Beischriften  Wessely  Wiener  Stadien  III  S.  1. 

*  Ähnlich  die  griechische  Beischrift  des  Berl.  Papyus  88  eine  dsxarrj  iyxwi- 
hoc  .  .  lalavia  ß\  tdkog  au   (Rhein.  Mus.  1832  III  4  S.  501,  oben  Th.  I  S.  9). 

^  Eine  andere  Übersetzung,  die  mir  Brugsch  mitzuteilen  die  Güte  gehabt 
hat,  wird  Anhang  2  bringen. 

*  R^villout  (Ägypt.  Zeitschr.  1879  S.  129)  sagt  ,  . .  que  les  Orecs  d'J^gypte 
eomptent  ordinairement  par  ealques  ou  monnaie  de  euivre  et  les  EyypHens  de 
raee  par  monnaies  d^argent  Diese  Scheidung  nach  der  Nationalität  trifft  wohl 
nicht  das  wesentliche. 


284  Zum  Finanzwesen  der  PtolemSer 

gehabt  habe,  nämlich  Sekel,  ,,der  Sekel  der  ptolemäischen  Silberdrachme 
entsprechend". 

In  den  mir  bisher  bekannt  gewordenen  Darlegungen  ReTÜlonts 
ist  der  Zusammenhang  seiner  Argumentation  noch  nicht  völlig  zu  über- 
sehen. Wenn  er  sagt^  daB  der  Sekel  der  Silberdrachme  „entsprechend'' 
gewesen  sei,  so  ist  nicht  deutlich,  ob  der  Sekel  mit  der  Silberdrachme 
gleichen  Wertes  oder  nur  ein  aus  ihr  entwickeltes  und  so  ihr  ^^ent«- 
sprechendes"  Teilstück  gewesen  sein  soU.  Wenn  der  Argenteus,  wie 
Kevillout  ihn  nennt  (das  Demotische  setzt  das  bloße  Zeichen  Silber) 
ein  Silberstück  war,  das  fünf  Sekeln  gleich  galt,  so  trafen  nicht  in  dem 
Sekel,  sondern  in  dem  Silberstück  die  beiden  Währungen  zusammen 
Wenn  der  Sekel  das  isonome  Stück  sein  sollte,  so  mußte  er  entweder 
auch  in  Silber  ausgeprägt  sein  oder  das  größte  Kupferstück  nicht  bloß 
die  Geltung,  sondern  auch  den  Wert  von  1/5  Silberdrachme  haben ;  aber 
einerseits  giebt  es  kein  ptolemäisches  Silbergeld  [216]  unter  der  Drachme 
von  3,57  g,  andererseits  reichen  die  schwersten  ptolemäischen  Eupfer- 
stücke,  die  sich  erhalten  haben,  70,83  bis  72,40  g,  nicht  an  den  Wert 
von  ^/g  Drachme  Silber  heran. 

Es  liegt  nahe,  in  dem  ptolemäischen  Münzwesen  ein  Analogon  von 
dem  zu  suchen,  was  in  Sicilien  zwischen  Silber-  und  Kupferwährnng 
vermittelnd  der  Nummus  war,  der  noch  Ys  Drachme  in  Silber  darstellte, 
1  Pfund  Kupfer  an  Wert.  Trat  in  Ägypten  dafür  vielleicht  das  isonome 
Kupfer  ein?  Das  bisher  bekannte  Material  scheint  dafür  keinen  Anhalt 
zu  bieten.  Bevillout  sagt:  dans  les  oamptes  grecs  d'Egypte  les  monnaies 
isonomes  aont,  sans  cesse,  opposSes  aux  monnaies  „dMd  U  ckange^'.  Unter 
den  mir  bekannten  Stellen,  wo  der  Ausdruck  „isonom"  vorkommt,  ist 
nur  eine  für  unseren  Zweck  ergiebig^.  Gewisse  Priester  in  Theben 
fordern  im  Jahre  40  (des  Ptolemaios  VII.  Euergetes)  bei  der  königlichen 
TQdnß^a  von  einer  Summe  von  x^cheov  rdhxvrcc  ^v'j  die  sie  dort  depo- 
niert hatten,  den  Rest*,  nämlich  xccheov  rdXavxa  laovöfiov  raX.  |'/ray« 
(>!';  beide  Summen  sind  getrennt  durch  einen  fast  senkrechten  Strich, 
wie  er  auch  sonst  in  den  griechischen  Papjren  als  Zeichen  der  Gleich- 
setzung vorkommt^;  bei  einer  zweiten  Mahnung,  einige  Wochen  später, 


^  Die  übrigen  Stellen  werden  im  Anhang  2  genannt  werden. 

<  Parthey  (Abh.  der  Berl.  Akademie  1869  I  S.  12)  las  irrig  x^^^ov  ZEN. 
Das  Zeichen  'J'  für  900  (statt  des  üblichen  /^)  findet  sich  ebenso  in  den  grie- 
chischen Beischriften  No.  37  (Rhein.  Mus.  III  4  S.  514,  Th.  I  S.  18)  und  sonst. 

•  Rhein.  Mus.  III  4  S.  520,  Th.  I  S.  23  x»^ov  talayra  ß' ,  xeXog  efaxofft«,-  /  x'. 
Also  von  zwei  Talenten  Kupfer  die  eiKoarq  600  Drachmen.  Derselbe  Strich  in 
dem  von  Buttmann  edierten  Berl.  Papyr.  No.  36  /«Axov  TakavTn  ^   TÜog  ^y«xo- 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer  285 

nennen  die  Mahner  nur  diese  zweite  Summe  x^^ov  tüL  q^.  Hiernach 
also  sind  60  Talente  isonomes  Kupfer  ^  160  Talenten  gewöhnliches 
Kupfer^  das  man  als  ov  ülXccyri  wird  bezeichnen  dürfen. 

R^villout  hebt  hervor,  daß  Gleichungen  von  zweierlei  Art  Kupfer, 
wie  die  erwähnten,  in  Papyren  aus  der  Zeit  der  ersten  vier  Ptolemäer 
sich  bisher  nicht  gefunden  haben,  sondern  erst  seit  dem  Jahre  20  des 
Ptolemaios  V .  Epipbanes.  In  den  ersten  Jahren  dieses  Königs  begannen 
die  großen  Aufstande,  welche  eine  eigene  Dynastie  in  der  Thebais,  eine 
ägyptische,  möglich  machten,  die  sich  von  203  bis  185  hielt. 

Möglich,  daß  Ptolemaios  I.,  als  er  sein  Münzsystem  gründete,  für 
den  Kleinverkehr  im  Innern  des  dichtbevölkerten  Nillandes,  wo  der 
Masse  der  Bevölkerung  Wohnung,  Kleidung  und  Nahrung  außerordent- 
lich wenig  kostete  und  in  deren  täglichem  Leben  selten  eine  Silber- 
münze, noch  seltener  ein  Goldstück  vorkommen  mochte,  Kupfergeld  nach 
dem  damals  in  Ägypten  geltenden  Preise  des  Kupfers  normiert  prägen 
ließ,  und  zwar  so,  daß  Silber  nicht  unter  1  Drachme  [217]  (8,57  g, 
etwa  ^8  Mark  an  Wert)  ausgeprägt  wurde,  die  minderen  Nominale  für 
den  Kleinverkehr  nur  in  Kupfer.  Je  größere  Massen  Kupfer  —  und 
die  nahe  Wüste,  die  Kupferwerke  von  Cypem,  am  Berge  Sinai  u.  s.  w. 
gaben  Erz  vollauf  —  gemünzt  wurden  und  je  mehr  auch  im  Klein- 
verkehr Edelmetall  in  Umlauf  kam,  desto  mehr  sank  der  Kurs  des 
Kupfergeldes.  Wenn  dann  wahrscheinlich  gewisse  Abgaben  {äpyvptxccl 
nQ6<ToSoi  Inscr.  Ros.  lin.  4),  sicher  gewisse  Strafgelder  in  Silber  gefordert 
wurden,  aber  in  Kupfer  ov  äXlay^  eingezahlt  werden  durften,  und 
dieser  Tausch  an  der  königlichen  rpdna^cc  des  Nomos,  die  zugleich 
Staatskasse  und  Wechselbank  war,  offizieller  Weise  mit  allerlei  Provi- 
sionen für  die  Bank  vorgenommen  werden  mußte,  und  zwar  nach  dem 
Kurswert  des  Kupfers  —  denn  sonst  wäre  die  äUxcyi^  nicht  nötig  ge- 
wesen — ,  so  war  die  notwendige  Folge  davon,  daß  aus  dem  Kleinver- 
kehr das  Silber  abfloß  —  wie  seiner  Zeit  das  Silber  und  Gold  Frank- 
reichs vor  den  Assignaten,  —  nicht  nach  dem  Ausland,  sondern  in  die 
königliche  Kasse.  Wenigstens  in  Ägypten;  denn  wenn  auch  in  den 
sonstigen  ptolemäischen  Ländern  in  gleicher  Weise  Kupfer  geprägt 
wurde,  wie  die  Monogramme  und  Beizeichen  von  cyprischen,  phönizischen 
u.  s.  w.  Städten  erkennen  lassen,  so  ist  doch  nicht  zu  erweisen,  daß  da 
in  gleicher  Weise  nach  Kupfer  gerechnet  wurde,  gewiß  nicht  aus  der 
Erzählung  in  dem  Briefe  des  Aristeas  über  die  LXX  (und  Josephus 
folgt  ihm),  daß  ein  jüdischer  Mann  die  Gefälle  seiner  Heimat,  für  deren 
Erhebung  bis  dahin  als  Pacht  8000  Talente  Kupfer  gezahlt  worden 
waren,  für  16  000  übernahm,  —  wohl  Kupfer  ov  allayri,  wie  denn 
diese  Verpachtungen  in  Alexandrien  versteigert  wurden. 


286  Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer 

In  Anhang  2  wird  weiteres  über  das  isonome  Kupfer  mitgeteilt 
werden;  hier  war  diese  Frage  nnr  in  so  weit  zu  erörtern,  als  sie 
möglicherweise  die  74  Myriaden  Talente  Appians  erklärlicher  machen 
kann. 

Appian  sagt  nicht,  daß  diese  Summe  nur  in  geprägtem  Silber 
bestand,  es  kann  in  derselben  immerhin  auch  Silber  in  Barren  und 
Geräten,  auch  Oold,  geprägtes,  in  Barren,  Kränzen,  Statuen,  Gefößen 
u.  s.  w.  mitbegrifFen  sein.  Er  sagt  auch  nicht,  daß  dies  „des  Königs 
Schatz'^  gewesen  sei,  sondern  der  König  habe  iv  rot^  &fj(TccvQoTg  an 
Werten  (xQ^fAura)  74  Myriaden  Talente  gehabt.  Ägyptische  Talente, 
sagt  er  an  dieser  Stelle,  während  er  an  anderer  nach  andern  Talenten 
rechnet;  wenn  er  (Y  2)  angiebt,  daß  das  euböische  Talent  gleich  7000 
Alexandrinern  sei,  so  giebt  er  damit  nicht,  wie  jüngst  gesagt  ist,  eine 
Erklärung  für  das,  was  er  mit  ägyptischem  Talent  meint,  denn  seine 
läi^ävSpeiot  Sgcexiicci  sind  Alexanderdrachmen,  in  dem  Sinne  wie 
Mommsen  R.  M.  S.  28  nachgewiesen  hat.  Von  Kupfertalenten  [218] 
spricht  Appian,  soviel  ich  sehe,  nirgends ;  und  in  Ägypten  wird  keines- 
weges  immer  und  nur  nach  Kupfertalenten  gerechnet. 

Da  Appian  mit  seinen  74  Myriaden  den  großen  Reichtum  der 
ersten  makedonischen  Könige  Ägyptens  erweisen  will,  so  kann  er  wohl 
nur  Silbertalente  gemeint  haben,  nach  dem  in  Ägypten  geltenden  Münz- 
fuß einen  Silberwert  von  ungeföhr  950  Millionen  Thalem. 

Zieht  man  mit  Letronne  ?or  jene  74  Myriaden  für  Kupfertalente 
zu  halten,  so  gäbe  das  nach  dem  von  Letronne  angenonmienen  Ver- 
hältnis von  1 :  60  in  Silber  12  538  Talente  (gegen  15  Millionen  Thaler), 
nach  dem  oben  entwickelten  von  1  :  120  die  Hälfte  davon,  —  etwa 
so  viel  wie  der  Rest  des  Schatzes  betrug,  den  König  Perseus  in  dem 
letzten  schweren  Kriege,  gegen  die  Römer  nach  der  völligen  Niederlage 
auf  der  Flucht  noch  bis  Samothrake  rettete ;  eine  Summe,  die  für  Ptole- 
maios  II.  in  der  Zeit  seiner  höchsten  Opulenz  und  Macht  wohl  mit 
Recht  „unansehnlich^'  genannt  werden  durfte,  „des  Ruhmes  nicht  wert, 
mit  dem  nicht  bloß  Appian  dieses  Königs  Reichtum  feierte 

Scheint  die  Reduction  der  74  Myriaden  Talente  auf  Kupfer  eben 
so  unangemessen,  wie  die  Erklärung  dieser  Ziffer  aus  der  Summierung 
von  38  Jahreseinnahmen  bedenkliche  Vorraussetzungen  und  Ergänzungen 
nötig  macht,  steht  andererseits  die  bei  Appian  überlieferte  Ziffer  hand- 
schriftlich fest,  wie  man  nach  Mendelssohns  Textausgabe  glauben  darf^ 
so  scheint  nur  noch  die  Annahme  übrig  zu  bleiben,  daß  Appian  mit 
oder  ohne  Absicht  Falsches  berichtet  hat 

Es  kommt  darauf  an,  ob  sich  eine  solche  Annahme  begründen  oder 
doch  wahrscheinlich  machen  läßt^  und  zwar  in  solcher  Weise,  daß  man  die 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer 


287 


Größe   der  Summe,  for  oder  wider  die  der  Beweis  gefunden  werden 
soll,  nicht  mit  als  Beweismittet  heranzieht 

Es  ist  auffallend,  daß  das,  was  Hieronymus  mit  seinem  historiae 
narrant  anfuhrt  \  sowohl  in  der  Auswahl  und  Reihenfolge  der  verzeich- 
neten Oegenstände,  wie  in  den  Zahlen  im  wesentlichen  mit  Appians 
Angaben  übereinstimmt 


Hieronymus 
habmase   eum  pedituim  dueenta  müia 

equitum  viginii  miUa 

eUphantos     quos    primtts    edttaoit    ex 

Äethiopia  quadringentos 
[219]  curruum  vero  duo  milia 

naives  longas  quaa  ntmc  libumas  voeant 
müle  qmngentaSf  alias  ad  eibaria 
militum  portanda  miüe 


Appian 

tois  ifioig  ßauiXevui  fiopoig  ^v  uigazia 

ne^&p  fWQiadsg  atxout, 
xai  lAV^Mag  innitav  leairaqBg^ 
xotl  dX^<pavTeg  noXsfuaiai  TQvaxoiTioi 

xai  ägfiaia  dg  fiocxag  öiaxUia 
xal  onXa  dg  Ötadox^iv  fivqia<Ti  jQiaxorTtt 
xai  raös  /asp  avioig  ijy  dg  ne^ofiaxiag'  dg  da 
vavfiaxlag  xopxa)ia,  xai  oua  a^ixQozaifa 
äkka,  ötaxlhaf  T(firJQ6ig  de,  anb  ^fiioXiag 
fiaxfft'  navtrjQGvgf  naviaxdirtai  xal  //iUai 
xal  (Txevt^TQUjQSTixadtnXoTBQatovxtaVf&a- 
XafiTjY^  ia  x^üWTOnqvfiva  xal  xfjvadfMßoXa 
dg  noX^fiov  nofini^y,  olg  avToi  duniki" 
ovxag  dndßaivoy  oi  ßaaileig,  ^xiaxotrutj 
auri  quoque  ei  argenti  grandepondus,      x((^f^^^f^^^^^o£gxhfaav(foigx8<TiTaQegxai 
ita    ui^    de    Aegypto    per    singtUos  eßdo^ijxoyxtt   /jiv(iiadeg    xaXavxcjv   AI- 
annos  quatuordscim  milia  et  ootin-          pmxitav 
genta  talenta  argenti  aeeeperint  et 
frumenü  artabas,  quae  mensura  tres 
modios    et    tertiam    modii    partem 
hahet^j   quinquies   et  decies  centena 
milia 

Appian  läßt  die  1500000  Artraben  Getreide  fort;  er  fügt  einen 
Schlußsatz  hinzu,  der  nicht  ganz  dem  Eingang  entspricht.    Er  hat  mit 

^  Die  SteUe  lautet  im  Zusammenhang  (bei  Migne  patrol.  lat.  XXV  5 
S.  585)  zu  Daniel  C.  11  V.  5  iste  est  Ptolemaeus  Philadelphua  secundus  rex 
Aegypti,  fUius  Ptolemaei  superioris  ....  tantaequB  potentiae  fuisse  narratur 
ut  Ptohmaeum  patrem  vineeret    Narrant  enim  historiae  u.  s.  w. 

'  Die  Differenz  der  Ziffer  erklärt  sich  aus  der  häufigen  Verwechselung,  daß 
man  d'  für  Ovo  las  oder  umgekehrt  In  dem  Festzug,  den  Kallizenos  beschreibt 
(bei  Athen.  V  S.  203),   ziehen  mit  auf  57  600  Mann  Fußvolk  und  23  200  Reiter. 

'  Das  ita  ut  ist  hier  nach  dem  loseren  Gebrauch  der  späteren  Latinität 
epezegetisch  zu  verstehen,  wie  Hieron.  in  Ezech.  36,  16  S.  359  D.  in  Oseam  2, 
10  S.  875  A. 

^  Hieronymus  rechnet  nicht  nach  der  ptolemäischen  Artabe,  die  4 Vi  rö- 
mische Modii  beträgt,  sondern  nach  der,  wenn  man  will,  römischen;  ob  er  diese 
Erläuterung  aus  eigener  Kenntnis  giebt  oder  sie  in  seinen  historiae  so  fand,  muß 
dahingestellt  bleiben. 


288  Zorn  FüuuDzwefleD  der  Ptolemfter 

der  Äußerung  begonnen:  „daß  die  Teilstüeke  des  glanzenden  Alexander- 
reiches  immer  noch  glänzend  genug  gewesen  seien^,  und  fuhrt  dann 
als  Beispiel  an,  daß  ^^ine  Könige  allein^'  so  und  so  viel  Truppen,  Schiffe 
u.  s.  w,f  so  und  so  viel  Geld  ^  roig  &fi(ravQOiq  gehabt  hatten,  und 
schließt  dann: 
lg  yäg  Sij  TOfrovTO  naffacrxevfjg  re  xcu  axQotiäq  ix  t(Üv  ßuaiXix&r 
ävuyqatf&v  tfuhtxui  nQOtcyayfhv  re  xal  xarahnafv  6  StvztQog 
AlyimTOV  ßaatXtvq  fur  'AXi^avSgov. 
Man  braucht  nicht  Anstoß  daran  zu  nehmen,  daß  Appian  Ptolemaios  II. 
als  den  zweiten  König  Ägyptens  bezeichnet,  da  auf  Alexander  zunächst 
Philipp  III.  und  Alexander  IV.  gefolgt  seien;  diese  waren  Könige  des 
ganzen  Reiches,  Ptolemaios  I.  der  erste  Konig  Ägyptens.  In  der  ganzen 
Beihe  von  Aufzählungen  spricht  er  von  dem,  was  „seine  Könige'^  gehabt 
und  beschafft  haben;  und  nur  zum  Schluß  wird  das  Ganze,  und  zwar 
mit  einem  nicht  sehr  prädsen  Ausdruck  auf  Ptolemaios  II.  gewandt 
Wenn  er  sagt:  aus  den  königlichen  ävayQa(faiq  erhelle,  daß  dieser 
König  bis  zu  solcher  Höhe  die  Macht  und  die  Mittel  „gesteigert  und 
vererbt  habe^,  so  ist  weder  deutlich,  was  zum  Weiterführen,  [220]  was 
zum  Vererben  da  war,  noch  welcher  Art  die  üvccyQccfpai  sind,  ans 
denen  dies  erhellt. 

Soll  man  annehmen,  daß  diese  ßcctnlixal  ävccyQcctpal  offizielle  Auf- 
zeichnungen, Aktenstücke  in  dem  königlichen  Archiv  zu  Alexandrien 
waren? ^  daß  Appian,  der  in  seiner  amtlichen  Stellung  dort  (als  ini- 
TQonog,  prooem.  15)  immerhin  Zugang  zu  den  Archiven  gehabt  haben 
mag,  solche  Aufzeichnungen  benutzte  und  korrekt  wiedergab?  Amtliche 
Verzeichninse  konnten  weder  so  durchgehend  runde  Zahlen  geben,  noch 
für  jedes  der  38  Jahre  des  zweiten  Ptolemaios  mit  so  stereotypen  Ziffern 
der  Schiffe,  Truppen,  Elefanten,  Streitwagen  u.  s.  w.  richtig  sein  wollen« 
Auch  Diodor  bezieht  sich,  nicht  bloß  für  die  ägyptische  Vorzeit,  mehr- 
fach auf  ävayQUfpai  So  I  31,  wenn  er  anführt,  daß  Ägypten  in  der 
Pharaonenzeit  mehr  als  18  000  Städte  und  Dörfer  gehabt  habe  G}q  kv 
xmg  üvccypcc(paTg  öqüv  iarl  xaTaxtx(oQia(iivov,  oder  I  46:  oi  xax 
AXyvnxov  iepetg  kx  t(S>v  ävayQatp&v  ItnogoüGi^  auch  für  seine  eigene 
Zeit  beruft  er  sich  auf  solche  Zeugnisse,  so  XVII  52,  itpaaav  oi  rag 
ävayQatfäg  'ixovreg  röv  xaroixovvrcov  ävai  rovg  iv  air^  (Alexan- 
drien) ÖiaxQißovTug  kl^v&iQOvg  nX^iovg  xßv  xQiüxovxcc  pLVQidSfov,  tx 
8i  x&v  nQoaöÖcov  x6>v  xux  AXyv%xov  ^fjLßüvaiv  x6v  ßaaiXia  nketo} 
x(S>v  i^czxiaxihcov  xaXüvxcov, 

*  Lumbroso  S.  ISl  glaubt,  daß  diese  ava^gafpai  die  Journale  des  königUchen 
Kabinetts  seien :  iout  ee  qui  s'y  disatt  et  faisait  fui  ierit  jour  par  jour  u,  &  w. 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer  289 

Wenn  Hieronymus  sagt  historiae  narrant  und  dann  fast  dieselben 
Dinge  und  Zahlen  in  derselben  Eeihenfolge  wie  Appian  anführt,  und 
wenn  er  die  Jahreseinnahme  von  14  800  Talenten  und  V/^  Millionen 
Artaben  Getreide  giebt,  die  Appian  nicht  hat,  so  war  seine  Quelle  nicht 
Appian ;  wohl  aber  hatten  die  historiae,  auf  die  Hieronymus  sich  beruft, 
aus  denselben  ävayQafpatq  geschöpft  wie  Appian  oder  der  Autor,  den 
er  benutzt  hat.  Wir  haben  in  Appian  und  Hieronymus  nicht  zwei 
Zeugen  für  dieselbe  Sache,  sondern  nur  verschiedene  Ableitungen  aus 
derselben  Quelle. 

Es  ist  vielleicht  beachtenswert,  daß  beide  2000  Wagen,  Kriegs- 
wagen, wie  sie  Appian  nennt,  anführen.  So  wenig  in  dem  Verzeichnis 
des  ptolemäischen  Heeres,  das  217  bei  Baphia  gegen  Antiochus  III. 
kämpfte,  wie  in  dem  syrischen  Heere  erwähnt  Polybius  (V  65)  der 
Kriegs  wagen;  auch  in  dem  glänzenden  Festzuge,  den  Kaliixen  os  be- 
schreibt (Athen.  V  S.  203)  und  in  dem  auch  57  000  Mann  Fußvolk, 
23  000  Keiter  und  Kriegsmaterialien  in  Menge  aufgeführt  werden, 
kommen  keine  äoiiaxa  kq  fxäxag  vor,  wie  denn  solche  in  dem  make- 
donischen Militärsystem  seit  Alexander  und  bis  zu  Antiochus  III.  Schlacht 
bei  Magnesia  keine  Stelle  hatten,  während  die  altägyptischen  ävayQatpaiy 
auf  die  sich  Diodor  (I  45  und  54)  beruft,  die  20  000  Streitwagen  des 
Busiris,  die  24  000  des  Sesostris  sachgemäß  anführen. 

[221]  Von  größerem  Gewicht  dürfte  ein  anderes  Bedenken  sein. 
Wir  haben  von  den  Schiffen  des  zweiten  Ptolemaios  noch  eine  andere 
Angabe,  die  in  besonderem  Maße  glaubwürdig  erscheint.  Der  Sprecher 
bei  Athen.  V  S.  203  entnimmt  sie  sichtlich  dem  Werke  des  Rhodiers 
Kallixenos,  aus  dem  er  unmittelbar  vorher  mehrere  größere  Stücke 
mitteilt.  Er  sagt:  „dieser  König,  der  vor  vielen  durch  Eeichtum  hervor- 
ragte und  allen  an  Kriegsrüstungen  voraus  zu  sein  den  Ehrgeiz  hatte, 
übertraf  auch  alle  an  Menge  seiner  Schiffe^;  seine  größten  Schiffe  waren 
2  von  dreißig  ßuderreihen,  1  von  zwanzig,  4  von  dreizehn,  2  von  zwölf, 
14  von  elf,  30  von  neun,  37  von  sieben,  5  von  sechs,  15  von  fünf  Ruder- 
reihen ;  dann  doppelt  so  viele,  also  224,  von  Tetreren  bis  zu  Halbdeck- 
trieren  hinab;  die  Zahl  der  nach  den  Inseln  und  den  andern  ptole- 
mäischen Städten  und  nach  Libyen  detachierten  Schiffe  war  mehr  als 
4000".  Controlieren  können  wir  diesen  Katalog  des  Kallixenos  nicht; 
aber    daß   er  so  spezielle   Zahlen,    gewiß   die   für  einen   bestimmten 


*  Athen.  V  S.  203:   noXl^dv  Ht    6   0dad6X(po^'  ßaaikstay  nXovKo   dufpege  x«i 
TieQi    Tiüvia   b(T7iovdux6i   I«   xataaxevaafiata   (piXoxLfHüc j    lodie  xal  n).oi(üv   nh)ffti 
Tiat'ta^  vjiBqißalXe.     Dem  entsprechend  Theokrit  XVII  95:   oXßw  fity  napia^  xe 
xautßeßQif^ei  ßaaiXfjag,   Toaaoy  in    itfiag  txaaiov  ig  vKpveby  ^i^/6r»(  oixop. 
Droysen,  Kl.  Schriften  II.  19 


290  ^°"^  Finanzwesen  der  Ptolemfier 

Zeitpunkt  in  des  zweiten  Ptolemaios  Begierong,  giebt,  scheint  ihm  den 
Vorzug  Tor  der  Nachricht  von  1500  Kriegsschiffen  zu  geben ,  die  ans 
den  ävayoaffat^  aof  Appian  und  Hieronjmus  gekommen  ist 

Von  welcher  Art  diese  ävuyoaifui  gewesen  sein  mögen,  —  ob 
Aufzeichnungen  nach  einer  AVeihinschrift  oder  einem  priesterlichen 
Dekret  zum  Gedächtnis  des  zweiten  Ptolemaios,  ob  Zusammenstellungen 
statistischer  Art,  wie  sie  sich  im  Publikum  verbreitet  oder  in  beliebten 
Fremdenführern  für  Alexandrien  zu  finden  sein  mochten,  oder  was  sonst 

—  die  beiden  aus  ihnen  abgeleiteten  Verzeichnisse,  die  wir  noch  haben, 
stehen  in  dem  Punkt,  in  welchem  sie  am  weitesten  voneinander  ab- 
weichen, vielleicht  doch  einander  näher,  als  es  auf  den  ersten  Bli(^ 
scheint. 

So  gewiß  die  14  800  Talente  des  Hieronymus  und  die  74  Myriaden 
Talente  des  Appian  runde  Zahlen  sind,  so  seltsam  müßte  der  Zufall 
gespielt  haben,  wenn  es  ein  Zufall  sein  sollte,  daß  Appians  Gesamt- 
summe genau  das  Fünfzigfache  der  Jahreseinnahme  bei  Hieronymus 
beträgt 

Freilich  Ptolemaios  II.  hat  nur  38  Jahre  regiert;  aber  der  von 
Appian  gebrauchte  Ausdruck  nQoayaytbv  scheint  anzudeuten,  daß  er 
oder  der  Autor,  den  er  benutzte,  nicht  bloß  diese  38  Jahre  in  Rech- 
nung ziehen  wollte;  denn  zum  „Weiterfahren"  gehört  etwas,  das  weiter- 
geführt werden  kann ,  —  in  diesem  Fall  das  von  Ptolemaios  L  [222] 
an  Mitteln  und  Schätzen  dem  Sohn  Vererbte.  Appian  oder  der  Autor, 
dem  er  folgte,  konnte  auf  die  Zahl  50  auf  mancherlei  Weise  kommen, 
z.  B.  wenn  er  von  der  Schlacht  von  Ipsos  an  rechnete,  mit  der  die 
zuletzt  noch  von  dem  alten  Antigenes  vertretene  Einheit  des  Alexander- 
reiches für  immer  abgethan  und  damit  die  Selbständigkeit  des  ptole- 
mäischen  Königtums  wie  der  anderen  Teilfürsten  endlich  als  Ergebnis 
der  Diadochenkämpfe  gesichert  war.  Es  sind  von  da  bis  zum  Tode 
des  zweiten  Ptolemaios  (301 — 247)  nicht  genau  50  Jahre;  aber  zu  den 
anderen  runden  Zahlen  ließ  sich  füglich  auch  die  der  Jahre  abrunden, 
deren  je  14  800  Talente  man  summierte. 

Wie  auch  diese  50  zu  erklären  sein  mag,  man  wird  nicht  umhin 
können,  in  den  74  Myriaden  eine  gemachte  Zahl,  nicht  eine  authen- 
tische Überlieferung  zu  erkennen.  Aber  daß  Appian  diese  Zahl  giebt 
berechtigt  uns  zu  einer  weiteren  Erwägung. 

Mag  Appian  sich  jene  74  Myriaden  selbst  ausgerechnet  oder  die 
Ziffer  in  dem  Autor,   dem  er  hier  folgt,   schon  so  gefunden  haben, 

—  in  der  Planmäßigkeit  seiner  24  Bücher  römischer  Geschichte  und 
in  der  Darstellungsart  der  uns  davon  erhaltenen  zeigt  er  sich  keines- 
weges  als  ein  Litterat  nach  der  Mode,   der  Geschichte  schreibt,  um 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer  201 

seine  Rhetorik  oder  seine  Stimmungen  und  Mißstimmungen  an  den 
Mann  zu  bringen.  Er  ist  lange  Jahre  erst  in  Rom,  dann  in  Alexandrien 
Beamteter  gewesen;  er  hat  etwas  in  seiner  Art,  das  an  seinen  älteren 
Zeitgenossen  Arrian,  den  gewiegten  Soldaten,  erinnert;  er  ist  ein  nicht 
sehr  kritischer,  aber  verständiger  und  auf  die  Sache  gewandter  Schrift- 
steller, dem  es  darum  zu  thun  ist  die  große  geschichtliche  Thatsache 
der  römischen  Weltherrschaft  sich  klar  zu  machen  und  sie  in  ihrem 
Werden  und  Wachsen  seinen  Lesern  darzulegen.  Er  sagt  prooem.  15: 
„am  Schluß  seines  Werkes",  das  in  der  Reihenfolge  der  äußeren  und 
inneren  Kämpfe  Roms  bis  zur  Feststellung  der  Monarchie  eben  diesen 
Gedanken  durchführt,  „werde  er  die  Stärke  des  Heeres  der  Römer,  die 
Einkünfte,  die  sie  aus  jeder  ihrer  Provinzen  ziehen,  ihre  Ausgaben  zur 
Überwachung  und  Sicherung  der  Meere  und  zu  anderen  derartigen 
Zwecken  darlegen".  Wenn  ein  solcher  Schriftsteller,  in  solchem  Zu- 
sammenhang und  im  Hinblick  auf  solchen  Schluß  seines  Werkes  die 
frühere  Macht  und  Opulenz  Ägyptens  mit  jenen  74  Myriaden  hat  be- 
zeichnen wollen,  so  muß  er  der  Meinung  gewesen  sein,  daß  eine  solche 
Summe  weder  das  Maß  des  Möglichen  überschreite,  noch  ihn  in  den 
Augen  seiner  Zeitgenossen  als  Ignoranten  oder  Schwindler  erscheinen 
lassen  müsse. 

Aber  vielleicht  nahm  er,  der  jahrelang  in  amtlicher  Stellung  in 
Rom  gelebt  hatte,  in  dem  Rom  des  Marc  Aurel  und  Verus  {GvvtjyoQßvfrag 
Ini  T&v  BaaiXk(üv)  aus  den  Anschauungen  opulentester  Macht  und 
[228]  unermeßlichen  Reichtums,  wie  er  sie  dort  empfangen,  den  Maß- 
stab für  Zeiten,  die  dreihundert  Jahre  rückwärts  lagen. 

Es  ist  oben  des  Rhodiers  Kaliixenos  erwähnt  worden,  der  viel- 
leicht ein  Zeitgenosse  des  vierten  Ptolemaios  in  zwei  Beschreibungen, 
die  uns  aus  dem  ersten  und  vierten  Buche  seines  Werkes  über  Alexan- 
drien erhalten  sind,  erkennen  läßt,  was  Ägypten  in  dem  ersten  Jahr- 
hundert der  Ptolemäer  an  Pracht,  Geschmack  und  Technik  zu  leisten, 
an  Reichtümern  zur  Schau  zu  stellen  vermochte. 

Es  ist  einmal  die  Beschreibung  zweier  kolossaler  Schiffe,  die 
Ptolemaios  IV.  Philopator  hat  bauen  lassen  (Athen.  V  S.  203  flf.),  eines 
Seeschiffes  von  vierzig  Ruderreihen,  für  mehr  als  4000  Ruderer, 
400  Matrosen,  2850  Seesoldaten  u.  s.  w.,  —  und  einer  Nilbarke  von 
^2  Stadion  Länge,  wie  ein  Königspalast  eingerichtet  und  ausgestattet, 
von  unbeschreiblicher  Pracht  und  Kunst. 

Sodann  die  Beschreibung  des  von  Ptolemaios  IL  gefeierten  dio- 
nysischen Festes;  erst  des  zeltartigen  Prachtbaues,  der  für  dasselbe 
errichtet  worden,  dann  des  Festzugs,  der  sich  zu  demselben  hin  und 
an  ihm  vorüber  bewegte.    Es  würde  der  eingehenden  technologischen 

19* 


292  Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer 

Interpretation  eines  in   allen  Zweigen  der  Gold-  und  Silberarbeit    so 
wie  in  der  statischen  Berechnung  der  Metallverwendung  Sachkundigen 
bedürfen,  um  eine  wenigstens  annähernde  Schätzung  des  Wertes  der 
da  angefahrten,    zum  Teil    kolossalen  Gefäße  und  Gerätschaften   von 
Gold  und  Silber  zu  gewinnen.    Unter  den  goldenen  Dreifußen,  die  er- 
wähnt werden,   sind  neun  von  4,   acht  von  6,   einer  von  30  Ellen 
(13,87  Meter)  Höhe,  vier  goldene  Kandelaber  von  10  Ellen  Höhe,  gol- 
dene  Mischkrüge   und   Kühlfasser  zu    15,   zu  30  Metreten  (541   und 
1182  Liter),  ein  silberner  Mischkrug  zu  600  Metreten  (23  634  Liter, 
also  ein  Cubus  auf  2,87  Liter).    Femer  auf  einem  Wagen  ein  goldener 
Thyrsos  von  90  Ellen  Länge  (41,62  Meter),  auf  einem  anderen  Wagen 
ein   goldener  Phallos   von    120  Ellen  Höhe  (55,49  Meter)  mit  einem 
goldenen  Stern  von  6  Ellen  Umfang  an  seiner  Spitze^.    Die  goldenen 
[224]  Kranze,  Krüge,  Trinkschalen,  Kannen,  Becken,  Schüsseln  u.  s.  w., 
mit  denen  Knaben,  Mädchen,  Satyrn,  Nymphen  u.  s.  w.  in  dem  Fest- 
zuge   erscheinen,    zählen   nach   Tausenden.     Einen   eigenen  Teil    des 
Zuges   bildet  bloß   goldenes   Gerät,    das   vorübergefuhrt   wird,   einen 
andern  nur  silbernes,  dann  noch  einmal  ein  paar  Hundert  goldene  Ge- 
rätschaften, darunter  ein  goldener  Panzer  12  Ellen  hoch,  64  goldene 
Panoplien,  20  goldene  Schilde,  ein  goldenes  Hörn  30  Ellen  lang,  und 
dann  zum  Schluss  dieses  Teils  der  Pompe  noch  20  Wagen  mit  Gold- 
gefäßen,  400  mit  silbernen,   800  Wagen   mit  Weihrauch   und  Spe- 
zereien. 

Für  unseren  Zweck  von  Interesse  sind  die  drei  Wertsummen,  die 
Kallixenos   angiebt.     Einmal  in   dem   letzten  Teil   des  Zuges  in  der 

*  Kai  dy  aXhj  (Ter^axvxXü})  q^aXlby  /^aovc  nrj/üjp  dxaTOP  BtxofTiy  dirt^ey^ii- 
fiBPog  xal  öutd&defieyog  (Tiefjfiain  ötnxQvaoic  u.  8.  w.  (S.  201  e).  Die  Techuikcr 
mögen  erklären,  was  ötaif^fqa^^svo';  bedeutet,  ob  eine  Art  Niello  oder  Bemalang 
oder  was  sonst.  Das  Gold  des  Phallos  war  wohl  die  Umkleidung  eines  hölzernen 
Gerüstes.  Das  Gewand  der  chryselephantinen  Pallas  Athene  in  Athen  (fast 
10  Meter  hoch),  das  44  Goldtalente  wog  (2805  Zollpfand  Gold),  hat  man  auf 
,, wenig  über  eine  Linie  Dicke''  (1  Linie  =  2V6  Millimeter)  aus  dem  Gewicht 
berechnet.  Nach  einem  ungefähren  Überschlag,  das  Gold  des  Phallos  als  Mantel 
eines  Cylinders  von  56  Meter  Hohe  und  8  Meter  Durchmesser  gerechnet,  fordert 
dessen  Goldumkleidung,  wenn  man  dies  Gold  in  der  Dicke  unserer  Doppelkronrn 
(l*/^  Millimeter)  rechnet,  3  T02  500  Zwanzigmarkstücke,  wenn  in  der  um  \'g  ge- 
ringeren der  einfachen  Kronen ,  4  964  000  Zehnmarkstücke.  Da  3855  Mark  auf 
ein  ägyptisches  Talent  Silber  gehen,  so  hat  im  ersten  Fall  der  Mantel  den 
Wert  von  19  208,  im  zweiten  den  von  12  876  Talenten  gehabt.  Leider  ist  bei 
dem  Wagen  für  den  Phallos  nicht  bemerkt,  wieviel  Männer  ihn  zogen,  ob  50. 
180,  300,  600,  denn  das  sind  die  Zahlen,  die  da  bei  anderen  Wagen  vorkommen; 
man  entbehrt  so  eines  Anhaltes,  um  das  Gewicht  des  Phallos  annähernd  zu  be- 
stimmen. 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer  293 

Reihe  der  goldelfenbeinemen  Throne  mit  Diademen,  Krügen,  Füll- 
hörnern ist  der  Thron  des  Ptolemaios  L  mit  einem  Kranz  kx  fivQicjv 
xccTsaxBvccfTiJ^ivov  xQVfTöjv,  also  von  10000  Oktodrachmen  Gold,  1  der- 
selben gleich  1  Mine  Silber,  also  166*/3  ägyptische  Silbertalente.  So- 
dann am  Schluß:  „goldene  Ehrenpreise  wurden  20  verteilt;  Ptolemaios  I. 
und  seine  Gemahlin  Berenike  wurden  geehrt  mit  drei  Statuen  auf 
goldenen  Wagen  und  heiligen  Hainen  in  Dodona;  der  Aufwand  dafür 
war  2239  Tal.  50  Minen;  und  dies  alles  wurde  von  den  Verwaltern 
{olxovöfioig)  Dank  dem  Eifer  der  Ehrenden  {rßv  (jrecpavovvrcav)  gezahlt, 
ehe  der  Zug  begann;  ihr  Sohn  Ptolemaios  (wurde  geehrt)  mit  goldenen 
Bildern,  zweien  auf  goldenen  Wagen  und  einem  von  6  Ellen,  fünfen 
von  5  Ellen,  sechsen  von  4  Ellen  Höhe  auf  Säulen"  \  Die  dritte  An- 
gabe endlich  ist  aus  der  Beschreibung  des  Festzeltes;  da  ist  dem  Sym- 
posion gegenüber  —  100  „goldene"  Diwans,  neben  jedem  zwei  goldene 
Tripoden  auf  silbernen  Untersätzen,  hinter  jedem  je  ein  silbernes  und 
ein  vergoldetes  Becken  —  ein  Schenktisch,  wenn  man  so  sagen  dart^ 
mit  Goldgeräten  aufgestellt,  die  im  einzelnen  {ri^v  xccrä  juigog  xrcra- 
üxtv^fiv)  aufzuzählen,  sagt  Kallixenos,  zu  weitläufig  wäre,  aber  der  Wert 
derselben  sei  an  10000  Talente  Silber  gewesen*. 

[225]  Athenaios  hat  nur  Fragmente  aus  Kallixenos  Beschreibung 
gegeben,  der  seinerseits,  wie  er  selbst  angiebt,  nicht  alles  aufgezählt 
hat,  sondern  hauptsächlich  nur  das,  „wobei  Gold  und  Silber  war". 
Und  indem  er  außer  in  der  angeführten  Stelle  vom  Schenktisch  noch 
in  einer  zweiten  bemerkt,  daß  er  nicht  rä  xccrä  fUQog  herzählen  wolle, 
erfahren  wir,  aus  welcher  Quelle  er  seine  Darstellung  geschöpft  hat; 
wer  das  einzelne  wissen  wolle,  sagt  er,  der  möge  rag  rcHv  nBvrsTrjQiSoDV 
ygatpäg  in  die  Hand  nehmen  und  nachsehend 

^  Auch  nach  Cobets  Emendationen  (or.  de  art  interp.  S.  62)  bleibt  in  dieser 
Stelle  viel  Unklares.  Athenaios  giebt  dies  Fragment  so  abgerissen,  daß  man 
nicht  sieht,  von  wem  die  Ehrenpreise  kommen.  Darf  man  auch  annehmen,  daß 
die  20,  sowie  die  für  Ptolemaios  I.  und  Berenike  von  dem  Festgeber  Ptole- 
maios IL  sind,  so  müssen  die  ihm  gewidmet(^n  doch  notwendig  von  anderen  ge- 
stiftet sein.  Daß  die  an  dieser  Stelle  angeführten  2239'^/«  Talente  „nicht  Silber- 
talente sein  können,  sondern  Kupfertalente  sein  müssen^^,  nach  Letronnes  Ansatz 
87  Vs»  nach  dem  oben  aus  dem  Papyrus  gefundenen  Wertverhältnis  IS'/g  Silber- 
talente (nicht  ganz  23  000  Thaler),  wird  man  nach  der  Schilderung  des  Kal- 
lixenos schwerlich  gerechtfertigt  finden. 

•  T6   de  Tov  (TxnßfMOv  nk^Oog  etg  fivqia  jaXavia  äqyvqiov  rfjv  avfjinttffav  6ix8 

'  Athen.  V  197  d  tr  ^6  xaia  fiego^  avxt^v  et  ttg  eldeyat  ßovXetai  tot;  iciv 
nepjeTriqLd(av  fqaqifig  Xafißavav  intaxoneUci}.  Man  wird  Bedenken  tragen  ava- 
^Quipag  zu  schreiben,  aber  ebenso  zweifeln  dürfen,  ob  ^gonpal  in  dem  ungeföhr 
entsprechenden  Sinn  gebraucht  werden  kann.    An  Gemälde  zu  denken,  Gemälde 


294  .  Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer 

Wenn  allein  auf  dem  Schenktisch  Goldgefäße,  die  10  000  Silber- 
talente wert,  aufgestellt  waren,  so  wird  wohl,  was  bei  diesem  Fest 
überhaupt  an  Gold,  Silber,  Edelsteinen,  Purpur,  Spezereien  u.  s.  w. 
zur  Schau  gestellt  wurde,  nach  Myriaden  von  Silbertalenten  zu  schätzen 
sein;  ob  auf  10,  20  oder  wieviele  sonst-,  entzieht  sich  der  Berechnung. 

Wenn  Schlosser  und  nach  ihm  andere  Gewicht  darauf  gelegt 
haben,  daß  die  zur  Schau  gestellten  Schätze  keinesweges  dem  Könige 
allein  gehört  haben  werden,  daß  unzweifelhaft  von  den  Tempeln,  den 
Großen  des  Hofes,  Privatleuten,  was  sie  an  Kostbarkeiten  hatten  mit 
hergeliehen  sei,  so  ist  das  immerhin  möglich,  aber  in  den  Worten  des 
Kallixenos  oder  Athenaios  steht  nichts  davon.  Und  wenn  Kallixenos 
in  der  Regel  angiebt,  was  StüxQvaov,  intxQvaov,  /pi/crow  sei,  so  hat 
man  kein  Recht,  nach  Belieben  diese  oder  jene  der  aufgeführten  Stücke, 
namentlich  die  Goldstatuen,  für  xatüxgvaoi  zu  erklären. 

Es  muß  uns  genügen,  aus  der  Schilderung  des  Kallixenos  eine 
summarische  Vorstellung  von  dem  Reichtum  des  Ptolemaios  II.  zu 
gewinnen,  wenn  dieselbe  uns  auch  keinen  Ersatz  bietet  für  die  aus- 
drückliche Zahl  der  74  Myriaden  Talente  Appians,  die  sich  uns  als  eine 
gemachte  erwies. 

Die  kolossalen  Massen  edlen  Metalles,  welche  die  ägyptischen 
Könige  besaßen,  zeigen  wie  unverhältnismäßig  viel  sie  dem  Verkehr, 
richtiger  der  erwerbenden  Thätigkeit  entzogen  und  bis  auf  weiteres 
tot  legten.  Daß  in  den  anderen  hellenistischen  Reichen  in  analoger 
Weise  verfahren  wurde  und  daß  dann  die  Römer,  diese  Reiche  eins 
nach  dem  andern  bewältigend,  deren  Schätze  an  sich  brachten  und 
sie  [226]  als  Provinzen  nur  noch  habgieriger  verwalteten  und  aussogen, 
giebt  für  die  wirtschaftlichen  Zustande  des  ausgehenden  Altertums  und 
zum  Teil  auch  für  die  moralischen  die  Erklärung. 


der  Art,  wie  sie  jüngst  in  der  Famesina  in  Rom  gefunden  worden  sind  oder 
wie  ßie  in  C.  I.  L.  IX  1666  erwähnt  werden  {idem  basiliearrij  in  qua  tahuL  muneris 
ab  eo  editi  posit  sunt  con8ummavii\  scheint  mit  dem  lafißaycav  nicht  vereinbar; 
man  müßte  denn  annehmen,  daß  von  solchen  Bildern  skizzenhafte  Kopien  auf 
Papyros  mit  Beischriften  von  Namen,  Zahlen,  Erklärungen,  wie  altägyptische 
Monumente  deren  so  viele  haben,  gemacht  worden  seien;  nur  daß  dafür  bisher 
keine  Spur  sonst  gefunden  ist. 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer  295 

Anhang  1. 

Arsinoe  Philadelphos. 

Die  Bruchstücke  aus  Eallixenos  Beschreibung  von  Alexandrien 
geben  keinen  sicheren  Anhalt  für  das  Jahr  der  Festfeier,  über  die  er 
berichtet  Die  Vermutungen,  welche  die  Forscher  darüber  aufgestellt 
haben,  gehen  auf  284  oder  277,  indem  sie  den  Anlaß  zu  dem  Feste 
entweder  in  der  Übertragung  des  Diadems  auf  Ptolemaios  II.  oder  in 
dessen  Vermählung  mit  seiner  Schwester  Arsinoe  zu  erkennen  glaubten. 
Ersteres  hielt  ich  (Gesch.  des  Hell.  11^  2  S.  318)  für  wahrscheinlich, 
weil  in  der  Beschreibung  nicht,  wie  Berenike  an  Ptolemaios  I.  Seite, 
so  an  der  des  Ptolemaios  II.  Arsinoe  genannt  wird.  Weitere  Erwä- 
gungen haben  mich  zu  einem  andern  Ergebnis  geführt. 

Es  wird  an  einer  Stelle  der  Beschreibung  ein  Berenikeion  erwähnt, 
für  dessen  ß'VQoofiu  eine  goldene  Aigis  und  ein  goldener  Kranz  von 
80  Ellen  in  der  Länge  mit  aufgeführt  wird.  Man  darf  zweifeln,  ob 
der  noch  Lebenden  ein  solches  Heiligtum  unter  ihrem  eigenen  Namen, 
nicht  unter  dem  einer  Gottheit,  errichtet  werden  mochte.  Wenn  ein 
Teil  des  Festzuges  bezeichnet  wird  als  /y  rotq  r&v  ßatnlicov  yovevrn 
xccTcovofjLaafxivi],  so  sind  damit  unzweifelhaft  Ptolemaios  I.  und  Berenike, 
die  Eltern  von  Ptolemaios  IL  und  Arsinoe,  bezeichnet,  und  daß  diese 
als  „Könige"  bezeichnet  worden,  zeigt,  daß  das  Fest  gefeiert  worden  ist, 
nachdem  sich  Ptolemaios  IL  mit  seiner  Schwester  vermählt  hatte. 

Diese  Arsinoe  ist  erst  nach  279  nach  Ägypten  zurückgekehrt 
und  wie  ich  (Hell.  III*  I  S.  266)  wahrscheinlich  zu  machen  versucht  habe, 
nicht  lange  vor  266  ihres  Bruders  Gemahlin  geworden.  Sie  war  es 
bereits  in  der  Zeit  des  chremonideischen  Krieges,  wie  die  Inschrift 
aus  dem  Jahre  des  Peithidemos  zeigt  (C.  L  A.  I  332  Hell.  IIl*  1  S.  233), 
einem  Gemeinjahr,  also  nach  der  von  Usener  begründeten  kalenda- 
rischen Kritik  einem  der  Jahre  267/6,  266/5,  264/3,  263/2. 

Vielleicht  läßt  sich  die  Zeit  der  Vermählung  auf  Grund  der 
Mendesstele,  die  Brugsch  (Zeitsch.  für  Agypt.  Sprache  1875  S.  331) 
beschrieben  und  übersetzt  hat,  noch  enger  umgrenzen.  Das  Bildwerk 
dieser  Stele  zeigt  am  Schluß  der  Figurenreihe  auf  der  linken  Seite 
die  Gestalt  der  Königin  Arsinoe  mit  der  Beischrift:  „die  Tochter, 
[227]  Schwester  und  große  Frau  eines  Königs,  welche  ihn  liebt,  die 
göttliche  Philadelphos  Arsinoe";  auf  der  rechten  Seite  den  König  mit 
dem  Kriegshelm  u.  s.  w.  In  dem  Text  der  Inschrift  sind  besonders 
Z.  11  und  12  für  unsem  Zweck  wichtig;  sie  lauten  nach  einer  noch- 
maligen Revision  von  Brugsch:  „der  König  wünschte  sich  zu  vermählen 
mit  der  ersten  der  Jungfrauen,  [gleichsam]  der  Gott  Tentefän/  (Bei- 


296  Zum  Finanzwesen  der  Ptolemfier 

name  des  Osiris-Mendes)  mit  der  Göttin  Ba-aboli,  und  er  gab  ihr 
folgende  Ehrentitel:  die  anmutvolle  Fürstin,  die  holdseligste,  die  ge- 
krönte ....  des  Königs  Schwester  und  des  Königs  Frau,  welche  ihn 
liebt,  die  LandesfOrstin  (?)  Arsinoe.  Im  Jahre  15  im  Monat  Pachon 
am  Tage  . .  ward  angesetzt  die  heilige  Weihe  der  Königin  und  ihre 
Einführung  in  den  Tempel  (der  Stadt  Mendes)'^  Aus  Z.  9  ergiebt  sich, 
daß  Ptolemaios  bei  seiner  Thronbesteigung,  als  er  gleich  darauf  Mendes 
besuchte,  den  Neubau  des  Tempels  zu  beschleunigen  befohlen  habe, 
und  als  er  denselben  vollendet  gesehen  „wünschte  er  sich  zn  ver- 
einigen^' u.  s.  w.  wie  oben  aus  Z.  11  angeführt  ist  Also  im  Jahr  15 
Monat  Fachen  d.  i.  Frühjahr  270  wurde  er  der  Gemahl  seiner  bedeu- 
tend älteren  Schwester  Arsinoe  ^ 

Er  hatte  seine  frühere  Gemahlin  Arsinoe,  des  Ljsimachos  Tochter, 
verstoßen,  nachdem  sie  ihm  drei  Kinder,  unter  ihnen  den  späteren 
Ftolemaios  III.  Euergetes  geboren,  und  sie  war  ihm  nicht  früher  als 
283  vermählt  worden.  Jene  andere  Arsinoe  war  erst  des  Ljsimachos 
Gemahlin  gewesen,  dem  sie  drei  Söhne  geboren  hatte,  den  ältesten 
um  298,  die  beiden  andern  296  und  293;  dann  nach  häuslichen  Vor- 
gängen, denen  der  Krieg  von  281  und  der  Sturz  des  Ljsimachos,  die 
Ermordung  des  alten  Seleukos  durch  Ftolemaios  Keraunos  folgte,  wurde 
sie  dieses  ihres  Halbbruders  Gemahlin,  der,  während  ihr  ältester  Sohn 
Ftolemaios  zu  den  Dardanern  geflüchtet  war  (Trog.  prol.  XXIV),  die 
beiden  jüngeren  Söhne  Ljsimachos  und  Fhilippos  in  ihren  Armen 
ermordete  (Just  XXIV  3,  6);  sie  selbst  rettete  sich  zu  den  Heiligtümern 
in  Samothrake,  denen  sie'  und  Ljsimachos  in  besseren  Tagen  mehrfach 
ihre  Munifizenz  bewiesen  hatten  (Inschrift  bei  Conze-Benndorf  Samo- 
thrake S.  75  ö".).  Erst  später  —  nach  280  —  kam  sie  nach  Ägjpten. 
Möglich,  daß  —  wie  Hell.  IP  2  S.  268  vermutet  worden  ist  — ,  ihr 
Anrecht  auf  die  Städte,  die  ihr  Ljsimachos  geschenkt,  Ephesos,  Hera- 
kleia  am  Pontes,  Tios,  Kassandreia  u.  s.  w.,  für  Ptolemaios  IL  politisches 
Interesse  von  großer  Bedeutung  war;  und  in  dem  sjrischen  Kriege 
von  266 — 263,  mehr  noch  in  dem  dritten  von  258 — 248,  sind  von 
[228]  der  ägjptischen  Seemacht  mehrere  dieser  Städte,  so  wie  andere  des 
einst  Ijsimachischen  Reiches,  so  Samo,  Magnesia,  Milet,  erobert  worden. 

Bezieht  es  sich  vielleicht  darauf,  wenn  in  dem  Festzuge  ein  Wagen 
mit  goldgekränzten  Frauen  aufgeführt  wird,  von  denen  Kallixenos  sagt: 
nüorT7]yo()BvovTO    Si  IJökeii    ai  x    &7c    layvia^  xai   kotnal  *EXXijvtSB^ 

*  Z.  6  sagt  von  Ptolemaios  IL:  „er  war  noch  nicht  geboren,  da  hatte 
er  bereits  Besitz  genommen  [von  der  Herrschaft];  am  Tage  seiner  Wahl  wurde 
er  König,  an  der  Brust  ruhend  der  holdseligen  und  liebenswerten  Gebieterin 
(seiner  Mutter)^^     Also  Berenike  lebte  285  noch. 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer  297 

6(rai  Tfjv  IdfTiav  xal  xäq  vrjtrovg  xarotxovaat  vn6  rovg  üeQGccg 
krdxd-fiGcev  (S.  201  d).  Freilich  daß  hier  die  Perser  genannt  werden, 
liegt  etwas  weit  znrück;  aber  auch  weit  zurück  führt,  daß  in  dem  Fest- 
zage die  Statue  des  Ftolemaios  I.,  den  die  Stadt  Eorinth  mit  einem 
goldenen  Kranze  krönt,  aufgeführt  wird;  denn  Ftolemaios  I.  hatte  um 
308  die  Hellenen  zur  Freiheit  aufgerufen  und  mit  seinem  Eriegsyolk 
Korinth  in  der  That  befreit. 

Es  ist  nicht  mehr  ersichtlich,  ob  damals  oder  später  das  xoivöv 
der  Nesioten,  das  in  Delos  seinen  Mittelpunkt  hatte,  entstanden  ist 
Unter  den  zahlreichen  Inschriften,  welche  die  Beziehungen  dieses 
Bundes  zu  Ägypten  bezeugen  (HomoUe  in  dem  Bulletin  de  Corresp. 
Hell.  IV  1880  S.  325)  lautet  eine:  oi  vtidt&rai  töv  vavcegxov  Kalki- 
xQÜrrjv  Boiaxov  ^äfitov  ävi&ipeccv.  Möglicherweise  ist  das  der- 
selbe Kallikrates,  welcher  310  „unter  Ftolemaios  I.  in  Kypros  gegen 
Nikokles  focht^';  oder  Tielmehr  Ftolemaios  sandte  ihn  und  den  Argeios, 
beide  t&v  (piX(ov,  nach  der  Insel,  den  ihm  verdächtigen  König  der 
Faphier  aus  dem  Wege  zu  räumen  {AvbUiv  tov  JVtxoxXia  Diod.  XX  21); 
dort  gelandet,  ließen  sie  sich  von  Menelaos,  dem  ägyptischen  Strategen 
der  Insel,  Soldaten  geben,  umstellten  das  Haus  des  Nikokles,  forderten 
ihn  auf,  sich  selbst  zu  töten,  was  er  nach  einigen  Einwendungen  that, 
darauf  ermordete  seine  Witwe  ihre  Töchter,  beredete  die  Frauen  ihrer 
Schwäger  mit  ihr  gemeinsam  sich  zu  töten;  des  Nikokles  Brüder  ver- 
schlossen die  Thüren,  zündeten  das  Schloß  an,  in  den  Flammen  zu 
sterben.  Man  sieht,  der  Auftrag  des  Kallikrates  und  Argeios  war  nicht 
sowohl  zu  fechten,  als  eine  sehr  zweideutige  polizeiliche  Maßregel  aus- 
zuführen, deren  entsetzliche  Folgen  von  Ftolemaios  so  wenig  gewollt 
waren,  daß  er  den  Frauen  vielmehr  Sicherheit  hatte  zusagen  lassen. 
Gewisser  ist  der  Nauarch  Kallikrates  der  delischen  Inschrift  63  Jahre 
nach  jenem  Vorgang  in  Faphos  nachzuweisen;  denn  ihn  nennt  als 
Schmeichler  des  dritten  Ftolemaios  {tov  tqitov  ßaatlevtrawog)  der 
Olynthier  Euphantos  bei  Athen.  VI  S.  251  in  den  „Geschichten  seiner 
Zeit^',  von  dem  man  weiß,  daß  Antigenes  (Gonatas)  einst  sein  Schüler 
gewesen  ist  und  daß  er  an  ihn  eine  Schrift  über  das  Königtum  ge- 
richtet hat  (Diog.  L.  II  llO).  Dieser  Kallikrates  ist  derselbe,  der  in 
Olympia  die  Statuen  des  Königs  Ftolemaios  11.  und  der  Arsinoe  ge- 
weiht hat  (Inschriften  aus  Olympia  Archäol.  Zeitung  1878  S.  175  No.  193, 
Nachtrag  1879  S.  143  und  211  und  1879  S.  191),  —  derselbe  „Nau- 
arch Kallikrates",  [229]  der  auf  den  Strandhöhen  des  Zephyrion  nahe  bei 
Alexandrien  der  Arsinoe-Kypris  den  Tempel  weihte,  zu  dessen  Weihung 
Foseidippos  zwei  Epigramme  gedichtet  hat,  das  bekannte  bei  Athen.  VII 
S.  318  und  ein  zweites  in  einem  ägyptischen  Fapyrus  erhaltenes,  das 


298  Zum  Finanzwesen  der  Ptolemfter 

Blass  und  nach  ihm  Bergk  (im  Bhein.  Mus.  85  S.  91  und  258)  be- 
sprochen haben.  Daß  die  Weihung  geschah,  als  Arsinoe  Philadelpho6 
noch  lebte,  ergiebt  wohl  das  bei  Athen,  a.  a.  0.  erhaltene  Epigramm  des 
Eallimachos,  mit  dem  in  den  Tempel  der  Arsinoe  als  Eypris-Zephyritds 
das  erste  Anathem,  eine  gewiß  kostbar  gefaßte  Nautilosmuschel ,  ge- 
weiht wurde  [öqjga  ytvoifiav  JSol  t6  n^giaxtnrov  %aiyviov^  ^Agaivöt}). 

Die  ungefähre  Zeit  ihres  Todes  läßt  eine  Notiz  über  ein  zweites 
Heiligtum,  das  ihr  geweiht  worden  ist,  erkennen;  Plinius  (XXXIV  147) 
sagt:  magnete  lapide  arckitectus  Timochares  Äleaxmdriae  Arsinoes  templum 
concamerare  inchoaverat ,  ut  in  eo  simulacrum  e  ferro  pendere  aere  vide- 
retur;  intercessit  ipsivs  mors  et  Ptolemaei  regis,  qui  id  sorori  sitae  itisserai 
fieri.  Man  darf  das  wohl  so  verstehen ,  daß  Ptolemaios  II.  nach  dem 
Tode  seiner  Qemahlin-Sch wester  den  Bau  befahl,  aber  dessen  Voll- 
endung nicht  mehr  erlebte.  Er  starb  in  dem  Jahr  nach  dem  27.  Ok- 
tober 247,  denn  das  mit  diesem  Tage  beginnende  ägyptische  Jahr  ist 
das  erste  seines  Sohnes  Ptolemaios  III. 

Ergiebt  sich  aus  den  angeführten  Notizen  auch  nur,  daß  jenes 
Fest,  welches  Kallixenos  beschreibt,  nach  270  und  vor  247  gefeiert 
worden  ist,  so  bleibt  immerhin  auffallend,  daß  in  demselben  der  Arsinoe 
Philadelphos  nicht  von  ihrem  Gemahl  Weihungen  und  Huldigungen 
dargebracht  worden  sind.  Es  würde  bedenklich  sein,  darauf  weitere 
Vermutungen  zu  bauen,  etwa  die,  daß  die  Königin  die  Agonothesie 
dieses  Festes  übernommen  habe  oder  ähnliches.  Von  den  vier  Teilen, 
aus  denen  der  Festzug  nach  Kallixenos  bestand  (Athen.  V  S.  197  c), 
hat  er  selbst  nur  den  ersten,  die  dionysische  Pompe,  ausfuhrlicher 
beschrieben,  indem  er  den,  der  weiteres  wissen  wollte,  auf  die  y()a(pal 
r&v  TtavTSTfjQidcjv  verweist;  und  die  Auszüge,  die  Athenaios  giebt, 
reichen  nicht  einmal  aus  zu  erkennen,  wo  der  zweite,  der  dritte  Theil 
des  Festzuges  begiönt;  und  den  vierten,  in  dem  der  Hesperos  den 
Schluß  macht,  wie  der  Heophoros  den  Anfang  des  ersten,  übergeht 
er  ganz.  Daß  in  dem,  was  von  dem  Fest  überliefert  ist,  Arsinoes 
Name  nicht  vorkommt,  ist  mit  der  Lückenhaftigkeit  der  Überlieferung 
hinreichend  erklärt. 


Anhang  2. 

Die  Kupferwährung. 

[230]  Ptolemäisches  Kupfergeld  findet  sich  in  Stücken  von  0,96  bis 
72,40  g  ausgeprägt.  Natürlich  ist  in  den  großen  Stücken  das  Gewicht 
verhältnismäßig  korrekter  als  in  den  kleinen  und  kleinsten.    Das  Groß- 


Zum  Finanz weseu  der  Ptolemäer  299 

stück  Yon  70 — 72  g  weist  auf  ein  System,  das  aus  dem  Gewicht  der 
Drachme  von  8,57  ebenso  wie  die  ptolemäische  Gold-  und  Silbermünze 
entwickelt  ist 

Das  Kupfertalent,  Kerker,  wie  man  es  zum  Unterschied  von  dem 
Silbertalent  mit  den  demotischen  Papyren  zu  nennen  sich  erlauben 
darf,  teilt  sich  dekadisch  in  Ten,  Ket,  Sekel,  Drachme  in  folgender 
Weise: 

1  Kerker  =  60  Ten  =  600  Ket  =  1500  Sekel  »  6000  Drachmen, 
1     „     =    10     „    =      25      „     =    100  „ 

1     „    =        2V,„      =      10 
1      „   .  =        4 

Wie  Kupfer  gegen  Silber  im  Preise  wechseln  mochte,  das  System 
der  Kupfermünzen  in  sich  blieb  unverändert;  und  da  alle  Nominale 
unter  einer  Drachme  Silber  nur  in  Kupfer  dargestellt  waren,  so  gab 
die  steigende  Ziffer  der  für  eine  Silberdrachme  äquivalenten  Summe  in 
Kupfergeld  die  Skala  des  sinkenden  Kupfer  wertes. 

Wie  diese  beiden  Währungen  miteinander  in  Beziehung  gesetzt 
waren  und  in  welcher  praktischen  Form  das  System  des  Kupfergeldes 
mit  dem  wechselnden  Preise  für  Kupfer  sich  dem  System  des  Silber- 
geldes anschloß,  ist  in  hohem  Maße  dunkel;  und  die  Gleichungen 
zwischen  beiden  GeMarten,  die  in  den  Urkunden  vorkommen,  gehen 
in  so  wunderlicher  Weise  auseinander,  daß  ein  sicheres  Resultat  zu 
gewinnen  unmöglich  scheint.  Es  bleibt  nichts  übrig,  als  durch  eine 
hypothetische  Linie  diese  Punkte  zu  verbinden;  mehr  als  eine  Hypo- 
these soll  der  folgende  Versuch  nicht  sein. 

Wog  1  Kupferdrachme    3,57  g,  so  waren 
4  „  14,28  „  =  1  Sekel, 

10  „  35,7    „  =  2,5    „     »  1  Ket, 

20  „  70,14  „  =  5       „     »2      „ 

In  dem  Wiener  Papyrus  vom  Jahre  121  v.  Chr.  (bei  Revillout 
Nouv.  ehrest,  dem.  S.  100)  heißt  es  nach  der  Übersetzung,  die  mir 
Hr.  Brugsch  mitgeteilt  hat:  „wer  von  uns  diesen  Contract  nicht 
einhält,  der  zahle  das  currente"  (äuf-kot,  currens,  circumims  und 
conversus)  „ten  von  5  Silberlingen  mit  25  Sekel,  welche  dem  currenten 
ten,  oberwahnten  5  Silberlingen  entsprechen,  für  die  Brandopfer  [231] 
des  Königs^,  er  soll  leisten  andere  1500  Silberlinge  mit  5  Kerker,  welche 
den  1500  Silberlingen  oberwähnten  entsprechen,  das  ^j.  24  zu  ^/j^, 
an  einen  jeden  von  uns".     Und  ähnlich  in  dem  Papyrus  p.  119  vom 


^  Diesem  Ausdruck  „Silberlinge  für  die  Brandopfer  des  Königs^'  wird 
es  entsprechen,  wenn  es  im  Griechischen  heißt,  Pap.  Tur.  VIII  35:  xai  Uqng 
Toig  ßaaikevaiv  uQpj^iov  }•  x  und  Taur.  IV  24  dieselbe  Formel,  etwas  kürzer 
Pap.  Leyd.  C.  14:  utoX  ie(^g  uo  ßaaikeC  xal  ßaaikeiarj^  (sie)  aQpjQiov  d(^t/^(t^  etKoai. 


300  ^um  Finanzwesen  der  Ptolemäer 

Jahre  149.  „3000  Silberlinge,  in  Sekel  15  000,  welche  den  oberwähnten 
8000  Silberling^n  entsprechen,  das  l\.  24  zn  ^j^q^^;  ähnlich  in  dem 
Papyrus  S.  153  vom  Jahre  119  „300  Silberlinge,  1  Kerker,  welcher 
den  300  Silberlingen  entspricht,  das  if.  24  zu  '/^^^  Das  2^ichen  % 
ist  von  Revillout  früher  mit  melange  {d'allicige)  übersetzt  worden;  jetzt 
wird  es  von  ihm  (Ägypt.  Zeitsch.  1879  S.  129)  und  von  Brugsch  un- 
bedenklich für  Kupfer  genommen,  obschon  „in  vollständig  demotischen 
Texten",  wie  mir  Brugsch  mitteilt,  „das  Zeichen  %  durch  das  wohl- 
bekannte Zeichen  für  Kupfer  ^^  (/nit)  ersetzt  wird". 

Die  Formel  „Kupfer  24 :  ^j^"  wird  man  nicht  so  verstehen  wollen, 
daß  die  vorausgehenden*  Gleichungen  „5  Silberdrachmen  ■=  25  Sekel", 
„1500  Silberdrachmen  =  5  Kerker*',  „300  Silberdrachmen  =  1  Kerker**, 
„3000  Silberlinge  =  15  000  Sekel"  nach  dieser  Formel  berechnet  sind, 
denn  dann  war  es  überflüssig,  sie  hinzuzufügen;  sie  bezeichnet  vielmehr, 
wie  man  diese  Gleichungen  berechnen,  wie  dem  in  der  Formel  ausge- 
drückten Cours  gemäß  den  derzeitigen  Wert  der  Gleichung  finden  soll  ^ 

^  Von  Interesse  für  diese  Frage  ist  eine  boiotische  Inschrift  im  Museum 
zu  Theben  (Hermes  VIII  S.  432  ff.)>  ^^^  Abrechnung  (avranoloYia)  eines  Hippar- 
chen über  das  Geld,  das  er  zu  einer  Expedition  erhalten  und  in  derselben  ver- 
ausgabt hat.  Sie  ist  wohl  aus  den  letzten  Zeiten  des  boiotischen  Bundes,  also 
aus  denen  des  Ptolemaios  VI.  oder  VII.  Der  Hipparch  hat  2100  Silberdrachmen 
erhalten;  er  führt  7  Abteilungen  Reiter  von  verschiedener  Stärke  ins  Feld,  deren 
Führer  (wohl  Härchen,  wie  der  von  dem  Contingent  von  Orchomenos  in 
Alexanders  Zug  nach  Asien  sich  nennt,  Inschrift  im  Bull,  de  Gorr.  Hell.  III  S.  454) 
namentlich  und  mit  den  an  jeden  gezahlten  Summen  angeführt  werden.  Zwei 
von  diesen  Führern  verkaufen  jeder  ein  Pferd,  zussjnmen  für  171  Drachmen 
Kupfer  (xalnov  ÖQaxfiojy),  um  noch  110  Silberdrachmen  ((nmfinxixov  aQp.'(fiov)  in 
die  Kasse  zu  bringen,  da,  wie  es  scheint,  der  Sold  in  Silber,  wohl  1  Drachme 
für  den  Tag,  zu  zahlen  war.  Für  diese  110  Silberdrachmen  wurden  137  Drach- 
men 8  Obolen  Kupfer  gezahlt,  /«Axot;  Ögn/fiCtp  HAAArhHII.  Dieser  Kaufpreis 
müßte  ungleich  höher  gewesen  sein,  wenn  entweder  in  Boiotien  Kupfer- 
währung neben  der  Silberwährung  gegolten  hätte,  oder  wenn  das  Kupfergeld 
nur  als  Metall  behandelt  worden  wäre.  Indem  man,  mit  nur  1^',  Obolen  Auf- 
geld auf  die  Drachme,  Silber  für  Kupfer  haben  konnte,  mußte  das  Kupfer  als 
Kleingeld,  richtiger  als  Scheidemünze  im  Verkehr  sein.  Es  gab  nicht  Kupfer- 
drachmen neben  Silberdrachmen,  sondern  so  und  soviel  Stücke  Kupfergeld,  je 
nach  ihrer  Größe,  waren  1  Drachme  und  galten  im  Kleinverkehr  demgemäß, 
wie  sich  auch  der  Wechsler  bei  einer  bedeutenden  Zahl  Silberdrachmen  ein  Auf- 
geld zahlen  ließ.  Nach  der  von  Foucart  im  Bull,  de  Corr.  Hell.  IV  1880  S.  90 
edierten  orchomenischen  Inschrift  hatte  auch  die  boiotische  Drachme  6  Obolen, 
aber  der  Obol  sehr  wahrscheinlich  12/aAxotic;  und  unter  den  von  Head  publicierten 
Kupfermünzen  dieser  Zeit  (Coins  of  Buiotia  1881  S.  89  ff.)  befinden  sich  Stücke 
von  8  bis  1,75  g;  ob  auch  in  dieser  Zeit  noch  4-,  2-,  1  Obolenstücke  in  Silber 
geprägt  wurden,  ist  nicht  zu  ersehen.  Zahlte  man  für  jene  110  Silberdrachmen 
kupferne  Halbobolcn  (6  /aAxovi:),  so  gab  man  12  Stück  und  3  Aufgeld  für  die 
Drachme,  man  zahlte  mit  dem  Aufgeld  9900  x^^^^*'  ^^  ^^^  ^^^  Silberdrachmen. 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer  301 

Die  Formel  selbst  zeigt,  daß  der  Ausgangsgunkt  des  Systems  ist 
^I^Q  Silberdrachme  =  1  Kupferdrachme,  wobei  es  unwesentlich  ist,  ob 
etwa  zur  Zeit  der  Gründung  der  Doppelwährung  (um  300  vor  Chr.) 
thatsächlich  der  Wert  des  Kupfers  gegen  Silber  20 : 1  war.  Das  folgende 
Schema  giebl  die  Übersicht  der  Wertung  beider  Metalle  auf  dieser  Grundlage : 


[282]  Kupfer 

SUber 

Drachme     Gewicht 

Sekel 

Het 

Ten 

Kerker  Drachme  Gramm 

1                3,57 

— 

— 

V,o            0,17 

2                7,14 

— 

— 

— 

Vio            0,35 

4               14,20 

1 

— 

— 

V5             0,71 

10               35,70 

2\'. 

1 

v< 

V.               1,78 

20               71,40 

5 

2 

m 

—                 1               3,57 

100             357,00 

25 

10 

1 

—                 5             17,85 

1000           3570 

250 

100 

10 

—               50           178,50 

6000         21420 

1500 

600 

60 

1             300         1071 

In  den  Zeiten,  aus  denen  uns  Angaben  über  den  Wert  des  Kupfers 
gegen  Silber  in  ägyptischen  Papyren  vorliegen,  ist  derselbe  bereits  tief 
gesunken,  und  die  Formel  giebt  an,  wie  viel  mal  20  Kupferdrachmen 
für  eine  Silberdrachme  zu  zahlen  sind;  also  wenn  es  heißt:  „Kupfer 
24 :  */io",  so  ist  ^^^  Silberdrachme  =  12  Kupferdrachmen,  also  das  Wert- 
verhältnis 120:1.  Man  wird  ^/^^  Silberdrachme  als  Maß  genommen 
haben,  um  das  größte  Kupferstück,  das  zu  71,40  g,  mit  dem  kleinsten 
Silberstück  zu  3,57  in  Gleichung  zu  stellen. 

Man  mag  annehmen,  daß  an  der  königlichen  Trapeza  der  jedes- 
malige Cours  des  x^^ov  ov  äXkay^  angeschrieben  war.  Wenn  da 
stand:  16:  ^/j^,  so  war  das  Wertverhältnis  80: 1  und  es  wurden  4  x  20 
Kerker  für  1  Talent  Silber  gezahlt.  Das  Vielfache  von  20  giebt  die 
Stufen  dieser  Skala  für  1  Talent  Silber: 

Die  Formel  bedeutet:  1  Talent  Silber  = 

für  ist  Kerker     Sekel    Drachmen 

3  X  20     12  :  Vio  60  =    90  000  =  360  000 

4  =  20     16  :  */io  80  =  120  000  »  480  000 

5  =  20     20  :  */io  100  =  150  000  =  600  000 
.233]  5V4  X  20     21  :  */,o  105  =  157  500  =  630  000 

5\/,  X  20  22  :  «/lo  HO  =  165  000  =  660  000 

5%  X  20  23  :  «/lo  Ho  =  172  500  =  690  000 

6       X  20  24  :  «/lo  120  =  180  000  =  720  000 

6»/4  X  20  25  :  «/lo  125  =  187  500  =  750  000 

U.   8.    W. 


In  den  von  der  Inschrift  gegebenen  Ansätzen  liegen  die  Elemente ,  die  Stärke 
der  sieben  Contingente  und  die  Dauer  des  Zuges  wenigstens  bis  zu  einer 
Alternative  festzustellen,  worauf  hier  einzugehen  nicht  der  Ort  ist.  Ebenso  be- 
gnüge ich  mich;  an  das  Beeret  zu  Ehren  des  Protogenes  (C.  I.  Gr.  2058),  der 
sich  Vorschüsse  in  Goldstücteen  in  Kupfer  zurückzahlen  läßt,  nur  zu  erinnern. 


302  ^tiKD  Finanzweaen  der  Ptolemäer 

In  dem  oben  angefahrten  Beispiel  aus  dem  Jahre  121  v.  Chr.  sollen 
von  dem,  der  dem  Contract  nicht  nachkommt,  jedem  der  sechs  anderen 
Mitcontrahenten  gezahlt  werden 

„1500  Silberdraohmen  mit  5  Kerker  zu  24:*/^^". 

Das  will  nicht  sagen,  daß  1500  Silberdrachmen  =  5  x  6000  Kupfer- 
drachmen sind,  80  daß  das  Wertverhältnis  beider  Metalle  1 500  :  30  000, 
also  1  :  20  sein  würde,  sondern  1500  Silberdrachmen  gelten  nach  dem 
Cours  24 :  ^/j^  das  6  x  20  fache  von  1500,  also  1 80  000  Kupferdrachmen, 
so  daß  das  Wertverhältnis  von  Silber  gegen  Kupfer  zur  Zeit  1 :  120  ist 
Und  wenn  in  demselben  Papyrus  der,  welcher  den  Contract  bricht,  „für 
die  Brandopfer  des  Königs"  5  Silberdrachmen  mit  25  Sekel  zahlen  soll, 
so  hat  er  nach  dem  angegebenen  Cours  6  x  150  Sekel  oder  600  Kupfer- 
drachmen zu  zahlen.  Wenn  in  dem  oben  (S.  282)  angeführten  Papyrus 
des  Louvre  Nr.  59,  in  der  Zusammenzählung  von  Kupfer-  und  Silber- 
geld 40  Silberdrachmen  =  4260  Kupferdrachmen  in  Ansatz  gebracht 
sind,  so  ergiebt  sich  das  Wertverhältnis  lOö^/g :  2,  es  würde  in  der  Formel 
für  den  Cours  ausgedrückt  sein:  21^40  ^Vio- 

Es  ist  hier  die  Stelle,  auf  das  oben  (S.  283)  erwähnte  isonome 
Kupfergeld  zurückzukommen.  Wie  man  auch  diese  Bezeichnung  nach 
ihrer  Wortbedeutung  zu  fassen  hat,  gewiß  wird  man  nicht  an  die  seit 
Hadrian  vorkommenden  Kupfermünzen  der  ägyptischen  Nomen,  noch 
an  den  vöjiiog  in  Tarent  und  Sicilien  dabei  denken  dürfen.  Das  Wort 
kommt  in  den  bisher  bekannten  Papyren  nicht  eben  häufig  vor.  Zwei 
noch  unedierte  Holztäfelchen,  Nr.  8131  des  Berliner  Museums  und  das 
von  Lumbroso  S.  73  angeführte  im  Louvre,  geben  nur  das  Wort  laövofiog 
deutlich,  der  Zusammenhang  ist  nicht  mehr  zu  erkennen.  In  dem 
Papyrus  des  Louvre  (Nr.  62),  der  die  ausführliche  Instruktion  für  einen 
höheren  Beamten  des  oxyrynchitischen  Nomos  —  vielleicht  für  jeden 
gleichgestellten  in  jedem  Nomos  —  giebt,  wird  bestimmt,  wie  bei  der 
jährlichen  Übertragung  der  Steuererhebungen  von  den  alten  auf  die 
neuen  Pächter  zu  verfahren  und  welche  Gebühren  u.  s.  w.  dabei  zu 
zahlen  sind;  unter  anderem,  wie  viel  bei  den  Pachten  in  Silber,  in 
isonomem  Kupfer,  in  gewöhnlichem  Kupfer  an  Steuern  [234]  zu  zahlen 
sind^  In  einem  andern  sehr  fragmentierten  Papyrus  des  Louvre  (Nr,  67) 
liest  man  Überreste  einer  Berechnung,  deren  Zusammenhang  nicht  mehr 


^  Das  scheint  der  Sinn  dieser  überaus  dunklen  Stelle  (Pap.  des  Louvre  62, 
Col.  5,  Z.  16:  tiüv  Öe  ngoc  aQyvQOP  vjvCtv  nQoadiaYQatpovaiv  dkhtY'i^  ^^  ^V>  f^*^^ 
u.  s.  w.  xni  Tb}v  7T()6c  /ctAxoi'  iaovo^ov  iriaitJQn^  fikv  u.  8.  w.  xiap  de  lomwy  dtriav 
TüiP  TTQo^  /aÄxoy  u.  s.  w.  Es  werden  auch  ri^yv^iov  aiaj^Qeg  Pap.  des  Louvre 
Nr.  60,  2  genannt. 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer  303 

erkennbar  ist;  da  steht  Col.  6  Zeile  7:  /«Axov  ov  äXXcty}]  rah  .  .  .  und 
in  der  folgenden  Zeile:  laovöfiov  raL  |^  h  qv  (67  Tal.  150  Dr.),  und 
in  Col.  a  Zeile  1 

Xccheov  oh  &Xkayr]  raX.  xorf  V  v^ 

und  darunter  nach  einer  Lücke,  in  der  laovöfiov  gestanden  haben  könnte 

Tcck,  (f^  h   y^Aiy 

aber  diese  beiden  Summen  678  tal.  460  Dr.  Kupfer  ov  düayt}  und 
207  tal.  938  Dr.  sind  der  Art,  daß  zwischen  ihnen  kein  einigermaßen 
rationales  Verhältnis  stattfindet,  so  daß  die  zweite  Summe  wohl  kaum 
auf  isonomes  Kupfer  gedeutet  werden  kann. 

Wohl  aber  ergiebt  ein  solches  die  oben  (S.  284)  angeführte  Stelle 
aus  dem  von  Parthey  edierten  Berliner  Papyrus  x^^ov  icrovö/iov  rah 
I'  /  rah  Q^j  es  ist  das  Verhältnis  60:160  oder  3:8.  Hieß  dasjenige 
geprägte  {inifTfjfiog)  Kupfer  isonom,  dessen  Wert  gegen  Silber  fixiert 
war,  so  änderte  der  wechselnde  Kaufpreis  des  Kupfers  nur  die  zweite 
Steue  dieser  Gleichung,  also  3 : 8  oder  872?  oder  9  u.  s.  w.  Stand  zur 
Zeit,  da  der  angeführte  Papyrus  geschrieben  wurde  (im  Jahre  40,  also 
des  Ptolemaios  VII.  Euergetes)  der  Cours  24:  ^/j^,  so  waren  120  Kerker 
Kupfer  =  95  Tal.  isonomes  Kupfer,  also  das  isonome  Kupfer  fixiert  auf 
den  Cours  von  4:*/^^,  und  es  galten  120  000  isonome  Drachmen 
:=  6000  Drachmen  Silber  und  von  dem  so  fixierten  Kupfergeld  gingen 

20  Drachmen  =  5  Sekel  =  2  Ket  ==  70,14  g  Kupfer 

auf  1  Silberdrachme;  der  isonome  Kerker  war  =  300  Silberdrachmen 
und  20  isonome  Kerker  =  1  Talent  Silber. 

Eine  Bestätigung  der  dargelegten  Hypothese  scheint  der  Leydener 
Papyrus  0  Zeile  22  (Leemans  S.  79)  zu  geben.  Er  betrifft  einen  Handel, 
der  zwischen  100  und  90  v.  Chr.  zu  fallen  scheint;  es  leiht  einer  dem 
anderen  24  Silberdrachmen  ägyvQiov  hniaijiJLov  Urokeiiaixov  vofii<T' 
fLarog  S^axficcl  SexaSvo  zinsfrei  auf  10  Monate,  mit  der  Bestimmung, 
daß,  wenn  sie  dann  nicht  zurückgezahlt  sind,  sofort  die  Summe  andert- 
halbmaP  und  von  dieser  Summe  Zins  für  jeden  Stater  60  Kupfer- 
drachmen auf  den  Monat  gezahlt  werden  soll. 

[235]  Ob  der  Stater  2  oder  4  Drachmen  beträgt,  ist  aus  diesen 


*  T6  fiev  dayeiov  r/fAioXiov  naQn/g^fjin  xai  tov  vneQneaovTog  /^ö^ov  xovg  JÖ- 
xovg  d)C  TOV  ataiTJQog  /ctilxoti  ÖQü/i^mp  i^r}xovia  xorra  ju^irr.  Dies  rjfAioXiot'  als 
Buße  kommt  öfter  bei  Leihgeschäften  vor  (Pap.  des  Louvre  Nr.  7  und  S)  und 
den  Sinn  der  ^fiMiov  bestimmt  der  letztgenannte  Pap.  mit  der  ausfuhrlicheren 
Formel  für  die  Zurückerstattung  tavTa  re  xni  t6  rjfiiohov'^  hier  also  ist  außer 
dem  Anderthalben  noch  das  Ganze  zu  zahlen. 


304  Zum  FiDanzwesen  der  Ptolcmfler 

Angaben  nicht  zu  entscheiden^;  wohl  aber  ist  klar,  daß  in  dem  Monats- 
zins zu  60  Drachmen  Kupfer  nicht  isonomes  Kupfer  (1 :  20)  gemeint 
sein  kann ;  in  Kupfer  von  dem  Cours  24 :  ^/^^  würden  die  60  Drachmen 
monatlich,  der  Stater  zu  4  Drachmen  gerechnet,  einen  Jahreszins  von 
157o>  der  Stater  zu  2  Drachmen  gerechnet,  von  30  7o  ergeben. 

In  den  uns  erhaltenen  Materialien  schwankt  der  Wert  des  ge- 
wöhnlichen Kupfergeldes  gegen  Silber  von  lOö^a^l  bis  120:1;  daß 
es  auch  in  Ägypten  wie  zeitweise  (Hultsch  S.  211)  in  Rom  140:1  ge- 
standen haben  sollte,  ist  möglich,  aber  die  dafür  angeführten  Beweise 
reichen  nicht  aus,  es  zu  begründen. 

Noch  bleibt  zu  fragen,  auf  welche  Weise  das  Kupfer  isonom  werden 
konnte.  Nicht  dadurch,  daß,  während  sich  die  gewöhnliche  Kupfer- 
münze durch  immer  größeren  Zusatz  von  Blei  verschlechterte,  zu  den 
isouomen  reines  Kupfer  verwendet  wurde;  denn  ein  noch  so  großer 
Zusatz  von  Blei  konnte,  da  es  etwa  den  halben  Wert  von  Kupfer  hatte, 
das  gewöhuliche  Kupfer  nicht  so  tief  wie  es  geschah,  herunterdrücken; 
und  auch  reines  Kupfer  hätte  sich  gegen  Silber  nicht  ohne  Wertschwan- 
kungen halten  können.  Es  konnte  sich  als  isomon  erhalten,  wenn  ein 
Zusatz  von  Silber  dem  einzelnen  Stücke  seinen  Wert  sicherte;  mögen 
seit  Tiberius  solche  Tetradrachmen  in  Billon  für  Ägypten  geprägt  worden 
sein  (Mommsen  S.  728),  unter  den  ptolemäischen  Kupfermünzen  findet 
sich,  so  viel  bekannt^  nichts  der  Art 

So  bleibt  nur  die  Annahme,  daß  Kupfergeld  von  einer  bestimmten 
Art  und  Gepräge  von  Staatswegen  zu  dem  fixierten  Wert  von  4 :  7io 
ausgegeben  und  zu  diesem  Cours  bei  den  königlichen  Kassen  ange- 
nommen wurde,  —  Wertzeichen,  welche,  wie  immer  ihr  reeller  Wert 
sein  mochte,  in  ihrem  nominellen  Wert  durch  die  Anerkennung  dieses 
Wertes  von  Staatswegen  garantiert  und  durch  die  Annahme  an  der 
königlichen  Trapeza  sicher  gestellt  waren,  —  Scheinwerte  und  Wert- 
scheine, die  man  nur  nicht  auf  ein  zerbrechliches  Stück  Papyrus 
geschrieben,  sondern  auf  ein  haltbares  Stück  Metall  geprägt  cnr- 
sieren  ließ. 

Vielleicht  wird  sorgfaltige  numismatische  Untersuchung  in  der 
Masse  ptolemäischen  Kupfergeldes  das  isonome  Kupfer  von  dem  übrigen 
unterscheiden  lehren,  vielleicht  zu  dem  Ergebnis  kommen,  daß  nur  die 
Kupferstücke  von  dem  Tetradrachmon,  dem  Sekel  (14,28  g)  aufwärts, 


*  Nach  den  metrologischen  Angaben  des  anonymen  Alexandriners  and 
der  sogenannten  Kleopatra  (bei  Hultsch,  Metr.  Scr.  1  No.  95  und  77),  die  beide 
wohl  dem  ersten  Jahrhundert  n.  Ch.  angehören,  aber  auf  Quellen  aus  der  Pto- 
lemäerzeit  zurückgehen,  ist  der  Stater  die  Tetradrachme,  d.  h.  der  Sekel. 


Zum  Finanzwesen  der  Ptolemfter  305 

oder  gar  nur  die  Großetücke  von  20  Drachmen  (70,14  g)  [236]  isonomer 
Art  waren;   es  würde  dann  weiter  zu  fragen  sein,   ob  die  kleineren 
Kupfermünzen  zu  prägen  auch  Privaten,  vielleicht  den  Priesterschaften 
etwa   denen   eines  Haupttempels  in  jedem  Nomos,   den  Städten  ge- 
stattet war. 

Wie  auch  das  Ergebnis  sein  wird,  daß  es  isonomes  Eupfergeld 
in  dem  ptolemäischen  Ägypten  gab,  ist  sicher  und  für  das  volkswirt- 
schaftliche Verständnis  dieser  Zeit  von  Bedeutung. 


Drojsen,  El.  Schriften  n.  20 


XII. 

Zum  Finanzwesen  des  Dionysios  von  Syrakus. 

Sitzungsberichte  der  Königl.  Akademie  der  WisseoBchaften  zu  Berlin  1882 

S.  1013  ff.  . 
(Vorgelegt  am  23.  November.) 

[1013]  Zu  den  Bemerkungen  über  das  Finanzwesen  der  Ptolemäer^ 
die  ich  der  Akademie  vor  einigen  Monaten  vorzulegen  die  Ehre  hatte, 
sind  ein  paar  Analogien,  welche  die  Staatsverwaltung  des  älteren  Dionjs 
von  Syrakus  zu  bieten  schien,  nur  obenhin  berührt  worden,  Analogien, 
welche  auch  in  dem,  was  sie  von  den  lagidischen  Formen  unterscheidet, 
nicht  ohne  Interesse  sind. 

Die  Überlieferungen  von  diesem  Tyrannen,  wie  sie  uns  vorliegen, 
sind  freilich  zum  Teil,  vielleicht  darf  man  sagen  so  weit  sie  nicht 
aus  dem  Geschichtswerk  des  Fhilistos  stammen,  sehr  bedenklicher  Art 
Die  öffentliche  Meinung,  wie  sie  die  Griechenwelt  von  Alkibiades  bis 
zum  Alexander  beherrschte,  wenigstens  in  den  attischen  Kreisen  littera- 
rischer und  politischer  Bildung  den  Ton  angab,  war  nahezu  einig 
darin,  in  Dionys  den  gewaltsamsten  und  frivolsten  Tyrannen,  den 
geschworenen  Feind  der  Autonomie  und  bürgerlichen  Freiheit  zu  ver- 
abscheuen, von  dem  nicht  minder  schwer  als  von  dem  Großkönig 
im  Osten  die  Existenz  des  Griechentums  bedroht  sei;  selbst  Aristoteles 
braucht  gelegentlich  als  Beispiel  eines  unrichtigen  Schlusses  den  Satz: 
Dionys  ist  ein  Bäuber,  denn  er  ist  ein  schlechter  Mensch;  wohl  aber 
könne  man  sagen:  Dionys  ist  ein  schlechter  Mensch,  denn  er  ist  ein 
Räuber  \ 

Wenn  der  große  Scipio  des  zweiten  punischen  Krieges  auf  die 
l^Yage,  wer  seiner  Ansicht  nach  die  größten  und  mit  Einsicht  kühn- 
sten Staatsmänner  gewesen  seien,  die  beiden  Sikelioten  Dionys  L  und 


'  Arist.  Khet.  II  24  S.  1401b.  13,  auch  Etb.  M.  II  6,  1203a.  25. 


Zum  Finanzwesen  des  Dionysios  yon  Sjrakus  807 

Agathokles  genannt  bat  (Folyb.  XY  85),  so  wird  man  sich  erlauben 
dürfen  nicht  ohne  weiteres  die  Phrasen  und  Anekdoten  des  doctrinären 
Tyrannenhasses,  wie  sie  über  Dionys  I.  überliefert  sind,  für  die  Ge- 
schichte dieses  bedeutenden  Staats-  und  Eriegsmannes  zu  halten  oder 
seine  Geschichte  aus  dem  in  ihnen  gezeichneten  Charakter  psychologisch 
zu  entwickeln;  vielmehr  wird  man  yersuchen  dürfen,  das  in  ihnen 
Sachliche  von  den  Gesichtspunkten  aus,  die  Scipios  [1014]  Urteil  be- 
stimmten, so  weit  es  noch  möglich  ist,  zu  ergründen  und  aufzufassen? 
sich  klar  zu  machen,  wie  nach  Lage  der  Dinge  damals  und  dort,  unter 
den  Gefahren,  die  das  Griechentum  in  Sicilien  und  Italien  auf  das 
Furchtbarste  bedrohten,  Dionys  seine  Aufgabe  gefaßt  hat  und  fassen 
mußte,  um  seine  Usurpation  durch  den  Erfolg  zu  rechtfertigen;  welche 
Wege  er  finden,  welchen  Notwendigkeiten  er  gerecht  werden  mußte,  um 
denselben  zu  ermöglichen  und  nach  fast  vierzigjährigem  Regiment  seinem 
Sohn  ein  mächtiges,  blühendes  Reich  zu  hinterlassen,  —  eine  Unter- 
suchung, die  vielleicht  dahin  führen  würde  die  Richtung  und  die 
politischen  Formen  zu  würdigen,  in  denen  für  das  überall  durch  Demo- 
kratie und  Oligarchie,  durch  Kleinstaaterei,  Partikularismus  und  Hansea- 
tismus  zerrüttete  und  sich  zerfetzende  Griechentum  noch  die  Möglichkeit 
lag,  sich  eine  Zukunft  zu  retten. 

In  solchen  Ereis  von  Anschauungen  gestellt  werden  die  folgenden 
zerstreuten  Bemerkungen  ihren  Zusanmienhang  finden. 

Im  ptolemäischen  Finanzwesen  galt  Silberwährung  und  Kupfer- 
währung neben  einander.  Silber  wurde  nur  bis  zu  Drachmenstücken 
von  8,57  g  ausgeprägt,  alles  Kleingeld  unter  der  Drachme  nur  in 
Kupfer;  mit  den  Schwankungen  des  Kupferwertes  im  Handel  schwankte 
auch  der  Wert  des  in  großer  Masse  circulierenden  Kupfergeldes,  bis 
man  dazu  schritt,  isonomes  Kupfer  zu  prägen  d.  h.  Kupfergeld  zu  fixiertem 
Wert,  das,  indem  es  zu  diesem  seinem  Nennwert  auch  in  der  Staats- 
kasse angenommen  wurde,  in  seiner  so  garantierten  Werthöhe  sich  er- 
halten konnte. 

In  Sicilien  und  Italien  ist,  schon  ehe  Silbergeld  in  Umlauf  kam^ 
Kupfer  in  Barren,  dann  auch  nach  seinem  Gewicht  gestempelt,  wie 
wenigstens  für  Italien  zahlreiche  erhaltene  Stücke  ergeben,  als  Geld 
gebraucht  worden,  das  Pfund  [Utqcc^  liira)  zu  327,45  g. 

Die  rasch  aufblühenden  griechischen  Städte  an  den  Küsten  Sici- 
liens,  für  die  der  Verkehr  mit  der  bäuerlichen  Bevölkerung  des  getreide- 
und  viehreichen  Binnenlandes  und  der  Absatz  der  auf  den  Herrengutern 
der  Gamoren  gewonnenen  Erträge  in  erster  Reihe  stand,  werden  von 
den  Kauffahrern  der  hellenischen  Heimat,  die  für  ihren  Bedarf  an  Ge- 
treide  immerfort  der  Zufuhr  aus  der  Ferne  bedurfte,   deren  Silber- 

20* 


308  Zum  Finanzwesen  des  Dionysios  von  Syrakus 

geld  gern  in  Tausch  genommen  haben;  und  mit  Becht  ist  darauf 
hingewiesen  worden  ^^  daß  eben  daher  die  Einführung  des  attischen 
Münzfußes  in  den  meisten  sikeliotischen  Städten  sich  erklart,  des  Münz- 
fußeS;  wie  er  durch  Solon  begründet  worden  ist,  die  Drachme  zu  4,366  g; 
sie  nahmen  sie  zu  4,36. 

[1015]  Diese  Sikelioten  sind,  auch  nachdem  sie  selbst  Silber  zu 
prägen  begonnen,  dabei  geblieben  nach  Kupferpfunden,  wie  im  Binnen- 
lande hergebracht  war,  zu  rechnen.  Aber  sie  haben  ihr  Eupferpfund 
durch  eine  Gewichtsreduction  mit  dem  Münzfuß,  nach  dem  sie  ihr  Silber 
fortan  prägten.,  in  Verhältnis  gesetzt  Sie  reducierten  die  litra  auf 
*/j  ihres  Gewichts 

von  327,45  auf  218,30  g; 

ihre  Litra  wog  nun  genau  ^a  attische  Mine,  d.  i.  Y120  ^^  attischen 
Talents.  Sie  nahmen  als  Großgewicht  das  attische  Talent  zu  26  196  g 
an^;  sie  teilten  es  in  120  Litren  zu  218g,  die  Litra  in  12  Unzen  zu 
18,16  g.  Sie  rechneten  nach  Talent,  Litren,  Unzen  in  Kupfer,  auch 
wenn  sie  in  Silber  oder  Gold  zahlten^. 

Der  Wert,  den  sie  im  Verkehr  dem  Kupfer  gegen  Silber  gaben, 
erhellt  aus  dem  Namen  des  Dekalitron,  mit  dem  sie  den  Stater,  das 
silberne  Zweidrachmenstück  nach  attischem  Fuß,  bezeichneten^.  Wenn 
das  Zweidrachmenstück,  also  8,72  g  Silber,  so  viel  galt  als  10  Litren, 
also  2180  g  Kupfer,  so  war  ihnen  das  Verhältnis  von  Silber  zu 
Kupfer  =  1 :  250.  Die  Hälfte  des  Stater,  die  Drachme,  wurde  ihnen 
die  „Regel''  ("^dfioQ,  mmmus),  nach  der  sie  ihre  Prägungen  in  Silber 
oder  Kupfer  regelten. 

Sikeliotisches  Kupfergeld  aus  der  Zeit  vor  dem  peloponnesischen 
Kriege   ist   mit   Sicherheit   nicht   nachgewiesen  ^     Wenn   die  Deka- 


*  H.  Droysen,  Athen  und  der  Westen  S.  88. 

'  Nicht  das  attische  Handelstalent  zu  36  156  g;  die  Bestimmung  des  attischen 
Münzgewichts  ist  hier  berechnet  nach  dem  attischen  VolksbeschluB,  der  das  Ver- 
hältnis von  Handels-  und  Münzgewicht  auf  100 :  138  normiert 

'  Den  Beweis  dafür  geben  die  tauromenischen  Inschriften  C.  I.  Gr.  III 
5640.  5641,  sowie  das  Epigramm  des  Simonides  für  ein  Weihgeschenk  der  De- 
marate:  iS  sxaiov  htQav  xal  nevrrjxoia  raXavitüv  .  .  .  rac  Öexatac  dexaiav.  Also 
50  Talente  100  Litren,  an  Wert  1220  Drachmen  Silber.  Mit  Recht  hat  Schneide- 
win  die  angeführten  zwei  Zeilen  aus  dem  Epigramm  des  Simonides  Nr.  141  ed. 
Bcrgk  ausgeschieden;  sie  sind  die  Reste  eines  besonderen  Epigramms. 

^  XU^tt  xal  ÖBxakiT^og  fnoxriQ,  i^ävxiov  ts  xal  nevx6ipiiov,  sagt  Epicharm 
in  einem  Fragment  bei  PoUux  IX  81  (bei  Lorenz  Epich.  aqnaYai  fr.  2),  dessen 
Zusammenhang  nicht  mehr  erkennbar  ist 

^  Mommsen  R.  M.  S.  82  hftlt  für  das.  früheste  Kupferstfick  das  jetzt  bei 
Head  coins  of  Syr.  tab.  V  18  abgebildete,   das  nach  Heads  Urteil  dem  Stile 


Zum  Finanzweeen  des  Dionjsios  von  Syrakus  309 

drachmen,  die  Gelons  Gemahlin  Demarete  Dach  dem  Siege  über  die 
Panier  prägen  ließ  (Diod.  XI  26),  von  den  Sikelioten  Pentekontalitren 
genannt  wurden ,  so  war  Ol.  75  bereits  dies  System  in  Syrakus  in 
voller  Übung.  Auch  Agrigent  und  6ela  haben  von  Anfang  her,  wie 
man  nach  den  noch  erhaltenen  Münzen  schließen  muß,  nach  attischem 
[1016]  Fuß  geprägt;  Himera  erst  aiginäisch,  die  Drachme  zu  6,20  g, 
dann  seit  jenem  Siege  am  Himera  attisch ;  Zankle,  seit  es  Messana  ge- 
nannt wurde  (Ol.  71),  Naxos  seit  Ol.  70  3  attisch  ^  Und  wenn  Aristo- 
teles bei  PoUux  IX  77  im  Oegensatz  zu  der  in  seiner  Zeit  geltenden 
Wertung  des  sicilischen  Talents  zu  12  Nummen  sagt  das  alte  Talent 
habe  24  Nummen  gehabt',  so  ergiebt  sich  damit  das  System  der 
älteren  Eupferrechnung: 

1  Stater  =    2  Nummen  =10  Litren, 
12      „      =24        „         =  12  X  10  Litren  =  1  Talent. 

Vielleicht  ist  noch  folgender  Umstand  beachtenswert.  Wenn  die 
Sikelioten  die  hergebrachte  sikelisch-italische  Litra  von  327,45  g  auf 
218,30  herabsetzten,  um  sie  mit  dem  Gewicht  der  attischen  Silber- 
münzen in  Verhältnis  zu  setzen,  so  ergiebt  sich  das  einfache  Verhältnis 
250:1  nur  dann,  wenn  das  attische  Didrachmon,  dem  10  Literen  ent- 
sprechen sollten,  8,732  wog. 

Diesem  Gewicht  entspricht  das  attische  Silbergeld  nur  in  seinen 


nach  der  Periode  von  405—845  angehört  Nach  Head  sind  die  ältesten  Kupfer- 
münzen bis  jetzt  die  mit  dem  Polypen  und  3  Kügelchen  auf  der  Bückseite; 
sie  wiegen  3,78  bis  3,80  g.  Diese  Trianten  stellt  Head  dem  Stil  nach  in  die 
Zeit  der  Demokratie  von  465 — 415,  während  Brandis  Münzwesen  S.  590  sie  ein 
Jahrhundert  jünger  glaubt. 

^  So  Friedländer  in  y.  SaUet  Numism.  Zeitschr.  VIII  S.  99.  Ob,  wie  neuer- 
dings vermutet  worden  ist,  die  Verschiedenheit  der  Drachmen  (euböisch-attisch 
und  aiginäisch)  darauf  zurückzuführen  ist,  daß  man  das  (hypothetische)  Groß- 
stück von  24,80  g  bald  in  Drittel  Sechstel  u.  s.  w.  (8,27—4,13  u.  s.  w.),  bald  in 
Hälften,  Viertel  u.  s.  w.  (12,40—6,20  u.  s.  w.)  teilte,  muß  dahingestellt  bleiben. 

'  Böckh  Metrolog.  Unters.  S.  315  glaubt  noch  Spuren  davon  zu  erkennen, 
daß  ursprünglich  die  Litra  der  Nummos  gewesen  sei.  Auch  Mommsen  1.  c.  S.  84 
hält  dafür,  daß  der  Nummos  „höchst  wahrscheinlich  von  dem  ersten  Dionjs'^ 
von  1  auf  5  Litren  gesetzt  sei;  er  nennt  das  die  „erste  und  ärgste  Beduction^^ 
Die  erste  ist  die  der  Litra  von  327,45  auf  218,30  g,  mit  der,  so  scheint  es,  das 
entstand,  was  Aristoteles  t6  a^/atoy  TaAavroy  genannt  hat;  wenigstens  deutet 
er  nicht  an,  daß  es  ein  früheres  sikelisches  oder  sikeliotisches  Talent  gab.  Wohl 
erst  mit  dieser  Herabsetzung  der  Litra  auf  das  Gewicht  von  Vs  Mine  attisch 
kam  in  Sicilien  das  Wort  Talent  auch  für  das  Geld  in  Gebrauch,  freilich  in 
anderer  Bedeutung  als  sonst  bei  den  Griechen,  nämlich  för  einen  Centner  von 
120  Pfund  zu  je  12  Unzen,  nicht  für  einen  Centner  von  60  Minen  zu  je  100 
Drachmen. 


310  Zum  Finanzwesen  des  Dionysioe  von  Syrakas 

nachweisbar  älteren  Prägungen  nach  der  solonischen  Bedaction,  den 
Tetradrachmen  zu  1 7,464  g.  Die  späteren  Tetradrachmen  wiegen 
17,344;  für  diese  würde  sich  das  Didrachmon  von  8-672  g  Silber 
=  218,50  g  Kupfer,  das  Verhältnis  beider  Metalle  251,613: 1  ergeben, 
ein  Verhältnis,  das  zu  irrational  scheint,  als  daß  es  dem  neuen  sike- 
liotischen  Systeme  zu  Grunde  liegen  sollte. 

Es  wird  gegen  diese  Auffiässung  nicht  eingewendet  werden  dürfen, 
daß  attische  Didrachmen  sehr  selten  und  diese  seltenen  etwas  leichter 
sind  als  sie  sein  sollten  (statt  8,73  resp.  8,66  g  nur  8,41  und  ge- 
ringer), —  noch  weniger,  daß  Aristoteles  bei  PoUui  1.  c.  sagt:  „die 
Sikelioten  nennen  den  korinthischen  Stater  Dekaliter^';  Aristoteles  mag 
den  korinthischen  Stater  genannt  haben,  weil  in  seiner  Zeit  seit  [1017] 
Timoleon  die  syrakusischen  Dekalitren  das  Grepräge  korinthischer  Sta- 
teren hatten;  aber  sie  wiegen  nicht  wie  die  korinthischen  nur  8,50  g 
und  weniger,  sondern  8,72. 

Also  das  Gewicht  des  alten  attischen  Münzfußes  war  und  blieb 
in  Sicilien  —  und  noch  bis  in  die  Zeit  des  Agathokles  hinein  —  nor- 
mativ. Nur  zu  diesem  hatte  der  Nomos  ein  einfaiches  Verhältnis,  und 
den  Gewichtsänderungen,  die  in  Athen  eintraten,  folgten  die  Sikelioten 
nicht 

Über  die  Frage,  warum  die  Sikelioten  nicht  folgten  und  warum 
die  Athener  das  Gewicht  ihres  Silbergeldes  minderten,  wird  sich  Tiel- 
leicht  in  einer  späteren  Erörterung  über  das  attische  Münzwesen  die 
Antwort  ergeben. 

In  dem  ptolemäischen  Münzsystem  gab  es  kein  Silber  unter  der 
Drachme  Ton  3,57  g.  In  dem  sikeliotischen  System  ist  unter  der 
Drachme,  dem  Pünflitrenstück  noch  eine  ganze  Reihe  kleinerer  Nonü- 
nale  in  Silber  ausgeprägt,  nicht  bloß  bis  zur  Litra  hinab  (Ys  Drachme 
0,87  g),  sondern  Teüstücke  der  Litra  bis  zu  '/^j  Litra  (drei  Unzen) 
hinab:  also  noch  Silberstücke  von  0,21  g^ 

In  dem  heutigen  französischen  System  hat  das  kleinste  Silberstück 
(20  Cent)  0,9  g,  in  unserem  Marksystem  1,09  g,  davon  0,09  Legierung. 
Wie  stark  die  Legierung  des  sikeliotischen  Silbers  ist,  hat  man,  so  viel 
mir  bekannt,  noch  nicht  untersucht.  Wenn  die  Sikelioten  noch  Silber 


^  Das  Verzeichnis  dieser  Kleinstücke  giebt  Head  S.  80  und  zwar  ab  aus 
der  Zeit  von  480—846,  von  Hieron  bis  zum  Ende  Dionys  11;  es  sind: 

Zehner  von  0,72  g, 
Sechser    „    0,43  „ 
Fünfer     „    0,36  „ 
Vierer      „    0,29  „ 
Dreier      „    0,21  „ 


Zum  Finanzwesen  des  Dionysios  von  Syrakos  311 

ZU  0,21  g  aasprägten,  so  beMedigten  sie  damit  das  Bedürfnis  an  Klein- 
geld in  einer  Weise,  die  selbst  bei  der  großen  Wohlfeilheit  der  not- 
wendigen Lebensbedärfhisse,  wie  man  sie  in  Sicilien  erkennen  kann, 
dem  Eupfergelde  im  Verkehr  keine  bedeutende  Bolle  ließen.  War  noch 
ihr  Dreier  von  Silber,  so  vertrat  er  nach  dem  Verhältnis  von  250 : 1 
den  Wert  von  54,50  g  Kupfer,  d.  h.  74  ^^^  ^^^^  ^  Unzen.  Sie  mußten 
schon  1  Myriade  Litren  Kupfer  ausprägen,  um  400  Drachmen  zu  repräsen- 
tieren. Was  wollte  das  in  Dionys  I.  Zeit  sagen,  wo  ein  kluger  Kauf- 
mann in  Syrakus,  der  den  ganzen  Elsenhandel  der  Insel  an  sich  zu 
bringen  verstand,  mit  den  50  Talent  Silber,  die  bei  ihm  angelegt  waren, 
100  Talente  verdiente. 

Sind,  wie  Head  und  Poole  meinen,  die  Kupferdrachmen,  deren  Bück- 
seite mit  dem  Polypen  und  drei  Kugeln  bezeichnet  ist,  der  Zeit  [1018] 
zwischen  460  und  412  angehörig  und  bezeichnen  die  drei  Kugeln  sie  als 
Trianten,  als  Drei-Unzenstücke,  so  mußten  sie  nach  dem  Verhältnis  von 
250: 1,  wenn  ihr  Metallwert  dem  der  silbemen  Trianten  von  0,215  ent- 
sprechen sollte,  54,50  g  wiegen;  sie  wiegen  aber  nur  zwischen  3  und  4  g^; 
das  ergäbe  das  Verhältnis  von  18 : 1  bis  14 : 1.  Das  heißt:  diese  Kupferstücke 
haben  an  Metall  nicht  den  Wert,  für  den  sie  als  Geld  coursieren  sollten. 

Mochte  vor  Zeiten,  als  die  „BegeP^  festgestellt  wurde,  das  Silber 
gegen  Kupfer  in  Sicilien  250:1  gestanden  haben,  das  heißt,  mochten 
die  hellenischen  Händler  in  Syrakus,  Akragas  u.  s.  w.  den  Kombauem 
auf  den  Herrengütem  und  den  Viehzüchtern  aus  dem  Hinterland  das 
damals  noch  seltene  Silber  so  hoch  haben  anrechnen  können,  —  auf 
dem  allgemeinen  hellenischen  Markt  stand  Silber  gegen  Kupfer  gewiß 
nicht  so  hoch,  und  mit  der  steigenden  Silbereinfuhr  mußte  auch  in 
Sicilien  das  Silber  billiger  werden.  Wer  ein  Talent  Kupfer  als  Metall 
verkaufte,  begnügte  sich  dann  nicht  mehr  for  diese  120  Litren  Grewicht 
24  Drachmen  Silber  zu  erhalten.  Wenn  man  trotzdem  dabei  blieb, 
die  Doppeldrachme  Silber  als  Dekaliter  zu  bezeichnen,  so  mußte  man, 
damit  die  Bezeichnung  richtig  bleibe,  entweder  das  Gewicht  der 
Kupfermünzen  nach  dem  Marktpreis  des  Silbers  reducieren  oder  den 
Wert  der  Kupferstücke  nicht  mehr  nach  ihrem  Gewicht  gelten  lassen, 
wie  jener  Triant  viel  mehr  galt  als  er  Kupferwert  hatte;  d.  h.  man 


1  Poole  S.  168  führt  5  solcher  Stücke  auf,  die  4,08  —  3,36  —  3,24  — 
8,09  —  2,65  g  wiegen.  Die  von  Brandis  S.  590  angeführten  8  Stücke  der  Berliner 
Sammlung  wiegen  3,78  —  3,30  —  2,98  g.  Die  Hemilitren  aus  der  Zeit  des 
besten  Stils  und  ältere  (die  in  Silber  geprägt  0,43  wiegen)  müßten  in  Kupfer 
109  g  wiegen,  wiegen  aber  in  Akragas  22  bis  19  g,  in  Kamarina  25,60  bis  14,90, 
in  Himera  6,60  g,  wohl  ein  hinlänglicher  Beweis,  daß  schon  vor  Dionjs  L  Zeit 
Kupfer  nur  Scheidemünse  war. 


312  Zum  Fmanz Wesen  des  Dionysios  von  Syrakoa 

mußte  das  Kupfer  als  Scheidemünze  behandeln,  wenn  man  auch  fort- 
fuhr, nach  Nominalen  in  Kupfer  zu  rechnen. 

Die  bisher  besprochenen  Dinge  sind  von  den  neueren  Forschem 
zum  Teil  sehr  anders  gedeutet  worden.  Sie  nehmen  an,  daß  zweierlei 
Rechnungen,  die  nach  Kupferlitren  und  die  nach  Silberlitren,  neben 
einander  gegangen  seien,  daß  man  schwere  und  leichte  Litren,  jene  zu 
24,  diese  zu  12  Nummen,  unterschieden  habe,  daß  namentlioh  die 
Beduction  von  24  auf  12  einen  Staatsbankrott  bezeichne,  indem  ^eine 
Schuld  von  25  Drachmen  mit  5  Drachmen  getilgt  werden  konnte'^, 
also  ein  Concurs,  in  dem  nur  20  Prozent  gerettet  wurde;  sie  erklären, 
daß  diese  gewaltsame  Operation  „unzweifelhaft^^  dem  Tyrannen  Dionys  L 
zuzuschreiben  seL  In  den  Überlieferungen  findet  sich,  soviel  ich  sehe, 
keine  Spur  von  sol6hem  Concurs,  obschon  die  [1019]  gewiß  auch  den 
alten  Schriftetellem  wohl  bekannte  solonische  Schuld tilgung,  ein  Concors 
auf  73  Prozent,  das  Beispiel  einer  solchen  Finanzoperation  gab.  Die 
numismatischen  Thatsachen,  aus  denen  man  jenen  Staatsbankrott  des 
Tyrannen  gefolgert  hat,  führen  auf  eine  andere  Erklärung. 

Daß  Dionys  I.  das  Princip  der  Scheidemünze  für  einen  Wert  zu 
zu  gelten,  den  sie  nach  ihrem  Metallgehalt  nicht  hat,  auch  anderweitig 
zu  verwenden  versucht  hat,  wird  sogleich  zu  besprechen  sein.  Znvor 
muß  noch  ein  Wort  von  der  sogenannten  zweiten  Reduction  der  litra, 
der  von  24  auf  12,  gesagt  werden. 

Wie  man  zu  dieser  Beduction  kommen  konnte,  ist  vorher  ange- 
deutet worden.  Ist  es  möglich  noch  zu  erkennen,  fär  welche  der  beiden 
angeführten  Formen  man  sich  entschied,  um  sie  durchzuführen?  ob 
für  Beduction  der  Kupfermünze  auf  ihren  Metallwert  oder  für  das 
Princip  der  Scheidemünze?  Hypothetisch  wenigstens  darf  man  darauf 
zu  antworten  versuchen. 

Auch  in  der  guten  attischen  Zeit  sind  ein  paar  Versuche  mit 
Scheidemünze  gemacht  worden;  und  selbst  von  Fisenstücken,  die  als 
Wertscheine  oder  Münzzeichen  ausgegeben  worden  sind,  giebt  es  in 
anderen  hellenischen  Staaten  Beispiele.  Aber  im  Allgemeinen  mögen 
die  Griechen  kein  anderes  Geld  als  solches,  das  den  vollen  Metallwert 
hat,  für  den  es  gelten  will;  Scheidemünze  kommt  ihnen  wie  eine  Art 
Betrug,  wie  Falschmünzerei  vor;  und  gewiß  hat  nichts  mehr  dazu 
gethan  Dionys  I.  als  einen  großen  Hallunken  erscheinen  zu  lassen, 
als  daß  er  selbst  Zinu  als  Silbergeld  circulieren,  ja  dem  Silbergeld 
durch  eine  eingestempelte  Marke  den  doppelten  Wert  geben  ließ.  Bei 
der  großen  demokratischen  Reaction,  die  bald  nach  dem  Ausgang 
Dionys  II.  mit  Timoleon  eintrat,  war  gewiß  eine  erste  Sorge  der  Her- 
steller diese  Münzzeichen  zu  beseitigen,  falls  es  noch  nötig  war. 


Zum  Finanzwesen  des  Dionysios  von  Syrakus  313 

Wenn  Aristoteles  in  der  mehrfach  angeführten  Notiz  bei  PoUax 
sagt:  „d^  sikelische  Talent  sei  unter  allen  das  kleinste,  das  alte  habe 
24  Nnrnmen  gegolten,  das  spätere  12  Nommen'^,  so  ist  zunächst  klar, 
daß  dies  kleinere  Talent  noch  zu  seiner  Zeit,  Tor  Ol.  114,  eingeführt 
worden  ist.  Weiter  scheint  es  sich  von  selbst  zu  verstehen,  daß  nicht 
der  Nummos  in  seinem  Gewicht  geändert  wurde,  da  das  Silber  in 
der  griechischen  Welt  gleichsam  internationales  Geld  war,  nach  Piatos 
Ausdruck  noivbv  'EXXrjvixdv  vöfiifTfia,  während  Kupfer  und  tüsen 
inuner  nur  entweder  als  Waare,  oder  als  epichorisches  Geld  gelten 
konnte.  Auch  bei  den  Sikelioten  war  seit  Einfahrung  der  „Begel^^ 
Silber  thatsächlich  das  Wertmaß,  wenn  man  auch  das  geprägte  Silber 
nach  den  Nominalen  des  litrensystems  bezeichnete.  [1020]  Wenn 
Aristoteles  an  einer  anderen  Stelle  bei  PoUux  (IV  174)  sagt:  die 
Sikelioten  nennen  (nicht:  nannten)  den  Stater  Dekalitron,  so  blieb,  als 
jene  zweite  Reduction  erfolgt  war,  trotz  derselben  die  Doppeldrachme 
in  Silber  ein  Dekalitron,  und  es  war  nach  wie  vor  der  Nummos  die 
Hälfte  davon,  nach  wie  vor  120  Litren  ein  Talent  Aber  das  sicilische 
Talent  und  dessen  Stückelungen  nach  dem  Litrensystem  waren  in  ihrem 
Gewicht  auf  die  Hälfte  reduciert;  also  « 

1  Litra  früher      218  g,  jetzt      109  g, 

10     „         „         2180,,     „       1090,, 

1  sie.  Tal.  120     „        „      26160,,     „     13  080,, 

War  früher        10  Lit.  K.  (2180  g  K)  =  2  Drachmen  zu  8,73  g  S. 
so  waren  jetzt    10    „     „   (1090,,  „)  =2         „  „    8,73 gS. 

Stand  früher  Kupfer  zu  Silber  =  250:1,  so  jetzt  125:1  (genauer:  124,85:1). 

Head  hat  auf  Tab.  Y  ein  Reihe  syrakusischer  Kupfermünzen  zu- 
sammengestellt, die  er,  nicht  bloß  ihrem  Stil  nach,  den  Jahren  von 
345 — 317,  denen  der  von  Timoleon  hergestellten  Demokratie  und  Auto- 
nomie, zuschreibt;  in  erster  Beihe  zwei  Stücke  (von  34,2  bis  31,6  g  das 
eine,  das  andere  von  7,72  g),  deren  Vorderseiten  den  Kopf  der  Pallas 
mit  korinthischem  Helm  haben,  dann  andere  mit  dem  Kopf  des  Zeus  Eleu- 
therios,  andere  mit  dem  korinthischen  Pegasos  u.  s.  w.,  Stücke  bis  3,21 — 
1,9 — 0,38  g  hinunter.  Dies  erste  Stück  von  84,2  g  würde  als  ein  Dreier 
('/i2  Litra)  =  0,21  g  S.,  das  zweite  als  eine  Unze  (V12  Litra)  ==  0,07  g 
Silber  bezeichnet  werden  können.  Die  Stückelung  des  weiteren  zu 
verfolgen  liegt  außer  meiner  Aufgabe. 

Wenn  Aristoteles  (nach  PolluxIV  174)  in  der  Politik  der  Akra- 
gantiner  von  einem  Strafansatz  in  dieser  Stadt  auf  50  Litren  gesagt 
hatte,  daß  1  Litra  1  aiginäische  Obole  gelte  (6,20/6  g),  (und  an  einer 
zweiten  Stelle  (IX  87),  wo  er  von  dem  sikelischen  Talent  zu  früher  24, 


314  Zum  Finanzwesen  des  Dionysios  von  STrakos 

jetzt  12  Nnmmen  spricht,  bemerkt,  daß  ein  Nummos  3  attische  Halbobolen 
(sr  1,09  g  S.)  gelte,  so  können  beide  Angaben  nur  den  angefahren  VTert 
bestinunen  wollen,  aber  nicht  dazn  benutzt  werden,  durch  Multiplika- 
tion für  die  höheren  Nominale  in  Silber  deren  äquivalente  Grewichte 
in  Kupfer  zu  bestimmen. 

Nach  dem  Dargelegten  wird  man  annehmen  dürfen,  daß  in  den 
Finanzmaßregeln  des  ersten  Dionys  die  Beductipn  des  Kupfers  keine 
lucrative  Bolle  gespielt  hat;  selbst  wenn  er  seine  kupfernen  Trianten 
achtzehnmal  geringer  ausbrachte,  als  sie  nominell  neben  den  Trianten 
in  Silber  sein  sollten,  so  wäre  damit  kein  großer  Gewinn  zu  erzielen 
gewesen;  mit  je  10000  Trianten  hätte  er  500  Drachmen,  ungefähr 
130  Thaler,  über  den  Metallbetrag  dieser  Stücke  in  Cours  gesetzt 

Für  ihn  handelte   es  sich  bei  seinen  Festungsbauten,    bei   der 
großen  Marine,  die  er  schuf  und  erhielt,  bei  seinen  eisten  schweren 
[1021]  Kriegen,  dann  bei  seinem  Söldnerheer,  seinen  späteren  Feld- 
zügen, seinen  Colonisationen  u.  &  w.  um  Summen,  bei  denen  Millionen 
von  Trianten  nichts  verschlugen.  Vor  allem  seine  ersten  Jahre  mußten 
yoU  großer  finanzieller  Schwierigkeiten  sein.    Die  kleinen  Leute,  die 
Bauern  im  Zehntlande  und  der  städtische  Demos,  die  auf  seiner  Seite 
standen,  hatten  nicht  viel  zu  zahlen;  und  diejenigen,  welche  zahlen 
konnten,  die  Gamoren  und  Ritter,  die  Oligarchen,  die  Reichen  waren 
auf  das  hartnäckigste  wider  ihn,  bis  es  ihm  gelang,  sie  zu  Paaren  zu 
treiben,   gewiß   nicht  ohne   die  Mittel,   die   der  Principe  des  großen 
Florentiners  lehrt,  auch  die  orueltd  hm  usate.    Aber  es  gelang  ihm, 
wie  nach   außen   Frieden  und  Sicherheit,   so  im  Innern  Ruhe    und 
Ordnung  zu  schaffen  und  zu  erhalten.    Mit  dem  Ausgang  des  zweiten 
schweren  Krieges  gegen  die  Punier  395,  demnächst  mit  der  Occupation 
yon  Rhegion  und  Calabrien  war  die  Macht  und  die  große  politische 
Stellung  des  Dionys  I.  fertigt;  Sparta,  die  kyprischen  Könige,  die  Sa- 
trapen Kleinasiens  suchten  seine  Gunst,  und  die  Athener  nannten  ihn 
in   einem   Ehrendecret  von   393    Aiovimov   röv   2tx9Uaq   ägzowa 
(C.  I.  A.  II  51.  52,  Köhler  athen.  Mitteilungen  I  8.  4). 

Wir  sind  Ton  der  Steuerrerfassung  Siciliens  zu  wenig  unterrichtet, 
um  für  die  Erörterung  der  Finanzmaßregeln,  die  Dionys  traf,  von  ihnen 
ausgehen  zu  können,  und  selbst  von  der  lex  Hieronica  in  den  Ter- 
einen,  aus  der  uns  noch  das  beste  kommt,  ist  noch  nicht  entschieden, 
ob  sie  von  dem  Hieron  der  Perserkriege  oder  dem  König  Hieron  in 
Hannibals  Zeit  stammt    Auch  von  den  politischen  Formen  und  Re- 

^  Isocr.  Philipp.  65   trjXutavtrjy  de  9vvafjiiv  neffiaßnlsTO  nnl  nel^rfv  xa»  yorv- 


Zum  Finanzwesen  des  DionTsios  von  Sjrakus  315 

formen  der  sicilischen  Städte  ist  unsere  Kunde  weder  umfassend  noch 
sicher  genug,  um  von  da  aus  auf  die  Besteuerung  der  Gamoren,  der 
Zehntbauem  u.  s.  w.  Schlüsse  machen  zu  können.  Aus  dem,  was  uns 
noch  vorliegt,  sind  nur  unsichere  Ergebnisse  zu  gewinnen. 

Es  findet  sich^  so  viel  mir  bekannt^  keine  Spur  davon,  daß  Dionjs 
zur  Grundlage  seiner  Macht  den  gefällten  Schatz  gemacht  habe,  wie 
es  das  perikleische  Athen  gethan  hat,  nicht  ohne  die  Zuversicht,  mit 
solcher  finanziellen  tTberlegenheit  über  die  geldarmen  Feloponnesier 
der  Macht  über  die  Bündner,  der  „Tyrannis^^,  wie  Perikles  sie  genannt 
hat,  gewiß  zu  sein  und  zu  bleiben.  Dionys  hatte  am  wenigsten  in  seinen 
ersten  zehn  Jahren  daran  denken  können  Schätze  zu  sammeln;  genug, 
wenn  es  ihm  gelang,  so  viel  zu  schaffen  wie  nötig  war  nur  Syrakus 
gegen  die  Karthager  zu  behaupten.  Er  wird  die  Einsicht  gehabt  haben 
auch  des  weiteren  alles,  was  er  erübrigen  konnte,  in  der  Steigerung  und 
Vervollkommnung  der  Machtmittel  [1022]  anlegen  zu  müssen,  auf  denen 
seine  militärische  und  politische  Überlegenheit  beruhte,  auf  die  „diaman- 
tenen Ketten^'  wie  sein  Ausdruck  war,  mit  denen  er  das  Reich  geeint 
und  gebunden  seinem  Sohn  hinterlasse.  Und  man  sollte  meinen,  daß 
er,  so  wie  er  nur  erst  fest  im  Sattel  saß  und  das  tief  zerrüttete  Sicilien 
wieder  den  Mut  zu  friedlicher  Arbeit  gewann,  darauf  bedacht  gewesen 
sein  muß  die  unendlich  reichen  Hilfsquelleu  der  Insel  wieder  zu  be- 
leben und  den  Wohlstand  in  Stadt  und  Land  zu  fördern,  der  ihm  und 
dem  Staat  gegebenenfalls  statt  eines  Schatzes  sein  konnte,  —  nicht 
den  Reichtum  derer,  die  gewohnt  waren,  ,4hres  Geldes  zu  herrschen'^, 
sondern  den  der  kleinen  Leute  in  Stadt  und  Land,  die  so  lange  von 
jenen  monopolistisch  ausgebeutet,  zu  Parteizwecken  und  Straßenkämpfen 
mißbraucht  worden  waren. 

Freilich  die  große  Autorität  des  Aristoteles  tritt  solchen  Voraus- 
'  Setzungen  schroff  entgegen.  In  dem  Kapitel  seiner  Politik,  in  dem 
er  von  den  Künsten  spricht,  welche  die  Tyrannen  anwenden,  um  sich 
zu  sichern,  den  großen  Bauten  der  Peisistratiden  und  des  Polykrates, 
den  Horchern  und  Zuträgem  des  Hieron  ü.  s.  w.,  sagt  er  endlich :  „auch 
die  Zahlung  der  Steuern  gehört  hierher,  wie  in  Syrakus,  wo  man  unter 
Dionys  Regiment  in  fünf  Jahren  das  ganze  Vermögen  eingezahlt  hat'' \ 
Diese  kühle  Exemplification  des  großen  Denkers  ist  um  so  auffallender, 
da  er  ein  paar  Paragraphen  später  lehrt:  „der  Tyrann,  der  seine  Herr- 
schaft erhalten  wolle,  müsse  mehr  als  Verwalter  denn  als  Gebieter  seines 
Staats  erscheinen,  er  müsse  sich  in  Betreff  der  Abgaben  und  Leistungen 

^  Arist.  Pol.  V  11,   8  xai  rj  eitrfpOQCt   tov  tBXuVj   olov  ir  J/VQttxovaatg'   ip 
nhrte  Y^Q  ifveaip  ini  Jiowaiov  ri]v  ovalar  anaaur  Biaevrjvoxipoii  awdßaipe. 


316  Zum  Finanzwesen  des  Dionjsios  von  Syrakus 

[ÜGtpoQccl  xal  XaiTOVQyiai)  das  Ansehen  geben  sie  der  StaatsTerwaltong 
wegen  oder  für  den  Fall  eines  möglichen  Krieges  zn  fordern,  überhaupt 
sich  als  Wächter  und  Handhaber  der  öffentlichen,  nicht  seiner  eigenen 
und  Privatinteressen  zeigen;  dann  brauche  er  nicht  zu  fürchten,  daß 
es  ihm  je  an  Geldmitteln  fehlen  werde,  so  lange  er  Herr  des  Staates 
sei ;  aach  wenn  er  abwesend,  sei  ihm  das  besser  als  aufgehäufte  Schätze 
daheim  zu  haben,  die  andere  an  sich  bringen  und  gegen  ihn  verwenden 
könnten^'.     Jene  auf  dem  Wege  fünfjähriger  Besteuerung  gemachte 
Confiscation  des  ganzen  Vermögens  {rijv  ovtriav  änaaav)  kann  weder 
eine  allgemeine  noch  dauernde  Maßregel  gewesen,  noch  kann  sie  über- 
haupt in  dieser  Form  zur  Anwendung  gekommen  sein.    In  dieser  Form 
nicht;  wenn  alles  Hab  und  Gut  der  Einwohner  —  denn  der  Ausdruck, 
den  Aristoteles  braucht,  beschränkt  sich  weder  auf  die  tpavegä  ova/a 
noch  auf  das  Tifirjiiay  noch  auf  gewisse  Kategorien  der  Bevölkerung  — , 
wenn  also  in  fünf  Jahren  [1023]  ihr  bares  Geld  und  ihre  zinstragenden 
Kapitalien,  ihr  ländlicher  Besitz  mit  dem  lebenden  und  toten  Inventar, 
ihre  Häuser  in  den  Städten,  ihre  Werkstätten  mit  allen  Werkzeugen 
und  Vorräten  auf  dem  Wege  der  Besteuerung  confisciert  waren,   wer 
war  dann  noch  im  stände  zu  verdienen  und  zu  steuern?     Mag  als 
Strafe  etwa  für  eine  Stadt,  die  sich  empört,  für  die  Reichen  in  ihr,  die 
die  Empörung  veranlaßt,  mit  den  Karthagern  Verrat  gesponnen  hatten, 
die  gründlichste  Confiscation  verhängt  worden  sein,  —  dies  langsam  ab- 1 
tötende  fünfjährige  Verfahren  insgemein  wäre  so  sinnlos,  daß  man  es 
weder  mit  der  Absicht  nicht  durch  plötzliche  Wechsel  des  Besitzes  dessen 
Wert  zu  mindern,  noch  mit  der,  dessen  werbende  Thätigkeit  nicht  zu 
unterbrechen,  zu  erklären  wird  versuchen  wollen.    Wie  groß  immer 
die  Autorität  des  Aristoteles  sein  mag,  diese  Angabe  ist,  so  wie  er  sie 
giebt,  von  sehr  zweifelhafter  Natur,  vielleicht  nur  eine  Anekdote,  wie 
man  sie  sich  in  den  Kreisen  der  Akademie  in  der  Zeit  als  Aristoteles 
noch  zu  ihr  hielt,  erzählt  und  geglaubt  haben  mochte,  —  vielleicht 
nicht  einmal  eine  originale.    Denn  von  dem  korinthischen  Tyrannen 
Kypselos  wurde  erzählt,  er  habe  dem  Zeus  alles  Vermögen  der  Ko- 
rinthier  gelobt,  wenn  er  Tyrann  werde,  habe  dann  deren  Geld  und 
Gut  katastrieren  lassen,  davon  jährlich  den  Zehnten  gefordert  und  auf 
diese  Weise  in  zehn  Jahren  so  viel  erhoben,  wie  der  Kataster  beim 
Beginn  seiner  Tyrannis  besagt  habe;  die  Korinthier,  wird  ausdrücklich 
hervorgehoben,  seien  „darüber  nicht  verarmt^';  denn  bei  dem  Zehnten 
blieb  ihnen,  da  man  auch  später  noch  den  Pachtzins  auf  wenigstens 
8  Prozent  vom  Grundwert,  den  Zins  von  Kapitalien  auf  12  bis  18  und 
mehr  Prozent  rechnete,  immer  noch  ein  Überschuß  und  außerdem  das 
werbende  Kapital.     Daß  der  natürlich   viel  schlimmere  Tyrann  von 


Zam  Finanzwesen  des  Dionjsios  von  Syrakus  317 

Syrakns  20  Prozent  zahlen  laßt  und  zwar  nicht  yom  Einkommen, 
sondern  von  allem  Besitz  —  denn  sonst  wäre  nicht  in  fünf  Jahren 
^  oiaia  &naaa  dahin  gewesen,  —  macht  die  ganze  Geschichte  verdäch- 
tig eine  bloße  Steigerung  der  Geschichte  von  Eypselos  zu  sein,  — 
einer  Jagdgeschichte,  die  Herodot  noch  nicht  kennte  und  die  vielleicht 
in  Olympia  Angesichts  des  goldenen  Zensbildes,  welches  Eypselos  ge- 
weiht haben  sollte,  von  den  Fremdenführern  erzählt  nnd  von  den 
Autoren,  die  Pausanias  ausschrieb,  ihnen  nacherzählt  sein  mag^. 

Unter  den  anderen  Anekdoten  über  Finanzmaßregeln  des  Diohys  I. 
sind  zwei,  die  für  unsere  Zwecke  ein  größeres  Interesse  haben,  beide 
[1024]  im  zweiten  Buch  der  Oeconomica.  Nach  der  einen  hat  er  eiumal 
eine  Anleihe  bei  den  Bürgern  gemacht  und  als  sie  dann  Rückzahlung 
gefordert,  ihnen  befohlen  was  sie  an  Silbergeld  hätten  ihm  zu  bringen ; 
er  habe  dann  auf  jedes  Stück  eine  Marke  schlagen  lassen  und  befohlen, 
daß  jedes  so  gezeichnete  Stück  für  den  doppelten  Wert  gelten  solle, 
eine  Drachme  für  zwei  u.  s.  w.  „und  so  lieferten  sie  ihm,  was  er  ihnen 
schuldig  war'^  Die  andere  Angabe  besagt:  er  habe  Zinn  statt  Silber 
prägen  lassen  und  dann  in  einer  Ekklesie  mit  vielen  und  eindring- 
lichen Gründen  ihnen  dies  Geld  empfohlen,  und  sie  hätten  beschlossen 
das  Zinn  für  Silber  zu  halten  und  zu  nehmen.  PoUux  (IX  79)  ergänzt 
diesen  Vorgang  mit  der  Angabe,  daß  solche  Zinndrachmen  vier  attische 
Drachmen  statt  einer  gegolten  hätten,  eine  Angabe,  die  neuerer  Zeit 
'  mit  Unrecht  so  gedeutet  worden  ist,  als  habe  Dionys  den  Wert  der 
Silberdrachme,  des  Nunmios,  auf  das  Vierfache  erhöht  und  damit  das 
ganze  Litremystem  rednoiert. 

Beide  Formen,  das  Zinngeld  so  gut  wie  das  gestempelte  Silber- 
geld, waren  Versuche  ein  Princip  weiter  und  ergiebiger  durchzuführen, 
das  schon  mit  den  Küpfertrianten  von  3 — 4  g,  wenn  das  früher  darüber 
Gesagte  stichhaltig  st,  in  Sicilien  Eingang  gefunden  hatte.  Beide,  nach 
der  neueren  Bezeichnung  Notmünzen  oder  vielmehr  Münzzeichen  (Myn- 
teteken  wie  in  Schweden  in  Karls  XU.  Zeit)  basieren  auf  den  Kredit, 
den  die  öffentliche  Machte  die  sie  ausgiebt,  hat  oder  fordert  Und  in- 
dem sie  denselben  nur  fordern  und  aufrecht  halten  kann,  wenn  sie 
diese  Wertzeichen  selbst  an  ihren  Kassen  zu  dem  vollen  W^erte  an- 
nimmt, für  die  sie  sie  ausgegeben  hat,  so  haben  sie  ihre  Garantie  in 
dem  Bestände  des  Staates  und  seines  anerkannten  Regimentes;  sie 
sichern  so  ihrerseits  den  Bestand  dieses  Staates  und  seines  Regiments 

'  Nach  Arist  Pol.  V  8,  4  gehört  Kypselos  nicht  zu  denen,  die  fix  xw 
ufiiüv  Tyrannen  geworden  sind;  nach  der  Erzählung  des  Nicol.  Dam.,  die  wohl 
aus  dem  Ephoros  stammt,  ist  Kypselos  Polemarch  gewesen,  und  so  könnte  er 
allerdings  eine  Katastrierung  veranlaßt  haben,  bevor  er  Tyrann  war. 


318  Zvaxk  Finanzwesen  des  Dionysios  von  STrakus 

durch  das  Interesse  aller  dessen  Kredit  zu  erhalten.  Nnr  wenn  regel- 
mäßige Zinsen  oder  Prämien  in  irgend  einer  Form  an  sie  geknüpft 
wären  oder  ein  wechselndes  Agio  der  kaufmännischen  Berechnung 
Raum  böte,  würden  sie  die  Spekulation  des  Auslandes  locken  können; 
ohne  solche  Lockungen  werden  sie  auf  den  inneren  Verkehr  be- 
schränkt sein. 

Und  mit  dieser  Beschränkung  scheint  sich  noch  ein  weiter» 
Moment  zu  ergeben,  das  mit  diesen  Maßregeln  des  Dionys  entweder 
beabsichtigt  war  oder  deren  Wirkung  sein  mußte. 

Neuster  Zeit  ist  bei  den  lebhaften  Erörterungen,  ob  Goldwahrung 
oder  Bimetallismus,  der  Vorschlag  gemacht  worden  das  Silber ,  dessen 
Entwertung  die  Folge  der  immer  weiter  sich  verbreitenden  Gold- 
währung ist,  zu  einer  Art  epichorischen  Geldes  zu  machen,  um  weiteren 
schweren  Verlusten  an  dem  massenhaft  vorhandenen  geprägten  und 
verarbeiteten  Silber  vorzubeugen  und  nicht  auch  far  den  inneren 
[1025]  Verkehr  Gold  immer  teurer  kaufen  zu  müssen,  das  Gold  wesent- 
lich auf  den  internationalen  Verkehr  zurück  zu  schieben,  indem  kein 
Gold  unter  20  Mark  ausgeprägt,  keine  Bankscheine  unter  100  Mark 
ausgegeben  werden  sollen.  In  dem  syrakusischen  Fall  handelte  es  sich 
nicht  darum  die  Entwertung  des  Silbers  zu  hemmen,  sondern  dem 
Abfluß  desselben  vorzubeugen. 

Eine  andere  Seite  in  der  Pathologie  des  Geldwesens  illustriert 
das  System  der  Mynteteken,  das  König  Karl  XII.  schon  1711  in  Bender 
geplant,  dann  durch  sein  Beeret  Stralsund  14/25.  März  1715  ange- 
ordnet und  durch  Baron  von  Görz  in  Ausführung  gebracht  hat.  Zu- 
gleich wurde  der  Münzfaß  der  courrenten  Eupferplatten  von  zwei  auf 
drei  erhöht,  bald  zu  den  Münzzeichen  „Erone^,  ^publica  fide^  ,^nk 
och  fardig^'  und  wie  sie  weiter  heißen  auch  Münzzettel  ausgegeben, 
bis  endlich  mit  dem  Tode  des  Königs  das  ganze  System  zusammen- 
brach. Man  hatte  im  Laufe  von  fünf  Jahren  allein  an  Münzzeichen 
für  nominell  34  424  600  ThL  S.-M.  ausgegeben,  deren  Realwert  (nach 
dem  damaligen  Eupferpreise  von  150  Thl.  Silbermünze)  180900  ThL 
8.-M.  betrug,  also  im  Verhältnis  von  190:1,  und  die  regelmäßige 
Jahreseinnahme  des  Eönigreichs  war  zwischen  3 — 5  MilL  Thl.  S.-M. 
Earl  XII.  war  der  Hofhung  mit  der  Fortsetzung  des  Erieges  die  ver- 
lorenen Gebiete  der  Erone,  die  reichen  Provinzen  Esthland  und  Liev- 
land,  Pommern  und  Rügen,  Bremen  und  Verden  wieder  zu  gewinnen, 
wenigstens  Norwegen,  vielleicht  Westpreußen  hinzu  zu  erobern;  mit 
jenen  finanziellen  Maßregeln  schaffte  er  sich  eine  außerordentliche 
Einnahme  von  34  Mill.  Thaler,  jene  Eroberungen  hätten  die  Summe 
dieser  fiktiven  Werte  vollauf  gedeckt  und  seine  finanziellen  Wagnisse 


Zum  Finanzwesen  des  Dionjsios  von  Syrakua  319 

gerechtfertigt.  Bei  dem  Beginn  der  Erobemng  Norwegens  fiel  er. 
Den  militärischen  und  politischen  Bankrott  Schwedens  besiegelte  der 
finanzielle. 

Vielleicht  gewinnt  aus  dieser  Gegenstellung  die  Geschichte  des 
Dionys  einiges  Licht.  Als  er  sein  Regiment,  richtiger  seine  ürsur- 
pation,  begann,  war  der  Bankrott  des  Griechentums  in  Sicilien,  der  poli- 
tische, militärische,  finanzielle  in  vollem  Zuge.  Dem  mächtigen  Vor- 
dringen der  Karthager  seit  409  waren  Selinunt,  Himera,  Akragas,  Gela 
gefallen;  alles,  was  sie  dort  fanden,  die  Menschen,  die  Herden,  die 
Äcker  und  Häuser,  wie  das  bewegliche  Vermögen,  war  ihre  Beute  ge- 
worden, die  Weingärten,  die  Olpflanzungen,  die  Tempel  zerstört,  Akragas 
namentlich,  mit  ihren  mehr  als  20  000  Bürgern  und  200  000  Metöken 
die  größte  Stadt  der  damaligen  Griechenwelt,  „von  unglaublichem 
Beichtum^',  wie  ein  alter  Schriftsteller  sagt,  und  dem  entsprechender 
Üppigkeit  und  Pracht,  wie  die  überlieferten  Beispiele  von  Tellias, 
Exainetos,  Antisthenes  zeigen  (Diod.XIII  83),  lag  nun  [1026]  ausgeraubt, 
verödet  und  in  Trümmern.  Und  der  nächste  Stoß  des  furchtbaren 
Feindes  war  auf  Syrakus  gerichtet.  Unter  Führung  des  Dionys  mit 
der  höchsten  Anstrengung  gelang  es  404  noch  das  Äußerste  abzuwehren ; 
aber  man  mußte  eines  neuen  schwereren  Angriffes,  des  Schicksals  von 
Akr^^as  gewärtig  sein. 

Aus  diesen  entsetzlichen  Vorgängen  wird  man  auf  den  wirt- 
schaftlichen Zustand  des  Griechentums  in  Sicilien  schließen  dürfen. 
Vor  allem  an  seinen  Zahlungsmitteln,  seinem  Vorrat  an  Edelmetallen 
mußte  es  ungeheure  Verluste  erlitten  haben  und  täglich  noch  erleiden, 
da  jeder  in  dem  noch  nicht  verknechteten  Teil  der  Insel  sich  beeilt 
haben  wird,  was  er  an  Kapitalien  besaß,  auswärts  anzulegen. 

Ohne  Geld  waren  keine  Söldner  zu  werben,  keine  Schijffe,  Kata- 
pulten, Festungswerke  zu  bauen,  keine  Waffen  herzustellen.  Aber 
woher  Geld  schaffen?  welcher  Staat,  welcher  Tempelschatz,  welche 
Privaten  in  Tarent,  Korinth,  Sparta  oder  wo  sonst  dra.ußen  hätten 
der  Stadt,  die  heut  oder  morgen  ab  und  tot  sein  konnte,  eine  Anleihe 
gewähren  sollen?  Wollte  Dionys  versuchen  sie  und  damit  die  letzte 
Deckung  des  sicilischen  Griechentums  zu  retten,  so  mußte  er,  in 
welcher  Art  immer,  alles  noch  vorhandene  und  sich  verbergende  Edel- 
metall in  die  Staatskasse  ziehen,  er  mußte  zugleich  den  Mangel  an 
umlaufenden  Wertsummen,  wenn  auch  nur  in  der  Form  von  Not- 
münzen und  Geldzeichen,  von  epichorischem  Gelde  in  möglichst  aus- 
gedehntem Maße  ergänzen.  Er  konnte  es,  wenn  seine  Waffen  Erfolg 
hatten;  fehlte  dieser,  so  ging  doch  alles  und  nicht  bloß  diese  Masse 
fingierter  Werte  zu  Grunde. 


320  2um  Finanzwesen  des  Dionjsios  von  Sjrakus 

Wenn  Dionys  die  Mündelgelder  aus  den  Händen  der  Yomiander 
nnd  in  die  Verwaltung  des  Staates  nahm,  so  war  das  eine  rerzin^ 
liehe  Anleihe,  —  eine  Zwangsanleihe,  wenn  er  alles  Silbergeld    ein- 
forderte und  es  dann,  als  die  Bückzahlong  gefordert  wurde,  mit  einer 
Marke  versehen  zu  dem  doppelten  Wert  zurückgab  u.  s.  w.    Mit  jener 
Marke  verdoppelte  er  den  nominellen  Wert  des  umlaufenden  Greldes, 
mit  den  fast  wertlosen  Zinndrachmen,  die  als  Tetradrachmen  in  Cooi^ 
gesetzt  wurden,  schuf  er  sich  nominelle  Werte,  die  den  nächstweiteren 
Bedarf  decken  mochten.     Beides  waren  gleichsam  innere  Anleihen, 
unverzinsliche,  und  daß  in  der  Ekklesie   die  Masse  des  Volkes   die? 
Zinsgeld   für  Silber  nehmen   und  halten  zu  wollen  beschloß,    zeigte^ 
daß   es  entschlossen   war   alles  an  die  Bettung  der  Stadt  zu  setzen, 
wenn  auch  die  Beichen  und  Oligarchen,  um  wenigstens  ihr  Geld  zu 
retten,  immer  neue  Versuche  machten  den  Tyrannen  zu  stürzen  und 
die  „Freiheit"  herzustellen.    Wenn  jenes  Silber,  das  dann  mit  der  Marke 
versehen  wurde,  zurückgefordert  werden  konnte,  so  muß  Dionys  bei  der 
Einzahlung  sich  verpflichtet  haben,  das  ihm  [1027]  anvertraute  Geld 
in  bestimmter  Frist  zurückzuzahlen.    Es  wird  nicht  überliefert,   ob  er 
dann  in  besseren  Zeiten  jene  Massen  Notgeld  und  Münzzeichen  aus 
dem  Verkehr  zurückgezogen  oder  nur  verrufen,  d.  h.  ob  er  den  Verlust 
den  Privaten  aufgebürdet  oder  ihn  mit  den  Mitteln  des  nun  gesicherten 
und  mächtigen  Staates  gedeckt  habe.    Wenigstens  hat  sich  unter  den 
zahlreichen  siciUschen  Münzen  dieser  Zeit  bisher  auch  nicht  ein  mit 
der  Marke  versehenes  Silberstück,  geschweige  denn  eine  jener  Zinndrach- 
men gefunden. 

Der  Zeit  dieser  Tyrannis  werden  von  den  Kundigen  zahlreiche 
Silber-  und  Goldmünzen  zugeschrieben,  .namentlich  silberne  Tetra- 
drachmen mit  dem  Eopf  der  Arethusa  auf  der  einen,  dem  Viergespann 
im  vollen  Lauf  und  der  schwebenden  Nike,  die  den  Siegeskranz  bringt 
auf  der  anderen  Seite,  Münzen  von  wundervollstem  Grepräge,  zum  Teil 
von  den  Künstlern,  die  die  Stempel  geschnitten,  Konon,  Euauietos^ 
Eumenes  u.  a.  mit  ihren  Namen  versehen.  Den  Namen  des  Tyrannen 
trägt  keine. 


xin. 

Zum  Münzwesen  Athens. 

Sitzangsberichte  der  Königl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin  1882 

S.  1193  ff. 
(Vorgelegt  am  21.  Dezember  1882) 

I. 

[1193]  In  den  Bemerkungen  zum  Finanzwesen  des  älteren  Dionys 
Ton  Sjrakus  ist  gelegentlich  erwähnt  worden,  daß  Ton  den  Sachkun- 
digen das  SUbergeld  der  guten  attischen  Zeit  dem  Gewicht  nach  in 
zwei  Arten  unterschieden  werde,  in  der  einen,  der  früheren 

die  Tetradrachme        die  Drachme 
bis  zu  17,464  g,  4,366  g, 

in  der  anderen,  der  späteren 

bis  zu  17,34    „  4,336,, 

Ist  man  befugt,  in  diesen  Ziffern  normale  Gewichte  zu  erkennen? 

Es  mag  dahingestellt  bleiben,  ob  die  sogenannten  Wappenmünzen, 
ohne  Schrift  und  auf  der  Bückseite  so  gut  wie  durchgehend  mit  dem 
Quadratvm  incusmn,  attische  Münzen  sind;  die  erhaltenen  Stücke  sind 
außer  kleineren  Nominalen  meist  Didrachmen,  einige  Drachmen,  wenige 
Tetradrachmen;  sie  reichen  hinauf  bis 

17,40  g,     8,59-8,71  g,     4,20  g, 
sie  sinken  hinab  bis 

17,00,,  7,70,,     3,90,, 

Aber  eben  so  sinken  die  sicheren  attischen  Tetradrachmen  und  Drach- 
men. Bei  dem  verschiedenen  Zustand  der  Erhaltung  oder  Abnutzung 
dieser  Münzen  ist  auf  dem  Wege  der  Wägung  kein  sicheres  Maß  für 
ihr  normales  Gewicht  zu  gewinnen. 

Damit  ist  ein  Funkt  berührt^  über  den  zwei  der  jetzt  namhaftesten 
Numismatiker  verschiedener  Meinung  sind.     Nach  Hm.  Friedlaenders 

Droysen,  Kl.  Schriften  n.  21 


322  ^um  Münzwesen  Athens 

Ansicht  (v.  Sallet  Numismat.  Zeitschr.IX  S.  101)  muß  man,  wenn  durch 
Wägungen  das  normale  Gewicht  eines  Nominals  festgestellt  werden 
soll,  dem  Gewicht  des  besterhaltenen  Exemplars  immer  noch  etwas 
hinzurechnen.  Hr.  Imhoof- Blumer  dagegen  meint,  daß  das  nur  für 
Goldmünzen  insgemein,  für  Silbermünzen  nur  bei  denen,  die  nach 
dem  fünften  Jahrhundert  geprägt  sind,  gelten  könne,  da  vor  dieser 
Zeit  gleiche  Nominale  in  Silber,  selbst  solche,  die  noch  fast  stempel- 
frisch erscheinen,  oft  um  ein  Merkliches  differieren  (in  den  Monats- 
berichten [1194]  der  BerL  Akad.  1866  S.  656  und  mit  einigen  Erweite- 
ningen  in  dem  Annuaire  de  Numismatique  1882,  Separatabdruck  Sw  5;. 

Solche  Differenzen  —  und  in  einzelnen  Fällen  steigen  sie  bis  zu 
10  Prozent  —  konnten  nur  bei  höchst  unzulänglicher  Justierung  ent- 
stehen; sie  mußten  den  Verkehr,  wenn  es  sich  um  irgend  nanihaft4' 
Summen  handelte,  in  unerträglichster  Weise  stören,  ja  dahin  führen. 
daß  man  im  innem  Verkehr  bei  100,  bei  50  Drachmen  schon  nicht 
mehr  zahlte,  sondern  wog,  Agio  forderte  und  zahlte,  kurz  alle  wesent- 
lichen Zwecke,  die  mit  der  Prägung  von  Staatswegen  erreicht  werden 
sollten,  einbüßte. 

Die  Athener  rühmten  sich  das  schönste  Silbergeld  zu  haben:  „rein 
und  fein"  {ov  xexißStiXsvfiivov)  „von  richtigem  Gewicht"  {dg&cig  xo^ir) 
„wohl  geprobt"  (ei  xaxwSfoviafdvoff  Arist.  Ran.  720).  Daß  sie  tech- 
nisch genau  zu  justieren  verstanden,  zeigt  ihre  Goldprägung^;  wie 
sollten  sie  nicht  auch  ihr  Silbergeld  nach  fester  Norm  geprägt,  wie 
namentlich  ihr  Großstück,  die  Tetradrachme,  nur  so  ungefähr  richtig 
„bis  gegen  17,50  g"  ausgebracht  haben?  Und  eben  so  andrerseits: 
„fremde  Kaufleute"  sagt  Xenophon,  „die  für  ihre  Waren  statt  Rück- 

^  Der  attische  Goldstater  wiegt  in  den  erhaltenen  Exemplaren  bis  8,60 
und  8,64  g.  Nach  den  Wägungen  des  Berliner  Münzkabinetts  geben  die  aas- 
gelegten Stücke 

der  Stater 8,60   g 

der  halbe  Stater 4,30   „ 

der  viertel  Stater 2,144,, 

der  sechstel  Stater 1)435,, 

der  zwölftel  Stater 0,715,, 

also  das  letzte  Stück,  der  Goldobol,  nur  um  0,0016  weniger  als  ^Z^,  von  8,60  g. 
AVeitere  Nominale  giebt  Beulä  Monnaies  d* Äthanes  S.  42,  nämlich  Goldstückcheii 
von  0,55—0,35  (Halbobolen)  —  0,17—0,8  g.  Die  kleinsten  attischen  Silber- 
münzen, der  Halb-  und  Viertelobol,  die  als  ^/|,  und  ^/s4  Drachme 

wiegen  sollten,  wiegen  noch 

0,3613 0,35 

0,1801 0,18 

und  das,  obsehon  die  kleinsten  Stücke  in  der  Circulation  natürlich  sich  am  meisten 
abnutzten. 


Zam  Münzwesen  Athens  323 

fracht  aus  Athen  attisches  Silbergeld  heimbringen,  machen  ein  gates 
Geschäft;  denn  wo  immer  sie  es  verkaufen,  erhalten  sie  Aufgeld"^; 
natürlich  weil  es  mehr  wert  war,  mehr  Silber  enthielt  als  z.  B.  syra- 
kusische  Tetradrachmen  nach  demselben  Münzfuß,  die  jenem  an  Kunst 
und  Schönheit  weit  überlegen  waren.  Also  man  verstand  sehr  wohl 
den  Feingehalt  zu  erkennen  uad  zu  controllieren ;  wie  der  Trapezit,  der 
Axgyrognomon  dabei  verfuhr,  wissen  wir  nicht*. 

Silbergeld  verliert  durch  die  Circulation  nicht  unbedeutend  an  Ge- 
wicht. Nach  den  von  Karmarsch  (Handbuch  der  Technologie  I  [11 95] 
S.  545)  angestellten  Wägungen  zahlreicher  Thalerstücke  von  1857  hat 
jedes  in  Prozenten  des  ursprünglichen  Gewichts  durchschnittlich  eine 
jährliche  Minderung  von  0,0242  erlitten.  Dürfte  die  Circulation  attischer 
Tetradrachmen  eben  so  rasch  und  angreifend  gedacht  werden  wie  die 
der  Thaler  Vereinsgeld  von  18,51  g,  so  würde  die  Tetradrachme  von 
17,464  nach  10  Jahren  auf  17,42,  nach  50  Jahren  auf  17,25,  nach 
200  Jahren  auf  16,61  gesunken  sein.  Ihr  Umlauf  war  vielleicht 
minder  hastig,  dafür  ihr  Silber  weicher  als  das  mit  10  Prozent  Kupfer 
legierte  Silber  der  Thaler.  Wenn  die  Legierung  des  älteren  attischen 
Silbers,  wie  nachgewiesen  ist,  nur  2  Prozent  betrug,  so  verlor  das  Geld- 
stück um  so  schneller  an  seinem  Gewicht^.  Daß  die  zu  leicht  ge- 
wordenen Zehn-,  Vier-,  Eindrachmenstücke  weder  verrufen  noch  zu 
vollem  Wert  eingezogen  wurden,  scheint  aus  dem  Zustand  der  erhaltenen 
Stücke  sich  zu  ergeben. 

IL 

Sicherem  Boden  für  unsere  Frage  geben  die  noch  vorliegenden 
positiven  Zeugnisse  über  die  Normierung  des  attischen  Silbers  seit 
Selon.  Freilich  sind  es  drei  voneinander  abweichende  Angaben,  mit 
denen  man  zu  rechnen  hat. 

1.  Plutarch  giebt  nach  Androtion  an  (Sol.  15):  „Selon  habe  die 
Mine  auf  100  Drachmen  gesetzt,  während  sie  bis  dahin  nur  73  gezählt 

^  Xenoph.  de  redit.  III  2  nleVov  tov  a^/eeiov  Xafißavovieg, 
'  Lucian  Hermotim.  c.  64  xai  vna(^8iv  troi  xaxä  tovg  aqfvqoYVüi^ovoLg  öut- 
ifirpfduaxBi^  ä  T6  ööxifjia  xai  dxißdrjla,  xai  a  naqotxsxqov^eva, 

^  Daß  von  den  uns  erhaltenen  Tetradrachmen  zahlreiche  unter  17,00  ja 
unter  16,50  g  wiegen,  scheint  zu  erweisen,  daß  auch  die  arg  abgenutzten  Stücke 
noch  in  Kurs  blieben.  Man  könnte  versuchen  aus  ihrem  Gewicht  zu  berechnen, 
wie  lange  sie  in  Kurs  geblieben,  wenn  man  genau  sagen  könnte,  wieviel  sie  bei 
ihrer  schwachen  Legierung  durchschnittlich  im  Jahr  verlieren  mußten,  und  mehr 
noch,  was  die  spftteren  Jahrhunderte,  wo  so  viele  von  ihnen,  in  der  Erde  oder  den 
Trümmern  des  Altertums  gefunden,  als  Agraffen,  Halsschmuck,  Gehänge  u.  s.  w. 
getragen  worden  sind,  von  ihnen  abgenutzt  haben. 

21* 


324  Zum  Münzwesen  Athens 

habe/^  —  wie  längst  anerkannt  ist,  ein  verkehrter  Ausdnick  Plutarchs, 
der  in  seiner  Quelle  gefanden  haben  mag,  daß  Solon  aus  73  alten 
Drachmen  100  nene  gemacht  habe. 

2.  Ein  Yolksbeschluß  aus  später,  vielleicht  mithradatischer  Zeit 
(C.  I.  A.  II  476)  sagt:  die  Handelsmine  (^  fivä  i]  kpLnoQixt})  soll  wiegen 
138  Drachmen  nach  den  Gewichten  in  der  Münzanstalt  {nQoq  xä 
(Trdtffiia  TU  kv  r^  AQyvQoxontiq)).  Also  nach  den  Normalgewichten 
för  die  Prägung  ist  hier  die  Regel  für  das  Handelsgewicht  bestimmt. 

3.  Böckh  (MetroL  Untersuchungen  S.  120)  hat  höchst  scharfsinnig 
aus  einer  Stelle  des  Friscian^  nachgewiesen,  daß  nach  Dardanos,  auf 
[1196]  den  sich  Friscian  beruft,  das  Verhältnis  des  Handelsgewichts 
zum  Münzgewicht  auf  100:138%  normiert  gew^en  ist 

Daß  durch  die  solonische  Reduction  ein  Talent  geschaffen  wurde 
von  26  196  g  Gewicht,  erhellt  wohl  mit  Sicherheit  aus  der  in  einem 
frühem  Vortrag  besprochenen  Reduction  des  alt-sicilischen  Litrensy- 
stems  ujid  die  Begründung  des  reducierten  auf  den  Nummos,  d.  h«  auf 
die  attische  Didrachme  zu  8J32  g  [oben  S.  306  ff.]. 

Und  wenn  das  solonische  Talent  von  26  196  g  durch  Reduction 
der  Drachme  nach  dem  Verhältnis  von  73:100  entstanden  ist,  so  war 
die  Silbermünze,  die  Solon  vorfand  und  reducierte,  nach  dem  Handels- 
gewicht, das  bis  spät  hinab  in  Athen  in  Geltung  geblieben  ist,  geprägt 
gewesen,  das  Talent  zu  36  166  g,  die  Drachme  also  zu  6,026  g  —  d.  h. 
nach  dem  sogenannten  aiginäischen  Fuß. 

Die  folgende  Tabelle  giebt  die  Gewichte  nach  den  vier  genannten 
Systemen  in  Grammen: 

Talent  Mine  Tetradrachme  Drachme 

vorsolonisch 36 156  602,6  24,104          6,026 

zu      73:100 26  393  439,883  17,59533      4,3988 

„     100:138 26196  436,6  17,464          4,366 

„    100:1387^  ....        26010  433,5  17,34            4,335 

Wenn  das  Jitrensystem,  das  vor  Ol.  70  in  Sicilien  neu  geordnet 
worden  ist,  auf  ein  Silbertalent  von  26  196  g  führt,  so  muß  man  aus 
der  freilich  unklar  von  Plutarch  ausgedrückten  Angabe  in  der  Atthis 
des  Androtion  entweder  schließen,  daß  nach  Solon  —  sagen  wir  in 
der  Zeit  der  Peisistratiden  —  das  Münzgewicht  um  ein  nicht  Unbe- 
deutendes gemindert  ist,  von  26  393  auf  26196,  oder  annehmen,  daß 
Androtions  Angabe  nur  eine  ungefähre  war  (73  statt  72,5),  daß  er  nicht 

'  PriscianB  Worte  sind  (de  figuriB  numer.  c.  2,  10  S.  390  ed.  Krehl,  S.  408, 
28  ed.  Keil)  taientum  Atheniense  parvum  minae  aexagintay  magnum  minae 
octoginta  tres  et  unciae  qiMttuor. 


Zum  Münzwesen  Athens  325 

eben  die  Absicht  gehabt  hat,  mit  der  Genauigkeit  eines  Wardein  zu 
sprechen. 

Wenn  der  Y olksbeschluß  aus  spater  Zeit  die  Drachme  des  Handels- 
gewichtes nach  den  in  der  Münze  aufbewahrten  Normalgewichten  für 
die  Silberdrachme  bestimmt,  und  diese  auf  ein  Talent  Ton  26  196  g 
führen,  nach  welchem  schon  Tor  Ol.  70  das  sicilische  Litrensystem 
reguliert  worden  ist,  so  hat  in  Athen  für  die  Silberpragung  Tor  500 
bis  in  das  erste  vorchristliche  Jahrhundert  dasselbe  Normalgewicht  für 
die  Münzen  bestanden. 

Dardanos,  auf  den  sich  Priscian  beruft,  hat,  wie  neuerer  Zeit  nach- 
gewiesen worden  ist,  nicht  vor  der  Zeit  Constantins  geschrieben;  aber 
seine  Schrift  hat  speciell  die  Gewichte  {tcbqI  ara&^&v)  behandelt;  und 
da  von  attischer  Silberpragung  in  seiner  Zeit  nicht  mehr  die  Rede 
sein  konnte,  so  bezeichnet  seine  Formel  für  das  talentum  magnum^ 
[1197]  wie  er  es  nennt,  nämlich  lOOilSS^/^,  die  Norm  irgend  einer 
Zeit  des  attischen  Altertums,  und  zwar  eine  solche,  die  gegen  das  Normal- 
gewicht in  der  Münze  um  etwas  geringer  ist  (26  010  g  gegen  26196 
im  Talent),  aber  in  der  Differenz  zwischen  den  erhaltenen  Tetra- 
drachmen bis  zu  17,46  und  denen  bis  zu  17,34  eine  Bestätigung  zu 
finden  scheint 

Giebt  es  eine  Möglichkeit  diese  Differenz  zu  erklären  und  damit 
zu  verificieren? 

III. 

Die  attischen  Silbermünzen,  abgesehen  von  denen  aus  der  „Zeit 
der  gesunkenen  Eunst'^  etwa  seit  dem  chremonideischen  Ehege,  seit 
Mikion  und  Eurykleides  (Gesch.  des  Hell.  III  2,  56  und  219),  hat  man 
nach  Technik  und  Stil,  nach  dem  Schriftcharakter  ihrer  Beischrift,  nach 
ihrem  Gewicht  in  drei  Beihen  gesondert,  die  freilich  chronologisch 
nicht  gleichen  Schrittes  gehen. 

1.  Dem  Gewicht  nach.  Es  wird  eine  Tetradrachme  von  17,67  g 
angeführt  (Mus.  Britt  S.  125),  die  ganz  isoliert  steht  ^  Die  schwersten 
Tetradrachmen  von  bester  Erhaltung  wiegen 

17,44  bis  17,47  g 

Ein  Dekadrachmon  in  dem  schönen  Exemplar  des  Berliner  Münz- 
kabinetts wiegt  42,70  g,  und  in  dem  Exemplar  des  brittischen  Museums 
43,16  g.  Gewichte  die  für  die  Tetradrachmen  resp.  17,08  und  17,264 


^  Ich  weiß  nicht,  ob  man  recht  thut,  diese  und  einige  ähnliche  Stücke,  die 
von  anderen  Prägestätten  vorkommen,  mit  der  Bezeichnung  „ttbermünzf '  gleich- 
sam zu  rechtfertigen.  Man  müßte  doch  solche  angeblich  übermünzten  Stücke 
erst  genauer  untersuchen,  nicht  bloß  wägen. 


326  Zorn  Mimzwesen  Athens 

geben  würden.  Wenn  andere  Tetradrachmen  Ton  bester  Erhaltnng 
17,32  g  wiegen,  so  scheint  man  auf  eine  zweite  Gewichtsart  schließen 
zu  dürfen,  die  etwa 

bis  17,33  g 

steigt  Es  muß  dahingestellt  bleiben,  ob  als  eine  dritte  Art  diejenigen 
zu  bezeichnen  sind,  welche 

von  17,20  bis  17,0 

und  tiefer  hinabsinken.  Lassen  wir  zunächst  diese  dritte  Art  ans  dem 
Spiel,  so  fallt  es  auf,  wie  sich  die  beiden  anderen  zu  den  ans  dem 
Verhältnis  100:138  und  dem  Ton  100:13879  entwickelten  Gewichten, 
die  wir  als  die  normalen  bezeichnen  wollen,  schicken: 

nonnal  effektiv 

nach  100:138    ...  17,464        17,47  bis  17,44 

„      100:138%..  17,34  17,32    „    17,28 

[1198]  2.  In  Betreff  des  Stils  und  der  Besonderheiten  des  Ge- 
präges verweise  ich  auf  das  von  Numismatikern,  namentlich  Ton 
V.  Prokesch-Osten  (Abh.  der  Berl.  Akad.  1848  S.  1)  Dargelegte. 

Die  Münzen  aus  der  Zeit  der  „gesunkenen  Kunst''  oder  „des  nenen 
Stils''  —  jene  breitgeschlagenen,  in  ihrer  Zeichnung  des  Athenekopfes 
und  seines  Schmucks  überladenen,  auf  der  Rückseite  mit  Monogrammen, 
Personennamen,  Beizeichen  gefüllten  —  faßt  man  als  eine  „zweite 
Klasse"  zusammen,  gegenüber  denen  der  vorhergehenden  drei  oder  vier 
Jahrhunderte;  man  unterscheidet  in  dieser,  der  ersten  Klasse,  wie 
man  sie  nennt,  eine  erste  Abteilung  „altertümlichen  Stils",  deren 
Typus  in  der  zweiten  und  dritten  Abteilung,  der  des  „strengen" 
und  der  des  „vollkommenen  Stils"  im  wesentlichen  festgehalten  ist, 
in  der  Art,  daß  das  qttadratiim  incusum  der  ersten  Abteilung  auch  in 
der  zweiten  und,  wenn  auch  bescheidener,  noch  in  der  dritten  sich 
bemerklich  macht. 

Das  Berliner  Münzkabinett  hat  von  der  ersten  dieser  drei  Abtei- 
lungen —  und  nur  diese  geht  uns  zunächst  an  —  36  Tetradrachmen, 
in  vier  Reihen  (a.  b.  c.  d.),  deren  Folge  nach  dem  Stil  und  der  Technik 
ihres  Gepräges  bestimmt  ist. 

Die  der  Reihe  a  sind  dicke  klumpige  Stücke,  24  an  der  Zahl,  bis 
zu  17,36  und  17,44  g  an  Gewicht,  mit  sicherem,  wenn  auch  nicht  be- 
sonders tiefem  qtiadr.  ine.,  —  der  Pallaskopf  auf  der  Schauseite  alter- 
tümlich, das  Auge  wie  von  vorn  gesehen,  meist  sehr  rund,  in  dem  Ohr 
ein  Zierat  — ,  der  Helm  mit  einem  Kamm  und  den  Ansätzen  des 
Busches,  ohne  anderen  Schmuck,  als  daß  die  untere  Leiste  des  Helm- 
kammes über  dem  Nackenblech  an  das  Helmrund  sich  kreisförmig  wie 


Zum  Münzwesen  Athens  827 

zum  Halten  anschmiegt;  —  endlich  die  Stirnhaare  des  Kopfes,  bei 
einigen  Stücken  in  vier  bis  sechs  sogenannten  Spncklocken  wie  an- 
geklebt, bei  andern  wie  gekürzt  in  parallelen  Strehlen  auf  die  halbe 
Stirn  hinabhängend,  bei  andern  in  weichen  Formen  dem  Ohr  zu  ge- 
kämmt Eine  von  diesen  Tetradrachmen  ist  gewaltsam,  wie  mit  einer 
Axt,  gekerbt,  als  habe  man  sehen  wollen,  ob  die  Münze  subärat  sei, 
wie  in  der  Berliner  Sammlung  ähnlich  eine  attische  Drachme,  aach 
makedonische,  bisaltische,  edonische  u.  s.  w.  Münzen  vorkommen;  daß 
dies  persische  Marken,  diese  Stücke  also  älter  als  die  Perserkriege  seien, 
ist  vermutet  worden,  aber  nicht  zu  erweisen. 

Die  fieihe  b  charakterisiert  ein  reines  und  tiefes  quadr,  ine.]  zwei 
von  den  sechs  Stücken  dieser  fieihe  haben  auf  der  fiückseite  den  Öl- 
zweig neben  der  Eule  nicht  links  oben  hängend,  sondern  rechts  unten 
stehend,  eine  dritte  statt  des  Zweiges  die  Mondsichel.  Auf  zweien  ist 
das  Stirnhaar  der  Pallas  in  Spucklocken  endend,  in  den  vier  andern 
in  parallelen  Strehlen  auf  die  halbe  Stirn  hinabhängend.  Das  Gewicht 
dieser  sechs  Stücke  geht  bis  17,16  g  hinauf. 

[1199]  Schon  in' dieser  fieihe  b  ist  ein  Stück,  dessen  Schriftlinie 
sich  den  Umrissen  der  Eule  folgend  ein  wenig  biegt  In  den  vier  Stücken 
der  fieihe  c  kommt  zu  dieser  Eigentümlichkeit  noch  ein  weniger  tiefes 
qiuulraiiim  incusum  und  auf  der  Stimplatte  des  Helms, drei  stehende 
Olivenblätter,  wie  man  sie  bezeichnet  hat.  Auf  einem  dieser  Stücke 
zeigt  sich  die  kreisfarmige  Halte  am  Helmrund  zu  einem  stilisierten 
Geranke  entwickelt  Das  Stirnhaar  der  Pallas  ist  bei  zwei  Stücken  in 
parallelen  Strehlen  auf  die  halbe  Stirn  herabhängend,  bei  zweien  in 
weichen  Formen  zur  Seite  gekämmt,  dann  gegen  das  Ohr  im  Wulst 
hinabgerundet  Auf  der  fiückseite  zeigt  sich  bei  dem  Olivenzweig  die 
Mondsichel  und  ist  der  Ölzweig  nicht  dem  rechten  Winkel,  in  dem 
er  steht,  entsprechend  gebreitet,  sondern  in  zwei  langen  Blättern  mit 
dem  Fruchtstiel  zwischen  ihnen  fast  parallel  herabhängend.  Das  Gewicht 
dieser  vier  Stücke  reicht  bis  zu  17,08  g  hinauf. 

Endlich  die  fieihe  d,  zwei  Tetradrachmen,  die  das  Theta  mit  dem 
Kreuz  haben.  Die  Form  dieser  Münzen  ist  nicht  ganz  so  klumpig, 
wie  die  in  der  fieihe  a,  aber  der  Typus  eben  so  einfach,  ohne  die  drei 
Blätter  auf  dem  Helm,  das  Auge  der  Pallas  ebenso  unperspectivisch 
gezeichnet,  in  dem  der  einen  der  Augapfel  scharf  bezeichnet,  das  Stirn- 
haar dieses  Stückes  in  parallel  überhängenden  Strehlen,  das  des  andern 
gewellt  wie  zur  Seite  gekämmtes  Lockenhaar;  der  Haarschopf,  der  unter 
dem  Nackenblech  des  Helmes  herabhängt,  sauberer  detailliert  als  bei 
den  anderen  fieihen.  Das  Gewicht  des  einen  Stückes  ist  17,15g,  das 
des  andern  16,52. 


328  Zum  Münzwesen  Athens 

Da  die  drei  stehenden  Blätter  auf  dem  Helm,  die  die  Reihe  c 
charakterisieren,  in  den  Prägungen  der  nächstweiteren  Abteilungen  der 
Klasse  I  beibehalten  sind,  so  wird  man  geneigt  sein,  diese  Reihe  c  der 
Reihe  dy  welche  diesen  Schmuck  nicht  hat,  der  Zeit  nach  nicht  yoraas- 
gehn,  sondern  folgen  zu  lassen.  Zu  dem  Ölzweig  auf  der  Rückseite 
wären  drei  Olblätter  auf  der  Schauseite  ein  Pleonasmus;  und  ihre  Zeich* 
nung  ist  wenig  charakteristisch,  es  könnten  eben  so  gut  andere  Blätter, 
z.  B.  Ton  der  Myrte  sein;  deren  Deutung  aus  dem  Harmodiosliede 
läge  nahe  genug. 

Und  wenn  außer  diesem  bedeutsamen  Helmschmuck  auf  den  yier 
Stücken  der  Reihe  c  auch  das  Rund,  in  das  die  untere  Leiste  des  Hebn- 
kammes  ausläuft,  hier  zuerst  zu  einem  zierlich  stilisierten  Greranke  ent« 
wickelt,  in  den  Prägungen  der  folgenden  Abteilungen  typisch  bleibt, 
so  führt  diese  Reihe  c  um  so  deutlicher  zu  ihnen  hinüber. 

Daß  Ton  drei  Reihen  a,  6,  (2  die  erste  stilistisch  und  technisch 
hinter  der  dritten  merklich  zurücksteht,  dürfte  wohl  nicht  ohne  weiteres 
für  das  höhere  Alter  von  a  entscheiden,  wie  denn  selbst  [1200]  die 
recht  unschönen  Spucklocken,  die  der  Pallaskopf  in  a  und  h  häufig  hat, 
noch  auf  den  Vasenbildem  aus  der  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts  oft 
vorkommen. 

3.  Die  Beischrift  und  der  Schriftcharakter.  Sicher  attisch  sind 
uns  nur  die  Münzen,  welche  das  A  O  E  als  solche  erkennen  läßt.  Eist 
mit  dem  Pallaskopf  tritt  diese  Beischrift  auf. 

Von  den  drei  Buchstaben,  die  sie  bilden,  hat  im  attischen  Gebrauch 
jeder  seine  besonderen  Wandelungen,  die  der  Zeit  nach  nicht  parallel 
gehen. 

Einen  chronologisch  ziemlich  sicheren  Anhalt  bietet  die  sorgfältig 
gemeißelte  Weihinschrift  des  Altares,  den  Peisistratos  des  Hippias 
Sohn  als  Archen,  also  vor  Ol.  67,  dem  pythischen  ApoUon  errichtet  hat 
(C.  I.  A.  I  373«).  Sie  hat  die  drei  Buchstaben  in  der  Form  A  E  ®. 
In  denselben  Formen  giebt  dieselben  die  Inschrift  der  von  den  Athenern 
in  Delphoi  geweihten  Stoa  (Inscr.  Gr.  ant.  5:  t)]v  aroäv  xal  tu  inX[a 
»]al  T&xQODxiiQia  iildvrcg  r&v  no\Xeii((av],  der  deutliche  Rest  des  o 
in  dem  letzten  Worte  zeigt,  daß  nicht  ZI^qg&v  dagestanden  hat). 

Als  älter  erweiset  sich  der  zweite,  der  attische  Teil  der  sogenannten 
sigeischen  Inschrift  (Inscr.  Gr.  ant.  492),  in  dem  er  die  Formen  A  <(^  ® 
hat  und  wechselnd  vor-  und  rückwärts  geschrieben  ist 

Freilich  das  A  und  gelegentlich  auch  das  ®  hat  auch  noch  Eu- 
phronios  in  seinen  rotfigurigen  Vasenbildem  gebraucht.  Und  A  neben 
E  tind  0  findet  sich  noch  in  dem  Verzeichnis  der  Gefallenen  von  OL  80 
(C.  I.  A.  I  433).    Für  unsem  Zweck  liegt  weniger  daran,  wie  spät  hinab 


Zum  Münzwesen  Athens  329 

in  Athen  das  ®  und  ^  oder  ^^  als  wie  hoch  hinanf  das  O  und  E 
reicht 

Unser  einziger  sicherer  Anhalt  dafür  ist,  so  viel  mir  bekannt^  daß 
sich  auf  einem  Inschriftstein,  der  zu  dem  Eilbau  der  themistokleischen 
Mauer  Ol.  75  (478)  verwendet  worden  ist  (C.  I.  A.  I  479),  ©  neben  ^ 
und  A  findet.  In  der  wiedergefundenen  Hermeninschrift  (MitteiL  des 
athen.  Inst.  V  S.  244  C.  L  A.  IV2  S.  118  Nr.  492),  die  früher  nur  und 
sehr  incorrect  in  Fourmonts  Abschrift  vorlag,  kommt  nebeneinander  0 
und  ®,  ebenso  ^  und  ^,  Ar  A  und  P\  vor.  In  dieselbe  Reihe  hippar- 
chischer  Inschriften  scheint  die  in  C.  I.  A.  381  mitgeteilte  zu  gehören, 
ein  Epigramm  des  Anakreon,  den  nach  dem  Tode  des  Polykrates  Ol.  64 
Hipparch  nach  Athen  berief;  in  sauberer  Schrift  giebt  sie  A  neben  E, 
ein  Theta  kommt  in  ihr  nicht  vor. 

Dies  gewiß  altertümlichste  Form  ^  findet  sich  in  nicht  wenigen 
Inschriften,  welche  O  haben,  wenigstens  nach  der  Wiedergabe  der- 
selben im  C.  I.  A.  I;  so  480,  482,  auch  18  und  27  nach  den  im  Nach- 
trag gegebenen  Abschriften,  während  die  früheren  vor  Köhler  E  hatten. 

[1201]  Aus  den  angegebenen  Thatsachen  läßt  sich  kein  sicheres 
Besultat  für  die  Chronologie  dieser  drei  Buchstaben  ziehen,  nur  das 
eine  viellßicht,  daß  O  auch  schon  vor  der  Weihung  des  pythischen 
Altars,  vor  OL  67  neben  ®  in  Gebrauch  gewesen  ist 

Die  in  der  Reihe  a  aufgeführten  Tetradrachmen,  die  dem  Stil 
nach  für  die  ältesten  gelten,  haben  AOE  oder  AO^. 

Von  denen  der  Reihe  h  haben  fünf  A©^,  eine  AOE. 

Die  der  Reihe  c  haben  AOE- 

Die  der  Reihe  d  haben  A®^  und  3®A,  das  Kreuz  im  Theta 
hier  liegend,  da  stehend. 

Auch  der  Schriftcharakter  dieser  vier  Reihen  zeigt  einen  gewissen 
Unterschied,  nur  nicht  so,  daß  er  der  paläographischen  IlDterschieden- 
heit  entsprechend  sich  verteilt.  Bald  sind  die  Buchstaben  wie  mit 
einem  Cantstichel  eingeritzt,  in  einigen  namentlich  das  ^  so,  daß  man 
in  dem  stärker  markierten  Endpunkt  der  Querstriche  gleichsam  das 
Einsetzen  des  Stichels  zu  bemerken  glaubt;  andere  erscheinen  rundlich 
erhöht,  als  wenn  sie  mit  dem  Boltstichel  in  die  Stanze  gegraben  wären; 
andere,  in  denen  die  Buchstaben  einen  platten  Rücken  haben,  können 
nur  mit  einem  Machstichel  eingegraben  sein. 


IV. 

Auf  die  Frage,  von  der  wir  ausgingen,   hat  sich  uns  aus  den 
Kategorien  des  Gewichts,  des  Gepräges,  der  Schrift  keine  genügende 


330  Zum  Münzwesen  Athens 

Antwort  ergeben.    Und  auch  nur  wenig  weiter  fahrt  ein  technisches 
Moment,  das  bisher  absichtlich  übergangen  ist. 

In  der  ältesten  Technik  des  Prägens  hat  —  abgesehen  von  ge- 
wissen großgriechischen  Münzen  mit  convexer  Vorderseite  und  nnr 
fast  gleicher  concaver  Rückseite  —  nur  die  Schauseite  ein  Bildwerk^ 
das  sie  von  der  in  den  Amboß  eingelassenen  Matrize  durch  den  Präge* 
schlag  empfangen  hat;  das  qtuidratum  incusum  der  andern  Seite  ist 
der  Abdruck  der  für  den  Schlag  auf  den  Schröttling  gelegten  Stanze  und 
ihrer  Einschnitte,  die  wohl  das  Ausgleiten  beim  Schlage  hindern  sollten. 

Erst  allmälich  ist  man  dazu  fortgeschritten  diesen  Einschnitten 
eine  regelmäßige  Gestalt,  etwa  die  eines  durch  zwei  Diagonalen  ge- 
teilten Vierecks,  zu  geben,  dann  auch  wohl,  etwa  in  der  Mitte  dieser 
Vierteilung,  in  einem  kleinen  oft  kreisförmigen  Spiegel  ein  Bildwerk 
zu  schneiden  —  so  in  den  ältesten  Münzen  von  Syrakus  einen  kleinen 
weiblichen  Kopf;  erst  allmählich  erfüllt  dann  dies  Bildwerk  die  ganze 
Bückseite  und  es  bleibt  das  vertiefte  Viereck  nur  eine  Umrandung  des 
Spiegels. 

[1202]  In  welchen  Zeiträumen  diese  Übergänge  sich  folgten,  ist 
nicht  mehr  ersichtlich;  gewiß  nicht  überall  in  denselben. 

Die  Münzen  mit  Pallaskopf  und  Eule,  die  ihre  Beischrifb  a^s  attische 
Münzen  sicher  stellt,  beginnen  erst  nachdem  die  Technik  die  zuletzt 
bezeichnete  Stufe  erreicht  hat. 

In  (Aristot.)  Oecon.  II  5  wird  von  dem  Tyrannen  Hippias  neben 
andern  Geschichten  angeführt,  daß  er  das  in  Athen  umlaufende  Silber- 
geld verrief  und  ein  neues  Gepräge  einführtet  Die  Nachricht  mag, 
wie  die  meisten  in  dieser  Schrift,  aus  guter  Quelle  stammen;  der  ge- 
brauchte Ausdruck  zeigt,  daß  das  neue  Gepräge  kraft  eines  Yolks- 
beschlusses  eingeführt  worden  ist  Hr.  Imhoof-Blumer  sagt,  „ohne 
ZweifeP^  sei  dies  neue  Gepräge  eben  das  von  da  an  immer  beibe- 
haltene: „Pallaskopf  und  Eule^'  gewesen. 

Wenigstens  möglich  ist  es.  Es  ist  der  Mühe  wert  sich  klar  zu 
machen,  was  sich  mit  dieser  Hypothese  weiter  ergeben  würde. 

Nicht  notwendig,  daß  erst  nach  dem  Tode  des  Feisistratos  OL  63 
dieser  Typus  eingeführt  worden  sei.  Wenn  eine  Schätzung  auferlegt, 
wenn  ein  Yolksbeschluß  über  Einführung  eines  neuen  oder  anderen 
Typus  gefaßt  wurde,  so  ist  in  amtlichen  Formen  und  wohl  formell 
der  Verfassung   gemäß    verfahren   worden,    wie  ja  nach   Thucydides 


^  Arist.  Oecon.  II  5:  t6  de  yofiiafia  i6  oy  Ä&t^vaiovg  döoxifioy  dnoli^at^' 
tu^ag  de  lifirjv  ixiXevae  n^og  avxbv  uyaxofiitBiv  avyeX&oytiay  de  int  rr«>  xo^i 
6Te(foy  x^Qaxj^Qa  t^iöuxe  t6  nvib  aiffVQioy. 


Zum  Münzwesen  Athens  331 

bekanntem  Ausdruck  (YI  54)  die  Peisistratiden  das  Regiment  in  der  Art 
fahrten,  daß  immer  einer  aus  der  Familie  h  raig  ägxctlq  war.  So  in 
amtlicher  Stellung  konnte  Hippias  schon  während  des  Vaters  Leb- 
zeiten jene  Neuerung  veranlaßt  haben,  wenigstens  in  dessen  dritter 
„Tyrannis"  seit  Ol.  59;  zu  jung  für  die  ÜQxcci  TYftr  er  da  nicht  mehr, 
da  der  Vater  schon  bei  seiner  zweiten  Vertreibung,  elf  Jahre  vorher, 
sich  durch  ihn  bestimmen  ließ  in  dem  nahen  Eretria  zu  bleiben  und 
sich  da  zur  fiückkehr  bereit  zu  halten. 

Weiter  könnte  man  aus  dem  etwas  auf^ligen  Ausdruck  xb  vöfiKTfjLcc 
rd  6v  !ä&fivccioig  entnehmen  wollen,  daß  es  beliebiges  Silbergeld  in 
den  Händen  der  Athener  gewesen  sei,  nicht  gerade  attisches.  Aber 
wenn  das  attische  Volk  sich  versanmielte  knl  ra  xö^tpai  'iTB()ov  x^gax- 
TTiQUj  so  hatten  sie  doch  wohl  schon  attisches  Gepräge,  sonst  würde 
statt  tr^Qov  wohl  StjfAÖfTiov  oder  dergleichen  gesagt  sein. 

Aber  die  durch  ihre  Umschrift  als  attisch  documentierten  Münzen 
reichen  ihrer  Technik  nach  nicht  in  die  erste  Hälfte  des  sechsten  Jahr- 
hunderts hinauf.  Und  daß  die  schon  erwähnten  Wappenmünzen,  die 
allerdings  meist  auf  attischem  Boden  gefunden  worden  sind,  alle  oder 
die  meisten  ihrer  vierzehn  fieihen  attische  seien,  ist  eine  Hypothese, 
[1203]  überdies  eine  solche,  die  in  Betracht  des  Verfassungszustandes 
des  solonischen  Athens  zu  Schlüssen  fuhren  würde,  die  zu  tief  greifen, 
als  daß  man  sie  auf  eine  so  unsichere  Induction  hin  wagen  dürfte, 
zumal  da  sich  sonst  keine  Spuren  finden,  daß  das  Athen  der  solonischen 
Verfassung  nicht  sowohl  ein  Staat  (jiia  nöhg),  als  eine  Föderation  von 
Gemeinden,  Geschlechtern,  Stämmen  oder  dergleichen  gewesen  sei 

Denn   diese  vierzehn  Reihen  von  Münzen^,   mit  eben  so  vielen 


^  Von  den  fünß^ehn  Keihen,  die  als  Wappenmünzen  angeführt  zu  werden 
pflegen ,  hat  Hr.  Imhüof-Blumer  die  letzte  (A.  £berkopf ,  B.  vertieftes  Viereck) 
bereits  ausgeschieden;  sie  führt  auf  einen  anderen  ab  den  solonischen  Münzfuß. 

Vier  andere  Reiben  sind  nur  mit  je  einem  oder  zweien  Stücken  kleinster 
Nominale  vertreten  (Nr.  10  Mistkäfer,  Nr.  11  Frosch,  Nr.  12  Granatapfel,  Nr.  13 
Auge);  sie  haben  sämtlich  auf  dem  B.  ein  diagonal  gevierteltes  Viereck. 

Weiter  folgen  sieben  Beiben  (Nr.  2  Dreibein,  Nr.  3  KnÖcbel  und  Nr.  4 
stehende  Eule,  Nr.  5  Hinterteil  eines  Pferdes,  Nr.  6  Vorderteil  eines  Pferdes, 
Nr.  7  Pferd  mit  hoher  Mähne  auf  einer  Basis  stehend,  Nr.  9  Amphore),  die  das 
Gemeinsame  haben,  daß  sie  das  Bild  auf  der  Schauseite  mit  einem  Binge  (ein 
Stück  in  Nr.  6  mit  einem  Doppelringe)  einschließen.  Aus  jeder  dieser  sieben 
Eeihen  sind  Didrachmen,  Drachmen  und  kleinere  Nominale  erhalten;  alle  haben 
auf  der  Kückseite  das  mit  Diagonalen  gevierteilte  Viereck.  Das  Gewicht  der 
Didrachmen  steigt  bis  8,40,  ja  8,66  g,  sinkt  bis  8,10,  ja  8,00  g. 

Es  bleiben  noch  zwei  Beiben,  die  jede  in  sich  technisches  Fortschreiten 
erkennen  lassen. 

In  der  Beihe  Nr.  1,  mit  dem  Bade  auf  der  Schauseite,  führt  Hr.  Imboo£* 


332  Zum  Münzwesen  Athens 

verschiedenen  Typen  auf  der  Schauseite  —  freilich  in  vier  Reihen 
[1204]  nur  in  kleinsten  Nonünalen  mit  wenigen  Exemplaren  vertreten  — 
sind  nicht  als  attische  Staatsmünzen  eine  der  anderen  gefolgt;  solcher 
Wechsel  des  Gepräges  in  den  fünfzig  Jahren  vom  Archontat  des  Selon 
bis  zur  dritten  Tyrannis  der  Peisistratiden  wäre  höchst  seltsam;  — 
sondern  sie  gehen  nebeneinander  her,  wie  man  aus  den  technischen 
Wandelungen  innerhalb  einiger  dieser  Reihen  erkennt  Aber  anderer- 
seits, daß  nur  in  einer  dieser  Reihen  Tetradrachmen  neben  Didrachmen 
vorkommen,  in  den  anderen  die  Didrachme  das  Großstück  ist,  würde 
gar  wohl  dazu  passen,  daß  Syrakus  seiner  neuen  Gewichtsordnung  das 
Didrachmen  von  8,732  g  =  2180  g  Kupfer  zu  Grunde  gelegt  hat 
Es  bleibt  nur  die  Alternative:  entweder  diese  Münzen  sind  attische; 


Blumer  6  Didrachmen  (bis  zu  8,50  und  8,59g  Gewicht),  5  Drachmen,  etwa  10 
kleinere  Stücke  an;  das  Berliner  Museum  hat  von  diesßn  ideineren  88.  Eine 
der  Didrachmen  hat  das  Bad  in  sehr  altertümlicher  Form,  wie  wenn  es  aus 

einem  Brett  durch  vier  kleeblattartige  Rundausschnitte  ^  ^  gemacht  wäre;  die 

vier  anderen  zeigen  ein  Rad  mit  vier  Speichen.  Jene  eine  hat  das  diagonal  geteilte 
vertiefte  Viereck  auf  der  Rückseite  mit  den  meisten  anderen  gemein.  Von  denDrach- 
men  hat  die  eine  sechs  vertiefte  unregelmäßige  Felder,  eine  zweite  fünf  ebenfalls 
unregelmäßige.  Von  den  kleineren  Nominalen  zeigt  eine  Vierteldrachme  einen 
unförmlichen  Einschlag,  zwei  Obolenstücke  Einschläge  unregelmäßiger  Form.  End* 
lieh  hat  eine  der  Berliner  Didrachmen  und  zwei  der  Halbobolen  ein  Bad,  das  in 
der  Mitte  zwischen  dem  altertümlichen  und  dem  mit  vier  Speichen  steht,  indem  je 

drei  zierlich  geformte,  nach  dem  Bande  zu  divergierend  gebogene  Stäbe 

statt  der  Speichen  sind. 

Noch  bestimmter  tritt  die  chronologische  Folge  in  Nr.  14  hervor,  deren 
Bild  auf  der  Schauseite  der  Medusenkopf  ist  Die  der  Zeit  nach  ältesten  dieser 
Beihe  sind  wohl  8  Didrachmen  (bis  8,71  g  hinauf)  mit  diagonal  gevierteiltem  Vier- 
eck auf  der  Bückseite;  derselben  Art  ist  das  quadr,  ine,  der  Obolen,  "/«  Obolen, 
*/«  Obolen  dieser  Beihe,  etwa  6  an  der  Zahl.  Dann  folgen  dem  Stil  nach  Di- 
drachmen mit  einem  Ldwenkopf  von  vom  in  einem  der  vier  Teilstücke  des 
Vierecks.  Dann  4  Tetradrachmen  (bis  17,40  g  hinauf),  deren  Büokseite  in  dem 
Spiegel  des  quadr,  ine,  den  Kopf  eines  Löwen  von  vom  gesehen  zeigt;  eine 
fünfte  hat  dafür  einen  Stierkopf  von  vorn. 

Unter  den  alten  euböischen  Münzen,  die  Hr.  Imhoof-Blnmer  verzeichnet 
(von  Karystos,  Chalkis,  Eretria),  finden  sich  allerdings  auch  Tetradrachmen,  aber 
keine  von  ihnen  ohne  wenigstens  den  Anfangsbuchstaben,  oder  die  zwei,  drei  eisten 
Buchstaben  des  Stadtnamens,  ohne  den  Hahn  von  Kaiystos,  das  Bad  von  Chalkis, 
den  Polypen  von  Eretria  in  dem  vertieften  Viereck  der  Bückseite. 

Weder  auf  den  Tetradrachmen  mit  dem  Gorgoneion  Nr.  14,  noch  anf  den 
anderen  Didrachmen,  Drachmen  und  kleineren  Stücken  der  obigen  viersehn 
Reihen  findet  sich  ein  Buchstabe. 


Zum  Münzwesen  Athens  333 

dann  muß  man  sich  entschließen  die  solonischer  Verfassung  anders  zu 
fassen,  als  man  auf  Grund  der  litterarischen  Zeugnisse  zu  thun  sich 
gewöhnt  hat,  und  es  würde  das  Verdienst  der  Feisistratiden  sein,  auch 
in  dem  einheitlichen  Gepräge  der  Landesmünze  den  Gedanken  der 
fiia  ndXiq  einen  großen  Schritt  weiter  geführt  zu  haben,  wie  sie  es 
in  andern  Dingen  nachweislich  gethan  haben,  unter  andern  mit  der 
Erhebung  der  altertümlichen  Panathenäen  zu  einer  großen  Festfeier  in 
jedem  fünften  Jahre  mit  ihren  musischen,  gymnischen  und  hippischen 
Agonen,  recht  eigentlich  zu  einem  Staatsfest  —  oder  diese  Münzen 
sind  nicht  attische;  dann  hat  Attika  bis  zu  den  Feisistratiden  kein 
eigenes  Geld  gehabt  und  Solons  Reduction  hat  darin  bestanden,  daß 
er  fremdes  Geld,  euböisches  oder  auf  euböischen  Fuß  geprägtes  anderer 
Städte,  an  der  Stelle  des  bis  dahin  landesüblichen  aiginäischen  reci- 
pierte;  dann  floß  allerlei  Geld  nach  Athen  —  nur  nicht  auf  dem  Wege 
der  „Tributentrichtung  der  Unterthanen  der  Bundesgenossen";  denn  als 
Athen  solche  hatte,  nahm  es  nur  attisches  Geld  in  Zahlung,  das  die  Fflich- 
tigen,  wenn  nicht  anders,  bei  den  Trapeziten  mit  Aufgeld  kaufen  mochten. 
Es  ist  ein  Dilemma,  das  sich  aus  den  bis  jetzt  vorliegenden  histo- 
rischen Materialien  nicht  losen,  auch  mit  Wahrscheinlichkeitsgründen 
nicht  beseitigen  läßt,  nicht  einmal  mit  dem,  daß  Syrakus  den  attischen 
Münzfuß  nicht  eingeführt  haben  könne,  bevor  es  attische  Münzen  gab. 
Denn  daß  Syrakus  den  attischen  Münzfuß  angenommen  habe,  ist  nicht 
eine  positive  Überlieferung,  sondern  aus  dem,  was  [1205]  vorliegt,  ge- 
schlossen; und  daß  das  syrakusische  Gepräge  um  eine  Stufe  älter  ist, 
als  die  älteste  sicher  attische  Münze,  beweist  in  dieser  Frage  nichts, 
da  Syrakus  nicht  die  Technik,  sondern  den  Münzfuß  von  Athen,  den 
von  Solon  eingeführten,  übernahm;  die  Anfange  der  syrakusischen  Fra- 
gung mit  dem  weiblichen  Köpfchen  im  Spiegel  des  quadratum  incusum 
könnten  trotz  der  älteren  Technik,  die  sie  zeigen,  sehr  wohl  später  sein 
als  die  ältesten  sicher  attischen  Frägungen. 

V. 

Wie  dem  auch  sei,  daß  Solon  den  attischen  Münzfuß  geändert 
hat,  steht  durch  ausdrückliche  Zeugnisse  und  durch  den  Zusammenhang 
dieser  Änderung  mit  serner  Verfassungsreform  fest.  Daß  er  sich  dem 
euböischen  Münzfuß  angeschlossen  habe,  ist  nicht  positiv  überliefert 
sondern  wird  aus  den  Gewichten  der  beiderseits  erhaltenen  Stücke,  die 
älter  sind  als  die  Schlacht  bei  Marathon,  und  aus  dem  Namen  „euböi- 
sches Talent",  der  für  das  attische  Talent  gebraucht  werde,  geschlossen. 
Wenigstens  diese  Identität  der  Bezeichnung  ist  dahin  zu  beschränken, 
daß  das  „euböische  Talent"  zur  Bezeichnung  des  Gewichtes  gebraucht 


334  Zum  Münzwesen  Athens 

wurde,  and  das  attische  Geldtalent  mit  dem  euböischen  Gewichtstalent 
nur  80  lange  identisch  war,  als  Athen  nicht  die  Tetradrachme  von 
17,464  g  auf  17,34  herabgesetzt  hatte. 

Wäre  für  die  solonische  Reduction  das  von  Androtion  angegeben? 
Verhältnis  78  :  100  völlig  authentisch,  so  hätte  zwischen  dem  soloni- 
schen  und  euböischen  Talent  ein  nicht  unbedeutender  Unterschied  statt- 
gefunden: 

1  Talent  solonisch  26  393  g, 
1       ,,      euböisch   26 196  „ 

Die  Handelsbedeutung  der  euböischen  Städte,  die  seit  dem  1  elanti- 
schen Kriege  im  Sinken  war  und  die  die  attischen  Interessen  wenigr-r 
zum  Anschluß  als  zur  Rivalität  auffordern  mußte,  konnte  Solen  wohi 
nicht  veranlassen  zu  ihrem  Münzfuß  überzugehen,  und  er  war  al- 
Handelsmann  weit  genug  umher  gekommen,  um  selbst  aus  den  in 
Asien  üblichen  Geldsystemen  das  für  Athen  geeignete  zu  entwickeln. 

Freilich,  die  Angabe  des  Androtion  ist  vielleicht,  wie  wir  sahen, 
nur  eine  ungefähre  und  das  solonische  Münzsystem  in  der  That  den 
damabgen  euböischen  Gewicht-  und  Münzsystem  conform  gewesen,  — 
und  dann  lassen  sich,  nach  Art  solcher  allgemeinen  Argumentationer. 
ebenso  gut  Gründe  dafür  anführen,  daß  Solon,  etwa  damit  der  attische 
Handel  um  so  leichter  in  den  Plätzen,  die  an  das  euböische  Geld  ge- 
wöhnt waren,  Eingang  fände  u.  s.  w.,  eben  das  euböische  Münzsystem 
angenommen  habe. 

[1206]  Wie  und  nach  welchen  Combinationen  er  verfuhr,  darf  man 
nicht  mehr  erraten  wollen.  Aus  den  Thatsachen,  die  uns  vorliegen,  den 
attischen  Münzen  selbst,  ergeben  sich  Momente,  die  uns  weiter  führen. 

Wir  fanden  für  zwei  Perioden  der  attischen  Münzen  —  abgesehen 
von  der  solonischen,  aus  der  wir  nicht  sicher  sind  attische  Münzen  zn 
haben  —  zwei  Normalgewichte  für  die  attische  Tetradrachme: 

das  ältere      17,464  g 
das  jüngere  17,34    ,, 

Wir  sahen,  die  Tetradrachmen  der  älteren  Periode,  die  uns  erhalten 
sind,  bleiben,  bis  auf  eine  zu  schwere,  unter  dem  normalen  Gewicht; 
sie  sinken  zum  Teil  bis  auf  17,08,  ja  bis  auf  16,52  g  hinab.  Es  wird 
wohl  nicht  daraus  zu  folgern  sein,  „daß  man  schon  in  der  ersten 
Periode  häufig  unter  dem  Normalge  wicht  münzte";  und  noch  weniger 
ist  jenes  doppelte  Normalgewicht  damit  erklärt,  d.  h.  in  seiner  Be- 
deutung nachgewiesen. 

Man  bedang  sich  in  Athen  in  Geschäften  wohl  Zahlungen  in 
„vollwertigem  Metall"  Aqyvqiov  SöxifAov  (Demosth.  XXXV  24).   Wenn 


k 


I..»" 


Zum  Münzwesen  Athens  335 

die  Athener  sich  ihrer  „schönen,  richtig  gewerteten"  Drachmen  rühmen 
durften,  so  mußten  sie,  wenn  auch  ihr  Silber  in  der  Circulation  sich 
abnutzte,  doch  sicher  sein,  daß  es  richtig  ausgeprägt  worden  war; 
unmöglich  konnte  das,  was  man  heut  die  Toleranz  nennt,  bis  auf 
5  Prozent  zu  wenig  hinabreichen,  wie  in  jenen  Beispielen  die  Tetra- 
drachme von  16,52  g  geben  würde.  Die  Münzer  mußten  jeden  Schrött- 
ling  wiegen  und  wenn  er,  zu  leicht  oder  zu  schwer,  die  erlaubte  Fehler- 
grenze überschritt,  ihn  ausschließen.  Welche  Fehlergrenze  gesetzlich 
festgestellt  war,  wissen  wir  nicht;  heut  bei  der  allerdings  hochent- 
wickelten Technik  ist  in  den  deutschen  Münzen  für  Silber  Abweichung 
bis  zu  0,005  vom  Schrot,  bis  zu  0,003  vom  Korn  die  Toleranz. 

Das  Verhältnis  von  Schrot  und  Korn,  von  Wichte  und  Sichte, 
wie  man  ehedem  sagte,  ist  natürlich  für  den  Wert  der  Münze  ent- 
scheidend. Nur  das  Korn  bestimmt  ihren  Wert,  die  hinzugefügte 
Legierung  ist  so  gut  wie  wertlos. 

Giebt  es  die  zweierlei  Normalgewichte  für  die  attischen  Tetra- 
drachmen 

17,467  g  und  17,34  g 

so  ist  entweder  mit  ihrem  Gewicht  auch  ihr  Wert  ein  anderer  ge- 
worden, oder  beides  ist  verändert  worden. 

Wenn  aus  der  Zeit  um  350  ein  Zeugnis  vorliegt,  daß  für  attisches 
Silber  außer  Landes  Aufgeld  gezahlt  wird,  so  ist  wohl  sicher,  daß  [1207] 
damals  ihr  Silbergeld  noch  nicht  im  Wert  gemindert,  daß  der  Feingehalt 
fixiert  war;  sagen  wir  beispielsweise;  für  die  Tetradrachme  auf  1 7,20  g, 

so  hatte  die  von  17,464  0,26  g  Kupfer, 

„      „     17,34  0,14,,       „ 

in  jener  war  0,985,  in  dieser  0,991  Feingehalt. 

Daß  das  minder  schwere  Drachmengeld  das  spätere  war,  ist  außer 
Zweifel.  Wie  kam  man  zu  dieser  Veränderung?  und  in  welcher  der 
drei  möglichen  Arten,  die  angeführt  sind,  veränderte  man? 

Als  man  in  Athen  in  der  Form,  die  allein  sicher  attisch  ist,  zu 
prägen  begann,  war  die  Technik  des  Prägens  über  das  Stadium  hinaus, 
wo  sie  möglichst  reines  Silber  nahm,  das  um  so  leichter  zu  prägen 
ist,  je  weniger  Legierung  es  hat. 

Mehrfach  ist  in  neuerer  Zeit  attisches  Silbergeld  chemisch  unter- 
sucht worden,  am  meisten  solches  der  „zweiten  Klasse",  also  der  späten 
Zeit,  etwa  seit  250  v.  Chr.  Die  Aufzählung  dieser  Analysen  wird  der 
zweite  Anhang  geben;  hier  nur  das  für  die  nächste  Frage  Maß- 
gebende. 


336  Zum  Münzwesen  Athens 

Unter  drei  analysierten  Stücken,  die  sicher  der  Zeit  der  ersten  IQasse 
angehören,  hatte 

das  eine  an  Silber  0,986, 
ein  zweites  und  drittes  0,983, 

ein  viertes  0,9644 

nnd  in  diesem  fand  sich  daneben  Gold  0,000173.  In  den  Tetradrachmen 
der  Klasse  U  ist,  wie  es  scheint,  durchgehend  Grold.  Beule  schmolz  87 
solche  Tetradrachmen  zusammen,  und  diese  Masse  gab  Gold  0,002  bei 
0,966  Silber.  Er  analysierte  sieben  Tetradrachmen  derselben  späteren 
Art  und  jede  von  ihnen  hatte  Gold  0,0016,  während  das  Silber  in 
ihnen  von  0,924  bis  0,978  wechselte.  Eine  von  Hussey  analysierte 
Drachme  jüngster  Prägung  hatte  Silber  0,9161,  Gold  0,0026. 

Hult^h,  der  diese  Dinge  mit  Sorgfalt  und  voller  Sachkenntnis  er- 
örtert hat,  ist  der  Ansicht  (S.  172],  daß  das  Vorhandensein  des  Goldes 
in  diesen  Münzen  nur  zufallig  sei:  „denn  die  Alten  wußten  nichts  von 
dem  Vorhandensein  des  Goldes  im  Silber^'.  Ist  dem  wirklich  so,  dann 
hat  er  es  mit  Recht  als  „ein  merkwürdiges  Spiel  des  Zufalls'^  bezeichnet^ 
„daß  die  zwei  Tausendteile  Gold  gerade  den  Ausfall  decken,  den  der 
Wert  der  Münze  durch  die  32  Tausendteile  wertloser  Legierung  er- 
leidet"^. Wenn  aber,  wie  die  Ägypter  in  ihrem  [1208]  Nilwasser,  die 
Lyder  in  ihrem  Flußsand  die  minimalen  Stückchen  Gold  erkannten, 
so  die  Athener  in  ihrem  laurischen  und  maroneischen  Bleiglanz,  viel- 
leicht in  gewissen  Lagen  desselben,  gelegentlich  ein  Blättchen  Gold 
fanden,  so  werden  sie  darin  ein  Mittel  erkannt  haben,  ihr  Silber  stärker 
zu  legieren,  ohne  den  Feingehalt  der  Münze  zu  beeinträchtigen. 

Daß  Alexander  der  Große  den  attischen  Münzfuß  angenommen 
habe,  schließt  man  aus  dem  Gewicht  seiner  Münzen.  Wir  haben  kein 
ausdrückliches  Zeugnis  über  das  Normalgewicht  seiner  Tetradrachmen; 
wenn  die  uns  erhaltenen  bis  17,27  und  17,29  g  wiegen^,  so  darf  man 
vermuten,  daß  das  attische  seiner  Zeit,  dem  er  sich  anschloß,  bereits 
auf  17,34  herabgesetzt  war. 

Nach  der  Analyse  Hussey 's  (S.  7 1)  hatte  eine  Tetradrachme  Alexanders 

Silber  0,96718 
_  Gold  0,00364 

^  Hultscb  verfährt  nicht  ganz  korrekt,  wenn  er  in  diesen  Münzen  nach 
250  V.  Chr.  das  Gold  noch  zu  dem  Ib^l^isidien  Wert  des  Silbers  rechnet,  den 
es  vielleicht  in  der  Zeit  der  Perserkriege  hatte. 

^  Hultsch  S.  181  führt  nach  Hussey  eine  Tetradrachme  Alexanders  von 
17,92  g  (genauer  17,87  g)  und  nach  Mionnet  zwei  andere  von  17,71g  an.  Die 
bei  weitem  meisten,  die  gewogen  sind,  gehen  nicht  über  17,29  hinaus;  h&ufiger 
sind  die  Drachmen  schwerer  als  4,86  g. 


Zum  Münzwesen  Athens  337 

Wenn  damals  das  Gold  den  zehnfachen  Wert  des  Silbers  hatte,  so 
ersetzten  die  drei  Tausendteile  Gold  reichlich  die  fehlenden  drei  Hundert- 
teile Silber. 

Von  den  oben  angeführten  attischen  Münzen  der  Klasse  I  ist  die 
von  0,983,  wie  die  Analyse  ergab,  ohne  Gold,  die  Ton  0,986  bei  noch 
schwächerer  Legierung  ohne  Zweifel  ebenso. 

Es  mag  zur  weiteren  Orientierung  noch  angeführt  werden,  was 
sich  aus  Husseys  Analysen  Ton  Münzen  anderer  hellenischer  Staaten 
ergeben  hat     Die  älteren  Stücke  von  Aigina  hatten   0,9687  Silber, 

0,0313  Kupfer, 

die  „alten"  von  Argos 0,9666  Silber, 

0,0334  Kupfer, 

die  späten  von  Argos  .\ 0,9574  Silber, 

0,0026  Gold, 
0,0400  Kupfer, 
die  korinthischen  schon  in  der  „mittleren"  Zeit  0,9593  Silber, 

0,00104  Gt)ld, 
0,0395  Kupfer 

Wie  dankenswert  diese  Analysen  auch  sind,  sie  reichen  doch  nicht 
so  weit,  daß  man  sich  nicht  noch  nach  anderen  Methoden  umsehen 
sollte,  die  Münzen  nach  ihrem  Gehalt  zu  fragen  ohne  sie  zerstören 
zu  müssen.  Durch  das  spezifische  Gewicht  schien  es  mir  [1209]  mög- 
lich ein  weiteres  Element  für  die  gesuchte  Antwort  zu  gewinnen.  Hr. 
HofEmann  hatte  die  große  Güte  einige  solche  Wägungen  zu  veranstalten. 

Ich  wählte  zu  diesem  Zwecke  drei  Stücke  aus  der  kleinen  Münz- 
sammlung des  Dr.  H.  Droysen.  Zunächst  eine  schön  erhaltene  attische 
Tetradrachme  aus  der  Zeit  des  „strengen"  Stils,  dem  „vollkommenen" 
näher  stehend  als  dem  „altertümlichen"; 

sie  wiegt  noch 17,1740  g 

ihr  spezifisches  Gewicht  ist 10,534    „ 

sie  enthält  demnach  Silber 0,98  also 16,888    „ 

Kupfer 0,02     „      0,286    „ 

Sodann  zur  Vergleichung  eine  syrakusische  Tetradrachme  (Zwanzig- 
Litrenstück)  von  ganz  guter  Erhaltung,  dem  Typus  nach  in  der  Mitte 
stehend  zwischen  den  zwei  Stücken  bei  Head  S.  7  und  tab.  I  Nr.  3  und  4, 
also  der  Zeit  Gelons.  und  Hierons  angehörend; 

sie  wiegt  noch 16,7493  g 

ihr  spezifisches  Gewicht  ist 10,469    „ 

sie  enthält  Silber 0,939  also 15,896    „ 

Kupfer 0,061     „ 0,853    „ 

Droysen,  Kl.  Schriften  II.  22 


338  Ziun  Münzwesen  Athens 

Von  einer  dritten,  einer  Tetradrachme  Alexanders,  wird  in  An- 
hang 2  zu  sprechen  sein. 

Daß  in  der  spezifisch  gewogenen  attischen  Tetradrachme  kein  Grold 
ist,  ergiebt  sich  aus  der  schwachen  Legierung,  in  der  sie  mit  den  beiden 
von  Hussey  analysierten  goldlosen  gleich  ist  Und  man  wird  demnach 
vermuten  dürfen,  daß  in  Athen,  wenigstens  bis  in  die  Zeit  des  „strengen^ 
Stils  hinein,  noch  nicht  Gold  in  die  Mischung  gethan  wurde.  Wenig- 
stens normalmäßig  noch  nicht;  mit  jener  Drachme  „von  rohestem  und 
frühestem  Stil",  in  der  Hussey  0,9644  Süber  und  0,000173  Gold 
(16  Grains  auf  das  Troypfund)  fand,  muß  es  eine  besondere  Bewandt- 
nis haben,  da  das  wenige  Gold  \  selbst  wenn  zur  Zeit  dieser  Prägung 
Gold  zu  Silber  wie  1 :  lö^s  stand,  nur  eine  geringe  Werterhöhung  gab, 
die  von  0,9644  auf  9670;  das  Talent  dieser  Drachme  würde  enthalten 
haben 

[1210]  Süber.  .  .  25  263,6581g 
Kupfer  .  .  927,7563  „ 
Gold   .  .  .  4,2256  „ 

der  Feingehalt  desselben  wäre  gewesen  25  328,655  g,  d.  h.  um  432  g 
zu  gering^. 

Wenn  Head  die  syrakusischen  Tetradrachmen  bis  in  die  Zeit  des 
Agathokles  hinab  auf  normal 

17,49  g 


^  Als  man  1840  auf  der  Berliner  Münze  1  Million  Thaler  in  ^/^  Stücken 
einschmolz,  ,,fand  sich  durch  eine  zufällige  Entdeckung,  daß  in  der  Masse  von 
fast  genau  65  000  Pfand  (1 29  786  g)  in  dem  Kupfer,  womit  die  Stücke  versetzt 
waren  (52,08  Silber  gegen  47,92  Kupfer),  Gold  enthalten  war  in  einem  zwar 
sehr  geringen  und  deshalb  früher  nicht  bemerkten  AnteiP^  (Hoffmann,  Kleine 
Schriften  S.  565).  Diese  Angaben  nach  dem  Gewicht  auf  die  im  Text  angewandte 
Berechnung  reduziert,  war  in  dieser  Masse 

Silber  .  .  .  0,514  76 
Kupfer  .  .  .  0,484  76 
Gold      .     .     .     0,000  48 

'  Da  es  müßig  sein  würde  die  Frage  der  Echtheit  über  diese  nicht  mehr 
vorhandene  Münze  aufzuwerfen,  so  bleibt  nur  die  Alternative,  daß  entweder 
ohne  Absicht,  nur  zufällig  Gold  in  dieser  Münze  war,  oder  daß  man  zur  Zeit 
ihrer  Prägung  auf  niedrigerem  Fuß  prägte.  Solche  Herabsetzung  des  Münzfußes 
ist  darum  wahrscheinlicher,  weil,  wenn  das  Gold  in  der  Münze  war  ohne  daß 
man  es  gewollt  hatte,  die  Herabsetzung  nur  um  so  größer  gewesen  sein  würde. 
Noch  bliebe  denkbar,  daß  man  mit  dem  Zusatz  Gold  den  Wert  der  Münze  auf 
die  damals  normale  Höhe  von  0,983,  also  die  Tetradrachme  auf  die  Höhe  von 
17,173  fein  habe  bringen  wollen;  in  diesem  Falle  müßte  das  Gold  damals  — 
etwa  in  der  Zeit  vom  Sturz  der  Peisistratiden  bis  zum  Fall  von  Milet  —  mehr 
als  das  30 fache  des  Silbers  gegolten  haben,  woran  nicht  zu  denken  ist. 


Zum  Müiizwesen  Athens  389 

ansetzt,  so  würden  1 500  solcher  Stücke,  nach  attischer  Art  ein  Talent, 
gewogen  haben 

26  235  g, 

also  um  39  g  mehr  als  das  Talent  attischer  Tetradrachmen  nach  der 
Formel  100:138.  Ich  weiß  nicht,  ob  Head  diese  Normale  17,49  g  nur 
aus  dem  Gewicht  der  erhaltenen  Münzen  kombiniert  hat.  Hätten  die 
Syrakuser  ihr  Litrensystem  auf  diese  Norm  geregelt,  so  würden  sie  den 
Wert  des  Silbers  gegen  Kupfer  auf  1 :  249,0074  gerechnet  haben,  nicht 
auf  das  einfache  und  übersichtliche  1 :  250, 

Nach  dem  gefundenen  spezifischen  Gewicht  würden  diese  1500 
syrakusischen  Tetradrachmen  enthalten 

Silber  ...     24  598,044  g 
Kupfer  .  .       1597,956,, 

die  vollwichtige  syrakusische  Tetradrachme  also 

Süber,  .  .         16,3980  g 
Kupfer  .  .  1,0653  „ 

Ziffern,  die  den  normalen  in  Athen  so  nahe  kommen  (17,4633  gegen 

attisch  17,464),  wie  man  bei  Berechnung  aus  dem  spezifischen  Gewicht 

nur  irgend  erwarten  darf. 

Wir  fanden  das  Talent  der  älteren  attischen  Tetradrachme  von 

17,464  Gran 26  196  g 

die  Analyse  ergab  in  Husseys  Drachme  ohne  Gold 

Silber  0,983  „ 

Kupfer  0,017  „ 

also  in  dem  Talent Silber  25  750,668  „ 

Kupfer  445,332  „ 

[1211]  So  schwach  legiertes  Silber  mußie  sich  in  der  Circulation 
stark  abnutzen.  Daß  man  von  0,986  auf  0,983  herabgegangen  war, 
um  die  Legierung  auf  0,017  zu  erhöhen,  konnte  noch  nicht  viel  wirken; 
und  doch  durfte  man  nicht  den  Feingehalt  noch  mehr  schädigen,  um 
die  Legierung  zu  verstärken.  Es  kam  darauf  an,  den  gleichen 'Fein- 
gehalt und  eine  stärkere  Legierung  zu  kombinieren.  Es  ist  gleichgültig, 
ob  die  Athener  so  wie  früher  angedeutet  worden  ist  oder  auf  einem 
anderen  Wege  dazu  gekommen  sind,  für  diesen  Zweck  ein  wenig  Gold 
in  die  Mischung  zu  thun.  Geschah  das  in  einer  Zeit,  wo  Gold  gegen 
Silber  wie  1:11  Y2  stand,  so  mischten  sie 

Silber  0,961  g, 

Gold  0,002  „ 

Kupfer  0,037  „ 

22* 


79 

n 


340  Zorn  Münzwesen  Athens 

ihr  Talent  von  23  196  g  hatte  dann  Silber  25 174,156    g, 

Gold  51,392     „ 

Kupfer  969,252 

und  die  Tetradrachme  von  17,464  g:  Silber  16,7828 

Gold  0,0349  „ 

Kupfer  0,6461  „ 

Wenn  das  aus  den  attischen  Bergwerken  gelieferte  oder  gekaufte 
Silbererz  einmal  kein  Gold  enthielt,  so  warf  man  in  die  für  1500  Tetra- 
drachmen bestimmte  Schmelzung  6  Stateren  oder  Dareiken,  um  die  yuII- 
wertige  Mischung  herzustellen. 

Unter  den  wenigen  bisher  untersuchten  Stücken  der  Klasse  I  giebt 
es  kein  Beispiel  dieses  Übergangs. 

Vielleicht  verband  man  mit  dieser  Veränderung  gleich  eine  zweite. 
Es  konnte  in  der  Zeit,  wo  7000  Talente  geprägtes  Silber  auf  der  Burg 
lagen,  gelegentlich  ein  kluger  Trapezit  oder  Metalleut  ausgerechnet 
haben,  wie  viel  in  dieser  Geldmasse  Kupfer  enthalten  sei  und  in  der 
Legierung  wertlos  da  liege  ohne  Zinsen  zu  tragen;  er  hätte  auf 
180  000  Kilo  Silber  etwa  3000  Kilo  Kupfer  gefunden^.  Ersetzte  man 
jetzt  in  der  Mischung  0,0023  Silber  mit  Gold,  so  daß  man  fortan  statt 
der  früheren  0,017  Legierung  jetzt  0,037  hätte  nehmen  können,  so 
mochte  es  mehr  als  genug  erscheinen,  weim  man  sich  auf  0,030  be- 
schränkte; man  hatte  immer  noch  eine  Legierung,  die  tast  doppelt  so 
stark  war  als  die  bisherige.    Dann  war  fortan  in  dem  Talent 

[1212]  Süber      25174,356  g, 
Gold  52,392  „ 

Kupfer        783,352  ,, 

26  0r0g7~ 

und  in  der  Tetradrachme Silber  16,7828  g, 

Gold  0,0353  „ 

Kupfer  0,5223  „ 

17,3404  g 

d.  h.  man  hatte  an  die  Stelle  des  alten  Normalgewichts  nach  dem 
Verhältnis  von  100: 138  ein  neues  nach  dem  Verhältnis  von  100: 138®/, 
gesetzt 

Zum  Schluß  mögen  noch  zwei  Bemerkungen  gestattet  sein. 

^  Wir  keimen  den  damaligen  Preis  des  Kupfers  in  Athen  nicht  In  Sjrakm 
wurden  bei  der  Beduction  vor  der  Zeit  Dionys  I.  2  Drachmen  =  1090  g  Kapfer 
gerechnet  Nach  diesem  Preise  berechnet  enthielten  die  7000  Talente  mit  reich- 
lich 3000  Kilo  Kupfer  ein  totes  Kapital,  das  nach  attischem  Zins  jährlich  aber 
7  Minen  hätte  bringen  können. 


r. 


Zum  Münzwesen  Athens  341 

Der  oben  gebrauchte  Ausdruck,  daß  Syrakus  den  attischen  Münz- 
fuß angenommen  habe,  ist  nicht  in  dem  ganzen  Umfang,  in  dem  man 
jetzt  diesen  Ausdruck  verstehen  würde,  richtig.  Syrakus  nahm  wohl 
das  attische  Münzgewicht  an,  das  Zwanziglitrenstück  war  der  alten 
attischen  Tetradrachme  fast  völlig  gleich  an  Gewicht,  nur  um  0,03  g 
schwerer;  aber  wenn  es,  wie  in  der  spezifischen  Wägung  sich  ergab, 
0,74  g  Silber  weniger  enthielt,  so  ließ  sich  der  Athener  in  Syrakus  für 
seine  Tetradrachme  ein  Zwanziglitrenstück  und  noch  einen  Dodrans 
(^/^  liitren)  obenein  zahlen;  und  in  Athen  erhielt  der  Sikeliot  für  seine 
Tetradrachme  nur  23  Obolen  statt  24;  das  attische  Talent  war  um 
256  Drachmen  besser  als  1500  syrakusische  Tetradrachmen,  denen  es 
dem  Gewicht  nach  um  8  Drachmen  nachstand. 

Nach  der  Autonomie  der  hellenischen  Staaten  ist  die  Gleichheit 
ihres  Münzfußes  bei  weitem  noch  nicht  ein  Zeugnis  für  die  Gleich- 
wertigkeit ihrer  Münzen,  falls  nicht  einzelne  durch  Münzverträge  sich 
gegenseitig  verpflichtet  hatten,  von  dem  gleichen  Gewicht  Feingold  oder 
Feinsilber  die  gleiche  Stückzahl  gleicher  Nominale  auszubringend 
Welcher  Wirrwarr  in  dem  Geldverkehr,  wie  tagtägliche  Gelegenheit 
zu  Agiotage  und  tTbervorteilung  davon  die  Folge  sein  mußte,  sieht 
man  aus  den  analogen  Zuständen  in  deutschen  Landen  um  die  Zeit, 
als  von  Eeichswegen  der  (Juldenfuß  eingerichtet  wurde,  der  wenigstens 
die  Goldprägung  einheitlich  normieren  sollte,  während  von  der  Silber- 
prägung [1213]  in  dem  Beichstagsschluß  gesagt  wurde,  „daß  sie  nach 
des  Landes  Gelegenheit  von  mancherlei  Sachen  wegen  nit  auf  ein  Korn 
zu  bringen  sei  . .  ."*. 

Sodann  ein  Zweites,  Wenn  die  Kömer  in  dem  Friedensvertrage 
bei  Polyb.  XXII  26  dem  König  ^ntiochos  IIL  auferlegten,  12  000  Ta- 
lente äQyvQiov  lAmxov  äglarov  zn  zahlen,  so  meinten  sie  nicht  bloß 
12000  X  1500  Tetradrachmen  attisches  Geld;  denn  sie  bestimmten  das 
Gewicht  des  Talentes,  daß  es  nicht  weniger  als  80  Pfund  römisch, 

^  Das  Fragment,  des  MüDzvertrages  zwischen  Mytilene  und  Phokaia  (New- 
ton Transact.  of  the  Roy.  Soc.  II  Ser.  XYIII  S.  543),  in  dem  die  beiden  Stfidte 
übereinkommen,  Jahr  um  Jahr  wechselnd  die  ihnen  gemeinsamen  Goldmünzen 
zu  prägen,  läßt  durch  ein  von  beiden  bestelltes  Gericht  den  mit  der  Prägung 
beauftragten  Beamten  dechargieren,  und  wenn  er  das  Gold  zu  leicht  ausgebracht 
(ro  x^<^^ov  neqvav  vöaQdfnsQov  ^dXav)  ihn  mit  dem  Tode  bestrafen.  Es  muß 
also  von  beiden  Staaten  nicht  bloß  ein  Normalgewicht  angenommen,  sondern 
zugleich  die  Toleranz  im  Feingehalt  bestimmt  worden  sein,  innerhalb  deren  das 
Gold  noch  nicht  für  ^daQeareQov  galt 

*  Reichsabschied  von  1495.  Musterhaft  ist  ein  Teil  dieser  deutschen  Münz- 
verhältnisse erörtert  von  Puckert,  das  Münzwesen  Sachsens  1518—1545,  erste 
Abteilung  1862. 


342  ^um  Münzwesen  Atheofi 

d.  h.  26  196  g  wiegen  sollte;  sondern  sie  forderten  attisches  Silber  vom 
besten  Korn.  Und  in  gleicher  Weise  ist  es  zu  verstehen,  wenn  die 
Römer  in  dem  Frieden  mit  den  Aitolern  eine  Zahlung  ansetzen: 
ccgyvQiov  fiij  zBiQovog  *4ttixov,  also  von  dem  Teingehalt  des  attischen 
nagccxQflfici  fih  rüXavra  Evßoixä  Siax6aia  u.  s.  w.,  also  200  Talente 
Gewicht. 

Wann  in  Athen  die  Gewichtsminderung  der  Tetradrachmen  von 
17,464  auf  17,34  eingeführt  worden  ist,  wird  nicht  überliefert.  Aus 
dem  Verhältnis  von  Schrot  und  Korn  des  Silbergeldes  der  perikleischen. 
der  demosthenischen  Zeit  wird  es  sich  nach  der  dargelegten  Hypothese 
vielleicht  ergeben;  sie  selbst  wird  lehren,  ob  die  Zeiten  so  zu  unter- 
scheiden sind  oder  nicht. 

In  der  Rechnung  hat  diese  Hypothese  nichts  Bedenkliches.  Freilich 
traut  sie  den  Athenern  ein  Maß  metallurgischer  Kenntnis  und  tech- 
nischer Präzision  zu,  für  die  wir  wenigstens  litterarische  Zeugnisse  nicht 
haben.  Aber  oft  genug  sind  wir  bei  historischen  Forschungen  in  der 
Lage,  mehr  als  die  sogenannten  Quellen  uns  bieten  aus  den  Über- 
resten entnehmen  zu  können,  wenn  wir  sie  zum  Sprechen  zu  bringen 
vermögen.  Ob  die  dargelegte  Hypothese  Evidenz  genug  hat,  daß  das, 
was  sie  voraussetzt,  als  erwiesen  gelten  kann,  mögen  die  Technologen 
entscheiden. 


Anhang  I. 

Die  Abnutzung  des  attischen  Silbergeldes. 

Die  Abnutzung  der  Gold-  und  Silbermünzen  im  Verkehr  hat  man 
neuester  Zeit  mehrfach  untersucht.  Die  Münzen,  vrelche  man  dabei  in 
Betracht  gezogen  hat,  sind  alle  stärker  legiert,  als  es  die  attischen 
waren,  und  von  den  ich  glaube  einzigen  modernen  Geldstücken,  die 
noch  feiner  als  sie  ausgebracht  worden  sind,  den  sogenannten  hannove- 
rischen Kassengulden  mit  nur  0,007  Legierung,  die  wenig  in  Umlauf 
gekommen  sind,  scheint  eine  Angabe  ihrer  Abnutzung  nicht  veröflFent- 
licht  worden  zu  sein. 

Nach  Karmarsch  (Beiträge  zur  Technik  des  Münzwesens  1856), 
verliert  das  französische  Silbergeld  von  0,900  Feingehalt  jährlich  durch- 
schnittlich 

Fünffrancstück 0,0052 

Zweifrancstnck 0,0165 

Einfrancstück 0,0279 


Zum  Mänzwesen  Athens 


843 


das  englische  Silbergeld  von  0,925  Feingehalt 

halbe  Krone 0,0174 

Schilling 0,0403 

Sixpence 0,0628 

die  kleineren  Nominale  verlieren  so  viel  mehr  wegen  ihrer  stärkeren 
Circulation.  Die  preußischen  Thaler  verlieren  nach  Karmarsch  jährlich 
73,  auf  Tausend  (73333).  «ach  M.  W.  Miller  7,,  (73,,,). 

Andere  Angaben  über  diese  Frage,  die  mein  Kollege  Hr.  Schmoller 
die  Gute  gehabt  hat  mir  zusammenstellen  zu  lassen,  ergaben  nicht 
immer  dieselben,  aber  doch  ähnliche  Resultate.  Sie,  wie  die  Berech- 
nungen von  Karmarsch,  beziehen  sich  fast  durchgehend  auf  solche  Mänz- 
stücke,  die  nur  eine  kurze  Umlaufzeit  gehabt  haben,  da  neuerer  Zeit 
die  über  ein  gewisses  Maß  abgenutzten  Exemplare  eingezogen  und 
eingeschmolzen  werden. 

Ein  Beispiel  längerer  Umlaufzeit  bot  mir  ein  preußischer  Thaler 
von  1750,  der  nach  dem  damals  eingeführten  Graumannschen 
System  in  dem  Gewicht  von  22,2719  g  mit  16,7039  g  Feingehalt  aus- 
gebracht war;  er  ist  über  100  Jahre  in  Umlauf  gewesen  und  wiegt 
jetzt  noch  22,198  g.  Durch  die  so  viel  stärkere  Legierung  war  er 
so  viel  besser  geschützt  als  der  Thaler  von  1857  mit  0,900  g  Fein- 
gehalt. 

Nur  zur  Veranschaulichung  giebt  die  folgende  Tabelle  die  Skala 
der  Abnutzung  einer  attischen  Tetradrachme  von  17,464  g  unter  der 
Annahme,  daß  sie  in  Prozenten  ihres  ursprünglich  vollen  Gewichts 
[1215]  wie  die  preußischen  Thaler  von  18&7  durchschnittlich  0,0242  g 
im  Jahre  verloren  hat. 

Sie  verlor  von  17,464  g  jährüch  0,004  226  3  g, 


sie  hat  also 

nach 

5  Jahren 

?» 

10 

»> 

yy 

20 

»j 

» 

30 

» 

>> 

40 

yy 

» 

50 

» 

yi 

60 

j> 

» 

70 

v 

» 

80 

»7 

jy 

90 

» 

» 

100 

yy 

»> 

150 

« 

» 

200 

»> 

verloren 

0,021  131  5  g 
0,042  263 
0,084  526 
0,126  798 
0,169  052 
0,211  315 
0,253  578 
0,295  841 
0,338  104 
0,880  367 
0,422  63 
0,633  94 
0,845  26 

U.  8.  W. 


ly 


und  wiegt  noch 

17,442  868  5  g 
17,421  737 
17,379  474 
17,337  211 
17,294  948 
17,252  685 
17,210  422 
17,168  159 
17,125  896 
17,083  633 
17,041  37 
16,831  86 
16,618  74 


344  ^um  Münswesen  Athens 

Darf  man  bei  Erörtemng  des  Münzfußes  and  des  Wertes  antiker 
Münzen  diesen  Gesichtspunkt  ihrer  Abnutzung  durch  die  Cärculation 
in  Anschlag  bringen,  wie  mir  notwendig  scheint ,  so  ergiebt  sich,  in 
wie  weit  für  beide  Fragen  das  bloße  Bruttogewicht  der  erhaltenen  Stücke 
maßgebend  sein  kann. 


[1216]  inhaiisU. 

Die  Legierung  als  Griterium. 

Aus  den  14  Analysen  attischer  Drachmenstücke  und  dem  sp^- 
fischen  Gewicht  einer  nicht  analysierten  scheinen  sich  noch  weitere 
beachtenswerte  Momente  zu  ergeben. 

Mein  Kollege ,  Hr.  Dr.  Lehmann-Filh^s,  hat  die  Güte  gehabt,  die 
in  der  spezifischen  Wägung  einer  attischen,  einer  syrakusischen  und 
einer  Alexander-Tetradrachme  gefundenen  Ergebnisse  weiter  zu  be- 
rechnen und  mir  die  Formeln  zu  entwickeln,  aus  denen  auch  für  die 
analysierten  Stücke  die  Fragen,  auf  die  es  in  der  folgenden  Zusammen- 
stellung ankommt,  sich  beantworten  lassen. 

Er  fand,  indem  er  das  in  der  W^ägung  der  attischen  Tetradrachme 
(Nr.  3)  gefundene  spezifische  Gewicht  10,534  und  das  daraus  abgeleitete 
Verhältnis  Silber  0,98,  Kupfer  0,02,  ein  paar  Stellen  weiter  rechnet^, 
das  Verhältnis  der  beiden  Metalle  an  ihr 

Silber    0,9884, 
Kupfer  0,0166, 

und  demgemäß  in  dieser  Münze  enthalten 

Silber    16,888  g 
Kupfer    0,286  „ 

Diese  alte  Tetradrachme,  die  nach  dem  Normalgewicht  der  älteren  Zeit 
17,464  g  gehabt  haben  wird,  wiegt  zur  Zeit  nur  noch  17,1740  g;  ihr 
Feingehalt  ist  in  demselben  Verhältnis  gemindert. 

In  der  folgenden  Tabelle  sind  die  bisher  analysierten  oder  spezi- 
fisch gewogenen  attischen  Silbermünzen  nach  Klasse  I  und  Klasse  IT 
zusammengestellt,  zwischen  beiden  diejenigen  analysierten  Münzen,  deren 
Beschreibung  nicht  ausreicht  zu  entscheiden,  welcher  von  beiden  Klassen 
sie  angehörend  Jede  dieser  analysierten  Tetradrachmen  ist  in  dem  Zu- 
stand der  Abnutzung,  in  dem  sie  17,1740  g  wog,  in  Bechnung  gesetzt 

^  Die  einzelnen  Geldstücke  dnd  mit  a.  oder  sp.  bezeichnet,  je  nachdem 
sie  analysiert  oder  spezifisch  gewogen  sind,  sowie  mit  den  Anfimgsbuchstaben 
der  Namen  Beul^,  Hussey,  Rauch,  Droysen,  J.  Barth^l^my,  um  die  Provenienz 
der  Angaben  zu  bezeichnen. 


Zum  Mttnzwesen  AtheiiB 


345 


[1217]  Klasse! 


1.  a.  JB. 

2.  a.  H. . 
8.  sp.  D. 
4.  a.  H. . 


Pro  Mille 
Silber    |  Kupfer  1     Gold 


In  Grammen 
Silber    1  Kupfer  |    Gold 


5.  a.  J  B.  . 

6.  a.  J  B. . 

7.  a.  B. .  . 


0,986 
0,9888 
0,9834 
0,964409 


0,958 
0,978 
0,933 


[      ] 
0,0166 

0,0166 

0,035416 


0,000173 


16,9835 
16,8871 
16,8889 
16,5626 


Unbestimmt. 

ll  ? 
? 
? 


[0,2405] 

[0,2869] 

[0,2850] 

0,6080 


0,0029 


Spez. 
Gewicht 


10,5344 


Klasse  IL 


8.  a.B.* 

9.  a.  H. . 

10.  a.  B.» 

11.  a.  B.  . 

12.  a.  B.  . 

13.  a.  B.  . 

14.  a.  B.  . 

15.  a.  B.  . 

16.  a.  B.  . 


Pro  Mille 
Silber    1  Kupfer  |     Gold 


In  Grammen 
Silber    1  Kupfer  I     Gold 


0,966 

0,9190» 

0,966 

6,924 

0,978 

0,934 

0,974 

0,947 

0,932 


0,032 
0,0784 


] 

1 


] 


0,002 

0,0026 

0,0016 

0,0016 

0,0016 

0,0016 

0,0016 

0,0016 

0,0016 


16,5900 

15,783 

16,5900 

15,8686 

16,7962 

16,0407 

16,7278 

16,2637 

16,0068 


0,5445 
1,3464 
0,5564 
0,2777 
0,3503 
1,1060 
0,4190 
0,8827 
1,1404 


0,0343 

0,04465 

0,0275 

0,0275 

0,0275 

0,0275 

0,0275 

0,0275 

0,0275 


Spez. 
Gewicht 


10,431 
10,512 
10,434 
10,535 
10,452 
10,527 
10,476 
10,448 


Gold  ist  nach  dieser  Tabelle  durcli  Analyse  nachgewiesen  in  einem 
Stück  der  Klasse  I^  in  sämtlichen  der  Klasse  U;  von  den  drei  zwischen 
beiden  Klassen  angeführten  ist  darüber  keine  Notiz  gegeben. 

Wir  wissen  nicht,  wie  hoch  der  Feingehalt  der  alten  Tettadrachmen 
von  17,464  normiert  war;  die  Nr.  3  würde,  wenn  sie  noch  vollwichtig 
wäre,  17,1633  g  haben,  ungefähr  ebensoviel  Nr.  2,  Nr.  1  käme  auf 
17,2154  g.    Es  scheint  die  Norm  für  den  Peingehalt  17,20  g  gewesen 


^  Unter  dieser  Nr.  8  ist  die  Durchschnittssumme  von  87  Tetradrachmen 
der  Klasse  11,  die  Beul6  einschmolz,  angegeben. 

'  Diese  Ziffer  ist  nach  Hultsch  S.  171  angesetzt;  Husseys  Angaben  nach 
Troypfund  ergaben  0,916  17. 

'  Die  folgenden  7  Nummern  sind  in  der  Folge  angeführt,  wie  Grotefend 
(Chron.  Ordnung  1872)  deren  Chronologie  anders  als  Beul6  geordnet  hat;  sicher 
ist  auch  diese  keineswegs. 


346  Zum  Münzwescn  AtheiiB 

zu  sein.  Bei  dem  Zustand  der  Abnutzung,  in  dem  die  Tetradrachmeii 
Nr.  1,  2  nur  noch  [1218]  17,1740  g  wiegen,  würde  ihr  Feingehalt  sich 
auf  16,93  und  16,88  g  gemindert  haben. 

Wir  durften  vermuten,  daß  man,  um  stärker  legieren  zu  können, 
so  viel  Gold  in  die  Mischung  that,  daß  der  Wert  der  Prozente  Silber, 
di§  man  fortließ,  damit  ersetzt  wurde.  Der  Wert  des  Goldes  in  der 
griechischen  W^elt  ist  in  der  Zeit  des  Perikles  vielleicht  das  13  fache 
des  Silbers  gewesen,  früher  noch  höher,  bis  15  und  vielleicht  noch  ein 
wenig  mehr;  allmählich  sinkt  der  Cours  des  Goldes;  der  Redner  Lykurg 
kaufte  Gold  zu  11,47  Silber.  Seit  Alexanders  Eroberungen  die  Massen 
Goldes  aus  den  Schatzhäusern  des  Perserreiches  in  den  Verkehr  ge- 
worfen hatten,  stellte  sich  das  Verhältnis  auf  1:10. 

Aus  dem  spezifischen  Gewicht  läßt  sich  nicht  unmittelbar  ent- 
nehmen, ob  in  einer  Silbermünze  Gold  ist  oder  nicht. 

Da  das  Kupfer  spezifisch  leichter  ist,  als  die  beiden  Edelmetalle 
so  wird  in  dem  Maße,  als  der  Prozentsatz  des  Kupfers  in  der  Mischung 
steigt,  deren  spezifisches  Gewicht  sinken;  das  Gold  steigert  dies  Gewicht 
nicht. um  so  viel,  daß  der  Verlust  an  dem  Volumen  Silber,  dessen 
Wert  es  ersetzt,  dadurch  ausgeglichen  wird,  obschon  das  Gold  im 
spezifischen  Gewicht  fast  doppelt  so  schwer  ist  als  Silber. 

Wenn  es  richtig  ist,  daß  die  7  Tetradrachmen  der  Klasse  11,  deren 
Analyse  Beule  giebt  (Nr.  10  bis  16),  sämtlich  das  gleiche  Quantum 
Gold  0,0016  enthalten,  so  scheint  das  auf  einer  gesetzlichen  Bestimmung 
zu  beruhen,  um  so  mehr,  da  der  Silbergehalt  in  ihnen  auffallend 
schwankt. 

Wenn  die  eingeschmolzenen  87  Tetradrachmen  Beules  (Nr.  8)  im 
Durchschnitt  auf  das  Stück  bei  0,966  Silber  0,002  Gold  ergeben,  so 
ersetzt  dies  Gold,  im  Wert  Yon  1:10  genommen,  0,020  Silber;  es 
hatte  also  der  Feingehalt  dieser  Tetradrachmen  im  Durchschnitt 

bei  Gewicht  0,968  an  Wert  0,988 

Auch  von  den  7  Tetradrachmen,  die  Beule  analysierte,  sind  Nr.  12 
Nr.  14  und  Nr.  10  noch  vollwertig,  sie  haben  Peingehalt 

an  Gewicht  an  Wert 

Nr.  12  ...  .    0,97961  0,9940 

Nr.  14  ...  .   0,9756  0,9900 

Nr.  10  ...  .   0,9676  0,9820 


^  Die  beiden  letzten  Stellen  in  dieser  und  den  folgenden  Angaben  beider 
Reihen  sind  nicht  genau,  da  dem  Silber,  das  Beule  auf  drei  Stellen  angcigeben 
bat  (0,978),  das  mit  vier  Stellen  angegebene  Gold  (0,0016)  zugerechnet  ist,  die 
beiden  letzten  Stellen  sind  also  in  ikesi  zu  niedrig. 


Zum  Münzwcäcn  Athens  347 

[1219]  Die  andern  vier  sinken  auch  an  Wert: 

Nr.  15  ...  .    0,9486  0,9630 

Nr.  13  ...  .    0,9356  0,9490 

Nr.  16  ...  .    0,9336  0,9484 

Nr.  1 1  ...  .    0,9256  0,9400 
endlich  die  von  Hussey  analysierte 

Nr.  9 0,9190  0,9450 

Das  große  Schwanken  in  den  Werten  dieser  Prägungen  der  Klasse  11 
wird  sich  aus  den  politischen  Zustanden  Athens  in  der  Zeit  nach  dem 
chremonideischen  Kriege  erklären. 

Die  drei  Münzen,  welche  in  der  Tabelle  zwischen  beiden  Klassen 
als  „Unbestimmt"  aufgeführt  sind,  gehören  wahrscheinlich  der  Klasse  II 
an,  wenn  auch  die  Angaben  über  ihre  Analyse  nicht  erwähnen,  daß 
sich  Gold  in  ihnen  gefanden.  Wären  diese  Münzen  nicht  durch  die 
Analyse  zerstört,  so  könnte  man,  scheint  es,  durch  die  spezifische  Wägung 
feststellen,  ob  sie  Gold  enthalten.  *Ist  dem  also? 

Es  ist  früher  einer  Tetradrachme  Alexanders  erwähnt,  die  Hussey 
analysiert  hat;  er  fand  in  ihr 

Silber  0,9673 
Kupfer  0,0291 
Gold      0,0036 

War,  wie  wir  annehmen  dürfen,  diese  Münze  auf  den  Fuß  von  17,34  g 
ausgebracht,  so  hatte  sie 

Silber     16,7747 

Kupfer    0,5049 

Gold        0,0624 

und  wenn  wir  sie  in  dem  Zustande  der  Abnutzung,  wo  sie  nur  noch 
17,1740g  wog,  in  Bechnung  setzen,  so  hatte  sie  immer  noch 

Silber  16,609 
Kupfer  0,503 
Gold        0,062 

Nach  dem  Verhältnis  der  drei  Metalle  hatte  diese  Tetradrachme,  als 
sie  noch  vollwichtig  war,  Feingehalt  an  Gewicht  16,8371,  an  Wert 
17,3987,  also  etwas  mehr  an  Wert,  als  wenn  das  volle  Gewicht  der- 
selben 1 7,34  g  Silber  gewesen  wäre  \ 

^  Es  mag  hier  daran  erinnert  werden,  daß  die  Legierung  der  älteren  rö- 
mischen Denare  und  die  des  Silbergeldes  Alexanders  fast  genau  dieselbe  ist. 
Der  römische  Denar  hat  an  Feingehalt  0,9707  und  dem  Werte  nach  1,001 2, 
falls  in  der  römischen  Welt  der  Zeit  das  Gold  gegen  Silber  wie  1 :  10  gerechnet 
werden  darf. 


348  Zum  Münzwesen  Athens 

Hatte  das  attische  Silbergeld  durch  seinen  höheren  Feingebalt 
eine  Art  Herrschaft  in  der  hellenischen  Welt  gewonnen,  so  wnrde  das 
Alexanders  bei  noch  höherem  Feingehalt  in  den  alt-  und  [1220]  neu- 
hellenischen  Ländern  unzweifelhaft  zur  herrschenden  Münze;  und  mau 
möchte  glauben,  daß  Alexander  seine  Münzordnung  eben  zu  diesem 
Zweck  eingeführt  hat. 

Bei  der  großen  Schwierigkeit,  die  Tausende  von  Alexandertetra- 
drachmen, die  sich  in  den  heutigen  Sammlungen  vorfinden,  zu  klassi- 
ficieren,  würde  es  der  Mühe  wert  sein,  die  verschiedenen  Klassen,  die 
L.  Müller  aufgestellt  hat,  auch  nach  ihrem  spezifischen  Gewicht  zu 
untersuchen,  da  gewiß  nicht  anzunehmen  ist,  daß  überall  bei  des  Königs 
Lebzeiten  unter  den  sehr  unabhängigen  Strategen  und  Satrapen  der 
weiten  Lande,  dann  bei  der  raschen  Zerrüttung  und  den  Teilungen  des 
Reichs,  die  ursprüngliche  Normierung  festgehalten  worden  ist 

Und  so  findet  sich  folgender  bemerkenswerter  Umstand.  Die  von 
Hussey  analysierte  Tetradrachme  tfach  dem  spezifischen  Gewicht  der 
drei  Metalle  in  ihr  berechnet  ergab  nach  Hm.  Lehmann-Filhes  Be- 
rechnung spezifisches  Gewicht 

10,528 
Die  Tetradrachme  Alexanders  aus  der  oben  erwähnten  Privatsammluni::, 
ein*  wohlerhaltenes  Stück,  das  der  Klasse  IV  bei  L.  Müller  angehören 
würde,  jetzt  nur  noch  im  Gewicht  von  16,6114  g,  ergab  in  der  spe- 
zifischen Wägung,  die  Hr.  Hofiinann  machen  ließ, 

10,412 

Welcher  Satrap  oder  Dynast,  welche  der  königlichen  Freistadte  sie  ge- 
prägt haben  mag,  an  dem  Silber  oder  Gold  oder  an  beiden  hatte  der 
Münzherr  in  arger  Weise  gespart;  seine  Tetradrachme  war  in  hohem 
Grade  unterwertig. 

Die  früher  erwähnte  syrakusische  Tetradrachme  derselben  Privat- 
sammlung aus  der  Zeit  Gelons  und  Hierons  von  noch  16,7493  g  Gewicht 
ergab  spezifisches  Gewicht 

10,4699 

und  daraus  wurde  geschlossen,  daß  sie  enthalte 

Silber    0,939 
Kupfer  0,061 

Unter  den  von  v.  Rauch  analysierten  Tetradrachmen  fand  sich  auch 
eine  syrakusische,  aus  welcher  Zeit  ist  nicht  angegeben,  sie  enthielt 

Silber    0,960 

Also  in  Syrakus  hatte  man  nach  jener  Zeit,  ob  unter  dem  Begiment 
Dionys  I.   oder  des  Timoleon  oder  wann  immer,   das   Silbergeld  um 


Zum  Münz  Wesen  Athens  349 

ein  Bedeutendes  verbessert;  von  Gold  ist  in  v.  Rauchs  Analyse  nichts 
erwähnt. 

Wann  Athen  von  seinem  alten  Münzfuß  von  17^464  auf  die 
Tetradrachme  zu  dem  von  17,34  übergegangen  ist,  also  seine  Norm 
[1221]  von  100  :  138  auf  die  von  100  :  1387^  herabgesetzt  hat,  ist 
völlig  dunkel.  Der  früher  angedeutete  Versuch,  aus  dem  dem  Silber 
beigemischten  Gold  das  Wertverhältnis  beider  Metalle  zu  entnehmen 
und  in  dem  allmählichen  Sinken  des  Goldwertes  eine  wenigstens  un- 
gefähre Bestimmung  für  die  chronologische  Folge  der  so  qualificierten 
attischen  Münzen  zu  gewinnen,  müßte  erst  durch  weitere  Unter- 
suchungen besser  gestützt  sein,  um  eine  Begel  daraus  entwickeln  zu 
können. 

Die  in  der  Tabelle  aufgeführten  Tetradrachmen  der  Klasse  I,  ab- 
gesehen von  der  rätselhaften  unter  Nr.  4,  die  ein  Geringes  von  Gold 
enthielt,  hatten  an  Silber  0,986  bis  0,983  und  das  spezifische  Gewicht 
der  von  0,9834  (Nr.  3)  war  10,5344. 

In  den  sämtlichen  analysierten  Münzen  der  Blasse  II  fand  sich 
Gold.  Wenn  es  richtig  ist,  daß  die  sieben  Tetradrachmen  dieser  Klasse, 
deren  Analyse  Beule  giebt,  das  gleiche  Quantum  Gold  0,0016  hatten, 
so  schien  uns  diese  sonderbare  Erscheinung  erklärlich,  wenn  man  eine 
gesetzliche  Bestimmung,   die  solchen  Zusatz  verfügt  hat,  voraussetzt 

Wenn  die  87  Tetradrachmen,  die  Beule  zusammenschmelzen  ließ 
(Nr.  8),  im  Durchschnitt  auf  das  einzelne  Stück  ergeben: 

Süber  0,966 
Gold    0,002 

so  ersetzte  dies  Gold,  den  Wert  von  1 :  10  angenommen,  0,020  Silber; 
es  hatte  also  der  Feingehalt  dieser  87  Stücke  durchschnittlich 

bei  Gewicht  0,968        den  Wert  -von  0,988 

also  sie  waren  durchschnittlich  noch  vollwertig. 

Ebenso  noch  vollwertig  sind  die  unter  Nr.  12,  Nr.  14  und  Nr.  10 
angeführten.  Nr.  12  hatte  an  Silber  nur  0,005  weniger,  als  die  alte 
Nr.  3  von  0,983  und  fügte  mit  0,0016  Gold  so  viel  Wert  hinzu,  daß 
der  Feingehalt  dieser  Münze  0,994  Silber  wird,  d.  h.  diese  Münze  über- 
traf, dem  Werte  nach,  die  alte  von  0,983  Silber  um  ein  merkliches; 
die  alte  Tetradrachme  hatte 

vollwichtig  bei 17,464  g    Wert  17,1671, 

die  neue  vollwichtig  bei    17,34    „        „     17,2359, 

die  alte  hatte  spezifisches  Gewicht   10,5341 
die  neue 10,535 


350  Zum  MüiLzwftsen  Athens 

Yielleiclit  sachte  man  so  den  Tetradrachmen  Aleiianders  nachza- 
kommen,  aber  man  erreichte  sie  nicht  ganz.  Wie  tief  andere  Tetra- 
drachmen der  Klasse  11  unter  diesen  Wert  hinabsanken,  zeigt  die  Tabelle. 

Die  Münzen  von  Erlasse  I  und  Klasse  11  unterscheiden  sich  aagen- 
fallig  durch  ihr  Gepräge.  Ob  in  solchen  der  Klasse  I  Gold  enthalten 
[1222]  ist  oder  nicht,  kann  man,  wenn  man  sie  nicht  durch  die  Analyse 
zerstören  will,  durch  das  spezifische  Gewicht  nicht  unterscheiden,  falls 
man  nicht  ihren  normalen  Wert  mit  in  Rechnung  ziehen  will,  der 
einen  zweiten  sicheren  Punkt  für  die  Gleichung  geben  könnte;  nur 
daß  er  durch  eine  nur  bona  fide  geltende  Annahme  sicher  ist 

Ob  sich  noch  eine  andere  Methode  als  die  chemische  Analyse 
finden  lasse,  festzustellen,  daß  in  Silbermünzen  Gold  enthalten  ist 
muß  noch  dahingestellt  bleiben.  W^äre  es  möglich,  z.  B.  auf  dem 
Wege  der  Spektralanalyse,  so  würde  der  Punkt  gefunden  sein,  dnrch 
spezifische  Wägung,  zunächst  for  die  attischen  Münzen  der  Klasse  I, 
sichere  Ergebnisse  zu  gewinnen. 


Anhang.^ 

De  Lagidarum  regno  Ptolemaeo  VI 

Philometore  rege 

[Berolini  1831  4.] 

Praefatlo. 

[III]  Inter  tres  iUas  quae  rerum  Graecarum  sunt  aetates  ut  prima 
tenebris  §uis  atque  fabellis,  ut  altera  civitatum  flore,  rerum  gestarum 
splendore,  yirtutum  vitiorumque  omnium  exemplis  oculos  studiaque 
eruditorum  in  se  convertunt,  ita  tertia  qua  inde  ab  Alexandri  morte, 
regnis  Graecis  imperio  Komano,  diis  Graecis  doctrina  Christiana  con- 
fectis  ad  ultimam  antiquarum  virtutum  oblivionem  ventum  est,  propter 
sterilitatem  suam  atque  languorem  negligi,  a  Romanarum  rerum  scrip- 
toribus  despici,  a  Christianarum  deformari  defamarique  solet.  Quo 
quidem  Graecarum  rerum  obitu  laetiora  imperii  Romani  augmenta, 
ecclesiae  Cbristianae  initia  esse  uullus  nego;  sed  utraque  ex  illis  et 
profecta  sunt  et  suam  lucem  suumque  decus  repetunt.  Accedit  quod 
quae  nostra  aetate  parari  videtur  literarum,  artium,  scientiarum,  legum, 
rerum  omnium  inter  gentes  communio,  ea  illius  aetatis  non  humanitate 
sed  eruditione  Graeca  ne  dicam  mundana  florentis  fuit. 

Gonsilium  enim  id  Alexander  secutus  est,  ut  Graeco  imperio  bar- 
barae  gentes  erudirentur  et  ad  Graecam  humanitatem  conformarentur. 
Id  quod  ita  evenisse  videmus,  ut  Graecae  res  aliis  aliarum  gentium 
moribus  atque  institutis  insinuatae  in  similitudinem  quandam  gentium 
atque  ipsam  barbariem  abirent,  discederent,  interireni  Sic  Graecae  illius 
aetatis  res  tum  maiorum  memoria  atque  aemulatione  sibi  constant,  tum 
pro  gentium  varietate  inter  se  variant,  ut  si  quis  scribere  eas  velit, 
Ovidii  praescribere  possit  verba:  „in  nova  fert  animus  mutatas  dicere 
formas  corpora". 

^  Einige  Zusätze  des  Handexemplars  sind  in  |  |  aufgenommen. 


B52  ^e  Lagidarum  regno  Ptolemaeo  VI  Phtlometore  rege 

Miram  potissimmn  inter  Aegyptios  Graecae  res  induerunt  fonnam 
quam  quomodo  publicae  res  prae  se  ferant^  hac  de  Lagidarum 
regno  commentatione  illustrare  conatas  sum. 

lam  mihi  restat  ut  tnam,  lector  benevole,  veniam  mendis  tjpo- 
graphicis  petam,   quibus  passim  macalatam  scriptionem  meam  nnnc 
tandem  video.   Rem  unam  hoc  mihi  loco  emendare  liceat.  Inter  annornm 
enim  numeros,  quos  capitis  tertii  passim  in  margine  adscripsi,  quarto 
loco  annos  habes  Philippi,  „qui  ab  excessu  Alexandri  Magni  numeran- 
tur*' (Censorini  verba  sunt).    Mortuum  Alexandram  anno  324  Petavio 
ChampoUioniqne  olim  credebam.    Ad  quam  raüonem  numeri  mei  quad- 
rant.    Sed  mortuum  anno  323  vere  esse  Idelerus  mira  sua  sagaciiate 
quantum  ex  rebus  chronologicis  potest  certissima  effecit  atque  conclusit 
ratione.    Quam  continuatione  rerum  ab  Alexandre  gestarum  iostaque 
temporum  descriptione  ita  fere  firmare  mihi  videor:  Alexander  Porom 
devicit  hii  ÜQXovxoq  !A&f]vaioiQ  ^HyefAÖvog  firjvög  Movvvxi&voq^  L  e. 
mense  Maio  anni  326;  nam  anni  prioris  h^rixovroq  ^Stj  xov  JiQoq  kx 
BäxTQQjv  itQOvxdiQ^i  djg  knl  'IvSovq  (Arrian.),  juero;  8k  Sv^fiäq  ÜXiji'ädcjr 
versabatur  xcctä  rijv  ÖQBiVfjv  quae  super  Cophenem  fluvium  est;  tov  äi 
iaQog[iy]ä()xo(iivov  descendit  tlg  rä  naSta  xcei  nöXtv  Ta^ikcCj  ivrevd-er 
S'  kTil  'YSäffTifjv '  xal  Tfjv  üthQov  x^Qf^^  (Strab.).    Fluvii  eo  tempore 
agros  inundabant;  Ijv  yocQ  itovg  ÜQa,  ^  fjLBzä  xQonäg  fAdliara  äv  &i^ei 
TQinBxai  6  i'jhog  (Arrian.,  unde  chronographi  non  debebant  colligere 
post  solstitium  adversus  Porum  pugnatum  esse).    Quarto  fere  mense 
post  rediri   coeptum   est  ngo  Svatoog  IRfjiciSog  ov  nollatg  tifiigatg 
(Octob.  326)  xal  rd  (p&iVÖncoQOv  näv  xal  tov  x^^I^"^^  ^^^  ^o  imw 
iuQ  xal  x6  &eQog  h  T(p  xardnXm  consumtum;   n^gl  xvvbg  kitiroXitV 
(lul.  325)  ad  Indi  ostia  ventum  est.    ElxdSi  rod  ßorjSgofAi&vog  fii]rd^ 
TÄ  ivdixarov  ßaffihvovrog  IAXb^üvSqov  (Arr.  ultimo  mense  anni  XI; 
iam  nihil  de  Cephisodoro  archonte  dico  siye  suffectus  est  sive  pseude- 
ponymus)  fAeroniAQOv  xcträ  IRsiüSog  kTuroXijv  (Strab.)  i.  e.  22.  Sepi  325 
tertio  fere  post  regem  mense  Nearchus  ab  Indo  profectus  est     Tertio 
navigationis  mense  (20.  Dez.  325)  ad  Ananium  flumen  regem  convenit 
(Arrian.  Indic.  33  sq.;  minus   accurate  Plin.  VI  23);  x^^P^^oq   &qcc 
(Arrian.)  ex  Caramania  knl  rijv  nagaiSa  äyuv  rex  iubet;  Febroario 
fere  mense  324  Susa  ventum  est;  post  nuptias  celebratas  profectus  Opim 
dimissis  veteranis  in  Mediam  adscendit  (ut  videtur  lunio  mense).    £c- 
batanis  /(xd^otf  nvä  rijv  Svvafitv  ävaXaßav  Ay&vccg  knoUi  xcci  nörovg 
<TvvBx^'^Qi  ^^  ®'S  ^H(paiati(ov  xov  ßiov  i^iXintv  (autumno  324).    ünde 
adversus  Cossaeos  duxit  xaintg  /e/jUtDrog  argarevaag,  quos  xaranexo- 
XBfAfjxcIjg  nQofjysv  knl  rij^  BaßvlcDvog'  Tibi  dum  novae  adversus  Arabi- 
cas  gentes  copiae  classesque  parantur,  rex  diem  supremum  obiit  Hegesia 


De  lAgidarum  regno  Ptolexnaeo  VI  Philometore  rege  353 

archonte  (Ol.  114  1)  duodecimo  regni  anno  expleto,  tertii  decimi  mense 
octavo;  incepit  enim  regnom  anno  336  Die  s.  Pyanepsione  mense  (Octob.), 
unde  mortnum  esse  videmus  Thargelione  mense  (lunio)  323  \ 

Quae  cum  ita  sint,  Philippi  annus  primns  noncupatur  a  primo 
Thoth  (24.  Not.)  anni  324,  numeros  igitur  omnes  quos  sub  Philippi  no- 
mine adscripsi  uno  anno  augendos  esse  apparet,  ut  §  29  pro  143  legatur 
144,  §  31  pro  148  legatur  149  et  sie  deinceps. 

Scribebam  Berolini  Cal.  Ootob.  MDCCCXXXI. 


^  Vgl.  'die  Chronologie  des  Todes  Alezanders'  Gesch.  Alexanders  des  6r. 
U«  8.  343-358. 


Index  capltum. 

Cap.     I.   De  regni  provinciis  et  finibus  §  1 — 8. 
Cap.   n.   De  regni  statu  et  forma 

Exordium  §  9,  10. 

De  rebus  Aegjptiacis  §  11 — 25. 

De  provinciis  §  26—28. 
Cap.  IIL  Res  Ptolemaei  Philometoris  regis  §  29—50. 


[Die  Bachstaben  ',  ^  n.  s.  w.  im  Text  weisen  auf  am  Schluß  htnzngefQgte  AnmerkuDgen 

von  U.  WUcken.] 


Droysen,  Kl.  Schriften  H.  23 


Caput  primum. 

§1. 

[1]  Quaestio  prima  de  provinoiis  est  regni  Ptolemaeo  Fhilo- 
metori  a  maioribiis  traditi.  In  titnlo  marmoris  quod  Tocator  Adalitani 
proTinciamm  Ptolemaeo  Euergetae  I.  a  Philadelpho  patre  traditarum 
hunc  habes  catalogam  [G.  I.  Gr.  5127]:  naQaXccßmv  nagu  rov  ncergb^ 
Ti}v  ßacriksiav  Alyvnxov  xal  Aißvtjg  xai  JSvQtag  xal  <I>OiVixt]g 
xal  KvnQOV  xal  Avxiaq  xal  Kaglag  xal  x&v  KvxkäStDP  vf^atov. 

§2. 

Quo  in  catalogo  nullam  Cyrenaicae,  quam  Euergetae  I.  sub  im- 
perio  faisse  inter  omnes  constat,  baberi  mentionem  mirum  esse  videator. 
Quispiam  contineri  eam  dixerit  libyae  quam  Aegyptii  dicunt  provinciae 
nomine,  quod  ampliore  nonnunquam  vi  uti  exemplis  passim  latentibus 
probatum  est^  Neque  vero  ad  eundem  referri  usum  debebat  versus 
Theocriti'y  qui,  cum  eo  saeculo  Magas  Gjrenas  obtinebat,  inter  Fbila- 
delpbi  provincias  Libya  adscripta  omisit  Cjrenaicam.  Sed  auctor  est 
Plutarchus'  Gleopatrae  Gaesarionique  Antonium  redditurum  totum  Lagi- 
darum  ftiiase  regnum,  nimirum  Aegyptum,  Cyprum,  Libyam,  Coele- 
synam;  quam  desideramus  Gyrenaicam  num  Libyae  nomen  subindicat? 
immo  Ptolemaeo  Apione  legatore  Romanis  legata  (658  u.  a)  inque 
provinciae  formam  (679  u.  c.)  redacta  erat^ 

[2]  Quid  multis?  Libyam  Gyrenaicamque  ubi  accuratius  scribatur 
nomine  significari  uno  nego.  Strabo  usque  ad  Gatabatbmum  oppidum 
ait  pertinere  Aegyptum,  ij  d*i^^g  kaxi  KvQtjvaia  xal  oi  negiotxodPTB^ 
ßägßagot  MaQfiaQtSai  ^    Sed  Ammonius  olim  deus  dixerat  Ai/vnrop 


^  Simili  ratione  Äfifiavlay  Libyam  totam  dicunt,  y.  Steph.  Byz.  c  in^p. 
•  Theocrit.  XVII  87.  »  Flut.  Anton,  c  54.  *  Thrige  Ees  Cyr.  p.  274  sqq. 
^  Ad  illad  usque  oppidum  (hod.  Agaba),  cuius  nomen  originem  Graecam  indicare 
yidetur,  regnum  Battiadarum  pertinuisse  probant  Walther  animadyr.  bist  et  critt. 
sect.  y  c.  8  p.  267  Rennel  in  Bredowii  Uniersuekungen  p.  655;  alii  Paraeto- 
nium  in  confinio  situm  fiiisse  dicunt,  y.  Thrige  p.  165. 


De  Lagidarom  regno  Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  855 

eivai  ravTfjv,  S]v  d  NeiXog  knioiV  ägSet,  et  oi  hc  MaQitjg  tb  nöXtog 
xal  ^moQ,  olxiovreg  Alyvntov  rä  ngöaovQa  Atßvy  sJvai  Aißveg 
xccl  oix  Alyvnxioi  credebantur^  Regio  igitnr,  quam  a  sinistro  Nili 
comu  remotiorem  Herodoti  aetate  Ädyrmachidae  ^  habitabant  Liby- 
amque  Aegyptii  vocabanty  occidentem  versus  usque  ad  Gatabathmtim 
pertinebat  et  ad  desertam  circum  illud  oppidmn  regionem.  Utriusque 
provinciae  qni  a  meridie  fuerint  fines  traditmn  non  est;  erant  fortasse 
montes  qni  hodie  Dscibel  Qebir  vocati  „Barcen  Beduinorum  vagationibns 
seiungunt*'. 

In  titulo  igitur  Adulitano  Libyae  nomine  proyincia  Aegypti  conter- 
mina,  inter  Nilnm  locaque  circum  Catabathmum  deserta  porrecta  conti- 
netur.  Gyrenaicam  autem  non  temere  omissam  esse  res  Lagidarum 
probant;  Ptolemaeus  enim  Soter  Cyrenas  ceterasque  illius  regionis 
civitates  Graecas  et  Afrorum  quotquot  nationes  eorum  sub  dicione  erant, 
Magae  privigno  dono  tradiderat®,  quo  mortuo  Ptolemaeus  Euergeta  cum 
eins  filiam  sibi  sponsam  invita  matre  repugnantibusque  Demetrii  Mace- 
donis  amicis  in  matrimonium  duxisset,  Gyrenaicam  totam  inde  ab 
Aegypto  ad  Philaenorum  occidentem  versus  aras  denuo  Lagidarum  ad- 
iunxit  regno®*. 


^  Herod.  II  18.  ^  oi  vofioiai  fihv  ta  nXda  AlfvnrioKTi  /^acoi^Tai,  ic&fjta 

de  (po(fiov(n  oitjyneq  oi  äXXoi  Älßvegy  Herod.  ^  Thrige  p.  217  iDitio  quidem 
Magam  ait  Gyrenaicae  praefectum  fuisse,  sed  Ptolemaeo  I.  mortuo  a  Philadelpho 
ezpugnasse,  nt  rex  Gyrenaicae  nomioaretur.  Sed  Magam,  quem  anno  258  a.  G. 
mortuum  esse  infra  probabimus,  50  annos  regem  fuisse  auetor  est  Agatharchides 
(Athen.  XII  p.  550  b),  id  quod  ad  annum  308  regni  initium  refert.  Neque  Diodori 
quippe  hominis  nonnunquam  negligentioris  silentium,  cui  Niebuhrius  {DermischU 
Schriften  I  p.  236)  momentum  summum  tribui  iubet,  contra  facere  quicquam,  neque 
quod  Ptolemaeus  Soter  anno  308,  priusquam  ipse  regem  se  enuntiaverat,  regio 
nomine  Magam  auzit,  mirum  mihi  videtur.  Omnino  enim  non  pUne  seiunctam 
regni  nomine  Gyrenaicam  a  Lagidarum  provinciis  fuisse  ex  Pausan.  I  7  apparet 
'  In  rebus  his  ad  temporum  rationem  describendis  post  Thrigeum  multus  fuit 
Niebuhrius,  quorum  in  Ubris  testimonia  videsis  adscripta.  Magas  enim  cum 
Philadelpho  bellum  gessit,  id  quod  neque  annis  264—262  (Froehlich,  Heeren 
etc.)  neque  anno  280  (Thrige)  factum  dixerim;  nam  Magas  Antiochuml.  Soterem 
socerum  in  auxilium  vocavit,  qui  ab  anno  279  regnabat**;  idem  Magas,  quo  tempore 
Alexander  Epirota  in  regnum  rediit  mortuus  (lustin.  XXVI  3),  novissimos  vitae 
annos  teste  Agatharchide  vixit  änoXifiTjTog.  Utut  est,  „Magas  ....  Beronicen  uni- 
cam  filiam  ad  finienda  cum  Ptolemaeo  firatre  certamina  filio  eins  desponderat'' 
Instin.  „Sed  cur  desponderat,  cur  non  in  matrimonium  dederat?^'  sie  Thrigeus; 
Berenice  tum  erat  infans,  matre  Apama  s.  Arsinoe  (non  est  Arsinoe  Lysimachi 
regifl  f.,  sed  Apama  ab  Aegyptiis  ut  fit  Arsinoe  vocata)**.  Apama  igitur  mater 
erat  filia  Antiochi  Soteris,  qui  ex  Stratonice  Demetrii  Polioreetae  f.  post  patrem 
suum  anno  293  ducta  quattuor  susceperat  Uberos,  quorum  maximus  natu  Ptole- 
maeus infans  mortuus  est;  id  quod  probat  Apamam  non  ante  290  natam,  non 

23* 


366  I^e  Lagidarum  regno 

§3- 

[3]  Liter  provincias  igitnr,  qnas  a  patre  Ptolemaens  Philometor 
accepit  heres^  Gyrenaica  fiiit  atque  Libya,  altera  Graecis  coloniis 
frequentissima,  Graecae  [4]  luxariae  artibosque  deditissima,  altera  me- 
moria naturaque  locorum,  non  item  superstitione,  sermone,  vivendi  ratione 
a  vere  Aegyptüs  diversa.  In  meridiem  et  occasum  vastitatem  Aegypto 
circumdatam  vagae  Scenitarum  gentes  persaltant,  quas  in  dicionem 
redegisse  neque  magnopere  refert  neque  firmum  est.  In  media  vasti- 
tate  insnlae  fontibns  irrigatae  benignis  sedes  praebent  ut  in  sabnlosis 
felicissimas.  Inter  qoas  celeberrima  Oasis  est  quae  vocatur  Ammonis\ 
cuius  incolae  pari  pnti  Aegyptii'  Herodoti  aetate  suo  sub  regulo'  fuerant 
quorum  „tyrannorum  vetemm  regiam**  Alexander  vidit*.    Non  dubium 


ante  278  a  Maga  dnctam,  non  ante  272  yel  271  Beronicen  edidiase.    Poei  bunc 
igitar  anniim  270  deeponsa  Beronice  Euexgetae  eet;  ^^sed  post  mortem  Magae 
mater  Demetrinm  qui  vocatur  Pulchrum  arceesit  ad  nuptias  yiig^nis  rc^omqoe 
Cyrenarumy  qui  cum  placendi  Studium  a  yirgine  in  matrem  contulerat,  popalaribos 
militibusque  invisus,  omnium  animis  in  Ptolemaeum  conversis  yirgine  adhortante 
apud   matrem   interfectus   est^'   lust.    Porphyrius   OL  PA  ß    interfectom    didt: 
num  eodem  quo  Magas  mortuus  anno?  num  a  puella  decem  annos  nata?  num 
post  quindecim  fere  annos  quem  deperibat  Ptolemaeo  nupsit,  XXV  ipsa  annos 
nata?    Immo  fuit  aliquamdiu  Demetrius  Cyrenarum  res  (Euseb.  I  355,  Aacher, 
Piut.  Demet.  53).    Eem  egregie  expedivit  Niebuhrius  Ol,  PAB  ß'  scribi  iabens. 
Sed  cur  ne  tum  quidem  virginem  duzit  Euergetes?    Non  fuit  matura  Tiro,  sed 
quod  Catullus  ex  Callimacho  yertit:  „a  parva  virgine  magnanimam",  id  ad  illam 
„adulteri  iustissimam  salva  pietate  ultionem"  referendum  est    Duodecün  igitar 
hoc  tempore  annos  fiierit  nata,  sedecim  natam  Ptolemaeus  duxerit,  y^nam  rex 
novo  auctus  hymenaeo  vastatum  fines  iverat  Assyrios"  Cat  Nata  igitur  fere  263 
quinque  ante  patrem  mortuum  annis,  qui  ad  bellum  finiendum  cum  Ptolemaeo 
eins  iilio  eam  despondit.    Ceterum  cum  omnes  auctores  fide  digni  cum  hac  ra- 
tione consentiant,  Hjginum  memini  dicere:  ^^alii  dicunt  hoc  amplius  Ptolemaeum 
Beronicis  patrem  miütitudine  hostium  perterritum  fuga  salutem  petiisse,  filiam 
autem  saepe  consuetam  insilüsse  in  equum  etc.  pro  quo  etiam  Callimachus  eam 
magnanimam  dicit".    Autoschediasma  habes  grammatici,  quem  Aegyptiorum  mos 
reginam  regis  sororem  appellandi  ita  fefellit,  ut  historiolam  temere  in  patrexD 
transferrety  quae  ad  Euergetem  (fratrem)  contra  Syros  pugnantem  pertinere  vide- 
tur.     Suidas  v.  XalXifutxog ,    quem  poetam  anno  Euergetae  secundo,  nimimm 
OL  PKZ    mortuum   narrat,    ut  sexcenties   erravit;    debebat  scribere   OL  PAf. 
In  prolog.  les.  Sirachid.  in  LXX  non  Euergetae  annus  regis,  sed  vitae  annus 
interpretis  est^. 

^  Ouahe*Pemsie  copt.,  Siwah  hodie^        '  Rem  oertiadmam,  com  St.  Croix 
eocamen  p.  672  Graecos  ibi  habitasse  frequentissimos  persuasum  habeat,  auctori- 
bus  probo  idoneis:  Herod.  IV  181  II  42  Macrisi  apud  Langl^  sur  les   Ocues 
p.  893  aliisque  quos  videsis  ap.  Toelken  Minutoli  Reite  p.  106.       '  Herod.  11  32 
*  Curt.  IV  7. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  857 

est,  quin  haec  regio  Lagidaram  ut  poetea  Bomanoruin  sub  dicione  faerit, 
immTinis,  ut  Mannertus  putat,  religionis  cansa;  hodie  certe  palmanim 
poma  tributi  nomine  redduntnr. 

Item  Aegypto  conianctae  Oases  prima  et  secunda  testeque Ptole- 
maeo^ Heptanomidi  adscriptae  faemnt;  sei  msior ''Oatng  OrjßatSog  voca-* 
tnr  in  edicto  Tib.  Alex.  [G.  I.  Gr.  4957, 1];  Mannertus  nomum  eas  effecisse 
negat,  id  quod  et  inscriptione  Oasitica®  et  Herodoti  testimonio^,  maioris 
Oasis  incolas  non  esse  Aegyptios  sed  Samios®,  probari  videatur.  Sed 
Bomanorom  aetate  maioris  eerte  strategus  memoratur  Oasis,  id  quod 
nomum  eam  foisse  efficit,  neque  a  Bomanis  ita  institutum  putaverim. 

§4. 

[5]  Aegypti  qui  fuerint  cum  Aethiopibus  fines,  satis  accuiate  de- 
scribitur.  Inter  cataractas  enim  ab  Elephantine  insula  ad  Tachompso 
oppidum  Dodecaschoenus  quae  vooatur  regio  sita  est.  Qua  in  regione 
ultima  tendebant  Lagidarum  praesidia,  unde  oppidum  ad  ea  stativa  ex- 
structum  TTAPEMBOAH  nomen  accepit\  quae  quarti  quoque  post  Chri- 
stum saeculi  sub  finem  leg.  II  TraL  fuit  statio  ^  Inter  aedifioiorum  in  ea 
regione  disiectorum  reliquias  inscriptio  invenitur  templi  post  XYII.  Ptole- 
maei  Philometoris  annum  IZIAI  KAI  ZEPAniAl  KAI  TOII  lYNNAOlI 
6E0IZ  exstructi^.  Unde  regis  nostri  saeculo  Lagidarum  regnum  ad 
hunc  usque  locum  XYI  milliar.  a  Syene  distantem  promotum  fuisse 
apparet*. 

Herodoti  aetate  ^t^  'EXatpavrivij  Iltgamv  ai  (pvXaxad  ^<rav  tbg 
xal  inl  WafiuTixov*,  eodemque  Alexander  noyissima  misit  praesidia^, 
ut  expeditionibus  Oraecorum  ante  sextum  Ptolemaeum  susceptis  regnum 
ex  hac  parte  auctum  videatur.  Neque  Agatharchidae  repugnat  testi- 
monium,  ultimam  esse  Aegypti  regionem  Elephantinen,  dra  lAl&iönoov 
X(i^Qoc  KoQxia  w(>c5r7/^  non  tam  quod  nomina  oppidorum  inter  Elephan- 
tinen Cortiamque  sitorum  (LXXY  mill.  spatium  est)  omisit,  quam  quod 


*  Ptolem.  IV  5^  •  Calliaud  class.  Jour.  1821  lun.  [C.  I.  Gr.  4948]  idv 
imb  xfjg  Kvastag,  nomo  non  adiecto,  qnocontra  ot  dnb  tijg  xatfirig  Bovuigecjg  tov 
AaionoXliov  [C.  I.  Gr.  4699]  apnd  Letronne  reeherehes  p.  392.  ^  Herod.  III  26. 
*  Oasitas  hos  fuisse  Samios,  quanquain  nummum  titulo  OACIC  MEfA  omatum 
apud  Tochon  d'ADDecy  les  med.  des  nomea  p.  88  non  pntaverim  genuinum,  Dahl- 
mannus  vir  sospiciosior,  etsi  tribum  quoque  Samiorum,  ex  qua  profecti  Oasitae 
erant,  Herodotus  addidit,  negare  non  dubitat. 

*  Letronne  p.  21.  '  Mannert  X  284.  '  Letronne  1.  c."  ^  Herod. 
11  30.  '  Arrian  II  4.  ^  ap.  Photium  p.  477  b.  nqtfAa  ap.  Olympiod.  Phot. 
p.  62  a. 


358  De  Lagidaram  regno 

qui  supra  Philas  insulam  in  conyalli  fluminis  habitant,  non  Aegjptii 
sunt  sed  Aethiopes;  id  quod  neque  Oljmpiodori  auctoritate  Parembolec. 
Graecam  civitatem,  inter  Blemmjum  oppida  non  recensentis  in  snspi- 
cionem  vocatur,  et  locomm  natura  saorommque  proprietate  egregie  fir- 
matnr;  nam  Philas,  y^^sulam  asperam  et  undique  praeruptam'' ^  in  inediL^ 
cataraotis,  „qüas  transitu  difficiles  esse  constat,  tutissime'^  sitam^  sanc- 
tissinüs  et  suis  et  vicinae  insulae  ^ßarov  vocatae  templis  oelebermnam  ^ 
ab  Aegyptiis  simnl  Aethiopibnsque  olim  cultiim  fiiisse,  Osiridis  sepnl- 
crum  et  sanctissimos  accipitris  divini  in  Aethiopia  qnaerendi  nuts 
probat®.  De  (pQovQ^  toIq  jil&io\f)iv^^  nihil  certi  hodie  inter  tv. 
dd.  constat. 

Quo  tempore  ex  hac  parte  fines  prolati  sint,  memoriae  non  tra- 
ditnr.    Sed  ex  Agatharchide  ^^  orationis  particula  servatur,  qua  nescio 
qms  regis  olim  tutor  ut  Aethiopibus  bellum  inferatur  regi  peisuadet 
Niebuhhus  aut  Epiphanem  [6]  aut  Philometorem  regem  suspicatus  est^ 
quattuor  enim  priores  Ptolemaeos  matura  aetate  diadema  accepisse. 
Sunt  Philometoris  pueri  deinceps  tutores  M.  Aemilius  Lepidus,  Cleopatn 
mater,  Eulaeus  Lenaeusque;  sequuntur  tempora  alternis  cum  Syro  fira- 
treque  bellis  turbatissima;  expeditionis  ad  versus  Aethiopes  neque  oppor- 
tunitas  fuit  neque  quisquam  consultor,  qui  ante  fnisset  tutor.     Ptole- 
maei  Epiphanis  contra  post  pessimal  Agathoclis  etTlepolemi  knirgonda^ 
Aristomenes   Acarnan   suscepit  curam;    ipse   quidem   olim  Agathoclis 
amicus,   sed  yevöfievog  xvgioq  t&v  Ükcjv  ngayiiccrtov  xccXhava  xat 
aBfivötara  SoxeT  nQOfrvTjvcci   rov  re  ßccatXiwq  xal   rfjg  ßa<TiA€iaq^\ 
quem  rex  rrjv  äQxh'^  ijyüna  xa&aneQÜ  naxiga  xai  ndvrcc  inQcmtt 
&n6    rfjg    hceivov    yvthfitig^^^    sed    postea    Sta(p&aQttq    ztiV     ifwxlf 
(Tvvrjväyxa(T6v   avrdv  niövra  xcbvuov  rcAei/riJo-a*  ^*.     Factum  id  est 
anno  184,  insequenti  enim  anno  altera  Lycopolitanorum  seditio  a  PoIy- 
orate  sedata  est    Aristomenes  igitur  ab  anno  208  ad  196  tutor,  regem 
ab  anno  196  ad  184  vidit  regnantem,  quo  tempore  et  per  firmatam 
in  ipso  regno  pacem  et  per  exoptatissimam  ab  Antiocho  Magno  securi- 
tatem,  cum  novis  Ptolemaei  nuptiis  cladeque  ab  Bomanis  accepta  inno- 
cuus  yideretur,  adversus  barbaros  animum  advertere  licebat.    Orationem 
illam,  quae  quantum  cum  Aristomenis  ingenio  moribusque  consentiat 
nemo  non  yidet,  ante  Antiochum  devictum,  anno  fere  190  habitam 
putaverim. 


'  Seneca  quaest.  nat.  IV  1.  *  Seneca  apd.  Serv.  ad  Verg.  A.  VI  154. 

^  Strab.  XVII  S14  Achill.  Tat  de  amor.  Clit.  p.  86  cf.  Mannert  1.  c.         ^^  Aristid. 
t  II   p.  848.  "  Agath.   ap.  Phot.   p.  445.  "  Polyb.  XV  p.  717  Ca& 

^'  Diod.  Üb.  XXIX.         ^^  Diod.  1.  c.    Plut  quomodo  ab  am.  diff.  bl. 


.  J  ■ 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  859 

§5. 

Ut  a  meridie  Aethiopes  venatores  \  ab  occasn  Libyuin  circnmvaga- 
bantnr  greges,  ita  ab  Oriente  inter  Nilum  sinumque  Arabicum  montuosa 
illa  quae  Arabia  vocatur  regio  palatis  frequens  erat  Arabum  tnnnis, 
Flinio  Antaeorum  Qebadaeorumque  nomine  notis^  neque  in  regnm 
dicionem  onquam  redaotis,  nam  Philadelphus  cum  a  Copto  ad  Berenicen 
portum  stemeret  viam,  ut  viatores  ab  Arabum  incnrsionibns  defenderet, 
copiis  usus  est  haud  exiguis^. 

Praeter  sinus  Arabici  litus  a  Philadelpho  Ptolemaeo  naviga- 
tionis  et  commercii  et  elephantorum  gratia  condita  aliquot  oppida  erant; 
non  ciyitates  [7]  diceres  sed  emporia;  ne  agrorum  fines  proferrent  angu- 
stissimae  orae  sterilitas  aquationumque  raritas  impedivit.  Maritimorum 
aborigines,  non  Arabicae  ut  in  montibus  greges,  pisdbus  misere  yive- 
bant,  aqua  diu  carendo  assueti;  quae  familiae  Graecis  emporüs  ad- 
Golebant,  aliquid  humanitatis  mutuatae  !AQaßaiyt)nrioi  Ix^ocpäyoi 
vocabantur*. 

Eaedem  quae  superiorem  Aegyptum  vastitates  eaedemque  Arabum 
gentes^  inferiorem  terminant.  l^eque  dubium  mihi  est,  quin  Hyksos 
illi,  qui  per  quinque  maxime  saeoula  Aegypti  imperium  obtinuisse  Aua- 
rimque  dominationis  sedem  fecisse  dicuntur,  faerint  Arabes.  liagidarum 
aetate,  cum  inter  Pbacosam  et  Arsinoen  canali  exstructo  oppida  eins 
regionis  negotiorum  inter  Nilum  mareque  Arabicum  frequentia  florerent, 
ita  Aegyptus  a  barbarorum  incursionibus  integra  fuisse  yidetur,  ut  ad 
cultas  regiones  tuendas  Tastitas  illa  arenosa  ad  orientem  vergens  suf- 
ficeret.  Neque  enim  bellorum,  quae  cum  iis  gentibus  reges  gesserint^ 
neque  castellorum,  quibus  ea  ex  parte  recens  conditis  regnum  munierint, 
Ulla  fit  mentio;  Heroonpolis*,  Pelusium,  Gerrhon,  Horion,  Taphne^ 
antiquitus  fines  Aegypti  muniebant.  Nabataeorum  in  Petraea  Arabia 
regnum  quo  tempore  sit  conditum,  qui  faerint  fines,  quae  cum  Lagidis 
ratio,  hodie  nescimus^. 


^  Agatharch.  apud  Phot.  453.  '  Jablonsky  opp.  U  p.  100.  '  Mannert  X 
p.  88  sqq.  ^  Ptolem.  IV  p.  257  Marcian.  Heracl.  peripl.  in  geogr.  min.  Huds.  I 
p.  11.  'de  illifl  Arabibas  maltus  est  Ammian  MarceU.  XIV  4.  *  Hanc  urbem 
pastorum  Auarim  esse  docuit  Champollio ;  Mannertus  contra  apud  Pelusiam  sitam 
minus  recte  contendit;  nam  inde  a  Pelusio  ad  Rhinocoluram  regiones  maritimas 
Ttf  ßaqadqa  ab  arenosis,  Hycsorum  patria,  seiungunt;  Manethonis  verba  eaque 
mutila  haec  sunt:  Ävaqig  noXtg  iif  pofjicp  tai  JmUt]  xeifiepr}  nqog  avatokrjtf  tov 
Bovßaffjiiov  noiafiov;  Euseb.  Arm.:  ^^in  Mithraite  nomo*^  Marsham  chro.  p.  108 
emendavit  (V  ja  2e\^qotxri\  debebat  iif  Äqaivotjrjy  y.  inf.  §  14*.  ^  Taphne  scripsi 
cum  TjXX,  derivatur  a  Taphe-eneh,  initium  saeculi  s.  mundi.  Graeci  scribunt 
Jaipyrf  naqä  t(üv  ixei  noXXcJp  gyvofxevap  daipvcjv  Steph.  Bjz.  *  cf.  Ritter  xur 

Gesch.  des  Petr.  Ärab,  Abb.  der  Berl.  Ak.  1824  p.  201  ^ 


860  De  Lagidarom  regno 

ASyria  inferiore  Aegyptus  deserta  regione^,  quae  inter  Pelusimn 
et  Gazam,  quinqae  dierum  iter,  intercedit,  seiungitor.  Ex  miseris  ea 
in  via  vicis  Bhinocorura  90  milL  a  Pelosio  remota  statio  erat  Aegypti 
ultima  10. 

§6. 

[8]  Aegyptas  Patrimonium  Lagidanim  quasi  gentUicinm  nominari 
possit;  non  tantom  incolarum  et  morum  et  institutionnm  samina  est 
diversitas  inter  hanc  ceterasque  Lagidarum  possessiones,  sed  possessionis 
ipsa  ratione  et  firmitate  longe  inter  so  diffenint.  Nemo  enim  anqnam, 
Philippe  qni  ut  Maoedonum  rex  Alexandri  regnnm  affectavit  integrum 
exoeptOy  vel  partioolam  regionis  illius  in  contentione  ponere  oonatos 
est  Non  eadem  erat  oeterarum  cum  regno  provincianim  coniunctio 
firmissima;  alias  alii  hostes  sibi  vindicabant  regiones,  in  quibos  tatandis 
amittendisque  mnlti  faenmt  Lagidae. 

Sic  de  Syria  inferiore  continua  fere  disceptatio  fiiit;  Seleucidis 
ex  loconun  natura  esse  debere  yidebatur,  a  Lagidis  eodem  quo  Aegyptus 
iure  obtinebatur;  banc  Alexander  6  xzictriqy  illam  victoriis  de  Anti- 
gono  Demetrioque  reportatis  Ptolemaeus  Soter  oocuparat;  neque  cum 
Lagidae  armorum  vi  et  auctoritate  yalerent,  de  Syria  expugnanda  oogi- 
tarunt  Seleucidae.    Sed  Ptolemaeo  Philopatore  rege,  postquam  HenniaSy 
Antiochi  III  adolescentis  consiliator,  S%iv  kfxßäkXsiv  rag  z^Qccg  xoT^ 
xarä  Kolkf}^  2vQlav  ngäyfiaai^  primus  regem  admonuit,  bellorum 
quae  inter  Seleucidas  et  Lagidas  gen  inde  ab  initio  quasi  sollenme  erat, 
Coelesyriam  causam  esse  simulari  coeptum  est  Quibus  argumentis  suum 
uterque  rex  probare  studuerit  ius,  Polybius'  exposuit    Anms  tradita 
res  est    Antiochus  apud  Baphiam  devictus  integram  Ptolemaeo  Coele- 
syriae  Phoeniciaeque  concessit  rem;  XV  vero  annis  post,  cum  Ptolemaeus 
Epiphanes  a  patre  puer  regnum  accepisset,  Antiochus  cum  Philippo  ut 
Lagidarum  regno  finem  facerent  societatem  iniii  Ab  Antiocho  ad  Panea- 
dem  res  ita  sunt  bene  gestae,  ut  Coelesyriam  et  Phoeniciam  occuparet; 
dein*  ad  Achaeum  novi  in  Asia  regni  conditorem  debellandum  profec- 
turus,  quo  hac  ex  parte  securior  esset,  Ptolemaeo  pace  societateque  facta 
Cleopatram  in  matrimonium  dedit,  dotis  nomine  Goelesyria,  Phoenicia« 
Samaria,  ludaea  ita  additis,  ut  reditus  inter  reges  dividerentnr'^    An- 
tiochi magnanimitatem  atque  munificentiam  admirareris,  nisi  pmdentis- 


»  Kah-daaie  i.  e.  terra  deserta,  KaauJug.        "  PUn.  V  13  Strab.  XVI 759  C. 
Liv.  45,  12. 

»  Polyb.  V  42.  «  Polyb.  V  67.  •  loseph.  XR  154/5    ffieronym.  in 

Dan.  IX  17  eV  q>aQy^  Polyb.  XXVIII  17. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  861 

8iiue  factum  esset;  nam  rfj  olxifc  rccirfj  (Lagidanun)  ä^i  ncoQ  oi  xarä 
KoiXfjv  JSvQiav  n^ogxwaOat^  Bes  Syxiaoae^  ut  ex  bellis  ab  An- 
tiocho  Epiphane  postea  snsoeptis  colligitoTy  [9]  Ptolemaeo  Epiphane  rege 
non  sunt  mutatae,  nt  Ptölemaeus  Philometor  patre  mortao  Syriam  in- 
feriorem cum  Aegypti  regno  coniunctam  acciperet. 

§7. 

Sequuntur  in  titulo  Adnlitano  Asiae  proTinciae  Gycladesque 
insulae.  Fuit  aliquando  tempas,  quo  SBcrnö^ovteg  r&v  inKpavtardtoav 
nöX^fov  xal  xönoDV  xa\  Xifuvtov  xarä  n&cccv  rijv  naQokiav  änb  üafi- 
q)vh'ag  fioog  'EkXtjtrnövrov  xcel  r&v  xarä  AvatfAÜx^iccv  röncov,  iy«- 
Spevovreg  di  roTg  iv  rfj  Ogdxij  xal  roTg  kv  rf^  Max^Sovi^  n^äy/jiceai 
xal  xax  Alvov  xal  xarä  Magdvetav  xal  no^QcbrtQov  iri  nöltojv 
xvQuvovrig  xal  rq5  roiovrq)  rpönq)  fiaxQav  bereraxörBg  Tcä:^  X^'-Q^^ 
xal  ngoßeßXfjfiivoi  nQÖ  avröv  kx  noXko€  tat^  Svvaardag  oiSinore 
nBQl  T^s  xar  Aiyviirov  iiytovicDV  äQX^^^»  Sed  fuit  illud  tempus. 
lam  Ptolemaeo  PhUopatori,  quae  regiones  pro  scuto,  quo  hostium  im- 
petam  capiti  imminentem  exciperent  ipsive  hostem  urgerent,  fuerant 
maioribus,  nil  nisi  iiiQti  na^axQBfjuifjLSva  xal  fiaxgäv  äneanacrfiiva 
rT/g  ßaciXiiag  videbantur.  Atque  erant.  Nam  ubi  rei  iste  Siä  rovg 
dnQBTtetg  'igtorag  xal  rag  AXöyovg  xal  ijruvexBtg  fU&ag  regni  curam 
negligere  coepit,  regionum  longe  remotarum  praesentissimaque  potestate 
servandarum  pemiciosior  possessio  erat  quam  certior. 

Itaque  factum  est,  cum  inter  Macedones,  Bomanos,  Pergamenos, 
Bhodios,  Acbaeos,  Sjros  bella  gererentur,  cum  aut  reges  imbelles  aut 
pueri  aut  tutores  ne&rii  Aegjptum  tenerent,  Asiae  regiones  maritimae 
„Ptolemaei  sociae"  *  ab  hac  illa  parte  starent,  urbesque  quae  in  Ptole- 
maei  essent  dicione  per  omnem  oram  Ciliciaeque  et  Gariae  tentarentur^, 
dein  aut  a  praefectis  venderentur^,  aut  cum  Syris  rictae  in  Pergame- 
norum  Bhodiorumve  dicionem  traderentur,  aut  a  Bomanis  victoribus  in 
libertatem  vindicarentur^  Id  quod  potissimum  urbibus  in  Asia  Graecis 
evenit,  de  quibus  Ephesus  Samusque  primis  Philopatoris  annis  praesi- 
dium  Aegyptiacum  habuerant^ 

In  Apamensis  formula  pacis  nulla  regionum  urbiumye  Ptolemaeo 
restituendarum  mentio  est,  quippe  belli  primo  initio  amissarum.  An- 
tiochum  enim  Magnum,  cum  in  castra  de  Ptolemaei  Epiphanis  morte 
(a.  196)  illatus  rumor  esset,  ut  Aegypti  imperium  sibi  Tindicaret  Ephesum 


*  Polyb.  V  86. 

*  Polyb.  V  34.        *  Ldv.  88,  20.        »  Liv.  88,  19.        *  Polyb.  exe.  leg.  104. 
»  Liv.  88,  30.  49  Polyb.        •  Polyb.  V  35. 


362  I^e  Lagidamm  r^gno 

nayigasse,  dein  Asiae  oram  legentem  Lyciam  proyenisse;  Pataris  cognitö 
Ptolemaeum  Tivere,  navigandi  qoidem  [10]  in  Aegyptnm  consiliuxn  omis- 
8um;  Cypro  nihilominns  tendentem,  cum  Cbelidomcnm  promontoriiun 
superasset,  remigom  seditione  tempestatibnsqae  coactom  Seleuciam  re- 
düse.  Livii  yerba  8unt^  Nisi  Cypros  sola  in  illa  regione  Lagidaniin 
snperftdsset  provincia,  rex  ceteras  in  Asia  sitas  neqne  neglexisset  neqxie 
secnre  adiisset. 

Repugnare  bis  videatur  inscriptio  Lycia*  [C.  I.  Gr.  4677]:    ÜTokt- 
fAalov  TOP  äQxtacofjLceroipvXccxa  xai  äQXixwf^Y^^  ^^f  UroXBficeiav  x€^ 
iiQditfov  (pihov  nal  äQX'^^^Vyoi)  vi6v  rd  notvbv  r&v  Avxiayp  iiger^^ 
f^vexBv  ncd  svvotag  rjg  6  naxiiQ  avxod  Siattk^T  naQBx6iJLBvoq    eig  ri 
ßuaiXia    JlrokBficctov    xccl    rijv    äSBX<pijv    ßaciXiacav    KXao^ecToav 
&iovg  im<paP6Tg  xccl  evxccQttrrovg  xal  tu  xkxva  xai  Big  rö  xoivov 
Tcüv  Avx((av.    Ex  apposito  xal  xä  xheva^  scriptam  apparet  inter  l^S 
et  181,  quo  tempore  Lycii,  pace  Apamensi  Rbodüs  traditio  cum  ciTitati 
Bbodiorum  ut  socii  baberentur  non  subiecti  a  Komanis  inoipetrassent, 
bellum  cum  Bbodiis  gerebant,  in  quo  ut  Bbodiis  Eumenes  rex  ^  ita  ipsis 
Ftolemaeus  fuisse  socius  videtur^^. 

§8. 

[11]  Gyprus  igitur  insula  Lagidarum  Ulis  temporibus  sub  dicione 
mansit.    Quam  cum  Antiochus  Magnus  a.  196  adgressurus  esset,  Polj- 


'  Liv.  83,  41  Appian  Sjr.  4.         ^  Sunt  qui  fonnnlam  illam  ntti  ra  rixra 
ut  solemnem  ita  saepe  superfiiiam  dicant;  sie  Chiahnll  ant  As.  89  n.  4  adhiberi 
eam  etiam  tarn  ait,  si  regia  liberi  non  fiierinL    R^ginamm  contra  nominibns 
additom  adelqn^  germanaa  sororee  significare.    Neutnim  verum  esse  probavit 
Letronnius ;  in  aliis  enim  Philometoris  inscriptionibus  additum,  in  aliis  omissom 
est  illud  xal  la  tdxva.    Sororis  nomen  solemne  reginanim  fuisse  luculentiasima 
docent  «xempla.    Sic  Berenioe,  Magae  ex  Apama  filia  Eaergetae  soror  vocatar  in 
tab.  aorea  Canop.  [C.  I.  Gr.  4694],  in  Cat  66,  22,  Hygin.  astr.  II  24;  sie  Cleopatra 
Antiochi  Magni  ex  Laodice  Pontica  filia,  Ptolemaei  Epiphanis  soror  (v.  inscr.  LycX 
sie  Berenicen  (Cleopatram  vocat  Porphyr,  apd.  Eus.  gr.  225),  quae  Ptolemaeo 
Alezandro  alteri  patrui  filio  nupserat,  Cicero  reginam  sororemque  dicit  frg.  tr. 
or.  ed.  Mai  p.  49.    Ex  papyris  enchoriis  nihil  addo.    Sed  simile  quid  in  Selenci- 
darum  gente  Inscr.  Sige.  ex  Antiochi  I.  aetate  probat  ^ ;  nam  tov  ßaatldiag  xm 
t^g  adek<pfjg  aviov  ßaadiaarig  Stratonicen  Demetrii  Poliorcetae  ex  Phila  fUiam 
significat,  qua  Seleucus  I.  Antiocho  filio  cesserat.;  Seleucns  ex  Apamea  Artabazi 
Persae  filia  Antiochum  I.  (non  item  duas  filias  ut  male  Malalas  refert,  cf.  Froeh- 
lieh),  ex  Stratonice  Philam  (ab  Antigono  Demetrii  f.  ductam)  susceperat  (v.  Plnt 
Dem.  88  yit.  Arat.).    Ad  eandem  rationem  fortasse  Poljaeni  testimonium  revocan- 
dum  est,  Antiochum  IL  Laodicen  dfAonajQioy  döeXq>rjv  duxisse,  quam  Achaei  filiam 
fuisse  et  Alexandri  „qui  Sardem  tenebat**  germanam  sororem  ex  Euseb.  Arm. 
apparet  ^  •  Polyb.  XXV  5.  13.  "  Letronne  reekerehes  p.  58. 


LI     - 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  36S 

crates  summa  cum  laude  administrabat  et  Epiphani  puero  StecpvXcc^e  \ 
Folycratis  praefecturam  Ptolemaeus  Agesandri  [I.  Agesarchi]  f.,  Ptole- 
maei  Sostratus  excepit. 

lam  Amasis  rex  bene  perspexerat',  quantum  ut  Cyprum  obtinerent 
regum  non  solum  propter  opportunissimum  et  navigautibus  et  bella 
gerentibus  cum  Asia  situm,  sed  propter  miram  agrorum,  silvarum, 
metalloTum,  rerum  omnium  abundantiam  interesset  Quae  in  illa  una 
insula  belli  subsidla  quasi  occulte  laterent,  Ptolemaei  Lathuri  expeditio, 
qui  cum  XXX  militum  millibus  egregie  instructorum  Alexandro  lannaeo 
bellum  intulit,  eximie  manifestavit^  Quod  in  Aegjpto  nuUae  habentur 
silvae,  post  Lyciam  amissam^  Cyprus  sola  materiam  navalem  offerebat 
eademque  sola  ad  naves  totas  exstruendas  et  ornandas  res  omnes  copio- 
sissime  praebebat^ 

Regnum  igitur  Lagidarum  Ptolemaeo  Epiphane  mortuo  has  fere 
continebat  partes:  Aegyptum  cum  Libya  Arabiaque  Aegyptiaca, 
Cyrenaicam,  Coelesyriam  cum  Phoenice,  Samaria,  Palaestina*, 
Cyprum  [quod  Cretam  insulam  adtinet  cf.  Strabo  X  p.  377  ed.  T.] 


Caput  secundum*)^ 

§9. 

Lagidarum  regnum  mira  fuit  gentium,  morum,  sermonum,  super- 
stitionum  diversissimarum  coUuyies.  Romae  diceres  praenuntiam,  nisi 
urbs  late  regina  yereque  rfjg  olxovfiivrjg  imrofii^  terras  gentesque  in 
suam  dicionem  coCgisset  et  exanimatas  emancipasset,  Aegypti  vero  reges 
non  imperio  sed  „d^^ii^^t^  superbissimo  [12]  freti"  exadversum  gentem 
servam  et  barbaram  ad  instar  adversariae  ipsi  fuissent  factionis. 

Uno  nomine  Aegyptii  tristes,  Graeci  degeneres,  ludaei  obstinati, 
Cyrenaei  frivoli,  Syri  serviles  atque  maligni,  Cyprii  beata  Phoenicum 
et  Graecorum  et  Aethiopum  mixtio,  >uni  omnes  principi  obnoxii,  apud 
omnes  aliquid  Graeci,  barbara  indole  frustra  renitente.  Regibus  origo 
Graeca  pro  laude  et  superbia  habita,  idemque  imperii  ut  fons  et  auc- 
toritas,  ita  robur  et  in  rerum  discrimine  praesidium;  neque  barbaros 

»  Polyb.  XVIU  88.  "  Herod.  II  182  VH  90.  •  loßeph.  XHI  12,  3. 

^  Etiam  nunc  ez  Caramania,  y.  c.  ex  insula  quam  Castelorizzo  vocant  (Clisthene), 
navalem  materiam  Alexandriam  deferunt,  y.  Beaufort  nouv.  annal.  des  voy,  V 
p.  6.        '  Ammian.  Marc.  XIV  8. 

*)  [Ueber  die  alte  Kasten  Verfassung  und  besonders  über  die  Verteilung  des 
Besitzstandes  s.  Thierbach  Programm  des  Erfurter  Gymnas.  1889.] 


864  De  Lagidaram  legno 

ad  Graecam  confonnare  humanitatem,  neque  se  inter  medios  barbaros 
Graecos  servare  possunt  yalentque;  com  regibns  gentes  se  Graecas  ease 
temere  Simulant,  barbaras  impndenter  dissimulani  Haec  nequitiae  iactatio 
putidissima;  ne  conamina  qnidem  invitam  conformandi  gentem  a  regi- 
busy  ne  pericula  quidem  regibns  strenue  resistendi  a  gente  £aota  ^Titiata 
ista  occulta  putredine  regna'^  quatiunt  moritnra;  in  ieinna  torpedine,  in 
eniditione  Alexandrina^  in  fascinis  nugisque  mathematids  requiesoitor. 
Qnadamtenus  plebs  sibi  constat  in  inepta  ista  &milianun  oolle- 
gionunque  perpetuitate;  AMcanam  istam  snperstitionem  defixis  in  terram 
ooolis  mentibnsque  anxie  observat  Regnm  stirps  generosa  ad  eandem 
bomilitatem  deprimitnr.  Aula  graecissat,  litteras  amat,  fovet  artes, 
comissatur  et  heluatur,  nunc  splendorem  Pharaonum  ritumque  imitans 
delusum,  nunc  laudes  et  exemplar  sectans  Alexandri  conditons.  Sacer- 
dotum  grex  priscae  auotoritatis  memor  et  desiderans  piiscos  mores  et 
priscam  gravitatem  non  item  servayit,  neque  recondita  maiorum  scientia 
admirationem,  neque  arrogans  summi  ordinis  tacitumitas  stuporem 
movet  aetatis;  quaecunque  Sesostridarum  aetate  valuerunt,  ea  conglu- 
tinant  temereque  commiscent  cum  novissima  quaque  perversitate  et 
fraude;  pro  fixis  rebus  fictas,  pro  accnratis  meditatisque  commenta- 
tionibus  commenta  yendunt  Plebis  vita  ut  est  sine  consilio  sineque 
certa  spe  et  lentior  in  excipiendis  novis,  dein  exceptorum  tenax,  tem- 
porum  yicissitudinibus  formatur  augeturque  sola;  regi  vult,  nihil  rec- 
torem  morans;  sie  inerti  tolerantia  sacerdotum,  Saltarum,  Persarum, 
Graeoorum,  Bomanorum  Aegyptii  deinceps  tulere  imperia,  eo  sensim 
incremento  aucti,  ut  christianam  tandem  exciperent  doctrinam. 

§10. 

Prisca  igitur  familiarum  coUegiorumque  perpetuitas,  pnsca  super- 
stitio  atque  sermo  perseverabant  Sed  sermo  vernaculus  non  in 
aulaOy  non  in  rerum  [13]  publicarum,  non  in  tribunalium  usum  abiit; 
immo  plerumque  reges  Aegyptiacae  linguae  rüdes  erant^  Ubiubicum 
magistratibus  Graecis  agebatur,  Graece  dicendum  erat^;  licebat  quidem, 
si  Aegyptii  inter  se  negotia  contraherent,  notario  rernaculo  formulas 
concipere^y  sed  ut  auctoritatem  haberent,  Graece  contrascribi  eas  edictum 
regium  iusserat^;  permanserant  quidem  tribunalia  Aegyptiaca^,  sed 
privatae  tantum  causae  eorum  foro  addictae  fuisse  videntur^  Ne  edicta 
quidem  decretaque  regia  utroque^  sermone  composita  edebantur;  id  quod 


*  Plut.  Anton.  27.  "  Peyron  pap.  Taur.  I  p.  160.  •  antigr.  Grey  fin'. 
*  TTQosiaYfin  nsQl  rov  ra  /u^  ^puYSYQafJifidva  Aiyvnjux  awcdlaffiaxa  axv^  eJvat^ 
pap.  Taur.  1  p.  4  lin.  14.  ^  ix  laoxQnav  pap.  Taur.  I  7,  8.  '  m£ra  §  22. 
'  ut  Peyron  et  Reuvens  putant 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  365 

in  eo  regno  fieri  poterat,  ouius  leges  non  tabulis  publicis  promul- 
gabantar,  sed  per  litteras  ab  epistolographo  scriptas,  quibus  praefeotis 
con yeniret  ^,  reddebantar.  Quocontra  libeUi  snpplices  ab  Aegyptiis  incolis 
collegiisve  regibus  traditi  Graece  scripti*  erant,  saoerdotumque  decretis, 
onm  in  templis  proponerentnr  yemaculis,  antigrapba  certe  Graeca  addita^^. 

Prisca  familiarum  sectarumque  perpetuitas  perseverabat ^K 
Sed  si  Aegyptii  quotidiano  cum  Qraecis  commercio  legitimoqne  oonnubio 
Qtebantar,  si  ad  res  pnblicas,  ad  militiam  Graecam,  ad  honores  quantalos- 
cnnqne  accedebant,  patria  quae  familiis  singalis  erant  ofßcia  non  pote- 
rant  quin  yiolarentur  aut  inepte  amplifioarentur.  Neque  dubium  est, 
quin  ipsi  Aegyptii  molestam  istam  yitae  cixcumscriptionem  excedere 
compedibnsque  liberari  pervetustis  stnduerint  Si  yerbi  caussa  Tari- 
cheutae  Diospolitani,  ex  aeqnis  sectae  suae  institiitis  domicilia  a  Incis 
templisqne  remota  habere  extra  oppida^^  antiqnitus  consaeti,  Euergeta 
Ptolemaeo  rege  in  nrbem  habitatnm  migraront,  neglectisque  sacerdotum 
Anmionis  expostulationibos  et  Aeneae  strategi  decreto  nsQl  tod  roug 
än6  Tfjg  Jiogn6X$oi)g  ragi^^vtag  fjLerotxiiT&fjvm  alg  rä  MBfivovBiaf  a  rege 
neminem  amplius  impediturom  tnlerunt  responsum  ^^,  satis  puto  apparere, 
quantum  et  Aegyptiorum  faerit  Studium  sectarum  prohibita  transcen- 
dendi^  et  regum  posthabitis  rationibus  sanctissimis  obsecundaudi.  Quo  ex 
consiUo,  qui  de  Aegyptiis  graecarentur,  beneficüs  privilegüsque  augebantur*. 

[14]  Si  ad  res  divin  as  spectamus,  prima  fronte  prisoa  Aegyp- 
tiorum superstitio  non  solum  perseyerasse,  sed  res  Oraecas  quasi  obcae- 
casse  yideatur.  Beges  Aegyptiis  diis  templa  pylonesque  aedificabant  ^^ 
atque  sollemnibus  Pharaonum  anacleterüs  Mempbide  inaugurabantur^^; 
magistratus  Graeci  dies  festos  pompasque  Aegyptiorum  deorum  celebrare 
iussi  erant^^;  incolae  Graeoi  vniQ  ßamXiwv  etc.  ngoaxw/ifictra  arasque 
diis  Aegyptüs  dicabant;  quid  multis,  Graeca  numina  aut  negligebantur 
aut  Aegyptiis  subinngebantur.  Sed  tantum  abest  ut  huius  aetatis  prisca 
fuerint  numina,  ut  nomina  tantum  formasque  contendam  similia  esse. 
Osirim  illum  Amentis  praesidem  „nunquam  satis  ploratum''  quem  XIY 
in  oppidis  lacrimabunda  Isis  intemecatum  luget,  nunc  (piloyeltord  te 
xccl  jc^iQOPTcc  iJLovcrix^  Mal  x^QOtg  dicunt  xal  Aiövvdov  pLSKovopLcta- 
&ipra  ^^    Mortuis  novus  deus  regnat,  quem  Hadem  Sinopensem  sacer- 


•  Inscr.  Phil.  1.  14  [C.  I.  Gr.  4896]»»  Pap.  Taur.  I  2,  24  ßeuvens  lettres  ä 
Mr.  Letronne  8  p.  46.  •  sie.  inscript.  Phil.  »«  bIc  etele  Taur.  [C.  I.  Gr.  4717] 
inacr.  Ros.  [C.  I.  Gr.  4697] "  etc.  *^  Boeckh  Papyrus  p.  25.  "  cf.  Strabo  XVII 
794  C.  "  Pap.  Taur.  I  p.  3,  1,  16  VIII  22.  "  vid.  Letronne  recherehes 

saepius.  ^*  i«  n(fogiptovxa  v6fitfia  et  to  vofitiofieya  inscr.  Roe.  28,  45  cf. 

infr.  §  33.        1«  pap.  Taur.  I  3,  6.  "  Diod.  I  18,  15  cf.  Apulei.  de  deo  Socr. 

p.  295  Athenagor.  leg.  pro  Christ  p.  14. 


866  ^^  Lagidaram  regno 

dotes  Serapim  esse   affirmant    Est  quidem  Serapis  de  antiqaissiinis 
Aegjpti  diis;  sed  cum  in  ordine  deorum  altero  tamquam  triste  mortis 
nnmen  Ammoni  yitae  prooreatori  serratorique  opponeretur,  quam  dis- 
cidii  aetatem  post  laetum  illud  BifQi^xafiBPj  avyx^^QOfuv  tertia  divinae 
pacis  aetas  excepit,  factum  est  ut  „invento  Osiri^  mortis  vitaeque  recon- 
cUiatore  nataque  ,,candida  Isi^'  Serapis  cum  Tithrambo  sorore  furente 
ad  oblivionis  habitaret  portas  ab  Apide  custoditas  praesente  vitae  numine 
eodemque  Osiride  ^®.    Idem  ille  Serapis  exsul  nunc  revocatur,  Dei  pere- 
grini  forma  religioneque  subiuncta  ^^    Ne  Isis  quidem  sibi  constat^  dno 
Tfjg  äiSiov  xal  naXuiäq  yeviascoQj  ab  oifcri^  et  Xarjfii  nomen  eam  acce- 
pisse  creduQt^^.    Sed  ne  longus  sim  in  theocrasia  ista  enarranda,  rem 
primoribus  tantum  labris  attigisse  sufßciat.    Ex  priscis  numinibus  no- 
mina  facta  sunt  inania.    Hieroglyphas,  quae  pro  mythis  Aegyptio  sunt, 
homo  Graecus  Qraecae  philosophiae  atque  petulantiae  adsuetus  ut  intel- 
ligere  non  potest,  ita  interpretari  et  ad  reconditam  quandam  scientiam 
revocare  sibi  videtur.    Quam  sacerdotes  scientiam,  ne  se  ipsi  cum  sacris 
suis  darent  deridendos,  non  poterant  quin  toto  capite  adnuerent;  ea  enim 
sola  mysteriorum  simulatione  [15]  bestiae  cadaveraque  Graecis  venera- 
bilia  esse  poterant;  sed  stupidam  credulae  plebiB  superstitionem  sacer- 
dotes novo  cum  peregrinis  consensu  ridebant.     Sic  hac  Alexaudrinae 
aetatis  confusione  et  Graeca  et  Aegyptia  pietas  doctrinae  scientiaeque 
si  diis  placet  luce  evanuit^^;  de  diis.  de  rerum  natura,  de  sideribus 
fabulae  ineptissime  finguntur,  temere  oonsarcinantur,  a  nemine  credun- 
tur,  yanae  acuminis  eruditionisque  nugae.    Ita  enim  fleh  necesse  fuit, 
ubi  ad  id  cognitionis  profectum  erat,  ut  se  ratio  humana  rerum  om- 
nium  modum  poneret,  ut  res  extemas  esse  negaret,  ut  ad  suam  libi- 
dinem  arbithumque  omnia  revocaret,  ut  nefariorum  perosorumque  simu- 
lacra  regum,  quae  divino  honore  ailcerentur,  in  tempUs  collocarentur. 
Neque  de   rebus  divinis  privatisque  scripturus  neque  de  litteris 
artibusque,  ne   quae  ex  universali  atque  continua  enarratione  suam 
excipiant  lucem  abrupte  et  obscure  tractasse  videar,  de  rebus  publicis 
quae  Ptolemaei  Fhilometoris  aetate  faerint  ita  fere  agam,  ut  quomodo 
imperiosa  populi  pars  se  habuerit,  dein  quomodo  imperium  exercuerit 
exponere  studeam.    Tertium  titulum  de  ea  populi  parte  addere  poteram, 
in  quam  dominatum  sit;  sed  res  privatas,  ut  dixi,  tractare  nolebam. 
Ut  Lagidarum  regnum  vere  Aegyptiacum  est  provincüs  pro  additamentis 
habitis,  ita  addere  provinciarum  res  supplementi  loco  Visum  est 


'^  cf.  Guigniant  memoire  sur  h  dieu  Serapis  p.  8,  id.  religions  de  tatUi- 
quitS  III  2  et  6.  Jablonsky  Panth.  IV  2,  12.  ^'  praeter  Taciti  locum  notiasi- 

mum  cf.  Macrob.  Sat  I  c.  7  p.  150*.  '^  Diod.  I  11  Euseb.  praep.  eyaog.  I  9 

Plut.  de  Isid.  et  Osir.  c.  15.  '^  Simile  quid  nostra  aetas  iddet 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  367 

§11. 

De  Regibus.  Primus  rex  Aegypti  Graeous  Alexander^  nnncu- 
patur;  stirpe  regia  exsÜDcta  Syriae^  Asiae,  Thraciae,  Macedoniae,  Aegypti 
„ex  praefectis  reges  facti  sunt^'^.  Lagidae  igitur  non  quod  antiquum 
Pharaonnm  regnnm,  sed  quod  regni  ab  Alexandre  conditi  partem  ob- 
tinent,  reges  se  nominant  [cum  regno  reges  nomen  Ptolemaei  nuncu- 
pant  adepto  loseph.  Ant.  lud.  VIII  6,  2].  Ex  eadem  rerum  ratione  cen- 
tum  annis  post  Philippus  Macedonum  rex  cum  Aegyptum  [1 6]  suae  dicioni 
armorum  vi  additurus  esset,  ius  suum  se  persequi  poterat  probare  ^ 

Geterum  inde  ab  altero  ante  Christum  saeculo  inter  auctores  sunt 
qui  contendant  successores  sibi  diademata  non  arrogasse,  sed  ab  Ale- 
xandre accepisse  legatarios^. 

Ptolemaeus  igitur  Soter  suo  arbitrio  Graecorumque,  quos  secum 
babebat,  consensu  rex  f actus,  regnum  e  iure  hereditario  excipiendum 
prognatis  tradidit  Non  item  Aegyptiorum  consensu  opus  erat,  ut  qui 
armorum  vi  subiecti  barbaroque  more  regum  sub  imperio  essent,  neque 
suo  quidquam  iure  sed  aut  regum  beneficiis  aut  rebellandi  periculis, 
si  quid  vollen t,  nancisci  possent.  Velut  cum  Ptolemaeus  Pbilopator 
ad  bellum  Syriacum  Aegyptios  quoque  ad  militiam  evocasset,  oifxin 
t6  nQograTTÖfievov  olol  tb  Jjtjav  vnoyiivtiv,  äkX  i^^xow  ijysfxöva 
xai  %Q6<j(onov,  ut  seditionem  facerent^  Quae  seditio,  Lyoopolitanam 
vocant,  cum  anno  YIII  Ptolemaei  Epiphanis  Eucharisti  conticuisse 
videretur,  eiusdem  regis  anno  XXV  redintegrata  eo  demum  opprimi 
poterat,  ut  dy nastae  ^  annis  positis  in  regis  fidem  confagerent  et  copiis 
recens  ex  Graecia  conscriptis  Polycrates  praefectus  summa  atrocitate 
pugnaret  lis  igitur  turbis  rex  ixivSvvevae  änoßaXetv  ttjv  ßatTtketav^i 
perdidisset,  si  rebellio  ut  debebat  plebem  totam  accendisset,  si  sacer- 
dotes  a  plebis  non  a  regum  partibus,  quod  ne  templis  quidem  parce- 
retur,  stetissent®* 

Lagidae,  cum  Graecorum  annis  regno  Persarum  debellato  Aegyptus 


^  Theonis  fr,  ap.  Dodwell.  ad  calc.  St.  Cyprian.  p.  169  Appian.  bist.  Rom. 
praef.  8  Strabo  XVII  795  Gas.;  ideo  in  monumentiB  enchorüB  deorum  Ptole- 
maeorom  Alexandrique  enumerantur  sacerdotes,  quam  ad  rem  referas  Theoer. 
XVII  15  Lucian  diall.  mortt.  13:  d)g  Y^olfir^v  etg  t&v  Aipmiuav  &eüjp  (Alexandri 
verba  sunt);  in  pap.  qnodam  enchorice  scripto  Alexandri  11,  Alexandri  oonditoris  ex 
Roxane  filii  nomen  legere  Ghampollionem  sibi  visum  esse  (?)  testis  mihi  est  Kose- 
garten Jahrb.  für  leiss.  Krit  1828  p.  718  ^  "  lustin.  XIII  4  Appian  Syr.  54  fin. 
8  Polyb.  XV  20  lustin.  XXX  2.  *  sie  auct  lib.  Macc.  I  1  cf.  St.  Croix  exam. 
p.  568  et  578.  Huc  neque  retulerim  Diodori  yerba:  ^  4me(^  oXijg  rrjg  ßaudelag 
dia&i^xi],  neque  testamentum  Alexandri  apud  Gurt  X  10  et  Ammian.  Marcell. 
XXIII  6.  »  Polyb.  V  65. 107  XIV 12.  »  Nomina  eorum  affert  Polyb.  XXIII 16. 
'  Diod.  XXIX  1.  ®  Inscr.  Ros.  I  27  cum  interpp. 


368  I^e  Lagidarum  regno 

expugnata  esset^  nt  auctoritatem  vigoremque  regni  sai  servarent,  imperio 
mere  Qraeco,  Macedonicis  armis  freti,  oculis  in  Graecia  quasi  habitan- 
tibus,  patriaeque  memoria  in  mentibus  infixa^  barbaros  moderari  debe- 
tant;  Graeca  virtute  nt  conditum  ita  obtinendom  erat  regnum;  id  quod 
bene  intelligens  Polybius  Ptolemaeus  Philopator,  inqoit,  6Xiy(OQov  xul 
Qd&vfiov  kyfiSeiXVvoMf  toiq  knl  tßhf  ^|ö>  ngayfidronv  [17]  SiarsTayfii- 
voiq,  imig  o)V  oi  nQÖTSQOi  oix  iXattta  fiBt^o}  d*  k^otovvro  anovSi^ 

Post  seditionem  igitor  Lycopolitanam,  rebus  extemis  iam  diu 
negligi  coeptis,  imperii  Graeci  maiestatem  anacleterüs  a  Ptolemaeo 
Epiphane  Eucharisto  celebratis  primo,  quibus  Pharaonum  more  a  sacer- 
dotibus  initiaretur  et  adprobaretur,  Aegyptiorum  indoli  sese  accommo- 
dare  moremque  gerere  coepisse  adparet  In  decreto  sacerdotes  inau- 
gurali  callidissima  ambiguitate,  utrum  inauguratione  illa  an  hereditatis 
iure  rex  regnum  habeat  in  medio  relinquunt;  nunc  Ptolemaeum  regem 
salutant  nccgakaßövrcc  nagä  rov\  nazQbg  rtiv  ßaaiXBiavj  nunc  ana- 
cleteria  vocant  nav^yvQtv  tflq  nccQaki^^ecog  rfjg  ßacrtXatag  et  rä  nQogfj- 
xovxcc  vöfjLifjLa  rij  naQuXrirjju  rfjg  ßamkeiag^K  Sic  suum  sacerdotes 
consensum  pro  necessario  vendere  regemque  olim  Aegypti  regem  Aegyi>- 
tiorum  facere  student. 

§12. 

Alexandri  Magni  aetate  et  paullo  post  ,,yetusto  Macedonum  modo 
nihil  potestas  regum  yalebat^  nisi  prius  valuisset  auctoritas"^  Sed  in 
terris  barbaris  barbarorum  more  mox  regnari  coeptum  est  Quo  regia 
potestas  in  arbitrium  licentius  yertebatur,  eo  intemperantius  non  reges 
sed  regi  quisque  gratiosissimus  dominabatur.  Eunuchorum  pravitas, 
concubinarum  asseclae,  consiliarii  sceleratissimi  vices  imperii  turbulenter 
permutabant.  Aulae  factiones  fallaciasque  factionibus,  seditionibus,  cae- 
dibus  manifestabant  Alexandrini  dw&örtg  kxtpvaßv  aräottg  fuyäkag*; 
oi  ix  T&v  ävo)  (TtQatoniöcov  interveniebant',  ne  quicquam  non  turbare- 
tur.    Haec  regia  Lagidarum. 

Operae  non  est  aulae  Alexandrinae,  ut  erat,  luxuriosissimae 
exprimere  imaginem;  quid  enim  ut  sciatur  refert,  ex  aulicis  elegantiae 

'  Eam  fdisse  antiquitatiB  de  Lagidanim  regno  sententiam  maltiB  colligitur 
locifl;  sie  Lucan.  Phars.  X  aulam  dicit  Pellaeam,  sie  Moses  Choren,  n  c  1  Ale- 
xander inquit  regnum  suum  inter  plures  portitus  est,  ita  tarnen  ut  Macedonum 
Imperium  generatim  universeque  appellaretur;  cf.  St.  Croiz  1.  c  ^°  Polyb.  V34. 
'^  Inscr.  Bos.  1  8  etc. 

1  CuTt.  VI  8  Diod.  XVII 80  XVIII 87  Comel.  Nep.  Eumen.  c.  ö.  «  Philonis 
sunt  verba,  res  notissima;  v.  Plin.  panegyr.  29  Senec.  d.  cons.  17  Suet  Vesp.  19 
etc.  etc.  «  Polyb.  XV  713  CaP. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  369 

urbanitatisque  legibus  regum  civitatumque  legatos  post  diem  X^^  et> 
si  gravier  res  esset,  post  quintum  adeundi  veniam  habuisse^,  peregrinos 
qnoqne  anlicis  Aegyptiorum  more  vestibus  indutos  prodiise  ^  rov  ägx^" 
8t<xtQov\  quem  a  culinis  dicunt,  etiam  ab  [18]  officüs  palatinis  fuisse^, 
vires  dootos  &QXioivox6ovq^  creatos  esse^,  inter  auücos  sodalioia  ad 
mutua  convivia  agenda  floruisse,  sie  räq  r&v  äfitfiijToßioDv,  r&v  awu' 
no&avovfjLiv(oVy  r&v  yikoiaar&v  (TvvöSovg^^, 

Est  inter  aulicos  descriptio  quaedam  bonorum,  qui  ut  ad  ipsam 
regis  personam  et  voluntatem  redeunt,  ita  non  aulici  tantum  ordinis 
praebent  normam,  sed  et  regni .  administratio  militarisque  disciplina  ex 
iis  pendet  Ex  institutis  Persarum  (ut  res  aulicae  Graecorum  pleraeque) 
profecti  non  tam  of&cia  hominum  indicant,  quam  suum  cuique  gradmn 
ac  decus  tribuunt.  Gradus  igitur  primus  est  rß^v  cvyyiv&v^^y  quo 
nomine  regis  epistolographi,  epistrategi,  strategi  Thebaidis  omantur^^. 
Iis  inferiores  sunt  ol  &QX'^^^y^^'^o(pvXaxiq^y  clavigeris  nostris  haud 
absimiles,  cuius  ordinis  memorantur  epistatae  aliquot  ^^,  assessores  non- 
nulli  {r&v  (rvfjLTtccQÖvrcjv),  aUus  de  assessoribus  idemque;^t;jUf'c^(ri<^(>;^o$^^, 
nee  non  äQxinwriyöq  ille,  qui  auxilia  Lycüs  adduxerat^^;  cum  Sosibio 
et  Andrea  ToT(i  ägz^amfiarocpvkcc^if  ut  ludaeorum  centum  miüa  in 
Aegyptum  olim  deducta  redderentur,  egisse  se  Aristeas  narrat^^  Qui 
T&v  nQd>r(ov  (pikcov^  nominabantur,  secundi  an  tertii  fuerint  ordinis 
haud  potui  enucleare;  ilüus  ägxiTcwriyoi)  xal  r&v  &QXi(T(ofiuto(pvXdxoov 
pater  äQXiXwriy6q  xal  r&v  yigdrcov  (pihov  fuit;  eiusdem  ordinis  stra- 
tegi, epistatae  etc.  memorantur  ^^  Post  utrosque  qui  Td>fr  qp/Aov  sunt^® 
locum  tenent;  id  quod  ex  pap.  Taur.  colligo,  ubi  inter  assessores  post 
archisomatophylaces  Hermogenes  r&v  cpihov  est  Hunc  excipit  Pancra- 
tes  T&v  SiaS6x(ov^y  neque  enim,  qui  inferioris  ordinis  sunt,  anteponi 
poesunt  lam  ol  negl  rijv  avXriv  SiaSö/ojv  s.  t&v  SiaSö^cov 
novissimum  gradum  teuere  videntur^^,  quo  ex  ordine  ijyafic^  quidam 

*  Aristeas  p.  43,  25  ss.  ed.  Schmidt.  ^  Cic.  pro  Rah.  P.  19.  *  Aristeas 

p.  44,  30  Schmidt  nhi  minus  recte  a^itjTQog  cf.  Athen.  VI  142  Inscript.  Joum, 
des  savans  1828  p.  105  [cf.  C.  I.  Gr.  III  4678]  „edeatrae  qui  praesunt  tabulis 
regiis*^  Festos.  Persarum  ex  aula  transiit  ad  Alexandri,  qui  Ptolemaeum  huic 
muneri  praefecit.  Crater.  apud  Athen.  IV  171.  ^  Comanum  dico,  v.  Proclum 
ad  Hesiod.  Dies  et  op.  97.  Ceterum  a  LXX  horum  officiorum  usus  ad  Pharaonum 
aetatem  nonnunquam  transferri  videtur.  ^  Plnt.  Anton.  71  Ptolem.  apud  Athen. 
VI  263.         •  „propinqui."  Caes.  bell.  civ.  III 103.  *^  cf.  Letronne  reeherckes 

p.  276  Peyron.  pap.  Taur.  I  63.  "  Peyron.  1.  c.  p.  72.  "  Pap.  Taur.  I 

p.  1,  8,  4.  "  Ihscr.  apud  Letronne  reeherckes  p.  52  [C.  I.  Gr.  III  4677]. 

"  Aristeas  p.  15,  4.  21,  13  ed.  Schmidt.  "  vid.  supra  §  8.  "  „regii  amid" 
Caesar  beU.  civ.  III  108.  '^  Non  officii  sed  honoris  hoc  fiiisse  nomen  inde 

coUigitur,  quod  Hermias  to>v  neql  avXrjv  diadoxav  in  nomo  Ombitico  sedem  habe- 
bat et  praesidiarÜB  illius  nomi  copUs  praeerat. 

Droysen,  Kl.  Schriften  n.  24 


370  I^e  Lagidarum  regno 

kii  ävSg&v^  innuQXVQ  alius  kmarärfjg^^  [19]  memorantur.  Nomen 
Peyronius  aulicos  secundi  ordinis  significare  putat;  quos  locos  ex  LXX 
attulit^®,  non  secundi  probant  ordinis  notionem  inesse  roci;  cuius 
nesoio  an  pedisequorum  propria  faerit  vis. 

Quos  honores,  quamquam  patris  gradum  filius  hereditate  non  ad- 
scendebat^^y  regni  nobilitatem  et  quasi  seminarium  praefectorum  et 
ducum  dicas.     Nobilitate  ea  Graeci  ni  fallor  soli  ornabantur,    neque 
enim  ante  Euergetae  11  aetatem  ullius  Aegyptii  nomen  vemaculnm. 
cui  id  honoris  additum  sit,  memini  me  legere.    Euergetes  vero,  quem 
in  Graecos  saevisse,  rem  Aegyptiam  fovisse  constat^^  viram  Aegyptium 
Cyrenaioae  praefecit^^,  Phommutim  epistolographum   et  propinquum 
renuntiavit^^,  civem  Eomanum^  quo  saeculo  senatus  Romani  in  arbi- 
trium  fere  traditum  erat  regnum,  propinqui  nomine  omavit^^     Facta 
talia  post  Ptolemaei  nostri  aetatem.    Vir  ille  eruditissimos,  cui  Roset- 
tanam  debemus  enodatam,  Lagidis  regibus  ad  quosquos  cuicunque  hono- 
res neque  patriae  neque  religionis  ratione  habita  aditum  patui^e  specio- 
sius  quam  verius  contendit^^.     Neque  equidem  remissum   neminem 
videri  negaverim  propter  religionem  dummodo   reges  Deos  adoraret 
propterve  patriam  dummodo  Graecum  se  praeberet  sive  Graecos  non 
natione  sed  nomine  habituque  esset  et  cum  regibus  graecaretur;  sin 
minus,  quem,  cum  neque  reges  crederet  Deos,  neque  graecitat«  imbu- 
tus  esset,  barbarum  esse  appareret,  ante  Euergetae  II  aetatem  praeter 
morem   singulari  regum  favore  ad  honores  muneraque  fungenda  ad- 
missum  esse   persuasum  habeo.     Nam  fundamentum  certe  et  regni  et 
aulae  res  Graecae  erant;  ut  Alexandri  Magni  spem  atque  consilium  ad 
suam  quisque  successorum  provinciam  transtulerant  et  accommodarant, 
ita  militaria  sunt  regna,  Graecorum  reges  exercituum  ope  dominantur. 
Alexandriam  ipsam  castra  dicas  praetoria,  immo  praetorium  ipsum  atque 
rrjv  xoivijv  iariav  non  patriae  sed  dominationis  Graecae. 


§13. 

Quae  cum  esset  regni  ratio,  fieri  non  poterat  quin  Graeci  bene- 
ficiis  privilegiisque  omati  essent  eximiis.  De  honoribus  aulicis  supra 
dixi,  addo  stipendiorum  [20]  Privilegium  perpetuorum.  Erant  quidem  inter 


»»  V.  Peyron.  I  56,  74.  Catal.  Passal.  Nr.  1564.  "  Chronic.  I  18,  17  xai 

viol  Javlö  Ol  nqCixOL  öiaöoxoi  rov  ßaadecjg  heb.  ^h'üri  l^b.  ChroQ.  II  26,  11 
Öiadoxog  heb.  "^bian  '^nvo'2.  ■•  v.  s.  inscr.  ttjy  agxuwyrjYcjy.  '^  Polyb.  XXXIV 
14  c.  intpp.  "  Polyb.  XXXI  27,  7.  "  Pap.  Taur.  V.  «*  inscr.  Le- 

tronne  recherches  p.  276.  **  Dramaim.  schedae  bist.  p.  23. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  371 

Aegyptios  kyxcoQiov^  qui  nomina  darent,  sie  !Anokk(üviog  6  xal  VefjL- 
luL(6v&fjg  —  Töv  änd  JtoanöXecog  rflg  fisydXrjg  rT^g  0t]ßaiSog  (jua&ocpd- 
Q(ov  inni(ov\  quem  fuisse  ex  vemacula  familia  ?/  nQoyovixi)  eius  o\xia 
probat;  sed  nomen  daturos  nomen  Graecum  Aegyptio  addidisse  videtur. 

Sed  quanam  ratione  Graecorum  ii,  qui  neque  militabant  neque 
mimeribus  publicis  fangebantur,  inter  barbaros  habitabant?  Herodoti 
aetate  familiarior  cum  Graecis  quippe  impuris  consuetudo  quoquo  modo 
devitabatur  ^.  Sed  magna  inde  facta  est  rerum  animorumque  commu- 
tatio.  Nunc  habitant,  nunc  dominantur  Graeci  a  man  ad  cataractas; 
familiariter  iis  uti  non  religionis  sed  honoris,  ne  a  conubio  quidem 
abhorrent^,  Graecis  ipsi  inferiores.  Sed  vel  altero  post  Christum  saeculo 
tantum  aberat,  ut  cum  gentibus  Aegyptiacis  quinque  saeculorum  usu 
coaluissent  Graeci,  ut  hoc  decreti  publici  scriberent  initium:  ?;  nöhg 
T&v  IdXB^avSgicov  xal  'EQfjLOvnoXig  i]  ^Bycch]  xal  ij  ßovkij  ij.  !AvTivoi(ov 
vi(ov  'Ekk^vmv  xal  oi  äv  tc5  Jikra  rijs  Alyvnrov  xal  oi  rov  Qrjßatxöv 
vofjLÖv  oixovvTeg"£Xk7]VBg^\  Quam  differentiam,  quo  tempore  aula  Lagi- 
darum regia,  species  illa  atque  exemplum  vitae  hellenisticae,  Graecorum 
per  orbem  disiectorum  quasi  centrum  esset,  multo  maiorem  fuisse  vero* 
simile  est. 

Per  totam  igitur  Nili  convallem,  per  omnia  Aegypti  oppida  vicosque 
Graeci  vivebant  sive  milites  in  praesidüs  nomorumque  urbibus,  sive 
officiales  {npayfiarixot,  knl  r&v  /Qtt&v)  in  epistrategiis,  nomis,  oppidis, 
sive  publicani,  redemptores,  negotiatores,  artifices  etc.  Utrum  Aegyp- 
tiacam  ut  ita  dicam  civitatem  haberent  iisdemque  cum  Aegyptiis  obse- 
querentur  magistratibus,  an  seiuncta  efficerent  nohrsvfjLara  quae  ad 
ipsam  praefectorum  Graecorum  disciplinam  pertinerent,  traditum  nön 
est.  Colligi  quidem  aliquid  ex  choachytarum^  videtur  ad  versus  Hermiam 
argumentum:  „si  causam  ad  laocritas  dixisset  etc.'^^;  sed  rem  totam 
integram  relinquo. 

§14. 

Duas  cert«  civitates  mere  graecas  fuisse  ex  inscriptione  supra  ad- 
scripta  [21]  edocemur,  Alexandream  dico  et  Hermupolim;  quae  tertia 
additur  Antinoopolitana  post  Lagidarum  aetatem  condita. 


*  Pap.  Taur.  III.  '  ov?  avt^Q  Alfunxiog  ovxe  pfvi/  ävöqa  *!ElXrjva  qtiXrjasis 
UV  TW  axofiati  ovdi  fiaxniiffj  dyÖQbg*^klrjvog  /Qr/aexai  —  ovde  xQeag  xa&a(}ov  ßoög 
6iaTeifiTjfiivov  'JEXkrjvutjj  fiaxnlqrj  Yevaerair  Herod.  II 41.  •  Letronne  ohservations 
8ur  Vohjet  des  repr.  Zod,  p.  13.  *  Ex  anno  147.  Letronne  recherches  p.  254 

[C.  I.  Gr.  III  4679];  ideo  factum  est  ut  Graeci,  etsi  sedes  haberent  in  Aegypto 
(oi  natotxovvjeg)  vocarentur  ^evoi  Peyron  II  50  sqq.  Plut.  de  Isid.  et  Osirid. 
c.  31.  *  Pap.  Taur.  I  7,  3. 

24* 


372  ^^  Lagidamm  regno 

Alexandriae  Diodori  Sicali  aetate  GCC  millia  hominum  liberomm 
habitarant'   qni  namerns  qnanto  servis   additis  aageator  Tel  potins 
moltiplicetor  non  ausim  dicere^;  sed  eximiam  faisse  iirbis  opnlentisBiTnae, 
museo  et  emporio  florentissiinae  freqnentiam  qais  dubitaveht?    Qoam 
gentem  ex  nationibus  omnibus  mixtam  tria  potissunnm,  qnae  publice 
ralerenty   effedsse   genera  Poljbius  narrat:   tö  re  Alyvnriov   xcel 
imzcjQioP  ffvkoVj  ö^v  xal  nohrtxdvj  xal  tö  iiia&oq>ooix6vj  ßaoi* 
xal  nokv  xal  üifay(ayov'  h^  ed-ovg  yäo  nukuiov  ^ipovQ  ecQupov  rovg 
rä  Ön'/M  üxoi^^Qf  üox^iv  piäiXov  t/  ägxto&ai  SeStSayfuvovg  Siä  ri}v 
T&v  ßaatiMov  oiStvtiuv,  roirop  S  fjv  yhfo^  ro  rßv  l^lt^apSgiiop, 
ovlt  ccizd  thxQivQq  noXtrix6v  Siu  rag  airrag  alriag,  xouttop  ff  ixti- 
vfov  ofMtjg.  xal  yäg  el  (iiydStg,  ^Ekktiveg  Spuog  üvixa&tv  Ijaav  xal  äfUfi-- 
vfjvTO   Tov  xotvoO  T&if  'EjJki)viüv  i&ovg^.     Aegyptios  et  Libyes  (o/ 
kyxtoQioi  et  Ol  inix(OQioi)  frequentissimos  Alexandriae  habitasse^  satis 
credibile  est;  quo  enim  condita  loco  urbs,  olim  Racotis  faerat  oppidum 
Libyco-Aegyptium^;  mercatores  Canopici  Alexandriam  migrare  fderant 
coacti^;  neque  deerant,  qui  mercatnrae,  litteramm,  anlae,  noTamm  rerom 
gratia  in  urbe  sedes  collocarent.    Civitate  antem  Alexandrina  ea  ho- 
minnm  grex  non  f^lebatur^^  Mercenarii  a  Polybio  memorati  qui  fuerint 
infra  exponam.    Tertium  fuit  t6  yivog  r&v  'äX^avSgmv^  Urbis  rere 
cives,  cui  civitati,  quanquam  in  Graeca®  origine  gloriabatur,  Inda  ei 
quoque  additi  erant,  qui  duas  TJrbis  regiones  soli  [22]  obtinebant^  suisque 


^  (<paaap  oi  tag  ävafqaqiag  ^oyieg  r6>y  xatoiKOvriap  Diod.  XVII 52  [cf.  Jobao. 
Malal VIII p.l92  edB.].  «  cf.  Boeckh  StaaUhaushaltV 47  88.  •  Polyb. XXXIV 
14.  *  cf.  lulimi  Valerius  p.  30.  ^  Res  notissima  cf.  Tacit.  bist  IV  84 

Clem.  Alex.  prot.  42  Paus.  V  21  Steph.  Bjz.  v.  De  Coptico  urbis  nomine  videsis 
epist.  systat.  ap.  Bonjour  monum,  copt  p.  1 2.  Neque  recte  Hieronymus  et  Cjrillns 
(locos  habes  apud  St.  Croiz  «com.  p.  540)  dizerant,  Urbem  a  scriptoribtis  He* 
braicis  vocari  No;  vid.  Jablonsky  opp.  1  p.  162.  Bacotim  foifise  oceidentale 
Aegypti  praesidium,  nomen  probat  Mareotisi.  e.  Ma-areh  ,;id  quod  ad  costodiam 
pertinet^S  ^^  Are-phot  „custodia  occidentalis^'  y.  Forster  ep.  ad  Michaelis  p.  13; 
Pharos  insulae  nomen  est  Ph-areh,  rj  (pvXaxTj  sive  ut  Dionys.  perieg.  258  didt 
ajtQai  (Txonitti^,  ^  Aristot.  oecon.  III  33  ob  quam  causam  Canopi,  quem  in 

Menelai  navigio  gubernatorem  dicunt,  cultus  inter  Alexandrinos  floruisse  Epipha- 
nius  in  ancorat.  §  108  aliique  narrant.  '  Plin.  epp.  X  5  Philo  lud.  in  Flaccum 

p.  967  loseph.  ct.  Ap.  II  3— 5.  *  Ad  eam  rem  referri  potest  Satyrus  Arro^oir 

tovg  öi'ifiovg  xCiv  ÄXeSavÖQiiop  v.  Voss,  de  bist.  Graec.  p.  411;  praeterea  in  phylas 
Urbs  divisa  fuit,  sie  i^  gwlrj  Hiolefiatg  vit.  Callimachi^  [Non  nisi  ex  regio  prostag- 
mate  navibus  e  portu  Alexandrino  in  altum  provehi  licebat  Strabo  II  p.  103  C; 
portus  Alexandrinus  praesidio  validissimo  munitus  Strabo  II  p.  102  0.  Ex  Taphe 
Alexandriam  Jeremiae  sepulturam  transtulisse  Alexandrum  narrant  Suid.  v.  df^ 
yoktti  Chron.  Paschal.  p.  293  Bekk.  ubi  vide  interprett  De  Alexandrinonun  levi- 
täte  V.  Dio  Chrys.  or.  32  init.  De  Alexandriae  senatu  v.  Dio  Oass.  51,  7  Ael. 
Lamprid.  vit.  Alex.  Severi.  17].  •  loseph.  et  Ap.  I.  c  Philo  p.  750. 


PtolemaeoVI  Philometore  rege  373 

ethnarchis  s.  alabarchis*  obsequebantur ^^.  Ad  hos  omnes  ut  vocan- 
tur  hyyeptig  !Ale^av8Q6tg  immensa  vis  rßv  rt^v  nöXiv  (piXigyigc  xa- 
romovvTwv^^  aoceduni  Mathematid  Chaldaei,  exegetae  ludaei,  littera- 
tores  philosophique  Graeci  Museum  atque  Serapeum  celebrant;  Itali 
nantae,  Syri  navicnlarü,  operosae  Rhodiomm,  Arabma,  Pontioonim 
catervae  in  Heptastadio  et  ad  Neptuni  templum  fluotuant;  Necropolim, 
Eleusim,  Hippodromnmy  Zephyrium  Alexandriae  libidinosa  lustrat  luven- 
tus  inertiumque  cirouli  ardelionum.  Quid  multis?  Urbis  hominum  et 
negotiosorum  et  otiosorum  frequentissimae  difficillimam  ftüsse  administra- 
tionem  multosque  occupasse  magistratusapparet;  neque  multum  Strabonis 
proficimus  testimonio:  ,,Urbis  magistratus  regum  aetate  fiodsse  exegetam 
purpuratum  eundemque  annonae  praefectum,  dein  hypomnematogra- 
phum,  archidioastam  et  archinycterinum,  quasi  y^noctuvigilum  prin- 
cipem"  ^\ 

Praeter  Alexandriam  oiyitatem  Graecam  inscriptio  illa  testatur  fdisse 
Hermupolim  magnam;  eadem  est  ^  Ilrolsfiarxij  nöktg^^  quam  Strabo 
maximam  dioit  Thebaidis  urbem  neque  Memphide  minorem,  Hxovaav 
xcci  (Tvarfjfta  nohrixdv  iv  rtp  'EXlf]vix(p  rpönq)^^,  El  tribus  enim 
oppidis,  quae  Hermupolis  vocantur,  et  parva  in  Delta  sita  et  magna 
exadversum  Antinoopolim  a  Coptis  Sohmoun  vocantur^^;  tertiam  in 
Thinitico  nomo  Psoi  vocant^^;  eodem  in  nomo  GL  Ptolemaeus  urbem 
habet  ,yIlToXefiaig  ij  'Egfieiov^^,  unde  apparet  urbem  'E^fieiov  s.  Psoi 
vocatam  Ptolemaeos  in  Graecam  civitatem  mutasse,  quae  privilegüs 
beneficiisque  ita  mox  floreret,  ut  vel  maximis  Aegypti  urbibus  haud 
postponeretur.  Ptolemaeus  Soter  condidisse  eam  videtur^  nam  ut  Alexan- 
driae regum  sacerdotes  omnium  inde  ab  Alexandro  conditore  in  monu- 
mentis  tanquam  kndiwfioi  recensentur  ^®,  sie  sacerdotes  qui  Ptolemalde 
sunt  Ptolemaeorum  ^^  inde  a  Ptolemaeo  Sotere  memorantur^^. 

[23]  Civitates  nescio  an  plures  fuerint  Graecae.  SicNaucratis,  quae 
inde  ab  Amasis  aetate  Graecorum  sedes,  mercatura  copiosa  florentissima, 


*<>  loBeph.  [tom.  IV  p.  177, 165,  245,  225,  261]  antqq.  XrV7,  2  bell.  lud.  XVIII 
7  etc.  cf.  luven.  I  130  [Inscript  apd.  FeUows  Lycia  p.  116  in  dem  Delta  des  Xan- 
thu8  gefunden  |TT]OC[EI]AÖNI  |  EYXH  |  MAYCÖ  |  AOYAAABAPXOY  [C.  I.  Gr.  III 
4267].  "  Edict.  Tib.  Alex.  1.  83  [C.  I.  Gr.  III  4957].         "  Stiab.  XVII  792 

Gas.  Addi  potest  PhUonis  testimonium,  esse  nävie  fioiQag  rifg  nölaiog  intorvfiovg 
tChf  TiQünay  tnoixeUav  trjg  ^^^^^aju^arov  <p(i}y^gf  quas  alii  sie  interpretantur:  ÄU- 
^apöifog   BaaiXevg  Tivog  Jiog  ^tcxurev.     lul.  Val.   p.  87'».  "  Strab.  XVII 

p.  718  Gas«  ^^  altera  apud  Aini  in  Hammer  Fundgruben  des   Orients  IV 

p.  422  Yocatur  Eschmounain.  ^^  unde  ^tg  Hecataei  apud  Stepb.  Byz.  pro- 

fectum.  ^^  inscr.  Ros.  1.  4.  Boeckh  Papyr.  p.  4,  9  etc.  ^^  Non  Deorum 

regum,  sed  dtpTjQcaiiofidyoiv  ut  videtur.  ^^  v.  Kosegarten  Jakrb,  für  tnss, 

Kritik  1828  p.  709. 


374  ^®  Lagidanim  regno 

nomi  metropolis  non  }iabebatur^^,  puta  quia  6raeca6rat^  Ob  eandem 
enini  causam  nomi  a  Menelao  florentissima  (Ptolema^i  Soteris)  urbe 
vocati  metropolis  erat  Kanobns,  qua«  ciTitas  Lagidarum  aetate  ad  ulti- 
mam  fere  miseriam  descenderat,  nt  Hierooles,  qui  Menelaum  sedem 
episcopalem  yidit^  ne  nomen  quidem  metropolios,  quae  olim  faerat, 
memoret^^  Eadem  ratione  circa  Alexandriam  nomus  ab  Hermapoli 
parva  vocatos.  Quod  Thinitici  nomi  Ptolemaeus  Ptolemalda  foisse  dicit 
metropolim,  nostram  sententiam  redargueret,  nisi  constaret  nrbem  fiiisse 
veterem  (Psoi)  Jixo^^^'^  ^^^  <Tv(ni]^a  iv  'ElXijvixw  TQÖnq)^  L  e.  praeter 
vemaculos  incolas  eandem  habuisse  Graecam  coloniam  et  ciTitatem. 
Simile  quid  de  Arsinoe  dicas  ad  Moerim  lacum  sita,  quae  cognomi- 
nis  nomi  metropolis  ^^  fortasse  nomine  tantum  a  Grocodilopoli  diffiert, 
quam  alii  dicunt  eiusdem  nomi  metropolim^^,  sive  ,,oppidam  hoc 
aquosum^'  Arsinoae  nomen  ab  aedificationibus  üs  locis  Arsinoae  re^ae 
conditis,  sive  post  coloniam  Graecam  deductam  et  sjstema  politicum 
Graecorum  more  institutum  accepit^  ,,Arsinoitae  duo  sunt;  quidam  no- 
mina  permutant  et  alios  substituunt  nomos,  ut  Heroonpoliten,  Grocodilo- 
poli ten"^^.  Alterum  igitur  Arsinoiten  alio  nomine  Heroonpoliten  Tocant  2*, 
qui  secundum  Ptolemaei  canalem  ad  rubrum  mare  adscendit;  nam  cum 
Arsinoe  emporium  ab  altero  Ptolemaeo  conditum  vere  Graeca  esset 
civitas  metropolim  fecerunt,  Heroonpolin,  quam  inter  antiquissimas 
Aegypti  urbes  fuisse  Stephani  Byz.  testimonium  probat:  olim  eins  nomen 
Aifiog  fuisse,  quia  Typhon  fulmine  ictus  sanguinem  hoc  loco  efiudisset^ 
karl  Sk  i]  nöhg  Aüaoiq  xaru  rijv  &Bokoyiav  üvcoO-bv  Twpfjüvto^ 
—  ovTG}  xakovfiivrj  än6  rivog  äQxcciaq  &BoXoyiag  (Manethonis  sunt 
verba).  TJnde  Auarim  et  Heroonpolin  eiusdem  urbis  nomina  esse  ajv- 
paret°,  pastores  enim  isti  victores  Typhonii  sunt^*,  quos  Sesostris,  ut 
Osiris  et  Horus  Typhonem,  depugnavit. 

[24]  Ceterum  colonias  Graecas  in  alias  quoque  civitatis  Aegypti 
potissimum  inferioris  deductas  fuisse,  ut  alia  documenta  omittam,  Sera- 


^'  id  quod  minus  recte  Plinius  dicit  V  9  quem  contra  vid.  Mannert  X  564 
[de  Graecis  ibi  xaioixoig  v.  Polyb.  XXVIII  17,  11].  «<>  v.  Mannert  1.  c.  Ce- 

terum ob  illam  etiam  causam  fabulam  notissimam  de  Canopo  Menelai  gubematore 
deque  Menuthi  eius  coniuge  fide  indignam  esse  vides;  sed  sunt  qui  veram  patent; 
num  Pelusium  quoque  Graecae  originis  et  a  Peleo  AchiUis  patre  conditum?  Am- 
mian.  Marcell.  XXII  16.  "  Paus.  I  7.  "  Plin.  V  9.  "  Plinii  sunt  verba. 
'^  Strabo  nomen  vocat  0aYQG)Qi6noXuf  quod  nomen  ni  fallor  a  Toce  Gopt.  ckrtMr 
(ranae)  derivatur  y.  £xod.  8.  ^^  Diod.  I  53;  saepenumero  enim  regem  illum 

fabulosum  priscae  dodecarchiae  successorem  humanum  cum  Osiride  deorum  XII 
secundi  ordinis  quasi  successore  ita  confundi  vel  potius  commutari  in  libello  de 
Psammaticho  et  Dodecarchis  scripto  [quod  mansit  ineditum]  probare  studid. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  375 

pis  iUe  Canopensis  band  ambigue  docet.    Quae  vestigia  boc  loco  baud 
persequi  satius  duxi^^ 

§15. 

Militare  supra  Lagidarum  regnum  nominabam;  militarem  igitur 
rem  amplissimam  validissimainque  faisse  credis.  Quam  ut  accuratios 
exponam  copias  quas  Sosibins  maior  adversus  Antiocbum  III.  eduxit, 
recensere  visnm  est*.    Sunt  enim  auctore  PolybioM 

3000  Tov  xakovfjbivov  nagä  roTq  ßatriXevaiv  äy^jficerog,   2000  nekra- 
(TTccL   25  000  fi  (füXuy^.  8000  fiia&ocpÖQoi  ''EXk7]veg  eodem  quo  pba- 
lanx  exercitio  nsi.   700  iTtneig  oi  nsgl  rijv  aikijv.    2300  innetQ  ol  und 
AißvriQ  xal  oi  h/X(oQioi,     2000   innsTg  oi  änb    rfjq  'EXldSog  xccl 
näv  tö  tcjv  fiia&ofpÖQmv  innicjv  nXfl&og.     3000  KQflrsgf  quorum 
1000    NeöxQfjTsg.      3000    Aißveg    alg    tov    MaxeSovtxöv    tqötiov 
xa&oi)7th(Tfievoi.     20000  U^akayyiTai  rö  rcHv  Alyvnrioiv  nXfjßog. 
4000  0Q^xeg   xal  raXürai  ix  rcjv  xaroixmv  xal  r&v  kniyövtav^. 
2000  0Q^xeg  xal  FaXarai  ngogcpärcog  imfrvvax&ivTBg. 
70000  pedites,        5000  equit^s^ 
Quo  in  catalogo  nürum  est  quod  Macedones  omittuntur,  quos 
milites  faisse,  quos  in  castris  a  cetera  militum  grege  seiunctis  habi- 
tasse,  quos  ab  Agatbocle,  ut  Ptolemaeum  Epiphanem  regem  evocarent, 
primos  conciliatos  fuisse,  quibus  quaecunque  yellent  ad  regem  ipsum 
referre  ingenueque  fateri  licitum  fuisse*  Polybium  non  uno  loco  habeo 
testem.    Macedones  igitur,  quam  tunc  temporis  iis  praestantiam  atque 
auctoritatem  faisse  apparet^,  qua  ratione  expeditioni  noUfiop  (ni(pog 
Tiage^ovreg  adfiierint,  ex  Alexandri  magni  exercitus  similitudine,  quam 
Lagidarum  discipiina  mirum  quantum  imitando  consecuta  est,  illustrari 
posse  Visum  est.    Alexandri  enim  et  equitatus  et  peditatus  temis  com- 
positus  erat  parübus:  [25]  mercenariorum,  sociorum,  MacedonuuL   Mace- 
dones robora  copiarum  atque    pro  tota  gente  sub  rege  libera;  rege 
mortuo  Macedonum  opera  atque  consensu  duces  facti  reges  sunt^  Mace- 
donum  fide  atque  praesidio  regia  potest>as  firmata  et  si  quid  periculi 
immineret  servata.    Alexander  igitur  Macedones  babebat  YIII  turmas 
init^ig  iraiffovg,  nobilitatis  florem*,  dein  rovg  inaaniaxäg  rdHv  iraiQcov 


^  Guigniaut  Serapia  et  son  origine  p.  22  ffacitus  ed.  Bumouftom.  V  1828). 

*  Polyb.  V  65.  *  alteri  xatoixoi  ut  Graeci,  alten  iniyopoi  G-allorum*', 

quos  'Ayjifoyog  ug  g>ikoc  tov  0dadeX(fOV  nqov^evai,  nvjcoj  iü<TJ6  int  ^ia&^ 
<yx(fttTevea&at  Schol.  ad  Call,  in  Del.  165.  Wemsdorf  hac  de  re  minus  accurate 
Bcripsit;  fortasse  Ileqafi  ^^?  inifovrjg  pap.  Lug.  0.  10  ed.  Leemana  huc  pertinet 
•  Polyb.  V  79.  *  ei/op  y«^   usl  xrjv  jotavirjif  larjyogiav  ngög  lovg  ßrtaiXstg  ni 

Maxsdoveg  Polyb.  *  Harpocrt.  voce  neteiaigog  cf.  Curt.  V  I. 


376  I^e  Lagidarum  regpio 

s.  nB^eraiQovg^  tres  chiliarchias  forma  ferocitateque  insignes^,  scatis  sa- 
rissisque  perlongis  armatos®,  a  Philippo  rege  institatos,  qni  ad  regis 
tabemaeulum  excubarent;  ntrisque  nomen  ro  äyrjficc  r&v  ixaiQayp  pro- 
prium ^^,  sunt  enim  ex  nobilitate  Macedonum  regisque  quasi  pares;  acoe- 
dunt  fortasse  oi  &{)yvQÜamStq  tres  ohiliarchiae,  armis  fere  üsdem  cum 
peltastis  instructi^^.    Ut  hi  nobilitatis,  ita  phalanges  illae  YIU  plebis 
Macedonicae  sunt.  Eandem  habes  Lagidarum  in  exercitu  conformationein, 
neque  cum  Schlossero  consentiam,  qui  equitatum  illum  nobilem  Lagidis 
fuisse  negat;  nam  700  Uli  equites  ol  nBQi  rijv  ccvkiiv  cum  Alexandra 
equitibus   irccigoig  conveniunt,    3000   Uli   ro   nccgä  roTq  ßatnkfva.v 
äyfjfia  ^^  cum  tribus  chiUarchiis  nB^eraigoig,  2000  iUi  nüraarai  cum 
argy raspidibus ;  pro  plebe  Macedonica  XXV  miUa  Phalangitanun  aa- 
benda.    Tantum  igitur  abest  ut  omissi  Macedones  in  Ulo  catalogo  sint, 
ut  30  700  h.  nomine  eo  contineantur. 

Idem  omisisse  Pölybius  videtur  rovg  (Tmfiarotpvlaxaqy  quorom 
saepius  in  eadem  quae  Agathoclis  vocatur  seditione  mentio  est  Non  } 
sunt  Macedonum  cohors  (velut  )7,i]  ßccaihxfj),  nam  unum  de  üs  Aga-  '* 
thocles  mittit  ad  Macedones  oratorem.  SateUites  Casaubonus  accuratios 
quam  reotius  vertit,  nam  Aristomenes  pauUo  post  regis  pueri  tutor,  ; 
nam  Moeragenes  Adaei  ro€  knl  Bovßüarov  röre  xa&%(rrafuivov  [26]  i 
amicus,  nam  Sosibius  rov  nolvxQoviov  SosibU  filius,  ex  eo  nomero 
sunt^^  Hegum  fuisse  comites  admissionalesve  puto,  ad  quam  rem  honos 
Ule  r6iv  &QXiG(o(jiccTO(fvlax(ov  egregie  quadrat,  cuius  Tocis  vim  losephns 
minus  recte  percepit  Andream  nunc  ä()Xi<TcoiJLccTo<fvXaxcc  nunc  top 
äoxovTcc  T&v  acopLcnoffvXüxfov  vocans^®. 

§16. 

Haud  difficile  est  Ulo  ex  catalogo  ut  mercenariorum,  sociorum. 
Macedonum  ordines  enucleare,  ita  perpetuos  milites  modoque  con- 
scriptos  distinguere.    Polybius  enim  ad  id  bellum  dxi  rohq  pLKT&offd- 


^  Arrian.  114  Anonym,  apud  St.  Croix  p.  453,  qui  hos  mihi  locos  pleroeque 
suppeditavit  ^  Polyaen.IV  3.  ^  Aelian.  tact.  12  Aman,  tact  p.  11.  *  Har- 
pocr.  1.  c.  Demosth.  Olynth.  I  §  7.  *«>  Arrian  IH 1 1  Diod.  XVII 1 10.  "  Aman 
IV  24  Gurt  IV  10  Hesych.  Suid.  £tym.  M.  b.  v.  Eusthatius:  afijfia  ra^/ua  mnitar 
xnl  neiuv  iniXexttop  na(fa  Maxßdoaiv  non  ab  äyaa&at  ut  post  Appianam  Steph. 
Thes.  putat.  ^'  St  Oroiz  454.  ^*  quorum  in  exexx^itu  Selenc  plerique 

argyraspides  erant  Polyb.  V  79  regia  cohors  Liv.  37,  40.  *'  t6  ä^f^fia  ut 

Lagidarum  pedites  ita  Seleucidarum  equites  v.  Appian.  Syr.  82  Liv.  37,  40 
Polyb.  XXXI,  3;  Letronnius  ab  Alexandre  qui  6000  pueros  Aegyptios  deligi  et 
ad  militiam  Macedonicam  edoceri  iussisse  dicitur,  t6  ßaailixdy  Lagidarum  ufi^ua 
originem  ducere  sine  idonea  causa  mihi  putasse  videtur.  ^^  Polyb.  XV  32  etc. 
^«  loseph.  XII  18  et  50. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  877 

(}ovg  Tovg  iv  ratg  ä^w  TtöXaatv  AlexaDdriam  convocatos  et  ^svoköyovQ 
emissos  esse^;  nee  non  lustinus  ^^magno  ex  Graecia  conducto  exercita^ 
pagnatom  esse  narrat  K  Sic  ad  II  milia  peltastarum  III  Libyain  addun- 
tur  Macedonico  modo  armatomm,  ad  XXY  milia  phalangitarum  XX 
Aegjptiorum,  ad  Thraces  rovg  xarotxovg  Galatasque  rovg  kniyövovq^ 
II  milia  oonscribuntnr.  Item  YIII  milia  Graecorum,  III  Cretensium, 
II  equitom  Graecorom  conducti  sunt  mercenarü,  qoi  iUo  saeculo  facil- 
lime  comparabantur^  Quocontra  XXY  milia  phalangitarum  ceterique 
Macedones  mercenarii  xärotxoi  videntur  esse.  Qui  militarunt  Aegyptii 
non  pertinent  ad  duo  illa  Tß>v  fß.axifi(ov  yivBu,  de  quibus  Herodotus 
multus  est;  et  qui  in  inscr.  Bos.  vocantur  fiäxifioi  non  ex  illis  familüs, 
sed  eadem  XX  milia  ro  r&v  Alyvnriajv  nkfj&og  sunt,  quorum  in 
catalogo  mentio  est.  Nam  ubi  res  in  periculo  esse  coepit,  quicunque 
arma  ferro  poterant  ex  quibuscunque  familiis  ad  militiam  cogebantur; 
id  quod  a  primis  Lagidarum  temporibus  factum  est.  Ftolemaeus  enim 
Soter  in  pugna  ad  Gazam  commissa  Macedones,  mercenarios,  Alyvn- 
Ttcov  n?.fl&og  rö  fiiv  xofit^ov  ßiXfj  xal  rijv  äkh]v  TtciQaaxBvtjv,  rd 
Sä  xce&conhiTfUvov  xal  npög  (iccxw  ;^(>;)ö'«jUOf'  habebat*. 

Equites  Libjes  et  lyx(o()iovg^  ad  illud  bellum  dixi  compara- 
tos,  non  perpetuos  foisse.  Num  perpetuus  Lagidarum  equitatus  700 
equitum  erat?  accedit,  quod  quanquam  700  iUi  nepl  rijv  avXijv  aiüae 
regiae  adscripti  erant,  ex  aliis  etiam  praesidiis  InnÜQxui  in  &v8q&v 
memorantur^  Bes  haec  esse  videtur:  equites  perpetui,  aulicis  exceptis, 
per  nomos  dispositi,  ne  regnum  praesidiis  nudaretur,  [27]  educi  non 
poterant;  ad  augendum  equitatum  praeter  mercenarios  illis  700  aulicis 
equites  Libyes  et  Aegyptii  additi  erant  Polycrate  et  turmis  perpetuis 
et  supplementis  praefecto.  Yalde  ab  equitibus  illis  äyxooQmg  s.  Aegyp- 
tiis  differunt  oi  xüroixoi  innatg,  quos  Letronnius  minus  recte  Aegyp- 
tios  putat  fuisse.  Id  quod  non  solum  contra  rem  supra  probatam,  in 
pace  reges  Aegyptüs  copiis  raro  usos  fuisse,  repugnat,  sed  ne  cum  vi 
quidem  Tocis  consentit;  legitur  in  marmore  quodam  Oxoniensi  xal  r&v 
äiXcov  ^iv(ov  xaroixovvTsg  xal  nagsniSfjfAOvvveg  iv  Jijkq)^^  unde  colligi- 
tur  xaroixeiv  et  xärotxoi  ad  ^ivovg  eos  pertinere,  qui  in  aliqua  regione 
sedem  acceperint;  Graeci  in  Aegypto  sunt  |äi/oi,  id  quod  colligiturutexre 
ipsa  ita  ex  äyoQavöficp  ^svtxcp^  ad  quem  Graecorum  causae  quaedam 
referuntur.  Unde  apparet  rovg  xarotxovg  inntig  esse  Graecos  in  Aegypto 


1  Polyb.  V  63.  «  lustin.  XXX  1.  »  Polyb.  XXIII  ib.  XXXI  25. 

^  Diod.  XIX  80.  ^  iyx^Qf'OyJi   verto  Aegyptios   ut  f^afifiaia  iyx^Q^^    ^^^ 

iyx^Qta  etc.  *  Letronne  p.  818  Peyron  I  75.  '  Sic  Aristeas  ed.  Schmidt 

15,  12  rez  inqnit  elg  tfjv  /oi^av  xat(axi(yey  iv  Toig  qiQovQioig. 


378  ^^  Lagidarum  regno 

habitantes,  addita  voce  xäroixoq^  ne  cnm  perpetuis  i^KT&ocpögotg  ol  pua&o- 
(pÖQOi  7taQeniSf]iJiovvTBQ  et  noogcpürcog  kntavvax^hvxiq  confandantor. 

Magna,  fortasse  tertia^  copiarum  pars  Alexandriae  tendebat  non 
sine  Summa  inter  aulicas  res  auctoritate.  „Regum  amicos  ad  mortem 
deposcere,  bona  locupletum  diripere,  stipendii  augendi  causa  regis  domum 
obsidere,  regno  expellere  alios,  alios  accersere  veteri  quodam  Alexandrini 
exercitus  instituto  consne verant"  ^  Sic  anno  201  seditione  orta,  Aga* 
thocles,  primum  Macedones,  ut  puerum  reginm  regem  rennntient»  dein 
rä  Xomcc  (JvtTTfjfAara  convocat  xccrä  roifg  Xoinovg  hexkrjctatTfiovgy  qui- 
buscum  omnes,  qui  kx  r&v  ävco  argaroniScov  Alexandriam  convenerant 
sese  coniungunt;  postremo  civitas  {t6  nXfj&og,  rö  nohnxdv  yivog^  oi 
nolloi)  quid  sentiant  declarant  Tä  Xoinä  {TVGTijficcra,  quae  Drumannus  ^^' 
urbis  regiones  esse  putat,  copiarum  Macedonibus  exceptis  ordines  omnes. 
Graecos,  Thraces,  Gallos  kmyövovg  et  xaxoixovg  indicant.  Qui  militei 
systemata  efficiunt  non  pro  aetate  et  armis  et  popularitate,  sed  ut  for- 
tuna  quosque  congessit;  nam  ubi  duces  rei  militaris  peritiores  exercitnm 
ad  belli  usum  instruere  iubentur,  iiq&tov  xccrä  yivri  xai  xa\f  ifhx/a^ 
SieXövreg  äviSoGUV  ixärrvoig  rovg  iTiirfjSeiovg  xa&onhtTfWvg  dhyfooi'^- 
(Tavreg  rcDv  noöreoov  avxoig  vnuQx6vT(av  etc.  ^^ 

Ceterae  copiae  per  totum  regnum  dispositae,  in  provinciis  aut 
praesidia  oppidorum,  aut  praefectorum  (röi/  aTQarriyöv)  cohortes  praeto- 
riae,  aut  publicanis  ad  [28]  tributa  cogenda  traditae  sunt  ^2.  In  ipsa 
Aegypto  suam  quisque  nomi  praefectus  [(TXQarir/og)  cohortem  vide- 
tur  habuisse;  sie  sacerdotes  Philenses  de  magistratibus,  qui  insulam 
frequentarent,  conquerentes  hos  fere  recensent:  cxQuxriyoi  xal  krtt- 
(Txüxai  xal  &i]ßaQxai  xai  ßaaiXixol  yoc^fifiaxeTg  xal  hniaxcirat 
(pvXaxix&v  xal  oi  üXkot  itQuypiaxixol  nävxeg  xal  ai  äxoXov&ovfiat 
dvvdfieig  xal  ?/  kotTiij  vTnjQema^^  [ol  (fvXaxsg  xoü  Agaßiov  ^lv^ov 
Strab.  II  98  Gas.].  Quibus  a  cohortibus,  quippe  stationi  certae  non 
adscriptis,  sed  quocunque  praefecti  proficiscerentur  äxoXov&ovaatg^\ 
diversa  sunt  praesidia  ad  limites  custodiendos  disposita;  in  Arabiae 
confinio  Pelusii,  Daphnae,  Arsinoae,  in  castellis  montibus  Arabicis  sub- 
iectis,  ubi  ex  faucibus  Arabum  imminent  excursiones,  velut  in  castellis 
Isiu,  Muthis,  Pescla  aliisque  Thebaidis  inferioris  stativa  habuerint^*. 
Omnium  frequentissima  xä  ävco  axgaxönsSa  Aethiopibus  praetenta: 
in  Ombitico  nomo  {oi  ävta  xönoi^^)  aliquot  cohortes  coUocatae  erant^" 


»  ut  fuit  Komanorum  aetate  Strab.  XVII  747  Gas.  »  Ca^s.  bell.  civ.  III 

110.  ^^  Schedae  p.  33.  "  Polyb.  V  64.  »«  loseph.  ant.  XII  180.  »»  Inscr. 
Phil,  apud  Letronne  recherrhes  p.  298  [G.  I.  Gr.  III  4896].  **  Pap.  Taur.  I  5,  28. 
"  Mannert  X  p.  393.  »•  Pap.  Taur.  I  5,  28;  3,  7.  "  ib.  I  15  II  3. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  879 

{oi  iv  ro5  Vfißiry  taadöfievoi  Tispol  xai  innetg  xal  oi  äXXoi^^.    Sed 

ceteri  quoque  nomi  sua  quisque  praesidia  stativa  habent^^,  qnae  ab  illis 
ccxoXov&ovamq  cohortibus  cUversa  esse  ideo  putaverim,  quod  eonim 
praefecti  in  inscriptione  illa  non  memorantor. 

Qaos  significari  Letronnius  putavit  bis  vocibus:  kniGrürai  (pvla- 
xiTöv  {les  episiates  des  corps  charges  de  la  garde  du  pays)  ut  fpvkaxTrai 
sint  nomorum  praesidia.  Sed  quid  tox  &Qxi(pvlaxiT7]q^^  sibi  vult? 
iium  ut  olim  inter  Francogallos  ,,legionarius  Galliae  primus^',  ita  inter 
Aegyptios  fuit  primus  miles  praesidiarius?  Veram  viri  illustrissimi 
versionem  esse  nego,  sed  quaenam  verior?  Vim  eaptivitatis,  quae  vocis 
ffv)MxTrai  nonnunquam  est^^,  quamvis  in  carceribus  Aegyptüs  saepe 
magna  hominum  vis  faerit**,  remitto.  Sunt  enim  in  Aegypto  portorii 
tabernae  et  telonia,  (pvXuxui  vocatae**,  (fjvlaxlrui  igitur  portitores 
censualesque ;  id  quod  ex  Aegyptiorum  more  cum  censuali  quadam  de 
possessionibus  [29]  cura  convenit;  sie  archiphylacites  domum  a  sacerdoti- 
bus  quibusdam  occupatam  possessori  legitimo  reddere  a  stratego  iubetur***. 

Belinquitur  mihi,  ut  quae  de  Lagidarum  navalibus  copiis  tradan- 
tur  addam^.  Bellum  illud  Syriacum  cum  iniretur,  in  mari  mediterraneo 
constratas  naves  XXX,  onerarias  plus  quadringentas  reges  habebant^^ 
Caesaris  aetate  naves  longae  ad  Pompeium  missae  auxilio  fuerant,  trire- 
mes  omnes  et  quinqueremes  aptae  instructaeque  omnibus  rebus  ad  navi- 
gandum ;  praeter  has  XXII  erant,  quae  praesidii  causa  Alexandhae  esse 
consueverant,  constratae  omnes;  quibus  omnibus  et  reliquis,  quae  in 
navalibus  erant,  incensis,  cum  Alexandrini  naves  omnibus  Nili  ostiis 
custodiae  portorii  exigendi  causa  dispositas  Alexandriam  revocassent, 
veteresque  naves  in  occultis  regiae  navalibus,  quibus  multis  annis  ad 
navigandum  non  erant  usi,  refecissent,  paucis  diebus  quadriremes  XXII 
quinqueremes  V  confecerant,  ad  quas  minores  apertasque  complures 
adiecerunt^*.  Ad  hanc  maris  intemi  classes  altera  minore  maris  Rubri 
addita,  Lagidarum  copiae  navales  ut  multo  inferiores  si  cum  Athenien- 
sium  Fersarumque  classibus  comparantur,  ita  regnorum  civitatumque 
aequalium  classibus  haud  impares  sunt^^. 


^^  Inscr.  ap.  Letronne  p.  77  [C.  I.  Gr.  III  4859.  4860].  ^®  sie  nomi 

Pathyritici  inndifxVS  ^  aydqcjv,  sie  Memphidis  fpqo\jqoiqxoQ  pap.  Lugd.  G,  2  ed. 
Leemans;  huc  t6  (pgovi^wv  cnius  nomen  interiit  (in  Pathyritico  ut  videtnr  nomo) 
retnlerim  pap.  Berol.  39.  ^  sie  pap.  Par.  in  Jour.  des  Sav,  1828  p.  110;  idem 

Bignificatur  siglo  a^x^fp  in  pap.  Lugd.  G,  8  Leemans  Taur.  II  37.  '^  Nic<«- 

taa  II  11  Polyb.  V  38  oi  iv  laig  (jpvXaxarg,  '•  Pahlin  ancU,  de  Vinser.  de  Ros. 
p.  66.  ^  Agatharch.  geog.  min.  I  p.  22  Strab.  XVII  815  Gas.  Sic  de  pecania 
mntno  sumpta  pactionem  subsignat  b  (Tvififqatpofpvka^  contractam  ini  jjjc  vnoxaib) 
AfifKjpecjg  (pvlaxijg  pap.  Lugd.  0,  30  ed.  Leemans.  "  pap.  Taur.  I.  *'  Polyb. 
V  68.        *•  Caea  bell.  civ.  III  110,  de  bell.  Alex  13.        "  v.  Liv.  34,  28  et  alias. 


880  ^6  Lagidarum  regno 

Nihil  de  oeleberrimis  illis  Lagidarum  navibus,  nihil  de  elephanti 
ad  belli  osuia  instructis,  nihil  de  essedis,  de  machinis  annisque,  quibu: 
abnndasse  dicuntnr,  addere  ausim;  inter  tot  res  incredibiles  quae  iii 
Mansonis  et  Gillies  libris  enarrantur,  Appiani  conclamatom  de  liagi- 
damm  opibos  locmn  lubentissime  missum  facio,  quanquam  tantum  abes% 
ut  fidem  Niebuhriüs  ei  iure  deneget^  ut  aoouratissime  kx  x&v  ßaaiXixerit 
ävcf/Qccfp&v  descriptam  patem^ 

§  17. 

De  Aegypti  descriptione^  quia  tota  pendet  rerom  a<iniiiiistrati  *. 
paucis  exponere  visrnn  est  Initium  anomis  capio,  quos  a  Sesostride 
vemaculi  sacerdotes,  a  losepho  ^  Indaei  institntos  esse  certatim  narract. 
OvTO)  ff  kxäXovv  Alyvnriot  rä^  diaiQiaetq  rag  xcrvä  tu  fuydkce  t/% 
Alyvnxov  fUQf]^.  Numerus  eorum  temporum  decursu  auctus  videnir 
esse;  quem  si  Strabo  ita  describit,  ut  X  Thebaidis,  [30]  X  in  Delta. 
XYI  Heptanomidis  (debebat  X  Hept  XYI  in  Delta)  enumeret,  aut  de 
primaria  Aegypti  in  XXXYI  nomos  divisione  cogitavit,  aut  locus  corm^^ 
tus  est;  ad  eam  certe  auctoritatem  Peyronius  descriptionem  quae  Lagi- 
darum  esset  aetate  non  debebat  revocare.  Qua  aetate  haud  dubium  e^t 
Heptanomidis  s.  Heptapolidis ^  Septem  nomos  hos  fuisse^:  Memphis. 
Aphroditopolis,  Crocodilopolis  s,  Arsinoe,  Heracleopolis,  Oxy- 
rynchusy  Cynonpolis,  Hermupolis  magna^  Ptolemaeus  GeograpL 
octavum  addit  Antinoopolitanum  ex  occidentali  Lycopolitani  parte  cod- 
fectum.  Tribus  nomis  qui  olim  mediae  Aegypti  {xfjg  fjLBra^v)  fneract 
Thebaidi  addiüs,  hae  fere  regionis  superioris  partes  erant:  Lycon- 
polis*,  Hypselis,  Aphroditopolis,  This,  Diospolis  parva,  Ten- 
tyris,  Antaeopolis,  Panopolis,  Coptos,  Perithebas,  Pathyris, 
Hermonthis,  Latopolis,  Apollinopolis  Magna,  Ombos,  quihos 
Romanorum  aetate  6  negl  'EXecpavrivfjv  xccl  ^ikaq  xal  nagahar 
tTjq  iQvi^-Qäq   &aldaai]g  additur^*.     Aegypti  inferioris  nomi  qui 

^  Diod.  I  54,  78.        '  Philo,  de  migrat  Abr.  420.        '  Proclus  in  Timaeum 
I  p.  30  Jablonsky  opp.  I  170  sqq.  ^  Dionys.  perieg.  257.  ^  Teste  Phoöo 

Agatharchides  <in6  jov  Msfiqujiav  äcrxeog  eig  i^y  Gtjßatöa  nirva  numerat  nomo»: 
patriarchuB  ille  eruditus  rem  egregie  turbasse  videtur.  ^  Inter  LycopoIitanuxD 
et  Hermopolitanum  Lagidaram  aetate  fuisse  conterminom  et  portoria  in  eo  conter- 
mino  Sita  et  Agatharchidae  Strabonisque  testimonia  probant  '  Liscript  Dakkeh. 
apud  Peyron.  I  p.  71  [C.  L  Gr.  III  5075].  Letronnius  non  XV  sed  XIV  Thebaidis 
nomos  recenset,  nomum  Pathyridcam  eundem  com  Perithebaico  faiase  pntans. 
quicum  Tochon  d'Annecy  p.  52  Buttmann  p.  47  Beuvens  p.  123  alii  consentinnt 
Peyron  pap.  Taur.  1,  52  decem  tantum  fuisse  putat,  id  quod  II  13  ita  fete  efiß- 
cere  sibi  visus  est:  bis  diversa  nomina  eundem  nomum  indicare  ratos  Thinitican 
et  Pathjriticum  reiicit,  dein  Plinio  auctore  Latopolitanum  et  Hypseliticiun. 
Agatharchide  auctore  Antaeopolitanum  oroisit  —  ecee  decem  nomi.  PeyroniuB  cum 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  381 

[31]  fuerint  eo  est  incertius,  quod  propter  hominom  frequentiam,  et 
ob  inundationes  terraniinque  natuiam  descriptio  saepenumero  mutata 
fuisse  Tidetur.  Lagidarum  aetate  hi  fere  fuerint:  ab  occidentali  Cano- 
pioi  fluvii  parte  (Niphaiat)  Latopolis,  Gynaecopolis,  Hermupolis 
parva  coi  additur  ager  Alexandrinas,   qoae  Urbs  malte  post  snum 


sua  qnae  est  subtilitate  et  eraditione  si  Thiniticum  et  Panopolitanum  non 
differre  probat,  equidem  ad  Ptolemaeum  provoco  auctorem  fide  digmasimum, 
c|ui  p.  107   in  ripa  oocidentali  Thiniticum  Ptolemaide  metropoli,  in  altera  ripa 
Panopolitanum  nomum  esse  narrat:  Peyronias  Ptolemaeum  contendit  Chemmim 
metropolim  omisisse,  quo  nomine  vemaculo  significari  Panopolim  ipsam  metro- 
polim  idem  alio  loco  probavit.    Difificilior  res  Pathyritici  est.    Si  duo  nomina 
plerumque  res  diversas  significant,  ut  eandem  putes  significari  gravioribus  argn- 
mentis  opus  est    Audiaa  Ptolemaeum:  in  ripa  occid.  vicum  esse  Pathjrim,  .ad 
Thiniticum  nomum  in  eadem  ripa  situm  versus  septentr.  pertinere.    Quid?  cur 
non  cum  Perithebaico  coniunctus  vicus,  cuius  olim  pars  faissQ  dicitur?   Prodeat 
Plinius;   testatur  sua  aetate   diversos   esse  Thiniticum  et  Pathyriticum,   nulla 
Perithebaici  mentione.   Ego  dico  negligentia  omisit  (ut  saepe);  Peyronius  contra 
quod  Perithebaicus  et  Pathyriticus  inter  se  non  di£ferant.    Aio  si  ex  tot  regionis 
illius  papyris  utrumque  nomen  probatur  ita  promiscue  adhiberi,  ut  verbi  causa 
vir  idem  eodem  libello  nunc  Perithebaici,  nunc  Pathyritici  nominetur  strategos  etc. 
Sin  minus,  diversos  puto  Perithebaicum  cum  Diospoli  Urbe  ab  orientali,  Pathyri- 
ticum  cum  Memnoniis  ab  occidentali  Nili  ripa.    Paraschista  quidam  Diospoli- 
tanus  paraschistam  in  Memnoniis  habitantem  apud  epistatem  Perithebaici  accu- 
savit,  quod  in  pactione  non  manserat,  ez  qua  Diospolitanus  liturgias  quasdam 
in  pagis  certis  r^g  Aißvrjg  tav  Ua&uQiTov  xal  Konxitov  accepturus  alteri  Pathy- 
ritico  ex  Memnoniis  tradiderat  liturgias  in  pagis  certis  jov  üsifi&TJßag;  accusat 
Diospolitanus  igitur  apud  epistatem  Diospolitanum,  qui  rem  ad  epistatem  Pathy- 
riticum,  unde  reus,  tradendam  curat.   Id  quod  mihi  pro  certissimo  documento  est, 
diversos  fuisse  nomos  ut  ipsa  nomina*.  Utrumque  nomum  in  ripa  situm  fuisse  altera 
ita  verum  est,  ut  Perithebaicus  etiam  Libycae  regionis  particulam  habuisse  videa- 
tur.   Nam  in  antigraph.  Grey.  est  Svraßowovv  iv  jfj  Aißwi  tov  HsQi&rjßag  iv  xoig 
Meuvoveioig,  in  pap.  Taur.  VIII  contra  Memnonia  sunt  tov  Ha&vf^iiov,    Id  quod 
sententiam  nostram  refiitare  videtur,  sed  videtur  tantum.   Memnonia  enim  cameran 
sepulcrales  sunt  sub  montibus  Libycis  satis  longe  extensae,  ad  quas  domicilia 
ty  ToCg  Msfjivovskng  s.  ne^l  xa  Mefjiyoveiä  (pap.  Berol.  40)  vocata  adiacent.    Quae 
sepulcra  eximia  sanctitate  fuisse  videntur,  nam  ex  aliis  nomis  cadavera  in  üs 
sepelienda  mlttuntur.    Urbs  quae  olim  utramque  ripam  occuparat,  cum  sensim 
dilaberetur  et  desolaretur  et  xtourjdov  habitari  coepta  esset,  quamquam  ut  utraque 
nomum  efficeret  ripa  reges  (fortasse  Lagidae)  decreverant,  sepulcra  illa  sanctis- 
sima  utriusque  nomi  incolis  servari  debuerunt    Ita  factum  esse  putaverim,  ut 
ager  quidam  ip  xoig  Mefivoveloig  quamquam  in  medio  Pathyritico  situs  ad  ulte- 
riorem  pertineret  Perithebaicum.    Scripsimus  Hn&vf^ixrjg  cum  leremia  44,  1  et 
papyris  cf.  St.  Martin  Journal  des  savans  1824  p.  692.     Qua  voce  lablonsky 
Panth.  V  8  §  5  „regionem  meridiei"  putat  significari,  est  potius  ab  }L&vi}  dea 
derivanda  ut  rex  ille  Hsvxsaxvgig  i.  e.  6  xrjg  ji&vQog  vel  ut  Eratosthenes  in  cata- 
logo  dicit,  leQevc  x^g  Ätpqodixrjg. 


382  ^c  Lagidarum  regno 

accepit  nomum®.  A  Pelusiaci  fluvii  parte  ocoidentali  [32]  (Tiarabiii; 
HeliupoliSy  Bubastis,  Arabia  (Phacusa  metrop.),  Sethrum  cum 
Pelusio  ceterisque  pagis  maritimis,  Heroonpolis  s.  Arsinoites.  In 
Delta  Herodoti  aetate  hi  feie  nomi  erant:  Busiris,  Sais,  Cheinini:N 
Papremis,  Prosopis,  üiospolis,  Ophthis,  Tanis,  Mende>. 
Sebennys,  Athribis,  Pharbaitis,  Thmuis,  Onuphis,  A.IlTsi^. 
Myecphoris;  quocnm  Ptolemaei  catalogus  ita  dissentit^  at  Lagidaran: 
etiam  aetate  rem  valde  mutatam  faisse  probabile  sit;  sed  de  nomis  ali- 
qnando  accuratius  scriptoro  rem  integram  relinquere  liGeat\ 

lam  ad  partes  nomorum  transeo.    Strabonis  testimonium,  .«nom^'S 
plerosque  in  toparchias,  toparchias  denuo  subdividi,  particulas  ultima? 
esse  aruras"**  non  ad  politicam  sed  agrariam  pertinere  videtur  divisioneiL 
eamque  antiquissimam:   &q    ov^l   xal   rbv  i]fUr6oov  'EQfiijv  &xoieu 
Ti]v  TB  AYyvnrov  eig  J^fj^tv  xai  xh'jQOvg  änaaav  rsfitTv  axoivq}  rtf^ 
ägovQaq  xarafierQovvrcc^,    Politicam  indicat  inscr.  Busirit,  cuios  h< 
initium:   üSo^b  roTg  und  xdfjfjg  Bovaeioscog  rot?  Ai]To[7toXer\rov  .  .. 
xal  ToTg  iv  ccvr[i}']  xaraystvofiivoig  ronoyQafifiaravffi  xcct  xonfxoyomi- 
fAccrevai^^,     ünde   Letronnius   nomos   in   rÖTiovg,   rönovg   in    xwuai 
divisos  faisse  efficere  sibi  visus  est.    Sed  in  inscr.  Oasitica  [C.  I.  Gr.  III 
4956,  81]  hie  habetur  personarum  ordo:  oi  ßaciXixol  yQafifuxrug  xca 
x(OfjLoyQafjifiaTtTg  xai  TonoyQUfxpLccTtig\  si  ol  ronoyQccfifjLareig  ampliuri^ 
erant   quam   xwixoyQa^fiarug   et   territorii  et  auctoritatis,   cor  p<^t- 
ponuntur,  cur  in  xcjfiy  BovatiQBtog  memorantur?    Putamus  igitc: 
xtAfiag  esse  oppida  et  pagos  cum  agris  suis  in  rönovg,  in  vicos  pra^- 
diaque   divisis.     Praeter  xc^fiag  a  scriptoribus  memoratas^**  has  ex 
papyris  enotamus:  ITciBcog  xal  lTi}i  xai  Ilfivx^^^^  xcofi&v  rij^  Aißvi^ 
Tov  KonriTov,    IToevncüBcog  rov  Konrirov^^,  xdfiij    TQixaräPi; 
Toi)  Konrtxov^^,     Ex  Pathyritico  xCj^ai  rcDv   MBfivovBtcjp^  xm 

vvBG)g  xai  TvBfinafxrjvBoyg  xai  ^BnivnoaQ^  xai  Ha  .  ,  ,  .  xat 

MB(T&ßo€^\  Ex  Perithebaico:  xcDfiai  rß>v  KBQafXBicjv  xal  Optovor- 
xoi(pB(og  xal  FaßSl  xai  Jl^oirrißicovog^^^.  äno  rot)  Köx^axoi 
TOV  naß-vQiTov  fortasse  xcüixijv  indicat";  ad  quem  nomum  7}  xmti, 
KalXiS'*^''  pertineat  nescio.  T6noi  fere  hi  memorantur»;  to^to-- 
!A(TxXfjniBtog  kv  Mifi(pBt^^;TÖnov  '4(TifjTog  xakovfiivov  ^QBxayi\ 


^  Epiphan.  ad  Haeret.  I  p.  69  ÄleiavÖQBonohgy  ^g  vofxbg  etc.     Nitrioticum 
Strabonis  errore  natum  esse  probavit  Mannert  ^  Cyrillua  Alex,  ad  IqL  I 

p.  30,  10.  "  Letronne  recherches  p.  397  [C.  I.  Gr.  III  4699].  "  Sexcentasa 
Strabone,  Ptolemaeo,  Steph.  Byz.,  aliisque  Geogr.  0aa'oßv&ig  Saidae  a  Stephanu 
vocatur  08veßrj &ig  tov  IlavonoXliov.  "  pap.  Taur.  VIII.  "  pap.  Paris, 

apud  Peyron  II  53 ^  »♦  pap.  Taur.  VIII.  "  pap.  Taur.  VIII.  "  Peyrou 
1.  c.  "  pap.  Taur.  X.  »«  pap.  Zoid.' 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  383 

mentionem  facit  antigr.  Grey.^*%  dein  oi  rdnoi  IIvB(pB()Cü^y  xönoi  xal 
oixta  'EQii(oq  possessorum  [33]  nomina  fenint^®,  rdnoq  BiTiyxi<i 
Usrevefpcirov  suo  et  possessoris  nomine  significatur^^^  Item  rönoi 
videntur  €hvccßowovv^^,  iv  IlaxifAeij  kv  IJrovrBi^^ 

§  18. 

Cum  illa  Aegjpti  in  provincias,  nomos,  xcAfiag,  rönovg  divisione 
praefectorum  ofßcialiumque  ordines  convenisse  haud  dubium  est.  Sed 
ex  rerum  quae  memoriae  traditae  sunt  paucitate,  ex  inscriptionibus 
papyrisque  saepe  mutilis  rerum  publicarum  rationem  atque  statum  cum 
Sit  difficillimum  enucleare  et  illustrare,  quae  ex  iis  et  qua  ratione  possint 
colligi  ita  exponemus,  ut  et  quae  dubia  sint  ingenue  fateamur,  et,  quae 
Sit  in  rebus  bis  errandi  opportunitas  haud  nescii,  ab  emendationibus 
subiectionibusque  temperemus. 

Primus  igitur Thebaidis  provinciae  inter  magistratus ö  hniargdTri' 
yoQ  QfjßatSog  est  et  is  semper  rcüv  (rvyyBv(S>v.  Romanorum  aetate 
cum  et  epistrategus  Thebaidis  habeatur^  et  in  templo  Oasidis  maioris, 
quae  Ptolemaeo  auctore  Heptanomidis  erat,  et  in  Sphingis  colosso  non 
procul  a  Busiride,  qui  in  Busiritanorum  decreto  a  Caviglia  descripto 
Latopolitani  nomi  vocatur  pagus,  epistrategi  nominentur,  equidem  nuUus 
dubito,  quin  et  Deltam  et  Heptanomidem  inde  a  Lagidarum  aetate 
epistrategias  eflfecerint  Neque  cur  Letronnius  unum  ftiisse  Thebaidis 
eundemque  Heptanomidis  epistrategum  putet  equidem  intelligo.  lam 
Alexandrum  regem,  dein  Bomanos,  ne  unius  nimia  esset  praefecti 
potestas,  regni  administrationem  inter  complures  divisisse  auctor  est 
Arrianus^;  ad  regnum  firmandum  ordinemque  rerum  conservandum 
civilium  disciplinam  illam  atque  obsenantiam  praefectorum,  quorum 
curae  aliquot  nomi  cum  suis  qui  erant  magistratibus  traditi  essent, 
plurimum  valuisse  oportet.  Erat  epistrategi  ut  provinciam  perlustraref^; 
ideo  sacerdotes  quod  Philas  insulam  strategi,  Thebarchae,  scribae  etc. 
celebrarent  conqueruntur,  omissis  epistrategis,  quos  in  provinciae  lu- 
strationibus,  quas  munus  ferebat,  venisse  suo  iure  apparet.  Venisse  eos 
inscriptionis  Philensis  initio  IlroleficcTog  'HoaxleiSov  kiiiaTQccTYiyog 
OrjßatSoQ  1}l&ov  probari  possit,  si  ex  Lagidarum  aetate  eam  esse 
accipias^;  propter  omissum  (TvyyBvijg  malim  ex  [34]  Romana*.    Omnino 


^'  Asies  videtur  dominus.  Young  contra:  a  place  of  tke  Äsiatie  aide  called 
Phrecages.  •*  pap.  Taur.  X.  •*  Keuvens  3  p.  56.  •■  Antig.  Grey. 

"  pap.  Berol.  37.  38 •. 

'  Inscr.  Memnon.  apud  Hamilt.  Aeg.  p.  175  [C.  I.  Gr.  ni  4751].        *  Arrian. 
III  2.  Peyron  I  65.  *  HamMton  p.  52.  *  Letronne  p.  276. 


384  ^®  Lagidaram  regno 

cnram  epistrategi  sammam  civiliam  militariumque  remm  ftdsse  pnto: 
addi  posse  militarem  iurisdictionem  docemnr  Hermiae  Ute:  Hennia>^ 
enim  r&v  ^yefjiovcov  rot)  'Opißsirov  de  domo  sua  a  choachjrtis  occnpata 
libellum  ad  epistrategmn  mittit,  a  quo  elg  rö  xqixijqiov  ägxaa&'cei 
iubetur  etc.* 

Secundum  locum  6  axQaxijybq  0f]ßatSog  tenet    In  inscr.  Phi- 
lensi  sacerdotes  regem  orant  rogantque  awxü^ui  tg5  . . .  kni(nokoypd<fftf 
ygdtpai  Aöx(p  x(p  (rvyyevsT  xat  (Txgaxtjyia  0f]ßai3og,  ne  insolam  magi- 
stratus  ii,  quornm  munus  id  non  ferret,  freqnentarent  et  exhanrirent. 
Letronnius  alterum  id  epistrategi  nomen  esse,  Peyronitis'  provindae 
strategam   epistrategi   vicarium   nt  hodie  dicunt  praesidem  secundum 
esse  putant     Sed  in  papyris  Taur.  Phommus  quidam  intaxQäTfjyo^ 
xccl  <TXQccxi]ybq  QfißaiSoq  Tocatur*,  unde  neque  eiusdem  muneris  duc 
nomina,  neque  alterum  alterius  sub  auctoritate®  esse  apparet,  sed  itJi 
tnter  se  differre,  ut  alter  rebus  administrandis,  alter  potissimum  milita- 
ribus  rebus  et  iudioiis  militaribus  praefuerit.    Ad  Phommutem  nostrum 
sacerdotes  quidam  de  pecunüs  a  Pathyritici  publicanis  vi  exactis  con- 
queruntur,  quo  facto  Phommus  epistatem  Pathyritici  vim  iubet  arcere', 
quae  sententia  strategi  fuerit  an  epistrategi  non  liquet 

Addi  possunt  oi  ;^(>?;]U «Tiara/.  Ptolemaeus  Philadelphus,  ne  pro- 
vincialium  advocatorumque  Alexandriae  frequentia  annona  carior  fieret 
agerque  colendus  negligeretur,  chrematistarum  tribunal  instituisse  dici- 
tur^®.  Cui  rei  fidem  non  abrogaverim,  sed,  quod  de  Alexandria  sola 
dictum  est,  ad  metropoles  omnes,  in  quibus  sedem  praefecti  Grraeci  habe- 
bant,  referre  malim;  necesse  enim  erat,  ut  primis  Lagidarum  saeculi^ 
novo  remm  ordine,  novis  magistratibus,  novis  tributis,  dissensionum, 
iniuriarum,  litium  multae  darentur  opportunitates,  et  cum  litigantibns 
ut  rem  suam  exsequerentur  in  legitima  nomi,  epistrategiae,  regiae  tribu- 
nalia  deinceps  ambulandum  esset,  ager  de  quo  agerent  negligeretur 
nimiumque  in  urbibus  frequentia  eorum  qui  comederent  augeretur. 
Ptolemaeus  ideo  Philadelphus  sapientissime  et  iustissime,  quam  sapien- 
tiam  et  iustitiam  sunt  qui  ita  admirentur,  ut  totam  eam  rem  ad  Pharau- 
num  remotissimam  antiquitatem  referant,  quo  ex  fönte  omnem  in  poste- 
ros  sapientiam  atque  rerum  divinarum  humanarumque  [35]  cognitionem 
redundasse  putant,  Ptolemaeus  igitur  tribunal  chrematistarum  ita  insti- 
tuit,  ut  in  epistrategia  huc  illuc  migrans  (praeside  quem  vocant  elcray^ 


•  pap.  Taur.  I  2,  80,  3,  15.  ^  pap.  Taur.  V,  VI,  VII.    Peyronius  epi- 

strategi nomen  honoris  alt  augmentum  esse.  ^  Ita  rem  0.  Müller  Oött.  gd. 

Am.  1827,  1550  ezplicat,  epidemiurgis  et  demiurgis  Potidaeensibus  com  nostris 
comparatis  (?).  •  pap.  Taur.  V,  VI,  VII.  "  Aristeas  ed  Schmidt  p.  S4. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  385 

ysvg^'^  in  singolis  nomorum  qni  suae  provinciae  essent  oppidis  oistain 
quam  libelli  conicerentur  exposita^*  forum  agerent  Calumniae  prae- 
Taricationesque  nt  evitarentur,  in  sno  coiqae  nomo  ad  eos  res  deferenda 
erat.  In  papyris  r&v  änb  rov  HavonoXiTOv  fiixQ^^  JSufivriq  ;^()i?]LtaTioTä)v 
mentio  est^^;  quae  chrematistarum  provincia  non  sine  causa  ab  epistra« 
tegia  diversa  ftiisse  videtur:  ne  Thebaidis  chrematistae  XV  nomorum, 
Heptanomidis  VII  tantum  cognoscerent  causas,  Heptanomidis  tribunali 
IV  Thebaidis  nomos  adscriptos  puto  fuisse,  ut  utrumque  undenos  haberet; 
id  quod  eo  aequius  fuit,  quo  tribunalia  arbitrio  epistrategorum  minus 
obnoxia  esse  debebant\ 

Epistrategiamm  magistraübus  addi  fortasse  6  iniffrokoyQäipog 
potest.  Nam  non  tantum  Callimachus  hniaroXoyQcctpoq  xal  knl  r&v 
ngoadömv  zov  JlBQi&i^ßag  fuit  [C.  I.  Gr.  III  4717,  24],  sed  in  pap. 
Lugd.  6  id  fere  legere  sibi  visus  est  Reuvens:  (fordonner  d  Philocratea 
le  parent  ei  epistolographe  de ^ 

§19. 

lam  in  nomis  similem  quandam  atque  in  epistrategiis  fuisse 
magistratuum  rerumque  publicarum  discriptionem  ex  intima  regni  na- 
tura coUigere  mihi  videor,  ut  epistrategis  quorum  civilium  militariumque 
rerum  cura  erat,  ut  Thebaidis  strategis  qui  administrationi  praeerant, 
ut  chrematistarum  tribunali  cum  suo  qui  erat  praeside,  nomorum  fo- 
renses,  administrandae,  militares  civilesque  res  cum  suis  magistratibus 
responderent  Quo  strategorum,  nomarcharum,  epistatarum  nomina, 
addito  saepe  nomo,  qua  ratione  pertinere  mihi  visa  sint,  paucis  ex- 
ponam. 

Letronnius  Bomanorum  aetate  quod  in  provinciis  epistrategi,  id 
in  nomis  strategi  officium  fiiisse  egregie  docuit^  Sed  contra  viri 
egregü  sententiam,  strategum  legitimum  nomarchae  nomen  esse,  usus 
ipse  papyrorum  repugnat^.  Strategos  rebus  civilibus  (ordine  publice 
custodiendo  etc.)  occupatos  fuisse  ex  papyris  docemur:  sie  Aeneas  stra- 
tegus  a  regibus  iussus  epistatae  sui  nomi,  ut  [36]  taricheutae,  quos 
Thebis  habitare  religio  erat,  in  suas  circum  Memnonia  sedes  remitte- 
rentur  imperavit;  quos  sedes  urbanas  non  reliquisse  Ammonis  sacer- 
dotes  denuo  pauUo  post  ad  strategum  novum  deferunt^     Praeterea 


"  olg  /97|t4aT«7rarf  eia^fe  (sc.  dixag)  Jiovvaiog.    Peyron  minus  recte  ovg  cf. 
0.  MüUer  1.  c.  *■  ivsßals  ^xev^tv  elg  t6  nqoxBd-kv  vn    nviup  01^7^^^*'  P^P» 

Taur.  I  2,  5.  "  Peyron  11  9  sqq.  "  Pap.  I.  III, 

^  '£}(f/iiag  ovYfBPffg  xai  ajQcmjfbg  xal  vo^qx^g  pap.  Taur.;  nomarcham  a 
Stratege  non  differre  putarat  Letronnius.  '  Peyron  I  p.  122. 

Drojsen,  KL  Sehriften  O.  25 


386  I)e  Lagidarum  regno 

strategi  ut  copiarum  in  nomis  praefecti  forum  agunt^  Grradum  zfor 
ci(>;^/(TöjjwaToqpüic^x€öv*,  r&v  nQcircov  q>ihaVj  r&v  (fiXiov^  tenent.  Her- 
mias  ille  strategus  et  nomarcha  Ombitici  nomi  avyyevf/g  fuit*;  in  nomo 
illo  ad  fines  sito  eadem  ex  causa  praefectura  militaris  et  civilis  cum 
rerum  administrandarum  cura  coniuncta,  qua  vir  summi  gradus  et 
eximiae  praestantiae  electus  fnisse  videtur. 

Unus  idem  Hermias  est  qui  in  papyris  vocetur  vo/j,üqxvQ',   nomen 
ipsum  procurationem  totius  nomi  ei  fuisse  indicat,  eomque   a  strateg: 
munere  et  a  rerum  militarium  ordinisque  publici  cura  diversam.     Bebu< 
puto  administrandis  (fortasse  vemaculis  cf.  Arrian  III  5)  praefectnnL 
Mirum  est  in  catalogo  illo  magistratuum,  qui  Philas  insulam  frequen- 
tarent,  nomarcham  non  nominari^  Magis  etiam  miratus  sum,  Koman<>5 
(teste  Strabone)  instituisse  vnoarQaTi)yovq  nväg  voyLUQXccq  xcci  i&väo- 
XccQ  xaXovfiivovg,  quam  lectionem  Gallica  illa  Strabonis  versio  secuta 
est*;  sed  hypostrategorum  nomen  cum  inter  legitima  sit',    StraboEi> 
locum  cum  editoribus  plerisque  ita  legam:  kniaT()aTi^yovg  xctl  vo/iäo- 
Xaq  etc.  Sed  quäle  fuerit  nomarcharum  Romana  aetate  officium,  cum  tota 
rerum  administratio  ad  strategos  trausiisse  videatur^,  equidem  nescio^ 

Nomi  epistatem  quasi  praetorem  fuisse  supra  dixi^.  Cui,  si  quis 
eiusdem  nomi  civis  ab  alius  nomi  cive  accusatur,  nomorum  strategi  m 
inquirendae  copiam  faciunt;  consilio  cum  assessoribus  (o/  avpLnagcvth;) 
habito  pronuntiat  sententiam  (;^(>?y/tA«ri(T/idij,  etnafiev  s.  Suaretkdfi^&ctY 
reum,  ut  poenam  solvat,  ad  nomi  eins  unde  accusator  remittit  strate- 
gum^  Non  eiusdem  omnes  epistatae  ordinis  [37]  erant;  Peyronius 
plerosque   riuv  d()xt(Trji)fiaTO(pv?,(ix(ov  et  r&v  TtQt&rcov  fpiXwv  fuisse  ex 

8  Peyron  I  69.         *  Letronne  rech.  p.  345  fC.  I.  Gr.  III  4893,  4].  »  I^p. 

Lugd.  4,  68,  73  [A.  Iss.  B.  3,  2  etc.,  ed.  Leemans].  •  Strabo  XVII  p.  795. 

'  Pap.  Lugd.  7   [A,  83  88.  ed.  Leemans].  ^  Rudorff  über   das  Dekret  des 

Tiber.    Alex,    Rhein.    Mus,    1828    Heft    1    p.    76.  »   Pap.  Taur.   I    Peyron 

I  53,  72.    In   pap.  Taur.  VIII   paraschista    quidam  Diospolitanus  apod  Her«* 
clidcm    Perithebaici    s.    Diospolitani    epistatem    Amenothem    circa    Memnonea 
habitantem    accusat;   pap.  Taur.  IX  iudicatur  anno  52  Eaergetiie  II.     Hvolf- 
firiiov   jbiv  TiQfjJTCjP  (piXoiv  xai  iniajaiov  tov  ....  xai  avfinaQOvtuv  ....    In  pAp« 
Taur.  12,  23  et  34  Ptolemaei  tov  röre  dnifnftiovvxog  mentio  est  (anno  Eo^i** 
getae  53  mensc  septimo).    In  Perithcbaico  autem  nomo  annis  52  et  54  Heraclides 
fuit  epistatcs;  Ptolemaeus  igitur  Perithebaicus  haberi  non  postest     Paraschista 
rcus  in  Memnoniis,  quae  maximam  partem  Pathyritici  sunt,  habitabat.     Ut  igi^ 
Hermias  ex  Ombitieo  nomo  epistatae  Perithebaici,  quo  ex  nomo  eins  adversani 
erant,  rem  suam   in  iudicium  deducit,  ita  paraschista  Diospolitanus  rem  suab^ 
ad  Diospolitanum   s.  Perithcbaicum    epistatem,    qui  ad  Ptolemaeum  epistat^^ 
Pathyritici,  unde  reus,  eam  tradit  iudicem.    Lacunam  illam  ita  ferc  expleverim : 
tni  Jlrolefiniov  j(üv  ngcjicof  iplXoy  xai  tniatdtov  tov  JTa^VQitov  xai  innaf^X^  ^ 
apÖQüjv,  avfjLna^6vib}v  etc.;  lacuna  longios  esset  supplementum :  xai  ini  tar^ff^ 
Goötav  xov  yofiov*. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  387 

multis  illis  quos  Lutetiae  vidit  papyris  collegit^^.  Inter  epistatas  unus 
est  Pathyritici  idemque  hipparchus  he  xCjv  neQi  ccvkijv  Siuööxfav,  quae 
auctoritas  minor  minorem  nomum  fuisse  probare  possit.  Ceterum  vox 
änKTTÜrrjg  ut  non  unius  significationis,  ita  in  Aegjpto  praefectis  diver- 
sissimis  est  *  Letronnius  inter  militares  epistatas  praeter  röv  knKTrürriv 
(pvXaxiTcjVf  de  quo  supra,  alium  recenset  ex  hac  inscriptioue  [C.  I.  Gr. 
III  4698]:  !AnoXköSci)Qog  !AiTOV  r&v  ngtoxcov  (piX(ov  6  kni(nürijq 
xcet  YQafifjLatavg  r&v  xaroixcjv  lnni(ov\  esse  eum  epistatem  r&v  xaToi* 
xcov  tnne(ov\  id  si  verum  est,  cum  vox  kniaraxijq  non  temere  ante 
y()cefAfiaTBvg  ponatur,  idem  foit  praefectus  equitum  et  soriba,  idem  ra- 
tionum  custos  et  auctor;  equidem  nudam  vocem  imffrürrjg  ut  in  inscr. 
Philensi  ita  nostro  in  titulo  nomi  epistatem  significare  pulaYerim\ 

§20. 

Ex  ceteris  nomorum  magistratibus  hi  fere  memorantur: 

1.  Scriba  regius**  {6  ßccmXixdg  yQccfifiarevg),  quem  totius  nomi 
fuisse  et  ex  additis  nomorum  nominibus  coUigitur^,  et  ex  edicto  Capi- 
tonis,  quo  oi  ßccGiXixol  y^afificcreig  xai  xcjfioyQafifiareig  xal  rono- 
yQafifiareig  nomorum  sumptus  etc.  in  Codices  expensi  referre  iubenturl 
In  causa  Hermiana  testimonium  rov  xcjfioyQafifiaricjg  xccl  xonoygaii' 
fiaricjg  choachytarum  esse  casam,  contrascribendum  et  ad  chrematistas 
remittendum  scribae  regio  fuit,  qui  de  incolarum  familiarumve  posses- 
sionibus  Codices  commentariosve  publicos  secutus  esse  videtur.  Inter 
administrationis  in  nomo  curatores  (venia  sit  verbo)  a  comnientariis 
eum  putaverim;  Peyronius  putat  praefectum  praediis  regiis  et  libello- 
rum  de  possessionibiis  fandisque  contrascriptorem,  ne  regum  praedia 
laederentur. 

Nomus  suum  quisque  knl  x&v  ngoGÖSoav  habet,  cui  quäle  fuerit 
officium  nomine  ipso  accuratius  quam  exemplis  edocemur;  plerumque 
enim  cum  muneribus  [38]  aliis  nomorum  quaestura  coniuncta;  sie  Hera- 
clides  epistates  Perithebaici  xal  knl  tcjv  ngoadScov  roi)  vofiov^,  sie 
Callimachus  avyyevrjg  xal  kni(noXoyQa(pog  xal  knl  r&v  ngoadSatv  rov 
mQidi]ßag\    Sed  vide  infra  §  24. 

lam  addo  Agoranomos^  De  possessione  quadam  inter  choachytas 
et  ApoUonium  lis  erat;  res  tandem  convenit,  pactionemque  agoranomus 
Perithebaici  nomi  consignat^    Paraschistae  duo  de  locis  utrique  pro- 


"  Letronne  p.  310. 

*  Hamilton  Aegypt  p.  174.         ■  Edict  Capit  1.  31  [C.  I.  Gr.  III  4956]. 
»  Pap.  Taur.  I  init  *  Stele  Taurin.  apnd  Peyron  I  51  [C.  I.  Gr,  DI  4717]. 

*  Pap.  Taur.  IV. 

25  ♦ 


388  I^e  liagidarum  regno 

cnrandis  pactionem  fecerant  Siä  rod  kv  tfji  Jiognöi^  ^Bvtxov  Ayogceva- 
fjLiov^.  Pactio  alia  de  fnimento  credito  ^i^  /ItognöXei  rp  fieyäXp  Tfjg  Ot^ßctt- 
SoQ  kni  Aiovvalov  äyogavöfjLov  rod  üeQi&^ßag^y  alia  kv  'Egfiiov&ei  tov 
Ucc&vQirov  Tfjg  0f]ßatSog  Itp  'EgpLiov  äyoQavöfwv^  confeota  est.     S^vt^ 
x6v  Yocator  äyoQavöfAtov,  quia  Graecoram  {^ivayif  xaroixaiv)  potissiiniiin 
in  usum  institntum  fuit    Sed  Aegyptüs  quoque  Graecormn  more  ajmd 
agoranomum  pacisci  licebat,  qna  venia  ad  Graecoram  sermonem  con- 
suetudinemque  magis  adsuescerent     Quod  consilium  ea  potissimum  re 
adiavabatiir,   quod   haec  paciscendi  ratio  minus  lenta  longaque   erat. 
Nam  pactiones  enchorice  scriptae ,  at  auctoritatem  haberent^,  ad  telc»- 
nium  proferri,  a  trapezita  subsignari,  ab  antigrapho  contrascribi,  et  post 
Philometoiis   aetatem  a  rw  ngog  tq5  ygacpitp  denuo  subscribi   et  in 
Codices  referri  debebant,  Graeci  contra  libelli  sola  agoranomi  subsciip- 
tione  snam  habebant  auctoritatem  ^.    Quid  de  äyogavo^u^  r&v  M^ljivo- 
V6ict)v)  xai  rf]q  xärca  TonaQxlctg  tov  naß-VQirov^^ ^  quid  de    ^AanXtr 
niäSrj  TM  nQoxexB{Qt(TfiBV(p  Ty  yBOD/isTQt^  dicam^^  equidem  nesdo. 

Cum  militari  illa  regni  discriptione,  cui  rerum  civilium  ordo,  cui 
administrationisy   cui  iurisdictionis   respondet,   stativam  copiarum    per 
nomos    dispositionem  convenire   consentaneum   est.     Sunt  igitor    sub 
epistrategorum  imperio  praesidia  praefecturarum,  sub  strategomm  im- 
perio  nomorum;  omnino  regni  ratio  ita  a  re  militari  pendet,  ut  civilia 
quoque  officia  saepe  centurionibus  primorum  ordinum  tradantur;  sie  de 
nomorum  epistatis  alii  sunt  hipparchae  ^*,  alii  scribae  militares^^;  sie 
inter  epistatarum  adsessores  omnium  ordinum  centuriones.     Quos  dic<> 
ordines  hi  fere  sunt:  post  epistrategos  strategosque  primi  oi  innäQ- 
Xcci    s.    Ol   [39]    innägx^'^   ^^'    ävdQ&v   s.   ot  i%l  TdyfjLOTog  infido' 
Xcci   hii    ävSg&v^^j   quos   singulis   equitum   turmis   praefuisse   nomen 
docet.     Dein    ol  rjyefiöveg   s.  oi   riyBfjLÖveg   kii   ävSg&v^^j    quos  ^ 
ditum    centuriones  hipparchis    inferiores    fuisse   puto;    nam   Hermias 
Tdjv    i]yBfi6v(ov    absente    stratego    ad    nomi    hipparcham    petitionem 
suam   tradit.     Addo   Tovg  tpQovQdQxovg^   quos  in  Aegyptüs  urbi- 
bus    praesidiis    praefuisse    papyrus    ille   a    regibus  Memphim    missus 
probat  ^\ 


•  Pap.  Taur.  VIII  6.  ^  Pap.  Paris.  3  teste  Peyron  I  73.  pap.  Lugd. 

8,  4  pap.  Anast  et  St.   Martin  Joum.  des  Savans  1S22  p.  567.  *  y.  pap. 

Taur.  I  4.  14.  »  Peyron  I  73.  156  sqq.  "  pap.  Anast  [Lugd.  N  2,  b\  for- 
tasse  altera  Pathyridci  itYOQnyoftia  y  quae  Hermonthi  erat  superiorem,  altera  in- 
feriorem nomi  partem  continebat.  ^^  pap.  Lugd.  8  [L  2,  3  ed.  Leemansl. 
"  pap.  Taur.  II  Paris.  7  [Par.  XV  1,  2].  "  Letronne  p.  313  cf.  Curt.  VII 1. 
"  Pap.  Taur.  11,  VII.  "  Peyron  I  70.  "  pap.  Lugd.  6  (G,  2  ed.  Lee- 
mans). 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  889 

§21. 

Suos  quaeque  nrbes,  oppida,  pagi,  vici  praefectos  officialesque  habe- 
bant;  sunt  quidem  qui  ad  civitates  omnes  Strabonis  [XVII  p.  797]  verba 
haec  pertinere  putent:  r&v  kntZfJOQtcov  &qx6vtcov  xaxä  jtöXiv  fx^v 
ö  TB  iifjyrjTyjg  i(TTi,  'Ix^v  ....  ^TitfjLikeiav  rcjv  zfj  nölai  XQV^^lJ^^'^i 
xai  6  vTtofjLvrjfiaroyQd^og  xal  [ö]  ägxiSixaaxriq^  riragrog  S^  6  vvxxb- 
Qivöq  (TTQarfjyög;  ut  omnes  disertius  indicarentur  civitates,  vv.  dd.  xarä 
Ttökeig  scribi  iusserunt;  sed  solam  Strabo  Alexandriam  respicit^  Quos 
Terios  inter  mnnicipales  (venia  sit  verbo)  magistratus  referre  mihi  videor, 
hi  fere  sunt. 

Thebarcham,  cuins  in  Philensi  inscriptione  mentio  est,  cum 
Thebaidis  stratego  band  differre  Letronnius  minns  recte  dicit;  neque 
enim  vocis  fonna  ad  praefecturam  redit  (Thebaidarcham  diceres)  et 
nominis  inter  ceteros  magistratus  locus  non  post  nomorum  strategos 
epistatasque  esse  posset;  quin  strategus  Thebaidis  strategorum,  epistata- 
rum,  Thebarcharum  etc.  adsiduitatem  coereere  eo  decreto  iubetur.  Ipsa 
potius  vocis  conformatio  Thebarum  urbis  praefectum  Thebarcham  fnisse 
docet^ 

Ut  Thebarchae  Thebis  ita  ethnarchae  (Herodoti  di^fiag/oi  HI  6) 
singulis  civitatibus  vel  potius,  quia  civitates  Aegjptiis  non  erant,  unius 
oppidi  gentibas  {ü&vsffi  L  e.  sectis  familüsque)  praefoisse  videntur;  haec 
enim  sunt  in  Capitonis  edicto  verba:  ßovXofiai  ovv  rovg  kd-vdQxccg  'iv 
ra  xfi  fii]T()onöXei  tov  vofxov  xai  xaff  ixäartjv  xc6fif]v  avrb  ngoO-eT- 
vai^\  Ab  iis  tov  inKTTcirrjv  rfjg  xc^fitjg  diversum  puto,  sed  qua 
ratione  differat  nescio^.  Addi  iis  fortasse  potest  6  vnoaTQärrjyog^, 
qui  nescio  an  Oraecus  fuerit;  vernaculis  ex  hominibus  6  nQSffßvrsQog 
Tilg  xdiiJLfjg  eligebatur*  Sequuntur  oi  knifiekfjTal  tov  TÖitov, 
quos  ethnarchas  esse  Rudorffius  minus  recte  dicit ^;  TonÜQXcci^  an 
fuerint  (sunt  enim  T07rap;^/ai)  nescio.  Qui  sint  [40]  oi  xcofioygafi' 
fLaTsig  et  oi  TonoyQafifAaTelg  supra  exposui,  quibus  fortasse  6 
avyy Qaq>ocpv'ka^  addi  potest®. 

Ne  omisisse  quicquam  videar,  duo  nomina,  quorum  qui  sit  sensus 
atque  ordo  nescio,  hoc  loco  addere  videtur.  Est  enim  inscr.  Avaifiaxov 
itttQidQov  itQoaxvviiiJLa\  non  addita  honoris  aulici  voce  aut  Romanae 
aetatis®  aut  minoris  dignitatis  homo  fuit;  cogitabam  de  vicario  nescio 
Guius  archontis  adsessore^  Per  epistolam  quandam  nostrae  Urbis  in 
Museo  adservatam  homo  quidam  {6  äv&Qconog)  commendatur:  esse  fratrem 

*  V.  Letronne  Joum.  des  Savans  1822  672.  *  pap.  Lugd.  4  [A.  3  ed. 

Leftmans].  »  ib.  *  ib  [A.  33/4].  *  Inscr.  in  Joum,  des  S.  1824  694, 

RudorflFI  p.  79  [C.  I.  Gr.  III  4684  88.].        •  Pap.  Lugd.  2  [0;  30],        '  Letronne 
p.  76  [C.  L  Gr.  lU  4898]. 


390  I^e  Lagidaium  regno 

Tov  fiBxä  AvGiSoq  kmarokoyQÜtpov;  patrem  eius  bIvui  kwccviha  (for- 
tasse  Alexandriae)  ntgl  TltToaiQiv  äevregevovTcc^ 

§22. 

lam  ex  bis  rebus  quantum  fieri  poterat  accuratissime  desGripti> 
id  certe  sequitur,  ut  Graeconim  tot  tantisque  privilegiis,  nt  tanta  illa 
vi  atque  auctoritate  tum  aulae  Graecae  tum  magistratuum  Graeconmu 
ut  tauta  per  totam  Äegyptum  Graecorum  bominum  frequentia  Graeci- 
que  moris  et  sermonis  perpetuitate,  ut  tot  oblatis,  si  quis  Aegrptius 
rebus  Graecis  se  conformaret,  commodis  eximia  quaedam  fuerit  oppor- 
tuuitas  atque  adeo  necessitas,  ut  Niliaca  gens  a  prisca  vitae  socordia, 
a  priscis  divinarum  bumanarumque  rerum  angustiis  revocari,  ut  indole 
Graeca  imbuti'ad  altiorem,  quam  pro  suae  uaturae  torpore  atque  tristitk 
posse  viderentur,  bumanitatis  gradum  adscendere  inciperent     Mnltum 
quidem  abfuit,  ut  ex  consilio  reges  Aegyptiacam  rem  ita  angerent: 
sed  quacunque  ratione  suam  firmabant  potestatem  atque  dominatdonem. 
praeter  spem  atque  consilium  Graeca  barbaris  regna  pro  eruditione  atque 
disciplina  foere. 

Ne  quis  contra  dicat,  ex  altera  parte  Aegyptios,  ut  Graecum  reg- 
num  vere  firmaretur,  a  rebus  suis  divinis,  a  sacerdotum  pietate,  a 
mortuorum,  a  sectarum  sacris,  a  rebus  omnibus  ex  Pbaraonum  aetate 
traditis  revocandos  fuisse,  ex  parte  altera  tantam  esse  patriae  terrae, 
tautam  ingeneratae  naturae  atque  memoriae  in  meutern  humanam  viin, 
ut  Graecorum  bumanitas  non  tantum  non  evaserit  victrix,  sed  barbans 
devicta  et  quasi  circumfusa  tenebris  misere  mox  exstincta  sit  Haec 
enim  ipsa  ratio  est,  cur  Lagidarum  fortuna  inclinaret:  res  Graecae 
a  patriis  regionibus  suisque  quasi  incunabulis  remotae,  a  Diis  suis,  que« 
Graecae  indolis,  bumanitatis,  bistoriae  dicas  typos  atque  exemplaria  alif- 
natae,  caeca  ex  tot  [41]  contentionibus  laboribusque  lassitudine,  fostidio^a 
rerum  omnium  saturitate,  praematura  post  fervidissimam  laetissimamqne 
adolescentiam  senectute  confectae,  maiorum  virtutis  priscique  candorb 
ne  speciem,  ne  memoriam  quidem  a  praesenti  barbarae  inertiae  nativa 
vi  defendere  possunt  atque  valent.  Nili  aquis  opimantur  et  oblimantur; 
barbara  nocte  consopiuntur  atque  torpescunt;  regnum  Graecum  non 
corruit  sed  marcescit. 

Eadem  omnium  fuit  regnorum  Graecorum  natura  vel  potius  mors. 
Sola  Aegyptus,  quae  antiquitus  bumanam  formam  cum  bestiali  con- 
iunctam  pro  Diis  colebat,  ancipitem  Graecae  barbaraeque  indolis  formam 
iis  saecuUs  ita  prae  se  tulit,  ut  etiam  nunc  inter  temporum  omnium, 

^  Museum  Passalacqua  Nr.  1563*. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  391 

quae  Nili  limus  obruit,  rainam  effodere  miserum  istud  regni  monstrom 
possimus.    Sed  sunt  fragmina^. 

Ancipitem  illam  rationem  iurisdictio  prae  se  fert,  quam  et  Grae- 
cam  et  yernaculam  faisse  papyri  Tanrinenses  haud  obscure  docent; 
nam  praeter  chrematistarum  epistatanuuque  tribunalia  fora  laocritae'^ 
agebant  mere  Aegyptiaca;  cum  putidissima  quae  Aegyptiorum  est  ob- 
seryantia  atque  fAuvaionovifc  ab  accusatoris  origine  parentibusque 
cognoscendis  initium  capiunt.  Quae  res  ad  eorum  iudicium  deferantur, 
non  traditur;  privatas  putaverim,  iudicia  enim  publica  Graecorum  esse 
oportet;  quam  rem  firmare  causa  videtur  Hermiae,  qui  lege  de  pol- 
linctoribus  eorumque  domiciliis  in  medium  prolata  privatam  mutare 
in  publieam  studuit  causam,  ut  vemaculos  iudices  devitaret  et  suae 
gentis  nanciseretur  iudices  ^ 

Eadem  anceps  legum  ratio  est;  promiscue  in  causa  Hermiana 
leges  patriae  (oi  rfjg  x^Q^^  vöfioi)  regiaque  edicta  {rä  nQOfTrayfiara) 
afferuntur,  quae  illas  non  tarn  supplent,  quam  discrepant  cum  iis  atque 
adeo  repugnant.  Edictorum,  quippe  a  regibus  vitae  necisque  dominis 
profectorum  ut  summa  est  auctoritas,  ita  Osiridis,  Sesostridis,  Bocchoridis 
leges  et  instituta  cum  intima  gentis  natura  sie  coaluerunt  atque  con- 
sentiunt,  ut  quasi  ultro  observentur,  novis  istis  edictLs  non  semel  post- 
habitis.  Lagidis  laudi  tributum  est,  quod  passim  edictis  (piXccvO-gdtnoiq 
promulgatis^  aut  certa  quaedam  actionum  litiumve  genera  abolebant, 
aut  quaecunque  quaestiones  penderent,  opprimi  iubebant;  quod  repug- 
nantiae  illius,  quae  ex  ipsa  [42]  regni  natura  prodibat,  remedium  ut 
proximnm  et  levissimum,  ita  proximi  tantum  fructus  levissimique 
momenti  ut  quicquam  efElceret  quo  frequentius  repetendum,  eo  ad 
ipsarum  legum  auctoritatem  aptius  erat  perfringendam.  Sed  rem  mit- 
tamus  obscurissimam.  Peyronius  bis  fere  principiis  Ptolemaeum  Soterem 
regnum  instituisse  putat:  „Aegyptii  suis  ex  legibus  et  institutis  vivunto 
exceptis  iis  rebus,  quas  edictis  nostris  instituemus.  Graeci  iis  legibus 
iisque  tribunalibus  utuntor,  quae  constituemus.  Aegyptiis  Graecorum 
tribunalium  legumque  usus  esto".  Sed  de  ipsis  bis  edictis,  privilegiis, 
exceptionibus,  quibus  regni  conformatio  aUiue,  ut  ita  dicam,  domestica 
continetur  bistoria,  fere  nibil  accepimus. 

§23. 

Publicorum  redituum  sumptuumque  quae  fuerit  ratio  hoc  mihi 
loco  scribendum  esset;  sed  de  sumptibus  publicis  ita  nos  documenta 

»  Peyron  1  168.  *  0.  Müller  Qött  gel.  Änx,  1827  p.  1598.  »  Pap. 

Taur.  I  saep.  Inscr.  Ros.  12:  TtetpiXayd-gümrjxB  I  14.  xai  tov^  iv  aixUtig  oring  in 
ixolXov  XQ^ov  (tniXvfre  jüp  ifxsnhfi^vfay. 


892  I^  Lagidaram  regno 

deficiont^  ut  si  quid  certi  operaqne  digni  enudeare  staderem,  openin 
luderem  •. 

Reditus  igitur  publici**  (sive  regis,  regis  enim  et  in  rege  rt- 
omnis  publica  est^)  Ptolemaei  Philadelphi  aetaie  14  800  tal.  et  1  500  OCN> 
artab.   frum.  fuisse  dicuntur^.     Ptolemaei  Auletae  aetate   12  500    taL 
rediisse  ex  tabolls  nt  videtrir  publicis  testatur  Cicero^,  quam  deminu- 
tionem  post  tot  provincias  amissas  iosto  minorem  polares,  nisi  Tectiga- 
lia  tribntaque  reges  conferenda  immodice  amplificassent    Talen ta  ce- 
teram  Aegyptiaca   videntur,   qnae   cnm  Atticis  tantom  non    oninibn> 
numeris  conveniunt;  quocontra  8000  illa  et  16  000  tal.,  quibus  Coeles^v- 
riae  tributa  conducebantur,  aut  Ptolemaica^,  aut  x^Xxov  rüXccvxa  ess^ 
pataverim^,  qnae  in  Aegjpto  valoisse  non  papyri  tantum  docent,  sei 
Polybii  est  testimonium,  fihodiis  post  celeberrimum  terrae  motam  aDDi< 
215  Ptolemaeum  Philopatorem  Aqyvqov  rdkavra  TQtaxdaice  xtxl  x^^- 
xov  vofAitTfjLaTO^  TuXavxa  ;if/Aia  pollicitum  esse®;  accedit  qaod  ^  vtTftixi 
quoqne  x^^ov  talentis  condacebatur  ^ 

1.  Latifnndia  regia  etc.    Antiquitos  ager  omnis  inter  sacerdotes 
reges,  [43]  milites  divisus  erat  ®  aut  potius  immunem  sacerdotes  milites^ 
que  band  vendibilium  agrorum  possessionem  babebant®;  opificibns  quoquf 
et  agricolis  fundos  possidere  ücebat^^,   neque  vero  inmiunes  erant'\ 
Lagidarum  aetate  templa  quidem  suos  agros  habebant^',  sed  militum 
qui  olim  fuerant  agri  in  regum  possessionem  abiisse  videntur.    XJtot  re$ 
est,  Lagidis  permulta  fuisse  latifundia  dominiaque  directa  nemo  negabit; 
sie  ager  ille  Diospolitanus,  qui  /;  ßaaihxij  QVfif]^  vocabatur^',  sie  insula 
illa  palmetis  celeberrima,   cui  nomen   Taßivvt}^*  fuisse  videtur,   sie 
piscandi  in  Moeride  lacu  ius^^  etc.    Regia  item  metalla,  salinae,  similia: 
sie    Ophiotis    insula    topazitis    uberrima^®,    sie    auraria    Aethiopibos 
finitima^^;  sie  regüs  sumptibus  ad  maris  rubri  litora,  qui  elephantos 
venarentur,  ablegati  fuisse  videntur^^^.    Mercaturae  quoque  cum  genti- 


^  Diverses  regis  et  publicos  putavit  Pahlin  ad  inscr.  Bos.  p.  53.        *  HieroiL 
in  Dan.  XI  8.  '  apud  Strab.  XVII;  Diod.  XVII  52  plus  6000  tal.  rediisse 

dieit,  sed  Cicero  fide  dignior.  *  Didym.  Alex,  apud  May.  p.  156.  ^  In 

commentario  de  papyris  Berolinensibus  quinque,  novissimis  bis  diebus  in  Moseo 
Khenano  edito  [Kl.  Schrift.  I  S.  1  ff.J,  computatione  fiicta  idem  fere  eflfeci,  quod 
diversa  ratione  Rcuvens:  esse  /ailxoi}  lalavta  =  200  d^ax-  agfVQ.  Äi^.  »  227  \ 
ÖQttx.  Ätxix,  •  Polyb.  V  89.  ^  pap.  Zoid.  Nr.  3.  »  Diod.  I  72.  •  Herod.  II 
168.  ><>  id.  II  109.  "  Strab.  XVII  p.  787.  "  Inscr.  Ros.  L  30,  31. 

»  Pap.  Anast.  LLugd.  N,  10].  "  Strabo  XVII  p.  814    Taßerrtjp,  quam 

Sozomenus  III  13  Nicephorus  IX  14  etc.  vocant  eam  esse  vocis  sensns  (copt 
palmarum  regionem  indicat)  probare  videtur.  Cf.  Hesych.  2^ßeyyioy.  ^^  Herod. 
II  149  III  91.  ^^  Agathar.  de  mar.  rub.  54  Diod.  lU  40  Strab.  XVI  p.  769. 
"  Diod.  III  12—14   Agathar.  46.  ^«  Drumann  s.  Eos.  Insek,  p.  148. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  398 

1)118  Indicis  faciondae  non  privatis  negotiatoribus  arbitrium  fuisse  putave- 
rim  etc. 

2.  Pecuniae  multatitiae.  Si  quis  res  hereditate  acceptas  non 
tradidit  conslgnandas,  ut  rijv  änccQxnv  (vicesimam  hereditatum)  et  postea 
ri^v  ....  ^;^xi^A<oi/  faciat,  aerario  regio  decies  mille  drachmis  multa- 
tur^^  Pactio  inter  papyros  est,  ex  qua  alter,  si  conveutis  non  steterit, 
damno  pensando  alteri  20  tal.  x^^^^Vj  regibus  400  UQctq  Aqyvqiov 
kniiT'ijfiov  ä{)axiiäg  (i.  e.  dsxärTjv)  pensare  iubetur^^.  Ex  alia  pactione 
alter  alteri  30  tal.  ;^aAxot;,  regibus  300  ie^äg  SQaxfiocg  (i.  e.  Elxoaxiiv) 
iubetur^^  Publicationibus  exspectaveris  frequentissime  reges  usos,  neque 
desant  exempla^^ 

3.  Vectigalia  atque  tributa*.  Sunt  et  ägyvQtxd  et  airixä;  sie 
oppida  quaedam  aulae  regiae  cames,  panes,  strata,  soleas  etc.  subve- 
hunt^';  sie  singulae  templorum  {rfig  iegäg  yfig)  arurae  frumentariae 
artabani,  arurae  vinariae  xBQÜfitov  ry  &qovq^  awrtkovGi^^^  sie  xä 
Uqu  h^vfi  T&v  ßvatrivcjv  ö&vtcav  copiam  Alexandriam  subvehunt;  et 
ante  inscriptionis  Ros.  aetatem  slg  x6  raXeaTixdv  irätTtrowo^^j  [44] 
quod  neque  cum  Fahlinio  et  Ameilhone  mystagogiae  pretium,  neque 
cum  Drumanno  collationes,  sed  riXog  r&v  xa&tixovaßv  XBirovgyi&v 
{XoyaTaiy  xccQn^Ta  etc.*®)  fuisse  putaverim.  Ti]v  aiXkrixfjiv  dg  xiiv  vav- 
TBiav  Ptolemaeus  Epiphanes  Eucharistus  sacerdotibus  remisit*^^ 

In  papyro  quodam  Parisiensi  hunc  catalogum  habes  vectigalium: 
TQocpfjg,  oYvov  rekovg,  SQaxfifjgj  vtrgixTjg,  rarÜQTTjg^^^  qui  sit  nexus 
loci,  nescio.  Acerbissima  est  ij  TBTÜQrrj  (25  pCt.),  cuicumque  rei  in- 
iuncta  fuit^  TQotpfjg  riXog  fortasse  knwvi^  Atheniensium  respondet; 
oYvov  rikog  (ut  videtur  ex  vindemiis)  in  tanta  vini  Aegyptiaci  cele- 
britate*®  fuerit  quaestuosissima.  Aga^fJ^^lg  fortasse  cum  ixcczoffrfj^^ 
comparari  potest;  quid  fuerit,  nescio.  Nirgcxr)  ut  T6Ta(>Ti?  pecuniam 
impositam,  non  ut  oiVot;,  TQOtpfjg  rem  cui  imponatur,  significat;  nam  ex 


*»  pap.  Taur.  I  7, 13.        ■<>  pap.  Taur.  IV.        "  pap.  Taur.  VIII.        "  pap. 
Zoid.  8.  *'  Aristeas  p.  58    Athen.  I  p.  33.  *^  Inscr.  Ros.  I  20  cf.  pap. 

Taur.  Vn.  ■*  Inscr.  Ros.  17  cf.  Aristot.  Oecon.  II  25.  *•  Antigr.  Grey. 

"  Inscr.  Ros.  18.  "  Journ.  des  Sav,  1828  p.  484**.  »•  Sic  Mareotides 

albae  Verg.  Georg,  n  91  Horat  III  7  nummus  apud  Zoeg.  p.  130  Sebennyticum 
Plin.  XIV  7  Vaillant  bbt  Lag.  215  Mendesium  Clem.  Alex.  paed.  156  cf.  Athen.  I 
33.  Cetemm  Psammetichi  I  aetate  vitem  in  Aegypto  coli  coeptam  esse  nomen 
quoque  erp  indicat ,  quod  ex  voce  "Ef^ig  (Sappho  et  Hipponax)  derivatom  esse 
Tzeizes  ad  Ljcopb.  579  et  Eustatb.  Od.  i'  p.  360  testantur.  Aegyptii  contra  vini 
cultaram  in  Aegypto  inventam  narrant  Drumann  p.  163;  immo  mira  illa  Cham- 
poUionis  sagacitaa,  ut  solet,  nomina  omnia  vinorum,  phonetice  addito  erp  in  stele 
qaadam  Taur.  ex  Dynast.  XX  legere  sibi  videbatur*.  '^  pap.  Zoid.  8. 


394  I^c  Lagidarum  regno 

papyriß  Zoidis,  qui  hac  in  re  multi  sunt,  fylf^yjtv^^  Ttjg  vtxQixK 
fuisse  videmus.  Vocem  ipsam  non  ex  radice  coptica,  ut  Letronnla- 
Yoluit.  sed  a  vixgov  derivandam  puto,  quo  ut  in  sexcentis  alii^ 
rebus  ^*  ita  ad  condiendum  et  cibps^^  et  cadavera  Aegryptii'*  uteban- 
tur.  Quod  vectigal  haud  spernendi  fnictus  fuisse  videtur,  onus  enin 
ex  publicanis,  qui  id  conduxerant,  ad  pretium  unius  anni  expierr 
dum  post  diem  legitimam  solvit  11  tal.  4000  dr.  /c^Axoi;.  Quae  v^ 
papyris  Zoidis  memorantur  i^axoax^)  et  ixaroGTi)  nedcio  an  tribuii 
sigillaria,  scribarum  praemium  etc.  fue^int^ 

Praeterea  roTg  yf^v  xul  rixvaq  iQya^ofiivotg^^  impositun 
erat  vectigal;  sacerdotes  quoque  pro  suis  quae  erant  XeiTovQytuig  t: 
agris  decumam,  Solarium,  alia  tributa  pensitabant;  ne  venditiones  qa- 
dem  sine  tributo,  emptor  dxo(Fn)v^  post  [45]  ultimum  Euergetae  annuni 
SexÜTfiv  fyxvxXiov  pretii  solvebant.  Hereditatem  adeptus  r^v  otnctQ^tj 
pendebat'^     Omnibus  omnium  possessionibus  tributa  imposita. 

4.  Portoria.    De  mercibus  invectis  exportatisque  exiguntnr  pur- 
toria,  eaque  Alexandriae  quaestuosissima^^,  quod  emporium  ea  aetate 
mirum  quantum  commercii  frequentia  florebat,  nam  merces  Indicae  ad  ; 
quas   permutandas  saepe  120  navium  classis  uno  die  ex  Myoshonn*'  | 
proficiscebatur,  nuUo  anno  imperii  Bomani  minus  IIS  quingenties  ex- 
hauriebant^®.     In    ceteris    quoque    maritimis    oppidis    portoria    eiant 
navesque  portorio  exigendo*"^;  portoria  item  in  epistrategiarum  confiniis 
sie  7/  vnoxuTM  Mifitpecog  qpvAorx//*";  sie  i]  fpv?Mxii  'EQpLonoXtrtxr,  e! 
0f}ßccixfi^^,    iv    ravTaig    rßv    ävw&ev   xarayofuvmv    hlqnQdxrovrai 
xal  xid-iaai  rd  TiXog^^\ 

5.  Q^oQokoyiat,  In  titulo  Ros.  haec  sunt  verba:  al  vnccQxowtm 
kv  j4lyvnr&i  TCQÖaoSoi  xal  (foooXoyiai,  Tributa  olim  Atheniense^ 
{(pÖQovg,  postea  (rvvrü^atg)  iis  civitatibus  imperabant,  qua»  ab  hostibu? 
tuendi  curam  in  se  susceperant.  Qui  igitur  in  potentioris  tutelam  L  e. 
dicionem  et  arbitrium  se  tradiderunt,  ex  iis  suo  iure,  quem  penes  cud- 
que  regimen  est,  tributa  exigat.  „Nam  neque  quies  gentium  sine  armis. 
neque  arma  sine  stipendiis,  neque  stipendia  sine  tributis  haberi  possunt^ 
Atheniensium  in  dicionem  se  tradiderant  civitates,  civitatibus  imperantnr 


'*  id  est  &tltjy/ig  (attice  txli'jreiv,  6xAo/ei^)  recte  i^X/ffffig  ut  inscr.  Ro& 
b^  (htriXdugj  b^keXeifiera  ^  ut  inscr.  Olym.  Lyc.  ^  Saf^eug  Nouv,  Annal,  des  po- 
ya^ea  V  p.  43.  "  Pliii.  XXX  10.  "  Plut  de  Isid.  32.  »*  Gran?iUe 

an  essay  on  Egypt.  mum.  p.  12.        '^  Strabo  XVII  787  n<p    taime^  xnl  ai  n^o<ro- 
doi  avviifoyto  tw  ßnaiXei,  »•  Pap.  Taur.  I  7,  10.  "  Strab.  XVII  p.  798. 

800.  "  Plin.  XVII  23.  »•  Strab.  1.  e.  et  II  p.  98.  101    Cae«.  beU-  AI.  13. 

*•  pap.  Lugd.  2  [O,  ed.  Leemans],  *»  Strab.  XVII  p.  813.  «  Agathar. 

apud  Phot  p.  447  b. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  395 

tributa;  Lagidae  non  civitates,  sed  homines,  sed  capita  in  dicionem 
redegerant,  pecunia  igitur  in  singula  capita  imponitur.  Ad  quam  rem 
liaad  ea  tributa  redennt,  quae  venditibnibus,  mercibns,  opificüs,  posses- 
sionibus,  agris  etc.  imponantur,  et  pro  venia  yictum  quaerendi  quae- 
stumqne  ei  hac  illa  re  faciendi  conferuntur;  sed  ipsa  corpora  regum 
sunt  vivendique  venia  et  tutela  pecuniis  mercanda.  Id  demum  kTcixs- 
(püXatov  dicas,  quod  ut  Romanorum ^^  ita  Lagidarum  aetate  Aegyptiis 
timpositum  fuisse  persuasum  habeo.  Sed  an  Graeci  qnoqae  fiierint 
tributarii  ambigitur.  Nego  Graecos  milites,  officiales,  homines  publicos; 
quippe  enim  regiis  stipendiis  sustentantur^^  Sed  dicat  quispiam  civi- 
tates  Oraecas^^  Stulte  omnes,  bis  stulte  Alexandrini  fecissent,  si  tot 
tantisque  turbis  ne  immunitatem  quidem  evicissent.  Nibilominus  rem 
integram  relinquo. 

[46]  §24. 

lam  paucis  mihi  verbis  r;  r&v  n^oadStov  xccl  cpoQoXoyt&v 
Sioixfjaig  illustranda  est;  qua  in  re  tanU  illa  obscuritate,  quanta 
nuUo  me  loco  alio  excepit,  fieri  fere  non  poterat  quin  deciperer;  semel 
enim  atque  iterum  rem  impeditissimam  adgressus  no  id  quidem  effeci, 
Tit  mihi  ipse  crederem  verumque  invenisse  persuaderenu  Sed  quo  er- 
randi,  eo  veniae  materia  uberior. 

Beditus  aut  ex  regiis  agris,  metallis  etc.,  aut  ex  pecuniis  multati- 
tiis,  vectigalibus,  portoriis,  ex  toto  vitae  privatae  commercio,  aut  ex  tribu- 
tis  in  capita,  in  possessiones,  in  opificia  etc.  impositis  redeunt  1.  Agri 
regii  fortasse  ut  Bomanorum  aetate  ex  parte  a  Sriiioaioiq  {ßaadtxoTg) 
yewQyotg  colebantur^*;  sed  metalla  etc.  sumptibus  ut  videtur  regiis  exer- 
cebantur.  2.  Inter  tributa  &QyvQixccl  xai  atrtxal  avvrä^eig^  erant; 
pecuniariis  saltem  praeerat  6  olxovöfiog  ßa<TiXix6g,  factum  enim 
est  ut  pastophororum  collegium  rov  nQog  rf  olxovofii^  r&v  &QyvQix(üV 
Tov  Ila&vQirov  repetundarum  postularet,  quo  facto  Phommus  epistrat. 
et  strat  Theb.  epistatem  Pathyriticum  vetare  iubet,  ne  ex  pastophoris 
pecuniae  quae  haud  convenirent  exigerentur^.  Pastophori  sunt  sacer- 
dotes,  qui  in  pompis  rovg  itaerovg  circumferunt^  et  saepenumero 
medicinam  exercent^  Collegium  accusat,  tributum  igitur  aut  capitibus 
aut  possessionibus  aut  sacris  officiis  impositum  ab  oeconomo  regio  exi- 
gebatur.  Ad  quam  rem  probandam  ex  pap.  Berol.  frag,  haec  aflFero 
verba:    (oaavTcog  6  olxovöfjLog  rov  ßamMrog  ävaygdcpBi  sig  q)0(}o'ko^ 

"  Rudorff  II  134  sqq.        ^  Athen.  XI  494  B.        *»  [Sane  civitatea  Graecae, 
sie  insula  Giius  Corp.  Inscr.  Gr.  2356]. 

>  Edict  Tib.  AL  32,  11.         «  pap.  Taur.  V,  VI,  VII.         »  Zoega  de  obeliac. 
p.  514  etc.  ^  Dramann  p.  158. 


396  1^6  Lagidarum  regno 

yiag^.    Ceterum  eadem  olxovofjucc  bis  inscriptionis  Ros.  verbis:   eig  ri 
ßccaihxbv  (TwreXovfiivojv  significari  videtur.    Quomodo  ai  airixcei  avt- 
rd^Big  exigerentur,  traditum  non  est;  nam  6  <jtQdxx(OQ  et  6  Saxifia- 
ffTi]g   Tov  iyxvxkiov   än6  rov  nenrcjxörog  rov  xeQccfjuov  pecnniaLn 
exigebant^.    3.  Vectigalia  atque  portoria  plerumque  publicanis  locaban- 
tur*;    sie    rrjv  virginiiv,   cui   6    ^nifieXrjrijg    ngog   xriv   äyXi]xß/iv  tT^ 
viTQtxfjg  praeerat,  satisdatione  interposita  homines  privati  conduxerant-. 
Vectigalia  inl  vQäne^av  conferebantur,  quod  unum  in  singulis  nomi- 
telonium   fuisse   videtur.     Ibi   praeside    trapezita    xarct   Sicr/gaffit 
[47]  publicani  (TciöStfiyg)  quam  6  &vxiyQaff%vg  contrasignat  pecuniaiE 
accipi  alio  quodam  loco  probare  conatns  sum.    '0  in\  r&v   nporrv 
S(ov  rov  vofiov  rebus  bis  omnibus  praefuisse  videtur,  ut   et  vecti- 
galia elocaret,  et  redemptionum  pretia  exigeret,  et  scnbaruniy  porütonufi 
ceterorumque  officialium  specularetur  negligentiam  perfidiamque.     Nihil 
de  codicibus  et  libellis  dico,  quae  in  teloniis  habebantur,  nihil  de  alü.^ 
ad  alia  vectigalia  exigenda  coUegiis,  nihil  de  molestissima  eonferend: 
ratione,  nihil  de  immutata  exigendi  ratione  deque  ygatpitp  rov  vofiof. 
quod  a  Ptolemaeo  Philometore  ut  pactionum  etc.  ävayQafpifV   6  sroc: 
T^  YQU(pi<p  faceret  institutum  esse  Peyronius  docuit    Me  taedet  labori> 
nescio  an  frustra  suscepti. 

§25. 

Rebus  Aegyptiacis  enarratis  priusquam  ad  ceteras  Lagidamm 
provincias  transeamus  de  summa  totius  regni  administratione  eaqne 
Omnibus  regni  provinciis  communi,  ut  pauca  tradita  sunt,  ita  paucfe 
conabimur  exponere.  Sane  dolendum  est,  quod  pauca  ista  ex  turl»a- 
tissimo  quoque  saeculo  profecta  sunt,  unde  Lagidarum  dominationem 
tumultuariam,  iuconditam,  nunquam  non  obnoxiam  turbis  fuisse  sceleri- 
busque  decantata  scriptoribus  fabula.  Fabellam  potius,  quod  tria  sa^ 
cula  regnum  vidit,  diceres,  si  qua  ratione  dicunt  temerarium  tumul- 
tuariumque  fuisset.  Sed  ne  regnum  quidem  sine  cautione  quadam  et 
accuratione  hominum,  ne  arbitrium  quidem  sine  suo  qualicunque  oidine, 
ne  dominatus  quidem  sine  grege  suo  ministrorum  consultorumque, 

Talem  Lagidis  gregem  fuisse  et  per  se  intelligitur  neqne  desunt 
quibus  probe tur.    Sic  consilium  intimum  (tä  awkSgiov)  cuius  amick 

*  Mus.  Passal.  Nr.  1564  B**.;  quae  Peyron  ex  pap.  Par.  XXIV  (Par.  66)' 
attulit  (II 17)  Romanam  aetatem  sapiunt;  cf.  Athen.  V  p.  208.  *  Sic  in  pap. 

Zoid.  eadem  res  est  etg  t6  ßaijüi.iK6v  et  inl  tijp  iv  Ms^tpei  ßaaikuniv  r^cbrcCffr. 
'  pap.  Lugd.  7  (Q  ed.  Leemans)^;  huc  fortasse  illad  xaTotvöifa  nf^xzo^ov  Ihtdo- 
lytafiov  (pap.  Zoid.)  referri  potest.  "  pap.  Zoid.  3. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  397 

propinquis  etc.  aditus  patet,  rex  ipse  conTocat^;  haud  vocati  qnidquid 
decemnnt  neque  aoctoritatem  habet,  et  quod  convenerunt  poenas  dant^: 
plerumque  rege  praesente  agitur.  Inter  primos  regis  administros  est 
6  kniGxoXoyQÜ(poq^^  semper  propinqui  nomine  ornatus  qui  edicta 
regia  ad  epistrategos,  strategos  etc.  mittit,  tabellarüs  regüs  praeest  etc.  \ 
Ab  epistolographo  diversns  is  fiiisse  videtur,  ciii  regii  sigilli  cura 
est*.  Tributa  et  vectigalia  ex  provinciis  exacta  Alexandriam  [48]  ad 
coUegium  tcjv  rafii&v  et  äioixfjroiv  mittuntur®,  qnorum  subministri 
in  provinciis  oi  vnoSioixtjrai  fuisse  videntur^ 

lam  ad  ceteras  Lagidarum  provincias  transitums  de  tributis 
praemoneam  necesse  est.  Nam  ut  m  Aegypto,  cum  incolae  vemaculi 
gentilicium  non  municipalem  ut  hodie  dicunt  ordinem  haberent,  sua 
quodque  caput  tributa  conferebat,  ita  in  ceteris  regni  provinciis  non 
capita  sed  civitates  nationesve  regum  sub  dicione  fuisse  videntur.    Sic 


9 


Cyrenaicae  civitates  vere  nöXeig  erant®  eaeque  quadamtenus  avrövofjLo 
Sic  Palaestina  pontificum  praetura  nihil  mutata  tributa  conferebat, 
quae  cum  aliquando  die  legitime  non  essent  collato,  rex  regionem  to- 
tam  in  xXfjQov^iccg  se  divisurum  militaresque  colonias  missurum  minatus 
est^^  Sic  Samaritani  cum  ludaeis,  quamquam  uni  Lagidarum  imperio 
subiecti  erant,  bella  gerebant^^  Sic  Sidon  et  Tyrus  usque  ad  Augusti 
aetatem  liberum  statum  obtinuerunt^^.  Sic  XX  principes  Ascalonitae 
et  Scythopolitani  aliique  civitatum  Coelesyriae  et  Phoeniciae  äg^ovr^q 
memorantur^'.  Sic  decreta  habemus  a  singulis  Cypri  civitatibus  edita^*. 
Sic  Asiae  civitates  Lagidarum  fuerant  sociae^^  Unde  non  eadem  cum 
Aegypto  ratione  provincias  ceteras  Lagidis  subiectas  fuisse  atque  tribu- 
tarias  recte  dixisse  mihi  videor^ 

§26. 

Mortuo  Ptolemaeo  Epiphane  Cyprum,  Cyrenaicam,  Coelesyriam 
Lagidis  fuisse  supra  probavi.  Cyprum  insulam  hauddum  mos  erat, 
ut  principibus  iunioribus  esset  possessio**,  a  regno  seiungendi^  Insulanis* 
praefectum  regium  praefuisse  Polycrates  ille,  de  cuius  administratione 


^  loseph.  XIII  3,4.  '  Dramann.  sched.  p.  24.  ^  b   inl  xoig 

^Qofifiaai  Polyb.  *  Dramann.  1.  c  Reuvens  3  p.  45.  '  Polyb.  XVI  22. 

«  Polyb.  XXVn  12  Cic.  pro  Rab.  Poßt  10   Athen.  XI  p.  494   loseph.  XII  2,  3. 
'  pap.  Lngd.  8  (B  2,  13.  D  1  etc.).  ®  Inscr.  Cyr.  Joum,  des  Sav.  1828 

p.  260  [C.  I.  Gr.  III  5184.  5185J.        »  Plut.  PhUop.  1  Polyb,  X  25.        *«  loseph. 
XII 4, 1.  "  loseph.  1.  c.  "  Strabo  XVI  p.  727.  "  loseph.  XII  4,  3,  5. 

"  Hammer  t&pograpk.  Reise  p.  170,  171.  "  Liv.  XXXVIII  10. 

^  Ad  quam  rem  accnratias  significandam  Champollion  Figeae  bene  usus 
est  vemacala  voce  Vapanage,  '  vr^aiarai  Letronne  p.  345. 


398  1^6  Lagidanim  regno 

supra  dixiy  haud  ambigue  probat  Praefecti  nomen  arg  arijyög  erat^ 
l'raesidia  regia  insulam  obtinebant,  qnoram  de  ducibus  notitiam  all- 
quam  inscriptiones  suppeditant;  sie  Praxagoras  6v  ngiv  kn  [49]  äpSg&v 
ßfixaro  AayiiSaq  xoiQttPOt^  TiysfAÖvcc*.  In  inscriptione  alia  mentio  est 
T&v  (Tvvfjyafiövoov^;  ex  inscriptione  Citiensi  [C,  I.  Gr.  II  2617]  haec 
affero  verba:  ij  nöXig  !Ayiav  AapLO&krov  KQfixa  rov  äQX^^^t^^^^V'^ 
Iccxa  xal  knl  rTjg  nöXecog,  qui  non  praesidii  sed  iirbis  praefectns 
(sicut  !A8aioq  6  knl  Bovßd(rTa(og)  esse  videtur. 

§27. 

Cyrenaicam  haud  mihi  dubium  est  quin  Lagidae  inde  ab  £uerge- 
tae  I.  a«tate  denuo  cum  regno  coniunctam  eadem  fere  qua  Cjprum 
ratione  praesidiis  in  civitatibus  positis,  stratego,  qui  provinciae  tributa 
exigeret  etc.  praefecto,  obtinuerint  Sed  quomodo  ager  primis  tempori- 
bus  regius,  Romana  aetate  publicus  \  coleretur  aut  locaretur,  quomodo 
vectigalia  et  portoria  eaque  propter  res  multas  quae  exportabantur 
Cjrenaicae  proprias  quaestuosissima  administrarentur,  quomodo  bar- 
barae  illius  regionis  gentes  cum  Graecis  civitatibus  coniunctae  essent  aut 
ita  disiunctae  ut  alterae  privilegiis  uterentur  maioribus  etc.,  memoriae 
non  tradiderunt  monumenta. 

Civitates  Graecas  libertate  quadam  usas  fuisse  supra  prubavi;  qua 
libertate  fieri  potuit  ut  Ptolemais  civitas  erigeret  statuam  hao  addita 
inscriptione*: 

BAIIAIIIANAPIINOHN    0EA 

THN   TTTOAEMAIOY   KAI    BEPENIKHI 

H  noAii 

'  Sic  Ptolemaeum  irtqaxriybv  xo»  xnta  Kvnqov  Polybius,  sie  Ptolemaeum 
Alexandrum  fjjqajriyov  Paus.   1,  9  yocat  *  Hammer  p.  177  [C  I.  Gr.  II 

2613J.  *   Haec   est    inacr.    [C.   I.   Gr.   II  2614]:    BaQBvixtiP    rij»'    ^'htmXd(ag 

JlTokefiaUw  ^yaixa  Iloaeidinnog  fpQOVQa^og  xal  xnrrn  Kiiioy  xal  Bot<ntoc 
xal  Oixvv  Tjyi'fiiüy  aut  xal  oi  awriYSfioveg  (Visconti);  scriptam  puto  anno  114*. 
Tres  cnim  Berenicae  sunt  Aegypti  reginae,  Ptolemaei  Soteris,  Eueigetae  I, 
Alexandri  I  uzores;  inter  quaa  novissima  haec  Berenice  (Paus,  et  pap. 
Berol.  ench.  43^;  Cleopatram  Porphyrius  et  pap.  Lugd.  6,  7  vocant)  arctiore 
quadam  ratione  ad  insulam  pertinet.  Post  Euergetam  II  mortuum  filius  mi- 
nor, qui  Aegypti  rex  postca  factus  Alexandri  nomen  accepit,  strategi  nomine 
Cyprum  missus  quarto  anno  praefecturae  Berenice  fratris  filia  in  matrimonium 
ducta  rex  insulae  renuntiatus  est;  v.  Letronne  p.  110.  Cypri  rex,  non  item  Aegypti 
solo  Ptolemaei  nomine  cognominibus  haud  additis  nominari  poterat;  ideo  neque 
de  Sotere  I  neque  de  Euergeta  I  cogitandum  putavi;  opportunissimum  erat  statuis 
erigendis  tempus  nuptiarum  illarum,  quibus  Alexandrum  cum  fratre  reooncilia- 
tum  Cyprus  regem  accepit  Nomen  Bot<rxogf  cuius  mentionem  praeter  hnnc  locum 
nullam  inveni,  fortasse  cum  Bo6aov(fa  promontorii  nomine  convenit 

^  Thrige  res  Cyr.  p.  150,  266,  887.  *  Joum.  des  Scwans  1828  p.  260 

LC.  I.  Gr.  UI  5184]. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  399  • 

„Si  in  Lagidarum  stemmate  Arsinoen  Berenicae  et  Ftolemaei  filiam 
circumspectamus,  [50]  nuUamnisialteramPbiladelphiuxoremsororemque 
germanam  invenimus^^  Sic  Letronnios,  adiectis  dextera  ex  parte  eaque 
mutila  his  vocibus  &eäv  ädekipjjv  et  versu  altero  &b&v  (rcorfjQonf.  Sed 
Ptolemaeum  Philadelpbum  neque  Cyrenaicae  regem  fuisse  et  cum  Maga 
rege  eas  suscepisse  inimicitias,  ut  cur  statuam  reginae  civitas  erigeret 
causam  quan tum  scimus  nuUam  haberet,  supra  probare  conatus  sum. 
Causam  qualemcunque  extraordinariam,  ut  vir  ille  egregius  fecit,  si 
aliam  rationem,  qua  res  expediri  posset,  nullam  invenires,  invito  auimo 
poneres.  Sed  est  Arsinoe  Ftolemaei  Euergetae  I.  ex  Bereuice  Euerge- 
tide  eaque  Cyreuensi  filia  Ptolemaei  Philopatoris  (roö  vfjg  'Aycc&o- 
xIbu4(s)  uxor  sororque  (Inscr.  Äos.  5 ;  lustinus  XXX  1  Eury dicen  vocat), 
cui  nescio  ob  quam  causam  Ptolemaidis  ciyes  statuam  illam  consecrarunt 
hac  fere  inscriptione  addita: 

BAIIAIIIANAPIINOHN0EA[N<t>IAOnATOPA 
THNTTTOAEMAlOYKAIBEPENIKHIIGEQNEYEPrETQN 

HHOAII 

Versus  secundus,   ut  minoribus  literis  scriptus,  pauUo  longior  esse 

poterat 

§28. 

Antiochus  Magnus  Ptolemaeo  Epiphani  Eucharisto,  pace  facta^ 
Cleopatram  Syram  in  matrimonium  dederat  (191)  Coelesy ria,  Phoenice, 
Palaestina,  Samaria  dotis  nomine  ita  additis,  ut  tributa  reges  intei 
se  di?iderent\  Civitatum  principes^  [de  Palaestinae  possessione  intei 
Syros  atque  Aegyptios  ambigua  v.  Hofmann  p.  3.  9],  ut  suae  quisque 
patriae  tributa  conducerent,  Alexandriam  conveniebant  Factum  est 
paullo  post^  ut  losephus  Tobiae  filius,  cum  Oniam  11.  pontificem  cum 
rege  Aegyptio,  quod  XX  talentorum  tributa  certis  pensionibus  solvenda 
non  rediissent^  irato^  sua  quae  erat  comitate  conciliasset,  totius  Coelesyriae 
tributa  auctione  instituta  8000  talentis  yendita,  16  000  talentis  sibi 
conduceret,  et  multaticias  insuper  pecunias  et  bonorum  publicationes, 
quae  cum  tributis  solitae  erant  locari,  regibus  concedere  poUiceretur. 
Duobus  milibus  militum  a  regibus  acceptis  XXII  annos  eo  munere 
functus  est«. 


*  oinqiüxoi  xai  a(^ovxeg  loseph.  XII  4,  4.  ■  loseph.  XII  4,  3;  idem  4,  10 
aimoB  dicit  XX:  Oniam  pontificem  tributa  retinuisse  rege  Euergeta  I  (igitur  ante 
220);  eo  fere  tempore  losephum  tributa  sibi  conduxisse,  mortuum  esse  Seleuco 
rege,  Antiochi  Magni  filio  (Philopatore,  a  losepho  Soter  vocatur)  igitur  inter 
168  et  174.  Quos  errores  a  losephi  indole  haud  abhorrere  nemo  nescit;  pro 
Ptolemaeo  Euergeta  Philopatoris  patrem  Ptolemaeum  Epiphanem  Philometoris 
patrem,  pro  Onia  II  Oniam  III,  pro  XX  annos  alium  qualemcunque  numerum 
scribere  debebat. 


400  I^  Lagidaram  regno 

[51]  Ptolemaeo  Philopatore  rege  rerayfjLipoQinlxoiXfiQ  JSvgiceq 
nee  non  arQarriybq  xoikfjg  JSvQiaq^  memorantur.  Sed  post  illas 
nuptias  eadem  ratione  Syriae  praefectos  foisse,  in  dubium  vocaverim; 
eo  certe  tempore ,  quo  Antiochus  Epiphanes  bellum  iis  regionibns  in- 
tulit,  Aegyptiaca  praesidia  atque  praefecti  nulli  sunt.  Medüs  esset 
Syris  fortasse  licebat,  dummodo  tributa  legibus  facerent.  Seleucidae 
autem,  neque  foederis  neque  affinitatis  ratione  habita  ulla,  suam  quo- 
cunque  modo  poterant  potestatem  amplificare  studebaht;  quae  contra 
studia  ut  ins  suum  uxorisque  dotem  defenderet,  Ptolemaeus  Epiphanes, 
quo  moriturus  erat  anno,  quod  parabat  bellum  adrersos  Seleucum, 
parasse  puto;  ad  quas  res  componendas  T.  Quinctius  Flamininus  anno 
183  missus  fuisse  videtur^  Nummi  quos  Tyriorum  Sidoniorumque 
esse  ex  navis  insigni  colligitur,  Seleuci  nomine  siglisque  l^gXq  et  I^qI^ 
(136,  137  aer.  Sei.  =  177,  176  a.  C.)»  signati  eadem  ratione  explicari 
possunt;  urbes  enim  tnbutariae  cum  avrövofjLoi  essent,  eins  regis,  cuius 
maior  potestas  yideretur,  annis  tempus  describebant. 

Sic  Ptolemaeo  Philometori  regno  suscepto  satis  incerta  fuit  Syriae 
possessio,  sed  Cleopatra,  quae  olim  eam  dotem  acceperat,  superstite  de 
iure  non  poterat  dubitari.  Narratur  quidem  in  secundo  de  Maccabaeis 
libro,  Apollonium  a  Seleuco  Philopatore  strategum  Syriae  et  Phoeniciae 
missum  esse^  id  quod  iam  ante  174  regiones  illas  Syrorum  sub  dicione 
fuisse  probare  videatur.  Sed  disertis  verbis  Hieronymus  Antiochum  IV. 
Coelesyria  potitum  esse  tradit^;  quicum  libri  de  Maccabaeis  primi  ini- 
tium  consentit. 


Caput  tertium*)\ 

§29. 

a.c.  181/0  Ptolemaeus    Philometor    regnum    accepit    hieme 

Ol.  149.  3  anni  181/0;  nam  in  canon.  reg.  eins  patri  tribuitur  annus 

1  p*  143  1^3  aer.  Phü.,  qui  annus  [52]  est  ab  8  Oct  182  ad  7.  Oct 

a.  s.    132  181  (annus  Nab.  567  a.  Syr.  Mac.  131)  et  quia  in  canone 

ü.  0.    574  jiiq  ^j.  in  papyris  is  auuus,  quo  quis  rex  factus  est,  regis 

eiusdem   ita  primus   est,   ut   cam   die  primo  mensis  Thot  secundus 
regis  annus  incipiat,  sequitur  ut  anno  568  Nab.  currente  i.  e.  inter 

■  Polyb.  V  63,  78.  *  Polyb.  exe.  leg.  47.  *  Maccab.  II  3   loseph. 

de  Maccab.  4.  ^  Uieronym.  in  Daniel.  XI  21. 

*)  [cf.  Hofmann  de  beüis  ab  Äntioeho  ßp^hane  adversus  PtoUmaeos  gestis, 
Erlangae  1885,  4^J 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  401 

8  Oct.  181  et  7  Oct  180  mortnus  sit  Ftolemaeus  Epiphanes;  com 
proximo  vere  Syris  bellum  illaturus  esset,  hieme  anni  181/0  obiit^ 
Gleopatram  Syram  viduam,  Ftolemaeos  filios  duo  Cleopatramque  filiam 
reliquit. 

Veneno  rex  a  ducibus  suis  interfectus  est;  regnum,  ut  fere  mos 
erat  Alexandriae,  non  sine  seditione  partiumque  contentionibus  ad  filio- 
lum  transiisse  videtur.  His  qiiidem  temporibus  desideramus  Polybium, 
sed  quam  dedit  turbarum  Ptolemaeo  Fhilopatore  mortuo  descriptionem, 
si  quis  quae  fuerit  AlexaDdrinorum  in  turbulentis  novisque  rebus  na- 
tura,  quae  militum  auctoritas,  qui  civium  furor  atque  levitas,  mente 
sibi  fingere  velit,  uberrimam  praebet  materiam  rationemque  certissimam. 
Ego  haec  mitto;  Epiphane  mortuo ,  quae  fuerint  civium  partes,  qui 
partium  principes,  qui  conspirationum  dissensionumque  ignes,  quae  post 
patrem  interfectum  filii  inter  Aegyptios  exspectatio,  inter  Oraecos  existi- 
matiO|  quae  tandem  novi  regni  initia  atque  corroboratio,  ut  coniecturis 
fingendis  latus  patet  campus,  ita  neque  via  neque  viae  vestigia  ad 
certam  aliquam  rerum  investigandarum  rationem  perducuni- 

Hoc  unum  Champollio  Figeac  auctore  Hieronymo  statuere  posse 
sibi  Visus  est,  matris  Cleopatrae,  Seleuci  Syriae  regis  sororis  tutela 
regnum  stetisse^  Neque  inepte  fuisset  filii  tutela  matri  tradita,  cum 
bellum  immineret  cum  ipsius  &atre;  et  cognomen,  quo  rex  usus  est, 
Fbilometoris  ad  eundem  fontem  redire  videatHr. 

§30. 

Sunt  denarii  argentei  cum  hac  inscriptione:  M.  Lepidus  pont. 
max.  tutor.  reg.  et  in  parte  versa  caput  turritum  subscriptum  Ale- 
xandrea^  [53]  M.  Aemilium  Lepidum  eodem  hoc  anno  (180  a.  ü. 
514  u.  c.)  cum  multi  clari  vir!  petissent,  pontificem  maximum  esse 
factum  constat^;  eundem  Tacitus  Ftolemaei  liberis  tutorem  nominat^. 
Haud  igitur  lustinus  audiendus  est^,  Epiphane  regnante  Lepidum  esse 
Aegyptum  missum,  qui  tutorio  nomine  regnum  pupilli  administraret*. 
Tacitus  enim  non  liberis  dixisset  de  uno  Fhilopatoris  filio^  Sed 
Valerius   Maximus:    „cum  Ftolemaeus  rex,   inquit,   tutorem  populum 

^  ChampoUion  Figeac  annales  des  Lagides  II  p.  127.  Vir  ille  elegantia 
quam  accuratione  et  eraditione  insignior,  quo  mense  mortuus  rex  dt  computavit 
Sed  ipsa  ratio  panun  tirma.  '  Hieronymi  (in  Daniel.  XI  21)  haec  sunt  verba: 

pOBt  Cleopatrae  mortem  eunuchus  regit. 

*  Oousinery  Magax,  encyoL  1807  t  V  p.  78.  *  Liyius  XL  42.  "  Tacit. 
ann.  11  67.  *  lustin.  XXX  8.  ^  Quibus  in  rebus  quanta  Taciti  fides  sit 

egregie  probat  locus  hie  (annal.  III  38)  „diviso  imperio  in  Rhoemetalcen  et  liberos 
GotyiB'',  ubi  Cazy  temere  „liberum'*  scribi  iussit. 

Droysen,  KL.  Sohriftan  II.  26 


402  ^  Lftgidarum  regno 

Romanum  filio  suo  reliquisset,  senatus  M.  Aemilium  Lepidum  pont^ 
max.  bis  eons.  ad  pueri  tutelam  gerendam  Alexandriam  misit^'^  Nam 
minor  ille  Lepidos  quem  sigDificari  dubium  non  eet^,  Gxxpi  567  et 
579  (187  et  175  a.  C.)  consul  esset^  anno  180  bis  consul  non  poterat 
appellari.    Sed  qnae  est  in  üs  rebus  Yalerii  auctoritas? 

Senatus  igitnr  popolusque  Romanas  regis  tator;  tutelae  cnram 
ita  Lepidus  snscepit,  ut  aut  nunqnam  aut  semel  atque  itemm  Ale- 
xandriam prolicisceretar;  nam  sacromm  cnra  pontificem  maximam  in 
Italia  retinebat^;  inseqaenti  anno  Lepidns  poni  max.,  creatus  censor, 
templa  aliquot  dedicavit  etc.  Res  fortasse  ita  institutae  erant,  ut  s.  p. 
q.  R  tutelam  haberet,  ut  matri,  addito  Lenaeo,  regimen  regnique 
administratio,  ut  Eulaeo  eunucho  liberorum  educandorum  cura  tra- 
dita  esset.  Ceterum  melior  puero  tutor  haud  posse  eligi  videbatur 
quam  populus  Romanus ,  quam  Tjepidus  ille  semel  atque  iterum 
princeps  senatus  electus,  qui  apud  Magnesiam  inter  Romanorum 
tribunos  fuerat  suaque  prudentia  momentom  victoriae  fecerat  Eius 
beneficio  regia  incunabula  conseryata  pariter  ac  decorata  incertum 
Ptolemaeum  reddiderunt,  patrisne  fortuna  magis  an  tutoris  maiestate 
gloriari  deberet 

Populus  Romanus  cum  oblatam  accepisset  tutelam  talique  yiro 
commisisset,  fieri  non  potuit  ut  res  Sjriacae  pace  Romano  nomine  in- 
digna  componerentur.  Neque  Seleucus  talem  se  praebuerat,  cui  quic- 
quam  cederetur;  nam  ängccxroq  äfia  xal  &G&^t]q  &v  8icc  ttjv  tov 
TiccTQÖq  dvpLcpoQav^j  etiam  tunc  annua  Romam  mittebat  1000  talenta, 
Antiochum  fratrem  Romae  habebat  obsidem,  tantaque  apud  eum  R4)ma- 
norum  [54]  valebat  auctoritas,  ut  cum  agmine  haud  spemendo  Taurum 
montem,  ut  Bithj^norum  regi  auxilium  ferret,  transgressurus  esset 
foederis  memor  a  patre  cum  Romanis  facti,  ex  quo  Taurum  transgredi 
haud  liceret,  Antiochiam  re  infecta  rediret®.  Tali  homini  a  senatu 
Romano  Coelesyriam,  de  qua  inter  reges  paullo  ante  coeptum  erat  dis- 
ceptari,  ut  pax  conveniret  traditam  esse,  üs  probetur,  qui  secundo  quoque 
Maccabaeorum  libro  fidem  omnem  habendam  esse  velint.  Immo  Seleuco 
rege  neque  bellis  quantum  scimus  Aegyptus  tentata,  neque  in  rebus 
Syriacis  quicquam  mutatum  est  Quo  igitur  Champollio  auctore  hanc 
scripserit  elegantissimam  sententiam  Seleucus  fui  surpris  par  la  mort 
au  müieu  de  ses  prqjets  pour  VEgypte   equidem  nescio,  nisi  forte  de 


*    Valer.  Max  VI  6.  '  „amplisBimiqne  et  integertüni  viri  sanctitatem 

rei  pnblicae  nsibus  et  Bacris  operatam  externae  procurationi  (senatus)  vacare 
voluit,  ne  fides  civitatis  nostrae  finiBtra  petita  ezisttmaretur".  *  ApinaiL  Syr. 
66.  •  Diod.  XXIX  24  Polyb.  exe  leg.  56. 


Ptolemaeo  VI  Phüometore  rege  403 

expeditione  regis  adversns  Hierosoljma  cogitavit;  ibi  enim  Simon  quidam 
haberi  indicaverat  divitias,  easque  proprias  Seleuoo  regi^®.  Inter  eas 
Hyroani  t^esauros  fuisse  constat  ^  \  Hjrcanus,  cum  a  fratribas  insidias 
evitans  trans  lordanem  fluvium  se  recepisset,  hcai  Särgißs  (pogoXoy&v 
Tovg  ßccQßdgovg,  quoad  Antiochum  Epiphanem  Seleuci  fratris  regnum 
suscepisse  nuntiatum  est;  quo  facto  Suaccq  ju?;  (TvU.ri(p&Blq  vn  avrov 
xoXaaß-fj  Stcc  rä  ngög  jiQccßaq  aifxa  n^iZQayfiiva  avrdxBig  avrov 
yBvöfisvog  obiit^*.  Suo  igitur  iure  urbem  se  adgredi  Seleucus  poterat 
praedicare,  ut  quas  divitias  rovg  '^gaßag  sibi  subiectos  (poQoloytj<Tag 
in  aerariis  deposuisset  Hyrcanus,  sibi  vindicaret 


§31. 


a. 


^   ^75  Seleucus  postquam  Demetrium  filium  Romam  misit 

Ol.  151  1  obsidem,  ut  Antiochus  frater  rediret,  cum  nemo  in  Syria 
a  p  148  ^desset  regis,  si  eo  tempore  mortuus  esset,  successor,  ab 
a.  s!  137  Heliodoro  ig  t)jv  äQxijv  ßicc^ofxivq)^  cui  consilio  aptissi- 
'^p^ivTfl  ^^^  tempus  videretur,  interfectus  est  anno  duodecimo 
expleto*,  quo  rex  a  patre  designatus  erat;  id  quod  factum 
est  a.  Ch.  187  vere,  125  aer.  Syr.  Mac.  mense  sexto';  mortuus  igitur 
est  medio  anno  175  a.  Ch.  versus  finem  anni  137  a.  Syr.  Mac.  Id 
quod  altera  perinde  ex  parte  ita  firmatur:  Antiochus  Epiphanes,  qui 
Seleucum  excepit,  mortuus  est  inter  Martium  Octobremque  mensem  164 
a.  Ch.  148  a.  Syr.  Mac.  [55]  semestri  secundo*,  XI  completis  regni 
annis,  quod  initium  regni  docet  fuisse  sub  finem  aestatis  175  a.  Ch.. 
qui  est  a.  573  aer.  Nab.,  annus  sextus  Ptolemaei  Philometoris  regis, 
Mirum  videatur,  quod  senatus  iuvenem  remisit  ut  acciperet  puerum 
obsidem.  Sed  Antiochus  XII  fere  annos  Romae  moratus  ita  moribus 
Bomanis  assuetus  atque  imbutus  erat^,  ut  senatus  a  Romanoram  parti- 
bus  fore  ut  rex  factus  sua  sponte  staret,  haud  temere  sperare  sibi  vide- 
retur. Eumenis  et  Attali  regum  ope  Heliodoro  debellato  Antiochus 
(IV)  &B6g  kitKpccvrig  t6  SiüSfjfAa  xai  rijv  aroXtjv  xal  xb  Saxrvhov 
accepit 

Notatu  dignus  est  Hieronymi  locus*®:  „Antiochus  Epiphanes,  cui 


*<>  loaeph.  de  Macc.  4.  "  Macc«b.  II  8,  10.  "  loseph.  Xn  4,  10. 

*  Appian.  Syr.  45.  ■  Appian.  66  Euseb.  et  Porphyr,  "  Diodor. 

XXIX  15  lustin.  XXXII  2  Hieronym.  in  Dan.  XI  19  Aurel.  Victor  de  v.  ill. 
54.  *  FroehUch  annal.  Lag.  proleg.  28.  '  Diod.  XXIX  82   Polyb. 

XXVI  1.  •  Hieronym.  in.  Dan.  XI  21. 

26* 


404  I^e  Lagidaram  regno 

primam  ab  his,  qui  in  Syria  Ftolemaeo  favebant,  non  dabatnr  honor 
regiuSy  sed  postea  simulatione  clementiae  obtinnit  regnum  Syriae^.  Non 
putaverim  inter  Syros  fuisse  qui  Cleopatram  nescio  an  natu,  majorem  ^ 
iustam  fratris  interfecti  beredem  esse  dicerent.  Fortasse  Syria  ut 
saepe  fit  pro  Coelesyria  est 

§  32. 

a.  c.  172  Hieme  178/2  Romanorum  legati  ut  res  Macedonicas 

Ol.  151  4  inspicerent  missi  iidemque  ad  Ptolemaeum  renovandae  ami- 
a!  P.  151  citiae  gratia  proficisci  iussi  sunt.  Ab  Antiocbo  rege  sub 
a.  s.  140  idem  tempus  legati  venerunt  Romam,  quorum  princeps  Apol- 
pt  \i  9  lonius  in  senatum  introductus  multis  iustisque  causis  regem 
Ant.  iv  4      excttsavit,  quod  Stipendium  serius  quam  ad  diem  praestaret  K 

Haud  ita  multo  post  Cleopatra  mortua  est;  eodem  enim  anno 
172  res  a  Lenaeo  et  Eulaeo  eunucho  administrari  coeptae  sunt^,  qaos 
post  Cleopatram  rexisse  Hieronymus  auctor  est  <l>eQvfjg  övöfiaTi  ali- 
quando  Coelesyria  Ptolemaeo  Epiphani  tradita  fiierat.  Nunc  Cleopatra 
mortua,  cum  olim  non  expugnata  tantum,  sed  per  totos  octo  annos 
a  Seleucidis  provincia  illa  occupata  faisset,  in  eorum  dicionem  redire 
posse  videbatur.  Praeterea  ^|  ov  lAvrioxo^i  kvixi}(T%  ry  ntQl  rb  Ildviov 
fiüxp  TOVQ  IlToXBfiaiov  arQccrijyovgj  äii  ixBivcjv  r&v  XQ^^^'^  knu- 
ihovro  navth^  ol  ngoniQuifiivoi  tötcoi  roTg  iv  JSvQicc  ßaatXevGtv^ 
Quam  potestatis  firmandae  augendaeque  ansam  [56]  Antiochus  Epi- 
phanes  ävtjg  TiQayfiarixög  xcü  rov  TtQoaxfjfJiUTog  rijg  ßamletag  di^iog*, 
non  negligere  voluit,  non  parum  seditionibus  inter  ludaeos  eo  tempore 
ortis  adiutus.  Post  Oniae  enim  pontificis  mortem  Onia  filio  relicto 
puero,  inter  lesum  s.  lasonem  et  Oniam  s.  Menelaum  patris  fratres 
de  pontificatu  facta  disceptatione,  cum  ab  lasonis  partibus  staret  popu- 
lus,  Menelaus  cum  suis,  inter  quos  maxime  Tobiae  filii  Hyrcanique 
fratres,  ad  Antiochum  regem  aufugiunt,  Si^Xovvxig  cnrcd)  &ri  ßovXovrai 
Tovg  nccTQiovg  vöfiovg  xaraXiTtövreg  xai  x)iv  xar*  avxovg  nokirüaip 
f^7i6(T&ai  rotg  ßaaihxotg  xal  rt/v  'EkXfjvix?jv  nokireiav  ^x^iv^.  lUo 
igitur  tempore  amissa  Coelesyria  videtur. 

Sic  „Antiochus  imminebat  Aegypti  regno  et  pueritiam  regis  et 
inertiam  tutorum  spemens,  et  ambigendo  de  Coelesyria  causam  belli 
se  habiturum  existimabat;  gesturumque  sine  uUo  impedimento  occupatis 


^  Nam  Philopatori  iam  Ptolemaeo  nuptura  fuerat;  of.  Appian.  88. 

*  Liv.  42,  6.        ■  Hieronym,  1.  c  Diod.  exe.  de  virt  p.  579.  •  Polyh. 

XXVni  1.  *  Diod.  XXX  18    Polyb.  XXVIH  18.  •  loe^h.  XH  6,  1. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  405 

Bomanis  in  Macedonico  bello,  id  bellum'' ^  Cum  Bomani  nihil  hanc 
Aegyptii  regni  deminutionem  imminensque  bellum  curarent,  aut  re 
vera  rebus  Macedonicis  nimis  occupati,  aut  quod  probabilius  est,  fore 
ut  Syriam  et  Aegyptum  bellis  diuturnis  confectas  sine  magno  labore 
in  suam  redigerent  dicionem  sperantes,  Ftolemaeus  6lSG)g  rovg  ccvroü 
itQoyövovg  iafjxörag  KoiXijv  2vQiav  itaQccaxzväg  knoulro  fjieyd' 
hxg  äfKfiaßrjT&v  Tuvrrjg^  (Syriam  repetere  quam  Antiochus  fraude 
occupasset®).  Antiochus  contra  ubi  vidit  manifesto  l^Srj  rovg  xarä  rijv 
!AlB^dpSQStccv  itaQaaxevcc^ofiivovg  slg  röv  tibqI  KoiXrig  2vQiag  nöXt- 
fjLoVj  elg  füv  rrjv  'Pc&fAfjv  'insfA'ipe  nQaaßevräg  rovg  tisqI  Mekia/Qov, 
kvTBikeifiBvog  Xiysiv  xrj  avyxhfirtü  xal  StaficcQTVQa<Td'cci  Stövi  nagä 
ndvru  rä  Sixaicc  IlToXefiaiog  ccirtp  Tag  x^^Q^Q  kTdftäXXei^. 

Eadem  hac  hieme  Antiochum  et  Ptolemaeum,  quamvis  sollicitaci 
essent  a  legatis  Persei ,  egregie  Romanorum  in  fide  permanere  pollioi- 
tosque  quae  populus  Bomanus  postularet  praestaturos,  legati  Romani 
qui  circa  socios  reges  missi  erant  nuntiarunt^^ 

§33. 

lam  rebus  omnibTis  quae  bellum  excitarent  praenuntiarentque  ex- 
positiSy  obscurissimum  hunc  de  regis  inauguratione  locum  illustrare 
conabor:  änoaraXivrog  ö*  elg  Äiyvmov  IdiioilfDvlov  rov  Mev&a&ecog 
Sicc  rä  nQ(OTOxXiGicc  ÜToXefjiaiov  rov  ^iXoyLi'iroQog  [57]  ßccatlicjg 
fiaraXaßo}v  Idvxioxog  avrov  üXlörgiov  x&v  ccvx&v  yeyovivcci  npay- 
^drtDv,  Tfjg  xax    avxhv  datpaXeiag  hq)Q6vTiCfiv\ 

Factum  id  est  tribus  ante  annis  quam  secundam  Antiochus  ad- 
versus  Aegyptum  fecit  expeditionem*,  cuius  primo  vere  169  fiiit  ini- 
tinm*.  Quod  apertae  nondum  susceptae  simultates  erant,  proximum 
post  Cleopatrae  mortem  tempus  indicari  videtur  L  e.  hiemis  1 73/2,  quo 
tempore  legati  Romani  ad  amicitiam  renovandam  Alexandriam  yenerant. 
Quid  vero  legati  Romani,  si  rex  sub  populi  Romani  tutela  erat?  Dixe- 
rim  igitur  rä  itQCDroxUaia  s.  rä  ngmroxXr'iGia  (sie  enim  lectio  variat) 
sive  caerimoniam  throni  primum  inscensi  (Froehlich)  sive  primae  con- 
tionis  a  rege  habitae  significat  vox,  maturae  imperio  aetatis  fuisse  prin- 
cipia  regnique  auspicia.  Cleopatra  (nova  Isis)  fratrem  minorem  nevrexai- 
Sheccrov  Hog  ixovra,  cum  a  societate  regni  a  Caesare  iussa  non  posset 


•  Liv.  42,  29,  5.  ^  Diod.  XXX  2.  »  Hieronym.  in  Dan.  XI  21 
cf.  Livius  42,  29  „bellum  adversus  Antiochum  tutores  parabant,  quo  vindicarent 
Coelesyriam".          »  Polyb.  XXVII  19.          >°  Liv.  42,  26. 

*  Macc  II  4,  21.  ■  fism  tgieTtj  xQovov  Macc.  11  4,  23  cf.  5,  1.  *  vid. 
infr.  §  36. 


406  De  Lagidaram  regno 

ulterius  removere,  rijv  ßaaileiccv  fjdfj  yBvtjaofxivfjv  HQocevtkovaa  <pan- 
fiäxotg  interfecit;  id  quod  matoram  aetatem  ab  aimo  vitae  XVI  ince- 
pisse  probat*.  Neque  moror  Livium,  qui  sub  hieme  172/1  tutoribns 
pueritiaque  regis  rhetorice  usus  est  (42,  29,  5ss.);  praeterea,  ufc  ipse  dicit^ 
operae  pretium  ei  nun  visum  est  perseqni,  ut  quaecunque  acta  iD  bis  locis 
sunt  Ptolemaeus  igitur  anno  188/7  natiis  [cf.  Letronne  Recueü  I 
p.  8]  nunc  XV  annorum  suae  tutelae  esse  ooepit  His  a  protoclisiis 
diversa  rä ävaxktiTijQta etrd kv&Qovt^saf^cct est  Tb  kv&Qovt^etr&aty 
quod  recentiores  saepenumero  fefellit  interpretes*,  ea  videtur  caerimonia 
esse,  quam  apud  Polybium*  ita  fere  descriptam  habemus:  Ptolemae« 
Philopatore  noiortuo  regem  infantem  oi  MaxsSövsg  naQcelaßövrtq  xai 
vaxemg  hcp  mnov  ävaßtßuaccvreg  Ijyov  üq  rd  ^raSiov  äpue  Si  tö 
(favfjvai  fihydhjg  xQuvyfig  xcei  xqötov  yevf]&ivTog  knuTxtiaavriq  rov 
mnov  xad'eikov  rdv  nalSa  xai  nQogccyccyövzsg  hcd&trrav  slg  rijv  ßatrtltxijr 
&iccv.  Sic  6  vedTBQog  äS^lffog  Kk^ondxQug  et  is  ante  maturam  aetatem 
interfectus  avvBdgovia&i]  ry  ääaX(pfj^,  neque  absimilis  est  caerimonia  illa, 
qua  Cleopatra  cum  filiis  iussu  Antonii  regnum  accepit/.  V  kv&Qovi(rfiög 
igitur,  Macedonum®  quasi  sacramentum  et  acclamatio,  [58]  quo  regis  heres 
sive  infans  est  sive  maturae  aeüitis  rex  renuntiatur,  dum  Graecorum  aucto- 
ritas  valet,  ad  regem  rite  iusteque  instituendum  sufficit  Sed  post  sedi- 
tionem  Lycopolitanam  regum  intererat,  ut  Aegyptiorum  quoque  consensu 
fideque  promissa  regnarent,  quo  factum  estj  ut  sacerdotes,  apud  quos  anti- 
quitus  inauguratio  quaedam  regum  fuerat,  rä  üvaxXrjztiQicc  instituere 
primo  ab  Epiphane  Ptolemaeo  iuberentur.  „In  templo  Apidis  enim  Mem- 
phitico  mos  fuit  solio  regio  decorari  reges  qui  regnabant.  ibi  enimsacris 
initiabantur  primum  ut  dicitur  reges  satis  religiöse  tunicati"^  Bis  de 
anacleteriis  in  Polybii  libris  mentio  est:  altera  Philometoris,  xä  vofu- 
^öfieva  yivB(T&ai  roTg  ßafriXtmiv,  6t av  eig  i}hxiav  HX&cjm^^y  altera 
Epiphanis  celebatra  oiSinoD  vT/g  yhxtag  xccTenBiyov(Tfjg^\  hie  fere  XIV, 
ille  si  qtiod  supra  proposui  verum  est  plus  XVIII  annos  natus;  haec 

»  Io8.  XV  5,  16.  *  sie  Vaillant  hißt.  Lagid.  p.  164.  *  Polyb.  XV  32, 

^  Euseb.  Graec.  ed  Mai.  c.  22  §  17  [ed.  Schoene  I  p.  168].  ^  Plat  Ant  54. 

^  non  sacerdotum  ut  Dramann  sched.  p.  28  putat.  Ceterum  band  mimm  est, 
qaod  in  fabulis  istis,  quae  Callisthenifl  esse  dicontur,  simile  quid  de  Alexandro 
narratur:  qui  cum  Memphin  veuisset,  dys&QOviaany  nvxoy  ot  Aifvnuoi  Big  ro  rov 
*Hq>alüiov  &QOviaiijQiov  djg  Aiyrrnnov  ßaaiXea  St  Croix  p.  167  [ed.  C.  Mueller  p.  38] 
et  lul.  Val.  p.  47 :  „quasi  cum  Memphim  venisset  inductum  eum  in  aedem 
templumqne  Vulcani  Aegyptii  regni  veete  dignati  sunt  et  selia  et  seasibili  dei*^ 
Ab  utroque  anacleteria  significantur,  quae  Diodorus  eadem  ratione  cum  enthronismo 
confundit,  exe.  virt.  p.  595.  *  Schol.  ad  German.  p.  120  ed.  St  And.  cf.  lastin. 
quest  et  resp.  de  orthod.  p.  406  Clemens  Alex.  strom.V  p.  556  Drnmann«  Boa.  Ins. 
p.  13  sqq.        »0  Polyb.  XXVIII  12,  8.  "  Polyb.  XVUl  55,  2. 


Ptoiemaeo  VI  Phüometore  rege  407 

igitur  aetas  legitima:  Ftolemaeus  Euergeta  II  anacleteria  oelebravit 
post  fratris  mortem  144  (eodem  enim  tempore  ex  Cleopatra  olim 
Philometoris  anno  145  mortui  uxore  filinm  sosoepit)  quamquam  una 
cum  fratre  iam  antea  regnum  obtinaerat  usque  ad  annum  164/3,  quo 
dissensionibus  ortis  Cyrenen  rex  accepit,  unde  sequitur,  ut  hoc  tem- 
pore 164/3  nondum  XVIII  annorum  et  post  182/1  natus  sit;  et  quia 
pater  hieme  181/0  mortuus  est,  minor  ipse  quam  Cleopatra  soror  fuisse 
videtur. 

Ceterum  quod  supra  de  protoclisiis  dixi,  Polybius  firmaro  videtur 
bis  fere  verbis^^:  Ptolemaeus  (est  Agesarchi  üiius,  vulgo  Macro)  Cypri 
(TTQazfjydg  xoü  ßaatXimg  6ig  ißixiav  ysyovörog  awd-üq  Tikfj&og  ixccvov 
XQTjfiäzcjp  i^aniarBikiVf  id  quod  factum  est  anno  172/1;  nam  post 
tertium  abhinc  annum  anacleteriis  nondum  celebratis  ad  Antiocbum 
Ptolemaeus  Macro  defeoerat^^. 


§  34. 

a.  G.  171  Ptolemaeus  igitur  Philometor  inde  ab  initio  anni  172 

a.  *N.  577  ^"^^  tutelae  factus  et  Romanorum  socius  vere  regnabat. 
a.  p.  152  Anno  illo  actionibus  cum  [59]  Antiocho  frustra  consumptis 
*'  ^'  iti  auctoque  in  diem  inter  reges  dissensu  et  periculo  regni,  Ptole- 
Pt.  VI  10  maeus  quo  melius  rem  suam  defenderet  primo  vere  bellum 
Ant  IV  5      Syris  indixit. 

Tov  noXifjiov  rov  tisqI  Koihjg  ^v()iag  )'iSt}  xcctccqxv'^  Xaßövrog 
!Avri6x(p  xcci  nroXsfAuiq)  .  .  .,  ijxov  n()i(Tßtig  elg  ttjv  FojyLiiv  nagu  fiiv 
!AvTi6xov  MsXiayQog  xcci  ^codKfüvrjg  xai  'HQaxXsiSjjg'  itUQcc  Si 
TlrolBfiaiov  l^tfiö&eog  xai  Ad^(ov,  ^weßaive  Si  x{)cnuv  rov  Ldvrio- 
xov  T&v  xccTcc  Koihjv  JSvQiav  xai  (Poivix7jv  nQayyLÜrcov  ....  Sion^g  6 
fiiv  !AvTioxog  ijyovfievog  zijv  xurä  nölefjLOV  iaxvi/OTärrjv  xai  xaX- 
Xt(TTfjv  elvai  XTTjfTiv  (og  vnif)  iSicov  knoieno  rijv  (T7iovSi]v.  6  3e  nroXe- 
ficcTog  üSlx(og  vnoXafißdvcov  tov  7iQÖTe(jov  ^Avrioxov  (ruvem&ifievov 
rfj  TOV  naTodg  ÖQcpavi^,  naQyQTjtr&ui  rrig  xaTa  Koikrjv  JSvQiav 
TtöXeig  ccifT&v,  ovx  olög  x  Jjv  ixstvq)  nuQaxfOQBiv  töv  TÖncov  tovtwv. 
AiönBQ  Ol  nt()l  t6v  MeXiayQOv  jjxov  IvToWg  ^/oi^reg  fiuQTvgecr&ai 
TTJV  (TvyxXfjTov  SiÖTi  ÜToXt^aTog  avT(p  itccgä  nävTa  tu  Sixma  xäg 
XBiQccg  knißaXXu  noÖTiQog^  oi  dh  tibqi  tov  Ttfi6&6ov  ne^i  re  Tf?g 
Td>v  cpiXav&QchiKüv  divavB(A(TBCog  xai  tov  SiaXvBtv  tov  TtQog  IlB()(TBa 
nökBfioVy  fidXiaTa  dk  TtaQaTtjQBiv  Tag  t&v  übqI  tov  MBXiayQov  ivTBv- 
^Big.  IIbqI  fiiv  ovv  Tfjg  SiakiKTBwg  ovx  h^d^prjaav  bI^biv,  Müqxov 
crv^ßovXBvaavTog  avTolg  AlfiiXiov  nBgl  Sb  t&v  (ptkav&Qcinoov  ävavBco- 


it 


Polyb.  XXVII  13.  "  Maccab.  II  4,  23,  45. 


408  ^^  Lagidaram  regno 

(TÜfievoi  xal  XaßövTsg  änoxQitrsig  dxokov&ovg  toiq  ä^iOVfiiifOig  knctvfjt- 
d'ov  dg  TTjv  !AkB^ävSQBiccv,  Totg  Si  tcsqI  xbv  MMceyQOv  ^  crvyxXf]rog 
änexQißr]  Siöri  Kotvrq)  MccQxiq)  Sfüau  xf^v  hnirgoniiv  ygarf^ai  ^€oi 
TOVTCov  n()6g  nrokefiaiov,  (hg  ccirtco  SoxeT  (TViKpiouv  he,  rtjg  iStag 
niarecog  ^  Illud  rijv  äniTQontjv  dtba^iv  non  ad  tutelam  referendom,  sed 
rei  publicae  anctoritatem  Qainctio  datam  esse  ex  addita  formnla  solemni 
ojg  avT(p  SoxbT  etc.  colligitur. 

Quantum  Quinctius  efficere  voluerit  et  potuerit  nescio,  sed  id  quod 
e  salute  regnl  dßbebat,  non  effecit;  nam  Antiochus  slgfjk&av  aig 
Aiyviirov  kv  ö^kq)  ßccQBi,  hv  äQfiaaiv  xal  kv  Mitpaai  xal  hv  inntvai 
xal  hv  (TTÖhp  luydhp  ....  xal  kvBXQÜnri  flroksfiatog  ccn6  ngoadmov 
avrov xal  Htpvye  („pngna  inter  Cäsium  Pelusiumque  commissa^'^) 
.  .  .  xal  xaxikdßovTO  rag  ii6X%ig  rag  öxvgäg  hv  yrj  Alyvnrm  xal 
'ikaße  rä  axvXa  yfjg  Alyrrnrov  xal  hntGXQtxjJBv  !Avxioxog  fßsxä  x6 
naxa^ai  AYyvnxov  hv  tö5  ixaxoaxm  xal  xeacraQaxoax^  xal  xgixm 
heiK  Id  est  170  a.  Gh.,  nam  annus  143  Sei.  in  primo  de  Maccabaeis 
libro  a  vere  anni  170  incipit*.  Annum  fere  totum  in  Aegypto  Antiochus 
versatus  videtur  esse,  non  sine  summo  regni  damno;  Aegyptum  enim 
maxime  inferiorem  belli  calamitatibus  victorisque  regis  aviditate  confec- 
tam  atque  exhaustam  esse  quis  duvitaverit? 

losephus  minus  recte  Antiochum  dicit  Siä  x6  negl  'Pco^aaicjv  dhog 
reversum,  de  [60]  Popilii  legatione  cogitans^  Sed  qua  ex  causa  rex 
redierit  traditum  non  est,  nisi  Tagaetg  xal  MaXl(&xag  axamd^etv 
nuntius  regem  in  regnum  revocavit®.  Sed  rediit  ea  quae  voluerat 
nactus.  Ideo  ävißri  eig  'hQovaalijfi  hv  öxkrp  ßa{m  xal  Xaßiav  Ttävxa 
(Sostrato  xfjg  äxgonöXBiog  hnaQ/ov  facto  ^  hnflX&Bv  Big  xijv  yijv  ccircov 
xal  hTiohjfTB  ffovoxxoviav  xal  hldXfjaBV  v7iBQfi(pavBiav  fjiByäXf]v^. 

Non  Goelesvriam  tan  tum  in  suam  potestatem  redegerat  totam, 
sed  etiam  Cyprum  insulam;  nam  post  victoriam  Pelusiacam  ad  eum 
defecerat  Ptolemaeus  Macro  Agesarchi  filius  Megalopolitanus,  Gypro 
insulae  a  Ptolemaeo  praefectus®  (quem  plerique  cum  Ptolemaeo  Dory- 
menis  filio  eundem  esse  *®  contendunt),  cuius  in  locum  nunc  rex  ex  suis 
hominibus  misit  Sost^atum^^ 

§35. 

Summum  ex  hoc  hello  Aegyptio  regno  detrimentum  ortum,  Syria 
Cyprusque  amissa,  Aegyptus  inferior  exhausta  atque  perdita.    Antiochus 

»  Polyb.  XXVIII 1  Diod.  exe.  leg.  p.  624.  "  Hieron.  XI 22.  «  Maccab.  I 
1,18.  ^  Froehlich  prell.  18  probat  Macc.  II 5,  1.  4,  23.  ^  loseph.  ant  Xu  5, 3. 
•  Macc.  n  4,  30.  7  ibid.  27.  *  Macc.  I  1,  21,  24.  •  Macc  H  10,  80 

Polyb.  XVIII  55,  6  ff.  »*»  Macc.  I  3,  38  loaeph.  XH  7,  3.  "  Biacc  II 4,  29. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  409 

knifiavi^g  hostis  acerrimus  regno  ita  confecto  ut  siipra  caput,  ita  longe 
superior.  Neqne  a  sociis  auxilii  spes,  Romanis,  Rhodiis  bello  Macedonico 
oGCupatis,  ne  Achaeis  quidem  vacuis.  Regi  nihil  iam  supererat^  nisi  ut 
ad  popnli  sui  fidemque  et  opem  provocaret. 

Pater  olim  cum  bellis  domesticis  turbaretur  regnum,  ut  sibi  sacer- 
dotum  gregem  etiam  tum  auctoritate  potentissimum  et  cum  sacerdotibus 
plebis  animos  conciliaret,  Folycrate  auctore  celebraudis  anacleteriis  in 
sacerdotum  ordinem  plebisque  favorem  ut  reciperetur  efficere  instituerat. 
Alter  Polycrates  quis  filio  fuerit  Philometori  traditum  non  est;  sed  ean- 
dem  ob  causam  eodemque  fnictu  atque  pater  Apidis  insignia  per  Mem- 
phidis  viam  sacram  portavit  filius. 

a.  Ch.  169  Quae  Ptolemaei  Philometoris  anacleteria  Drumannus^ 

^^  N  ^^7Q  Antiocho  auctore  post  pugnam  Pelusiacam,  Champollio^ 
a.  p.  154  aiiöo  171  celebrata  esse  censuerunt,  ille  Hieronymi  locum 
a.  s.  143  quem  infra  §  36  adscribam,  hie  Polybium  ut  putat  secutus. 
Pt.  VI  12  Polybii  haec  sunt  verba:  xara  rbv  ccvxov  xaiQov  (quo 
A.  IV  7  Achaei  Polybium  auxilio  mittunt  Romanis,  pauUo  [61]  ante 
castra  inter  Azorium  et  Dolichen  posita,  id  quod  primo  vere  anni  169 
factum  est)'  xal  tc^qI  nroksficciov  ngognecrövrog  rotg  'Axccioig^  816x1 
yiyovBV  ccvrai  rä  vofn^öfieva  yevetr&ai  rolg  ßamXevaiVj  Srccv  slg  ijXi^ 
xiav  iX&ajaiv,  dvaxXijr^Qia,  vofAiaavTeg  atpiai  xce&rjxetv  kni(Trjfii^vce(T' 
O-ai  t6  yeyovog  k\pf}(pi(ravro  Ttsfjbneiv  nQBfrßevräg  ävaveoxrofikvovg  rä 
itooündQXOvra  r^  üß'VBi  (piXüv&Qwna  itgbg  rijv  ßamkeiav^  Nam  quos 
missuri  ad  Ptolemaeum  Epiphanem  renovandae  amicitiae  causa  legatos 
fuerant,  ubi  mortem  regis  audiverunt,  domi  mauere  iusserant®.  Cham- 
poUionem  fiigit  Marcii  consulis  in  eodem  illo  Polybii  fragmento  mentio, 
qui  est  A.  Marcius  Philippus  II  cons. 

§36. 

Celebratis  anacleteriis  sacerdotum  plebisque  favore  Ptolemaeus  nescio 
quantum  adauctus  et  adiutus  Eulaeo  auctore  de  Coelesyriae  possessione 
bellum  instauravit.  lisdem  fere  locis,  quibus  cum  Artaxerxe  Chabrias, 
cum  Perdicca,  cimi  Demetrio  Ptolemaeus  Soter,  cum  Antiocho  Epiphane 
ante  duos  annos  ipse  pugnaverat,  ab  eodem  Antiocho  denuo  victus 
est\  Ptolemaeus  Alexandriam  aufugit;  Antiochus  vero  Svvdfxevog 
kXccaaco&ivTag  rovg  Alyvnrlovg  änoxreTvaij  nccQiTtTcevtov  iß6a  fitj 
XTBivetv  airovg,  äkkä  Z&vrag  (Tvklafißüveiv  raxv  8h  rovg  xccQTtovg 


*  Res.  InBcr.  p.  17.  »  Champoll.  ann.  II  133.  »  Liv.  44,  1,  2. 
*  Polyb.  XXVni  12,  8  ff.          »  Polyb.  XXV  7. 

*  Daniel  XI  24,  25  Diod.  exe.  de  virt.  p.  579  (XXX  14). 


410  I^e  Lagidaruin  regno 

ravTfjg  rfjg  äyxivoiug  heofuaaro  xal  Tcgog  rijv  rov  Ilfßjovaiov  tectrce- 
Xtjtffiv  xal  fABTa  rccvxa  rr^v  Ttaraxrijmv  r^g  jilyvTtTOV  tavr^jq  rfjg 
(ptkav&Qconiag  fdyiava  <TVfißaXofAivi]g^\ 

Quod  quo  tempore  anni  169  sit  factum  ex  Polybio  colligi  potest. 
Rhodiorum  enim  legatus  AgxoiUvrig  &eQsiaq  ad  Marcium  consulem 
missus  est;  qui  Rhodiorum  litteiis  acceptis  legatum  Xaßmv  xar  Iditxv 
eig  rag  x^^^^  O-cevfid^siv  €(pi],  nctig  ov  Tt^iQcjprai  diaXvtiv  oi  'PöSioi 
rov  ivecrrfüTu  nöksfiop  fidhara  rov  nQdypLcctog  hceipoig  xa&'^xovrog. 
^HSij  yuQ  rÖT6  avveßaiva  (Tvyxaxvffd-cci  rov  nagt  Koihjg  2vQiag  nöXa- 
fiov.  Non  ita  multo  post  contione  post  citum  (ro/ecos)  legati  reditum 
habita  Rhodii  änifrruhzv  xal  TtQBaßavräg  alg  rijP  !Aka^dvSQ^av  rovg 
SiaXvaovtag  rdv  hv&at&ra  Ttökafiov  l4vTi6xfp  xal  llToXBfiai<p\ 

Insero  Hierouymi  locum,  qui  quae  deinceps  facta  sint  quamquam 
minus  diserte  enariat,  tamen  cum  Porphyrium  exscripserit,  iide  dignissi- 
mus  est:  ,,porro  Autiochus  parcens  puero(?)  et  amicitias  simulans  ad- 
scendit  Memphim,  et  ibi  ex  more  Aegjpti  regnum  accipiens  puerique 
rebus  se  providere  dicens  cum  modico  populo  (iv  dliyq)  'i&vai  Dan.) 
omnem  Aegyptum  subiugavit  sibi  et  abundantes  atque  [62]  uberrimas 
ingressus  est  civitates,  fecitque  quae  non  fecerunt  patres  eins  patres- 
que  patrum  illius;  nuUus  enim  regum  Syriae  ita  vastavit  Aegyptum  et 
omnes  eorum  divitias  dissipavit,  et  tarn  callidus  fuit,  ut  prudentes  cogi- 
tationes  eorum,  qui  duces  pueri  erant,  sua  fraude  subverteret"*.  Hiero- 
nymi  verba  „Antiochus  ex  more  Aegypti  ibi  regnum  accipiens"  egregie 
firmantur  Polybio:  furä  t6  naQalaßaiv  rä  xazä  xriv  Alyvnxov^y  quam 
esse  formulam  solemnem  ex  inscript  Ros.  et  Adulit  edocemur*.  Sed 
non  ita  multo  post  Antiochus  ipse  x^]v  ßaailjaiav  ait  tivai  rov  /Zroi«- 
fiaiov  Tod  nQaaßvriQov,  Antiochus  igitur  post  Pelusiacam  pugnam 
alteram  Aeg}'ptiorum  animis  comitate  et  benignitate  conciliatis  cum 
Ptolemaeus  Alexandriam  oonfugisset,  ad  Memphim  adscendisse  et  tan- 
quam  expugnati  regni  rex  a  sacerdotibus  inauguratus  (sie  rerum  ordo 
apud  Polybium  est)  copiis  quae  maiores  regni  urbes  occuparent  di- 
missis  Alexandriam  ipse  videtur  duxisse. 

Nam  (larä  ro  zagalaßsTv  Avxioxov  xä  xaxä  xtjv  AXyvnxov 
iSo^a  xoTg  hbqI  xdv  Kofiavöv  xal  Kiviav,  (rwaSgavaam  fisxä  xov 
ßarriXioogf  xotvoßovhov  xaxayQÜtpaiv  ix  xöv  ini(favaaxüx(ov  ijyafjLÖvfov 
x6  ßov).av(TÖfiavov  nagl  xöv  haaxcäxwv,  IIq&xov  ovv  *iSo^a  x(p  awi- 
Sgiq)  xovg  änd  x^g  'EkXäSog  TiaQamSrjfiijaavxag  nifinaiv  ngaaßevxäg 
(bg  xov  jivxioxov  xoivoXoyrjffOfiivovg  vitig  Siakvaacog,  Aderant  enim 
duae  Achaeorum  legationes,  Atheniensium  legatio  una  et  duae  theoriae, 

*  Diod.  L  c.  ■  Polyb.  XXVIII  17,  4.  *  Hieronym.  in  Dan.  XI  23. 

»  Polyb.  XXVm  19.  •  Drumann  die  Ros.  Inschr.  p.  88. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  41 1 

Mitesii  et  Clazomenii  bioi  legati.  'E^aniatuJiE  Si  xal  6  ßccakBVQ 
TkfinöXefiov  xccl  JlrolefAcciov  rov  Q7]T0Qa  ng^aßsindq,  Ovzot  fUv 
ovv  änXeov  äva  rbv  notafjLÖv  eig  rijv  ändvriimv,  {SSwcc^üvt(ov  Si 
T&v  n^eaßBvt&v  rq5  !Avriöxfp  6  ßaaiXevg)  änoäe^üfABVog  rovg  ävS^ag 
(pi),avd'QCjn(og  rijv  fiiv  nQc^rrjv  ifnoSoxvv  cciröjv  knoii)(saTO  fuyakoinBQfj' 
xaxä  Si  Ti)v  i^fjg  äScjxev  ivrsv^tv  xal  Xiyeiv  ixiXtvae  neQi  mv  ü^ovai 
rag  ipro^Mg,  ÜQ&roi  piAv  ovv  oi  nccQcc  r&v  ^A/aictiv  inoitiauvro 
X6yovg,  roirotg  Si^tjg  Ai}^Qaxog  6  nagä  xQv  'A&f^vaiojv,  fiBTcc  Si 
TOVTov  EvSiifiog  6  Mih'imog,  IldvTcov  Si  ngog  rov  avrov  xaiQÖv 
xal  xiiV  avTijv  tmöd-eatv  SiaXtyoiJLiv(ov  nccQanlrjtriovg  €ivai  awißaivt 
xccl  rovg  xccrä  jU€(>og  avr&v  Xöyovg.  Tijv  fUv  yäo  cclriav  r&v 
{TVfißeßrixÖTCDv  ndvreg  ini(ptoov  inl  rovg  ni{u  rov  EvXaiov  rijv  Si  avy- 
yePBictv  xal  ri]v  ijhxiav  ri/v  rov  UroXBfiaiov  nQOtpe^öfievoi  naotj' 
rovvro  rijV  ö^yijv  rov  ßaatXicag,  Idvrioxog  Si,  nüm  rovrotg  äv^ofio- 
XoytjffafiBvog  xal  noogav^riaag  rijV  ixilvoav  vnö&eaiv  i'jo^aro  Xiyetv 
imiQ  Töf^  i^  dQX^i^  Sixaitov,  Si  a)V  iiiHQäro  awinrdveiv  r&v  hv 
JEvQi^  ßaaiXiarv  vndQXOvaav  rtjv  xrfiGtv  r&v  xorrc^  KoiXijv  JSvQiav 
rÖTiayv  ....  i^ijg  Si  rovrotg  dne()BiS6fi6vog  inl  ri^v  reXevraiav  xara 
nöXefwv  !Avri6xov  rov  nargog  iyxrtiaiv,  inl  Si  näaiv  i^a()vovfXBvog 
riiv  öfioXoyiav,  fjv  iipacrav  oi  xara  rijv  !AXe^dvS(}6iav  y^viai^-ai 
IIroXBfiai(p  rtp  veojarl  fjLer^jXXaxöri  ngog  'Avrioxov  rov  hctlvov  nariga, 
8ri  Set  Xaßstv  ainov  iv  (pBQvp  KoiXrjv  J:vQiav,  or  iXdfißavB  KXbo- 
'ndrQav  r)iV  rov  vvv  ßamXBVOvrog  iiijxBQa,  ÜQog  [63]  ravnjv  rt^v 
vn6&B(Tiv  SiaXBX^Btg  xal  nBiaag  oi  fjLÖvov  avrbv  dXXa  xal  rovg 
än7]vrfjxörag  ojg  Sixaia  XiyBi,  rörB  fiiv  SiinXBVffBv  Big  rt/v  NavxQartv* 
XQfjodfiBVog  Si  xal  rovrotg  (ftXavO-Qionojg  xal  Sovg  ixdfrrq)  r&v 
'EXXi}Vwv  r&v  xarotxovvriüv  XQ^^oüv  TiQOfjyBv  inl  rfjg  'AX^avSgBiag. 
ToTg  Si  TiQBgßBvraig  rijV  Änöx^imv  vnirrxBro  S(6(tbiv,  orav  oi  7iB()l 
rov  '4Qi(TrBiSi}v  xal  Of)()tv  dvaxdfiiljcjcriv  ojg  avröv  i^anBtrraXxivai 
yaQ  ixBiVovg  itpr]  ngog  tov  IlroXBfjbaTov ,  ßovXBaO'ai  Si  ndvrojv 
avviaroQag  bIvui  xal  fid{)rvQag  rovg  äno  rfjg  EXXdSog  nQBgßBvrdg  ^ 

§37. 

,,Non  est  dubium,  quin  Antiocbus  cum  Ptolemaeo  pacem  fecerit 
et  inierit  cum  eo  convivium";  Hieronymus  id  scripsit  ad  hunc  Danielis 
locum:  xal  äfufförBQoi  oi  ßaaiXBlg,  ai  xagSiai  avr&v  Big  novi^Qiav, 
xal  inl  rganii^i]  fit^c  \pBvSfi  XaX^'iaovai  xal  ov  xarBV&WBlf  Öri  Ht 
tJiBQag  Big  xaiQÖv  xal  intrrrQhpBi  Big  rrjv  yfjv  avrov^.     Accuratius 

'  Polyb.  XXVm  19.  20. 
"  Hieron.  in  Dan.  XI  27. 


412  De  Lagidaram  regno 

rem    descripsit   losephus:    xal    Söhp   6    '^vrioxog   top   Q>iXofiTiTOQct 
JlroXsfiaiov  henBQiek&ojv  xaraXu^ßüv^t  rriv  Atyvntov,  xal   yavö- 
luvoq  kv  TOtg  naQi  Mifjupiv  rönoig  xal   xararrxGyif  tavrrjv  ägfifjaew 
kitl  rtjv  !AXB^dv3Q6iav'  (bg  noXiOQxla  naQafrrfjfröfiBvog  aifti^v  xal  xov 
kxBi  ßafTikeifovTa  x^^Q^^^^fJ^'^og  ÜTolsfiaiovK    Nullua  dubito  quin  ad 
idem  tempus  hoc  Diodori  fragmentum  referenduin  sit:  'HfiBTg  Si  tov 
TlroXtpLalov  ri^v  ovrcog  äysvvfj  i/^i;//yi/  oifx  &v  nQognxövxoag  ävETttfr^- 
fAavTOv  kdaaifuev  ro  yccQ  kxxbg  yevöfievov  r&v  Seiv&v  xal  roaovTOv 
ä(p6fTtfjxöra  t&v  nokefiioiv  avrö&ev  xa&änsQ  äxovixl  naoaxtoQfjaai 
ßamlBiag   fieyiaTfjg   xal  fiaxaQio)tdTi]g,    n(Qg  ovx  äv  rig  i^yi^aaiTO 
ipvxvi   TeXicog   ixrsd-jjXvfjLfxivijg  elt/ai]   t^v  el  fiiv  awißaivt  (pvmxßtg 
vnÜQXBiv  UroXBfjLatG)  roiavTrjv,  Hamg  äv  rig  ixBivf]v  xarafUfi^paiTO' 
Öze  8i  Siä  r&v  xxttbqov  nQd^eonv  i]  tpvaig  ixav&g  imiQ  avtfjg  AnAo- 
yTj&fjy    Sei^aaa    röv   ßamkia    xal    ardaifiov   övra   xal    Sgaarixav 
ovStvog  ijTtov  dvayxaiöv  hart  rag  alxiag  ävarin'^ivai  rfjg  roxi  Sat- 
liag  xal  dyevveiag  eig  top  (rndSrnva  xal  t?;v  hcBiVov  <nymQO(piav  og 
he  naiSdg  ro  fjLBtQdxiop  kv  xQV(p^  xal  yvvaixeioig  knivrjd^fAaat  (Fwixcnv 
Siiqy&BiQBv  airoD  rijv  yjvxi^v^* 

Ex  Diodori  indignatione  Ptolemaeum,  cum  Alexandria  obsidione 
circumsaepta  in  summum  periculum  adductus  sibi  videretur,  indignis 
condicionibus  pacem  apparet  composuisse,  fortasse  sibi  sub  Antiochi 
auspiciis  atque  imperio  tributarii  regni  posse^ione  relicta.  Neque  vero 
Alexandrini  consenserunt,  sed  urbe  a  rege  Memphim  ad  Antiochum 
profecturo  derelicta  oi  l4XB^avd()Btg  r(p  vsmzBQq)  (Ptolemaeo  VII.) 
hitkxQB^ffav  rä  ngdyiiara  Porphyr,  apud  Euseb.  p.  162  ed.  Schoene 
[xQaxBt  x&v  nQayf.idx(ov  üxoXBfiaTog  6  EifBoyixrig  6  vBc&xBQog  yvdfitj 
x&v  lAXB^avSQBfov  Synkell.  p.  538  Bonn.  Tov  vbiAxbqov  HxolBfiaiov 
imb  x&v  6xX(ov  ävaSBSBTx&ai  ßaaiXia  Siä  xijv  nBQirrxaaiv  Polyb. 
XXIX  23,  4). 

[64]  Antiochus  vero  fXBxä  x6  xaxaXiitBiv  AXB^dvSQBiav 
noXiOQXBiv  izQBaßBVxäg  Big  x)jv  'Pdfjirjv  ^^inBfjinBV  ovxoi  S^ljcrttv 
M-BXiayQog^  ^ojmtpavrjg,  'HQaxXBiörjg*  fTw&Blg  q'  xal  v  xd^^avxa 
nBvxr'jXovxa  ^dv  (TXBtpavov  'Pcojxaioig,  xä  Si  Xoinä  x&v  /piyjuc?ra>v  Big 
S(OQBdv  xiGi  x&v  xaxä  xijv  'EXXdSa  tiöXbojv.  Kaxa  xäg  aixäg  i^fu- 
Qag  xaxinXBVfTuv  he  'PöSov  ngiaßBig  Big  xi}v  !AXB^dv8QBiav  i'Til  xäg 
SiaXixTBtgj  oi  tibqI  Tloaxltova,  xal  fiBx  oi  noXv  naQijaav  Big  xi^v 
TiagBfißoXijv  ngdg  Idvxioxov.  rBVOfiBvrjg  Si  xfjg  kvxBv^BOjg  n6)JMvg 
SiBxi&Bvxo  Xöyovgy  xijv  xb  xfjg  iSiag  naxglSog  Bvvoiav  itQOfpBgd^'^oi 
nQog  dfi(poxigag  xäg  ßatrtXB/ag,  xal  xtjv  avx&v  x&v  ßaciXimv  ävccy- 

•  loseph.  ant  XII  243.  »  Diod.  exe.  de  vit.  p.  579  (XXX  17). 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  418 

xcciÖTfjTcc  ngdg  äXkyXovg  xccl  rd  avfi<piQov  ixarigoiq  he  rfjg  öiaXvatmg. 
'O  8k  ßaatksvg,  in  Hyovxcc  xbv  nQeaßiVTijv  kmrtficjv,  ovx  i(pfi 
nQogSeia&cci  noiXöl^  köytov  rijv  fUv  yccg  ßuGiXtiav  ilvai  UroXt- 
liaiov  Tov  itQ^aßvriQov  nQog  8i  rovrov  xccl  diaXaXw&ai  ndXai 
xal  KpiXovg  imdgx^iVj  xcu  vvv  ßovXofjiivcjv  t&v  kv  rij  nöXsi  xardyetv 
TOVTov,  fifj  xcjXvstv  'Avxioxov,  xal  Si^  nenoirjxevK  Antioohns  igitur 
consilio  regni  sibi  vindicandi  deposito  fratrem  maiorem  qui  diadema 
abiecerat  defendere  se  erga  minorem  eumque  rite  regem  factum  simulavit 

§38. 

„Autiochus  per  honestam  speciem  maioris  Ptolemaei  reducendi  in 
regnnm,  bellum  cum  minore  fratre  eius  qui  tum  Alexandriam  tenebat 
gerens  et  ad  Pelusium  navali  proelio  victor  fuerat  et  tumul- 
tuario  opere  ponte  per  Nilum  facto  transgressus  cum  exercitu  obsidione 
ipsam  Alexandriam  terrebat,  nee  procul  abesse,  quin  potiretur  regno 
opulentissimo,  videbatur"^  Omnibus  nominibus  anxii  Komam  mittunt 
legatos.  y,Sed  frustra  tentatis  moenibus  Alexandriae  (rex)  abscesserat, 
ceteraque  Aegypto  potitus  relicto  Mempbi  maiore  Ptolemaeo,  cui  reg- 
nnm quaeri  suis  viribus  simulabat  ut  victorem  mox  adgrederetur,  in 
Syriam  exercitum  mox  abducit." 

a.  c.  168  Nee  huius  voluntatis  eius  ignarus  Ptolemaeus,   dum 

Ol.  152  4  conterritum  obsidionis  motu  minorem  fratrem  haberet,  posse 
SL  P.  155  ^®  recipi  Alexandriae  et  sorore  adiuvante  et  non  repugnan- 
a.  s.  144  tibus  fratris  amicis  ratus  primum  ad  sororem,  deinde  ad 
Pt  vi^i3  fratrem  amicosque  eius  non  prius  destitit  mittere,  quam 
pt!  VII  2  pacem  cum  üs  confirmaret.  Suspectum  Antiochum  eflFece- 
Ant.  IV  8  jg^^  q^Q^  cetera  Aegypto  sibi  tradita,  Pelusi  validum  re- 
lictum  erat  praesidium;  apparebat  claustra  Aegypti  teneri,  ut  cum 
vellet  rursus  exercitum  induoeret  Belle  intestino  cum  fratre  eum 
exitum  fore,  ut  victor  fessus  [65]  certamine  nequaqam  par  Antiocho 
futurus  esset  Haec  prudenter  animadversa  a  maiore,  cum  assensu 
minor  frater  quique  cum  eo  erant  acceperunt;  soror  plurimum  adiuvit 
non  consilio  modo  sed  etiam  precibus.  Itaque  consentientibus  cunctis 
pace  facta  Alexandriam  recipitur,  ne  multitudine  quidem  adversante, 
quae  in  belle  non  per  obsidionem  modo,  sed  etiam  postquam  a  moenibus 
abscessum  est,  quia  nihil  ex  Aegypto  subvehebatur,  omnium  rerum  at- 
tenuata  inopia  erat^'^  Sic  inter  se  reconciliati  aviißaatXtvtiv  &StX<p(& 
coepemnt'. 


*  Polyb.  XXVm  22.  23. 

»  liv.  44, 19,  88S.  Polyb.  XXIX  2.       "  Liv.  45, 11.        »  Polyb.  XXIX  23, 4. 


414  ^  Lftgidarum  regno 

Haec  dum  Alexandriae  gemntur,  legati  a  Ptolemaeo  (minore) 
et  Cleopatra  post  pugnam  navalem,  cam  res  in  snmmo  pericaio  Ter- 
sarentur,  missi  Romam,  ad  senatum  vocati,  sordidati,  barba  et  capillo 
promisso,  cum  ramis  oleae  ingressi  curiam  procubuerunt;  et  oratio  quam 
babitus  fuit  miserabilior,  senatum  orabant  ut  opem  regno  regibusque 
amicis  imperio  ferret,  ea  merita  populi  Romani  in  Antiochum,  eam 
apud  omnes  reges  gentesque  auctoritatem  esse,  ut,  si  legatos  misissent, 
qui  denuntiarent  non  placere  senatui  sociis  regibus  bellum  fieri,  ex- 
templo  abscessurus  a  moenibus  Alexandriae  abducturusque  exercitum 
in  Syriam  esset;  quod  si  cunctarentur  facere,  brevi  extorres  regno 
Ftolemaeum  et  Cleopatram  Bomam  venturos  cum  pudore  qnodam 
populi  Romani  y  quod  nuUam  opem  in  ultimo  discrimine  fortunamm 
tulissent  Moti  patres  precibus  Alexandrinorum  extemplo  G.  Popüiam 
Laenatem  et  C.  Decimium  et  C.  Hostilium  legatos  ad  finiendum  inter 
reges  bellum  miserunt  Prius  Antiochum,  dein  Ptolemaeum  adire 
iussi  et  nuntiare,  ni  absistatur  belle,  per  utrum  stetisset,  eum  non 
pro  amico  nee  pro  socio  habituros  esse^ 

§39. 

Sua  rebus  singulis  tempora  haud  adscripsimus,  ne  quaestionibus 
chronologicis  factorum  interrumperemus  continuitatem;  iam  quantum 
fieri  potest  accuratissime  t^mporum  ordinem  persequar. 

Primo  yere  169  anacleteriis  celebratis  aestatis  initio  (lunio)  bellum 
inceptum  esse  nuntius  ad  consulem  venerat  in  Thessaliam;  legatus 
Rhodius,  quem  ut  bellum  componere  studeret  admonuerat,  cito  redux 
apud  Rhodiorum  senatum  [66]  ea  de  re  retlulit,  quo  fiacto  mora  haud 
interposita  Prationem  Alexandriam  mittunt  legatum,  qui  cum  advenisset 
(sub  finem  Augusti  aut  initio  Septembris]  regem  vidit  Euerget^un, 
Philometore  ab  Antiochi  partibus  stante.  Pugna  illa  Pelusiaca 
terrestris,  quia  consul  Romanus  Rhodiusque,  qui  ad  eum  initio  aestatis 
legatus  yenerat,  nihil  dum  de  ea  andiverunt,  aut  nondum  pugnata  aut 
paucis  diebusante  erat;  nam  lenissimo  flatu  die  nono  a  Puteolis,  die  septimo 
e  freto  Siculo  Alexandriam  venitur;  ne  id  quidem  temporis  ut  in  Thessa- 
liam, ut  Rhodum  nuntius  yeniret,  opus  erat  Qua  pugna  commissa  Ale- 
xandriam aufugit  Philometor;  Antiochum  Memphim  profectum  inau- 
guratumque  conyeniunt  legati,  quorum  in  numero  Atheniensium 
sunt  theori  Panathenaeorum  mysteriorumque  causa  missi.  Panathenaea 


^  Liv.  44,  19.  Legatos  dizi  mmorLs  esse  Ptolmaei,  quanquam  sunt,  qui  a 
maiore  miBBOS  patent;  sed  rerum  tempommque  ordme  meam  sententiiam  probari 
nemo  non  yidet 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  415 

tertio  quoqne  Olympiadis  anno  mens.  Hecatomb.  ry  rglrri  ämövrog 
L  e.  die  15  lulii  mensis  169  can.  Callip.  celebrantnr;  theori  mysteriorum 
tertio  mense  post  celebrandorum  pauUo  ante  tempns  nna  cnm  illis 
theons  missi  videntar.  Qnae  com  ita  'sint  naedio  aut  exeunte  lulio 
de  pace  agi  coeptum  est;  mox  ipsa  pax  condicionibus  minus  honestis 
conyenit,  nam  sab  finem  Augusti  Tel  Septembri  ineunte  Antiocho  ab 
Alexandria  regresso  Euergetem  Rhodii  legati  vident  regem  renuntiatum. 

Antiochns  inde  ab  eo  tempore  Ptolemaei  in  regnum  reducendi 
gratia  bellum  se  gerere  professus,  cum  castra  haud  ita  procul  ab  Ale- 
xandria posita  essent,  cur  non  primo  quoque  tempore  interclusit 
debellayitque  novum  regem?  Crescere  flumen  eo  fere  tempore 
(22.  Septemb.)  coepit  totamque  regionem  ita  inundat,  ut  prominentibus 
oppidis  pagisque  ini  x^tQonoi'^reiyif  x^fJ^d^ciyp  sitis  Aegaeum  mare  yidere 
tibi  Tidearis.  Bello  continuando  non  erat  tempus.  Antiochns  tanquam 
belle  eins  anni  finito  legatos  circummisit. 

Ptolemaei  Euergetae  et  Gleopatrae  regum  legati  idibus  Martiis  prin- 
cipio  anni  586  (2.  lanuar.  168)  in  senatu  auditi  sunt,  diebus  XX,  ad 
summum  XXX  ante  ab  Alexandria  profecti.  Sub  Decembris  igitur  initio 
pugna  Pelusiaca  navali  commissa  ponteque  tumultuario  per  Nilum 
facto  (nam  cum  medio  Novembri  aquae  relabi  incipiunt)  rex  transgressus 
Alexandriam  ipsam  terrebat.  Eadem  bieme  [in  xccra  ;^6ijU(ötfa)  Ptole- 
maeus  et  Ptolemaeus  reges  ad  contionem  Achaicam  legatos  mittunt, 
unde  inter  se  conciliatos  puto  mense  Februario,  ut  Antiochns  moenibus 
Alexandriae  frustra  tentatis  lanuario  aut  pauUo  ante  regressus  sit. 

Quam  ob  causam  regressus  sit  non  diserte  traditur,  sed  fama 
percrebuerat  inter  ludaeos,  regem  mortuum  esse;  lasen  igitur  cives  ad 
arma  vocat,  [67]  qua  de  seditione  rex  certior  factus  ävce^ev^ceg  ^|  Alyvit- 
Tov  Te&rjotafUvog  rrj  ifrvxfj  Hierosolyma  profectus  est^  Fortasse  ea 
seditio  reditus  causa,  illius  famae  causa  mortis  qualecunque  periculum, 
ad  quod  nescio  an  Eusebii  yerba  respiciant  corruptissima:  8t(&xBTcci  Si  xal 
Lävrloxoq  Xvd-QGj&ivTog  xccl  to€  (l^iXofii^roQog  [Synkell.  p.  538  Bonn.]. 

Anno  priore  169  legati  Romani  duce  Titio  Alexandriam  venerant, 
qui  pacem  conati  reconciliare  infecta  re  Romam  abiere',  id  quod  factum 
puto  ante  pugnam  navalem  (qua  commissa  Popilius  missus  est)  for- 
tasse  inter  Pelusiacam  pugnam  pacemque  istam  ignominiosam;  sed  res 
non  liquei 

§40. 

Ptolemaei  reges,  cum  Antiochns  quamquam  domum  redüsset  et 
inter  fratres  ita  res  convenisset,  ut  eins  auxilio  non  amplius  maiori 


*  Maecab.  11  6,  5.  •  Polyb.  XXTX  «,  4. 


416  I^e  Lagidarum  regno 

opus  esset,  fore  ut  impugnationes  renovaret  persuasnm  haberent,  arma^ 
copias,  machinas  quaecunque  alia  ad  bellum  pertineut,  diligentissime 
parabant    Karä  rijv  IleXonövvrjiTov  'in  xarä  x^iff'^cc ....  SBÖfuvoi 
navToSanfjg  kniTcovQiaq  k^aniatuXav  TtQeaßevräg  EvfUvt]  xal  Aiovxt- 
aöScogov  TtQÖg  roifg  !Axcciovq  alrodweg  ns^ovg  fuv  X'^^^vg,  inniig 
Si  SiaxoaiovQ,  ijyefiöva  Si  rfjg  ÖXrjg  (TVfificcxtccg  Avxöprav,  r&v  ä* 
Innicov  Uokvßtov,    Ilgög  Sa  OeoSojQiSav  rov  2ixv(6viov  SienifitffavTO 
nuQccxaXovvTBg  avxbv  avaxi'itraa&ai  ^avoXöyiov  xtXtcov  ävSg&v.  JSwi- 
ßaive  di  rovg  fdv  ßccatXBig  rijv  knl  ^Xaiov  avarccaiv  ix^iv  ngbg  rov^ 
elQfifiivovg   ävSQag  ix  r&v  ngd^toav  cjv  ÜQi)xcc(Xhv,     T&v  Sa  nQ^G- 
ßavT&v  7ta()ayavofiiva}Vy  rfjg  (tvvöSov  t&v  !Axui&v  ovatjg  iv  Kogiv&io^ 
xcci   rä  TB  (piXüv&Qmna   nQog  ri/v  ßctaiXaiav  ävccveaxrafiivojip  övne 
fieydXa,  xal  rijv  nagiaraatv   x&v  ßarriXimv  vn6  rijv  6\f)iv  äydvrmv 
xal   SeojULivcüv  atplai  ßo7]&eiV,  rö  fiev  nXfjdog  rciy»  !Axai&v  Uroifiop 
Jjv  ov  iiiQti  Ttvi,  7tavSi]fiel  Si  avyxivdvveveiv  el  Sioi  roTg  ßaaiXsvGiv, 
äiKpÖTEQOi   yccQ   Bixov  tö  TS  diaSf]fia   xal  rijv  i^ovaiav  oi  Si  nagt 
Tov  KaXXtXQÜTfjv  ävraXayov^  ....  (laTaXaßövrag  rovg  Xöyovg  oi  nigi 
Avxögrav  xal  üoXvßiov  ....   Sententiis  in  utramque  partem  prolatis 
Marciique  consulis  in  Macedonia  hibernantis  epistola  a  Callicrate  suppo- 
sita^  qaominus  auxilium  regibus  concederetur,  rä  fiiv  xarä  r^r  ßor)- 
&aiav  ovTfog  Stanaaa  roig  ßaaiXavai,  roig  9  'Axaiolg  iSo^a  ngacrßevrag 
änoaxiXXaiv  rovg  SiaXvaovragj  xal  xarafTrd&rjaav  Ü^p/eöa'  ^Ayaigärr^g 
jigxaaiXaog  ^ÄQiaroDv  MayaXoTCoXirai,    Ol  8h  nagä  tov  IlroXafjLaiov 
TtQaaßavral   Siaipavtr&avrag  rfjg]  (TVfifiaxiag  ävidcoxav  roTg  äQXOvaiv 
ivoifjiag  ^/oi/T64j  knicTToXäg  itagä  x&v  ßatxtXaooVy   St    5)v  ij^iovv  rovg 
lAxaiovg  kxitifinatv  AvxÖQzav  xal  üoXvßtov  iitl  tov  ivatTuora  nöXafiop^. 
Antiochus   contra  ubi  audivit   pacem  inter  fratres  convenisse, 
„Cyprum  extemplo  classem  misit,  ipse  primo  vere  cum  exercitu  Aegjp- 
tum  petens  in  [68]  Coelesyriam  processit.   Circa  Rhinocolura Ptolemaei 
legatis  agentibus  gratias,   quod  per  eum  regnum  patrium  recepi^et^ 
petentibusque   ut   suum   munus   tueretur   et  diceret  potius  quid  fieri 
Teilet,  quam  hostis  ex  socio  factus  vivatque  armis  ageret,  respondit: 
non  aliter  neque  classem  revocaturum^neque  exercitum  reducturum, 
nisi  sibi  et  tota  Cypro  et  Pelusio  agroque  qui  circa  Pelusiacum  Nili 
ostium  esset,  cederetur,  diemque  praestituit  intra  quam  de  condicionibas 
peractis  responsum  acciperet.  Postquam  dies  data  indutüs  praeteriit .... 
ad   Alexandriam  modicis  itineribus   descendit     Ad  Eleusinem   trans- 
gresso   flumen,   qui  locus  quattuor  milia  ab  Alexandria  abest,  legati 
Romani  occurrerunt,    quos  cum  advenientes  salutasset,   dextramque 

»  Polyb.  XXIX  23.  »  Polyb.  XXIX  25,  5as. 


Ptolemaeo  VI  Philoinetore  rege  417 

Fopilio  porrigeret,  tabellas  ei  Popilios  senatus  constUtum  scriptum 
habentes  tradit  atque  omnium  primum  id  legere  inbet  Quibns  perlectis 
cum  se  consideratnram  amicis  adhibitis  quid  faciendum  sibi  esset  dixisset, 
Popilios  pro  cetera  asperitate  animi  virga  quam  in  manu  gerebat 
circumscripsit  regem  ac:  priusquam  hoc  circulo  excedas,  inquit, 
redde  responsum  senatui  quid  referam.  Obstupefactus  tam  vio- 
lento  imperio  parumper  cum  haesitasset:  faciam^  inquit,  quod  censet 
senatus.  Tum  demum  Fopilius  regi  dextram  tamquam  socio  atque 
amico  porrexit.  Die  deinde  finita  cum  excessisset  Aegypto  Antiochus, 
legati  concordia  etiam  auctoritate  sua  inter  fratres  firmata,  inter  quos 
vixdum  convenerat  pax,  Cypmm  navigant  et  inde,  quae  iam  vicerat 
proelio  Aegyptias  naves,  classem  Antiochi  dimittunt"^  [haec  Plinius 
XXXIV  24  de  Cn.  Octavio,  unde  eins  statua].  Kai  'PmfAatot  fiiv  örrov 
ovnoD  xccTccTtenovfjfiivfjv  ri^v  üroksfiatov  ßacriXeiav  tovrto  t(ü  TQÖno} 
SUacoiTav,  Tfjq  ti5/i?s  oürag  ßQaßevovarjg  rä  xarä  rdv  Uagirea  ngüy- 
fiarcc  xai  rovg  MaxeSövag,  äare  xai  ngoq  rdv  bgxcct^ov  xaiQov 
kX&övTCC  TU  xccrä  rijv  IdXB^dvSguav  xai  Tfjv  ÖXrjv  AYyvjixov  nagä 
TOVTO  naXiv  ÖQ&ca&fiVai  nagä  rö  (p&ütrai  XQi&ivra  rä  xaxä  rdv 
IIiQaia  Tigäyfiara*. 

Fopilius  enim  Alexandream  venerat  paucis  diebus  post  Perseum 
ab  Aemilio  PauUo  ad  Pydnam  victum;  quam  pugnam  die  XXII  lunii 
(pridie  non.  Sept)  pugnatam  esse  ex  lunae  eclipsi  praecederite  die  visa 
coUigitur.  Primo  ut  videtur  veris  mense  Rhodiorum  legati,  de  Popilii 
missione  iam  certiores  facti,  ad  Antiochum  adversus  Romanos  foedus 
facturi  venerant^ 

§41. 

Popilii  iussu  legati  Romam  missi  „gratias  egerunt  communi  nomine 
regis  [69]  et  Cleopatrae"^  Exspectaveris  ,.regum  nomine";  nam  reg- 
num  pace  facta  fratribus  commune  erat.  Neque  vero  ea  est  in  bis  rebus 
Livii  auctoritas  ut  rem  certissimam  incertam  reddere  possit.  Polybius 
formula  soUemni  usus  ita  scripsit:  oi  ßamXetg  änoXeXufievoi  rov  ngog 
'Avxioxov  TtoXifiov  ngö^rov  fiev  eig  'P(6firjv  n^SfrßevTi^v  i^inefiipav 
]Vov/j,rjviov  'iva  r&v  (piXcov  BvxaQiarijGOvra  tibqI  t&v  sig  avrovg  yayo^ 
vÖTCQv  eve()yBrr]fiÜT(ov^, 

Champollio  in  rebus  bis  omnibus  euarrandis  et  ad  temporum 
ordinem  describendis  nihil  non  turbavit,  Porphyrium  atque  Eusebium 


*  Liv.  45,  11,  9  SS.   Cicero  Phil.  8  lustin.  34,  3  Vellei.  Paterc.  I  10  Plut. 
apoph.  32  Appian.  66  etc.  *  Polyb.  XXIX  27,  11.  »  Liv.  44,  24. 

^  Liv.  45,  13.  *  Polyb.  XXX  17  Letronnius  eundem  Numenium  avy'^evtj 

xai  ini(noXoYQO[(pov  ex  inscr.  Phil,  putat^ 

Droyseu,  Kl.  Schriften  II.  27 


418  ^6  Lagidanim  regno 

minus  prudenter  secutas,  quorum  yerba  numerosque,  rem  conompendo 
aptissimam,  Letronnius  elegantissima  emendatione  adhibita  ita  restitait^: 
ÜQX^^  ^^^  y^Q  ^  ^iXofAi^TOjQ  iKQÖTBQoq  izBatv  %p8vca  \ß6voq\  'AvTioxov 
S'iniaTQarevffccvTOQ  Alyvnr(p  .  ,  .  .  ol  jiXe^ccvSQtig  tc5  vamriofo 
inirgexpav  zu  ngäyfiara  xal  Sid^amg  uivrtoxov  k^giauvro  top 
(l^ikofjLijTOQu  xal  ^/(»tyju^irfo'ei'  avrolg  <PiXofi^roQog  iß>  (volgo  ig ,  sed 
£us.  Arm.  XII  habet)  EvtQykrov  Sk  Iw  [1.  nQ&xov^  Oatsohmid],  Eusebii 
verba^:  nQ&rog  yäg  6  <PikofA^(OQ  fiövog  ta  irrj  kßaeAsvtreVj  slra 
vnö  jivrioxov  k^tßXri&i]  ....  xQareT  r&v  npayfiätiov  IlToXBfiaioq  6 
EvBQyixriq  6  vtdiXBQog  ....  yvfSfij]  t&v  lÄXB^avögitov.  Jidfxarat  Si 
xai  !AvxioxoQ  Xv&Qca&ivxoq  (?)  xccl  xoü  <l>tkofi7ixOQOQ,  xal  ßa<Tik€vou4Tir 
Ol  Svo  änb  xoü  iß'  ixovg  fkog  xov  i^  ixovg,  'ExQf}l»'dxt(ftv  äxt]  (yulgo 
Bivai)  [1.  ovv]  na^  ^Ake^avS^evaiv  Swdexäxq)  xod  <l>tkofit)xoQog  Hei 
nQ&xov  Bxog  xov  Emgyixov. 

Si  commune  fuit  ab  hoc  tempore  fratribus  regnum,  utriusque 
nomen  et  annus  in  papyris,  utriusque  imago  in  nummis  exhibenda 
fuisse  Tideatur.  De  papyris*  quantum  scio  nihil  dum  repertum^^;  sed 
nummus  est  Ptolemalde  cusus  Lid",  Ptolemaei  Philometoris  nomine 
imagineque  signatus^;  alii  nummi  Ptolemaei  nomine  annisque  Ijiß^ 
Lty  LtS"  Li«'  Ltgf  Li^  signati,  siglo  ITA,  quod  Paphi  esse  constat, 
tantum  non  in  omnibus  addito,  ex  lineamentorum  similitudine  quadam 
Philometori  tribuuntur.  Suspecti  Letronnio;  alterius  regis  nomen  omitti 
potuisse  negat.  Sed  Euergetae  quoque  nomine  signati  habentur  annis 
La'  Lß"  L/  L<y  cusi^ 

§42. 

Bello  illo  gravissimo  finito  Cyprus  Ptolemaei  Macronis'^  proditione 
aliquamdiu  [70]  hominis  Syri  arbitrio  tradita,  dein  ab  Antiocho  denuo 
fere  expugnata,  Popilio  auctore  in  Lagidarum  dicionem  rediit  Nam 
qui  pauUo  post  inter  Syros  duces  memoratur  Nicanor  Cypriarches  errore 
aut  scriptoris  aut  scribarum  natus  est^  Syriae  contra  imperium 
amissum;  ad  Seleucidas  redeunt  tributa;  sola  Ptolemals  civitas  pro 
übertäte  sua  nummos  Ptolemaei  nomine  effigieque  signatos  cudebat 

'  ap.  Eos.  p.  225  ed.  Seal.  [ed.  Sohoene  I  p.  162].  *  Eus.  p.  54  [Synkell. 
p.  538  Bonn.].  ^^  Pap.  enim  Berol.  No.  47  [P.  8112]  enchorice  scriptns  (cni  hoc 

est  initium:  anno  VI  Tybi  XX  Ptolemaeo  rege,  filio  Ptolemaei  et  Cleopatnie 
deorum  epiphanium  cet.  verbia  bis  sub  finem  additis:  anno  VI  Tybi  XX  regis 
Ptolemaei  ....  mater  vidua  . . . .)  ut  ex  apposito  „mater  vidua"  apparet,  non 
Euergetae  sed  Philometoris  est,  caius  anno  VIII  Cleopatram  mortuam  esse  supra 
prohavi**.  *  Eckhel  IV  16. 

*  Maccab.  II  12,  2. 


Ptolemaeo  VI  Philoxnetore  rege  419 

Sed  res  longe  gravissima  est,  quod  sua  Roman  i  auctoritate  atque 
intercessione  servarunt  regnum,  regem  restibuerunt;  quasi  arbiter  legi- 
timus Ptolemaeos  reges  legatus  Romanus  ut  concordiam  recens  constitatam 
firmarent  admonuit^  regum  legati  cum  gratias  ad  senatum  agerent^ 
plus  reges  senatui  populoque  Romano  quam  parentibus  suis,  quam 
diis  immortalibus  debere,  responsum  a  senatu  est,  Antiochum  recte 
atque  ordine  fecisse  quod  legatis  paruisset^  Romana  igitur  inde  ab 
hoc  tempore  auctoritas  in  rebus  Aegyptiacis  non  yalere  tantum,  sed 
imperare,  sed  dominari  coepit.  Eadem  Romanorum  auctoritas  ab  eodem 
tempore  in  Graecis  regnis  omnibus  pauUo  post  in  proTinciaruni  formam 
Romanarum  abituris;  neque  tarn  armorum  vi  Romana  yirtus  ea  subegit, 
quam  suo  iure  acquisivit,  siquidem  pro  regum  inertia,  prayitate,  hebe- 
tudine,  rerum  externarum  domesticarumque  inouria  suam  auctoritatem, 
suam  constantiam,  suam  imperandi  seyeritatem  atque  yirtutem  substi- 
tuisse  Romanos,  ius  summum  est  atque  praesentissimum.  Sic  certo 
quodam  rerum  flexu  eoque  lenissimo  sunmia  Graeci  inter  Aegyptios 
regni  ad  Romanum  tandem  transiit  nomen,  rerum  forma  atque  statu 
fere  nihil  mutato',  nisi  quod  in  ultimo  rerum  fastigio  pro  diis  Ptole- 
maeis  dii  Gaesares  oolendi  erant. 

Sed  ut  Macedones  rebellione  facta  Romanam  ,effugere  didonem 
studuerunt,  ita  in  Lagidarum  etiam  rebus  aliquid  quasi  reflexus  atque 
reciprocationis  est  Regum  dico  fratrum  dissidium.  Philometor  pro 
iure  suo  propugnaturus  Graecaque  re  Romanorum  commercio  ad  post- 
remam  yirium  contentionem  excitata,  Alexandri  Magni,  yeterum  m- 
iuriarum  ultoris,  hostium  debellatoris,  regnorum  expugnatoris  ad  simili- 
tudinem  ut  tenui  ita  laeta  aemulatione  Syris  debellatis  duplici  diademate 
tempora  redimitus  Antiochiae  obiit.  Euergetes  contra,  cuius  iniuriam  ius, 
cuius  proditionem  fidem  haberi  populo  Romano  placuit,  populi  Romani 
exadversum  firatrem  beneficiarius,  regno  post  fratrem  mortuum  fratrisque 
[71]  filium  interfectum  suscepto  Graecos  expuUt,  ut  Graeciam,  ut  Asiam, 
ut  mare  exsulibus  impleret,  ut  Aegyptum  Graecis  Graecus  ipse  Aegypti 
rex  yacuefaceret.  Neque  quicquam  post  contra  Romanos  rebellare  ausa 
Lagidarum  res;  Romae  erat  et  per  Romanum  arbitrium. 

Lagidarum  regnum  a  principio  aegrotayit;  Philometoris  aetate  in 
letale  adductum  discrimen,  ut  diyersa  ista  elementa  dissolyi,  ut  quasi 
anima  e  corpore  Aegyptiaco  pro  vemacula  migrationum  superstitione 
revocari  coepta  sit;  nam  ut  historia  metempsychosis  dei,  ita  gentes 
Corpora,  quas  in  stationes  aliae  aliis  mentis  diyinae  yices  succedant. 
Lagidarum  historiae  principio  Graeca  res,  exitio  Aegyptiaca  praepon- 

■  Liv.  45,  13.  •  Tacit  bist.  I  11. 

27* 


420  De  Lagidarum  regno 

deravit.  Philometoris  regnum  vere  Graecoaegyptiacnm  dicas  tristem 
tristioris  mixtionis  florem.  Haec  scripsi,  ne  temere  de  Ptolemaei  Philo- 
metoris rebus  agere  viderer*. 

Bello  finito  quantam  pax  tnlit  animomm  oonversionem,  quantam 
studiorom  confiisionem,  quantam  rerum  omuium  perturbationem  atque 
dissolutionem!  regui  ipsa  fundamenta  labefactata,  de  patria  yia  rationeque 
deflexnm,  historiae  tenor  atrociter  interruptus,  novi  saeculi  intia.  Bello 
quadrimo  eoque  in  felicissima  regni  regione  gesto,  pecunüs  ab  Antiocho 
ex  Aegyptiis  mira  avaritia  extortis  bona  privata  atque  publica,  agri, 
civitates,  regnum  exhausta.  Quae  Antiochus  Romanis  Graecisque  civita- 
tibus  dono  misit  GL  talenta  nauci  ducas;  sed  quos  ludos  ßovXöfievoq 
rfj  fuyaXoBQyi^  imzQ^Qui  röv  IlaifXov  Persei  regis  victorem  edidit 
splendidissimos,  qualem  se  in  Aegypto  praebuisset  specimen  fiiere^ 
Neque  vero  hostes  tantum  confecerant  regnum;  inter  ipsos  regum 
amicos  erant»  qui  XQ''l^^f^^o'^  ''^oTg  xaxu  rf}Q  ßaaüMaq  xuiQOtg  n^oi: 
rijv  ISiccv  inavög&oDmv  suas  spolüs  patriae  opes  augereut;  sie  Menal- 
cidas,  quem  reges  äniXvaav  IloniXiov  tccvrtjv  rijv  x^Q^"^  ahfiaaiuvov 

Ptolemaeus  Philometor,  quem  lustinus  non  sine  venusta 
quadam  ut  seiet  deformatione  segnem  admodum  dicit  et  quotidiana 
luxuria  marcentem,  ut  non  solum  regiae  maiestatis  officia  intermitteret^ 
verum  etiam  sensu  hominis  nimia  sagina  careret^,  miram  illam  fortunae 
Ticissitudinem  ea  vitae  aetate,  qua  iuvenilis  animus  formari  seiet  moresque 
exprimi,  expertus  ex  languido  adolescentiae  otio,  ex  luxu  lasciviaque 
pueritiae  in  maturam  vitae  severitatem  traductus  [72]  yirum,  regem, 
Graecum  se  praebuit^  Siä  r&v  votbqov  nQÜ^eayv  ij  rpiaiq  airrov  ixopcjg 
vnkQ  ccifTfjQ  äneXoy'/j&f/  Set^aaa  tov  ßaaiXia  xal  ardatfiov  övra  xai 
dQCMTTtxov  oiSevdg  fjrtov^, 

A  tali  yiro  toto  caelo  Euergetes  frater  et  ipse  rex  diflFe^ebat^ 
homo  ignavus  atque  sanguinolentus,  rudis  idem  atque  eruditus;  neque 
de  eo  quicquam  traditur,  quin  ridiculum,  quin  foedum,  quin  cruentum 
Sit;  vultu  erat  deformis,  statura  brevis,  sagina  ventris  non  homini  sed 
belluae  similis,  quam  sorditatem  nimia  subtilitas  perlucidae  vestis 
augebat,  prorsus  quasi  astu  inspicienda  hominibus  praeberentur,  quae 
omni  studio  occultanda  pudibundo  yiro  erant;  tanta  iste  pinguedine 
laborans  abiectissima  adulatione  ad  umbram  hominis  Romani  humi 
iacebat,  quam  civibus  cruentus  tam  Romanis  ridiculus^.  Idem  cum 
nuptias  celebraret  cum   Cleopatra  sorore,   filium  eins   interficit,   filii 


*  Poljrb.  XXVIII  18  XXXI  8.  »  Polyb.  XXX  17.        •  lust.  34,  2,  7. 

'  Diod.  exe.  de  virt.  p.  579  [XXX  17j  Polyb.  fin.  »  Polyb.  XXXIX  18. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  421 

fautores  trucidat,  tantae  tandem  caedis  cum  ob  perpetuitatem  coneubi- 
nas  taedium  caperet,  qui  supererant,  ad  maiora  reservari  iubet  supplicia, 
Euergetes^  cum  immatura  regno  aetate  esset,  neque  ad  suam  quae  viri 
fiitura  erat  turpitudinem  ultimam  descendisse,  neque  si  descenderat  tanta 
in  rebus  administrandis  valere  eins  auctoritas  poterat,  ut  honesta  fratris 
conailia  perfrinp:eret  atque  conturbaret.  Sed  post  XV  vitae  annum,  cum 
celebratis  protoclisiis  sui  iuris  factus  a  regni  societate  non  posset  ultra 
removeri,  suae  naturae  totum  se  tradidisse  videtur. 

§  43. 

a.  c.  163  Philometoris  anno  XVII  Euergetae  VI,  non  ita  multo 

Ol.  154  1  post  Antiochi  Epip.hanis  mortem  usque  ad  eins  inter  fratres 
a!  p'  160  dissensio  erat  aucta,  ut  senatus  Roman us  Cd,  Octavio  lega- 
a.  s.  149  tisque  cum  eo  SjTiam  profectis  litteras  mitteret  xcel  rovg  iv 
Pt  %I^18  !AXt^av8QBi^  ßaaiXeig  Siakdaai  xarä  Svvccfiiv^.  Legati 
Pt.  VII  7  enim  Romani,  qui  pauUo  ante  Alexandriae  fuerant  versati, 
Ant.  V  2  ij  fere  ^d  senatum  rettulerant,  tantam  fuisse  in  Euergetam 
populi  invidiam  atque  indignationem,  ut  seditione  flagrantissima  orta 
sua  eum  auctoritate  servassent  atque  salutis  periculo  liberassent:  Sto 
xal  TcaQ  kXnlSa  xal  itaoaSö^cog  äeSofiivcov  avt(p  xöv  xarcc  Kvojjvrjv 
ngayfiÜTCDV  ä^fiivcog  äi^airo  xal  rrtpaytcjv  rfjLfj&Evrcov  xal  käßoi 
rovg  ÖQXovg  naQcc  täSekffov  xal  Soirj  nsQl  rovrov^  Frater  igitur 
maior,  ut  minorem  ex  invidiae  vicinitate  removeret,  Cyrenaicum  ei 
tradidit  regnum*. 

[73]  Sed  Euergetes,  cum  ipse  ut  frater  totius  regni  rex  fuisset,  non 
tantillum  tantum  regni  ad  se  pertinere  iudicans,  Cyprum  quoque  insu- 
lam  suae  dicioni  postulavit  addL  TJnde  inter  fratres  vehementem  ortam 
disceptationem  atque  invidiam  Cn.  Octavius  componere  mandatum  ut 
dixi  accepit.  Non  item  perfecit.  Nam  Euergetes  Ptolemaeo  Sympetesi^ 
rebus  praefecto  ä&ereTv  ßovXöfisvog  rov  yeyovöra  fABQKXfiöv  avrtß  nQÖg 
TOP  äSikcpöv  Romam  profectus  est*.  Tov  UroXsfiaiov ....  Tte^f^  Aubqxo- 
fiivov  elg  'PcjfjLtjv  kyvcÖQiirev  avrdv  6  JrjfjLi^TQiog  6  rov  JSeXevxoVf  xal 
x^'avfidaag  rb  nagaSo^ov^  kitoiriai  xi  ßaaiXix6v  xal  fiByalonQsnig 
Setyfia  rfjg  iavrov  TtgoaiQiaecog'  nagazQ^fia  yäq  nQOxeiQiaäfUvog 
ßamktxrjv  htr&fjra  xal  diüSr]fia,  !;r(>6g  Si  rovroig  xal  innov  noXvreXfj 
XQvaocpäXaQOv   fAerä   röv   iSioov   naiSmv   äTtfjVTrjirs   r(p  IlToXBfAa/G)^ 


*  Polyb.  XXXI  12,  14.  *  ib.  18,  5.  »  Sic  Graece  audit  [Pol. 

XXXI  27,  7];  JJBfindttjing  rectios  Letronnius  p.  488  scribi  iubet  quam  yeriu8:  et 
Petisidis  fifius  nt  JSiqiaag  in  laterc.  Erat.,  scrib.  2^g>&a^,  filias  Phthatis 
*  Polyb.  1.  c. 


422  I)e  Lagidarum  regno 

avfifii^ag  3i  airrtp  tf]g  nöiscjq  än6  Siaxoaioav  araSimv  xai  (pikoippö^ 
voog  äanacdfuvoq  nccQBxdXu  xoafiriOivta  roTq  rfjg  ßaaiXuccq  nuQctair 
fiotg  cc^lctv  iccvTOv  noii^aaa&ai  rrjv  eig  rijv  'P(6fif]v  etgoSoVy  ivcc  fii, 
TBlitog  evxara(pQ6vfiTog  elvai  Sö^ij'  6  3i  TlroX^iuxIog  tfjv  fUv  ^qo- 
&vfiiav  äneSi^arOf  xoaovrov  Si  äniaxs  rov  Si^aa&ai  vi  r&v  ätSo- 
fiipojVy  (Kare  xal  roi/  JfjfAi^rpiov  ij^matv  iv  rtvi  t&p  xarä  ri/v  6S6v 
nöXemv  xctrccfiaTvcei  xccl  rovg  nsgl  röv   'AqxIccv  fiev   avrod^. 

Romam  eodem  tempore  a  Philometore  misstis  Menyllus  Alaban- 
densis  Polybii  amioas*  venerat.  Ad  senatum  vocatus  Euergetes  ovx 
ixcav,  ait,  äkXa  xax  äväyxrjv  rc}  xuiQ(p  7teQiXf](p&€tg  Ttsnotfjxivcei  ro 
nQogTartöfievov  xal  naQSxdXBi  Trjv  avyxhjrov  fUQitrai  ri/V  Kimgov 
airt^'  xal  yaQ  xovxov  yevofjiivov  xaraSttariQav  ^siv  fisgtäa  rov  ctSa?,- 
(po€  nuQcc  noXv  .  .  .  !ff  trvyxXfjTog  äfia  fiiv  dgcdaa  rdv  fugtafiöp  &vi^ 
üQv  yeyovöra  teXicogy  &fia  Si  ßovXofUvt]  SibXbTv  rijv  ßaaiXeiav  npcty- 
fiarix&g,  airöv  alricov  yevofiivtov  r^^  Statgicscog,  avyxari&ero  toi>^ 
vnb  TOd  VBCorigov  naQaxaXovpiivoig  knl  t(p  (rtperigq}  avfKpeQovti  .... 
Ka&OQ&VTsg  rö  fUye&og  Tf}g  ^v  Alyvnrip  Svvatrreiag  xal  SsSiÖTsg^ 
äv  noTB  TVXV  'JtQoardroVj  fii]  fXBi^ov  (pQ0V7]erj  rov  xa&^xovrogj  xccri- 
(TTfjaav  nQBffßavräg  Tixov  ToQXOvärov  xal  Fvalov  MbqöXov  rovg 
xatd^ovrag  knl  T7jv  Kvitgov  rdv  UroXefiaTov  xal  raXeiciaovrag  äfia 
rijv  hcBiv(DV  xal  rijV  avz&v  nQÖ&eaiv.  Kai  nagaxQfjfia  rovrovg 
i^anioTSiXav,  SövrBg  ivtoXosg  SiaXvaai  rovg  äSeXq^ovg  xal  xaratrxev- 
d(Tai  T<p  vscjTiQcp  Tfjv  Kvngov  x^^Qh  noXifiov^, 

Quae  quo  tempore  sint  facta  non  diseiids  verbis  indicatur,  Sed 
Polybius  xarä  rdv  avxbv  xatQÖv  ait  de  Octavii  morte  nuntium  Bomam 
yenisse,  neque  ita  multo  post  navi  Cartbaginiensi  ieQaydyq)  Demetrium 
in  Asiam  rediisse®.  Sollemnem  Carthaginiensium  theoriam,  quae  Tyrum 
mittebatur,  Alexander  Magnus  urbe  [74]  expugnata  vidit  mense  Heca- 
tomb.^  Aliis  praeterea  documentis  Demetrium  vere  anni  162  in  Asiam 
rediisse  firmatur^^.  Primis  igitur  anni  162  mensibus  Romam  venit 
Euergetes.  Sed  quo  tempore  turbarum  initium  est?  Antiochus  IV 
mortuus  aestate  anni  164.  Quo  facto  Octavius  Asiam  missus  ficrd 
rtva  xQ^'^ov  reges  Ptolemaeos  inter  se  conciliare  iubetur.  Sed  post 
mandata  ad  Octavium  tradita  legatos  Romanos  Alexandriam  esse  missc»s 
haud  probabile  videtur.  Quinctius  igitur  atque  Canuleius,  antequam 
Octavius  mandata  nova  acceperat,  missi,  populi  turbis  compositis  de 
regno  dividendo  inter  fratres  pacem  conciliarant    Novissimum  imperii 


»  Diod.  exe.  de  virt.  583  [XXXI  18,  1],  •  Polyb.  XXXI  20,  8.  »  Polyb. 
XXXI  18.  8  Polyb.  XXXI  19,  1;  20,  11.  »  Arrian.  II  24.  "  Froehlich 
ad  h.  a. 


Ptoleinaeo  VI  Philometore  rege  423 

communis  fratribus  annum  Philometoris  XYII  Euergetae  VI  fuisse,  i.  e. 
Nab.  583  (ab  Oct.  165  ad  Oct.  164)  inter  chronographos  constat,  ab 
anno  XVIII  (ab  Oct  164)  Philometoris  est.  Annus  165/4  igitur  regum 
amboTum  integer,  hoc  anno  164/3  plebis  faror  erupit,  legatis  Romanis 
nescio  an  ob  eam  ipsam  rem  missis.  Eo  tempore,  fortasse  initio  anni 
1 63,  legatorum  auctoritate  Cyrenaicum  regnum  Euergetes  accipit.  Pax 
aliquamdiu  observatur;  sed  qua  pro  benignitate  sua  fratri  frater  cesserat, 
ea  regione  Euergetes  haud  contentus  Cyprum  insulam  postulat,  negat 
frater;  quam  litem  componere  iussus  Octavius  quo  tempore  Antiochiae 
interfectus  est,  eodem  Romam  Euergetes  venit  primis  anni  162  mensi- 
bus;  senatu  de  insula  tradenda  pollicito  primo  vere  eiusdem  anni  Cyp- 
rum profectus  'est 

Sunt  qui  Philometorem,  non  Euergetam  Bomam  venisse  dicant^^ 
Erroris  auctorem  Livii  epitomatorem  habent,  cuius  ad  librum  46  haec 
fere  yerba  sunt:  „Ptolemaeus  Aegypti  rex  a  minore  fratre  e  regno  pul- 
sus  missis  ad  eum  legatis  restitutus  est''.  Contra  scripsit  Champollio, 
qui  quantum  in  temporibus  bis  describendis  ut  fere  solet  erraverit^  non 
operae  pretium  est  illustrare.  Qui  Ptolemaeus  a  Gracchorum  matre 
repulsam  tulit,  non  dubium  est  quin  Euergetes  noster  fuerit,  id  quod 
nescio  an  eodem  hoc  tempore  sit  factum  ^^. 

§44. 

a.  c.  162  Euergetes  ubi  cum  legatis  profectus  Graeciam  intravit, 

Ol.  154  2  magnam  sibi  mercenariorum  vim  conduxit,  quorum  auxilio 
a!  P.  161  Cyprum  sibi  rindicaret  Sed  cum  Rhodum  ventum  esset, 
a.  s.  150  legati  mandatorum  memores,  ut  sine  armis  pacem  concili- 
Pt.%1 19  arent,  copiis  dimissis  Cypro  intacta  [75]  regem  Cyrenam 
Ft.  VII  8  traiicere  postulant;  se  Alexandriam  navigaturos,  fore  ut 
Dem.  1  fratrem  regem   ad  accipienda  senatus   decreta  componen- 

damque  cum  fratre  litem  adducerent  Euergetes  igitur  cum  Merula 
Cretam  abiit,  unde  mille  mercenariis  conductis  Libyam  petens  apud 
Apim  adpeUunt 

Torquatus  contra  cum  Alexandriam  venisset  et  quae  a  senatu 
promissa  essent  communicasset,  a  rege  ita  productae  de  pace  actiones 
sunt,  ut  Euergetes,  qui  a  legatis  iussus  ad  Apim  cum  Cretensibus  suis 
tenderet,  ubi  cum  Torquato  fratrem  exspectaret,  nihil  de  pace  secum 
fuisse  actum  aegerrime  ferens,  primum  Alexandriam  Merulam  mitteret, 
tanquam  per  hunc  et  Torquatum  quod  cuperet  esset  eflFecturus.    Sed 


"  Sic  Vaillant  p.  96  Rollin  bist  ant.  IH  889  Eckhel  IV  16  Thrige  p.  246. 
"  Plut.  Ti.  Gracch.  1. 


424  De  Lagidarum  regno 

cum  id  quoque  consilium  eundem  exitum  haberet  nullam,  iamqae  p<^ 
missum  Merulam  XL  praeteriissent  dies,  neque  nuntius  interiin  ollus 
veniret,  de  summa  rerum  rex  dubitare  atque  desperare  coepii  Miris 
enim  blanditiis  Philometor  legatos  sibi  ita  conciliarat  {k^iSaxaccto),  ut 
invitos  magis  quam  Yolentes  detineret. 

Cyrenenses  interim  rex  a  se  defecisse  nuntium  accepit;  dvitates 
ceteras  cum  iis  couiunctas  esse,  ne  Ptolemaeum  quidem  Sympetesin 
in  fide  permanere,  sub  armis  exercitum  haben,  cum  Oraecis  facere 
Libyas;  ab  omnibus  non  regem  exspectari,  sed  tyrannum  reformidari. 
Veritus  rex,  ne  dum  Cyprum  aflfectaret  vel  Cyrenen  amitteret,  ceteris 
rebus  omnibus  insuper  habitis  CjTenam  revertitur,  Libybusque  qui  circa 
Catabathmum  Magnum  fauces  occuparant  victis,  Mocbyrinum  ubi  ven- 
tum  est,  cum  aciem  eduxissent  Cyrenenses  peditum  ad  YUI  mUia 
equitesque  quingentos,  proelio  commisso  superatus  est 

Eodem  tempore  Merula  ex  Alexandria  ad  regem  rediit:  nihil  eorum 
quae  a  fratre  fuissent  postulata  impetrari  potuisse,  quod  iis  diceret 
standum  esse  pactis,  quae  ab  initio  essent  facta.  Cum  Merula  igitur 
Bomam  rex  misit  Comanum  et  Ptolemaeum  fratres,  qui  Philometoris 
iniuriam  ad  senatum  referrent  Etiam  T.  Torquatus  re  infecta  Romam 
rediit,  quo  facto  Menyllum  Philometor  legatum  misit  suaeque  rei  defen- 
sorem.  Qui  cum  in  senatum  vocati  essent,  longa  inter  ipsos  alterca- 
tione  habita,  cum  alter  alteri  conviciis  os  verberasset,  quia  Titius  et 
Gnaeus  suo  testimonio  iunioris  causam  sublevabant,  senatus  Menyllum 
iussit  ante  diem  quintum  ürbe  excedere  foedusque  cum  Philome- 
tor e  tolli;  ad  Euergetam  legatos  missurum,  qui  illud  patrum  decre- 
tum  adferrent  P.  Apustius  et  C.  Lentulus  extemplo  profecti  decreta 
ad  regem  pertulere,  qui  hoc  nuntio  inaQ&eig  Bv&ifDg  k^svolöyBi  xal 
ratg  inißo)s,aig  öXog  xal  näg  Hjv  ntQi  Tf]v  KvnQOv^, 

[76]  Quibus  rebus  anni  162  reliqua  pars  expleta  videtur,  ut  quam 
expeditionem  Euergetes  pararet  anni  161  vere  facturus  esset. 

§45. 

O.  Ch.  158  0  TtgeaßvTSQog  UTolBfiaTog  raxv  Stä  tä  fUy^&og 

a.  1.  155,  2  Ttjg  GTQaxtüg  av/xkaiaag  rbv  äSaXtpöv  Big  noXiogxiav 

a  P    165  (Lapethi,  Cypri  oppido^)  xal  nsiQav  naarjg  änootag  kaßeip 

u.  s.   154  &vayxdaag  knaveXe(T&et  fiiv  ccvvdv  ovx  kröXfifiarav,    äfia 

Pt^v/23  ^^^  ^'^  ^'^^  /(Jiyrrrdriyra  xal  Siä  ro  rfjg  (fv(T6(og  rrvyyt- 

(Ft.  VII 12)  vig,  äfia  Si  xal  Siä  rbv  &n6  'Po}fjiaicov  tpößov  (Twex(&Qr](TB 

Dem.  5  g^   aiztp   TtjV   äacpaXBiav   xal    avv&ijxag   knoitjaaro, 

»  Polyb.  XXXI  26-28  XXXII  1\ 
^  Polyb.  XXXIX  18,  6. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  425 

xud^  &Q  iSBi  t)]v  KvQijVfjv  ü^ovra  xbv  vb(At6qov  tiSoxuv  xal  cixov 
nkfj&OQ  TUXTov  Xafißüvsiv  xar  ivtccvröv  xal  rä  xcträ  rovq  ßccatk^Tq 
elq  noXkijv  dXloTQioTtjTcc  xal  xivSvvovq  äTtrjXmtrfUvovg  nQoaxO'ivxa 
nccQaSö^ov  xal  (fiXav&Qt&nov  (rvklv(TB(oq  ärv^sK 

Haec  in  Diodori  fragmentis  post  Orophernae  ad  Demetrium  le^n- 
tur  missionem,  quam  initio  anni  158  faisse  constat  Euergetes  igitur 
seditione  Cyrenensinm  post  dadem  illam  nescio  quo  modo  sedata^ 
bellum  quod  hieme  161  senatus  Homani  decreto  nora  spe  auctus  prae- 
pararat,  per  triennium  ut  videtur  continuatum  cum  tam  diuturna  La- 
pethi  obsidione,  ut  neTgav  Ttäfrrjg  änoQiaq  kaßatv  coactus  esset,  susti- 
nuisset,  pace  finivit  ea,  ut  Philometori  insula  cederet,  Cy reuen  contra 
Libyamque  obtineret^  ad  quam  paeem  firmandam  fratris  ipsi  filia  sponsa 
est*.  Champollio  Cypri  oppida  nonnuUa  Euergetae  fuisse  tradita  nescio 
quo  auctore  narrat. 

Quam  Philometoris  filiam  pace  158  facta  non  tantum  sponsam 
esse,  sed  nupsisse  Euergetae,  „maximus  ille  regis  filius",  de  quo  lustinus 
mentionem  facit  [XXXVIII  8,  12]  probare  videtur;  ut  neque  Euergetae 
nxor  prima  Cleopatra  illa  soror  germana,  fratris  vidua,  quam  anno  145 
duxit,  sed  secunda  esset,  neque  Fhilometor  ex  eadem  Cleopatra  duas 
t^uitum  haberet  filias  Cleopatram  Syriae  regibus  ductam  et  Coccen 
Cleopatram,  non  multo  post  144^  Euergetae  uxorem,  sed  tertiam  [76] 
eamque  natu  maximam,  anno  158  avunculo  sponsam.  Nuptias  anno 
1 55/4  celebratas  esse  infra  probabimus,  quo  tempore  XII  ad  minimum 
annos  puella  habebat,  nata  igitur  anno  168,  anno  post  anacleteria  al- 
tere; anno  169,  quo  celebrata  sunt  anacleteria,  pater  Cleopatram  habebat 
vel  potius  duxit  uxorem.  Consentaneum  esse  videatur,  quo  die  anacleteria, 
eodem  nuptias  factas  esse,  cuius  geminatae  celebrationis  in  memoriam^ 
haec  templi  Parembolitani  inscriptio  dedicata  fuerit  [C.I.  Gr.  III  4979]: 
VTCBQ  ßaaiXicoq  ÜToXtfiaiov  xal  ßatxthaatjg  KXeonäTQag  rijg  ßatXiXimg 
4ide?^q>fjg  xal  yvvaixog  d'ecjv  (piXofi7]TÖQ(ov  ^laiSi  xal  ^SaganiSi  xal 
roTg  (Tvvväoig  &BoTg,  quam  inscriptionem  non  multo  post  nuptias  factas 
scriptam  esse  formula  xal  rcuv  rexvcov  omissa  indicatur.     Letronnius 


*  Diod.  XXXI  33  Liv.  ep.  47  Euaeb.  68  [ed.  Schoene  p.  164]  Syncell.  226  ed. 
Yen.  [p.  538  Bonn.]  *  Ad  hanc^seditionem  Niebuhrius  et  Thrigens  Polyaeni  (VIII 
e.  70)  referunt  narrationem,  Lycopnm  Aetolum  a  CjTenenBibus  ducem  faisse  accitum 
eiqne  snmmam  remm  permissam;  pugnantibus  viris  valla  mulieres  munivisse  etc. 
Lycopnm  autem  yiris  ad  intemecionem  caesis  tyrannidem  occnpasse  et  in  mu- 
lieres maledicta  in  se  coniicientes  saevisse,  has  vero  sua  sponte  mortem  oppetivisse. 
*  Polyb.  XXXIX  18.  *  Letronnius  p.  128  recte  dicit  ante  140.  Pap.  Berol.  ench.  45 
ita  incipit:  anno  29  (142/1)  regis  Euergetae  f.  Ptol.  atque  Cleopatrae  reginae  atque 
Cleopatrae  Euergetae  fratris  filiae^. 


426  De  Lftgidarum  regno 

Champollioque  et  nuptias  et  templi  dedicationem  anno  163  adsGribnn^ 
anno  169  regem  connubio  immaturam  foisse;  sed  XYIU  asnos  nati 
praeter  Philometorem  pater  eins  Epiphanes  necnon  Soter  secnndus 
confecerunt^  Philometor  igitur  anno  169  com  anadeteriis  celebrant 
nuptias,  anno  168  ex  uxore  sorore  germana  suscepit  filiam,  anno  138 
fratri  regi  eam  spopondit,  anno  155/4  Tirgo  patruo  nupsit 

§46. 

a.  c.  154  Karä  tovg  xaigoig,  xa&*  oifg  k^BTiBfiyjev  4}  cvyxXfj- 

Ol.  156  2  -pQQ  -pffy  'Omfjuov  consulem  knl  rdv  r&v  'O^vßifov  nd},^- 
a.  P.  169  M®^>  */^*  TlrokBfKxtog  6  vedfTBQog  slg  rijv  *P(6fjif]Vj 
a.  S.  158  xal  nag6X&d}v  slg  rijv  (TvyxXrjtov  l^ioisiTO  xartiyooiap 
Pt  *^vi  27  räS^hpov  tpigfov  vrjv  ahiav  rfig  inißovXijg  kn  hcatvov 
(Pt.  VII16)  äfia  dk  rag  kx  r&v  TQccviMxrfov  ovXccg  vnb  rijp  öxpiv  deix- 
D«m.  9  j,^g  ^^j  j,^j^  Xotnijv  StivoXoyiav  äx6Xov&ov  rovroig  Siari- 

&efjiBvog,  k^exaXBtro  rovg  äv&Qcinovg  TtQÖg  iXsov.  ^Hxov  8i  xai  nccQu 
Tov  nQBaßvriQOv  nghaßtigj  ol  negl  zöv  NtoXatSav  xccl  IAvSqöiucxov 
aTtokoyovfjLBVoi  nQog  rag  vno  rädeXcfov  yevofuvceg  xarfiyogiag*  cjv 
ij  avyxXfixog  oiS  ävixBrr&ai  dixatoXoyovfüvajv  i]ßovh)&f],  nQOxcnu- 
Xt]fjLfiivfj  raig  irnö  tov  VBCotkQOV  StaßoXaig'  äXXa  rovroig  fUv  inava- 
yeiv  kx  rTjg  'Pdfitjg  nQoaira^tv  i|  avrijg.  Tcp  Si  veoDriQq}  nivxB  nota- 
/^«rrag  xaraariiaaaa  rovg  negl  Fvalov  MsgöXav  xal  Aei*xtov  0igfiov 
xai  ntvrtiQti  Sovaa  r&v  TtgBaßevr&v  ixü<nq)  rovroig  fuv  nagt'fyyBiXs 
xaräyBiV  üroXBfiaTov  Big  KvnQov  roig  Sh  xurä  ri^v  'EX)ji3a  xal  r^v 
I4aiuv  avfifiüxoig  iy^axpav  i^Bivcci  avfingärrBiv  rm  JUroXBfiaiqt  rä 
xarä  rrjv  xa&oSov\ 

Ex  hac  Euergetae  xu&6S<p  a  senatu  iussa  coUigi  potest  insulam 
quamcunque  ob  causam  Philometorem  fratri  dono  dedisse;  opportunis- 
mum  eins  munificentiae  [78]  tempus  filiae  cum  Euergeta  nuptiae  pote- 
rant  praebere.  Insula  dotis  nomine  accepta  turbae  adversus  ncvurn 
regem  eumque  crudelissimum  ortae  erant,  quarum  auctorem  Philome- 
torem extorris  iactitabat  Demetrius  autem  Syriae  rex  Archiae  Cypri 
praefecto*  pollicitus  erat  ngorBivBiv  q!  rdXavrcc  naQaxonQiiaavri  rfig 
Kvngov  xal  räXXa  awaxoXovß-riaovra  XvairBXfj  xal  rifita  nag'  airrov 
(TVVBmSBixvvBiv  itQoaBVByxafAivq)  rtjv  ;^()«/av  rtxvrtjv.  !Agx''w  ßovXö- 
fiBvog  nQoSoOvai  rijV  Kvtiqov  rip  Jr]fA7]rQi(p  xal  qxoQa&Big  xal  Big  xpi- 
Giv  üx&Big  Xaßd)v  ix  rfjg  naQanBnBraafüvTjg  avXaiag  xaXdSiov  iccvrop 

*  Letronne  129. 

^  Polyb.  XXXIU  8.  '  Idem  videtur,  quicum  Euergetes  T^™am  pro- 

fectuB  erat  anno  162;  v.  §  48  \ 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  427 

änexQBfiaatv^.  Haec  fortasse  seditionis  ansa;  qua  facta  Euergetes  de 
Cjpri  poesessione  desperans  supplex  Romam  ut  solebat  ^  venit  et  qnod 
yoluerat  nactus  cum  Y  navibos  Bomanis  profectus  est. 

Neque  qui  ftierit  ülius  expeditionis  exitus,  neque  an  bellum  novum 
inter  firatres  conflatom  sit,  neque  apud  utrum  postea  insulae  imperium 
fuerit  traditum  est  Sed  ex  rerum  extemarum  tunc  temporis  statu  id 
saltem  sequitur,  ut  paullo  post  res  compositae  faerint.  Nam  Demetrius 
rex  tantam  sibi  hominum  invidiam  conflaverat,  ut  Syris  haud  invitis 
Alexander  Balas,  qui  Antiochi  Epipbanis  filius  dioebatur,  cum  Lao- 
dice  Antiochi  filia  et  cum  Heraclide  rhetore  Romam  profectus  regnum 
patemum  ut  senatus  sibi  restitueret  postularet  Comiter  a  Bomanis 
exceptusy  ope  recuperando  regno  promissa,  redux  Ptolemaidam  venerat 
bellumque  ad  versus  Demetrium  incepit  adiuvantibus  Ptolemaeo  rege 
Aegypti  et  Attalo  et  Ariarathe^  Non  cum  Alexandro  stetisset  Philo- 
metor,  populi  Romani  beneficiario,  si  contra  Euergetam  Romanorumque 
decreta  pugnandum  erat;  pace  contra  facta  cum  socio  populi  Romani 
facere  debebat,  quam  pacem  nonnisi  iis  Romanos  condicionibus  puto 
dedisse,  ob  quas  neglectas  amicitiam  regi  renuntiarant;  Cypro  itaque 
fratri  cessisse  videtur  Philometor. 

§47. 

a.  Ch.  150  Alexander  Balas  potissimum  lonathae  Maccabaei  ponti- 

oi.  157  2  ficis  auxilio  [79]  pugna  adversus  Demetrium  commissa  vic- 
a  P.  173  ^^  omnium  consensu  Syriae  rex  Demetrio  interfecto  decla- 
a.  s.  162  ratus  Ptolemaeo  filiam  secundam  nuptum  sibi  dari  deposcit. 
Pt^v/si  ^^  ^^^  lubenter  annuisset  Ptolemaeus  Ptolemaidam  pro- 
fectus Cleopatram  filiam  regi  in  matrimonium  dedit 
tanta  auri  argen tique  copia,  quanta  regem  decebat,  in  dotem  addita^. 
In  altero  Maccabaeorum  libro  factum  id  narratur  anno  162  a.  Seleuc. 
lud.,  qui  est  annus  lul.  a  vere  151  ad  ver  150.  Nummi  habentur 
signati  LBEP  l  e.  162  a.  Sei.  Syr.  addito  Demetrii  nomine,  cui  regi 
aliquid  anni  162  (ab  autumno  151 — 150)  fuisse  vides;  pugna  igitur 
illa  post  autumnum  151  pugnata  nuptiae  hieme  150  celebratae  sunt 


»  Polyb.  XXXni  5.  *  Athen.  XIV  c.  70  el  S"  6  nQoeiQtjfiepog  ßaadevc, 

inquit,  xal  xb  lav  Torcuycuy  nX^&og  scoQaxei  Tay  xatä  jijv  'JPcjfirjy,  xaxanetpevfBi  av 
inl  xrjv  iegav  aviptXrjtovy  dtg  vnb  tov  icÖeXqiOv  naXtv  Tr\g  ßaaiXelag  i^eXrjXafidvog. 
Quem  locum  Champollio  errore  satis  ridicnlo  ex  Euergetae  commentariis  repe- 
titum  esse  et  regem  iterum  Romain  profectum  indicare  putat.  Euer^tae 
enpediam  consaetndinemque  fere  solemnem  Romam  fagiendi  ridet  Athenaeus. 
*  lustin.  XXXV  1  Liv.  ep.  52. 

^  loseph.  XIII  4,  1  Maccab.  I  10,  51  sqq. 


428  -      De  Lagidarum  regno 

Eodem  fere  tempore  Oniae  pontifioi  in  Aegypto  exulanti  concee- 
sum  a  rege  est  rb  iv  AeovronöXsi  rod  'H}.tono)Jtov  Ugbv  TtQogayopsvö' 
fiBvov  Ti]g  ayQiaQ  BovßdarBcogj  qnod  ad  normam  templi  Hierosölymi- 
tani  ornaretur  riteque  levitis  et  sacerdotibus  curaretar*.  Doctores 
Talmudici  Onram  illum  Simonis  lusti  filium  nominant,  ob  quam  cau- 
sam sunt  qui  dno  ludaeorum  templa  in  Aegypto  foisse  putent'.  Cau- 
sam illam  celeberrimam  inter  Samaritanos  lüdaeosque  Alexandriae 
degentes,  utroram  in  patria  templum  iuxta  Mosis  praeoepta  esset  ex- 
structum,  a  Ptolemaeo  rege  symbuliaque  amicorum  oognitam  esse  lose- 
phus  narrat.  Cui  losepho  si  fides  haberi  potest,  omnino  summa  ludaeo- 
rum apud  Philometorem  Cleopatramque  erat  auctoritas:  rrjv  ßaatlBteeif 
ölfjv  rijv  iavT&v  ^lovSaiotg  knttrravaav  xccl  (ngccTfiyot  7ra<rf]g  Ti}g 
SvväfiBcog  liaav  'Ovtag  xat  Joai&eog  lovSatot^\ 

§48. 

Alexander  rex  sua  luxuria  Ammoniique,  hominis  sibi  gratiosissimi, 
crudelitate  lantam  sibi  inter  Syros  conflaverat  invidiam,  ut  Demetrius 
Demetrii  regis  filius,  qui  Cretae  exsulabat,  in  patriam  redire  patriumque 
regnum  armorum  vi  sibi  restituere  aüderet.  Alexander  Syria  inferiore 
ApoUonio  praefecto  tradita  Antiochiam  rediit,  ut  antequam  Demetrius 
adveniret,  rem  suam  quantum  posset  firmaret 

Quamquam  auctores  veteres  de  legitimo  Alexandri  regno  deque 
origine  vere  [80]  regia  inter  se  dissentiunt,  regem  ipsum  suae  rei  non 
multum  tribuisse  ex  iis  appareat,  quae  postquam  Demetrius  Demetrii 
filius  suo  iure  magis  suaque  apud  Syros  exspectatione  quam  copiarum 
Cretensium,  quas  secum  habebat,  auxilio  fisus  ad  regnum  suum  recupe- 
randum  in  patriam  rediit,  ab  Alexandro  Ammonioque  inita  sunt  con- 
silia.  ApoUonius  enim  Coelesyriae  praefectus  haud  iniussu  regis  lona- 
tham  pontificem  yirum  integrum  regique  fidelissimum  ad  bellum 
proTocavit,  scilicet  ne  regi  fraudatori  candidissimi  viri  amicitia  olim 
pemiciosior  esset  quam  belli  discrimen,  quam  hostis  strenuitas  pericu- 
losior.  ApoUonio  victo  maiorem  lonathae  rex  simulabat  amicitiam; 
quam  ut  probaret,  monile  summi  apud  regem  honoris  Signum  misit 
non  parvae  regionis  imperio  addito. 

Sub  idem  fere  tempus  Ptolemaeus  Philometor  rex  cum  opem 
Alexandro  genero  terra  marique  laturus  Syriam  intrasset,  ab  omnibus 
quae  in  itinere  sunt  civitatibus  deinceps  ab  Alexandro  iussis  magnificen- 
tissime  exceptus,   ubi  Ptolemaidam  ventum  est,  insidias  sibi  (eodem 

'  loseph.  1.  c.  '  Seiden   de  snccess.   in  pontif.  1,  8;   errorem  eins 

refutavit  Campeius  Vitringa  ad  ledaiam  XIX  p.  779.  ^  loseph.  et  Ap.  II  5. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  429 

Alexandro  auctore)  per  Ammonium  structas  esse  certior  factüs,  insidia- 
torem  supplicio  tradi  litteris  poposcit  Alexander  vero  caeco  erga  ho- 
minem  amore  oaptns  recnsaylt.  Quo  nnntio  allato  legatos  Ftolemaeus 
ad  Demetrium  nuttit;  amicum  se  Uli  fore  et  soclum,  filiam  modo  ab 
Alexandri  toro  revocatam  ei  uxorem  daturum,  patris  filio  regnum  resti- 
tuturum.  Demetrius  societatem  laetus,  laetior  nuptias  amplectitur.  Antio- 
chenses  novis  Alexandri  Ammoniique  facinoribus  magis  exacerbati  quam 
iniuriarum  a  Demetrii  patre  sibi  illatarum  memores,  a  Ptolemaeo  iussi 
urbe  eiecerunt  Alexandrum.  Ipsum  Ftolemaeum  una  Toce  populusque 
et  exercitus  enuntiant  regem;  qui  adolescens  suo  privatus  diademate 
ad  Syri  regis  fidem  confugerat  supplex,  Syrorum  nunc  diadema  suo 
saperinligat  nummosque  cudi  iubet  suaque  et  Seleucidarum  aquilis  sig- 
natos.  Sed  iustus  ut  erat  ac  probus  idemque  prudens,  quominus  sua 
Victoria  suoque  fortunae  augmento  Bomanos  novis  victoriis  novaque 
superbia  auetos  ad  certamen  iniquum  provocare  videretur,  cum  adoles- 
centem  videret  tristem  deque  rebus  omnibus  desperantem  civibus  in 
contionem  vocatis  populo  regem,  regi  populum  reddit  Demetrio 
Philadelpho  Nicatori  deo. 

a.  c.  145  Alexander  qui  Antiochia  eiectus  in  Ciliciam  profugerat, 

Ol.  158  4  cum  de  rebus  iis  certior  factus  magna  cum  manu  in  Sy- 
a!  P.  178  ^*^  ingressus  Urbis  agrum  incendiis  rapinisque  vastasset, 
a.  s.  167  Ptolemaeus  et  Demetrius  acie  educta  magno  proelio  facto 
pt^/sö  victores  evadunt.  Sed  in  medio  proelii  ardore  contigerat, 
ut  cum  Ptolemaeum  equus  barritu  elephantis  audito  [81] 
dorso  excussum  prosterneret,  hostes  impetum  factitantes  vulneribus 
capiti  inflictis  ad  salutis  eum  periculum  adducerent,  Semianimis  ex 
campo  domum  vectus  per  totos  quattuor  dies  neque  locutus  rex  est 
neque  audivit  quicquam;  quinta  luce  orta,  pauUulum  a  vulneribus  re- 
creatus  videbatur,  cum  a  Zabelo  Arabum  dynasta.  ad  quem  profugus 
Alexander  venerat,  abscissum  victi  caput  missum  est.  Quod  ubi  vidit 
Philometor  obiit^ 

§49. 

Sic  losephus  rem  nescio  an  ad  nimiam  quandam  erga  ludaeorum 
fautorem  benevolentiam  quam  ad  veritatem  accommodatius  narrat.  Haud 
eadem  est  in  Maccabaeorum  libris  narratio.  Ptolemaeum  non  opem 
Alexandro  laturum,  sed  Syriam  sibi  vindicaturum  et  löyotg  sioijvixoi^ 


'  loseph.  1.  c.  Liy.  ep.  52.  [Pugna  illa  commissa  est  ad  Oenoparam 
flumen  Strabo  XVI  p.  751  ed.  C.  Eandem  rem  narrat  Stepb.  Byz.  v.  Mco&cb,  sed 
nominibus  valde  atque  falsissime  mutatis;  cf.  Macc.  I  11,  17.] 


430  I^e  Lagidarum  regno 

venisse;  in  oppidis,  quae  ab  Alexandro  iossa  eum  excepissent,  praesidiis 
relictis  totaque  Syriae  ora  subiecta  atriusque  regni  diademate  omatum 
Demetrio  filiam  dedisse  uxorem  etc^;  mortaom  Polybius  Aegypti  Sy- 
riaeque  regem  dicit\ 

Temporum  discriptio  haec  fere  est.  Toti  XXXY  anni  Philometori 
adscribuntur 'y  primus  emm  eins  annus  nuncupatur  aprimoTkoth  568 
a.  Nab.  (8.  Oct.  181),  ultimns  in  regum  perpetuitate  est  a  pnmo  Thoth 
602  (29.  Sept.  147),  nam  inde  a  primo  Thoth  603  (29.  Sept  146)  quan- 
quam  snperstes  est  Philometor  nomenqae  actis  pablicis  signandis  prae- 
bet,  in  regum  oanone  universalique  computatione  Euergetae  primus  vel 
potius  XXV  est.  Dum  hoc  XXXVI  regni  anno  Philometor  superstes 
est,  eins  nomine  papyri  signantur,  quorum  novissimus  est  anni  XXXYI 
Pharmuthi  18  i.  e.  12.  lun.  145;  inter  quam  diem  et  27.  Sept.  145 
mortuus  est  rex,  nam  ab  28.  Sept.  145  11  vel  potius  XXVI  Euei^tae 
annus  est  Inter  Alexandri  nummos  Tyrius  est  signatus  L^|^  L  e. 
166  a.  Sei,  qui  est  annus  ab  autamno  147 — 146;  accedit  losephi  testi- 
monium^,  Alexandri  Y  annos  regnum  fuisse,  i.  e.  ab  autumno  151  ad  au- 
tumnum  147  atque  ulterius.'  Nummus  ille,  quo  tempore  Alexander  Tymm 
habuit,  cusus  et  (nam  pauUo  post  Tyrii  nummi  geminata  aquila  signati 
sunt),  neque  post  autumnum  146  eins  regnum  desiit.  Philometor  igitur 
primo  vere  anno  146  profectus,  Syriae  ora  brevi  subiecta,  Antiochiae 
rex  Yocatus  est  (aut  146).  [82]  Alexander  multis  copüs  conductis  (au- 
tumno 146  hieme  145)  Syriam  ingressus  denuo  superatus  est  (rere  145) 
paucis  diebus  ante  Philometoris  mortem.  De  Demetrii  reditu  ex  Greta 
Alexander  nuntium  acceperat  anno  165  a.  Sei.  Macab.^;  qui  est  annus 
a  yere  148  ad  ver  147. 

§50. 

Ptolemaeus  Philometor  Syriae  Aegyptique  rex,  quadragesimo  tertio 
vitae  anno,  tricesimo  sexto  regni,  pro  adolescentiae  iniurüs  ab  Antiocho 
Epiphane  acceptis  Alexandrum  filium  ultus  rebus  clarissimis  gestis 
supremum  diem  obiit  rege  post  eum  nuUo,  qui  maiorum  nomine 
gloriaque  dignus  esset,  futuro.  Polybii  haec  sunt  de  rege  sibi  amico 
verba:  Jlrolefiatog  6  r^g  2vQiaq  ßatrtXsvg  xccrä  rbv  nöXefiov  nXrr 
yetg  krelsvTTjas  t6v  ßiov  xarä  füv  rtvag  fieydXcov  inaivtov  Teat 
TifiTjg  &v  ä^iog,  xurä  Si  rivag  roivavrlov*  ÜQ^og  fUv  yag  fjp  xai 
XQf]f^TÖgy  sl  xat  Ttg  äXkog  rSv  nQoytyovÖToav  ßamiAcjv  (TtjfjLBTov  Si 
TOVTOv  fiiyi(TT0V  6g  TtQßiTOV  füv  ovSiva  r&v  iavrov  (pthov  kn  oi- 
Sevl  r&v  kyxkrjfiärcav  kTtaveiXero'  Soxcj  Sk  fjLtjdk  r&v  ülhov  'Ai^av- 

^  Macc.  I  11.  '  Praeter  cfaronographos  v.  latercalum  in  pap.  Taiir.  I 

5,  30.  >  loseph.  XIII  4,  9.  *  loeeph.  1.  c  Maccab.  I  10,  67. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  481 

Soiojv  firjSiva  8i  kxelvov  äno&avsiv  änstrcc  Sö^ag  henBcrsTv  än6  rij^ 
ccQxfig  vn6  räSskcpod,  t6  fih  nQörov  kv  'AXe^avSQti^  kccßojv  xcct 
avTOi)  xaiQov  dfjioloyovfuvov  äfivijmxäxfjTOv  knoiriaaxo  rijv  äfiag- 
xlav*  fjLsrä  Si  ravra  ndXiv  knißovXBvaavrog  ry  Kvnpq)  xvQioq  yevö- 
fAevoQ  iv  AaiiijO-q)  rod  adfAarog  ä^a  xal  rflg  ipvxfjg  ccvrov^  roaovrov 
üniax^  rov  xoXä^uv  ibg  kx^Q^v^  &aT6  xal  SooQBag  nQoai&rjxe  nagä 
rag  JiQÖrspov  imaQXOvaag  avrtp  xarä  (ruv&i^xag  xal  rr^v  &vyaTiQa 
SfAaetv  imiaxBTO.  Karä  fUvrot  y%  rag  inirvxiag  xal  xaroQ&CJCTBig 
i^BkvBTO  Tjj  rfJvx^j  xal  T/g  olov  äatorla  xal  pa&v/iia  nagl  airdv 
Alyvmtaxrj  (Twißaiw  xal  xarä  rorg  roiavrag  Sia&iaeig  elg  ns^inB- 
reiag  kvimnrev. 


[Ad  eam  libelli  parüculam  (p.  1 — 33),  quam  scriptor  post  examen  ,^zimia  cum 
laude"  superatum  ordini  philosophorum  traditam  edidit,  addidit  quae  aequuntur.] 

Hanc  libelli  mei  partem  cum  post  decimmn  qnartum  diem  quam 
prelo  subiecti  typis  exscriptam  accepissem,  ne  pars  altera  eaque  multo 
maior  me  in  longiDqunm  tempus  excudenda  extraheret,  ab  amplissimo 
philosophorum  ordine,  ut  hoc  scriptionis  meae  specimine  proposito  al- 
mae  huius  aniversitatis  professores  comilitonesqne  disputationi  soUemni 
die  XXXI  Aug.  de  thesibus  infra  adscriptis  habendae  Interessent,  invi- 
tare  humanissime  mihi  concessum  est 

Scribebam  Berolini  die  XXVII  Aug.  MDCCCXXXL 


Theses  controyersae 

Opponentibus 

Alberto  Heydemann,  praec.  reg,  in  gym.  Frid.  Guil. 
Ludovico  Kufahl,  phil,  dr.  in  hac  univ.  lii  priv.  doc. 
Guilelmo  Amadeo  Arendt,  licent.  s.  s.  theol. 

1.  Siglum  L  non  est  Xvxäßavrog, 

2.  A  dodrina  Cknstiana  Oraecarum  quam  Ittdaeorum  religio  propius  ahest 

3.  Ouria  parium  a  verae  libericUis  natura  abhorret. 

4.  Goniunge  et  impera. 

5.  Anima  non  immortalis. 

6.  Chpiae  perpetuae  tyrannidis  documentum. 

7.  Cardnorum  famüia  fuü  tragicorum, 

8.  Alexander  euo  iure  deus  a  Graeois  vocatus. 

9.  Nosirae  aetati  pro  humanitate  eruditio. 


432  1^0  Lagidjurum  regno 

Vitae  cumculum 

Natus  Treptoviae  ad  Regam  anno  h.  s.  YIII  patre  Johanne  Drojsen 
pastore  illius  oppidi  primario  atqne  snperintendente,  matre  Friederica  e 
gente  Casteniana^  puer  scholam  Treptoviensem,  qnae  in  Bagenhagenii 
conditoris  memoria  gloriatnr,  ita  jfrequentavi,  utXII  annos  natns  gymnasii 
Sedinensis  inter  discipulos  reciperer.  Decursis  gymnasii  spatüs  vere  anni 
h.  s.  XXVI  Berolinnm  me  contuli  atqne  academicomm  Friedericae 
Guilelmae  civium  nnmero  adscriptns  snm  A.  Boeckhio  rectore  magni- 
fico;  in  amplissimi  philosophomm  ordinis  albnm  insripsit  decanas 
illnstris  Toelken.  Frequentavi  scholas  Boeckhii,  Hegelü,  Lachmanni, 
a  Raumeri,  Wilkenii,  Boppii,  C.  Ritteri,  Gansii,  H.  Ritteri,  Neandri, 
Stuhrii,  Bernhardii,  LaDgei,  Leonis,  alioram.  Inprimis  Boeckhio,  qui 
eximia  me  nt  excepit  ita  prosecutus  est  humanitate,  cnm  alia  plurinia 
accepta  refero,  tum  locnm  in  seminario  regio  philologico.  Studiis  aea- 
demicis  finitis,  qunm  unum  annum  cum  dimidio  in  gymnasüs,  quae 
Lycophaeum  Berolinense  et  Friderico-Werderianura  vocantur,  scholas 
publicas  habuissem,  in  Berolinensi  illo  gjmnasio  coUaboratoris  mihi 
munus  delatum  est 


Anmerkangen 

von  U.  Wileken. 

Die  vorstehende  Jugendarbeit  Droysens  ist  durch  die  methodische  Anordnung 
und  Verarbeitung  des  Stoffes  sowie  durch  die  FüUe  anregender  Gedanken  auch 
heute  noch,  nach  mehr  als  sechzig  Jahren ,  zum  Ausgangspunkt  für  eine 
weitere  Behandlung  des  Themas  geeignet,  wenn  auch  die  Detailfragen  durch 
das  neu  hinzugekommene  Material  mehrfach  eine  abweichende  Beantwortung  ge- 
funden haben.  Die  folgenden  Hinweise  auf  die  moderne  Litteratur  erstreben  keine 
Vollständigkeit,  sondern  wollen  nur  das  Wiederaufnehmen  der  hier  angeregten 
Fragen  erleichtem.  Nur  an  einigen  von  den  Stellen,  die  zum  Widerspruch  an- 
regten, habe  ich,  einer  freundlichen  Aufforderung  folgend,  es  gewagt,  selbst 
Hand  anzulegen,  um  die  Fragen  wenn  auch  nicht  zu  lösen,  so  doch  weiter 
zu  führen.  Hier  bleibt  noch  viel  Arbeit  zu  thun;  die  Greschichte  der  Ptoiemfier 
ist  noch  ungeschrieben. 

S.  355.  a)  Gegen  diese  Auffassung  von  Äißvri  (wiederholt  im  Hellenism.  HI 
348)  mit  Recht  Franz  C.  I.  Gr.  III  S.  282.  Wftre  Droysens  Auffassung  richtig, 
80  wäre  auch  die  Erwähnung  von  ÄQaßia  zu  erwarten. 

b)  Antiochos  I.  regierte  nicht  von  279,  sondern  von  281  an. 

c)  Vgl.  Droysen  Hellenism.  III  1.  271,  1.  Wahrscheinlich  ist  „Arsinoe^^  bei 
lustin  XXVI  8  statt  „Apama"  nur  eine  der  zahlreichen  Namensverwechselungen 
dieses  Autors  (vgl.  XXVII  3  Eumenes  von  Bitbynien  statt  Attalos  von  Pergamon). 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  433 

S.  356.  a)  Über  die  Regierangszeit  des  Magas  und  die  daran  anschließen- 
den Fragen  vgl.  Vahlen,  Sitzungsb.  d.  Pr.  Akad.  1888  LH  1380  ff. 

b)  Über  die  Oasen  vgl.  Amelineau  La  gSograpkte  de  TEgypie  ä  Vepoque 
eopte  1893  S.  289  ff.  (danach  besser  OV^g  11611X6  oder  ouah  pemdje).  Vgl. 
auch  H.  Brugsch  Reise  nach  der  großen  Oase  el-Khargeh  1878,  G.  Rohlfs  Ex- 
pedition zur  Erforschung  der  libyschen  Wüste  1876. 

S.  357.  a)  Über  den  Dodekaschoenos  vgl.  Wilcken  Hermes  XXIII  595,  3. 
Dieses  Tempelgut  der  Isis  von  Philae  hat  nach  den  hieroglyphischen  Denk- 
mälern schon  seit  Philadelphos'  Zeiten  (mit  Unterbrechungen)  den  Ptolemäern 
gehört.  Aus  Lepsius'  ,,Denkmälem  aus  Ägypten  und  Nubien^^  ergeben  sich 
folgende  Daten:  IV  6:  Philadelphos  in  Philae.  IV  12:  Euergetes  I  in  Philae. 
IV  17c:  Philopator  in  Dakkeh  (=  Pselkis).  IV  18:  Epiphanes  mit  Kleopatra 
und  einem  Sohn  (also  nach  193  v.  Chr.)  in  Philae.  IV  23  ff.:  Philometor  in 
Philae.  IV  27:  Philometor,  im  24.  Jahre  seiner  Regierung  =  158/7  v.  Chr.  die 
Schenkung  der  „12  Meilen  im  Westen,  12  Meilen  im  Osten,  in  Summa  24  Meilen'', 
d.  h.  des  Dodekaschoenos  erneuernd. 

b)  Bemerkenswert  Griech.  Urk.  Berl.  Mus.  I  15  Col.  II,  1:  Gxq{atriYou) 
'JEniu  yo^tüy  xal  Jiqaiyotiov  x^Q*'^  Avnaeag. 

c)  Letronne  Reeueil  des  ivscr.  gr,  et  lat  I  10  ff.  C.  I.  Gr.  III  4979.  Die 
von  Droysen  im  Text  acceptierte  Berechnung  der  Hochzeit  des  Philometor 
und  der  Kleopatra  wird  durch  eine  neuerdings  vom  Berliner  Museum  erworbene 
Inschrift  umgestoßen  (F.  Krebs  Nachricht,  v.  d.  Kgl.  Ges.  d.W.  z.  Götting.  1892 
No.  15  S.  536  ff.),  die  die  Weihung  eines  Chrcmatistenkollegiums  des  8.  und 
9.  Jahres  des  Philometor  (174/3,  173/2)  an  Philometor  und  Kleopatra  enthält. 
An  sich  ist  ohne  Zweifel  am  wahrscheinlichsten,  daß  die  Inschrift  wenn  nicht 
im  9.,  so  spätestens  im  10.  Jahre  gesetzt  ist.  Dann  fiele  die  Hochzeit  spätestens 
in  die  Zeit  vom  5.  Okt.  172  bis  4.  Okt.  171.  Zu  der  Frage,  ob  die  Inschrift 
nach  einem  längeren  Intervall  nach  der  Amtsniederlegung  gesetzt  sein  kann, 
vgl.  Anmerk.  a  zu  S.  425. 

S.  3ö9.  a)  Die  moderne  Forschung  giebt  Mannert  Recht.  Vgl.  Ed.  Meyer 
Geschichte  d.  Altertums  I  S.  134. 

b)  Zur  nabatäischen  Geschichte  vgl.  jetzt  Schiirer  Geschichte  d.  jüd.  Volkes  I 
S.  609. 

S.  360.  a)  Es  ist  ein  Lapsus  memoriae,  wenn  Droysen  den  Antiochos 
nach  der  Schlacht  am  Panion  (198)  gegen  Achaios  ziehen  läßt,  der  schon  seit 
ca.  214/3  tot  war.    Er  meint  den  Zug  nach  der  Schlacht  bei  Raphia  (217). 

b)  Droysen  vertritt  hier  und  im  folgenden  eine  auch  heute  noch  weit  ver- 
breitete (z.  B.  Holm  Griech.  Gesch.  IV),  aber  irrige  Ansicht,  wenn  er  glaubt, 
daß  Antiochos  der  Große  wirklich  Koelesyrien  etc.  selbst,  und  nicht  nur  die 
Gefälle  eines  Teiles  der  darin  liegenden  Städte  der  Kleopatra  als  Mitgift  ge- 
geben habe.  Vgl.  Joseph,  ant.  XII  154  ff.,  wo  die  Art  und  Weise  des  nnqnxwqtlif 
duich  das  nachfolgende  diaiqe&ivittiv  bU  ti^cpoiSQOvg  —  (poQav  genauer  charak- 
terisiert wird.  Daß  die  ägyptischen  Diplomaten  zwanzig  Jahre  später  die  von 
Droysen  vorgetragene  Ansicht  vertraten,  kann  nicht  maßgebend  sein.  Die  rich- 
tige Auffassung  bei  Stark,  Gaza  S.  426.  Mommsen  RG  I®  724,  1.  A.  v.  Gutschmid 
bei  Sharpe,  Gesch.  Ägyptens  2.  Aufl.  253,  1.  Vgl.  meine  Antiochosartikel  bei 
Pauly-Wissowa.  Die  Beantwortung  dieser  Frage  ist  entscheidend  für  die  ganze 
Beurteilung  der  von  Droysen  hier  behandelten  Periode. 

Droysen,  Kl.  Schriften  II.  28 


434  I^e  Lagidaram  regno 

8.  362.    a)  Vgl.  dazu  Treuber,  Gesch.  d.  Lykier  1887  S.  150. 

b)  C.  I.  Gr.  U  3595  =  Dittenberg.  Syllog.  156.  IMe  Auffassang  Droyaens 
(wiederholt  im  ,,Hellenism."  lU  1.  267 ,  vgl.  KL  Sehr.  I  320  ff.)  ist  mit  Boeckh 
und  Dittenberger  aufzugeben,  und  das  ddelq»/)  der  sigeiachen  Inschrift  als  wirk- 
liche Schwester  zu  deuten.  Doch  wird  man  jetzt,  wo  wir  aus  einem  babylonischen 
Keilschrifttezt  (Keilschr.  Bibl.  III  2.  136  ff.)  wissen,  daß  Stratonike  noch  268  v.  Chr. 
am  Leben  war,  nicht  mehr  annehmen  können,  daß  A.  diese  Schwester  erst  nach 
dem  Tode  der  Stratonike  geheiratet  habe,  zumal  dann  die  sigeische  Inschrift 
jünger  als  268  sein  müßte.  Antiochos  wird  sie  vielmehr  als  zweite  Gemahlin 
neben  der  Stratonike  gehabt  haben.  Vgl.  Antiochos  I  bei  Pauly-Wissowa. 
Bis  jetzt  ist  kein  Beispiel  bekannt,  daß  eine  syrische  Königin  titular  als  aStlq  f] 
bezeichnet  sei. 

c)  Diese  irrtümliche  Auffassung,  daß  Laodike  (die  Gemahlin  Antiochos'  II) 
eine  Tochter  des  Achaios,  und  nicht  vielmehr  des  Königs  eigene  Schwester  gewesen 
sei,  hat  im  „Hellenismus"  viel  Verwirrung  gemacht.  Die  Angabe  Polyfins  VIII 
50  hat  ihre  Bestätigung  gefimden  durch  die  Inschrift  im  Bullet  de  corr.  hell. 
IX  327,  XIII  527.  Vgl.  Th.  Reinach  Trois  royaunies  dAsie  mineure  S.  206, 
auch  meine  Artikel  über  Antiochos  II  und  Achaios  bei  Pauly-Wissowa. 

S.  363.  a)  Von  Coelesyriam  bis  Palaestina  ist  nach  der  Anmerkung  b 
zu  S.  360  zu  streichen. 

b)  Zu  diesem  Kapitel  ist  im  allgemeinen  zu  vergleichen  Droysen  Helle- 
nismus in  3B->62. 

8.  364.     a)  Greek  Papyr.  Brit  Mus.  1893  S.  46  ff. 

S.  365.  a)  Zur  Kastenfrage  vgl.  A.  Wiedemann  les  castes  en  Egypie  {Le 
Museon  1886). 

b)  Vgl.  Wilcken  Hermes  XXII  1  ff. 

c)  Vgl.  Masp^io  Recueil  des  travaux  rel.  ä  la  phiL  egypt  VI  S.  1  ff. 

S.  366.  a)  Zum  Serapiskult  vgl  Plew  de  Sarapide  Königsb.  1868,  Krall 
Tacitus  und  der  Orient,  Wien  1880. 

S.  367.  a)  Ganz  neues  Licht  auf  diese  inneren  Aufst&nde  zur  Zeit  des 
Epipbanes  hat  £ug.  Revillout  geworfen  durch  seine  Entdeckung,  daß  damals  in 
der  Thebais  einheimische  Könige  viele  Jahre  hindurch  regiert  haben.  Vgl. 
Revillout  Revue  arch^olog.  1877*;  Chresiomath,  dhnot  1880.  p.  LXXXVI  ff. 
Brugsch,  Zeitschr.  f.  äg.  Spr.  1878  S.  43  ff.  Revillout,  ebenda  1879,  131.  Danach 
hat  damals  ein  König  Harmachis  mindestens  4  Jahre,  und  ein  König  Anchtu 
mindestens  14  Jahre  als  Gegenkönig  in  OberSgypten  regiert 

b)  Über  die  Ptolemäer  in  der  einheimischen  (hieroglyphischen  resp.  demo- 
tischen) Litteratur  vgl.  u.  a.  Lepsius,  das  Königsbuch  d.  alten  Ägypter  1858. 
Taf.  LI  ff.  —  Derselbe,  Denkmäler  aus  Ägypten  und  Nubien  IV  Taf.  1 — 68,  — 
Derselbe,  Über  einige  Ergebnisse  der  Sgyptischep  Denkmäler  für  die  Kenntnis 
der  Ptolemäergeschichte  (Abhandl.  d.  Pr.  Akad.  d.W.  1852.  S.  455  f.).  —  H.  Brugsch, 
Thesaurus  inscriptionum  aegyptiacarum  V  1891  (auch  die  anderen  Bände  sind  zu 
vergleichen).  —  Eug.  Revillout,  Chrestomatie  d^motique  und  Nouvelle  Chrest. 
d^mot.  —  Dümichen,  Zeitschr.  f.  fig.  Sprache  und  Altertumskunde  I8T0,  S.  1  ff. 

S.  369.  a)  ÄQxeöeocTQog,  Vgl.  Lumbroso  Beekerches  sur  Veccmom,  polit  de 
l Egypie  sous  les  Lag,  S.  205/6.  b)  Oiroz6oi,  Lumbroso  Eeeh.  211.  c)  Vgl. 
Lumbroso  VEgitto  al  tempo  dei  Oreci  e  dei  Born,  S.  72,  3.  d)  Zv^f^vBi^. 
Vgl.  Lumbroso  Rech,  189  ff.  e)  ÄQxta(*ifinTo<jpvlaxeg.  Vgl.  Lumbroso  Beck,  191. 
f)  <f>«;.o^.    Vgl.  Lumbroso  Beck.  191  ff.    g)  Jtaöoxot.    Vgl.  Lumbroso  Beck.  195  ff. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  435 

S.  371«  a)  Diese  Inschrift  hat  zu  verschiedenen  Ansichten  Aber  die  grie- 
chischen Städte  in  Ägypten  geführt.  Vgl.  Lumbroso  rJEgitio  S.  74  ff.  Wilcken 
Observationes  ad  bist.  Ag.  17  ff.    Mommsen  RG.  V  557. 

b)  Lies  durchgehends  choachytae  statt  cholchytae.  Vgl.  Lnmbr.  Beck.  186  ff. 
Wolff,  de  causa  Eenniana  S.  12  ff. 

S.  372.  a)  Ober  die  Stellung  der  Ägypter  zu  den  Griechen  vgl.  Lumbroso 
VEgitto  64  ff.    Mommsen  RG.  V  560  ff. 

b)  In  Hieroglyphen  geschrieben  begegnet  Alexandrien  in  dem  Dekret  der 
Priester  von'  Bato  zu  Ehren  des  Satrapen  Ptolemaios  vom  J.  311  als  „die 
Festung  Alezanders  am  Ufer  des  ionischen  Meeres,  vormals  Rakotis".  Vgl. 
Brugsch  Zeitschr.  f.  ftg.  Spr.  1871.  S.  2,  vgl.  Droysen,  Hellenism.  II  2.  69  ff. 
Nach  Strab.  XVII  p.  792  war  Rakotis  in  früheren  Zeiten  eine  Station  der  Phy- 
lakiten  gewesen  (nicht  eine  griech.  Niederlassung,  wie  Schwarz,  N.  Jahrb.  f.  Phil. 
1894.  180  interpretiert). 

c)  Zu  den  Demen  und  Phylen  Alexandriens  vgl.  Lumbr.  VEgitto  S.  72,  2. 
Bemerkenswert  ist  die  auf  griechische  Ansiedler  (im  III.  Jahrb.  v.  Ohr.)  ange- 
wendete Formel  ot  ovttöj  inijYfisyoi  Big  drjfiovj  die  in  den  Flinders  Petrie  Papyri 
mehrftich  begegnet.  Vgl.  Mahafiy  I  Nr.  XXVII  Z.  5:  . .  t^;  ini^oy^g  rCjy  ovno) 
enjjYfilevay  eic  Ö]rjijioy  .  .  .  (wie  sich  durch  Zusammensetzung  von  8  +  2  ergiebt). 
Vgl.  ebenda  S.  49,  1,  8:  ÄXe^aydqevg  tüv  oi^oi  [dirrjYfiByiay  eig  d^fiov], 

S.  878.  a)  Alabarch.  Vgl.  Schürer  Zeitschr.  f.  wiss.  Theol.  1875  S.  13  ff. 
Derselbe,  Gesch.  d.  jüd.  Volk.  II  S.  540. 

b)  Diese  lientificierung  von  Hermupolis  mit  Ptolemais  Hermeiu  hat 
Droysen  Hellenism.  III  1  44,  3  mit  Recht  aufgegeben.  Die  Inschrift  spricht 
von  Hermupolis  magna  in  der  Heptanomis. 

c)  Diese  Veimutung  Droysens  hat  ihre  Bestätigung  gefunden  durch  die 
Inschrift  C.  I.  Gr.  III  4925.    Vgl.  Droysen  Hellenism.  IH  1  44,  3. 

d)  Philos  Angabe  ist  durch  eine  alexandrinische  Inschrift  bestätigt  worden. 
Vgl.  Lumbroso  VEgitto  135. 

S«  37I:.  a)  Auf  den  Münzen  Navx^ugy  nicht  NavxQttTUrjg.  Vgl.  „Naucratis" 
(Egypt  Explor.  Fund)  I  63:  rj  noUg  i)  Navxqaxi^Cty]. 

b)  Auf  die  Anftnge  von  Arsino^-Krokodilopolis  werfen  die  Flinders  Petrie 
Papyri  neues  Licht  (Mahafiy  a.  a.  0.).  Bemerkenswert  ist,  daß  danach  nicht 
die  Metropolis,  sondern  der  Gau  nach  Arsinoä  II  umgenannt  wurde.  Die 
Stadt  heißt  in  diesen  Texten  aus  der  Zeit  des  Philadelphos  und  Euergetes  I: 
fj  KQoxoÖBiXav  noXig  jov  Jigaiyotiov  vofdov.  Dem  entsprechend  heißt  sie  später 
korrekt  nicht  Arsinoe,  sondern  ^  ray  ÄQffiyoittiv  noXigy  d.  h.  die  Stadt  der 
arainoitischen  Gaubewohner.  Da  der  Gau  des  Suchos  (des  Krokodils)  durch  die 
Umnennung  zum  Gau  der  ArsinoS,  Arsino€  mit  anderen  Worten  Gaugöttin 
wurde,  so  wurde  sie  im  Kult,  um  den  Ägyptern  die  Veränderung  zu  erleichtem, 
neben  Suchos  gesetzt  Vgl.  Mahaff^r  I  Nr.  XXV  2,  1 :  icgeig  tov  2kn>xov  xal  rrjg 
0daddXg)ov,  —  Vgl.  zur  Geschichte  Arsinoes  auch  meine  Ausführungen  in 
Zeitschr.  d.  Gesell,  f.  Erdkund.  1887  S.  26  ff. 

c)  Vgl.  Anmerk.  a  zu  S.  359. 

8,  375.    a)  Vgl.  Lumbroso  Ree/i.  224—234. 

b)  Die  Zeugenunterschrift  im  Pap.  Leyd.  0. 1.  30:  ot  l{  Maxsdoyeg  (bisher 
fölschlich  Ol  ei  fiaQivQsg  gelesen)  ist  durch  den  Vergleich  mit  den  16  Ägyptern, 
die  unter  anderen  Kontrakten  begegnen,  auch  für  die  Stellung  der  Makedonier 
nicht  ohne  Interesse. 

28* 


436        .  De  Lagidaram  regno 

c)  Die  Beziehung  von  xatoiKoi  aof  die  Thraker  und  von  iniforoi  auf  die 
Galater  tri£Et  nicht  zu.  Polybios  anterscheidet  die  Th.  und  Gr.,  die  schon  seit 
längerer  Zeit  im  Lande  angesiedelt  waren  {xaroutoi),  resp.  deren  Nachkommen 
waren  {ini^ovoi\  von  denjenigen  Th.  und  G.,  die  erst  oben  dem  Heere  zugefilgt 
sind.  Auch  auf  die  xaroutoi  und  ini^ovoi  haben  die  Flinders  Petrie  Papyri  neues 
Licht  geworfen  (vgl.  Mahafij  I  18  ff.).  Die  richtige  Deutung  dieser  Begriffe  hat 
zuerst  Reuvens  Lettrea  III  18  ff.  aufgestellt  Auch  Droysen  S.  877  hat  Letronne 
gegenüber  die  xaroixoc  richtig  bestimmt.    Vgl.  Lumbroso  Rech.  225,  VEgitto  77  ff. 

S.  377«  a)  Vgl.  vorige  Anmerkung,  b)  jifoqavofiog  ieyixog.  Vgl.  Pap. 
Taur.  VIII.    Dazu  Peyron  U  50  ff. 

S.  379.  a)  Gegen  Droysens  Auffassung  der  Phylakiten  vgl.  Lumbr.  Reck.  249. 
b)  Vgl.  Lumbr.  Rech.  238. 

S.  380.    a)  Appian  Praef.  10.    Vgl.  Droysen  Hellenism.  in  1  52,  2. 

b)  Vgl.  Parthey,  Zur  Erdkunde  der  alten  Ägypter  (Abb.  Pr.  Akad.  1S5T). 
Ders.,  Ägypten  beim  Geographen  von  Ravenna  (Abb.  Pr.  Akad.  1858). 

c)  Es  ist  bisher  überhaupt  nicht  erwiesen  (wenn  auch  allgemein  ange- 
nommen), daß  es  zur  Ptolemäerzeit  schon  eine  Heptanomis  gegeben  hat. 

d)  Lies  naQalrjfintrjg  [t^^]  e.  &.  statt  naqaXiav  t.  e.  &.  (C.  I.  Gr.  5075). 

S.  381.  a)  Droysen  hat  Recht  mit  dieser  Scheidung.  Zur  Entstehung  des 
perithebischen  Gaues  vgl.  meine  Ausführungen  in  den  „Aktenstücken  aus  d. 
Kgl.  Bank  z.  Theben"  S.  33,  2  (Abh.  Pr.  Akad.  1886). 

S.  382.  a)  Gegenüber  der  weit  verbreiteten  irrigen  Ansicht  (vgl.  auch 
Mommsen  RG.  V  558,  2),  daß  die  bekannten  Noirosmünzen  aus  der  Kaiserzeit 
(vgl.  Stuart  Poole  Cat  of  the  coins  of  Alex,  and  the  nomes  1892)  auf  ein  damalB 
verliehenes  Prägerecht  der  Gaue  schließen  ließen,  sei  auf  die  Ausfuhrungen  von 
Pick  Zeitschr.  f.  Num.  XIV  304  ff.  verwiesen.    Die  Nomen  haben  niemals  geprSgt. 

b)  Zur  Einteilung  der  Gaue  vgl.  meine  Ausführungen  in  Observat.  ad 
bist.  Äg.  S.  20  ff.  (Bestätigung  in  „Aktenst  aus  d.  Kgl.  Bank"  etc.  S.  34). 

c)  Vgl.  Parthey  a.  a.  0.  Die  neueren  Papyruspublikationen  (Berlin,  Paris, 
London)  haben  massenweise  neue  Dorfnamen  gebracht. 

d)  Lies:  ITfi[o]vxe(üg.  e)  Lies:  HtjivTioaQ.  f)  Lies:  TaßcU  xal  Hqoirov  'Ißiavo;. 
g)  Die  hier  genannten  totioi  haben  mit  den  Toparchien  nichts  zu  schaffen. 

h)  Peyron  a.  a.  O.  citiert  Mumienetiquette  (vgl.  Le  Blant  Tablai  egyp- 
tiennes  in  Rev.  Arch^olog.  1874/5,  Nr.  49  und  59). 

i)  Die  Zois-Papyri  neu  ediert  von  Wessely  XI  Jahresber.  Franz-Jos.-Gyin. 
Wien  1885  S.  15. 

8.  383.  a)  Greek  Papyri  in  the  Brit.  Mus.  1893  S.  46,  22  ff.  Kenjon 
liest  0QexaYi]To[v]. 

b)  Lies:  IIveq>BqüHxog). 

c)  Diese  Deutung  ist  nicht  richtig.  Der  Zusammenhang  ist  6icfii(fteTQi}xev] 
. .  .  vnßQ  Tov  Tonov  Bienchis,  der  Sohn  des  P. 

d)  Diese  Vermutung  hat  sich  durch  die  vervolbtändigte  Kopie  der  Infichrift 
(C.  I.  Gr.  III  add.  4933)  bestätigt    Sie  ist  vom  14.  Jahre  des  Augustus  datiert. 

e)  Zu  UioviBi  in  Pap.  Beri.  88  vgl.  Band  I  S.  386. 

S.  384.  a)  In  der  großen  Inschrift  von  Assuan  begegnet  der  Titel  in 
umgekehrter  Ordnung,  Z.  49:  üxqaxrjfm  xal  iniatQaii^'jrai  i^ig  S[T^ßat^oi^.  Vgl- 
Beri.  philol.  Wochenschr.  1888  1262  ff. 

S.  885.   a)  Zu  den  Chrematisten  vgl.  Lumbroso  Rech.  183  ff.  Mitteis  Beichs- 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  43  7 

recht  und  Volksrecht  S.  48.  Die  aus  der  Zeit  des  Philometor  stammende  Inschrift 
bei  Krebs,  Gott.  Nachr.  1892  S.  536  ff.  zeigt  das  vollständige  Personal  eines  solchen 
Gerichtshofes:  3  Richter,  1  eigaf (Of&vgj  1  ^^/i/iarei^C;  1  V7triqixj}g.  Für  das  3.  Jahrh. 
vor  Chr.  werden  die  Chrematisten  durch  einige  Flinders  Petrie  Papyri  bezeugt 
(Mahafff  II  20,  123,  124).  Sehr  wichtig  ist  der  hierfür  bisher  nicht  verwertete 
Turiner  Papyrus  XIII,  der  nach  meiner  AufPassung  nichts  anderes  als  eine  Ent- 
scheidung der  Chrematisten  enthält.  Z.  4  ff.  ist  nämlich  zu  lesen  (vgl.  außer  Peyron 
auch  Revillout  Rev,  EgypU  11  124  ff.):  /^i/juauarori  xSiv  rag  ßatTÜLmac'  Äki^avdqog 
....  *irQaxX8tdt]g  .  .  .  2ki}YBvi]g  .  .  .  (NB.  3  Richter)  [o]i  t«  ßaaiXuta  xal  ngogodixa 
xai  idiciiixa  xqivoviBg  (vgL  Mahaffy  II  123:  xfäv  ta  nqogninxovja  XQivopxcjy  XQW^' 
TKTxaiy),    Unterschrift:  Ji   eigotY(a(Y8tog)  Ji^xefiidiJQOv  xxL 

b)  Pap.  Lejd.  G  17  ed.  Leemans.  Dieser  Epistolograph  hat  allerdings  mit 
den  Epistrategien  nichts  zu  thun.  Er  ist,  wie  schon  Reuvens  Lettres  III  45  be- 
merkt, der  Epistolograph  des  Königs. 

c)  Zum  Strategen  vgl.  Lumbroso  Rec?i,  260  ff.  Wilcken  Hermes  XXVII 
S.  287  ff.  Philologus  LIII  1894  S.  80  ff.  Es  ist  sehr  bemerkenswert,  daß  nach  den 
Flinders  Petrie  Papyri  die  Strategen  schon  im  3.  Jahrh.  vor  Chr.  als  Civilbeamte 
mit  Jurisdiktion  und  Polizeigewalt  erscheinen.  Vgl.  die  an  Strategen  gerichteten 
Klageschriften  Mahafiy  II  S.  2,  28,  31  Nr.  2  und  3,  dazu  S.  31  Nr.  2,  6:  rr/i/ 
VTta^ovaap  fioi  x[aT]  avxov  enl  vov  (seil,  xov  ar^ari/^oD)  kqUhv,  S.  31  Nr.  3 
und  111,  2  b  soll  der  Strateg  die  Untersuchung  an  den  imaxaxijg  weitergeben. 
Vgl.  auch  S.  55,  12  ff.  Der  einzige  militärische  Stratege,  der  hier  begegnet 
ist  ein  Expeditionschef,  der  zur  Elephantenjagd  entsendet  wird  (S.  135,  18).  Vgl. 
die  in  Anmerkung  d  zu  S.  392  mitgeteilte  Inschrift. 

S.  386.  a)  Der  Berliner  Papyrus  2394/5  ist  adressiert  an  einen  Apollonios 
xtjv  6uoTlfiO)v  xoig  [(rvYYev8](nv  x(al)  crxQaxrjYm, 

b)  Droysens  Widerspruch  gegen  die  Identität  des  Nomarchen  und  des 
Strategen,  der  von  den  Späteren  wenig  beachtet  worden  ist  (vgl.  Lumbroso, 
Kuhn,  Marquardt),  findet  durch  die  Flinders  Petrie  Papyri  (3.  Jahrh.  v.  Chr.) 
seine  volle  Bestätigung.  Vgl.  Mahaffy  II  S.  68,  3:  xop  voiiaqxri^  fisxa  xov  axQoi- 
xrifov.  Die  Nomarchen  erscheinen  hier  als  Verwaltungsbeamte,  denen  u.  a.  die 
Pflege  der  Landwirtschaft  (S.  105),  die  Schutzarbeiten  gegen  die  Überschwemmung 
(S.  22,  1.  138,  a)  u.  s.  w.  oblag.  Für  ihre  Rangstufe  innerhalb  der  Bureaukratie 
vgl.  S.  138  a.  Während  die  Strategen  hier  regelmäßig  C^riechen  sind,  finden  sich 
unter  den  Nomarchen  auch  vereinzelt  Ägypter  (S.  105  Jififxdjvio;,  125  xrjg  Ä/oX- 

c)  Zum  Nomarchen  der  Kaiserzeit  vgl.  meine  Observationes  etc.  p.  14. 
Hartel  Die  Griech.  Papyri  Erzh.  Rain.  S.  63.    Viereck  Hermes  XXVII  524  ff, 

d)  Zum  Epistates  vgl.  Lumbroso  Rech,  252.  Ein  bisher  unbekannter 
griechischer  Gerichtshof  begegnet  in  den  Flinders  Petrie  Papyri  aus  der  Zeit 
des  Euergetes  I,  der  der  dixatrxai  unter  Vorsitz  des  ngoeögog.  VgL  Mahafiy  I 
S.  75,  76  und  meine  Bemerkungen  dazu  in  den  Ädd.  et  Corr, 

e)  Nach  meiner  am  Original  vorgenommen  Ordnung  der  Fragmente  lautet 
der  Text  unter  Benutzung  von  Droysens  Ausfährungen:  "Exovg  vß  [Ädi)\q  g 
feTTt  IIxoXB^aLo]v  Tuv  gjlXiüv  xai  [mnaQxov  iii  «i'^^di»'  xai  \  int(Txui[ov  xov  Ha&v- 
gixov  av]y7iaQ6yx(üP  xxX, 

S.  387.    a)  Dieser  Ansicht  neigt  mit  Recht  auch  Franz  C.  I.  Gr.  III  289  a  zu. 

b)  Baa,  fq.    Vgl.  Lumbroso  Rech.  S:  343.     Über  seine  Thätigkeit  bei  den 

Kgl.  Auktionen  vgl.  meine  „Aktenstücke  aus  der  Kgl.  Bank  v.  Theben"  a.  a.  0. 


438  ^^  Lagidarum  regno 

c)  Agoranomos.  Vgl.  LumbroBO  Reck,  S.  246  ff.  Wessely  Mitt.  Pap.  Erz. 
Bai.  y  88  ff.    d)  Franz  a.  a.  0.  ergänzt  ^iorcrn;^  statt  intfnoloffqttfpog. 

8.  Ö88.  a)  Pap.  Paris.  Nr.  7,  1  ff.  {NoU  et  Extr.  d.  Mss,  XVIII  2).  b)  Pap. 
Paris.    Nr.  5,  4. 

8«  889.  a)  Drojsens  Auffassung  wird  bestätigt  durch  die  folgenden  Worte, 
mit  denen  Strabo  auf  die  in  Frage  stehende  Stelle  zurückverweist  (p.  798):  TrfV 
(ley  noliv  diarafavTec  dtg  emoy. 

b)  Vgl.  Lumbroso  Reeh.  239.  Droysens  Beschränkung  der  Thätigkeit  des 
Thebarchen  auf  Theben  selbst  steht  mit  dem  neuen  Material,  das  die  „Aktenst. 
aus  d.  Kgl.  Bank'*  hierzu  liefern,  in  Einklang.  Hier  begegnet  mehrfach  der 
öittdexojiiBvog  t«  xara  xrjv  xhjßaQx^oiv,  d.  h.  der  Stellvertreter  des  Thebarchen 
(vgl.  Hermes  XXIII  598  ff.).  Derselbe  leitet  die  Versteigerung  von  Grundstöcken 
in  DiospoKs  und  weist  die  Kgl.  Kasse  daselbst  zur  Auszahlung  an. .  Ein  noch 
unpublicierter  Papyrus  derselben  Serie  zeigt  den  Thebarchen  im  geschäftlichen 
Verkehr  mit  den  Priestern  des  thebanischen  Gottes  Amonrasonther. 

c)  Diese  Ethnarchen  der  Komen  hat  schon  Droysen  selbst  im  Hellenismus 
in  1.  40,  3  gestrichen. 

d)  Zu  den  Toparchen  vgl.  Observationes  etc.  p.  24  ff.  Ich  habe  schon  im 
Hermes  XXVII  299,  6  darauf  hingewiesen,  daß  die  a.  a.  0.  angefahrten  Toparchien 
nicht  in  den  Arsino'itischen,  sondern  den  Herakleopolitischen  Gau  gehören.  Nach 
den  von  Hartel,  Pap.  Erz.  Rain.  68  ff.  und  Wessely,  Mitt  P.  E.  R.  V  105  ff.  ge- 
gebenen Beispielen  scheinen  die  Toparchien  viel^h  mit  den  Agoranomie- 
bezirken  zusammenzufallen.  Vgl.  z.  B.  die  nfoqiayofiia)  Ileql  noUiv)  bei  Hartel 
S.  65  und  die  ronaqx'^  ÜBql  noXt^v  Observ.  S.  25.  Vgl.  auch  Pap.  Leyd.  N  5 : 
T^  aYOQavofiiqi  xmv  Me{^voveiü)v)  xal  tijg  xa[j](o  T[o]naQx^9  "f^ov  Hadvqixov. 

e)  Die  Inschrift  C.  I.  Gr.  III  4898  ist  datiert  vom  12.  J.  des  Auletes,  wie 
schon  Letronne  Recherehes  S.  136  ff.  erkannt  hat. 

8.  390.  a)  Vgl.  Letronne  Lettre  ä  Mr.  Ptisealacquay  in  Not.  et  Extr.  des 
Mss.  XVIII  2.  S.  400  ff.  (Auszug  aus:  Passalacqua  Catalogtie  raisonni  et  kisf. 
Paris  1826.)    Letronne  liest  richtig  IIbxovovqi.v  statt  Hetoaigiy. 

8«  39J  •  a)  Zu  den  Laokriten  vgl.  Lumbroso  Reeh.  S.  257.  Mitteil.  a.  a.  0. 
S.  47  ff.  Zu  dem  Bechtsdualismus  vgl.  auch  Wessely  Studien  über  d.  Verhältnis 
d.  griecb.  z.  äg.  Recht  i.  Lagidenreich  (Sitzungsb.  K.  Akad.  d.  W.  Wien,  phil- 
hist.  Kl.  CXXIV  1891  IX).  E  Revillout  Les  obligations  en  droit  Egyptim. 
Paris  1886. 

8.  392.    a)  Über  die  Staatsausgaben  vgl.  Lumbroso  Rech.  S.  275  ff. 

b)  Über  die  Staatseinnahmen  vgl.  Lumbroso  Rech.  S.  284  ff. 

c)  ^juiy  ist  Straße.    Vgl.  Sturz  de  dial.  Mac.  S.  29,  7  etc. 

d)  Zur  Elephantenjagd  vgl.  Lumbroso  ÄecÄ.  145  ff,  The  Store-city  ofPitham 
{Egypt  Explorai.  Fund)  ed.  Naville  1885  S.  18  (ans  der  Zeit  des  PhiladelphosX 
Mahafiy  Flind.  Petr.  Pap.  II  S.  135.  Die  bisher  noch  unpublicierte  Lichas- 
Inschrift  sei  hier  mitgeteilt:  (1)  Bacikei  Urolefiftliai  xal  (2)  SaatUiratji  ÄQtrwofft 
&eoig  (8)  0do7ittiOQ(Tt  xal  ^QÜniöi  xal  (4)  *Taidi  Äi/ag  Hvqqov  Äxaqrav  (5) 
(rTQaTTjtjrbg  anoarctielg  (6)  tnl  ir/y  Srjqav  libv  ile(f.at^)i(ay  xb  devzeqov.  Vgl.  hierzu 
meine  Ausführungen  Archäol.  Anzeiger  1889  8.  44. 

8.  893.  a)  Für  die  Steuern  verweise  ich  auf  meine  demnächst  erschei- 
nenden  „Griech.  Ostraka  aus  Ägypten  und  Nubien^^ 

b)  Zum  relBaxixov  vgl.  Hermes  XXIII  595,  1.  Zur  avkXrjy/ig  eig  xi^v  vavteiar 
vgl.  C.  Wachsmuth  Rhein.  Mus.  XXX  S.  448. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  439 

c)  In  den  Ostraka  begegnet  mehrfach  die  jeTotgirj  uXieup,  An  diese  ist 
a.  a.  0.  eher  zu  denken  als  an  die  von  Lnmbroso  Reeh,  S.  806  herangezogene 
(am  Roten  Meer  erhobene)  lera^rj;  raty  eigipe^ofievcov  q)OQTUov  des  Peripl.  mar. 
Erythr.  p.  19  (wofür  mit  Hirschfeld  R.  V.  G.  S.  20,  2  überdies  vielleicht  lerrce- 
Qaxoart}  zu  lesen  sein  wird). 

d)  Pap.  Paris.  67.    Vgl.  Revillout  Revue  Egypt  III  114ff. 

e)  erp  ist  seit  uralten  Zeiten  die  übliche  Bezeichnung  für  Wein. 

8.  394.   a)  Zur  sxaToatrj  und  t^axotrir/  vgl.  ,,Aktenst.  a.  d.  Kgl.  Bank^'  S.  40. 
b)  Vgl.  C.  Wachsmuth  Rhein.  Mus.  XXX  S.  448. 

S.  895.     a)  Vgl.  Pap.  Paris.  63. 

b)  Droysen  bezieht  sich  mit  diesen  awia^ai,^  auf  die  Rosettana  (C.  I.  Gr. 
III  4697)  Z.  14/5.  Damit  sind  die  von  der  Kgl.  Rasse  an  die  Priester  zu  ent- 
richtenden Pensionen  bezeichnet.  Vgl  Revillout  Rerue  Egypt.  I  82.  Wilcken  Hermes 
XXIII  S.  143. 

S.  896.     a)  Über  die  Verpachtung  vgl.  Lumbroso  RecJt.  S.  320. 

b)  Vgl.  I^tronne  in  NoL  et  Exir.  d.  Mss.  XVIII  2.  413. 

c)  Der  Pariser  Papyrus  66  gehört  zu  den  ältesten  Papyri  (3.  Jahrh.  v.  Chr.). 

d)  Für  Tov  tfxvxXlov  (Reuvens  Lettre  III  S.  52)  liest  Leemans  a.  a.  0.  rich- 
tig: TOI'  bv  Zvfjvff.  Die  Worte  (ino  tov  xxL  beriehen  sich  auf  das  vorhergehende 
§fet.  Leemans'  Lesung  ist  durchweg  richtig  bis  auf  uysvdoxifiaau'  x«i,  wofür  zu 
lesen  ist:  u^bv  Soxi^aaiixov. 

S.  397.  a)  Zur  Besteuerung  der  ptolemäischen  Provinzen  vgl.  die  wich- 
tige Inschrift  aus  Lykien  BulL  de  corr,  hell  XIV  S.  162  ff. 

b)  Vgl.  die  kürzlich  auf  Cypern  gefundene  Inschrift  {Joum.  of  Hell.  Stud. 
XII  1891  S.  195):  HroXtfiaioP  ßamldiog  %nby  top  (Ti^ajrjtfbv  xal  vavuqyov  xai 
ag/iSQBa  xai  (tQ/ixvyrjyby  t6  xoiyby  Ttjv  tV  JCvnQUi  juaaof^ieyay  S{)(txü}v  xai  itjy 
ax'^noliievofieycjy. 

S.  398.  a)  Boeckh  a.  a.  0.  liest:  x«i  oi  xvyij[Yoi]  und  sieht  in  Berenike 
die  Frau  des  Soter  I.  Dieser  Ansatz  gewinnt  eine  Stütze,  wenn  man  annimmt, 
daß  der  in  dieser  Inschrift  genannte  Botaxog  (allerdings  ein  häufiger  Name)  der 
Vater  des  Kallikrates  ist,  der  nach  Dittenberger  Syllog  Nr.  152  der  Arsinoe 
Philadelphos  in  Olympia  eine  Statue  gesetzt  hat. 

b)  Vgl.  Lepsius,  Über  einige  Ergebnisse  etc.     S.  473,  2. 

S.  899.     a)  Vgl.  Anmerk.  2  zu  S.  360. 

S.  400.     a)  Vgl.  Babelon  Eoü  de  Syrie  S.  66. 

b)  Zu  den  Kämpfen  mit  Antiochus  IV  vgl.  Wilcken  Antiochus  IV  bei 
Pauly-Wissowa. 

S.  401.  a)  Mit  Mommsen  (Rom.  Münzwes.  633/4,  Rom.  Gesch.  I«  699)  ist 
in  Übereinstimmung  mit  Justin  daran  festzuhalten ,  dab  I^pidus  der  Vormund 
des  Epiphanes,  nicht  der  seiner  Kinder  gewesen  ist.  Die  Erzählung  des  Justin 
von  der  Entsendung  des  Lepidus  ist  zu  eng  mit  den  Ereignissen  aus  dem  An- 
fang der  Regierung  des  Epiphanes  verflochten,  als  daß  man  ein  Missverständ- 
nis des  Justin  annehmen  und  die  Vorgänge  etwa  zwanzig  Jahre  später  ansetzen 
könnte.  In  die  Zeit  der  Vormundschaft  der  Kleopatra  I  für  ihren  Sohn  Philo- 
metor  setzt  Stuart  Poole  die  kyprische  Kupfermünze  mit  der  doppelten  Auf- 
schrift HuoiUffarjg  XlsonaTQag  (Obv.)  und  Jlroksftaiov  {iaadecjy  (Rev).  Vgl. 
Catalogue  of  greek  coins  in  the  Brit,  Mus.,  The  Ptolemies  p.  LIV.  78. 

S.  4:03-     a)  Nach  Appian  Syr.  39  ist  Antiochos  IV  schon  unmittelbar  nach 


440  I^e  Lagidarum  regno 

den  ersten  Friedensverhandlungen  mit  Seipio  und  vor  der  Eatificierung  in  Rom 
als  Geisel  abgeschickt  worden.  Danach  belauft  sich  sein  römischer  Aufenthalt 
auf  etwa  14  Jahre. 

b)  Dieser  Bericht  Appians  (Syr.  45)  findet  durch  die  pergamenische  In- 
schrift I  Nr.  160  ed.  Fränkel  seine  Bestätigung  und  Ergänzung. 

c)  Da  der  Beiname  'Unifpayi^g  (seil.  &8Ög)  zu  recht  verschiedenen  Deutungen 
geführt  hat,  ist  es  nicht  uninteressant  zu  sehen ,  wie  die  ägyptischen  Priester 
diesen  Namen,  den  auch  Ptolemaios  V  geführt  hat,  in  ihrer  Sprache  ausdrücken : 
p'  nutr  pr,  d.  h.  ^^der  Gott,  der  herauskommt,  hervortritt^^  (seil,  wie  die  Moigen- 
sonne,  Horos,  am  Horizont).  Man  wird  Sebg  'Enuf>ayrig  am  besten  fassen  als 
„den  Gott,  der  in  die  Erscheinung  tritt,  sich  offenbart". 

S.  401:.    a)  Vgl.  Anm.  b  zu  S.  360. 

S.  406.  a)  Die  Anakleterien  des  Epiphanes  bringt  Droysen  mit  Unrecht 
mit  dem  lykopolitanischen  Aufstande  zusammen.  Polybios  XVIII  55,  3  giebt 
als  Grund  für  die  Beschleunigung  der  Feier  die  in  dem  Aufstand  des  Skopas 
hervorgetretenen  Gefahren  an.  Übrigens  wird  man  heute,  nach  Kenntnis  der 
einheimischen  Tradition,  nicht  mehr  dafür  halten,  daß  erst  Epiphanes  die  ägyp- 
tische Königsweihe  eingeführt  habe.  Auch  Polybius  sucht  nur  für  die  Be- 
schleunigung der  Feier  einen  besonderen  Anlaß,  die  Feier  selbst  sieht  er 
offenbar  als  selbstverständlich  an. 

b)  Zu  den  Anakleterien  des  Philometor  vgl.  Anm.  a  zu  S.  409. 

S.  407.  a)  Euergetes  II  feierte  die  Anakleterien  im  J.  169.  Siehe  Anm.  a 
S.  409. 

S.  408.  a)  Schon  hier  ist  der  auf  S.  410  mitgeteilte  Bericht  des  Hiero- 
nymus  einzuschalten,  der  in  diesen  Feldzug  von  171/0,  nicht  in  den  von  169 
hineingehört.  Hieronymus  schließt  die  Krönung  in  Memphis  mit  porro  unmittel- 
bar au  den  Sieg  bei  Pelusium  an.  —  In  die  Zeit  dieser  syrischen  Occupation 
gehören  die  kyprischen  und  ägyptischen  Münzen,  die  Kopf  und  Namen  des 
Antiochus  IV  zeigen.    Vgl.  Stuart  Poole  a.  a.  0.  S.  81. 

b)  Joscphos  (ant.  XII  242—244)  hat  überhaupt  in  seinem  kurzen  Resume 
die  drei  Feldzüge  des  Antiochos  IV  zu  einem  einzigen  zusammengeworfen. 

S.  409.  a)  Schon  Schweighäuser  hat  im  Index  Polybianus  VIII  1  p.  428 
nachgewiesen,  daß  die  achäische  Gesandtschaft  vom  J.  169  nicht  an  Philometor, 
sondern  an  Euergetes  gerichtet  war.  Also  sind  auch  die  Anakleterien,  die  die 
Veranlassung  zu  der  Entsendung  gaben,  die  des  Euergetes.  Die  Anakleterien 
des  Philometor  sind  vielmehr  (mit  Sharpe-Gutschmid)  in  das  J.  178  zu  setzen, 
denn  damals  schickten  die  Römer  eine  Gesandschaft  an  ihn  renovandae  amicitiae 
causa  (Liv.  42,  6,  4),  wie  es  gelegentlich  von  Anakleterien  Sitte  war  (vgl.  Polyb. 
a.  0.).  In  dieselbe  Zeit  fällt  auch  die  Sendung  des  ApoUonios  zu  den  Tr^cdro- 
xUiJui  (s.  Droys.  S.  405).  Danach  liegt  der  Schluß  nahe,  daß  die  Protoklisien 
entweder  identisch  sind  mit  den  Anakleterien,  oder  aber  eine  Feier  bezeichnen, 
die  neben  jener  begangen  werden  konnte.  Zu  der  letzteren  Annahme  würde 
die  Deutung  von  nqtüxoxUaia  als  „Hochzeitsfeier'*  führen  (i)  xliaUt  kommt  für 
„Ehebett^*  vor),  und  man  könnte  sich  auf  die  schon  öfter  erwähnte  Inschrift  des 
Berliner  Museums  berufen,  wonach  die  Ansetzung  der  Hochzeit  des  Philometor 
in  sein  9.,  ja  sogar  in  sein  8.  Jahr,  d.  h.  174/3,  173/2)  nicht  ausgeschlossen 
ist.  Doch  dürfte  Manches  dagegen  sprechen.  Wahrscheinlicher  bleibt  die 
Annahme,  daß  Protoklisien  und  Anakleterien  eine  und  dieselbe  Feier,  d.  h.  das 
Krönungsfest,  bezeichnen.    Dunkel  bleibt  noch  der  Ausdruck  n^bitoMcia  resp. 


Ptolemaeo  VI  Philometore  rege  441 

TEQtöToxXi^aiay  wie  manche  Handschriften  haben.  Sollte  nQG)joxiii<na  vielleicht  nur 
eine  falsche  Lesung  sein  statt  dvnxAi/crta,  entstanden  aus  einem  zweideutigen 
ä  xXrjaia?? 

b)  Antiochos  war  es,  der  den  2.  syrischen  Feldzug  (169)  eröffiiete,  und 
zwar  war  sein  Gegner  nicht  anfangs  Philometor  und  dann  Euergetes,  wie 
I^rojsen  annimmt,  sondern  von  vornherein  nur  Euergetes.  Antiochos  unternahm 
ihn  unter  dem  Vorwande,  für  Philometor  den  Thron  Ägyptens  erobern  zu  wollen. 
Vgl  Liv.  45,  11,  8  si  reducendi  eins  (Philometoris)  causa  exercitum  Äegyptum 
induxisset,  quo  speetoso  titulo  ad  omnes  Asiae  et  Oraeeiae  civiiates  legaiiombus 
reeipiendis  litterisque  dimittendis  usus  erat 

c)  Ist  nicht  überliefert  Der  in  Alexandria  belagerte  Ptolemaios  ist 
Euergetes. 

S.  410.  a)  Diese  Notiz  gehört  in  den  1.  Feldzug  von  171/0.  DaB  An- 
tiochos Pelusion  169  nochmals  habe  erorbem  müssen,  wird  sonst  nicht  über- 
liefert, ist  auch  wenig  wahrscheinlich.  In  den  Anfang  dieses  2.  Feldzuges  ge- 
hört vielmehr  der  Seesieg  bei  Pelusion  (Liv.  44,  19,  8). 

b)  Siehe  Anm.  a  zu  S.  408. 

S.  412.  a)  Die  Charakteristik  Diodors  bezieht  sich  auf  den  feigen  Ver- 
such Philometors  (171/0),  nach  Samothrake  zu  entfliehen,  wie  Polyb.  XXVIII  21 
zeigt.  Der  schmähliche  Vertrag  Philometors  flSllt  zugleich  mit  der  Annahme, 
daß  der  Feldzug  gegen  ihn  gerichtet  gewesen  sei.    Vgl.  Anm.  b  zu  S.  409. 

b)  Diese  Proklamierung  fällt  nach  dem  Gesagten  zwischen  den  1.  und  2. 
syrischen  Krieg,  nach  Porphyr,  bei  Euseb.  ed.  Schoene  1 162  zwischen  5.  Okt.  170 
und  4.  Okt.  169. 

S.  413.  a)  Die  Rolle,  die  hier  Kleopatra  spielte,  gewinnt  jetzt  an  Inter- 
esse, da  wir  nach  der  Berliner  Inschrift  annehmen  dürfen,  daß  sie  damals 
schon  die  Gemahlin  des  Philometor  war.  Sie  war  wohl  durch  die  Kriegs- 
ereignisse von  ihrem  Gatten  getrennt  worden.  Vielleicht  auch  hat  sie  sein 
schlaffes  Auftreten  verurteilt  und  schloß  sich  ihm  nun  erst  wieder  an,  als  er 
den  Mut  zeigte,  mit  dem  Bruder  zusammen  das  Reich  verteidigen  zu  wollen. 
Auch  Livins  bezeichnet  44,  19,  6  Kleopatra  für  das  Jahr  169  als  Königin. 
Das  konnte  sie  aber  nur  durch  die  Ehe  mit  dem  regierenden  Bruder  sein. 

S.  417.    a)  Zu  Numenios  vgl.  Neroutsos-Bey  Vanc.  Alexandrie  S.  98  ff. 

S.  418.  a)  Wie  inzwischen  bekannt  gewordene  Urkunden  zeigen,  hat  man, 
während  der  gemeinsamen  Regierung  der  Brüder  nicht  Doppeldaten  geführt, 
wie  nach  Porphyrios  anzunehmen  war«  sondern  hat  die  von  Euergetes  in  dem 
J.  170/69  neu  begründete  Zählungsweise  weiter  geführt,  hat  sie  aber  offenbar 
als  Bezeichnung  für  die  gemeinschaftliche  Regierung  der  Bruder  be- 
trachtet. Die  Ansicht  von  Brunet  de  Presle  (in  seinen  sonst  vortrefflichen 
Untersuchimgen  Noiie,  et  Extr.  etc.  XVIII  2  S.  39  ff),  daß  diese  Jahre  als 
Jahre  des  Euergetes  aufzufassen  seien,  beruht  auf  einer  irrigen  Auslegung 
des  Porphyrios.  Da  die  Brüder  gemeinsam  regierten,  kann  unmöglich  nach 
den  Jahren  des  Jüngeren  datiert  worden  sein.  Also  die  Daten  Lg  und  t  im 
Pap.  Paris.  Nr.  24,  Nr.  63,  Pap.  Lond.  XXII  (ed.  Kenyon  S.  7)  etc.  sind  aufzu- 
fassen als  J.  6  und  7  des  Philometor  und  Euergetes.  Vgl.  Pap.  Paris.  63  I  1 : 
"lüfjgüjTai  fikv  ßoia[iXBvg\  ITioXefiaiog  xai  ßaaiXevg  UtoXefiaiog  6  adeXq>bg  xal  ßatri- 
Xiffaa  jLXeanctiQa  i)  ^deXq>rj  xai  t«  rexya.  Vgl.  Z.  18:  Lg  MeaoQtj  xd.  Diese 
Zählungsweise  mußte  von  Philometor  nach  der  Versetzung  des  Euergetes  nach 
Kyrene  (163)  natürlich  aufgegeben  werden  zu  Gunsten  seiner  eigenen  früheren 


442  I^e  Lagidarum  regno 

Datierungsart.  Daher  ist  in  einem  Brief  Pbilometors  aus  dem  Ende  des 
kritischen  Jahres  163  dieses  nicht  als  7.,  sondern  als  18.  bezeichnet.  Vgl.  Pap. 
Paris.  63  XIII. 

b)  Über  die  Münzen  vgl.  Stuart  Poole  Cataiogue  of  the  Greek  eoins  in  the 
Brit  Mus.  The  Ptolemies  S.  UXff.  Es  giebt  übrigens  ägyptische  Reliefs,  die 
die  beiden  Brüder  zusammen  mit  Rleopatra  darstellen,  so  eines  in  Theben  (jetzt 
im  Berliner  Museum),  eines  in  Esneh.  Das  thebaniscbe  Denkmal  (public,  bei 
Lepsius  Denkm.  IV  28)  ist  dadurch  besonders  wichtig,  daß  es  die  Drei  zusam- 
men als  „die  Götter,  die  ihre  Mutter  lieben^^  bezeichnet,  d.  h.  als  x^boI  <fikoft^^ 
joQec,  Aus  dieser  schon  von  Lepsius  in  den  Abb.  d.  Pr.  Akad.  1852  S.  467 
mitgeteilten  Thatsache  ist  bisher  noch  nicht  der  notwendige  Schluß  gezogen 
worden,  daß  während  der  Samtherrschaft;  der  beiden  Brüder  der  Jüngere  noch 
nicht  als  x^ebc  Eisq^fiirig  einen  besonderen  Kult  gehabt  hat,  sondern,  ähnlich 
wie  ja  auch  die  Frauen  den  Kultnamen  des  Mannes  mit  übernehmen,  so  den 
des  älteren  Bruders  mit  geführt  hat.  Er  wird  erst  nach  dem  Tode  des  Alteren, 
als  er  die  Alleinherrschaft  übernommen  hatte,  zum  d-ebg  EveqfBXTfg  gemacht  wor- 
den sein,  sodaß  es  hiemach  inkorrekt  ist,  vor  dem  J.  146/5  von  einem  Euergetes  II 
zu  reden.  Es  kann  somit  als  zweifelhaft  erscheinen,  ob  Stuart  Poole  kyre- 
näische  Münzen  mit  der  Umschrift  Baaildas  HiolBfiaiov  Eveg^iiov  mit  Recht 
schon  in  die  Zeit  von  163—146/5  angesetzt  hat,  man  müßte  denn  annehmen,  daß 
der  jüngere  Ptolemaios  als  König  von  Kyrene  dort  zum  x^ebc  Evbq filzig  erhoben 
sei.  In  Ägypten  ist  er  jedenfalls  vor  dem  Tode  des  Philometor  nicht  als  Euer- 
getes verehrt  worden. 

c)  Dieser  Ptolemaios,  Strateg  von  Oypem,  begegnet  in  einer  Inschrift  BuU. 
de  corr.  hell,  XV  S.  350. 

d)  Von  diesem  Berliner  Papyrus  ist  mir  keine  neuere  Übersetzung  bekannt 
Die  7nater  vidua  ist  sehr  bedenklich.  Gleichfalls  aus  dem  6.  Jahr  des  Philo- 
metor stammt  der  demotische  Papyrus  bei  Revillout  Kouv,  ChrestomaiK 
S.  134  ff. 

S.  420.  a)  Diese  Betrachtungen  Droysens  finden  eine  Bestätigung  in  den 
inzwischen  bekannt  gewordenen  Escurialfragmenten  aus  Diodor,  die  von  der 
Revolte  des  JleioactQÜnLg  (besser  JleioaoQamg)  und  dem  nationalen  Aufstand 
in  der  Thebais  (Panopolis)  berichten  (Diod.  XXXI  15a  und  17b). 

b)  Zu  einer  anderen  Charakteristik  kommt  A.  v.  Gutschmid  bei  Sharpe  I 
S.  266  A.  2. 

S.  421.  a)  Droysen  hat  die  Thatsache  übergangen,  dass,  ehe  es  zu  der 
Reichsteilung  kam,  Philometor  von  dem  jüngeren  Bruder  vertrieben  wurde. 
Vgl.  Polyb.  XXXIX  18,  5.  Trog.  Prol.  34.  Liv.  Per.  46.  Porphyr,  bei  Euseb. 
cd.  Schoene  I  162.  Mit  Hilfe  von  Materialien,  die  1831  noch  unbekannt  waren, 
lassen  sich  die  in  diesem  Paragraphen  besprochenen  Vorgänge  etwa  folgender- 
massen  gruppieren.  Im  Anfang  des  18.  Jahres  des  Philometor,  d.  h.  Ende  164 
V.  Chr.  (nach  dem  3.  Okt.)  herrschen  noch  beide  Brüder  gemeinsam.  Daher 
bezeichnen  die  Urkunden  dies  Jahr  164/3  noch  als  7.  (l^ap.  Paris.  63  VII  21. 
Pap.  Lond.  XXII  a.  a.  0.).  Darauf  vertreibt  Euergetes,  wie  er  der  Kürze  wegen 
genannt  sei,  den  Philometor  (vgl.  die  oben  angeführten  Belege).  Philometor  geht 
hilfeflehend  nach  Rom  und  begegnet  dort  in  kläglichem  Aufzuge  dem  Demetrios. 
Daß  diese  Erzählung  Diodors  (XXXI  18,  1)  sich  auf  Philometor,  nicht  auf 
Euergetes  bezieht,  ergiebt  sich  mit  Sicherheit  daraus,  dass  er  von  dem  König 
als  dxneffoyTog  spricht,  und  wird  durch  Valer.  Max.  V  1  bestätigt,  der  dieselbe 


PtolemaeoVI  Philometore  rege  443 

G-eechichte  von  Ptolemaetia  a  minore  fratre  regno  spolinius  berichtet.  Der 
Senat  beschließt,  Pfailometor  in  sein  Reich  znrückzufiLhren  und  entsendet  zu 
dem  Zwecke  Gesandte  an  Euergetes  {Kavokrjiop  xai  Koiviov  Poljb.  XXXI  18,  4. 
Liv.  Per.  46).  Philometor  geht  einstweilen  nach  Cypem  (Diod.  XXXI  17  c). 
Inzwischen  hat  sich  Euergetes  in  Alezandrien  verhaßt  gemacht  (vgl.  auch 
Polyb.  XXXI  27,  14).  Die  Alexandriner  rufen,  der  römischen  Intervention 
zuvorkommend,  den  Philometor  aus  Cypem  herbei  (Diod.  a.  a.  0.)  Er  kommt, 
und  die  römischen  Gesandten,  die  inzwischen  auch  in  Alexandrien  eingetroffen 
sind,  legen  den  Streit  in  der  Weise  bei,  daß  Philometor  Ägypten,  Euergetes 
Kyrene  erhält.  Philometor  nennt  nun  das  laufende  Jahr  (164/3)  das  18.  Vgl. 
Pap.  Paris.  63  XIII  14:  Lti;  HsquIov  d  Msaoqi}  xe.  Brnnet  de  Presle  nimmt  an, 
daß  der  in  diesem  Briefe  hervorgehobene  19.  Epiph.  der  Tag  ist,  an  dem  Philo- 
metor wieder  die  Alleinherrschaft  tlbernommen  hat.  Danach  würde  man  den 
17.  Aug.  163  als  den  Tag  des  neuen  Regierungsantrittes  gewinnen.  Im  J.  162 
geht  dann  Euergetes  nach  Rom,  um  Cypem  zu  erbetteln. 

S.  424,     a)  Vgl.  Diod.  XXXI  23. 

S.  425«  a)  Dieser  Ansatz  föllt  zugleich  mit  der  irrigen  Berechnung  der 
Anakleterien  und  der  Hochzeit  (s.  oben).  Eine  andere  Deutung  giebt  Müller 
Fragm,  kist  Or.  II  p.  XI,  die  aber  ebenso  unsicher  ist  Wir  schlagen  folgen- 
des vor.  Nach  der  Berliner  Inschrift  (bei  Bjrebs  a.  a.  0.)  war  Philometor  sehr 
wahrscheinlich  schon  im  10.  Jahre  seiner  Regierung,  d.h.  172/1,  wenn  nicht 
schon  früher,  verheiratet  Da  er  im  J.  171  Gefangener  des  Antiochos  Epiphanes 
wurde,  so  wird  die  Inschrift  von  Parembole  zwischen  diese  beiden  Daten  fallen. 
Dazu  paßt,  daß  Kinder  noch  nicht  genannt  werden,  ebenso  wenig  wie  in  der 
Berliner  Inschrift.  Die  Möglichkeit,  die  letztere  später  als  in  das  10.  Jahr  zu 
setzen  (die  an  und  für  sich,  wenn  auch  mit  geringer  Wahrscheinlichkeit,  vor- 
liegt), wird  eben  durch  die  Inschrift  von  Parembole  abgeschnitten,  denn  in  der 
zweiten  Alleinherrschaft  des  Philometor  (von  163  an)  ist  für  sie  kein  Platz,  da 
damals  Philometor  Kinder  hatte  (vgl.  Pap.  Paris  63  I  1  ff.). 

b)  Vgl.  Revillout  Nouv,  Chrestom,    S.  79  ff. 

S.  426.  a)  Archias  war  nach  obigem  nicht  mit  Euergetes,  sondern  mit 
Philometor  in  Rom  gewesen.  Er  wird  daher  auch  gegen  diesen  den  Verrat 
geplant  haben.    Dann  ist  Philometor  der  Herr  von  Cypem. 

S«  428.  a)  Über  den  Oniastempel  vgl.  Schürer  Gesch.  d.  jüd.  Volkes  II 
544  ff.  Mit  Berücksichtigung  der  großen  Bevorzugimg  der  Juden  durch  Philo- 
metor liegt  es  nahe,  die  jüdischen  Synagogeninschriften  von  Athribis  (BulL  de 
corr,  heil.  XIII  S.  178)  nicht  auf  Epiphanes,  wie  S.  Reinach  vorschlägt,  sondern 
auf  Philometor  zu  beziehen.    Vgl.  freilich  C.  I.  L.  III  Suppl.  n.  6583. 

S.  430.  a)  Nach  dem  inzwischen  bekannt  gewordenen  Bericht  Diodon 
(XXXII  9  c)  gab  Philometor  dem  Demetrios  die  Seleukidenkrone ,  behielt  aber 
für  sich  selbst  Koelesyrien.  Nach  dem  Tode  Philometors  hat  Demetrios  das 
ägyptische  Heer  aus  Syrien  verjagt  und  die  Alleinherrschaft  gewonnen.  Wie 
das  geschah ,  darüber  liegen  z.  T.  widerspruchsvolle  und  noch  nicht  genügend 
aufgeklärte  Berichte  vor.    Vgl.  Jos.  ant  XIII  120  Diod.  XXXIII  4  und  20. 


Verzeichnis 

von 

Joh.  Gust.  Droysens  Schriften  zur  alten  Geschichte  und  zur 
griechischen  und  römischen  Litteratur. 


Das  Verzeichnis  ist  trotz  der  darauf  verwendeten  Mtthe  vielleicht  noch  nicht  ToIlstCndig.    Die  mit  * 
bezeichneten  Arbeiten  sind  in  der  Sammlung  der  kleinen  Schriften  wieder  abgedruckt 

*1.   Die   griechischen  Beischriften   von   fünf  ägyptischen  Papyren  in  Berlin. 

[Altes]  Rheinisches  Museum  u.  s.  w.  III  4  [1829-J1832  S.  491—541. 
Vgl.  HeUenism,  III  1  S.  45;  Kl.  Sehr.  I  S.  1—39  vgl.  S.  386. 

*2.   De  Lagidanim   regno  Ptolemaeo  VI  Philometore  rege   Berlin  1831  (IV 

82  S.)  4. 

S.  1—33  erschien  als  Doktordissertation,  vertheldigt  am  31.  August  183L  YgL 
Hollenism.  III  S.  30  u.  5.    Kl.  Sehr.  II  S.  351—432. 

8.   Des  Aischylos  Werke  übersetzt.    Zwei  Teile,  Berlin  1832  (G.  Finke,  XIX 

247  VII  338  S.)  8. 

Gewidmet  „den  Freunden  meines  Vaters".  Teil  II  erschien  zuerst  Die  Vorrede 
zum  erst4)n  Teil  (über  Übersetzungen  antiker  Dichter)  ist  spSter  fortgelassen  worden 
Teil  II  enthfllt  ein  kurzes  Vorwort  „an  den  Leser''. 

4.  Geschichte  Alexanders  des  Großen  (mit  einer  Karte  und  einem  Titelkupfer) 
Berlin  1833  ([IV]  584  S.)  8. 

Mit  dem  später  fortgelassenen  Motto  waneQ  ^eov  ir  avt^Qc&jtot^  eutoi  eTpoi  tot  rcMOt- 
Tov  .  .  .  .'  xard  dk  rtov  roiovrcoy  oi'x  iart  vo/no?'  avroi  yoQ  eiai  v6ßtoi  Aristoteles. 
Gewidmet  „seiuem  Freunde  Dr.  Gottlieb  Friedlaender,  Custos  der  Kgl.  Bibliothek  b 
Berlin".    Die  Zuschrift  an  ihn  (11  S.)  blieb  später  fort 

5.  Die  Schlacht  am  Hydaspes,  zur  Habilitation  vor  der  Berliner  philosophischen 
Fakultät  gelesen  am  29.  Januar  1833,  Zeitschrift  für  Kunst,  Wissenschaft  und 
Geschichte  des  Krieges  Band  XXVIII  Berlin  1833  S.  189—212. 

Eingehende  Ausführung,    deren    kurzes  Ergebnis  in  die  Oeschlchte   Alexanders 

Ckborging. 

6.  P.  0.  ran  der  Chys,  comnientariris geographicus  in  Arrianum  de  expeditiom 
Alexandri,  cum  tabula  aeri  ineisa,  Leiden  1828  (XVI  135  S.)  4.  angezeigt 
in  den  Jahrbüchern  für  wissenschaftliche  Kritik  1833  Band  I  (Berlin  183S) 
S.  471—480. 

7.  Sappho  und  Erinna  nach  ihrem  Leben  beschrieben  und  in  ihren  poetischen 
Überresten  übersetzt  und  erklärt  von  Prof.  Franz  W.  Richter  Quedlin- 
burg und  Leipzig  1833  (99  S.)  8.  angezeigt  in  den  Jahrbüchern  für  wissen- 
schaftliche Kritik  1833  Band  II  (Berlin  1833)  S.  271. 


Verzeichiiis  von  Joh.  Gast  Drojseas  Schriften  zur  alten  Geschichte  etc.     445 

8.  Sophochs  Trachintae  recognovit  et  advertariis  enarratit  Joannes  Äpttxiua 
Halle  1833  (340  XII  S.)  8.  angezeigt  in  den  Jahrbüchern  für  wissenschaft- 
liche Kritik  1833  Band  II  (Berlin  1883)  S.  542. 

9.  Alexander  des  Großen  Züge  durch  Turan,  gelesen  [1833]  in  der  Berliner 

geographischen  Gesellschaft.  [Altes]  Rheinisches  Maseum  II  1834  S.  81—102 

Vgl.  Hellenismus  I  2  S.  79. 

Eingehende    Aasfühnmg,  deren  kurzes  Ergebnis  in  die  Geschichte  Alez«nders 
Qberging. 

10.  F.  W.  Benicken^  Roms  Staats-  und  Kriegsgeschichte  u.  s.  w.  Merseburg 
1833  (213.  10  S.)  8.  angezeigt  in  der  Militärischen  Litteraturzeitung  Band  XV 
Berlin  1834  S.  231—235. 

11.  Des  Aristophanes  Werke  übersetzt,  erster  Teil  („ —  taöi  ja  xaka  aeXim  — ") 
Berlin  1835  (Veit  &  Comp.,  XX  421  S.)  8. 

„Meinen  Freonden  Felix  Mendelssohn  Bartholdy  und  Albert  Gostar  Heydemann". 
Wurde  1881  begonnen,  1886  wieder  aufgenommen,  im  Sommer  dieses  Jahres  Tollendet. 

*12.   Des  Aristophanes  Vögel  und  die  Hermokopiden.  [Altes]  Rheinisches  Museum 

III  1835  S.  160—208  IV  1836  S.  27—62. 
Kl.  Sehr.  II  S.  1—61. 

13.  Geschichte  des  Hellenismus,  erster  Teil,  Geschichte  der  Nachfolger  Ale- 
xanders.   Hamburg  1836  (bei  Friedrich  Perthes,  XVI  766  VI  S.)  8. 

IMe  Vorrede  (XVI  S.)  blieb  später  fort 

14.  Der  vierjährige  Krieg.  L.  Chr.  Zimmermanns  Zeitschrift  für  die  Alter- 
tumswissenschaft III  1836  Nr.  20,  21  Sp.  161—170. 

Vgl.  Hellenismus  II  2  S.  178. 

Nicht  wieder  abgedruckt,  weil  das  Ergebnis  durch  spätere  Forschungen  überholt  ist 

*lb.   De  fontilme  veterum  auetorum  in  eocpeditiontbus  a  Oaüis  in  Macedoniam 

■   atque  Oraeciam  suscepHs  scripsit  Dr.  Ouet  Ad,  Schmidt  Berlin  1834  8. 

angezeigt  in  L.  Chr.  Zimmermanns  Zeitschrift  für  die  Altertumswissenschaft 

III  1836  Nr.  73  S.  587—589. 

Kl  Sehr.  I  S.  42-45.    VgL  Zeitschr.  f.  Alt  VI  1889  S.  199,  MOlIenhoff  DA  H  S.  262. 

*16.    Das   pftonische  Fürstentum  (mit  Münzbild).     L.  Chr.  Zimmermanns  Zeit- 
schrift für  die  Altertumswissenschaft  III  1836  Nr.  103.  104  Sp.  825—838. 

Kl.  Sehr.  I  S.  79—94. 

"^17.   Die  Kelten  bei  dem  Komiker  Ephippos.  L.  Chr.  Zimmermanns  Zeitschrift 
für  die  Altertumswissenschaft  III  1836  Nr.  139  Sp.  1210. 

Kl.  Sehr.  I  S.  46  f. 

*18.   Päonien  und  Dardanien  (mit  einer  Karte).    Allgemeine  Encyklopädie  der 

Wissenschaften  und  Künste  herausgegeben  von  J.  S.  Ersch  und  J.  G.  Gruber 

Sektion  III  Teil  9  Leipzig  1837  S.  197—211. 

KL  Sehr.  I  S.  48—79.   Die  Karte  ist  als  nicht  mehr  ausreichend  fortgelassen  worden. 

19.  Des  Aristophanes  Werke  übersetzt,  zweiter  Teil  Berlii\  1837  (Veit  &  Comp., 
431  S.)  8. 

„Seinem  Freunde  Adolph  Scholl". 

20.  Des  Aristophanes  Werke  übersetzt,  dritter  Teil  „ —  ^  ni^i  ?;  am&i  — ** 

Berlin  1838  (Veit  &  Comp.,  VIII  517  S.)  8. 

i^dnem  lieben  Freunde  Eduard  Bendemann". 


446  VerzeichniB  von  Job.  GrOBt.  Drojsens  Schriften 

*21.   G.  Bernhardy,  G-randriß  der  griechifichen  Litteratar  mit  einem  ve^lei- 
chenden  Überblick  der  römischen,  erster  Teil  Halle  1836. 
Caspar i  Friderici    Wegner    disseriatio    de  aula  AttaUea  Uterarum 

artiumque  fautrice  lihri  sex,  Vol.  I  Havniae  1836. 
Dr.  Friedrich  Bitschi,  die  alexandrinischen  Bibliotheken  unter  den  ersteu 

Ptolemäem  und  die  Sammlung  der  Homerischen  Gedichte  durch  Pisi- 

stratus,   nach   Anleitung   eines   Plautinischen  Scholions,   nebst  litterar- 

historischen  Zugaben  u.  s.  w.    Breslau  1888. 
Angezeigt  in  den  Hallischen  Jahrbüchern  für  deutsche  Wissenschaft  und 

Kunst    herausgegeben    von    Dr.  A.  Rüge    und   Dr.  Th.  Echtermeyer. 

Halle,  I  1838  Nr.  169—171  Sp.  1349—1368. 
Kl.  Sehr,  n  8.  62-74. 

*22.  Über  die  Echtheit  der  Urkunden  in  Demosthenes  Rede  vom  Kranz. 
L.  Chr.  Zimmermanns  Zeitschrift  ftlr  die  Altertumswissenschaft  VIII  1839 
Nr.  68  E  Sp.  537  ß. 

Kl.  Sehr.  I  8.  95—256. 

*23.  J.  Forshall y  Description  of  the  Oreek  Papyri  in  ihe  British  Museum 
Part  I  London  1839  8.  angezeigt  in  der  Litterarischen  Zeitung  von  Brandes 
Bd.  VII  Berlin  1840  Nr.  14. 

KL  Sehr.  I  S.  39-41. 

24.   Ciceros   Bücher    vom   höchsten   Gut   übersetzt.     Ciceros   philosophischen 

Schriften  in  deutschen  Übersetzungen  von  Fr.  K.  von  Strombeck,  Friedrich 

Jacobs,  J.  G.  Droysen,  A.  Westermann,  A.  W.  Zumpt  u.  a.  m.  herausgegeben 

von  Reinhold  Klotz,  Bd.  I  (Leipzig  1840,  Verlag  von  Carl  Focke)  S.  137—326. 

Mit  kunser  EioleituDg  des  Übersetxers;  die  Anmerkungeii  sind  größtenteils  Tom 
Herausgeber. 

*25.  Phrynichos,  Aischylos  und  die  Trilogie,  eine  Abhandlung.  Kieler  philo- 
logische Studien,  Kiel  1841  8.  S.  43—74. 

Kl.  Sehr.  II  8.75-104. 

*26.  Kritische  Notizen  zum  Aischylos.  L.  Chr.  Zimmermanns  SiCitschrift  für 
die  Altertumswissenschaft  X  1841  Nr.  27.  28  Sp.  217—228. 

Kl.  Sehr.  II  S.  104—117. 

27.  Des  Aischylos  Werke  übersetzt,  zweite  Auflage  Berlin  1842  (bei  G.  Bethge, 
679  S.)  Kl.  8. 

*28.  Die  Aufführung  der  Antigene  des  Sophokles  in  Berlin.  Berliner  Nach- 
richten von  Staats-  und  gelehrten  Sachen  (Spenersche  Zeitung)  1842  Nr.  94. 
erste  Beilage. 

KL  Sehr.  II  S.  146—152. 

29.  Geschichte  des  Hellenismus,  zweiter  Teil,  Geschichte  der  Bildung  des 
hellenischen  Staatensystems,  mit  einem  Anhang  über  die  hellenistischeD 
StÄdtegründungen.    Hamburg  1843  (Friedrich  Perthes  [II]  784  S.)  8. 

•  Das  ausmhrUche  Vorwort  (XXII  8.)  Kl.  Sehr.  I  S.  298—814. 

*30.  Über  die  sigeische  Inschrift,  ein  Schreiben  an  Th.  Bergk  in  Bergk  und 
Caesars  Zeitschrift  für  die  Altertumswissenschaft  1 1843  Nr.  7 — 9  Sp.  52—66. 

Kl.  Sehr.  I  S.  314-327. 


zur  alten  Greschichte  und  zur  griechischen  und  römischen  Litteratur     447 

31.  Zur  Geschichte  der  Nachfolger  Alezanders  I.  die  eponymen  Priester  der 
Soteren  zu  Athen  II.  der  hellenische  Krieg.  Neues  Rheinisches  Museum 
für  Philologie  IV  1843  S.  387—414.  511—530.  Vgl.  Hellenism.  II 1  S.  70  u.  ö. 

Klcht  wiederholt  wie  Nr.  14. 

'*'32.  Die  Tetralogie.    Bergk  und  Caesars  Zeitschrift  für  die  Altertumswissen- 
schaft II  1844  Nr.  13—16  Sp.  97—123  vgl.  351. 
Kl.  Sehr.  II  S.  118—145. 

*SS.  Die  Urkunden.  Demosthenes*  Rede  vom  Kranz  betreffend.  Bergk  und 
Caesars  Zeitschrift  für  die  Altertumswissenschaft  III  Nr.  2—4  1845  Sp. 
13—27. 

KL  Sehr.  I  S.  257—270. 

*34.  Über  das  Geburtsjahr  des  Demosthenes.  Neues  Rheinisches  Museum  für 
Philologie  IV  1846  S.  406—438.  Vgl.  Hellenism.  III  2  S.  37  u.  ö. 

Kl.  Sehr.  I  8.  271-297. 

*35.  Die  attische  Communal Verfassung.  W.  A.  Schmidts  Allgemeine  Zeitschrift 
für  Geschichte  VIII  1847  S.  289—337.  S85— 411. 

Kl.  Sehr.  I  S.  328-385. 

*36.   Die  Wandgemälde  im  Ball-  und  Concertsaal  des  Königlichen  Schlosses  zu 

Dresden  erfunden  und  ausgeführt  von  K  Bendemann,  radiert  von  H.  Bürkner; 

mit  erläuterndem  Text  von  J.  G.  Drojsen.    Dresden  1858  (Ernst  Arnold) 

quer-fol. 

KL  Sehr,  n  S.  153—181. 

37.  Aischylos  übersetzt,  dritte  umgearbeitete  Auflage  Berlin  1868  (Verlag 
von  Wilhelm  Hertz,  Bessersche  Buchhandlung,  IV  574  S.)  8. 

38.  Des  Aristophanes  Werke  Übersetzt,  zweite  Auflage,  zwei  Teile  Leipzig  1869 
(Verlag  von  Veit  &  Comp.,  418.  478  S.)  8. 

*39.   Bemerkungen  über  die  attischen  Strategen.    Hermes  IX  1874  S.  1—21. 

KI.  Sehr.  II  S.  182—200. 

*40.   Zu  Duris  und  Hieronymos.    Hermes  X  1876,  S.  458—465. 

Kl.  Sehr.  II  S.  201—207. 

41.  Geschichte  des  Hellenismus,  erster  Teil,  Geschichte  Alexanders  des  Großen, 
zweite  Auflage,  zwei  Halbbände  Gotha  1877  (Friedrich  Andreas  Perthes, 
X  400  VIII  420  S.)  8. 

^42.   Alezander  des  Großen  Armee.    Hermes  XII  1877  S.  226—256. 

KL  Sehr.  II  S.  206-281. 

43.  Geschichte  des  Hellenismus,  dritter  Teil,  Geschichte  der  Epigonen,  zweite 
Auflage,  erster  Halbband  Gotha  1877  (Friedrich  Andreas  Perthes,  VIII 
452  S.)  8. 

*44.  Beiträge  zu  der  Frage  über  die  innere  Gestaltung  des  Reiches  Alexanders 
des  Großen.    Monatsberichte  der  Berliner  Akademie  1877  S.  23—45. 

Kl.  Sehr.  II  S.  232—252. 

45.  Geschichte  des  Hellenismus,  zweiter  Teil,  Geschichte  der  Diadochen,  zweite 
Auflage,  zwei  Halbbände  Gotha  1878  (Friedrich  Andreas  Perthes,  VIII  324 
IX  399  S.)  8. 

46.  Geschichte  des  Hellenismus,  dritter  Theil,  Geschichte  der  Epigonen  mit 
einem  Anhang  über  die  hellenischen  Städtegründungen,  zweiter  Halbband 


i  /->    ;-'  ^/'  r 

448      yerzeichnSä  von  Joh.  Gust.  Droysens  Schriften  zur  alten  Geschichte  ete. 

Gotha  1878  (Friedrich  Andreas  Perthes,  YIII  891  S.,  Register  von  Dr.  Al- 
fred Schultz  145  S.)  8. 

*47.    Die  Festzeit  der  Nemeen.    Hermes  XIV  1879  S.  1—24. 

Kl.  Sehr.  II  S.  263—274 

48.  Geschichte  Alexanders   des  Großen,   dritte  Auflage,   mit  5  Karten   ^"on 
Richard  Kiepert,  Gotha  1880  (Friedrich  Andreas  Perthes,  IV  404  S.)  8. 

49.  Des  Aristophanes  Werke,  dritte  Auflage,  zwei  Teile  Leipzig  1881  (Veit 
&  Ck)mp.,  888.  452  S.)  8. 

*50.    Zum  Finanzwesen  der  Ptolemäer  (32.  S.).     Sitzungsberichte  der  Berliner 

Akademie  1882  S.  207—236. 
KL  Sehr,  n  S.  275-  905. 

*51.    Zum  Finanzwesen  desDionjsios  von  Syrakus  (15  S.).   Sitzungsberichte  der 
Beriiner  Akademie  1882  S.  1013—1027. 

KI.  Sehr.  II  S.  306-8'20. 

*52.   Zum  Mtinzwesen  Athens  (30  S.).    Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie 

1882  S.  1193—1222. 

Kl.  Sehr.  U  S.  321-344. 

58.  Aischylos  übersetzt,  vierte  umgearbeitete  Auflage,  Berlin  1884  (Verlag  vun 
Wilhelm  Hertz,  Bessersche  Buchhandlung,  [I]  476  S.)  8. 

54.   Geschichte  Alezanders   des   Großen,   vierte  Auflage,  mit  5  Karten  von 
Richard  Kiepert,  Gotha  1892  (Friedrich  Andreas  Perthes,  IV  510  S.)  8.