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S3
I
I
I
KLEINE SCHRIFTEN
' I ZUR
ALTEN GESCHICHTE
VON
JOHANN GUSTAV DROYSEN
IN ZWEI BÄNDEN
ERSTER BAND
MIT DEM BILDNISS J. G. DROYSENS
LEIPZIG
VERLAG VON VEIT & COMP.
1893
Werke
VOU
Johann Gustav Droysen
aus dem
Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig.
^Äbllttttbltttisen. 3ur neueren ®efc^id)tc. gr. 8. 1876. ge^. 8 jH.
Sitl^alt: I. 8uT ®eid)id)te ber ^olitif in ben Salven 1830-1832. — II. «ßmifeen
xmb \^Qi^ 8l)ftem ber ©rofemäc^tc. — III. '^wx ©efcftit^te ber beutfc^en ^ortei in
2)€Utf(^(onb. — IV. (Sin ^iftorifrfjer 33eitrag gur Seigre tum \ivx ßongrcffen. —
V. 3)er 9?ijmp5enbuigei- Sertrog x^^w 1741. — VI. Sriebric^ö be^ öroften ))oIi=
tifd^e 8teEung im 3(nfangc be§ fd)Iefi)cf)en .triege«. — VII. %\t SBicncr ^flianj
öom 5. Sebntar 1719. — VIII. 3ur Äritif ^ufenborf•c^ — IX. Tn^ ©tral^Ien:^
borff' fc^e ©utnc^tcn.
lies 3lriflO|ll|atte0 tUerke. Überfe^t. dritte [umgearbeitete] ?luflage
2I^ctIc. gr. 8. 1881. ge^. \2 JH\ geb. tu ®anjl. 13 JK 60.^
{)aB £eben \t% JelbmatfdiaUs (trafen ^orh MXi IDartenbitrg
Sehnte Aufrage. SKtt gorf g 93ilbni^, geftod^en üon S. 3acobt| unb
8 5ßlänen. ^m\ Steile in einem 83anb. gr. 8. 1890. ge^. 7 Jl
elegant gebunben 8 Jl
ßrundrisS der HistOrik. Dritte umgearbeitete Auflage, gr. 8
1882. geh. 2 Ji
KLEINE SCHRIFTEN
ZUR
ALTEN GESCHICHTE
VON
JOHANN GUSTAV DROYSEN
ERSTER BAND
MIT DEM BILDNIS8 J. G. DROYSENS
LEIPZIG
VERLAG VON VEIT & COMP.
1898
Druck TOD Metiger A. Wittig in Lelpslg.
•*>- v*^ - a^
^
>
Vorwort.
Der 'Gedanke Johann Gustav Droysens kleinere Schriften zu
sammeln, gleich nach seinem Tode (am 19. Juni 1884) gefaßt, gelangt
aus yerschiedenen Gründen erst jetzt zur Ausführung. So fern dem
bescheidenen Sinn des Verstorbenen jede Überschätzung des Anteils lag,
den die Fortschritte der Geschichtswissenschaft seiner rastlosen und
selbstlosen Arbeitsfreudigkeit danken, so erhellte doch den Ausgang
der ,,Nachtwache seines Lebens'^ die Freude daran, daß alle seine
größeren Werke inmier wieder in nicht alternder oder zeitgemäß ver-
jünger Gestalt hervortraten. Denn sie schlingen immer von neuem
und immer fester das Band des innigsten Zusammenhangs mit der
Jugend Preußens und Deutschlands in den verschiedensten Berufs-
kreisen, der ihm so sehr am Herzen lag. Auch der Neuherausgabe
verschiedener unter seinen kleineren Arbeiten war er nahe getreten.
Aus ihnen in seinem Sinn eine Auswahl zu treffen und sie in seinem
Geiste neu herauszugeben war daher das vornehmste Bestreben der zu
dieser Aufgabe Berufenen unter seinen Angehörigen. Es durfte davon
weder in der fast übertriebenen Strenge, mit der er selbst über viele
seiner Jugendarbeiten urteilte, ausgeschlossen werden, was zwar nicht
mehr ganz dem heutigen Stande der Forschung entspricht, aber
wesentlich zu dessen Erreichung beigetragen hat, noch auch aus persön-
lichen Gründen aufgenommen werden, was für den Verfasser und
seine Art immerhin in hohem Grade bezeichnend, aber durch seine
eigenen spateren und größeren Arbeiten überholt ist. Daß nach beiden
Seiten hin mit voller Unbefangenheit verfahren wurde, dafür bürgt,
daß die Auswahl der zunächst erscheinenden Arbeiten zur alten
IV Vorwort
Geschichte von dem ältesten Sohn, Professor Gustav Droysen in Halle,
und dem unterzeichneten Schwiegersohn getroffen worden ist unter
Teilnahme der bewährtesten Kenner auf diesem Arbeitsgebiet Droysens,
der Herren Ulrich Köhler in Berlin und Eduard Meyer in Halle.
Der erste Aufsatz, ursprünglich beiseite gelegt, ist aufgenommen worden,
weil er nach dem Urteil von Ulrich Wilcken in Breslau „trotz des
damals so viel geringeren Vergleichungsmateriales in den Lesungen
und Erklärungen bewunderungswürdig viel Richtiges enthält und in-
sofern auch für den Verewigten besonders charakteristisch ist, als er
zeigt, wie gewissenhaft er in der selbständigen Verarbeitung und Ver-
tiefung auch scheinbar geringfügiger Details vorging, um sie dann
seinen großen Gedankenkreisen einzuordnen'^
Die Aufsätze teilen sich nach ihrer Entstehung und nach ihrem
Inhalt von selbst in drei größere Gruppen.
Die erste Gruppe umfaßt hauptsächlich die vor und neben den
ersten Ausgaben des Alexander (1833) und der Diadochengeschichte
(1836) entstandenen geschichtlichen und geographischen Arbeiten. An
ihrer Spitze steht die schon erwähnte noch vor der Doctordissertation
verfaßte Erstlingsarbeit vom Jahr 1830, die Niebuhr, dem sie der junge
Verfasser übersandte, sofort in sein Rheinisches Museum aufnahm. Die
scharfsinnige Dissertation de Lagidarum regno Piolemaeo VI Phüo-
metore rege (1831) ist nur deshalb nicht aufgenommen worden, weil
sie als selbständige Schrift erschienen und, wenn auch in seltenen
Exemplaren, noch zu erlangen ist. Auch fallt sie durch ihren der
*
römischen Zeit angehörenden Inhalt und die lateinische Abfassung aus
dem Rahmen der übrigen Aufsätze heraus. Es folgen die kurz begrün-
deten Vermutungen zur Geschichte der Kelten (1834 und 1836) und
die größeren Aufsätze über Päonien und Dardanien (1836 und 1837).
Sie verdienten es wohl, aus der Vergessenheit veralteter Zeitschriften
und der Einsargung in die große Hallische Encyklopädie wieder an
das Licht gezogen zu werden. Den Kern und Mittelpunkt der ganzen
Gruppe aber bildet die große noch keineswegs veraltete Untersuchung
über die Urkunden der Demosthenischen Kranzrede (1839) mit ihren
Fortsetzungen (1845 und 1846). Daran schließen sich die beiden Briefe
an Theodor Bergk und Justus Olshausen (1841 und 1843), die einen
neuen Einblick gewähren in die weitumfassenden Gedanken, denen alle
Vorwort V
großen und kleinen Arbeiten Droysens ihre Entstehung verdanken.
Den Schloß bildet der mit Unrecht in Vergessenüeit geratene Aufsatz
über die attische Commnnalverfassung (1847).
In der zweiten Gruppe sind auf die Geschichte der griechischen
Dichtung bezügliche Aufsätze vereinigt, die sich an die ewig jungen
Übersetzungen des Aischylos und Aristophanes (1832 und 1835) un-
mittelbar anschließen. An die beiden bahnbrechenden Abhandlungen
über des Aristophanes Vögel und die Hermokopiden (1835) und über
Phrjnichos, Aischylos und die Trilogie (1842) sind einige kleinere
verwandten Inhaltes aus den gleichen und den nächsten Jahren ange-
reiht worden. Zu dieser Gruppe bildet einen passenden Anhang die
gedankenreiche Erklärung zu den Wandgemälden im Ball- und Konzert-
saal de» Dresdener Schlosses von Eduard Bendemann (1858), die
weiteren Elreisen bisher so gut wie unbekannt geblieben ist
Die dritte Gruppe besteht aus den antiquarischen, historischen und
nxmiismatischen Aufsätzen, die durch die Neubearbeitungen des Alexander
und der Diadochen und Epigonen veranlaßt in den letzten Lebens-
jahren (1874 bis 1882) geschrieben wurden. Sie zu überarbeiten und
neu herauszugeben war einer der letzten litterarischen Pläne Droysens.
Daß sie auch ohne eine solche Verjüngung, die nur durch ihren Ver-
fasser selbst hätte ausgeführt werden können, den Wiederabdruck ver-
dienen konnte niemals zweifelhaft sein.
Die Abhandlungen sind sämtlich, wie es sich von selbst versteht,
im wesentlichen unverändert wieder abgedruckt, dabei auch gewisse
TJngleichmäßigkeiten in der Schreibung der griechischen Namensformen
nicht ängstlich gemieden worden. In den Handexemplaren, die dem
am ihre Aufbewahrung gänzlich unbekümmerten Verfasser zufallig
geblieben waren, fanden sich nur wenign Zusätze und Berichtigungen;
sie sind natürlich stillschweigend aufgenommen worden. Die Ver-
weisungen sind nachverglichen und soweit nötig auf die jetzt gebräuch-
lichen Texte gestellt worden. Die in EHammern hin und wieder bei-
gefugten kurzen Anmerkungen bezwecken nur Thatsächliches richtig
zu stellen. Sie werden zum größten Teil den beiden obengenannten
Gelehrten verdankt, deren Rat bei der Auswahl eingeholt worden ist.
Die Aufsätze der ersten Gruppe füllen den ersten, die der zweiten
und dritten den zweiten Band. Am Schluß des zweiten Bandes befindet
VI Vorwort
sich ein chronologisches Verzeichnis sämtlicher Arbeiten Droysens zur
alten Geschichte und zur griechischen Dichtung.
Das Münzbild auf S. 79 wird der gütigen Mitteilung F. Imhoof-
Blnmers in Winterthur verdankt
Das beigegebene Bildnis ist eine Photogravüre nach der leben-
sprühenden Kreidezeichnung in natürlicher Größe, die der Jugendfreund
Droysens Eduard Bendemann in Dresden im Jahr 1855 in wenigen
Stunden hingeworfen hat. Die Benutzung des Originals wird der Witwe
,des Meisters verdankt, in deren Besitz es sich befindet
Auf die Zeit der Heldenverehrung, in der Droysen seinen Alexander
und seinen Friedrich schuf, ist freilich eine andere gefolgt, die seine
Ideale bemängelt und der nachschaffenden Phantasie, mit der er die
Lücken der Überlieferung ergänzte, nicht folgen mag. Aber aus der
warmherzigen Begeisterung, die sich von jenem Mittelpunkte aus auch
auf die kleinsten Nebenuntersuchungen erstreckt, werden inuner neue
Geschlechter Belehrung und Erhebung schöpfen.
Berlin, Mftrz 1S93.
E. HObner.
Inhalt
Seite
I. Die griechipchen Beischriften von fünf ägyptischen
Papjren zu Berlin 1
Anhang 89
U. Zur Geschichte der Kelten
a. De foniibus veUrum auetorum in eocpeditiombua a OaUis in
Macedaniam atque Oraeeiam susceptiSf scripsit Dr, Gust Ad.
Sekmidt. Berol. 1834 42
b. Die Kelten bei dem Komiker Ephippos 46
III. Päonien und Dardanien
a. Pftonien, Geographie, Ethnographisches, Geschichtliches . . 48
b. Zur Geschichte der Pfionier und Dardanier 79
IV. Demosthenes
a. Über die Echtheit der Urkunden in Demosthenes Bede vom
Kranz
I. länleituDgi 95
II. Aiiohines KlageMhrift § 54 und Ktesiphons Antrag § 118 108
m. Das Dionyrisohe Oeseta § 120 119
lY. Aktenstücke für den Krieg yon Ol. 110 2 und 3 ... 121
Amphikiyonen-Decret I § 154 135
Amphiktyonen-Decret 11 § 155 138
Xqwoi § 153 140
Philippe Brief (an die Peloponneeier) § 157 141
Psephiama der Athener § 164 146
Psephisma der Athener § 165 150
Philipps Brief an die Athener § 166 152
ÄnoHOurig ßiißaioig § 167 153
Psephisma des Demosthenes § 181 154
V. Urkunden aus dem Kriege von Bysans Ol. 109 4. 110 1 164
Psephisma der Athener wegen der Schiffe § 73 . . . . 172
Psephisma der Athener (Aristophon) § 75 177
PhUipps Brief § 77 182
Psephisma der Bysantier § 90 183
Psephisma der Chersonesiten § 92 185
VI. Urkunden sum euböisehen Kriege 186
Ehrenantrag des Aristonikos § 83 189
Zeugnis &her Anazinos § 137 191
■ [Aus dem Hudejcemplar des Yerf.].
Vitt Inhalt
Seite
VIT. Urknnden über den Frieden des Philokratee 198
Psephisma wegen Friedenagesandtsohaft § 20 198
Peephisma des KalUsthenes (axavafiafüiy) § 38 . . . . 204
Philippe Brief 211
VIII. Die Elirendeorete für Nauiiklee, Ciiaridemoe, Diotimoe . . 218
Peephisma für Naoaiklet § 115 214
Psepiiitma für Cliaridemoe und Diotimoe § 116 . . . . 224
IX. Dai Zeugnis der Areopagiten 232
X. Das Trierarohische Oesets 238
XI. Qesamturteil 246
XII. Über den Ursprung der Dokumente 246
b. Die Urkunden in Demosthenes Rede vom Kranz betreffend 257
c Über daa Geburtsjahr des Demosthenes 271
V. Zur Geschichte des Hellenismus
a. Vorwort zur Gtsschichte des Hellenismus II 298
b. Über die sigeische Inschrift . 814
VI. Die attische Communalverfassung 828
Zu den griechlachen Beischriften von fünf ägyptischen Papyren
zu Berlin, Nachtrag von U. W. . . 386
I.
Die griechischeii Beischriften
von fünf ägyptischen Papyren zn Berlin.
Rheinisches Museum für Philologie , Geschichte und griechische Philosophie
herausgegeben von B. G. Niebuhr und Ch. A. Brand is. Dritter Jahrgang
IV Bonn 1829 S. 491—541.
Die dem Avftatz beig^gebene Tafel ist fortgelassen worden, da sie den heutigen Anforderungen an Ge-
nauigkeit der Wiedergabe nicht entspricht und Hir das Verstflndnis der Erläuterungen entbehrlich ist.
Unter den wertvollen Schätzen ägyptischer Altertümer zu Berlin,
dorch deren Ankauf des regierenden Königs Majestät die Museen seiner
Residenz auf eine ebenso interessante als den Wissenschaften ersprieß-
liche Weise bereichert und vervollständigt hat, befinden sich viele
Papyre, welche, einige der früheren Sammlung Passalacqua abgerech-
net, ohne bedeutende Verletzung entwickelt und den Forschern zu-
ganglich gemacht sind. Die von Herrn von Minutoli in Ägypten ge-
sammelten Bollen werden einstweilen noch von den anderweitigen
Altertümern gesondert in der Königlichen Bibliothek aufbewahrt; der
großen Gute des Herrn Professor und Oberbibliothekar Wilken habe
ich hier öffentlich meinen Dank zu sagen, der mir nicht nur eine Zeit
hiudurch mich mit denselben vertraut zu machen Gelegenheit bot,
sondern mit der größten Bereitwilligkeit meinen Wunsch genehmigte,
die griechischen Beischriften von fünf enchorisch geschriebenen Papy-
ren dem gelehrten Publikum bekannt zu machen. Es sind zunächst
Droysen, Ki. Schrillen I. i
2 Die griechiBchen Beischriften
die Resultate, die sich aus der Entzifferung dieser Beischriften ergeben,
haben, nicht eben viel mehr als Bestätigung einiger sonst schon be-
kannter Data, wenn nicht ein geübteres Auge zwischen den Zeilen noch
liest, was mir entgangen wäre ; dennoch haben sie, wie jedes Document
früherer Zeit, vollgültigen Anspruch auf Interesse und geben Anlaß za
Untersuchungen [492] mancher Art; sie entziffert vor sich zu haben wird
nicht ohne erfolgreiche Anwendung auf die ihnen vorgeschriebenen, encho-
rischen Contractformeln, deren Hauptpunkte sie unleugbar recapitulieren,
und mit deren Entzifferung sich noch kürzlich Herr Professor Seyffarth
beschäftigt hat, bleiben können. Femer haben schon einige andere Kauf-
contracte mit ihren Beischriften sich auf höchst interessante Weise an
die Prozeßakten des Hermias angeschlossen; und da fast alle bis jetzt
gefundenen Papyre sich auf wenige Familien und Fundorte zurück-
führen lassen, so ist es mehr als leere Hoffnung, es möchten in diesen
oder jenen Sammlungen andere Documente aufbewahrt werden, mit
denen die unseren zusammengestellt wer weiß welche tiefe Blicke in
das engste Privatleben einer längst verschollenen Zeit zu thun möglich
machen werden.
Unter den Papyren der Sammlung Minutoli zu Berlin befinden
sich im ganzen sechs mit griechischen Beischriften oder richtiger Unter-
schriften versehene; sie sind bezeichnet: pap. BeroL Nro. 36, erklärt von
Buttmann „Erklärung einer griechischen Beischrift auf einem ägyptischen
Papyrus" in den Abhandlungen der Berliner Akademie 1824; über den
enchorischen Text desselben Papyrus hat Kosegarten in zwei Abhand-
lungen, „Bemerkungen über den ägyptischen Text eines Papyrus aus
der Minutolischen Sammlung, Greifswald 1824" und „de prisca Aegyp-
tiorum literatura, Vimariae 1828" Wichtiges zusammengestellt. Ferner
pap. Berol. Nro. 37, Nro, 38, Nro. 39, Nro. 40, Nro. 41, über deren
enchorischen Text gleichfalls in Kosegartens zweiter Abhandlung sowie
in Seyffarths Rudimentis einzelne Bemerkungen zu finden sind; von
ihrem griechischen Texte ist, so viel ich weiß, noch nichts weiter be-
kannt geworden, als über No. 38 einige beiläufige Notizen bei Butt-
mann und über No. 37 einiges bei Kosegarten in der zweiten Schrift
S. 57, sowie bei Ideler Handbuch der Chronologie I S. 124. Über
die Geschichte dieser Papyre genügt es, Buttmanns Bericht zu wieder-
holen; er sagt, „daß über [493] den Fundort der einzelnen Rollen sich
gar nichts angeben läßt; wie bekannt, sind die ersten Finder gewöhnlich
jene Katakomben durchwühlenden Araber, welche so wie sich, so auch
dem ihnen in den Wurf kommenden Europäer vollkommen Genüge
zu leisten glauben, wenn sie ihm ohne alle weitere Nachricht da«
Kleinod verkaufen. Herr von Minutoli vollends, der die meisten dieser
' von fünf Sgyptischen Papyren zu Berlin 3
Bollen' als eine yon anderen nach nnd nach schon gemachte Samm-
lung erwarb, konnte von dieser Seite auch nicht den mindesten Auf-
schloß erlangen. Wir müssen uns also mit der allgemeinen Notiz
behelfen, daß diese Bollen gewöhnlich in den Mumiensargen und in
den Umhüllungen der Leichname selbst, vielleicht auch bisweilen in
anderen zu dem Sarge in die Grabhöhlung gestellten Gegenstanden
sich befinden'*.
Wir lassen nun die einzelnen Papyrus mit der Angabe ihrer
äußeren Gestalt und den griechischen Text, soweit es uns gelungen ist,
die einzelnen Buchstaben zu erkennen, folgen, führen sodann das All-
gemeine über das Wesen und die Form dieser griechischen Beischriften
aus, und erklären endlich, soweit es sich thun läßt, die einzelnen Pa-
pyre mit hinzugefügter vollständiger Schreibung der Texte.
Pap. BeroL Nro, 37.
Er enthält zweimal denselben, enchorisch geschriebenen Contract;
denn als Contractformel erkennt man beide Absätze an dem nach dem
ausführlichen Datum gesetzten enchorischen Zeichen vJ, welches das
Antigr. Grey. übersetzt fierä xu xoivä rdSs Xi/ei. Die beiden encho-
rischen Sätze stehen auf dem sehr breiten Papyre in gleicher Höhe
neben einander; der Satz auf der linken Seite besteht aus 7^, der zur
rechten aus 8^ etwas kürzeren Zeilen; unter dem letzteren steht un-
mittelbar eine enchorische Unterschrift. In der Mitte unter beiden
eine Hand breit tiefer ist folgende griechische Beischrift;
hn. 1. BTOvq vß naxcov le rar stii rrjv sv sq tq s(p cg [494] ^/i/i"* i
eyx xarcc rfjv Siayg nroksfiaiov rs^ v(p rjv vnoyQ
lin. 2. uänoXkcovioq o ccvriyg svrjQig (oqov 'kpiXor^ Q^ tv naxefiBi
ov 6(0^ AfiiKxivuov rov &OTOvrog rak ß tb^o
lin. 3. Afnx^ TQ
Papyr. BeroL Nro. 38.
Er enthält einen enchorischen Contract, 6|- Zeilen in ziemlicher
Breite; die griechische Beischrift, welche zwei Zoll breit darunter ziem-
lich flüchtig geschrieben ist, heißt also:
lin. 1. BTOVq XCC (pafiBVO& Xa TBT BTII T1]V BV BQflCOV&Bl TQCCTtB-
^av Bfp ijg AnokXcoviog x Byx xarcc rtjv naga ZfXivog
xai TCDV .... rcov itQog rrji covth Siaygacpriv vcp rjv vito-
yga^Bi cefifjiGyviog o avriyg
lin. 2. (ovfjg cjQog cjqov xpiXor^ . . . ß xai rcov avcotxio^ rcov ovrcov
1*
4 Die griechiBcheii Beischriften
aito yo xai A . . . tö>i/ (laf ev nrovrei .... 7]g at ynxviat
TtQOXBiVTcct 8tu TjjQ SiuyQ ov f]yoQ nagu TBPvrjatog r«ys
Ifjuav&co xai
lin. 3. (TBfjifjiiviog tt;^ nerex^ovrog /^raA ß tbIoq e^axocnag y x
AnoXkmviog xo
Papyr, BeroL Nro, 39.
Er enthält einen enchorischen Contract in 10 mäßig langen Zeilen;
die griechische Beischrift ist mit steifer Hand und vielen Abkürzungen
geschrieben, in folgender Art:
lin, 1. erovg tS rov xcci la fie/etQ . . . ter btii Tt]v ev bq tq B(p
i}g Siov i Byx xara ttjv diayQ \pBvx^
lin. 2. T6^ v(p f]v vnoyg i}q o avriyg afpano o<TOQf]()tg (oqov
ano . . . otx cjx^S^ ^ai Sbv
lin. 3. g' . . . Bvr,g rov cpQOVQiov , . . ov b&bto avtcoi ravovg
lin. 4. nQog x ^«^ ß tb dia A tq
[495] Papijr. BeroL Nro. 40.
Er enthält einen enchorischen Contract in 18^ kurzen Zeilen, die
sehr flüchtig geschrieben sind; unmittelbar darunter in kleinen scharf
gezeichneten Buchstaben steht folgende griechische Beischrift:
lin. 1. BTOvg i8 rov icc (paQyLOv&i b tbt bth ttjv bv bq tq B<p
ijg Siov i eyx xaTa SiccyQ 'ipBvx^
lin. 2. T6^ v(p fjv vTioyQ ijq o avTtyo tb^ mvrig oaoQorjQig tov
(OQOV OiX 0)X0S0fl1]fJLBV7]g
i
lin. 3. xai TB&VQ(ofiBvr]g bv t(oi ano votov iibqbi nBQi tu fjLBfi-
VOVBU g fJLBQOg
lin. 4. ov Bcov*i nuQ avaxofivBog tov x^^XQ^^^og ^y^^-^
Papyr. BeroL Nro. 4L
Er enthält 4| Zeilen schön enchorisch geschrieben; darunter 8t.eht
in großen, unbehülflichen Buchstaben folgende, am Ende ein wenig
beschädigte griechische Beischrift:
von fünf Ägyptischen Papyren zu Berlin 5
lin. 1. lixy x^'^X ^^ ^^ ^ Q ^ eyxvxXtov ev Siog^
Tfjt fiy
lin. 2, oixiag ent rov 7]Qax'ketov tjV eyoQaaev aQtavg tfjevavvrio^
lin. 3. &(avT(og fi xat (Tsv&ovrcjii ^ xa& ov TtQOxeivrai
Man erkennt, wie oben angezeigt ist, schon die enchorischen Texte
in diesen Papyren an einem in allen wiederkehrenden Zeichen sehr
bestinunt für Contractformeln. Femer weiß man aus Papp. Taurr. I
S. 4 1. 14, daß in Ägypten ein Gesetz gewesen sei ^bqI rod xa fii]
ävayeyQafjiiiiva alyvnrta awaXläyfiara äxvgcc sivuty so daß man also
für jeden ägyptischen Contract {(TvvüXXccyfia s. (Tvyygaipi)) eigentlich
eine griechische Beischrift erwarten müßte, das sogenannte nr&iia
(denn in dem Antigr. Grey. heißt dieser Teil der Copie [496] &vTiyQa(pov
nrcaficerog)', woher es komme, daß eine größere Zahl ägyptischer Con-
tracte ohne solche griechische Beischrift ist, hat Peyron Papp. Taurr. I
S. 156 zu entwickeln sich bemüht. Der Grund für jenes Gesetz aber
ist leicht zu erkennen; denn wenn Ägypter miteinander Contracte
schließen wollten und zwar nicht unmittelbar Tor der griechischen
Behörde der Agoranomie, so bedienten sie sich der sogenannten jjlovÖ'
ypa^oij Schreiber ven irgend einem PriestercoUegio, die in ägyptischer
Sprache die Punkte des Contractes niederschrieben; indem aber zugleich
eine Steuer z. B. von dem Kaufpreise des Gegenstandes, über dessen
Verkauf (kontrahiert worden war, entrichtet werden mußte, so war es
notwendig, daß irgendwie durch ein gerichtliches Verfahren solches
Stipulieren von Contracten zur Kenntnis der betreffenden Steuerbehörde
kam. Ebenso mußten die jedesmaligen Inhaber von Häusern, Grund-
stücken, Privilegien u. s. w. für ihren Besitz, für den Ertrag ihres
Ackers, für ihre Liturgien eine gewisse Grund- oder Gewerbesteuer
entrichten, wozu wieder erfordert wurde, daß bei jedem Verkauf zur
Kenntnis der mit den Steuereinnahmen beschäftigten Behörden kam,
von wem welches Besitzrecht an wen überlassen sei (nach dem Ttgöa-
TuyiAU nagl r^s ävayQa(pr]g pap. Taur. I S. 6 lin. 31). So ist es
denn in Ägypten Gebrauch, daß die Contracte bei dem Steueramte
präsentiert werden, damit von ihnen die gewöhnüche Steuer gezahlt,
als gezahlt quittiert, und zugleich die Hauptpunkte des Contractes in
die allgemeinen Grundbesitz- und Abgabenbücher wegen der richtigen
Erhebung der jährlichen Grund- und Gewerbesteuer eingetragen werden
6 Die griechischen BeiBchriften
können \ Nach dieser doppelten Beziehung findet man denn auch auf man-
chen Papyren eine doppelte Unterschrift, nämlich das sogenannte trape-
zitische Register, welches über die richtige [497] Zahlung der Steuer
von dem Kaufe u. s. w. quittiert, und das andere, von Peyron entdeckte
graphische Register, welches bescheinigt, daß der Contract in der
Registratur des Nomos {^v T(p yQatfiw) sei vorgezeigt worden und auf-
geschrieben {ävayQaq^eiv, elg dvuyQcc(pjjv fiBTccXafißüvBtv) in den Grund-
besitz- und Abgabenbüchem des Nomos, aus denen Abschriften gleich
den Contracten selbst vor Gericht respektiert wurden. Diese zweite
Art von Unterschriften besteht nach Peyron erst seit dem Jahre 36
Philometoris ; doch bedarf sie noch vieler Aufklärung, und auch der
Umstand, daß sie so äußerst selten gefunden wird, einer zuverlässigeren
Begründung, als bis jetzt hat können gegeben werden. Wir halten
uns für den Augenblick noch nicht fähig, auch nur einen kleinen
Schritt über Peyrons Ansicht hinauszuwagen; auch ist zunächst für
die hier in Rede stehende Erklärung der Beischriften die Untersuchung
über graphische Register ohne besonderen Einfluß.
Desto genauer müssen wir die trapezitischen Register betrachten.
Peyron pap. Taur. I S. 138 hat für dieselben ein allgemeines Formular
aufgestellt, und wir finden auch in allen bisher bekannten mit Aus-
schluß unseres No. 41 dasselbe Schema "u Grunde liegen. Die gram-
matische Structur in diesen Registern wird von Buttmann und Peyron
durchaus verschieden erklärt Legen wir den schon entzifferten und
von Buttmann edierten pap. Berol. Nro. 36 zum Grunde, welcher also
lautet:
krovg lg Xoicex t^ reraxtai km ti]v kv AiotrnoXti tj? fieyaXy
T()cme^av, B(p ijg Avatfiaxo^, etxofxrijg kyxvxhov, xaxa Siayga-
(fijv !A(Txh]niadov xcci Z^iviog reXcovcov, v(p ijv vnoyQacpti
nTolefiaiog 6 dvTiy()a(f6vg, 'i2Qog 'Qqov Xokxvrr]g (bvtjg t&v
Xoyevofjiavcov St* avrcov x^Qt'^ 7ö>^ xei^ievcov vbxqcjv kv oig kxovmv
kv TOig MB^vovBiotg rijg Atßvi^g rov IleQt&Tjßag ratpotgy ävd' ijg
noiovvxai keirovQytag, ä kwvijGccro naQ* * Ovv(o(pQiog rov ' ii()ov
^aheov raL y' xh'kog kvvaxoaiag y^ ^ Avaifia^og TQane^irfjg.
[498] So ist nach Buttmanns Ansicht die Grundlage der Structur: rirax-
rai^ilQog TfiAog; riraxTai stehe hier nach der Analogie \on j^rürro/jicci
(plQBiv (pÖQov, mir wird Steuer auferlegt", der Infinitiv sei nicht aus-
gedrückt, weil, sowie man sage rdzTo nvl cpÖQoVy die Sprache auch
^ Der weitere Zusammenhang dieser Bestimmungen ist erläutert in unserem
Aegyptus sub Ptolemaei Philometoris imperio, welches demnächst im Drucke
erscheinen wird. D. Verf. (Vergl. das Verzeichnis der Schriften des Verf. No. 2.)
von fünf ägyptischen Papyreu zu Berlin 7
mit sich bringe zu sagen rärrofjLm (p6Qov\ die Zeitbestimmung bei
eifern Perfekt könne nicht von dem Tage der Handlung dieses Verbi
gelten; denn für diesen Sinn müsse es heißen kxdx^n^ es sei also
vielmehr der Termin ad quem darin bezeichnet , der Zusammenhang
im ganzen dann so aufzufassen: ,,auf den und den ist Horus angewiesen
zu zahlen an Zoll so und so viel". Aber es entsteht aus dieser Er-
klärong mehr als ein Übelstand ; man fragt, warum wurde, sobald die
ägyptische avyyvatfri präsentiert war, nicht sogleich die Steuer ent-
richtet und darüber quittiert, sondern mit vieler, ganz lästiger und
zureckloser Umständlichkeit erst der Käufer an die Trapeza beordert,
um seinen Contract also unterschreiben zu lassen: er sei beordert, auf
einem zweiten Termine zu erscheinen, wo er diesen nicht gar großen
und leicht zu überrechnenden resp. Zehnten oder Zwanzigsten einzahlen
solle. Ferner finden wir, daß erst durch diese trapezitischen Register
die Contracte gerichtliche Autorität bekamen, d. h. der Kauf wurde als
in Form Eechtens geschehen anerkannt, wenn nachgewiesen werden
konnte, daß xä Tcaß-ijxovra rtXri entrichtet seien, als wodurch die
Handlung gerichtlich vollständig und beendet war; bei der von Butt-
mann angenommenen Erklärung ist dagegen die Unterschrift nichts
weiter als eine Citation, wenn auch Böckh meint, „dies riraxtai habe,
wenn nicht ausdrücklich hinzugefügt wäre, daß der Citierte nicht ge-
kommen sei, soviel gegolten, als wenn es hieße Terccyfiavog nageartf
es stellt sich der erhaltenen Anweisung gemäß Oros im Amte". Ich
glaube, gerade diese Art von Brachylogie würde für den ^Kanzleistil
nicht die passendste sein, der die wesentlichen Punkte lieber zu weit-
läufig, als kurz und prägnant bestimmt; überdies [499] würde in dieser
Erklärung von Böckh die Structur von reAog durchaus undeutlich sein,
und sich am wenigsten mit der Buttmannschen vereinigen lassen; gegen
Buttmann wieder müßte man mit Recht noch einwenden, daß das
xcträ SiayQacpjjv u. s. w. seiner Stellung nach eher selbst auf die ci-
tierten Personen, als auf das riXog am Ende bezogen werden würde.
Kurz es sind die in diesen Erklärungen eingeschlagenen Wege durch-
aus unbequem, und führen zu keinem Resultate, bei dem man sich
beruhigen könnte. Das hat bereits Peyron ausgesprochen, und auf
zwei Stellen seiner Hermiasacten eine neue Erklärung gegründet. Näm-
lich in pap. Taur. I S. 5 1. 18, S. 9 L 13 findet man &v (nicht (rvy-
yQaq)&Vj wie Peyron meint, denn nicht vom Contracte, sondern vom
Eau^reise, d)vi}^ oder dem Gegenstande des Kaufes, was natürlich das-
selbe ist, wird gesteuert; also r&v .... ni^x^oov oder dergleichen) &v
xal rä rilfj xBxdx&cci slg rrjv rov kyxvxXiov djvi^v, quarum (nicht
8^fi%grapharum, sondern renjum venalitmi) tribiUa relaia esse in registrum
8 Die griechisohen BeiBchriften
officii redemtionis annui tribuU; hiernach sei die Structur der trapezi-
tischen Register, die hier offenbar angedeutet wird, passivisch, yjTiraxrai
Tilog, an dem und dem Tage wurde einregistriert .... die Steuer".
Obschon die Grundlage dieses Beweises unumstößlich zu sein scheint,
so müssen wir doch das Bewiesene ablehnen, indem es in vollstem
Widerspruche ist mit den zu erklärenden Registerformeln, in welchen
Tslog so wenig Nominativ ist, daß in Papp. Berol. Nro. 37 und 38
die Apposition zu riXog, die Zahl der Drachmen im Accusativ ausge-
drückt ist, als wahrer und alleiniger Subjektsnominativ dagegen der
Name des Käufers dasteht, über welchen Casus sich Peyron nicht er-
klärt hat. Ebenso heißt es in den Petrettinischen Papyren der Zois
Nro. 3: max&ui Zd'iSa rijv itQcdrtjv ävacpogäv xai vvv rdtTfrerat
Tiiv SwTBQap, und das schreibt sie in einem Briefe an die Könige,'
d. h. an das königliche Zollamt, noch ehe sie zur Zahlung citiert ist;
ebenso heißt es Pap. Taur. X 6 : ö [500] ccvrög riXog riraxTai u. s. w.
Nicht minder ist mir rerccxTUi im Sinne von referre in registrum ganz
unwahrscheinlich; man würde in Ägypten ävct(fkQBiv, xarazcopi^eiv und
dergleichen erwarten. Allerdings ist in beiden von Peyron angezogenen
Stellen die Structur von raraxd-ai durchaus passivisch; aber sie selbst
durften so nicht zur Erläuterung der Registerformel gebraucht werden;
denn in diesen letzteren ist die Hauptsache zu sagen, daß der N. N.
seine Steuer entrichtet habe, dort dagegen, daß die Steuer über einen
Kauf, zu welchem der vor Gericht als Document gebrauchte Contract
gehöre, enirichtet sei, der angefahrte Contract somit gerichtliche Gültig-
keit habe. Nur so viel kann man, glaube ich, aus der Vergleichung
des beidesmaligen riraxTai entnehmen, daß die Bedeutung nicht, wie
sie Buttmann und Böckh nahmen, „vor das Zollamt eitleren" sein
könne, indem es sonst den Charakter eines technischen, d. h. im wesent-
lichen Constanten Ausdruckes verlieren würde. So scheint mir nichts
übrig zu sein, als jenes reraxTai der Register für denselben medialen
Ausdruck zu nehmen, der sich z. B. bei Herod. III 13 zeigt: xai cpÖQov
kra^ccvro xai S&Qa i'JiBfiTioVf wo rÜTTOfiai (pögov nicht heißt, „ich
werde zu einem Tribut angewiesen," oder „mir wird ein Tribut aufer-
legt," sondern „ich weise mich zu einem einzubringenden Tribut an,
entrichte ihn ohne weitere Citation". Danach hätten wir in den Re-
gistern als Gerippe der Structur: Tiraxrai ^ilgog riXog i^axoaiag
SgaxfJidg, „es hat entrichtet Horus — seine Steuer 600 Drachmen";
natürlich hat auf diese Erklärung Buttmanns Einwand wegen des
Datums, das krü/'&fj erfordern würde, keinen Einfluß; man kann mit
Böckh 7tÜQB(TTi rarayfiivog periphrasieren. Besonders prägnant aber
ist hier das Medium mit seiner Bedeutung „aus freien Stücken zahlen";
TOD fünf ägyptischen Papjren zu Berlin 9
es war natürlich , daß jeder, der etwas kaufte, nach den einmal be-
stehenden Gesetzen sich melden mußte ohne weitere Citation, sich selbst
nach dem Gesetze stellend, ra^äfievog. Von diesem Medium aus hat
nun [501] augenscheinlich die offizielle Sprache ein neues Passivurn, in
welchem das Objekt der medialen Handlung Subjekt wird, sich gebildet
für die Bezeichnung, rä reXt] reräx^ai, über deren weiteren Sinn
unten mehr wird zu sprechen sein.
Eine zweite Schwierigkeit ist, in welcher Structur der Genitiv
Bixoarfjq kyxvxXiov abhangig zu erklären sei. Buttmann verbindet
km Ttjv roäne^ccv {h(p fjg Avaificcxog) hyxvxXiov, „das Zollamt des
gewöhnlichen Zwanzigsten;" sonderbar wäre schon die Parenthese, noch
sonderbarer, daß in den einzelnen Städten für die Kaufsteuer oder den
Zwanzigsten eine eigene rgana^a bestanden hätte. Nicht besser scheint
Peyrons Structur zu sein: ^(jr' fjg Avaificcxog alxoarTjg hyxvxXiov^ wel-
ches heßen soll: cm mensae praeest Lys., redemtor anrmae vigesimae;
wenigstens d knl rfjg elxoarfjg oder 6 ngdg ry elxocrry würde man
erwarten. Vielmehr ist dieser Genitiv abhängig von riXog, das ganz
am Ende des Registers steht, „entrichtet hat N. N. des gewöhnlichen
Zwanzigsten .... Steuer," so daß also zu diesem rilog drei Genitive
gehören, einmal welcher Art die Steuer sei, rikog eixoarijg iyxvxhov,
sodann von welchem Gegenstande riXog d)vi]g, rilog tptXordiiov ^ dv
ktypYjaaro ..., endlich die Apposition dieses Genitives des Gegenstandes,
der in Zahlen ausgedrückte Kaufpreis raXävrwv n. n. riXog] gerade
diese Schwerfälligkeit ist die Würze und der rechte Rhythmus des
Kanzleistils. Der Grund nun, warum dieser Genitiv elxotrrrjg hyxvxXiov
so weit vorweg genommen ist, scheint leicht zu finden; es müssen
nämlich die allgemeineren Titel vorangestellt werden, als die Grund-
lage für diesen einzelnen, näher zu spezialisierenden Fall; wieder ein
rechtes Zeichen des Kanzleistils, der durch die Behendigkeit der grie-
chischen Sprache im Ordnen der einzelnen Satzteile ungemein be-
günstigt wird. Wir können somit als die zum Grunde liegende Struc-
tur der Trapezitenregister folgendes Schema aufstellen: „erovgKN.ri'
raxTC4i int rijv kv N. N. TQÜiie^civ, hcp jjg N, N., slxoarTjg {Sexär^jg)
iyxvxkiov xuTÜ [502] Siccyo(X(pijv N. K, v(p* ijv imoyoätpei N,N..,,, KN,
6 rov N. N, ,.. ((bvfjg) raXävrcov {S^axficHv) n. n. rekog S^a/fiag
». n." „Im Jahre den hat N. N. entrichtet des gewöhnlichen
Zwanzigsten oder Zehnten Steuer von dem Kauf , von so und
so viel Talent, so und so viel Drachmen". Wir haben cbvfjg einge-
klammert, weü es bisweilen ausgelassen wird, und dem Sinne nach
füglich ausgelassen werden kann, indem statt dessen der Gegenstand
der gekauft wurde, mit seinem Werthe angeführt steht. Pejron sagt.
10 I^ie griechischen Beischriften
daß auch (bvy gefnnden werde, welches grammatisch wohl zu erklären
wäre; jedoch ist mir noch kein überzeugendes Beispiel vorgekommen,
vielmehr ein finales g leicht mit i zu verwechseln.
Fernere Bestimmungen, die sich in den Trapezitenregistem wieder-
finden, sind 1) das Datum; es wird regelmäßig nur angegeben, an
welchem Tage, in welchem Jahre des regierenden Königs gezahlt worden
sei, nicht zugleich der Name des regierenden Königs genannt; dies ist
natürlich, indem jedesmal die vorstehende (TvyyQa<pi^ in aller Ausführ-
lichkeit dieses Jahr bezeichnet; wir werden daher oft genug uns an
den enchorischen Text wenden müssen, um das in der Beischrift nicht
angegebene ergänzen zu können. Übrigens zählt die Regierung jedes
Königs, wie bekannt, nicht vom Tage seiner Thronbesteigung, sondern
vom letzten Neujahr rückwärts, d. h. dem ersten Thoth vor seiner Re-
gierung ab, so daß z. B. das ägyptische Jahr 567 aer. Nah. vom 8. Ok-
tober 181 bis 8. Oktober 180, das erst« des Ptolemäus Philometor ist:
obschon sein Yater noch bis zum Frühlinge 180 lebte, so daß man
möglicherweise noch Documente aus den ersten Monaten des Jahres 25
des Ptolemäus Epiphanes Eucharistos datiert finden könnte. 2) Das
Zollamt mit den Zöllnern, bei welchen die Steuer entrichtet wird,
inl Ti]v kv iV. N. rgäTte^av, k(p* ijq N. K Jenes knl rijv rgaiiB^av hat
Böckh bei Buttmann S. 108 mit Stellen aus Demosthenes [503] erläutert«
Schon oben ist gesagt worden, daß für jeden Nomos eine solche roa-
ns^a gewesen zu sein scheint, die nach den Petrettinischen Papyren
der Zois zu urteilen auch ßaaiXixi} rguTte^a genannt wurde; es wurde
nach den überlieferten Beispielen in diesen Zollämtern die Kauf- und
Salzsteuer {vtrQixtj] anders erklärt es Letronne), ingleichen die Erb-
schaftssteuer {dnaQx/j)j das Kaufgeld für confiscierte und vom Staate
versteigerte Güter, wahrscheinlich auch die oYvov, TQO(pi}g tUt], sowie
die TsräQTf] u. s. w. gezahlte Wir halten dafür, daß an der Spitze
dieses großen Bureaus, dessen Geschäftskreis noch ausgedehnter wurde,
seitdem Ptolemäus Epiphanes die Priester der Verpflichtung, gewisse
Steuern in Person zu Alexandria abzuliefern, entband, der bisweilen
genannte inl rcDv TiQoaöSojv rov vöjnov stand, ein wichtiges Amt, das
daher selbst einem avyytvrjg xctl kinaroXoyQdcpoq übergeben wurde.
Unter seinem Präsidio arbeiten nun natürlich eine Reihe verschiedener
(?ommissioneu (z. B. für die 'ivXriifjig rfjg virQtxfjg, für die olxovo^iia
T&v äpyvQix&v u. s, w.), ebenso verschiedene Arten von Beamten (so
d olxovöfioQ rov ßccaiUooq in der Sammlung Passalacqua Nro. 1564,
der kTtifxsXrjTjjg für die ivlrjrfjtg rijg virgixfjg u. s. w.). Besonders wichtig
für die Erklärung unserer Papjre sind die rgane^irccij die Zöllner,
offenbar beauftragt mit der unmittelbaren Einnahme der zahlbaren
von fönf Ägyptischen Papyren zu Berlin 1 1
Steuern; daher müssen sie die Register, welche Quittungen über die
gezahlten Steuern sind, mit ihres Namens Unterschrift attestieren; denn
man kann annehmen, daß irgend ein Schreiber bei der Zahlung der
Steuer die Quittung schreibt, der und der habe bei dem und dem
Zollamte, bei welchem N. N. Steuereinnehmer oder Zöllner sei, seine
Steuer eingezahlt; das zur Bestätigung unterschreibt dann der besagte
Zöllner oder Steuereinnehmer eigenhändig, und man erkennt jedesmal
sehr deutlich die verschiedene Art, wie in den Registern selbst und in
der eigenhändigen Unterschrift des Zöllners sein Name geschrieben ist.
Offenbar übrigens ist [504] dieser Trapezite ein königlicher Beamter; denn
nur so kann seine Unterschrift die Quittung vor Gericht rechtskräftig
erscheinen lassen. Dagegen ist 3) der rBXcüvr^q oder Zollpächter
eine Privatperson. Peyron hat dargethan, daß die in den Registern
anwendbare Bedeutung von StccyQucpri nicht Geldwechsel u. s. w. sein
könne, sondern allein partitio pecuniae impositae ac persolvendae; wenn
er aber fortfahrt, „daß diese Verteilung nötig gewesen sei, wegen der
großen Verparzellierung der Grundstücke, daß man, um von diesen
kleinen Parzellen noch gehörig die Abgaben einfordern zu können,
genaue Kenntnis der Teilung und gerichtliche Verteilung der Abgaben
für die einzelnen Besitzteile auf die einzelnen Besitzer habe veranlassen
müssen", so übersieht er, was zunächst sich aus den Registerformeln
nur ergiebt; denn es heißt, daß die gewöhnliche Steuer des Zehnten
oder Zwanzigsten von dem Kaufpreise gezahlt werde xarä StayQUfpiiv
des und des Zollpächters; wonach die SiayQacpi) weiter nichts sein
kann, als die Berechnung der Steuer für den jedesmaligen Kaufpreis
nach dem respektiven Steuerfuß. Also bei dem Zollpächter präsentiert
der Käufer zunächst seinen Contract, über dessen Inhalt er steuern
will, der Zollpächter [riktbvtjq) macht nun die 8iayQa(pi), d. h. er be-
rechnet, daß nach dem geltenden Steuerfuß für so und so viel Kauf-
preis der N. N. so und so viel zu steuern habe. Die Anweisung für
die Zahlung muß aber noch erst von einem königlichen Beamten, (4)
dem &vTiyQaq)Bvq oder Conjtrolleur unterschrieben werden (uqp' iiv
Siayga^ijv viioyQÜtpBi N, N, ö ävrtyQatpevg) und kommt so revidiert
an den Trapeziten oder Zöllner, der nun infolge derselben die Steuer
einnimmt, den Contract von seinem Schreiber mit dem Register, das
als Quittung gilt, versehen läßt, und endlich seinen Namen unter-
schreibt Statt eines TaMvrig oder Zollpächters machen auch zwei
oder mehrere die SiayQcccpi^, je nachdem die Steuer von einem, zweien
oder einer ganzen Gesellschaft (die denn wohl einen Vorsteher [505] hatte,
z. B. den ^nifjiekfjTfig bei der 'ivXTjrfjig rfiv viTQtxi]g) gepachtet war.
Dies angegebene Verfahren wird einigermaßen wenigstens durch die
12 Die griechischen Beischriften
Petrettinischen Papyre der Zois bestätigt; dort nämlich ist 1) eine
Quittung über Schuldzahlung wegen Pacht der vitqixi^: „TtiifVGJxsv inl
Ttjv äv Mifitpet ßaathxijv zQcine^av an Chäremon, den Stellvertreter des
Zöllners HerakÜdes, nach Maßgabe der nachstehenden Siaygatpif]^^. Es
folgt nun 2) die Zuschrift des Theodoros an den Zöllner Heraklides:
,;daß er in Empfang nehmen und aufschreiben solle die und die Summe
nach Maßgabe der nachstehenden SiccyQatpi'u die der ControUeur Dorion
unterschreibe, daß nichts vergessen sei. Dann wieder folgt 3) eine
Eingabe, in welcher die Einzahlung der Schuld von Seiten der schulden-
den Person annonciert wird, und endlich 4) die Sidyqa^ri selbst: näm-
lich Theodoros, der also wohl Zollpächter war, schreibt, man solle die
annoncierte Summe in Empfang nehmen, nachdem der ControUeur
Dorion werde unterschrieben haben, daß nichts vergessen sei; sodann
unterschreibt Dorion, der ControUeur, man könne die Summe in Em-
pfang nehmen u. s. w. ; noch folgen zwei andere Unterschriften, die der
Schuldzahlung eigentümlich zu sein scheinen. Nach dieser infolge der
Eingabe Nro, 3 concipierten und darauf controUierten SiayQccq)ri ist
ist also die Anweisung, jene Zahlung entgegenzunehmen, in Form einer
Zuschrift Nro. 2 an den Zöllner Heraklides geschickt, der demnach
die Zahlung entgegennimmt und über sie quittiert Nro. 1. Die Ord-
nung, in welcher die einzelnen Stücke auf dem Papyre erscheinen,
erklärt sich daraus, daß das Ganze nur als aktenmäßige Abschrift für
die zahlende Person, für welche die Quittung natürlich obenan steht,
verfaßt ist.
Nach diesen Bestimmungen des Datums, Zollamtes, der hyxvxXioqy
öiayQa(pi), vitoyoucpi) folgt in dem gewöhnlichen Formular der trape-
zitischen Register der Name des Käufers, dann die Bezeichnung des
Gekauften, bald mehr, bald [506] minder genau, ferner der Name des
Verkäufers, endlich die Sunmie des Kaufpreises, sowie der davon ent-
richteten Steuer. Wir lassen zur Anwendung des Gesagten auf ein
schon mit Sicherheit entziffertes Register die Übersetzung des oben
mitgeteilten griechischen Textes von Pap. Berol. Nro. 36 folgen:
„Am 9. Choiak des Jahres 36 hat an das zu Großdiospolis be-
findliche Steueramt, bei welchem Lysimachos Zöllner ist, die Steuer
des gewöhnlichen Zwanzigsten nach der Anweisung der Steuer-
pächter Asklepiades und Zminis, welche der ControUeur Ptolemäos
unterschreibt, Horos, des Horos Sohn, der Cholchyte, von dem
Kaufe der CoUecten, die sie (die Cholchyten) von wegen der
Leichen, die in den ihnen zukommenden, in den Memnonien des
zu Perithebas gehörenden Libyens befindlichen Gräbern liegen,
für die Amtsverrichtungen, welche sie thun, einsammeln, welche
von fünf ägyptischen Papjren zu Berlin 13
(CoUecte) er von Onnophris des Horos Sohn, dem Cholchyten,
kanfte, yon drei Eupfertalenten neunhundert Drachmen, 900 dreh.,
entrichtet.
Lysimachos, Zöllner".
Wir sind in dieser Übersetzung nicht wenig von Buttmann und
Böckh abgewichen/ worüber wir uns kurz erklären zu müssen glauben.
Die Worte (bvfjg r&v Xoyevofjiiv(ov A' cAx&v /apif rdh/ u. s, w. konnten
kaum richtig verstanden werden, so lange nicht das ävriyQcctpov des
ägyptischen Contractes, dem diese Quittung beigefügt ist, bekannt war;
ans demselben aber ersieht man, daß den Cholchyten für ihre Liturgien
oder Amtsverrichtungen in bezug auf die Leichen gewisser Ortschaften
Ton den Anverwandten der Verstorbenen gewisse CoUecten {Xöyeicc oder
Aöyia) einzusammeln zukam. Ein bestimmtes Quantum von Leichen
mit den auf sie bezüglichen Liturgien ist unter drei Cholchytenfamilien
geteilt; einer dieser Teile kommt zur Hälfte dem Asos, jüngerem Sohne
des Horos, die andere Hälfte seinem Vetter Onnophris zu; diese zweite
Hälfte nun kauft des Asos älterer Bruder Horos, von [507] Onnophris
sig nXfiocDGtv rov xqItov, d. h. um mit seinem Bruder Asos ein volles
Drittel jenes Quantums von Toten und der einzufordernden CoUecten
zu haben. Über die Steuer von diesem Kaufe quittiert nun das vor-
liegende trapezitische Register, also über xiXo^ dbvfjg x&v XoyevofjLEvo)v
AY uvT&v. Die Worte xCiv Xoyevofjiivoov hat Biittmann kunstlich genug
erklärt; aber in jedem Begister kommt die Siay^a^tj vor, die deshalb
nicht mit rä Xoyevöfievcc die von ihm vorausgesetzte Verbindung haben
kann. Man ersieht aus dem ävriyQa(pov das Sichtige, daß nämlich
rä Xoyevö flava hier dasselbe sind, was rä Xöyicc dort, eine Toten-
collecte (s. Schömann bei Kosegarten Bemerkungen S. 21); daß jenes
Verbum, welches aus gut griechischer Zeit nicht bekannt ist, diese Be-
deutung haben könne, sieht man aus Edict. Capit lin. 34, wo es heißt,
daß der Strateg der Thebais alle vier Monate die Logisterien inspi-
cieren und an den Eparchen von Ägypten rä kx rov XoyiaxriQiov
xal Tovg kxXoyKTTÜg schicken solle, iV käv ri itaqu xh Sixcctov AaAo-
ysvfUvov fj nenQccyfiivov ^, xovxo SioQ&c5(T(oficet, Nehmen wir diese
Bedeutung an, so ist auch die Schwierigkeit des x^Q^'^j über welches
die früheren Erklärungen auf keine Weise hinaus konnten, gehoben.
Über die Verrichtungen bei den Leichen, für welche die Cholchyten
ihre CoUecte einsammeln, hat Peyron Papp. Taurr. I S. 68 vollkommen
aufgeklärt. Einzelne Ungenauigkeiten in den Angaben dieses Registers
sind darauf zu schieben, daß es nicht sowohl auf eine durchaus genaue
Bezeichnung des Kaufgegenstandes, der schon in der ägyptischen avy-
yQUffil genugsam charakterisiert ist, als vielmehr darauf ankam, die
14 1)16 griechischen Beischriften
Steuerzahlang zu besoheinigen. So geht das Si^ air&v auf nichts in
dem Register selbst angegebenes, sondern auf die im ägyptischen Gon-
tracte genannten Cholchyten; ebenso müßte eine genaue Bezeichnung
lauten: dyvf^q rot? ijfXitTovg rov rgirov rijg XoyBiccQi, dafür aber wird
allgemeiner gesagt rä koyBvöfieva, Nach dem Angeführten ist auch
erklärlich, wie in der Pariser Copie [508] dieses Registers geschrieben
werden konnte: äv&^ J/tj noieirai XBirovQyiag statt unseres noiovvrai.
Wir Ijtösen nun die fünf Trapezitenregister in vollständiger Lesung
mit Übersetzung und Erklärung folgen.
Papyr, Berolin, Nro, 37,
(1) jyErovii vß" na/ojv le riraxrm knl Tfjv kv 'Epfjiciv&si rgane-
^aVj k(p^ Jytj !AfXfjicivtOi;, Ssxartjg kyxvxXiov xara StayQacpiiv IItoXb^
fimov TBkcivov, v(f 'fjv vnoyQcctpBi (2) 'AnoXXcovto*; 6 ävriyQatpev^j
''Lvf]Q(g "Qqov ilJt?.ot67iav nfjxsig ^ h Ilaxifiet, 6v kcovTjaaro
nccQ^ '4fjLiÄ(ovUov rov Oörovro^j raXävrcov ß' riXog f^a\
!Afifi(6vtog TQanB^ixrjq^^.
„Im Jahre 52 den 15. Fachen hat an das Steueramt zu Hermon-
this, bei dem Ammonios Zöllner ist, die Steuer des gewöhnlichen
Zehnten nach der Anweisung des Steuerpächters Ptolemäos, die
der ControUeur ApoUonios unterschreibt, Eneris, des Horos Sohn,
von einer Baustelle zu 900 Ellen in Pakemis, die er von Am-
monios, Thotus Sohn, kaufte, von zwei Talenten 1200 Drachmen,
entrichtet. Ammonios, Zöllner".
Das Datum ist das 52. Regierungsjahr des zweiten Euergetes, wie
man aus dem Anfange der ägyptischen avyyQacprj ersieht, die ge-
schrieben ist „im Jahre 52, am 3. Pachon des Königs Ptolemäos Gottes
Euergetes, des Ptolemäos Sohn, und der Königin Kleopatra seiner
Schwester, und der Königin Kleopatra seiner Nichte, der Götter
Euergetes". Es ist bekannt, daß Euergetes II nach seines Bruders
Philometor Tod (nach dem Juni 145) dessen Witwe und Schwester
Kleopatra, und bald hernach deren Tochter, seine Nichte Kleopatra
heiratete; Letronne meint, daß beider Königinnen Namen erst nach
132, wo Euergetes auf Anstiften der Schwester Kleopatra vertrieben
wurde, und sich wieder mit ihr aussöhnte, in den Acten gefunden
werden könne; [509] dem aber widersprechen die enchorischen Papp.
Beroll. Nro. 44 b vom Jahre 13G: „Ptolemäos Gott Euergetes, Sohn des
Ptolemäos und der Kleopatra, der Götter Epiphanes, und die Königin
Kleopatra seine Schwester, und die Königin Kleopatra seine Nichte",
und Nro. 45, welcher mit denselben Worten beginnt. Das im Register
bezeichnete Datum ist auf unsern Kalender reduciert (wir folgen den
von fünf ägyptischen Papyren zu Berlin 15
Bestimmnngen Idelers, ChroDologie I S. 124, nicht den Tabellen des
Herrn Champollion Figeac) der 2. Jnni 118, das im Contract angegebene
der 22. Mai 118.
Wir haben hinter dem Datum xiraxrai nach dem Vorgange
des Pap. BeroL 36 geschrieben, indem wir die an dieser Stelle stehende
AbbreTiatur dafür nehmen zu können glauben; man erkennt in der-
selben (Tf) wohl ungefähr noch ein t und «; es ist dasselbe Zeichen
an dieser Stelle in der Nechutesurkunde, sowie im Anfang des Pap.
Taur. X b d avrbq xkXoq "Z^.
'Eni rriv hv 'EQficjv&ei TQccTta^av mit den gewöhnlichen Ab-
kürzungen geschrieben, über deren Bedeutung man nicht zweifeln kann.
Unsere vier ersten Papyre sind datiert von dieser kv EQfic^v&ei tqu-
ni^a, obschon sie sich wenigstens nicht alle auf Grundstücke im her-
monthitischen Nomos beziehen können; ebenso ist der Nechutescontract
stipuliert vor den Agoranomen des pathyritischen Nomos, gesteuert
aber ist für ihn beim Steueramt zu Hermonthis; ebenso haben die
Cholchyten für das im sudwestlichen Teile Thebens belegene Haus des
Hermias die Kaufsteuer zu Hermonthis gezahlt (s. die Greyschen Zöli-
akien); diese Cholchyten sind in den Memnonien ansässig {rijv xccroi-
xiav ixovreg kv rotg Msfxvoveioig Pap. Taur. I S. 1 lin. 24, womit die
pathyritischen Memnonien gemeint sind, wie immer, wenn nicht ein
Zusatz wie rfjg Atßinjq, rfjg IleQi&ijßag ausdrücklich etwas anderes
angiebt); wo Nechutes wohnte, wird zwar nicht gesagt, aber er kauft
vor den pathyritischen Agoranomen seine Baustelle, die gleichfalls im
(510) südlichen Teile der Memnonien liegt; ebenso finden wir in unserem
Pap. Nro. 40 die Angabe, daß das gekaufte Haus, für welches in Her-
monthis gesteuert wird, auch im südlichen Teile der Memnonien liege.
Nun läßt sich nachweisen, daß der pathy ritische und perithebäische
Nomos verschieden \ daß (511) die Beamten des pathyritischen Nomos
^ Peyron, dem es darum zu thun war, der Tbebais in der Lagidenzeit nur
zehn Nomen zuzugestehen, behauptete, daß sowohl 6 HeQi&ijßagj als 6 Ua&vQi-
Tjfg den Nomos von Diospolis Magna, der zu beiden Seiten des Nils, unter dem
hermonthitischen, ober dem koptischen und tentyritischen Nomos hege, bezeichne;
der Name 6 Ueqi&i^ßag sei von den Griechen gebraucht, weil die alte weitläufige
Diospolis zu ihrer Zeit nur noch xcofAjjdov bewohnt gewesen sei, er bezeichne
namentlich den Teil des Nomos auf der rechten Seite des Nils, dagegen 6 Ha-
xhjQiTtjg mehr den Teil auf der linken, beide Namen aber brauche man promiscue
für den ganzen Nomos. Wenn nun jemand ohne vorgefaßte Meinung diese
zwei Namen für Nomen liest, so hält er sie zunächst für verschieden, zumal
weil kein äußerer oder triftiger Grund für die doppelte Bezeichnung anzugeben
wäre; fände er nun bei Ptolemäos, daß Pathyris eine Ortschaft auf dem linken
Nilufer sei und zum tentyritischen gehöre, so könnte ihm das als Beleg gelten,
wie sehr die gegenüberliegenden Ufer getrennt waren, da doch jedenfalls, wenn
16 Die griechibchen BeiBchriften
niedrigeren Banges waren, als dieselben Beamten z. B. des perithebäischen
Nomos. Es scheint mir demnach nicht unmöglich, daß für diesen
gewiß unbedeutenderen pathyritischen Nomos kein eigenes Steneramt
war, sondern die in demselben Ansässigen, um ihre £[au&teuer zu ent-
richten, in das hermonthitische Amt gehen mußten, mochte das von
irgend jemals das linke Ufer mit dem rechten zu einem Nomos gehört hatte,
dasselbe linke Ufer der alten Verbindung hätte zurückgegeben werden mfissen.
Diese Nomenvereinigung ist nach Plinius Zeit eingetreten, der den tentyritischen
und pathyritischen noch gesondert auffuhrt, dagegen den peritheb&ischen, nach-
Iftssig wie oft in der ägyptischen Geographie, ganz ausläßt; und doch gilt be-
sonders Plinius Autorität, diese Identität zu beweisen; ein wirklicher und über-
zeugender Beweis würde sein, wenn aus Documenten eine sichere Verwechselung
beider Bezeichnungen könnte nachgewiesen werden, so daß also bei demselben
Namen in demselben Papyrus z. B. bald tniaiaxfig xov He^id-qßag^ bald inuria-
rrjg rou üa&vqLiov gefunden würde. Dafür ist aber durchaus kein Beispiel;
wohl aber verklagt ein in Diospolis ansässiger Paraschist (Pap. Taur. VIII) einen
anderen Paraschisten, der in den Memnonien wohnte, bei dem ininiaxiig tov
Jhqi&ijßaCy und bekommt sein Recht vor dem tnKTiaTTjg tov Ua&vgliov , als in
welchem Nomos der Angeklagte wohnte; und in dem Contract, den dieser nicht
gehalten, hatte jener aus Diospolis die Liturgien in namhaft angeführten Ort-
schaften T^^ Aißvrjg tov Ha&vqLjov xal Komirov von dem anderen, der andere
von ihm die Liturgien in namhaft angeführten Ortschaften tov UeQi&rjßag ein-
getauscht. Daraus scheint mir unwiderleglich zu folgen, daß die fraglichen
beiden Namen nicht denselben, sondern zwei verschiedene, durch den Nil ge-
trennte Nomen bezeichnen. Noch bleibt ein Einwand gegen den letzten Punkt
zu berücksichtigen: in dem Antig. Grey. wird &vyußovfovi^y wahrscheinlich eine
xdjfjiTjf bezeichnet dv rfj Äißvt} tov UeQi&f'/ßng iv xoU MBiivoveioig, so daß also
Memnonien auf der libyschen Seite zu dem perithebäischen Nomos gehörten;
und doch gehören im Pap. Taur. VIII die Memnonien zum pathyritischen. Dieser
Widerspruch läßt sich so vielleicht beseitigen: es sind die Memnonien Grab-
stätten in bedeutender Ausdehnung längs der libyschen Bergkette, in deren
Nähe Wohnhäuser, iv rotg Mefiyoyeioig oder negl zu Me^voveta (Pap. Berol. 40)
genannt, liegen; diese Gräber gerade scheinen von besonderer Heiligkeit gewesen
zu sein, aus entfernten Gegenden schickt man Leichen hierher zur Bestat-
tung. Ist nun erst in späterer Zeit, als die große Stadt zu beiden Seiten des
Stromes anfing zu veröden und sich in einzelne Flecken aufzulösen, vielleicht
erst mit den Lagiden die Gegend in die zwei oft genannten Nomen getrennt,
so mußte man den Einwohnern des perithebäischen Nomos wenigstens ihre alten
heiligen Gräber auf der libyschen Seite des Flusses, wo es gewiß der Religion
wegen heilig war begraben zu werden, lassen, und so konnte es geschehen, daß
eine Gegend dt^ Toig Afefivoyeioig, die Ortschaft Svvaßovvovv zum jenseitigen No-
mos geschlagen wurde. Wir haben im obigen Ila&vgirr^g geschrieben, wie es
sich stets in den Documenten vorfindet; die Form Tafhfffiiijg ^ die Böckh und
Buttmann zu lesen glaubten, ist von Herrn St Martin im Jour. des Sav. 1824
S. 692 als unrichtig nachgewiesen. Jablonaki erklärt das Wort aus dem Kop-
tischen als regio meridiei\ leichter wäre vielleicht eine Derivation von der Göttin
ÄdA)i^ mit dem Artikel.
von fiinf ägyptischen Papyren zu Berlin 1 ^
ihnen Gekaufte nnn im pehthebäischen oder pathyritischen oder in
welchem Nomos sonst liegen. Die Ton uns angenommene Schreibung
"Eofu&v&K^, die nur Steph. Byz. hat, während die anderen Schriftsteller
"Egpkov&iq geben, ist gesichert durch Pap. Berol. Nro. 38 und Pap.
Taur. Vm 1. 43.
Den abbrevierten Namen des Zöllners haben wir ^fjLficiviog ge-
geben; denn in Register und Unterschrift erkennt man deutlich Afiii"",
welches zunächst auf den gegebenen Namen vermuten läßt. Eose-
garten de prisca u. s. w. S. 57 las Avaificcxog; „pro nomine Lysimaehi
fortasse ApoUonii vü aliud legendum estf^ ; ebenso fehlerhaft las er
uxoax^q kyxvx?uov, JlroXafjLaiOi^ 6 ävriy(}cc(p6vg, ganz sich leiten lassend
durch [512] Buttmanns Lesung des Pap. Berol. Nro. 36. Aber es ist
unfehlbar SexüzTjg kyxvxUov zu lesen, indem SBxärrjg, wie stets, aus-
gedrückt wird durch das Zahlzeichen /, über welchem der senkrechte
Strich den Bruch -^^ bezeichnet Die Sexärrj und eIxo<jtti ist nach
Böckhs Darstellung „der ordinäre Zehnte oder Zwanzigste, also eine
gewöhnliche indirekte Steuer, wie in fiom die centesima rerum venaMum,
im Gegensatz gegen einen außerordentlichen, besonders auferlegten
Zehnten oder Zwanzigsten, der z. B. eine Vermögenssteuer sein konnte'^
Übrigens ist dies Segister das früheste, auf dem der Zehnte als Kauf-
steuer genannt wird; nach diesem findet er sich auf den späteren Re-
gisem Pap. BeroL 40. 39 Pap. Anastasy, dessen Register quittiert über
600 Drachmen Zoll von einem Kupfertalent gemünzten Goldes {xccX-
xov vofugfjLccTog = a, welches Böckh unrichtig für 601 Stück Kupfer-
geld nahm). In den übrigen Papyren, die freilich alle aus den Zeiten
des Epiphanes und Philometor sind (so die Greyschen Zollakten, Papp.
Beroll. 38. 36. 41), wird stets der Zwanzigste als gewöhnliche Kauf-
steuer genannt, so daß also wahrend der Regieiiing des £uergetes
zwischen 145 und 119 so bedeutend erhöht worden ist; eine Verände-
rang, die durch das Bekanntwerden mehrerer Papyrus sich vielleicht
auf eine genauere Zeitangabe zurückführen und mit anderweitigen ge-
schichtlichen Ereignissen dieser Zeit in Zusammenhang bringen lassen
wird.
Im folgenden treten die gewöhnlichen Abkürzungen für Stay()a<pi/,
Tihhvfig, v'^oyQcctpfi, üvTiyQa(pevg ein; der Name des GontroUeurs
Apollonios ist zwar vollständig, aber sehr undeutlich geschrieben; na-
mentlich ist das a des Anfanges hier wie in ävTiyQaq>evg das gewöhn-
liche, etwas verzogene A der Papyre, während es im Namen !AfifjLcjviog
ganz die Gestalt unseres cc hat, zwischen welchen beiden Extremen
sich in den Papyren mancherlei Spielarten und Übergänge finden.
Noch undeutlicher ist der Name des Käufers geschrieben; ich las
Droysen, Kl. Schrilten I. 2
18 Die griechischen Beischiiften
anfangs EixQtg und dachte an den Namen [513] n^revQig bei Young
account S. 127; doch schien mir, was ich für v nahm, leicht ein anderer
Buchstabe, namentlich v, sein zu können; was ich für x las, ist nichts
als ein etwas formierter Klecks, der sich ebenso gut zu einem t] qualifi-
ciert; wollte man ein sehr unbedeutendes Pünktchen zwischen v und ty
berücksichtigen, so würde man EvorjQig lesen mit einer sehr großen
Analogie ägyptischer Namen, z. B. OaoQotjQtg u. a. Doch ist mir
jenes Pünktchen fast zu klein, und ich lese lieber Evsgig, ähnlich dem
OtTOQfjQig in Pap. Berol. Nro. 39. Kosegarten findet (de prisca u. s. w.
S. 59) im enchorischen Texte unseres Papyres den Namen des Käufers
Osoroes natus Or; jedoch ist im Register wenigstens E. . gig Qgov zu-
verlässig, mag das fehlende vrj oder vtj oder vx lauten.
Es folgt hierauf die Bezeichnung des verkauften Grundstückes:
"ipiXoTÖnov ^, verstehe n^j/aig; ^ipiXorönov muß man oflFenbar die
zwar etwas verzogene, aber in ihren Elementen doch deutliche Ab-
breviatur lesen. Böckh hat in der Nechutesurkunde unter dieser Be-
zeichnung den Begriflf der yf] ipih) im Gegensatz der /^ neq>vT6vfUvi]
zu finden geglaubt; doch scheint die Zeit und die Eigentümlichkeit des
ägyptischen Landes den attischen Begriff der yrj xfjih'j etwas umgeformt
und der yfl trirotpÖQog gegenübergestellt zu haben; denn als yfj ^pih)
findet man fast jedesmal das Grundstück bezeichnet, wenn ein Haus
oder eine Baustelle verkauft wird; vergl. Peyron Papp. Taurr. IS. 113;
und was z. B. in dem Papp. Taur. I 5. 9 Tt/j/eig olxoneStxoi heißt,
wird in dem dahin gehörenden Reg. Grey. als ipdöronog bezeichnet.
Es ist wohl ganz paßlich, daß der Hauptunterschied der sehr genau
benutzten und vermessenen Grundstücke des engen Nilthaies sich da-
nach machte, ob sie Eruchtland {yf} mrocpÖQogy yfj dfineXtrigj nand-
dsKTog u. s. w.), oder nicht Fruchtland [xffMronog) waren, welches
dann gewiß nicht Heideland oder dergleichen, sondern in der Regel
wenigstens Hausstelle sein mochte. Das folgende Zahlzeichen ist, wie
man aus Vergleichung mit dem Schlüsse des Pap. Berol. 86 rAog
[514] hvvaxoaiag / ^ sieht, das gewöhnliche Sanpi für 900; natürlich
sind Ellen, nrj/eig, zu verstehen, welches Wort hier, wie in dem Reg.
Grey. 2, ausgelassen ist, in welchem es heißt: chvTjg ^nlov rönov ßC
rod övTog u. s. w.; der Contract über den Kauf von nij/Big oIxoubSixoi
ovo fjfxtfTv, zu dem dies Greysche Register eben gehört, wird in Pap.
Taur. I 5 1. 10 citiert, woher man eben die Bedeutung jener Zeichen
ersieht. Der Kaufpreis für diese 2^ Elle war 1 Tal. 4000 Drachmen
Kupfer, die Steuer nach dem damals geltenden Zwanzigsten 500 Drach-
men; und in unserem Papyr, nicht ganz 30 Jahre später, finden wir
für 900 Ellen den Kaufpreis nur 2000 Drachmen höher. Offenbar
von ftlnf ägyptischen Papyren zu Berlin 19
sind also in beiden fiegistem die Ellen in verschiedener Bedeutung
gebraacht; jene 2^ Ellen nämlich bezeichnen die Breite eines 100
Ellen langen Grundstückes; s. Peyron I S. 135; oder von einer Axura
(10000 D Ellen), die man in 40 gleiche Streifen geteilt hätte, einen
solchen Streifen von 250 D Ellen. In der Nechutesurkunde wird ein
yifiUxonoq nrix^iq ev n^Qirovfj verkauft, d. h. ein Platz von 5050 D-
Ellen; s. Böckh S. 29, welches nach der anderen Bezeichnung lauten
würde ni^x^tg nevri^xovrcc fjfjLtav, 50\ Elle Breite; daß übrigens für
diese 50^ Ellen nur 1 Talent gezahlt, für jene 2\ Ellen dagegen
1 Talent 4000 Drachmen, möchte so zu erklären sein, daß jene wirk-
lich nur yjiXÖTOTtoQj Baustelle, waren, auf diesen 2\ Ellen dagegen
wirklich ein Teil Haus stand, darum sie auch olxoTtsSixoi heißen.
Dieselbe Art von Maß wie in der Nechutesurkunde scheint in unserem
Papyrus angewandt zu sein; denn daß nicht ein Grundstück von 900
Ellen Breite, d. h. eine Fläche von 9 Aruren gemeint sei, ist daraus
zu schheßen, daß zu Memphis ein Garten von 6-^ Arura 10 Tal. 4000
Drachmen galt, wogegen diese 9 Aruren einen fast achtmal niedrigeren
Preis gehabt hätten, daß ferner die Baustelle des Nechutes fast neun-
mal teurer gewesen wäre. Vielmehr sind auch bei uns 900 nrj/ei^
TiBoiTovfj gemeint, d. h. [515] von einer Arura ein Streifen 9 Ellen
breit Daß dieser Streifen dann nur um ^ teurer war, als der dreimal
kleinere von 2\ Ellen, also dreimal weniger kostete, mag seinen Grund
haben in eigentümlichen Verhältnissen, unter denen jeder von beiden
gekauft wurde, in der Lage der Hausstelle, in der Baulichkeit des
Hausteiles selbst, das auf diesem Grundstücke stand; denn in jedem
Falle möchte ich diese 9 Ellen auch für oixoitBSixoi halten, da für
die unbebauten 50^ Ellen nur 1 Tal. gezahlt wurde, unsere 9 Ellen
also, wären sie gleichfalls unbebaut gewesen, kaum hätten 1000 Drach-
men gelten können, oder zwölfmal teurer von Eneris als von Nechutes
gekauft worden wäre.
'Ev IlaxifLsi bezeichnet oflFenbar die Gegend, in welcher das Gut
lag; wir haben an einem anderen Orte vermutet, es möchte Pakemis
eine xijjfi^j gewesen, und unter dem in der Aufzählung der Komen des
pathyritischen Nomos vorkommenden xal IIa xai u. s. w. (Pap.
Taur. VIII) verborgen sein. Denn es scheint in den Papyren die Lage
der Grundstücke meist nach den Komen bezeichnet zu werden; so
heißt es Iv reo än6 vörov fii^ei r&v Msfivovecov kv x(6fi7] KaXhS^
(Pap. Taur. X) und in den Petrettinischen Papyren der Zois wird ein
Garten in Memphis, die natürlich auch als xtbytri gilt, bezeichnet naga-
hhov rov övroq kv Mifi(pBi, aber um die Gegend in dieser großen
^tadt näher zu bezeichnen, hinzugefügt iv röntp !/4(TxXrj7tBi(p\ denn die
2*
20 ^16 griechischen Beischriften
TÖnoi sind eine Unterabteilung der xoj fjLrj, wie sich schon aus dieser
Ordnung der oresitischen Inschrift: ol ßamXixol y^afificcTBig xal xfofio-
y^afifiareTg xal roTtoyQafificcreTg (Classic. Joum. XVIII S. 366) und
aus ihrer Erwähnung in der x<6fii] BomiQig in der Inscr. Busirit. er-
giebt, wonach des Herrn Letronne Angabe {recherohes S. 397) zu be-
richtigen.
Das folgende bv hmvijtTccTo ist zwar abbreviert, aber leicht in seinen
Elementen ca}*? und aus dem Zusammenhange zu erkennen. Der Name
des Verkäufers ist wieder sehr [516] undeutlich geschrieben; er fängt
des vorhergehenden nag wegen mit einem Vokal, der nur a oder i sein
kann, an; der Schluß des Namens ist deutlich vuov\ in der Mitte hat
sich der Schreiber verschrieben und verbessert: ich vermute Api^foviaov
oder Ifjuovieov, sage aber nichts über die Formation dieses Namens.
Der folgende Name rod Oovovrog oder rov Gorovrog; letzteres scheint
mir besser nach der Analogie von Toterjg (Inscr. Basilist. 1. 52, Torofjg
Ant Grey.); auch möchte ich diesen Namen für einen weiblichen halten
der Endung Oorovg, Gorovrog wegen; vergl. Böckh S. 19.
Schließlich kommt die Bezeichnung des Kaufpreises und der Steuer
in Zeichen ausgedrückt, über deren Sinn nach Buttmanns und Letronnes
Untersuchungen (im Joum. des Savans 1828) kein Zweifel mehr sein
kann: von 2 Talenten Steuer 1200 Drachmen, also die Steuern genau
10 Procent oder Sexänj von dem Kaufpreise. Durch Peyrons zweites
Heft Turiner Papyre bekommt eine aus Polybius bekannte Notiz, daß
man in Ägypten ebenso wohl nach Kupfer- als nach Silbertalenten
rechnete, neue Bestätigung. Man kennt aus Papyren bis jetzt für die
Lagidenzeit folgende Geldbezeichnungen: ;^ftrAxot; ralavra Antigr.
Grey. reg. syngr. Nechus reg., x^^^orvTirovrcov {rdXavra) Pap. Taur.
IV 16, xccXxov vofiiiTfiarog rälccvra syngr. Nech. Pap. Taur. IV 25
VIII 35, /akxov ov cckkayij rükavrcc nach Letronnes Ijesung
mehrmal in den Pap\ren der Zois, ie()ccg äQyvQiov iniayfAov
Spazfjidg Pap. Taur. IV 26, VIII 37, ä^yv^iov Sgaxiiüg Pap. Taur.
XIII mehrmal. Ob diese sechs verschiedenen Bezeichnungen ebensoviel
verschiedene Münzsorten bezeichnen, oder nicht, muß für jetzt unent-
schieden bleiben; gewiß aber erkennt man den Unterschied von Kupfer-
geld und Silbergeld, und zwar wird in beiden nach Talenten, das Talent
zu je 6000 Drachmen gerechnet Wo die UQal ä^yvQiov imai^fiov
Sga/fiai genannt werden, sind sie nach der ausdrücklichen Angabe in
den angeführten Stellen als [517] Strafgeld an den König zu zahlen;
in Privatgeschäften sowie bei der Zahlung der Kaufsteuer wird nach
Kupfergeld gerechnet^ in den Papyren der Zois ist auch das Pachtgeld
für die evXrjifjtg rTig virQixijg, sowie das Kaufgeld für einen vom Staate
von fünf ägyptischen Papyren zu Berlin 21
verlicitderten Garten in Kupfertalenten zahlbar. Der Wert der eineD
nnd anderen Talente ergiebt das Verhältnis des Silbers zum Kupfer in
dieser Zeit, welches Peyron ungefähr auf 30 : 1 bestimmt, so daß also
ein Eupfertalent =^ 200 Silberdrachmen gewesen wäre. Ich kann
nicht umhin anzumerken, daß im Jahre 44 des zweiten Euergetes
(126 a. Ch.) für einen nicht gehaltenen Contract an den beeinträch-
tigten Contrahenten 20 Kupfertalente (nach dem angegebenen Verhält-
nisse 30 : 1 =: 4000 Silberdrachmen), an den König als Strafgeld 400
heiUge Silberdrachmen, also genau eine Sexürri Ton dem änhifwv (Pap.
Tanr. IV); in einem anderen Contracte vom Jahre 51 (120 a. Ch.)
30 Talente Kupfergeld = 6000 Silberdrachmen an den beeinträchtig-
ten Contrahenten, und an den König 300 heilige Silberdrachmen, also
genau eine aixoari^ gezahlt werden sollten; und die Saxattj und dKoarij
waren zugleich die gewöhnlichen Procente, die von dem Werte der
Gegenstände, über welche man contrahierte, als Steuer in das Amt
gezahlt wurden. Ich kann dies Ergebnis nicht für so zufällig halten,
daß ich nicht eine große Bestätigung des von Pejron aufgestellten
Verhältnisses darin finden sollte. Aber welchen Wert hatte das ägyp-
tische Silbertalent im Verhältnis zu anderen Talenten? Es wird ge-
sagt: 1500 attische Drachmen seien einem ägyptischen Talente gleich
(also das Verhältnis \\ PoUux IX 86); ferner 1 Ptolemäische Mine sei
gleich \ äginetischer Mine, danach wäre das alexandrinische Talent = ^
attischem (Böckh Staatshaushalt I 20, I^ S. 20, 27); nach anderen ist das
euböische Talent = 7000 alexandrinischen Drachmen, das euböische
Talent verhält sich zum attischen wie 75 : 73, das attische Talent wäre
also =6813^ alexandrinischen Drachmen. Welche von [518] diesen drei
Bestimmungen, die wir als die am meisten von einander abweichenden
hier aufnehmen, die richtige sei, ist durchaus unzuverlässig zu ent-
scheiden; die Entscheidung) die ich selbst versuchen werde, ist durchaus
prekär und von hypothetischem Gewicht. Nämlich zu Athen wurde
zu Lysias Zeit ein Plethron Acker bei einem Hause mit 90 Drachmen
attisch bezahlt (Böckh Staatshaushalt I 68, I' S. 80, der den gewöhn-
lichen Wert eines Plethrons zu 50 Drachmen taxiert), in Memphis
ein Garten von 6^ Arura, ungefähr = 14^ Plethron, mit 64000
Drachmen Kupfer = 2133^ ägypt. Silberdrachmen; nach dem attischen
Preise, für 1 Plethron 90 Drachmen, wären ungefähr 1305 Drachmen
attisch gezahlt worden; in Ägypten kostete also ein Plethron Garten
etwa 147 — 150 ägyptische Silberdrachmen. Nechutes kaufte einen
fiUroTtov von \ Arura, etwa also 1/^ Plethron, für 1 Talent Kupfer
= 200 ägyptische Silberdrachmen: hier kostete also das Plethron
VftXöronog 126J- ägyptische Silberdrachmen. Wir finden so folgende
22 ^ic griechiBchen Beischriften
Verhältnisse: der Preis eines Flethron in Attika zu 50 Drachmen ge-
nommen sind dieselben Verhältnisse in ägyptischem Gelde | für 1
Plethron Garten und -J^ für 1 Plethron xffMronog; doch scheint mir
Böckhs Schätzung eines Plethron in Attika zu 50 Drachmen zu niedrig,
und ich nehme die andere zu 90 Drachmen attisch; so daß das Durch-
schnittsverhältnis der Preise eines Plethron in Attika und eines Plethron
in Ägypten (einmal 150, das anderemal 125 Silberdrachmen, Durch-
schnitt 136) sein würde 90:136. Haben nun in dubio gleich große
Orundstücke in Attika und Ägypten gleich gegolten, so ergiebt sich
als ungefähres Verhältnis des attischen und ägyptischen Silbertalentes
^^ = il = ffH- N^^ ergeben die oben angeführten Notizen über
den Wert des ägyptischen Talentes im Vergleich mit dem attischen
folgende Verhältnisse: ^, |, f = i •A3_|ij j_AiiL6 ^ unter welchen das
letzte l^fg dem oben gefundenen Verhältnisse von fff^ in soweit am
nächsten zu kommen scheint, daß wir die stattfindende [519] Differenz
auf Veränderung des Wertes, ungenaue Rechnung, mangelhafte Voraus-
setzungen u. s. w. schieben können. Hiemach glauben wir denn an-
nehmen zu dürfen, daß das attische Talent = 6813^ ägyptischen Silber-
drachmen sei, das ägyptische Silbertalent um ein Geringas kleiner als
das attische, nämlich =1210 Thalem, die ägyptische Mine ^ 20^ rth.,
die ägyptische Silberdrachme = 6 sgr. 1^ Pfennig; das Kupfertalent
= 200 S. Drachmen = 41 Thalem, die Kupfermine = 20^ sgr., die
Kupfetdrachme = 2^ Pfennig. Sehen wir nach dieser Berechnung
einige Notizen des ägyptischen Altertums an: Ptolemäos V übersandte
den Rhodiern nach jenem Terwüstenden Erdbeben 300 Talente Silber
= 363000 rth. und 1000 Talente Kupfer =41000 rth., im Ganzen
404000 rth., eine königliche Unterstützung. Die Einkünfte des Lagiden-
reiches betragen unter Ptolemäos II: 14800 Tal. (Silber) = 17908000
rth., unter Ptolemäos Auletes 12500 Talente = 15125000 rth. Der
Schatz des Philadelphos betrag nach Appians urkundlichem Bericht
740000 Talente, gewiß nicht Kupfer {= 30340000 rth.), sondern Silber
= 895 400000 rth.; denn nur so konnte allein sein Service, welches er bei
dem unsäglich pomphaften Feste des Regierungsantrittes ausstellte,
einen Wert von 10 000 Talenten Silber = 12100 000 rth. haben
(Athen. V 203 b). Für die ängstliche Sparsamkeit seines Vaters giebt
es manche lustige Anekdote. Syriens Tribut trug 8 000, zu Zeiten
10000 Kupfertalente Pacht = 328000 und 656000 rth. Ein Garten
zu Memphis von 6^ Arura kostete in öflFentlicher Versteigerang 64000
Kupferdrachmen =437 rth.; \ Arura \ptl6ronoq 41 rth., 9 Ellen
xpiXÖTonog in unserem Papyras 82 rth., so teuer wegen des Stückes
Haus auf demselben; in Pap. 39 wird für den sechsten Teil eines
von fönf ägyptischen Papjren zu Berlin 23
Hanses von 5000 D Ellen Areal oder 50 Ellen Breite, also für 8^ Ellen
Haus 82 rth. gezahlt. Im Pap. Taur. VIII wird eine Artabe Gerste
(fast gen&n ein Berliner Scheffel) taxiert auf 2 Silberdrachmen = 12 sgr.
4 Pfennig; in Athen [520] aber kosteten zu Sokrates Zeit Gersten-
graupen 13 sgr.; s. Böckh Staatsh. I S. 101, P S. 117.
Papyr, BeroL Nro. 38.
(1) „TiVoi/fcj kä (l>aiiiBv6& xä rkraxTUi knl rijv hv 'EofKov&ei
TouTie^aVy i(f Ijg 'AnoTJktovioq, elxofTrfJg iyxvxXiov xarä ri]v
nuoä Zfiivog xai r&v fXBT6x(ov r&v noög TJj (ovy äiayQccq>'fjv,
v(f ifV vTtoyQciffSi AfificjviO'^ 6 ävnyQatpBVi^, (2) (bvfjg ^£2Qog
"iioov y^tXoTÖnov :tij/sig ß" xcd r&v ccvtoxlov r&v Övroiv dnd
vÖTOv xai Xißög . , , tcuv fisyaXcov iv TlrovTEi .... J/tj al yeirviat
itQoxitvrat Siu rfjg (Tvyyüa(p7jg, 8v ijyÖQcca^v nagu Tevv/jmog
Tfjg 'IpLwv&d} xai (3) ^sfifiiviog rfjg /Zetc/övto^, x^^^^^ rakav-
Tö>v ß" riXog i^axoaiag y^ x 'AnoXkdjviog TQCde^irtjg^^,
„Im Jahre 31 den 21. Phamenoth hat an das Steueramt zu Her-
monthis, bei dem ApoUonios Zollner ist, die Steuer des gewöhn-
lichen Zwanzigsten nach Anweisung des Zminis und seiner Genossen,
der Kaufsteuerpächter, welche der ControUeur Ammonios unter-
schreibt, Tom Kaufe Horos des Koros Sohn für eine Hausstelle
von 2 Ellen und demjenigen, was ober dem Hause ist, so im
Südwesten der grossen .... in Ptoutis liegen, deren Nachbar-
schaften durch den Contract vorliegen, welche er von Tennesis
der Tochter des (oder der) Imontho und Semminis der Tochter
des (oder der) Petechont kaufte, von zwei Talenten Kupfer sechs-
hundert Drachmen entrichtet. Schreibe 600.
ApoUonios, Zöllner".
Da in der Regierung mehrerer Lagiden ein 31. Jahr gezählt
wird^ so müssen wir uns aus dem Anfange des enchorischen Contractes
Rat holen; er beginnt also: „Im Jahre 31 den 4. Tybi der Könige
Ptolemäos und Kleopatra seiner Schwester, der Kinder des Ptolemäos
und der Kleopatra, Götter Epiphanes, unter den Priestern u. s. w.".
ilit Ausschluß [521] von Jahr und Tag genau derselbe Anfang vom
enchorischen Contract Pap, BeroL Nro. 36, den Buttmann nach Spohns
Lesung in das 36. Jahr des zweiten Euergetes setzen will; femer be-
ginnt Pap. BeroL Nr. 47 seine enchorische Contractformel eben so:
r.im Jahre 6 den 20. Tybi des Ptolemäos, Sohnes des Ptolemäos und
der Kleopatra, Götter Epiphanes u. s. w.", und in der Ueberschrift dieses
Contractes liest Kosegart^n de prisca u. s. w. tab. 13: „anno VI Tybi XX
24 Die griechischen Beischriften
regis Piolemaei .... mater vidua{?)". So viel ist klar, daß in diesem
letzten Gontract nur Fhilometor gemeint sein kann, nicht sein jüngerer
Bruder Euergetes II, dessen 6. Jahr zugleich Philometors 1 7. gewesen
wäre; ferner haben alle Contracte, die sicher aus Euergetes 11 Zeit sind
(was man besonders an der Erwähnung der Kleopatra Schwester und
Kleopatra Nichte ersieht) jedesmal die Bezeichnung „im Jahr .... des
König Ptolemäos Euergetes". Weil dieser Beiname bei uns fehlt, so
glaube ich diesen wie den Papyrus Nro. 36 in die Regierung des Philo-
metor setzen zu müssen, so daß letzterer also im Januar 145, unser
Gontract Nro. 38 am 31. Januar 150 stipuliert und am 18. April ein-
registriert ist. Für den Pap. Berol. Nro. 36 finde ich die Annahme,
daß Philometors Regierung gemeint sei, in der Angabe der Könige,
nach deren Priestern datiert wird, bestätigt; Kosegarten liest nämlich:
„Priester des Alexander, der Götter Soteren, der Götter Philadelphen,
„der Götter Euergeten, der Götter Philopatoren, der Götter Epiphanes,
„des Gottes Eupator, der Götter Philometoren, (in Ptolemais der und
,,der) Priester des Ptol. Soter, Priester des Ptol. Philometor, Priester
„des Ptol. Philadelphos, Priester des Ptol. Euergetes, Priester des Ptol.
„Philopator, Priester des Ptol. Eupator, Priester des Ptol. Epiphanes
„Eucharistos, Priesterin u. s. w.". Bezöge sich der Papyrus auf die Zeit
des zweiten Euergetes, so dürfte dessen Priester beide Male nicht aus-
gelassen sein, wie denn auch in der rosettischen Inschrift die Priester
[522] des regierenden Königs mit genannt werden; daß aber die Priester
des Gottes Eupator (der kein anderer ist als Philometors Sohn, den
später sein Oheim Euergetes II ermordete) schon während Philometors
seines Vaters Lebzeiten genannt werden, möchte ich also erklären, daß
Philometor, der seines Bruders Euergetes Gesinnung in vielfachen Un-
ruhen sattsam erkannt hatte, noch bei seinen Lebzeiten seinen kleinen
Sohn zum König und Mitregenten ernannte, wie denn auch Ptolemäos
Philadelphos noch während sein Vater lebte König war. So konnte
es denn geschehen, daß Eupator auch schon fünf Jahre früher in
unserem Pap. Nro. 38 genannt wird; denn ich lese folgende Königs-
namen in dem enchorischen Texte: „Priester des Ptolemäos Soter, Ptole-
„mäos Philometor, Ptol. Philadelphos, Ptol. Euergetes, Ptol. Philopator,
„Ptol. Eupator, Ptol. Epiphanes Eucharistos, und die Priesterinnen u. s.w.".
Hier wie im Gontract Nro. 36 wird Philometor gleich hinter Soter
genannt, offenbar als der regierende König; warum aber Eupator in
beiden seine Stelle vor Epiphanes und in der Nechutesurkunde doch
richtig seine Stelle nach Philometor hat, werde ich demnächst in einer
Abhandlung, die die sehr verwickelte Frage über Ptolemäos Eupator
zum Gegenstande hat, zu erklären versuchen.
von fünf Sgyptischen Papyren zu Berlin 25
Auffallend ist die Schreibong 0afi6v6&, da sonst in alten Denk-
malen 0afjLBvcLf& geschrieben wird, z. B. Pap. Taur. I S. 2 lin. 32, in
der Grabschrift bei Letronne sur Vobject des repr. xod. S. 4 n. s. w.
Es muß dieser Fehler auf die Unwissenheit oder Flüchtigkeit des
Schreibers geschoben werden; anch im folgenden würde man Egficovoti
lesen, so unbedeutend klein ist das t? gerathen, wäre die richtige Form
iv TgfjLCLfvd-Bi nicht zu geläufig.
KuTce T^iv itccQcc Zfitvog xai röv .... r&v itQoq rrj (bvtj
Siayoa<pi]v. In diesem ist die Form Zfnvög, die ganz deutlich zu
lesen ist, gleichfalls nur der Flüchtigkeit des Schreibers zu verdanken,
es müßte heißen Zfiivtog, wie [523] dieser Genitiv in den Greyschen
Begistem lautet und lauten muß, wenn man den Nominativ Zfiivig
in dem Antig. Grey. und das Compositum Z^ji^vixvovßiq in der Basi-
listeninschrift 1. 29 vergleicht. Die Formel ?; nccgd xtvoq StccyQccfpt)
findet sich in den drei Greyschen Registern wieder. Was aber bedeutet
die Abbreviatur nach xal r&v? Es kann nur eine Bezeichnung der
anderen, der Theilnehmer rö^ nQÖg xfj covfj sein, es kann nichts anderes
hier erwartet werden, als was das Reg. Grey. 3 vollständig so schreibt:
xarä rijv nagä 2ccQani&voq xal x&v fieröxcov r&v ngbq rrj chvTj
ÖiuyQatpr'iv, Ob nun unsere Abbreviatur als fieröxcov selbst zu lesen
sei, lasse ich dahin gestellt sein; fast jedes andere Wort kann unter
diesen ganz charakterlosen Zügen versteckt sein; wenn es fAsröxcov sein
soll, so kann man den oberen Teil der geschweiften Linie für ein ver-
kümmertes fi, den unteren Teil mit dem unteren horizontalen Strich
für B ansehen. Kosegarten hat vermuthet, daß „statt des in Berlin
zur Welt gekommenen und gevierteilten XcjrXsvtprjg^^ der Nechutes-
urkunde, an dessen Stelle von Böckh und Buttmann späterhin xarä
(fiayocctpijv /« tbL v(p fjv aufgefunden ist, besser xarä SiayQa(pijv
HBTÖ^av tbX(ov&v könnte gelesen werden; eine Ausdrucks weise, die
weder im Griechischen noch im Deutschen noch sonstwo Sinn hätte.
Aber auch das von Böckh und Buttmann in zweiter Instanz gefällte
l'rteil der Vierteilung hilft diesem Zollpächter nicht zu seinem Recht:
in dem Facsimile nämlich von Anastasy steht über xarä Siay^ das
gewöhnliche Zeichen der Abbreviatur (-), so daß man sieht, es fange
gleich nach dem q ein neues Wort an, nämlich der Name des Zoll-
pächters; dessen Anfang ist deutlich genug Wbv/'^; aus dem über-
schriebenen cj wieder sieht man, daß das Wort nicht zu Ende ( wie
oben^/i/i»), sondern eine Endung zu ergänzen sei, nämlich WBvxcLfvmog,
wie z. B. einer der Cholchytenbrüder im Hermiaspsozeß, ein Zeuge im
Antig. Grey. u. s. w. heißt. Derselbe ^^Bvxfovmg ist in unserem Pap.
^'ro. 39. 40 genannt.
26 Die griechischen Beischriften
[524] Zminis und seine Genossen heißen oi Ttpdq rp (bvyy ein
Ausdruck, der in den drei Grey sehen Zollakten wiederkehrt und Er-
klärung fordert *i2p/] nämlich ist entweder Kauf und Kaufpreis
einer Sache, und so kommt es besonders in dem (bvijg riXog der Re-
gister vor, oder es ist ein gepachtetes Gefälle, wie es unläugbar
hervorgeht aus Andocides de mysteriis § 92: KfjtpiiTiog füv ovroal
TtQiüfjLevog (bvijv he rov dtjfiotriov — und nacher wird ein auf seinen
Fall anzuwendendes Gesetz citiert: — 6g &v nQidfuvog rikog fii^ xccru-
ßccivp u. s. w.; letztere Bedeutung des d)V7] hat Peyron vornehmlich
aulgenommen. Aber keine von beiden Bedeutungen scheint recht zu
passen zu zwei Verbindungen, in denen das Wort in den Papyren vor-
kommt, nämlich einmal unser ol ngdg rfj (bvy, sodann wenn es in
den Hermiasakten mehrmals heißt, daß von dem und dem Gekauften
xccl rä xaß-fjxovra rihj Teräxd-ai elg rijv xoü kyxvxXiov d}vijv. In
dieser letzteren Formel ist der Sinn des rerdxO-ai, wie oben bereits
erwiesen ist, nicht „einschreiben," wie Peyron meint, sondern „ent-
richten". Nun aber scheinen beide Bedeutungen von djvtj „von dem
Gekauften sei die gehörige Steuer entrichtet an die Steuerverpachtung
des Zwanzigsten" oder ,^an den Kaufpreis des Zwanzigsten" gar nicht
zu passen ; denn was geht die Verpachtung des Gefälles die Bezahlenden
an? Auch wüßten wir keinen Ausweg, wenn wir nicht in den Petret-
tinischen Papyren der Zois Nro. 2 läsen: xarazo^i^KTov eig rijv evXtjyjiv
rfjg viTQixflg^ d. h. schreib ein in die Einsammlung der Nitrike; es ist
hiermit, so zu sagen, ein Contobuch, in welches eingeschrieben werden
soll, bezeichnet, gleich als ob es unter der Reihe anderer Bücher im
Zollamt auf dem Titel geschrieben trüge: ''EvXriipig rrjg vizQixfjg, In
derselben Art, meinen wir, ist nun das rilfj rträxO-ai elg tijv rov
hyxvxXiov (bvtjv als Titel zu verstehen: die Steuer ist eingezahlt bei
der Section des Steueramtes, welche den Titel führt: rov iyxvxliov
(hvTj, Ist dieser Titel nun zu übersetzen: „Steuerverpachtung des
Zwanzigsten" oder [525] „Kaufpreis des Zwanzigsten?" Das erste ge-
fällt nicht; denn wer würde eine Section im Steueramte darnach be-
zeichnen, ob sie verpachtet sei oder nicht, wo es bloß darauf ankonoimt
zu sagen, welches Gegenstandes Steuer gemeint sei. Und wieder das
zweite scheint gar noch verkehrter zu sein, indem man etwa erwarten
würde rd lyxvxXiov rfjg avTjg oder t6 hyxvxhon riXog rfjg (bvfjg oder
am liebsten einen Ausdruck wie: „gewöhnlicher Zwanzigster vom Kauf".
Und doch ist dasselbe zweite nur das richtige, nämlich: entrichtet ist
die Steuer an die Section wv/j, so daß wir also im Steueramte diese
Section „Kauf" finden, wie anderswo die Sektionen rQotpi)^ olvog,
SQaxfAth rtrdgxf] angedeutet werden (Journal des Savans 1828 S. 484).
von fünf ägyptischen PapTren za Berlin 27
Stellt Dim auch (bv^ fast für rsix^g d)vfl<i, so konnte doch nicht füglich
gB^t werden t; iyxvxkiog d}vi^y und doch war die Bezeichnung kyxv-
xhoq notwendig, um diese von anderen Sectionen zu unterscheiden;
man setzte sie also in den Genitiv, der fireilich dem deutschen Ohre
fremder klingt als dem griechischen; wir würden übersetzen: die Steuer
sei entrichtet an die Section „Kauf, geltender Taxe," oder besser „Kauf,
cnrrenten Steuerfiißes". Was wir in dieser freilich nicht sehr einfachen
Erklärung gewinnen, ist besonders, daß (bvi^ in denselben Kreisen der
offiziellen Sprache, wie man es erwarten muß, dieselbe Bedeutung hat,
eine Bedeutung, die so durchgreifend ist, daß selbst die enchorisch
geschriebenen Kaufcontracte iyx^Q^^ ^'^^ genannt werden. Natürlich
hat unser ol ngoq rrj d}vp denselben Sinn: die, welche thätig sind bei
der Section d)vi/] und ihr vorstehen; was sollte es auch heißen „die,
welche der verpachteten Steuer vorstehen," da offenbar die verschieden-
artigsten Steuern verpachtet wurden, hier aber gerade zu bezeichnen
war, daß die Genannten eben der in diesem bestimmten Falle zu zah-
lenden Steuer, e&vij, vorstanden, und dadurch die Competenz zur Sia-
yQa(pi} hatten.
Im Anfang der zweiten Zeile lesen wir (ovrjg coQog [526] wgovy
obechon die Worte so in einander geschrieben sind: cjvrjgcjo o <j(oqov,
und überdies die Endung ov unzuverlässig ist, so daß man einen Strich
in derselben, der zu viel ist, auf die flüchtige Schreiberei, die in der
ganzen Urkunde herrscht, schieben muß. Nach einigen Zügen, die sich
sogleich als rpikoronov verrathen, folgt eine Abbreviatur, die zuver-
lässig eine Maßbestimmung enthält, indem hinter ihr das Zahlzeichen ß
folgt Natürlich denkt man zunächst an ni^/eig und äQovgai, den
beiden in Aegypten vorherrschenden Flächenmaßen; in der Abbreviatur
ist der schräge Strich, der einen geschweiften durchschneidet, hin-
reichende Andeutung eines /; was vorhergeht, ordnet sich leicht zu
nrix\ der geschweifte Strich selbst ist die Abkürzung für Big, So er-
kennen wir hier einen 'ipMronog von 2 Ellen Breite.
Die folgenden Worte haben überaus große Schwierigkeit. Ich las
zuerst T(ov avco xio d. h. xiovoovj und nahm dies Wort für (rnjk&Vy
wie es wohl vorkommt; doch war nicht zu begreifen, was das eigentlich
bezeichnen sollte: zudem steht hinter dem ccvco deutlich ein /, so daß
ich, wenn ich mich nicht selbst täuschen wollte, lesen mußte rcjv
uvmxio. Ich suchte lange umsonst nach Erklärung und fand endlich
nichts besseres, als anzunehmen, daß der Schreiber schrieb, wie er
sprach: wenn er nun avaxiov sprach, wie man sonst h/cofiat, äy^da
und anderes hat, so konnte diese Synekphonesis nicht leichter sein als
28 I^iß griechischen Beischriften
dvtpx/ov, äv(o olxiov, der Genitiv abhängig von rcc üvcj, nicht „oberes
Stockwerk des Hauses," sondern „was oberhalb des Hauses liegt". Man
müßte sich also einen Streifen nicht beackertes Land denken, welches
an die Bergkette hinauf lag, und worauf ein Teil eines Hauses stand;
mit beiden, Hausteil und Streifen Land, wird dasjenige verkauft, welches
noch höher hinauf als das Haus, etwa schon in die Berge hinein, lag;
was das gewesen sei, ob ein Grab in den Felsen oder was sonst, weiß
ich nicht, wird aber zuverlässig in dem enchorischen Contract näher
angegeben sein.
[527] Noch schwieriger ist mir das folgende rcüv övtcjv
xai T&v fABJ'. Es muß hier die topographische Bestimmung
folgen, wo das verkaufte Grundstück mit Zubehör liege; man erwartet
also Weltgegend und Ortschaft bezeichnet zu finden. In den ersten
Zügen nach r&v 6vt(ov erkennen wir ziemlich deutlich ccno vo, d. i.
änd vöroVf häufig in dieser Art abgekürzt; da eben so deutlich das
folgende xai dasteht, so muß dahinter der sehr flache, nach unten
offene Winkel mit dem fast senkrechten Strich darin eine zweite Welt-
gegend bezeichnen; es ist A/, d.h. lißö^, wie änö vörov xccl Xtß6^
auch in Pap. Taur. I S. 1 lin. 27 zusammensteht. Die Zeichen zwischen
diesen Worten und rmv fiej^ sind, was sie auch bezeichnen mögen, eine
durchaus verkümmerte Abbreviatur, die man wegen fuy gern für
Jiogn6XBO}i; lesen würde, wenn rcov nicht so unbescheiden deutlich
geschrieben wäre, daß man auch nicht einen Augenblick daran zweifeln
darf; 7<t«s i] fieyaXt], die Young in ähnlichen, dunkeln Stellen zu Hilfe
gerufen hat, /; fiey/art] Oeä "Hqu, deren nora^dv im Südwesten von
Theben der erste Turiner Papyrus nennt, können mir nicht aus dieser
Not helfen; und die Züge vor xmv für Xu zu lesen, also Accxfov {no-
Xacog) fieyaXtjg, durfte mir nur für einen Augenblick meine Ratlosigkeit
eingeben. Ich überlasse einem glücklicheren Auge die Enträtselung.
Sodann folgt die Bezeichnung kv nrovrai. Schon oben ist der
Einteilung Aegyptens in vofiot, x&fiat und rönoi erwähnt worden;
auf eine zweite Einteilung führt Strabos Angabe: „die meisten Nomen
seien wieder getheilt in Toparchien, und diese wieder in andere Theile,
die kleinsten Teile aber seien die Aruren". Hätte er die politische
Einteilung Aegyptens im Sinne gehabt, so hätte er weder von einigen
Nomen sagen können; was offenbar von allen gelten mußte, noch das
Mittelglied der x&ficct übergehen können; auch scheint es unmöglich,
daß die rönot ftir die Landesverwaltung noch mehrere Unterabtei-
lungen hätten enthalten [528] können. Wir glauben uns berechtigt,
neben der politischen Einteilung des Landes (für die Verwaltung) eine
agrarische anzunehmen und auf diese die Worte des Geographen zu
von fünf ägyptischen Papyren zu Berlin 29
beziehen. Sie brauchte nicht auf alle Nomen angewendet zu sein,
z. B. nicht auf den von Heroonpolis oder Arsinoe am Meerbusen, in
welchem wohl mehr Handel als Ackerbau war; sie konnte bei den
Toparchien, der Einteilung des Nomos in Güter oder Feldmarken be-
ginnen, konnte sodann in verschiedener Weise geteilt sein bis endlich
zn den kleinsten Teilen, den Aruren oder Morgen Landes. Von diesen
agrarischen Topoi glauben wir einige Spuren zu finden: so die rönoi
üpup^Qm und die xönoi xal olxia 'EQiicjg Pap. Taur. X; auch die
rtfiXol T6noi, die häufig vorkommen, gehören hierher; im Antig. Grey.
ist Erwähnung des rönov !A(nr]rog xccXovfdvov 0^6xccytji^, welches
Yonng sehr unpassend übersetzt a place on tke AsiaHc aide, ccUled
Phrecages; wir verstehen es von einem Gute des Asies, welches Phre-
kages genannt wird, und halten dies Phrekages für einen agrarischen
Tonog. Ebenso unsere Ptoutis, in welcher das verkaufte Grundstück
liegt; denn, wie im folgenden gesagt, die Nachbarn von Urovrig sind
im enchorischen Gontracte angegeben, und das würde wohl nur auf
einen agrarischen rönog, auf ein Gut oder Vorwerk, dessen Besitz
unter Privatleute verteilt wäre, nicht auf einen rönog oder gar eine
xiofif} der allgemeinen politischen Landesteilung passend zurückgeführt.
Sollte man diese Vermutung als unnützes, kleinliches Suchen nach
Xenem schelten wollen, so darf man nicht vergessen, daß es besser ist,
bei diesen aus der Mitte eines verschollenen Lebens geretteten Denk-
mälern auf jede leiseste Andeutung zu horchen selbst mit der Gefahr
irre geleitet zu werden, als eine geringe Spur für unbedeutend, einen
kleinsten Schritt für zu wenig fördernd und unersprießlich zu halten.
Wieder folgen einige unverständliche Zeichen, die man unbefangen
tür Iloog lesen muß; das unbehülflichste [529] Auskunftsmittel wäre,
diese Züge mit dem vorigen iv nrovrei noog zusammen zu lesen;
aber nicht minder der ganz unägyptische Klang des Namens, als der
nach der Dativendung -bi eintretende bedeutende Zwischenraum fordert
Trennung. Voll Vorurteil, wie ich gegen die Sorgsamkeit und die
Kenntnisse unseres Schreibers bin, glaube ich npög lesen zu dürfen,
dem sich dann die lesbaren und verständlichen folgenden Worte an-
schließen: TtQÖg Ijg ai ystrv/arjtQOxeTvrai Siä rfjg (TvyyQCcq)fjg,
In anderen Registern findet sich die Formel: lg al ytnviai SeSi'jkcjvrai
()iu ti;^* 7tQoxBifiev7]g (Tvyyoatpijg] ich glaube, was wir lesen, ist wieder
eine ungeschickte und logisch fast absurde Verkürzung der gebräuch-
lichen Formel; es mag besagter Schreiber, der uns durch mehr als
eine Nachlässigkeit seine Schreiberei zu lesen erschwert hat, ein ägyp-
tischer Ignorant gewesen sein, der freilich sich nicht träumen lassen
konnte, wozu seine ungeschickte Hand berufen sei.
30 I^ie griechiBchen Beischriften
Ov ijyÖQaffBv ist mit der gewöhnlichen, leicht verständlichen Ab-
kürzung geschrieben. Schwerer wieder ist es, die einzelnen Namen
mit Sicherheit zu entziffern. Ich sehe zuerst nag arevvtjtriog, welches
ich für 7ia()ä Tivvrinioq halte, ein Name, in welchem der weibliche
Artikel und die in Eigennamen häufige Endung -rimg st-att -«r/$ zu
erkennen ist (so neraiöfjmg Inscr. Basilist. 1. 24, IHrifiaiii ibid. 1. 28,
nerhjfTi*; Inschrift bei Letronne recherohes S. 426, Ilirtmq Arrian.
ni 5, 3, Mc/T]<Ttgj j4Q(nr}(ng Antig, Grey.). Die sicherste Bestätigung,
daß TivvijfTig, nicht !ATevvi]<Tig der Name sei, giebt uns Pap, Taur. XI:
0Bvv7jmo^ r/%' yBvopiivii^ u. s. w. Den folgenden Namen lese ich mit
ziemlicher Zuverlässigkeit lficov\^(6; ganz sicher ist JSsfifiiviOf^ tTi^
Die letzten Worte enthalten die Angabe des Wertes: 2 Talente
Kupfer = 82 Thalem, davon Steuer i^axoma^j naturlich SQccxficc^ =
4 rth. 3 sgr.; es ist hier wie in Pap. Berol. 36 die Steuer in Zahlen
und in Buchstaben bezeichnet.
[530] Papyr, Berol. Nro. 40.
Wir nehmen diesen Papyrus vor dem Nro. 39 durch, da ja die
kleinste Bequemlichkeit Berechtigung genug ist, die ganz zußlllig be-
stimmte Rangordnung dieser Papyre hintanzusetzen; wir ersparen uns
durch diese Umstellung eine Menge von Weitläuftigkeiten, da sich die
Enträtselung von Pap. 39 unmittelbar aus der Erklärung des vor-
liegenden Nr. 40 ergiebt. Dieser lautet:
(1) „"AVoi'ij tS' Toif tu 0«ojUOImW e' riraxrai in) ri/v iv 'Eo-
^KÖv/ht TociTTBLiccVj ifp //^* Aiovmio^^ Saxfirij^ iyxvxh'ov xaru
ötccynafpifV WBvxwvfTiog (2) reXfopoiK vff' //r v7toyna(pBi lln«-
xXet(hj<; 6 ccvTiyQUifev^, riXo^ (ovTi^ 'OaoQÖfjotq rov "Lloov olxia^
ri)xo(yofiijftiv7]ii (3) xa} Te/hf()(üintvt^<^ Iv rro dno votov fiioBt neo)
TU Meinvoreu ixrov ^ioo^, (4) 6r (sie) kopt/fruTO nuQU JSvu/o-
livio^ rov Xunx{>cno4, /ulxoV dou^fi^v y' riXo^ r.
AlOVViTlO^ TOUTtB^lTTJ^^^.
„Im Jahre 14 und 11 den 5. Pharmuthi hat an das Steueramt
zu Hermonthis, bei dem Dionysios Zöllner ist, die Steuer des ge-
wöhnlichen Zehnten nach der Anweisung des Psenchonsis des
Steuerpächters, die der ControUeur Heraklides unterschreibt, (die
Steuer) für den Kauf Osoroeris des Koros Sohn für ein gebautes
und mit Thüren versehenes Haus in der Gegend südlich bei den
Memnonien, einen sechsten Teil, welches er kaufte von Snachom-
neus des Chapchratos Sohn, von 3000 Drachmen Kupfer, 300
Steuer entrichtet. Dionysios, Zöllner".
von fünf ägyptischen Papyren zu Berlin 31
Das Datum unseres Registers hat das sonst gebräuchliche rov xccl
bei doppelter Jahresbezeichnung in ein einfaches rod verwandelt Die
doppelte Jahresrechnung (welche sich natürlich auch in dem encho-
riächen Contract wieder findet: den 20. Phamenoth des Jahres 14
und 11) beruht auf den bekannten Ereignissen nach Euergetes II Tode;
denn als dieser im [531] Jahre 117 a. Ch. starb, hinterließ er seiner
dritten Gemahlin Eleopatra Cocce das Reich mit der Bestimmung, sie
solle einen ihrer Söhne zum Mitregenten annehmen. Sie mußte den
älteren Soter II, den sie haßte, wählen, und mit ihm zehn Jahre
regieren; dann drängte sie ihn fort, und rief den geliebteren Sohn
Alexander zur Herrschaft, der nun vom Jahre 114, wo er König von
Crpem geworden war, seine Regierung datierte, während seine Mutter
von 1 1 7 ab zählte. Damach ist das Datum des ägyptischen Contractes
der 28. März 102, das griechische Register aber drei Wochen später,
Tom 21. April. Die Nechutesurkunde ist zwei Jahre älter, bei dem-
selben Steueramte zu Hermonthis ^inregistriert, und stimmt mit diesem
sowie mit Pap. Berol. 39 in den Namen der bei dem Steueramte be-
schäftigten Personen genau überein, woraus man wenigstens sehen kann,
daß dieselben Steuerpächter auch mehrere Jahre hintereinander bleiben
(Tgl. Joseph, antqq. lud. XII 4, 4); denn die evXrjxpig rflg virQtxfjg
wurde auf jährige Pacht ausgegeben. Es sind in jenen drei Papyren
namentlich die drei Beamten Dionysios der Trapezit, dessen eigen-
händige Unterschrift sich in den drei Papyren gleich bleibt (Atj),
sodann Psenchonsis als Steuerpächter, endlich der ControUeur Hera-
kleides, wie dieser Name, den in unserem Papyre nur die Anfangs-
buchstaben Hq bezeichnen, in der Nechutesurkunde vollständig ge-
schrieben ist.
Auf die gewöhnlichen, stereotypen Eingangsformeln hinter 'H^cc-
x'fMSriq ^ ävTiyQucpevg folgt bei uns wie in der Nechutesurkunde tbX,
ojv^g, nicht TeXcl}V7]g, wie Böckh und Buttmann lasen (denn da dürfte
das A in rc^ nicht übergeschrieben sein), sondern rilog d)vf]g\ daß
dasselbe Hkog am Schlüsse noch einmal vorkommt, hat durchaus keine
Schwierigkeit. VtrooörjQig ist Käufer. Schon vierzig Jahre früher
ist im Antigr. Grey. die Familie eines Osoroeris, Horos Sohn, unter
denen erwähnt, deren Leichen zu balsamieren der Cholchyte Horos
des Horos Sohn kauft, woraus man erkennt, daß sie [532] selbst wohl
keine Cholchytenfamilie war. Im Pap. Taur. V nennt sich ein Osoroeris
als ältester unter den Pastophoren der Memnonien, in einer Klagschrift
des Jahres 6; man wüßte nicht, in welche Regierung dieselbe gehörte,
würde nicht eben da Hermokles als hoher Beamter (wahrscheinlich als
^^KTTUTTjg des pathyritischen Nomos) erwähnt; von demselben Hermokles
32 l^ie griechischen Beischriften
existieru ein Attest aus dem Jahre 52 (des zweiten Euergetes), woraus
man schließen muß, daß das obige Jahr 6 der gemeinschaftlichen Re-
gierung der Eleopatra Cocce und ihres Sohnes Soter II angehörte;
unser Register und Contract wäre dann acht Jahre später verfaßt Da
man die bisher aufgefundenen Papyre mehr oder minder mit einander
in Zusammenhang zu bringen durch die eigentümliche Art ihrer Er-
haltung aufgefordert wird, so ist es mir nicht unglaublich Torgekommen^
daß unser Osoroeris des Horos Sohn derselbe sei mit jenem ältesten
der FastophorenfamiUe.
Das folgende otsf ist olxiag zu lesen, wie man aus den dazu ge-
hörenden Prädikaten ersieht Die Auslassung des i in (axodofii]ijLivri<^
ist orthographische Nachlässigkeit, nicht etwa Anzeige schon veränderter
Aussprache des i subscriptum, welches in dem qt der Flexionen nie-
mals fehlt, also noch gesprochen und gehört werden mußte. Aufifallend
ist die Zusammengehörigkeit der beiden Prädikate, die, sollte man
denken, sich bei jedem Hause von selbst verstehen. Aber sieht man
die Stellen, wo obcia in den ägyptischen Documenten vorkommt, ge-
nauer an, so scheint es oft fast nur die Bedeutung von Haus- oder
Baustelle zu haben, oder doch nichts weniger als ein Haus in bau-
lichem und bewohnbarem Zustande zu bezeichnen. Ich will nicht dafür
anfuhren, daß die Cholchyten des Hermias olxia in Diospolis erst
wieder bauen mußten, um es bewohnen zu können, indem nur noch
die ToTxoi 7t6Qiij<TaVy vgl. Pap. Taur. I S. 1 lin. 30 II lin. 25; aber
nach Pap. Taur. III nahmen andere Cholchyten von einer olx/a zu
17 Ellen Besitz xal neQiotxoSofiijfravTeg iavroT^ oixTjTijQia Ivot- [p33'\
xovaiv ßtaicji^', es ist dies unmöglich anders zu verstehen, als daß
dieser Platz von 17 Ellen olx/a leer und öde lag, daß aber die Chol-
chyten sich ihre Häuserchen da umher erbauten und bewohnten. Ist
dem also, so erscheint die Hinzufögung des (pxoSofjnjfiivi]^ ganz gescheidt.
Aber es könnte das Haus noch wohl sein Dach und seine vier Wände
gehabt haben, wie jenes des Hermias, i^^ oi rolxoi ittQifjaavj aber doch
unbewohnt und unwohnlich sein, wie eben dasselbe Haus, welches die
Cholchyten k%i(TXBva(TavTt^ rä xa\fr]{iii^iva fii^rj ävqixovv; wird aber
gesagt, daß es noch seine Thüren habe, so bezeichnet dies, daß es noch
ziemlich wohnlich sein mochte, da man von einem nicht bewohnten
Hause wegen des bekannten Holzmangels in Aegypten die Thüren
wohl nicht zuletzt zu anderem Gebrauch fortnahm. Können wir uns
auf diese Erklärung verlassen, so gewinnen wir einen charakteristischen
Zug für den Zustand des Landes in dieser Zeit: leerstehende, ver-
fallene Häuser, und das in der größten Stadt des Oberlandes, wo die
höchsten Behörden des Nomos und der Epistrategie ihren Sitz hatten;
von fünf Sgyptischen Papyren zu Berlin 33
wie wird es gar in den Landstädten und kleineren Ortschaften ge-
wesen sein.
'Ev T(Z änd v6rov fie^ei] es liegt das verkaufte Wohnhaus in
dem südlichen Teile der Menmonien, sowie das in der Nechutesurkunde
Terkaofte Grundstück. Der wievielte Teil des Hauses verkauft; sei, zeigt
das vor fUQog stehende Zeichen an, welches man als Bruchzeichen an
dem darüber stehenden schrägen Striche erkennt, demselben Striche,
der das i und x äyxvxhog zur Sexür?] und üxoaxi) macht; ich halte
den übrigen Teil des Zeichens ohne Zögern für g, obschon die Form
dieses Zahlzeichens in den Papyren prägnanter zu sein pflegt: wir
hätten also in unserer Stelle ein %xtov fUQog olxiag, das verkauft wäre.
Vv k(ovfiauTo iBt so deutlich geschrieben, daß über die Richtig-
keit der Lesung kein Zweifel obwalten kann; schwieriger ist die Con-
stroktion des &v. Als Schreibfehler für ijv [534] (oixiatf) dürfen wir
es nicht leicht ansehen, da es sich unter den gleichen Umgebungen
in Pap. 39 wiederfindet; der einzige Zusammenhang, den ich diesem
otr ZQ geben weiß, ist anzunehmen, daß dem Schreiber bei der (bv?)
das tpihnönov . . . . &v kcovrjaaro so geläufig war, daß er damit con-
stroierte, selbst wenn der rpiXöronog näher bezeichnet war als olxia.
Jedoch ist diese Erklärung selbst sehr willkürlich, und jede andere
wäre mir lieber.
Der Verkäufer ist ^vccxofAv$vg rov XditxQcerog. Denselben
Namen (vielleicht JSvccxofivevg, da sonst wohl dekliniert wäre) hat
Böckh in der Nechutesurkunde unrichtig EvaxofAvtvg gelesen; diese
richtigere Lesung ist auch aus Antigr. Grey. bekannt Daß dieselbe
Person hier xmd bei Böckh gemeint sei, scheint mir darum noch wahr-
scheüüicher, weil dort wie hier das verkaufte Grundstück in dem süd-
lichen Teile der Memnonien liegt. Den Vatersnamen lese ich ganz
deutlich X.dnxQ(CTog und kehre mich nicht an den XanoxQccrtjg des
Antig. Grey.; aber ob in XanxQcrrog die Endung nicht ungenau ge-
schrieben sei statt XanxQccnog, da in Pap. 39 das Ende lautet Tot-
vovq rflg XäiJtxQccTig, oder ob man dies für eine Femininform, Xccn-
XQtsTog für einen Genitiv, für indeklinabel halten soll, ich weiß es nicht.
In der Angabe der Steuer ist das Zeichen nach x^chcov ^ offenbar
nichts anderes als dQaxfi&v; denn wie man aus dem hinzugefügten
reXog r berechnet, welche 300 Drachmen als Sixärrj gesteuert wurden,
der Kaufpreis ist 3000 Drachmen; dies nun konnte ausgedrückt sein
durch \ Talent ( X ^L^) oder durch 3000 Drachmen (nach gewöhn-
licher Bezeichnung X /- ^ ). In der hier gegebenen Bezeichnung aber
ist bei dem y für 3000 der die Tausend bezeichnende geschweifte
Drojsen, Kl. Schriften I. 3
84 l^ie griechischen Beischriften
Strich oben am Buchstaben fortgelassen, und auch das Zeichen für
Drachme, sonst A oder z. kommt hier dem älteren < näher. [535]
Papyr. BeroL Nro. 40,
(1) ff'Erovg iS' rov xai lä ine/eig . . . riraxTai kiil tijv hv '£q-
fKtjv&Bi Toäne^ccv, ktp Jj^ AiovitriOi;^ Sexdrrj^ hyxvxXiov xara
SiayQcc(piiv WsvxdfVfnog (2) reXcöpov, v(f) fjv vnoyQdecpsi 'Hoa-
xXeiäfjg 6 ävTiy(}cc(pevgj aifjano Otro^rjptg "üqov üno .... olxiag
(üxodofjLfjfiivrjg xal Öev .... (3) ^xrov .... Ivr.g rot) (poovoiov . . .
Sv i&BTO avT(p Tavovg rfjg XÜTtxpccrig,
ngbg x^^od xdXavTCC ^ riXog jua'
Aiovvaiog TQCCTtB^irrjg^^,
,,Im Jahre 14 oder 11 den . . . Mecheir hat an das Steueramt zu
Hermonthis, bei dem Dionysios Zöllner ist, (die Steuer) des ge-
wöhnlichen Zehnten nach Anweisung des Zollpäohter Psenchonsis,
die der ControUeur Herakleides unterschreibt, Apsapo Osoreris des
Horos Sohn von .... eines gebauten und .... Hauses einen
sechsten .... innerhalb des Kastells . . . ., welches ihm Tanus der
Chapchratis Kind verkaufte, entrichtet.
für zwei Talente Kupfer 1200 Drachmen Steuer.
Dionysios, Zöllner**.
Es hat dieses Register unüberwindliche Schwierigkeiten durch eine
Menge wunderlicher Abkürzungen; ich habe oben im Grunde schon
mehr als sicher gelesen angeführt, als ich verbürgen könnte. Im Datum
selbst, welches das Ende des Februars 103 bezeichnet, ist der Tag des
Mecheir corrigiert, so daß man nicht sieht, soll es y oder g oder was
sonst sein. Auch der enchorische Contract giebt keine Aufklärung:
im Jahr 1 1 Mecheir .... statt der einfachen Zahl folgen einige Zeichen,
in denen keine Spur einer Zahlenbezeichnung sich erkennen läßt; ich
möchte vermuthen, daß dort irgend ein eponymischer Tag bezeichnet
ist, vielleicht der erste des Monates. Die zunächst folgenden Angaben
der Beamten u. s. w. stinmien ganz mit denen des vorigen Registers,
welches zwei Monate später in demselben Steueramte eingeschrieben ist,
überein; erst [536] wo beide von einander abweichen, beginnen in
diesem die Schwierigkeiten.
In dem Nechutesregister wie in dem vorhergehenden folgt hinter
'HgaxXeiSijg 6 ävriyQ, das riXog ihvfig, bei uns ein unerklärliches
aipccTio oder atfano, sodann der Name des Käufers Osoreris Horos
Sohn; mit dem folgenden and beginnt hier wie in der ersten Grey sehen
ZoUacte die Bezeichnung des Verkauften ; ich erkenne die Züge olxi . .;
das Weitere der zweiten Zeile ist unverständlich. Die dritte Zeile beginnt
von fünf ägyptischen Papyren zu Berlin. 85
mit g mit demselben senkrechten Striche, der im vorigen wie im
Petrettinischen Papyre der Zois Nro. 3 hcrov, ein Sechstel bezeichnet;
wieder dann ein unerklärliches Zeichen, endlich die Angabe der geo-
graphischen Lage. Aus den beiden verständlichen Stellen im zweiten
Abschnitte des Begisters vermute ich, daß Osoreris des Horos Sohn den
sechsten Teil seines so und so großen Hauses gekauft hat; der Kauf-
preis für diesen Hausteil, 2 Talente, läßt auf ein bedeutendes Areal
des Hauses schließen, welches, wie ich vermute, angegeben ist in dem
Zeichen zwischen dno und olxiag] die Angabe müßte ein Zahlzeichen,
die Maßbestimmung könnte, wie in Pap. 37, ausgelassen sein, und sich
niijctii^ von selbst ergänzen. Sieht man nun den unteren Teil jenes
Zeichens an, so kann man es wohl für ein durch übermäßiges deutlich
sein sollen undeutlich gewordenes e halten; der Bogenstrich darüber ist
schon aus anderen Stellen als Zeichen für Tausend bekannt, so daß
wir also lesen könnten: &%b n/j/B(ov nevrccxKr/iXtcov ol7eiaq\ gemeint
wären natürlich 5000 Quadratellen, also ein Haus, das eine halbe Arura
bedeckte; von diesem würde \ verkauft, so daß also 8f Ellen oder
833|^ D Ellen Haus bezahlt worden wären mit zwei Talenten. In
den Zeichen hinter otxtaq erkennt man ooc^S'' xm Sev] vergleicht man
den vorigen- Papyrus, so kann man nicht zweifeln (pxoSofxijfievrjg zu
lesen. Das weitere xai Sev, welches nichts von xccl re&vQGjfjLivfjg an
sich hat, könnte mancherlei bedeuten; ich zweifle, [537] ob ein schön
angestrichenes Haus, was in Aegypten schon etwas hätte sagen wollen,
mit äevfriTtoiovfiipfjg könnte bezeichnet werden; SevT6Q(ofiev7]g zu lesen,
und an ein repariertes Haus zu denken, scheint am nächsten zu liegen,
wäre dafür in Aegypten nicht avavevBOfiivrjg zu erwarten (s. Inschrift
bei Letronne recherches S. 52); SevreQsvovfTTjg zu ergänzen, und etwa ein
Hintergebäude oder Gebäude vom zweiten Bange zu verstehen will mir
auch nicht in den Sinn. Kurz, ich weiß nichts rechtes; ebenso wenig, was
sich geschicktes aus a^ipano machen ließe; unsere letzte, armseligste
Ausflucht ist gewesen, einen Doppelnamen Apsapo Osoreris zu formieren,
wie sonst wohl Semmuthis Fermiei, Melyt Persinei u. s. w. vorkommt.
Aber dies, sowie die Erklärung der ganzen Stelle, ist durchaus prekär,
zumal da wir auch dem Zeichen nach %xrov keinen Sinn zu leihen
wissen, es wäre denn statt (i^Qog^ wie im Pap. 40, welches nicht allzu-
fremd, da das Zeichen in Pap. 38, welches wir iitröxoav lasen, und
also den Anfang des Wortes, ^e, bezeichnete, genau dasselbe mit dem
hier in Frage stehenden ist, so enthielte dies die gespreizten und ver-
kümmerten Buchstaben juc, den Anfang von iikgog.
Es folgt sodann hvrog rov (pQovQiov . . .; in kvrög ist das o durch
einen BruQh im Fapyr umgekonmien, daß es nur o, nicht oi oder at
3*
36 1^16 griechischen Beischriften
sein konnte y ersieht man aus dem geringen Raum zwischen v und r.
Die nach (pQovQiov folgenbe Abbreviatur, wohl der Name des Kastells,
in dem das verkaufte Haus lag, ist ganz unleserlich, üeber &v 'idero
ist schon oben gesprochen. Das mir nicht geläufige &i(T&ai für
verkaufen kann leicht auf die aus anderen Papyren bekannte Formel
xJicF&ai (bvfiv zurückgef&hrt werden. Den Namen Tavovg sowie den
Weibemamen TccvBifT bei Schow S. 62 glaube ich in Verbindung
bringen zu können mit dem Qöttemamen einer in der Gegend zwischen
Abusis und Memphis von Herrn von Minutoli copierten, von Böckh
mir mitgeteilten Inschrift; sie lautet also:
[538] uAOMAIITANON GEON lAPYIANTO
AYIlKPITOIAeHNAI
ANAPOXAPII NIIYPI
MNAZirENHZ BOIQT
EniTEAHI KYPANA
ITPATQN KAPYANA
ZQIIKAHI AGHNAI
AHMHTPIOZ AeHNAlO
AnOAAQNIAHZ KOPI
ÜYeOAQPOZ AOHNAI
APIZTOBOYAOZ AOHN
KAI THN TPAfEZAN ANEOE
ZAN AMYPTAIOZ POAieZ
eine Inschrift, die nach Böckhs Ansicht aus der Zeit des Chabrias sein
möchtet Der in der ersten , wie Buttmann meinte, rhythmischen,
Zeile genannte Gott scheint wie Amonrasonther, Amenekis Tchon
Smyrsos, Peutnouphis, Sempammon (dieser Name bei Eustat. zu IL (V
S. 332) u. s. w. aus mehreren Götternamen den eigenen zusammen-
gesetzt zu haben, von denen der letzte Tavov mit unseren Tctvovg
und TavBVT in Verbindung zu bringen wäre.
Die Unterschrift unseres Papyres enthält in 7t()dg x^^od räXavrcc ß
dasselbe n^ög, welches wir wiederfinden in den Petrettinischen Papyren
der Zois Nr. 3 Siä t6 SaSöcrOai . . . n(}6g /cfÄ^oß rdkawa iß u. s. w.
Die Steuer für diese zwei Eupfertalente ist natürlich nach der Sexärt]
1200 Drachmen, die beiden Zeichen hinter rikog also a mit dem ge-
schweiften Strich far Tausend, und er.
Papyr, Berol. Nro. 4L
„Iä/ Xoiccx x&' ne7tT(6xa(Ti x^^ov Sgccxficci q' Btxoarfjg kyxv-
xUov kv Jioffnölsi ry fj^eyakt] (2) olxlaq hnl xov 'HgccxXaiov,
i]v hyÖQaaBv IdQimq WBvuvvxioq nagä 2Bv&(Dvriog fuyaX, xai
JSBvdmiriog ^ixq., xaß-' ov Ttgoxairai . . . ."
> Jetzt C. I. Gr. N. 4702.
von fünf ägyptischen Papyren zu Berlin 37
^Im Jahre 23 den 29. Choiach kamen ein 100 Eupferdrachmen
gewöhnlicher Zwanzigsten in Groß Diospolis, for ein Hans bei dem
Herakleion, welches Arieus Psenanytis Sohn von Klein Senthoytis
and Groß Senthoytis kaufte, worüber vorliegen . . . ."
[539] Das abweichende Formular dieses Registers hat seinen Grund
nicht etwa in einer eigenthümlichen Bestimmung des Inhaltes, sondern
in dem Alter des Documentes, das, wie der Anfang des enchorischen
Contractes lehrt, geschrieben wurde „Im Jahre 23 den 19. Choiach
des König Ptolemaos Sohnes des Ptolemäos und der Arsinoe Götter
Philopatoren ^''; gemeint ist das 23. Jahr des Epiphanes Eucharistos,
also 182 den 29. und 25. Januar. Es ist auffallend, wie sich auch
in den Buchstaben dies Register von späteren unterscheidet; die Schrift
ist äußerst wenig cursiv und kaum ein Anfang gemacht zu jener
leichteren Weise, die fünfzig Jahre später durchaus vorherrschend ist
Eine geringere Abweichung [540] ist im Eingange statt des gewöhn-
lichen Irot/g der Documenta jenes Zeichen, welches man durchgängig
^ Wir können nicht umhin, bei dieser Gelegenheit eine in der Cyrenaika
bei Ptolemais gefundene Inschrift zu erwähnen, die von Herrn Letronne fol-
gendermaßen ergftnzt wurde (Journal des Savans 182S S. 260 C. I. Gr. N. 5184):
BAZIAIZIAN APIINOHN 0EA || N AAEA0HN
THN TTTOAEMAIOY KAI BEPENIKHI || 0EßN IQTHPQN
H noAii
Herr Letronne sagt : „suchen wir in der Keihe der Lagiden, welche die Arsinoe,
die Tochter des Ptolemäos und der Berenike sein könnte, so finden wir nur die
zweite Gemahlin des Ptolemäos Philadelphos , seine Schwester, Tochter des
Soter und der Berenike. Aber Philadelphos ist während seiner ganzen Begie-
rung nicht König in der Cyrenaika gewesen, welche in dieser Zeit nacheinander
den Magas, Demetrios und Ptolemäos Euergetes zu Königen hatte, weshalb denn
auch in der adulitanischen Inschrift unter den Provinzen, die Euergetes von
Philadelphos überkam, Cyrene nicht genannt wird'^ Wäre kein anderer Aus-
weg, so müßte man sich freilich darauf einlassen, daß Philadelphos nach Been-
digung der Kriege mit Magas, oder während sein Sohn Euergetes in Cyrene
König war, irgend eine königliche Gnade gegen die Stadt ausübte, oder die
Stadt ihn wegen anderer Gründe ehren wollte. Aber eine andere Arsinoe ist
die oben genannte, die Tochter des Euergetes und der cyrenäischen Berenike
Eueigetis, Schwester und Gemahlin des Philopator; s. inscr. Ros. I. 5. Justin.
XXIX 1 nennt sie irrig Eurydice; die nun war, ich weiß nicht bei welcher
Gelegenheit, von den Bürgern von Ptolemais mit einer Statue geehrt, die also
folgende Inschrifit tragen mußte:
BAZIAIZIAN APZINOHN eEA[N cDlAOüATOPA
THN TTTOAEMAIOY KAI BEPENIKHI |; GEÖN EYEPfETßN
H noAiz
Die zweite Zeile darf hier etwas kürzer sein, da ihre Buchstaben kleiner sind;
daß aber H TTOAIZ genau unter die Mitte der Zeile kommen müsse, hat Herr
Letronne wohl zu sehr berücksichtigt
38 I^ie griechischen Beiflchriften
Xvxdßavroq erklärt. Diese Erklärung selbst ist sehr zweideutig; wie
käme solch höchst poetisches Wort in die alltäglichste Sprache^ diese
Form des A in altgriechische Zeit; man sieht vielmehr aus den
Quittungen u. s. w. der Papyre, daß dies L nichts als eine Art An-
führungs- oder Aufmerksamkeitszeichen sein kann. Für die Form /oia/
(sonst xoiäxy in römischer Zeit auch /vcix) fehlt es nicht an alten
Beispielen; s. Buttmann S. 96.
Es folgen hierauf einige durchaus schwierige Zeichen; erst bei
X kyxv. kommt man wieder auf sicheren Boden. Was vorher steht,
war ich nahe daran rixuxrcci inl Ttjv ßccfTiXixfjv TQÜTte^ecv zu lesen,
so verwischt, abgekürzt und verschnörkelt sind die einzelnen Sill)en;
dagegen sprach einmal, was ich über riraxrui meine, welches hier
nicht den Namen des Käufers, sondern riXo^ zum Subject gehabt
haben würde, da der Name im Zwischensatze steht; zu solchem „reAot?
so und so viel" wäre auch nicht einmal am Ende des Papyrs hinter
7i()oxeTrf4i Raum, das doch gewiß nicht fehlen darf; hätto an besagter
Stelle die Angabe der Steuer gestanden, so würde man sie schon deut-
licher markiert haben, als daß sie sich in den vier unlesbaren ZeicJien
am Ende unseren Augen entziehen könnte. So machte ich einen
anderen Versuch den Anfang zu lesen; was mir vorher als re e erschien,
bezeichnet sicherer ;re; nach einigen lückenhaften Zügen folgt (o mit
einem Abkürzungszeichen: ;re . . . o> . . . im Steuerregister, das in offi-
zieller Sprache Ttrdüficc heißt? Ich ergänze dreist ninrcoxBP oder TreTtrfo-
xc4(Ti] es spricht für mich das gleiche TtinTcoxev im Potrettinischen
Register. Aber was ist an das Steuoramt eingekommen? ich glaube
die nächsten Zeichen; denn / in den Papyren, was kann es sein als
/«^xoP? Nach einer etwas wunderlich verzogenen Figur folgt (/, nichts
anderes als das Zahlzeichen 100; was davor steht ist weder ein 6 noch
ein T oder sonst ein Buchstabe; in der späteren, flüchtigeren Schrift
[541] bezeichnet A die Drachmen, hier haben wir an diesem Zeichen
noch oben und unten ein Häkchen ; so glaube ich wirklich, dies Zeichen
soll ÖQc/xfJf^^ sein, daß also 100 Kupierdrachmen Kanfzehnten von
einem für 2000 Kupferdrachmen gekauften Hause gesteuert wären.
Bedenken wir was olx/a auch bedeuten, daß hier eine genauere Be-
zeichnung vielleicht eines Hau st eil es ausgelassen soin kann, so wird
uns der wohlfeile Kauf nicht stören. Es folgt dann iv Aio^nöX^t
mit derselben Abkürzung wie in den (ireyschen Registern geschrieben;
die zunächst stehenden Züge sind eine willkürliche Abbreviatur für Ty\
denn das folgende fity kann eben nur fieydXy sein.
Der Anfang der zweiten Zeile ist sehr deutlich oixiai^ knl roO
'JIquxIsiovj oflenbar ad Ilrrar/eumj einem Heiligthum des Herakles,
von fünf ägyptischen Papyren zu Berlin — Anhang 39
neben dem das verkaufte Haus liegt; iyoQaaiv mit dem verkehrten «
>chrieb der Schreiber vielleicht seiner falschen Aussprache nach. Der
Name des Käufers ist I^pieiJg, seines Vaters Name war vergessen,
mußte darum über der Zeile eingeschaltet werden; ich lese ziemlich
sicher Wevavvnog, ein recht ägyptischer Name P-sen-anyt; man mochte
wohl nicht sehr das Ziel verfehlen, wenn man dies Anvt mit Herodots
Anysis, d. i. eigentlich Heracleopolis (osn Jesaias 30, 4. 2 «^HC. Kopt.)
vergliche; weiterer Combinationen mit unserem 'HoccxXetov enthalte
ich mich. Zwei Menschen haben das Haus verkauft; des zweiten Name
ist deutlich SSevO-MVTiog, von dem des ersten liest man auch Anfangs
der dritten Zeile deutlich {)ovTiog\ was am Ende der zweiten Zeile
steht naga ^e. gehört offenbar dazu; ein Strichelchen nach diesem -5*6,
dessen Fortsetzung verwischt ist, ergänzt sich leicht zu v, so daß beide
Verkäufer oder Verkäuferinnen 2ÜBvd'(jovTig heißen; sie unterscheiden
sich durch hinzugefügte Abbreviaturen, beim ersten Namen /it, beim
zweiten ein senkrecht durchstrichenes /u, wohl fit. Aus der Nechutes-
urkunde ist JVexovTfj^ pnxQoq '!A(T(OToq bekannt, es ist nichts leichter
als luyag und piixnög zu lesen, nur so nah liegendes konnte man füg-
lich abbrevieren. Den letzten leserlichen Worten xa&' ov ngox^lrcti
könnte dem Sinne nach sich V; avyyi)u(fii anschließen, doch schließen
sich dem die Züge des ausgelöschten Endwortes nicht an.
Anhang.
(Literarische Zeitung 1840 Nr. 14 Berlin den 1. April 1840).
Descriptian of the GreeJc papyri in the British Afusen/m. Part. 1.
London 1839 (Vgl. 1839 Art. 2099). — Die Verwaltung des brittischen
Museums verdient den lebhaftesten Dank für die Herausgabe dieser
Reihe von Documenten des verschiedenartigsten Inhaltes; sie sind voll
sprachlich interessanter Eigentümlichkeiten und in Beziehung auf die
administrativen Verhältnisse des Lagidenreiches höchst belehrend. Herr
J. Forshall hat die nach Ausweis der beigefügten Abbildungen meist
sehr schwierige Schrift mit größter Genauigkeit und mit dem glück-
lichsten Erfolg entziffert; die kurzen Noten, die er beifügt, beziehen
sich fast ausschließlich auf die Lesung der noch unsicheren Stellen
oder enthalten die Ergänzung kleiner Lücken in den einzelnen Worten,
hier und da auch Erklärung einer Abbreviatur oder Andeutungen über
die durch falsche Aussprache entstandenen zahlreichen Fehler des
40 Anhang
Griechischen. Der überaus schwierigen sachlichen Erklärung hat er
sich ganzlich enthalten, so ergiebig sie für seinen Scharfsinn hätte
sein müssen. Die publicierten Papyre beziehen sich zum Teil auf Ver-
hältnisse und Personen, die schon aus denen anderer Sammlungen
bekannt sind. Nach Nr. 1, dem schon öfters, hier aber mit voller
Genauigkeit edierten Greyschen ävriyQatpov, folgen fünfzehn meist
längere Documente, die wie es scheint, zu ein und demselben reichen
Funde gehört haben, von dem sich in sonstigen Museen noch über
zwanzig auf dieselben Sachen bezüglichen Papyre vorfinden. Es ist
der Makedonier Ptolemaios des Glaukias Sohn, der, ev xaroxfji im
großen Sarapeion bei Memphis, bald für seinen jüngeren Bruder Apol-
lonios und dessen Aufoahme aig ri]v dB^eikaov a^jfieav petitioniert
(Nr. II vgl. Angelo Mai Auct class. t v. S. 353), tqüs desselben Ein-
gaben für die Zwillingsschwestem Tagec und Tayt, die durch ihn wie
raig nQOvnuQxovaatg ijfitov ev rwi ronoDt aXlaig SiSvfiaig die zu-
kommenden oder rückständigen Lieferungen an Oel, Sesamöl, Kiki,
Brod u. s. w. erbitten, nebst den Antwortschreiben der Beamteten, Quit-
tungen, Anweisungen u. s. w. Es ist derselbe Handel aus den Jahren
des Ptolemaios Philometor (165 — 157 vor Chr.), auf den sich etwa
sechs Leydener Papyre (ßeuvens lettres d M. Leironne III S. 65 ff.),
ein Paar vatikanische (bei Mai Auct. class. IV und V) und etwa zwölt
Pariser beziehen. Eben dahin gehört ein von Drovetti der Dresdener
Bibliothek geschenkter Papyrus, von dem Herr Falkenstein in seiner
schönen Beschreibung der genannten Bibliothek einige Nachricht ge-
geben hat; derselbe enthält zwei vollständige Petitionen ähnlichen In-
haltes und den Anfang einer dritten; die eire vollständige ist eine Art
von Entwurf mit vielen Korrekturen; der zweite lautet nach der Ent-
zifferung, die der Ref. im Herbst 1839 zu versuchen Gelegenheit
hatte, folgendermaßen: ^agammvi roov SiaSoxfov xai vnoSioixfixi]t
naifa nroXtfiaiov fiaxeSwv rmv ev xaroxv \\ ovtwv ev rmi luyaXioi
aagctnieimi exog rovzo evSexccrov xai r(ov SiSvpuoov aneScaxa aoi ti]v
naget rov \\ ßaatXecjg xai ri]g ßaatXiarig xexQf]fJiaTi(TfUvr]v xcov SiSvfMov
evtev^iv vneQ xcov xa&f]xovTOi>v || avtaig xar eviavzov xai avvera^ag
anoSovvai ro rov ii] xai rov lü ekaiov xai xtxiog \\ e^evtrov (sie)
eXaiov fie fie (beides halb ausgewischt) fie, a xai xixiog fie. a negi
fiev ovv rovrwv Soi aoi || o aaganig xai r] eiaig enacpgodia (sie) /«-
geiv fiog(pr]v ngog rov ßamXeia xai ti]v ßaaihtTfrav Si fjg exeig \\
ngog ro &eiov oaionjra ngogSeofUvotg d exi rvxeiv xai ev rovroig
awegyeiaig a^ioD ae eni || ngoogaifiai anoxfogia&evTog aov eig rovg
avco Tonovg ov Saßcoaiv (vgl. Hesych. v.) Sidvfiai [ ra rov eixoarv
erovg eXaiov xai xtxi voi]aavra ort av iSioxQfJfiari^eig ccvraig \\ eXav
Anhang 41
xai xixi (die drei Worte sind wieder ausgewischt) yQccrjjai fuvviSai
Tcoi snifjulfjrBt anoSowcci fioi xai tovtov \\ rowov ^rovg rov xcc&rj-
xovra aXaiov fAeTQf}Tf]v xai xixiog fAerQfirrjv \\ fifjdiv avTinsg . . rcc
(joi Sß ccBi yevoiTO ccv& (ov ngaa . . , ov oaKog Siaxuaai |j xai rov
uooSaafAOv xcci rcov ev xoai uqcoi nctvxoDV avTikafißccvu |{ 6naq>^o-
Siaia X^QU fAOQfpr^ evr]ij,eQiai xai roig aXXoig $v Bvrvxia evrvxsi.
Die Lücken und Schwierigkeiten dieser Schrift werden sich durch Ver-
gleich mit den brittischen ziemlich vollständig aufklären lassen. Das
darauf folgende Blatt Nr. 18 ist ein Brief der Isias an ihren Bruder
Hephaistion, an den auch ein vatikanischer von seinem Bruder Dio-
nysios gerichtet ist. Sehr merkwürdig ist das folgende Briefchen Nr. 19:
^vp&avofuvf] fiav&avsiv cre ra aiyvnria y^afAficcra owexaQfjv (toi
xai B(iavTi]t ori ffvyye naQayevofuvog Big rrjv itoXiv SiSa^eig naga
(p . . . fiTi latQOxlrrji xa naiSagia xai s^eig B(po8iov eig ro yrigag.
Die nächsten Stücke, unter diesen Nr. 28 leider sehr fragmentiert,
enthalten verschiedene Rechnungen und Quittungen, aus denen sich
einige Maß- und Bechenzeichen, auch in Verbindung mit Nr. 14 die
Bestimmung der Artabe zu 6 Choiniken oder 15 Paaren {^Bvyri) er-
geben. Der Schluß der Sammlung Nr. 24 — 44 besteht aus verschie-
denen meist sehr fragmentierten Stücken, von denen Nr. 43 auf der
einen Seite durch den Anfang xaiaaQ xaio und das Ende xai xXav-
Siavov sich der römischen Kaiserzeit zuweist, während auf der anderen
HB]fi^iv fjt€vviS unzweideutig beweist, daß diese Seite des Papyrs in
der oben besprochenen Zeit der Ptolemaios- und Zwillingspapyre be-
schrieben wurde. Aus byzantinischer Zeit ist Nr. 44, wenigstens die
eine entzifiFerte Seite; die andere höchst verwischte scheint in vier neben
einanderstehenden Colunmen ein Glossar zu irgend einer fremden
Sprache (arabisch?) zu enthalten.
[Am SehluB des Bandes sind die Texte der PapTTUSurkunden in der Ab-
schrift von Prof. U. Wilcken gegeben].
n.
Zur Geschichte der Kelten.
a. De fontihus veterum auctorum in enarrandis expeditionäms a GaUis
in Macedoniam atque Graeciam susceptis. Scripsit Dr, Guilelmus
Ädolphus Schmidt Berolini 1834,
(Zeitschrift für die Altertumswissenschaft herausgegeben von Dr. L. Chr.
Zimmermann 1886 Xr. 73 Sp. 587 ff.)
[587] Mehr als sonst wendet sich in unserer Zeit die historisclie
Kritik darauf, die Autorität der Überlieferungen zu prüfen. Schwierig
ist die Aufgabe schon, wenn man sich den unmittelbaren Quellen, den
Angaben der Zeitgenossen gegenüber befindet, ungleich verwickelter
wird sie, wenn Erzählungen und Angaben in späteren Autoren, ohne
Bezeichnung der Quelle, eist noch die vorläufige Frage, woher diese
das Ihrige schöpften, notwendig machen. Unser Leopold Ranke ver-
anlaßt die jüngeren Gelehrten, die er in seinem historischen Seminar
vereinigt hat, mehrfach zu derartigen Arbeiten, und schon sind einzelne
schätzbare Untersuchungen dorther gekommen; auch die vorliegende
Dissertation verleugnet die treflfliche Schule nicht, und man darf mit
Recht dem Hm. Verf. zu diesem Anfang seiner schriftstellerischen
Thätigkeit Glück wünschen.
Bekanntlich erzählen den gallischen Einfall vom Jahr 280 Diodor,
Justin und Pausanias mit ziemlicher Ausführlichkeit und einer bei so
seltsamen und wunderbaren Einzelheiten auffallenden Übereinstimmung.
Hieraus vermutet Hr. Schmidt und wohl mit Recht, daß sie dieselbe
Quelle benutzt haben, und er fragt, wer dieser Quellenschriftsteller ge-
wesen sein dürfte. Er muß vor Diodor und ein Schriftsteller von An-
sehen gewesen sein, er wird, nach Diodors sonstiger Weise zu urteilen,
Schmidt de fontibus u. s. w. 43
ein jenen Zeiten nahe stehender gewesen sein. Hr. Schmidt versucht
nun, teils auf indirectem, teils auf directem Wege, wie er es nennt,
die Sache zu ergründen.
In dem einen Teile der Abhandlung werden nun die einzelnen
Autoren besprochen, an welche man denken könnte. Hier finden sich
treffliche litterarhistorische Notizen über die Galatika des Kallisthenes
und Timagenes, über Polemon, über Menodotos von Perinth. Über
Phylarch hätte können genauer untersucht werden; jedenfalls sind die
28 Bücher itTrogiai in einer Weise mit Episoden ausgefüllt gewesen,
daß man gar nicht sagen kann, irgend etwas habe nicht in denselben
gestanden; die ziemlich zahlreichen Fragmente aus den verschiedenen
Büchern gehen chronologisch so seltsam durcheinander und oft weit
über den angeblichen Anfang (272 a. Chr.) hinaus, daß auch nicht die
entfernteste Vermutung über die Reihenfolge des Inhalts gemacht
werden kann. Die Vermutung, daß der jüngere Marsyas entweder dem
Diodor nicht bekannt war oder gar nach ihm gelebt hat, ist sehr
plausibel gemacht; ich hoffe über die drei Marsyas, welche Suidas auf-
führtj nächstens des Gründlicheren zu sprechen. Mit Recht macht der
Hr. Verf. geltend, daß die 'ElXrjvixü und MaxeSovixä des Samiers
Duris dasselbe Werk sind. Nachdem der Hr. Verf. in gründlicher
Untersuchung das Geschichtswerk des Kardianers Hieronymos charak-
terisiert und bewiesen hat, daß aus diesem so wenig wie aus den oben
genannten oder den Atthidenschreibern die bekannte märchenhafte Er-
zählung stammen könne, wendet er sich auf den Tauromenier Timäos
und entscheidet sich bei der Autorität dieses Historikers, bei der Dispo-
sition seines großen Geschichtswerkes und der sonstigen Weise seiner
[588] Auffassung dafür, daß von ihm her die Erzählung bei Diodor,
Justin und Pausanias entlehnt sei.
Der zweite Teil der Abhandlung beschäftigt sich namentlich damit,
nachzuweisen, daß die Art der Erzählung vollkommen dem Charakter
des Timäos entspricht. Alles Beifalls wert ist die kritische und chrono-
logische Sorgfalt, mit der der Hr. Verf. in dem Geschichtlichen die
Widersprüche aufdeckt und ausgleicht, die Schwierigkeiten aufspürt und
löst und durch eine Reihe trefflicher Forschungen endlich die Geschichte
jenes Gallierzuges mit so vieler Evidenz, wie es bei dem traurigen
Zustande der Überlieferungen nur irgend möglich ist, entwickelt. Es
ergiebt sich hieraus auf das Deutlichste, daß keinesweges das Heer des
Brennus (oder Fürsten) Acichorius gänzlich vor Delphi zu Grunde
gegangen ist, sondern daß die Überbleibsel desselben teils unter Batha-
natius gen Ulyrien zurückzogen, teils unter Commontorius gen Thracien
gingen und das Reich Tyle stifteten; und daß der Gallierhaufen, der
44 Zur Geschichte der Kelten
mit Brennus ausgezogen war, sich aber schon im Dardanerlande von
ihm getrennt hatte, unter Leonorius und Lutarius gen Asien zog.
So trefflich die üntersachung im Ganzen und so wohlbegründet
auf den ersten Anblick das Resultat erscheint, so scheint es dennoch
keinesweges gegen jeden Zweifel sicher. Zugegeben auch, daß Timaos
den Gallierzug in solcher Ausführlichkeit behandelt haben kann, so
treten doch wesentliche Bedenken ein. Die Darstellung ist eine sicht-
liche Yerherrlichung Griechenlands und namentlich Athens; Athen
erscheint als der fahrende Staat, der Griechenland wie einst vor den
Persem so jetzt vor den Barbaren des Westens gerettet hat; während
offenbar doch die Aetolier die Hauptmacht in jenem Kriege sind, wird
gesagt, der Athener Feldherr habe den Oberbefehl gehabt; während
Athen in der tiefsten Ohnmacht liegt, wird von seiner großen See-
macht gesprochen, wie wenn es noch die des Themistokles wäre. Und
gerade damals ist in Athen an der Spitze der Angelegenheiten jener
Demochares, den Timaos mit so bitterer Parteilichkeit verfolgt hat;
ihn mußte ein guter Teil des Ruhmes treffen, wenn sich damals Athen
so ausgezeichnet hätte, und das sollte Timaos berichtet haben? Auch
das dürfte nicht im Charakter dieses Schriftstellers sein, daß er etwa
den Herodot oder die alte gute Zeit bewundernd den gallischen Ejieg
nach der Analogie der Perserkriege ausschmückte, oder daß er über-
haupt einen Kampf der Griechen als so ein Höchstes von Aufopferung,
Begeisterung und Glorie darstellte, er der klatschsüchtige, meist bittere
Tadler alles Großen.
Freilich nennt Diodor keinen anderen Autor, aus dem jene Ge-
schichte genommen sein könnte; aber die Notiz mußte gerade in den
verlorenen Büchern gestanden haben, wie begreiflich, wenn sie in den
wenigen Bruchstücken jener Bücher nicht vorkommt Daß aber Justin
oder Trogus Pompejus den Timaos entweder gar nicht, oder nicht aus-
schliesslich benutzt hat, sieht man aus dem 23. Buch, wo Agathokles
Tod durchaus abweichend von Diodor und zwar so erzählt wird, daß
Trogus einen dem Tyrannen durchaus günstigen Autor vor Augen ge-
habt haben muß.
Sollte ich mich nun erklären, aus welchem Autor ich jene Er-
zählung geschöpft glaube, so würde ich den [589] Demochares min-
destens ebenso wahrscheinlich finden als den Timaos. Demochares,
patriotisch und republikanisch seiner Gesinnung nach, ein Bewunderer
der alten Zeit, und während der gallischen Züge an der Spitze der
attischen Demokratie, hatte in seiner tarwm verum, historic^ quae erant
ipsius aetate Äthems gestae (Cic. Brut. 83) gewiß auch noch den gal-
lischen Krieg zu enählen; er, der von dem Gifttode seines Oheims
Schmidt de fontiboB a. s. w. 45
Demosthenes berichtete , „daß ihn die Gnade der Götter schnell und
schmerzlos von hinnen genommen/' er mag auch wohl in dem gal-
lischen Kriege solcher göttlichen Wander genug gesehen oder min-
destens berichtet haben. Daß er non tarn historico quam oratario genere
geschrieben, erklärt in Verbindung mit seinem Patriotismus die Über-
treibungen in Zahlen und sonstigen Angaben. Aber war Demochares
ein so verbreiteter Autor? Hat ihn Diodor, Pausanias oder Trogus
auch sonst benutzt? Letzteres kann ich nicht nachweisen , aber daß
er ein vielgelesener Autor war, sieht man nicht bloß aus Polybios und
Athenäos, sondern auch aus Cicero und was wohl noch mehr gilt, aus
Lucian, der in den „Langlebenden'' über Agathokles Tod gerade die
Autorität dieses Historikers anführt. Tadelte nun Timäos, der heftige
Gegner des Demochares , den Agathokles so heftig wie es geschah, so
ist es glaublich, daß Demochares günstiger für ihn sprach, um so mehr,
da der König mit Ptolemäos, dem Wohlthäter der attischen Demo-
kratie, in freundlicher Beziehung war und Demetrios der Poliorket^ der
Demochares stets verfolgte, an Agathokles Tod durch seinen Geschäfts-
träger Oxythemis Anteil hatte. Wird hieraus glaublich, daß die An-
gabe über Agathokles Tod bei Justin und Trogus, die nicht aus Timäos
geschöpft sein kann, auf Demochares zurückzuführen ist, so gewinnt
die geäußerte Yermuthung noch einen Grad von Wahrscheinlichkeit
mehr. Für Pausanias bin ich auch sonst geneigt, die Benutzung des
Demochares anzunehmen; die 2f achrichten über Olympiodor, welche
sich 80 sonderbar vereinzelt nur im Pausanias finden, leiten auf solcherlei
Vermutungen.
Jedenfalls dürfte man demnach behaupten können, daß die An-
sicht, als stamme aus Timäos die currente Geschichte der Gallierein-
fälle, noch keinesweges feststehe, daß man mit ebenso vieler Wahr-
scheinlichkeit an Demochares denken darf, daß nur die gleiche Ab-
stammung der genannten Berichte feststeht, endlich, daß wer auch
immer die erste Quelle sein mag, seine Darstellung voll Märchen und
Übertreibungen war, wie sie damals Mode zu werden begannt
' [Die Vermntang, Demochares sei die Quelle der Berichte über den
Kelteneinfall, ist vom Verf. selbst zuräckgenommen worden. Hellenism. II' 2
S. 342 Anm. 4. £. M.l
46 Zur Geschichte der Reiten
b. Die Kelten bei dem Komiker Ephlppos.
(Zeitschrift für die Altertumswissenschaft herausgegeben von Dr. L. Chr.
Zimmermann 1836 Nr. 139 Sp. 1210).
[1210] Daß die Kelten schon geraume Zeit vor ihrem großen Einfelle
nach Makedonien und Griechenland den Ländern im Süden des Haimos
gefahrlich waren, ist in der Geschichte der Nachfolger Alexanders
S. 649 (Hellenismus 11^ 2 S. 340) erwähnt, auch dort die Plinianische
Stelle angeführt worden, nach welcher bereits Kassander gegen sie
gekämpft hat. Wahrscheinlich ist eine beiläufige Notiz über sie aus
dem Geryones des Komikers Ephippos noch älter. Nach Athenaios
VIII S. 346c erzählte in dieser Komödie ein makedonischer Befehls-
haber unsinnige Übertreibungen von einem großen Fisch: wenn er
eingefangen sei, in seinem Umfang größer als die Insel Kreta, so
kämen die umwohnenden Völker, JSivSovg (d. i. ^ivrovg, vgl. Steph.
Byz. V.), Avxiovg, MvySovtovg, KQccvaovg, Uatpiovgf und fällten Holz,
d'jiörav ßamXmjg %\j)fj rdv fxiyav l^^vv, dann werde ein ungeheures
Feuer angemacht u. s. w. Der Andere antwortete darauf:
Vv/QÖV TOVTl
Ttavacei (pva&v, Maxsdcjv üqxcoVj
aßivvv Kslrovg, fi)] itQoaxavayg.
•
Es scheint nicht glaublich, daß dies von dem Perserkönig gesagt sei;
ebenso wenig möchte ich mit Meineke quaest. scen. III S. 14 an den König
Geryones denken, vielmehr scheint unter diesem Namen der gewaltige
König selbst, von dem jener MaxeScov äo/cov spricht, maskiert zu
sein. Und an wen könnte man, wenn ein makedonischer Großthuer
so von seinem Könige prahlt und dabei die eben genannten Völker
als dienstbar erwähnt, an wen könnte man anders denken als an
Alexander? Und zwar würde jener Kreis von Völkern, der in den
Sintern und Mygdoniem Thrakier und Makedonier, in den Kranaem
wahrscheinlich die Athener erkennen läßt, ungefähr die Zeit des Stückes
erraten lassen; nach dem Jahr 330 würden gewiß Perser, Meder,
Inder u. s. w. nicht fehlen dürfen; man könnte praeter propter das
Jahr dieser Komödie auf 332 bestimmen. Aber um diese Zeit saßen
die Kelten noch am adriatischen Meere und schickten von dort aus
335 an Alexander eine Gesandtschaft an die Donau; damals fragte sie
der König, was sie am meisten fürchteten? er meinte, sie würden ihn
nennen; sie aber sagten, daß der Himmel einfalle, aber Freundschaft
mit einem Helden wie er zu schließen, wünschten sie sehr (Ptolemaios
Die Kelten bei Ephippos 47
bei Strabo Vn S. 301). Sollte sich nun obige Antwort aus Ephippos
auf irgend eine andere Fassung dieser Anekdote beziehen? Wenigstens
an eine viel spätere Abfassung des Geryones darf man auch darum
wohl nicht denken, da Ephippos schon vor 360 Komödien auflFührte.
Über die Form Geryones statt Geryon {tergemini vis G&ryonai Lucret.
V 28 und ter amplum Oeryonem Horat. c. II 14) s. Mus. crit. II
S- 2581.
^ [Meineke fragm. com. Graec. Ill S. 323 und Kock com. Attic. fragm. II
S- 252 erwähnen die Vermutung des Vf.]
m.
Päonien und Bardamen.
a. Pftonien, G^eographie, £thnographiscIies, G^esehiehtliehes.
(Allgemeine Encyklopftdie der Wissenschaften und Künste herausgegeben von
J. S. Ersch und J. G. Gruber. Section III Theil 9 Leipzig 1837 S. 197—211).
Die Geographie der Landschaften, die unter Philipp und Alexander
Makedonien bildeten, ist in vieler Hinsicht dunkel; teils fehlt es aus
dem Altertume an umfassender und genauer Beschreibung, teils sind
von neueren Beisenden in jene Gegenden wenige gekomi](xen, die be-
deutende Aufklärungen gegeben hätten. Nach den trefflichen Arbeiten
Gatterers {de Herodoti ei Thucydidis Thrada in den Gommeni, Gotting,
t. IV, y, VI) und Mannerts ausführlicher Darstellung hat namentlich
C. 0. Müller (Über die Wohnsitze, [198] die Abstammung und die
ältere Geschichte der makedonischen Völker [Berlin 1825]) mit dem
ihm eigentümlichen Scharfsinne das Feld gelichtet Nach der Edition
seiner Schrift sind besonders zwei neuere Werke erschienen, die für
Makedonien freilich in sehr verschiedenem Grade wichtig sind, beide
von Männern, die selbst jene Gegenden besucht haben. Cousin^ry hat
in seiner Voyage dans la Macedaine (Paris 1831, 2 voU. 4.) die Unter-
suchungen und Beobachtungen niedergelegt, zu denen ihn ein viel-
jähriger Aufenthalt in Salonichi veranlaßte; eine Karte des südlichen
Makedoniens von Lapies Meisterhand begleitet sein interessantes Werk.
Der ausgezeichneten Arbeit Leakes {Travels in northern Oreece London
1835 4 voll,) liegen die Reisen, die der berühmte Verfasser im An-
fange des Jahrhunderts durch verschiedene Teile des nördlichen Griechen-
lands gemacht hat, zum Grunde; die beigefügten Karten sind teils
nach seinen eigenen Beobachtungen und Messungen, teils nach den
Mitteilungen von John Hawkins und den Küstenmessungen der eng-
lischen Admiralität gezeichnet, und der Unterzeichnete hat keinen
Geographie 49
Anstand genommen, das beigefügte Blatt nach der Karte bei Leake
(tom. 2) fast ausschließlich zu entwerfen^.
Die Gebirgslinie, welche dem adriatischen Meere parallel sich
durch Illyrien und Bosnien hinzieht, scheidet sich in den Quell-
gegenden des Värdhar und der Moraven, fast im rechten Winkel.
Von hier aus streichen südwärts die Gebirge, welche lUj^rien von
Makedonien trennen, und sich weiter südwärts unter dem Namen des
Pindus fortsetzen; ostwärts dagegen zieht die Gebirgsreihe, welche in
späterer Zeit unter dem gemeinsamen Namen des Hämus die Wasser-
scheide zwischen den Flüssen, die zur Donau, und denen, die zum
ägäischen Meere gehören, bildet. Von diesem östlichen Zuge senkt
sich ein Arm südwärts hinab und schliesst das morgenwärts liegende
Wassergebiet des Hebrus (Maritza) von den westlichen Strömen. Von
den so eingeschlossenen Landschaften bildet Päonien im allgemeinen
den nördlichen, höher liegenden Teil.
Dieser päonischen Landschaft gehört der obere Lauf zweier ziem-
lich bedeutender Ströme, des Axios und des Strymon. Der Axios (nach
makedonischem Dialekt der waldige), dessen heutiger Name schon in
dem BaQSuQiov der Byzantiner beginnt, hat seine Quellen in dem
Lande der Dardaner, die viele Jahrhunderte unabhängig und bisweilen
im Besitze bedeutender Macht gewesen sind; sie besaßen die Paßgegend,
die von Norden her aus dem Triballerlande, von Westen her aus
Illyrien in die Ebenen des Axios führt, und deren Ausgang durch die
feste Stadt Skupi (Uskup) beherrscht wird; zwar wird die Stadt erst
von Ptolemäus genannt, doch ist sie wohl älter, da bei den Dardanern
unzweifelhaft schon in makedonischer Zeit Städte waren. In römischer
Zeit lag die Grenze zwischen Dardanien und Makedonien einige Meilen
südwärts von Skupi, wo die Peutingersche Tafel (mit falscher Meilen-
zahl) den Ort ad fines ansetzt. Hier tritt der Axios schon als schwer
zu durchwatender Fluß (Mannert VII S. 105) in päonisches Gebiet;
fast südwärts geht er bis zur Mündung des von Westen einströmenden
Karasu; hier drängt ihn das Boragebirge ostwärts und bildet mit den
gegenüberliegenden Bergen den Paß von Demirkapi (Cousinery I S. 59),
durch den das obere Land von den Ebenen des unteren Axios ge-
schieden wird, und welchen die Peutingersche Tafel mit dem Namen
Stonas {Stena) 23 M. P, unter Stobi ansetzt. Der soeben genannte
Karasu ist der bedeutendste Nebenfluß des Axios; daß diesen der alte
Name Erigon bezeichnet, ist jetzt anerkannt (Cousinery I S. 58, Müller
S. 4); er strömt anfangs südwärts, den Grenzgebirgen Illyriens und
' [Die Karte, durch Kieperts Arbeiten überholt, ist hier fortgelassen].
Drojsen, Kl. Schriften I. 4
50 Päonien und Dardanien
dem Axios parallel, dann wendet er sich durch die Wasser des Bevus
(Liv. XXXI 31 Steph. Byz. v. Bsvtj) verstärkt ostwärts und weiterhin
nordostwärts, am Abhänge des Boragebirges hin, um sich einige Meilen
unter Stobi in den Axios zu ergießen. Nicht weit unterhalb der
Erigonmündung ist die der Vravnitza, die man auch den Fluß von
Istib nennt; die Peutingersche Tafel nennt auf dem Wege von Stobi
nach Serdika einen Ort Astibon, dessen evidente Namensähnlichkeit
mit dem heutigen Istib seine Lage feststellen darf. Und wenn Polyän
(IV 12) von einem Fluß Astycus erzählt, in dem zu baden eine Cere-
monie bei der päonischen Königsweihe war, so ist alle Wahrschein-
lichkeit dafür, daß dies eben der heutige Fluß von Istib ist^
Dem Axios an Größe und Wasserfülle gewiß gleich ist der
Strymon, der zweite Hauptstrom des päonischen Landes. Nur die
mangelhafte Kenntnis der Gewässer jenes Landes macht es erklärlich,
daß man bis auf die neueste Zeit uneinig sein konnte, welchen Strom
die Alten Strymon nannten; die neueren Untersuchungen haben hier-
über Entscheidung gebracht. Der Strymon, der heutige Strumma oder
Karasu, hat seinen Ursprung an dem Südabhange des Skomiosgebirges
(Thukyd. II 96), den Livius (XXVI 25) bereits mit unter dem gemein-
samen Namen Hämus begreift Durch eine bergige Landschaft eilt
er, von allen Seiten her mit kleinen Zuflüssen verstärkt, südwärts
hinab ; etwa in der Mitte seines Laufes drängen sich Berge von beiden
Seiten her dicht an ihn und erlauben ihm nur ein schmales Bette,
endlich bei Demirhissar öffnet sich dies Paßthal, die Berge treten
weiter zurück, es beginnt eine schöne und überaus fruchtbare Thal-
ebene, durch welche der Strom südostwärts hinabgeht; bald erweitert
er sich zu einem fischreichen See, von wohl sechs Stunden Länge
(Cousinery I S. 136); aus diesem vrieder eilt der Strom in bedeutender
Windung, rechts vom Kerdylion (Thukyd. V 6), links von den Vor-
bergen des Pangäon eingeschlossen, bei Amphipolis und Eion vorüber
in den strymonischen Meerbusen.
Dies Kerdylion ist nur der südlichste Vorsprung einer Gebirgs-
kette, die von den Engpässen des Axios anhebend, zwischen diesem
Flusse und dem Strjonon in südöstlicher Eichtung hinabzieht. Wir
ersehen aus Thukydides (II 98), daß wenigstens ein Teil dieser Gebirge
den Namen Kerkine führte; denn der Odryserkönig Sitalkes, dessen
Eeich sich bis an den Strymon ausdehnte, ging, um einen Einfall
nach Makedonien zu machen, über das Waldgebirge Kerkine, durch
* [Im Text Polyains ist jetzt aus dem cod. F tni lov Äaxlßov notafiov
hergestellt].
Geographie 51
welches er selbst bei einem früheren Angriff auf die Päonier ^inen
Weg hatte lichten lassen; [199] die päonische Stadt Doberus war der
Ausgangspunkt für die weiteren Einfalle in die Thallandschaft des
Axios. Des Ptolemäus Bertiskos gehört derselben Gebirgslinie an, wie
man ans der von ihm erwähnten bisaltischen Stadt Berta sieht. Zu
eben dieser Gebirgsreihe muß das Dysorongebirge gehören, über dessen
Lage die verschiedenartigsten Ansichten aufgestellt sind. Müller (S. 30)
glaubt es unmittelbar im Westen des Axiosstromes ansetzen zu müssen,
während Cousinery (I S. 54) in dem doppelt gespitzten Berge Kortiah,
eine Stunde östlich von Salonichi, diesen Dysoron zu erkennen glaubt.
Von falschen Voraussetzungen ausgehend, hat Gatterer (III S. 83) die
Lage des Gebirges im allgemeinen richtig getroffen.
Um diese Frage zu erörtern, muß ich etwas weit ausholen. Der
Kette westwärts vom Strymon gegenüber liegt jenseit des Stromes eine
andere nicht minder bedeutende, der Cousinery irriger Weise den
Namen Kerkine beilegt. Wie aber ist der Name dieses Gebirges?
Nach Arrian (I 1, 5) zog Alexander von Amphipolis aus zu einem
Einfalle nach Thrakien über den Nestus, indem er Philippi und das
Orbelusgebirge zur Linken hatte; dies kann also nur zwischen dem
Strymon und dessen östlichem Nebenflusse oder zwischen diesem und
dem Nestus oder überhaupt zwischen Strymon und Nestus liegen.
Hierüber entscheidet eine Stelle Herodot« (V 16); er sagt: „Megabazus
unterwarf alle Päonier bis iwm See Prasias, nicht aber die nördlichen,
und die auf folgende Art in dem See wohnen: es stehen zusammen-
gejochte Gerüste auf hohen Pßhlen mitten im See, mit einem schmalen
Zugange vom Lande durch eine einzige Brücke. Die Stützpfahle für
diese Gerüste stellten ursprünglich alle Bürger insgemein auf, hernach
fährten sie den Brauch ein, sie in folgender Art aufzustellen: geholt
werden sie von einem Gebirge, mit Namen Orbelos, und für jede Frau,
die einer heiratet, stellt er drei Pföhle unter; es nimmt aber jeder
viele Frauen. Jeder hat auf dem Gerüste seine eigene Hütte, in der
er lebt, und seine eigene Fallthür, die von dem Gerüste in den See
hinabgeht. Ihre kleinen Kinder binden sie mit einem Seile am Fuße
an, aus Sorge, sie möchten hinunterfallen. Ihren Pferden und Ochsen
geben sie Fische zum Futter, deren ist aber eine so große Menge, daß
einer, wenn er die Fallthür aufmacht, und am Strick eine leere Reuse
in den See läßt, sie, ohne lange zu warten, voller Fische heraufzieht".
Auch darüber ist Streit, wo der Prasiassee zu suchen sei; d*An-
viUe hielt ihn für den See Bolbe, Larcher (t. IV S. 196) für den See
unter Philippi, den der Angites bildet; aus Cousinörys Darstellung,
der beide tadelt, dürfte nicht leicht seine Ansicht erkennbar sein.
52 Päonien und Dardanien
Leake hat auch hier das Richtige gezeigt, indem er ihn für den vom
Strymon gebildeten See hält, der späterhin gewöhnlich der kerki-
ni tische See genannt wird; noch heute ist der See überaus fischreich
(Cousinöry I S. 136), und wenn Plinius (IV 10) von dem Strymon
sagt, in Septem locus eum fundi, pritcsquam dirigat cursum, so scheint
die Erzählung Herodots eine Emendation septum lamm anzuempfehlen.
Wenn dies der Prasiassee ist, aus dem sich die darin Wohnenden ihre
Pfahle aus dem Orbelos holen, so ist dies Gebirge das zunächst gen
Osten liegende. Freilich scheint dagegen eine Angabe Strabons zu
sprechen (VII fragm. 10), der in der Gebirgslinie, die vom adriatischen
zum schwarzen Meere streicht, nach einander „den Skardos, Orbelos,
Rhodope, Hämos^' nennt; daß seine Bezeichnung nur oberflächlich ist.,
lehrt die Angabe über den Rhodope. Nun sagt Herodot ferner (V 17):
„vom Prasiassee sei nach Makedonien ein ganz kurzer Weg, zuerst
nämlich folge nach dem See das Bergwerk, aus dem später dem
Alexander täglich ein Silbertalent eingekommen sei, und nach dem
Bergwerke gehe es über das sogenannte Dysorongebirge, so sei man
in Makedoniens^ Müller glaubt hier das eigentliche und alte Make-
donien verstehen zu müssen, das nicht bis an das rechte Ufer des
Axios reichte (S. 30), da ja das hinzueroberte Bergwerk deutlich davon
unterschieden werde; demgemäß setzt er das Dysorongebirge nordwärts
von Edessa an. Dies scheint minder richtig; Herodot macht jene
Angabe bei Gelegenheit einer Sendung, die Megabazus vom Prasias
nach Makedonien schickt, und zu Makedonien gehörte damals schon
die mygdonische Landschaft, denn schon den vertriebenen Pisistratiden
wurde vom König Amyntas Anthemus zum Geschenke angeboten
(Herod. V 94). Leider kennen wir die Stelle jenes Bergwerkes nicht
genau (doch s. u.), aber die Lage des Dysoron ergiebt sich mit ziem-
licher Bestimmtheit.
Auf der rechten Seite hat der Strymon einen ziemlich bedeutenden
Nebenfluß, der im Norden der beschriebenen Gebirgskette sich ostwärts
hinab und sich oberhalb der Pässe von Demirhissar ergießt; dies ist
der heutige Fluß von Strumdja (Strümnilza oder Radovitz), in welchem
Namen Leake (III S. 468) den alten Namen Asträus wiederzuerkennen
glaubt. Der Bisaltes (Steph. Byz. v.) ist wahrscheinlich das kleine
Gewässer, das sich vom Kerdylion gegenüber von Amphipolis in den
Strymon ergießt. Den Fluß Pontus im Lande der Sintier (nach Antig.
Caryst. c. 136 West, im Lande der Agrianer) zu finden, mußte nach der
von Aristoteles erwähnten Eigentümlichkeit desselben (bei Steph. Byz. v.
2ivTia) nicht schwer sein. Auf der linken Seite hat der Strymon
namentlich einen bedeutenden Zufluß; zwei Flüsse nämlich, von Norden
Geographie 53
her der von Nevrokopo, der eine Strecke unterirdischen Lauf hat (Leake
in S. 183 Cousin^ry II 46), und von Süden her ein bei den Ruinen
von Philippi vorüberströmendes Gewässer, vereinigen sich in der Nähe
des heutigen Ortes Anghista und gehen mit diesem Namen in den
strymonischen See. Mehrere Gelehrte und zuletzt namentlich Müller
haben die Ansicht geäußert, dieser Fluß von Anghista sei der Strymon
der Alten; aber die Gründe dafür werden sich im Verlaufe der Dar-
stellung als unzureichend ergeben, und die Überreste alter Namen in
den heutigen Struma und Anghista lassen keinen Zweifel. Denn eben
dieser Strom von Anghista ist der von Herodot (VII 113) Angites,
von Appian (bell. civ. IV 106) Gangas oder Gangites genannte, der
seine Quellen wenig östlich von Philippi hat und mit mehreren kleinen
Zuflüssen aus dem Pangäongebirge verstärkt, durch eine tiefe und den
Überschwemmungen aller dieser [200] Bergwässer ausgesetzte Ebene
zur Vereinigung mit dem Zygaktes hineilt, wie man nach Appian (bell.
civ. IV 105) wohl den Fluß von Nevrokopo nennen darf.
Das soeben genannte Pangäongebirge erfüllt den Kaum zwischen
dem Strymon, dem Angites und dem Meere; man sieht aus genaueren
Beschreibungen (Dio XLVII 35 Appian a. a. 0.), daß dieser Name ost-
wärts nur bis gegen Neopolis hin reicht, denn nach Dio Cassius heißt
das demnächst folgende Gebirge Symbolen, weil es die Verbindung
zwischen dem Pangäon und einem landeinstreichenden Gebirge macht
{xa&' 8 rd ÖQog heetvo irigo) rivi äg fieaöycciav dvaretvovTi avpißccX'
}.ti)y und es liegt das Symbolen zwischen Neopolis und Philippi (Dio
a. a. 0.); auch bestätigt dies Strabons genaue Angabe, „daß Philippi mit
seinen Goldbergwerken nahe an dem Pangäon liege, aber auch das
Pangäon habe Goldbergwerke". Die Gegend, wo Pangäon und Sym-
bolon zusammenstossen, gerade nordwäits über Neopolis, bildet die
Pässe der Sapäer. Welchen Namen das Gebirge weiter im Norden
zwischen Nestus und Zygaktes geführt hat, ist nicht erkennbiir. Der
Ä6<fog Atovvaov bezeichnet nur eine einzelne goldreiche Höhe bei
Philippi (Appian a. a. 0.). Wenn römische Dichter Philippi am Fuße
des Hämos belegen nennen {laiosque Haemi svb nipe Philippos Lucan.
I 680 vgl Virg. Georg. I 492), so ist dies gewiß eine Phrase, und
Cousinery hätte nicht auf solche Autorität den Anfang des Hämus
hierher versetzen sollen. Fußend auf die oben angeführte Stelle Arrians
(daß Alexander über den Nestus gegen die Thrakier gegangen sei, zur
Linken Philippi und den Orbelos lassend), möchte ich eher glauben,
daß der Orbelos sich vom Strymon bis zum Nestus und zum Symbolen
hinzieht, und dies um so mehr, da der Fluß von Nevrokopo keinen
Gebirgsdurchbruch bildet, sondern nach dem Berichte der Augenzeugen
54 Päonien und Dardanien
unterirdisch weiter fließt, sodaß das Gebirge in einer Linie bis zum
Nestus sich fortsetzt. Da wo sich an dieses Gebirge gen Süden hin
das Symbolen ansetzt, scheinen die Pässe zu sein, in denen man vom
Harpessus nach Philippi kommt, ohne das Sapäergebirge zu berühren
(Appian a. a. 0.). Jenseit des Nestus zieht sich nordwärts hinauf das
schneeige Rhodopegebirge, das sich in der Quellgegend des Strjmon
mit dem großen ostwärts streichenden Hauptgebirgszuge vereint.
Die so umschlossene Landschaft ist im allgemeinen das Terrain
der päonischen Stämme. Die älteste Erwähnung derselben finden wir
im Homer; dieser nennt unter den Verbündeten der Trojaner mehr-
fach die Päonier vom Axiosstrome {Ilaiovag äyxvloTÖ^ovg IL II 848,
dohxeyx^^'S H. XXI 155, InitoxoQvardg IL XVI 287, ^| 'AiivÖcovoq^
Uli 'A^iov BV()v QkovToq ib. he [latovhj^; kQißciXaxoq IL XVII 350).
Pyraichmes, Hippasides, Asteropaios sind ihre Führer; der letzte rühmt
sich, des Pelagon Sohn, den der Strom Axios mit Periboia zeugte, zu
sein. Nach dieser Angabe zu schließen, waren die Päonier urheimische
Anwohner des Axioslandes. Amydon (v. L Abydon) ist nach den Er-
klären! zum Homer eine päonische Stadt; man darf wohl an die Ähn-
lichkeit des Namens Mygdonien erinnern.
Nach Polybius (XXIII 10) hat die Landschaft Emathia früher
Päonien geheißen, und Justin (VII 1) sagt von derselben: popuhis
Peiasgi, regio Boeotia (wofür gewiß Paeonia zu schreiben i). Müller
deutet diese Angaben so, als wenn in diesen Gegenden der alte
Name Emathia erneut und auch auf den päonischen Strich am Axios
ausgedehnt worden seL Allerdings nennt Homer zwischen Pierien
und Chalkidike die Landschaft Emathia (IL XIV 226 vgL Hymn.
in ApolL Pyth. 39), welcher Name dem Lande nach dem autoch-
thonischen Konige Emathion gegeben ist (Justin VII 1 Solin IX 12);
aber dieser Name ist wohl stets im Gebrauch gewesen, und wenn
Ptolemäus unter den Städten des Landes auch Gordynia und Idomenä
nennt, so sind gerade diese in dem Streifen päonischen Landes, der
sich am Axios herabzieht (Thukyd. II 99). Hierzu kommt, daß
eine Menge päonischer Städte uralte griechische, und, wenn man
will, pelasgische Namen tragen, so Alalkomenä, Idomenä, Europos,
Atalante u. s. w.; und vergleicht man endlich die Äußerung des
Aeschylos in den Schutzflehenden (V. 254), der den König PeLosgos
sagen läßt: xcci näaav alav Jj*; Si ''AXyog (?) e()X^Tai ^tqvhcov t€,
nQÖq SvovTog ijkiov xqcct&^ so dürfte man sich wohl übeneugen, daß
die ursprüngliche Bevölkerung im Westen des Strymon über das Axios-
land hinaus bis zum illyrischen Gebirge der urgriechischen gleich war.
* [BotÜa lesen jetzt die Herausgeber].
Ethnographisches 55
Merkwürdig sind in dieser Beziehung die genealogischen Mythen,
in denen der Stammheros Päon erwähnt wird. Nach der Sage, die
Müller die orchomenisch-thessalische nennt, erzeugte Minjas, der
Stammheros der Minyer, mit Päons Tochter Phanosyra den thessalischen
Orchomenos und Athamas (Müller Orchomenos S. 141); nach einer
anderen Sage (ebend. S. 250) heißen Päon und Edonos oder Päon und
Alenops Söhne des Poseidon und der athamantischen Helle, der Enkelin
des Aeolus; eine dritte Sage (Paus. V 1, 2) nennt Päon Epeios und
Aetolus, Söhne des Endymion. Freilich giebt es auch andere Sagen;
Appian namentlich berichtet eine seltsame Genealogie (Illyr. 2), in der
keltische, thrakische, illyrische Stämme als Söhne des Illyrios aufgeführt,
ja die Päonier mit den Pannoniern identificiert werden; aber die ganze
Zusammenstellung von Yölkem lehrt, daß sie aus sehr später Zeit
stammen muß. Wieder eine andere Stammessage finden wir von den
strymonischen Päoniem geäußert; sie erklärten dem Könige Darius,
sie stammten von den Teukrem in Troja (Herod. V 13 vgl. Müller
Prolegomena S. 351). Aber sind diese Teukrer, die mit den Darda-
niem gemeinschaftlich Troja hatten, nicht in Wahrheit pelasgisch?
reden sie nicht eine andere Sprache als die Phryger (Hom. Hymn. in
Aphr. 113)? und dieser Name findet sich mit makedonischer Abwand-
lung (Bryger oder Briger) wieder am Bermiosgebirge, wo die Rosen-
gärten des Midas sind, als thrakischer Stamm (Herod. VI 45 vgl.
Müller Makedon. Volk S. 51).
Doch es genüge, diese Beziehungen angedeutet zu [201] haben; wo
nur immer der Name der Pelasger zu nennen ist, beginnt ein so weites
Feld der Vermutungen, daß man nicht vorsichtig genug sein kann.
Von der Sprache und Religion der Päonier wissen wir so unendlich
wenig, daß sich auch nicht das Geringste daraus folgern läßt, doch
sind die päonischen Namen, geographische so gut wie Personennamen,
gleich sehr von thrakischen und illyrischen Barbarennamen unter-
schieden, und in ihren Wurzeln stets dem Griechischen entsprechend,
in ihren Formationen wenigstens nicht ohne allgemeine Analogie.
Jedenfalls also saßen wohl seit uralten Zeiten als Autochthonen
Päonier am Axios; bis zur Küste hinab reichten sie nicht, hier zwischen
Axios und Strymon (Thukyd. 11 99) wohnte in der Landschaft Myg-
donien ein den Phrygem, d. h. Thrakiem, verwandtes Volk (s. Müller
Makedon. Volk S. 52), offenbar stammverwandt den Brygem im Bermios.
Schon früh sind sie von den Edonen verdrängt worden, einem angeb-
lich auch thrakischen Volke (Müller Dorer I S. 9), das freilich in
ganz anderer Weise thrakisch ist, wie die Völker im Osten des Stry-
mon; die Edonen selbst mußten vor der wachsenden Macht des make-
56 Päonien und Dardanien
donischen Königtums sich bald zurückziehen und jenseit des Strymon
ansiedeln, ebenso wie die ihnen stammverwandten thrakischen Pierier,
während die Bottiäer, ein Volk griechischen Stammes (Müller Makedon.
Volk S. 52) nach der Chalkidike gingen (Thukyd. I 57, 65 II 79, 101).
Daß aber hinter dieser thrakischen Küstenbevölkerung zwischen Strymon
und Axios sehr bald und noch südwärts vom Dysoron päonische
Stämme heimisch gewesen sein müssen, dafür zeugt der Weg, den
Xerxes von Akanthos nach Thermä nahm; denn er kam Siä rfjg
Ilaiovixfjg xal KQrjffrcavixTjg zu dem Echedoros, und zog dann nach
Thermä hinab (Herod. VII 124); daß dies Päonike ziemlich in der
Nähe des Bolbesees zusammengedrängt gewesen, sieht man daraus,
weil zu Xerxes Zeit bereits die Bisalten über Argilos und der Küste
saßen. Herodot spricht von ihrem Könige thrakischen Stammes (Vin
116), und Konon (im XX. Buche der Snjyijatiq bei Photius S. 134 a
ed, Bekker) nennt sie ausdrücklich ein thrakisches Volk; in ihrem
Lande lagen die beiden Städte Kerdylion (Thukyd. V 6) und Argilos
(Herod. VIII 15 Thukyd. IV 103), von denen wenigstens der letztere
Name nachweislich thrakisch ist (Heraclid. Pont. 41).
Ob dasselbe von ihren nördlichen Nachbarn, den Krestonäem, gilt,
ist sehr zweifelhaft, wenn auch der thrakische Fürst der Bisalten zu-
gleich über sie herrschte. Entschieden dafür spricht Stephanus Byz.,
der Kreston (Greston) eine thrakische Stadt nennt; und Thukydides
nennt bei Beschreibung des Völkergemisches auf der Chalkidike „pelas-
gisches Volk von den Tyrsenern, die einst auch Lemnos und Athen
besetzt hatten; ferner bisaltisches, krestonisches und edonisches Volk"
IV 109). Aber Herodot sagt ausdrücklich (I 57): „die noch jetzt vor-
handenen Pelasger, die Einwohner der Stadt Kreston, oberhalb der
Tyrrhener (auf der Chalkidike)"; er fügt hinzu, „daß die Krestoniaten
eine barbarische Sprache führen und mit keinem ihrer Nachbarn zu-
sammenstimmen", nämlich so weit Herodot sie kennt, und er hat nur
die von Thrakiem besetzten Städte besucht. Die Wohnsitze der Kre-
stonäer waren (Herod. VII 127) an den Quellen des Echedorus, und
die Euinen der Stadt Kreston glaubt Cousinery noch neben der Höhe
von Lakhana erkannt zu haben; er berichtet, daß der krestonisohe
Teil des Gebirges entschieden von dem bisaltischen getrennt und nur
durch weiten Umweg zugänglich sei (Voy. 11 56).
Bereits oben ist angefahrt worden, daß sich bis in die make-
donische Zeit ein Streifen päonisches Land am Axios erhielt; Thuky-
dides (II 99) sagt: „auch gewannen die temenidischen Könige vor
Alexander von Päonien einen schmalen Streifen, der am Axios von
den oberen Gegenden bis Pella und zum Meere (dies ist nach Herod.
Ethnographisches 57
Vn 123, 127 nicht genau) hinabreicht". Gerade dies ist das Land,
welches noch bis zum peloponnesischen Kriege als besonderes Fürstentum
für des Königs Bruder Philipp abgezweigt war, und in demselben
lagen die Orte Idomene, Gortynia, Atalante, Europos, auf die sich
Sitalkes von Doberos aus warf (Thukyd. II 100). Die Lage von Doberos
erkennt man aus dem Zuge des Sitalkes mit einiger Bestimmtheit:
„er kam dorthin durch das öde Gebirge Kerkine, zwischen den Päo-
niem, die ihm zur Rechten, und den Mädern und Sintiem, die ihm
zur Linken blieben, hindurch, und auf diesem Wege stießen viele der
freien Thrakier (Mader, Sintier und andere strymonische Thrakier) zu
ihm; er kam dann nach Doberos, verwüstete von da aus die oben ge-
nannten Orte, zog in das makedonische. Land, das links von Pella und
Kyrrhus liegt, und verheerte, ohne Bottiäa und Pierien zu berühren,
Mygdonien, Krestonien und Anthemus (Thukyd. II 96, 100)". Die
Stadt mußte also auf der Südwestseite der Kerkine liegen, sie mußte
noch in dem Gebirge liegen, da von Doberos aus in das Land des
Philipp, also in das am Flusse liegende Päonien, eingefallen wurde,
sie mußte oberhalb Krestonike liegen, das vom Sitalkes auch heim-
gesucht wurde. Alle diese Bestimmungen machen wahrscheinlich, daß
Doberos entweder Doiran (Tauriana der Itinerarien) selbst war, oder
in deren Nähe lag. Auch Plinius (IV 10), Ptolemäus und Stephan.
Byz, kennen Doberos, das als Jovßr]Qog oder JioßvQog noch in den
Byzantinern vorkommt (v. Interpret, ad Steph. Byz. v. JößijQog). Wir
werden den Namen der Doberer noch an einer anderen Stelle finden.
Derselbe Schriftsteller fuhrt aus der Alexandrias des Hadrian die Worte
an: oi S* i^ov ^aroaiav tb Aößr^QÜ rc . . . . Diese Astraia nennt
Steph. Byz. (v. 'Aaroaiü) fehlerhaft eine illyrische Stadt; Livius (XL
24) nennt sie Astraeum Paeoniae; offenbar hieß die Landschaft dieser
Stadt Astraia und gehörte mit Doberos zu dem von Livius (XLII 51)
Paroreia genannten Päonierlande.
In derselben Stelle nennt Livius die parastrymonischen Päonier.
In diesem Namen scheinen einige Stämme, die in früherer Zeit unter
besonderen Namen vorkommen, begriffen zu sein. Denn Thukydides
(II 96) giebt an, „daß der Strymon, aus dem Skomiosgebirge ent-
springend, durch das Land der Graäer und Leäer (v. 1. Aaiatoi Steph.
Byz. Aalvoi) fließe, und daß sich [202] Sitalkes Herrschaft gegen
Westen über die Agrianer, Leäer und andere päonische Völker aus-
gedehnt habe, die an die Graäer und den Strymon anstießen, von dort
an aber beginne das unabhängige Päonien". Nordwärts von den Leäem
saßen die Agrianer; Herodot erwähnt sie obenhin (V 16), sie sind die
Päonier, aus deren Lande der Iskos (Oiskos) entspringt (IV 49). Bei
58 Päonien und Dardanien
Thukydides sind sie mit den Leäern die westlichsten ünterthanen des
Sitalkes, nach Strabon (VII fragm. 37) waren ihre Sitze an den Quellen
des Str}Tnon, bei der Rhodope; ungenau nennt Herodot (VIII 115)
ebenda an den Quellen des Strymon Thrakier. Die Hauptstadt ihres
Landes war nach Leakes Untersuchung (III S. 475) Pantalia (heute
Gustendil), und daß Steph, Byz. mit Unrecht nairaUa fioiQa QQ^xfi^
schreibt, beweisen die Münzen mit der Umschrift TTANTAAEQ EN
nAIQ oder ZTPYMQN (s. Eckhel Doctr. I 2 S. 37) ^
Unter Demihissar und den strymonischen Engen beginnt der Teil
des päonischen Landes, der den meisten ethnographischen Verände-
rungen ausgesetzt gewesen ist; wir sind wenigstens für einige Epochen
über die dortigen Völker und ihre Sitze unterrichtet.
Aus Herodots fünftem Buch erfahren wir, daß die Päonier einmal
einen Heereszug bis Perinth gemacht haben. Die Zeit demselben kennen
wir nicht, doch sehen wir daraus, daß es eine Zeit gegeben habe, in
der den Päoniem die Pässe zum Nestos noch nicht durch thrakische
und edonische Volker gesperrt gewesen sind; und wenn wir nun er-
fahren, daß ein päonisches Völkchen, Doberer, ostwärts vom Prasias
noch um 480 saß, so wird es wahrscheinlich, daß dieser Name von
dem oben genannten Doberos her übertragen, also diese Gegend von
den Päoniem nicht urheimisch besessen, sondern zu irgend welcher
Zeit besetzt worden. Dies mag zu der Zeit gewesen sein, wo die
Edonier noch in Mygdonien saßen und die Pierier noch nicht Neu-
pierien am strymonischen Meerbusen besetzt hatten.
Die erste ausführlichere Ethnographie jener Gegenden datiert sich
von der Zeit um 508. Herodot erzahlt in demselben fünften Buche
die schöne Geschichte von den beiden Päoniem Pigres und Mantyes,
die den Befehl des Perserkönigs, die Päonier nach Asien zu über-
siedeln, veranlaßten. Megabazos, der Satrap von Thrakien, unternahm
deshalb einen Heereszug gegen Päonien. Die Päonier zogen an das
Meer hinab, weil sie meinten, von dorther würden die Perser kommen
(wohl durch die Pässe über Neopolis); diese aber nahmen den oberen
Weg (wohl den vom Flusse Harpessos nach Drabeskos, Appian bell,
civ. IV 103), fielen in die von Verteidigern entblößten Städte der
Päonier und nahmen sie ein; dies Päonierheer zerstreute sich, die Siro-
päonen, Päoplen und alle bis zum See Prasias wurden von ihren Sitzen
losgerissen und nach Asien gebracht, aber die Völker am Pangäon,
die Doberer, Agrianer, Odomanten, die am See Prasias und in dem-
selben Wohnenden blieben im Lande. Einige Jahre später kehrten
^ [Die Stadt hieß nach den Münzen IlavxaXia, vgl. Head H. N. S. 244].
Ethnographisches 59
die meisten von diesen Päoniem über Chios, Lesbos und Doriskos heim
(Herod. V 15, 98). Was zunächst die Siropäonen (Siriopäonen nach
St€ph. Byz. V. 2iQiq) betriflFt, so findet man später diesen Namen nicht
mehr erwähnt; aber ihre Stadt Siris {^irae Liv. XLV 4 in Inschriften
1/ 2iQQuifov %oki(; Cousinery I S. 226, heute Serres) ist bekannt und
bestimmt die Lage dieses Stammes; wenn Livius eben diese Stadt dem
Gebiete der Odomanten zurechnet, so scheint es, daß diese in den
Besitz der früheren Siropäonen getreten sind. Die Sitze dei Päoplen
werden wir unten näher kennen lernen. Die Päonen im Pangäon
müssen am Nordabhange dieses Gebirges, dessen Süd- und Westseite
die Edonen damals schon inne hatten, gesessen haben. Megabazus
durchzog offenbar die Ebene des Angites und der östlichen und nörd-
lichen Ufer des Prasias, die Päonier am See (offenbar auf der Süd-
westseite) blieben unbewältigt. Daß die Edoner schon um diese Zeit
zwischen Strymon und Nestos saßen, wird durch den Umstand erwiesen,
daß bald darauf Darius den edonischen Ort Myrkinos, der nicht an
der Küste gelegen zu haben scheint (Leake III 180), verschenken
konnte. Ob femer schon zu dieser Zeit die thrakischen Stämme der
Bisalten, Sapäer, Mäder, Sintier u. s. w. westlich vom Nestos ansässig
waren, darüber giebt es keine bestimmte Angabe; doch lehrt ein ent-
scheidendes Beispiel, daß thrakische Stämme seit dieser Schwächung
der Päonier einzudringen begannen.
Sehr belehrend ist der Zug des Xerxes ums Jahr 481 (Herod.
Vn 110 ff.). Xerxes zog durch folgende thrakische Völker ,
Bistonen, Sapäer, Dersäer, Edonen, Satren, von denen nur die Satren
zu allen Zeiten in ihren schneeigen Bergen unabhängig geblieben sind.
„Nachdem Xerxes das besagte Stück vorbei war, zog er zum zweiten
Male an den Festen der Pierier vorüber, von denen die eine Phagres,
die andere Pergamos hieß; an diesen Festen zog er vorüber, indem er
zur Linken das metallreiche Pangäon ließ, das die Pierier, Odomanten
und besonders die Satren inne haben". Da die Lage von Phagres,
einige Stunden östlich der Strymonmündung an der Stelle des heutigen
Orfano, sicher ist (Leake III 178), so ist Xerxes bis nahe an die
Strymonmündung gezogen, dann zurückgekehrt und an denselben Festen
vorüber, um das Pangäongebirge herum und durch die Ebene des
Angites gezogen. Daß er die Edoner im Pangäon nicht erwähnt, ist
auffallend, daß gar die Odomanten und Satren bis zum Pangäongebirge
vorgerückt, ist ein Beweis, wie seit der Schwächung des päonischen
Stammes durch Megabazus die thrakischen Stämme vorgedrungen sind.
„Alsdann ging er bei den Päoniem, die oberhalb des Pangäon gegen
Norden wohnen, bei den Doberem und Päoplen vorbei gegen Westen
60 Päonien und Dardanien
und bis zum Strymou und zur Stadt Eion; diese Landschaft am Fangäon
heißt Phyllis und reicht gegen Abend bis zum Angites, gegen Mittag
bis zum Strymon; bei Enneahodoi wurde geopfert". Das Auffallendste
in diesen Angaben ist die Bezeichnung der Flüsse, und Müller hat aus
derselben folgern wollen, daß der wahre Strymon der Angites sei und
der von Osten her strömende Fluß der Strymon; aber bei der Biegung,
die der Strymon unter Amphipolis, der Angites bei seiner Mündung
in den See [203] macht, kann Herodots Bezeichnung noch für genau
gelten. Die Doberer hier sind natürlich nicht mit denen in der Paroreia
zu verwechseln, wenn sie auch von ihnen herstammen sollten; einen
Ort Domeros kennen noch die Itinerarien, 13 if. P. von Amphipolis,
19 if. P. von Philippi entfernt. Nach ihnen, also gegen die Südspitze
des Sees, saßen die Päoplen, dieselben, die mit nach Asien zu wandern
gezwungen worden waren; Enneahodoi war damals noch ein unbedeu-
tender Ort und gehörte den Edonen. Übrigens muß man bemerken,
daß Xerxes ungeheures Heer notwendigerweise in mehreren Kolonnen
marschierte, die sich dann nur von Zeit zu Zeit bei größeren Städten
versammelten; solche waren Doriskos, Eion, Akanthos, Thermä, und zu
ihnen Vorräte vorausgesandt (Herod. VII 23, 125). Von thrakischem
Stamme waren aus dieser Zeit gewiß schon die Bisalten westwärts vom
Strymon ansässig, deren König um keinen Preis mit Xerxes ziehen
wollte, sondern in das Rhodopegebirge (zu dem nicht unterworfenen
Volke der Satren wahrscheinlich) flüchtete (Herod. VIII 116).
Den Rückweg des Perserheeres durch das Pangäon und der Edonen
Land über den gefrorenen Strj^mon beschreibt Aeschylus (Pers. 500);
bei den Päoniern in Siris blieben viele Erkrankte zurück. Der Bisaltier-
König kehrte in sein Land heim (Herod. VIII 115, 116).
Einige Jahre später bemühten sich die Athener an der Stelle von
Enneahodoi, dem edonischen Orte, ihre Kolonie Amphipolis zu be-
gründen (Thukyd. I 100 Diod. XII 68 ff.) „da die Athener in das
innere Land der Thrakier vorrückten, so wurden sie von der Gesamt-
macht der Thrakier bei dem edonischen Orte Drabeskus geschlagen",
daß der Ort Drabeskus, der dem heutigen Dharma entspricht, edonisch
ist, macht die ethnographische Schwierigkeit jener Gegend nur noch
größer; daß die Edonen sich gegen die thrakischen Stämme so bedeutend
ausgedehnt haben sollten, ist nicht wahrscheinlich; eher glaublich
scheint es mir, daß sich zwischen den Edonen am Strymon und
denen von Drabeskus die thrakischen Stämme bis zum Pangäon hinein-
gedrängt haben, wodurch denn auch Herodots Angabe beim Zuge des
Xerxes, „er sei durch das Land der Sapäer, Dersäer, Edonen, Satren
gekommen", den Sinn gewönne, daß diese vier Stämme nicht nach
Ethnographisches 61
einander, sondern von verschiedenen Kolonnen ziemlich gleichzeitig
dorchzogen wären.
Wieder eine andere Ansicht gewahren diese Landschaften zur Zeit
des peloponnesischen Krieges. Es war in Thrakien das Reich der
Odrysen durch Tereus gegründet und hatte bereits um 480 unter
Tereus Sohn, Sitalkes, bedeutende Ausdehnung gewonnen; südwärts
erstreckte es sich bis Abdera und über die Sapäer (Gatterer III 78),
westwärts bis zum Oiskos und Strymon, sodaß die Agrianer, Leäer
und die zunächst wohnenden Fäonier zu demselben gehörten (Thukyd.
n 96). Unabhängig waren die jenseit des Strymon wohnenden Thra-
kier, die Panäer, Odomanten, Droer, Dersäer (II 101). Sitalkes machte
seinen Einfall nach Makedonien auf folgendem Wege: ,,zuerst zog er
dnrch sein eigenes Gebiet (bis zum oberen Strymon), dann durch die
Kerkine, das die Grenze zwischen den Fäoniem und Sintiern macht,
gegen Doberos, zur Rechten die freien Päonier, zur Linken die Sintier
und Mäder lassend. Auf diesem Zuge erlitt Sitalkes keinen Verlust,
sondern sein Heer mehrte sich, da sich ihm viele freie Thrakier des
Raubes wegen anschlössen (Thukyd. II 98, das waren wohl Sintier,
Mader, Bisalten)^^ In diesen Angaben erscheinen zum ersten Male die
beiden thrakischen Stämme der Sintier und Mäder im Westen des
Piusias. Herodot nennt sie noch nicht bei dem Zuge des Xerxes, sie
müssen damals noch nicht dort gewesen sein; wohl aber kennt er in
jenen Sitzen „nordwärts von den Krestoniern" thrakische Stämme (V 5).
Nach Strabon sind diese Sintier dieselben, die Homer als Bewohner
von Lemnos nennt (Gatterer III S. 56 S. Baehr zu Herod. VII 110);
wie es sich auch mit ihrem Ursprünge verhalten mag, jedenfalls sind
sie auch nach Hesychius ausdrücklichem Zeugnisse ein thrakisches
Volk, und die Lage ihrer Hauptstadt Heraklea ist nach Leake (III 227)
dem heutigen Zervokli entsprechend. Die Mäder saßen zwischen den
Sintiem und Bisalten {ad Bisaltas usque Plin. H. N. IV 11); iii
spaterer Zeit finden sich Mäder als thrakisches Volk auch im Norden
des päonischen Ijandes (s. u.). Auffallend ist in den Angaben des
Thukydides, daß er die Odomanten als thrakisches Volk nennt, während
sie Herodot deutlich zu den Päoniern rechnet, die Megabazus nicht
unterworfen. Mit Thukydides stimmt Aristophanes in den Achamem,
der die Odomanten als Thrakier, die der König Sitalkes den Athenern
zur Hilfe sendet, einführt; aus beiden haben Steph. Byz. und Suidas
ihre Angaben. Thukydides scheint mir ohne Zweifel die entscheidende
Autorität zu sein, da er lange Zeit jenen Völkern nahe wohnte und
seine Angaben sehr genau sind: „es fürchteten sich vor Sitalkes
wachsender Macht die jenseit des Strymon gegen Norden wohnenden
62 Pftonien und Dardanien
Thrakier, so viele deren in der Ebene wohnen {Saoi neSia eJ/ov), die
Panäer und Odomanten und Droer und Dersäer". Also die in den
Bergen fürchteten sich nicht, diese waren die unabhängigen, schwert-
tragenden Thrakier, welche meist in dem ßhodope wohnen, Dier genannt
wurden und dem Sitalkes freiwillig folgten. Das zu Xerxes Zeit so
mächtige Volk der Satren mit ihrem Priesterstamme Bessi wird nicht
genannt; vielleicht waren gerade diese thrakischen Stämme, die sich
in die ehemals päonischen Gegenden hinabgedrängt hatten, Teile jenes
größeren Stammes; wenigstens blieben die Bessi noch lange Jahr-
hunderte unabhängig in den' hohen Gegenden der Rhodope. Dieses
Stammes mußten die Dersäer (Deräer bei Steph. Byz., Darsier bei Hekat
Miles., Deris ein Emporium bei Skylax) und die Droer (die man nicht
mit Gatterer und Poppe Thukyd. I II S. 380 hinauswerfen darf),
vielleicht auch die Odomanten sein; die Panäer dagegen sind nach
Steph. Byz. ein edonischer Stamm. Aus Thukydides Angabe ersieht
man, daß diese Stämme sämtlich die Ebene, nämlich die zwischen
Orbelus, Symbolen und Pangäon inne hatten.
So scheint sich die Gestalt des östlichen Päoniens seit der Zeit
der Perserkriege gar sehr verwandelt zu haben; thrakische Stämme
waren eingerückt, hatten sich über [204] die Ebene des Angites und
des Prasias bis zur Kerkine und den Engen des Strymon ausgebreitet,
und auch die Päonier im Osten des oberen Strymon, die Agrianer,
Leäer und andere waren unter odrysische Herrschaft gekommen. Von
weiteren Veränderungen in jenen Gegenden bis auf Philipps Zeit sind
wir nicht unterrichtet; dieser König machte den Nestus zur Ostgrenze
Makedoniens (Strabo VII fragm. 33), und Alexander kämpfte im Jahre
335 gegen die sogenannten freien Thrakier auf dem rechten Ufer des
Nestus, indem Philippi und der Orbelus zu seiner Linken waren.
So viel genüge zur Orientierung in den Ländern der strymonischen
Päonier; sie scheinen nicht weitere Umwandlungen durch den Heereszug
der Triballer bis Abdera (Diod. XV 36) und durch die makedonische
Eroberung erlitten zu haben; die Ansiedelung der Autariaten in Orbelus
durch Kassander betraf das von Odomanten besetzte Gebiet; s. u. Auch
die Züge der Gallier, das durch sie veranlaßte Drängen der Völker
thrakischen Stammes, obschon das gallische Reich Tyle nicht ohne
Einfluß auf die strymonischen Landschaften geblieben sein kann, be-
traf gewiß mehr die nördlichen Päonier. Namentlich gingen die
Dentheleten {Demeletae Cicero in Pison. 34 Plinius IV 11) über
das Skomiosgebirge südwärts, und drängten sich ziemlich tief in das
päonische Land hinein (Polyb. XXIII 8 Liv. XXXIX 53 XL 22).
Auch die Mäder müssen sich erst nach Alexander, also nicht von
Ethnographisches 63
den Triballem oder Autariaten, sondern erst von den Kelten ge-
drängty über den Skomios südwärts gezogen haben; sie besetzten das
Land bis zu den oberen Ebenen des Axios, und Desudaba war noch
in ihrem Lande (Leake III S. 472); sie reichten ostwärts bis an den
dardanischen Stamm der Thunaten; sie benutzten jede Entfernung der
makedonischen Heeresmacht zu immer neuen Einß,llen und der Zug
des Königs Philipp gegen sie läßt ihre Sitze an den Quellen der Morava
deutlich erkennen (Polyb. X 41, 4. Liv. XXVI 25 vgl. Leake a. a. 0.).
Südwärts von diesen, im Westen des Strjmon, wo zu Sitalkes Zeit
das Land der unabhängigen Päonier war, scheint der Sitz des päonischen
Königtums, von dem unten des Weiteren zu sprechen sein wird, ge-
wesen zu sein; wo bloß Päonien genannt wird, z. B. bei der römischen
Teilung Makedoniens, ist gerade dieser Teil des Landes ostwärts mit
Einschluß Astraias, westwärts bis über den Axios und Stobi hinaus
gemeint. Nach Polyän (IV 12) lag hier am Astykos die Residenz,
und in dem Flusse wurde das königliche Weihebad gehalten; später
zu erwähnende Vorfalle bestätigen diese Vermutung; die Residenz selbst
war Astibon auf dem Wege von Stobi über Pantalia nach Serdika;
aber die bedeutendste Stadt Päoniens war Bylazora (Polyb. V 97 Liv.
XLIV 27), die man mit Bestimmtheit in dem heutigen Velesa wieder
erkennt. Sie war besonders wichtig als Posten gegen die Dardaner,
und die Nähe dieses kriegerischen Volkes mag der Grund gewesen sein,
daß nicht sie zum Königssitze genommen wurde. Zu diesem Päonien
im engeren Sinne scheint noch Stobi [Stobae Paeoniae Liv. XXXni 19)
gehört zu haben, obschon Ptolemäos sie mit zu Pelagonien rechnet.
Westlich vom Axios am oberen Laufe des Erigon lag die Land-
schaft Deuriopos (Liv. XXXIX 53 Paeoniae ea regio est). Als Städte
dieses Landes {ai r&v AevQioitimv nöXeig) nennt Strabo (VII 327) Bry-
annion, Alalkomenä, Stymbara; er fügt hinzu, daß sie sämtlich am
Erigon lagen. Aus den Zügen des Königs Philipp gegen den Consul
Sulpicius (Liv. XXXI 39) sieht man, daß Stymbara (Stubera) nörd-
licher lag als Bryannion. Über die Lage von Alalkomenä (Alkomenä
Arrian* Ind. 18) ist nichts überliefert.
Gleichfalls päonisch ist die Landschaft Pelagonia (Strabo VII 327
Plin. IV 10 u. 8. w.); ihre Lage erkennt man aus dem Wege Philipps,
der, nachdem er eine Grenzposition gegen die Dardaner {Dardanorum
vrbem in Macedonia sitam transHum Dardanis factura/m Liv. XXVI 25)
gewonnen hatte, per Pelagoniami et Lyncum et Bottiaeam in Thessaliam
descendit. Als Hauptstadt wird bei der römischen Einteilung Pelagonia
genannt (XLV 29). Strabon sagt: rQinoXiq ij Ilelccyovia ^yevBro,
und zu dieser Dreistadt gehöre, wie zu der perrhäbischen Tripolis
64 Päonien und Dardanien
(einem pelasgischen Ursitz), ein Ort Azoros. Von dem heutigen Bitolia
oder Monastir berichtet Leake, daß die Einwohner römischen Ruinen
neben der Stadt den Namen Tripolis gaben, sodaß hier die Stelle der
Tripolis Pelagonia erkennbar ist. Aus diesem Teile Pelagoniens ver-
proviantierte sich Sulpicius, als er von Lynkestis aus gegen Stubera
vorrückte (Liv. XXXI 39). Hier waren auch die Pässe nicht fem,
die aus dem Dardanerlande nach Pelagonien führten; als Philipp aus
denselben seine Truppen zurückzog, war der Weg zugleich den Dar-
dauern und lUyriern offen. Beweis genug, daß es nicht die Pässe^ die
am Axios zum Dardanerlande führten, sein konnten (Liv. XXXI 33.
34 Polyb. XXVIII 8). Wahrscheinlich gehörte auch zu Pelagonien
die Stadt Antigoneia (Plin. IV 10), die nach der Peutingerschen Tafel
12 M. P. von Stobi auf dem Wege nach Thessalonich lag.
Weiterhin in Lynkestis, Elymaia und Orestis saßen Maketer, Ma-
kedner oder Makedonier, denen man nach Müllers trefflicher Unter-
suchung, wie ich glaube, mit Unrecht, illyrischen Ursprung zuschreibt.
Daß diesen altmakedonischen Stanmien andere von thrakisch-phr}'-
gischem Ursprung am Bermios und bei Edessa, andere edonische
und pierische Thrakier nach den kambunischen Bergen zu in ältesten
Zeiten nahe gewesen, ist oben bemerkt worden. Doch sind Spuren
vorhanden, daß auch päonische Stämme südwärts über das Boragebirge
hinausgereicht haben. Plinias sagt (IV 10) ab hoc amne {Axio) Paeo-
niae gentes Parorei Heordenses, Almopi, Pelagones, Mygdones. Freilich
haben wir schon oben die Mygdonier dem phrygischen Stamme zu-
schreiben müssen, und dies macht die ganze Stelle verdächtig (Müller
S. 39). Die Almopier nennt auch Thukydides unter den Völkern, die
von den makedonischen Königen aus ihren Sitzen vertrieben worden
(II 99), und Ptolemäos kennt noch die Gegend [205] um Europus
unter dem Namen Almopia; mit Recht erklärt sie Müller (Orchomenos
S. 139, 249) für einen alten Minyerstamm, aber ihre Sitze sind nach
Ptolemäos (vgl. Mannert VII S. 490) am Axios, also daß Almopia ein
anderes ist als das an der thessalischen Grenze (gegen Müller Mak. Volk
S. 15), und nach dem früher Gesagten muß Europus noch in dem
Streifen päonischen Landes am Axios gelegen haben. Über die Eor-
däer scheint ein Zeugnis Herodots (VII 185), der Thraker, Päoner,
Eordäer neben einander nennt, gegen Plinius zu sprechen, und leider
ist Steph. ^Byz. v. fehlerhaft. Thukydides (II 99) sagt, die makedo-
nischen Könige vertrieben auch die Eordäer, von denen die meisten
umkamen, einige aber sich nach Physke in Mygdonien flüchteten, und
Dexippus berichtet (Euseb. Arm. 169 ed. Mai), Karanos habe sich mit
den Oresten gegen die Eordäer (bei Syncell und dem griech. Eusebius
Geschichtliches 65
steht Dardaner) vereinigt und durch ihre Besiegung sein Reich he-
gründet. Suidas in den Genealogien sagt (bei Steph. Byz. v. 14fivQog),
daß die Amjräer erst Eorder, dann Leleger, Kentauren, Hippokentauren
genannt worden seien; so finden wir bei den Eordäem eine ähnliche
Erscheinung wie bei den Pelagoniem, und die Umwandlung der Namen
führt gewiß eher auf pelasgi^ch-griechischen Ursprung zurück als auf
thrakischen oder illyrischen. Aber angenommen, daß nach diesen
dunkeln Spuren einst Päonier im Eordäerlande gewohnt haben, so sind
diese in den frühesten Zeiten durch das Vordringen des Karanos und
des illyrisch-makedonischen Stammes yerschwunden.
Aus allen diesen ethnographischen Bestinmiungen scheint sich zu
ergeben, daß der päonische Stamm, mag er dem pelasgischen gleich
gewesen sein oder nicht, in frühesten Zeiten eine größere Ausdehnung
gehabt hat, als wir sie in den geschichtlichen finden, daß vor allen
das Vordrängen des illyrisch-makedonischen Geschlechtes ihn von Süden
und Westen her zurückdrängte, daß er selbst sich eine Zeit hindurch
ostwärts auszubreiten suchte, daß ihm von dieser Seite her bald thra-
kische Stänmie entgegentraten und sich in seine Sitze drängten, daß
endlich von Norden her andere illyrische, thrakische, mit Galliern ge-
mischte Völker von päonischen Ländern Besitz nahmen. So stellt sich
die Geschichte des päonischen Volkes als ein allmähliches Zusammen-
schmelzen und Verkommen dar.
tTber die Geschichte der päonischen Stämme ist ungemein wenig
überliefert; ein guter Teil des Wenigen hängt mit den ethnographischen
Veränderungen so nahe zusammen, daß Wiederholungen hier nicht
ganz zu vermeiden sein werden. Die Geschichte dieser und der um-
liegenden Landschaften hat ihren Mittelpunkt in der des makedonischen
Königtums der Temeniden, von dem deshalb hier in der Kürze mit
zu handeln sein wird.
Mag Perdikkas oder Karanos der Gründer des Königtums, mögen
die Midasgärten im Bermiosgebirge oder Edessa der Ausgangspunkt
desselben gewesen sein, jedenfalls galt das königliche Geschlecht selbst
für ein herakUdisches aus Argos und das erste Gebiet des Pursten
muß in der Gegend des Bermiosgebirges, wo Edessa oder Aegä bis in
späte Zeit der Herd ihrer Herrschaft blieb, gewesen sein (Müller S. 25).
Nach der oben angeführten Sage war es der Sieg über die Eordäer,
durch welchen die Temeniden den Grund ihrer Herrschaft legten; von
hier aus begann sich dieselbe bald auszudehnen. Es ist bemerkens-
wert, daß ziemlich früh genealogische Sagen im Umlauf waren, welche
das makedonische Volk mit den griechischen Heroen in Verbindung
bringen; schon Hesiod sagt: „Thyias gebar dem Zeus den Magnes und
Droysen, Kl. Schriften L 5
66 Päonien und Dardanien
den rosseliebenden Makedon, die in Pierien und am Olymp wohnten"
(bei Müller Dorier I S. 4); und Hellanikos (fr. 46 M.) nennt
Makedon einen Sohn des Aiolos, ja die Erzählung Herodots (I 56),
daß der dorische Stamm aus Histiäotis vertrieben und um Pindus
wohnend der makednische hieß, ist so einfach und zuversichtlich aus-
gesprochen, daß man wohl Anstand nehmen muß, dem entgegen die
Makedonier auf illyrischen Ursprung zurückzuführen. Die Gründe und
die Autorität Strabos kommen dagegen nicht auf, wenn auch der
Temenide Alexander bei den olympischen Spielen für einen König über
Barbaren galt; es muß doch die Makedonia für ein ebenso hellenisiertes
Land gelten, wie es die Bevölkerungen des Peloponnes durch die
dorischen Einwanderungen wurden. Diese Makedner sind natürlich
noch ein gutes Stück hinter den Doriem und hinter dem, was man
Hellenen nennt, zurück und gewähren allerdings, in der historischen
Zeit wieder hervortretend, den Anschein von Barbaren; aber von den
Illyriem sind sie durchaus verschieden. Von diesen makednischen
Gegenden aus begründeten die Temeniden im Süden des Eordäerlandes
ihre Herrschaft, d. h. sie makedonisierten die früher thrakisch-phry-
gischen, thrakisch-pierischen, päonisch-pelasgischen Distrikte im Westen
des Axios, die von nun an das untere Makedonien im Gegensatze gegen die
früher makedonisierten Landschaften des oberen Landes hießen, und denen
entsprechend wenigstens auch die Makedonier in dem Kirkos [? der Lyn-
kestisStraboVII 326] nachweislich ein dorisches Fürstengeschlecht hatten.
Das Wachstum des makedonisch -temenidischen Fürstentums be-
schreibt Thukydides (II 99): „zusammengebracht sei es von Alexander I.
und dessen Vorfahren (also bis zur Zeit der Perserkriege); diese hätten
zuerst die Pierier aus Pierien vertrieben, und die Bottiäer aus Bottiäa;
auch sei von ihnen der schmale Streif päonischen Landes am Axios
bis Pella und zum Meere erobert werden, ebenso Mygdonien bis zum
Axios, aus welchem Lande sie die Edoner vertrieben; ebenso hätten
sie die Eordäer aus ihrem Lande und die Almopier verdrängt, und
auch die Krestonier und die Bisaltier und Anthemus, sowie einen
großen Teil der Makedonier selbst, unterworfen". Ein Teil dieser letzt-
genannten Occupationen ist erst nach den Perserkriegen gemacht worden.
Den Temeniden muß ihre Verbindung mit den Perserkönigen viel-
fachen Nutzen gebracht haben; der edle Perser Bupares hatte des
Königs Alexander Schwester geheiratet, und dieser soll Xerxes bewogen
haben, dem makedonischen Könige alles Land zwischen Olymp und
Hämus zu schenken (Justin VII 4). Jedenfalls ist von ihm das bisal-
tische und krestonische Land, vielleicht auch der Streifen am Axios,
erobert worden.
Geacbicbtlicbes 67
[206] Wir finden nämlich um die Zeit des großen Perserzuges
einen thrakischen Eonig über Bisaltien und Krestonien, der flüchtig
sein Land verließ, aber nach 479 zurückgekehrt zu sein scheint; in
seinem Lande ostwärts Ton Dysoron lagen die Silberbergwerke, aus
denen späterhin dem König Alexander täglich ein Talent einkam
(Herod. V 17); diese Angabe und dieser veränderte Besitz wird durch
Münzen bestätigt Man findet Silberstücke von altertümlichem Gepräge,
auf der einen Seite haben sie einen Mann mit der Kausia und zweien
Lanzen in der Hand bei einem rechtsschreitenden Pferde, mit der
Umschrift BIIAATIKON, auf der anderen Seite ein quadratum in-
eu9uin; dann findet man andere Münzen mit ganz ähnlichem Gepräge
und dem quad. ine., die aber statt jener Umschrift AAEEANAPO
haben (Mionnet I 470, 506 Suppl. III 48, 177 Cousinöry II S. 180 ff.,
wo die Abbildungen). Ebenfalls hierher gehören die Münzen der Stadt
Ossa, die Ptolemäos zum bisaltischen Lande zählt und deren Buinen
wahrscheinlich die des heutigen Soho sind (Cousinery II 58); sie haben
Mann und Roß, wie die obigen Münzen, und in dem qtuidr, im. die
sehr altertümliche Inschrift OIIEQM (Mionnet Suppl. III 49 pl.
Y 6. 7 Millingen Ancient coins S. 38 Cousinery a. a. 0.), deren aller-
dings sehr auffallende und sonst wohl nur in Italien und Kreta vor-
kommende Endung den großen Eckhel veranlaßte, IIQMOZ als
Magistratename zu lesen \ Gold- und Silberbergwerke fanden sich nach
Strabos Zeugnisse (VII firagm. 36) auch diesseits des Strymon bis
Päonien hin, und in Päonien soll man beim Pflügen Stücke reines
Gold aufgescharrt haben. Ob in diese Gegend auch die Stadt Nysa
gehört, die Steph. Byz. eine thrakische nennt, und deren Münzen die
Umschrift NYIA • EN • TJMQ tragen? (Eckhel D. N. I 2 S. 36);
da in späterer Zeit, der jene Münzen angehören, diese strymonischen
Gegenden nicht Päonien geheißen haben, so wird Nysa wohl irgendwo
nördlicher gelegen haben.
Der päonische Landesstreif am Axios war dem Philipp, dem
Bruder des Perdikkas (Thukyd. I 57), als Fürstentum gegeben worden,
und dessen Sohn Amyntas zum makedonischen Throne zu befordern
unternahm Sitalkes seinen mehrfach erwähnten Peldzug (Thukyd. II
95, 100). In ähnlicher Weise, wie dieses Fürstentum, verhielten sich
zum Königtume der Temeniden die übrigen Fürstentümer im oberen
Makedonien. Thukydides sagt (II 99) „im oberen Makedonien sind
die Elimioten und Lynkesten und andere Völker, die zwar den Make-
donien! verbündet und unterthänig sind, aber doch eigene Fürsten
' [Die Legende der Münze wird jetzt MOIIEQ gelesen],
5*
68 Päonien und Dardanien
haben". Mit dieser TJnterthänigkeit war es ebenso wenig bei Philipp
wie bei den anderen Fürsten zu allen Zeiten sehr ernstlich gemeint.
So das Fürstentum Elimiotis. Diese Landschaft mag von Alexander,
Amyntas Sohne, unterworfen worden sein; beim Anfange des pelopon-
nesischen Krieges ist Derdas, der Sohn des Aridaus, des Sohnes
Alexanders, also ein Neffe des Perdikkas und Philipp, Fürst des Landes
(Schol. zu Thukyd. I 57); mit Philipp gemeinschaftlich lehnte er sich
gegen Perdikkas auf, trat mit den Athenern gegen ihn in Bund und
seine Brüder fielen aus dem oberen Lande in Perdikkas Land ein
(Thukyd. I 57, 59). Auf diesen Fürsten bezieht Cousinöry (II S. 193)
eine Münze, deren Monogramm allerdings AEP gelesen werden kann;
ein Sohn oder Bruder von ihm war Pausanias nach dem Scholiasten
zu Thukydides (I 61). Etwa 50 Jahre später wird ein anderer Derdas
(wahrscheinlich des vorigen Enkel) als Fürst von Elimiotis genannt,
der mit ungemeiner Tapferkeit die Spartaner gegen Olynth unterstützte
(Xenoph. Hell. V 2, 38 fiF.); über sein Verhältnis zu Amyntas dem
Kleinen s. Aristot. Pol. VIII (V) 10; noch bei Philipps Regierungsantritte
war er unabhängiger Fürst, und vermählte seine Schwester Phile mit dem
Könige (Athen. XIII S. 557); mit diesem zog er um 350 gegen Olynth
und wurde gefangen genommen (Theopomp, bei Athen. X S. 436).
Dieses Derdas Bruder war Machatas, der sich in der Umgebung Philipps
aufhielt (Plut. apophth. v. fPiXtitTtog); es scheint, daß seit Derdas Ge-
fangennehmung Elimiotis aufhörte unabhängig zu sein; aber dem eli-
miotischen Fürstenhause war noch hoher Glanz beschieden; schon
Machatas Sohn Harpalos war unter Philipp (Demosth. in Aristocr.
149) und noch mehr unter Alexander in hohem Ansehen, das er
freilich durch frevelhaften Leichtsinn gegen Ende seines Lebens ver-
scherzte. Machatas anderer Sohn war Philipp, der unter Alexander
Satrap von Indien wurde (Arrian. V 8, 3), und dessen Sohn wieder
war Antigonus der Einäugige, jener Held der Diadochenzeit, dessen
Sohn Demetrius der Städtebezwinger, dessen Enkel Antigonus Gonata^^,
dessen weiteres Geschlecht das herrschende Königshaus Makedoniens
bis zur Eroberung der Römer war (s. meine Geschichte der Nachfolger
Alexanders Tabelle V).
Das Fürstentum der Oresten befand sich im Anfange des pelopon-
nesischen Krieges in der Hand des Antiochus (Thukyd. II 80); viel-
leicht derselbe Fürst war es, dessen Bündnis gegen die Lynkestier
König Archelaus suchte und deshalb ihm und seinem Sohne seine
Töchter vermählte (Arist. Pol. VIII (V) 10). Unter Alexander finden wir
Perdikkas, des Orontes Sohn, aus Orestis (Arrian. VI 28, 4); er führt
die Phalanx der Orestier und Lynkestier (Diod. XVII 57), er ist aus
Geschichtliches 69
königlichem Geschlechte (Gurt. X 7, 8); was liegt näher als zu ver-
muten, daß sich in ihm das orestische Fürstengeschlecht fortgepflanzt?
Merkwürdiger ist das lynkestische Fürstentum; das regierende Ge-
schlecht rühmte sich aus dem Stamme der korinthischen Bakchiaden
zn sein (Strabo VII 326); aus diesem herrschte um die Zeit des pelopon-
nesischen Krieges Arrhabaios, des Bromeros Sohn (Strabo a. a. 0. Thuiyd.
IV 79, 83), der, mit Perdikkas im Streit, Gefahr lief, von der ver-
einigten Macht der Makedonier und Spartaner in seinem Lande ange-
griffen zu werden; gegen ihn suchte Archelaos die Freundschaft des
orestischen Fürsten (Arist. a. a. 0.). Ich habe früher vermutet, daß
Aeropos, der Usurpator Makedoniens um 396, aus diesem Geschlechte
gewesen sei (Geschichte Alexanders des Gr. S. 38 I* 1 S. 76); jedenfalls
ist das lynkestische Fürstengeschlecht in die Verwandtschaft des make-
donischen [207] Hauses übergegangen; des obengenannten Arrhabaios
Tochter war Irrha, die Mutter jener Eurydike, die mit Amyntas ver-
mählt den Alexander, Perdikkas und Philipp gebar (Strabo a. a. 0.).
Ihre nahen Verwandten, wahrscheinlich ihrer Mutter Neffen, sind die
hTikestischen Brüder Arrhabaios, Hieromenes, Alexander, die gegen
Philipp und Alexander mannigfache Umtriebe machten und die Hand
nach der makedonischen Krone auszustrecken wagten; hierauf gründete
sich die Vermutung, daß eben ihr Vater Aeropos der einstige König
Makedoniens und dessen Sohn und Nachfolger Pausanias ihr ältester
Bruder gewesen sei (Gesch. d. Nachfolger Alex. Tab. IV).
Auch das Land Parauaia, am oberen Laufe des Aous, hatte um
die Zeit des peloponnesischen Krieges einen eigenen Fürsten, Oroidos
(Thukyd. II 80); daß es wahrscheinlich unter Philipp makedonisch ge-
worden, sieht man aus dem Vertrage, den Pyrrhus im Jahre 295
schloß und infolge dessen er Tr}i/ rs ^rvfKpaiav xal rtjv IlaQccvaiav
(statt xal rrjv nagaliav) TTjg MaxiSoviaq erhielt (Plut. Pyrrh. 6).
Endlich darf man wohl auch ein Fürstentum Stymphäa nennen.
Ein Teil der Stymphäer waren die Aethiker an den Quellen des Peneios,
ein barbarisches und räuberisches Volk (Marsyas bei Steph. Byz. v.
Alß:.) als dessen König {itQÖnoq) Lykophron den berühmten „Poly-
sperchon den Stymphäer" bezeichnet (vgl. Tzetzes zu Lycoph. 800).
Nimmt man dazu, daß Polysperchons Vater Simmias hieß, daß ein
Simmias unter den Söhnen des vornehmen Stymphäers Andromenes
war (Gesch. d. Nachfolger Alex. Tab. XI), daß Polysperchon in Alexan-
ders Heere die stymphäische Phalanx führte (Diod. XVII 57), so ergiebt
sich, daß wir in dieser Familie vielleicht ein stymphäisches Fürsten-
geschlecht zu erkennen haben.
So die Fürstentümer im oberen Makedonien, die zur Zeit des
70 Päonien und Dardanien
peloponnesischen Krieges bereits verbündet und nnterthänig dem make-
donischen Königtum, unter Philipp und Alexander demselben ganz
einverleibt erscheinen.
Auch nach der thrakischen Seite hin grenzten mit dem Königtum
selbständige Fürstentümer; von diesen lernen wir aus der Zeit des
peloponnesischen Krieges das der Odomanten unter PoUes kennen
(Thukyd. V 6), der den Athenern Beistand leistete. Aus derselben Zeit
finden wir den edonischen König Pittakos erwähnt, der durch die Söhne
des Goaxis und dessen Frau Brauro ermordet worden (Thukyd. IV
107). Einen anderen edonischen König lernt man aus einer Münze
kennen, deren Legende TETAI HAONEON BAIIAEYI lautet (Mil-
lingen Ancient coins S. 42), nach dieser Umschrift, dem quad. ine.
und dem Typus zu urteilen, ist sie älter als der peloponnesische Krieg;
denn den Typus und die ungemeine Schwere, sagt Millingen, hat sie
mit einer oreskischen Münze gemein, die auf der einen Seite das regel-
mäßig geteilte quad. ine. hat, auf der anderen einen Mann mit der
makedonischen Kausia und zwei Speeren, der ein Paar Ochsen führt.
Auf dieser Münze ist die Umschrift OPPHIKION in altertümlichen
Zügen, auf anderen oreskischen Münzen findet man bisweilen das Wort
mit einfachem P oder auch QPHIKIQN (Mionnet Suppl. III 37
Cousinery, Sestini, Cadalvene, Dumersan u. s. w.), doch wechselt die Dar-
stellung auf den oreskischen Münzen, namentlich hat Cousinery Münzen
von dieser Umschrift, die ein qitad, ine, und einen mit der Kausia
versehenen, ein anspringendes Pferd haltenden Mann oder einen Ken-
tauren mit einer sich sträubenden Dirne im Arme darstellen. Genau
dieser letzte Typus findet sich auch auf Münzen mit der sehr alter-
tümlich geschriebenen Legende TETAION (nicht AETAION, wie
Mionnet und Cousinery lesen), zwei von diesen, die bei Cousinery (II
180) abgebildet sind, haben in dem quad. ine, einen Helm und die
eine bei diesem das retograde NOIATEF und unter dem Helme PET ^.
Endlich giebt es eine Münze mit der Umschrift QRHIKIQN, die
auf der Kehrseite gleichfalls den Helm und bei dem Namen ein
Fischchen hat (Cousinery II S. 180), welches sich auf alten Münzen
von Thasos (das im Pangäon Bergwerke hatte) und von Amphipolis
wiederfindet und nach Cousinerys Angabe Ähnlichkeit mit einer Gat-
tung von Fischen hat, die noch jetzt im Prasias gefangen werden. Es
liegt sehr nahe, diese Sachen in Verbindung zu bringen; der Edoner-
könig Getas wird eine Stadt seines Namens und eine Stadt Oreskos
besessen haben. Die oreskischen Münzen hat man bald den Oresten
* [Die Legende ist AETAION zu lesen, von der Stadt Lete].
Geschichtliches 7 1
im oberen Makedonien, bald der Stadt Orestias, der späteren Adria-
nopolis, zugeschrieben, aber weder die Legende der Münzen, noch die
sonstigen Umstände lassen das zu; die Formation des Namens ist ähn-
lich der von Doriskos, Drabeskos; die Kausia, mehr noch das Fischchen,
spricht für die Gegend des Prasias, in dessen Nähe fast alle die obigen
Münzen gefanden werden. Die Münzen der Getäer und Oreskier
müssen verschollenen Orten am Pangaon zugehört haben, und finden
wir nun denselben Helm im gitad, ine, umschrieben mit APXEAAO
(Cousinery II pl. 7 nr. 9), so scheint es nicht unwahrscheinlich, daß
gegen Ende des peloponnesischen Krieges durch eben diesen make-
donischen König jene edonische Gegenden in Besitz genommen worden.
Daß die Münzen mit der Umschrift TPAIAION, die gleichfalls in
der Nähe des Sees gefunden werden, dem von Steph. Byz. v. xQdyiXo^j
in den Itinerarien Triulo genannten Ort angehören, hat Leake (III 229)
erwiesen; eine Erklärung hat von ihnen Raoul-ßochette gegeben und
im Augusthefte des Journal des Savans 1836 zu verteidigen gesucht.
Für die ältere Geschichte des päonischen Stammes fehlen uns
selbst diese numismatischen Überlieferungen; es ist keine bestimmte
Angabe darüber vorhanden, ob sie unter verschiedenen Fürsten verteilt
gewesen oder nicht Doch ist es nicht wahrscheinlich, daß sie eine
Herrschaft bildeten. Die beiden Päonier Mantyas und Phagres kamen
zum Darius nach Sardes, um durch seine Vermittelung Tyrannen in
ihrer Heimat zu werden; sie sagten aus, Päonien sei am Strymonflusse
belegen {ettj ry Ilaiovh} inl toj 2tqvulovi nenolKTfisvi] Herod. V 13).
So erscheinen die dortigen Päonier gesondert von ihren westlichen und
nördlichen Stammgenossen. Bereits oben ist ausgeführt worden, wie
dies Verhältnis zu Persien für Päonien der Anfang großen Unheils
wurde und wie [208] namentlich von jener Zeit an das Vordringen
thrakischer Stämme beginnt. Fünfzig Jahre später sind bereits die
Agrianer, Leäer und andere Stämme links vom Strymon den Odrysen
unterthänig, das einst päonische Land südostwärts von der Kerkine
und den Strymonpässen von thrakischen Stämmen besetzt, das päonische
Land am unteren Axios unter makedonischer Botmäßigkeit. Der schnelle
Sturz des Odryserreiches wird die Päonier am oberen Strymon wieder
befreit haben. Wie sie sich bei dem großen Zuge der Triballer, die im
Jahre 376 bis gegen Abdera vordrangen, verhielten, ist nicht überliefert
Erst mit Philipp beginnt uns einige Kenntnis über Päonien zuzu-
kommen. Um das Jahr 360 war der König Perdikkas in einer großen
Schlacht gegen die Ulyrier gefallen. Das Reich war in höchster Ver-
wirrung, ein Kronprätendent rückte, von einem thrakischen Fürsten
unterstützt, heran, ein anderer, von den Athenern unterstützt, drang
72 Päonien und Dardanien
von der Chalkidike aus bis Aegä vor; die Päonier, die nahe bei Make-
donien wohnten, brachen plündernd über die Grenzen. In solcher Not
ergriflF Philipp das Regiment, er sendete an die Päonier und wüßt«
die einen durch Geschenke, andere durch friedliche Anträge zu ge-
winnen (Diod. XVI 2, 3); auch der anderen Feinde wurde er bald
teils durch Unterhandlungen, teils durch Gewalt Herr. Man erkennt
aus jenen Angaben, daß die Päonier damals nicht unter einiger Hoheit
waren, man darf nach späteren Yorfällen annehmen, daß wenigstens
die Agrianer ein abgesondertes Fürstentum bildeten. Jahres darauf
starb der päonische Fürst Agis und diese Zeit benutzte Philipp zu
einem Einfall in das päonische Land, er besiegte sie und zwang sie
zum Gehorsam {rovg ßuQßaQovg vtxriauii ijvüyxaas rö i&voq nei&ao-
XBiv Totg MaxeSö(Tt Diod. XVI 4).
Wir übergehen Philipps schnelle Fortschritte während der nächsten
Jahre, die Einnahme von Pydna, die Wiederbesetzung von Amphipolis,
die Gründung von PhilippL Mit Sorgen sahen die nächstwohnenden
Völker dies Wachstum der makedonischen Macht; einzeln zum Wider-
stände zu schwach, hofften sie durch ein Bündnis ihm gewachsen zu
sein; so vereinigten drei Könige, der der Thrakier, der Päonier und
Illyrier, ihre Macht; aber Philipp kam ihnen zuvor und zwang sie zum
Gehorsam {t]vdyxa(Ts nQoa&ia&ai rotg MccxbS6(ti Diod. XVI 22).
Also trotz der früheren Bewältigung des von Agis beherrschten Päo-
niens war dort ein eigener König geblieben.
Um das Jahr 349 kämpft« Philipp gegen Olynth, mit ihm war
der Fürst Derdas von Elimiotis; die Athener schickten den Olynthiem
ein Heer unter Chares zu Hilfe, der einen Sieg über Philipps ^ivoi
imter Führung des Adaios, den man den Hahn nannte, erkämpfte
(Athen. XII S. 532). In der Geschichte der Nachfolger Alexanders
(^S. 617) habe ich versucht, diesen Adaios dem päonischen Königshause
zu vindicieren. Der Name ist von dem makedonischen Worte äS?],
welches Himmel bedeutet (Sturz de dial. Mac. S. 44), abzuleiten. Es
giebt Münzen mit seinem Namen, die man wegen eines falsch gelesenen
Monogrammes auf Heraklea Sintika bezogen hat; eine von diesen führt
die Buchstaben AE 1 (Dumersan descr. du cab. AUier S. 31), andere
die Monogramme j^, und l^j. Adaios scheint Fürst der Päonier ge-
wesen zu sein, und dem Philipp, als Verbündeter, Truppen {^ivoi),
zugeführt zu haben; er kam vor Olynth um (s. d. Komiker Her^lides
und Antiphanes bei Athen, a. a, 0. und Zenob. prov. VI 34).
Schon in den letzten Lebensjahren Philipps unterhielt der Agrianer-
fürst Langaros freundliche Verbindungen mit Alexander (Arrian I 5, 2).
Ob sich bei Philipps Tode die übrigen Päonier mit den meisten, dem
Geschichtliches 73
makedonischen Königtum unterworfenen Völkern empört haben , ist
nicht ganz sicher. Nur Diodor erzählt die Kämpfe gegen die nörd-
lichen und westlichen Völker während des Jahres 335 kurz zusammen-
fassend: „Alexander habe die empörten Thrakier wieder unterworfen,
habe auch die Fäonier und Illyrier und die ihnen benachbarten Länder
angegriffen nnd viele der dort heimischen Barbaren, die abgefallen
waren, besiegt und alle Barbaren in der Nachbarschaft sich dienstbar
gemacht (XVII 8)". In der ausführlicheren Schilderung dieser Kämpfe
bei Arrian werden die Päonier nicht erwähnt, aber freilich erscheinen
sie nicht wie die Agrianer schon bei diesen ersten Kriegen Alexanders
als Hilfetruppen (Arrian I 1, 11). Wichtiger ist, daß Arrian (15, 1)
angiebt, Alexander sei bei der Nachricht vom Einfalle der Illyrier gen
Pelion von der Donau zurückgeeilt durch das Land der Agrianer und
Päonier (also auf der serdischen, nicht auf der skupischen Straße, daher
ist denn auch Justins Angabe, er habe die Dardaner besiegt, unwahr-
scheinlich, XI 1). Die Autariaten im Norden des Skomios wollten ihm
den Weg verlegen, Langaros übernahm ihre Bewältigung, der König
lohnte es ihm mit reichen Geschenken und verlobte ihm seine Halb-
schwester Kynane; doch starb der Fürst vor der Vermählung (Arrian I 5).
Bei den asiatischen Feldzügen zeichneten sich im Heere Alexanders
namentlich die Agrianer unter ihrem Führer Attalos (Arrian II 9, 2)
aus; auch Päonier waren bei dem Heere, sie standen unter Ariston
(Arrian 11 9, 2 und sonst).
Erst mit dem Jahre 310 erhalten wir wieder bestimmtere Nach-
richt von den Päoniem. Damals waren die Autariaten aus ihren Sitzen
aufgebrochen; in großer Bedrängnis sprach der Päonierfürst Audoleon
den damaligen Machthaber in Makedonien, den Kassander, um Hilfe
an, der denn die Autariaten bewältigte UTid den ganzen Volksstamm,
gegen 20000 Menschen, in dem Orbelos ansiedelte (Geschichte der
Nachfolger Alex.^ S. 402). Dieser Audoleon heißt in einer später zu
erwähnenden Inschrift Sohn des Patraos oder Patraios, und wir werden
bald einen Sohn von ihm unter dem Namen Ariston erwähnt finden.
Nun giebt es Münzen von sehr verschiedenem Gepräge mit der Um-
schrift TTATPAOY (Mionnet I S. 451); aus ihrem Typus erkennt
man die makedonische Nachbarschaft und ungefähr Alexanders Zeit
Wenn nun des Fürsten Audoleon Vater Patraos geheißen, so ist es
wohl so gut wie gewiß, daß der auf den Münzen genannte derselbe ist.
Als Alexander nach Asien zog, waren die Päonier unter Führung eines
Ariston; gewiß hatte [209] der König nach seiner bekannten Maxime
(Frontin. II 11, 3 Justin. XI 5) den päonischen Fürsten selbst mit-
zuziehen veranlaßt Dies ist um so eher glaublich, da eben dieses
74 Pftonien und Dardanien
Führers Namen wieder Audoleons Sohn tragt. Wenn so Ariston der
Päonierfürst um 334 war, so fragt es sich, in welchem verwandtschaft-
lichen und chronologischen Verhältnisse derselbe zu Patraos gestanden
haben mag. Ich glaubte sonst (s. meine Abhandlung über das päonische
Fürstentum unten S. 79 ff.), daß Patraos älter als Ariston und sein
und Audoleons Vater gewesen sei. Dies scheint mir nicht mehr glaub-
lich. 1) Audoleon war, da er zwar schon 310 regierender Fürst ist,
aber erst 290 eine Tochter Termählt (s. u.) und 287 sein Sohn noch
fiBiQÜxiovy also gewiß nach 310 geboren ist, wohl nicht vor 334 ge-
boren, und gerade in diesem Jahre wäre denn schon sein Bruder
Ariston als Führer der Päonier mit ins Feld gerückt? Diese Schwierig-
keit ist gering, aber doch beachtenswert. 2) Von Patraos und Audo-
leon sind zahlreiche und verschiedenartige Münzen; wäre Patraos Zeit-
genosse Philipps, so müßte das allerdings auffallen, die Perserkriege
konnten reiche Beute und die A\'irren der Diadochenzeit eine selb-
ständigere Macht, als Philipp gegenüber zu behaupten war, gebracht
haben; ja, irre ich nicht, so sind auch die Embleme der Münzen, der
stehende Adler, der Reiter, der den schwerbewaffneten Feind nieder-
wirft u. s. w., eher im Sinne einer späteren, als der Philippischen Zeit.
So glaube ich, Ariston ist der Vater, mindestens der Vorgänger des
Patraos, und unter Alexander mit nach Asien gezogen; Patraos mocht<e
während der Zeit des lamischen Krieges und mehr noch während der
Kämpfe zwischen Olympias und Eurydike Gelegenheit haben, der
päonischen Macht größere Unabhängigkeit, als sie zu Alexanders Zeit
gehabt haben kann, zu erwerben. Bemerkenswert ist, daß nach der
ersten Teilung des Reiches dem Antipater zugewiesen wird alles Land
jenseit von Thrakien, Epirus, Griechenland, Makedonien mit den Agri-
anem, Triballem und lUyriern (wc; iTtl '4yQiävai^ x r L ist Arrians
Ausdruck bei Phot. S. 69 b; richtiger schließt Dexippus ebend.
S. 64 a die drei Völker mit ein). Hier sieht man deutlich, daß die
Agrianer dem Reiche einverleibt worden sind, kcinesweges das eigent-
liche päonische Fürstentum.
Um das Jahr 310 war Audoleon Fürst in Päonien, damals, wie
es scheint, noch nicht vorgerückten Alters; um 290 vermählte er seine
Tochter an den König Pyrrhus von Epirus. Zahlreiche Münzen dieses
Fürsten, unter ihnen eine mit dem stolzen Gepräge des Zeus Aöto-
phoros, beweisen, daß Päoniens Macht damals bedeutend gewesen sein
muß. Noch augenfälliger wird dies durch eine attische Inschrift (s.
archäologisches Intelligen^iblatt zur hallischen Litteraturzeitung 1834
S. 250 und meine oben erwähnte Abhandlung: das päonische Fürsten-
tum, jetzt C. 1. A. II 312). Das Datum der Inschrift ist nach höchster
Geschichtliches 75
Wahrscheinlichkeit vom 2. Jul. 287 \ sie dekretiert für Audoleon Patraos
Sohn Statuen und Ehren^ ,yweü Audoleon dem Demos von Athen seit
firüherer Zeit wohlgewogen ist, indem er ihm Dienste geleistet und zur
Befreiung der Stadt mitgewirkt und als der Demos die Stadt wieder
erhalten, sich über solches Glück gefreut hat, in der Ansicht, daß das
Wohl der Stadt auch ihm ersprießlich sei — ferner weil er die Athener,
die in sein Land gekommen sind oder dort sich aufhalten, vielfaltig
unterstützt — ferner weil er dem Volke auch 7500 Scheffel Getreide
geschenkt und sie auf eigene Kosten in die Häfen der Stadt geschickt
hat, — femer weil er auch für das Weitere seine Hilfe verspricht,
mitzuwirken zur Wiedergewinnung des Piräeus und zur Freiheit der
Stadt u. s. w.". Daß die Befreiung der Stadt, zu der Audoleon mit-
gewirkt hat, nicht die von 307 sein kann, ergiebt sich aus den poli-
tischen Verhaltnissen der Zeit; damals wurde aus Athen der Phalereer
Demetrius vertrieben, und dieser gehörte ganz dem Interesse des mäch-
tigen Eassander, unter dessen Einfluß Audoleon seit dem Autariaten-
zuge 310 unfehlbar stand. Aber 297 mit Kassanders Tode begannen
sich die Verhältnisse zu ändern; nach vier Monaten schon starb Kas-
sanders Sohn Philipp, seine beiden Brüder, Antipater und Alexander,
1)egannen den gräßlichen Kampf um das Königtum, der den um-
wohnenden Fürsten Gelegenheit genug gab, ihr Gebiet zu erweitem,
oder die frühere Abhängigkeit zu lösen. Von Kassander noch war
Lachares in Athen veranlaßt worden, nach der Tyrannis zu streben,
bis 295 widerstand dieser den Angriffen des Poliorketen Demetrius,
der als Befreier in Attika aufgetreten war; es war die richtige Politik,
wenn Audoleon sich ihm, dem heftigsten Gegner Kassanders und des
makedonischen Königtums näherte und zur Befreiung Athens mitwirkte.
Als aber im Herbste 294 Demetrius das Diadem von Makedonien selbst
übernahm, da änderte sich freilich die Stellung des päonischen Fürsten-
tums; und daß Audoleon diese erkannt hat, beweiset die Vermählung
seiner Tochter mit Py rrhus, dem unermüdlichen Gegner des Demetrius.
Als endlich im Frühjahr 287 der große Krieg gegen Demetrius zum
Ausbruche kam und Pyrrhus und Lysimachus zu gleicher Zeit in das
Königreich einfielen, da wird Audoleon nicht unthätig dem Kampfe
zugesehen haben, den sein Schwiegersohn Pyrrhus mit so schnellem
Glücke zu Ende führte. Gleich nach der Nachricht von Demetrius
Gefahr und Fall erhoben sich auch die Athener zur Freiheit und be-
reits am 2. Jul. 287 verfaßten sie jenes Ehrendekret für Audoleon,
der ihnen zur Wiedergewinnung des Piräeus und zur Freiheit der Stadt
hilfreich zu sein versprochen hatte.
1 [Vielmehr Sommer 285, Skirophorion Ol. 123 3; vgl. unten S. 80 ff.].
76 Päonien und Dardanien
Polyän erzählt (IV 12, 3): „Lysimachus habe den jungen Sohn
des Audoleon, Namens Ariston, unter dem Vorwande, ihn in sein
väterliches Fürstentum zurückführen zu wollen, veranlaßt, mit ihm
nach Päonien zu ziehen; nach dem Weihebade beim Festmahle seien
Bewaffiiete auf den Jüngling eingedrungen, der sich dann mit genauer
Not geflüchtet und nach Sardika hin gerettet habe''. Das ist also
nach 287, vor 281, dem Todesjahre des Lysimachus, gewesen. Ariston
scheint seines rechtmäßigen Erbes beraubt gewesen zu sein; wenn
gerade Lysimachus den Vorwand brauchen konnte, sich seiner annehmen
zu wollen; so muß es wohl sein Gegner Pyrrhus gewesen sein, durch
dessen Zuthun Ariston sein Land eingebüßt hat; vielleicht daß Pyrrhus
selbst, als er den größten Teil [210] Makedoniens in Besitz genommen,
Audoleon zu beseitigen gewußt hat Wir wissen, daß sich Lysimachus,
um gegen Pyrrhus Partei zu gewinnen, vielfach um die Gunst der
makedonischen Großen bewarb (Plut. Pyrrh. 12), vielleicht daß er
Audoleons Sohn mit dem Versprechen, ihm sein Erbe zurückzugeben,
an sich lockte und dann, als Pyrrhus vertrieben und Makedonien sein
war, durch jenen Betrug das Land occupierte; es mag das um 286
geschehen sein.
Bald darauf begannen die Zerwürfnisse zwischen Lysimachus und
Seleucus, der Krieg kam zum Ausbruche, Lysimachus fiel in der
Schlacht von Korupedion 281, ein halbes Jahr später ward der Sieger
Seleucus durch Ptolemäus Eeraunos ermordet, in dessen Besitz Make-
donien überging, mit Makedonien wahrscheinlich das päonische Land.
In damaliger Zeit erhob sich das dardanische Füi'stentum unter Mo-
nunios zu bedeutender Macht (s. unten S. 87 flF.). Monunios unter-
stützte des Lysimachus ältesten Sohn, der gegen Ptolemäus Ansprüche
auf Makedonien erhob; als aber gegen Ende desselben Jahres 280 die
gräßlichen Invasionen der Gallier begannen, beeilte sich der dardanische
Fürst dem Könige Ptolemäus 20000 Mann zum Kampfe gegen den
gemeinsamen Feind anzubieten. Hieraus dürfte man eine Bestätigung
entnehen, daß das päonische Fürstentum, welches sonst Dardanien und
Makedonien trennte, nicht mehr existierte, sondern beide Königreiche
jetzt an einander grenzten. Ptolemäus war unsinnig genug, die dar-
danische Hilfe von der Hand zu weisen,, er büßte dafür mit schmach-
vollem Untergänge. Von den drei Gallierzügen des Jahres 280 wandte
sich der eine unter Brennus (und) Akichorius gegen Päonien, also kam
er über das Skomiosgebirge zu den Quellen des Strymon. Der große
Zug des Brennus im Jahre 279 ging durch das Gebiet der Dardaner
am Axios hinab gegen Makedonien und von dort nach Griechenland;
an diesem sollen die Dardaner Anteil genommen haben (Appian Illyr. 5);
Geschichtliches 7 7
daß die Reste des bei Delphi geschlagenen Heeres heimziehend im
Dardanerlande vollkommen aufgerieben worden, ist gewiß eine falsche
Angabe (Diod. XXII 9), die Anarchie in Makedonien und die Ent-
femmig der epirotischen Kriegsmacht gab den Dardanern Gelegenheit,
ihre Macht ungemein auszudehnen, und es ist aus Münzen nachgewiesen,
daß jener Monunios bis Dyrrhachium herrschte.
Seit sieben oder acht Jahren hatte ein eigenes päonisches Fürsten-
tum aufgehört, das Land war in makedonischen Besitz gekommen;
jetzt war Makedoniens Macht vollkommen gesunken, und wenn Anti-
gonus Gonatas endlich um 277 das Diadem wirklich gewann, so hatte
er vorläufig noch viel zu große Sorge um die Wiederherstellung des
königlichen Ansehens und um die gefahrliche Galliermacht in Thrakien,
als daß er an die Wiedererwerbung Päoniens hätte denken können.
Wenn um 200 Päonien als eigenes Fürstentum nicht mehr und bis
zur Unterwerfung durch die Römer nicht wieder existierte, und wenn
andererseits das Vorhandensein päonischer Fürsten außer den oben
genannten und nach ihnen konstatiert ist, so müssen sie in diese Zeit
zwischen 280 und 200 zu setzen sein. Es giebt nämlich Münzen, die
nach dem Urteile der Numismatiker mit ziemlicher Gewißheit dem
päonischen Lande zugeschrieben werden; die einen haben einen lorbeer-
gekränzten Kopf und auf dem Revers einen sitzenden Herakles, der
gegen einen Löwen kämpft, unter ihm Bogen und Köcher, mit der
Umschrift AYKKEIOY (s. Cadalvene tab. I no. 19), die anderen
führen einen ähnlichen Kopf und auf der Rückseite ein Schwert mit
der Umschrift EYTTOAEMOY (s. Mionnet suppl. II fin). Namentlich
die erst^ Münze dürfte, nach der Zeichnung bei Cadalvöne zu schließen,
der oben bezeichneten Zeit angehören. Es scheint mir denkbar, daß
gerade in der Zeit des Antigonus Doson das päonische Fürstentum
noch einmal, freüich in sehr beschränktem Räume, wieder auflebtet
Die Landschaft Pelagonien war und blieb dem makedonischen
Königtume einverleibt, auch von der Landschaft Deuriopus erscheint
wenigstens Bryannion und Stubera im Besitze des Königs Philipp
(Liv. XXXIX 53 XXXI 39). Gegen Norden waren die Dardaner in
den Besitz der sonst päonischen Landstriche gekommen und selbst
Bylazora war geraume Zeit in ihrem Besitze, bis es Philipp einnahm
(Polyb. V 97); bei späteren Einfällen drangen sie bis Stobi vor (Liv.
* [Die Münzen mit AYKKEIOY gehören in das vierte Jahrhundert; der
Päonenkönig Lykkeios war im Sommer 356 mit Athen gegen Philipp verbündet.
Ober Münzen und Inschriften eines Päonenkönigs Aganiav und der Zeit nach
dem Kelteneinfall Siz Ann. de num. 1883. Über die Eupolemosmünzen Head
H. N. 8. 201].
78 Päonien und Dardanien
XXXIII 19). Ostwärts von ihnen hatten die Mäder früher päonisches
Land in Besitz genommen; sieben Tagereisen weit erstreckte sich
zwischen den Mädem und dem Hamus eine Einode (Liv. XL 22), so-
dass sie also ziemlich tief in die Axiosebene hinab gewohnt haben
müssen. Weiter nach Osten saßen die Dentheleten im früher päonischen
Lande; ein Eriegszug des Philipp vom Jahre 182 gegen sie, gegen
die Bessen und und Odryser, bis Philippopolis hin, zwang sie Bundes-
genossen der Makedonier zu werden (Liv. XXXIX 53 XL 22). Nach
der Eichtung dieses Zuges zu schließen, müssen die Agrianer in ihrem
Gebiete sehr beschränkt worden sein; zwar werden sie im Heere des
Antigonus Doson (Polyb.II 65), des Philipp (Liv. XXVIIl 5 XXXIII 18),
des Perseus (Liv. XLII 51) genannt, aber auch im syrischen Heere
erscheinen sie als leichte Waffe (Polyb. V 79), jedenfalls sind sie
makedonische Unterthanen. Päonien ist unter Philipp als Parastry-
monia und Paroreia makedonische Provinz und steht um 182 unter
dem Statthalter Didas, dem Mörder des Demetrius; Asterium und
Heraklea liegen in seinem Gebiete (Liv. XL 22, 24).
Als endlich nach der Schlacht von Pydna das makedonische Land
in die Gewalt der Römer kam, wurde es in vier angebliche Republiken
verteilt, ganz nach der durchaus äußerlichen und mechanischen Weise,
welche stets der Vernichtung alter historischer Verhältnisse den förder-
lichsten Vorschub leistet. Bei diesem Anlasse können wir noch einmal
das nun von uns vielfach besprochene Terrain durchmustern (Liv. XLV
29, 30).
Das erste Makedonien umschloß das Gebiet zwischen Strymon
und Nestus, dazu das Land im Osten des Nestus, was Perseus besessen
hatte, außer Aenus, [211] Maronea und Abdera, und westwärts vom
Strymon ganz Bisaltien mit Heraklea Sintika; offenbar reichte dies
Gebiet bis in die Gegend der Strymonquellen, so weit makedonische
Herrschaft sich erstreckt hatte; Amphipolis war die Hauptstadt dieses
District.es.
Das zweite Makedonien umschloß das Land zwischen Strymon
und Axios mit Ausnahme Bisaltiens und Herakleas, mit Einschluß der
Päonier auf der Ostseite des Axios (also der Landschaft von Doberos,
Asterium und Astibon); hier war Thessalonich die Hauptstadt.
Das dritte Makedonien mit der Hauptstadt Pella bildeten die
Gegenden, die der Axios im Osten, der Peneios im Süden, das Bora-
gebirge im Norden umgrenzen; der päonische Streif Landes am rechten
Axiüsufer wurde dazu gefügt; auch Edessa und Beröa gehörten zu
diesem Distrikt. Die Dardaner, als Verbündete der Römer, hatten
Ansprüche auf Päonien gemacht, das ja ihnen auch schon gehört habe
Das pBonische Fürstentam 79
und ihren Grenzen nahe liege; sie wurden zurückgewiesen und ihnen
nor erlaubt, daß sie ihr Salz aas Stobi entnähmen, zu welchem Ende
diesem dritten Distrikt aufgetragen wurde, Salz in die Magazine nach
Stobi zu liefern; also war das diesem Bistrikt zugefügte Päonien nicht,
wie Müller meint, der unterhalb der Axiosengen belegene Streif, son-
dern um&Bte wahrscheinlich die Ufergegenden über Stobi nach Byla-
zora hinauf bis zu dem oben bezeichneten Orte ad fines.
Das vierte Makedonien endlich umfaßte das Land jenseit der
Bora, das teils an Epirus, teils an Illyrien grenzt, namentlich Eordäa,
Lynkestis, Stymphäa, Elimiotis, Ätintania; Felagonia war hier die
Hauptstadt
Hiermit glaube ich die geschichtlichen Angaben über Päonien
schließen zu könneu; weiterhin geschieht des Namens im alten Sinne
nicht weiter Erwähnnng, er taucht höchstens auf einzelnen Münzen
der Eaiserzeit als Auszeichnung einzelner Städte noch auf.
b. Zar Geschielite der Päouler nud Dardaner.
(Zeitschrift für die Altertamswissenachaft herausgegeben von Dr. L. Chr.
Zimmermann III 18S6 Nr. 103. 104 Sp. 625 ff.)
Das päonische Fürstentum.
üeber das päonische Fürstentum des Andoleon und seines [825]
Sohnes Ariston habe ich Geschieht« der Nachfolger Alesanders S. 402, 596,
617(11^23.79) das bis dahin Bekannte zusammengestellt. Meine Ansicht^
daß Ariston, von Ljsimachns unter dem Seheine der Freundschaft um
sein Erbe betrogen, im Jahr 287 flüchtig zu Demetrius nach Sardes
gekommen sei, beruhte auf einer Conjectur: in der eorrumpierten
Stelle des Polyän IV 12, 3, der allein von jener Sache weiß, steht
80 Päonien und Dardanien
(fvyüv atpinndaccTO elg rijv 2uQ8dmv (cod. 2aQ8avmv\ wofür andere
Emendationen 'ddgavhmv oder 2avdtximv wenigstens nicht minder
dreist scMenen, als wenn ich auf Flut. Demetr. 46 fußend (,,einige
Feldherm des Lysimachus gingen in Sardes zu Demetrius über") ein
Mißverständnis des Polyän, wie er deren mehrere hat, auf diese be-
zeichnete Weise hinwegräumte. Erst später kam mir die merkwürdige
attische Inschrift über Audoleon und ihre vortreffliche Erklärung durch
Hm. Meier (Archäologisches Intelligenzblatt zur hallischen Litteratur-
Zeitung 1834 S. 250)^ zu Händen. Dieselbe Inschrift ist es, von der aus
Leake in seinen neuerdings edierten Travels in Northern Oreece III
S. 463 und IV S. 585 eine Hypothese über die päonische Fürsten-
familie aufgestellt hat, die vollkommen irrig ist wegen der falschen
Voraussetzung, daß der in der Inschrift erwähnte Archon Diotimos
der des Jahres 354 ist; da in der Inschrift zwölf Prytanien erwähnt
werden, so ist sie nach 307 verfaßt. Hr. Meier hat mit vielem Scharf-
sinn entwickelt, daß sie gegen Ende von Ol. 123 3 ^85) verfaßt sei;
er sagt: von 307/6 bis 288/7 datierten die Athener nach den iBQeTg
T&v acarijQCQv, 287/6 war Diokles Archon, vor dem Tode des Lysi-
machus (281) starb Audoleon ; die Zeitverhältnisse, welche die Inschrift
berührt, ergeben dann, nach seiner Auffassung, zwischen 286 — 281 das
genannte Jahr 285. Mir ist et stets und trotz der Angabe Plutarchs
unerhört vorgekommen, daß die Athener, die während jener zwanzig
Jahre "307 — 287 mehrere Jahre hindurch mit Demetrius in offenbarem
Kriege waren, [826] stets nach seinem Priester sollten datiert haben.
In der Inschrift selbst findet sich ein anderer nicht geringerer Übel-
stand; es heißt: „weil Audoleon dem Demos von Athen seit der früheren
Zeit wohlgewogen ist, indem er ihnen Dienste geleistet und zur Be-
freiung der Stadt mitgewirkt, und als der Demos die Stadt wieder
erhalten, sich über solches Glück gefreut hat in der Ansicht, daß das
Wohl der Stadt auch ihm erspriesslich sei, — ferner weil er die
Athener, die in sein Land kommen oder dort sich aufhalten, vielfaltig
unterstützt^ — femer weil er auch dem Volke 7500 Scheffel Getreide
geschenkt und sie auf eigene Kosten in die Häfen geschickt hat, —
femer weil er auch für das Weitere seine Hilfe verspricht, mitzuwirken
zur Wiedergewinnung des Piräeus und zur Freiheit der Stadt, so u. s. w.'*'
Also war zur Zeit des Decrets der Piräeus nicht in Händen der Athener,
Athen selbst nicht frei; und doch ist es gewiß, daß nach dem Sommer
287, nach Demetrius Abzug gen Asien und nach dem Besuch des
Pyrrhus in Athen die Stadt ihre volle Freiheit und wahrscheinlich
^ [Jetzt C. I. A. II. 312, oben S. 74].
Das päonische Fürstentum 81
auch den Piraeus hatte. Hr. Meier beruft sich auf Plut. Demetr. 51.
Demetrius habe aus seiner Gefangenschaft bei Seleucus geschrieben
noög TOVQ nBQi ui&7jvag xai Kögtv&ov 7iyBfi6va>; xal (piXovg, Aber
das spricht nicht gegen den klaren Zusammenhang der Zeitverhält-
nisse. Angenommen ; Hrn. Meiers Ansicht sei richtig, wie sollte man
jene erste Befreiung Athens, bei der Audoleon mitgewirkt, verstehen?
Doch nicht von der im Jahre 307, als Demetrius den Phalereer, den
Freund Kassanders, vertrieb! Audoleon müsste schon einmal gegen
Demetrius den Poliorketen geholfen haben, und das einzige Mal vorher,
daß Athen sich gegen Demetrius mit Erfolg {alg r^jv ilwd-BQtccv) auf-
gelehnt, war 301 nach der Schlacht von Ipsus gewesen, wo man nichts
that als seinen Besuch verbat
Darf ich einmal die Schwierigkeit, welche die Nennung eines
Archonten an der Stelle eponymer Priester macht, hintansetzen, so
findet sich sogleich, daß nur vor 287 der Piraeus von Demetrius be-
setzt, und seit 292 die Stadt durch den Posten auf dem Museum
unfrei war; auch sind bis zu diesem Jahre die Archonten bekannt,
mögen es die Namen der eponymen Priester oder der neben ihnen
bestehenden Archonten sein: es fehlen uns die für 293/2, 291/0,
290/89, 289/8, 288/7; unter diesen könnte füglich Diotimus sein.
Mit Becht vermutet Schom (Geschichte Griechenlands S. 20), daß wenn
Demetrius nach Plutarch eine athenische Gesandtschaft zwei Jahre
lang hinhielt, ohne sie vorzulassen, an ein wichtiges Versprechen, das
der König nicht abläugnen konnte und nicht erfüllen wollte, zu denken
sei, nämlich die Befreiung der Stadt und des Piraeus von der Be-
satzung; und es könnte wohl des Audoleon Versprechen aweQycdv bYq
TB rijv Tov UBiQaiiojg xofiiSijv xal Tfjv xTjg ndXBiog kXBv&B^iav [827]
daraufgehen, daß er seinen Einfluß bei Demetrius dazu verwenden
wolle. Doch ist thätige Hilfeleistung den Worten entsprechender und
wird sich weiter unten als das Richtige ergeben. So bekommt auch
das frühere avvBQycDv Big rijv hXBvd-Boiav einen guten Sinn; natürlich
ist nicht die Befreiung vom Jahre 307 gemeint; damals lebte noch
Kassander, unter ^dessen Einfluß Audoleon 310 gewiß stand (s. Gesch.
der Nachfolger S. 402 11« 2 S. 79). Aber gegen Ende des Jahres 297
starb Kassander, Lachares, von ihm angestiftet, bemühte sich um die
Tyrannis in Athen; während Kassanders Sohn Philipp nach viermonat-
licher Regierung starb und seine Brüder Antipater und Alexander bald
den heftigsten Kampf um das Reich begannen, belagerte Demetrius
bis zum Herbst 295 den Tyrannen Athens; zu dessen Vertreibung
wird Audoleon mitgewirkt haben. Seit Demetrius Makedoniens Diadem
übernahm (Herbst 294) mußte Audoleons politische Stellung sich viel-
DroyseD, Kl. Schriften I. 6
82 Päonien und Dardanien
fach ändern; er hatte jetzt den mächtigen Demetrius in nächster Nähe,
es war natürlich, daß er anderweitige Verbindungen suchte, die seine
Herrschaft sicherten. So vermählte er zwischen 295 und 290 seine
Tochter an Pyrrhus von Epirus, und diese Verbindung, die Lage
Päoniens an den Pässen, welche vom Lande der Dardaner und Kelten
her nach Makedonien fahren, endlich die vielfaltigen Kämpfe des
Demetrius gegen Thrakien, Aetolien und Epirus mochten allerdings
dem päonischen Fürsten Macht genug leihen, daß er versprechen konnte,
sich für die Befreiung Athens von neuem interessieren zu wollen.
Ehe ich von den oben genannten Jahren, die möglicher Weise
mit Diotimus bezeichnet sein können, ein bestimmteres herauswähle,
muß ich noch eine Frage erledigen. Lysimachus, sagt Polyän, führte
den Ariston in die väterliche Herrschaft zurück {inl rijv narQqiav
ßatriXsiav xaHjyayBv), also war Audoleon nicht mehr Regent, und
Ariston nicht daheim. Wer hatte dies Land in Besitz genommen,
Pyrrhus oder Demetrius? Demetrius kann es nicht füglich gewesen
sein, sonst würde sich Ariston wohl zu Pyrrhus geflüchtet haben; auch
hatte Demetrius andere Dinge genug zu schaffen, und Pyrrhus war
so mächtig, daß er 289 noch bis Edessa in Makedonien vordringen
konnte. Aber als Demetrius 287 im Sommer gestürzt war und Pyrrhus
den größten Teil und das Diadem von Makedonien erhielt, da wird
er auch Päonien, wo Audoleon gestorben oder beseitigt sein mag, in
Besitz genommen haben, worauf denn natürlich der Erbe des Landes
Zuflucht in Thrakien suchte.
So mag denn Audoleon bis 287 König in Päonien gewesen sein;
wie aber die Zeit jenes Decretes finden? Es heißt in demselben: „am
26. Skirophorion, am 25. Tage der Prytanie". Seit der Zeit der
12 Phylen gehen die Datierungen der Prytanien und Monate ganz
parallel; und da in den hohlen Monaten wahrscheinlich der Tag nach
der Blxüg ausfiel, so daß die letzten 9 Tage eines hohlen Monats um
eins mehr zählen als die Prytanientage, so muß das Jahr der Inschrift
ein solches sein, dessen Skirophorion 29 Tage zählte. Von der Art
sind nach Idelers Berechnung des Metonischen Cyklus unter den oben
angegebenen die Jahre 293/2, 291/0, 288/7. Das erste Jahr anzu-
nehmen, hindert mich der Ausdruck des Psephisma; [828] denn im
Skirophorion oder Juni 292 war der mißglückte Versuch der Athener
unter Hipparch und Mnesidamus, unter dem Schutz des thebanischen
Aufstandes den Piräeus zu befreien, bereits vollkommen vereitelt, und
Demetrius hatte schon die Rückkehr der Verbannten befohlen, das
Museum besetzt und befestigt; in solche Zeit paßt die kriegerische
Stimmung des Decretes nicht. Günstiger scheint das Jahr 291/0; im
Das päonische Fürstentum 83
Sommer 291 war, wie es scheint (Gesch. der Nachf. S. 594 IV 2 S. 279),
Demetrius gegen Lysimachns gezogen, in seiner Abwesenheit empörte
sich Theben und machte Pyrrhas einen Einfall nach Thessalien;
schleunigst kehrte Demetrius zurück und erst nach langwieriger Be-
lagerung nahm er Theben; die Aetoler aber blieben unbesiegt, so daß,
da sie die Wege gen Delphi sperrten, das Pest der Pythien (Herbst
290) auf Demetrius Befehl in Athen gefeiert wurde. Dennoch scheint
es mir unwahrscheinlich, daß die Athener noch im Juni 290, als die
Belagerung Thebens sich wenigstens schon dem Ende nahte, wenn
nicht beendet war, jenes Decret gemacht haben sollten, das nur in der
Voraussetzung eines beabsichtigten Abfalls von Demetrius seinen Zu-
sammenhang findet.
So bleibt nur der 2. Jul. 287 als Datum jenes Decretes; und
dies paßt in jeder Beziehung. Mit dem Frühling war Lysimachus und
Pyrrhus gegen Makedonien ins Feld gerückt, mit dem Mai Demetrius
überwältigt und auf der Flucht. In wenigen Tagen konnto die Nach-
richt in Athen sein; nun denke man sich die Aufregung, die dort
eintreten mußte; es ist keine Frage, daß Mitteilungen seitens der ver-
bündeten Fürsten an Athen kamen, es war ihr Interesse, dem flüch-
tigen Demetrius seinen wichtigsten Posten in Griechenland, das attische
Gebiet, zu entreißen. Gleich bei der Nachricht vom Sturz des Königs
begann der Aufstand in Athen, von Olympiodor geleitet, der eponyme
Priester wurde nach Plut. Dem. 46 abgesetzt {äQxovxaq algtlad-ai
ndXtv ägnsQ Jjv ndxQiov^ \pri(piaäii%voi)^ das Museum, der Piräeus,
Eleusis befreit, die Freiheit wiederhergestellt. Freilich kam bald
darauf Demetrius mit einem bedeutenden Heere und begann die
Belagerung Athens; aber das Anrücken des Pyrrhus zwang ihn,
die Belagerung aufzugeben, die Freiheit der Stadt anzuerkennen,
sich nach Asien einzuschiffen. Mit dem Herbst 287 war Demetrius
in Asien.
So gewinnen wir merkwürdige Resultate. Es ist kein Hindernis
mehr, daß hier im Jahre 288/7 ein Archen statt eines Priesters der
Better genannt wird, da mit der Nachricht von Demetrius Fall, also
etwa zwei Monate vor Jahresende diese Jahresbezeichnung abgeschafft}
wurde, so daß statt des Priesters wieder der Archen dem Jahre den
Namen gab. Denn gewiß bestanden die Archonten während der ganzen
Zeit der durch Demetrius wiederhergestellten und gedrückten Demo-
kratie; und man muß von Plutarchs Angabe über die Wiedereinsetzung
der Archonten wohl einiges subtrahieren.
Ich habe oben wahrscheinlich gemacht, daß Audoleons Herrschaft
von Pyrrhus in Besitz genommen worden; dies muß in der zweiten
6*
84 Päonien und Dardanien
Hälfte des Jahres 287 geschehen sein, da mit dem Ende desselben
Pyrrhus durch Lysimachus verdrangt wurdet Ich weiß nicht anzu-
geben, ob Audoleon gestorben, von seinem Schwiegervater Pyrrhus
[829] umgebracht oder sonst wie überseitigt worden. Man kann hier
mehrere Combinationen finden: Lysimachus konnte die Zeit, daß
Päonien ohne Fürsten war, benutzen, um vor dem weiteren Kampf
gegen Pyrrhus das wichtige Paßland zu occupieren; dann war Aristons
Flacht noch im Jahre 287 und hätte sehr wohl können gen Sardes
gerichtet sein. Dies scheint mir indeß nicht wahrscheinlich; ich glaube,
nachdem Lysimachus die Epiroten verdrängt hatte, nahm er den Schein
an, als wolle er auch das Fürstentum Päoniens restaurieren, und be-
raubte Ariston auf diese Weise aller Hoffnung. Es scheint mir nicht
• _
mehr richtig, des Polyän Worte: (pvycjv ärpmitdaaro tlq rijv JSaQSii(ov
für Sardes zu verstehen, ist vielleicht an Serdica oder Sardica, das im
Mittelalter Triaditza hieß, zu denken?
In jenem Decret Z. 37 heißt es: hnaivkaai tö/jl ßamXeia (sie)
Av8(oXiovTcc IIccTQc(..ov Uaiöva, es fehlt in dem Vatemamen ein
Buchstabe. Dennoch ist es für vollkommen gewiß anzunehmen, daß
dieser lückenhafte Name derselbe ist, welchen man in neuester Zeit
mehrfach auf päonischen Münzen gefunden aber historisch nicht weiter
zu orientieren gewußt; Mionnet und andere schreiben TTATPAOY,
aber wenigstens die Abbildung bei Eckhel (N. V. I tab. XIII 4) läßt
deutlich die Lücke TTATPA..OY erkennen; eine barbarische Münze
bei Cadalvöne S. 43 und tab. I 18 hat nOAPTAY.
Wir wissen aus Diod. XVI 4, daß Philipp II. um 359 den Tod
des päonischen Fürsten Agis benutzte, um sich seines Landes zu be-
mächtigen {t6 i&vog ijväyxaae nen^aoz^Tv roT^ Max$dö(Tiv). Ich
habe (Gesch. der Nachf. S. 618 2) den Namen Adäus, der sich auf
Münzen findet, diesem Fürstenhause zu vindicieren gesucht und an
den Adäus ^tXiitnov dkexr^vcov erinnert, von dessen Tod, wie man
aus der Erwähnung des Chares und seines Sieges über die ^ivoi
Philipps sieht, um 348 (s. Clinton S. 147 ed. Krüger) die Komiker
Heraklides und Antiphanes (bei Zenob. VI 34) sprachen. Daß das
päonische Fürstentum trotz des Sieges von 359 bestehen blieb, be-
weiset teils Diodors Bericht (XVI 22), daß sich 356 die Könige von
Thrakien, Illyrien und Päonien gegen Philipp empörten {rjvdyxarre
n()oqthi(T&cci Tolg MaxeSötriv), teils die Patrausmünzen. Nach ihrem
Typus zu schließen sind sie aus der Zeit Philipp IL; ob Patraus ein
* IHclienism. II' 2 S. 328 findet sich eine andere Auffassung].
• [Die Anm. fehlt in 11« 2].
Das päonische Fürstentum 85
Sohn oder Enkel des Agis, maß unentschieden bleiben. Auch bei
dem Tode Philipps empörte sich mit den meisten unterworfenen Fürsten
der päonische (Diod. XVII 8), woraus sich erklärt, daß Alexander 335
bei seiner Sückkehr von der Donau nur des Agrianerfiirsten Truppen
gegen die Autariaten verwendete. Um des Gehorsams der Päonier
wahrend des Feldzuges nach Asien sicher zu sein, nahm Alexander
einige hundert päonische Reiter unter Ariston mit sich; gewiß hatte
er nach seiner bekannten Maxime (Frontin II 11, 3) den päonischen
Fürsten selbst mitzuziehen veranlaßt. Nannte nun Patraus Sohn
Audoleon seinen Sohn Äriston, so ist es höchst wahrscheinlich, daß
jener Reiteroberst unter Alexander des Audoleon Bruder war.
Indem ich einige andere auf Münzen genannte Fürsten des päo-
nischen Landes für jetzt übergehe, glaube ich für die besprochenen
achtzig Jahre folgende Tafel entwerfen zu dürfen.
[830] Agis
bis 360
*
Adäus
>
bis vor 349
Patraus (Patraius?)
Ariston Audoleon
um 334 vor 310 bis 287
Tochter Ariston
G. Pyrrhus geb. vor 300^
Nachschrift. Wenige Tage, nachdem Vorstehendes abgesendet
worden war, kam mir das neueste Archäologische Intelligenzblatt der
haUischen Litteratur-Zeitung (Aug. 1836 Nr. 43) zu Händen, in welchem
Hr. Meier eine neuentdeckte, für die oben besprochene Frage höchst
wichtige Inschrift mitteilt Es ist von dem Ehrendecret für König
Spartokos, dessen eine Hälfte schon früher bekannt war (C. I. Gr. 107),
kürzlich auf der Akropolis die andere Hälfte gefunden worden, welche
namentlich die Eingangsformeln in ziemlicher Conservation enthält 2.
Der Anfang der Inschrift ^nl A]IOTIMOY APXONTOI lehrt,
daß diese und die Audoleonsinschrift aus demselben Jahre sind. Hr.
Meier hat sich durch geschichtliche Gründe bewogen gefunden, diesen
^ [Der Nachfolger des Agis war Lykkeios; Adäus ist aus der Liste zu
streichen].
2 [Jetzt C. I. A. II 311].
86 Päonien und Dardanien
Archonten dem Jahr Ol. 123 3 zuzuschreiben. Außer den Schwierig-
keiten in den politischen Verhältnissen, die aus dieser Annahme hervor-
gehen, bietet dieser neuentdeckte Teil der Spartokosinschrift noch
eine viel größere; sie datiert nämlich rAlßfjh&voq yrj xai] NEAI,
ENATHI KAI EIKOITHI TH[s TtQvraveiag. Man sieht hieraus, und
aus der Audoleonsinschrift, daß in diesem Jahre des Diotimos der
üamelion und Skirophorion hohle Monate waren. Da nach der
Idelerschen Berechnung des Metonischen Cyclus dies in dem von Hrn.
Meier angenommenen Jahre 286/5 nicht der Fall ist, so glaubt der
treflFliche Gelehrte, es müsse aus irgend einem Grunde für dies Jahr
von der üblichen Weise des Metonischen Cyclus abgewichen sein, wobei
er selbst bemerkt, daß dies das erste Mal wäre, wo die Idelerschen
Tabellen nicht mit den Factis stimmten. Es war für mich eine große
Freude, meine auf anderweitige historische Gründe gestützte Ver-
mutung, daß das Jahr des Diotimos 288/7 sei, durch die neue In-
schrift bestätigt zu sehen; denn gerade jenes Jahr, das 12. aus dem
Cyclus, hat nach Idelers Tabellen den Gamelion und Skirophorion
hohl, ein Fall, der außer in diesem Jahre nur noch in drei anderen
Jahren des Cyclus zusammentrifft. Doch darf ich nicht übergehen,
daß dies gerade auch in dem Jahre 293/2 der Fall ist, welches ich
als solches, in dem möglicher Weise das Audoleonsdecret auch ver-
faßt sein könnte, bezeichnet habe; aber gerade das Spartokosdecret
wird zeigen, daß dies Jahr wohl nicht das des Diotimos sein könne.
In diesem Decret nämlich heißt es (bei Böckh Z. 7, bei Meier
Z. 20), daß sich Spartokos bei der Nachricht OTI 0 AHMOZ
KEKOMIIT[a« t6 äarv, avv^WLQH TOII EYTYXHMAII TOY
AHM[ot; und 12000 Medimnen schenkte und auch sonst dem
Volk nützlich [831] zu sein verspreche (rpEIAN TTAPEEEIGAI TQI
Si^fup)] zu einer Ergänzung, daß er Beistand zur Befreiung der Stadt
und des Hafens zu leisten versprochen habe (wie das im Audoleons-
decret gerühmt wird), ist in dem für Spartokos kein Platz. Dies
Decret ist vom 7. Februar des Jahres 287, zu einer Zeit, da Demetrius
noch Makedonien besaß, noch den Piräeus und das Museum besetzt
hielt; erst fünf Monate später, als Demetrius bereits aus Makedonien
vertrieben war, konnten die Athener ein Decret entwerfen, in dem
ausdrücklich eines Fürsten Versprechen, zur Befreiung der Stadt mit-
wirken zu wollen, gerühmt wurde; und doch scheint seitens der Athener
ihr Versprechen, dem Könige im Bosporos, wenn ihn jemand angreife,
zu Wasser und zu Lande helfen zu wollen (Böckh Z. 4. 5 Meier
Z. 19. 20) nicht umsonst erwähnt zu sein. So glaube ich, ist nicht
bloß das Geschenk der 12000 Medimnen Anlaß zu dem Decret und
Das dardanische Fürstentum 87
der neuen Ehrensäule und der Gesandtschaft, die die Athener zu
senden beschließen, sondern die weitere Absicht, des Königs Beistand
für eine beabsichtigte Bewegung gegen Demetrius zu gewinnen, wird
in diesem Decret noch verschwiegen, während sie in dem fünf Monate
späteren bereits ausgesprochen ist. Dies ist es, was mir das Jahr 287
wahrscheinlicher macht als das oben erwähnte 292; in diesem Jahre
292, dem des Au&tandes von Theben, hätte das frühere Decret gerade
das kriegerischere sein müssen, denn der thebanische Aufstand, der
gegen den Frühling hin unterdrückt wurde, konnte im Gamelion den
Athenern noch Hoffnung lassen; — aber freilich wäre in diesem Jahre
292 von einer Befreiung der Stadt (im Audoleonsdecret) gar nichts
zu sagen gewesen, da wohl erst mit dem Sommer die Besetzung des
Museums begann.
Indem ich so von der Überzeugung ausgehe, daß beide Decrete
aus dem Jahre 287 sind, darf ich nicht unberührt lassen, daß auch
eine zweite, in dem obigen freilich dreist genug ausgesprochene Ver-
mutung einige Wahrscheinlichkeit mehr erlangt hat; es ist die, daß
nicht, wie man gewöhnlich angenommen hat, erst mit dem Sturz des
Demetrius das Institut der eponymen Priester abgeschafft worden ^
Jedenfalls ist im Februar 287 Demetrius noch in Makedonien und
Athen Herr, aber doch wird in einem öffentlichen Decret Athens aus
der Zeit seiner Herrschaft nach dem Archonten datieit. Wie weit
überhaupt die Angabe von der Datierung nach den Priestern der So-
teren zu beschränken ist oder Wahrheit hat, ist noch auf keine Weise
zu bestinmien; für diese und viele ähnliche Fragen werden hoffentlich
die täglich neuen Entdeckungen in und bei der Akropolis reiche Aus-
beute geben.
Das dardanische Fürstentum.
Als Ptolemäus Keraunos sich zum Könige von Makedonien [833]
gemacht hatte, versuchte Ptolemäus, der älteste von den drei dem
Könige Lysimachus von Arsinoe geborenen Söhnen, sich durch Hilfe
eines illyrischen Fürsten Monios Makedoniens zu bemächtigen (Trog.
Pomp. Prol. 24 bellum, quod Ptokmaeus Ceraurms in Macedonia cum
Monio lUyrio et Ptolemaeo Lysimachi fUio habuit). Dies war im Jahre
280, wenige Monate vor dem Galliereinfall; und die Notiz sowie der
Name des illyrischen Fürsten steht vollkommen vereinzelt in der Ge-
schichte da. Eine Reihe von Combinationen, die sich an diese Angabe
knüpfen, habe ich im Verlauf der geschichtlichen Darstellung (Gesch.
» [S. jetzt Hellenism. II» 2 S. 119 Anm. 2].
88 Päonien und Dardanien
der Xachf. S. 647 IP 2 S. 338) nicht anzudeuten gewagt. Ich will
sie hier auiiiehmen, indem ich hoffe, ein ziemlich zuverlässiges Resultat
herausstellen zu können.
Livius XLIV 30 erzählt, daß Gentius seinen Bruder ermordet
habe: fama fuit Ilonuni Dardanortwi principis filiam EttUatn pacto
fratri eu/m inindisse, tamqiuim his nv/ptiis adiungenti aihi Dardanorum
gentem, et aimühis id vero ferit ducta ea virgo Platore (PleurcUo) inter-
fecto, gravis deinde dempto fratris metu popularibus esse coepit; dasselbe
bezeichnet Polybius XXIX 13. 5 (7) änoxrsivccvrcc Si xal üUvQarov
TÖv äSeXcpdv yafietv iiiXXovrct rtjv roO Mbvovviov d-vycttkQcc^ airöp
yfjfiai Tijv naiSa x r L Dies ist unter dem Jahr des L. Aemilius
Paullus II und C. Licinius Crassus (168) berichtet. Man hat den
Namen Honuni und Mevovviov aus einer Dyrrhachener Münze ver-
bessert (Froohlich Reg. vet. num. anecd. S. 46); sie führt das unzahlige
Male vorkommende Gepräge, die Kuh mit dem saugenden Kalbe auf
der einen Seite, auf der anderen den sogenannten Garten des Alkinous,
der, wie ich mich nach Uhdens Vorgang bei einer Vergleichung zahl-
reicher Korkyräer und Dyrrhachener Münzen überzeugt habe, nichts
ist als der mehr und mehr verflüchtigte Zwillingsstem (der Dioskuren
nach Uhdens schöner Deutung), der auf älteren Münzen vollkommen
deutlich und erkennbar ist. In den Kreisabschnitten, die um das
Oblongum dieses Doppelstemes übrig bleiben, steht gewöhnlich ein
Magistratsname nebst AYPP, auf dem Revers ein zweiter; unter jenen
findet sich auch der Name Movovviov. Merkwürdig ist nun die Tetra-
drachmo aus der Sammlung der venetianischen Familie Teopoli, wo
in den Kreisabschnitten steht BACIAEQC MONOYNIOY AYPPA, ohne
Namen auf der anderen Seite. Die Gelehrten sind der Meinung, dies
sei der von Polybius und Livius erwähnte Fürst der Dardaner.
Die Sitze der Dardaner beginnen nach Strabo VII 316 da, wo
[834] der Drilonfluß (Drino) aufhört schiff'bar zu sein, und reichen
ostwärts bis in die Quellgegenden des Axios, wo die wichtige Position
von Skupi noch in ihrem Gebiet lag. Wir werden später sehen, wie
sie zu gewissen Zeiten ein weites Gebiet beherrschten; die angeführte
Münze beweiset, daß selbst Dyrrhachium, wenn anders, wie nicht zu
zweifeln, der Name Monunios der eines dardanischen Königs ist, ihnen
zu einer Zeit unterworfen war.
Dyrrhachium, wie sich die Stadt, die bei den Hellenen stets Epi-
damnus hieß, selbst nannte, war im Jahr 314 von Kassander über-
rumpelt und mit makedonischer Besatzung versehen worden; dann
veranlaßte Korkyra die Dyrrhachier zum Abfall und übergab sie an
Glaukias, den Fürsten der Taulantiner (Gesch. der Nachf. S. 352. 365 11*
Das dardanische Fürstentum 89
S. 23. 37), welches Volk nach dem Zeugnis des Thukydides, Euphorien und
Eratosthenes (bei Steph. Byz. v. Av^oaxiov) der Stadt zunächst wohnte.
Seitdem die Bömer ihre Aufmerksamkeit auf die makedonisch -helle-
nischen Gegenden zu wenden begannen, wurde Dyrrhachium ein Haupt-
punkt für sie. Nur kurze Zeit hatte sie der illyrische Fürst Agron
inne (Appian Illyr. 7), nach wiederholentlichem Angriff mußte seine
Witwe die Königin Teuta die Stadt aufgeben, welche sich nun 226
den Römern ergab {napakaßövre^ elg niariv Polyb. 11 11. 10). In
dem Vertrage zwischen Philipp und Karthago wurde ausdrücklich be-
stimmt, die Römer sollten nicht im Besitze von Dyrrhachium gelassen
werden (Polyb. VII 9. 13), aber sie blieben es (Liv. XXXI 27. XLII 48
und sonst) und die Stadt kämpfte mit ihnen vereinigt gegen Gentius
(Liv. XLIV 30).
Wenn dem so ist, so kann der Monunios, dessen Tochter Gentius
heiratete, um durch sie die Dardaner zu erhalten, nicht derselbe sein
mit dem König Monunios, der laut der Münze von Dyrrhachium dieser
Stadt Herr war; denn fast 60 Jahre vor jener Vermählung war die
Stadt bereits den Römern zugethan.
Die Verhältnisse der iUyrischen Völker sind besonders dadurch
überaus schwierig, weil die Geographie der vielen kleinen Stamme
noch unklar ist und weil die alten Schriftsteller sehr oft von einzelnen
Stämmen unter dem Gesamtnamen lilyrier sprechen. Geschichtlich
treten in der Zeit von Philipp IL bis Perseus besonders drei Haupt-
massen hervor: die Taulantiner in der Nähe von Dyrrhachium und
Apollonia, ein mit Epiroten gemischtes Volk (Strabo VII 326); dann
das illyrische Reich an der Küste zu beiden Seiten des unteren
Brilon, welches, in Philipp II. Zeit von Bardylis gegründet, bald mehr
bald minder machtig unter seinen Nachkommen bis Gentius hin be-
stand; endlich die Dardaner, deren Sitze oben bezeichnet sind. Ich
muß über diese einige Notizen zusammenstellen. Sie waren ein kriege-
risches Bergvolk, zogen in schwerer Bewaffnung in den Kampf, fochten
in festen Gliedern (Liv. XXXI 43), so roh sie waren, liebten sie die
Musik, ihre [835] Wohnungen waren Erdgruben mit Mist überdeckt
(Strabo VII 316 Plin. IV § 3), doch hatten sie auch Städte. Sie
waren dem makedonischen Königtum sehr feindselig (Liv. XL 57 und
andere). Schon Philipp 11. kämpfte gegen sie (lustin. Vni 6), zu
Alexanders Zeit scheinen sie ruhig gewesen zu sein; über ihre Ver-
hältnisse in der Diadochenzeit und namentlich zu den Kelten werde
ich später sprechen. Dann ist längere Zeit von ihnen nicht die Rede.
Demetrius von Makedonien war im Kampfe gegen sie 229 gefallen
(Trog. Pomp. proL 28) und Livius (XXXI 28) nennt ihren damaligen
90 Päonien und Dardanien
Fürsten Longarus. Als darauf Antigonus Doson das makedonische
Reich übernahm, berühmte er sich in seiner Anrede an die empörten
Makedonier ut Dardcmos Thessalosqtie exultantes morte Demetni com-
pescuerit (lustin. XXYIII 3). Die Dardaner scheinen damals von aus-
gedehnter Macht gewesen zu sein; kurz zuvor waren lUyrier aus der
Herrschaft der Königin Teuta zu ihnen abgefallen, weshalb die Königin
die nach Epirus gesandten Truppen zurückberief (Polyb. 11 6). Als
endlich 221 Philipp Y. sein rechtmäßiges Königtum erhielt, suchten
die Dardaner und die anderen benachbarten Völker, des Königs Jugend
verachtend, vielfach Makedonien heim, wurden aber von ihm zurück-
gedrängt (lustin. XXIX 1. Trog. Pomp. prol. 28. 29). Im Jahre 219
erneuten sie, während Philipp im Peloponnes stand, ihre Einfalle nach
Makedonien; bei der Nachricht von seiner eiligen Rückkehr zogen sie
heim (Polyb. IV 66). Zwei Jahre darauf machte der König einen
erfolgreichen Feldzug gegen sie, und nahm die wichtige Position Byla-
zora (Velesa am Axius) im Päoniergebiet, welche den Dardanem den
Eingang nach Makedonien hinfort unmöglich machte (Polyb. V 97).
Um die Aetolier, die mit den Römern ein Bündnis geschlossen, desto
ungehinderter bekämpfen zu können (210), unternahm Philipp Streif-
züge gegen die lUyrier und Dardaner, und gewann wrh&m in Macedania
sitam transitu/m Dardanis facturam. Im Jahre 208 hatten sie die
Abwesenheit des Königs zu einem neuen Einfall benutzt, besetzten die
orestische Landschaft und verwüsteten das Aegesteier Feld. Bei des
Königs schleuniger Rückkehr eilten sie mit 20000 Gefangenen heim,
(Liv. XXVII 33. lustin. XXVIIII 4). Jahres darauf zog PhiUpp von
neuem gegen sie (Liv. XXVIII 8. lustin 1. c). Als im Jahre 200
der Krieg zwischen Rom und Makedonien zum Ausbruch kam, fand
sich unter den illyrischen Fürsten, die ihre Hilfe anboten, im Lager
des römischen Consuls auch ex Dardanis Bato, Langari fUius ein; beUttm
8tu) nomine ou/m Demetrio Philippi paire Longarus gesserat (Liv. XXXI 28).
Zwar nennt Strabo (VII 314) diesen Bato Hegemon der Daisi-
diaten, doch hindert das nicht, ihn für den Dardanerfürsten jener Zeit
zu nehmen, da Livius so genaue Bestimmungen angiebt. Der Einfall
vom Jahre 200 mißlang ihnen (Liv. XXXI 43), und als sie 198 wieder
vorgedrungen waren, wurden sie bei Stobi im Päonierlande gänzlich
geschlagen (Liv. XXXIII 19). Wenige Jahre nach der Niederlage
Philipps kämpfte Lucius Scipio gegen die Dardaner und einige ver-
bündete Stämme, angeblich zur Strafe wegen der Teilnahme an dem
Zuge der Gallier (?) gegen Delphi; aber die Dardaner wußten ihn zu
bestechen (Appian Illyr. 5). Philipp erholte sich allmählich von dem
schweren Schlage bei Kynoskephalä; [836] er wollte das Volk der
Das dardaniBche Fürfitentom 91
Dardaner vernichten, um freie Wege gen Westen zu haben; er forderte
die Bastamer nndThrakier zum Kampf gegen sie auf (179); die Dar-
daner wendeten sich Hilfe bittend an Rom; der Thronwechsel in
Makedonien und Zerwürfnisse des Perseus mit den Bastarnem endeten
die Gefahr (Polyb. XXV 6. Liv. XL 57 XU 23).
Um diese Zeit muß jener Monunios, dessen Tochter Gentius heim-
fahrte, König der Dardaner gewesen sein, mag er der unmittelbare
Nachfolger des Bato sein oder nicht. Keinen Falls war zu seiner Zeit
das Dardanergebiet so weit westwärts ausgedehnt, daß Dyrrhachium
demselben zugehören konnte, was oben schon aus anderen Gründen
als unstatthaft zurückgewiesen ist; und zur Zeit des Königs Demetrius
(239 — 229) war Longarus König der Dardaner. Wo nun jenen so
mächtigen Monunios finden?
Hier in Berlin befindet sich aus der früheren Wiesielowskyschen
Sammlung im Besitz des Herrn Directors und Ritters August Döpler
eine Silbermünze, welche Aufschluß zu geben verspricht. Sie ist von
Uhden in den Abhandlungen der BerL Akad. 1830 bekannt gemacht
und erläutert, doch genügt weder die beigefügte Zeichnung, wie ich
mich durch sorgfaltige Vergleichung mit dem Original überzeugt, noch
hat der hochverehrte Archäolog auch nur das Geringste zur historischen
Würdigung der merkwürdigen Tetradrachme geleistet. So viel ich
weiß, ist das genannte Exemplar bis jetzt das einzige dieser Art, das
man kennt; zum Glück ist es von der vortrefflichsten Erhaltung \
Auf der einen Seite ist ein männlicher Kopf mit der Löwenhaut be-
deckt; TJhden erklärt ihn ganz entschieden für ein Porträt, was ich
nicht zu unterschreiben wage. Auf der anderen Seite ist Zeus, auf
einem Thron sitzend, sein Oberkörper bloß, sich vorwärts neigend; in
seiner Linken der Stab, auf der Rechten ein Adler; mit der Umschrift
MONOYNIOY . . IIAEQ. Durch das verschobene Gepräge sind einige
Buchstaben des ßamlscjg ausgefallen; ein Monogramm ^-E steht
unter der Bechten des Zeus. Diese Münze nun ist so durchaus im
Typus, in der Größe, in der Darstellung bis in das kleinste Detail
hinein den Tetradrachmen Alexanders des Großen und ihren Wieder-
holnngen in Makedonien und Thrakien während der nächsten 50 Jahre
entsprechend, daß man sie unmöglich, wie es Uhden gethan hat, in
Philipp V. oder Perseus Zeit verweisen kann; sie muß aus den nächsten
50 Jahren nach Alexanders Tod sein.
So haben wir folgendes: 1. der Name Monunios kommt im Fürsten-
' [Es befindet sich jetzt im Pariser Münzkabinett; nach einem Abdruck,
den A. Imhoof-Blnmer gütigst zur Verfügung stellte, ist die oben S. 79 gegebene
phototypische Abbildung ausgeführt worden. Die Münze wiegt gr. 16,47].
92 Päonien und Dardanien
hause der Dardaner vor; 2. wir finden einen König Monunios auf
Dyrrhachener Münzen; 3. wir finden eine Monuniosmünze mit dem
vollkommenen Gepräge Alexanders von Makedonien und seiner Zeit
nicht fem; 4. es ist demnach wahrscheinlich, daß nicht lange nach
Alexander ein machtiger Dardanerfürst Monunios regiert habe. Von
den Dardanem wissen wir aus der Diadochenzeit wenig; als die Auta-
riaten von dem keltischen Volk der Skordisker verdrängt wurden,
wandten sie sich nicht gegen die Dardaner, sondern gegen die Päonier,
obschon ihnen beide gleich nahe wohnten. Zwanzig Jahre darnach,
im Herbst 280 begannen die bekannten Züge der Kelten; der eine
[837] Schwärm unter Kerethrius wandte sich ostwärts gen Thrakien,
ein zweiter unter Brennus (und) Akichorius gegen Päonien, ein dritter
unter Belgius gegen Makedonien und Ill^'rien; diese drohten die größte
Gefahr. Da bot der Fürst der Dardaner dem Ptolemäus Keraunos,
dem damaligen Könige Makedoniens, 20000 Mann Hilfstruppen, die
aber zum größten Unheil des Landes verschmäht wurden. Im nächsten
Jahre folgte der ungeheure Heereszug des Brennus gen Delphi; hätte
Appians seltsame Angabe Zuverlässigkeit, so müßten an dieser Heerfahrt
auch die Dardaner Anteil genommen haben (Illyr. 5). In dem Lande
der Dardaner trennten sich die Haufen des Lutarius und Leonnorius
von dem Hauptheer und gingen gen Byzanz (Liv. XXXVIII 16). Die
Überreste des großen, bei Delphi geschlagenen Zuges zogen 278
unter Comontorius gen Thrakien, unter Bathanatius gen lUyrien; der
Rest wurde im Lande der Dardaner vollkommen aufgerieben (Athen.
VI S. 234 Polyb. IV 45. 46 Diod. XXII 9).
Man stelle sich nun vor, welchen Ruhm dem Dardanerfürsten
die Vernichtung der Gallier, welche Schätze die ihnen abgenommene
delphische Beute bringen mußte; und während derselben Zeit war die
einzige Hauptmacht Epirus durch die fast sechsjährige Abwesenheit
des Pyrrhus ohnmächtig, Makedonien sank mit jedem Tage tiefer; erst
das tolle Regiment des Keraunos, dann die furchtbaren Galliereinfalle,
die Anarchie, die beginnende, wieder vernichtete und wieder erstehende
Herrschaft des Antigonus, alle diese VorfiJle in einem Zeitraum von
acht Jahren mußten wohl die Kraft des einst herrlichen Landes bis
zur äußersten Erniedrigung herabdrücken. Das Fürstentum von Päo-
nien war vernichtet und durch die Gallier verwüstet; die ^Autariaten,
einst das mächtigste Volk illyrischen Stammes, waren aufgerieben oder
verpflanzt, die Illyrier an der adriatischen Küste, so viel ihrer zum
Reich des Bardylis (Klitus Sohn, Enkel des Bardylis, Gesch. der Nachf.
S. 596 11^ 2 S. 282) gehörten, scheinen durch das seit Jahren immer
steigende Drängen der Kelten und zuletzt der Skordisker sehr ge-
Das dardanische Fürstentum 93
schwächt worden zu sein; von dem Fürstentum der Taulantiner, wo
noch um 302 der alte Glaukias König war, wissen wir nicht, ob sein
Sohn, dessen Hochzeit jenes Jahr gefeiert wurde, noch herrschte, oder
ob Pjrrhus, wie man aus gewissen Andeutungen vermuten kann,
seiner Herrschaft auch diese illyrisch-epirotischen Mischstamme unter-
worfen hatte. Wenn Liv. ep. 15 erzählt, die ApoUoniaten an der
illjrischen Küste hätten nach Rom (etwa 271) Gesandte geschickt, die
dort von jungen Leuten mißhandelt wurden, so scheint es, daß man
sie als Feinde Roms, als Genossen des Pyrrhus ansah; man darf vor-
aussetzen, daß sie Hilfe bittend kamen, es ist aus jenem Vorgang
wahrscheinlich, daß sie nicht gegen Epirus Hilfe suchten, sonst hätten
sie in Rom populär sein müssen.
Und nun finden wir jene Monuniosmünze mit durchaus demselben
Gepräge, welches nach Alexander des Lysimachus, des Philipp III.,.
fies Demetrius des Poliorket«n, des Audoleon Münzen zeigen; min-
destens für ein Zeichen der Ohnmacht wird man es bei Audoleon und
Monunios nicht nehmen woUen, sonst würde beiden der stolze Titel
ßaaiX^q nicht gestattet worden sein. Wie bedeutend die dardanische
[838] Macht um das Jahr 280 war, lehrt das Anerbieten des darda-
nischen Fürsten, 20000 Bewaffnete zum Kampf gegen die Kelten zu
stellen; daß Ptolemäus Keraunos diese Hilfe eines kriegerischen Volkes
zurückwies, muß jeden befrenaden; seine Antwort: „es würde um Make-
donien geschehen sein, wenn es nun zum Schutz der Grenzen der
Dardaner Hilfe brauchen wolle" (Justin XXIV 4), kann nicht die
ganze Begründung dieser auffallenden Maßregel enthalten; und wären
die Dardaner mit Makedonien befreundet gewesen, so hätte sich solche
Gemeinsamkeit der Verteidigung fast von selbst verstanden. Hier nun
erinnere ich daran, daß der illyrische Fürst, der gegen Ptolemäus
Keraunos die Sache des Prätendenten Ptolemäus, Lysimachus Sohn,
vertrat^ in dem 24. Prolog des Trogus Pompeius Monios genannt wird;
es scheint mir unzweifelhaft, daß dies Monunios ist, dessen Beistand
nach diesem Vorgange, der etwa acht Monate früher als der Gallier-
einfall datiert, dann von Keraunos mit Recht zurückgewiesen wurde;
der Dardanerfürst rief bei der Antwort des Keraunos aus: , Jenes hoch-
berühmte Makedonier-Reich wird in kurzem durch die Tollkühnheit
des Jünglings {temerüate immcUuri iuvenis ist nahe an einem Ana-
chronismus) untergehen". Er sah die Gefahr in ihrer ganzen Größe
voraus; wie es auch mit seiner oder seines Volkes Teilnahme an dem
Zug der Gallier mag ausgesehen haben, der Rest der mit reicher
Beute heimkehrenden fand im Dardauerlande den Untergang. Je er-
schöpfter und zerrütteter die Länder umher waren, desto mächtiger
94 Päonien und Dardanien
erhob sich darcli diesen Sieg der Dardanerfürst; nur in dieser Zeit
konnte es sein, daß sich eines Monunios Herrschaft bis Dyrrhachium
ausdehnte, und daß Dyrrhachium Münzen prägte unter dem Namen
jenes Fürsten. Und wenn aus dem Inhalt des 25. Buches des Trogus
Pompeius angegeben wird, ut Pyrrhus Argis interierit /üiusque eins
Alexander Blyricum cum Mytüo bellum habuerU, so ist dieser Mjtilus
kein Fürst aus dem illyrischen Seiche an der Küste, die erst nach
230 Epirus heimzusuchen begannen (Paus. IV 35), denn wir kennen
die Reihe der Fürsten dieses Reiches von dem Gründer Bardylis bis
zum Untergänge; an die Taulantiner zu denken, scheint nicht geraten;
hätte ihr Reich bestanden, so würde kein Monunios Dyrrhachium
erobert haben. Es ist bei weitem das Natürlichste, auch hier statt
Mytilus den dardanischen Monunios zu setzen^, der durch die Be-
setzung von Dyrrhachium den Grenzen des eigentlichen Epirus nahe
war, ja die dem epirotischen Königtum wahrscheinlich unterworfenen,
aus Illyriern und Epiroten gemischten Völkerschaften im Norden der
keraunischen Berge bedrohen mochte. Daß dieser Krieg vor 268,
vor der Belagerung Athens durch Antigonus war, sieht man aus der
Zeitfolge bei Justin und Trogus. Und nun finden wir die Gesandten
von Apollonia, das in eben diesen Gegenden liegt, um 271 in Rom;
sie werden von den jungen Römern insultiert, also gewiß weil sie für
Freunde von Epirus galten. Es ist nichts natürlicher, als daß sie,
wie auch später, von Feinden bedroht sich an Rom wandten, und wer
konnte dieser Feind um das Jahr 270, als Dyrrhachium in Monunios
Hand war, wer konnte es anders sein als Monunios mit seinen Dar-
danem?
} [Der neueste Herausgeber verzeichnet die Verbesserung Monunio im
kritischen Apparat S. LVIII].
IV.
Demosthenes.
a. Über die £ehthelt der Urkunden In Demosthenes Bede
TOm Kranz.
Citios emergit veritas ex errore quam ex confusione.
(Zeitschrift für die Altertumswissenschaft herausgegeben von Dr. L. Chr.
Zimmermann 1839 Sp. 537 ff. Hier abgedruckt nach dem Handexemplar der
Sonderausgabe Berlin 1839, 205 und VHI S. 8., in dem vom Verf. einige
Druckfehler berichtigt 'sowie einige kleine Zusätze gemacht sind, die besonders
zu bezeichnen nicht notwendig schien).
I. Einleitung.
Bekanntlich fehlen den meisten attischen Gerichtsreden, [537] die
ach bis auf unsere Zeit erhalten haben, die Urkunden, Zeugenaussagen,
Gesetzesstellen u. s. w., auf welche die Beweisführung begründet ist;
gewöhnlich sind nur ihre Überschriften übrig geblieben und zeigen die
Stelle, wo sie eingeschaltet gewesen. Jedoch sind solche Documente
wenigstens teilweise in einigen, in etwa drei Beden vollständig erhalten.
Es liegt die Frage nahe, ob ursprünglich den Beden die be-
treffenden Urkunden beigefügt gewesen oder nicht. Allerdings wurden
sie bei der gerichtlichen Verhandlung nicht von dem Sprecher selbst,
sondern durch den Grammateus mitgeteilt; aber es ist irrig, sich vor-
zustellen, als hätte der Grammateus nur Aktenstücke, die in der Ana-
krisis produciert gewesen, und die ihm somit seitens des algaycoyavg
eingehandigt worden, vorgelesen. Der Bedner konnte mancherlei mit-
zuteilen das Interesse haben, wovon in der Anakrisis, wo es sich nur
um die Constatierung der zur Sache gehörenden Beweismittel handelte,
gar keine Bede gewesen war; so wird, um nur ein Beispiel anzuführen,
in der Bede vom Kranz (§ 289) das Epigramm auf die bei Chaironeia
Gefallenen gelesen. Die Midiana hat eine nicht kleine Zahl von
96 Demosthenes
Gesetzen, Zeugnissen iL s. w. ; der Prozeß wurde aber vor dem Gerichts-
tage aufgegeben, als bereits die Rede geschrieben, wenn auch noch
nicht, wie noch jetzt der Augenschein lehrt, gefeilt war; es hätten
nach jener irrigen Voraussetzung die betreffenden Documente, in dem
ixivog versiegelt, für Demosthenes unzugänglich sein müssen und
könnten nicht in der Rede stehen. Jedenfalls also sind die Documente
auch in den Händen der Parteien; sie mußten es sein, wenn über-
haupt auf Grund derselben eine Rede ausgearbeitet werden sollte. Ja,
was der Grammateus vorlas, mag es irgendwie von der Behörde vidi-
miert worden sein, jedenfalls mußte der Sprecher die Reihenfolge
der zu lesenden Schriften bestimmt haben; denn gewöhnlich findet sich
keine nähere Specificierung des zu lesenden Aktenstückes, nach der es
der Schreiber hätte herausfinden können. Und tritt auch häufig, nach-
dem derselbe zum Lesen angewiesen, noch ein neuer Satz mit dem
beliebten xaitoi ein, so ist doch wieder in den meisten Stellen zwischen
der Aufforderung und dem Lesen keine weitere Zeit, in welcher der
[538] Grammateus nach dem betreflenden Aktenstücke hätte suchen
können. Vielmehr beweiset das so häufige Vorkommen des liye fiot
Xaß(6v mit dem rodro rd ^ip/jipKTfia, daß der Sprechende entweder
immer oder oft dem Grammateus hingiebt, was er lesen soll, wie denn
in der Rede xar !AQi(noxQdtovg, nachdem das Convolut Gesetze
(§ 22) mit dem Mß^ xccl kiye in des Schreibers Hand ist, bis § 82
die weiteren Gesetze (ohne Xaße oder kaßojv), gelesen werden, und
dann der Redner sagt: äpd ris* ^/jurv in loinög ktm vöfioq; SeT^ov,
ovToai, Xiyt rovrov (vgl. Andoc. nB(}l r&v pLvanjQimv § 87) und
einige Paragraphen später: Xiye rov fiirä tautcc vöfiov, ?y ovrot
navTsg tlaiv. Noch deutlicher ist dies aus Demosthenes n^gl na^an.
§ 40 kiys (jiOi kaßcov kx rfjg ngorigag km<TroXf]g avrd rorro, iv-
i^-ivSe Uye und in der Leptinea § 84 käßs Si] xal rd T(p XccßQi^e
\lf/jq)i(TfjLcc "(jjrjtpKT&av' 6^cc Sij xal axöner Sei yuQ ccvrö kvTaij&' üvai
novj wo der Redner sichtlich seine zusammengeschriebenen Urkunden
hinreicht, aber nicht eben gleich die Stelle genauer bezeichnet, wo das
Fragliche steht. Ähnlich ist xarä 'iQitrroxQ, § 162, wo der Redner
sich, nachdem schon ein paar Briefe gelesen sind, die Stelle zeigen
läßt, die er weiter gelesen haben will: Uy ^| iri^ag iniarolfig km-
Sti^ag. Wenn sich dagegen der Redner erst eine Urkunde reichen
{66g Si fioi xä Söyfiarcc ravra, so iit^Q Krtja. § 153 156) und dann
erst sein Xiye folgen läßt, so scheinen die beiden Aufforderungen an
dieselbe Person gerichtet zu sein. Jedenfalls aber ist nur daraus, daß
der Redner die Urkunden zum Lesen entweder vor oder während
seiner Rede hingiebt, begreiflich, wie Demosthenes dem Aischines
Die Urkunden der Kran2xede 97
vorwerfen kann rovg vöfiovg fieranot&Vy r&v S* cc(paiQ&v fj^i^rj, ovg
8Xovg Sixaiov Jjv &vayiyv(j!)Gx%a&ai roiq ye dfjbWfjLoxöm xarä rovg
vöfiovg ^pri(piua&ai {vniQ Krrjg. § 121 vgl. xarä !Aqi(ttoxq. § 88),
eine Stelle, welche beweist, daß das Vorlesen dnrch den Grammatens
nicht etwa die staatliche Garantie für die Richtigkeit des Gelesenen
in sich schließt.
Von den uns erhaltenen Gerichtsreden sind verhältnismäßig sehr
wenige von ihren Verfassern selbst vor Gericht gesprochen; alle von
Isaios und Deinarchos, mit einer Ausnahme alle von Lysias und von
den Demosthenischen die meisten sind in fremden Prozessen und auf
Bestellung geschrieben. Der koyoyQätpog war natürlich bei der Ana-
krisis nicht gegenwärtig, ihm mußten die Dokumente, auf die es bei
[539] der gerichtlichen Verhandlung ankommen konnte, seitens der
Parteien eingehändigt werden, welche von ihnen und an welcher Stelle
jedes er in der zu haltenden Rede anbringen wollte, mußte natürlich
so genau bezeichnet sein, daß sich der Besteller damit zurecht finden
konnte. Und da wir keine Spur einer Numerierung oder sonstiger
Ordnungszeichen vorfinden, scheint es natürlich anzunehmen, daß der
XoyoyQÜ<pog die Aktenstücke so einschaltete, wie sie der Sprecher ver-
lesen lassen sollte und wie wir sie noch in einigen Reden eingeschaltet
finden, mögen sie dann dem Schreiber einzeln oder vereinigt in Ab-
schrift för die gerichtliche Verhandlung selbst überreicht worden sein.
Nachweislich wurden manche gerichtliche Reden nicht bloß in
dem betreffenden Gerichtshofe gehalten, sondern hinterdrein heraus-
gegeben; und solche herausgegebenen Reden sind wohl nur auf unsere
Zeit gekommen. Mochte die Absicht sein, über einen interessanten
oder politisch wichtigen Prozeß allgemeinere Kunde zu verbreiten oder
den Ruhm ausgezeichneter logographischer Kunst zu gewinnen, jeden-
falls mußten die beweisenden Urkunden an der Stelle eingeschaltet zu
lesen sein, wo sie die Richter gehört hatten. Und ahmte Isokrates
in seiner „Ttecn dvriSöaBcjg^' die Form gerichtlicher Rede nach, und
waren, wie manche Gelehrte annehmen, Aischines und Demosthenes
Reden ^bqI nuoaitQEffßeiag ediert, ohne für einen wirklichen Prozeß
bestimmt gewesen zu sein, so mußten natürlich die Dokumente, auf
die sich die Beweisführung stützte, in ihnen vollständig mit aufge-
nommen sein.
So erscheinen die Urkunden, Zeugnisse, Volksbeschlüsse u. s. w.
als notwendige Teile der Rede, wenn sie für weitere Verbreitung ver-
viellSltigt vnirde. Wollte man auch annehmen, daß sich vielleicht eine
oder die andere Rede ohne weitere Edition im Besitz des Privat-
mannes, der sie gesprochen, und seiner Familie erhalten und später
Droysen, Kl. Schriften I. 7
98 Demosthenes
den Weg in die alexandrinischen Sammlungen gefanden habe, so würde
man doch auch da voraussetzen dürfen, daß sich die Dokumente in
ihnen eingeschaltet Torgefunden. Doch scheint unser Vorrat von Ge-
richtsreden, wie schon erwähnt, nur aus edierten zu bestehen, und wie
viele abschriftlich verbreitet gewesen sein müssen, lehrt ein Blick in
Aristoteles Rhetorik.
Hieraus, glaube ich, ergiebt sich, daß, wenn sich in einigen Reden
noch jetzt die Aktenstücke sämtlich oder teilweise vorfinden, dieselben
ebenso, wie sie der Verf. eingeschaltet, überliefert, keineswegs erst in
späterer Zeit von gelehrten Editoren aus Archiven und Urkunden-
sammlungen eingeschaltet sind. In Demosthenes Reden gegen Lakritos,
gegen Makartatos, in denen sich die sämtlichen Dokumente vorfinden,
handelt es sich um ganz private Verhältnisse, und es ist in keiner
Weise denkbar, daß sich die dort angeführten Contracte und Zeugen-
aussagen bis zu der Zeit der gelehrten Bearbeiter in den öfientlichen
Registraturen erhalten oder in den Urkundensammlungen des Philo-
choros, Krateros u. s. w. eine Stelle gefunden haben sollten.
Ist dagegen in den meisten Reden von den Urkunden nichts als
die Überschriften geblieben, so lassen sich mancherlei Möglichkeiten
denken, wie das gekommen. Namentlich dürfte sich der Umstand
[540] anführen lassen, daß das Studium der attischen Redner bald
überwiegend im Interesse der Rhetorik und der attischen Diktion be-
trieben wurde, woraus sich denn die Auslassung jener Beilagen von
nur sachlichem Interesse gar wohl erklären ließe.
Von den erhaltenen Urkunden aller anderen Reden unterscheiden
sich die in der demosthenischen Rede imio KrrjaKp&vrog auf höchst
auffallende Weise. In keiner anderen Rede findet man Dokumente,
die das Faktum, welches sie bewahrheiten sollen, entweder gar nicht
berühren, oder ganz anders darstellen, als nicht bloß die sonstigen
tTberlieferungen, sondern die nächststehenden Worte des Redners er-
warten lassen — in keiner anderen Zeugenaussagen, in denen sich die
Zeugen nur mit Hinzufügung des Vaternamens nennen, — in keiner
anderen so mannigfache Abweichungen von den bekannten Formen des
attischen Staates und dem offiziellen Sprachgebrauch. Dazu kommt,
daß von den etwa fünfzig Namen von Zeugen, Gesandten, Rednern,
Beamten u. s. w., die in den verschiedenen Urkunden genannt und zum
Teil mit den Namen des Vaters und des Demos näher bezeichnet
werden, uns aus anderen tTberlieferungen her so gut wie keiner be-
kannt ist, obschon sich der Katalog der aus Demosthenes Zeit bekannten
attischen Personen auf nahe an 2000 Namen beläuft, Namen, die
Die Urkunden der Kranzrede 99
natürlich zum größten Teil die der reicheren und bedeutenderen Leute
jener Zeit sind. Endlich werden in den eingeschalteten Volksbeschlüssen
zur Bezeichnung des Jahres Archonten angeführt, die entschieden falsch
sind; weder in Inschriften, noch in SchriftsteUem (vielleicht eine Stelle
ausgenommen) finden sich sonst diese Pseudeponymen, und unsere
Rede bietet deren etwa zehn dar.
Der letzte Umstand ist es besonders, der zu mehrfachen Unter-
suchungen Anlaß gegeben hat. Das große historische Interesse der
Urkunden schien es besonders wünschenswert zu machen, daß ihre
Echtheit, die bei solchen Übelständen allerdings großen Verdacht gegen
sich hatte, erwiesen würde.
Was von früheren Gelehrten, namentlich von Palmerius, Corsini,
Taylor versucht worden, können wir übergehen, da in den letzten
zwanzig Jahren mit größerer Schärfe und Umsicht, als früher, das Für
und Wider durchgesprochen ist.
Zuerst machte Hr. Schömann die Möglichkeit geltend, daß die
Namen dieser Pseudeponymi vielleicht substituierte Archonten bezeich-
neten, wenn' etwa durch Krankheit oder Tod oder durch Absetzung
des Eponymos ein anderer an seine Stelle erlost werden mußte {de
ccmüiis S. 145).
Sodann versuchte Hr. Spengel in seiner trefflichen Abhandlung
„über die sogenannten Pseudeponymi in Demosthenes Rede für den
Ktesiphon« (im Bhemischen Museum II 3, 182« S. 366—404) nach-
zuweisen, daß die Volksbeschlüsse von dem Redner selbst in die Rede
aufgenonunen seien, aber ohne Angabe des Datums und der Archonten,
und daß diese erst in späterer Zeit irgend ein Unkundiger beigefügt
[541] habe. Letzteres zu bestätigen, teilt er eine Reihe feiner Beob-
achtungen über die vorkommenden Namen und Zahlen mit, in denen
sich allerdings die armselige Phantasie des Verfälschers zu verraten
schien. Eine genauere Untersuchung über den Inhalt der Decrete und
die Berücksichtigung der sonstigen Urkunden in unserer Rede ver-
mied er.
Einige Zeit darauf erschien Hm. Böckhs meisterhafte Abband-
lund ds archonübus Ättids pseudeponymis (Abhandlungen der Berl. Akad.
1827, ediert 1830 kl. Sehr. IV S. 266 ff). Festhaltend an der Echtheit der
Dokumente, glaubte er aus einer Verwirrung in den Archiven nach-
weisen zu können, wie die Archontennamen durch Mißverständnis ent-
standen und Decrete, die auf ganz andere Verhältnisse bezüglich, in
Ermangelung anderer eingeschaltet worden, außer Zusammenhang mit
den Worten des Redners seien. Er nimmt an, daß in dem Archive
die Akten eines Jahres in Fächer verteilt bei einander gelegen und
7»
100 Demosthenes
alle diese Fächer als geineinscliaftliclie Etikette den Namen des Archon
gehabt hätten, so daß in den einzelnen Dokumenten der Archon ten-
name weggelassen und nur die speciellere Datierung mit dem Namen
des Piytanienschreibers darin aufgenommen worden sei; im Laufe der
Zeit hätten sich dann jene Etiketten verloren, und von den Sammlern
seien die Namen der Prytanienschreiber irrtümlich statt derer der
Archonten angenommen. Man kann nicht leugnen, daß diese Hypo-
these, die Hr. Böckh mit der ihn auszeichnenden Eleganz durchgeführt
und zur Lösung auch der historischen Schwierigkeiten ausgebeutet hat>
mit überraschender Einfachheit die ganze Frage löst, und es scheint
diese Ansicht die allgemein herrschende geworden zu sein. Hr. Wi-
niewskj hat dieselbe im Epilogus seiner commmiaini in Demostkenis
orationem de Corona (1829) in einigen Punkten weiter verfolgt, und
Hr. Westermann, in Sachen des Demosthenes eine Autorität, hat
für sie und ihre Konsequenzen neue Bestätigungen geltend gemacht
(Zeitschr. für die Altertumsw. 1837 Nr. 36).
Einer Erörterung im entgegengesetzten Sinne unterzog diese Ur-
kunden Hr. Brückner in seiner fleißig gearbeiteten Schrift „König
Philipp und die hellenischen Staaten 1837". Die Untersuchung wendet
sich namentlich auf den geschichtlichen Inhalt der Dokumente, und
Hr. Brückner glaubt wenigstens bei mehreren in ihrem unhistorischen
Inhalt den sicheren Beweis der Unechtheit gefunden zu haben; bei
anderen, wo sich derartige Widersprüche nicht zeigen, wagt er keinen
Zweifel geltend zu machen; gegen Böckhs Annahme erklärt er sich
mit einigen allerdings wesentlichen Gründen. Es ist zu bedauern, daß
Hr. Brückner den eingeschlagenen Weg nicht weiter verfolgt hat, er
würde zu klarerem Resultate gekommen sein, und jenes „Schwanken
im Urteil, das nur Ergebnis eines dunkeln Gefühls, nicht das eines
eindringlichen Forschens und deutlichen Erkennens ist" (Zeitschr. für
die Altertumsw. 1837 S. 301) vermieden haben.
Der letzte Herausgeber der Rede für Ktesiphon hat sich mit so
entschiedener Vorliebe auf die vernachlässigte Erläuterung demosthe-
nischer Kunst gewandt, daß darüber die sonstigen Schwierigkeiten
[542] fast zu sehr in den Hintergrund getreten sind; Dissen schwankt
zwischen der Billigung jener Hypothese und den von Hrn. Brückner
angeregten Zweifeln; und von den Beurteilem seiner Ausgabe in Jahns
Jahrbüchern und in den Münchener Gelehrten Anzeigen ist die eine
und die andere Ansicht in Anspruch genommen, ohne daß wesentlich
Neues zur Begründung beigebracht wäre.
Jedenfalls wird man zugestehen müssen, daß die vorliegenden
Urkunden verdächtig erscheinen. Von den vier möglichen Fällen, daß
Die Urkunden der Kranzrede 101
sie entweder die von dem Redner selbst eingelegten Aktenstücke sind —
oder ein späterer Gelehrter sie aus Archiven, Urkuadensammlungen
oder dergleichen eingeschaltet hat — oder daß sie untergeschoben
sind — oder daß sie aus alten von dem Redner selbst beigefugten
Stücken und späteren ungehörigen Zusätzen bestehen — , von diesen
Tier Möglichkeiten können wir die erste sofort ausscheiden, da die
Worte des Redners mehrfach mit dem Inhalte der Urkunden in Wider-
spruch sind und die falschen Datierungen unmöglich von Demosthenes
Hand herrühren können. Auch gegen die letzte Möglichkeit wird sich
der Inhalt der meisten Dokumente geltend machen lassen. So bleibt
denn nur die Wahl zwischen der gänzlichen Unechtheit und jener
Annahme späterer und, wenigstens muß man hinzufügen, ungeschickter
und gedankenloser Einschaltung.
Gegen die Unechtheit — denn wir müssen einige allgemeine
Punkte vorweg besprechen — macht man geltend, daß der Fälscher
gewiß besser den Worten des Redners entsprechend untergeschoben
haben würde, daß die angezweifelten Stücke „zu reich an Specialitäten
sind, zu sehr das Gepräge der Originalität" tragen. Aber sind eben
diese Specialitäten im Widerspruch mit den sonst dokumentierten
Ereignissen, so wird man sich berufen können auf die Briefe des
Demosthenes, Aischines, Piaton und anderer, die ebenso voll höchst
detaillierter Nachrichten und nichtsdestoweniger erlogen sind. Das
geringe Geschick aber, das der Fälscher bewährt hat, wäre allerdings
noch am meisten geeignet, seine Ehrlichkeit zu retten.
Nur erheben sich gegen die andere Möglichkeit, die einer späteren
Einfügung durch einen Gelehrten, nicht kleinere Schwierigkeiten. Wir
glaubten annehmen zu müssen, daß ursprünglich jede Rede mit ihren
Aktenstücken ediert worden. Waren diese im Laufe der Zeit verloren
gegangen, so wollen wir die Möglichkeit einräumen, daß sich Gesetze,
Psephismen, Briefe des Philippos, Amphiktyonenbeschlüsse aus öffent-
lichen Archiven oder Urkundensammlungen ergänzen ließen; aber
Zeugenaussagen wurden gewiß doch nicht über Jahrhunderte hinaus
aufbewahrt, und deren finden wir zwei in unserer Rede. Wir nehmen
gern an, daß der Gelehrte fehlgreifen konnte, wenn er aus einer großen
Menge von Urkunden die von dem Redner gemeinten herauszusuchen
hatte; aber er konnte dort unmöglich Briefe und Beschlüsse vorfinden,
welche ganz etwas Anderes enthalten, als die für dieselben Verhält-
nisse wirklich geschriebenen nachweislich enthielten, und deren finden
sich ein Paar unter den vorliegenden. Nehmen wir jene hypothetische
Verwirrung in dem Archive oder der dorther stammenden Urkunden-
sammlnng an, so muß es ein seltsam ungelehrter [543] Gelehrter
102 Demoethenes
gewesen sein, der bei so großer Bemühung, die zu Demosthenes Worten
passenden Aktenstücke zu finden, so arge Fehlgriffe machen, der die
Namen der Prytanienschreiber als Archontennamen aufführen konnte,
während ihm der Katalog der Eponymen bei einiger Kenntnis gegen-
wärtig oder leicht zugänglich sein mußte. Endlich aber scheint jene
ganze Hypothese, so fein ersonnen und durchgeführt sie ist, gegen alle
Glaublichkeit zu streiten. Sie setzt voraus, daß die in öffentlichen
Archiven niedergelegten Decrete nicht ausdrücklich den Namen des
Archonten enthielten, der ja in dem Gesamttitel für die mehreren
Fächer desselben Jahres gestanden habe; sie beruft sich auf die ähn-
liche Weise mancher auf Steinen und in Reden erhaltenen Decrete.
Aber man muß geltend machen, daß Inschriften so gut wie die in
Reden vorkommenden Beschlüsse eben Kopien sind, während es auf
keine Weise denkbar ist, daß der wirklichen Urkunde die wesentliche
Genauigkeit einer durchaus vollständigen Datierung gefehlt haben
sollte. Unzweifelhaft wurden in die Archive des Metroons die Original-
urkunden deponiert, und mag es immerhin zur Erleichterung der
Registratur jene Fachüberschriften gegeben haben (obschon diese chrono-
logische Anordnung eines fortwährend zu benutzenden Staatsarchivs
nicht eben sehr wahrscheinlich ist), jedenfalls mußten die einzelnen
Aktenstücke vollständigst datiert sein, wenn man nicht in jedem Augen-
blick die heilloseste Verwirrung riskieren und jede Kontrole unmöglich
machen wollte. Die oft mißverstandene Genialität der Athener schloß
keineswegs eine sehr genaue Buchführung und die vorsichtigste Sorg-
falt in jeder Art von Geschäftlichkeit aus. Ich glaube behaupten zu
dürfen, daß die xQ^^oi ein wesentlicher Teil jedes Aktenstückes waren;
und wenn Aischines {xaru KniGKpGivro^ § 24) sagt: dvüyvtD&i knl
xivoq äQXOVTog xai noiov iii]v6q xal hv rivi ijfiiQ^ xccl iv %oi^
kxxhjtJi'a kxet()OTOV7j&7j Jijjj^oiTß-ivijg (vgl. nspl napanQ, § 91), so
wird das gewiß ebenso, wie es verlesen wird, in der Urkunde gestanden
haben, und nicht etwa der Name des Archon aus der Fachüberschrift
entnommen gewesen sein.
Dies sind die Einwände, die sich vorläufig und im allgemeinen
gegen die Hypothese Böckhs aufstellen lassen; Einwände, welche zu-
nächst nur dazu dienen sollen, das entschiedene Vorurteil für dieselbe
ein wenig zu beschränken und eine unbefangene Würdigung der Akten-
stücke möglich zu machen.
Wir werden dieselben einzeln durchnehmen müssen, da sich ja
doch möglicher Weise, wie in anderen Reden einzelne echte Urkunden
erhalten haben und außer ihnen einige erdichtete eingeschalten sein
konnten. Die Reihenfolge, die Urkunden zu besprechen, ist gleich-
Die Urkunden der Kranzrede lOB
gültig und kann sich nach der Bequemlichkeit der Untersuchung
richten.
II. Aischines Klageschrift und Ktesiphons Antrag.
Die Klageschrift des Aischines (§ 54) hat allen Schein der Echt-
heit für sich ; sie nennt keinen pseudeponymen Archen, sie stimmt mit
den Worten des EedDers überein, und die kleinen sachlichen Schwierig-
[544] keiten, die sie darbietet, können eher zur Vervollständigung
unserer Kenntnis, als zur Begründung wesentlicher Zweifel zu dienen
seheinen. Nach den Anfangsworten der y^aipi) reichte Aischines die-
selbe ein kill XaiQcivöov äQXovrog, 'Ekcccprjßoh&vog ^xry iarayiivov.
Chairondas ist der Archen von OL 110 3, dem Jahre der Schlacht
von Chaironeia; der sechste Elaphebolien entspricht nach Idelers Be-
rechnung des Metonischen Cj^klus dem 26. März 337.
Ktesiphons Antrag dagegen (§ 119) erscheint schon durch [545]
seine Datierung ungleich unzuverlässiger; knl äQxovxog Ev&vxUovg,
Ilvavsyjt&vog hvccrri äniövroq q)v'kf]g TtQvrccvevovaijg Olvtjiäog Krr]-
{Titp&v ABaxjO-ivovg 'dvatplvariog^ eine. Man könnte in der falschen
Stellung des äQ/ovrog (es mußte nach officiellem Gebrauch kn' Ev&v-
xUovg ägxovTog heißen) einen Beweis finden, wie ein nicht hinreichend
Unterrichteter den Kamen des Prytanienschreibers irrig für den des
Archonten nahm und eine fehlerhafte Ergänzung machte. Sei denn
Euthykles Schreiber der dritten Prytanie im Jahre des Chairondas
gewesen, so würde nach Ausweis dieser Datierung Ktesiphon seinen
Antrag am 17. Oktober 338 eingebracht haben, während die Schlacht
von Chaironeia am siebenten Metageitnion (Plutarch. Camill. 19), das
heißt am 4. August, geliefert war.
Man stellt sich den Zusammenhang nun so vor. Demosthenes
war bei seinem patriotischen Eifer für den Krieg gegen Phüippos auf
das Jahr des Chairondas zum reixonoiog und zugleich zum Vorstand
der Theorikenkasse ernannt und gab zu den in beiden Ämtern ihm
anvertrauten Geldern Bedeutendes von dem Seinigen, besonders als es
gleich nach der unglücklichen Schlacht darauf ankam, die Stadt schnell
in Verteidigungsstand zu setzen. Aber sobald der Friede vermittelt
war, begannen seine Gegner ihn auf alle Weise anzufeinden, und um
eine Äußerung der Volksgunst für ihn zu gewinnen, beantragte Kte-
siphon, Demosthenes auf den nächsten großen Dionysien zu kränzen;
dem aber trat Aischines mit seiner Klage itaQavöiiiov wenige Tage
' Ich übergehe es für jetzt, über die zwei Ktesiphon, die Harpokration
unterschieden wissen will, und über Leosthenes, den angeblichen Vater des
nnserigen, zu sprechen.
104 Demosthenes
vor den Dionysien entgegen, und die Sache blieb bis zur gerichtlichen
Entscheidung, das heißt bis zum Herbst 330 suspendiert, wo denn
allerdings gegen den Kläger entschieden worden.
Ktesiphons Antrag ist in folgender Art motiviert: ^;r6/^/; AripLoa-
\7evrjg .... y^vö^Bvo^ knifjLBkrjTijg tTj^ t&v reix^ov hniaxtvflq xal
n^ogavakaxiag elg tu iqya and rz/tj ISia^i oiaicc^ rata räkavTCC
ineS(ox6 ravra rcj) S/jfi(p xal int rov ß'ecoQixov xaratTra&sii^
kniS(oxB Tofvj äx naa&v r&v (fvXCHv ^ewüixoTg ixarov fiväg slg ü^vaiagy
SsSöz&ai X r L Mehrfache Äusserungen des Aisohines bestätigen,
daß jener um die Zeit, wo Ktesiphon diesen Antrag machte, beide
Amter gehabt habe. Aber Aischines belehrt uns genauer über die
Fassung des Antrages § 236: ijSicjg S' av iycoyt ivavriov vfjL&v äva-
XoyKTaiuTjv nQog t6v yQÜipavra rb tpijtpiafia^ Stä noiag svsQyefTtag
ä^toi AtJiioaO-ivijv <TT%(pav&Gai' el fiiv yccQ Xiyeig, Ö&ev rijv ÜQxh'^
Tov 'ipi^fpifTfiarog knotrjaa}, ort rag racpQOvg rag negl rä rtixv
xaXög iraffoBvaBj d-av/na^o) aov. Also Ktesiphons Antrag muß mit
Erwähnung von Gräben, die Demosthenes habe ausführen lassen, be-
gonnen haben; aus dem gleich folgenden: ov yuQ n%Qtxa(}ax(bGavTa
XQV rä TBixv ovSi rag Sr]fio(Tiag ratpäg ävMvra rov ÖQÜög
nanokiTev(aevov SQ}()eäg alraiVj ersieht man, daß um dieser Schanz-
gräben willen selbst die öffentlichen Gräber nicht geschont wurden.
Dasselbe freilich mit der Färbung der entgegengesetzten Parteiansicht
bezeichnet Lykurg, wenn er die Stimmung und das Treiben in der
Stadt nach der Botschaft der Niederlage schildert {xarä AecjxQcirovg
§ 44) xairoi xar ixtivovg tovg ;^(jdvoi;*j ovx icmv ijrig ijXix/a ov
na()i(rxBTO iavrijv elg rtjv rfjg nökecog (TCi)Tt]Qtav, Öre ij fjtkv /dgce
rä öivSQU (TVveßciXkBTO, ol Si TBTBlavTtjxÖTBg rag {hi)xagy oi
cW veo) rä ÖnXa' inefjLBkovvro ycsQ oi fjiiv rTjg rtöv reixiSiv xuraffxsvfjg,
ol Si rfjg T&v raq)QcoVj ol Sh TT^g x€CQax(t)GB(og, Auch Demosthenes
bezieht sich auf diese Gräben an mehreren Stellen, besonders § 248:
^arä T7jv fiaxh^ ai&ifg 6 Sf] lULog . . ., ijvix ovS' äyvcopiov^aai ti
&avfjLa(TTÖv Jjv TOvg noXXovg nQog ^jue, nQ&xov fiiv na()i morriQtag
Tf]g nöXacjg rag ifiag yvcöfiiag Ix^'i^orövat, xal ndvd-' 8(Ta rfjg (pvla-
xTjg 'ivaxa hngarraro^ ij Siara^tg rcov (fvlaxmv, cd Ta(p()Oi, rä elg
rä rai/f] XQfJfJ^ccTa^ Siä rßv ifjLÖv yj^j^iafiarcov iyiyvaro' 'inaid^ algoxh
fjiavog aircjvtjv kx ndvrcov ifii äxaiQorövrjrrav 6 StjfjLog. Demosthenes
[546] fügt hinzu, wie sich nachher (jAarä xadra) die Gegner ein
Geschäft daraus gemacht hätten, ihn auf alle mögliche Weise anzu-
greifen {yQaq)äg, avtHvag, algayyaX/ag, ndvra xavr inayövrmv fiot),
so daß er rovg nQcirovg xQÖvovg xarä zi/V ijiniQav ixä(TT7]v vor
Gericht gestanden habe.
Die Urkunden der Rranzrede 105
Man hat diesen Ausdruck rov^^ itQrorovq j^pdi^ov^ so verstanden,
als heiBe es die erste Zeit nach der Schlacht von Chaironeia; aber
dagegen spricht nicht bloß das obige, ^trcc rr/v fia^hv sv&vg sei alles
nach seinen Antragen geordnet worden, und dann erst {fjLera ravTa)
systematische Anfeindung der Gegner gefolgt; wir finden in den frei-
lich entstellten Angaben des Aischines noch weitere Bestätigung. Nach
der Nachricht von der Schlacht, sagt Aischines § 159, tqujqi] itQoq-
Xaßav vficüv xal rovq ''EXX7}vctq ijQyvQoXöyrjcTB' xccrccyovaijq Sh avrdv
eig rijv Ttöhv rijg ängoqdoxrjrov aoorrjQiag rovg fiiv TtQcorovg
XQOVOvq vnÖTQOfiog J]v ävO-gconog, xal naQiMv ijfjLi&vjjg ini rö
ßr^ficc elQT]voq:vka/ vfiäg avrdv kxiXavs x^^QOtovbiv vfieig Si xarä
fUv Tovg TiQOfTOvg XQ^'^^ovg ovS* kni ra ipi^tpiafiar eläTS ro Arjfioa-
&6vovg kniyQÜ(pBiv Örofia, dkkä NavaixXu rovro TugogeraTTsre.
Hieraus ergiebt sich, daß Demosthenes gleich nach der Schlacht noch
mit seinen eigenen Psephismen die Befestigungsarbeiten so gut wie
die Aussendung zu den hellenischen Staaten (das betreffende Psephisma
wurde in Deinarchos Rede 1. c. verlesen) veranlaßte, und erst nachdem
der Friede geschlossen war, mag er jenen vielfachen Anfeindungen
ausgesetzt gewesen sein (vgl. Aischin. § 227). Jedenfalls aber wurde
gleich damals dem Demosthenes ein Zeichen allgemeiner Achtung:
[vTiiQ Krria, § 285) ;if6ipoTO«/(öi/ yä{) 6 Sfjfxog xbv kQovvr kni rotg
TeTakevT7]xö(ri nap' aircä rä (TVfißävra ov ai kxBiQorövrjasv, sagt
Demosthenes gegen Aischines .... ovSi AijfjLäSrjv, aQxi nenotrjxÖTa
Tfjv dQTiV7]v X X A. (vgl. Aischiu. § 152 irölfijjaev rotg Sganiraig
7tO(Tiv ävaßäg iitl rov rüfpov r&v rsXBvrrjiTävTOJV kyxco/jiiä^Biv rijv
ixBivcav doerijv). Es ist damit die regelmäßige Totenfeier gemeint,
die zum Gedächtnis der Gefallenen jährlich am bestimmten Tage {illo
die Cic. Orat. c. 44) im Kerameikos gehalten wurde (vgl. Isoer. ne^l
tlQTlv^vig § 88). Diese Feier aber fällt gewiß nicht zusammen mit dem
Trauerfest der Genesien am fünften Boedromion (Bekker Anecd. S. 86),
wie Weber in seiner treflFlichen Abhandlung „über Perikles [547] Stand-
rede" S. 19 vermutet; Thukydides (II 34 und 47) bezeichnet das
Datum dieser Feier mit den Worten hv reo xsifi&vt und zwar hat er
kurz vorher (c. 31) das cp&ivönco^ov rov d-igovg erwähnt (dies reicht
vom 21. September bis 5. November, nach Ideler Handbuch der Chrono-
logie I S. 252), darauf eine andere Begebenheit rov &iQovg rovrov
Ttkivrß^vrog, dann rov imyiyvofjiivov xaifjLCJvog einen Vorfall in Akar-
nanien und dann erst kv rw airip ;^6£jU<öy/ die Leichenfeier im Kera-
meikos; eine spätere Begebenheit dieses Winters erwähnt er nicht.
Diese Notizen und die Vergleichung mit anderen Leichenfeiern, nament-
lich der für die im lamischen Kriege Gefallenen (s. meine Geschichte
106 Demosthenes
des Hellenism. I S. 74 11^ 1 S. 59) lehren, daß die Feier im Kerameikos
notwendiger Weise nach dem angeblichen Datum des Ete^iphontischen
Antrags, nach der Mitte Oktobers ist Ja, wir werden sie wohl in
den tiefen Winter hinab rücken dürfen und halten wir die Zeit-
bestimmung jnuQ uhxä rä avfAßüvra und ägri 7te7ioif]xÖTU rijv
bI()1]vi]v auch nicht für allzustreng, so ist es doch immerhin wahr-
scheinlich, daß geraume Zeit zwischen der Schlacht von Chaironeia
und dem Friedensabschlusse verging.
Wir können somit als die vorzüglichsten Vorfalle in dieser
Zwischenzeit etwa folgende bezeichnen. Gleich nach der Schlacht war
man in Athen eifrigst bedacht auf weiteren Widerstand. Hyperides
machte sein berühmtes Decret, den Sklaven die Freiheit, den Einge-
sessenen das Bürgerrecht zu geben (Lykurg, xarä Abcoxq. § 37 Longin.
Tiegl iyj. XV 10). Man erwartete einen Angriff der Makedonier auf
Attika, eine Belagerung der Stadt Man flüchtete alles bewegliche
Gut vom Lande herein; man ordnete die Wachtposten, man warf
Schanzgräben auf, baute Fallisadierungen, stellte in möglichster Eile
die Mauern her. Darauf wurde Demosthenes zum (nrdvijg gewählt,
offenbar um bei der erwarteten Belagerung die Zufuhr für die Tausende,
die sich in die Stadt zusammendrängten, zu besorgen. Indeß muß
sich der Eifer der Bürger allmählich abgekühlt haben; Demades, der
bei Chaironeia gefangen war, kam mit Friedensanträgen vom Philippos
(Diod. XVI 87 Demades frg. vtibq Scoäex. § 9), die Friedenspartei setzte
es durch, daß nicht Charidemos, sondern Phokion zum I'eldherm er-
wählt wurde; endlich kam der Friede zum Abschluß, vermutlich
Anfangs Oktober.
Noch haben wir ein paar Bestimmungen nachzuholen. Aischines
äußert § 159 ov ri^v üitb (rrgaroniSov fiövov rü^iv ähmv, ci^ci;
xal Tiiv bc rT/g nökeayi; (vielleicht älku xcci äitiSQu kx rT^g nökBCjg
vgl. § 253) TQn'iQt] TTQoglaßcjv vfi&v, xccl T0vg"£Xk7jvccq iiQyvQo}.6yt](TB»
Näher bezeichnet dies Dinarch {xarä Atifioad', § 80) ünikvcci (pfjal
tä %pii(fi(Tiia (des Demosthenes) rug'-ijQijfiivag TtQBfrßeiag, inBiÖi) ))xovaB
fiBvä rijv fiüxiiv . . . ^iXiTtnov Big ri/v x(ö()av iifi&v fiiXkBiv BlgßäkkBiVy
avTÖg iavTov itQBtrßBVTtiV xaraaxBvüaag^ W hc tTjg nöXBOjg AnO'
ÖQCchjf (TvtTXBvatTÜfABvog T//b* SioiX)j(rB(og dxrd) rdXavra ovSkv (pQov-
ritrag rT/g tötb nuQOvmjg d7io()tccg, Ijvty ol ülXot ndvxBg kx r&v
ISicov kTiBÖidotrav Big rt/v vfiBziQav fTcoT7]oiav. Wir wissen Genaueres
darüber aus Lykurgs Rede § 42, wenn er sagt: das Volk, das [548]
sonst von Sparta, dem Peloponnes, von den Griechen in Asien zu
Hilfe gerufen wurde, ot^ro^' kÖBiro r&v ^| '!AvSqov xa\ Kico xal
TQOt^fjvog xal 'EniSaigov imxovgiav avrfo fiBTaTiifi^ipacTifai, Das
Die Urkunden der Kranzrede 107
eben ist die Gesandtschaft, die damals Demosthenes unternahm, wahr-
scheinlich nicht bloß nach diesen beispielsweise genannten Orten hin.
Hs forderte die damalige Lage des Staates die aufopferndste Hingebung
aller, und so steuerte denn jeder nach seinem Vermögen bei, ja, zu-
letzt gab auch Aristonikos das Geld, welches er sich bei Freunden
gesammelt hatte, um sich aus der Atimie zu lösen; das Land gab
seine Bäume, die Toten ihre Gräber, die Tempel ihre geweihten Waffen
hin; von den Bürgern sorgten die einen für die Zurüstung der Mauer,
andere für die Anlegung der Gräben, andere für den Bau der Palli-
saden. Und die Leitung aller dieser Maßregeln war bei Demosthenes:
ndvd^ S(Ta rfjq (pvhjcxfiq ^vaxa kTtQÜTTero, sagt er: ?; Siära^ig tGv
fpvXuxC^j ai räcpQOij rä slg tu Tstxfj j^oij/xcfrc^ ätä r&v ifjL&v xfJtjcpKT-
luirtav iyiyvero. Demosthenes hatte die Sendung zu den Inseln bean-
tragt, die Aischines mit dem Ausdruck ij^yvQoXöyrjdB bezeichnet;
wahrscheinlich forderte Demosthenes, um Geld zum Mauerbau zu
schaffen, außer dem äQyvQoXoyuv auch die Epidosis, die freiwillige
Beisteuer, und er selbst gab sehr reichlich, wovon gleich ein Mehreres.
Die gewöhnliche Annahme ist nun, daß eben in dieser Zeit De-
mosthenes TSixoTioiög gewesen und bei der Gelegenheit die Epidosis
gegeben habe, die jedenfalls von Ktesiphon als Grund der Kränzung
mit angeführt worden. Auffallend schon ist, daß Demosthenes § 248
hervorhebt, daß er zum (Tir(&v7]g, nicht aber daß er auch zum rsixo-
^oiög gewählt worden, und doch will er in jener Stelle eben die
Zeichen der Volksgunst auffahren; man könnte sagen, er wurde nicht
erst nach der Schlacht, sondern in den regelmäßigen Archairesien
gewählt Aber femer: Demosthenes hatte zum Mauerbau, als reixo-
Tioidq des pandionischen Stammes, fast zehn Talente hx rfig öioixtjcreaygj
aus der Staatskasse erhalten (Aisch. § 31), ohne Frage war jede der
zehn Phylen auf gleiche Weise zum Bauen mit Geld versehen; es ist
unwahrscheinlich, daß der Staat damals an 100 Talente für den Bau
der Mauer aufbringen konnte. Doch übergehen wir diese und ähn-
liche Probabilitäten, um sofort den entscheidenden Punkt herauszu-
stellen.
Aischines spricht von Demosthenes Mauerbau folgendermaßen (§ 27):
ial yäg XaiQCJvSov äg^ovroq Oapyrjki&vog firjvdg äevTSQ^ (p&i-
vovxog ixxkrjfficcg ovarjg ÜyQayjs yjijtpiafAcc Jrjfioa&ivrjg äyopäv noifjaai
T&v (fvijöiv ^xiQOtpooicüvog SsvriQ^ iarafjiivov xccl TQirrjj xai äne-
Tcc^sv hv TM "kpfitpiafjtccTi ixücry röv (pvXGtv iXi(T&ai tovg knifieXi]-
ffOfUvovg Töiv ÜQyav ßnl rä Tet/rjJ xal rafiiccg x. t. X. Aus diesem
Zeugnisse des Aischines ergiebt sich, daß Demosthenes, weit entfernt,
gleich nach der Schlacht reixonoiög gewesen zu sein, zehn Monate
108 Demosthenes
später (16. Juni 337) den Antrag machte, in den nächsten Tagen
(19. und 20. Juni) dergleichen in den Versammlungen der Phylen zu
wählen. Und doch ist auf seinen Vorschlag gleich nach der Schlacht
an den Mauern und Gräben [549] gebaut worden! Jenes Zeugnis hat
man auf alle Weise zu übersei tigen gesucht, da es allein dem hypo-
thesierten Zusammenhang der Verhältnisse zu widersprechen schien,
namentlich hat man emendieren wollen 7iq6 XaiQcjvSov äg/ovrog,
gegen allen officiellen Gebrauch, dem sich jene Stelle mit ihrer genau
berechnenden Datierung anschließen muß. Wir werden finden, daß
sich alles vereint, um die vollkommen feststehende Lesart gegen alle
Emendation zu sichern.
Als festen Punkt wollen- wir einmal die Angabe des Aischines
nehmen, daß am Ende von Ol. 110 3 auf Demosthenes Antrag aus
jeder der zehn Phylen einer gewählt ist, den Bau der Mauern zu
leiten; denn was gleich nach der Schlacht geschehen war, konnte nur
tumultuarisch sein. Und gerade dies wird uns auf die überraschendste
Weise durch eine Inschrift bestätigt, welche zuerst von Hm. Franz im
BiiUetino deff instituto di corrispondenza archeologica per fanno 1835
S. 79 herausgegeben, von Hm. Müller in der Göttinger Societät, von
Hm. Meineke in der Berliner Akademie in besonderen Vorträgen er-
läutert ist; aus Hm. Müllers Untersuchung finden sich einige sehr
schätzbare Notizen in den Gott. Gel. Anz. 1836 Stück 53 flF. Diese
Inschrift^ enthält die Bruchstücke eines Volksbeschlusses, daß die
Mauem der Stadt, des Peiraieus, die langen Mauern zu einer durch-
gehenden Reparatur sollen verdungen werden, und zwar soll 6 ä^x*'
TBXTcov 6 xBXBtpoTOvrjfABvog vno rov 8/jfiov den ganzen Bau in zehn
Teile zerlegen und an die Bauunternehmer vermieten {oi ina&m<Ta-
fiBvoi)] diese sollen dann im Rat der Fünfhundert in Eid genommen
werden, daß sie alles nach weiter unten angegebenen Bestimmungen
anfertigen und zu festgesetzter Zeit (wie aus dem Späteren erhellt, in
fünf Jahren) fertig sein wollen; dann heißt es weiter, es sollte nach
Vollendung des Werks eine Berechnung der geleisteten Arbeit aufge-
stellt werden knl rov tbixovq xal Big t6 fiiiTQtpov ngog rov Sfjfiov,
und es soll dabei aufgezeichnet werden, ag äv BlgBviyxmaiv oi Aqx^-
TBXTovBg, Den zweiten Teil der Inschrift bildet die Reihe von Be-
stimmungen über die Anfertigung des Baues; vom und gegen Ende
desselben findet Hr. Müller Gräben, Pallisaden u. s. w. erwähnt. Der
dritte beginnt mit den Worten xarä tüSb fiBfiicrdcarai rä iQyaafxiva,
» [Jetzt C. I. A. II 1 Nr. 167 S. 70 ff. vgl. add, S. 411. Ea muß heut-
zutage als fest£>tehend angesehen werden, daß die Inschrift in das Ende des
Jahrhunderts gehört].
Die Urkunden der Kranzrede 109
und noch sind zwei Bruchstücke von den zehn verschiedenen Ver-
dingongen vorhanden. Für unseren Zweck ist besonders wichtig Zeile 37:
Ol ncnkfixal xai ö ini ry Sioixi)au ^AßQ. . . ovqiov, ovrcAi/g, was
Hr. Müller vollkommen überzeugend hergestellt hat: jißQcav AvxovQyov
BovzaSijq. Bekanntlich hat Lykurgos drei Pentaeteriden hindurch der
Siotxf](Ttg vorgestanden in der Art, daß er zwar selbst das ganze Rech-
nungswesen leitete, aber immer einen seiner Freunde den Namen dazu
hergeben ließ {rcHv (pihov äniyQayjäfjievög nva), den vorher das Volk
auf seine Veranlassung zum Schatzmeister der Verwaltung gewählt
hatte (Müller in 6. G. A. 1836 S. 523). Diese drei Finanzperioden
sind nach Böckhs trefflicher Untersuchung entweder von Ol. 110 3
bis OL 113 3 oder von Ol. 109 3 bis Ol. 112 3, und ich glaube,
man muß dieser letzten Bestimmung [550] den Vorzug gebend
Nach Ausweis unserer Inschrift hätte dann mit OL 110 3, dem Jahre
des Chairondas, sein Sohn Habron die Stellung als 6 knl rfj SioixtjaBi
übernommen, und unter seiner Verwaltung wäre somit der Vorschlag
des Demosthenes vom Ende des Jahres Chairondas zur Ausführung
gekommen. Den Ruhm dieser großen Maßregel nimmt allerdings
Demosthenes für sich in Anspruch: (§ 299) rov Si reixKTfJi^ov tovtov,
bv av fiov SiifTVQe^j xal t)}v TcctpQsiav ä^ia fdv ^ä^i^og xal inaivov
xQivG} X T X, Ol) Xi&oig iretXiCFcc rijv nöhv oväi nXlv&oig kyd) ovS*
ijtl rovxoig fieyitTtov r&v kfiavrov (pQov& x r X. Dies kann
sich nicht bloß auf die extemporisierten Maßregeln gleich nach der
Schlacht beziehen, die so bald eine weitere Reparatur der Befestigungen
nötig machten; es hat nur Sinn, wenn es Angesichts der großen, fertig
^ Diese Frage ist in nenester Zeit mehrfach besprochen worden. Für die
Ansicht, daß seine Verwaltung erst Ol. 110 3 angefiangen) wird besonders an-
geführt, daß nach dem Decret hinter Plutarchs X Oratt., sowie nach der oft
citierten Stelle des Hjperides bei Apsines Lykurgos jax&eig ini ifj dioixr/asi
den Bau des Theaters, der Scbifiwerften u. s. w. besorgte, alle diese Dinge aber
nach Aischines (xaiä Kitja. § 23) bis zum Gesetze des Hegemon unter dem
Theorikenyerwalter standen. Es genügt dagegen anzuführen, daß als Lykurgos
diobcji<ng nicht bloß die erste, sondern alle drei Pentaeteriden gerechnet wurden,
in denen er entweder selbst oder durch andere die Verwaltung leitete, wie dies
aus den ausdrücklichen Worten des Decretes erhellt. Das Gesetz des Hegemon
ist, nachdem Demosthenes die Theorikenkasse verwaltete, und vor dem Prozeß
gegen Ktesiphon, also zwischen Ol. 111 1 und Ol. 112 3 gegeben; und jene
Zweige des Staatshaushaltes werden wohl in der zweiten Pentaeteris an die
dtounjag zurückgefallen sein. Übrigens wird man von Aischines Ausdruck wohl
Bedeutendes subtrahieren und annehmen müssen, daß die Theorikenkasse nur
hier und da einmal alle oder die meisten der dort angeführten Dinge in sich
vereinigt hatte; Demosthenes würde, wenn er in diesem Amte, noch vor Hege-
mons Gesetz, so Bedeutendes zu verwalten gehabt hätte, uns nicht geschenkt
haben, seine Verdienste aus seinem eigenen Munde zu vernehmen.
110 Demosthenes
dastehenden Neubauten gesagt ist; und eben dies ist ein Beweis mehr,
daß des Lykurgos Verwaltung von Ol. 109 3 zu datieren ist; denn
hätte Lykurgos dies Amt, erst 110 3 beginnend bis Ol. 111 3 ver-
waltet, und wäre ihm dann erst sein Sohn Habron gefolgt, so könnt«
das erst in fünf Jahren zu beendende Werk nun OL 112 3, wo der
Prozeß verhandelt wurde, nicht so fertig dastehen, wie es Demosthenes
Worte bezeichnen. Gegen unsere Annahme, daß Demosthenes An-
trag derselbe sei, dem jenes große Unternehmen gefolgt ist, könnte
man die aus der Inschrift hervorgehende Bestimmung über den Archi-
tekten und die ebenso genannten Unteniehmer, durche welche ja doch
die Ernennung der Epistaten in den zehn Phylen überflüssig werde,
geltend machen. Aber wenn eben das gesamte Unternehmen in zehn
Abschnitte geteilt wird, so ergiebt sich daraus, daß es eine Beziehung
zu den zehn Phylen haben muß, und oflFenbar ist auf den Wetteifer
der Stamme gerechnet worden, welcher der Pracht und Tüchtigkeit
der Ausführung nur forderlich sein konnte. So werden denn aus der
Staatskasse an die Pandionis (und [551] gewiß ebenso an jeden
anderen Stänun) fAixgoi) SeTv Skxa rälavTa, natürlich für jedes Jahr
verteilt, und in jeder einzelnen Phyle wird ein knifisXijTfjg r&v igyoyv
knl xä T61XV und ein rccfiiag erwählt («V ^ nökig i^xy vnevOuva
(Tcifiara, nag' wv 'ifxeXXB rcDv ävT]XG)fiip(ov Xöyov änoX^xpead-ai Aischin.
§ 27). Andererseits ernennt das Volk einen Bauverstandigen zur Lei-
tung der Gesamtuntemehmung und verdingt jede der zehn Baustrecken
an ebenso viele Entrepreneurs, deren Verantwortlichkeit sich natürlich
nicht auf die Geldsachen, sondern nur auf die Contractmässigkeit dos
Baues bezieht.
So, glaube ich, haben wir mit Bestimmtheit eine doppelte Thätig-
keit des Demosthenes für den Mauerbau zu unterscheiden, die eine in
jener tumultuarischen Zeit gleich nach der Schlacht, die andere wäh-
rend des großen Baues, wo er seine Phyle repräsentierte. Wären sie
nicht unterschieden, sondern Böckhs Emendation richtig, nach der im
Skirophorion vor Chairondas der Mauerbau beschlossen und das, was
nach der Schlacht geschah, nur dessen Fortsetzung sein würde, so
hätte Demosthenes rov reixic^fiov rovxov xal ri/v xatpQdav nicht erst
§ 299 erwähnt, sondern unter den Vorbereitungen zum Kriege von
Chaironeia.
Hier können wir ein zweites Decret besprechen, das sich leider
nur in fehlerhafter Abschrift erhalten hat; es ist ein Ehrendecret des
"^ ""^mochares für seinen Oheim Demosthenes, lange nach dessen Tode
gemacJrtyiund enthält die wichtigsten Punkte aus dem öffentlichen
Leben des^roßen Eedners. Es heißt dort: xccl elg xijv xetxoTtoitav
Die Urkunden der Kranzrede 111
dvälaxTB ;^€£()OTOVi7«9'6Jg V7i6 xov Si^fiov inidövrog avrov rgicc rdXavta
xal uq iniS(oxa Svo rdtpQovg n^Ql xov ütigaiä ratpQBvaag xal fierä
TTiP kv XatQcavBi^ IJ^^x^lv kniScDxe rdXavTOv xal slg rtjv airmviav
iniSmu iv ry aitoSsi^ rüXavrov. An der Echtheit dieses Decretes
zu zweifeln ist kein Grand vorhanden, wohl aber gelten die Worte
foi Yerderbt, so daß schon mannigfache Yersnche durch Auslassung
oder Yeranderung zu heilen gemacht sind. Jedenfalls lassen sich
nach den bereits gemachten Bemerkungen hier die beiden Bestim-
mongen fiBzä t)jv (läxfjv und elg rrjv nixonoiiav x^^Qotovtj&bIq vtiö
Tov S^fAov deutlich unterscheiden; wir finden die ratpgoi und die
mxtavia erwähnt, die unmittelbar der Schlacht folgte; und irre ich
nicht, so enthält diese Stelle auch die zweimaligen Bauten und die
Ton Demosthenes gemachten Zuschüsse erwähnt. Aischines (§ 17)
sagt: Xi^Bi yuQ ovrog' xBixonoi6g elfii' d/jLoXoycH' AXX knidiSmxa xfj
nöXei fjLvßg ixarov xal rö ^Qyov fisi^ov i^si^yaorai. So konnte
Ton jenem Eilbau gleich nach der Schlacht nicht geredet werden.
Leider aber finden wir in Demochares Beeret nicht die hundert Minen,
sondern drei Talente, und es ist doch kaum glaublich, daß Aischines
in jener Stelle das von Demosthenes Aufgewendete zu gering sollte
angegeben haben, ohne daß sich eine Entgegnung in dessen Rede
fände, man müßte denn annehmen wollen, daß Aischines in nachträg-
licher Überarbeitung aus. 3 Talenten P/g zu machen für gut befunden
habe, was doch sehr unwahrscheinlich ist, da auch [552] hundert
Minen immer noch eine anständige Epidosis sind. Wir haben oben die
Worte des Aischines gegen Ktesiphon (§ 236) angeführt: d fikv yuQ
liytig^ .... '6x1 xäg xdtpQOvg xäg izbqI xä xeixv xaX&g ixäfpQSVtrs,
d-avfiä^G} aov ov yäg nBQixaQaxdxravxa XQh '^^ ^«'V^ or J^
xäg Sf]fAO(Tiag xatpäg äveXövxa xov dQ&&g TtanoXixsvfiivov Scagedg
alxuv. Wenn Aischines genau gesprochen, so kann mit dem SfifioGiag
x(€(päg nur das Feld des äusseren Kerameikos gemeint sein, während
in dem Decret zwei Gräben um den Peiraieus genannt werden; aber
ich glaube, Aischines hat übertreibend absichtlich ungenau gesprochen,
oder auch er hat sich persönlich gegen Demosthenes gewandt, was
durch die gesamte Anordnung des Baues notwendig war. Es kommt
folgendes dazu: in der großen Bauinschrift ist die ganze Arbeit in
zehn Teile geteilt, die ngtoxri fiaglg ist die sogenannte Nordmauer von
dem SiaxBiXi(Tfjia der Stadt bis zu einem Thore auf dem halben Wege
zum Peiraieus, der fünfte umfaßt die Südmauer vom Siaxeix^rficc im
Phaleros bis zum Eephissos, der sechste vom Kephissos .... das
weitere fehlt; aber man sieht, daß der zweite Teil die andere Hälfte
der Nordmauer bis zum Peiraieus, der dritte und vierte die Mauern
112 Demosthenes
der Hafenplätze und, da es in regelmäßiger Folge weiter gehen muß,
namentlich der dritte Teil den an die Nordmauer anstoßenden Peiraieus
enthalten haben muß. Wenn der Entrepreneur des ersten Teiles aus
Korydallos ist, so beweiset das nicht, daß jener Teil der Hippothoontis
zugefallen; finden wir dagegen, daß der Paianier Demosthenes zwei
Gräben in dem dritten Abschnitte des Baues, am Peiraieus, hinzu-
gefugte, so liegt die Vermutung nahe, daß eben die Pandionis, nach
der Ordnung der Phylen die dritte, jenen Teil bekommen habe, und
umgekehrt, daß Demosthenes Bau der Gräben um den Peiraieus eben
in die Zeit gehört, wo der Peiraieus die dritte Abteilung des Baues
gewesen. Mit diesen Dingen das Decret des Demochares in Über-
einstimmung zu bringen, giebt es zwei Wege; entweder man verändere
kniäövTog avrov Toia rälavra in kniSövroq ccirrov TXXXX, xah
&g iitiSoDXB Svo rätpQovg x r A., oder man schreibe kniSövrog avroi}
rgia rcikccvra, olg xai iniäfoxe dvo rä^Qovg tcsqI top üeiQcciä rcc-
cpQwaag, so daß also Aischines mit seinen hundert Minen nur die für
die Mauer selbst verwendeten, die beiden Gräben ungerechnet, bezeichnet
hätte. Dürfte man frei schalten, so würde man die ganze Stelle so
schreiben können: xul eig rijv xeixonoitccv ävakojas ;if6£(>oroi'T/i9'€J$
vTid Tov Sjjfiov hniSovxog avrov TÜ?<.avTOV xul olg ineScjxa Svo ra-
(pQOvg %EQi rbv übiquiü Ta(poev(Tag, xal fiarä tijv kv Xaiocavei^
fiäxfjv ßniScDxeJ rdlavra tqicc xal eig rijv .aixfDviav hniSfoxB iv ry
aiToSei^ rdXavTOv,
Befriedigen auch diese Änderungen keineswegs, so scheint [553]
doch jedenfalls sich als sicheres Resultat der bisherigen Untersuchung
folgendes herauszustellen: 1. gleich nach der Schlacht wurde in aller
Eile durch freiwillige Beiträge die Stadt in Verteidigungszustand ge-
setzt, und Demosthenes gab dazu nach Vermögen. 2. Mit dem nächst-
folgenden Jahre des Phrynichos begann der große ßeparaturbau der
Mauern, mag von Demosthenes das ganze Unternehmen oder nur die
Zuziehung der zehn Stämme veranlaßt worden sein, ein Unternehmen,
das deutlich zeigte, wie die Lenker Athens gar wohl an einen neuen
Krieg mit Makedonien dachten (s. Gesch. Alexanders d. Gr. S. 57 I* 1
S. 104). 3. Demosthenes war seit dem Sommer 337 bei eben diesem
Bau Verweser seitens der Pandionis, welche wahrscheinlich die Mauer
des Peiraieus herzustellen hatte; er verwendete dabei entweder drei
Talente oder 1 Talent 4000 Drachmen mit Einschluß der beiden
Gräben, die er machte. 4. In beiden Reden über den Kranz findet
sich keine Andeutung darüber, daß Ktesiphon in seinem Vorschlag
auch die vom Demosthenes als (nrtovijg gemachte Epidosis erwähnt
habe, und da derselbe mit dem rag rdfpQovg rag tibqI rä tb/xv
Die Urkunden der Kranzrede 113
xaX&g raip^evaag begann, so scheint darin auch von der gleichzeitigen
Epidosis für den ersten Mauerban nicht weiter gesprochen zu sein.
5. Das Decret des Etesiphon und somit auch die Klage des Aischines
muß nach dem Sommer 337 gemacht sein, und der Archen Chai-
rondas in der Klage ist nicht minder falsch, als der Euthjkles in
Ktesiphons Psephisma^
Daß aber das Decret der Kranzung nicht später, etwa da wirklich
Ton neuem Krieg mit Makedonien war oder drohte, zu setzen ist, lehrt
Aischines Angabe § 219 dcntjvix^fj yäq i] xarä rovSs rov xprjtpia'
liUToq [554] yQaq)riy fjv ovx vtiIq xi]q n6XB(oq äXX vniQ rfiq ngbq
!Aljk^avSQOv ivösi^ecig fu (pTjq dTtBveyxeiVj in <l}iXlnnov ^cUvrogy iiQtv
uäXk^uvSQOv eiq rtjv dQ^ijv xccracrrfjvai j d. h. vor dem Herbst 336,
so daß also beide Aktenstücke notwendiger Weise in das Jahr des
Phrynichos OL 110 4 gehören.
Der zweite Grund zur Kranzung des Demosthenes, der in dem
fraglichen Psephisma des Ktesiphon (§ 118) angeführt wird, lautet:
xal k^l Tov &ea)Qixoi) xccrccarcc&Sig iitiSooxB roig hc iiaa6iv . r&v
(fvX&v &^toQtxoig ixaröv fiväg Big &vaiag.
Zunächst müssen wir bemerken, daß Demosthenes Stellung bei
der Theorikenkasse wohl zu unterscheiden ist Ton seinem Amte als
aiT(&vfjg, zu dem er, nach Demochares Decret und seinen eigenen
Äußerungen (§ 248) nach der Schlacht von Chaironeia während der
atroSua erwählt wurde; eine Epidosis von einem Talent schützte iho
nicht gegen eine Anklage xXonfjg, in der er freigesprochen wurde,
wie in den X Oratt. S. 875 berichtet wird. Doch übergehen wir für
diese Untersuchung zunächst alle Zeugnisse späterer Jahrhunderte; in
den Rednern selbst finden wir nur eine und nicht einmal sichere
Spur dieses Prozesses in der Äußerung des Deinarchos {xccrä Jijfio<T&.
§ 80), avaxBvaadfiBVog r^g dtoixr^trscog öxro) raXavra x r X., wo
unter den bunt zusammengewirkten Lügen die Beziehung auf jene
xlonti verborgen zu sein scheint.
Die Theorikenvorsteher werden nach der Ansicht, welche der größte
Kenner des attischen Staatshaushaltes wahrscheinlich genannt hat, in
den großen Dionysien gewählt Traten sie um dieselbe Zeit oder kurz
^ Nach dem bekannten Richtereid ist es nicht erlaubt, ovo ngx«? aq^ai
xov avjov iy ta otvru ivtavx(^. Aber es galt der leixonoioc wohl nicht für eine
u^^, wie man ans Aischines Bemühen sieht, es zu beweisen. Die attische Ver-
fassung war in diesen Sachen ziemlich unklar; sie scheint Eommissarien über-
haupt nicht als a^;ifat anzusehen. Wäre das Entgegengesetzte bei dem aiKovrjg
nachzuweisen, so könnte auch das als Grund gelten gegen die Annahme, daß
Demosthenes vor dem Frühling 837 schon an der Theorikenkasse gewesen.
Droysen, El. Schriften I. 8
114 Demosthenes
darauf ihr Amt an, so war Demosthenes in dieser Stelle ein wenig
früher, als ihm der Bau für die Pandionis übertragen wurde. Doch
wenn man auch an dieser Bestimmung zu zweifeln vorzieht, jedenfalls
war Demosthenes in den Dionysien Ol. 110 4 (Frühling 336) noch
in beiden Amtern.
Wenn es nun in Ktesiphons Antrag, wie wir ihn lesen, heißt,
Demosthenes habe als Vorsteher der Theorikenkasse roig kx naa&v
T&v (pvX&v ß-BcoQixoTq ixarov fjiväg elg &v(riag als Epidosis gegeben,
so weiß man in der That nicht, was man mit den &6a}Qixoig anfangen
soll. Der gewöhnliche Gebrauch des Wortes würde hier das Neutrum
anzunehmen nötigen, aber damit läßt sich in keiner Weise die Präpo-
sition kx vereinigen, da das Theorikengeld ja nicht, wie Bremi zu
dieser Stelle meint, [555] eine Kollekte aus den einzelnen Phylen,
sondern vielmehr eine Auszahlung aus einer Staatskasse an dieselben
ist. Gegen alle Gewohnheit jenen Genitiv für ein Masculinum zu
nehmen, würde unsere Lexica mit einer sehr eigensinnigen Bedeutung
des Wortes bereichem; es ist nicht abzusehen, wie oi &e(aQixoi Leute,
die das &6(DQtx6v annehmen, bezeichnen soll. Nahe liegt es, &6a}Q0ig
zu lesen (und so hat unzweifelhaft aus unserem Decret selbst der Ver-
fasser der X Oratt. S. 846), aber es scheint damit nicht viel gewonnen.
Es müßten die Festgesandten in diesem Falle von der Theorikenkasse
ausgestattet worden sein, aber mir ist kein Fest bekannt, wo das der
Fall wäre; und wenn der Theorikenvorsteher eine natürlich populäre
Epidosis machen wollte, so müßte das Opfer (und für 60 Minen konnte
man schon eine Hekatombe schlachten) daheim zu verzehren sein;
jedoch ist mir kein inländisches Fest bekannt, auf welches die hier
nötigen Bestimmungen passen würden. Dennoch glaube ich, daß nicht
etwa ß-mxalg, statt dessen &BmQixoTq aus Verwirrung mit einem kurz
davor stehenden &acjQixov entstanden sein könnte, sondern in derselben
Bedeutung &6(OQoTg aus der Plutarchischen Stelle zu lesen ist. Dies
würde nichts Anstößiges haben, wenn sich nachweisen ließe, daß man
schon zu Demosthenes Zeit von dem decDQsTv (Ulpian zu Dem. vnk(}
Krtja, § 28: trrjfieimtrai Si Öri evQtaxtrai xal naQcc QovxvSiSrj xcct
kvrav&a rb ß-BtoQüv ävxl xov üeätr&ai) zu dem Gebrauche des d-eojQÖiS
statt &6ccTtjg fortgegangen wäre, was allerdings noch dem alten
tragischen Atticismus (Aischyl. Prom. 118 Choeph. 246) eigentümlich
war; wohl aber ist dieser Gebrauch in späterer Zeit nachzuweisen,
wofür es genüge, auf die Erklärer zu Ammonius und Hesych. v. &eG)Qot
zu verweisen, sowie auf die Bemerkung des Möris v. &e(0()o}j oi rä^
ß-vaiag dTiäyovreg elg xä xoivu iegä xcci xu uavxeia Idxxixoi' ßea-
xal ^ avv&vxai "E)Jki]veg,
Die Urkunden der Kranzi-ede
115
Nicht minder verdächtig als das bisherige ist, daß in Etesiphons
Beeret und Klageschrift die Worte, welche notwendiger Weise über-
einstimmen mußten, keineswegs gleich sind; wir schreiben beide zu
dem Ende neben einander:
aus dem 'ip^tpiafia
SeSöx^cci rf ßovXfj xccl rtp dijfAO)
T(p !A&7]vaia)v hnaiviaai ArifiotT'
&ivr]v Jf}fio(y&. üaiccviia &qb-
rfjg fivBxa xccl xaXoxäycc-
&tccg, fjg 'ix^v StareXBi iv nuvri
xaiQ(p elg t6v S^fiov röHv 'A&f]-
vaicjv, xccl arBtpav&Gcti XQ^^^p
(TTBq>üvq) xccl ävccyoQBveai röv
(Tzicpavov kv rtp ß-tccTQm Aio-
vvaiotg rgaycLiSoig xccivoTg.
aus der ygcccpri
{ßyQU^B yj'^(pi<Tficc) cbg äga Sei
<TTB(pav&aai JTjfjLoa&ivTjv . . .
ZQvtFM arecpävqf xccl ävayoQBdaai
kv rm i9'6aTQG) Aiovvaioig roig
fAeyüXoig tQuyqidoig xccivotg, Ort
artfpavoi 6 SfjfjLog J7]fA0(T&ivT]v
Afiiio<T&ivovg ücciaviia X(?^^<p
fTTBfpdvfa ÜQBTfig tvBxa xal bv-
voiccg, Jyij ix^'^ SiarBkBT sYg tb
rovg ^'EXXijvug änccvxccg xal
röv Sfjfiov T&v !A&fjvaiG)V xal
dvSpaya&iag, xal Siöri Sia-
xbXbi nQaTxtov [556] xal Ki-
ytav xä ßkXxiaxa xtp Srinw,
xal nQÖö-VfjLÖg kaxi itoiBiv,
8x1 äv Svvfjxai Aya&öv.
Daß die Worte der Elage die richtigeren sind, lehren die mannig-
fachen Äußerungen in beiden Reden. So führt Demosthenes, gleich
nachdem die Klage verlesen ist (§57 vgl. § 110) die Worte an:
noaxxovxa xal kiyovxa xä ßÜJXKTxd fiB xip Si^fiq) SiccxbXbTv xal tiqö-
i9vfiop Bivai noiBiv &xi &v Svvcofiai äya&ov xal knaivBiv inl
xovxoig (doch fehlen diese letzten Worte auch in der ygaff^ij). So
sagt Aischines § 49 „xcfJ xov xriQvxa ävayoQBVBiv kv x(p &BdxQm
TtQog xovg '^EXXrjvag 6xi axBcpavoi ccvxöv 6 S^fjiog 6 x&v [4&ijvai(ov
äoexfjg %VBxa xal AvSQayad-iag'^ xal xb iiiyiaxov „3re StaxBXBt Xiyayv
xal ngaxxoDV xä äQKTxa xm Srjfiq)^^; daß das auffallende npög xovg
''EXXfivag nicht bloß aus der Weise des Dionysischen Festes abgeleitet,
sondern aus dem wirklichen Antrag des Ktesiphon ist, scheint sich
aus Aischines Worten § 34, die der Lesung des Antrags unmittelbar
folgen, zu ergeben; auch diese fehlen freilich in der ygatpi]. Voll-
kommen übereinstimmend ist sie mit den bei Aischines § 101. 155.
237 angeführten Worten, einige Anspielungen bei ihm und Demosthenes
(z. B. 8(7rjv BÜvoiav ^/ö>v kycb SiaxBXß xf/ xb tiöXbi im Anfang der
Demosthenischen Rede) können wir übergehen. Jedenfalls ergiebt sich
mit der entschiedensten Gewißheit, daß Ktesiphons Antrag so, wie wir
8*
116 Demosthenes
ihn lesen, weder im Volk vorgelegt, noch von Aischines angegrifiFen
worden ist.
[561] Der Münohener Becensent der Dissenschen Ausgabe hat ge-
rade in diesen starken Abweichungen eine Bestätigung der Böckhschen
Hypothese, daß die Urkunden in dieser Rede später aus Archiven oder
Sammlungen eingelegt seien, zu finden geglaubt. Die Formel SbS6x-
&ai ry ßovXy xal tc5 Stjfiqi) tgJ !A&f]vaia)v lehre, meint er, daß das
vorliegende Decret das vom Volk angenommene und eben in der Form
sei, wie es nach dem für Demosthenes glücklichen Ausgang des Pro-
zesses aufbewahrt werden mußte, es sei dies nicht dasselbe, was an
jener Stelle der Rede wirklich vorgelesen worden; denn Demosthenes
selbst bezeichne jenes als Probuleuma des Senates (§119 & Si (pTjmv
7j ßovXi] SbTv ävrl tovtcov yevia&cci fwi . . .), das uns aufbewahrte
dagegen sei das nach der Beendigung des Prozesses vom Volk in ver-
änderter Gestalt angenommene Decret (ebenso Winiewsky S. 335).
Diese Vermutung scheint in jeder Weise unhaltbar. Wir wissen aus
hinreichenden Beispielen, daß dann etwa vor der Datierung oder vor
dem Krtjaicpöv elTte stehen müßte äSo^ev r^ ßovXy xal xm 8t)fi(pj
wodurch erst das Ganze die Form des Beschlusses erhielt. Femer ist
durchaus kein Grund zu solchen Veränderungen abzusehen, wie sie
das vorliegende Decret, wenn es echt wäre, beweisen würde; durch
Aischines Klage wurde das vom Rat und Volk angenommene Decret
suspendiert, d. h. es blieb zunächst nur ein Probuleuma; war im Prozeß
für Ktesiphon entschieden, so war ohne weiteres der schon beratene
und vom Volk angenommene Antrag gültig und bedurfte durchaus
keiner neuen Redaction oder Beratung. Femer, wozu sollten denn
auch solche Verändemngen dienen, wie schon im Anfange das Fort-
lassen der Gräben, oder wie weiterhin die Vertauschung der ävS^cc^
ya&ia mit xakox&yad'ia oder das Auslassen des kncciveiVf des Uymv
xal iiQÜTTOiv rä ßklriara T(p S/jfi(p, des nQÖ&vfiög hart noteiv
6x1 av Svvrjxat äyaß'öv u. s. w.? Und gerade bei diesem Psephisma
muß durch ein seltsames Spiel des Zufalls Demosthenes den Schreiber
auffordem: Xaßcjv ävdyvmd'i x6 'ip/j(pi(TfAa Ö)^ov x6 y^a<piv fioi. Wenn
aber Demosthenes Ausdmck ä tpijaiv ij ßovXij Setv ytvhe&ai (lot^
etwas zu bedeuten hat, so muß in dem wirklich verlesenen Antrag
etwas Derartiges {eSo^ev xy ßovXTj oder vielleicht besser [562] 5r(>o6-
ßovlBvcrev ij ßovXi} oder dergleichen) angedeutet gewesen sein.
Nach allen diesen Bemerkungen dürfte es nicht gewagt erscheinen,
über das vorliegende Psephisma des Ktesiphon ein Urteil zu sprechen.
Es fangt nicht mit den von Demosthenes gebauten Gräber an; es
hat nicht die Wendungen, die von Aischines und Demosthenes aus
Die Urkunden der Kranzrede 117
demselben citiert werden; es ist kein Probuleuma, als welches es ver-
lesen wird; es enthält in dem Worte ß-^oDQixoTq entweder etwas Un-
sinniges oder in der wahrscheinlicheren Form ßBcoQoTq ein Zeichen
späterer Gräcität, es führt einen Archonten an der Spitze, der falsch
ist Somit glaube ich das Psephisma des Ktesiphon für unter-
geschoben halten zu müssen.
Für die Klageschrift des Aischines haben wir im Vorher-
gehenden schon einige wesentliche Bestimmungen gewonnen, nament-
lich, daß der Archen Chairondas, mit dem sie beginnt, ein chrono-
logischer Schnitzer ist. Wir haben auch bereits gefanden, daß die
hier aus dem Ehrendecret citierten Sätze, wenn auch genauer als in
dem angeblichen Psephisma und mit den gleich folgenden Anführungen
in Demosthenes eigenen Worten übereinstimmender, doch keineswegs
Tollständig, wie wir sie aus den beiden Eeden kennen, wiederholt sind;
es fehlt xal inmveTv knl tovtoiq und TiQÖg rovg ''EXXrjvag.
Eine nicht geringe Schwierigkeit bietet femer die ganze einleitende
Formel dar: knl Xai()<6vSov äQXOvrog 'Ekatprjßoh&vog f^xry iara-
likvov Alaxivriq 'ArQoyn'iTOV Ko&(oxiSrjg än^^veyxe ngdg x6v ap-
Xovra naQavöficjv yQcctpijv xurä Krrjcrup&VTog rov Ae(oa&ivovg
IdvatpXvaxlov, Öri 'i/gaipe itaQÜvoyLOv ipi^(pi<Tfi(x cbg &qcc x t X,
Wie wenig wir auch über die Form der Klageschriften unterrichtet
sind, wahrscheinlich ist es wenigstens nicht, daß in der Klageschrift
zugleich protokolliert steht, daß sie überreicht wurde; und daß sie so,
durch die Zusätze des Schreibers für die öffentlich auszustellende Ab-
schrift verändert, hier vorgelesen wurde, wie im Attischen Prozeß
S. 607 vermutet wird, scheint besonders im Vergleich mit Aristoph.
Wespen 894 und mit Demosth. xarä JSxBcpdvov § 44 nicht recht
wahj^cheinlich.
Was aber mit dem unseligen ngog rdv äQxovra beginnen? Denn
nach der mehrfachen Angabe der alten Sammler (s. Schol. zu Aischin.
x€£tä TifiÜQx. § 16 und die sehr ähnlichen Notizen bei PoUux VIII 87
und andere) gehört die Klage 7tccQccv6fji(ov vor die Thesmotheten, [563]
und ganz so finden wir es in der Leptinea § 98, von deren Anakrisis
es heißt: & Si npog roTg id-eafjLo&eraig Heye] ingleichen in der zweiten
Bede xar 'dQiaroyeirovog § 8 Örav rtg ipTjtpifTfjLarog ^ vöfiov yQcc-
(pijv äneveyxrj ngbg rovg &eafjiO\feTag; ist diese Rede auch aus spä-
terer Zeit, so kann ihr Zeugnis, wenn es durch ein anderes kontrolliert
wird, doch wohl gebraucht werden. Daß aber die Klage 7tccQccvöfia)v
bei dem Archen angebracht wird, davon findet sich außer in unserer
Stelle keine Spur. In der vollkommenen Überzeugung von der Echt-
heit der vorliegenden Klageschrift hat man ihre Angabe mit der durch
118 Demosthenes
zwei Beispiele im Demosthenee und durch die gelehrte Überlieferung
garantierten Einrichtung in einer in der That höchst gewandten Ver-
mutung zu vereinigen gesucht. Es ist nämlich unzweifelhaft, daß die
neun Archonten zusammen mit den Namen der Thesmotheten bezeichnet
werden (s. Böckh zum Corp. Inscr. Gr. I S. 440); vor diese neun Thesmo-
theten, meint man, habe die Klage der Paranomie gehört, was denn
von den alten Gelehrten mißverstanden und auf die sechs Thesmo-
theten allein übertragen worden seL Indeß muß man sagen, daß
gerade unter dieser Voraussetzung der Eponymos eben nicht als Archen,
sondern als Thesmothet erscheinen müßte, und wenn im Attischen
Prozeß S. 41 vermutet ist, daß der Archen als Prytanis dieses ganzen
ThesmothetenkoUegiums erscheint, so konnte die officielle Bezeichnung
doch eben wieder nicht die in der vorliegenden Klage gebrauchte sein,
sondern es mußte notwendiger Weise so heißen, wie in den beiden
Demosthenischen Stellen, die wir angefahrt haben: dntjvsyxs nQÖg
Tovg &e(Tfio&irag. Nach einer anderen Vermutung (Attischer Prozeß
S. 41) wären die Paranomien nach Maßgabe ihres Inhaltes an die
einen oder anderen der neun Thesmotheten verteilt gewesen, so daß
also dem Basileus gesetzwidrige Vorschläge in heiligen Sachen, dem
Polemarchen in Militärsachen zugefallen wären, in unserem Fall der
Archen genannt wäre, weil derselbe die Leitung der großen Dionysien
hatte; aber wozu denn der gemeinsame Name, den die sonst in ihrer
amtlichen Wirksamkeit getrennten doch nur fahren können, wenn sie
ein CoUegium bilden, wo demnach die Scheidung ihrer amtlichen
Pflichten aufgehoben ist. Ganz unbrauchbar ist die Ansicht Bremis
(zu Dem. de cor. S. 40), die Klage nccQavöfMov wäre während des
letzten Jahres, wo der Vorschlagende noch die Verantwortlichkeit hatte,
bei dem Archen, nach dieser Zeit bei den sechs Thesmotheten anzu-
bringen gewesen; das Beispiel der zweiten Rede gegen Aristogeiton
und das Zeugnis der Grammatiker ist dagegen.
Es versteht sich, daß, wenn alles in der y^aq^rj unverdächtig und
in Ordnung wäre, die angeführte Schwierigkeit so hingenommen werden
müßte, aber im Verein mit anderen Unrichtigkeiten scheint sie mir
ein Grund mehr gegen die Echtheit der Klageschrift; und arg genug
ist doch der falsche, oder vielmehr der mit einem Anachronismus ge-
brauchte Archen und die nicht ausreichende Übereinstimmung mit
den Worten des authentischen Psephismas. Von den beiden in der
That sonderbaren Vorladungszeugen Krjcptaotp&v Ki]<piao(p(üVTog 'PccfA-
[564] vov(Ttog, KU(ov KU(ovog Ko&coxiSi^g wird später noch zu
sprechen sein; wenn wir sie sonst nirgends nachweisen können, so mag
sich wohl der sehr vornehme Aischines ein paar gemeine Leute zu
Die Urkunden der Kranzrede 119
Zeugen genommen haben! Auch von der wunderlichen Ellipse rga--
ymd&v ry xccivfj will ich nicht sprechen, da gegen diese Lesart der
besten Handschriften einige andere Bequemeres darbieten. Das urteil
gegen die Echtheit der Klageschrift glaube ich durch das oben
Gesagte hinreichend begründet.
[569] III. Das Dionysische Gesetz.
Aischines hatte in dem Antrage des Ktesiphon namentlich drei
Punkte als widerrechtlich bezeichnet , 1. daß er ein Deere t mit der
falschen Behauptung, Demosthenes habe sich als wackerer Bürger be-
währt^ in Vorschlag bringe gegen das Gesetz fAtjSivcc xpevSfj ygäfifucra
kyYQUfpHv kv Toig StjfjLoaiotg yjfj^i(T(jLcc<Ti (§ 50); 2. daß er den noch
in zwei Ämtern Stehenden zu kränzen vorschlage vn^QitriSijaaq rdv
vöfwv TOP n€Ql T&v imtvdvvcjv xeifAevov (§ 12); 3. daß er die Ver-
kündigung des Kranzes im Theater, in den großen Dionysien bei der
Aufführung neuer Tragödien verlange, gegen das Gesetz iäv fUv nvcc
OTBfpavoi i} ßovXt], hv Tö5 ßovXevrfjQiq) ävax7]QVTTB(T&cci, iäv öi 6
SfipLoqj hv xfi ixxXijaiaf äÜ.o&i Si fi7]SafjLov (§ 32). Aischines fügt
hinzu, die Gegner werden sich auf ein anderes Gesetz berufen {rdv
AtowiTiuxbv vöfAov) xcci /pijö-ovrai rov vöfiov fUQei rivi xkinrovreg
xiiv äxQÖaaiv vfi&v xui na^t^ovxai vöfiov ovSkv nQoarjXOVTa rfjS^
ry yQccfpf] (§ 35. 36). Gerade dies Gesetz können wir mit befrie-
digender Vollständigkeit aus Aischines Anführungen wieder herstellen.
Er s^, da jenes ältere Gesetz von den Kränzen des Bates und des
Volkes, nicht aber von denen der Fhylen, Demen und fremden Staaten
sprechend die Verkündigung im Theater verpönt habe, sei es üblich
geworden, solche Kränze von Phjleten, Demoten, fremden Staaten ohne
weiteres im Theater bei den großen Dionysien, wo Fremde von aller
Welt her zusammenströmten, zu verkündigen, wodurch denn natürlich
der Glanz solcher Verkündigung die vom Bat oder Volk im Buleuterion
oder in der Ekklesie verkündeten Ehren weit überstrahlte; auch Frei-
lassung von Sklaven habe man des allgemeinen Beifalles wegen im
Theater verkündet Darum sei das Dionysische Gesetz gegeben, um
die Feier von diesen lästigen und eitelen Weitläufigkeiten zu befreien
(§ 44); der Gesetzgeber habe es gemacht ntgl r&v ävev ifjfjtpitTficcrog
iliurigov (rTBg>avovfUvoi)v im6 r&v tpvXer&v xccl SrjfiOTöiiv xdi nepl
T&v Tovg olxttag äneX^v&BQOvvrmv xal ns()i r&v ^evix&v aTB(pdv(oVy
xal SiaQ^äfjv ünccyoQBVEi fii]T olxkrrjv dTielav&BQOvv kv reo
&eaT(>q} fifjO'' vno x&v tpvXBtöv ^ SrjfAor&v ävayoQBVBaß'ai
[570] (rretpavovfievov, fii]ä' in* äXkov, (pijtri, firjSevögj 7/ äri-
(10 v eivai rov xiiQvxa. Hierzu ergiebt sich eine weitere Bestimmung
1 20 Demosthcues
aus § 47 xai Siä rovro 7i^ogi&i]XBv 6 vofAoß-irij^ fAtj xt]QVTTe<T'
&ai rdv äXXÖTQiov Gxifpccvov hv T(d &6(iTQ(p, häv fii] xfjijtpi-
(TfjTcci 6 Sfjfiog iv ij nöktg rj ßovXofjtevTj rivä t&v ijfiBTSQCov arttpa"
vodv iiQBfTßsig Ttifiifjarra Sbtj&jj tov 8rifxov (vgl. § 48). Für unsere
Frage genügt es, in Demosthenes eigenen Worten {§ 121) nU}v kdv
Tivaq 6 Sfjfiog /} /; ßovkij 'if)i](piat]Tai' Tovrovg Si ävayoQeviro) Be-
stätigung für Aischines Anführung zu finden, um so mehr, da das
dvayoQevBTQj deutlich genug jenes ürifiov elvm rdv xijQvxa indiciert
Und nun der vö^ioq Jiovvataxögj wie wir ihn eingeschaltet in
Demosthenes Rede § 120 lesen: äaovg (mtpccvovcri rivsg t&v
ä^fKoVj xäq ävayoQBVGBiq r&v GTB(päv(ov noiBia&ai hv av-
ToTq ixüfTxovg TOig iStoig SrjiJLOig, käv fi7j rivag 6 8f]fjLog 6
T&v !A&r}vcct(ov tj rj ßovXij atetpavor rovrovg S' k^eivat äv
T(p &eäTOfü Atovvaioig ävayoQ^vBd&ai. Es macht keinen bedeu-
tenden Unterschied, daß der Cod. 2 i^etvai ea&ai liest, und aus
anderen Handschriften andere kleine Abweichungen bezeichnet werden;
es macht ebenso wenig einen wesentlichen Gewinn, wenn man nach
dem Vorschlag einiger Gelehrten statt des ganz albernen Gx^fpavoZ
etwa rfjfjtpiarjrai schreibt. Demosthenes selbst tobt in den gleich darauf
folgenden Worten gegen Aischines: äXX ovS' altrxvvt] vöfiov^
fjLeranoi&Vj r&v S* ätpcciQ&v fß^Qt], ovg Skovg Sixatov fjv ccvayiyvdaxBfT"
x^ai roTg ye dfjL(OfjLox6(Ti xatä rovg vöfAovg 'ifjTjtpieTad'cci. Aber ihn
selbst würde dieser Tadel nur noch starker treffen, wenn er das Gesetz
so, wie wir es lesen, hätte lesen lassen; denn es stimmt, so zu sagen,
nicht ein Wort mit den Anführungen bei Aischines, und daß diese
wörtlich sind, dafür bürgt sein fifj&* vii äXkov (pi]ai fifjSevög, Aber,
meint man, es ist nur so verstümmelt. Vielmehr das Dionysische
Gesetz hat neben den aus Aischines zu nehmenden Sätzen diese nicht
enthalten können, wie der Augenschein lehrt. Oder der Gelehrte
hat vielleicht ein anderes, als das hier gemeinte Gesetz aufgenommen.
Es ist ein schlimmes Ding, einem so gelehrten Forscher so dunmie
Verwirrungen aufzubürden. Wer sieht nicht, daß das vorliegende
Gesetz alle Miene macht, in den Zusammenhang zu passen, so sehr,
daß er selbst des Demosthenes Citat: [571] nlijv hdv rtvag 6 dijfiog
ij i) ßovltj \prj(pi<77]Tcct mißverstehend, als bezeichne das eine von
Rat oder Volk decretierte, nicht bloß erlaubte Kränzung, dafür sein
unverständiges hdv fjiij (rretpavoT setzt. Endlich wie soll man
glauben, daß in Athen geschrieben wurde r&v SijfjLOJV rtvig statt
SfjfjiOT&Vy und gar rdg ävayoQiva^ig itoma&ai hv avroTg ixdtrcovg
(sc. Sr'jfiovg) TOig ISiotg S/jfiotg, wo nicht einmal der rönog &nov S^T
TouTo y€vi(T&at, nämlich die äyoQu genannt ist.
Die Urkuuden der Kranzrede 121
So ergiebt sich wohl mit Sicherheit, daß das vorliegende Gesetz
weder der von Demosthenes und Aischines besprochene vöfiog Jiovv-
maxögj noch überhaupt ein altes und echtes Gesetz, sondern ein
untergeschobenes Machwerk ist.
IV. Aktenstücke für den Krieg von Ol. 110 2 und 3.
Wir befinden uns bei der Kritik dieser Urkunden über den Krieg
von Amphissa und Chaironeia mehr noch, wie bei anderen, in der
unangenehmen Verlegenheit, die historischen Facta, welche. uns das
sicherste Kriterium abgeben müssen, nur aus solchen Quellen schöpfen
zu können, deren Glaubwürdigkeit nichts weniger als unzweideutig ist.
Unsere Kenntnis jener höchst merkwürdigen Epoche beruht fast aus-
schließlich auf der Autorität der Kedner, welche das Factische nicht
ohne absichtliche Entstellung vortragen. Es tritt hier das sehr wesent-
liche Bedenken auf, daß, wenn die Aktenstücke mit den Angaben der
Bedner nicht stimmen, die Ansicht, als wenn sie zu deren Ausfallung
erdichtet wären, ungleich gewagter sei, als der gute Glaube an ihre
Echtheit, und sie scheinen zur Kontrolle der Redner, zum Beweise,
wie entstellt deren Angaben sind, zur Berichtigung und Erweiterung
der Geschichte um so mehr geeignet, um wie viel specieller und da-
durch zuverlässiger ihre Angaben sind und um wie viel weniger wir
Quellen oder Notizen nachzuweisen im stände sind, aus denen her der
Falsarius geschöpft haben könnte. Somit werden nur factische Absur-
ditäten, chronologische Unmöglichkeiten und ähnliche unabweisbare
Zeichen litterarischer Falschmünzerei uns zu einem dreisten Urteil
gegen diese Urkunden berechtigen können.
Wir müssen, um einen chronologisch festen Punkt zu gewinnen,
von dem Kriege Philipps gegen die Byzantier ausgehen, denen Beistand
zu leisten die Athener (wie Philochoros bei Dionys. ep. ad Ammaeum
I c. 11 [fr. 135 M.] sagt) ^/€/()ordi/»y<TCfv rijv pikv (rri^krjv xa&eXeTv Ti]v
TteQi rfjg ngög ^iXinnov elQijV'fjg axaß-Hdav^ vavg 8h nXriQOVv xal
rä äXka ive^yBiv rä rov nolifwv. Dionysios fahrt fort: rccvrcc
yoätpag xarä 0e6(ppa(TTOv ap/ot^ra ysyovivcci, tö5 fier ix^Tvov
kvicevxfo rä ifQccx^ivta (urä rtjv Xvmv rijtj elQtjVfjg inl AvatfiaxiSov
agxovTog SiB^igx^Tai' &7)(T(jo Si xal tovtcov ccirc&v rä ävayxcciörara.
AvartficcxiSrjg \4xcCQV^vg' knl rovrov rä fiiv l^oya rä TtBQc rovg
VBoogoiXOvg xal rijv axevo&i^xfjv äveßäXovro Siä rbv nöXsfjLOV rdv
7[()6g 0iXinnov rä 3h /p^Jjtiar i\pfj(pi(Tavro Tcüvr' slvcci arQctrKorixä
AfipLoax^-ipovg ygdrfjavrog x r L So ergiebt sich aus den Worten
[572] des durchaus zuverlässigen und der Zeit so nahe stehenden
Philochoros, daß der Krieg von Byzanz in Ol. 110 1 und 2 gehört.
122 DemoetheneB
Philippos mußte erkennen, daß er bei der lebhaften Unterstützung, die
Byzanz von Athen und anderen griechischen Staaten erhielt, seinen
Zweck nicht erreichen werde ; er gab deshalb die Belagerung von Byzanz
auf und wandte sich nordwärts gegen die an der unteren Donau
wohnenden Skythen.
Hier schließen sich nun die amphiktyonischen Angelegenheiten
an, die Aischines in dem xQiroq r&v xuiq&v (§ 106) berichtet; und
diesen rechnet er von jenem Tage an, r^s rjfUgccg heaivijQj hv y xara-^
hlfffug T7jv vndgxovaav BlQr'jvrjv rp nöXu 6 ccirög ovrog qi^tcjq
HyQayjB TÖv nökefiov (§ 55), das heißt also vom Jahre des Theophrastos
OL 110 1; es ist der Friede, der, im Frühling Ol. 108 2 geschlossen,
SiifieivBv inTasTf] xQ^'^ov (Dionys. HaL ep. ad Ammaeum I c. 1 1).
Aischines nun berichtet (§ 115 ff.), daß er ^nl Oeotp^äarov &q-
XovTog zum Pylagoros erwählt und mit den zwei anderen erwählten
Py lageren Athens gen Delphi gegangen sei. Dort hätten die von
Amphissa imonenrc^xÖTsg tötb xccl Seivc^g &BQaitBvovTBg rovg Orj-
ßaiovg auf fün&ig Talent Strafe gegen die Athener angetragen, weil
sie in der erneuten Weihung goldener Schilde mit der Inschrift 'd&tj-
vccioi äno MrjSoov xal QiißaioDv x r k allerdings das Qesetz, über
eine eidgenössische Stadt keine dauernden Trophäen zu errichten
{li&ivov fj xccheovv zQÖncciov Plut. quaest. Rom. 37 Cicero de
Inv. II 23), übertreten hatten. Hier muß zuerst ein Trugschluß des
Demosthenes zurückgewiesen werden; er meint (§ 150) ovx kvfjv ävBv
rot) nQogxuXiaaadai Srjnov rolg AoxQoig Sixtjv xurä tfjg TtölawQ
TBkiaua&cci' zig ovv ixli^TBV<7BV vfjiäg; And noiag &QX^^ x r X.
Die gleich folgende Exekution gegen die Lokrer vor Amphissa zeigt,
daß bei einer vor Augen liegenden Uebertretung amphiktyonischer
Gesetze dergleichen nicht nötig war; und die goldenen Siegesschilde
konnten und mußten als solche gelten. Daß aber zwischen Athen und
Theben damals nicht viel an einem offenbaren Kriege fehlte, lehrt
unter anderm die Besetzung von Megara durch Phokion (Plut. Phoc
15), die nicht in die von Dem. nBgl nagangBaß. § 326 besprochenen
Verhältnisse gehört, sondern später ist; siehe unten.
Jenem Antrage der Lokrer in der Amphiktyonenversammlung trat
Aischines entgegen; er wies darauf hin, wie die Amphissäer einen viel
ärgeren Frevel auf sich geladen hätten durch Beackerung und Be-
bauung des verfluchten Feldes, und, wie er selbst berichtet, er sprach
mit der größten Heftigkeit Als er hierauf abgetreten war {hnBiSf]
noTB än7]Xkay7]v xccl fiBTBavfjv hx rov (tvvbSqiov § 122), entstand groß
Geschrei und Getümmel unter den Amphiktyonen, und man sprach
bereits nicht mehr von den Schilden, die Athen geweiht, sondern schon
Die Urkunden der Kranzrede 123
von der BestrafTing der Amphissaer. Da es schon zu spät war, um
noch desselben Tages die Strafe auszuführen , beschied der Herold die
Delphier auf den folgenden Tag {fjxeiv äfia ry ijfdQ^) zur Opferstatte
und eben dahin die Pjlagoren und Hieromnemonen. Aber bei der
Exekution am folgenden Tage kamen die Lokrer [573] aus Amphissa
bewaffiiet daher und die heilige Expedition rettete sich nur mit
Muhe. Am folgenden Tage berief Eottyphos der Pharsalier, 6 räq
yvtSfuxQ hntrpr}(pi^(ov, eine sogenannte Ekklesie der Amphiktjonen, wo
denn beschlossen wurde, ^xuv rovg iBQOfAvrjfiovag tcqo rfjg hmovariq
'XvXaiccq kv prjTfp /prffw eig Uvkag, i^^ovrccg Söyfia xa&' 8t c Sixtjv
Sc^ovaiv Ol jifjLcpKTGBig X T L In Athen wurde das von Aischines
Gethane anfangs gut geheißen, doch brachte es Demosthenes zu einem
anderen Beschluß (Aischin. § 126), des Inhaltes, daß sich Athen jeder
Teilnahme an der außerordentlichen Versammlung in den Thermopylen
und der Ausführung der dort gefaßten Beschlüsse enthalten solle;
ebenso nahmen die Thebaner an derselben keinen Anteil. Dort nun
wurde ein Feldzug gegen die Lokrer beschlossen und Eottyphos zum
Feldherm erwählt: xal nccQBX&övreg rp ngcory GXQaxticc xal fidkcc
fUTQtcag ^/(>7)ö'ai^ro roTg 'AfitpiaaBüai, Es wurde ihnen eine Geld-
strafe auferlegt, die sie in bestimmter Frist {iv Qtjxm X9^^<p) ^^^ (^^tt
erlegen sollten, und die Vertreibung der Schuldigen von ihnen verlangt.
Dann fährt Aischines fort (§ 129) inetSij Sk ovre rä XQni^^"^^ i^iri-
vov Tc5 ß-B^j rovg r ivc^Big xavi^yayov odcl rovg ivaeßelg xarek-
d-dvrag 8iä r&v 'ApLfptTnvövcov k^ißaXoVy ovxmg yjSfj ttjv Sevri^av
argarBtav inoiyaccvro, nokkcp ;^(>rfi'ft) v(ttbqov x t X und zu diesem
wurde Philippos als Feldherr der Amphiktyonen berufen. Demosthenes
weicht in einigen 'Kleinigkeiten von Aischines Erzählung ab (§ 151);
allerdings sagt er, daß zuerst Eottyphos Feldherr war: t6 fiiv %q&tov
T&v !AfjL(pi7CTv6voi)v ^a/B axQariüv' (bg S' oi idv ovx fjXOov, oi S*
ik&övreg ovSkv knoiow^ Big rijv kmovaav Ilvkcctav kiti rov <t>i-
hnnov Bv&vg ijyBfAÖvcc Jjyov oi xaTB(TXBvcc(TfjLivoi nal ndhxi novtjQol
T&v QbxxuX&v xal r&v iv ralg äXXatg nöXstiiv. Da Demosthenes
die außerordentliche Versammlung nicht erwähnt, so giebt uns seine
Darstellung die wichtige Notiz, daß in der nach jener delphischen
nächstfolgenden regelmäßigen Versammlung in den Thermopylen
Philippos zum Feldherm der Amphiktyonen gewählt worden. Wir
wurden mit den Zeiten ganz im Elaren sein, wenn es nicht streitig
wäre, ob die Frühlings- oder Herbstversammlung in Delphi gehalten
worden. Eine Entscheidung geben die Zeitbestimmungen bei Aischines.
Unter dem Archen Theophrastos wurde er als Pylagoros gewählt; die
Annahme, daß Aischines etwa zu Ende des Jahres des Theophrastos
124 Demosthenee
gewählt und erst in der nächsten Herbstsitzung, das heißt im Boedro-
mion des Archonten Lysimachides, also mehr als drei Monate nach
seiner Ernennung in amtliche Wirksamkeit getreten sei, ist nicht bloß
gegen alle Wahrscheinlichkeit und gegen die demokratische Sitte, son-
dern es würde die Angabe bei Aischines gerade die Bezeichnung der
Zeit, um deren willen sie beigefugt ist, undeutlich machen. So muß
also Aischines, im Jahre des Theophrastos als Pylagoros gewählt, jene
delphische Versammlung entweder die vom Herbst 340 oder vom
Frühling 339 mitgemacht haben. Aischines giebt an, daß Eottjphos
zum Peldherm ernannt worden (also zur Zeit der außerordentlichen
Versammlung in den Thermopylen) [574] ovx kifiSfjfwvvrog iv Maxe-
Sovi^ (l^iXinnoVj ovS* hv tjj 'EXküSi na^övrog, dXX iv ^xvß-cci^
ovTü) fjLaxQov dnövToq. Es ist möglich, daß Aischines hier etwas
übertreibt, daß Philippos noch in Thrakien, vielleicht noch vor Byzanz
stand in der Zeit jener außerordentlichen Sitzung. Nach derselben
folgte die Expedition des Kottyphos, der Zahlungstermin für die Am-
phissäer, ihre Weigerung, die Frevler zu vertreiben, kurz, eine Reihe
von Begebenheiten, welche fuglich drei oder vier Monate gekostet
haben mögen. Die Wahl des Philippos endlich erfolgte in der nächst-
folgenden regelmäßigen Versammlung noXXm XQ^^ v^ttbqov knave-
Xfjlv&ÖTog 0tkt7inov kx r^g knl rovg JSxv&ag arQareiag, was, wie
sich von selbst versteht, immerhin heißen kann, daß Philippos viel
später aus dem skythischen Feldzug zurückgekommen ist Aus dieser
Zusammenstellung ergiebt sich, daß, da Aischines noch unter dem
Archon Theophrastos (Ol. 110 1) in jener delphischen Pylaia sprach,
und da zur Zeit der nächsten regelmäßigen Versammlung, also ein
halbes Jahr später, Philippos schon vom skythischen Feldzuge zurück-
gekehrt war, derselbe aber dem bis in den Anfang des Jahres des
Lysimachides (Ol. 110 2) währenden Kriege gegen Byzanz folgte, es
ergiebt sich, sage ich, daß die erste delphische Pylaia nur die Früh-
lingsversammlung im Jahre des Theophrastos (Frühling 339) gewesen
sein kann. Hieraus wird auch klar, warum man mit dem Beschloß
zum ersten Feldzuge nicht bis zur nächsten regelmäßigen Pylaia in
den Thermopylen wartete; ein Feldzug, im Herbste beschlossen, würde
sich wegen des nahen Winters ungebührlich lange verzogen haben.
Hiemach muß ich mich gegen die von dem hochverehrten Heraus-
geber des Corp. Inscr. Gr. I S. 808 geäußerte und von unserem Marburger
Freunde (Handbuch der griech. Staatsalterth. S. 39) angenommene
Ansicht, daß die herbstliche Versammlung nach Delphi gehöre, um so
mehr erklären, da nach Brückners einsichtiger Bemerkung (S. 235)
auch eine Notiz in Demosthenes Rede nsgl nccgang. auf ein ähnliches
Die Urkunden der Kranzrede 125
Resultat führte Und wenn Alexander gleich nach seiner Thron-
besteigung gen Hellas ausrückend die Amphiktjonen in den Thermo-
pylen versammelte (Gesch. Alex. S. 60 1* 1 S. 109. Diod. XVII 4), so
könnte das ein Beweis mehr sein, daß die Herbstversammlnngen eben
dort gehalten worden, wenn Alexander die Versammlung nicht erst
[575] berief, sondern noch beisammen fand; doch sein Regierungs-
antritt ist zweifelhaft; siehe unten.
Noch bleibt eine Schwierigkeit zu lösen. Die Herbstversanmilung
der Amphiktjonen heißt nach Strabo IX S. 420 fjLertanoQivi] nvkaia
und fallt in das fßsrönmQov, das heißt, in die Zeit zwischen dem
21. September und 5. November; und genau so finden wir einen
Amphiktyonenbeschluß in Athen publiciert OL 100 1 in der dritten
Prytanie, die in dem genannten Jahre etwa vom 21. September bis
zum 26. Oktober reicht (hierbei ist ein Irrtum von zwei Tagen mög-
lich). Im Oktober 339 also ist Philippos bereits von seinem skythischen
Eeldzuge zurück. Rechnen wir nun die kürzeste Zeit für diesen Feld-
zugf so fordern die Märsche von Byzanz bis in die Donaugegenden
und von da durch das Gebiet der Triballer nach Makedonien zurück,
die Kämpfe mit den Skythen und das Aufbringen von 20000 ge-
fangenen Weibern und Knaben, der Kampf mit den Triballem, die
den Durchzug weigern — alles das fordert gewiß eine Zeit von wenig-
stens zwei Monaten, so daß Philippos spätestens im Anfang des ersten
Monats des Jahres Lysimachides (Ol. 110 2) die Belagerung von Byzanz
aufgegeben haben muß. Aber da tritt uns die mächtige Autorität des
Philochoros entgegen, der von dem Jahre des Lysimachides berichtei:
iTti Tovtov TU fiiv 'iQya rä nsQi rohg vecago/xovg xai rrjv axBvo-
(fiixiiv dveßäkovTO 8iä xov nöXefjLov rov ngbq <J>ih,nnov rä Sk
XQ^V^^ h^titpiaavxo nuvx eivcci GTQcericjTixa. Liest man die Stelle
des Dionysios, wo diese Auszüge aus Philochoros stehen, so kann man
nur an den Krieg von Byzanz denken, denn er nennt dies eben rä
^ Nach Dionys. Hai. ep. ad Am. I c 10 ist die Bede n. n. drei Jahre
nach der betreffenden Gesandtschaft, unter dem Archen Pythodotos 373/2 ge-
schrieben. Wenn in dieser Rede noch nicht von der Expedition des Philippos
nach Ambrakia die Rede ist, welche in der Rede über Halonnesos § 32 be-
sprochen wird, und wenn diese Rede, wie unten zu erweisen ist, im Winter
des Pythodotos Ol. 109 2 (Anfang 842) gehalten wurde, so gehört die R tt. tt.
in die erste Hälfte von Ol. 109 2. Demosthenes spricht (§ 65) von seiner neuer-
lichen Anwesenheit in Delphi, und daß er als Pylagoros dort gewesen sagt
Aischines xuxä JTri^a'. § 114. Wenn man diese zwei Angaben kombinieren darf,
80 ist die R. n. n. zwischen dem Sommer 343 und dem Anfang von 342 ge-
schrieben. [In Betreff der Amphiktyonenversammlnngen hat Hyper. loy. tniTag>.
VII Aufschluß gebracht].
1 26 Demosthenes
npccx^ivra fierä rijv Xvaiv rfjg c/pt/viyi;, d. h, des Philokrateischen
Friedens. Dies scheint nun mit dem obigen Resultate, daß Päilippos
die Belagerung von Byzanz gleich mit dem Anfang von Ol. 110 2
aufgegeben habe, im vollsten Widerspruch. Und so ist es, wenn man
glaubt, daß mit Philippos Abzüge von Byzanz zugleich ein Frieden
geschlossen worden.
Daß damals ein Frieden geschlossen worden, sagt Diodor. XVI 77
ausdrücklich: Q>iXtnno^ xarccnXriyBiq ry (TvvSQOfifj r&v 'EiXi)v(ov ri/v
noXtOQxiccv r&v nöXecav 'iXv<7B xcci n{)d<; !/4&fjva(0vg xccl rovg äXXovi^
*'£lXrjvccg rovg ivavrtovfiivovg trvvi&BTO rijv BlQrjvtjv, Natürlich einem
ausdrücklichen Zeugnisse gegenüber ein so auffallendes Factum zu
leugnen, hat etwas höchst Bedenkliches; jedoch darf man zunächst
geltend machen, daß Ephoros Geschichtswerk, aus dem Diodor besonders
sein XVI. Buch geschöpft hat, gerade bei der Belagerung von Perin-
thos aufhörte; Diyllos, den er von dort an benutzte, hat zwar die
weitere Geschichte bis zum Tode des Philippos, wie es scheint, aus-
führlich genug behandelt; aber begnügt sich Diodoros, von jenem
ganzen Kriege, von der merkwürdigen Teilnahme hellenischer Staaten,
von jener Anstrengung und Kührigkeit der Athener auf Euboia und
im Hellespont, die der Hochherzigkeit früherer Zeiten würdig war, in
sechs Zeilen zu sprechen, so muß man ihn ja nicht für den großen
Geist halten, der mit [576] wenigen kraftigen Zügen den Kern der
Sache herausfindet, man muß vielmehr auf seiner Hut sein und ihm
nicht mehr glauben, als man sonst woher bestätigt findet.
[577] Und daß nun Philochoros von jenem Frieden entschieden
nichts weiß, ist ein höchst gewichtiges Zeugnis. Sodann findet sich
weder in Demosthenes, noch in Aischines Rede die leiseste Andeutung
von diesem Frieden, und Aischines hätte sie § 128 durchaus machen
müssen, wenn er zeigen wollte, daß der von ihm angeregte Beschluß
gegen die Lokrer nichts Gefährliches hatte, er hätte sagen müssen:
Philippos war nicht bloß weit hinweg bei den Skythen, sondern wir
und alle Hellenen hatten Frieden mit ihm, oder wir schlössen ihn
gleich darauf. Dagegen rechnet Aischines den dritten Abschnitt in
Demosthenes öffentlichem Leben von der Auflösung des Philokrateischen
Friedens bis zum Ende des Krieges von Chaironeia {tq/tov Si 6v
inokefioOfiev XQ^'^ov fxixQi tTj^ ärvxiccg Tf]g iv XaiQCJVBt^je § 55).
Überdies sind einige Äußerungen in Demosthenes Rede von der Art,
daß sie an einen Frieden zwischen der Belagerung von Byzanz und
dem Kriege von Chaironeia zu denken unmöglich machen. Diese Stellen
sind bereits von Brückner S. 382 angeführt. Nicht hierher gehört,
wenn Demosthenes sagt § 139, nachdem er von heimlichen Unter-
Die Urkunden der Kranzrede 127
handlungen des Aischines mit Philippos Emissären gesprochen: xal tö
jiiv 9i] ngo toi; itoXefAeiv cpccveQ&g (Tvvccyo!)vi^B<r&ai ^tkinncp
SBiv6v fxiv SÖTS 3' airtm tovto, !AIX knsiSij ^Sf] tpccvtg&q
TU nXoicc hdMvXfirOy Xs^pövrjaog knoQ&UTO, knl rriv 'drxixijv
InoQtvBß-^ äv&QG)i€og, oifxir iv äfi(pi(Tßi]Tf](Tifi(p rä ngccyiiara Jjv,
üsUC hf€(n^€i nölBfiog x t X. Es ist hier nicht die Rede von Phi-
lippos Heranrücken zom Amphiktyonenkriege, sondern von einer sonst
nicht erwähnten Diversion, die Philippos etwas früher gemacht haben
muß (s. u.). Desto unwiderleglicher sind Demosthenes Worte § 145
und 146. Er leitet den Amphiktyonenkrieg also ein: oix Jjv tov
nQog tffAßg noXkpLOv nipag ovS* dnaXXayi] <t>iXi7inq>j el fii]
('hißuiovg xal OerraXovg kxO-QOvg noirjtreie rrj nöX^r äXXä xaineQ
Ä&Xi&g xal xax&g x&v arzQaTfjy&v x&v vyLtrkQmv noXefjLOvv-
Ttov avT(p, Sficag vn* avrov tov noXifiov xal r&v Xtiar&v fjLVQta
änccaxt xaxA. So konnte doch durchaus nicht gesprochen werden,
wenn nach der Belagerung von Bjzanz ein Friede gemacht worden
war! Dann beschreibt Demosthenes den Kriegszustand weiter [578]
und fugt hinzu: l]v 8i oür' kv rf/ &aXdTT7j rörs xQtiTxaiv ifA&Vj
ovT slg TTjv 'Arrixijv hX&Hv Swarög, fjn^re 0BTtaX6>v äxoXov&ovv-
rojv ikrjTB Ofjßaicov Suevrcov avveßatvB S^ avrcp ra noXifjLq) xga-
rowTi rovg önoiovg dii7io&* vfjLSig k^enifjLTteTS axQarfjyovg — h&
yäg TOVTÖ ye — crvr^ xrj (pvGu roi) rönov xal r&v vitaQX^vrtov
ixcrtigoig xaxona&Biv. Und wem das noch nicht genug ist, der lese
den Bericht Plutarchs (Phokion c. 14), wie Phokion von den Byzan-
tinern in ihre belagerte Stadt aufgenommen worden, wie dann Philippos
mit Schimpf und Schanden abgezogen {h^inB(T% rov 'EXXrjfTnövrov xal
xctrB(pQOvr}&fi Sox&v äfAaxög tig elvai xal ävavTayc&vtarog), wie
Phokion einige Schiffe des Königs nahm, xal (pQovQovfiivag nöXeig
dviXaße xal noXXax^&i rfjg x<^Qceg ^^oßäaug noioifxevog knÖQ&ei
xal TcterkxQtXB fiiXQi^ ov TQavfjLara Xaßcbv vnb x&v nQogßoij&oivrmv
dninXsvas. Daß aber außer diesen glücklichen Unternehmungen noch
andere minder erfolgreiche seitens der athenischen Feldherren ausgeführt
wurden, lehren Demosthenes vorher angeführte Worte deutlich genug,
und daß dies nicht etwa den Chares bezeichnet, versteht sich nach
dem, was wir von Demosthenes Verhältnis zu ihm wissen, von selbst
(s. unter anderen Ulpian zu Dem. tisqI naqan, §332 S. 157 ed. Dobson).
Wie Diodor dazu gekommen, von jenem Frieden, der nicht ge-
schlossen worden, zu sprechen, dürfte nicht eben mit Sicherheit nach-
zuweisen sein: doch wollen wir uns eine Vermutung nicht versagen,
die vielleicht zur Lösung der Schwierigkeit beizutragen vermag. Frontin
erzahlt (Strat. 14, 13) cum Gherronesum, quae juris Atkeniensium erat,
1 28 Demo6thene8
oecupare prohiberetur, tenentibus transitwn tum Byxantiorum tanium, sed
Ehodiomm quoque et Chiorwm navibus, eoncüiavü animos earum red-
dendo navea quaa ceperat, quasi sequestres fuUuraa ordinandae pacis
inier se atque Byxantios, qui causa beüi erant; tractaque per magnum
tempus posttUatione , cu/m de industria subinde aliquid in condicionibus
reiexeret, classem per id tempus praeparavit, eaque in augustias freii
imparato hoste subito evasit. So unklar diese Erzählung ist, jedenMls
zeigt sie, daß im Laufe des byzantiner Krieges wirklich vielfach über
den Frieden unterhandelt worden ist, und es heißt der Gedankenlosig-
keit Diodors nicht zu viel aufbürden, wenn man annimmt, daß er der-
artiges mit dem plötzlichen Abmarsch des Philippos in ungehörige
Verbindung gebracht habe.
[579] Die einzelnen politischen Beziehungen dieser Zeit zu ver-
folgen, würde zu weit führen; nur so viel muß bemerkt werden, daß
dieselben keineswegs so schlicht und übersichtlich sind, als man nach
der herkömmlichen Darstellung erwarten sollte; und es ist zu bedauern,
daß Hr. Brückner in seinen sonst scharfsinnigen Untersuchungen
nicht auf diese Zusammenhänge und auf die kleinen anekdotenartigen
Notizen bei Polyainos, Frontin, Clemens von Alexandrien u. s. w.« welche
oft unerwartete Aufschlüsse darbieten, mehr Rücksicht genommen hat;
schon die Verhältnisse des Skjthenkönigs zu den Byzantinern (Clem.
AI. Strom. V 31), Istrianern (Justin. IX 2), Triballem (lYontin. II 4,
20) konnten wesentliche Berichtigungen über die politischen Zusammen-
hänge des Jahres 339 geben.
Also ohne daß die Belagerung von Byzanz und der Krieg mit
Athen durch einen Frieden beendet worden, machte Philippos in den
ersten drei Monaten des Jahres Lysimachides Ol. 110 2 jenen sky-
thischen Feldzug, der bereits beendet war, als die Aufforderung des
Amphiktyonenbundes an ihn erging, den Krieg gegen Amphissa zu
übernehmen. Daß dies im Boedromion des Lysimachides war, und
daß damals die Stimmung in Athen in der höchsten Spannung war,
wie sie der Beginn großer und in ihren Folgen unberechenbarer Er-
eignisse hervorbringen mußte, lehrt die Art, wie ein Zeichen bei der
Feier der Mysterien aufgenommen wurde {t6 toT^ fivaTTjQioig tpaviv
(TijfuTov tj tQv fiv(TT(üv rehvTtj Aischin. § 130). Man schickte nach
dem Rat des Ameiniades gen Delphi, aber der Warnung der Pythia
trat Demosthenes entgegen, (pthnmXtiv ri/v UvO-iav (pdaxcjv. Wie
hätte man diesem Zeichen Bedeutung und gerade die Deutung auf
einen Krieg mit Makedonien geben können, wenn man nach dem
glücklich geführten Kriege von Byzanz seit etwa zwei Monaten einen
Frieden gehabt hätte, der um so glorreicher und um so sicherer
Die Urkunden der Kranzrede 129
erscheinen mußte, wenn sich Philippos gleich nach Abschluß desselben
gegen die Skythen gewandt hätte; wie konnte jenes Zeichen, jene
Warnung der Pythia so bedeutsam erscheinen, wenn Philippos nicht
in der herbstlichen Pylaia, sondern ein halbes Jahr später in der
Frühlingsversammlung zum Feldherrn erwählt worden wäre. Jenes
Zeichen aber geschah nach dem Scholiasten zur angeführten Stelle des
Aischines xareX&övroov t&v fjLvarßv knl rijv O-üXaaaccv knl t6 xa^
&aQd-fivai^ das ist an dem Tage, den man äXaS^ (ivarai nennt
(Hesych. v. aXaSi (ivarai\ an dem unter anderen Chabrias bei Naxos
gesiegt hatte (Polyaen. III 11, 2) am 16. Boedromion (22. Sept. 339).
Die Geschichte des Krieges von Amphissa faßt Demosthenes § 152
mit folgenden Worten kurz zusammen: jigidtj yuQ he rovrcav ijyeficjv
xal fUTU xavz cv^ccög Siyva^iv avkXi^ag xai ncc^Bk&ojv (hg knl rijv
Ki^Qcciccv, ä^p&a&ai (ppüaag noTJku KiQpaioig xal AoxQoTg rijv
'EhzTBiav xccTotXa(jißdv%t. Hieraus ergiebt sich zunächst, daß Philippos
nicht säumte, den ihm übertragenen heiligen Krieg zu beginnen, und
wir werden gleich die Bestätigung finden, daß dies vor Ablauf des
Jahres 339 geschehen sein muß. Auch Aischines (§ 140] beschreibt
diese Verhältnisse: äXK knsiStj [580] ^iXinnog avr&v dipsXöfjLBvog Ni-
xaiav OerrakoTg napiSfoxe xal rov nökefiov, 6v tiqötbqov i^T]kafT6v
^ ^?$ /öipCfS T^S T&V BoKOT&Vj TOVTOV llähv TOV aVTOV nökefjLov
knijyayB öiä rf^g (I^coxiSog hii airäg rag Qi'jßag xal t6 reXeV'
ruiov 'Ekdreiav xaralaßojv kxaQÜxcoGB xal (pQOvpäv Blfrtjyaye, kv-
rav&a x, r. L Auch hier sieht man, daß zwischen dem Anrücken
des Philippos und der Besetzung von Elateia mehrere Zeit verflossen ist.
Die Thebaner waren bereits der makedonischen Sache nicht mehr
ganz ergeben; Philippos hatte ihnen schon vor 341 die Stadt Echinus
in der Nähe von Lamia (Gesch. des Hellenism. S. 82 11^ 1 S. 70, Dem.
Philipp, in § 34) genommen, jetzt wurde ihnen auch Nikaia am Süd-
eingange der Thermopylen abgesprochen und den Thessaliern, die es
schon nach dem heiligen Kriege einmal erhalten zu haben scheinen
(Dem. Philipp. II § 22), von neuem übergeben, deren Beistand dem
Könige zunächst höchst wichtig war. Sobald Elateia besetzt war, traten
die Thebaner mit den Athenern in Verbindung. Aber wann ist diese
Occupation?
Die hervorstechenden Punkte in diesem Kriege sind die Schlachten
von Chaironeia am 7. Metageitnion (4. Aug. 338), ^ inl rov no-
Taßu>€ und tj ;^cijt«(>iv^ (Dem. § 216), dann die vor beiden liegende
Besetzung von Elateia. Besonders hat die /fii/ie(>fi^/} sehr vieles leiden
mossen, da sie sich mit den beliebten Anordnungen der Verhältnisse
gar nicht vereinbaren wollte; man hat das Wort emendieren, hat ihm
Droysen, Kl. Schriften I. 9
130 DemostheneB
die Bedeutung von x^tfiiQiog geben wollen. Aber wenn die Hand-
schriften einmal ;t'€/jU€(>/i'/} darbieten, so darf die Schlacht keine bei
stürmischem Wetter gelieferte sein; das Etym. Gud. v. sagt ausdrück-
lich /€//i6^>/i^o§ nagä rd x^Tfia (hg naQa t6 i^ap haQivdg ibv^ und
somit muß die fragliche Schlacht eine winterliche Schlacht bleiben,
sie muß vor dem März 838, vor dem £laphebolion des Jahres des Lysi-
machides geliefert sein. Dieser Schlacht war, nach Demosthenes Aus-
druck zu schließen, schon die hnl xoü norafAod vorhergegangen; vor
dieser lagen die vielfachen Unterhandlungen des Philippos und der
Athener mit Theben; vor diesen die Besetzung von Elateia, so daß
zwischen der und der winterlichen Schlacht gar wohl zwei oder drei
Monate verflossen sein mögen. So erhielten wir als wahrscheinliche
Zeit der Besetzung von Elateia die letzten Monate des Jahres 839.
Bestätigung dafür könnte sein, daß Demosthenes angiebt, bei der An-
kunft der Nachricht davon seien alle Strategen in Athen gewesen.
Wir werden zwar sehen, daß Phokion erst später kam, doch der Aus-
druck des Redners, im allgemeinen richtig, kann als Bestätigung dafür
dienen, daß es bereits spät im Jahre war, wenn die ausgesandten Stra-
tegen meist heimgekehrt waren (vgl. Dem. § 146).
Philippos hatte die Thebaner aufgefordert, sich mit ihm zum
Amphiktyonenkriege zu vereinen, und nach deren Weigerung berief
er die peloponnesischen Bundesgenossen (Dem. § 156). Vergebens
suchten die Feinde des Philippos in Athen und Theben eine Annähe-
rung beider Staaten zu bewirken, Philippos Freunde in denselben
thaten das ihrige, die Abneigung der so lange Jahre verfeindeten
Völker wach zu halten (§ 163). Endlich zog Philippos [581] durch
Phokis (Aischin. § 140), also wohl von den Thermopylen und Nikaia
aus, das ja den Thessaliem abgetreten war, auf dem bekannten Wege
zwischen Oita und Knemis in das Kephissosland; er besetzte Elateia,
das den Weg nach Böotien und das von hier stromauf gelegene Kyti-
nion (Philochor. bei Dionys.), das den hohen Paßweg am Parnaß nach
Naupaktos und Amphissa beherrscht (Thukyd. III 95). Die Nachricht
von dieser Occupation bracht« die grr)ßte Be?^türznng in Athen hervor;
Demosthenes eilte als Gesandter nach Theben; eben dahin kamen Ge-
sandte des Philippos, der Thessalier, Ainianen, Aitoler, Doloper, Phthioten
(Doraosth. § 211 Philoch. a. a. 0.), amphiktyonische Namen mit Aus-
schluß der Aitolor, die wenigstens nachweislich später erst zum Bunde
gehöien. Die Thebaner entschieden sich für Athen, wie Aischines
angiebt (§ 143), sehr bedeutender Zugeständnisse wegen, die ihnen
gemacht wurden. Ein attisches Heer rückte in Theben ein und wurde
mit Freuden aufgenommen; zehntausend Soldner überließ Athen den
Die Urkunden der Kranzrede 131
Amphissaem (Aischin. § 146, vgl. Deinarch. xara Ai}iioa&, § 74
knl rotq ^ivoig rotq dg ^!AyL(pi(yaav GvXk^yBim II()ö^evog 6 ngoSÖTtjg
iyiv^o). Die Verbündeten sperrten dem Könige den Weg gen Am-
phissa mit sehr bedeutender Kriegsmacht, und Philippos selbst hielt
es für Tätlich, die Ankunft der noch nicht eingetroffenen Bundes-
genossen abzuwarten {ngogavccftsivag rovg ätpvareQOvvrccg t&v <TVfi-
fiä^cDv Diod. XVI 85). Hier folgt eine Begebenheit, die wir nur aus
Polyainos kennen (IV 2, 8): ^iXinnog hni rijv 'Afxcpiaamv hirtod'
ravBV '4iJfjvaToi xcci OrjßaToi rä arevä TtQOxareXäßovro, xal fjv i]
SioSog dfi^x^vog' i^anar^ rovg noXsfiiovg 0ihnnog kmaro'krjv
mn)M(Tfiivr]v !AvTinürQ(o nifiipag kg MaxeSoviav, cog rr}v fiiv (TT^a-
TBiav tijv In ^Afiffiaasig dvaßaXkoiro, (rnevSoi Si kg Qq^xtiv nenva-
fjLBvog rovg kxet vecjreQi^etv. '0 yQafjLfjLavocpÖQog Sid t(öv arevöjv
(hier ist eine Lücke) oi argarriyol Xdgrjg xal Iloö^evog aiQOVfriv
avrdv xai rijv kntarokrjv dvay vövreg niGTSvovai roTg yeyQafifAivoig,
xal ri/v (fvkccxijv r&v (ttev&v dnoXdnovai. (ptXtnnog Si kaßöfievog
i^T^fiiag dcfvXdxTCDg dieß^traro xal rovg OTQarrjyovg dvaarQixpavTug
kvixfjaa xal rfjg !Afi(pi(7(77]g kxQdrrjcrev, Freilich erzählt Frontin (I 4,
18) genau dasselbe von einer ganz anderen Begebenheit: PhiUppus cum
angustias maris, qucte Ciena adpdlantur, tromsnavigare propter Athefnien-
siwn dassem, quae opportunitatem lod custodiebat, non passet etc. Man
hat wohl mit Recht aus dem Ciena der Handschriften Kyaneai am
Ausgang des Bosporus (Schol. zu Theoer. XIII 22) emendiert; ob
Fhilippos mit derselben List die Athener zweimal betrogen, ist wohl
sehr zweifelhaft Aber die genauen Namen bei Polyainos sprechen für
die größere Richtigkeit seiner Angabe; nur ist es schwer, sich mit
dem Terrain zurecht zu finden. Daß nicht die arevd der Thermopylen
gemeint sind, wo in früheren Jahren ein Proxenos mit der attischen
Flotte einmal seine Station gehabt (Dem. tibqI nagaß. § 50), ergiebt
sich aus dem Umstand, daß die Athener mit den Thebanem vereint
sich dem Philippos entgegenstellen, was erst nach der Besetzung von
Elateia geschehen konnte; auch war [582] dieser Proxenos der Athener \
* Proxenos wird als Feldherr der Athener in der letzten Zeit des heiligen
Krieges Ol. 108 1 und 2 einigemal genannt (Aischin. ubqI nngan. § 133 Dem.
Tic^t naqnn, § 50. 73. 154). Der Name ist üblich in dem Geschlecht des Har-
modios, der von Herodotos als Gephyräer, von Plutarchos {quaesi. symp, I 10)
als Aphidnäer und Aiantide genannt wird. Demosthenes Tre^l naqttn. § 280
berichtet von mehreren Verurteilungen wegen Trnggesand tschaft: nal nQcoTjv
SqnavßovXov ixetpov ibv GQaavßovXov rov dijfiouxov .... xal tov acp* AQfAoöiov
wozu ÜJplan bemerkt: top Hqo^evov ke^ei xov frxqaxr^Y^v dxel&ey yuq i}y. Aus
den gleich folgenden Worten urixe naiÖla xXäovxa öfitjwfia xuv evsQYexcjy ergiebt
sieb, wie auch Ulpian bemerkt, daß Proxenos Sohn Harmodios geheißen habe;
9*
132 Demosthenes
der bei Polyainos ein Thebaner (Deinarch. xurä Ai]yLoa&, § 74). Wenn
ich nicht irre, so haben die Verbündeten zwei Positionen gegen Philippos
besetzt, einmal um Böotien zn decken, die Bergenge von Parapotamioi,
wo sich der Eephissos in einem nur fünf Stadien breiten Thal aus
Phokis nach der böotischen Ebene hinabdrängt {(rrevrjv hearioto&Bv
diäövra nÜQoSov Theopomp, bei Strabo IX S. 424); sodann, um Am-
phissa zu sichern, den Paß von Tithoreia, [583] der über den Parnaß
in die krissaische Ebene hinabführte, denselben, welchen des Sulla
Legat Hortensius überstieg (Plut. Sulla 15 vgl. Herod. VIII 32). Wahr-
scheinlichkeit erhält diese Angabe daraus, daß die Athener den Am-
phissäem 10000 Soldner (?) überlassen hatten, und daß bei Polyainos
ob dieser sonst noch genannt wird, weiß ich nicht; indeß dürfte der Proxenos«
der den alten Deinarchos um sein Geld betrog und von ihm verklagt wurde
(s. Dionys. H. vit. Din. 3 Plutarch. X Oratt. S. 379) wohl eben aus diesem
Geschlecht und des obigen Proxenos Enkel sein. Mit mehr Sicherheit können
wir das Geschlecht aufwftrts verfolgen. Sein Vater ist jener Ilarmodios, der
den Vorschlag, Iphikrates wegen des Sieges über die spartanische Mora (Ol.
96 4) mit einer Bronzestatue zu ehren, als gesetzwidrig verklagte, s. aus der
angeblich Lysianischen Gegenrede Fragmente bei Aristot. Rhet. II 23 Plutarch.
Apophtheg. Iphicr. S. 5 öfe nohilitate c. 21 vgl. Hoelscher de vit et scr, Lysiae
S. 140 sqq. Harmodios hatte den Krieg selbst mitgemacht, Isaios nB^i xov
AixHLOf. xXi](). § 11. Sein Vater Proxenos der Aphidnäer, der Ol. 92 3 Helle-
notamias war (Corp. Inscr. Gr. Nr. 147 = C. I.A. Nr. 188), hatte sich mit einer
Tochter des Ol. 80 2 bei Halieis (s. Schoemann zu Isaeus S. 312) gefallenen
Dikaiogenes, der Schwester des bei Spartolos Ol. 87 4 gefallenen Menexenos
vermählt, und von seinen zwei Söhnen Dikaiogenes und Harmodios war ersterer
von seines Oheims Menexenos Sohn Dikaiogenes, der im Gefecht bei Knidos
Ol. 92 1 fiel, adoptiert worden und wußte sich um die Zeit der Anarchie in
den Besitz der reichen Erbschaft des Dikaiogenes zu bringen, bis gegen Ol. 98 1
darüber ein großer Prozeß gegen ihn begonnen wurde. So haben wir folgendes
Stemma:
Menexenos
Dikaiogenes f Ol. 80 2.
Proxenos von filia Menexenos t Ol. 87 4
Aphidna bis
nach Ol. 92 3
Harmodios Dikaiogenes Dikaiogenes t Ol. 92 1 4 Töchter
I um Ol. 97
Proxenos der Feldherr
I um Ol. 107
Harm odios
?
I
Proxenos Deinarchs Freund
um Ol. 122
Die Urkunden der Kranzrede 133
als die zurückweichenden Feldherren Chares und Proxenos der Thebaner
erscheinen; denn Aischines (§ 143) wirft dem Demosthenes vor, daß
er den Thebanem ganz das Kommando zu Lande überlassen habe,
&4TTB nuQcc rhv ysvöfjievov nöXefiov fjii] xvqiov yevia&ai Stqu^
ToxXia Tov ijfUzBQov (TTQccTrjydv ßovXevaatT&ai tibqI rfji; r&v ctqu-
ri(or&v acoQrjQiag. Eine Niederlage erlitten die Verbündeten vor der
Schlacht von Chaironeia (und auf diese bezieht sich Aischines erst
später) nicht anders, als in der Gegend von Amphissa, und für die
Schlacht von Chaironeia ist bereits auch Lysikles und Chares (Flut, de
nobil. 2 Bd- VI S. 415 ed. Tauchn.) an der Spitze der athenischen
Truppen, so daß Aischines Äußerung JErgaroxiAcc rdv rjfietBQOv (ttqcc-
Tf]y6v sich nur auf ein früheres Factum beziehen kann. Mag der
Bote des Philippos in den Pässen von Parapotamioi aufgefangen sein,
dort stand wohl das Heer der Athener und Thebaner, aber Stratokies,
der athenische Feldherr, war hier unter dem Befehl des thebanischen
Feldherm; von dort aus benachrichtigt von dem Abzug des Philippos,
mag Chares und Proxenos gern mit dem Söldnerheer — denn es war
ja dies vor der fuixti /ßi/u^p^i/^, also gewiß im Spätherbst oder Winters-
anfang — aus den schneeigen und höchst beschwerlichen Paßhöhen
von Tithoreia zurückgewichen sein; schnell benutzte dann Philippos
die Gelegenheit, über den Paß zu dringen, der ihm den Weg nach
Amphissa öffnete; vergebens bemühte sich Stratokies, die Thebaner zu
bewegen, daß sie jenen zu Hilfe etwa gegen Elateia hinaufrückten. So
wurde Amphissa von Philippos erobert Und nun vergleiche man
Aischines § 147 ri yosQ cev oYstrd'e ^iXinnov hv roTg röte xatQotg
ev^aai9cci; oi x^Qh A*^^ nQoq rijv TtoXirixfjv Svvafiiv, /(j^Qiq Se kv
!Api(f>i(T(Tri ngög rovg ^ivovg SiaytoviGaad'cci , ä&vfiovg äk rovg
^E)Jktivag Xaßeiv TfjXixavTi]g Ttlrjyijg yeyevrjfjievyg;^
Daß dies noch nicht die erste von den drei bei Demosthenes er-
wähnten Schlachten, die knl roü norafiov war, ergiebt sich daraus,
weil in jener Schlacht um Amphissa Philippos, in dieser die Verbün-
deten siegten, so daß für diese in Athen feierliche Dankopfer angestellt
wurden (Dem. § 217). Es fragt sich, ob vor oder nach den beiden
Schlachten „am Flusse^^ und der „winterlichen" die Friedensanträge
des Philippos (Aisch. § 151) und seine erneuten Einladungen an die
^ Es darf ans nicht irre machen, wenn es Plut. Dem. IS heißt inel 0ilinnos
VJio jfjg Ttegl Tr}v Aftq>i<r(Tav svw/ia^ inaiQOfievog eig tiiv *I^aiBiav i^aiipvrjg ivenBtJB
wti Ttpf 0Gixida xaxiiFXB x. r. A. Philippos konnte gar nicht nach Amphissa ge-
langen, ohne vorher Elateia zu besetzen, der gute Plutarchos versteht so wenig
vom Kriege, daß er sich nicht einmal mit den Gegenden, in denen er aufge-
wachsen ist, militärisch zurechtfinden kann.
1 34 DemostheneB
Feloponnesier, Hilfe zu leisten (Dem. § 218) gehören. Er bot den
Frieden an, [584] als Phokion, den wir oben nach Philippos Abzug
von Bjzanz den Krieg mit Erfolg fortsetzen sahen, heimkehrte {xccri-
ytUvfTBv änö Tßv vfi(T(ov Plut. Phoc, 16), was gewiß spätestens in den
Dezember zu setzen ist Von Philippos wird man wohl erwarten
dürfen, daß er nur nach einem glücklichen Kampf den Frieden an-
bietet, und so erscheint auch bei Aischines der Friedensantrag (§ 148)
0(Xinnov yccQ oi xurccfpQovodvroq r&v 'Ekh)v(ov oiS' äyvooVvrog
X T h Da ferner Athen und Theben schon vereint ist, muß dies
nach der Besetzung von Elateia geschehen sein; da Philippos schon
offenbare Erfolge gehabt hat, scheint das Anerbieten dem Kampf gegen
die Amphissaer gefolgt zu sein. Und hiermit stimmt die Anekdote
bei Plut. Phokion c. 16.
Im Laufe der späteren Wint^rmonate sind dann die beiden für
Philippos unglücklichen Gefechte geliefert worden. Stand ihm auch
immer der Rückweg nach den Thermopylen noch auf, so war er doch,
so lange die Verbündeten die Stellung von Parapotamioi inne hatten,
vollkommen im Schach gehalten. Dort liegt auf dem linken Ufer des
Flusses ein steiler rings abschüssiger Felsen, die Burg der ParapotA-
mier (Plut. Süll. 16). Nun erzählt Polyaen IV 2, 14: (DiXinnog rag
nuQÖSov^ rT/g BoKoxiug BotcoT&v (fvlccTTÖvratv, yv Sb fTravog ÖQOvg
avxvv, ovx knl rovrov üpfifjaev, äkkä rijv re x^Q^'^ nvQnoX&v (also
wohl im Frühling oder später) xal rag nökeig noQfh&v (puvsQÖg Jjv
(das makedonische Heer war durch leichtes Volk ausgezeichnet); Boko-
toi Si ovx vnofitivovreg 6q(cv rag Tiöletg noQiJ-ov^iivccg xarißriatxv
ano rot) ÖQOvg. Q>iXiitnog vnoaxQixffai^ Stä roü ÖQOvg Sn^inntvaccro
(so die Codd.; schlechte Emendation ist du^tniaaro [bei Wölfflin du-
^anaiaato]). So rückte denn Philippos in die Ebene von Böotien
hinab; aber gegen Anfang des August stellten sich ihm die Verbün-
deten von neuem entgegen, nur vierzig Stadien von jenen Bergengen,
in dem Felde von Chaironeia, dort wurde am 7. Metageitnion des
Chairondas (4. Aug. 388) die lange schwankende Schlacht geliefert^ die
Griechenlands Schicksal entschied.
Ich habe diese, allerdings stets ungenügend behandelten Verhält-
nisse so ausführlich besprochen, wie es notwendig schien, um für die
Untersuchung der auf sie bezüglichen Urkunden eine sichere Basis zu
gewinnen.
Nachdem Demosthenes berichtet, daß Aischines den Sinn der
Amphiktyonen auf die Amphissaer gewendet, daß dieselben bei ihrem
Umzüge um das krissaische Feld von den Amphissäern übel zuge-
richtet worden, daß darauf zuerst Kottyphos zum Feldherm ernannt,
Die Urkunden der Kränzrede 135>
in der nächsten Pylaia aber dem Philippos die Sache übertragen worden
sei, fahrt er fort: Sog Si fjLot rä Sdy^iarcc rccvra xal rovg /()dvo?;s,
ip oiQ hcaara ningaKzai,
[585] Das erste Decret, das nnn folgt, beginnt mit den Worten
kni Ugkcaq KXeivayÖQov, kagivfjg JlvXaiag iSo^e x r L Es ist der
durch Aischines Antrag bewirkte Beschluß, und wir sahen, daß der-
selbe in der Prühlingsversammlung des Archonten Theophrastos gefaßt
worden; also das stimmt trefflich. Nicht so klar ist es mit der Da-
tierung; wenigstens zeigen Inschriften des nächstspäteren Jahrhunderts
(C. L Gr. 1689. 1689 b xmd die Analogie in 1694), daß die voll-
standige amphiktyonische Datierung wohl in der Aufführung aller be-
schließenden Hieromnemonen bestand, während das specielle Jahr durch
den Eponymos jedes amphiktyonischen Staates, wo der Beschluß erst
publiciert werden mußte, um bindende Kraft zu haben, bezeichnet
wurde; daher wir in den angeführten Inschriften aus Delphi den
delphischen Archonten vorangestellt finden, während in Nr. 1688(0. 1. A.
II 545) der attische Archen voransteht. Von einer Datierung nach einem
uQBvg ist sonst nicht die Bede, obschon es sehr natürlich wäre, daß die
heilige Versammlung entweder nach dem delphischen Priester datierte,
oder, was noch glaublicher (s. Boeckh zu C. I. Gr. I S. 808), aus ihrer
Mitte einen Priester ernannte; nur läge dann näher zu vermuten, daß
ö rag yvd}fxag k7ii^f](pi^(ov (Aischin. § 124. 128), der auch die Ekklesie
beruft (Aischin. § 124) und der vielleicht ausschließlich 6 uQopLvimcov
heißt (Aischin. § 116, doch kann man an dieser Stelle auch den
attischen Hieromemnon verstehen), eben dieser Eponymos wäre, möchte
er es als UQ%vg oder als iSQOfivi) fAwv sein; und in der betreffenden
Versammlung hatte Kottyphos der Thessalier diese Stelle. Doch können
diese Sachen keinen Einfluß auf die Entscheidung unserer Frage haben.
Das Decret lautet weiter: *iSo^e roTg nvXayögoig xai roTg <Twi-
SQOig T&v ^fjKpixTvövofv xai T<p xoivtp r&v '4fiq)iXTvöv(ov. Was ist
mit diesen Ausdrücken gemeint, von denen uns nur der Name „Pyla-
goren" bekannt ist? Man versteht unter to xoivöv r&v ^A/KpixTvö-
vcov die ixxhqaia r&v !Afxq)ixTv6v(ov , von der Aischin. § 124 sagt:
ixxkfjaiav yäq övofjid^ovaiv , Örav fxij fxövov rovg nvXccy6Qovg xai
Tovg UgopLvrifxovag (TvyxakiacoaiV , äXXä xai rovg avvdvovxag xai
XQtofUvovg T(p &sw; jedenfalls also dürfte der officielle Ausdruck nicht
TO XOIVÖV y sondern eben hcxXrjaia lauten. Eemer ol (tvvsSqoi
[586] bezeichnen, meint man, die Hieromnemonen, und zwar mit einem
Ausdruck, der damals für ähnliche Versammlungen in Griechenland
üblich war, und ebenso von den Amphiktyonen selbst gebraucht wird,
unter anderen bei Aischines § 112 und Diodoros XVII 4. Ulpian zu
136 DemoBthenes
Dem. Ttaxu Tiiaoxq. § 150: ieoofiv/jfKov IXiyero 6 TtBiJi^nöfUvog avvB'
ÖQog Big Tovg !Afi(piXTvovag vnkQ rT/g nölEcog. Aber jedenfalls ist
dies nicht der officielle Ausdrack für die Hieromnemonen, um so
weniger, wenn sie erst mit den Pylagoren zusammen, wie es hier
erscheint, das awiSptov bilden. Femer aber wissen wir aus der sehr
detaillierten Darstellung bei Aischines, daß jener erste Beschluß nichts
weniger als in der Ekklesie gefaßt war, ja, nicht einmal die Pjlagoren
nahmen daran teil. Aischines erzählt (§ 115), daß, sobald er mit den
beiden anderen Pjlagoren Meidias und Thrasykles nach Delphi ge-
kommen, sowohl der attische Hieromnemon, als auch Meidias krank
geworden sei, oi S' äXXot (Tvvexä&rjvro '^nxptxrvovtg' i^i]yyiXXBro
S' vfiiv TtaQct rCHv ßovlofiivcov aüvotav ivSeixvvfT&cci rfj TtöXei, ort
oi u4fjL(pi(T(TBtg .... elge^BQov Söyfjicc xccrä Ttjg 7]fiBTBQag n6XB(og. Wie
so mußte das aus der Sitzung her den athenischen Abgeordneten erst
von anderen berichtet werden? Hätten die Pylagoren Zutritt gehabt,
so würden doch nicht beide, Aischines und Thrasykles, die Sitzung ver-
säumt haben; eben weil der attische Hieromnemone Erankheits halber
nicht zugegen war, konnte Aischines nur durch andere (Hieromne-
monen) von jenem Antrag erfahren. Das folgende bestätigt diese An-
sicht durchaus: fiBTaTtBfixffäfiBvog S' kfii 6 iBQOfivfjfKov tj^/ov BlgBX&Btv
Big rÖ (TVvkSQtOV XCCt BiltBlV Tt TZQÖg TOVg 14fJb(ptXTV0Vf4g VTtiQ Tt)g
nö'iBfog, Schon hier zeigt sich, daß oi HfxcfixxvovBg ausschließlich die
Hieromnemonen sind. Des weiteren § 1 1 7 spricht ebenfalls dafür Aqxo-
fiivov Si fiov UyBiv xai TiQOf^-v/xÖTBQÖv 7t(x)g BigBhjlv&ÖTog (Big ro
avveSoiov), rcdv aiJkwv nvXayÖQtov jj,b&B(tti]x6t(X)v ävaßoijaag rtg
rcov !Api(f>ia(Ti(ov x r h Sehr gewandt erklärt mein Freund Wester-
mann dies so, daß die anderen Pylagoren umgestimmt worden seien
durch Aischines zuversichtliches Auftreten. Ich gebe zu, daß es so
erklärt werden könnte; wenn es bloß auf die XJmstimmung der Pyla-
goren, nicht auch der doch anwesenden und mitstimmenden Amphik-
tyonen (oder Hieromnemonen) ankäme; gewiß nicht minder naheliegend
ist die Erklärung, daß die übrigen Pylagoren sich entfernt [587]
hatten. Nun ist das fUTÜfrrfjTB ^|oj als Heroldsruf bekannt (Dem. xccr
'A{)i(TToy, I § 23), und Aischines führt eben dies officielle fte&Bazf}'
xörmv Töv äkXcjv nvkayÖQcjv, die sich etwa aus Neugier in dem
Tempel eingefunden haben mochten, an, um zu bezeugen, daß jetzt die
eigentliche amphiktyonische Sitzung und das Gegeneinanderreden des
Aischines und des einen Amphissäer Pylagoren begann. Dies bestätigt
auch § 122 Toiavra diB^Bli^-övrog kptov, änBiS/j noTB ä7(f]kkdy^jv
XCCt fjbBTB(TTr]v ix rov (tvvbSihoVj XQccvy}] noXkij xccl xhÖQvßoq l]v
xbjv !An(fixTv6v(ov x, r. X, Daß wir so mit Recht die Hieromnemonen
Die Urkunden der Kranzrede 137
mit dem Namen der Amphiktyonen ausschließlich bezeichnet, von ihnen
allein den beschließenden Rat gebildet nennen, wird auch durch andere
Angaben bestätigt. Demosthenes (§ 149) sagt von eben dieser Sitzung
und Aischines Bede: xal köyovg Bingoqd^novq xccl fivtJovg (Tvv&slg
xai Sn^eX&ojv äv&Qc&Tiovg änetpovg Xöymv xccl x6 fiilXov oi ngoo-
o&fUvovg Tovq UQOfiV7]fiovag nei&ei '^ff]q)/(Ta(T&ai nsQiak&eTv xijv
xdioav X r X. So konnte Demosthenes nicht sprechen, wenn auch
die Pylagoren, die, wie in Athen, so gewiß überall durch Wahl bestellt
wurden, mit in der stimmenden Versammlung waren. Die Hieromne-
monen dagegen sind unter den durch Loos bestimmten Beamteten (s. den
Richtereid in Dem. xarä TifioxQ. § 150) und zwar nicht lebenslänglich
(wie Tittman irrig behauptet hat), sondern vielleicht für die Dauer
der pjthischen Pentaeteris, womit sich das Psephisma des Demosthenes
bei Aisch. xarä Kt^](t, § 126 und das rf]TBg iepofivrjixoveTv bei Aristoph.
Nub. 624 sehr wohl vereinigen läßt; nur sie, nicht die Pylagoren,
seheinen das Becht der ofQciellen Beantragung zu haben, wenigstens
sagt Demosthenes (§ 148) sl fiiv rovro (einen amphiktyonischen Krieg)
tj T&v nuQ iccvTOV nsfjbTtofjbivcov UQoiivi]fx6vmv fj r&v kxtlvov (rviA'
fjLäzo>v eigfjyoTrö rtg. Allerdings finden wir in einer Inschrift C. L
Gr. 1689 'iSo^B roTg ieoofiv/jfAoai xai roTg AyoQcevQoTg, doch gehört
diese Inschrift späterer Zeit an, wo sich bereits die Verhältnisse gar
sehr verwandelt hatten ^
So erscheint der hier vorliegende Amphiktyonenbeschluß mit
solchen Beschlußfassenden, die es weder nach der Darstellung des
Aischines und Demosthenes, noch nach dem Sinne des Institutes sein
konnten, ja die nicht einmal mit den officiellen Namen bezeichnet sind;
Dinge, die eben nicht als geeignet erscheinen, den Glauben an dieses
Aktenstück zu stützen.
Die Worte der Beschlußnahme selbst lauten folgendermaßen: kneiSfj
!ApL(pia(TBTg hmßaivovmv knl rijv Uqccv /öipav xai aitBiQovai xai
ßoexTjfia<Ti xaravifjioViTij kTfek^sTv rovg ITvlayÖQOvg xai xovg Gvvi-
Spovg xai ax^Xatg SiaXaßeTv rovg ÖQovg xai dnemsiv roTg !Aii(pi(T'
aevai rov ijoinov firj kmßaivuv. [588] Die Darstellung bei Aischines
(§ 122) zeigt, daß so der Beschluß unmöglich gelautet haben kann; bei
ihm verkündet am Abend jener Sitzung der Herold: AaXtp&v Saoi inl
SuT%g f]ß&<Ti xai SovXovg xai äXev&iQOvg h'jxuv äfia rfj ^fiiQa ^;ifovTa5
' Zum Teil nur darauf müssen sich die abweichenden Angaben bei Strabo,
dem Scholiasten zum Aristophanes u. a. zurückführen lassen; die meisten der
oft wunderlichen Angaben sind wohl aus Unkenntnis entstanden. Wir konnten
sie übei^ehen, da die beiden Reden über den Kranz hinreichenden Stoff bieten,
sich ein Bild von der damaligen Oonstituierung des Bundes zu machen.
138 Demosthenes
äfucg xcci SixikXag ngög ro &VTeTov äxet xakovfiBvov xccl ndXiv &
ccvTOQ xfjQv^ ävrjyÖQSViTB Tovg iBQOfivrjfjLOvag xccl nvXayoQOvg ^xtiv
üg TOP ccvtöv TÖnov ßorj&ijaovrag T(p &B(p xal rrj yfj xrj isQ^, fjng
S' ctv fiij nccQfj itöXig, eYQ^ercci rov Uqov xal hvayijg %(ncci xal ry
äq^ 'ivo/og. In dem wirklieben Beschluß der Amphiktyonen muß
jedenfalls davon gestanden haben, daß der Herold die Delphier, Jüng-
linge, Sklaven und Freie, wie es Aischines anführt, und die anwesenden
Bundesboten aufbieten soll, dem Gott zu helfen, muß femer gestanden
haben, nicht bloß das matte (rri^kaig diaXaßtlv xovg ÖQovg, sondern
daß man andern Tages in Masse ausziehen soll, die fluchwürdigen
Ansiedelungen der Amphissäer zu zerstören. Freilich sagt Demosthenes
(§ 151) nur %€Quüvt(ov rijv x^Q^'^ 'röv !/4fjb<piXTVÖv<ov xccrä ri/V
if(p7jyf]<Tiv rijv rovrov; er hat eben ein Interesse daran, die Veran-
lassung zu dem Kriege ganz unbedeutend erscheinen zu lassen, damit
derselbe desto mehr aus Aischines argen Intriguen allein entstanden
zu sein scheine. Aber wenn wirklich nichts geschah, als jenes nsgiak-
&61V und das neue Abpfählen der Grenze des heiligen Feldes, so wäre
eben das wütende Herstürmen der Amphissäer und das Niedermetzeln
der meisten Delphier und Amphiktyonenboten unbegreiflich.
Ich will nichts darauf geben, daß in dem Decret, wenn erst das
Besäen und Beweiden des heiligen Feldes genannt war, unfehlbar auch
der i^äytarog xal knccQarog hfiijv TEZBixioiiivog (Aischin. § 119. 107 fif.)
angeführt werden mußte; es scheint mir die durchaus falsche Angabe
derer, die den Beschluß gefaßt haben, und die Unzulänglichkeit dessen^
was beschlossen worden ist, diese Urkunde hinlänglich als unecht za
bezeichnen. Oder sollte auch hier durch Verwechselung ein zu anderen
Verhältnissen gehörendes Decret statt des rechten aus dem konfusen
Archiv entnommen worden sein?!
Wir kommen zu dem zweiten Amphiktyonendecret, dem-
jenigen, durch welches Philippos zum Feldherrn des Bundes bestellt
wurde, dem Decret der herbstlichen Pylaia, wie wir oben sahen. Frei-
lich beginnt die Urkunde, die wir jetzt an dieser Stelle lesen (§ 155),
gerade wie die vorhergehende: h'Jtl leQitog KXsivayÖQov kagtvflg TTv^
Xaiag. Denn angenommen, daß die vorige echt wäre, so müßt« dieser
zweite Beschluß doch, unter demselben Kleinagoras verfaßt, einer spä-
teren, der herbstlichen Versanmilung angehören, und so hat man auch
emendieren wollen öncjoivrjg; — oder angenonunen, daß unsere ganze
obige Deduction verkehrt und Philippos wirklich in einer Fruhlings-
versammlung gewählt sei, so müßte doch wohl der Eponymos des
Jahres ein anderer sein; oder angenommen, daß der Kleinagoras etwa
eine pythische Pentaeteris hindurch Eponymos war, so könnte es eben
Die Urkunden der Kranzrede 139
doch wieder keine zweite, ein Jahr später liegende hccQivij sein, denn
Demosthenes läßt gleich darauf die x^^'^oi lesen und sagt: dfrl yäg
»aO^ ov^ knvXcsyÖQfjcrev ovrog, und das Pylagorenamt war nur ein
[589] jähriges. Es bleibt nur die eine Bettung, daß man annimmt,
die Datierung des ersten Decretes sei irrtümlicher Weise auch vor dies
zweite gekommen! Aber weder das erste ist echt, noch fehlt es dem
zweiten im weiteren an gründlichen Fehlern.
Gleich nach der Datierung folgt wieder das arge: äSo^e rotg
7ivhxy6QOi<i xal roTg awiSgotg r&v 'AfKpixrvövoov xal t0 xoiv(p r&v
JJfjufixTvövcoVj worüber wir schon entschieden haben. Ebenso finden
wir nur vom Beackern und Be weiden des heiligen Feldes, nicht vom
Anbau des Hafens erwähnt, ganz wie in dem ersten Decret Dann
heißt es: insiSij xcQlvöfievoi tovto nouiv kv toTq ÖnXotg nccga-
yevöfievoi ro xoivov t&v 'EXX^vcjv dwiSgiov xexcjlvxatri fjLezä ßiccg,
Tivaq Si xal TixQccvfiarlxccGi, so wolle man den Kottyphos an Philippos
schicken u. s. w. Also keine Erwähnung von jenem Feldzug des Kot-
typhos, von der auferlegten und nicht bezahlten Geldbuße, von der
nicht veranlaßten Verweisung der Schuldigen, von der nicht geschehenen
^Wiederaufnahme r&v Si avaißsiav qjvyövrcov (Aischin. § 129). Wem
aber dergleichen Fehler noch nicht hinreichender Beweis sind, der
findet auch noch röv arQaxi^yov xov tjQrjfiivov xcjv !Afiq)txxv6v(ov
Koxxvcpov xov 'AqxuScCj während ihn Aischines sehr richtig einen
Fharsalier nennt; Demosthenes sagt ja gerade in Beziehung auf ihn
(§ 151) inl xov Q>iXinnov Bvßvg ijyefiövu Jjyov ol xaxeaxevatr/xivoi
xai Tiakai TCOvrjQol xQv OexxaXöiv xcci x&v kv xaig üXXaig nökeaiv;
denn Kottyphos war 6 xöxe xäg yvdj^ag kmyjrj^i^cav (Aischin. § 128).
Freilich hat Winiewsky vermutet, daß bei Aischines statt Fharsalier
vielleicht Parrhasier emendiert werden müsse; aber daß die Arkader
weder damals noch sonst im Amphiktyonenbunde waren, steht wohl
fest; und die Notiz bei Ulpian K6xxv(pog i6()OfAvtjfi(ov Jjv Oexxalog
Ji jiQxäg ndvxa n^üxxoDv vitig Q>iXinnov beweist doch nichts, als
daß der Erklärer mit diesem falschen Decret zugleich den Aischines
berücksichtigt hat.
Wenn ferner die Structur ä^iovv iva ßoi]&/j(Ty, die in späterer
Gracität merklich hervortritt, und das Siöxi statt des einfachen Öxi
in Abhängigkeit von einem Verbum dicendi, wie es für Aristoteles
vielleicht noch zweifelhaft, bei Polybios dagegen schon ganz ausgebildet
erscheint, in unserem Decret gefunden wird, so könnte man sagen, es
sind eben nicht attische, sondern Amphiktyonenbeschlüsse, und die
Hieromnemonen nennt ja Demosthenes selbst ungebildete Leute. Aber
das Decret giebt ja unter den Beschließenden auch die Pylagoren an,
1 40 Demosthenes
und Leute, wie Meidias und Aischines, werden doch attisch geschriebea
haben. Doch wird man sagen, es sind ja Leute aus allen Gregenden
Griechenlands ; wenn diese attisch schrieben, so war es nicht ihr heimat-
licher Dialekt, sondern die Sprache der Bildung, die überall der attischen
Norm folgte. Aber wir wissen, daß noch zehn Olympiaden früher
wenigstens die Beschlüsse noch nicht in diesem, sondern einem, wenn
man will, delphischen Dialekt geschrieben und in diesem selbst seitens
des attischen Staates publiciert wurden (Corp. Inscr. Gr. Nr. 1688 C.
L A. II 545). Freilich andere zwanzig Olympiaden später etwa war die
xoivt) auch bis zu den Sitzungen der [590] Amphiktyonen gedrungen;
aber man darf geltend machen, daß seit der Schlacht von Chaironeia
ganz andere Umwälzungen in der hellenischen Bildung folgten, als
vor ihr möglich gewesen waren, und kann der Dialekt auch kein neuer
Grund gegen die Echtheit unseres Dokumentes sein, so ist dasselbe
doch auch kein Beweis mehr für den amphiktyonischen Gebrauch des
Atticismus in Demosthenes Zeit.
Demosthenes hatte (§ 153) sich rä Söyfiara tccvru xcci tov^
XQÖvovi^, kv o}^ Ixaarcc ninoaxTuij reichen, dann den Beschluß
gegen die Amphissäer wegen des heiligen Feldes und den Beschluß,
Philippos als amphiktyonischen Feldherrn zu berufen, vorlesen lassen;
hierauf sagt er: Xiyt Stj xal rov^ /pdvovg, kv 01%? ravz iyiyvBro*
üal yuQ xccO-' ovg hnvlccyÖQfjfrev ovrog, UyB. Dann folgt mit der
Überschrift: XPONOI folgendes: ü(}X(ov Mviiaid-tiS^jg, fiijvög 'AvO-kt-
T7}()iavog %xTi] iitl dBxÜTfj. Dicscr Archon ist wieder ein Pseudepo-
nymos, der nach der mehrfach besprochenen Hypothese dadurch erklärt
wird, daß auch hier der Name des Prytaniensohreibers für den des
Archonten genommen sei; es beziehe sich aber diese Zeitbestimmung
auf die Wahl des Aischines als Pylagoros; so mußte man annehmen,
weil der 16. Anthesterion trotz seines Namens nicht der haQivij nv^
Xccia angehören kann, da der Frühling erst mit dem Elaphebolion
beginnt. Angenommen auch, daß der Gelehrte, der die Urkunden
eingeschaltet haben soll, das Ernennungsdecret des Aischines ohne
Namen des Archon vorfand und die Zeitbestimmung hier so verschlimm-
bessernd einfügte, so hat er sich doch als ein sehr ungescheuter Mann
gezeigt, wenn er meinen konnte, . Demosthenes habe die j(q6voi von
Aischines Wahl wollen lesen lassen; dann hätte es ja heißen müssen:
„lies die Zeitbestimmung, wo Aischines gewählt worden, denn während
er Pylagoros war, geschah das alles''. Und auch das bleibt nicht zu
seiner Rechtfertigung, daß er in Ermangelung des eigentlich Gemeinten
etwas Näohstverwandtes nahm; denn wo er die Amphiktyonenbeschlüsse
fand, mußten auch ihre xqövoi stehen, nicht bloß „der Priester
Die Urkunden der Kranzrede 141
Kleinagoras", sondern der attische Archon und auch Prytanien-
schreiber u. s. w., unter dem der Beschluß in Athen publiciert worden,
wie wir solche attische Datierung in dem Beschluß Corp. Inscr. Gr. Nr.
1688 finden. Wie aber jene Hypothese in sich selbst unwahrscheinlich
ist, haben wir oben bemerkt. Es mußten hier in der Wirklichkeit die
beiden Zeitbestimmungen stehen „unter dem Archon Theophrastos, an
dem und dem Munychion oder Elaphebolion u. s. w." und „unter dem
Archon Lysimachides an dem und dem Boedromion u. s. w." Der Vor-
schlag des Aischines wurde, nach Demosthenes Worten zu schließen,
nicht vorgelesen.
Wir kommen nun zu dem Briefe (§ 156), rjVj ojg ovx vn/jxovov
Ol &)jßaioi, nifinei n^og rovg iv IIeko7iovv/j(yq) (TviA/xäxovg 6 (l^thnnog.
Demosthenes sagt, er lasse ihn lesen tv elSfjre xcä ix ravrrjg (Tcctpcjg,
Ort rrjv fiiv äXrj&Tj ngö^affiv r&v ngayfiärcov .... dTtexpinrerOj
xotvä äi xai rotg !ApL(fixxvoai Sö^ccvra noteiv Tcgogenoteiro. Jeden-
falls also muß man in dem Briefe bezeichnet erwarten, daß [591] Phi-
Uppos, vom Amphiktyonenbunde zum Feldherrn ernannt, dessen Be-
schlüsse gegen die Lokrer ausfuhren wollte; aber weder von den Am-
phiktyonen, noch von deren Beschlüssen und seiner Ernennung steht
etwas in demselben. Nicht minder aufTallend heißt es in dem Briefe:
AoxQol Ol xaXovfiBvoi V^ökcci xaroixovvreg kv !Aii(piG(jr]j das
schmeckt eher nach der Gelehrsamkeit eines späteren Stilisten, als nach
dem officiellen Schreiben des makedonischen Königs. Auch folgendes
kann nicht in Philippos Brief gestanden haben: h%BiS)j . . . rttv Uquv
X^oav ^(>/d/i€i/o/ iia&' 6%X(ov kerjkarodfTi, während vom Bebauen
des Feldes u. s. w. keine Bede ist. Ich übergehe das vielleicht an-
stößige Tovg naQCcßaivovräg ri r&v hv dv&pcinotg Bvaiß&v, und das
durchaus unverbesserliche Ende: xolg Öh fii] (Twavxt'iacctji navSijfiei
XQVf^öfjLex^'cc Tolg Sk avfißovXoig ijfiiv xeijj^evoig kTti^rjfiioig, Es bleiben
noch zwei wesentliche Schwierigkeiten, die man sich vergebens zu lösen
bemüht hat.
Der Brief beginnt <t>ih7tnog IlBlonowTjaitov x&v kv rfj (ivfifiaxicc
To/\' SfjfjiiovQ'yoig xccl roTg (rwiSooig xal roTg äkXoig av/xfia/oig nätri
X^iottv. Es ist nach Demosthenes Ausdruck nifinei TtQÖg rovg iv
Üdonowi^aq^ (rvfjifuixovg richtig, daß der König nicht an die am-
phiktyonischen Staaten im Peloponnes, sondern an seine Bundesgenossen
schreibt, und Theopompos sprach im 51. Buch, in dem eben diese
Zeit nach der Belagerung von Byzanz behandelt war, von den Freunden
des Philippos in Megalopolis (Harpocrat. v. 'IsQc^vvfiog) und Argos
(Harpocrat. v. Mv^ng); diese Bundesgenossen aber waren vor allem
die Messenier, Tegeaten, Megalopoliten, Argeier (Polyb. IX 28, 5),
142 Dem ostheneB
außer ihnen noch andere Staaten. Fhilippos Brief ist nun entweder
an die einzelnen Staaten oder an eine Versammlung, die den Bund
repräsentierte, gerichtet. Im ersten Fall hätte man sich zwar nicht
zu wundem, daß die Bundesstaaten nicht namentlich aufgeführt sind,
wohl aber darüber, daß die verschiedenen Souveränitäten der Staaten
nicht richtig bezeichnet sind. Wohl gab es in Argos, in Mantineia,
in Elis Demiurgen (Boeckh Corp. Inscr. Gr. I S. 11) und die (tvvi8(}oi
scheinen gleichfalls als aristokratischer Rat im Peloponnes vorzukommen
(s. Müller Aeginetica S. 138); aber waren denn die Verbündeten des
Philippos nur Aristokratieen? War Megalopolis und Messenien, wahr-
scheinlich auch Argos demokratisch, so mußte der Oruß nicht; bloß
den Demiurgen und Synedren (aristokratischer Staaten), sondern auch
den d7jfiotg entboten werden. Aber freilich in späterer Zeit galt die
Bezeichnung SrjfjaovQyoi so viel als naQcc rotg /ioDQiedai oi ÜQXovTBg
rä 8f}fx6(Tia ngärrovreg (Hesych. v.). Ungleich passender wäre es,
wenn Fhilippos Brief an ein crvviSQiov der Bundesgenossenschaft im
Peloponnes gerichtet wäre, und wir wissen, daß der achäische Hund
durch zehn Demiurgen und die Bule d. i. avvtSgoi repräsentiert wurde
(vgl. Polyb. IV 28 Pausan. VII 7, 1 Hermann Handbuch S. 415 f.).
Aber es wird ausdrücklich berichtet, daß jenes xoivöv x&v 'EkXiivfov
(TwiSgiov in Korinth, das [592] forten so wichtig für die griechischen
Verhältnisse werden sollte, erst nach der Schlacht von Chaironeia
berufen wurde (Justin IX 5 Diodor XVI 89), und auch da ist das
Institut der Demiurgen wohl schwerlich nachzuweisen.
Eine weitere Schwierigkeit ist in folgenden Worten des Briefes
enthalten: üart (Twccvräre fiera r&v Önkcov elg rijv (l>a)xt8a, äxovreg
im(Ttrt(Tll6v ijflBQÜdV TBfTfTCCQÜXOVTa TOV iPB(TTÖJTOg fjLTjvdg AqioVf fbg
rifiBig äyofiBV, (og Si !A\%jvaioi, Bof]S(}oni6>vog, (hg Si Koo/vd-iot,
ITavifiov. Wie beruft ein Feldherr die Bundestruppen für vierzig Tage
und läßt ihnen zwischen den dreißig Tagen eines Monats die Wahl, an
welchem sie kommen wollen? Wir sehen, daß Philippos in der jj^bto-
no)()iv)i nvXaia, das heißt nach dem 21. September oder 14. Boedro-
mion 339 zum Feldherm ernannt worden; wie kann er nun den
laufenden Monat Boedromion noch als den bestimmen, wo sie sich in
Phokis mit ihm vereinen sollen, da die Botschaft von Thermopylä
nach Pella, von dort nach dem Peloponnes, dann der Aufbruch und
Marsch der Truppen doch nicht in vierzehn Tagen, wenn man auch
recht splendid rechnen will, bewerkstelligt werden kann? Denn ange-
nommen, daß unsere Berechnung der Amphiktyonenbeschlüsse falsch
und Philippos in der kaQivij nvlcctcc 338 ernannt ist, so muß er diesen
Brief um dreißig Tage nach demselben Monat Metageitnion geschrieben
Die Urkunden der Kranzrede 143
haben, an dessen siebentem Tage er die Schlacht von Chaironeia schlug;
nnd doch ist dieser Brief noch vor der winterlichen Schlacht and der
Schlacht am Flüsse and manchen anderen Begebenheiten.
[593] Zu diesen Verkehrtheiten kommt eine nicht geringe Schwierig-
keit. Plutarch erzahlt (Alex. c. 3), daß Alexander geboren sei laxa-
^ov ptrjvög 'Exccrofißcei&voQ, 8v MaxeSöveg ASov xccXoDtn, hcrrj.
Er sagt ferner, die Schlacht am Granikos sei im Daisios der Make-
donier, und an anderer Stelle, im Thargelion der Athener geschlagen
(Alex. 16 Camill. 19). Aus den „Tagebüchern" ist bekannt, daß
Alexander gegen Ende des Monats Daisios starb, und daß dieser Monat
ein voller war. Hieraus ergiebt sich, daß die bekannte Beihe der
makedonischen Monate nach Plutarch den attischen in folgender Art
entsprach:
10. Leos .... Hekatombaion
11. Gorpiaios . . . Metageitnion
12. Hyperberetaios . Boedromion
1. Dies .... Pyanopsion
2. Apellaios . . . Maimakterion
3. Audynaios . . Poseideon
4. Peritios . . . Gamelion
5. Dystros . . . Anthesterion
6. Xanthikos . . Elaphebolion
7. Artemisios . . Munichion
8. Daisios . . . Thargelion
9. Panemos . . . Skirophorion
Daß der Cyklus der makedonischen und attischen Jahre derselbe ge-
wesen, dürfte sich als wahrscheinlich aus der Chronologie des Todes
Alexanders ergeben. Pur ausgemacht kann angenommen werden (s. Ideler
in den Abh. der Berl. Akad. aus den Jahren 1820 und 1821), daß
Alexanders Tod in die letzten Monate von Ol. 114 1 fallen muß; wir
würden auch hier sofort, den Tagebüchern folgend, den Daisios, den
sie angeben, mit dem Thargelion identificieren, wenn nicht eine be-
deutende Schwierigkeit einträte. Arrian nämlich sagt (VII 28) kßlto
Si SvO X€CI TQICCXOVTCC ixtl XCcl XOV TQITOV flfjVCCQ kniXaßsV dXTCJ, fhg
Uyai MpKTTÖßovlog. kßaaiXeve Si SdfSexa Htj xcci rovg öxro) fiT/vag
rovtovQ. Nun hat aber Plutarch, wie schon erwähnt, Alexanders
Geburt datiert auf den 6. Loos oder Hekatombaion des Jahres 356,
so daß der König am 28. Daisios oder Thargelion 323 (wenn wir der
Tabelle folgen), nicht 32 Jahre 8 Monate, sondern 32 Jahre und über
10 Monate [594] alt gestorben war. Merkwürdig ist, daß Arrian sagt,
er habe zwölf Jahre xccl rovg öxro) jULfjvag rovrovg geherrscht, wonach
144 DemoBthenes
Alexander also um die Zeit seines Geburtstages auch zum Eönigtume
gekommen sein mußte. Entweder muß hier Plutarchs Datum für die
Geburt Alexanders oder Aristobuls Angabe über die Dauer seines Lebens
fehlerhaft sein; ich will nicht verhehlen, daß Aristobuls Autorität um
so größer ist, da sie Arrian mit seinem rovg dxrtb fiijva^i tovtov^
anerkennt, und daß diese Datierung ganz zu Gunsten der in unserem
Briefe vorliegenden ist, dagegen mit Plutarchs Angabe über Alexanders
Geburt streitet. Man hat zu dem Ende angenommen, daß der Loos,
der, wie in späteren Zeiten, so in den Angaben Plutarchs dem Heka-
tombaion entspricht, vor Alexanders Expedition dem Boedromion gleich
gewesen, daß dann aber eine Regulierung im makedonischen Kalender
eingetreten sei, und daß Plutarch, diesen regulierten Kalender auch
auf die Zeiten des Philippos übertragend, die in attischer Datierung
bezeichneten Facta nach dem neueren makedonischen Kalender der
hyi)othesierten Veränderung uneingedenk berechnet habe. Aber man
traut dem guten Plutarch viel zu viel zu; er hat nicht erst berechnet^
sondern was er in seinen Quellen fand, niedergeschrieben. Die ganze
Frage dreht sich darum, wann Alexanders Regierungsantritt zu setzen
ist. Während Arrian 12 Jahre 8 Monate als die Dauer seiner Re-
gierung bezeichnet, giebt Diodoros (XVII 117) und Eusebios an einer
Stelle 12 Jahre 7 Monate, an einer anderen gar 12 Jahre 6 Monate
an, so daß uns dies zu keinem Resultate führt. Wichtiger ist, daß
Arrian (Indic. 21) angiebt, Nearchos sei vom Indes abgesegelt am
20. Boedromion (21. September) wtj Sk MccxeSöve^ xa\ !A(Tiavo) iiyov
rb ivdixarov ho^; ßafTikevovrog 14X%^üvSqov\ Strabon (XV S. 721)
sagt, daß diese Fahrt begonnen sei gegen den Spätaufgang der Plejaden
(damals etwa den 28. September); dies ist im Jahre 325 (s. Gesch. Alex.
S. 478 P 2 S. 345 ff.; nicht im Jahre 326, wie bei Clinton S. 245 ed.
Krüger angegeben ist), und wenn dies noch im 11. Jahre Alexanders
war, so muß er notwendiger Weise seine Regierung erst nach dem
Boedromion 336 begonnen haben. Ein Blick in die Geschichte
von Alexanders erstem Regierungsjahre wird zeigen, wie vortrefflich
mit diesem Datum die sämtlichen Begebenheiten übereinstimmen. In
Übereinstimmung damit ist die Angabe über die Dauer seiner Regie-
rung; denn fing er etwa mit dem Pyanopsion an [595] König zu
sein, so hatte er am 28. Thargelion beinahe volle 8 Monate über
12 Jahre regiert; und begann er etwa einige Tage später, so ist auch
die Angabc richtig, daß er 12 Jahre und 7 Monate regiert habe, denn
am 8. Monate fehlten noch mehrere Tage. Wie kann dann aber Arrian
sagen xccl Tov<i dxrm fitjvccg Tovtov(Sf die er nach Aristobul über
32 Jahre gelebt hat? Ich glaube, hier hat schon Arrian einen Fehler
Die Urkunden der Kranzrede 145
in seiner Handschrift des Aristobul vorgefunden und ohne Verdacht
nachgeschrieben. Denn nehmen wir an, daß Aristobul schrieb: kßicj
irq 9vo xc&i TQiaxovra xal rov TQirov fiijvaq ETTEAABEN I, so könnt«
daraus leicht genug ETTEAABEN H werden. Mit dieser einen Emen-
dation^ wenn man sie so nennen will, sind alle Schwierigkeiten gehoben
und die sonderbaren Ansichten über willküriiche Umgestaltungen des
makedonischen Kalenders und über Plutarchs Reductionsverfahren
unnütz. Daß der makedonische und attische Cyclus parallel waren,
lehrt unter anderem der Umstand, daß Ol. 114 1 der Daisios gerade
wie der Thargelion des Jahres im Metonischen Cyclus ein voller
Monat war; denn die Tagebücher erwähnten die Ssxütij (p&ivovrog
(Plut Alex. 76), daß diese Übereinstimmung zwischen dem attischen
und makedonischen Kalender noch Jahrhunderte weiter blieb, hat Hr.
Ideler aus den Observationen im Almagest nachgewiesen (Handbuch
der Chronologie S. 396 und 405). So finden wir, daß Alexander am
6. Loos oder Hekatombaion 356 geboren ist, daß er mit dem Dios
oder Pyanopsion 336, äficpl xä ^ixoaiv 'irrj &v (Arrian. II) König
wurde, daß er im Anfang des Daisios oder Thargelion 334 am Granikos
siegte ^ daß er im Daisios oder Thargelion 323, 32 Jahre und 10 Monate
alt, nach einer Regierung von 12 Jahren und 7 bis 8 Monaten starb 2.
Nach diesen Untersuchungen glaube ich dem vorliegenden Briefe
mit der Echtheit zugleich die Wichtigkeit, die ihm bisher für chrono-
graphische Untersuchungen beigelegt worden ist, absprechen zu müssen.
Leider sind wir über die korinthischen Monate äuBerst wenig unter-
richtet; ich würde zu weit zu gehen glauben, wenn ich es anstößig
nennte, daß Philippos nach dem Kalender der Korinthier, die in der
Schlacht von Chaironeia gegen ihn kämpften (Strabo IX S. 414), nicht
nach dem der Arkadier oder Argiver rechnet. Es scheint mir gleich-
falls zu gewagt, von dem Panemos der, Böotier einen Schluß auf den
der Korinthier zu machen; aber nähme man ihre Übereinstimmung
an, so müßte der Panemos dem attischen Metageitnion entsprechen,
indem das bei Plutarch (Cam. 19) erwähnte Datiim der Schlacht von
Leuktra nach attischer und böotischer Bezeichnung erweist, daß bereits
damals in beiden Staaten der gleiche Schaltcyclus galt.
^ Absichtlich ist die bekannte Stelle des Aelian (Y. H. II 25) übergangen
worden, welche angiebt, daß Alexander am 6. Thargelion viele Myriaden Bar-
baren vernichtet habe öte xal Aaqeiov xa&BikBv ÄkiJ^avöqog .... xnl aviov ds
Tor Äki^avÖQOv ical fsviad-ai nal anekd-etp tov ßiov tfj avvfj ^(iSQ<f neniGTevtai.
Die Tersuchten Erklärungen dieser Verkehrtheiten genügen noch nicht, und auch
die übrigen Angaben in dem genannten Kapitel sind voller Konfusion.
" [S. jetzt Gesch. Alexanders II* S. 343 ff.].
DrojBeD, KI. Schriften I. 10
146 Demosthenes
[596] Fanden wir die bisher betrachteten Urkunden auch sämtlich
unecht, so standen sie doch mit den nächsten Worten des Redners in
befriedigendem Zusammenhang; den demnächst zu betrachtenden fehlt
auch dieses, oder besser gesagt, sie sind aus unrichtiger Auffassung
des vom Redner Gesagten hervorgegangen.
Demosthenes beschreibt (§ 161) dies feindselige Verhältnis zwischen
Athen und Theben um die Zeit, da Fhilippos zum amphiktyonischen
Kriege berufen wurde: „ich sah, wie die Thebaner und fast auch ihr
auf Anlaß derer, die der Sache des Fhilippos anhingen und von ihm
bestochen waren {nag ixarigoig), in beiden Staaten dasjenige, was
beide zu fürchten hatten und mit aller Sorgfalt hätten hüten müssen
(t6 töv (pihnnov häv ccv^ävaa&ai), übersähet und auch nicht in
einer Hinsicht hütetet, dagegen zu Feindschaft und gegenseitiger An-
feindung bereit wäret'*. Und weiter (§ 163): „doch ich kehre zu dem
obigen zurück; als dieser (Aischines) den Krieg in Amphissa erregt,
seine anderen Gehilfen aber ihm die Feindschaft gegen Theben hatten
durchsetzen helfen [aviin%Qavaniv(ov), so geschah es, daß Philippos
daher kam gegen uns, H&bIv k(p h^ot^ij ohnsg %vBxa tag Ttöksi*^
ovTOi avvkxQOVov, Kcci ü fxfj TtQOB^avientjfiBv fitxQdv, ovS* ävakcc-
ßeiv &v ijdvv/j&f]fxev' ovtg) fiixQ^ nd^Qm nQ07]yayov ovroi t6 ngäyfia.
'Ev oig S' fjT6 fjSfj ra ngög äll/jkovq, rovrmv) r&v xfnitpiafjLdrcov
äxovaccvreg xal x&v änoxQtaecov eYirea&e, Kca fioi leys ravxa Aor-
ßdiv. Nachdem die Documente gelesen sind, fährt Demosthenes fort
(§ 168): ovrm Stadeig 6 ^ikinnog rag nökeig itQog dkl/jlag Siu
TOVT(X)Vj xal TovTOig hnagO'elg rotg it'r]q:>t(Tfia(Ti xal xatg Ana-
XQiaemVj Ijxev ü^g^v r)}v Svva^iv xal rljv 'Ekdreiav xareXaßsv, d)^
ovS' av 6/' Tt yivoixo eri avfinvBvaövTfov rjfjLöüv xal t&v 07jßatcot\
Nach diesem oUtq) Sia&elg 6 <l>lhnnog könnte man allerdings meinen,
daß Philippos unmittelbar mit eingewirkt hätte, also Briefe und der-
gleichen von ihm mit gelesen wären; aber, näher betrachtet, zeigt sich
die Unmöglichkeit dieser Annahme, denn die Beschlüsse und Antworten,
durch welche Philippos dreist gemacht wird {hnagO-Blg), können doch
nur die zwischen Athen und Theben gewechselten sein; und eben das
lehren die vor dem Vorlesen gesprochenen Worte: Sia&elg dic^c
TovTcov bezieht sich, wie natürlich, auf Aischines und seine Mithelfer.
Statt des erwarteten Notenwechsels zwischen Athen und Theben
finden wir nun zwei Anträge der Athener an Philippos, eine
Antwort des Königs an die Athener und ein Sendschreiben
desselben an die Thebaner! Gut, der hypothesierte Gelehrte wird
in dem konfusen Archiv oder in seinen Sammlungen gerade die be-
treffenden attischen und thebanischen Urkunden nicht mehr vorgefunden
Die Urkunden der Kranzrede 147
and statt ihrer die Torliegenden, die denselben kriegerischen Zeitläuften
angehören, in nnsere Bede eingeschaltet haben. Sind also diese Ur-
kunden, die wir jetzt lesen, nicht die von Demosthenes gemeinten, so
werden sie doch echt sein und in die nächstliegenden Verhältnisse, die
wir bereits kennen gelernt haben, passen müssen. Wir wollen sehen.
Die beiden attischen Beschlüsse (§ 164. 165) datieren in üq^ov-
[597] Toq 'Hoonv&ov; der erste ist pir}v6<^ 'EXacprißoXi&voq üxrtj (p&i-
rovrog, ^vXijg nQvravBvov(Tr]q 'EQBxO'7]tSog, der zweite fi7]vdg Mov-
wxicHvog 'ivTj xal vi^. Wir sind schon gewohnt, falsche Archonten-
namen zu finden; die mehrfach angeführte Hypothese erklärt dieselben
als aus Verwechselung mit den Namen der Pry tanienschreiber entstanden.
Da das Jahr OL 110 2 im Metonischen Cydus kein Schaltjahr ist,
so ist die Dauer der Prytanien, mit denen auch deren Schreiber
wechselt, 35 und resp. 36 Tage. Genau genug ist vom sechsletzten
Elaphebolion (er ist in diesem Jahr ein voller Monat) der letzte
Munychion der 35. Tag, so daß man nur anzunehmen braucht, daß
die Erechtheische Prytanie mit dem Tage, wo der erste Beschluß gefaßt
ist^ angefangen, und mit dem, wo der zweite, aufgehört hat, und Hero-
pythos kann der Prytanienschreiber sein, der zum Archen umgewandelt
ist! Oder wem das denn doch zu gewagt erscheint, der kann auch
die Vermutung billigen, daß der Archen Heropythos durch Schuld der
Schreiber aus dem ersten in das zweite Decret eingeschmuggelt worden,
wie wir dergleichen ja schon mit dem Priester Kleinagoras erlebt
haben !
Femer finden wir in dem ersten Decret nach der Datierung die
Formel ßov)Sjg xal (TTQccrriy&v yvdifxr}, Schömann (de comitiis S. 99 flF.),
Spengel (S. 396) und Winiewsky (S. 304 ff.) haben über diese in den
Decreten unserer Bede oft wiederkehrende Formel ausführlich gehandelt.
Da in der Ekklesia keine Sache änQoßovXevrog verhandelt werden darf,
so ist die yvdfArj ßovXfjg ein notwendiges Ingredienz jedes Volksbe-
schlusses, und daß wenigstens yv(6fjL7] ein officieller Ausdruck ist, lehrt
außer Xenoph. Hellen. I 7, 9 und Harpocrat. v. nQoxuQoxovia beson-
ders die Inschrift im Corp. Inscr. Gr. 108 [= C. I. A. II 594] SsSöz&cci
rfj ßovXfj Tovg Xccxövrag TiQoiÖQOvg elg rijv imovaccv kxxhjaiav
ZQfJfMxriacci %bqI rovrmv, yvc&fxrjv Sh avfißüXhia&ai vT/g ßovltjg elg
TOP Sfjfiov Sri SoxsT rf/ ßovkfj kncciviacci x r X, Ist das die Bedeu-
tung des ßov?Sjg yvcjfir], so kann man sich durchaus nicht vorstellig
machen, wie noch ein Beamteter, hier also die Strategen, noch mit
dazu kommen sollen. Es ist bemerkenswert, daß durchaus nicht in
anderen Decreten, als denen dieser Bede, die Formel ßovlfjg yvcifiy
vorkommt. Die Sache scheint natürlich. Der Antragsteller machte
10*
148 Demosthenes
seinen Antrag {eine) SeSöxä'ai rf] ßovXtj xai rc5 Sfjfiq). Nahm der
Senat den Antrag an, so wnrde wohl dem 6 Seiva eine und der vor-
zuschreibenden Datierung das iSo^ev rp ßovlfj vorgesetzt und der
Antrag, nun ein Probuleuma, in die Ekklesia gebracht Nahm das
Volk das Probuleuma unverändert an, so wurde der Antrag zum
Psephisma entweder, indem man der Datierung eSo^ev ry ßovXfj xal
T(p d/jfiq} vorsetzte und dann das 6 Öeiva eine SeSöx&cu x r X
unverändert folgen ließ, oder indem man das SeSöx^^cci in die Formel
des Beschlusses 'iSo^e ry ßovXf xui rw 8t)fm verwandelte. Wurden
dagegen in der Ekklesia Amendements gemacht (s. Corp. Inscr. Gr. I
S. 124), so folgte dem Probuleuma der Beschluß des Volkes: eSo^B
TCO Sf'jiup • rä füv äXXa xa&öri Ij ßovXij i\pri(pi(Tccro oder dergleichen
(Corp. Inscr. Gr. 106 1).
So scheint die Formel ßovXfji^ y^ff^p^y bis auf glaubwürdigere
[598] Nachweisung, wenn schon sie in sich nicht unwahrscheinlich ist,
zweifelhaft, die Hinzufügung <TTQaTf]y&v yvco^y oder dergleichen voll-
kommen unmöglich; und weit entfernt, in dieser sonst nicht vor-
kommenden Eigentümlichkeit der vorliegenden Decrete einen großen
Beweis ihrer Echtheit zu finden, sehe ich darin nur einen Beweis
mehr, daß sie irgend einem Halbwisser und einer Zeit, die der Leben-
digkeit des attischen Staatslebens schon fem stand, ihren Ursprung
verdanken.
Denn man sehe nur den trefiFlichen Inhalt dieses ersten Pse-
phismas etwas näher an: „da Philippos einige Städte eingenommen,
andere zerstört, überhaupt aber die bestehenden Verträge nicht geachtet
hat, so beschließe das Volk Gesandte zu wählen, die um Waffenstill-
stand bis zum Monat Thargelion bitten sollen". Angenommen, daß
dieser Beschluß, wenn nicht der von Demosthenes gemeinte, aber doch
alt und echt ist und der Schlacht von Chaironeia nahe liegt, so müssten
die Athener im Elaphebolion einen WaflFenstiUstand erbeten haben,
also nach den zwei glücklichen Gefechten, dem am Flusse und dem
winterlichen, in der Zeit, wo Philippos, wie Demosthenes sagt, in der
allergrößten Bedrängnis von neuem an die Peloponnesier schrieb
(§ 218); oder richtiger, es machen die Einzelheiten selbst eine solche
Annahme vollkommen unmöglich. Betrachten wir diese Einzelheiten,
so finden wir zunächst: kneiÖ)/ 0iXt7i7iO(i ag fiev xareilrirpe Tiöket^
T(öv ccorvyeiTÖvcov , rivus; 8h itogO-elj xe(pakai(p Sa, also Städte, die
vier Tagereisen von Athen entfernt sind, soll ein attisches Decret
^ [Die im Text angefahrte Inschrift ist troizenischen Ursprunges; die
attische Formel lautet ohne weiteres: t« fiev uXXa xu&un6(} ifi ßovXfj oder xne-
x^anBq b öeiva].
Die Urkunden der Kranzrede 149
äarvyeiroveg, wie Plataiai {xarä N6at()ag § 107) nennen? Athen soll
das Besetzen und Zerstören von auswärtigen Städten zum Anlaß einer
Unterhandlung um Waffenstillstand, als wäre der Staat selbst ange-
griflFen, bei noch währendem Frieden nehmen? man soll in dieser Zeit
in Athen &g fiiv — vi vag de gesagt haben? was gerade so klingt, als
wenn wir sagen, weil Philippos welche von den Städten zerstört,
andere u. s. w. (denn die ganz vereinzelte Stelle in unserer Rede § 71
ist nach den besseren Handschriften zu berichtigen). Doch weiter:
xt€faXatcp dk ini rtjV ^mxijv naQccaxevä^Brai naQccylyvia&ccij nccQ
ovSiv 7]yovfjLBVog rag ij/xeriQag <rvv&/jxag, xal rovg ÖQXOvg kveiv
iT^ißaXlerai xai rijv Bi^/jvtjv nagaßarvcov rag xoiväg niensig —
jedenfalls eine reichlichst pleonastische Ausdrucksweise für das, was
Philippos noch gar nicht gethan hat; es bestand ja kein Friede, seit-
dem für Byzanz zu kämpfen die Athener die Friedenssäule umgestürzt
hatt<en; und hätte derselbe bestanden, so wäre ein Angriff auf Amphissa
im Auftrag der Amphiktyonen keine Verletzung desselben gewesen; und
wäre es Friedensbruch gewesen, so werden die Athener infolge dessen doch
nicht den unsinnigen Beschluß fassen wie folgt: nifineiv ngog avrov
fxtiQVxa xai] noiaßetg o'iriveg avnp StaXk^ovrai xal TtaQaxeXsvaovtnv
avrbv fiüXicrrcc fiiv rijtf TtQog ijnäg dfiövoiav SiaTTjQsTv xal rag avv&ri'
xag, sl Si fX7j, nodg ro ßovkevaaff&ai Sovvai XQ^'^ov rfj nölei xal
rag (i) ävoxäg itoniaaGd-ai fie/Qi rov Oa^yrjh&vog firjvög. Man muß
einen sonderbaren Begriff haben nicht bloß von der attischen, sondern
überhauptvonjeder Politik, wenn man glauben kann, daß solches Gewäsch
anderswoher, [599] als aus dem beschränkten Gesichtskreise der Schule
und ihrer Umgebungen herstammen kann. Und nun zum guten Ende
werden auch die drei Gesandten genannt; und wie es bei Inschriften,
die nicht einen Beschluß, sondern das infolge desselben Geschehene
aufbewahren sollen, erklärlich ist, so geht hier freilich auffallender die
Form des Beschlusses oder, richtiger, des Antrages in die eines Proto-
koUes der Wahl über mit den Worten: rjQkihiiaav ix rTjg ßovXfjg
^Tfiog IdvayvoäGiog j EvxfvSri^og (I^kvätriog, BovXayöoag 'AXfoitt-
xr^depK Man wird doch zu solcher Sendung nicht die ersten besten
' Simos ist ein in Athen seltener Name, doch scheint er unter anderem
in Corp. Inscr. Gr. 115 = C. J. A. 11 329 in der falschen Form Jüvfiog lEVw-
xQuTov Ai&aUÖT^g enthalten zu sein. Für Bovla^ogag ist mir sonst kein Beispiel
in Athen aus dieser Zeit bekannt. Desto häufiger kommt £v&vdrjfiog vor; aus
Demosthenischer Zeit dürfte der Sohn des Pamphilos (Dem. ngbg Boccjt. vneq
Tiqoixog § 23) und des Sti-atokles Sohn (xarn Meiölov § 165) zu nennen sein;
ob einer von beiden oder überhaupt ein damaliger Euthydemos Phylasier oder,
wie es in der Urkunde heißt, Phlyasier war, weiß ich nicht.
1 50 Demosthenes
drei aus den gelosten Ratsmännern wählen; aber nirgends wird nur
einer von ihnen genannt. Und was soll man aus dem 0Xva(Ttog
machen? er muß nach attischer Weise <l>Xv6vg oder Q^vkämog heißen,
und wer an dem nichtsnutzigen Aktenstück emendieren will, kann
dies und jenes schreiben und oben auch xi'iQvxa xccl streichen, da zu
den Dreimännern hier kein Herold genannt wird. Nur wird damit
das untergeschobene Machwerk nicht alt, noch echt
[699] Das zweite Psephisma hat nach dem schon beleuchteten
Datum die Formel noXefiäQzov yvcttfiy^ und zwar ohne einen weiteren
Antragsteller, so daß von jener yv(6fi7] das weitere SeSö^O-cct rfj ßovlfj
xal T« Si'iiica abhängt. Wäre durchaus nichts Verdächtiges an diesem
und den anderen Decreten, so würde man die Pflicht haben, eine solche
Seltsamkeit als ein noch Unerklärliches anzuerkennen; aber so viele
attische Inschriften auch gerettet sind, es giebt nicht eine, welche so
mannigfach allen sonstigen Überlieferungen, Formen und aus dem
Wesen der Demokratie gefolgerten Annahmen widerspräche. Es muß
als vollkommene Unmöglichkeit gelten, daß ein Volksbeschluß nolt-
fidg/ov yvibyirj gefaßt wurde; denn die Erklärung ^^letnarchi auctori-
tote latvm esse ad popidum'' (Schoemann de comitiis S. 102), ist nach
attischen Begriffen, wo diese auctoritas nur der ßovX7j, dem Archonten
nur das Becht der Beantragung zukommen kann, durchaus unmöglich.
Die Anlässe zum Beschluß lauten wieder sehr sonderbar: knuötj
^UlhitTioq slg dkXoTQiÖT7]Tcc Ojjßaiovg n^ög ijfiäg iTtißüXXerai xaxa-
(TTTjGuiy naQ6(TX6va<TTai Si xal navrl tm (tt Qocx^viiari HQog tovg
eyyiGTcc TJjg IdtrixT^g naQuyiyvta&at rÖTiovg, naQaßccivcav rag nobg
ijfiäg vnaQXoioccg ccvrtp avv&fjxccg. Also auch dies Decret ist noch
vor der Expedition gegen Amphissa, der sich bereits Athen und Theben
gemeinschaftlich widersetzen; dabei folgt es der Zeit nach dem vorigen
Beschluß, in dem es bereits heißt nväg Si noQ&eT {Ttökatg). Und wenn
Philippos seine alten Verbündeten, die steten Feinde Athens, die The-
baner versucht dg aXkoTQiörrira xaraarTidaiy während sie sich doch
erst nach der Besetzung von Elateia einander näherten, wenn er sich
rüstet, ganz nahe an Attika zu kommen (mit einer bemerklichen Stei-
gerung des Ausdrucks im Verhältnis zu dem obigen Decret), so heißt
das die mit Athen bestehenden Verträge übertreten? Es ist also in
denselben wohl ausgemacht, daß Philippos weder mit Theben befreundet
sein, noch sich auf mehr als so und soviel Märsche dem attischen
Gebiet nähern soll? Und wieder [700] diese unleidlichen Verträge, die
trotz des erbetenen und gewährten Waffenstillstandes [rag ävo^c^i)
noch immer in Kraft sein sollen! — Der Beschluß, auf den dann
angetragen wird, lautet: Sedö/i^ai rfj ßovly xal t&> Si]^ nifiyc^i
Die Urkunden der Kranzrede 151
:roo^ avTov xf'iQvxcc xcct TtQiaßsigj oiriveg ä^Koaovai xai nagccxuXi-
aovffiv aircov noi/jaaaO'ai rag ävoxag, Önwg kvSsxofiivcjg 6 STjfiog
ßovkBVfTfjrai ' xccl yäo vvv ov xixQixe ßor]&6iv kv ovSavi röv fierQimv.
Bis zum Thargelion hatte das erste Beeret Waffenstillstand gefordert,
am Tage Tor dem (ersten) Thargelion beschließt man an Philippos von
neuem zu senden, offenbar um den Vertrag zu erneuern, obschon es
nur heißt rag ävoxug nouiGuad-aiy ohne Erwähnung des 35 Tage
früher beantragten und abgeschlossenen Waffenstillstandes. Der Ver-
fertiger des Decretes muß sich den König Philippos sehr nahe bei
Athen gedacht haben, wenn er den Beschluß zur Fortsetzung des Ver-
trages erst an dem Tage, wo derselbe zu Ende geht, fassen laßt.
Philippos steht bis zum Schlachttage von Chaironeia über drei Tage-
märsche weit von Athen, und man sollte so verkehrt gewesen sein,
durch zu späte Zusendung sich der Gefahr, daß der Krieg ausbräche^
auszusetzen! Man kann sagen, es wird ja ein Herold mitgeschickt,
also weiß man, daß die Gesandtschaft nach Ablauf des Waffenstill-
standes die feindlichen Posten berührt; aber ist darum die Verkehrtheit
jener Beschlußnahme geringer? Und nun sehe man auf die ganze
Fassung des Antrages; die Athener, welche vor einem halben Jahre
jene glückliche Expedition gegen Byzanz gemacht, welche zehntausend
Söldner außer ihrem bürgerlichen Heer zur Verfügung und eine Flotte
haben, die stets Makedonien selbst gefährden kann, diese Athener unter
Leitung des Demosthenes, Hypereides, Lykurgos, diese Athener, die
wenigstens die Phrasen der politischen Größe stets zu bewahren ge-
wußt, sie sollen sich nicht vor sich selbst und den Hellenen geschämt
haben, solche elend niedrigen, bettelhaft flehenden Beschlüsse zu
fassen, die ein größerer Triumph für Philippos als der vollkommenste
Sieg, eine voUkonunene, moralische Niederlage für sie selbst gewesen
wären?
Ich will mich nicht darauf einlassen, ob das in dem Decret vor-
kommende Adverbium kvSsxofjLivcog bereits in Demosthenischer Zeit
nachzuweisen ist; jedenfalls ist es erst seit Polybius geläufig. Anstoß
hat dagegen das ov xixQixe ßori&Eiv kv ovSevl röv fiezQiojv erregt,
und man hat wohl |u/y und infjSevt verlangen zu müssen geglaubt
Will denn das Volk unter keiner mäßigen Bedingung ausziehen?
Vielmehr das Volk versagt es sich, unter mäßigen Bedingungen ins
Feld zu ziehen. Doch wiederhole ich ein für allemal, daß anstößige
Worte und Wendungen nur neben und nach bedeutenderen Verdachts-
gründen gegen diese Urkunden eine Stelle erhalten dürfen.
Den Schluß des Decrets bildet die Angabe: yoi&rjfrav ix ßovlrjg
JVeuQXog JS(0(Tiv6fiov, ITvXvxoarrjg 'EnifpQovog xal x/jqv^ Evvofiog
152 Demosthenes
'AvacpXvarioq kx rov Stjfiov ^. Daß dies wieder ganz unbekannte Leute
[701] sind, versteht sich schon; aber weshalb werden die beiden Männer
aus dem Kat nicht wie die im vorigen Beschluß nach ihrem Demos
genannt? oder hielt es der Verfasser für unpassend, die Hrn. Senatoren
so zu bezeichnen, wie den Herold „aus dem Volk"?
Die Athener haben also den König zweimal um WafiFenstillstand
gebeten; auf den zweiten Antrag, in dem sie bereits ihre Verfeindung
mit den Thebanem beklagen, ist nun der erste Brief des Königs
die Antwort. Ich wiederhole, daß Demosthenes, wenn er sagt, Xiye
xul rag anoxQidiiqy nichts anderes als die Antwortschreiben der The-
baner meint, und daß überhaupt von Verhandlungen, wie sie diese
Aktenstücke zeigen, in der Wirklichkeit nie das Geringste existiert hat.
An sich ist der Brief ganz hübsch und charakteristisch geschrieben,
und der Verfertiger hat sich gewiß nicht wenig darauf eingebildet, daß
er den tapferen und mit steten Kriegen beschäftigten König sein mar-
tialisches ^1 vTiooTQocfJjg schreiben läßt. Der König erklärt, als wäre
er der Gebieter, gegen den man sich aufgelehnt habe: er wisse sehr
gut, welche Stellung gegen ihn {TiQog ijfxäg aigiaiv) die Athener von
Anfang her genommen, und welchen Eifer sie anwendeten, die Thessa-
lier, Thebaner und Böotier {in 8i xal Boicjtovg) auf ihre Seite zu
ziehen. Zugegeben, daß die Athener in Thessalien Anhang zu gewinnen
versucht haben, jedenfalls bleibt das 'in Sä xcci Boieorovg sehr seltsanL
Seit dem Frieden des Philokrates war unzweifelhaft Thebens Gewalt
nicht bloß über Orchomenos und Koroneia (Dem. tieq! üq^jv. § 21
und uEiu nciQunQtGß. § 141), sondern über ganz Böotien anerkannt,
und wollte Athen mit Theben in Verhältnis treten, so mußte es dessen
Herrschaft in Böotien anerkennen (Aischin. § 142 ixSorov njv Botco-
nav änaaccv knoi7](T8 Oijßaioig) und nur in Theben die Böotier reprär
sentiert finden (Aischin. a. a. 0. und § 145); woher denn nun also
diese Trennung zwischen Thebanem und Böotiem, eine Trennung, die
erst nach der Schlacht von Chaironeia durch Philippos und Alexandres
mit so großem Erfolg geltend gemacht worden? Philippos fährt fort:
„da jene Staaten aber verständiger gewesen und nicht ihre Politik von
Athen abhängig zu machen geneigt (jiij ßovlofievrov), sondern nur auf
ihren Vorteil bedacht gewesen seien, so machten die Athener nun
* Ein Nearchofl, Charigenes Sohn, ist im Corp. Inscr. Gr. 214 [C. I. A. II
581: xtt[XXl]aQxov? Xai.QCY6Povg]. Sosinomos heißt ein Wechsler in Athen, Lysias
7i(fbg Aia/itnjv bei Athen XIII S. 611. Dem. vtieq (P09/4. § 50. Polykrates heißt
unter anderen der ziemlich verrufene Sophist, s. Hoelscher de vita et seriptis
S. 201. Epiphron ist mir sonst nicht bekannt Der Name Eunomos ist häufig,
ihn führt der Bruder des Aischin es, der Bruder des Aristogeiton u. A.
Die Urkunden der Kranzrede 153
Kehrt und schickten Gesandte und Herold, erinnerten an die Verträge
und bäten um WaflFenstiUstand, von dem Könige doch in nichts beein-
trächtigt. Der Brief schließt: iyd) fiivroi äxovaccg r&v nQBtrßBvr&v
(TVYxaTaxiü'ifKiat roTg naQccxcckovfihoig , xcci Hoi/iög elfii nouTa&cci
Taq d:voxccg, ävniQ rovg ovx ÖQ&ßg avfißovXevovrag tffiiv naga-
nift-ifjavTBg rfjg nQogrixovmjg dnfiiag cc^idatjre. Ich übergehe die
hier gebrauchte Structur (Tvyxarari&rjfiai (vgl Plato Gorg. S. 501 c),
da ich über dieselbe nicht hinreichend im Klaren bin. Wohl aber
muß als sachlich auffallend [702] bezeichnet werden, wenn Philippos
als Bedmgung des Waffenstillstandes nicht die Auslieferung der Redner,
wie Alexandros nach offenbarem Friedensbruch seitens der Athener,
sondern eine drifjua xaxä nQÖgra^iv fordert, gleich als ob er in den
inneren Verhältnissen eines autonomen Staates zu gebieten hätte.
Hiemächst folgt die djtöxpKng&rjßatoig des Philippos, ohne daß
wir den Brief vorfinden, auf den geantwortet wird. Dies Schreiben ist
in demselben zuversichtlichen und übermütigen Stil verfaßt, den man
in den sophistischen Jahrhunderten für den dem makedonischen Könige
eigentümlichen gehalten zu haben scheint Die Annäherung zwischen
Athen und Theben, wie sie hier von Philippos bezeugt wird, ist, wie
wir schon öfter gesagt, durchaus apokryphisch. Man könnte sagen,
daß allerdings die Amphissäer zunächst aus Freundschaft für Theben
jenen Antrag gegen Athen (Frühling 339) machten, und daß Theben
die Herbstversammlung in den Thermopylen, wo Philippos gewählt
Würde, nicht beschickte (Aischin. § 128), sei ein Zeichen für die be-
ginnende Spannung mit Makedonien, zu der Theben durch den Verlust
Ton Nikaia noch mehr Grund hatte; man kann ferner jenes ojg ovx
vn/ixovov Ol OfjßaToi bei Demosth. § 156 hinzufügen, infolge dessen
Philippos die Peloponnesier zur Teilnahme an dem Amphiktyonenkriege
aufforderte; ja, der Notenwechsel zwischen Athen und Theben, den
Demosthenes vorlesen läßt, ist eben ein Zeichen, daß man sich zu
nähern versucht hat. Aber gerade das wichtigste, nämlich daß Theben
nach vergeblichen Unterhandlungen mit Athen den Frieden mit
Phüippos erneut, gerade das ist unmöglich, weil Demosthenes sagt,
der König inagß-elg rovroig roig ifji](piaiiaai xccl ratg änoxQiG%ai
kam und besetzte Elateia, d)g ov8' äv sY n yivoiro 'in (rv^nvev-
(TÖVToov vfi&v xal Töv 0fjßai(ov (§ 168); hätten die Thebaner, wie
der .vorliegende Brief meint, ihre Ergebenheit bezeugt und den Frieden
mit Philippos erneut, so hätte er sich auf mehr als die bloße Unwahr-
scheinlichkeit, daß Theben und Athen je wieder in Einklang kämen,
verlassen können. Schließlich will ich hinweisen auf die Construction
nwd-üvofiai SiÖTi, auf den Ausdruck ßovlöfjLSvoi vfiäg avyxaxaivovg
154 Demosthenes
yBvia&ai und auf das hinzugefügte roU i'tt' ccvtcop (den Athenern)
naoaxaXovfiivoigy was nach Ausweis der nächstvorhergehenden Akten-
stücke nichts anderes wäre, als der Waffenstillstand; und die Athener
hätten so große Anstrengungen gemacht, für denselben die Fürsprache
der Thebaner zu gewinnen, deren Entfremdung ja eben nach dem
zweiten Beeret der Grund war, daß sie ihn so eifrig nachsuchten!
Noch bleibt uns aus diesem Zusammenhang von Begebenheiten
ein Aktenstück zu betrachten, das Psephisma des Demosthenes,
das gleich nach der Einnahme von Elateia in Antrag gebracht ist
(§ 181 — 187). Wir wollen mit der Chronologie desselben beginnen.
Das Datum des Antrags lautet: knl äo/ovrog NccvaixUovg, (pvkr^g
TiQvravevovar/g AlavxiSog JSxiQO(fOQi(üvoq ^xry knl Sixa. Geben wir
den verkehrten Archen einmal ohne weiteres hin, er soll der Prytanien-
schreiber gewesen sein, der Schreiber der zehnten und letzten Prytanie
[703] des Jahres Lysimachides; das Datum des Beschlusses wäre nach
unserer Art der 16. Juni 338, also vor der am 4. August gelieferten
Schlacht von Chaironeia etwa sieben Wochen voraus. Wir wollen
femer alle unsere früheren chronologischen Bestimmungen noch einmal
als zweifelhaft preisgeben: wir wollen, da gerade zu diesem entschei-
denden Psephisma und der Wahl der mit Theben Bündnis schließenden
Gesandten kein zweiter analoger Fall vorgekommen ist, aus dem eine
Verwechselung zweier ähnlicher Decrete hätte entstehen können, dies
vorliegende als festen gegebenen Punkt ansehen und uns von da
unbekümmert um die anderen Decrete die Chronologie zu konstruieren
versuchen. Also vom 16. Juni ist das Decret, Tages nachdem die
Nachricht von der Besetzung Elateias gekommen ist; die Gesandten
sollen in derselben Ekklesie noch gewählt, am 18. Juni in Theben
angekommen sein, wo bereits ein Kongreß der verschiedensten Lega-
tionen bei einander ist. Die Verhandlungen dauern nach Demosthenes
Darstellung gewiß ein paar Tage, nehmen wir an bis zum 25. Juni;
dann ist das Bündnis geschlossen, das Heer der Athener vereint sich
mit dem der Thebaner und rückt gegen Parapotamioi, während 10000
Söldner den Amphissiern überlassen werden; die Heere können unmög-
lich vor dem 5. Juh ihre Positionen genommen haben; auch Philippos
beginnt nicht die Feindseligkeiten, da er noch erst Verstärkungen ab-
warten muß. Die erste Aktion ist der Angriff auf Amphissa und die
Einnahme der Stadt, was jedenfalls einige Tage kostet, etwa bis zum
10. Juli. Philippos hat im Laufe dieses Krieges Frieden angeboten,
es ist für diese Rechnung gleichgültig, wann wir die Zeit, die er
brauchte, ansetzen; da auch in Athen darüber verhandelt wurde, gingen
wenigstens zehn Tage damit hin, so daß vor dem 20. Juli die
Die Urkunden der Kranzrede 155
Feindseligkeiten nicht wieder eröflfnet wurden. Nun siegten die Ver-
bündeten in der Schlacht am Flusse, etwa den 21. Juli; dann folgte
die winterliche Schlacht, und wir wollen annehmen, es hat da in Phokis in
Sonmiers Mitte geschneit, wir wollen annehmen, daß die beiden Schlachten
(denn es wurden zwei verschiedene Beschlüsse gefaßt, Freuden-
opfer darüber anzustellen) nur acht Tage auseinander liegen. So wären
wir schon am 29. Juli. Nun schickt Philippos in höchster Not in den
Peloponnes, die Bundesgenossen aufzurufen; nach zwei so schnell hinter
einander verlorenen Schlachten wird er nicht sogleich wieder die Offen-
sive ergriflTen haben; dann macht er mit leichtem Volk verwüstende
Einfalle in die böotische Ebene, lockt die Verbündeten aus ihrer Posi-
tion, gewinnt ihnen gegenüber die Stellung von Chaironeia, — und
das aUes soll zwischen dem 29. Juli und 4. August abgemacht sein!!
Und die vorgelegte Berechnung ist so wenig lang gezogen, daß viel-
mehr jeder nur einigermaßen Unterrichtete sagen wird, solche Reihe
von militärischen Bewegungen, in denen wenigstens 80000 Kombat-
tanten gegen einander gestanden, könne unmöglich in so kurze Zeit
Zusammengedrängt gewesen sein. Das Datum des vorliegenden Decretes
ist eine Unmöglichkeit, und da kein zweites Decret von ähnlichem
Inhalte in den verwirrten Archiven Athens [704] existieren konnte, ist
diese chronologische Verkehrtheit allein schon Beweis genug für die
Unechtheit der Urkunde.
Ich würde noch einen zweiten chronologischen Beweis außer dem
früher Gesagten geltend machen, wenn derselbe nicht einiges Bedenken
hätte. Nach den beiden glücklichen Schlachten und als Philippos sich
mit dringender Bitte um Hilfe an die Peloponnesier gewandt hatte,
wurden ihm zwei Kränze beantragt von Hypereides und Demomeles^.
Demosthenes sagt (§ 223), nachdem er die Decrete hat lesen lassen,
TctüTi XU ifj^ritpiGyLara rccq cciräg avXkaßäg xai tuvtcc Qi)fiaTa i/ei
^^iQ nQÖTBQOV fdv L4ot<rTÖvixog, vvv Se KrriGKp&v yiyQacpEV ovroai'
xal ravT ^laxivriq ovr iStcj^ev avrog ovre rtp yQccxfJUfiivto avy-
x(iTfjyÖQ7j(Tev. Also sind beide Kränze in den Dionysien verkündet,
gewiß nicht in den Dionysien sieben Monate nach der Niederlage von
Chaironeia, denn da würde Aischines gewiß ebenso gut wie gegen
^ Daß dieser Demomeles der Paianier ist, leidet wohl keinen Zweifel; er
ist dann der Sohn von Demosthenes Oheim Demon und derselbe, gegen den
Demosthenes früher TQavfiaTog ex nqovoiag vor dem Areopag klagte, nachdem
er sich selbst, wie Aischines will, die Wnnde beigebracht hatte. Aischin. iieql
^<tQan. § 93 und daraus Harp. v. Haiavievg Aischin. xaia JTti/o-. § 51 Suidas
V. AriyLOü^., wo noch immer Jrj^alyeiog steht. Über die Verwandtschaft s. Boeckh
im Corp. Inscr. Gr. Nr. 459.
156 Demosthenes
Ktesiphon klagend aufgetreten sein, sondern in den Dionysien OL 110 2,
im Frühling 338. Daraus folgt mit der entschiedensten Notwendigkeit,
daß die Schlacht am Flusse und die winterliche Schlacht vor dem
Elaphebolion OL 110 2, vor dem März 338 geliefert sind, und daß
somit auch von dieser Seite her das Datum in Demosthenes Decret
unsinnig ist. Doch ich muß mir zunächst diesen Grund selbst ent-
kräften.
[705] Demosthenes sagt § 83 inbezug auf die Angelegenheiten von
Euboia: (rrecpavcoffävTcov vincDv ifii int rovtoig röre xai /(mxfjavro:
'AqkttovIxov rä^ avräc, avX'kaßu^^ u^nEo ovroai Kt7](Ti<p&p vvv
yiyQacp^, xul dvc{^^7]&ivTog iv reo O-butqco tov azBipdvov xal Sbv-
rigov XTjQvyfaaToq YjStj fioi rovrov yiyvofxivov, ovr icmumv
Alaxivriq naocbv x t L Dies ist von dem neuesten Herausgeber so
verstanden, als wenn vor dem Antrag des Aristonikos Demosthenes
schon einmal gekränzt worden wäre. Aber wir wissen sonst nichts
davon, und Demosthenes würde es gewiß nicht verschwiegen haben;
auch mußte dann wenigstens ysvofievov gelesen werden; endlich aber
will der Redner nebenbei bemerklich machen, daß Aischines nicht um
der Gesetze willen den Ktesiphon verklage, denn sonst würde er schon
Aristonikos Antrag wegen der unerlaubten Verkündigung im Theater
haben angreifen müssen. So kann der Sinn nur in etwas loser Ver-
knüpfung der Sätze, die aber vollkommen verständlich ist, folgender
sein: „da Aristonikos auf Kränzung für mich genau ebenso wie jetzt
Ktesiphon antrug und der Kranz im Theater verkündet wurde, und
demnach diese Verkündigung der Kränzung durch Ktesiphon bereits
meine zweite ist, so hat doch Aischines nicht schon jene erste als
gesetzwidrig angegrifiPen". Ist also das x/jQvyfia, das Ktesiphon ver-
anlaßt hat, das zweite, so müssen die beiden zwischenliegenden Kränze,
die Demomeles und Hypereides veranlaßt haben, nicht in den Dionysien
verkündet worden sein, weil sonst dies von Ktesiphon beantragte
xi'iQvypicc das vierte wäre. So entscheidend dies zu sein scheint, so
wenig glaublich ist es, wenn man folgendes erwägt: Demosthenes sagt
§ 120, wo es sich über den vö^^lo^ Aiowataxö^ handelt: n%Ql xov y
iv rw {ymxQcp x^nvxxwd'Ui ^ x6 fiiv iivQicixi^ /livoiov^^ xbxijqvx^'^^'
iiaQct7Mn(o xal x6 noD^axig avxog i(TX€(pav6i(Tßat iiqöxbqov, wo
der Zusammenhang fordert, daß dies ktTxetfav&aü-cci auch die Ver-
kündigung im Theater in sich schließt. Wichtiger aber noch ist, daß
an der Stelle, wo von den zwei Kränzungen durch Hypereides und
Demomeles gesprochen wird, beide Decrete gelesen sind, und dann
Demosthenes fortfährt, daß sie xccg avxä^ avllaßäg xal xavxä pi'r
fiaxa haben, wie Ktesiphons Decret, und sie von Aischines doch nicht
Die Urkunden der Kranzrede 157
[706] angefochten sind; es konnte dann die von Aischines in der kurz
zn?or gesprochenen Rede so stark hervorgehobene Verkündigung in
den Dionysien gewiß nicht fehlen. In dieser Voraussetzung konnte
man das Sevr^oov xi}Qvyna aus § 83 so verstehen, daß, indem weder
Aischines die beiden Kränzungen durch Hypereides und Demomeles
angeführt, noch Demosthenes bis § 83 deren erwähnt hat und den
Athenern doch nicht zuzumuten war, daß sie alle xrnfvyfiara im Kopfe
hatten, Demosthenes die erst später zu erwähnenden beiden Kränze
vor OL 110. 2 noch übergeht und vorläufig nur von den zwei Krän-
zungen durch Aristonikos und Ktesiphon Notiz nimmt.
Doch wir geben das Ganze als zweifelhaft hin und haben es
darum auch nicht oben in der Bestimmung der Chronologie erwähnt
Dennoch sind die Kränzungen durch Demomeles und Hypereides ein
Beweis gegen die Richtigkeit des Datums in Demosthenes Psephisma,
und zwar in folgender Weise. Wir fanden dies Datum in Demosthenes
Antrag als richtig, angenommen, daß die beiden Schlachten, denen die
Kränzung folgte, um den 21. und 29. Juli geliefert sein mußten; die
Anträge sollen den Ereignissen sehr schnell, den 24. Juli und 1. August
gefolgt sein, nun wurde die Klage naQavöfxfüv vom Diondas eingereicht,
es wurde der Prozeß instruiert, Diondas verlor — das mußte nach
attischer Weise Wochen, ja Monate lang währen, und schon am
4. August war die entscheidende Niederlage erfolgt. Diondas, sagt
Hr. Spengel, wird zwar § 249 unter denen genannt, die den Demosthenes
nach der Schlacht angeklagt, und so möchte man in der That glauben,
die Bekranzung sei gleichfalls nach jener gefallen. Aber entweder hat
Diondas ihn später wieder angeklagt, oder Demosthenes, dem dort
<laran lieget, die Thätigkeit seiner Feinde hervorzuheben, hat das Frühere
in spätere Zeit versetzt, nach einem den alten Rednern nicht unge-
wöhnlichen Kunstgriff {/QÖvovg fieracpkQeiv), Welchen Lärm würde
Demosthenes zu seinem größten Vorteil nicht erregen, wäre
er nach dem Treffen erst bekränzt worden.
So können wir denn mit dem begründetsten Mißtrauen an die
weitere Betrachtung des angeblich Demosthenischen Psephisma gehen;
und wahrlich Demosthenisch erscheint es weder in Form noch Inhalt.
Daß Demosthenes einmal in Beziehung auf die euböischen Angelegen-
heiten ein sehr langes Psephisma gemacht hat, [707] bezeugt
Aischines {xaru Krrja. § 100): ravra ö' bIticjv SiScoaiv ävayv&vcci
M't](pi<Tfm Tip y^afificcrei ficcxQÖreQov fdv r/Ji? 'IkiaSog, xevdrBQOV Sk
r&v XöycoVj ovg eioi&a liyetv xai rov ßiov, Sv ßsßicoxe, fiearov S'
O.niScov ovx iaofßAvayv xcd aTQccroniScov ovSinore (rvkkeyjjaofievojv.
Aber das vorliegende Psephisma, das an Leerheit, Schwülstigkeit, Ge-
158 Demosthenes
dehntheity Geschmacklosigkeit alles überbietet, erwähnt Aischines iu
derselben Eede gegen Etesiphon nicht. Man muß das Geschreibsel
durchlesen, um sich von der Unmöglichkeit zu überzeugen, daß De-
mosthenes dergleichen den Athenern bieten konnte. Vorerst ein Vor-
dersatz mit inaiSyj durch drei lange Paragraphen, der ein paarmal zu
neuen Hauptsätzen ausartet und sich dann endlich mit dem vierten
Paragraphen zu einer Art von Nachsatz mit Sid SiSoxrai bequemt.
Allerdings hat die attische Sprache und namentlich auch Demosthenes
Anakoluthe mancher Art, er bildet Vordersätze, ohne zum Nachsatz zu
kommen und dergleichen; aber stets nur, wönn die Bewegtheit der
Rede oder sonst ein wohl erkennbarer Grund dergleichen motiviert (so
§ 126); aber diese Art von Construction, wie wir sie hier lesen, kann
nur aus dem albernen Kopf eines Schönthuers entsprungpen sein, der
immerhin gemeint haben mag, den rechten Curialstil oder auch die
wahren Eleganzen Demosthenischer Leidenschaftlichkeit damit zu er-
zielen. Nicht minder verdreht ist der Inhalt, auch er verrat die
konfuse Gelehrsamkeit und die geschmacklose Phrasenmacherei eines
Spätlings, und es wird Mühe kosten, alle Albernheiten im einzelneu
aufzuzählen.
Demosthenes selbst hat den Hauptinhalt seiner Rede, mit der er
dies Psephisma motivierte, mitgeteilt (§ 174 — 179). Er forderte (es
war gleich nachdem die Nachricht von der Besetzung Elateias ange-
kommen war), vor allem solle man die zu große Furcht aufgeben xca
tpoßua&ai nüvra^ V7ci() 07]ßai(ov, sodann k^eX&övTag 'EkevaT-
vciSe Tov^ iv ijXixtcc xat rovg iiiitia<i Sei^at Ttätriv ifjjiä^ avrox'i
iv roT^ ön).otq övtccs^, damit die Thebaner sähen, daß es den Athenern
Ernst sei, und auf diese Weise ermutigt würden; sodann /aeooro-
VTjrrai xaksvco 8ixa itgiaßttq xal itoiTiaai rovrovg xvqiov^ fXBTCc
T&v (TToarrjyßiv xal rov tzötb Sei ßaSi^eiv ixaiae xal tT,^
i^öSov, Dann, fährt er fort, müsse die Instruction von der Art sein,
daß sie die Thebaner keineswegs bitten, denn das wäre zur Schande
der Stadt, sondern nur ihnen die Hilfe Athens anbieten, wenn sie die-
selbe verlangten. Man sieht, daß Demosthenes Psephisma, weit entfernt
von leidenschaftlicher Aufregung, sich in diplomatisch vorsichtigen
Formen bewegt haben muß, ja, daß sein Inhalt im wesentlichen nicht
viel über die im obigen hervorgehobenen Worte hinausgegangen sein wird.
Damit kontrastiert die breite Schwatzhaftigkeit und AfiFectation
unseres Decretes denn freilich seltsam genug. Man nehme nur gleich
zu Anfang
iTiBiSij Q^thnnosi ev tb reo naQBXtiXvffoTi xpövo) naQußaivmv (fui-
vBTCci rag yByBVT]iiBvccg avrcp (Tvv&yxcd; TtQÖg rov !A&r}vai(ov är^fiov
Die Urkunden der Kranzrede 159
TiBQi r-tjQ el(}7jvi]g, vneQiSa)v rovg OQxovg xai rä itaQcc [708]
näai ToTq ^'EXXriGi vopLi^öiievu elvai Sixaicc —
Wie weit hergeholt für ein Psephisma, das kein Kriegsmanifest sein
soll, wie lässig und breit und ohne bestimmte scharfe Bezeichnung;
amplificaiionis caussa adieoit, sagt Dissen von den letzten Worten; aber
was soll dergleichen Rhetorik in einem Volksbeschluß?
xcci nöXeig naQUigtirai ovSiv ccvnp nQoqtjxovaag, ztväg Si xccl
!A&rivai(ov ovaag SoQVuXcbrovg nenoirjxsv —
Wenigstens ist napaigsTrai etwas stark für xuTalaixßävei. Auch
SoovaXcjTovg nsnoirjxev scheint mir nicht ohne Anstoß; nicht als ob
der der Poesie freilich geläufige Ausdruck (so bezieht sich die Glosse
bei Suid. und Hey seh. auf Soph. Ai. 211) nicht in der attischen Prosa
vorkäme, außer der Anfahrung aus Isocrat tieq) AvTiSöatoog bei dem
!AvriaTTixi(TT7]g in Bekkers Anecd. S. 90. 21 hat Xenophon ihn sowohl
von einer Stadt (Cyrop. VII 5, 13), wie von Menschen (Hellen. V
2, 5); aber es ist nicht abzusehen, was für Orte, die den Athenern
gehörten, seit dem Frieden kriegsgefangen gemacht sein sollten.
'iv TS T(p nccQÖvTi knl noXv noodysi rfj t€ ßi^ xal rf dbfAÖTfjTi —
Dies kv nagövTi kann sich natürlich nur auf den eben jetzt beginnenden
amphiktyonischen Krieg beziehen, dessen erste Bewegung, die Besetzung
von Elateia, eben das Decret des Demosthenes zur Folge hat; erst
danach überfiel ja Philippos Amphissa u. s. w. In dem vorliegenden
Decret aber geht es etwas bunter her:
xal yäg 'EXkrjviSag nöXsig &g ^liv (!!) hficpQovoovg Ttoist xal
rag Ttokiretag xaraXveif ztväg 8^ xal k^avSQanoSi^öfjLevog xaxa-
(TxänrBiy Big hviag Sk xal ävrl 'Ekh'jvcov ßaQßägovg xaroixi^si ^nl
rä isgä xal rovg Td(povg kTtaycov —
Alles das sind Dinge, die Philippos wenigstens für den Augenblick in
dem soeben erst beginnenden Amphiktyonenkrieg noch nicht gethan
hat, und doch heißt es kv zm naoövri. Es gab in Phokis seit Ol.
108. 2 keine Politien mehr, keine Städte mehr, die hätten verknechtet
und zerstört werden können; denn die einzige Stadt Abai, die unzer-
stört geblieben war (Pausan. X 3, 3), lag vorläufig außer Philippos
Bereich, und wenn Pausanias von den durch den heiligen Krieg ver-
jagten Phokiem sagt: 'AürivaToi xal OfjßaToi acp&g Ijaav oi xarü-
yovTBg, TtQiv T; ro kv XaiQcovei^ avpißTivai nraTafia "EXhjatj so lehrt
schon die Vereinigung der Athener und Thebaner, daß dies erst nach
der Besetzung von Elateia und infolge der zwei glücklichen Gefechte
geschehen sein kann; auch der Ausdruck hnl rä iegä xal rovg rdcpovg
1 60 Demosthenes
hitaycov scheint eine Metapher zu enthalten, die nicht eben passend
ist; doch kann das leicht täuschen. Übrigens scheint der Verfasser
Äußerungen des Demosthenes, wie Philipp. III § 33 im Sinne gehabt
zu haben. Betrachten wir die Worte des Deere tes weiter: .
ovSkv ccXXÖToiov noi&v ovre r//e iccvrov naxQiSoq ovtb tov xoönoVj
xal rfi vvv avT<p Ttagovar] rvxf] [707] xarccxö^m^ ^^Qc^fievo^j iiti-
XiXijGpiivoq iavTOVj ort kx fiixQOv xal tov rv/övrog yeyovsv äve).-
mtTTwg (liyag —
Freilich spottet Demosthenes oft genug über die armselige barbarisehe
Heimat des Philippos, auch spricht er davon, wie er von geringem
Anfang her groß geworden (so z. B. Philipp. III § 21 8t i fuyag ix
fuxQOv xal zaTtatvov rö xax d())fäg ijv^v^ai), so daß wenigstens der
allgemeine Eindruck, den man aus Lesung des Demosthenes über Phi-
lippos Charakter gewinnt, allerdings dem hier Bezeichneten zum Grunde
liegen mag; nur wird man gestehen müssen, daß dergleichen überall
nicht leicht in einem Psephisma, geschweige denn, wenn es einen Zweck
hat, wie das von Demosthenes beantragte, vorkommen kann. Die
Structur des i:teiSij ist ganz vergessen, wenn es weiter heißt:
Kai f^cog fuiiv nölBig i(ü()a naoaioovfievov avrov ßaoßaoovg xal
ISiag, vTtBXafißavev ikazrov elvai ö Stjfxog ö !A&rjva(cov rö Big
avrov nhjfifisXsTa&ai, vvv Si 6q&v 'EXkrjviSag nökeig rag fdv
vßQi^ofiivag, rag S^ dvafTrärovg yiyvofiivag, Seivov i^yeTrai eivai
xal äva^tov xT^g tQv Ttooyövrov Sö^tjg ro iieqioqüv rovg "Ekktjvag
xaraSovlovfiivovg,
Also wieder die factisch unrichtige Einnahme und Zerstörung von
Städten in dem noch kaum begonnenen Krieg! Seltsam genug ist auch
ßaQßÜQOvg xal iSiag; man hat ovx iStag schreiben, man hat mit
löiag die Städte des Philippos oder auch solche, die barbarisch, also
ihm ähnlich sind (!), oder auch barbarische Städte, die selbständig sind,
verstehen wollen; es können keine anderen sein, als die den Athenern
angehörenden Städte, aber schön und bestimmt ausgedrückt wird man
das doch wohl nicht nennen! Nun geht es über zu dem eigentlichen
Beschluß, der seltsam genug anhebt:
8i6 SiSoxxai (nicht iSo^s) xfj ßovXfj xal x(p dt'ifiq) x<p Id&iiVaio^v
ev^afiivovg xal Ovrravxag xotg xJ-EoTg xal ijocoai xoig xaxi'/ovat
xijv TiöXiv xal xtjV /(oQav xijv !Ax^rivaimv xal iv&vfiij&ivxag xT^g
x&v TCQoyovcüv aQBxTig^ 8 toxi Tteol Ttkatovog knoiovvxo xijv x&v
'Ekh)v(ov kXsv&SQiav Sicrrrjoeiv 7) xi^v ISiav naxQtSa —
Auch hier glaube ich deutlich den Spätling zu erkennen, der eine
Feierlichkeit und Frömmigkeit hineinmischte, die den Athenern entweder
Die Urkunden der Kranzrede 161
bei Eröfihung jedes Krieges üblich war, und dann war die ausführliche
Erwähnung statt der „üblichen Opfer" nicht nötig, oder sonst nicht
so beobachtet wurde, und dann war für dieses Ausrücken nach Eleusis,
was zunächst in Rede stand, nicht solche Weitläufigkeit nötig, wie sie
freiüch einem Späteren, der den Ausgang des Krieges bereits wußte,
als etwas recht Passendes, als eine Art Weihe für den letzten ent-
scheidenden Kampf sich darstellen mochte; natürlich konnte derselle
Fhrasemnacher nicht umhin, auch die schöne Anspielung auf die sala-
minische Schlacht mit einzuflechten. Übrigens ist es bemerkenswert,
daß sich gerade in Beziehung auf diesen Feldzug die Athener und
namentlich Demosthenes nichts weniger als fromm gezeigt haben
(Aischin. § 130); man achtete weder des [710] Todesfalles in den Myste-
rien, noch der Waraungen der Pythia, noch der unglücklichen Zeichen
[ä&vT(ov xcci dxakkuQijTcjv övrcov rojv ieq&v\ und Demosthenes war
aufgeklärt genug zu sagen, die Pythia philippisiere. Nach allen
solchen Vorbereitungen beschließt das Volk:
ötcexotTiag vavq xa&ehcsiv Big rijv OäXccrrav xal röv vavaQ/ov
dvanleiv ivrog IIvX&v, xal röv (TXQarriyov xal xov innaQXOv rag
ne^äg xal zag inmxäg Swäfiaig 'EksvaTväSe i^ayeiv.
Wissen wir auch nicht durch sonstige Nachrichten, daß sich eine
athenische Flotte in den malischen Meerbusen begeben habe, so mag
man es doch für wahrscheinlich halten, obschon freilich jene Station
keinen Werth hatte, wenn man die Thermopylen nicht auch zu Lande
sperrte, und diese waren durch den Besitz von Nikaia in Philippos
Hand. Jedenfalls sagt Demosthenes in seiner Rede nichts von dieser
Seeexpedition, die er doch wahrlich nicht hätte übergehen können, da
die Athener zur See sich die gewissesten Erfolge versprechen konnten.
Wie das auch ist, in keinem Fall werden die Athener jetzt 200 Trieren
auszoschicken beschlossen haben, während sie acht Jahre früher unter
nicht minder dringenden Verhältnissen 50 für hinreichend hielten,
jene Station zu deckend Und was soll man zu dem einen Strategen
und dem einen Hipparchen sagen? wissen wir doch, daß Athen deren
zehn und zwei jährlich erwählte, nicht zu sprechen davon, daß uns
Chares, Stratokies, Lysikles ausdrücklich genannt werden, als in diesen
Krieg mit ausgezogen.
itifi\(/ai di xal nghaßeig nobg rovg äXXovg ''EXkrjvag, ng&TOV ()i
ndvTCov nQog 07]ßaiovg Siä rö k/ywürco eivai röv (Whnnov xTjg
hcBivojv x^Q^if nagaxaXßiv ä' avrovg firjSev xaxanXayivrag xbv
^ [Über den Nauarchen s. Herbst Alkibiades S. 9 und meinen [unten ab-
gedrackten] Aufsatz in der ZeitBchr. fQr Altert. 1845 S. 21. Anm. d. Verf.].
Dropsen, Kl. Schriften I. 11
1 62 Demosthenes
0ih7i7tov ävxixtfT&cct zT^g iavrßv xa) zTiq r&v äklcov 'Elh'jvoyv
Diese Aufforderung an die Thebaner ist nicht in dem Sinne der von
Demosthenes § 178 gesprochenen Worte: man wolle, wenn sie es
wünschten, ihnen helfen, (hg kxe/vcjv fxiv övrcov kv roTg haxdrotq xiv-
Svvotgj ijfi&v Si äpL^ivov f] ixiTvoi [ro piüJkov] ngoo/m^ivcov,
xa) ort 6 '/tO-rjvccicov Sfiiiog, ovSiv invijfTixax&v , ei ri TtQÖrsQOv
ykyovtv äV^öroiov rccig nökem nQog äXXtßag^ ßojj&rjfrei xai Sv-
vüiuBfTi xai XQ/jfiaai xal ßiXtnt xa) Snkoig, elSmgj pxi
avToTg fiiv noog üXh'jlovg diafjLcpifrßijTeTv neoi rT^g ijyefioviag omiv
"EllrjfTi xalöv, imb Sh dkko(fvXov äv&Qcoiiov aQXtad-ai xal rTjg
i/yefiovtag anoGTEQEiG&ai äva^tov elvai xa) rr^g r&v 'EkXi)v(ov
öö^tjg xai vF^g r&v nooyövcov dosTfjg.
Das ist gewiß nicht nach einem officiellen attischen Psephisma, zu be-
kennen, daß der Kampf um die Hegemonie zwischen Athen und Theben
so etwas Schönes sei; in solchen Wendungen sieht man den Unter-
schied der lebendigen Oegenwärtigkeit und jener summarischen und
in Allgemeinheiten aufgehenden Unlebendigkeit, die den späten Ursprung
bezeugen können. Auch der ülXöcfvlog ävdQionog scheint von dem-
selben Kaliber zu sein. [711] Jetzt beginnt sich das Psephisma in
mythologische Gelehrsamkeit zu vertiefen:
in 8i oi)Si dkköroiov ijyBiTat eJvai d !A&Tjvaia)v ST/fiog rbv Qt]-
ßai(ov Sfjfiov oüre rfj avyyevat^ o&re rc5 öfiocfvkq).
Man appelliert also an die geschlechtliche und Stammverwandtschaft;
nicht bloß daß beide Völker Hellenen sind, sondern ein noch näheres
Verhältnis wird geltend gemacht ; gewiß mit Recht versteht Dissen die
(Tvyyeveta von dem boiotlschen Ursprung des attischen Demos der
Gephyräer, und darauf sollte sich das Psephisma des Demosthenes
bezogen haben?
xal yccQ rovg 'HoaxXiovg nalSag dnofTreoovjuivovg imb röv Tltko-
novvTjfTicov rTjg itaxQfpag dpx^/? xarijyayov^ roTg önloig xgctri]-
(Tavreg rovg ävrtßaivsiv neiocofiivovg roTg ^HoaxiAovg kyyövotg
xai rbv OiStnow xa) rovg fier Ixeivov kxTtstTÖvrag vniS^ai.ud'a
xa) ^TBQa TtokXä ijfiev vndQX^i (ft'kavO'QOina xal ivSo^cc ngb^
0f]ßa/ovg.
In der That, das muß die Thebaner gewonnen haben! Es sind das
die bei den Sophisten der Kaiserzeit beliebten Wendungen; man ver-
gleiche Aristides Aevxr^nxbg d S. 639 ß' S. 667 ed. Dind.: ilitT&ftv
de i(p olg 'HQaxkiovg xal r&v 'HgaxUovg naiScov kiivi^aö-fi ng . . . .
Die Urkunden der Kranzrede 163
&atf^d^(o de omo^ ov xai rov OlStnovv Tiooai&ijxav (bg kSB^üfie&a.
S<>lche Phrasen will man doch nicht dem praktischen und yerstandigen
Demosthenes zutrauen? Der alte treffliche Hieronymus Wolf sagt:
quid si scfurra guispiam hoo assuit? Es ist ordentlich schade, daß nicht
auch der in Theben geborene Gott Dionysos, den zuerst die Athener
anerkannt, hier figuriert Endlich der Schluß:
SiditEQ ovSi vvv änofTTiifFBrat 6 14/^>)vai(ov Si}ijLog r&v Orjßaiot^^
TB xai Totg äkkoig "EkXriai avfKfBQÖvTcov, 2vv\^ia&(xt 8h HQog
avTovg xctl avpLiitcxiccv xai kmyccfxtav noii)(Ta<7&ai xai ÖQxovg
Sovvai xae XaßBtv,
Man soll sich denken, daß Athen den Thebanern, den xaranrixTroig
xai dvaarO'fjToig und wie ihre schönen Prädikate sonst noch bei De-
mosthenes lauten, Epigamie angeboten habe, und das in dem Decret
zu Unterhandlungen, die Demosthenes mit aller diplomatischen Vor-
sicht und Zurückhaltung zu machen rät, besonders warnend, daß man
sich nicht zu sehr um ihre Freundschaft zu bemühen scheine.
In der Überzeugung, eher das Auffiftllende besonders in den ein-
zelnen Ausdrücken noch nicht genug hervorgehoben, als zu vieles ver-
dächtigt zu haben, glaube ich dies Decret bei der Verkehrtheit der
Form und des Inhaltes, bei der Oberflächlichkeit und Fehlerhaftigkeit
der historischen Beziehungen, bei der gänzlichen Unpäßlichkeit der
an der Spitze stehenden Datierung für gänzlich unecht und für
ein Machwerk später Zeit halten zu müssen. Nur so ist es be-
greiflich, wie folgende Namen als die der Gesandten vermerkt sein
können:
[T12] ITijiaßBig' Jfjfio(TiHvi]g jdijjiiotT&evovg ITataviBvg. 'YTtBo/Stjg
KXbüvSqov JStpi'iTxiog. Mvr^m&BiSjjg !Avrt(fdvovg <i>QBd^piog. Ai}fAO'
xoccTV/g ^a>ffih>v <l>kvBvg, Käkkatrr/oog Aior/fiov Ko&coxiSijg,
£& sind nicht z^n, wie Demosthenes vorgeschlagen, sondern nur fünf
Gesandte, und über Demosthenes hinaus ist die Gelehrsamkeit des Spät-
lings nicht gegangen. Die Namen sind bunt zusammengewürfelt und
nicht einer ist nachweislich richtig. Oder soll man glauben, daß die
Gesandten gen Theben gemeine Leute gewesen sind? daß mit De-
mosthenes ein anderer Hyperides ging, als der bekannte? der aber ist,
wie wir aus Plut. X Oratt. S. 372 ed. Reisk. und Suid. v. Photius
Bibl. S. 495 wissen, ein Kolytteer und zwar der Sohn des Glaukippos
(oi Si üv&oxUovq sagt Suidas), wie der Name seines eigenen Sohnes
Glaukippos (bei Athen. XIII S. 590 und sonst) bestätigen kann. Einen
Hyperides, Kleandros Sohn, kennen Mir sonst nicht, oder hat sich unser
Psephismenschreiber den Schauspieler aus Demosthenes Rede uQog
164 Demosthenee
Eißovh'Srjv § 18, der freilich alt genug ist, hierher genommen? Es
hat sich derselbe phantasiereiche Mann noch einen Hyperides ausge-
dacht, der § 137 als Zeuge figurieren muß, und ihm einen Vater
Eallaischros gegeben. Was über die anderen Namen zu bemerken sein
dürfte, mag lieber in einer Note seinen Platz findend
Überblicken wir das bisherige Resultat unserer Untersuchung, so
finden wir bei jeder der besprochenen Urkunden mehr als ein Zeichen
der Unechtheit; und könnte jedes einzelne derselben, für sich betrachtet,
für nicht bedeutend genug gelten, einer alten Überlieferung zu wider-
sprechen, so muß die Menge der Zweifelsgründe desto entschiedener
geltend gemacht werden. Zugleich wird es sehr natürlich sein, daß
man an die Betrachtung der weiteren Dokumente mit einigem Vor-
urteil gegen ihre Echtheit geht, obschon wir uns bemühen wollen,
ohne dasselbe den jedesmaligen Thatbestand möglichst unbefangen zu
prüfen.
[713] V. Urkunden aus dem Kriege von Byzanz
Ol. 109 4, 110 1.
Wir haben früher gesehen, daß Philippos die Belagerung von
Byzanz gleich mit dem Anfange von Ol. 110 2 in der Mitte des
Sommers 339 aufgab. Die diesen Krieg betreffenden Aktenstücke zu
besprechen, wollen wir wieder zunächst, ohne sie zu berücksichtigen,
den Verlauf der Begebenheiten betrachten.
Wir können von einer Stelle des Philochoros ausgehen, die Dionys.
ep. ad Ammaeum I 11 (fr. 135 M.) bewahrt hat: „öcdqppaoros*' ^Jri
rovTov ^^thnno<i t6 fiiv nQCtrov dvanlevfFa^ ne()tvi9(p nQO^kßuXtv
änoTvzoiv ö' ivTSvd'ev Bv^civriov inohÖQxei xai inij/ccviifiarc/ nQO^-
fjyBv^^. Dann ffibrt Dionysios fort: ^jinetra öie^el&cjv Örra roT^ '40-1]-
vaioiq 6 <l>tkin7to^ hexdkei öiä ri}*; intaroXfi^ xal JrjfjLOfrflhov^
na{)axaXi(TavToq avrovi; ;r(>ot? röv nökefiov xcci ipijcpiafiara yQÜijJcetfrOii
^ In unseren Urkunden kommt Demokrates von Phlya auch als Gesandter
(§ 29) vor unter den Pseudogesandten Ol. 108 2, und er mag sich seinen Vaters-
namen immerhin vom Sophokles oder Antiphon erborgt haben. Das weitere s.
unten. Mnesitheides war einer der Dreißig; der Gesandte in unserer Urkunde
ist wohl derselbe mit dem LOgenarchon (§ 155) und es fehlt nicht viel, so
figuriert derselbe Mann in demselben Jahre als Archen und Gesandter. Der
Name Kallaischros scheint dem Verfertiger der Urkunde gefallen zu haben; er
nennt so auch den Vater eines Hyperides (§ 187); ob er in diesem oder in
jenem den reichen Mann aus der Midiana § 157 gemeint hat, gegen welchen
Deinarchos eine Rede schrieb, oder den alten, den Vater des Kritias, das weiß
ich nicht.
Die Urkunden der Kranzrede 165
lX^iQ0T6vrt<TB rijv fuv aT/jXrjv xa&eXeiv rtjv nsQt r^s' 7t (j6^ (Pihnnov
iip/iprj^ X T X. Allerdings erzählt Diodoros XVI 74 — 76 die Belagerung
von Byzanz noch in denoi vorhergehenden Jahre des Nikomachos, aber
seine Chronologie darf nicht gegen eine Angabe des Philochoros in
Anschlag kommen; wir können mit Bestimmtheit den Sommer 340
als die Zeit, wo Perinthos belagert worden, annehmen. Mancherlei
Reibungen waren bereits vorhergegangen, über die uns die dritte
Philippische und die Rede über den Chersones unterrichtet. Es hatte
Diopeithes, der mit attischen Kolonisten vor dem Jahre des Pythodotos
Ol. 109 2 in den Chersones geschickt war, durch freilich nicht sehr
begründete Ansprüche auf Besitzanteil in Kardia dem König Philippos
Gelegenheit gegeben, diese wichtige Stadt zu besetzen und so den
Chersones zu bedrohen (de Cherson. § 58 Philipp. III § 35). In der
Rede über Halonnesos wird erwähnt, daß sich Fhilippos zum Schieds-
richter über den Streit der Kolonisten mit Kardia erboten habe, und
sie ist aus dem Jahr des Pythodotos Ol. 109 2; sie enthält noch keine
Erwähnung von dem Angriff des Philippos auf Thrakien. Wohl aber
steht in derselben bereits von dem Feldzuge des Philippos nach Am-
brakia und Akamanien (§ 32 vgl. Philipp. III § 27. 34. 72), und
daß zur Zeit dieses Zuges Pythodotos Archen war, bezeugt Dem. xara
[714] VXvfinioS<Aoov § 24. 26, so daß die Rede über Halonnesos wohl
in den Winter oder in das Frühjahr Ol. 109 2, in den Anfang des
Jahres 342 ftllt. Nun steht in der Rede vom Chersones § 2, daß
Philippos bereits elf Monate in Thrakien kämpfe, rfjg (TTgareiag ijv
ivSixccTov fifjva tovtovI iv Bq^xt] TtoieTrat; damit vergleiche man
§ 14 vvvi Svvcc^uv fieyülrjv kxeTvog 'ex(ov kv Oq^xt] diccTQißei xai
fiercenifiT^erai TtokVf^v üg cpaaiv oi itUDÖvreg^ dno Mccxsffoviag xa)
OhTTaUuq' iäv ovv nsoifAsiva<i tov^ irija/a*; ini Bu^civriop kk&fov
nohooxfj X T A; die Etesien aber ((pvXci^ag rovi^ kriifTlas; )) töv xsi-
fi&vce Philipp. I § 31 bezeichnet die entgegengesetzten Zeiten des
Jahres) wehen um die Zeit des Siriusaufganges. Diese Angabe, die
Nachricht von neuen Truppensendungen aus Makedonien und Thessalien
(im Frühjahr), endlich die Bezeichnung des verflossenen Winters
(§ 35. 44) beweist, daß die Rede vom Chersones etwa in den Mai 341,
in die letzten Monate von Ol. 109 3 gehört.
Die gewöhnliche Annahme, die bereits von Dionysios von Hali-
karnaß ausgesprochen ist (cp. ad Ammaeum I 10), setzt die dritte Phi-
lippische Rede in dasselbe Archontenjahr mit der vom Chersones, aber
nach derselben. Doch leiten die deutlichsten Anzeigen auf die um-
gekehrte Stellung beider Reden. Während Demosthenes in der vom
Chersones § 2 bereits von elf Monaten, die der Krieg dauert, spricht,
1 (>6 Demosthenes
heißt es in der Philipp. III vvv inl 0(){ix7jv naQtovra^ was dem An-
fange des Krieges doch wohl näher liegt. Ferner heißt es in dieser
dritten Philippischen § 20 ovSi doxst fiot tiso) X6^()ov/j(tov vvv gho-
TtBiv ovSi Bv^avriov, aXX kna^vvai fiiv rovxoi^i xal diccTtjoTfaai fii)
Ti na&(oGt .... ßovkBvaaat^ai fiivroi x r X, so daß Demosthenes
wohl eine Verbindung mit Byzanz zu machen beantragen wird; —
dagegen heißt es in der Rede vom Chersones bereits § 14 Ttg&rov
fiiv oYefT&s Tovg Bv^avriovg fisvetv km r/J^* ävoiaq rr^g aircT^g ütrireo
vvv xui ovre na^ccxaXiaBiv vfiäg ovre ßo7]&eTv avroTg ä^icüaetv; kyro
pikv ovx oJfAai, äXku xui et riai fiäXkov otmfTTOVfTtv J) tifiTv, xal
TovTovg eifT(f()/j(T6(T&at fiüXkov fj 'x€tpqy naoaScbaeiv rt^v nöXtv^ woraus
man wohl ersieht, daß nach der dritten Philippischen Rede den By-
zantiem Bündnis angeboten worden, daß sie aber dies und die War-
nung der Athener noch nicht eben bereitwillig angenommen haben,
sondern dem Philippos (wenigstens nach Demosthenes Darstellung)
nichts Übles zutrauen, mit [715] dem sie ja noch im Bündnis
stehen (Philipp. III § 35 xal vvv ini Bv^avriovg no^ehrai av^i/Aä-
xovg övra^y ohne das verkehrte ///uör, das nicht einmal handschriftlich
empfohlen ist). Eine nähere Zeitbestimmung ergiebt § 32, wo es von
Philippos heißt: ov 7t(}6g rro nökeig ävTj{)i]xivai Ti&t]ai fiiv rcc Ilv&ta
(dies sind die Pythien gleich nach der Zerstörung der phokischen Städte
Ol. 108 3) x&v avTog fii; na()fjy rovg Sovkovg äycovo&er/jfTOVTai;
rtsjunet] woraus sich ergiebt, daß die Rede nach den Pythien, also
nach dem Herbst Ol. 109 3 oder 342 gehalten. Daß sie in den
Winter gehören dürfte, scheint sich aus den Worten § 50 zu ergeben:
xai (Ti(on& &e()og xcd /€/jt/(öi'a cog ovShv Siu(fi()ei ovo' kfTTiv i^ca-
üSTog (oQa ng fjv ötaXetnei,
Aus diesen Einzelheiten, sowie aus der gesamten Fassung beider
Reden entnehme ich die bezeichnete Stellung, so daß also in den
Sommer 342 der Anfang des thrakischen Krieges, in den Winter die
dritte Philippische Rede, in den Frühling 341 die über den Chersones
gehört.
Leider sind die Reden, welche die nächstfolgende Geschichte an-
gehen, namentlich die vierte Philippische und die Rede über den Brief
des Philippos unecht, und in Ermangelung eines Kriteriums für das
geschichtlich Wahre, was ihnen zum Grunde liegen mag, thun wir
besser, sie gänzlich unbeachtet zu lassen. Der Brief des Philippos
selbst wird in der Regel für weniger bedenklich gehalten, ich finde,
daß er nur geschickter gemacht, aber gleichfalls von späterem Ursprung
ist; es seheint der Verfasser desselben namentlich seinen Theopompos
fleißig benutzt zu haben, und ich würde den einzelnen Angaben des
Die Urkunden der Kranzrede 167
Briefes nicht eben mißtrauen; doch ist es geratener, auch ihn für jetzt
unbenutzt zu lassen.
So bleibt denn freilich Ol. 109 4 das Jahr des Nikomachos für
uns fast ohne alle historische Notiz. Indes dürfte sich aus den wenigen
sicheren Nachrichten eine von der üblich gewordenen Darstellung ab-
weichende Sachlage ergeben. Demosthenes sagt in der Rede für Kte-
siphon § 87 von Philippos: ßovköfisvoi^ rijs (rnonofima^ xvotog ye-
via&ai naQ^X&mv inl Qo^xr]*; Bvl^avxiovq avfifiäxovg Övrag avrtp
To fiiv Ttg&TOv T]^tov (TVfiTtokefAetv röv nQÖ^ vfiä^ nökafiov, gj^ S*
oinc l^&sXov ovd' knl rovroig 'iipatTav ti^v (TVfifiaztav nenoiT^a&ai
hyorrsg dkrj&T], /ägaxce ßaköfnevog nQÖg rfj nöXet xal ftrjxccv/jfAar
iiiffT/jaag knohÖQXBt, Diese Aufforderung dürfte sehr bald nach der
Rede vom Chersones an die Byzantier- ergangen sein, doch war Phi-
lippos zunächst noch im inneren- Thrakien beschäftigt (de Cherson.
§ 44 AQoyyiXov xal Kaßvhjv xal Maareigav xal a vvv k^atgei
xccl xaraaxevä^erai), auch Krankheit hemmte ihn nicht wenig (§ 85).
Aber mit diesem Sommer 341 scheint auch die Bewältigung der
thrakischen Fürsten vollendet worden zu sein nach Diod. XVI 71, der
hinzuifügt, die hellenischen Städte, der Furcht vor den Thrakiern frei,
hätten sich dem König sehr bereitwillig verbündet, und der König an
passenden Orten Städte in ihrem Lande angelegt; unter diesen nament-
lich Kabyle, ov itö^oco rr^g rcjv !A(ttcHv x^Q^^^ wie Stephanos v. ge-
nauer als Strabo die Lage dieser Stadt angiebt (s. Wichers zu Theopomp,
frg. S. 192). Theopompos [716] hat in seinem 47. Buch von Agessos,
von Kabyle gesprochen, so daß man die in jener Demosthenischen
Stelle bezeichneten Verhältnisse in diesem Buche besprochen voraus-
setzen darf; aber in demselben Buch war '!d(TTaxog von ihm als Gebiet
der Byzantier erwähnt (Steph. v.), woraus sehr wahrscheinlich ist, daß
wenigstens noch in demselben Herbst 341 der Krieg mit Byzanz selbst
seinen Anfang genonomien hat; Offenbar vermieden die Byzantier zu-
nächst die Verbindung mit Athen wegen des noch nicht vergessenen
Bnndesgenossenkrieges; sie ließ hoffen, verstärkt durch die verbündeten
Städte an der thrakischen Süd- und Ostküste, Widerstand leisten zu
können. Hierauf scheint sich die Angabe Polyaens (IV 2, 21) zu be-
ziehen: <l>iXtnjTog kitoXiÖQXBi Bv^avriovg i'/ovrag ovx ökr/ijv /€/"(>«
fTVfifidxcov' TOVTOvg änoXmelv rt^v (Tviifiaxtav krBXVüaaro n^f^iiffag
(cvtofiölovg ayyekkovrag, (hg ai nöksig avrcjv vTto <l>tXtn7tov noXiog-
xoTvTo <l>ihnnog (pavegog Jjv Siani^ncov fieor] Tt}g arqa-
^'«iJ . . . . o* avfifiaxoi, ravra ög&VTsg xal äxovovreg, dnoXinövreg
Bv^avTiovg inl rag avr&v nargiSag iaTslkovro. Es scheint, daß
dies nicht die Belagerung von 339 Ol. 110 1 sein kann, denn damals
168 Demosthenes
waren die Athener, Chier, Rhodier, Perser u. s. w. Bundesgenossen von
Byzanz, und gegen deren Beistand konnte der der benachbarten Städte
für ganz unbedeutend gelten, wenn dieselben überhaupt noch Yon
Philippos unbewältigt waren. Wichtiger ist die wenn auch unklare,
doch aus trefflicher Quelle stammende Angabe bei Justin (IX 1, 2fL):
Byxantium, nobilem et maritimam urbem — daudentem sibi portas ob-
sidione Philippiis einxit .... Igitv/r longa obaidionis mora exhuustus,
pecunia oommeroium de piraiica mutiuitur. Captis üaque oenium septua-
ginta navürns mercibusqus distractis anhdarUem inopiam pavUulum recre-
avit Deinde ne univs urbia oppugnatione tantus exerdtus teneretur, profedus
cum fortissimis, miUtas Chersonensi urbes expugnai; fUiumque Alexandrum,
decem et ocio annos natum, ad se araessit. Hieraus ersieht man, daß
schon vor dem Plünderungszuge nach dem Chersones Byzanz belagert
war, und doch ging nach. Dem. v7ti() Krija. § 139 dieser Zug der
Kriegserklärung der Athener und der bekannten Belagerung von Byzanz
(339 Ol. 110 1) vorher. Die Angabe Justins über Alexandres Alter
ist fehlerhaft; richtiger sagt Plutarch. (Alex. c. 9) (I^iXinnov (rr^a-
TBvovTO^ kni Bv^avTiovg Jjv fxev hcxaiSexinji^ 6 !/4Xe^avSQog, was
ebenfalls die Chronologie des Krieges bestätigen könnte, wenn es nicht
so oberflächlich gesagt wäre. Endlieh gehört eben hierher Frontin
I 3, 4: Byxanili adversus Philippum omne proeliandi discrimen vitarUes,
omissa etiam finium tutela (das ist eben das oben genannte ^daraxo^;)
intra munitiones oppidi se receperunt asseoutiqiie sunt, ut Pküippus oh-
sidionalis morae impatiens recederet; bei der späteren Belagerung war
vielmehr das Einrücken der attischen Hilfsmacht unter Phokion das
Entscheidende (Plut. Phoc. 14). Endlich bekommen aus diesen Zu-
sammenhängen die Worte in der dritten Philippischen Rede § 35 ^n)
Bv^avTiovg 7io()eveTut und in der vom Chersones § 66 xal vDv ijii
Bv^ävTiov naQiövTO^ und § 18 r/ S' &v tcn^Xd-cov kx 0()^xi]<; xat
[717] ni]Si nQog^XO-ojv Xe^(}OVfirTq) firjdk Bv^cevriw änl XaheiSa
Vjxy X T l, diese Äußerungen, sage ich, bekommen erst ihren Sinn,
wenn sie, im Winter 34^/^ und im Frühling 341 gesprochen, wenige
Monate und nicht anderthalb oder zwei Jahre später erst wahr ge-
worden sind.
Sind diese Combinationen richtig, so bekommt allerdings der Krieg
mit Byzanz eine sehr andere Gestalt, als er bei unseren Historikern
zu haben pflegt. Beginnend mit dem Herbst 341 (bald nach Anfang
des Archonten Nikomachos), hält er sich der Hauptsache nach um
Byzanz, das durch seine überaus günstige Lage von der Landseite nur
durch ein /a^äxcofia gesperrt, von der Seeseite nur durch eine über-
legene Seemacht gefährdet werden kann. Daher des Philippos Bemühen,
Die Urkunden der Kranzrede 169
Byzanz zu vereinzeln; daher seine Verbindung mit den ApoUoniaten
(Justin. IX 2, 1), daher sein mit aller Macht ausgeführter AngriJBT auf
Perinthos, die mächtigste unter Byzanz Verbündeten, und jene Be-
lagerung, die Diodoros mit so unverhältnismäßiger Ausführlichkeit
eicerpiert und dadurch die unrichtige Ansicht veranlaßt hat, als ob
sich der Krieg anfangs ganz auf Perinthos und von dort erst nach
Byzanz gewälzt habe. Da sich das große Fragment aus dem Anfang
des 49. Buches des Theopompos bei Athen. IV S. 166 und Polyb.
VIII 1 0 flF. auf die Zügellosigkeit in des Philippos Umgebung und seine
Terschwenderische Art mit Geld zu wirtschaften bezieht {^nei hyxQccrri^
%oXX&v iyivero XQVf^^'^f^'^ ovx ävcikmaev avrä raxicjg, äkX k^ißaXt
xai ^QtxpBv)j so muß dergleichen allgemeine Schilderung doch von
der Enählung eines bestimmten Factums veranlaßt sein; ich glaube
darin die oben aus Justin angeführte Plünderung der 170 Schiffe und
das anhelantem inqpiam pauMvlimi recreavit zu erkennen, und bin der
Meinung, daß dieselbe in das Frühjahr 340 gehört; denn longa obsi-
dionis mora exkaustus kann der König doch nicht im Herbst 341, wo
die Belagerung von Byzanz erst anfing, genannt werden. Wir haben
früher bemerkt, daß im 51. Buch des großen Geschichtswerkes von
der zweiten Hälfte des Jahres 339 die Rede war; wir fanden das
48. Buch bis zum beginnenden Krieg mit Byzanz, Herbst 341, fort^
geführt, aus dem 49. Buch wird der Name einer thrakischen Völker-
schaft erwähnt; aus dem Anfange des 50. Buches haben wir eine
Charakteristik des Philippos, die sich der Erzählung von den Kapereien
im Frühjahr 340 angeschlossen zu haben scheint. Nun wird aus dem
50. Buche erwähnt Ka^bq xfjnot • x^Q^^'^ 0Q(ixi]g (bei Steph. Byz. v.),
offenbar derselbe Ort, den Polyän (IV 2, 20) Käoag öxvqov /cöp/or
nennt und von dem er erzählt, wie Philippos noXioaxcov x(>^^(p fiaxQco
ihn nicht habe einnehmen können und sich deshalb mit einer Kriegslist
ungestörten Abzug verschaflFt habe. Dieser Ort liegt zwischen Mesem-
hria und Kallatia, so daß man denken könnte, der König habe ihn
auf dem Skythenzuge im Vorbeigehen angegriffen; aber da auf diesen
ganzen Zug nach früheren Bestimmungen noch nicht drei Monate Zeit
verwendet worden sind, so ist das unmöglich. Ich glaube, daß auch
dieses Unternehmen gleichzeitig mit dem gegen Perinthos und Byzanz
ist und also in das Jahr des Theophrastos 3*^/3^ gehört.
[718] Philochoros gab unter dem Archon Theophrastos, der mit
dem Sommer 340 beginnt, an: ^ni rovrov (t>iXm7tog t6 iikv TtQcoTov
ävanhvaag Il€QiV&(p TioogißaXev änorvxcjv S' kvrev&ev Bv^ävriov
hoh6ox€t. Wichtig ist uns die Bezeichnung ävanksvaag] Philippos
kam von der Seeseite und zwar vom Hellespont herauf, wovon freilich
170 Demosthenes
im Diodoros keine Erwähnung ist Natürlich ist das vor den Etesien,
vor dem hohen Sommer 340. Den Hellespont hatten ihm die Byzan-
tier, Khodier, Chier u. s. w. gesperrt; indem er den Verbündeten der
Byzantier ihre gekaperten Schiffe zurückgab, als wolle er sich durch
sie den Frieden mit Byzanz vermitteln lassen, gewann er bei der
Unachtsamkeit der Verbündeten die Einfahrt in den Hellespont, in
angttstias freti imparato hoste evasit (Frontin. I 4, 13). Die Flotte der
Athener wird bei dieser Gelegenheit nicht mit genannt. Bereits in
der dritten Philippischen Rede § 7J fordert Demosthenes, man solle
Gesandte schicken in den Feloponnes, nach Chios, Rhodos, an den
Großkönig; dies ist gegen Anfang des Jahres 341 gesprochen; in dem
Herbst desselben Jahres erfolgte erst der Ausbruch des Krieges zwischen
Byzanz und Philippos, und da der König nach einer bereits sehr
erschöpfenden Belagerung der Stadt eine so große Zahl Schiffe zu
kapern vermochte, scheinen die Seemächte Rhodos, Chios u. s. w. ihre
Flotte noch nicht mit der der Byzantier vereint zu haben; doch muß
ihr Beitritt zur Sache der Byzantier bereits erklärt gewesen sein, indem
sonst des Philippos Kapereien, die ja auch ihre Kauffahrtei traf, nicht
wohl zu begreifen wäre, Wir fanden bereits, daß Philippos mit dem
Sommer 340 seinen verwüstenden Einfall in den Chersones macht; um
dieselbe Zeit warf er sich auf Perinthos; es galt eine Station für die
Flotte in der Propontis zu gewinnen und die für Byzanz nächste und
bedeutendste Bundesstadt zu occupieren. An ihrer Rettung nahm,
nach Diodoros ausführlicher Darstellung, der Großkönig den lebhaftesten
Anteil, er ließ durch Arsites, den Satrapen am Hellespont, ein Söldner-
heer unter dem Athener Apollodoros zur Unterstützung der gefährdeten
Stadt schicken (Paus. I 29, 10), und Byzanz entblößte sich fast von
Vertheidigern und Streitmitteln, jene Stadt zu retten. Hierauf teilte
Philippos sein Heer, wie Diodoros sagt, mit einem plötzlichen Angriff
Byzanz zu überrumpeln ; man sieht, er kehrte in die schon gewonnenen
Positionen vor Byzanz zurück, er belagerte wenigstens diese beiden
Städte zu gleicher Zeit (Diod. XVI 77 r//v nohogxiav r&v nöX^ayv).
Es ist sehr übel, daß wir nicht hinlänglich genau die Zeit und
die Art der Teilnahme Athens an diesen Kriegen zu erkennen ver-
mögen. Jedenfalls forderte Demosthenes bereits im Winter 34^1, man
solle dem Heere im Chersones Geld schicken und Diopeithes auf alle
Weise unterstützen, denn der angeblich noch bestehende Friede (des
Philokrates) sei für Philippos nur ein Vorwand, um Athen mit desto
besserem Erfolge zu bekämpfen (Phil. III). In der Rede vom Cher-
sones (Frühling 341) ist bereits Unterhandlung mit Byzanz versucht
worden, aber umsonst. Diopeithes hat den Thrakiern Beistand geleistet
Die Urkunden der Kranzrede 171
und von Athen nicht unterstützt durch Kapereien und Erpressungen
seine Heeresmacht unterhalten müssen. [719] Philippos hat darüber
eine sehr ernstliche Note an Athen geschickt und namentlich erklärt,
er werde die Chersonesiten züchtigen, er fordere Bestrafung des Dio-
peithes, der den Frieden gebrochen habe. Demosthenes verlangt von
neuem, man solle Diopeithes unterstützen, um dem König zu begegnen,
so lange er noch in Thrakien zu thun habe, man solle durch den Frieden
nicht femer sich hemmen lassen, der schon langst von dem Könige
gebrochen sei. Demosthenes sagt in der Rede für Ktesiphon § 244:
ovSapLOv jrö>;ror€, Ünot nQStrßevTfjg knkfi<p&t]v vfp vfiöHv hydj, ;/rT7;i9"€/^
cc^Tikß-ov T&v nuQa (I^ih'nnov nQeaßecov, ovx ix OerTahag, ovx h^
jt^ißQaxia^y ovx ^| 'IkXvotcDv, oi) nuQU röv Qg^x^iv ßatrilemv
ovx ix Bv^avTtov x r X; da Demosthenes nichts von diesen ersten
zwei Gesandtschaften in der Rede vom Chersones erwähnt, müssen sie
nach dem Frühling 341 gemacht sein, und mit dem Herbst desselben
Jahres waren die thrakischen Fürsten bereits unterworfen. Ferner sagt
Demosthenes vnig Krtifr. § 87 vom Philippos: ßovlöfisvoi; rfjg (tito-
nofjiniag xvoioi^ yeviad-ai naQek&d)v inl 0Q^X7jg Bv^ccvrtovg avfxfia-
Zovg Övrag avrq) ro fiiv noCjTOV ii^iov (TVfinoXEfXBiv röv TiQog vfuc^g
:zö}^lnov, cug S' ovx i'i&ü^ov ovo' km rovrotg iffaaav ri/V (TVfifiaxiccv
:z€7ioifl(r&aij kiyovreg äXijkf-Tiy /cf(>ax(yjM« ßaköfievog .... inoXiÖQxei.
Wenn jemals, so war da Gelegenheit, daß sich die Gesandten des
Philippos mit Demosthenes in Byzanz begegneten, und eben dieser
Weigerung der Byzantier allein konnte der Krieg, der im Herbst 341
seinen Anfang nahm, folgen. Wir haben gesehen, daß damals noch
nicht sofort eine Verbindung zwischen Athen und Byzanz erfolgte,
wohl aber werden die Athener dem Chersones Unterstützung zugesendet
haben (Dem. vTtio KrijfT, § 80 rovg äitocnö'kovg ünavrag änifrrBiXu,
xa^' ovg Xe^QÖvtjfTog i(T(üi%j xcci rö Bv^uvriov xai nävrsg oi (tv^-
fjtcexoi), indem sonst nicht abzusehen wäre, warum Philippos nicht nach
Bewältigung von Thrakien von Kardia aus den Chersones occupierte;
ihn mußte eine bedeutende Streitmacht, die dort vereinigt war, hindern.
Vergebens wurde in Athen durch Python und die Gesandten der Ver-
bündeten des Philippos unterhandelt (denn hierher ist Demosth. v;r€(>
KT7]f7. § 136 zu ziehen); mit dem nächsten Frühjahr 340 erfolgen
die mehrfach erwähnten Kapereien des Philippos {xal fiiv ri^v elo/jvrjv
y ixeivog äXvae rä nXota Xußct)v Dem. vnho Kr^jfT, § 73), endlich die
Kriegserklärung infolge jenes Brietes voll Beschwerden, den Philochoros
(bei Dion. ad Am. I 11) erwähnt, und an dessen Stelle der gut com-
ponierte, aber nicht authentische Brief, der unter Demosthenes Reden
steht, auf unsere Zeit gekommen ist. Auf Demosthenes Antrag wurde
172 Demosthenee
die Säule des Friedens umgestürzt, des Friedens, der, nach Dionys.
a. a. 0. inraerf) xQ^'^ov „vom Archon Themistokles bis zum Nikomachos
gedauert hatte und unter Nikomachos Nachfolger Theophrastos auf-
gehoben wurde". Ist diese Angabe nur einigermaßen genau, so muß,
da der Friede des Philokrates erst gegen Ende des Jahres Themistokles
(Frühling 346) geschlossen worden, die siebenjährige Zeit [720] wenig-
stens über die ersten Monate des Jahres Theophrastos hinausreichen.
Demosthenes § 139 sagt: knaiStj (pavsQCjg ^jSt] rä nXoTa ^(TsavXfjro
(Frühjahr 340), X6^(}6vrifrog inoo&eiTO .... ovxir kv äfA^i(TßrjTi](TiiJua
rä TtQäyjj^ar tjv, dkX ^vedTj^xei Ttöksfiog x r X\ also die Kriegserklä-
rung erfolgte auch nach dem Plünderungszuge durch den Chersones,
und den fanden wir oben als dem Sommer 340 angehörend, als Phi-
lippos von der schon zu lange währenden Belagerung von Byzanz auf-
brach, um dieselbe Zeit, als er sich gegen Perinthos wandte. So scheint
alles dafür zu sprechen, daß die Kriegserklärung Athens etwa mit
dem Herbst 340 erfolgte. Plutarchos (Phoc. 14) sagt: knü di fjLsydXa
raTi^ iXnifTi neotvordv 6 <l>ih7t7tog c/t; 'EXh'jfTnovrov rj^d-B furä Tiätrrjg
Tfiq Svvä/jiecog (dies ist das ävcenXevfrag des Philochoros, im Sommer
340) cbg Xe^QÖvj]f70v kv rccinp xai IHQtvd-ov l^^cov xal Bv^ävriov,
(üQfirjfievmv Si t6)v !A&r}vai(av ßo7]d-6iVy oi p/jTOQeg (gewiß Demosthenes
besonders, der stets für Chares war) iiyojviaavro rov XÜ()7]tcc ar^a-
T7jydv ünocFTCcXTiVai j xal nkevrrag ixeivog ovSiv ä^iov rTjg Svpdfi€0)g
MQarrtv j ov(T al Ttökstg hSixovro rbv (ttöXov, ciXX vnonrog Av
Tiäaiv kiiXaväro XQi]fxaTtl^6iiBVog äiib rCjv (TVfiiadxcjv xal xaxatpQO-
vov/jtevog vnb rcDv 7to?,efxi(ov, Dies scheint wohl noch in den Spät-
herbst 340 zu gehören, während die darauf erwähnte Aussendung des
Phokion mit dem nächsten Frühjahre erfolgt sein mag.
[799] Jetzt endlich können wir zu den Aktenstücken, die sich auf
diesen byzan tischen Krieg beziehen, übergehen. Es handelt sich zu-
nächst darum nachzuweisen, daß nicht Athen, am wenigsten durch
Demosthenes veranlaßt, sondern Philippos den Frieden gebrochen hat
Kc4i fi)jv, sagt Demosthenes § 73, r//i/ B}Qi]iniv y ixeTvog 'ikvae tu
nXolu Xcißfov, ovx h TtöXig, ^4i(TXtvfj, (l^iQe Öe ccvrä rcc ifßtjtpifrfjuxTa
xai Ttjv krcifTToVitV rtjV rov <l>tli7Tnov xat XiyB i(ps^f]g' äno yä{)
roifTfoVj rig rlvog aYriög ifrrt yev/jfTerai (pavsQÖv kiye. Man wird
nach den bisherigen Darstellungen wohl nicht anders erwarten, als
daß es sich um attische Schiffe handelt, die Philippos im Frühjahr
340 bei der mehrfach erwähnten Kaperei aufgebracht hat; auch heißt
es § 139 von demselben Anfang des Krieges knetSfi (faveQcüg ¥]Si] rä
nkoTa kfrefTvkfjTO.
Gleich das erste Bedenken, was gegen die zwei Decrete (§ 73
Die Urkunden der Kranzrede 173
und 75) und den Brief des Philippos (§ 77) geltend gemacht
werden muß, betrifft den geschichtlichen Inhalt: zwanzig attische Schiffe,
bestimmt zur Eskorte der Getreideschiffe, sind von Philippos aufgebracht
worden und werden von den Athenern zurückverlangt, worauf Philippos
erklärt, er müßte sehr dumm sein, wenn er nicht hätte merken sollen,
daß die Schiffe eigentlich den Seljmbrianem zu Hilfe gesendet seien,
aber er schicke sie ihnen zurück u. s. w. Wir wissen aus sonstiger
geschichtlicher Überlieferung zwar nicht, daß Selymbria von Philippos
belagert worden, aber daß es geschehen, ist sehr wahrscheinlich, da
diese Stadt seit dem Bundesgenossenkriege von den Byzantiem besetzt
war (Dem. nsQi rfjg Tod. Hbvö-. § 26). Bedenklicher schon ist, daß
Athen der von Byzantiem besetzten Stadt sollte Hilfe geleistet haben,
bevor der Krieg erklärt und mit Byzanz Verbindung geschlossen war.
Das Wichtigste [800] aber ist, daß nach Demos thenes Aussage dies
Rauben der Schiffe endlich den Krieg zum Ausbruch brachte, während
nach Philippos Brief, wie wir ihn vor uns haben, den Athenern die
Schiffe zurückgestellt und damit aller Anlaß zum weiteren Kriege ver-
mieden wurde; auch sagt Demosthenes ausdrücklich in Beziehung auf
den Brief: ovS' 6 (I^iktnitog oiShv alrißrat kjj^k vitig rov nokifiov,
iriootg kyxaX&v] doch davon nachher mehr.
Der erste Beschluß der Athener, des Inhalts, daß man wegen der
Wegnahme der Schiffe an Philippos Gesandte schicken wolle, ist datiert
iiti äQxovToq JVeoxkiovg, fjLfjvdg BoijSQOfii&vogj k.xxXrjma <TvyxX7]Tog
vnb (noaT7]y(ov, EvßovXog Mv7j<Ti&iov Köngiog elTtev. Der Pseude-
ponymos, den wir hier in der schon sonst bemerklich gemachten
anrieh tigen Wortstellung finden, kann uns nicht mehr als Prytanien-
schreiber angerühmt werden, sondern muß bereits als Zeichen ent-
schiedener Unechtheit in Anspruch genommen werden. Mag bei firjvdg
BoriSQoijLici>vog immerhin durch den Abschreiber die Zahl des Tages
ausgefallen sein, so bleibt doch die wesentlichste Bedenklichkeit übrig,
wenn anders unsere obigen chronologischen Bestimmungen einige Wahr-
scheinlichkeit haben. I)aß die Strategen allein ohne Zuziehung der
Piytanen das Volk berufen haben sollten, scheint eher gegen als nach
dem Sinn der attischen Demokratie zu sein; jedenfalls wird es in Frage
gestellt bleiben müssen, bis es durch sichere Beispiele garantiert ist.
Denn bei Thukyd. IV 118 soll die Ekklesie, in der über den Frieden
beraten wird, von den Prytanen und Strategen berufen werden, und
dies scheint die notwendige Form für außerordentliche Versammlungen
zu sein, daß der Beamtete die Versammlung durch die Prytanen und
mit ihnen gemeinsam beruft; dies vereinigt sich sehr gut mit Thukyd.
II 59, wo es heißt, daß Perikles das Volk berief in ä' i(TT()aT^yei
174 Demosthenes
und III 36 naQBfTXBvaaav rov^ äv rikei, axTTS ccvd-t^ yvfoyia^ noo-
xHivatj wo der Scholiast bemerkt: rov^ GXQuriiyov^ liyet rov^ h
rikai' ovroi yäg awTiyov rijv kxxXrjffiav. In beiden Stellen war es
nicht nötig, von den Prytanen ausdruckliche Erwähnung hinzuzufügen,
da 8ich das von selbst verstand; eine Erklärung, die auf ein officielle^
Aktenstück keineswegs anwendbar ist.
[801] Besonders ist Evßovko<; MvijfTiß-iov Kdngtoq elnev
für die Kritik dieses Aktenstückes interessant. Daß Demosthenes, wenn
er dies erste Psephisma das des Eubulos nennt (§ 75), keinen anderen
als den berühmten gemeint hat, ist aus dem Zusammenhange voll-
kommen klar (vgl. § 70. 75. 76. 162), der aber ist Anaphlystier, wie
Plutarchos [noXir. nuQuyy. c. 15), freilich aber auch nur der bezeugt:
doch die von ihm angeführten Einzelheiten lassen an der Identität
der Person nicht zweifeln, und für die Richtigkeit der Benennung bürgt
die Genauigkeit, mit der jen«r Aufsatz gearbeitet ist Freilich in dem
Plutarchischen Leben der zehn Redner (S. 373 ed. R.) heißt es von
Aischines Prozeß über die Truggesandtschaft cWia gvvu%6vto^ cevno
EifßovXov Tov ^Sniv&ccQov IlQoßa?*t(Tiov SrjfjLccycoyoüvrog rata-
xovra yj7'jq)0ig änitpvytv. Daß diese Notiz zum Teil von dem Lampsa-
kener Idomeneus herstammt, ergiebt sich aus Plutarchs Biographie des
Demosthenes c 15, wo sich indes nicht jene genauere Nennung des
Eubulos findet: und daß der gemeinte Eubulos kein anderer, als der
Anaphlystier ist, ergiebt sich aus dem bekannten Verhältnis des Aischines
zu ihm und aus der Bemlxing auf den Freund am Ende der Rede
ntQl 7ta(}(X7t()B(Tß. § 184 naQccxaXüj 8i EvßovXov fiiv he T(t)v Ttoliti-
K&v xai (7(a(p()öpcov üvSqCjv (Tw^yo()ov, <Po)xi(ova Sk x r h Aller-
dings wird Eubulos der Probalisier als Zeuge aufgeführt in der Rede
xccTÜ NaatQ. § 48. Daß aber des Spintharos Sohn bei Pausan. I
29, 10 derselbe mit diesem Probalisier ist, erscheint vollkonmien un-
möglich, so bequem es durch die Stelle der X Oratt. vermittelt zu
werden scheint Denn in der Stelle des Pausanias ist die Rede von
den Begräbnisstätten des Eubulos und derjenigen Männer, die im Kampf
gegen Lachares (Ol. 121 1) und bei der xardkrj^pig des Pelraiens
(Ol. 122 1) gefallen waren (s. Geschichte des Hellenismus I S. 567,
587 I* 2 S. 252, 272), das Zeugnis in der Rede gegen die Neaira dagegen
bezieht sich auf eine sechzig Jahre frühere Zeit und die Identität dieser
beiden Eubulos ist somit vollkommen unmöglich. Wir finden in De-
mosthenes Rede xarä Kövmvog § 8 in einer vornehmen Trinkgesell-
schaft (um Ol. 109) auch den Spintharos Eubulos Sohn genannt; man
wird nicht zweifeln, daß dieser der Vater des etwa zwölf Olympiaden
[802] später im Kampf gegen Lachares und die Makedonier gefcJlenen
Die Urkunden der Kranzrede 175
Eubulos ist; ebenso wahrscheinlich dürfte es sein, daß dieses Spintharos
Vater eben der berühmte Eubulos ist. Hätten wir Sicherheit für diese
Vermutung, so könnte der Bedner Eubulos nur wieder der Sohn jenes
Spintharos sein, von dem Aristophanes in der ersten Parabase der
Vögel sagt bI Si rvyxccvBi xiq &v 0(>v| ovSiv }]ttov 2'Jiivd'aQov
(t. 762), denn natürlich nur Tornehme Leute lohnt es so als Ein-
dringlinge und geborene Sklaven zu verdächtigen. Ob der schlechte
Tragiker mit in diese Familie gehört, läßt sich nicht sagen.
Jedenfalls ist der in unserem Decret für den berühmten Ana-
pUystier genannte Koprier ein Pseudonymus und der Vater Mnesitheos
nicht minder. Nicht als ob wir des Namens nicht mehrere Athener
kennten; hat der Yerfertiger den Namen aus seiner Rednerlektüre, so
mochte ihm der Zenge ans der Midiana § 82 {Mvijfrii^eog !Akcj7texrji^6v)
oder der Myrrhinusier aus Aischines xarä TifiäQx* § 98 oder 6 tov
HicyhiQov xakovfiBvog ebenda § 158 vorschweben; doch ich glaube eher,
daß der Name selbständig erfunden ist. Man würde die ältere Lesart
KifnQiog nicht in Köngiog (s. die schöne Erläuterung Böckhs zum
Corp. Inscr. Gr. I S. 216) verändern dürfen, wenn nicht die besten Hand-
sdiriften so hätten ; zu hoch aber darf dem Yerfertiger unseres Decretes
diese Gelehrsamkeit nicht angerechnet werden, da sich ein Name wie
Uistgau seiner Absonderlichkeit wegen dem Gedächtnisse schon einprägt.
Als derjenige, welcher die von den Makedoniern aufgebrachten
zwanzig Schiffe kommandierte, wird in unserem Decret nicht genau
derselbe Name genannt, wie in des Philippos Brief; in diesem hat
Bekker AaofiiSayp] cod. JS liest Aaofiivcov, andere AaoScifuov, Aea}-
ädfiag] in unserem Decret hat Bekker AeaiSäfiavru ohne Varietät
seinerCodd., andere Handschriften haben AaofjLiSovra, AaodäfiavTccxi. s. w.
Aq8 dieser bunten Beihe von Namen ist allerdings Leodamas der
Aehtmer (Aischin. xarä Krrja, § 138), der Bruder des Euaion (Dem.
xccTcc MiiS. § 71) sehr bekannt, aber als Bedner, nicht als Feldherr;
derselbe fiel bereits zehn Olympiaden vor dem hier besprochenen Er-
eignis bei der Dokimasie zum Archonten durch (s. Hoelscher de vita
^ 8cry[>Hs Lysiae S. 108), so daß es doppelt unbequem ist, sich ihn
als Nauarchen Ol. 109 4 zu denken.
Wenn als der makedonische Nauarch, der die attischen Schiffe
aufgebracht hat, Amyntas genannt wird, so [803] ist der Name häufig
genug unter den Makedoniern, und des Balakros, des Sostratos Vater
nnd mancher andere Amyntas noch könnte wirklich damals des Phi-
Uppos Flotte gefuhrt haben.
Außer den Personalien dieses Decretes bieten mehrere Einzelheiten
'loch Auffellendes dar. Zu den Worten knatStj nQogtiyytiXav oi ar^a-
176 Demosthenes
Tfjyol . . . «e äQa . . Gxütfjti sYxomv .... Idixvvraq xaray^iox^v tlg
MaxtSoviav bemerkt der hochverehrte Schäfer: äQa] malim omissum.
In psephismati quidem sie posititm habet quod parum placeat; und zu
xaray'ijoxBv] cod, Bekk. de melioribits xarcc/BioxsVj quae forma videtttr
satis notabüis. Etym. M. c. 9. 33 ro fiivroi äyeioxa Boimrojv
ä(7Ti TQoitfj Tov t} Big t?jv si Siff&oyyov. Jedenfalls führt Phrynichas
die Form xarccytjöxccai aus Lysias an. Nicht ohne Anstoß liest
sich (Txd(p7i in dieser Stelle, wo man %h}ia oder tQi/jQeig erwarten
würde, da axätpri etwa in der Weise modificiert ist, wie in unserer
Schiffersprache der Ausdruck „Gefäß". Doch bin ich hier vielleicht
zu weit gegangen. Ungleich auffallender ist hmii%kri&fivai rovg ^ov-
rdvstg xul rovg arQccrrjyovg Ö^cog i] ßovDj GwaxO-Giai xal aioE-
&öj(n TiQiaßstg ngog <l>iXt7i7iov, Diese Verbindung des allerdin^rs
coUectiven ^ ßovki] mit dem Plural ist den Kritikern so aufifallend
gewesen, daß die einen jj ßovXij xal 6 STj/iog, die anderen nicht minder
willkürlich awaxO'fj mit wertlosen Handschriften schreiben wollten.
Jedoch ließe sich diese Härte noch rechtfertigen; so heißt es in einem
Zeugnis in der Midiana § 168 navxbg rod aröXov nXaövrojtf iv
ra^Btj und Dorville citiert zum Chariten S. 353 die Lysianischen
Worte rijv ßovlijv — dtiaavrag. Das bei weitem Auffallendere ist,
daß Prytanen und Strategen den Rat versammeln sollen, während doch
die Bestimmung lautet: oi ngyravtig rijv ßovXi/v (rvväyovai dtn'r
fiegai TtXijv &v äcptrög rig tj PoUux VIII 95; wozu dann noch das
^mfiskfjd-fjvai, wozu die Strategen außer den Prytanen? Auch ist es
wohl nicht das gewöhnliche, daß die Gesandten vom Rat erwählt
werden (s. Schoemann de com. S. 282).
Ich weiß nicht, ob ich zu weit gehe das Verbum fUfi\f)inotQBiv
auffallend zu finden; wenigstens beliebt ist es erst in der späteren
Gräcität und der küi^Qiog xpöyog (denn so erklärt das Wort Clemens
Alex, paedag. I 80), will auch nicht recht nach einem officiellen Akten-
stück schmecken.
Von besonderer Schwierigkeit endlich sind die Schlußworte des
Deorets, zu deren Erklärung wir wenigstens die Übersicht der ganzen
Construction geben müssen: Evßovkog eine .... kTtifieXrj&fjvai roiv
nQvrävBig xal rovg (TTQavTjyovg 8^(og .... noefißeig aiQtd'&aij . . .
ot StaXi^ovrai nsgl tov x t A, xal sl fdv St äyvoiav ravra nenoifixev
6 !AyivvTagj Öri oi> fiBfjLxfJifioiQsT 6 dflfnog ovSiv el äi ri nXtjfifieXovvrce
nagä rä inearaXfiiva kaßthv, Sri iTiiaxBifjäfjievoi lA&i]vaioi hniri^i'}-
rrovai xaxä rtjv r^^ öXiytoQiag cc^iav ■ %l 8k firjSezBQOV rovxcov iffriv^
älX iSi^ äyvoopLOvovaiv ^ 6 d7to(TTeiXag f) 6 dnecTTaXfiivog, xat
TOVTO yQdyjai kiyeiVy iva aia&avöfievog 6 Sfjfiog ßovkevafjrat, ri
Die Urkunden der Kranzrede 177
fe" noiBiv, Die [804] unterstrichenen Worte sind nach Bekkers Text,
aber sie haben mannigfache Abweichungen in den Lesarten; cod. 2
hat mit einigen anderen Handschriften bloß xal Uyttv^ andere xa)
yodipai Xiysiv, andere lassen das Ganze fort. Nimmt man die Lesart
Bekkers, so steht entweder yQÜifjai parallel mit i7iifisX7]d-f)vcct, und
das könnte dann nur heißen, die Prytanen sollen in die Instruction
schreiben, daß die Gesandten oder gar, daß Philippos auch dies sagen
solle, eine höchst verkehrte Ausdrucksweise! — oder es hängt Uyeiv
ziemlich locker ab von StaXe^ovrai, die Gesandten sollen dem König
sagen, auch dies zu schreiben, in freilich sehr handgreiflicher Beziehung
aaf den gleichfolgenden Brief des Königs, wenn es nur nicht so übel
ausgedrückt wäre; xai tovto Uyeiv würde bequemer den entsprechenden
Sinn geben. Dissens Erklärung giebt auch kein genügendes Resultat,
er lässt sein xai tovto yQd'xfJcii von alifSi^cDai abhängen, so dass es
in ziemlich lockerer Weise dem ohiveg StaU^ovTai entspricht; aber
abgesehen von der Nachlässigkeit der Structur, bleibt das xai in dieser
Erklärung unerklärlich, da die Gesandten ja eben in den beiden anderen
Fällen nicht auch zurückschreiben, sondern Auftrag erhalten, wie sie
entgegnen sollen. Das Schwanken der Lesart, das nirgends so bedeutend
und so voller wesentlicher TJnterschiedenheit ist, als in diesen Urkunden,
lässt keine Entscheidung zu über das, was hier das Richtige sein muß.
Ich bin weit entfernt, jeder einzelnen dieser Bemerkungen eine
gegen die Echtheit des Documentes entscheidende Wichtigkeit geben
zu wollen; aber wenn nach der verkehrten Datierung, nach dem fehler-
haft genannten Eubulos, nach den sehr bedenklichen Absonderlich-
keiten in Verfassungssachen die Unechtheit der Urkunde unzweifelhaft
ist, bekommen auch die sonstigen Schwierigkeiten eine andere Bedeutung.
Nach diesem ersten Decret leitet Demosthenes mit folgenden
Worten zu der weiteren Lesung hinüber: tovto iikv to/vvv t6 nn)-
fftana Evßov?.og äyoce^jsvj ovx kyo), t6 S' ^(fe^rjg ^Qi(7T0(p(dv, el&'
Hyi'iatnnog, eiTa 'AgiGTocftov ndXiv, stTa HiiXoxQccTi]g, eha KijcftGo-
^f^iv, thcc navTtq oi äkkoi, kyco S' ovSiv ubqi tovtwv ?yiye [t6 ipiicpKTf.iaJ,
Im cod. JS fehlt dies ro ^prjfptafjLa, in anderen Handschriften steht tö
ßovhvfxa. Nach der Lesung sagt Demosthenes: ägneo kyco TavTu
fhixvvo) TU 'ipi'iCpiGficcTa, ovtco xal <7v Set^ov, Alaxivi}^ dnoTov fym
yoüxiiag yj7j(pjfTfia aiTiög Bifii tov nokifxov. Hieraus ersieht man,
daß die Lesung der Psephismen ergeben hat, daß die anderen Staats-
männer mit ihren Anträgen die Sache weiter und weiter getrieben
haben, bis endlich der entscheidende Brief des Philippos einlief, infolge
dessen die Stele des Friedens gestürzt worden. Wie kann da die
Rückgabe der Schiffe möglich sein? Statt der mehreren Decrete, die
Droygen, Kl. Schriften I, 12
178 Demosthenes
Demosthenes keineswegs bloß hinhält, um sie zu zeigen — das wäre
ohne alle Bedeutung — , folgt nun das zweite Decret, gar kein Volks-
beschluß, sondern ein mattes Wahlprotokoll, das in diesem Zusammen-
hang ohne allen Wert, das voller Fehler und Verkehrtheiten ist.
Die Datierung ist wieder kni NaoxUovg äQxovTO(i Boi]S(}Ofjiict>vog
ivr] xa) vi^' ßovXfi^; yv(6fji7j [805] ngyrav^iq xai aroarriyol ^/(;?/jWa-
TifTuv X T ?.\ Eine höchst seltsame Bestimmung; wenn der Rat vom
Volk beauftragt ist zur Wahl der Gesandten, was soll da noch die
Bestimmung des ßates selbst? Doch könnte dergleichen noch möglich
sein. Dissen will hinter yvcüfjiy interpungieren und die Formel für
ädo^e Tfj ßovXf] verstehen; aber es handelt sich hier gar nicht um
einen Beschluß, sondern um eine Wahl. Femer heißt es, die Prytanen
und Strategen hätten die Beschlußnahme des Volkes im Senat zur
Verhandlung gebracht: 6tb äSo^e t(o Sfjfico nQiaßeiq ikiad-ai . . . xai
hvToXceq Sovvcct xai rä ix rTjg hxxhiaiat^ ipijcpifTfiaTa, Was sollen
außer den Aufträgen und Instructionen noch diese Beschlüsse? Be-
glaubigungsschreiben können es nicht sein, da ja der Senat wählt, also
das Volk nicht erst zu bestätigen haben kann, und wenn wirklich
außer den ivroXalg noch das vom Volk bestimmte nötig war, so mußte
es ja eben rd kx rfjg ixxhjtriag '\j*t)(fi(Tfxa und zwar jenes obige des
Eubulos sein, in dem die kvroXa/ im Wesentlichen enthalten waren.
Aber es ist deutlich genug, daß der Verfertiger dieses Aktenstückes
die verschiedenen oben genannten Beschlüsse des Hegesippos, Philokrates,
Kephisophon u. s. w. mit hineinbringen zu müssen geglaubt hat, was frei-
lich keinen grossen Begrifi von der Schärfe seines Verstandes geben kann.
Kcd eilovTO rovgSe' KrjtpKTOtpidvTa Klkovog !Avaq)Xvariov*
ArifiöxQiTOv Ar]fjLocf(TjvTog !AvayvQdaiov' UolvxQirov !AnrifiävTov
Ko&cjxiSrjv^, wieder drei Männer, die obschon in wichtiger Sendung
durchaus nicht weiter bekannt sind, und — fügen wir mit voll-
kommenster Zuversicht hinzu — nie existiert haben.
* [Der angeblich gefundene Stein, Arch. Ztg. XXV 1867 S. 109 aus der
*£q)Tiu&Qig jiüv q)dofin&(üv nach der Abschrift von Georgiadas durch Rhusopulos
mitgeteilt, hat fcVrt ytxofiuxov liqx^^^^^j sowie IlokvxQiiov Änt^^titviov AtjfA . . . und
ÄqiiJiocpCiv Ä^iii'itv;^ und erweist sich auch damit als gefälscht. An m. des Verf.].
* Von diesen drei Namen ist nur der erste in Athen ziemlich häufig, und
wir werden unten genauer über die Kephisophons sprechen. Von den Namen
der Väter ist Kleon der von vier verschiedenen Personen in unseren Decr^ten.
Demophon ist aus dem Prozeß des Demosthenes gegen seine Vormünder bekannt,
es heißt so Demosthenes Vetter, der Sohn des Demon, der Paianier, und er wird
es wohl sein, dessen Gedichte auch Kotys Ephippus verspottete, Athen. XI
S. 482; andere des Namens übergehe ich. Es hat überhaupt wenig Nutzen des
weiteren die Namen zu untersuchen, die doch nur eben zusammengewürfelt sind.
Die Urkunden der Kranzrede 179
Denn daß dies Decret nimmermehr echt ist, würde, wenn alles
andere in Ordnung wäre, aus den Schlußworten allein schon auf das
entschiedenste folgen: novrccveice (pvXfjg 'iTtnod-oonvTiSo^ !Ai)iGTO(p&v
KolvTTtv^ nQÖeÖQOi^ elnev. Sonst steht diese Formel im Anfang und
ich glaube unter den mannigfachen Varietäten, die Prytanie zu be-
zeichnen, kommt die hier gebrauchte sonst nirgends vor (s. Schoemann
de comitiis S. 131 flf.). Aber was soU hier dies elnsy da ja kein Antrag
gemacht, sondern im Auftrag der Ekklesie gewählt wird, und tcqvtü-
veig xai (TToarfjyoi nach dem vorigen Psephisma den Rath zur Wahl
berufen, also auch den Auftrag der Wahl mitzuteilen haben. Aber
freilich aus den nächst vorhergehenden Worten des Demosthenes er-
giebt sich, daß dies ein Psephisma des Aristophon sein soll, und da
muß es schon heißen !AQiGro(p&v elTte, Wenn das Decret echt wäre,
so würde* [806] es durch die Bestimmung TKjöedoog wichtig sein; es
ist bekannt, daß in früherer Zeit die Proedroi der prytanierenden Phjle,
in späterer neun aus den nicht prytanierenden Phylen gewählte Proedroi
die Leitung* der Beratungen in Rat und Volk hatten (s. Boeckh Corp.
Inscr. Gr. I S. 130); daß diese Neuerung bereits zur Zeit des Ktesiphon-
tischen Prozesses eingeführt war (s. den Anfang der Rede des Aischines),
ist von Boeckh nachgewiesen; aber ebenso bestimmt ist zur Zeit, da
über den Frieden des Philokrates verhandelt wurde, und zur Zeit der
Rede gegen Neaira noch die alte Einrichtung im Gange (s. xurä
Neuioai; § 90 und Aischin. neol nuoanoEaß, § 90 ^). Also zwischen
OL 109 und Ol. 112 2 ist diese neue Einrichtung getroffen worden;
die Kolyttier gehören zur Aigeis, es müßte also dieser Proedros Ari-
stophon ein non eontribulis sein, und danach wäre Ol. 109 4 bereits
die neue Einrichtung vorhanden. Aber daß dies nicht so ist, dürfte
sich ergeben aus der Erzählung von den Beratungen gleich nach der
Einnahme von Elateia, also mehr als anderthalb Jahre später, als die
in unserer Urkunde besprochene Angelegenheit (Dem. V7ti() Ktij(t. § 169):
tfj S* v(TT60C4t^ . . , Ol fiev TiQvräveii; rijv ßovXijv kxdXovv eli^ rb
ßovXfVTiiQtov .... xai fjLeru tuvtu cog eigT^Xß-ev ij ßovkij (in der Volks-
versammlung) xai dnip/yeiXav oi 7t()VTdv6ig rä TioogijyyBXiJLiva
iuvrolg x r X. Hieraus ergiebt sich die überwiegende Wahrscheinlich-
keit, daß das Institut der proedri non contribules jünger ist, als die
Schlacht von Chaironeia; und wenn dem so ist, so haben wir in diesem
^ Dasselbe Factum erzählt Aischines xara Kxrjc. § 74, aber mit ofiPenbaren
Lügen. Schoemann Antiquitt. jur. pub. S. 222 entnimmt aus dieser Stelle un-
richtig, daß Demosthenes secundo quidetn die kx nagairxev^ig proedrum fuiase;
Aischines Worte lauten ßovXsvii/g cjv dx nagaffxevfjg . was die Frage wesentlich
modificiert
12*
180 DemoBthenes
Proedros aus einer nicht prytanierenden Phyle wieder einen Beweis
der Unechtheit^.
Endlich kommen wir auf den merkwürdigsten Fehler in den Schluß-
worten unseres Decretes. Ruhnken hat zuerst in seiner Hietoria critica
geltend gemacht, daß es zwei berühmte Redner des Namens Aristophon
gebe, von denen der ältere der Azenier, der jüngere dieser Kolyttier
sei; er hat mit seiner anscheinend sehr gründlichen Art die reichen
Notizen, die uns überliefert sind, zwischen beiden nach Wahrschein-
lichkeitsgründen verteilt, und seitdem paradiert nun der doppelte Ari-
stophon in vielen geschichtlichen und philologischen Büchern. Nur
sonderbar, daß unsere Urkunde die einzige Autorität für einen Kolyttier
Aristophon ist; und schon in dem vorhergehenden Psephisma fanden
wir statt des bekannten Anaphlystiers Eubulos einen mit fingiertem
Vaters- und Demosnamen. Es läßt sich mit vollkommener Sicherheit
erweisen, daß der so häufig bei Demosthenes, Aischines und sonst
genannte Aristophon stets ein und derselbe Azenier ist. Denn Demo-
sthenes sagt {vTt^Q Kti](t. § 162), er habe die Verbindung mit Theben
(vor der Schlacht von Chaironeia) nicht bloß seiner Ansicht folgend
äXX elÖG)!^ !A()iGro(p&vra xai ndktv Evßov).ov ttüvtcc top /oövov
ßovXofiivovg %()a^at ravrijv ri/v (fikiav, [807] xui ne^l tü)v äXhov
TtoXXäxig dvTiXiyovTccg', iccvroig tqv&' dfioyvojfnovovvraQ äd' ovg
(TV ^covrag fiev xokaxevcjv Tta^ijxokov&eig x r h Hierzu vergleiche
man Aischines xaru Krtja. § 138 xairoi noXXccg fiiv rovrov nQdxBQOv
Tt^BCFßeiag hTCQiGßBvtruv eig Ofjßag oi fi.ah(TTa olxeicog ^xsivoig Stce-
xstfievoi, nQdjTog fxiv f^QaavßovXog 6 KoXkvrsvg .... nüXiv Oodacov
d 'EQ/iSvg . . . AecoSdfiug 6 !AxccQvevg . . . 'Aux^^ij^iog 6 U/jhj^ ....
!AiiiGTQ(f(üv 6 !AC'tjvievg tcXiTgtov /(/övov tijv tov ßoiwriä^eiv vTto-
fiBivag alriav, IIvoQavÖQog 6 \4va(flv(TTiog, 6g 'in xai vvv ^f]. Es
ist die fast genaue chronologische Reihenfolge der Staatsmänner, und
der Azenier Aristophon steht zuletzt vor dem (Ol. 112 2) noch lebenden
Pyrrandros. Wenn Demosthenes [intQ Kti,(t, § 219) sagt noXlol tiuq
vfjLiv yeyövaai pfjTOfjeg evSo^oi xat n^ytcXot -jiqo hfxov, KaXXlaToarog
heeivog, !A(}iGrocf(üv, KicfaXog^ ^^aavßovXog. Heooi fivotot, und wenn
er in dieser Zusammenstellung den Aristophon nicht durch seinen
Demosnamen unterscheidet, so kann nicht hier der Azenier, und in
anderen Stellen derselben Rede, wo Aristophon ebenso ohne weiteres
genannt, ebenso als Staatsmann ausgezeichnet und neben Eubulos,
Diopeithes u. s. w. genannt wird, der angebliche Kolyttier gemeint sein,
der ja auch zur Zeit dieses Prozesses schon tot sein mußte (nach § 162).
* [DaBs die proedri non contribules älter als die Schlacht bei Chaironeia
sind, steht jetzt fest'.
Die Urkunden der Kranzrede 181
Aristophon der Azenier war um Ol. 106 noch in Thätigkeit im Prozeß
über Leptines Gesetz (Leptinea § 146), in dem berühmten Prozeß
gegen Timotheos und Iphikrates (Athen. XIII S. 577), und wenn Hype-
rides in seiner Rede gegen Aristophon sagte; olSe yao uvrcp SbSo-
/livf/v äStiav xat noärrBiv xal y{)ä(pBiv 6ri äv äfißoccxv ßovkrjrcci
(Schol. zu Plat Theag. S. 384 ed, Bekker), so wird das niemand auf
einen Redner, der mit Demosthenes, Aischines, Eubulos u. s. w. zu
rivalisieren hatte, sondern nur auf jenen grossen Staatsmann beziehen,
der sich rühmen konnte, fünfundsieben zigmal wegen Paranomien ver-
klagt und stets freigesprochen zu sein (Aischin. xarä Knia. § 194);
und Hyperides [fhätigkeit als Redner begann gewiß nicht vor Ol. 107,
wahrscheinlich später. Die einzige erhebliche Schwierigkeit, die gegen
unsere Ansicht erhoben werden könnte, dürfte das Alter des Azeniers
sein; denn schon OL 92 1, sagen sie, ward er als Gesandter der Vier-
hundert nach Sparta geschickt. Aber Thukydides VIII 86 nennt Ari-
stophon an jener Stelle keineswegs Azenier, und die sehr deutlich
erkennbare politische Ansicht des herrlichen Mannes ist der entschei-
dendste Beweis für die Unmöglichkeit, daß er je im Interesse jener
Oligarchie gehandelt haben könne. Wohl aber beginnt seine Thätigkeit
sofort nach der Wiederherstellung der Demokratie. Nach Karystios
(bei Athen. XIII S. 577) gab er im Jahr des Eukleides ein Gesetz
über die vöd-ot, denn daß der da ö qijtcoq genannte kein anderer als
der Azenier ist, wird durch die Anspielung in der Leptinea § 149
gewiß. Nimmt man dazu die Notiz aus dem Leben der zehn Redner
S. 358 !AQtaTO<p6iVToq de )]Sri rtjv 7t()Oi;TU(7iav Sta yijoccg xaraXi-
TiövTog xal XH^vyoq kyivBTo [808] At]fjiO(T9'ivijg (um Ol. 106), so mag
damals Aristophon immerhin fünfandsiebzig Jahre alt gewesen sein, so
daß er um die Zeit des Archonten Eukleides etwa so alt war. wie
Alkibiades, als er sich zur politischen Thätigkeit wandte. Wenn er
noch bis gegen die Zeit der Schlacht von Chaironeia lebte, so hatte
er freilich ein sehr hohes, aber in Athen nicht ungewöhnliches Alter
erreicht; auch Isokrates war siebenundneunzig Jahr alt, als er seinen
Panathenaikos vollendet; Phokion, Eallias, Leodamas, manche andere
attische Staatsmänner sind durchaus bejahrt noch in Thätigkeit gewesen.
So lange also nicht aus anderen sicheren Notizen die Existenz
eines Kolyttiers Aristophon, der Staatsmann von höchster Bedeutung
gewesen, nachgewiesen wird, darf er aus dieser Urkunde her nicht auf-
geführt werden; und umgekehrt, daß dieselbe uns als den berühmten
Aristophon einen Kolyttier nennt, ist ein Beweis zu vielen anderen,
daß sie unecht ist. Ob der cfOQolöyoq in der Mediana § 218 (vgl.
Demosth. nobq Zfjvo&, § 11) oder der bekannte Komiker oder der
182 Demosthenefi
ältere Maler oder sonst einer ein Kolyttier gewesen, weiß ich nicht, nur
von dem berühmten Staatsmann war die Identität geltend zu machen.
[809] Wir können nun zu dem Briefe des Philippos übergehen,
den Demosthenes verlesen läßt, indem er sagt § 76: xal fiijv ovS' 6
<l>th7T7to^ ovSiv airiärut kfjii V7ik() rot) nokifiov, iriQOtg iyxccXcDVj
und nachdem der Brief gelesen ist § 79 hvrav&a ovSufiov Jijfiofr-
divijv yiygatptv, ovo' alriav ovSsfitav xar kfxov* ri nor ovv roT^
äX)^oiq hyxaXiüV nov ifxol TteTroayfiivcov ov^t fiifjivi]rai] x r X, Also
es waren in dem Briefe die Staatsmänner bezeichnet, welche nach des
Königs Meinung den Bruch des Friedens veranlaßt hatten. Wir finden
statt dessen die höchst wunderliche Äußerung: xa) ravra gwetccxO-t}
TW vavü(JX(p ävBV fjAv rod Si/fiov rov Id&rivaiwv vitb Se rivojv
ä^j/övrcov xa) iriocjv, ISkotOjv iihv vvv Övtcjv, ix itavrbq Sh
TQÖnov ßovXofxivmv rdv STjfiov ävri rfj^ vvv v7iai)xovcFr]g n(}6g ifii
(ftkiag rdv nökBfiov ävaXaßtiv x r L Freilich hält das ülpian und
mancher neuere Erklärer für einen rednerischen KnifiF, daß Demosthenes,
da er nicht ausdrücklich genannt sei, sich auch nicht gemeint nenne,
obschon allerdings unter den Idioten besonders er gemeint sei; wie
armselig diese Erklärung ist, sieht jeder. Wenn Demosthenes urgieren
konnte, daß er nicht gemeint sei, so mußten die Namen der anderen
eben in dem Briefe stehen; und wenn dieselben in dem vorliegenden
Briefe nicht stehen, so kann es unmöglich derjenige sein, den De-
mosthenes verlesen ließ. Da ferner dieser Brief der Anlaß zur Kriegs-
erklärung wurde, mochte er wohl schwerlich mit der Rückgabe der
Schiffe schließen. Offenbar zählte Philippos in diesem Schreiben alle
Übertretungen des Friedens auf, die den Athenern vorgeworfen werden
konnten, und nannte dabei die Namen derer, welche die einzelnen
Maßregeln in Antrag gebracht hatten; Demosthenes sagt § 79, der
König spreche von seinen Antragen nicht, 6ti r6jv äSixijfiarcov uv
äfiifivijTO rßjv iavTov, bi ti Treoi ifjLov iyuarfB. Kurz, der Brief, der
wirklich hier verlesen wurde, ist derselbe, auf den sich Dionysios Worte
beziehen (ep. ad Amm. II) intira Sib^eIO-cov (ö ^lHi6xo{iog) &aa roTg
!A\)i]V(aoiq 6 <l>ihniiog kvexüXet Stä xT^g iTttfxroXfjg xal J^jfiotr&ivovg
n{)ogxaXiaavTog f4VTovg noög rdv TiöXefxov x r A, und statt des Briefes
ist eine doppelte Erdichtung auf uns [810] gekommen, der vorliegende
und der viel geschickter componierte, zu dem die ebenso unterge-
schobene Demosthenische Rede 7t()dg t^v knifrroXfjV Ttjv <I^iXinnov
gehört; in diesem ist weder von Selymbria, noch von den gekaperten
Schiffen die Rede, und in unserem fehlen alle die Beschwerden, welche
dem Schreiben des Königs seine große Bedeutung geben, und um
deren willen es Demosthenes eben lesen läßt, damit erhelle, wie die
Die Urkunden der Kranzrede 183
anderen Staatsmänner, nicht aber er, von Philippos beschuldigt und
als Anlaß zum Friedensbruch angesehen worden sei.
Mit Übergehung der auflFallenden, aber nicht zu bedeutenden
Einzelheiten, wie (paivea&e kv fieyäXr] smj&ei^ iata&ai oder netgüao-
yLai x^yo) Sia(pvXümiv tjjv 6i()7jvr]Vy will ich nur eine geographische
Sonderbarkeit hervorheben. Es heißt in des Philippos Brief, die
athenischen Schiffe seien abgeschickt dji^ rov alxov naQanifii^fovra kx
Tov 'EXXi](T7t6vTOv elQ Aj}fAvov, und in dem Deoret des Eubulos rä
fjLer avrov änoaraXivra Gxdcpii Bixoai si^ r/jv rov airov naganofi-
:tijv aig 'Elh'j<T:tovTov, wo man ohne des Philippos Brief gewiß das
dg nicht zu änoaraXivra^ sondern zu 7ta(janofinjjv ziehen würde. Ich
will nicht erwähnen, daß dies Convoi sonst die Getreideschiffe am
Hieron bei der Mündung des Bosporos erwartet und durch die Meer-
engen bis wieder in die offenbare See geleitet (s. Dem. ngdg Ilokv-
xXka § 19 und sonst); wenn aber die Flotte in den Hellespont ge-
schickt wurde, wie ist sie da den belagerten Selymbrianem zu Hilfe,
die doch weit genug entfernt wohnen? sie konnte es nur dadurch sein,
daß sie dem makedonischen Geschwader den Hellespont sperrte, aber
dann mußte der Brief darüber klagen; der Verfertiger des Briefes scheint
keine deutliche Vorstellung von der Lage Selymbrias gehabt zu haben.
Die Ehrendecrete der Byzantier und derer vom Chersones
(§ 90 bis § 92), auf die wir jetzt übergehen, scheinen am wenigsten
dem Verdacht der Unechtheit ausgesetzt zu sein, und dürften wir uns
nicht von den für die übrigen Urkunden schon gewonnenen Resultaten
einigermaßen bestimmen lassen, so würden wir uns namentlich gegen
das Decret der Byzantier jeden Zweifel versagen. Der Dialekt desselben
ist dorisch und zwar in Formen, die durchaus nichts Anstößiges haben;
die Datierung kitl ieoofjLvüfiovog Bo(T7io()ix(o stimmt mit den sonstigen
Notizen vollkommen überein (Polyb. IV 52); der Inhalt selbst scheint
sieh auf jede Weise zu empfehlen.
[811] Dennoch muß ich bekennen, daß ich auch diese Urkunde
für unecht halte, wenn schon nur schwache Gründe vorzubringen sein
werden. Demosthenes sagt: keye S' avroTg xal rovg rOjv Bv^avrioiv
f7TB(pävovg xal rovg tcjv Jleotv&tcoVy olg karecfävovv ti^v nöhv.
Danach muß man zwei verschiedene Decrete erwarten; statt dessen
heißt es in dem Decret: Ssdö/ü'cci tfo öü^(p reo BvCccvt/cov xai
n€{>iv&iO}v und zum Schluß räv Bv^avTicav xal TleotvO'/ojv ev/aoia-
Tiav. Daß die Meinung des Beschlusses nicht ist, es hätten sich beide
Staaten zu gemeinsamem Beschlüsse vereinigt, ergiebt sich aus der
byzantischen Datierung und aus den Ergänzungsworten Jafiüyrjrog
kv T^ äh'^ äXe^av, kx rög ßcoXäg Xaßijv p/jT(jav (so viel als 7t oo-
1 84 Demosthenes
ßovlavfif^, ähnlich dem BvO-Bu^t^ ^iiroai^ dvTanufiBißöfABvoi des Tjr-
taios). Aber wie kann in der Ekklesie der Byzantier der Beschluß,
der das keineswegs unterthänige Volk der Perinthier zugleich mit
umfaßt, decretiert werden, der Perinthier, die hier ausdrücklich nur
(rififjLaxoi und ffvyytvEU der Byzantier heißen? Auch ist es nicht
sehr genau, wenn das ursprünglich ionische Perinthos, das freilich auch
Megarer in sich aufnahm (Plut. quaest. gr. c. 57), den Byzantiern
fTvyyevfj^ genannt wird. Sollte aber der Beschluß namens des byzan-
tischen Bundes gelten, so gehörte ja auch Selymbria, Chalkedon u. s. w.
zu demselben, und Selymbria hätte Anlaß genug gehabt, sich diesem
Ehrendecret anzuschließen, falls den vorigen Documenten etwas Rich-
tiges zu Grunde läge; jedenfalls aber hätte dann das xotvöv des byzan-
tischen Bundes, nicht aber Rat und Volk von Byzanz beschließen
müssen. Übrigens weiß ich nicht, ob ich Anstoß daran nehmen darf,
daß die Byzantier und Perinthier zwar eine bildliche Darstellung der
Kranzung stiften, diese Kränzung auch in den großen ^est^spielen ver-
künden lassen wollen, aber eigentlich doch nicht, was die Hauptsache
ist, beschließen, fTTEffrcvtTxTca XQvmp tmrfuvfo,
AufiFallend ist ferner das anoxcnifTrunB räv ncirotov noXiniav
xal Tot^ vöfio)^ xa) t(o^ rci(po)^, teils wegen der Verbindung dieser
drei Substantive, teils weil durchaus keine Veränderung der Verfassung
in Byzanz und Perinthos während der erfolglosen Belagerung denkbar ist.
Nicht dorisch genug könnte iyxrum^^ statt tfunum^ erscheinen,
wenn aus dem nmiroi^ fisru (v. 1. nso), ne^nä) tu tenä nach den
Andeutungen der Handschriften Ttsdü zu lesen sein dürfte. Auch
würde man nicht nuin]yvüt(4q, sondern navayvoui^ erwarten. Daß
diese Festversammlungen, auf denen das Decret verlesen werden soll,
'In&iiiu xal IVi^m xai VlvfATiiK xai Tlvthtc weder in ihrer typischen,
noch in der chronologischen Reihenfolge, wie sie nach einander diesem
Beschluß folgen werden, sondern in alphabetischer Ordnung stehen,
ist auch wohl sonderbar.
Erwähnen will ich noch die Worte: nxünm Si xui ^Yxovccq tq%U
bxxc4idexunijx^t^ ^v rot lio(rno(tixfo fTTerfuvovfievor rov Sä^ov r6v
Hthjvcacov vnb rtü Ödiuo nu liv^avTicov xca nBotvO-Uov, Das Sach-
liche anlangend bemerkt der hochverehrte Jacobs: „ein Demos der
Rhodier, der von dem Demos der Syrakusaner [812] gekrönt wird,
ward vom Hiero und Oelo in dem Deigma von Rhodos aufgestellt
Polyb. V 88". Aber was heißt kv xm liofTTtooixq)? Die Handschriften
bieten auch liofrnoQBtxfo, lioQixtp, nicht aber, wie man hat emen-
dieren wollen, HofTTiöom; es wäre auch etwas sonderbar, die meilen-
lange Meerenge mit ihrem di)ppelten Ufer als den Ort zu bezeichnen.
Die Urkanden der Kranzrede 185
WO dieses Denkmal errichtet werden solL Soll einmal emendiert
werden, so kann nur Boanogm geschrieben werden. Denn Steph.
Byz. V. sagt: Hysrai xal BoanÖQiov rov Bv^avrtov Xi^irjv, oi ö'
kyxd)OiOi <U(oq(p6oiov ccvxbv xaXovm TtuQuyoccfifAccTiXovTBg (ähnlich
wie sie IlvCceg statt Bv^ag sagten Bekker Anecdot. S. 1186, und daher
häufig auf den ältesten Münzen der Stadt TT Y ^) . . . ßr« <l}iXinnov rov
MaxsSövog SicjQv^ag xarä r//v nohooxiccv BigoSov xQvnrijv, 6&av
ä(pccv(dg Oi dQVTTOvrag i^fiakkov rov öovyfjLccrog ccvccSvvaij ij 'Exärrj
^(ogtpÖQog ovaa S^Sag knoirifTE vvxnoQ rolg nohrccig (pavf^vai xai
ri,v noXioQxiav tpvyövTBg ^l>(og<f6Qiov rdv rönov (ovöfiacrav^. Diese
Erklärung sieht sehr nach einer späteren Periegetenanekdote aus. Jeden-
falls ist das kv BoGnoQi^cp in dem Decret durch die Handschriften
garantiert; es wäre möglich, daß der Hafen der Stadt mit einer dori-
sierenden Deminutivform, die bei Personennamen häufig ist, aber auch
in dorüXtxog, xötpizog, xäSSt^og u. s. w. vorkommt, der kleine Bos-
poros genannt wurde. Dann ist freilich der gleiche Name des Hiero-
mnamonen wieder sonderbar.
Das Decret der Chersonesiten wird angekündigt mit den
Worten Xiyt rovg naqä rCDv kv XB^/wv/jtKp (rre^ävovg^ und der
Beschluß, den wir jetzt lesen, abgefaßt kv rw xotva} ßovksvTrjoico,
beginnt mit den Worten Xe^povrjcnriüv oi xaromoüvreg 2r}Gr6vj
'EkBovvrUy MüSvroVj 'AkcjTiBxövptjaov arBifavovai x r L Also nur
diese vier Städte bildeten einen Bund, in dem sich Krithot«, Paktye u. s. w.
nicht befand? Freilich unmöglich ist das nicht, aber wahrscheinlich in
der That ebenso wenig. Der goldene Kranz von sechzig Talenten
scheint seiner Größe nach hinreichend durch Böckh erklärt zu sein,
und der Beisatz des Gewichtes kommt, wenn nicht immer, so doch in
manchen attischen Decreten vor. Auff'allend ist mir, daß die dank-
baren Kolonisten einen Xcintrog ßcofiov xai S/jfiov U&ijvaicov stiften
wollen, besonders da sie !A&rivul(ov ri^v ßovXijv xal rov Sijfiov
kränzen; auffallend auch die gewiß harte Ellipse k^slöfxevog he rfjg
^tUnnoVy auffallend endlich ovx iXlmjm iv/aniarcDv, da die Atti-
cisten lehren, %vxaQiGrtIv ovSeig ribv Soxtfjubv elntv äXXä /ü{)iv %lSivai
(vgl. Boeckh zum Corp. Inscr. Gr. I 34); aber es sind ja die Cherso-
nesiten, die das geschrieben haben, sowie auch die Byzantier ihr
Decret mit eizceot(rrta schlössen!
So lässt sich allerdings gegen dies Decret derer vom Chersones,
wenn man es für sich betrachtet, nichts Wesentliches geltend machen;
* [Auf den Münzen steht die alte Form des Beta].
' |VgL Constantin. Porphyr, de them. H fin. Anm. des Verf.].
186 DemoatheneB
aber die übrigen Aktenstücke mit ihrer Unechtheit dürfen wenigstens
Verdacht erregen, und man vergesse nicht, wie schwer es ist, aus
höchst unzulänglichen Nachrichten einen Beweis, wie wir ihn wünschen,
zu führen. Die Fassung des ganzen Beschlusses habe ich nicht anzu-
führen gewagt, und nur andeutungsweise füge ich noch die dem Decret
[813] nachfolgenden Worte des Redners hinzu: ovxovv ov fiövov rö
Xe^p6vfj(T0v xcci Bv^üvriov (tcj(tcci, ovSi rö xcaXvaai rbv 'Ekk/jd-
TtovTOV vnb (l>ili7in(p yeviadai rdr«, ovSh rd rtfjLäa&ai rijv Tcöhv
kx rovT(ov X X A., die, wenn sie nach der sonstigen Gewohnheit der
Bedner aus den eben verlesenen Beschlüssen entnommen waren, desto
mehr Energie haben mußten.
VI. Urkunden zum euböischen Kriege.
Aristonikos betrantragte Demosthenes Eranzung, weil durch seine
Bemühung des Philippos Einfluß auf Euboia zerstört worden war
[bni{} KrrjfT. § 83). Es kamen auf Euboia besonders die Städte Oreos,
Chalkis und Eretria mit dem Hafenort Porthmos in Betracht.
Bereits mit dem Winter von Ol. 109 3 hatte Philippos auf
Euboia, obschon Demosthenes dagegen arbeitete {rijv nQ^aßBiav bI^;
Evßoiav iyomfjcc Dem. ini(} KzTja. § 79) festen Fuß gefaßt; in der
dritten Philippischen Rede beklagt Demosthenes wiederholentlich, daß
Euboia an Philippos verloren sei; von einer Partei in Eretria berufen,
habe er durch Hipponikos Porthmos besetzen, drei Tyrannen einsetzen
lassen; und eine zweimalige Empörung des Volkes von Eretria sei ihm
Anlaß gewesen, erst Eurylochos, dann Parmenion mit neuen Truppen
zu schicken und die Bürger aus dem Lande zu treiben; ebenso sei
Oreos durch Philistides und seine Genossen, die jetzt in der Stadt als
Gewalthaber herrschten, an Philippos verraten worden. Nur Chalkis
hielt sich; aber Demosthenes sagt ernst genug den Athenern, sie sollten
nicht hoffen, daß etwa Chalkis oder Megara Griechenland retten werde.
Einige Monate später, im Frühling 341, zürnt Demosthenes (in der
Rede vom Chersones) über die Athener, daß sie die günstige Zeit, etwas
zur Rettung Griechenlands zu unternehmen, verstreichen ließen; schon
zehn Monate sei Philippos in Thrakien; Krankheit, Winter, Krieg habe
ihn umringt, so daß er nicht hätte heimkehren können, aber Athen
habe nichts zur Befreiung von Euboia gethan, vielmehr habe Philippos
zwei Tyrannen in Euboia eingesetzt, einen in Eretria (von den oben
bezeichneten dreien den einen Kleitarchos), den anderen in Skiathos;
Euboia sei für Philippos nur eine Schanze {iTTirei/KTfAa) gegen Athen;
Die Urkunden der Kranzrede 187
und wie, wenn Philippos, statt auf Byzanz loszugehen, nun gen Chalkis
und Megara komme!
In Chalkis hatte Eallias den entscheidenden Einfluß, die Redner
nennen auch ihn Tyrann; früher ein Feind Athens, hatte er sich, da
er mit seinen Plänen bei Philippos nicht Eingang fand, an die Athener
gewendet, um mit deren Hilfe einen euböischen Bund, ja, eine allge-
meine Symmachie gegen Philippos zu Stande zu bringen. Er reiste
im Peloponnes, er kam nach Athen mit dem Bericht, die Achaier und
Megarer würden zur gemeinsamen Sache sechzig, die Euboier vierzig
Talente zahlen; er hatte Demosthenes für seinen Plan gewonnen, der
denselben auf das angelegentlichste empfahl, von anderen Bundes-
genossen, die er gewonnen, und von ihren bedeutenden Streitkräften
sprach und ankündigte, zum 16. Anthesterion würden sich die Synedren
der Bundesgenossen in Athen einfinden; zugleich forderte er auf, Ge-
sandte nach Oreos und Eretria zu senden, mit der Botschaft, [814]
daß sie ihre Beiträge nicht mehr nach Athen, sondern an Kallias nach
Chalkis sendeten. Und für dies alles, sagt Aischines, aus dem diese
Angaben sämtlich entnommen sind [xarä Krrja, § 85 — 105), empfing
Demosthenes ein Talent vom Kallias, ein anderes vom Tyrannen
Kleitarchos aus Eretria, ein drittes aus Oreos. Diese Erzählung ist
glaubwürdig, da Aischines die Aktenstücke darüber verlesen ließ. Durch
die Erwähnung des Tyrannen Kleitarchos ergiebt sich, daß die Sache
nach der dritten Philippischen Rede, also in den Anfang des Jahres 341
gehört. Dies wird bestätigt durch Aischines Angabe, Demosthenes habe
für Eallias Antrag sprechend sich erboten, von seiner Gesandtschaft
im Peloponnes und nach Ambrakia wichtige Dinge zu berichten, und
diese Gesandtschaft gehört nach Philipp. III § 72 ai nkovfri noKT-
ßeiai neQi rijv Ilikondvvijaov hestvai xul !A^ßf)axiav (nach Winiewskys
treflflicher Emendation für xarijyootm) in das Jahr des Pythodotos
(Frühling Ol. 109 2), so daß der zur Bundesversammlung angesetzte
16. Anthesterion in den Februar 341 Ol. 109 3 ßlUt; dies gegen
Hm. Brückner, der die Unterhandlungen des Kallias in den Winter
und Frühling 109 2 setzt. Zugleich ergiebt sich hieraus, was die
Äußerung in der dritten Philippischen Rede (§ 74) zu bedeuten habe:
il S' oYead'e XahctSiag rijv 'EXXdSa acoaBiv ij Msyagiccg, vfietg S'
unoÖQCcGia&ai xä TtQciyfjLara, ovx öfydcjg oie(Txte, Es ergiebt sich
femer, daß Kleitarchos in Eretria, Philistides und seine Genossen in
Oreos nicht sowohl Herrscher, als vielmehr die leitenden Staatsmänner
waren, die Philippos Einfluß über ihre Gegner erhoben hatte, und daß
sich Philippos Gewalt auf der Insel etwa auf eine Besatzung in Porthmos
und bei Oreos beschränkte. Philistides sowohl wie Kleitarchos unter-
188 Demosthenes
handelten durch ihre Gesandten in Athen, die bei Aischines Aufnahme,
beim Volke aber nicht Gehör fanden {v7te(} Knia, § 82). Es lassen
sich nicht mehr die Angaben des Aischines und Demosthenes, die beide
viel verschweigen und einiges lügen, vereinbaren; doch scheint man
athenischerseits den Beitritt zum euböischen Bunde und die Ausweisung
der makedonischen Besatzungen verlangt zu haben: als diese, wie es
scheint, geweigert wurde, erfolgte /; ilq 'Qqböv i^oäo^i ovxert no%aßda,
xa\ ij aig EQBTQiav {vnio Krria. § 79) unter Führung des Phokion;
denn Diodor. XVI 74 sagt: <l^xi(ov fiiv 6 '4&7jvaTog xarenoXifjLijaB
KkBiraQXov röv 'Eoeroiag tv(jc4vvoVj xa&errrafiivov vnd Q>iXlnnoxK
Diodoros erwähnt dies unter dem Archon Nikomachos und mit Recht;
denn Demosthenes (a. a. 0.) sagt gleich nach den von ihm veranlaßten
Expeditionen nach Euboia iiaxä tccvtcc rov^i dnocFTÖlovg aTiavra^
äni(TTBiXu, xaxf' ovg XB^(j6vT](Tog ItTco&rj xcci rö Bv^ävnov und
genauer § 87 iTreiSij i^ekä&t] roTg fUv önkotg vcp vficDv he rf/g Evßoiag
6 (I>tktnnog, rf/ Si Ttolirei^ xai roig ^f*ri(fi(Tficc(Tiv . • . . vn tfiov,
'tTe()ov xarcc Tf^g nökecjg kTtirsix'fTfiov k^i/rei x r A., und darauf erzählt
er den Krieg gegen Byzanz, der, wie wir früher sahen, mit dem Herbst
OL 109 4 (341) seinen Anfang nahm.
Und Philippos sah diese bedeutende Mehrung des attischen Ein-
flusses ruhig mit an? Man sagt, er war in Thrakien beschäftigt. Aber
wer wird glauben, daß er [815] darum nicht auch anderer Orten seine
militärischen Maßregeln traf. Schon bei Betrachtung seines Krieges
in Thrakien fanden wir ihn an mehreren Punkten zugleich thätig;
und daß er gegen die um sich greifende attische Macht Bewegungen
unternahm, wird durch Zeugnisse bestätigt. Leider ist der Brief des
Philippos, der unter Demosthenes Reden steht, nicht authentisch; und
wie weit die darin bezeichneten Facta aus guten Quellen sind, bleibt
zweifelhaft. Doch steht in demselben § 5 KaXXiag roivvv 6 nuQ
v^(üv fTTüC4Ti]y6g rag fiiv nöXeig rag kv tö5 nuyacixii x6?.7t(p xaroi-
xoviiivag ÜMßiv ü:idaug^ vfitv fiiv kvÖQXovg, kfiot Sk (TVfjificcxfSc(g
omag, rovg (Y elg MaxeSovtav nXiovrag ItkoXbi navxag TtoXafitovg
XQivojv xa) öiä ruvT vfietg iTir/vBlr uvrbv iv roig iptjtpiG^am x r 'L
Es würde nahe liegen, an Kallias von Chalkis zu denken, der nach
Euboias Befreiung diese Expedition gemacht haben konnte. Aber wir
haben ein anderes und besseres Zeugnis, das auch vorstehendes als
zur Hälfte unrichtig erweiset. Aischines [xarä Krtja. § 83) zählt nach
einander auf^ wie Demosthenes viel über kleine thrakische Flecken von
unbekannten Xamen gesprochen habe, als wären sie von bedeutender
Wichtigkeit, wie er dann in dem Streit über Halonesos gewollt habe,
daß die Insel nicht gegeben, sondern zurückgegeben genannt werde
Die Urkunden der Kranzrede 189
(im Winter oder Frühjahr Ol. 109 2) xal rö rekBvratov GTBq:c4V(o<T(/.^
Tovg fieru 'Aqi(ttoSi)^ov sig Oerrakiav naQu xäq rfjg ü{)t]vrt^ (tw-
&7}xuq knitTTQccrevaavTccg^ xal Mayrrjaiav rt/v fiiv 6i(}/jvrjv SikXvaBj tj/V
Si <TVfA(poQäp xal x6v %6i^(iov naQeaxevacrev. Statt des Aristodemos
wird wohl, wenn anders die Expedition eine athenische ist, Xa()iS/ifiov
zu schreiben sein, da man in Athen zu so wichtiger Unternehmung
gewiß einen erprobten Feldherrn wählte; jedoch könnte es gar wohl
sein, daß dieser Aristodemos vom euböischen Bunde abgeschickt worden
wäre oder die Athener sonst wie unter der Decke agiert hätten, da
nicht das Factum, sondern der betrefiFende Kränzungsantrag des De-
mosthenes als Friedensbruch hervorgehoben wird. Jedenfalls war diese
Unternehmung vor der Aufhebung des Friedens (Ol. 110 I im Herbst);
sie wurde erst möglich durch die Befreiung von Oreos (Herbst Ol. 109 4).
Nun finden wir bei Demosthenes {vniQ Krtja. § 139) die Angabe:
knu8f] (pavBQ&q i'jSfj rä nXoia k<TB(rvXf]TO , XsQQÖvrjfyog ino()i9etTO,
ini rijv L4tt txijv änoQevB&* ävö Q(o%oqj ovxar kv dfKpurßijTTj'
(TifiG) rä nodyfjLcercc ^v, dkX kvear^jxBi nöXefiog x r L Also auf Attika
rückte Philippos los und zwar vor der Kriegserklärung im Herbst 340,
nach der Plünderung der Schiffe im Frühjahr 340. Es scheint mir
unzweifelhaft, daß dieser Zug gegen Attika, wie ihn Demosthenes nennt,
eine mit der Plünderung des Chersones gleichzeitige Demonstration
gegen die Athener war, veranlaßt durch deren Vertreibung der make-
donischen Besatzungen aus Euboia und die darauf folgende Invasion der
Thessalier. Schon vor dem Anfang des Jahres 841 hatte der König
den Thebanem Echinus genommen (s. o.); jetzt, so scheint es, übergab
er den ThessaUem Nikaia (s. o.) oder vielmehr er legte eine makedonische
[816] Besatzung dorthin, um so die steigende Macht Athens zu balanciren.
Aristonikos schlug vor, Demosthenes wegen der Befreiung Euboias
zu kränzen; yQÜ^ipag rag ccvräg avkkaßäg, äan^Q ovroal KrfjtTKpcjv
trvv yiyoatp^ [vnkQ Kri]<T. § 83), was sich wie natürlich auf die Krän-
zung im Theater in den großen Dionysien bezieht. Es ist nicht deuk-
bar, daß diese Kränzung länger, als bis zu den nächsten Dionysien
verschoben wurde, somit gehört sie in die des Archonten Nikomachos,
d. h. in den März 340. Statt dessen datiert das Decret: hnl XceiQcovSov
'Hyifiopog äQxovrog rafifjhöüvog herrj dcmövrog. Könnte der be-
zeichnete Tag auch richtig sein, so bleibt die Verkehrtheit der Jahres-
bezeichnung. Allerdings hat eine Handschrift knl XatQcovSov ä(JXovTog
TjyBfiötfog, so daß man wohl daran gedacht hat, iiyBfjiövog sei eine
Glosse zu äQxovTog; doch gehört dazu ein starker Glaube. Man wird
* [Es wird jetzt ngeaßtmuviac gelesen].
1 90 Demosthenes
Wühl 'Hyifjiovo^ oder, wenn man es nicht ganz so toll haben will,
'Hyij^ovoq als Vatersname verstehen müssen, was freilich im officiellen
Stil vollkommen unerhört ist; will man gleichnamige Archonten unter-
scheiden, so nennt man wenigstens in späterer Zeit (Corp. Inscr. Gr. I
124 = C. I. A. II 475) und in der gelehrten Chronologie (so Argum.
Arist. Lysist.) den Namen des Vorgängers hinzu. Aber vielleicht sagt
man, daß dieser Antrag unter dem Archon Nikomachos gemacht sei,
ergebe sich nur aus Combination, müsse also der unmittelbaren Über-
lieferung dieses Decretes nachstehen, der Chairondas sei ja kein Pseude-
ponymos, sondern Archon des Jahres Ol. 110 3. Wir wollen nicht
das schon verdammte Decret des Ktesiphon (§ 118) zu Hilfe rufen,
das im Pyanopsion desselben Jahres gemacht sein will und also nicht
das SevTSQOv x/jQvyfia (§ 88), sondern älter als dies des Aristonikos
wäre. • Es reicht hin zu bemerken, daß schon im Metageitnion des
Jahres Chairondas die Schlacht von Chaironeia geliefert ist, und sieben
Monate später niemand auf Eränzung des Demosthenes für die einst-
malige Befreiung der schon wieder von Philippos unterworfenen Insel
antragen wird, am wenigsten Aristonikos, der Staatsschuldner und
ärtpioq geworden war, und das Geld, das er zu seiner Lösung zusammen-
gebracht hatte, zu den angestrengten Rüstungen gleich nach jener
Niederlage beisteuerte [vnku, Krrja. § 312), daß aber dieser Pseude-
ponymos nicht Prytanienschreiber sein kann, ist gewiß, sobald die
Unrichtigkeit dieser Hypothese uns auch nur bei einem der schon
besprochenen Pseudeponymen nachzuweisen gelungen ist
[817] Der Antragsteller heißt in unserem Decret 'Aüimovixo^
(l>()sü^()iog, während im Leben der zehn Redner (S. 372) steht noförog
fW 'iyoa^pe arKpavcad-Tivat avröv XQ^<^^ (TTe(püvq) !AQi(TT6vtxog JVixo-
cfävovg !Avayv()a(nog, vncopidGaro Sk AidivSa^;, Diese letzte Notiz
fällt mit Recht auf, da nach Dem. viikQ KrrifT. § 223 Diondas die
Ehrendecrete des Hyperides und Demomeles angriflF. Hier sind zwei
Erklärungen möglich: entweder sind die Worte vncjfiöaaro dk JicjvSag
ein späterer Zusatz entweder des Autors oder eines anderen, wie sich
deren so viele und oft ungeschickte in den X Oratt. finden, und wir
selbst oben zu dem richtigen EvßovXog ö ^mv&üoov das ungeschickte
n()oßaXi(Tiog aus der Rede gegen Neaira beigeschrieben fanden; oder
der Zusatz ist richtig und Diondas hat so gut wie den Hyperides und
Demomeles vorher auch den Aristonikos angeklagt Und dies zu
glauben bin ich sehr geneigt, da Demosthenes (§ 138) klagt, wie vielerlei
Hemmnis eben in diesem Winter 34^0 ihm in den Weg gelegt worden
sei; SeScjxare, fährt er fort, i&et rtvi (pavXto nöXkrjv k^ovaiav rw
ßovlofjLivoi Tov ?yeyovTÜ r/ r(ö«/ vfiTv (TVfi(pB()6vT(ov vTtoffxeh'^aiv xai
Die Urkunden der Kranzrede 191
•
(7vxo(pavTeTv , rfjg kni raig kotSo^iaig ijSovi}g xal /ao/rog rö rfjg
nölecog avfi(peoov ävTakkarröfiievoi x r L Hieraus sieht man wenig-
stens, daß Demosthenes Feinde eben damals nicht ruhten und am
wenigsten eine solche Auszeichnung unangefochten gelassen haben
werden, was man daraus vermuten könnte, daß Demosthenes einer
Klage gegen Aristonikos Antrag nicht erwähnt. Jedenfalls thut dieser
nur vielleicht fehlerhafte Beisatz der vorhergehenden Notiz nicht Ein-
trag, und wenn zwischen ihrer Autorität und der des vorliegenden
Decretes zu wählen ist, wird man sich ohne Frage für die ersteie
entscheiden müssen.
Das Decret bietet sonst keine wesentlichen Schwächen dar, aber
leugnen will ich es nicht, daß mir auch die allgemeine Fassung nicht
eben zusagt So üblich das TtoXXäg xal fieydXag X()eiag in derartigen
Inschriften ist, ebenso unglaublich kommt es mir vor, daß so allgemeine
Ausdrücke, wie /pc/c^g naoitrxfjtai reo Stjfi(p rtp 'A&rivaimv xa)
nokXoTg r&v (TVfifiäxoJv oder xat rtvag r&v hv rfj Evßoicc nöXeojv
ijUv&ioiDxe [818] in der Wirklichkeit gebraucht sein sollten. Der
Schluß lautet: r^g Si dvayoQevaecog rov aretfdvov ^7ttfieX7jd'j]vai rijv
TiQvravsvovaav (pv7.iiv xal rdv (iy(ovo&iT7]v, Einsv 'AQiarövixog
<l>QeäQpiog. Ausser dieser lästigen und nicht officiellen Wiederholung
des eiTtBv x r L fallt es auf, daß hier die prytanierende Phyle nebst
dem Agonotheten die Verkündigung des Kranzes besorgt, während die
noirjaig desselben niemandem ausdrücklich übertragen wird: in den
Ehrendecreten für Spartakos u. s. w. haben ol inl rfj Siotxijasi rfig
TcouiaBmg rov (Ttetpeivov xai rTjg üvayoQBvatwg zu sorgen. In den
Ehrendecreten unserer Rede dagegen ist einmal der Agonothet (§ 1 1 9),
ein andermal sind die Thesmotheten, Prytanen, Agonotheten {§ 116)
mit der Verkündigung und nur mit ihr beauftragt; eine dritte Varietät
bietet der vorliegende Beschluß, in einem vierten ist gar nicht gesagt,
wer die Verkündigung besorgen soll. Solche Abwechselung müßte selt-
sam erscheinen, wenn die Echtheit der Urkunden garantiert wäre.
Übergehend zu dem Zeugnis § 137 müssen wir zunächst die
Zeit^ wann Anaxinos in Athen als Spion hingerichtet worden, zu fixieren
suchen. Die Gesandtschaft des Python, die Demosthenes kurz vorher
(§ 136) erwähnt, haben wir uns oben veranlaßt gesehen in den
Winter 34^0 zu setzen; daß dieselbe nicht mit Winiewsky in Ol. 109 1
zu setzen ist, hat Brückner S. 216 ff. befriedigend nachgewiesen. Python
konnte d>g hv alaxvvt} tcouigodv rijv nöXiv xal Se/^cjv äSixovaav in
der That nur nach den Vorfällen auf Euboia und in Thessalien, d. h.
nach dem Sonuner und Herbst 341 sprechen. Demosthenes fährt dann
fort, Aischines habe damals mit allem Eifer für die makedonische Sache
1 92 Demosthenes
gesprochen, xai ovx änixif'fi ravra^ ccXXä nüXiv fierä ravO-' vartQov
!Ava^iv(p T(p xaTCitTxönq) (rwio)v «/cj rijv 0QÜ(T<ovog oixiav kkyff&i] ....
xai 8ti tuvt d?*7j/)^7] Xiyo), xüXet fioi tovtcov rovg fjLciorvQccg. Hieranf
folgt das in Frage stehende Zeugnis. Dann sagt Demosthenes weiter:
er könne noch tausend Dinge der Art anführen ä)v ovrog xux hcsivovg
rovg XQ^^ovg roTg fiiv ^x^^Qolg vnriQEx&v ifxoi S' k7trj(}eä^(ov evQS&j],
Dem Feinde Beistand zu leisten, bevor der Krieg offenbar ausgebrochen,
sei freilich schrecklich, doch möge das sein, äl?J iTtetSt/ (pavig&g ^Sjj
TU nXoTa iaefTvhjTo x r X. Hieraus ergiebt sich, daß der Vorfäll mit
Anaxinos zwischen der Gesandtschaft des Python und der Plünderung
der Schiffe, zwischen dem Ende [819] des Jahres 341 und dem Früh-
ling 340 etwa in den Gamelion des Jahres Nikomachos anzusetzen ist.
Aischines (xura Kr^ita, § 223) erzählt die Sache des Anaxinos
folgendermaßen: eben habe Demosthenes von ihm mit einer Eisangelie
(wohl pii] rä ä(ji<TTa Gv^ßovXemca xQ^if^^'^^ Xaßojv in Beziehung auf
die Angelegenheit Euboias § 221) bebngt werden sollen, da habe der-
selbe den Anaxinos aus Oreos, der für Olympias Waren einzukaufen
nach Athen gekommen sei, ergreifen, foltern lassen, zum Tode gebracht
(anhereivag, vielleicht nur toten wollen), den Anaxinos, mit welchem
er Gastfreund gewesen und an dessen Tisch er gespeiset habe; darüber
habe er, Aischines, ihn vor allem Volk Mörder des Gastfreundes ge-
nannt, und das Volk und alle Fremde, die umher gestanden, hätten
aufgeschrieen bei Demosthenes Worte: daß er das Salz der Stadt höher
schätze, als den Tisch des Gastfreundes. Dann fährt Aischines fort:
l^TTttrrokäg Si aiycD VfevSBTg xai xarafrxömov (rvXh'jifmg xat ßaftüvovg
hn alriaig äyev/jroig djg ^juoi) fiera rivmv hv ry nö^Bi vaeoreoi^etv
ßovlofiivov. Hieraus darf man abnehmen, daß das Verfahren gegen
Anaxinos sich auf Briefschaften begründete, von denen Demosthenes
Kenntnis erhalten haben wollte, Briefe, durch welche Aischines com-
promittiert wurde, daß femer die Ergreifung und Folterung des Ana-
xinos vorgenommen wurde, um Zeugnis gegen Aischines zu gewinnen;
aber von einem Prozeß, den Demosthenes gegen Aischines auch nur
begonnen, ist keine Spur, und jedenfalls hätte ihn Demosthenes, wenn
gegen Aischines entschieden, Aischines, wenn er freigesprochen oder
die Klage zurückgewiesen wurde, erwähnen müssen. Vielmehr aus
Demosthenes eigenen Worten: Ssöcixare i^&si nv) (pavho noXlijv
i^ovaiav reo ßovXofiivq) rov kiyovrä ri t6)v vfiiv avfKfBoövTcov vnotrxa-
?u^Btv xai (TvxotpavTBTv, rijg hnl ratg XoiSoQiatg xai ;(^c^(;/ro^ t6 rtig
Ttökatög avfxtfiQov dwakkarTÖfievoi, aus diesen Worten, verglichen mit
dem oben aus Aischines angeführten, geht hervor, daß Demosthenes
selbst infolge jenes gewaltsamen Verfahrens mancherlei Anschuldigungen
Die Urkunden der Kranzrede 193
hören mußte (bei Dinarch xarä JrjfjLoad-. § 63 ist statt 'Aqxivov
vielleicht !Avcc^ivov zu schreiben, wenn schon der Thatbestand dort
bedeutend anders erscheint).
Das Zeugnis, das jetzt in Demosthenes Rede gelesen wird, lautet:
TikiSfiiiiog Kkitovog, ^YnsQiStjg KaXkaiaxQoVj NiXÖpLccxog /liotpavrov
^uQtvQovai Jrjfioa&ivBi xai kncjfiöaccvTO inl z&v GrQarrjycjv^ eiSivai
u.4laxivriv ^TQOfifjrov Ko&o)xiStjv (TwsQ/öfuvov vvxrog Big t)^v 0(>rf-
ncavog olxiav xai xoivoXoyovfjLevov Idva^ivw, 6g kxQi&r] tlvai xara-
axonog nagä <l>ihnnov. Avxcci äneSöötjaav ai fiaoTV()icci ini Nixiov
'Exarofißat&vog tqitjj iarafxivov. Mit bewunderungswürdigem Scharf-
sinn hat Böckh die Seltsamkeiten dieser Worte zu einer überraschenden
Lösung vereinigt, der dann Winiewsky eine noch feinere Distinction
zu geben gesucht hat. Sie meinen: Demosthenes habe Aischines in-
folge seiner Zusammenkunft mit Anaxinos bei den Strategen denunciert,
und dazu sei dies Zeugnis beigebracht und vor den Strategen be-
schworen worden; dies Zeugnis sei dann, wie Böckh meint, von den
[820] Strategen an den Bat übergeben, der die Sache nicht zu einer
Untersuchung gegen Aischines geeignet befunden habe; nach Winiewskjs
Meinung sei Demosthenes selbst mit diesem Zeugnisse von den Stra-
tegen an den Bat beordert worden und habe dort mit den Zeugen,
die ihre Aussage schon bei den Strategen beschworen, die Sache zur
weiteren Untersuchung übergeben; der Prytanienschreiber Nikias habe
dies Zeugnis einregistriert am 3. Hekatombaion; die Sache sei dann
als Eisangelie an das Volk gebracht, aber dort zurückgewiesen worden,
und aus den Akten des Bates her habe jetzt Demosthenes das Zeugnis
entnommen.
So gewandt diese Erklärungen sind, so dürften sie doch keines-
wegs befriedigend genannt werden können. 1. Es wird vorausgesetzt,
daß Demosthenes die Denunciation an die Strategen gebracht und bei
denselben durch die drei Zeugen erhärtet habe; praetores mim, sagt
Winiewsky S. 351, solitos esse eis, qui cum koste familiaritatem habuerint,
proditionis litem iniendere liquet ex catisa Antiphoniea et ülo senatus
eonsulto, quod in Äntiphontis vita servamt Pseudopluiarchus (vgl. Schoemann
de comit. S. 202). Aber diese Berufung ist nicht ganz passend; in
Antiphons Prozeß machen die Strategen die Denunciation bei dem
Senat, der ihnen und einigen Senatoren die Klage TtQoSoaiag von
Staatswegen zu machen übergiebt; der Prozeß selbst wird wie stets
Hochverrat bei den Thesmotheten verhandelt. Wollte Demosthenes
gegen Aischines eine Klage %Qo8oatag oder, worauf das va(OT8o/^eiv
in Aischines Angabe zu führen scheint, xaraXvaecjg rov St'i^ov machen,
so konnte er entweder unmittelbar eine yQatpi) einreichen, oder die
Droysen, Kl. .Schriften I. 13
194 Demosthenes
Form der Eisangelie wählen. That er jenes, so mußte die yQcc(pri bei
den Thesmotheten eingereicht, bei ihnen auch das betreffende Zeugen-
verhör vorgenommen werden und das kncofiöaavro knl rßiv argarri'
y&v unserer Urkunde konnte in keinem Stadium dieses Prozesses vor-
kommen. Wählte Demosthenes Eisangelie, so war die Denunciation
den Prytanen zu insinuieren, die entweder im Rat oder im Volk ab-
stimmen lassen mußten, ob die Klage angenommen werden solle, und
im Falle der Annahme ging der Prozeß an die Thesmotheten und ein
von ihnen geleitetes Gericht, wenn nicht das Volk selbst auch die
Entscheidung des Prozesses übernahm. Wenn in diesem Fall die Stra-
tegen die Leitung der richtenden Ekklesie erhielten (was durch keine
Nachricht auch nur angedeutet wird), so mochte vor ihnen ein Zeugnis
beschworen werden. Aber in allen Fällen konnte jenes Zeugnis nur
erst in der Anakrisis angenommen werden, das heißt, nachdem die
Eisangelie eingebracht und angenommen worden; daß es aber so weit
nicht gekommen, geht aus dem Stillschweigen des Aischines hervor,
der das größte Interesse hatte, geltend zu machen, daß Demosthenes
nicht mit der Eisangelie gegen ihn durchgekommen sei, oder gar bei
der Entscheidung selbst verloren habe. Möglich wäre noch, daß De-
mosthenes die Anzeige bei den Strategen zu weiterer Maßnahme ge-
macht hätte, und daß von diesen dann, wie in dem Prozeß des Antiphon,
die Eisangelie eingebracht wäre; natürlich konnte sie auch in diesem
Falle nach den vorbemeikten Gründen nicht bis zur richterlichen Ent-
scheidung gediehen [821] sein, aber es wäre eine Möglichkeit, wie jenes
Zeugnis für Demosthenes bei den Strategen abgelegt sein konnte. Aber
auch dies ist undenkbar, da die Strategen in solchem Falle nicht das
Becht einen Eid entgegen zu nehmen haben, und derselbe wenigstens
nicht von gerichtlicher Gültigkeit sein konnte, da sie ja selbst erst
durch Einbringung der Eisangelie Kläger wurden, Demosthenes aber
ihnen die Sache übergebend ganz in den Hintergrund trat und für
ihn in jener Sache ein Zeugnis abzulegen gar kein amtlicher Anlaß
vorhanden war.
Demosthenes sagt vor dem Ablesen des Zeugnisses: xdl^i fiot
rovTcov rovq (iccQTVQaq, Wenn diese persönlich auf die Bühne traten
und in ihrem Namen verlesen wurde fia^rvQovai xcä kncjfiöaavtOy
so kann das unmöglich heißen, sie gaben vor Jahren dies Zeugnis
ab und beschworen es, sondern sie bezeugen es eben jetzt, das heißt,
Demosthenes hat sich gerade für diesen Prozeß ihr Zeugnis ausgebeten,
mag dasselbe in der Anakrisis vorgekommen sein, oder was wahrschein-
licher ist, nicht vorgekommen sein; Demosthenes hätte sonst durchaus
nicht unterlassen können zu sagen, daß er ein früher abgegebenes
Die UrkuDden der Kranzrede 195
Zeugnis vorlesen lassen wolle. Oder hat auch dies Zeugnis der hypo-
thetische Gelehrte aus den Akten des Rates entnommen, während das
wirklich vorgelesene verloren gegangen ist? Es mag verloren gegangen
sein, jener Gelehrte mag nach Jahrhunderten in den Akten des Kates,
oder wo er sonst will, nach jenem früheren Zeugnis gesucht haben;
konnte denn ein dergleichen, wie er uns aufgetischt hat, konnte es in
dieser Form existieren? weder durch Eisangelie noch durch Schrift-
klage hat Demosthenes den Aischines infolge des Verkehrs mit Anaxinos
wirklich angeklagt, und wenn er es hat thun wollen, so ist die Sache
nicht bis zur Anakrisis gediehen, und wenn es so weit gediehen, so
hat dies Zeugnis auf keine Weise knl r&v GTQcerriy&v beschworen
werden können, es müßten denn alle sonstigen Nachrichten über Hoch-
verratsprozesse durch dieses eine Beispiel Lügen gestraft werden.
Doch wir wollen jede beliebige Annahme zur Erklärung der be-
sprochenen Worte zugeben, es soll das Zeugnis wirklich von den drei
genannten einst abgegeben worden und aus den Archiven entweder
von Demosthenes oder dem Gelehrten eingeschaltet sein, so wird man
doch Anstoß daran nehmen müssen, daß die drei Zeugen sich gegen
allen Brauch nur mit ihrem und ihres Vaters Namen nennen. Wir
haben eine Menge von Zeugenaussagen bei den Kednem, aber nie,
nicht einmal in Privatprozessen, nennt sich ein Zeuge auf die Weise
wie hier, sondern stets mit Hinzufügung seines Demos und zwei- oder
dreimal aus nachweisbaren Gründen nur mit seinem Namen. Daß von
drei Zeugen sonst keiner bekannt ist, mag für erklärlich gelten; die
Namen scheinen wieder bunt zusammengewürfelte
^ Die drei Zeugen heißen Teledemos Kleons Sohn, Hyperides Kallaischros
Sohn, Nikomachos Diophantos Sohn. Der letzte Name ist für die attischen
Genealogieen von einigem Interesse, und es mag erlaubt sein, einiges darüber
mitznteilen. Diophantos, der Sphettier, war nach Harpocr. v. Melavion, Schwager
des Melanopos des Sohnes des Laches, Melanopos aber ist ein in der Familie
des Laches wiederkehrender Name, wie denn der Vater dieses Melanopos selbst
wieder Laches heißt (Dem. ep. III S. 21); deshalb weise ich diesen Melanopos
unbedenkUch der Familie des aus dem peloponnesischen Kriege berühmten
Laches zu. Über das Verhältnis desselben zu Kallistratos hat mein Freund
Bergk commentt S. 405 gesprochen vgl. Plut. Dem. c. 18; er war Ol. 102 1
unter den nach Sparta geschickten Gesandten (Xenoph. HelL VI 8, 2), er ist es
auch, der in dem Protesilaos des Anaxandrides durchgenommen wurde (Athen.
XII 558 XV 689), welche Komödie um die Zeit der Vermählung des Iphi-
krates mit der Schwester des Kotys aufgeführt wurde, also um Ol. 100 (Athen.
IV 131). Ist nun sein Vater der berühmte Laches? Melanopos war Ol. 106 3
unter den Gesandten nach Karlen, über welche der Prozeß gegen Timokrates
handelt, und in der Rede maxa TifioxQUTovg § 127 spricht Demosthenes von dem
Vater Laches, er solle ein wackerer Mann gewesen sein (x^rjaTb^ xai q>d6noXi^)
13*
196 Demosthenes
[822] Die Schlußworte mit ihrem avrccf ai imQTVQim dienen
nicht eben dazu, die Echtheit des Decretes wieder wahrscheinlicher zu
und er wolle von ihm nichts Schlechtes sagen, auch nicht ob er öffentliche^
Gelder unterschlagen habe, was sich sehr wohl auf die Geschichte beziehen
ließe, die Aristophanes so lustig als Hundeprozeß behandelt hat (s. unsere Ein-
leitung zu den Wespen^ S. 13). Aber diese Ansicht läßt sich nicht mit dem
Alter der betreffenden Personen vereinigen. Laches, des Melanopos Sohn, der
Aixoneer, war bereits Ol. 91 1 bei Omeai gefallen (Androtion beim Schol. zu
Arist. Aves 13), und er war, wie aus dem gleichnamigen Platonischen Gespräch
hervorgeht, älter als Lysimachos und Milesias, die auch schon herangewachsene
Söhne hatten. Wir finden bei Lysias iiqbi; ^ÜfKora § 45 einen Laches als
Taxiarchen im korinthischen Kriege, und diesen halte ich für einen Enkel des-
ersten, für den Vater unseres Melanopos; denn in der um Ol. 98 gehaltenen
Rede Tiegi tov Jix. xXr'j^ov § 32 finden wir einen Melanopos als zum Schieds-
richter vorgeschlagen (etwa Ol. 97) erwähnt, der den Altersverhältnissen nach
nicht der obige, sondern nur des Taziarchen Vater sein kann. Seine Enkelin
gebar dem Diophantos zwei Söhne (Dem. n^og Aaxg. § 6) Thrasymedes und
Melanopos, und jene Rede ist, wie man aus § 40 sieht, noch bei Lebzeiten des
Isokrates geschrieben, so daß Diophantos (fixet^ot;) Söhne wenigstens vor Ol. 110
schon Männer waren. Dieser Diophantos (wohl zu unterscheiden von dem
6^<pav6c bei Aischin. xaiä Tifiaqx- § 158) wird in der Rede des Isaios uBql tov
J/vQQov xX. § 22 genannt, deren Zeit sich daraus einigermaßen bestimmt, es ist
derselbe, der Ol. 107 1 das bei Dem. negi naqan. § 86 erwähnte Decret machte,
und der in der Leptinea § 137 erwähnt wird; aber ne^yl naqan. § 297 nennt
ihn Demosthenes neben den großen Rednern (laxvQoi '^c'^ovaai) Aristophon und
KalliBtratos, und nach jener Stelle war Diophantos damals entweder schon tot
oder hochbejahrt. Daher glaube ich, daß der § 198 genannte ein anderer ist.
[Diophantos bei Nectanebos Diod. XVI 48 vgl. Isocrates ep. 8, 8. Zusatz des
Verf.]. AVir finden Ol. 112 1 einen Diophantos an Alexandros gesandt (Arrian.
III 6, 2) xal ovtoi T(üv le äXXcjy Sxvxov €ov evexa earuAi/aa»' x i X. und Laches der
Sohn des Melanopos, wurde auf Fürwort des Alexandros von den Athenern von
einer Strafe befreit (Dem. ep. III a. a. 0.), was ich mit jener Sendung zusammen-
bringe und woraus ich schließe, daß der jüngere Diophantos wieder ein Ver-
wandter des Laches ist; ich setze vermutungsweise, ein Sohn des Sphettiers
Melanopos. So erhalten wir folgendes Stemma:
Melanopos der Aixoneer
Laches t Ol. 91 1
I
Melanopos
I
I
Laches um Ol. 94
Taxiarch
A
Melanopos Brüder Schwester *>- Diophantos j gegen Ol. 108
I der Sphettier
Laches -^ Demosthenes Schwester? rr^ "^TrT T^
um Ol 112 Melanopos Thrasymedes
Diophantos
um Ol. 112
Die Urkunden der Kranzrede 197
machen. Jener Plural ist so ohne alles Beispiel, daß sich Winiewsky
bewogen fand, diese Unterschrift des Prytanienschreibers Nikias, wie
er meint, auch auf das zwei Paragraphen vorher gelesene [823] Zeugnis
auszudehnen, das sich zwar auf einen früheren Vorfall bezieht, vom
Aischines aber behufs jener Eisangelie gegen Demosthenes beigebracht
und gemeinschaftlich mit vorliegendem Zeugnis dem Prytanienschreiber
eingehändigt worden sei. Er hat zwar kein Beispiel eines solchen
Ablieferungsscheins an einem Zeugnis aufzuweisen, doch mag der
Schreiber dergleichen notiert haben; obschon nicht recht begreiflich
wird, wozu es dann mitgelesen oder von dem gelehrten Bearbeiter der
Kede mit abgeschrieben sein sollte. Winiewsky meint, wie gesagt, das
inl Nixiov bezeichne nicht den Archen (obschon man leicht eine
Corruptel statt Inl Nixofidzov, in dessen Jahr die Sache mit Anaxinos
wirklich vorgefallen ist, vermuten könne), sondern den Prytanien-
schreiber. Dies wollen wir annehmen; am dritten Hekatombaion, d. h.
am 4 Juli 341 müßte demnach ein Verfahren gegen Aischines schon
eingeleitet und, da es im Zeugnis heißt !Avcc^ivco, 8g kxQi&rj elvat
xccxdaxonoqj dieser Anaxinos bereits gerichtet gewesen sein, so daß
dessen Ergreifung wohl ein oder zwei Monate früher, etwa im Mai 341
(Ol. 109 3) erfolgt wäre. Ich will nichts darauf geben, daß gerade
damals im Mai oder Juni 341 die Rede vom Chersones gehalten worden,
in der sich nichts vom Anaxinos findet; entscheidend ist, daß sich in
ihr durchaus nicht die allarmierte Gesinnung ausspricht, aus der solche
That erklärlich wäre. Denn das Gericht über Anaxinos ist ein höchst
ungerechtes; man war noch, wenigstens dem Namen nach, mit Phi-
lippos im Frieden. Ein so gewaltsames Verfahren konnte allenfalls
entschuldigt werden, wenn man bereits aus Euboia des Philippos Söldner
vertrieben, am pagasaeischen Meerbusen Besitz ergriffen und somit
partiell den Krieg eröffnet hatte, wenn bereits mit Python vergebliche
Unterhandlungen gepflogen und alle Gemüter auf die sofortige Kriegs-
erklärung gefaßt waren; ein halbes Jahr früher dagegen wäre solcher
Justizmord ohne allen Nutzen, ohne allen Vorwand und, man darf es
zu Ehren der Athener glauben, undenkbar.
Wenn gleich das Gesagte nicht Ansprüche darauf machen kann,
unwiderleglicher Beweis zu sein, so wird man doch ebenso wenig die
bemerklich gemachten Schwierigkeiten hinwegleugnen oder die ver-
suchten Erklärungen für ausreichend halten können; und wir müssen
es dem Urteil unserer gelehrten Leser überlassen, ob sie bei der offen-
baren Unechtheit der Urkunden in unserer Bede den anderen, gegen
welche wenigstens Verdachtsgründe [824] vorhanden sind, des weiteren
Glauben schenken wollen.
198 Demosthenes
[910] VII. Urkunden Ober den Frieden des Philokrates.
Die Yerhandlungen über den sogenannten Frieden des Philokrates^
welcher dem heiligen Kriege OL- 108 2 ein Ende machte, sind aus
den [Darstellungen des Demosthenes und Aischines in ihren Beden
neQi naQanQ6<Tße/aQ ziemlich genau bekannt, wenn schon sich die
Angaben beider in manchen Einzelheiten geradezu widersprechen.
Die Athener hatten sich vergeblich bemüht, dem Umsichgreifen
des Philippos, namentlich als er Olynthos auf das Härteste bedrängte,
entgegenzutreten; der Fall dieser Stadt und die geringen Aussichten,
wenn der Krieg gegen Makedonien fortgesetzt wurde, dazu das Ent-
gegenkommen des Philippos und seine Anerbietungen machten, daß
des Philokrates Antrag, Gesandte ne^l rfjq bIqtjvtjq nach Makedonien
zu senden, angenommen wurde; dies war im Sommer 347, in der
ersten Zeit des Jahres Themistokles, in welchem Demosthenes in den
Sat gelost war. Nachdem sich diese Gesandtschaft; von Philippos
Absicht, Frieden zu schließen, überzeugt hatte und nach Athen zurück-
gekehrt war, wurde in den Versammlungen am 18. und 19. Elaphe-
bolion der Friede beschlossen und am 25. desselben Monats in die
Hände der nach Athen geschickten Gesandten des Philippos beschworen.
Darauf brachte Demosthenes im Bäte einen Beschluß durch (am
3. Munychion Aischin. neQi naganQ. § 90), die Gesandten knl rovg
6(fxovQ sollten so schnell als möglich abreisen, um von Philippos den
von den Athenern schon beschworenen Frieden beschwören zu lassen.
Dies ist der Beschluß, den Demosthenes § 29 unserer Bede vor-
lesen lassen will; er hat ihn schon § 25 bezeichnet mit den Worten
kyd) fjiiv rot VW 'iyQcapa ßovkevcjv änoTtkeiv rijv Tux^crrrjv rovg
TTQitrßeig M rovg rönovgj kv olg äv övra <I>ihnnov nwOavaDv-
rai 9cai rovg ÖQXovg änoXccfißüvetv, und § 27 TtkeTv kni rovg xöitovg
kv oig &v p 0ih7tnog xai rovg ÖQXOvg rijv rctxicFxvjv dnoXafißävBiv,
Daß das Decret, welches § 29 gelesen wird, nicht das genannte ist,
[911] ergiebt sich, den Pseudeponymos bei Seite gelassen, aus dem
Datum, indem es statt im Munychion vom letzten Elaphebolion datiert,
aus dem SeSöx^cci r^ ßovXfj xccl T(p S^/xtp, statt daß es ein bloßer
Senatsbeschluß sein müßte, aus der Zahl und den Namen der fünf
Gesandten, die gewählt wurden u. s. w.
Dies ist von Böckh u. s. w. anerkannt, nicht aber damit die Un-
echiheit der Urkunde überhaupt geltend gemacht worden. Vielmehr
wird eine Verwechselung angenommen, der Gelehrte, der die Urkunden
in unserer Bede eingelegt, habe ein anderes Decret von ähnlichem
Inhalt statt des passenden eingelegt; es beziehe sich nämlich dieser
Die Urkunden der Kranzrede 199
Antrag des Demosthenes auf den Friedensabschluß im Sommer 339,
welcher der erfolglosen Belagerung von Byzanz gefolgt sei.
Ist unser in dem früheren geführter Beweis, daß dieser von
Diodoros angeführte Friede niemals geschlossen worden, befriedigend,
so föUt damit die scharfsinnige Vermutung, durch welche allein die
vorliegende Urkunde gerettet werden kann.
Aber wenn wir auch annehmen woDen, daß dieser Friede in der
That geschlossen worden, so werden wir die Bestimmungen in unserer
Urkunde von der Art finden, daß sie sich auf keine befriedigende
Weise mit den Umstanden vereinbaren lassen. Die Datierung lautet:
^Jii ä{)XOVToq Mvf]<n<pikov, 'Exarofißai&vog 'ivrj xal ve^, (pvXfjg
nQVTav€vovat]g UccvSiov/Sog Ji]fjiO(T&ivTj^ JtjfjLOtx&ivov^ Uaiavuvg
tin%v. Wir müssen uns hier wieder in Mnesiphilos den Schreiber der
Prytanie gefallen lassen; es würde dann ein gar sonderbarer Zufall
mit im Spiele gewesen sein, von dem wir bei dem nächstfolgenden
Decret zu sprechen haben werden. Die Bezeichnung des letzten Heka-
tombaion könnte im Verhältnis zum Ende der Belagerung von Byzanz
richtig sein, doch wenn der von Philippos beantragte Frieden nachher
// iniX^iQOTovfj&etaa Iv ry nQdtrri hcxlrjai^ heißt, also zwischen dem
10. und 15. Juli in der Ekklesie angenommen war, so muß Philippos
den Friedensantrag entweder sehr übereilt gemacht haben, oder die
Belagerung von Byzanz hatte wenigstens schon im Mai ein Ende, was
wieder mit den Verhandlungen der Amphiktyonen nicht recht stimmen
würde. Doch sind diese Gründe erst dann von überzeugender Kraft,
wenn man sie mit Plutarchos Erzählung (Phoc. c. 14 und 16) zu-
sammenhält, auf deren Chronologie wir später zurückkommen werden.
Der Inhalt unseres Decretes ist, daß am letzten Elaphebolion (und
allerdings ist nach Ulpian neoi rriv t{)iccxo(tti)v regelmäßige Ekklesie,
s. Schoemann de comitüs S. 43) das Volk beschließt, Gesandte zu
wählen zum Abschluß des Friedens, dessea Annahme man wenigstens
zwanzig Tage früher bestimmt hat. Ist es denn denkbar, daß dieser
Beschloß, Gesandte hnl rovg ÖQxovg zu wählen, nicht sogleich bei der
Epicheirotonie des Friedens mit gefaßt, sondern zu demselben erst in
einer so viel späteren Ekklesie geschritten wurde? Hat man in Athen
solche Eile, den Frieden zum Abschluß. zu bringen, wie uns unser
Decret will glauben machen, woza dann die Verzögerung, daß erst
drei Wochen später — nicht die Wahl vorgenommen, sondern sie vor-
zunehmen beschlossen wird?
[912] Aber wozu überhaupt solche Eile, daß die Gesandten fifjöe-
fiiav vnBQßoXrjv TtoiovfiBvoi ÖTtov &v övra nvv&avwvrai röv (^ihnnovy
Ti}v Taxi(TT7iV den Schwur geben und nehmen sollen, einen Frieden
200 Deuiosthenes
ZU festigen, den abzuschließen nur Philippös ein Interesse haben konnte?
Die Athener waren durch die Rettung von Byzanz und Perinthos im
entschiedensten Vorteil, ja, nach derselben noch entriß Phokion dem
Feinde mehrere Städte; und sowie Philippos die Unterhandlungen in
Ol, 108 2 benutzt hatte, bis zur Beschwörung des Friedens seine
günstige Stellung und die Verluste des Feindes zu einigen Occupa-
tionen zu benutzen, ebenso hatten die Athener jetzt allen Grund, mit
dem Abschluß des Friedens so lange zu zögern, bis sie möglichst viel
Vorteil von den einstweiligen Verhältnissen gezogen. Sage man nicht,
daß solche politischen Maßregeln von Philippos Anhängern behindert
sein werden; denn Demosthenes ist es ja, der dies Beeret vorschlägt.
Noch weniger mache man die Generosität der Athener oder gar des
Demosthenes geltend; man thut beiden Unrecht, wenn man ihnen
mehr Seelenadel als Klugheit zutraut. Am wenigsten konnte Demo-
sthenes damit einverstanden sein, einen Krieg, den er so eifrig be-
trieben, in der Zeit beendet zu sehen, wo eben sich wesentliche Erfolge
zu zeigen begannen. Wenn man einigermaßen die Begebenheiten im
Zusammenhange betrachtet, wird man erkennen, daß, wenn ein Friede
geschlossen worden wäre, ihn Philippos und nicht die Athener anzu-
bieten gehabt hätten; wie hätten dann die Athener dazu kommen
sollen, Gesandte auszuschicken zum Abschluß des Friedens, den sie
nicht erbeten, sondern gewährt hatten.
Entscheidend ist endlich die Angabe über die Gesandten nQiaßii^
i]Qi&f](Tav Evßovkog j4vcc(pkv(TTiog , ^l(TXiV7jg Ko&caxtSrjg, Kr](pi<rO'
(f&v (v. 1. KrrjaKpQv) 'Pafjtvovaiog, ArnwxQdri^q <I>lvavg, KXiwp
Ko&foxid^jg. Man vergegenwärtige sich die Stellung der Parteien in
Athen. Demosthenes hatte es im Anfang von Ol. 109 4 durchgesetzt,
daß der Kampf in Euboia unternommen wurde; vergebens hatte sich
Aischines bemüht, bei der Anwesenheit der makedonischen Gesandten
im nächsten Winter des Philippos Interessen zu wahren, und brachte
ihm auch sein Verhältnis mit Anaxinos keinen weiteren praktischen
Nachteil, so war doch natürlich sein Einfluß in demselben Maße
geringer, als der des Demosthenes durch die schon erreichten Vorteile
in Euboia und Thessalien und durch die Kriegserklärung OL 110 1
überwiegend geworden war. Es ist richtig, daß in eben diesem Jahre
Aischines zum Py lageren ernannt wurde; aber die Art, wie er auf der
Frühlingspylaia (339) das Interesse Athens vertreten, konnte ihn nicht
zu einer Gesandtschaft empfehlen, die dem makedonischen König einen
von ihm gewünschten Frieden überbringen sollte. Demosthenes
hatte etwa im Mai dieses Jahres Beschlüsse durchgesetzt, durch welche
des Aischines Verfahren in Delphoi entschieden gemißbilligt wurde;
Die Urkunden der Kranzrede 201
und zwei Monate darauf soll nun Demosthenes für einen Frieden, der
nichts weniger als in seinem Sinne gewesen wäre, die Wahl von Ge-
sandten beantragt haben, und diese Wahl soll auf ALschines gefallen
sein! Es wäre die entschiedenste Niederlage für Demosthenes gewesen,
[913] der eben damals den Dank des Volkes im reichsten Maße ver-
diente. Diese Gründe bewegen mich noch mehr als ein ausdrück-
liches Zeugnis, die Unmöglichkeit geltend zu machen, daß in dieser
Gesandtschaft, selbst wenn ein Frieden geschlossen worden wäre,
Aischines sich befunden habe. Jenes ausdrückliche Zeugnis aber ist
in der Rede vnig Krtja. § 282 6g ev&icag fisrä rrjv iidxriv (von
Chaironeia) TtQBfrßevzijg knoQtvov ngdg (I^iXinnov .... xcci rccOr äQvov-
(uvog TtävTcc röv 'ifi!Jt^O(T&BV xqA'^ov tccvttjv rijv ;^()€/ai/, djg Ttävreg
taaaij eine Äußerung, die doch Demosthenes durchaus nicht hätte
machen können, wenn ein Jahr vor dieser Schlacht Aischines bei jenem
hypothetischen Friedensabschluß Gesandter gewesen wäre.
Man mache ja nicht geltend, daß ja hier Eubulos durchaus rich-
tiger Weise als Anaphlystier genannt wird: daß derselbe infolge eines
Antrages des Demosthenes gewählt sein sollte, wäre fast nicht minder
seltsam als die Wahl des Aischines, da Demosthenes sich gegen diesen
Staatsmann nicht bloß in der Rede über die Truggesandtschaft und
firüheren Verhandlungen sehr stark geäußert hatte, sondern namentlich
im Anfang eben dieses Jahres des Theophrastos eine Veränderung in
Athens Finanzen beantragte und durchsetzte, die Eubulos bisherige
Verwaltung gänzlich compromittierte.
Ein dritter dieser Gesandten ist Demokrates der Phlyer, wohl
derselbe, der als ^iijfioxQÜr^jg JSmtpikov (plvevg in dem falschen Decret
des Demosthenes § 187 auch als Gesandter nach Theben figuriert?
Allerdings kennen wir einen Demokrates, von dem Aristot. Rhet. III 4
S. 1407 den artigen (zum besten Teil Aristophanischen) Vergleich zwischen
den Rednern und Ammen erzählt, die den Brei verschlucken und nur
mit ihrem Speichel die Kinder beschmieren. Die Anekdoten bei Plu-
tarchos (reip. gerend. praec. 7) zeigen, daß er diesen Zeiten angehört,
geben aber von seiner Persönlichkeit keinen großen Begriff, zeigen
[914] jedoch, daß er zu den Gegnern des Demosthenes gehörte. Einen
Aphidnäer Demokrates finden wir bei Isaios de Philoct. her. § 22
erwähnt, aber aus der Zeit der Thrasybule. Ein anderer Aphidnäer
Demokrates spielt bei dem Frieden von Ol. 108 2 eine Rolle; als der
Schauspieler Aristodemos mit den ersten Friedensanträgen des Philippos
nach Athen kam, ohne davon Mitteilung zu machen, trat Demokrates
in den Rat und forderte denselben auf, Aristodemos zum Bericht-
erstatten in das Rathaus zu laden (Aischin. Ttsoi napan. § 17). Es
202 Demosthenes
ist dies gewiß derselbe Demokrates, gegen den Dionysios von Hali-
karnaß unter Deinarchos Reden eine von Menesaichmos verfaßte vor*
fand (iud. de Dinaroh. c. 11). Anch im Hanse des Aixoneers Lysis^
des Platonischen, ist der Name Demokrates zu finden. Gern gebe ich
zu, daß es jener Zeit noch manchen Demokrates gegeben hat; aber
ging ein Demokrates als Gesandter mit Eubulos und Aischines, wer
mag da zweifeln, daß es ein bekannter Mann gewesen sein muß, und
der einzig bekannte dieses Namens aus dieser Zeit ist kein Phlyer^
sondern ein Aphidnäer, und der von uns zuerst genannte, den ich
übrigens mit dem Aphidnäer für identisch halte, Demosthenes Gegner.
Auch Kephisophon, der Rhamnusier (denn die Lesart Ktesiphon
gehört den minder guten Handschriften an), macht ähnliche Bedenken,,
wenn wir von der Ansicht ausgehen dürfen, daß zu dieser Gesandt-
schaft einigermaßen distinguierte Personen erwählt wurden. Ich über-
gehe den Kephisophon Eephalons Sohn den Aphidnäer (Dem. mtxa
^TEfpdvov I § 19) und den Kephisophon vom Peiraieus, den Vater
des Phormion (Dem. ngbq Aäxoirov § 14). Wenn in der voraus-
gesetzten Gesandtschaft sich ein Kephisophon fand, eo konnte es nur
der Paianier sein, der einer namhaften Verwandtschaft angehörend^
in Athen damals eine Rolle spielte {eh r&tf cpihov xal ircciQoov Xä-
gijTOi^ um Ol. 108 2 [915] Aischin. neQi itagccn. § 73); daß er Schatz-
meister der Göttin war und wegen unerlaubten Ausleihens heiliger
Gelder von Eubulos verklagt worden, ergiebt sich aus Dem. nhQi
nuQun. § 293; unter den von Harpalos Bestochenenen wird er neben
Demades und Demosthenes genannt (Deinarch. xaxa AripLoad'. § 45),
Auf ihn bezieht sich Dem. xarä JVeatQ. § 10, während in unserer
Rede § 21 EvßovXog xal Kricpiaocp&v wahrscheinlich xal KrtjaKpcDv
heißen muß nach Dem. negl nagan, § 97 und mehreren anderen
Stellen in dieser und der gleichnamigen Rede des Aischines. Von
einem Rhamnusier Kephisophon weiß dagegen niemand etwas; außer
daß Kf]<pt(TO(piS>v Kfj<pi(TO(p&vTog 'Pafivovatog in der schon verurteilten
y()a(pij des Aischines vorkommt; ein Umstand, der gewiß nicht dazu
dient, die Existenz dieses Individuums wahrscheinlich zu machen. In
dem sehr beschränkten Cyclus von Namen, der in unseren Decreten
überhaupt vorkommt, findet sich ein Kricpiaotpßiv Kkicovog !Ava(pXv<ntog
(§ 75) als Gesandter in dem Decret des Kolyttiers (!) Aristophon.
^ Die verwandtschaftlichen Verhältnisse der athenischen Familien zu ver-
folgen ist in mancher Hinsicht lehrreich; die des Kephisophon schließt sich an die
oben mitgeteilte des Proxenos an. Wir entnehmen sie einerseits aus Isaios Bede
Titql Tov JtxaioYBvovg xXtjqov gehalten um Ol. 98, andererseits ans Demosthenes Reden
gegen Boiotos. Zunächst das Stemma [vgl. A. Schäfer Demostfi. u. s. Z. UV S. 212]:
Die Urkunden der Kraiurede
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204 Demosthenes
Auch den Eothokiden Eleon kennen wir bereits als KUcjv
KUavoq Ko&cjxiSfjg in der ygacpr} des Aischines, Bekannte Männer
des Namens Kleon sind aus dieser Zeit der Sunier, der Trierarchos um
Ol. 107 war (Dem. xarä Mstd. § 168). Ein anderer, der Sohn des
Thudippos, ist bekannt aus Isaios Rede über Astyphilos Erbschaft, die
jedoch nicht mit Schoemann (ad Isaeum S. 406) in Ol. 97 3, sondern
später zu setzen ist. Der Enkel des berüchtigten Kleon, der Kyda-
thenäer, des Kleomedon Sohn, mag wohl kaum bis in diese Zeit her-
unter gelebt haben. In den Decreten unserer Rede giebt es nun außer
diesen Kothokiden einen Phalereer, der Areopagit gewesen sein soll
(§ 135), einen Anaphlystier, den Vater des soeben erwähnten Pseudo-
gesandten Kephisophon, sodann einen Vater des Zeugen Teledemos in
jenem unmöglichen Zeugnis § 137. Mag auch der Name Eleon in
Athen häufig gewesen sein, noch viel häufiger wurde er in späteren
Zeiten gebrauaht, wo er in den Vorträgen und Übungen der Schule
als Cajus und Mucius figurierte.
So finden wir seltsame Leute als Gesandte gewählt, einen Frieden
abzuschließen, von dem niemals die Rede gewesen sein kann; und
unser Decret, das sich nicht zu dem Frieden von Ol. 108 2 schicken
will, zu dessen Bewahrheitung es vorgelesen wird, paßt ebenso wenig
zu der vorausgesetzten Begebenheit, in deren Zusammenhang allein es
als echt und alt erscheinen konnte. Müssen wir es demnach für ein
späteres Fabrikat halten, das die erzählten Unterhandlungen über den
Frieden des Philokrates auszufüllen erdichtet wurde, so finden wir den
im nächsten Decret wiederkehrenden Archonten Mnesiphilos und die
aus § 25 und 27 entnommenen Wendungen [916] Önov &v övra nvv^
xf-dvoovrai und rrjv Taxi<TTi]v erklärlich und haben uns nicht mehr
über die seltsame Zusammenstellung von Gesandten zu wundern, die
allen Parteiverhältnissen des damaligen Athen Hohn sprechen würde.
Es wird dann auch die vneQßoh)^ die sich freilich bei Herodot und
den Späteren seit Polybios statt ävaßoh) findet, bei Attikem aber wohl
auffallen darf, erklärlich.
Das nächstfolgende Decret des Kallisthenes (§ 37) hat man
durch eine ähnliche Fiction wie das vorhergehende retten zu können
geglaubt. Demosthenes nämlich hat den weiteren Verlauf der Friedens-
unterhandlungen Ol. 108 2 erzählt, wie die Gesandten von Philippos
hingehalten worden, wie er sie bethört habe mit der Hofl&iung, ganz
im Interesse Athens gegen Theben den heiligen Krieg beenden zn
wollen; ri ovv <Tvvißi]j fährt Demosthenes § 36 fort, fiercc ravTcc Bv&vgy
ovx slg fjiaxQÜv; rovg fikv <I>a)xiag änoXitrdca xal xaraGxa(pf]vai
rag Ttöketg ccvr&v, vfißg S' i}(Tvxiccv äyayövrccg xal rovrq) (dem
Die Urkunden der Kranzrede 205
Aischines) n^iad-ivrai^ fiixgöv vaxBQov fTxevceyojyeiv hx röv dy()€i>v . . .,
Sri Si ovTüD rat/T ä/ai, Xhye fioi rö te rov KakXifT&ivovg tp/jcpKTfjLcc
xal Ttjv hniGToXijv rov Q^iXinnov, Dies Decret des Kallisthenes, das
wir aus Demosthenes Bede niQi na^an^Baßeiag § 86 und 126 ziemlich
genau kennen, wurde angenommen, als Derkyllos dem im Peiraieus
versammelten Volk die Nachricht von dem unglücklichen Schicksal
der Phokier brachte; und wurde beschlossen xal natSag xal yvvatxag
ix x&v äyQdv xaraxofi/^etv xal rä (pQOV{)ia ämtTxsvü^eiv xal rov
Jltigaiä TSix^C^iv xal rä 'Hgccxkaa hv ÜfTzai ß-miv. Dies geschah
am 27. Skirophorion Ol. 108 2. Schon dies Datum beweist, daß unser
Decret nicht das ist, welches Demosthenes vorlesen lassen will. Ferner
kam die Nachricht den Athenern in der Ekklesie [äny^yyBiXev vfjLtv
ixxXi]<Tiä^ov<Tiv kv IlHQaiü Demosth. § 125), und der Antrag des
Kallisthenes wurde nach Aischines Darstellung noch in derselben Ver-
sammlung gefaßt; also war es keine außerordentliche von den Stra-
tegen berufene Versammlung. Endlich fehlt in unserem Decret die
Erwähnung der Herakleen u. s. w.
Diese Schwierigkeit glaubt man sich auf folgende Weise lösen zu
können: allerdings wurde das Psephisma des Kallisthenes im Monat
Skirophorion gemacht, als man nach der Vereinigung des Philippos
mit den Thebanem einen Angriff auf Attika vermutete; doch beruhigte
ein Brief des Philippos die Gemüther; als aber Philippos unter die
Amphiktyonen aufgenommen und mit Ausfühning des Strafdecretes
gegen die Phokier beauftragt war (cum ad exsequenda Amphictyonum
iusaa exerdtvs ruraus moveret, Winiewsky S. 329), da emeueten die
Athener das Decret des Kallisthenes, jedoch mit Auslassung der [917]
Herakleen, die bereits vorüber, und der Befestigung des Peiraieus,
die einstweilen vollendet war. Eine nicht geringe Bestätigung dieser
Annahmen findet man in Demosthenes Worten {ns^l napan. § 87).
Ich muß von diesen anfangen; denn wenn man sie im Zusanmien-
hange betrachtet, geben sie ein anderes Resultat, als Winiewsky geltend
macht. Das Decret des Kallisthenes ist eben verlesen: ravTa tot
i\pr](pi^BGxF vfjLBig öiä rovxovgj oix knl rairaig Taeg kkniaiv ovtb
xar äQX^g noirjtTÜfJLevoi ttjv elQTjvriv xal ri^v avfjLiJ^axtav, oij&* vot€-
oov kyygd'ipai 7t€i(7&evTeg avTff „xal roTg iixyövoig^^ ccXK cbg d-avfxäat'
ifXixa neiaöfiavot Stä rovrovg äya&ä' xal fiijv fierä ravTa öfräxig
Ttgog IIoQ&fiip ¥i ngogMeyÜQOtg äxovovTBg Svvaniv 0ikin7tov
xal ^evovg k&oovßeTfr&e, navTsg hniGTaa&e. Damit wird aber
nichts weniger als eine Bewegung des Philippos gegen Euboia und
Megara, die bereits in den ersten Monaten nach Abschluß des Friedens
erfolgt wäre, bezeichnet; denn weder in der nächstfolgenden Eede
206 Demosthenes
ne(}l d{>iivi}q, noch in der zweiten Philippischen ist die geringste An-
deutung davon, die Demosthenes durchaus nicht hätte übergehen
können; in der Rede iibqI nagccn. erscheinen diese beiden Punkte zum
erstenmal gefährdet, so § 326 öfjfxfjHjQia kcp vfiäg kv Evßoi^ <l>ihnno<i
nQoaxaraaxevci^eTai xai Fi^aiarw xal Meyägoig kmßovi^vcov Sia-
Tslel (vgl. § 335). Aber ebenso wenig ist von einer zweimaligen
(TXBvaycoyicc die Rede, die Demosthenes weder in der Rede Tts^l naga-
TiQBtrß. § 87 noch in der vti^q Kttjq, § 37 zu bezeichnen umhin ge-
konnt hätte, und wenn das Psephisma des Eallisthenes nur erneut
wurde, wie kommt es denn, daß auf dasselbe nicht Bezug genommen
wird? und ist Eallisthenes auch der Antragsteller für die Wieder-
holung der (Txevceycoyia?
Aber das alles zugegeben, wie steht es mit der Zeit dieses vor-
liegenden Antrages? Am 23. Skirophorion (Ende Juni 346) hatte
Phalaikos mit Philippos capituliert und sein Abzug machte das pho-
kische Land wehrlos; Philippos war im Besitz von Nikaia, Alponos und
Thronion, und die Phokier, der Verteidiger entblößt, konnten sich
durchaus nicht den Makedoniern widersetzen, deren Vereinigung mit
den Thebanern die letzte Schwierigkeit, in das obere Thal des Kephissos
einzudringen, hinwegräumte (Dem. negl utagan. § 60 Aischin. 7t€(}i
%aQa%. § 134 — 140). Wenige Tage vorher hatten die Athener auf
Antrag des Philokrates eine Gesandtschaft an Philippos und die ver-
sammelten Amphiktyonen abgehen lassen, um auf die Übergabe des
Tempels seitens der Phokier zu dringen; diese kehrte auf die Nach-
richt von der Capitulation um, ging aber nach Volksbeschluß eiligst
wieder ab, um den Verhandlungen der Amphiktyonen, denen das
weitere Schicksal der Phokier überlassen war, beizuwohnen (Aischin.
tibqI nuQan. § 94 — 96; Demosthenes Angabe n^Qi %ccQcen, § 128 und
138, die Athener hätten aus Erbitterung die Amphiktyonenversammlung
gar nicht beschickt, bezieht sich nur auf die attischen Pylagoren).
Philippos berief die Amphiktyonen zu einer außerordentlichen Ver-
sammlung, zu der sich die Thessalier, Thebaeer, Oitäer und wohl die
anderen [918] nördlichen Bundesvölker einfanden. Weder die Zu-
sammenberufung, noch die Sitzung konnte viel Zeit kosten, und auch
die Ausführung der Beschlüsse, die Zerstörung der meisten phokischen
Städte ging gewiß bei dem glühenden Haß der Thebaeer, Oitäer u. s. w.
nur zu schnell von statten. Wie soll man sich nun vorstellen, daß es
fast ein halbes Jahr gedauert habe, bis Philippos die Beschlüsse aus-
zuführen wieder angerückt sei und dadurch die Athener zu der Er-
neuerung jenes Decretes des Eallisthenes veranlaßt habe? Und wo
soll denn Philippos gestanden haben, um anzurücken? Er war ja eben
Die Urkunden der Kranzrede 207
in Nikaia und Thronion, in der Nähe der Amphiktyonensitzung, ein
Tagesmarsch brachte ihn zu jedem beliebigen Punkte in Phokis, ja,
seine Truppen mußten schon in der Landschaft verteilt cantonnieren;
er stand diese ganze Zeit hindurch in so gefährlicher, durch seine
Verbindung mit Theben doppelt gefährlicher Nähe, daß die Athener
jeden Tag den Beschluß des Eallisthenes hätten erneuen müssen. End-
lich aber geht aus Demosthenes neQl nagan, § 62 und 63 hervor, daß
das Urteil der Amphiktyonen gegen die Phokier unmittelbar dem
Abzüge des Phalaikos folgte.
In derselben Rede § 111 heißt es: ^jxov a>s' v^<i yayxo^ öcr-
takoi xai Q^iXiitnov TiQetrßeig fiir air&v ä^iovvzeg iffJiäg <I>thnnov
'4fiq>ixTvova Bivc4t ipT](pi<Ta(T9-ai. In Bezug auf diesen Antrag hat
Demosthenes seine Rede nsQi elQijvrjg gehalten (nicht bloß geschrieben,
wie Libanius meint), in der es § 14 heißt rovg (TvvshjXv&örctg rov-
rovg xal (püaxovrccg !c4fi(piXTvovag vvv elvai. Es sind hiermit
unfehlbar dieselben Staaten gemeint, die, von Philippos berufen, das
Gericht über die Phokier gehalten haben. Demosthenes rät dem Ver-
langen zu willfahren, damit Athen nicht in einen Amphiktyonenkrieg
verwickelt werde; des Philippos Absicht bei dem letzten Kriege sei
gewesen (§ 22) rag itaQÖSovg IccßeTv xal Ti]v äö^av rov noUfjLov rov
Soxstv Si avröv xQi<nv üXr}(pivai, xal ra Ilvd-ta &eTvai Si iavrou',
es wäre unrecht ^rpÄg nävrag negl rfjg kv JeXtpoTg (TXiäg vvvl noXE-
fAjjaai. Also noch war Philippos um die Zeit dieser Rede vom Frieden
nicht anstatt der Phokier Mitglied der Amphiktyonie geworden; er
konnte daher auch nicht vor derselben den Pythien präsidiert haben,
und daß er die Spiele dieses Jahres Ol. 108 3 veranstaltete, lehrt
Philipp, in § 32. Es ist unzweifelhaft (unter anderm aus der Chro-
nologie des Prozesses gegen Ktesiphon), daß die Pythien im Herbst,
etwa im Boedromion gefeiert werden; die Rede tisqI slQijvrjg gehört
also in die drei ersten Monate von Ol. 108 3, und daß nach Demo-
sthenes Rat entschieden wurde, folgt aus seiner Rede Ttepl nagan.
§ 112 ff. und aus der inhg Krtjg, § 43 ^ysrs ttjv bIqi^vtjv ÖfACjg. Es
ist unmöglich, daß Philippos im fünften Monat desselben Jahres sich
in Marsch gesetzt habe, die phokischen Städte zu zerstören und infolge
dessen die Athener das Decret des Kallisthenes erneuten — mit einigen
Portlassungen erneuten, als ob es solche Mühe gekostet hätte, ein den
Umständen entsprechendes neues Decret zu entwerfen. Es ist unmög-
üch, daß jener ersten (rxevayayyia eine zweite folgte, da nirgends auch
nur eine Anspielung auf dieselbe vorhanden ist, vielmehr zeigt Aischines
[919] (xarä KvfifT, § 80) den chronologischen Verlauf der Begeben-
heiten richtig so an: c&g yäg raxi^ra eYao) Uvhjjv (piXinnog naofjMe
208 Demosthenes
xal Tttt," TB h' fI>oxevfTi nökeig Ttagadö^tOi^ ävaarürov^ hnoifiGt^ (dir
ßcciovg Ö^, ojg TOT v^aIv kSöxsi neQaiTeQOD tov xaiQov xal tov vfie-
TiQOV (TVfiy^ioOVTOg ItTXVQOVg XaTBGXEVaGBV ^ vfistg Sk Ix TcDr ciyQCJV
(foß'tjO'ivTeg ^(TXEvayiüyijaaTi x t 'L
Dasä Beeret datiert hnl MvriGKpiXov äQx^^'^oq .... MaifiaxTj](jidhfog
dexÜTfj ämövTog, Man erinnere sich, daß der Antrag des Demosthenes,
Gesandte zum Friedensabschluß zu schicken, von demselben Archen
Mnesiphilos und dem letzten Hektatombaion datierte. Die Erzählung
des Redners ergiebt, daß die trxBvaycoyia kurze Zeit nach dem Wahl-
beschlnß gemacht ist. Aber das ist nur ein sonderbarer Zufall, sagen
sie; es ist gerade Mnesiphilos zweimal Prytanienschreiber gewesen, und
es sind irrigerweise an beiden Stellen Decrete, die sich auf ähnliche
Verhältnisse beziehen, eingelegt worden u. s. w. Es ist schlimm, wenn
bei einer dreisten Hypothese so viel auf Zufall und Irrtum gerechnet
werden muß. Fanden wir einmal die zweite (rxevaycoyia im Mai-
makterion 346 und das angebliche Decret des Demosthenes dem Inhalt
nach unmöglich, so ist es von dem Fälscher der Urkunden leidlich
geschickt gemacht, daß er ' für beide hier zu belegende Facta den
gleichen Archonten Mnesiphilos annahm und die nach Angabe des
Redners einstweilen verlaufene Zeit durch den Hekatombaion und Mai-
makterion unterschied.
Nur so wird MatfiaxTtj()tcjvog öexÜTrj ümövTog begreiflich, denn
dies Decret des Kallisthenes sollte ja in OL 108 3 gehören, und in
diesem Jahre ist nach Idelers Berechnung des metonischen Cyclus
der Maimakterion ein hohler Monat, so daß in demselben der elxäg
nicht die SexÜTtj, sondern die ivÜTij ämövrog folgte. Idelers Berech-
nung hat sich bisher überall bewährt; bei Dem. neol naijcen, § 59,
wo die voTiQa SexaTt] des Skirophorion Ol. 108 2 genannt wird, ist
dieser Monat nicht ein hohler, wie Schoemann (de comit. S. 36) nach
den älteren Berechnungen angab, sondern ein voller. So wird der
metonische ('yclus nicht durch unsere Urkunde, sondern umgekehrt
diese durch jenen verdächtig.
In den Einleitungsworten heißt es: GvyxXt)Tov hexkrjatag vno
iTT(jaT7/y(i)v yBvopikvrig \xai\ nQVTÜvecov xal ßovXijg yvc^fiij, mit mehr-
fachem Schwanken der Handschriften, von denen die besten yevofjiivrig
ganz auslassen, andere es vor vtiö stellen; auch hat man das einge-
klammerte xal weglassen wollen ; wenn das Document echt sein soUte,
hätte man wohl besser geschrieben vnö (TT()aTiiycjv xal novTävetov,
ßovlf]g yvcjfif^, wozu ich auf die oben gemachten Bemerkungen verweise.
Über KaXXiad-ivr]g 'Eteovixov Q^ahj^svg bedauere ich, nicht
genügende Nachweisung geben zu können. Wir kennen mehrere
Die Urkunden der Ejranzrede 209
bedeutende Athener dieses Namens in Demosthenes Zeit. Ich nenne
zuerst den unglücklichen Feldherm, der wegen des mit Perdikkas (also
um Ol. 104) geschlossenen Friedens zum Tode verurteilt wurde (Aischin.
[920] nsQl na^an. § 30 flf.), während sein Mitfeldherr Ergophilos mit
einer schweren Geldstrafe davonkam (Dem. tieqI na^an. § 180 und
über beide Prozesse Aristot. Rhet II 3 S. 1 380). Einen anderen Kalli-
sthenes finden wir zwei Jahre vor dem Prozeß gegen Leptines [ngo-
nkQvai Leptin. § 33) in dem Amte eines (TiT(6vrig, wie es scheint, in
welchem er dem Staate einen Überschuß von fünfzehn Talenten gewann.
Wenn aus des Lykurgos Rede tibqI Siotx/jfTBojg (bei Harpocr. v. ore-
(pav&v) angeführt wird: äXkä fxi/v xai KulXiad-ivriv ixardv fAvaig
k<Tr6(pav<6(TccTB, so dürfte sich zu einem so kostbaren Kranz nicht leicht
ein anderer Anlaß und ein anderer Kallisthenes finden lassen, als
dieser, und jene sehr einträgliche Verwaltung, die in jenem Notjahre
des Agathokles {ffiroSeiag iiaQu näaiv äv&Qcbnoig yevofjLsvtjg Leptin.
& a. 0.) nur um so rühmlicher war. Die Fragmente aus des Deinarchos
Rede (und er begann OL 111 1 Reden zu schreiben) xarcc KctXXia-
divovg slgayyekia scheinen sich auf die Negotiationen des Kallisthenes
beim Getreideverkauf zu beziehen, obschon der Inhalt der Eisangelie
wohl ein anderer gewesen sein möchte. Wenn Antiphanes in der
^kuvofUvf], die etwa Ql. 110 aufgeführt wurde, rov xaXov Kalhtr-
&ivovg erwähnt, so scheint es mir nicht wahrscheinlich, daß dies der
besprochene Staatsmann ist, der damals doch gewiß ein Fünfziger war;
viel eher möchte der in des Theophrastos Testament mehrfach erwähnte
(wo an den Olynthier natürlich nicht zu denken ist) dieser schöne
Kallisthenes sein. Unter den Rednern, deren Auslieferung Alexandres
Ol. 111 2 forderte (Plut. Dem. 23), war Kallisthenes, gewiß derselbe,
der die axBvaycoyia beantragt hatte, gewiß jener oben besprochene
Staatsmann; neben Kallisthenes nennt Plutarchos den Demon, und der
Komiker Timokles sagt in dem interessanten Bruchstücke über die vom
Harpalos Bestochenen (bei Athen. VII S. 341) sllrj^e xal Aijiicov n xai
KaXXia&hnig* nivrirtg Jjaav ügte (Tvyyvc6fii]v 'i/o) (dieser Demon ist
der Sohn des Demomeles, der seines Verwandten Demosthenes Rück-
kehr OL 114 2 beantragte; vgl. Corp. Inscr. Gr. Nr. 213. 459 = C. I. A.
II 553. 1654. Plut. Dem. 27). Doch ich entferne mich zu weit von
der Sache; es fragt sich über die Richtigkeit der Bezeichnung !£r6o-
vixov 0ccXi]Q6vg. Ich bekenne, daß ich sie nach den mehrfachen
Beispielen phantasierter Bezeichnungen in unseren Urkunden für ebenso
falsch halte, als die dem Aristophon, dem Eubulos u. s. w. beigefügten.
Wir kennen einen Sphettier Kallisthenes, der dem Demosthenes be-
zeugte, daß er Ol. 105 2 gegen Meidias ä^ovkrjg geklagt habe {xazä
Drojsen, Kl. Schriften I. 14
210
MeiSiov § 82), wir kennen ferner einen KuiXta&ivrt^ NcewFiOPa^ den
die Aixoneer kränzten {top äoxwna) wegen einer fironunen Feier (Corp.
Inscr. Gr. Nr. 214 = C. L A. U 581); da dies OL 115 1 geschah, ab die
makedonische Herrschaft in Athen entschieden war, so ist es nicht
eben glanblich, daß der Staatsmann Kallisthenes mit diesem dieselbe
Person ist, aber onmögiich ist es auch nicht Eorz, wir müssen ein-
gestehen, für diesen Fall nnsere Zweifel nicht begründen zu können.
[921] Desto entscheidender ist eine in dem Decret aasgesprochene
gerichtliche Bestimmung, die mit der sehr erkennbaren Natnr des
attischen Staatsrechtes sich aof keine Weise vereinbaren läßt. F^ heißt,
jeder Athener soll nirgends anders, als in der Stadt oder dem Peiraieos
über Nacht bleiben, aoßer wer auf Posten ist: der soll sich weder Tag
noch Nacht von demselben entfernen, o^ S^ av änud-iiGri t^Sb t«
tl^fjfpifffjLart, 'ivoxo^ üaro} rotg rf^g ^tjoSomag i:nTtfiiOtg, käv pn) n
äSvparow ijuSeixvvr, tlboi iavrop' Tieot de tov ddwärov i:tixoiPerfo
6 ini xGtv ozOäov aroccTf^yog xai 6 i:Ti rf^g Sioixt)GB€jg xai 6 ygafi"
IMcrivg Tijg ßovßJig. Das Wort knixohtiv ist mir im attischen Ge-
richtsgebranch nicht eben bekannt Plato leg. YI 18 S. 768 braucht es
yon der Entscheidung des Rates in dem Fall, wenn sich zwei Inter-
essenten über eine gemeinsam zu entscheidende Alternative nicht
vereinigen können, ebenso Dionys. Hai. XI 52 und ähnlich Plut
Lycurg. 6. Danach würden die Dreimänner unseres Decret«s etwa zu
bestimmen haben, ob die Angabe der Unmöglichkeit begründet ist oder
nicht; und da die Strafe bereits bestimmt ist, würde mit ihrer inixQimq
der jedesmalige Prozeß, der sich um nichts Geringeres, als um Todes-
strafe handelt, abgemacht sein!! Also kein Heliastengehcht? also ein
Kriegsgericht von der ungeheuersten Veifassungswidrigkeit? Oder es
mag hntxoiviTG) bedeuten, daß die drei die Anakrisis zu machen und
die Sache vor einem Gerichtshofe einzuleiten haben, so muß man sich
nicht minder verwundem über die verrückte Zusanmienstellung; denn
man wird doch nicht Corp. Inscr. Gr. Nr. 123 = C. I.A. II 476 anführen
wollen, wo die Prytanen und der ^rroaTfjyog 6 knl rä Ö:iXa die öflFent-
lichen Sklaven, welche die Mustermaße aufzubewahren haben, wenn
sie verfalschen, züchtigen sollen. Stets agieren sonst die Strategen in
Gerichtssachen als CoUegium; hier wird der iTii SioixriOBwq (denn es
soll doch wohl nicht gar der Verwalter der Staatskassen sein!) neben
dem ini r&v onh&v aufgeführt; war denn nicht einer mit etwaigen
Beisitzern genug? Und was soll gar der Prytanienschreiber noch dazu?
Wozu sollen drei Männer die 7]yBfiovia ötxafrrrjm'ov haben? Wie man
sich drehen und wenden mag, die Sache bleibt über alle Begreiflich-
keit hinaus verkehrt
Die Urkunden der Kranzrede 211
Will es einer weit treiben, so mag er auch das noch sonderbar
[922] finden, daß die weiter als drei Meilen von der Stadt wohnenden
TU kx T&v icfQ&v nach Elensis, Fhyle n. s. w. bringen, selbst aber sich
nach Athen und dem Peiraiens begeben sollen; femer daß sie ihre
Güter nach Eleusis und Phyle bringen sollen, da beide Orte bei dem
gefurchtsten Angriffe des Philippos am meisten gefährdet waren; ferner
daß nicht Salamis lieber nnter den Zufluchtsorten genannt wird, da
die durchaus überlegene Seemacht der Athener den Makedonien! einen
Angriff auf die Insel leicht unmöglich machen konnte. Ohne mich
darauf (und auf das am Ende wiederholte {Im KaXXiaO-kvriq (l^alrjQevg)
[der Zusatz fehlt im Bekkerschen Texte] weiter einzulassen, glaube ich
die entschiedene ünechtheit des Decretes geltend machen zu können.
Wir kommen nun auf den Brief des Philippos an die Athener.
Es ist sehr auffallend, daß Demosthenes (vom Aischines ist es natür-
lich) diesen Brief in der Rede Tieoi naoanQeaßBiaq nicht eingeschaltet
hat, wo er § 63 neben dem döyfia !Aii(pixTv6v(ov gewiß einen Platz
verdient hätte, wenn er in so harten Ausdrücken verfaßt gewesen wäre,
wie wir ihn jetzt lesen, und nicht vielmehr Dinge enthielt, die sich
Demosthenes scheuen mochte in Erinnerung zu bringen. Philippos
hatte zwischen dem 13. und 27. Skirophorion den Athenern Briefe
geschickt, sie aufzufordern k^dvcci nüati rfj Swüfiet ßorj&^ffovrag
ToTg Sixaloiq (Aischin. ubqI nccQan, § 137 Dem. %iqI TtccQan, § 51) und
die Thebaeer, Euboier, die Feinde Athens alle besorgten, es werde sich
Athen und Makedonien zu ihrem Verderben vereinigen, ja, die The-
baeer rückten mit bewaffneter Macht aus (Aischin. § 137). Phalaikos,
der vorher das Anerbieten der Athener zu kräftiger Unterstützung
zurückgewiesen hatte, capitulierte mit Philippos und erhielt freien Abzug
(23. Skirophorion), wogegen dem Philippos die phokischen Städte über-
geben vnirden. Die Bewegung, welche diese Nachricht in Athen hervor-
brachte, veranlaßte einerseits das Decret des Kallisthenes, das deutlich
genug zeigte, mit welchem Mißtrauen die Athener des Philippos Schritte
beobachteten; andererseits mußte Philippos, selbst wenn es seine an-
fängliche Ansicht nicht gewesen war, eine Annäherung mit den The-
baeern, den erbitterten •Feinden der Phokier, wünschen, wodurch
natürlich sein Verhältnis zu Athen in Frage gestellt wurde. Die von
Philokrates beantragte (dritte) Gesandtschaft, in der Aischines war, kam
bei Philippos an, bevor die versammelten Amphiktyonen über das
[923] Schicksal von Phokis entschieden hatten (Aischin. § 171 ff.), und
daß diese Gesandtschaft nicht, wie man aus Demosthenes § 126 glauben
könnte, eine Privatsache, sondern im Auftrag des Staates begonnen
und zu Ende geführt war, geht aus seinen eigenen Worten nsQi nagan^
14*
212 Demosthenes
§ 129 hervor. Also nach Ankunft dieser Gesandten erst wurde die
furchtbare Strafe über Phokis verhängt — , und doch beginnt des
Philippos Brief, wie wir ihn lesen, mit der Anzeige, daß er in die
Thermopylen eingerückt sei, und fügt gleich darauf hinzu, daß er
mehrere Städte der Phokier zerstört und verknechtet habe. Es ist nicht
möglich, daß Philippos noch erst die Anzeige von seinem Einrücken
zu machen hat, wenn bereits die attischen Gesandten bei ihm einge-
troffen sind und die Bestrafung der Phokier schon ihren Anfang ge-
nommen hat.
Über den Inhalt des Briefes unterrichtet uns Demosthenes selbst
durch einige Andeutungen § 36 ri ovv (wvißrj fierä ravra (nach dem
Bericht des Aischines von Philippos Absicht gegen Theben) eif&Vi^,
ovx elg fmxQccv] rovg fiiv (l>a)xiag dno)A(T&ai xal xarcctTxacpfjvai
rag nöleig air&v^ tf/iiäg Ji . . . . axBvayojyetv kx t&v äy^Ght .... xai
Hl Tt^ög TOVTOig Ttjv fiiv äTtix&siav rtjv nQ6g Orjßaiovg xal Oerra-
kovg Tfj tiöXbi yBvi(T&ai, rrjv Si x^Q^'^ ^^^ vnhQ r&v nenQcc/fievoyv
<i>iXinn(p (ähnlich sagt Dem. tcbqI nagait. § 85 vom Aischines: ovxog
äTtccyydXcig r avavria xal (pccvsQOvg hmSd^ag iffiäg oi/l ßovXojj^ivovg,
vfjuv fiiv T^i' Hx&Qav TTjv TtQÖg Gfjßatovg fut^co, <l>Mn7C(p Si rijv
XÜQiv TtBTtoiTjxB). Diese Sachen zu erweisen, läßt dann Demosthenes
das Decret des Eallisthenes und den Brief des Philippos vorlesen, in
dem also von der Strafe der Phokier und irgendwie auch von den
Thessaliem und Thebaeem die Rede gewesen sein muß. Und so fugt
er denn gleich nach Lesung des Briefes hinzu § 40 äxovevBj (hg aa-
(p(dg dfjXoT xccl SioQi^erai kv vfj 7i(j6g vfißg kitiffroky JtQÖg rovg
iavTOi) (TVfifiäxovgy 8ti lym ravra Ttenoirjxa äxövrcjv !Aß"i}'
vaioav xal kvnovfiivmv, &(tt bYtisq bv (pQOVBiTB, & Qi]ßaioi
xal 0BTTakoi, rovrovg fiiv ^x&Qovg vnoXij-ifjBa&B^ kfiol Si
nt(TTBV(TBTBf oi TOVTOig Toig QTjpi,aGi yQaxpag, ravTa Si ßovXö^
fiBvog ÖBixvvvai, Sollten die guten Athener dergleichen herauslesen,
so mußte es ziemlich deutlich in dem Briefe gestanden haben. Phi-
lippos mußte den Athenern melden, daß er die Strafe an den Tempel-
räubem nach dem Beschluß der Amphiktyonen ausgeführt habe, er
mußte rühmen, mit welcher Hingebung ihm und dem Gott die
Thessalier und Thebaeer beigestanden; er mußte bedauern, daß die
Athener, statt sich seiner Aufforderung gemäß mit ihm zu vereinigen,
ihm durch ihr Mißtrauen und ihr zweideutiges Benehmen unmöglich
gemacht hätten, ihrem Wunsche und ihrem Interesse gemäß zu ver-
fahren; er mußte sein Mißfallen zu erkennen geben, daß sie aus selbst-
süchtigen Rücksichten Theben und Thessalien, die sich so wacker
benommen, mit ihm zu verfeinden gesucht hätten, und dergleichen.
Die Urkunden der Kranzrede 213
Von dem allem steht nichts in dem Briefe, wie wir ihn lesen, and
selbst der schärfeten Aufmerksamkeit würde es nicht möglich sein, das
aus [924] demselben zu entnehmen, was Demosthenes deutlich darin
ausgedrückt nennt
Noch ein drittes bleibt zu erwähnen. In unserem Briefe steht:
äxovoav Si xal tffiäg nccQaaxBvä^sffOai ßoriß-%Tv airoiq (den Phokiem).
Auch dies ist unmöglich inmitten der lebendigen Gegenwärtigkeit der
Verhältnisse geschrieben, denn hatten auch die Athener ihre Habselig-
keiten in die festen Plätze geflüchtet und sich auf einen Angriff des
Philippos gefaßt gemacht, so war doch weder von einem Heereszuge
zu Gunsten der Phokier die Rede, noch konnte Philippos dergleichen
Nachricht zu haben vorgeben, da sich bereits vor diesem Briefe die
attischen Gesandten bei ihm eingefunden hatten, die sicheren Bericht
bringen konnten.
Schließlich muß ich mich in Beziehung auf die ganze Fassung
des Briefes auf das Gefühl jedes Lesers berufen. Wer mit Unbe-
fangenheit liest, wird in diesem Schreiben durchaus nicht die Stellung
des makedonischen Königs, wohl aber den Einfluß, den Demosthenes
Baisonnement in der Rede hbqI nagan. § 44 und sonst auf den Ver-
fasser gehabt hat, wieder erkennen. Die Rede vom Frieden, die viel-
leicht nur einen Monat nach diesem Briefe gehalten ist, zeigt deutlich,
daß man in Athen große Besorgnis vor einem amphiktjonischen Kriege
hatte; darauf überhaupt liegt bei allen diesen Verhandlungen der ent-
scheidende Nachdruck, daß der Amphiktyonenbund mit im Spiele ist;
wenn Philippos irgend einen ernsten Ton mit hineinbringen wollte in
seinen Brief, so mußte er eben darauf hinklingen.
Doch räume ich ein, daß diesem Baisonnement vollständig über-
zeugende Kraft abgeht, die uns das unumwundene Urteil der Unecht-
heit auszusprechen berechtigen würde; vielleicht daß scharfsinnigere
Betrachtung ein befriedigenderes Resultat gewinnt.
VIII. Die Ehrendecrete für Nausikles, Charidemos, Diotimos.
Demosthenes verteidigt die von Aischines angegriffene Recht-
mässigkeit der Kränzung vor abgelegter Rechenschaft (§ 114) unter
anderm damit, daß dergleichen schon sonst geschehen sei. IIq&tov
fiiv yccQj sagt er, JVavaixkrjg (TTQuxrjy&Vj k(p olq &%6 rcdv lSi(OP
TiQoeiro, no'k'kdxiq karecpavcoTai vfp iffi&v e7&* Öre Tag ccaniSccg
AiÖTifioq *iSo}xe xal TtdXiv XaoiS7jfiog k(TTe(pavovvTO' b1&' ovrog
JVeonTÖXefiog nolX&v 'igymv imardrijg ä>v, itp oig kniStDXB, tbti-
fA7jrcci "Ort TOivvv xavr älr]&rj kiyWj ksye rä 'iprj(pi(TficcTd fioi
rä TOVTOtg yeyevrjfjLiva avrä Xaßcov. Es müssen also folgen ein oder
214 Demosthenes
besser einige Ehrendecrete für Nansikles, eins für Diotimos, ein anderes
{xal nähv) für Gharidemos, eins für Neoptolemos. Statt dessen finden
wir nnr eins für Nansikles nnd ein zweites für Diotimos und Ghari-
demos; für Neoptolemos^ [925] keins, die Erklärer meinen, weil er
anwesend ist {oirvoal); als ob man sich in Athen damit geniert hätte!
Doch mag auch das sein, wenn nur das Vorhandene gut nnd ohne
Anlaß znm Zweifel ist.
Beide, das ifj?i<pi(TfjLcc and das I^tbqov ipi^q)i<Tjiicc , sind von dem-
selben Phrearrbier Eallias beantragt; der Name ist so gemein, daß
man sich darüber beruhigen könnte, einen Phrearrhier Eallias nicht
zu kennen. Merkwürdiger ist, daß nnr das erste Decret eine Datierung
hat; man hat angenommen, daß dieselbe auch für das zweite gelten
solle, und die Ansicht empfiehlt sich dadurch, daß sonst jeder Beschluß
unserer Rede mit einer dergleichen versehen, und bei den doppelten
Decreten mit den Namen Mnesiphilos, Nausikles, Heropythos die Monate
und Tage unterschieden sind.
Die Datierung des etsten Decretes lautet: ""igxoiv Jtjfiövtxog
(pkvBifg, ßofjSQOfiicjvog f^XTfj fisr alxdcSa yvcjfjLt] ßovXfjg xal Srjfiov.
Der Pseudeponymos beginnt die Reihe der Sonderbarkeiten; nie wird
in officiellen Aktenstücken der Name des Archen im Nominativ noch
mit Beifügung des Demosnamens bezeichnet, aber gelehrter Gebrauch
scheint es wenigstens seit Philochoros geworden zu sein. „Um so
wahrscheinlicher also ist unsere Hypothese, daß ein Gelehrter, der nach
den einzuschaltenden Aktenstücken suchte, di)se aber nur mit dem
Namen des Prytanienschreibers, da die Fachtitel des Archivs verloren
waren, vorfand, des officiellen Gebrauches unkundig, nach gelehrtem
Gebrauch den vorhandenen Namen des Schreibers (und bei dem steht
ja der des Demos s. Gorp. Inscr. Gr. Nr. 81 90 [G. I. A. II 23. 70]) als
den des Archen ergänzt". Wieder einmal der thörichte Gelehrte! Fand er
in dem Archiv das Aktenstück unter der verlorenen Rubrik des Archen,
so mußte doch in demselben stehen, Arjfidvtxog <l>kv6vg kyQafifidvevBy
und wie konnte er da meinen, daß dies der Archen war; am Ende
müßten wir annehmen, es habe unter *der allgemeinen Fachtitulatur
des Archen noch die besondere der zehn Prytanienschreiber gegeben,
und diese sei für die sämtlichen Decrete unserer Rede stets an seiner
^ Neoptolemos wird wohl der reiche Mann sein, den Demosth. xar» MbiÖ^
§215 nennt, derselbe auch, der sich nach Flut X Oratt S. 856 ff. anheischig^
macht, den Altar Apollons auf der Agora nach dem Orakel zu vergolden, und
dafür nach Lykurgos Antrag durch einen Kranz nebst Statue geehrt wurde;
ist das richtig, so war er der Sohn des Antikles. [Vgl. jetzt C. I. A. II 2 S. 510
Nr. 741 mit der Anm.].
Die Urkunden der Kranzrede 215
Stelle gewesen ! „Nein, der Gelehrte hat die Decrete aus einer Samm-
lang, und die Sammlung hat sie aus dem Archive, wo die in einer
Prytanie gemachten Decrete von dem Schreiber der Prytanie in einem
Hefte zusammengeschrieben und etwa auf den äußeren Titel des ganzen
Heftes von ihm sein knl rov Selvog sc. yQccfifiarioDq rov xaru 7t(}V'
rapeitxv geschrieben wurde". Wir wollen nicht fragen, wo denn die
Originalien der Urkunden blieben, wenn in das Metroon Abschriften
kamen; wir wollen auch nicht mit dem Sammler, noch mit dem Ge-
lehrten rechten ; aber woher denn mit einemmal der Name des Demos
bei unserem Demonikos? Entweder die Prytanienschreiber hatten ihn
stets auf dem Deckel der Hefte beizufügen, und dann mußte diese
vollständige Bezeichnung auch in allen unseren Decreten wiederkehren,
oder der Demonikos hat einmal etwas Ungewöhnliches gethan, was ein
anderer glaublich finden mag. Und warum hat sich der sorgfaltige
Gelehrte auch hier nicht die Mühe genommen, zu dem hnl Jrjfiovixov
4>ili;^Q7g sein ägxovxoq hinzuzufügen ? Hieß der Titel des Heftes viel-
leicht Jfjfjuivixoq <l>XvBvgj wieder einmal ganz [926] abweichend? —
oder ist es nicht sehr denkbar, daß der Verfasser dieser falschen
Urkunden, der mehr seines Philochoros Atthis als dessen Inschriften-
sammlung im Gedächtnisse haben mochte, nach der Analogie der ge-
lehrten Art eine Datierung erdichtete?
Freilich ist es vorschnell, daß ich schon jetzt spreche, als wäre
die Uneehtheit unseres Decretes erwiesen. Aber gleich das nächste
yv(6fifj ßovlfjg xal S/jfiov dient nicht eben dazu, mich das Gesagte
bereuen zu lassen. Also Eallias hat sich wohl bei dem Rat und Volk
die Erlaubnis ausgebeten, einen Antrag zu machen, daß fiat und Volk
besehließe u. s. w.? Warum ist denn in keinem Decrete sonst diese
seltsame Probole des Volkes erwähnt? oder heißt das etwa soviel wie
iSo^e rij ßovXfj xal rc5 Srjyicp^ warum nicht r^ !A&fjvai(ov, oder was
wollen denn die anderen Psephismen mit ihrem nolBfiaQ/ov yvcjfjLfjf
üXQarriy&p yvcifiy u. s. w.
Die Verbindung KccXkiccq bItibv, 8t i SoxsT rfj ßovkrj xal reo
Si'ifjup ist in Psephismen durchaus unerhört. Schoemann de comit.
8. 134 erklärt diese Formel mit folgenden Worten: ibi pro infmitivo
precativo indicativus: 8t i SoxbT, propterea credo, quia hoc psephisma non
est ipsa rogcUio, sed actorum relatio, qvmn, cum rogatio de Nausielis
honoribus ex avctorüate senaius ad poptdum relata statim a populo
oecepta esset, Callias, qtd senattcs atictoritatem populo propostcerat , coti-
scribendam a scriba curaverat, ut in tabulas publicas referretur. Doch
bleibt bei dieser Erklärung nicht bloß das yvcjfArj ßovkfjg xal Siiifiov
unerledigt, sondern gerade für solche bieten die Inschriften ja eben
216 Demosthenee
die Formel äSo^av rfj ßovky xal r^ dijfAo:) dar, und es würde mit dem
8ti SoxbT eine ProtokoUierang bezeichnet sein, wie sie neben dem offi-
ciellen eina doch wieder unmöglich erscheinen muß. Auch das dürfte
kaum zu ertragen sein, daß Nausikles nur mit seinem Amte 6 inl
T&v ÖTcXcov, nicht zugleich mit Vaters- oder Demosnamen bezeichnet
wird. Endlich heißt es ov SvvccfUvov ^iXcavog rov knl rfjg Sioixriaamq
x6xaiQOTOvf]fjLivov Siä Tovg xatficüvag nladacci xal fuff&oSoTfjtrai rovg
dnhrag. Der Zusatz xaxaiQorovrjfjLivog erscheint schwierig und ohne
hinreichende Analogie; weder die Erklärung Schäfers postquam deciua
erat (App. II S. 172), noch die von Hieronymus AVolf „quaestor desig-
naius" befriedigt Und soll hier knl rfjg Sioixtiaatog der rapuag oder
der (TTQaTTiydg inl r. S. sein, in beiden Fällen muß es als höchst
seltsam erscheinen, daß der Beamtete in Person herumreist, den Truppen
Sold zu bringen. Demosthenes sagt {naQi rtüv iv Xa^p. § 47) xccTaiT-
xavüaavrag Sai 'Svvafiiv xal T()oq))^v ravrij noQiaavrag xul rafi/ag
xal 8rjf.Loaiovg xal Öncog ivi rijV rÖv X()r]fiäT(i)v q:vXaxijV üxQißaG-
raTTjv yavBfT&ai, oirto noi/jaavTag rdv fiiv vöjv XQfificercov X6yov
napä Tovrcjv Xapißdvaiv, rov Si tdiv 'i{)ya)v naoä t&p arQarriY&v
[xof) (TTQatfjyov Bekker]. Hieraus ergiebt sich, daß die Feldherren
selbst die Verwaltung des Geldes unter sich hatten, und das verrufene
&QyvQoXoyaTv und die avvoiai sind eben daher erklärlich; man ver-
gleiche die Rede des Demosthenes gegen Timotheos. Aber, wird man
sagen, aus der Staatskasse muß dem einzelnen Feldherm das Geld
doch durch den betreffenden Beamteten gezahlt werden; aber eben
dafür [927] kennen wir aus dem Jahre des Chairondas einen rafuavaag
Tiüv axQartoDTtx&v (Plut. X Oratt. S. 852), der auch in der Kaiserzeit
noch vorhanden gewesen zu sein scheint (Corp. Inscr. Gr. Nr. 416 = Mitth.
des Athen. Inst. 1884 S. 162); mag der immerhin persönlich ausgefahren
sein, in die Hauptquartiere der attischen Heere das Geld zu bringen,
der vafitag Tfjg (hoixijfracjg konnte gewiß sich nicht auf diese Weise
von Athen entfernen. Der (TXQarriybg inl rflg Sioix/jfracjg dagegen
scheint aus der Reihe attischer Beamten gestrichen werden zu müssen;
wenigstens kommt er, so viel mir bekannt, nur in den Decreten unserer
Rede, und auch da nicht einmal mit hinreichender Deutlichkeit genannt
vor; und die Bezeichnung seines Amtes wäre wenigstens nicht von
der Bestimmtheit, die man in Athen erwarten darf.
Der Name Philon ist in jenen Zeiten sehr häufig; ich erinnere
nur an -den Paianier, des Philodemos Sohn, den Schwager des Aischines
(Aischin. napl nagan. § 150), der unter den zehn Gesandten Ol. 108 2
war (Dem. nagl nagaii. § 140), und an jenen Philon, der unter der
Verwaltung des Lykurgos den Bau der (Txavod-t)xv und etwas später
Die Urkunden der Kranssrede 217
den eleusinischen Weihetempel vollendete (s. Vitruv. VII praef. Plnt
Sulla 14 vgl. Müller in den Gott Gel. Anz. 1836 S. 1031). Immerhin
mag der eine oder der andere dem Yerfertiger des Decretes vorge-
schwebt haben ; dem Yerfertiger, sage ich, denn nach dem Besprochenen
glaube ich überzeugt sein zu dürfen, daß wir nichts weniger als eine
echte Urkunde vor uns haben, obschon das zum Grunde gelegte Factum
eben nicht als ein erdichtetes, aber auch freilich nicht als ein wirk-
liches nachgewiesen werden kann.
Es heißt nämlich in dem Decret: orBcpav&iTcci NcevaixUa t6p
inl r&v &nXoDv, oxi !A&i]vai(ov dnXiz&v SifT/iXiWv övroyv ip ^Ifiß^tp
xal ßofi&ovvTODv rofg xaxoixovaiv ^A&rivaimv rijv vfj(TOVj oi Swcc-
fUvov fpiXcovog . . . Sia rovg x^^f^^"^^^ nXsvrrai xal fjutr&oSoTfjffai
Tovg dnXirag, ix rfig IStag ovaiag äScoxB xal ovx eigsTcga^B röv
Sfjfiov, Wenn 2000 Hopliten zur Bewachung der Insel nötig waren,
so muß es große Gefahr gehabt haben. Und allerdings finden wir
Imbros sehr gefährdet um Ol. 106 1 im Bundesgenossenkriege (Diodor.
XVI 21), wo die Byzantier, Rhodier und Chier mit 100 Schiften Imbros
und Lemnos verwüsteten und dann nach Samos steuerten. Hiermit
verbinden wir eine Stelle in der ersten Philippischen Bede § 34 in
der zweiten Hälfte, die man- mit Dionjsios von Halikamass die sechste
Philippische nennen kann, und die einen eigenen, etwa in der ersten
Hälfte des Jahres 350 gehaltenen Vortrag zu bilden scheint; an dieser
Stelle sagt Demosthenes zur Empfehlung des von ihm gemachten Vor-
schlags: Tov naa^Biv avrol xax&g ü^g) yevijffsfft^s, oi/ AaneQ t6v
napeX&övra XQ^ov eig Afjfivov xal ^IfAßgov kfißaXoiv aixfMxhArovg
nokiTag viuriQovg äx^r lixo^v x r L Denn daß dieser Angriff des
Philippos in die nächste Zeit nach dem Bundesgenossenkriege gehört,
ergiebt sich sehr deutlich aus der geschichtlichen Übersicht bei Aischin.
ne^l TtaQan. § 70 ff. besonders aus den Worten § 72: ^>iXinnog Si
6Qfif]&Blg he [928] MaxeSov/ag oixi&' vniQ !Aiiq)iii6XB(og ngbg ijfAäg
dy(Dvi^6T0y &XX ^Stj nB(}l A/jfivov xal 'Ipißgov xal JSxvqov, r&v
fifisriQcav xTfjfiar(ov x t X, Eine dritte Erwähnung von der Geßhr-
dung der Insel findet sich in der Rede xavä Neaioag § 3 und ver-
anlaßt uns zu einer etwas genaueren Untersuchung.
Im Eingang dieser Bede wird der einst so reiche und um den
Staat vielfach verdiente ApoUodoros, des Pasion Sohn, für den De-
mosthenes manche Bede geschrieben hatte, den Richtern bestens
empfohlen; es wird von seinem Vorschlag, den tTberschuß der Ver-
waltungsgelder nicht in die Theoriken-, sondern in die Kriegskasse
abzuliefern, gesprochen, jenem Vorschlag, den er als Buleut gemacht
hatte: avfißävrog xaiQov ry nöXet roiovrov xal noXifiov Hv <p l^v fj
218 Demosthenos
»Qcczijtraaiv iffiTv fieyiaroig riav 'EkXi)v(ov dvai xäi ävafjupKrßfiTijTCjg
TÜ T< ifUrsQa avz&v xexofjLi(T&ai xai xaranBTio^fifjxivcci ^iXinnov
fj v(TT6Q7](Tce(Ti Tf] ßotj&si^ xal 7t(}06fiivoig Tovg (TVfifjuixovg St
änoQiccv XQrjfiürtDv xaTaXv&evrog rod argoxonkSov rovxovq x imo^
"kkaai xal roTg äiJjoig "EkXritn änifrtovg dvcci äoxsTv xai xivSwwetv
nBQi r&v vnoXointDVj ntgl t6 A^fivov xal ''IfißQov xal SSxvqov xal
XeppovfitTOv, xal fiekXövT(ov axQaxBma&ai vfi&v navStjfial sYg ts EU-
ßoiav xal '^OXvvß'oVj HyQaifJB ifj/j(pi(rfia x r X. Es versteht sich,
daß dies die in der Midiana besprochenen Expeditionen nach Eaboia
und Olynthos sind, in Beziehung auf welche ich mich ganz den von
Herrn Seebeck (in der Zeitschrift für Altertumswissensch. 1838 Nr. 39 ff.)
entwickelten Ansichten anschließe. Es war das Jahr des Aristodemos
OL 117 1 (35Yj)y in dem die Athener nach der schnellen und des
Philippos Rückkehr bewirkenden Expedition nach den Thermophylen
und zugleich durch seinen raschen Einfall nach Thrakien geschreckt^
die Fortsetzung des Krieges unter steigendem Zwiespalt im Innern
betrieben.
[929] Der Nachricht von des Philippos Krankheit im Maimakterion
(Herbst 352 s. Olynth. III § 4) folgte die erste Philippische Rede;
Meidias verwickelte den Staat in die euboiischen Verhältnisse; schon
hatte sich Olynth von dem Bunde mit Philippos gelöst, noch in dem-
selben Herbst ging ein Teil der attischen Truppen nach Olynth hin-
über, das schon von des Philippos Streifereien heimgesucht wurde
(Philipp. I § 17). Auch die Thessalier waren schwierig und zum Abfiall
yon Makedonien geneigt; da kam die Nachricht, daß Kallias von Ghalkis
makedonische Truppen herbeirufe, daß das attische Heer bei Tamynai
eingeschlossen sei; auch aus Thrakien mochten die Nachrichten ungünstig
lauten; die Athener im Chersones flüchteten, denn man erwartete sofort
des Philippos Angriff. Dies war die Zeit, wo man alles daran setzen
zu müssen schien, dies die Zeit, in der Apollodoros, gewiß von De-
mosthenes unterstützt, seinen Antrag machte. Aber er drang nicht
durch, die Partei der Reichen war höchst geschäftig gegen Demosthenes
und seine Freunde; gegen ihn versuchten sie die Klage XsiTiora^ioVf
und statt mit der Ritterschaft {jtävrag k^dvai rovg vnoXoinovg
Initkag Dem. xarä MsiS, § 162) zum Entsatz nach Tamynai auszu-
ziehen, frevelt Meidias an Demosthenes dem Ghoragen, in derselben
Zeit, wo sein Freund Plutarchos von Eretria durch seinen Verrat das
attische Heer bei Tamynai dem Verderben nahe brachte {xccrä MsiS.
§ 110). Vergebens suchte Meidias den gräßlichen Mord des Nikodemos
auf Demosthenes zu wälzen {xccrä MeiS» § 121); vielmehr wurde Hege-
sUeos als mit Plutarchos im Einverständnisse verdammt (Ulpian. ad
Die Urkunden der Kranzrede 219
Bern, de f. 1. S. 151 ed Dobs.), ohne daß Eubulos seinem Verwandten
beizustehen wagte (Dem. nsQl nagan. § 290); und Demosthenes, zum
Buleuten des nächsten Jahres Ol. 107 2 erlöst, wurde auf mannigfache
Weise ausgezeichnet Indeß ging nach der Rückkehr der euboiischen
Expedition (hc 2rvQwv Dem. xccrä MeiS. § 167), als der unfähige
Molossos auf der Insel commandierte, bald das Gewonnene wieder ver-
loren, und der Feldherr selbst wurde gefangen (Plut Phoc. 14). Auch
für den Ghersones war nichts gethan, die im Herbst 352 beschlossene
große Sendung unter Charidemos ging endlich im Boedromion 351 ab,
aber so armselig ausgestattet, daß an Erfolge nicht zu denken war.
[930] Dem nächsten Frühling gehört der zweite Teil der ersten
Fhilippischen Bede an; Philippos hat bereits einen Drohbrief an die
Euboier geschrieben, der die Athener mit gerechtem Unwillen erfüllt
(Phil. I § 37); der Redner spricht nicht mehr von jener doppelten Streit-
macht, wie im ersten Teil der Rede; er verlangt nur, daß ein Heer
zu aller Zeit in der Nähe des Hellespontes gehalten werde, um «nicht
durch die Etesien oder die Winterstürme an der Beschutzung des Gher-
sones gehindert zu sein. Diese Wortstellung rovg Hrjaiag tj t6v
XBifißva (§31), mehr noch die Strafrede, daß sie für die Panathenäen
und Dionysien stets hinreichend Geld hätten, spricht dafür, daß die
Bede im Frühling 350, wenige Monate vor den großen Panathenäen
Ol. 107 3 gehalten ist
Wir bezeichneten oben den Winter Ol. 107 1 als die Zeit, wo
ApoUodoros seinen Antrag in Betreff der Kriegsgelder machte. Apollo-
doros hatte die deshalb von Stephanos gegen ihn gerichtete Klage
naQcevöfKov bereits verloren, als er den Prozeß gegen Phormion verlor,
in dem sich Demosthenes dazu hergab, gegen ihn die noch erhaltene
Rede vnig 0o(}fiia)voQ zu schreiben. In dieser § 39 heißt es von dem
vielen Gelde, das ApoUodoros einst besessen: dXka ravO-' ij nöhg
tJfXfjqe xal Suva nimov&ag noXku xccTaXsletrovQyrjxcjg. In derselben
Rede § 53 wird dem ApoUodoros vorgeworfen, gegen wie viele er schon
Prozesse geführt habe, unter anderen: oifxl Tifiofiä/ov xarfjyÖQBig',
ovxi Kuklinnov rov vDv övvog iv SSixBlia; womit der Prozeß gemeint
ist, aus dem die Demosthenische Rede ngdg KdXhnnov noch erhalten
ist Diesen Kallippos nennen die Erklärer als denselben Päanier, der
in der Rede n^Ql !A)iovvTjg. § 42 als Staatsmann genannt wird; sehr
mit unrecht, es war dieser als Demot des Archibiades {jtQÖg KakX.
§ 28) vielmehr ein Lamp^rer (§ 3). Die Rede für Phormion ist ge-
halten xaQilfjXv&ÖToov kr&v nUov tj sixoai nach dem Tode des Pasion
(§ 26), der unter dem Archen Dysniketos Ol. 102 3 gestorben war
(xarä 2rB(pdvov /S' § 13), so daß, da der Ausdruck „über zwanzig
220 Demosthenes
Jahre" übertreibend gebraucht ist, nicht später als 350 das Jahr der
Rede für Phormion sein dürfte. Jener Lamptrer Kallippos also befand
sich damals in Sicilien; es ist derselbe, der anfangs Freund des Dion
ihn später (Ol. 106 4 gegen Ausgang des Jahres s. Clinton S. 140,
also Frühling 352) ermordete und sich selbst die Herrschaft zu ge-
winnen suchte (Aristot. Rhet. I 12 S. 1373 Athen. XI S. 508 Plut. de
sera num. vind. 8 u. s. w.) und in der That stand er dreizehn Monate
im Besitz der Macht (Diod. XVI 31) accl xareiXB rag ^VQaxovaaq
xal ngbq Tijv 'ä&rivaieav fyQaipe n6hv (Plut Dio 58). Aber bei
einem Angriff auf Eatana empörte sich Sjrakus (also etwa im Früh-
ling 351); dann wandte er sich gen Messana und seine Söldner deser-
tierten scharenweise; so von allen verlassen, von allen sicilischen Städten
zurückgewiesen, ging er nach Italien hinüber, und es gelang ihm, mit
Leptines vereint, Rhegion dem Dionysios zu entreißen, worauf er dort
die Freiheit proclamierte (nach Diod. XVI 45 im Jahre des Thessalos,
also wohl in der ersten Hälfte des Jahres 350); bald darauf aber wurde
er von Leptines ermordet (Plut. Dio 58). Da die Rede für Phormion
gehalten ist während der Zeit, als Kallippos in Sicilien war, so muß
sie spätestens in das Jahr 352, sie kann aber auch noch in 353 ge-
hören. Der Brief, den damals Kallippos an Athen geschrieben, scheint
nichts anderes als einen Antrag zu freundschaftlicher Verbindung ent-
halten zu haben; und so finden wir eine belehrende Notiz, die sich
nur hierauf beziehen kann, in Aristoteles Rhetorik II 7 8i6 xal xovq
TtQCüTOv Sefj&ivrag ri alrrxvvovrat cbg ovSiv Tcm ijSo^Tjxöveg kv av-
ToTg' TOiodroi S' oi re üqti ßovXöfiBvoi tpiXoi elvat, rä yccQ ßiXncrrcc
re&iavrai' Siö ev f^/si ij rov Ei)Qtni8ov dnöxQKTig itoög rovg JSvQa-
xoaiovg. Hierzu bemerkt der Scholiast: Ev()miSfjg n^og rovg -St/por-
xoaiovg itQifrßvg dnofrrakelg xal tisqI si^iijvijg nai (piXiag SBÖfievog,
(bg ixeivoi ävivevov, bItisv* iSet, ävS()6g 2vQax6mot, ü xal Sij ovSkv
äXXo äXXä ys Siä rov &qti vii&v Sisff&ai al(TXvvB(T&ai ijfiäg (bg
&avfiä^ovTag, Ruhnken in der bist. crit. S. 71 hatte für Earipides
den Hypereides substituieren wollen, aber der Name ist vollkommen
richtig, es ist Euripides, wenn auch nicht der Myrrhinusier des Adei-
mantos Sohn, der nach Corp. Inscr. Gr. Nr. 213 = C. I. A. 11 553 einen
Dionysischen Sieg gewann (um Ol. 96) und auf den Aristoph. Eccles,
825 geht, so doch derselbe, der mit Polykles (etwa Ol. 104) Trierarch
war (Demosth. ngog üoXvxUa § 68), derselbe, von dem Ephippos in
den Epheben sagt: ov xvfißioiaiv nenoXifitix EvQiittStjg (Athen. XI
8. 482); und den er in den Obeliaphoren, Anaxandrides in den Nereiden
wieder mit den xvfißioig zusammen nennt (Athen, a. a. 0.). Von jener
Gesandtschaft des Euripides aber ist auch die Erwähnung in Demosthenes
Die Urkunden der Eranzrede 221
Rede itQoq NixoaxQ. (§ 5) zu verstehen, wo Apollodoros, für den die
Bede geschrieben ist, sagt: (TVfißaivei St} fioi TQirjQaQXicc negl U^Xo-
7i6wr]<Tov, kxsT&6V S" elg JSixskiav HSsi tovq n^i^ßsig äyeiv, oüg 6
SfjfWQ ix^iQOTÖvfiasv, Dies war nach den obigen Angaben in OL 107 1,
in demselben Jahre, in welchem Apollodoros auch Buleut war, und
wir fanden, daß er im Winter dieses Jahres seinen Antrag in Betreff
der argccTKOTixü machte, infolge dessen er mit einem Talent Strafe
belegt wurde, die er auch zahlte {xarä JVsaiQag § 8); wenigstens
wahrscheinlicher dürfte für jene Trierarchie demnach der Herbst 352
sein. Ich übergehe es, die sehr merkwürdige Charakteristik des Partei-
kampfes in jenem wild bewegten Jahre Ol. 107 1, zu der auch der
Prozeß gegen Nikostratos einen Beitrag [932] liefert, weiter zu ver-
folgen ; man muß dieser Art Dinge sich genauer ansehen, um von der
unglaublichen Schändlichkeit und Verworrenheit des Parteilebens in
Athen eine hinreichende Vorstellung zu gewinnen, und über die schönen
Phantasien hinwegzukommen, die man noch immer so gern hegt.
Doch muß ich fürchten, die Aufmerksamkeit meiner Leser von
dem Ehrendecret für Nausikles und seinem Aufenthalt in Imbros schon
za lange abgezogen za haben. Wir fanden einen Angriff auf die Insel
um 357 seitens der Byzantier, Rhodier u. s. w., und einen zweiten
seitens des Philippos vor 350 und vielleicht genau im Jahre 351. Nach
der Art der Athener, dahin Truppen zu senden, wo sie eben einen
Schlag erhalten haben, mag man sich die Expedition des Nausikles
nach jener ersten oder dieser zweiten Heimsuchung der Insel ausge-
sendet denken; aber sehr wenig glaublich erscheint es, daß Athen auf
der Insel ein so bedeutendes Heer gehalten haben soll. Standen zu
irgend einer Zeit 2000 Mann Hopliten zur Deckung der Kolonisten
auf Imbros, so war ja auch Lemnos und Skyros gefährdet, auch der
Chersones gefährdet und die Athener mußten dort gewiß nicht minder
bedeutende Heere zur Deckung der Kolonisten halten; wer aber will
glauben, daß die Athener dieser Zeit Heere von 8000, von 10000 Mann
zum Schutz ihrer Besitzungen in Sold gehalten haben! Denn es ist
etwas Anderes, wenn sich der entscheidende Krieg um Olynth zusammen-
drangt; dorthin werden nach einander 2000, 4000, 2000 Mann ge-
sendet Man könnte meinen, in der Zeit des Krieges des Philippos
mit Byzanz sei solche Macht wohl auf der Insel notwendig gewesen;
auf dem Chersones war dann ein Heer noch [notwendiger, und wir
wissen ja, daß Diopeithes in jenen gefahrlichsten Zeiten dort ein Söldner-
heer auf eigene Hand aufbringen und erhalten mußte. Kurzum, das
ganze Factum scheint mir eben so aus der Luft gegriffen zu sein, wie
das gesamte Decret eine Phantasie ist. Oder will man glauben, daß in
222 DemoBthenee
einem wirklichen Decret die Hauptsache, hier die Geldsumme, die Naiisikles
geschenkt hat, oder die so und so yiel Zeit, für die er den Sold aus
eigenen Mitteln bestritten hat, übergangen worden wäre?
Endlich will ich noch auf einen Funkt aufmerksam machen, der,
wenn auch kein entscheidendes Resultat begründen, doch dem Inhalt
des Decretes von noch einer Seite her geföhrlich werden kann. De-
mosthenes läßt Decrete yorlesen zum Beweise, daß Beamtete während
ihrer Amtszeit, bevor sie noch Rechenschaft abgelegt, gekränzt seien.
Nach unserem Beschluß wird im Boedromion beschlossen, Nauaikles
in den Dionysien zu kränzen, weil er Sold an die Truppen gezahlt,
da Siä Toh^ /c/^öi/a«? der zur Auszahlung bestimmte Beamte nicht
habe nach Imbros kommen können. Versteht man unter diesen ;^6i-
fi&vBq die Etesien in Mitten des heißen Sommers, so beginnen diese
am 24. Juli oder mit Einschluß der sogenannten 7t()6S()Ofioi mit dem
16. Juli und wehen bis zum 3. September. Dies würde sich mit dem
Datum des Decretes wohl vereinigen lassen; aber noch ist nichts
weniger als ausgemacht, daß die zehn regelmäßigen Strategen ihr Amt
etwa mit dem [933] Frühling antraten; sie werden in den äQXcciQBfricaq
(natürlich nicht den vier letzten Tagen des Jahres) gewählt (Aischin.
xarä KrrjfT. § 13 Demosth. xarä 'Aqkttox. § 171 Flut. Fhoc. 8), und
es dürfte darnach glaublich sein, daß sie eben als regelmäßige Beamtete
auch mit dem Jahresanfang eintraten^. War dies der Fall, so muß
^ Ich weiß sehr gut^ wie mancherlei Bedenken diese Ansicht hat, aber für
die Demosthenische Zeit seheint sie durchaus begründet werden zu können.
Apollodoros segelte nach Ausweis der Demosthenischen Rede n{^6g Ilokvxkda
unter dem Archon Molon (Ol. 104 3) als Trierarch aus; am 23. Metageitnion
war der dessfallsige Volksbeschluß gemacht (§ 4), am 29. sollte bei hoher Strafe
jede Triere bereits zum Aussegeln fertig sein (ne^i tov aT6q)(tvov jrjg tqiijq. § 4);
Apollodoros segelte aus, zwei Monate erhielt er Sold, andere acht Monate nicht,
da wurde er mit Gesandten nach Athen detachiert {n^bg IIolvxX, § 12), und
brachte zurückkehrend an die Stelle des abgesetzten Strategen einen anderen.
Als er bereits in dem Hellespont angekommen und die Zeit seiner Trierarchie
vorüber war, kam ein neuer Strateg: ereQog aiQaujybg yxe Tifiofia/og xni ovrog
öittödxovg (d. h. die neuen Trierarchen) ovx nyfßv ini ing vavg. Apollodoros
blieb Trierarch, segelte aus zum Geleit der Getreideflotte nach dem Hieron und
wartete dort 45 Tage tug b ^xnkovg rwv nloiuv tvjv fiar ÄQxtovQoy tx xov
novTov tyet'ero, und als er in Scstos ankam, waren schon zwei Monate über
seine trierarchische Zeit verflossen (§ 20); um die Zeit des Untergangs der Ple-
jaden bereits drei Monate (§ 23). Aho um den 28. Pyanepsion {nXeutö(üv dvmg)
waren drei Monate über die Zeit verflossen; als deren zwei verflossen waren,
also Ende des Boedromion, war Apollodoros mit der Getreideflotte bereits in
Scstos angekommen, die er am Hieron 45 Tage erwartet hatte; auf die Fahrt
vom Hieron bis Sestos sechs Tage gerechnet, hatte er dort seit dem 8. Meta-
geitnion etwa stationiert. Zu dieser Fahrt hatte er vielerlei neue Werbungen
Die Urkunden delr Kranzrede 223
es undenkbar erscheinen, daß der Feldherr, der etwa acht oder vierzehn
Tage Tor den Etesien abging, nicht mit dem nötigen Geld for die
Zeit, wo man nicht von Athen nach Imbros hinauf fahren konnte, ver-
sehen gewesen sein sollte. Aber kann man sich denn vorstellen, daß
XBifA(S>v6g die regelmäßigen Winde, keineswegs Stürme, des heißen
Sommers genannt werden? Dissen sagt daher: proceüae fuerunt, non
nveificera ianhim adversa. Doch nicht etwa ein paar stürmische Tage
nur? Es bleibt nur übrig, an Winterstürme zu denken, die die Schiflf-
fahrt dauernd hinderten. An den Dionysien, als er noch im Amte
war, sollte Nausikles gekränzt werden, war im Boedromion beschlossen,
weil er den [934] Sold gezahlt hatte, den die Winterstürme ihm zu
senden gehindert hatten; nach den Dionysien also hatte er sein Amt
angetreten, nach der Mitte des März, und da sollten, als er bereits in
Imbros stand, noch Winterstürme Zeit gehabt haben, die Geldsen-
dungen zu hindern?
Das Volk kränzt den Nausikles, und es sagt nicht, ob mit einem
goldenen Kranz oder mit einem Zweig? Der Kranz soll in den Dio-
nysien verkündet werden, und es wird nicht hinzugefügt, durch wen,
wie wenigstens in den anderen Decreten der Bede.
Demosthenes sagt: NccvatxXfjq (jTQarriy&Vj k(p olq äiib r&v ISloav
nooeiTo, Tiolkaxtg ktTTB^üvcovai , und wir werden es uns nicht mehr
kümmern lassen, daß statt der mehreren Decrete für Nausikles jetzt
nur eins und zwar ein untergeschobenes steht. Ob derselbe je in
Imbros commandiert hat, muß dahingestellt bleiben ; wohl aber hat er
Ol. 107 1 den Phokiem ein bedeutendes attisches Heer nach Phokis
gefuhrt (Diod. XVI 37). Wir wissen sonst keine bestimmten Missionen,
in denen er Gelegenheit gehabt hätte, imSörreig zu machen; gewiß
aber war er nach der Schlacht von Ghaironeia in dieser Weise thätig,
denn Aischines (xarä Ktria. § 159) giebt an, damals sei Demosthenes
im höchsten Grade unpopulär gewesen, ovS' kni vä ipf](piafiaTu eläxB
nnd Rüstungen zu machen gehabt, und als er diese begann, war bereits seine
trierarchische Zeit um, die also nicht vom Tage des Psephismas, sondern vom
Anfang des bürgerlichen Jahres datierte. Eben damals kam der ereQog aTgarr^Yog
ohne die trierarchische Ablösung, also der Strateg begann seine Thätigkeit mit
dem bürgerlichen Jahre; und für den abgesetzten Strategen wurde noch ein
anderer etwa im Monat Thargelion abgeschickt. Ein gelehrter Freund hat aus
einer Zusammenstellung der Strategen in den ersten Büchern des Thukydides
ganz dasselbe Resultat gewonnen, daß die regelmäßigen Strategen ihr Amt mit
dem attischen Jahre begannen; und die häufige Bemerkung, daß ein Trierarch
auf seinem Schiffe den Strategen führte, wird wohl ebenso auf die Absendung
des neuen Strategen im Anfang des Jahres, wenigstens meistenteils, zu be-
ziehen sein.
224 Demofithenes
t6 Jfifio(T&ivovg l7tiyQdq>8iv övofia^ AXKä JVccvaixXet rovro ngoae-
rävTBTBj eine Notiz, die um so merkwürdiger ist, da Nausikles — denn
daß es derselbe ist, wage ich nicht zu bezweifeln — , OL 108 2 bei
der Wahl der Gesandten an Philippos den Aischines vorschlug (Aischin.
nsQl TiaQccit. § 18), ja am Schluß der Kede von demselben als einer
hx T&v (fihov xal rßv ^Xixicot&v t&v ifiawod nach Eubulos und
Phokion zur Verteidigung aufgerufen wird. Die Notizen bei Plut. X
Oratt S. 859 und Phot. Bibl. S. 498 a enthalten nichts Bedeutendes.
Das folgende Fsephisma für Charidemos und Diotimos beginnt
ohne Archen und Datum, und Böckh äußerte die Vermutung, es könne
vielleicht die Datierung des vorhergehenden Decretes für diese mit-
gelten, da ja auch der Antragsteller in beiden derselbe Ealliaa sei.
Diese Vermutung hat Winiewsky mit zu großer Zuversicht weiter ver-
folgt und darauf eine Reihe von Combinationen begründet, die nicht
bloß in die Luft gebaut, sondern auch in sich so willkürlich sind, daß
sie der Kritik keinen Augenblick Stand halten. Was der Zweck der
Lesung dieser Decrete ist, zu erweisen, daß Nausikles, Charidemos und
Diotimos gekränzt worden sind während der Zeit ihrer Verantwort-
lichkeit, gerade das ist in Winiewskys Hypothese gänzlich verloren
gegangen.
Zugleich aber ist dies der erste Qrund zum Verdacht gegen dies
zweite Decret des Eallias, daß es nicht die Zeitbestimmung enthält,
durch welche allein die Richtigkeit der gleich folgenden Worte des
Redners: tovtcov hcarrvog rfjg fiiv ä^x^g T]g ^Q/ev vnsi&vvog tjv x r h
sich erweisen konnte.
Das Decret beschließt Verkündung des Kranzes in den großen
Panathenäen und in den Dionysien; also ist vor dem Ende des Heka-
tombaion eines dritten Olympiadenjahres und zwar, da die Dionysien
die an zweiter Stelle genannten sind, nach dem Elaphebolion eines
zweiten [985] Olympiadenjahres decretiert worden. Als Grund der
Kränzung wird angeführt: knBiSt} XaQiärjfiog 6 ini t&v önXiT&v
änoirrakelg elg 2aXapuva xal Jidvifiog 6 kni rßv Innimv kv tij inl
Tot? noTccfJLOd fiäxf] r&v axQaxuoxöiv rtvcjv vnd r&v noXifiiojv (txv-
XBv&tvroav ix rcHv ISiojv ävakojfjLÜroiv xa&(67th(xav Tovg veaviaxovg
AtTitimv dxraxoffiaig, Sadöx&ai x r k.
Die Nennung von Salamis scheint der Forschung den Kreis der
Möglichkeiten auf sehr ersprießliche Weise zu beschränken; entweder
ist Charidemos nach Cypem oder, freilich mit sonderbarem Ausdruck
dTtoffTalBig, nach dem attischen Salamis abgeschickt. In Cypem kennen
wir für jene Zeit allerdings einen bedeutenden Krieg (Diod. XVI 42
und 46); die Insel empörte sich gleichzeitig mit Phönikien, Aegypten u. s. w.
Die Urkunden der Kranzrede 225
im Jahre des Thessalos Ol. 107 2 und gegen dieselbe wurde der Dynast
von Earien zu kämpfen beauftragt: 6 Sk ö^icog TtccQccfTxevccirüfuvog
TQifjQBig fdv TeaffaoäxovTCC, GTQarifbraq Sk fii(Td'oq:ÖQOvg öxtccxkT'
Xi^ovq i^iTtefiifjev dg rijv Kviiqov knKTrijaccg arourriyovg 0(oxia)va
Tov '4&fjvaTov xal EvayÖQav .... ovroi Bv&vg kni rijV fieyicrcrjv rcHv
möXBOfv 2aXaiiiva rijv Svvccfjiiv ))yayov. Im folgenden Jahre, Ol. 107 3,
erfolgte dann die Eroberung der Stadt. Aber Phokion erscheint hier
alB Feldherr, nicht an der Spitze von attischen Truppen, sondern als
Fuhrer von Söldnern im Dienst des karischen Dynasten; er muß nach
der Schlacht von Tamynai und den guten Erfolgen auf Euboia, womit
auch immer unzufrieden, den Dienst für das Vaterland verlassen haben,
woraus des Plutarchos Ausdruck (Phoc. 14) zu verstehen ist: hnBi 8k
ravTce SianQa^dfitvog dTiinkBVfTsv 6 (I^cjxicov, rccxv fiiv hTiö&riaav
Ol (TVfipaxoi Tf]v X0fi(^TÖT7]Tcc xcci Sixato(Tvvf]v avTOv, Tcc/v ä* 'iyvcjcrav
Ol Id^^-rivuioi riiv k^nBiQiav xui pcjjj^rjv tov ävS()6g, Der attische
Staat hatte an jener kyprischen Expedition keinen Anteil, der Groß-
könig hatte denselben zur Teilnahme an dem Krieg aufgefordert, aber
manche Redner forderten vielmehr, man solle den Ägyptern gegen den
König Beistand leisten (Dem, vnkQ rfjg 'PoS. kkev&. § 5 vgl. Aristot.
Rhet. II 20) und der Staat begnügte sich mit einem neutralen Bündnis
(Diod. XVJ 44 und im ganzen Demosthenes Rede über Rhodos, die
im Jahr des Thessalos gehalten ist). Von einer anderen derzeitigen
Unternehmung der Athener nach Kypros wissen wir nicht, und ihre
Unmöglichkeit geht aus den Zeitverhältnissen deutlich genug hervor.
So bleibt nur das nachbarliche Salamis übrig. Winiewsky (S. 298)
denkt sich die Begebenheit folgendermaßen: Charidemos wird mit
wenigen Hopliten nach Salamis abgeschickt, dort erleidet er eine Nieder-
lage, worauf er und Diotimos von Athen aus 800 Schilde schenken,
and die jungen Leute zur Verteidigung der Insel bewalBfnen; da man
die Insel nicht auf solchen Kampf hinlänglich mit Truppen versehen
hat, sondern unerwartet überfallen worden ist, können es nur die
nächstwohnenden Megarer oder Korinthier sein, welche die Insel über-
fallen. Und dafür bietet die Olynth. III § 20 einen schönen Beweis,
wo es heißt: oii toi fToacpQÖvcov ov8h yevvaicov karlv ävd'Qthntov ÜJkii^
novrdg ri Si Hvdeiav [936] /«ry^aröv r6>v tov Ttolijuov Bv/eg&g tu
roiccvra övbiSt] ^ioBiv, ovS' hitl fiiv Ko()iv&iovg xai MByccQBag
uQndaavrag rä öttIcc itoQBVBG&ai^ ^iXinitov 8h k^v TtölBtg 'EkXr}vi8ag
ävSQano8i^B<T&cei 8i änoQiuv hcpoSimv toTg (TVQccTBvofiBvoig. Hier-
nach glaubt Winiewsky den Krieg auf der Insel Salamis dem Früh-
ling von Ol. 107 2 (350) zuschreiben zu können; die Schlacht am
Flusse ist an dem Bach Bokalia geliefert; Charidemos ist der Orite,
DrojBen, Kl. Schriften I. 15
226 Demosthenes
der im Herbst vorher mit zehn SchiflFen in den Hellespont gesendet
worden.
So blendend dies Zusammentreffen ist, so kann es doch nicht für
einen befriedigenden Beweis gelten. Prüfen wir die Sache genauer.
XJIpian bemerkt zu den citierten Worten des Demosthenes (S. 38 ed.
Dobson): änb xoivod t6 oiSaficjg (y(0(fQÖva>v karlv oif3i ytvvaicjv, M
fiiv KoQivß'iovq xal MeyaQiag 8 ianv'^Ekkrjvag övrag GXQartvBaß'm^
hnl 8h ^Ihnnov rbv ßccQßccQOV övra, fjL7j. AI 8h alriai al xarä
MtyaQkoov xal KoQiv&icov avxar oi Meya^eTg rijv VQyä8cc nccoi-
TSfjLVOv, oi Sh KoQiv&ioi (Tvvefiäxow voig MtyaQBvat xa\ Siä rovro
Big nöXefjLov A&f]vcciotg xaTi(Trri<Tav. Ausfuhrlicher ist der SchoL Aug.
(S. 240 ed. Dobson) naQÜSeiyfia nQ6a(poQov elcrtjyayev ccvroTg* noki-
fX(ov yuQ fiifivrjrai xai xaTog&CQiaÜToyif avroTg ävev xafiÜToyv xat
növa)v, iva radra voiiiaooai xal knl rov naijövrog, KoQiv&ioi
keXvTiTjfjLivoi xax lAß'rjvrdoDV xakovvreg nüvrag "Eilrjvag eig rä ""la&fiia
{xoivi] yuQ l]v ij navi)yvQig) rovg !A&7]vaiovg nagfjxav. ovroi djg
x9^eo<TeßeTg övreg *intpLrf)ccv ri^v &vmav fierä 6n)uT&v /V, ü Si^fovxai
ccifTfjv, vnöanovSoi ävaaxQiiffcoaiv' ov yäg hnl röv nöksfjLOV h^ekrjXv'
ß-zaav' 8 Sjj xal yeyevrjrai' öpöirc^ yaQ rijv naoaaxevijv oi Koqiv-
Oioi hSi^avTO' ävev ovv növcov awißi] xaroQ&6baai ccircovg rovro
t6 nQßyfia. Und zu Meyagiag' rijv . isgcev yfjv d)g ÖQyaScc xal
äverov hyecÜQyow oi MeyaQsig' ndXiv 8h (og evaeßeTg oi !A&fjvaiOi
h^ekü^övreg ÜTtavtrav avrovg fiövjj rrj O'e^ vixijaavreg. Es ist bekannt,
daß das heilige Feld Orgas besonders den Anlaß zu jenem berühmten
MeyaQixov tf;7j(pi<Tina gab, durch welches die den peloponnesischen Krieg
eröffnenden Feindseligkeiten eingeleitet wurden (s. SchoL zu Aristoph.
Ach. 530 Nub. 320 Plut. Pericl. 30 SchoL zu Aristid. S. 184 ed.
l'romm, Harpocrat. Suidas v. Av^efiöxQtrog ÖQyag u. s. w.); jedoch
ist eine Spur von einem später deshalb mit Megara geführten Kriege
nicht weiter zu finden. Ebenso bezieht sich die Angabe über die
Korinthier auf die isthmischen Spiele von Ol. 87 1; denn im Ende
des Elaphebolion überfielen die Thebaeer Plataiai (s. Krüger Studien
S. 223), achtzig Tage später, also im Skirophorion, brachen die Spar-
taner in Attika ein, und kurz vorher beschickten die Athener noch
auf die angegebene Art die Spiele. Ich denke an einem anderen Orte
über diese Verhältnisse des weiteren zu sprechen; ich bemerke hier
nur, daß dies Scholion, das dem Inhalt nach mit Aristides Panath.
S. Sil ed. Dind. übereinstimmt, doch nicht daher entnommen ist, son-
dern auf eine andere Quelle zurückweiset.
[937] Indessen muß man die Richtigkeit der Erklärung, die der
Scholiast gegeben, in Zweifel ziehen, wenn man nicht annehmen will,
Die Urkunden der Kranzrede 227
daß in einer etwa vorher gesprochenen Bede eines anderen Staats-
mannes Yon jenen früheren Zeiten gesprochen war, und Demosthenes
nun sich auf derartige Äußerungen bezieht. Da auch das die Sache
nicht hinreichend aufklären würde, so glaube ich allerdings, daß De-
mosthenes von Verhältnissen der Gegenwart spricht, und daß Ulpians
Erklärung somit die richtigere ist. Für den Krieg gegen Megara
glaube ich eine nähere Zeitbestimmung zu finden in Diog. Laert. II
126 nsfjLifü-Big 3k q)Q0VQ6g 6 MeveSrjfiog vno r&v 'EQevQieojv elg
MiyuQa dvijk&ev aig 'AxaSrjpiiav TtQÖg IIXccr(ovc( xal &r}()a&etg
xccreXtTte zfjv argarBiav, lYeilich heißt es Diog. L. II 144 nach Hera-
kleides, daß Menedemos 74 Jahr alt geworden; aber daß er über
Ol. 125 3 (278) hinaus gelebt, ergiebt sich aus den Siegen des Anti-
gonos über die Gallier und Menedemos Äußerungen darüber, so daß
entweder die Angabe des Herakleides fehlerhaft oder Menedemos Ver-
hältnis zu PlatoD, der Ol. 108 1 starb, ein Autoschediasma ist. Nehmen
wir das letztere an, so wird gewiß der alte Erzähler, aus dem Diogenes
jene Anekdote schöpfte, nicht jene Beziehung zwischen Megara und
Eretria erlogen haben; nehmen wir Herakleides Angabe für fehlerhaft
(und das glaube ich, ist sie), so mag Menedemos, um Ol. 103 geboren
und etwa als achtzehnjähriger unter den q)QovQoTg, die von Eretria
nach Megara geschickt wurden, gewesen sein. In jedem Falle darf
man jene Sendung für ein historisches Factum annehmen; und finden
wir nun, daß ein Jahr vor Piatons Tod Ol. 107 4 Gesandte der Euboier
in Athen waren, den Frieden zu unterhandeln, und zugleich des
Philippos Bereitwilligkeit zu einer Aussöhnung zu erklären (Aischin.
ntQi nagccn. § 12), so ist wohl unzweifelhaft, daß die Hilfssendung
der Eretrier nach Megara, die kurz vor Piatons Tode gemacht sein
muß, eben in den Krieg gehört, den jener Friede beendete, und an
dem nebst Eretria auch Megara Anteil nahm. Allerdings hatten die
Athener nach der Schlacht von Tamynai den Tyrannen Plutarchos
vertrieben, aber ihr Einfluß auf der Insel ging sehr bald verloren, die
Stadt war zwar in den Händen des Volks, aber ot fikv hcp v^äg Jjyov
rä nQäyfjLara, ot S' hiti [938] ^ihnnov sagt Demosthenes (Philipp.
III § 57), und zuletzt behielten die Anhänger des Philippos die Ober-
hand. Demosthenes hielt die dritte olynthische Rede in der Mitte von
OL 107 4, im Herbst 349; im Laufe desselben Jahres also mag der
von ihm bezeichnete Auszug gemacht sein. Im Frühjahr 351 war bei
Tamynai gekämpft; erfolgte die Niederlage des Molossos nach Phokions
Abzüge noch 350, so mag diesem oder dem folgenden Jahre die ver-
einte Thätigkeit der Euboier, Megarer, Korinthier gegen Athen ange-
hören.
15*
228 Demosthenes
Ist das nun nicht der herrlichste Beweis für die Echtheit des
Decretes? Keinesweges. Demosthenes spricht in der angeführten Stelle
der dritten olynthischen Rede davon, daß man um jeden Preis den
Olynthiem helfen müsse; es zieme sich keinesweges für verständige
und edle Männer, wegen Mangels an Geld für den Krieg etwas verab-
säumend leichtsinnig solche Schmach zu ertragen, noch auch gegen
Ivorinthier und Megarer die Waffen ergreifend auszuziehen, und den
Philippos hellenische Städte verknechten zu lassen wegen Mangel an
Löhnung für die Truppen. Mit dem tä 8nXu agnccGavTaq itoQsvsff-
i9ai bezeichnet Demosthenes deutlich genug eine unnütze Kriegseifrigkeit
gegen kleinere Staaten im Gegensatz gegen die feige Lässigkeit gegen
Makedonien. Wäre Athen von Megara und Korinthos in dem eigenen
Lande angegriffen oder nur ernstlich gefährdet, so vrarde Demosthenes
von dem Ausmarsch gegen sie nicht so mißbilligend gesprochen haben.
Die Notiz des Ulpian dazu genommen, scheint es mir unzweifelhaft,
daß die Athener, statt mit aller Macht Olynthos zu unterstützen, wegen
des heiligen Feldes einen Krieg gegen Megara anfingen, das sich
dann zunächst bei den Korinthiern, des weiteren in Euboia Hilfe suchen
mochte; von dorther erhielten die Megarer nach Diogenes Ausdruck
fpQovQovqj also handelte es sich darum, gefährdete Plätze zu besetzen.
Man muß es für unmöglich halten, daß die Megarer und Korinthier
einen Angriff auf Salamis wagten, was nicht einmal im peloponnesischen
Kriege geschehen war; und die attische Seemacht galt doch noch ent-
schieden als die erste in den hellenischen Gewässern. Ja, wäre es in
jener Zeit jemals geschehen, daß Megarer und Korinthier einen solchen
Erfolg, wie das Decret uns will glauben machen, auf attischem Grund
und Boden erfochten hätten, was würde darüber von den Rednern
gesprochen, wie von jeder Partei der anderen die Schuld zugeschoben
worden sein? [939] Diese Auffassung bestätigt sich aus der Darstellung
in der Rede nB()l awra^eo)!^ § 32 olov & tcqöq rovg xceraQärovg
MeyccQiag kxjjrjipifTacT&B änoreiJLVofiivovg rrjv 'O^yäSa, i^iivaij x(dXvuv^
f/tfj kniTQkneiv.
In Megara war damals bereits Ptoiodoros an der Spitze der An-
gelegenheiten (Plut. Dion 17), derselbe, den Demosthenes (vnkQ Krria,
§ 295) neben Perilaos und Elixos als des Philippos Freund in Megara
bezeichnet (vgl. Dem. ntgl nagccn, § 295). Für Athen war es von
der größten Wichtigkeit, entscheidenden Einfluß in diesem Ländchen
zu gewinnen, aber ebenso natürlich war es, daß sich die Megarer, von
dorther angegriffen, nach Freunden umsahen. Von Korinthos wissen
wir aus diesen Zeiten eben nicht viel. Nach den oben erwähnten
Mißverhältnissen mit Athen muß sich der Staat entschiedener dem
Die Urkunden der Kranzrede 229
antimakedonischen Interesse zugewandt haben; wenigstens wird am
Ende des heiligen Krieges ihnen die Teilnahme an der Leitung der
Pythien genommen Siä t6 ixeraaxtjxivai roTg <I>(axsv(n Ti}g elg ro
i^-aTov itaQuvoiiiaq (Diod. XVI 60). Bald darauf wandte sich Korinthos
überwiegend den sicilischen Verhältnissen zu; seit OL 108 4 kämpfte
dort der edle Timoleon mit dem herrlichsten Erfolge, von der Vater-
stadt mit der Hingebung unterstützt, die nur der hohe Sinn jenes
Helden hervorzurufen vermochte; namentlich Demaratos und Deinarchos
zeichneten sich unter seinem Befehl aus, und beide werden von De-
mosthenes {irnkg Ktt]<t. § 295) unter den Verrätern Griechenlands
genannt (über Deinarchos s. Geschichte des Hellenismus I P S. 228).
Gegen ihren Willen also war es, daß sich Korinthos auf die Seite der
Athener stellte und an dem Kriege von Chaironeia thätigen Anteil
nahm (Strabo IX S. 414) und den wunderlichen Diogenes als Spion
brauchte (Plut de exilio c. 16 Diog. L. VI 43).
In Megara folgten jenem Zerwürfnisse mit Athen Parteikämpfe,
von denen Demosthenes {neol nagan, § 295) um 343 so schreibt: hv
MsyÜQOig oix oYetr^' eivcci rtva xal xXhntriv xcci nuQBxXiyovra zu
xoivä; ävdyxrjj xal 7ie<p7jvev. xiq aYviog airrö&i vvv rovrcov r&v
avfißeßrjxÖTCJV Tipayfidrcov; ovSi eig, äkkcc noToi riveg oi rä Ttjki'
xavTcc xal rotavr äSixovvTBg\ oi vofitXovreg avrovg ä^töxQecjg elvai
Tov (I>tki7t7tov ^Bvoi xal tpiXot noogayoQ6VB(T&ai, oi argarriyi&vTBg
xal itQoaxaaiag ä^iov[jL%voi ^ oi ^ei^ovg r&v nolkcDv olöfievoi Ssiv
atvai. ov JleQiXaog ^xqivsto ivayxog iv Msydgoig hv toig TQiaxomoig,
6t i itQÖg <Pihnnov oKfixero, xal nag^kß-mv JIvoiöScoQog avxov k^p-
ri^aaro xal nXovrq) xal yivei xal Sö^rj TiQCjrog MeyaQsoov, xal ndXiv
wg ^ihiinov k^eTtsfxxpBy xal fierä radra ö ^ilv Jjxev äyoov rovg ^evovg
6 d' üvSov krvQBVBv x x X,\ (vgl. § 204 MsydQoig knißovXtvEiv von
Philippos gesagt § 326 Meydgotg hinßovXsvcov StarelsT § 334 rig
MiyaQa TtQcprjv öh'yov . . . dXkörota nenoifjxe vgl. § 87). Plutarchos
(Phoc. 15) erzählt nach dem Kriege von Byzanz und dem Kriege von
Chaironeia: r&v Si Meya^icov IntxaXovfjtivcjv xQV(pa, (poßov/uBvog 6
0(oxiO)v rovg BoicjToi'gj filj 7iQoai(T&öfievoi (f&dawcn rijv ßoi)&%iav,,..
si&vg dno Tijg hcxXrimag Jjyav rovg !A&r]vaiovg rä OTika Xaßövrag,
ds^afievcov Si tcjv Msya()io}v nQO\)'v^mg [940] r//«/ t6 Niaaiav irü-
Xi(T6 xal Sid fiiffov (TxeXtj Svo itQog xb kniveiov dno rov äareog
ivißaks xal atjvfj^je rf] ß-a'kdrri] rijV nöXiv, äare tCjv xard yTjV
^oXefiiOfv dXiyov ^'jSrj ^üovrt^ovfrav i^rjQrfjffOai tOjv !dr^r]vaioi)v. Daß
dies nicht an der chronologisch richtigen Stelle erzählt ist, liegt auf
der Hand und hat bei Plutarchos nichts Auffallendes. Aber wohin
gehört es? Nach Winiewsky (S. 147) in den Frühling 343 Ol. 109 1;
230 Demosthenes
er meint, dies sei es gewesen, wodurch Philippos an der Besetzung von
Megara, von der in der Rede negl nagan. mehrfach gesprochen wird,
behindert worden. Als Philippos nach Megara und dem Peloponnes
vorzudringen beabsichtigte, rückten die Athener nach Panakton und
Drymos aus und verlegten ihm so die Strasse (Dem. Ttepl itccQocn,
§ 326 xarce Kövcqv. § 3); damals aber hatte man nicht zu besorgen,
daß die Thebaeer, sondern daß Philippos in Megara einbrache, oder
richtiger, wenn Megara durch Phokion damals schon occupiert war,
so konnte Philippos gar nicht mehr den Versuch machen, über den
Isthmos in den Peloponnes zu dringen. Auf jenen Versuch bezieht
sich Demosthenes in der dritten Philippischen Rede § 17, 18, 27;
ebenda § 74 man solle von Chalkis und Megara nicht die Rettung
Griechenlands erwarten; es war bereits das Bündnis des Kallias ge-
schlossen worden, von dem oben gesprochen ist, und zu dessen weiteren
Bestimmungen sich die Gesandten der Verbündeten im Anthesterion
341 in Athen versammeln sollten. Aber noch ein paar Monate später
droht Demosthenes {^bq! xG>v kv Xe^p. § 18) mit der Möglichkeit:
„wenn Philippos Thrakien aufgebend, nicht auf Byzanz und den Cher-
sones, sondern auf Chalkis und Megara losrückte". Nach dieser Rede, also
nach dem Frühling 341 kann Phokion erst jenen megarischen Zug
gemacht haben. Nun erzählt Plutarchos vor demselben die byzan-
tinischen Angelegenheiten im Zusammenhange, von Philippos Angriflf
auf den Chersones, Perinthos und Byzanz (also von 341) beginnend,
und nachdem er dies bis zur Befreiung von Byzanz durch Phokion
fortgeführt, holt er den megarischen Zug nach, so daß derselbe wohl
später anfangend in das Jahr 340 gehören dürfte; und in welcher
Stimmung damals Athen und Theben gegen einander waren, lehrte die
Pylaia im Frühling 339 (s. o.). So war Megara, früher den Athenern
mehr Feind als Freund (Dem. V7ii{) KtTja, § 234), zur Bundesgenossen-
schaft gewonnen; und Demosthenes konnte sich rühmen kx iihv fha-
)AxTi}q TTjV Evßoiav TiQoßaXiad'ai tiqo tt}^ uirrixT/g, , . . . kx Si rßv
noög IIbXo7cövv7](tov t67io)v tovcj dfiÖQovq rccvry, d. h. Megara und
Korinth {vti^q KvrjfT. § 301).
Wir kehren endlich zu unserem Decret zurück. Hat sich aus dem
obigen erwiesen, daß die AuflFassung des geschichtlichen Zusammen-
hanges, wie sie Winiewsky gegeben, durchaus unglaublich ist, so läßt
sich noch eine andere vorschlagen. Es heißi kv rrj ini vov norcefiov
fiaxfi seien einige Soldaten von den Feinden geplündert worden; man
nehme nun diese Bezeichnung für das, was sie nach Ausweis von
§ 216 unserer Rede ist, für den Namen der Schlacht, die im Jahre
339 nach der Besetzung von Elateia geschlagen worden. Der Kranz
Die Urkunden der Kranzrede 231
soll verkündet werden an den Panathenaien nnd Dionysien; für jene
[941] kniSoffig wäre dann der Kranz nach den Dionysien OL 110 2
decretiert worden; im Anfange des Jahres Chairondas Ol. 110 3 waren
die großen Panathenaien, kurz, alles paßt herrlich. Nur nicht die
Hauptsache; denn eben daß die Feldherren, während sie noch rechen-
schaftspflichtig sind, gekränzt worden, wäre da nicht möglich, mag man
sich ihren Amtsantritt mit dem attischen Jahresanfang oder dem be-
ginnenden Frühling denken. Die Schlacht am Flusse war vor der
winterlichen Schlacht, also entweder hatte das Amt der beiden Feld-.
herren vom Anfang Ol. 110 2, oder gar vom Frühjahr Ol. 110 2 be-
gonnen, und die Panathenaien lagen nicht mehr in ihrer Amtszeit
Und so haben wir denn nicht mehr nötig auseinanderzusetzen, wie
seltsam in diesem Zusammenhange die Sendung eines Feldherrn nach
Salamis erscheinen müßte.
So unmöglich eine Erklärung des Inhaltes ist, so glaube ich doch,
daß mit der Bezeichnung rj inl rov norafjLov fjLäxv keine andere ge-
meint ist, als die erwähnte, ja, daß es überhaupt keine andere dieses
Namens in jener Zeit gegeben hat, und auch dies ist ein Beweis für
die Unechtheit des Decretes ; der Verfasser hat sich aus der Rede, die
er zu vervollständigen meinte, jene Bezeichnung entnommen, wenig
bekümmert um die historische Paßlichkeit seiner Erdichtungen.
Ist dies Resultat überzeugend, so braucht man nicht mehr dem
KakXiag üne 7tQVTÜvB(ov X%y6vT<Dv ßovkfjg yvcb^y grosse Wichtig-
keit für die Kenntnis attischer Altertümer beizulegen. Denn sonderbar
wäre es doch sicher, wenn nach Schömanns Erklärung „auf Veran-
lassung der Prytanen Kallias vorschlugt* oder nach Dissen „ein von
den Prytanen in der Bule gemachter Vorschlag des Kallias an das
Volk gebracht wurde". Wenn schon es nicht undenkbar ist, daß der-
gleichen geschah, so ist es bei einer doch nicht bedeutenden Bean-
tragung auch eben nicht wahrscheinlich. Auch was man sich unter
xa&(ä7iXi<Tav rovg veccviffxovg denken soll, ist nicht eben klar; denn
waren es jüngere, als die Epheben, die von 16 bis 18 Jahren, so
wurden solche 6<toi knl Sierkg i]ßc5(Ti allerdings von den Amphiktyonen
zur Zerstörung der lokrischen Ansiedelungen aufgeboten (Aischin. xarä
Krrjff, § 122); aber daß man sie in Athen als Hopliten mit der
schweren äanig bewaffnet haben sollte, dürfte erst zu erweisen sein;
und wozu nahm man gerade die allerjüngsten, warum nicht auch die,
welche über das Dienstalter hinaus waren? Endlich aber dürfte das
ganze attische Land bei seinen ungefähr 20000 Bürgern nicht viel
mehr als 1000 knl Sierkg ijßiuvTeg aufzustellen gehabt haben, und diese
Burschen sämtlich rückten dann nach Salamis, oder waren nach
232 Demos thenes
Winiewsky gar aus Salamis allein? Die Verkündigung an zwei Festen
hat eine Analogie in Corp. Inscr. Gr. Nr. 108 = C. I. A. 11 594, wo es
heißt: äveiittiv xov (rritpavov rovrov Aiowaitav r&v kv ^aXafim
TQaycpSoiq .... xal jiiavTBioig T(p yvfjLvix^ dy&vi. Doch lasse ich
dahingestellt, ob hinreichende; was aber neben den Prytanen und
Agonotheten bei der ävayÖQevffig der Thesmothet soll, ist nicht wohl
abzusehen.
Die zu kränzenden Personen werden nur nach ihrem Amte, nicht
nach Vater und Demos genannt Ich behalte [942] mir vor, an einem
anderen Orte über Charidemos den Griten, Charidemos Strations Sohn
von Oia, Charidemos den Wechsler, Charidemos den Sohn des reichen
und ökonomischen Ischomachos zu sprechen. Hier nur einiges über
Diotimos. Plutarchos X Oratt. S. 356 sagt vom Lykurgos kyjjri^iGcno
Si xal AioripLCo Aiond&ovq Evodvv^si Tifiäg kni Krrjcrtxliovg ägxov-
Tog, d. h. Ol. 111 3; im vorhergehenden Jahre war von Alexandros
seine Auslieferung gefordert worden (Arrian. I 10, 4 Dem. ep. III S. 37).
Derselbe Diotimos war bereits um Ol. 107 unter den einflußreichsten
Männern des Staates, er mit einigen anderen von den Reichen, sagt
Dem. xarä MaiS. § 208, würden sich für Meidias verwenden, neQt
mv ovSev äv einotfjLi ngog vfiäg cpXavgov fyoj, xal yuQ &v fiaivoifAfjv.
Aus diesen Altersverhältnissen ist es wahrscheinlich, daß sein Vater
Diopeithes nicht der Feldherr im Chersones Ol. 109 war, der so oft
von Demosthenes in der Rede vom Chersones und der dritten Phi-
lippischen genannt wird; diesem sandte der Perserkönig große Geschenke,
die aber erst ankamen, als er schon tot war, wie Aristoteles Rhet. II 8
S. 385a irgend eine Rede berücksichtigend anführt. Durch diese Umstände
erhält die Angabe des ülpian zu Demosthenes und des Scholiast^n zu
Ttegl <TTe(p. 64 alle Wahrscheinlichkeit, daß eben der Feldherr Diopeithes
der Vater des Komikers Menandros, des Kephisiers, gewesen sei. Von
dem Zusammenhang unseres Diotimos mit dem Nauarchen, wie ihn
Harpokration nennt, und anderen desselben Namens unterlasse ich
absichtlich zu sprechen.
IX. Das Zeugnis der Areopagiten.
[945] Das vorliegende Aktenstück (§ 135) ist nach Winiewskys
Vermutung mit der schon oben besprochenen Zeugenaussage über
Anaxinos (§ 137) nicht für den gegenwärtigen Prozeß über den Kranz
aufgenommen, sondern bereits früher, als Demosthenes gegen Aischines
wegen seines Verhältnisses mit Anaxinos hat klagen wollen, abgegeben
und jetzt etwa zwölf Jahre später aus den Akten des gar nicht zu
Die Urkunden der Kranzrede 233
Stande gekommenen Prozesses entlehnt worden. Schon früher haben
wir unsere wesentlichen Bedenken gegen diese Vermutung geltend ge-
macht^ eine Yermutung, die auf Seltsamkeiten in jenem durchaus ver-
dächtigen Zeugnisse begründet war. Daß vielmehr die beiden Zeugnisse,
die Demosthenes verlesen läßt, ausdrücklich für diesen Prozeß abge-
geben waren, ergiebt sich aus dem beide Mal gebrauchten Ausdruck
xäXsi fioi xovrmv rovg fidgrvQaQ, Oder sollte der voraussetzliche
Gelehrte Zeugenaussagen von einem nie geführten Prozeß eher gefanden
haben, als die in dem berühmten Prozeß über den Kranz wirklich
abgegebenen?!
Soll also dies Zeugnis überhaupt echt sein, so muß es dasselbe
sein, das Demosthenes hat verlesen lassen. Nun beginnen die Zeugen,
vier Areopagiten, ihre Aussage folgendermaßen: fjLaQTVQovai JtjfjLoa-
&ivei vnhQ änavrcov otSe. Wie kann ein Factum, das wenigstens
zwölf Jahre vor dieser gerichtlichen Verhandlung in der Sitzung des
Areopags vorgekommen war, von diesen vieren im Namen aller Areo-
pagiten bezeugt werden, deren doch natürlich ein großer Teil erst seit
jener Zeit in den Areopag gekommen sein muß? Femer wenn diese
vier im Namen aller zeugen, wozu sind denn noch vier nötig, warum
nicht lieber eine amtliche Mitteilung aus den Protokollen der Ver-
sammlung? Aber Demosthenes ruft ja selbst die Zeugen auf. So ist
das ein Zeichen, wenn nicht dafür, daß der Areopag keine Protokolle
führte, so doch dafür, daß der Areopag hier nicht ein amtliches Zeugnis
abgab, sondern die Zeugen, als damalige Mitglieder des Synedrions,
das von Demosthenes gewünschte Zeugnis in ihrem eigenen Namen
leisteten. Und das ist auch natürlich; denn wie wird der Areopag,
was doch notwendig gewesen wäre, in einer [946] Sitzung eigens be-
schlossen haben, daß die und die namens aller zeugen sollen? Auf die
sehr trivialen Namen ^ dieser vier Ehrenmänner aus dem Areopag ist
nichts zu geben, wohl aber mag man in einem Zeugnis dieser Art eine
Wendung wie 8ti rov Sriiiov Ttori x^^QOTOvijaavroq für etwas durchaus
W'underbares ansehen. Ein anderes entscheidendes Bedenken wird
weiter unten zur Sprache kommen.
Demosthenes läßt dies Zeugnis vorlesen, nachdem er erzählt, wie
Antiphon, der durch die Abstimmung seiner Demoten als Nichtbürger
ausgestoßen worden sei, dem Philippos sich erboten habe, die attischen
Werften zu verbrennen, wie er dann durch Demosthenes ergriffen und
vor das Volk gestellt sei, Aischines aber durch sein Geschrei die Los-
^ Die Areopagiten heißen: Kallias der Sanier , Zenon der Phlyer, Kleon
der Phalereer, Demonikos der Marathonier.
234 Demosthenes
lassung erwirkt habe, worauf der Areopag denselben von neuem ergriffen
und der Gerechtigkeit überliefert habe. Darauf habe das Volk für
den von den Deliern begonnenen Streit über den delischen Tempel
Aischines als Anwalt gewählt, der Areopag aber denselben aus Rück-
sicht auf die Antiphontische Sache zurückgewiesen und dem Hyperides
zu sprechen aufgetragen. Über diese Dinge hat Böckh in seiner
schönen Abhandlung ,.Erklärung einer attischen Urkunde über das Ver-
mögen des Apollinischen Heiligtums auf Delos" (Abh. d. Berl. Akad.
aus dem Jahre 1834 S. 11 ff. kl. Sehr. V S. 442 ff.) gesprochen. Deinarchos
{xarä /ifjfio<7&. § 63) sagt: kSi&t] r&v ä^> 'dQiioSiov ysyovÖTOfv
Big xarä rd aöv Ttpögrayficc h(TTQkßX(o<Tccv !AvTi(p&vra xcci äTtexreivav
ovToi r^ Tfjg ßovXfjg äTtotpütret neta&ivzBg. Diese Bezeichnung des
Antiphon als Nachkommen des Harm odios und nicht minder das Ver-
hältnis, das er mit Philippos anknüpfte, scheint es glaublich zu machen,
daß er derselbe ist> der OL 105 3 mit Charidemos an Philippos abge-
sandt wurde, wegen Amphipolis zu unterhandeln (Theopomp, bei Suidas
Ti k(TTi [fr. 189 M.]). Wie arge Dinge bei solchen Abstimmungen der
Demen vorkamen, lehrt unter anderm die Demosthenische Bede gegen
Eubulides, und daß die dort besprochene Siaiprjtpiatg aus dem Jahre
des Archias Ol. 108 3 zu vielen Intriguen Veranlassung gab, zeigt
unter anderm des von dem Schauspieler Philemon (Aristot Rhet. III
12 S. 1413 b) bestochenen Timarchos Verfahren gegen Philotades den
Kydathener, denselben, gegen den in [947] anderer Sache eine Rede
des Deinarchos gerichtet war (s. Dionys. de Din. 12 Aischin. xarä
TtfidQx* § 114. 77). Aus dieser öia\pi)cpiaig auf der einen, und der
bei Demosthenes gleich nach dem vorliegenden Zeugnisse besprochenen
Anwesenheit des Python in Athen auf der anderen Seite hat Böckh,
indem er letztere mit Winiewsky in Ol. 109 1 setzt, die Zeit des
delischen Rechtshandels in oder gleich nach Ol. 108 3 bestimmt. Jeden-
falls muß beides, der delische Rechtshandel sowie das Verfahren gegen
Antiphon nach Aischines Rede gegen Timarchos angenommen werden,
da der Redner, wenn er zweimal so bitter durch den Areopag gekränkt
worden, wohl nicht jene ehrenvolle Schilderung § 81 ff. gemacht haben
würde. Wir haben gefunden, daß die Gesandtschaft des Python in
Ol. 109 4 gehört, und da weder Demosthenes noch Aischines in der
Rede nsgl TtagaTtQBtrßsiag das Geringste über Antiphon und die delische
Angelegenheit äußern, glaube ich annehmen zu müssen, daß beide
später, als diese Reden ediert worden, anzusetzen sind. Und man muß
gestehen, daß etwa das Jahr 342 oder 341 für diese Angelegenheiten
ungleich passender ist als ein früheres. Damals, als der Krieg gegen
Byzanz und den Chersones begann, konnte Philippos ein Interesse
Die Urkunden der Kranzrede 235
haben, die attischen Werften zu verbrennen, oder Demosthenes es den
Areopagiten wahrscheinlich machen, daß er es beabsichtige. Ja, De-
mosthenes deutet weder in der dritten Philippischen noch in der vom
Chersones dies höchst wichtige Factum an und hätte doch namentlich
in der letzten § 45 {r&v Sk 'A&rivaiayv kifiivcov xal vecoQicjv xal
TQiijQwv . . . ovx hm&viJL%iv) kaum davon schweigen können. Ich bin
überzeugt, daß die Ergreifung und Hinrichtung des Antiphon in den
Herbst dieses Jahres 341 gehört, wofür auch die Stelle in der Rede,
wo Demosthenes davon spricht, entscheidet. Nicht mit Unrecht datiert
er (§ 60 und 79) vom Jahre des Pythodotos seine Staatsverwaltung;
seit dieser Zeit leitete er die Politik der Stadt, unterstützt durch den
Areopag, seit dieser Zeit wurden höchst energische und zum Teil rechts-
verletzende Maßregeln ergriflFen, um das Volk zum Kriege und zur
höchsten Anstrengung zu steigern, um es dem Einfluß der Reichen,
der Friedenspartei zu entziehen, durch die eben jetzt die Wahl des
Aischines zum Anwalt in der delischen Sache und im folgenden Jahre
die des Aischines und Meidias zu Pylagoren durchgesetzt wurde. Selt-
sam genug standen die zwei Parteien gegen einander; Demosthenes,
der sich von Anfang her den Vertreter der Armen gegen die Reichen
genannt hatte, agierte nun mit dem Areopag, dessen Beruf und Stellung
etwas durchaus Undemokratisches an sich hatte, und jene Reichen
wieder, deren Führer Eubulos, so lange mit dem größten Vertrauen
von Seiten des Volkes ausgezeichnet, den entscheidenden Einfluß in
der Verwaltung des Staates gehabt hatte, sehen sich jetzt trotz der
Popularität, die sie zu haben glaubten, den Anfeindungen des Areopags
ausgesetzt, den man seiner Natur nach eher auf ihrer als der Gegner
Seite zu finden erwarten mußte. Seit derselben Zeit (Ol. 109 3) über-
nahm Lykurgos die Verwaltung, die er so rühmlich führte, und seit
derselben Zeit begann jene Verbindung mit dem Peloponnes [948] und
Euboia, deren nächste Folge die Befreiung der Insel und der Angriff
auf Thessalien, die Kriegserklärung gegen Philippos, die Rettung von
Byzanz und dem Chersones wurde.
Nun beachte man Aischines Thätigkeit in Delphoiin der Früh-
lingspylaia 389; was dort geschah war den Athenern durchaus uner-
wartet, sonst würde man unmöglich Aischines Wahl als Pylagoros dem
Areopag zur Kassierung vorzulegen unterlassen haben. Athen entzog
sich der außerordentlichen A;mphiktyonenversammlung und decretierte
an dem, was dort beschlossen, gethan oder beraten würde, keinen
Anteil haben zu wollen. Und in solchen Zeitläuften sollte sich Athen
dem Ausspruch der Amphiktyonen in Bezug auf den delischen Tempel
ausgesetzt haben? Wurde Antiphon im Herbst 341 hingerichtet, so
236 Demosthenes
konnte die delische Sache erst in der Frühlingspylaia 340 nach Delphoi
kommen; und damals war zwischen Athen und Makedonien schon fast
offenbarer Krieg, wenige Monate später wurde die Stele des Friedens
umgestürzt; denselben Verlauf der Dinge, welchen Demosthenes und
seine Freunde nach Aischines unseliger Mission als unvermeidlich
erkannten {nöksfiov Big rijv 'drrtxijv slgäyeig, nökafiov !Afi(ptXTV0Vix6¥
Dem. ifTt^Q KrTjfT. § 143), sie sollten ihn, wenn nicht selbst hervor-
gerufen, so doch durch Sendung des Hyperides gleichsam im Voraus
anerkannt haben? Doch wird man sagen, gerade diese Sendung war
das einzige Mittel, solche gefahrliche Weiterungen zu vermeiden, die
sie fürchten mußten, wenn sie, in Delphoi von den Deliem verklagt,
sich diesem Gericht nicht stellten; und da wir aus Inschriften folgern
können (Corp. Inscr. Gr. Nr.l59 = CIA. II 824), daß Athen in diesem
Prozeß gesiegt, so ist ja ihr Verfahren ohne alle Gefahr gewesen. Wir
nehmen an, daß Delos so gut wie Athen zur Amphiktyonie und zwar
zu der ionischen Stimme gehörte ; daß aber der Bund ein gerichtliches
Verfahren dieser Art zwischen Amphiktyonengliedern einzuleiten gehabt
habe, müßte erst bewiesen werden. So oft Philippos den Athenern
gerichtliche Entscheidung über Halonesos, Kardia u. s. w. anbot, nie
war davon die Rede, an die Amphiktyonie zu gehen. Aber, sagt man,
hier handelt es sich um heiligen Besitz. Als die Athener die Insel
besetzten, als sie alles bis auf das Heiligtum wieder freigaben, geschah
es wohl xarä /(jT^o-judv riva, wie Thukydides sagt, aber nicht nach
richterlicher Entscheidung der delphischen Amphiktyonie. So glaube
ich, daß dieser Streit durchaus nicht von der delphischen Amphiktyonie
entschieden werden konnte. Dafür finden wir einen Beweis in den
Worten aus Hyperides ^rjhaxög (bei Boeckh S. 18 [fr. 71]) hvxccvxhl
ß-mrai rtp 'AnöXkcovi 6(r7]fieQai, xal fiBQtg avr^ xccl Seinvov naga-
Ti&BTcci, Dies „hier" kann durchaus nicht, wie Böckh meint, Delphoi,
es kann nur Delos oder Athen sein. Und allerdings findet sich eine
uralte Amphiktyonie von Delos, aber — diese Amphiktyonen von Delos
seit der Wiederherstellung durch Athen sind attische Beamtete {lApL-
cpixTvovBq A&ijvccimv), wie die Inschriften aus den Jahren Ol. 100 4
bis Ol. 101 3 beweisen; und seit jener Zeit bis auf Ol. 111 ist keine
Veränderung in diese Verhältnisse gekommen.
Wie man sich die Sache auch sonst fingieren mag, weder vor
[949] den delphischen, noch vor den delischen Amphiktyonen können
die Delier ihre Klage anhängig gemacht haben, und in Delos oder
Athen muß die Sache verhandelt sein. Demosthenes sagt (§ 134): ij
ßovXrj ij ^1 'Aqbiov ndyov .... xeiQorovtjffdvrcjv ccvrdv vfifdv (rivSt-
xov vnkg roi) iegov tov kv Ai)Xm .... d)g nQOBiXBa&B xccxbIvt^v xccl
Die Urkunden der Kranzrede 237
Tov nQÜypiaroq xvQiav knoi7}<TceT€, tovtov fuv ev&v^ dnijlaaBV djg
nooSÖTi^Vj 'YnBQeiSrj Si Uysiv ngogira^B, und dann, nachdem das
Zeugnis gelesen worden: ouxoVv 8ts tovtov fiikkoPTog kiyeiVj dn^Xaaev
ecvTOv 1} ßovkij xal ngoqiTU^BV Mgo), töts xcci ngoSÖTtiv dvcci xal
xaxövow vfiTv äni(p7jv6vi leider ist das tbg itQotiX^ad-t xäxe/vtjv durch-
aus undeutlich und wird auch durch die Emendation nQogBiXaff&e
nicht eben besser; die Wendung bei Deinarchos {xarä AripL. § 50)
uvüyxf] T7jv ßovXi]v t7jv ^I 'Aquov nüyov xctTU Svo TQÖnovg itout(T-
^ttti rag ctnotpdaBig ndaccg . . . ^toi ccvtijv TiQoskofjkevrjv xal ^fjn^^
(Tuauv fj TOV S/jfiov TtQogrü^avTog uvttj, diese Wendung würde, wenn
man sie als die des ofüciellen Sprachgebrauchs nehmen darf, für unsere
Stelle eine Emendation ergeben, wie man sie in dieser Rede des De-
mosthenes nicht wagen darf. Gern würde man aus dem xvglav
inou^aara und dem fiiXkovTog Uyeiv entnehmen, daß die Sache vor
dem Areopag verhandelt worden, wenn statt des zweimaligen ngogTÜT-
Tuv etwa xhktvuv oder ä^iodv stände; dasselbe würde unter anderen
auch Philostratos bestätigen (Vit. Soph. I 18): knl S^ tö? xuTatf)fiq)i(T'
i^ivTi !AvTicp&VTi fJAco jM/y XQt&eig xal ätpuXovTO avTOV oi k^ !dQeiov
ndyov xb ijlt] oi awtinüv atplmv vnkQ tov Uqov tov kv jd^kq). So
sonderbar es erscheinen mag, ich glaube, Delos hat Athen in Athen
selbst verklagt; es handelte sich ja um eine Frage, die man wenigstens
als eine rein juristische ansehen konnte, und Delos riskierte eben nichts
weiter, wenn es den attischen Staat dahin bewegen konnte, einmal die
Sache auf gerichtlichem Wege zur Entscheidung zu bringen und sodann
sich mit den Deliem, nach der für dergleichen Verhältnisse herkömm-
lichen Weise des hellenischen Staatsrechtes, über eine nöhg 'ixxh]Tog
oder Austrägalinstanz zu verständigen, an die beide Parteien nach
erfolgtem Spruch appellieren konnten. Daß sich aber Athen auf jenen
gerichtlichen Weg einließ, mag hinreichenden Grund in den politischen
Verhältnissen der Zeit haben; und daß Philippos auch auf den Inseln
um Delos herum sehr thätig war, ergiebt sich aus dem, was Demo-
sthenes {iniQ Krria. § 197) über Naxos und Thasos sagt; und unter
den Plänen des Alexandres, deren Ausführung sein Tod hinderte, war
auch der Bau eines Tempels in Delos (Diod. XVIII 4).
Ohne die weiteren politischen Combi nationen zu verfolgen, die sich
hier ergeben, wiederhole ich, daß von einem amphiktyonischen Prozeß
füglich nicht die Bede sein, und die derartige Bezeichnung in dem
vorliegenden schon verdächtigen Zeugnisse nicht eben zu seiner Ehren-
rettung dienen kann.
238 DemostheneB
X. Das trierarchlsche Gesetz.
Die Zeit, worin das trierarcliische Gesetz des Demosthenes (§ 105 ff.)
[950] beantragt worden, oder richtiger in Wirksamkeit getreten ist,
soheint sich aus der Anordnung der Rede vom Kranz zu ergeben;
denn wenn die rednerische Anordnung auch keineswegs die einer
strengeren Chronologie ist, so muß sie doch von derselben insoweit
beherrscht werden, als die Bedeutendheit und der Einfluß des geltend
zu machenden Factums durch sie bedingt ist, und erst durch die Ein-
sicht in die geschichtliche Folge der besprochenen Begebenheiten kann
man die ungemeine Kunst der Anordnung, die Demosthenes in dieser
schönsten seiner Reden bewährt hat, vollständig erkennen.
Aischines hatt« Demosthenes öffentliche Thätigkeit in vier Haupt-
abschnitten betrachtet, seine Teilnahme an dem Frieden des Philokrates,
sein Benehmen während dieses Friedens (346 — 341), die Kriegjahre,
dann die Zeit nach der Schlacht von Chaironeia hintereinander be-
sprechend. Demosthenes folgte der Aufforderung des Gegners nicht,
dieselbe Anordnung zu beobachten; als draußen liegend absolviert er
in der Einleitung jenen ersten Abschnitt; von der Zeit erst^ wo seine
eigentliche Vorstandschaft im Staate beginnt, will er genauer sprechen
(§ 60). Aber die Auflösung des Friedens, ma<5ht er geltend, sei auch
noch nicht sein Werk gewesen (§71 79), die Verhandlungen über die
Plünderung der Schiffe, die den Krieg zur Folge hatten, seien durch
Aristophon, Eubulos, Diopeithes, nicht durch ihn gemacht worden.
Aber was er selbst gethan und gewirkt, das nimmt er nach einander
und natürlich in der Weise durch, wie jedes am bedeutsamsten er-
scheint, und zwar zuerst seine Thätigkeit zur Befreiung von Euboia,
dann die Expeditionen zur Rettung von Bjzanz und Perinthos, dann
das trierarchlsche Gesetz. Wäre das trierarchlsche Gesetz früher als
der Seezug von Byzanz, so hätte Demosthenes es nicht bloß vor dem-
selben besprechen, er hätte geltend machen müssen, daß die herrlichen
Erfolge jenes Zuges einzig und allein durch die Verbesserungen, die
er in der Trierarchie gemacht, möglich geworden seien; das aber sagt
er nirgends. Vielmehr wo er von dem Seezuge nach Byzanz spricht
{änofTTÖkovg änavrccg äniar^iXa § 80), erwähnt er, daß er die Sen-
dungen beantragt habe, spricht er noch nicht von den neugeordneten
Trierarchien, was nicht zu vermeiden gewesen wäre, wenn sie jenen
vorausgingen. Ebenso weiß Demosthenes nach Lesung des Gesetzes,
wo er beweisen will netgav iQytp SzSmxivai, nur anzuführen, daß
keine Klagen der Trierarchen wegen Bedrückungen vorgekommen, kein
Schiff verloren oder bei der l'ahrt nachgeblieben sei, und hätte doch
Die Urkunden der Kranzrede 239
wieder hier von dem Einfluß desselben auf die glückliche Beendigung
des Seezuges sprechen müssen, wenn es demselben vorausging. Aber
freilich stehen hier die Worte (§ 107): ndvxa yug xbv nöXefAov
T&v änocrtöXanf yiyvofUvoov xarä rbv vöfiov rdv ifiöv, womit , heißt
es, man doch den byzan tischen Krieg gemeint voraussetzen müsse.
Allerdings nach der unrichtigen Ansicht, als wäre im Sommer 339
Friede gemacht und im Frühling 338 der Amphiktyonenkrieg begonnen.
Aber wir haben uns überzeugt, daß der Krieg ohne Unterbrechung
fortwahrte, und es ist keine Frage, daß Athen nach dem Entsatz von
Byzanz seine Seemacht [951] sowohl diesen Herbst 339, als im nächsten
Jahre thätig sein ließ; daß dies Demosthenes übertreibend ndvxa
xbv nölBfjLOv nennt, wird niemand auffallend findend
Daß die Trierarchie mit dem Anfange des bürgerlichen Jahres
begann, ist unter anderem aus der Rede des Demosthenes ngög IToXv-
xUcc § 14 klar; danach zu urteilen, mußte die von Demosthenes ge-
machte Neuerung mit dem vollen Jahre und zwar Ol. 110 2 beginnen,
das Gesetz aber, da es die Klage der Paranomie vorher durchzumachen
und gewiß mit vielen Intriguen der Reichen zu kämpfen hatte, war
gewiß geraume Zeit, Monate lang vorher beantragt worden.
Demosthenes will die von ihm gemachten trierarchischen Bestim-
mungen verlesen lassen; er sagt (§ 105) xai (jloi Uyt ng&xov fxkv xö
if}i](fiaiia xa&' 6 slg^k&ov xijv ygatpiiv. Statt dessen finden wir nun
in unseren Büchern ein seltsames Ding, eine Art von Protokoll nicht,
sondern von Bericht über die Geschichte des Gesetzes: dann und dann
brachte Demosthenes ein Gesetz ein, statt des bisherigen trierarchischen,
Rat and Volk nahm es an, Patrokles klagte dagegen auf Gesetz-
widrigkeit und gewann nicht den fünften Teil Stimmen und zahlte
die fünfhundert Drachmen Strafe. Daß dies es nicht ist, was DeAio-
sthenes hat verlesen lassen, versteht sich von selbst. So hat wohl der
oft besprochene Gelehrt«, der die Urkunden einschaltete, statt des
eigentlichen Antrags, den er nicht in den Archiven und resp. Samm-
lungen fand, dies Protokoll aufgenommen? Boeckh (de arch. pseud.
S. 140 kl. Sehr. lY S. 279] sagt: Mg libdlus de absoluto in yq. n, Demosthene
in acta senatus et pqptUi relatus ut de rcUihabüione legis constaret u. s. w.
Aber wenn ein Psephisma angenommen war, so konnte es durch eine
YQCKfi] 7iagav6fjLG}v zwar einstweilen suspendiert werden, trat aber nach
glücklichem Ausgang des Prozesses in seine Gültigkeit, ohne durch
jene Klage im geringsten besser oder schlechter geworden zu sein;
^ Um £inwftnden zu begegnen, bemerke ich, daß ro leleviaioy bei Aischin.
xoToc Krrjff. § 223 keine chronologische Bestimmung ist; s. Winiewsky S. 850.
240 Demosthenes
WOZU also der Beisatz? Ferner, mochten die Akten der IQage immer-
hin denen des Gesetzes beigefügt werden, so bildeten sie doch keines-
wegs etwas wesentlich Zusammengehörendes; und da gleich darauf in
unserer Bede auch die Kataloge zu lesen sind, so muß man sich
wundem, daß diese, die doch ein integrierender Teil des Gesetzes waren,
gerettet worden sind, während das Gesetz selbst verloren ging. In
dem Aktenstücke des Gesetzes kann demnach das Protokoll nicht
gestanden haben; so wird es also aus einem Journal der Bule, der
Ekklesie, des Metroons u. s. w. sein? Oder es beginnt mit den Worten
ini ÜQxovToq TloXvxUovgy und der muß ja nach der oft besprochenen
Hypothese der Prytanienschreiber sein, dessen Name an die Stelle des
als Fachüberschrift verlorenen Archontennamens gesetzt worden sein
soll; also doch wieder aus dem Archiv und aus dem Aktenstücke im
Archiv. Und wieder dies ist vollkommen unmöglich; es heißt knl
äQXovroq TloXvxXiovg, fi7]vdg [952] BorjSQOfit&vog herrj knl Sexa
\_IIoXvxliovq] (fvlr^g nQvravevovatjg 'Inito&oiovrtSoq Jf]fAO(T'
t^ivrjg , . . tlgjjvsyxe vöfiov .... xal iitBX^'QOTÖvrjfTsv ij ßovki] xal 6
Sfjfjiog' xal dntjveyxs nccQavöfjLcov Arjfioa&ivsi Uargox'kTig ^Xv^vgy
xal rb fiigog röv ifßtjipcjv oi) Xaßcov äniriae rag nsvraxoaiag Sga/fiäg.
Soll dieses Aktenstück, was es auch immer bedeute, echt sein, so mußte
es in der Datierung kitl üolvxXiovg ohne äQxovxog gelautet haben;
Polykles war dann Schreiber der dritten Prytanie; am vierten Tage
derselben brachte Demosthenes das Gesetz ein, gewiß erst in den Rat;
bis es dann in die Ekklesie kam, die Klage eingebracht, instruiert,
vor Gericht verhandelt wurde, war doch wohl die dritte Prytanie
längst za Ende; wie konnte denn nun noch der Schreiber der dritten
Prytanie an der Spitze stehen? Oder sollen die Worte von xal am)-
veyxe naQavöfuov an etwa gar von der Hand eines späteren Prytanien-
schreibers beigefügt sein? Wozu hätte dann sich Polykles die Mühe
genommen, das bei dem Aktenstücke beizuschreiben, was fast ebenso
kurz in dem Psephisma selbst stehen mußte? War die Beifügung,
daß das Gesetz die Paranomie glücklich überstanden, so wichtig, warum
schrieb der Schreiber der späteren Prytanie nicht nach der Datierung
etwa so: „nachdem Demosthenes das und das Gesetz eingebracht, und
nachdem es vom Patrokles als widergesetzlich angeklagt worden, der-
selbe aber im Prozeß nicht den fünften Teil der Stimmen erhalten,
und in die betreffende Strafe verurteilt ist, tritt das Gesetz in Kraft".
[953] Somit findet die Böckhsche Hypothese bei diesem Docu-
ment keine Anwendung; ebenso wenig ist es das Psephisma, welches
Demosthenes vorlesen ließ; ebenso wenig ist ein Zusammenhang denk-
bar, in dem diese Art amtlicher Protokollierung vorgekommen sein
Die Urkiinden der Kranzrede 241
könnte; ebenso wenig endlich ist der Inhalt von der Art, daß er dem
Glauben an die Echtheit dieser Urkunden den geringsten Yorwand
geben könnte.
Denn paßt nicht einmal die Böckhsche Hypothese für den Pseu-
deponymos, so ist das ^^r^ äQxovroq IToXvxUovg als der schlagendste
Beweis der Unechtheit und als ein Zeugnis für die Ignoranz des
Erfinders nicht mehr abzuweisen. Wenn derselbe schreibt xai inexei-
QoxdvriaB ij ßovXij xai 6 Srjfiogy so ist gar nicht mehr abzusehen, was
sich derselbe gedacht, da der Hat nur das ngoßovlavBiv hatte. Und
zum guten Ende fügt derselbe noch hinzu änizKre rag Tcevraxoaiag
Sgaxfiägy während sich von der Klage nagaröfKov namentlich nach-
weisen läßt, daß der Kläger, wenn er verlor, 1000 Drachmen Strafe
zu zahlen hatte (Böckh Staatsh. I S. 406 V S. 448 ff. Meier und Schö-
mann Att. Proc. S. 734); es ist dies das einzige Beispiel einer Strafe
von 500 Drachmen. Nach diesen Dingen wird man nicht mehr nötig
haben, die Worte Jfjfioa&ivrjg . . . slgrjvsyxe vöfjLOv slg t6 TQirjQccQ-
Xixöv ävri roi) nQOxiQOv^ xa&' &v al awriXeiai Jjaav r&v xQirjQdQ'
Xtav etwa durch das Fortlassen des slg x6 (das in einem, aber keines-
wegs besonderen Manuskript fehlt) zu leidlichem Sinne zu bringen; es
scheint sich der Verfasser gedacht zu haben, daß man beifügen müsse,
bei welcher Behörde das Gesetz eingebracht sei, oder gemeint zu haben,
für die Trierarehie bestehe ein Amtshaus rb xQiriQaQxiocdv, während
doch die trierarchischen Angelegenheiten an die Strategen gehören.
Den Phlyer Patrokles kennt auch niemand, und er wird auch wohl
ebenso wenig wie der Archen Polykles existiert haben. Wir wissen
freilich nicht, wer diese Klage der Paranomie eingereicht hat. Man
könnte an Aischines selbst denken, denn er sagt [xaxä Krria. § 222)
rä 8i nsQl rag rQiTJQStg xai rovg xQirjQdQXOvg agTiayfiara zig &v
änoxQvtpai XQ^'vog Svvaiz äv, Öre vofjLO&STtjaag tibqi r&v TQiaxoaimv
[vB&v] xal aavrov neiaag !A&r]vaiovg kTtKrrarrjv rü^ai rov vavrixov
^iv^^TX^VQ [954] vn kfjLod i^rjxovra xai nivr% vecDv raxvvav-
Tova&p TQifiQdQxovg vtprjQfjfiivog x r k. (vgl. Dinarch. xara Atjfxoax^,
42 und Dem. inkg Krrja, § 312). Aber wenn Aischines der Kläger
gewesen wäre, würde Demosthenes nicht § 103 unserer Rede gesagt
haben xal rb fiigog r&v \f)i](p(ov 6 SkSxoov o(jx 'ikaßsy er würde
auch § 124 und 125 nicht so gesprochen haben, wie er spricht. Aischines
ist jedenfalls bei jenem Prozeß gegen Demosthenes als avvriyoQog des
Klägers thätig gewesen.
Schließlich will ich die Ansipht Schömanns (de comitiis S. 278)
erwähnen, die uns Gelegenheit geben wird, zu erkennen, was etwa
in Demosthenes Antrag gestanden haben dürfte. Schömann meint
Drof sen, Kl. Schriften I. 16
242 DemoBihenes
i7tsxeiQor6v7}(T$ bezeichne die Abstimmung darüber, ob das neue Gesetz
an die Nomotheten gebracht werden könne; nach dieser Epicheirotonie,
aber vor der Sitzung der Nomotheten, habe denn Patrokles seine Klage
eingebracht; der 26. Boedromion endlich sei nicht das Datum für das
Einbringen des Antrags, sondern bezeichne diem &um, quo perscriptum
erat hoc psephisma. Daß diese Erklärung nicht mit den Worten des
Psephismas stimmt, ist aus dem schon Gesagten klar; aber ebenso
richtig ist wohl, was Schömann geltend macht, daß dies neue Gesetz
nur auf dem verfassungsmäßigen Wege, den er selbst so gründlich
dargestellt hat, gemacht werden konnte; und eben dies giebt uns einen
neuen Beweis für die Unechtheit des Documentes. Nach alter Solo-
nischer Bestimmung (s. die Gesetze bei Dem. xarä TifxoxQ, § 20 ff.)
wird am 11. Tage der ersten Prytanie, d. h. am 11. Hekat^mbaion,
die inixsiQOTOvia r&v vöfuov gemacht; hier mußte das neue Gesetz
in Antrag gebracht werden, worauf das Volk, wenn es sich auf die
Neuerung einließ, öffentliche Anwälte zur Verteidigung des Herkömm-
lichen ernannte; in der dritten Ekklesie derselben Prytanie wurden
dann die Nomotheten aus den Geschworenen des Jahres erlost und
ihnen ihre Instructionen zugestellt, worauf dann an dem in der In-
struction bestimmten Tage über das Gesetz vor ihnen in Form eines
Prozesses verhandelt wurde. Die Billigung des neuen Gesetzes seitens
der Nomotheten schloß natürlich die Klage itaQccvöfjuoDv um so weniger
aus, je sorgfaltiger man die legislatorische Thätigkeit der Demokratie
in Acht nehmen zu müssen glaubte. Unzweifelhaft hat auch das
trierarchische Gesetz diese Stadien durchgemacht ; und wir finden noch
deutliche Spuren davon. Wenn Dem. nQoq Aenr. § 94 sagt: hnira^tv
(ö 26X(ov) [955] ix&eTvcci {röv vöfjLOv) nQda&t r&v kTtcovvfiajv xal
xm ygafAfiaru TtccgaSovvaij rovrov S' kv ratq ixxkTjffiaig &va^
yiyvfAaxeiv, iv hcccaxoq v^i&v äxovaaq noXXaxig xcct xarä (txoXijv
(rxeipü/ji^vog, &v rj xcci Sixaia xal <TVfi(piQOVtcc, ravra vofio&hxrj, so
erklärt sich hieraus des Deinarchos Ausdruck {xarä Aj]fi. § 42) xai
fUTBdxtva^a rhv vöfjLOv xa&* ixdfTrrjv kxxXrjfTiav, Somit kann denn
auch das Datum unserer Urkunde fif]v6>^ BoTjdQOfii&vog hnti knl
dexa . . . JfjfAoa&evTjg eig/jveyxs vöfiov nicht richtig sein, da dasselbe
entweder am 11. Hekatombaion, oder wenn das Volk schon vorher
damit vertraut werden sollte, einige Zeit, gewiß aber nicht fast zehn
Monate, vor der kmxBiQorovia vöfuov eingebracht sein mußte.
Der Antrag des Demosthenes aber mußte dahin lauten, daß das
bisherige trierarchische Gesetz abgeschafft sein, daß die Trierarchen
nach Maßgabe ihres Vermögens trierarchische Leistung machen, und
die Trierarchieen von dreihundert Schiffen auf die und die Weise
Die Urkunden der Kranzrede 243
geleistet werden sollten, daß somit nach beigefügtem Katalog die
Leistungen zu machen seien u. s. w. #
Demosthenes läßt nach dem trierarchischen Gesetz den früheren
sowohl wie den von ihm eingerichteten Katalog nacheinander verlesen.
Nach dem bisherigen Gesetz, sagt er § 102, machen sich die Reichen
ärüieiQ äitb paxQ&v ävcclMfiürafv (d. h. von anderen Leitnrgieen vgl.
xatä MsiS. § 155 ro fAtjSiv ävaX&aai xcei SoxbTv XikurovQyrixkvai
xai T&v äkkmv XBirovQyi&v ärtkiai yeysvfjtr&ai), während sie nach
dem neaen Gesetz Leistungen zu machen haben, die ihrem Vermögen
entsprechend sind. Nach dem früheren Gesetz hatten je sechzehn die
Ijoiturgie zu machen, und Demosthenes sagt, die rj/efiöveg r&v trupL-
ftoQi&v und die Sbvtbooi und rgtrot würden viel dafür gegeben haben,
wenn er das neue Gesetz hätte zurücknehmen wollen; nach diesem
neuen Gesetz wurde bestimmt, ro yiyvöfievov xaxä rrjv ovaiav IxatTxov
Ti&ivat xai SvoTv hq>dvri TQni()a()Xog 6 rfjg fjLiäg Hxrog xccl Sixarog
TigÖTSQOv (TwreXtjg.
Dies sind die Bestimmungen, aus denen uns die zwei Kataloge,
wie wir sie in der Rede vorfinden, zusanunengeschmiedet zu sein
scheinen. Denn daß die armseligen Dinge, die hier als alte Urkunden
figurieren, nicht die echten, ja überhaupt keine Kataloge sind, ergiebt
sich von selbst; auch Böckh (Staatsh. II S. 115 [I* S* 661]) erkannte
wenigstens die Unvollständigkeit derselben an, und nach den bei den
übrigen Urkunden der Rede gewonnenen Resultaten wird man diese
Unvollständigkeit wohl abzuschätzen wissen.
Wir wagen nicht, uns in die Untersuchung über das trierarchische
Institut eben jetzt einzulassen, wo die demnächst zu erwartende Edition
der großen trierarchischen Inschrift [Urkunden über das Seewesen des
attischen Staates 1840, C. I. A. U 789] und ihrer Erklärung durch
Böckh die wesentlichste Aufklärung zu bringen verspricht Doch
glauben wir aus dem Inhalt der Kataloge selbst ihre Unmöglichkeit
wahrscheinlich machen zu können.
Der ältere Katalog soll gelautes haben: rovg TQirjpäQxovg xaksTa-
&CCI knl rijv TQirjQf} evvexxaiSaxa he tcjv iv roig lö/oig avvTBXei&v,
ä%6 aixoai xccl^ nivre hr&v dg rertaQÜxovtaf ini Yaov rfj xoQW^
XQfOfUvovg [956]. Wir kennen den Ausdruck Xöxoi sonst nicht bei
der Symmorien- und Trierarchen Verfassung; jedenfalls muß er Abtei-
lungen irgend welcher Art bezeichnen, und aus der Zusammenstellung
mit den (rwreXeimg erhellt, daß diese eine Unterabteilung der kö^oi
sind, zugleich aber, daß nicht alle in den Xö/oig zu den Syn teilen
gehören. Da die Trierarchie auf die Symmorieneinteilung für die
dgtfOQÜ begründet ist, für diese aber nicht bloß, wie für die Trierarchieen
16*
244 Demosthenes
(s. xarä Mei3. § 155)^ die 1200, sondern alle steuern, so kann man
sich vorstellen, daß X6/og eine jede der 20 Symmorien mit dem zuge-
ordneten (zwanzigsten) Teil der übrigen beisteuernden Bürgerschaft
genannt worden. Als Trierarchen zu einer Triere würden nach diesem
Gesetz je 16 aus den Syntelien (wenn nicht awreXav zu schreiben
ist) in einem Lochos, das heißt je 16 von 60 berufen; — und somit
könnten nach diesem Oesetz nur 20 Trieren aufgestellt werden! Eine
andere Möglichkeit wäre, daß man (mit Hier. Wolf) mit Xö^oig eben
die S3anmorien bezeichnet annähme, wenn schon da der Ausdruck ix
T&v kv ToTg nicht sehr genau wäre; und das mag noch mit den
Worten des Gesetzes vereinbar gelten, daß alle in den Symmorien,
die zwischen 25 und 40 Jahre alt sind, zur Trierarchie berufen werden.
Man wird fragen müssen, wozu dann noch die, die älter als 40 Jahre
sind, zu den Lochen gehören; mag es in Rücksicht auf die elgfpoQä
sein. -Also von den 1200 sollen nur die zwischen 25 und 40 Jahren
berufen werden; nach massigem Überschlage wird ein Drittel älter, als
40 Jahre sein; die übrig bleibenden 800, zu je 16 Mann für eine
Triere verteilt, geben deren nur 50, und wir wissen, daß meist eine
ungleich größere Flotte in See war. Böckh ist der Ansicht, der Ka-
talog sei unvollständig, etwa in der Art, fügen wir hinzu, daß voraus-
ging, wenn 300, wenn 200, wenn 100 Schiffe ausgehen sollen, wird
es so und so gehalten, und wenn 50 (oder 20) Schiffe auslaufen soUen,
„so werden als Trierarchen zu einer Triere je 16 von 25 bis 40 Jahren
berufen, die zu gleichen Teilen die Choregie machen". Aber die letzte
Bestimmung inl Y<tov x t L, die nach den Worten des Redners durch-
gehend galt, durfte nicht bei dem einzelnen Paragraphen, sondern
mußte bei den allgemeinen einleitenden Bestimmungen stehen; und
sodann ist in keiner Weise der Sinn der Altersbestimmung abzusehen.
Das dienstpflichtige Alter reicht bekanntlich vom 18. bis 60. Jahre,
das sind die 42 kTtdfvvfioi, nach denen die Kataloge gemacht wurden
(s. Harp. V. knc^vvfiog und <tt gareia); und bei einer besonders lebhaften
Kriegsrüstung befahl man rovg fiix(f^ nivrt xai rsTraQdxovrcc kr&v
die Schiffe zu besteigen (Dem. Olynth. III § 4 und Ulpian), das heißt
nicht bloß 42, sondern 45 Altersklassen, so daß auch die Leute von
63 Jahren mit ausziehen sollten (s. die schöne Anmerkung von Taylor
zu Lys. S. 245 ed. Reisk.). Aber weder für die Trierarchie noch für
den sonstigen Heerdienst hat das Alter von 25 und 40 Jahren die
geringste Bedeutung. Ob sich der Verfertiger dieses falschen Katalogs
jener Stelle der olynthischen Rede erinnerte, ohne sie zu verstehen,
und danach seine überraschend detaillierte Angabe extemporisierte, weiß
ich nicht.
Die Urkunden der Kranzrede 245
[957] Nicht so leicht anzugreifen ist der zweite Katalog. Ich
führe zuerst an, daß Demosthenes gesagt hat (§ 104): he Si rov hfiov
vöfiov .... SvoTv kcpüvT] TQujQa^/og 6 rfjg fiiäQ hcroq xal Skxaroq
n^ÖTBQov (TWT€Xrjg, womit er oflFenbar den bedeutendsten Gegensatz
bezeichnet, den seine gerechtere Bestimmung gegen die frühere unbillige
hervorbrachte; hätte er höhere Ansätze als je zwei Trieren gemacht,
so würde er diese der früheren Weise entgegenstellen. Statt dessen
sagt der Katalog ^a>g rgi&v nXoicjv xal vnrjgerixov i] XairovQyia
ioTG) (wobei auch die für spätere Zeit erst geläufige Structur von ^cog
wohl zu beachten ist; doch Aristot. Insomn. c. 7 ^cog rijg äQX^ig).
Böckh meint nun diesen Widerspruch zu lösen (Staatsh. II S. 114 [1*
S. 662]): es scheint beinahe, als ob damals höhere Schätzungen nicht
vorhanden waren, wiewohl im Gesetz auf höhere gerechnet war; in
der That eine sehr kühne Annahme! Ferner enthält der Katalog die
Bestimmung rovg xgiriQaQXovg aiQBia&ai hnl rijv tqi/jqt] ecno rijg
ovaiag xarä riiiriaiv, dno rakävrmv Shecc, Böckh (Staatsh. II S. 113
\V S. 662]) sagt, der Ausdruck zeige deutlich, daß die zehn Talente
nicht Vermögen schlechthin, sondern in die Schätzung eingetragenes
Vermögen oder Steuerkapital seien; demnach hätte eine Triere zu
rüsten, wer 50 Talente Vermögen besitzt, während einige zwanzig
Jahre früher, wie Böckh anführt, Demosthenes trierarchiepflichtiges
Haus 15 Talente Vermögen besaß und Isaios (%bqI rov Aixaioy. xlriQ,
§ 17) es rügt, daß jemand bei 80 Minen Einkünften, was etwa ein
Vermögen von 11 Talenten repräsentiert, nicht Trierarchie, nicht ein-
mal Syntrierarchie leistete. Dies Resultat erscheint vollkommen unwahr-
scheinlich. Ferner kann man fragen, ob nach Demosthenes Gesetz
alle Bürger, oder nur die bis zu einem gewissen Grade wohlhabenden
(denn das sind seine Ti^vrjrsg § 107, ebenso wie die iiixQia fj fiixgcc
xiXTTjfiivoi § 102 und die änoooi § 104), etwa, wie früher 1200,
Trierarchie leisteten; der treffliche Katalog enthält darüber nichts, aber
aus der Natur der Sache scheint letzteres zu folgen. War das der
Fall, so mußte, nach dem Ansatz von einer Triere auf zehn
Talent ztfirjfAa in den Händen der 1200, wenigstens 3000 Talente
Steuerkapital, das heißt mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens
(wenn man die Schätzung des Nausinikos als ungefähren Maßstab
annehmen darf) befindlich sein; was nicht eben wahrscheinlich sein
dürfte.
Dies sind die Gründe, aus denen mir die Echtheit dieses Docu-
mentes unglaublich erscheint. Ich habe absichtlich von allem dem
nicht gesprochen, was man in einem derartigen Katalog zu finden
erwarten dürfte, und wovon in dem vorliegenden nichts steht. Ich
246 Demosthenes
wiederhole, daß von der trierarchischen Inschrift auch für diese Sachen
weitere Belehrung zn hoffen ist.
XI. Gesamturteil.
Es ist gesagt worden, die vorliegenden Urkunden trügen zu sehr
das Gepräge der Originalität an sich und verrieten eine zu genaue
Kenntnis der historischen und der lokalen Verhältnisse, als daß man
sie für eine Erfindung der späteren Zeit halten könnte. Der erste
Teil dieser Behauptung ist eine Insinuation, eine Berufung an das
subjective Gefühl, das keine Entscheidung haben [958] kann. Der
Widerspruch mit lokalen und historischen Verhältnissen ist nach-
gewiesen worden. Und die große Specialität der Angaben beweist für
unsere Urkunden nicht mehr als ähnliche Erscheinungen in den spät
componierten Briefen des Menandros, des Demosthenes, des Aischinesu.s. w.
Die Hypothese über die pseudeponjmen Archonten hat sich an
einigen Stellen als unanwendbar nachweisen lassen, und das ist ge-
nügend, ihre Unbrauchbarkeit überhaupt zu constatieren.
Unter achtundzwanzig Urkunden fanden wir keine, die nicht
nach Form und Inhalt wesentliche Bedenken veranlaßte; von der bei
weitem grösseren Mehrzahl konnte die Unechtheit mit vollkommener
Sicherheit nachgewiesen werden. Die Verdächtigkeit der übrigen wird
dadurch in dem Maße gesteigert, daß wir die Unechtheit aller in
dieser Rede vorhandenen Urkunden für entschieden halten.
XII. Ober den Ursprung der Documente.
Die Verteidiger der vorliegenden Urkunden haben als notwen-
digen Bestandteil eines etwaigen Beweises ihrer Unechtheit gefordert,
daß nachgewiesen werde, wann und von wem dieselben untergeschoben
worden. Sie würden in dieser Notwendigkeit, wenn man sie aner-
kennen müßte, allerdings ein glückliches Mittel die gefährdeten zu
schützen gefunden haben, da weder die eine noch die andere Frage
auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit zu beantworten sein dürfte.
Jedoch scheint derartiges einem durchaus anderen Kreise von Unter-
suchungen anzugehören, als in welchem wir uns bisher zu bewegen
hatten, und so wichtig eine nähere Bestimmung für die Litteratur-
geschichte und für gewisse Eigentümlichkeiten der späteren gelehrten
Gräcität sein dürfte, so unwesentlich ist sie für die Aufgabe, die wir
uns gestellt hatten. Dies ist der Grund, warum ich über die ange-
führten Fragen nur anhangsweise spreche; auch sind meine Studien
für jetzt von den Teilen derLitteratur weit entfernt, aus deren genauester
Die Urknnden der Kranzrede 247
und lebendigster Kenntnis allein einigermaßen bestimmte Resultate
gewonnen werden könnten.
Handschriftlicli sind die Urkanden im ganzen sicher gestellt, doch
nicht so, daß nicht mannigfache Sonderbarkeiten zu bemerken wären.
Die samtlichen Urkunden fehlen nach Bekker zu § 77 1 in der
Pariser Handschrift 2940 (Cod. 5 bei Bekker), die nach Taylor (tom. V
S. XCY ed. Dobs.) aus dem 13. Jahrhundert stammt. Ebenso fehlen
die Urkunden mit Ausnahme der sechs ersten in dem Aug. I. Ein
und der andere Codex hat einzelne Urkunden am Bande beigeschrieben,
so Cod. Y, Cod. X (§ 29. 37. 77), oder auch an falsche Stellen versetzt
(so Aug. 4 § 155 hinter § 158). Doch scheinen die Angaben der
Gelehrten, welche die Handschrift benutzten, nicht Hinreichendes über
diese Dinge darzubieten. Die Pariss, 3 und 7 bei Taylor sind von
zu jungem Ursprung, als daß sie in Betracht kommen könnten.
Die Abweichungen in den Überschriften der Urkunden haben keine
Wichtigkeit
[959] Ebenso wenig sind wir hinreichend unterrichtet über die
Zeichen, die sich bei den Urkunden zum Teil vorfinden; es scheint
derartiges nur vereinzelt notiert worden zu sein. Ich entnehme aus
Schäfers Apparat folgendes über den von Beiske genau verglichenen
cod. Bavaricus. Bei der Urkunde § 29 ist nach dem Uye des Bedners
das Zeichen ö (App. crit S. 53), ebenso bei § 54 hinter Xaßdv das
Zeichen ö (App. er. S. 89), ebenso bei § 73 hinter (pavsQÖv ö (App.
er. S. 111). Bei § 75 steht hinter \fji](pi(Tficc das Zeichen ö^ > (App. er.
8. 117) und § 77 hinter rov Q^iXinnov das Zeichen ö> (App. er.
S. 119); § 90 hat rriv nöXiv 6 iiJi^g)iafAa, Ob bei den übrigen Ur-
kunden keine Zeichen stehen oder nur nicht vermerkt worden sind,
weiß ich nicht Das eine Zeichen ist wohl die naQÜygacpoq {?jg rö
(TX^ifAcc YQccpi^fj Tig kari ßga^ua äaneg xivä ariyfjirjv kv T(p äxQ^
'izovaa Schol. zu Aristoph. Plut. 253), das andere die SiTikij 'iao)
vevBvxvTa. Allerdings bezeichnen diese Zeichen beide nur Abteilungen,
so häufig bei den Parabasen der Komödie (s. außer den Schollen
Hephästion c. 15), und namentlich ist Schol. zu Thukyd. I 12 anzu-
führen, wo es heißt: XQix&q SielXe rrjv äQx^tokoyiccv, eig xu ngo
T&v Tqg)ix0v, dg avrä xä Tgcoixä^ slg xä kx6iiBvcc avx&v, xccd''
fbcaaxov Si fiipog Sinkt] naQäyQa(pog xeixai. Doch daß diese oder
ähnliche Zeichen auch andere Bedeutung, wenigstens in der älteren
Gelehrsamkeit, hatten, lehrt für den Piaton Diog. Laert. II 68. Für
unseren Fall mag es genügen, darauf hingedeutet zu haben, da sich
vielleicht doch in den von den Editoren vernachlässigten Zeichen irgend
ein weiterer Zusammenhang vorfindet.
I
248 Demosthenes
Von ganz besonderer Wichtigkeit för die Frage über die Zeit,
wann diese Urkunden entstanden sind, müßten natürlich unzweideutige
Anführungen aus denselben bei den Alten selbst oder nachweisliche
Benutzung von irgend welcher Art sein. Derartiges findet sich aller-
dings. Das Etjm. M. hat: vTtsQßolijv, ri]v ävaßoXijv xccl ini^d-eaiv
xai kv T(p tieq! (TTBtpdvov JijfiofT&ivfjgf was sich nur auf das erste
Psephisma § 29 fiTjäefiiccv vneQßoXi^v notovfiivovg beziehen kann, wo
Bekker aus dem cod. JS* und anderen Handschriften die richtige Lesart
hergestellt hat. Nicht so sicher ist die Beziehung von Harpocrat v.
yQafifiarevg, Jrjfioa&ivijg inkg KxfiGi(p&VTog x r L auf die Urkunde
§18, wo der ygafAfiarsig rTjg ßovkfjg vorkommt, von dem allerdings
auch jener Artikel des Harpokration handelt. Aus Aischines Klage-
schrift (ich übergehe den späten Georgius Lekapenus, der aus ihrem
Anfang citiert) hat der Peripatetiker Syrianus (ad Hermog. bei Schaefer
S. 90) zwar nicht wörtlich, aber doch deutlich erkennbar die drei
Rechtsgründe des Aischines gegen Ktesiphons Antrag entnommen.
Auch Harpokration: avyx'krirog ixxXfjtria .... JrjfiotT&ivTjg hv rtp
xar ^IfTxivov und der dorther stammende Artikel bei Photius und
Etym. M. v. wird von Reiske und Schäfer auf unsere Urkunde und
zwar auf § 73 bezogen, doch mit [960] Unrecht; es bezieht sich auf
die Rede negl nagan, § 122, welche Rede Harpokration oft xar
^laxiifov nennt, wie z. E. v. ß-öXoq, jdrjfioa&ivjjg iv T(p xcct Alaxivov
sich nicht auf vnhQ Krria, § 91, wo einige Handschriften norl &6Xov
statt nö&oSov haben, sondern auf nsgl naQccTi, § 249 bezieht, s. be-
sonders den Artikel nQoßaXkofxivovg^ wo es heißt JrjfjLotT&ivfjg vitig
Kri]ai(p&vroq' liv t6 rp xax' Alaxlvov x r X,
[961] Die ältesten Autoren, in denen wir die Urkunden benutzt
zu finden glauben, sind Plutarchos und Aristeides. Das Sijfiotr^svi^Biv
des Aristeides ist bekannt, es besteht zum guten Teil darin, daß er
sich Demosthenische Wendungen aneignete. Namentlich ist die« er-
kennbar in seinem avfigjicczixog ä und /?', von denen der erste als
Überschrift folgende Situation schildert: <l>di7t7iov SiöSov cchovvroq
na^ä Ofjßaiwv hn ]4ür/vaiovg 7jxov<xiv !A&rjvaToi ixövrsq iavrovq
elg (TVfjifia/iav ätSövrag. In dieser Rede findet sich außer anderen
Beziehungen auf die Demosthenische vom Kranz auch folgende Stelle:
Xfoolq Si rovTCov änavrag &v oJfiai (TVfjLCpTicrai rö fiiv ijfi&g Övrag
"ElXfivc4g xal dfiorpvkovg Iqi^biv nQÖg dlh'jlovg vnkg äQX^g xal
rä^ecog även/(p&ovov eJvai xal r&v vevofiKTfiivon', x6v 8' 5Aö>g e^rüd-
TOiov firjÖBfitäg ÖQyTjg fir]d' eotSog XQ^J'^^' TtQogtaa&cci, äXXä rbv
uvrbv TQÖnov äansQ äv 6/ Öv dSeXcpot nocoTBkov ijfi(pi(TßrjTovv kv
acpiaiv uvToTg, %v / av ixetvo zavTov kyiyvoyaxov^ Bi rig ^ivog xal
Die Urkunden der Kranzrede 249
fjLTjSiv nQogfjXCjv *kßtd^9T0, xoivaiq raiq &v{)ccii^ dnoxls/Biv, oürcog iiil
T&v 'EXXf}vix6jv fAfjSevl rcjv 'i^o)&ep XccßijV elvcci xä xaff rjfiäg ccv-
Tovg dnö^pfjra — ovtg) yäg xai Xiyetv ä^iov TtSQi aircjv — • dXXä
vofjLiXBiv TOvg fdv T&v 'EkXfivoov n()6g dXh'ßovis noX^fiovg xai rä
kyxX'fipLctxcc Tccig (Träffsai ngogaoixivai x x X, ÖXcog S' d fniv i^^etrxi
fivtjmxaxBiVf Sixcciov fiiv ov, XQ^^^^ ^\ «' ßovXstnd'B, xovxq)' sl
3i X X L (I S. 720 ed. Dind.). Hiermit vergleiche man folgende Stelle
aus dem Antrag des Demosthenes (§ 185): xccl äxi 6 'Aßrjvamv Sflfiogy
oifSiv fjLVfjaixccxcL^ sY xi nQÖxsQOv yiyovev äXlöxQiov xalg nöXatri
ngog dXXi^Xag, ßori&rjati «/^cbg, 6xi [xctY] avxoig fdv npog
üXX'^Xovg SiafjL(pi(Tßr]XBTv itsQi xTjg ijyefioviag ovaiv "EXXrjai xaXöVy
vnb Sh &XXo(fvXov äv&QÜTCOv ap/ectS'a« xai xfjg ijysfioviag dno-
<TX6Q6T(T&ai ävü^iov elvai xai xfjg x&v 'EXXijvmv Sö^rjg xai xfjg x&v
nQoyöviov dgexT/g. Man vergleiche auch folgende Stellen: äXX kv&v-
fjLfjid'ivxag %a^ vfiiv avxoig, Sxi ^>iXinnov fiiv aiQovfievoi ßägßaQOv
äv&Qmnov xai (pvau xsxcoQiafievov aiQsTa&e ^/AßS Si olxeiov-
fjLBvoi TtQ&xov fjiiv "EXXrjvag xai dfio^vXovg, intix ätrxvysixovag xai
awTiO'Big kx naXaiov xai vvv vitig vfißhf 7C6(poßf}fiivovg olxeiova&s
[962] (Aristid. I S. 730) und dagegen Demosthenes (§ 186) hri Si
ovSi ctXXöxQiov ijyetxai 6 !A&f}vai(ov Sfjfiog xöv Orjßaicov Sfjfiov oiixs
xrj (TvyyevBi^ övxe t« dfiog)vX(p x x X, Natürlich sind diese Stellen
nicht wörtlich übereinstimmend, aber sie enthalten so übereinstimmende
Auffassung, daß man wohl an unmittelbare Abhängigkeit des einen
von dem andern denken kann, und namentlich erscheinen Aristeides
Äußerungen als Ausweitungen dessen, was im Antrag des Demosthenes
zu lesen ist, so daß man wohl nicht glauben darf, es sei der Demo-
sthenische Antrag aus jener Darstellung des Aristeides abgezogen. Eine
andere Parallele aus demselben Antrag des Demosthenes ist bereits
früher angeführt.
Dies würde noch entschiedener sein, wenn sich mit Sicherheit
nachweisen ließe, daß auch Plutarchos auf diese Urkunden schon Rück-
sicht genommen hat. Wäre der Ursprung der ßioi x&v Sixa qtixöqcov
sicherer, so ynirden sie uns einen entscheidenderen Beweis liefern; denn
was dort S. 846a steht: x&v xsixcov ^TttfjtsXijx/jg x^^QOxovrj&alg dnd
xfjg ISiag ovaiag slg/jvayxs xo ccvaXco&hv ßcQyvQiov fivßg ixaxöv.
knhSmxa Ök xai d-atogoTg yLvoiag, dies ist aus der Urkunde § 118 ent-
standen, ysvöfjLevog kTtifxeXfjxijg xf/g x&v xaix&v knKrxevfjg xai ngog-'
avaXdxrag elg xd 'igya dnb xfjg iSiag ovaiag xQia xdXavta knidmxa
xavxa x(p Sfi^Ko, xa) kni xov &sq)qixov xaxaaxa&eig ^nidcoxs xoTg
kx naa&v (pvX&v ß-acoQixoig kxarov fxväg elg d'vaiag. Denn daß die
Plutarchische Stelle trotz der Verwirrung in den Zahlen nicht anderswoher
250 Demosthenes
stammt, ergiebt sich aus dem roTg &e(OQOig, das nirgends sonst vor-
kommt, als eben in jener falschen Urkunde. Wichtiger aber ist, daß
in den Parallelen des Plutarchos ein Fehler vorkommt, der nur aus
den falschen Urkunden herstammen zu können scheint. Plutarchos
(Dem. 24) sagt: slg/ixO-ij Si tötb xal ij na^l rot? tnsfpüvov yQa(py
xarä KrriGttptüvroq yQatpeltra fih iTci Xccigcivdov ÜQXovToq^ fiixQÖv
knavw r&v XaiQ(ovtxcHVj xQi&^Taa 8k vgtbqov ireai Sixa knl !AQi<nO'
(p(dvTog. Der gute Plutarchos kümmert sich nicht viel um Chrono-
logie und seine Zeitbestimmung, pnxQov hndvtD x&v XatQCJvtxdiv darf
uns nicht irre machen ; wenn er dagegen, durchaus fehlerhaft, angiebt,
daß die yga^pri des Aischines unter dem Archen Chairondas eingereicht
worden, so ist das eben aus der Klageschrift, die auch wir noch in
unseren Büchern haben (§ 54) entnommen, und sie ist darum nicht
minder untergeschoben.
[963] Dagegen scheint der Zeitgenosse des Augustus Dionysios
von Halikamass diese Urkunden noch nicht gekannt zu haben. In
dem Briefe an Ammans I c. 11 sucht Dionys das Jahr zu fixieren, in
dem die athenische Gesandtschaft, welche Theben für den Krieg gegen
Philippos gewann, nach Theben gekommen ist; er nimmt zu dem Ende
die Zeitbestimmungen des Philochoros, die, nach Nennung des Archonten,
das in dessen Jahr Geschehene aufzählen, durch und «agt dann: (pcc-
viQOv Si yByovÖTog rov xqövov, xad* &v elgfjX&ov eig Otjßag ot r
!A&fjvccioL)v itQiaßttq oi ne^l Arjfioa&ivi} xal oi itagä ^tkinnov, &ri
xarä Avaifia/iSrjv ägx^'^^ ntTtTBi naQsaxBvacfiivfov i'jSij rä nQog
rdv TiöXsfAOV äfKporiQcov avrdg 6 /dtjfioff&ivTjg noiijGei (pavsQÖv kv
r(p TtBQl (TTBcpdvov &7jaoi) 3' ^ avrfjg Xaßojv rflg kxBivov Xi^Boag rä
avPTBivovxa nQog rh ngäy^xa. Und nun beruft er sich nicht etwa
auf die Urkunden in der Rede, die doch am ersten geeignet sein
würden, ihm den gewünschten Erweis zu liefern, ja, die Anführungen
aus Philochoros überflüssig gemacht haben würden, noch sagt er, daß
etwa diese Urkunden wegen unrichtiger Archontennamen unbrauchbar
seien, sondern er schreibt ab, was gleich nach der Urkunde § 164 — 167
folgt: ovroj ötartt^eig x r L bis Oijßaimv. Dann ükXä fii/v rä röre
(rvfißävra Su^el&ajVj Ste^BX&ü)v Si xal roifg Qij&ivrag v(p iavrov
löyovg inl rr^g kxxXi]<Tiag {§ 174 — 178) xal (og TtQetrßsvrijg in' 'A&i}-
vaimv elg 0t/ßag kiihn(p&7jy ravra xarä ki^iv kniridriGi' „wg cäry/-
xöfiB&a X T L (§ 211) bis zu den Worten rovg S' hcBivov &()a(TBTg".
'EnBixa^ fahrt Dionysios fort, kmaroh'jv rtva xB^Bvoag dvayvGxr&fJvaiy
ravx' knixix%}<ji. Dies ist der Brief, der § 212 freilich auch in unseren
Büchern fehlt; aber würde Dionysios so geschrieben haben, wenn er
diesen Brief vor sich gehabt hätte? Oder würde dieser Brief in seinem
Die Urkunden der Ejranzrede 251
Exemplare gefehlt haben, wenn, wie jetzt, alle Urkunden bis zu diesem
Paragraphen noch vorhanden gewesen wären?
Aus den beiden Umstanden, daß Dionysios diesen Brief nicht
mehr vorgefunden zu haben scheint, und daß er sich weder zur Zeit-
bestimmung der Gesandtschaft nach Theben, noch zu den anderen
chronologischen Angaben auf die vorhandenen Urkunden beruft, glaube
ich schließen zu dürfen, daß die Urkunden zu Dionysios Zeit entweder
noch gar nicht existierten, oder wenigstens in dem Exemplar des
Demosthenes, das er brauchte, nicht vorhanden waren, und doch wird
er wohl in seinem Demosthenes „von 5 bis 6 Myriaden Zeilen" eine
so vollständige Ausgabe, wie sie damals nur zu haben war, besessen
haben.
Es versteht sich von selbst, daß ich hiermit nicht für unum-
stößlich gewiß erwiesen zu haben meine, als müssten die Urkunden
in jenem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung entstanden sein.
Aber haben wir uns einmal davon überzeugt, daß sie weder die echten,
noch überhaupt aus Demosthenes Zeit sind, so läßt die seltsame Art
von Fehlem und Ungründliehkeiten, auf die wir unsere Beweise beson-
ders begründen zu müssen glaubten, die Vermutung Bestätigung ge-
winnen, daß sie in einer der lebendigen Gegenwärtigkeit der betreffenden
[964] Verhältnisse ziemlich fem liegenden Zeit entstanden seien.
Allerdings würde ein Betrüger mit leichter Mühe seinen Betmg
mehr haben verbergen können. Leicht hätte er aus Philochoros und
woher sonst die richtigen, oder wenigstens richtige Archontennamen
entnehmen können, und für die Form der Beschlüsse hätte einige
Beachtung vorhandener Sammlungen und Inschriften auch das Passen-
dere leicht dargeboten. Spengels Beobachtung, daß die gebrauchten
Namen so höchst trivial sind, und daß die verschiedenen Datierungen,
die vorkommen, stets andere Tage nennen, scheint von keiner wesent-
lichen Bedeutung. Was sich mir in Bezug auf den Ursprung der
Urkunden als wahrscheinliches Resultat darstellt, kann ich in folgende
Hauptpunkte zusammenfassen:
1. Ich glaube nicht, daß die Urkunden zum Betrüge gefälscht
sind, da ein Betrüger mit geringer Mühe geschickter gearbeitet haben
würde; sie scheinen aus den Übungen der Schule hervorgegangen, oder
als Muster für dieselbe bestinmit zu sein. Die Reden des Demosthenes
haben ja in der mannigfachsten Weise zu schulmäßigen ExempMca-
tionen und Aufgaben dienen müssen, und besonders die vom Kranze
ist eine der beliebtesten gewesen. In der Schule war es lediglich auf
das Stilistische abgesehen; es kam da nur auf ungefähre Richtigkeit
des Sachlichen an; man konnte sich Namen ersinnen, wie wir sie in
252 DemoBthenes
den Urkunden für Zeugen, Archonten, Gesandten u. s. w. reichlich
finden; man brauchte die nach attischer Verfassung notwendigen Formen
nicht zu genau zu beobachten, und konnte sich erlauben, nach Ana-
logie zeitlich und räumlich näher liegender Verhältnisse dies und
jenes zu modificieren; eine Annahme, die des weiteren zu verfolgen
mir für jetzt noch nicht möglich ist. Entstanden die Urkunden auf
diese Weise, so erscheint es nicht auffallend, daß unter anderem auch
der im dorischen Dialekt geschriebene Beschluß der Byzantier vor-
kommt, da derartige Dinge, wie z. E. die Schrift de Dea Syria und
ähnliches zeigt, beliebt und gebräuchlich waren.
2. Die Urkunden sind ohne Zuziehung weiterer Hilfsmittel und
allein auf Grund des in Demosthenes Rede Angedeuteten gemacht
Nicht einmal, was doch nahe genug lag, nicht einmal die Gegenrede
des Aischines ist mit zu Rate gezogen, geschweige denn, daß genaue
Kenntnis der Redner überhaupt oder ein weiteres Studium ihnen zum
Grund läge. Der Verfertiger war kein Gelehrter, keiner jener philo-
logisch-gebildeten Griechen, deren ernstes Studium nur zu früh von
der belletristisch-rhetorischen Schönthuerei der Sophistik überwuchert
worden ist. Vielmehr, was sich an den Stellen, wo die Einschaltung
von Urkunden bemerklich gemacht war, aus den Worten des Demo-
sthenes zum Teil in sehr oberflächlichem Verständnis des Zusammen-
hanges als ungefähren Inhalt der Urkunde darbot, wurde, so gut oder
schlecht es eben ging, mit den nötigen Erweiterungen zu einer Urkunde
zurecht geformt, ohne daß der Ausdruck immer einen sorgfaltig ge-
sichteten Vorrat von Atticismen bekundete.
3. Ich finde keinen Grund anzunehmen, daß die Urkunden etwa
von mehreren verfaßt sind. Allerdings [965] weichen die beiden
Decrete § 119. 120 wesentlich in der Eingangsformel von den übrigen
ab, aber auch in denen ist ein ziemlich bunter Wechsel in denjenigen
Bestimmungen, die in derselben Zeit auch wohl im ganzen dieselben
gewesen sind. Die Mannigfaltigkeit in diesen Dingen scheint eben für
eine Mustersammlung ganz geeignet, und die Rede, auf welche in den
rhetorischen Vorträgen unzähligemal zu verweisen war, bot nun, mit
den verschiedenartigen Beispielen von öffentlichen Urkunden bereichert,
dem fleißigen Schüler eine desto vielseitigere Ausbeute. Zieht aber
jemand vor zu glauben, daß diese eingeschalteten Unterschieblinge
nicht Musterstücke, sondern Schülerarbeiten sind, so kann ich auch
dagegen nichts einwenden.
4. Daß die Urkunden nach § 90 nicht vorhanden sind, scheint
nicht sowohl in dem Ermüden der Abschreiber, wie man vorausgesetzt
hat, sondern in einem mit dem vorhergehenden zusammenhängenden
Die Urkunden der Rranzrede 253
Umstände seinen Grund zu haben. . Noch sollten zwei Briefe (§212
und 221)y ein Beschluß der Thebaner (§ 214), zwei Ehrendecrete far
Demosthenes (§ 223), Beschlüsse der Athener nach den zwei glück-
lichen Gefechten (§ 217), und eine Zeugensage (§ 267) folgen; es
mochten mit den schon gegebenen Urkunden genug Paradigmen mit-
geteilt zu sein scheinen.
5. Jedenfalls ist nach jenem langem Decret des Demosthenes
noch ein Stück ebenso, wie es Demosthenes durch den Schreiber hat
verlesen lassen, vorhanden; dies ist das Epigramm auf die von Chai-
roneia Gefallenen (§ 289) \ Es hat sich dies ebenso vereinzelt gerettet,
wie hier und da in anderen Reden einzelne Aktenstücke. Werden in
den alten Erklärungen zum Demosthenes zwei heSöastg, die ä^x^cicc
und Sfjfic^Sfjg genannt (die Stellen s. bei Taylor in der Dobsonschen
Edition V S. Gl), so sind wir über die Eigentümlichkeit beider nicht
hinreichend unterrichtet, um etwa sagen zu können, daß in der Jiy/Acö-
Sf]g unsere Urkunden gestanden, während sie in der &qx^^<^ fehlten,
oder umgekehrt. Unzweifelhaft aber hat der auf diese zweideutige
Weise bereicherte Demosthenes früh Eingang gefanden und ist uns
im ganzen so überliefert, wie ihn die spätere Eaiserzeit las.
[^ S. jetzt über das Epigramm G. Kaibel de monumentorum aliquot Gfrae-
corum carmmibus (1S71) und die übrige Litterator bei Schäfer Demosthenes
n. 8. Z. III' S. 87. Dass das Urteil, welches Schäfer in der Vorrede zu seinem
Werk über die oben wieder abgedruckten Untersuchungen Droysens fällt, dem
Verdienst Droysens nicht ganz gerecht wird, braucht kaum bemerkt zu
werden. U. K.]
Ohronologische Übersicht.
(B bezeichnet ein attisches, 1
b ein julianisches Schaltjahr).
8. Jul.
Aristodemos
107. 1 B.
8.
Okt.
1. Pyan.
2. Aug.
1. Met.
7.
Nov.
1. Maim.
1. Sept
1. Boed.
6.
Dez.
1. Pos.
80. Sept.
1. Pyan.
5.
Jan.
349 b 1 Garn.
80. Okt.
1. Maim.
Philipp krank.
Dem. Phil. I a
3.
Febr.
1. Anth.
4.
März
1. Elaph.
28. Nov.
1. Pos. I
Die Athener nap-
8.
April
1. Mun.
Ötjfiei nachEuboia
2.
Mai
1. Tharg.
28. Dez.
351 I.Pos. II
ApollodorsAntrag
für (TtQatuaTixa
1.
Jun.
1. Skir.
Dem. Olynth. I,
bald darauf II.
26. Jan.
1. Garn.
30.
Jun.
Kallimachos
1074.B.Athengeg.
25. Febr.
1. Anth.
Korinth, Megara
26. März
1. Elaph.
Demosth. Choreg.
KampfbeiTamynai
30.
Jul.
1. Met
Uilfesend. der Ere-
trier nach Megara
25. April
1. Mun.
Nikodemos er-
28.
Aug.
1. Boed.
mordet
27.
Sept
1. Pyan.
24, Mai
1. Tharg.
26.
Okt
1. Maim.
28. Jon.
1. Skir.
25>
Nov.
1. Pos. I
Dem. Olynth. III
22. Jul.
Thessalos
107.2.Demosthe-
nes Buleut
24.
Dez.
3481. Pos. II
tf
21. Aug.
1. Met.
23.
Jan.
1. Garn.
19. Sept.
1. Boed.
Charidemos gen
Thrakien
25,
23.
Febr.
März
1. Anth.
1. Elaph.
\ euböische Ge-
) sandte in Athen
19. Okt
1. Pyan.
•
21.
April
1. Mun.
18. Nov.
1. Maim.
21.
Mai
1. Tharg.
17. Dez.
1. Pos.
Nemeen
20.
Jun.
1. Skir.
16. Jan.
350 l.Gam.
1 Dem. Phil. Ib;
1 Dem. Mid.
19.
18.
Jul.
Aug.
Theophilos
1. Met
108. 1
14. Febr.
1. Anth.
16.
Sept.
1. Boed.
16. März
1. Elaph.
16.
Okt
1. Pyan.
14. April
1. Mun.
14.
Nov.
1. Maim.
14. Mai
1. Tharg.
14.
Dez.
1. Pos.
12. Jun.
1. Skir.
12.
Jan.
347 l.Gam.
12. Jul.
Apollodoros
107. 8.
11.
Febr.
1. Anth.
10. Aug.
9. Sept.
1. Met.
1. Boed.
12.
März
1. Elaph.
] Philokrates erster
1 Antrafi:
Chronologische Übersicht
255
11. April
10. Mai
9. Jun.
8. Jnl.
7. Aug.
5. Sept
5. Okt.
4. Nov.
3. Dez.
2. Jan.
31. Jan.
2. März
31. Mftrz
30. April
29. Mai
28. Jan.
27. Jul.
26. Ang.
24. Sept.
24. Okt
22. Nov.
22. Dez.
21. Jan.
19. Febr.
20. März
18. April
18. Mai
16. Jan.
16. Jul.
14. Aug.
13. Sept
12. Okt
11. Nov.
10. Dez.
9. Jan.
7. Febr.
9. März
7. April
7. Mai
6. Jun.
5. Jul.
4. Aug.
1. Mun.
1. Tharg.
1. Skir.
Themistokles
1. Met
1. Boed.
1. Pyan.
1. Maim.
1. Pos.
346 1. Garn.
1. Anth.
1. Elaph.
1. Mun.
1. Tharg.
1. Skir.
Archiajs
. Met.
. Boed.
. Pyan.
. Maim.
. Pos. I
846bl.P.U
. Garn.
. Anth.
. Elaph.
. Mun.
. Thaig.
. Skir.
Eubulos
. Met.
. Boed.
. Pyan.
. Maim.
. Pos.
344 1. Garn.
. Anth.
. Elaph.
. Mun.
. Tharg.
. Skir.
Ljkiskos
1. Met
108. 2 Demostfae-
nes Buleut
Philokrates zwei-
ter Antrag
Friede in Athen
beschworen
Rückkehr der at-
tischen Gesandten
108.3 B.Eallisthe-
nesDecret 27. Skir.
Dem. de pace
Philipp feiert die
Pythien
108. 4
109. 1 B
2.
Sept
2.
Okt.
30.
Okt
29.
Nov.
28.
Dez.
27.
Jan.
25.
Febr.
27.
März
25.
April
25.
M|U
24.
Jun.
24.
Jul.
23.
Aug.
21.
Sept.
21.
Okt
19.
Nov.
19.
Dez.
17.
Jan.
16.
Febr.
17.
März
16.
April
15.
Mai
14.
Juni
13.
Jul.
12.
Aug.
10.
Sept.
10.
Okt
8.
Nov.
8.
Dez.
7.
Jan.
5.
Febr.
6.
März
4.
April
4.
Mai
2.
Jun.
2.
Jul.
31.
Jul.
30.
Aug.
28.
Sept.
28.
Okt
26.
Nov.
1. Boed.
1. Pyan.
1. Maim.
1. Pos. I
3431. Pos. n
1. Gam.
1. Anth.
1. Elaph.
1. Mun.
1. Tharg.
1. Skir.
Pythodotos
1. Met
1. Boed.
1. Pyan.
1. Maim.
1. Pos.
342 1. Gam.
1. Anth.
1. Elaph.
1. Mun.
1. Tharg.
1. Skir.
Sosigenes
1. Met
1. Boed.
1. Pyan.
1. Maim.
1. Pos.
1. Gam.
341 b.1. Anth.
1. Elaph.
1. Mun.
1. Tharg.
1. Skir.
Nikomachos
1. Met
1. Boed.
1. Pvan.
1. Maim.
1. Pos. I
Demosthenes als
Pylagore in Delphi
109. 2
Dem. de fals. 1^.
1
Orat de Halon-
neso
109. 3 Pentaeteris
des Lykurgos
Philipp gen Thra-
kien
Pythien
} Dem. Philipp. HI
Bündnis des Kal-
lias
1 Dem. de Cher-
J soneso
109. 4 B. Demo-
sthenes in Byzanz
Phokion in Euboia
Philipp geg.Byzanz
Antiphons Hin-
richtung
256
Chronologische Übersicht
26. Dez.
24. Jan.
28. Febr.
25. Mftrz
28. April
28. Mai
21. Jun.
21. Jul.
19. Aug.
18. Sept.
17. Okt.
16. Nov.
15. Dez.
14. Jan.
12. Febr.
14. März
12. April
12. Mai
10. Jun.
10. Jul.
9. Aug.
7, Sept.
7. Okt.
6. Nov.
5. Dez.
8. Jan.
2. Feb.
8. März
340 I.Pos. II
. Garn.
. Anth.
. Elaph.
. Mun.
. Tharg.
. Skir.
Theophrastos
. Met.
. Boed.
. Pyan.
. Maim.
. Pos.
339 1. Garn.
. Anth.
. Elaph.
. Mun.
. Tharg.
. Skir.
Lysimachides
. Met.
. Boed.
. Pyan.
. Maim.
. Pos.
338 1. Garn.
. Anth.
. Elaph.
Python in Athen
Anaxinos
Philipps große
Kapereien
DemosthenesRranz
durch Aristonikos
I
Kallias gen Pa-
gasai
Philipp genPerinth
und Chersones
110. 1
IPhokion in Me-
gara
Athens Kriegserkl.
gegen Philipp
Chares gen By-
zanz
Phokion gen By-
zanz
Pylaia in Delphi.
Zug gen Amphissa
Ende der Belage-
rung von Byzanz
110. 2 Außeror-
dentliche Pylaia
1 SkythischerFeld-
j zug
Das Zeichen
m
den Mysterien
Die Pylaia in den
Thermopylen
Philipp in Elateia;
Athen u.Theb. verb.
Philipp erobert u.
zerstört Amphissa
Die Schlacht am
Flusse
Die winterliche
Schlacht
2.
1.
81.
29.
29.
27.
April
Mai
Mai
Juni
Jul.
Aug.
26. Sept.
26.
25.
24.
22.
21.
21.
20.
19.
18.
17.
16.
15.
14.
13.
12.
11.
9.
11.
9.
9.
7.
7.
5.
4.
3.
Okt.
Nov.
Dez.
Jan.
Febr.
März
April
Mai
Jun.
Jul.
Aug.
Sept
Okt.
Nov.
Dez.
Jan.
Febr.
März
April
Mai
Jun.
JuU
Aug.
Sept.
Okt
2. Nov.
. Mun.
. Tharg.
. Skir.
Chairondas
Met.
. Boed.
. Pyan.
. Maim.
. Pos. I
837b iP.n
. Gam.
. Anth.
. Elaph.
. Mun.
. Tharg.
. Skir.
Phrynichos
. Met
. Boed.
. Pyan.
. Maim.
. Pos.
336 1. Gam.
. Anth.
. Elaph.
. Mun.
. Tharg.
. Skir.
Pythodemos
. Met.
. Boed.
. Pyan.
1. Maim.
110. 3 B. Pent&e-
teris des Habron
Schlacht von Chai-
roneia (7. Meta^.)
Eiliger Mauerbau.
Demosth. tnrdiyrjg
Frieden zwischen
Athen und Philipp
I Demosthenes hält
) den Epitaphios
Demosthenes Ge-
setz zumMauerbau
110. 4 Demo-
sthenes reixonovog
? Demosthenes
Theorikenvorsteh.
P Ktesiphons An-
trag
111. 1
? Aischines Klage
gegen Ktesiphon
Philipps Ermor-
dung
b. Die ürkanden in Demosthenes Bede rom Kranz betreffend.
(Au8 Bergk and Caesars Zeitschrift für die Altertamswissenschaft III 1845
Sp. 13 ff.)
[13] Von mehreren Seiten her bin ich aufgefordert worden, mich
über Hm. Böhneckes Rechtfert^ang und Benutzung jener Urkunden,
deren Unechtheit ich nachzuweisen versucht habe, zu äußern. Die
„Forschungen auf dem Gebiet der attischen Eedner" sind die Frucht
vieljahriger, mit seltener Beharrlichkeit durchgeführter Studien; ein
überaus reiches Material ist zusammengebracht, mit Umsicht benutzt
und mit Gewandtheit zu neuen Ergebnissen combiniert; und wenn die
Resultate auch keines weges immer so überzeugend sind, wie der Hr.
Verf. glaubt, so wird man seiner Untersuchung doch auch da mit
Interesse folgen, wo sie zu dreist oder in falscher Richtung Torzugehen
scheint.
In der zweiten Abteilung dieser Forschungen, der (rwayonyr} tprj-
(fiafiärayv, stellt Hr. B. die Geschichte der Jahre von Ol. 108 2 bis
Ol. 112 2 in der Art dar, daß er die Urkunden, deren sich besonders
in den Rednern eine nicht geringe Zahl angedeutet oder vollständig
mitgeteilt findet, in chronologischer Folge und, so weit es möglich
schien, die nur angedeuteten ergänzend aufführt und das zwischen
durch Geschehene erläuternd berichtet. Eben da tritt nun die Frage
über die Urkunden in der Rede vom Kranz mit besonderem Gewicht
hervor; von der Beantwortung derselben, darf man behaupten, hängt
zum großen Teil die Geschichte der Philippischen Zeit ab. Hr. B. ist
nicht bloß von der Echtheit jener Urkunden, sondern auch von der
Richtigkeit der von ihm aufgestellten Chronologie der pseudeponymen
Archonten in dem Maße überzeugt, daß er sagt: „er dürfe das Be-
kenntnis ablegen, daß keiner derselben von ihm einem unrichtigen
Jahre zugewiesen sei, und daß er niemals diese seine Über-
zeugung aufgeben werde" (S. XIX). Ich darf meinerseits bekennen,
daß ich es dankbar und bereitwillig annehmen würde, wenn durch die
völlige Beseitigung der gegen die Urkunden erhobenen Bedenken für
die Geschichte jener Zeit ein so reiches Material, wie sie enthalten,
endlich nutzbar gemacht werden könnte. Prüfen wir, was in dieser
Beziehung die Forschungen gewähren.
Hr. B. geht von dem Glauben an die Echtheit jener Urkunden
aus: „noch bemerke ich'^, sagt er, „daß ich jedes aus dem Altertum
überlieferte Aktenstück so lange für echt halte, bis das Gegenteil
vollständig erwiesen ist oder unabweisbare Gründe zur Verdächtigung
Droyson, Kl. Schriften I. 17
258 Demosthenes
vorhanden sind" (S. XYIII). Allerdings sind diese Aktenstücke aus
dem Altertum überliefert, aber doch nicht in einer Art, die jedes [1 4]
Bedenken ohne weiteres niederschlägt. Hr. B. hätte sich wohl auf
folgende Vorfrage einlassen müssen. Die Bede vom Kranz ist nicht
die einzige, in der sich Urkunden erhalten haben. Kamen die Urkunden
in diese wie in jene Bede auf dieselbe Weise? oder um gleich der
Frage eine entschiedenere Wendung zu geben: haben die Bedner selbst
in den Beden, die sie veröflFentlichten, die Urkunden mit ediert oder
nicht?
Entweder sie thaten es; dann hat Demosthenes auch in der Bede
vom Kranz, da er sie edierte, die Urkunden selbst mitgeteilt. Aber
wir haben anerkannter Weise in den vorliegenden Aktenstücken nicht
diejenigen, welche Demosthenes selbst eingelegt hat, da mehrmal die
Urkunden nicht zu dem paßen, was sie beurkunden sollen u. s. w. Es
müssen demnach die in der ursprünglichen Publikation der Bede mit-
geteilten Aktenstücke sich bei wiederholtem Abschreiben, bei Zurück-
treten des sachlichen gegen das rhetorische Interesse aus den gewöhn-
lichen Ausgaben verloren haben. Die uns vorliegenden Aktenstücke
sind erst später und ohne Zuziehung vollständiger Exemplare der Bede,
wie sie etwa in Alexandrien u. s. w. zu finden sein mochten, beigefügt
worden: von wem, wann, wie, das sind weitere Fragen.
Oder gaben die Bedner ihre Beden ohne die Aktenstücke heraus?
dann allerdings konnten die vorliegenden Urkunden nur durch gelehrte
Forschung aufgefunden werden, dann allerdings konnten Irrtümer
mancher Art einschleichen. Aber man wird vor allem nachzuweisen
haben, wie die Aktenstücke nicht bloß in die Bede vom Kranz, sondern
auch in die nicht wenigen anderen, die deren noch haben, eingelegt
werden konnten. Verträge und Zeugenaussagen in ganz privaten An-
gelegenheiten, Aktenstücke für Prozesse, die vor ihrer Beendigung auf-
gegeben worden, die aufzubewahren das Öffentliche keine Pflicht, ja
nicht einmal Gelegenheit hatte, können in der That nicht in den
öffentlichen Archiven von späteren Gelehrten aufgefunden und für die
Ergänzung der betreffenden Beden copiert sein ; Zeugnisse, daß etwa A
der Vetter von B und der Neffe von C ist, kann man weder im Archiv
aufbewahrt haben, noch war später irgend ein Interesse vorhanden
etwa für die Bede gegen Makartatos die langweiligen Zeugenaussagen
aufzusuchen und nachzutragen.
Oder haben die Bedner die Urkunden bald eingelegt, bald fort-
gelassen? Das wäre gar wohl denkbar; aber dann fügten sie die-
selben in den Fällen gewiß bei, wenn sie ihre Beden zu edieren zu-
gleich ein publicistisches Interesse hatten. Und die Bede vom Kranz
Zu den Urkunden der Rranzrede 259
war bestimmt, die ganze öffentliche Stellung des Aischines zu ver-
nichten, in den Augen des ganzen Griechentums ihn zu brandmarken;
hier galt es die überzeugendsten Beweise vorzulegen; hier vor allem
mußten die beweisenden Dokumente mit in die Hände des lesenden
Publikums kommen.
Nicht unwichtig erscheint folgender Umstand« Die stichometrischen
Angaben, welche im Cod. 2 hinter den einzelnen Reden vorkommen,
zeigen mit hinreichender Evidenz, daß sich in derjenigen Handschrift,
auf welche sie sich bezogen, die Urkunden [15] nicht vorfanden. Die
drei olynthischen Beden können, da sie keine Urkunden enthalten, am
füglichsten einen Maßstab gewähren; zur reichlicheren Vergleichung
füge ich noch die Zählung von ein paar anderen Beden hinzu; ich
stelle im folgenden die Zeilenzahl der größeren Züricher Ausgabe der
alten Stichometrie gegenüber; in der dritten Zahlenreihe steht das
Resultat, wie viel Zeilen der Stichometrie auf 100 Zeilen der Züricher
Ausgabe kommen, wobei die Bruchzahlen nicht ganz scharf ge-
nommen sind.
cod. 2.
ed. Turic.
auf 100
Olynth. L 265
243
109
„ IL 290
269
107»/,
,, III. 325
309
105V3
de Chers. 590
560
105V3
Philipp, m. 580
530
109 Vi,
defals. leg. 3280
3068
106«/e
in Macart. 670
614
109
(Urkunden 233)
de coron. 2758 2592 lOßV^
(Urkunden 445)
Das Ergebnis ist deutlich; nur wenn man in den beiden letzten Beden
die Urkunden nicht mitrechnet, kommt man zu einem Ergebnis, das
mit den übrigen Beden stimmt; wollte man die Urkunden mitzählen,
so würde man folgendes erhalten
in Macart. 670 847 79Vio
de coron. 2758 3037 OO^/g
Ist das Besultat auch nicht ganz so augenfällig bei den übrigen Beden
mit Urkunden, so ist doch hinreichend deutlich, daß die Handschrift,
auf welche sich die stichometrischen Angaben bezogen, keine Urkunden
enthielt Was folgt daraus? Es ist keine Frage, daß jene Sticho-
metrieen auf eine sehr alte Tradition zurückgehen (s. Sauppe epist.
crit. S. 49). Man hat nur die Wahl, entweder alle Aktenstücke, die
17*
260 Demoethenes
im Demosthenes noch vorkommen, für untergeschoben zu halten, oder
anzunehmen, daß nicht alle Handschriften der Beden, namentlich die
Originale nicht, die Urkunden in der Art, wie jene uns stichometrisch
bezeichneten, entbehrten. Noch halte ich das letzte für wahrschein-
licher; denn allerdings empfiehlt sich die Annahme einer ursprüng-
lichen Mitherausgabe der Aktenstücke doch gar sehr, und sodann
scheinen die Urkunden in den übrigen Beden keine Gründe zum Ver-
dacht darzubieten, deren in der Bede vom Kranz so viele sind. Frei-
lich mit Zuversicht ihre Echtheit auszusprechen vermag ich nicht; es
würde dazu einer sorgfältigeren Untersuchung bedürfen, als ich jetzt
zu beginnen Muße habe. Auch bedarf die Frage, die mir eben vor-
liegt, nicht notwendig eine Entscheidung über jenen Zweifel.
Nach dem obigen darf man vermuten, daß die Handschrift, auf
welche sich jene stichometrischen Angaben beziehen, mit ausgelassenen
Urkunden etwa eine Handausg., vielleicht die attikianische gewesen
ist, daß in älteren, etwa der äQxcciu^ die Urkunden gestanden haben
werden, aber in den Abschriften zum Schulgebrauch u. s. w. ausgelassen
wurden, daß sich in der Tradition unserer Handschriften wie auch
immer für einige Beden die alten Urkunden [16] eingeschlichen oder
erhalten haben (wenn anders die außer der Bede vom Kranz echt sind).
So also steht es mit der äußeren Beglaubigung der Echtheit
unserer Urkunden. Wir würden mit ihnen die Urkunden in allen
anderen Beden verwerfen, wie es die Züricher Editoren gethan haben,
wenn wir in denselben solche sachlichen Anstände fanden, wie deren
die in der Bede vom Kranz so zahlreiche haben; was sie schützt, ist
nicht ihre äußere Beglaubigung, sondern ihre innere Wahrscheinlichkeit
und Tadellosigkeit; um derenwillen darf man das Bedenkliche und
Zweideutige, was ihrem Vorhandensein anhaftet, irgend wie zu erklären
versuchen. Wenn den Urkunden in der Bede vom Kranz diese
Empfehlungen abgehen, so kann ihr Vorhandensein am wenigsten
beweisen, daß sie alt und echt sind.
Könnte man doch Näheres über jene Handschrift erkunden, auf
welche sich die Stichometrie bezieht. Hr. Sauppe scheint nicht abge-
neigt, diese Zeilenzählung bis nach Alexandrien hin, bis in die n/vaxe^
des Kallimachos oder Hermippos zurück zu verlegen. Mir ist es wohl
aufgefallen, daß die Zeilen dieser alten Handschrift bis auf einige
vierzig Buchstaben enthalten haben müssen, also bis auf das Doppelte
mehr als durchgehend die herculanensischen Papyre und als nament-
lich auch jenes von Letronne edierte Fragment, das vor der Mitte des
zweiten vorchristlichen Jahrhunderts geschrieben ist. Und doch wieder
wegen der längeren Zeilen, wie sie mit dem Pergament übüch werden
Zu den Urkunden der Kranzrede 261
mochten, an pergamenischen Ursprung jener Stichometrie zu denken,
scheint um so weniger rätlich, da unter den von Bitschl gesammelten
Beispielen die wenigen, die wir noch controllieren können, gleichfalls
längere Zeilen als die der angeführten Papyre zu haben scheinen. Ich
würde dies nicht erwähnen, wenn nicht Dionjs die Angabe hatte von
den TtivTs )) l| fAVQiciSe<i (tt/xohv des Demosthenes. Nach einem Über-
schlag, der sich auf die stichometrischen Angaben der zehn ersten
Beden stützt, muß die Handschrift, welche uns so repräsentiert ist,
natürlich mit Weglassung aller Urkunden, 34000 Zeilen etwa gehabt
haben. Sollte am Ende doch Dionysios eine Handschrift mit kürzeren
Zeilen gehabt haben? Könnte diese Frage mit einiger Sicherheit ent-
schieden werden, so würden sich daraus sehr merkwürdige Consequenzen
ergeben.
[17] Nun zurück zu Hrn. Böhnecke; er handelt nur von den
Urkunden in der Rede vom Kranz. Er sagt S. 350: diese Akten seien
nicht von Demosthenes selbst ausgegangen [acta . . . non ab ipso Den
mosthene profecta ist sein Ausdruck), sondern aetate non admodwn seriore
ex ipsis tabularii Attici autographis petita et orationi addiia sunt a viro
quodam doeto. In den Addendis wird jene aetas näher dahin bestimmt,
daß vielleicht der bekannte Apellikon in der Zeit des ersten mithra-
datischen Krieges die Urkunden eingelegt habe, vielleicht aber auch
sonst ein beliebiger semidoctus, der dessen Bibliothek, in welche auch
die Autographa des attischen Archivs gekommen waren, benutzen konnte.
Ausdrücklich ist nicht das die Meinung, als wäre etwa in jenem Archiv
ein Convolut Akten, den Prozeß wegen des Kranzes betreflFend, vor-
handen gewesen und von dem vir doctus benutzt worden: sondern aus
den mannigfaltigen Fächern des Archivs und nur daher soll derselbe
die Urkunden zusammengesucht haben, die uns noch vorliegen (die in
den Addendis geäußerte Vermutung, die auf ein wesentlich anderes
Verhältnis führt, übergehen wir im weiteren). So Hm. B's. Ansicht
Aber konnten sich alle diese Aktenstücke in dem attischen Archiv
vorfinden? Da lesen wir unter den fünf Briefen Philipps zwei, die
nicht an Athen gerichtet sind {§ 157 und 167); es ist wahr, sie können
abschriftlich dort vorhanden gewesen sein; aber weder ist das sonst
erwiesen, daß gerade in dem attischen Archiv eine Rubrik für der-
artige Copieen fremder diplomatischer Noten vorhanden gewesen, noch
kann man recht absehen, warum man ein diplomatisch so völlig inter-
esseloses Schreiben, wie das an die Peloponnesier § 157 ist, abschrift-
lich im Archiv sollte aufbewahrt haben. Von den Beschlüssen der
Byzantier und Chersonesiten werden freilich officielle Abschriften nach
Athen geschickt sein (s. Franz. Elem. S. 316). Aber wie die beiden
262 Demosthenes
Zeugnisse § 135 und § 137 in dem Archiv zu finden gewesen sein
sollten, ist schwer zu begreifen. Hr. B. meint S. 335, sie seien im
Sommer 330 kurz vor der Prozeßverhandlung von Demosthenes besorgt
worden; sie betreflfen Sachen, die auf den juristischen Inhalt des Pro-
zesses ohne alle Beziehung sind, also in keiner Weise bei der üvaxQKnq
vorkommen konnten; sie dienen nur dazu, die Person des Gegners in
ein möglichst schimpfliches Licht [18] zu setzen; wie sollen sie in dem
Staatsarchiv eine Stelle gefunden haben?
Warum überhaupt diese ganze Annahme eines im Staatsarchiv
arbeitenden vir doctus? Weil die Urkunden nicht immer auf das
passen, was sie bezeugen sollen und weil ihrer mehrere Archonten
nennen, die es nie gewesen sind. Das zu erklären, muß eine eigen-
tümliche Ordnung oder Unordnung in dem Staatsarchiv vorausgesetzt
werden; diese dann nach Maßgabe der vorliegenden Verkehrtheiten
hypothetisch zurecht gelegt, wird sicher die Übelstande alle erklären,
welche die Motive zu jener Hypothese hergegeben haben.
Zu dem Ende geht Hr. B. von der Ansicht aus, daß die pseplm-
mata avröyQCCfpu rogaiorwm manu scripta , , . . in tabtUario Attioo repo-
nebantur, und daß diese avröyQcctpa non eadem forma olvm extabant,
qtta nohis in oraiione de Corona offeruntur (S. 355). Hier ist zunächst
die Erklärung des Wortes aifröyQatpa sehr bedenklich; nicht als hätte
das Wort nicht diese Bedeutung, aber man kommt in Verlegenheit.,
wenn man sie annimmt. Etesiphons Antrag zur Kränzung des De-
mosthenes, wie er § 118 gelesen wird, ist entschieden der nicht, welchen
Aischines angreift, entschieden der nicht, welchen Ktesiphon nieder-
geschrieben hat; in dem vorhandenen Aktenstück sind mehrere Worte
und Wendungen, welche Ktesiphons Antrag hatte, ausgelassen. Hr. B.
sucht S. 583 nachzuweisen, daß diese Auslassungen durch die ver-
änderten Zeitverhältnisse motiviert seien, daß der ursprüngliche Antrag,
verfaßt im November 337, entweder kurz vor dem Prozeß (Sommer
330) von Ktesiphon selbst oder nach demselben ex ivdimm sententia
verändert und so in das Archiv deponiert sei. Wäre das erste der
Fall, hätte sich Ktesiphon veranlaßt gesehen, einige Lobeserhebungen
für Demosthenes in dem Ehrendecret zu streichen, wie würde das
Aischines in seiner Rede hervorheben: Ktesiphon wage ja nicht mehr
ävS(}ayccd'iag 'ivsxa den Demosthenes zu loben, da er sich so und so
oft feig benommen, Ktesiphon müsse sogar jenes xal sivoiag ijg 'ix(ov
SiUTtkBi elii Tovg ''£Xh]vag ÖTtavTag weglassen u. s. w. Selbst wenn
anzunehmen wäre, daß Ktesiphon seinen Antrag noch habe ändern
können, nachdem der Rat ihn durch ein Tiooßovksvfia zu dem seinigen
gemacht, dennoch würde man für den vorliegenden Fall entschieden
Zu den Urkunden der Kranzrede 263
leugnen müssen , daß es geschehen sei, da Aischines davon schweigt
Also müssen jene Veränderungen ex ivMoum senimtia gemacht sein;
wie, nachdem Demosthenes [19] gesiegt? kraft welches Eechtsgrundes?
zu welchem Zweck? ohne Widerstreben des Demosthenes, dem diese
Minderung seiner Anerkenntnis schimpflicher gewesen wäre als die
gänzliche Weigerung? Aber es sei, das Decret sei ex ivdicum serUentia
verändert worden, wie steht es dann mit der Lehre von den autograr
phischen Urkunden?
Hr. B. bemerkt weiter: in diesen Anträgen, wie sie von der Hand
der Antragsteller niedergeschrieben ins Archiv niedergelegt worden,
seien von den Antragstellern selbst keinesweges die Datierungen bei-
gefugt worden, sondern erst nach der Annahme des Antrages sollen
diese in singulari tabella vel schedula cuique addita aufgemerkt worden
sein (S. 357). Eben da wird gesagt, nicht der Name des Archonten
sei mit in den Datierungen aufgezeichnet gewesen, cum acta publica
per archontes disposita et cmusvis anni coüeotioni exterius eponymus
adscriptus fuisse videaiur. Mit einem videtur einen wesentlichen Punkt
begründen, ist wenigstens bedenklich.
Wir wollen zugeben, daß Anträge beim Rat wie beim Volke ihre
Datierung erst erhielten, wenn sie in das Archiv gelegt wurden und
zwar auf einem besonderen Zettel, und zwar ohne Beifügung des Archen.
Wie aber nun mit den Zeugnissen, deren wenigstens das § 137 unter
einem pseudeponymen Archonten abgegeben ist? denn es ist nicht
bestimmt in das Archiv gelegt zu werden, sondern Demosthenes hat
es sich für einen bestimmten Passus in seiner Prozeßrede beschaflft.
Wenn es in der noch vorliegenden Abschrift gar keine Datierung hätte,
so wurde man nicht dawider sagen können, es wäre diese eben, wie
bei so vielen Zeugenaussagen in den Rednern nicht mit abgeschrieben ;
aber das Zeugnis selbst, das Demosthenes für den Prozeß urkundlich
beibrachte und vorlesen ließ, muß, wenn es eine Datierung hatte, eine
vollständige gehabt haben, da es ja nicht in jene mit dem Namen des
Archen überschriebenen Schränke niedergelegt zu werden bestimmt
war, sondern zu Demosthenes Privatpapieren gehörte. Noch weiteres
Bedenken veranlassen die nicht attischen Beschlüsse in dieser Rede.
Man wird doch nicht annehmen dürfen, daß die Amphiktyonen, daß
Byzanz ein besser geordnetes Archivwesen gehabt habe als Athen;
wenn sich in deren Beschlüssen nun ordnungsmäßig der Eponymos
genannt findet, — nun so wird man in Delphi und Byzanz dafür
gesorgt haben, daß in den für Athen bestimmten Abschriften der Be-
schlüsse der Namen des Eponymos über dem Jahresschrank gehörig
beachtet und richtig verzeichnet wurde! So fand der vir doctus diese
264 Demo6thene9
genauen ävriyQUffal im Archiv. Seltsam, daß er in der eben so amt-
lichen Abschrift des Decretes der Chersonesiten den Eponymos nicht
Yorgefanden oder mit abgeschrieben hat! — Also Decrete bekamen
erst, wenn sie ins Archiv niedergelegt wurden, ihre Datierung. Mit
den Zeugenaussagen war es schon bedenklich. Wie mag es mit Klage-
schriften gewesen sein? Die Beispiele, welche wir sonst kennen, sind
ohne Datierung; wenn eine dergleichen, wie natürlich, bei jeder Klage
sein mußte, konnte man die Hauptsache der Datierung, [20] die Be-
zeichnung des Jahres (durch den Archen) auslassen? oder soll man
meinen, das Amt, welches die Klage entgegennahm, habe erst die
Datierung beigeschrieben, aber ohne Namen des Archen, der gewiß in
Archiven jedes Amtes wieder über den Schranken jedes Jahres gestanden
haben wird!
Also in das attische Staatsarchiv ging der vir doctus, um die
fehlenden Urkunden in der Bede vom Kranz zu ergänzen. Ein
Exemplar der Rede mit vollständigen Urkunden muß ihm nicht mehr
erreichbar gewesen sein; er hätt^. sonst weniger Mühe und ein gewisseres
Resultat gehabt. Merkwürdig nun, wie er sich in dem Archiv benahm.
Er wußte nichts mehr von der Einrichtung desselben mit oben über
den Schränken verzeichneten Archonten; kein Archivbeamter könnt«
oder wollte ihm das Richtige sagen. Er, der sich die sehr gelehrte
Mühe nahm, die Urkunden aus dem großen Archiv zu ergänzen, war
nicht gelehrt genug, die Archonten der etwa fünfzehn Jahre, um die
es sich handelte, nach ihren Namen zu kennen; er konnte gewisse
Namen, die sich den Urkunden beigefügt vorfanden, für die der
Archonten halten; statt gewissenhaft die Urkunden, so wie er sie vor-
fand, zu Gopieren und einzuschalten, erlaubte er sich die Datierung in
der Weise, daß er dem mißverstandenen Namen sein hnl . . . äQxovro^^
beifügte.
Diese kühne Hypothese ist nicht neu; aber Hr. B. fügt eine weitere
Vermutung hinzu, die noch nicht versucht worden. Jene Namen, die
der vir doctus zu Archonten gestempelt, hielten die, welche an die
Echtheit jener Urkunden glaubten, mit Böckh für Prytanienschreiber.
Hr. B. giebt dies auf; er findet, jene mißverstandenen Namen müssen
irgend eine jährige Magistratur bezeichnen; er erklärt sich für die
Strategen. S. 362 sagt er: diese hätten in Athen eine bedeutende
Rolle gespielt, es sei nicht unwahrscheinlich [non a pröbabilitate ab-
harret) j daß einer der Strategen (nicht etwa auf dem autographischen
Psephisma, sondern) in tabella qua tempora n^yiabaniur seinen Namen
beigeschrieben habe, zum Zeugnis rata es»se decreia et in tabulario repo-
nenda, Giebt es für diese phantasievolle Combination irgend welche
Zu den Urkunden der Kranzrede 265
„guten Gründe?" In einer Anmerkung spricht Hr. B. über das kni
XuiqAvSov ^jyefiövog &QxovToq § 84; unter den mehreren Erklärungen,
die dies zulasse, findet er auch die, daß der vir doäus auf der Urkunde
gefunden haben könne XcciQdvSov ffyefjLÖvog in genetivo absoltUo et
ini ÜQxovroq de suo addidisse u. s. w. Hr. B. scheint den Leser meinen
lassen zu wollen, daß diese Unterzeichnung des Hegemon beweise, wie
treffend die Vermutung über den Strategen seL
Ich darf nicht unterlassen zu bemerken, was Hr. B. in der Vor-
rede S. XIX schreibt: „was den amtlichen Charakter jener rätselhaften
Archonten betrifft — eine Frage, die für das Historische durchaus
unwichtig ist — , so lege ich auf die von mir aufgestellte Vermutung,
wiewohl ich sie auch jetzt noch, nachdem die Unhaltbarkeit aller bisher
darüber aufgestellten Hypothesen dargethan ist, für die wahrschein-
lichste halte, die man wagen könne, [21] weniger Gewicht". Aber
gerade jene Frage ist für das Historische von entscheidender Wichtig-
keit. Wenn ich die Unechtheit der Urkunden erwiesen zu haben
glaubte, so durfte ich die Frage über die Entstehung derselben, die
ich nachträglich und ohne Anspruch auf ein entscheidendes Besultat
berührte, mit YoUem Fug als unwesentlich bezeichnen. Aber wer der
entgegengesetzten Ansicht ist, der hat vor allem den argen Anstoß,
den diese falschen Archonten bieten, nicht auf willkürliche, sondern
überzeugende Weise zu beseitigen und nachzuweisen, wie sie einem
begreiflichen Irrtum ihre Entstehung danken. So lange dies nicht
geschieht, sind und bleiben die Urkunden verdächtig, und es muß ihre
Echtheit nachgewiesen werden.
Wäre die Echtheit der Urkunden anderweitig hinreichend doku-
mentiert und über allen Zweifel, so würde es erlaubt sein, zur Er-
klärung jener Pseudeponjmen, die ja nur ein Irrtum, ein Mißverständnis
sein könnten, eine Hypothese zu bilden; nur die mit Strategen müßten
wir eben so zurückweisen, wie die mit den Prytanienschreibem. Aber
die Urkunden sind ebenso wenig durch äußere Zeugnisse gesichert, wie
durch die verkehrten Archonten allein verdächtig; sie bieten außer
zahlreichen anderen Unerklärlichkeiten, deren durch Hm. Vömels
umsichtige Untersuchung doch nur einige wirklich erledigt sind, nament-
lich eine Anzahl politischer und historischer Notizen, die mit dem uns
sonst Überlieferten nichts weniger als in Übereinstimmung sind. Was
kann es nützen zu sagen, viele Staatseinrichtungen kennen wir zu
wenig, wenn wir sie gerade genug kennen, um specielle Fehler der
Urkunden aufzudecken; so, um ein früher von mir Übergangenes nach-
zuholen, wird in zwei Urkunden § 184 und § 73 ein attischer Nauarch
genannt; eine Bezeichnung, die für Athen sonst völlig unerhört ist,
266 Demosthenes
während gerade in Beziehung auf das attische Seewesen ein großer
Reichtum von Angaben vorhanden ist (Xenoph. Hell. I 6, 29. 7, 32
bezieht sich nicht auf Athen). Was kann es nützen die Geschichte
jener Zeit so zu recken und zu strecken, daß endlich diese Urkunden
hineinpassen, und dann zu sagen, die Geschichte selbst beweise ihre
Echtheit? Das ist ein Verfahren, daß, wer unbestochen urteilt, sich
nicht verhehlen kann {ut gut integre iudiccU, non sihi celare possit
S. 329), daß es unkritisch ist
Von der Menge sonstiger Verdachtsgründe gegen die Urkunden
nimmt Hr. B. wenig Notiz; er begnügt sich, denjenigen in möglichst
starken Ausdrücken zu perhorrescieren, der dieselben zusammengestellt
Ich will nicht unbemerkt lassen, welches Zugeständnis bereits ein
eifriger Verteidiger der Urkunden gemacht hat Hr. Vömel ist auf-
richtig genug, in Beziehung auf das lange Beeret des Demosthenes
§ 181 zu bekennen: „ich finde den breiten Ton desselben nicht Demo-
sthenisch und hätte nichts dagegen, wenn man dies eine und letzte
der in der Rede de Corona enthaltenen Decrete für unecht erklärte"
(Frankfurter Programm 1842 S. 9). Ich denke, dies eine wird die
anderen nachziehen. [22] Noch von einer anderen Seite her ist für die
Unechtheit ein bedeutendes neues Moment gewonnen; Hr. Ahrens in
seinen meisterhaften Untersuchungen über den dorischen Dialekt weist
nach, wie die Decrete der Byzantier und Chersonesiten nicht den sprach-
lichen Charakter tragen, den sie müßten; nos hide, sagt er S. 21, cer--
tissima fraudis argumenta petimus.
Von Hrn. B's. historischen Aufstellungen will ich ein paar bei-
spielsweise besprechen. Es sind die beiden Decrete, welche den Archen
Mnesiphilos an der Stirn tragen (§29 und § 37).
Es wird anerkannt, daß beide Decrete nicht diejenigen sind, welche
der Redner meint [non ea acta afferuntvr, qtuie orator inieUigit S. 353).
Es muß also, da ja die Urkunden echt sein sollen, der vir dootus sie
irriger Weise hier eingeschaltet haben. Wohl, er sah entweder nicht,
daß er verkehrte Urkunden hier einlegte, und dann war er einfaltiger
oder flüchtiger, als man seinem archivalischen Eifer und Forechungs-
geist gern zutrauen wird, oder er wußte es, daß er unrichtige Urkunden
beifügte, und dann wird man an seiner Redlichkeit irre. Aber es soll
das eine oder andere gewesen sein: da beginnt eine neue Schwierigkeit
Man weiß, unter wie sehr eigentümlichen Verhältnissen der Friede des
Philokrates, von dem Demosthenes in jener Stelle spricht, endlich
beschworen wurde. Philipp suchte allerlei Weigerung, um noch gewisse
Vorteile zu erreichen und namentlich thrakische Ortschaften (rcöv
vfiETiQcov (TVfifiüxGJv) ZU occupiereu, die nach definitivem Abschluß des
Zu den Urkunden der Kranzrede 267
Friedens gesichert waren. Darum beantragte Demosthenes, Gesandte
sollten nach den Gegenden, wo sie hörten, daß gerade Philipp sei,
eilen und so schnell als möglich die Beschwörung des Friedens ent-
gegen nehmen. Mit dem, was hiervon in der Rede vom Kranz steht,
stimmt allerdings das dort eingelegte Decret merkwürdig genug, ju
zum Teil wörtlich; und doch weiß man aus anderweitigen Verhältnissen,
daß dies nicht das Decret sein kann, welches Demosthenes meint. Es
muß sich also ein ganz ähnliches Verhältnis wiederholt haben, wo
eV)enso Demosthenes einen Antrag machte, ebenso eilige Gesandten,
ebenso an Philipp, ebenso Ssrot; ßv Övrcc nvvddv(ovxcci röv ^>ihnnov
abzuschicken, ebenso zur Beschwörung eines bereits abgemachten Frie-
dens, ebenso avfinBQihxfißdvovra^; xccl rov^ ixcerigov (xvfifiaxov^.
Hr. B. glaubt, diese eigentümliche Wiederholung von Verhält-
nissen durch folgende Combination zu entdecken. Allerdings folgte
der Schlacht von Chaironeia der sogenannte Friede des Demades; aber
es entstanden wahrscheinlich über das Prinzip der Autonomie bald
neue Weitläufigkeiten zwischen Philipp und Athen; es scheint nahe
daran gewesen zu sein, daß von neuem Krieg ausbrach. Schon vor
dem Frühling 336 wird Philipp nach Athen Gesandte geschickt haben,
mit der AuflForderung tä tt-iremes et copias sisterent (S. 603). Als der
König nun den Krieg gegen Persien begonnen (durch die Expedition
des Parmenion), so mußte ihm viel daran liegen Athen ruhig zu wissen.
So schickte dann Philipp Gesandte nach Athen ut pax iterum cum [23]
popuh firmaretur, und in Athen machte Demosthenes den Antrag,
welchen wir noch lesen, fünf Gesandte zu schicken u. s. w. Dies geschah
am letzten Hekatombaion 336 (3. August). Unt^r den erwählten Ge-
sandten nennt das Decret den Aischines, und eine notüia aurea in der
Rhetorik des Apsines sagt: „Aischines wird als Gesandter zum Philipp
geschickt; da er diesen schon gestorben findet, schließt er Vertrag mit
Alexander und wird wegen Truggesandtschaft verklagt". Man muß
also annehmen, daß Philipp im Anfang des Metageitnion (etwa den
ersten zehn Tagen des August) ermordet worden. Die Kunde davon
ward in Athen mit freudigster Bewegung begrüßt; aber nur zu bald
sah man sich enttäuscht. Alexander rückte heran, am 21. Maimak-
terion (22. November) beschloß man alles bewegliche Eigentum nach
Athen u. s. w. zu flüchten; das ist das Decret des Kallisthenes zur
Skeuagogie (§ 37). In der That, Hr. B. hat seine Hypothese geschickt
zu stützen gewußt, namentlich überrascht jenes Zeugnis des Apsines,
es überrascht unter den fünf Gesandten des Sommers 336 neben
Aischines die beiden Männer zu finden, die als Kletoren in der Urkunde
seiner Klage gegen Ktesiphon § 54 vorkommen, Ktesiphon und Kleoh;
268 Demosthenes
es überrascht die Combination dieser Absendung mit der Vertagung
des Prozesses über den Kranz: Demosthenes habe diese drei nebst
Demokrates und Eubulos abzusenden veranlaßt, um den ärgerlichen
Prozeß gegen Ktesiphon damit zu unterbrechen.
Schade nur, daß zunächst der Name des Aischines selbst unter
jenen fünf Gesandten des Decretes im hohen Maß unsicher ist, wie
Vömel gezeigt hat: „es muß hier*', sagt derselbe, „der Name eines
anderen Eothokiden (als Aischines) gestanden haben*^ Darnach bliebe
denn Aischines ganz fort aus jener hypothetischen Gesandtschaft an
Philipp. Aber die notitia aurea des Apsines? Hr. B. unterläßt es zu
bemerken, in wie geringem Maße historische Glaubwürdigkeit derartige
^fjTf'ificcra der Rhetoriker haben. Gleich nach jener Aufgabe propo-
niert Apsines die bekannte: „nach Athen kommt die Nachricht, daß
Philipp Elateia eingenommen; ein Gesetz befiehlt innerhalb dreier
Tage über Krieg zu berathen, Demosthenes fordert, man soll desselben
Tages ausziehen, Aischines widersetzt sich". Hr. B. hütet sich wohl
(8. 516) dieser Schulaufgabe mehr Bücksicht zu schenken, als sie ver-
dient; die ganze Situation ist nachweislich eine fingierte. Und die
notitia aurea? Üeber Aischines Anwesenheit in Makedonien beim Tode
Philipps findet sich in seiner Rede vom Kranz so wenig eine Spur
wie sonst irgendwo, noch weniger über jene Verträge, die Aischines
mit Alexander geschlossen haben soll; sie auf Autorität eines Schul-
themas zu glauben ist gegen das kritische Gewissen.
[25J Ist denn wirklich im Sommer 336 zwischen Athen und
Philipp über den Frieden verhandelt worden? Hr. B. sagt es; aber
mit welcher äußeren Begründung? mit welcher inneren Wahrschein-
lichkeit? Wären die Verhandlungen ausdrücklich so überliefert, wie
Hr. B. sie hypothesiert, so würde man bekennen, daß die Überlieferung
seltsame Dinge enthielte; wie, würde man sagen, Philipp sollte nicht
gleich bei dem Frieden nach der Schlacht von Chaironeia von Athen
mit dem Beitritt zum hellenischen Bunde, den er verlangte, die Aner-
kenntnis allgemeiner Autonomie gefordert haben, die als Grundlage
jenes Bundes betrachtet werden mußte? Athen and gar Demosthenes
sollte, wenn Philipp zum Perserkriege Frieden zu haben wünschte,
sich dermaßen beeilt haben ihn zu ratificieren? Statt daß Philipp,
der ihn wünschte, seine nach Athen geschickten Gesandten hätte bevoll-
mächtigen sollen die Eide zu geben und zu empfangen, muß Demo-
sthenes vorschlagen, möglichst eilig sollten die fünf attischen Gesandten
reisen? Hätte nicht gerade Demosthenes jetzt alles eher als Frieden
wünschen sollen? Und da finden wir von Hrn. B. selbst mitgeteilt
eine Notiz des Syrian, die wir mit demselben Fug wie er seine fwtitia
Zu den Urkunden der Kranzrede 269
aurea brauchen wollen : „es führen mit einander Philipp und der Groß-
könig Krieg, von beiden kommen Gesandte ein Bündnis zu beantragen:
Demosthenes rat mit dem Großkönig, Aeschine^ mit Philipp Bündnis
zu schließen^^ Und eben da soll Demosthenes so den Frieden beeilt
haben ?
Noch ein anderes. Hr. B. meint^' die Gesandten werden möglichst
bald abgereist sein; da sie ankamen, Mitte Metageitnion etwa (20. Augast),
fanden sie den König Philipp nach der notitia aurea schon tot. König
Philipp ist also im Anfange August ermordet worden. Wenn irgend
etwas ohne ausdrückliche Angabe durch Combination sicher gestellt
werden kann, so ist es, daß Philipps Tod nach dem September 336
fällt; Hr. B. freilich hat von dieser ihm unbequemen Erörterung keine
Notiz genommen. Nicht bloß die sieben Monate, die Alexander bei
seinem Tode (Anfang Juni 323) über zwölf Jahre regiert hatte, führen
darauf hin (das Genauere will ich nicht wiederholen), sondern ent-
scheidend ist, daß nach Arrian Ind. 21 der Anfang der Stromfahrt
auf dem Indus (am 21. September 325) noch in das elfte Jahr des
Alexander fallt; d. h. das erste [26] Jahr Alexanders, wie es in dieser
Datierung gerechnet wird, beginnt nach dem 21. September 336. Ent-
weder ist dies erste Jahr von dem Tage des Regierungsanfangs an
gerechnet, so daß hiemach feststehen würde, daß Alexanders Regie-
rungsantritt und Philipps Ermordung nach dem 21. September 336
stattfand. Oder — worauf der Ausdruck Arrians <bq sl Maxedövs,;
xai !AGiavoi Jjyov führt — es ist diese Berechnung, ähnlich wie die
im Kanon der Könige, so gemeint, daß das Jahr, innerhalb dessen
Alexander zur Regierung kam, sein erstes genannt wird, mit dem
nächsten Neujahrstage aber sein zweites beginnt. Das makedonische
und asiatische Jahr beginnt mit dem Monat Dios, welcher dem Pya-
nopsion entspricht; wenn im Jahr 325 am 21. September noch Alexan-
ders elftes Jahr datiert wurde, so begann das scj^enannte erste Jahr
Alexanders im Laufe desjenigen makedonischen Jahres, welches mit
dem ersten Dios 336, d. h. mit dem 3. Oktober, begann; also diesen
erlebte Philipp noch; er könnte jener Bezeichnung nach Wochen, Monate
später noch regiert haben; aber die Notizen über Alexanders Regierungs-
dauer und andere machen es so gut wie gewiß, daß Philipps Ermor-
dung nicht später als in den November fiel. Dies genügt, um zu
zeigen, daß die eilige Gesandtschaft, welche am 5. August abgegangen
sein soll, nicht nach Ermordung des Königs angekommen sein kann,
wie die notitia aurea angiebt.
Ich hoflFe mit dem Angeführten die Hypothese, welche das Decret
§ 29 erklären soll, hinreichend beleuchtet zu haben. Andere Hypothesen
270 Demostjienes
Ter wirft Hr. B. selbst mit vollem Recht; ist aber nun auch die seinige
so unannehmbar, wie sie es ist, so wird kein anderer Ausweg sein,
als die ünechtheit des fraglichen Aktenstückes einzugestehen. Eben
aus der nächst vorhergehenden Darstellung des Redners sind die Motive
zu diesem angeblichen Decret entnommen und danach ein Aktenstück
fabriziert, das historisch ohne Wert ist.
Aus dem weiteren Verlauf der Darstellung bei Demosthenes ergiebt
sich, daß des Kallisthenes Antrag zur Skeuagogie, von dem er spricht,
nicht lange nach jener Gesandtschaft gemacht worden ist, die er in
Antrag gebracht hat. Der Mann, welcher die Urkunden fabriziert hat,
sah das natürlich auch, weshalb er denn den im vorigen Decret ange-
wandten Archon Mnesiphilos auch in diesem § 37 benutzt. Von den
sonstigen Wundersamkeiten dieses Decretes will ich nicht von neuem
. sprechen. Hr. B. weiß für dasselbe eine wenigstens überraschende
[27] Combination aufzustellen. Unter den festen Plätzen nämlich, zu
denen man Hab und Gut retten soll, nennt dies Decret auch die Feste
Phyle auf der Nordseite Attikas. Nun ist im siebenten Buch der
Atthis des Philochoros von der Festung Phyle die Rede gewesen
(Harpocrt. v. (pvXr})\ indem Hr. B. als ausgemacht hinstellt, daß in
diesem siebenten Buch der Atthis die res Aiticae inde a pugna Ome-
ronens^i vd Phüippi obitu descriptae erani, gewinnt er ein Zusammen-
treffen, das gar leicht blenden kann; er glaubt sagen zu dürfen: Uaque
etia/m Philochori testimonio coniectura nostra com/prohatur. Man muß sich
durch die kleine Unredlichkeit, die hier mit unterläuft, nicht täuschen
lassen. Es ist nichts weniger als sicher, daß jenes siebente Buch mit
dem Jahr 338 oder 336 begonnen; es ist vielmehr nicht ohne Grund
vermutet worden, daß es erst mit Ol. 115 2 angefangen, so daß also
die Erwähnung von Phyle im siebenten Buch wohl in den Krieg des
Polysperchon und Kassander gehören wird.
Es ist meine Absicht nicht gewesen, Hrn. B's. Darstellung ihrer
ganzen Ausdehnung nach durchzunehmen; nach dem hier Besprochenen
wird dieselbe nicht geeignet scheinen, die einen in ihrem guten
Glauben an die Echtheit jener Urkunden zu befestigen und die anderen
in ihrer begründeten Überzeugung von der Ünechtheit derselben irre
zu machen.
Kiel, Dezember 1843.
e. Über das Geburtsjahr des Demosthenes ^
(Rheinisches Museum für Philologie herausgegeben von F. G. Welcker und
und F. Ritschi, Vierter Jahrgang Frankfurt a. M. 1846 S. 406—438).
Die Geschichte der Demosthenischen Zeit ist bei verhältnismäßig
großem Beichtum an Überlieferungen auf eigentümliche Weise unklar;
es sind nicht etwa nur einzelne Punkte unentscheidbar, sondern das
Ganze bekommt eine andere und andere Gestalt, je nachdem ein paar
Fragen beantwortet werden, welche nicht sowohl die Summa der
Schwierigkeiten zusammenfassen als vielmehr den Weg zu ihrer Lösung
sperren. Ungemein oft und mit großem Aufwand von Scharfsinn und
Gelehrsamkeit sind einzelne dieser Schwierigkeiten untersucht worden.
Ein neuestes Werk „Forschungen auf dem Gebiet der attischen Redner
und der Geschichte ihrer Zeit, von Karl Georg Böhnecke" stellt sich
umfassender die Aufgabe, „einer Philippischen Geschichte den Weg zu
bahnen und vor allen die Grundlage für sie festzustellen"; Hr. Böhnecke
glaubt, „alle bedeutenderen schwierigen Fragen, welche uns in der Chro-
nologie des Philippischen Zeitalters entgegentreten — nach einem eine
Beihe von Jahren denselben gewidmeten Studium glücklicher als seine
Vorgänger gelöst, andere der Entscheidung näher gebracht zu haben"
(S. IX).
Drei Fragen sind es, auf deren Entscheidung es insbesondere
ankonmit. Die eine ist: sind die Urkunden in der Bede vom
Kranz echt oder unecht. Ob Hm. Böhneckes Urkundensammlung
dazu angethan ist die Zweifel, welche gegen die Urkunden ausge-
sprochen sind, zu überseitigen, habe ich in einem der Zeitschrift für
Altertumswissenschaft bestinmiten Aufsatz ausführlicher besprochen
[oben S. 257 ff.].
Die zweite Frage, die nach der chronologischen Folge der
beratenden Beden des Demosthenes, ist besonders [407] dadurch
verwickelt, daß gegen mehr als eine der vorliegenden Beden der Verdacht
der Unechtheit geltend zu machen ist; Hr. Böhnecke nimmt sie sämt-
lich für echt, ohne die Gegen gründe, namentlich die sprachlichen und
rhetorischen, hinreichend gewürdigt oder auf überzeugende Weise ent-
kräftet zu haben.
Die dritte dieser Hauptfragen will ich im folgenden näher erörtern:
wann ist Demosthenes geboren? Ich setze die Untersuchungen
von Böckh, Clinton, Ranke, Thirlwall, Seebeck als bekannt voraus; im
entferntesten nicht mag es für eine Mißachtung ihrer Arbeiten ange-
sehen werden, wenn ich nur Hrn. Böhneckes Aufstellungen näher
1 [Vgl. Schafer Demosthenes u. s. Z. III 2 S. 38 ff.].
272 Demosthenes
berücksichtige; auch dies wird nur so weit geschehen, als es das
Interesse der Untersuchung fordert.
Unter den verschiedenen Angaben alter Autoren, auf welche man
sich bei dieser Untersuchung beziehen kann, finden sich zwei, welche
das Jahr, in welchem Demosthenes geboren ist, angeben; aber sie
weichen um vier Jahre von einander ab.
In dem angeblich Plutarchischen Leben der zehn Redner S. 845 d
heißt es: „37 Jahre alt, wenn man vom Archon Dexitheos (OL 98 4)
bis zum Archon Kallimachos (Ol. 107 4) rechnet, riet Demosthenes den
Olynthiem Hilfe zu senden" u. s. w. Kallimachos ist der 37, Archon
von Dexitheos an, wenn man diesen mitzählt; unzweifelhaft meint diese
Berechnung, daß Demosthenes im Jahr des Dexitheos geboren ist Es
würde bei der Eigentümlichkeit dieser Sammlung biographischer Notizen
an sich kein Grund diese Nachricht zu verwerfen in dem Umstände
liegen, daß weiterhin (S. 847 b) über das Alter des Demosthenes bei
seinem Tode zwei Nachrichten gegeben werdön, von denen keine mit
jenem Geburtsjahr in Übereinstimmung ist.
Dionys von Halikamass sagt in dem Briefe an Ammaios (C. 4),
Demosthenes sei in dem Jahr vor der hundertsten Olympiade geboren
{kvtavT(p 'jtQÖTEQOv T/'Js ixuToaT'fj^ ^Oky/juitäSog). Allerdings darf die
Autorität des Dionys im allgemeinen höher gelten als die jener bio-
graphischen Sammlung. Nicht als ob wir ihm überall ohne weiteres
trauen möchten; aber gerade jener Brief ist recht eigentlich in chrono-
logischer Absicht geschrieben; daß [408] Demosthenes in seiner Bered-
samkeit von Aristoteles unabhängig sei, soll aus dem Alter beider
nachgewiesen werden. Dionys hat zu dieser Untersuchung die Attlus
des Philochoros und die ßiot t(ov üvSqiov benutzt.
So diese beiden Angaben. Hat nun notwendig die eine oder die
andere Recht? hat man keinen anderen Grund sich zu entscheiden als
die größere allgemeine Glaubwürdigkeit, die etwa der Rhetor vor dem
biographischen Sammler voraus hat?
In Demosthenes Reden finden sich einige Andeutungen, aus denen
sich das Jahr seiner Geburt bestimmen zu lassen scheint. Die be-
stimmteste ist in der Rede gegen Meidias S. 564: dort nennt er sich
32 Jahre alt. Und nun giebt Dionys im Fortgang desselben Briefes
an, daß die Rede gegen Meidias in dem Jahre des Kallimachos Ol. 107 4
geschrieben ist; es ergiebt sich, daß Demosthenes, wenn man das
von Dionys angegebene Geburtsjahr als sein erstes setzt, in dem Jahre
des Kallimachos sein dreiunddreißigstes hatte, also volle 32 Jahre
alt war.
Kann bei solcher Übereinkunft noch Zweifel sein? Man würde
über das Geburtsjahr 273
sich alles weiteren bescheiden müssen, wenn nicht eine andere Demo-
sthenische Angabe zu einem abweichenden Ergebnis führte.
Demosthenes hatte, sobald er mündig geworden war, seine drei
Vormünder wegen der betrügerischen Verwaltung seines Vermögens
zur Rechenschaft gefordert. Wir kennen namentlich seine Händel mit
Aphobos. Zuerst ward die Sache vor befreundete Männer gebracht (kv
ToTg fpiXotq SiaSixuGaa&ai^ gegen Onetor I § 2), dann unter vielen
Weitläufigkeiten von selten des Aphobos, vor einem Diaiteten verhandelt;
endlich kam es zum Prozeß vor den Heliasten. Sie entschieden zu
Gunsten des jungen Demosthenes, sie stimmten für das volle Tt'firjfjLa
von 10 Talenten, das er beantragt hatte. Aber noch fehlte viel, daß
Aphobos hätte zahlen mögen. Um sich auf alle Fälle einflußreiche
Verbindungen zu sichern, hatte Aphobos sich kurz vor der Mündigkeit
des Demosthenes mit der Schwester des reichen Onetor, die sich eben
in Güte von Timokrates geschieden hatte, verheiratet. Als nun Demo-
sthenes infolge des ßichterspruches und da Aphobos nicht zahlte, von
dessen Grundstück [409] Besitz ergreifen wollte, trat Onetor entgegen:
das Grundstück sei pfandweise für die Mitgift seiner Schwester in
seinen Händen, seine Schwester sei von Aphobos wieder geschieden.
Demosthenes klagte hierauf gegen Onetor; in der uns vorliegenden
Rede führt er aus, wie das ganze Verfahren der Gegner auf Lug und
Trug beruhe. Zunächst gilt es nachzuweisen, daß bei der Verheiratung
die Mitgift an Aphobos gar nicht ausgezahlt, sondern verzinslich bei
dem ersten Ehemann stehen geblieben ist; dies wird durch Zeugen-
aussagen bestätigt. Sodann muß erwiesen werden, wie unwahrscheinlich
es ist, daß Aphobos während der Zeit seiner Ehe die Mitgift ausgezahlt
erhalten habe. Demosthenes sagt (gegen Onetor I § 15): sie ver-
heirateten sich, als Polyzelos Archen war im Monat Skirophorion
(Ol. 103 2 etwa Juni 366) und die Trennung der Ehe wurde bei der
Behörde aufgezeichnet als Timokrates Archen war im Monat Posideon
(Ol. 104 1, etwa Dezember 364) hyoj Si Bv&ifg fjtsrä rovg yäfiovg
Soxifiaa&elg hfsxäkovv xal Xöyov äTtfjTOvv xai tiüvtcov ccnoarBgov-
fjLSPog rag Sixag hhiyx^'^ov hnl rov airov ÜQXovrog (Hr. Böhnecke
versteht S. 69 unter diesem Archen den Timokrates)- 6 Sri XQ^^og
ovTog dfpBiXfjaai fjbiv ivSixBTcci xcerä rag öfioXoyiag, ccitoöovvai S* oinc
ix^i niaxiv. Dies Enthymema (wenigstens nach Aristoteles Theorie ist
es ein solches) ist vortrefflich: zwei Jahre und einige Monate drüber
hat die Ehe gedauert; die Ehe ist so kurz, daß es nichts Unwahr-
Bcheinliches hat, wenn es während derselben mit der Mitgift in der
bei der Verheiratung beliebten Disposition blieb; dagegen ist es im
hohen Maße unwahrscheinlich, daß die Mitgift, wenn sie einmal nicht
Droysen, Kl. Schriften I. 18
274 Demosthenes
gleich Anfangs ausgezahlt worden, an Aphobos nachher sollte über-
wiesen worden sein, da er bereits wegen Fährung der Vormundschaft
zur Rechenschaft gefordert und damit sein ganzes Vermögen bis zur
Entscheidung der Sache in Verhaft war; unwahrscheinlich um so mehr,
da seine unverantwortliche Verwaltung des Demosthenischen Vermögens
stadtbekannt war und nicht eben ein für ihn günstiger Ausgang der
bereits eingeleiteten Untersuchungen erwartet werden konnte. Hat
also Aphobos die Mitgift nicht gleich bei der Verheiratung erhalten,
so ist sie ihm später gewiß nicht [410] ausgeliefert, ja auch nicht
einmal in der ersten Zeit nach der Hochzeit (§ 14); denn sv&vg furä
Tovg yäfjiovg kam die Prüfung, sofort begann das kyxccXüv und Xöyov
änaiTuv und damit war die finanzielle Sicherheit des Aphobos viel zu
sehr gefährdet, als daß man ihm noch irgend ein Kapital hätte anver-
trauen können; vielmehr bestimmten eben dieser Unsicherheit wegen
schon die Ehegatten die Mitgift bei dem ersten Ehemann verzinslich
stehen zu lassen. „Jener Beweis nun^^ sagt Demosthenes, „daß die
Heirat wirklich in der angegebenen Zeit (Skirophorion des Polyzelos)
gemacht ist, daß wir in der Zwischenzeit schon als AvriSixot gegen
einander standen, und daß die Trennung der Ehe später als der Beginn
des förmlichen Prozesses war {üaregov S' tj kyoj tijv Sixrjv akcsxov\
dafür lies die Zeugnisse^. Folgen die Zeugenaussagen, oder genauer,
wie man aus dem weiteren sieht, die Zeugnisse zunächst über die Zeit
der Verheiratung; dann fahrt Demosthenes fort; „nach diesem Archen
(d. h. Polyzelos) folgte Kephisodor, Chion ; kni tovtoov ivsxükow Soxt-
pLccird-sigy ÜMXov äi zijv Six^v ini Tifioxgärovg^' (§ 17). Folgt das
zweite Zeugnis betreffend rä kv t(p fisrcc^v x^öpq), also die Verhand-
lungen vor den Freunden, das Verfahren vor dem Diaiteten, die Ein-
leitung des förmlichen Prozesses betreffend; dann folgt ein drittes Zeugnis
über die Zeit der Trennung der Ehe.
Es war unvermeidlich, diese ganze Reihenfolge von Verhältnissen
darzulegen, weil auf ihrem richtigen Verständnis die Entscheidung der
ganzen Frage beruht. Daß Demosthenes rtjv Sixtjv Hax^ unter dem
Archon Timokrates und zwar vor der Scheidung im Posideon (vor
Dezember 364) ist klar. Aber ist nicht alles übrige ebenso klar? Ich
würde nicht weiter davon sprechen, wenn nicht Hr. Böhnecke ein
Mißverständnis hineingetragen hätte, das freilich notwendig ist, wenn
seine Ansicht nicht von dieser Demosthenischen Stelle compromittiert
werden soll. Wie oben erwähnt, versteht er die Worte hnl rod avrov
äQXovTog so, als wenn Timokrates damit gemeint wäre. Aber was
that Demosthenes knl rov ccirtov äQxovvoq? er sagt: sb&v^ futä rovg
yäfjLovg doxtfKXfT&stg kvBxükow xui löyov dniJTOVV xa\ nävtcov
über das Grebortsjahr 275
AnotTTiQOv^voq räq Sixccg iXüyxccvov [411] (nicht iht^ov)-^ wenn
alles das anter demselben Archon Timokrates, wie Hrn. Böhneckes
Interpretation will, geschahen sein sollte, wie konnte denn Demosthenes
später sagen, „nach Polyzelos folgte Kephisodor, €hion, knl rovtiov
kvBxdXow Soxtfiec(T%9B/g? Aber indem «r das tkax^^ ^^ ^^^ Sixtjv
ini Tifiox^ürovQ gleich hinzufügt^ klärt er for jeden, der den Aorist
Yom Imperfectum zu unterscheiden weiß, die Sache völlig auf. Vorerst
also: kni tov ccirrod äQxovrog ist kein anderer als Polyzelos; und noch
unter diesem, in dessen letztem Monat (etwa Juni 366) erfolgte die
Dokimasie des Demosthenes ; nach Ablauf des Monates begann er seine
Maßregeln gegen die Vormünder zu treffen, beschweiie sich in Gegen-
wart bezeugender Freunde über deren Verwaltung seines Vermögens,
forderte Rechenschaft, gab zu erkennen, düß er an das Gericht zu
gehen entschlossen sei u. s. w. Zunächst mochten die Vermittelungs-
Tcrsttche d^r Befreundeten sich geraume Zeit hinziehen. Als sie ohne
Resultat blieben, ging man an die Diaiteten, wo Aphobos in der Ana-
krisis und weiterhin Weitläufigkeiten in Menge machte; denken wir,
daß damit der Rest des Jahres Eephisodoros und dann zum Teil das
Jahr des Gfaion verfloß; denn in} tovtohv ivwdlovr, ein Ausdruck,
der allerdings nicht völlig scharf das Verfahren vor den Diaiteten mit
bezeidmet. Als auch hier erfolglos verhandelt war, mußte die Sache
an ein Heliastengericht gebracht werden; wahrscheinlich hatte Demo-
sthenes bei dem Einfluß des Gegners und seiner Gomplicen (Onetor,
Meidias u. s. w. ja möglich, daß der Archon Timokrates eben der frühere
Mann von Onetors Schwester war, denn die Ardionten sind, wie nach-
gewiesen werden kann, meist Männer von Distinction; freilich das
%QO<n:ävTig tov npäyficcrog in der ersten Rede gegen Onetor § 18
wird aus dem Texte weichen müssen) — wahrscheinlich, sage ich, hatte
Demosthenes Mühe genug vrjv Sixf}v TMyxdvBiv^ wie es später, als er
gegen Meidias i^ovXriq verfahren wollte, Jahre lang währte (mehr als
acht Jahre, wenn dem Zeugnis in der Rede gegen Meidias § 81 zu
trauen ist), ehe er riiv Sixtjv ihxx^* Natürlich hat diese Verteilung
dessen, was kv T<p fiera^v XQ^^<P geschehen ist, keinen weiteren An-
sprach auf [412] Genauigkeit, aber auch keine Wichtigkeit far die
Frage, die uns vorliegt
Aus dem Bisherigen ergiebt sich, daß Demosthenes Dokimasie
in den letzten Monat des Polyzelos (etwa Juni 366) gehört, daß es
zwei volle Jahre währte, bevor der Prozeß gegen Aphobos zur helia-
stischen Entscheidung eingeleitet wurde, daß diese Einleitung (es
ist für uns gleichgültig, ob mit dem rfjv Sixrjv äkaxB der Anfang
der Anakrisis beim Archon oder was sonst bezeichnet ist) im Jahre
18*
276 Demosthenes
des Timokrates und zwar vor dem Posideon (etwa Dezember 364)
stattfand.
Dionys sagt in der mehrfach erwähnten Stelle: Jr/fioad-iviig
hyBVvfi&rj fj^v kviccvT<p TtQÖreQov rrjg ixuroavTjg 'OXvfimüSoq, äg^ovroq
Sk TifioxQäzovg elg ärog Ijv ifißeßijxcjg inrccxaiShcarov, Wenn diese
Angabe richtig ist, so war Demosthenes im Ausgang des Jahres Poly-
zelos (OL 103 2) in sein fünfzehntes Jahr getreten, und seine Dokimasie
fand also statt nach vollendetem vierzehnten Jahr; in welchem Ab-
schnitt des fünfzehnten, bleibt unentschieden. Wenn Hr. Böhnecke
(8. 69) sagt, die Dokimasie fand statt „unter dem Archon Kephisodor
Ol. 103 3, als Demosthenes im sechszehnten Jahre seines Alters stand^^,
so ist das eine Behauptung, die mit der richtigen Interpretation des
knl Tov avTov (!^()/ovtos in Widerspruch steht und selbst durch die
falsche nicht empfohlen wird.
Über die Dokimasie hat Hr. Böhnecke eine lehrreiche Zusammen-
stellung der Überlieferungen gegeben. So mannigfach die Angaben
über die Zeit, wann sie eintrat, abweichen, so findet sich doch keine,
die das vollendete neunzehnte Lebensjahr dafür anspräche. Begreiflich;
denn diejenige körperliche Entwickelung, auf welche sich eben jene
Prüfung besonders bezieht, ist mit dem vollendeten vierzehnten Lebens-
jahr erst im Beginne. Vollkommen richtig ist die Erklärung, welche
Hr. Böhnecke dem kniSierig ijßäv giebt; es sind damit die zwei Jahre
von den ersten Regungen der Pubertät bis zu ihrer völligen Ausbildung
bezeichnet. Wir verstehen mit ihm, gestützt auf Didymos (bei Harpocr.
V. kniSterig ^ßfjaai): häv ixxaiSsxcc kr&v yivtovrai (und der Verlauf
der Darstellung wird es völlig rechtfertigen), unter diesen zwei Jahren
unbedenklich [413] das fünfzehnte und sechszehnte; gewiß mit seltenen
Ausnahmen wird ein attischer Knabe mit Vollendung seines sechs-
zehnten Jahres in der Weise körperlich entwickelt sein, wie es die
Prüfung fordert Ferner findet sich aus einer Rede des Hyperides
folgende Stelle citiert (Harporcrat. a. a. 0.) hnü 3i kveyQdtprjv t/ca xal
6 vöfAog dneScDXB rtjv xofiiSiiv r&v xaraleKp&ivTmv xf jtw7T(>i, &g
xBXemi xvQiovg eivcct rr/g knixX'/iQOv xal xTlg omiag Aitdarig xovg
ncciSag kneiSäv kniSiexig fjß&Giv, Ganz dasselbe ergeben andere
Stellen, namentlich Isaios über Eirons Erbschaft (§31). Also nach
dem Gesetz erhält der Sohn die väterliche Verlassenschaffc, wenn er
in sein siebzehntes Jahr getreten ist, vorausgesetzt, daß die
Dokimasie ihn hinreichend entwickelt gefunden hat.
Wir überzeugten uns, daß Demosthenes Dokimasie im letzten
Monat des Polyzelos OL 103 2 (etwa Juni 366) stattfand. Also war er
bereits in sein siebzehntes Jahr getreten, als dem Polyzelos Kephisodor
über das Geburtsjahr 277
folgte; er war in sein neunzehntes Jahr getreten, als Timokrates begann
Ol. 104 1 (etwa Juli 364).
Aber das Zeugnis des Dionys? Aus Demosthenes selbst ist nach-
gewiesen, daß die Angabe: ägxovroq Si TifioxQärovg slg Hrog ^v
ifißeßrjxmg inraxaiShcarov falsch ist. Da Dionys Angabe über Demo-
sthenes Geburtsjahr mit dieser über dessen Alter beim Beginn des
Timokrates in Tölliger Übereinstimmung ist, so kann auch sie nicht
länger für richtig gelten; Demosthenes ist nicht, wie Dionys
behauptet, Ol. 99 4 geboren. Aber wie ist es zu erklären, daß
diese Datierung genau zu den 32 Jahren in der Rede gegen Meidias
stimmt? Eben nur Tom Dionys selbst erfahren wir, daß diese Rede
Ol. 107 4 geschrieben ist. Schon von Böckh ist es ausgesprochen, daß
Dionys seine Angabe über das Geburtsjahr des Demosthenes nicht etwa
aus einer alten bewährten Überlieferung entnommen haben kann, son-
dern daß dieselbe wahrscheinlich von Dionys selbst berechnet ist, und
zwar berechnet aus den noch vorliegenden und eben besprochenen
Daten. Ich glaube nicht, daß Dionys einen so künstlichen Fehler
gemacht hat wie derjenige ist, mit welchem sein Fehler hat verteidigt
werden [414] sollen; Dionys wird aus der besprochenen Stelle gegen
Onetor entnommen haben, daß Demosthenes im Jahr des Timokrates
mit Aphobos prozessierte, was bekanntlich gleich nach dem Ende der
Vormundschaft geschehen sei; und da die Vormundschaft ende, wenn
man elg ärog kfjbßeßTjxcjg inrccxaiSixarov ist, so müsse Demosthenes
OL 104 1 in sein siebzehntes Jahr getreten, also Ol. 99 4 geboren sein.
Die Rede gegen Meidias, nur geschrieben, nicht gesprochen, ließ sich
aus der Angabe der 32 Jahre berechnen. Ich sage, Dionys selbst
wird diese Berechnung gemacht haben; allerdings leitet er seine chrono-
logische Übersicht mit den Worten ein: ävüyxrj S' Xacog nQ&xov, oaa
naoiXccßov hc rßtv xoiv&v iaroQt&v, &g xaxiXinov rjfiTv oi rovg ßiovg
rß)v ävS()öjv (Tvvtcc^äfievoi , nooeinBiv, und es könnte darnach wohl
möglich sein, daß die Angaben, wie er sie vorlegt, nicht erst von ihm
berechnet seien, sondern bereits von früheren, z. B. von Hermippos.
Für unseren Zweck macht das keinen Unterschied, es würde nur be-
weisen, daß man schon hundert oder hundertundfünfzig Jahre nach
Demosthenes in Alexandrien keine authentische Überlieferung über sein
Geburtsjahr hatte, sondern dasselbe und zwar falsch berechnete.
Sind wir nicht im stände das Geburtsjahr des Demosthenes seinen
eigenen Angaben gemäß zu bestimmen? Nicht so ganz. Es ist doch
nicht ausgemacht, ob sofort nach vollendetem sechzehnten Jahr die
Dokimasie eintrat. Einerseits stellt Hr. Böhnecke auf Anlaß einer
Äußerung in Bekkers Anekd. S. 235 14 die Vermutung auf, daß es
278 DemoBthenes
mit von dem Ermessen der Vormünder abgehangen habe, wann die
Prüfung vorgenommen werden sollte (Forschungen S. 62). Ich finde
keine Angabe, aus der sich mit Sicherheit das Gegenteil erweisen ließe;
jedenfalls scheint in dieser Beziehung gegen Demosthenes nichts Unge-
bührliches geschehen zu sein, da er sonst nicht unterlassen haben
würde, auch diese Chicane seiner Vormünder ans Licht zu ziehen; aber
eben darum kann ich jene Vermutung nicht wahrscheinlich finden,
denn diese Vormünder würden eine so vortreffliche Gelegenheit zum
Ghicanieren auszubeuten verstanden haben. Andererseits ist denkbar,
daß nicht für jeden einzelnen eine Prüfung angesetzt wurde, sondern
einmal oder einige [415] Male im Jahr ein Tag der Dokimasie für
die inzwischen Herangewachsenen stattfand, und dann würde man
nichts Näheres bestinmien können, als daß Demosthenes im Laufe von
Ol. 1 03 2 sein sechszehntes Jahr vollendet hatte, also OL 99 2 geboren
war. Oder auch es ist denkbar, daß Demosthenes Stä rijv rov adh-
juarog ä(T&ivetav xai &Q\y\piv (Plut. Dem. 4) bei vollendetem secbs-
zehnten Jahr noch nicht den Forderungen der Prüfung entsprach, erst
ein oder zwei Jahre später reif befunden wurde: ja man könnte auf
den Einfall kommen, die Datierung im Leben der zehn Redner auf
diese Weise zu erklären. Nur die dionysische Berechnung für das
Geburtsjahr, für das Alter des Demosthenes im Jahr des Timokrates
und für die Zeit der Bede gegen Meidias, findet hier keine Möglichkeit
einer Beehtfertigung.
Gegen die erste dieser Denkbarkeiten finde ich eben nichts Posi-
tives geltend zu machen; weiß man doch nicht einmal, wer die hq^g-
ßvzBQoi sind, welche die Dokimasie vornahmen (Schol. Aristoph. Vesp.
578); wenn Aristophanes seinen Philokieon das naidmv Soxifia^ofUvcov
aiSoia ß'täGÖ'ai als eine der Anmutigkeiten des Bichterseins bezeichnen
läßt, so ist wohl schwerlich die Meinung, daß jede Dokimasie dort vor-
genonunen wurde, sondern das Gericht wird nur eingetreten sein, wenn
eine Dokimasie vnöStxog wurde. Aus der Natur der Sache jedoch
scheinen sich einige Schlüsse zu ergeben. Weder der Beginn der
Pubertätsentwickelung noch ihre Vollendung ist in dem Maß genau
zu datieren, daß man das kmSiBTk^ i]ßfj<Tat von seinem Anfang her
genau nachrechnen oder für den Schluß dieser zwei Jahre eine andere
Bestimmung aufstellen konnte als die summarische eines Alters, in
dem die erforderliche Entwickelung aller Wahrscheinlichkeit nach völlig
beendet ist. Ward das vollendete sechszehnte Jahr einmal als dieser
Punkt bestimmt, so wäre es, da die Dokimasie die Vormundschaft
endete und das Vermögen in die Hände des jungen Mannes gab, wenig
gerecht gewesen, wenn der seinem Alter nach zur Mündigkeit beföhigte
über das Geburtsjahr 279
noch so und so viel Monate bis zu dem nächsten Prüfangstermin hätte
warten müssen, um zu dem unschätzbaren Recht der Mündigkeit und
Selbstverwaltung seines Vermögens zu kommen; die Redlichkeit und
[41 6] Sorgfalt attischer Vormünder war keinesweges Ton der Art^ daß
man ihre Befugnis länger als durchaus notwendig war, hätte mögen
fortdauern lassen. Nach solchen Betrachtungen würde man sich die
Dokimasie möglichst nahe mit dem Beginn des siebzehnten Jahres
zusammenfallend, würde man sich Demosthenes Geburt in den Skiro-
phorion Ol. 99 2 (etwa Juni 382) gehörig zu denken haben.
Über die andere Frage, ob nicht Demosthenes Tielleicht seiner
Schwächlichkeit halber in dem bezeichneten Lebensalter apodokima-
siert worden, wäre eben nichts weiter zu ergründen, wenn sich nicht
aus den eigenen Angaben des Demosthenes das Entgegengesetzte
schließen ließe.
Und damit komme ich zu einem zweiten Hauptpunkt Demo-
sthenes spricht in seinen vier Vormundschaftsreden (die dritte gegen
Aphobos yßBvSofiaQtvQißv halte ich für unecht) mehrfach von den
„zehn Jahren^, da er unter Vormundschaft gestanden; so gegen
Aphobos I § 6 Sixcc Ht] iifiäg knixQonBvtrccvTBq^ § 68 Skxct hr&v Sia-
yBvofiivGnff vgl. § 24, 26, 29, 59, gegen Onetor I § 14 Ökoig ixBaiv
Sixu. Daß trotzdem der Ausdruck keineswegs genau ist, spricht sich
mit hinreichender Deutlichkeit aus. Der Schluß der ersten Rede gegen
Aphobos lautet: jitpoßov Si fjirjS* fjv iXaße tiqoTx k&ilovra änoSov-
vm, xccl taüT Hbi SBxärG); ein Ausdruck, der freilich auf ein
anderes Bedenken leitet, von dem nachher zu sprechen sein wird.
Femer sagt § 19 derselben Rede: ,;der eine Vormund Therippides habe
die Fabrik sieben Jahre verwaltet, der andere Aphobos zwei, und zwar
die ersten zwei''. Darf man auch annehmen, daß nach dem Sterbefall
einige Zeit darüber hinging, ehe diö Vormünder die Masse der Ver-
lassenschaft ordneten und die verschiedenen Geschäfte auseinander
wickelten, so zeigt doch diese Berechnung, daß die Vormundschaft, mit
deren Ende die Fabrik an den jungen Demosthenes überging, nicht
zehn Jahre, sondern nur bis ins zehnte Jahr gedauert hat, etwa so
lange über volle neun Jahre, als nach dem Tode des Erblassers Zeit
verging, bis die Verlassenschatt geordnet war. Ich bemerke, daß beim
Tode des Vaters die Fabrik dreißig Sklaven zählte, von denen die Vor-
münder die Hälfte verkauften, daß [417] Aphobos für die zwei Jahre,
da er die Fabrik inne gehabt, gar kein Einkommen in Rechnung stellte,
„bald vorgebend, die Fabrik habe müßig gestanden'', und doch zahlte
er, wie Zeugenaussagen erweisen, für die paar Sklaven, die er von
Therippides mietete, den Lohn von zwei Jahren (gegen Aphobos 11
280 Demosthenes
§12) „bald nicht er, sondern Milyas der Freigelassene habe sie ver-
waltet, von dem möge man Rechenschaft fordern"; was wenigstens für
die kurze Zeit zwischen dem Tode des Vaters* und der beendeten
Anordnung der Yerlassenschaft richtig sein mag, nur daß auch darüber
die Vormundschaft Eechenschaft zu fordern und zu leisten gehabt
hätte.
Demosthenes sagt, „sterbend habe ihn der Vater inrä kr&v
övra zurückgelassen" (gegen Aphobos I § 4). Auch diese Angabe
kann wohl nicht völlig scharf genommen werden. Da, wie nachge-
wiesen, die Vormundschaft neun Jahre und einige Zeit darüber währte,
so muß, wenn überhaupt die Dokimasie mit gerade vollendetem sechs-
zehnten Jahr, wie wir das wahrscheinlich fanden, eintrat, Demosthenes
beim Tode des Vaters nicht voll sieben Jahre gewesen sein; er war
damals wohl so viel über sechs Jahre, als der Dauer der Vormund-
schaft an vollen zehn Jahren fehlte. Wenigstens gegen diese Dar-
legung spricht es nicht, wenn Demosthenes sagt: el xcn:el6i(p&f]v fdv
Iviavaioq, ?| ini di n()oaeneTü07iev&rjv (gegen Aphobos I § 63); das
^viavaiog ist hier ebenso wenig genau wie das imd krmv im Obigen.
Wir sehen, wie diese zweite Reihe von Angaben, die Dauer der
Vormundschaft und Demosthenes Alter bei ihrem Beginn betreffend,
wenn nicht mit völliger Präcision, so doch mit größter Wahrschein-
lichkeit ein Resultat giebt, das dem früher aus den angeführten
Archontenjahren gewonnenen entspricht. Zehn Jahre und sieben Jahre
sind bei Demosthenes nur ungefähre Bestimmungen, runde Zahlen,
wie sie für den Vortrag vor den Geschworenen dem Redner geeignet
erscheinen; aber wenigstens für die eine der beiden Angaben ist eine
genauere Bestimmung, aus Demosthenes selbst, mit Sicherheit nach-
zuweisen. Wollte man unsere Erklärung der zweiten Angabe, die
sieben Jahre betreffend, auch verwerfen, so würde doch das Resultat
sein, daß Demosthenes im Lauf seines siebzehnten [418] Jahres geprüft
worden, also vom Skirophorion des Archonten Polyzelos rückwärts
gerechnet im Lauf von Ol. 99 2 geboren sei. Wir finden also in dieser
zweiten Reihe von Angaben allerdings keine Hilfsmittel, das früher aus
der Natur der Sache Geschlossene zu bestätigen, daß jeder mit dem
Eintritt in sein siebzehntes Jahr und nicht alle von gleicher Alters-
klasse an einem oder einigen jährlichen Terminen geprüft seien; wir
finden hier das früher gewonnene Geburtsjahr des Demosthenes, wenn
auch nicht ausdrücklich den Monat seiner Geburt bestätigt; der Ge-
danke an eine Siä rijv xov (TCjfiarog äad-ivtiav ungewöhnlich spät
eingetretene Mündigkeit des Demosthenes hat sich hier von selbst
erledigt.
über das Geburtsjahr 281
Somit dürfen wir als Resultat folgendes aussprechen: die Angabe
des Dionys über das Geburtsjahr des Demosthenes ist ebenso falsch
wie die in dem Leben der zehn Redner; sicher ist, daß Demosthenes
geboren ist zwischen dem Skirophorion von Ol. 99 1 und dem von
Ol. 99 2, d. h. zwischen Juni 383 und Juni 382; wahrscheinlich
ist, daß er im Skirophorion des Phanostratos OL 99 2, d. h. etwa Juni
382, geboren ist. Demosthenes ist in dem letzten Monat des Polyzelos
(etwa Juni 366) geprüft und mündig erklärt worden; er hat gleich
damals und noch vor Beginn des Archen Kephisodoros die ersten
Schritte gethan, seine Vormünder zur Rechenschaft zu ziehen.
Man wird zugestehen, daß das so gewonnene Resultat auf einer
wohl gesicherten Grundlage ruht; daran zu erinnern ist notwendig,
indem sich in den Vormundschaftsreden noch gewisse Andeutungen
finden, welche zu einem ganz anderen Ergebnis zu führen scheinen und
namentlich von Hm. Böhnecke in solcher Weise geltend gemacht sind.
Wenn Demosthenes nachweisen konnte, daß die Vormünder aus
der Verlassenschaft des Vaters zinstragende Kapitalien hinter sich ge-
bracht hatten, so durfte er gewiß mit vollem Fug außer diesen Kapi-
talien auch die Zinsen fordeni und zwar die Zinsen bis zu dem Augenblick
hin, wo das Kapital selbst wieder in seiner Hand war. Hatte also
z. B. Aphobos, der nach dem Willen des [419] Erblassers seine Witwe
heiraten und 80 Minen Mitgift erhalten sollte, die Mitgift gleich beim
Anfang der Vormundschaft genommen und des weiteren behalten, ohne
die Witwe zu ehelichen, so hatte er, scheint es, nicht bloß die Mitgift
in dem Augenblick, wo der Sohn infolge der Dokimasie xvQiog der
Mutter wurde, zurückzuzahlen, sondern auch für die Zinsen dieses
Kapitals und zwar für die ganze Zeit, daß sich dasselbe unrechtmäßiger
Weise in seinen Händen befand, aufzukommen. Demosthenes würde
also für diesen Fall, wenn unsere Berechnungen richtig waren, von
Aphobos außer den 80 Minen Mitgift die Zinsen derselben sowohl für
die mehr denn neun Jahre der Vormundschaft, als auch für die dritte-
halb Jahre fordern, die zwischen der Dokimasie und der richterlichen
Entscheidung verflossen sind. Statt dessen sagt Demosthenes (gegen
Aphobos I § 17): „da Aphobos meine Mutter nicht geheiratet hat, so
befiehlt das Gesetz, daß er die Mitgift zu 9 Obolen (18 Prozent) ver-
zinse; doch will ich nur zu einer Drachme (12 Prozent) rechnen; das
giebt, wenn man Kapital und Zinsen der zehn Jahre zusammenrechnet,
ungefähr 3 Talente (rd r dQx^^ov xal rö ioyov r&v Sixa krcDv).
Allerdings giebt es hier eine Lesart röv Sd)8txa hr&v\ aber die fidhfrrcc
TQia rälavta sprechen selbst gegen sie; die Zinsen von 10 Jahren
lassen nur 4 Minen an drei Talenten fehlen, während die von 12 Jahren
282 DemoetheneB
mehr als 15 Minen über drei Talente geben wurden. Also Demo-
sthenes fordert hier nicht, wie nach unserer Berechnung der Zeiten
erwartet werden mußte, die Zinsen von 12 Jahren.
Ganz ebenso in zwei anderen Stellen § 35 und § 39. In der
ersten sagt er: „was die Vormünder gleich nahmen, war nicht viel
weniger als vier Talente; rechnet man dazu die Zinsen von den zehn
Jahren {t6 iQyav r&v Sina kr&v) auch nur zu monatlich einer
Drachme (12 Prozent), so geben Zinsen nnd Kapital zusammen 8 Ta-
lente und 1000 Drachmen". In der anderen Stelle derselben ersten
Kede gegen Aphobos § 39 heißt es: Aphobos gesteht ein, daß er für
sich allein 108 Minen genommen habe, ^;^€f xccl ctvtäQ xcel ro Jig/ov
Sixa kröVf fidhara tqiu räXavra xal x^^^^- Also auch hier wieder
sind die Zinsen von [420] zehn vollen Jahren berechnet, nicht von
mehr als zwölf, wie wir erwaiiien mußten. Ähnlich ist eine vierte
Stelle § 23: Aphobos habe in den zwei Jahren, daß er die Fabrik
unter sich gehabt, 30 Minen gewonnen, xccvxccq exei xoiüxovra fiväg
xcel rö 'ipyov avr&v dxro) it&v. Also Demosthenes sagt: jetzt wo
ich spreche, hat Aphobos den Zinsertrag von 8 Jahren von demjenigen
Gewinn, den er in den ersten zwei Jahren meiner Vormundschaft an
der Fabrik gemacht hat; und nach unserer Berechnung sind zur Zeit
der Rede mehr als zwölf Jahre seit dem Tode des Erblassers, also
gewiß zehn Jahre seit dem, daß Aphobos die Fabrik abgetreten, ver-
flossen.
Diese Umstände beweisen nun nach Hm. Böhnecke auf das Sicherste,
daß seit dem Tode des Vaters bis zur Zeit der gerichtlichen Verhand-
lungen zehn Jahre verflossen sind, Demosthenes also in einem Alter
von siebzehn zurückgelegten Jahren die formliche Klage gegen seine
Vormünder anstellte (S. 77); da das Gericht später als im Posideon
des Jahres Timokrates (Ol. 104 1, etwa Dezember 364) gehalten worden,
so muß demnach der Vater volle zehn Jahre vorher gestorben, der
damals sieben oder gegen sieben Jahre alte Demosthenes also Ol. 99 4
geboren sein — gerade wie Dionys angegeben hat.
Was sollen wir machen? Die eine Reihe Demosthenischer Angaben
führt zu einem Resultat, das völlig mit dem streitet, was aus desselben
Demosthenes Angaben in denselben Reden hervorgeht; denn auf Hm.
Böhneckes Mißverständnisse in betreff der Archonten, von denen oben
gesprochen ist, haben wir nicht noch einmal zurückzugehen. Was
also thun? Entweder Demosthenes schreibt vollkommen konftis —
was sonst seine Art eben nicht ist — oder der Widerspruch ist nnr
ein scheinbarer; und in diesem Fall sind entweder die Schlüsse, die
man aus seinen Zinsberechnungen zu machen hat, die bindenden —
über das Geburtsjahr 283
nnr ist schwer abzusehen, wie man seine Archontenangaben ans dem
Wege schaffen soll, ohne „einen Fehler zur rechten Zeit", — oder diese
Archontenangaben und ihnen zur Seite „die sieben und die zehn Jahre*'
fordern uns auf, die Schlüsse aus den Zinsrechnungen noch einmal zu
prüfen.
[421] Allerdings fanden wir Demosthenes mit der Bezeichnung
der „zehn Jahre" oder der „vollen zehn Jahre" seiner Vormundschaft
keineswegs genau. Hat man Recht zu behaupten, daß, wenn Demo-
sthenes immer nur Zinsen für zehn Jahre berechnet, vom Tode seines
Vaters bis zur Einbringung der Klage eben auch zehn Jahre verflossen
sind? Hr. Böhnecke behauptet, daß Demosthenes in einem Alter von
siebzehn zurückgelegten Jahren die formliche Klage gegen seine Vor-
münder anstellte; er meint damit das Jahr des Timokrates; er findet,
daß Demosthenes im Jahr des Kephisodor seine Mündigkeit erhalten
habe, zwischen beiden ist der Archen Chion, wenigstens unter dem
wird vor den Diaiteten verhandelt worden sein; hat da in der Ana-
krisis Demosthenes etwa Zinsen von neun Jahren berechnet? Glaubt
man es mit der Zinsenberechnung einmal genau nehmen zu müssen,
so ist es verkehrt zu sagen, die zehn Jahre, nach denen Demosthenes
die Zinsen berechnet, seien da voll gewesen, als er die Klage anbrachte;
gewiß erst nach dem Posideon des Jahres Timokrates ist der Prozeß
vor die Geschworenen gekommen, es müssen die zehn Jahre erst da
voll gewesen sein, als Demosthenes zu den Geschworenen sprechend
seine Berechnung auf Zinsen für zehn Jahre machte; und das ist über
anderthalb Jahre, vielleicht zwei Jahre und länger nach der Doki-
masie; die Zeit der Vormundschaft, die Demosthenes immer auf zehn
Jahre angiebt, wäre höchstens volle acht Jahr und einige Monate
gewesen.
Ich führe das nicht weiter aus, da die ganze Combination auf
falschen Prämissen gebaut ist. Mit voller Entschiedenheit darf aus-
gesprochen werden, daß Demosthenes bei der Zinsberechnung inmier
nur die „zehn Jahre** der Vormundschaft meint, die Zinsen der auf-
geführten Summen inmier nur für die Zeit der Vormundschaft, die er
freilich rundweg als zehn Jahre rechnet, in Ansatz bringt. Dies geht
daraus hervor, daß er die zehn Jahre der Zinsberechnung mit dem
Artikel bezeichnet, und damit als eben die zehn Jahre bezeichnet, von
denen immer in dem Prozeß die Rede ist; geht femer aus § 35 und 36
der ersten Rede gegen Aphobos hervor, wo dicht nach einander t6
äoyov T&v Sixa kz&v und [422] ißSofifjxovra fßväg iv rolq Skxa
ireatv tQO€pi)v steht, also die zehn Jahre, nach denen die Zinsen
berechnet werden, als eben dieselben bezeichnet sind wie die zehn
284 Demosthenes
Jahre, für welche die Vormünder den Unterhalt der Sklaven in der
Fabrik zu verrechnen hatten ; endeten diese zehn Jahre mit der Mündig-
keit des Demosthenes, mit dem Archon Polyzelos oder wenigstens
Eephisodor (um Hrn. Böhneckes falsche Annahme zu berücksichtigen),
wie können dieselben zehn Jahre denn noch über den Archon Chion
hinaus bis über die Hälfte des Jahres Timokrates reichen?
Obschon die Vormundschaft entschieden nicht zehn Jahre dauerte,
berechnet Demosthenes unbedenklich seine Zinsen immer auf volle zehn
Jahre; denn er forderte nicht die einzelnen Posten von seinen Gegnern,
er führt sie überhaupt nur beiläufig an, um seinen Antrag auf zehn
Talente Strafe zu motivieren; was er fordert, ist ein Pauschquantum,
oder richtiger, ist nicht (wie es römischer Weise sein würde) Ersatz
der einzelnen Schädigungen und Beeinträchtigungen, sondern ein Straf-
geld, das im wesentlichen den erlittenen Schaden deckt. Was er zehn
volle Jahre ansetzend zu viel rechnet, wird hinreichend dadurch aus-
geglichen, daß er mehrfach statt der ihm zuständigen 9 Obolen Monats-
zins nur eine Drachme rechnet.
Er rechnet nur die Zinsen für die zehn Jahre der Vormundschaft,
er verzichtet auf die Zinsen, die ihm sein Vermögen, wenn es ihm
redlich zur Zeit seines Mündigwerdens überliefert worden wäre, seitdem
gebracht haben würde, und die nun seit zwei Jahren und länger seinen
Vormündern, je nachdem sie hinter sich gebracht, zu Gute kommen.
Wohl am wenigsten aus Großmut; vielleicht, weil das Ttfirjfiaf wenn
er eS zugesprochen erhält, ihn auch dafür schadlos hält, denn seine
Kapitalansätze sind nicht eben bescheiden (s. Böhnecke S. 75); vielleicht
auch, um weitere Chicanen zu vermeiden. Denn die Vormünder
konnten ihm mit dem Sophisma entgegen treten, daß sie ihm mit der
Dokimasie sein Vermögen, wie es im Lauf der Jahre geworden war,
übergeben hätten, daß sie ihm freilich des weiteren mit der Summa
ihrer Habe verhaftet seien, daß er aber auf einzelne Kapitalien ihres
Vermögens und deren Zinsen keinen Anspruch habe; ihre Verwaltung
[423] der V-erlassenschaft könne er angreifen, und dafür müßten sie
aufkommen; aber fernere Zinsen für Kapitalien, die bei der Übergabe
gar nicht vorhanden gewesen seien, und die, so lange nicht ein Richter-
spruch das Gegenteil ausgesprochen, als ohne ihre Schuld verloren
gelten müßten, habe er durchaus nicht zu fordern.
Aber ich will mich nicht auf das Feld advokatischer Spitzfindig-
keiten wagen; ich habe nicht zu erklären, warum Demosthenes sich
mit seinen Zinsforderungen auf die zehn Jahre der Vormundschaft
beschränkt, sondern nur nachzuweisen und ich denke nachgewiesen,
daß er es thut. Im entferntesten nicht bieten die Zinsberechnungen
über das Geburtsjahr 285
haltbare Gründe diejenigen Resultate anzugreifen, die wir aus viel
unmittelbareren und yerhältnismäßig genauen Angaben des Redners
gewannen. Von einem Widerspruch beider ist bei näherer Betrachtung
nicht weiter zu sprechen.
Man wird es nach dem Zusammenhang unserer Beweisführung
begreiflich finden, wenn ich ihr Resultat als in sich begründet nicht
weiter von anderweitigen Bestätigungen abhängig zu machen nötig
finde. Aber da, wenn es so richtig ist, wie ich glaube, mit demselben
einige andere Angaben des Demosthenes, die sich auf die Zeit der
Vormundschaft und ihren Ausgang beziehen, übereinstimmen müssen,
so will ich auch diese noch besprechen, um an ihnen gleichsam die
Probe für die Richtigkeit unserer Berechnung zu machen.
Doch zuvor noch ein Anderes. Falsch fanden wir das Geburts-
jahr des Demosthenes sowohl bei Dionys wie in dem Leben der zehn
Redner angegeben oder vielmehr berechnet. Ob es überhaupt keine
authentische Überlieferung über das Geburtsjahr gegeben hat? Wenn
sie fehlte, konnte jeder, der die attischen Rechtsverhältnisse genauer
kannte, sie mit Leichtigkeit aus den noch vorliegenden vormundschaft-
lichen Reden ergänzen; nur Dionys oder gar der Verfasser jener bio-
graphischen Sammelei war für solche Berechnung weder unterrichtet
noch genau genug. Von beiden abhängig ist die Angabe des Libanios
im Leben des Demosthenes: dxr(oxaiSexa ir&v J]v 8tb ngog rovg
kntTQÖnovg iiy(oviC,BTo\ er führt dies an, weil manche die Vormund-
schaftsreden dem Isaios zuschreiben [424] wollten Siä rijv fjltxiav
Tov p7]roQog dmarovvTaQ. Wir fanden, daß Demosthenes mit dem
Anfang von Ol. 104 1, dem Jahre des Timokrates, in dessen Verlauf
er jene Rede hielt, sein achtzehntes Jahr vollendet hatte. Gellius sagt
(XV 28) iütid adeo ab utriusque oratoris studiosis animadversum et
scriptum est, quod Demosthenes et Cicero pari aetate ühistrissimas ora-
tiones in causis dixerint, alter xarä L4vSooTiCovog xat xarcc TtfioxQä'
Tovg Septem et viginti annos naiusj alter anno minor pro P, Qmntio,
septimoque et vicesimo pro Sex. Rosdo; vixerunt qtu)qiie non nimi^
ntMneru/tn annorv/m diverstmt, alter tres et seacagirUa annos, Demosthenes
seocaginta. Auch Dionys in dem Briefe an Ammaios nennt als die
erste öffentliche Rede des Demosthenes die gegen Androtion, und setzt
sie in das Jahr des Kallistratos, aber er nennt dies das fünfundzwanzigste
Jahr des Redners {ebcoarbv xal nifinrov irog 'i^cov), während nach
unserer Berechnung Demosthenes im Anfang von Ol. 106 2, dem Jahre
des Kallistratos, eben sein siebenundzwanzigstes Jahr vollendet hatte.
Daß Gellius ungenau auch die Rede gegen Timokrates mit heranzieht,
ungenau oratümes in causis dixerint sagt, darf uns nicht stören. Die
286 Demoflthenes
zweite Angabe des Gellios spricht nicht minder für uns, wenn wir
betrachten, daß er Ciceros Alter auf 63 Jahre angiebt, da derselbe
doch 63 Jahr und etwa 11 Monate alt starb. Demosthenes Tod fallt
bekanntlich in den Oktober 322 Ol. 114 3; s. Gesdüchte des Hellenis-
mus I S. 95 [I^ S. 82]; er war nach unserer Re(dinung also 60 Jahre
und etwa 4 Monat alt; nach der Berechnung bei Dionys würde er
höchstens in den ersten Monaten seines sechzigsten Jahres gewesen sein.
So stimmen denn zwei alte Schriftsteller, beide von einander unab-
hängig, für .die von uns aus Demosthenes selbst entwickelte Berechnung,
und gegen Dionys. Nicht als meinte ich, daß sie alte bewährte An-
gaben über Demosthenes Greburtsjahr, die weder Dionys noch der wirk-
liche Plutarch zur Hand hatten, benutzt haben müßten; aber wenn
sie wie Dionys das Geburtsjahr des Demosthenes berechneten, so sind
wir auf dem Wege der Berechnung [425] zu demselben Resultat wie
sie gelangt, während der Fehler, der der Rechnung des Dionys zum
Grunde liegt, mit ziemlicher Bestimmtheit bezeichnet werden konnte.
Demosthenes sagt (gegen Aphobos I § 13, 14): gleich nach dem
Tode des Vaters {sv&vg fiBrä vov vov naxQoq d-avccxov) sei Aphobos
in das Haus gezogen, habe die Goldsachen der Mutter und einige
Trinkschalen im Wert von 50 Minen, sowie aus dem Erlös für die
von den beiden anderen Vormündern vertauschten Sklaven weitere
30 Minen an sich genommen, um seine 80 Minen Mil^ft voll zu
haben, xal iTtaiSij at/ev, kxnkeTv fiilkcDv sig Kipxvffav T^ti)aQX^^
&7iiyQocif*€v Tocvra ngog OfjQtTtniSrjv üzorra iccvrdv u. s. w. Im Boe-
dromion Ol. 101 1 (etwa September 376) siegte Chabrias bei Naxos;
diesem großen und viel verheißenden Siege folgte die Aussendung des
Timotheos um den Peloponnes herum nach Kerkyra und die Insel
schloß sich ihm sofort an ; Sparta sandte eine bedeutende Flotte nach,
aber Timotheos besiegte sie bei Alyzia gegenüber von Leukas. Dieser
Sieg war im Skirophorion desselben Olympiadenjahres, etwa Juni 375
(s. Polyän. III 10, 4 Sievers Geschichte Griechenlands S. 225), Aus
der Zeit des Sieges darf man entnehmen, daß Timotheos früh im Jahre
ausgesegelt sein wird. Die Athener wünschten nach solchem Erfolge
Frieden mit Sparta, er wurde in der zweiten Hälfte von Ol. 101 2
(Frühling 374) abgeschlossen; aber neue Verwickelungen über Zakynthos
hinderten dessen Ausführung. Die Spartaner sandten von neuem eine
Flotte nach jenen Gegenden, die die Kerkyraier gar bald auf das
Äußerste bedrängte. Umsonst harrten sie auf Hilfe, erst im zehnten
Monat des Archen Sokratides (Ol. 101 3, April 373) kann Timotheos
absegeln (Demosth. gegen Timoth. § 6); aber auch da noch nicht
eilt er den Peloponnes zu umschiffen, sondern geht nach den Inseln
über das Geburtsjahr 287
oder nach Thrakien (so abweichend Diod. XV 49 und Xenoph. Hell.
VI 2, 5); da endlich wird ihm der Oberbefehl genommen und an
Iphikrate^ übertragen, der denn auch wirklich nach Eerkyra kam;
gewiß erst im hohen Sommer, wie denn auch in der Rede gegen Neaira
§ 35 dieser sogenannte varepog [426] TtökBfAog in das Jahr des
Asteios (seit Sommer 373) gesetzt wird. Nach Hm. Böhneckes Be-
rechnung bezieht sich das ixnksTv fiikkcov auf diesen zweiten Zug;
denn Demosthenes Vater ist nach ihm gegen den Herbst 374 gestorben.
Nach unserer Berechnung ist der Vater Ol. 101 1 und wahrscheinlich
in der ersten Hälfte des Jahres, also vor Ende 376 gestorben, und die
Trierarchie des Aphobos gehörte zu jenem glänzenden Seezug des Timo-
theos, der mit der kurzen Bezeichnung „Zug gen Eerkjra^ bezeichnet
zu werden verdiente.
Wenn Demosthenes später in der Rede gegen Meidias von den
Zeiten seines Prozesses im Herbst 374 sprechend sagt: ijv/xa rag Sixag
ikaxov ToTg imroönotg fiBiQccxvkkiov &v xofxidf] (§ 78) und sich
veog &v xopLiStj nennt und seine zwei Jahre jüngere Schwester naiSog
ovatig x6(}fjg (§ 80, 79) oder wenn er von der Trierarchie, die er eben
damals übernehmen müssen, sagt: kxQtriQdQxovv av&vg he naiSeav
i^Bkßfhv — so sind das freilich etwas stark aufgetragene Ausdrücke;
denn Demosthenes war damals bereits über achtzehn Jahre alt und
seine Schwester sechzehn; ja diese Ausdrücke würden der Wahrheit
entsprechender sein, wenn Hr. Böhnecke Recht hätte. Nur beweisen
dieselben nichts, als daß Demosthenes eben übertreibt Die Antidosis,
die Meidias und dessen Bruder dem jungen Demosthenes antrugen,
und die Injurienklage, die sich aus ihrem damaligen Benehmen ent-
wickelte, geben keinen Anlaß zu näherer Besprechung.
Eine Anekdote scheint uns in Verlegenheit setzen zu wollen. Als
Eallistratos in dem Prozeß wegen Oropos auftreten sollte, war ganz
Athen sowohl wegen der Wichtigkeit der Sache als wegen der Bered-
sunkeit des Eallistratos sehr in Spannung; da bat denn auch Demo-
sthenes seinen Pädagogen, ihn hinzuführen; und dieser, bekannt mit
den öffentlidien Dienern die bei dem Gericht hmgierten, fand Einlaß
und einen Platz, wo der Knabe (ö nalg) unbeachtet hören konnte.
Ergriffen dann von der Gewalt dieses Vorganges, verließ Demosthenes
fortan rä koinä fjtcc&f'^fuxta xod rag ncuSixäg StcrrQißäg, wandte sich
auf das Studium der Beredsamkeit u. s. w. So erzählt Platarch (Demosth.
C. 5) und nach [427] dem Leben der zehn Redner ist Hegesias der
Magnete die Quelle dieser Erzählung (X Orat. S. 844; statt Hegesias
Demetrios zu schreiben ist durchaus willkürlich). Mit Recht wird
dieser Prozeß über Oropos in den Sommer 366 gesetzt; und nach
288 Demosthenee
unserer Darstellung war Demosthenes etwa im Juni desselben Jahres
mündig geworden; nicht bloß wird damit der Pädagog aufgehört haben^
sondern, da sich Demosthenes sogleich nach seiner Dokimasie gegen
die Vormünder wandte, wird er gewiß nicht jetzt erst die ncaStxag
SiuxQißdq mit ernsteren Beschäftigungen vertauscht haben. Hegesias
mag selbst noch Demosthenes gesehen haben; sein Bericht könnte uns
bedenklich machen, wenn nicht sein schriftstellerischer Charakter hin-
reichend bekannt wäre; was wir aus seiner Geschichte Alexanders
wissen, berechtigt uns auch hier vorauszusetzen, daß er wirklich Ge-
schehenes durch Ausschmückung und Zustutzung phrasenhaft entstellt
überliefert. In der That haben wir einen anderen Bericht, der die
von Hegesias bereiteten Schwierigkeiten beseitigt; Demosthenes, heißt
es, besuchte admodum adolescens die Akademie und Piatos Unterricht;
einst auf dem Wege dorthin sah er viele Leute in Bewegung und da
er fragte was es gäbe, erfuhr er, daß sie den Kallistratos hören wollten;
so ging auch er und hörte dessen Rede in dem Prozeß von Oropos
an, und ward so ergriffen, ut GaUisirahim iam inde seotari ooeperit,
Aeademiam Gum Piatone rüiquerit. So erzählt Gellius III 13; hier ist
kein Pädagog, Demosthenes erscheint als admodum adolescens, was
wenigstens nicht admodum puer ist (wie Quintilian übertreibend sagt:
admodv/m puerum pupülares acfiones kabuisse manifestum est Instit. I 6, 1).
Gellius hat seine Erzählung aus Hermippos, dem gelehrten Kallimacheer;
freilich sind es äSkanora vnoiivijyiaTu gewesen, aus denen Hermippos
entnahm, daß Demosthenes den Unterricht Piatos genossen habe (Plut.
Demosth. 5); aber ist denn das in der That so unglaublich, daß man
darum jene anonymen Denkwürdigkeiten als unbrauchbar verwerfen
müßte? Ungeschminkter jedenfalls als Hegesias berichteten sie; und die
Fassung der Anekdote, wie sie nach Hermippos vorliegt, tritt mit ihrem
admodum adolescens keineswegs der Berechnung entgegen, die wir [428]
vorlegten. Ich möchte nicht mit Westermann (Quaest. Dem. III S. 6)
dafür halten, daß die a4stio de Oropo publica erat nequs in iudioio sed
in foro coram populo agebaiur, noch seiner Folgerung beistimmen:
sequitur ut alia Gällistrati cau^a intellege nda sit, non causa de Oropo
amissa u. s. w. Aber freilich in der Fassung wie die Anekdote vorliegt,
ist schwerlich der rechte Punkt ihrer Bedeutung getroffen. Dies zu
erläutern bedürfte es einer ausführlicheren Betrachtung der attischen
Paiteiverhältnisse, als ich mir hier erlauben darf.
Und nun zum Schlüsse die Rede gegen Meidias und deren
Zeit Zunächst darf ich nicht anbemerkt lassen, daß durch die Art,
wie Hr. Böhnecke seine Untersuchung gefuhrt, diese Frage eine falsche
und irreführende Stellung bekommen hat. Hr. Böhnecke geht von
Ober das Geburtirjahr 289
der petiHo prindpii aus, daß in Beziehung auf Demosthenes Geburts-
jahr entweder Dionys oder die biographische Sammlung Recht haben
müsse; darauf sucht er aus den geschichtlichen Andeutungen in der
Rede gegen Meidias zu erweisen ^ daß die dieser Rede von Dionys
angewiesene Zeit, die, wie oben bemerkt, von dessen Berechnung des
Geburtsjahrs abhing, die richtige ist; er kommt darnach auf die Yor-
mundschaftsreden, um deren unzweideutige Bezeichnungen durch falsche
Interpretation mit der Berechnung des Dionys in Übereinstimmung zu
bringen. Fehlerhaft; ist dieser Gang der Untersuchung aus dem Grunde,
weil die historischen Andeutungen in der Rede gegen Meidias so wenig
für sich ein entscheidendes Resultat gewähren, daß sie vielmehr selbst
erst durch die chronologische Feststellung der Rede geschichtlich
brauchbar werden; irreleitend, weil Hr. Böhnecke auch hier immer nur
die Alternative im Auge hat, ob man mit dem biographischen Sammler
Demosthenes Geburt in Ol. 98 4 und die Rede in Ol. 106 3 (85^/3)
oder mit Dionys die Geburt in OL 99 4 und die Rede (genauer ihren
Anlaß) in Ol. 107 3 (8^749) setzen will; aber die Sache ist damit noch
bei weitem nicht entschieden, daß nachgewiesen ist, die Rede könne
nicht Ol. 106 3 geschrieben sein.
Ist unsere Darlegung über das Geburtsjahr des Demosthenes so
Wühl begründet, wie ich denke, daß sie es ist, so erscheinen die [429]
in der Rede gegen Meidias vorliegenden historischen Beziehungen
wesentlich limitiert, und wir haben nicht aus ihnen die Zeit der Rede
erst zu suchen, sondern sie auf dieselbe gleichsam zu projicieren.
Demosthenes sagt (gegen Meidias § 154): „Meidias, der vielleicht
fünfzig Jahre alt ist oder etwas jünger, hat dem Staat um nichts
mehr Liturgien geleistet als ich, der ich zweiunddreißig Jahre alt bin
{&g Svo xai Totäxovra irrj yi/ovcc). Er war Ol. 99 2 und wahr-
scheinlich im letzten Monat des genannten Jahres geboren; unter dem
Archonten Thessalos^ Ol. 107 2 und wahrscheinlich im letzten Monat
desselben (etwa Juni 350) vollendete er sein zweiunddreißigstes Jahr.
Da die zweiunddreißig Jahre nicht mit größter Genauigkeit gebraucht
sein werden, so kann die Rede einige Zeit vor oder nach dem Juni 850
geschrieben sein, oder Demosthenes schrieb so in der Erwartung, daß
bis zur Verhandlung der Sache vor den Geschworeneu wohl noch die
Zeit, die ihm an zweiunddreißig Jahren fehlte, verlaufen würde. Am
wenigsten denkbar ist^ daß Demosthenes die Rede geschrieben, nachdem
er die dreißig Minen in Empfang genommen, die ihm Meidias für
Aufgeben der Klage zahlte; ja es scheint das moralisch unmöglich,
* [Der richtige Name des Archon ist Theellos'.
Droyien, Kl. Schriften I. 19
290 DemoBthenes
wenn man liest, auf welche Weise der Redner sich verschwört und
verpflichtet y um keinen Preis die Klage aufzugeben. Die Kede ist
nicht nachtraglich als politische Broschüre herausgegeben, sondern vor
dem Abkommen mit Meidias aufgeschrieben, und zwar konnte Demo-
sthenes sich füglich 32 Jahre alt nennen, auch wenn er es dermalen
noch nicht ganz war.
Die Klage, die Demosthenes gegen Meidias erhebt, ist gegen die
Mißhandlungen gerichtet, die sich Meidias in den Dionysien gegen
Demosthenes erlaubt hat; bald folgte die scheußliche Ermordung des
Nikodemos, die Meidias auf Demosthenes zu wälzen suchte; gleichwohl
wagte er nicht, Demosthenes Eintritt in die Bule zu hindern; Demo-
sthenes sagt: „obschon er mich so beschuldigte, ließ er mich das Ein-
weihungsopfer für den Bat halten, ließ mich für die Stadt heilige
Handlungen begehen und opfern, ließ mich als Architheoros die
nemeische Festgesandschaft führen" u. s. w. (§ 114). Daß mit dem
Agxi&eioQovvTa äyayeTv töJ Ja r^ [430] IVefjieiq) rijv xoivijv imkQ
rfjg !TrfÄ€W5 &t(OQiav die regelmäßige Festgesandtschaft zu den nemeischen
Spielen gemeint ist, versteht sich von selbst. Der Cyclus der nemeischen
Festfeier ist ein sehr eigentümlicher i; daß die sommerlichen Nemeen
um den Anfang des vierten olympiadischen Jahres gefeiert wurden,
hat neuerdings Schömann dargethan (Plut. Agis et Oleom, prolegg.
S. XXXIX ff.). Ebenso bestimmt ist von ihm nachgewiesen, daß
winterliche Nemeen Ol. 139 1 gefeiert sind. Aber nicht minder gewiß
ist, daß Diodor diejenige Feier, welche er XIX 64 erwähnt, mit Becht
in das zweite Jahr der 116. Olj'mpiade setzt; der ganze politische
Zusammenhang der Verhältnisse, die dort Diodor bespricht, zeigt dies
deutlich; Schömanns Bemerkung non admodu/m gravis hie de hmusniodi
rebiLs tesiis est, so passend sie für andere Teile der sehr ungleich
gearbeiteten Bibliothek ist, trifft die Bücher, welche die Diadochenzeit
behandeln, noch am wenigsten ; Diodor hat für diese sehr gute Quellen
benutzt, und wenigstens was er sagt, ist meist gut; und seine chronb-
logischen Bezeichnungen sind, wenn man nur erst ihre Art kennt, hier
mit wenigen erkennbaren Ausnahmen gut. Ein zweites Beispiel winter-
licher Nemeenfeier in einem zweiten olympiadischen Jahre glaube ich
für Ol. 1 36 wahrscheinlich gemacht zu haben (Geschichte des Hellenis-
mus II S. 443). Ein dritter Fall ist allerdings, wie Schömann bemerk-
lieh macht, nicht sicher; Livius (XXXIV 41) sagt: nobüe ludienmi
Nemeorum, die stata propter beUi mala praetermissum , in aduentutn
JRomuni exerdtus indixerunt, und nun wird es gefeiert Ol. 146 2. Es
* [Vgl, über die Zeit der Nemeen den Aufeatz in Bd. II].
über das Geburtsjahr 291
fragt sich, ob die Feier nur um Tage oder Wochen verschoben oder
in ein anderes olympiadisches Jahr verlegt worden. Argos war seit
OL 145 3 in der Gewalt des damals mit den Römern verbündeten
Tyrannen Nabis; noch im Winter Ol. 146 1 war Friede, so daß man
da füglich die Nemeen hätte feiern können; wenigstens belli mala gab
es nicht, daß man sie hätte verschieben müssen. Erst mit dem Früh-
ling OL 146 1 erhielt der römische Feldherr Befehl Nabis anzugreifen,
und die Römer wandten sich zuerst gegen Argos, bald darauf gegen
Sparta; die Nachricht von der Bedrängnis des Tyrannen in Sparta und
die [431] Entfernung des größeren Teils seiner Besatzung in Argos
ermutigte die Argiver sich zu empören und den Rest der Besatzung
zu verjagen. Eben da nahm der Tyrann die Bedingungen des römischen
Feldherm an, der nun zur nachträglichen Feier der Nemeen mit seinem
Heere in Argos ankam und dann die Winterquartiere in Elateia bezog.
Hiemach wird man doch wohl annehmen müssen, daß die Feier, die
OL 146 1 noch ungestört hätte vor sich gehen können, nun aber wegen
des zur Entscheidung drängenden Ejieges und dicht vor der Empörung
von Argos aufgeschoben und um wenige Tage oder Wochen später
nachgeholt worden ist.
Also die winterlichen Nemeen werden bald im ersten, bald im
zweiten olympiadischen Jahre gefeiert. Demosthenes war OL 107 2,
in seinem zweiunddreißigsten Jahre; er vollendete es gegen Ausgang
dieses Jahres des Thessalos. Darnach ist es gewiß, daß die Nemeen,
zu denen er die Theorie führte, die des Winters von Ol. 107 2 (35 Yo)
sind, daß Demosthenes für eben dies Jahr des Thessalos zum Buleuten
erlost war, daß die Dionysien, in denen Demosthenes geschlagen wurde,
die von OL 107 1 (Frühling 351) sind.
Aus der Rede gegen Meidias (§ 161 und 197) ist zu ersehen, daß
damals Athen gleichzeitig nach Euboia und Olynth Truppen gesandt
hatte. Nach Hm. Böhnecke und seiner fehlerhaften Alternative muß
dieser Doppelzug in den Frühling von Ol. 107 3 (349) gehören. Ich
werde nicht nötig haben, seine Behauptungen im einzelnen zu wider-
legen; nur wenn er unter anderen die Fragmente Theopomps von
Buch 20 bis 30 aufführt zum Beweise, daß zwischen OL 107 1 und
OL 108 3, welchen Zeitraum die zehn Bücher umfassen, jener gleich-
zeitige Krieg in der von ihm bezeichneten Zeit stattfand, so darf man
dagegen geltend machen, daß die wenigen Fragmente aus den einzelnen
Büchern immer nur zeigen, was auch in ihnen vorgekommen, aber
keineswegs, was nicht in ihnen vorgekommen ist. Daß der Krieg in
Euboia auch noch Ol. 107 3 und länger gewährt habe, ist kein
Zweifel und die Fragmente des Buches 24 finden eben darin ihre
19*
292 Demoethenes
Erklärung; daß aber der euboische Krieg schon Ol. 107 1 begonnen
haben kann^ [^^2] ^^^^ ^^i^i^ ^^ einzige Fragment des 19., die
Tier Fragmente des 20. Buches nichts davon enthalten, versteht sich
von selbst.
Den euböischen Krieg von Ol. 107 1 (Anfang 351) veranlaßte der
Hilferuf des Plutarch von Eretria, gegen den Kleitarchos mit den
„Bürgern" der Stadt stand (s. Forschungen S. 14). Aus dem nächst-
vorhergehenden Frühling oder Sommer 352 ist die Rede gegen Aristo-
krates, und in der wird § 124 Menestiratos als Gebieter von Eretria
genannt. Es liegt nahe, dies in der Art zu combinieren, daß dieser
im Lauf des Sommers 352 seinen Tod fand und nun Plutarch, in
seinen Anfangen durch Kleitarchos bedroht, attische Hilfe suchte. Aber
wie ist es so zusammenzureimen, daß man mit diesem Feldzug (die
Gefechte bei Tamynai bezeichnen ihn) gleichzeitig einen Zug gen Olynth
unternahm? Schon in der Bede gegen Aristokrates § 107 heißt es:
so lange die Olynthier sahen, daß Philipp ihnen treu und Freund sei,
waren sie seine Bundesgenossen und kämpften durch ihn mit euch
Athenern. Da sie aber erkannten, daß er zu mächtig wurde (psi^w
r^g Tipoi; iavrovq ni(ntG}q yiyvöfisvov), sind sie so weit entfernt g^gen
Nachstellungen wider sein oder seiner Freunde Leben Beschlüsse zu
fassen, daß sie vielmehr euch, von denen sie wissen, wie gern ihr den
Philipp selbst töten würdet, zu ihren Freunden gemacht haben und
auch zu Bundesgenossen machen wollen {cpiXov^ 7iBiioh]vrca, cpccai Sk
xcci avpL^üxov^ 7iottj(T€a&at), Wenn so bereits im Frühling oder
Sommer 352 im Gericht zu Athen gesprochen wurde, so ist gar wohl
denkbar, daß am Ausgang desselben Jahres 352 das Bündnis mit
Olynth abgeschlossen war und von Athen aus in der Weise, wie es die
Rede gegen Meidias Äwähnt, Hilfe gegen Philipp gesandt wurde. Auch
in der ersten und dritten olynthischen Rede (§13 und § 5) sagt
Demosthenes ausdrücklich, daß Philipp gleich nach dem thessalischen
Feldzug (bis Frühling 352) sich nach Thrakien gewendet, dort Könige
ab- und eingesetzt habe; da ergriff ihn eine Krankheit (Herbst 352);
„von dieser genesen, überließ er sich nicht unthätiger Schlaffheit, son-
dern griff sogleich die Olynthier an". Eben aus dieser Bezeichnung
erkennt man mit Sicherheit, daß dieser Krieg gegen Olynth nicht erst
zwei [433] Jahre oder noch später nach dem thrakischen Zuge gefolgt
sein kann. Endlich finden wir in der ersten Philippischen Rede § 17
bei Gelegenheit des Vorschlages, Transportschiffe für die Hälfte der
attischen Reiterei in Bereitschaft zu setzen, folgendes: „diese, meine ich,
müssen vorhanden sein gegen die plötzlichen Kriegszüge Philipps von
seinem Lande aus nach den Thermopylen, dem Chersones, Olynth und
über das Geburtsjahr 293
wohin er sonst will''; denn daß wenigstens die erste Hälfte dieser Rede
in das Jahr des Aristodemos, wie es Dionys angiebt^ und genauer in
den Spätherbst 352 gehört, hat Seebeok (in der Zeitschrift für Alter-
tumswissenschaft 1838 N. 91) trefflich nachgewiesen. EDr. Bohnecke
freilich verlegt die ganze Rede in den Frühling 348, aber mit Gründen,
die im entferntesten nicht überzeugen können.
Mit einer so bedeutenden Macht, wie die des olynthischen Staates
war, verbündet den Makedonier an seinen Grenzen zu bedrohen, das
mußte der attischen Politik allerdings der geeignetste Weg scheinen,
nicht bloß den durch Philipp gefährdeten Ghersones zu sichern, sondern
seinen Übergriffen ein für allemal Schranken zu setzen. War es im
Herbst 352 den Athenern gelungen, Olynths Bundesgenossenschaft zu
gewinnen (und mit allen Mitteln reizte man diese Menschen zum Kriege
gegen Philipp, heißt es Olynth. III § 7), so konnte man, sobald man
nur einigermaßen bedeutende Anstrengungen machte, große Resultate
erwarten. Sehr schön bezeichnet die Rede gegen die Neaira diesen
Moment (§ 3): „als für den Staat eine solche Lage der Dinge und
des Krieges eingetreten war, daß ihr, wenn ihr siegtet, die größten
unter den Hellenen geworden wäret, und unzweifelhaft euren früheren
Verlust wieder eingebracht, Philipp niedergekämpft haben würdet, im
Gegenteil aber zögernd mit eurer Hilfe, und indem wegen Mangel an
Geldmitteln eure Heere auseinanderlaufen mußten, die Bundesgenossen
sich selbst überlassend, ihr diese verlieren, den übrigen Hellenen treulos
erscheinen, selbst für eure noch übrigen Besitzungen Lemnos, Imbros,
Skyros und den Ghersones fürchten mußtet, — als diese Lage der
Dinge eingetreten war und ihr insgesamt nach Euboia und Korinth
ausrücken wolltet, da machte ApoUodor den [434] Antrag die Über-
schüsse der Einnahmen nicht in die Theoriken-, sondern in die Kriegs-
kasse zu zahlen'^ Man war bereits mit Olynth verbündet, Demosthenes
hatte bereits in seiner ersten Philippischen Rede (erste Hälfte) aus-
geführt, wie man schnell und kräftig Hilfe dorthin leisten müsse,
als, durch Meidias besonders empfohlen, der Krieg für Plutarch von
Eretria beschlossen wurde. Nun bedurfte es doppelter Anstrengungen,
die freiwilligen Leistungen (die Sevrepat hniS6(TBi(; in Mid. § 161)
genügten nicht mehr, es trat Demosthenes Freund Apollodor mit
seinem durchgreifenden Antrage auf. Welche Konflikte sich hier-
aus entwickelten, ist an einem anderen Ort dargestellt („über die
Echtheit der Urkunden" oben S. 217 flf.): es war das erste große
Zusanuuenstoßen der Partei, welche Demosthenes führte und welche
man die patriotische nennen kann mit der des Eubulos; es folgten
jene Gewaltsamkeiten des Meidias gegen Demosthenes, die Probole
294 Demosthenes
gegen den Übermütigen, der Mord des Nikodemos, der Verrat des
Flutarch an den Athenern.
Es würde mich in die Frage über die Reihenfolge der beratenden
Reden des Demosthenes einzugehen nötigen, wenn ich den weiteren
Verlauf der Verhältnisse auf der Ghalkidike bis zu dem entscheidenden
Kriege darstellen wollte. In der dritten oljnthischen Rede § 30 be-
zeichnet Demosthenes ganz ähnlich wie in der Rede gegen die Neaira
geschieht, die Wichtigkeit jenes Momentes: auf die Nachricht von
Philipps Angriff auf Heraion Teiehos hätten die Athener sofort 40 Schiffe
wohlbemannt auszusenden, 60 Talente aufzubringen beschlossen — die
Aufregung, in der Athen war, bezeichnet auch Aeschines über die
Truggesandtschaft § 72 — , als aber die Nachricht gekommen, daß
Philipp krank oder gar tot sei, habe man die großen Anstrengungen
nicht mehr nötig geglaubt; „das war aber, fahrt Demosthenes fort, der
passende Zeitpunkt, denn hätten wir damals rasch wie wir beschlossen
Hilfe geleistet, so könnte Philipp jetzt nicht, weil er damals davon
kam, uns zu schaffen machen^^ Die Sendung nach dem Chersones
verschob man, da die Gefahr dort nicht mehr dringend erscheinen
mochte; erst im Herbst 351 gingen zehn leere [435] Schiffe dorthin
ab; die Entscheidung schien sich nach der Ghalkidike zu drängen.
Aber indem Athen sich in die euböischen Verhältnisse verwickelte,
konnte es dort nicht, wie es mußte und mit der olynthischen Macht
vereint auch vermocht hätte, angreifend verfahren. Und doch hatte
Athen auf alle mögliche Weise Olynth zum Kriege zu treiben gesucht
(I % 1 djg 'Okvv&iovg ixnokefiö^aai 3eT <I>iki7iT(p, III § 7 ixnokefjLÖtrcci
SbTv füöfie&u tovc dv&(j(6novQ kx navrog rpönov); die Olynthier waren
es, die den Frieden mit Philipp brachen. Hr. Böhnecke freilich stellt
die Sache gar anders dar; er sagt unter anderem (S. 160): ,jjetzt in
ihrer Not und Bedrängnis wandten sich die Olynthier an Athen um
Schutz für die Städte, welche ehemals Besitzungen der Athenäer ge-
wesen waren und welche sie zum größten Teil ihnen entrissen hatten,
Hilfe gegen den zu erbitten, den sie noch kurz zuvor als ihren lieben
Verbündeten betrachtet und dem sie Werkzeuge seiner Vergrößerung
gewesen waren. Ein Volk, welches minder edel war als das
athenäische, hätte über ihr Unglück Schadenfreude empfunden oder
ihre Anträge als unverschämt zurückgewiesen. Aber Athen schloß
Symmachie mit ihnen unter Bedingungen, die milde gewesen zu sein
scheinen". Man kann die Verhältnisse jener Zeit nicht ärger mißver-
stehen; es ist nicht der Mühe wert, auf Widerlegung solcher Verkehrt-
heiten einzugehen. Nicht einmal Demosthenes spricht in seinen herr-
lichen olvnthischen Reden davon, daß Athen aus Edelmut den Olvnthiem
über das Geburtsjahr 295
helfen müsse; er sagt, nicht bloß ein Schimpf würde es sein, Olynth
jetzt zu Yersänmen, sondern noch viel wichtiger gilt ihm, daß jetzt
zögern Athen in die äußerste Gefahr bringen würde. Allerdings hatte
Athen im Herbst 352 Olynth auf jede Weise zum Kriege zu treiben
gesucht; aber es ist mit fast völliger Evidenz zu erweisen, daß Philipp
damals aus Thrakien heimkehrend, ein feindliches Zusammentreffen
mit der Macht der Olynthier vermied, nur eine Verhandlung mit den
chalkidischen Städten ergiebt sich aus Theopomp (XX fr. 139). Die
Fragmente des XXI. Buches lassen schließen, daß sich Philipp zunächst
während des Jahres 351 gegen die Illyrier wandte. Und Athen, statt
eben da zum Angreifen zu drängen, verwickelte sich, wie [436]
erwähnt, in die euböischen Yerhältnisse. Allerdings gegen Demosthenes
Ansicht; die Bede über die Freiheit der Rhodier aus dem Herbst 351
zeigt, wohin sich seine Bemühungen wandten; durch Unterstützung
der Demokratie, wo immer sie gefährdet war, mochte er hoffen für
Athen den hellenischen Einfluß wieder zu gewinnen, dessen einzig
haltbare Grundlage, Yertrauen zur Aufrichtigkeit und Uneigennützig-
keit der. attischen Politik, durch die zwanzig Jahre der Symmachie
und deren Bruch im Bundesgenossenkriege zerstört worden war; nie«
niand traute den Athenern. Auch drang Demosthenes Antrag nicht
durch; man gab Rhodos, Eos und Chios dem karischen Dynasten
preis, während zugleich die Sache der Athener auf Euboia von. eben
dem Plutarch, für den man gegen Eleitarch und die „Bürger^^ sich
erhoben hatte, verraten wurde. Und nun kam Philipp, die Olynthier
für den Friedensbruch zu strafen; hatte Athen früher geglaubt, Olynth
auf alle mögliche Weise zum Kriege treiben zu müssen, nun war er
da; 6 nävre^ k&gvXovv rico^f rovro ninQaxxai vvvl ÖTKoaStjnoTB
(Olynth. III § 7), vvv irenov nolifiov xcei^o^ ijxa rtg.
Soviel, um das Verhältnis zwischen dem olynthischen Kriege von
Ol. 107 3, 4 und dem in der Rede gegen Meidias erwähnten Zuge
nach Olynth von Ol. 107 1 zu bezeichnen. In Beziehung auf den
diesem letzteren gleichzeitigen Krieg um Tamynai findet sich noch
eine Angabe, welche ich der Vollständigkeit wegen noch besprechen
will. In der Demosthenischen Rede gegen Boiotos über den Namen
§ 16 wird angeführt: xai vvv oze e/t,' Tapivvuq TtccoTjk&ov ol äXkoi.
Die Chronologie dieser Rede ist nicht bestimmt; sie kann uns daher
nicht eine Bestätigung für die oben gefundene Zeit des Feldzuges
nach Tamynai gewähren. Vielmehr hat Dionys diese Erwähnung von
Tamynai benutzt, um daraus die Zeit der Rede zu bestimmen. Er
sagt von Deinarch, unter dessen Reden sie aufgeführt werde, könne
sie des Alters wegen nicht sein; fie^ivr/tai yäu wg vemarl t//s elg
296 Demosthenes
fiijSov ä()XOPTog äyevBTO r^iaxcciSixarov iroq AeivaQX^^ «/ovrog (de
Dio. iud. C. 13). In einer anderen Stelle (C. 11) sagt er: 6 ^ikv yao
Jf]fiO(ri9ivoVi; [437] ne()i rod dvöjnazo^ löyo*; xarä Oaafrakop tj
'47tolk6da}()ov ÜQxovra miUarai, Hier sind mancherlei Fehler. Die
Rede erwähnt nur den Auszug nach Tamynai; daß Dionys diesen
nicht gekannt und den nach den Thermopylen dafür genommen haben
sollt«, wäre um so denkbarer, da derselbe kn) OovStjfjLov Ol. 106 4
geschah, und das verkehrte knl QovfiySov verändert sich am leich-
testen in diesen Namen; aber das Jahr des Thudemos ist nicht das
dreizehnte des Deinarohos, den Dionys Ol. 104 4 geboren sein läßt,
sondern dies Geburtsjahr mitgerechnet das neunte. Die andere An-
gabe, daß die Rede unter Thessalos oder ApoUodor gehalten sei,
empfiehlt sich durch ihre Richtigkeit; denn des Thessalos (Ol. 107 2)
ist das Jahr nach dem Auszuge gen Tamynai; und das xcct vDw der
Rede wird man füglich in einiger Weite verstehen können, wenigstens
Dionys setzt dafür t/soxTr/, so daß er, nach der so aufgefaßten Zeit-
angabe in der Rede rechnend, sie füglich noch um ein Archontenjahr
später ansetzen konnte. Hiemach zu schließen, muß Dionys allerdings
den Auszug nach Tamynai gekannt haben: sehr dreist ist Hrn. Böh-
neckes Vermutung, daß derselbe im Philochoros nicht auf diese Weise
bezeichnet vorgekommen sei. Oberschätzt man die gelehrte Kritik
des Dionys nicht, so wird man ihm schon zutrauen, daß er einmal
die Rede nB()i övöfiaroq richtig nach dem Zuge gen Tamynai be-
stimmt, und ein andermal, wo es gilt, die Zeit der Rede gegen
Meidias zu finden, sich mit der Berechnuag der 32 Jahre nach
Maßgabe des aus den Vormundschaftsreden (falsch) berechneten Ge-
burtsjahres begnügt, ohne den in. eben der Rede erwähnten Zug gen
Tamynai auch nur zur Controle zu brauchen. Was Dionys an der
oben zuerst citierten Stelle über die Rede gegen Boiotos angiebt,
ist, wie es nun vorliegt, völlig verkehrt; wenn Dionys das Richtige
geschrieben haben sollte, mußte es heißen: fiifivijrcct yicQ rog vsaxTvi
TfjQ alg Tafivvaq k^öSov yayBvijfiip/jii' y S' alg Tafivva^ 'AO-ijvaioav
H^oSoq kni !Aoi(TToSiiixov ce{)xovTog hyivaro, Sixarov ^ro^ Jbivüqxov
liXOVTog.
Ich will hiemit meine Bemeikungen schließen, da es nicht not-
wendig scheint, nach allen Seiten hin die Consequenzen des über
Demosthenes Geburtsjahr gefundenen Resultates zu verfolgen. Der
[438] Kundigere wird schon aus dem Mitgeteilten entnehmen, wie
diese Entscheidung der Frage nicht ohne Einfluß auf die Beurteilung
der allgemeinen Verhältnisse jener Zeit ist; zu einer tieferen uud wahr-
über das Geburtsjahr 297
haft historischen AoffiAssung des großen Kampfes der Fhilippischen
Zeit wird man nicht eher gelangen, als bis man sich über die Sym-
pathien für den attischen Partiknlarpatriotismns za einem hellenischen
Standpunkt der Betrachtungen, zur Anerkenntnis dessen, was das
allgemeine, das nationale Interesse der Hellenen daheim wie im Westen
und Osten forderte, erheben lernt; — eine M.ahnung, die deutschen
Porschem um so verständlicher und dringender sein sollte, je schmerz-
licher wir die Folgen gleicher Zersplitterung, Eifersüchtelei, Klein-
staaterei, gegenseitiger Entfremdung zu tragen haben. Was mochte
Aristoteles empfinden, als er von dem Griechentum schrieb: 8vva(uvov
&QXUV änüvrmv fitäg xvyxccvov nohrsiag,
Kiel, im Juli 1844.
V.
Zur Geschichte des Hellenismns.
a. Vorwort zur Gresehichte des Hellenismus II ^
(Hambuig 1848 S. III ff., bis auf den ersten Absatz nur in wenigen Exemplaren
gedruckt).
Kiel, den 9. Mai 1843.
[III] Mit einem Gruß an Sie, lieber Olshausen, will ich meine
Arbeit schließen. Es ist eine hoch bedeutsame und doch fast ver-
schollene Entwickelung politischer und nationaler Beziehungen, die es
galt zu erforschen und darzustellen. Um dieser Würdigkeit der Auf-
gabe willen, um der Mühe willen, die mir der Versuch sie zu lösen
gemacht, ist mir das Buch wert genug, daß ich es Ihnen darbringe.
Und doch, was ist es, das die Gabe des Dankes wert, den Dank der
Gabe froh macht? Sei sie Ihnen lieb als ein Zeugnis der herzlichsten
Verehrung, die zu bekennen mir Freude ist.
Manches einzelne hätte ich befürwortend dem Buch voraussenden
mögen; doch scheint es mir wichtiger, auf gewisse allgemeine Dinge
einzugehen, deren Besprechung, so nahe sie auch die letzten Gründe
unserer Wissenschaft angehen, fast geflissentlich gemieden zu werden
scheint. Ich habe dazu um so mehr Anlaß, da ich für meine Aufgabe
zwischen zwei gleich hartnäckigen Vorurteilen eine Stellung zu ge-
winnen suchen mußte, und in dem Maß, als ich den Widerspruch
beider erwarte, die Pflicht habe, mich über den Standpunkt zu recht-
fertigen, den ich nehmen zu müssen geglaubt habe.
Das Interesse der Gelehrsamkeit kommt leicht dazu, sich mit dem
zu begnügen, was eben da ist. Wie wenige von den Fragen, die die
Geschichte aufwirft, gewinnen dorther die ersehnte Antwort Aber es
ist in hohem Grade wichtig, daß die Gelehrsamkeit der Lücken ein-
gedenk bleibe, die jene Fragen ihr bezeichnen. [IV] Denn leicht
Vorwort 299
gewöhnt sie sich an die Yoraiissetznng, es sei das Überlieferte, oft
sehr sporadische, sehr zufällige Bruchstück aus einer reichen Ver-
gangenheit, wenn auch nicht ein volles und rings ausgeprägtes Lebens-
bild jener Wirklichkeiten, so doch deren ein wesentlicher und charak-
teristischer Teil, der Typus, nach dem man sich das Ganze ergänzen,
das Gesamtbild entwerfen müsse. Für die ersten Jahrhunderte des
Hellenismus — in den späteren übersieht man gern die ethnische
Litteratur über die prätensiöse Leerheit der rhetorischen, die Bedeu-
tung der socialen Verhältnisse über den römischen Staat, der welt-
beherrschend sie tief unter sich subsumiert — für die zwei ersten
Jahrhunderte sind es die tTberbleibsel alexandrinischer Studien, welche
überwiegend daß Vorurteil der Gelehrsamkeit bestimmt haben. Es
mußte meine erste Sorge sein, zu erforschen, ob in der That „ein
heftiger Trieb zu massenhaftem Lesen und Schreiben, Polymathie und
Polygraphie die Hebel der von Alexander gestifteten Welt sind", ob
nicht vielmehr jene Studien nur ein Teil, vielleicht nur ein kleiner
Teil aus dem reichen Gewebe mannigfaltigster Interessen sind, die
jene Zeit gehegt hat
Wie kommt die Geschichte zu ihren Fragen? wie kjmn sie es
wagen, den vorliegenden Überlieferungen ihre Lücken, ihre Fehler, die
Schiefheit der Gesamtauffassung, die sich aus ihnen ergeben hat, be-
zeichnen zu wollen? Sie kann es, wenn sie über die monographische
Betrachtungsweise hinaus den Zusammenhang geschichtlicher Ent-
wickelungen zu erkennen vermag. Der Hellenismus ist nicht eine
abgerissene unorganische Monstrosität in der Entwickelung der Mensch-
heit; er hat die Erbschaft der Griechenwelt wie des morgenländischen
Altertums mit allen aeiivis und pctssivis übernommen, und mit diesem
Gegebenen weiter schaltend und sich weiter arbeitend entwickelt er
ein Anderes, Neues, das so vermittelt immer wieder auf seine nächste
Vorstufe zurückweiset. Die Zeit des Hellenismus, namentlich den hier
vorliegenden Abschnitt derselben zu verstehen, würde man nach der
Dürftigkeit der Überlieferungen kaum den Versuch wagen dürfen,
wenn nicht klar vorläge, von wannen sie kommt und wohin sie geht,
und wenn nicht das eine wie andere in einer reicheren Mannigfaltigkeit
[V] von Momenten bezeichnet erkennbar wäre. Da ei geben sich jene
hypothetischen Linien, jenes Netz von Vermittelungen von jenem zu
diesem herüber, jene Fragen, die, mögen sie aus dem Vorhandenen
beantwortet werden können oder nicht, vollkommen berechtigt sind,
das zußlllig Erhaltene auf seine Competenz zurückzuführen.
So dürftig das Überlieferte, so entstellt, verwittert, unbedeutend
noch von diesem Wenigen das Meiste ist, sobald nur gewußt wird,
300 ^ur Geschichte des Hellenismus
was man und in welcher Richtung man suchen muß, finden sich noch
immer kleine Stückchen hier und da, welche in jene hypothetisch
gezeichneten Linien erfreulich sich einfugend bestätigen, daß sie, wenn
auch dreist, doch richtig gezeichnet waren.
Ich darf es mir nicht verbergen, daß ich zu einer Auffassung der
hellenistischen 2jeit gekommen bin, welche von der herkömmlichen toU-
kommen abweicht. Während diese Zeit mißachtet zu werden pflegt
als eine große Lücke, als ein toter Fleck in der Geschichte der Mensch-
heit^ als eine ekelhafte Ablagerung aller Entartung, Fäulnis, Erstorben-
heit, erscheint sie mir als ein lebendiges Glied in der Kette mensch-
licher Entwickelung, als Erbin und thätige Verwalterin eines großen
Vermächtnisses, als die Trägerin größerer Bestimmungen, die in ihrem
Schoß heranreifen sollten. Möchte es mir gelungen sein, diese ihre
Bedeutung überzeugend nachzuweisen. Die höchste Aufgabe unserer
Wissenschaft ist ja die Theodicee.
Wenigstens sollte sie es sein. In Beziehung auf die Geschichte
des Altertums kann sie sich am wenigsten rühmen. Bedeutendes in
diesem Sinn geleistet zu haben. Von der einen Seite scheint nicht
einmal dies Ziel anerkannt zu werden; von der anderen wird ihm eine
Fassung unterschoben, welche alle Geschichte so zu sagen doketisch
macht
Es gab eine Zeit^ wo man die Heidenvölker des Altertums in vUae
corUumeliam et mortis exitium geschaffen, als wisa irae von Gott ver-
lassen und verstoßen, zur ewigen Verdammnis prädestiniert nennen
mochte. Eben da, wo solches Bekenntnis galt, erhob sich der Wider-
spruch des kühlsten Bationalismus; mit den schamlosen Resultaten
jesuitischer Pädagogik schnell sich einigend, [VI] durchdrang er ein
Jahrhundert lang die Bildung Europas. Noch einmal schien sie sich
völlig an das Diesseits zu verlieren; alle sittlichen Mächte gab sie
hin in den Dienst des Eudämonismus; Pflichterfällung und Tugend-
übung galt ihr nur als eine Gattung des Genusses; was sie von Reli-
gion bewahrte, war ein subjecüves Bedürfnis der Rührung und des
seelischen Genusses, ohne allen positiven Inhalt, ohne alle historische
Bedingtheit, die man maß und verwarf nach den Normen der Ver-
nunftreligion, gleich als gälte es, sich über die empirischen Anfönge
seiner selbst wie der Gattung hinwegzulügen. Damals schwand der
geschichtlichen Betrachtung das Interesse an die Stiftung des Christen-
tums so gut wie völlig; das Ereignis, das sich auch dem blödesten
Blick als die große Scheide in dem Gesamtleben der Menschheit, als
der Angelpunkt ihrer Geschichte zeigt, ward als nicht in die Geschichte
gehörig über Seite geschoben, etwa mit der zweideutigen Ausweichung,
Vorwort 301
nicht Wunder, sondern Facta habe sie zu betrachten; mochte die
Theologie fortfahren, sich mit dem prekären Ausgangspunkt ihrer Dis-
ziplinen zurecht zu finden und die Menge mit ihren Illusionen zu
erbauen. Ich habe nicht auszufuhren, welche positiven Elemente in
diesen Yerirrungen lagen. Wie mächtig ist der Umschwung in dem
religiösen Leben des heutigen Protestantismus; wie bedeutsam — man
sollte das nicht verläugnen — , daß er nicht von Melchior Göze oder
Pfenniger, sondern von Lessing und Kant, von platonischen Studien
ausging; nicht die bewahrende Kirche brachte ihn, sondern die suchende
Wissenschaft, die zu ihr wie der verlorene Sohn der Parabel endlich
heimkehrend in das Vaterhaus mit Freuden, und festlichen Kleidern
empfangen ward. Von der Wissenschaft her, wenn so einmal die Ge-
samtheit idealer Errungenschaften der geschichtlichen Arbeit genannt
werden darf, durchdrang die Kirche ein neues Leben, in den Dienern
am Wort zunächst statt der aufgeklärten Flachheit nützlicher Moralien
oder der selbstzufriedenen Bequemlichkeit einer traditionellen Orthodoxie
das Bedürftiis tieferer Forschung erweckend, durch schärfere Zweifel,
durch nun näher gerückte, nun sjmplejadische Gegensätze hindurch
zu tieferer sittlicher und intellektueller Kraft führend, — in den Ge-
meinden [VIT] die alten glimmenden Glaubensfunken von neuem an-
fachend, mit neuer Nahrung mehrend, den Beginn eines lebendig teil-
nehmenden Verhaltens zu den geistlichen Interessen, die nicht mehr
ein undurchdringlicher Hag scholastischer Formeln und gelehrter Ab-
strusitäten unzugänglich machte, ermöglichend, auf daß endlich das
Wort von dem allgemeinen Priestertum aller Christenmenschen eine
Wahrheit werden könne, — überall endlich den gesteigerten Ansprüchen
der Subjektivität zu vertiefterem Verständnis jene Geschehnisse, jene
Dogmen vermittelnd, in denen für immer die tiefsten, die wesentlichen
Bezüge menschlichen Daseins niedergelegt sind. Denn das ist die
wundervolle Tiefe der christlichen Lehre, die unerschöpfliche Kraft ihres
geschichtlichen Lebens, daß sie zuerst und für immer das persönliche
Wesen des Menschen nach seiner ganzen Fülle von „Schuld und
Ohnmacht und Erwählung^* erfaßt und ausgesprochen hat, also daß
hinfort jede wahrhafte Weiterentwickelung in dem Leben der Menschheit
nur ein tieferes Verständnis dieser Lehre vermittelt, nur sie selbst in
reicherer, freierer Ausführung darstellt. — Freilich, es rufen die Zions-
wächter unserer Tage Anathema dahin und dorthin; sie verschmähen
die Errungenschaft tiefer geschichtlicher Arbeit, Irrens wie Findens;
nicht den Christus, den löyog hv Aqxv^ der bei uns ist bis an der
Welt Ende, sondern den „historischen" Christus wollen sie; sie sagen:
„siehe, so viele Jahre diene ich dir", und sind zornig über jenen
302 Zur Geschichte des Hellenismus
verlorenen Sohn, der sein 6nt verpraßt hat und dann des Vaters Haas
wiedersucht, ,,da& er mit Freuden empfangen worden, da er verloren
war und ist wiedergefunden'^ Dieselbigen sind es, welche liebäugeln
mit der dreifachen Krone und sich an dem Gedächtnis Luthers ver-
sündigen, die nach der Magie traditioneller Weihe seufzen und eine
mündliche Tradition vom Berge Sinai her neben dem Gesetz voraus-
setzen, nur um der Geschichte nichts zu danken; sie verläugnen den
heiligen Geist, der Christi Kirche vorbereitet und geleitet hat, ver-
läugnen Gottes ewige Weisheit und Liebe, die sich zu keiner Zeit
unbezeagt gelassen hat und auch an den Heiden offenbar geworden
ist, deren Leben es war, ihn zu suchen; sie erheben wieder ein Rufen
und Hadern über die vasa irae, über die Sündenlust der [VIII] Götzen-
diener und die Teufels werke klassischer Kunst; sie denuncieren die
Jugendbildung, daß sie sich besudle mit dem heidnischen Greul.
Nachher soll diesem letzten Vorwurf begegnet werden. Die Ge-
schichte hält fest an dem Glauben an eine weise und gütige Welt-
ordnung Gottes, die nicht bloß einige Gläubige, noch ein auserwähltes
sondern das ganze Menschengeschlecht, alles Erschaffene umfaßt; und
darin, daß sie diesem Glauben, „das ist eine Zuversicht, nicht zu
zweifeln an dem, was man nicht siebet'^, nachringt mit dem Erkennen,
daß sie den unendlichen Inhalt dieses Glaubens in endlich mensch-
licher Weise, in den Kategorien des Denkens und Begreifens immer
von neuem, in immer engerer ümzirkelung auszusprechen versucht,
darin und nur darin weiß sie sich als Wissenschaft. Sie beruft sich
auf das große Wort des Heidenapostels: „als die Zeit erfüllet war*%
zum Zeugnis, daß die Stiftung des Christentums nicht ein willkürlicher
und zusammenhangsloser Gnadenakt göttlichen Beliebens war, sondern
Gottes ewiger Batschluß von Anbeginn zu diesem Punkte hin die
Völker, Juden wie Heiden, geleitet, erzogen und geweiht hat
Ich habe mich nach einer zweiten Seite hin zu wenden. Ich muß
besorgen, mit meiner Betrachtungsweise auch von den Philologen ge-
scholten zu werden, ich meine jenen begeisterten, die nicht müde
werden, das klassische Altertum als ein verlorenes Paradies alles
Schönsten und Edelsten sich zu schmücken mit den lieblichsten Bildern
der Phantasie, mit den utopischen Idealen voraussetzender Bewunde-
rung. Schon sonst haben sich deren etliche an mir geärgert, wenn
ich nicht patriotisch blind mit Demosthenes haßte und in Aristophanes
mehr den Schalk als den Tugendprediger sah. Wie weit bin ich ent-
fernt, die Herrlichkeit des klassischen Altertums zu verkennen; aber
hier wie so oft paßt, was Lichtenberg von dem Tausendfuße sagt, der
doch nur vierzehn Füße hat. — Ich wünschte wohl, mich mit denen
Vorwort 303
ZU yerständigen, deren Bereich ich so oft, wenn auch anderen Zielen
zu, zu durchpilgem habe.
Die Geschichte der Philologie wird es nicht minder rechtfertigen,
wie ihr Beruf in der Gegenwart, wenn sie sich überwiegend [IX] im
Interesse der Pädagogik gestaltet hat. Nicht das Altertum in seiner
historischen Wirklidikeit und Bezüglichkeit, sondern die Ideale des
Altertums sucht sie, erläutert, yergegenwärtigt sie. Was jene hoch-
begabten Volker als ihr edleres Selbst geahndet^ in ihren Mythen und
Götterbildern ausgeprägt, in ihren Verfassungen, in ihrer Ethik aus-
zusprechen versucht) was sie als das Wahre, Berechtigte, Bleibende in
ihrem buntbewegten Leben erkannt haben, das ist es, was die Philo-
logie zu erforschen und dem lebendigsten Verständnis zu yermitteln
den schönen Beruf hat. Es sind die edelsten und vollendetsten Bilder
rein menschlichen Dichtens und Trachtens, die höchsten Gestaltungen,
zu denen sich der natürliche Mensch in der Fülle glücklichster
Begabung zu erheben vermag; mit feinem Sinn ist das Wort Huma-
nität zur Bezeichnung dieser Studien und ihres Zieles gewählt worden.
Um keinen Preis wird die Geschichte die Ideale, die einer Zeit, einem
Volk aufgegangen sind, zugleich die Blüte ihrer Entwickelung und die
Norm, an der sie ihre Wirklichkeiten selbst bemessen, sich entgehen
lassen; wenn irgend wo, so spricht sich in ihnen, in der immer
reicheren und tieferen Ausbildung der Vorbildlichkeiten, zu denen sich
der einzelne emporzuarbeiten, in denen die Gesamtheit ihre Aufgabe
zu erfassen versucht, der ununterbrochene Fortschritt in der Gesamt-
entwickelung der Menschheit aus. Aber ebenso gewiß ist das ewig
irrationale Verhalten der empirischen Wirklichkeiten zu jenen eben die
Unruhe, die Lebendigkeit, das stete Weiterdrängen alles menschlichen
Daseins, das in der Fülle seiner Bewegung zu verfolgen der Geschichte
obliegt. So lehrreich es ist, in Kaphaels Madonnen, in Glucks Iphi-
genien Ideale zu sehen, die in dem Bereich der Anschauungen ihrer
Zeit lagen, so wenig wird man etwa nach jenen die holdseligste
Frömmigkeit für den Hof des sechsten Alexander, des zehnten Leo
vindicieren, in diesen ein Gesamtbild sittlicher Schönheit, wie sie die
Zeiten des Diderot und des parc aux oerfs gezeigt hätten, wiedererkennen
wollen. So aber scheint vielfach die Philologie zu irren; nach den
Idealen, die ihr griechische Plastik und Poesie zeigt oder das ver-
schönende Gedächtnis des späteren Römertums in Fabricius, in Begulus
anschaut, denkt [X] sie sich gern die Gesamtheit der Wirklichkeiten
im hellsten Sonnenlicht, in farbigster Lebenspracht, um so plastischer
die einzelnen Charaktere, um so typischer die einzelnen GroBthaten,
je sparsamer die Notizen sind, die das alleinige Motiv zu dem
304 Zur Geschichte des Hellenismus
unwillkürlich ergänzten Gresamtbilde des Mannes, des Ereignisses geben.
Lächelnd mag die Geschichte auf die lieblichen Tanschungen schanen,
an denen sich ihre treue Genossin freut; gern läßt sie, die trübere,
•
schmucklosere, jener den Vorgang, wo es gilt, in die Herzen der nach-
wachsenden Gesohlechter große und erhebende Bilder menschlicher
Entwickelungen niederzulegen. E& hat eine tiefe Berechtigung, daß
sich die Jugendbildung vertraulich an jene Ideale des klassischen
Altertums anschmiegt, sich entschieden nicht auf die heiligeren des
alten Testaments, auf die unendlich tieferen christlicher Weltuischauung
beschranken will.
Dieselbe Berechtigung, die es hatte, daß der reformatorischen
Bewegung des fanfeehnten Jahrhunderts die Begeisterung für das
klassische Altertum zur Seite trat; erst beide vereint erfaßten die Grund-
schwächen der Zeit, die es galt zu überwinden. Ich habe an einem
anderen Orte nachzuweisen versucht, wie dem heidnischen Altertum,
das auf dem Boden des natürlichen Daseins wurzelnd ganz dem Dies-
seits angehört hatte, in gleicher Einseitigkeit nur dem Jenseits zuge-
wandt und die Welt mißachtend die Jahrhunderte des Mittelalters
gegenüberstehen, wie das sinkende Heidentum zur Weltentgötterung
und zum Akosmismus, das sinkende Mittelalter zur Gottentweltlichung
und zur wüstesten Verwilderung des kreaturlichen Daseins hat führen
müssen, wie mit der Reformation und der gleichzeitigen Rückkehr zum
Altertum die Versöhnung eingeleitet ist zwischen dem Diesseits und
Jenseits, die lebendige und positive Vermittelung des großen Gegen-
satzes, der die Welt wie das Leben des einzelnen durchdringt, ein
Durchgeistigen der stummen Endlichkeiten, daß die Welt in Wahrheit
eine Gotteswelt werde, ein kühneres Ringen des Geistes mit der
Natur und ihren Mächten, „daß er ein Priester der Schöpfung werde,
durch den sie als ein reines Opfer emporsteige an den Thron Gottes**.
[XI] Mag dies zugleich dienen, den Schlußworten des Buches
ihren weiteren Zusammenhang zu sichern. Es klingt frommer als es
ist, über die Ohnmacht und Verlorenheit menschlichen Wesens zu
seufzen. Ist jede Kreatur ein Dasein ihrer Gattung, Trägerin ihres
GattungsbegriflFes, so ist die Geschichte der Gattungsbegriff des Menschen.
Wie einsam, verloren, trostbedürftig ist der einzelne in dem Gefühl
seiner empirischen Endlichkeit, seiner Schwäche und Verzagtheit; da
ist es, wo er der Gottheit sich zuwendet, unablässig ringt, ihrer gewiß
zu sein. Aber zugleich fühlt er nicht bloß dieser einzelne, sondern
ein Glied zu sein in dem Kreise seines Volkes, seiner Zeit, ein Glied
in der großen Continuität der Geschichte, erfüllt und getragen von
dieser Allgemeinheit, dem Quell seiner Sittlichkeit, mitberufen zu dem
Vorwort 305
großen Werk der Menschheit. So vernimmt er den Ruf, der auch an
seine Schwachheit ergeht; er richtet sich auf, sein Wollen zu üben,
sein Können zu versuchen, mitzuwirken so viel er vermag zu der
großen Arbeit des Geschlechtes, „der Rückleitung der Schöpfung zu
Gott", wie ein altes mystisches Wort es nennt; er ist nur, indem er
dies rastlose Weiterwirken, den Gattungsbegriff des Geschlechtes auch
an seinem Teil zur Darstellung bringt — Oder ruft man mir zu: das
ist Pelagianismus, das ist der Hochmut der Selbstgerechtigkeit? Christi
Wort, d-toi koTSy kann nicht vergebens sein; die Geschöpfe nach Gottes
Ebenbild geschaffen, sind keine ichlosen Phantome, keine Nebelbilder,
zu verschwimmen und zu vertäuen in dem Licht des Überirdischen.
Aber zwischen Gott und uns ist die Welt. Es gilt, die Welt zu über-
winden. Es gilt — ein endloses Werk — forschend und gestaltend,
nützend und begreifend alle Weiten und Tiefen zu umspannen, alle
Massen und Femen zu durchdringen, dies Ich, den Keim Göttlichkeit
in uns, nach seiner unendlichen Eraftmöglichkeit zu entwickeln, nach
seiner ungemessenen Machtberechtigung zu bethätigen, immer wieder
erregt durch die unmittelbaren Anlässe eudämonistischen Bedürfens,
getragen von den machtigen Normen, die der Staat gewährt, verklärt
durch die Beziehung zu dem ewigen Licht, in dessen Strahl erst diese
Sonnenstäubchen Endlichkeit leuchten und sich regen. Welch ein
Anblick, diese Wunderkraft [XII] des Menschengeistes arbeiten zu sehen;
der Natur lauscht er ihre geheimsten Kräfte ab, beherrscht sie mit
ihren Gesetzen, macht ihre elementaren Gewalten seinen Zwecken
dienstbar, daß sie selbst ihm zu einer Fortsetzung, Mehrung, Poten-
zierung seiner Organe werden; Riesen baut er sich, die für ihn arbeiten;
er bev^afihet sein Auge, daß es die Tausend teilchen eines Sandkorns
erspäht und in der toten Materie ein erstorbenes Leben wiedererkennt;
mit der Eile der Sekunde wetteifernd überholt er die Räume ; an einem
Eisenfaden leitet er die Zeichen seines Wortes soweit hin er will, daß
es dort gezeichnet steht in dem Moment, da er es ausspricht; was da
ist und war, alles erfaßt er mit der Wunderkraft des Gedankens, bannt
es forschend und begreifend nach seinem Wesen und Gesetz, das ist
seinem wahrhafteren Inhalt nach, in die lebendige Gegenwärtigkeit des
Bewußtseins; spricht es aus in der Wissenschaft, die seine Schöpfung
ist, wie Gottes die Welt Freilich, seine Schöpfung; aber den Sabbath
der Ruhe bringt sie ihm nicht; sie kann uns jene stille Zuversicht
des Glaubens, jenen tieferen, nie versiegenden Lebensborn nimmermehr
versagen noch ersetzen wollen. Es ist doch in dem einzelnen noch
ein anderer Inhalt als der, der Continuität der Gattung anzugehören;
vielmehr, sie ist selbst nur, indem sich in jedem einzelnen das Mysterium
Droysen, Kl. Schriften I. 20
306 Zur Geschichte des Hellenismus
ihres Anfanges erneut, von dem aus er nacheilend sie geistig durchlebe.
„Wo aber der menschliche Geist sich selbst oder der Wirklichkeit
voraneilt, da regt sich in ihm die Idee Gottes".
Ich habe dies andeuten zu müssen geglaubt, da die Natur meiner
Aufgabe mich notwendig über das Gebiet des äußerlich Geschichtlichen
hinaus führt, mich in Fragen verwickelt, deren Beantwortung durch
den Standpunkt, von dem aus sie betrachtet werden, wesentlich modi-
ficiert erscheint. Ich habe absichtlich das verrufene Wort Eudämonis-
mus gebraucht, um zu bezeichnen, weshalb ich nicht in die Jammer-
klagen über die sogenannten materiellen Interessen mit einstimmen
kann, die manchem seraphischen Gemüte die Gegenwart ganz verloren
und verworfen erscheinen lassen; ihre Bedeutsamkeit für das Ver-
ständnis der hellenistischen Zeit forderte eine Bezeichnung ihrer Be-
rechtigung. Nun und [XIII] nimmermehr wird sich eine sittliche
£thik gestalten oder die christliche Moral über das Gesetz hinaus-
kommen, wenn nicht dem Eudämonismus sein Recht und seine Stelle
wird; mahnt doch das Wort des Apostels, dem Fleisch seine Ehre zu
geben. Die Welt überwinden heißt nicht sie verwünschen und über-
springen; gälte es, den Leib nicht zu adeln und zu verklären, sondern
zu mißhandeln und zu ertöten, so wäre jene Muckerei beschämenden
Andenkens im Rechten.
Noch finde ich, um die vorliegende Darstellung des Hellenismus
zu bevor Worten, einen Punkt hervorzuheben, für den freilich in dem
Bisherigen wenigstens der Zusammenhang, in dem ich ihn betrachten
zu müssen glaube, erkennbar sein wird. Ich befinde mich in der Ver-
legenheit, mich auf Erörterungen einlassen zu müssen, welche nur dann
zu einem befriedigenden Resultat führen, die volle Kraft des Beweises
gewinnen könnten, wenn ihnen innerhalb einer Historik, einer Wissen-
schaftslehre der Geschichte ihre Stelle vindiciert werden könnte. Es
giebt wohl kein wissenschaftliches Gebiet, das so entfernt ist, theoretisch
gerechtfertigt, umgrenzt und gegliedert zu sein, als die Geschichte;
über die Virtuosität ihrer Technik und die überreiche Aufhäufung
neuer Materialien, über die dreiste Absichtlichkeit der Publicistik und
den raschfertigen Dilettantismus der Philosophie scheint die Wissen-
schaft zu vergessen, was sie entbehrt. Wie in jenen in Selbsttäuschung
glücklichen Zeiten des Wolfianismus und der Encyklopädisten die Philo-
sophie mit einer Menge von sporadischen Ideen und Resultaten her
und hin naturalisierte und dem Jahrhundert ihren Namen geben zu
können glaubte, bis dann das mächtige Wort Kants den Krystalli-
sationspunkt darbot, um den sich alle jene unruhige Gährung zu klaren
festgefugten Gestaltungen niederschlug, ebenso irrt und wirrt auch
Vorwort 307
unsere Wissenschaft ^ mit deren Namen unsere Zeit sich in mannig-
fachen Tendenzen zu bezeichnen liebt, noch umher, ohne ihren Lebens-
punkt als Wissenschaft und damit ihr Gesetz, ihren Bereich, ihre
Gliederung gefunden zu haben; noch glaubt sie bald da, bald dort ihn
borgen zu müssen, gegängelt heut von Patriotismus oder banausischer
Moral, morgen zurecht gewippt nach der Mechanik diplomatischer Kunst,
[XIV] ein andermal von plastischen oder romantischen Monomanien
überfüttert, dann wieder von frommem Zelotismus in Sack und Asche
gesteckt oder von hektischer Kritik bald ins Mystische verdüftelt, bald
ins Triviale abgedämpft. Uns thäte ein Kant not, der nicht die histo-
rischen StoflFe, sondern das theoretische und praktische Verhalten zu
und in der Geschieht« kritisch durchmusterte, etwa in einem Analogon
des Sittengesetzes, einem kategorischen Imperativ der Geschichte, den
lebendigen Quell nachwiese, dem das geschichtliche Leben der Mensch-
heit entströmt. Oder hätte die „Philosophie der Geschichte" das schon
gewährt? ich glaube nein, wenn anders sie das, was war und ist, für
Exemplification der Logik, die Geschichte für den Automaten eines
wenn auch noch so großartigen Systems dialektischer Bewegung ge-
halten hat; ich glaube nein, wenn sie auch in dem Prinzip der Per-
sönlichkeit einen neuen Ausgangspunkt erringend, doch nur das Uner-
klärliche in millionenfacher Wiederholung postuliert zeigt Willkommener
könnte eine „Theologie der Geschichte" sein, wenn nicht Gefahr wäre,
daß der Name einem noch ärgeren Dilettantismus, einer noch dreisteren
Absichtlichkeit Thür und Thor öffnete. Und doch scheint manches
darauf hinzudeuten, daß der tiefer erfaßte Begriff der Geschichte der
Gravitationspunkt sein wird, in dem jetzt das wüste Schwanken der
Geisteswissenschaften Stätigkeit und die Möglichkeit weiteren Fort-
schrittes zu gewinnen hat.
Ich begegne zunächst einer trivialen Frage. Heißt nicht mit
rollern Recht die Zeit des Hellenismus die eines allgemeinen Verfalls?
Man ist mit Worten wie Blüte, Verfall gar schnell bei der Hand; je
einseitiger die Betrachtung, desto entschiedener und umfassender das
Urteil. Nicht immer ist mit dem Verfall staa-tlicher Gestaltungen der
des religiösen Lebens, der socialen Entwickelungen gleichzeitig; noch
weniger bedingt die Blüte der Gewerbe, des Handels, der Künste not-
wendig die des sittlichen Fortschrittes, der nationalen Kraft. Die
unendlich reichen Beziehungen, die in ihrem tausendfach geschürzten
Gewebe erst das Leben der Geschichte darstellen, wie selten lassen sie
sich auf so abstrakte Gesammtausdrücke zurückführen. Allerdings giebt
es ein geschichtliches Verfallen des einzelnen Volkes; es ist dann, wenn
[XV] der belebende, geistige Inhalt aus seinem Leben schwindet, wenn
20»
308 Zur Geschichte des Hellenismus
es aufhört, die Lebenskraft zu neuen Metamorphosen, zu neuen Yer-
impfungen und Angliederungen zu haben, wenn es in seine ürstande,
in jene bloß natilrlich vegetaÜTe Weise des empirischen Daseins zurück-
sinkt Wie wenig das von der Zeit des Hellenismus gesagt werden
kann, glaube ich nachgewiesen zu haben. Wohl kann man sie als
Verfall bezeichnen, wenn man gewisse Einzelnheiten, die nun verfielen
oder verfallen waren, angiebt und diese zum alleinigen Maßstab des
ürteilens macht, — etwa die künstlerische Herrlichkeit der klassischen
Zeiten, wobei man denn freilich von der reicheren Wissenschaftlichkeit
der hellenistischen absehen muß, — oder die treuherzige Frömmigkeit
der Marathonskämpfer, wobei freilich unberücksichtigt bleibt, weß In-
haltes sie war. Der Hellenismus ist die moderne Zeit des Heidentums.
Und damit komme ich zu einem Zweiten. Man hat versucht,
jenes Unbestimmte und Abstrakte auf ein erkennbares und wesent-
liches Maß zurückzuführen; man nimmt an, daß in der angeborenen,
naturbestimmten Begabung eines Volkes eine bestimmte Reihe von
Kräften, Befähigungen, Richtungen liege, welche sich hinaus zu gestalten
hätten; wenn dieser Kreis von Verwirklichungen, die geschichtliche
Aufgabe eines Volkes, vollbracht sei, so beginne dessen Verfall. Ich
habe in den Schlußworten dieses Buches^ Anlaß gehabt, mich über
diese organische oder richtiger vegetative Ansicht zu äußern. Keines-
wegs in so einfachem, vielleicht für die rein natürlichen Existenzen
ausreichenden Schematismus gestaltet sich geistiges Leben. Dieser
Schematismus, wie ähnliches in vielen Fällen in einseitiger Betrach-
tungsweise von der conventioneilen Schätzung des griechischen Alter-
tums abstrahiert, stimmt keineswegs mit der Mehrzahl historischer
Erscheinungen, deren allgemeines Gesetz zu sein er in Anspruch nimmt
Er hat vielleicht nur für den sogenannten Naturstaat eine allgemeine
Anwendbarkeit, nur so, daß nach Überschreitung dieser ersten Stufe
nationaler Existenz dasselbe Volk durch äußere oder innere Impulse
bestimmt, sich zu neuer entwickelterer Thätigkeit zu erheben vermag,
wie denn eben dies die hellenistische Zeit in einigen charakteristischen
Beispielen zu zeigen scheint. Und dann [XVI] wieder: wie die Kenn-
zeichen jener naturbestimmten Mitgaben umgrenzen? genügt es, den
heimischen Boden als präformierend, Licht und Luft als bestimmend
zu verst-ehen, warum wirken sie denn nicht wieder in allen Generationen
oder auf Einwandernde anderen Stammes dieselben Resultate? und
trägt die Disposition eines Stammes Wesentliches bei, wie denn anders
* [Sie sind in der zweiten Bearbeitung vom Verf. wesentlich gekürzt
worden!.
Vorwort 309
die Mitthätigkeit dieses Faktoren messen, als eben in dem geschicht-
lichen Erscheinen seiner Wirksamkeit; aber Sprache und Mythos, gewiß
die ursprünglichsten und bezeichnendsten Formen nationaler Phy-
siognomik, verwandeln sich ja mit der Oeschichte; wo hört denn diese
auf, organisch zu sein? Oder hätte die ganze romanische Welt, deren
Sprachen ja keine organische Ursprünglichkeit bewahrt haben, die ganze
germanische Welt, die mit ihrem Eintreten in die Oeschichte für ihren
Mythos die Evangelien und Legenden der Heiligen eingetauscht hat,
keine Oeschichte? Man sieht, wie unzulänglich diese Theorie ist, in
der „Metamorphose^^ der Völker das bestimmende Oesetz zu bezeichnen.
Es ist ein merkwürdiges Zeichen der Zeit, daß sich diese Theorie der
Naturwüchsigkeit mit dem Prinzip der Christlichkeit hat verbinden
wollen; es ist charakteristisch, wenn der berühmte Vertreter dieser
Verbindung das als den Segen wahrer Not für die Völker wie für den
einzelnen bezeichnet, daß ihre eigenste Natur, das Angeborene, GK)tt-
gegebene in ihnen „im Zorn oder in anderer unbesinnlicher Begung^'
wieder hervorbreche, und daß, wo nur überhaupt wahrer Charakter
(das heißt ein so Angeborenes, Ursprüngliches) sei, derselbe ein Unver-
wüstliches sei, bis die Sünde ganz des Menschen Herr geworden. Ich
zweifle, daß das Christentum so die unbesinnlichen Regungen, den
natürlichen Menschen, über die Sünde stellen kann; ich zweifle, daß
die wahrhaftige Lehre von der Erbsünde ihre Stelle behält, wenn die
Kreatürlichkeit auf solche Weise liebkost wird. Was die Lehre der
Natnrwüchsigkeit vertritt, ist nichts anderes als das Heidentum selbst;
und doch wird mit demselben Munde Bann und Buße gefordert. Irre
ich nicht, so spricht sich hier auf das Stärkste der Drang echt pro-
testantischer Entwicklung aus, dem Natürlichen, Heidnischen eine
positive Beziehung zum Christlichen zu erwerben und mit demselben
jenes zu verklären; [XVII] nur daß in dieser Form beide Momente
noch starr und unvermittelt neben einander stehen, jedes über das
andere hingreifend, ohne es noch fassen zu können. Jene Ansicht der
Naturwüchsigkeit übersieht, wie diese selbst nur darin ihre Bedeu-
tung hat, daß sie sich zur geschichtlichen Bewegung erschließt und
so an sich selbst eine Continuität von Umbildungen geschehen
läßt, deren Wesen es ist, die Resultate geschichtlicher Bewegung,
Theorien, Prinzipien, Ideale, zu verwirklichen, dem Gegebenen anzu-
naturen. Die Naturwüchsigkeit, in die Oeschichte tretend, bereichert
sich so fort und fort mit dem wachsenden Reichtum geschichtlicher
Erarbeitungen.
Auf diesen Pränüssen ruht diejenige Ansichtsweise, welche, eine
Weiterführung jener, unter dem Namen der historischen recht
310 Zur Geschichte des Hellenismus
eigentlich in Anspruch nimmt, die Bedeuteamkeit der geschichtlichen
Entwickelung zu vertreten. Sie sieht in dem ruhig dahin strömenden
Verlauf geschichtlichen Werdens, das weit hinaus über List und Willkür
des einzelnen „sich wie von selbst macht", eine Berechtigung, eine
Autorität, deren Anerkennung ihr außer aller Frage ist. Bis dann
eine Zeit gekommen, wo sich der eigenwillige Verstand gegen diese
Autorität erhoben, eine Berechtigung in ihm selbst, zu fragen, zu ent-
scheiden, nach eigenem Ermessen zu schalten, in Anspruch genommen,
„die Wurzeln jenes weltalten Baumes fürwitzig entblößt und ertötet
hat". Sie sieht von dem an statt der Entwickelung Verwilderung,
statt des Fortschreitens allgemeine Auflösung, ein immer wachsendes,
immer weiteres Verfallen. Sie sieht durch die Aufklärung des vorigen
Jahrhunderts und ihre furchtbare Bethätigung in der französischen
Revolution den Zusammenhang geschichtlicher Entwickelung, die Be-
ziehung der Gegenwart zu den früheren Jahrhunderten gewaltsam
durchrissen; sie erkennt da eine Tendenz, die, für Sitte, Recht, Staat,
Religion gleich verderblich, an die Stelle ruhiger Weiterbildung revo-
lutionäre Ideen, die Ungeduld rationeller Forderungen und abstrakter
Theorien, die Frevellust des destruierenden Verstandes, die Frechheit
allgemeiner Menschenrechte treten lasse, alles Ehrwürdige und Her-
kömmliche, alle wohlerworbenen Rechte, alle wohlthätigen und durch
die Treue uralter Gewohnheiten geheiligten [XVIII] Unterschiede miß-
achtend und freventlich zerstörend. Diese Ansicht ist es, der die
gegenwärtige Welt aus ihren Fugen gerenkt erscheint, die das einzige
Heil darin sieht, daß man solchen Übermut des menschlichen Geistes
niederwerfe, den wilden Strom zuschütte, seine Quellen verstopfe, daß
man die Zeit der Aufklärung, der Revolution möglichst aus dem Ge-
dächtnis der Menschen tilge oder sie wenigstens in ihrer abschreckendsten
Zerrgestalt darstelle, daß man zu den Ehrwürdigkeiten und Herkömm-
lichkeiten zurückkehre, die weitere gesundende Entwickelung der Gegen-
wart an die historische Continuität von ehemals anknüpfe, sorgsam die
Trümmer bewahrend, die noch vorhanden sind, das Zerstörte wieder
aufbauend, das Zersprengte wieder zusammenfügend.
Wenn diese Entgegensetzung des Historischen und Rationellen
überhaupt richtig ist und wenn sie die geschichtliche Betrachtung zu
normieren in Anspruch nehmen darf, so wird die Zeit des Hellenismus,
wenigstens nach der Auffassung, welche in dem vorliegenden Buche
dargelegt ist, sich gefallen lassen müssen, im wesentlichen ähnlich wie
das letzte Jahrhundert beurteilt zu werden. Eben dies giebt mir den
Anlaß, diese Betrachtungsweise hier zu besprechen, obschon die dürftige
Überlieferung der hellenistischen Zeit bei weitem nicht gestattet, Jhre
Vorwort 311
Gestaltungen mit denen der analogen EntwiGkelungssphäre innerhalb
der christlichen Welt in Vergleich zu ziehen.
Der sogenannten historischen Ansicht gegenüber ist zunächst gel-
tend zu machen, daß eben jene rationelle, unhistorische Weise recht
eigentlich ein Resultat tiefer historischer Zusammenhange ist und damit
das volle Recht hat, ebenso gut wie jedes andere Glied in der Con-
tinuitat der Geschichte als historisch anerkannt und in seiner relativen
Geltung belassen zu werden. Hat die sogenannte historische Ansicht
kein höheres Kriterium, als das des fcvU acoompU, als das einer durch-
gesetzten faktischen Geltung, so kann sie konsequenter Weise keine
Art von Instanz gegen die Vha&e von Entwickelungen geltend machen,
welche sie verdammt Es ist eine Gedankenlosigkeit, sich auf die
Autorität historischen Rechtes zu berufen, ohne zugleich das Recht der
Geschichte anerkennen zu wollen.
[XIX] Es kann die Meinung nicht sein, die Dürre und Fadheit
der Aufklärung wieder auf den Schild heben, ihr jetzt noch mehr als
eine relative Berechtigung einräumen zu wollen. Und wenigstens das
hat der triviale Liberalismus unserer Zeit mit ihr (freiUch auch mit
dem wieder beliebten Pietismus, dem alten Genossen der Aufklärung)
gemein, daß er in dem Bedürfnis subjectivster Mitbeteiligung die schein-
bare Last mannigfaltigster Bedingungen und Beziehungen von sich
wirft, in jedem Augenblick von vom anfangen und mit behendem
Sprung das schließUche Ziel, ein absolut Bestes erreichen zu können
wähnt, also daß die ganze Fülle und Breite der Wirklichkeiten für
nichts ist, als nicht vorhanden außer Acht und Arbeit gelassen wird.
Wahrlich, es lag in der historischen Tendenz eine tiefe Berechtigung
gegen die Aufklärung wie gegen den Liberalismus; ihr schneller Sieg
war ein Beweis, welche bedeutsamen Momente jene außer Acht gelassen
hatten. Aber will die historische Tendenz nicht bei der Zerrgestalt
der Restauration stehen bleiben, will sie der Gegenwart werden, was
sie ihr werden muß, so sei sie ehrlich und wahrhaftig, werde sich ihrer
ganzen Aufgabe und Verpflichtung bewußt, wage sich ihrer eigenen
Eonsequenzen zu bemächtigen; vor allem versuche sie, den wahren
Inhalt ihrer Ansprüche zu ergründen. So lange sie in der Geschichte
nur eben das Recht der vis inertiae sieht, kann sie sich nur mit Excla-
mationen rechtfertigen, nur auf die Sympathie mitbeteiligter Vorteile
rechnen, und ihr Urteil ist nur Willkür und Vorurteil, verwirrend statt
aufeuklären, erbitternd statt die Versöhnung zu bereiten, die doch nur
sie tief und nachhaltig zu gewähren vermag. Denn allein eine wahr-
haft historische Ansicht der Gegenwart, ihrer Aufgabe, ihrer Mittel,
ihrer Schranken wird im stände sein, die traurige Zerrüttung unserer
312 Zur Geschichte des Hellenismus
staatlichen nnd socialen Verhältnisse auszuheilen und die rechten Wege
zu einer froheren Zukunft anzubahnen.
Man whrd sagen dürfen, daß die derzeitig vorherrschende Auf-
fassung der Geschichte des klassischen Altertums im wesentlichen jene
sogenannte historische ist, so freilich, daß eine eigentümliche Art von
Parteilichkeit, — man möchte sagen, ein Patriotismus der Bildung für
den Boden, auf dem sie groß [XX] gezogen — die schon einseitige
Auffassung noch mehr trübt Gerade die griechische und römische
Geschichte erinnert in jedem Augenblick daran, wie wenig die histo-
rischen Rechte gelten gegen das Recht der Geschichte; die eine wie
andere ist unerklärlich, so lange man nicht den Inhalt dieses Hechtes
zu erfassen vermag. Ich will von Rom nicht sprechen; es liegt mir
hier näher, den Blick auf Griechenland zu wenden; gemeinsam ist
beiden, sich je länger je mehr zu denationalisieren, sich endlich völlig
man möchte sagen aufzulösen zu Allgemeinheiten, Prinzipien, Potenzen.
Das eben ist es, wovon sich die sogenannte historische Ansicht mit
ebenso lautem Unwillen abwendet wie von der wüsten neuesten Zeit;
scheint ihr die hellenische Geschichte bis Alexanders Zeit, die römische
bis etwa zu den Gracchen wie von selbst in schönster „organischer'^
Ebenmäßigkeit erwachsen, so sieht sie dann Epochen beginnen, von
denen alles Ärgste zu sagen für Einsicht, Gesinnung, ja Tugend gilt.
Bis zum Ekel wiederholt wird es, wie der arge Philipp von Make-
donien die griechische Freiheit brach, wie mit Demosthenes und Aristo-
teles eigentlich alles aus ist, alles geschichtliche Leben stockt und stirbt,
nichts bleibt, als eine öde Nacht Mag solche Ansicht sich recht
attisch, recht hellenisch dünken, geschichtlich ist sie nicht Wohl hat
Philipp das gebrochen, was man die Freiheit in Griechenland nannte;
aber weß Inhaltes war diese Freiheit? Man sehe nur redlich hin und
man wird erkennen, daß Makedonien Kraft desselben Rechtes die
Hegemonie errang, welches nacheinander Sparta, Athen, Theben geltend
gemacht hatte. Wer wird nicht das Athen des Themistokles und
Perikles bewundern? aber warum vergessen, daß es eine Gewaltherr-
schaft war, die jener gründete, dieser über das halbe Griechentum
ausbreitete und hart genug, ja mit dem Bewußtsein übte, daß Athens
Macht eine Tyrannis sei. Man verkenne doch nicht die negativen
Momente in dem attischen, in dem hellenischen Wesen, sehe, wie diese
auszugleichen und zu überwinden die weitere Geschichte gearbeitet hat
Wohl ist es ein herrlich Ding um die Freiheit; aber so wenig in
unserer Zeit jemand im Ernst den Untergang jener alten feudalen
Stände beklagen oder verkennen wird, daß in dem Siege der Souveränität
über jene das Prinzip [XXI] des Staates und damit der Freiheit den
Vorwort 313
entscheidenden Schritt vorwärts gethan hat, ebenso wenig sollte man
die hergebrachten Phrasen gegen jene monarchischen Tendenzen wieder-
holen, in denen sich doch seit Sokrates und Dionysios Zeit die fort-
schreitende Entwickelang des Oriechentoms hat darsteUen müssen.
Wäre man sich nur im entferntesten bewußt, worauf es in der Ge-
schichte Griechenlands ankommt, man würde aufhören dieselbe für
Athen zu monopolisieren oder gar für Sparta eine Art ausschließlicher
Schwärmerei gerechtfertigt zu finden.
Ich habe den Hellenismus bezeichnet als die moderne Zeit des
Altertums. Ich denke, man wird diese Bezeichnung in ihrem ganzen
Um&nge, in gewissem Betracht auch für die Entwickelung Roms,
geltend machen dürfen. Freilich erscheint dann auch das Voraus-
liegende in gar anderem Licht Man erkennt, wie die Entwickelung
des hochbegabten Griechenvolkes schrittweise, in wetteifernder An-
strengung edelster Geister, ununterbrochen auf ein Ziel hin drängt, das
nicht hat erreicht werden können, ohne daß tausend Rechte gekränkt,
schönste Blüten geknickt; lebensvollste Gestaltungen entkräftet und
zerstört wurden. Aber ist nicht auch für den Jüngling die süße
Unschuld der Einderspiele dahin? und wieder, wie völlig entfremdet
sich dem Mann die kecke Begeisterung der Jünglingsjahre; alternd
mag er sich trösten, in seinen Kindern den Lebenskreis, der ihm sich
zu schließen eilt, erneut zu sehen, reicher, so hofft er, sicherer erfüllend,
was er zu erringen sich umsonst bemüht hat Ist denn die Geschichte
nicht reich genug, jeden Verlust, den sie bringt, mit vollen Händen
zu ersetzen? Entzücken wir uns doch am Homer und beklagen es
nicht, daß in seinen heiteren Göttergestalten die alte tiefsinnige Mystik,
darinnen der Glauben an sie einst erwachsen war, überholt und ver-
schollen ist
Also immer das Spätere ist so viel besser, als das zuvor? Ich
habe nicht nötig, mich gegen böswillige Mißdeutung zu verwahren;
der wahre Inhalt jener Betrachtungsweise ist im bisherigen zur Genüge
motiviert und spricht sich selbst unverfänglich aus. Nur in der Gesamt-
auffassung der Geschichte als der Entwickelung der Menscbheit kann
den einzelnen Gestaltungen, [XXII] Völkern, Kulturen, Staaten, Indi-
viduen ihre rechte Bedeutung gewonnen werden; selbst was schön,
wahr, recht, edel ist, steht nicht über Raum und Zeit, sondern hat
sein Maß und seine Energie darin, daß es gleichsam projiciert erscheint
auf ein Hier und Jetzt. Und wieder, dies Gesamtleben der Menschheit
ist ein ununterbrochenes Strömen, — in dem tausendfachen Wellen-
kräuseln und Strudelspiel hinauf und hinab eine Richtung, der alle
die Wasser, sei es hastiger, sei es träger, folgen, — ist ein rasüoses
314 ^v Geschichte des HelleDismae
Weiterdrängen, dessen Ziel wir ahnden mögen ans der Bichtung.
Xieht 80 ein Strömen, daß nieht an Ufersiand sich stagnierend Pfützen
und Lachen bildeten, aber die nächste Überseh wemmong reißt auch
sie mit stromhinab; nicht so ein Fortschreiten, daß sich jede Weise
geistigen Daseins, jede Form menschlicher Bethätigong gleichzeitig
in gleichen Pnisen höher entwickelte. Und eben da ist es, wo des
Betrachtenden Blick so leicht irre wird; noch eben schwelgend in der
plastischen Yollendang hellenischer Ennst fühlt er sidi verletzt Ton
den unschönen Formen jener hellenistischen, ethnischen Litterator, die
einen tiefer anfgewühlten Lebensinhalt nnr irgendwie za fassen nnd
auszusprechen ringt; oder nach der stolz gefugten Staatlichkeit der
alten Somerweise widert ihn jene Lnperatorenzeit an, wo der alten
Tagend nichts bleibt als Selbstmord, and dem Recht nichts als das
Hein and Dein; oder die bransende Gärang der Gegenwart, die alles
zertrümmert, was war und galt; sie beängstigt, erschüttert ihn, grausend
blickt er hinweg von der schon hereinstürzenden Weltverwilderung,
klammert sich fest an dem Gedächtnis des glückseligen Ehedem, und
warnt und zürnt, daß man sich rückgewandt festhalte an dem histo-
rischen Becht; — und nur die Gegenwart scheint ihm außer der Cre-
schichte, außer der allwaltenden Sorge des Alten der Tage.
Sei es genug. Den Glücklichen, welchen die Geschichte ein Bilder-
buch ist oder ein Fachwerk für Urkunden und gelehrte Notizen, mag
ich der unnützen Thorheit schon zu viel gefabelt haben. Mich aber
trieb es einmal von dem zu sprechen, was mir wert und wichtig ist
b. Über die sigeisehe Inschrift \
(Ein Schreiben an Bergk. Aub Bergk und Caesars Zeitschrift für die Alter-
tumswissenschaft I 1848 Sp. 52 ff.)
Kiel, den 7. Jan. 1843.
Sie fordern mich auf, lieber Freund, Ihnen ungesäumt für den
neuen Jahrgang dieser Zeitschrift etwas zu senden. Ich will meinen
ersten Beitrag den Wunsch sein lassen, daß die Zeitschrift unter Ihrer
und Hrn. Caesars Leitung die ganze Energie und den Einfluß ent-
wickele, den ein solches Blatt, im Centrum deutscher Studien für die
Altertumswissenschaften stehend und zu deren, ich möchte sagen, Con-
trole berufen, in Ihren Händen gewinnen kann. Denn in der That,
das ist nicht mehr allein die Aufgabe einer solchen Zeitschrift, daß
* [C. I. Gr. 8595 Dittenberger Syll. inscr. Gr. 156],
über die sigeische Inschrift 315
sie ein Magazin für Allerlei, ein Depot für Oelegentliches und Ver-
sprengtes sei. Vielleicht keine Disciplin hat mehr als die philologische
Anlaß, sich immer wieder zu sammeln und ihrer großen Aufgabe und
Aufgaben in ihrem Zusammenhange bewußt zu bleiben. Erinnern Sie
sich noch unseres schönen Planes mit einem philologischen Repertorium?
Wer ist denn noch im stände, die in der That übergroße Fülle philo-
logischer, linguistischer, historischer, antiquarischer Arbeiten zu über-
sehen und mitarbeitend zu beherrschen, welche — ich will nur von
Deutschland sprechen — mit jedem Jahre wachsend und fast schon
unübersehlich den Gewissenhaften mehr zu beängstigen als zu fordern
beginnt; die wenigen Fürsten der Wissenschaft sind vielleicht im stände,
ihr Beich mit großem Blick immer noch zu überschauen, — oder auch
ziehen sie es vor, ihren großen Weg für sich gehend und um jene
Fülle unbekünunert einen großen Teil ersprießlicher und gewissenhafter
Arbeiten zu ignorieren und damit vergeblich zu machen. Noch eine
andere Seite ist da. Wir besitzen in Deutschland eine in der That
große Arbeitskraft; aber in ihrer Verwendung mag man nicht [53]
selten etwas von jener Mataioponie wieder finden, mit der Strabo die
Ägypter bezeichnet. Wir hofften, daß auch in dieser Beziehung ein
Bepertorium von- bestem Erfolg sein könne. Wenn jedes Jahr mit
sich Abrechnung halt, was es der Wissenschaft Neues und Förderliches
gebracht, so tritt mit völliger Bestimmtheit heraus, welche Lücken da
und dort, welche Aufgaben noch ungelöst, welche Wege noch unge-
bahnt, welche Fragen noch gar nicht versucht sind. Die Zeitschrift
unter Ihrer Leitung wird sich dieser Centralverwaltung der philo-
logischen Interessen zu bemächtigen haben; sie wird vereinzelte Be-
mühungen im Süden und Norden unseres Vaterlandes zu verknüpfen,
zu gemeinsamer und damit potenzierter Arbeit zu verbinden, das
gesellige Werk der Philologenversammlungen nachhaltig in gemein-
samer und erfolgreicher wissenschaftlicher Thätigkeit fortzuführen wissen.
Erinnern Sie sich, wie wir uns ein Corpus fragmentorum der griechischen
Litteratur dachten? Die Musterarbeit für die Komiker liegt ja nun
vor; für die Lyriker sorgen Sie; aber was bleiben da noch für Arbeiten!
Die philosophischen, die historischen Fragmente übersteigen des rüs-
tigsten Einzelarbeiters Kraft. Freilich es nennt sich ein Didotscher
Band Corp. fragm. histor.; aber manchem wird er wie mir seine Bücher-
sammlung nur um einige Doubletten bereichert haben.
Ich will meinen Brief nicht ins Weite und Weitere fuhren, obschon
jene Didotsche Sammlung außer einigen nationalen Empfindungen auch
das Bedauern wecken könnte, die deutsche Philologie für den Stand
der philologischen Bildung, wie er nun einmal in Frankreich ist,
316 Zur G-eschichte des Hellenismus
arbeiten zu sehen. Von alledem spreche ich nicht; aber ich wünschte
wohly daß Sie davon und Ton vielem ähnlicher Art sprächen, und ich
würde mich freuen zu lesen , wie Sie das Ziel, die Methodik, die
Grenzen, die Grundlagen der Wissenschaft bezeichnen werden.
Aber Sie haben eine andere Art Beitrag von mir erwartet und
schnell zu erhalten gewünscht, und so will ich nicht zaudern und viel
Anstalten machen, sondern rasch hinweg von Gontinentalsperre und
freier Flagge und droit cC^ve, die mich den Winter hindurch beschäf-
tigen, einen wenn nicht bedeutenden, so doch für gewisse Dinge lehr-
reichen Locus aus der hellenistischen Geschichte besprechend
Es ist bekannt, daß im Hause der Lagiden für die Königinnen
der Name Schwester ebenso das verwandtschaftliche Verhältnis be-
zeichnet, wie ein Ehrentitel ist In der sogenannten sigeischen Inschrift
wird des ersten Antiochos Gemahlin als dessen Schwester bezeichnet;
es fragt sich, ob dies hier ein ein Ehrentitel war oder nicht
Ich muß erst den Satz ein wenig näher beleuchten. Bekanntlich
ist es nach attischem Brauch erlaubt, [54] die eodem patre natas uxorea
ducere; er mag allgemein griechisch, auch makedonisch gewesen sein.
Wenigstens der erste Ptolemaios vermählt-e sich in späterer Ehe mit
seines Vaters Lagos Tochter Berenike. Berenike nenne ich Lagos
Tochter nach dem ausdrücklichen Zeugnis des Scholiasten zu Theoer.
XVn 34; freilich „indocH hominis esse videiur", wiederholt auch Hr.
Geier in seiner sorgfaltigen Abhandlung de Ptol. Lagid. vüa S. 5; aber
nicht bloß das Zeugnis des Herodian I 3, das er mit Recht nicht hoch
anschlagt, besagt dasselbe, sondern — freilich auch keine grosse Auto«
rität — Tzetz. ChiL I 586; bei so bestimmten Angaben, von denen
wenigstens zwei von einander unabhängig sind, wird man nicht füglich
nach einer nackten Wahrscheinlichkeit widersprechen können. Aber
von einer anderen Mutter war Berenike. Ich muß hier einen Irrtum
Letronnes Reoueü S. 180 berichtigen, der ihm nicht begegnet wäre,
wenn er es für gut fände von den deutschen Arbeiten, die sich in
seinen Händen befinden, die gebührende Notiz zu nehmen. Der
Scholiast zu Theoer. XVn 58 sagt: ö (l^iXddeXtpog .... iytvvii&r} imb
BeQsvixfjg, ij ycsQ Bs^evixtj xhjydxriQ Idvtiyövrjg rotf KaaadvSQov
rov IdvTindxQOv äStkq>ov rov kanovSccxötog x r L Letronne will
die Stelle so parenthesieren, daß vno BeQBvixtjg (^ yaQ !Avti'
ndxQov) äS6X(pov zusanunengehört Ich will nur einen Beweis gegen
diese Erklärung geltend machen. Berenike gebar schon 316 dem
Ptolemaios die Arsinoe (Hellenismus I S. 555 11* 1 S. 236), welche
^ [Vgl. dazu Hellenismus IIP 1 S. 266 Anm.].
über die sigeische Inschrift 317
bereits 280 einen erwachsenen Sohn hatte, der mit den Dardaniem im
Verein Makedonien zu erkämpfen versuchen konnte; Berenike hatte in
früherer Ehe schon den Magas und zwei Töchter geboren ; ja es konnte
Magas bereits 308 die Verwaltung der Gyrenaika übernehmen; er wird
also wohl spätestens 325 geboren sein. Und jünger als fünfzehn Jahre
konnte seine Mutter Berenike damals gewiß nicht sein. Dann gehört
ihre Geburt spätestens in das Jahr 340, ihrer Mutter Geburt unzweifel-
haft Tor 355. Nach Letronnes Farenthesierung ist die Mutter der
Berenike eine Tochter von dem bekannten Eassander, dem Sohn des
Antipater; der war nun 355 noch ein Knabe, 6 KaaaüvSQov yäfAog
fallt zwischen 348 und 340 (Diog. L. IV 1). Die anderen Schwierig-
keiten bei Letronnes Erklärung übergehe ich; man überzeugt sich, daß
der Eassander, dessen Enkelin Berenike war, nicht der Sohn, sondern
nur der Bruder Antipaters sein kann. Die konfase Stelle bei Tzetz.
ad Lyc. S. 263 habe ich absichlich übergangen; sie gewährt keine
weiteren Momente.
Also mit seiner Halbschwester war Ptolemaios Soter vermählt;
das verletzte den griechischen Brauch nicht, und wie Andokides o.
Alcibiad. § 33 die ähnliche Ehe des Eimon so bezeichnet: i^oxrcQÜ'
xioav [55] KifjL(ova Sia nagavofjiiav^ so ist das ein Zeugnis mehr
gegen jene Rede, deren Echtheit ich gegen Meiers scharfsinnige Unter-
suchung nicht mehr behaupten kann. Aus jener Ehe waren Ptole-
maios Philadelphos und Arsinoe. Und diese beiden, leibliche Geschwister,
sie vermählten sich. Daß diese Ehe den Griechen aller Orten anstößig,
ja blutschänderisch erschien, bezeugen nicht bloß die späteren Zeugnisse
des Paus. I 7, 1, das incesti foedus amoris in der Moseila des Ausonius,
sondern ebenso der durch seinen traurigen Ausgang bekannte Witz
des Sotades und das starke Hervorheben des isQÖg yüfiog des Zeus
und der Hera {xccfriyvrjröv t% nöaiv re) in dem um 256 geschriebenen
siebzehnten Gedicht des Theokrit. Ich glaube noch ein anderes Zeugnis
hierauf beziehen zu müssen. Aus dem Hypobolimaios des Alexis
(Meineke III S. 494 Kock II S. 386) werden folgende Verse citiert:
i/(y TTroXe/jiaiov rov ßaaiXewg xirraQu
XVTQiSi äxgdrov rfjg x üStktpfig nqoa'kaßtbv
Ttjg rov ßaaiXk(og xavx\ änvtvaxL x heTncov
(bg äv xig i'jSirrx Yaov Xatp xexQafjIvov,
xai xTig 6fji.ovoiagy Siä xi vvv jjlij xcofAciaat
ävev kvxvovxov ;r(>6s x6 xrihxovxo (p(tig\
Von Alexis sollten diese Verse sein? wurde er auch, geboren vor der
Zerstörung Thurüs 390, sehr alt, er müßte, sollte dies auf Philadelphos
318 Zur Geschichte des Hellenismus
und Arsinoe gehen, die nach 280 sich erst verheiratet haben, über
die 110 Jahre alt noch gedichtet haben, was Plin. h. n. YII 48 nicht
unbemerkt gelassen haben würde. Darum blieb Meineke nicht bei jener
in der bist. crit. S. 375 geäußerten Meinung, sondern deutete in der
Erklärung dieses Fragments die bezeichnete Ehe auf den ersten Ptole-
maios und Berenike, freilich ohne sich auf die bisher immer bestrittene
Geschwisterlichkeit beider einzulassen. Aber paßt denn auf ihre Ver-
bindung jenes Fragment? es muß doch wohl um die Zeit ihrer Ver-
mählung geschrieben sein; aber seit der makedonischen Occupation
318 hat Athen zehn Jahre lang nicht viel mit Ägypten zu teilen, und
die OMONOIA ist nicht etwa die tUriusqtte concordia d. i. caniugium,
sondern wie es auf den Münzen der Städte Eleinasiens so häufig
erscheint, ein politisches Verhältnis zwischen Athen und dem Könige;
endlich hat das Ifaov Haco xBx^ccfdvov doch gar wenig Salz in einer
Beziehung, die den Athenern nicht eben ungewöhnlich sein konnte.
Wie bitter ist dagegen der Witz, wenn er sich auf die leiblichen Ge-
schwister bezieht. Aber die OMONOIA? Ich hoflFe, in der Fortsetzung
des Hellenismus der glänzenden Entdeckung Niebuhrs in Beziehung
auf den chremonideischen Krieg einige neue Consequenzen abzuge-
winnen; hier nur soviel, daß er von 266 bis 263 geführt wurde, daß
Athen in engster Verbindung mit Ägypten stand. [56] In oder kurz
vor denselben gehört jenes Fragment des Hypobolimaios, der, ich be-
haupte es mit Entschiedenheit, nicht von dem Thurier Alexis ist^ gehört
auch wohl die geschwisterliche Hochzeit. Denn Sotades wurde von
dem ägyptischen Feldherrn Patroklos auf der Insel Kaunos gefangen
und wegen jenes Majestätsverbrechens ersäuft, wie Hegesander bei Athen.
XIV S. 621 berichtet; aus seinen Worten kxnXevaavra yäg avrov r?^
!AXB^avSQBiccg xai Soxovvra 8ia7tE(fEvyivcct tÄv xivSvvov . . . nürQü-
x^og Xaßmf avrov x r k, sieht man, daß die Strafe unmittelbar der
Flucht folgte; und der Anlaß zu dem Witz wird wohl nicht gar viel
älter sein, da Sotades schon sonst e/^ röv ßamXia IlroXBfiarov noXXä
ÖBivä gesagt hatte, und dieser Hohn über die Oeschwisterehe nur eben
das Maß voll machte. In Kaunos? dies war eine rhodische Besitzung;
Plinius sagt von Protogenes (XXXV § 101) patria ei Ckzunusy genüs Rho-
diis subieetae; aber daß Rhodos einmal den Besitz dieser Station ver-
loren hatte, sieht man aus Polyb. XXXI 7, 6; für 200 Talente ward
sie von den ägyptischen Feldherrn an Rhodos zurückgegeben; daß dies
nach der Seeschlacht von Kos 264 geschah, in der die ägyptische
Marine gegen Makedonien erlag, will ich hier nur anführen. Patroklos
war mit dem Jahre 266 in eben dem chremonideischen Kriege an der
attischen Küste und blieb dort, bis ihn jene Seeschlacht nötigte, seine
über die sigeische Inschrift 319
Station bei der nach ihm genannten Insel zu verlassen; nur vor seiner
Fahrt gen Attika oder nach der Schlacht von Eos in der Zwischenzeit
bis zur Rückgabe der Stadt an Rhodos konnte Patroklos dort den
Sotades gefangen nehmen. Ist das letztere wahrscheinlicher? Dann
müßt« es also 264 oder 263 geschehen sein, Sotades wäre nach der
schon Ton den Ägyptern occupierten Stadt geflüchtet, was völlig
unglaublich; ja es läßt sich noch nachweisen, daß die Ehe der Ge-
schwister früher geschlossen sein muß. Arsinoes Jugend war es unmög-
lich, was den jüngeren Bruder reizen konnte, sie war um die Zeit, da
dieser Krieg begann, hoch in den Vierzigern; ihre früheren ehelichen
Verhältnisse lassen sie auch eben nicht sehr liebenswürdig erscheinen;
mit Lysimachos vermählt, hatte sie dessen edlen Sohn Agathokles ihrer
Liebe und ihrem Haß geopfert; Amastris war um ihretwillen verstoßen
worden, und dann hatte Lysimachos der Begehrlichen das herakleotische
Fürstentum am Pontus mit den Städten Herakleia, Amastris, Tios
geschenkt, hatte ihr Eassandreia geschenkt, hatte nach ihrem Namen
das erneute Ephesos genannt, und eben dahin flüchtete sie beim Sturz
des Lysimachos 281 und von dort, da sie die nahenden Feinde fürchten
mußte, gen Eassandreia.
[57] Es war eine umfassende politische Combination, wie Phila-
delphos seine alternde Schwester zur Gemahlin nahm, und die Lob-
hudeleien der alexandrinischen Hofpoeten, die von ihrer süßen Schönheit
sangen, können die Sache nicht ändern. Jener chremonideische Erieg
war ein Erieg Ägyptens gegen Syrien und Makedonien, und die Hand
Arsinoes brachte dem Bruder die Ansprüche auf höchst wichtige Posi-
tionen am schwarzen Meer, in der Mitte loniens, an der makedonischen
Eüste. Aber wo nur ist das alles zu finden? Nur hier und da ein
Bröcklein davon. Steph. Byz. v. BaQevTxai ^ hat die Angabe, daß Tios
den Namen Berenike geführt habe, eben jenes Tios im ehemaligen
Fürstentum der Arsinoe, von dem Herakleia sich seit 281 mächtig zur
Freiheit erhoben und sich vor allem in dem Bündnis mit Bithynien
von 280 den Besitz eben dieser Stadt Tios hätte garantieren lassen.
Und derselbe Steph. Byz. v. '!Ayxvoa hat aus dem XVII. Buch der
KaQtxü des Apollonius die bisher unenträtselte Notiz: Mi&QaSdry
xal IdQioßuQJ^dvrj (so ist zu schreiben statt der Accusat.) vBtjXvSaq
Tovg rcclärccg (TVfifia)C'>j<^ccvTag Si&^ai rovg vno TTrokeiAaiov ara-
Uvrag Alyvnriovq äx()i d-ccXdrrfjq x r X. Also dort auf der Eüste
des Pontes in der Nähe von Tios-Berenike — das natürlich den Hera-
kleoten entrissen war — kämpften die Ägypter gegen Mithradat, der
^ [Die Has. haben Chios, daher der Verf. die Combination später fallen ließ].
320 Zar Geschichte des Hellenismus
266 starb, und gegen dessen Sohn und Nachfolger Ariobarzanes; und
umsonst sucht-e Herakleia Amastris zu gewinnen, dort hielt sich Eu-
menes — wer mag zweifeln, daß er des Tianers Philetairos in Pergamos
Bruder oder vielmehr Bruderssohn ist, derselbe, der ihm im Besitz der
pergamenischen Dynastie 263 folgte; und er schenkte Amastris an
Ariobarzanes, ich denke, da er gen Pergamos ging, ich denke dem
ägyptischen Interesse nachgebend, um nur nicht die Stadt an Herakleia
kommen zu lassen. Jedenfalls also vor 266 schon kämpften an der
Küste des Pontes die Ägypter, — versuchten den ehemaligen Besitz
Arsinoes geltend zu machen. Die Vermählung, Sotades Flucht wenig-
stens, gehört in das Jahr 266; denn erst als der Krieg gegen Syrien
ausgebrochen war, hatte Philadelphos Anlaß, [58] das Gebiet des neu-
tralen Bhodos zu verletzen, um in Kaunos den wichtigsten Angriffs-
punkt gegen das Seleukidische Karlen zu gewinnen. Auf der Insel
Kaunos ergriff Patroklos den Sotades, mag damit die kleine Rhodossa
gemeint sein oder ein anderes Eiland neben der Stadt, die feste Stadt
gewann erst darnach Philokles nicht ohne Anstrengung (Polyaen. lU 16).
Ich gehe nun zu der eigentlichen Frage über, welche sich der
Hauptsache nach auf die sigeische Inschrift zu stützen hat. Daß sie
zu Ehren des ersten Antiochos verfaßt ist, spricht sie selbst aus;
Zeile 23 heißt es k^i äyccd-^l^ rov ßamXioog xccl rfjg äSeXtpfjg avxov
ßaaiUfrariq, Entweder ist hier Stratonike, Demetrios Tochter, gemeint,
die einzige Gremahlin des ersten Antiochos, von der wir mit Sicherheit
wissen, und dann ist äS%}xpil) ein Ehrentitel wie in Ägypten, — oder
man muß, um dies zu vermeiden, voraussetzen, daß Antiochos sich
mit einer Halbschwester vermählt habe, ein Factum, worauf allerdings
zwei Spuren fuhren. Die eine ist, wenn Polyaen VIII 50 von dem
Sohn dieses Antiochos sagt: uivrioxog 6 TiQoaccyopwöfjLevog Geog
ey7]fiB AaoStxfjv, dfAonuTQiav äSekfpi^v. Hiemach also hätte Antiochos I.
außer Stratonike eine zweite Gemahlin gehabt, die Mutter dieser Lao-
dike, der Gemahlin seines Sohnes, und zwar müßte diese zweite Ge-
mahlin des ersten Antiochos, um jenes r^/e äSsktpflg aircoü ßaaiTUaafiq
zu erklären, eine Tochter seines Vaters Seleukos gewesen sein. Aber
diese ganze Combination hält nicht Stand; das ausdrückliche 2ieugnis
des armenischen Eusebius, dessen hohen Wert Niebuhr so glänzend
ins Licht gesetzt hat, nennt eben diese Laodike eine Tochter des
Achaios, und die Geschichte des syrischen Hofes bestätigte diese Annahme
vollkommen, was ich hier nicht weiter verfolge. Es hat Polyaen geirrt
und sein Irrtum oder dessen, den er ausschrieb, konnte aus Unkenntnis
jenes Titels entstanden sein. Und eben das hilft uns über eine andere
Stelle oder wenigstens über deren plausibelste Emendation hinweg.
über die sigeische Inschrift 321
Appian Sjr. 65 sagt von diesem Antiochos Theos, der infolge eines
späteren Friedens und als Bürgschaft desselben Laodike verstieß und
Philadelphos Tochter Berenike zur Gemahlin nahm: Svo Sk etx^
{ywcetxag) AccoStxriv xal BeQBVixrjv k^ I^qwtöq tb xal fyYvtjg ....
UrokefAaiov rov (l>tkccSiX(pov [59] xf-vyccxiQa, wo man sehr geschickt
ergänzt hat: kyyvrjg [rijv fdv öfjLonüzQtov dSBXq)ijv, riiv Sk"] üroXt-
fiaiov X T L, wo freilich die Lücke mit einem bloßen cbg yielleicht
hinlänglich gefüllt wäre. So viel von der einen Spur; sie führt nicht
zu dem Resultat, das gesucht wird. Die andere ist im Steph. Byz. t.
!AvTiöxBia' l4vTt6x(p yuQ rtp ^eXevxov TQeTg yvvaixBq hni(m}aav
övccg onhai nöXtv kv Kccqicc ixüarrj Xiyovfra- 6 Si vnokceßojv rijv
fifjtiQa xal rijv yvvaixa xal tijv aStkqjiiV xri^si TQSig nöketg' and
fUv Tfjg dSskfpf/q AaoSixr]g Aaoöixeiav, und (U rfi^ yvvaixoq Nvati^
Nvaav^ änh Sk rfjg fAfjTQÖg IdvTiox'Sog !AvTi6xBiav. Aber seine
Mutter hieß nicht Antiochis, sondern Apama^ so wie seine an Magas
von Eyrene vermählte Tochter; Laodikeia in Earien wurde nicht von
ihm, sondern von seinem Sohn gegründet (Steph. s. v.), und endlich
stützt jene Angabe die des Polyän um so weniger, da sie wohl des
Antiochos Schwester Laodike kennt, aber von der Schwester die Ge-
mahlin unterscheidet. Kurz mit der Belehrung aus jener Stelle des
Stephanus steht es noch schlechter als mit der doch bloß unkundigen
Auffassung des Polyän; und wir überzeugen uns, daß in den Autoren
treine garantierte Angabe über eine Gemahlin des ersten Antiochos
außer der Stratonike vorhanden ist
Keine Partie des Altertums ist geschichtlich schwieriger als die
Zeit der Epigonen; man muß eine Vorstellung von der kläglichen Zer-
störung der Überlieferung haben, um nachsichtig zu sein, wenn die
Besultate der Untersuchungen fast stets ungenügetad, selten durch hin-
länglichen Beweis gesichert erscheinen. So ist es mit der Frage, die
ich mir vorgelegt. Es wäre ja natürlich nun auszufahren, daß in der
Zeit, der die sigeische Inschrift angehört, Stratonike noch lebte, noch
Königin und Gemahlin des Antiochos war. Aber wie viel fehlt, daß
wir dies stringent nachweisen könnten; nicht einmal welchem Jahr die
Inschrift angehört, vermögen wir zu bestimmen.
Aber versuchen will ich es. Die Inschrift beginnt mit folgenden
Wendungen: „Da Antiochos die väterliche Herrschaft übernehmend
seinem hohen Beruf gemäß den Aufruhr in den Städten der syrischen
Seleukis unterdrückte schnell den vorherigen glücklichen Friedensstand
herstellend — und zugleich die ihn feindselig angriffen {rovg km&B-
fßrivovg ToTg n^dyiiam) aus dem Felde schlug, so den Städten den
Frieden, dem Eeich die alten Grenzen {riiv äg^t^iav SiaOemv)
Droysen, Kl. Schriften I. 21
322 Zur Greschichte des Uelleiiismiis
wiederherstellend — und da er nun in die Landschaften diesseits des
Tauros kommend den Städten den Frieden bereitet und seine Politik
{rä itodypLceza) sowie das Beich zu einer höheren und glänzenderen
Stellung gebracht hat — da auch schon früher , da der König des
Vaters Beich übernahm, der Demos der Hier für ihn Opfer und Gebete
zu [60] halten beflissen war, so beschließt'' u. s. w. Wie aus der wei-
teren Erwähnung der Gesandten des Königs zu ersehen, er ist nicht
in Ilion, aber diesseits des Taurus. Die Hier erinnern daran, dafi sie
dem Antiochos gleich bei seinem Segierungsantritt ihre Ergebenheit
bezeugt haben; als Seleukos in den ersten Tagen des Jahres 280 er-
mordet wurde und Ptolemaios Keraunos wenigstens die europäischen
Länder seiner Eroberung an sich riß, war es ein Bedeutendes, daß die
Dier so nah dem Hellespont sich für ihn erklärten; das nahe Pergamos
war zweideutig, Bithjnien erhob sich gegen den Syrer, Herakleia erklärte
sich unabhängig, beide traten mit einander und mit Ptolemaios Keraunos
in Bündnis; die Herakleoten halfen ihm zu dem Seesiege gegen Anti-
gonos, der Makedonien in Anspruch zu nehmen kam, während in
Bithjnien das syrische Heer überfallen und vernichtet wurde. Dies
Heer hatte Antiochos gesandt, während er selbst jenseits des Tauros
war; Syrien war ihm gefährdet durch inneren Aufruhr und durch den
Angriff des Philadelphos, der bei dieser Gelegenheit wenigstens das
palästinensische Syrien und Damaskos gewann, was freilich in dem
Ehrendecret der Hier verdeckt wird. Aber Memnon c. 15 bestätigt es
durch folgende Wendung: 6 8i ^bIsvxov 'Avxioxoq noXkoiq noXkuoi^
d xai fjLÖhg xae ovSi näaav öfioo^ ävaatoaüfievo^ rijv nocTQi^ap
ägxh'^ TiifinBi aTQcrcfiyov , . , , elg ri^v kiii rüäe roV TctvQov, Mit
diesen Vorgängen ist das Jahr 280 vergangen; mit dem Ausgang des-
selben ist Ptolemaios Keraunos gegen die Gallier gefallen, sie haben
Makedonien überflutet; während sie 279 ihre Invasion erneuen, auch
Sosthenes fallt, Makedonien herrenlos ist, die gallische Invasion im
Spätherbst durch die Thermopylen vordringt, scheint Antiochos in
Kleinasien gerüstet zu haben, seine Autorität hier wie in Thrakien und
Makedonien, der Eroberung seines Vaters, durchzusetzen; und Niko-
medes von Bithynien erkauft die Bundesgenossenschaft der Herakleoten
gegen Syrien mit bedeutenden Zugeständnissen. Das Jahr 278 scheint
den entscheidenden Kampf bringen zu müssen. Noch gegen Ausgang
279 sendet Antiochos ein Corps nach den Thermopylen, neben den
Truppen des Antigenes gegen die Galater zu kämpfen; nach ihrem
Bückzug erhebt sich Antigonos, das herrenlose Makedonien in Besitz
zu nehmen; er muß es gegen Antiochos gewinnen; das ist der Krieg,
den Memnon c, 18 bezeichnet Herakleia und Nikomedes waren die
über die sigeische Inschrift 323
Verbandeten des Antigonos; ihre Flotte stand der des Syrerkönigs
gegenüber, aber ovSersgot fiäxvi VQ^^'^i ^^^ angccxroi SuXv&riacnf,
sagt Memnon. Der Hauptteil der syrischen Seemacht mußte gegen
Antigonos operieren. Wir finden bei Trog. prol. XXIV heUum quod
ifUer Aniigonum Oonatam et Antiochtmi Sdetsei filium in A$%a gestrnn
[61] est; nur infolge eines Seesieges konnte Antigonos dort landen,
und eben diesen Seesieg erkennen wir unzweifelhaft wieder in Diog. L.
IV 39 in der Biographie des Arkesilaos von Pitane, und eben dieser
Arkesilaos kngiaßBvae vniQ r^g narQtSog elg JtjfAfjTQidSa nQÖg 'Avti-
yovov, man sieht, Antigonos hatte in Aeolis zu gebieten. Er war nach
jener Seeschlacht und Occupation mit glänzender Flotte gen Lysimachia
gezogen, hatte dort die Galater bewältigt in jenem hochberühmten
Siege, zu dessen £hren die Eretrier ein Decret verfaßten, das Diog. L.
II 140 aufbewahrt hat. Erst nach diesen Erfolgen konnte er sich gen
Makedonien wenden, — imd der Anfang des Königtums des Antigonos
in Makedonien ist, was ich hier nicht weiter ausführen will, sicher
nach dem Sommer 278, in Ol. 125 3, nach Trogus richtiger Angabe
vor Nikomedes Ladung der Gallier nach Asien.
Schon etwas früher war ein Haufe hinübergegangen. Von dem
Zuge von 279 hatte sich bereits eine Schar unter Leonorius und Lu-
tarius im dardanischen Lande von der großen Masse getrennt, und
war, während diese südwärts strömte, gen Osten gegen Byzanz und
den Chersones gegangen, hatte dort furchtbar gebeert, versuchte die
schönen Ufer des Hellespont zu gewinnen. Der Präfekt der Küste
Antipater (offenbar ein syrischer) unterhandelt mit ihnen; des Wartens
müde, zieht Leonorius mit seinem Haufen ab von neuem gen Byzanz;
aber Lutarius bemächtigt sich der fünf SchiflFe, die Antipater angeblich
seine Gesandten zu bringen geschickt hat, und setzt auf ihnen hinüber
(Liv. XXXVIII 16). Dies mag gegen Ende 279 oder Anfang 278
geschehen sein. Er wirft sich auf Ilion, eben die Stadt, die unsere
Inschrift decretiert hat, einen festen Punkt für seine Raubzüge zu
gewinnen; Sicc to äreixttTTov sagt Hegesianax (bei Strabo XIII S. 594)
habe er sie verlassen; der jüngere Polybius (V 111, 4) giebt an, daß
die Belagerten durch schnelle Hilfesendung aus dem troischen Alexan-
drien entsetzt worden. Lutarius zieht nun verwüstend weiter. Dann
folgt der schon besprochene Krieg zwischen Antiochos und Antigonos,
des letztem Occupation auf eben dieser Küste, sein Sieg bei Lysimachia
über die Gallier; es sind die, welche nach der delphischen Niederlage
unter Komontorios durch Makedonien zurückgekehrt sind und sich das
Reich von Tylis im thrakischen Hämus gründen; ohne jene Niederlage
wären auch sie nach Asien hinübergeströmt. Pausanias (X 23, 9) setzt
21*
324 Zur Geschichte des Hellenismus
den Übergang der Galater nach Asien in OL 125 3, d. h. nach dem
Sommer 278; er meint damit nicht jene Schar, die über den Helle-
spont kam, sondern die, welche Nikomedes von der Umgegend von
Byzanz herüberlnd; denen sich dann freilich jene schon umherraubenden
unter Lutarius [62] anschlössen. Es waren 20000 Mann; sie kämpften
für ihn gegen seinen Bruder Zipoites, der die thynische Landschaft
genommen, die ihm verbündeten Herakleoten bewältigt, in der eigent-
lich bithjnischen Landschaft selbst Anhang gefunden hatte; mit Hilfe
der Galater bewältigte er den Bruder und die empörte Landschaft
(Menmon c. 19).
Weder Livius noch Memnon noch sonst jemand spricht davon,
daß, wie neuerdings behauptet worden, Nikomedes mit diesen Galliern
gegen Antiochos gekämpft habe; beide vielmehr berichten, wie die
Galater gleich nach jenem bithynischen Kriege trotz der geschlossenen
Verträge ihre verwüstenden Züge durch Kleinasien beginnen, alles Land
innerhalb des Tauros in Schrecken gesetzt haben, bis Ephesos, Milet>
Themisonion in Karlen gestreift seien. Es wird eine Schlacht erwähnt,
in der Antiochos die Galater völlig bewältigt habe; hätten sie im Dienst
des Nikomedes gekämpft, so wäre das der Untergang seines kleinen
Beiches gewesen; es kommt dazu, daß das Lokal jener Schlacht, zu
der Antiochos schnell die nächsten Truppen zusammenraffend auszog,
wahrscheinlich fern östlich in der Nähe des Tauros war; übt sii Äpamea
condita a Sdeuco rege . . , et quomam ferodssimas gentes damuisset,
inüio Dameam vocaiam (Plin. V 30), wo denn freilich der Name des
Gründers unrichtig sein müsste. Wie der Krieg zwischen Antigenes
und Nikomedes auf der einen, Antiochos auf der anderen Seite endete,
wird nicht überliefert. Aber Trog. XXV sagt: lU Oaüi transienint in
Asiam, bellumque cum rege ArUigono et BUhi/nio gesserunt, quas regiones
Feiini (?) occuparuni. Der Abbe Longnerue wollte die Lesart der beiden
Vatic. Handschriften Antioeho aufnehmen; aber dann heißt der Satz
am wenigsten, daß die Galater in dem Kriege des Nikomedes gegen
Antiochos gekämpft hätten, sondern beide wären als ihre Gegner' be-
zeichnet; soll geändert werden, so mag man cum rege Antioeho et
AnOgano et Bithynio schreiben^; Antigonos war wegen seiner Occupation
auf der asiatischen Küste interessiert. Es ist denkbar, daß sich die
drei Könige angesichts dieser furchtbaren gallischen Invasion zum
Frieden vereinigt haben; Bithynien und Antiochos gaben dann einige
Landstriche im Innern Kleinasiens hin und Antigonos trat, was ich
hier nicht weiter erweisen will, seine Occupation in Kleinasien um die
* [Der neueste Herausgeber liest Antioeho et Bithunia und Tyleni],
über die sigeische Inschrift 325
thrakisehe Küste an Syrien ab, wogegen Antiochos seine Herrschaft
in Makedonien anerkannte. Eine Spur von diesem Frieden ist in
Justin. XXV 1, 1 inter dttos reges statuta pace, cum Antigonus in Mac&-
doniam reverteretur — ; folgt dann die Galaterschlacht von Lysimacbia.
Leider ist Justin ein ganz elender Schriftsteller, er verwetzt und ver-
tüncht mit seiner Schönrednerei und Unwissenheit alles was er im
Trogus Gutes vorfand; hätte er mit jener Folge [63] der Begebenheiten
Becht, so würde der Krieg zwischen Antiochos und Antigenes kaum
vier Monate gedauert haben, von dem auch Memnon sagt z9<ivov
avzvdv xarixQixp^v. . Aber der Friede ist geschlossen worden; ihn zu
besiegeln vermählte Antiochos dem Makedonier seine Schwester Phila.
nicht die Tochter des Antipater, wie Niebuhr (kleine Schriften I S. 227)
dem Suidas nachspricht, sondern des Seleukos und der Stratonike, die
nun Antiochos Gemahlin war; Antigenes war nun des Syrers Schwieger-
sohn und Schwager.
Aus diesen Darstellungen läßt sich die Zeit der Inschrift wenigstens
annähernd bestimmen. Jener Friede ist zwischen 278 und 274, wo
Pyrrhos bereits Makedonien wieder eroberte, geschlossen worden. Eine
bekannte Überlieferung besagt, Antiochos habe infolge jenes Sieges über
die Galater (dessen Zeit leider durchaus nicht zu bestimmen ist) den
Beinamen Soter erhalten; ich will bemerken, daß gerade auf den
Münzen, welche durch das Bild des Elefanten eben jenen Sieg, der
besonders durch die Tiere errungen worden, feiern, der JBeiname Soter
nicht erscheint. In der Inschrift kommen die Worte vor: a(o]TTiQa
yeyovöra rov Si/fiov. Man hat das Beeret darum nach dem Gallier-
siege setzen zu müssen geglaubt, aber jener Ausdruck zeigt deutlich,
daß er nicht den constanten Beinamen des Königs bezeichnen will;
ähnlich in Corp. Inscr. Gr. n. 3075 xal Idvndxov ßaatXkcoq xai (tco-
rfjoog. Näher bestimmt sich, so scheint es, die Zeit durch die Aus-
drücke vvv T€ 7ta(}ayev6fi€vog inl rovg rönovg rovg hni rüde rov
TccvQOv . . . xal ralg itöXiaiv rijv elQtjvrjv xartaxEvaaBv xal rä nQÜy-
fiara xal rijv ßaaikeiav elg fAei^o) xal ?Mfjinoorei)av Siä&eaiv äy/joxB.
Man könnte geneigt sein zu glauben, daß, da dieser Satz dem von
der Beruhigung Syriens gleich nach Übernahme des Königtums gegen-
übergestellt ist, die Ankunft des Königs in den Gegenden diesseits des
Tauros sich etwa auf das nächstfolgende Jahr, auf die Zeit vor dem
Kriege mit Antigonos, vor Lutarios AngriflF auf Ilion bezieht. Aber
weder von Vergrößerung des Reiches in Kleinasien ist da eine Spur,
noch konnte von Frieden die Bede sein, da der Krieg mit Herakleia
und Bithynien noch nicht beendet war, der mit Antigonos gerüstet
wurde. Wenigstens wahrscheinlicher mag es sein, daß zur Zeit der
326 Zui* Geschichte des Hellenismus
Inschrift der Krieg mit Aütigonos schon beendet, der Friede geschlossen
war; er brachte große und glänzende Erwerbungen, wie das Decret sie
bezeichnet, brachte die nahe Verbindung mit Makedonien, die hinfort
fünfzig Jahre hindurch unverbrüchlich bewahrt worden ist und dem
Seleukidenreich in den schwierigsten Zeiten Rückhalt und Bettung
gegeben hat. Mag dieser Friede 277 oder 276 geschlossen sein, es
findet [64] sich im Süden und Westen des Galatergebietes eine merk«
würdige Reihe neuer Städte, die zum Teil sich noch spät als make-
donische auf ihren Münzen bezeichnen oder von den Schriftstellern als
solche bezeichnet werden. Sobald Antiochos Frieden hatte, mußte sein
hauptsachlichstes Augenmerk sein, gegen die Raubfahrten der Gallier
jede mögliche Sicherung und Umwallung zu gewinnep; als ihnen der
Süden und Westen gesperrt war, wandten sie sich, so scheint es, ost-
wärts zum Tauros; dort überwältigte sie der König in jener Schlacht
bei Dameia.
[65] Und in dieser Inschrift von Ilion, die überdies durch ihre
ganze Fassung zu zeigen scheint, daß sie von des Königs Regierungs-
anfang nicht weit entfernt ist, gewiß nicht über fünf Jahre, heißt die
Königin seine Schwester. Ist das Stratonike? oder soll man eine Hypo-
these bauen, die durchaus keinerlei Bestätigung in den Schriftstellern
findet? Es zeigt sich uns die Hoffnung einer völlig sicheren Ent-
scheidung. Bei Gruter 288, 4 findet sich folgendes: NeapoH in hasi
siatnae muliebris, cujus ambae marms sunt involutae vesit:
BAIIMIIAN APIINOHN BAIIAEQI
ÜTOAEMAIOY KAI BAIIAIZIHI BEPENIKHI
ITPATONIKH BAIIAEQI AHMHTPIOY^.
Haben wir hiermit nicht die beste Lösung? Arsinoe, die nicht
viel vor 266 Gemahlin ihres Bruders und Königin von Ägypten wurde,
ist mit dieser Statue geehrt worden von der Königin Stratonike, die
also zur Zeit der sigeischen Inschrift, etwa zehn Jahre früher, unzweifel-
haft noch lebte, noch Königin war, eben die neben Antiochos genannte
üSektftj aircoü ßaaihrrfraj und äÖBXtpr) ist unzweifelhaft bloßer Ehren-
titel. Leider steht diese ganze Combination nichts weniger als fest;
die Statue kann eben sowohl zehn, zwanzig Jahre früher geweihet sein.
Schon vor 281 war Arsinoe Königin, Gemahlin des Lysimachos, Stra-
tonike Gemahlin des Antiochos; auch in diese frühere Zeit könnte die
Inschrift gehören. Eine Entscheidung zu finden ist nicht möglich.
Doch lassen sich folgende Betrachtungen machen. Warum ist Arsinoe
* [Kaibel hißcr. Graecae Sicil. et Ital. n. 727].
über die sigeische Inschrift 327
nach Vater und Mutter, Stratouike nur nach dem Vater genannt?
Denaetrios, Stratonikes Vater, war seit 296 wenigstens Gegner des
Lysimachos; nach der Entthronung des Demetrios 287 waren Lysi-
Biachos und Seleukos ihm feind; damals ungeMr trat der Vater dem
liebenden Sohn die Gemahlin ab, und ihr Vater saß in Gefangenschaft
in Apameia; schon war Zerwürfnis zwischen den Höfen von Lysimachia
nnd Antiochia^ veranlaBt und genährt durch eben diese Arsinoe. Denn
mit Lysimachos Tod war sie flüchtig, es mochte nicht eben Anlaß sein,
sie als [66] Königin zu ehren. Wenigstens vor das Jahr 280 möchte
die Inschrift nicht leicht gesetzt werden können. Dagegen scheinen
die Verhältnisse von 280 passend. Ptolemaios Eeraunos hat Arsinoe
zur Ehe begehrt, dann ihre Söhne ermordet, sie selbst flüchtet aus
ihrer Stadt Eassandrea nach Samothrake; derselbe Eeraunos ist der
Mörder des Seleukos, Usurpator Makedoniens, das nach dem Recht der
Eroberung dem Gemahl der Stratonike gebührt; und wider Eeraunos
erhebt sich, in diesem Moment von gleichem Interesse mit Antiochos,
ihr Bruder Antigenes, während Philadelphos ebenso mit dem Bruder
in Makedonien verfeindet scheint, auf dessen Eosten er ja die Erbschaft
Ägyptens erhalten. Doch bekenne ich, daß mir es passender scheinen
will, wenn wir das zuerst Geäußerte annehmen, daß nämlich die Statue
Arsinoe als schon Eönigin in Ägypten geehrt habe; gegen die Hoch-
gestellte paßte das eher als gegen die flüchtige Witwe eines gestürzten
Fürsten ; die Nennung beider Eltern hat dann eine rechte Bedeutsam-
keit, und von Philadelphos ist bekannt, wie er immer des Vaters Ge-
dächtnis und Vorbild erhob, sich selbst fast dagegen in den Schatten
stellend. Doch ich lasse die Sache, ich erwähne nur dies eine, daß
man in der Auslassung der Bezeichnung Eönigin für Stratonike keine
chronologische Bestimmung wird suchen dürfen, da Stratonike von
300 — 293 als Seleukos Gemahlin Eönigin war, und seit 293 Antiochos
mit ihrer Hand vom Vater das Eönigtum des oberen Asien erhielt;
Arsinoe war aber ebenfalls erst seit 300 Lysimachos Gemahlin und
Eönigin.
So weit können wir mit den vorhandenen Mitteln kommen; eine
größere Sicherheit der Entscheidung vermag ich wenigstens nicht zu
finden. Gewiß ist die größere Wahrscheinlichkeit dafür, daß in der
sigeischen Inschrift die Bezeichnung Schwester als Ehrentitel gebraucht
ist, wie ja aus den Antiquitäten des Josephus bekannt ist, daß der
Name Bruder ebenso von den syrischen Eönigen als Titel erteilt wurde.
Wäre die teische Inschrift (Corp. Inscr. Gr. n. 3075) erhaltener, so
würden wir vielleicht völlige Gewißheit haben.
VI.
Die attische Conununalyerfassnng.
(Allgemeine Zeitschrift für Geschichte herausgegeben von Dr. W. Adolf
Schmidt Bd. VIII Berlin 1847 S. 289 ff.).
L
Die Leser dieser Zeitschrift werden sich des in einem früheren
Jahrgange mitgeteilten sehr lehrreichen Aufsatzes ^^über die griechische
Eomenverfassung als Moment der Entwickelang des Stadtewesens im
Altertum" erinnernd Mit vollem Recht ward in demselben auf die
Bedeutsamkeit der Eomen und ihres Verhältnisses zur nöXig aufmerk-
sam gemacht, nachgewiesen, wie sich die innere Geschichte des Griechen-
tums zum großen Teil um diesen Fortschritt zur stadtischen und staat-
lichen Concentration bewegt. Es würde eine dankbare Mühe gewesen
sein, dies bedeutsame Verhältnis ausführlich auch nach seinen Be-
dingungen und Wirkungen zu untersuchen; es würde sich vielleicht
gezeigt haben, daß eigentlich von einer Eomenverfassung nicht wohl
die Rede sein könne; es würde in den wirtschaftlichen Unterschieden
von xdffjifj und nökigj die sich teils aus der Natur der Sache ergeben,
teils aus bestimmten Überlieferungen erkennbar sind, die politische
Bedeutung dieses Gegensatzes noch anschaulicher geworden sein; nament-
lich die Stellung Spartas der fortschreitenden Bewegung des Griechen-
tums gegenüber hätte durch eine derartige Betrachtung mannigfache
Erläuterung gewinnen können.
Man ist wohl zu dem allgemeinen Satze gekommen, daß das
Eigentümliche des klassischen Griechentums die Identität von Stadt
und Staat in dem Begriff der nöXtg sei. Es wäre verkehrt leugnen
^ [E. Kuhn über die griechische Komen Verfassung in Schmidts Zeitschrift
IV 1845 S. 50 ff. Vgl. desselben Verf. Aufsatz zur Komen Verfassung Rhein
Mus. XV 1860 S. 1 ff.].
Die attische Communalverfassung 329
ZU wollen, daß diese Auffassung etwas Richtiges enthalte. Aber eine
sorgsamere Betrachtung zeigt, daß dieselbe teils zu viel, teils zu wenig
aussagt.
[290] Ich will im folgenden ein Moment der inneren Entwickelungen
zu erläutern versuchen, das sich, wenn nicht ausschließlich oder zuerst,
so doch so weit unsere Kunde reicht am vollständigsten im attischen
Staate ausgebildet zeigt. Ich meine die von Kleisthenes gegründete
Einrichtung der Phylen und Demen, deren Bedeutung mit dem in der
tTberschrifli gebrauchten Ausdruck im voraus angedeutet sein mag.
Denn es ist mit derselben keineswegs nur eine administrative Ein-
teilung des einigen Staates beabsichtigt, sondern der Versuch gemacht,
die nöhg, die Staatseinheit, zu einem System wirklicher Gemeinden
zu gliedern; und diese Gliederung ist nicht etwa eine historisch er-
wachsene, diese communalen Autonomien sind nicht etwa die Elemente,
aus denen der Staat zusammengesetzt oder zusammengewachsen ist,
sondern der einheitliche Staat schafft sie durch einen Akt positiver
Gesetzgebung, man könnte sagen eine Selbstbeschränkung, die sein
eigenes Wesen um so reiner hervortreten, um so kräftiger werden ließ.
So viel, um im allgemeinen die Kichtung zu bezeichnen, in der
sich die folgenden Betrachtungen bewegen werden. Man würde das
wahrhaft großartige Werk des Kleisthenes nicht richtig zu würdigen
im Stande sein, wenn man sich nicht die früheren Verfassungsverhält-
nisse Attikas, mehr als gewöhnlich zu geschehen pflegt, klar machte.
Ich darf es mir nicht versagen über diese zu sprechen.
Nur daß wir gleich da in betreff der ältesten Geschichten inmitten
der größten Schwierigkeiten sind. Die staatlichen Anfange Attikas sind
so mit Mythen und Sagen durchwachsen, daß die erste Frage für uns
sein muß, inwieweit in diesen ein historischer Inhalt vorauszusetzen
oder wieder zu erkennen ist. Oder soll man im Sinne der älteren
Doktrin, die neuerdings einen ebenso gelehrten wie beredten Verteidiger
gefanden hat, das was sich die Hellenen selbst von ihren Urzeiten
erzählt, als Thatsachen — nicht bloß „des Bewußtseins" — hinnehmen,
geltend machen, daß jener Kekrops wirklich aus Ägypten hergekommen
und wahrscheinlich die Buchstabenschrift mit sich [291] gebracht, daß
wirklich ein gewisser Triptolemos die und die agrarischen Einrichtungen
erfunden, ein gewisser Ion, des ApoUon Sohn, die und die Einteilungen
gegründet hat? Oder werden wir uns jener Art construktiver Kritik
anschließen, die, am glänzendsten von C. 0. Müller vertreten, die mythi-
sierendjß Natur jener alten Überlieferungen anerkennt und dann mit
sinniger Behutsamkeit aus der Fülle bedeutsamer Verknüpfungen und
Ausschmückungen heraus den historischen Kern zu gevrinnen bemüht
330 I^ie attische CommimalverfassuDg
ist? jener Art yon Kritik, die freilich die Persönlichkeis des Erech-
theus, des Ion, des Theseus als solche nicht annimmt, wohl aber in
ihnen Personifikationen historischer Zustande und Entwickelungen
wiederfindet?
Es will mir scheinen, als wenn beide Weisen dem religiösen
Charakter des Griechentums nicht angemessen seien. Vielleicht ist
gerade das von Attikas Anfangen Überlieferte in besonderem Maße
geeignet zum Nachweis der eigentlichen Natur derartiger Überliefe-
rungen, zur Erhärtung des Satzes zu dienen, daß die angeblich älteste
Geschichte der griechischen Landschaften eine heilige Geschichte, daß
sie Religion ist. Achte man nur darauf, mit welcher Sorgfalt und
Anschaulichkeit auch kleinste Momente aus der Geschichte des Eephalos,
des Eeleos, des Aias festgehalten werden, und man wird es erkennen,
daß hier ein anderes als das bloß historische Interesse gewaltet hat.
Und wieder wenn diese Attiker — und vor allen Hellenen hatten sie
den Ruhm der Frömmigkeit — ihre Boedromien, ihre Plynterien, ihre
Apaturien feiern, wenn sie in unzähligen lokalen Diensten dem Nausi-
thoos, der Hekate, dem Eonnidas Opfer bringen, wie nur will man
meinen, daß die Sage von Ions Hilfezug gen Eleusis, von den drei
Töchtern des alten Königs Kekrops, von der trügerischen List des
Melanthos, falls sie nichts weiteres als die Erinnerung dieser ehemaligen
Personen und Thatsachen enthielt, das religiöse Bedürfnis dieses fromm
gläubigen Volkes befriedigt haben könne? oder was für eine Art von
Frömmigkeit soll sich daran erbaut haben, daß Hekate den Theseus
gastlich aufgenommen, Konnidas ihn unterrichtet, Nausithoos sein Schiff
gesteuert habe, wenn Theseus [292] nichts war als ein ehemaliger
König oder gar die Personifikation einer Verfassungsänderung?
Mit einem Wort: wo irgend sich an einen Namen aus ältesten
Zeiten ein Dienst, ein Cult knüpft, darf man ohne bestimmteste Gegen-
beweise annehmen, daß die bezeichnete Person eben nicht eine histo-
rische ist, sondern in den Bereich der heiligen Geschichte gehört. Es
ist meine Aufgabe hier nicht, auf den religiösen Inhalt des hellenischen
Heidentums einzugehen. Wenn aber unbestreitbar ein großer, ja der
größte Teil des Mythos das Leben der äußeren Natur zur Basis hat,
so sind nicht etwa die Götter und Helden, ihr Thun und Leiden
Symbole oder Allegorien für diese, sondern das Wechseln und Werden
in der Natur selbst wird angeschaut als das Dasein der ewigen Mächte
und deren Geschichte, das ebenso in alles Menschen thun hineinragt
und es mit seinem Segen und seinen Strafen durchdringt.
In der Natur der Sache liegt es, daß dem Griechen — denn an
der Facticität jener heiligen Thatsachen, an der Persönlichkeit jener
Die attische Communalverfassang 331
Götter und Heroen hat er keinen Zweifel — die heilige Geschichte der
Anfang seiner wirklichen Geschichte ist, daß er in ihr die Ursprünge
seines Volkes, die Gründung der frühesten staatlichen und socialen
Einrichtungen findet, ja daß sie überhaupt in dem Maße als der Glaube
lebendig ist, fortlebt und fortwirkt, lebendiger als die kleinen That-
sachlichkeiten des wirklichen Lebens. Sie selbst mit nichten starr und
ein für allemal geschlossea; vielmehr wandelt sich ihre Fassung, ihr
Verständnis, ihr Umfang fort und fort in dem Maße als überhaupt
die Entwickelung des Volkes. Aber ebenso liegt in jenem Glauben
der Weg zum Euhemerismus nahe, so daß lange bevor dieser Name
entstand, schon in den Anfängen historischer Forschung die Tendenz
erkennbar ist, die Grenzen der heiligen Geschichte und der historischen
Wirklichkeit zu verwischen und aus dieser in jene hinauf zu ratio-
nalisieren, für diese und nach ihrem Maß jene zu systematisieren. Aber
es trennt — und nirgends schärfer als in den attischen Überliefe-
rungen — beide eine unzweideutige Kluft Bald nach [293] dem
sogenannten trojanischen Kriege schließt plötzlich die Fülle jener
schmuckreichen, bis ins Kleinste anschaulichen Erzählungen, und in
der conventioneilen Chronologie von fast vier Jahrhunderten stehen
kaum zwei oder drei Thatsachen aufbewahrt, — erste Erinnerungen
wirklicher Begebenheiten, dürftige Anfange einer wirkhch historischen
Tradition. Von dena, was voraus liegt, darf man das hellenische Sprich-
wort brauchen: „es ist älter als Kodros".
Natürlich kann es unsere Meinung nicht sein, als wäre während
und vor dieser leeren Zeit in Attika und resp. Hellas gar nichts passiert;
denn auch dieser Einwurf ist neuerdings nicht ohne Gepränge von
selten der orthodoxen Philologie erhoben worden. Wenn auch nicht
die Völkertafel in der Genesis, das Vorkommen des Namens der lonier
auf den Monumenten der Sesostriden ist ein Beweis, wie jung die
Geschichte der Hellenen ist. Ja noch mehr, es ist gar wohl anzu-
nehmen, daß wirklich historische Thatsachen in die mythischen Erzäh-
lungen, in die Stammsagen, in die epische Poesie mit verschlungen
sind. Nur daß niemand glauben möge, sie mit einiger Sicherheit aus-
scheiden zu können. An der Analogie der germanischen Urzeiten hätte
man die Behutsamkeit, deren die Forschung bedarf, zu lernen Gelegen-
heit. Freilich bewahrt das Nibelungenlied auch historische Motive,
man möchte sagen den allgemeinen Eindruck der sogenannten Völker-
wanderung; aber wie seltsam verzogen, wie verschlungen mit dem, was
einst Göttergeschichte gewesen; historische und mythische Personen
verkehren dort auf gleichem Boden. Aus diesen Liedern, aus den
Stammsagen bei Paul Warnefried, Jornandes u. s. w. etwa der von den
332 I^ie attische Communalverfasaang
göttlichen Ahnherrn der Amaler, von Lamissios Mutter der Meerfei o. s. w.,
die deutsche Urgeschichte zu entnehmen fällt niemandem mehr ein.
Einst wenn von irgend einem Tacitus der Kamessidenzeit ein Werk
de situ moribibs ei poptüis Oraedae auftauchen oder wenn die Backsteine
des Nimrodturmes und die Marmorplatten von Ehorsabad uns uner-
wartet neue Quellen eröfinen sollten, mag es möglich werden zu be-
stimmen, ob und inwieweit sich in den Gesangen [294] von Troja oder
Theben Motive der althellenischen Völkerwanderungen erhalten haben.
Noch ein Punkt bleibt uns zu berühren. Allerdings erscheinen
wie überall im hellenischen Lande so auch in Attika die ältesten In-
stitute staatlicher, kirchlicher und bürgerlicher Ordnung an jene heilige
Geschichte angeknüpft, als Gründungen der Götter oder Heroen, als
fortdauernde und gegenwärtige Wirkungen der heiligen Vorgange, deren
Chronologie sich mit jedem Pestcyclus, jedem Kirchenjahr der Gläu-
bigen erneut. Aber so wenig ist für Stammeinteilungen, Staatsein-
richtungen, lokale Gründungen u. s. w. aus jenen Mythen und Sagen, auf
die sie sich stützen, sichere historische Erläuterung zu entnehmen, daß
vielmehr umgekehrt diese Anknüpfungen selbst in erster Reihe zum
Verständnis jener Mythen und Sagen verwendet werden mögen. Wenn
von Kekrops gesagt wird, daß er „die zwölf alten Burgen Attikas
gegründet habe"^, so ist freilich die Existenz dieser Burgen unzweifel-
haft; aber erst wenn man in der mythischen Gestalt des Kekrops die
Motive findet, die diese Gründungen gerade an seinen Namen zu
knüpfen Anlaß waren, hat man diese Sage verstanden, und wieder zu
ihrem Verständnis führt es, daß er unter anderem als Gründer der
zwölf Burgen hat gedacht werden können. Wenn die Vereinigung des
ganzen attischen Gebietes zu einem Staate mit dem Fest der Synoikien
an Theseus Namen geknüpft erscheint, so wäre es euhemeristisch, in
Theseus den großen Mann, der dies bedeutende politische Werk voll-
bracht habe, wieder erkennen zu wollen; aber was Beligiöses in diesem
Poseidonssohn angeschaut wurde, muß von der Art gewesen sein, daß
eben solche Landeseinigung und Befriedigung an seinen Namen ge-
knüpft werden konnte. Daß sie vor sich gegangen, daß sie nicht das
Ursprüngliche, sondern ein Moment in der Entwickelung der wirk-
lichen Geschichte Attikas, wird sich erweisen lassen; aber den [295]
pragmatischen Zusammenhang dieses Vorganges aus der Sage vom
Theseus herausdeuten wollen, wäre völlig unkritisch oder kritisch in
der Art jenes jungen Theologen, der sich ernstlich dagegen verwahrte
^ Etym. M. *^naKqia, x^Q^j Ädijvaiovg naXai x(Ofii]dby otxovviag ngarog
KsxQOtp iTvyaYaijrcjv xataHiasp etg n6Xet^ Övoxaiöenot»
Die attische Communalverfiiesang 333
als könne er glauben , daß der heilige Geist in Gestalt einer Taube
erschienen sei; aber dann auf die Frage, in welcher Weise denn er es
sich denke, erklarte, ein Vogel werde es doch wohl gewesen sein.
Nach dem bisher Bemerkten — mag es für unseren Zweck aus-
reichend erscheinen — werden wir uns, um die früheren Rechtsver-
hältnisse des attischen Staates zu erforschen, keineswegs an jene viel-
gestaltigen Traditionen wenden, noch die chronologischen Bestimmungen,
die sie darzubieten scheinen, als feste Punkte annehmen, am wenigsten
aber uns begnügen dürfen, das von Hellanikos begonnene und von den
Isokrateem und Atthidenschriftstellern ausgebaute System altattischer
Geschichte zu restaurieren, als wäre — denn so hat man sich neuer-
dings getröstet — ein Irrtum mit ihnen immerhin noch gut genug.
Den einzig festen Boden für die Forschung über jenes Altertum ge-
währen die alten Institute, die in die geschichtliche Zeit hinab erhalten
als Zeugen jener sonst völlig verschollenen Zustände betrachtet werden
können. In ihrer Art, in den Bedingungen, die ihre Entstehung vor-
aussetzt, in den gegenseitigen Beziehungen, die zwischen ihnen der
Natur der Sache nach stattfinden mußten, endlich in der Analogie
anderer namentlich hellenischer Staatsbildungen werden wir Momente
der ältesten attischen Geschichte wieder zu erkennen versuchen dürfen.
Daß die Attiker lonier waren, ist unbestreitbar. Wie sie es ge-
worden, ob sie es immer gewesen, darüber giebt es (trotz Herod. VI
137 und Vin 44) keinerlei sichere tTberlieferung. Am wenigsten darf
man den blendenden Combinationen Müllers darin beistimmen, daß die
attische Bevökerung, früher pelasgisch, durch die angebliche Einführung
des Apollocultes oder doch im Zusammenhang mit derselben hellenisch
geworden sei; wie denn überhaupt die ganze Frage über Felasger und
Hellenen, die zwei Decennien hindurch mit so lebhaftem Eifer be-
sprochen worden, nur dazu gedient [296] hat, die Forschung über die
Anfange der klassischen Völker auf falscher Fährte zu halten.
unter den alten Instituten, auf die wir unsere Betrachtung zu
gründen haben, sind besonders die verschiedenen Ordnungen, nach
denen das Volk geteilt war, von Wichtigkeit. Es ist zunächst die
Einteilung in die vier Phylen, sodann die weitere Teilung jeder Phyle
teils in Trittyen, teils in Phratrien, teils in Stände; dies nach der aus
Aristoteles Schrift über die attische Verfassung stammenden Notiz:
!^&7jvfj<Ti Sixa {S') fdv Jjtrav (pvhxi, SitjorjTO Se ixaari] tovtcjv elg
TQia, dg xQtTTvag, %lg äöPTj, sig cpQaxQiaq (Schol. Plat de rep. V
S. 406 ed. Bekk., vgl. die anderen Citate bei Meier de gentilitate S. 7
und 8). Wunderlich ist in dieser Darstellung, daß auch die Teilung
nach Ständen als auf Grund der Phylen gemacht angeführt wird. Eine
334 I^ie attische Communalverfassung
weitere Frage aber ist sofort, ob diese vier Ordnungen alle gleiches
Alters, alle von Anfang an im attischen Staatsrecht gewesen seien, oder
ob sich zwischen ihnen ein Früher nnd Später unterscheiden lasse.
So entschieden ist der ursprungliche Verfassungstypus des Griechen-
tums — um. nicht noch allgemeineres zu sagen — der Geschlechter-
staat, daß auch in staatlichen Gründungen, in denen natürliche Ver-
wandtschaft notorisch nicht das Zusammenhaltende ist, der neue Staat
seine Formen in der Analogie geschlechtlicher Verwandtschaft sucht;
selbst ausdrücklich auf Eroberung gegründete Staaten (die dorischen)
gründen sich in diesen Formen, nur daß diese dann nicht die Unter-
worfenen mit umfassen. Es ist die frühste und naivste Spekulation
über den Ursprung und das Wesen des Staates ihn für die erweiterte
Familie zu halten und das Factum seines unvordenklichen Bestehens,
seiner Gewährungen und Ansprüche aus eben den gemütlichen Be-'
Ziehungen herzuleiten, die sich innerhalb der Familie immerfort neu
erzeugen. Indem diese politischen Verwandtschaften, wie sie in das
Gebiet des Rechtes hinübergehen, eine Theorie, eine Voraussetzung,
eine Satzung werden, so erscheinen in ihnen sofort normierende Zahlen-
verhältnisse, zu deren Annahme [297] die Analogie sonst wie bedeu-
tender klykischer Erscheinungen mitgewirkt haben mag.
So darf es nicht Wunder nehmen, wenn sich die attische Bevöl-
kerung — ähnlich den verschiedenen Völkern aus Terachs Geschlecht —
in zwölf großen Brüderschaften {(fQctxQicct^) zusammengehörig glaubte,
deren jede wieder dreißig Geschlechter yivi] in sich begreift; „so daß
die Zahl der attischen Geschlechter der der Tage des alten Jahres
gleich ward" meinte Philochoros, der auch die vier Phylen mit den
Jahreszeiten zusammenstellt (Suid. v. yBvvfiTat) ohne zu bedenken, daß
die ältere griechische Jahresteilung weder vier Jahreszeiten noch das
Jahr zu 360 Tagen hatte. Doch diese Analogien sind für uns ohne
Wichtigkeit. Fügen wir hinzu, daß auch jedes Geschlecht wieder in
gleicher Weise geteilt, dreißig Männer (ßv^peg) enthielt und eben daher
auch T(}iccxäg genannt wurde.
Aber ist es nicht vollkommen undenkbar, daß solche Normierungen
alt, daß sie praktisch gewesen seien? muß nicht diese hübsche Abmn-
dung der Zahlen durch die lebendige Bewegung der Population in
jedem Augenblick über den Haufen gestürzt worden sein? Ich denke,
in diesen Zahlen ist zwar nicht ein tiefer mystischer, aber doch ein
sehr praktischer Sinn. In dem Wesen des Geschlechterstaates liegt
bei weitem noch nicht die Seßhaftigkeit der Bevölkerung; aber wo
dieselbe eintritt, wo sich der Geschlechterstaat auf ein begrenztes Ge-
biet mit begrenzter Ertragsfähigkeit einzurichten hat, da treten für
Die attische Commanalverfassang 335
denselben gewisse Notwendigkeiten ein, die seinem ursprünglichen Wesen
gleichsam einen zweiten Faktor hinzufügen. Als wesentlich seßhaft
erscheint die attische Bevölkerung schon in der Gemeinüberzeugung
ihrer Autochthonie, mehr noch in der Eigentümlichkeit der wichtigsten
Culte; endlich ist der attische Boden zum großen Teil. von der Art,
daß er — wie auch die Sage von den Pelasgem auf dem Hymettos,
der nichts als öövvai xcä acpdxEXoi tragt, andeutet — nur dem regel-
mäßigen Fleiße Ertrag gewährt. Schon aus dem Umstände, daß mehrere
der späteren Demen die Namen alter Landesgeschlechter tragen, [298]
dürfte man auf die Vermutung kommen, daß jeder solcher Name den
Wohnsitz, das Ackergebiet des genannten Geschlechtes bezeichne, daß
also wohl der alten Geschlechterteilung entsprechend das Gebiet Attikas
geteilt gewesen sein werde. Die Erklärung der 10800 ävSQsg liegt
nun nahe: es umfaßte jedes Geschlecht mit seinen 30 ävS()6g ebenso
viele feste Erbe, geschlossene Grundstücke, deren jedesmalige Inhaber
eben damit die aktiven Bürger des Geschlechterstaates waren; und ich
bin sehr geneigt, jenen „Adel des Ackerbaues", der neuerdings mit
gerechtem Preise in den altitalischen Verhältnissen nachgewiesen ist,
auch für die Anfange Attikas in Anspruch zu nehmen.
Also keine Teilbarkeit des Grundbesitzes? Eigentum Bedingung
der Vollfreiheit? vielleicht gar Unveräußerlichkeit des Erbgutes?
Die Natur des Gegenstandes erlaubt nicht, auf diese Fragen mit
Sicherheit zu antworten. Doch bemerke ich folgendes. Wir finden
bei Hesychios: ^|ö) xQiaxaSoq ol fxij fjLBTakafißavovreg nalSeg ^ äy-
XtareTg xXijQov TBkevTrjtTavrög xivog lA&tjvfjaiv hecckeiro (sehr, ixa-
XovvTo). Also die nicht ein Erbe, xli)Qogf erhalten sind ä^cj rgiaxccSog^
sind &TQi(ixa<not, Daß diese merkwürdige Angabe (wahrscheinlich
aus Aristoteles Schrift über die attische Politie) sich auf die vorsolo-
nische Zeit bezieht, ergiebt sich aus der bekannten erbrechtlichen Be-
stimmung, die Selon machte: änavrag rovg yvrjmovg laopLoigovg elvai
rdiv nuTQipmv, Man wird sich denken können, daß die Erblosen dann
unter der politischen Vertretung ihrer Familienhäupter, ihrer ävSpeg
standen, man wird annehmen dürfen, daß sie entweder als freie Arbeiter
mit auf dem Erbe saßen, oder auch wohl ihre Arbeit frei verdingen
konnten u. s. w.; vor allem aber mag aus diesem jüngeren Volk manche
Schar ausgezogen sein auf Seeraub und Heerfahrt oder zu den ionischen
Ansiedelungen im Osten und Westen. Jedenfalls als den Kern der
Bevölkerung wird man die auf geschlossene Hufen gegründete Bauern-
schaft ansehen dürfen.
Fügen wir ein Zweites hinzu. Bis auf Solon war das [299] Recht
testamentarischer Verfügung nicht vorhanden, dXX kv rw yivai rov
336 Die attische CommunalverJBEissang
TS&vfjxörog üSei tu /Qijfiara xai rov oixov xatafiivetv (Plut. Sol. 21).
Seit Solon ist die wesentliche Form der Stad-r^xt] xctxä 86aiv die
Adoption, d. h. die Übernahme des zum Erben Bestimmten in das
Geschlecht und die Phratrie des Erblassers. In der einen wie anderen
Form ist das wesentliche, daß der olxoq erhalten wird; was die der
älteren Zeit betrifft, wird man doch nicht annehmen können, daß das
offene Erbe habe aufhören können, einen eigenen olxoq zu bilden, daß
es an einen der schon angesessenen ävS^sg des Geschlechtes oder gar
in den ager pviblicus des Geschlechtes habe zurückfallen dürfen; viel-
mehr da es galt den olxog zu erhalten, wird jemand zur Übernahme
des un vertretenen xXfjQoq bestellt worden sein, natürlich durch das
Geschlecht, natürlich einer der ccxQidxaaroi des Geschlechtes; eine
Bestimmung, die zeigen würde, wie allerdings erst mit dem Solonischen
Erbrecht wahres Eigentum gegründet worden ist [rä xi>Vf^^'^^ «^'}-
ficcra hnoifjaB Plut. Sol. 21). Sollte es vielleicht möglich sein, in
diesem Zusammenhange endlich die Erklärung der schwierigen Begriffe
dfjioyaXaxTBq und yevvTjrcci zu gewinnen? Philochoros, wenigstens nach
der Fassung bei Suidas unter jenen beiden Worten, giebt an, daß so
genannt seien oi he rov avrov 71(jcjtov {aitov xal ngcorov) r&v X
yev&v. Die wunderliche Angabe t&v k' yspcDv, die eigentlich zu keinem
der alten Verhältnisse passen will, wird man für irgendwie fehlerhaft
oder mißverstanden halten müssen. Wäre je das erste unter den dreißig
Geschlechtem jeder Phratrie bezeichnet, so würden nur zwölf Ge-
schlechter, nur zwölf mal dreißig ävSoeg in Attika wahrhaft gennetisch
gewesen sein und der Name der Genneten hätte eine Beschränkung,
die mit seinem natürlichen Sinn in W^iderspruch stände; es würde
überdies das avrov wenigstens ein müßiger Zusatz sein. Völlig anders,
wenn man annimmt, daß nur diejenigen ävS^eg innerhalb eines Ge-
schlechtes als dfAoyükaxTBg oder yevvTjrai im vollen Sinne gelten, die
von dem ersten Gründer in unmittelbarer Descendenz abstammen;
Geschlechtsgenossen, die nur durch [300] Substitution in ein eröffnetes
Erbe eintraten, konnten wohl an den Heiligtümern des Geschlechtes
teil nehmen {fxarix^iv), wie es gewiß auch die ^|ö) xQiaxüSoq thaten,
konnten wohl 6Qy%ß)VBg sein, aber im vollsten Sinn yevvfltai waren
sie nicht. Demnach würde der wunderliche Ausdruck des Suidas röv
r yev&v, eigentlich die je dreißig Geschlechter in jeder Phratrie gemeint
haben und ix rov avrod nQchrov nicht auf yivoq zu beziehen, sondern
etwas wie Gründer, Stammvater zu denken sein. Es sprechen, wie
mir scheint, auch andere Umstände für solche Auffassung; Aristoteles
(Polit. I 1, 7), wo er die xdjpii] als nächsten Verein über der Familie
bezeichnet und sie „gleichsam eine änotxia rr^g olxiug^^ nennt, sagt
Die attische CommuualyerfiussuDg 337
von deren Genossen: ovq xaXovai rivtq iyLoydhjcxxccq, naiSäg r« Mal
naiSo»» natSaq, Und in derselben Weise verstanden, erhält eine merk-
würdige Notiz des Harpokration ihre volle Kraft: ovx ol trvyyBvsTg
fUVTOi äni^g xal ol k^ aifiarog yBvvfjrai tb oeul hc tov ccirov
yiwyvg kxccXoiJvxo^ äXX oi ^| oiqxV£ ^'^ ^«r xaXovfßsva yhr} xaravefif}-
&ifVTeg (S. 48, 12 B.). Endlich will ich nicht unterlassen daran zu erinnern,
daß nach den Solonischen Gesetzen es keineswegs erlaubt war xräai^ai
yfjv dsiöatjv &if ßovXfiTul rrg (Arist Polit. II 7, 4). Leider ist nicht
die positive Bestimmung Erkennbar, aber es liegt nahe zu vermuten,
daß eine so einschneidende Verordnung selbst in der Solonischen Legis-
lation nur dadurch möglich wurde, daß sie im wesentlichen die Er-
neuerung uralten Rechtes war. Vielleicht galt einst in Athen, wa«
nach Aristoteles kv noiJkaig nöXsaiv vor Alters Gesetz war, yLtiSk niaXeiv
i^Bivai Tovg nQd)xovg xhliQovg (Arist. Pol. VI 2, 5).
Schon aus dem Bisherigen dürften sich einige wesentliche Motive
des altattischen Geschlechterstaates ergeben — , denn es sei uns erlaubt
hier zu antidpieren, was sich später bestätigen wird, daß eben er die
Basis, älter als die Anordnung nach Stämmen, Ständen und Leistungen
ist. War das attische Gebiet mit Ausschluß der heiligen Bezirke, der
Wald weide, der Gewässer u, s. w. in 10800 Erbe gennetischer Voll-
bürger geteilt, stand neben diesen eine gewiß nicht unbedeutende Zahl
jüngerer Brüder und ihrer Desoendenz, [301] die freilich von dem
Gremeinderecht der Vollbürger ausgeschlossen waren, aber doch nur so,
daß sie bei jeder nächsten Erledigung eines xXfiQog in die Triakaden
einrücken konnten, so war — denn Sklaven fehlten so gut wie ganz
(Herod. VI 137) — theoretisch wenigstens jene Gleichheit, ij k^ Xaov
yivzaigy vorhanden, die Plato als das Eigentümliche des attischen Alter-
tums bezeichnet, und welche so zu sagen das gesamte Volk adelte:
!Arrixol fidvoi Sixaimg Bvysvaig cevröx&oveg sagt Anstophanes. Aller-
dings sind unter den Namen altattischer Geschlechter, deren wir noch
eine große Zahl finden, auch solche, die gewerbliche Betriebe bezeichnen :
Färber, Schmiede, Boten, Herolde, Brunnengräber u, s. w.; es wäre völlig
unrichtig darum zu glauben, daß sie neben dem Gewerbe, das als
wohlerprobte Kunstfertigkeit in ihren Häusern erblich oder auch privi-
legiert gewesen sein mag, nicht auch einen ländlichen Betrieb gehabt
haben sollten; eine Bemerkung, die darum notwendig erscheint, weil
man sonst auf diese Namen Vorstellungen aus entwickelteren gesell-
schaftlichen Verhältnissen übertragen könnte.
Noch eine Eigentümlichkeit dieses alten Geschlechterstaates bleibt uns
zu betrachten übrig; vielleicht daß sie schon nicht mehr seiner ältesten
Fassung angehört. Wenigstens dürfte es schwer sein nachzuweisen,
Droysen, Kl. Schriften T. 22
838 ^ie attische Communalverfassiing
daß es in seinem Wesen liegt, ein Königtum zu haben, wenn sich
auch die Attiker ihre älteste Zeit nie ohne dasselbe dachten: ßccaiksTg
yaQ all rjfiTv tlaiv ovrot Si roxi ^kv he yivovg, rori Si aiQSToi
(Plat. Menex. S. 238 d). Wir finden in Attika zwölf alte Burgen er-
wähnt; und man wird es wohl der auch von Thukydides angeführten
Überlieferung glauben dürfen, daß das älteste Attika xcerä nöXetg
Prytaneien und Obrigkeiten hatte; es war im wesentlichen ein Verband
Yon zwölf kleineren Staaten. Schon andere haben mit Wahrschein-
lichkeit nachgewiesen, daß jene zwölf Burgen mit den zwölf Phratrien,
eben diesen kleinen Staaten, im wesentlichen Zusammenhang stehen.
Wenn die ionischen Auswanderer gen Asien sich wieder in zwölf Städten
ansiedeln, jede zunächst [302] mit ihrem Prytaneion und ihrer Obrig-
keit, so kann man freilich nicht sagen, daß sie Fortsetzungen der zwölf
attischen Phratrien sind; aber es ist doch bedeutsam, daß sie die festere
politische Einigung, die, wie aus dem mit übertragenen Institut der
vier Phylen zu erweisen ist, zur Zeit ihrer Gründung in Attika schon
bestand, nicht versuchten, sondern die losere des Panionions vorzogen.
Dem gegenüber ein anderes. Ich bin nicht gemeint, die homerischen
Gedichte als eine Quelle für geschichtliche Ereignisse zu benuteen;
aber gleich wie die Nibelungenlieder die Verfassungsformen — man
möchte sagen das politische Kostüm — vergegenwärtigen, die zu der
Zeit, da sie fixiert worden, herrschten, ebenso darf man in jedem der
beiden homerischen Gedichte ein bestimmtes Stadium hellenischer Ver-
fassungsentwickelungen wieder erkennen. Und da zeigt denn die Odyssee
die schon werdende Zerrüttung des altheroischen Königtums; nur in
dem glücklichen Phaiakenlande ist noch die alte schöne Ordnung: die
Sc^Ssxa xarä Sfjfwv äQiitQBniag ßaailfjsg jeder mit seinem yi^ag, 8
VI Sfjfiog äSojxev (Odyss. VII 150), und Alkinoos der Oberkönig als der
selbdreizehnte mit ihnen. Ich meine, es ist dies ein allgemeines, wenn
man will ein Idealbild der „guten alten Zeit^^, dem auch der Zustand
Attikas vor dem sogenannten (Tvvotxi(Tfi6g entsprochen haben wird.
Sollen wir noch weiter gehend auch daran erinnern, daß nach der
Odyssee zwar das ßaatkemtv, das Oberkönigtum, y%v6p naromov
genannt wird, aber zugleich doch &e&v hv yovvam xeTrcci StTzig —
ßa<TtXBV(T8i lAxcciß^ (Odyss. I 384 flF.) und daß das königliche yi^ag,
wie Odysseus (Odyss. XI 175), wie Achill (495) fürchtete, auch an andere
der Fürsten im Lande übergehen kann? sollen wir vermuten, daß erst
i98o€ Se^iog ÖQvig entschied, etwa die Wahl bestimmte? (vgl. Nitzsch
zu Odyss. I S. 62). Oder sind die Verhältnisse der Odyssee selbst
schon zu weit entwickelt oder verwirrt, als daß die Attikas damit zu
vergleichen wären? Sollen wir das offenbar noch ältere Schema der
Die attische Communalverfassang 389
Yerfassangy wie es sich endlich noch in der delphischen Amphiktyonie
bewahrt hat, zum Vergleich herbeiziehen, daran erinnern , daB die
Attiker einen [803] Heros Amphiktyon verehrten, der dem Eranaos
als König gefolgt sein soll? Freilich man wird es nie erforschen
können, ob Attika eine Zeit gehabt hat, in der die zwölf Phratrien
ohne die gemeinsamen Heiligtümer der Akropolis gewesen; und das
Fest der Apaturien, in dem sich alle Geschlechter der zwölf Phratrien
als eine Verwandtschaft zusammenfanden, mag um nichts jünger sein
als der politische Anfang dieses Volkes; man müßte deon in dem
Umstände, daß in der Sage auch Könige von Orten genannt werden,
die nicht unter den zwölf Burgen erscheinen (Myrrhinus, Athmononu.s.w.),
Andeutung von Verhältnissen finden wollen, die denen der gegründeten
zwölf Brüderschaften vorausgingen. Wenn aber überhaupt in diesem
Oeschlechterstaat Könige ursprünglich sind, so gewiß nicht in der
Weise, daß das Oesamtkönigtum früher als die Könige der einzelnen
Burgen sind, — ist es doch selbst eine der zwölf, die sich zur dauernden
Vorortschaft über alle erhebt, Sitz des Gesamtkönigtums wird; —
sondern wo es eintritt, wird mit dem Staat eine Umwandlung beginnen,
welche das alte gleiche Recht der Phratrien entschieden beeinträchtigt.
Diese Umwandlung, so scheint es, ist in der Einrichtung der
sogenannten vier ionischen Phylen erkennbar.
Unter den Namen derselben ist nur der eine der dnXijTaq ohne
Schwierigkeit; und es scheint zu demselben die Sage, daß Ion, der
Vater der vier Eponymen, Stratarch der Athener gewesen sei (Herod.
VIII 44) auf treffliche Weise zu passen. Desto unklarer sind die drei
anderen Namen. Unmöglich kann doch raUovTBQf — denn so, nicht
TbUoptbq haben die Inschriften — von y6(&ks(og hergeleitet werden,
eine Formation, die eher dem Zeitalter der korrumpiertesten Gräcität
als dem ursprünglicher und sicher gefühlter Sprachbildung angetiören
könnte. Für L4QyüSeig schwankt die Erklärung zwischen der Ableitung
von igyop und äQyogj zwischen „Werklingen und Flurlingen", nur daß
in dem einen wie anderen Falle die patronymische Endung unberück-
sichtigt bleibt. Endlich was besagt der Name AlytxoQBiq? bezeichnet
er wirklich Ziegenfütterer? oder soll man der Etymologie [304] des
Euripides Glauben schenken, der die Göttin Athene dem Eponymos
dieses Stammes nach ihrer Aigis {hiii]g äii AlyiSoq) den Namen geben
laßt? Schon unter den alten Autoien giebt es solche, die da meinen,
diese vier Namen bezeichneten ebenso viele ßlot, politische Unter-
scheidungen weder nach der Abstammung noch nach dem Lokal, son*
dem nach den Lebensbeschäftigungen, förmliche Kasten: nach diesen,
sagt Plutarch (Selon 23), nicht nach den Söhnen des Ion seien nach
22*
'340 I^ie attische Coinmunalverfassang
der Meinung einiger die Stamme genannt und zwar seien diese ßloi
die Kasten der Krieger, Handwerker, Ackerleute (yt8iovTBq\ Hirten; —
während nach Strabo Ackerleute, Handwerker, Priester und Krieger
die ßloi sind. Man sieht, den Alten war der Ursprung jener Namen
so dunkel wie uns, auch sie suchten deren Erklärung durch Hypothesen.
Von dem Namen der Hopleten und der Stratarchie des Ion aus-
gehend hat man neuerer Zeit die Hypothese einer ionischen Eroberung
Attikas vollständig ausgebildet. Am consequentesten Matthiä (Zeit-
schrift für Altertumswissenschaft 1840 S. 760 ff.): er findet, auch die
Namen der AlyixoQBtq und IdoydS^tq bezögen sich auf die Bewafl&iung,
jener bezeichne die mit der Aigis, dem Ziegenfell bekleideten oder
geschirmten, dieser die celeres\ in den Geleon ten erkennt er „einen
hervorragenden Kriegerstamm", sich stützend auf eine Reihe etymo-
logischer Combinationen, die ich hier nicht wiederholen will; denn die
ganze Ausführung wird man verwerfen müssen. Nicht bloß daß dies
künstliche System verschiedenartiger Bewaffnung für älteste Zeiten —
auch nicht eine Spur davon ist in den dorischen Phylen, sie sind
sämtlich hopletisch — ohne alle Frage unanwendbar ist, es wäre
unzweifelhaft nach Maßgabe der höheren oder niederen Bewaffnung
ein Rangunterschied, eine Stufenfolge in den vier Phylen, der weder
nachgewiesen noch nachzuweisen ist Entweder es müßte mit der
Eroberung und Gründung der vier Phylen die Geschlechterverfassung
erst geschaffen sein oder sie hätte den Geschlechterstaat bereits vor-
gefunden, ihn mit übernommen; in beiden Fällen ist die Zahl der
10800 [305] ävÖQsg vollkommen unbegreiflich. Nach Niebuhrs An-
sicht hätte die Eroberung die alte Bevölkerung zur „Gemeinde" {SfIfAog)
gemacht, ihr die „Geschlechter" gegenübergestellt; meint er damit jene
860 mit ihren 10800 Männern, so ist leicht nachzuweisen, wie diese
allein schon eine Bevölkerung reprä^ientieren, die auf dem kleinen,
nicht einmal fruchtbaren Gebiet Attikas für einen SfjfAog wenig Raum
übrig lassen (s. u.). Und hat nicht fortan jeder Attiker Phratrie und
Geschlecht? wie soll es geschehen sein, daß die Gemeinde in die Ge-
schlechter eindringt? Träger der wichtigsten Culte des Gesamtstaates
waren zu allen Zeiten urheimische agrarische Geschlechter, wie die
Buzygen, Butaden, Lykomiden u. s. w. ; sollen sie miteroberte oder mit-
erobemde gewesen sein?
Mir will es scheinen, als wenn man bei dieser ganzen Unter-
suchung von falschen Prämissen ausgehe. Ich will mich nicht darauf
berufen, daß es eine der Burgen ist, die sich über alle erhebt Muß
denn aber jene Vierteilung ein System enthalten, dessen einzelne Be-
nennungen charakteristische systematische Unterschiede angeben? muß
Die attische Communalyerfassung 341
aus jenen Namen der EinteUungsgrund erkannt werden können? Nicht
als wenn sie nicht irgendwelche Bedeutung hätten; aber welche Zu-
fälligkeit nicht könnte die der „Glänzenden'^, — denn n,ur das heißt
yekiovTsg — veranlaßt haben? Und wenn am Ende Alyixoifüq wirk-
lich soviel als Ziegenfötterer bedeutet, so hat das, wenn es rovq hnl
vofAccTg xccl nQoßccTuuig Star^ißovTccg bezeichne sollte, etwas so ver-
ächtliches an sich, daß es eher einem Parteinamen als dem einer ehr-
baren politischen Einteilung ähnlich sieht. Endlich aber beachte man,
wie diese Einteilung sich nach ihren Namen verhält: der eine bezeichnet
eine Eigenschaft, der zweite ist patroi^ymisch, ein dritter klingt wie ein
Scbimp&amen, nennt einen ganzen Stamm nach einer der niedrig^en
ländlichen Beschäftigungen, der letzte endlich bezeichnet die Schwer-
bewaffiaeten.
Mit einem Wort, es ist Täuschung, daß eine sogenannte ionische
oder hopletische Eroberung das Institut der attischen Fhiylen erklärlich
mache. Aber ebenso wenig erscheint [306] dasselbe als ein ursprüng-
lii^hes, zugleich Qüt den Pbratrien und 6eschlechter^ gegebenes. Es
scheint sich nur, aber auch völlig, als Resultat einer gewissen umeren
Entwickelung begreifen zu lassen.
Als der jüdische Geschlechterstaat im gelobten Lande ansässig
wurde, bestand — und soweit wird man unbedenklich den im alten
Testamente aufgezeichneten Sagen trauen dürfen — die durchgreifende
Veränderung darin, daß ein einiges Priestertum eingerichtet wurde,
welches die zwölf Stämme verband; aber in der eigentümlichen Agrar-
verfassung lag das entschiedene Gegengewicht gegen den weiteren
Fortgang der Eastenbildung, zu der das Levitentum ein Ansatz war.
Plato denkt sich nicht ohne ein tiefes Verständnis staatlicher Anfange
in der Urzeit . Attikas eine Art Eriegerkaste: t6 (tüxi-^ov in ävS^&v
&Bi(av XUT ägx^^ üffOQia&iv qixsi x^Q^^ — iSiav fxiv uin&v avSüg
oiSiv xexTfifihoq, anavxa Sä ndvrcov xoivä vofu^ovrBi; avr&v (Kritias
S. 110 C). Ist nicht auch im germanischen Altertum das reisige Kriegs-
gefolge der Anfang jener Umbildungen, denen der alte Geschlechter-
staat, denen endlich auch die altheimische Bauemfreiheit hat erliegen
müssen? Aber erobernd zogen diese Gefolgschaften aus der Heimat
und auf eroberter Erde entstand das neue Königtum upd der feudale
Militärstaat Auch im alten Hellas haben solche Eroberungen den
spartamschen Hoplitenstaat, das makedonische Königtum gegründet.
Wie nun Attika? Es ist doch bemerkenswert, daß selbst im Mythos
dies Königtum nicht erobernd erscheint. Wie wenig den anderen
Helden vergleichbar, wie nüchtern und beiläufig tritt Menestheus in
der Hias auf; und was immer von Theseus, Ion, Erechtheus Kriegerisches
342 I^ie attische Communalverfassung
berichtet wird, immer nur ist es Schatz des Landes und seiner Grenzen
oder innerer Krieg. Attika hat so wenig erobert, wie es erobert worden
ist. Und doch, meine ich, ist in dem, was Plato hypothesiert, etwas
Bichtiges enthalten.
Daß aus den zwölf Phratrien ein einiger Staat hat werden, daß
sich die Akropolis über die anderen Burgen, der [307] kekropische
König über die Prytanen der einzelnen Phratrien, die Pallantiden,
Eumolpiden, Titakiden u. s. w. hat erheben können, setzt eine zunehmende
Kraft der in den Apaturien angebahnten Einheitlichkeit voraus. Und
hier will ich gleich ein Moment hervorheben, das mir als ein besonders
merkwürdiges auch für die weitere Betrachtung erscheint. Gewiß mit
gutem Grunde hat Thukydides den alten attischen Ruhm der Autoch-
thonie anerkannt, rijv !Arr ixf]v äv&Qmnoi äxovv oi cchrol äei; aber
sogleich fugt er hinzu, daß sich die mächtigsten Geschlechter, die
anderswo in Hellas durch Krieg oder Aufruhr verdrängt worden, nach
Attika gewandt hätten cjg ßißaiov dv; das wird auch wohl an d^ln
angeblichen vöiioq der Athener ^ivovg BigSix^<^^cci rovg ßovkofievovg
Tcöv 'Ekkfjvoov (Ephoros bei Suid. v. ÜBQi&oTSai) das Wesentliche sein.
Gewiß nicht altheimisch in Attika war das Haus des Isagoras (Herod.
VI 128 V186), waren die Gephyräer; und die verschiedenen Geschlechter,
die ihren Ursprung auf Neleus zurückführen, die Medontiden, Alk-
maioniden, Peisistratiden u. s. w., sind doch wohl ohne Zweifel einge-
wanderte. Natürlich daß sie wie die Appier in Rom, wie die Molrinen-
slacht und die Bielken in Dithmarschen, in den alten Geschlechterstaat
mit eingereiht wurden; aber — und dies sei für das weitere voraus-
gesandt — diese Einreihung selbst war doch nicht möglich ohne eine
Auflockerung der alten strengen Erb- und Geschlechterverfassung. Wer
nun konnte so mächtigen Fremdlingen Aufnahme schaffen? und wieder
welches Interesse konnte obwalten, ihre Aufnahme zu veranlassen?
Sollen wir, die erste Frage anlangend, an jene Vorstellungen von Be-
lehnung denken, die sich im Homer finden? Denn die Zweifel, welche
gegen II. IX 149 und Odyss. IV 174 erhoben sind, berühren die Be-
deutung jener immerhin interpolierten Verse far die Geschichte des
hellenischen Staatsrechtes nicht. In der ersten Stelle bietet Agamemnon
dem Achill, wenn er seinen Zorn lassen wolle, zum Geschenk inrä
ivvatöfieva nToh'e&(}a, deren Einwohner ihn SojrivrjfTi &b6v &g
TifAi)<Tovat xal — hnaQug rakiovat &ejun(TTag; also Ehrengeschenke
und Gerichtsgelder [308] als Einnahme. In der zweiten Stelle sagt
Menelaos, er würde den Odysseus gern als Zeichen seiner Dankbarkeit
aus Ithaka a-vv xTrjfjLa<Ti xai rixei (o xal itä<n Xaoiai herübergeladen
und ihm yLiuv nöhv k^uXanä^ag ai TiBotvatBraovaiv geschenkt haben.
Die attische Communal Verfassung 343
Also es hat in der hellenischen Vorstellung irgend welcher Zeii gelegen,
daß der König so über Land und Leute verfugen, so bedeutende Fremd-
linge aufnehmen, mit Herrenrechten ausstatten könne. Und wieder,
als Bellerophon zu den Lykiem kam und das Land von der Chimaira
befreite, gegen die Solymer, gegen die Amazonen schützte, da gab ihm
der König seine Tochter und rtfifjg ßccmXritSoq ijfuav nüarjQ, und die
Lykier teilten ihm ein Landgut ab {rifuvog täfiov — xaXov (pvrakifjg
xal ÄQovQfjg, 6(pQcc vifwiro IL VI 193). Es wird schwer sein zu
behaupten oder zu leugnen, daß in ähnlicher Weise jene Geschlechter
in Atüka angesiedelt worden seien; aber es verdient bemerkt zu werden,
was nach Ephoros Angabe mit dem thessalischen Geschlecht des Peiri-
thoos geschah: roinoiq Sh xal x<Aqccv ifieQiaav ^v xakoUtn niQißoiSug^
den späteren Demos des Namens.
Ich meine, es wird das Gesamtkönigtum gewesen sein, das den
mächtigen Fremdlingen die Au&ahme bereitet, und wieder sie werden
auf dessen Seite gestanden haben. Und konnte, wenn bei der im
Gedränge der Völkerbewegung wachsenden Gefahr der Grenzen, als
eine starke und einheitliche Verteidigung jdringend notwendig werden
mußte, eben von der Akropolis, dem Mittelpunkt des Landes aus, und
mit der steigenden Befugnis des Gesamtkönigtums über das ganze Land
der Gefahr nicht ungleich wirksamer begegnet werden, als früher von
den zwölf einzelnen Burgen aus und mit den 360 ävÖQtg in ihrem
Bereich möglich gewesen war? Und ist es, nach so zahlreichen Spuren
in der Sage und nach manchen Einzelnheiten, die als Brauch und
Satzung sich erhalten haben, als gewiß anzunehmen, daß oft die ein-
zelnen Gebiete Attikas mit einander in Fehde waren, mußte da nicht
das Ende dieser inneren Zerrüttungen allen erwünscht sein? wie anders
aber konnte der [309] kyi([pvhog '^Qrjg gebändigt werden, als wenn
sich über die Zersplitterung der Gesamtstaat und dessen straffere Ge-
walt erhob? Dazu dann die pfjrä ykqa des Königtums und die Be-
deutung der Gesamtheiligtümer auf der Akropolis und immerhin die
allgemeine Bewegung des sogenannten heroischen Zeitalters — und
man wird sich vorstellen können,, wie allmählich das Königtum Athens
über ganz Attika Gewalt errang. Es mögen die der Akropolis nächsten
Phratrien, die im n%Siovy zunächst gewonnen worden sein; in diesem
Zusammenhang ergäbe sich die Entstehung des Namens der Eopleten
leicht genug. Man kann sich dann weiter denken, daß etwa der nörd-
lichste Teil der Landschaft, da wo in den Phelleis die Ziegenheerden
weideten, am längsten widerstrebt und der Parteiname, der üblich
geworden sein mochte, dann bei Feststellung der vier Phylen für die
Phratrien jener Gegend fixiert wurde.
344 Die attische Gommuiutlyerfaasang
Docli genug der vagen Möglichkeiten. Es kam nur darauf an,
anzudeuten, wie sich aus dem alten Geschlechterstaat an der Hand
des Gesamtkönigtums der Übergang zu den vier Phylen vermittelt
haben wird; es ist schon klar, daß dieselbe Bewegung endlich zum
awoixKTfiög führen mußte.
Zuvor noch eine Bemerkung. Die alte Tradition wiederholt bekannt-
lich die Yierteilung des attischen Landes in verscUedenen Formeln.
Von Erichthonios soll die Teilung nach den vier (rottheiten — Dias,
Athenais, Posödonias, Hephaistias — herstammen. Mögen die Mytho-
logen ihren Einteilungsgrund finden, denn auf dem religiösen, nicht
auf dem historischen Gebiet li^ ihre Bedeutung. Wer in dem Fehlen
der ApoUonias etwas Yorionisdies wittert, der mag nicht übersehen,
daß auch keine Demetrias vorhanden ist; oder zieht er es vor, eben
darum zu den Zeiten wo Eleusis noch nicht attisch gewesen zurück-
zugehen, so ist freilich die Sache ja erklärt Unter Eekrops sodann
soll das Land die Phylen Eekropis, Autochthon, Aktaia, Paralia, unter
Kranaos die Phylen Eranais, Atthis, Mesogaia, Diakria gehabt haben.
Wunderliche Dinge; Pandion aber — so heißt es — teilte das Land
unter seine vier Söhne, so daß Megara, Akte mit der [310] Ebene
{neSiäg), Paralia und Diakria die einzelnen Gebiete bildeten. Es ist
wohl geltend gemacht worden, daß diese Einteilungen vortrefflich der
Ortlichkeit entsprachen; sie selbst beweisen das Gegenteil. Attika ist,
wenn man einmal seine charakteristischen Ttile scheiden will, mit Aus-
schluß von Megara nicht in vier, sondern in fünf Gebiete zu zerlegen,
wie Leake nachgewiesen. Idi führe dies an, weil dadurch unsere
Ansicht, daß die alte Phratrieneinteilung, nicht aber die topc^aphisehe
Gliederung Attikas als Grundlage der vier Phylen anzunehmen sei,
eine kleine Stütze mehr zu erhalten scheint Ob Megara jemals attisch,
ob in die zwölf Phratrien eingereiht gewesen und wie, wenn es dann
ausgefallen, dafür Ersatz geschafft ist, das sind „nicht aufzuwerfende''
Fragen.
Über den (rvvotxKTfiög, zu dessen Betrachtung wir uns nun wenden,
haben wir die treffliche Darstellung des Thukydides (II 15). Es kommt
ihm darauf an, darzulegen, warum es der Bevölkerung Attikas so
schwer gefallen, sich wie es bei spartanischer Invasion 431 notwendig
wurde, nach Athen zu flüchten und dort auf längere 2^it ihren Auf-
enthalt zu nehmen: diä rd äel eita&ivcci Tov<i noXXovg kv roig äyQoiq
Siairäad-ai; so wenig städtisch, so überwiegend bäuerlich — auch
Aristophanes stellt es so dar — war das wackere Geschlecht der
Marathonskämpfer. Denn, sagt Thukydides, zur Zeit des Eekrops und
der ersten Eönige bis auf Theseus wohnte die Bevölkerung Attikas
Die attische Communalverfassung 345
xccrä ndXng n^vrccvaid t6 l^avacc xai &qx^^^^j ^™^ wenn nicht
etwas zu forchten war, kam man nicht zu Yersanmüungen beim Könige,
sondern jegliche für sich ratschlagten und regierten sieh {airoi hcatreoi
InoXtTsifovTo xml kßovXavavro) und manche kriegten auch unter ein-
ander, wie die Eleusinier unter Eumolpos gegen Erechtbeus. Als aber
Theseus König war, ein Fürst von Maeht und Einsicht, ordnete er
überhaupt die Angelegenheiten des Landes und, namentlich die Buleu-
terien und die Obrigkeiten (rag äQX^g) der übrigm Städte auflösend,
vereinigte er alle {aw(6»i<TB ndvretq) zu der jetzt vorhandenen nöXig,
indem er ein Buleuterion und ein Prytaneion [311] machte, und
notigte sie, freilich mit Belassung der bisherigen Selbstverwaltung, sich
an diese eine Stadt (oder Staat) zu halten, die indem alle dorthin ihre
Leistungen machten, schon groß von Theseus seinen Nadifolgem ver-
erbt wurde; „den Athenern also^, so schließt Tfaukjdides, „wurde sowohl
wegen des lange Zeit unabhängig auf dem Lande Wohnens (r^ knl
nokv xcrrä ttjv x^^^ ecvrovd^ oIxi^4tbi fMjBiXO^) als auch weil
nach dem Synoikismos die Menge in der Gewohnheit blieb mit ihrer
ganzen Wirtschaft auf dem Lande ztt leben, — es wurde ihnm darum
schw^y sieh in die Stadt zu übersiedeln^^
Es hat mir nicht gelingen wollen, die scharfen und vielbezeich-
nenden Wendungen des Schriftstellers genau«: zu verdeutschen; aber
es wird klar sein, was seine Ansicht ist Er spricht allerdings nicht
von Phjlen oder Phratrien, ihm kommt ^ nur auf den Gegensatz
von xcnä nöketg und fita nöhg an; aber es wird keines Beweises
bedürfen, daß jenes xarä nökstg entschieden nieht mit der Phylen-
einriehtung identisch ist. Inwiefern es mit dem Phrairienwesen identisch
sein könne, ist aus dem Mber Bemerkten zu ersehen. Sehr eigen*
tümlich nun sind die Wendungen, mit denen Thukjdides die wesent-
lichen Veränderungen bezeichnet Es handelt sich -r- so dürfte man
nach heutiger Ausdrucksweise sagen — um die drei wesentlichen Attri-
bute der Souveränetat Thukydides bezeichnet sie mit den Worten
^oidTBvsa&sci xcel ßovkBvetr&a^ — itQVTccvetec xctl ÜQXO'vreq — ßov-
XsüT^iQta xccl Aqx^^ — ßovXfvrij^ov xai x^vraveiav. Früher — so
stellt er es dar -^ waren auch die allgemeinen Angelegenheiten bis
auf seltene Ausnahmen {önörs jui^ rt Sai(f$icev) ganz in dem Bereich
der ^zelneu Glieder oder Gebiete, die den lose zusammenhängenden
Gesamtstaat bildeten; jedes für sich hatte Beschließung und Regierung,
jedes seine Obrigkeit und sein Prytaneion — und mit dem Begriff
des Prytaneions ist namentlich auch die Jurisdiktion mit umfaßt Es
ist ähnlieh dem, was Cäsar von dem Geschlechterstaat der Germanen
berichtet: in pace nuUtis est communis magistrcdus, sed prinoipes regiovmm
346 1^16 attische Commnnal Verfassung
et pagorum inter snoa ius ddeunt controversiasque [812] rmnuAmt (de belL
GalL VI 23). Die ÄnderoDg, welche der avpotMiafiög heryorbringt^
besteht dann wesentlich darin, daß die Handhabung der allgemeinen
Angelegenheiten — man möchte sagen die Summe der Hoheitsrechte —
an die eine nöhg übergeht, daß Atüka an&ngt fu^ nöUi xccvrfj XQ^^
(T&at und zwar in der Art, daß den einzelnen Gebieten — den Phra-
trien wie wir meinen — , in denen bisher communale und staatliche
Funktionen vennischt waren, eben die staatlichen entzogen, sie in
diesen Beziehungen der einheitlichen Gewalt untergeben werden. Aus-
drücklich hebt es Thukydides hervor, daß in dieser festeren Einigung
nicht etwa die früheren GenossenschafUichkeiten aufhörten: p$fjt6fAevo€
rä airc&v hcaaroi blieben sie, wenn auch wesentlich yerkürzt, wenn
auch ohne die xaxä rijv x^Q^^ airrövofiog oYxijaig bestehen.
Es wird der allgemeinen Glaubwürdigkeit der thukydideischen
' N^Nachricht wohl nicht Abbruch thun, wenn sie das Geschehene an den
lihizj^eifelhaft mythischen Namen des Theseus knüpft. Ich zweifle
nicht, tdaß sich in Attika auch außer dem Fest der Synoikien und
dem Dienst (Aar jifpQoSirfi näpStjfjLog (Paus. I 22, 3) Überlieferungen
von jener großen Stteoi^Ryeranderung erhalten hatten; noch mochte da
und dort ein altes Prytaneioir yorhanden sein, dessen Bedeutung nur
der Zeit yor dem awoixiafA6g angehören konnte, wenn auch auf die
Erinnerung an jene ältesten Prytaniei» in Mensis, die König Eeleos
eingerichtet haben sollte {BiSoxifKov xat' tdf^ad&v AvSq&v avvoSog
xa&fifUQivi^ Plut. Symp. lY 4 § 1), nicht vief ^gegeben werden mag.
Über die Einzelnheiten der Verfassung nach ä^m (TwotxiafMÖg ist
natürlich nicht eben viel zu berichten. Das InstitiK(| der vier ^i;Ao*
ßaaiistg wird doch wohl von der Einrichtung der yifer Phylen her
datieren; es mußte ja bei der Einigung des ganzen^ Landes von
Wichtigkeit sein, daß das Land nach seinen wesentliche^ Teilen bei
dem Könige vertreten sei, ihm etwa im Prytaneion zur l Seite seine
Vertreter stellte; denn nicht Beamtete des GesamtkönigtuWs können
die (pvXoßamkeTg gewesen, sie müssen aus den Phylen selbst [313]
hervorgegangen sein. Doch ist dies ganze Institut von größter Schwierig-
keit. Betrachten vrir weiteres. Ich weiß nicht, ob auf eine ^JN^otiz aus
Apollodor napl &€&v viel zu geben ist, nach der das Heiligftum der
ld<pQo8ixfi nävSfjfwg auf dem alten Markt Siä rö kvrccv&cc nöivxa röv
SfifjxMf (Twdyaa&ai gegründet war(Harpocr. v. ndvSri^og !A(pQoSi S. 144,
2 B.). Merkwürdig scheint eine andere Angabe, nach der iv 'd&fi^aig 860
Leschen gewesen seien, eine Zahl, die deutlich genug die Gescfhlechter
des ganzen Staates angeht (Proklos zu Hesiods Werken und Tage|n V. 492
citiert bei Meier S. 21); soll man meinen, daß diese Zusammenkünfte
Die attische CommunalyerfassuDg 347
der Geschlechter mit dem (rwoixiafxÖQ nach Athen hin verlegt worden
seien, oder ist iv !AOi^paiQ, wie allerdings oft, für Attika gesetzt?
Wie dem auch sei, der Hauptgewinn der großen Yeränderung
wird neben der größeren Sicherheit gegen Angriffe von Außen die
innere Beruhigung gewesen sein, das Aufhören der ardaig ifjupvlog^
wie sie Selon nennt, die zerstörend genug getobt haben mochte, so
lange die Autonomie der Phratrien aus sich selbst keine Abwehr und
Befriedigung zu erzielen vermochte. Des Königs Ruhm ist es solchem
Unheil zu wehren, wie in der Odyssee gesagt wird von Antinoos Vater,
der da flüchtete SfjfjLov vitoSS^iaccqy bei Odysseus Schutz suchte: t6v
Qj i&sXov fpß-iaai xal äno^paitrcci (ptkov 1]toq — , äXX VSvcevQ xccri-
QvxB xccl H(Txs&6v Ufdvovq TCBQ (Odyss. XYI 425). Ist es da nicht
bezeichnend, daß fortan im Fest der Synoikesien der Eirene geopfert
wird — ElQt'ivrj ^g 6 ßcofidg oix ccif/Lurodrai (Schol. Arist. pac. 1010).
Und an diesem Punkt, wo es den Frieden des Landes gilt, scheint
sich mit einer gewissen Notwendigkeit eines der merkwürdigsten In-
stitute Attikas anzuknüpfen. Denn in der Blutrache, der heiligen
Pflicht der Verwandten, mochte wohl lange schon, wenn Mörder und
Ermordeter von derselben Phratrie waren, deren gerichtliches Ein-
schreiten mit Strafe und Sühne die Wut der Selbsthilfe hemmen, q>övov
SiuiQtiv d^vfifjvirov Sixaq. Wie aber, wenn Blutschuld war zwischen
Geschlechtem verschiedener Phratrien? mußte sie nicht zu allem Ärgsten
fahren, zu endlosem Unheil? Es war eine [314] Hauptpflicht der
neuen Staatseinigung, über alle Phratrien ein Blutgericht zu bestellen,
das von Staatswegen die Blutrache regelte und vertrat, — igv^Mi t«
X^Qccg xal nöXemg (TwriJQiov. Es ist der hohe Bat auf dem Areiopag,
von dem wir sprechen.
Um seine Bedeutung — denn sie ist eine ungleich weitere —
zu würdigen, müssen wir auf eine Frage eingehen, die unter allen,
welche das attische Altertum betreffen, vielleicht die schwierigste ist.
Ich darf bemerken, daß wenn auch deren Lösung nicht gelingen sollte,
das bisher Erörterte dadurch nicht bloßgestellt wird.
Unter den Einteilungen der Phylen wird auch die in Stände an-
geführt; TQia Si Jjv rä 'i&vr} ndXai EiTtaxQtSai, rstüfiÖQot, JrjfAiovQyoi
(Pollux Vin 111 B.). Es wird die Einführung dieser Einteilung wohl auf
Theseus zurückgeführt: er habe den Eupatriden übertragen yivciaxeiv
rä &€ia xal napixBiv üqx^'^^^ ^^< vö^mov SiSafrxäkovg eivai xal
daimv xal Uq&v k^ijyrjräg roTg äXXoig noXixatg (Plut. Thes. 25). In
der Erzählung von dem Aufstand des Menestheus gegen Theseus heißt
ed: Menestheus des Erechtheus Urenkel habe die Mächtigen {rovg
Swarovg) leicht gegen Theseus aufzubringen vermocht, weil sie überzeugt
348 I^ie attische CommunalverfassuDg
gewesen seien, daß er jeden der Eupatriden {ixü(TTov r&v xccrä S^^iov
EvnaxQiS&v) seiner königlichen Gewalt beraubt und sie in eine Stadt
zusammenzwingend zu ünterthanen und Sklaven gemacht habe (Plut
Thes. 32). In den Lexicographen findet sich dann die Erklärung:
EimaxQiSai kxcckovvro ol avro ro ätnv olxovvtBq xal furixoiVT^
rov ßamhxov yivovg, rijv r&v Uq&v hnipiiXticcv noiovfuvoi (Bekker
Anekd. 257 Etj'm. M. y.). Neben dieser Erklärung aber steht eine
andere, EvnccTQiSai 8h nag 'Atxixoiq ol avröxOovBg xal naQcc rodro
iifyavsig (SchoL zu Soph. Philoct. 25 bei Wachsmuth I S. 850); und
Moeris: EifTtargiScci, Idxrixor aixöx^ovag^ "Ekkfjveg; und Hesych.
Wenn die bisherige Darstellung uns überzeugt hat, daß die Ge-
schlechtsverfassung mit ihren Grundbesitzverhältnissen nicht eine durch
fremde Eroberung begründete Einrichtung [315] sein kann, sondern
die ursprüngliche, gleichsam natürliche des attischen Volkes gewesen
sein muß, so ist klar, daß die Ständeunterschiede, wie sie in jener
Fassung erscheinen, erst in dem Maße Raum gevrinnen konnten, als
die alte Verfassung stumpfer wurde. Ich muß hier noch einmsd auf
die Populationsverhältnisse zurückkommen, um einige Momente hervor-
zuheben, die in der Natur des attischen Bodens ihre Bürgschaft haben.
Das Fruchtgebiet desselben ist keineswegs von der Ausdehnung und
Ergiebigkeit, um eine bedeutende Bevölkerung aus eigenen Mitteln zu
ernähren; erst in dem Maße als sicherer Seeverkehr — eines der
großen Besultate der marathonischen Zeit — und die reichen Erträge
der Eleruchengebiete, besonders Euboias, sich steigerten und gleichzeitig
die aufblühende Industrie Werte zum Einkaufen schuf, konnte die
Bevölkerung bis zu der enormen Höhe von etwa 10000 Menschen auf
einer Quadratmeile anwachsen. So lange Attika wesentlich auf seinen
eigenen Fruchtertrag an Gerste und Weizen angewiesen war, mußte,
wie sorgsam man auch selbst die nackten Felsen hinan Anbau ver-
suchte, die Gesamtbevölkerung eine ungleich mindere sein. Die 10800
ävSQtq des alten Geschlechterstaates — Wirtschaften, Familien, initrxia
würde Herodot sagen — repräsentieren allein schon eine so bedeutende
Seelenzahl Vollfreier, daß, wenn man die der dxgtüxccffxoi nur ebenso
groß voraussetzt, die Gesamtbevölkerung auf den etwa 50 Quadrat^
meilen des attischen Gebietes füglich auf 100000 Seelen zu schätzen
ist, eine Dichtigkeit, die für eine wesentlich agrarische Bevölkerung
doch in Wahrheit höchst bedeutend sein würde. Bei den Germanen
gab es über dem Vollfreien den Adel, unter ihm Läten und Sklaven;
aus dem Bemerkten wird sich ergeben, daß im alten Attika für einen
Stand, der außerhalb der geschlechterlichen Verbindung gestanden
Die attische Communal Verfassung 849
hätte (denn die H^ r^iaxdSog sind doch in derselben), für Läten
und Sklaven wenig Saum war. Wenn sich die attische Bevölkerung
zu irgend einer Zeit in Adel, Bauern und Handwerker trennte, so darf
man behaupten, daß diese Trennung nur auf Kosten der alten '/cro/oi'/c^
und [316] xarä fpvaiv laovo^ia (Plat. Menex. S. 239 a) möglich
gewesen ist.
Ich möchte damit nicht behauptet haben, daß unter den 360
alten Geschlechtem keine edleren, keine wirklichen Adelsgeschlechter
existiert hatten. Die altgermanischen Rechtsverhältnisse zeigen, daß
keineswegs Adel neben Vollfreiheit des Bauern unmöglich ist; trotz
der gemeinsamen Abstammung von Mannus und Thuiskon gab es bei
den Germanen den Vorzug edlerer Geburt; und wie unter dem attischen
Volk, ysvBäg x^ovitov ä% !£p«;^i9'6/^Äi/, ein adliger Stammbaum be-
schaffen sein mußte, lehrt das Beispiel des armen Amphitheos in den
Achamem. Es wird das Secht und Kennzeichen aller Vollfreien
Attikas jenes altgermanische swim quisque sedem, suos penates regit
gewesen sein; und nach derselben Analogie könnte in dem reges ex
nobilitate sumimt jene Begrifisbestimmung der Eupatriden: fjLBrixovrsg
rov ßauiXixov yivovq ihre Erklärung finden, sobald man nur darüber
einig ist, nicht an die Gesamtkönige allein zu denken. Aber ausreichend
ist das in Wahrheit nicht Schon jene andere Erklärung BvnatQiSai —
icvröxO-oveg muß um so mehr Bedenken machen, da ja eine Beihe
eupatridischer Geschlechter für fremden Ursprungs galt; von anderen
Mißständen noch zu schweigen.
Irre ich nicht, so ist mit dem Begriff Adel in Attika eine ähn-
liche Umwandelung vor sich gegangen, wie sie in den deutschen
Rechtsaltertümem nun endlich klar nachgewiesen ist.
Sichten wir zunächst unsere Aufmerksamkeit auf zwei andere
Gebiete hellenischer Entwickelungen, um an ihnen das, was in Attika
vor sich vorgegangen, zu messen. Der achäische Staat, wie er in den
homerischen Gedichten erscheint, hat allerdings noch deutlich genug
die Basis des Geschlechterstaates — xoTv ävSpag xarä tpvXa xccl
xaru (pQiiTQaq (II. II 362) — , aber schon ist über dem Volk, den
Gemeinfreien, ein ijfii&iiov yivoi^ ävÖQ&Vy eben jene Geschlechter der
Häuptlinge, die mit dem Könige Bat pflegen und Gericht halten; so
jene zwölf bei den Phaiaken, ausgezeichnet [317] durch ihre xr/ificcr
kvi ^iyÜQOKTi yi()ccg if' 6 ri Sr/fiog iScoxe (Odyss. VII 150); es giebt
in jenem Zeitalter bereits standischen Unterschied, aber, die doch nicht
zahlreichen Sklaven in den fürstlichem Häusern und das Gesinde
i&'fjTeg) abgerechnet, nur Volk und fürstlichen Adel, und das Volk
nichts weniger als unterthänig (vgl. Nitzsch zur Odyssee I S. 69). Ein
S50 I^ie attische CommunalverfEiBsung
völlig anderer Zustand entwickelt sich mit den dorischen Gründungen —
fürstlicher Adel, hoplitischer Demos, die alte Bevölkerung teils in bloß
privatem Recht, teils in völliger Leibeigenschaft, überdies Sklaven.
Wie nun in Attika? Wenn es auch keineswegs als Thatsache
gelten kann, daß der sogenannte Theseus den Eupatriden jene hohe
Ausstattung mit Rechten und Befugnissen gegründet habe, die wir
anführten, — Thatsache ist, daß die Eupatriden dieselben erworben
und zum Teil lange in drückender Ausschließlichkeit behauptet haben.
Es wird glaublich sein, daß schon vor dem awoixiapidq sich in den
einzelnen Phratrien die Macht der fürstlichen Häuser und ihrer eupa-
tridischen Verwandtschaft auf Kosten der Oemeinfreien steigerte, daß
sich die Kluft zwischen beiden vergrößerte; aber nur um so weniger,
das darf man wohl mit Zuversicht behaupten, hatte dieser alte Adel
ein Interesse die Landeseinigung zu fördern, die ja notwendig seine
unabhängige Stellung mindern mußte. Mit anderen Worten: die attische
Oesamtmonarchie war nicht das Werk des alten Landesadels; vielmehr
wider dessen Interesse setzte eine der fürstlichen Familien ihr Ober-
königtum über das ganze Land durch. Und doch ist es sofort mit
erlauchten Geschlechtem umgeben, so daß das Mitwohnen iv nökat
zum Wesen der Eupatriden gerechnet wird; ja, nicht lange und das
Königtum erliegt eben diesem Adel, wird förmlich zu einem Amt in
dessen Dienst. Aber nicht etwa so, daß nun die alte Herrschaft inner-
halb der Phratrien sich erneut, oder dem zerstörten Gesamtkönigtum
die Auflösung des Staates in lose zusammenhängende Sonderherrschaften
folgt, wie doch nahe gelegen hätte, wenn die Eupatriden der alte
fürstliche Geschlechteradel waren.
[318] Ich denke man sieht schon, wohinaus diese Betrachtung
will; es muß uns vergönnt sein weit auszuholen.
In der Zeit der Kylonischen Bewegung war die Gewalt bei den
Prytanen der Naukraren^: oi itQvrüvtsg x&v Nuvxqüqcov oineg ^b/wv
rdre rag 'Ad'fivccq (Herod. V 71). Wir erwähnten schon der Einteilung
der Phylen in Trittyen und Naukrarieu. Daß die T(>irri;6s, deren
jede Phyle drei enthielt, eine territoriale Einteilung gewesen, ergiebt sich
aus dem EnAKPEQN TPITTYOZ bei Boss Demen S. 8 [C. L A. II 1053];
eine andere Inschrift aus bester Zeit [C. I. A. II 570] erwähnt die Steuern
des Demos Plotheia hq rä Uqu )) ^g Ilho&mq fj kg 'EnccxQkccq $ hg
*4d-f]vatovg (c. 2 no. 82). Jedes der zwölf Drittel Athens war in vier
Naukrarien geteilt, über deren Bedeutung schon der Name sich deutlich
ausspricht: vavxQccQia Si htccarrj Svo inniocg tcocquxb xal va€v puav\
^ JS6l(ovog ovTCj dvofiavaviOy sagt PhotiosÜ
Die attischs Oommanalyerfassung 351
man könnte sie mit dem altnorwegisohen Ausdruck skipsreida nennen.
Daß für die einzelnen Naukrarien nicht etwa mehrere Chefs, wie
Schoemann meint, sondern eben nur einer, der Naukrar, bestellt wurde,
wird man daraus folgern dürfen, daß die Naukraren, wie mehrfach
angegeben wird, einen ähnlichen Geschäftsbereich wie späterhin die
Demarchen hatten (tA nceXceidv ^di^-jjvytnv ol vDv S^fmQZOi Phot.);
hierher gehören könnte vielleicht auch die Notiz: k^ ixätrcrig x<^Q^^
rag dqtpoQctq k^iXeyov (Hesych. v. vavxXaQoi). Doch wir kommen
später hierauf zurück. Genug, die Einteilung Attikas in Trittjen und
Naukrarien war wesentlich zum Behuf der Leistungen. Und eine
Bepräsentation auf Grund dieser Einteilung, die Prytanen der Nau-
kraren, hatte zur Eylonischen Zeit die Gewalt im Staat. Auch Thuky-
dides berichtet über diese Geschehnisse (I 126), die Athener seien auf
die Kunde von Eylons Vorhaben navSfjfxe} hc r&v Ayg&v zum Angriff
auf die occupierte Akropolis geeilt, hätten aber der längeren Belagerung
überdrüssig rolq kwicc ä^xovai die Wache und Yollmacht zu allem
weiteren überwiesen; tötb Si tä noXkä r&v noXixtx&v ol hvvkcc
äQXOf^reg i^nQaaaov (ähnlich Paus. [319] VII 25, 1 ot l^x^vr^g rag
^QX^q\ Allerdings ist zwischen Herodot und Thukydides eine merk-
würdige Differenz: genau dasselbe was Herodot als Yon den Prytanen,
nennt Thukydides als Ton den neun Archonten geschehen, obenein
steht bei beiden derselbe Ausdruck {Avaariiacevr^q Si avroig Thukyd.
Tovrovg äviariaai Herod.); entweder sie folgen verschiedenen XTber-
lieferungen — und dann hat es der Zeit in Athen zwei Behörden
gegeben, deren Competenz sich doch wunderlich ähnlich .gewesen sein
müßte; oder — die Prytanen und die Archonten sind dieselbe Behörde.
Wie da entscheiden?
Zunächst ein anderes. Der entsetzliche Druck, unter dem damals
die Masse der attischen Bevölkerung schmachtete, wird genügend be-
weisen, daß die naukrarisch geordnete Staatsverfassung nicht etwa im
demokratischen Sinne zu Gunsten der armen Menge gemacht worden.
Etwa zwölf Jahre vor Kylons Versuch auf die Erbitterung der Masse
gestützt eine Tyrannis zu gründen, hatte Drakon seine „blutige'^ Legislation
gemacht: rp vnaQXovari noXtrei^ vöfiovg Jid-rjxs, wie Aristoteles sagt.
Also nicht erst von ihm stammt das Institut der Naukrarien und die
naukrarisch geordnete Staatsverfassung; und eben diese gab die Mög-
lichkeit, jene Strenge, die immerhin nach dem bisher ungeschriebenen,
dem Gewohnheitsrecht gültig war, als Gesetz zu formulieren. Wer
auch immer die Naukraren gewesen sein mögen, so viel ist klar, daß,
wenn bereits mit dem <rvvoixi(Tfi6g die altattische Bauemfreiheit an-
brüchig geworden war, mit der naukrarischen Verfassung, die neun
352 Die attische Communal Verfassung
Archonten an ihrer Spitze, die arme Masse von Taglöhnem, Pächtern,
Handwerkern u. s. w. ganz darnieder getreten ist; denn so TöUig hilflos
und zu allem Äußersten entschlossen findet sie Solon.
Auf Drakon wird das merkwürdige Institut der £pheten zurück-
geführt: itpirai xbv fUp ägi&fidv eig xal nevryxovra^ Aqüxwv S*
airovg xitritTTtjaev äQtarivSriv aiQS&ivrag (PoUux VIII 125). Die
Bedeutung dieser Zahl ist schon von anderen gewürdigt: als Kleisthenes
statt der vier Phylen zehn einrichtete, erhöhte er die Zahl der Nau-
krarien von 48 auf [820] 50; sie blieben die Grundlage der attischen
Steuer Verfassung, wahrscheinlich bis zum Jahre des Nausinikos. Ist
späterhin noch die Zahl der Epheten auf die der Naukrarien projiciert,
— denn der 51. ist der ßaaiksvg — und das in Zeiten, wo auch
nicht der geringste bedingende Zusammenhang zwischen der Steuer-
verfassung und den speciellen Kriminalsachen, die den Epheten blieben,
mehr stattfand, so kann man gewiß sein, daß dieser Zusammenhang
früher eben wesentlich war und sich aus der Zeit der lebendigen Be-
deutsamkeit der Epheten in die, wo sie eine „alte Satzung^' waren und
„wegen geringer Dinge versammelt wurden^', bedeutungslos fortgesetzt
hat Daher wird man aus der Sage von dem wegen des Palladien-
raubes bestellten Gericht über Demophon, zu welchem Agamemnon je
50 Athener und Argeier berief (Harpocr. v. kni IlakkaSiq) S. 8 1 , 27 B.), nicht
etwa annehmen dürfen, daß in ältester Zeit schon 50 Epheten gewesen
seien, — so wenig wie man aus den 50 attischen Scluffen des Menestheus
im Schif&katalog der Ilias einen Beweis gegen die Angabe, daß vor
Kleisthenes nur 48 Naukrarien gewesen, wird finden wollen.
Also zwischen den Epheten und Naukrarien ist ehedem ein Zu-
sammenhang gewesen. Was nur bedeutet er? Erst die entwickeltere
Verfassung Athens hat Administration und Justiz bis zu einem gewissen
Grade trennen gelernt; früher waren nicht bloß die Könige und resp.
Archonten zugleich Richter, sondern die Epheten, was sind sie anders
als die nur eben als Gericht agierenden Naukraren, dieselben, deren
Prytanen wir zu höchster Befugnis bestellt fanden. Und war nicht
auch der berühmte Gerichtshof, ij kv Id^d^ nüytp ßovh'j, eben eine
ßovh)? Es wird wohl gesagt, erst Solon habe ihn eingesetzt Aller-
dings so, wie er bis Ephialtes bestand; aber er war uralt Drakon
hatte ihn abgeschafft oder richtiger hatte auch den Areopag an die
Epheten überwiesen (Plut Sol. 19); und wenn einer Angabe nach
die Anhänger Kylons %lg vfjv x^iaiv xccrißfjfTccv kv !Aquw ndyo)
(SchoL Arist equit 447 Plut Sol. 12), so waren es die Epheten, vor
denen sie Recht nehmen wollten. Zur Zeit, da [321] Solons große
Amnestie erlassen wurde, etwa dreißig Jahre nach dem Arcfaontat
Die attische CommanalverfaASUDg 353
Drakons, gab es noch solche, die durch den nicht ephetischen Gerichts*
hof auf dem Areiopag landesverwiesen waren (Plut. a. a. 0.). An den
Heiligtümern des Areiopag hafteten so zu sagen „die vier hohen
Rügen'', namentlich der (pövog hcovaiog mit allen zugehörigen Sühnen,
Weihen u. s. w.; an den vier anderen Mahlstätten, wo über (pövog
äxovatoq Gericht gehegt wurde, hatte ehedem der König geurteilt
(PoUux VIII 125), dann also der zehnjährige Archon, der seine Stelle
vertrat. Es war doch ein großes Zugeständnis, wenn zunächst diese
Mahlstätten den Epheten — Naukraren — geöffnet wurden, ein noch
größeres, als sie auch den Sitz der alten ßovh'i, den Areiopag, ein-
nahmen.
Zugeständnis von wem? an wen?
Die Angabe des PoUnx, daß erst Drakon die Epheten eingesetzt
habe, scheint mir nicht völlig richtig; der Irrtum konnte leicht aus
der Notiz über die Besetzung des Areiopag mit Epheten entstehen.
Wichtiger ist es, daß ohne alle Frage die Verfassung der naukrarischen
Prytanen älter als Drakon ist. Ihr Eintreten ist, wie mir scheint, ein
entscheidender Wendepunkt in der attischen Verfassungsgeschichte, eine
völlige TJmwandelung des Prinzipes; sie mußte eine ganze Reihe von
Änderungen bedingen, Änderungen in den wichtigsten Verhältnissen
des Staates.
Man wird die Überlieferung von der allmählichen Minderung der
attischen Königswürde unbedenklich annehmen dürfen, wenn auch die
Chronologie namentlich in betreff der ersten Wandelung bedenklich
ist. Wir bemerkten schon, daß, wenn diese Schwächung des König-
tums nicht zu der früheren Lockerheit des Geschlechterstaates zurück-
führte, eben mit der Einigung und unter ihrem Einfluß sich neue
Elemente im Staat entwickelt haben müssen, die den vom Königtum
gewonnenen Vorteil der Einigung erbten. In der Natur der Sache
liegt es, daß sich gegen die Königsgewalt, die einst mächtig genug
gewesen war, den alten Geschlechterstaat zur Einheitlichkeit zu zwingen,
eben diejenigen Kräfte erhoben, mit denen die Könige ihr Werk durch-
gesetzt hatten. [322] Mit Medon dem Sohne des Kodros beginnt die
Verantwortlichkeit der Könige, mit Charops (752) die Wahl eines
Medontiden auf je zehn Jahre, mit Leokrates (717) wird auch das
königliche Geschlecht verlassen; einunddreißig Jahre später erfolgt die
große Verfassungsänderung, daß das Königsamt in neun gleichzeitige
Beamtungen mit jährlich wechselnder Besetzung ^| Evnax^id&v (Syncell.)
geteilt wird. Was nun hat zu dieser großen Änderung getrieben? wer
waren die, denen Medon Rechenschaft zu leisten sich verpflichten mußte?
wer waren die Wähler des Charops? wer die Wähler der neun Archonten?
Droysen, Kl. Schriften I. 23
354 I)ie attische Com munal Verfassung
Es muß bei der Schwierigkeit dieser Untersuchung schon verziehen
werden, wenn sie sich krümmt und windet, um da oder dort ein
Streifchen Licht zu erhaschen. Wir sahen was die Naukrarien zu
bedeuten hatten; mit Zuversicht darf behauptet werden, daß sie dem
Zeitalter des sogenannten heroischen Königtums fremd waren. Da-
mals — wir sehen es aus dem Homer — hatte der König seine Domäne
{rifievog), seinen Ehrenteil an den öffentlichen Opfern, seine Einnahme
für das Oerichthegen, und endlich was ihm außerordentlicher Weise
an Geschenken, als Beuteteil u. s. w. einkam. So lange die alte Frei-
heit des Geschlechterstaates bestand, war in der That keine Möglichkeit
förmlicher Besteuerung. Wenn aber Thukydides von Athen nach dem
Synoikismos sagt, die Stadt sei schnell groß geworden änüvrcov ^Stj
<TWTekovvTO)v kg airci'iv, so mag man darin zunächst zwar nicht viel
mehr als den Gegensatz gegen die frühere Art, nach der die Gerichts-
gelder, Opfer, Ehrengaben u. s. w. überwiegend an die zwölf Burgen
kamen, finden wollen; aber der Ausdruck ist doch gar entschieden.
' Und insofern der Gesamtstaat Interessen vertrat, die nicht wie bisher
unmittelbar die jeder Pbratrie waren, mußte sich mit Notwendigkeit
das Bedürfnis einer Besteuerung ergeben. Über das hohe Alter der
Kolakreten hat Böckh (Staatsh. I S. 189 1^ S. 213 ff.) lehrreiche Winke
gegeben; es ergiebt sich aus der Geschichte dieses Namens, daß älter als
die ionische Wanderung dieser Anfang staatlicher Finanz ist. Mag der
Staat [323] zunächst besonders Naturalleistungen gefordert haben —
so wie man über den Zehnten von Früchten und Fleisch hinauskam,
wie man Stiere für die Staatsopfer, Pferde, Schiffe u. s. w. brauchte,
wie beschaffte man da diese Einkünfte? Dazu eben sind, denke ich,
die Naukrarien geordnet worden: doch wohl so, daß in jedem derartigen
Bereich die betreffenden Leistungen auf die Grundbesitzer repartiert
und in Geld geleistet wurden; es waren das die (pÖQOi, die bis Solon
bestanden (Flut. Sol. 19). Es versteht sich von selbst, daß der Naukrar,
der Vorstand solcher Steuergenossenschaft, einstweilen dem Gouverne-
ment für die Leistung aufkam. Und wieder gegen die Eingesessenen
seiner Naukrarie hat er Gelegenheit genug, sich nachsichtig und
menschenfreundlich zu zeigen — wie Exekestides Solons Vater, der
sein Vermögen eig (piXavd'Qwniag xtväg xal ;ifcJ(>ir«^s verwandte ^
olxiag ysyovojg üd-Kifiivqg ixiooig ßorj&etv — , aber auch Strenge zu
üben, den weniger Wohlhabenden zu drücken, mit Vorauslagen zu
wuchern, Äcker unter den Pfandstein zu bringen, sich zu bereichem.
Mögen zur Wahl der Naukraren die Steuergenossen beftigt gewesen
sein, ihre Wahl mußte ja wohl auf den reichen Mann fallen. Begreif-
lich daß die altadligen Familien die reichsten waren: gaben doch schon
Die attische Gommunalyer^usung 355
die priesterlichen Befugnisse, die sie hatten, mancherlei yigcc, so das
Priestertum der Polias im Hause der Eteobutaden, das für jeden Ge-
burts- und Sterbefall einen Obolos und je einen Choinix Gerste und
Weizen brachte (Arist. Oecon. III 5); eintraglich mußten auch die
mancherlei Exegesen des heiligen Rechtes, die Weihungen und Theorien
(so die pythische, die aus den vavxkfjQixotg bezahlt wurde), die Dienste
der Eentriaden, Buzygen, Keryken, der Eudanemoi u. s. w. sein ; auch
wird es mancherlei Bann für Brunnengraben (im Geschlecht der
(pgecjQvxoi), für Olpflanzungen (bei den Phytaliden) u. s. w. gegeben
haben. Man erkennt wohl, wie sich aus der alten laoyoviu Ungleich-
heiten entwickeln konnten, die den kleinen Bauer und Handwerker —
und das wachsende Bedürfnis mehrte gewiß den Gewerbsstand, führte
ihm namentlich die &rQidxuaroi reichlich zu — tiefer und [324]
tiefer sinken, zum armen namenlosen SfjpLoq werden ließen. In dem-
selben Maße steigerte sich die Gewalt der Reichen, es mußte sich
allmählich ein Kreis naukrarischer Häuser bilden, und eben damit der
mittlere Stand von Wohlhabenheit and Unabhängigkeit inuner mehr
zusammenschrumpfen, eine förmliche patrimoniale Gewalt der Reichen
über die Masse der Bevölkerung entstehen.
Entsetzlich ist die Schilderung des Zustandes in Attika vor Solons
Gesetzgebung. „Die Kluft zwischen Reichen und Armen war auf das
höchste gesteigert; das ganze Volk den Reichen verschuldet; die einen
bauten das Feld, jenen den sechsten Teil des Ertrages entrichtend —
davon ixTtjfiÖQioi oder ö-^ras genannt — , die anderen, für Vorschüsse
den Gläubigern mit ihrem Leibe verpfändet, waren entweder daheim
in Sklavendienst oder wurden von den Schuldherren in die Fremde
verkauft; manche waren gezwungen ihre Kinder zu verkaufen oder
vor der Härte der Gläubiger in die Fremde zu fliehend So Plutarch
(Selon 13); und Solons eigene Verse bezeugen, daß es so war. Unter
anderen spricht er von den 8Qo^ itavxaxf] rnnriyÖTt^] also es gab
allerdings noch freie xXfiQoi, aber die Pfandsteine auf den Feldern
zeigten, wie der Bauernstand im Dahinsterben war.
An dieser Stelle ist es angemessen, auf die Ständeunterschiede
zurückzukommen. Der Name der Geomoren selbst ist ein Zeugnis von
der allmählichen Erniedrigung des Standes, den er bezeichnet. Denn
es kann keinem Zweifel unterliegen, daß wie überall — auch Aischylos
bezeichnet den SfjpLoq ütXaay&v als yccfiÖQoi — so auch in Attika
die Geomoren ursprünglich die Landeigentümer sind. Aber je stolzer
sich die Reichen erhoben, je mehr Erdhufen sie zusammenzubringen
verstanden, desto bedrängter wurde der alte freie Bauernstand, er
mochte mehr und mehr zu jenen armen Tagelöhnern und Pächtern
23*
356 Die attische Communalverfiissang
hinabgedrängt werden, die auf den Gütern der Reichen saßen, ent-
weder als ixTfjpuioioi Pachtland {knifioQog yif) bestellend oder als
O-fiXBq (pi i^vexa TQO(fTjg SovXsvovreg — i^-fjrsveiv fAi(T&^ hgya^tadai
Phot) förmliches Hofgesinde. Waren nun diese mit in dem Stand der
Geomoren begriflFen ? [325] Man darf dies mit Entschiedenheit bejahen,
da eben nur die drei Stande vorhanden sind; aber eben damit zeigt
sich, daß die Geomoren als Stand politisch nichts bedeuteten, und daß
der kleine freie Mann, wenn er sich wirklich auf seiner Hufe zu
halten wußte, doch staatsrechtlich um nichts höher stand als die
Pächter und das Hofgesinde; wenn auch nicht nachzuweisen ist, in
welcher Form er unter der Patrimonialgewalt der naukrarischen Herren
gestanden.
In betreff der Demiurgen muß zunächst daran erinnert werden,
daß auch in der Solonischen Verfassung noch die Steuerpflichtigkeit
gegen den Staat nur auf Grundeigentum ruht; man wird ohne Bedenken
annehmen dürfen, daß die nur Gewerbtreibenden, eben weil sie nicht
unmittelbar in den Steuergenossenschaften waren, von dem aktiven
Staatsbürgertum ausgeschlossen waren. Daß in den früheren Zeiten
Athens das Gewerbe keineswegs nur einem untergeordneten Stande zu-
gewiesen war, erweisen die früher besprochenen Namen alter erlauchter
Geschlechter; aber auch hier haben sich natürlich die reichen Häuser
von der Masse gesondert und sind in jenen ersten Stand mit einge-
treten, der endlich auf so vollständige Weise die Summe staatlicher
Befugnisse an sich zu raffen gewußt hat.
Wie dies geschehen? Die angeführte Steuereinrichtung erklärt
es wenigstens unter einer Voraussetzung. Und hiermit kehre ich zu
der oben unterbrochenen Frage über den Areiopag zurück.
C. 0. Müller hat aus der Abstimmung der Areiopagiten in den
Eumeniden des Aischjlos schließen zu können geglaubt, daß der alte
Bat auf dem Areiopag zwölf Mitglieder gehabt habe. Er findet diese
Annahme durch die Sage, daß einst die zwölf Götter auf dem Areiopag
gerichtet hätten und durch den Umstand, daß eben diese Zahl in den
Batversammlungen heroischer Zeit gegolten habe, bestätigt. Aber ein
ausdrückliches Zeugnis besagt ja: 6 ägi&fjLdg r&v !AQ€ionccyir&p k'
xal iig (Schol. Aeschyl. Eum. 733); und daß die so fixierte Zahl nicht
der Zeit nach Solon angehören könne, ergiebt sich aus dessen bekannter
Bestimmung über [326] die Besetzung des Areiopags. Schon im
„Attischen Prozeß" S. 10 ist darauf hingewiesen, daß jene Zahl, wenn
man den König als den 31. rechne, der Zahl der Geschlechter in einer
Phratrie entspreche, „so daß also die oberste Phratrie des herrschenden
Stammes, mag man diesen nun in den Geleonten oder in den Hopleten
Die attische Communal Verfassung 357
finden, im Areiopag repräsentiert wäre^ Anders denkt sich die Sache
Lachmann in seinem Buch über ,,die spartanische Verfassung^' S. 270 ff.
Er glaubt zu finden, daß unter den dreißig Geschlechtem jeder Phratrie
zehn Adelsgeschlechter gewesen seien; die je zehn Adelsgeschlechter
der drei Fhratrien der herrschenden (ionischen) Phyle hätten dann den
Sat auf dem Areiopag, gleichsam die hopletische Gerusia, bestellt, so
daß diese ähnlich der spartanischen Gerusia die dreißig herrschenden
Geschlechter Attikas repräsentiert habe. Lachmann stützt sich beson-
ders auf ein Gesetz in Demosthenes Bede gegen Makartatos (§ 57); es
wird in demselben bestimmt, wie bei <p6voq dxomiog die Sühne zu
bewerkstelligen sei; wenn nicht Vater, Bruder, Sohn vorhanden cciöe-
iräa&anf ol fpQÜroQSi^ äv ß-iXwai Sexa, rovrov^ Si ol nBVTfjxovrcc
xccl iiq (das Gericht) ccqkttivStjv aig€t(r&(ov. Gewiß nicht mit Becht
hat Schoemann &yxi<nivSfiv vermutet, denn eben wo die &Yxi(rcBicc
nicht ausreicht, soll die Phratrie eintreten. Wie zur Zeit die Unter-
suchung über die Echtheit der in den Demosthenischen Beden vor-
kommenden Urkunden und Gesetze steht, wird man auch dies Gesetz
nicht ohne Mißtrauen benutzen dürfend Nehmen wir indeß an, daß
es echt sei — die 51 Bichter zeigen, daß wenigstens diese Fassung
jünger als Eleisthenes ist — , so folgt zunächst aus dem ägiarhSriv^
daß es in jeder Phratrie Adel gab. Sodann aber aus dem tpQaroQeg
&v &iXa}ai Sixa kann man, in der Voraussetzung, daß diese Zahl ein
wesentliches Verhältnis repräsentiere, folgern, daß wenn zehn Phratoren
von Adel statt der ganzen Phratrie verhandeln dürfen, eben zehn adlige
Geschlechter unter den dreißig jeder Phratrie waren. Sonach, schließt
Lachmann, ist es begreiflich, daß der Areiopag aus dreißig Mitgliedern
außer dem präsidierenden besteht. Diese dreißig sind eben [327] die
adligen Bepräsentanten der drei Phratrien einer Phyle — , natürlich
eben derjenigen, die damals die herrschende war.
Beide Erklärungen haben ihre großen Bedenklichkeiten. Schlichter
scheint die erste, nach der die dreißig Geschlechter einer Phratrie,
eben der in der Nähe der Burg seßhaften, den Areiopag besetzt hätten.
Aber dann werden die attischen Phylen unbegreiflich; dann müßte
Attika unmittelbar aus der Zeit der zwölf Phratrien in die des Ober-
königtums der kekropischen Burg, in die Unterthänigkeit der elf
anderen Phratrien unter diese eine übergegangen sein. Gegen die
Lachmannsche Ansicht erheben sich andere Bedenken; zugegeben, daß
jenes Gesetz echt ist, folgt denn aus demselben schon jene überkünst-
liche Einteilung der Geschlechter in adlige, bäuerliche und handwerker-
» [S. jetzt C. I. A. I 61].
358 ^^6 attische CommunalverfaBsang
liehe? Die Zahlenverhältnisse in den Phratrien und Geschlechtem hatten
einen guten Sinn durch ihre Beziehung auf die Ackerlose, aber wie
kommt man zu dieser Zahlenfixierung in den standischen Unterschieden?
Endlich wo liegt die Nötigung, sich den hohen Rat des Areiopag auf
die alte Phratrieneinrichtung projiciert zu denken? Und wenn sie es
war, warum stand für das königliche Geschlecht der König nicht, wie
in Sparta, mit in der Reihe? oder gab es außer dem Könige noch
einen Repräsentanten des königlichen Geschlechtes?
Immerhin mag es denkbar sein, daß es in ältesten Zeiten einen
Rat von Zwölf auf dem Areiopag gegeben habe; es könnten die Häupter
der zwölf Phratrien sich dort versammelt, dort beraten haben, etwa wie
die zwölf Städte im Panionion, die zwölf Stämme in der delphischen
Amphiktyonie. Aber erst mit der wachsenden Macht des Gesamt-
künigtums wird dieser Rat seine umfassende Bedeutung gewonnen
haben, er wird gleichsam eine curia regte geworden sein. Ich glaube
jener Angabe, daß es 81 Mitglieder des hohen Rats auf dem Areiopag
gab; aber ich bin weit entfernt anzunehmen, daß diese Zahl auf die
eine oder andere Weise aus der Geschlechterverfassung hervorgegangen
wäre; wie denn das Königtum, die Staatseinigung, sich auf Kosten des
alten Geschlechterwesens durchgesetzt, sich gleichsam [328] über das-
selbe erhoben hat Was jene Zahl bedeutet? wenn überhaupt etwas,
so vielleicht eine gewisse Analogie der Zahl, die sich in dem herkömm-
lichen Geschlechterstaat so oft wiederholte — , etwa mit der Fiction,
daß wie sonst jedes Geschlecht 30 ävSgtq habe, so nun das Königtum
als seine specielle Genossenschaft selbst vorsitzend jene dreißig bestelle.
Oder vielmehr, ich glaube auch nicht einmal an diese Analogie. Ich
will nicht auf die Bezeichnung Ions als Stratarchen zurückkommen,
noch Gewicht legen auf Piatons Schilderung von der kasemenmäßigen
Bewohnung der Burg oder auf des Königs Kranaos Flucht avv roJq
{TT()ari(&rmqj als ihn Amphiktyon vertrieb. Aber noch einmal, wenn
sich das kekropische Königtum über die anderen Phratrien erhob,
hatte es wahrlich noch anderer Hilfsmittel not als der Peitho (Paus. I
22, 3); es brauchte wackere Genossen zu Schutz und Trutz.
Ich meine es hat doch eine große Bedeutung, daß es eine Zeit
gegeben, wo in Griechenland eben solche Verhältnisse, wie wir sie für
Attika voraussetzen zu müssen glauben, die fast durchgängigen waren;
ich erinnere daran, wie recht eigentlich als ein Kriegsgefolge Achills
iraiQoi unter ihren fünf ijyefidvBg erscheinen, auch daran, daß eben
dieser Name der iraiQoi sich in Makedonien bis spät hinab als der
des Adels erhalten hat. Wir sahen schon, wie fremde Geschlechter in
Attika Eingang fanden; wer will zweifeln, daß auch unter den Ein-
Die attische Communal Verfassung 359
heimischen denen, die ihre alte Freiheit und die avTÖvofAo^ xarä rijv
X^Qccv oixfjaiq mit dem Konigsdienst vertauschen wollten, der Eintritt
in die Hetairie des Königs gern gestattet war. Und eben diese Königsleute
werden gen Athen gezogen sein und sich um den König gehalten
haben, werden, was sie von Erbgutem im Lande hatten, verpachtet
oder durch Gesinde bewirtschaftet haben. Bei so kleinem Gebiet, bei
der fortdauernden Bedeutung der Phratrien und Geschlechter für die
untergeordneten Verhältnisse konnte es kaum einen Anlaß geben, Ver-
treter des königlichen Amtes auszusenden und in entlegeneren Ort-
schaften des Landes mit Dotationen ansäßig zn machen. [329] Man
sieht, warum hier eine Reihe von Entwickelungen nicht eintrat, die
bei den Germanen aus ähnlichen Grundlagen erwachsen sind. In
Attika war die Jurisdiction im wesentlichen in der Hand des Königs
und an Athen geknüpft, für die schwersten Fälle, wenn der Landfrieden
gebrochen, wird der König eben die, welche ihn mit ihm hüteten,
man könnte sagen wie ein Kriegsgericht zugezogen haben; nur für
gewisse Fälle {rpövoq äxovmoQ) scheinen die (pvXoßaaiXetg eine Mit-
wirkung gehabt zu haben — begreiflich, da die Vermittelung der
Sühne, also die Teilnahme der Beteiligten in den Geschlechtern und
Phratrien in diesen Fällen eine Hauptsache sein mußte. Und endlich
mit wem wird der König zu Bäte gegangen sein? es mag seine Zeit
gewährt haben, ehe der alte Staat so weit abgestumpft war, daß eben
nur solche, die sich in des Königs Dienst gegeben, zum Bat auf den
Areiopag gerufen wurden ; aber eben dieser Bat war es, der den ifKpv-
hog ^Qv<; thatsächlich und mitrichtend hemmte; je mehr seine Bedeu-
tung und das Ansehen seiner Mitglieder wuchs, desto bedeutungsloser
wurden die alten Zusanmienkünfte in den Phratrien und Phylen; der
alte Demos kam in Vergessenheit.
Allerdings ist dies alles völlig hypothetisch und man würde sich
nicht herbeilassen, dergleichen Möglichkeiten auszusinnen, wenn es
möglich wäre. Bestimmteres zu gewinnen; die Überlieferungen sind in
so kläglichem Zustande, daß man mit ihnen allein durchaus zu keinem
Be^ultate gelangen kann. Wollte man zum Beispiel geltend machen,
daß freilich als Mahlstätte der Areiopag früh bestanden haben möge,
daß aber eine ßovh'j auf dem Areiopag erst seit Solon genannt werde,
also von ihm erst gegründet sei, wie dies schon im Altertum behauptet
worden ist (Cicde oflF. I 22 Plut. Sol. 19), so läßt sich freilich der Beweis
des Entgegengesetzten nicht geradezu fuhren; aber seit dem awotxtafiög
hat ja iv ßovXtvxiiQiov bestanden, und wenn man nun umherschaut,
wo dies ßovUvtiiQiov seine Stelle gehabt haben, wie besetzt gewesen
sein könne, so wird man gedrängt, sich eben doch für den Areiopag
360 I)ie attische Com munal Verfassung
ZU entscheiden und für [330j eine solche Besetzung, wie wir sie hypo-
thesieren; die Betrachtung der weiteren Verhältnisse führt, wie mir
scheint, mit Entschiedenheit dahin. Nicht als ob diese Hypothesen
damit erwiesen wären; aber sie sind wenigstens um nichts minder
berechtigt als diejenigen Vorstellungen, welche nur den Vorzug haben,
daß man sich an sie gewöhnt hat; und ich denke, jene erklären mehr
als diese, sind in sich überzeugender.
Zunächst erklären unsere Hypothesen, wie mir scheint, den eigen-
tümlichen Verlauf des attischen Königtums und den Umstand, daß
dessen Absterben im entferntesten nicht zur Auflockerung der staat-
lichen Einheit geführt hat. Eben jene iraTQOt des Königs, erst sein
Kriegsgefolge, dann ihm Grenossen in Bat und Halsgericht, allmählich
werden sie neben ihm eine Macht, fordern von ihm Verantwortlichkeit,
erniedrigen das Königtum zu einem Amt, beschränken es auf zehn-
jährige Dauer, entziehen es endlich ganz dem königlichen Geschlecht,
ofTenbar um aus ihrer Mitte zu wählen.
Sodann aber — und hiermit kehren wir zu früher aufgeworfenen
Fragen zurück — mit jener Hypothese, aber auch nur mit ihr wird
die große Verfassungsänderung begreiflich, welche zur Einsetzung der
neun einjährigen Archonten führte.
Haben wir im früheren die Bestimmung der Naukrarien richtig
bezeichnet, so mußte sich mit den Leistungen an den Staat in gleichem
Maße die Geltung derjenigen Familien steigern, welche wir als die
naukrarischen bezeichnet haben. Und zwar ihre Geltung nicht bloß
gegen die ärmeren Eingesessenen ihrer Steuerdistrikte, sondern und
namentlich auch gegen das Gouvernement. An dem guten Willen der
Naukraren hing es, daß die nötigen Leistungen und Lieferungen ein-
kamen, wie sie mußten; das wachsende Bedürfnis des Staates oder auch
die wachsende Habsucht der Herrschenden mußte die Wichtigkeit der
Naukraren, der Vermittler zwischen den Zahlenden und dem fordernden
Staat, fort und fort steigern. Und darf man annehmen, daß die
Herrschenden nur um so mehr den naukrarischen Häusern [331]
nachsahen, ihnen Übergriffe und Härte gegen den kleinen Mann ge-
statteten, so war die Folge nur, daß diese Wohlhabenden immer
mächtiger wurden, immer mehr verlangten, um so mehr, da dieser
Verlauf der Verhältnisse zwischen ihnen und den derzeit herrschenden
alle anderen Unterschiede mehr und mehr verwischte. Gonflicte waren
da unvermeidlich, sie führten, meine ich, zu der Verfassung von 688,
die nichts anderes war, als die Aufnahme dieser Reichen in den Mit-
besitz der öffentlichen Gewalt.
Es würde sehr unrichtig sein, in dieser Neuerung nur eine
Die attische Commun&l Verfassung 361
Modifikation des herrsclienden Personales^ keine Wandelung auch der
Yerfassungsformen erkennen zu wollen. Irre ich nicht, so ist in dem
damals Angeordneten ein gewisser Demokratismus, der sich freilich
auf die Genossen des ersten Standes beschrankt, erkennbar.
So gleich die nächste und auffalligste Umänderung. Dies bisher
auf zehn Jahre einer Hand anvertraute Archontat wurde in neun
Stucke zerlegt, durch jährlichen Wechsel der Bestellten noch weiter
geschwächt. Es ist schwer zu erraten, ob mehr die Eifersucht der
bisherigen Herrscher oder das Belieben der Emporgekommenen dahin
gewirkt habe; aber es war eine außerordentliche Umwandlung, wenn
zu der bisherigen Verantwortlichkeit eine solche Abhängigkeit, wie sie
die kurze Amtszeit und die Teilung notwendig bedingten, hinzugefügt
wurde. Natürlich, daß durch diese Beweglichkeit des Archontates
noch weit mehr, als bisher der Fall gewesen, der Schwerpunkt des
Staatswesens auf die Seite der Ernennenden verlegt wurde; und in
demselben Maße mußte sich die Bedeutung dieser Befugnis praktisch
darstellen. Wir fänden früher, daß nach den Berichten über die
kylonischen Vorgänge die neun Archonten und die Prytanen der Nau-
kraren entweder Behörden von merkwürdig übereinstimmender Com-
petenz gewesen sein müssen, da genau dasselbe, was Herodot von den
einen, Thukydides von den anderen geschehen sein läßt — oder daß
beide Namen dieselbe Behörde bezeichneten. Letztere Ansicht wird
um so wahrscheinlicher, da beide Schriftsteller mit ihrer [332] Erzäh-
lung erklären wollen, wie das Geschlecht der Alkmaioniden in Blut-
schuld gekommen sei; und es war Megakles eben damals Archon.
Gerade die Identität beider Bezeichnungen meint« wohl der ältere
Autor, aus dem Harpokration und Photios v. vavxQaQtcc geschöpft
haben: vavxQdQOvg yäg t6 naXaibv Tovq ägxovraq äXeyov cbg xai
'HQöSoToq kv c' icrtogtcDv. Aus der Bezeichnung Prytanen der Nau-
kraren folgt aber, wie mir scheint, eine weitere bedeutsame Bestimmung;
die Prytanen späterer Zeit waren ein im Laufe des Jahres mehrfach
wechselnder Ausschuß der ßovh)y die Prytanen der Naukraren sind,
denke ich, der für das ganze Jahr bestellte Ausschuß der naukrarischen
ßovXi], also recht eigentlich deren Beauftragte für Gericht und Ver-
waltung, natürlich so, daß sie Mitglieder der ßovh) blieben. Wir
fanden femer, daß die unter dem Namen der Epheten agierenden
Bichter mit den 48 Naukraren identisch zu sein scheinen. Sollten
sie als Epheten wirklich für nicht^s als für die Prozesse über (p6vog
äxovaiog bestellt worden sein, bevor sie auch den Areiopag erhielten?
Und was bedeutet denn ihr Name? Es ist doch nur eine Vermutung,
die PoUux ausspricht [Soxovaiv (uvofiäa&ai VIII 125), wenn er ihn
362 I^ie attische Communalverfassung
von der gerichtlichen iq>6(TtQ ableitet. Nur der stringen teste Beweis,
sollte ich meinen, darf zu der Annahme führen, daß im attischen
Recht ^ und gar unter solchen Verfassungsverhältnissen ein „Appella-
tionsgericht" habe eingesetzt werden können, wenn anders man nicht
mit dieser Bezeichnung spielt Überdies hat diese Ableitung des
Namens der Epheten unüberwindliche grammatische Schwierigkeiten.
Ich vermute, daß der Name gar nicht auf die gerichtliche Bedeutung
des k(pirifu zurückzuführen ist, sondern daß die Epheten vielmehr
{i(ptf](Tr intTQS'TtBt Phot.) die Beauftragenden sind, und daß die Nau-
kraren diesen Namen führen, insofern [333] sie in eine ßovX^ vereint
die Summe der öffentlichen Gewalt übertragen. Namentlich die Juris-
diction übertragen sie so an ihre Prytanen, die neun Archen ten; diese
sind infolge solches Auftrages xvqioi &(ttb tgts St'xag ccvrorshig
nouTa&m, Nur nicht in der Blutgerichtsbarkeit. Wir haben gesehen,
daß bis auf Drakon die alte nicht ephetische Bestellung des Areiopags
blieb, daß wahrscheinlich nicht erst Drakon die Epheten einsetzte. Nach
dem Verzeichnis der Mahlstätten, wo vor Selon die neun Archonten
zu Oericht saßen (Bekker anecd. S. 449), darf man annehmen, daß sie
keine der vier Statten, wo über tpövog äxoiatoq gerichtet wurde, inne
hatten; und wenigstens bei dem einen Ephetenhofe finden wir spät
hinab noch die ^pvloßamkalg thätig. Möglich, daß diese den q)övog
tcxovGiog unter sich hatten, bis die naukrarische Umwälzung ihnen
das rag Sixag airotBleTg noieta&ai legte und die Jurisdiction den
Naukraren übertrug, welcAie nun in diesen alten Mahlstätten jedesmal
in Gemeinsamkeit erschienen, wenn es dort einen Prozeß gab {nsgu-
övreg hSixa^ov Phot.); die (pvloßaatl^ig aber mochten wegen der
heiligen Begehungen zu belassen sein, welche die Sühne forderte und
welche an ihren Namen und die religiösen Beziehungen ihrer Bestellung
geknüpft waren. Noch bleibt eine Frage: gab es in der Zeit dieser
naukrarisohen Verfassung eine Ekklesie? Wenn in der kylonischen
Sache den neun Archonten aufgegeben wird rt^v <pvkaxijv xai ro nüv
avTOXtjarooeg Sia&Btvai fj &v (iQtffvu Stayiyvt&ffxcoa/v, so sind freilich
die IntToeyjccvreg nach Thukydides oi nokloi, welche nccvSfjfAel ix x&v
äyQcjv zur Belagerung der Eyloniden gen Athen geeilt sind; aber ich
wage selbst gegen solche Autorität zu vermuten, daß dieser Ausdruck
ungenau, wenigstens nicht so zu verstehen ist, wie er nach dem Sprach-
gebrauch der thukydideischen Zeit verstanden werden mußte. Sind
^ Plutarcbs Angabe von einer ^ipeaig von den Archonten an die dutaar^Qm
ist, wie wohl nachzuweisen sein dürfte, eines der Mißverständnisse, an denen
Plutarch in betreff alter Staats- und Rechtsverhftltnisse nur zu reich ist.
Die attische Communalverfassang 363
nicht die Epheten selbst die ämTpitpavTeg, so kann — denn die Voll-
macht muß doch in förmlicher Weise ausgestellt worden sein — nur
an eine Ekklesie gedacht werden, und unmöglich hatten in derselben
die Thetes, die Hektemorioi, die -Demiurgen u. s. w. Stimme: ich [334]
meine, nur die naukrarischen Männer bildeten die Ekklesie jener Zeit,
wenn anders es eine gab, wenn sich nicht vielmehr in diesem ganzen
Yerfassungssystem der Ansatz zu einer Repräsentation erkennbar macht,
die freilich keine weitere Entwickelung im attischen und hellenischen
Staatsrecht hat finden sollen.
Bitter genug mag die arme Masse bald den Herrenwechsel
empfanden haben; am übelsten natürlich in der Rechtspflege der
neuen Herren. Möglich, daB bedenkliche Stimmungen in der Masse
den Anlaß zu jener Legislation des Drakon gaben, welche freilich der
richterlichen Willkür ein geschriebenes Recht entgegenstellte, aber dafür
auch die ganze furchtbare Hart« der üblich gewordenen Rechts- und
Strafbestimmungen sanctionierte. Diese Legislation Drakons aber hat
noch eine zweite Seite. Wir überzeugten uns schon, daß der Areiopag
erst durch sie ephetisch besetzt worden sei, bis dahin also seine alte
Besetzung behalten hatte, immerhin nach ausdrücklichem Vorbehalten
derer, die 683 nachgeben mußten. Nun aber waren die Geschlechter,
die früher allein geherrscht, unzweifelhaft nicht minder naukrarisch
als diejenigen, welche damals in die Mitherrschaft eintraten ; es mochte,
nachdem man die wichtigste Ausschließlichkeit eingebüßt hatte, kaum
noch von bedeutendem Wert sein, den Areiopag allein zu besetzen,
zumal da die eigentlich buleutischen Geschäfte, vielleicht alles außer
den q)ovixoig, nicht mehr auf den Areiopag gehören konnten, seit die
Naukraren die rechte ßovli^ bildeten. So lag es nahe diese letzte
Unterscheidung der alten und neuen Eupatriden, oder wie sie sich
sonst unterscheidend genannt haben mögen, aufzuheben und auch den
Areiopag an die Epheten zu überweisen. Allerdings hatte damit der
Adel, den wir uns von des Königs Dienst herstammend denken, seine
bisherige Stellung aufgegeben; er verschmolz mit demjenigen Stande,
der, ein Überbleibsel der alten freien Bauernschaft, auf ererbter Hufe
saß und statt des Ruhmes, einst auf der Burg mit gehauset zu haben,
den der Autochthonie geltend machen konnte. Aber indem der Expo-
nent der Verschmelzung nicht [335] die svysveicc, sondern der Güter-
besitz war, schloß und consolidierte sich der Stand der Herrschenden
nur um so fester; und wenn Aristoteles die attische Verfassung dieser
Zeit bezeichnet als eine bUyuQx^^ ''•''^^ üxQaTog oiau (Pol. XI 9, 2),
so muß man sich erinnern, daß nach seiner Definition nXovToq ÖQog
dXtyaQx^'^^ ist. In den zahlreichen Fragmenten solonischer Gedichte
364 I^i6 attische Commanalyerfaasung
ist immer nur der Gegensatz von arm und reich, zum sicheren Zeugnis,
daß die naukrarische Nobilitat mit dem alten Greschlechteradel mit
Nichten identisch ist
So weit hinweg war man nun von der alten Schlichtheit des
Geschlechterstaates. Wohl bestanden noch die alten Phratrien und
Geschlechter; aber auch da werden endlich die Armen in ähnliche
Unterordnung wie in allen anderen Verhältnissen gekommen, nur
Orgeonen, den Gentilheiligtümern der großen Häuser Untergebene
geworden sein. Ich meine nicht so, daß sich etwa in jedem der 360
Geschlechter ein eupatridisches Haus oder eine normierte Zahl eupa-
tridischer Häuser zu dem Best geomorischer und demiurgischer ävSQeg
gefunden haben müßte; mit der Zerrüttung des alten strengen Besitz-
standes hatten auch diese Zahlenverhältnisse ihre Wichtigkeit verloren.
Was sollten noch die 30 ävSpag eines Geschlechtes? man wird sich
gewöhnt haben innerhalb der Geschlechter von Familien oder Klüften
zu sprechen; so gab es in dem yivog der Eeryken eine nccrQid der
Kentriaden, und diese nach ihrer Befugnis bei den Opfern gewiß so
eupatridisch wie die Kerykenfamilien des Andokides und des Hipponikos;
und wieder wenn Aischines seinem gar niedrigen Ursprung einigen
Wert geben will, so rühmt er sich %lvm hx (fargiag {(pargtä, t^p
'IcoPBg ituTQid Etym. M.) ro yivog fj röv avr&v ßcDficjv 'ErBoßov*
räSatg fisrix^^ (de fals. leg. § 147).
Freilich die Starrheit und Geschlossenheit des alten Geschlechter-
staat^s war überwunden, die Population hing nicht mehr von der Hufe
ab, und namentlich die kleinen gewerblichen Betriebe mögen in rascher
Zunahme gewesen sein. Aber wie jammervoll der Zustand der Masse
war, sahen wir [336] schon. Das ky Ionische Wagnis war nur der
Anfang heftiger innerer Zerrüttungen; die Gräuelthat der Alkmaioniden
gab den Freunden Kylons {r&v KvXcaveioov oi neQiyevöfievoi TcdXiv
7]aav laxvQoi Plut.) neue Kraft; es kam die Spaltung des Volkes zur
gefahrlichsten Höhe. Da nun trat Solon der Kodride ein; auf seinen
Rat ward ein Gericht von 300 äQtcnttfStjv bestellt und die Fluch-
beladenen verurteilt; „die Lebenden jagte man aus dem Lande, die
Toten wurden aus den Gräbern gewühlt und über die Grenzen ge-
worfen". So erzählt Plutarch. War das wirklich ein Gericht {Stxa-
^övTCJv sagt Plutarch), so war es ein völlig außerordentliches; und
daß sich die Alkmaioniden dem fügten, ward ihnen mit solcher Strafe
gelohnt? Thukydides sagt nichts von einem Gericht; er spricht nur
vom Austreiben {fjkaaavj k^ißaXov). Es sind, scheint mir, da Vorgänge
von viel tieferer Bedeutung, als wir jetzt sehen, verborgen. Ich meine
es ist beachtenswert, daß die Alkmaioniden eines von den eingewan^
Die attische Communalverfafisung 365
derten Geschlechtern sind, Neleiden aus dem pylischen Lande —
unzweifelhaft eines der Geschlechter^, die in der alten Eupatridenzeit
mitgeherrscht; jener Archen Megakles — war es um die Tyrannis
mit Stumpf und Stiel auszurotten, oder um der yerachtlichen Menge
jeden Gedanken an Neuerung zu verleiden, oder trieben kühnere Pläne
zu einem ersten Versuch trotziger Eigenmacht — , er hat jene Blut-
that nicht gescheut, und diesen ihren kühnen Vorkämpfer gaben die
300 Männer der naukrarischen Oligarchie preis; oder ob sie sich des
vielleicht schon zu Mächtigen entledigen wollten? wer kann es sagen.
Ich übergehe nun was Selon weiter vornahm, die [337] Weihungen
durch Epimenides, die Seisachthie, die neue Legislation, das große
Amnestiegesetz, das auch die Alkmaioniden zurückführte. Es galt mit
den bisherigen Besprechungen den Boden für die Betrachtung der
Communalverhältnisse Attikas zu gewinnen; es wird nun um so
leichter sein, diese in ihren Hauptpunkten zu bezeichnen, da sich eine
Reihe von negativen Bestimmungen aus dem Bisherigen mit Sicherheit
ergeben.
IL
[385] Wir werden es unterlassen dürfen, eine Untersuchung über
den Begriff Commune vorauszusenden. Es genügt far unseren Zweck als
die wesentlichen Kennzeichen die örtliche Geschlossenheit, die relative
Autonomie und die den Zwecken des Gemeindeverbandes entsprechende
innere Organisation anzuführen.
Nach diesen Kennzeichen ist eigentlich von einer Communalver-
fassung im älteren attischen Staatsrecht gar nicht zu sprechen. Denn
in dem alten Geschlechterstaate ist überhaupt der Gegensatz des Staat-
lichen und Communalen als solcher nicht vorhanden, da die autonomen
Glieder des locker zusammenhängenden Staatsganzen aus ebenso locker
zusammenhängenden kleineren Gliedern gebildet sind bis zur Familie
hinab. Wenn dann durch das erstarkende Königtum eben der Staat
als solcher Geltung gewinnt, so geschieht dies allerdings mit wachsen-
dem Zurückdrängen der Geschlechterverfassung auf untergeordnete
Kreise, aber so daß weder die Geschlechter und Phratrien zu wirk-
^ Wenn Isokrates von Alkibiades sagt, er sei yom Vater her aus eupa-
tridischem Geschlecht und mütterlicherseits gehöre er zu den Alkmaioniden, so
scheint es mir doch dem unermüdlichen Antithesenjäger zu yiel Ehre angethau,
diese um seinetwillen^ weil sonst seine schöne Phrase ein wenig schielend wäre,
aus der Reihe der attischen Eupatriden zu streichen. Pindars ÄXxfjavidnv evQv-
a&svsl 'j'eye^ yerbietet ebenso sehr als das Archontenamt des Megakles vor Solon
an dem Adel des Geschlechtes zu zweifeln.
366 I^ie attische CommunalverfiiBanng
liehen Communalyerbänden werden — denn sie sind und bleiben
wesentlich mit dem Religiösen durchwachsen, überwiegend kirchlicher
Art, — noch der wachsenden centralen Potenz gegenüber einen festen
Kreis eigener politischer Befugnis gewinnen; Beweis dafür ist der Um-
stand, daß man zur Unterscheidung der drei Stände hat gelangen können.
Allerdings hat es einen gewissen Sinn, wenn Theseus als Gründer
der Demokratie gerühmt wird. Durch den (rwoixKTfiÖQ ist aus den
Phratrien und Greschlechtem ein äfjfAog geworden, in dem Maße, daß
die ganze Gestaltung der attischen Verhältnisse bis 683 dahin gewandt
erscheint die [386] früher besprochene Identität von Stadt und Staat
durchzuführen. Die Einführung der Trittyen und Naukrarien kann
als ein erster Versuch gelten, die Einheit zu gliedern ; aber indem sich
diese Gliederung zunächst und wesentlich auf die Leistungen für den
Staat bezieht, indem sie den Ständeunterschied nicht überwindet, son-
dern ihm nur mit verändertem Ausdruck eine desto schärfere Bedeu-
tung giebt, erreicht sie entschieden nicht die innere Organisation, die
das Wesen der Gemeinde ausmacht, sie bezeichnet als Selbstzweck.
Und wenn dann diesen naukrarischen Verhältnissen der Gesamtstaat
überwiesen wird, so ist damit nur ein anderer Ausdruck versucht, die
Identität von Stadt und Staat auszusprechen, nur daß dieselbe noch
nicht über den Bereich der mit Grundeigentum Angesessenen hinaus-
reicht.
Merkwürdig nun, wie die Solonische Verfassung den nächst weiteren
Schritt thut Verweilen wir einen Augenblick dabei.
Ich bin nicht eben gemeint, für sie den sehr zweideutigen Buhm
einer organischen Fortentwickelung des Früheren in Anspruch zu
nehmen. Ein Beispiel für vieles ist die völlig äußerliche Art, wie sie
an den Namen der ßovltj auf dem Areiopag die Gründung eines voll-
kommen neuen Institutes knüpft. Aber gerade der theoretische Ver-
stand und die Kühnheit, mit der sie völlig neue Verhältnisse zu
schaffen unternimmt, ist um so bewunderungswürdiger, da ein so
ungemein künstliches und rationelles System von Normierungen und
Bindungen in den wichtigsten Beziehungen doch der lebendigen Wirk-
lichkeit der Verhältnisse entweder entsprach oder sie umzuprägen ver-
stand. Letzteres, vor allem im Familienrecht und dem Recht des
Besitzes von größter Bedeutung, geht uns hier nicht näher an. In
betreff des öffentlichen Rechtes das größte und wichtigste ist offenbar
die Anerkenntnis aller Freien als aktiver Staatsbürger und der an die
freie Geburt allein, nicht an das Eigentum geknüpften Mitgliedschaft
in der Staatsgemeinde. Unzweifelhaft hatten drohende Bewegungen
in der Masse zu einer Maßregel gedrängt-, die dem verständigen Inhalt
Die attische Communalyerfaseung 367
ihrer Forderungen [387] gesetzliche Anerkennung gewährte, bevor sie
sich selber gewaltsam Bahn brachen. Es war gewiß ebenso klug wie
hochherzig, die Masse nicht bloß mit privatrechtlichen Erleichterungen
für den Augenblick .abzukaufen, sondern ihr eine staatsrechtliche Stel-
lung zu bereiten; nur wird man sich Solons Meinung nicht eben im
Sinne der späteren Zeit demokratisch denken dürfen. Sein Hauptaugen-
merk war, den Hader der Armen und Reichen zu stillen, die traurige
3v(TvofjLif], die i^ycc Sixocrrccatfjg, ä^yaHriq igiSoq ;^(JAoi' zu hemmen ;
und so rühmt er sich:
SitiKp ytiv yccQ i3(oxu röaov xQccTog, Öaaov knuQXBij
Tifjiflg OVT (iq)6?^Q)v ovt knoge^üfievog,
ot S* bIxov SvvayLiv xal ;|f(>?}juarT/v l]<Tav äyrjTOt,
xal ToTg icpQaaüfxrjv fir]Stv deixig axetv
i<TTfjv S* äficptßalcjv XQUxtQov adxog äiKfOxiooiaiv,
Vixäv d' ovx siaa ovSeri^ovg ädixcog.
So gab denn seine Verfassung dem Volk nicht mehr als die „aller-
notwendigste Macht'': t6 xug ägz^Q aiQüad-ai xal av&vvEiv\ „denn,
fügt Aristoteles hinzu, wenn das Volk nicht einmal diese Befugnis hat,
ist es Sklave und Feind". Nach derselben Autorität gehört noch ein
Drittes hinzu: zbv SfjfAov xariarTjffe rä Stxaari^Qia notrjGag hc nüvxcov.
Ich darf die bedeutende Controverse hier übergehen, die sich an diese
Notiz knüpft; nur halte man fest, daß nicht etwa der Sfjfxog als solcher
die Justiz hat, sondern, wie demokratisch auch immer die Grerichte
besetzt sind, wesentlich als geschworene Richter haben die Heliasten
zu urteilend Merkwürdig [388] nun, wie dem einen und gleichen
Sfiiiog gegenüber die sogenannten &qx^^ organisiert werden ; alle diese
Beamtungen (auch die ßovXri gehört dazu) werden an einen bestimmten
Census geknüpft; es ist gewissermaßen eine Fortsetzung der naukra-
rischen Prinzipien, nur daß jetzt, wie gewiß nicht früher, die Schätzung —
^ Ich zweifle nicht , daß das daiallieiv , so weit es Solon dem Volke zuge-
wandt, in dem Ausdruck des Aristoteles aiqew&ai xal ev&vveiv enthalten sein
muß; ein Aristoteles ist nicht so fahrlässig in der Au&ählung der von Solon
dem Volke gewährten Verfassungsrechte das dixal^Biv auszulassen, wenn es in
dem Umfang gewährt war, wie Plutarch will glauben machen, daß nämlich von
dem Urteil der Archonten an die Volksgerichte habe appelliert werden können.
Was dem Volk von der richterlichen Gewalt zustand, beschränkte sich auf die
Bv&vvm, Daß aber die solonische Heliaia nicht aus 5000 Heliasten bestanden
haben wird, darf man schon wegen der Zahl der Phjlen behaupten. Ich denke,
seine Institution werden die „vier Gerichte** von 500, 50, 200, 100 sein, die
Steph. Byz. v. 'Hliaia anfuhrt, jedes, so scheint es, für einen gewissen Kreis
von 8Vi9vyai,
368 I^ie attische Commun&lver&ssung
natürlich nur vom Grandeigentum, nicht von beweglichem Gut —
vier Yermögensklassen begründet, von denen nur die erste zu den
wichtigsten Ämtern befähigt Indem die Verfassung zugleich die ßovXi)
auf dem Areopag mit höchsten Befugnissen ausstattet, sie eben denen,
die diese Ämter untadlig verwaltet, überweiset, giebt sie dem Vermögen,
das bisher naukrarisch die Herrschaft geübt hatte, eine wenigstens
ebenso große Machterhöhung, als ihm der Miteintritt des dfjpixiq in die
staatlichen Verhältnisse Abbruch gethan hat
Doch genug des Allgemeinen; für unseren Zweck dürfte insonder-
heit noch folgendes hervorzuheben sein. Die solonische Verfassung hat
entschieden eine communale Gliederung nicht, sondern im vollsten
Maße ist die Staatsgemeinde als solche eine einheitliche, ich möchte
sagen monadische. Denn wo wäre diese Gliederang? Politisch unter-
gegangen ist der Unterschied der drei Stande, den man freilich in
den attischen Verhältnissen kaum als eine Gliederung betrachten darf,
unzweifelhaft bestehen die Trittyen, die Naukrarien fort, aber sie
müssen durch die Schatzungsansätze wesentliche Modificationen erlitten
haben; der Natur der Sache nach bleiben die nicht mit Grandbesitz
Ansässigen außerhalb dieser Teilungen, haben also bei der Wahl der
Naukraren, bei den Versammlungen der Steuergemeinden xl s. w. keine
Beteiligung; und wenn, wie alte Zeugnisse angeben, die Naukraren
mannigfach Ähnlichkeit mit der Stellung der späteren Demarchen
haben, so können die naukrarischen Verbindungen um so weniger die
Stelle von [389] Communen vertreten, als von der Teilnahme an ihren
Befugnissen viele ausgeschlossen sind, die in der Staatsgemeinde zu
"Wahl, Rechenschaft und Gericht vollständig berechtigt sind; ein Miß-
verständnis eigentümlicher Art, und wir werden später sehen, daß es
aller Wahrscheinlichkeit nach noch viel schrofferer Art war. Aber sind
vielleicht die alten Formen des Geschlechterstaates eine Schadloshaltung?
Allerdings tritt das Institut der vier Phylen mit Entschiedenheit in
den Solonischen Einrichtungen hervor, aber so wenig wie früher bilden
sie jetzt communale oder auch nur landschaftliche Geschlossenheiten;
die einzige Beamtung, die für die Phylen als solche und von ihnen
bestellt gelten darf, das Amt der Phylobasileis, hat fast nur noch
religiöse Bedeutung. Bedeutsamer könnten die Phratrien und Ge-
schlechter erscheinen; nicht bloß daß die solonische Verfassung sie
aufrecht erhalten hat, man wird annehmen dürfen, daß sie ihnen in
Sachen des Familien- und Erbrechtes eine bedeutende Stelle anwies,
daß sie namentlich das Recht des Bürgertums an die gennetische Aner-
kennung knüpfte u. s. yv. Allerdings hatten die Phratrien und Ge-
schlechter etwas von Gemeinden an sich, aber von kirchlichen; sie
Die attische Ck>mmanal Verfassung 369
ähneln im entferntesten nicht mehr dem nun herrschenden sehr ratio-
nalen System der Politie, das sich doch auf ihre auch politische Mit-
wirkung einläßt; wohl haben sie Zusammenkünfte, Vorstände, gemein-
same Begehungen, Gesamtbesitze u. s. w., aber alles das nicht auf die
ortlichen, die Communeinteressen gewandt; diese ihnen zu überweisen
würde bei den eigentümlichen Unterordnungen und Scheidungen, bei
den altertümlichen Satzungen, den heilig bewahrten Besonderlichkeiten,
die an ihnen haften, der yölligen Einigung und der freien Bewegung
des neu gewordenen Staates nur zum Nachteil gereichen können. Mit
einem Wort, hier ist eine große Lücke in der Solonischen Gesetzgebung;
es ist die nächste und größeste Aufgabe für den neuen Staat, sich
eine Communalordnung zu schaffen, die seinem eigenen Prinzip ent-
spricht.
Es würde allerdings unrichtig sein, wenn man diesen Mangel als
den einzigen Grund der inneren Erschütterungen [390] bezeichnen wollte,
die die Solonische Verfassung so bald zur Tyrannis führten. Solons
Voraussage war: AvSq&v kx fjLsyühüv Ttöhi; öXlvrai; und keineswegs
allein die Tyrannis des Peisistratos bestätigte diesen Ausspruch. Sei
es erlaubt, hier auf die Parteiungen, den Kampf der Diakrier, Pediaier
und Paralier einzugehen, die in der verknöchernden Überlieferung
allmählig zu r^eiq rd^eig xuru rovg ^6ka>vog vöfjLovg (Schol. Arist
Vesp. 1218) umgewandelt erscheinen. Nach Herodots ausdrücklichem
Zeugnis (I 59) standen die Pediaier unter Lykurgos (ob er doch ein
Eteobutade?) und die Paralier unter Megakles, jenes Blutschuldigen
Enkel, wider einander. Daß die Pediaier als Partei in der That die
reichen Grundbesitzer sind, geht aus Arist. Pol. V 4, 5 klar hervor;
und war nicht bei den Reichsten das Archontenamt und die weit-
reichende Befugnis des Areiopag? die Pediaier werden das ihre gethan
haben, die nun mitberechtigten Minderen zurückzuschieben. Solon sagt:
dfjfjLov &' ijyefiövtov äSixog vöog . . .
ov yuQ hjiiaravxai xaxix^iv xöqov oiäk nagovaag
Biq>QO(Tvvag xofffuTv Sairhg hv riavxiri»
' TiXTBi yaQ xÖQog üßQiv, ÖTccv nolvg öXßog litf^rcct.
Was aber wollen die Paralier? Irre ich nicht, so sind sie und ihr
Führer Megakles recht eigentlich die Vertreter der Solonischen Ver-
fassung. Der Anmestie Solons dankten die Alkmaioniden nach jenem
Gericht über die kylonische Blutschuld die Bückkehr. Alkmaion,
Megakles Vater, war der attische Feldherr in jenem krissäischen Kriege,
zu dem Solon in der Amphiktyonenversammlung geraten hatte und
Drojsen, Kl. Schriften I. 24
370 I^ie attische Gommunal7erfas8ung
dessen Gesamtfülirung Kleisthenes von Sikyon erhielt; und derselbe
Alkmaion war Gastfreund des Eroisos, dessen Beziehungen mit Selon
ja bekannt sind. Alkmaions Sohn, eben jener Führer der Paralier,
war schon zur Zeit dieser erneuten Zerwürfhisse in Attika mit der
Tochter des sikyonischen Kleisthenes vermählt; vor allen anderen
Freiem — Herodot schildert diese prächtige Brautwerbung — war er
erwählt worden, nicht sein gefahrlichster Mitbewerber Hippokieides,
[391] zu dessen Verwandtschaft dann die Miltiades und Isagoras ge-
hören. Auch solche Familienbeziehungen werden ihre Einwirkung auf
die öflFentlichen Verhältnisse gehabt haben. Gegen beide Parteiführer
Lykurgos und Megakles erhob sich Peisistratos — ¥jyeiQB tqitvv arüfriv
sagt Herodot; also er schuf erst diese Partei, die, woher auch immer,
den Namen von der Diakria erhielt; es waren die kleinen Leute, nament-
lich Landleute, die er um sich sammelte und deren Sache er gegen
die Reichen vertrat Aristoteles sagt, wo er von der Gründung der
Tyrannis spricht, weil damals die Städte noch nicht groB waren, son-
dern der Demos auf seinen Äckern lebte, vollauf mit seiner Feldarbeit
beschäftigt, so gewannen die Volkshäupter (o/ itQotnüzat roü Si^fiov)
wenn sie kriegerisch waren, leicht die Tyrannis; nävrsg Si rodro
i3Q0)v vitb Tov ätjfiov TttfTTevOevreg, rj Sh niarig T/v // änkxO-Bta //
ngbii Tovg nlovfftovg' otov !A&/jvfj(rt nBKTlGXQazog (rraaidaag
itQÖg Tovg ntStfixovg, Der behutsame Aristoteles erwähnt die Paralier
nicht.
Schon hieraus wird man ersehen, wie Megakles allerdings eine
mittlere Stellung zwischen der Tyrannis und der Dynasteia hatte, —
ich brauche dies höchst gehässige Wort der SwcctruBia (vgl. Thukyd.
III 62), weil Herodot iSwätTrevs von jenem Miltiades sagt, der ä/&ö-
fjL6vog Tjj TE IJettTiOTQdTOv äQXfi *<^i ßovXöfiBvog kxnoScbv stvai den
Chersones colonisierte, dort Tyrann ward. Ich übergehe die weiteren
Kämpfe in Attika, die endlich feste Gründung der Tyrannis, die
dauernde Entfernung dei Alkmaioniden.
Nach dem mißglückten Versuch des Harmodios und Aristogeiton
begannen die Verbannten unter Führung des Alkmaioniden Kleisthenes
und des Medontiden Alkibiades den Kampf gegen die Tyrannis; sie
setzten sich auf Leipsydrion in attischem Gebiet fest; ÄBixtwSQtov ngo-
ömairawov wie es im Liede heißt, so unheilvoll ward es ihnen; sie
wurden überwunden, viele Wackere, fiax^adai dya&ol re xal tima-
TQtdai ot TOT eSst^civ oitav nariocov ifrav, fanden den Tod. Aber
Kleisthenes und seine Freunde gaben die Hoffnung nicht auf; war
Sparta nicht aller Orten den Tyrannen feind? so [392] suchten und
fanden die athenischen Männer den Beistand Spartas.
Die attische Oommunalyerfassuiig 371
Während der ganzen Zeit der Tyrannis hatte die Solonische Ver-
üeissung vollständig bestanden; die Peisistratiden, sagt Thnkydides^ sorgten
nur dafür, daß immer einer von ihnen iv ratq Aqxcci^ wäre; auch
war ihre Herrschaft im entferntesten nicht für die Menge drückend
{inax&rig kg rovg noXkoig), sondern sie wußten sie ungehässig zu
machen; und für den Zehnten, später sogar nur den Zwanzigsten, vom
Peldertrage {r&v yiyvo^vmv) bauten sie Tempel und Straßen, ver-
richteten sie die Opfer, bestritten sie die Kriege, für die sie sich stehende
Truppen hielten. Wie sie für den kleinen Mann sorgten, ihm die
Oründimg eigener Feldwirtschaft erleichterten, beweist manche Erzäh-
lung: das xarmvdxag (poguv ist wahrlich nicht zum Schaden des
Landes und des Volkes gewesen, kein Vorwurf gegen die Tyrannen;
mancher Wackere hat sie Könige genannt. Freilich seit Hipparchs
Ermordung war die Tyrannis härter geworden, viele Bürger hatte
Hippias töten lassen; aber die Menge, so scheint es, war mit Nichten
wider ihn; wie hätte sonst die Unternehmung von Leipsydrion und
der erste Angriff der Spartaner mißglücken können. Erst beim zweiten
kamen die Spartaner und die Alkmaioniden nach Athen, belagerten
die Burg ä^icc 'A&rivaicov roiai ßovXofiivoKTi etvai hhv&iQoiai Herod.
V 64. Ein Zufall bewog die Peisistratiden zur Capitulation.
Einer Herstellung der Solonischen Verfassung bedurfte es nicht
erst. Aber sofort kam man zu denselben Parteiungen, die der Grün-
dung der Tyrannis vorausgegangen waren; nun standen Kleisthenes
und Isagoras gegenüber; käwäarevov sagt Herodot von ihnen; wenn
selbst Kleisthenes sich der Menge ab wandte, wie wird dann erst der
oligarchisch gesinnte Isagoras sich verhalten haben. Und entschieden
überholte Isagoras seinen Gegner, unzweifelhaft dieselben Mittel anwen-
dend, wie einst Lykurgos, nur jetzt um die Erfahrungen der durch-
lebten Tyrannis schroffer. Da nun trat die bedeutsamst« Wendung
ein; Kleisthenes beharrte nicht, wie sein Vater, in der unhaltbaren
Mitte, sondern ergriff selbst die [393] Sache der Menge: t6v Sfjfiov
nQÖTSQOV äna)(Tfxevov töts nävrcc nQog ttjv itovrov fiOiQtjv nQoae-
-d-i'ixazo — , rbv Sfjfiov ngoasrccigi^BTcci (Herod. V 69. 66). Dar-
auf machte er jene großen Reformen, die sogleich näher besprochen
werden sollen. Wie tief eingreifend sie waren, erkennt man an den
gewaltsamen Gegenbestrebungen der Gegner. Isagoras wandte sich an
den Spartanerkönig, veranlaßte ihn die Ausweisung derer, die mit der
kylonischen Blutschuld behaftet seien, zu verlangen. Kleisthenes ging;
dennoch erschien der Spartaner mit einem zahlreichen Heer, trieb noch
700 Familien, die Isagoras bezeichnete, aus dem Lande, ernannte 300
Männer, Anhänger des Isagoras, als ßovlifj an die Stelle der 400; und
24*
372 I^ie attische CommunalveTfassang
da diese sich weigerten zu weichen, besetzte er die Akropolis. Da aber
erhoben sich die Athener, schlössen die Burg ein, zwangen Kleomenes
zum Abzüge, Isagoras zur Flacht, legten seine Anhänger in Banden.
Kleisthenes und die Vertriebenen 700 kehrten heinL
So der Verlauf dieser Dinge. Es scheint mir nicht nötig, wie
neuerdings geschehen ist, anzunehmen, daß die Beform des Kleisthenes
erst diesem Siege gefolgt sei; Herodots Zeugnis ist dem entgegen.
Wohl aber brachte die Reform eine so große Zahl von Geschäften,
Ablösungen, Übertragungen u. s. w. mit sich, daß sie unmöglich in der
knrzen Frist vor dem Archontat des Isagoras 508/7 beendet sein
konnten.
Kommen wir endlich auf die große Grründung des Kleisthenes.
Was bezweckte er? und auf welchem Wege suchte er es zu erreichen?
war er wirklich, wie Böckh meint, „in allem neuerungssüchtig**?
Freilich der alte gute Herodot ist mit seinem äoxisiv h/jLoi rasch
fertig: wenn je so darf man sich hier über die politische Beschränkt-
heit oder verkehrte Naivetat des Vaters der Geschichte argem, der
nichts klügeres findet, als daß Kleisthenes seine neuen Phylen einge-
richtet habe vneQtScbv ^Imvaq, „damit sie in Athen nicht mehr die-
selben Phylen wie die lonier hätten.*' Nicht weniger wunderlich ist
der Grund, der wer weiß aus welchem älteren Autor beim Scholiasten
[394] zum Aristeides (citiert von Valkenaer zu Herod. V 66) angeführt
wird: Kleisthenes habe vier Phylen gefährlich gehalten, weil dann
leicht eine über die anderen Herr werden könne (Tvoavvfi(Tut)\ bei
zehn Phylen werde es einer nicht so leicht werden, die anderen zu
beschwatzen! Ungleich weiter hilft uns eine Bemerkung des Aristoteles
(Pol. VI 2, 11). Indem er von der Demokratie spricht, in der alle an
der Regierung Anteil nehmen, und die Mittel zu deren Förderung
angiebt, sagt er: „ersprießlich für eine solche Demokratie sind auch
solche Veranstaltungen, wie sie Kleisthenes in Athen anwandte ßovXö-
fuvog aif^fjffai rijv SrjfioxQaTiap, und die Gründung der Demokratie
in Kyrene; man muß nämlich andere und mehr Phylen und Phratrien
(v. 1. (patQiai) einrichten, die Sonderculte [xä r&v iStojv i6Q€t>v) auf
wenige und allgemeine zurückführen, überhaupt alles darauf anlegen,
daß alle möglichst unter einander gemischt, die alten Genossenschaften
aufgelöst werden". Gewiß enthält diese Bemerkung des Philosophen
etwas sehr richtiges, aber sie reicht bei weitem nicht aus; ein Vorwurf,
der nicht sowohl ihn als die Neueren trifft, die wirklich weiter nichts
in den Anordnungen des Kleisthenes zu entdecken vermocht haben.
Was Aristoteles bezeichnet, ist nicht bloß die nur negative Seite in
jener Reform, sondern man muß sich auch erinnern, daß weniger in
Die attische Commnnalyerfassang 373
den Phylen als in den Phratrien und Geschlechtern die Energie der
alten Verbindungen ruhte, daß Eleisthenes das Institut der Phratrien
und Geschlechter, so weit unsere Kunde reicht — wenn jene unsichere
Ijesart, die oben bemerkt ist, übergangen werden darf — , unverändert
i^elassen hat, und daß seine wesentliche Beform darin bestand, jenen
alten religiösen Verbindungen für die anderen Kreise des öffentlichen
Lebens andere politische gegenüberzustellen, die dann freilich auch
ihre Heiligtümer u. s. w. erhielten, aber gleichsam außer Zusammenhang
mit jener alten Art.
Es will mir scheinen, als wenn Aristoteles, wie es auch uns wohl
ergeht, die Einrichtungen des Kleisthenes beurteilend sich nicht von
den Eindrücken der sie schnell ausweitenden Entwickelungen frei zu
halten vermocht hat. So [395] wenig ist in den Vornahmen des
Kleisthenes ein av^fjtrai rrjv SrjfjLoxgccriccv in Aristoteles Sinn, daß
nach Plutarchs Ausdruck Kimons Bestreben darauf gewandt war rijv
änl KXeta&ivovg hytiQBiv äQiaroxpcrciav , wie denn auch Kleisthenes
jüngerer Freund, der hehre Aristeides — ä&r]kog tnnq) n&kog — , recht
im Sinne des großen Alkmaioniden gegen Themistokles stand: ^rpccro
ÜQKFToxQccTtxfjg TtokiTsiaQ (Plut.). Klelstheucs änderte weder an der
Klasseneinrichtung Solons, noch am Areopag, noch an dem Vorrecht
der ersten und der drei ersten Klassen; und wenn, wie wahrscheinlich,
von ihm statt der Wahl der Archonten das xvdficp luy/üveiv — schon
zur Marathonischen Zeit ist es da — eingeführt ist, so kann das so
wenig für eine demokratische Maßregel gelten, daß es vielmehr eines
der wichtigsten Verfassungsrechte des Gesamtvolkes aufhob. Denn es
konnte natürlich nur zwischen den Genossen der ersten Schatzungs-
klasse gelost werden; alle Wahlumtriebe, aber auch aller guter Dienst
der vielen gegen die Vornehmen hörte in den Archairesien der wich-
tigsten Beamtung auf.
Wir nähern uns dem Kern der Sache. Später wo der attische
Demos Regent eines bedeutenden Reiches ist und für alle Ausübung
seiner Regentenpflichten in Rat Ekklesie und Gericht Diäten erhält,
kommt der kleine Mann von seinem Acker gern zur Stadt sein
Stückchen Volkssouveränität mit auszuüben; nicht bloß, daß ihm sein
Versäumnis vergütigt wird, das Richten und Regieren wird ein Geschäft,
das einen sicheren Unterhalt abwirft Bei weitem anders in der alten
Zeit Denke man sich nur die kleinen Leute in den Demen umher;
sie sollen, wenn sie nach Athen müssen, ihre politischen Obliegenheiten
zu erfüllen, Acker und Wirtschaft versäumen und die entfernteren —
die von Rhamnus und Sunion haben ja fünf Meilen )>is zur Stadt —
wohl gar über Nacht von Hause bleiben. Fürwahr dem kleinen Mann
374 I^ie attische Communalyerfassung
bringt es nur Versäumnis und Mühe das Mitregieren; und was hat er
Gewinn davon? was kann er da groß leisten? „fax sich, hat Solon von
seinen Attikem gesagt, für sich geht jeder des Fuchsen Wege, aber
allen zusammen ist der Kopf hohl [396] {/advog ivaari vöogf^. Ich
denke doch, dieser „politische Indiflferentismus" der vielen wird es vor
allem den Reichen möglich gemacht haben, fünfidg Jahre früher, trotz
der Verfassung, solch ein Übergewicht zu erlangen, bis sich Peisistratos
entgegenwarf; und er sorgte dann möglichst dafür, daß sich die Leute
ihrem eigenen Geschäfte zuwandten. Wird es denn beim Ende der
Peisistratiden viel anders geworden sein? der kleine Mann ist zufrieden,
wenn das öffentliche Wesen ruhig seinen Gang geht und ihn möglichst
wenig in seinem eigenen Betriebe stört; viel wichtiger als die Staats-
angelegenheiten sind für ihn die nächsten nachbarlichen Verhältnisse
auf seiner Flur und in seinem Dorf, und daß er da in seinem Recht
sich frei und selbständig, mithandelnd und mitratend bewegt In der
Communalfreiheit ist der beste und einzige Schutz gegen die Erneue-
rung solcher Übel, wie man sie ein Menschenalter hindurch erlitten.
Dies, meine ich, sind die Gesichtspunkte, aus denen die Reform
des Kleisthenes zu betrachten ist. Er so wenig wie Solon hat darauf
hinausgewollt, das attische Volk, wie man es in unseren Tagen nennt,
„politisch zu erziehen^', durch erst gewährte kleinere Befugnisse zu
größeren zu gewöhnen und allmählig „reif zu machen^'; er wie Solon
hat vor allem im Auge den Staat so einzurichten, daß auch der Mann
aus der Menge seines Rechtes leben möge, fjL^re kiriv dve&elg fm^re
nie^d^^'^og, tüchtig, ehrbar und schlicht; nicht einen Staat der herrsche,
erobere, in Macht und Glanz prunke, wollen sie, sondern einen solchen,
in dem jedem Schutz und Gedeihen und der Segen jener evvofßia zu
teil werde, die
T()axicc XaiaiVBiy navai xöqov, vßgiv ccfAav()oT,
avaivBi S' äTijg ävfhau (pvöfxavcc,
av&vvai Sk Sixag axohug^ vnaQi'ifpavd r 6{jya
nguivaij nami S' Hoya Sixoaraaitjg.
So hat Solon geschrieben; aber freilich seine Verfassung hatte mit
ihren Wahlen, Rechenschaften, Volksgerichten das Gewaltstreben der
äwafTTBvovTsg nicht zu fesseln vermocht, und die Bewegungen, die
dem Sturz der Tyrannen folgten, [397] zeigten die Demokratie nur in
erneuten Wehrlosigkeiten. Es galt dem Volke, je mehr es in kleine
Gemeinden geordnet, sich besonders auf die nächsten Interessen wenden
und die Gesamtleitung des Staates den Händen der Reichen und Ein-
sichtigeren vertrauen sollte, desto entschiedenere Garantien gegen die
Die attische Communalverfassung 375
Möglichkeit neuer Tjrannis, neuer Oligarchie zu geben. Kleisthenes
tand ein einfaches Mittel; es war mehr als Ersatz für die Archairesien,
die da aufhörten. Einmal in jedem Jahre, so ward bestimmt, ver-
handelt das Gesamtvolk darüber, ob jemand im Staate zu mächtig
und dem Bestände der Gresetze gefahrlich sei; ward diese Frage
bejaht, so trat das bekannte Verfahren des Ostrakismos ein, nicht
ein Gericht, sondern eine Sicherheitsmaßregel, die die Staatsgemeinde
zu ihrer Selbsterhaltung ausübt, ohne Schande und Schaden für den
Betroffenen.
Die zweite und allerdings tief eingreifende Maßregel des Kleisthenes
ist die Gründung der Demen und der zehn Phylen.
Es gab schon Demen in Attika, Ortschaften, nach denen man die
Herkunft der Leute z. B. auf Gräbern bezeichnete; und daß solcher
Ortschaften hundert gewesen, ergiebt sich sowohl aus Herodots Angabe
(V 69): „daß Kleisthenes die Demen zu je zehn an die Phylen ver-
teilt habe" {xarä Sixa wie Sauppe verbessert hat), als auch aus der
Erwähnung, daß Araphen, nach dem der Demos der Araphenier heißt,
eJg TiSyv ixaröv fiQd)(ov sei (Sauppe de dem. urb. Ath. S. 5). Kleisthenes
nun vermehrte die Zahl dieser Demen ^ um ein [398] Bedeutendes,
gab ihnen eine völlig neue Bedeutung, gab ihnen ein Communal-
wesen.
Es wurde dasselbe, wenn ich recht sehe, auf eine zwiefache Grund-
lage errichtet. Sowohl die freie Bevölkerung wie der Grund und
Boden Attikas, so weit derselbe nicht Staatsdomäne war, mußte auf
die Demen verteilt sein. In betreff der Bevölkerung geschah dies
nicht etwa so, daß eine möglichste Gleichheit der Einwohnerschaft in
den Demen beabsichtigt wurde, sondern in Anleitung der vorhandenen
Ortschaften und Anbaue, mochten sie größer oder kleiner sein, wurden
Gemeinden gemacht, wie denn z. B. Acharnai im Anfang des pelopon-
nesischen Krieges 3000 Hopliten stellte, während Halimus zur Zeit
des Demosthenes überhaupt nur 78 mündige Demoten hatte. Werden
mehrfach dieselben Demennamen durch xa&vneQ&av und vnivepOBv
(so Agryle, Paiania) oder durch andere Bezeichnungen (Halai, Kolonos)
unterschieden, so glaube ich nicht, daß dergleichen erst allmählig ge-
^ Es ist streitig) ob die 174 Demen, die nach Polemon vorhanden waren,
erst allmählig so hoch angewachsen sind, oder schon von Kleisthenes — die
ÄXe^avÖQBig, BsQevuiidai u. s. w. ausgenommen — eingerichtet seien. Nach dem
streng geschlossenen Heimatsrecht der Demoten muß man annehmen , daß nur
in ganz außerordentlichen Fällen, wenn es galt, mächtigen Fürsten eine
Schmeichelei zu machen, solche Abzweigungen neuer Demen stattfanden, daß
sie dem Staatsrecht der guten Zeit Attikas völlig fremd waren.
376 I^ie attische Communalyerfasstuig
•
worden, sondern dem Lokalan terschiede gemäß schon von Kleistbenes
bestimmt worden. Nur Athen ist gewiß von Anfang an in mehrere
Demen (nur glaube ich nicht gerade in zehn) getrennt worden, vielleicht
auch die „Stadn^^ Brauron. Merkwürdig nun ist die Bestimmung, daß
jeder dem Demos angehört, dem bei Begnlndung dieser Einrichtung
seine Familie zugeschrieben ist; wo er auch immer geboren sein mag,
er ist geborener Demot seines väterlichen Demos; nur auf dem Wege
der Adoption kann er in einen anderen Demos übergehen. So hat es
geschehen können, daß Mitglieder desselben Geschlechtes verschiedenen
Demen angehören; so sind von den Keryken die Leagoras und Ando-
kides Eydathenaier, die Kallias und Hipponikos nach Melite gehörig;
und mancher Demos hat seinen Namen nach einem Geschlecht, wäh-
rend Angehörige dieses Geschlechtes zu einem anderen Demos zählen.
So war Eimon von Geschlecht Philaide, gehörte aber nicht zu diesem
Demos, sondern zu dem der Lakiaden, und Demades, von Geschlecht
Lakiade, war zum Demos der Paianier gehörig. Ich meine, diese Be-
stimmungen sind im hohen Maß lehrreich; dem Gesetzgeber [399] ist
alles daran gelegen an feste Besitze, an ererbte Heimatlichkeit und
ruhige Seßhaftigkeit zu gewöhnen; und diesem Gewinn opfert er gern
die größere Beweglichkeit des inneren Lebens, die leichtere Verwert-
barkeit der Grundstücke. Fürwahr ein Zug tiefer politischer Ethik.
Wie nach den Familien, ebenso geschlossen war jeder Demos nach
dem Grundbesitz; will ein fremder Demot sich in demselben ankaufen,
so hat er ein Einkaufsgeld {iyxTtjrixöv) zu zahlen, natürlich ohne
damit selbst in den Demos eingetreten zu sein. Es befanden sich in
dem Kataster des Demos {änoyQutpai) nicht bloß die Grundstücke der
Privaten, sondern alles was bei der üatpogd mit angezogen wurde,
also auch die Grundstücke (Äcker, Gebäude, Wald und Wiese u. s. w.),
die den Phratrien, den Geschlechtem, den 6fioTÜ(poigj (rutTtriroig,
&ia(T(ATccig u. s. w. gehören mochten. Endlich scheint jeder Demos
als solcher mit Gemeinbesitz {rifjiavog) ausgestattet oder ihn zu erwerben
veranlaßt worden zu sein. Man sieht schon, wie alle Verhältnisse des
Grundeigentums wesentlich communaler Art sind, in die Gompetenz
der Demen gehören; aber eben darum ist es consequent, daß die Güter
des Staates nicht innerhalb des Gemeindeverbandes sind.
Der Gemeinde gehört die Verwaltung ihrer inneren Angelegen-
heiten in völliger Selbständigkeit. Sie selbst bestellt ihre Behörden,
den Demarchen, den Schatzmeister, den dvriyQafpevi; u. s. w.] in den
Gemeindeversammlungen {ßeyoQai) werden jene gewählt, wird über Aus-
gaben und Einnahmen beschlossen, wird die Einzeichnung der mün-
digen Demoten in das Xfj^iuQX'^^'^ vorgenommen, natürlich mit der
Die attißche Communalver&ssung 377
nötigen Präfang. Der Autonomie des Demos kommt auch die Ein-
richtung von Communalsteuern zn; wir finden rikrj erwähnt, auch eine
dxomv angedeutet (Corp. Inscr. Gr. Nr. 101 und 89 = C. I. A. II 589. 572).
Alle diese gemeinsamen Verwaltungen und Verhandlungen geben die
Motive zu einem sehr regsamen Gemeindeleben: nimmt man zu diesen
mannig&chen geschäftlichen Berührungen der Gemeindegenossen die
gemeinsamen Feste und Mahle, den traulichen Verkehr der Nachbar-
lichkeit, das [400] Verschwägern der Familien, so wird man ein Bild
haben, wie entschieden nicht zur Gentralisation in Athen des Kleisthenes
Gesetzgebung gewandt war.
In betreff des Verhältnisses zum Staat hat der Demos vor allem
zwei wichtige Aufgaben. Die Gontrole über das Bürgerrecht nämlich
überweiset der Staat vollständig den Demen; allerdings bleibt auch
femer noch das Zugehören in Geschlecht und Phratrie für jeden
Athener eine wichtige Sache, aber der Staat als solcher empfangt seine
Bürger durch die Demen und macht in zweifelhaften Fällen von ihrer
öicnpi^tpiatg deren Hecht abhängig — vorbehaltlich der richterlichen
Entscheidung, wovon gleich ein Mehreres. Ebenso — und das ist das
zweite — vermittelt der Staat seinen Ansprach an das Grundvermögen
seiner Bürger durch die Demen; wenn eine Vermögenssteuer erhoben
wird {iäv ng üatpoQu yiVfjrai äitö r&v x<x>9ta}v rof) Tifi^fiaTog Corp.
Inscr. Gr. Nr. 103 = C. I. A. II 1059), so läßt sie der St^at nach den
äitoyQcetpaiq der Demarchen und mit ihrer Hilfe erheben. Nur will
es mir scheinen, als ob der Demarch unmittelbar im Namen des
Staates eigentlich nie verfahrt; wie denn die Anfertigung der Kataloge
für den Heerdienst, die Sicrip7j(pi(rig unter unmittelbarer Mitwirkung
der Bule vor sich geht; ebenso wird die üatpoQd durch Vermittelung
einer anderen Behörde zwar nicht eingezogen, aber doch an den Staat
gebracht sein (s. u.).
Noch bleibt uns ein Umstand zu besprechen, der, wie mir scheint,
für das Wesen der attischen Gemeindeverfassung sehr bezeichnend ist.
Wohl kann ein Demos in der Stccifßijiftaig einen Demoten als nicht
berechtigt ausschließen, aber es steht dem frei an ein Gericht zu
appellieren. Ich erinnere mich keiner Stelle, nach der das kmßoXijv
ämßäkXsiv der Gemeinde zuständig wäre; wenn aber, so waren das
Polizeistrafen xmd stand gewiß der Rekurs an das Gericht frei. Weder
die Diaiteten noch die Vierzig sind in irgend einer Weise demotisch;
sie verfahren von Staatswegen. Mit einem Wort, die richterliche Ge-
walt ist in Attika auf vollständigste Weise ein Hoheitsrecht, nur im
Namen des Staats und durch die von Staatswegen Erwählten oder
[401] Erlosten wird das Recht gehandhabt, ein Umstand, der die
378 ^^6 atÜBche Communal Verfassung
attische Communalyerfassung auf die YoUstäDdigste Weise von den
meisten Gemeindebildungen anderer Zeiten unterscheidet ^
Mit den Demen zugleich wurden die zehn Phylen eingerichtet.
Der Staat nämlich bedurfte, wenn er nicht völlig unbehülflich sein
wollte, Gliederungen für seine Administration; daß die etwa 170 Ge-
meinden diese nicht sein konnten, liegt in der Natur der Sache. Er
konnte sich der herkömmlichen zwölf Phratrien oder der zwölf Trittyen
oder der vier alten Phylen bedienen. Aber keine dieser Teilungen
hatte diejenige innere Organisation, die dem demokratischen Charakter
nicht bloß der Demen, sondern auch der Gesamtverfassung entsprechend
gewesen wäre; man hätte Änderungen mit ihnen vornehmen müssen,
die zum teil religiöse Verhältnisse mit verletzt hätten. Es war leichter
lieber völlig neue Einrichtungen zu trelBfen, man konnte sie dann völlig
dem Zweck angemessen machen. Man gewann damit zugleich den
Vorteil, eine Menge alteingewurzelter Beziehungen, deren Einfluß sich
oft genug verderblich gezeigt hatte, dem Bereich der staatlichen Ver-
hältnisse fem zu halten.
Dieselbe Sicherheit und Kühnheit, die schon die Gründung der
Gemeinden auszeichnet, offenbart sich nur in noch höherem Grade in
der Einrichtung dieser neuen Phylen.
Wenn man sagen sollte, auf welche Basis diese Einteilung gemacht
worden, so würde man in einige Verlegenheit geraten; entschieden
keinerlei historische oder geographische Motive lassen sich entdecken.
Aber darin gerade steckt das wesentliche. Es ist ganz bezeichnend,
was irgendwo erzählt wird: Kleisthenes sei gen Delphi gegangen und
habe [402] den Priestern die Namen von hundert Heroen vorgelegt
zur Auswahl der zehn, die er brauchte. Zehn Namen aus der mythischen
Geschichte Attikas, ohne alle Beziehung unter einander oder zu dem,
was sie benennen sollen, werden die Eponymen dieser neuen Einteilung;
jedem wird eine Anzahl Demen — ob ungefähr dieselbe, ist nicht zu
sagen — zugewiesen, aber so, daß diese Demen nicht etwa einander
nahe liegen, sondern über die ganze Landschaft zerstreut. Warum
das? offenbar nicht in der Besorgnis für die öffentliche Sicherheit, die
ein früher angeführter Scholiast dem großen Staatsmann zutraut, son-
^ Auch Wachsmuth noch schreibt den Demen das Münzrecht zu; ee wäre
eine wunderliche Anomalie in der Verfassung. Wie jetzt die Numismatik Attikas
steht, sind nur Münzen von Eleusis sicher; die von Anaphlystos ist ein bedenk-
liches Unikum; die von Dekelcia hat nur der alte Froehlich gesehen, seitdem
ist sie verschollen; die mit AAYPES2N falsch gelesen, die von Marathon fnlflch,
andere angeblich attische haben gar keine attischen Namen.
Die attische Commiinalverfassung 379
dem damit jede landschaftliche Sonderung und Verschiedenheit sich
desto völliger ausgleiche, in jeder Phyle Yon dem attischen Gesamt-
Yolk, dieser idealen Einheit aller lokalen Unterschiede, ein gleicher
Teil sei.
Jede dieser Phylen bildet nun zunächst in sich selbst wieder eine
Gemeinde, in ihrer Verfassung der der Demen analog, mit Versamm-
lungen, Beamteten {imfuXrjri^gj rccfuccg u. s. w.), eigenem Grmidbesitz
(namentlich refiivi] der Eponymen), eigener Verwaltung u. s. w. Freilich
der behagliche Verkehr naher Nachbarlich keit und die stete Gemein-
samkeit der nächsten Interessen ist es nicht, wie in den Demen; die
Zusanunenkünfte der Phyleten haben der Natur der Sache nach etwas
Feierlicheres, Offizielleres; die Interessen, die man in der Phyle mit
einander hat, sind größerer Art. Es versteht sich nach der attischen
Weise von selbst, daß nicht die Demen als solche Bestandteile der
Phylen sind, und also an Collectivstimmen oder Repräsentation nicht
zu denken ist, wenn auch immerhin die äußere Ordnung innerhalb der
Phyle nach den Demen bemessen sein wird.
Im Verhältnis zum Staat haben die Phylen eine doppelte Bedeu-
tung. Einmal sind sie die wesentlichen Organe zur Ausführung alles
dessen, was der Staat an Leistung für das 0£fentliche vom Gesamtvolk
erwartet; sodann bieten sie die Form dar, in der das Gesamtvolk als
Staat constituiert ist und sich regiert Ich brauche diese loseren Aus-
drücke, um, wie ich hoflfe, die Gesamtheit der betrefifenden [403] Ver-
hältnisse damit zu umfassen. Zunächst muß wieder darauf aufmerksam
gemacht werden, daß nicht etwa die Phylen als solche die Bestand-
teile des Staates bilden, wie etwa vom ältesten attischen Staat gesagt
werden konnte, er bestehe aus den zwölf Phratrien, sie seien die Mo-
naden; vielmehr die Staatseinheit ist und bleibt die Monade, aber fär
die inneren praktischen Thätigkeiten des Staates gliedert sie sich zu
jener phyletischen Einteilung, um nicht zu sagen Verteilung.
In betreff der beiden oben erwähnten Beziehungen genügt es, das
Wesentliche hervorzuheben. Es ist bekannt, wie seit Eleisthenes in
allen öffentlichen Verhältnissen, namentlich in den coUegialischen Staats-
behörden (die sechs Thesmotheten sind fast die einzige Ausnahme) die
Zehnzahl vorherrscht; überall, wo sie ist^ zeigt sie die Projizierung auf
die Phylen an, und zwar eine solche, daß in jeder solchen Behörde
je einer aus jeder Phyle ist; so die zehn Strategen, rafiiai, a(oq)QO'
viarai u. s. w. Auch die ßovXy hat in ähnlicher Weise je fünfzig
Mitglieder aus jeder Phyle, und in der Bule, wie wenigstens meist in
den anderen ägx^^^t wechselt dann der Vorsitz nach den Phylen. Bei
der Bestellung dieser Behörden aber scheint ein anderes Prinzip obzu-
380 I^ie attische Communalverfaesang
walten, als bei der der phyletischen. Wir sahen schon, daß das Losen
der Archonten wahrscheinlich von Heisthenes eingeführt worden; ich
denke, er wird auch das Losen der übrigen zahlreichen Beamtungen —
denn bei den meisten gilt fortan das Los — eingeführt haben, er wird
namentlich auch die unendlich weitläufigen Wahlen der 500 Buleuten
abgestellt und dafür das Losen aus den drei ersten Klassen veranlaßt
haben. Alle diese Behörden aber, geloste wie gewählte, gehen, obschon
sie nach Phylen besetzt werden, nicht etwa aus der Wahl oder Losung
der einzelnen Phylen hervor, sondern die gesamte Ekklesie oder das
Losen unter Leitung der Staatsbehörde bestellt aus jeder Phyle einen.
Eine Verbindung beider Prinzipien scheint in der Bestellung der He-
liasten erkennbar zu sein, wenn anders ich mir erlauben darf, über
eine viel verhandelte Streitfrage [404] mit so positiven Äußerungen
hinwegzugehen: durch die Archonten werden aus jeder Phyle 600
Bichter durch das Los bestellt, die dann wieder in zehn Sixaart'iQta
zu 500 und je 100 Ersatzmännern verteilt werden; aber diese dixaa-
xiiQia sind nicht phyletisch bei einander, sondern aus allen Phylen
gemischt.
Die Leistungen für das Öffentliche, die durch die Phylen ver-
mittelt werden, sind mannigfacher Art Zunächst erwähne ich die
Choregien, Speisungen, Gymnasiarchien u. s. w., die, wenn nicht zu
freiwilliger Leistung von einzelnen angeboten, den durch ihr Vermögen
dazu Verpflichteten innerhalb jeder Phyle nach bestimmter Folge auf-
getragen werden; wenn anders schon Kleisthenes diese verschwende-
rischen Leistungen verfassungsmäßig festgesetzt haben sollte. Minder
zweifelhaft scheint es, daß schon damals die mannigfachen Bauunter-
nehmungen, die den Nutzen und die Sicherheit des gesamten Staates
betrefien, dem Wetteifer der Phylen überwiesen worden sind. Vor
allem aber kommt in diesem Zusammenhange das Militärwesen in
betracht. Die Schätzung bestimmte die Verpflichtung der einzelnen
Bürger zum Dienst als Reiter, als Hopliten, zur See (resp. als x/jiXoi),
daher war der Demarch bei Anfertigung des xaräloyog notwendig;
aber die Aushebung geschieht nicht durch den Demos, sondern nach
dem Erlaß des CoUegiums der Strategen (enthaltend die Angabe der
„Eponymen" s. Harpoc. v. argaTiicc) durch die Taxiarchen (und Phyl-
archen), die gleichfalls erwählte aus jeder Phyle sind; erwählt durch
die Phyleten, wie ich doch glauben möchte, und nicht in der Ekklesie.
So besteht denn das attische Heer aus den zehn phyletischen rd^eii^
und den ebenso vielen Reitergeschwadern. Immerhin mag in der ein-
zelnen rä^ig sich die demotische Genossenschaft geltend gemacht, auch
wohl zusammengehalten haben; offiziell ist die rä^ig schwerlich nach
Die attische Communal Verfassung 381
Demen geschart, wie denn auch die Verzeichnisse der Gebliebenen
(Corp. Inscr. Gr. No. 165 — 171 = C.L A. I432fif.) aus vormakedonischer
Zeit nur die Phylen nennen: das Speziellere darf ich übergehen. Ich
fuge nur noch ein Wort über das Seewesen hinzu. Nach der Ver-
fassung des Eleisthenes [405] bleiben die Naukrarien, aber nach dem
System der zehn Phylen auf fünfzig erhöht; und aus den fünfzig
Schiffen, die Athen vor der Zeit der marathonischen Schlacht zu stellen
vermag, wird man entnehmen dürfen, daß die Naukrarien ihre Be-
ziehung auf das Seewesen behalten haben. Verpflichtete die Schätzung
der zweiten Klasse zum ßeiterdienst^ die der dritten, der Hufner, zum
Hoplitendienst, so werden die Pentakosiomedimnen wohl die Pflicht
der Trierarchie gehabt haben; denn als Strategen, Taxiarchen, Hipp-
archen, Phylarchen konnte doch immer nur ein kleiner Teil der Mit-
glieder dieser Klasse in Anspruch genommen sein. Hiernach wäre
also anzunehmen, daß die Mitglieder der ersten Klasse in jeder Phyle
in fünf Naukrarien verteilt gewesen seien, jede mit der Pflicht eine
Triere zu leisten, deren Trierarch dann der Reihe nach je einer dieser
Naukrariengenossen werden mußte. Wie bald dies System Themistokles
mit der Gründung freiwilliger Trierarchien durchbrach (Polyaen. 1 30, 5),
ist bekannt An diesem Punkte dürfen wir zu einer früheren Andeu-
tung zurückkehren. Thukydides sagt (III 19), zum ersten Male hätten
sich im Jahr 428 die Athener eine Bla(poQa auferlegt; und es dürfte
schwer sein, einer so ausdrücklichen Angabe geradehin zu wider-
sprechen; wenigstens vorgesehen, sollte man meinen, müßte in der Ver-
fassung des Kleisthenes der Fall einer solchen außerordentlichen Be-
steuerung sein. Aber hätte denn wirklich in der Solonischen Verfassung
eine Staatsbesteuerung gar nicht existiert? und doch sollte sein ganzes
System der politischen Einteilung eben nach dem Maße des steuer-
baren Vermögens gemacht sein? und wird nicht angegeben, daß eben
Selon den Namen der cpögoi in den gelinderen der awrü^etg ver-
wandelt habe? Ich denke es wird niemandem glaublich erscheinen,
daß Peisistratos die Sexärrj erst eingerichtet habe; es scheint eine alte,
durch Selon vermöge des rtfirjfjbcc allerdings wesentlich erleichterte
Steuer gewesen zu sein, welche Peisistratos fort erhob, bis seine Söhne
sie auf eine dxoary herabsetzten. Nun finden wir fernerhin eine
BixoaTfj vom Grundertrag als Staatssteuer nicht mehr, wohl aber wird
unter den Gemeindebeamten ein [406] dxooroMyoq genannt. Es
wäre nicht unmöglich, daß Kleisthenes die dxoarti zu einer Communal-
abgabe gemacht hätte, das um so mehr, da der Staat schwerlich eine
andere Ausstattung für die neugegründeten Communen und für deren
vielfache Ausgaben (Bafuten, Straßen, Gymnasien, Feste u. s. w.) auf-
382 Die attische Commanalver&ssung
bringen konnte, und da andererseits kaum eine andere, wenigstens
keine gerechtere Steuer für die Gemeinden denkbar ist als diese regel-
mäßige Vermögenssteuer auf Grund der änoyQatpcclj die in den Händen
der Demarchen waren. Wenn so nach Kleisthenes Verfassung der
Staat mit einem guten Teil der Verpflichtungen, die früher ihm obge-
legen, auch eine regelmäßige Einnahme an die Communen abtrat, so
mußte er für den Fall, daß zu den regelmäßigen Ausgaben, für die
seine regelmäßigen Einnahmen ausreichten, deren außerordentliche
kamen, sich außerordentliche Maßregeln vorbehalten, eben die eiatpopä;
und die nötigen Bestimmungen für dieselbe werden bereits von Klei-
sthenes getroffen worden sein, wenn auch der herrliche Wetteifer frei-
williger Leistungen in der Zeit der Perserkriege es nicht nötig gemacht
haben sollte, eine solche zu fordern. So dürfen wir hier von der
Bla(f'OQÜ sprechen. Allerdings haben die Demarchen mit derselben zu
schaffen. Aber wie wird sie beschafft? Der Staat verpachtet sie nicht
wie seine meisten anderen Einnahmen; soll er nun unter dringenden
umständen warten, bis alle die kleinen Einzahlungen zusammen-
kommen? soll er selbst die säumigen einklagen? Aus der Analogie
späterer Einrichtungen wird es wahrscheinlich, daß nach der Eleisthe-
nischen Verfassung jene fünfzig Naukrarien der Pentakosiomedimnen
verpflichtet sind, die sofortige Einzahlung zu machen, wofür ihnen dann
die weiter Verpflichteten schuldig sind und durch Vermittelung der
Demarchen die geleisteten Vorschüsse einzahlen. Eine Annahme, zu
der ich einen Anlaß in der schon früher angeführten Notiz über die
Naukrarien fiüde: oinvsg Acp ixätrrrjg x^Q^'i '^^^ dafpoQccq i^iXeyov,
wobei freilich die Bedeutung des Wortes Naukraren für die naukrarisch
eingeteilten Pentakosiomedimnen zu belegen keine weiteren Beispiele
[407] vorliegen. Daß es im Demosthenischen Zeitalter nicht mehr so
war, würde kein Gegenbeweis sein.
Haben diese Gombinationen einige Wahrscheinlichkeit, so muß
man annehmen, daß nicht die Pentakosiomedimnen, sondern der ganze
Grundbesitz innerhalb jeder Phyle — doch wohl nach Demen — in
fünf Naukrarien verteilt war. Mit gutem Grunde ist vermutet worden,
(laß auch für den Reiterdienst in der neuen Verfassung die Analogie
der früheren naukrarischen Bestimmungen geblieben sei, daß also auch
ferner jede Naukrarie zwei Reiter stellte, natürlich aus der Klasse der
inTteiQ und unter ähnlichen Bestimmungen wie für die Trierarchie
stattfanden. Und endlich wird nicht auch die Bemannung der Trieren
nach derselben naukrarischen Weise aus dem Katalog derer, die das
i^f]T txov relaiv bezeichnet, bestellt sein? Mit einem Wort, das ganze
Kriegswesen mit Einschluß der BlacpoQä — denn die bezüglichen
Die attische Communalverfasaung 383
Prozesse gehören vor die Strategen — hat die modifizierte naukrarische
Einrichtung zu ihrer Grundlage.
Früher bildeten ja vier Naukrarien eine TQiTTvq\ bei der neaen
Einrichtung blieb zwischen den Naukrarien und Phylen keine Stelle
mehr für die Trittyen. Wenn Aeschines (gegen Ktesiphon § 30) nach
Phylen, Trittyen und Demen erwählte Beamtete mit der Bestimmung
Tcc SrjfAÖaia /pz/jtiaTa Siccx^tgiC^Biv erwähnt, so mögen diese Trittyen
einer späteren Einrichtung angehören (in Demosthenes Symmorienrede
findet sich darauf hinführendes). Etwas sehr anderes muß .Plato (Rep.
VS. 475 a) im Sinne gehabt haben, wenn er dem (rcgatriyBlv das
TQixrvaQx^iv als etwas sehr Hohem sehr Unbedeutendes entgegensetzt.
Was aber mit dem früher angeführten ETTAKPEQN TPITTYOI an-
fangen? Die damit erwähnten Opfer (?y k<; Illm&iag ?) ^g 'Enax^iag
fi kg 'A&rivaiovg) lassen glauben, daß sich die Erinnerungen und Heilig-
tümer der alten Trittyen noch späthinab erhalten haben; und das ist
um so denkbarer, da sie die einzigen wirklich landschaftlichen Ver-
bindungen waren, die es in Attika gab, Verbindungen, die doch eine
gewisse Lebendigkeit behaupteten, wie man dem wackeren Philokieon
in Aristophanes [408] Wespen wohl anmerken mag. Doch ich be-
kenne, daß diese Lösung der Frage mir selbst nicht genügt.
Schließen wir hiermit die summarische Übersicht des attischen
Communalwesens, wie es Kleisthenes gegründet. Möge sie es zur An-
schauung gebracht haben, welche eigentümliche Stellung innerhalb der
attischen Verfassung diese Phylen und Demen einnehmen, die, wie
wir es zu Anfang aussprachen, nicht historisch erwachsene Organismen,
sondern recht eigentlich Schöpfungen staatsmännischer Intuition zu
nennen sind. Es wird nun gerechtfertigt erscheinen, daß wir, um
diese Gründungen zu erläutern, uns auf eine Durchmusterung der
früheren staatsrechtlichen Entwickelungen eingelassen haben; erst im
Verhältnis zu diesen erhalten jene ihre rechte Bedeutung. Wie merk-
würdig geschieden und geordnet stehen nun die verschiedenen Ablage-
rungen der attischen Geschichte als ebenso viele wesentliche Momente
einer erfüllten Gegenwart da. Die Formen des alten geschlechter-
lichen Staates tragen und halten noch immer die Summe des religiösen
und Familienlebens; auch Culte wie die Eleusinien, wie der Dienst
der Polias und des ApoUon Patroos ruhen auf ihnen. Entschieden
nicht hat Kleisthenes sie in diesen gedeihlichen Wirksamkeiten stören
wollen, aber es werden ihnen die Kreise allein, die ihnen gebühren,
überlassen. Wir sahen, wie allmählig sich die Idee der Staatseinheit
durchbildete, wie sie nach und nach alle Stände aufnahm; auch ihre
Culte hat sie sich geschaffen. Diese einheitliche Gewalt der Staatsidee
384 Die attbcbe Commonalyer&asung
gewann ihren vollsten Ausdruck in der Solonischen Legislation in der
Art, daß das erhabenste Prinzip des antiken Staates xvQioq 6 vöfAog
sie bezeichnet Man braucht wohl die banale Phrase: im Altertum
sei der Mensch gar nichts anderes als politisch; eine Abstraction, die
von dem Spartanertum, wie es wenigstens der Theorie nach war, sehr
unbehutsam auf alles Mögliche übertragen worden ist; in der attischen
Demokratie hatte nicht bloß das häusliche und Privatleben, die Sitten
und die socialen Verhältnisse einen weiten und freien Raum, sondern
in jedem Communalwesen schuf Kleisthenes diejenige [409] Sphäre,
die zwischen jenen und dem staatlichen Leben eine fühlbar gewordene
Lücke füllte. Man mag, wenn man will, in der scharf ausgeprägten
Plastik dieser Verhältnisse etwas recht hellenisches finden; es ist be-
wunderungswürdig, wie klar und entschieden alle diese Kreise gegen
einander abgesetzt, jeder völlig rein neben dem» anderen geschlossen
ist; es dürfte schwer sein, irgend eine Verfassung älterer oder neuerer
Zeit zu finden, in der auf gleich musterhafte Weise Staat und Gemeinde
gegen einander abgegrenzt wären. Der attische Staat besteht nicht
aus monadischen Gremeinden, aber auch die Gemeinden sind nicht
Staatsfragmente, sondern der Staat hat sich damit erst rein und völlig
als Staat constituiert, daß er die communalen, die religiösen, die stän-
dischen u. s. w. Verhältnisse gleichsam aus sich entläßt; hier wo das-
selbe Volk Herrscher und beherrscht ist, dasselbe Volk Träger des
Staats, der Gemeinden, der Geschlechtergemeinschaften, der Mysterien,
der mannigfachsten religiösen und socialen Vergesellschaftungen ist,
hier giebt es keinerlei Eifersucht zwischen Staat und Commune,
keinerlei Rivalität zwischen Staat und Kirche, keinerlei patrimoniale
Polizeilichkeit des Staates gegen die private Freiheit. & sind Ver-
hältnisse, die in ihrem Inneren alle Garantien der Sicherheit, des
gedeihlichen Bestandes, der allgemeinen Befriedigung haben, ein inneres
Gleichgewicht aller Kräfte, aller Bedingungen und Wirkungen, in dem,
so scheint es, auch die Leidenschaften gebunden sein und weiteres
Verlangen ruhen könnt«, wenn nicht beide auch ihr Recht forderten,
„sich frei in moralischer Richtung zu entwickeln".
In Wahrheit, auf eine friedliche, ehrbare, man möchte sagen selbst-
genügsame Weise des inneren Lebens war dieser Staat des Selon und
Kleisthenes eingerichtet, stark genug nach Aussen, wie damals die
hellenischen Verhältnisse waren, sich seine Selbständigkeit in fester
Abwehr zu sichern, im Inneren von der schönsten Harmonie der
Pflichten und Rechte, die Einheitlichkeit durch Gericht und Ekklesie
wohl gewahrt, die Verwaltung auf Grund der Phylen reich gegliedert,
die naukrarischen Leistungen mäßig, für den W^etteifer [410] der
Die attische Communalverfassung 385
Kelchen zum Wohlwollen gegen den kleinen Mann ein weites Feld,
ohne anderen Antrieb als gerechten Ehrgeiz, ohne anderes Verpflichten
als den Dank unabhängiger Menschen; — ein rechter Friedensstaat.
Da mochte Eleisthenes wohl meinen, was einst Aristeides ausgesprochen:
man habe das Ziel erreicht. Aber es gab schon andere, die da meinten:
nun erst fange man an.
Es folgten schwere Kriegsjahre: der Neid der Nachbarn stürzte
sich auf Attika; glorreich bestand man sie alle; dann stürmten die
Perser daher; bei Marathon wehrte man die Barbaren ab, die Peisi-
stratiden mit ihnen. Der kühne Themistokles entzündete den Ehrgeiz
einer großen Zukunft; seinen trierarchischen Gründungen dankte Athen
und Hellas den Tag von Salamis. Man ertrotzte eine gleiche Stellung
mit den stolzen Spartiaten, zum steten Kampf gegen die Barbaren,
zur Befreiung der ionischen Hellenen jenseits des Meeres. Es ward
jene Eidgenossenschaft gegründet, deren Beitrage Aristeides ordnete.
Man war an dem entscheidenden Punkt.
Macht und Buhm sind für edles Streben schönster Lohn; aber
als Ziel des Strebens mißleiten, entadeln sie es, überreizen die Stre-
benden, um sie dann verwildern oder erschlafTen zu lassen. Kvqiov
(üivBi riXog. Wie großartig, glänzend und hehren Ganges auch Perikles
Staatslenkung erscheint, er hat den attischen Staat aus seinen Fugen
getrieben: die Gründungen des Selon und Kleisthenes trugen den
kühnen Bau nicht, den Perikles über sie emportürmte; und neue
Formen für den tiefgewandelten Inhalt fand er nicht Als dieser Staat
zu einem Reich, die Eidgenossenschaft zu TJnterthanen, der Demos von
Athen zum Begenten, seine Herrschaft — das ist Perikles eigenes
Wort — zur Tyrannis wurde, da war es freilich das kleinste Übel,
daß der Areiopag, wie ihn Selon ausgestattet, gebrochen wurde, das
größere, daß der kleine Mann mit Eitelkeit und Gewinn und stolzem
Schaugepräng gen Athen geködert wurde von seiner Hufe und seinem
Gewerbe hinweg, das größte, daß dies Völkchen altertümlicher Sitte
und schlicht bäuerlicher Pfiffigkeit [411] in das Prunken und Prahlen
kam, sich an Genießerei, Frivolität und Frechheit gewöhnte, in kaum
drei Menschenaltem bis zu jenem völligen Verderbnis gelangte, das
selbst Alkibiades Genialität nicht vergessen macht, selbst Aristophanes
unvergleichliche Kunst nicht rechtfertigt — ein Verderbnis, wie es in
Rom erst dem mißglückten Streben der Gracchen und nicht aus dem
Glückesübermut, sondern dem Elend der Menge gefolgt ist.
Kiel, April 1847.
DroyBCD, Kl. Schriften 1. 25
Zn den griechischen Beischriften
von fonf ägyptischen Papyren zn BerUn
(oben S. 1 flp., vgl. S. 41).
Mit den von Droysen zuerst gelesenen Texten hat sich seitdem
E. Revillout (in seiner Nouvelle Chrestomathie Demotiqm und in seiner
Bevue Egyptologique) gelegentlich beschäftigt. Für den vorliegenden
Zweck schien es nicht geeignet, die Abweichungen seiner Lesungen
von den meinigen anzuführen. Icli gebe nur, was ich auf den Originalen
gelesen habe.
^o. 37.
1. 'Etov^ vß Ucc/mv Tb Ti[TaxTat) kni rijv iv'Eon{(üV\fii) rQÜ[7tB^av\
h(f> i;t; !Afip(A{viog), 7 (= SexÜTijg) kyxv[x)Jov) xarä Stay()u[(pijv)
ÜTolBfiatov TBl{(6voif), vcp fjv V7lOyO(i{(pBl)
2. jifijlKüVlOg 6 dsVTiyQCc{(fBVg), '£(TOfj()ig "Si(JOV flJ/).{ov) Td(yTOl')
n{fj/(üv) i hv ITaxifiB/, Sv ymfi){(TaTo) nccQ Ifiovßov tov Qotbv'
Tov Ta[Xccvrcöv) ß TiX[o^ arr,
3. !Afjip(^{vio<^) T{}a{7iB^hji>;),
No, 38,
1. 'Etov^ Xa <l>afjLBVfüih xa Ti(TCCXTai) kni ri^v kv 'EoncuvtHi tqu-
TiB^ccv, k(p liq !/inoX'Müvtog, ^ (= Blxofrrfjg) iyxv{x)jov) xarci
T/jv naQcc ZfiTvoi^ xai riov plb{tö^(ov) röv n{)6g tTji rovrji Sta-
yocecf'hv, vcf' tiv vnoyQÜtfBi 'Aiipuovioq 6 ccvTiyQ[a(pBvg),
2. (hvTi^ ^^oog "iioov xfJi)J{ov) TÖ{7tov) nt]/{cHp) ß xai rcuv apcoi-
xoSo[fii]yBV(tni) TÖv 6vT(ov ünb v6[tov) xai Xi{ßdc;) fiB{QOvg) rtor
MBfi(vovBt(ov) kvrbg tov TBi'xovg, i^g ai yBiTOviai nQOXBtvrai öiä
rTjg (Tvyy^{a(pTjg)j ov ijyÖQa{fTBv) naQcc ^Bvv/jmog Tijg 'Ifiov-
»^01' xai
Zu den griechischen Beischriften u. s. w. 887
3. SSBfifiivtog Tfjg IlBTBX&vrog ;|fa(Äxoö) TCc{?.(ivT(ov) ß riXog i^a-
xoGiaqy'X' ^noXkfüVtog rQix{nB^iri]g).
No. 39,
(1) ^Erovg i8 Tov xai ta Mbxb)(j A Ti{Tccxrcci) int rijv kv 'Eq-
fi{(&vd'Bi) r(}a{n6^av), ktp J;§ AiOvv[aio<i)j ^ {= SsxÜTijg) iyxv{xXiov)
arorror Staypcc{(piiv) V^evxc^votog) (2) rBX{(6vov\ v(p fjv imoy(}ä{(pBi)
a
*HQa{xlBidT]g) 6 üvTty(}a(p{Bvg), ***' äno *0<TOQflQtg (*'*) "il{)ov üno
Tc{Xot»s) (?) oix^ag) (üxodo{fit}fiBV7]g) xai Sbx (lies: SBSoxtofiivrjg) (3) c:'
(= IxTOv) fiB{Qovg) ivT\_d']g rod (pQOVQtov t((i>v) Mb(i{vovbUov\ 8v
i^&Bro ccvTß>t Tavovg rf^g XtxnxQ&rig (4) ngbg Xf^Xxov) rü[XavTa)
[ß] rBX{og) Uta. Jt{ovvatog) TQix{nB^iTi]g).
No. 40.
Z. 2 1. '0(Toooi)()iog. — Z. 4 1. JSvaxofAVBvg.
No. 41.
1, L(= izov^ xy Xoiax xO- niitrcoxBv x (= bIxo(ft fjg) hyxvxXiov
iv Aiog n6[XBi) tTji jaB{yäX'iji)
2. olxiag int tov 'HQaxXBiov, ijv iyögccaBv (sie) EgtBvg WBvccv(fTiog
naQcc 2bV'
8. A-awriog iAB{yaX7jg) xai JSBV&mvriog f/Li{xgäg) xud-ört nQÖXBiTat
ävff /y[ ] . .
Breslau» Dez. 1892.
u. w.
25
Ti f r
KLEINE SCHRIFTEN
ZUR
ALTEN GESCHICHTE
VON
JOHANN GUSTAV DHOYSEN
ZWEITER BAND
LEIPZIG
VERLAG VON VEIT & t!OM?.
1894
Druc^ TOD Meftgger & Wittig in Lelprig.
Vorwort.
Auf den mehrfach von Fachgenossen geäußerten Wunsch haben
wir, entgegen dem im Vorwort zum ersten Band (S. IV) gesagten, die
Doktordibsertation vom Jahr 1831 als Anhang hier wiederholt Bei der
lebhaften Teilnahme, die sich durch die großen Funde von Papyrus-
Urkunden jenen Zeiten jetzt von neuem zuwendet, schien es doppelt
geboten auch diese Arbeit wieder zuganglicher zu machen, in der
der umfassende Blick und die gestaltende Kraft des jungen Verfassers
trotz der fremden Sprache schon so glänzend hervortreten. Professor
Ulrich Wilcken in Breslau hat, um ihre Benutzung zu erleichtem,
eine Reihe von Anmerkungen hinzugefügt; wofür ihm besonderer
Dank gebührt
Berlin, Mai 1894.
E. H.
. I ;
t ■
Inhalt.
Seite
Vorwort III
I. Des Aristophanes Vögel und die Hermokopidon ... 1
A. Chronologie des Hermokopidcnprozesses 2
B. Der Hermenfrevel 12
C. Die Prozesse vor Abfahrt der Flotte 20
D. Die Prozesse nach Abfahrt der Flotte 34
E. Die Komödie in Ol. 91 2 48
IL Zur griechischen Litteratur
Anzeige von Bernhardy, Wogcncr und Ritschi 62
III. Zur griechischen Tragödie
a. Phrynichos, Aischylos und die Trilogie 75
b. Kritische Notizen zum Aischylos 104
c. Die Tetralogie 118
IV. Die Auffüh-rung der Antigone dos Sophokles in Berlin . 146
V. Die Wandgemälde im Ball- und Concortsaal des König-
lichen Schlosses zu Dresden 153
Die Anordnung des Saales 155
Die Hochzeit der Thetis 156
Apollon und Dionysos 158
Das Alexanderfest 164
Die Künste 169
Griechisches Leben 176
VI. Bemerkungen über die attischen Strategen 182
V^IL Zu Duris und Hieronymos 201
VIIL Alexander des Grossen Armee 208
IX. Beiträge zu der Frage über die innere Gestaltung des
Reiches Alexander des Grossen 232
X. Die Festzeit der Nemeen 253
XL Zum Finanzwesen der Ptolemäcr . , 275
Anhang 1. Arsinoe Philadelphos 295
Anhang 2. Die KupferwÄhrung 298
XIL Zum Finanzwesen des Dionysios von Syrakus 306
XIII. Zum Münzwesen Athens 321
Anhang I. Die Abnutzung des attischen Silbergcldes .... 342
Anhang IL Die Legierung als Criterium 344
IV Inhalt
Seite
Anhang: De Lagidarum regno Ptolemaeo VI Philometore rege
Praefatio 351
Caput primum 354
Caput secundum '. 363
Caput tertium 400
Theses controversae 431
Vitae corriculnm 432
Anmerkungen von U. Wilcken ^ 432
Verzeichnis von Joh. Gust. Droysene Schriften zur alten Geschichte und
zur griechischen und römischen Litteratur 444
I.
Des Aristophanes Vögel und die Hemokopiden.
Kheinisches Museum für Philologie herausgegeben von F. G. Welcker und
A. F. Näke Bd. HI 1835 S. 160 fF. IV 1836 S. 27 ff.
[161] Als ich neuerdings veranlaßt war, mich mit den Aristo-
phanischen Vögeln genauer bekannt zu machen und die treffliche
Abhandlung unseres Süvem^ in ihrem reichen Detail näher zu prüfen,
drängten sich mir zwei Fragen auf, welche ich von ihm und den
früheren Auslegern jener Komödie nicht berücksichtigt fand.
Die Vögel des Aristophanes sind so geistreich und so künstlerisch
vollendet, daß man sie leicht die schönste unter den erhaltenen Ko-
mödien nennen möchte; dennoch ist dem concurrierenden Stücke des
Ameipsias der Preis zuerkannt worden*: hatte das attische Publikum
noch irgend Geschmack, und daß es ihn bei allen Verirrungen der
modischen Kunst mindestens für die Komödie noch hatte, beweiset der
Sieg der Acharner, der Kitter, der Frösche, so naüssen andre als kunst-
richterliche Gründe die allgemeine Stimme geleitet haben. Aber welche
sind diese? Waren sie vielleicht politischen Charakters?
Hieran schließt sich eine zweite Frage. Unter der bedeutenden
Zahl von Personen, die in dem Stücke durchgezogen werden, ist keine,
deren Namen in dem großen Hermokopiden- und Mysterienprozeß des-
selben Jahres Ol. 91 2 vorkäme, obschon die etwa sechzig oder siebzig
Männer, die wir als in demselben verwickelt namentlich kennen,
mehr oder weniger zu den Notabilitaten Athens, auf welche natürlich
die Geißelhiebe der Komödie zunächst und zumeist fallen, zu [162]
zählen sind. Warum nennt Aristophanes keinen von diesen allen? denn
* Über die Vogel des Aristophanes, in den Denkschriften der Berliner
Akademie aus dem Jahre 1827.
' Argum. ad Aristoph. Aves.
Drojaen, KL Schriften 11. 1
2 Des Aristophanes Ydgel
daß ich es nur gestehe, auf Alcibiades, wie es Süvern so stark hervorhebt,
ist in dem Stücke wenigstens die Beziehung nicht, welche er zu finden
gemeint hat.
Diese Fragen führten mich darauf, den großen Prozeß jenes Jahres
näher zu durchforschen, in der HoflEnung, in demselben einigen Auf-
schluß zu finden; und wenn schon die Resultate nicht von der Art
gewesen sind, wie ich sie erwartet hatte, so glaube ich doch für die
folgende Mitteilung, wenn sie die Chronologie und einzelne Haupt.-
punkte in dem stcUics caicsae jenes Prozesses näher bestimmt, Ent-
schuldigung zu finden.
A. Chronologie des Hermokopidenprozesses.
Nach den bekannten Untersuchungen von DodwelP und Corsini*
ist der Verlauf des großen Prozesses in neuerer Zeit von Sluiter^ und
von Hm. Wachsmuth® mit einiger Ausführlichkeit dargestellt worden.
Die Irrtümer, die sich hier und dort eingeschlichen, hat Hr. Becker^
in seinen Untersuchungen „über das Leben, die Schriften und die Litte-
ratur des Andocides" nicht Gelegenheit genommen zu berichtigen. Auch
in dem von Hm. Schiller besorgten Wiederabdmck der Sluiterschen
Arbeit®, der mir soeben zu Händen kommt, finde ich nichts Wesent-
liches nachgetragen.
Die Hermokopidensache steht in unmittelbarer Berührung mit
den Verhandlungen über die große zweite® sicilische [163] Expedition.
Die Egestaner hatten in Athen um Hilfe gegen Selinus gebeten und
große Dinge versprochen; athenäische Gesandte gingen mit ihnen
nach Sicilien, sich von der Wahrhaftigkeit ihrer Versprechungen
' Aunall. Thucydid. p. 184 sqq.
♦ Fasti Attici T. 1 p. 246 sqq.
* Leetiones Andocideae ed. Schiller p. 82 sqq.
• Hellenische Altertumskunde Th. 2 S. 192 und fiinfte Beilage S. 444 ff.
' Andocides übersetzt und erläutert von A. G. Becker S. 18 ff.
* Sluiter leetiones Andocideae, Lipsiae 1834.
' In der Regel beachtet man es zu wenig, daß bereits zehn Jahre vor der
großen Expedition ein Zug nach Sicilien unternommen, ja daß ein solches Unter-
nehmen schon bei Periklcs Lebzeiten ein Lieblingsproject der ultrademokratischen
Männer, der Bewegungspartei war. S. Plutarch Pericles 20 Diodor. XII 54.
Erst nach dem Tode des großen Mannes kam die Sache, der er sich stets wider-
setzt hatte, zur Ausfuhrung; seit dem Frühjahr 426 gingen mehrere Gesdiwader
nach einander gen Sicilien, und nach dem Falle von Pylos, als das Volk über-
stolzer Hofiiiungen voll war, dachte man schon auf einen Angriff gegen Karthago;
es ging das Gerücht, Hyperbolos werde auf die Ausrüstung von 100 Trieren zum
Seezuge gegen die Puuier antragen (Aristoph. Equit. 174. 1308.)
und die Hermokopiden 3
ZU Überzeugend^. Zugleich mit dem Frühling Ol. 91 1 (415) kamen
sie mit den besten Nachrichten nach Athen zurück ^\ worauf sofort eine
Volksversammlung gehalten wurde, um den Krieg zu decretieren und
Feldherm zu wählen. Wenn man die Angabe des Thucydides „zugleich
mit dem Frühling" in der Weise genau nehmen dürfte, daß die Rück-
kehr der Gesandten wenige Tage vor oder nach dem astronomischen
Anfang des Frühlings anzusetzen wäre, so würde diese erste Versamm-
lung etwa zwischen dem 15. und 31. März, d. h. dem 3. und 19. Elaphe-
bolion des Archonten Arimnestus gehalten sein; indes lehrt eine andere
Stelle des Thucydides ^^, daß wir diesen Ausdruck „zugleich mit dem
Frühling" weiter fassen müßten, wenn nicht andere Bestimmungen
Näheres ergäben. Am fünften Tage darnach wurde von neuem Ekklesie
gemacht und in derselben jene denkwürdige Verhandlung gepflogen, die
Thucydides ihren Hauptzügen nach mitteilt ^^. Der Kedner (Th. über-
geht seinen Namen), welcher unumschränkt Vollmacht für die Feldherm
und [164] Truppenaushebung bei den Bundesgenossen beantragte, war
Demostratos ^*; es war ein trauriges Zeichen, daß gerade während dieser
Beratungen die Wehklage der Weiber um den Adonis, dessen Fest eben
gefeiert wurde, von den Dächern umher erscholl". „Sofort wurden
nun alle Anstalten getroffen; man schickte zu den Bundesgenossen, man
nahm in Attika die Kriegslisten auf u. s. w.; — so war man dort mit
den Rüstungen beschäftigt. Da {kv rovro)) geschah es, daß in einer
Nacht die meisten Hermenbilder verstümmelt wurden"^®. Plutarch be-
richtet, daß dies l^vrjg xal veag ov(r7]g geschehen sei^^; und wenn Diodor
statt dessen die vovfxrjvicc^^ den ersten Monatstag und den Neumonds-
tag, nennt, so ist der Unterschied nur der, daß Plutarch dieselbe Nacht
zum vorhergehenden, Diodor zum folgenden Tage zählt, letzteres offen-
bar nach griechischem Gebrauch {vvxäij/ASQov), indem nach Censorin
Athenienses ab oocasu ad occaswm solis rechnen^®. Da der Hermenfrevel
»« Thucyd. VI 6 Diod. XII 83.
** Thucyd. VI 8 tov dnifiYvofiepov &eQovg üfia j/qi.
^^ Thucyd. V 19, 20 sagt, daß der Friede des Nicias am 24. Elaphebolion
d. h. 11. April 421 geschlossen sei und auch dies nennt er äfia t/gt. Manche
Chronologen sind der Ansicht, daß Thucydides seine Anfänge von Sommer und
Winter zugleich mit den Anfängen der Monate Munychion und Pyanopsion setze ;
dies ist wegen des Unterschiedes von oft 30 Tagen nicht möglich.
" Thucyd. VI 9—26.
" Plutarch. Nicias 12 Alcib. 18 Aristoph. Lysist. 390 Eupolis Demen 34
Frommel ad Schol. in Aristid. p. 176.
" Aristoph. Lysist. 397. " Thucyd. VI 27.
" Plutarch. Alcib. 20. " Diodor. Xm 2.
" Ideler Handbuch der Clironologie I S. 80.
4 Des Aristophanes Vögel
noch unter dem Archonten Arimnestus begangen worden, so ist die
bezeichnete Nacht entweder die letzte des Elaphebolion (10. — 11. April)
oder des Munychion (10. — 11. Mai) oder des Thargelion (8. — 9. Juni).
Wie aber hier wählen?
Corsini und Dodwell haben gemeint, daß aus der Zeit des Adonis-
festes die Nacht des Hermenfrevels näher zu bestimmen sei; sie haben
sich durch Plutarch tauschen lassen, welcher behauptet, das Fest sei in
die Tage der Abfahrt und um die Zeit des Frevels gefallen ^^; sie haben
die Stelle aus der Lysistrata übersehen, aus der sich auf das Deutlichste
[165] ergiebt, daB das Adonisfest mit der zweiten Ekklesie zusammen-
fiel, also wohl im Monat Elaphebolion zu suchen ist Ich bemerke,
daß dies die einzige Notiz zur Zeitbestimmung der attischen Adonien ist ;
indes finde ich eine Stelle im Macrobius*^, in der es von der morgen-
ländischen Feier der Adonien heißt: ritu eorum xaraßatrsi finita simu-
UxtUmeqVie luctua peracta cekbratur laetitiae exordium a. d, VIII kcU. Aprilis,
qttam diem Hüaria adpellani, quo primum tempore sol diem nocte longiorem
protendit. Dies bezeichnet gewiß nicht zwei Tage, die ein halbes Jahr
von einander liegen (denn auch so ist diese Stelle gedeutet worden),
sondern es wird, wie auch sonst in ähnlichen Festen, dem Tage der
Trauer unmittelbar der der Freude gefolgt sein; demnach wäre für
den Tag der Hilarien der erste nach der Frühlingsnachtgleiche zu
nehmen. Da diese Zeitbestimmung in dem Wesen des Adoniscultus
begründet ist, so zweifle ich nicht, daß sie auch von den Athenern
wenigstens mit der Bestimmung angenommen worden, daß das Fest
auf den Monatstag fixiert wurde, auf welchen in dem Metonischen
Epochenjahre die Frühlingsnachtgleiche fiel; dies war im Jahre 43 ^/j
der 13. Elaphebolion, und diesem Tage entspricht im Jahre 415 der
24. — 25. März, so daß also das Trauerfest des Adonis und die zweite
Ekklesie auf den 24. März, die erste auf den 19. März gefallen wäre.
Ich erinnere, daß die Adonien, hiernach zu vermuten, nicht unter
die &%0(pQ(iSiq iifUgai gehört haben *2.
Eine bemerkenswerte Bestätiguncf für dies angenommene Datum
glaube ich in einer alten Abrechnungsurkunde gefanden zuhaben,
welche Hr. Böckh bereits in den Beilagen der Staatshaushaltung *^
ausführlich erläutert hat. Er glaubte damals die Wortö ^ nava&i)vaiu
rä fieyäka (v. 6) [166] zu lesen; und da sich überdies das äg rag vavs^
räq kq 2i , , , . (v. 15) ungezwungen zu kg 2£ixtXiuv ergänzte, auch
•0 Plutarch. Alcib. 18.
^^ Macrobius Saturn. I 21, 10. '' Schoemanu de comitiis p. 50.
•• Staatsbauflhaltung II 182 ff. [II' S. 26 ff. C. I. A. 1 180—183.]
und die Hermokopiden 5
(v. 17) (TTQcerTjyw r<p iv 0BQfjLceiq> xöknq) vorkam, so erklärte er die
Inschrift für ein Finanzdocument von Ol. 91 3. Indes hat sich er-
geben **, daß statt rä fiByükce auf dem Steine !AiAkfinr(p steht, so daß
wenigstens der stringente Beweis für ein drittes Olympiadenjahr hinweg-
fallt. Sehr gern würde ich der Meinung meines hochverehrten Lehrers
beipflichten, daß ja kq Tlavad-iivccia auch die großen Panathenäen be-
zeichnen, oder deren Erwähnung in einer der vielen Lücken der Inschrift
gestanden haben könnte, wenn sich nicht, wie mir scheint, wesentliche
Bedenken gegen Ol. 91 3 erheben ließen*). Es sind nämlich während
der VIIL Prytanie, welche Ol. 91 3 vom 21. Mäxz bis 28. April reicht*«,
folgende Posten verausgabt:
a) am zehnten Tage (31. März) den Hellenotamien krates
von Euonymia und seinen Amtsgenossen für Truppen ....
b) am dreizehnten Tage (3. April) den Hellenotamien krates
von Euonyma und seinen Amtsgenossen hundert .... Talente;
diese aber gaben sie ....
c) am zwanzigsten Tage (10. April) den Hellenotamien .... krates
und seinen Amtsgenossen für die SchiflFe nach Sicilien ....
d) am zwei und .... zigsten Tage (12. oder 22. April) dem Bei-
sitzer Philomelos von Marathon und dem Feldherrn im Ther-
mäischen Meerbusen ....
Hr. Böckh bezieht nun die drei ersten Posten auf die Sendung des
Demosthenes nach Sicilien; aber Thucydides*® sagt von diesem: „im
Winter (nachdem die Briefe des [167] Nicias eingekommen waren)
rüstete er, da er sogleich mit dem Frühling auszusegeln gedachte, in-
dem er zugleich die Bundesgenossen zur Stellung ihrer Truppen veran-
laßte, und von dort her Geld und Truppen heranzog^', und etwas später*^:
„gerade als der Frühling anfing, segelte Demosthenes ab". Es können
also die Gelder zu seinen Rüstungen nicht erst im Laufe der Prytanie,
die nach Frühlingsanfang eintrat, angewiesen sein, ja sie scheinen über-
haupt nicht aus dem Schatze zu kommen. Dagegen passen diese so
wie die übrigen Posten der Inschrift treflflich auf Ol. 91 1. So sind
in der dritten Piyt^nie (28. September bis 1. November 416) aus dem
Schatz 248 Stateren nebst 7 Stateren Zins für die Panathenäen an die
Hellenotamien und Athlotheten leihweise gezahlt worden; nämlich für
die kleinen, denn die großen kosteten dem Staate Ol. 92 3 bis an
** Corp. Inscript nr. 144 [= C. I. A. I ISSd, wovon jetzt weit mehr Vorliegt].
*) [Anin. des Vf.: Die angeführten Stellen gehören in Ol. 91 2; sind also
für die Frage der Hermokopiden ohne Wert.]
^^ Staatshaushaltung II S. 196.
«• ITiucyd. Vn 17. " Thucyd. VII 20.
6 Des Aristophanes Vögel
6 Talente*®, während die 248 Stateren nach höchstem Ansatz*® kaum
ein Talent betragen. So sind ferner in der vierten Prjianie die Zah-
lungen (TTQaTicjraig für die noch währende Belagerung von Melos, wo
gerade im Lauf des Winters Verstärkungen eintrafen'®. So in der achten
Prytanie am 1., 4., 11. April die drei Posten für die große sicilische
Expedition, für welche also etwa 8 Tage nach der Ekklesie, in der über
die Mittel und Wege decretiert war, die erste Zahlung von den Schatz-
meistern an die Hellenotamien gemacht worden ist. Was endlich den
vierten Posten dieser Prytanie anbetrifft, so wissen wir'^, daß damals der
Krieg in Makedonien fortwährte, und daß namentlich gegen Ende des Win-
ters lakedämonische Einmischung den Operationen neue Regsamkeit gab.
Wenn nun so von Seiten dieser Inschrift das oben aufgestellte Datuna
für die Ekklesien und das Adonisfest einige Bestätigung erhalten hat,
so kann ich zu der unterbrochenen [168] Frage nach dem Datum der
Hermokopiden nacht zurückkehren. Ich habe bereits angeführt, daß
dies nach dem Zeugnis des Diodor und Plutarch am Monatsende und
also bei Neumond geschehen ist. Corsini hat dem widersprochen:
Diokleides habe bei seiner Denunciation behauptet, die Frevler im Lichte
des Vollmondes gesehen zu haben; wäre nun die Angabe des Diodor
und Plutarch, man habe des Diokleides Lüge daran erkennen können,
daß in jener Nacht Neumond gewesen, richtig, so hätte Andocides in
si^iner Rede dies stärkste» Argument gegen Diokleides nicht übergehen
können. Dies ist nicht treflfend, da Andocides in seiner Rede von den
Mysterien nicht die Absicht hat, die von Diokleides eingestandene Un-
wahrheit jener Denunciation noch durch andere Beweise zu erhärten.
Für den ersten Monatstag scheint überdies der Umstand zu sprechen,
daß Diokleides angab ^*, er habe gerade nach Laurion hinausgehen
wollen, um sich von einem seiner Sklaven, der dort Arbeit genommen
hatte, den dafür zu entrichtenden Zins von demselben einzukassieren, und
diese änocfOQä wird doch wohl monatlich {evTäxTiog) gezahlt worden
sein^'. So hat es gewiß mit der vovfiijv/a, dem Neumond und Monats-
wechsel seine Richtigkeit, Aber welches Monates erste oder, wie wir
rechnen, letzte Nacht war die des Frevels? Dodwell meint, auf eine
unsichere Berechnung der Adonien, die überdies gar nichts zur Sache
thun, gestützt, es sei die Nacht des ersten Thargelion, also die Nacht
vom 10. zum 11. Mai gewesen. Ich gestehe, daß ich keine bestimmt«
Angabe entdecken kann, die uns die Wahl zwischen den drei Nächten
" Corp. Insc. nr. 147 [= C. I. A. 1 188].
" Staatahaushaltung I S. 31 ; I« S. 39].
w Thücjd. V 116. " Thucyd. VI 8, 10.
»« Andocid. de mjst. § 38. •" Vgl. Valesius ad Harpocrt v. n7zoq>oQn.
und die Hermokopiden 7
des 10. April, 10. Mai und 8. Juni entscheiden könnte. Der einzige
Anknüpfungspunkt, den ich finde, ist die Aussage des Diokleides, daß
er wenige Tage nach der Nacht zu einem jener Männer, die er im
Mondlicht erkannt habe, gegangen und mit ihm übereingekommen sei
[169] er wolle schweigen, wenn ihm im Laufe des Monats {rov daiövra
fif/va) zwei Talente ausgezahlt würden; dies sei nicht geschehen und
darum denunciere er^*. Dies sagte er, wie sich unten ergeben wird,
im Laufe des Hekatombäon; das Nächstliegende wäre also zu vermuten
Diokleides zeigte in diesem Monate an, da er den vorhergehenden
gewartet hatte, ohne befriedigt zu werden; dies würde den nächtlichen
Frevel auf den 9. Juni verweisen. Das, ich leugne es nicht, erscheint
mir vollkommen unglaublich und mit dem Gange des gerichtlichen
Verfahrens, wie es sich weiterhin ergeben wird, unvereinbar. Eben so
läßt der Ausdruck Diodors i'jdrj rov gtöXov nccgetrxBvaafjiivov^^ nicht die
Annahme zu, daß der Frevel bereits in der Nacht des 10. April, unter
welchem Datum erst das Geld für die Flotte gen Sicilien angewiesen
worden, begangen worden. So bin ich überzeugt, daß Dodwell richtig
die Nacht vom 10. zum 11. Mai als die des Hermenfrevels bezeichnet
hat, obschon ich keine überzeugenden Gründe anzuführen vermag.
Sobald die That ruchbar geworden war, folgten Ratssitzungen,
Volksversammlungen^®, Aufruf zur Denunciation auch von anderweitigem
Religionsfrevel. Man fand keine Spur der Thäter. Schon waren die
Bundestruppen in Athen ^^, schon lag eins der Admiralschiflfe vor dem
Hafen. Da endlich brachte Pythonikos gegen Alcibiades das Zeugnis
eines Sklaven Andromachos wegen Mysterien Verletzung bei; drauf
erfolgten zwei Anzeigen des Metöken Teukros wegen anderweitiger
Mysterienverletzung und wegen der Hermen; dann die Anzeigen der
Agariste und des Sklaven Lydos, beide wegen Mysterienverletzung.
Das [170] Fest der Panathenäen Ol. 91 2, also der kleinen, die auf
den 22. Juli 415 fielen, wurde zur Vertheüung der Preise bestimmt;
ein Geschworenengericht von Eingeweihten erkannte im Gerichtshofe
der Thesmotheten für Andromachos und Teukros die Preise^®. Leider
finden wir von der Nacht des Hermenfrevels bis zu diesen Panathenäen,
also während ganzer drittehalb Monate, kein bestimmtes Datum; nur
annäherungsweise läßt sich die Abfahrt der Flotte bestimmen. Thucy-
dides sagt, sie sei &kQovg fjeaovvrog i'iS't] erfolgt^®. Von der Jahres-
■* Andocid. §42.
'* Diodor XIH 2; Cornel. VlI 3 sagt: cum bellum adpararetur, priusqicam
classts exiret
^ Plut. Alcib. 18. " Thucyd. VI 27, 29.
^ Andocid. § 11—28. " Thucyd. VI 30.
8 Des Arietophanes Vögel
hälfte, die er unter dem Namen des Sommers begreift, machen der
Skirophorion und Hekatombäon ungefähr die Mitte aus; meint er nun
den Skirophorion des Arimnestos (9. Juni bis 8. Juli) oder den Heka-
tombäon des Chabrias (9. Juli bis 7. August)? Dodwell*^ hat mit sicherem
Takt wegen des yjSfj des Thucydides den Skirophorion vorgezogen, und
dies wird durch ein Zeugnis bestätigt, das er übersehen hat; Isäus
nämlich*^ datiert ausdrücklich „52 Jahre seit der Abfahrt der Flotte
nach Sicilien, seit dem Archen Arimnestos". Niemand wird dagegen
das Zeugnis Diodors geltend machen*^, der ja bekanntlich die attischen
Archonten, um sie mit den römischen Consuln zusammenzustellen, meh-
rere Monate zu früh datiert, und somit alles bisher Erzählte schon dem
Jahre des Chabrias zuschreibt.
Ist nun die Flotte im Skirophorion, also zwischen dem 9. Juni
und 8. Juli 415 abgesegelt, so fragt es sich weiter, ist von den genannten
Denunciationen des Andromachos, des Teukros, der Agariste und
des Lydos die eine oder andere später als die Abfahrt der Flotte? Dies
hat Hr. Wachsmuth dahin beantwortet, daß gleich nach der ersten An-
zeige [171] die Sache abgebrochen und die Flotte abgesegelt, hinterdrein
erst die Angabe des Teukros, der Agariste und des Lydos erfolgt sqL
Hr. Wachsmuth hat seine Ansicht nicht weiter begründet; er hätte sich
auf das ausdrückliche Zeugnis Plutarchs" berufen können; doch ist
in solchen Dingen niemand unzuverlässiger als der berühmte Biograph,
der historische Notizen lieber nach seinem Belieben arrangiert als er-
örtert oder zu verstehen sich bemüht. Es lässt sich das Entgegen-
gesetzte ziemlich sicher erweisen. Denn nach der zuletzt erfolgten
Anzeige, der des Lydos, war unier andern Leogoras von dem Basileus
Speusippos vor Gericht gebracht worden; diesen belangte Leogoras darauf
wep:en Paranomia und trug über ihn den Sieg davon **. Leogoras also war
in einer Sache äfreßetag vor Gericht gefordert; durch Bürgschaft hatte
er sich der persönlichen Haft entzogen und schwankte lange, ob er sich
nicht vor einer möglichen Gefahr durch die Flucht retten sollte*^;
nachdem er die übliche imojfAotf/a geleistet hatte, konnte er daran gehen,
seinen Prozeß na()av6fi(ov gegen den Basileus zu verfolgen. Wie aber
steht es mit Klagen gegen Beamtete? Sie können eingebracht werden
entweder nach beendetem Amtsjahre in der Zeit der Verantwortnng,
der Euthynen, oder während der Amtszeit, wo dann der Kläger in der
Epicheirotonie, die in jeder Kyria, der ersten regelmäßigen Ekklesie
*^ Dodwell p. 186. ** Isaeus de Philoctem. her. 14.
« Diodor. XIII 2 ff. " Plutarch. Alcib. 20.
** Andocid. de myst. § ^^' ** Andocid. §21.
and die Hermokopiden 9
jeder Prytanie gehalten wird, vom Volke die Erlaubnis erhält den Be-
amteten gerichtlich zu verfolgen *®. Wir wollen zunächst diesen zweiten
Fall betrachten; so mußte Leogoras in der nächsten Kyria die Probole
des Volks, den Basileus wegen Paranomie belangen zu dürfen, veran-
lassen. Die Kyria welcher Prytanie könnte dies nun gewesen sein?
und, um noch weitläufiger zu fragen, [172] gehört sie in die Prytanien
des Jahres Ol. 91 1 oder Ol. 91 2, war Speusippos College^ des Arim-
nestos oder Chabrias? Im Jahre des Ghabrias während des August
war, wie sich unten zeigen wird, Leogoras zum zweiten Male denunciert
und in Haft; wäre nun Speusippos unter den CoUegen des Chabrias
gewesen, so hätte sein Verfahren gegen Leogoras während der ersten
Prytanie stattfinden und dem Geschädigten in der Kyria der zweiten
Prytanie, welche in die zwanziger Tage des August gefallen sein wird*^,
die Probole zur Klage gegeben sein müssen; weitere Zeit hätte die
Instruktion dieses Prozesses nccQavöfxmf, das Foltern der Sklaven u. s. w.
gekostet — ; Leogoras aber war bereits wieder in Haft. Somit ergiebt
sich, daß Speusippos Basileus neben Arimnestos war, daß also die An-
zeige des Lydos nicht wie die des Diokleides oder Andocides in das
Jahr des Chabrias gehört. Hat nun Leogoras die Befugnis zur Klage
7tccQav6yL(Dv gegen den Basileus in einer Epicheirotonie erlangt, so kann
dies spätestens in der Kyria der letzten Prytanie, in der ersten Hälfte
des Juni geschehen sein, wodurch sich ergiebt, daß die Anzeige des
Lydos, aus welcher der Anlaß zur Paranomie des Speusippos her-
vorging, vor dieser Zeit, vor dem Skirophorion, vor der Abfahrt der
Flotte anzusetzen ist So, wenn Leogoras den Basileus während seines
Amtsjahres belangt hat; möglich aber wäre auch der Fall, daß er
ihn in den gewöhnlichen Euthynen, nach Verlauf der Amtszeit, also
nach dem 9. Juli TiaQccvöfKov verfolgte. Dann mußte ihn Speusippos
spätestens im Skirophorion vor Gericht gebracht haben (denn die
Ansicht, daß in diesem Monat Gerichtsferien gewesen*®, ist gewiß
falsch)," und die Anzeige des [173] Lydos, die bei Andocides als die
letzte erscheint, wäre dann mindestens mit der Abfahrt der Flotte
in demselben Monat. Indes sagt Thucydides ausdrücklich, „daß von
einigen Sklaven und Metöken denunciert, daß sodann Alcibiades in
diese Sache verwickelt worden, daß endlich nach vorläufiger Suspen-
^® Schoemann de comitiis p. 229.
*^ Mit Recht behauptet Schömann de comitiis p. 47, daß der Tag der xvgia
nicht fixiert gewesen sein könne ; dennoch scheint man bei den mancherlei Hin-
deutungen alter Philologen annehmen zu dürfen, daß sie, wenn es ging, um den
10. Tag der Prytanie gehalten zu werden pflegte.
" Hudtwalker Diäteten S. 30.
10 Des Aristophanes Vögel
dierung seines Prozesses die Flotte abgesegelt sei"*®. Eben so äußert
sich Plutarch: „es seien einige Sklaven und Metöken vorgebracht"*^;
und Isokrates sagt, „Alcibiades sei abgesegelt d)g ÄnrjXXayfAivog ^St]
Tijq SiaßoXfjg^^^K Daß die vier fraglichen Deminciationen ziemlich bald
nacheinander und jedenfalls noch vor Abfahrt der Flotte erfolgten, wird
sich weiter unten noch deutlicher ergeben; das Nacheinander, wie sie
bei Andocides erscheinen, hat Hrn. Wachsmuth zu einem Fehler verleitet,
der von Einfluß auf seine Darstellung des ganzen Verfahrens gewesen
ist; weder er noch Sluiter haben es versucht, die scheinbar wider-
sprechenden Angaben des Andocides auf der einen, des Thucydides und
Plutarch auf der andern Seite, in Beziehung auf den Verlauf der
ersten Prozeßreihe, zu vereinbaren.
Bald nach dieser begann der zweite Akt des wohlangelegten
Intriguenstückes, durch welches den Alcibiades seine Feinde zu stürzen
hofften. Trotz des Versprechens die Sache bis zur Beendigung de«
Feldzugs ruhen zu lassen, forderten zwei der Inquisitoren weitere Unter-
suchung; Diokleides trat mit seiner großen Denunciation auf. Es er-
folgten mehrere Verhaftungen, ein paar denuncierte Katsherren entflohen
zu den Spartanern, die eben auf den Isthmus gekommen waren; die
übrigen Denuncierten wurden in Fesseln gelegt; die Stadt war in der
höchsten Aufregung, die Böotier bezogen an der Grenze ein Lager, die
Bürger Athens blieben die Nacht hindurch unter den Waffen**. Täg-
lich [174] stieg die Erbitterung, so daß noch mehrere ergriff'en wurden ^^;
da machte einer von den Eingekerkerten, den man für den schuldigsten
hielt, Andocides, des Leogoras Sohn, eine Anzeige, die für wahr ge-
halten wurde; in dem Heranrücken der Spartaner und gewissen anti-
demokratischen Bewegungen zu Argos glaubte man Alcibiades Machi-
nationen zu erkennen ^*, und Thessalos, des Gimon Sohn, machte gegen
ihn eine Eisangelie, infolge deren die salaminische Triere ausgesandt
wurde ihn und die übrigen Schuldigen, die sich beim Heere befanden,
aufzuheben; er aber flüchtete zum Peloponnes^^
Wie nun verhalten sich diese verschiedenen Dinge chronologisch
zu einander? Die militärischen Bewegungen zwischen Alcibiades Ab-
reise von Katana und dem Wintersanfang, wie sie Thucydides erzählt ^^,
enthalten nach einer oberflächlichen Berechnung gegen 150 Seemeilen,
" Thucyd. VI 28, 29. *« Plutarch. Alcib. 19.
** Isocrates de bigis 7.
" Andocides §§40 46 Thucyd. VI 61.
*8 Thucyd. VI 60. ''* Thucyd. VI 61.
" Thucyd. 1. c. Plutarch. Alcib. 22. Diodor. XIII 5.
»• Thucyd. VI 62.
and die Hermokopiden 11
zu denen mindestens 20 Tage erforderlich waren, überdies Landmärsche
im Betrag von etwa 30 Meilen, zu denen auch wohl 10 Tage gebraucht
wurden; anderen wahrscheinlichen Aufenthalt mit eingerechnet dürften
also zwischen Alcibiades Abfahrt und dem Wintersanfang (Ende Sep-
tember) wohl 40 Tage verflossen sein. Die Salaminia wird also Mitte
August auf der Höhe von Eatana erschienen und, wenn sie sehr schnell
gesegelt war, spätestens im Anfang desselben Monates in See gegangen
sein. Ein Spartanerheer war um die Zeit, da Diokleides denuncierte,
aaf den Isthmus gerückt; nun ist bekannt, daß die Spartaner im Monat
Kameios nicht vor Vollmond ins Feld zogen '^^e Die Karneen aber
werden nicht lange nach den Olympien und in dem Monat nach den
Hyakinthien [175] gefeiert, welche nach dem längsten Tage (21. Juni)
fallen^®; so daß also die Spartaner nicht vor dem zweiten Vollmond
nach dem Sommersolstitium ausziehen durften. Täuscht mich meine
Rechnung nicht, so traf dieser zweite Vollmond im Jahre 415 auf den
24. Juli, und die Spartaner konnten nicht füglich vor dem 28. Juli auf
dem Isthmus sein. So drängen sich die oben angeführten Thatsachen
des erneuten Prozesses nach dem Fest der kleinen Panathenäen auf
die zweite Hälfte des Hekatombäon des Archonten Chabrias zusammen.
Alcibiades war von Thurii aus gen Kyllene im elischen Lande
geflüchtet, hatte mit den Spartanern Unterhandlungen angeknüpft, und
begab sich, als von Athen aus sein Todesurteil proklamiert worden
war, im Laufe des Winters nach Sparta^®. Den Spartanern riet er
jene zwei Expeditionen, welche Athens Macht brechen mußten, die
Hilfesendung nach Syrakus und die Occupation von Dekeleia. Schon
mit dem Ende des Mai 414 ging Gylippos gen Sicilien unter SegeP^,
und wenngleich man erst nach einem Jahre (April 413) bis zur Er-
oberung der attischen Grenzfestung gelangte ®\ so wurden doch schon
mit dem Frühling 414 die Einfälle in das argivische Gebiet begonnen,
durch welche man die Athener zu offenbarem Friedensbruch zu reizen
hoffte®^. In den Lenäen, während des Januar 414, führte Aristophanes
seinen Amphiaraos, in den großen Dionysien, um den 9. März, seine
Vögel auf.
Um die Übersicht zu erleichtern, lasse ich hier eine chronologische
Tabelle folgen, welche die verschiedenen Zeitabteilungen und die er-
mittelten Daten während der Jahre des Arimnestos und Chabrias
enthält.
" Boeckh Index lect. aest. Berol. 1816 = Kleine Schriften IV S. 85.
»« Herodot. VIII 72. 0. Müller Dorier I 355.
»» Thucyd. VI 93. «<> Thucyd. VI 94, 104.
" Thucyd. VII 19. «» Thucyd. VI 95.
12
Des Aristophanee Vögel
Olympiade
und
att. Archont
Ol. 91 1.
Arimnestus
415
Sommers A.
Ol. 91 2.
Chabrias
Winters A.
Anfllnge der
attischen Monate
Anfänge der
Prytanien
1 . Hecat.
1. Metg.
1. Boedr.
l.Pyan.
1. Maim.
1. Posid.
1. Gam.
l.Anth.
1. Klaph.
20. Juli
18. Aug.
17. Sept.
16. Okt.
I.
II.
III.
IV.
20. Juli
24. Aug.
28. Sept.
2. Nov.
V. = 7. Dez.
15. Nov.
14. Dez.
13. Jan.
11. Febr. VII.
13. März
VIII. = 23. Mäi-z
VI. = 11. Jan.
15. Febr.;]
Zahlung für Panathenäen.
Zahlung axqajtfaxatg gegen
Melos.
l.Muny. = 11. April
1 . Tharg.
l.Sciropb.
1. Hecat.
11. Mai
9. Juni
9. Juli
IX. = 28. April
X.
I.
3. Juni
9. Juli
1. Metag. = 8. Aug.
1. Boedr.
1. Pyan.
1. Maim.
1. Posid.
1. Gam.
1. Anth.
1. Elapb.
1. Muny.
6. Sept.
6. Okt.
4. Nov.
4. Dez.
2. Jan.
II. = 13. Aug.
III. = 17. Sept.
[Eupolis BnnxoLi.
Erste Ekklesie 19. März.
Zweite Ekklesie. Adonien
24. März.
Zahlung für die Expedition,
1., 4., 11. April.
Hermenfrevel 11. Mai.
Denunciation, Pythonikos.
Abfahrt der Flotte.
Kl. Panathenäen 22. Juli.
Vollmond 24. Juli. Dio-
kleides.
Thessalos. Salaminia.
Alcibiades Flucht. Mitte
August
IV. = 22. Okt.
V.
VI.
26. Nov.
31. Dez.
= l.Febr. VII. = 4. Febr.
1. März
31. März
Alcibiades in Sparta.
Aristophanes Amphiaraos.
Januar.
VIII. = 11. März Aristoph. Vögel. 9. März.
IX. = 16. April Gylippos nach Sicilien.
Ende Mai.
1. Tharg. = 29.April!
B. Der Hermenfreyel.
Nach der Feststellung der chronologischen Verhältnisse habe ich
nun zunächst den Thatbestand des begangenen Frevels und das zur
Ermittelung desselben eingeleitete Verfahren zu untersuchen.
Unter den unzähligen Hermenbildern, die sich in und um Athen
befanden, waren die berühmtesten und in die Augen fallendsten die
und die Ilermokopiden 13
auf der Agora\ welche bei der Poikile. und der Königsstoa begannen
und sich vor einer Reihe öffentlicher und Privathäuser in der Richtung
welche die panathenäische Prozession zu nehmen pflegte, dahinzogen.
Diese Hermen waren es, die man am Morgen des 11. Mai, wie oben
wahrscheinlich gemacht ist, mutwillig verletzt fand; es waren ihre Ge-
sichter verstümmelt*, die Köpfe von den Stelen heruntergestürzt^, ihnen
der Phallus ausgebrochen 1 Es mußte auffallend sein, daß unter den
vielen Hermen der Agora gerade die durch ihre Größe und Schönheit
am meisten auffallende vor dem Heroon des Phorbas^ allein unversehrt
stand; dicht daneben lag das Haus des Leogoras, Vaters des Andocides,
aus dem Geschlecht der Keryken; er wohnte dort mit seinem unver-
heirateten. Sohne Andocides, [178] welcher in jener Zeit bedeutenden
Anteil an den öffentlichen Geschäften hatte. Es war in Athen üblich
jene Herme, obschon sie von der ägeischen Phyle geweiht war, tov
'Egiifiv xbv !AvSoxi8ov zu nennen®.
Es waren auch sonst schon Verstümmelungen öffentlicher und
heiliger Bildwerke vorgekommen^; man wußte, daß junge Leute, wenn
sie nacht« von Gelagen kommend in trunkenen Schwärmen durch die
Straßen zogen, gern dergleichen Mutwillen ausübten®. Diesmal konnte
die Menge der zerstörten Stelen auffallen; es mußte sich eine große
Zahl frecher Hände vereinigt haben, um so vielen Frevel in einer Nacht
zu Ende zu bringen; diese thätliche Beleidigung der öffentlichen Re-
ligiosität durfte um so gefahrlicher erscheinen, da eine weit verzweigte
Verabredung, wie sie hierzu nötig gewesen war, noch Ärgeres fürchten
ließ. Zwar meinten einige, die ganze Sache habe nichts zu bedeuten,
es sei eben nichts anderes, als was sonst schon ohne weitere Folge und
^ Nach dem Zeugnis des gleichzeitigen Historikers Kratippos bei Plutarch.
X Grat. p. 834. Die Lokalitäten anlangend, nach den Mitteilungen, die Ilr.
Schaubert aus Athen bei seiner vorjährigen Anwesenheit in Berlin machte, und
von denen einzelnes im „Berliner Museum 1833" Nro. 32—35 bekannt gemacht
ist, scheint es, daß die Agora mit den Statuen der £ponymen durchaus im Norden
des Areopags zu fixieren ist; die Hermen müssen vom Nordabhange des Berges
nordwestwärts den Markt hinab, nach der Straße zum Dipylon hin gestanden
haben. Im einzelnen kann ich auf die Citate bei Leake in mehreren Stellen
seiner trefflichen Topographie und auf die Nomcnclatur bei Sluiter p. 22 sqq.
verweisen.
* Thucyd. VI 27 Plut. Alcib. 18.
» Plut. X Orat. 1. c. Comel. VII 3.
* Photius V. *JEQ[ioxonldat, Aristoph. Lysistr. 1094.
* Plutarch. Alcib. 21 Harpocrat. v. (poQßdviewv Leake Nachträge S. 399.
* Aeschin. inTimarch. 125. Beck. Harpocrat. v.'^i'5ox^iJavl?s'(>,uvj;. ilesychius.
^ Thucyd. VI 28 vgl. Plutarch. X Orat. p. 834 (Lysias in Andoc. p. 210).
» Thucyd. I. c. Plutarch. Alcib. 18.
14 Des Aristophanes Vögel
Gefahr geschehen sei®. Andere gaben zu, daß allerdings das Geschehene
mehr denn ein öffentliches Ärgernis, daß es ein besorgliches Zeichen
für die beabsichtigte Expedition sei, sie vermuteten, daß die Korinthier
den Frevel angestiftet hätten, in der Hoffnung durch ein so böses Vor-
zeichen die Gefahr von ihrer Tochterstadt Syrakus abzuwenden ^^. Beide
Ansichten fanden wenig Eingängig, vielmehr lieh man dem Vorfall
eine höhere Bedeutung, man glaubte nicht anders, als daß es eine
Verschwörung zum Sturz der Demokratie sei^^.
[179] Gleich am Morgen nach geschehenem Frevel wurde eine Bats-
versammlung gehalten, das Volk zu einer außerordentlichen Ekklesie
berufen, auf den Antrag des Peisandros' für die erste Anzeige eine
Prämie von 10000 Drachmen ausgesetzt, dem Senat Vollmacht ge-
geben, eine Anzahl Inquisitoren, unter ihnen Diognetos, Peisandros und
Charikles ernannt^'. Es folgte keine Anzeige, keine Entdeckung; Volks-
versammlungen folgten schnell aufeinander^*, schon begannen auf der
Pnyx die Parteien sich gegenseitig zu verdächtigen; es wurde decretiert,
wer irgend sonst einen Religionsfrevel in Erfahrung gebracht, der könne
ihn anzeigen ^^; auf Kleonymos Antrag wurde ein neuer Preis von
1000 Drachmen für die zweite Denunciation ausgesetzt^*. Alles das
blieb für den Augenblick erfolglos.
Auf den ersten Anblick erscheinen diese Maßregeln zweckmäßig,
gesetzlich und unverfänglich. Allerdings lag es in der Befugnis des
Staates, die Religion der Väter in ihren Gebräuchen und Mysterien
zu vertreten, man konnte in dem Decret des Diopeithes, das zunächst
gegen Perikles und Anaxagoras^^ gerichtet gewesen war, eine Präcedenz
für den allgemeinen Aufruf zur Denunciation gegen Religionsfrevel auf-
stellen; man mochte hoflfen, durch Anzeige von anderweitigen Gott-
losigkeiten den Hermokopiden auf die Spur zu kommen oder diejenigen
kennen zu lernen, von denen man sich wohl eines Frevels dieser Art
versehen durfte. Aber gerade hierin lag das außerordentlich Gefahrliehe
dieser Maßregel; es war nun aller Verleumdung, allem Parteihaß [180]
und Sykophantismus Thür und Thor geöffnet. Die Zahl der Anklag-
baren mußte um so größer sein, je mehr die Irreligiosität damals zum
guten Ton gehörte und je weniger bisher noch geschehen war, ihrem
^ Thucyd. 1. c. Plutarch. 1. c. ^° Photius v. 'U^fioxoniöat.
" Plutarch. Alcib. 18. »« Thucyd. VI 27. Cornel. VII 3.
" Andocid. de myst §§ 93. 96. 15. Schömann de comitiis p. 221 meint, erst
nach erfolgter Anzeige des Pythonikos sei dem Senat Vollmacht erteilt und zur
Ernennung der Inquisitoren geschritten worden; dies ist irrig nach Andocid. § 30.
>* Plutarch. Alcib. 18. » Thucyd. VI 27.
>ö Andocid. § 27. " Plutarch. Pericles 32.
und die Hermokopiden 15
Umsichgreifen entgegenzuwirken. Seit zwei Jahrzehnten und länger
arbeitete in Athen jene Aufklärung, die in der Sophistik, in der un-
umschränkten Demokratie und ihrem politischen Übergewicht unter
den hellenischen Staaten Nahrung und Vorschub fand; die überlieferte
Religion verlor an Glauben, Wert und Würde, im besten Falle war
man gleichgültig gegen die Götter und ihren Dienst. Bei vielen,
namentlich jüngeren, vornehmeren, gebildeteren Athenäem ging die
Frivolität bis zum offenbaren Spott der sanctionierten Culte, von denen
bald nichts als die Gewohnheit üppiger und prunkender Feste Wert
zu behalten schien; und während man sich ganz dem selbstischen
Genüsse des Momentes hingab, schien Verhöhnung und Nachäfierei
des Heiligsten der schoji übersättigten Lust neuen Reiz zu gewähren.
So die Schattenseite dieser sonst so großartigen, in jeder wissenschaft-
lichen und künstlerischen Beziehung fruchtbaren Zeit der beginnenden
Aufklärung; das Gift der neuen Zeit hatte mehr oder minder die
gesellschaftlichen Zustände ergriffen und sich im einzelnen zu un-
zähligen Formen von Entsittlichung, Ei*schlaflfung und Sünde modi-
ficiert; es hatte ungehindert weiter fressen können und selbst da, wo
entschiedene Opposition gegen das Neue war, zeigte es die Gewalt
seines Einflusses, indem es zu den Extremen des Gegensatzes trieb
oder dieselben hervorrief. Oder war in der preislichen Frömmelei des
Diopeithes^®, in der pfaffisch [181] hochmütigen Zudringlichkeit des
Hierokles^®, in der Deisidämonie des Nicias, in dem Aberglauben, der
Zaubersucht, dem Fremdgötterwesen, wie es in der Menge mit jedem
Tage mehr um sich griff, das Absterben der alten, ehrenwerten
Frömmigkeit etwa minder traurig und fühlbar, wie in jener sophistisch
modernen Aufklärung, zu der sich der gebildetere, geistig regsamere,
in der Bewegung der Zeit lebende Teil der athenäischen Bevölkerung
offen erklärte, und die nur des jugendlichen oder adlichen tTbermutes
bedurfte, um bis zu jeder Art von Gottesleugnung und Gottesläster-
lichkeit fortzugehen? Dinge der Art müssen in Menge vorgekommen
^^ So charakterisiert diesen priesterlichen Mann die Komödie; er ist kini()o^
des Nicias (Schol. Equit. 1085, wo seine zur Dorodokie geöffnete Hand veran-
schaulicht wird); er ist Fanatiker für die alte gute Weise und alles zu thun
tollkühn bereit (daher Aristoph. Vesp. 380 tfiTilrjiru^dvoi Ai(mBi&ov<;)\ er gehört
zu einem bigott auszufahrenden Opfer unweigerlich und bei Phrynichos im
Kronos (Schol. Arist. Aves 988) sagt einer: „Alles ist zum Opfer fertig, willst du,
so hole ich den Diopeithes und die Tympanen'^ Auch bei den Prophezeiungen
ist Jwnel&yjg 6 finivouevog eine Hauptperson (Ameipsias im Konnos heim Schol.
1. c). In den Vögeln 1. c. heißt es : jeder Orakelmann verdiene Schläge, und wÄr'
es Lampon selbst oder 6 ^i^ng Jionei&ijg.
" Vgl. Aristoph. Pac. v. 1046 sriq. Eupolis JIöXhs fr. 16.
16 Des Aristophanes Vogel
sein; und die Komödie, dies überwilde Zerrbild jeder vorhandenen
Schwäche oder Entartung, stellte diesen gottlosen Sinn der Zeit mit nur
noch gefahrlicherer Gottlosigkeit an den Pranger. So hatte Eupolis
kurze Zeit vor dem Hermenfrevel seine Komödie „die Bapten'' auf-
geführt^^ und in derselben den Geheimdienst einer liederlichen Göttin
aus der Fremde, wie er von Alcibiades und dessen Genossen gehalten
zu werden pflege, auf das Zügelloseste dargestellt Vergleicht man
überhaupt, mit wie unbegrenzter Frivolität und krasser Verständigkeit
die Komödie alles Heilige und Göttliche in das Niveau alltägücher
Gemeinheit und Armseligkeit herabzieht, so wird man ein Bild von
den religiösen Zuständen des athenäischen Volkes gewinnen, dem diese
Art von Festspielen die liebsten waren.
Diesen Zusammenhang muß man festhalten, um einzusehen, wie
der Aufruf zu Denunciationen von ßeligionsfrevel [182] wirken konnte;
in der That, wäre es das Interesse gewesen die gefährdete Religion zu
schützen, es wäre zu Verfolgung und Inquisition, wie sie sich in ähn-
lichen Zeiten der arbeitenden Aufklärung greuelvoll genug gezeigt hat,
aller Anlaß gewesen. Es charakterisiert den damaligen Zustand der
Religiosität, daß sich die ganze Gefahr sofort gegen eine bestimmte
Partei, ja gegen ein Individuum wendete, und daß die Maßregel, die
alle religiösen Interessen, wenn sie mehr als Vorwand gewesen wären,
hätte in Thätigkeit setzen müssen, nichts als eine politische Bewegung,
nichts als ein Staatsstreich wurde, den das souveräne Volk gegen sich
selbst ausführen ließ.
Nichts Seltsameres, als dies souveräne Volk von Athen; stets eifer-
süchtig auf seine Demokratie, stets in fieberhafter Angst wenn der
demokratische Feuerlärra, daß Oligarchie oder Tyrannis drohe, erhoben
wurde, überließ es sich blindlings der launenhaften, selbstsüchtigen
und oft unvernünftigen Führung der Demagogen; und während nichts
höher galt als volle Freiheit und Gleichheit, übte derselbe Demos
schadenfroh den ärgsten und despotischesten Druck gegen Reiche und
Hochgebome; rücksichtslos wurden Liturgien und Leistungen aller
Art ihnen aufgebürdet; und trotz Reichtum und Adel streng und oft
ungerecht zu verdammen war dem Heliasten höchster Genuß. Die Vor-
nehmen griffen zu dem Mittel, welches ihnen am nächsten lag; gesellige
Verbindungen {iraig/ai) wurden zu politischen Klubs erweitert, mit den
Bestimmungen, daß sich die Teilnehmer gegenseitig bei Wahlen und
^ Banxai^ gleichsam die Getauften, d h. die Betrunkenen^ in welchem Sinne
Plato im Gastmahl (p. 176 B), das dieselbe Zeit fingiert, den Aristophanes von
einem gestrigen Trinkgelag sagen läßt: xai fo^q ^y^ ^^f**- "^^^ X^^^ ßsßantiefi^rfov.
und die Hermokopidcn 17
Prozessen unterstützen sollten 21. Bald bildeten diese Klubs eben so
viele Koterien gegeneinander; durch Sykophantismus, Porismus und
Demagogenkünste suchten sie sich einander den Bang abzulaufen, dann
wieder vereinigten sich die [183] eine und andere, um eine dritte zu
stürzen, oder irgend eine Maßregel, die ihnen nützte, durchzusetzen.
So lag in den Hetärien damals das bewegende Element des öffentlichen
Lebens, und während sich die schwachen Reste des alten ehrenwerten
Aristokratismus, zu dem sich ein Cimon oder Thucydides bekannt hatte,
um Nicias sammelte, stand die jüngere Generation attischen Adels in
den Hetärien des Alcibiades, Phäax, Euphiletus und mehrerer anderer
zusammen. Das entscheidendste Übergewicht hatte Alcibiades; vom
höchsten Adel und bedeutendem Vermögen, mit allen Vorzügen der
Natur verschwenderisch ausgestattet, ganz im Sinne der Zeit gebildet^
m jeder Beziehung das lebendige Bild des damaligen athenäischen
Lebens, stand er an der Spitze der Bewegungspartei und war der
eifrigste und radikalste Depiiokrat, den Athen noch gehabt hatte; jede
seiner Maßregeln hatte die Steigerung der Demokratie im Innern und
nach außen zum Zweck oder zum Erfolg; er erweckte den Krieg gegen
die oligarchischen Staaten von neuem, er bewog das Volk zu der Ex-
pedition, die das Ziel der Bewegungspartei schon seit Perikles Zeiten
gewesen war; es war, als wolle er dem Demos alle Banden, die noch
etwa hemmten, lösen, um inmitten der vollkommenen Auflösung und
Bewegung aller Staatskräfte sein Talent und seine Kraft unentbehrlich
zu wissen. Es war kein Zweifel, daß er zum Herrschen geboren war,
wiederholentlich ward er vor dem Volke des Strebens nach der Tyrannis
verdächtigt; und der Prunk seines Lebens, sein stolzes Verachten alles
Herkömmlichen und Bestehenden, sein souveränes Benehmen gegen den
einzelnen des Volks, sein übermächtiger Einfluß bei den Bundesstaaten,
seine immer kühneren Entwürfe und Hoffnungen konnten mit Recht für
die Zukunft besorgt machen; vielleicht hätte ihm ein glücklicher Erfolg
in Sicilien zu der letzten Bedingung der Tyrannis, zu einer militärischen
Macht, verhelfen. Noch aber war die Zeit nicht gekommen, und seine
[184] Gegner sorgten, daß sie nie kam. Verzweifelnd ihn um seine
Macht über die Menge, die er mit unwiderstehlicher Gewalt beherrschte,
bringen zu können, vermochten sie nichts anders, als die Menge selbst um
ihre Macht zu bringen und die Gewalt des Staates in den Bereich einer
auserlesenen, unter sich einverstandenen, gegen den Demos souveränen
Oligarchie zu vereinigen. Man darf behaupten, daß die ersten oligar-
'* Thucyd. VIH 54 atmofiotriai tnl öixai^ xnl (igj^ccu. Plato Theaet. p. 173
anovdai biaiQBiTov in (tQxäg xai avyoöoi, xal ösinvu xai uvv avXtjTQun xcjftoi.
Droysen, Kl. Schriften II. 2
18 1^68 Aristophanes Vogel
chischen Bestrebungen von der Opposition gegen Alcibiades her datierten ;
an den Volksmannem, jenen banausischen und bissigen Vorschreiem
des Pöbels, konnte sie hoffen, kühne Verbündete zu finden, da Alci-
biades ihrem marktschreierischen Gewerbe den Markt verdarb; sie
konnte darauf rechnen, im Volke selbst, da Alcibiades gegen den
einzelnen nie anders als rücksichtslos, hochfahrend und selbst herrisch
war, viele Stimmen gegen ihn aufzubringen, und tausend Vorurteile,
Verhältnisse und Privatinteressen durch ihn beleidigt zu finden, die,
wenn sein persönliches Ansehen und seine Gewalt über das Volk durch
irgend eine Zufälligkeit für den Augenblick wirkungslos oder anbrüchig
war, sich gegen ihn anklagend und verdammend erheben würden. Und
daß ihnen wurde, was sie wünschten, ist der Todesstoß für die attische
Demokratie geworden.
Jenen erwünschten Anknüpfungspunkt gab den Gegnern des Alci-
biades der Hermenfrevel; sofort war, wie es Isokrates ausdrücklich be-
zeugt, dieselbe oligarchische Partei, welche drei Jahre darauf die Ver-
fassung umstieß, gegen Alcibiades zu machinieren thätig««. Leicht genug
mochte es sein, dem Volke einzureden, daß solcher Frevel nur Symptom
tyrannischer oder oligarchischer Bewegungen sei, denn beide BegrifiFe
verwechselte der Demos auf das Wunderlichste ; und wenn irgend eine
Gefahr der natürlichen Verfassung drohe, so sei ja Alcibiades derjenige,
den man vor allen andern fürchten müsse; es sei ganz in seinem auch
sonst wüsten und zügellosen Leben, dergleichen [185] zu begehen. So
wandte sich alsbald die öffentliche Stimme gegen ihn, und schon die
Wahl der Inquisitoren, soweit wir deren politischen Charakter zu er-
kennen vermögen, fiel auf solche, die wir mit Gewißheit als Oligarchen
bezeichnen können.
So zunächst Charikles, des Apollodoros Sohn 2^, der von dieser
Zeit an zu den populärsten Männern Athens gehörte und als solcher
im Jahre 413 eine Expedition zu führen erhielt 2*. Über sein Verhalten
zur Zeit der Vierhundert ist nichts überliefert; desto bezeichnender ist
es, daß er sich nach der Schlacht im Hellespont unter den Dreißigen
befindet*^ und unter diesen mit Kritias Führer der äußersten Oligarchie
** Isocrates de bigis 5.
*^ Thucyd. VII 20. Dieser Apollodor ist natürlich weder der Phalereer,
dessen Plato im Gastmahl und sonst öfter erwähnt, noch einer von den bei
Isaeus orat VII und X genannten; auch der Vater des Hippokrates und Phasen
(Plato Protag. p. 310, 316) scheint es nicht zu sein.
" Thucyd. VII 20, 26.
*'^ Xenophon Hell. II 3, 2 Memor. I 2, 31.
und die Hermokopiden 19
war*^ Ebenso gehört der zweite der Inquisitoren Peisandros^^ seiner
politischen Tendenz nach auf das Bestimmteste zur Oligarchie; er ist
es besonders, auf dessen Betrieb im I'ruhjahr Ol. 92 1 die Demokratie
aufgelöst und die Verfassung der Vierhundert eingeführt wurde ^®; und
als sich zwischen den Machthabern selbst verschiedene Ansichten geltend
machten, gehörte er mit Phrynichos, Antiphon und Aristarchos der am
wenigsten gemäßigten Fraktion an 2®. Über Diognetos habe ich
nichts Näheres finden können, bemerke jedoch, daß Hr. Schiller zu
Sluiter lectt. Andocid. p. 190 auf Bremi ad Lysiae oratt p. 192 ver-
weist; [186] das Buch ist mir nicht zur Hand; vielleicht steht dort
mehr über Diognet, als in dem gleich darauf von Hrn. Schiller ver-
merkten Citat zu dem Namen Pythonikos „v. Boeckh Corp. Inscr. T. I
p. 476", wo dieser Name Pythonikos nur beispielshalber erwähnt wird*).
Über Kleonymos, der den Antrag zur zweiten Prämie machte, etwas
Bestimmtes zu sagen ist schwierig; unzählige Male bei Aristophanes
als Feigling, Schildabwerfer, Fresser, Meineidiger, Sykophant genannt,
erscheint er doch nie so, daß seine Partei genau bezeichnet wäre.
Wenn er indes bei der Aufführung kurz vor dem Frieden des Nikias
(oder besser des Lampon) als der dem Frieden geneigteste Athener
genannt wird'®, so kann dies nur seiner Feigheit zu Liebe gesagt sein
und wird doppelt bitter, wenn er in der Pnyx stets die entgegen-
gesetzte Tendenz geltend machte; daß er es that, dafür spricht sein
mächtiger Schild und Helmbusch *^; und auch in den Wespen heißt
es von ihm, er sage stets zum Volk, er werde es nicht verlassen, er
wolle kämpfen '^ Der gar häufige Spott der Komödie gegen ihn zeigt,
daß er ein volksbeliebter Mann gewesen sein muß; er scheint eine von
jenen sonderbaren republikanischen Figuren gewesen zu sein, denen
sich, wären sie auch ohne anderes Talent als das des Bramarbasierens
und der Gemeinheit, die Menge blindlings anvertraut, weil sie in ihnen
etwas von verwandter Natur fühlt, während sie gegen höhere Fähigkeiten
und Tendenzen stets Scheu, Argwohn und die schadenfrohe Erbitterung
der Niedrigkeit bewahrt.
*• Aristot. Polit. V p. 1305 b 26 ed. Bekker Andocid. de myst. § 101 Lyeias
in Erat. 55 Isocrates de bigis 42.
" Dies ist 6 aiQtßXog, zum Unterschiede von dem dpoxivÖiog, der als Eupolis
den Marikas aufführte Ol. 89 3 bereite gestorben war. Schol. ad Aristoph. Aves
1554 vgl. Meineke Quaest. Seen. II p. 21 vgl. Aristot. p. 1419 a 27.
" Thucyd. VIII 64. " Thucyd. VIII 90.
*) [Bremi hftlt ihn für den Diognetos Lys. 18 9, der wahrscheinlich des
Nikias Bruder ist]
*» Aristoph. Pax 674. " Aristoph. Vesp. 19 Aves 290.
•• ovxl nQodacstv vfiag, nsql xov nX^&ovg de fiaxiad^ai, Vesp. 592.
2*
20 r)e8 Aristophanes Vögel
C. Die Prozesse ror Abfahrt der Flotte.
Trotz der ziemlich ausführlichen Nachlichten, die über [187] diese
Prozesse auf uns gekommen sind, hat ihre Darstellung große Schwierig-
keiten; denn die Hauptquellen Thucjdides und Andocides scheinen sich
oft und in wesentlichen Punkten zu widersprechen; und doch muß man
behaupten, daß beide die besten Gewährsmänner sind, die man sich
wünschen kann; aus dem Geschichtswerke des Kratippus, das gleiche
Autorität haben würde, ist kaum eine Notiz auf uns gekommen. Ein
guter Teil jener Widersprüche fallt, wenn man beachtet, daß Thucydides
diese Prozesse überall in ihrer Beziehung auf Alcibiades darstellt, wogegen
Andocides entschieden die in der Tendenz seiner Rede liegenden persön-
lichen Rücksichten vorwalten läßt; er will sich von aller Schuld frei
darstellen, den wirklichen Thatbestand zu ermitteln oder zu referieren
liegt außer dem Zweck seiner Rede, die fünfzehn Jahre nach abge-
urteilter Sache gehalten worden. Da unter den Richtern noch viele
jene Verhältnisse genau kennen mußten, so darf man der Zuverlässig-
keit dessen, was er sagt, nicht weniger als der des Historikers trauen;
des letzteren Vorzug besteht darin, daß er streng und scharf die Um-
risse des Hauptprozesses zeichnet, während der Redner sich oft mit
Andeutungen begnügt, sich ungenaue oder leicht zu mißdeutende Wen-
dungen nachsieht, endlich auch manches, was ihm nicht nützen würde,
in falschem Lichte darstellt oder gar verschweigt. Zu seinen Angaben
finden wir dann einzelne Nachträge in der Rede gegen Andocides, die
dem Lysias zugeschrieben wird, aber jüngeren Ursprungs ist, in des-
selben Reden gegen Alcibiades gleichnamigen Sohn, in Isokrates Rede
für denselben „über das Zweigespann" und in der Plutarchischen Bio-
graphie des Andocides. Plutarch im Leben des Alcibiades, Diodor und
Comel haben einzelne gute Notizen, aber sie sind ohne gründliche
Kenntnis des Sachverhältnisses und voll störender Fehler. In neuerer
Zeit hat Sluiter den Gang des Prozesses darzustellen versucht, aber
verzweifelt die widersprechenden Angaben zu vereinigen; seine sonst
fleißig geschriebenen [187] lectiones Andocideae p. 32 — 42 haben in
dieser Partie kaum den Wert einer gründlichen Vorarbeit. Der sum-
marischen Übersicht, welche Hr. Schömann in seinem trefflichen Werke
de comitiis p. 190 und p. 220 von dem Verfahren in diesen Prozessen
gegeben hat, kann ich in einigen Punkten nicht beipflichten, welche
genauer zu bestimmen dem treflFlichen Gelehrten leicht gewesen wäre,
wenn eine detailliertere Behandlung des Gegenstandes in seinem Plane
gelegen hätte.
Es scheint mir am passendsten, den Bericht des Thucydides zum
und die Hermokopiden 21
Grunde zu legend Er sagt etwa folgendes: „es wurde von einigen
Metöken und Sklaven denunciert, zwar nicht in BetreflF der Hermen,
aber wegen früherer Verstümmelungen anderer Götterbilder, die durch
junge Leute in der Trunkenheit und aus Mutwillen geschehen sei, und
zugleich, daß die Mysterien in gewissen Privathäusem mit höhnendem
Scherz nachgemacht würden. Dessen wurde nun auch Alcibiades be-
schuldigt. Dies ergriffen seine Gegner; mit der NachäflFung der My-
sterien und dem Hennenfrevel sei der Sturz der Demokratie beabsichtigt,
nichts von alledem sei, woran Alcibiades nicht Anteil habe, sein sonstiges
Leben könne als Beweis dafür gelten. Er aber wies die Anschuldigungen
zurück, forderte gerichtet zu werden, um entweder schuldig das Härteste
zu erdulden oder gerechtfertigt als Feldhen nach Sicilien zu gehen.
Aber seine Gegner wagten es nicht, jetzt die Sache zu einer rechts-
kräftigen Entscheidung kommen zu lassen, sie stifteten andere Redner
auf, welche die Vertagung der Sache bis zu seiner Rückkehr beantragten,
und das Volk beschloß nach diesem Antrage".
In diesem Bericht finden wir nur, was auf Alcibiades Bezug hatte;
was aber geschah mit den andern Denuncierten? Femer, wenn Alci-
biades wegen Verbrechen, auf die der Tod stand, denunciert war, wie
wurde er nicht sofort festgenommen? wie war es möglich, daß sich in
der Volksversammlung [189] jene Verhandlung entspann, wie sie von
Thucydides skizziert ist?
Hierauf sind die Antworten größtenteils aus Andocides zu nehmen.
Er berichtet etwa folgendes^: als die Flotte bereits zur Abfahrt fertig
lag, und die drei Feldherrn eine Volksversammlung berufen hatten^,
trat ein gewisser Pythonikos auf und sprach also: „o Athenäer, ihr
sendet ein Heer aus und so große Kriegsrüstung und seid im Begriff
euch ein großes Unglück zu bereiten; ich will darthun, daß Alcibiades in
einem Privathause mit anderen die Mysterien feiert, und wenn ihr, worauf
ich antrage, Sicherheit zu sprechen {üSbiuv) zusichert, so soll der Sklave
von einem der hier Anwesenden, obschon uneingeweiht, euch die Mysterien
erzählen ; falls ich die Wahrheit nicht gesagt, verfahrt mit mir, wie es
euch gefallt". Alcibiades widersprach ausführlich; dennoch entfernten die
Prytanen alle Uneingeweihten aus der Versammlung, holten den Sklaven,
und erfuhren von ihm von der Mysterienfeier im Hause des Polytion.
* Thucyd. VI 28, 29. * Andocid. de myst. §§ 11, 12.
' Das rjv ixxli](Tia tou aiQuiii^oi^ kann wohl nichts anderes sein sollen, als
das offizielle avyxXr/wv ixxXr^aia^ xmo or^orn/yüiy avvax&siarj^ in mehreren Pse-
phismen. [Die vorstehende Formel findet sich nur in den unechten Akten-
stücken der Kranzrede; vgl. indes C. I. A. H 489 ßovXti avyxXrjio; (TTQavtj'jrtüv
nttQayY^iXavKjjy xai anö ßovXij; dxxXrjtria.]
22 I^es Arifltophanes Vögel
Hier fragt sich vor allem, war das, was Pythonikos that, eine
bloße Anzeige oder vielmehr, wie es in der Regel genommen wird, eine
formliche Eisangelie? Für das letztere würde der Ansdruck des Ando-
cides Ilv&övixog shifjyyetkev kv rq) Si/jfiq» tibqI !AXxißtdSov sprechen %
wenn statt des n^i^l der bloße Accusativ stände ; so aber scheint tlaay-
yiXlw hier, wie oft, eine bloße fit'iwmg zu bezeichnen. Eben dies wird
durch andere Umstände bestätigt; Pythonikos hätte, wenn er eine
Eisangelie einbrachte, nicht gesagt: „wenn ich nicht die Wahrheit sage,
verfahrt mit mir wie ihr wollt," da das Annehmen oder Ablehnen einer
Eisangelie von seilen [190] des Volkes ohne alle Gefahr für den Kläger
war*. Ferner berichtet Isokrates, daß die erste Eisangelie gegen Alci-
biades bei dem Rate eingebracht worden®, und dies bestätigt der An-
trag, den Androkles späterhin macht, dem Rat eine der Prämien zu
decretieren. Endlich, wenn Pythonikos Eisangelie gemacht hätte, so
wäre sofort über deren Annahme zu entscheiden gewesen, und doch
bezeugen Thucydides, Isokrates und Plutarch ausdrücklich, daß erst nach
mehreren Denunciationen darüber verhandelt worden, ob Alcibiades
in Anklagestand zu versetzen sei.
Somit ergiebt sich, daß Pythonikos weiter nichts that als die erste
Anzeige, die des Andromachos, welcher Sklave des Polemarchos
war ^, zu ermitteln. Dieser nun, von den Prytanen vorgeführt, gab vor
dem Inquisitor Diognetos zu Protokoll: es seien im Hause des Polytion^
durch Alcibiades, Nikiades und Meletos® die Mysterien dargestellt, auch
andere Personen seien zugegen gewesen, [191] namentlich Archebia-
* Andocid. § 14. Vom Gebrauch des eiaa^Y^lXa für die fii^waig ß. Scboe-
mann de comitt. p. 221.
^ Erst bei der Entscheidung Über schuldig oder nicht schuldig läuft KlSger
Gefahr, wenn er nicht den fünften Teil der Stimmen hat, mit tausend Drachmen
gebüßt zu werden.
^ Isocrates de bigis 6.
' Ist dieser Polemarchos vielleicht des reichen Metöken Kephalos Sohn,
der Bruder des Redners Lysias, den man den Philosophen nannte? vgl. Plato
Phaedrus p. 257.
^ Das Haus lag auf dem Wege vom (piräischen) Thore zum Kerameikos
(-Markt) nah beim Gymnasium des Hermes (Pausan. I 3); es war sprüchwörtlich
wegen seiner Pracht (Aeschin. Eryxias p. 394, 400). Infolge der vorliegenden Pro-
zesse kam es in Subhastation (Pherecrates 'Invog fr 2) und wurde in späterer Zeit
dem Dionysos Melpomenos geweiht (Pausan. 1. c. vgl. Suidas v. t^cjQx^trafnjr),
^ N i k i a d e s ist mir nicht weiter bekannt M e 1 e t o s , minder richtig Melitos,
ist der spätere Ankläger des Sokrafes, der freilich jetzt noch sehr jung sein mußte
(Plato Euthyphron p. 2); es hieß von ihm, daß er sich dem reichen Kallias, dem
Daduchen, Preis gab, weshalb er von Aristophanes boshaft genug und zugleich
mit Beziehung auf seine verunglückte Oedipodea 6 Äaiov (nicht 6 AagoVi wie
Suidas hat) genannt wurde (Aristoph. /acu^^. fr. 19 nelaQY- fr« 1)* Er gehörte der
und die Hennokopiden 23
des^®, Archippos^^ Diogenes ^2, Polystratos^*, Aristomenes^*, Ionias^^,Pa-
naitios ^^, außer diesen mehrere Sklaven, er selbst^ sein Brüder, des Meletos
Sklav, der Flötenspieler Hikesios*). Es versteht sich von selbst, daß die
Genannten, so lange nicht durch förmliche Vorladung vor Gericht der
Prozeß gegen sie begonnen war, auf freiem Fuß blieben; und die meisten
benutzten, sei es im Gefühl ihrer Schuld oder aus Besorgnis vor dem
Ausgang des Prozesses, diese Zeit sich aus der Stadt zu entfernen.
[192] Die zweite Anzeige war die des Metöken Teukros^', der,
wie man aus seinen Verbindungen schließen darf, wie Eephalos, des
Lysias Vater, und andere in Athen ansässige Fremde von ausgezeich-
Hetärie des Euphiletoe an, und war zugleich doch mit Alcibiades im Hause des
Polytion; daß es derselbe Meletos war, der wegen der Tempelverletzung von
Eleusis gegen Andocides Ol. 95 2 Endeixis machte, ist wohl nicht mehr zweifelhaft.
^^ Arcbebiades scheint ein naher Verwandter des Alcibiades gewesen
zu sein. Lysias in Alcib. 27 fr. 5; ob Archibiades des Demoteles Sohn der
Aläer bei Demosthenes (in Con. 7) sein Enkel ist, weiß ich nicht.
*^ Archippos ist wohl weder der Vater des Nauarchen Aristeides von
OL 88 4 (Thucyd. IV 50), noch der von Tisis so scheußlich mißhandelte junge
Mann, für den Lysias eine Rede schrieb (fr. 275), noch der, gegen welchen die
fünfzehnte Rede des Isäus gerichtet war. Der hier gemeinte scheint bei Lysias
in Andoc. 11, 12 gemeint zu sein, wo er als Vertheidiger des Aristippos gegen
Andocides genannt wird.
'* Unter dem Namen Diogenes ist aus jener Zeit besonders der Tragödien-
dichter bekannt, dem Suidas s. v. durch einen Irrtum oder einem Witz der Komödie
folgend den Beinamen Oivofiaog giebt und gegen welchen des Aeschyleiden Melan-
thos Wort, „man sehe seine Poesie vor lauter Beiworten nicbt^* gerichtet war
(Plutarch. de audiend. poet. c. 7). £0 dürfte derselbe mit dem tragischen Schau-
spieler bei Aelian V. H. III 30 VI 1 sein. Von Lysias gab es eine Rede „über
die Erbschaft des Diogenes^^ (Nr. 70), in der von der Zeit der Dreißig und der Zehn
geredet war (Harpocrat v. MoXnig) und eine andere gegen Diogenes wegen Haus-
miethe (Nr. 71), in der derTragikerätheneloserwähntwurde(Harpocrat. v.^^fiVeXo;).
^" Des „Hermokopiden Polystratos^' erwähnte Lysias in der Rede gegen
Thrasybul (Nr. 96) s. Harpocrates s. v. Suidas s. v. Näheres weiß ich nicht von ihm.
^* Aristomenes könnte, der Zeit nach mindestens, mit dem beilsaeus 10^ 4
genannten Sypalletier derselbe sein.
^^ Ion las ist mir sonst nicht bekannt.
^^ Panaitios scheint ohne Frage derselbe zu sein, welcher in Aristophanes
Rittern nebst Simon Chorführer ist (v. 242), und welcher in den Vögeln (440),
ohne daß sein Name genannt ist, durchgezogen wird; vgl. Aristoph. Nrjaoi fr. 5.
Als fid'jrag tCjv inniavy als nl&TjxoCf als fiaxai^onowg, als unter dem Regiment seiner
ehebrecherischen Frau stehend (v. Suidas fiBfalr} fvvtf) verhöhnt ihn die Komödie.
*) [Betreffs der in den Prozeß verwickelten Personen sind jetzt die Rech-
nungen über den Verkauf der eingezogenen Güter der „Hermokopiden^* G. I. A.
I n. 274 ff. und IV g. 35. 73. 176 ff. zu vergleichen.]
^^ Phrynichos (wahrscheinlich im ^ovoiqonog) nannte ihn naXa^vaiog ^evog
(Plut. Ale. 20).
24 Des Aristophanes Vögel
neter Vornehmheit war. Teukros war infolge der gerichtlichen Maß-
regeln, die gleich nach dem Hermenfrevel getroffen waren, wie der
Melier Uiagoras^® und viele andere, die sich in der Stadt nicht mehr
sicher wußten, geflohen und hatte sich nach Megara begeben; er
mochte Bedeutendes an Hab und Gut in Athen zu verlieren haben;
ob ihn dies oder was sonst immer veranlaßte, er berichtete von Me-
gara aus an den Senat, daß, wenn ihm äS^ta gegeben werde, er über
Mysterien Verletzung und Hermenfrevel Anzeige machen werde, da er
in beiden Mitschuldiger sei. Dies nahm der Senat an, und nach Athen
zurückgekehrt denuncierte Teukros folgende Männer^® wegen My-
sterienverletzung: Phaidros^^, Gniphonides, Isonomos, Hephaistodoros^i,
Kephisodoros^^, [193] Diognetos^^, Smindyrides, Philokrates**, Anti-
" Schol. Arist. Aves 1073 Nub. 828 Ran. 320 und außer andern späteren
Rhetoren und Kirchenscribenten Tatian adv. gent. p. 1 64, zu dessen gewähltem
Ausdruck t^oQ/rjaüfievo^' ni nng ^Ä-d^i^vaiou fivcrrjQia man Huidas v. fc|(u^yy/cr«ui/j'
vergleichen kann.
*• Andocid. de myst. § 15.
^ Es scheint mir wahrscheinlich, daß dies derselbe Myrrhinusier ist, den
Plato außer in dem gleichnamigen Gespräch auch im Protagoras S. 315 und im
Gastmahl S. 176 erwähnt, und von welchem Athen. XI 505 sonderbarer Weise
behauptet, es sei ein chronologischer Schnitzer Piatos, wenn er ihn als Zeit-
genossen des Sokrates aufführe. Zum Überfluß könnte man dies aus Lysias de
Arist. bon. 14 beweisen, wo die Witwe des Phaidros „der nicht durch seine
Schuld verarmt war", die Enkelin des Feldherm Xenophon (Thucyd. II 70, 74 1,
etwa seit Ol. 95 an den reichen Aristophanes verheiratet erscheint
** Über diese drei Männer finde ich keine weitere Notiz.
*' Corp. Insc. n. 188 [= C. I. A. I 129] nennt Ol, 88 einen Kephisophon,
Kephisodors Sohn, aus Hermos; dieser dürfte wohl für unsern Fall zu alt, der
bekannte Schüler und Vcrtheidiger des Isokrates zu jung sein; der Zeit nach
passender wäre der in Corp. Inscr. n. 85 [ = C. I. A, 11 555] in einem Decret von
Ol. 101 1 genannte, wo es heißt: 'Oyt^itog Ki}(f>iaodb)Qov Mehtev^ et-ns. Indes ist
gerade dieser Name in Athen ein sehr häufiger.
*' Diognetos, wohl nicht der oben genannte ^'^rj/r/Jc.
** Philokrates heißt ein Prytane des nächsten Jahres (Andocid. § 46);
der also ist hier nicht gemeint. Ein anderer ist des Demeas Sohn, der die Expedi-
tion gegen Melos zu Ende gebracht hat (Thucyd. V 116), wie ich glaube, derselbe,
den Aristophanes in den Vögeln (13 1077) als nivttxoniühjg und o fc| 'Offvscjg und
fteXni)rxoX(üf vornimmt; auch an den möchte ich hier niclit denken. Wohl aber
an den Sohn des Ephialtes und Bruder des Iphikratcs, denselben, welcher fünf-
undzwanzig Jahre später mit Ergokles gemeinschaftlich an der letzten, trotz
Demosth. adv. Leptinem 59 nicht ehrenvollen Expedition des Thrasybul jenen
einträglichen Anteil nahm, über den sich der Prozeß bei Lysias Or. 28 und 29
entspann; vgl. Demosth. de fals. leg. 180 Xenophon Hell. IV 8, 24 mit der schönen
Anmerkung Schneiders. Sein Vater Ephialtes dürfte dem gleichnamigen Stücke
des Phrynichus wohl eher den Namen gegeben haben, als der Alp oder ein
mitdichtender Sklav dieses Namens; Meiueke Quaest. Seen. II p. 8, Ob dieses
und die Hermokopiden 25
phon**, Tisarchos, Pantakles^® — wegen Hermenfrevels: Euktemon^^, [194]
Glaukippos *®, Eury machos, Polyeuktos*®, Piaton, Antidoros, Charippos'^,
Theodoros'^, Alkisthenes'^, Menestratos^*, Eryximachos**, Euphiletos^^,
Geschlecht von dem ehrenwerten Ephialtes Sophonides Sohn (Aelian. V. H.
II 43 III 17), dem treuen Mitarbeiter des Periklcs, herstammt, habe ich nicht
ergründen können; denn den Plutarchischen Apophthegmen ist nicht zu trauen.
'^ Ich nehme keinen Anstand zu behaupten, daß dieser Antiphon nicht
der berühmte Rhamnusier, des Sophilos Sohn, ist; weder Plutarch (X. Oratt.) noch
Thucyd. VIII 68 hätten es vermeiden können, ihn als in diesen Prozessen ver-
wickelt zu bezeichnen; auch müßte er jetzt aus Athen geflüchtet sein, wovon
sich das Gegenteil aus der Geschichte des Jahres Ol. 92 1 ergiebt. Hr. Ranke
(de vita Aristoph. p. CCXI sqq.) hält den berühmten Redner und den Tragödien-
dichter für dieselbe Person und baut darauf mancherlei Folgerungen; er hat
Aristot Rhet. II p. 1385 übersehen, wo von des Poeten Antiphon Aufenthalt bei
Dionys dem Tyrannen die Rede ist; dies ist nicht vor Ol. 93 3 gewesen, wäh-
rend der Redner schon Ol. 92 1 hingerichtet wurde. Aber auch dieser Tragiker
wird wohl mit Recht von einem zweiten Redner Antiphon, dem Sohne des Lysi-
donides, unterschieden, dessen besonders Plut. X. Oratt. p. 833 erwähnt; endlich
kommt Antiphon, des Pyrilampes Sohn, hinzu, der sich mit Pferdezucht beschäf-
tigte, s. u. Note 41. Einer der beiden letztgenannten dürfte der im Text gemeinte
sein. Über den te^aioaxonog dieses Namens s. Xenoph. Memor. I 6 c. intpp.
*• Pantakles ist der von Aristoph. Ran. 1038 und Eupolis /^vrr. j'eV.
fr. 10 linkisch genannte, „dem man umsonst Lust und Geschick zum Kriege
zu erwecken suchen würde".
" Euktemon kann der Feldherr bei Thucyd. VIII 30 nicht sein; ob etwa
der Archon Ol. 93 1 oder der begüterte Vater des Philoktemon bei Isaeus Or. 6,
will ich nicht behaupten noch leugnen. S. Aristot. Rhet. I p. 1374 b.
*® Glaukippos ist doch wohl nicht des Redners Hyperides Vater; Ol. 92 3
war ein Archon des Namens.
'* Von Polyeuktos ist es bekannt, daß er gegen Sokrates mit Anytos
und Meletos Partei nahm (Diogen. Laert. II 38); von Antiphon war eine Rede
gegen ihn (Nr. 33).
^ Diese drei sind mir unbekannt.
'^ Des Namens Theodoros sind aus jener Zeit mehrere Athenäer bekannt;
hier kann weder der Hierophant (Plutarch. Alcib. 33) noch des Isokrates Vater
gemeint sein. Die Wahl bleibt zwischen dem Diomeer, den Aristoph. Acharn. 605
als einen von den jungen leichtfertigen Gesandtschaftsherren bezeichnet, und dem
Phegäer, der späterhin in der Eisangelie des Thessalos genannt wird (Plutarch.
Alcib. 22); für letzteren möchte ich mich entscheiden. Ob dieser oder einer von
diesen des Feldherm Prokies Sohn (Thucyd. III 91) oder Enkel des Archonten
Ol. 85 3 ist, weiß ich nicht.
•* Alkisthenes hieß auch des Feldherm Demosthenes Vater.
^^ Dies könnte etwa derselbe Mencstratos sein, der unter den Dreißig
so arg denuncierte.
•* Eryximachos wird wohl der aus Plato wohlbekannte Sohn des Arztes
Aknmenos sein; Plato Protag, p. 315 Phaedrus p. 268 Sympos. 176 etc.
'^ Der Name Euphiletos ist in Athen nicht selten; berühmtere Häuser,
in denen er heimisch war, sind die des Feldherm Charoiades (Thucyd. III 86)
26 Des Aristophanes Vögel
Eurydamas, Pherekles, Timanthes'^, Meletos*', Archidamos*®, Teleni-
kos'®. Bei diesen Denunciationen des Teukros [195] rerdient es be-
achtet zu werden, daß in ihnen Alcibiades nicht genannt wird, and
daß sie, nach der Äußerung des Thucy dides zu schließen, anderweitige
Hermenverstümmelungen, nicht die des 11. Mai bezeichneten.
Eine dritte Anzeige ging von Agariste, der Frau des Alk-
mäonides, die früher mit Dämon verheiratet gewesen war, aus*®;
sie gab an, in dem Hause des Charmides*^ pflegten Alcibiades,
und des Simon (Demost c. Neaer. 24). Des Simon Sohn Euphiletos war es, der
in dem Prozeß gegen die Neära Zeugnis ablegte, und dieser Simon scheint .der-
selbe zu sein, von welchem Lysias 8 § 28 ff. eine saubere Jugendgeschichte erzählt
(nicht vor Ol. 95); den vor dem Frieden des Nicias demagogisierenden Bitter
Simon dürfte man mit einiger Wahrscheinlichkeit seinen Großvater nennen
(Aristoph. Equit 242 Nub. 351 Eupolis noXetg fr. 13).
^ Diese drei sind mir sonst nicht bekannt
'^ Gewiß der oben genannte Meletos.
'^ Archidamos ist wohl ^iQx^^otfiog (bei Isaeus de Apoliod. her. 18), den
die Witwe des Thrasyllos, welcher als Trierarch in Sicilien gefieüilen war, heiratete.
'^ Telenikos ist bis auf die Erklärung des jeXeyixiaai bei den Lexiko-
graphen (s. Kratin. Seriph. fr. 10) verschollen.
*® Andocid. de myst. § 63. Dieser Dämon ist wohl nicht der berühmte
Musiker und Freund des Perikles, da der noch nach der Schlacht der Arginusen
lebte (Aeschin. Aziochus p. 364). Alkmäonides, über den ich sonst nichts weiß,
könnte allenfalls dem gleichnamigen Geschlecht angehören.
** Dieser Charmides ist der von Plato oft genannte Vetter des Kritias,
und der Sohn des Glaukon. Da mehrere dieser Familie für diese Zeit von Inter-
esse sind, so will ich deren Stammbaum, so weit er nachzuweisen ist, verzeichnen,
und einige Notizen hinzufügen.
[196] 'HSrixsffTiörjg
I
' N
N. N. KQiTing I.
I AvTiqiuy I.
filia fUia *>- Ka IXaiaxQogl. T), avxcjpl, ~ Jl6(fixn6yrj (?) UvQikafintig
Andocidis ux.
1
ÄB(0f6^ag JT^iriag II. JCa Q^iöijg He Qtxuoyrj
I I \. HvQiXa^nrjgm,
Ävdoxidrjg II. (KaXXaiaxQog IL) 2. ÄqI(tx(üv 6 ÄQiaioxXsovg m.
Ävxi.(f(üv II. 2. ÄqiCTOxXTjg 2. rXuvxfov II. Jiöeifiapiog 2. HeQuctiovr^
\ (IlXaifüf) JEvqvfi^diay m.
i. ,1
filia ^TiBvauxnog
Die Sage, daß des Solon Vater Exekestides zugleich des Dropides Vater gewesen,
ist zu verbreitet, als daß wir ihr nicht folgen sollten. Des Dropides Sohn
und die Hermokopiden 27
Axiochos*^ und Adeimantos^^ die Mysterien zu machen; es scheint, daß
im Text des Andocides der eigentliche Katalog der von Agariste
Denuncierten verloren ist**.
Endlich eine vierte Anzeige war die des Lydos, eines Sklaven
des Themakeers Pherekles*^; er sagte aus, daß in seines Herren Hause
die Mysterien gemacht worden seien, er nannte unter anderen Teil-
nehmern den Leogoras, Akumenos [197] und Autokrator*®; Leogoras
aber habe in seinen Mantel gehüllt geschlafen.
Rritias (I) sah als Knabe noch seinen Oheim Solon (s. Bach Critiae fragm. p. 7);
für mehrere andere verwandtschaftliche Verhältnisse ist der Charmides des Plato
nebst Schleiermachers Anmerkungen zu vergleichen. Kallaischros I. und Glau-
kon I. waren in den ersten Jahren des Krieges bereits tot Glaukon I. hatte
sich mit der Schwester des reichen Pyrilampes (Sohnes des Antiphon), die ich
vermutungsweise Periktione nenne, verheiratet, und aus dieser Ehe den Char-
mides (etwa Ol. 84) und die Periktione geboren; letztere scheint die filtere.
Diese war zuerst an ihren mütterlichen Oheim Pyrilampes verheiratet und gebar
demselben einen Knaben, der nach dem Großvater Antiphon genannt wurde,
lauge Zeit in fireundUchem Verkehr mit Pythodoros, dem Sohn des Isolochos,
der noch den Zeno gehört hatte, lebte und sich dann xara tbv naivnov xai
öfiüjyvfioy nqbg innixfj wandte (s. Plato Parmen. p. 127). Nach Pyrilampes Tode,
der schon vor Ol. 87 erfolgt zu sein scheint, verheiratete sich Periktione an
Ariston, des Aristokles Sohn, und gebar Ol. 87 3 den Aristokles, der unter dem
Namen Plato so berühmt werden sollte, späterhin dessen Geschwister. Lysias (in
Erat 66) nennt unter den Vierhundert einen Kallaischros; da dies nicht des Kritias
Vater sein kann, so vermute ich, daß es dessen Sohn ist, und das um so mehr, da
die Tochter des Antiphon, der unter den Dreißig hingerichtet wurde (des Pyrilampes
nicht des Lysidonides Sohn, wie Plutarch. X. Orat. p. 833 vermutet), von einem
Kallaischros in Anspruch genommen wurde (Lysias Or. nr. 45) als Erbtochter.
** Daß Axiochos, des Aleibiades Oheim, gemeint sei, dürfte nicht zweifel-
haft sein; früher auch haben beide gemeinschaftlich Abenteuer gemacht. Lysias
fr. 4 cf. Athen. XII 525.
^' Für den oben genannten Adeimantos dürfte man Piatos Bruder wohl
noch für zu jung halten; und Adeimantos, des Kepis Sohn, (PUt. Prot 315) ist,
wie es scheint, nicht von sehr vornehmer Familie. Wahrscheinlicher möchte man
an des Leukolophides Sohn (rov noq&aovog, Eupolis noleig fr. 12) denken, dem-
selben, von welchem es hieß, er habe später mit Aleibiades gemeinschaftlich die
Flotte im Hellespont verraten (Xenoph. Hell. II 1, 32 Aristoph. Ean. 1513 Lysias
in Alcib. I 38 Plutarch, Alcib. 36 Pausan. IV 17, 2).
^ Dies vermute ich, da von diesen nur dreien gesagt wird: „diese alle
ergriffen die Flucht" Andocid. § 16.
** Andocid. de myst § 17. Pherekles ist der von Teukros denuncierte.
^^ Mit diesen beiden Namen bin ich ratlos; oder wäre Akumenos der
Vater des schon oben denuncierten Eryximachos, der aus Plato bekannte Arzt?
Von Autokrator weiß ich gar nichts zu sagen; denn wenn Andocides (§18)
fortfährt: „rufe mir (zu Zeugen) den Kallias und Stephanos, den Philippos und
Alezippos, denn dies sind des Akumenos und Autokrator Verwandte, die bei
der Anzeige entflohen, des einen rechter Vetter ist Autokrator, des andern Oheim
28 T)e& Aristophanes Vögel
Dies waren, so viel wir wissen, die Anzeigen, welche vor Abfehrt
der Flotte gemacht wurden, und auf welche sich die gerichtlichen
Prozeduren gegen die Angezeigten begründeten. Infolge derselben
konnte entweder auf dem gewöhnlichen [198] Wege Rechtens oder
auf außerordentlichem Wege und namentlich durch Eisangelie ver-
fahren werden und letzteres war gegen die, welche im Staatsdienst
standen, wenn sofort etwas geschehen sollte, notwendig.
Sämtliche vorliegende Anzeigen motivierten die Klage äaeßeiag^^;
welche vor den Basileus gehörte und in den vorliegenden Fallen wahr-
scheinlich von einem Heliastenhofe gerichtet wurde; als Kläger werden
die Inquisitoren aufgetreten, die Klageform yQatpij äaeßetag gewesen
sein. Sobald nun denunciert war, hatte die Behörde die Angeklagten
vor Gericht zu fordern. Viele von den Denuncierten entflohen, ehe es
zu einer weiteren Maßregel kam, nur Poly Stratos aus dem Katalog
des Andromachos, Leogoras aus dem des Lydos, und einige aus der
Hermendenunciation des Teukros blieben in Athen und warteten das
Urteil ab. Die da geflohen waren, wurden in contumaciam zum Tode
verdammt und ihre Güter confisciert*^; viele von ihnen starben im
Auslande, andere sind bei den demnächst erfolgenden Veränderungen
der athenäischen Verfassung heimgekehrt. Die in Athen Zurückgeblie-
benen wurden sämtlich mit Ausschluß des Leogoras zum Tode ver-
dammt und hingerichtet.
Über den Prozeß gegen Leogoras sind wir etwas genauer
unterrichtet, weshalb ich bei demselben verweilen will. Leogoras, da-
mals in dem Alter von 75 bis 80 Jahren*^, war aus einer der edelsten
Familien, der der Keryken, der Sohn des Andocides, weicher Ol. 83 3
mit den Spartanern das dreißigjährige Bündnis abgeschlossen hatte;
[199] nach Art der meisten Reichen jener Zeit hatte er sein Leben
ziemlich wüst hingebracht, und noch in seinem hohen Alter verthat
Akumenos'^ — so ist nicht bloß die Bezeichnung undeutlich, sondern auch dajB
Verwandtschaftliche jener Pereonen nicht weiter zu ermitteln. Stephanos könnte
eben so gut der Sohn des reichen Thallos (Lysias de Arist. bon, 46) wie der
Sohn des Thucydides, des Sohnes des Melesias, sein (Aeschin. de virtute p. 378
und sonst). Der Name des Kallias ist so häufig, daß er ohne nähere Bezeich-
nung kaum noch bezeichnet, und Philippos heißt von damals bekannten Leuten
nur des Phönix Vater (Plato Symp. init.) und des Aristophanes.
*' Attischer Prozeß S. 301 ff. Daß diese angewendet, ersieht man daraus,
daß der Basileus die Jurisdiktion übernahm (Andocides § 22).
*® Andocides de myst. § 146. 52.
** Andocides war bereits 78, 1 geboren, sein Vater mußte mindestens 6 Olym-
piaden älter sein. Seine Mutter war eine Tochter des Tisandros, des Sohnes des
Epilykos (Andocid. de myst. § 117), deren jüngere Schwester an Perikles Sohn
Xanthippos verheiratet wurde (Plutarch Perikles 36, wo 'laovöqov irrig steht)
und die Herrn okopiden 29
er seine Habe mit Hetären und in schwelgerischen Gelagen^®. Sein
Sohn war Andocides, der bereits Ol. 86 2 als Befehlshaber einer Flotte
in See ging^^, dann wiederholentliche Gesandtschaftsreisen unternahm,
und unter den Oligarchen einer der ausgezeichnetsten und beredtesten,
mehrere Mal in die Gefahr des Ostracismus geriet ^^. Von dem Vater
^ Aristoph. Nub. 109 c. Schol. Eupolis AvToXvxog fr. 11 Aristoph. Vesp.
1269 vgl. Sluiter p. 7.
" Thucyd. I 51.
^' Andocides in Alcib. §§ 8, 40. Diese Rede ist bekanntlich der Gegenstand
mannigfacher Controversen gewesen. Daß sie nicht von Phaiax, wie Taylor ver-
mutete, sein kann, ist wohl nach Ruhnkens und Valckenaers Untersuchungen aus-
gemacht. Aber neuerdings haben sich Hr. Meier (AUg. Litt. Zeit. 1827 Nr. 118)
und Hr. Becker (Andocides S. 17) gegen die Echtheit der Rede erklärt. Ich
glaube mich für dieselbe entscheiden zu müssen. Das Altertum legt sie dem
Andocides bei, und sie hat in der That den tumultuarischen Charakter, der
diesem Redner eigentümlich ist; nicht bloß Plutarch im Alcibiades, sondern schon
Demosthenes in der Midiana scheint aus ihr geschöpft zu haben ; wäre die Rede
aus der Zeit des Demetrius, wie Hr. Becker meint, so hätte sie gewiß irgend
welche chronologische Fehler. Freilich hat man diese auch zu finden gemeint:
es handelt sich um den Ostracismus zwischen AIcibiades, Nikias, Andocides, und
das, wie man aus der erwähnten Eroberung von Melos sieht, Ol. 91 1; und doch
wissen wir, sagt Hr. Becker, daß der Ostracismus seit Hyperbolus Fall auf-
gehoben worden. Dies ist zuverlässig zu viel behauptet; nur factisch kann das
Institut seit Hyperbolus in Verfall gekommen sein; erst die Oligarchie wird es
vollkommen aufgehoben haben. Es ist bekannt, daß jedes Jahr in der sechsten
Prytanie das Volk zur Procheirotonie, ob jemand den Ostracismus erleiden solle,
aufgefordert wurde; bei der Gelegenheit waren dann Reden, wie die fragliche,
an ihrer Stelle. Die sechste Prytanie Ol. 91 1 ist zwischen dem 10. Januar und
15. Februar (415); innerhalb dieser Zeit mußte die Rede gehalten sein; und in
der That stimmen damit alle Einzelheiten. Die dem Alcibiades gemachten Vor-
würfe in Beziehung auf sein Betragen bei der Feier der olympischen Spiele sind
um so mehr bedeutender, wenn man annimmt, daß in dem letzt verwichenen
Sommer selbst diese Spiele gefeiert waren, und wenn der Redner sagt, den Erfolg
der Tributerhöhung, die vor einigen Jahren durch Alcibiades eingeführt war,
werde man sehen, „öiav ^fitv xal Aaxeöaifiovioig ifivrjiai, vavtiHbg nokefiog^'^ (§ 12),
so paßt dies gerade trefflich in jene Zeit, wo bereits die Gesandten wegen der
sicilischen Expedition nach Egesta; gegangen waren. Nur eine Angabe scheint
bedenklich: Alcibiades, der Urheber des Antrags, die Melier in Sklaverei zu
verkaufen, habe mit einer kriegsgefangenen Melierin einen Sohn erzeugt; indes
währte die Belagerung von Melos lange genug, daß ein melisches Mädchen vor
mehr als neun Monaten in Gefangenschaft geraten und an Alcibiades verkauft sein
konnte. Daß diese Verhandlung über Ostracismus keine Verbannung zur Folge
hatte, ist aus der Art, wie jenes Institut seit Hyperbolus angesehen wurde,
begreiflich; auch daß Andocides nur gegen Alcibiades spricht, erregt kein Be-
denken; und wenn er sich über die Unzweckmäßigkeit des ganzen Verfahrens
sehr bestimmt erklärt, so scheint das ein Grund mehr, die Rede der angenom-
menen Zeit zu vindicieren und den Verdacht der Unechtheit oder die Ver-
30. Des Aristophanes Vögel
[200] schien er mit der Parteiansicht da^ tumultuarische und aus-
schweifende Leben ererbt zn haben; wegen Verletzung der Mysterien
und wegen Hermenfrevel, so wird erzählt, war er schon früher einmal
mit einer Eisangelie beim Senat verfolgt, die Klage war von dem Senat
an das Volk gebracht, und Andocides ließ seinen Sklaven, auf dessen
Zeugnis die Eisangelie begründet gewesen zu sein scheint, umbringen,
damit er nicht Zeugnis geben könnte. So scheint er sich damals ge-
rettet, zugleich aber allgemeines Vorurteil gegen sich erregt zu haben**;
ingleichen konnte es nicht unbekannt sein, in wie naher Verbindung
Andocides damals mit Meletos, Euphiletos und dessen Hetärie stand**
Nun erfolgte gegen Leogoras die Anzeige von selten des Lydos, daß
er im Hause des Pherekles gewesen, als dort die Mysterien gefeiert
worden; manche mochten dem alten Manne raten, sein Heil in der
Flucht zu suchen, aber andere Verwandte und namentlich sein Sohn
bewogen ihn durch Bitten und Zureden [201] zu bleiben ^^ Dies ge-
schah; als der Basileus Speusippos die von Lydos Denuncierten dem
Gerichtshofe übergeben hatte, stellte Leogoras Bürgen und verklagte den
Basileus wegen Paranomie. Diese Klage entzog ihn der Notwendig-
keit sich vor Gericht &aBßtia(i zu verteidigen, muß also gegen ein
Psephisma des Basileus, ihn vor Gericht zu bringen, insofern gerichtet
gewesen sein, daß es dasselbe als widergesetzlich anklagte und somit
durch die Hypomosie, das vorläufige Garantieren, die Klage nagccvöiicov
anstellen zu wollen, das bereits angenommene Psephisma in seiner Wirk-
samkeit suspendierte^®. Wes Inhaltes nun das Psephisma gewesen, kann
ich nicht nachweisen; beispielshalber stelle ich auf, daß Leogoras im
Staatsdienst war, daß, indem keine Eisangelie gegen ihn eingebracht
war, Speusippos, um nicht erst die Zeit der Euthynen abzuwarten, dem
Volk ein Beeret vorschlug, den Leogoras sofort festnehmen zu dürfen,
mutung, sie sei zur Übang geschrieben, zurückzuweisen. Nimmt man sie für
echt, so enthält sie die interessantesten Beiträge zur Geschichte damaliger Par-
teiungen.
" Dies beruht auf dem Zeugnis bei Plutarch. X Oratt. p. 884, der es nicht
aus Lysias in Andocidem 21 entnommen zu haben scheint; denn Lysias fOgt nicht
hinzu, weshalb er vor Gericht gezogen (ix ttj^ ßovkijg eianxx^elg etg tb öutatTrtJQioy
statt ef tnißoltjg, was ohne allen Sinn ist); indes scheint mir Plutarchs Angabe
„wegen Hermenfrevel und Mysterienverletzung" bedenklich und dem späteren
nachgebildet; die Mysterienverletzung leugnet Andocides selbst durchaus ab de
myst. § 10.
" Andocid. de myst. § 61 sqq.
*• Andocid. de myst. §22. Geg^n den Vorwurf, als habe er seinen Vater denun-
ciert, scheint sich Andocides vollkommen gerechtfertigt zu haben de myst. §§22 — 25.
^ Schoemann de comitiis p. 1 59 sqq.
und die Hermokoplden 31
welches denn quoad maferialia gegen die bestehenden Gesetze verstieß*^;
— oder: da bisher die meisten Denuncierten sich dnrch die Flucht
der Strafe entzogen hatten, mochte Speusippos beantragt haben, es
sollte das Gesetz, „die durch eine yQatptj Verfolgten sollten nicht in
persönliche Haft verfallen", aufgehoben und dagegen die Bestimmung,
die bei Apagoge, Endeixis, Ephegesis und Eisangelie eintrat, angenommen
werden, daß nämlich Verklagter entweder verhaftet werden oder hin-
reichende Bürgen stellen sollte^®. Vor Gericht geladen [202] mußte
nun Leogoras die Bürgen stellen, durfte aber demnächst vor dem Volke
sich durch Hypomosie verpflichten, den Basileus wegen dieses Psephisma
nagavd^oov zu verfolgen, wozu überdies, da der Basileus noch im Amte
stand, die Probole des Volkes nötig war. Die Sache wurde nun an
einen Heliastenhof verwiesen, und Leogoras hatte vor demselben aus-
zuführen, daß des Basileus Decret wider bestehende Gesetze verstieße,
dem Staat nicht nütze, gegen ihn selbst ungerecht sei; er reinigte sich
von der Beschuldigung des Lydos durch ein alibi, er sei niemals bei
Pherekles gewesen; er drang darauf, die Sklaven foltern zu lassen, er bat
von ihm diesen Beweis seiner Unschuld anzunehmen, und die, welche
dasselbe weigerten, dazu anzuhalten. Der Erfolg war, daß unter den
6000 Stimmen kaum 200 zu Gunsten des Basileus entschieden, daß somit
das Decret des Speusippus überseitigt war; es scheint, daß Leogoras zu-
gleich von der Beschuldigung des Mysterienfrevels freigesprochen worden.
So das Verfahren gegen Leogoras und gegen diejenigen, welche
infolge der Denunciationen durch die ygatpii äfreßetag verfolgt wurden
Anders stand es mit Alcibiades, dem vom Volke erwählten Feldherrn;
auch er war, mindestens in den zwei Anzeigen des Andromachos und
der Agariste, unter den Schuldigen genannt, aber seine amtliche Stellung
sicherte ihn vor einer bloßen ygcc^v; er mußte entweder in einer
Epicheirotonie von selten des Volkes seines Amtes entsetzt, oder eine
Eisangelie gegen ihn versucht werden. „Die Beschuldigung gegen ihn
griffen besonders diejenigen auf, welche ihm feindselig waren, weil er
" Diese Annahme scheint mir wenig haltbar zu sein, da einerseits keine
amtliche Stellung, die Leogoras damals gehabt hätte, nachzuweisen ist, anderer-
seits es zu verwundem wäre, daß nicht dasselbe Verfahren gegen Alcibiades
angewendet worden; überdies hätte mit derselben Leichtigkeit, wie ein solches
Privilegium gegen Leogoras, eine Eisangelie gegen denselben beim Volke durch-
gesetzt werden können; oder es ist doch wohl nicht anzunehmen, daß nur Privat-
leute die Befugnis zur Eisangelie gehabt hätten?
^^ Ich stimme hier ganz der Ansicht bei, daß tiberall die fqaq>ri nicht per-
sönliche Verhaftung oder Bürgenstellung seitens des Verklagten motivierte, und
daß, wenn dergleichen eintreten sollte, andre Klagform zu wählen war (Attischer
Prozeß 8. 581).
32 I^es Aristophancs Vögel
ihnen bei ihren Absichten auf dauernden Einfluß beim Volk im Wege
stand, in der Hofihung, wenn sie ihn einmal entfernt hätten, die erste
Rolle zu spielen"^®. Es wnrde das Volk bearbeitet, [203] das Ge-
schehene vergrößert, die öffentliche Meinung so aufgeregt, daß man sich
von einer förmlichen Klage gegen den Feldherrn besten Erfolg versprach.
Man mußte die Eisangelie wählen; wer sie machte, wird nicht ausdrück-
lich berichtet, aber nach den Äußerungen Plutarchs^® ist es kaum
zweifelhaft, daß es Androkles war®^ Seine Eisangelie lautete, „daß
Alcibiades, des Kleinias Sohn von Skambonidä, eine Hetarie vereinigt
habe um Neuerungen zu machen, und daß die Hetarie im Hause des
Polytion beim Gelage die Mysterien gemacht habe"®^ Die Eisangelie
konnte nun entweder beim Senat oder unmittelbar beim Volk, da jedoch,
wie es scheint, nur in der Kyria der Prytanie eingebracht werden ®^
Vielleicht mochte diese zu fern sein, die Eisangelie wurde beim Senat
eingereicht. Dem Senat stand es frei, entweder selbst zu richten, falls
die Strafe nicht seine Competenz überstieg, oder die Sache an einen
Gerichtshof oder endlich an das Volk zu überweisen. Letzteres geschah
in vorliegendem Falle®*; und eine außerordentliche Versammlung wurde
anberaumt ®'^. In der Ekklesie begannen nun [204] die Verhandlungen
mit der Frage, ob es dem Volke gut scheine, die Eisangelie gegen
Alcibiades anzunehmen oder zurückzuweisen ^^ Die Prytanen befragen;
Kläger von seinen Freunden unterstützt spricht für Annahme der Klage.
Dann erhebt sich Alcibiades, verteidigt sich zunächst gegen die vor-
gebrachten Denunciationen und stellt deren Wahrhaftigkeit in Abrede;
»0 Thucyd. VI 28.
^ Plutarch. Alcib. 19. Wenn derselbe eben da sagt, daß die Klagepuukte
der (ersten) Eisangelie in der des Thessalos zu lesen seien, so ist das ein Irrtum,
der alles verwirrt; in der ersten Eisangelie war die Mysterienfeier im Hause des
Polytion und als besonders thätige Teilnehmer Nikiades und Meletos genannt^
in der zweiten dagegen die im Hause des Alcibiades selbst unter besonderer Mit-
wirkung des Theodoros und Polytion ; von der im Hause des Charmides scheint,
ich weiß nicht aus welchen Gründen, in keiner von beiden Erwähnung zu sein.
®* Schon in den Seriphiern und den Iloren des Kratinos war Androkles
der Pittheer (Arist lihet. II p. 1400a) verspottet, und Ekphantides nannte ihn
einen Beutelschneider (Schol. ad Arist. Vesp. 1187 Runkel Eupolis et Phere-
cratcs p. 193); als die Oligarchie der Vierhundert begann, war er der erste, den
man in der Hoffnung, dem Alcibiades zu gefallen, todt schlug (Thucyd. VIII 65).
®' Isocrat. de big. 6.
^ PoUux. VIII 95 Schoemann de comitiis p. 204 [vgl. Arist. pol. Ath. 43,41.
^* Wahrscheinlich, weil er durch Entscheidung des Volkes, ob die Klage
anzunehmen, zugleich suspendiert wurde in seinem Amte.
®* Isoer. 1. c.
^ Man vergleiche den Prozeß gegen die Feldherrn der Arginusenschlacht
und die Hermokopiden 33
nicht um der Eisangelie zu entgehen; mit überraschender Wendung
fordert gerade er dasselbe wie sein Kläger, Untersuchung und strenges
Gericht; werde er schuldig erkannt, so wolle er seine Strafe leiden;
finde man ihn ohne Schuld, wie er es sei, so wolle er Feldherr bleiben.
Die Gegner beginnen für den Erfolg ihrer Maßregel besorgt zu sein;
sie fürchten, daß, wenn die Klage angenommen, entweder in der
Ekklesie oder vor Gericht zur Entscheidung kommt, Alcibiades die
Stimmen derer, die im Heere sind, für sich haben wird, daß auch das
übrige Volk, da unter den Bundesgenossen namentlich die Argiver und
Mantineer von außerordentlicher Anhänglichkeit für den Feldherm sind,
denselben nicht wagen wird zu verurteilen, um nicht die Bundesgenossen
zur Heimkehr oder gar noch Ärgerem zu bewegen. So veranlassen
Alcibiades' Feinde einige Redner, die, ihm im Herzen feind, äußerlich
seiner Sache anhängen, gegen die Annahme der Eisangelie zu sprechen:
es sei weder schicklich, noch zum Besten des Staates, den Feldherm
einem Prozeß auszusetzen, das Volk möge befehlen, Alcibiades solle
für jetzt in See gehen und den Zug nicht weiter verzögern, nach
seiner Rückkehr aber solle die Sache vorgenommen und entschieden
werden. Alcibiades erkennt sehr wohl die arge Absicht dieses Vor-
schlages, er stellt dem Volke vor, wie unverantwortlich es sein würde,
ihn mit solchen Beschuldigungen belastet als Feldherm auszusenden,
er müsse entweder, wenn er sich nicht verteidigen könne, zum Tode
[205] verdammt werden, oder wenn er seine Unschuld erwiesen, ohne
Furcht vor seinen Verleumdern gegen den Feind gehen können. Es
ist vergebens: das Volk beschließt, die Eisangelie wegen der Hetärie
zu Neuerungen und wegen der Mysterienverletzung im Hause des
Polytion solle bis zu seiner Rückkehr über Seite gelegt werden, er
selbst sich einschiffen '^
Leider kennen wir die Namen der Redner nicht, welche die Ver-
legung des Prozesses in Vorschlag brachten; uns würde, kennten wir
sie, das Getriebe der Parteien um vieles deutlicher hervortreten. Wer
sie auch waren, man sieht, welchen bedeutenden Stoß der Einfluß des
Alcibiades erlitt, wenn er nicht einmal mit einer so billigen Fordemng
durchdrang. Und ist diese selbst nicht ein großer Beweis seiner Un-
schuld? Ich glaube, nein; es ist wohl kein Zweifel, daß er unter den
Schuldigen der Mysterienverletzung. Zwar sagt Isokrates an der mehr-
fach erwähnten Stelle, daß Alcibiades die Unwahrheit der gegen ihn
vorgebrachten Beschuldigungen erwiesen habe, so daß das Volk gem
von seinen Anklägern Strafe genommen hätte; indes scheint dieser
« Thucyd. VI 89 Plutarch. Alcib. 19.
Droysen, KL Schriften n.
34 Des Aristophanes Vögel
Ausdruck in einer Rede zu Gunsten Alcibiades des Sohnes nicht allzu
streng genommen werden zu dürfen. Wenn trotz des Bewußtseins
seiner Schuld Alcibiades auf sofortiges Gericht drang, so war seine
Absicht offenbar, mit aller Kraft seines persönlichen Einflusses, unter
Mitwirkung seiner Hetärie, unterstützt von der Ungeduld der ver-
sammelten Bundestruppen und der Besorgnis des Volks» vor den Folgen
derselben, einen Richterspruch zu gewinnen, der ihm und seiner Partei
sofort das ganze moralische Übergewicht eines Sieges da in Händen
gab, wo man seinen Sturz unvermeidlich geglaubt hatte. Die Nieder-
lage, welche er durch den bezeichneten Ausgang der Eisangelie erlitte,
gab seinen Gegnern Anlaß und Mut zu neuen und kühneren Machina^
tionen.
D. Die Prozesse naeh Abfahrt der Flotte.
[206] Die durch die obigen Denunciationen veranlaßten Unter-
suchungen mochten sich zum Teil über die Abfahrt der Flotte hinaus
fortsetzen; namentlich scheint die Hermendenunciation des Teukros auf
bedeutende Spuren geleitet zu haben, wennschon sie nicht den neuerlich
verübten Frevel anging. Mindestens erklärten die beiden Inquisitoren
Peisandros und Charikles, die damals als patriotische Männer gerühmt
wurden, der begangene Hermenfrevel sei nicht das Werk einiger weniger,
er zwecke vielmehr auf den Umsturz der Demokratie ab; man müsse
weitere Untersuchungen anstellen, und sich mit den bisherigen Er-
gebnissen nicht genügen lassend Es begann eine fürchterliche Zeit;
wer nur irgendwie beschuldigt war, wurde un verhörter Sache in Ver-
haft genommen*, gegen Alcibiades wuchs die Erbitterung mit jedem
Tage, auf ihn wurde alles zurückgeschoben, wer nur mit ihm verwandt,
befreundet, bekannt war, erfuhr die Wut des Volkes^; der Staat war
in solchem Zustande, daß, sobald der Herold in das Rathaus berief,
sich der Senat eiligst versammelte, die Bürger aber, welche auf dem
Markte zusammenstanden, auseinander liefen, weil jeder für seine Person
verhaftet zu werden befürchtete* und in seinem Hause die Sicherheit
suchte, die ihm sein Herd gewährte. Allgemein war die Überzeugung,
daß dem Geschehenen eine oligarchische oder tyrannische Verschwörung
^ Andocid. de myst. § 36.
' Dies daher, weil man die ganze Sache nun nicht mehr als naeßeia, sondern
als 7T()oSo(Tia oder richtiger xaiälvai^ rov ör/fiov betracht<ete, somit nach dem
Decret des Kanuonos t('tv ng tov ötjfiov döixfj u. s. w. ohne weiteres persönliche
Haft oder hinreichende Bürgschaft eintreten mußte, s. Hudtwalker Diaet. S. 95.
' Plutarch. Alcib. c. 19. * Andocides de myst § 37.
und die Hermokopiden 35
zum Grunde liege; ins Ungemessene mehrte sich der gegenseitige Arg-
wohn, die Zahl der Verhaftungen^; die allgemeine Aufregung war
[207] um so wilder, da sich das eigentliche Verbrechen aus jener
Frevelnacht immer noch auf das Hartnäckigste verbarg.
Da reichte Diokleides, ein athenäischer Bürger, bei dem Senat
eine Denunciation ein, in der er behauptete die Personen zu kennen,
welche die Hermen in jener Nacht verstümmelt hätten; es seien ihrer
etwa dreihundert. Er sagte aus®: er habe einen Sklaven, der in Laurion
Arbeit genommen habe; nun sei es gerade imi die Zeit des Hermen-
frevels gewesen, daß er habe hinausgehen und sich dessen Apophora
holen wollen; das helle Licht des Vollmondes habe ihn getäuscht, so
daß er in der Nacht bereits aufgestanden und ausgegangen sei. Als
er nun zur Vorhalle des Dionysostheaters gekommen, habe er viele
Menschen vom Odeum herab nach der Orchestra zu gehen sehen, habe
sich aber vor ihnen gefürchtet und sei in den Schatten zwischen einer
Säule und dem Piedestal der Strategenbildsäule getreten; von hier aus
habe er jene Männer, fast dreihundert an der Zahl, betrachtet, und
gesehen, wie sie in einzelnen Gruppen von fünf, zehn, auch zwanzig
dagestanden; beim Mondschein habe er die Gesichter der meisten er-
kannt Nachdem er dies gesehen, sei er nach Laurion gegangen; und des
andern Tages habe er gehört, daß die Hermen verstümmelt seien. Gleich
habe er sich gedacht, daß die That wohl von jenen Männern geschehen
sei. Als er zur Stadt zurückgekommen, habe er bereits die Inquisitoren
ernannt gefunden, auch gehört, daß dem Anzeiger der That 100 Minen
Belohnung ausgesetzt seien. Da habe er den Euphemos, des Kallias
Sohn ^, in seiner Eisenwerkstätte sitzen sehen, sei mit ihm in das [208]
Hephästeum gegangen und habe zu ihm gesagt, daß er sie gestern Nacht
erkannt habe, daß er eben so gern von ihnen als vom Staat Geld nehmen
und sie sich gern verpflichten würde. Das habe Euphemos gar sehr ge-
billigt-, habe ihn aufgefordert, mit ihm zum Hause des Leogoras zu gehen,
um mit Andocides und den andern, die es anginge, weiter zu verhandeln.
Andern Tages sei das geschehen, und als man gerade an die Thür ge-
pocht, sei Leogoras zufällig ausgegangen und habe gesagt: „erwarten sie
dich denn nicht? solche Freunde darf man nicht abweisen", sodann habe
» Thucyd. VI 60 Andocid. de reditu § 8.
* Andocid. §§ 37 — 43. Über Diokleides ist mir nichte Weiteres bekannt
^ Ich zweifle, daß dieser Euphemos noch anderswo außer in dieser Rede
genannt wird; mindestens ist der um wenige Zeit später in Sicilien anwesende
natürlich nicht dieser (Thucyd. VI 75), und auch für den in Aristoph. Vesp. 599
genaimten Exxpijfiio? ist kein Grund zur Identität mit dem unsrigcn. Übrigens
war des Lysias Or. 90 [fr. 103. 104 Didot] gegen einen £uphemos gerichtet.
3*
36 Des AiistophaneB Vögel
er die Thür geöShet Hierauf sei das Übereinkommen getroffen, daß
man ihm, dem Diokleides, statt der 100 Minen, die der Staat ausgesetzt^
120 Minen im nächsten Monat zahlen wolle, man habe darüber im
Hause des Eallias und mit dessen Beistimmung abgeschlossen, und das
Oanze auf der Burg beschworen ; da nun die Zahlung nicht eingehalten
sei, so denunciere er. Zugleich überreichte er eine liste von 42 Per-
sonen, die er unter jenen dreihundert zu kennen behauptete, und an deren
Spitze zwei anwesende Senatoren, Mantitheos und Aphepsion^, standen.
[IV 27] So die ausführliche Anzeige des Diokleides •; der Eindruck,
den dieselbe auf die Versammelten machte, war außerordentlich; Pei-
sandros trag darauf an, daß das Psephisma des Skamandrios^^ aufge-
hohen und die Denuncierten auf die Folter gebracht würden, damit noch
vor Anbruch der Nacht alle Teilnehmer des Frevels, denn nur 42
waren ja erst namentlich bekannt, entdeckt würden. Der Senat schrie
laut Beifall; Mantitheos und Aphepsion aber setzten sich an den Altar
und flehten, man möchte sie nicht foltern, man möge sie Bürgen stellen
lassen und dann vor Gericht ziehen. Mit Mühe erlangten sie Gehör und
was sie wünschten; sie stellten Bürgen, und setzten sich sofort zu Pferde,
um zu dem Lager der Spartaner, die gerade auf dem Isthmus erschienen
waren, zu flüchten. Der Senat aber stand auf und ließ die übrigen
Denuncierten in aller Stille in Haft bringen; darauf berief er die Stra-
tegen und ließ bekannt machen, daß die Bürger in der Stadt den Markt,
die zwischen den langen Mauern das Theseion, die im Piraeus den Hip-
podamischen Markt besetzen, die Reiter sich auf das Signal der Trom-
pete beim Anakeion stellen, der Senat auf der Burg, die Prytanen im
Tholos übernachten [28] sollten. Man glaubte, die Spartaner seien nicht
der Böoter wegen, wie es wirklich war, sondern im Einverständnis
mit den Verschworenen ins Feld gerückt und würden nun, von den
beiden flüchtigen Senatoren über die ihren Anhängern drohende Gefahr
unterrichtet, sofort auf Athen losgehen; und noch war von den drei-
hundert, die man als Verräter fürchten zu müssen glaubte, erst der
kleinste Teil bekannt; von den andern mußte man das äußerste erwar-
ten, da jede Zögerung ihnen Untergang bringen konnte ^^ Um die
^ Mantitheos ist natürlich nicht der aus Lysias Or. 16 bekannte, mit
aller Wahrscheinlichkeit aber der in Xenoph. Hell. I 1, 10. 3, 18 genannte, welcher
Ol. 92 2, nach dem Sturz der Oligarchie in Karien von Tissaphemes gefangen
war, dann aber als Gesandter an den GroßkSnig ging. Aphepsion [Apsephion,
vgl. 0. 1. A. 1288] ist mir sonst nicht bekannt.
* Andocides sagt etaa^^^Aea, in der Bedeutung von fij^waig,
^^ Nicht mit Unrecht hält man allgemein dafür, daß durch dies Decret das
Foltern der Freien verpönt war. Vgl. Meier de bon. damn. p. 53 Anm. 165.
" Andodd. de myst. § 45.
nnd die Hermokopiden
37
Verwiirüiig und Erbitterrmg noch zu mehren kam eben jetzt ans Argos
die Nachricht^ daß dort von den Gastfreunden des Alcibiades der Versuch
gemacht sei die Demokratie aufzulösen"; ja von der Nordgrenze her
ward berichtet die Böotier hätten ein Lager an der Grenze bezogen ^'.
So schien sich von allen Seiten her die furchtbarste Gefahr über Athen
zusammengezogen zu haben; man zweifelte nicht, daß, hätte Diokleides
nicht denunciert, alles verloren gewesen wäre; er ward als der Retter
der Stadt gepriesen, das Volk zog seinen Wagen in das Prytaneum,
kränzte und bewirtete ihn dort^*.
Indes waren die von ihm namentlich Angezeigten in Verhaft ge-
bracht; es befanden sich unter denselben besonders der alte Leogoras,
sein Sohn Andocides, sein Schwiegersohn Eallias, dessen Bruder Eu-
phemos, femer Charmides^^, [29] Taureas^® und dessen Sohn Nisaios,
" Thucyd. VI 61. *» Andocid. 1. c. " Andocid. 1. c
" Um die Übersicht zu erleichtem, teile ich hier die Stammtafel für Andoci-
des Haus mit, im einzelnen abweichend von Bossler de gentibus et familiis Atticae
p. 31 (die Descendenz des Leogoras I ist mit griechischen Lettern bezeichnet).
AsoYOQttg I.
Ävdoxldrjg L
N. N.
Epilycus
I
Tisander
ejus uxor
uxor
Callaeschri
filia N. N.
u. Alcmaeonis
AeafOQagH. filia Critias
^^^ -^ ^^^^^ Ariatotelieux.
m. Glauco Leagri f.
filia filia
Callaeschrus
XaQfiLdrig
KixXUag Tavqiag
(N. N.) Nivatog
Telecles
N. N.
Leager fdia Ävöoxiöijg filia
m. Öallias nat Ol. 78 1
mar. Callias £uphemns ftJia (Phrynichus)
u. Eucratis
Charmides des Aristoteles Sohn scheint sonst nicht weiter vorzukommen,
wohl aber sein Vater Aristoteles; der war der Sohn des Timokrates und Ol. 88 8
Befehlshaber der Flotte (Thucjd. III 105); derselbe ist der unter den Dreißig
genannte Aristoteles (Plato Farmen, in.). Ich glaube, daß der in Aristoph. Acharn.
1166 Av. 712. 1491 genannte Lopodyt Orestes, den die Scholien ad Av. 1491
des Timokrates Sohn nennen, des Aristoteles Bruder ist; wäre es ein gemeiner
Dieb, warum sollte von ihm die Bede sein? Die Emendation Schweighäusers zu
Athen. XIII p. 568 statt Tifioxgajovg ein TifioxXdovg zu lesen, ist ganz unstatthaft.
^^ Dies ist derselbe Taureas, dessen Palfistra Plato (Charmid. init) und
Lucian im Parasiten erwähnt, und von dem Andocid. in Alcib. 20 und aus ihm
Plutarch. Alcib. 16 erzählt, daß er im choregischen Wettkampf von Alcibiades
geohrfeigt worden.
38 I^es AriBtophanes Vögel
Kallias des Alkmaion [30] Sohn", Phrynichosi«, Eukrates^», Kritias^o,
sämtlich nähere oder entferntere Verwandte des Andocides. Alle
wurden sie in dasselbe Gefiingnis gebracht; mit der Nacht kamen die
Frauen, Schwestern, Mütter und Kinder zu den Ihrigen, und begannen
zu jammern und zu wehklagen. Da wandte sich einer der Mitge-
fangenen^^ an Andocides, und [31] forderte ihn auf, ein Geständnis
zu machen; da man ihn allgemein für einen der Schuldigsten halte,
werde man ihm glauben, er aber werde durch die verheißene Straf-
losigkeit sich selber erretten und überdies die Aufregung der Stadt
beenden, auch die andern, die durch Diokleides schuldlos ins Gefängnis
gekommen seien, von weiterer Gefiihrde befreien; überdies seien ja die,
mit denen er sonst in Verbindung gewesen und um deren Willen er
seine Verwandten vernachlässigt habe, größtenteils alle durch Teukros'
Anzeige landesflüchtig oder hingerichtet ^^ Andocides entschloß sich
" Über diesen Kallias ist mir weiter keine Notiz bekannt; seinen Vater
Alkmäon möchte ich nicht für einen Bruder, sondern für einen Schwager des
Andocides I halten; nun ist es auffallend, daß im Geschlecht der Alkmäoniden
von Megakles Söhnen der eine nach dem mütterlichen Großvater Kleisthenes
(der berühmte), ein zweiter nicht etwa nach dem väterlichen Großvater Alkmäon,
sondern mit entfernterem Namen Hippokrates genannt wird; da dies gegen allen
Gebrauch ist, so vermute ich, daß Megakles, der berühmte Gegner des Pisistratos
einen dritten Sohn Namens Alkmäon gehabt und dieser sich mit der Tochter
des Leogoras, der ein thätiger Tyrannenfeind war, vermählt hat.
** (pqvptx^g 6 o^rjdufA^vo^y dtfeipiOy Andocid. § 47; gewiß ist die Bezeichnung
6 d^jjfjyo'tt^fii'oj falsch, die von Heiske vorgeschlagenen Verbesserungen 6 *JEqx^^
dfibg dverpibg, 6 ÄQ/eßiadov, 6 Jixovudvov haben keinen sichern Grund : es ist nach
der Stellung der Parteien wahrscheinlich, daß Phrynichos der Deiradiote [Harpo-
krat s. V.]} der unter den Vierhundert so berüchtigt werden sollte, gemeint ist;
zwar soll dieser nach Lysias pro Polystr. 11 von armem Geschlecht, vom Lande
her, in seiner Jugend Hirte gewesen sein, indes ist das sichtlich übertrieben; da
ich seines Vaters Namen nicht weiß, so kann ich nicht sagen, was ich für
6 ö^/i7<ra,<ifyo? zu lesen für wahrscheinlich halte.
** Eukrates, des Nikeratos Sohn, des berühmten Nikias Bruder, der minde-
stens zur Zeit der Dreißig sich als entschiedensten Volksfreund gezeigt hat (Lysias 18).
^^ Kritias des Kallaischros Sohn, damaliger Zeit ein treuer Anhänger des
Alcibiades (Critiae fr. 3. 4).
'^ Nach Andocides (de myst. § 48) war dies Charmides AristoteleB Sohn,
Plutarch (Aicib. 21) dagegen nennt einen Timaios, der minder vornehm als
Andocides, aber schlauer und kühner gewesen sei; wenn nicht Nisaios statt dessen
gemeint ist, so weiß ich nicht, wer der Mann gewesen.
*' So Andocid. § 49, woraus man noch immbr entnehmen kann, was Thucy-
dides (VI 60) andeutet, daß der gute Freund auch nötigenfalls ein falsches
Zeugnis für nützlich erachtet habe. Plutarch 1. c. scheint ohne weitere Quellen,
und um die Sache nach seiner Weise dramatischer zu machen, die 'Notwendigkeit
einer falschen Angabe zu stark hervorzuheben.
und die Hermokopiden 39
ZU der Anzeige; nach seinem eigenen Berichte sagte er vor dem Senat
aus, „daß er die Personen kenne, die den Hermenfrevel begangen
hätten; Euphiletos habe während eines Gelages die That zu verüben
in Vorschlag gebracht, und er, Andocides, sich dem widersetzt und
bewirkt, daß sie damals nicht zur Ausführung kam; bald darauf habe
ihn ein Sturz vom Pferde auf das Krankenlager geworfen, und diese
Zeit habe Euphiletos benutzt um seine Hetären zu überzeugen, daß
Andocides sich endlich habe bereden lassen an der Sache teilzunehmen
und daß er die Herme vor dem Phorbanteion verstümmeln werde;
darum sei diese Herme allein unverstümmelt geblieben. Als nun anderen
Tages die Hetären diese unverstümmelt gesehen hätten, sei es ihnen
bedenklich geworden, daß Andocides um den Frevel wisse ohne Mit-
schuldiger zu sein; darum seien Euphiletos und Meletos zu ihm ge-
kommen, und hätten ihm eröffnet, was sie gethan, [32] und daß, wenn
er schwiege, sie nach wie vor gute Freunde sein würden, wenn aber
nicht, sie ihm als Feinde gefahrlicher werden würden, wie vielleicht
gewisse andere ihretwegen ihm Freund werden möchten. Darauf habe
er sich noch einmal sehr ernstlich gegen das Geschehene erklärt, im
übrigen gesagt, daß er schweigen werde". Zur Bestätigung dieser An-
gaben brachte Andocides Sklaven und Sklavinnen vor, die bekannten,
daß er zur Zeit des Hermenfrevels wirklich bettlägerig gewesen sei.
Da nun seine Aussage mit der des Diokleides im geraden Widerspruch
stand, so daß entweder die eine oder die andere lügenhaft sein mußte,
so wurde die Sache vom Senat und den Inquisitoren weiter untersucht,
Diokleides vorgefordert und scharf inquiriert; es wurde zur Sprache
gebracht, daß er die Leute im Lichte des Vollmondes erkannt zu haben
behauptete, da doch in jener Nacht des Frevels Neumond gewesen sei ^^
u. s. w. Bald genug gestand Diokleides, daß er gelogen habe, daß er
sich habe zur falschen Anzeige erkaufen lassen, und zwar durch den
Phegusier Alcibiades und Amiantos von Ägina^*, daß [33] man
'' Diodor XIII 2, der nur diese Anzeige kennt; Plutarch. Alcib. 20, der
zugleich aus Phrynichos, wahrscheinlich dessen Monotropos, welche Komödie
Ol. 91 2 aufgeführt worden, folgende Verse citiert:
O liebster Hermes, hüte dich sehr, damit du nicht
Hinfällst und entzwei brichst und ein zweiter Diokleides so,
Der auch verleumden möchte, von dir ein M&rchen spinnt.
Hermes. Ich werde mich hüten. Auch dem Teukros möcht ich nicht,
Dem blutigen Fremdling, neue Prftmien bringen —
'^ Dieser Alcibiades ist sicher der Sohn des Aziochos, der der jüngere
Bruder von Alcibiades Vater Kleinias war; er flüchtete jetzt und befand sich
Ol. 92 4 auf der Flotte der Syrakusier, fiel in dem Gefecht bei Methymna in die
Hände des athen&ischen Feldherm Thrasyllos, der ihn steinigen ließ. Xenoph.
40 Des Aristophanes Vdgel .
Barmherzigkeit gegen ihn haben möchte. Er aber wurde dem Gericht
übergeben, nnd nach dem Gesetz über falsche Denunciation^'^ zum
Tode verdammt; Alcibiades aber und Amiantos ergriffen die Flucht.
So die Erzählung des Andocides^®; in wesentlichen Punkten wei-
chen andere Angaben hiervon ab. Thucydides, der es dahingestellt
sein läßt, ob Andocides Anzeige wahr oder erlogen gewesen, sagt, daß
er sich selbst mit unter den Hermenverstümmlem genannt habe 2';
ebenso Plutarch an einer Stelle 2®, an einer andern** fügt er hinzu,
daß Andocides roitg tibqI rä Uqcc äfiagrövrccg^ und unter diesen sei-
nen Vater angezeigt, denselben aber dadurch gerettet habe, daß er ver-
sprach, sein Vater werde, wenn man ihm Straflosigkeit zusichere, eine
dem Staat höchst wichtige Anzeige machen, worauf beides erfolgt sei,
Straflosigkeit für Leogoras und dessen Angabe von Unterschlagung
öffentlicher Gelder. Endlich [34] in der angeblich Lysianischen Rede
gegen Andocides geht alles durcheinander; Andocides sei nach dem
früher verübten Frevel ein Jahr lang in Haft geblieben und habe
dann seine Freunde und Verwandten vom Gefängnis aus denunciert'®.
Dies letzte Zeugnis ist in jeder Beziehung unbrauchbar; und was
Hell. I 2f 13: JiXxißiädov oyja apstpiov xai (Tv^q^vyatia, jtaidleviTey. Palmerius hat
xarikvcrep emendiert und in der Teubnerschen Edition steht nTJsXvirev, eine Ver-
änderung, die für unseren Prozeß von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Nämlich
der berühmte Alcibiades war damals wieder Feldherr der Athenäer; wenn
Thrasjllus, der kurz darauf mit seinem Geschwader zu ihm stieße seinen Vetter,
den er mit den Waffen in der Hand gefangen, frei gab, so mußte der Phegnsier
Alcibiades mit seines Vetters wegen frei gegeben werden, stand mit ihm im
besten Vernehmen, hatte also die Denunciationen des Diokleides veranlaßt um
seinem Vetter Vorschub zu leisten. Dagegen aber ist einzuwenden, daß der
Phegusier dann gewiß nicht mehr bei den Feinden Athens sein durfte, sondern
daß aus Rücksicht für seinen Vetter seine Verdammung aufgehoben worden
wäre; auch erinnere ich mich nicht, daß seiner später Erwähnung geschieht,
was z. B. im Dialog Axiochos kaum zu vermeiden gewesen wäre; endlich ist es
augenfällig, daß die von Diokleides Denuncierten zum Teil Freunde des Alci-
biades waren, ja der jüngere Alcibiades wäre gewiß nicht der Verdächtigung und
Einkerkerung entgangen, wenn man ihn nicht für einen Gegner seines Vetters
gehalten hätte. So glaube ich ist die alte Lesart xeTelavtrev richtig, wie denn
überdies xmelvaev ungewöhnlicher Ausdruck wäre. Amiantos von Ägina
ist eine nur vermutete Person; denn die Handschriften geben 'A^iav toviov
d( Atylvr^g, woraus man eben so leicht ÄdsifAaviov xbv fc| Jltyivti^ machen könnte;
wer der ist, weiß ich nicht.
" Andocides de myst. § 20. " Andocid. § 48 ff.
" Thucid. VI 60. " Plutarch. Ale. 21.
*® [Plutarch.] X Oratt. p. 834 vgl. die noch weiter ausgeschmückte Erzfthlung
bei Tzetzes Hist. Chil. VI v. 367.
"^ Lysias in Andocid. § 23.
und die Hermokopiden 41
Plutaroh von der Anzeige gegen Leogoras sagt, hat mindestens das
ausdrückliche Zeugnis des Andocides gegen sich. Nur durch falsche
Interpretation einer Stelle in der Rede, die Andocides Ol. 92 2 über
seine Rückkehr gehalten, bringt Hr. Becker es heraus, daß der Redner
seinen Vater als schuldig angezeigt habe. Er übersetzt: „ich kam in
„solche Geistesverwirrung, daß ich zwischen zwei der größten Übel
„wählen mußte, entweder, wenn ich die Urheber jenes Frevels nicht
„nennen wollte, für mein eigenes Leben besorgt zu sein und selbst
„meinen Vater, der doch nichts verbrochen, mit mir aufzuopfern —
„denn dieses mußte erfolgen, wenn ich jenes nicht thun wollte — oder,
„wenn ich das Geschehene mitteilte, mich selbst von der Todesstrafe
„zu retten, und zugleich der Mörder meines Vaters zu werden"; im
Text (de reditu §7) steht gerade das Gegenteil, wie sich auch von
selbst verstehen würde ^^ Was demnach mit der Angabe des Plutarch
über die Anzeige des Andocides gegen seinen Vater zu machen, ist
nicht recht abzusehen, man müßte denn annehmen, daß irgend etwas
Wahres, etwa des Leogoras Angabe über Unterschleif von Staatsgeldem,
in späteren Prozeßreden gegen Andocides so zu dessen Nachteil aus-
geschmückt worden und in Plutarchs Notizensammlung über das Leben
des Redners übergegangen sei.
Andocides nun, nachdem er das oben Berichtete über den
[35] Hermenfrevel angegeben, bezeichnete als Teilnehmer an dem-
selben außer den bereits von Teukros Denuncierten, welche teils hin-
gerichtet, teils entflohen waren, noch vier andre ^* aus derselben
Hetärie des Euphiletos, namentlich den Panaitios^^, Chairedemos ^*,
'* Es heißt de reditu 7 fj firj ßovXjjd-evti xaTemeiv — rbv naTifta ovdev ddixoUvra
(Tvv cjuatrrfi) ttnoxTeivaiy — tj xatemdvTi rä ye^Byr^fiepa avrbv fxkv aq>e&evTa fiij
te&vapaiy xov öe ifiavTOV narQog fif] (povia Yevead'ai,
'^ Von diesen, meint Andocides (de myst. § 52), war vorauszusetzen, daß
sie überdies von Diokleides denunciert worden; sie müssen also in die Kategorie
derer gehört haben, die der jüngere Alcibiades im Interesse der Oligarchie zu
vernichten wünschte. Wenn es nach Thucydides klar ist, daß mehr als diese
vier von Andocides denunciert waren, so muß man berücksichtigen, daß eben
nur diese die bisher noch nicht angezeigten waren. Übrigens sind gerade diese
vier späterhin in ihr Vaterland zurückgekehrt und in Athen zu der Zeit, als Ando-
cides in seiner Mysterienrede wiederholt, daß er sie gerechterweise angezeigt habe ;
dies wflre nicht möglich gewesen, wenn seine Angaben erlogen gewesen wäre.
" Sluiter p. 41 nimmt Anstoß an dieser Erwähnung des Panaitios, und
allerdings war der von Andrem aohos Denuncierte gewiß entflohen; so muß denn
dieser ein anderer desselben Namens gewesen sein.
^ Bis jetzt ist mir nur ein Chairedemos aus Demosthenischer Zeit (Ur-
heber des JPsephisma über sofortige Lieferung von Schifisgerätschaften in der
angeblich Demosthenischen Rede gegen Euergos und Mnesibulos § 20) bekannt
42 Des Aristophanes Vögel
Lysistratos^* und Diakritos^®. Darauf wurde Andocides und die übrigen,
die er nicht genannt hatte, freigegeben'^, auch denjenigen aus der
Liste des Diokleides, welche geflohen waren, die Erlaubnis zur Rückkehr
gegeben; alle aber, welche Andocides angezeigt hatte, wurden verurteilt
und wer von ihnen im Gefitngnis war hingerichtet, wer entflohen war
zum Tode verdammt und [36] Preise auf ihre Köpfe gesetzt'®. Die
Bürger aber, die noch seit dem vorigen Tage unter Waffen waren,
gingen in Frieden nach Hause.
Schon oben ist bezeichnet worden, daß Thucydides in Zweifel war,
ob des Andocides Angabe richtig gewesen sei oder nicht. Es ist nicht
zu verlangen, daß wir Sicheres darüber ermitteln; aber leugnen will
ich es nicht, daß Andocides alle Wahrscheinlichkeit für sich hat Schon
daß er selbst und die von Teukros Denuncierten auch sonst den ähn-
lichen Frevel begangen, spricht dafür; wären andere Schuldige als die
Angegebenen gewesen, so hätte es, bei den vielen und schnell aufeinander
folgenden politischen Veränderungen zu Athen, kaum ausbleiben können,
daß später die Sache nach ihrer Wahrheit ans Licht kam. Thucydides
scheint bei seiner sichtlichen Parteilichkeit gegen Alcibiades trotz der
richterlichen Entscheidung und der Anzeige des Andocides noch immer
gemeint zu haben, daß Alcibiades auch an diesem Frevel Anteil gehabt'®,
eine Ansicht, die im Lauf der Zeit zu einer historischen Tradition ge-
worden ist*^; wie ich glaube, mit größtem Unrecht. Mindestens darf
'* Lysißtratos, wohl nicht des Moiychides Sohn von Pallene (Corp. Inscr.
u. 138 [= C. I. A. I 129, 130]); eher glaube ich, daß der Cholargier, der herunter-
gekommene Ritter gemeint ist (Aristoph. Acham. 855 Equit. 1265 Vesp. 788).
Ein anderer ist des Makareus Sohn; der von Xenoph. de vectig. 3 erwähnte Feld-
herr ist aus einer späteren Zeit
^ Man hat den Namen Diakritob in Lakritos verwandeln wollen; beide
Namen würden eben so unbekannte Personen bezeichnen wie Diakritos, das
durch die Bücher an zwei Stellen (§ 52 und 67) sicher sein dürfte.
'^ Thucyd. VI 61. Wenn es heißt, Andocides habe fast noch ein Jahr
gefangen gesessen (Lysias iu Andoc. 23), so ist gegen das ausdrückliche Zeugnis
des Historikers darauf nicht viel zu geben: daß er aber in Atimie verfiel, ist
wahrscheinlich (Sluiter. p. 73).
^^ Thucyd. 1. c. Plutarch. 21 Philochorus apud Schol. ad Arist Avea v. 766
(111 M.).
^^ Mindestens spricht er mit absiclitlicher Undeutlichkeit; er sagt (cap. 62)
,, gegen Alcibiades waren die Athener, gereizt von seinen Feinden, welche ihn
„bereits vor der Abfahrt angegriffen, sehr erbittert. Und weil sie über den
„Hermenfrevel genau unterrichtet zu sein meinten, so glaubten sie um so mehr,
„daß auch die £ntwcihung der Mysterien, deren er beschuldigt war, in derselben
„Absicht wie die Conspiration gegen das Volk von ihm betrieben sei."
*^ Schon in Demosthenes Zeit gilt dieser Glaube (in Midiam 143), und aus den
folgenden Zeiten könnte man eine große Reihe von Beweisstellen zusammenbringen.
and die Hermokopiden 43
man behaupten, daß in der Anzeige des Andocides nichts gegen ihn
enthalten war; sonst hätte es Andocides selbst in seiner Mysterienrede,
mehr noch Thncydides und Plutarch, ausdrücklich erwähnen müssen
und in der gleich zu nennenden Eisangelie des Thessalos hätte es
nicht fehlen dürfen; [36] nicht zu erwähnen, daß mindestens im all-
gemeinen die Hetärie des Euphiletos oligarchisch gesinnte Männer und
Gegner des Alcibiades enthält.
Bei dieser Entwickelung der ganzen Sache hätte sich das Volk
beruhigen können und allerdings war man nun überzeugt, daß die
Gefahr, die sich in dem Hermenfrevel vorgedeutet hatte, vorüber sei
Aber es trat hier, wie so oft in den Bewegungen der Menge, eine
seltsame Verkehrung ein; man hatte hinter dem Hermenfrevel tiefere
Tendenzen gefürchtet, und da man sie nicht fand, suchte man sie
irgendwo sonst, eben weil man sie fürchtete; man hatte auf oligarchische
und tyrannische Verschwörungen inquiriert und glaubte nicht eher
sicher zu sein, als bis diejenigen, welche man fürchten zu müssen
glaubte, als Opfer gefallen waren. Diese Verkehrung in der öfiFentlichen
Meinung bewirkten die Gegner des Alcibiades in ihrem Interesse
um so leichter, da das Volk gegen ihn seit der ersten Eisangelie her
immer mehr argwöhnisch geworden war und, nicht mehr durch die
persönliche tTberlegenheit des großen Mannes beherrscht, gegen ihn um
so erbitterter und leidenschaftlicher wurden, je tiefer sie sich ihm
sonst in Ergebenheit gebeugt haben mochten. Dazu kam, daß gerade
jetzt spartanische Truppen auf dem Isthmus erschienen waren, und
man überredete sich leicht, daß dies nicht gegen die Böotier, sondern
gegen die athenische Demokratie und zwar auf Alcibiades Veranstaltung
geschehen sei; nicht minder legte man ihm die oligarchischen Be-
wegungen zur Last, die eben jetzt in Argos von einigen seiner Gast-
freunde gemacht worden waren, und man ging so weit die Geißeln,
welche bei Einrichtung der argivischen Demokratie gestellt worden
waren, dem dortigen Demos zur Hinrichtung auszuliefern. Es gehörte
in Wahrheit die ganze fieberhafte und unverständige Leidenschaftlichkeit
des athenischen Demos dazu, sich einreden zu lassen, Alcibiades woUe
jetzt, da er entfernt sei, den Sturz der Verfassung oder habe je daran
[38] gedacht mit Hilfe der Spartaner, die er oft und auf jede Weise
geschädigt, gekränkt und gefährdet, sich in Athen zu fordern. Aber
das Volk war verblendet, haßte blindlings wie es blindlings folgte und
gab so derjenigen Partei, die kaum drei Jahre später die Oligarchie
proklamierte, Gewalt gegen den Mann, der Athen in seiner demo-
kratischen Größe zu schützen fiihig und berufen gewesen wäre.
Wie aber gegen den Feldherrn ankommen, der, unter den
44 1^68 Aristophanes Vögel
Hermenfreylem nicht geuanDt, in Sachen der Mysterienverletzungy über
die ihn Andromachos und Agariste denunciert hatten, sowie wegen Con-
spiration zum Umsturz der Verfassung durch Volksbeschluß bis zur
Beendigung des Feldzuges Vertagung erhalten hatte? Es ist mit Sicher-
heit anzunehmen, daß gegen ihn eine neue Denunciation wegen
Mysterienyerletzung in seinem eigenen Hause herbeigeschafft
worden*^; Thessalos begründete darauf eine neue Eisangelie; sie
lautete: ,,Thessalos des Cimon Sohn, der Lakiade, macht gegen Alci-
„biades des Eleinias Sohn von Skambonidä die Eisangelie, daß er ge-
„frevelt hat gegen die beiden Göttinnen, indem er die Mysterien nach-
„geahmt und seinen Hetären das Heilige gezeigt hat in seinem eigenen
„Hause, mit demselben Gewände angethan, wie der Hierophant, wenn
„er das Heilige zeigt, und sich selbst Hierophanten nennend, Folytion
„aber, seinen Daduchen, den Phegäer Theodoros, seinen Herold, die
„andern Hetären, Mysten und Epopten, und das alles gegen das heilige
„Recht und die Satzungen der Eumolpiden, Keryken und Priester von
„Eleusis". Diese Eisangelie nahm das Volk an und versetzte dadurch
den Feldherm in Anklagestand; die salaminische Triere wurde abge-
sandt, ihn aufzuheben; und, da er sich durch die Flucht rettete, auch
an den wiederholten Terminen nicht in Athen vor Gericht erschien,
sprach das Volk [39] das Todesurteil über ihn aus, confiscierte seine
Güter und befahl den Priestern und Priesterinnen des Landes den
Fluch über ihn auszusprechen *2.
So der Zusammenhang der Prozesse über Hermenfrevel und
Mysterienverletzung. Ich habe mehrfach darauf auänerksam gemacht,
daß überall politische Parteiung im Hintergrunde lag, und daß noch
namentlich die Männer der drei Jahre später proklamierten Oligarchie
den Sturz des Alcibiades herbeiführten. Es ist zu bedauern, daß wir
über das innere Getriebe dieser Parteiungen so wenig unterrichtet
sind, und daß namentlich Thucydides es nicht für die Sache des
Historikers gehalten hat von diesem innem Leben des Staates aus-
führlicher zu handeln. Mit Mühe und nicht ohne Unsicherheit müssen
wir nun aus zerstreuten Angaben und Andeutungen die Zusammenhänge
ergänzen, durch welche die inneren politischen Bewegungen Athens
erst begreiflich werden. Nichts ist in dieser Beziehung wichtiger und
unklarer zugleich als das Hetärieenwesen, das gerade in der Zeit
des peloponnesischen Krieges in seiner Blüte war; ich finde über diesen
^' Denn wegen der früheren Denunciationen war die erste Eisangelie
eingereicht und vertagt worden.
*« Thucyd. VI 61 Plutarch. AIcib. 21 u. s. w.
and die Hermokopiden 45
GegeDstand eine Schrift von Hm. Hüllmann citiert^', habe sie aber
nicht einsehen können; ich muß befarchten, manches von ihm bereits
Erörterte zn wiederholen, und, wenn er die Sache vielleicht schon zum
Abschluß gebracht hat, noch in der Irre zu gehen; dennoch kann ich
es nicht vermeiden, bei den Hetärieen zur Zeit unserer Prozesse einen
Augenblick zu verweilen.
Den nächsten Anknüpfungspunkt bietet das, was Andocides in
seiner Mjsterienrede über Euphiletos und dessen Freunde beibringt.
Andocides selbst, die von Teukros denuncierten Männer, endlich die
vier von Andocides hinzugefügten gehörten dieser Hetärie an, die ich
mir erlaubt habe, die des [40] Euphiletos zu nennen, da dieser mehrfach
als das Organ derselben erscheint. Nach dem begangenen Hermenfrevel
hatten Euphiletos und Meletos zu unserm Redner gesagt: wenn er
schwiege, würden sie ihm Freunde wie bisher sein, wenn aber nicht,
würden sie ihm gefahrlichere Feinde werden, als vielleicht ihretwegen
gewisse andere ihm Freunde werden dürften. Dazu muß man anderer-
seits nehmen, welche Männer infolge der falschen Denunciation des
Diokleides festgenommen wurden, und wie Charmides im Gefängnis
seinem Vetter Andocides den Vorwurf macht, daß er wegen der Männer,
mit denen er bisher in enger Verbindung gestanden, seine Verwandten
vernachlässigt habe*^ Hier sind zwei Verbindungen, die sich einander
ziemlich entgegenstehen; für die zweite weiß ich den Namen des Führers
nicht; aber es ist zii bemerken, daß der jüngere Alcibiades, der Fhe-
gusier, den ich oben als politischen Gegner seines Vetters bezeichnen zu
müssen geglaubt habe, den Diokleides zu jener Denunciation veranlaßte,
in deren Folge Männer, die entschiedene Anhänger des älteren Alcibia-
des, z. B. Kritias, oder der Demokratie, z. B. Eukrates*^ waren, in die
geföhrlichste Lage kamen. Wenn sich unter diesen, die durch Diokleides
Anzeige gestürzt werden sollten, auch oligarchische Männer, z. B. Ando-
cides selbst, befanden, so beweist dies nur, daß sich die athenischen Vor-
nehmen nicht bloß nach der Alternative politischer Prinzipien sonderten;
sondern daß vielmehr zwischen Männern von gleicher Ansicht die gegen-
seitige Eifersucht und das Bestreben, Einfluß zu gewinnen, neue Tren-
nungen hervorbrachte, die vielleicht erst um die Oligarchie der Vier-
hundert zu begründen für kurze Zeit ausgeglichen wurden. So sind
die Hetärieen in der That weniger Parteien als Coterieen, und es wird
*' Programm de Atheniensium avpufioaiatg etc. Königsberg 1814 [Vergeb-
lich gesucht].
^ Andocid. de myst. § 49.
^' Mindestens preiset ihn in seinem Verhältnis zu den Dreißig Lysias in
der Rede f&r seine Söhne 4.
46 Des Aristophanes Vögel
begreiflich, wie ein Meletos und Theodoros zugleich in [41] Alcibiades
Gesellschaft die Mysterien schänden und von der Hetarie des Euphiletos
sein konnten. Leute solcher Art waren jene scheinbaren Freunde des
Alcibiades, die in der Ekklesie auf Vertagung der ersten Eisangelie
antragen konnten. Eine andere Hetarie dürfte die sein, welche
die Mysterienanzeige des Teukros bezeichnet; sie aber ist in ihrer
politischen Bedeutung nicht zu erkennen. Von der Hetarie, die sich
um Phaiax, den Sohn des Erasistratos, und um Nikias, den Sohn des
Nikeratos, vereinigt hatte, kennen wir weitere Teilnehmer nicht. Wich-
tiger scheint die Trinkgesellschaft, zu welcher sich in den Aristophanischen
Wespen (V. 1300 S.) der Alte begiebt, um einmal mit vornehmen
Leuten lustig zu sein; sein Sohn hat ihm den Vorschlag zum PhUok-
temon zu gehen gemacht, und der alte Herr findet da bei einander
den Hippyllos, Antiphon*®, Lykon*^, Lysistratos, Thuphrastos*®, rovg
nepl 0Qvvixov*^, zum Teil heruntergekonunene Vornehme, offenbar eine
Hetarie, die zur Zeit der Wespen von Bedeutung gewesen; ob sie zur
Zeit des Hermenfrevels noch bestand, weiß ich nicht nachzuweisen ; wenn
sie aber bestand, so mag sie eine von den gewiß zahlreichen Verbin-
dungen gewesen sein, die mehr oder minder offenbar gegen Alcibiades
machinierten. Mit aller Zuversicht darf man behaupten, daß alle Männer
Athens, die beratend oder führend [42] an dem öffentlichen Leben teil-
nahmen, in dieser Zeit der Entscheidung für oder wider Alcibiades thätig
waren, und dennoch kennen wir außer den Denuncierten nur die, welche
ihren Namen hergaben. Es fehlen uns Nachrichten über jene große
Zahl von Notabilitaten, die den Staat damals auszeichneten: von Aristo-
krates, von Kallias, von Lykurgos, von Phäax, von Perikles Sohn, von
Aristarchos und Theramenes, von allen denen, nach welchen man sich
zuerst umsehen mochte bei einer Haupt- und Staatsaktion^®, wissen
*• Es scheint mir in jeder Hinsicht wahrscheinlich, daß dieser Antiphon
der berühmte Rhamnusier ist, von seiner Armut oder Verarmung wissen wir frei-
lich sonst nichts Erhebliches; sein Redenschreiben für andere konnte der Komödie
Anlaß geben, ihn als einen um Lohn arbeitenden armen Mann darzusteUen.
*' Ich denke an Lykon „Prahlhans" (Schol. ad Aristoph. Vesp. 1169), den
Vater des schönen Autolykos, der auch unter Sokrates' AnklSgem genannt wird
Plat. Apol. p. 23 E Diog. Laert. II 39.
** Über Thuphrastos sowie über Hippyllos ist mir för den Augen-
blick nichts weiter bekannt, als waa sich aus der angeführten Stelle des Aristo-
phanes ergiebt.
*» Gewiß keine bloße Umschreibung, wie man Formen dieser Art so oft erklfirt.
^ Nur einige der berühmten Namen jener Zeit habe ich nennen wollen;
es wäre leicht den Katalog zu vermehren. Bei dieser Gelegenheit mag ich die
Bemerkung nicht unterdrücken, wie unser Urteil über Personen jener Zeit,
indem besonders nur die Klatschgeschichten und Karrikaturen der Komddie auf
und die Hermokopiden 47
wir bei diesem Prozesse nichts; sie führten ihr Spiel hinter dem
Vorhange.
Ob von der Hetarie des Euphiletos mit dem Hennenfrevel, den
man ihr wohl wird zuschreiben müssen, eine politische Demonstration
beabsichtigt worden, nehme ich keinen Anstand verneinend zu be-
antworten; sie hätte in "Wahrheit nichts Thörichteres thun können,
als ihre Tendenz durch eine That zu verraten, die nichts nützen und
viel schaden konnte. Andererseits aber darf man der Vermutung nicht
Baum geben, daß sie ein Verbrechen begangen habe, um dessen Schuld
hinterher dem Alcibiades aufzubürden und ihn so zu stürzen; auch da
würde sie vorsichtiger zu Werke gegangen sein, würde sich mit anderen
Hetarieen, die dem großen Feldherm gleich feindlich waren, ver-
bündet und so dafür gesorgt haben, daß, wenn ihre Schuld entdeckt
würde, sie dennoch sich der Strafe entziehen konnte. Vielmehr war
die Sache so, wie sie die Verstandigen von Anfang her ansahen, ein
freventlicher Übermut, [43] der, wenn man ihn strafen wollte, durch-
aus von allen Tendenzprozessen fernzuhalten gewesen wäre. Aber
gerade indem man unter dem Verwände, die beleidigte und gefährdete
Keligion rächen zu wollen, den Angebereien Thür und Thor öffnete,
vermochten die oligarchischen Intriguen, unterstützt von dem wüsten
Geschrei der Volksmänner, jenen politischen Sturm heraufzubringen,
der den athenischen Staat zum erstenmal gegen die Klippen schleu-
derte, von denen er erst als Wrack wieder frei kommen sollte. Daß
sich nach begangenem Frevel der Argwohn des Volkes gegen Alci-
biades wandte oder leicht wenden ließ, lag in der Natur der Sache;
und wenn man einmal jede Äußerung oder Bethätigung antireligiösen
Sinnes als Verbrechen gegen den Staat stempelte, so war Alcibiades
schuldig. Ich will meine Bewunderung für ihn mich nicht dazu ver-
leiten lassen, die gegen ihn erhobenen Anklagen der Lüge zu zeihen;
ja ohne Schuld wäre Alcibiades nicht mehr er selbst. Wohl aber darf
man behaupten, daß, wenn er schuldig war, vielen und den besten
Männern in Beligionssachen mannigfache und vielleicht dem Staat ge-
fährlichere Schuld nachzuweisen gewesen wäre; daß aber damals nicht
mehr an den Tag kam, als da gekommen ist, dürfte sich durch das
heimliche Wirken der Oligarchie allein erklären lassen; was Diokleides
gethan zu haben log, war ganz in der damaligen Weise: der Wissende
uns gekommen sind, über alle Berechnung ungerecht und übel begründet ist; erst
wenn man nah und näher mit jener größten Epoche des athenischen Lebeus bekannt
wird, kann man die Schwierigkeit derartiger Untersuchungen einsehen ; und doch
sind sie von der größten Wichtigkeit, da gerade damals, wie in jeder Kulmination
des öffentlichen Lebens, der Pragmatismus in den persönlichsten Verhältnissen ruht.
48 Des Arifltopluuies Vogel
feilschte mit dem Privatmann und verkanfte ihm sein Gewissen , das
Interesse des Staates galt keinem mehr neben dem persönlichen. Leicht
konnten die höheren Zirkel es hintertreiben, daß gegen sie dennndert
wurde, da, der es konnte, gewiß erst zu ihnen kam, nm za handeln;
nur wenn sich solcher Stimmen eine gegnerische Coterie bemächtigte,
konnte sie ge&hrlich werden; und so wurde namentlich gegen Aldbiades
und dessen Anhang verfahren. Nicht auch gegen Euphiletos und dessen
Hetarie? Des Teukros Denunciation scheint in ihrer parteilosen Un-
abhängigkeit von den Privatverhältnissen dieses Metöken bestimmt ge-
wesen zu sein; aber gerade, daß nach [44] seiner Anzeige noch so
lange Zeit verstreichen konnte, ehe sich von dem letzten Hermenfreyel
auch nur eine Spur finden ließ, zeigt, mit welcher Leichtigkeit sich
weitere Anzeigen finden ließen, da doch offenbar Sklaven und öffentliche
Mädchen von jenem Trinkgelage und dessen Folgen wußten.
Ich habe im frühem die Angabe des Isokrates, daß die Manner
der kurz darauf proklamierten Oligarchie des Alcibiades Sturz bereitet
hätten, ohne Bedenken als richtig angenommen; für jetzt wußten sie
noch unter der Maske der größten Zuneigung für das Volk zu agieren '^^ :
erst als sie die Demokratie ihres rechten Führers beraubt und, da nur er
dem sicilischen Unternehmen Glück und Erfolg bringen konnte, des
Staates Macht sowie die Blüte der Bürgerschaft in nur zu sichere Gefahr
gebracht hatten, traten sie, sobald üble Kunde von Sicilien herüber
kam, mit ihren Plänen bestimmter hervor. Im Herbst 01.91 4 setzten
sie die Ernennung von Probulen durch ^^; dem Wesen nach ein oligar-
chisches Institut ^^ bereitete es sicher zur Veränderung der Verfassung
vor; und mit dem nächsten Frühling war man so weit das Volk zur
Auflösung der Demokratie bereden und die Oligarchie proklamieren zu
können. Des Alcibiades momentanes Verhältnis mit dieser Partei zu
entwickeln, würde mich für jetzt zu weit führen.
fi. Die KomOdie in OL 91 2.
Wir wissen, daß Ol. 91 2 in den Lenäen des Aristophanes Am-
phiaraos, in den Dionysien dessen Vögel, des [45] Ameipsias Komasten,
des Phrynichos Monotropos aufgeführt sind. Amphiaraos anlangend
^^ Der Ausdruck dafür scheint in jener Zeit evvotKnatoi gewesen za sein.
Andocid. de myst § 86 Lysias in Erat 65 pro Polystrato 7 u. s. w.
" Thucyd. VIII 1 cf. Kruger ad Dionys. Hai. p. 273.
^ So Aristot. Polit VI 5, 13. Auf welchem Irrtum es beruht, wenn Diodor
XII 75 ihr Bestehen bereits von Ol. 39 4 datiert, weiß ich nicht; aus der Zahl
dieser Probulen ist mir wenigstens des Theramanes Vater Hagnon bekannt (Lysias
in Eratosth. 65).
und die Ilermokopiden 49
hat Süyem die Yermntung geäußert, daß er gegen Nikias gerichtet ge-
wesen, und obschon Hr. Dindorf sich mit starkem Zweifel gegen diese
Ansicht erklärt, dürfte sie doch in jeder Beziehung zu billigen sein; ist
denn nicht Nikias, wie weiland Amphiaraos in dem gleichen Fall wider
Willen in einen Krieg zu ziehen, auf den sein Gegner dringt, nnd
dessen üblen Ausgang er vorhersieht? sind nicht beide berühmt wegen
ihrer Deisidämonie und steter Eücksicht auf Zeichen und Vorbedeutung?
und wenn uns die 22 Fragmente, die Hr. Dindorf aus dieser Komödie
gefunden, kein deutlicheres Bild geben, so sind sie mindestens nicht
gegen die Süyemsche Ansicht. Das Stück des Ameipsias hat den Namen
Komasten und bezeichnet mit demselben einen Chor nächtlich Um-
herschwärmender, die vom Gelage kommen, wie deren Art aus dem
verhängnisvollen Beispiele des Hermenfrevels bekannt ist; es wäre bei
einem Stücke dieses Namens und Jahres unmöglich, den Gedanken an die
Komasten der Mysterienfrevel und der Hermenverstümmelung zu unter-
drücken; so glaube ich, daß Ameipsias eben über jene Frevel ein lustig
Spiel gemacht hat, wie es den Athenäem schmecken mochte. Phrynichos
nahm, wie es scheint, die entgegengesetzte Weise vor; wir wissen, wiesehr
die furchtbaren Prozesse das gegenseitige Vertrauen erschüttert, wie die
Furcht vor geheimen oligarohischen oder tyrannischen Umtrieben gerade
jetzt einen Indiflferentismus gegen das öffentliche Leben hervorgerufen hatte,
der der intriguierenden Partei außerordentlich Vorschub leistete. Es scheint
mir wahrscheinlich, daß diese traurige Verwandlung der Sitte das Allge-
meine in dem Monotropos oder Einsiedler des Phrynichos war; da die
Zahl der Fragmente unbedeutend ist, so läßt sich näheres nicht ergründen.
Wie nun steht es mit den Vögeln des Aristophanes? Süvem hat
das ganze Stück zu einer Allegorie gemacht; es [46] solle die Unsinnig-
keit der sicilischen Expedition veranschaulicht werden; die Vögel seien
die Athener, die Götter der Spartaner Macht, die Opfer gebenden Men-
schen die Bundesgenossen, welche durch die Seemacht in der Wirklichkeit,
durch die Luftmauer in der Komödie abgesperrt würden; Peisthetairos,
der Stifter des Projekts, sei Alcibiades, mindestens zum Teil, und das
Ende mit der Basileia die große Lehre, daß Alcibiades auf diese Ex-
pedition hin seine Tyrannis gründen werde. Das arme luftige Stück!
Man könnte eben so bequem das Entgegengesetzte aufstellen, daß näm-
hch die Vögel die Spartaner seien, zu denen ja eben jetzt Peisthetairos-
Alcibiades gekonunen mit seinem großen Projekt zum Sturz Athens
und zur Wiedererlangung der alten Macht, die sie, die Vögel-Spartaner,
eher gehabt als die Götter-Athener. Beide Ansichten sind entschieden
unrichtig, weil sie zu materiell, mit der Chronologie in Widerspruch
und überdies zur Erklärung des einzelnen doch nicht ausreichend sind.
Droyeen, El. Schriften II. 4
50 ^^ Aristophanes Vögel
Gerade das muß vor allem aufrecht erhalten werden, daß das Ganze
ein vollkommen phantastisches Spiel ist, daß sich alles Wirkliche und
Faktische durch eine in sich ganz verständige Logik zu lauter Ideali-
tat und Überspanntheit sublimiert, die doch wieder an allen merklichen
Momenten der Gegenwart dicht dahinstreift; das Ganze erscheint wie
eine Fata Morgana, die die Wirklichkeit jedoch wieder durch alle diese
verzogenen, körperlosen, wehenden Bilder hindurchschimmern läßt
Man vergegenwärtige sich den Zustand Athens: Alcibiades ist
politisch tot; der Feldzug in Sicilien im Gange, ohne überraschende
Erfolge, die Prozesse haben viele Verhältnisse zerrüttet, nun ist es
stiller in der Stadt, auch der Parteikampf ist abgestumpft, das Volk
mit heimischen Dingen übersättigt, von Sicilien redet man mit Langer-
weile; man ist blasiert; man will neues, neue Projekte, je toller, desto
besser, so reizt es doch. Dies ist die Stimmung, zu der die Vögel
der poetische Ausdruck sind. Man wird gegen Sparta [47] kämpfen.
Alltäglichkeiten ! man L<?t gegen Sicilien ausgezogen und will Hesperien
und Libyen erobern. Kleinigkeiten! man wird Asien und Afrika unter-
werfen, Sparta zerschmettern, die ganze Welt demokratisieren, um
Athens Freiheit zu schützen — ewiges Einerlei ! es werden die Atiiener
doch stets im Gerichte gaflFend sitzen und in der Pnyx wie Schafe
dem Demagogen Leithammel nachblöken und nachlaufen. Des sind
nun zwei Ehrenmänner überdrüssig, der HoflFegut und der Leitefreund
sie wollen auswandern, wollen sich beim König Kuckuck (so müßte man
Deutsch sagen) erkundigen, ob er ihnen „so eine wohlige, wollige Stadt
wohl, nennen will, wo man weich und warm in der Wolle sitzen und
wohnen kann". Er nennt diese, jene Stadt, keine gefallt; wie ist denn
bei den Vögeln hier das Leben? Gar billig, gar bequem: Jn den
Gärten picken wir weiße Zuckererbsen aus, Johannistraube, Myrte, Mohn,
Trittvögelchen" — ein wahres Hochzeitsleben! ein Reich großer Zukunft!
Dem Leitefreund kommt der große Gedanke: „baut eine Stadt zwischen
Himmel und Erde, so beherrscht ihr die Welt, zwingt die Götter, euch
Tribut zu zahlen, gewinnt die Herrschaft wieder, die euch nach unvor-
denklichem Rechte zukommt! König Kuckuck ist entzückt, er beeilt
sich die Vögel zu berufen, er geht an den Busch seine Nachtigall zu
wecken, daß sie mit ihm den Lockruf anstimme; er singt:
Süß Weibchen, auf, auf, und verscheuche den Schlaf,
Laß quellen den Born des geweihten Gesangs,
Den so süß hinströmt dein seliger Mund,
Wenn um mein, wenn um dein Kind Itys du
In unendlicher Sehnsucht hell wehklagst
Aus tiefister Brust!
und die Hennokopiden 51
Von der säuselnden Linde Gezweig steigt rein
Dein Schall zum Thron des Kroniden empor,
Wo der goldengelockte Apoll dein lauscht,
Und zu deinem Gesang in die Lyra greift,
[48] Und zu deinem Gesang den umwandelnden Chor
Der Unsterblichen führt;
Und es weht von der Lippe der Himmlischen dir,
Mittrauemd mit dir,
Der Götter selige Wehmut!
Es folgt der Lockruf, die Vögel kommen, erst einzelne, hier ein fliegender
Flamingo, dort auf eitel hohen Spitzen stolzierend der Hahn, dann ein
anderer Kuckuck mit ruppigem Gefieder, wieder dann watschelnd und
dickkropfig eine Kropfgans, vulgo Nimmersatt; dann kommen sie bei
Paaren, bei Vieren, dann der ganze Chorus, so viel da noch fehlt.
Das Stuck ist eingeleitet, man ist allmählich und mit herrlicher Kunst
aus dem Felde der Wirklichkeiten in das Vogelreich eingeführt; erst
in weiter W^ildnis zwei Vögel, unscheinbar auf der Wanderer Faust,
dann der Zaunkönig, der König Kuckuck im Vogelkönigsstaat, aus der
Waldung hervor, nun das ganze Schwärmen und Lärmen des Vogel-
tums, das sich zur Beratung versammelt hat
Das erste Entsetzen der Vögel beim Anblick der Menschen, das Par-
lamentieren, Leitefreunds Deklamationen, der tiefe Eindruck, den seine
Schilderung der alten Vogelgewalt auf die Versammelten macht, seine
begeisternden Pläne, das Entzucken und freudige Beistimmen der Vögel
— das alles will ich nicht schildern; es ergiebl sich Scene für Scene
auf ganz ehrbare und natürliche Weise. Die Vögel aber fühlen sich in
ihrer Herrlichkeit; sie singen ihre Verkündigung: „0 Menschen ihr rings,
Nachtwandler am Tag, Herbstlaub in dem Walde des Lebens u. s. w."
Es beginnt die zweite Scenenreihe: HofiFegut und Leitefreund kommen
aus dem Busch zurück, zu Vögeln umnaturt; alles Menschliche ist ab-
gethan, hier ist nichts als Luft und Vögel. Was ist nun zu thun?
erst taufen wir die Stadt, dann weihen wir sie mit frommem Opfer
und beginnen ihren Bau. Aber kaum, daß die Opfer beginnen, so
kommt auch schon [49] drunten von den Menschen herauf wer nur
immer bei einer neuen Gründung seinen Vorteil zu machen hofft, der
Gelegenheitspoet, der Feldmesser, der Orakelmann, der geheime Agent,
der Gesetzeshändler, all dies Bettelvolk geht in reliefartigem Zuge, wie
es die Weise der Komödie überhaupt ist, über die Bühne; auf das
Lustigste werden sie von hinnen geprügelt, das Vogelreich ist sich selber
genug. Es folgt hier die zweite Parabase mit ihrer schönen Schilderung
von der Vögel Göttermacht, ihrem Aufruf gegen Vogelßnger und Vogel-
händler, dem Liede von dem süßen Geschick der Vögel:
52 I^es Aristophanes Vögel
Wohl sind wir Vogelscharen
Gluckaelig, trotz des Winters Frost
Bedürftig keines Kleides;
Auch brennt nns nicht der Sonne Glut,
Der Pfeil des schwülen Sommers.
Im Blumenwiesengronde kühl
In Laubes Schoß, da schlaf ich,
Wenn im Kornfeld heimlich zirpend Heimchen seinen bangen Ruf
Von des Mittags glühnder Stille wie im Wahnsinn jammernd ruft.
Zum Winter kehr* ich in Höhlen ein
Und spiele mit den Nymphen,
Speise rote Frühlingserdbeem, Mädchennaschwerk, weiße Myrte,
Lauter Frucht aus dem NymphengSrtlein!
Nun folgt der dritte Teil des Lustspiels, das Weihopfer ist vollbracht,
Leitefreund kommt wieder ins Freie: wie mag es mit dem Bau der
Stadt stehen? Und schon kommt ein Bote herangeeilt, von dem un-
geheueren Mauerbau zu berichten. Ein staunenswürdig Werk! von wem
ist es so schnell, so riesengroß emporgebaut?
Die Vögel, niemand anders, kein äg3rptischer
Handlanger, Steinmetz, Zimmermeister half dabei,
[50j Sie bauten eigenhändig, staunend sah ich es.
Aus Libyen kamen dreißigtausend Kraniche,
Die Steine verschlungen hatten zum ersten Unterbau;
Dann hauten die Krexe diese mit ihren Schnftbeln zu;
Zehntausend Storche strichen Ziegeln fordersamst;
Es trugen Wasser vom untern Raum in die Luft herauf
Die Regenpfeifer und Wasservögel aller Art
Leite freund. Wer machte den Lehm an?
Bote. Hoher Herr, die Reiherschaft
In Mulden.
Leitefr. Wie aber brachten sie da den Ijchm hinein?
Bote. Das war, o Herr, auf höchst geistreiche Art erdacht
Die schnatternden Gänse klätschelten ihn wie mit Hacken los
Und schlenkerten ihn mit den Füßen behend in die Mulden hinein.
Leitefr. Was doch die Füße nicht zu allem fähig sind!
Bote. Dann trugen die Enten, meiner Seel, hochaufgesterzt
Die Ziegel heran; die Mauerkelle hinter sich.
Den Lehm im Schnäbelchen, flogen emsigst flinken Flugs,
Lehrjungen gleich, die kleinen Schwalben her und hin.
Leitefr. Wer wollte nun noch bauen lassen für Tagelohn?
Sag' an, wie weiter? Für die Mauer das Zimmerwerk,
Wer machte das?
Bote. Höchst kluge Vögel Zimmerer,
Die Meister Pelikanen, die mit den Schnäbeln schnell
Die Thore beilbehauten; und es war der Schall
Von ihrem Beilschlag, wie es in Schifisbauwerften dröhnt
und die Hermokopiden 53
Und nun ist alles wohlgethort mit Thttr und Schloß
Und wohl verriegelt, wohl bewacht im Kreis' uiQher.
Die Runde geht, es schallt das Wachtglöcklein, es stehn
[51] An allen Orten Wachen aus, Fanale sind
Auf allen Thtlrmen. Aber ich will eiligst fort,
Mich abzuwaschen. Alles andre ordne du!
Kaum ist er fort, so kommt auch schon ein zweiter Bote, von der
Tageswache am Thor, daher: Fürchterliches ist geschehn, von den
Göttern ist wer durch das Thor passiert, wer es ist, weiß niemand, nur
daß er Flügel hatte, sah man:
wir sandten ihm
Gleich dreiBigtausend Falken als fliegende Jäger nach,
Und ausgerückt ist was nur Klau und Kralle trägt,
Thurmfisdke, Würger, Stößer, Habicht, Adler, Weih;
Von ihrem Sausen, Schwarmesrauschen, Flügelschlag
Stürmt's wild im Äther, indem sie suchen des Gottes Spur.
Auch kann er nicht mehr weit entfernt sein, sondern muß
Hier nahe sitzen!
Höchstes Getümmel unter den Vögeln; und sieh, da weht ein Mäd-
chen in Eegenbogensgestalt über dem Gebüsch lustig her und hin.
Es ist Iris, die die Götter gesendet haben, die Menschen zum Opfer
zu ermahnen, denn hat sie auch nichts von Mauer und Thor gemerkt,
so ist doch der Weg zwischen Himmel und Erde gesperrt; und leicht
hinwehend wie sie kam, fliegt sie von hinnen, die holdseligste Gestalt,
die je die Komödie erfanden hat. Was aber wird sie ausrichten bei
den Sterblichen?
Denn auch Leitefreund hat schon zu den Menschen hinunterge-
sandt, ihnen das Götterreich der Vögel zu verkündigen; von dorther
kommt, als kaum der Götter Botin fort ist, der Herold zurück zu be-
richten, wie' sich bei den Menschen alles geändert habe; denn ehe dies
neue Babylon gegründet war,
Lakonisierten alle, trugen langes Haar,
[52] Und turnten, hungerten, wuschen sich nie, sokratelten viel;
jetzt dagegen voglisiert alles Tag und Nacht, viele tragen Vogelnamen,
bald werden bei tausenden Kolonisten von dort herkommen sich hier
anzusiedeln. Und eiligst werden große Waschkörbe mit Federn heraus-
gebracht, um die neuen Ankömmlinge zu Vögeln machen zu können.
Die Federn werden ausgelesen und geordnet nach Singfedem und
Springfedem, nach marinen und terrinen, daß jeder hier männiglich
das entsprechende Gefieder sofort finde. Es kommen denn auch also-
bald ein „ungeratener Sohn", der berühmte Modedichter Kinesias, ein
54 Des Aristopbanes Vögel
Sjkophant, der eine, um nach Vogelsatzang den Vater schlagen zu
dürfen, der andre, ans Wolken und Schneegestöber sich fliegend die
Phrasen seiner Poesie aufzuschnappen, der dritte, um desto eüiger zu
den Inseln und wieder heim nach Athen zu fliegen, wenn er einen
Beichen verleumderisch verklagt; allen dreien wird, was sie wollen, und
überdies Beflügelung mit der Earbatsche.
Ist das vorüber, so kommt in tiefer Verhüllung, denn er fürchtet,
daß ihn der unbewölkte Zeus erblicke, Prometheus nach seiner alten
Philanthropie demVogelarchon Leitefreund zu raten; die Götter hungern,
nichts von Opfer kommt mehr gen Himmel, die Barbarengötterschaft
Vor Hunger beulend, zfthnefletsohend ihr Kauderwelsch
Drohn Zeus mit Krieg yon Norden ber za überziehn,
Wenn er nicht sofort der großen Sperre ein Ende macht
Es werden Gesandte kommen, man mache keine Zugeständnisse, es werde
denn den Vögeln das Scepter abgetreten und dir, Leitefreund, die Basileia.
Nach dieser Anweisung rüstet sich der alte Mann wieder zu gehen:
„gieb mir den Feldstuhl, den Schirm, damit mich Zeus, wenn er her-
unter sieht, für einer Kanephore Bedienten hält". So geht er, über-
schirmend den Stuhlgang seiner Angst.
Die Gesandten erscheinen, Poseidon, Herakles, Triballos; [53] hinten
in der Küche sitzt Leitefreund, dort werden einige Vögel gebraten;
der Duft schmilzt des Heros Herz, umsonst verwarnt ihn Poseidon;
er steht zwischen Bratenduft und Pflicht, Herakles am Scheidewege;
schon innerlich verführt durch den Bratenduft und die eventuelle Ein-
ladung zum Mahl, erliegt er leicht den Sophismen Leitefreunds ; protestiert
auch Poseidon, so ist doch des Barbarengottes Sprache, dem Zwitschern
der Schwalben gleich, den Schwalben allein verständlich, und die abso-
lute Majorität hat für Leitefreands Antrag entschieden. Er zieht sich
ein hochzeitlich Kleid an, um mit in den Himmel zu gehen und die
Basileia heimzuführen. Bald kommt er zurück; mit dem Brautzuge
und dem „Juchhe, Juchheißa, Hochzeit!'^ schließt die Komödie.
So die Umrisse dieses wunderherrlichen Stückes; es hieße die
Poesie desselben gänzlich zu Grunde richten, wollte man es für nichts
als eine Earrikatur zum sicilischen Feldzuge und zu Alcibiades nehmen.
Hat das der Dichter gewollt, warum bezeichnet er Sicilien nirgends?
warum nennt er nicht den Alcibiades, den er nicht mehr zu fürchten
hat? wie sollte „der Alte", der Leitefreund, den schönen und jugend-
lichen Alcibiades vorstellen? u. s. w. Wenn Süvern selbst erkennt, daß in
Leitefreund auch etwas vom Gorgias stecke, beweist das nicht, daß
derselbe gar nicht mehr eine besondere Person, sondern eine allgemeine
und die Hermokopiden 55
Figur ist, die sophistische Kunst, die Frojektenmacherei, tausend andere
Eigentümlichkeiten damaliger Zeit in sich vereinigte? Er und sein
Kamerad sind so das Ganze des athenäischen Wesens; er, „ganz Kopf,
ganz Umsicht, ganz Projekt, ganz Spekulation", der andere, Hans
HoflFegut, ein rechter athenischer Partikulier, immer lustig und voll
Spaß, nie überrascht, nicht von großer Kourage, ohne eigenen Willen,
stets räsonnierend, anstellig zu allem. Kann's da fehlen, daß man zu
beiden Figuren unter den Athenern Vorbilder, Ähnlichkeiten, Parallel-
narren in Menge findet? Aber beide, so wie die ganze Fabel, sind für
[54] spezielle Personen und Fakta zu allgemein; alles Faktische und
Persönliche, gleichsam aufgelöst zu einem allgemeinen Eindruck, zu
einer Stimmung, einem durchaus Innerlichen, und in dem die Farben
der Wirklichkeit zu Einem Lichtton verschwimmen, das ist der StoflF,
aus dem diese Komödie geworden ist, und darum ist sie so vollkommen
Poesie.
Nun aber ist das gerade das Wesen der alten Komödie, daß ihre
phantastische Welt sich mitten in die Alltäglichkeit hinstellt und aller
Enden das Hier und Heut seine leibhaftigen Angesichter, nebst Arm
und Bein und mehr noch hindurchsteckt; diese gehören dann mit
hinein, und werden ordentlich mythisch anzusehen, und wieder der
Mythos, in den sie hineintappen, wird gerade so täppisch alltaglich,
wie sie; das ist denn der Humor davon. So in den Vögeln; daß das
Vogelreich und die Wolkenstadt und alles Wesen und Treiben da
wieder Athen ist, versteht sich von selbst ; was giebt's denn sonst noch
in der Welt; nur daß es ein Traum- Athen ist und man träumend zu
wachen meint, alles Bekannte traumhaft verzogen an sich vorüber
schimmern sieht und endlich am Schluß, wenn man erwacht, sich die
Augen reibt, umherfühlt, endlich sich überzeugt, daß es nur ein Traum
war, ein seltsamer Traum! In demselben sind tausenderlei Dinge des
Heut und Hier vorgekonunen, und das Wirklichste ist wie Märchen,
das Märchenhafte wie wahr und wirklich gewesen; der Zusammenhang
aller der Dinge ist dann nicht ihr äußerlich faktisches Verhalten in
und zu der Wirklichkeit, nicht eine gewisse mechanische Tendenz, die
das Kunstwerk zu einem Mittel erniedrigte, nicht ein fabula docet oder
die Bedeutung einer allegorischen Composition, sondern eben jene
Stimmung, jene Atmosphäre der Wirklichkeit, jenes Allgemeine, aus
dem das seltsame Bild wie ein Traum heraufgetaucht ist.
Man meine nicht, daß ich hiermit den alten Dichter zu einem
Romantiker mache; auf solcher Basis von Mythisieren, Verinnerlichen,
zur Stimmung Auflösen oder wie man es sonst [55] nennen will, ruht
alles poetische Thun in jeder Kunst; das Unterscheidende beginnt erst
56 ' I^es AristopbaDes Vögel
mit den Gestalten und auch da mag man sich hüten, Grenzmarken zu
fixieren, die herüber und hinüber vielfach überschritten sind.
So viel von dem Stück im allgemeinen; ich darf mich jetzt zu
den Fragen wenden, die ich im Eingang dieser Abhandlung aufgeworfen
habe; aber auch die kann ich nicht ohne neuen Umschweif beantworten.
In der Regel hält man die alte Komödie und namentlich den Aristo-
phanes für höchst patriotisch, höchst sittlich, höchst ehrenwert; man
denkt sich ihn als streng sittenrichterlichen Ehrenmann, der nur die
lachende Maske vorhält, um mit tiefem, moralischem Ernst zu rat'en,
was allein dem Staate helfen könne, u. s. w. Sofort müßte man gesteho,
daß er wenigstens sehr zweideutige Mittel zu solchem Zwecke braucht;
verleumdend, um Verleumder zu züchtigen, Sykophant mit arger Frech-
heit, voll Gotteslästerlichkeit, wo er den Verfall der Religion beklagt,
schwelgend in der stinkendsten Sittenlosigkeit, über die er so oft mora.
lisiert, ist er durch alle die Fehler, die er lustig an den Pranger
stellt, selbst so liebenswürdig und geistreich, wie er es ist Es ist
ein schlimmes Ding, von einem Spötter Gesinnung zu erwarten, auf
deren Kosten ja der Spott selbst nur möglich ist; es wäre eine morose,
abständige und langweilige Komik, die eigentlich nur Moral zu predigen
im Sinne hätte, und die Moral selbst wäre doppelt schlimm daran,
solche Priester zu finden, die da an dem Beispiel und der Lust des
Lasters die Tugend lehren möchten. Freilich ist die Komödie von
tiefem und erschütterndem Ernst, der aber liegt außer ihr und ihrem
Zweck, er würde in dem Volke erwachen, wenn das nicht so gar sehr
lachen müßte; es vergißt für den Augenblick den Ernst der Wirklich-
keiten, von der dies Spiel das furchtbar getreue Abbild ist, und lachend
geht es dem Untergange zu.
Aber ist nicht dagegen das ausdrückliche Zeugnis des [56] Aristo-
phanes selbst? sagt er nicht oft, wie er es ernst meint? Gewiß sagt
er es und ändert die Sache damit nicht. Wie schön sind nicht die
Phrasen, die etwa H. Heine macht, wie wunderbar und begeisternd
spricht er von allem Heiligen und Schönen, um es im nächsten Augen-
blick in den Kot zu treten. In Zeiten gesteigerter Civilisation, wenn
das Scheidewasser der Aufklärung alles Leben angefressen, wenn man
über Sitte und Vorurteil hinwegräsonniert hat, wenn in der Fäulnis
der sittlichen und religiösen Zustände das wurmhaft wimmelnde Einzel-
leben immer beweglicher und bunter durcheinander arbeitet, dann
sind in der Poesie Erscheinungen wie die alte Komödie möglich und
an der Zeit.
Was immer ich mit solchem Urteil dem Aristophanes abspreche,
ihm fehlt es, wie es seinem Zeitalter fehlt; ihm bleibt das, was ihn
und die Hermokopiden ' 57
in demselben und für alle Zeit groß gemacht hat, die unendliche Fülle
seiner Poesie. Wir mögen den Menschen vergessen, um den Dichter
zu bewundem; es wäre Prüderie, vor einer Madonna Raphaels seiner
Maitressen, oder über die Großthaten Alexanders seiner Trunkenheit
nicht vergessen zu können; und wie geneigt wir sind, an großen
Geistern auch ihr Alltägliches bewundernswert zu wünschen, so müssen
wir doch um des einen willen nicht das andere verunglimpfen oder
nach engherzigem Belieben zurechtrücken; ja selbst in dem, was wir
gern anders sahen, finden wir bei ernster Betrachtung sicherlich tiefen
Sinn und bedeutende Charakteristik.
Eine weitere Begründung obiger Ansichten über Aristophanes muß
ich für jetzt mir versagen, wennschon ich besorge, daß sie mir mannig-
fach werden mißdeutet werden; sie würden minder kühn erscheinen,
wäre man nicht vielfach gewöhnt sich das Altertum überhaupt ohne
die feste und gesunde Leibhaftigkeit zu denken, durch die es erst
historische Wahrheit erhält, welche aber gar manchen Philologen als
Entweihung und Befleckung des allzuschönen Idealbildes, zu [57] dem
sich ihnen das klassische Altertum verklärt hat, erscheint.
Wenn man von jenen Ansichten aus, zu denen ich mich bekenne^
die Aristophanische Komödie und ihre politische Bedeutung betrachtet,
so wird man sich leicht überzeugen, daß sie im Grunde keiner Partei
so angehört, daß sie mit einiger Consequenz für dieselbe arbeitete;
Männer von jeder Farbe zieht sie in den Bereich ihres Hohnes, da ist
keine Tugend so erhaben, kein Laster so abscheulich, daß sie nicht
eine lächerliche Seite an demselben herausspürte; sie ist gerade wie
der liebe, leichtfertige, klatschhafte, gallen- und lachsüchtige Demos
selber, um dessen Gunst sie buhlt, mag's mit Schmeichelworten oder
mit bitterlichen Vorwürfen sein; und nimmt sie denn wirklich einmal
einen Anlauf gegen Kleon oder Sokrates, so ist das unendlich amüsant,
hat aber nie oder selten irgend einen Erfolg, als daß das Volk lacht.
Sie ist keine Censur, keine politische Macht.
Endlich nun die Fragen des Anfangs. Nennt Aristophanes in den
Vögeln wirklich keinen der vielen Namen, die wir in den kurz vorher
verhandelten Prozessen genannt finden? Er nennt den Diagoras
(V. 1072), doch dürfen wir den als Ausländer über Seite lassen; und
daß Philokrates (V. 1077 und 14) des Demeas Sohn, nicht aber der
von Teukros denuncierte sei, ist bereits oben vermutet worden (S. 24
Anm. 24). Außerdem erklären die Scholiasten zu V. 766:
„Wenn den Verbannten Pisias Sohn die Thore verräterisch öffnen will",
daß man „des Pisias Sohn" nicht weiter kenne, daß aber entweder
er oder sein Vater einer der Hermokopiden gewesen sein müsse.
58 I^es Aristophanes VGgel
Yielleicht ist diese Angabe aus einer Namensverwechselung des wirklich
denuncierten Meletos mit dem 6 Iluaiov Mikfjg, dem schlechtesten
Eitharöden, wie ihn Fherekrat«s in den Wilden (Fr. 1) nannte, ent-
standen; mindestens kann der Sohn nicht anter den Hermokopiden
gewesen sein, [58] da er nach Beendigung der Prozesse noch in Athen
war und verdächtigt werden konnte den Verbannten die Thore öffnen,
die Stadt Verraten zu wollen; und des Vaters Namen Fisias finden
wir gleichfalls nicht aufgezeichnet, da wir doch gerade die wegen
Hermenfrevel mit einigem Fuge Denuncierten alle namentlich kennen.
Endlich könnte man, wenn Leitefreund (V. 67) gefragt, was denn er
für ein Vogel wäre, antwortet: 'EmxtxoSm ^ycoye (pamccvixög eine
Anspielung finden auf Andocides, den vor Angst denuncierenden
{(paaiavoq hat ävriQ\ der zugleich der Sohn des Leogoras ist, welcher
ia in Athen seiner Fasane wegen bekannt ist; doch ist dies mehr als
zweifelhaft. Man wird also mit Recht fragen, wie es kommt, daß
Aristophanes von den in den Prozessen belangten keinen komodiert?
Nahe würde es liegen zu antworten, er sei von der Partei, die
unterlegen. Aber war denn etwa die Verbindung des Andocides und
Euphjletos von gleicher politischer Farbe mit Alcibiades' Partei? hing
der Komiker, was nicht der Fall gewesen sein dürfte, diesem an, warum
zieht er nicht in den Vögeln, wie doch sonst, jene oligarchische Hetärie
durch, etwa den Lysistratos oder Panaitios — doch ja, diesen soll er
ja nach dem Scholiasten V. 440 bezeichnet haben; warum hütet er
sich denn nun so geflissentlich seinen Namen zu nennen, da er doch
die schöne Klatschgeschichte, die auf den Namen „des Mannes mit der
großen Frau" erzählt wird, nicht entbehren kann? Andererseits sind
die in dem Stücke durchgezogenen Personen, so viel sich erkennen
läßt, von den verschiedenartigsten politischen Tendenzen; da ist von
der höchsten Aristokratie Nikias (V. 639), Aristokrates des Skellias
Sohn^ [59] (V. 125), Lykurgos aus dem Geschlecht der Eteobutaden*
(V. 1296), von Volksmännem der bramarbasierende Kleonymos (V. 1475.
290), Syrakosios, der klaffende Hund der Rednerbühne» (V. 1297),
^ Sein Geschlecht wird mit dem des Nikias und Perikles zu den vornehmsten
Athens gezählt (Plato Gorgias p. 472) ; unter den Vierhundert trat er der gemäßig-
ten Partei bei (Thncyd. VIII 92 Lysias in Erat. 66) und die Oligarchie rächte
sich in dem Prozeß nach der Arginusenschlacht, von deren Feldherm er gewesen
war (Xenopb. Hellen. I 6). Mit ihm starb sein Geschlecht aus und sein Name
ging über in das Haus seines Bruders (Demosth. in Theoer. 67).
* Hr. Runkel Cratin. fragmenta p. 12 nennt ihn sonderbar genug homo
ignobilis.
' £upolis nolaig h, 8.
and die Hermokopiden 59
Kleisthenes des Sibyrtios Sohn, der Genosse des Androkles* (V. 831),
von Oligarchen der Daduche Kallias (V. 283), Peisandros (V. 1556),
Diitrephes^ (V. 798), auch des Sellos Sohn Aeschines (V. 823), und
Theagenes und Proxenides, die Prahlhänse (V. 1127); selbst der bigotte
Diopeithes fehlt nicht, noch der hochpreisliche Lampon, noch Eieokritos,
der Herold der Mysten®. Indem so der Dichter Männer von allen
Parteien vornimmt, dürfte es schwer sein zu sagen, mit welcher er es
eigentlich hält; wenn er von den freilich jetzt verbannten Mitschuldigen
des Hennenfrevels oder der Mysterienverletzung in den Vögeln keinen
nennt, während er doch in andern Stücken weder der Landesflüchtigen
noch selbst der Toten schont, so glaube ich hat das nicht in seiner
Gesinnung, sondern in irgend sonstigen Umständen seinen Grund. Nun
sagt der Soholiast zu den Vögeln (V. 1297), Syrakosios scheine ein Ge-
setz gegen das övoiiaaxl xcjfKpSaTv durchgebracht zu haben, und Phry-
nichos sage im Monotropos:
A. W&q' H^Bi JSvgaxdaiov,
B. 'EitKpavriq yä() ccvrq)
xal fieyälf] rv^or
äfpeikero yäQ [y - \j z. B. Teoirjtaig]
XODfJLfpSeTV OVQ kTte&vfiovv.
Ohne dieses Citat aus einer Komödie dieses Jahies würde der Scholiast
nicht Gewährsmann genug für eine so merkwürdige Sache sein; aber
Phrynichos Worte, wenn auch im einzelnen noch der Verbesserung
bedürftig, besagen ganz deutlich, daß des Syrakosios Psephisma gerade
diejenigen, die man am liebsten möchte, zu verspotten verbiete. Gewiß
richtig hat der Scholiast övoiiaari zugefügt, da der anonyme Spott in
Athen jeder ControUe überhoben war. Diese, ovq kTte&vfiovVy wer
könnten sie gewesen sein? etwa die auf der Flotte? Nikias muß ja
herhalten; etwa die anerkannt bestgesinnten und partriotischen Bürger,
die den Staat gerettet? Peisandros und Kleonymos werden des Gründ-
lichsten gehechelt Ich meine, es liegt nichts näher als gerade an die
in den Prozessen Verurteilten zu denken; so hatte dies Psephisma nicht
etwa die Absicht das rdv jiBaövra kccxriffai nXiov barmherzigerweise
* Aristoph. Vesp. 1187.
* Thucyd. VIII 64 Cratin. Chirones fr. 8.
^ Aves. 988, 521, 877 vgl Xenoph. Hell. II 4, 20. Eine große Zahl solcher,
deren politische Tendenz uns nicht bekannt ist, habe ich nicht erwähnt, wenn
schon sich bedeutende Figuren des Staatslebens, wie Rinesias der Dithyrambikcr,
Lysikrates, Meidias und andere darunter finden.
60 1^66 Aristophanes VSgel
ZU hindern, sondern war eine poUtisch richtige Vorsichtsmaßregel, die
der Hauptsache nach sicher gegen Alcibiades gerichtet war. Schön
hat Aristophanes in den Fröschen (1425) mit einem travestierten Verse
des geistreichen Ion von Ghios die Stimmung der Stadt gegen Alci-
biades ausgedrückt:
no&ei fUv, kx^ctiQBi Si, ßoH^xai fff^x^iv.
So wunderbar war die Persönlichkeit des außerordentlichen Mannes, daß
man nun, da er hinweg und gestürzt war, nichts mehr fürchtete, als
des Volkes Sehnsucht nach seinem Liebling wieder erwachen zu sehen;
jede Erinnerung an ihn mußte gemieden, womöglich sein Name der
Vergessenheit übergeben werden; gewiß war es im Sinne der Oligarchie,
daß Syrakosios jenen Vorschlag durchgebracht hatte.
Wenn aber so durch Gesetzeskraft verpönt war der Condemnierten
namentlich zu gedenken, konnte da die Komödie des Ameipsias unter
den Komasten die Hermen- und Mysterienfrevler, wie oben vermutet
worden, darstellen? Ich meine, ja; auch Aristophanes Vögel enthalten
Anspielungen der [61] Art. Wenn König Kuckuck den beiden Aus-
wanderern zum Beispiel eine Stadt am Boten Meere nennt, wo sich's
gut wohnen ließe, so denkt Leitefreund gleich an die Salaminia, die
eines schönen Morgens im Hafen erscheinen wird auch sie heimzuholen;
die Vögel, die in Herakles Gegenwart gebraten werden, sind zum Tode
verdammt wegen Verschwörung gegen die Vögeldemokratie; der geheime
Agent droht, wenn er geprügelt ist, dem Leitefreund mit Denunciation:
gedenke wie du an die Stele gestern Abend genotdurftet hast, u. s, w.
Gewiß durfte Ameipsias über den bekannten Komastenunfag komodieren,
wenn er es geschickt machte; und daß er es geschickt machte, daß er
namentlich der allgemeinen Stimmung zu Dank gedichtet hatte, dafür
spricht der erste Preis, der ihm zuerkannt worden. Es mochte mit
. Becht das KomastiCnspiel, in dem gewiß alle Unfläterei und Frevellust
der Vornehmen recht sichtlich vor Augen gestellt war, dem Volke besser
gefallen, als das Einsiedlerstück des Phrjnichos oder diese ausgelassene,
übersprudelnde Tollheit der Vögel, in der die Athener das Bild ihrer
vogelhaften, gedankenlosen, stets leicht mißbrauchten Charakterschwäche
scharf genug dargestellt erkennen mußten, das aber in den feinen Zügen
und Inventionen ihnen gewiß zu fein war.
So die Resultate, die ich von der Vergleichung der Hermokopiden-
und Mysterienprozesse mit den Aristophanischen Vögeln freilich be-
deutender erwartet hatte; vielleicht wäre es von Interesse gewesen, die
und die Hermokopiden 61
Dentongen Süverns, da sie vielen Eingang gefanden haben, noch im
einzelnen zu beleuchten nnd namentlich, was er auf Alcibiades Bezüg-
liches gefanden za haben meint, in dem Zusammenhange hinzustellen,
wie ich es sehen zu müssen glaube; indes würde mich eine Darstellung
der Art zu weit aus dem Bereich meines Planes hinaus und in das
einzelne der Komödie geführt haben. [62] Auch bei der Entwickelung
des politischen Lebens der Athener, als dessen Mittagshöhe ich nicht
Perikles, sondern Alcibiades, den Eroberungszug nach Sicilien, die auf
das äußerste gesteigerte und in sich selbst zum anderen Extrem um-
schlagende Demokratie ansehe, hätte ich gern länger verweilt; aber
noch liegt hier das meiste und wichtigste gar sehr im argen, und
nicht ohne Scheu habe ich hier und da einen Schritt weiter in das
weite Trümmerfeld hinaus zu machen gewagt.
[Einige Abschnitte dieser Abhandlung sind in die Einleitung zu des Verf.
Übersetzung der Vögel des Aristophanes aufgenommen worden.]
II.
Zur griecWsclien Litteratur.
Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst herausgegeben
von Dr. A. Rüge und Dr. Th. Echtermeyer in Halle I. Jahrgang 1838
Nr. 169—171 Sp. 1349 ff.
G. Bernhardy, Grundriß der griechischen Litteratur mit einem ver-
gleichenden Überblick der römischen. Erster Teil Halle 1836.
Caspari Frederici Wegener, D. de aula Attalica literarum artiumque
fautrice libri sex. Vol. I Havniae 1836.
Dr. Friedrich Ritschi, Die alexandrinischen Bibliotheken unter den
ersten Ptolemäem und die Sammlung der Homerischen Gedichte
durch Fisistratus, nach Anleitung eines Flautinischen Scholions.
Nebst litterarhistorischen Zugaben u. s. w. Breslau 1838.
[1349] Unternehmen wir es in diesen Blättern über Schriften,
wie die eben genannten, die überwiegend dem fachmäßigen Interesse
der Gelehrsamkeit angehören, zu sprechen, so geschieht es in der
Absicht von ihnen aus auf das eigentümliche Verhältnis dieser Litte-
ratur zur Entwickelungsgeschichte der Menschheit überhaupt hinzu-
weisen. Nicht selten verschmäht es die Gelehrsamkeit in der rücksichts-
losen Bewunderung für das erwählte Gebiet sich zu erinnern, daß es
nur ein Teil von dem großen Reiche menschlichen Wissens ist; ja man
hört neuester Zeit derartiges Vor- und Rückwärtsschauen wohl als un-
gründlich und, wie sie es nennen, geistreich verdächtigen; es komimt
dazu, daß die stupende Arbeit der bis in die dunkelsten Winkel hinab-
steigenden Forschung und die kecken Combinationen einer mit Zuversicht
oder Feinheit gehandhabten Kritik ungleich mehr imponieren, als die
Durchführung von Gedanken, deren jeder seine eigenen zu haben
glaubt. Aber die einzelne Wissenschaft darf sich dem Bewußtsin des
Allgemeinen so wenig verschließen, daß sie in demselben erst den
rechten Schutz vor Einseitigkeit und Verdumpfung findet, und eben
Zur griechiscben Litteratur 63
daher selbst die bedeutendsten Auüschlüsse erhält und sich über ihre
wesentlichsten Entwickelungen klar wird.
Wir glauben ein namhaftes Beispiel der Art in der Geschichte
der griechischen Litteratur zu finden. Es ist die herkömmliche Vor-
stellung, daß von echter griechischer Litteratur etwa nur bis auf
Alexanders und Aristoteles' Zeit die Rede sein kann; dann, denkt man
sich, folgt eine lange, dumpfe Nacht, in der nur hier und da ein-
zelne Sternchen oder auch Irrlichter zu sehen sind. Es heißt, „mit
Aristoteles [1350] habe sich das litterarische Dasein des hellenischen
Volkes vollendet; das Leben der antiken Hellenen sei fertig und abge-
schlossen in den Hintergrund getreten; niemand habe es können fort-
setzen wollen, nur es umzusetzen, zu begreifen und den umgeänderten
Verhältnissen anzueignen habe man bemüht sein können und müssen'^
(Bemhardy S. 341).
Solche Ansichten sind unleugbar richtig, wenn man griechische
Litteratur nur das nennen will, was sich Litterarisches in den reichen
Zeiten des freien und erst zur Weltherrschaft heranreifenden Griechen-
tums entwickelt hat. Aber wie dasselbe Griechentum herangereift und
durchgebildet die Welt erobert und, nach kurzer politischer Einheit
zersplittert, mehr als ein halbes Jahrtausend hindurch als Sprache und
Bildung geherrscht, wenn es diese ganze Zeit hindurch in unendlich
mannigfaltiger und folgereicher Thätigkeit gearbeitet hat, soll man da
nicht-s als Festhalten einer untergegangenen Herrlichkeit, keine Ent-
wickelung und keinen Fortschritt finden können? ermangeln hier wirk-
lich „Zeitalter und Individuen eines stetigen Zusammenhanges, einer
geistigen Gemeinschaft" (Bemhardy) ? Die griechische Litteratur ist bei
weitem nicht auf das Gebiet rein griechischer Nationalitat beschrankt.
Schon daß in dem Mittelpunkte jener Jahrhunderte und aus dem
Schöße der hellenistischen Bildung das Christentum mit seinem ehr-
würdigen Gefolge apologetischer, patristischer, häretischer Litteratur
hervorgegangen, müßte zu einer anderen Betrachtung dieser späteren
Zeit führen. Solche Erscheinungen sind für den Forscher wie hervor-
ragende Zielpunkte, nach denen er auf seiner Wanderung den Weg
abmißt und lenkt; wenn er zu ihnen gelangt ist, mag er von der
Höhe aus das Vorwärts und Rückwärts überschauen und den Weg, den
er mühsam zurückgelegt, mit allen Krümmungen und Umgebungen,
die er wandernd fast übersehen, im Zusammenhange erkennen.
Das Griechentum ist berufen gewesen, den tTbergang aus der
heidnischen in die christliche Welt zu erarbeiten; es hat das schwie-
rigste und fruchtreichste Tagewerk in der Geschichte der Menschheit
vollbracht.
64 Zu' griechischen Litteratur
Sehr schön hat man die Geschichte der Menschheit ein ,,Süchen
Gottes" genannt. Durch die eigene, freie Menschenkraft sucht ihn das
Heidentum; in dem Walten der umgebenden Natur, in den Gestal-
tungen, Zwecken und Verhältnissen des eigenen Lebens glaubt es ihn
zu finden; da ist der Gott, was der Mensch Bestes zu haben. Wich-
tigstes zu erkennen glaubt; von der Erde emporbauend meint er den
Himmel zu erklimmen. Die eigene treibende Unruhe zwingt den Geist
weiter und weiter zu ringen, er ist unermüdlich in diesem Üben der
eigenen Kraft, und immer neue Völker fuhrt er an die Arbeit, die
ermüdeten abzulösen und ihr Werk weiter zu fordern. Erst wenn alle
seine Mittel und Kräfte entwickelt sind und in höchster Anstrengung
und Vollendung gearbeitet haben, wenn das lebendigste Gefühl ihrer
Erschöpfung und Unzulänglichkeit wach geworden ist, wenn das kecke
und freudige Vertrauen auf die eigene menschliche Kraft der Sehn-
sucht nach einem höheren Beistande, nach einer unendlich über alles
Menschliche hinausreichenden Kraft weicht, erst da kommt der trost-
bedürftigen Menschheit die Gnade der göttlichen Offenbarung entgegen,
und die einst so stolze, nun in sich [1351] gebrochene Kraft des end-
lichen Geistes beugt sich in stiller Demut vor der Herrlichkeit des
ewigen Vaters.
Das Griechentum ist diese Vollendung des Heidentums, diese vollste
und reichste Entwickelung des Menschengeistes nach seiner eigensten
Kraft. Ohne Störung und Verkümmerung, nicht durch fremde Tradi-
tion belastet, noch durch bewältigende Übermacht der Natur gehemmt,
nur an sich selber lernend und im organisch-lebendigen Fortschritte
jede Form und Gestaltung erarbeitend, die das ewige Gesetz geistigen
Lebens bestimmt, hat dies herrliche Volk in seiner Geschichte das
voUommene Paradigma rein menschlicher Entwickelung, wie es kein
anderes Volk in dieser Allseitigkeit und Consequenz aufzuweisen hat.,
gegeben, hat es das Heidentum an die letzten Grenzen seines Könnens
und über sich selbst hinausgeführt. Freilich ist damit die Nationalität
erschöpft, und sie stirbt allmählich ab, aber ihre Sprache, ihre Bildung
und Litteratur wird das Gesamteigentum der Welt, durch sie werden
die Völker aus dem Heidentume hinausgeführt, durch sie wird der
neue Glaube mit immer herrlicheren Siegen gegen das Heidentum und
die aus demselben Boden erwachsenen Häresieen vertheidigt, bis endlich
das Dogma und die allgemeine Kirche begründet ist und der hellenisierte
Ost^n den Muhamedanem erliegt, während die Westwelt mit ihren Ger-
manen von dem Stuhle Petri aus die Impulse neuen Lebens empfingt
Für die Geschichte der griechischen Litteratur oder richtiger für
die weltgeschichtliche Entwickelung des Griechentums ist keineswegs
Zur griechischen Litteratur 65
Alexanders Eroberung der entscheidende Wendepunkt; sie mit ihren
reichen Folgen ist nur die Frucht und Erfüllung eines eigentümlichen
Verhältnisses, dessen Entwickelung an Athen geknüpft ist.
Mit ausgezeichneter Schärfe und Gründlichkeit hat Hr. Bernhardy
(S. 294 flF.) den attischen Geist und Volkscharakter geschildert; er hebt
es hervor, wie sich in Athen die partikulären Leistungen der verschie-
denen griechischen Stämme durchdrangen, wie sich in dieser Aufhebung
der gesonderten Bildungen und Selbständigkeiten eine universelle und
objektive Form, eine Schriftsprache bildete. Um die Zeit, als das athe-
nische Volk an die Spitze des griechischen Lebens trat, hatte eine
eigentümliche Bewegung der Gemüter begonnen. Jene sinnige und
dichterische Weise alter Zeit, die in der Außenwelt und den Erfahrungen
des Lebens nur Material und Anknüpfungspunkte für das phantasie-
reiche Schaifen finden mochte, war vorüber; mannigfache Verhältnisse
hatten das Interesse rationeller Betrachtung der Dinge und Verhältnisse
erweckt, man empfand die Unzulänglichkeit dichterischer Vorstellungen,
man suchte in den Dingen selbst ihre Bestimmung, ihr Maß und
Gesetz, der Geist begann zum Bewußtsein seiner selbst zu gelangen.
Nach der eigentümlichen Folgerichtigkeit des griechischen Wesens fand
diese neue Richtung sofort ihre entsprechende Form; es begann die
prosaische Darstellung zugleich mit der prosaischen Auffassung; aber
weder die eine noch die andere war ihrer selbst schon gewiß; grandiose
Gedichte, wie die des Empedokles, die tiefsinnigen Aphorismen eines
Heraklit, die merkwürdigen Institutionen des Pythagoras, [1352] die
das Alte und Herkömmliche durch Reflexion erneuen und zeitgemäß
machen sollten, sie alle gingen aus dieser neuen Tendenz hervor.
Das attische Leben war bestimmt den Kanipf des Alten und
Neuen, der Poesie und des Rationalismus in sich durchzukämpfen. In
diesem Gegensatze hat sich die vollendete Herrlichkeit der attischen
Tragödie entwickelt, deren Geschichte selbst das immer steigende Über-
gewicht des prosaisch Rationellen dokumentiert; wenn sie fast schon in
Reflexionen und Absichtlichkeiten untergeht, erhebt sich die Komödie in
den übermütigsten und willkürlichsten Ausgelassenheiten der Phantasie
die letzte Kraft des Poetischen zu vergeuden und gegen das Neue mit
ohnmächtigem Stachel zu wüten.
Die begonnene rationelle Entwickelung des Geistes mußte zu un-
widerstehlichen Consequenzen treiben. Nach dem Zusammenhange und
den Gründen der Erscheinung forschend war die Philosophie tief und
tiefer in Zweifel und Verneinungen hineingekommen. Sie hatte eine
Hülle nach der andern abgeschält, schon war die gänzliche Nichtig-
keit des menschlich Wahrnehmbaren prädiciert, es blieb nur noch
Droysen, Kl. Schrifteii II. ^
66 Z^ii" griechischen Litteratur
Übrig, die schneideade Waffe der Dialektik gegen den letzten Rest von
Positivitaten zn wenden und den Geist von aller Schranke des Ge-
gebenen und Geglaubten zu befreien. Es war das große Werk der
Sophistik zu zeigen, daß nichts sei als das subjektive Meinen, daß alles
Bestehende nur Gesetztes und Willkürliches, daß der Mensch in seiner
Subjektivität das Maß von allem sei. Mit Recht hat man diesen Zeit-
raum den der hellenischen Aufklärung genannt; sie wurde in Athen
mit der lebhaftesten Begierde aufgenommen und gehegt. Indem sie
über den Sachen zu stehen, ihren Zusammenhang zu erkennen, das
Zweckmäßige von dem Unwichtigen zu sondern lehrte, gab sie den so
Ausgerüsteten ein Übergewicht über die nur von dem Momentanen
und Nächstliegenden bestimmte Menge. Die Sophistik wurde die Bil-
dungsschule für den Staatsmann., Zum erstenmal in der Welt trat
der Unterschied zwischen Gebildeten und Idioten in seiner ganzen
Bedeutsamkeit hervor, und diese Richtung, die auf demselben Boden
mit der Demokratie erwachsen war, entwickelte sich zu dem entschie-
densten Gegensatze gegen die demokratische Gleichheit, in der man
das Wiesen der Freiheit finden zu müssen geglaubt hatte. So mußte
in oligarchischen Umtrieben die Verfassung und die Macht Athens
stürzen, eine wilde taumelhafte Zeit, der eine trostlos leere Restauration
folgte; edle Gemüter zogen sich von der Misere des öffentlichen Lebens
zurück, es löste sich das politische Interesse mehr und mehr, der Staat
war nicht mehr Brennpunkt und Ziel aller Bestrebungen und die fak-
tische und anerkannte Grundlage menschlicher Existenz; man begann
die Politik theoretisch zu behandeln. Athen selbst, in politischer Hin-
sicht unbedeutend, gewann die höhere Bedeutung der geistige Mittel-
punkt des hellenischen Lebens zu sein, das sich unter der Potenz dieser
attischen Bildung über die Stamm- und Verfassungsunterschiede hinaus
als ein geistig einiges zu fühlen und zu entwickeln begann.
[1357] Wenn die Sophistik sich zunächst als praktisch höchst
nutzbar für die Befähigung zum öffentlichen Leben empfohlen und als
Gipfel ihrer schulmäßigen Bildung eine ausführliche Wissenschaft der
Redekunst aufgestellt hatte, so hatte sie doch ihrem innersten Wesen
nach eine ungleich tiefere Bedeutung für das geistige Leben überhaupt,
und die von ihr angeregten Fragen weiter zu führen mußte die Auf-
gabe weiteren Fortschrittes sein. Eigentümlich treten nach dem pelo-
ponnesischen Kriege zwei Richtungen einander gegenüber, welche beide
bei dem allgemeinen Interesse für Bildung dieselbe vollständig zu be-
wirken gemeint waren. Isokrates erklärte, die Redekunst sei das wahr-
hafte Mittel der Gesamtbildung, denn wahrhaft gebildet seien die, welche
mit den Menschen umzugehen, sich in die Verhältnisse zu schicken.
Zar griechischen Litteratur 67
die Leidenschaften zu beherrschen und sich im Glück zu mäßigen
wüßten, and das eben lehrten die Lehrer der Bedekunst , nicht alle,
sondern die, welche über die wichtigsten allgemeinen Gegenstände zu
schreiben wußten; die Bedekunst lehre nicht das Material, denn das
hänge von Umständen u. s. w. ab, sondern nur die Form. So war die
Bildung auf die Bhetorik, mit Hinweglassung des tieferen Gehaltes,
den die Sophistik mit ihr vereinte, zurückgeführt, auf die ganz formelle
Fähigkeit des Bäsonnements, über jede Sache nach äußerlichen Ge-
sichtspunkten, ohne sich in sie selbst zu versenken, zu sprechen und
zu urteilen und das Gefundene oder Beabsichtigte in formell vollendeter
Weise darzustellen. Die Isokratische Schule in ihrer Oberflächlichkeit
und Äußerlichkeit ist für die griechische Litteratur von ungemeinem
und noch bei weitem nicht hinreichend ergründetem Einflüsse ge-
wesen. Diesem äußerlichen Wesen gegenüber erscheinen die von So-
krates herstammenden Bichtungen als die der Innerlichkeit zugewan-
dten; in ihnen ist der Fortschritt der Zeit; hatte die Sophistik nichts
als das von allen Positivitäten befreite Ich gelassen, so war es Sokrates
große Bedeutung, dieses Ich als ein durch sich selbst bestimmtes auf-
zuweisen und auf das Bewußtsein von dem Schönen und Guten zu
dringen; es war das größere Werk des Plato, aus diesem lebendigen
Bewußtsein heraus eine Welt des Idealen zu entwickeln, die im mannig-
faltigsten Widerspruche mit der konfusen Wirklichkeit den Geist nur
noch mehr der wirklichen Welt entfremden, ihn von dem Unglücke der
Zeit in das stille Beich der Gedanken flüchten, ihn in edler Be-
geisterung schwärmen und schauen, ihn schwelgen ließ in dem reinen
Äther der Geistigkeit, für die hinieden keine Stätte mehr zu sein
schien.
Und diese Welt der Wirklichkeiten war doch der Boden, auf dem
das Heidentum mit seinen Göttern und Festen und Dichtungen erwachsen
war; ja sie selbst war einst voll Götter gewesen, und jede Quelle hatte
ihre Nymphe und jedes Plätzchen seine heilige Geschichte; mit ihr war
das Griechenvolk mit den innersten Wurzelfasem des Lebens verwachsen
gewesen und hatte sich heimisch und froh gefühlt in der Nähe seiner
Götter. Wie tief war diese schöne Welt nun hinabgesetzt gegen die
Ideale des Geistes, wie war sie öde und tot und verachtet von dem
Geiste, der aus ihr geboren worden?
[1358] Dieser Widerspruch mußte gelöst werden. Aus Piatos Schule
hervor ging Aristoteles, der größte Geist, den das Altertum hervor-
gebracht hat; mit wahrer Vorliebe wendet er sich dem Bestehenden und
der Wirklichkeit zu, mit der bewundernswürdigsten Gründlichkeit umfaßt
er die Mannigfaltigkeit der empirischen Einzelheiten ; er hält nichts so
68 Zur griechischen Litteratur
gering, daß er es nicht betrachtete, und er sucht die wesentlichen Be-
stimmungen daraus hervor, mit dem guten Zutrauen auch da Geistiges
wirken und sich bethätigen zu sehen; diese Bestimmungen selbst aber
fuhren ihn weiter und weiter zu den höchsten, zu den ewigen Ideen
hinauf. So ist Aristoteles Philosophie gleichsam eine Rechtfertigung der
Wirklichkeit der Platonischen gegenüber; sie erscheint wieder begeistet
und von dem lebendigen Hauche des Gedankens durchweht. Aber
freilich die so nachgewiesene Geistigkeit ist nicht mehr die altpoetische
des Griechentums; die alten Gottheiten sind gewichen, dialektische For-
meln und natürliche Gesetze beherrschen die einst so schöne Welt Die
Prosa in ihrer ganzen Strenge und Kälte hat den vollkommensten
Sieg, nachdem sie in letztem Kampfe den schönen Traum einer Ideen-
welt überwunden hat
Nach demselben Ziele der Empirie hin drängten auch andere bedeu-
tende Bestrebungen der Zeit. Die Isokratische Schule hatte sich mit
Vorliebe auf geschichtliche Stoffe gewandt, und, wenngleich zunächst
in dem Interesse künstlerischer Darstellung und sittenrichterlichen Ur-
teils, ein bedeutendes Interesse für längstvergangene Vorfalle erweckt;
unter ihrer Hand war auch die Mythenzeit ihrer poetischen Bedeu-
tung entkleidet, und die Geschichte der Götter und Heroen wurde
systematisch zu einem Pragmatismus, wie ihn die Zeit forderte, umge-
wandelt. Auch in der Platonischen Schule brachte der Grundsatz des
Meisters, die Wissenschaften auf eine allgemeine Wissenschaft zurückzu-
führen, eine Art encyklopädisches Studium hervor, die sich nicht minder
in der gelehrt-eklektischen Weise des pontischen Heraklides äußert als
in dem bekannten Worte des Speusippos, man müsse, um eine rich-
tige BegriflFserklärung zu geben, alles wissen, um alle Unterschiede des
zu Erklärenden von andern Dingen anzugeben. Gelehrte Forschungen
über Homer und andere Dichter waren seit den ersten Zeiten der
Sophistik üblich gewesen (wir erinnern nur an Prodikos, Stesimbrotos,
Anaximander von Milet); sie prewannen in dem verrufenen Zoilos, der
„Homersgeisel" (dem Zeitgenossen nicht des Ptolemäus II, sondern
des Aristoteles) eine eigentümliche und einflußreiche Gestalt Astro-
nomie, Mathematik, Heilkunde, Grammatik, die Wissenschaft, von der
organischen und unorganischen Natur, kurz der ganze Kreis dessen,
woran Jahrhunderte wieder gelernt und weiter gebildet haben, ist in
jenem Zeiträume begonnen worden und in unmittelbarem, ununter-
brochenem Zusammenhange an das alexandrinische Zeitalter über-
gegangen, wo es die reichste Pflege finden sollte. Alexanders Welterobe-
rung, der unmittelbare Gewinn, der für die Wissenschaften aus der
Kenntnisnahme neuer Objekte entstand, der ungleich größere, der die
Zur griechischen Litteratur 69
unendliche Mehrung des Verkehrs und die weiten Verhältnisse, in denen
man sich bewegte, hervorbringen mußte, endlich der edle Wetteifer jener
Fürsten, die, wie Alexander selbst, sich gern als Kenner und Beschützer
der Wissenschaft zeigten, das alles wirkte auf die erfolgreichste Weise
mit zur Ausbildung der Richtung, die man mit zu beschrankendem und
[1359] zurücksetzendem Namen die gelehrte hat nennen wollen. Es
ist vielmehr Erstarkung des Geistes, wenn er fest und frei aus sich
hinaustreten kann, wenn er nicht immer nur sich mit seinen Phanta-
sieen und Ahnungen in dem Draußen wiederfindet, sondern sich als
Kraft entwickelt fühlt, die jedes Objekt frei zu erfassen und zu durch-
dringen vermag. Sind auch viele und die schönsten Blüten des helle-
nischen Lebens hiermit, wie mit einer entschwundenen Jugendzeit
verwelkt, so ist das ungleich Höhere errungen: der Menschengeist ist
mündig geworden. Diese Freiheit und Mündigkeit, von dem Boden
der enggeschlossenen Heimatlichkeit, auf dem das Heidentum wurzelt,
losgelöst, von den Schranken partikulärer und traditioneller Bestim-
mungen befreit, befähigt, sich jeder neuen Heimat zu assimilieren, in
jedem neuen Verhältnisse geltend zu machen, jedes neue Objekt der Er-
kenntnis zu beherrschen, ist des Griechentums Beruf, sich in die Welt
zu zerstreuen und die Schule für die Völker zu werden, deren Heiden-
tum nicht minder ausgelebt ist, aber nicht die selbständige Kraft wei-
terer Entwickelung hat.
Noch verdient ein Moment hervorgehoben zu werden, das bis auf
die neueste Zeit hin Anlaß zu vielen Mißdeutungen gegeben hat. Es
ist nicht zu leugnen, daß die Formen der attischen Litteratur ungleich
reicher und künstlerischer sind, als die der Alexandrinerzeit; aber man
thut Unrecht den stilistischen Wert der Schriftsteller mit ihrer litterar-
historischen Bedeutsamkeit zu identificieren. In dem oben angedeuteten
Verhältnisse des Dichterischen zum Rationellen mag teilweise der Grund
dafür liegen, daß in Athen selbst das Prosaische zunächst in künstlerischer
Weise aufgetreten ist; aber wo es sich ernstlich um die Sache handelt,
ist die Form die beste, welche auf das Bestimmteste dem Gedanken
seinen Ausdruck leiht; und je gründlicher und schärfer der rationelle
Gedanke, desto gleichgültiger, ja desto rücksichtsloser wird er gegen
seine Versinnlichung sein. Man preist Plato oft wegen seiner schönen
künstlerischen Dialoge; man muß sagen, daß seine reizendsten Dar-
stellungen am weitesten von W^issenschaftlichkeit entfernt sind, wie denn
bis auf diesen Tag noch dainiber gestritten wird, was denn eigentlich
sein „Symposion" meint. Wenn sein großer Antagonist Isokrates die
künstlerische Form zum Kriterium litterarischen Wertes gemacht hat, so
ist er selbst ein großes Beispiel dafür, wie sich mit der größten Kunst
70 Zur griechischeu Litteratur
die größte Gehaltlosigkeit verbinden kann, und in mehr oder minder
zusammenhängender Fortsetzung stammt aus seiner Schule her eine,
man möchte sagen, belletristische Richtung der Litteratur, die sich dann
zu dem leeren Bombast des asianischen Stiles aufgeblasen hat
Den allgemeinen Charakter der alexandrinischen Litteratur schil-
dert Hr. Bemhardy mit folgenden Worten (S. 371): „Ein heftiger Trieb
zu massenhaftem Lesen und Schreiben, Poljmathie und Polygraphie
sind die Hebel der von Alexander gestifteten Welt; schöpferisches Genie
hat in ihr keine Geltung, so wenig als Vollkommenheit und Pflege der
Form gefordert wird; buchmäßiger Stoff muß vielmehr das Ziel sein,
und wenn hieran nicht selten die böse Außenseite des Mechanismus, der
einschichtenden Compilation und toten Leserei haftet, so bleibt als Ver-
dienst und notwendige Bestrebung stets die systematische Wissenschaft
zurück, die mit der höchsten Spannung des [1360] Verstandes geübt
wird und in eigentümlicher Entsagung nicht den Genuß des Forschers
oder das subjektive Interesse bezweckt, sondern versunken in Mühselig-
keit nur für die Nachwelt zu arbeiten scheint". Es ist eigentümlich,
von unserer Zeit und ihren in der That nicht unähnlichen Bestrebungen
aus, solches Urteil zu hören; es ist ungerecht, einem Zenodotos, Eu-
klides, Eratosthenes, Hipparchos schöpferisches Genie und den Genuß
des Forschens absprechen zu wollen; und urteilte jemand nach den
zahllosen Citaten, nach den feinen Kleinigkeiten der Kritik oder nach
den Meßkatalogen und ihren vielseitigen Büchertiteln über unsere Zeit,
so möchte er nach Verhältnis jener Äußerungen kaum imstande sein
die Geistlosigkeit unsers geistigen Lebens hart genug zu tadeln. Viel-
mehr aber muß man für jene alexandrinische Zeit gestehen, daß vielleicht
nie wieder, selbst zur Zeit der Mediceer nicht, mit solcher Genialität
und Großartigkeit, mit so glorreichen Erfolgen und solcher Jugendlust
des Forschens in den Wissenschaften gearbeitet worden ist; sie waren
in der That das höchste Interesse, das man kannte, wissenschaftliche
Bedeutung die ruhmvollste, die man zu erstreben vermochte, und um
welche selbst Könige gern warben. Die Religion war in jener Zeit zur
Ceremonie geworden, die Philosophie trat in die Stellung von Ansichts-
weise und Lebensmaxime, sie gab bestenfalls Formeln für Theorie und
Systematisierung her; sie war mit der Rhetorik Mittel zur Bildung,
als deren Gipfel die Wissenschaftlichkeit, die Kenntnis der empirischen
und exakten Disciplinen erschien.
Unser Wissen von jener Zeit und ihrer Thätigkeit ist leider auf
so vereinzelte und zertrümmerte Überlieferung begründet, daß nur die
angestrengtesten Forschungen ein zusammenhängendes Bild des Allge-
meinen zu geben vermögen. Es war ein glücklicher und zeitgemäßer
Zar griechischen Litteratur 71
Gedanke, daß seitens der Berliner Akademie die Geschichte des alexan-
drinischen Museums zum Gegenstande von Freisbewerbang gemacht
wurde ^; die gekrönte Arbeit hat das Verdienst in klarer Zusammen-
stellung zu zeigen, wie weit ungefähr die Forschungen bis jetzt gediehen
sind. Die fleißige Arbeit von Wegener sucht das Bild von Seiten der
pergamenischen Schule her zu ergänzen; wir hoffen bald von Thiersch
weitere Forschung über dieselbe Schule veröffentlicht zu sehen. Dazu
arbeitet Lehrs mit höchst fruchtreicher Gründlichkeit über die kritische
Thätigkeit jener ältesten Philologen för Homer und Hesiod; bald wird
ans ein jüngerer Gelehrter, Hr. Schneider, ähnliches für die Erklärer
des Aristophanes bringen. Und mit der vorsichtigsten Feinheit unter-
sucht unser Ritschi einzelne Verhältnisse, deren Bestimmung von unge-
meinem Erfolg für diesen Teil der griechischen Litteratur zu werden
verspricht Kurz es scheint sich die Gelehrsamkeit endlich auch dieses
so lange vernachlässigten Feldes annehmen zu wollen, und man darf
der Resultate gewiß sein*
[1366] Vielleicht die schwierigste und zugleich wichtigste Frage ist
die über die litterarische Stellung der von dem Griechentum unterwor-
fenen Völker, deren mehrere eine alte Bildung und Litteratur besaßen.
Zunächst tritt hier als wichtiges Moment die Übersetzung ethnischer
Schriften und deren zum Teil frühes Vorkommen in der alexandrinischen
Bibliothek ein. Mag die Notiz aus Maribas dem Armenier zweifelhaft
sein, daß schon Alexander dergleichen für eine Bibliothek in Ninive
veranlaßt habe, an der Bibelübersetzung, an Bearbeitung altägyptischer
Tempelnachrichten und Lapidarchroniken durch Manetho und Erato-
sthenes ist nicht zu zweifeln ; ja eine Plinianische Notiz über Zoroaster
aus Hermippos großem litterarhistohschen Werke scheint sichtlich das
Vorhandensein eines älteren Zendavesta im Kataloge der alexandrini-
schen Bibliothek zu bezeichnen. Ähnliches muß durch Berosos und
Abydenos für die babylonische und assyrische, durch Menander und
Asitos (oder Chaitos) für die phönizische Litteratur geschehen sein. Viel-
leicht machen gründlichere Forschungen noch mehr von dem freilich
etwas seltsamen Katalog bei Epiphanios (de pond. et mens. 9) wahr.
Die hellenische Bildung hat natürlich der Exponent sein müssen,
unter dem die Verschmelzung mit dem morgenländischen Leben vor
sich ging; die hellenistischen Völker mit ihrer erstorbenen Nationalität
und ihren stagnierenden Kulturen haben durch den griechischen Geist
^ Soeben kommt uns die Schrift von Hrn. Klippel ,,Über das alexan-
drinische Museum** zu, welche seitens der Akademie durch das Accessit aus-
gezeichnet wurde.
72 Zur griechiBchen Litteratur
wieder geweckt werden müssen; sie haben npben der heimischen die
griechische Sprache angenommen und die Errungenschaft des grie-
chischen Lebens ist mehr oder minder vollständig auf sie übertragen.
Es vermitteln sich so jene seltsamen Mischzustande, von denen aus
neben der wissenschaftlichen und [1367] gelehrten Bildung sich eine
andere, welche man die ethnische nennen kann, gemacht hat; es ver-
mittelt sich die Möglichkeit jener Völkerstimmung, die in der astro-
logischen Schule von Kos, in den sibyllinischen Orakeln, in der her-
metischen Weisheit, in den wunderbaren Weihen der Isis, des Mithras
und Serapis ihren Ausdruck finden. Seit die politische Bedeutendheit
der hellenistischen Macht im Sinken ist, greift dieser ethnische Cha-
rakter mehr und mehr um sich und entwickelt jenen neuen Gärungs-
prozeß des weiteren Fortschrittes, der endlich die nationalen Schranken
nach jeder Richtung hin durchbrochen und zum erstenmal in der Ge-
schichte eine allgemeine Weltbildung allseitig und folgenreich durch-
geführt hat.
Waren durch den Hellenismus alte Nationalitaten wieder belebt
worden, so hatte doch das Alte selbst einen veränderten Charakter ange-
nommen, es hatte seine eng und bestimmt geschlossene Unmittelbarkeit
verloren; es war in Beziehung zu der Aufklärung getreten, die das
Griechentum brachte, war combiniert und ausgeglichen mit ähnlichem
in der Nähe und Ferne; es war eine Mischung und gegenseitiger Aus-
tausch der Lebensweisen, der Kulte, der Erinnerungen, der nationalsten
Besonderheiten begonnen und das Griechentum gab die Sprache und
den Geist der Aufklärung und Wissenschaftlichkeit her, in dem sich
alles vereinigte. Was nun als Religion und geschichtliche Erinnerung,
als Glaube und Einsicht da war, galt nicht mehr wie früher, sondern
wesentlich nur in dem gewußten Zusammenhange des Allgemeinen;
und das Griechentum, wie es sich in sich selbst von dem eigenen Boden,
auf dem es erwachsen war, losgerissen, so wirkte es bei den helleni-
stischen Völkern zu denselben Entwickelungen hin. Hier war der wahr-
hafte Untergang des Heidentums, der Menschengeist löste sich von der
Erde, an die er gebunden, und von der er hervorgegangen war. Aber
es wurde ihm hiermit sein positiver Inhalt und seine Haltung entrissen,
er war ohne Götter, einsam bei sich, er war voll Grausen und Verzagen.
Es ist erschütternd, zu sehen, wie sich alles vereinigt hat, die geistigen
Zustände jener Zeit entsetzlich zu machen. Äußere Verarmung und
Verkümmerung, furchtbarer Druck, herrschende Willkür und Gesetz-
losigkeit, Reflexion genug, um das Gefühl der politischen Erniedrigung
tief und tiefer in die Seele zu bohren, vollkommene Hoffnungslosigkeit,
der gespenstisch weiterschleichenden und überwältigenden Römermacht
Zur griechischen Litteratur 73
gegenüber, dazu das eigene Innere ohne die alte beruhigende Gläubig-
keit, ohne die alten schirmenden Götter, vollkommenste Trostlosigkeit
und Öde. Glücklich die, welche in strenger Wissenschaftlichkeit für
die zehrende Kraft des Geistes Nahrung oder in litterarischer Eitelkeit
und Berühmtheit Selbstvergessen finden; andere suchen Trost in frem-
den unverstandenen Zauberformeln und astrologischen Hirngespinsten,
aber die ekle Selbsttäuschung hält nicht in schlimmster Stunde vor und
macht endlich die innere Ode noch fühlbarer; andere stürzen sich in
den ekstatischen selbstzerfleischenden Dienst orgiastischer Mysterien, aber
die Selbstbetäubung ist kein Trost, und den Lärm der Tympana über-
tönt doch der Schmerzensschrei der Seele; andere beten zu den Göttern,
die sie doch nicht glauben, bauen Tempel und Altäre den Machthabem,
die sie peinigen; andere [1368] suchen in den alten Mythen und Sagen
einen tieferen Sinn, bauen sich philosophische Systeme, um über die End-
lichkeit hinaus zum Himmel zu gelangen; man träumt von einer ursprüng-
lichen Weisheit und sucht bei fernen Völkern umher, ihre Überbleibsel
zu finden, man erkennt eine ursprüngliche Einheit aller Religion und
bemüht sich in den durch Priestertrug und Mißbrauch der Jahrhunderte
entstellten Lehren und Ceremonieen sie wiederzufinden. Der Menschen-
geist ist so weit gekommen, als er durch sich allein hat kommen können
er hat seine volle Kraft verbraucht, sich von der Erde zu lösen, die
Unmittelbarkeit um sich her in ihrer Nichtigkeit zu erkennen, das Be-
dürfnis eines Jenseits zu entwickeln, das ihm zunächst in der Gestalt eines
räumlich und zeitlich Femen erscheint; bis dann der stille Stern der Offen-
barung aufgeht und das Sehnen des menschlichen Geschlechtes erfüllt.
Natürlich findet sich diese Reihe von Übergängen am wenigsten
in den Werken der gleichzeitigen Litteratur ausgesprochen, die seitens
der Philologie noch mit einiger Berücksichtigung besprochen werden;
man muß eine große Kluft zwischen den ethnischen und klassischen
Bestrebungen der Jahrhunderte um Christi Geburt anerkennen. Und
waren letztere während der hellenistischen Herrschaft, unter den La-
giden, Attaliden, Antigoniden und Seleuciden überwiegend auf sachlich
gelehrte und wissenschaftliche Forschung gewandt, so verwandelten sie
sich im Verhältnis zu der vornehmen römischen Welt in Schönrednerei,
Ostentation und Affektation einer Klassicität, deren Geist für immer
dahin war. Die Vollendung dieser klassischen Studien in der vornehmen
Römerwelt war die sogenannte Sophistik mit ihrer ganzen Ausbreitung
von Technik, höfischer Eleganz, Konkurrenz bei Lehranstalten u. s. w.;
wie diese Sachen Bemhardy S. 406 ff. höchst einsichtsvoll und beleh-
rend zusammengestellt hat. Dem gegenüber aber steht eine für die
Entwickelung des geistigen Lebens der Jahrhunderte unendlich reichere.
74 Zur griechischen Litterator
in ihrer Darstellung freilich weni^-^ elegante volkstümliche Litteratnr,
beginnend mit den Schriften des Testamentes und den gleichzeitigen
des tiefsinnigen Philo; eine Litteratur, welche die Philologie sehr un-
recht gethan hat ganz den theologischen Studien zu überlassen.
Ich breche hier die Übersicht über die Entwickelung der grie-
chischen Litteratur und des in ihr gestalteten geschichtlichen Lebens
ab, die natürlich erst durch die Nach Weisungen des Allgemeinen in
dem Einzelnen ihre rechte Belebung erhalten würde. Es ist das schwie-
rigste Werk in diesem Sinne eine Litteraturgeschichte zu schreiben,
und man muß sagen, daß es vor Hm. Bemhardy auch nicht einmal
versucht worden; man müßte denn die schönen Phrasen Schölls und
die systematische Unordnung, mit der er den überreichsten Stoff zu
bewältigen gedacht hat, mit sehr vieler Nachsicht zu beurteilen geneigt
sein. Möchte Hr. Bemhardy bald Gelegenheit haben, den zweiten
Teil seines Werkes, die „Geschichte der äußeren Litteratur*' folgen zu
lassen; seine originelle Auffassung und seine musterhafte Gründlichkeit
laßt uns Vortreffliches erwarten. Wünschenswert wäre es, daß er jene
äußere Litteraturgeschichte zugleich zu einem Kepertorium der für
jeden einzelnen Autor vorhandenen Arbeiten u. s. w. in möglichster
Vollständigkeit machte.
III.
Zur griechischen Tragödie.
a. Phrynichos, Alschylos und die Trllogle.
Kieler philologische Studien, Kiel 1841 8., S. 43 ff.
[43] Phrynichos und Aischylos haben den Krieg gegen Xerxes
zum Gegenstande dramatischer Gedichte gemacht; ich werde versuchen,
in einer teilweisen Vergleichung beider einen besonders wichtigen Fort-
schritt der tragischen Kunst nachzuweisen und zugleich die politische
Stellung des einen und des anderen Gedichtes zu fixieren. Es wird sich
die Untersuchung nicht immer in geradem Wege verfolgen lassen und
sich schließlich der Titel dieses Aufsatzes als nicht genug und zugleich
als zu viel umfassend herausstellen; aber es ließen sich die mitzuteilen-
den Beobachtungen nicht ohne einen etwas breiten Zusammenhang klar
machen.
Suidas und mit ihm Eudokla geben von Phrynichos dem Sohne
des Polyphradmon an: xQaymSiai Si avrod üalv hvvka avrai'' IlXiv-
Qoriftai, Alyvnxioi, !Axraia)v, '^kxrjariQy !AvTaiog ^ Atßveg, Aixaiot,
UeQaai, JSvv&taxot, JccvcetSeg. Ich bemerke, daß fünf Handschriften
bei Gaisford Alxaioi fj IHqgcci ^ 2!vv&(oxoi lesen, wie gewiß der nicht
geschrieben hat, der hier neun Dramen zählte. Nachdem dann im Suidas
ein Artikel über Phrynichos den Komiker, ein anderer über Phry-
nichos den Sophisten notiert ist, folgt ein vierter aus dem Scholiasten
zu Arist Vesp. 1481 entnommen über 0Qvvixog MeXav&ß, mit der
Angabe, daß von ihm lAvS^ofiiSec und 'Hgiyövr] sei, und daß die Athener
ihn wegen der Tragödie äXcotrig Miki^rov gestraft hätten. Daß dieser
vierte Phrynichos mit dem ersten identisch sei, ist unter andern von
Welcker (Nachtrag S. 285) nachgewiesen. Aber auch diese [44] zwölf
Namen von Dramen sind noch nicht der vollständige Katalog. Auf
76 Zur griechischen Tragödie
eine Tragödie des troischen Fabelkreises führt der auf Troilos gesagte
Vers bei Athen. XIII 564 f.
Eine Tragödie Tantalos erwähnt Hesychios v. itpiSgava. Ob aus der
Notiz bei Hesychios v. ägyiiitirag xavQoq' raxvfjLfjzig . . . Xiyfxai St
ini rov Siaxofiiaavrog rijv EvQCLtnrjv, etwa auf eine Tragödie Europa,
wie eine dieses Titels auch von Aischylos verfaßt war, zu schließen
sei, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ein mehrfach erwähnter Titel,
der der Phoinissen, fehlt in jenen Katalogen gänzlich.
Oder scheint er nur zu fehlen? 0. Müller hat im Lektionsver-
zeichnis für den Winter 1835 die Vermutung geäußert, daß die Titel
äXcodig MiXijTov und <^oiviaaaty die in dem ersten Katalog fehlen,
Nebentitel zu den Ilhgaai und den JSvv&ojxoi gewesen seien. Die
abstrakte Möglichkeit läßt sich nicht bezweifeln, aber ein Grund zu
dieser Hypothese würde nur dann vorhanden sein, wenn Phrynichos über-
haupt nur neun Dramen geschrieben hätte und dann auch Erigone und
Andromeda in jenen neun Titeln als Nebentitel unterzubringen wären,
— oder nein, auch der Tantalos bleibt ja noch und vielleicht Troilos,
Europa u. s. w., und überdies führt ja jener erste Katalog selbst einmal
einen Nebentitel an 'AvraTog fj Aißveg. Hr. Welcker (die griechischen
Tragödien S. 27) geht noch weiter; er hält die Lesart der fünf Gaisford-
schen Handschriften für die Emendation eines Kundigen und findet, die
Phoinissen hätten auch die Titel Aixatoi ükoaui ^vv&cjxoi gehabt
Durch Zusammenstellung der wenigen Fragmente läßt sich, glaube
ich, ein anderes Resultat gewinnen. Im Argument zu Aischylos Persern
heißt es: FlaiJxog kv roTg nB()i AlxvXov fiv&otg hc r&v <PoiviGa(dv
fftjcrl <pQvvlxov Tovg IliQaag 7taQa7i67toirj<T&ar kxri&tjai ya{) xal rt^v
ä^Xfjv rov Soüfjiarog ravrijv
xäS h,ax\ ÜBQaojv rcov nciXai ßeßtjxörcov,
nVijV ixu Evvodx^g ^criv äyykXXwv kv ägxf] ttjv rov SsQ^ov ijrrav,
atOQvvg re ß-oövovg tivag roig rijg äQXh'i itccgkdQotg, Daß diese nä-
qbSqoi bei Phrynichos gerade wie bei Aischylos [45] die persischen Greise,
ütga&v TU Ttiarä, rcHv äcpvt&v iSgaviov (pvkaxig, den Chor bildeten,
versteht sich von selbst. Wie hieß doch des Phrynichos Tragödie?
Daß der Namen Phoinissen von einem wirklich auftretenden Chor
phönizischer Mädchen oder Frauen entnommen war, ergiebt sich nicht
bloß aus dem Namen selbst, sondern auch aus einer sonderbaren An-
führung bei dem Scholiasten zu Arist. Vesp. 220. ... ort Si' övöficcrog
fjv xai^-ölov fih 6 0Qvvtxog kiti fxakonoit^, nähara Si xb ix Ooivia-
a(bv airod to
Phrjmcbos, Aischylos und die Trilogie 77
[xai] ^iSß>vog nQoXinovacc rov vaöv
^iSdiviov ä(TTV Xinovaa
oder wie es vollständiger nach der von Bergk verbesserten Glosse des
Hesychios v. ylvxBQa} ^iScoviq) heißt (s. Zeitschrift fär Altertumswissen-
schaft 1835 S. 968)*
JSiSthvtov äaxv hnövrtq xal SooaBQccv !Aqcc8ov.
Es versteht sich, daß der Scholiast die Anfänge zweier verschiedener
Chorlieder anführen will; und es ist kaum eine Möglichkeit zu ersinnen,
wie derselbe Chor von sich sprechend zweimal in so ähnlicher Weise
begonnen haben sollte. Daher hat Bergk unrecht, wenn er auch in
dem restituierten Verse aus Hes3'chios hnovaai lesen will. Der erste
Liedesanfang ist, wenn ich so sagen kann, die nÜQoSoq der Phoinissen,
und zwar, da sie aus dem Tempel kommen, mögen sie von ihrer Heimat
zur Mitfeier des erwarteten Sieges etwa gesandt sein, wenigstens in
irgend welchem öffentlichen Auftrage kommen sie. In Beziehung
auf den zweiten Liedesanfang heißt es bei Hesychios: S()ä(xa de kanvj
^v S tTjq &VfxiX7jg ap;^€Tai ovrcog x r A., Siußeßörjzo di fxi()og
TovTo. Mit diesem Verse wird, denke ich, der Gesang begonnen haben,
in dem eine Aufzahlung der gen Hellas gezogenen Streitkräfte ge-
macht war, gesungen von dem Paredrenchor, — oder es singen die
Phoinissen von den Scharen der Ihren, die von Sidon, Arados u. s. w.
hinauszogen zum Tod; jedenfalls war das „süße JSiScoviov^^, wie es irgend
ein Komiker genannt hat, einst ebenso berühmt, wie jenes JSiSdjvog,
worauf des Aristophanes ä()xcciofieki(Ti8(ovo(pQvvtxi/()ccTcc sich bezieht.
[46] Ein viertes Fragment hat Athen. XIV S. 635 c xal 0Qvvtxog
ff Iv fpoiviaaaig ei()f]XB
"ipalfioiaiv ävTiGTiaaT äsiSovreg fiiXfj,
Der Zusammenhang bei Athenaios erklärt diesen Vers hinlänglich; die
Magadis und Pektis wird nicht wie die Leier mit dem Plektron, sondern
mit der Hand [Stä ipakfiov) gespielt; es sind nicht die Paredroi, son-
dern die Phoinissen, welche mit Harfen versehen den Chor singen;
das ävTiGnaara ist dasselbe, was Pindar dvritp&oyyov xfjaXfxöv nennt;
Sia t6 Svo yBvöjv äfice xal Siä natr&v 'i/siv rijv (xvvcpSiaVj ävSocov
TB xal TtaiSayVy erklärt das Pindarische Athenaios aus Aristoxenos; er
führt auch die Stelle aus Sophokles Mysiern an:
Tiokvg Si Q^gv^ TQiyayvog, ävTianaara re
AvSf^g iipvfivBi nfjxridog avyxoQÖia,
78 Zui* griechischen Tragödie
Für das weitere verweise ich auf Boeckh de metris Pind. VI S. 11.
Also ein männlicher Chor {äeiSovreg) singt üvrianccGTa, d. h. in den
Oktaven, gegen den Weiberchor der Phoinissen und deren Saitenspiel;
also beide Chöre sind zugleich vor den Augen des Zuschauere. Natür-
lich traten beide Chöre nicht zugleich auf, sondern es begann ein
zweiter Teil der Tragödie da, wo die phönizischen Hierodulen herein-
zogen. Wenn nun Aischylos Perser nach der Tragödie des Phrynichos
gearbeitet sein soll {nccQccuBnoiTiGd m\ so kann die Ähnlichkeit nur in
der wesentlichen Analogie auffallender Motive bestanden haben. Es
liegt in der Natur der Sache, daß die Niederlage, von der der
Eunuch berichtete, und um die sich die Klagen erst der Paredroi, dann
der Phoinissen drehten, zur unmittelbaren Anschauung gebracht
wurde; und auch der Schluß der Aischyleischen Tragödie zeigt den
Xerxes nach der Niederlage; ebenso wird Phrynichos endlich den
Xerxes mit dem Rest seines Heeres, das heißt mit einem Chor von
Persern auf die Bühne geführt haben als einen neuen schmerzlichen
Anlaß zu vollständiger Klage. Und wir finden unter den Titeln bei
Suidas auch TUgaat. Ist etwa der Gesamttitel der ganzen Tragödie
Uipaai ri Q>oivia<jai gewesen? gewiß nicht; wohl hat Phrynichos
Doppelnamen, aber in dem Beispiel [47] ^Avzaiog 7] Aißveg heißt das
Stück nicht nach zwei Chören. Wohl aber hat dieselbe Tragödie drei
Titel gehabt; denn ^vv&cDxot oder Sv&ccxot (Hesysch. v. v.) ist nichts
anderes als näQaSQoi, und Glaukos hat nur dies gewöhnlichere W^ort
gebraucht, um eben die erklärend zu bezeichnen, welche der Dichter
JSvv&coxoi genannt hatte. Vollkommen verkehrt ist es, daß in den
Gaisfordschen Handschriften Aixmoi i] IliQaai )) ^vvd-toxoi steht
Der Titel des Phrynicheischen Gedichtes hieß ^vv&axoi, IHgam,
Q>oivi(T(Tai nach den drei auftretenden Chören ^
^ Außer den angeführten Fragmenten dieser Tragödie findet sich noch ein
Bruchstück in Bekkers Anecdotis S. 114 agp//xc5ant' xo örjaaiy 0Qvvixog 0otvi(T<Tatg
vgl. Schol. Ilom. II Q^ 52. Die Notiz aus Anecd. S. 116 ^elw t« toig nt^eow'
ov fiovov argenrn ' (pqvvixog, ist bereits von Blomfield praef. ad Aeschyl. Pers. S. IV
mit Eecht zu dieser Tragödie gezogen. Wichtiger ist ein anderes Bruchstück
bei Hephaistion S. 67 . . . olov ian ib tov 0Qvvixov r^ay^McotJ tovto
t6 y^ M'^i^ feil'/« dovaaig, Xo^og üaneQ A^yerai,
oliani xairoTefieiy d^i'i ;f«Xxw xerpnXny.
Ich hatte diese Verse in der Übersetzung des Aischylos II S. 297 ed. I den Phoi-
nissen zugewiesen; ebenso that es 0. Müller; aber wunderlich ist seine Erklärung:
hos versus a femvnis pronunciatos esse manifestum^ a PkoenissiSy etiam propter
lonicum versuum genus (I), quo Asianorum hominum molUtiem significare solent
poetae, probabUe est Hoc esse, tnquiunt, hospitalia munera offerentibus, ut in
provefino dicatuVj captU praetndere, Quae profecto eommode dici poierant, st
PhrynichoB, Aischylos und die Trilogie 79
Man sieht schon, worauf die Sache hinaus will. Wenn die obigen
Vermutungen gegründet sind, so haben wir für die Geschichte der dra-
matischen Kunst einige sehr merkwürdige Momente gewonnen.
Da das Stück nach der ausdrücklichen Angabe des Glaukos mit
dem Bericht von der Niederlage begann, so konnte der weitere Verlauf
des Dramas keine neuen Verwickelungen bringen, sondern er war darauf
beschränkt, ein Auseinanderlegen der Stimmungen und Situationen im
Verhältnis zu diesem Faktum zu sein; es war hier kein Fortschreiten
der Handlung, sondern nur der Situationen; es war kein Drama, sondern
dramatisierte Lyrik. Lehrreich ist an dieser Stelle Aristoteles
(probl. XIX 31) Siä ri oi nsQl ^givtxov rjfTav fiäXlov (itkonoioi;
7j 8iä t6 noXXanXdata eivai töts rä fiilrj kv roTg tGjv fiirgtov tqcc-
ytpöimq; Und so sehen wir denn die Tragödie vom Perserkriege in
ihrer ganzen Anlage auf eine möglichst reichhaltige und mannigfal-
tige Lyrik eingerichtet. Dem Prolog des Eunuchen folgten die Ge-
sänge der Synthoken; vielleicht wissen sie schon von der Niederlage,
vielleicht teilt ihnen der Eunuch oder die im ersten Epeisodion auf-
tretende Atossa den ersten vorläufigen Bericht mit, der nach Susa ge-
kommen ist. Nach einem zweiten klagenden Chorlied mochte eine
Scene des genauer berichteten Boten folgen; dann kamen die phöni-
zischen Mädchen mit ihren Harfen, um statt freudiger Siegeskunde
die jammervollste Botschaft zu erfahren. Ein drittes Epeisodion war
das des Xerxes, an der Spitze seines Perserchores erschien er; die reich-
lichsten dramatischen [48] Ausführungen, Wechselgesänge der drei
Chore u. s. w. mochten den Schluß des Stückes füllen. Die Erzäh-
lungen der Auftretenden, ihre Dialoge mit dem Chor u. s. w. dienten
nur dazu, die neuen Standpunkte für die verschiedenen lyrischen und
kommatischen Gesänge anzugeben oder neue Situationen herbeizu-
führen, die zu neuen Gesängen Anlaß geben konnten. Das ganze
war, da es nicht neue und neue Verwickelungen darbot, sondern ein
und dasselbe Faktum in seinen verschiedenen Lichtbrechungen und
Xerxes reXy qui etiam Herodoto teste ( VIII 90) magna propter Salaminiam cladem
ira in Phoenices incensus eraif in patriam reverstis Pkoenissis Ulis et toti genU
interitum minabatur. Daß solche Wendung des Dramas nicht im Sinne der vor-
euripideischen Poesie wäre, sieht jeder. Aber was Müller meint, steht gar nicht
in den Worten, lofog ücntq liftiai bezeichnet nimmermehr ein Sprichwort, sondern
eine alte Sage. Wenn sich irgend eine Combination in der Peraeussage nach-
weisen ließe, zu der jene übrigens leicht corrumpierten Verse passen, so würde
ich noch jetzt glauben, daß sie in unsere Tragödie gehörten, in der eine Be-
ziehung auf Perseus den Stammvater des Volkes sehr wohl vorkommen konnte.
Aber ich glaube, man wird sich wohl auf eine andere Deutung des Fragmentes
einlassen müsse.
80 Zur griechischen Tragödie
Keflexen zeigte, wesentlich eine Tragödie, aber nach dem Aoftreten
der drei Chöre in eben so viele Haaptteile gespalten; es war eine tri-
logische Composition.
Eine Vergleichung der Aischyleischen Perser mit dieser Tragödie
des Phrynichos zeigt, welche Vertiefung die dramatische Kunst durch
Aischylos erfahren hat. Er begann das Drama mit der Besorgnis
statt mit der Entscheidung; er brachte damit, ähnlich jenen alten
Meistern, die zuerst ihre Statuen mit gelösten schreitenden Füßen dar-
zustellen wagten, Bewegung in die Figuren, Fortschreiten in ihre
Stimmungen, dramatisches Interesse in die Composition; unzweifelhaft
von seiner Erfindung war jener Schatten des Dareios, der über den
Bereich der einzelnen Tragödie hinaus ihre Verbindung mit einer vor-
hergehenden und einer folgenden vermittelt.
Man erinnere sich, vrie hohen Ruhm Phrynichos hatte; etwa fünf
Jahre vor Aischylos Persem führte er (nach einer vollkommen wahr-
scheinlichen Combination) seine Phoinissen auf und gewann den Sieg.
Sollen wir glauben, daß sein Gedicht in demselben Maße anfanger-
maßig war wie undramatisch? Es war vielmehr eine ganz andere
Art von Poesie als die spätere dramatische. Die Tragödie war un-
mittelbar aus der dithyrambischen Lyrik entsprungen, und sie erhielt
sich zunächst auf diesem lyrischen Standpunkt. Faßt man die Tragödie
des Thespis und der anderen älteren so als dramatisierte Lyrik, so
sind alle die Notizen, welche über sie vorliegen, vollkommen klar und
treifend; nicht auf Handlung war es abgesehen, sondern der Schau-
spieler diente nur dazu die Situation zu fixieren, an welche [49] sich
das reiche Gewebe lyrischen Gesanges anknüpfen sollte. Nicht ein
bäurisches, marionettenhaftes Spiel war die anfangliche Tragödie des
Thespis; wie hätte sie da in der Nähe des hochgebildeten Peisistratiden-
hofes autkommen, wie die Grundlage zu der hochfeierlichen Kunst
der attischen Bühne werden wollen? Sic war vielmehr in der Höhe der
lyrischen Poesie jener Zeit, ausgestattet mit allen den künstlerischen
Mitteln, mit denen Lasos, Simonides und Pindar zu schalten verstanden,
reicher um jenes mimische Element, das dem lyrischen Gesänge des
Chors die größere Unmittelbarkeit und Gegenwärtigkeit persönlicher
Teilnahme an dem besungenen Vorgange gewährte, reicher um dies
scenische Element, daß die Lieder innigster Teilnahme veranlaßt wurden
durch das unmittelbare Auftreten dessen, der leiden sollte, oder des
Boten, der ihn leiden gesehen, oder der Mutter, des Vaters, der Ge-
schwister, die ihre Klagen mit denen des Chores vereinten. Aber
freilich, das war nicht die alte attische Weise des Dionysosfestes; statt
der Lustigkeit der Satyrn gab Thespis ein ernstes feierliches Spiel, und
Phrynichos, Aischylos und die Trilogie 81
statt des Weingottes und seiner wunderbaren Geschicke sang er andere
und andere Heroen. Hat Onomakritos, der Aioviati) avvii^ijxsv ÖQyicc
(Paus. VIII 37, 5), der auch sonst in poetisch ordnender Thätigkeit
am Hofe des Peisistratos ausgezeichnet war, diesem neuen Thespisspiel
die städtischen Dionysien geöffnet? bildete es fortan den Hauptbestand-
teil der regelmäßigen Festfeier? OvSiv nQog tov Aiövvaov mag da
das Volk gerufen haben. Aber Pratinas der Phliasier schon dichtete
mit der höheren Kunst der dramatisierten Lyrik auch Spiele mit Sa-
tyrnchor; man wird gern der alten Gewohnheit des Volkes nachge-
geben und die stete Verbindung eines tragischen und eines Satyrspieles
veranlaßt haben.
So die neuen dramatischen Aufführungen bis gegen die Zeit des
ionischen Krieges; sie unterscheiden sich nur formell von den sonstigen
Aufführungen lyrischer, dithyrambischer Gesänge; der Chor ist noch
entschieden das Wesentliche. Erst von Aischylos heißt es: rä tov
XOQov 7jXÜTT(0(7e (Aristot. poet. 4). Durch ihn wurde das Drama erst
dramatisch, [50] mit Hecht heißt er der Vater der Tragödie. Fortan
gewann die Handlung in der Tragödie immer mehr an Umfang, der
Chor verlor in demselben Maße seine Bedeutung, das lyrische Element
der Tragödie wurde endlich zu einem beiläufigen Schmuck. Es liegt
in diesen Verhältnissen ein überaus merkwürdiger und nachwirkender
Unterschied zwischen den Anfangen der griechischen und der modernen
Dramatik; diese ist von dem neugierigen Interesse an dem empiri-
schen Verlauf eines merkwürdigen Geschehnisses, jene von der teil-
nehmenden Betrachtung, von der Äußerung lebhaften und sinnigen
Mitempfindens ausgegangen; die empirische Richtung der modernen,
die ideale der antiken Tragödie ist in ihren ersten Anfängen vor-
gebildet; ihre Geschichte ist dann, sich zu dem Entgegengesetzten hin
zu entwickeln.
Aber vielleicht haben wir aus jenen Phoinissen des Phrynichos
schon zu viel gefolgert, vielleicht hat er nur eben einmal drei Chöre
so zusammengeordnet Glücklicherweise sind noch Spuren vorhanden,
daß er auch sonst so gethan. Da sind die beiden Titel Alyv^noi
und AccvatÖBii, beide in dem ersten Katalog des Suidas so auseinan-
der gehalten, wie IliQaai und 2^vv&(oxoi, Gehören denn beide auch
gewiß zu derselben Fabel? könnte nicht etwa Alyvnrtoi die Sage von
Busiris oder dergleichen enthalten haben?
Hesychius hat folgende Notiz wlaiverat' xo^Mvraij kntxifaivezai'
nccQcc röv löv, Q>()vvixog Alyvnrioig, Daß dies 7ia()ä ri/v 'Ich
heißen muß, ist klar. Was Aischylos im Prometheus Vers 880 die lo
selbst sagen läßt:
Droysen, Kl. Schriften II. o
82 Zur griechischen Tragödie
fxaviai &aknovaj oifrcQov 9 äpSig
dies Entbrennen der Wut los war in den Aigyptiern offenbar im Chor-
gesange dargestellt, wie ja auch in Aischylos Schutzflehenden auf die
Geschichte der lo zurückgegangen wird. Wie den Schutzflehendon
des Aischylos die Aigyptier verbunden waren, ebenso sind in der Com-
position des Phrynichos diese zwei Chöre der Aigyptossöhne und der
Danaostöchter aufgetreten; es liegt in der Natur [51] des Stoffes, daß
noch ein dritter vermittelnder Chor hinzukomme, etwa Argeier. Jeden-
falls ist es nicht zu viel gewagt, hier eine trilogische Composition ähn-
lich der der Phoinissen wieder zu erkennen.
Auch die durch Herod. VI 21 berühmt gewordene Tragödie äXmatq
MikriTov, die das Volk so rührte, daß man den Dichter, der an das Un-
glück der stammverwandten und im Unglück verlassenen Stadt erinnert
hatte, mit tausend Drachmen strafte und weitere Aufführungen des
Stückes verbot, — auch dieser Gesamttitel wird eine nach der be-
sprochenen Weise gegliederte Composition in sich umfaßt und das
schwere Unglück der einst so herrlichen Stadt in ergreifenden Gesängen
geschildert haben. Wir werden spater sehen, Phrynichos hat hier wie
in den Phoinissen eine bestimmte politische Ansicht vertreten; auch
hierin steht die ältere Tragödie der Lyrik ihrer Zeit nahe. Wie Pindar
in seinen Siegesgesängen die kunstvollsten und eindringlichsten Parai-
nesen für diesen oder jenen Fürsten oder Edlen aufstellt, ebenso die
volkstümliche neue Kunst der Tragödie, nur daß es das Volk, der
Staat und seine Politik insbesondere ist, die sie ins Auge faßt. Ein
glänzendes Beispiel Lst das berühmte Hyporchema dos Pratinas r/tj ö
t^-ÖQvßo^ ods X r L Man darf behaupten, daß die griechische Tragödie
diesen parainetischen Charakter nie aufgegeben hat; Aischylos zeigt ihn
auf das unzweideutigste^, bei Euripides tritt er häufig höchst absicht«-
^ [75] In Beziehung auf die Oresteia wird dies hoffentlich bald SchÖU in der
Fortsetzung seiner Beiträge zur „Geschichte der griechischen Poesie'* nachweisen;
ich habe die Hauptpunkte ihrer politischen Bedeutsamkeit in der neuen Ausgabe
der Übersetzung dargelegt und verweise [76] auf dieselbe. Ahnliches läßt sich für
jedes der vier erhaltenen Stücke, wenn auch nicht in gleichem Umfange, nach-
weisen; ja selbst von den verlorenen Stücken kann man hier und da noch einen
Zusammenhang ahnen. Wer wird sich enthalten können bei der Oreithyia des
Aischylos an Beziehung auf den Porserkrieg zu denken; denn Oreithyia ist des
Erechthcus Tochter, die Boreas raubt; es muß irgend etwas Weiteres noch hinzu-
gekommen sein, eine Handlung hervorzubringen, etwa eine Versöhnung des Erech-
thcus mit Bor(»ji8, etwa nach vorher beabsichtigter Befreiung der Geraubten durch
ihre Brüder, der dem Gott mit jenen Drohungen entgegentrat:
Phrynichoß, Aiscliylos und die Trilogie 83
voll hervor, während Sophokles, überall zarter und mäßiger, mehr aus
den allgemeinen künstlerischen Impulsen herausarbeitet, um dann mit
seinen treffenden Bezüglichkeiten desto eindringlicher zu wirken; ich
erinnere an den Anfang des Königs Oidipus und dessen Coincidenz
mit der attischen Pest, worauf ich in den Jahrbüchern für wissen-
schaftliche Kritik 1833 II S. 127 aufmerksam gemacht habe.
xttl fiT^ xafiivov o^üjcrt fiüxuriov aeXag'
ei ijruQ TW'* sanovxov oy/ofiai fiovov,
fiiav nagsiQag nXexxavrjv xs*-f^otQQOoy
atdpjv TivQCoaci} xai xaravd'Qaxcjaofiai.
vvv J" ov xexQaya nu t6 ffBvvatov fidXog.
Sein Land zu retten wird Erechtheus zu jener gewaltsam gegründeten Ver-
bindung seine Einwilligung gegeben und dafiir die Verheißung erhalten haben,
daß Boreas allezeit ein treuer Schützer und Bundesgenosse des attischen Landes
sein werde. Und allerdings bewährte sich dieses xfjdog; zweimal stürzte sich
der gewaltige Gott zerstörend auf die Flotte der Perser; zuerst erlag ihm jene,
die den Athos umschifiPen wollte (Ilerod. VI 44); sodann, da die Perserflotte bei
Artemision lag, kam den Athenern der Götterspruch ihren Schwager zu Hilfe
zu rufen, und sie opferten dem Boreas und der Oreithyia und aus heiterer Luft
her stürmte dej Gott und zerstörte zum zweitenmal der Perserschiffe eine große
Zahl, worauf die Athener dem Gott ein Heiligtum am Ilissos gründeten (Herod.
VII 189 Paus. I 19, 6). Daß Aischylos diese bedeutsame Beziehung nicht über-
gangen haben wird, versteht sich von selbst; auch Simonides verknüpfte in dieser
Weise; Schol. Apoll. Rhod. I 212 ^ de 'SlqeL^ia, 'ÜQex^scog ^vyuttjq, ;> t|
JiiTixijg uqnaaag 6 BoQBctg ri^afsy eig Sqaxriv x^xetae avvekif-üjp ^xexe ZijTijtf xal
JLttka'iVy ug 2!i(ji(avlörjg tv rfj vnvfinxiot, natürlich der Naumachie von Art«mision,
die wie ich glaube, nicht elegisch sondern melisch war. Höchst merkwürdig ist
die Notiz bei demselben Scholiasten: 0iv6vg de KXeonaiqav ri/y 'Slgeiihjiag nQuir/»^
^YTifiBv. Hätten wir nicht die Didaskalie der Persertrilogie, wie zuversichtlich
würden wir vermuten, daß den „Persern" die ,, Oreithyia" vorausgegangen sei;
ob im „Phineus" das Verhältnis des Boreas zu Athen und dessen Beihilfe am
Athos und Artemision erwähnt worden, [77] muß unentschieden bleiben. Ist die
historische Beziehung der „Oreithyia" unzweifelhaft, so wird sie nach 480 aufge-
führt sein, das heißt in einer Zeit, wo Aischylos unzweifelhaft schon tetralogisch
dichtete; ein Satyrspiel, wie Scholl vermutet (Beiträge S. 8), war dies Drama nach
den von Longinus de subl. 3 gemachten Bemerkungen und der Analogie der
Sophokleischen Oreithyia gewiß nicht. Aber zu einer trilogischen Zusammen-
stellung bieten sich unter den erhaltenen Titeln Aischyleischer Stücke gar keiner
dar; auch ist ein sachlicher Zusammenhang von Mythen, in den sich diese Boreas-
sage fügen könnte, nicht vorhanden; das Drama muß zu einer ideelleren Com-
Position nach Analogie der Perser gehört haben. Wenigstens in Beziehung auf
Athen könnten sich demselben die „Herakliden" an die Seite stellen. Jedoch ist
es besser sich hier alles Vermutens zu enthalten. Eine Beziehung der Trilogie
Iphigeneia und namentlich des Telephos auf Themistokles glaubt 0. Jahn
zu erkennen und wird darauf in seiner Zuschrift an Welcker: „Telephos und
Troilos" demnächst aufmerksam machen [Kiel 1841; S. 37]; ich bekenne, daß
mir dieselbe zu äußerlich scheint, da sie nichts als die gleiche Situation des Tele-
phos am Herd des Agamemnon, des Themistokles an dem dos Admetos enthält
6*
84 Zur griechischen Tragödie
Die Aischyleischen Trilogien der Perser, der Danaiden haben, wie
wir sahen, Phrynicheischen Dichtungen über denselben Inhalt ent-
sprochen. Leicht dürfte es derselbe Fall gewesen sein mit dem Tan-
talos, ans dem die Niobetrilogie des Aischylos hervorgegangen ge-
dacht werden könnte. Hesychios [52] sagt v. ktpiSQava- k(p mv xa-
ß-fjVTO Ol Tccg kvQag H^ovcri' Q>()vvixog Tavrülq), also auch hier ein
Chor von Lautenschlägem, ähnlich dem der Phoinissen; aber freilich,
für alle weiteren Vermutungen ist kein Substrat vorhanden. Auch der
Aktaion des Phrynichos findet unter den Aischyleischen Dramen ein
entsprechendes ^ Von den übrigen Tragödien will ich nur die Alkestis
' Dies Drama glaube ich in den ro^oTideg zu erkennen, worauf schon
in der Übersetzung des Aischylos II' S. 243 hingedeutet war; Welcker hat diese
Ansicht weiter verfolgt (die griechischen Tragödien I S. 49). Natürlich muß
nun diese Tragödie aus der Trilogie Aithiopis ausscheiden, die, wie« ich glaube,
aus den Nereiden, der Seelenwägung und den Brautkammerbauenden be-
stand. Die letzte der genannten Tragödien hatte ich mit Welcker zu der Tri-
logie Iphigeneia gezogen; aber diese begann vielmehr mit dem Telephos; nach
der Tragödie, in der Klytaimnestra ihres Sohnes Orestes Leben daran wagt den
I'Vemdling aus Mysien zu retten, folgt die, in der Agamemnon seine Tochter
Iphigeneia dem Opfertode hingiebt, um den troischen Zug möglich zu machen;
in der dritten, den Priesterinnen, sühnt die gerettete Iphigeneia den Bruder,
der die Mutter gemordet; nicht bloß die große poetische Schönheit dieser Zu-
sammenstellung spricht für ilire Richtigkeit, sondern auch ein fast ausdrück-
liches Zeugnis. Zu dem Verse des Aristophanes Ran. 1302: xvÖktt Ä^^aidv,
ÄxqiuiQ noXvxoiqave fiuy&aye fiov nai, bemerkt der Scholiast: jiqiaiaqxog xai ÄtioX-
Xdjvwc, iniaxB^paträ-e no&ev dal, Tifiaxldac de tx Trile<pov AiGX^lov^ Äaxlfjniadijg
dt e| ^IqnfBVBittg. Es war die Anrede des [78] Telephos an Agamemnon, Timachi-
das zitierte den Namen der Tragödie, Asklepiades den der Trilogie. Wohin
mag nun des Aktaion Drama der To^otlöeg gehören? Zweimal erinnert £u-
ripides in den Bakchen (Vers 830 und 1292) an Aktaions Tod, und Aktaion.s
Mutter war Autonoe, die Schwester der Semele. Stesichoros und Akusilaos er-
wähnten, daß Aktaion den Tod gefunden,, weil er Semele zum Weibe begehrt
habe (Paus. IX 2, 8 ApoUod. III 4, 4). Nun ist aus der Tragödie Semele oder
die Hydrophoren ein Fragment (208) erhalten:
Zevg og xaiexut loviov
es bezieht sich auf den Tod des Aktaion, der Semele begehrte, die Zeus selbst
sich zum Weibe erlesen hatte. Wie schon in diesen Zusammenhang die Frag-
mente der Schützinneu passen, werde ich an einem andern Orte nachweisen
[Aeschylusübersetzung* (1842) S. 484], Das zweite Stück dieser Trilogie war
eben die Semele oder die Hydrophoren; Wasserträgerinnen bilden den Chor,
aber nicht um den Palast, der bei Dionysos Geburt in Brand geraten ist, zu
löschen, sondern diese Hydrophoren bringen das Totenopfer für Aktaion, dessen
'J'od die erste Tragödie gezeigt hat. Über diese Hydrophonen s. Preller Demeter
S. 229. Aischylos Anwendung dieses Totenbrauches ist für die Erklärung des
noch dunkeln Sinnes der Hydrophone sehr lehrreich. Das dritte Stück war
PeutheuB oder die Xantrien.
Phrynichos, Aischjlos und die Trilogie. 85
noch erwähnen. Ein anapästisches l^Yagment ans derselben ist beiHesych.
(T&fia 9 äOafißkq yvioSdviGTOV
ttjqbL
Welcker (die griechischen Tragödien S. 21) schreibt reiQei: „Herakles
preßt den Tod, so wie er es bei Enripides Vers 845 zu thun droht, und
es spricht dies wohl nicht ein Bote, sondern der Chor, welcher dieser
Scene bei dem Grab der Alkestis von der Orchestra zuschaute". Ich
glaube nicht; der Chor würde dergleichen nicht in Marschrhjthmen be-
richten; auch scheinen die beiden Adjective für den gepreßten Tod nicht
bezeichnend. Die Lesart T?]QeT ist ganz schön; Alkestis die hinsterbende
ist es, die, wie auch die Todesschauer ihren Leib schütteln, ihn hütet,
daß er kein Zagen zeige. Natürlich liegt sie so hinsterbend nicht auf
der Bühne, sondern im Palast; der Chor hat sie dort gesehen, heraus-
tretend mit anapästischem Gesänge erzählt er nun Ton jenem mitleid-
würdigen Anblick. In welcher Stelle des Dramas standen diese Verse?
entweder gleich nach dem Prolog tritt der Chor mit ihnen auf, und
dann haben wir ein neues Beispiel von der un dramatischen Weise des
Phrynichos, indem er nicht in dem großartigen Entschluß der Königin,
sondern in dem weiteren Verlaufe der Situationen sein tragisches Sujet
fand; dann hatte der Tod den Prolog gesprochen, in dem er angab,
daß Alkestis für ihren Mann zu sterben bereit sei und er sie drum
holen werde; oder, was minder glaublich, dieser Chor trat in einem
späteren Stadium der Tragödie aus dem Palast, so beweist er, daß
ein anderer für die früheren Stadien bereits vorhanden war, und wir
sehen ein Beispiel mehr für [53] das, was wir an dem dreichorigen
Drama des Perserkrieges zu entwickeln versuchten.
Überblicken wir die Resultate des obigen, so finden wir: von
Thespis begann die neue Kunst der Tragödie, sie war wie das Satyr-
spiel des Pratinas dramatisierte Lyrik, eine Tragödie und ein Satyr-
spiel wurde zur Aufführung in den Dionysien verbunden; bei Phryni-
chos sehen wir bereits die Tragödie umfassender: drei Chöre traten,
durch neue und neue Epeisodien eingeleitet, nach und zu einander auf
und bildeten so die Grundlage für die neue dramatische Form der
Trilogie (oder Tetralogie), deren vielfach angezweifelte Weise in diesem
Zusammenhang, wie ich glaube, eine neue Sicherung und jedenfalls
eine begreiflichere Stellung, als sie bisher gehabt hat, erhält Die
fünfzig Choreuten, die nach der Weise der alten kyklischen Aufifüh-
86 Zur griechischen Tragödie
nmgen dem tragischen Dichter zugewiesen wurden, begannen sich mit
der Einführung des Satyrspiels bereits zu teilen; eine weitere Teilung,
um innerhalb der Tragödie mehr Chöre auftreten zu lassen, war da-
mit schon eingeleitet. Hier tritt denn ein unerkläxbarer Punkt ein; wir
sehen in der Phoinissentragodie drei Chöre; hat es auch Tragödien mit
zwei Chören gegeben? hat früh eine künstlerische Convenienz oder sonst
ein Grund jeae Dreiteilung der Tragödie fixiert? Die dramatische Gewohn-
heit, die wir schon mit den Persern des Aischylos (472) ausgeprägt und
seitdem unverändert beibehalten finden, spricht für das letztere.
Daß seit jener Zeit stets von jedem der wettkämpfenden Dichter
drei Tragödien und ein satyrisches Spiel aufgeführt worden, ist aus-
gemacht (s. Schoell, Beiträge zur Kenntnis der tragischen Poesie der
Griechen I S. 199). Die weitere Frage ist, ob solche vier Stücke bezie-
hungslos und wie ein dramatisches Konzert willkürlich zusammengestellt
waren, oder ob sie in wesentlichem, das Verständnis der einzelnen
Stücke bedingenden Zusammenhang standen.
Überliefert sind sieben vollständige Didaskalien: [54]
Aischylos 1. Phinms, Perser, Glaukos Potnieus, — Pi'ometheus Argum.
Pers.
2. Agamemnariy Choeplioren, Etmieniden, — Proteus Arg.
Agam.; Oresteia heißt das ganze bei Aristoph. Ran. 1124.
3. Edonier, Bassariden, Jünglinge — Lykurgos Schol. Rav.
zu Arist. Thesm. 135. Lyktirgeia heißt das ganze bei
Arist a. a. 0.
Euripides 4. Alexandras, Palamedes, Troerinnen, — Sisypkos Aelian.
V. H. II 8.
5. Kreterinnen^ Alhnaion in Psophis, Tdephos^ — AlkesHs
Eurip. Alcostis ed. Dindorf. Oxon. 1884.
6. Medeia, Philokietes, Dikiys, — die Schnitter Argum. Med.
Xenokles 7. OidiptLs, Lykaon, Bakchen — Athamas Aelian. a. a. 0.
Ferner wird erwähnt:
Philokles %,' Tetralogie Pandionis ohne Angabe der einzelnen Dramen
Schol. Arist. Av. 282.
Ebenfalls eine Tetralogie oder Trilogie wird gewesen sein:
Meletos 9. CHdipodeia, Schol. Plat. S. 330 ed. Bekker.
Endlich ist bekannt, daß Plato in jungen Jahren eine Tetralogie
dichtete, auf welche ich jedoch die Notiz bei Bekker Anecd. S. 352 i^t^rj-
va^s' niärrov Iv 'OSvaasta nicht zu beziehen wage. Die 'Iffixkua des
Sophokles ist zu zweifelhaft, um mit berücksichtigt werden zu können.
Phrynichoe, Aischylos und die Trilogie 87
Von der größten Wichtigkeit für diese ganze Frage ist die oft be-
sprochene Notiz über Sophokles bei Suidas: Jjq^^ Sg&fia ngog SQßficc
ayrnvi^Bod-aiy äkkcc fiij rsTQaXoyiag, Den Sinn dieser Bezeichnung
erkennt man aus genauer Erklärung einer Bemerkung über Aischylos
Oresteia beim Scholiasten zu Aristoph. San. 1122, wo es sich um den
Prolog der Oresteia handelt. Der Scholiast sagt: rarQcckoyiav (piQovmv
rtjv VQBcmiav cci StSatrxakicciy !Ayafiifivovcc, Xorjfpögovg, EvfXBviSa^,
IlQcoTicc acrrvQixöv. ^piorap/og xae ^nolhAviog TQiXoyiav [55]
Xiyovm x^Qh t&v aaxvQix&v. Aristarch und ApoUonios meinten nicht
etwa, daß dies Satyrspiel gar nicht mit diesen drei Tragödien zu-
sammen aufgeführt sei, — die Didaskalie lag ihnen ja vor, — noch
auch, wie mein Freund Scholl meint, das Satyrspiel sei ihnen (nach
der Analogie der Alkestis) mehr tragisch als satyrisch erschienen*;
sondern jene Kritiker fanden, daß sich der Name Oresteia nicht fug-
lich von den vier Stücken brauchen lasse, da der Proteus, wenn schon
er noch eine auch in dem Agamemnon (Vers 603) angedeutete Be-
ziehung zur Oresteia hat, doch außer dem unmittelbaren und prag-
matisch bedingenden Zusammenhang der Orestessage steht. Hiernach ist
der Gebrauch, den die alten Gelehrten von dem Namen Tetralogie machten,
vollkommen klar; sie nannten Tetralogie die vier Stücke einer tragi-
schen Didaskalie, wenn dieselben den zusammenhängenden Verlauf einer
Geschichte darstellten; ein vollkommenes Beispiel ist die Lykurgeia.
Es liegt aber in der Natur der Sache, daß sich nicht viele tragische
Stoffe mit einem satyrischen Ausgang bearbeiten ließen ; waren nur die
drei Tragödien zusammenhängend gearbeitet, so nannte man dies eine
Trilogie, und die Form der Trilogie mochte demnach häufiger sein,
als die der Tetralogie, und wenn Aristophanes von Byzanz die Plato-
nischen Gespräche in Trilogien (Diog. Laert III 61), Thrasyllos in Te-
tralogien ordnete (Diog. a. a. 0.), so sahen sie eben auf den Zusammen-
hang der in den Gesprächen verhandelten Sachen. Aber das Beispiel
des Proteus zeigt, wie eng beschränkt die alten Gelehrten den BegriflF
des Zusammenhanges faßten; was sie ein für sich bestehendes Satyr-
spiel nannten, konnte immer noch eine wesentliche, eine idealere, oder
selbst eine stoflfmäßige Beziehung zur Trilogie haben. Begann nun
* [78] Scholl hebt fiir seine Ansicht hervor, daß bei Athen. IX S 394a ^y
JlQ(t)i6t 1(7} TQayix^ zitiert wird; schon dieser Beisatz wäre seltsam, wenn nicht
der Gegensatz gegen ein anrvQutoy damit bezeichnet sein sollte; und wenn auch
einige Gelehrte, wie Scholl annimmt, den Proteus für mehr tragisch als saty-
risch hielten, so zeigt ja doch die erhaltene Didaskalie ausdrücklich, daß seine
kurrente Bezeichnung IIqo)tbv^ o-nrrt'^ixoj war. Vs ist dies roa^ixo) nichts als einer
der vielen Irrtümer der „Gelohrtenschmausdialojijc" , die Scholl selbst so richtig
charakterisiert hat (S. 397).
88 Zur griechischen Tragödie
Sophokles Drama gegen Drama zu kämpfen, so heißt das zunächst nur,
daß seine Didaskalien nicht eine in sich fortlaufende Geschichte durch
die vier Dramen fortführten, aber keineswegs ist damit ausgeschlossen,
daß sie noch in irgend welcher anderen Art der Beziehung zu einander
standen. Überdies bedeutet jenes Jjq^b — dycjvi^Ba&ai nicht etwa,
daß er bei seiner ersten Aufführung diese [56] neue Form aufgebracht,
sondern nur, daß er der erste war, der sie anwendete.
Wie doch entstand der Begriff der Trilogie? In dem Namen des
Logeion zeigt sich, daß Ad/os* ursprünglich im Gegensatz gegen den
Gesang des Chors das, was der Schauspieler sprach, bezeichnet; daher
noch bei Aristophanes mit altfränkischem Ton das S>vS()6<; oi nagövrei;
hv köycü (Av. 30) und ähnliches sonst ^ Dieser Xöyog ist es, den
Thespis erfand, wenn es heißt itQÖloyöv re xcci Qfitnv k^evQBv (Aristot
apud Themist. XXVI p 382 ed. Dind.). Immerhin mag das ganze En-
semble von Gesängen des Chores, Reden des Schauspielers und Ge-
sprächen beider allmählich Xöyog genannt worden sein. Ob der Name
TQiloyta schon von Phrynichos gebraucht worden, weiß ich nicht;
aber die Sache hatte er, wenn er z. B. in seinem Drama vom Perser-
kriege den Schauspieler (vielleicht außer im Prolog) noch dreimal in
verschiedenem Kostüm zu dreifachem Xöyog auftreten ließ, dem ent-
sprechend dann auch der Chor in drei verschiedenen Abteilungen nach-
einander hereingezogen kam; das eine Gedicht war nun in sich ver-
dreifacht; es war eine roiXoyia. Schon der Name zeigt, daß die drei
tragischen Gedichte eine Einheit bilden, etwa im Gegensatz gegen den
(TarvQixbg Xöyog,
So fand Aischylos die Dramatik, und er schloß sich dem be-
stehenden Gebrauch an; die Trilogie blieb ihm wesentlich eine Tragödie,
aber an die Stelle der bloß äußerlichen Folge dreier Situationen einer
Begebenheit trat ihm ein tieferer Zusammenhang, der das ganze be-
herrschte. Während bisher die Tragödie Thaten und Leiden beschrieb
(denn Plutarchs Äußerung Symp. I 1, 5 (I>qvvixov xal AlxvXov
T//1/ TQaycpSlav eig ^vß^ovg xa) Tia&'tj nQoayövrcDv ist von verkehrter
Auffassung der Poesie des Thespis veranlaßt), begann Aischylos das
Handeln und Leiden selbst zu zeigen, und statt in großartigen oder
heiligen Begebenheiten rührende Situationen, — in Entschluß und That
den tragischen Schwerpunkt, die Kraft des Willens und dessen Ohn-
macht, zur Darstellung zu bringen; während Phrynichos was er dar-
* [78] Etwas anders im Anfang der Eumcniden, wo die Pythias die einen
Götter anredend tV Bvxnu q>i)oiiiut'^o^ai sagt, sodnnn J/ttlXnc ... tV l6yoic TtgstT-
(ievBini. Ich glaube jene ersten Bvxni sind gesangartig, vielleicht gar mit Beglei-
tung vorgetragen worden.
Phrynichos, AischyloB und die Trilogie 89
stellte, gleichsam von einem menschlichen Standpunkte [57] aus den
Zuschauenden zeigte, suchte Aischylos nach tieferer Fassung, versenkte
sich gleichsam in die ewigen Gedanken der weltregierenden Mächte
und ließ von diesem innersten Mittelpunkte alles Geschehens den Be-
trachtenden die Zusammenhänge einer ewigen Notwendigkeit erkennen.
Seine Tragödien wurden Theodiceen der göttlichen Weltordnung, und
in immer großartigerer und umfassenderer Mächtigkeit lehrte er das
Thun und Leiden einzelner, ganzer Geschlechter, ja ganzer Völker er-
fassen. So mußte sich ihm die schon trilogische Tragödie weit und
weiter vergrößern, jeder der drei Xöyoi wurde ihm wieder eine analog
in sich vervielfachte Tragödie, aber so, daß sie des ganzen nur einen
Teil umfaßte und über sich hinaus zu den andern hinwies.
Es war eine vollkommen neue Weise der Poesie, die Aischylos
aufbrachte. Nicht von außen her betrachtete und bedichtete er die
Stoffe; er ließ sie von innen heraus, aus dem lebendigen Gedanken
einer ewig gerechten und ordnenden Fügung erwachsen und gleichsam
organisch sich selbst gestalten, nicht nach der Analogie empirischer
Wirklichkeit, sondern nach der idealen Eurhythmie gedankenmaßiger
Entwickelung. Und so gewaltig war diese organisch bildende Kraft,
daß sie selbst über das Gebiet der Trilogie hinüberzugreifen und das
Satyrspiel in diesem Sinne zu rhythmisieren, es sich einzubilden ver-
mochte. So die Tetralogien des Aischylos.
Ich muß nun die gefundene Fährte einen Augenblick verlassen,
u}n etwas an der Seite Liegendes aufzunehmen. Es war die herrliche
Entdeckung Welckers, daß sich an den erhaltenen Aischyleischen
Dramen stets deutliche Spuren ihrer Beziehung zu anderen vor oder
rückwärts liegenden zeigten. Es würde unbegreiflich sein, daß diese
Entdeckung Widerspruch erfahren, wenn nicht die tägliche Erfahrung
zeigte, daß ein ästhetisch richtiges und gebildetes Empfinden seltener als
Gelehrsamkeit und kritischer Scharfsinn ist. Jetzt steht die Forschung
bereits auf dem Punkt, für die erhaltenen Dramen die Ergänzung mit
überzeugender Gewißheit andeuten und auch von den meisten, nur in
sehr [58] unbedeutenden Fragmenten erhaltenen Stücken ihre trilo-
gische Composition mit einiger Frobabilität nachweisen zu können. Da
ist nun folgende Beobachtung lehrreich: die Trilogie des Prometheus
stellt, freilich in der großartigsten Fassung, das Geschick eines Indi-
viduums, die der Sieben, der Danaiden, des Orestes das Geschick eines
Geschlechtes dar, aber so, daß in beiden Gattungen die Geschicke weit
über den Bereich des einzelnen und des Geschlechtes hinaus in weiten
Wellenkreisen umher mitempfunden werden. Das Einheitliche in diesen
großen Compositionen ist nicht, daß dieselbe Person oder dasselbe
90 Zur griechischen Tragödie
Geschlecht handelt und dafür leidet; sie sind nur wie Beispiele zu
weit umfassenderen, zu allgemeinen, zu den höchsten ethischen Verhält-
nissen, in der Art, daß eine Modalität der weltregierenden Gottheit
sich an ihnen bethätigt und bewahrheitet, in ihnen sich offenbart; es
ist die tiefste Erfassung des Mythos, seiner Zufälligkeit als vereinzeltes
Faktum entnommen als die heilige Geschichte, als die begriffene Offen-
barung einer ewigen Macht dargestellt zu werden. Und dies hat
Aischjlos mit der höchsten dichterischen Kraft vollbracht. Wie frei und
kühn umspannt er in der heiligen Geschichte des Prometheus Jahr-
tausende! wie frei und kühn gipfelt er den Oidipusfluch in dem Unter-
gang seiner Stadt und seines Volkes, oder den Atreusfluch in der
Stiftung des heiligen Gerichtes auf dem Areiopagos! Freilich die
alten Gelehrten haben nur das Trilogie und Tetralogie nennen wollen,
was unmittelbaren pragmatischen Zusammenhang einer Begebenheit
darstellt; die drei Stücke des Gedichtes vom Perserkampf würden sie
nicht Trilogie genannt haben. Aber Aischylos hat sie auf die kühnste
Weise in gegenseitige Beziehung gebracht, oder richtiger, in nicht küh-
nerer Weise als jede seiner andern Trilogien; es ist ja eben auch da
der Zusammenhang eines Gedankens, einer bestimmten Offenbarung der
weltregierenden Gottheit, wie der Dichter sie in den Schicksalen seiner
hellenischen Heimat eben so tiefsinnig wie fromm erkannt hat.
Aber wir sehen schon, wie weit bereits diese Aischyleischen
Fassungen über die ursprüngliche Weise der [59] Trilogie hinausragen
Und nun die Satyrspiele. Nach der Nennweise der alten Gelehrten
ist die Lykurgeia für eine vollkommene Tetralogie zu halten ; das Satyr-
spiel setzt die in der Trilogie behandelte Geschichte unmittelbar fort.
Zweifelhaft erschien es ihnen bei der Oresteia; aber sollten wir meinen,
daß Aischylos darum, weil sich das Sujet des Proteus in der Vetter-
schaffc des Orestes hielt, dies Satyrspiel an diese Trilogie angeschlossen
habe? Ich glaube ferner mit Recht vermutet zu haben (Übersetzung
des Aischylos II S. 103), daß Amymone das Satyrspiel für die Danaiden-
trilogie war; nicht weil die alten Gelehrten auch hier vielleicht eine
Tetralogie anerkennen würden, sondern weil in dem innersten Wesen
dieses Nachspiels eine bedeutsame Beziehung zu dieser Trilogie lag.
Und wenn die alten Didaskalien Prometheus den Feuerzünder als
Satyrspiel zur Persertrilogie nennen, so fehlen auch da nicht die
Möglichkeiten eines wesentlichen Zusammenhanges. Kurz ich glaube
für Aischylos voraussetzen zu dürfen, daß, seitdem er in der ihm
eigentümlichen W^eise gedichtet hat, seine Satyrspiele stets in gedanken-
maßigem Zusammenhang mit der Trilogie waren; und wenn die Zahl
der Aischyleischen Satyrdrameu im Verhältnis zu den Trilogien, die
PhrynichoB, AischjloB und die Trilogie 91
wir noch zu erkennen glauben, zu klein ist, so meine ich keineswegs,
daß er, wie später Euripides, an vierter Stelle bisweilen eine Tragödie
zugefügt hat — er selbst würde dem Gott Abbruch zu thun gemeint
haben — , sondern es werden von Satyrspielen mehr Titel verschollen
sein, als von Tragödien.
Oberflächlich und nach der Weise der alexandrinischen Gelehrten
betrachtet, finden wir somit bei Aischylos bereits drei Arten von Didas-
kalien; die einen, wo alle vier Stücke dieselbe Geschichte in ihrem
Verlauf darstellen, — die zweite, wo wenigstens die Tragödien in dieser
Weise zusammenhängen, — die dritte, wo wie in den Persern auch
die Tragödien ohne diesen Zusammenhang sind. Ausdrücklich sage
ich oberflächlich betrachtet; denn in allen drei Fällen finde ich das
Wesentliche in dem idealen Zusammenhang der vier Stücke, den man
freilich im zweiten und [60] dritten Fall nicht leicht ohne Anleitung
einer erhaltenen Didaskalie würde erraten oder wiederherstellen können.
Wie verhält es sich nun mit Sophokles, der Drama gegen Drama
aufzuführen begann und nicht, so sagen die alten Gelehrten, denen
Suidas folgt, mit Tetralogien kämpfte?
Zur Antwort hierauf muß ich erst etwas anderes besprechen. Daß
die pragmatisch zusammenhängenden Didaskalien, die eigenthchen Te-
tralogien, nicht ganz abkamen, beweist die Pandionis des Philokles;
und Meletos Oidipodeia muß wenigstens eine Trilogie gewesen sein,
beide aus der Zeit kurz vor oder nach Sophokles und Euripides Tod.
Verloren gegangen war also das Bewußtsein von der ursprünglichen
Zusammengehörigkeit der Dramen einer Didaskalie keineswegs. Ja daß
auch Sophokles Trilogien in diesem Sinn gedichtet hat, ist von Scholl
auf das glänzendste an dem Aias nachgewiesen und für einige andere
Gedichte wahrscheinlich gemacht.
Und seine anderen Didaskalien hätten aus vier willkürlich zu ein-
ander gewürfelten Dramen bestanden?
Scholl hat femer auf überzeugende Weise dargethan, daß die
Dramen in den drei erhaltenen Euripideischen Didaskalien ohne ge-
schichtliche Continuität zu haben, doch in sehr spezifischem inneren
Zusammenhange stehen. Die Tetralogie der Troaden hat ihren Schwer-
punkt in des Dichters Auffassung der durch die Hermokopiden- und
Mysterienprozesse wildbewegten Zeit ihrer Aufführung; die der Alkestis
stellt in kunstreicher Combination eine Galerie weiblicher Charaktere
dar; in der der Medea ist der gemeinsame Gedanke das Band des
Vaterlandes und des Stammblutes auf der einen, das Fremdenlos und
Fremdenrecht auf der andern Seite. Natürlich sind solche Zusammen-
hänge schwerlich ohne Anleitung einer Didaskalie herauszustellen ; aber
92 Zur griechisclien Tragödie
in mehreren Beispielen einmal mit »Siüherheit nacbgewiesen lassen sie
auf ein allgemeines Gesetz schließen.
Und nun, wie verhält sich dies Gesetz zu dem der Aischyleischen
Composition? Man betrachte das allgemeine Verhältnis zwischen der
Poesie des Aischjlos und Euripides; wenn jener den Mythos, die heilige
Geschichte, in voller [61] Gläubigkeit erfaßt und die Gegenwart selbst
mit ihren bestehenden religiösen Instituten in der dramatischen Durch-
arbeitung der denselben zum Grunde liegenden Sagen gleichsam von
neuem rechtfertigt — , so sieht Euripides dieselben Mythen wie an-
ziehende Novellen an, bei denen er nach seinen weiteren künstlerischen
und philosophischen Interessen willkürlich, wenigstens ohne Rücksicht
auf den heiligen Inhalt ab- und zudichtet. In der Analogie dieser
Auffassungsweisen sind auch die Zusammenhänge in der Tetralogie
beider Dichter. Dem einen ist es nur um jenes innerste Walten und
Weben der ewigen Mächte zu thun, deren Offenbarung er in aller
Dinge Verlauf mit frommer Begeisterung wiedererkennt; dem andern
existiert dieser Pulsschlag höchsten geistigen Lebens nicht, nach äußer-
lichen Gesichtspunkten, nach willkürlichen Kategorien sucht er sich
die Stoffe zusammen, die ihm zu Exemplifikationen seiner modernen
Philosophie dienen sollen. Und doch wird man nicht verkennen, daß
diese Euripideische Weise noch immer an die ursprüngliche Bestimmung
tetralogischer und trilogischer Composition, Zusammenhängendes zu sein,
erinnert. Dasselbe weist Scholl (S. 166) an der Didaskalie des Xe-
nokles nach, die „in ihren einzelnen Tragödien, obligat den gleichzeitigen
Religionsprozessen in Athen (415), furchtbare Heimsuchung der Gölter-
verachtung an dem ganzen Geschlecht und im Satyrspiel den Begna-
digungsfall des schon den Göttern verfallenen Mannes darstellt".
Äußerlich betrachtet, fanden wir bei Aischylos drei Formen von
Tetralogien; diese moralistische des Euripides und Xenokles ist, wenn
man will, eine vierte; gewiß eine eigene Gattung ist die, welche die
Didaskalie der Alkestis zeigt, in der an der Stelle des Satyrspiels eine
Tragödie steht.
Und nun kehre ich wieder zum Sophokles zurück. Er hat wohl
eine neue Gattung von Tetralogien aufgebracht, wenn er vier Stücke
ohne allen Zusammenhang und Verbindung zu einer Aufführung zu-
sammen that? Das hätte der sinnigste aller Dichter wirklich gethan?
hat er, der weiseste von allen, es über sich gewinnen können, auch
nur [62] bisweilen den Vorteil dreifacher und vierfacher Wirkung auf
einen Punkt hin zu verschmähen, um dafür durch ein buntes Allerlei
verschiedenartigster Gemütsstimmungen und Empfindungen, die sich
gegenseitig abstumpfen müssen, zu zerstreuen? hat er, der vor allen
Prynichos, AischjloB und die Trilogie 98
fromme, nach der furchtbaren unverschnldeten Strenge des Schicksals
gegen den König Oidipus ein versöhnendes Bild der ewig gnädigen
Mächte zu zeigen sich versagen können? Glaube das, wer es kann;
für das Gegenteil spricht wenigstens die vollendete und bewußte Kunst,
die der Dichter in allem anderen, je mehr man ihn studiert, desto mehr
bewährt. Aber freilich mehr als diesen guten Glauben an seine Kunst
haben wir für jetzt nicht geltend zu machen; zum Beweise müßten
sich noch neue Quellen erschließen; eine Didaskalie wäre hinreichend.
Oder würde sie vielleicht noch eine andere Möglichkeit bestätigen, etwa
ein harmonisch geordnetes Hervorrufen unter sich wähl verwandter ästhe-
tischer Stimmungen, etwa ein Arrangement nach dem Hermannsohen
Schema von Auge, Ohr, Geist und Herz? Wer ein Künstler ist, kann
nicht anders als harmonisch Geordnetes hervorbringen; aber die sinn-
liche Wirkung ist nicht der Zweck, sondern das Mittel des künstlerischen
Thuns, und nur die kokette Kunstkennerei liebt es, in der Anerkennt-
nis der „guten Arbeit" sich selbst die Folie nächster Vertrautheit mit
dem Thun der Künstler zu schaffen, ohne zu sehen, daß über das
Lembare hinaus erst die rechte Sphäre des künstlerische i Thuns liegt.
Ich habe diesen Zusammenhang der dramatischen Technik und
ihrer allmählichen Gestaltung darzustellen versucht, um die Stellung,
die Aischylos einnimmt, schärfer zu bezeichnen. Wir sahen, er gab der
trilogischen und tetralogischen Composition nicht bloß großartigeren
Umfang, sondern begründete vor allem das wesentlich dramatische
Interesse, das der fortschreitenden, sich erst entwickelnden Handlung;
er minderte den Umfang der Chorgesänge, um ihr Raum zu schaffen.
In dem Wesen der Handlung, wie Aischjlos sie sich gestillten ließ,
lag die Notwendigkeit, die gegeneinander wirkenden Kräfte unmittelbar
zur [63] Anschauung zu bringen. Er erfand, heißt es, den zweiten
Schauspieler. Aber wie verwandte er ihn? es drängt sich hier eine
Beobachtung auf, welche wieder für die Entwickeluug der Dramatik
bedeutsam ist. Erst in der Oresteia treten die beiden Personen, in
denen sich die tragisch gegeneinander wirkenden Kräfte darstellen, also
Agamenmon und Klytaimnestra, Klytaimnestra und Orestes u. s. w. un-
mittelbar und agierend gegeneinander; in den vier anderen, den älteren
Dramen ist stets nur die eine in dem Protagonisten dargestellt, wäh-
rend die andere nur in ihren Befehlen, Wirkungen u. s. w. repräsen-
tiert wird. So erscheint im gefesselten Prometheus des Titanen Gegner
nicht persönlich, sondern in der Eepräsentation der Hephaistos, Hermes
u. s. w.; ebenso tritt Polyneikes in den Sieben nicht persönlich auf, und
doch ist die Tragödie gehalten durch den Gegendruck wider ihn ; ebenso
wird in den Persern die siegende Gewalt der Hellenen nur in der
94 Zur griechischen Tragödie
Erzählung des Boten u. s. w. zur Anschauung gebracht, in den Schutz-
flehenden die Wildheit der Verfolger nur durch den Herold vergegen-
wärtigt. Ich muB hinzufügen, daß die Oresteia^ obschon sie in dieser
Technik bereits um einen guten Schritt den übrigen Tragödien voraus
ist, doch nur eine scheinbare Ausnahme von dem Sinn, der dieser Er-
scheinung zu Grunde liegt, macht Das ist der unendhche Fortschritt
der Sophokleischen Dramatik, daß dies Gegeneinandertreten der Per-
sonen nicht ein äußerliches Nebeneinander bleibt, sondern ihr Sprechen
selbst Handlung, Entwickelung, gegenseitige Bestimmung und gleichsam
chemische Durchdringung ist, während die Charaktere bei Aischylos,
vollkommen fertig und unbeweglich in sich, nebeneinander hingehen
ohne durch die Gegenseitigkeit ihrer Beziehungen im Fortschritt des
Dramas aufeinander bestimmend und verwandelnd einzuwirken. Aischy-
los hat Handlung, aber sie liegt bei ihm außerhalb der Darstellung,
ja ich möchte sagen, außerhalb der Personen nicht, wohl aber der
Charaktere. Während bei Sophokles das Drama eine vollkommene
Peripherie ist, in der alle Momente des zusammenhängenden und sich
weiterdrängenden Verlaufes der unmittelbaren Anschauung klar [64]
vorliegen, besteht das Aischyleische Drama gleichsam nur aus einzelnen
Punkten in dieser Peripherie, die den Blick zwingen, sich die centrale
Kraft zu suchen und sich in diese zu versenken, um von ihr aus den
nur angedeuteten Kreis ihrer Äußerungen zu ergänzen. So tiefsinnig
und gedankenmächtig Aischylos ist, seine Kunst ist nur erst die stili-
sierte Symbolik ihres Inhalts; Sophokles ist voUkommner Künstler.
Die oben entwickelten Ansichten über die Aischyleische Poesie
bewähren sich auf das unzweideutigste in der Tetralogie der Perser.
Ich würde ihre Composition und ihren dramatischen Zusammenhang
hier ausführlicher entwickeln, wenn dies nicht schon von Welcker in
seinem Aufsatz „über die Perser des Aischylos" (Rhein. Mus. Bd. 5
[Kl. Sehr. IV S. 145—179]) gründlichst geschehen wäre. Sehr richtig
hat Welcker erkannt, daß für das Verständnis dieser Dichtung ihre
politischen Beziehungen namentlich bedeutend seien ; er untersucht
in dieser Hinsicht das Verhältnis der Phoinissen des Phrvnichos zu den
Persern des Aischylos und findet, daß Aischylos eben so für Aristeides
wie Phrynichos für Themistokles Partei nahm. Ich glaube, diese Ansicht
ist in dieser Entgegenstellung unrichtig; eine Übersicht der betrelBFenden
Verhältnisse wird uns ein umfassenderes Resultat geben.
Wir wollen ausgehen von der Rivalität des Aristeides und Themi-
stokles; sie waren die Männer, um welche sich seit der salaminischen
Phryiiichos, Aischylos und die Trilogie 95
Schlacht und schon einige Jahre früher die Politik Athens drehte.
Schon vor derselben hatte Themistokles seines Nebenbuhlers Ostrakis-
mos durchgesetzt, aber zur Zeit der Gefahr selbst dessen ßückberufung
veranlaßt; seitdem standen sie als Fuhrer entgegengesetzter Prinzipien
einander gegenüber. Wenn Themistokles mit dem Siege von Salamis
die hellenische Freiheit gerettet zu haben schien, so hatte Aristeides
in eben jener Schlacht durch den AngriflF auf Psyttaleia dem Siege
erst seine volle Wirkung verschafft; wenn Themistokles den Ruhm von
[65] Plataiai nicht mit ihm teilte, so ertrotzte er dafür von den Spar-
tanern das lange geweigerte Zugeständnis zur Befestigung Athens
und der Häfen. Aber freilich der durchdringende und entschiedene
Herschergeist des Themistokles, sein rasches und rücksichtsloses Vor-
wärtsdringen mußte bald die Zahl seiner Feinde mehren und ihren
Eifer provozieren, während des Aristeides gehaltene Ruhe, das Ver-
trauen der eben jetzt unter Athen vereinten Bundesgenossen zu seinem
Charakter, sowie die deutlich ausgesprochene Bevorzugung, die ihm
und seinem jungen Freunde Kimon seitens der Spartaner zu teil
wurde, ihn in den Augen des Volkes als weit geeigneter zur Führung
des Staates, den Themistokles als gefährlich und entbehrlich erscheinen
lassen mochte. So gelang es den Ostrakismos des Themistokles durch-
zusetzen.
Plutarch hat im Leben des Themistokles c. 5 folgende Notiz:
Mxtjae Sk xal xoQtjyci^v TQaywSoTg iaeyäkf]v }]Si] rdr« anovSrjv xai
(piXoTifiiav Tov dyöHvog H^ovrog' xal nivaxa r^g vixrjg äve&^jxs
T0iavT7jv i7iiyQcc(p)jV ixovTa' 0Bfii<TTOxi.fjg Q>Qta^Qioq kxoQVT^'j ^i^v-
vixog iSiSccaxev, ^ASeifiavrog ^p/ßi'. Adeimantos Archontenjahr reichte
bis in den Sommer 476, der Ostrakismos dieses Jahres, der wenigstens
den großen Dionysien vorausging, hatte ihn noch nicht verbannt. Im
1 7. Kapitel sagt Plutarch, daß bei den nach dem Perserkriege nächsten
Olympien Themistokles Gegenstand allgemeiner Bewunderung gewesen
sei; diese waren im Sommer 476®, und es ist wohl denkbar, daß diese
^ Ungefähr auf dieselbe Zeit fuhrt das Bruchstück des Timokreon bei Flut.
Them. c. 21
iikX' el TVffB HavaoLviav 7/ xal rvyB ^ut'ffiTrnoy uiviei^
fj Tvye Aeviv^idav, eyw d' ÄQiaiBi&av bnnipscj
[79] äyög' ieqav cm Ä&avav
ikäslv Bvn Icaaiov x t l.
Dies führt auf die Zeit nach 477, denn in diesem Jahre hatte Aristeides mit
Kimon die attischen Schiflfe der Bundesflotte unter Pausanias Oberbefehl zuge-
führt (Plut. Arist. 23). Weiter schimpft dann Timokreon auf Themistokles und
sein gewaltsames Verfahren in Beziehung auf Rhudos
96 Zur griechischen Tragödie
Übergroße Teilnahme der Hellenen für ihn den Athenern ein AnlaB
mehr war, gegen ihn mißtrauisch zu sein; bei solcher Stimmung des
Volkes konnte es gelingen, den Ostrakismos durchzusetzen. Als er nun
verbannt in Argos lebte, wandte sich Pausanias der Spartaner an ihn
mit geheimer Botschaft von seiner Verbindung mit dem Perserkönij^e,
zu der er auch jenen einlud. Pausanias hatte diese Verbindung mit
dem Könige bereits 477 nach der Einnahme von Byzanz eingeleitet;
er wurde zurückberufen und obschon ihm nichts nachgewiesen werden
konnte, doch nicht wieder an die Spitze des Heeres gestellt, dem sich
eben jetzt die [66] Bundesgenossen entzogen hatten, um unter athe-
nischer Führung den Krieg fortzusetzen. Dennoch kehrte Pausanias
476 nach Byzanz zurück; aber von den Verbündeten gezwungen die
Stadt zu verlassen, ging er nach dem Gebiet von Troas dort seine
Unterhandlungen mit Persien fortzusetzen, vermählte sich mit der
Tochter des Achaimeniden Megabates (Herod. V 32), traf alle weiteren
Veranstaltungen zur Verknechtung Griechenlands. Zum zweitenmal
forderten die Ephoren ihn nach Sparta (475), und er folgte, um nicht
dem Verdacht Vorschub zu leisten und in der Hofhung, durch sein
Gold jede Anklage niederzuschlagen (Thucyd. I 131); man warf ihn ins
Gefängnis, aber er bewirkte, daß man ihn wieder losließ, und erklärte
sich bereit denen, die ihn eines Vergehens zeihen wollten, sich vor
Gericht zu stellen. Während diese Untersuchung mit großer Bedacht-
samkeit und Langsamkeit geführt wurde (Thucyd. a. a. 0.), begann Pausa-
nias die heimliche Aufregung der Heloten, von der auch Aristoteles
(Polit. V 1) weiß. Erst jetzt wird Pausanias seine Eröffnungen an
Themistokles den Verbannten gemacht haben; es kann dies nicht füglich
Tovg fiBv xaiayojv udUütgj tovg S* ixdidtxfoVf tov^ öe xaivay
HQY'^Qefüv vn6nXeb)Q' 'la^fioi öe napöoxee feXoibig
rffvxQci xqia naqBx<ov'
oi d' rja&iovy xevxoyio fir^ iaqav SefjiaToxlevg ysydad-at.
Die isthmischen Spiele, auf welchen diese Speisung durch Themistokles veran-
staltet worden — ähnliches hatte er schon früher bei den Olympien gethan
(Plut Them. c. 5) — , müssen nach 480 sein; es waren entwedcrdie von Ol. 76 1
oder 76 3, das heißt entweder im Sommer 476 oder 474. Timokreon nennt den
Themistokles in eben jenem Fragment
^evcnayy udixoVj ngoSorav,
was man gern auf die schon bekannte Verbindung mit Pausanias beziehen würde^
wenn nicht Plutarch ausdrücklich dies Bruchstück als vor der Verbannung ge-
schrieben bezeichnete. Die Art, wie Pausanias hier noch erwähnt wird, scheint
wahrscheinlich zu machen, daß die Isthmien von 476 gemeint sind; wären es
die von 474, so könnte Themistokles nicht vor Anfang 478 verbannt sein, was.
wie sich unten zeigen wird, höchst unwahrscheinlich ist.
Phrynichos, Aischylos und die Trilogie 97
vor 474 gewesen sein. Der Ostrakismos des Themistokles ist somit
entweder im Anfang des Jahres 475 oder des Jahres 474 erfolgt.
Man nimmt allgemein und wohl mit vollstem Hecht an, daß in
der oben angeführten Choregie des Themistokles im Frühling 476 die
Phoinissen des Phrynichos aufgeführt wurden. Unter dieser An-
nahme in der That eine merkwürdige Feier; der Sieger von Salamis
selbst war es, der die Tragödie von seinem Siege in glänzender Cho-
regie dem Volke vorführte. Und er, dessen That, wie die Tragödie
zeigte, das weite Asien durchschüttert und die Burg von Susa mit
Jammer erfüllt hatte, er mußte schon zu solchen Mitteln greifen
sein wankendes Ansehen zu erneuen; schon wurde er, sagt Plutarch
(c. 22), so oft und so arg bei seinen Mitbürgern verschwärzt, daß er
genötigt war mit öfterer Erwähnung seiner Thaten lästig zu werden;
und da man ihm dies übel deutete, sprach er: seid ihr es denn müde
das Gute von denselben Händen fort und fort zu [67] empfangen?
Lehrreich ist diese Bezüglichkeit zugleich für die Charakteristik des
Phrynichos. Seine Tragödie Synthoken Phoinissen Perser begann, wie
wir sahen, mit dem Bericht des Eunuchen von der Niederlage und
schloß mit dem Auftreten des Xerxes und des mit ihm geflüchteten
Perserchors. Da konnte also nur von dem Verlauf des Krieges bis
zur Salaminischen Niederlage die Rede sein; die Schlacht von Plataiai,
die Aristeides Ruhm war, lag außer dem Bereich seiner Darstellung;
sie- reichte nur so weit als seines Choregen Themistokles ruhmwürdige
Leitung des Kampfes. Daß aber Phrynichos, den wir hier ganz dem
Interesse des Themistokles hingegeben sehen, eben der Parteiansreh t,
die dieser vertrat, angehörte, erkennen wir aus einem anderen Beispiel
deutlich genug. Oder in welchem Sinne sonst hatte er die ähorng
MtXfjTov dichten können? War es denn im Sinne des Themistokles
gehandelt, wenn man die stammverwandten Hellenen der asiatischen
Küste, denen man anfangs Beistand geleistet hatte, dann verließ und
durch vorsorgliche, selbstsüchtige Teilnahmlosigkeit der Wut der Bar-
baren überantwortete? und welche Parteiansicht beherrschte damals
das Volk, als es durch Phrynichos erschütternde Darstellung gerührt
dennoch den hochherzigen Dichter zu einer Geldbuße verurteilte? The-
mistokles wetteiferte bereits in der marathonischen Schlacht, vier Jahre
nach dem Falle von Miletos, mit Aristeides an Tapferkeit, ja schon vor
derselben hatte er die hohe Würde eines Archen bekleidet und die ersten
Anfange gemacht dem Staate die Richtung auf das Seewesen zu geben,
welche die entgegenstehende Partei zurückzudrängen sich bemühte';
^ £b ist das ausdrückliche Zeugnis des Dionys. ant VI 84, daß Themi-
stokles Ol. 71 4 d. i. 493 Archon war; freilich könnte dieser ein anderer gleichen
Droysen, KI. Schriften II. 7
98 Zur griechischen Tragödie
bald nach der Schlacht trat gegen Miltiades Xanthippos des Perikles
Vater auf und setzte dessen Verurteilung wegen des parischen Seezugres
durch. Wohl also war um die Zeit der marathonischen Schlacht schon
eine Partei kühner vorwärtsdrängender Männer da, der sich Phrynichos
anschließen, von der getragen Themistokles seinem Volk die größten
Anstrengungen und Opfer zumuten konnte, um es zu dem glorreichen
Kampf gegen Persien vorzubereiten und zu befähigen. Ihm dankt das
Volk [68] nach dem marathonischen Siege die Begründung einer See-
macht, welche bei Salamis Griechenland rettete. Aber die Entfernung
der Gefahr gab der ruhigeren Partei bald wieder das Übergewicht,
umsonst verbanden sich Themistokles und Phrynichos in der Dionysos-
feier 476. den Sieg zu verherrlichen, den man dem rüstigen Vorwärts-
schreiten allein zu verdanken schien; der Feldherr wurde des Landes
verwiesen, und der Dichter ging nach Sicilien, an den Hof des mäch-
tigen Hieron, wie es scheint (Anon. de com. bei Meineke I S. 536).
Namens gewesen sein, aber ein so viel mir bekannt stets übersehenes Zeugnis
spricht für die Identität; es ist das des fast gleichzeitigen Stesimbrotos von Thasos.
Plntarch (Themist c. 4) spricht nicht ohne vielfache Confusion davon, daß The-
mistokles die Athener zum Bau von Schiffen veranlaßt und dem Seemannsleben
zugewandt habe: ^qa^e de Tavta JüfiXjiaöov KgaTr/aag avtiXeYOVTOg , ag ärroQ^t
ZxrjtrLußqotog. Wann kann denn nun Miltiades widersprochen haben? Nach
der marathonischen Schlacht zog er gegen Faros und da er nach Com. Nep. 7
eine zufällige Feuersbrunst in der Feme für ein Signal der nahen Perserflotte
halten konnte, so wird wohl dieser Zug der im hohen Sommer gelieferten Schlacht
bald gefolgt sein. Seiner Rückkehr folgte die Anklage, gegen die er durch
seine Fußwunde gehindert nicht selbst sich verteidigen konnte, und bald sein Tod
an eben dieser Wunde, die sich entzündet hatte. Also vor dem [80] maratho-
nischen Kriege ist jene Verhandlung mit Themistokles gepflogen, und er hat
seinen Plan durchgesetzt; und siehe da, während die Athener im Kriege gegen
die Aigineten (491/2) fünfzig Schiffe besaßen (Heiod. VI 89), begehrte Miltiades
zu seiner parischen Expedition siebzig Schiffe und erhielt sie. Somit scheint es
vollkommen sicher, daß Themistokles Ol. 71 4 d. i. 493/2 Archon war; er b^ann
damals den Bau des Peiraieus (Thucyd. I 98), der dann freilich geraume Zeit
liegen blieb; auch die Vermehrung der Flotte datiert unzweifelhaft von seinem
Archontenamte, wenn schon die nächsten Jahre vor dem salaminischen Kriege
erst die lebhaftere und anhaltendere Mehrung aus den laurischen Geldern ver-
anlaßt haben werden. Ich will die Einzelheiten, die man zum Teil mit Spitz-
findigkeit gegen die Angabe des Dionys geltend gemacht hat, für jetzt nicht
weiter durchnehmen; sie lassen sich übrigens sämtlich mit der aufgestellten
Ansicht sehr wohl vereinigen. Ich mache nur darauf noch aufmerksam, daß
man sich die Kivalität des Aristeides und Themistokles stets gegenwärtig halten,
sich auch erinnern muß, daß Aristeides, durch den Ostrakismos verbannt, von
Aigina ziur salaminischen Sehlacht kam; so oft und so lange sein Ansehen
prävalierte, konnte von erneutem Angriff der Athener gegen Aigina nicht die
Rede sein. [Die Vermehrung der Flotte gehört nach Aristot. nol. Ä&. 22 erst
in das Jahr 483/2. E. M.]
Phryniohos, Aischylos und die Trilogie 99
Zwei Jahre etwa Dach der Yerweisimg des Themistokles, in den
Dionysien des Jahres 472 führce Aischylos seine Tetralogie der Ferser
anf^. Betrachten wir wie sich die hellenischen Verhältnisse gestalteten;
die Schlacht am Eurymedon mag, da ihre Chronologie endlich als fest-
stehend angesehen werden darf, als nächster Grenzpnnkt gelten; sie
fiel in Ol. 77 3, in die erste Hälfte des Jahres 469.
Themistokles war, wie wir oben sahen, von Fausanias znr Teil-
nahme an der heimlichen Verbindung mit Fersien aufgefordert worden;
war er auch nicht auf diese Anträge eingegangen, so hattte er doch
wenigstens nicht Anzeige davon gemacht, und die Spartaner fanden
bei der Untersuchung gegen Fausanias Documente vor, welche sie in
den Stand setzten in Athen für Themistokles dieselbe Strafe, die ihr
Feldherr gelitten hatte, zu beantragen. Da sandten die Athener in
Verbindung mit den Spartanern Leute aus den Themistokles zu greifen,
wo sie ihn träfen. Themistokles flüchtete aus Argos nach Eerkyra,
von dort zum König der Molosser, der, obschon ihm sonst feind, ihn
den Spartanern und Athenern nicht auslieferte, sondern nach Fydna
sandte, von wo Themistokles zum Ferserkönige zu fliehen gedachte.
Unter mannigfachen Gefahren — ein Sturm trieb ihn nach Naxos, das
eben von einer attischen Flotte umlagert wurde — gelangte er an die
asiatische Küste, zog dann mit einem Ferser nach den oberen Frovinzen
und richtete ein Schreiben an den König Artaxerxes, der eben jetzt
seinem Vater Xerxes gefolgt war, des Inhaltes, „daß er schon sonst
den Fersem wichtige Dienste geleistet habe und [69] jetzt deren noch
größere in Beziehung auf die Bewältigung der Griechen leisten könne,
und daß er nach Jahresfrist dem Könige seine Fläne eröffnen werde".
Nachdem er sich in dieser Zeit mit der Sprache und den Sitten der Ferser
vertraut gemacht, erschien er bei dem Hofe und erlangte das höchste
Ansehen, besonders auch dadurch, daß er dem Könige Hoffnung machte
ihm die hellenischen Staaten zu unterwerfen. So Thucydides I 137 ff.;
er fügt hinzu: „er starb an einer Krankheit; nach einigen Berichten
hingegen soll er sich durch Gift getötet haben, weil er sich außer
stände glaubte dem Könige seine Versprechungen zu erfüllen . . .; sein
Grabmal steht in Magnesia, denn er war Herr (^p/a) dieser Gegend
^ Ich führe als die Zeit der Aufführung die großen Dionysien an, weil es
mir vorkommen will, als wenn in diesen Zeiten die neuen und großartigen Auf-
fuhrungen nur an diesem Feste vorgekommen seien. Wären die Perser aber
auch in den Lenaien, etwa zwei Monate früher, aufgeführt, so würden die mit-
geteilten Combinationen dadurch nicht beeinträchtigt; an eine Aufführung in den
herbstlichen Dionysien etwa im November 472 ist nicht fÜglicb zu denken; sie
würde die im Text anzustellenden Betrachtungen sehr erleichtert haben.
7*
100 Zur griechischen Tragödie
gewesen, da ihm der König Magnesia, Lampsakos und Myus zugewiesen
hatte". Mannigfach abweichend sind die späteren Nachrichten; nament-
ich geben sie an, daß Themistokles noch an Xerxes Hof gekommen
sei; aber das schon vollgültige Zeugnis des Thucydides ägnifinat ygäfji'
fiara (bg ßaaiXia !AQTO^iQ^i]v rov S^o^ov vb(0(Tti ßaatXtvovra wird
durch einen Zeitgenossen, der unter persischer Hoheit lebte, durch
Charon von Lampsakos (bei Plut. Them. c. 27) hinlänglich gesichert.
Aber freilich ist, wenn wir diesem Zeugnisse folgen, der Regierungs-
anfang des Artaxerxes, den alle späteren Autoren mehrere Jahre später
ansetzten, aus der Geschichte des Themistokles selbst erst zu entnehmen.
Die Angabe des Thucydides, er habe sich vergiftet äSivarov vofiiaavrcc
aivai kniTBUrrai ßaatlel & vni(TXBTO,üniet sich beiPlutarch(Them.c.31)
weiter ausgeführt: Y<T(og ^Uv ovx icpixrdv rjyovfjievog t6 ä()yov, äkko}^
TB fisyakovis Tfj(i 'EkXa8oq hxovmiq atQarriyovq rdr« xai Ktficovoi^
v7i6Q(pv(Oi^ Bi)7JixeQovvTog hv Toig 'EX?^7]vixoig, Ja wir finden eine höchst
lehrreiche Notiz bei Suidas v. Kifiorv* Kifimv MiknäSov knl rovg avv
0Bfjn(TTOxlBi xaTeX&övTccg ßagßäQovg ^<tt QccHjyfjGBv. Dieser Feldzug
ist kein anderer als der, welcher mit der glorreichen Schlacht am
Eurymedon (Frühling 469) endete; ein mächtiges Landheer, eine mäch-
tige Flotte war schon bis Pamphylien vorgegangen, um dann von
Themistokles geleitet nach Europa hinüberzugehen; aber Themistokles
gewann es nicht über sich gegen sein Vaterland zu kämpfen, [70] mag
er Gift genommen, mag ein natürlicher Tod ihn erlöst haben. Noch
muß angeführt werden, daß Diodor (XI 58) „nach einigen Geschichts-
schreibern" berichtet, Xerxes (nach der falschen Chronologie der späteren)
sei, da Themistokles gestorben, von seinem Vorhaben gegen Griechen-
land zu ziehen abgestanden. Dies wird glaublich, wenn man bei Plutarch
(Cim. c. 12) liest, daß ein großes Perserheer in Pamphylien stehe {itpe-
Sqbvbiv nBQl UafKpvXiav fiByüXm argarq xai vuval itoXkaiq) und daß
Kimon, obschon davon unterrichtet, sich (nach Diod. XI 60) erst noch
in Besitz der Städte Kariens und Lykiens zum Teil durch Belagerung
setzte. So meine ich, daß Themistokles Tod im Winter von Ol, 77 3
erfolgt ist, als schon Kimon mit seiner Seemacht an der karischen
Küste erschienen, die persischen Streitkräfte in Pamphylien zusammen-
gezogen waren. Die Perser hatten nach ihrer Weise zu diesen Rüstungen
gewiß ein Jahr gebraucht, und der Plan des Themistokles war nicht
später als am Ende des Jahres 471 zur näheren Beratung genommen.
Ein Jahr Frist hatte er sich beim Könige ausbedungen, er konnte
also nicht später als gegen das Ende von 472 am Hofe in Susa er-
schienen sein; wohl aber mehrere Monate früher; darauf führt die Angabe
des Thucydides: ätpixdixBvog ök fiarä rdv kviccvxbv yiyvBxm naq avxtp
PhrynichoB, Aischylos und die Trilogie 101
(dem Könige) [üyai^ xal Üaoq ovSBiq mo nSv 'EXX/jvtoVf und nicht
weniger Plutarchs Angabe (Them. c. 29), daß viele Veränderungen bei
Hofe und in der Umgebung des Königs vor sich gingen, die man
seinem Einfluß zuschrieb, und daß er in des Königs Nähe bei Festen
und Jagden war, auch der Königin Mutter Gesellschaft leisten mußte
ja den Unterricht der Magier mit des Königs Erlaubnis hören durfte.
Nehmen wir also an, daß Themistokles etwa inmitten des Sonmiers 472
in Susa erschien, so kann, da die Reise dorthin mehrere Monate dauerte,
und durch die Art, wie Themistokles reiste, neue Verzögerungen er-
halten mußto, seine Ankunft in Kyme wohl nicht früher als Ende 473
erfolgt sein. Damals wurde Naxos belagert, damals ungefähr ward
Xerxes ermordet. Nach Kyme war Themistokles über Pydna, das
Molosserland, Kerkyra unter mannigfachen [71] Gefahren geflüchtet;
bei Admetos hatte er lange genug geweilt, daß ihm Weib und Kind
nachgesandt werden konnten (Stesimbrotos bei Plut. c. 29); seine Ver-
folgung war erst nach dem über Pausanias verhängten Tod begonnen
worden. War dieser etwa im ersten Viertel des Jahres 473 condem-
niert worden, so hatte er, da sein Prozeß mit großer Langsamkeit ge-
führt wurde, im Laufe des Jahres 474 seine Eröfi&iungen an The-
mistokles gemacht, der während seiner Verbannung in Argos bereits
mehrfach Eeisen im Peloponnes umher gemacht hatte; da Themistokles
somit schon geraume Zeit in Argos gewesen sein muß, so wird sein
Ostrakismos im Anfang des Jahres 475 verhängt worden sein, etwa
sechs Monate nach den oben besprochenen olympischen und isthmischen
Spielen, nicht voll ein Jahr nach der Choregie für Phrynichos.
In dem Zusammenhang dieser Verhältnisse glaube ich die Perser-
tetralogie des Aischylos, die im Frühjahr 472 aufgeführt wurde, ver-
stehen zu müssen. Auf Forderung der Spartaner war Themistokles
wegen landesverräterischer Verbindung mit Pausanias und dem Groß-
könig durch Leobotes den Sohn des Alkmaion auf den Tod verklagt
und, wie man aus allem weiteren sieht, in contumaciam zum Tode
verdammt worden, Frühling 473; nun war er für Athen politisch tot.
Aber es standen noch manche seiner alten Freunde in Athen mit ihm
in heimlicher Verbindung; Epikrates sandte ihm Weib und Kind nach,
aber er wurde von Kimon verklagt und zum Tode gebracht. Man ist ge-
neigt zu fragen, ob denn dieser Liebesdienst oder auch die Nachsendung
seines Geldes, wenn auch sie Epikrates besorgt hatte, ein todwürdiges
Verbrechen war? {Ißd-e yag avrm jjareoov ix r« 'A&ijv&v naQcc röv
(fiXcjv xal i| A^yov^ a vitB^ixsiro Thucyd. I 137). Es scheint uns
hier aus einer großen Reihe von Verhältnissen ein unbedeutendes
Bruchstück erhalten zu sein; jenes Todesurteil gegen Epikrates muß
102 2iur griechischen Tragödie
anders motiviert gewesen sein; es wird sich darauf gestützt haben, daß
Epikrates eben mit Themistokles in Verbindung stehe, der ja schon
im Verhältnis zu Fausanias als Verrater bekannt geworden sei und
durch seine Flucht [72] ein Bekenntnis seines Schuldbewußtseins ab-
gelegt habe, der nun gar vom Admet hinweg nach Asien gegangen
sei, — ja man wird sich auf jenen Plan berufen haben, den Themi-
stokles dem Großkönige zur Verknechtung von Hellas vorschlagen wolle
oder vielleicht schon (in dem vorausgesandten Schreiben bei ThucI 137)
vorgeschlagen habe. Man wird die alten Freunde des Themistokles mit
in den Plan verwickelt genannt, Verrat in der eigenen Stadt gearg-
wöhnt haben; und Kimon war es, der den Epikrates zum Tode brachte!
Was man sich von Themistokles versehen mochte, lehrt eine Angabe
des Stesimbrotos, die wenigstens als Grerücht in jener Zeit — und
Stesimbrotos gehört ihr ja als ein jüngerer an — gegolten hal)en muß;
Themistokles, heißt es, sei vom Admet zuerst nach Sicilien zum Hieron
gegangen, habe um dessen Tochter geworben und sich anheischig ge-
macht ihm Hellas unterthänig zu machen; da zurückgewiesen sei er
erst nach Asien geeilt. Man sieht, der Blick der Athener verfolgt in
banger Erwartung den gewaltigen Mann wie eine furchtbare Wetter-
wolke, die sich unheildrauend her- und hinzieht, und die man in
jedem Moment sich allverderblich entladen zu sehen fürchtet
Eben in dieser Zeit (473) war im hohen Persien der König Xerxes,
der terror ante gentium, hello in Oraedam infelioiter gesto etiam suis
coniemtui esse coepii (Justin. lU 1), ermordet worden; sein noch junger
Sohn Artaierxes hatte die Tiara erhalten und gleich in der Bestrafung
des Rädelsführers seine Energie bewährt. Wohl ist es glaublich, daß
die edlen Perser vor Begier brannten die Schmach von Salamis zu
rächen und die verlorenen Gebiete am hellenischen Meere wieder zu
gewinnen. Und eben jetzt kam, von den verblendeten Athenern ver-
bannt und verdammt, der Held von Salamis gen Persien, bereit den
Barbaren den Weg zum Siege über sein undankbares Vaterland zu
zeigen; den Athenern aber mußten die Vorgange in Asien, die kriege-
rische Stimmung der persischen Großen, wenn auch noch nicht Xerxes
Tod bekannt sein. Nun vergegenwärtige man sich die Stimmung, die
in Athen zur Zeit der Perseraufführung (März 472) herrschen mochte.
Man wußte nun [73] schon, daß Themistokles allen Bemühungen und
Nachstellungen zum Trotz mitten durch die athenische Flotte vor
Naxos glücklich nach Asien entkommen sei; er, dem man allein die
Befreiung Griechenlands dankte, war nun bei den Persern; und hart
genug war er von seinem Vaterlande behandelt, um die gegen ihn ge-
richteten Beschuldigungen nun auch wahr zu machen; mit Freuden
Phiynichoe, Aiscbylos und die Trilogie 103
werden ihn die Perser anfnehmen und wie sie einst von Hippias ge-
leitet bei Marathon gelandet, so unter seiner, des unübertroffenen und
kühnen Feldherm Leitung gen Athen heranstürmen. Wer wird dann
den Staat retten? wer soll Führer sein? wer wird gegen Themistokles
das Feld zu halten vermögen? wer den mächtigen Funierschiffen sich
entgegen wagen, wenn sie der Held von Salamis führt? Und schon
sind die Bündner vielerorten schwierig, noch hält sich persische Be-
satzung auf dem Chersones und die thraldschen Völker hangen ihnen
an (Plut. Cim. c. 13); die Thessalier, die Thebaner werden sogleich ihre
alte Freundschaft mit den Persern erneuen; die Spartaner, auf die
rasch emporblühende Macht der attischen Demokratie sichtlich eifer-
süchtig, werden sich noch weniger wie bei Marathon und Plataiai
beeifern Beistand zu leisten; Athen wird allein den Barbaren gegen-
überstehen und dem größten Feldherrn, dem Themistokles gegenüber
rPittungslos erliegen.
Wohl mochte es bei so banger Stimmung der Menge an der Zeit
sein, dieselbe durch die Erinnerung an die schnelle und völlige Be-
wältigung der Perser im letzten Kriege zu ermutigen, darzustellen,
daß nicht die Zufälligkeit eines einmaligen Sieges Hellas gerettet habe,
sondern daß eine höhere Sicherung für das freie Hellenenvolk da sei,
daß die ewigen Bestimmungen des Verhängnisses, die großen und all-
gemeinen Gesetze der Geschichte den Barbaren die Herrschaft diesseits
der Meere versagen. Diese ewigen Gesetze, nicht die That des Themi-
stokles, so stellt es Aischylos dar, haben Griechenlands Freiheit ge-
rettet; sie haben in einer Reihe glänzender Thaten und unerwarteter,
durch keines Menschen Klugheit herbeigeführter Ereignisse sich selbst
bewahrheitet Nicht bloß den (durch [74] Themistokles) erzwungenen
Angriff bei Salamis, auch den kühnen Kampf (des Aristeides) bei
Psyttaleia, die Hungers- und Wassersnot des zurückfliehenden Heeres,
die verräterische herbstliche Eisdecke über den Strymon, den neuen Sieg
(des Aristeides und Pausanias) bei Plataiai, dies alles miteinander haben
die ewigen Götter zur Errettung der Hellenen gewährt; ihre Götter
und ihr Land kämpfen mit ihnen und für sie (Aischylos Perser 775).
Wie will man da noch mutlos sein? wie um des einen Mannes willen
zagen, der gegen die heilige Muttererde zu kämpfen denkt? Ja die
Perser selbst werden nicht noch einmal einen Kampf wagen, von dem
sie erkannt haben müssen, daß er ihnen nimmer glücken wird; unge-
heure Verluste haben sie im hellenischen Lande erlitten, alle ihre
tapfersten und edelsten Führer sind umgekommen, ihre Völkerheere
sind wie Spreu zerstoben und wie Schnee geschmolzen; ihr Hochmut
und ihr Mut ist gebrochen, die Völker selbst beginnen' sich gegen das
104 Zur griechischen Tragödie
ihnen aufgebürdete Joch aufzulehnen (Perser 578 flF.). Vor den Persem
mag Hellas, mag Athen ohne Furcht sein.
In diesem Sinne, meine ich, hat Aischylos seine Tetralogie ge-
dichtet In den verlorenen Teilen derselben mußte sich mannigfach
Gelegenheit darbieten, eben diese Gesichtspunkte noch entschiedener
hervorzuheben oder auf die betreffenden Verhältnisse der Gegenwart
bestimmter einzugehen (s. die Darstellung in der zweiten Auflage der
Übersetzung des Aischylos). Also nicht den Gegensatz des Aristeides
gegen Themistokles hebt der Dichter hervor oder berücksichtigt er auch
nur; von beiden ist nicht die entfernteste Erwähnung in der Tragödie,
und „der hellenische Mann" Vers 347 ist nicht Themistokles, sondern
sein Bote. Wohl aber erkennt man, im Sinne welcher Partei der Dichter
gesprochen hat; nicht bloß auf der Bühne war der Eupatride Aischylos
ein Rival des Phrynichos.
b. Kritische Notizen zam Aischylos.
Zeitschrift für die Altertumswissenschaft herausgegeben von Dr. L. Chr. Zimmer-
mann 1841 Sp. 217 ff.
[217] Bei Gelegenheit einer Durcharbeitung meiner Aischylosüber-
setzung behufs eines neu-en Abdruckes derselben^, habe ich eine Anzahl
von Einzelheiten, von Emendationen, chronologischen, geschichtlichen,
dramaturgischen Bestimmungen notiert, über die ich, da eine weitere
Begründung außer dem Plan jener Übersetzung liegt, anderweitig mich
zu rechtfertigen mir vorbehielt. Ich erlaube mir einige dieser Sachen
in diesen Blättern mitzuteilen.
Ich will zunächst von den Eumeniden sprechen. Noch viel bedeut-
samer und umfangreicher, als man bisher angenommen, ist in dieser
Tragödie, wie in der ganzen Oresteia, die Beziehung auf politische Ver-
hältnisse der Gegenwart; hier hebe ich nur hervor, daß die Frage über
den Areopag bereits im Sommer 461 ^, da Kimon auf einem Seezuge
abwesend war, entschieden worden, daß er, heimgekehrt, die veränderte
Verfassung wieder herzustellen versuchte, aber nicht auf gesetzlichem
Wege, da er nicht wegen Paranomie, sondern wegen xaraXvatq rov
S/jfiov angeklagt wurde, wie es nach Demosthenes gegen Aristokrates
scheint {xccl Kificova Sri tijV TlaQicov fiBraxivjjde noXntiav itp
iavTovy wo natürlich Tiaroiov mit cod. JS zu schreiben ist); mit Mühe
* [Vgl. die 4. Aufl. (Berl. 1884) S. 470 ff. 466.1
* [Der Ansatz, unter dem Archon Konon 462/1, ist durch Aristot. ttoA. Ji&.
25 erwiesen. E. M.|
Kritische Notizen zum Aischylos 105
nur entging er der Todesstrafe; das Kriegsjahr 460 zeigte den Athenern,
wie notwendig eine stete und gesicherte Verbindung der Stadt mit der
See sei; und ^o wurde noch 460 der Bau der langen Mauern begonnen,
bei dem Kimon durch äußerst splendiden Aufwand seine wankende
Popularität wieder herzustellen versuchte (Plut. Cim. 13); aber schon
im Anfang des nächsten Jahres 459 traf ihn der Ostrakismos. Im
Herbste desselben zogen die Spartaner ihren Stammgenossen in Doris
zu Hilfe, natürlich nur in der Absicht um den Oligarchen in Mittel-
griechenland, namentlich in Theben, nahe zu sein; die Athener ver-
legten ihnen den Weg nach der Heimat, und die Spartaner legten sich
mit ihren Verbündeten hart an die attische Grenze. Eben damals
versuchten die Oligarchen den edeln Ephialtes, dessen Verhältnis mit
Perikles in etwas gestört sein mochte, durch Bestechung für sich zu ge-
winnen, aber sie oompromittierten sich, und bald darauf wurde Ephialtes
ermordet gefunden (Ende 459 oder Anfang 458). Da gab es furchtbare
Anfeindungen hin und [218] her; die Volkspartei mochte den Oligar-
chen den Mord zuschreiben, diese wieder den Perikles verdächtigen. Wie
Thucydides ausdrücklich angiebt, die Oligarchen standen mit den Spar-
tanern an der Grenze in heimlicher Verbindung, in der Absicht mit ihrer
Hilfe die Demokratie aufzulösen, dem Mauerbau ein Ende zu machen ;
Bürgerkrieg drohte zu der Gefahr von draußen. Dieser entsetzlichen
Spannung machte endlich die Schlacht von Tanagra ein Ende (August
oder September 458). Kimon hatte sich erboten, zum Beweise, daß er
sein Vaterland mehr als die Spartaner liebe, mitzukämpfen, ward aber
zurückgewiesen, worauf er seine Freunde ermahnte, sich statt seiner
zu bewähren ; und es fielen deren in der Schlacht hundert (Plut. Cim. 1 7
Perikl. 10). Plutarch stellt die Rückberufung des Kimon so dar, als
ob sie im Winter nach dieser Schlacht erfolgt sei, und setzt doch hinzu:
ev&vg fiiv ovv 6 Kificov xaxBX&ijv iXvaa rov nöXB/jiov, und seit dem
unglücklichen Ausgang des ägyptischen Krieges 454 begannen erst die
Unterhandlungen, zu denen Perikles den Kimon nicht entbehren konnte.
Auch Hr. Krüger in seinen sonst gründlichen „historisch-philologischen
Studien" (S. 155) hat sich durch Plutarch irre führen lassen; überhaupt
ist dieser Teil seiner Arbeit der am wenigsten befriedigende, da er sich
die reichen Notizen, die Aischylos und Pindar bieten konnten, hat ent-
gehen lassen. Die oben angeführte Notiz über Kimons Teilnahme am
Mauerbau lehrt, daß derselbe noch 460 in Athen war, und daß ihn
der Ostrakismos des Jahres 459 und nicht 458 traf, erkennt man aus
dem Zusammenhange der politischen Verhältnisse, worauf ich hier nicht
eingehen will. Nun sagt Theopomp (beim Schol. ad Arist S. 528) ed.
Dind. ovSiiKo Sk itivrt krcDv naQtki}Xv&6r(ov noXifiov Gvptßüvxoii
106 Zui* griechiBchen Tragödie
TSQog AaxBdaifioviovg 6 Sfifioq lurenifixpccro xbv Kifuova vofAi^oav 3ict
ri]v ngo^^viav ra;^i<m?«/ ctv avTov slQr/vfjv noifjGaad'ar 6 Si naga-
yBvöfievog rp nöXei xov nöXtfiov xarekvaev. Auch hiernach erhalten
wir für die Rückkehr des Kimon das Jahr 454.
Wie 80 Aischylos nach dem Sturz des Areopags und nach dem
vergeblichen Versuch des Kimon zu seiner Wiederherstellung in der
Oresteia von neuem für denselben zu sprechen gewagt hat, das über-
gehe ich hier, da darüber nicht nach Citaten, sondern nach gründlicher
allgemeiner Betrachtung der attischen Verhältnisse zu entscheiden ist,
welche besser in der Einleitung zur Übersetzung ihre Stelle findet.
Hier will ich zunächst [219] versuchen, einige Stellen der Tragödie aus
eben jener politischen Zusammenstellung zu erklären.
Wiederholentlich ist in den Eumeniden der Wunsch zu lesen,
daß nur kein innerer Krieg entstehen möge: vor allem merkwürdig
ist Eum. 933 ed. Well. [955 KirchhoflF]
Tuv S' änXfj(TT0V xax&v firjnoT kv nöXti ardatv
fA7]Si itiovaa xöviQ fiiXccv alfia no'kix&v
Si ÖQyäv noiväg &vxi(p6vovg
äxag agnaXiaai Ttökscog,
Diese Stelle würde unverständlich oder wenigstens unbedeutend sein,
wenn man nicht wüßte, daß eben damals die Stadt in wildester Auf-
regung wegen Ephialtes Ermordung war, deren Zusammenhang zu
ergründen jetzt, da dem Areopag die hohe polizeiliche 6(walt früherer
Zeit genommen, sich die ungeübten und ungeschickten demokratischen
Behörden umsonst bemühten. In denselben Zusammenhang gehört eine
andere Stelle, die man vielfach mit Emendationen und verkünstelten
Erklärungen heimgesucht hat. Athene bittet (v. 823 flf. [845 K.]) die
Eumeniden, durch ihren Haß nicht Bürgerkrieg anzufachen:
firjx' l^skovf/ (bg xcegSicev äXaxxÖQCJV
iv xoig ifioTg äaxoiüiv ISgiarig '!AQfi
kfjL(pvhöv xe xai ngög &Xh)Xovg xhQuavv.
ßvQaiog iaxco nöX^fiog ov fiöXig nagrov,
kv c5 xig iaxai Seivög aixXsiag kgmg'
kvoixiov 8' ÖQViß-og ov Xiycj fiüxv''^*
Ich lasse dahingestellt sein, ob statt l^elova etwa kx^iova zu schrei-
ben ist, wozu des Scholiasten Erklärung ävanxegÜGaau ziemlich passen
würde; die wesentlichste Schwierigkeit fand man in ov fiöhg nagcav.
Unzweifelhaft ist ov fi4hg eine Verstärkung, nicht mehr kaum, sondern
völUg; so Agam. 1052 [1035 K.]
Kritische Notizen zum Aischjlos 107
cc7tdfXe<Tag yaQ ov fiöXiq rö Sbvtsqov.
Versteht man nuQcbv hier von der räumlichen Entfernung, so ist nicht
hinauszukommen. Dagegen sehe man die Zeitverhältnisse an. In der
Stadt droht täglich der Ausbruch des Bürgerkrieges, auf der Grenze
stehen die Spartaner, mit einer Partei in der Stadt verbunden, man
hat sich schon zum Kampf vorbereitet, auch die Thessalier, die Argiver
kommen schon zum attischen Heer (vgl. Eum. 734 fif.); jeden Augenblick
muß man den Ausbruch der Feindseligkeiten erwarten, in dem sich
zum erstenmal die neue Macht Athens mit Sparta messen wird, daher
der 8Biv6q evxXsiag 'iQ(og, Um jeden Preis wünscht Pallas heimischen
Krieg vermieden, außer den Grenzen des Landes brenne der schon ganz
nahe Krieg los. Und so wünscht denn später der Chor v. 938 [962 K.]
xäQfiarcc S* icvriSiSoUv
xoivo(piXeT Siccvoia,
xal (TTvyeTv fii^ (pQBvr
nokköv yuQ töS' kv ßQoroTg äxog.
Merkwürdig ist in mancher Beziehung der Fesselhymnus; es ist, als
ob dem Dichter fortwährend der Gedanke an Ephialtes Mord und an
den noch unbekannten Mörder, der wohl mit unter dem zuschauenden
Volke weilt, vorschwebt; V. 305 [312 K.]
[220] öarig S' dlircjv . . .
X^^Qf^g (poviag knixQvnxeij
(idQTVQBg ÖQd-al roTcri O'avovGiv
naQayiyvöfievai, TtQÜxroQsg aifiarog
avTcp rekicog k(p(ivr]fiBV'
wo für fiÜQTVQBg offenbar fxÜGroQeg zu schreiben ist. Aischylos äußert
ganz bestimmt, von wem er den Mord begangen oder veranlaßt glaubt;
V. 334 [343 K]
ScofiäroDv yäg siXöfiuv
ävccTQonccg, Örav '^^rjg
Ti&aaog &v (pikov ^ky
knl zbvj Ä, Siöfjievcci
XQCCTBQOV ÖV&' ö/jioicog
fiav()ovfiev v(p aifiarog viov.
Noch deutlicher spricht er sich aus in der dritten Strophe und Gegenstrophe
[359 K.]
S6^ai T &vSq(üv xal (lüV vn' al&igi (refiva}
rccxöfievai xccrä yäv fjuvv&ovmv ärifioi
fjfieriQCCig h(p6Soig fiekaveifiofTiv öqxV'
(TfioTg T* inKf&övoig noSög.
108 Zur griechischen Tragödie
Es muß zu Anfang Sö^m S' stehen , wie auch der cod. Med. hat.
Hieran schließt sich in allen Handschriften ein wildgetanzter, heftig
bewegter Satz, den die neueren höchst verkehrt an die vorhergehende
Gegenstrophe angeschlossen haben; es ist ja eben die Beschreibung
jener ÖQX'i^f^P^oi [372 K.]:
(idXa yaQ ovv äXoyLiva
dvixa&ev u. s. w.
Die Gegenstrophe lautet [368 K.]:
itlittcov S' ovx olSev t68' in äcpQovt kvficc-
xoiov kn\ xvi(pag Avdgl fivaoq nenörcctui,
xal SvotpBQccv Tiv dx^ifv xarcc Scjfiarog avSä-
rai noXvfTTOvog <pärig.
Zunächst begreift man nicht, was eine vielseufzende Rede hier soll;
sehr richtig sagt der Scholiast xaxij Si (pTjfXfj negl rot) oYxov avrov
Uyerai. Jener hochgerühmte Mann, er stürzt unter dem gewaltigen
Angriff der mordrächenden Furien hin, aber in seiner Verblendung
erkennt er nicht, woher ihm der Sturz komme; so nächtig umhüllt ihn
der Fluch, der auf ihm lastet; und noXvatofiog q^ang, tausendfacher
Mund spricht von einem Schatten, der durch sein Haus geht Wessen
ist denn nun dieses Geschlecht? Wer ist dieser hochgepriesene Mann,
der, so stark er ist, doch stürzen wird? In dem nächstfolgenden Chor-
gesang (468 ff. [486 K.]) wird davon gesprochen, daß die Mißachtung
der Erinnyen (und mit ihrem Heiligtum ist ja der Areopag eng ver-
bunden) allem Mord Thür und Thor öffne [512 K.]:
i^ad-' Ö710V ro Seivöv ev'
xal (pQBV&v iniaxoTtov
Sei fiBveiv xa&^fievov.
Schon dieses und noch mehr das folgende leitet die Anschauung ganz
hinüber auf den Areopag, auf den ßcofiov Sixag [532 K.],
lirjSi viv xi^Sog iSd)v ädi(p noSi
Xä^ ärifTjjg' %oivä yccQ hniarai.
[221] Der Schluß dieses Gesanges enthüllt endlich alle diese Rätsel
[548 K.]:
Tov ävTiToXfiov Sk ffufii TOP ituQaißdSav
rcc TtoXXä navTÖffvoT* ävsv S/xrjg
ßiaicjg ^vv /prfi'W xa&ijCTtiv
XaTfpog örav Xüßrj ndvog
d-Quvopiivag XBQaiag'
Kritische Notizen zum Aischylos 109
xakBi S* üxovovraq ovSiv [iv\ fietra
Svanalsl re Siva*
yik^ Sä Sccifuov kn üvSqi &eQfji<p,
t6v ovnor' avxovvr' iSojv äfAtjxccvoig
Svaiq XanaSvov ovo' ißnsQ&iovr' äxoav u. s. w.
Wer ist denn nun, der sich rühmte, er wisse noch immer Bat, auch
in den verwickeltsten Schwierigkeiten sei er nicht gefangen? der zugleich
aus so hohem, aber schuldigem Geschlecht stammt? der zugleich so
mächtig und berühmt ist? Niemand anders, als Perikles; er hat, so
meint Aischylos, den Sturz des Areopages xsQSog IScüv veranlaßt; er
hat den Staat in alle diese Verwirrungen, Kriege, Maßlosigkeiten ge-
stürzt, in denen er selbst versinken wird. Er ist es, in dessen Geschlecht
jener dunkle Schatten umgeht; er stammt ja, wie es späterhin von den
Spartanern so stark hervorgehoben wurde, aus dem Geschlecht der Alk-
maioniden. Und nun vergleiche man den zweiten Chorgesang im Aga-
memnon (v. 360 [366 K.])
ovx *i(pcc ng &aovg ßQor&v
ä^iovad-ui fiikaiv
Öaoig ä&ixTcov x^Q^£
naTOi&'' 6 S' ovx sirreßrig.
Wessen dieser atheistische Ausspruch war, des Demokrit oder Anaxa-
goras oder wessen sonst, weiß ich nicht.
nitpuvrai d' kyyövovg
äToXfAf/TCüV !AQri
nviövTCov /jLeT^ov fj Sixaiiog^
(pkBÖvTOJv ScQ/jiÜTCüv V7ie()(pev
vniQ t6 ßkkriatov
ov yÜQ k(TTiv inak^ig
nXovTov itQog x6qov üvöqI
XaxriaavTi füyav S/xccg
ßwfibv dg dq)üveiav'
ßtärcu S' ä rdXaivu netß-o)
itQoßovUnmg &(ptQTog ärag u. s. w.
Man schreibe statt iyyövovg mit leichter Veränderung kg yövovg, „ge-
zeigt hat es sich, daß die Götter doch des Frevlers acht haben, bis
auf die Nachkommen der allzu kühnen, der allzu dreisten — Alkmaio-
niden; — Keichtum wird ihn, der den Areopag aus Übermut gestürzt
und bis zur Nichtigkeit reduziert hat, dereinst nicht schützen" — der
110 Zur griechischen Tragödie
unglückliche Zauber seiner Rede zwingt, fuhrt das Volk gleichsam wider
Willen und mit Gewalt zu jenem Sturz des Areopags
äxog Sh nafifiüraiov oix hcQvq)&fi,
Vergebens hat Kimon versucht, die unselige Neuerung wieder abzu-
schafiFen, aber kein Mittel hilft; der Schaden ist nun da und schon zu
Tage gekommen, ein grausig [222] scheinendes Licht; der arge Neuerer,
einer falschen Münze gleich, verliert er bald den Goldschein (v. 379
[375 K.])
xaxov Si xc^^^ov tq6%ov
TQtßm [re] xal n^ogßolaTg
fieXafjLnayi]g Ttiksi Sixaico&uq u. s. w.
Doch genug mit diesen politischen Andeutungen, die ich an dieser Stelle
nur in einigen Hauptpunkten zu begründen hatte. Ich will hinzufügen,
daß diese Bezüglichkeiten nicht etwa nur eine Eigentümlichkeit der
Eumeniden oder der Orestestrilogie sind, sondern daß sie sich, mehr
oder weniger stark ausgebildet, in jeder Aischyleischen Tragödie finden;
ein Umstand, den man nicht auffallend finden, sondern als ein Postulat
anerkennen wird, wenn man sich erst über die Stellung der traschen
Aufführungen klar ist.
Für die Textkritik der Eumeniden sind die letzten Jahre sehr
ergiebig gewesen, aber noch bleiben der Schwierigkeiten nicht wenige
übrig. Ich will im folgenden einige von den Stellen anführen, in
denen ich mich von den bisherigen Texten entfernen zu müssen ge-
glaubt, ohne in anderen mir bekannt gewordenen Emendationen Befrie-
digendes zu finden. Ich bedauere, daß mir von Hermanns und Fritzsches
Bemerkungen nur die kurzen Notizen vorliegen, die ich mir fnlher dar-
aus aufgezeichnet.
Eine oft besprochene Stelle ist Eum. 35 [34 K.]
Ij Setvä Xi^aiy öetva 3' dtpi^-aXfioig SQaxeiv,
nahv fjü 'insfiifjsv hc Söfiojv r&v Ao^iov,
(bg jiji/jTS (7(DxeTv fif'jTB fi dxTcciveiv arüaiv [ßüaiv K.].
Wunderlich genug hat man (tcoxbTv für „stille stehen" nehmen wollen,
während es durchaus „können" heißt; mit ItT/vco erklärt es der Scho-
liast, Hesychius u. a. Nach einer von Wellauer angeführten Stelle
erklärt Phrynichus:
ovx Ix ÖQß'ovv Svvafiai kfACCvröv.
Ich lese:
(bg fiijTB (TcoxBiv fifjd' kfi äxraiveiv ardtriv.
Kritische Notizen zum Aischylos 111
Statt eines zweiten iiijTi folgt dann sehr natürlich rp€/r»> Sk /apö-iv,
— ähnlich wie Suppl. 965 [954 K.] xal fiijrs . . . ß-avmv Id&oifii,
Xc^Q^ S* äx^og ahi^wv niXoi.
In der Anrede Apolls v. 75 [K.] heißt es:
hX&Gi yÜQ ae xal Si' rjneiQOv ficcxQßg
ßeß&T &v alel rijv nXavocmßfj x^^'^^-
Die Veränderung von ANAIEI in AAATEI, die Müller vorschlägt, ist
nicht so leicht wie AAAIZI, wie Eurip. Orest. 56 äXuiai nXayx^^^^
hat; die var. lect. des cod. Med. ßsß&vr führt auf die Form ßißövr.
Schwierig ist die Rede Apolls, mit der er Hermes und Orest ent-
läßt; er sagt: du Orest, laß dich nicht von Furcht bewältigen, und
du, Hermes, sei deinem Namen gemäß [91 K.]:
TtofinaTog Xa&i — t6v8b noifiaivcov tfiöv
ixBTTjv' aißei roi Zsvg töS' ix vö/icdv (rißccg,
ÖQfidfievov ßgoTolfTiv einöfinoi> rvxv-
Hier aißccg vom Amte des Hermes zu verstehen, verwickelt in nnauf-
lösliche Schwierigkeiten; das sinöfiitG) rvxf] weist deutlich zurück auf
nofxnaiogy „das (7eßag hat glücklich das gute Geleit des Hermes gefun-
den". [223] Indem (rißei voransteht, ist dies so entschieden der Haupt-
begriflF, daß er ausdrücklich das Gegenteil ausschließt Mit dem Worte
t6v S' . . ifjidv ixirrjv hat sich der Gott mit irgend einem Gestus an
Orest gewandt, ihm die Hand auf die Schulter gelegt oder dergleichen;
ihm zum Tröste sagt er das weitere: sein Aufzug als Hilfeflehender
ist das aißccg, das- Zeus gewiß ehren, nicht mißehren wird. Bisher
nämlich hat Orest noch keinem anderen Herde sich als Schutzflehen-
der nahen dürfen (Choeph. 1035 [K.]); der Zeig ixitriog hätte ihn, den
Blutbefleckten, nicht geehrt, nun ist er gereinigt, V. 272 [278 K.]
noTcciviov yuQ dv nQog ifTTicc x^-eov
0oißov xa&aQfioTg ijXü&i} j^fo^poxrdi/o/s*
nach dieser ßeinigung im Tempel hat ihn der Gott hinausgeführt;
Orest mochte besorglich meinen, er werde nun seinem Schicksal anheim-
gegeben werden, ApoUon genug gethan zu haben meinen : darum sagt
der Gott gleich beim Hinaustreten (v. 64 [K.])
OVTOl 7tQoS(6aco'
nun ist Orestes ein ixemog ohne Tadel, ein svvofiov aißag.
In der Bede der Klytaimnestra (v. 94 [K.]) kommt es besonders
auf genaue Verbindung der Sätze an, ich verweise auf die Übersetzung;
die viel besprochene Stelle v. 103 flF. [K.] schreibe ich
112 Zur grichischen Tragödie
BVfJovaa yäg (pQtjv ÖfifiatJiv kafiTiovpetat,
kv ijfiiQ^ Se fiuvQu ngöaxonog ßQor&v
statt xaQÖi^ ai&Ev, ivöovaa, fioiQ ängögxonog.
In dem ersten Chorgesang hat besonders die Stelle v. 158 [162 K.]
Schwierigkeit gemacht. Ich meine, man muß nur die Interpunktion
ändern:
Toiavrcc äQCHmv ol vecötBQOi &boi
xQaTovvreq t6 näv dixccg Ttkiov
(povoXißfi &q6vov'
es würde xoccTouvreg x()ÜTog keinen Anstoß haben; daß statt dessen
O-QÖvov eintritt, ist wie im Anfang des Agamemnon (f>QovQäq — — ,
'iiv xoificofievog und ähnliches häufig; will man genaue Responsion,
mit dem strophischen Verse fieaoXaßBi xivrgtp^ so kann man mit
Fritzsche statt ßoövov wohl &ßxov lesen, doch scheint dies nicht not-
wendig. Jedenfalls muß hinter xivr^co wie hinter &q6vov eine schei-
dende Interpunktion stehen, es folgt jedesmal darauf eine andere Stimme,
bedeutend genug durch die gleichen Ausdrucksformen, durch die Para-
kataloge bezeichnet:
vnb g)Qivag, vno Xoßov nccQBtni fiaaTtxTogog u. s. w.
und
nBQi TtöSa, nBQt xci^a itugBari yßg 6fji(paX6v u. s. w.
In Beziehung auf die Verse des Chors v. 235 S. [250 K.] will ich
eine Beobachtung erwähnen, die sich mir aufgedrängt hat. Genauer
betrachtet nämlich zeigen sich mehrere einzelne Stimmen, die wieder sich
nach dem Sinne zu kleineren Ganzen zusammenschließen. Ich werde
so schreiben, wie ich lesen zu müssen geglaubt habe. [224] Zuerst die
Worte der Chorführerin, soweit die Trimeter reichen; sie schließt damit
daß sie Witterung des Flüchtlings hat:
a, xal vvv 8S' hvd-üS' kari nov xaranraxatv
öafiij ßQOTBtcüV (xifiütQ)v fiB n()ogyB}.^'
Dann fordert eine Stimme (die erste Halbchorführerin) auf, genauer
umherzuspähn :
ß", 6(}a, 6qc4 fiäk' ccv,
XBv<T<rk TB nccvTcc, fiij XüO-rj (fvySa ßäg
6 fjiaT()0(p6vog ärirag.
Kritische Notizen zum Aischylos 113
Eine andere, die zweite Halbchorführerin, erblickt ihn; während jene Öga
sagt, könnte sie ISov sagen. Nach Wieselers ansprechender Emendation:
7'. 83' avTÖfF ovv [avxi yovv K.]* dXxav Slxfov
vnöSixoq Oiksi yBvia&ai ;^6(>d>i/.
Dann folgen drei Stimmen: er hat Blut vergossen, er darf nicht Schutz
finden:
^. tb S' oif 7tdQB(TTiv' alfia fifjT()(pov /ccficcij
a. Svaayxöfiiarov, nccnai.
g. rö SiBQOv niSoi /i)jU€ro«/ oi'/erai.
Die folgenden vier Stimmen sagen, er soll gestraft werden bis in den
Hades hinab:
^. äkX ävriSovvai Sei <r' äno ^öjvrog QO(paiv
hgvd'Qov he fiekicav nikavov.
f/. änd di aov ßoaxäv (peQOifiav ncjfiarog 3v(TnÖTOV.
&\ xal t/ovrd a i(Txvava(T änä^ofjLai xärco,
i\ ävTKpövov arivoiq [ävrinoivovg tivtjq K.] fjL7]T()0(p6vov Svag.
Ich habe nicht nchiiaroq roxi Svanörov schreiben wollen, da es hier
nicht den Gegensatz von einem nddfAa gilt, sondern ähnlich dem Oiccfia
Sva&earov oder dem ä ndxBQ cclvönccreQ u. s. w. ist. Endlich die
fünf letzten Stimmen sagen von den Qualen im Hades:
i(/. öyjei Si xeY rig äkkog ^kirsv ßporcjv
iß", t] Osöv tj ^ivov riv äaeß&v t) roxiag (ptlovg,
i/. üxovd-' ^xacFTOV rtjg Sixrjg inü^ia.
iS', fiiyag yuQ '!Ai8rig kariv ev&vvog ß^orcjv
iva^&B x^ovög,
ia\ Sakroygdtpq) Sh ndvr kncoTi^ (pQevt,
Daß die einzelnen Stimmen sich auf diese Weise zusammenordnen, zeigt
der Sinn deutlich genug; nach der Folge der Äußerungen ergiebt sich
folgende sonderbare Figur:
cc,
ß. y.
f. rj. &, I.
ta. iß. ly, iS. iB,
Ich zweifle nicht, daß der Chor so keilförmig geordnet hereingekommen
ist; er stellt ja eine Meute von Hunden dar, die ihr Wild verfolgen,
Uroysen, Kl. Schri/ten II. 8
114 Zur griecbiächen Tragödie
nnd jede Hetzjagd kann es lehren, daß die verfolgende Meute diese
keilförmige Gestalt annimmt
[225] Eine besonders merkwürdige Stelle ist in Orestes Anruf an
Pallas (V. 282 [288 K.] flF.)
äXX' bYtb z^Q^Q ^^ TÖnoig AtßvartxoTg
TQiT(üvoq äfupi x^V^ yeve&Xiov nÖQOv
Ti&Tjaip öq9ov ?; xccrtjQBipfj nöScc,
(fiXoiq aQfiyova'j bYtb ^^Bygaiccv nXdxa
^QcciTvg tccyovxoq (hg äinjQ kniaxonBi^
aX&oi , . .
Zunächst will ich die große Zahl von Bemerkungen über xtxrtjQBfft}
ndSa mit einer neuen vermehren. In Aristophanes Wespen V. 1294
heißt es von den Schildkröten:
ojq Bv xaxfiQBrpaadB xtxl vovßvartx&g
XBQti/Up t6 v&tov.
Dieser Vers bringt mich darauf unter xccTtjQBfpfi nöSa den mit dem
Schilde überdachten Fuß zu verstehen, der dann natürlich, wie es auch
alte Kunstwerke häufig zeigen, ein wenig vorgeschoben und gebogen
erscheint, so daß sich so eine Art von Gegensatz zu dem ögflöp darin
zeigt Gewisser ist, daß Aischylos nicht ohne Beziehung Libyen und
das phlegräische Feld genannt haben wird ; in der Nähe des tritonischen
Wassers (wenn man es nicht zu genau nimmt) in Ägypten kämpften
damals die Athener gegen Persien, daher ist sehr passend an die (piXoig
ÜQi'iyovtra, in der Stellung der Promachos, zu erinnern. Bei den phleg-
räischen Feldern nur an die Gigantomachie zu denken ist gar nicht
in Aischylos Sinn; ich glaube, er meint die Felder von Cumä; dort
hatte 475 Uieron die Etrurier bewältigt, aber aus ihrem campanischen
Laude wurden sie nicht vertrieben; ich glaube mit Bestimmtheit an-
nehmen zu dürfen, daß eben jetzt (458) wieder ein bedeutender Krieg
der italischen Griechen gegen die Etrurier geführt wurde.
Doch genug von den Eumeniden; mögen noch einige Bemerkun-
gen über die Schutz flehenden folgen, die bekanntlich der Textkritik
unter allen Aischyleischen Stücken am meisten zu schaffen machen.
In Beziehung auf ihre trilogische Verknüpfung sowie auf ihre Chrono-
logie nehme ich zurück, was ich in der ersten Ausgabe der Übersetzung
gesagt habe; in der neuen Bearbeitung habe ich zu erweisen versucht
daß in der Tetralogie „Schutzflehende, [226] Ägyptier, Danaiden, Amy-
mone'^ eine mehr als nur politische Idee, eine wahrhaft sittliche die
Einheit bildet, daß es namentlich der Zorn der die Ehe überwachenden
Kritische Notizen zum Aischylos 115
Hera ist, welcher lo und ihr Geschlecht verfolgt, die Danaostöchter in
eben so fehlerhaften Abscheu vor ehelicher Pflicht wie die Aigyptos-
söhne in sündhaft heiTische Begier verfallen laßt, bis Hypennnestras
Hingebung und Lynkeus Mäßigung ihren Zorn versöhnte zum Segen
des argivischen Landes. Der Ausgang der Trilogie ähnelt den Eume-
niden in einiger Beziehung; wie dort Athene, so in den Danaiden Hera,
wie dort Apollon, so hier Aphrodite.
Die Trilogie, so glaube ich nachweisen zu können, ist entweder
462 oder 461 aufgeführt worden, d. h. vor der Verbindung Athens mit
Ägypten zum Kampf gegen Persien und nach der Zerstörung Mykenäs
durch die Argiver und der Auswanderung der meisten Mykenäer gen
Makedonien. Nach Diodor freilich (XI 65) fallt die Zerstörung von
Mykenä in das Jahr des Theagenides (468/7); aber der pragmatische
Zusammenhang, den er angiebt, namentlich daß die Argiver durch die
Empörung der Heloten gegen Sparta sich in den Stand gesetzt gesehen
hätten, die den Spartanern befreundeten Mykenäer anzugreifen, — diese
Zusammenhänge geben den Beweis, daß der Fall von Mykenä nicht
Ol. 78 1, sondern OL 79 1 zu setzen ist Femer zeigt die Fassung der
Schutzflehenden und namentlich der merkwürdige Chorgesang v. 620 fil,
daß Argos zur Zeit der Aufführung schon den Athenern verbündet
war; und der Bund mit Argos ist nach der unwürdigen Bücksendung
des Eimon und der athenäischen Hopliten Ol. 79 2 Herbst 463 geschlossen
worden.
In eben diesem Chorgesange ist manches schwierig; ich will nur
den Anfang hervorheben. Der Chor fangt in der ersten Strophe sein
Gebet mit folgendem an (V. 627 [612 K.]):
fjL7j7iOT8 nvQicpaxoq {nvQitparov ruv K.] TIt}jU(syittv %6Xiv
xhv äzoQov ßoäv xziaai fiäz^ov ^Qfj,
TÖv äQÖTOig &6Qi^ovta ßQÖTOvg kv äXkoig.
Was ist denn „Ares, der in anderem Felde (als er pflegt) seine Ernte
hält"? Was soll die Erwähnung des Feuers, was der müßige Zusatz
äxoQog? Doch zuerst muß die Construction eingerenkt werden; ich finde
zwischen röv . . . fiäx^ov und tov . . . ^bqi^ovtu eine so deutliche
Responsion, daß xxiaca unmöglich das Yerbum des Satzes sein kann;
das Verbum muß in nvQitparov [227] corrumpiert vorhanden sein und
TtvQKpccyBiv ist gewiß nicht zu kühn. Der eigentümlich genauen Be-
stimmung dieser Bitte gegen Feuersbrunst muß eine ebenso bestimmte
Vorstellung zum Grunde liegen, und ich meine, dies ist keine andere,
als die des furchtbaren Schicksals von Argos im Kriege gegen Eleo-
menes, die von Herodot (VI 80) erzählt wird. Nach einem unglücklichen
8*
116 Zur griechischen Tragödie
Gefecht waren die Argiver in den heiligen Hain des Argos geflüchtet and
dort umzingelt, der Hain mit Holzstößen umlegt und in Brand gesteckt
worden, 6000 Argiver waren auf solche Welse umgekommen (Herod.
VII 148). Zu diesen Erinnerungen passen jene Worte; denn freilich
der heilige Hain ist zu Chorliedem und Festen bestimmt» nicht zu wil-
dem Mordgeschrei, und freilich das ist das Feld nicht, wo Ares seine
Ernte feiern sollte. Wie auch die weiteren geschichtlichen Verhältnisse
von Argos in diesem Chorgesange berücksichtigt sind, ist in der Über-
setzung nachzusehen.
Eine Anspielung auf den in Rhodos von den flüchtenden Da-
naiden erbauten Athenetempel hat Clausen in folgenden Versen (V. 136
[132 K.]) vermutet:
&iXov(ja S' av ß-iXovGav ayvü fi* kniSerco At6<i xÖQa,
i^Xov<Ta (Tifiv hvdini &<T(pcclig.
Doch ist nach der sonstigen Weise des Stückes nicht Athene, sondern
Artemis die Göttin, welche sie anrufen, und ich glaube schreiben zu
dürfen
a^ovaa (TxifjLfi iv mnl ätrtpaXeg,
Sehr verwirrt sind die Worte, die der König Pelasgos spricht,
nachdem er sich überlegt hat, was er mit den Schutzflehenden thun
müsse (V. 433 [426 K.]ff.); es sind namentlich die Worte:
xal ;if(>/}/ia<TiV [/QfjfAdrojv K.] fiiv kx Söfiojv nogd'ovfAiifcoif
äzTjQ ye fiai^ojv \äri]v ye fABt^co K.] xal fiiy kfi7iXy<Tag yöfAOV [yöfiov K.]
yivoiT äv üXXa xtijctiov Jiog /apiv.
Daß dies keinen Sinn giebt, ist schon oft bemerklich gemacht worden;
man wird wohl etwas stark dreinschneiden müssen; ich lese:
xal /(>7;^e^o'£i' fxiv ix S6/jlcjv noQ&ovfuvoDV
&xdTi}v yefii^cjv xal fAerefjLTtyjaag yöfiov
yivoiT &v äkkfj XTfjffiov Jiog ;^cJ(>i§.
Die Construction absoluter Nominative in dieser Form hat Aischylos
häufig. Unzweideutig bereitet hier Aischylos die Auswanderung des
Königs nach Makedonien vor. Es folgt hierauf:
xal yX&atra xo^Bvaaaa fii] rä xatQia,
yivoiTO pivd-ov fiv&og &v &akxTi]Qiog,
iXyeivä &vfiov xdQxa xivf]Tif]Qia'
Sncog S* Öfiaifiov alfia fiij yBVijfTBrai
Sil XÜQXa &VHV u. 8. w.
Kritische Notizen zum Aischylos 117
Der Zusammenhang des königlichen Basonnements ist: mag ich den
Danaiden helfen oder ihnen Hilfe verweigern, in jedem Falle habe ich
zu leiden; die einzige Art dem zu entgehen ist, wenn ich Argos ver-
lasse. Diesen Satz mit fUv führt er so aus: wenn ich dabei auch
vieles verliere und nur weniges rette, so wird mir Zeus wohl neuen
Segen gewähren; — und was die Danaiden anbetrifft, werden sie durch
meine Rede tief verletzt, so [228] wird sie mein Beden auch wieder
besänftigen; denn freilich, was einen schmerzt, regt ihn sehr auf u. s. w.
So der Satz mit fiiv; doch andererseits {Si) will ich alles thun, um
durch Opfer und Gebet dem Kampf vorzubeugen u. s. w.
Ohne Sinn ist jetzt v. 80 [78 K.] ff.
el&Bii] Ai6q ev navaXfi&cjq*
Aioq ifieQog ovx ev&i^occrog kxvxO'f},
nüvra [navrä K.] xoi (pkeye&Bi x&v [xäv K.]
(TXÖTq) fieXaivfe ^vv rvx^
jASQÖnetrai Xaoig.
Der Chor ist den Altaren nah; er fleht die Göttin um Beistand an;
auch den im Kriege Bedrängten, sagt er, ist der Altar, auch den Kampf-
flüchtigen die Ehrfurcht vor den Göttern ein Schutz. Der Vergleich
mit der Gegenstrophe lehrt, daß nun folgen muß: wenn doch auch für
uns dieser Altar so ein Schutz wäre; aber wer weiß, ob es so sein
wird, Zeus Wege sind dunkel. Die einzig bedeutende Ijesart ist die
schlecht garantierte ^vvrvxicct, die auch der Scholiast vor sich gehabt
zu haben scheint {äXXä ^kXaivü r/g airovg xarixBi avvxvxicc)\ ich lese:
ü &eirj d'edg ev' Ticcvalrj&ßg
Jiög ifjLBQog ovx eif^i^oarog irvx^V*
navT^ TOI (fX%yi&ti,
x&v (Txörq) fjbsXaivai ^vv Tv^cc fABQÖTieffm XaoTg,
Das 7iavccXi]&6jg ist hier in dem Sinn, die folgende halb sprichwört-
liche Redensart zu bestätigen: gar richtig heißt es, Zeus Wille ist nicht
leicht zu erjagen. Die Form des Asyndeton ist in Aischyleischen Chor-
gesängen häufiger als die Interpreten zugeben wollen.
Ich behalte mir vor, später von anderen Punkten zu sprechen.
118 Zur griechischen Tragödie
e. Die Tetralogie.
Zeitschrift für die AltertomswisseiiBchaft II. Jahrgang 1844 Sp. 97 ff.
[97] Mag es mir nicht mißdeutet werden, wenn ich noch einmal
auf eine Frage zurückkomme, über welche jüngst der größte Kenner des
griechischen Altertums geurteilt hat, sie sei erschöpft, und man thue
vorerst besser, abzuwarten, ob nicht vielleicht irgend ein glücklicher
Zufall, etwa unter so vielen Auffindungen neuer Inschriften die einer
didaskalischen, neues Material darbieten werde (Ind. lect. Ber. 1841/2
[KL Sehr. IV S. 505 ff.]). Die herzliche Weise, in der Böckh meiner
in jenem Programme gedenkt, ist mir ein lieber Anlaß mit einem eben
so herzlichen Grußwort der Dankbarkeit und Verehrung eben diesen
Aufsatz zu beginnen, der sich zum Teil gegen die von ihm gewonnenen
Ergebnisse wenden und versuchen soll, ob nicht der vielbesprochenen
Frage noch eine Seite abzugewinnen ist
Ich darf mir erlauben die früheren Untersuchungen unbesprochen
zu lassen; Böckh hat in der vorsichtigen und klaren Weise, die ihm
vor allen eigentümlich ist, die Frage auf die feste Grundlage aus-
drücklicher Zeugnisse zurückzuführen und von da aus ein definitives
Kesultat zu gewinnen gesucht. Er beginnt damit die Competenz
ästhetischer Gesichtspunkte von der Hand zu weisen, sich gegen eine
beiläufige Äußerung in meinem Aufsatz „Phrynichos, Aischylos und die
Trilogie" wendend, der er freilich die Deutung giebt, als hätte ich nicht
gewisse factische Übelstande bezeichnen, sondern eine in der That sehr
einseitige Theorie kritischer Thätigkeit aufstellen wollen. So sehr bin
ich seiner Ansicht, daß die wahre Kritik beide Momente, das kritische
und gelehrte mit dem ästhetischen in völliger Durchdringung fordere,
daß ich eben in dem verhältnismäßig ungleich seltneren Vorhandensein
des einen dieser Momente, des ästhetisch richtigen und gebildeten Em-
pfindens, den Grund fand, warum ein glänzendes Resultat der wahren
Kritik so hartnäckig habe bestritten werden können. Da ich für die
folgende Erörterung mich jeder ästhetischen Betrachtung enthalten zu
können glaube, so ziehe ich es vor die weitere Bechtfertigung des von
mir Geäußerten hier nicht aufzunehmen.
Böckh geht von dem Satz aus: guadripartiia didascalia sit^e can-
nexae inter se fabidae fuerint sive tum nexae plurimis visa est rerpcf-
Xoyia vocata esse; er bespricht dann die wenigen Fälle, in denen die
uns vorliegenden Quellen das Wort Tetralogie gebrauchen; er sucht
nachzuweisen, daß jedem dieser Fälle jene Deutung des Wortes genügt
Danach [98] geht er zu der bekannten Notiz des Suidas über, Sophokles
Die Tetralogie 119
J]Q^B SQßficc HQoq ÖQäfia äycovi^sa&ai äXXä fiij rsTQccXoyiav, es ergebe
sich demnach aus derselben: singtüae fabukie ex hoc instüuto inier se
eompositae, non tetralogiae, de singtdis mdicatum est, non de quatemis,
singuiae vicertmt, non qtuUemae, vi tarn nihil caitsae esset, quare singuli
poetcte coimnitterent quaiemas fabulas iis quidem ludis, in quibus novo
hoc modo certareiur.
Die Notiz des Suidas namentlich ist es^ in deren Interpretation
sich die beiden entgegengesetzten Ansichten über den Begriff Tetralogie
feindlich begegnen. Böckhs Deutung derselben würde völlig unzweifel-
haft und in keiner ihrer Consequenzen zu bestreiten sein, wenn die von
ihm vorausgeschickte Bestimmung jenes Begriffes unbedenklich wäre.
Aber er begnügt sich nachzuweisen, daß die Ansicht, für die er sich ent-
scheidet, jenes utplurimis visum est, nicht mit den Fällen, in denen das
Wort vorkommt, streitet; die entgegengesetzte Ansicht hat ebenfalls einige
Verbreitung, streitet ebenfalls nicht mit jenen Beispielen. Man wird, da
die Notiz des Suidas sich nicht anders als nach Feststellung jenes Be-
griffes benutzen läßt, es aufgeben müssen über jene höchst wichtige Frage
eine Entscheidung zu gewinnen, wenn sich nicht irgend ein anderer
Weg, als die bis jetzt versuchten, zum Verständnis des Wortes finden läßt.
Unter solchen Verhältnissen darf man auch wohl combiniertere
Mittel versuchen, wenn sie irgend Aussicht zu gewähren scheinen. Ich
will von demselben Punkt ausgehen, in dem Böckh die entschiedene
Bestätigung für seine Darlegung fand. Es giebt ein paar Notizen, nach
denen möglicherweise in Athen eine einzelne Tragödie aufgeführt sein
könnte; ein derartiges Beispiel ist vollkommen sicher, jenes Platonische
Stb Tfj TCQCJTfj TQaywdi^ kvixrjGBv 'Ayd&mv. Mit vollem Rechte sagt
Böckh, es könne das nicht soviel heißen, als Agathen habe r^ nQthry
didaaxalicg gesiegt; es kann auch nicht heißen, Agathen siegte mit
dem ersten der vier Dramen seiner Didaskalie; Agathen siegte eben mit
seiner ersten Tragödie. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß in Athen
irgendwie die Aufführung von einer einzelnen Tragödie eines Dichters
möglich, daß die vierteilige Didaskalie nicht die einzige Art drama-
tischer Aufführungen war. Hier sind nur zwei Möglichkeiten denkbar:
entweder bei allen dionysischen Festen durften die Aufführenden nach
Belieben mit einem oder mit vier Dramen concurrieren (von zwei oder
drei spreche ich nicht) — oder es gab Feste, bei denen nur je vier,
andere, bei denen (auch oder nur) mit [99] einem Drama concurriert
wurde. Wir wissen von vierteiligen Didaskalien des Aischylos, Euripides,
Xenokles, Philokles u. s. w.; noch für OL 108 können deren, wie Böckh
nachgewiesen hat, und wie in einer Nachschrift zu diesem Aufsatz
näher besprochen werden soll, wiedererkannt werden; kurz in der ganzen
120 Zar griechischen Tragödie
Zeit von den Perserkriegen bis zur Schlacht von Chaironeia erhält sich
die vierteilige Didaskalie. x\lso es gab in Athen fort und fort Feste, in
denen vier Dramen eines Dichters als eine Didaskalie aufgeführt werden
konnten. Es fragt sich, ob mußten^ d. h. ob gegen solche vier
Dramen ein einzelnes eines andern Dichters zur Concurrenz zugelassen
wurde oder nicht Da uns weder Zeugnisse noch bestimmte Beispiele
eine Entscheidung gewähren, so werden wir versuchen dürfen, sie in
der Natur der Sache zu finden.
Daß solche vier Dramen von dem Preisgericht als eine Gesamtheit
beurteilt, mit einem Urteil alle vier, nicht mit besonderem jedes einzelne
bezeichnet wurden, scheint unzweifelhaft. Mit den vier Stücken in der
Didaskalie der Medeia erhielt Euripides den dritten Preis, mit den vier
in der der Alkestis den zweiten, mit den vier Dramen der Oresteia
Aischylos den ersten, mit den vier Dramen der Didaskalie der Troaden
Euripides den zweiten gegen die vier, die Xenokles dagegen aufführte.
Daß in allen diesen Fällen sich nie eins der vier Dramen einer Didas-
kalie besser oder minder gut als ein anderes gezeigt haben sollte, ist
völlig undenkbar. Auch die wahrscheinlichen Ergänzungen der nach-
träglich zu besprechenden Inschrift werden uns das gleiche Resultat
geben. Ich muß den Satz de singiUi-s iudicatum est, non de quatemis
für unrichtig erklären; diese Consequenz aus dem Zeugnis des Suidas
streitet gegen das fast evidente Zeugnis der vorliegenden Facta; sie
macht gegen die Eichtigkeit der Deutung desselben mißtrauisch.
In jener Didaskalie der Medeia heißt es: Euphorien erhielt den
ersten, Sophokles den zweiten, Euripides mit den vier namentlich auf-
geführten Dramen den dritten Preis und ähnlich sonst Es steht da
nicht, daß Sophokles, daß Euphorion mit einem einzelnen Drama con-
currierten. Wurden die vier Dramen eines Dichters als eine Gesamt-
heit beurteilt, so wäre es, wie schon oft ausgeführt worden, die aller-
seltsamste Inconvenienz gewesen, wenn gegen sie ein Drama eines andern
Dichters in die Schranken hätte treten dürfen; zur Concurrenz geborte
notwendig, daß man unter äußerlich gleichen Bedingungen concurrierte.
Die Stellung der Chöre war eine öffentlich vom Staat beaufsichtigte
Pflicht. War es möglich, daß ein Drama mit zwölf oder fünfzehn Cho-
reuten gegen vier mit fünfzig in die Schranken trat, so war bei der Zu-
teilung der Chöre die Überlastung oder Zurücksetzung der einen Phjle
gegen die andere unvermeidlich, und der Choreg für vier Dramen hatte
gegen den mit einem Drama schon durch den viermal größeren Auf-
wand an Unterhalt, Einübung und Ausrüstung seines Chores den Sieg
davon getragen, ein Verhältnis, das in gewissem Betracht auch dann
eingetreten wäre, wenn man (ich [100] spreche natürlich nur von den
Die Tetralogie 121
Anffuhningen seit Aischylos) das Undenkbare voraassetzen wollte, daß
solches eine Drama eben so viele Choreuten hatte, wie die vier zusammen-
genommen. Endlich waren die dramatischen Aufführungen eine Fest-
feier; mit einer gehörigen, ja liturgisch bestimmten Festordnung wäre
solche Willkür in der Zahl der aufzuführenden Dramen, Choreuten u. s. w.
unvereinbar gewesen.
Demnach wird man anzunehmen haben, daß seitdem die Ordnung
mit vier Dramen aufzutreten bei einem der dionysischen Feste einge-
führt war, in demselben Feste die Aufführung, die Concurrenz einer
einzelnen Tragödie nicht zugelassen werden konnte. Dies sagt auch
Böckh : nee dubitamus, quin tetralogias iantwm crnn tetrcUogiis commissae
sifUj non 0wm singtUarüms fabtUis, Wenn er fortfahrt: sed posstmt
eadem aetate, modo tetralogiae cwm tetralogiis, modo singulae fabukie
cum singtUis fabulis in certamen commissae esse aut in diversis solem^
nibus atU in eodem adeo festi generCy prout nomina professi essent
poetae vel seoundu/m hos professiones videretur magistratibus, so deutet dies
zweite auch eine Hypothese an, die in dem bisherigen schon mit erledigt
sein dürfte. Daß es von der Vereinbarung zwischen den concurrieren-
den Dichtem oder der Bewilligung der Magistrate sollte abgehangen
haben, ob dem Volke je vier oder je ein Drama vorgeführt werden
sollten, ist wenig glaublich, wenn man die Natur der Choregien und
die Würde des Festes berücksichtigt; oder leistete in solchem Falle der
Choreg nur für fünfzehn Choreuten? konnte man das schauende Volk
auf den vierten Teil des Vergnügens reduzieren? war der Wetteifer der
Chormeister und Choregen dahin zu bringen, sich zu solchen kleineren
Aufführungen zu verstandigen? Böckhs Annahme stützte sich offenbar
auf die Voraussetzung, daß auch bei den vierteiligen Didaskalien jedes
Drama besonders beurteilt worden; wir sahen, daß diese Voraussetzung
unhaltbar ist. Man wird zugeben, daß diese Wendung in sich nicht
wahrscheinlicher ist als die Annahme, mit einer einzelnen Tragödie
habe gegen vier Dramen concurriert werden können. So lange nicht
das eine wie das andere durch ausdrückliche Beispiele oder durch aus-
drückliche und glaubhafte Zeugnisse nachgewiesen ist, muß es dafür
gelten, daß diese wie jene Willkür der attischen Bühne fremd gewesen.
Ich sage der attischen: ich spreche nur von den Festen, bei denen man
annimmt, daß der Gesamtstaat beteiligt war; was die Bühne der ein-
zelnen Demen angeht, so mag es sich da immerhin anders verhalten
haben, selbst wenn auf der einen oder andern neue Tragödien zur Auf-
führung gekommen sein sollten.
In den Kieler Studien S. 80 [oben S. 98] äußerte ich in Beziehung
auf die Zeit der Perserkriege: es wollte mir scheinen, als wenn in dieser
122 ^ur griechischen Tragödie
Zeit die neuen und großartigen Auffuhrungen nur an den großen Dio-
nysien vorgekommen seien. Ich hatte eben jenes Factum im Sinn, daß
Agathen einmal mit einer Tragödie gesiegt hatte; ich nahm an, daß der-
artige Auffahrungen einem andern Feste zugewiesen werden müßten, als
dem, welchem die größeren mit [101] je vier Dramen zugehören; ich hielt
es für sehr wahrscheinlich, daß der größere Aufwand von Geld, Übung,
Kunstleistung eben dem dionysischen Gesamtfeste der zehn Phylen,
das durch die Anwesenheit der Gesandtschaften aller Bündner verherr-
licht wurde, den städtischen Dionysien werde zugewiesen worden sein.
Agathons Sieg mit seiner einen Tragödie war in den Lenäen (Athen
V S. 217). Die einzige Didaskalie mit vier Dramen, von der wir die
Zeit der Aufführung aufgezeichnet finden, gehört den großen Dionysien
an (Böckh S. 11). Ich enthalte mich absichtlich jeder weiteren Mut*-
maßung über die Festordnung der Lenäen, da es sich hier zunächst
nur um die Feststellung des Begriffes Tetralogie handelt.
Nun zur Notiz über Sophokles: ^(>|e S()äfjLa nQog Sgäfia äytovlfytT'
&cci äXXu fitj TaTQuXoyiav. Über die Lesart (nQaroXoyua&ai d. i. re-
T()aXoyBT(T&ai, über die Emendation rezQaXoyi^, über die grammatische
Struktur des Ganzen verweise ich auf Böckhs Auseinandersetzung. Mit
Recht fordert Böckh, daß man sich vor allem an dem genauesten Ver-
ständnis so ausdrücklicher Zeugnisse halten, von ihnen aus so verwickelte
Fragen zu lösen suchen müsse. Aber eben so wichtig ist es sich über
die Autorität derartiger Zeugnisse klar zu sein. Gewiß stammt Suidas
Angabe aus einer gelehrteren Quelle, aber wer weiß durch die wievielte
Hand. £s ist wahrscheinlich, daß da über Sophokles als Dichter und
über sein Verdienst um die dramatische Kunst gehandelt wurde. Jene
Notiz nimmt nicht Rücksicht darauf, ob es Feste gab, wo eine einzelne
Tragödie aufgeführt werden konnte; sie scheint Sophokles Neuerung
nicht im Interesse der etwa durch ihn veränderten Festordnung, son-
dern in dem der fortschreitenden dramatischen Kunst zu betrachten.
Jedenfalls spricht sie aus, daß Sophokles Neuerung im Gegensatz gegen
die bis zu ihm übliche „Tetralogie" auftrat. Was heißt nun Tetralogie?
Es versteht sich vier Dramen als zu einander gehörig betrachtet Diese
Zusammenhörigkeit kann entweder die äußerliche sein, daß die vier
eine Didaskalie ausmachen, von einem Chormeister an einem Feste als
eine Partei der Concurrenz aufgeführt werden, — oder es ist mit dem
Wort außer dieser äußeren Verbindung auch eine weitere, sich auf irgend
welchen innem Zusammenhang der vier Dramen beziehende ausgedrückt.
Suidas Notiz kann demnach auf doppelte Weise verstanden werden:
entweder Sophokles habe die bisherige Ordnung der vierteiligen Didas-
kalie aufgegeben und eingeführt, daß Drama gegen Drama, eins gegen
Die Tetralogie 123
eins gekämpft würde; und dann minderte er den Glanz der Festfeier,
gab statt vier Dramen ein einzelnes, etwa eine Tragödie, nnd dann
fehlte das Satyrspiel, oder ein Satyrspiel, dann fehlte die Tragödie — ;
oder es heißt: Sophokles gab nicht mehr vier irgendwie in sich inner-
lich zusammenhängende Stücke, sondern ließ jedes der vier Dramen
seiner Didaskalie eben ein Kunstwerk für sich sein, stellte so seine
Tier Kunstwerke gegen das eine tetralogische seines Gegners, wenn
der nicht vorzog sich der Neuerung zu akkomodieren. Sophokles
mehrte dann [102] in gewissem Betracht den Glanz der Festfeier, ver-
vierfachte das Interesse der Auffuhrungen. Nach der ersten Erklärung
bezeichnet die Notiz des Suidas eine Änderung in der Festordnung,
nach der zweiten eine weitere Entwickelung in der dramatischen Poesie.
Wir wollen nicht viel darauf geben, daß der Ausdruck Sgäfsa ngoq
SQäfjLa weniger für eine Reduzierung von vier auf eins, als für eine
Mehrung, für das Ausbilden eines Ganzen nach seinen Teilen zu spre-
chen scheint Haben wir mit unserer Annahme über die liturgische
Ordnung in der Feier der großen Dionysien recht, so kann Sophokles
nicht gegen die dort üblichen vierteiligen Aufführungen mit einem
einzelnen Drama aufgetreten sein. Also nicht jene vierteilige Didaskalie
begann er aufzuheben, sie blieb bis in späte Zeit, wohl aber die Tetra-
logie. Tetralogie aber bezeichnet keineswegs bloß die äußerliche Ver-
bindung von vier Dramen zu einer Didaskalie, sondern irgend welchen
weiteren inneren Zusammenhang derselben. Diesen hob Sophokles auf,
sagt Suidas. Aber man achte wohl auf den Wert dieser Notiz; er
kämpfte Drama gegen Drama, sagt sie; und doch fanden wir, daß die
Richter nicht Drama gegen Drama der Didaskalie beurteilten, sondern
die vier Stücke jedes Chormeisters und die Leistungen des Choregen
für dieselben in Gesamtheit richteten. Femer Sophokles Neuerung trat
gegen die Tetralogie auf; nun gab es ein Fest, wo man nachweislich
mit einer Tragödie (nicht einmal Tragödie und Satyrspiel ist zu ver-
muten, eher oder Satyrspiel) concurrierte; diese, wenn ich so sagen darf,
kleinere Art der Feier (das Fest der Lenäen, denke ich, wird viel älter
sein als das der großen Dionysien) wurde also von Sophokles Neuerung
nicht infiziert; in der Notiz des Suidas ist auch darauf, wie oben schon
in anderem Zusammenhang bezeichnet worden, keine Rücksicht ge-
nommen. Oder will man mutmaßen, eben die kleineren Aufführungen
der Lenäen seien durch Sophokles eingerichtet? Von allem anderen
abgesehen, Suidas Notiz sagt von den Lenäen nichts, gerade die Haupt-
sache würde sie ausgelassen haben.
Nach diesen Combinationen also ist in der Notiz des Suidas
Tetralogie in dem Sinne gebraucht, der durch Welckers Meisterhand
124 Zur griechischen Tragödie
erschlossen eine so hohe Bedeutung für die tiefere Erkenntnis der
griechischen Dramatik gewonnen hat^ Sehen wir nun zu, ob das son-
stige Vorkommen des Wortes Tetralogie dieses Besultat bestätigt oder
nicht; ich habe hier die einzelnen Notizen anzuführen, die Böckh be-
spricht, um seine Bedeutung des Wortes zu sichern.
[103] Als Tetralogie bezeichnet finden wir die Pandionis, die Ore-
steia, die Lykurgeia, beide letzteren mit Angabe ihrer je vier einzelnen
Dramen. DaB in diesen drei Fällen nicht bloß das äußere didaskalische
Band, sondern ein innerer Zusammenhang, die Fortfuhrung desselben
Mythos, die vier Stücke verband, ist klar. Wenn das zufallig und für
unsere Auffassung des Wortes Tetralogie irrelevant ist, wie Böckh gel-
tend macht, so beweist es gegen dieselbe natürlich noch viel weniger.
Sodann heißt es in den Scholien zu den Fröschen V. 1155: r^QaXoyicev
(pBQOVfTi TTjv V^eareiav ai JidaaxaXiai, 'Ayapiiiivova^ XotjfpÖQOvg,
EvfieviSa^, ÜQ^xia (TccrvQiXÖv, 'AoiarttQXO^ xai !AitoXk(hvioq rgtXoyiav
Xiyovai x^Qh t&v aaxvQix&v. Warum schieden beide Gelehrte das
Satyrspiel aus der Tetralogie aus, wenn Tetralogie nichts ist als die
qtuidripartita didascalia sive connexae inter se fabtUae fuerint sive non
nexae? Die ihnen vorliegenden Didaskalien zeigten ihnen ja, daß die
vier Dramen zusammen eine Didaskalie, also eine Tetralogie in diesem
Sinn waren. Aber sie wollten die drei Tragödien und das Satyrspiel,
wie dieselbe Didaskalie sie umfaßte, nicht ebenso mit demselben Namen
Tetralogie umfaßt wissen, also mußte ihnen wohl der Name eine andere
Verbindung als die nur äußere, in dieselbe Didaskalie zu gehören, be-
zeichnen, sie nannten die drei Tragödien eine Trilogie; ob alle ist nicht
zu entscheiden; gewiß die drei der Oresteia, und diese enthalten die
Fortsetzung desselben Mythos. Die alten Gelehrten haben die Schriften
Piatos und Demokrits bald in Trilogien, bald in Tetralogien geteilt
Besonders lehrreich ist die Stelle bei Diog. L. III 56 überPlato: QgdfnsX-
log Si cp7]Gi xal xccrä ttjv rgaytxijv terQaXoytccv hcSovvai avrov
Tovg SiccXöyovQ' oiov ixelvoi rirraoai dgä^aai ijytavi^ovro, Aiowaioig,
Arjvaiotg, Ilavcc&fjvaioig, XvTQOig' o)V t6 reraQzov ^v aazvQixdv,
^ Ich darf bemerklich machen, daß dies Resultat auch dann feststeht, wenn
man in der Stelle des Plato nicht notwendig die Aufführung einer Tragödie
ausgedrückt finden sollte. Dann würde das einzige sichere Beispiel einer solchen
Einzelauffuhrung fehlen, und das Wort Tetralogie bekäme nur um so viel mehr
die Bedeutung, die wir festhalten. Aber es scheint mir jene Deutung des Plato-
nischen Ausdruckes durchaus notwendig. Wenn übrigens Plato gleich darauf
von den 30 000 Hellenen, in deren Gegenwart Agathon gesiegt habe, spricht,
so widerspricht dem nicht das Aristophanische avxol yctQ ^<Tfiev, wenn man nur
annimmt, daß in den Lenäen nicht wie in den großen Dionysien die Fremden
gleichsam offizieller Weise zugegen waren.
Die Tetralogie 125
rä Si xixraQa SQdfiara kxaXeizo TBZQaXoyia, Dies nennt Böckh die
ThrasjUische Definition der Tetralogie, sie bezeichne nichts anderes,
als daß die vierteilige Didaskalie, ohne Rücksicht ob die vier Dramen
unter sich verbunden waren oder nicht, Tetralogie geheißen habe. Ich
will nichts darauf geben, daß inmitten dieser angeblich Thrasyllischen
Definition jene unsinnige Beifügung der vier Feste, an denen die Auf-
führungen stattgefunden, steht, eine Verkehrtheit, der auch mit der
feinen Emendation Fritzsches nicht abzuhelfen ist Es kann diese An-
gabe des Diogenes weder für die Thrasyllische Definition, noch über-
haupt für eine Definition gelten. Thrasyllos hat ja, wie Diogenes weiter
ausführt, die Platonischen Stücke nach dem Zusammenhang ihres In-
halts, nach der xoivri vnö&Bmg zusammengestellt; Böckh sagt, das könne
für die dramatischen Tetralogien nichts beweisen; för die Zusammen-
ordnung der Platonischen Stücke habe der Inhalt allein einen Anlaß
bieten können, während die vier Dramen eben nach ihrem Beieinander-
sein in einer Didaskalie und nur danach als Tetralogie bezeichnet
worden seien. Aber schon wie der gelehrte Aristophanes dieselben
Gespräche nicht nach Tetralogien, sondern nach Trilogien ordnete,
[104] zeigt sich, daß man wohl nicht bei jenem rein äußerlichen Be-
griflf stehen bleiben wollte. Bedeutender ist eine andere Betrachtung.
Diogenes sagt, daß sich in ganz paralleler Weise mit der dramatischen
Kunst die Philosophie entwickelt habe; dann fährt er fort, Thrasyllos
sage, es habe Plato auch xarä rijv zQccyixijv rerQaloyiav seine Ge-
spräche herausgegeben. Also die Verbindung der Dialoge, die er her-
stellte, glaubte er von Plato selbst bei deren Herausgabe beabsichtigt;
die Analogie mit der dramatischen Tetralogie, die nach seiner Meinung
Plato beabsichtigte, konnte allerdings darin bestehen, daß Plato je vier
Gespräche zugleich, ohne Zusammenhang in sich, herausgab. Dies ist
nicht geschehen; eben nach dem Zusammenhang ihres Inhaltes stellte
Thrasyllos die Tetralogie so wieder her, wie er glaubte, daß sie Plato
selbst ediert habe. Danach ist nicht zu glauben, daß die Thrasyllische
Definition in jenen Worten des Diogenes erschöpft, in jenem qvMri-
partita didascalia sive connexae inier se fahvlae fuerint sive non nexae
genügend ausgedrückt sei.
Fassen wir das Gesagte zusammen. Tretralogie heißt in der Notiz
bei Suidas, wenn man die wahrscheinliche Festordnung berücksichtigen
darf, eine Gesamtheit von vier in innerem Zusammenhang stehenden
Dramen. Tetralogie heißen drei dramatische Compositionen (Oresteia,
Lykurgeia, Pandionis), deren jede denselben Mythos durch die vier
Dramen der Didaskalie fortführte. Tetralogien bildete Thrasyllos aus
den Dialogen Piatos nach Maßgabe ihres zu einander gehörenden
126 Zur griechischen Tragödie
Inhaltes, nach ihrer xoivi] vnö&ecng, nnd zwar so, daß er annahm, Plato
selbst habe sie nach der Ane^logie der dramatischen Tetralogien ediert.
Tetralogie wollten Aristarch und Apollonios die Tier Dramen, zunächst
der Oresteia, nicht nennen, um nicht das in seinem Charakter merklich
gesonderte Satyrspiel mit in dem gemeinsamen Begriff zu befassen, sie
nannten die drei Tragödien Trilogie. Alle diese Fälle sprechen dafar,
daß Tetralogie eine innigere als die bloß didaskaUsche Zusammenhörig-
keit bezeichne. Ein Beispiel oder ein Zeugnis, daß Tetralogie nur diese
bezeichnete, giebt es nicht; die Hypothese, welche diese Bedeutung
annimmt, widerstreitet dem natürlichen Sinn jenes Namens, wider-
streitet der Toraussetzlichen Ordnung des Festes, ohne für ihre Wahr-
scheinlichkeit etwas Positives anführen zu könnnen, es wäre denn das
plurimia visum est, von dem Böckh ausgeht. Ich denke auch die frühere
Geschichte des Wortes oder der Sache wird sich zu unseren Gunsten
entscheiden. Wir vermögen nicht nachzuweisen, wie früh die Namen
Trilogie und Tetralogie im Gebrauch gewesen sind.
[105] Wenn sich sollte erweisen lassen, daß die Tragödie, hervor-
gehend aus dem Dithyrambus, zunächst ein Gedicht war, sich dann
in sich erweiterte und gliederte zu drei Auftritten, die dann selbst an
Umfang wachsend, und als eben so viele Momente einer fortschreitenden
Handlung ausgestaltet, in sich selbst zu kleineren dramatischen Ganzen
wurden, ähnUch wie die Einzelstatuen in einer Gruppe sich zu dem
großen dramatischen Ganzen verhaltend; wenn es sich dann zeigte daß
auch das Satyrspiel in die Gesamtgruppierung als ein vierter Auftritt
mit hineingezogen werden konnte, und wenn man nun als Gesamt-
bezeichnungen die Namen Trilogie und Tetralogie vorfindet, Namen,
welche die Entwickelung aus einer Einheit, die Gliederung eines Ganzen
zu bezeichnen scheinen — , so ist in thesi anzunehmen, daß beide Namen
sich nicht gleichgültig gegen den Zusammenhang der von ihnen be-
zeichneten Gliederungen oder Vielheiten verhalten. Aus jener hypothe-
tisch verzeichneten Geschichte der dramatischen Anfange sind wenig-
stens einige Punkte nachweislich, was ich hier nicht weiter ausführe. Es
kann im allgemeinen für zugestanden gelten, daß Aischylos wenigstens
vorherrschend seine dramatischen Stoffe in drei zusammenhängenden
Tragödien behandelte, bisweilen auch den Mythos der Tragödien noch
in dem vierten Drama der Didaskalie, dem Satyrspiel, fortsetzte. In
der That eine sonderbare Erscheinung; jene Zahlen drei und eins, die
dann in so bemerkenswerter Weise in der weiteren Geschichte der Tragik
erkennbar bleiben, woher nur kommen sie? haben sie gar keinen Zu-
sammenhang, keine Bedeutung? sind sie willkürlich vom Aischylos
gewählt? wieso wurden sie die normierenden?
Die Tetralogie 127
Diese Frage, kaum daß man sie bisher aufgeworfen, ihrer Lösung
einen Schritt näher zu führen, war ein Teil der Aufgabe, welche ich mir
für den Aufsatz „Phrynichos, Aischylos und die Trilogie" (Kieler Studien
1841 S. 41 [oben S. 75] flF.) gestellt hatte. Ich habe die Freude gehabt
von mehreren Seiten her Billigung meiuer Vermutung zu erfahren.
Die Wichtigkeit, welche die Sichei*stellung derselben für die von mir
vertretene Bedeutung des Wortes Tetralogie hat, mag es rechtfertigen,
wenn ich versuche, die dagegen erhobenen Bedenken zu entkräften,
obschon ich mich damit in eine Art von Controverse einzulassen ge-
nötigt sein werde, die ich vorgezogen haben würde stets von mir fem
zu halten. Bei [106] Fragen von so rein sachlichem Interesse kann, sollte
man meinen, nur Anlaß sein zu ruhiger Besprechung und Verstän-
digung, zur gegenseitigen Förderung in der gemeinsamen wissenschaft-
lichen Arbeit. Wenn Hr. H. L. Ahrens in einer Recension der Kieler
Studien (Gott. Gel. Anz. 1843 Nr. 43. 44) meinen Aufsatz beurteilend
vorgezogen hat, sich einer anderen Weise zu bedienen, so wird man es
mir gern erlassen darüber ein weiteres zu sagen; es genügt an ein ernstes
Wort von G. Hermann zu erinnern: daß die Achtung des Menschen
sich nach dem Grade der Würde und des Anstandes richtet, mit dem
man sich selbst seine Stelle anweist. Ich würde wie natürlich von Hm.
Ahrens Becension keine Notiz nehmen, wenn es nicht das Interesse mei-
ner Aufgabe forderte, die von ihm gemachten Einwendungen zu prüfen.
Hr. A. bezeichnet ganz richtig die Absicht meines Aufsatzes, wenn
er beginnt: „der Ver£ glaubt die Entdeckung gemacht zu haben, daß
der alte Tragiker Phrynichos in jeder Tragödie die drei verschiedenen
Chöre hinter und zu einander auftreten ließ, daß drei Akte eines Stückes,
jeder durch das Auftreten eines neuen Chores bezeichnet wurde, daß
ein einziges Stück von seinen drei Chören drei verschiedene Namen
führen konnte, kurz daß die Phrynicheische Tragödie etwa als ein Em-
bryo der Aischyleischen Tragödie zu betrachten sei. Die Entdeckung
würde sehr merkwürdig und belohnend sein, wenn sie nur richtig wäre
und nicht vielmehr auf einer Reihe von offenbaren Mißverständnissen
und falschen Schlüssen beruhte". Das mag nachher besprochen werden.
Zunächst aber verdiente hervorgehoben zu werden, daß die Erscheinung
einer völlig ausgebildeten trilogischen Form Lei Aischylos auf den Ge-
danken führen könne, ja müsse, Anbahnungen dazu in der Tragödie
vor ihm zu erwarten; wie denn dies der Ausgangspunkt meiner Nach-
forschungen gewesen ist. Sagt doch Aristoteles: nolkcsg fieraßolag
fjLsraßakodda inavaaro ij r^ccycpSia, ine) HaxB Tr/v iavrfjg (pvaiv.
Meine offenbaren Mißverständnisse und falschen Schlüsse sind nun fol-
gende: daß die rTig ü^x^g naghSgoi, denen nach Glaukos im Anfang
128 Zur griechischen Tragödie
der PhöDissen des Phrynichos der Eunnch die Sitze bereitet, gerade
wie bei Aischylos die persischen Greise den Chor bildeten, versteht
sich, sagte ich, von selbst. Darauf entgegnete mein Herr Rec: doch
wohl nicht ganz, denn ein auf der Bühne sitzender Chor kommt, mit
Ausnahme der Eumeniden (und auch da ist die Sache keineswegs
vollkommen klar) in der griechischen [107] Tragödie, wenn wir uns
recht erinnern, nicht weiter vor*'. Allerdings wird von einigen Ge-
lehrten bezweifelt, daß man die schlafenden Eumeniden gesehen habe.
Aber ich hatte nichts davon gesagt, daß der Chor der Paredroi auf
der Bühne sitzen sollte, auch Glaukos sagt nichts davon; wozu also
das beifügen, wenn es genau gemeint war; wenn aber nicht genau,
so hätte sich Hr. A. nur zu erinnern nötig gehabt, daß Danaos in den
Schutzflehenden zu seinen Töchtern sagt (V. 219) iv äypip d' irrfAog
(bg nekeiüSmv i^ea^s, worauf sich die Mädchen doch wohl gesetzt
haben werden, natürlich da, wo der Chor hingehört, eben da, wo der
Eunuch die Sessel bereit macht für die ParedroL Oder sollte Hr. A,
eine Schwierigkeit darin finden, daß der Schauspieler sich anderswo als
auf der Bühne zeigt? er wird sich erinnern, wie nicht gerade selten
derartiges vorkommt. Weiteres übergehe ich, da das gesagte hinreichen
wird die Dürftigkeit dieses Einwandes zu bezeichnen. „Der Verf. findet
einen solchen (sitzenden Chor) auch im Tantalus des Phrynichus nach
Hesych. s. v. kq>iSQavcc, aber mit nicht größerem Recht". Die Worte
des Hesychius lauten: itphSgava' k(p wv xaü-ijvro ot rag XvQag ä^ovct,
und ich vermutete danach einen Chor von Lautenschlägem, und ähn-
lich wenigstens ist der Ort des Chores mit dem IsTq)' iSQceva der
Aischyleischen Schutzflehenden V. 832 bezeichnet; ähnliches noch sonst
oft genug. Aber freilich es konnte jenes htpiSgava möglicherweise
auch in einer Erzählung vorkommen. Doch spricht die Fassung der
Erklärung, dünkt mich, mehr für jenes. Jedenfalls war dieser Punkt
für den Zweck meiner Darlegung ohne Bedeutung. Hr. A. fahrt gegen
meine Annahme, jene mighSgoi seien der Chor bei Phrynichos gewesen,
also fort: „warum sollte man nicht stumme Personen erkennen dürfen
wie die Areopagiten in den Eumeniden, oder glauben, daß einer das
Wort für sie geführt habe, wie im König Oedipus der Priester für
die Deputation des Volkes? etwa aus dem einzigen Grunde, weil nach
dem Zeugnis des Glaukos Aischylos die Phönissen in seinen Persem
nachgeahmt hat? Wenn dieser so sklavisch gefolgt ist, warum ist
denn bei ihm kein Eunuch? warum sitzen die nKrrd nicht auf der
Bühne? warum fehlen die Phönizierinnen gänzlich?" Fragen genug;
die drei letzten werden wohl nur zur Mehrung des Totaleindruckes hin-
zugefügt sein, und die beiden ersten erledigen sich aus der einfachen
Die Tetralogie 129
Betrachtung, daß jene Paredroi, wenn anders das Bereiten ihrer Sitze
durch den Eunuchen nicht anzeigen sollte, daß sie fortblieben, sich
eben auf die Kunde von der Niederlage, von der der Eunuch im Prolog
spricht, versammeln, daß sie zu keinem andern Zweck als zu beraten
und zu klagen zusammenkommen können, daß sie als stumme Personen
nicht etwas zu thun finden wie die Areopagiten, und als „Deputation^'
mit einem repräsentierenden Sprecher an der Spitze niemand vorfinden,
an den sie sich wenden könnten, wie der Priester mit dem Volk im
Oedipus, noch etwas zu petitionieren haben wie diese. Hätte sich Hr. A.
recht erinnert, so würde er seine Eragen mit der Ökonomik [108] der
Mittel, wie sie die Tragödie stets zeigt, unvereinbar gefunden haben.
Weiter dann: „übrigens sollen diese Paredroi bei Phrynichos selbst 2vv'
ß-coxoi geheißen haben, weil dieser Titel eines Phrynicheischen Stückes
genannt wird". Diese Vermutung hat 0. Müller in seinem Programm de
Phrynichi Phoenissis prolusio (1835) aufgestellt und Welcker (die griech.
Trag. S.23) hat sie sehr ansprechend gefunden; bei beiden sind die Gründe
für diese sehr leichte Combination, die ich schon vor fünfzehn Jahren
in Böckhs Seminar vorschlug, dargelegt Hr. A. fahrt dann fort: „daß
in den Phönissen der männliche Chor gegen den Weiberchor der Phö-
nissen und deren Saitenspiel in Oktaven gesungen habe, also daß beide
Chöre zugleich vor den Augen der Zuschauer gewesen seien, wird ge-
schlossen aus dem Fragment ifjalfioitriv ävTianaGt äeiSovreg fUXtj,
Der Verf. verweist hier selbst auf Böckh de metr. Pind. VI 11 (ich
schrieb freilich: für das weitere verweise ich . . .), wo er bei nicht ganz
flüchtiger Ansicht hätte lernen können, daß dvTi(pi9'oyyov, AvTiaita"
(TTOv, ävriC^vyov die Eigentümlichkeit der Magadis und ähnlicher In-
strumente bezeichnen, auf denen, weil sie wenigstens zwei Oktaven um-
faßten, beim Anschlagen eines jeden Tones zugleich nach bekanntem
Gesetze seine Oktave ertönte'^ Ich habe jetzt leider nicht Böckhs
Pindar zur Hand und erinnere mich nicht mehr, was er näheres über
jenes bekannte Gresetz beibringt; in jener seltsamen Form wird es da
wohl nicht stehen; jedenfalls haben die Alten selbst schon besser die
Lehre von den mitklingenden Tönen {aipicpmifoi cpß-öyyoi unter andern
bei Theo Smymaeus Cap. 6 S. 80) gekannt und namentlich gewußt, daß
bei einer Besaitung von zwei Oktaven weder für jeden Ton seine Ok-
tave noch bloß die Oktave, sondern noch allerlei anderes mitklang „nach
bekannten Gesetzen'^, die ich meinem Hm. Bea also nicht weiter bemerk-
lich machen will. Aber wie soll eine Anwendung dieser Berichtigung,
die mein Hr. Kec. beibringt, auf Phrynichos Vers herauskommen? es
wäre sehr dankenswert gewesen, wenn Hr. A. dies erläutert hatte;
die ävxlanaaxa fiikr], die gesungen werden, können doch nicht die
Droysen, Kl. Sohriflen II. 9
130 Zur griechischen Tragödie
freiwillig mitklingenden Töne des Instruments sein sollen? Hr. A. fihrt
fort: y,wie Hr. Droysen zu seiner eben so neuen als sonderbaren Inter-
pretation gekommen sei, würde man gar nicht zu enträtseln wissen,
wenn nicht die Erklärung des Pindarischen ävTi(p&oyyov ipakpLÖv von
Aristoxenos bei Athen, beigeschrieben wäre: Stä rb Svo ytp&v 6fia
xal Siä nuG&v üx^iv rijv awq)Siav ävSg&v re xal naidcDV, Den
Ausdruck yivf} erklärt Böckh vom acutum und grave genus sonorum
(darauf, sagt Hr. A., geht natürlich auch die Erwähnung der Männer
und Kinder); sollte Hr. Dr., der ausdrücklich das AvTirFnaara des
Fhrynichos und das üvTirpß-oyyov des Pindar für gleichbedeutend
erklärt, bei Svo yivrj an die beiden sexus gedacht haben ?^' Das Vor-
aussetzen einer solchen Gedankenlosigkeit, wie mein Hr. Rec. die Stirn
hat hier mir unterzuschieben, ist freilich auch eine Art Urteilen, nur
nicht das eines redlichen Bec. Genau dieselbe „eben so neue wie
sonderbare Interpretation" hat auf die vorliegende Stelle 0. Müller an-
gewandt: [109] ita tU conoentu diapason reaponderent (principes Perscu)
mtUiebri caniui, qui ad pectiden Lydiam aliudve simile organon tempe-
ratus est; und Welcker nahm (S. 27) diese Erklärung an: „wie schön
die musikalische Beziehung des männlichen Chors zu dem weiblichen
durch den Vers ausgedrückt sei, zeigt Müller^^ Mich wird die Autorität
beider gegen die zudringlichen Insinuationen meines Hm. Bec. vertei-
digen. Ich bedaure, daß in seinen Bemerkungen so wenig Belehrendes
zu finden ist; es wäre bei einer so leichten Stelle interessant ge-
wesen die abweichende Erklärung des als gründlichen Sprachkenners
bewährten Herrn zu erfahren. So bleibt mir nur übrig nach wie Yor
mit Müller und Welcker dafür zu halten, daß jener Vers aus den
Phönissen, also dem Stück, dessen Chor aus phönicischen Weibern be-
stand, den Gesang von Männern gegen den oktavisch begleitenden
Klang der Saiten bezeichnet, und daß er sich eben am leichtesten durch
jene Dichorie erklärt, wie sie schon Müller annahm, und wie sie mit
der Bezeichnung singender Männer {AeiSovreg) in dem Stück, das nach
dem Weiberchor benannt ist, sich deutlichst indiziert. Endlich die letzte
Anführung „aus der Reihe von offenbaren Mißverständnissen und
falschen Schlüssen", die in meiner Vermutung über den trilogischen
Charakter der Phönissen des Phrynichos nachgewiesen werden sollten,
ist folgende: „endlich wird aus der von Glaukos bezeugten Ähnlich-
keit der Perser des Aischylos mit den Phönissen geschlossen, daß auch
in diesen zuletzt Xerxes mit dem Best des Heeres, d. h. mit einem
Chore von Persern erschienen sei. Nun findet sich aber im Verzeichnis
Phrynicheischer Stücke auch ITigacci genannt; also — ". Ich schloß
doch nicht so ohne weiteres, obschon selbst die Zusammenstellung, wie
Die Tetralogie 13 t
sie mein Hr. Bec. giebt^ die Wahrscheinlichkeit des Schlusses deutlieh
zeigt; ich sagte: wenn Aischylos Perser nach der Tragödie des Phrj«^
nichos gearbeitet sein sollen, so kann die Ähnlichkeit nur in der
wesentlichen Analogie auffallender Motive bestanden haben; es liegt in
der Natur der Sache, daß die Niederlage, von der der Eunuch berich-
tete, und um die sich die Klagen erst der Paredroi, dann der Phönissen
drehten, zur unmittelbaren Anschauung gebracht wurde ; und auch der
Schluß der Aischyleischen Perser zeigt den Xerxes nach der Nieder-
lage. Doch ich mag mich nicht weiter abschreiben; es gehört ein
Minimum von Einsicht in das Wesen dieser Art von Poesie dazu zu
erkennen, welchen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit das schließliche
Auftret.en des Xerxes mit seinen Begleitern hat Jedenfalls ist der
letzte Einwurf meines Hrn. Rec. eben nicht starker oder begründeter
als alle früheren ; durch seine Bemerkungen ist die Hypothese, die ich
darzulegen versucht habe, auch nicht im geringsten erschüttert. Ich
meine darum nicht etwa, daß sie mit mathematischer Sicherheit be-
gründet dasteht; in Sachen dieser Art wird man sich immer mit dem
Wahrscheinlichen begnügen müssen.
Ich glaubte auch noch in anderen Notizen über Phrynicheische
Gedichte leise Spuren einer ähnlichen [110] trilogischen Compositions^
weise zu erkennen. Hr. A. wendet sich gegen das über die Ägypter und
Danaiden bemerkte; und da bot ich ihm allerdings eine Blöße, wenn
ich schrieb: „Hesychius hat folgende Notiz v. Iccivsrccr /oÄovTat im^
xQccivsrar Ticcgä rdv löv. (pQvvixog Alyvmioiq. Daß dies iiaQu
rriv 7eb heißen muß, ist klar'^ Ich glaubte also in den Ägyptiem eine
Erwähnung der lo aufeuspüren und fand darin eine Ähnlichkeit mit
den analogen Beziehungen in den Schutzflehenden des Aischylos. Mein
Hr. Bec. bemerkt dagegen folgendes: „Bef. vermutet, daß die Emendation
nagä ri]v 'Id) nach einem ihm unbekannten Sprachgebrauch so viel
bedeuten soll, als n€Ql rfjg lovg; indes auch die Möglichkeit dieses
Sinnes und die Richtigkeit der Änderung angenommen, dürfte der
Schluß von der Erwähnung der lo in den Ägyptiem auf die Identität
mit den Danaiden wohl ein sehr kühner genannt werden; außerdem
ist zu erinnern, daß Alyvnnoi nicht Ägyptossöhne heißen kann, es
müßte denn Aischylos einmal dem böotischen Dialekt gefolgt sein.
Aber, was das schlimmste ist, der Verf. hat gänzlich übersehen,
daß bei Hesychius schon längst mit dei unzweifelhaftesten Evidenz
nagä xbv löv geschrieben ist^ d. h. laivtxm in der Bedeutung zürnt
kommt von I6q Gift her, ebenso wie Hesychius Ita^aig durch d^w&eig
erklärt wird. Außerdem ist das sinnlose knixQaivBrai, an dem Hr. Dr.
keinen Anstoß nahm, in nixoaivBxai korrigiert, richtiger wohl noch
9*
132 Zur griechischen Tragödie
kxitix^aivBTcci^K Ich hatte den Albertischen Hesjchius vor mir und
hätte da sehr füglich das mxQcciverai aus der Note entnehmen können,
wenn ich nicht eben die Notiz wie sie im Text stand hätte wiedergeben
wollen; daß ich an dem inix^aivtrai keinen Anstoß nahm, ist eine
Vorranssetznng meines Hm. Rea, deren Absicht sich meiner Competenz
entzieht. Ebenda in der Note habe ich gar wohl die Emendation
nuQa Tov I6v gelesen, die mein Hr. Rec. so gütig ist sehr populär
zu erläutern, sie muß mir wohl eben nicht gefallen haben; jedenfalls^
wenn es das schlimniste ist, dergleichen schon Gemachtes zu über-
sehen, so sind die möglichen Versündigungen auf philologischem Gebiet
nicht allzu schwer. Es ist sehr nachsichtig von meinem Hrn. Bec., daß
er mir die Möglichkeit eines so unerhörten Sprachgebrauches, daß nagä
rriv statt %bqI rfiq stehen könne, zugeben will. Aber ich rechnete nicht
darauf, daß man das, was ich sagte, anders verstände als wie es heißen
kann, und ich durfte erwarten mit wohlgemeinten Sprachfehlem nicht
behelUgt zu werden. Bekannt genug ist es ja, wie die Tragödie mit
Etymologien spielt; wenn Odysseus in einem Sophokleischen Verse seinen
Namen erklären kann mit den Worten noXXol yuQ (bSmccvzo Svarr^ßeTg
ifwi, wenn Eassandra sagen darf ÜAtioIXov, &n6Xkmv kfiög, änc&l^aaq
fäg X T A., so war es am Ende nicht zu dreist, Phrynichos das Wort
iaivBTcci von 'M ableiten zu lassen, und der Lexikograph hatte sich
mit naQa rr^v leb (oder napä t6 7A was noch leichter gewesen wäre)
völlig korrekt ausgedrückt, so wie es beispielshalber im Etym. M. heißt:
xai C^v^^iv t6 TiQäyfia nagä t6 Ztvq- avrög yaQ nQ&zog ü^tv^ep
[111] iffiiövovg inl anoQ^ xagn&ff, Worte, die mit der leichten Ver-
änderung ^ifiiovov und einer kleinen Umstellung im Anfang trimetrisch,
ihren ungefähren Ursprung verraten. Aber ich habe eine Blöße gegeben,
wenn ich von jener Emendation sagte, sie sei klar; höchstens ist sie
möglich zu nennen. Der Übergang aus der nächsten Bedeutung des
IcchcQ zu der des Entflammens ist leicht genug, daß man eben nicht
nötig hat an die speziellere Ableitung von log zu denken, und die
beiden Notizen des Hesychius in iw&sig und i<6&f] zeigen, daß diese
Bedeutung des Entflammens nicht eine so völlig vereinzelte nur in den
Ägyptiern war; da konnte es mir wohl beikommen an eine andere
Emendation zu denken; und gerade in der von mir angeführten Stelle
des Aischylos, welche dieselbe Situation der lo, an welche ich für dies
Bruchstück der Ägyptier dachte, bezeichnet, heißt es: xai (pQBvonktjyeig
fiaviai &ceXnov<T\ Aber allerdings das von mir vermutete ist zu dreist,
als daß ich darauf und darauf allein den Schluß hätte bauen können,
daß in den Ägyptiern des Phrynichos die Geschichte der von lo stam-
menden Danaiden behandelt gewesen wäre. Aber gehörten nicht auch
Die Tetmlogie 188
Aischylos Ägyptier in die Trilogie der Danaiden? Das ist wahrlich
ein sehr bedeutender Fingerzeig. Oder wird mein Hr. Reo. für Phry-
nichos Ägyptier den Busiris vorziehen? oder jivratoq ^ Aißveg in
eine unerwartet neue Combination stellen? oder irgend eine Helena
mit einem Chor von Ägyptiem umgeben? oder was sonst? denn zu
sagen, das kann man nicht wissen, ist eine Art Vorsicht, die nur den
Unkundigen imponiert; den Kreis des Möglichen kann man in diesem
Fall ziemlich vollständig bezeichnen. Übrigens fand auch Welcker
(S. 27) die Zusammenhörigkeit der Danaiden und Ägyptier des Phryni-
chos wahrscheinlich. Was endlich die Äußerung ^jAlyintioi heiße
nicht Ägyptossöhne'^ anbetrifft, so hätte ich wohl gewünscht, Hr. A.
hätte es der Mühe wert gehalten, diese von ihm zuerst ausgesprochene
Bedenklichkeit weiter zu verfolgen, und namentlich auszuführen, wo-
nach er sich das Aischyleische Stück Myvnrioi genannt denkt Frei-
lich er kann sagen, sowohl G. Hermann wie Welcker, samt allen denen
die nach beiden die Aischyleische Trilogie anerkannt haben, irren
wenn sie annehmen, daß die Alyvnnoi dahinein gehören, nur wolle
er dann gefalligst hinzufügen, was sonst unter diesem Titel für ein
Mythos behandelt worden, der freilich kein Satyrspiel sein dürfte, und
wie die Lücke in der Trilogie der Danaiden auszufüllen, welche dann
entsteht, wenn man die Tragödie von den in den Schutzflehenden so
oft genannten Alyvnxov ncclStq nicht mit jenen Alyvnnoi identifi-
zieren soll. Oder ist etwa diese Tragödie doch hierher gehörig aber
nach einem Chor von Ägyptiem, den Begleitern der Ägyptossöhne,
genannt? Dann hätte ich im wesentlichen doch recht, und das selt-
same wäre nur, daß Aischylos das Stück, in dem die Ägyptossöhne
die Hauptrolle spielten, nicht nach ihnen, sondern nach dem Chor
ihrer Begleiter genannt hätte, dessen Existenz wahrlich noch viel [112]
zweifelhafter ist, als daß Aischylos einmal sich böotisch ausgedrückt
hätte; — wenn es überhaupt böotisch und nicht herkömmlich ist
So weit der Nachweis „offenbarer Mißverständnisse und falscher
Schlüsse", mit denen Hr. A. einen Teil meines Aufeatzes hat behelligen
wollen; was er sonst noch geäußert hat, lasse ich gern unangerührt,
da es ohne Beziehung auf die Sache ist, die ich hier zu besprechen
habe. Ich kann nach diesem unangenehmen Seitenwege zu meiner
Hauptfrage zurückkehren.
Aus kleinem Anfang her erwuchs die Tragödie, die Tochter des
Dithyrambus. Also die Lyrik war ihr Ausgangspunkt; sie machte sich
in den nächsten Entwickelungsstufen noch überwiegend geltend; wie
die Tragödie des Phrynichos, der Aischylos in den Persem (nicht in
der Trilogie der Perser) folgte, mit dem Bericht von der Niederlage der
134 Zur griechischen Tragödie
Perser begann, so konnte im weiteren Verlauf des Gedichtes von einer
pramatischen Entwickelung und Spannung nicht mehr die Rede sein.
Ich bezeichnete Phrynichos Poesie daher mit dem Namen dramatisierte
Lyrik; erst Aischylos schuf die Handlung im Drama. Ich machte
wahrscheinlich, daß in eben jener Tragödie des Phrynichos drei Chöre
nach und zu einander auftraten, und wenigstens die besprochenen Gegen-
bemerkungen haben diese Wahrscheinlichkeit nicht verändert Es wird
somit noch immer gelten dürfen, was ich vermutete, daß die Anbah-
nungen zu der bei Aischylos vollendet erscheinenden Compositionsweise,
die doch irgendwo zwischen den ersten Anfängen und Aischylos gesucht
werden müssen, sich eben in jener als wahrscheinlich erkannten Weise
des Phrynichos erkennen lassen. Sachlich war die Trilogie damit vor-
handen; ob der Name zugleich in Übung kam, bleibe dahingestellt
Über das Hineinziehen des Satyrspiels ist bereits gesprochen. So wie
das geschah, hatte man die Tetralogie. Wann die gewiß nicht ursprüng-
liche Vierteiligkeit der tragischen Didaskalie für die großen Dionysien
als wesentliche Festordnung fixiert worden, ist nicht zu bestimmen; bis
in die Demosthenische Zeit blieb sie nachweislich.
Sind diese Beobachtungen richtig, so war wenigstens die Trilogie
von Anfang her auf das bestimmteste ein Complex innerlich verbun-
dener Dramen, war ein Gedicht Das Satyrspiel, wo der Dichter der
Tragödie ein solches beizufügen hatte (also gewiß bei den großen Dio-
nysien), war zunächst wohl schwerlich in innerem Zusammenhang mit
der Tragödie; sie mochte sich zu drei Auftritten, zur Trilogie entwickelt
haben, als noch das Spiel der Satyren fremd neben ihr stand, nur didas-
kalisch mit ihr in Beziehung. Gewiß ist es, daß Aischylos es zur Fort-
führung des in den drei Tragödien behandelten Stoffes zu benutzen
verstand. Sobald es gestattet wurde an vierter Stelle statt des Satyr-
chors einen tragischen vorzuführen, war die tetralogische Gestaltung
der Didaskalie desto leichter.
[113] Die alten Gelehrten oder wenigstens unsere dürftigen Notizen
aus denselben stellen sich offenbar die Übergänge in der Entwickelung
der tragischen Kunst zu schroff und zu äußerlich vor. Sie stimmen
keineswegs miteinander stets überein. Die einen nannten die Oresteia
eine Tetralogie; lose genug ist der sachliche Zusammenhang des Proteus
mit den drei Tragödien; noch loser der Zusammenhang des Satyrspiels
Prometheus mit der Persertrilogie, ja in stofflicher Beziehung wird er
ganz gefehlt haben; und doch mußte das ganze eine Tetralogie sein,
wenn erst Sophokles die Tetralogie auflöste; — noch mehr, die drei
Tragödien derselben Trilogie der Perser zeigen einen rein idealen Zu-
sammenhang in ganz ähnlicher W^eise durch die Weissagungen getragen,
Die Tetralogie 135
wie in der Enripideischen Trilogie der Troaden die Weissagungen der
Kassandra {xccxdv fiiv Tgtoal^ nfj^ S' 'EkXaSi?) und der gottgesandte
Traum der Hekabe, Sakod ntxQÖv fjiifirjfia (Troad. V. 931 [922 K.]). Man
sieht schon, jene Notiz des Suidas enthält eine viel zu schroffe Angabe;
weder Drama gegen Drama hat Sophokles gekämpft, denn die Richter
urteilten nach wie vor über die Gesamtheit der vier Stücke eines Dich-
ters, — noch hat er streng genommen die Tetralogie aufgelöst, denn
schon bei Aischylos beginnt diese Auflösung deutlich genug, und zwar
in einer Tetralogie, die vor dem Anfangen des Sophokles gemacht ist.
Daß Sophokles die Trennung des Satyrspiels von den Tragödien,
der Tragödien von einander noch weiter führte, wird allerdings wahr-
scheinlich sein; doch glaube ich nach dem bisherigen der Notiz des
Suidas keinesweges eine so große kunstgeschichtliche Bedeutung ein-
räumen zu können, wie bisher geschehen ist. Mehr noch nach dem
allgemeinen Gang der Entwicklung der tragischen Kunst und nach dem
in sich abgerundeten und abgeschlossenen Charakter Sophokleischer
Dramen (nur der Aias macht eine Ausnahme) als auf die Autorität
jener Notiz des Suidas wird man Trennung der Dramen in Sopho-
kleischen Didaskalien anzunehmen haben. Freilich hier steht die For-
schung an einer Grenze, die sie nicht zu überschreiten wagen darf;
ohne Auffindung Sophokleischer Didaskalien wird es unmöglich sein,
zu entscheiden, ob zwischen den zusammen aufgeführten Dramen doch
noch ein Zusammenhang, wenigstens irgend ein idealer blieb. Wenn
ich (Kieler Studien S. 62 [oben S. 93]) geäußert habe, daß ich nach der
[114] hohen Vollendung der Sophokleischen Kunst dies glaubte, aber
freilich nichts weiter als den guten Glauben dafür anzuführen hätte, so
ist wenigstens die entgegengesetzte Ansicht, welche jede innere Beziehung
der zusammen aufgeführten und demselben Gesamturteil der Richter
vorgelegten Dramen verwirft, eben so weit entfernt durch genügende
äußere Zeugnisse gestüzt zu sein; der Beweis, daß derartige Beziehungen,
die künstlerisch betrachtet ungleich näher liegen als das Gegenteil, in
den Sophokleischen Aufführungen gefehlt hätten, ist eben so wenig zu
fahren als der, daß sie vorhanden waren. Da hat sich die Forschung
zu bescheiden. Für ein völliges Verkennen der Aufgaben wie der
Mittel philologischer Forschung muß ich es halten, wenn man mit wie
glänzendem Aufwand von Scharfsinn und dichtenscher Begabung auch
immer den Versuch hat wagen zu können geglaubt, aus gewissen Zeit-
anlässen her die Motive, die Gedankencomplexe zu entnehmen, um nach
ihnen Sophokleische Trilogien zusammenzustellen, oder gar gegen die
ausdrückliche Überlieferung die drei Thebäischen Dramen zu einer
Didaskalie zusammenzubringen.
136 ^ur griechischen Tragödie
Doch Ton Sophokles, Ton Enripides ziehe ich vor nicht weiter
zu sprechen; es kam mir nur darauf an, die Bedeutung des Wortes
Tetralogie womöglich fester zu bestimmen und namentlich gegen die
Erklärung Böckhs zu sichern. Zur völligen Evidenz ist allerdings die
Sache nicht gebracht, da die ganze Auseinandersetzung eben doch nur
auf die in aller Grenauigkeit genommene Angabe über die lenäische
Auffuhrung des Agathen und auf die Hypothese von der liturgisch
geregelten Festordnung der großen Dionysien gebaut ist
Allerdings sind die Resultate zum Teil auffallender Art, aber ich
denke sie sind in consequenter Durchführung jener beiden Ausgangs-
punkte gewonnen. Man wird keine Instanz gegen das Ergebnis darin
finden wollen, daß es das Aufgeben mancher Annahmen und Vorurteile
nötig macht^ an die man sich gewöhnt hat. Namentlich für die Fest-
feier der Lenäen dürften sich nicht geringe Modificationen ei^ben.
Ich will diese für jetzt nicht weiter ausführen; ich begnüge mich an-
zuführen, daß wenn man aus der Inschrift Corp. Inscr. Ör. Nr. 213 [C. I.
A. II 553] einen Schluß machen darf, die Lenäen keineswegs wie die
großen Dionysieu als ein Fest der zehn Phylen anzusehen sind, so wenig
wie die Dionysien im Peiraieus und die sonstigen ländlichen Dionysien,
ein Umstand, der den Gebrauch kleinerer Aufführungen in [115] den
Lenäen anzunehmen, nicht wenig empfehlen würde.
Nachschriftlicherweise will ich noch zweierlei besprechen, einmal
die Didaskalie der Euripideischen Troaden, sodann eine didaskalische
Inschrift.
Wir fanden nur ein ausdrückliches Beispiel für eine dramatische
Auffuhrung in den großen Dionysien, und diese war eine vierteilige.
Doch, denke ich, läßt sich noch ein zweites eben so sicheres nachweisen.
In der Lysianischen Rede änoXoyia äfOQoSoxiccq sagt der Sprecher,
xarcctTTag Si xoQvyog xQccywSoig (im dritten Monat vor den Thargelien,
also in den großen Dionysien unter dem Archon Theopomp 410) habe
er 30 Minen aufgewendet; wenn derselbe dann angiebt, daß er später
XG}fjL(pSotQ xoQvy^'^ siegte und avv rfj rijg tJXBvfig AvctO-kau 16 Mineo
aufgewendet habe, so muß man sich erinnern, daß der komische Chor
halb so stark als der tragische war, und daß die Vorübung für die
Tragödie wohl längere Mühe nötig machte, so daß die komische Choregie
mit Einschluß der dväi^errtg nicht viel über die Hälfte der tragischen
Choregie kosten konnte, wenn nämlich diese nicht eine Tragödie son-
dern vier Dramen umfaßte.
Die Tetralogie 137
Ich meine ein drittes Beispiel wird die Didaskalie der Troaden
geben. Scholl (Beitrage I S. 69) hat sie den Dionysien im Feiraieus im
Herbst 415 zugewiesen und eine Reihe der feinsten Beobachtungen über
die politischen Beziehungen in dieser Didaskalie daran geknüpft Bei
näherer Untersuchung finde ich seine Darstellung nicht mehr haltbar.
Wir finden drei Angaben über die Zeit ihrer Auffuhrung. Der
Palamedes, das zweite Stück der Didaskalie, ist nach den Schollen zu
Arist Aves 843 nicht viel vor den Vögeln (Dionysien 414) aufgeführt.
Der Scholiast zu Arist. Vesp. 1317 giebt an: vittbqsT rj rßv TQ&kdämv
xä&aai^ H$aiv inrä, also sieben Jahre nach den Wespen, welche den
Lenäen OL 89 2 zugehören. Der gelehrten Quelle des Scholiasten lagen
natürlich Didaskalien nach Olympiaden und Archonten geordnet vor;
rechnete er wie wahrscheinlich das Jahr der Wespen als das erste, so
waren Ol. 90 4 die sieben Jahre vollendet, und die Troaden gehören in
Ol. 91 1 (416/5). Dies scheint sich durch die Angabe Älians V. H. II 8
zu bestätigen, der die Zeit der Aufführung so bezeichnet: xarä Ttjv
nQ(x)ri}v xal kPBvrjxoarijv VkvfjLitidSeCy xcc&' i]v ivixa 'E^aiverog 6 !AxQa-
yccvrivoq arüSioVj d. h. Ol. 91, und, wie schon Böckh bemerklich gemacht
hat, ist mit dieser Art der Bezeichnung, wie gewöhnlich, so aller Wahr-
scheinlichkeit nach auch hier eben das erste Jahr der Olympiade be-
zeichnet; eine Annahme, die sich durch die Angabe des Scholiasten
zu den Wespen nicht wenig empfiehlt. Danach wird ohne sehr starke
Gegengründe die Didaskalie der Troaden nicht über Ol. 91 1, d. h. über
die erste Hälfte von 415 hinabzurücken sein. Nicht minder bedenk-
lich scheint es, die Aufführung dieser vier neuen Dramen den länd-
lichen Dionysien im Spätherbst, wenn auch denen des Feiraieus zuzu-
weisen. Scholl verweist auf Allan V. H. II 13. Dort heißt es: ö <Ji
2wxQdrriq aitdviov jwiv[116] knatpoira rotg ^edtpotg, eY nore Si Evqi-
niSrjg 6 rijg TQuy^Siaq noiririjg ijywvi^ero xaivoig rgayq)SoiQ, t6tb
ye drpixvtiro' xal ÜBiQaioi Sh äycovi^ofiivov xal ixei xcerfjBi, Mxatpe
yaQ T(p dvSgi x r X, Der Sinn dieser Stelle kann endlich doch wohl
nur sein, daß Sokrates nicht bloß zu den neuen Tragödien (in den
Dionysien und Lenäen), sondern auch zu denen im Feiraieus, d. h. also
wo nicht neue Tragödien aufgeführt wurden, ging. Und eine andere
Stelle, welche die Aufführung neuer Tragödien im Feiraieus bezeich-
nete, ist nicht nachzuweisen; wenigstens, daß man dort jene großen
vierteiligen .Auffuhrungen gemacht hal?en sollte, die jedem der Con-
currierenden ein halbes Talent kosten konnten, abgesehen von den
Kosten, die der Gemeinde für Schauspieler u. s. w. daraus erwuchsen,
und die für die großen Dionysien der Gesamtstaat trug, ist nicht sehr
wahrscheinlich. Aber zwingen die von Scholl bezeichneten politischen
138 Zur griechischen Tragödie
Beziehungen vielleicht, gegen diese genauere Erklärung der chrono-
logischen Angaben und trotz dieser Wahrscheinlichkeit die Didaskalie
in den Herbst 415 zu setzen? Sie sind teils allgemeiner, teils sp^
zieller Art. Vor allem bezeichnend ist der Chorgesang der gefangenen .
Troerinnen (Y. 197 ff.), in dem sie wünschen: sie möchten gen Athen
in Dienstbarkeit kommen — nur nicht zum Eurotas — oder gen Thes-
salien, oder gen Sicilien {xal räv ^irvaiav x^Q^'^ • • • &xov(d xaQva-
(TBa&cci (TTB(pdvoig äQSTßg) oder nach dem Lande des schönfärbenden
Krathis (Thurioi). Aber diese Wendungen haben ihre hinreichende
Beziehung auch wenn die Expedition noch nicht begonnen, sondern
erst projektiert war; und den Winter 416/5, sagt Thukydides, machten
sie dies Projekt, schickten sie Gesandte nach Sicilien (VI 1 und 7);
namentlich jene ari(favoi ägstäq bezieht Scholl (S. 71) auf den Sieg
der Athener unter Nikias; aber ich zweifle, daß der Ausdruck sich
auf etwas anderes als auf xrjQvyficcTcc über Siege sicilischer Männer
etwa in den olympischen Spielen u. s. w. beziehen kann. Zwei andere
Stellen (Y. 95 und 400) können, wenn sie einer Beziehung bedürfen,
auch im Frühling 415 hinreichende Deutung finden. Anderes darf
ich als noch weniger entscheidend übergehen. Die allgemeinen Be-
ziehungen, welche in der gesamten Disposition der Didaskalie und ihrer
steten Gegenbildlichkeit zu den wirklichen Verhältnissen gefunden
worden, sind natürlich gar sehr von subjektiver Auffassung abhängig;
für die Troaden wenigstens würde das Schicksal von Melos, das sich
in ihnen so eindringlich spiegelt, hinreichende Analogie darzubieten
scheinen. Noch eine andere Betrachtung darf hier eine Stelle finden.
Man weiß, mit welcher Heftigkeit gerade im Zusammenhang mit den
Hermokopidenprozessen gegen Religionsfrevel und Atheismus verfahren
wurde; Scholl bewundert den energischen Freimut des Euripides, wenn
er trotzdem in stärkster Weise die Troaden mit eben solchen Ansichten
und Wendungen schmückt^ wie deren eben dem Diagoras, dem Prota-
goras die höchste Gefahr gebracht haben. Man sieht, wie viel leichter
sich eben dies Argument gegen die Aufführung unmittelbar nach jenen
Prozessen wenden läßt
[117] Hiemach glaube ich, daß man dem genauen Verständnis
der chronologischen Angaben gemäß diese Didaskalie in Ol. 91 1 wird
setzen müssen. Dürfben wir schon als erwiesen annehmen, daß in den
Lenäen keine vierteiligen Didaskalien aufgeführt worden, so wäre diese
ohne weiteres den großen Dionysien 415 zuzuweisen. Daß die Ver-
knechtung von Melos und die furchtbaren Schicksale der unglücklichen
Melier in den Troaden dem Dichter vorgeschwebt, dürfte kaum zu
bezweifeln sein; Melos aber fiel während des Winters. Sollte Euripides,
Die Tetralogie 139
der langsam arbeitete, schon zu den Lenäen seine Tragödie fertig ge-
habt haben, die nach einigen schon in den Dezember, spätestens in
den Januar und Anfang Februar fallen? Wir gewinnen, meine ich,
^ hier die größte Wahrscheinlicheit, daß diese Didaskalie in den großen
Dionysien aufgeführt ist — , also ein drittes Beispiel einer vierteiligen
Didaskalie in den großen Dionysien.
Nun zu der didaskalischen Inschrift, die Corp. Inscr. Grr. Nr. 231
[C. I. A. n 972 besser nach Le Bas] mitgeteilt ist. Sie zeigt zwei
Kolumnen; in der links sind Aufführungen von Komikern, in der andern
viel verstümmeiteren tragische Aufführungen verzeichnet. Daß es nicht
Aufführungen verschiedener dionysischer Feste sind, ergiebt sich mit
Sicherheit aus dem Umstände, daß in dieser nach den Archonten fort-
schreitenden Aufzahlung keine unterscheidende Bezeichnung verschiedener
Feste angemerkt ist. Ich schreibe die linke Seite, wie sie von Böckh er-
gänzt ist, auf; die rechte bleibe zunächst, wie sie in der Fourmontschen
Abschrift ist:
T€ ] fFTlÖl ElP
vnB. !Aqi(7töijl]ccxoq YTTE
!AvTi(pavif\q nifx. '^varrw^olfAevoii^] YTTO
vTie, 'AvT^Kfüvi]^, ETTI
5 . . . cüvvfj^og ivixa, APA 5
inl Ji]ortfjiov J^ifivXoq \nQ& . . . YTTE
(Ticc^ vne, !A()i(7TÖfAaxog HPA
JiöSojQog Ssv. N^xQa 6HZH
V71B. LjQifTTÖfAazog lYTTO
10 Aiodmoog T(ji\ Maivofievfp ETTIAPXH 10
i^ne, Ki](pifFioq TYPOI
r/i? T6. noriTBi YÜEiAYIlKPAT
m.% ,.,,..'] 7/^ KAAAIITPATOI
AM0IAOXQIIHIO
YnE:KAAAinn 15
OiKAAAirni
NTI
Die Breite der linken Kolumne läßt sich genau taxieren, da von
Z. 7 ihre Anfänge unverletzt sind; die rechte Columne kann nicht
wohl viel breiter gewesen sein, mochte neben ihr eine dritte stehen
oder nicht. In ihr föngt Z. 7 ein neues Archontenjahr an, und zwar,
wie Böckh bereits vermutet, wird es heißen müssen ^nl !Aqx(ov d. h.
Ol. 108 3, wenn man sich nämlich durch den Archon Diotimos in der
linken Kolumne einigermaßen darf leiten lassen; sonst würde man
hnl IdQX^'^'^ov zu lesen genötigt sein und damit bis Ol. 114 4
140 Zur griechischen Tragödie
hmabgehen; denn gar über das Jahr des Eukleides hinatifzüsteigen,
zu Ol. 90 2, scheint doch zu widersinnig. Der nächste Anknüpfangs-
pnnkt zu [118] weiterem Verständnis ist Zeile 14 IdfA^iMxq^, l^io[vt.
Böckh sagt: haee dtio nomina docent teircUogiain hoc loco nominatcmi esse.
Also noch zwei Namen von Stücken mußten zu diesen hinzukommen^
es mußte wie man aus dem öfteren YTTE in beiden Kolumnen sieht,
der Name des Schauspielers folgen, und wie sich von selbst versteht j
der Name des Dichters oder Chormeisters vorhergehen. Zeile 12 zeigt. I
mit dem inexpivero Avffixgat . . ., daß dort die Angaben über einen
Dichter mit seinen Stücken und seinem Schauspieler zu Ende waren,
mit dem KuXkifrrQccxoq der folgenden Zeile haben wir den Namen j
eines andern Dichters, hinter diesem mußte, da sichtlich in diesem
Jahre des Archias mehr als ein Dichter auftrat, eine Zahlenbezeichnung
etwa TPI: folgen; da in der linken Kolumne die breiteste Zeile etwa
28 bis 30 Buchstaben umfaßt, KAAAIITPATOI: TPI: da aber bereits
17 Stellen verbraucht, so war in dieser Zeile nur noch für den
Namen eines Dramas Raum, und das vierte Drama stand in der
folgenden Zeile hinter IZIO[«^i, und zwar, wenn es ein Satyrspiel war,
wahrscheinlich ohne die volle Bezeichnung ZATYPOII. Dies fuge ich
hinzu, weil Böckh Zeile 11 so gut wie TvqoI auch 2a\TVQoi[(; für
möglich hält. Dies wird nicht möglich sein, wenn man den Baum
beachtet. Denn Zeile 10 lYTTO mit ihm als Erwähnung des Schau-
spielers zu verstehen und zu emendieren, ist unmöglich; es würde nach
diesem YTTE: der Name des Schauspielers, dann der Name des folgen-
den Chormeisters, seine Zahl AEY:, die Namen seiner vier Dramen
folgen und das alles in zwei Zeilen, was unmöglich. Vielmehr ist mit
viel leichterer Verbesserung jenes lYTTO als Evn6\}^pioq zu lesen und
als Name des in der Reihe dieses Jahres zweiten Dichters oder Chor-
meisters zu verstehen, also EvnöllBnoq.'SBvr^ danach könnte in dieser
Zeile noch der Name von einem, höchstens von zweien Dramen folgen.
Die nächste Zeile begann mit dem zweiten, allenfalls mit dem dritten
Drama, also nicht mit ^a\TVQOi\ßj sondern mit TvQot, und es folgten
noch resp. ein oder zwei Titel von Stücken, die Eupolemos aufgeführt.
Ob sein Schauspieler Av(TixoaTi]g oder AvmxQaTtSrjg geheißen, bleibt
unentschieden. Eine ähnliche Betrachtung macht es wahrscheinlich,
daß Zeile 9 0Tj<Tei an vierter Stelle steht, denn in dieselbe Zeile müßte
noch kommen [vne: 6 Silva]. Ob es ein Satyrspiel war? wer ein Freund
von dreisten Hypothesen ist, kann sich erinnnem, daß Theodektes, der
ja in dieser Zeit dichtete, ein Stück schrieb, in dem ein äygoixdq
ävriQ den Namen des Theseus nach der Gestalt der Buchstaben be-
schrieb u. s. w.
Die Tetialogie 141
Ungleich schwieriger als das bisherige ist Anfang und Schluß
dieser Inschrift. Böckh findet, daß mit dem ETTI in Zeile 4 eine Ar-
chen tenbezeichnung beginnt; der danebenstehende Strich (Anfang von
Af A u. s. w.) wird leicht fehlerhaft sein können, so daß man nicht
gerade nötig hat, auf denjenigen unter den Archonten vor Archias
zurückzugehen, der mit solchem Strich anfangen könnte (also Ol. 107 1
Ä^ristodemos), sondern da gewiß jedes Jahr gefeiert wurde, dreist inl
[0Bfit<TTOxUovg schreiben könnte. [119] Dann wären für die Auf-
führungen des Festes von 346 nur die drei Zeilen 4, 5, 6, von denen
die erste zum guten Teil durch den Archonten, die zweite nicht minder
durch M'fi^lßififfovi, was Böckh wahrscheinlich findet, weggenommen,
die dritte für den Schauspieler allein wäre; dann wäre in diesem Jahre
gar keine Concurrenz gewesen (es war das Frühjahr, in dem der Friede
des Philokrates beschworen wurde); es könnte das dann eine tragische
Aufführung in der Art gewesen sein, wie ein paar Inschriften sie mit
dem 6 Sijfiog kzo(j7'jyBi bezeichnen; doch nein, auch da ist Concurrenz,
wie man aus den in jenen Inschriften bezeichneten Siegen sieht; der
Demos leistete zu seinem Vergnügen gern die Kosten von mehr als
einer Choregie. Allerdings sagt Demosthenes in der Midiana, daß sich
in seiner Phyle schon im dritten Jahr kein Choreg gefunden habe, und
die bekannten Klagen des Demosthenes, daß die öffentlichen Gelder auf
Theater und Feste statt auf den Krieg verwendet würden (ähnliches
hat Justin. YI 9 wohl aus Theopomp), könnte man als Zeichen für den
sinkenden Wetteifer mit heranziehen. Aber eben so kann man geltend
machen, daß wenn der Dsmos so viel für sein Vergnügen that, er sich
gewiß nicht mit einer so aruiseligen Aufführung begnügt haben werde,
wie die Böckhsche Erklärung der Didaskalie bezeichnet. In der That
bringt die Annahme jener Ergänzung des ETTI so seltsame Folgerungen
und ist in so starkem Contrast mit der lebhaften Concurrenz des fol-
genden Jahres, daß man jede andere Möglichkeit der Erklärung wird
vorziehen müssen. Da bietet sich vielerlei: 'Lmvavaifiäxfjf 'Eniyovoi,
inxä in) 0/jßaig u. s. w. Die einzige Schwierigkeit, die es hat, von
Böckhs Vermutung abzuweichen, ist die, daß man vor dem neuen
Archen in Zeile 7, also am Schlüsse der Aufführungen aus dem vorigen
Jahr, die Bezeichnung 6 Seivcc kvixa erwarten muß, und diese Bezeich-
nung in der linken Kolumne eine eigene Zeile bildet. Aber ich denke
nicht, daß diese Schwierigkeit unüberwindlich ist; hatt^ der Schauspieler
einen kurzen Namen, etwa wie IIcDkog, und der Sieger nicht einen un-
gewöhnlich langen, kürzte man das kvixa vielleicht noch ab, so gut
wie das vtib:, so könnt« man füglich das alles in eine Zeile bringen:
vTte. n&kog, !A(fao%vq hvixa oder dergleichen.
142 ' Zur griechiBchen Tragödie
Nach dieser Annahme lassen sich nun für die ersten Zeilenan-
fange folgende Beobachtungen machen. Zeile 1 mag mit dem ElP
einen UeiQi&oog bezeichnen; daß dies wohl das dritte Drama eines
Dichters war, sieht man daraus, daß die folgende Zeile den ihm zuge-
hörigen Schauspieler nannte. Mit der dritten Zeile begann ein neuer
Dichter oder Chormeister mit seinen Stücken; nur 'YnolßoXifuciog wird
er nicht geheißen haben; daß ein Buchstabe des Namens in der vorigen
Zeile gestanden habe (etwa Eimökafiog) ist nach der Art dieser Inschrift
nicht anzunehmen; eher könnte das YTTO um eine Stelle zu weit ein-
gerückt sein, wie für das n^iQi&ooq der ersten Zeile anzunehmen war;
doch scheint es leichter [120] das 0 für falsch abgeschrieben zu halten,
dann wäre der Name wohl 'YnBQBiSrjg oder ähnlich, obschon Namen
mit Tn beginnend höchst selten sind. BUernach mußte folgen, als der
wievielte dieser in der Reihe der Concurrierenden auftrat, etwa TPI:
oder eine andere Zahl. Noch haben wir nicht mehr als etwa 1 3 Buch-
staben für diese Zeile; es könnte noch wohl der Name eines Stückes
in dieser gestanden haben ; dann wäre das ETTI ... in der folgenden
Zeile der Namensanfang für die zweite Tragödie; aber inivccvaifuixy
nicht, noch weniger imyövoig würde die Zeile füllen; es müßte in
derselben noch der Name des dritten Stückes gestanden haben, und
!Aycx[fdfjLvovi würde an vierter Stelle stehen. Aber weder dieser noch
ein anderer gleich anfangender Name dürfte hinreichen die Zeile zu
füllen, wenn nicht ein längeres Beiwort etwa dabei stand; es ist wohl
wahrscheinlicher, daß !Aya{ßifivovi, !Aycc[vr} oder wie sonst die Ergän-
zung versucht wird, das dritte Stück war, und dann ist das ETTI wahr-
scheinlicher auf OlSinoSi] hnl [KoXwv^ oder dergleichen zu deuten,
so daß der Anfang dieses Titels der ersten Tragödie noch in Zeile 4
stand.
Soviel von den ersten Zeilen. Völlig unklar sind mir die zwei
letzten. Der Name KaXkinniSriq tritt da deutlich genug hervor; aber
war er Sieger? folgte er als vierter Concurrent mit einer neuen Reihe
von Dramen? Ich würde unbedenklich letzteres bejahen, wenn nicht
das 0: ihm vorherginge, wofür ich weder eine Deutung noch eine be-
friedigende Verbesserung vorzuschlagen weiß, darum lasse ich das NTI,
für das sich leicht mehr als ein Tragödienname darbietet.
[121] Es dürfte hiemach diese tragische Kolumne der Inschrift
sich etwa folgendermaßen ergänzen lassen,
ir]uQ[i&6(py •
V7t^\\ d Suva.
'Ynh\fiBi5f}g rgli^) OlSinoäi (jf)
krti [Kola)Vfp (?), ,
Die Tetralogie 143
Ldyc^ßifjivovi (?), .....,..•
vm[i 6 äeiva : 6 Silva kvixa
'Eni !Aqxi\pv 6 Suva ngcj:
'HQa[xkBi , , ,
017^76/ [: imB : 6 äeiva,
Eif7tö[XBfAog Sei : ,
TvQoi{j , •
KaXkifTrQUToq [rp/: ,
!AfjL(pMx(Pf *I^io[vt, •
ins : KakXinni[Sfjg,
?:Kakli7ii[Svg t«:(?) Jlla (?)
VTl
Hiernach hätten wir also ans den Jahren 346 nnd 345 folgende vier-
teilige Anffuhrungen
von 1
2
3. Peirühoos
4
Schauspieler
von Hypereiies 1. Oidipus auf Eolonos
2
3. il^amemnon
4
Schauspieler
von 1. Herakles
2
3
4. Theseus
Schauspieler
von .E^olemos 1
2. 7^0
3
4
Schauspieler LysikrcUes
von KaUisiratos 1
2. Amphüochm
3. Ixion
4
Schauspieler KaUipides,
144 Zur griechiflchen Tragödie
Noch eine Frage bleibt für unsere Aufgabe hier übrig: welchem
Feöt gehört dies Verzeichnis an? [122] Ich denke Böckhs Antwort^
es seien die. großen Dionysien, ist richtig. Allerdings könnte es nach
der Parabase der in den großen Dionysien aufgeführten Vögel des
Aristophanes so scheinen , als sei an diesem Feste die Tragödie der
Komödie vorausgegangen, denn die Vögel sagen: wie schön, wenn die
Herren Zuschauer hungrig und gelangweilt bei dem tragischen Chor
heimfliegen, frühstücken und dann zur Komödie wieder auf ihren
Plätzen sein »könnten. Aber das Gesetz bei Dem. in Mid. § 4 hat fol-
gende Ordnung: tj nofintj rtp Jiovvtrq) äv ÜBigaitl xal oi x(Ofjup3oi
xal oi TQccymSol — xal r] Inl Afjvuiq) nofini] xal oi TQaycöSoi
xal oi x(DfAq>Soly xal roig kv äaret Jiovvaioig ij nofinij xal oi
TcalSsg xal 6 x&fxoq xal oi xcofioodol xal oi rgaymSoi, Man wird
diese Ordnung der Festlichkeiten an den verschiedenen Festen nicht
für willkürlich halten, noch weniger für stilistisch motiviert, quod verba
xal 6 xßfioQ xal oi x(Ofi(pSol origine et natura siui arde cohaermt\ es
kann wohl nur die Reihenfolge, die die Festordnung bestimmte, zum
Grunde liegen. Die Frage über xaival TgaywSiai habe ich absichtlich
ganz unberührt gelassen. Ich denke, das wird der Grund sein, den
Böckh (C. I S. 354) in der Abhandlung über die Dionysien (sie ist mir
nicht zur Hand) anführt, wenn er annimmt, daß in den großen Dio-
nysien die Komödien den Tragödien vorangehen, und in unserer In-
schrift ist ja eben dies der Fall; sollte sie die Aufführung der Lenäen
enthalten, so würden die tragischen Aufführnngen in der linken Ko-
lumne gestanden haben.
Ist nun, um auch das noch zu besprechen, diese Inschrift ein
Bruchstück der offiziellen Didaskalie der großen Dionysien? 'Böckh
ist der Meinung (C. I S. 350). Wenn die Didaskalien der Demosthe-
nischen Zeit im wesentlichen so eingerichtet waren wie die früheren,
so möchte ich es bezweifeln. Nicht sowohl, weil die Angabe über die
Oresteia auch den Choregen nennt; schon Böckh führt dafür eine
Erklärung an, die allerdings befriedigen kann. Aber bedenklicher
scheint mir der Umstand, daß die didaskalischen Notizen, die wir
kennen, mehrfach anführen wer den ersten, zweiten, dritten Preis ge-
wann ; Angaben, die doch wohl nur den offiziellen Aufzeichnungen ent-
nommen werden konnten. Ganz eben so ist es mit den didaskalischen
Notizen über die Komödie der Aristophanischen Zeit, und doch er-
scheint in unserer Inschrift für die Komödie nur einer als Sieger; die
anderen beigefügten Zahlen bezeichnen nur die durch das Los oder
wie sonst bestimmte Reihenfolge der Aufführungen; ich meine in
[123] der tragischen Kolumne unsrer Inschrift wird die Reihenfolge
Die Tetralogie 145
der Dichter eben so motiviert sein; nnd wenn unsere Ansicht über die
Breite dieser Colunme richtig war, so wird eben nur Platz für den
Sieger, der den ersten Preis erhielt (Zeile 6), übrig sein. Aber viel-
leicht ist der dramatische Wettkampf geändert worden ; vielleicht wurden
früher nur drei Dichter zugelassen, und die Abstufung ihrer drei Siege
bezeichnete ihre Würdigkeit; vielleicht mehrte man später die Zahl
der Concurrierenden, und bestimmte einen Preis für den würdigsten;
und ich möchte nicht wagen, auf Tzetzes Autorität hin (Chil. V 178)
zu behaupten, daß noch Ol. 103 1 für die Lenäen der, alte Brauch
bestanden habe. Aber es ist besser diese Möglichkeiten beiseite zu
lassen und sich der Bestimmung darüber zu enthalten, ob unsere In-
schrift ein Bruchstück der urkundlichen Didaskalien ist oder nicht;
doch wenn sie es nicht ist, so dürfte schwer abzusehen sein, zu wel-
chem Zwecke sonst sie gemacht sein sollte.
Droysen, Kl. Schriftan IL 10
IV.
Die Anffahnmg der Antigone des Sophokles
in Berlin.
Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (Spenersche Zeitang)
1842 Nr. 94 vom 26. April, erste Beilage.
Also nicht bloß Sin großartig glänzendes Hoffest, ein Kunstgenuß
für den kleinen, auserlesenen Kreis Hochgebildeter sollte die Antigone
sein. Sie ist dem öffentlichen Theater, dem großen Pnblilnim über-
geben worden. An drei Abenden nacheinander wurde sie aufgeführt,
stets bei überfülltem Hause; schon sind, wie es heißt, für zwei nächste
Vorstellungen, die man erwartet, fast alle Plätze bestellt. Die Stadt
ist voll von Gesprächen über das Stück, die Musik, das Spiel; ein
großes, allgemeines, wachsendes Interesse ist unverkennbar. Es ist als
habe ein dunkeles Gefühl sich verbreitet, daß damit Bedeutsames sich
vorbereite, schon im Werden sei.
Aber zunächst, welchen Eindruck hat das Werk gemacht? Es
kann als ein gutes Zeichen gelten, daß sich die verschiedentlichsten
Ansichten, Wünsche, Bedenken hören lassen. Freilich oft genug wunder-
liche; findet doch ein Berichterstatter, daß der Beifall seitens des Publi-
kums nur lau war, während feiner Beobachtende dieses Fehlen des
Klatschens und Bufens dem feierlichen, tiefernsten Eindruck der Auf-
führung zuschreiben wollen. Gestehen wir es uns, das Publikum fühlt
sich zu der Antigone in einem sehr anderen Verhältnis als zu den Kron-
diamanten und dem Glas Wasser; es fühlt sich nicht aufgelegt, die
Virtuosität der Darstellenden allein zu berücksichtigen; es vergißt die
Chöre darauf anzuhören, ob sie korrekt, gelehrt, originell und was weiß
ich sonst sind; es hat nicht Muße, einzelne Stellen oder Situationen
durch besondere Beifallsbezeugungen zu begünstigen; der Eindruck
des ganzen ist unerwartet und fremdartig genug, um die bekannten
Die Aufführung der Antigene des Sophokles in Berlin 147
Trivialitäten der Kunstkennerei un anwendbar zu machen; großartig,
lawinenartig genug, um das Herz am tiefsten zu erfassen und nach-
haltig zu beschäftigen. Allerdings daheim, am nächsten Morgen, legt
man es sich wohl zurecht, sucht sich einzelnes heraus, billigt dies und
vermißt jenes, macht sich sein Urteil für die Unterhaltung zurecht,
kurz gewinnt wieder Position gegen das mächtige Werk, das wie eine
siegende Gewalt auf uns eingedrungen war. Man geht zum zweiten-
mal hin, das so gewonnene Urteil nun mit lächelnder Sicherheit sich
bestätigen zu sehen. Aber wieder wirkt das ernste Spiel mit neuer,
doppelter Gewalt, durch das ganze Haus fühlt man diese eine Stimmung
der Feierlichkeit, des Selbstvergessens, der Hingebung. Zunächst diese
Hingebung ist es, die wir im wohlverstandenen Interesse der Kunst
vor allem freudig begrüßen wollen: zu sehr war sie aus der Gewohn-
heit unseres Theaters, ja unserer ganzen Kunstbetrachtung verschwunden.
Wenn man statt zu empfinden nur urteilt oder durch die Brille frem-
der Urteile sieht, statt sich selbst zu vergessen und sein liebes alltäg-
liches Ich schweigen zu lassen vor den Offenbarungen des Genius, mit
dem selbstzufriedenen Bravo des Kenners die eigene Eitelkeit zu kitzeln
vorzieht, wenn man in der echten Kammerdienerweise, die von dem
großen Mann sehr genau die Strümpfe und das Nachthemd und den
Kamm kennt, an dem Kunstwerk das Äußerliche seines Erscheinens, an
dem Gemälde den pastosen Pinsel, in der Symphonie die treffliche
Arbeit, im Gesang die Fiorituren, im Schauspiel das wohlangebracbte
Schnupftuch des Marquis Posa bewundert, wenn man sich für die ge-
schwinden dämonischen Finger des Virtuosen exaltiert und über sie den
Bach, den Beethoven vergißt, den sie pulverisieren — , dann ist die
Kunst, wehrlos zwischen Virtuosität und Kunstkenneriei, übel daran;
sie verliert ihre Weihe, ihren Boden, ihr Recht; sie versucht den un-
edlen, unebenbürtigen Wettkampf mit jenen, der sie erniedrigt und
demoralisiert; erst buhlt, bald bettelt sie um ein Almosen des Beifalls;
die schreiende Masse wird ihr blinder Führer, und in der Pöbelherr-
schaft des Geschmackes erheben sich in wüstem, jähem Wechsel die
Tyrannen der Mode, heut der, morgen jener.
Es war ein königlicher Gedanke, das Herrlichste, was die griechische
Poesie geschaffen, unserer Zeit wieder zu beleben. Aber wie sollte es
geschehen? sollte Antigene etwa ganz so auf die Bühne kommen, wie
einst in Athen? Dazu genügte nicht, daß man ein Theater so ein-
richtete wie man meint, daß das attische gewesen; man hätte auch
ein so weiträumiges Gebäude errichten, die Antigene von einem Mann
spielen lassen, sich die helle attische Märzsonne verschreiben, die Zu-
schauer Heiden, Athener werden, zwischen durch etwa Knoblauch kauen
10*
148 I^ic Aufführung der Antigone des Sophokles in Berlin
lassen müssen; und dann wäre es doch noch eben nichts gewesen. Denn
wie die Alten getanzt, gesprochen, gesungen, das wissen auch die Ge-
lehrtesten nicht. Also kann man das Alte gar nicht wieder erstehen
lassen? So weit es nur jener Zeit angehört^- wahrlich nicht; aber es
hat etwas zu allen Zeiten Großes und Wichtiges, etwas Unvergängliches
an sich; und das, so wird der Sinn jenes königlichen Willens gewesen
sein, soll frisch und lebendig in unsere Gegenwart treten. Bekennen
wir es, das ist der wahre Inhalt jener Neigung für das Historische auch
in anderen Gebieten; wolle Gott, daß sie von denen, die zu ihrer Ver-
wirklichung berufen werden, kühn und tief verstanden werde. Nicht
die abgestorbenen Vergangenheiten sollen uns wiederkehren; aber was
in ihnen Großes und Unvergängliches, das soll mit dem frischesten
und lebendigsten Geist der Gegenwart erfaßt, von ihm durchdrungen
zu neuer, unberechenbarer Wirkung in die Wirklichkeit gefuhrt werden ;
kein Babel toter Trümmerstücke, sondern ein Pantheon der Vergangen-
heit sei unsere Gegenwart
So die Aufgabe; die herrlichsten Kräfte vereinten sich ihre Lösung
zu versuchen. Zunächst der Componist. Auch die Griechen haben die
Chöre gesungen. Aber es galt nicht etwa den Versuch griechische
Musik zu componieren; wer sollte es? weder der Componist, noch sonst
jemand weiß, wie sie gewesen, wenn nicht etwa gewisse Kritiker, welche
seine Composition nicht griechisch genug gefunden haben. Seine Auf-
gabe war eine ungleich idealere; es galt mit allen Kunstmitteln, die ihm
in so reichem Maße zu Gebote stehen, das alte, gleichsam verstummte
Werk wieder zu beleben und ertönen zu lassen. Wer tadelt Raphael,
daß er die heiligen Geschichten malte und hatte doch das Jesuskind
und die Jungfrau nie mit Augen gesehen? aber er hatte sie gesehen
mit den Augen des Geistes; in den heiligen Schriften lesend, sah er
ihr Bild in heller Klarheit vor sich; wie er hingeschaut, so wieder-
erstanden erkannte seine Zeit sie in seinen Bildern. So auch las der
Componist das Drama des Sophokles, mit seinem Ohr erlauschte er die
Klänge jener Rhythmen, das Tönen und Hallen jener großen Gescheh-
nisse; und sein Hören selbst war sofort ein neues lebendiges Verstehen,
ein Übertragen in unsere Empfindungsweise, „aus dem Schönen in das
Schöne". Denn so schien uns seine Musik zu wirken; es sind fremd-
artige und doch verständliche Klänge, mit denen er zu uns spricht;
nicht antike Musik, aber der Eindruck antiker Musik, wie sie ihm
sich erschlossen. Ja noch mehr; jene erste Scene zwischen Antigone
und der Schwester, in so ungewöhnlicher Umgebung, mit so fremd-
artigem Klang des Verses, mit dieser Herbigkeit der Motive, dieser
Felsenhärte des Entschlusses, — sie läßt uns zunächst ziemlich kalt; wir
Die Aufführung der Antigone des Sophokles in Berlin 149
sehen den Vorgang, ohne uns recht lebendig hineinzufinden; wir finden
es ganz interessant auch einmal ein klassisches Spiel zu sehen; — dann
kommt der singende Chor, und sofort mit dem Klange der Musik wird
uns heimisch zu Mute, wir fühlen uns in unserem Gebiet, in unserer
Empfindungsweise, wir werden warm und wärmer; die nächste Scene
findet uns schon vorbereiteter, empfänglicher über uns selbst hinaus;
der folgende Chorgesang hat uns völlig in dieser neuen, idealen Welt
heimisch gemacht; immer gewaltiger erfaßt uns die hoch und höher
anschwellende Gewalt des erbarmungslosen Kampfes; mit dem trocknen
Blick des Grauens sehen wir die schwere Katastrophe nahen, der dann
Schlag auf Schlag die furchtbarsten Erfüllungen folgen. Mit einem
Wort, wie der Übersetzer das Stück unserem Verständnis, so hat die
Musik es unserm Empfinden zugänglich gemacht.
Für alles Weitere nun ftoch ein paar kurze Bemerkungen. Ich
habe sagen hören: wozu das alte Stück auf die Bühne bringen, wenn
es so vieler Anstrengungen von allen Seiten her bedurfte, um ein viel-
leicht zweideutiges Resultat zu erzielen? Haben wir nicht ein reichliches
Repertoire? soll man Mühe und Geld nicht lieber der Förderung neuer
Talente zuwenden? Die Fragen beantworte der Erfolg. Und dann — ,
als zu Lessings Zeit unsere Bühne von der hochgespreizten Geschmack-
losigkeit französischer Alexandrinertragödien, von den conventioneilen
Empfindungen und den gepuderten Heldenphrasen überwuchert war,
da war es der Anfang einer neuen, wundervollen Erhebung, daß die
gesunde, lebensprudelnde, farbenglühende Kunst Shakespeares, dieses
dramatischen Rubens, auf die Bühne kam. Wie schnell sind wir zum
anderen Extrem gekommen; wie sind unsere Romantiker völlig über-
holt durch den kecken, den überpfefferten Empirismus der neuen Fran-
zosen; wie sträubt sich umsonst unsere idealere, deutsche Natur gegen
diese wüsten oder eleganten, firivolen oder effekthaschenden Nichtig-
keiten! Ob unser Theater, Schauspiel wie Musik, eines neuen leben-
digen Impulses bedarf?
Sodann ein zweites. Dies Beispiel einer antiken Tragödie giebt uns
und unserm überwürzten Kunstsinn wieder einmal einfache Kost, zeigt
uns wieder einmal die einfachsten und wahrhaften Elemente künstle-
rischer Wirkung. Wir sind so weit die Natürlichkeit für das höchste
in der Kunst zu halten, und treiben sie bis zur Karrikatur und Quin-
caillerie, bis zur Affenliebe für das Gefällige und albern Faktische; und
in der Willkür, in den Einfallen, in dem Momentansten und Launen-
haftesten glauben wir das wahre Wehen des Genius zu spüren. Wir
sind so weit die Kunst nach der Täuschung zu messen, die sie gewährt,
ein Madonnenbild nach dem täuschend gemalten Leder der Schuhe,
150 I^ie Anfföhrung der Antigone des Sophokles in Berlin
eine tragische Aufführung nach dem tauschenden Kostüm, nach der
Portratahnlichkeit der Albas nnd Egmonts; ja das urteil eines Reisenden,
diese Coulissen seien das vollkommene Bild des Towers, des Gartens
von Aranjnez, ist eigentlich nnser höchster Stolz. Wahrhaftig, wir
sind endlich so weit, daß das Daguerreotyp der größte Künstler ist.
Der Grieche hätte vor diesen geistlos tauschenden Portrats, vor dieser
Richtigkeit ohne Wahrheit, vor diesem Abklatschen der Wirklichkeit
Ekel empfunden. Wir müssen sie über alles preisen, denn da ist keine
Gefahr, daß der vermittelnde Geist einen Fehler hineinbringe; fesseln
sie doch von der Wirklichkeit wenigstens einen Moment, wenn auch
deren Wahrheit ist, nicht bloß ein Moment, sondern Leben und Ver-
änderung zu sein; zeigen sie doch wenigstens die ganz genaue Larve,
die Totenmaske des lebendigen Antlitzes, während ein Maler Leben und
Veränderung nicht lassen kann hineinzumalen, und damit nicht das
Antlitz, wie es ist, sondern den Menschen, wie er ihn erfaßt, darstellt
Wie kommt das zur Antigone? In keinem Augenblick will uns
der Dichter, wolle uns der Schauspieler täuschen, — aber auch nicht
an sich erinnern. An der Composition bewundem wir vor allem, daß
sie mit den uns wohlbekannten Instrumenten und Stimmen doch
klingt, wie aus femer fremder Zeit her. Ich muß die treflTlichen Künstler,
die in jenen Aufführungen mit liebevollstem Bemühen mitwirkten, um
Verzeihung bitten, wenn ich mir gegen ihre Auffassung der Aufgabe
einiges einzuwenden erlaube. Ungestört und mit voller Hingebung
habe ich der Darstellung beigewohnt; aber dann mhiger das ganze
durchdenkend glaubte ich dies und jenes zu finden, was vielleicht den
Eindmck noch stärker, dauernder, ßrderlicher macht Zu meiner Recht-
fertigung habe ich zunächst den oben bezeichneten Grundsatz anzu-
führen. Nicht daß sie spielen und sprechen sollten, wie einst jene alten
Schauspieler, deren Namen ein wohlgesinnter Veteran in das Gedächtnis
des lembegierigen Publikums zurückgerufen hat; auch daran thun sie
recht, daß sie die gelehrte Patina, mit der der Übersetzer sein Griechisch
zu sehen gewohnt war, möglichst abgewischt haben. Suchen sie mit
ihren besten Kunstmitteln den wahren und unvergänglichen Gehalt
des alten ewig jungen Werkes zur Darstellung zu bringen; nach dem
Prinzip, dem inneren und wahrhaften Wesen der alten Darstellung
mögen sie streben. Und dies ist? Wenn der griechische Bildhauer
das Meer bezeichnen wollte, so genügte ihm das Bild des gaukelnden
Delphins; wenn er den zierlichen Akanthus meißelte, so copierte er
nicht dies oder jenes Blatt, sondem er fand die allgemeine, die typische
Gestalt; nicht ein Blatt, sondem das Blatt stellte er dar; wie sich zu
der empirischen Einzelheit der entsprechende Begriff des denkenden
Die Aufftihrung der Antigone des Sophokles in Berlin 151
Geistes verhält, so zu den äußeren empirischen Wirklichkeiten deren
künstlerische Nachbildung. Wie sich die Begriffe gliedern und ordnen
in der Eurythmie der Satzbildung, so, entfernt von Zufälligkeit und
Willkür, ordnen und stilisieren sich die Gewandungen, die verbindenden
Bewegungen y die Gruppen alter Kunst Jede griechische Darstellung
vom flüchtigsten Yasenbilde bis zur Statue des Gottes trägt diesen
Charakter der Idealität, der Stilisierung; derselbe beherrscht die Sopho-
kleische Poesie, er muß — man erkennt es noch — auch das Spiel
der Schauspieler und des Chors bestimmt haben. Das sei auch für
unsere Darstellung maßgebend. Vor allem hinweg mit den kleinen
zierlichen Motiven der überfeinen Mimik; verdeckten die Griechen
doch das individuelle Antlitz mit der großgeformten Maske. Wenn die
Königin die Todesbotschaft gehört hat, so gestikuliere sie nicht erst mit
erhobenem Finger ihr Überlegen anzudeuten, dann mit offener, ab-
gewandter Hand den Entschluß zu bezeichnen, dann mit dem Zu-
sammenraffen und Überwerfen des Gewandes zu zeigen, daß sie ihn
ausführen wird ; sie höre ohne Erzittern und Ohnmacht, sie gehe schwei-
gend in den Palast: das ist die einzige, die stärkste Mimik. Und ähnlich
überall; je großartiger, je genereller und lapidarischer die Mimik ist,
desto mächtiger und besonders desto weniger zerstreuend wirkt sie; der
höchste Triumph des Schauspielers ist, daß man ihn über das Drama
vergißt Jenes Stilisieren sei überall; im Sprechen ist es fast noch
weiter vom leeren Pathos als von der empirischen Gewöhnlichkeit ent-
fernt Selbst in der höchsten Heftigkeit wechselt gemessen Vers um
Vers, jeder gedankenreich, volltönend, streng gefügt Je mehr Sprechen
und Agieren den Charakter gehaltener Strenge, straffer Intensität, herber
Grazie an sich trägt, je mehr in Schatten und Licht Haltung, Breite,
runde Yölligkeit ist, je entschiedener man die gewaltsam ruhige Be-
wegung eines mächtigen Emporwogens, dies meergleich große Schwellen
und Fluten empfindet, desto größer xmd antiker ist der Eindruck. Auch
in dem äußeren Arrangement der Darstellung ist diese Stilisierung ein
Bedürfnis. Die Klage Kreons am Schluß ist unverständlich, wenn nicht
dieser formulierte, dieser typische Charakter hervortritt; nicht umsonst
ist die strophische Einteilung solcher Partien ; sie haben eine fast litur-
gische Feierlichkeit Nun da, dann dort stehend, nun so, dann so gewandt,
spricht er sein Wehe und wieder Wehe, sucht er einen letzten Trost,
um auch ihn zu zerstören. Es ist nicht der bloße natürliche Erguß
eines klagenden Vaters, sondern die künstlerische, die stilisierte Dar-
stellung desselben. Und jede Wendung seiner Klage begleitet der Chor
mit seinen Bewegungen, er, der dem Zuschauer gleichsam sein eigenes
Empfinden vor Augen stellt und ihm dasselbe um desto starker, desto
152 I^e AuffÜhrang der Antigone deB Sophokles in Berlin
erschütternder empfinden läßt. Denn so ist die alte Tragödie; nicht
bloß aufregen will sie die Menge und dann das weitere dem subjek-
tiven Belieben jedes einzelnen überlassen; ganz will sie den einzelnen
in seinem subjektiven Empfinden übermannen, ihn hinausreißen aus
demselben ; er soll ganz Hingebung sein, ganz sich vergessen. Dasselbe
Stilisieren fordern vor allem die Gruppierungen des Chors wie der
Schauspieler. Mögen sie nicht, den Eingebungen des Augenblickes
folgend, die schöne Eurythmie stqren, durch welche der antike Ein-
druck vor allem bedingt ist. Die glückliche Construction der Bühne
und der Orchestra drängt in jedem Augenblick zu schönen Gruppen,
und wir haben deren vorzügliche gesehen. Und doch schienen sie
uns überwiegend mehr pittoreske als plastische Anordnung zu zeigen,
freilich bisweilen, so in dem Gesang an Eros, von der wundervollsten
"Wirkung.
Wollte ich von allem Weiteren noch sprechen, von dem zu dunklen
Oberkleid Antigenes und dem zu hellen Licht im Anfang des Stückes,
von dem Wächter, der wie ein Feuermann aussah, von dem dürftigen
Gefolge des Königs u. s. w., ich würde kein Ende finden. Alle diese
Kleinigkeiten treten zurück gegen den mächtigen, erschütternden Ein-
druck des ganzen; die Erfahrung wird weiter bessern. Wünschen wir
uns Glück, daß dieser erste Anfang so überraschend schön gelungen,
in die Stimmung des Publikums so entscheidend eingedrungen ist;
bleibe es kein bloßer Anfang. Es ist eine vollkommen neue Bahn, die
unsere Kunst betritt; wer will sagen wohin sie führt? Oder irren wir
uns? wäre diese Antigone nur eine Theatemeuigkeit, nur ein Curiosum,
ein gelehrter Leckerbissen? Manchem wird es so erscheinen; andere
werden finden, daß dieser Anfang nicht ein Vereinzeltes ist, daß sieb
hier ein größerer, ein allgemeiner Impuls, der unsere Gegenwart an
allen Punkten zu bewegen beginnt, ausspricht, eben jener Impuls, der
weder das tote Vergangene, noch das trag Herkömmliche, noch die
rationelle tabula rasa will, sondern die Gegenwart mit allem Großen,
Lebendigen, Unvergänglichen der Vergangenheiten zu erfüllen, ihr damit
die Triebe zu immer neuen, immer umfassenderen Entwickelungen ein-
zupflanzen sucht Und fürwahr, schon zeigen sich da und dort die
Frühlingsboten einer neuen Zeit, schon keimt es und beginnt es zu
grünen; ein fruchtbarer Regen noch, und das alte fahle Wintergras
ist vom frischen Grün überholt.
V.
Die Wandgemälde im Ball- und Concertsaal
des Königlichen Schlosses zu Dresden
erfanden und ausgeführt von E. Bendemann, radiert von H. Bürkner; mit
erklärendem Text von J. G. Droysen. Dresden [1858], Verlag von Ernst Arnold,
quer-fol.
Die römisohen ZUAm beseichnen die Tafeln des Werkes.
Die vorliegenden Radierungen geben einen Teil der Wandmalereien
wieder, mit denen königliche Munifizenz das Schloß zu Dresden hat
schmücken lassen.
Dem Künstler war die Aufgabe gestellt worden: drei nebeneinander
liegende Säle zu malen, von denen der eine — der Thronsaal — zur
Eröffnung und Entlassung der Landtage, ein zweiter — der Ball- und
Concertsaal — zu Hoffesten aller Art bestimmt wurde; der zwischen
beiden liegende — das Thurmzimmer — erhielt keine besondere Be-
stimmung.
Dies Thurmzimmer bildet architektonisch den Mittelpunkt des
königlichen Schlosses. Auf der Außenwand desselben, in der nach dem
Schloßhof hinaus liegenden Loge ist ein altes jetzt verblichenes Gemälde,
das die Anbetung der heiligen drei Könige darstellt. Diese Anbetung,
so lautete weiter die Aufgabe, sollte wiederhergestellt, und die Compo-
sitionen für das Innere, zunächst die für das Thurmzimmer mit der-
selben in Beziehung gesetzt werden.
Aus diesen Motiven ergab sich dem Künstler der Grundgedanke
seiner Composition in folgender Weise.
War der eine Saal der heiteren Pracht königlicher Feste, der
andere dem Ernst bedeutsamster Funktionen des Königtums bestimmt,
so schien das sie verbindende Thurmzimmer die Darstellung dessen zu
fordern, was die Gegensätze des Lebens, das Heitere und Ernste, das
Ideale und die Wirklichkeiten zu höherer Einheit vermittelt, zu einer
höheren Autgabe weiht, in der höchsten, die menschliches Leben und
Streben hat, verschmilzt und ihre Stelle finden läßt
154 ^^ Wandgemälde im Ball- und Concertsaal
Die Anbetung der Könige gab das rechte Wort: „dein ist das
Reich und die Kraft und die Herrlichkeit"; ein Gedanke, den der Mittel-
punkt des Königsschlosses wohl in Demut aussprechen mag. ^Dein
Reich komme'^y das ist nicht bloß das Gebet aller Gläubigen, sondern
dafür zu leben und zu streben die Aufgabe ihres Daseins , die Weihe
ihres Dichtens und Trachtens.
So entwarf der Künstler für das Thurmzimmer — die Ausführung
ist noch nicht erfolgt^ — eine Darstellung des „ewigen Jerusalem*^.
Wo die Wand draußen die Anbetung der Könige hat, sollte im Innern
der Heiland in seiner Herrlichkeit erscheinen, die Erzväter, die Evan-
gelisten und Apostel zunächst unter ihm; dann um den strömenden
Brunnen ewiger Wahrheit die Propheten, die Kirchenväter; alle Völker,
alle Zeiten und Bildungen hingewandt und hinwandernd zu diesem Ziele
aller Sehnsucht; von links her die vorchristlichen Völker, die Juden
mit ihren Königen und Hohenpiestem, die Heiden mit ihren Sibyllen,
ihren Dichtern und Weisen, von rechts her die christlichen Völker,
die zur Taufe drängenden Germanen, die Kreuzfahrer, die Dichter und
Denker, die Künste u. s. w.
Auf dieser, der rechten Seite des Thurmzimmers führt eine Thür
in den Thronsaal. Hier, wo der König sein Volk in denen, die es
als seine Vertreter sendet, empfangt, um über Friede, Recht und Ord-
nung, über das Wohl des Vaterlandes mit ihnen zu verhandeln, ist ein
ruhiger Ernst der Charakter des künstlerischen Schmuckes.
Zunächst bis in die Hälfte des Saales sind die Plätze der Stände,
ihnen gegenüber der Thron.
Die Wände der Saalhälfte, in der der Thron steht, schmückt ein
Kreis von Gesetzgebern und großen Königen alter und neuer
Zeit, hohe feierliche Gestalten; in ihrer Mitte und über dem Thron die
Saxonia. Denn das Wesen und Thun jedes Staates steht in dem
großen Zusammenhang geschichtlicher Entwickelungen, hat deren Er-
gebnisse, deren Wahrheit, wie sie in den großen Männern der Geschichte
ausgeprägt ist, in sich aufzunehmen and weiter zu führen.
Auf den Wandflächen der andern Saalhälfte sind die vier Stände,
jeder in einem großen seine Bedeutung und sein geschichtliches Wer-
den bezeichnenden Bilde dargestellt. Zwischen dem Bürger- und dem
Bauernstand auf der einen, dem geistlichen und Ritterstand auf der
andern Seite, über der Thür, die zum Thurmzimmer führt, der Saxonia
über dem Thron entsprechend, ist ein Bild, das die vier Stände zu
friedlicher Gemeinsamkeit im Staate vereint darstellt
* [Und leider Überhaupt unterblieben.]
des Röuiglicheu Schlosses zu Dresden 155
Der Fries des Saales ist einer Daratellung des menschlichen
Lebens mit seinen Arbeiten und Berufen, seinen Sorgen und Mühen
bis zu den letzten Dingen hin gewidmet Zunächst der Thür zum
Thurmzimmer beginnt die Bilderreihe mit der SchaflFiing des Menschen,
dem Sündenfall, dem veriornen Paradies. Wo die Langseite des Saales
ansetzt, trägt ein Engel das Kind zur Geburt in das Zimmer der Wöch-
nerin ; es folgen die Scenen des Kindesalters, der Jugend, des Mannes-
alters; in der Saalhäfte des Thrones Vorgänge, in denen die Gerechtig-
keit, die Weisheit, die Tapferkeit, die Mäßigung, als die rechten
Tugenden des Königtums, in der Ausübung ihres Amtes sich bewähren.
Dann weiter Darstellungen des Gewerbes, des Handels, der Wissen-
schaften; sie führen zum sinkenden Alter, zum Sterben. Hier endet
die zweite Langseite des Saales. Ein Engel führt den vollendeten Lebens-
pilger aus dem Grabe in das selige Jenseits und dessen Frieden; damit
schließt die Bilderreihe über dem Eingang zum Thurmzimmer.
Der andere Saal — links vom Thurmzimmer — ist der Feier
glänzender, reich bewegter Feste gewidmet Gilt es, für heitere Pracht,
für die Freude und den Genuß des Daseins den typischen Ausdruck
zu finden, so bietet ihn die Welt des Griechentums, in welcher Schön-
heit und Adel alle Gestaltungen beherrscht und alle Gedanken ge-
staltet; in allem Griechischen ist der Zauber künstlerischen Empfindens,
und in allem künstlerischen SchaflFen klingt jener Zauberton wieder,
den doch zuerst die Musen Griechenlands sangen.
Aus solchen Gedanken entstanden die Compositionen für diesen
Saal; die Kunst und die Griechenwelt schienen so sich zu einem
Ideenkreise zusammenfassen zu lassen.
Die Anordnung des Saales.
Der Saal hat auf seinen beiden Langseiten je vier breite Fenster,
die Pfeiler zwischen ihnen sind bis zur Decke des Saales architektonisch
abgeschlossen. In diesen sechs Feldern sind die Künste dargestellt
über den großen Gestalten der Malerei (XIII), Architektur (XIV), Skulp-
tur (XV), der Tanzkunst (XVI), Musik (XVII), Schauspielkunst (XVIII),
in kleineren Abschnitten oben entsprechende Gruppen aus dem grie-
chischen Mythos; beide, die Künste und die Gruppen über ihnen, in
voller Farbenpracht auf goldenem Grunde. Goldene Statuetten schließen
diese Gruppen zu beiden Seiten von den entsprechenden Feldern über
den Fenstern ab, die weiß auf blauem Grunde, als wären sie Marmor-
bilder gegen die Luft, Scenen des griechischen Lebens darstellen.
Die beiden schmalen Seiten des Saales sind in architektonisch ähn-
licher Weise so getheilt, daß sich je über der Thür bis zur Decke
156 Die Wandgemälde im Ball- und Conoertsaal
hin ein abgeschlossenes Feld bildet Jede der beiden Wände erhält
so zur Rechten nnd Linken ihres Mittelraomes (mit der Thür) je ein
großes Feld, dessen oberer Teil, dem in den Langseiten des Saales
aof den Fensterpfeilem und über den Fenstern entsprechend, sich za
besonderer Darstellung von dem Hauptfelde abtrennt Doch sind
diese vier Oberteile nicht einfache Streifen, wie die über den Fenstern;
sie sind der Architektur der Fenster entsprechend in flachen Bogen
geschlossen und krönen so die Hauptfelder; die Abschnitte zwischen
dem Flachbogen und der rechtwinkligen Umrahmung bieten noch Baum
zu kleinen emblematischen Darstellungen.
So die beiden schmalen oder Thürseiten des Saales; auf ihnen ist
das Griechentum in den charakteristischen Momenten seiner Entwicke-
lung dargestellt
Zur Linken, wenn man aus dem Thurmzimmer eintritt (IX), die
Hochzeit der Thetis und über ihr der Mythos vom Prometheus.
Auf der Wand gegenüber links (X), Apollons Zug zum Parnaß,
darüber das delphische Orakel; rechts (XI) der Zug des Dionysos,
darüber die eleusinischen Mysterien; zwischen beiden über der Thür
die Poesie (XX). Endlich dem Dionysoszug gegenüber, auf derselben
Wand mit der Hochzeit der Thetis, die Hochzeit Alexanders, dar-
über das platonische Gastmahl; über der Thür zwischen beiden, gleich-
sam zwischen Anfang und Ende des Griechentums, Homer und die
drei Stamme des Griechenvolkes (XIX).
Die Hochzeit der Thetis.
Die Compositionen, die das Blatt IX wiedergiebt, stellen dar, wie
aus den dunklen Urzeiten sich endlich die helle. Zeit des Heldentums
hervorgerungen.
Denn nach dem Glauben der Griechen sind die Urzeiten von wilden
Götterkämpfen erfüllt Den alten Uranos hat sein Sohn Kronos
gestürzt, herrscht dann mit seinen Brüdern, den Titanen, glückselige
Zeiten. Aber auf ihm lastet der Fluch des Yaters; vergebens warnt
Prometheus, der Zukunftkundige; man verachtet den Feind, der sich
schon erhebt, den Kronossohn Zeus und die jungen Götter. Dann
beginnt der neue Götterkampf; mit dem Blitzstrahl, den Prometheus
ihm schmieden lassen, gewinnt Zeus den Sieg; nach Prometheus Bat
stürzt er den Vater und die Titanen in den Abgrund, ordnet er die
neue Welt und die Ämter und Ehren der Olympier. Aber im Sturz
hat der Vater den Sohn und dessen neue Welt verflueht
Das Alte ist abgethan; alles soll „neu werden nach neuem Gesetz".
Auch das alte Geschlecht der Sterblichen, das nur für die friedensstille
des Königlichen Schloases zu Dresden 157
zeitlose Zeit des Kronos paßte, nun blöde und hilflos in der neuen
härteren Zeit, will Zeus vertilgen, um dann ein anderes, wie es nun
paßt, zu schaffen. Für die armen tritt keiner der Götter ein, nur
Prometheus erbarmt sich ihrer, er birgt von Hephaistos Flamme in
der Ferulstaude einen Funken, bringt den Menschen das himmlische
Licht; nun erwachen sie, nun beginnt ihnen Wollen und Können,
Wissen und Streben, ein menschliches Dasein.
Aber damit hat Prometheus die neue Weltordnung, die er selbst
gründen helfen, verletzt; er hat die Ehre der Götter verkürzt, hat
gefrevelt. Gern nimmt Zeus den Anlaß, den letzten der Titanen zu
strafen; er läßt ihn für ewig, wie er schwört, an den Felsen schmieden,
sendet seinen Adler, sich an des Gefesselten immer wieder wachsender
Leber zu weiden. Und diese Strafe, so höhnt der Gott, soll währen,
bis der Unsterblichen einer den Tod wünschen wird.
Äonenlange Zeiten sind vergangen; Zeus ist in ungestörter Herr-
lichkeit, in ruhigem Besitz; er hat längst schon die Titanen freigegeben;
er fürchtet nicht mehr. Nur Prometheus duldet noch; aber er weiß
das Verhängnis, den Spruch der Moiren: daß auch des Kroniden Macht
einst enden wird. Umsonst sucht Zeus mit freundlichem Wort, mit
Drohungen und neuen Qualen ihm sein Geheimnis zu entreißen; er
bewahrt es und harrt des Endes.
Aber auch er sehnt sich nach Erlösung und Versöhnung. Nun
kommt wandernd des Zeus Sohn Herakles, der durch die Welt zieht,
Ungeheuer zu vertilgen, Riesen zu bekämpfen, allem Frevel und Leid
zu wehren, zum Felsen des Dulders; er sieht den nagenden Adler,
erlegt ihn mit seinem Giftpfeil.
Das ist der Inhalt der Darstellungen über dem Thetisbilde. In
der Mitte der feuerbringende Prometheus, in den Ecken Kronos
Sturz und Fluch zur Linken, Prometheus Strafe und Erlösung
zur Rechten.
Die That des Herakles leitet die Versöhnung ein. Schon findet
auch Zeus Schwur seine Lösung. Denn durch Zufall hat ein Pfeil
des Herakles einen der Unsterblichen verwundet, den Kentauren Chei-
ron, den musenkundigen; er trägt den unendlichen Schmerz der Wunde
nicht, er sehnt sich nach dem Tode. Gern wird ihm Zeus gestatten,
in den Tartaros hinabzusteigen. Nun weigert Prometheus nicht mehr
die Gefahr zu nennen, die des Kroniden Macht bedroht: „wenn der
Gott, so lautet der Moiren Spruch, sich der Okeanide Thetis vermählt,
so wird sie einen Sohn gebären, der mächtiger als der Vater sein, ihn
stürzen wird". Prometheus giebt den rettenden Rat: „ob auch zu
ihr in Liebe entbrannt, möge Zeus auf sie verzichten, sie einem der
158 I^ie Wandgemälde im Ball- und Concertsaal
Sterblichen, demAchäerfürstenPeleus, dem Zögling Cheirons vermählen;
so werde sie den Liebling der Götter und Menschen, den ersten Helden
gebären". Willig folgt Zeug ; sein Dank ist, daß er Prometheus Fesseln
löset; nur um seines Schwurs willen auferlegt er dem Befreiten, den
Weidenkranz um sein Haupt zu flechten ; denn der Kranz, der Freuden-
schmuck des Menschen, ist ein Zeichen, daß sie den Göttern ge-
bunden sind.
So wird denn die Hochzeit der Thetis gefeiert Es ist der
Schluß des uralten Götterhaders, eine erneuete Weihe der nun ge-
sicherten Weltordnung, der Anfang einer neuen, der Heldenzeit, an
deren Spitze der Peleide Achilleus steht, der Sohn der silberfüßigen
Thetis.
Das Bild, in dem diese Bezüge zusammengefaßt sind, ist in der
Stimmung der frischen Tagesfrühe gehalten. Der alte Okeanos, von
seinen Töchtern, den Okeaniden, von jubelnden Nereiden und blasenden
Tritonen umgeben, hat die bräutliche Tochter zum Strande geleitet.
Hymen mit der Fackel in der Hand führt die schamhaft Zögernde dem
Bräutigam zu, den sein Freund Phoinix — einst wird er Achills Lehrer
sein — und Cheiron mit Prometheus herbegleitet haben. Von den
Himmeln herab kommen die Hören, als die Führerinnen des olym-
pischen Festzuges, mit ihnen den andern Göttern vorauseilend der
Knabe Dionysos, der bei frohen Festen gern mit den ersten kommt
und mit den letzten geht, weiterhin Zeus selbst, Hera und so fort;
sie alle. Hochzeitgaben und Göttersegen bringend. Im Vordergrunde
des Bildes sitzen die Moiren (Parzen), „jeglichen Bundes Segensspende-
rinnen, jeglicher Einigung friedensmächtige Hüterinnen"; sie singen
das Brautlied aus den uralten Sprüchen, und in der Bolle, aus der
sie singen, steht Achills Name. ,
Apollon und Dionysos.
Für die Composition der Bilder X, XX, XI dürfte folgender Ge-
dankengang bestimmend gewesen sein.
Beide, Apollon und Dionysos, haben eine gewisse Beziehung zum
Parnaß, dem gewaltigen doppeltgegipfelten Berge, an dessen Fuß das
delphische Heiligtum mit dem kastalischen Quell und dem Omphalos
liegt, der Erdmitte, wie die Griechen glaubten. Jedem der Götter ist
einer der Gipfel geweiht. Sonst ist ihnen wenig gemein, sie sind in
aller Weise einander fern und fremd; sie und ihre Mythen bezeichnen
völlig verschieden geartete Kreise von Gestaltungen und Vorstellungen.
Es sind so zu sagen zweierlei Welten, zweierlei Weltanschauungen, die
sich in ihnen ausprägen, jede in sich umfassend, erschöpfend, lebensvoll,
des Königlichen Schlosses zu Dresden 159
jede von der Art, daß man sagen nauß, sie hat ihre Wahrheit; aber
doch ist sie nur eine Weise und eine Richtung,
Es ist dieselbe Doppelheit, die sich in allem menschlichen Leben
und Streben wiederholt und nach unsrer sinnlich geistigen Natur wieder-
holen muß. Daß aber die eine wie die andre Weise ihre Wahrheit,
ihre Vollendung und Weihe habe, stellt sich dem griechischen Bewußt-
sein in den beiden Göttern, ihren Mythen und ihren Kulten dar.
Denn das Wesen der apollinischen Welt ist^ daß das Geistige her-
niedersteige in die Wirklichkeiten, um in ihnen Gestalt zu gewinnen,
sie durchgeistige, sie in Maß und Zucht, in großen Zwecken und
harmonischer Ordnung adle, so die rohe Natürlichkeit bewältige, ver-
wandle und verkläre. Alles dagegen, was sich um Dionysos schart, es ist
immerhin sinnlich wild, kreatürlich, von wüst-dunkler Gewaltsamkeit;
aber in Genuß, Freude, Schönheit steigt es sich reinigend und ver-
klärend aufwärts, und den Siegeszug des „Befreiers^' umtost sein selig
jauchzendes Bacchanal.
In die mannigfachen Gegensätze, die das griechische Leben spal-
teten und spannten, spielt immer auch dies Gegeneinander des apolli-
nischen und dionysischen Wesens mit hinein. Apollinisch ist der Typus
des heroischen Adels, des dorischen Lebens, der aristokratischen Ver-
fassungen, während Bauern und Handwerker, die Demokratie, Athen
den alten Zug zu dem ländlichen Gott festhalten. Ihm gehört Flöte
und Thyrsos, der Dithyrambos und der Tanz Verkleideter, mancherlei
Mysterienfeier; — dem ApoUon Leier und Lorbeer, strophischer Gesang
und Beigen, das Orakel, nackter Einger Wettkampf.
Auch den Griechen hatte der Parnaß die Bedeutung, für die der
Name noch immer üblich ist. An dem Parnaß haben beide Götter
teil, jedem von ihnen gipfelt er sich. Und die Musen, die dann für
immer um Apollon geschart bleiben, waren einst helikonische Quell-
nymphen, und unter ihrem Gesang spielte das Knäbchen Dionysos;
sie heißen wohl die „flötenfrohen'^; so apollinisch sie sind, mit ihrer
Kunst bezaubert der dionysische Sänger Orpheus Tier und Baum, Fels
und Quell; als dionysische Mänaden ihn zerrissen haben, bestatten
ihn die Musen. Und wieder aus dem Dithyrambos und dem Tanz
Verkleideter erwächst die dramatische Kunst, gipfelt sich in der Trar
gödie, die doch durch und durch apollinischen Geistes ist
Und so mag denn mit Becht zwischen dem apollinischen und
dionysischen Zuge und über beiden, gleichsam auf der rechten Höhe
des Parnaß, die Poesie (XX) ihre Stelle haben: auf den Wolken thor-
nend, nur mit der Spitze des Fußes die Erde berührend.
160 I^ie Wandgemfilde im Ball- und Concertsaal
Wenden wir uns zunächst zu den Darstellungen, die dem Apollon
gewidmet sind (X).
Der Maler hat sie an das delphische Heiligtum und die auf das-
selbe bezüglichen Mythen geknüpft
Dorthin, so sagt die Überlieferung, kam Leto, mit den eben ge-
bomen Zwillingen Apollon und Artemis auf den Armen. Sie kam,
das alte Erdorakel zu befragen; denn dort^ am kastalischen Quell und
in tiefer Erdschlucht, ließ Gaia ihre dunklen Laute vernehmen ; Hüter
des Orakels aber war der Drache Python, eine der wüsten Ausge-
burten der elementarischen Zeiten, geboren aus dem von der Sonne
erwärmten Schlamm des tiefen Bergthals. Als nun Leto nahte, brach
der Drache hervor, sich auf sie zu stürzen; mit genauer Not rettete
sie sich und die Kinder auf den „heiligen Stein bei der Platane".
Die erste That des jugendlichen Apollon war, daß er den erd-
gebomen Drachen mit seinem Geschoß tötete; mit diesem Siege gewann
er die heilige Stätte; er kränzte sich mit dem Lorbeer und sang sein
Siegeslied, den ersten pythischen Festgesang.
Aber der Gott war blutbefleckt. Er hatte das Blut des Erden-
sohnes, den er get-ötet, zu sühnen. Er selbst, der einst der Gott aller
Sühne und Reinigung, der Versöhner aller Mord auf Mord zeugenden
Blutrache werden sollte, hat zuerst an sich selber die sühnende Buße
erfahren in achtjährigem Dienen und Leiden. Er ist des Königs Admetos
Knecht geworden, sagt die heilige Geschichte; der Name Admetos be-
zeichnet den „Unbezwinglichen**, den Gewaltigen im Totenreich.
Dann, nach der großen Götterbuße, gesühnt und in völliger Bein-
heit, kehrt Apollon zum delphischen Heiligtum zurück und beginnt
sein heiliges Amt „Zeus fehllosen Ratschluß" zu verkündigen. Aber
mit jedem neunten Jahre, gleichsam zum Gedächtnis der Buße, zieht
er fernhin an den Rand der Erde, zu dem seligen Volk der Hyper-
boreer, wo „nicht Siechtum noch Greisenalter, nicht Mühe noch Hader,
sondern steter Friede und Festfeier und Gesang der Schwäne auf der
stillen Flut des Okeanos". Dort „an den Pforten des üranos und dem
Born der Nacht" weilt er von Fnlhlingsanfang bis zum Aufgang der
Pleiaden, mit dem „geliebtesten Volke" Reigentanz und Gesang zu
feiern. Dann aber, „wenn die Ähren golden werden", in der Sommer-
mitte, kehrt er zum Parnaß zurück; Schwäne ziehen seinen Wagen
durch die Lüfte, es geleiten ihn hyperboreische Jungfrauen und Jüng-
linge, Fackeln, Kannen und Schalen, heilige Geräte tragend. Feiernd
und Päane singend ziehen die Delphier dem wiederkehrenden Gott ent-
gegen; es singen die Nachtigallen und Cicaden, und die Kastalia rauscht
„in silbernem Wellenspiel".
des Königlichen SchlosseB zu Dresden 161
So in dem geordneten Weohsel der Jahre wiederkehrend, neuer
Weihe voll niedersteigend zum Heiligtum, ,,den Sterblichgebomen des
Rechtes und des Guten Prophet^, waltet der Gott in dem Leben der
Hellenen sühnend, ordnend, Zeus Willen verkündigend.
Nicht ihn selbst vernehmen die Sterblichen. Auf dem Dreifuß,
über der dunkeln Schlucht im Heiligtum, von Lorbeem umschattet
sitzt die pythische Seherin; von heiligen Schauern ergriffen, un-
bewußt und willenlos „verkündet sie, wie der Gott es ihr gebeut'^ Es
sind einzelne Rufe und Worte, welche priesterliche Männer auffassen,
ordnen und dolmetschen, als des Gottes Spruch denen sagen, „die
reinen Herzens nahn^^
In solchen Formen leitet der Gott das Leben und Thun seines
Volkes. In allem Großen und Schwierigen wendet man sich fragend
an ihn; von ihm hat sich Lykurgos die Gesetze lehren lassen, nach
denen er dann das Staatswesen Spartas ordnete; von ihm empfangen
die Städte, die an innerem Hader kranken oder denen ihr Volk daheim
zu groß wird, die Weisung, Kolonien auszusenden u. s. w.
So stellt es das Bild dar. Auf der einen Seite der Fythia solche,
denen geboten wird, auszuwandern: mit dem Feuer, das sie am Herde
der Stadt — im Prytaneion — angezündet, mit dem Bilde des hei-
mischen Stadtgottes ziehen sie über Meer zu den Barbaren, sich unter
ihnen eine neue hellenische Heimat zu gründen; — auf der andern
Seite solche, die sich ein neues Recht für ihre Stadt zu holen kommen,
wie denn die Herme im Hintergrund zeigt, daß da von altgegründeten
Zuständen die Rede ist.
Versuchen wir nun, die den apollinischen Compositionen entspre-
chenden zu erläutern. Der Maler hat in ihnen (XI) die eleusinischen
Mysterien mit den Dionysien verbunden, wie denn in dem Glauben
namentlich des attischen Volkes Dionysos als lakchos und Zagreus in
den Kultus und Mythos der Demeter in tiefsinniger Weise verflochten ist.
Dunkle und trauerreiche Vorgänge bilden den Hintergrund der
dionysischen und eleusinischen Feste. Da ist überall ein schweres
Ringen mit den unteren Mächten, Götterleiden, Göttertod, Sieg der
finsteren Gewalten; aber endlich folgt Befreiung und Versöhnung,
seligstes Schauen, überreicher Segen.
Auf jene dunklen Vorgänge deuten die Eckbildchen in dem oberen
Teil der Composition. Sie stellen den Raub der Persephone und
deren Wiederkehr zur trauernden Mutter, oder, wie die Griechen es
nannten, ihren Niedergang und Aufgang dar.
Droysen, Kl. Schriften IL 11
162 I>ie Wandgemftide im Ball- und Conoert-Saal
Yon der Mutter sagen die Griechen, sie habe die verlorne Tochter
auf der weiten Erde umherirrend gesncht, bis sie endlich Ton Helios,
„der alles sieht^, erfahren, wie Hades die blnmenpflückende geraabt
habe; da habe sie in unendlicher Trauer aufgehört ihres göttlichen
Amtes zu walten, sich des Göttlichen in ihrer Erscheinung entkleidet,
sei Magd geworden im Hause des Keleos zu Eleusis. ,J)ie Fluren ent-
erbten sich, die Ernte yerschmachtete, der Acker ward öde, die Adern
der Erde erstarrten, kein Quell sprudelte mehr; die Menschen blieben
ohne Nahrung, die Altare ohne Opfer^'. Es hatte der Tod in die blü-
hende Natur hineingegriffen und sie starb dahin« Da eilten die Götter,
zu retten, was noch zu retten war; sie beredeten den Q^tem Hades,
daß er der Geraubten Sückkehr gestatte: wechselnd ihm und der
Mutter sollte sie fortan gehören. So yersöhnten sie der Göttin Zorn,
es ward wieder Friede: freilich nicht mehr yon selbst, wie yordem,
schmückte sich die Erde mit nährender Frucht; aber die versöhnte
Göttin lehrte die Menschen Rinder yor den Pflug spannen, in
dreimal gepflügten Acker die Saat streuen, sie dem Hades zum
Niedergang anvertrauen, daß er ihr zu rechter Zeit den Aufgang
gewähre.
Was die eleusinischen Mysterien feiern, ist nicht bloß der Raub
der Tochter und ihre Wiederkehr, noch auch die nüchterne Symbolik
des Säens und Emtens. In ihnen, so sagen die Griechen, „ward gehört
und geschaut, was den Sterblichen hinieden Trost und for das Jenseits
gewisse Hofihung gewährt^'. Für diese Hoffnung über das bange und
trauerreiche Leben hinaus war dem Griechen „der Tochter Leiden"
nur die vorbildliche Geschichte, und was sich alljährlich in des Land-
manns Arbeit wiederholte, erschien ihm als ein teures Symbol seines
gewissen Glaubens; jede neue Ernte war ihm eine neue Bewährung
dieses Glaubens, auf den er in Eleusis schauend und hörend geweiht war.
Ähnliche dunkle Sagen knüpfen sich an Dionysos Namen« £r
heißt wohl Semeies Sohn; aber die Matter starb, ehe sie ihn geboren:
sie starb, weil sie den Vater, den gewaltigen Donnerer, in seiner olym-
pischen Herrlichkeit zu sehen Verlangen trug. Er hatte mit dem Götter-
schwur ihr zugesagt, zu erfüllen, was sie bitten würde; als er so ge-
bunden dem verhängnisvollen Wunsche nach erschien, da ertrug sie,
die sterblich gebome, die flammende Herrlichkeit des Gottes nicht, in
seinen zehrenden Feuern starb sie dahin; aber das göttliche Kind Ver-
sehrte die Flamme nicht und Zeus trug es zur Demeter, daß sie es
auferziehe. Andere Sagen wissen davon, wie die wilden Titanen des
auf der Flur spielenden Knäbchens sich bemächtigt, es zerrissen, die
blutenden Stücke dem Hades überantwortet haben; aber auch ihm war
des Königlichen Schlosses zu Dresden 163
es beschieden, wiederzukehren und den Sterblichen seine Segnungen
zu bringen.
Man sieht, welche Bezüge die eleusinischen Mysterien um-
faßten; aus dem Gesagten wird die Composition des oberen Bildes ver-
ständlich sein. Es zeigt die Göttin in ihrem Heiligtum; auf ihrem
Schooß, sich an sie schmiegend, die ihr wiedergegebene Tochter und
das lakchosknäblein. Ihr zur Seite ruhend Buzy ges, den sie gelehrt,
den Stier an den Pflug zu jochen und den Acker zu pflügen ; auf ihrer
andern Seite, den drachenbespannten Wagen besteigend, Triptolemos,
den sie hinausfahren heißt die neuen Saaten zu säen; mit Lehre und
Mahnung entläßt sie den Liebling. Das ist der Vorgang im Tempel,
wie er alljährlich in der Mysterienfeier „gezeigt und gelehrt" wird; ihn
zu „hören und zu schauen", ist der Gottesdienst der „Geweihten". Auch
diese zeigt das Bild; wohl mag der, welchem der Priester zum ersten-
mal das Haupt enthüllt, vor dem Geheimnis, das er nun schaut und
hört, in tiefeter Demut sich neigen, in Anbetung versinken; und wer
noch so oft das Fest mitgefeiert: immer mit neuem freudigen Staunen
sieht er den heiligen Vorgang; er bringt sein Knäbchen mit, früh zu
gleicher seliger Schau geweiht zu werden.
So erhebend die eleusinische Feier ist, sie giebt doch nur Trost
und ferne Hofihung; aber Freude und Genuß und das selige Entzücken,
das das Vergangene vergißt und des Künftigen nicht denkt, bietet sie
nicht. Das gewährt von allen Göttern nur der eine, Dionysos, der
„Befreiende"; in seinem Bakchanal, in dem Evoe seiner Thyrsophoren,
in der entfesselten Jubellust seiner Nachtfeier, da ist der Vollgenuß
des Augenblicks, die Summe irdischer Seligkeit.
Solchem Festzug ist das Hauptbild gewidmet. An der Seite des
schönen seligstillen Gottes jene Ariadne, die verlassen auf Naxos
trauerte, als der Gott daherzog und sie zu seiner Braut erkor; nun
ziehen sie auf rebengekränzten Wagen daher, und der Sänger, der jugend-
liche Dithyrambos — freilich die Leier hat er nun hinter sich ge-
geschoben — tritt halb mit hinauf auf den Wagen, sich von der hold-
seligen Dionysosbraut seine Schale füllen zu lassen. Panther ziehen
den Wagen, der kleine Eros sollte, darum sitzt er auf dem schreitenden
Tier, ihr Lenker sein, aber die eine Hand läßt er auf den Saiten seiner
Lyra ruhen und mit der andern hält er eine üppige Traube über den
rückgelehnten Eopf, so im lüsternen Schlürfen des kühlen Saftes ver-
sunken, daß er nahe daran ist, vom Bücken seines Tiers zu gleiten.
Eomos, mit geschwungenem Thyrsos voraustanzend, lenkt einstweilen
des Wagens Deichsel hinauf wärts; voraus jubelt ein Kentaur, auf dessen
Rücken sich eine nackte Mänade zu dem Gotte hinwendet, welcher die
11*
164 T>ie Wandgemälde im Ball- und Concert-Saal
Freude bringt. Rings toben Cjmbeln, Tympanen nnd bakchische Flöten,
und ein kleiner hüpfender Satyr pfeift auf schrillender Panflöte mit in
den Lärm hinein. So zieht der trunkene Festzug in die Abendstille
hinaus, nach der Höhe hinauf, dort die Nacht hindurch in Pannychien
zu lärmen und zu schwärmen.
Bas Alexanderfest.
Nach der Sage der Griechen ist Dionysos erobernd durch die Welt
gezogen bis zum fernen indischen Lande, hat, wohin er gekommen,
neues freudiges Leben verbreitet, das dann nur unter der Obmacht der
Barbaren wieder erstorben ist. So mochte man Alexanders Siege an
den Zug des Gottes knüpfen; nicht bedeutungslos war er der Olympias
Sohn, die in den Bakchischen Orgien lebte und webte, den Thyrsos
und die Schlange schwingend mit den Mänaden durch die Berge stürmte,
in orgiastischen Träumen das Geschick des Sohnes voraussah, den sie
gebären sollte. Er erneute, was der Gott gegründet, vollendete, was
der begonnen. In ihm, dem königlichen Jüngling aus achilleischem
Geschlecht, hat sich das Leben des Griechentums vollendet
Das ist es, was die Compositionen des Blattes XII zusammenfassend
darstellen.
Das weite Asien, einst voller Völker und Staaten, die nach eigenem
Recht und Glauben lebten, schmachtete unter der Perser Joch. Immer
weiter um sich greifend hatten sie Volk auf Volk verknechtet, auch die
hellenischen Küstenstädte Asiens waren bewältigt; dann hatte Xenes den
Hellespont überbrückt, das hellenische Meer zu beherrschen begonnen ;
sein Völkerheer war erobernd über Makedonien und Thessalien ergossen,
durch die Thermopylen bis Delphi, bis Athen gedrungen; dort endlich in
ungeheuerm Kampf hatten die Griechen ihre Freiheit gerettet Von dem an
ruhte der Kampf und der Haß zwischen Hellenen und Barbaren nicht
mehr; — ein endloser Kampf, wenn man in diesem Gegensatz verharrte,
wie freilich die Natur ihn geschaffen, die Geschichte ihn entwickelt hatte,
wie Land und Blut, Sprache und Sitte, alles Göttliche und Menschliche ihn
bezeugte. Es war ein Gegensatz, so starr wie nur je der zwischen Zeus
und den alten Göttern, zwischen ApoUon und den wüsten Erdmächten,
zwischen Demeter, Dionysos und den finsteren Gewalten des Jenseits.
Aber diese hatte das Griechentum in sich versöhnt; sie versöhnend
hatte es sich in sich selbst entwickelt, geklärt und geadelt Gab es
auch zwischen Hellenen und Barbaren die Möglichkeit einer höheren
Einigung? eine Sühne, einen Frieden, über Natur und Geschichte hinaus
ein Neues zu schaffen?
des Königlichen Schloeses zu Dresden 165
Tief in dem geistigen Leben der Griechen keimte dies Neue heran.
Sie unt-er allen Völkern zuerst lernten beaohten, daß das Natürliche
und Unmittelbare, was sie Athener, Spartaner, Korinther sein ließ, doch
nicht ihr ganzes Wesen noch den innersten Kern ihres Wesens bilde;
nnd als sie fortschreitend alle bei aller Verschiedenheit sich doch als
Griechen einig f&hlen lernten, ahnten sie, daß in ihnen selbst noch ein
Allgemeineres und Freieres sei, welches nicht bloß bei ihnen sei, in
ihnen selbst nur in griechischer Fassung erscheine. Sie ahnten, daß
in diesem Griechischen der rechte Kern das allgemein Menschliche sei,
ja daß sich ihr eigenes Griechenwesen in dem Maße sittlich adle und
verkläre, als es dies rein Menschliche erfasse und darstelle. Sie wurden
inne, daß dies von Anfang her der unbewußte Zug ihrer Entwickelungen
gewesen sei, daß sich das Dichten und Denken ihres Volkes dahin ge-
richtet habe. Schon Homer hatte den Göttern rein menschliche Gestalt
und Empfindung gegeben, in ihren Tragödien war mehr und mehr
die alte geheimnisvolle Bedeutsamkeit und Deutbarkeit der Mythen
geschwunden, Götter und Heroen blieben nur noch die schönen und
vollendeten Gestaltungen von Leidenschaften und Charakteren. Schon be-
gann die Philosophie nach den Kräften und Gesetzen, nach den Ge-
danken, welche die Dinge tragen und bewegen, zu forschen ; versuchte
diese ohne die plastische Hülle, die sie dem Griechen und doch nur
ihm verständlich machte, ohne diese Götter und ihre heiligen Ge-
schichten zu denken und auszusprechen. Es war eine staunenswürdige
Entdeckung, als man fand, daß in dem Denken der Menschen, in dem
allen Menschen gemeinsamen Denken, die Urbilder alles Wahren, Guten,
Schönen, die Ideen seien, daß sie nur „wiedererinnert" zu werden
brauchten, daß alles Denken das Sichselbstfinden und Wiedererinnern
dieser Ideen und das Messen der Wirklichkeiten an ihnen sei
An Sokrates Namen knüpft sich diese große Wendung im
Griechentum, die dann durch den hochblickenden Geist Fla tos und
durch die tiefe und umfassende Welterforschung des Aristoteles voll-
endet worden ist.
Verzeihe man den weiten Umweg, dessen es bedurfte den Zu-
sammenhang darzulegen, in dem der Maler zu der Composition ge-
kommen ist, welche er dem Alexanderfest als oberes Bild hinzufügte.
Es giebt unter den platonischen Gesprächen ein vor allen schönes, das
den Titel Gastmahl führt; da wird das Fest geschildert, das der
Dichter Agathon gegeben, als seine Tragödie den Preis gewonnen hatte.
Beim Becher wendet sich die Unterhaltung auf den Eros, den mäch-
tigen Gott der Liebe, dem allein noch kein Hymnus gedichtet sei, auf
seine Macht, sein Wesen, und warum Liebe Getrenntes zu einander
166 I^i^ Wandgemälde im Bali- und Concertsaal
zwinge und nicht eher ersattigt sei, als bis sie das Getrennte verbunden
habe, und doch der Trennung bedürfe, um sie immer wieder anfza-
heben. So sprechen sie nachthinein, bis endlich Sokrates, was er dar-
über von Diotima, der wunderbaren Frau, gehört habe, den stannend
Lauschenden erzählt Da hört man draußen frohen Laxm wie von
Nachtschwärmern, die daher kommen; es ist Alkibiades, der schönste
Jüngling Athens, Sokrates Liebling, der halbtrunken, mit einer Flöten-
spielerin und einigen Begleitern hereinkommt und dem Gelage neue
Lust und ein rechtes Liebesbeispiel bringt; die andern, allmählich alle
trunken und ermüdet, schlafen ein, nur Sokrates, „den nie jemand be-
rauscht gesehen^', bleibt wach und geht mit der Frühe nüchtern hinaus
zum Morgenopfer und zu seinem taglichen Geschäft.
Dieses Symposion hat der Maler gewählt, um darzustellen, wie
jenem Philosophieren eine neue Welt von Gedanken sich entfaltete. Er
stellt den Eros selbst mit zu der Gruppe derer, die von ihm sprechen,
aber den Eros als Statue; der Gott ist nur ein Bild dessen, was Diotima
schöner in Worten gesagt hat, was nun die Hörenden bewegt und erfüllt;
und nicht mehr auf das stumme Bild, sondern auf den sprechenden
Sokrates, den Priester des rechten Eros, sind ihre Blicke und Gedanken
gerichtet
Ist der Gott nur ein Bild, was bedarf es dann noch des Gottes?
In der einen Ecke hat der Maler Plato und Aristoteles dargestellt,
neben ihnen steht ein Altar mit der Opferflamme, aber ein Götterbild,
dem sie brennte, ist nicht mehr da. In der Darstellung gegenüber
ist aus dem Götterbild eine Antiquität geworden: auf den Quadern eines
zerfallenen Gebäudes, neben einer zerbrochenen Tempelsäule sitzt die
Forschung von Büchern umgeben, eine brennende Fackel in der
Hand, einen leuchtenden. Stern über ihrer Stirn. Es ist das, was nach
Alexander aus dem Griechentum wurde.
So hat der Maler in der Weise, wie ihm seine Kunst zu sprechen
gestattet, die Bezüge dargelegt, in denen er das Hauptbild, die Hoch-
zeit Alexanders in Susa, aufgefaßt hat. Es ist ein Fest, wie kein
ähnliches je wieder gefeiert ist, nicht der Pracht und der Kunst nach,
mit der es ausgestattet worden, sondern dem Gedanken nach, dessen
Ausdruck es war.
Ein alter Schriftsteller sagt von Alexander: „Allen befahl er, als
ihre Vaterstadt die Welt, als deren Akropolis sein Lager, alle Guten
als Verwandte and Kampfgenossen, die Schlechten als Barbaren anzu-
sehen'^ Er war nicht nach Asien gezogen, um Beute zu machen,
Lander zu unterwerfen, Volk auf Volk zu verknechten; es galt, dem
überreichen geistigen Leben des Griechentums eine Welt zu neuer Arbeit
des Königlichen Schlosses zu Dresden 167
ZU Öffnen, das verkommene Morgenland mit neuem Leben zu durch-
strömen, beide, Griechen und Barbaren, versöhnend und einigend eine
neue Zeit zu gründen, in der, wie ein Zeitgenosse sagt, alle Menschen
sich für Mitbürger halten, alle in einer Ordnung und einem Sinne
leben sollten, wie eine friedlich weidende Herde auf gemeinsamer Trift.
In einem Jahrzehend voll staunenswürdiger Thaten vollendete
Alexander sein Werk. Vom Hellespont bis zur Sahara, bis zur Wüst«
jenseits des Jaxartes, bis zur Wüste, die das Indusland vom oberen
Ganges scheidet, war nun ein Beich; am Indus wie in Ägypten, am
Euphrat wie im baktrischen Lande begann griechisches Leben in neu-
gegründeten Colonien aufzublühen. Schon waren edle Perser, es war
die Jugend des Morgenlandes in das Heer aufgenommen, in ihm gab
es den Unterschied von Griechen und Barbaren nicht mehr.
Das große Werk der Einigung zu vollenden war der Zweck des
Alexanderfestes, das gefeiert ward, als sich der König, seine Feldherren,
Tausende vom Heer mit den Töchtern des Morgenlandes vermählten.
Einen bezeichnenden Moment aus diesem Feste hat der Maler vor
Augen gestellt. An Alexanders Seite sitzt Stateira, des letzten Perser-
königs Tochter; aber nicht nach orientalischer Haremsart wird sie, eine
unter vielen, des Königs Gemahlin sein; er setzt ihr das Diadem auf,
sie wird an des Königs Seite die Königin sein. Das Schmettern der
Heertrompeten, der Jubel, die freudige Bewegung durch das weite
Festzelt hin zeigt, wie Großes geschieht. Dankende, Glückwünschende
drangen sich zu dem erhöhten Sitze des Königspaares; auf der einen
Seite Fürsten und Edle des Morgenlandes, nach ihrer Art zu huldigen
und „anzubeten'': auf der andern alte Kampfgenossen des Königs,
Hephaistion, sein Herzensfreund, dem Stateiras Schwester, der herr-
liche Krateros, dem Stateiras Base zu teil geworden; sie und andre
nach Hellenensitte goldene Kranze als Festgabe weihend.
Bedeutsam ist dies Fest als ein nächtliches, von flammenden Al-
tären, Kandelabern u. s. w. erleuchtetes dargestellt. Es bezeichnet den
Schluß des Griechentumcs, wie das nächste Bild, die Hochzeit der Thetis,
dessen Aufgang. Das Heldentum des dort verkündeten Achill hat sich
geschichtlich in Alexander verwirklicht. Alexander selbst empfand so;
als er seinen Zug beginnend über den Hellespont geschifft war, ging
er zuerst nach Ilion, dort den Schatten des Priamos zu sühnen, den
Achills Sohn am heiligen Herde erschlagen; dann opferte er an
dem kranzgeschmückten Grabe Achills und Hephaistion an Patroklos
Grab; Wettkämpfe und Spiele schlössen die Feier des Helden, den, so
war Alexanders Ausdruck, er nur um eines beneide, um den Sänger,
der ihn besungen.
168 Die Wandgemälde im Ball- und ConcertBaal
Homer und die ^rleehenstämme.
Zwischen dem Alexanderfeste und der Hochzeit der Thetis mußte
eine Composition, welche sie vermittelt^ ihre Stelle finden. Der Künstler
wählte eine solche, die in einfachen Zügen die Summe dessen, was die
Zeiten von Achill bis Alexander bewegt und erfüllt, so zu sagen den
Stoff und die Art des geschichtlichen Lebens dieses Griechentums zu-
sammenfaßt Diese zeigt Blatt XIX.
Man weiß, was Uomer den Griechen bedeutete. Wie immer in
Stämme und Städte, in unzähliges Sonderleben geteilt, in Homer
hatten sie den Ausdruck ihrer geistigen Einheit, und es gab nichts
Griechisches, das nicht in ihm seine Keime oder Vorbilder gefunden
hätte. Von dem Vater Homer her klingt durch das Griechentum der
Ton der Schönheit und sittlichen Adels, jener Zauber des Idealen, wie
er nie wieder ein Volksleben verklärt hat
Man sieht, warum es die Herme Homers ist, zu der der Maler
die griechischen Stämme stellt, drei Knaben, hier, so verschieden
sie geartet sind, in traulicher Gemeinsamkeit An dem kurzen Schwert
und dem einfachen Helm, an der festen Haltung und dem gebräunten
Körper wird man den kleinen Dorer, an dem Wanderhut, der wei-
cheren Haltung, an dem Bogen und Köcher, mag es ein kaljdonisches
Jagdgeschoß, mag es des in so vielen Liedern gesungenen Eros Rüst-
zeug sein, den äolischen Knaben erkennen; den kleinen lonier end-
lich bezeichnet das Schiffsruder, der schmuckreiche Helm, und mehr
noch die nachlässig zierliche Haltung des geschmeidigen Körpers und
das ins Hohe und Weite schweifende Auge; man glaubt es schon, daß
aus diesem Knaben dereinst ein Alkibiades werden kann: „was sie er-
ringen, gilt ihnen als unbedeutender Gewinn gegen das, was ihrer
Kühnheit die Zukunft verspricht; sie scheinen nach ihrem Charakter
dazu gemacht, weder selbst Ruhe zu haben noch andern Menschen
Ruhe zu lassen'^
Noch ein Wort mag gestattet sein über die Stelle, die der Maler
diesem Bilde gegeben hat; denn in der Ordnung und Stellung der
Bilder wird man die Bedeutung zu erkennen haben, die er ihnen für
das Ganze und in dessen Zusammenhang hat geben wollen. Er stellt
dies Bild der drei Stämme dem der Poesie gegenüber. Es mag das
Griechentum auch anders, nach praktischen und pragmatischen Gesichts-
punkten betrachtet werden können; der Maler faßte es — das Bild des
Homer zeugt dafür — in der Fülle seiner Poesie, seiner idealen Bezüge.
Es ist erläutert worden, warum die Poesie zwischen Apollon und
Dionysos ihre Stelle hat. Sie bedeutete nicht die Kunst des Verse-
des Königlichen Schlosses zu Dresden 169
machens, die technische Arbeit des in Rhythmen und Reimen, in
Worten und Begriffen formenden Poeten. Die Griechen unterscheiden
sinnig das Technische der Künste von dem Musischen; und in diesem
haben alle Künste ihr eigentlich schöpferisches Element, ihr gemein-
sames ideales Wesen, mag es dann, technisch für das Auge oder für
das Ohr gestaltet, in Handlungen oder Empfindungen, in gegenständ-
licher oder begrifflicher Form ausgedrückt werden.
Aus dem Gesagten erkennt man, warum und in welchem Sinn
hier die Poesie von den andern Künsten getrennt und in völlig anderer
Art gefaßt ist.
Das scheinbar so nahe liegende Motiv, in diesem Saal griechischer
Darstellungen die Künste nach althergebrachter Art durch die Musen
zu repräsentieren, wählte der Maler mit gutem Grunde nicht. Er
würde damit weder die Fülle der Gedanken, die er aussprechen wollte,
auszudrücken vermocht haben, noch der Gefahr entgangen sein, in
antiquarischer Correctheit und hergebrachten Typen die poetische Frei-
heit einzubüßen, die allein das Ferne und Vergangene als noch un-
vergangen und in der Seele gegenwärtig mit auf die Palette nehmen,
über das so oder so Richtige das fQr immer und in sich Wahre stellen
kann. Der Ort^ für den seine Compositionen bestimmt waren, gestattete
ihm, alles das, was in dem Bewußtsein der höheren Bildung lebendig
und gegenwärtig ist, vorauszusetzen und aus dem reichen Kreise von
Yorstellungen, in denen zu denken und zu empfinden immerhin nicht
den vielen, aber gewiß denen, die zum Adel der Bildung zählen, ge-
meinsam ist, die Darstellungen zu dichten, in denen er zu uns sprechen
wollte.
Die Eflnste.
Von den sechs Bildern, welche je eine Kunst darstellen, sind die
drei plastischen, Malerei, Baukunst, Skulptur, der Fensterseite zwischen
der Hochzeit der Thetis und dem Apollofest, die drei andern, Tanz-
kunst, Musik, Schauspielkunst, der Seite zwischen dem Dionysoszug und
dem Alezanderfest zugewiesen.
Sprechen wir zunächst von jedem einzelnen dieser Bilder und dem
zugehörenden oberen Beibild.
Zunächst dem Thetisbilde die Malerei (XIII). In reicher Ge-
wandung lehnt sich die ruhig betrachtende Gestalt auf einen Lorbeer-
stamm voll frischer Triebe; so auf die lebendige Natur gestützt hat
diese- Kunst ihren rechten Halt; denn die Wirklichkeiten sind es, deren
Schein sie uns in dem Spiel von Linien und Farben, von Licht und
170 1^6 Wandgemälde im Ball- und Concertsaal
Schatten yorzuzaubem hat Der Sonnenstrahl, der in das Bild herab-
scheint, giebt den beiden Kindern neben ihr bezeichnende Motive. Der
Knabe, über den sich eine Sonnenblume stolz zur Sonne kehrt, selbst
in hellster Beleuchtung, fingt den vollen Sonnenschein, als wollte er
ihn wagen, mit der Hand auf, während die andre schon wie zum wei-
teren Spiel ein Prisma erfaßt. Das kleine Mädchen, den Kopf tief
in ein dunkelblaues Tuch gehüllt, schmiegt sich in den Schatten der
großen Gestalt, aber er deckt sie nicht ganz und gegen den blendenden
Schein hält sie die Hand, die nun scharf beleuchtet ist, vor das Ange.
Das Bildchen drüber zeigt die sitzenden Charitinnen (Grazien)
in zierlich ruhender Stellung. Ihr Name und ihr Wesen ist Anmut;
und wenn ein geistvoller Mann einmal als das Wesen der malerischen
Kunst „die Erfreulichkeit des Scheines^' bezeichnet hat, so erklärt das
die Wahl der Charitinnen für diese Stelle. Die vollblühende Rose be-
zeichnet Thalia, die reife Orange Aglaia, die Blumen im Haar die
heiter stille Euphrosyne.
Das nächste Bild (XIV) ist das der Architektur. Ein Knabe
mit einem Schurzfell, ein Lot in der Hand, hält ihr mit Anstrengung
eine schwere Platte hin, auf die sie etwa den Grundriß eines Gebäudes
zeichnen wird ; dies, dann ihre derbe Gestalt, die schurzfellartige Form
ihres Obergewandes, lassen uns da etwas Handwerksmäßiges empfinden.
Die Baukunst steht dem Handwerk nahe, sie bliebe ganz in demselben,
wenn sie nicht auf den Genius hörte, der ihr von Höherem in das Ohr
flüstert; ihrem gesammelten tiefen Blick sieht man an, wie ihr nun
erst die Welt des Schönen sich erschließt; jener Schönheit vollendeter
Eurhythmie, davon der dorische Tempel, den ihre Linke trägt, ein un-
übertroflFenes Vorbild ist.
Nicht in der Natur findet sie ihre Muster, geschweige dehn ihre
Gesetze, ihre Gedanken; das Geheimnis der Zahlen und Verhältnisse,
der spannenden, tragenden, vermittelnden Formen ruht in der Tiefe
des Geistes. Aus dem toten Stoß*, welchen die Natur bietet, den ge-
brochenen Steinen, den gefällten Baumstämmen ein Abbild jener ein-
fachen Eurhythmie von Linien, Flächen und Maßen, wie sie im Geist
vorgebildet ist, einen Kosmos zu schaffen, der sich in sich selbst be-
stimmt und schließt und menschlicherweise so vollendet ist, wie der
in Harmonie bewegte Makrokosmos, das ist es, was diese Kunst kann
und will.
In solchem Gedankenzusammenhang ist der Stoff zu dem oberen
Bilde gewählt. Es ist ein Stückchen uralter Kosmogonie. Zuerst, so
des Königlichen SchloBses zu Dresden 171
sagen griechische Dichter, war das Chaos und Nacht nnd Todesgranen,
nicht Himmel noch Erde war; aber die Nacht gebar den Eros, den
goldenbeschwingten, der ertrug nicht das Grauen unendlicher Einsam-
keit, das tote Durcheinander ungeformter Elemente; mit mächtiger
Hand schied er ihr wüstes Gewirr, und aus dem Chaos klärte sich die
geordnete Welt.
Das Bild nun zeigt den noch währenden chaotischen Kampf. Das
wilde Feuer will die Erde, die schwer niedersitzt, wieder emporrafifen,
die blitzschleudemde Luft versucht dem Wasser, das wellenhaft sich
gegenstemmt, den Dreizack zu entreißen; aber Eros schwebt zwischen
sie daher und trennt den wüsten Kampf.
%
Das dritte Bild (XY) ist das der Bildhauerkunst. Eine schlichte
Gestalt, wie zur Arbeit leicht gekleidet, steht sie vor einem erst wer-
denden Werk; es wird eine Psyche werden, aber der Marmor lebt noch
nicht, es fehlt noch der beseelende Hauch, der sie künstlerisch erwecken
wird. Warum ruht der fleißige Meißel der Bildnerin? Sie sieht zu
dem Genius hinab, der emsig ist ihn zu schärfen, zu ihr den Blick
richtend, als wollte er in ihrem Auge lesen, wie fein er ihn zu schärfen
hat. Unwillkürlich hat sie die Linke auf das halbfertige Bild gelehnt,
das erst, wenn es vollendet ist, für sich dastehen, ein eigenes Leben
haben wird.
Der Skulptur sind als obere Bilder die Musen zugeteilt, nicht die
neun späterer Zeiten, die eben so viele Kunstarten bezeichnen, sondern
die drei des älteren Mythos, Mneme, Melete und Aoide, das ist: Er-
innern, Sinnen, Sagen. Nicht in aller Kunst sind die drei in gleicher
Kraft: die eine hat in der Melete, am rastlos strömenden Sinnen, an
dem Spiel ihrer Gedanken und Empfindungen ihr Bestes; und wohl
ist Mneme, das vielgedenke Erinnern, die „Mutter aller Musenkunst'';
aber wo sie nur mit Rolle und Griffel die Fülle äußerer Stoffe auffaßt,
da giebt sie wohl wieder, was sie empfangen hat, immerhin Mannig-
faltiges und Reizendes, immerhin Richtiges, aber die letzte Weihe, die
der tiefinnersten Wahrheit, bringt sie nicht. Die Wahrheit ist erst,
wenn in Begeisterung, der Pythia gleich, Aoide die erschauten Wirk-
lichkeiten und das durchlebte Sinnen zu einer neuen Schöpfung hin-
ausgestaltet; und was sie geschaffen, das lebt, und der Lebenshauch
in dem so Geschaffenen ist der Geist dessen, der es schuf. Wie
Gott den Menschen bildete, „zum Bilde Gottes schuf er ihn'', und
hauchte ihm den lebendigen Odem seines Geistes ein, so schafft der
Künstler.
172 Die Wandgemälde im Ball- und ConcertBaal
Aüch der Maler, auch der Dichter schafft wohl Gestalten , aber
keine andere Kunst ähnelt so der des Schöpfers, als die plastische; and
so mag der Maler ihr mit Recht das Bild der drei Musen gegeben
haben, als der, die deren gemeinsam einiges Werk am einfachsten übt.
Auf der andern Fensterseite des Saales, dem Dionysosfest zunächst,
folgt die Tanzkunst. In zierlich geschürzter Gewandung, im leichten
Tanzschritt bewegt sie sich daher, ihr zur Seite in entsprechender Gegen-
bewegung der lockige Knabe, den Thyrsus schwingend, mit den Castag-
netten in der Rechten, die den Rhythmus zum Tanz geben. Beide
sind sie in die Lust der schönen Bewegung und in den Reiz der Gegen-
seitigkeit vertieft; gleich werden sich ihre Blicke wiederfinden. Es ist
die Kunst des flüchtigen Momentes.
Darum sind drüber im oberen Bilde die Hören dargestellt, die
flüchtigen, im rastlosen Wechsel vorübereilenden Jahreszeiten, die Tänze-
rinnen des Olymp; sie sind im Wechsel ewig, aber sie sitzen auf den
rastlos ziehenden Wolken. Die jüngste der Schwestern ist Thallo, die
die Frühlingsblumen streut; an dem vollen Ährenkranz ist Karpo, an
dem Füllhorn mit Früchten und dem schweren Rebenkranz Opora, der
späte Herbst, erkennbar.
Den Darstellungen der Künste sind als Unterschrift bekannte
Schillersche Zeilen zugefügt, welche mit leichter Modification, wie sie
hier erforderlich waren, so lauten:
Das Leben soll sich frisch in Farben regen,
Die Säule soll sich an die Säule reih'n,
Der Marmor schmelzen unter Hammers Schlägen,
Der leichte Tanz den muntern Heigen schlingen,
Der Strom der Harmonien dir erklingen.
Die Welt sich dir auf meiner Bühne spiegeln.
Namentlich für das Bild, welches der Musik gewidmet ist, scheint
der Maler sein Motiv unmittelbar aus den Worten des Dichters ent-
nommen zu haben. Der wie ein Strom wallende blaue Schleier, aus
dem sich das aufwärts gewandte Antlitz emporhebt, zieht zunächst den
Blick auf sich; aber je länger je mehr fesselt ihn das entzückte, ins
Weite gewandte, ohne bestimmten Gegenstand schauende, man möchte
sagen, mehr horchende als schauende Auge. Es ist — wenn das W' ort
den Eindruck dieser eigentümlichen Conception zu bezeichnen versuchen
des Königlichen Schlosses za Dresden 173
darf -^ als erwecke der Maler jene Weise des ästhetischen Genusses,
welche der Mnsik eigentümlich ist: man empfindet, ohne für diese Em-
pfindung das Wort, die Situation, die thatsächliche Bestimmtheit sagen
zu können. Die ganze Gestalt scheint nach dem Antlitz, nach dem
Blick wie nach ihrem Schwerpunkt hin zu gravitieren; sie sitzt aber
wie ohne Schwere, wie emporhorchend; aus dem weißen Gewand, das
bis zum Schoß hinauf die Formen leicht verhüllt, hebt sich der schöne
nackte Oberkörper, als schmiegte er sich nach oben hinauf. Es ist ein
Moment höchster künstlerischer Weihe; dies Auge leuchtet von jenem
Schauen, in dem, wie der Dichter sagt, die ewige Liebe ihres Glanzes
Abglanz verkündet: ich bin {perohe stto splendore potesse, risplendendo,
dir: sussisto, Dante Farad. XXIX 15). Man wird nicht fragen, warum
hier kein Genius mit thätig ist, nicht wenigstens ein Knabe da ist,
auf dem Cello oder der Flöte zu spielen, die jetzt müßig zu den Füßen
der Gestalt stehen. Ihrer Zeit wird auch diese irdische Musik erklingen,
sie wird ein Nachklang dessen sein, was jetzt, sei's Klang, sei's Licht,
sei's welches Ewige immer, die Seele erfüllt hat
Wohl mochte der Maler dies Bild in dem Eros, der durch Har-
monie die Elemente vereint, weiterführen. Denn so setzt die alte
Kosmogonie den Mythos, dessen Anfang bei dem Bilde der Architek-
tur zu melden war, fort. Es ist die schönste und erhabenste der Har-
monien, die der weltordnenden und welterhaltenden Liebe {in sua eter-
niid . . . s'aperse in ntwvi amor Vetemo amore» Farad. XXIX 18). So
zeigt das Bild, wie Eros auf dreisaitiger Lyra spielend {oome d'arco
trioorde ire saeUe) die einst wild kämpfenden elementaren Gewalten be-
ruhigt und zu friedlicher Segenswirkung einigt. Nun schmiegt sich
die Erde mit reichem Füllhorn in den Arm des schilf bekränzten Wassers,
dem der Dreizack nicht mehr entrissen wird; das tückische Feuer hat
seine Flamme in die sichernde Fackel beschlossen und alle umfangt
mit ihren ruhigen Schwingen die Luft, die nicht mehr von Gewitter-
wolken trübe das Haupt mit hellen Sternen umleuchtet zeigt
Den Schluß dieser Bilderreihe bildet die Schauspielkunst; nicht
die Kunst der Schauspieler, nicht die dramatische Poesie, sondern —
wie die ernste und heitere Maske und die Lampe, die als Embleme an-
gebracht sind, uns erinnern — jene große Kunstform, in der Mimik
und Poesie, Dekoration und Kostüm, Orchestik und Musik zusammen-
wirken und die Schauenden selbst mit ihrem Verständnis und ihrem
Beifall wesentlich mit in Rechnung kommen. Von diesem Motiv ist
die Composition des Bildes ausgegangen.
174 £>ie Wandgemälde im Ball- und Conoertsaal
Denn das* Drama zeigt die Welt in seinem Spiegel, die Welt
menschlichen WoUens und Treibens, menschlicher Leidenschaften nnd
Thorheiten, die sittliche Welt In den Wirklichkeiten wird des einzelnen
Thnn nnd Leiden in der Fülle unzähliger Anlässe und Bedingangen,
Zwecke und CoUisionen, stets unbegrenzt und verworren, unberechenbar
und undeutbar bleiben; was ist da wahr? Ja wer ist auch nur gegen
sich selbst so wahr, daß er sieh ganz und rein erfaßte und verstünde,
nicht in den Anlässen und in Zufälligkeiten, in den wechselnden Um-
ständen, in guten Absichten Yorwand und Entschuldigung fände? Aber
die Kunst des Dramatikers, mag sie nach Weise der Griechen zeigen, wie
die Menschen sind oder wie sie sein sollten, mag sie nach Shakespeares
Art zu den äußern thatsäohlichen Geschichten, welche den Stoff bieten,
die psychologischen Zusammenhänge dichten, aus denen solche Schuld
oder Thorheit erklärbar, solches Lachen oder Leiden wahr und über-
zeugend wird — , das dramatische Kunstwerk, ein Spiegelbild der sitt-
lichen Welt, aber ein umrahmtes und in einem Brennpunkt gesammeltes
Bild, faßt aus der wirren Fülle der Wirklichkeiten nur das auf, was
in diesen Rahmen paßt, in diesem Brennpunkt sich vereinigt. Es ist
wahrer als die Wirklichkeiten, es wirkt mit der Kraft dieser gesam-
melten und zusammengefaßten Momente, es zeigt dem Menschen die
Wahrheit seines Innern, es dringt in den ethischen Kern seines
Wesens.
So stellt es hier der Maler dar. Die Gestalt der Kunst sieht auf
den Knaben, um den Moment zu erfassen, wo er sich im Spiegel er-
kennt; und betreten erkennt der Knabe, daß das Bild im Spiegel sein
eigenes Bild ist; nicht auf die Kunst, sondern auf sein Bild ist sein
Blick gerichtet.
Wie von selbst ergiebt sich als Beibild zu diesem Bilde die Dar-
stellung der Moiren (Parzen), die jedem sein Los zuerteilen, und
nicht als ein blindes Fatum, sondern nach ewigen Gesetzen, nach den
Ordnungen, die das All tragen und erhalten, in der sittlichen W^elt
schalten. Sie spinnen die Fäden menschlichen Daseins, die Lebens-
faden, welche den Kosmos der sittlichen Welt durchnetzen; sie führen,
verschürzen imd entwirren sie, durchschneiden sie endlich. Wir nennen
es Tod, wenn der einzelne Faden abreißt; trauernd sehen wir auch das
bedeutungsvollste Leben der Nacht des Grabes verfallen. In höherer
Betrachtung der Dinge ist es nicht so; daran erinnert neben der „un-
abwendbaren", der Atropos, die schon im BegriflF ist, den Faden zu
durchschneiden, die Leuchte mit dem hellen Feuer; es ist nicht die
Fackel, die der Tod auslöscht.
des Königlichen Schlosses zu Dresden 175
So im einzelnen die sechs Künste mit den zu ihnen gehörenden
oberen Bildern. Kicht ohne mannigfache Bezüglichkeit ist das Neben-
und Gegeneinander derselben, wie es der Maler geordnet hat.
Zunächst ist es ein Bedürfnis so zu sagen des künstlerischen Wohl-
lautes, vermittelnd überzuführen und dem sinnlichen Auge entweder
in Linien und Farben oder in der sachlich leichten Folgereihe von
Yorstellungen die wohlthuende Empfindung des Zusammenhangs zu
geben. Der ruhige und harmonische Eindruck, den der sehr reiche
Bilderschmuck dieses Saales auf den Beschauenden macht, beruht zum
guten Teil darin, daß nirgends Hartes, Sprunghaftes, Unvermitteltes das
Auge und den Sinn beleidigt oder überreizt. Effekte, das heißt ästhe«
tische Faradoxien, logische Widersprüche für das Auge, wie sie der Menge
gefallen und dem trägeren Sinn allein der Mühe wert scheinen, würden
hier nicht an ihrer Stelle sein.
Wenn die vier großen Bilder der Thürwände sich im Licht ein-
fach als Frühe, Mittagshelle, Abend und Nacht ordnen, so folgt dem
Frühlicht des Thetisbildes der Sonnenstrahl auf dem nächsten, dem
Bilde der Malerei, und die Leuchte auf dem Bilde der Schauspielkunst ;
die Flamme oben bei den Moiren führt das Auge zu dem Nachtbild
des Alexanderfestes und des Symposions hinüber. In den Musen über
der Skulptur ist schon der Lorbeer, der über dem delphischen Bilde
die Pythia umschatten wird, und auf die Eleusinien über dem Dionysos-
fest folgen die Hören mit ihren Blumen und Früchten, auf den Dionysos-
zug der thyrsusschwingende Tanz. Genug, um anzudeuten, was es mit
der harmonischen Folge auf sich hat.
In anderer Weise bedeutsam ist das Gegeneinander der sechs
Bilder, welche die Künste darstellen. Man braucht sich nicht erst des
Schlegelschen Wortes zu erinnern, daß die Architektur das starre Gegen-
bild der Musik, die Musik das flüssige Gegenbild der Architektur sei,
um das Gegenüberstehen der am meisten technischen und am meisten
musischen Kunst zu würdigen; das weitere besagt der Eros mit den
Elementen hier imd dort Dem Drama gegenüber steht die Malerei,
beide Spiegelbilder der Wirklichkeiten, beide in deren Schein den er-
scheinenden Gedanken erfassend oder zeigend, nur daß der Maler in einem
Moment zusammengefaßt und gegipfelt zeigt, was das Drama in immer
neuen Gruppen und Scenen in der Folge seines Auf- und Absteigens
darstelUt Und was ist die tanzende Gestalt anders als eine Continuität
statuarisch schöner und bedeutsamer Momente, als eine bewegte Plastik?
In solchen und ähnlichen Bezügen motiviert sich dem Maler die
Anordnung seiner Darstellungen; es ist die Form, in der er die Zu-
sammenhänge, die vermittelnden Ideen, die verknüpfenden Vorstellungen,
176 Die Wandgemälde im Ball- und Concertsaal
für die seine Eunstweise keinen unmittelbaren Ausdruck hat, in der
Seele des Beschauenden hervorlockt. Man muß sie mitempfinden, um
das Ganze, das er dichtend gestaltete, zu verstehen.
Griechisches Leben.
Die acht friesartigen Felder über den Fenstern, die weiß auf blauem
Grunde gegen den übrigen farbigen Bilderschmuck des Saales bescheiden
zurücktreten, enthalten in reliefartiger Darstellung Scenen des griechi>
sehen Lebens. An bezeichnenden Stellen bilden Gruppen von Göttern,
als lebten sie mitten unter dem „geliebtesten Yolke^', Mittelpunkte der
Darstellung.
L lieber dem ersten Fenster, zwischen dem Frometheusbilde und
der Gruppe der Grazien, ist die Kind er zeit.
Es ist attischer Brauch, daß das neugebome Kind am siebenten
Tage nach der Geburt im Beisein des Vaters um das Feuer des Herdes
im Lauf getragen und damit zum Genossen des Hauses geweiht wird
(Amphidromien); spendend, Kranze bringend, nehmen die Ge-
schwister mit an dem Weihlauf teil
Auf einem alten griechischen Yasenbild ist dargestellt, wie Einder-
jubel die erste Schwalbe, den wiederkehrenden Frühling begrüßt
Davon geht die Composition hier aus; der Winter mit seinem Regen
und Schmutz draußen und dem dunstigen Kohlenbecken im engen
Zimmer ist zu Ende; man kann wieder hinaus ins Freie, da spielen,
Blumen suchen und Kranze winden.
Zwischen den beiden Kinderscenen eine Göttergruppe. Vater 2eus,
der Hüter des Herdes (Hestios), an seiner Seite die mütterliche Hera,
deren Pfau Hebe (Jugend) mit Nektar trankt; endUch Athene Polias,
die Stadtschirmende, in deren Obhut das Knäblein, das man weiht,
einst zu einem wackem Bürger ihrer Stadt aufwachsen wird.
IL Was wir Jugendbildung nennen, kannte der Grieche nicht
anders als in der Gestalt gymnastischer und musischer Übungen; es
galt das Können dort mehr als das Wissen und Besserwissen.
Zunächst über dem Fenster zwischen Malerei und Architektur die
gymnastischen Übungen, nach hellenischer Art sogleich in der
Form des Wettkampfes; denn „der Wettkampf weckt die schlummernde
Tugend" und es giebt keinen ersehnt-eren Schmuck als „der Nike Kranz".
Der Maler wählte den Wettkampf im Lauf (Dromos). Die Einen
rüsten sich noch; ein Jüngling, schon entkleidet, tritt zum Herakles,
dem die Palästra geweiht ist, ihm zu spenden ; ein andrer löst sich die
Sandalen, ein andrer salbt sich.
dee Königlichen Schlosses zu Dresden 177
Weiterhin ist bereits ein Lauf nahe daran sich zn entscheiden.
Der alte Sophronist (Ordner) und ein paar Jünglinge schauen den
laufenden Freunden mit gespannter Teilnahme nach; 'schon ist einer
gestürzt, ein zweiter, in höchster Anstrengung erschöpft, nahe am Zu-
sammenbrechen; zwei andre erreichen das Ziel fast zugleich; der eine
hebt schon den Kranz, der auf den vorgestreckten Armen einer Nike
liegt, während der andre, ihm den Sieg streitig zu machen, nach den
flatternden Bändern greift; aber der Knabe und der Greis, die zu-
schauend am Ziele sitzen, zeugen für den ersten. Ihm wird der
schmucke Helm, der als Preis bestimmt scheint, nicht so viel gelten,
als das, was nun seiner wartet.
Den Sieg feiert man als ein Fest der Götter, und Palmen tragen
heißt die Götter feiern. Mit einem Palmenzweig in der Hand tritt
der Sieger zu den Kampfrichtern, und Palmen tragen die Mädchen
und das Knäbchen, unter deren Zuruf er mit dem Siegeskranz ge-
schmückt wird.
IIL Zahllos sind die Arten musischer Übungen und Spiele; aber
die schönsten und in ihren Formen mannigfaltigsten knüpfen sich an
die dionysischen und apollinischen Feste.
Zum uralten dionj^sischen Cultus gehört, daß ein Bock geopfert
und dazu der Dithyrambus gesungen (Tragodia), toller Bakchen- und
Satymtanz getanzt wird. Es geht dabei derb genug her, wie das Bild zeigt.
Mehr von den Grazien, vor deren Altar hier der Bock geschlachtet
wird, hat der apollinische Gesang und Tanz; die drei Mädchen am
Altar mit Kithara und Doppelflöte mögen den Hormos singen, den
„Kranzreigen", in dem Jünglinge und Mädchen, abwechselnd hinter-
einander, tanzen und dann sich wie ein Kranz zusammenschliessen.
IV. Das nächste Bild stellt eine Hochzeit dar. Nach griechischer
Art fahrt der Bräutigam die Braut auf einem Wagen heim; ein kleiner
Eros sitzt als Lenker auf dem Pferde, dem zur Seite der fackeltragende
Brautführer, voraus ein blumenstreuendes Mädchen schreitet; hinter
dem Wagen eine andere, die den Spinnrocken und ein Mehlsieb trägt
zu guter Vorbedeutung fleißiger Häuslichkeit; sie schaut auch nach
dem Himmel hinauf, ob da irgend ein glücklicher Vogel oder ein
günstiges Wetterleuchten den Weg segnet Der rechte Zugführer aber
ist Hymen mit fröhlich leuchtender Hochzeitsfackel, er schreitet eben
an der in voller Schönheit prangenden Aphrodite vorüber, die in der
Hand nicht den Apfel der Eris, weder den vom Parisurteil her, noch
den häuslichen Haders, sondern die Granate führt, von der die Braut
essen muß, ehe sie ins Brautgemach geführt wird. Neben ihr gar
sehr in traulichem Gespräch Ares, und weder er noch sie scheinen
Droysen, Kl. Schriaen II. 12
178 ^16 Wandgemälde im Ball- und Concertsaal
darauf zu achten, daß der wackre Schmied Hephaistos, der Dan ein-
mal ihr rechter Eheherr ist, sieht eben zufrieden dreinschaut.
Zur andern Seite der Göttergruppe folgt das Hochzeitmahl, die
beiden Alten fleißig beim Wein und mit dem hübschen Schenken
schäkernd, während ein junges Pärchen sich umschaut, was weiter
geschieht: es öffnet die alte Schaffnerin soeben das Brautgemach, schreitet
voran mit der Lampe; der Bräutigam hat die Hand der Braut in
seiner Hand, sie hineinzuführen; schamhaft zögert sie und doch drangt
der lächelnde Eros,
V. Auf der Gegenseite des Saales, zwischen den Eleusinien un*i
dem Bild der Hören folgt das Opfer, in der Mitte des Bildes die
Gruppe der Götter, die das Opfer empfangen, Poseidon und Amphi-
trite nach der einen, Demeter und Dionysos nach der andern Seite
gewandt, zwischen beiden ein Nereidchen, das einen kleinen Schelm
von Pan auf einer Seemuschel blasen läßt.
Zum Poseidon gehört ein Stieropfer; mit Kränzen geschmückte
mit vergoldeten Hörnern liegt der gewaltige Stier vor dem schon
flammenden Altar, den geweihten Schlag zu empfangen, während der
Priester mit gehobener Hand das Gebet spricht; dann wird er mit
dem Messer, sein Begleiter mit dem Beil das Tier zerlegen, und der
Priester im Hintergrund die Eingeweide beschauen, um des Gottes
Zeichen zu deuten.
Auf der andern Seite der Göttergruppe ein unblutiges Opfer.
Zwei dionysische Priester spenden in die Flamme des Altars, zu dem
Früchte und Wein gebraucht werden; in das Gebet hinein brausen die
bakchischen Flöten.
VI. Ein besonderes Bild ist den Weinfesten gewidmet, wie denn
bei ihnen vielerlei derber und übermütiger Spaß ländlicher Lustbarkeit
im Schwünge war.
Zunächst der Schlauchtanz (Askolia); es gilt auf einem voUen,
wohlgeölten Weinschlauch nach dem raschen Ehythmus der Flöten zu
tanzen, ohne den Takt und die Balance zu verlieren. Wie lächerlich
sich der Tänzer dabei gebärdet, sieht man in dem Bilde an den Zu-
schauern; das Mädchen in der Ecke muß, wie wir sagen, sich formlich
halten vor überlautem Lachen; und so gut der Bube, der auf dem
Boden liegt, wie das Mädchen am Baum, die beide den Schlauchtaaz
spielen sollten, kann vor Lachen nicht weiter blasen. Denn der ge-
schnellte ist daran, vornüber zu fahren, die Mutter vor ihm hält
schon den Arm hoch, ihr Kind zu decken. Der Alte weiterhin, wohl
der wohl weise Kampfrichter, sieht schmunzelnd drein, und der neben
ihm sitzt — vielleicht war er vorher auf dem Schlauch — höhnt
des Königlichen Schloeses zu Dresden 179
auf den Springer los: ,,siehst du, Sosias, du machst es auch nicht
besser*'.
Dann folgt das Keltern. Ein Alter schüttelt die gelesenen
Trauben in den Bottich, ein Mädchen steigt hinter ihm herauf mit
dem Korb voll Trauben auf dem Bücken; begreiflich, daß beide Auge
und Sinn auf die lustige Schlauchscene, an der sie vorüberkamen,
wenden. In der Mitte des Bildes steht die Kelter, in der zwei nackte
Buben in bester Weinlaune stampfen.
Vor der Kelter liegt auf ein Fäßchen gelehnt, dem er schon
fleißig zugesprochen zu haben scheint, der trunkene dicke Weinmeister,
Vater Silen entweder selbst oder einer, der ihm gar ähnlich ist; er
weist zu den Schaukelnden hinüber, als lallte er: „diese albernen
Dirnen auf der Schaukel, sie erinnern mich an eine merkwürdige Ge-
schichte, von der sie freilich nicht wissen, daß es zu deren Gedächtnis
geschieht, wenn sie nun so her und hin fliegen^^
Denn das Schaukeln (Aiora) gehört zum Fest von der Erigone
her. Erigone, des Ikaros Tochter, hatte sich mit dem Dionysos gar
weit eingelassen und der Yater erhielt zur Begütigung vom Gott ein
Fäßchen Wein; ihn aber^ da er mit dem Fäßchen auf dem Karren
auf den Dörfern umherzog, von dem noch unbekannten Getränk zu
verkaufen, erschlugen Hirten, die auch gekauft hatten, in ihrer Trunken-
heit, überzeugt, daß sie vergiftet seien. Den Erschlagenen fand endlich
die Tochter und ward nun inne, daß sie alles Unglücks Schuld sei;
sie erhenkte sich an dem nächsten Baum und ihr Leichnam schaukelte
nun so her und hin im Winde. Die beiden Dirnen auf der Schaukel
scheinen freilich nicht eben daran zu denken, daß sie eigentlich
„Buß-Oscillen" darstellen; und während der gute Freund vom, die
Frau hinten, die Hände bereit halten, die kommende Schaukel zurück-
zustoßen, langt ein lustiger Gesell, seitwärts am Baum liegend, hinauf,
der einen Schauklerin in die kitzlichen Weichen zu greifen; daß er es
nicht eben mit bescheidener Geduld meint, zeigt der Weinkrug, dem
umgestürzt das edle Naß entströmt. Ein ander Pärchen aber scheint
auf dem besten Wege, die Geschichte von Erigone und Dionysos getrost
von vom anzufangen.
YII. Dann folgt ein Jagdbild. Es schildert einen Moment nicht
kleiner Gefahr; und schuld daran scheint die Hamadryade zu sein,
die schalkhaft zwischen den Zweigen ihres Baumes hervorguckt Denn
das Jagdnetz, das dort festgemacht war, ist gelöst; das zur Wut gereizte
Schwarzwild bricht durch, sich auf die Jäger zu stürzen. Schon liegt
ein Alter am Boden, der Sohn eilt heran, ihn zurückzureißen, denn
der Speer, der auf des Ebers harten Kopf angesetzt ist, biegt sich,
12*
180 I^ie Wandgemälde im Hall- und Concertsaal
wird gleich zersplittern, wie es dem zurückgetretenen Jäger zTinäch>t
hinter dem Alten schon ergangen ist. Da ist Hilfe Not; laut ruft der
zurückgetretene den nacheilenden zu, von denen der eine einen Arm
voll neuer Sauspieße bringt, ein andrer seine Hunde zurückhält, damit
sie die Tiere, die zu stellen nicht mehr nötig ist, nicht noch wütender
machen.
80 tobt die Jagd der Quelle zu, die dort unter Busch und
Röhricht versteckt hervorsprudelt Dort im Dunkel des Laubes begiebt
sich eine andere Jagd; ein verliebter Pan hat die Quellnymphe be-
schlichen und faßt sie nun in lüsterner Hast, sie zu küssen; sie aber
hält ihm schnell die Hand vor das bocksbärtige Gesicht
Weiterhin konmit aus dem Wald, das erjagte Beb über einen
Zweig gehängt, ein Alter und sein junger Genoß, der junge neu-
gierig um die Buschecke nach der verliebten Scene schauend.
VIII. Endlich über dem letzten Fenster, zwischen den Parzen und
dem Symposion, Alter und Tod.
Mag die Jugend sich in Wald und Feld tummeln, in der Palästra
ringen und Mummenschanz treiben, die Alten sitzen am liebsten in
der Lesche an der wärmenden Herdflamme, bei einander zu plandern
oder sich erzählen zu lassen. Nun hören sie einem Sänger zu, der
von den „Zeiten vordem, die besser waren", singt; er selbst wie einst
Homer blind; neben ihm sein Führer, ein Knabe, der die Lieder seines
Alten schon oft genug gehört haben wird, um nun lieber sich mit den
Täubchen zu freuen, die er mit den Brocken aus seiner ärmlichen
Brottasche heranlockt.
Weit zurückschauend, sagt ein Dichter, vergißt das Alter die Nähe
das Todes. Ihnen zunächst in der Mitte des Bildes sitzen Apollon
und Artemis, deren Pfeile Tod bedeuten. Schon hält Apollon den
Bogen gespannt, gleich wird er ihn heben, den unter den Greisen zu
treffen, den ihm Artemis schon nennt und zeigt Die Herdflamme
vorstreckend, als solle sich der Bezeichnete ihrer noch zum letzten
Male freuen, steht hinter Artemis die gütige Hestia, teilnehmend in
den Kreis der Alten schauend, der bald zerstört sein wird. Schon
ist Hermes, der Totenführer, bereit zu neuem Geleit, wenn er auch
noch denen nachschaut, die er soeben zum dunkeln Acheron geleitet
hat, und denen Hekate, Schlüssel und Schlange in der Hand, mit
trüber Fackel zu der traurigen Fahrt hinüber leuchtet
Sie fahren auf Charons Kahn. Ein paar Kinder wie gebrochene
Knospen; ein paar Greise, die wohl des Lebens satt nun zu ihrer
Ruhe kommen; dann das händeringende Madchen, der „der Hymenaios
nicht mehr erklang", die jammernde junge Frau, für deren verwaiste
des Königlichen Schlosses zu Dresden 181
Kinder nun niemand sorgt, endlich das Mütterchen , über den Sohn
gebengt, der noch hier das tote Antlitz in ihren Schoß beugt, den
letzten Gram zu stillen. So fahrt der alte Totenfahrmann seinen Kahn
über das träge Wasser zum dunkeln Beich, zum Palast des Hades.
Dort thront der finstre Gott, „der Toten Zeus", der Allau&ehmer;
an seiner Seite die bleiche Persephassa, die er einst hinabgerissen;
sie wird nicht froh blicken bis zu der Zeit ihres Anfangs, wie kleine
Frist ihr auch dort in der lichten Oberwelt vergönnt ist; sie wäre für
immer zurückgekehrt, wenn sie nicht, da die Götter sie wieder forderten,
schon von der Granate gekostet hätte, dem Zeichen hier der traurigsten
Hochzeit
An den Stufen des Thrones aber liegt der dreiköpfige Kerberos,
angekettet, damit nicht wieder ein Herakles komme und ihn raube.
VI.
Bemerkungen über die attischen Strategen.
Hermes IX 1874 S. 1 £
[1] I. Aus einer attischen Inschrift, die C. I. A. I Nr. 179 abge-
druckt ist, hat Böckh in einer akademischen Abhandlung von 1846 [Kl.
Sehr. VI S. 72 flF.] die Zeit der Schlacht von Sybota und damit für die
Chronologie des korinthischen und chalkidischen Krieges, die nach der
Darstellung des Thucydides unsicher bleibt, den entscheidenden Punkt
festgestellt. Indem diese Inschrift die Zahlungen an die nach Korkyra
gesandten attischen Feldherrn und die Termine dieser Zahlungen an-
giebt, steht es fest, dass die Schlacht im zweiten oder dritten Monat
des Archonten Apseudes Ol. 86 4, im September 433 stattfand ^
Die Inschrift scheint noch über eine andere Frage, die für das
attische Staatsrecht von großer Bedeutung ist, einige Aufklärung zu
geben. Die zehn Strategen der marathonischen Schlacht haben je eine
der zehn attischen Phjlen geführt, jeder die, der er selbst angehörte.
Ob die Strategen der perikleischen Zeit und der des peloponnesischen
Krieges ebenso den Phylen entsprachen, läßt sich aus den Angaben
des Thucydides, Xenophon, Diodor u. s. w. nicht entscheiden, da sie
die Feldherren, die sie anführen, nicht in der offiziellen Weise nach
ihren Demen bezeichnen, und nur zufällig weiß man aus sonstigen
Angaben von einzelnen derselben, zu welchem Demos sie gehören. In
offizieller Weise [2] bezeichnet sind die Strategen des samischen Krieges
in der Liste, die der Scholiast des Aristeides (S. 485) aus der Atthis des
^ Wenn das Jahr des Apseudes nicht, wie Böckh anfangs angenommen,
später verworfen hat ein Schaltjahr war, so ist, da für dies Archontenjahr durch
die Berechnung des Meton der 13. Skirophorion = 27. Juni des julianischen Jahres
432 feststeht, die erste Zahlung am 7. Aug., die zweite am 29. Aug. 433 erfolgt,*
und das zweite Geschwader traf am Abend der Schlacht bei Sybota ein.
Bemerkungen über die attischen Strategen 188
Androtion entnommen hat, und sie sind da in der verfassungsmäßigen
Reihenfolge der Phylen aufgeführt. Unsere Inschrift giebt sechs
Strategen eines Jahres in gleicher offizieller Form der Bezeichnung.
Nach Thucydides (I 45) haben die Athener nach Abschluß ihres
Defensivbündnisses mit den Eorkyrdem, da diese von einer überlegenen
Flotte der Korinthier bedroht wurden, erst zehn SchiflFe unter den
Strategen Lakedaimonios des Kimon Sohn, Diotimos des Strombichos
Sohn, Proteas des Epikles Sohn, dann (I 51) wenig später {ov noXX<p
voTSQov) 20 Schiffe unter Glaukon des Leagros Sohn und Andokides
des Leagoras Sohn nach Eorkyra gesandt.
Die Inschrift giebt an, dass die Schatzmeister am 13. Tage der
ersten Prytanie den Strategen der ersten Sendung, am letzten derselben
[oder der dritten] Prytanie denen der zweiten Sendung die Zahlungen
gemacht haben:
itccQiSoaav] <TTQaTi]yoT<i kq Köqxvquv roiq
TiQCLtTOtg heyiliovai, Aaxadccifiovitp Accxia-
Sy, ÜQOifTi^'] Al^oovBly AioxliMp Evcovvfiei
und für die zweite Sendung:
nccQi'lSoffav argarriyoiq hq KiQ"
xvQccv ToTg SevTiQ]oig ixnkiovai, Flavxmvi
"livBi KoiksT, AgaxovTi
knl xfig] AlavxiSoq nQvrccveiccg u. s. w.
Nur den ersten dieser drei letztgenannten Strategen hat Thu-
cydides richtig angegeben; dieser Glaukon ist der Sohn des AiayQog
lliavxcavogj der um Ol. 78 2 als Strateg in Thrakien gefallen ist
(Herod. IX 75). So ergiebt sich die Ergänzung der Lücke, die 15 Buch-
staben umfasst: Fkavxcovi [hx KeQafiioov ] ivsi KoiksL Die fünf
Buchstaben, die an dem zweiten Strategennamen fehlen, können etwa
mit !ävTifUvet, TiyLoyivaiy KXetyevsi ergänzt werden, nur daß sich unter
den bekannten Strategen keiner eines solchen Namens findet; für unsem
Zweck genügt der erhaltne Demosname. Den dritten dieser Strategen
nennt die Inschrift Aqccxovti^ man darf zweifelp, ob der Name Drakon
in Athen in tTbung geblieben ist; wohl aber ist Drakontides unter den
angesehenen Männern dieser Zeit; er war es, der bei der Anklage gegen
Perikles im Sommer 430 den Antrag stellte, für die Abstimmung die
feierlichste Form, die auf der Burg, [3] eintreten zu lassen, nicht, wie
es scheint, zur Verschärfung der Gefahr ffir den Verklagten (Plutarch
Per. 32). Von anderen ist darauf hingewiesen, daß in dem AvaixXfjg
AQaxovxidov Barfjß'sv, der OL 91 1 y^afifiarevg Tccpnö^v rfjg ß'mv
184 Bemerkungen über die attischen Strategen
war, wohl der Sohn des Strategen zu erkennen sein dürfte; ich. weiß
nichts Besseres, und wenigstens würde mit ^QaxovTi\Sf] Barfi&B^f In}
T^§] AlavTiSo^ u. s. w. gerade die Lücke ausgefüllt sein ; freilich mit
anderen Demenbezeichnungen eben so gut
Wenn, wie weiterhin nachgewiesen werden soll, die Strategen ihr
Amt mit dem Anfang des attischen Jahres antraten, so ist noch ein
siebenter Strateg für Ol. 86 4 bei Thuc. I 57 überliefert, Archestratos
des Lykomedes Sohn, der mit andern (/u€r äXhov Skxa <nQaTtjyd>v:
das Sixa ist sicher falsch) im Frühjahr 432 nach Potidaia geschickt
wird, vielleicht derselbe, der noch (Xenoph. Hell. I 5. 16) unt^r den
zehn Strategen bei den Argin usen war und in Mitylene starb (Lys. 21, 8),
der Phrearrhier.
Man darf wohl noch einen achten hinzufügen. Plutarch (Per. 1 6)
giebt in etwas unklarer Weise an, daß Ferikles nach dem Ostrakismos
des Thukydides fünfzehn Jahre lang Jahr auf Jahr Strateg geweson
sei {xal fiiccv omav iv raig arQccrrjyiccig äQXV"^ xal Svvaare/inf
xT'tjadfievog). Also muß er es auch Ol. 86 4 gewesen sein.
Wir hätten also für das Jahr Ol. 86 4 acht Strategen aus fol-
genden Phylen — ich fuge die Nummer ihrer verfassungsmäßigen
Reihenfolge bei:
AccxsScctfiöviog AaxtäSijg aus der Oineis VI
ÜQüOTBag Al^oovBvg Kekropis VII
. Erechtheis I
. Akamantis V
. Hippothontis VllI
. ? Aigeis II
. ? Leontis IV
. Akamantis V
/tiÖTifjLog EifcovvfjLsvg .
rXavxmv bc KsQafiicav
ivfjg ix Koikfjg
AQccxovTi8rig Bccrfj&ev?
'4()xi(rT()aTog 0Qed^Qiog?
ITeQixXTjg XokaQyevg . .
Perikles und Glaukon sind aus derselben Phyle; daß darum nicht die
Ergänzung rkavxcovi [kx Ksgafiicav unrichtig ist, ergiebt sich aus dem
Strategen Verzeichnis des samischen Krieges, in dem beide in gleicher
Weise vorkommen. Dieses giebt folgende Namen:
^coxQccnig '4vayvQa(Tiog . . . Erechtheis I
^otpoxXfjg kx KoXcovov .... Aigeis 11^
^ Daß Kolonos in späterer Zeit zur Antiochis gehört hat, ergiebt C. I.
Gr. I Nr. 172 |C. I. A. II 944]. Aber Nr. 115 [C. I. A. II 329] rechnet diesen
Demos zur Aigeis. Böckh hat 172 für älter erklärt als 115, weil in 172 kein Name
wie Seleukos, Antiochos, Ptolemaios u. s. w., noch weniger römische vorkommen.
Auch in Nr. 115 kommen deren nicht vor und doch datiert diese aus dem Jahre
des Archontcn Eubulos, der nach Dittcnbergcr (Hermes II S. 304) den Jahren
zwischen Ol. 126 1 und 128 1 angehört. Wohl aber kommt in Nr. 172 ein Jiööw^o^
L
BeinerkuDgeu über die attischen Strategen 185
'AvSoxiSi]g Kvdccß-ijvevg
Pandionis III
Leontis IV
Akamantis Y
Akamantis V
Oineis VI
Kekropis VII
K()i(ov ^xa/xßcjviSf]Q
UsQixXTjg XoXaQyevg
JTlavxcjv kx K^Qafiicov .
KttXXiaTQaxog u4/a()V6vg
Ssvofp&v Me?uTevg . .
Das Verzeichnis ist unvollständig; es sind nicht zehn Strategen, wie
der Scholiast aas dem Androtion geben wollte {rßjv Sexa (TTQarfjycov
Tcjv Iv ^üfio) xcLx LivSQCLiTlmvcc). Es entgeht uns damit die Mög-
lichkeit zu erkennen, für welche von den drei noch übrigen Phylen
(Hippothontis VIII, Aiantis IX, Antiochis X) es in diesem Jahr keinen
Strategen gab; denn daß die vier Strategen, die „später nachgesandt"
worden sind (Thuc. 1117) Thucydides, Hagnon, Phormion, Tlepolemos,
aus der Wahl des nächstfolgenden Jahres sind, ergiebt Thucydides
Angabe, daß zuerst 44 SchiflFe UeQtxXiovg Sbxütov avrod aroarrj'
yovvxog ausgesandt worden seiend
Man hat, jene Schwierigkeit der Doppelwahl aus einer Phyle zu
erklären, das Auskunftsmittel der ausserordentlichen Strategie angewandt.
Man wird nicht umhin können, Kleons Sendung nach Pylos OL 88 3
in solcher Weise zu deuten, obschon für dieselbe, so viel ich weiß, die
Bezeichnung Strategie nicht überliefert ist*. Aus früherer Zeit giebt
'Iffuysvovg vor. Ist diese Inschrift, wie Böckh annahm, ein Verzeichnis im Kriege
Gefallener (aus dem Kerameikos), so hat Isigenes seinen Namen wenigstens
50 Jahre vor dem Kriege erhalten, in dem sein Sohn fiel; und nach dem Namen
der Isis hat schwerlich vor Ol. 117 2 ein attischer Mann seinen Sohn genannt,
wenn auch die Ägypter in Athen schon vor Ol. 111 4 (s. den Volksbeschluß im
Hermes V S. 351) sich ein Heiligtum der Isis hatten gründen dürfen. Eine so
bedeutende Zahl attischer Bürger, wie diese Inschrift Nr. 172 angiebt, könnte
nur im Chrcmouideischen Kriege Ol. 128 den Tod gefunden haben. Später hat
Böckh (St. I' S. 698) in 172 eine Diaitetcnlistp erkannt. Warum nach Eubulos
der Kolonos von der Aigeis zur Antiochis verlegt wurde, ist nicht mehr ersichtlich.
Die Reihenfolge der Namen in dem Verzeichnis des Androtion bezeugt, daß
Ol. 84 4 oder wenigstens zu Androtions Zeit der Kolonos zur Aigeis gehörte. [Es
ist jetzt zweifellos, daß es drei Demen KoXcjvogy in der Aigeis, Leontis und
Antiochis gab; der des Sophokles gehörte zur Aigeis. E. M.]
^ [Aus der vollständigen Liste bei Wilamowitz de Rhesi scholiis S.13 kennen
wir jetzt auch die beiden fehlenden Strategen
T'kavxhfjg Ä^tjvievg . . . Hippothoontis VIII
KlBt,io(pC}v ßoQaisvg . . . Antiochis X
Nicht vertreten war also die Aiantis IX. £. M.]
^ Man wird nicht dagegen anführen wollen, daß Demosthenes (gegen Boiotos
i:^ 25) von dem Sohn des Klcon sprechend sagt: ov <fual top nnie^a Klion'a iCtv
vufTtoiov TtQOYOvuy iTTQixirjyovi'Tu, Anxf-öiUttovUov .lokkoVr^ tv Hvht} CiüfTng Xnßofin^
liükiaiu nüyiüjy iji ;iu/.£i kvöoxiniitna.
186 Bemerkungen über die attischen Strat^en
es kein sicheres Beispiel der Art, da das dafür angeführte des Arche-
stratos (Thucyd. I 57) fier äXXtov Sixa oTQarijy&v auf unzweifelhaft
verkehrter Lesart beruht; denn zu dem ersten Auszug nach Potidaia
im Frühjahr 432 mit nur 1000 Hopliten und 30 Schiffen brauchte
man sicher nicht alle zehn Strategen und noch einen elften obenein;
schon 6. Hermann hat deshalb ävo für Shea korrigiert
Über die Wahl der Strategen fehlt es an sicheren Nachrichten.
Eine Stelle im PoUux, die das für die vorliegende Frage Entscheidende
geben könnte, ist durch sichtliche Verwirrung im Text ungeeignet als
maßgebend zu dienend
Nach der Natur der Sache sind folgende Fälle möglich : es wählt
entweder jede Phyle für sich oder das ganze Volk, es wählt entweder
jede Phyle aus sich oder aus allen, oder das Volk aus allen oder je
einen aus jeder Phyle. Xenophon erzählt (Memor. III 4), Sokrate^
habe den Nikomachides aus den Archairesien kommen sehen und ihn ge-
fragt, welche Strategen gewählt seien, [6] und Nikomachides darauf: die
Athener hätten nicht ihn gewählt, obschon er wiederholt seine Dienst-
pflicht als Hoplit geleistet habe, Lochage, Taxiarch gewesen sei, mehrere
Wunden habe, sondern den Antisthenes, der nur bei den Kittem ge-
dient habe und nur Geld zu gewinnen suchet Nicht gegen seine
^ Pollux sagt Vni 86 von den neun Archonten: xoivfi usy fyov<n efovfrinr
i^-rti'ofTot» tap Tig xniifi ottov firj ^6<ni, %al xItjqovp ötxttarac xal a&lo&^xag eWcr xnrri
(fXfltjp ixacrtt/y xal crtQaTrj'jrovg /at^oroyery tf anävjfov xal xad"* ixa<mjv TtqvTtt-
vsutv ineqioittv ei doxsi xakcüg nqx^^v exndio:, rov d* anoxBtqoxovijx^ivta xgitfofnn,
xni iJinnqxovg dvo xnl qyvkagxovg dsxn xal ra^tnQXovg dexa. Wie seltsam, daß,
während bei allen andern als wesentlich angegeben wird, wie viele za wählen
8ind, nur bei den Strategen diese Angabe fehlt und statt dessen das i$ aTramop
zugefügt wird, das man bei den Hipparchen, deren nur zwei sind, veronißt; da
Pollux VIII 97 sagt: tTinaQXOi Se ovo tf uTiavrap Ä&ijvaUop aiQe&epie^ u. s. w.,
so wird auch hier das ef aTtapTtap hinter 5v(f innaQxoißc gestanden haben. Wie
das /et^oToveD' jetzt steht, kann es schwerlich auch noch auf die Hipparcbeii«
Phylarchen und Taxiarchen bezogen werden; auch scheint das anoxei^oToreip
nicht bloß für die Strategen gelten zu dürfen, sondern für alle gelten zu müssen ;
80 daß der Satz xal xn&* ixnairjp .... xqipovm entweder die Randbemerkung
eines Rund igen ist oder hinter rn^iaqxovg dexa gestellt werden muß. Ein Frag-
ment aus Aristoteles Politik ist diese verworrene Nachricht schwerlich, obschon
sie von V. Rose unter Nr. 374 aufgeführt ¥rird.
' Xenophon Mem. III 4: iöcjp ße noie Nixo^tnxlSrjp i^ a^xf^t'^sm^y anioyja
fjQeio' Tipsg, S) ytxofinxidtj, (TToartjYol jjftrjvrai; xal öc, ov faq, ^rj^ Si ^cjxQaTeg,
Totovioi eifTLP Ä&rjp<uoi (ütrce tfte fiep ovx eikopTO, og ix xaraXo^ov axQaTevofieyog
xarardviti^uai xal koxaycjp xal Ta^iagxf^f ^oil t^avaara vnb Tay TioXe^Uüy joirnvrn
i'XtiiP (äfia de ritg ovXag tcjp rqav^iauoy anoYVfiPOVfiePog inedeixyvep) , JiyTia&sytjP
öl/, ^<prj, fii'Aorro ihp ovie ImXiirfV tk'otxotb (TTQatevtrafieyoy bp di xotg innevaiv ovdir
neql^Xenxop noiyaapia, tniaxafieyop öe äkXo ovdey y /^r/juara oviUUyeir.
Bemerkungen über die attischen Strategen 187
Phyle, sondern gegen die Athener insgemein wendet sich sein Vorwnrf.
Also die Athener nicht phjlen weise, sondern insgesamt wählen die
Strategen, und zwar durch Cheirotonie, wie Lamachos in den Achar-
nem 598 mit Emphase sagt: kx^iQoxövriaav yaq fjLßf und Dikaiopolis
darauf: xöxxvyig ys rgeig \
Die Form der Cheirotonie fordert eine Reihenfolge von Namen,
über die abgestinunt wird. Mochten einzelne sich selbst zur Wahl
melden, andere von wem immer vorgeschlagen werden, oder mochte,
was am wenigsten wahrscheinlich, jede Phyle zwei oder drei Kandidaten
vorzuschlagen haben, schließlich mußte für den Wahlakt eine List« von
Xamen aufgestellt sein, über die der Reihe nach abgestimmt wurde.
Die Ordnung dieser Reihe war für den Ausfall der Wahl von Einfluß,
weil, wenn der zehnte Strateg gewählt war, die etwa noch übrigen
Namen nicht mehr zur Abstimmung kamen. Diese Liste konnte so
angelegt sein, daß 1) entweder aus jeder Phyle oder 2) für jede Phyle
eine gewisse Zahl von Namen aufgezeichnet war oder 3) auch so, daß gar
keine Rücksicht auf die Phylen genommen war. Im ersten Fall, wenn
aus jeder Phyle eine gewisse und wohl die gleiche Anzahl von Namen
aufgezeichnet war, wurde natürlich, falls gleich der erste die Mehrheit
der Stimmen erhielt, über den zweiten, dritten u. s. w. nicht mehr
abgestimmt, sondern zur folgenden Phyle übergegangen ; ein Verfahren,
bei dem es unmöglich war, daß zwei Strategen aus derselben Phyle
für dasselbe Jahr gewählt wurden. Wenn aber nicht aus, sondern für
jede Phyle die gleiche Zahl von Namen aus [7] der gesamten Bürger-
schaft aufgestellt wurde, so blieb dem Zufall der Abstimmung anheim
gegeben, aus welchen Phylen man Strategen erhielt. Noch mehr war
das der Fall, wenn die Liste ohne die eine und andere Rücksicht auf
die Phylen angefertigt wurde. Bei dieser dritten wie bei der zweiten
Methode bleibt es unerklärt, daß Ol. 84 4 unter acht Strategen sieben,
Ol. 86 4 unter acht Strategen gewiß fünf, aller Wahrscheinlichkeit nach
aber sieben aus verschiedenen Phylen gewählt waren; nicht minder
unerklärt, daß unter den Strategen des peloponnesischen Krieges sich
vielleicht nur noch zwei Fälle nachweisen lassen, wo in demselben
Jahre zwei Strategen aus derselben Phyle sind^
^ Aus späterer 2ieit Demosth. Phil. 1, 26: ovx exetgoiopsiTe de ef vficjy aviiop
dexa ra^tÜQX^'^» *"^ aiQftJiiyov^ xnl gwAri^/ovc xni inTinQ^oVy Ovo;
* Laches des Mclanopios Sohn (Thucyd. III 86) aus Aixonai und Hippo-
nikos des Kallias Sohn (III 91) aus Melite, beide also aus der Kekropis, sind
Strategen Ol. 88 2. Den zweiten Fall giebt C. I. A. I Nr. 188 (Ol. 92 3), wo
AqKTiofpuvei Ävn .... nach der Zahl der fehlenden Buchstaben nur JivapjQaaio) oder
Äfa(pXv(Tiicü ergänzt werden kann, während in derselben Inschrift schon Ae^ixi^uTet
188 Bemerkungen über die attischen Strategen
Daß in früherer Zeit jede Phyle von einem Strategen aus ihrer
Mitte geführt wurde, lehrt die marathonische Schlacht, wenigstens
nach den Nachrichten, die Plutarch benutzt hat. Man wurde dafür
auch dessen Angaben über den dramatischen Wettkampf zwischen
Aischylos und Sophokles nnführen können, für den der Archen die
zehn Strategen als Kampfrichter bestellt [xQlvai Shea övrag he q)vXr,^
fiiäg Ixaarov Plut. Cim. 8). Doch scheint mir diese Erzählung- trotz
der eingehenden Erläuterungen Sauppes (Sitzungsberichte der Leipziger
Gesellschaft der Wissensch. 1855 S. 5), anekdotenhaft und nach der
attischen Verfassung undenkbar, wie sie ist, des Ursprungs aus später
und unkundiger Quelle verdächtig.
Es mag sich als gutes Herkommen erhalten haben, daß man in
der Wahl der Strategen so viel möglich je einen aus jeder [8] Phvle
nahm. Dies könnt« in der Aufstellung der Wahlliste auf mehrfache
Weise erleichtert werden, z. B. so, daß man bei der dritten Methode
die sämtlichen vorgeschlagenen Namen so ordnete, daß die ersten,
zweiten, dritten zehn Namen nach der Reihe der Phylen geordnet zur
Abstimmung kamen, oder so, daß man bei der zweiten Methode dafür
sorgte, daß bei dem Vorschlage für jede Phyle wenigstens einer der
Vorgeschlagenen aus derselben war. Bei jener Form, der der dritten
Methode, würde nicht begreiflich sein, wie Nikomachides sich beklagen
konnte, daß er dem Antisthenes erlegen sei; denn er wäre allen, die
gewählt worden, erlegen; wenn die Wahl zwischen ihm und Antisthenes
entschied, so muß für jede Phyle zu wählen gewesen sein.
So ergiebt sich als wahrscheinlich, daß in den Archairesien das
gesamte Volk nicht aus jeder Phyle, sondern für jede Phyle einen
Strategen wählte, daß die Wahlliste für jede Phyle je zwei oder mehr
Namen angab, daß diese nicht notwendig, aber nach dem Herkommen
Ai^iXtet aus der Antiochis und Ji[vxXei ?] Evawuei aus der Erechtheis in dem-
selben Jahre Feldherm sind. Man würde einen dritten Fall för Ol. 90 4 an-
erkennen müssen, indem da Lamachos und Teisias unter den Strategen sind
(Thuc. y 84), wenn es richtig wäre, daß beide aus Kephale sind; allerdings
giebt das die Inschrift bei Böckh Staatsh. II* 31 ; aber die Abschrift von Ban-
gab6, die er benutzt, zeigt schon durch ihre an dieser Stelle zusammengedrfing-
teu nicht fjjoix^fiov geschriebenen Buchstaben , daß sie fehlerhaft ist; und die
genauere Abschrift Köhlers (C. I. A. I S. 80) giebt statt Böckhs Lesung or^Joi^-
ffoi^ Aainax({i KeqnXrtd^Bv das zu Thuc V 84 passende TBi(T£\ff TsKTcfjiaxov KBapa-
Xrjx^BP. [Aristot noX. JiihfV. c. 61 ;[f«^OTOi'oi5(Tt de xni rac ngbg tbv ndXefiov a^a;
anntrag, ffTQaTtjyoxK ösxn, TiQoieQOv fABv aqp* (exotori/c) qivXrjg Iva, vvv 3*a*f imayttsr.
1 ).'& Meinung, daß die Strategen vom Gesamtvolke filr jede Phyle gewählt seien,
ist schwerlich richtig; für das 5. Jahrhundert hat wohl Beloch mit der Annahme
eines aus der Gesamtheit gewählten Oberstrategen recht £. M.]
Bemerkungen über die attischen Strategen 189
möglichst aus der Phyle genommen wurden, für die sie gewählt werden
sollten, so daß in der Begel die zehn Strategen des Jahres je aus
einer der zehn Phylen waren, aber auch zwei oder mehr Strategen
desselben Jahres aus derselben Phyle sein konnten.
Vielleicht ergiebt sich in diesem Zusammenhang die Deutung einer
Schwierigkeit, welche die Totenliste der Erechtheis von Ol. 80 1 (C. I.
A. I 433) bietet. An der Spitze der in diesem Jahr Gefallenen dieser
Phyle steht der OTQariiy&v ^Qvvi]xoii, und nach einer Reihe von
Namen folgt am Schluß von anderer Hand zugefügt eine zweite kürzere
Keihe von Namen, beginnend mit axQarijybi; Innodäfiag. Man konnte
daraus schließen, daß der Erstgenannte Strateg und aus der Erechtheis,
aber nicht, wie Hippodamas, Strateg der Erechtheis, sondern einer
andern Phyle gewesen wäre. Und wenn dieser Schluß annehmbar,
so würde wieder daraus folgen, daß die zehn Strategen nicht insgemein
und nach dem unter 3 angeführten Verfahren, sondern je für eine
Phyle, also nach dem zweiten Verfahren, gewählt worden sind\
[9] Sicherer scheint nach dem bisher Erörterten der Schluß, daß
das Verzeichnis des Androtion, so wie es vorliegt, nicht einer offiziellen
Urkunde entnommen, sondern wohl von ihm selbst auf Grund der
den Namen der Strategen beigefügten demotischen Bezeichnung nacli
der verfassungsmäßigen Reihenfolge der Phylen geordnet ist. Wenig-
stens in der amtlichen Urkunde über die Sendungen nach Korkyra
stehen die je drei Strategen die sie anfuhrt keineswegs nach jener
Reihenfolge; nach welcher sonst, ist nicht zu erkennen.
IL Die oben angeführte Stelle des Plutarch über die fortgesetzte
Strategie des Perikles führt auf eine weitere Frage, die für die politische
und Rechtsgeschichte Athens von besonderer Wichtigkeit ist.
Thucydides sagt, man habe beim ersten Einfall der Spartaner
Ol. 87 1 in Athen gegen Perikles gemurrt, ort (TTQccrrjydg &v ovx
kns^äyoiy er aber sei dabei geblieben und habe keine Ekklesie noch
sonstige Versammlung halten lassen, sondern^ die Stadt bewacht und
so viel möglich in Ruhe gehalten. Man fragt mit Recht, in welcher
amtlichen Befugnis Perikles selbst die regelmäßige Ekklesie verhindern
^ Da die Totenliste mit dem tov aviov tpiaviov dasselbe Kriegsjahr be-
zeichnet, das die letzten Monate des einen, die ersten des folgenden bürgerlichen
Jahres bezeichnet, so ließe sich der Unterschied des ajQarrjYuv und aTQttTTj/jro^
auch so erklären, daß Phrynichos nach einem der entfernten Kriegstheater, deren
die Inschrift erwähnt, nach Cypem, Phoinikien, Ägypten im Frühling als aiQa-
ifjyog entsandt und bei der Neuwahl nicht wieder gewählt thatsächlich als Strateg
weiter fungierte, bis sein Nachfolger eintraf, und in dieser Zeit, wo er nicht mehr
offiziell Strateg war, fiel. Doch weiß ich nicht, ob man in amtlicher Sprache
dafür den Ausdruck (nqairi/fdv hätte brauchen können.
190 Bemerkungen über die attischen Strategen
konnte und warum ihn und nur ihn unter den Strategen der Vorwurf
der Menge traf, da deren noch andere in Athen waren (Thua II 23, 2).
Dasselbe wiederholt sich bei dem zweiten Einfall im Frühjahr
Ol. 87 2. Perikles hindert wieder jeden Ausfall (TTQaT7]ydg a>v (Thnc. II
59], er fahrt, während die Spartaner in Attika sengen und brenneD,
mit 100 Trieren und 4000 Hopliten nach dem Peloponnes, die Spartaner
zum Abzüge zu nötigen; wie er zurückgekehrt ist, gehn mit diesem
Geschwader Hagnon und Kleopompos {^varQcerrjyot ovtb^ ÜBQixXiov^
kaßövTsg TJjv (TCQccTiav rjTtBQ kzQyj^raTo) nach Potidaia. Also die
beiden ^vftTQarrjyoi, mochten sie die Fahrt nach dem Peloponnes
mitgemacht haben oder nicht, waren zur Zeit des spartanischen Ein-
falles, als Perikles jeden Ausfall hinderte, in Athen. Wenn trotzdem
Perikles allein als derjenige genannt wird und in dem Murren des
Volks anerkannt [10] wurde, der GTQarrjydg wi' jeden Ausfall hinderte,
so muß er doch wohl eine höhere amtliche Competenz und Verant-
wortlichkeit als die mitanwesenden ^vtTZQaxrjyoi gehabt haben. Der
allgemeine Unwille gegen ihn fand bald nach seiner Rückkehr Ge-
legenheit sich wirksam zu zeigen; nicht wegen seiner Kriegführung,
aber wegen Unterschlagung öiFentlicher Gelder angeklagt wurde er zu
einer schweren Geldbuße verurteilt Aber nicht lange darauf, sagt
Thucyd. II 65 {vfrreQov S* avß-ig ov nokX(p)j wurden die Athener
anderen Sinnes, nxQarjjyov eilXovTo xa) ndvrcc rä nQÜyfiaza inirQexffciv.
Freilich eine unbestimmte Bezeichnung, wie mehrfach bei Thucydide>
an Stellen, wo man die offizielle lieber sähe; aber sie giebt doch wohl
etwas an, was nicht schon in der bloßen Wahl zum Strategen liegt Es
ist in dem darauf folgenden Rückblick — denn Perikles starb bald nach-
her — , daß Thucjdides, um dessen große Stellung in Athen zu be-
zeichnen, den Ausdruck braucht: kyiyvtro köyco fiiv SrjfioxQat/Uj epyo*
Si vTid Tov nQd)Tov dvS()dg uqxV' Man fragt, in welchen amtlichen
Formen und Funktionen Perikles so monarchisch den Staat hat lenken
können; denn „Einfluß haben heißt nicht regieren".
Daß eine dieser Funktionen die Strategie war, sagt die oben an-
geführte Stelle des Plutarch, sagt nicht minder Diodor XII 42: axQce-
Tfjydg (OV xae t/jV ÖXtjv ijysfiov/av 'i;(Ci)v. Beide wiederholen wohl nur,
was sie in ihrem Ephoros fanden.
Es mag dahingestellt bleiben, ob jene Anklage gegen Perikles
nach dem zweiten Einfall der Spartaner sich auf die zehn Talente bezog,
die er zur Zeit des euboeischen Krieges an den König der Spartaner
gezahlt hatte, und die er als elg rd diov verwandt in Rechnung stellte;
und wenn unter anderen auch Theophrast angab, daß die zehn Talente
seitdem jährlich nach Sparta geschickt worden seien, nicht um den
Bemerkungen über die attischen Strategen 191
Frieden zu erkaufen, sondern um Zeit zu gewinnen, so war nach dem
zweiten Spartanereinfall eine Anklage wegen dieser vergebens veraus-
gabten Summe um so leichter zu begründen. Für die Frage, die uns
angeht, ist es von Wichtigkeit, daö diese Bezeichnung slg t6 diov von
Perikles kv rtp Tfjg aTQatfiyiaq äTtoXoyiafjLÖ) gebraucht worden ist.
Also als Strateg hatte er über solche Summen zu geheimen Zwecken
verfügt, schwerlich nach einem förmlichen Beschluß des CoUegiums
der Strategen, sondern in aller Stille, auf seine Verantwortung.
[11] Es scheint entweder in der Strategie an sich oder in der
Art wie sie in der perikleischen Zeit sich ausbildete, etwas zu liegen,
was sich von dem sonstigen Charakter der attischen Demokratie merk-
lich entfernt.
Aristoteles (Pol. V 5) findet ein wesentliches Moment für die
Entartung der alten Demokratien in der Wahl der Ämter durch den
Demos; als ein Mittel solche Entartung zu meiden oder doch zu min-
dern nennt er die Wahl durch die Phylen (rd rag (pvkag cpiQBiv rovg
ä()zovTag, äXXä fii] itüvra xbv öfjfjLov). Der Zusammenhang seiner
Darstellung gestattet nicht anzunehmen, daß er gemeint habe, in Athen
sei nach der Verfassung des Kleisthenes auch nur zur Strategie phylen-
weise gewählt worden.
In jener alten Zeit, wo man nur an Kriege in nächster Nähe zu
denken hatte, höchstens einmal ein kleines Geschwader den empörten
loniem zu Hilfe sandte, genügten für das attische Kriegswesen die
einfachsten Formen. Damals hatte der gelöste^ Polemarch, wie die
Schlacht von Marathon zeigt, neben den gewählten zehn Strategen
eine Stimme im Kriegsrat (Herod. VI 109), der Heerbefehl wechselte
täglich zwischen den zehn Strategen, deren jeder im übrigen die Taxis
seiner Phyle zu führen hatte, wie jeder der zehn Phylarchen die
30 Reiter seiner Phyle. Die rasche Steigerung der militärischen Macht
und Bedeutung Athens, namentlich seit der Gründung der Symmachie,
forderte unzweifelhaft große Veränderungen in der Verwaltung und
Organisation des Kriegswesens. Es wurde die Zahl der Reiter auf 600
und weiter auf 1200 gebracht, es wuchs die Flotte bis auf 300 Trieren;
es wurden, auch wenn nicht Krieg war, jährlich Geschwader ausgesandt,
um die Seepolizei zu handhaben und gelegentlich schwierige Bündner
in Respekt zu halten. Schon diese Dinge gaben der Kriegsverwaltung
eine Fülle von Geschäften. Man würde eine Reihe weiterer Competenzen
der Strategen aus der reicheren Überlieferung der demosthenischen
Zeit anführen können, wenn es nicht geboten erschiene, das attische
^ [Ist ein Irrtum Herodots. E. M.]
192 Bemerkungen über die attischen Strategen
Staatsrecht nach dem Archonten Eukleides strenger als es gewöhnlich
geschieht von dem der früheren Zeit zu unterscheiden. Aus sicheren
Quellen ergiebt sich für diese frühere Zeit, daß die Strategen bei der
Sicherheitspolizei in Attika beteiligt waren (C. I. A. Nr. 94), daß sie
bei drohendem Feindeseinfall ohne weiteres den Auszug befehligen (Arist.
Ach. 1073), daß sie beim Bau der Trieren gewisse Geschäfte haben
(C. I. A. Nr. 74); [12] gewiß lag ein Teil der Bundesgeschäfte in ihrer
Hand, wie sie in C. I. A. Nr. 20 bei dem Bundeseide von Hestiaia er-
wähnt werden; es scheint in der Natur der Sache zu liegen, daß ihnen
die Aushebung bei den Bündnern, die Con trolle ihrer Contingente an
Trieren und Mannschaften, die Beaufsichtigung der attischen Gramisonen,
z. B. in Erythrai (C. I. A. 1 8. 9) oblag; ebenso konnte nur ihnen das
Aufgebot zur Trierarchie und zum Dienst nach dem Katalog, die
Leitung der aus beiden erwachsenden, sowie aller auf den Dienst
bezüglichen Prozesse zufallen; und mehrfach wird erwähnt, daß Stra-
tegen zum Beitreiben der Tribute ausgesandt worden sind. Es ist nicht
überliefert, aber es versteht sich von selbst, daß für die Finanzen Athens,
in denen die Ausgaben für das Kriegswesen den bei weitem bedeutend-
sten Posten ausmachten, die Voranschläge und die Forderungen des
Kriegsamtes maßgebend für das jährliche Budget sein mußten. Dies
genügt, um erkennen zu lassen, daß das Kriegsamt zu Athen eine
außerordentlich weitreichende Thätigkeit und unter allen Verwaltungs-
zweigen des Staates die mannigfachsten, wenn nicht die wichtigsten
Competenzen umfaßte; ihren Vorträgen in der Ekklesia wird es vor-
behalten, anderen, die auf der Tagesordnung stehn, vorauszugehn K
Mögen die neuen Organisationen des attischen Militärstaates mit
der themistokleischen Gründung der Flotte eingeleitet, mögen sie erst
mit den Reformen des Ephialtes eingetreten sein, in der perikleischen
Zeit hatte das Strategion eine Bedeutung, wie sie in der kleisthenischen
Verfassung nicht vorgesehn war. Seit die Kriegsmacht Athens nicht
mehr wesentlich hoplitisch war, seit Athen Flotten von 60, 100,
150 SchiflFen aussandte, auf welchen von den früher geschlossenen
Bataillonen der Hopliten 1800, 3000, 4500 Mann auf die Trieren
verteilt mit auszogen, konnten die Strategen nicht mehr wie bei
Marathon 2 jeder seine Phyle führen; [13] für diesen Zweck mag man
* C. I. A. I Nr. 40 .... crvv^iog de noieiv t«c ixxlr^alng, e'wc nv öianQtt;[d^i,.
ullo de 7i(^nxQij^iftTi(Tai tovtcjv f^tjöer tav fit] n oi (TiQnjtiyol ödtofTni,
* Und vielleicht bei Plataiai, denn Herodot, der von Aristeides sagt IX 28:
k(TtQ(tTtJY6e öe nviMVy spricht c. 46 noch von anderen attischen Strategen: oi öt
iSiqajriYoi rwr Äx^tjvaifüv tlv^oi'ieg tnl t6 dt^iby xi^ng ü^e^ov Ilnvaavhj u. s. w. * und
nach ihm Plutarch Arist. 16 oi fisv ovv ulXoi (TT^nTtfiyol tü)p Äxhivaioiv,
Bemerkungen über die attisclien Strategen 193
damals die Wahl der zehn Taxiarchen angeordnet haben, während die
Strategen teils einzeln, teils mehrere oder auch wohl alle als Comman-
dierende ausgesandt wurden, in den meisten Eällen als Commandierende
zugleich von Trieren und Hopliten, von Hopliten und Reitern, von
Athenern und Bündnem, recht eigentlich als Generale. Möglich, daß
mit derselben Neuerung zugleich über die zehn Phylarchen die zwei
Hipparchen bestellt wurden.
Es wird sich wahrscheinlich machen lassen, daß erst nach der
Schlacht von Marathon der Dienst der neginokoi organisiert wurde,
ein Institut, das als die eigentliche militärische Schule des attischen
Volkes anzusehn ist * Indem die Theten für die rasch vergrößerte
Flotte notwendig wurden, konnte man kaum umhin auch den Hopliten-
dienst neu zu organisieren, so zu organisieren, daß Unterabteilungen
jeder Taxis im voraus geordnet waren, um als Epibaten auf die Schilfe
abcommandiert zu werden. Freilich daß die Teilung der rü^Big in
mehrere Lochen zur Zeit der Schlacht von Plataiai schon bestand, folgt
aus Herodots Ausdruck (IX 21) *40f]vai(ov oi TQirjxömoi Xoyddeg röv
Ikoxi^yBi VlvfjLTtiöSoDQog noch keineswegs^.
Vor allem in der Gesamtleitung des Kriegswesens trat eine große
Veränderung ein. Es liegt nicht die geringste Spur mehr vor, daß der
Polemarch, den die jährliche Losung bestellt, noch in der perikleischen
Zeit in den Geschäften des Strategion oder in der aktiven Eriegs-
führung eine Rolle hatte ^, am wenigsten die eines Vorsitzenden im
Eriegsrat, wie doch sichtlich bei Marathon. Eines solchen Vorsitzenden
aber bedurfte es, mochte er wie bei den Hellenotamien wechseln oder
wie beim Schatz der Göttin das ganze Jahr hindurch derselbe sein,
mochte er durch die Wahl der ^vaxQaxriyoi bestellt oder durch die
Ekklesie mit dem Vorsitz betraut werden. Vielleicht spricht die oben
erwähnte letzte Wahl des Perikles, jene, von der es heißt xal nävxa
rä TtQdyfmva [14] inirQstpaVj für die Ernennung durch Volksbeschluß.
Der so Bestellte hätte dann die leitende Stellung für das Eriegswesen
des Jahres gehabt, eine ähnliche wie für das Schatzamt die Formel
Tccfuai iBQÖv ;^(>iyjuaTCöv 6 Silva xai ^vvÜQxovTeg zu bezeichnen
scheint Er war damit nicht etwa (TtQccTi]ydg avroxQÜrcaQj eine Be-
zeichnung, die nur die Vollmacht für einen bestimmten militärischen
^ Noch weniger beweist , wenn Plut Arist. 14 ihn als ngo^fioTaiov xciv
loxatjr&v bezeichnet; er hat nur eben Herodots Ausdruck breit und flach gemacht.
* In der Inschrift über die Erhöhung der Tribute Ol. 88 4 (C. I. A. I
Nr. 37) findet sich die einzige Stelle, welche die Strategen und den Polemarcheu
zusammen nennt, wie es scheint, in Beziehung auf das gerichtliche Verfahren,
das da angeordnet wird.
Proysen» Kl. Schriften IL 13
194 Bemerkungen über die attischen Strategen
Auftrag, für das Commando einer besonders schwierigen oder entfernten
Expedition bezeichnet; wohl aber vereinigte sich in dem so mit dem
Vorsitz Betrauten die ganze Autorität des Kriegsamtes und die Ver-
tretung desselben in der Bule und Ekklesia.
Der scharfsinnige Aristokrat, der die Schrift '4äijva/(ov noXiratii
geschrieben hat, sagt von den Ämtern der Strategen und Hipparchen
sprechend: der Demos sei gescheut genug sich von ihnen fem zn
halten und sie den SwatcütdcToiq zu überlassend Und wenn der
Komiker Eupolis in den Demen, die doch wohl im Eruhjahr Ol. 91 3
aufgeführt sind, auf Anlaß der letzten Strategenwahlen klagt: sonst
seien nur Männer aus den größten Häusern, an Geschlecht und Reich-
tum die ersten, die man als Götter und mit Recht geehrt habe, gewählt
worden, jetzt aber die ersten besten \ so zeigt sich da noch ein weiterem
Moment dieses für Athen so bedeutsamen Amtes; das CoUegium der
Strategen war, seit die Kefonnen von OL 80 den Areopag seiner großen
staatsrechtlichen Stellung beraubt hatten, dem Staat für das, was mit
den Competenzen des CoUegiums der bewährten Staatsmänner verloren
gegangen war, ein teilweiser Ersatz. Es ist beachtenswert, daß unter
den siebzehn Athenern, die OL 89 3 den Vertrag mit Sparta beschworen,
wenigstens elf sicher strategische Männer sind. Was Xenophon in den
Memorabilien von Nikomachides, von dem jüngeren Perikles, was Plato
im Euthydem von diesem und dessen Bruder erzählt, zeigt, wie sich
der [15] Ehrgeiz' und das Studium der jungen Männer Athens auf
das hohe Amt der Strategie richtete. Nicht minder lehren viele Vor-
gänge aus der Zeit des peloponnesischen Krieges, ein wie energischer
Geist in der attischen Marine und Armee lebendig war, wie hervor-
ragende Strategen, vor allen Phormion und Demosthenes, ihn zu spannen
und zu verwenden verstanden, Männer, die in eben so starkem Gegen-
satz gegen die ränkesüchtigen Oligarchen wie gegen die Schreier und
Sykophanten des Demos standen; es läßt sich ein Kreis von militärischen
* Die Stelle (1, 3) ist verdorben: ovie rwy oT^«r//)'txwi' xh'j{}(i)v otovtai aquji
XQ^vni fisieivai ovre liov Innnf^iijjv , Yiyyuaxei yaQ 6 dijfjog ort nleiü) (afpelenai
kv TW fiij nvibg aQ/iiy inving Tag nQX^^^ "^^* *'*'' ^^^^ övt'aTCOiiirovg «^ew. E^
muß entweder (TTQatrjYixvjv «^/wi' .... innaQxutijv geschrieben oder xXriQajv ge-
strichen und (jiqnTTjyiCiv geschrieben werden. [So, ohne xlrj^utv^ jetzt KirchhoftV
' Lamachos klagt in den Achamei*n 1080: (u (rrQnitJYoi nltioreg rj ßeXiiovfg.
' Man hat diesen Ehrgeiz geleugnet, als sei bei einem so demokratischen
Volk wie die Athener dergleichen „Militarismus^^ undenkbar; mehi* ak eine
Stelle des Aristophanes schildert den echt attischen <T7TovÖnQxi^']?n am treffendsten,
was er von Diitrephes (Vögel 800) sagt:
jiQexh] qtvluQxog, eti^ 'irniaqxogt bit ef ovöevbg
fiei^nXn ufiitriH, xtiarl itfvi ^ov&og i'mxaXBXjf^fav.
Bemerkungen über die attischen Strategen 195
Familien, wenn ich so sagen darf, erkennen, die den einen wie andern
das Gegengewicht halten. Und es hat seinen guten Sinn, wenn in den
letzten Agonien des Staates, nachdem die Strategen des Arginusensieges
hingerichtet waren, nach der durch Verrat verlorenen Schlacht im
Hellespont, als die spartanische Flotte bereits vor dem Peiraieus lag
und der Fall der ausgehungerten Stadt unvermeidlich geworden war,
die Oligarchen mit ihren Plänen nicht durchdringen zu können meinten,
wenn sie nicht zuvor wie den Kleophon, so die Strategen und Taxi-
archen über Seite geschafft ^
Die wahrhaft staunenswürdigen militärischen Leistungen Athens
von den Tagen von Marathon bis zu den Dreißig verdienen es wohl,
daß man dieser Seite des attischen Staatslebens eine größere Aufmerk-
samkeit widmet, als in der Regel geschieht. Namentlich die letzten
27 Jahre dieser Zeit zeigen eine Zähigkeit des Widerstandes und eine
Fähigkeit, der wachsenden Macht undWuth der Feinde immer wieder
mit geordneter Macht entgegenzutreten, wie sie nur einer tüchtigen,
fest eingewohnten und über alle Kräfte und Mittel des Staates und
Volkes verfügenden Militärorganisation möglich ist. Wie man auch
über die attische Demokratie urteilen [16] mag, man wird nicht
glauben dürfen ihr gerecht zu werden, wenn man nur ihre Freiheits-
prinzipien bewundert oder deren Entartungen verabscheut, wenn man
unterläßt zu beachten, wie sie in allen ihren Wechseln militärisch fest
und straflF blieb, bis es den oligarchischen Conspirationen gelang, in
den Meutereien der Hopliten gegen Kleon die Bande der Disziplin zu
lockern, in dem Hermokopidenprozess gegen Alcibiades und dessen Aus-
nutzung das Volk an seinen Führern und sich selbst irre zu machen,
mit dem abscheulichen Prozess gegen die siegreichen Feldherren der
Arginusen, endlich mit dem Morde der letzten Strategen und Taxi-
archen den letzten I\inken des Geistes auszulöschen, der Athen groß
gemacht hatte. Von da an war das attische Volk eine ausgebrannte
Schlacke trotz Timotheos, Plato, Demosthenes.
III. Noch mag es gestattet sein, eine Frage zu erörtern, die für
die chronologischen Bestimmungen in der Zeit des peloponnesischen
Krieges nicht ohne Bedeutung ist.
Es ist an sich wahrscheinlich, daß die Strategen in derselben Zeit
gewählt wurden, in der überhaupt die Archairesien stattfanden, nach
der von Köhler mitgeteilten und erklärten Inschrift aus freilich späterer
* Lysias XIII § 7: rjyovpto de ovöet^ aXXo acpialv ifinodcjv eipai Jy jovg jov
ö/jfiov ngoeairjxoiag xal lovg aiqaji}YOvyjag xai xa^iaqxovvxctg. Unter diesen Strom-
bichides des Diotimos Sohn, desselben, der Ol. 86 4 Strateg gewesen und über
dessen Geschlecht die ältere Inschrift im C. I. A. I Nr. 388 Auskunft giebt
13*
196 Bemerkungen über die attischen Strategen
Zeit (Monatsberichte 1866 S. 342) im ausgehenden Munychion. In
betreff des Amtsantrittes der neuen Strategen habe ich vor Jahren aus
der angeblich demosthenischen Bede gegen Polykles nachzuweisen ver-
sucht (Zeitschrift für Altert 1839 S. 933 [oben I S. 222]), daß er gleich-
zeitig mit dem der Archonten stattfand; eine Ansicht, die Böckhs
Zustimmung fand (Seeurk. S. 172); was seitdem dagegen vorgebracht
ist, hat mich nicht überzeugen können.
Wäre, wie man zu erweisen versucht hat, die Wahl der Strategen
im Winter, ihr Amtsantritt im beginnenden Frühjahr erfolgt, wie, so
sagt man, für die Eriegsführung notwendig war, so würde man mit
der Strategie des Demosthenes Ol. 88 2 in nicht geringe Verlegenheit
kommen. Demosthenes und Prokies sind Ol. 88 2 mit dem Frühling 426
(jov kniyiyvofiivov &6qovq Thuc. 111 89) nach Akamanien gesandt;
des Demosthenes kühnes Unternehmen durch das Gebirge nach Boiotien
zu gehn mißlingt, endet mit schweren Verlusten; er bleibt bei Naupaktos
TOfij TtenQccyfjiivoig (poßovfievog rovq lA&rivaiovq (III 98). Schon früher
— gewiß beim Heransegeln der attischen Flotte im Frühling — haben
die Aitoler nach Sparta gesandt, um Hilfe zu bitten (rot; uinov ß-iQovg
nQonifixpavTsg nQÖTBQov)^ die Spartaner lassen [17] {nBQi ro fp&ivö-
iKOQov, also etwa im September) 3000 Hopliten über den Isthmos
marschieren, aber ihr Angriff auf Naupaktos mißlingt, da Demosthenes
die Akamanen zu eiliger Hilfesendung zu bereden weiß, in yug
krvyxccvBV S>v fisrä rä ix r^g AlrcoXiaq tibqI Navnaxxov (III 102, 3).
Thucydides nennt ihn an dieser Stelle Ariiioadiviiq 6 !A&i]vaiog, er
war eben nicht mehr Strateg. Und im folgenden Winter (Thuc. III
105, 3) schicken die Akarnanen zu ihm nach Naupaktos, ihr Anführer
zu werden: knl Jrj^ff&ivtjv töv ig rijv AlxioXiccv GTQarrjyrjfTavra,
An der Spitze der Akamanen, der 2000 Messenier von Naupaktos und
60 attischer Bogenschützen erkämpfte Demosthenes eine Reihe glänzen-
der Erfolge Tov imytyvofUvov x^ifußvog (III 103 105) und kehrte dann
mit den 300 Panoplien, die ihm als Siegesbeute auserlesen waren, nach
Athen zurück (III 114). Man sieht aus diesem Gang der Dinge, daß
Demosthenes Strategie mit dem hohen Sommer 426, mit dem Ausgang
von Ol. 88 2, mit dem Archontenwechsel in Athen zu Ende war, daß
also sein Amtsjahr Ol. 88 2 mit dem Sommer 427 begonnen hatte, daß
ihm im Lauf desselben im Frühjahr 426 die Expedition nach Akamanien
übertragen worden war; nicht minder, daß er in den Archairesien für
Ol. 88 3 nicht wieder gewählt worden war und daß er in Naupaktos
blieb, bis sieh Gelegenheit bot die Scharte auszuwetzen, um dann mit
dem vollen Glanz außerordentlicher Erfolge nach Athen zurückzukehren.
i\jidererseits ist es aus diesem chronologischen Zusammenhang erklärlich,
Bemerkungen über die attischen Strategen 197
daß Demosthenes trotz des hohen Rahmes, den er gewonnen, im
Frühling 425 noch Privatmann ist, daß ihm ISiürrj övri fierä rijv
dvax(AQr](nv rijv ^| !AxccQvaviaq (Thuc. IV 2) auf seinen Wunsch ge-
stattet wird, mit dem nach Sicilien bestimmten Geschwader zu gehn
und einen Versuch gegen die peloponnesische Küste zu machen.
Diese Expedition nach Pylos ist für unsere Frage von besonderem
Interesse. Die Strategen Eurymedon und Sophokles führen das Ge-
schwader, das nach Sicilien bestimmt ist; sie fahren aus im Frühling
(Ol. 88 3), nachdem die Spartaner bereits nglv rbv alrov hv äxfifj eivai
(Thuc. rV 2) in Attika eingefallen sind. Die beiden Strategen fahren,
nachdem Demosthenes bei Pylos ans Land gegangen ist, weiter, indem
sie einige Schiffe bei ihm zurücklassen. Auf die Nachricht, daß die
Athener sich bei Pylos festgesetzt, gehen die Spartaner, zugleich von
Mangel an Lebensmitteln [18] gedrängt, tov gitov 'in x^w()ov Övrogj
aus Attika zurück, wo sie im ganzen 15 Tage geblieben sind (IV 6).
Das mag gegen den 1. Mai geschehen sein. Von Sparta aus eilt man
Truppen nach Pylos zu senden, die Flotte von Korkyra zurückkommen
zu lassen, was, da die attische noch bei Zakynthos liegt, nicht ohne
einige Verzögerung geschehen sein kann. Auch die attische Flotte
kehrt auf Demosthenes Aufforderung nach Pylos zurück. Ehe sie
kommt, hat Demosthenes ein paar Tage harte Kämpfe mit dem weit
überlegenen Feinde zu bestehen. Am dritten Tage dieser Kämpfe kommt
die attische Flotte (IV 13); nach einigen vorbereitenden Maßregeln folgt
die Seeschlacht, infolge deren die attischen Schiffe in die Bucht von
Pylos eindringen, die Spartaner ihre Schiffe auf den Strand zu ziehen
nötigen, damit die auf der Insel Sphakteria befindliche Besatzung völlig
abschneiden. Die einzelnen Ereignisse, die Thucydides berichtet, lassen
schließen, daß darüber 10 — 14 Tage vergangen sind, so daß die See-
schlacht gegen den 10. bis 15. Mai fallt Und 72 Tage nach der See-
schlacht haben die auf Sphakteria capitulieren müssen (IV 39), also um
den 21. bis 26. Juli: Kleon hatte, da sich die Entscheidung verzögerte,
auf energische Maßregeln gedrungen, den Nikias hinzusenden empfohlen,
der dann ihm dem Demagogen, so sehr er sich weigern mochte {xcci
ovx icpij ccvTog äXK kxeivov (TTQanjystv rV28), die Führung zuschob;
Kleon übernahm sie t&v kv IlvXm (TXQarriyöiv %va Ttifoaeköfisvog JtifiO'
(T&ivrjv (IV 29), und die Insel wurde genommen, ehe die 20 Tage, in
denen nach Kleons Versicherung alles gethan sein solle, um waren
(IV 39). Wenn der eben angeführte Ausdruck des Thucydides so genau
ist, wie er zu schreiben pflegt, so war Demosthenes, als Kleon aus Athen
absegelte, nicht mehr IStcitrjg, sondern Strateg, d. h. er war in den jüng-
sten Archairesien zum Strategen gewählt, und das neue Jahr, mit dem
198 Bemerkungen über die attischen Strategen
er sein Amt antrat, hatte bereits begonnen, ehe Kleon abfahr. Bangabe
hat überaus scharfsinnig aus den Zeitangaben einer Inschrift über die
Penteteris, die Ol. 88 3 begann (C. I. A. I Nr. 273), berechnet, daß
Ol. 88 3 und 4 keine Schaltjahre, 89 1 ein Schaltjahr war; daraus ist
zu schließen, daß Ol. 88 4 das Jahr des Stratokies früh, noch im
Juni 425 begann, sagen wir den 28. Juni. So waren etwa 44 — 49 Tage
seit der Seeschlacht verflossen, als Stratokies Archen wurde und Demo-
sthenes, einige Wochen früher in den Archairesien gewählt, war [19]
nicht mehr iSicLfZfjg, sondern Strateg, als sich Kleon zur Leitung der Ex-
pedition verstehen mußte. Auch Nikias war unter den Feldherm dieses
neuen Jahres; als solcher lehnte er diese Expedition, die Kleon forderte,
ab; kxiXevev yv xivcc ßovXercci Övvafiiv Xaßövra rö inl Gffäq tlvat
kntx^iQ^iv, er spricht im Namen aller Strategen; xal i^tGraro rfjg ini
IlvXm äQx^i^^ er tritt nicht von seinem Strategenamt zurück, um etwa
Kleon statt seiner in das CoUegium treten zu lassen, sondern nur diesen
einen Auftrag schiebt er ihm zu; denn wenig später {rov avrov ß-igov^
Thuc. IV 42) führt er mit zwei anderen Strategen die Expedition gegen
Korinth, die Aristophanes in den Rittern 600 ffi feiert.
Auch die Strategie des sicilischen Krieges führt auf dasselbe Er-
gebnis. Im Laufe des Sommers 414 fordert Nikias wiederholt Ver-
stärkungen oder seine Abberufung (Thuc. VII 8), um so mehr, da er
krank sei; so in jenem Briefe (Thuc. VII 16), der Anfangs des Winters
Ol. 91 3, d. h. etwa im November 414 nach Athen kam. Aber die Athener
beschließen ihn nicht seines Amtes zu entlassen (ov naQiXvaav rfjg
ßrp/^s), sondern ihm vorerst den Menander und Euthydemos, die schon
in Sicilien waren (als Trierarchen oder Taxiarchen, oder dergl.) bei-
zuordnen f^ojg &v tzEQoi ^vvÜQxovTBq aiQs&ivzeg ätpixcjvTai. Ernannt
werden dazu Demosthenes und Eurymedon {J^wÜQxovraq ccvrtp sikovro
A, xal E,\ und sie werden dem Nikias als Mitcommandierende gewählt
und gesandt aus den ^varQccryyoi des Jahres. Eurymedon wird so-
gleich, um die Wintersonnenwende, mit 10 Schiffen, Demosthenes im
Frühling mit 60 abgesandt. Konnte Eurymedon im Dezember 414
ausfahren, so war er mit Demosthenes seit Juli 414 unter den Stra-
tegen für Ol. 91 3 und gewählt in dem vorletzten Monat von Ol. 91 2;
daß in diesem auch Nikias wieder gewählt war, ergiebt sich aus dem
oi) nuQekvaav rfjq d^QZ^Q-
Wenigstens erwähnen will ich die Strategie des Phrynichos Ol. 91 4;
im Winter (413/2) spricht Thuc. (VIII 48) von ihm als (bQvvixcp (tzqu-
Tfjy^ in övTi, und im folgenden Sommer (VIII 90) sagt er <bQvvtxoq,
bq xal GT^uTijy/jaag kv rf, 2a(i(a u. s. w., ein Ausdruck, der das ge-
fundene Ergebnis auf erwünschte Weise bestätigen würde, wenn nicht
Bemerkungen über die attischen Strategen 199
gerade die Strategie dieses Jahres durch Absetzungen erst in Athen
(Thuc. VIII 54), dann durch die Mannschaft der Flotte (VIII 76) zu
genaueren Bestimmungen unbrauchbar wäre.
[20] Ist der Amtsantritt der Strategen im Sommer gleichzeitig mit
dem attischen Jahreswechsel, so gewinnen die Vorgänge, die Thucydides
II 58 berichtet, ihr Licht. Die Spartaner haben mit dem Anfang des
zweiten Kriegsjahres {rov &iQovg ev&vg «rp/OjU^voi; II 47), d. h. im
März, ihren zweiten Einfall nach Attika gemacht, der vierzig Tage
dauert (II 58). Perikles gestattet keinen Ausfall gegen sie, aber er führt
fTTQaxijyoq &v xal tötb (II 55) 100 Trieren mit 4000 Hopliten und
300 Reitern nach dem Peloponnes; wie dies Geschwader zurückkehrt,
sind die Spartaner aus Attika abgezogen. Dann fahrt Thucydides fort:
Tov cdrov &B()ovq seien Hagnon und Kleopompos mit eben jenem
Geschwader nach Potidaia gesandt ^VGXQarrjyol övreg IleQixXeovg, Da
Thucydides nicht ^vGTQartiyiiaavrtq nBoixUov<^ sagt, so war Perikles
Strategie noch nicht zu Ende, als sie absegelten, und Hagnon und
Kleopomp sind für dies noch laufende Jahr Ol. 87 2 431/30 mit ihm
gewählt worden. Hagnon kehrte nach vierzig Tagen zurück (II 58), und
erst nach einigen anderen Ereignissen giebt Thuc. II 67 die weitere
Zeitangabe rov avrov &eQovg TeXsuTcDvTog ; so daß man Hagnons Rück-
kehr wohl in den Juli setzen darf.
Und daraus erläutert sich auch das, was bei Thuc. II 59 S. weiter
berichtet wird. Infolge des zweiten Einfalls der Spartaner und unter
den furchtbaren Eindrücken der beginnenden Pest sind die Athener
voll Unmut gegen Perikles. Sie zu beruhigen hält er die Ansprache
an sie, di^ Thuc. II 60 mitteilt: ^vXloyov notj/rragy in S' ^örpar?;/«/,
ein Beisatz, der, da er nicht mit yäo angeknüpft ist, nur eine Zeit-
bestimmung kann sein wollen. Also Perikles Strategie war, als er die
Versammlung berief, noch nicht zu Ende, und nach der Art, wie Thucy-
dides seinen Stoff ordnet, wurde sie gehalten nach der Aussendung des
Hagnon und Kleopomp. Thucydides fügt hinzu, die Athener hätten
sich in betreflF der Spartaner nach Perikles Rat gehalten, seien ihm
aber persönlich mißgestimmt geblieben und hätten nicht geruht tiqIv
ä^7jfxi(o(7av /prjjwao-/!/. Es geschah auf Grund einer Anklage xkonfjg,
von der man nicht ohne Wahrscheinlichkeit vermutet hat, daß sie bei
der nächsten Rechenschaftslegung, also in der ersten Prytanie des fol-
genden Jahres — August 430 — erhoben worden sei. Mochte Perikles
— was nach der Stimmung in Athen zu bezweifeln — für das Jahr
Ol. 87 3 wieder zum Feldherrn gewählt worden sein, mit dem Prozeß
und der Verurteilung war [21] diese Wahl wirkungslos. Thucydides
fährt fort: vgtb()ov ov nokXco habe man ihn wieder zum Strategen
200 Bemerkungen über die attischen Strategen
gewählt und alles in seine Hand gelegt. Perikles starb bald darauf;
er erlebte (Thuc. II 65 — 66) zwei Jahre und sechs Monate des Krieges;
und den Krieg rechnet Thucydides in den älteren Abschnitten seines
Werkes vom Thargelion Ol. 87 1 (etwa Mai 431) an, so daß Perikles im
Pyanopsion (Ol. 87 3, etwa November 429) gestorben ist Er erlebte also
noch die Archairesien im Frühling 429; er konnte noch das Strategen-
amt im Juli 429 antreten, aber er war ein gebrochener Mann.
Wenn so die Zeit des Archontenwechsels als Amtsantritt auch der
Strategen, wie ich glaube, feststeht, so ergeben sich daraus einige wich-
tige chronologische Bestimmungen ; ob auch für die Sohlacht von Aigos-
potamoi, lasse ich dahingestellt.
[Die vielumstrittene Frage nach der Zeit der Strategenwahlen ist jetzt in allem
Wesentlichen im Sinne D.*s erledigt durch Aristot. noL Äd-rjy, c. 44 noiovai ös
Hitl ÄQxaiQeiriag atnirj^fttv xnl Innaqx^^ ^ol^ '^^^ alXtop t&v fiQOg jbvhoXefioy »QX^^ ^^
tfj ^xxXrjffUtf Xttx^* 0 Tt np tw örj/xtp Öoxjj' notovai d* oi fieia jrjp ifxTtfp n(ivt(tP8V0Pt8gf
iq> &p np eitarj^la fdyrjtai' det Öe nQoßovkevfin flpea&ai xnl negi tovkop. E. M.
vn.
Zu Duris und Hieronymos.
Hermes X 1875 S. 458 ff.
[458] Bei Justin XIII 4, 12 heißt es in dem Verzeichnis der Ver-
teilung der Ämter und Würden, die nach dem Tode Alexanders statt-
gefunden, PUfio Illyrius Mediae maiori, AtrqpatQs minori socer Perdieoae
praeponiiur. So hat Jeep aus den vielerlei Lesarten der Handschrift-en
den Text hergestellt; und wenigstens dasjenige Wort, das für die folgen-
den Bemerkungen das wichtigste ist, hat in den Varianten iUyrie, ülyr,
yüir, ülyrios (wie schon Orosius III 23 in seinem Justin las) hinreichende
Stütze und wird durch Justin XIII 8, 10 cum PUhone lUyrio et Älceia
bestätigt.
Also ein Illyrier erhielt die Sataprie Großmedien mit der Eönig-
stadt Ekbatana. Daß derselbe Peithon des Krateuas Sohn, wie aus
Arr. IV 28, 4 bekannt, von Alexander in die Reihe der sieben a(O(MXT0-
(pvXaxsg, also in eine der höchsten oder doch wichtigsten Stellungen
in der Armee berufen worden war, ovdevdg z&v IdX^dvSgov kemöfuvog
(piXmv äQBT^ TB xal dö^rj wie ihn Diod. XVIII 36 bezeichnet, macht
den Illyrius noch sonderbarer. Er hat nie einen Hellenen zu dieser
Stellung berufen und sollte sich einen Illyrier dazu ausersehen haben?
Man hat darauf hingewiesen, daß in dem Verzeichnis der Trier-
archen der Indusflotte Arr. Ind. 18 IIbi&gjv Kgarevcc !AlxofuvBvg ge-
nannt wird; man hat an Steph. Byz. v. IdhcoiiBvai erinnert, der erst
eine Stadt dieses Namens in Ithaka nennt, dann hinzufügt, icrri Sk
xal Tfig IXXvQiccg nöhg, Stephanos wird damit einen der beiden Orte
gemeint haben, die Strabo VH S. 357 b u. d anfuhrt, der eine !AXcchcQ^
fuvai (so giebt Meineke beide Namen) am Erigon, der nordwärts in
den Axios fließt, der andere in der Nähe des Ion, der aus den tym-
phäischen Bergen südwärts fließend sich mit dem Peneios vereint; beide
202 Zu Duris und Ilieronymos
Orte also [459] in denjenigen Bereichen des oberen Makedoniens, die
nach der illyrischen Grenze zu liegen. Die geographischen Schwierig-
keiten in der Angabe Strabos, die Leake North. Greece III p. 340 er-
örtert, sind für unsem Zweck nicht von Bedeutung. Aber aus Strabo
hat Stephan OS nicht, daß Alkomenai eine Stadt lUyriens ist, denn
Strabos beide Stellen stehen in dem Abschnitte von Epeiros, nicht in
dem von lUjrien.
Daß Peithon des Krateuas Sohn nach makedonischer Ansicht kein
lUyrier war, zeigt schon jenes Verzeichnis der Trierarchen, in dem es
hinter der Reihe derer, unter welchen Peithon genannt wird, heißt:
ovToi fiiv Ol (xvfi7tavTe<^ MaxeSöve^, worauf mit 'EXh'ivov de die weitere
Reihe folgt. Noch bestimmter ergiebt sich dasselbe aus dem Verzeichnis
der sieben Somatophylakes beim Aufbruch aus Indien Arr. IV 28, 4,
das unter diesen anführt nTo).efiaTov dk rov Aayov xou Tleix^cova
KQateva 'EoQSalov^. Also gehört nach dieser Stelle Arrians das
Alkomenai oder Alalkomenai, aus dem Peithon stammt, zur Eordaia,
dem Thalkessel, dessen Mitte der See von Ostrowo, der locus Begorrhites
(Liv. XLII 53) füllte.
Der Historiker, dem Trogus nachschrieb, daß Peithon ein lUyrier
gewesen, war schwerlich in dem guten Glauben, einfach das Richtige
gesagt zu haben; der Grieche, der so schrieb, bezeichnet damit einen
der vornehmsten Makedonier als zu jenen tättowierten, wie Schwalben
zwitschernden Barbaren des Nordens gehörend, die sich der echt grie-
chische Nativismus wie alle Barbaren als zu Sklaven geboren denkt;
er schrieb für Leser, die gleich ihm sich besseren Blutes und höherer
Gesittung dünkten als diese makedonischen Kriegshelden, mochten sie
auch die Welt erobert haben.
In demselben Kapitel der Satrapienverteilung hat Justin noch
eine zweite bemerkenswerte Notiz: prima Ptolemaeo Aegi/ptus et Ast^e
LihyaeqiLe pa/rs sorte evenit, quem ex gregario niilite Alexander virtntis
causa provexerat.
Es giebt noch zwei andere Überlieferangen über das Herkommen
des Lagiden. Nach der einen, die Paus. I 6. 2 berichtet, ist eigentlich
König Philippos IL sein Vater, er hat aber die schwangere Mutter dem
Lagos verheiratet; darauf bezieht sich Properz IV 11, 40, wenn er von
Kleopatra sagt tma Philippeo sanguine adusta nota. Eine andere, viel-
leicht die offizielle Überlieferung [460] — Satyros giebt sie in seiner
Schrift über die Demen von Alexandreia fr. 21 — bezeichnet des
Ptolemaios Mutter Arsinoe als zum königlichen Blut von Makedonien
gehörend. Die Lücke in der Aufzählung des Satyros, wie sie vorliegt,
läßt vermuten, daß Arsinoe als Urenkelin von Amyntas dem Sohn
Zu Duris und Hieronymos 203
Alexanders L galt, desselben Amyntas, dessen Urenkel auch König
Philippos war.
Auf beide Überlieferangen bezieht sich Curt. IX 8, 22 samjuim
erat coniundtis (Alexandro) et quidem Fhüippo genitum esse credebantj
certe peüice eius ortum constabat.
War Ptolemaios ein Bastard des Philippos IL oder war seine
Mutter aus dem Eönigshause, so wird er wohl unter den ßaaihxoi
naiSeg oder wenigstens in den Ilen der Edelleute {itaiQOi), nicht aber
als gregarius miles seinen Dienst begonnen haben. Ptolemaios ist 283
im 84. Jahre gestorben, also war er um 368/7 geboren, in einer Zeit
wo Philipp noch nicht König, erst fünfzehn Jahre alt, vielleicht schon
als Geißel in Theben war.
Fällt damit die eine Überlieferung, so ist die andere, die des
Justin, eben so wenig stichhaltig. Wir wissen aus Arrian, d. h. nach
Ptolemaios eigener Angabe, von jenem vertrauteren Kreise von Freunden,
die dem jungen Alexander, als noch sein Vater lebte, zur Seite waren
und ihn berieten, bis sie 338/7 um des Sohnes willen vor dem er-
zürnten Vater Makedonien verlassen mußten (Arrian III 6, 5). Erst 330
gab Alexander dem Ptolemaios eine der sieben Leibwächterstellen, nicht
die erste, die seit seiner Thronbesteigung frei wurde; aber schon in der
Schlacht von Issos ist Ptolemaios bei der Verfolgung in der unmittel-
baren Nähe des Königs ((TwsnKTnöfisvoq röre jiks^avSoG) Arr. II 11, 8);
in welchem militärischen Dienst und Kang, ist nicht zu ersehen. Daß
Ptolemaios schon 335 den Feldzug an der Donau und gegen Theben
mitgemacht hat, wird man aus seinen Angaben über die Vorgänge
dort schließen dürfen. Denn daß er gleich nach dem Tode des Phi-
lippos zurückberafen ist, sagt Arr. III 6, 6; natürlich nicht, um als
gregarius miles einzutreten. Der griechische Schriftsteller, der dies
angab, wollte entweder das Tröpfchen königlichen Blutes in den Adern
des Lagiden nicht gelten lassen, das ihm so oder so die gemeine
Meinung zuschrieb, oder mochte es erhebender finden, wenn der König
vom gregarius miles auf gedient hatte, wie Justin ja auch Agathokles
von Syrakus gregariann militiam sortitum beginnen läßt (XXII 1, 8).
[461] Nicht minder seine eigenen Wege geht der Schriftsteller,
aus dem Justin oder Trogus geschöpft hat, in der Darstellung der
wüsten Vorgange nach dem Tode Alexanders; sie liegen uns noch in
einer zweiten und dritten Gestalt vor. Die einfachste ist die in Photios
Auszügen aus Arrian und bei Diod. XVIII 2, beide sichtlich auf die-
selbe Quelle zurückweisend. Erst in kurzer Angabe der Zwiespalt im
Heere, auf der einen Seite die Somatophylakes, die andern hohen
Offiziere, die Ritterschaft der iraiQoi, auf der andern die Hetairen
204 Zu Duris und Hieronymos
vom Fußvolk. Hvpaspisten und Phalangiten; dann Verhandlung zwischen
beiden, die der Strateg Meleagros führen soll; aber Meleagros tritt auf
die Seite des Arrhidaios, den die Fußvölker als König proklamiert haben ;
dann vermitteln andere, man kommt zu einer Aussöhnung.
Sehr viel lebhafter erscheinen diese Vorgange bei Curtius und
Justin; aber in den wesentlichen Dingen, in der Qesamtauflfassung sind
sie einander völlig entgegengesetzt: bei Curtius das ganze Heer in
tiefster Trauer und Bestürzung über des Königs Tod, bei Justin die
Makedonen insgemein froh, als wenn dieser Tod sie von ihrem Feinde
befreit hätte et severitatem nimiam et adsidua belli pericula exeorantes,
die Großen in der Hoffnung, nun Macht und Königreiche zu gewinnen
u. s.w. Dann bei beiden Schriftstellern die Beratung der hohen Officiere:
bei Curtius erst der Vorschlag des Perdikkas, überhaupt die Dinge
hier im Bat zu entscheiden, namentlich zu entscheiden, ob einer oder
mehrere das Regiment führen sollen, zum Schluß der Hinweis auf das
Kind, das in kurzem Roxane gebären werde. Dann Nearchos Vorschlag,
des Königs Bastard von der Barsine zu proklamieren, darauf Ptolemaios
Einsprache gegen beide, die nicht makedonischen Blutes seien, sein
Vorschlag, die bisherigen nächsten Genossen und Katgeber des Königs
in dessen Namen das Reich verwalten zu lassen; endlich Meleagros
Verwerfung aller dieser Vorschläge mit lärmender Unterstützung der
schon in den Saal hineingedrungenen Phalangiten. Bei Justin eine
sehr andere Reihe von Vorschlägen; zuerst Perdikkas: man müsse die
Entbindung Roxanes abwarten, und wenn sie einen Sohn gebäre, dem
die Nachfolge zuweisen; darauf Meleagros: man müsse einen, der schon
da sei, berufen, entweder des Königs Bruder Arrhidaios oder seinen
Bastard von der Barsine; dann Ptolemaios: den stumpfsinnigen Bastard
Philipps könne man nicht brauchen, am besten sei, einen unter denen,
die [462] dem Könige in Rat und That zunächst gestanden hätten,
zu wählen. Hat, wie wahrscheinlich ist, Curtius auch hier wiederholt^
was Kleitarchos erzählt hat, so folgt Trogus hier, wie überhaupt von
hieran (Xmff.), einer völlig anderen Quelle. Derselbe Gegensatz zwi-
schen beiden tritt mit jedem weiteren Zuge in der Erzählung dieser
anarchischen Vorgänge in Babylon hervor, am meisten in der Art, wie
bei Justin Meleagros mit dem Fußvolk in entschiedenem Übergewicht
erscheint {eqiäies trepidi ab urbe discedunt XIII 3, 5) bis die kluge Ge-
wandtheit des Perdikkas sie überholt, während bei Curtius die hohen
Offiziere und die Ritterschaft nach dem geglückten Rückzuge aus der
Stadt auf das freie Feld so entschieden im Übergewicht sind, daß das
Fußvolk Anträge auf gütliches Abkommen stellen muß. Andere ähn-
liche Differenzen können übergangen werden. Hat Curtius oder der.
Zu Duris und Hieronjmos 205
den er lateinisch bearbeitete , auch für diese letzten Kapitel seines
Baches Kleitarchos zur Quelle, so ist Trogus, der bis dahin denselben
Eleitarchos vor sich hatte, vom 18. Buch an einem anderen Autor
gefolgt, der nicht minder lebhaft und rhetorisch schrieb.
Noch ein anderer Punkt bietet Gelegenheit zum Vergleichen.
Von der ersten Verteilung der Satrapien des Reiches nach dem Tode
Alexanders haben wir fünf Verzeichnisse, denen, wie die Reihenfolge
in ihnen zeigt, ein und dasselbe Schema zu Grunde liegt Da stehen
erst die westlichen Satrapien (die der Küsten, Kleinasien, Thrakien
und Makedonien), dann folgen die östlichen, die einen wie andern
ziemlich genau in derselben Reihenfolge der einzelnen Satrapien. Zwei
von diesen Verzeichnissen, das bei Curt X 10 und das des Auszuges
aus Arrians rä fierä jUb^üvSqov haben nur die erste Hälfte, während
Diod. XVIII 3, Justin XIII 4 und Photios Auszug aus Dexippos rä
fierä 'AXe^dvS^ov die vollständige Reihe geben wollen. Diese drei
stimmen in den Hauptsachen überein; die vorhandenen Differenzen
zeigen, daß Justin eine andere Bearbeitung des Schemas vor sich ge-
habt hat als die beiden anderen. Während Diodor und Dexippos
(Arrian mit ihnen) Peithon, der Großmedien erhält, in der ersten
Hälfte aufzählen — der Grund davon ließe sich leicht finden — hat
Justin an dieser Stelle zugleich Kleinmedien, das Atropates erhält, hin-
zugefügt. Während Diodor und Dexippos (auch Arrian und Curtius)
angeben, daß Großphrygien nebst Lykien und Pamphylien Antigonos
erhält, sagt Justin Fhrygia maior Aniigono adsignaiw, [463] Lyoiam et
Pamphyliam Nearchus . . . sortüu/r. Während Dexippos und Diodor
Susa übergehen, sagt Justin schon in der ersten Hälfte nach der
jetzigen Lesart Susiana gens Coeno, wofür, da der einzige namhafte
Koinos, der Strateg, bereits tot war, wohl zu schreiben ist Susiana
Phüoaxno. Wenn nach Diodor und Justin Archen (des Kleinias Sohn)
der Pellaier Satrap von Babylon wird, giebt Dexippos statt dessen den
Seleukos, ein offenbarer Fehler, dessen Ursprung nicht mehr zu er-
kennen ist.
Noch bleibt eine bedeutendere Differenz, deren Beachtung zugleich
weiter führt; sie betrifft Baktrien und Sogdiana. Justin sagt nach den
Handschriften: Bactrianos Ämyntas sortitwr, Sogdianos Sulceos Staganos,
Parthos Philippm. Amyntas des Nikolaus Sohn ist 380 von Alexander
zum Strategen von Baktrien bestellt worden (Arr. IV 17, 3); er ist mit
3500 Reitern und 10000 Mann Fußvolk kv rfj X(Aq^ tQv BaxrQuov
zurückgeblieben, als 329 der König nach Indien zog; wer damals den
Befehl in der Sogdiana erhalten, läßt Arrian unerwähnt; nach der ange-
führten Stelle des Justin — denn er sagt ausdrücklich in Bactriatia et
206 ^u Duris und Hieronymos
/ndiae regionibus praefez-M retenti sunt — muß man schließen, daß Amyn-
tas Baktrien behalten hat, und jener Soleos Staganar [so Rühl] Sogdiana.
Diodor hat ^hXinnro öi nooaroQtaB Hc^xrotavijv x(A SoySttivtjv.
Dexippos giebt mehr: ^IhUnnov di Jjv ÜQxh 2!oyfimvoi (er wollte, wie
man wohl aus der Reihenfolge bei Diodor schließen darf, Bc(XTütf4voi
schreiben), rt^v äi ^oydiuvwv ßafTtXEiav'Ooomto^ eJ/ev ov 7i(h(jior
iX(f)V dQ/ijV üXKä SövTo^ avrov 'AXt^avSoav inBi Üt tv/ti n^ uvTfp
fTvvenefTBv hnavatTTÜatut^ airiav (fevyovTi nc4Qf4lv{^TjVai xTi^i ÜQxti'^^
TÖre xoiv(7}^ avTfov rijv ccijxh^ «Of«« Dies xoiv&s; ist korrumpiert,
vielleicht dafür kxeivo^ zu lesen und auf Philipp, der vorher schon
erwähnt, zu beziehen. So viel ist klar: bei einem Aufstande — viel-
leicht dem von 325 Diod. XVII 99, (Jurt. IX 7, 1 ; Aman erwähnt ihn
nicht — war dieser über Sogdiana gesetzte Fürst flüchtig geworden;
damals wurde Philippos, Satrap vcm Baktrien, — Amyntas mag ge-
storben sein — auch mit Sogdiana betraut. Bemerkenswerter ist, daB
nach dieser Notiz Alexander den Versuch gemacht hatte, das Land
jenseits des Oxos einem heimischen Fürsten anzuvertrauen, wie er ja
auch mit Taxiles, Porös u. s. w. in Indien that. Man hat bei dem
V{)(oniOi; an einen Fürsten zu denken wie jenen Chorienes Arr.IV 21, 1 fl'.,
der in seiner Felsenburg [464] dem Angriff Alexanders trotzt«, dann
unter Vermittelung des Vaters der Roxane seinen Frieden mit ihm
schloß, das Heer Alexanders auf zwei Monate versorgte: iv&tv iv TffiJi
fiäXXov r(o 'A'kB^dv(){)(i} t/v, oti; ov nndi^ [iiccv fjiäXkov // xcirä yvcjfitjr
Aber woher diese beachtenswerte Nachricht des Dexippos? Viel-
leicht aus Arrian, der ihm wohl noch vollständig vorlag, vielleicht aus
derselben Quelle, die Arrian und Diodor für das Verzeichnis benutzt
haben. Es kommt uns recht gelegen, daß in diesem Stück aus Dexippos
die Tvxv ^'s* vorkommt. W. Nitzsche hat jüngst (in dem Programm
des Sophiengymnasiums zu Berlin 187(3 S. 32) scharfsinnig und über-
zeugend nachgewiesen, wie sich auch sprachlich die Kapitel im Diodor
XVIII — XXI, die von Agathokles handeln, von denen über die Ge-
schichte der Diadochen unterscheiden, wie in der des Agathokles t6
()cafiövioVy t6 /htov und ähnliche Ausdrücke charakteristisch sind,
während in der Diadochengeschichte /y tv/jj di^ Geschicke der Men-
schen b(^stiramt, und es ist dies einer seiner Beweise dafür, daß Diodor
für den Agathokles den Duris, für die Diadochen den Hieronymos von
Kardia benutzt hat. In Diodors Diadochengeschichte erkennt man
überall die sachkundige, durchaus nicht rhetorisierende, im besten Sinn
pragmatische Quelle wieder, die diesem Teil seiner Bibliothek einen
liervorragenden Wert giebt.
Zu Duris und Hicronymos 207
Hieronymos hat sicher nicht die Geschmacklosigkeit gehabt, Peithon
des Krateuas Sohn einen lUyrier zu nennen. Er hat lange genug in
dem Hauptquartier Alexanders zugebracht, um zu wissen, daß Ptolemaios
des Lagos Sohn nicht als gregarius miles gedient hat. Duris liebt es,
mit solchen Geschichten Personen, die er nicht mag, einen Makel mit
auf den Weg zu geben, wie denn gewiß aus ihm Plutarchs Nachricht
stammt, daß der Kardianer Eumenes eines aimen Fuhrmannes Sohn
gewesen sei, während seine andere Angabe {ßoxovai ö' eixöra fiällov
Uysiv), daß der König Philippos mit Eumenes Vater in Befreundung
und Gastfreundschaft gestanden, eben so sicher auf Hieronymos zurück-
geht. Und das überschwängliche Lob, mit dem Justin von Lysimachos
spricht, die Dinge, die er von dessen Erlebnissen unter Alexander er-
zählt, recht eigentliche Jagdgeschichten XV 3, 1 ff., legen die Vermutung
nahe, daß Duris, der seiner Zeit Tyrann von Samos war, sich diese
Stellung erworben oder erhalten hat [465] durch Anschluß an Lysi-
machos, gegen den sich schließlich in den Städten Kleinasiens die ^ekev-
xi^ovTBg erhoben (Polyaen. V1II57); ein Stück, das wohl auch aus Duris
ist Duris führte seine laTOQta, wie es nach fr. 33 scheint, bis 281,
dem Kampf zwischen Seleukos und Lysimachos, dem Fall des Lysi-
machos: und Justin XVII 1,9 sagt: ultimum hoc certamen commilitomim
Alexandri fuit et velut ad exemplum fortunae par resenatum,
Hieronymos hat sein Geschichtswerk über den Tod des Königs
Pyrrhos hinaus fortgeführt Er hat es, nachdem das Werk des Duris
veröffentlicht war, geschrieben ; ähnlich wie Ptolemaios nach Kleitarchos
geschrieben hat, vielleicht in der gleichen Absicht, der auf den Ge-
schmack des Publikums berechneten und viel gelesenen Darstellung
des samischen Litteraten und Tyrannen, der die Erinnerungen der
Diadochenzeit auf höchst willkürliche Weise entstellte, ein Werk ent-
gegen zu stellen, das die große und schwere Zeit, die man durchlebt
hatte, der Nachwelt in ihrem ernsten pragmatischen Zusammenhang
überliefern sollte.
vin.
Alexander des Grossen Armee.
Hermes XII 1877 S. 226 ff.
[226] Bekanntlich wird die Starke des Heeres, das Alexander der
Oroße nach Asien führte, von den gleichzeitigen Schriftstellern sehr ver-
schieden angegeben.
Daß die Angabe Arrians I 11, 3 ne^ovg fiiv avv \piXotg tb xai
ro^örccig oi noXk^ nkeiovg rßv rQi<rfjLVQio)v, Inniag 8k inkg roifg
nevraxKTxMovg aus dem Werke des Ptolemaios stammt, ergiebt fr. 4 (bei
[Plut] de fort. Alex. 1. 3): cbg Si IlrolefiaTog 6 ßccmXevg, rgtafiypioi
ntl^oi, nevraxifTxii'ioi Si inneig, wenn schon Plutarch die nur approxi-
mativen Angaben, die gewiß original sind, in runde Zahlen verwandelt.
Die Angaben der gleichzeitigen Quellen überhaupt sind:
Ptolemaios (fr. 4) 30 000 F. 5000 E. [Summa 35 000]
Eallisthenes (fr. 33)
40000 „
4500 „
J?
44 500]
Anaximenes (fr. 15)
43 000 „
55001 „
w
48 500'
Aristobulos (fr. 1")
80000 „
4000 „
V
34 OOO'
Von späteren werden noch folgende Zahlen angegeben:
Diodor (XVII 17) 30000 F. 4500 R. [Summa 34 500]
Justin (XI 6) 32 000 „ 4500 „ [ „ 36 500]
Frontin (IV 2, 4) 40000 „ „ [ „ ]
Es ist mehrfach versucht worden, auf Grund der einander nahe-
stehenden Angaben des Ptolemaios, Aristobulos, des Diodor und Justin
die Armee Alexanders nach ihrer Formation und der [227] Truppenstärke
^ Plutarch (Alex. 15) will die niedrigste und höchste Zi£Fer, die er für die
Truppenstärke angegeben gefunden, hervorheben und bezeichnet als letztere :
ne^ovg fiiy ret^nKiax^^ovc xni r^nTfAvgiovc innia^ de inTnxKTxiUovg, wofür Sintenis
schreibt: ns^ ovgfjiiy TeigaxiafjivQiov^ xni ii^nr/iXiovi, inniaz ob nBrrnxiaxiXiovg. Die
Zahlen im Text sind aus [Plut.| de fort. Alex. 1, 3.
Alezander des Großen Armee 20d
der einzelnen Waffengattungen festzustellen. Im folgenden soll unter-
sucht werden, ob und wie weit die Elemente zu einer solchen Fest-
stellung vorhanden sind.
Zunächst eine Vorbemerkung. Allerdings verdient die Angabe des
Ptolemaios, wie Arrian sie giebt, allen Glauben; aber ist man sicher,
daß sie das sagen will, wofür sie ohne weiteres als Zeugnis gilt?
Arrian sagt, mit jenen „nicht viel über 30 000 Mann Fußvolk und
über 5000 Keitem" sei Alexander im Frühling 334 aus Makedonien
aufgebrochen, über den Strymon, Hebros nach dem Hellespont marschiert.
Nach der Quelle, der Diodor und Justin folgen, hat König Philipp schon
im Frühling 336 ein Corps unter Parmenion und Attalos nach Asien
vorangesandt* und das Corps ist von Alexander bei seiner Thronbestei-
gung nicht etwa zurückberufen, sondern hat 335 noch dort gestanden
und mehrfache Gefechte gehabt; sie weiß ferner, daß Attalos, der Oheim
der jüngst mit Philipp vermählten Kleopatra, den Versuch gemacht
habe die Truppen zur Empörung gegen Alexander zu bewegen, daß
Demosthenes mit ihm in Correspondenz getreten sei, daß die in Griechen-
land beginnende Bewegung Anknüpfungen mit Persien gesucht habe,
daß Attalos erschreckt durch Alexanders raschen Erfolg im Herbst 336
demselben die Briefe des Demosthenes zugestellt habe, um durch einen
großen Dienst des Königs Gnade zu erkaufen, daß Alexander ihn durch
Parmenion habe hinrichten lassen.
In der Ktesiphontea des Äschines und in Deinarchos Rede gegen
Demosthenes geschieht dieser Dinge , keine Erwähnung. Da Arrian
das Schreiben des Dareios an Alexander anführt (II 14, 2), in dem die
Schuld des Friedensbruches auf Makedonien geschoben wird, und indem
in diesem Schreiben — mag es ein echtes Aktenstück oder zur Bezeich-
nung der Lage componiert sein — gesagt wird, daß Philipp ädixia^
TiQCJTog äg ßuGiXka ''Agariv ^o^ev ovSiv äxccQi ix TIbqgcüv 7icc&(6v,
so ist kein Zweifel, daß Arrian diese Expedition des Parmenion nach
Asien gekannt hat, obschon [228] er sie da, wo von ihr die Rede sein
müßte, nicht erwähnt. Es sind nur zwei Fälle denkbar: entweder hat
Alexander vor dem Beginn seines Ausmarsches im Frühling 334 das
nach Asien vorausgesandte Corps zurückgerufen, und dann konnte
Arrian immerhin jene verfehlte Expedition übergehen, — oder er hat sie
übergangen, obschon die vorausgesandten Truppen noch um die Zeit
* Diod. XVI 91 *'Analop xci^ Ha^fievicoya TiQoanetneikev eig i/jy Äaiav fis^og
Ttjg Övvdfieag dovg xal ngotna^ag bXevdsQovv tag *£Xli]nöag nolsig. Trog. Pomp,
prol. IX cum bella Persica moliretur praemissa dasse cum ducibus . . .
Droysen, Kl. Schriften IL 14
210 Alexander des Grrofien Aimee
seines Ausmarsches entweder sämtlich oder zum Teil auf der asiatischen
Küste standen, und dann kommt zu der Zahl der 30 000 Mann Fuß-
volk und 5000 Reiter, mit denen Alexander aus Makedonien aufbrach,
für sein erstes Eriegsjahr im Osten und gleich für die Schlacht am
Granikos noch die Zahl der Truppen, die von dem 336 nach Asien
gesandten Corps noch dort standen.
Jene Quelle des Diodor und Justin giebt an, daß Alexander
nach Attalos Hinrichtung an Kalas das Commando neben und unter
Farmenion gab. Da Parmenion 335 bei dem Zuge Alexanders nach
der Donau, gegen lUyrien und nach Theben nicht erwähnt wird, so
scheint er während dieses Jahres bei den Truppen in Asien geblieben
zu sein, wie Antipatros als Reichsverweser mit Truppenmacht in Make-
donien zurückgeblieben war. Daß Kalas während dieses Jahres in der
troischen Landschaft, Farmenion in der Aiolis in Action war, erwähnt
Diodor XVII 7 und aus derselben Quelle Polyaen V 44 (wo Xühcag
6 MaxsSojv natürlich Kalas ist). Gewiß war es ein militärischer Fehler,
eine bedenkliche Zersplitterung der Streitkräfte, daß Fhilipp ein nam-
haftes Corps im Frühling 336 über den Hellespont voraussandte, wenn
er selbst erst im Spätherbst, vielleicht erst im folgenden Frühling, nach-
folgen wollte. War der Fehler einmal gemacht, so hatte Alexander
sehr triftige Gründe, die eingeleitete Expedition nicht sofort rückgängig
zu machen; selbst als diese Truppen in Asien, die gegen Ende 336
südwärts bis Pitena, ostwärts bis in die Xähe von Kyzikos vorgedrungen
waren, von dem persischen Strategen Memnon und seinen griechischen
Söldnern zurückmanövriert wurden, konnte es für Alexander von Wich-
tigkeit sein eine Stellung jenseits des Hellespontes, wie einen Brücken-
kopf, zu halten, um während seines Feldzugs nach der Donau 335 im
Rücken gedeckt zu sein und Diversionen, wie die Perser sie 340 wäh-
rend des Krieges gegen Ferinth und Byzanz versucht hatten, unmög-
lich zu machen. Allerdings wird erwähnt, daß Farmenion gewissen
Beratungen Anfangs 334 beigewohnt habe; sicherer ist, daß er bei
[229] Alexanders Übergang über den Hellespont im Frühling 334 sich
bei dessen Armee, nicht in Asien befand; und das letzte, was Diodor
XVII 7 von Kalas vor dem Übergang Alexanders meldelt, ist: xal
Xfj(pd'eig &nBX(AQrjG6 ig rd 'Poitbiov, Aber da jener Übergang Ale-
xanders nach Rhoiteion, Parmenions nach Abydos auch nicht den ge-
ringsten Widerstand fand, da Memnon und die persischen Satrapen
mit bedeutender Heeresmacht hinter dem Granikos standen und stehn
blieben, obschon die Stadt Lampsakos, die. dem Memnon gehörte ([Arist.]
Oec. II 30) und der persischen Sache völlig ergeben war (Paus. VI
18, 2), ihnen am Hellespont selbst eine sichere Position geboten hätte
Alexander des Großen Armee 21 1
SO wird man geneigt zu vennuten, daß die asiatischen Ufer des Helle-
spontes von Rhoiteion bis Abydos bis zur Ankunft Alexanders von den
Truppen des Kalas besetzt gehalten worden sind; an der Flotte , die
Alexanders Heer überzusetzen dort bereit lag, hatten sie hinreichenden
Rückhalt.
Nach Polyaen V 44 war die Starke des nach Asien vorausgeschickten
Corps 10000 Mann; nach Diodor XVII 7 waren die Truppen, mit denen
Kalas Ende 335 auf Rhoiteion zurückging, Makedonen und Söldner;
daB bei einem so bedeutenden Corps sich auch Reiter befanden, ver-
steht sich von selbst ,
Man könnte die höheren Ziffern für Alexanders Armee, die Anaxi-
menes (43000 Mann Fußvolk, 5500 Reiter) und Kallisthenes (40 000
Mann Fußvolk und 4500 Reiter) angeben, so zu erklären versuchen,
daß sie der Armee, mit der Alexander aus Makedonien kam, die Truppen
die schon in Asien standen, zurechnen. Aber weder würden sich damit
jene höheren Ziffern richtig ergeben, noch läßt der Wortlaut, in dem
sie überliefert sind, diese Auskunft ohne weiteres zu. Denn nach
Polyb. XII 19 hat Kallisthenes gesagt, Alexander sei mit 40000 Mann
Fußvolk und 4500 Reitern nach Asien übergegangen ( — äxovra rtjv
elg jiaiav Sidßaaiv non^aatr&cci); und Plut. Alex. 15 steUt die höchste
Ziffer — eben die des Anaximenes, den er nicht nennt — und die
niedrigste — des Aristobulos, den er gleichfalls nicht nennt — ein-
ander gegenüber, sichtlich in der Vorstellung, daß es sich nur um die
mit Alexander aus Makedonien ausrückenden «Truppen handelt.
Wie glaubwürdig an sich die Zahlen sind, die Arrian nach Ptole-
maios giebt, es bleibt der Zweifel, ob sie die ganze Truppenstärke be-
zeichnen, mit der Alexander an den Oranikos marschierte [230], oder
ob er nicht noch einige tausend mehr gegen den Feind führte.
Für die weitere Untersuchung muß zunächst die Angabe Arrians
so gelten wie er sie giebt. Wenn Alexanders Heer mit der Landung
auf dem asiatischen Ufer um eine bedeutende Truppenzahl stärker ge-
worden wäre, würde Arrian, selbst Soldat und ein verständiger Schrift-
steller, es wohl nicht unbemerkt gelassen haben. Und wenn er die
Stärke der Armee zunächst wieder unmittelbar vor der Schlacht von
Gaugamela angiebt und zwar auf 40 000 Mann zu Fuß und 7000 Reiter,
so thut er es offenbar in Beziehung auf jene frühere Angabe.
Die Forscher, welche sich mit der Frage der makedonischen Heeres-
formation beschäftigt haben, nehmen unbedenklich zur Grundlage ihrer
Ansätze den Katalog, den Diod. XVII 17 mitteilt; er gilt ihnen für
14*
21 2 Alexander des Großen. Armee
genau, weil er detailliert ist und weil er in seinen Gesamtsummen fast
ganz mit Ftolemaios Zahlen stinmit
Diod. XVn 9 sagt, Alexander habe in der Zeit, als er vor Theben
stand (Sept. 335), mehr als 30 000 Mann zu Fuß und nicht weniger
als 3000 Reiter gehabt Er giebt die Zahl der nach Asien voraus-
gesandten Truppen nicht an. Nachdem er erzählt, wie Alexander in
Ilion geopfert, fahrt er fort: airdg Si rdv k^eraafjLÖv rijg äxokov-
&ovar]g SvvüfAecjQ dxQißcjg inoif'jaaro ' BVQi&fjaav Si, folgt nun der
Katalog. Man könnte danach meinen, daß die Zählung erst auf dem
asiatischen Ufer gemacht sei, aber Diodor fugt nach beendeter Speci-
fication hinzu: oi fiiv ovv fier' jiXB^dvSgov ätaßdvTsg elg ti]v !Aaiav
roaovTOi t6 nXfi&og rjauv, dagegen seien unter Antipatros Befehl in
Europa so und so viel Truppen zurückgelassen. Nach Diodors Katalog
hat die Zählung der Feldarmee ergeben:
Fußvolk: 12000 (v.l. 13000) Makedonen^ \
7000 Bundesgenossen > unter Parmenion
5000 Söldner J
5000 (V. 1. 7000) Odryser, Illyrier, Triballer»
1000 Bogenschützen und Agrianer
also 30000 (33000) Mann Fußvolk.
[231] Reiter: 1500 (v. 1. 1800) Makedonen unter Philota^«
1500 (V. 1. 1800) Thessaler unter Kalas*
600 ^ andere Hellenen unter Erigyios
900 thrakische ngöSgopioi und Paionen
unter Kassandros
also 4500 (5100) Reiter.
Als Gesamtsumme giebt Diodor selbst 30000 Mann Fußvolk, 4500
Reiter. Er fugt hinzu, daß in Europa unter Antipatros Befehl zurück-
geblieben seien
Fußvolk 12000 Mann.
Reiter 1500 Mann«.
Die Varianten sind nicht unerheblich, doch mag vorerst der Text gelten
wie ihn Dindorf 1867 gegeben hat. Der Katalog giebt zu sachlichen
Bedenken Anlaß, die schwerer ins Gewicht fallen.
^ Nach Dindorf: diaxihoi FLQT Cospus, die anderen codd. tqkjxUlioi.
' iniaxLaxiXiOi, FLQ.
' Alle Codd. geben /Utot xal 6xxax6atoiy nur T hat am Rande dafür qi .
* Ebenso wie Note 8; offenbar beides Verbesserungen aus Diodors Ge-
sammtzahl.
' Die Codd. geben innti^ öt fivfjioi nal /iXioi xnl netftnxocriou
Alexander des Großen Armee 213
Zuerst die Einzelnheiten. So oft Parmenion bei Arrian genannt
wird, in solcher Stellung, als Befehlshaber der 24 000 Mann Fußvolk,
gleichsam als Generaloberster der Infanterie, erscheint er da nie; auch
haben die avfificczoi zu Fuß in Antigen os (Arr. I 29), die ^ivoi zu
Fuß in Menandros (Arr. III 6, 8) ihre besonderen Strategen.
Noch auffallender sind die 5000 Odryser, Illyrier, Triballer. Die
in militärischen Dingen allein zuverlässige Quelle, der Arrian in der
Kegel folgt, nennt die sonst (I 1 4, 3 u. s. w.) als thrakische Reiter unter
Agathen angeführte Truppe Odryser (III 12, 4); thrakisches Fußvolk
unter Sitalkes, der WaflFe nach Akontisten, wird häufig genannt; über
die Stärke dieser Truppe hat Arrian keine Angabe. Illyrier nennt
Arrian niemals in den Actionen, nur in einer Ansprache Alexanders
(II 7, 5) fuhrt er sie mit auf\ [232] und die verdächtigen Worte xal
IkXvQiovg scbeinen in allen Handschriften zu stehen. Curtius freilich
IV 13, 31 kennt Illyrier als ein im Heer mitagierendes Corps und VI
7, 35 kommen deren 3000 mit anderem Ersatz nach Asien ; aber Tri-
baller als Truppen Alexanders kennt er nicht.
Als Führer der thessalischen Ritterschaft wird Kalas auch von
Arrian I 1 4, 3 in der Schlacht am Granikos genannt Diodor, der von
ihm noch kurz zuvor (XVII 7) angegeben hatte, daß er Ende 335 sich
mit dem nach Asien vorausgesandten Corps nach Rhoiteion zurück-
gezogen habe, hat nicht für nötig gehalten darüber aufzuklären, ob
derselbe mit seinen Truppen zurückgerufen, oder wie er aus der frü-
heren Stellung zu dieser als Hipparch der Thessaler gekonmien ist.
Nach Diodor hat den Befehl über die hellenischen Contingente
zu Pferd Erigyios, während nach Arr. I 14, 3 am Granikos Philippos
^ ßaqßaQ(äv te av <9^xac xal Uaiovag xai *IXlvQiovc nal Ä^Q^yng tovc
evqiaatoxarovg tb xStv xma irjv ^VQÖnijv xal fia/ifKaraiovg n^og tcc nnopäiaTa je
xnl fiakaxiJiaTn Trjg Äaing yfiVi/ dvuTa^ea&ai, zum SchluB die Weisung, die
Truppen abkochen zu lassen. Dieser Anrede im Rriegsrat nach Eingang des
Berichtes, daß die Perser vom Rücken her vorgehen, folgt bei Arr. II 10, 2 die
zweite vor Beginn der Schlacht, an die einzelnen Führer im Vorüberreiten ge-
richtete. Bei den auf Kleitarch zurückreichenden Schriftstellern ist statt der
ersten Ansprache die Besorgnis im Heere geschildert (Curt. III 8, 20: und zum
Schluß) ttaqae corpora militis curare iussit Bei Diodor XVII 83 deutet das
xatanlrjxiuiSig auf den Zusammenhang seiner Vorlage. Die zweite Ansprache
führt Curt. 11 10, 4 {cum agmini ohequitaret) genauer aus; da heißt es III 10, 9:
lÜyrioa vero et Thraces rapto vivere assuetoa aciem hoatium auro purpuraqm
fulgentem inhteri vubebat, praedam non arma gestantem u. s. w. Und Justin
XI 9, 4: singtdas gentes diver sa oraiione aüoqudtur; Ulyrioa ei Tkracas opum et
divitiarum osieniattone u. s. w. Diod. XVII 33 begnügt sich mit den Worten:
jovg fiev GTQaJuajag totg oixeloig lofoig nagexakaaev tnl xbv neqi tcop ölap afCtva.
214 Alexander des Großen Armee
des Menelaos Sohn, und erst in der Schlacht von Gkingamela Erigyios
des Larichos Sohn sie führt (III 11, 10).
Nicht einmal so für eine spätere Zeit richtig ist die weitere Angabe
des Eifctalogs, daß Kassandros die 900 Paionen und Thraker geföhrt
habe; die Paionen stehn sicher von Anfang an unter Ariston (11 9, 2);
die Sarissophoren, die wie die Paionen Prodromoi sind, hat am Granikos
wie es scheint Amyntas (I 12, 7), später sicher Protomachos geführt
(II 9, 2). Daß Kassandros bei seinem Vater Antipatros in Makedonien
blieb und erst 824 nach Babylon zum Heere kam, ist außer Zweifel.
Nicht minderen Anstoß bietet die Gesamtfassung dieses Katalogs.
Auf jede Frage, auf die man aus ihm Belehrung erhalten möchte,
giebt er eine schiefe Autwort; will man erfahren wie viel Peltasten
Alexander mit sich führte, so sagt der Katalog, er hatte so und so
viel Makedonen, Bündner, Söldner zu Fuß; [233] fragt man ihn ob
die Sarissophoren in Alexanders Heer, die als ngöSgopLoi angeführt
werden, Makedonen waren, so zählt er 900 thrakische und paionische
Prodromoi im Heere auf; will man wissen, ob Alexanders Bogenschützen
Kreter waren, so ist die Antwort, er hatte 900 Bogenschützen und
sogenannte Agrianer. Gewiß hat Alexander sein Heer auch gemustert,
aber wenn das Ergebnis der Musterung ein solches gewesen ist, wie
dieser Katalog vor Augen stellt, so hat der Autor, der ihn überliefert«,
nur die Phrase der Musterung und von einer wirklich angestellten
keine Ahnung gehabt; ja man kann zweifeln, ob Alexander bei seinem
Ausmarsch erst durch eine Musterung in Erfahrung bringen mußte,
wie viel Truppen zu seiner Verfügung stehen würden — wie der
jüngere Kyros dazu Anlaß hatte {k^irccaiv xal äpi&^v r&v '£U,iivo}v
knoifjaB kv nagaSBiaq) Xen. An. T 2, 9 cf. VII 1, 9), — ob Alexander
nicht vielmehr verfügt haben wird, wie viel von seinen Makedonen,
von den in Dienst genommenen Söldnern, von den Pflichtigen Bundes-
genossen mit ausziehn sollten.
Sichtlich stammt der Katalog Diodors aus einem Schriftsteller, der
entweder selbst für militärische Dinge kein Interesse und keine Ein-
sicht hatte oder voraussetzte, daß das gebildete Griechentum, für das
er schrieb, den Militarismus gründlichst satt habe und von Kriegs-
geschichten vor allem Unterhaltung und Sensation verlange, allenfalls
noch dazu eine ungefähre Übersicht der Ereignisse. Daß Kleitarchos
in der Art geschrieben, daß er der Vulgata von der Geschichte Ale-
xanders ihre Form gegeben hat, ist bekannt; und wie er geschrieben
hat, erkennt man noch deutlich genug aus Gurtius, obschon dessen
Darstellung nicht einmal, wie doch wohl meist die des Diodor, unmittel-
bar aus ihm geschöpft ist
Alexander des Großen Armee 215
Demnach wird man darauf verzichten müssen, den Katalog der
angeblichen Zählung, wie ihn Diodor giebt, zu benutzen, wenn es sich
darum handelt die Formation der Armee Alexanders festzustellen.
Nach der Eigentümlichkeit der Armee Alexanders werden sich
drei Gesichtspunkte unterscheiden lassen, nach denen mian ihre For-
mation betrachten kann: der der Waffenart, der der Nationalitat, der
des Dienstverhältnisses, in dem die Combattanten dieser Armee stehn.
Der zweite dieser Gesichtspunkte verbindet sich in solcher Weise mit
dem ersten und dritten, daß er für die vorliegende Aufgabe keiner
selbständigen Erörterung bedarf. Denn [234] der Vorzug der irmgia
ßaaihxfij den die Ilen der makedonischen Bitterschaft, die Hypaspisten
der Hetairen, die makedonischen Hopliten als Pezetairen haben, ist
nicht ein nationaler, da es makedonische Waffengattungen giebt, die
nicht zu den fietairen gerechnet werden.
Nach dem Gesichtspunkt des Dienstverhältnisses stehen in
dieser Armee nebeneinander 1) des Königs Unterthanen, edel und
unedel, welche teils nach einer Art Lehnspflicht, teils nach der all-
gemeinen Wehrpflicht der Makedonen dienen, 2) die Bundesgenossen,
die dem Könige von verbündeten Staaten auf Grund von Verträgen
als Contingente gestellt werden, 3) die Söldner, hellenische und nicht-
hellenische, die sich durch den Werbevertrag zu dienen verpflichten.
Natürlich verträgt sich mit dieser dreifachen Unterscheidung sehr wohl,
daß der König die Löhnung und Verpflegung aller Truppen leistet^
nicht minder, daß die Bündner ihre Contingente nach Belieben aus
Bürgern oder Söldnern bilden können.
Nach den Waffen umfaßt die Armee an Reitern 1) die mehi
oder minder schweren Reiter, der Mann mit Helm, Harnisch, Arm-
stücken u. s. w., das Pferd an Kopf und Brust bepanzert, als Waffe
Stoßspeer und Schwert; 2) die leichten Reiter {nQÖdQOfAoi) ulanen-
artig mit langer Lanze (Sarissophoren) ; 3) die noch leichteren Bogen-
schützen zu Pferd {In^oro^ötai und Akontisten zu Pferd) hat Alexander
erst seit 329 in seinem Heer. An Fußvolk 1) Hopliten, mehr
oder weniger schwer bewafihete, mit mehr oder weniger langem Spieß
{86()v oder adgiaau^ denn auch die makedonischen Sarissen werden
gelegentlich Sögara genannt Arr. I 6, 1 und 4); 2) Pel tasten oder
Akontisten mit dem Schilde, zu denen die makedonischen Hypaspisten
gehören; 3) die leichtbewafiheten 'kpiXoi oder richtiger yvfivoij teils
Akontisten ohne Schild (Agrianer), teils Bogenschützen und Schleuderer.
Ob es eine besonders organisierte Bedienung der fjLfjxccval, der
Feldgeschütze gab, die zur Armee gehörten (Arr. I 6, 8), ob für den
bedeutenden Train, für die Pferdeknechte, deren jeder schwere Reiter
216 Alexander des Großen Armee
einen haben durfte, für die Trager der Hopliten (und Hypaspisten [?]),
auf je zehn Mann ein Knecht (Frontin. IV 1, 6 ^i molas ei funes
ferrent), für die vörrcav ^eoaneia (Xen. Hell. IV 1 vgl. mit Air. IV 16, 6),
für die Handhabung der [235] Kriegsgefangenen (Arr. III 6, 6 Laomedon
bestellt inl rotg aixfic6X(Aroig ßagßÜQoig) besondere Organisationen
vorhanden waren, muß dahin gestellt bleiben.
Aus der Frage nach dem Dienstverhältnis ist an dieser Stelle
nur ein Punkt hervorzuheben und dieser auch nur, um die Lücken
der Überlieferung zu bezeichnen, die ein sicheres Verständnis unmöglich
machen.
Die thessalischen Reiter gehören zu den (rvfifiaxoi (Arr. I
24, 3), aber auf Grund anderer Verträge als die übrigen Hellenen; wie
es scheint derer, die König Philipp mit den Thessalem bei der Her-
stellung der Tetrarchien 342 geschlossen (Dem. Phil. EI § 26) und
Alexander bei seinem ersten Zuge nach Hellas (Herbst 336) erneut
hat (Aesch. Ctes. 161 ^Srj ä' iifjfjcpiafjbivcjv Oerralctiv kniaTQcrrevetr
knl T7JV vfjLereQav nöXiv xal toi) veaviaxov u. s. w.). Auf Grund
ähnlicher Verträge, wenn nicht infolge der amphiktyonischen Bestellung
zum (TTQarfjyog avTOXQUT(oQ für den Feldzug, die Alexander Herbst 336
forderte und erhielt (Diod. XVII 4), werden auch die „zugewandten Orte"
Thessaliens, die Doloper, Ainianen, Malier, Perrhaiber u. s. w. Heeres-
folge geleistet haben, obschon Arrian ihrer nicht besonders 'erwähnt.
Polydamas der Thessaler sagt bei Xen. Hell VI 1, 8: Thessalien
könne, wenn es einen Tagos bestelle, gegen 6000 Heiter und mehr als
10000 Hopliten stellen; wie nach den Verträgen mit Makedonien das
Contingent der Thessaler und die der Umlande bestimmt waren, ist
nicht mehr ersichtlich.
Anderer Art war das Verhältnis der Hellenen &Got ivrdg IIvl&v
1j(Tccv, wie Niebuhr bei Arr. I 1, 2 statt kvrog nü.onovvi)aov treflFend
emendiert hat^ Sie alle — nur Sparta war ferngeblieben — hatte
der korinthische Bund, den sie mit Philipp nach der Schlacht von
Chaironeia geschlossen, mit Alexander im Herbst 336 erneut hatten,
zur Stellung ihrer Contingente [236] verpflichtet Die Stärke dieser
Contingente beim ersten Abschluß des Bundes giebt Justin IX 5, 4
mit folgenden Worten an: auxUia deinde singularum dviiatiu/m descri-
' Daß für diese Zeit der Ausdruck förmlich techniBch war, sieht man aus
Dem. d. cor. 804: wftre Ein Mann in jeder Stadt oder vielmehr nur Ein solcher
in Thessalien und Einer in Arkadien gewesen, der wie ich gedacht hfitte, o\?dBU
0VT8 tbjv ^0) ITvlcJv ^EXh'jviüv ovxB Tbiv stafü xolg naQovffi xaxotg ixexQ^t av, nlXa
nnvTec av ovie? ekev&eQoi u. s. w. Schon Thucydides II 101 unterscheidet so die
Völker Thessaliens xai ot fJidxQi- BeqiAonvlibv "^Ikrjves^
Alexander des Großen Armee 217
huntuTj sive adiuvandus ea manu rex oppugnante aliqtu) foret seu duce ülo
bellurn inferendum; . . . su/mma auxUiorum ducenta millia pedüum fuere
et equitvm quindeoim miüia. Unsinnige Zahlen , die die Quelle verraten
ans der sie stammen. Was die hellenischen Bundesstaaten an Con-
tingenten gestellt haben, wird später zu erwägen sein. Für die Frage
ob die Paionen, Agrianer, Odryser als ^ivot oder als (TVfifiaxoi mit
ins Feld gezogen sind, findet sich in unsern Quellen nur eine unsichere
Andeutung, und von den Münzen, die mehr zu ergeben scheinen, will
ich hier zu sprechen unterlassen.
Es empfiehlt sich zuerst von der Kavallerie Alexanders zu handeln,
wie sie bis zum Herbst 331 gewesen ist. Denn mit dem Aufbruch
aus Susa beginnt die Umbildung zuerst der Kavallerie, dann der ganzen
Armee, die mit jedem Jahre mehr die früheren Formationen durch
neue, wie die anderen Bedingungen und Aufgaben sie forderten, ver-
drängte, — ein Beispiel organisatorischer Kühnheit und imperatorischer
Sicherheit, wie die militärische Geschichte aller Jahrhunderte kein
zweites aufzuweisen hat.
In Alexanders schwerer Kavallerie hat die erste Stelle die der
makedonischen Hetairen {oi inneig rßv iraiQcov oder wie sonst die
Formel ist) unter Führung des Philotas. Sie besteht aus acht Ilen,
von denen dem Bange nach die des schwarzen Klei tos, das könig-
liche Agema, die erste ist Diese Hen werden bald nach ihren
Darchen genannt (so Arr. III 9, 3 , wo alle acht angeführt sind), bald
nach Districten der Heimat: die von ApoUonia (1 12, 7), von Anthemus
II 9, 3), von Amphipolis, von Bottiaia (I 2, 5), aus dem oberen Make-
donien (zwei) I 3, 5^, und nur die des Kleitos ist vielleicht aus dem
Adel des ganzen Landes^.
' Die siebente bezeichnet Arr. II 9, 3 als tfjp ÄBVffaUtv xaXovptevrjv, da un-
mittelbar darnach t^v Äy&sfiovainv ohne xnXovfteyrjy steht, so ist Aevfaiavj mag
der Name auch comimpiert sein, wenigstens kein lokaler. Es war ungeschickt
wenn ich früher glaubte, dafttr Alifniav vorschlagen zu dürfen; ebensowenig ist
aus dem Philotas Augeus bei Gurt. V 2, 5 die Verbesserung zu entnehmen.
' Wenn am Granikos während des Gefechts um die Person Alexanders
Demaratos von Korinth, tIüv afi<p aviov hnlQavy in des Königs Nähe ist und '
da dessen Speer bricht, ihm seinen eigenen reicht, so ist der Korinther unter den
Combattanten; und daß demnächst Kleitos einen gegen des Königs Nacken ge-
richteten Säbelhieb pariert, läßt schließen, daß der König an diesem Tage an
der Spitze des Agema der Hetairen kämpfte, zu dem auch Demaratos gehört
haben wird.
218 Alexander des Großen Armee
[237] Arr. III 16, 11 giebt an, daß Alexander in Susa eine
bedeutende Menge Ersatztrappen aus Makedonien erhalten hat, xcei
Tovrmv rovq fUv innkaq kq rijv tnnov rijv iratQixijv xccrira^evj
Tovg nB^ovg Si itQoai&fjxe raig rd^ea^ ralg äkkaig xccrä ü&vfj ixd-
(TTovg ffvvrd^ag \ Sind die Ilen so nach ihren Districten, so zu sagen
Rittersohaftskreisen rekrutiert» so konnten sie nicht von gleicher Stärke
sein. In der Schlacht bei Issos werden die Agrianer, Schützen und
Söldnerreiter y die mit der Ile von Anthemus und der leugaischen die
Flanke gegen die feindliche Umgehung bilden, zurückgezogen und zur
Verstärkung der Front benutzt, da vor einem heftigen Angriflf der
Agrianer und Schützen die Feinde zurückgewichen sind: hceivoig Si
Innkcg xQiccxoaiovg imxd^ai i^i^^xetrev. Also diese zwei Ben zahlen
zusammen 300 Pferde.
Nach der Schlacht am Granikos detachiert der König von Sardeis
aus eine Kolonne Fußvolk unter Farmenion mit 200 Beitem riS>v
iratimv, eine zweite eben so starke — also wieder mit 200 — von
der makedonischen Bitterschaft unter Lysimachos; er sendet folgenden
Tages das übrige Fußvolk . . xal r&v iratQcjv r^jv ts ßamhxyv Utjv
xal ngdg rccvrrj rgelg älkag nach Milet; da Arrian (I 18, 3) nicht
sagt: die übrigen innBlg töv hratQfov, so sind jene 400 Beiter nicht
die vier andern Ilen, auch wohl nicht zwei Heu, denn sonst wären
sie als solche bezeichnet, sondern Kommandos aus den nicht nach
Milet marschierenden Ilen; für die Gesamtstärke der acht Ilen ergiebt
dieser Fall nichts Sicheres. Lehrreicher scheint der Feldzug nach der
Donau 335; da läßt Alexander in dem ersten Gefecht gegen die
Triballer Philotas rovg he Tf?s ävco&Bv MaxeSoviag inniag gegen den
[238] rechten Flügel der Feinde „wo sie am meisten vorgedrungen
waren'' vorgehn, Herakleides und Sopolis mit denen aus der Bottiaia
und Amphipolis gegen den linken; also Philotas hatte wenigstens auch
zwei Ilen. Die Phalanx xccl rijv älXtjv 'innov ngb xi)g (pdXayyog
führte der König selbst gegen die Mitte des Feindes. Dazu dann der
Umstand, daß der König zu der Donauinsel, auf der sich die Macht
der Geten, gegen 4000 Beiter und mehr als 10000 Mann Fußvolk,
befand, mit so viel Truppen, als seine Fahrzeuge u. s. w. aufiiehmen
^ Für daa Verhältnis der ersten' Quellen ist nicht ohne Bedeutang, daß
Curtius y 2, 6 wohl, wie man aus der entsprechenden Stelle Diod. XVII 65
sieht, ans Kleitarcb schöpfend, das Gegenteil von dem sagt, was Arrian (nach
Ptolemaios) giebt; er sagt von den Anordnungen in Susa: in diaeipUna quoque
mi/itaria rei a maioribus pleraque tradita summa uHlitaie mutavit; natn cum
ante equitea in siux/m quisque gentem disoriberentur seorsus a ceterisy eüßemto
nationum discrimine praefecHs non utique suarum genHum sed deleeHa distribmi.
Alexander des Großen Armee 219
konnten, überging. Es waren ,,gegen 1500 Reiter und 3000 Mann Fnß-
Yolk'^, die Reiter gewiß nicht die leichten ngöSQOfWi, sondern Hetairen ;
also wenigstens deren 1500 hatte er zur Stelle. Aber ob diesen Feld-
zug von 385 nur acht Ilen mitmachten, wird nicht angegeben.
Die Starke dieses Corps makedonischer Bitterschaft in dem ersten
Feldzuge nach Asien — für den zweiten 333 kamen 300 makedonische
Reiter Verstärkung (Arr. I 29, 4) — kann also nur ungefähr geschätzt
werden; die Ziffer mag zwischen 1200 und 2000 Mann liegen.
Zur Schätzung der thessalischen Ritterschaft giebt Arrian
keinen unmittelbaren Anhalt Man sieht aus III 11, 10, daß ihre
Gontingente nicht nach den Tetrarchien gestellt waren; und daß oi
T&v 0aQ(TccXia)v innsTg genannt werden als ol x^dritnoi xal nXBiarot
Tfjg 0e(T<FccXixf]g innov läßt auf die Ungleichheit der einzelnen Ilen
{rag Ykag r&v OetTaaXß^ Arr. II 11, 2) schließen, falls auch sie xarä
ä&vf] formiert waren. Wenn am Granikos und wieder bei Gaugamela
mit ihnen auf den linken Flügel die (rvfifiaxoi innatg aus Hellas ge-
stellt werden und entsprechend auf dem rechten, dem Offensivflügel,
die makedonische Ritterschaft steht, so scheint der Schluß nahe zu
liegen, daß die thessalischen und hellenischen Gontingente zusammen
nicht eben stärker als diese gewesen sein werden. Und die Angabe,
daß unter den Verstärkungen, die im Frühjahr 333 zum Heere kamen,
sich neben 300 makedonischen Reitern 200 thessalische befanden, mag
ungefähr dem Stärkeverhältnis beider Gorps entsprechen.
Von leichten Reitern hatte Alexander in dem Feldzug von 334
die Sarissophoren, die Paionen, die Thraker des Agathen. Wenig-
stens die beiden ersten werden als npöSgofioi bezeichnet {t&v ngo-
SQÖfAonf Ol IlaiovBg Arr.m 8,1); im engeren Sinn heißen die Sarisso-
phoren allein npöSgofioi (I 14, 6). Bei [239] dem Vormarsch zum
Granikos wird Amyntas zum Recognoscieren vorausgeschickt mit der
Ile der Hetairen des Sokrates und mit vier Ilen rOv nQodQÖfitov
xalovfiivcjVj am Tage der Schlacht rückt er zur Rechten der make-
donischen Ritterschaft auf rovg re aaQiaaoipÖQOvg inniag äxonv xal
Tovg Ilaiovag xal ri^v YXrjv rijv ^cjxQÜrovg, und erhält dann den
Befehl mit den nQÖÖQOfioi, den Paionen, der He des Sokrates und
einer Taxis Fußvolk zuerst über den Fluß zu gehn. Also sein Gom-
mando wird nach und nach verstärkt, zum Recognoscieren hat er nur
erst vier Ilen von den n^öSgof^oi und Sokrates Ile, in der Schlacht-
ordnung werden ihm auch die übrigen Sarissophoren und die Paionen
zugewiesen, zum Angriff noch eine Taxis (Hypaspisten). Plutarch sagt
von dieser Schlacht (Alex. 16) (tvv Yhxig innicov rpiaxalSaxa ifjLßälUt
T(p psvfiari ; wäre diese Zahl zuverlässig, so hätte es im Heere Alexandere
V-Ju}'.
•,7'?
220 Alexander des Großen Armee
— denn die übrigen sieben Hen Ritterschaft führte er selbst durch
den Strom — neben nur vier Ilen Sarissophoren nur eine Ile Paionen
gegeben; Plutarch hat wahrscheinlich die Angabe seiner Quelle miß-
verstanden; doch darf man wohl nicht wagen die Zahl 13 als die der
Ilen des von Amyntas geführten Corps zu nehmen und aus ihr auf
sechs Ilen Sarissophoren und sechs Ilen Paionen zu schließen. Daß
die Sarissophoren Makedonen sind, wird nicht ausdrücklich gesagt,
wenn nicht die etwas dunkle Angabe Arr. II 8, 9 nagiiyayB (nach
dem rechten Flügel) rovq inniaq rovg t« iraiQovg xalovfiivovg Kai
Toug 0e<T(TaXovg xal rovg MaxBSövag so zu verstehen ist; denn gleich
darauf II 9, 2 stehn die TCQÖSQOfioi des Protomachos auf dem rechten
Flügel neben den Paionen.
Die Thraker des Agathen, odrysische Reiter, sind nicht wie die
ihnen verwandten Geten zu Thucydides Zeit innoro^örai (Thuc.1196, 1),
denn sonst würde Arrian diese Waffe nicht erst seit 329 erwähnen; sie
stehn am Granikos und bei Gaugamela den Sarissophoren und Paionen
auf dem rechten Flügel entsprechend auf dem linken, sie werden in der
beilssos nicht erwähnt, wenn sie da nicht in dem Ausdruck, daß Alexander
rovg Si hx n%Xonovv7j(Tov {inmig) xal t6 äkko rö frvfjLfiaxixov auf
den linken Flügel stellt, mit befaßt sind. Die eqmtes Agriani in der
Schlacht bei Gaugamela bei Gurt. IV 15, 21 sind wohl eine Erfindung
des von Curtius bearbeiteten griechischen Originals oder seine eigene.
[240] So Alexanders Kavallerie im Frühling 334; nach Arrians
Angabe „über 5000 Mann". Für die Schlacht von Gaugamela rechnet
er ig inraxifrxtXiovg III 12, 5. Die seit dem Granikos hinzugekom-
menen Reitercorps, die er nennt, sind 1) die fjLKT&otpÖQoi LnntTg des
Menidas, 2) ij ^evixr] innog rj t&v iiiG&ocpÖQmv unter Andromachos,
3) ol (TVfifiaxoi inneig ojv JjQX^ Kotgavog, unterschieden von den
älteren (röfifiaxoi innsigj die Erigyios führt Leider nennt Arrian
nicht immer die bei der Armee neu eintrefifenden Corps, doch giebt er
an, daß Anfangs 333 in Gordion eingetroffen sind 300 makedonische,
200 thessalische Eeiter, 150 Reiter aus Elis unter Alkias (I 29, 4),
ferner, daß in Memphis 331 von Antipatros nachgesandt eintrafen
gegen 400 hellenische Söldner unter Menidas, gegen 500 thrakische
Eeiter unter Asklepiodoros. Erwägt man, daß von dem alten Bestand
der Kavallerie teils durch Tod und Krankheit, teils zu Besatzungen
(so besonders in Ägypten) nicht wenig zurückgeblieben sein muß, so
ist klar, daß nicht bloß diese 1550 von Arrian erwähnten, sondern
mehr als noch einmal so viel Reiter nachgekommen sein müssen, um
Alexanders Kavallerie von den 5000 Mann am Granikos auf die 7000
bei Gaugamela zu brmgen.
Alexander des Großen Armee 221
Weiter reichen unsere Angaben über die Starke der einzelnen
Kavalleriecorps von Beginn des asiatischen Feldzuges nicht Den
sicheren Zahlen mögen im folgenden Schema ungeiahre Schätzungen
in [ ] zur Seite gestellt werden.
8 Ilen makedonische Ritterschaft zu [150—250] [1800]
Ilen thessalische Ritterschaft .... [1200]
hellenische Bundesgenossen [400]
mehr als 4 Ilen [makedonische] Sarissophoren \ ri2001
Ilen Paionen j
Ilen Odrysen ^_._ . [600]
mehr als 5000
Für die Infanterie Alexanders steht die Frage der Phalangen im
Mittelpunkt; alle anderen werden durch sie bestimmt Sie ist darum
so schwierig, weil sie sich anders löst, je nachdem man sie nach der
Nationalitat, nach der Waffe, nach dem Dienstverhältnis der Truppen
in der Phalanx verfolgt
Es mag gestattet sein hier einiges aus dem Feldzug Alexanders
nach der Donau, gegen die lUyrier und nach Theben 335 vorauszu-
schicken. [241] Unzweifelhaft hatte der König einen bedeutenden
Teil seiner Kriegsmacht in Makedonien zurückgelassen, so wie ein
anderer (angeblich 10000 Mann Makedonen und Söldner) bereits in
Asien stand. Von den Hopliten, die 335 mit ihm ins Feld zogen,
werden genannt die xü^u^i des Koinos, Perdikkas, Amyntas (I 6, 10
I 8, 1). Wenn Meleagros und Philippos I 4, 5 commandiert werden,
die an der Donau gemachten Gefangenen und Beute abzuführen, so
bezeichnen diese beiden Namen wohl dieselben Offiziere, die in der
Schlacht am Granikos als Phalangenführer genannt werden; sie werden
mit ihren Phalangen oder größeren Commandos aus denselben die
£skorte gebildet haben. Ist dies wahrscheinlich, so sind möglicherweise
auch Lysanias und Philotas, welche die den Triballem abgenommene
Beute nach den Seestädten eskortieren, Phalangenführer gewesen, und
eine Phalanx des Philotas ist wenigstens seit 329 beim Heer in Asien
(in 18, 6).
In der kleinen Ebene bei Pelion, von den Illyriem und Taulan-
tinem eingeschlossen, welche die Feste und die Berge ringsum besetzt
halten, läßt Alexander, um sich hinaus zu manövrieren, 120 Mann tief
aufmarschieren {ixTÜatrsi rb aroarbv ^g hcarov xal sixoai ro ßü&o^
Tilg (pdXayyog I 6, 1), um bald vorwärts, bald rechts, bald links
vorgehend den Feind zu täuschen {avrijv Öi t),v (füXayya 'ig tb to
222 Alezander des Chrofien Annee
ngöaco d^imq hciVfjae xal inl rd xigarcc äXXore äXXti naQffyaye),
endlich gehn die Hypaspisten zuerst über den FloB xai inl rovrotg
ai td^uq rOv Max$S6v(ov (I 6, 7). Abgesehen von dem Technischen
dieser sehr unklaren Evolutionen scheinen sich aus diesem Bericht
folgende zwei Punkte zu ergeben. Einmal da 120 nicht das Vielfache
von 16 ist, so ist entweder die Fundamentalordnung der Phalanx nicht,
wie im nachfolgenden Jahrhundert unzweifelhaft, die Rotte von 16 Mann,
oder die Hypaspisten standen nicht, wie sonst in der Regel, auf dem
rechten Flügel, sondern an der Queue, um (m der Paragoge?) bald
rechts bald links aufzumarschieren. Sodann wenn die Tiefe der Auf-
stellung bis auf 120 Mann gebracht wurde, so mußte, scheint es, die
Absicht sein, die Front so weit zu verkürzen, bis sie der Tiefe gleich
war; das gesamte Infanterieviereck, Hopliten und Hypaspisten, würde
dann 14 400 Mann enthalten haben. Mögen Kundigere diese beiden
Punkte genauer erörtern; für den ersten ist es eine nicht eben große
Hilfe, daß Kallisthenes (fr. 83) [242] in der Schlacht bei Issos die
Phalanx zu acht Mann [ßefe agieren läßt, worüber Polybios ihn hart
genug tadelt; der Ziffer, die sich bei dem zweiten ergiebt^ widerspricht
nicht, was Diod. XVII 9 angiebt, Alexander habe von Theben über
30000 Mann Fußvolk gehabt; die Contingente der Phokier, Plataier,
Thessaler, der thessalischen Umlande u. s. w. waren zu ihm gestoßen.
In jeder der drei großen Schlachten: am Granikos, bei Issos, bei
Gaugamela hat Alexander sechs Taxen oder Phalangen schweren Fuß-
volkes. Freihch bei Arrian ist nur in der dritten Schlacht diese Zahl
unzweifelhaft (III 11, 9). In der am Granikos hat sein Text (1 14, 2)
ein verkehrtes hnl Si ij KQctxiQov rod ^AXe^dvSQov eingeschoben, das
man streichen muß, da ij Kgcexigov <pdXccy^ an der richtigen Stelle
später (I 14, 3) wiederkehrt. In der bei Issos zählt Arrian II 8, 3 nur
fünf Taxen, indem er Krateros nur als Befehlshaber des linken Flügels
der Phalangiten, nicht aber seine Taxis anführt; man wird Alexander
nicht für so thöricht halten, daß er zu der großen Schlacht, die er
erwartete und suchte, statt seine Hoplitenmacht zur Stelle zu haben,
eine ganze Phalanx etwa in eine Anzahl kleiner Garnisonen zerstreut
haben sollte, die wie das Schicksal der in Issos zurückgebliebenen
Kranken zeigt (Arr. II 7, 1) verloren gewesen wären; Arrian nennt in
der Schlachtordnung bei Issos erst die Phalangen des Keines, des
Perdikkas, fügt dann hinzu ovrot (Uv äara knl r6 fiiaov rdHr dnhr&v
än6 toi} St^iov äg^afuvov rarayfiivoi JjfraVy dann folgen die des
Amyntas, Ptolemaios, Meleagros als zum linken Flügel gehörend;
das fiiaov r&v dnXivßv fordert, daß etwa nach ÜBQSixxov eingefügt
werde: ^ni Si rovrov^ ttjv K^farkQov. Daß Krateros den linken
Alezander des Grofien Armee 228
Flügel der Phsdangen führt, während seine Phalanx nach dem Tages-
wechsel der Reihenfolge zum rechten gehört, hat gewiß kein Bedenken;
seine und jede Phalanx wird neben ihrem Strategen einen Taxiarchen
gehabt habend
[243] Diese Makedonen der Phalangen, diese Pezetairoi sind nicht
die einzigen Hopliten in Alexanders Heer. Daß in demselben hellenische
Bündner und hellenische Söldner, Schwerbewaffnete und Peltasten
waren, versteht sich von selbst und wird durch Arrian bestätigt Nach
ihm führt die (Tvfifiaxoi ne^oi zuerst Antigonos der spätere König
(I 29, 3), dann, als er Satrap in Phrygien wird, Balakros Amyntas
Sohn, nach diesem (ni 5, 6) Ealanos. Die lei^oi führt erst Menandros,
T(dv iraiQCDv; als dieser die Satrapie Lydien erhalten, folgt ihm Elear-
chos (III 6, 8). Eine neue Werbung, die Eleandros in der Peloponnes
gemacht, bringt 4000 fH(T&o(pÖQoi "EkhivBq^ die in Sidon Frühling 331
eintreffen, das sind die in der Schlacht bei Gaugamela genannten oi
äQxccioi xccXovfievot §ivoi (III 10,2); ihre Aufstellung für diese Schlacht
auf dem rechten Flügel im zweiten Treffen den thrakischen Akontisten
des Sitalkes auf dem linken Flügel im zweiten Treffen entsprechend
läßt vermuten, daß sie Peltasten sind.
Da ist es nun im hohen Maße auffallend, daß in keiner dieser
drei Schlachten hellenische Hopliten, weder Bündner noch Söldner,
erwähnt werden, Peltasten-Söldner nur in der von Gaugamela nach
der eben geäußerten Vermutung, und vielleicht in der von Issos
diejenigen, welche Arr. II 9, 4 als r6)v 'Ekh'ivtav fii<rd'0(p6Q(ov i<niv
Ol bezeichnet
Wie ist das zu reimen? Gleich nach der ersten Schlacht er-
wähnt Arrian (I 18, 2) jene zwei Eolonnen von je 2500 Makedoniern,
2500 na^ol r&v ^ivcav und 200 Reitern, von denen die eine die Aiolis
durchziehen, die andere Magnesia und Tralleis okkupieren soll; also
wenigstens 5000 hellenische Söldner waren zur Zeit der ersten Schlacht
beim Heer. Und eben so von Sardeis aus schickt der Eönig unter
Ealas und dem Lynkestier Alexandres eine Golonne ^nl rijv x^Q^''^
Tfjv Mifivovog und zwar rovg re IleXonovvTjffiovg xa\ t&v äXXcav
fTVfifiäxcov Tovg noXXovg nXijv IdQyeicjv^ die als Besatzung in der Burg
von Sardeis bleiben; daß unter diesen trvfifiaxoi die thessalischen Reiter
^ So ist der Strateg AmyntaB des Andromenes Sobn Ende 882 zur Truppen-
anshebung nach Makedonien gesandt, seine Phalanx wird bei Gaugamela von
Simmias gefuhrt (Arr. III 11, 9). So gehn Herbst 334 von den „Strategen'^
Koinos und Meleagros mit den Neuverbeirateten für den Winter auf Urlaub
nach Makedonien, während ihre Taxeis wie die andern den Zug durch Pisidien
mitmachten, also von Stellvertretern der beiden Strategen geführt wurden.
224 Alexander des Großen Armee
sind, ergiebt An. 1 25, 1 ; also diese Kolonne ist wie die beiden früheren
eine gemischte, an Kavallerie bedeutend starker als jene, wahrscheinlich
auch an Infanterie; man hatte in Memnons Gebiet wohl stärkeren
Widerstand zu erwarten als in den hellenischen Städten der Aiolis
und am Maiandros. Da Daskylion gleich nach der Schlacht von
Parmenion okkupiert worden war (I 17, 2), so wird Memnons [244]
Gebiet etwa die Küstenlandschaften Bithyniens an der Propontis und
dem Bosporos bis zur Grenze der Herakleoten umfaßt haben, so wie
er ja in früheren Jahren zu Gunsten der Herakleoten einen Zug gegen
den Tyrannen im kimmerischen Bosporos unternommen iat (Polyaen. V
44, 1). Mit der Kolonne, die nach Magnesia vorgeschickt war, hat
Alexander wohl, als er nach Milet zog, sich wieder vereinigt; er ließ
die Insel Lade mit den Thrakern und 4000 tcHv äXkcov ^evoov be-
setzen (Arr. I 18, 5). War die nach Aiolis gesandte Kolonne, wie es
scheint, noch nicht wieder zu Alexander gestoßen, so hatte er außer
jenen zweimal 2500 Söldnern noch deren wenigstens 2500 bei sich,
und die Gesamtzahl seiner hellenischen Söldner zu Fuß betrug mehr
als 6500 Mann.
Wenn in den drei Schlachten Hopliten der Bandner gar nicht,
von hellenischen Söldnern nur, wie es scheint, Peltasten in der von
Gaugamela und Issos, aber keine Hopliten erwähnt werden, so sind
folgende Erklärungen dafür möglich: entweder 1) Alexander hat sie in
den Schlachten nicht mit kämpfen lassen; oder 2) einige von den sechs
Phalangen sind nicht makedonische, sondern bestehn aus hellenischen
und Söldner-Hopliten; oder 3) diese sind in jene sechs Phalangen, um
Lücken zu füllen, mit untergesteckt; oder 4) sie bilden in den sechs
Phalangen hellenische Abteilungen neben den makedonischen.
Alexander verstand, wie die Überlieferung überall zeigt, zu gut
zum entscheidenden Schlage seine Streitkräfte beisammen zu haben,
als daß er 8 — 10000 Mann seiner besten Soldaten, ein Drittel seiner
Infanterie, in Besatzungen, Detachierung u. s. w. hätte „verkrümeln"
sollen. Damit erledigt sich die erste Möglichkeit
Die zweite, daß nur drei von sechs Phalangen makedonische, die
drei anderen hellenische, aus Söldnern und Bündnem bestehende, ge-
wesen seien, hat die Zustinunung Kundiger gefunden. Und indem
Diod. XVII 57 drei von den Phalangen, Koinos, Perdikkas, Philippos
(spater Polysperchon) mit ihrem landschaftlichen Namen anführt, sieht
man darin die Bestätigung dieses erwünschten Ausweges, daß die
Phalangen Meleagros, Amyntas, Krateros hellenische gewesen seien.
Wäre nur Diodor der Schriftsteller, bei dem man, wenn er nur bei
drei Phalangen den landschaftlichen Namen anführt, einen vernünftigen
Alexander des Großen Armee 225
Grand dafür voraussetzen müßte, daß er es nicht auch bei den drei
andern that. Seine Reihe der sechs Phalangen bei Gaugamela [245]
ist obenein fehlerhaft. Er nennt von rechts nach links mit Arrian
übereinstimmend Koinos, Perdikkas, Meleagros, Polysperchon, dann folgt
bei Arrian Amyntas, in dessen Abwesenheit Simmias commandiert,
endlich Krateros; Diodor hat an vorletzter Stelle Philippos des Balakros
Sohn, eine Persönlichkeit, die sonst gänzlich unbekannt ist. Curtius (IV
13, 28), der ja auf dieselbe Quelle wie Diodor zurückgeht, hat noch
wüstere Verwirrung: Coenus, post eum Oresiae et Ly^ncestae (d. h. Per-
dikkas), posi iUos Polysperchon dux peregrini müitis^ (während dieser
nach Diodor die stjmphäische Phalanx führt), kuius agminis princeps
Amyntas erat: Fhilippus Balacri eos regebat in societatem nuper a^eiius.
Es mag nicht großes Gewicht darauf gelegt werden, daß Alexander
schon in dem Feldzug von 335 die Taxis des Meleagros wahrscheinlich,
die des Amyntas gewiß mit sich hatte; man könnte ja sagen, beide
hätten schon damals aus Söldnern bestanden. Von größerem Belaug
ist folgender Umstand. Nach Arrian III 16, 11 läßt Alexander bei
seinem Marsch durch die Gebirge nach Persepolis die thessalischen
Reiter und vom Fußvolk die aififiaxot , die fiia&o(pö()oi ^ivoi xal
6(T0i älXoi Tov (TTQUTBVfiaTog ßaQVTBüov cb7i?yt(7fiivoi unter Pamienion
auf der großen Straße ziehen, während er tov*; ne^ovi; rovg MaxeSövag
so wie die und die anderen Truppen mit sich durch die Gebirgswege
führt; und unter denen, die er mit sich hat, ist die Taxis des Krateros
des Meleagros, des Amyntas, eben die Phalangen, welche wesentlich
nicht makedonische gewesen sein sollen. Man sieht, mit diesem Expeditiv
der zweierlei Phalangen ist nicht durchzukommen.
Eben so wenig können die Bündner, die Söldner in die make-
donischen Taxeis untergesteckt sein, um ihre Reihen zu füllen. Wie
hätten rd>v ns^eraiQCJV xaXovfiivcov al rä^eig (Arr. IV 23, 1) auch
Nicht-Makedonen enthalten können? wie hätte man die Contingente
der Bündner so auflösen dürfen? Hatten einmal die Bundestruppen,
die Söldner als solche mit ihren eigenen Höchstcommandierenden ihre
eigene Organisation, so ist die Möglichkeit dieser Erklärung völlig
ausgeschlossen.
[246] Bleibt also nur die, daß es in den Phalangen, ob in allen
oder einigen ist gleichgültig, neben den makedonischen Abteilungen
* 8o Mützell; Hcdieke giebt: post illos Polypercon, Tum peregrini militis
prificeps aberat; Philipptts u. s. w. Aus den verschiedenen Lesarten der codd.
Phaligrus Balacriseos, Balacricos Barachilos schließt Mützell auf einen Stamni-
namen und er findet vom paläographischcn Standpunkt aus Parauaeos em-
pfehlenswert.
Droyseu, Kl. Schrinen II. 15
226 Alexander des Großen Armee
(Lochen) auch solche von Bündnem und Söldnern giebt; auf den ersten
Anblick gewiß das Unwahrscheinlichste.
Wenn Demosthenes in der Zeit des olynthischen Krieges den
Athenern das makedonische Fußvolk schildert, bezeichnet er sehr deut-
lich, wie sich die nt^krai^oi und die ^ivoi in ihrer Art und Haltung^
voneinander unterscheiden; daß die Söldner das schwerere Fußvolk
sind, ergiebt der angeführte Marsch durch die persischen Berge; gewiß
hat man seit Philipp in der makedonischen Armee Formen gefunden,
Söldner und Makedonen für die Action zu combinieren, ohne im übrigen
ihre Unterscheidung zu verwischen.
Das Wort Phalanx bedeutet bei Arrian 1) die Schlachtordnung
insgesamt (LEI 12, 1. I 28, 3); 2) die gesamte Infanterie m haiaUU mit
Ausschluß der ^xfjikoi (III 11,9); 3) die llopliten m bataille {rj (pdhxy^
rcjv dnhr&v I 13, 1) und zwar in dieser Stelle beim Anrücken iu
zwei Colonnen {SinXfiv tjjv (püXuyya . . . ragag); 4) jede einzelne Taxis
der Hopliten m bataille (1 14, 2 ij ITB()dixxov, ij Koivov u. s. w. (pAXccy^,
Das Gemeinsame in diesen Anwendungen des Wortes ist die Aufetellung
zum Gefecht. Wenn auch Arrian in seiner Anwendung der Worte
rd^iq und (päXay^ diese Unterscheidung nicht durchführt, so wird
doch im eigentlichen Sinne die Phalanx nicht als ein administrativ-
militärischer Körper, sondern als ein combinierter „Schlachthaufen''
von Hopliten gelten müssend
Einige Stellen im Arrian bestätigen diese Deutung. Amjntas des
Andromenes Sohn wird nach Sardeis vorausgesandt, die Burg, deren
Übergabe angeboten ist, zu besetzen — also doch wohl mit seiner
„Phalanx" (Arr. 117, 4). Dann schickt Alexander die Peloponnesier und
die übrigen Bündner mit Ealas nach dem Lande des Memnon mit
Ausnahme derer von Argos, die auf der Burg von Sardeis bleiben
(117,8); ein wenig später (120,5) befindet sich die Taxis des Amyntas
mit Alexander auf dem Marsch nach Halikamass. Also ij IdpLvvrov
rä^ig, welche außer makedonischen [247] Lochen die Hopliten von
Argos umfaßte, bleibt, wenn auch die argivischen Bündner nicht mehr
bei ihr sind. Und ähnlich die heUenischen Söldner: wenn ihrer zu
jenen beiden Kolonnen, die nach der Aeolis und nach dem Maeandros
marschieren, je 2500 neben eben so vielen Makedonen commandiert
sind, so sieht man, daß da von einem phalangitischen Verbände nicht
^ Daß dieses scheinbare Durcheinander praktisch möglich und sachgemäß
ist, lehren die Armeen der ersten HSlfle des 18. Jahrhunderts, namentlich die
Maria Theresias, in der die Grenadiercompagnien der Infanterie, die Karabiner-
compagnien der Kavallerie für die großen Actlonen aus ihrem RcgimeJitBverbande
gezogen und zu eigenen Truppenabteilungen formiert wurden.
Alezander des GhroBen Armee 227
die Bede ist; die Trappen werden wohl in einzelnen Detachements in
die Städte dort gesandt sein, sie zu okkupieren. Wenn nach Arrian
(ü 5, 6) in Eilikien Parmenion mit den Bündnem, den Söldnern zu Fuß
und andern Truppen ostwärts vorausmarschiert, während Alexander mit
dem übrigen Heer nach Anchiale und dann mit drei Taxen weiter
westwärts ins Öebirg geht, so sieht man deutlich, daß die Verbindung
von Makedonen und Hellenen eben nur vorübergehend und für die
Au&tellung en bataiUe ist.
Eben darum haben die hellenischen avfjLfiaxot zu Fuß ihren eigenen
Strategen, eben so die ^ivoi fjua&o^ÖQoi ihre eigenen Commandierenden,
natürlich makedonische Offiziere. Mag ein für allemal bestimmt sein,
welche Bündner und Söldner zu welcher Taxis commandiert werden
en bataiOe aufzurücken, oder mag dies je nach den Umstanden durch
Tagesbefehl bestimmt werden, es hat keinerlei sachliche Schwierigkeit, so
und so viel Rotten der schweren hellenischen Hopliten mit den Botten
einer makedonischen Taxis zu einer Phalanx vereint aufrücken zu lassen.
Die Führer der Phalangen heißen und sind (ngarfiyoi wohl des-
halb, weil sie für die großen Actionen nicht bloß die Makedonen ihrer
Taxen, sondern auch Abteilungen von Söldnern und Bündnem unter
sich haben. Das Gommando über sämtliches Fußvolk der Bündner
hat ein Strateg, weil er Gontingente groß und klein unter ihren
Hegemonen zu regimentieren hat, nicht in der Schlacht, aber vorher
und nachher, und in allem sonst, in Zucht, Dienst, Verpflegung u. s. w. ;
und es ist bezeichnend, daß der erste von den drei der Strategen der
Bundesgenossen, Antigonos, als Satrap in Phrygien, der zweite Balakros
als Strateg in Ägypten zurückblieb. Auch der Commandierende der
^ivoi wird ein Strateg sein, weil er viele Söldnergenossenschafben mit
hren Hegemonen (Arr. UI 9, 3) in gleicher Art zu regimentieren hatte.
Geiriß hat weder die Taxis, noch, wenn man hier diese Unter-
scheidung gestatten will, die Phalanx eine normale Starke gehabt.
Und es findet sich bei Arrian kein sichrer Anhalt die [248] Gesamtzahl
der makedonischen, der bündnerischen, der geworbenen Hopliten zu
bestimmen. Daß die letzteren nach der Schlacht am Oranikos mehr
als 5000, ja 6500 waren, lehren die beiden oft angeführten Kolonnen
und die Besetzung der Insel Lade. Und aus der Expedition in das
Gebiet des Memnon dürfen wir schließen, daß die Zahl der Bundes-
genossen zu Fuß ohne die von Argos über 3000 Mann, vielleicht sehr
viel darüber gewesen sei.
2. Daß die gleiche Verbindung von Makedonen und Hellenen in
den Corps der Hypaspisten {pl vnaani(nal t&v iraiptov) statt-
gefunden hätte, ist aus keiner Andeutung im Arrian erkennbar, freilich
15*
228 Alexander des Großen Armee
auch nicht das Gegenteil. Eben so wenig giebt es bei ihm irgend
eine Äußerung, aus der die Stärke dieses Corps vor dem indischen
Feldzuge zu erkennen wäre; in der Schlacht am Hydaspes sind es
beinahe 6000 Mann Arrian V 14, 1.
Wenn Arrian III 11,8 die Schlachtordnung bei Gaugamela be-
schreibt, so werden beim Fußvolk zuerst genannt ro äyrjfAa röv imaant-
GTfüv xai Inl TovTo Ol äXXoi ifnacrnifTTai ; daß diese andern Hypaspisten
in Taxen geteilt waren, also das äyrjfia selbst nur als eine Taxis zählt.
ergiebt sich aus Arr. I 22, 4, wo Ptolemaeos der mofiaTotfvixc^ r//r
T6 läSSaiov xai TifidvSgov äfia oi rd^tv äymv den Feind angreift;
in diesem Gefecht filUt HSSccioq 6 //A/flf(?/og, vgl. II 23, 2. Man wird
aus dem Titel wohl keinen Schluß auf die Stärke der Hypaspistentaxis
machen dürfen; und ob die Führer dieser Taxen überhaupt Chiliarchen
und nicht Taxiarchen heißen, oder ob Addaios schon mehr als Taxiarch
oder noch nicht Taxiarch war, läßt sich nicht mehr erkennen. Schon
329, vielleicht infolge der neuen Organisation der Armee sind die
Hypaspisten in Chiliarchien geteilt (röv vnaaniaTGjv /ihccQx^f^^ fjuav
Arr. III 29, 7), und zwei Jahre später werden deren vier erwähnt,
Nearchos und Antiochos als x^^^^QX^i rrov vnatrmcfT&v, und zwar
führt letzterer außer seiner Chiliarchie noch zwei andere (Arr. IV 30, 6).
Wenn Arrian III 1 6, 1 1 in dem Bericht über die Verteilung der
aus Makedonien angekommenen neuen Mannschaften angiebt rovg ne^ovg
Si noofri&Tjxe xaiq ra^eai . . . xarä id-vi] ixüatovg, so wird man,
da unzweifelhaft auch die Hypaspisten Verstärkungen erhielten, an-
nehmen müssen, daß auch ihre rd^nq landschaftliche waren, das äy^]pi{c
(als Garde) vielleicht ausgenommen.
[249] Daß die acjfjLccroipvlaxeg ßaaihxoi (Arr. III 17, 2. I 6, 5).
die Schar der jungen Edelleute, zu den Hypaspisten gerechnet wurden,
ergiebt sich aus der Aufstellung der Truppen bei Arr. V 13, 4 nQc&rovg
fiiv Tovg inaanKTTceg rovg ßaaiXixovg, fov ijyeiTO ^ikevxog, knira^B xTj
inncpj in} Si rovroig ro äyrjfia ro ßamhxdv, i/ofiivovg Si tovtcqv roig
äXlovg imaaniGräg, ojg hcdaroig ai ijye/jLoviat h zto t6tb ^wtßuivov,
3. In die Reihe der Peltasten gehören die Thraker des Sitalkes
oder wie Arr. I 28, 4 sie nennt oi dxovriaral oi 0Qäxeg mv yysTro
2:iTd}ixrjg. Daß dieselben I 27, 8 bezeichnet werden als ai röy
dxovTiGT&v rd^Big, wird auf die Stärke dieses Corps zu schließen
gestatten, nicht minder der Umstand, daß sie in der Schlachtordnung
von Gaugamela im zweiten TreflFen auf dem linken Flügel den 4000
alten Söldnern des Klean dros auf dem rechten entsprechen.
Ob diese Thraker ein Bundescontingent oder Söldner sind, läßt
sich aus Arrian nicht (Mkennen, da sein Ausdruck I 18, 4 rovg Og^ag
Alexander des Großen Armee 229
xal T&v äXXmv ^iv(ov kq tbt QcexKTXi^ovq nicht entscheidend ist Daß
ein thrakischer Mann, wohl aus dem Fürstenhause, ein so bedeutendes
Corps commandiert, läßt vermuten, daß er wie die Fürsten der Paionen
und Agrianer trififiaxog war. Frontin II 11, 3 sagt: Alexcmder deviäa
perdomitaque Thrcuna petens Asiam, veritus ne post ipsius disoessum
sumerent arma, reges eorum praefectosque et omnes quihtcs videbatur inesse
oura retrahendae (v. 1. detractae) libertatis, secmn velut honoris causa traxii
u. s. w. Und Justin XI 5, 3 reges stipendiarios conspeotioris ingenii ad
commüüium suum trahit, segniores ad iutelam regni relinquii,
4. Die Agrianer und die Bogenschützen sind die xpikoi in
Alexanders Heer. In dem Feldzug nach der Donau 335 hat er deren
2000 mit sich gehabt (Arr. I 6, 6). Wenn im indischen Feldzuge ol
'AyQiäveq ol /ihoi genannt werden (Arr. IV 25, 6), so ist dafür gewiß
nicht Ol ipikoi zu korrigieren, da von schwer bewafl&ieten Agrianern
im Heere nie die Rede ist; vielmehr wird man schließen dürfen, daß
in der Gesamtheit der im Lauf der Feldzüge viel zahlreicher gewor-
denen Agrianer diese tausend etwa als die Veteranen des Corps ausge-
zeichnet werden. Es liegt nahe zu vermuten, daß Alexander wie 335 so
334 an Bogenschützen und Agrianern 2000 Mann bei sich hatte; wenig-
stens [250] ist beachtenswert, daß schon im Herbst 334 Kleandros der
Führer der Bogenschützen als (TTQaTrjyög r&v ro^or&v bezeichnet wird
(Arr. I 28, 8). Und bei Gaugamela sind der Bogenschützen so viele, daß
sie gleich den Agrianern je zur Hälfte im ersten und im zweiten TrefiFen
des rechten Flügels aufrücken (Arr. III 12, 2). Bei Issos werden er-
wähnt oi TO^örai Sv ^q/b Idvrioxoq (Arr. II 9, 2) und daneben ol
KQTiTeg ro^örai. Nach Antiochos Tod erhält der Kreter Ombrion
dessen Stelle (III 5, 6), und wenn Arrian in der Schlachtordnung bei
Gaugamela auf die Agrianer des Attalos folgen läßt ol MaxeSövBg
To^ÖTcci &v BgiaoDv JjQxev, so dürfte für diesen Namen vielleicht
Vfißgicov zu lesen sein; denn daß Gurt. IV 13, 31 sagt: hie Agriani
erant quH/us Attalus praeerat adiunctis sagittariis Oretensibusy hat eben
so wenig Gewicht wie seine Meinung, daß die Agrianer Reiter seien
(IV 15, 21 equites Agriani cakaribus subditis harbaros adorti).
Schleuderer kommen neben den Bogenschützen wohl im Donau-
feldzuge, nicht aber in den asiatischen Feldzügen vor.
Nach diesen wenigstens in den Ziffern sehr unbestimmten Er-
gebnissen kann sich nur ein sehr ungefähres Bild von der Verteilung
der „mehr als 30 000 Mann Fußvolk" im Heer Alexanders ergeben.
Doch wird man festhalten dürfen, daß
230 Alexander des GroBen Armee
Söldner mehr als 6500 M.
Bündner y wenn man die von Argos
auf 500 rechnet .... weit über 3500 M.
gewesen seien. Darf man femer
die Thraker des Sitalkes auf . . . [etwa 4000 M.]
die Agrianer auf [etwa 1000 M.]
die Bogenschützen (Makedonen und
Kreter) [etwa 1000 M.]
rechnen, so ergiebt sich als Rest für die
Makedonen [weniger als 14 000 M.]
und zwar so viel unter 14 000 Mann als die Zahl der Söldner über
6500, die der Bundesgenossen über 3500 ist. Es ist natürlich rein
willkürlich, wenn wir zum Ausgleich dieser Differenz ansetzen
Söldner [7000 M.]
Bundesgenossen [5000 M.]
Makedonen [12000 M.]
oder richtiger: nach dem Dienstverhältnis würden sich ergeben
[251] Makedonen mit Einschluß der makedonischen
Bogenschützen [12500]
Bundesgenossen mit Einschluß der Agrianer
und der Thraker des Sitalkes . . . [10000]
Söldner mit Einschluß der kretischen Bogen-
schützen . . [7500]
30000 M.
Auf Grund dieser ungefähren Zahlen kann man sich etwa folgende
Verteilung des Fußvolks der Waffe nach denken.
Schwerbewaffnete :
6 Taxen der Pezetairoi [9000]
[in jeder etwa 3 Lochen zu etwa 500 M.]
[8] Lochen Bundesgenossen .... [4000]
[12] Lochen Söldner [6000]
[19000 M.]
Peltasten :
[5] Taxen Agema und Hypaspisten der
Hetairen [3000]
[2] Lochen Bundesgenossen .... [1000]
[2] Lochen Söldner [1000]
[4] Taxen thrakische Akontisten . . . [4000]
[9000 M.]^
Alexander des Großen Armee 231
Leichtbewaffnete:
Makedonische Bogenschützen . . . [500]
Kretische Bogenschützen .... [500]
Agrianer Akontisten [1000]
[2000 M.]
Wenn Aman die Starke des Fußvolks bezeichnet als „nicht viel
über 30000 Mann" — sagen wir 100 oder 150 mehr — so gehörten
diese möglicherweise den ßamltxol ncciSsi^ die schon 335 im Kampf
gegen die lUyrier und in späterer Zeit unter Seleukos im Führung als
Hypaspisten erwähnt werden.
Für die ganze Erörterung nahmen wir zur Grundlage, daß Arrian
die 336 nach Asien vorausgesandten Truppen, von denen im Frühling
334 vielleicht noch ein Teil Bhoiteion und Umgegend besetzt hielt, nicht
mit zu der aktiven Armee am Granikos rechnet. Aber wir konnten
nicht verkennen, daß für das Verbleiben jenes Corps oder doch eines
Teiles desselben — und daß es zurückberufen sei, wird nicht über-
liefert — manche Gründe sprechen. [252] Will man diesen nach-
geben und doch nicht die Angabe Arrians verwerfen^ so ließe sich
folgende Lösung denken. Unter den 160 Trieren der makedonischen
Flotte (Arr. I 11,6) sind natürlich auch die der hellenischen Städte;
Athen hat deren nach Diodors Angabe (XYII 22) zwanzig gesandt,
nach Verhältnis gewiß die anderen Seestädte, Korinth, Epidauros, Sikyon,
die Städte auf Euboia; aber sie werden schwerlich zu den Schiffen und
den Schiffsleuten auch die nötigen Epibaten gestellt haben, und die
Flotte fuhr nach der Schlacht am Granikos unter dem Nauarchen Nikanor
nach Süden gegen die persische Flotte zu agieren. Bechnet man etwa
60 hellenische Trieren zu den 100 makedonischen, so waren für jene
gegen 1800 Mann Bewaffnete nötig; mußten auch die makedonischen
noch erst Bewaffnete an Bord nehmen, so kommt man auf etwa
5000 M. Fußvolk, die auf die Schiffe abcommandiert werden mußten,
um sie für mögliche Gefechte auszustatten und Besatzungen — wie
in Mitylene (Arr. II 1, 4) — abzugeben. Doch ist dies nicht mehr als
eine lose Vermutung.
Das Ergebnis dieser ganzen Darlegung ist nur negativer Art. Hat
sich erwiesen, daß der Katalog Diodors gänzlich unzuverlässig und fehler-
haft ist, und bleibt für die Frage über die Formation des zum Feldzug
nach Asien ausrückenden Heeres nur das, was Arrian gelegentlich an-
giebt oder andeutet, so muß man darauf verzichten eine mehr als
sunmiarische Vorstellung von diesem Heere und seiner Organisation
gewinnen zu können.
^m.»
Beiträge zu der Frage über die innere Gestaltung
des Reiches Alexanders des Grossen.
Monatsberichte der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1877
S. 23 E
[23] Die historischen Überlieferungen, die uns über die Zeit Alexan-
ders des Großen vorliegen, sind nicht der Art, daß man aus ihnen von
der inneren Möglichkeit des Reiches, das er hat gründen wollen, von
den Formen und Organisationen, welche dann für die hellenistische
Welt maßgebend geworden sind, eine zureichende Vorstellung gewinnen
könnte.
Es würde nicht korrekt sein, wollte man sich diese Gründung so
oberflächlich und wirr vorstellen, wie sie in unsem Quellen überliefert
ist Selbst in ihnen führen noch einzelne Spuren darauf, daß es bei
der Gestaltung des Reiches weder an sicherer Auffassung der Aufgabe
noch an Verständnis der gegebenen Bedingungen und Berechnung der
verwendbaren Mittel gefehlt hat.
Es wird möglich sein, diesen Spuren nachgehend einige Erläute-
rungen und Ergänzungen aus solchen Materialien zu gewinnen, die als
unmittelbare Überreste jener Zeit in anderer W^eise Zeugnis geben als
die Quellen. Die folgenden Bemerkungen wollen versuchen, was aus
den Forschungen der Numismatiker für den angegebenen Zweck ver-
wendbar scheint, darzulegen.
Es sind drei wichtige Fragen, auf die, wie es scheint, von den
Münzen einige Auskunft zu gewinnen ist, die nach der inneren Organi-
sation des Königtums, das Alexander von seinem Vater erbte, die nach
dem Verhältnis Alexanders zu den hellenischen Staaten in Hellas und
Asien, endlich die nach der Provinzialverwaltung in dem neugeschaffenen
Zur Geschichte Alexauders des Großen 233
Keich. Eine vierte Frage wird sich aus den Bemerkungen beantworten,
die vorausgeschickt werden mögen, weil das Verständnis des weiteren
davon bedingt ist.
I.
In dem zweiten Buch der Olxovofiixd, die unter den Schriften
des Aristoteles erhalten sind und der Diadochenzeit angehören, werden
die vier Arten der Verwaltung, die königliche, satrapische, stadtische,
private, charakterisiert; es wird von der königlichen gesagt, [24] sie habe
vier Zweige (eiSr]), die Münzpolitik, die Export-, die Importpolitik, die
des Hofhaltes; am wichtigsten sei die Münzpolitik, das heifie, in welcher
Weise und wann das Geld billig oder theuer zu machen sei. So be-
stimmt also erscheint dieser Zeit das Münzwesen als Kegal, als nutz-
bares Recht des Königtums.
Daß Philipp IL es in diesem Sinne geübt, daß er zuerst in seinen
Landen eine allgemein verbindliche Münzordnung eingeführt hat, ist
bekannt. Galt im Perserreich seit Dareios I. die Goldwährung, der
Stater oder Dareik zu 8,40 g Gold, und wurde dort Silber in der Art
ausgebracht, daß einem Goldstater 10 Stater Silber zu 11,2 g gleich
gelten sollten, so sank im Handel mit der griechischen Welt, wo man
Silberwährung hatte, der Cours des Goldes mehr und mehr. Lag dem
persischen Münzwert das Verhältnis des Goldes zu Silber von 1 : 13,33
zu Grunde, so war der Handelswert um die Zeit des peloponnesischen
Krieges wie 1 : 13,24 und sank weiter unter 1:13, ja unter 1:12.
Das Bemühen zwischen beiden Werten Ausgleichung zu finden, führte
zu den vielerlei Münzsystemen der griechischen Staaten und zu heilloser
Münzverwirrung. Der trat Philipp mit der Einführung der Doppel-
währang entgegen; er schlug Goldst^tem etwas höher als die persischen,
zu 8,64 g, er nahm für das Silbergeld den rhodischen Fuß an, 7,24 g
auf die Drachme; er fixierte also das Verhältnis von Gold zu Silber
auf 1:12,45.
Sank der Wert des Goldes weiter, so mußte auch aus Makedonien
das Silber abfließen, wie bisher schon aus Persien. Es ist sehr denk-
würdig, daß Alexander die Doppelwährung aufgab, die Silberwährun^
nach dem attischen Fuß, die Tetradrachme zu 17,27 g, einführte; und
nicht minder bemerkenswert, daß sich auch nicht eine Drachme oder
Tetradrachme Alexanders findet, die nicht auf diesen Fuß geprägt wäre;
so daß man annehmen muß, daß er gleich im Anfang seiner Begierung
die neue Münzordnung eingeführt hat, die dem persischen Golde so
zu sagen den Krieg erklärte. Denn mit dieser neuen Ordnung war
das Verhältnis von Gold zu Silber auf 1 : 12,30 gestellt und das Gold
234 Zur Ge^ichichtc Alexanders des Großen
war zur bloßen Ware gemacht, zu einer Ware, die, wenn die Schätze
des Perserkönigs erobert und das da tot liegende Gold dem Verkehr
zurückgegeben wurde, sich immerhin entwerten konnte, ohne daß die
auf Silber gestellten Preise in der griechischen Welt dadurch in gleichem
Maße erschüttert wurden.
[25] Wenn Philipp, wenn Alexander kraft ihrer königlichen Macht-
yollkommenheiten neue Münzordnungen erließen, so traten dieselben
natürlich überall, soweit die Befehle des Königtums gesetzliche Ejraft
hatten, in Geltung; und umgekehrt, Gebiete und Städte, wo sie nicht
Aufnahme fanden, standen nicht in solchem Abhängigkeitsverhältnis
zum makedonischen Königtum. Gab es Städte oder Gebiete, die in
dieser Zeit nach dem königlichen Münzfuß, aber mit autonomen Typen
prägten, so sind sie dem neuen Münzfaß entweder aus eigener Wniil
gefolgt, oder sie haben bei ihrer Abhängigkeit von dem Königtum eine
gewisse communale Autonomie bewahrt
n.
Damit ist ein Kriterium bemerkenswerter Art gewonnen. Wenn
von den Griechenstädten der thrakischen Südküste in Alexanders Zeit
nur Byzanz nicht Silbergeld nach Alexanders Münzfuß, geschweige mit
Alexanders Typen und Namen geschlagen hat, so ist Byzanz nicht wie
Abdera, Maroneia, Perinthos u. s. w. eine unterthänige Stadt mit immer-
hin freier Communalverfassung geworden, sondern ein autonomer Staat
geblieben. Wenn die Stadt Kardia auf der Chersones Tetradrachmen
mit Alexanders Typus und Namen prägte und sich auf denselben nur
mit dem bescheidenen Beizeichen der Lanzenspitze, dem alten Wappen
der Stadt, als Prägestätte bezeichnete, so sieht man daraus, daß Heka-
taios, der als Tyrann von Kardia von 335 bis über Alexanders Tod
hinaus bekannt ist, nicht souveräner Herr der Stadt in dem Sinne
war, wie in derselben Zeit Timotheos und dessen Bruder Dionysios in
der pontischen Herakleia, denn sonst hätte er, wie diese, Münzen mit
seinem Namen geprägt.
Daß die Fürstentümer und Yölkerstämme von der Adria bis zum
Pontes, die Makedonien umgaben, die der Epeiroten, der Agrianer, der
Paionen, einige illyrische, die thrakischen der Odryser, Geten, Triballer
in einer gewissen Abhängigkeit von dem makedonischen Königtum
standen, ist aus unsern Quellen ersichtlich, nicht aber, wie weit sich
diese Abhängigkeit erstreckte.
Nur von den Verhältnissen des paionischen Landes erfahren wir
einiges. Diod. XVI 2 und 4 berichtet, daß die Paionen [26] kurz vor
Zur Geschichte Alexanders des Großen 235
dem Anfang Philipps IL nach Makedonien eingebrochen seien, daß um
die Zeit seines An&nges der Paionenkönig Agis gestorben sei, daß
Philipp sich sofort gegen die Paionen gewandt, sie besiegt habe, rovg
ßccQftÜQovg vixf'jtrag ijvdyxaaB rb i&voq net&agx^i^ toTg MaxeSömv.
Drei Jahre später 356 erwähnt er (Diod. XVI 22), daß die Athener,
als sich Philipp der Goldbergwerke am Pangaion bemächtigt, mit drei
Königen, dem der Paionen, dem der Thraker und dem der Ulyrier,
ein Bündnis zum Angriff gegen ihn geschlossen hätten, daß Phillipp
ihrem Angriff zuvorgekommen sei, daß er sie, ehe ihre Streitkräfte sich
vereinigt hätten, geschlagen und zur Abhängigkeit gezwimgen habe —
äTttfpavelg ätrwräxroig xal xarankrj^dfievog i]vciyxa(T6 ngoa&ka&ai
Tolg MaxsSöm. Von eben diesem Bündnis der Athener handelt eine
attische Inschrift, zu deren früher schon bekannter ersten Hälfte 1876
durch die Ausgrabungen am Fuß der Akropolis ein zweites bedeutendes
Stück hinzugekommen ist (C. I. A. n Add. 66^); sie giebt die Namen
der drei Fürsten, mit denen Athen sich verbündet hat: es ist der
Thraker Ketriporis „und seine Brüder^', der lUyrier Grabes, der Paione
Lyppeios. Es giebt Silbermünzen mit AYKKEIOY (Lenormant in der
Revue Num. 1866) oder auch AYKTTEIO (Six Numism. Chron. 1875
1 S. 20), die schon Eckhel nach ihrer Prägung als paionische erkannte.
Ein attisches Ehrendecret von 286 (C. I. A. II Nr. 312) nennt den König
Audoleon 6 IIai6v(ov ßatrtXivg AiSaoUiov, den Sohn des Patraos^
Wir wissen aus unsem Quellen, daß Audoleon schon 310 König war
(Diod. XX 19 XXI 13), und daß kurz vor 281 sein Sohn Ariston, als
er die Erbschaft des Vaters antreten wollte, von König Lysimachos
vertrieben worden ist (Polyaen. IV 12, 3). Damit endet das Fürstentum
der Paionen; das Land haben dann erst die Galater überschwemmt,
dann die Dardaner unterworfen, bis diesen König Philipp 217 wenigstens
die paionische Feste Bylazora am Südeingang der Pässe von Skopia
wieder entriß (Polyb. V 97, 1).
Von Alexanders Zuge 835 sagt Diodor XVII 8: kaxQdtiva^ inl
Ttjv Qq^xtiVj xal noXkcc fiiv ii&vrj Qg^xta . . . inoxccyflvai xatfjvci-
yxaatv infjl&B Si xa\ ttjv Uatoviav xal rijv IkkvQtScc xal rovg
öfiÖQOvg Tcevratg ;^c5()ofg, xal noXXovg rßv xarotxovprmv ßagßdQmv
äfpearrjxörag x^iQf^oadfjLSVog vnrixöovg ndvrag rovg nXriaioxdiQOvg ßag-
ßdQovg knon^tTOTo^. [27] Man kann zweifeln, wieviel man von diesen
Ausdrücken für die Paionen in Anspruch nehmen darf; ebenso muß
noch dahingestellt bleiben, ob die höchst merkwürdige Inschrift auf dem
* [Vgl. oben Th. I S. 79 ff.]
* Zehn Jahre frflher führt Isokrates (Philipp. § 21) neben den Magneten
und Perrhaibem die Paionen an: xal navxag 4fnri%6ovg aviovg e}liig>e¥.
236 Zur Geschichte Alexanders des Großen
Weihgeschenk eines paionischen Königs, die in den letzten Wochen
in Olympia aufgefunden worden ist, der Zeit zwischen Lykpeios und
Patraos, wie vermutet worden ist, angehört. Es giebt vom Audoleon,
von seinem Vater Patraos, der vielleicht schon zu Alexanders Zeit
König war, Silbennünzen mit ihrem Namen und Typus; dieselben
haben weder das Gewicht der philippischen Doppeldrachme 14,48 g,
noch das der Tetradrachmen Alexanders 17,27 g, sondern das des Au-
doleon wiegt 12,03 g, das des Patraos 12,06 g, das des Lykpeios in
verschiedenen Exenaplaren 13,15 g, 12,74 g, 12,57 g. Also Paionien
stand wie vor, so nach der Besiegung durch Philipp, nicht unter dem
makedonischen Münzgesetz, folgte seinem eigenen Münzfuß^. Einige
Ilen paionischer Reiter — einen solchen zeigt die Münze des Patraos,
wie er einen behelmten zu Boden geworfenen Feind durchsticht —
waren in dem Heere Alexanders, das nach Asien zog, geführt von
Ariston, vielleicht einem Bruder des Patraos, wie sein Enkel ja wieder
diesen Namen hat; denn als Alexanders Maxime wird überliefert: rege^
{harharoruin) praefeciosqtie et omnes quibiis videbatur inesse ctera detradae
libertatis seoum vel honoris causa detraocit (Frontin II 11, 2 vgl. Justin XI
5, 3). Ob diese paionischen Ilen als ^ivoi oder als (rvfifiaxoi, ob auf
Grund eines besonderen Werbevertrages oder als Contingent des pai-
onischen Fürstentums folgten, muß dahingestellt bleiben [s. oben S. 214];
Langaros, der Fürst der Agrianer, der 335 dem Könige zum Zuge an die
Donau 1000 Mann gestellt hatte, konnte ihm, als er durch das Agrianer
Gebiet zurückmarschierte, noch eine bedeutende Zahl Hypaspist^n vor-
führen [28] und mit diesen die Autariaten, die den Makedonen in die
Flanke fallen wollten, zurückzutreiben sich erbieten.
Von Langaros, von dem Triballerkönige Syrmos, von dem Tau-
lantiner Glaukias, dem Illyrier Kleitos sind bis jetzt keine Münzen be-
kannt, eben so wenig von den odrysischen Fürsten dieser Zeit, obschon
deren, auch nach Beseitigung des Kersobleptes und Teres durch König
Philipp, wenigstens einer, vielleicht einige im Hebroslande geblieben
sind^, wenn auch neben und über ihnen ein makedonischer Strateg.
' Imhoof-Blumerfinv. Sallet Numismat. Zeitschrift I S. 1 08) macht dar-
auf aufmerksam, daß die Münzen von Damastion und Pelagia, iUyrischen Berg-
städten, in denen er die dann Antigoneia und Antipatros genannten wieder-
erkennt, nach dem gleichen Fuß wie die paionischen geprägt sind. Daß Audoleon
auch Tetradrachmen mit seinem Namen, aber dem Typus Alexanders geprägt
hat, ist für unsere Frage unwesentlich.
* Diese Thatsache ergiebt sich aus der Angabe Diod. XVITI 14, vgl. XIX 73, daß
Seuthes, „König** der Thraker, 322 sich gegen Lysimachos erhob, und aus der bei
CurtiusXl, 45 auf die Vorgänge von 330 bezüglichen: Seuthes Odrysas populäres
SIMS ad defecHonem compulerat u. s. w., endlich aus der jüngst gefundenen attischen
Zur Geschichte Alexanders des Großen 237
Von besonderem Interesse würde es sein, genaueres über das Ver-
hältnis des molossischen Königtums zu Makedonien finden zu können;
um so mehr, da die überaus bedeutsame Frage, ob der Molosser Alexander
auf eigene Hand oder im Zusammenhang mit der makedonischen Politik
334/3 seinen Zug nach Italien unternommen hat, nach den Angaben
unserer Quellen nicht zu erledigen ist. Der molossische König Alketas
wird um 372 von lason von Pherai bei Xen. Hell. Yl l, 1 6 iv ry
'HnilQ(p vnagxoqj also als Untergebener Thessaliens genannt; nach
seinem Tode teilten seine Söhne Neoptolemos und Arrybbas nach
längerem Hader die Herrschaft, und als Neoptolemos starb, blieben
dessen Kinder Olympias und der viel jüngere Alexander in des Oheims
Haus, bis Olj'mpias mit König Philipp vermählt wurde. Wenn Satjros
fr. 5 von Philipp sagt: n^oaexHjtraro xai rtiV Mokörrcov ßuaikeiav
ytjfia(s VkvfiJttäda, so muß eine Art weiblicher Succession in Epeiros
in Geltung gewesen sein, wofür das spätere Verhalten der Olympias
im molossischen Lande mehr als einen Beweis giebt. Wenn Philipp
ihren Bruder Alexander 342, nachdem er Arrybbas beseitigt, in den
Besitz des ganzen Landes setzte und dasselbe um das kassopische Gebiet
am ambrakischen Meerbusen erweiterte, so scheint die Vermutung nahe
zu liegen, daß das molossische Königtum in [29j makedonischer De-
pendenz blieb. Aber bei den schweren Wirren, die Philipps Ermordung
in Makedonien hervorrief, bei der schwereren Gefahr, mit der Alexanders
Anfang durch die Erhebung der Völkerschaften in Thrakien, an der
Donau, in lUyrien, durch die gleichzeitige in Hellas bedroht war, findet
sich von einer epeirotischen Hilfeleistung zu dem Zuge an der Donau,
gegen die Illyrier, nach Theben nicht die geringste Spur. Und die
silbernen Großstücke, die der junge Molosserkönig prägen ließ, und
zwar in Tarent, wie die Numismatiker aus dem Stil des Gepräges
entnehmen, folgen weder dem System Philipps von 14,48 g, noch
dem Alexanders von 17,27 g, noch dem der Tarentiner von 7,70 bis
7,90 g; sie wiegen zwischen 10,75 und 10,50 g. Sie haben die
Umschrift AAEEANAPGY TOY NEOÜTOAEMGY, sie stimmen in
ihrem Typus — Schauseite: Kopf des dodonaeischen Zeus mit Eichen-
laub gekränzt, Rückseite: Adler auf dem Donnerkeil stehend — ganz
mit denen der Stadt Kassope (Umschrift der R. KAZZQTTAIQN), nur
daß diese in der Drachme 4,24 g wiegen, also dem attisch-makedo-
nischen System folgen. Ich entnehme diese Angaben einem Aufsatz
von Imhoof-Blumer (in v. Sallet Num. Zeitschrift III S. 288).
Inschrift, über der eine bildliche Darstellung mit der Unterschrift: *l^i]i^ovhtg2svd-ov
vioy' Köivo^ itdslfpo^ «y^eA . . . . , [0. 1. A. II Add. ITö**]; aus der man schließen
darf^ daß wie der Vater, so der Bruder des Genannten Fürst in Thrakien ist
238 ^^ur Geschichte Alexanders des Grofien
Es ist bekannt, daß firüher in Makedonien teils jüngere Linien
des Königshauses mit eigenen Herrsohaften ausgestattet wurden, wie
z. B. von einem jüngeren Sohne des Philhellenen Alexander die fürst-
liche Familie in Elymioüs stammt, der die Derdas, Machatas, Harpalos
angehören, teils älteie erbliche Fürstentümer bestanden hatten, wie das
der Oresten, dem Alexanders Feldherr Perdikkas, das der Tymphaier,
dem Polysperchon entstammte, das der Bakchiaden in der Lynkestis,
das vor dem Vater Philipps U. einige Jahre selbst das makedonische
Königtum innegehabt hatte. Philipp II. selbst ist, bevor er das König-
tum übernahm, ein solcher Teilfürst gewesen und hat als solcher Truppen
gehalten, wie auch von Derdas IL in Elymiotis, von den Lynkesten
in früherer Zeit nachzuweisen ist Wenn von keinem dieser Fürsten
Münzen vorliegen, so wird das nicht zufallig sein; sie werden nicht
das Münzrecht gehabt haben.
Und so scheint sich in dem Bereich des makedonischen König-
tums und seiner Dependenzen eine Mannigfaltigkeit von Abhängigkeits-
verhältnissen zu ergeben, die dieser Machtbildung ihren eigentümlichen
Charakter geben.
m.
[30] Dieselbe Eigentümlichkeit in anderer Wendung zeigen die
Stadtemünzen Philipps und Alexanders. Die scharfsinnigen Unter-
suchungen von li. Müller suchen zu erweisen, daß die Monogramme
auf den Münzen Philipps und Alexanders teils wie andere kleine Bei-
zeichen die Prägestatte, teils die Namen der mit der Prägung betrauten
Beamten bezeichnen. Müller hat mehrere Fälle zu erkennen geglaubt^
in denen dasselbe Monogramm sich auf den Münzen Philipps IL und
Alexanders, Alexanders und Philipps III., oder auch auf den Münzen
mehrerer einander benachbarter Städte findet; er hat daraus geschlossen,
daß diese Monogranmie nicht jährlich wechselnden städtischen, sondern
dauernd angestellten königlichen Beamteten angehören. Die Ergebnisse
dieser Untersuchung sind wohl noch nicht derart, daß man weiteres
darauf zu bauen wagen könnte.
Schon die Erwähnung von Byzanz, Kardia, Perinth, Abdera u. s. w.
führte uns auf das Verhältnis des makedonischen Königtums zu den
griechischen Städten. Wenn König Philipp dieselben nach der Schlacht
von Chaironeia in dem Bunde von Korinth vereinigt, wenn Alexander
diesen Bund nach dem raschen Strafgericht über Theben erneut hatte,
wenn dieser Bund für den Krieg gegen die Perser und die Aufrecht-
erhaltung von Friede, Recht und Ordnung unter den Genossen gegründet
Zur Geschichte Alexanders des Großen 2Sd
worden war, so liegt die Frage nahe, ob auch die hellenischen Staaten
außerhalb des eigentlichen Griechenlands, ob namentlich die Oriechen-
stadte in Eleinasien und die Inseln Genossen dieses 'EXlrjvixöv ge-
worden, oder in welches Verhältnis sonst sie zu Alexander getreten sind.
Aus den Schriftstellern ergiebt sich für diese Frage wenig. Für
Thessalien erhellt aus der Liste der Ihessahrum reges bei den Chrono-
graphen j daß die Städte dort, wenn auch in eigener Art und Verfass ng,
seit Philipp IL den makedonischen Königen untergeben waren; iind die
Münzen Philipps und Alexanders bestätigen es. Daß von allen Staaten
„innerhalb der Thermopylen", wie in jener Zeit der technische Aus-
druck war, nur Sparta den Beitritt zum korinthischen Bunde versagte
und darüber bedeutende Gebietsminderung erfuhr, ist bestimmt über-
liefert.
Man könnte glauben, daß Byzanz, weil Alexander, in dem Feld-
zuge gegen die Geten 335, Kriegsschiffe der Studt zum [31] Übergang
über die Donau erwartete und wirklich vorfand, in dieser Hilfeleistung
als zu dem korinthischen Bunde gehörig zu erkennen sei. Aber teils
findet sich von dem Eintritt der Byzantier in diesen Bund sonst keine
Erwähnung, teils kann diese Hilfe gegen die Geten nicht auf Grund
des korinthischen Bundes gefordert und geleistet worden sein, da Alexan-
der nur für den Feldzug gegen Persien zum (TTQarfjyog avroxQccrcoQ
bestellt und der Bund nur zur Stellung seiner Contingente gegen
Persien verpflichtet war. Somit ist jene SchifFssendung auf Grund
eines besonderen Vertrages erfolgt, der wohl auch des weiteren die Sym-
machie zwischen Makedonien und Byzanz geordnet haben wird.
Aus der Darstellung Arrians ergiebt sich mit Sicherheit, daß die
Insel Tenedos in den korinthischen Bund getreten ist; wie die persische
Flotte im Anfang 333 dorthin konunt, werden die (rrfjlat ai n^og
!/4Xi^avSgov xal rovg ""Ekktjvccg yevöfuvai a^piai zerbrochen. In ähn-
licher Weise verfahren die persischen Generale in Mitylene, aber der
Ausdruck, den Arrian da braucht (11 1,4) xa&eUiv rag ngdg !AXi'
^avÖQÖv <T(pi(Tt yevofuvag Grfihzg ohne xal rovg ""EXXrjvccg läßt wohl
keinen Zweifel, daß diese Stadt nicht dem xoivbv r&v 'Ekh'ivcov bei-
getreten ist. Wenn nach der Ermordung des Dareios die hellenischen
Söldner und Gesandschafben, die bis zuletzt in seiner Umgebung ge-
wesen waren, in Alexanders Hand fallen, so entläßt er den Gesandten
von Sinope 6ti 2iv(onitg ovre rov xoivod rßtv 'EXk/jvcov fiBreTxov
0VT8 dmixöra nonlv kSöxovv nagä rov ßaaiXicc atp&v nQBaßsvovrsg
(Arr. III 25, 4).
Auf die Frage, wie Alexander sein Verhältnis zu den befreiten
Griechenstädten der asiatischen Küste geordnet habe, geben unsere
240 Zur Geschichte Alexanders des Großen
Quellen keinen Bescheid. Wohl fuhrt Aman an (I 17, 10), daß der
König in Ephesos die Demokratie hergestellt und den bisherigen Tribut
der Stadt dem Tempel der Artemis überwiesen habe, nicht minder (I
18, 1) daß er eine Kolonne nach der Aiolis, eine zweite zu den ionischen
Städten gesandt habe mit der Weisung, überall die Demokratie und
Autonomie herzustellen und die Tribute, die sie den Barbaren zahlen
müssen, ihnen zu erlassen. In ähnlicher Weise befreit nach der Schlacht
von Issos die makedonische Flotte die Inseln Chios, Kos, vertreibt die
von dem Spartanerkönig nach Kreta gesandten Besatzungen aus den
Städten dort; aber nirgends findet sich eine Andeutung, ob die befreiten
Städte dem xotvov rdv 'EXXiivcov beigetreten, ob von ihnen irgend
welche [32] Leistungen für den Feldzug gegen Persien gefordert wor-
den seien.
Auf die erste dieser Fragen scheinen die Münzen Antwort zu
geben. Es finden sich Gold- und Silbermünzen Alexanders von fast
allen Griechenstädten Kleinasiens, sowie von den namhaftesten Inseln;
und damit, so durfte man schließen, ist der Beweis geliefert^ daß diese
Städte nicht Staaten waren, wie die des korinthischen Bundes, sondern
wie Perinth, Abdera, Maroneia, immerhin Freistädte, aber königliche nnd
zum Königtum nicht im Bundes- sondern Unterthanverhältnis standen.
An dieser Stelle muß der sogenannten Klassifikation der Alexander-
münzen Erwähnung geschehen. Der schon genannte Numismatiker
Müller erkannte bei sorgfältiger Beobachtung der fast 2000 verschie-
denen Typen von Alexandermünzen, daß die silbernen — bei den
Stateren tanden sich so deutliche Unterschiede nicht — nach der Zeich-
nung und in der Technik des Gepräges sich in sieben Klassen scheiden,
von denen die drei ersten sichtlich die älteren sind, die drei letzten
einer Technik angehören, die erst mit dem Ausgang der Diadochenzeit
eintritt, zwischen beiden eine Klasse, die vierte, für deren Zeit ein bei
Patras 1850 gefundener Schatz einen Anhalt gab. Es waren meist Tetra-
drachmen, die ihren Beizeichen nach in Sikyon geprägt sein mußten,
und Sikyon war erst seit der Zeit des Reichsverwesers Polyspcrchon,
d. h. den Jahren 316 — 308, makedonisch. Sehr bemerkenswert nun
ist, daß, wie Müller aus den Beizeichen zu erkennen glaubt, die
sämtlichen in den Griechenstädten Kleinasiens geprägten Tetradrach-
men der V. und VI. Klasse, die von Mesembria, Odessos und an-
deren Städten an der Westküste des Pontos der VII. Klasse angehören,
während die I. Klasse sich nur in den Prägungen von Makedonien,
Thesvsalien, dem südlichen Thrakien, die zweite nur in denen von Kili-
kien, Syrien und Phoinikien findet, die 111. auf diese beiden Bereiche
sich verteilt.
Zur Geschichte Alexanders des Großen 241
Hierzu kommt noch, daß sich durch einen Münzfand, von dem
gleich zu sprechen sein wird, erwiesen hat, daß während der Zeit
Alexanders und in dem Jahrzehent nach seinem Tode mehrere dieser
kleinasiatischen Städte, namentlich Rhodos Pergamon Eios, Stateren
mit ihrem eigenen Typus geprägt haben, also autonome, nicht Königs-
stateren. Und weiter: die rhodischen Münzen schon seit König Philipp II.
haben meist immer die Namen der [33] Münzbeamten welche für
die Prägung verantwortlich waren, voll ausgeschrieben; vier Namen
solcher Münzbeamten, die auf rhodischen Alexandertetradrachmen der
VI. Klasse von 17 g Gewicht vorkommen, Stasion Ainetor Aristobulos
Damatrios, fanden sich zugleich auf autonomen rhodischen Doppel-
drachmen rhodischen Fußes zu etwa 14 g (Müller, Num. d'Alex. S. 260),
ja der Name Aristobulos findet sich auch auf rhodischen Stateren mit
den Typen und dem Namen des Lysimachos, und ein fünfter Name jener
autonomen Münzen Mnasimachos erscheint auf einem rhodischen Stater
mit dem Namen und Gepräge Philipps IL Also Rhodos hat im Aus-
gang der Diodochenzeit und später noch sein altes Münzsystem beibe-
halten, wenn auch von Seiten des Staates daneben, unzweifelhaft im
Interesse des Handels, besonders verbreitete Münzen, wie Tetradrachmen
Alexanders, Stateren des Lysimachos, Stateren Philipps IL geprägt wor-
den sind. Noch augenfälliger ergiebt sich das gleiche Verhältnis bei
Ephesos; Drachmen dieser Stadt mit der Biene und der Umschrift
APZI statt E<t) (bei L. Müller, Münzen des Lys. No. 429—433), also
der Zeit zwischen 281 und 280 angehörend, in der die Stadt nach
Lysimachos Gemahlin Arsinoe hieß, — diese Drachmen sind nach Im-
hoof-Blumers Wägungen nicht nach dem von Lysimachos beibehal-
tenen Münzsystem Alexanders (4,25 g) ausgebracht, sondern haben in
dem besterhaltenen Exemplar, dem Berliner aus der Sammlung Fox,
5,59 g; sie sind also autonome Münzen.
Aus diesen numismatischen Thatsachen wird man berechtigt sein
den Schluß zu ziehen, daß die hellenischen Städte Kleinasiens von
Alexander die Herstellung nicht bloß ihrer Demokratie, sondern ihrer
politischen Selbständigkeit empfingen, daß sie seit 334 wieder wirkliche
Staaten wurden, wie es die im korinthischen Bunde des Mutterlandes
vereinten geblieben waren. Wenn sich nicht die geringste Spur davon
findet, daß die asiatischen Griechenstädte in diesen eingetreten seien,
so liegen politische Gründe dafür, daß Alexander ihren Eintritt nicht
forderte, nahe genug. Nicht die nationale Einheit des Griechentums
politisch zu gestalten war seine Aufgabe; bei der nichts weniger als
zuverlässigen Stimmung mehrerer und der bedeutendsten Städte jenes
Bundes empfahl es sich, die Griechen Asiens und der Inseln in anderer
Drojaen, Kl. Schrifton 11. 16
242 Zur Geschichte Alexanders des Großen
Weise an das Interesse des Reichs zu knüpfen und sich in ihnen ein
Gegengewicht gegen die Föderation des Mutterlandes zu schaffen. Über-
dies mußte [34] es angemessen erscheinen, einem Bunde, zu dessen
wesentlichen Aufgaben die Erhaltung und Handhabung des Landfriedens
in dem Bundesgebiet gehörte, nicht Staaten zu überweisen, die, durch
das Meer von Hellas getrennt, nicht füglich bei allen Vorkommnissen
das Synedrion von Korinth beschicken konnten.
Aber hatten diese hergestellten Staaten Kleinasiens und der Inseln
nicht in gleicher Weise das Bedürfnis des Landfriedens und eines Ge-
richtes, wie die Amphiktyonen für den Bund in Hellas waren? bedurften
sie nicht zugleich für die Leistungen zum Perserkriege, zu denen gewiß
auch sie verpflichtet wurden, etwa für ihre Contingente an Schiffen
und Manschaften, einer Organisation der des Synedrions von Korinth
analog? Soviel mir bekannt, giebt es in unsem Quellen keine Spur,
die zu einer Antwort auf diese Fragen führt; es müßte denn das sein,
was Vitruv IV 1 von Smyma angiebt: regis ÄttcUi et Arsinoes benefido
inier lonas est recepta, — Smyrna, das, seit der Lyderzeit aufgelöst und
dioikisiert, erst durch Antigonos und Lysimachos als Stadt wieder her-
gestellt worden ist \ Und vielleicht könnte man in denselben Zusammen-
hang stellen, was Strabo XIV S. 644 von der Landenge zwischen
Klazomenai und Teos angiebt, die Alexander zur Erleichterung der
Schiffahrt zu durchstechen befohlen hatte: es sei dort ein heiliger Hain
und Festfeier dem Könige zu Ehren: xa) dy6)v rov xoivov r&v *I(avrov
lAX%^(ivSQua xarccyyiXXBrai (TvvrtXov^^voq kvraviJa.
Bedeutsamer scheinen beim ersten Anblick zweiReihen von Mün-
zen, silbernen und kupfernen, mit der Umschrift AIOAE die einen,
NAH die andern; Imhoof-Blumer hat'^in v. Sallets Numism. Zeitschr. III
S. 315flF. von jenen 7, von diesen 23 Typen beschrieben. Er weist darauf
hin, daß, während die mit NAZI auf der Schauseite den lorbeerbekränzten
Kopf des ApoUon (Hekatos) haben, die mit AIOAE genau den Pallas-
kopf der Stateren Alexanders führen, ihrer Technik nach beide auf
Lesbos oder die nächstgelegenen Gebiete weisen. Man konnte vermuten,
daß diese Münzen für Föderationen der Nesioten, der Aioleis geprägt
seien, daß Alexander — denn alle diese Prägungen gehören seiner
und der folgenden Zeit an — diese Föderationen veranlaßt habe; frei-
lich war dann auffallend, daß auf den Münzen der Nesioten nie die
ionische Form des Namens erschien, daß neben dem Bunde der Inseln
noch ein zweiter der AloX^lq bestanden haben sollte, während doch
* [Vgl. das Decret des ^luvcjv t6 xoivov rwy TQii^ttidexa noXetov aus Lysi-
machos Zeit DitUmberger SyU. 137. E. M.;
Zur Geschichte Alexanders des Großen 243
die Insel Lesbos von den ^JiolBlg den bedeutendsten Teil bildet. [35]
Jetzt ist durch eine Inschrift (in dem Movauov xal BißXio&ifjX7i tTj^
Bvayyehxrjq (Txolfiq IJegioS, II «t.I iv ^fjLvpvrj 1876 S. 128) und
durch die vortrefllichen Erläuterungen, mit denen sie Hr. Georg
Earinos begleitet hat, die Bezeichnung NAZI dahin festgestellt, daß
die größte der zahlreichen kleinen Inseln am Festlande, gegenüber von
Mitylene, die heutige Moskonisos, im Altertum Nätroq genannt war,
wie denn in jener Inschrift, deren erstes Drittel bereits C. I. Gr. II
No. 2166*' App. S. 1023 mitgeteilt war, Z. 40 6 dccfio,^ [6 Na]Gi(DTav
das Ehrendecret für Thersippos, das sie enthält, beschlossen hat.
Also hier findet sich nicht, was wir suchen; aber an einer andern
Stelle zeigt sich, daß wir mit unserer Frage auf der richtigen Fährte
waren. Einiges schon ergiebt eine Inschrift, die in Schliemanns tro-
janischen Altertümern S. 204 mitgeteilt ist. Sie stammt aus Hissarlyk,
das der Zeit Alexanders für das homerische Ilion galt und als solches
hergestellt wurde. Diese Inschrift enthält mehrere Schreiben des Königs
Antiochos an Meleagros, seinen „Satrapen in Phrygien am Hellespont",
und Schreiben von diesem, in denen es sich um Schenkungen von Land-
gütern an einen verdienten Assier handelt, Schenkungen äno rr^g ßam"
Xixtt^ XfoQccii mit der Bedingung, daß diese Güter einer der umliegenden
Städte Skepsis, Gergithos, Ilion zugewandt werden sollen. Der Grund dieser
auffallenden Bestimmung scheint sich aus dem Umstände zu ergeben,
daß mit der Schenkung diese Güter und die auf denselben Wohnenden
aufhören königlich zu sein und damit unter der Jurisdiction und dem
Schutz der königlichen Beamten zu stehen ; und indem der Beschenkte
nicht selbständiger Dynast ist noch werden soll, bleibt nichts übrig
als diese Güter und ihre Bewohner unter die Competenz einer politisch
selbständigen Stadt treten, den Beschenkten gleichsam Pfahlbürger in
derselben werden zu lassen. Der Ausdruck der Inschrift ist, daß die
ßaathxoi kaoi oi ix rov rönov käv ßovXcovrat in der Feste Petra,
die mit geschenkt wird, sollen wohnen dürfen äff(faX%iag 'ivexs] und
der Beschenkte soll befugt sein nQoaBvkyxccad-ai ngog Jjv uv ßovkfjrat
T(üv nöX^cav tQv kv ry /c«l(;a tb xal kv rfj ijfiBTi(}^ avpLnaxicc^' Also
die genannten Städte, und namentlich Ilion, das der Beschenkte dann
gewählt hat, sind nicht Unterthanen, sondern (Tvfifiaxoi des syrischen
Königs. Daß dieser König wahrscheinlich Antiochos III. ist, ergiebt
sich aus einer schon C. I. Gr. II 3569 publiciei1;en Inschrift, die [36]
bei Kum-Kiöi, eine halbe Stunde von Hissarlyk, gefunden worden ist
^ [Zu dieser und der folgenden Inschrift vgl. HeUenism. II 2 S. 377 ff. und
Dittenberger Syll. 158 und 125. E. M.]
16*
244 Zur Greschichte Alezanders des Großen
Noch bestiinmter auf unsere Frage antwortet eine große Inschrift
ebenfells aus Hissarlyk, die 6. Hirschfeld in der Arch. Zeitung 1875
S. 151 ff. mitgeteilt hat Es sind fünf Decrete, jedes heginneni ypcofAtj
t(öv (TwiSgcoVy zu Ehren des MaXovmoq Baxxiov FagyaQsvQy für
wiederholte zinsfreie Vorschüsse und sonstige Leistungen aller Art.
Der erste Beschluß will mit der gewährten Ehre bezeugen, daß t6
xoivbv T&v Tiölecov die um dasselbe verdienten Männer auszuzeichnen
wisse. Der zweite Beschluß giebt die bezeichnenden Worte änoareX'
XövTwv awiSgcüv nQitrßeig eiq rhv ßamXkcc i^nhQ] r^g kXsv&BQia^
xat ccvTOvofiiag r&v nöXscav r&v xoivoi)vov(TCj[v ro0] isQOv xai rf}^
navi]yvQtcog. Also das xotvöv ist eine politische Föderation, die mit
dem Heiligtum der Athena von Ilion verknüpft ist; und so wird Ma-
lusios im dritten Decret gerühmt, daß er das Synedrion aufgefordert
habe anzugeben, nöaov Senat nccQ ccvxov xQVf^'^f^^ ^^ ^^ ^^ xfiargov
xul Big räXXa xaxaaaxtvdaiiaTa xal slg tIcc] Uqu xal slg ri]v UQBa-
ßeiccv. In dem fünften Decret wird beschlossen, ävayQÜxfmi ixtkarr/v
[t&v nökscav r&v xotv(ovov\GÖv xov Uqox) xal r^g navriyvQBcog xcel
ß-Bivlai Tfjv oTiJA^v 6nov &v ixad^tr; vöfiog kaxiv. Welche Städte
dies xotvöv bilden wird nicht angegeben; aber da Malusios ein Gargarer
ist und da die Gargarer mit der Herstellung des ersten und zweiten
Decrets beauftragt werden {kmfieXtjd'fjvat Sk rovg raQyuQBlg x r X.
Zeile 21 und 35), so ist Gargara am adramyttenischen Meerbusen eine
Stadt dieses Bundes; und wenn auf das fünfte Decret noch ein paar leider
verstümmelte Zeilen folgen, deren Anfang ist: ... atfiaaXog Accfixpa-
xfjv[dg stnsv kTiBtSij MaXovtTog] 6 FaQyccQBvg u. s. w., so ist anbedenk-
lich auch Lampsakos Mitglied des Bundes. Die Zeit dieser Decrete
ergiebt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit daraus, daß in dem ersten
eine ngBaßBia &7ioa[TBXXon£]vfi ngdg 'Avriyovov, im zweiten die schon
erwähnte ngBtrßBia Big rdv ßatrtXia vnig kXBv&BQiag xal airovofi/a^
erwähnt wird. Die Sendung Big rov ßaatXia in dem zweiten Decret,
das der Zeit nach später und vielleicht Jahre später als das erste ist^
kann nicht vor 317 fallen, da sonst wie in dem Ehrendecret der Na-
sioten für Thersippos ig rovg ßamXiag gesagt sein müßte. Da in dem
ersten Decret die Gesandtschaft nQog 'Avxiyovov erwähnt wird — denn
für die freien Städte ist er weder Satrap noch Strateg — und da Anti-
genes erst 806 den [37] Tit«l ßaatXBvg angenommen hat^, erst nach
ihm auch Lysimachos, Eassandros, Ptolemaios, Seleukos, so ging die
Sendung Big rdv ßaatXka in dem zweiten Decret entweder an Antigonos,
^ Doch findet sich in einem attischen Decret vom Dezember 307 bereits
ßnai\X6n ÄviUfovoy C. I. A. IT No. 238.
Zar Geschichte Alexanders des Großen 245
zwischen 306 und 301, oder sie gehört, was minder wahrscheinlich,
der Zeit nach dessen Tergeblichem Kampf gegen Ägypten, gegen Rhodos
an und bezeichnet den König Lysimachos, der die Gegenden am Helle-
spont (seit 302) und lonien in Besitz nahm. Bis zu der Zeit, da diesen
Seleukos besiegte und Herr der Küsten wurde (281), wird man, da
noch drei spätere Decrete für denselben Malusios folgen, nicht wohl
gehen können.
Jedenfalls hier in dem Bereich Phrygiens am Hellepont ist damit
in dem Jahrzehent nach Alexanders Tod eine Föderation hellenischer
Städte nachgewiesen; sie ist gewiß nicht ei'st in den Wirren nach
Alexanders Tod, nicht etwa Ton Leonnatos, Eumenes, Arrhabaios, Anti-
genes, die nacheinander die Satrapie Fhrygien am Hellespont inne
hatten, begründet worden. Vielmehr wenn erst in dem zweiten Beeret
Big xbv ßaatXia inig rr^g hX^vOtgiag xcci avrovofiiag t&v TtökecDv
gesendet wird, so scheint den Städten des Bundes das ihnen von
Alexander zugestandene und garantierte Recht in eben jener Zeit der
Wirren mannigfach verkürzt, ja auch nach dem großen Freiheitsdecret
des Antigen os von 315 (Diod. XIX 61) und trotz des ausdrücklichen
Artikels in dem Frieden von 311 (Diod. XIX 105) noch weiter vor-
enthalten worden zu sein. Aus Diod. XX 107, 2 sieht man, daß 302
Lysimachos über den Hellespont ging und Aafiyjaxtjvovg fiiv xal
IIciQtavovg ixovaioDg nQOff&sfievovg äcpfjxBv ilBv&iQOvg j ^iytiov S
henoXioQx^aag (pQOVQUv naQetai^yaye.
Sind wir bis jetzt auch außer stände eine zweite derartige Födera-
tion unter den griechischen Städten Asiens als von Alexander ge-
gründet nachzuweisen, so erhellt doch auf völlig sichere Weise,' daß
von ihm diesen Städten die Stellung freier Bundesgenossen im Reich
gegeben worden ist.
In der von E. Curtius edierten Inschrift von Erythrai (Monatsb.
d, Berl. Akad. 1875 S. 554) heißt es in einem Schreiben Antiochos I.^
an die Stadt: ätön hni tb j4Xb^üv3qov xal Idvriyövov airövofiog
Jjv xal ccq>o()oX6yijTog ij nöhg ifficov, ganz so wie Strabo XIII S. 593
von [38] Ilion sagt: oixoSofitaig ävaXaßsIv nQOfrra^ai ['AXi^avSQOv)
xoTg kinpL%h]TaTg kXev&i(}av ts XQivai xal ä(poQOV^,
* [Richtiger Antiochos II., s. Dittenberger Hermes XVI 1881 S.197, Syll. 166.
E. M.]
' Gegen die im Text entwickelte Ansicht scheint zu sprechen, wenn Plnt.
Phoc. 18 angiebt, Alezander habe den 828 heimziehenden Krateros angewiesen
TKtgndovyai t^ 0uxUt)yi. Ael. V. H. I 25 nennt statt Gergethos Patara und
braucht den Ausdruck tva ixjl ^a^ove&at xa^ ixei&ev ixqoaodov;. Von Kios
246 Zur Geschichte Alexanders des Großen
Sehr bemerkenswert ist nun, daß in dem eben angefahrten Schreiben
des Antiochos I. an die Stadt Erythrai gesagt wird: der König wolle
wie seine Vorfahren die iYeiheit der Stadt bewahren ti)v tb uvrovofxiav
v^iv fTwSiaTf]^fj(F0fi6v xal (i(pOQo[XoyyjTov^ sivai (Tvyx(OQOvfiEv töjv
TS äXkfov äitavT(üV xal [r&v elg] tu FaXcirixä awayofuv&v» Also
auch die Kriegssteuer zur Bekämpfung der Galater wird ihnen erlassen.
Eine andere Inschrift, die oben erwähnte der Nasioten, zeigt de« wei-
teren, daß es Fälle giebt, in denen auch diese freien Staaten zu zahlen
verpflichtet sind. In diesem Ehrendecret für Thersippos kommt zuerst
in nicht mehr zu ergänzenden Zeilen der Name Alexanders vor, dann
wird gesagt, daß nach Hessen Tod unter Philipp III Thersippos ein
Freund der Könige, der Strategen und der übrigen Makedonen bei
Antipatros [TtokkcHv äya\dCjv aHrioq yeyovs r^ nölef !A[yri'ndc]TQ(ü
yuQ knird^avToq XQiificcrcc si^ [tov nölsujov elL,(peo7jVj nuvrfov töv
ä}Jkco\y ÜG(f>B(}'\6vT(t}V Oi^omiioq 7tQO(ryevöfievo\_iS n^Oi^ TOv]q ßaa/hicc^
xal IdvrinccTQOv ixo[v(pi(je Ta]fi Ttöktv, inga^s Sk xal itgbq KX[hTTOv
itsQi] rag elg Kiitoov axQaxuaq xal [ovx 6l,iya']<; Sandvaq elg fnixQov
(swdyaylß xQ^^ov], Es ist der Krieg von 322 und 321 gemeint, in
dem Perdikkas seinen Untergang fand; und dieser Krieg, in dem Ptole-
maios, Antipatros, Krateros, Antigonos gegen die Usurpation des Per-
dikkas auftraten, ist wohl als Befreiung der Könige aus der frevelhaften
[39] Gewalt des Reichsverwesers, als ein Reichskrieg angesehen worden,
zu dem auch die freien Staaten pflichtig gegolten haben werden, wäh-
rend später die Abwehr der keltischen Invasion als die Pflicht de^
Königs angesehen sein mag.
Man wird annehmen müssen, daß nach der Schlacht am Granikos
das politische Verhältnis der befreiten Griechenstädte Asiens zum Reich
durch Verträge geregelt worden ist. Daß in denselben Alexander in
der Regel die völlige innere Autonomie der Städte anerkannt hat,
zeigen die merkwürdigen Inschriften von Eresos über die Vertreibung
und Bestrafung der Tyrannen und die in Betracht dieser Sache an die
Stadt erlassenen Schreiben {öiay(}aifai) der Könige Alexander, Philipp,
Antigonos (Conze, Reise nach der Insel Lesbos S. 35). Freilich irgend
giebt es autonome Münzen aus dieser Zeit. Ob Patara, Gergethos, Mylassa
Städte in hellenischer Art waren, vermafi^ ich nicht zu sagen. Waren sie es,
so könnte man an einen Unterschied denken wie im Deutschen Reich, wo die
Kaiser in den einen Städten (Reichsstädten) Grund- und Hofherren waren und
nutzbare Rechte besaßen, für welche sie diese Städte verschenken, verpfänden,
verkaufen konnten, in den andern nur die Huldigung als Kaiser empfingen,
daher diese (freie Städte) nur einen Beitrag? zu den gemeinen Kosten des Reichps
schuldeten. Arnold, Verfassungsgeschichte der deutschen Freistädte H S. -115 ff.
Zur Geschichte Alexanders des Großen 247
näheres über diese Verträge und namentlich über Einigungen der hel-
lenischen Städte der asiatischen Küste ergeben die bisher gefundenen
Inschriften, so viel ich sehe, eben so wenig wie irgend sichere Spuren
von Leistungen derselben für den weiteren Kampf Alexanders gegen
die Perser. Nur von Rhodos erfahren wir ein weniges. Die Insel
hatte wie die andern Inseln bis zum Hellespont durch den antalkidi-
schen Frieden Autonomie erhalten und sie mit Hilfe des karischen
Satrapen und Dynasten Maussollos im Abfall von dem zweiten attischen
Seebund behauptet; sie war dann, als Alexander über den Hellespont
kam, auf Seite der Perser geblieben und hatte ihre SchiflFe zu der per-
sischen Flotte, die der Rhodier Memnon führte, gestellt. Als sich nach
dem Siege bei Issos die persische Seemacht aufgelöst hatte und die
makedonische Flotte Chios und Kos befreite, aus den Städten auf Kreta
die dorthin gesandten Besatzungen des Spartanerkönigs vertrieb, hatte
Rhodos zehn Schiffe zur Belagerung von Tyros gesandt wie die lykischen
Städte und die Könige von Kypros, und dafür wurde ihnen allen von
Alexander verziehen, äSua on vn ävüyxrjg fiäklöv rt f) xarä yvdfi^jv
TJ]v (T(p&v kd6xovv ^vvraxOTivai xoig TliQfTaiq k(i rö vavrtxöv. Die
makedonische Besatzung, die nach Rhodos gelegt wurde, ist wenigstens
nach Curt. IV 8, 12 bereits Anfang 331 wieder abberufen worden.
Von besonderem Interesse würde es sein feststellen zu können,
wie sich Alexander zu den lykischen Städten und zu ihrem altherge-
brachten Bunde verhielt. Daß sie in der Zeit des Maussollos der
karischen Satrapie untergeben worden waren, lehrt eine gelegentliche
Notiz in (Arist.) Oecon. II 15; ihre Schiffe waren noch [40] bei der
persischen Flotte, als Alexander nach Lykien kam; die Städte ergaben
sich ihm und er forderte nur von ihnen naQccSovvai rag nöleig roTg
ini TOVTcp fTreXkofiivoig, xai naoeSöid'rjaccv ^vfinaGcci (Arr. I 24, 6).
Im weiteren giebt Arrian an, daß Nearch zum Satrapen über Lykien
und die daran grenzenden Landschaften bis zum Tauros bestellt worden
sei (Arr. III 6, 6). Daß der lykische Bund mit seinem Lykiarchen
blieb oder erneut wurde, ergeben Inschriften, die man unbedenklich
der Zeit der Diadochen zuweisen darf. Daß goldene wie silbierne Münzen
von Alexander und Philipp Arrhidaios mit der Bezeichnung AY, Tetra-
drachmen Alexanders wenigstens von der IV. Klasse, vorhanden sind,
scheint zu erweisen, daß der Bund der Lykier nicht als Staat, aber
doch als in inneren Angelegenheiten autonome Föderation fortbestand;
ob es eine Bedeutung oder welche es hat, daß nicht mehr das alte
Dreibein oder Vierbein als Wappen des Bundes auf den Münzen er-
scheint, vermag ich nicht zu beurteilen.
Noch unklarer sind die Verhältnisse Pamphyliens. Nach Arr. I 26
248 Zur Geschichte Alexanders des Großen
und 27 sollte man vermuten, daß Alexander dort ein anderes System
befolgte als bisher. Die Städte Aspendos, Side, Syllion u. s. w., die
ihres griechischen Ursprungs nicht mehr eingedenk waren und unter-
handelnd ihn zu tauschen versuchten, wurden angewiesen dem Satrapen
zu gehorchen, den er bestellen werde, und Tribut zu zahlen. Aber
Tetradrachmen mit Alexanders Gepräge von Aspendos (AI) Philomelion
(<t)) Syllion (IIA) findet L. Müller erst in der V. und VI. Klasse .und
zwar mit Jahreszahlen bis 31, 28, 33; und wenn autonome Tetra-
drachmen von Side von 17,02 bis 16,78 g, also nach dem Münzsystem
Alexanders, angeführt werden (die Citate bei Braudis S. 496) so vermag
ich nicht zu sagen, ob sie älter als die Münzen der V. und VI. Klasse sind.
Nicht aus den schriftlichen Überlieferungen, wohl aber aus den
erhaltenen Münzen läßt sich mit einiger Sicherheit entnehmen, daß das
für Pamphylien noch zweifelhafte andere System in dem städtereichen
Kilikien, in Syrien, an der phoinikischen Küste in Anwendung gekommen
ist. Mehr noch als die Alexandertetradrachmen dieser Gebiete, die
nach Müllers Ansicht sämtlich der IL III. IV. Klasse angehören, er-
hellt dies aus dem dritten Münzfunde von Saida.
Beim Umgraben eines Gartens nahe bei dem alten Sidon wurden
1863 über 3000 Stateren gefunden, von denen Weckbecker, [41] der
östreichische Generalkonsul dort, noch ehe der Fund zerstreut wurde,
1530 Stücke untersuchen und verzeichnen konnte (Bericht in Eggers
Numism. Zeit. 1865 II). Schon 1829 und 1852 waren in demselben
Garten bedeutende Münzfunde gemacht worden, namentlich der von
1852 wurde auf etwa 3000 Goldstücke Alexanders, einige Hundert mit
dem Namen Philipps II. angegeben, doch sind von beiden Fanden nur
einzelne Stücke in europäische Sammlungen gekommen. Unter den
1863 gefundenen, mit wenigen Ausnahmen Stateren Alexanders, waren
mehrere im palästinischen Ake geprägte mit den Jahresziffem 23 und
24; diese wie die zahlreichen von Sidon „noch rauh", sagt Weckbecker
in seinem Bericht, „wie sie eben vom Prägstock gekommen zu sein
schienen". Also waren sie wohl, ohne erst viel in Circulation gewesen
zu sein, und bald nach dem 24. Jahr der Aera Alexanders, nach der
in Ake gerechnet wurde, d. h. nach 310 vergraben worden. Außer den
Goldstücken Alexanders, die man nach ihren Beizeichen in den phoini-
kischen und in den Städten Makedoniens Thrakiens Thessaliens geprägt
erkannte, fanden sich unter den 1530 Stücken 2 von Alexanders Vater
Philipp, 2 von dem König Pnytagoras im kyprischen Salamis, femer
von autonomen Stadtmünzen 2 Stateren von Kios, 1 von Pantikapaion,
1 von Rhodos. Waddington, der außer dem Bericht Weckbeckers
auch den des Hrn. Peretie, des Kanzlers beim französischen Konsulat
Zur Geschichte Alexanders des Großen 249
in Beirut, benutzte (Revue numism. 1865 S. 1 ff.) zählt 7 Stateren von
Kios, 2 von Rhodos auf und fügt noch ein paar Münzen, die aus den
früheren Funden stammen, hinzu; namentlich einen Stater von Philippoi
in Makedonien von autonomen Gepräge, einen zweiten ebenfalls auto-
nomen, der durch das Palladien als nach Ilion gehörig zu erkennen
ist Es verdient angeführt zu werden, daß mehrere Stateren von
Philipp IIL Arrhidaios, die mit der Sanmilung von Prokesch in das
Berliner Münzkabinet gekommen sind und über deren Provenienz der
Sammler keine Notiz hinterlassen hat, ganz die charakteristische Rauhig-
keit der sidonischen Goldstücke dieses Fundes haben. Prokesch hat
in der 1859 herausgegebenen Schrift „Inedita meiner Sammlung" noch
keins von diesen Goldstücken angeführt, so daß es nahe liegt, auch
diese dem Funde von 1863 zuzuzählen. Der Umstand endlich, daß
sich in dem Funde von 1863 keine Königsstateren von Ptolemaios
Lysimachos Kassandros, keine von Antigonos fanden, der doch in Syrien
und Phoinikien Herr war, [42] macht es in hohem Maße wahrschein-
lich, daß der Schatz zu einer Zeit vergraben worden ist, da es solche
Königsmünzen noch nicht gab, d. h. vor der Schlacht bei Salamis 306,
infolge deren erst der Sieger, dann auch die Besiegten sich Könige
nannten. Demnach wäre dieser Schatz zwischen 310 und 306 vergraben.
Aus dem Thatbestand, den dieser Münzfund umschließt, ergeben
sich mehrfache Bestätigungen für das früher Gesagte. Namentlich
treten die beiden Systeme, nach denen sich die Städte in ihrem Ver-
hältnis zum Reich unterscheiden, deutlich hervor. Daß Philippoi in
Makedonien hier mit autonomen Stateren erscheint, bestätigt die Frei-
heit und Autonomie dieser innerhalb des makedonischen Gebietes von
Philipp II. begründeten Bergstadt, die man früher schon aus den Silber-
münzen derselben kannte, die nach rhodischem Fuß, d. h. vor 336,
geprägt sind. Wie diese Stadt, so gehören auch die Staaten des korin-
thischen Bundes, auch Byzanz und Rhodos, aucti die kleinasiatischen
Griechenstädte, die kyprischen unter ihren Königen zum Reich, aber
sie sind gleichsam reichsunmittelbar, d. h. sie stehen nicht unter den
Satrapen, den territorialen Reichsbeamten, auch dann nicht, wenn sie,
wie Rhodos, zeitweise makedonische Besatzung haben. Und andererseits,
auch die Städte Thessaliens und Makedoniens mit Ausnahme von Philip-
poi, unter dem königlichen Epimeleten, auch die Kilikiens, Phoinikiens
haben ihr selbständiges Gemeinwesen, zum Teil unter eigenen Königen
wie Sidon, aber sie sind den königlichen Satrapen untergeben, sie sind
gleichsam landsässige Städte. Es ist nur die Fortsetzung dieses Systems,
wenn die griechischen Städte der Kyrenaika, als Alexander nach dem Am-
monion zog, in die Bundesgenossenschaft Alexanders traten, <pMav xal
250 ^ur Geschichte Alexanders des Großen
(Tvnnaxi€iv aifvafnro :Todg avrov^ (Diod. XVII 49); und es mag als ihre
Leistunfe' für den Bnndeskrieg gegen die Perser angesehen werden dürfen,
wenn sie dem Könige 300 Kriegsrosse und fünf Viergespanne stellten.
Die technischen Ausdrücke für diese mannigfachen Rechtszustande
sind in unserer Überlieferung nicht so scharf und klar, daß man danach
das staatsrechtliche Verhältnis im einzelnen Fall feststellen könnte; von
den Lydem heißt es: roTg vöfiotg toT^ näkai AvS&v XQf}<^^€Si ÜSfoxi xai
ikBv&egovg Bivai ä(p7jxev ( Arr. 117, 4). Aber trotz der iKev&BQia stehen
sie unter einem Satrapen; und so entschieden den Städten loniens die
Autonomie gewährt wird, sie müssen sämtlich die Oligarchie aufgeben
und Demokratie [43] einfahren (Arr. I 18, 2). Aus der Anologie der
von den Bömem gemachten Institutionen wird man keine Schlüsse auf
die Zeit Alexanders machen, wohl aber auf Verhältnisse des ersten
attischen Seebundes hinweisen dürfen, in dem, wie schon jetzt die In-
schriften erkennen lassen, die Abhängigkeit der Bündner in den mannig-
faltigsten Formen entwickelt war.
IV.
Noch für eine andre Frage scheint der Münzfund von Saida einige
Auskunft zu geben, für die der Provinzialverwaltung im Reich Alexan-
ders, wie wir sie in der Einleitung bezeichneten.
Daß der Name Satrap in dem Reich Alexanders beibehalten worden
ist, steht jetzt auch urkundlich fest; so durch die Inschrift der Priester
von Pe und Tep (Lepsius, Zeitschr. für ägy pt Sprache IX 1871 S. l flF.),
in der Ptolemaios, der redend eingeführt wird, sich Satrap (x^qir^en)
nennt. Es fragt sich, ob Alexander mit dem Namen auch die Functionen
ließ, die den Satrapen im Perserreich zugestanden hatten, oder ob er eine
neue Organisation schuf, auf die nur der alte Name übertragen wurde.
Wenigstens einzelne Anführungen bei Arrian zeigen, daß Alexander
die Phorologie und das Militärkommando oft von der Satrapie trennte,
daß er in einzelnen Gebieten, z. B. in Ägypten, in dem Auseinander-
legen der Functionen der öffentlichen Gewalt noch weiter ging. In
der Art, wie die schon früher angeführten Oixovo^ixä das Wesen der
Satrapen Verwaltung, der königlichen und der der Politien gegenüber,
beschreiben, dürfte wohl nicht das persische System, sondern die von
Alexander eingeführte Competenz der Satrapen zu erkennen sein; es
werden für die sairapische Ökonomie als wesentliche Einnahmequellen
angeführt: die von dem Boden als die wichtigste, also die Grundsteuer,
die als Sexärij bezeichnet wird, dann die von den Bergwerken des
Landes, die von den Häfen, die Abgaben von den Erträgen des Ackers
und des Marktverkehrs, die von den Herden, endlich Kopfsteuer und
Zur Geschichte Alexanders des Grroßen 251
Gewerbesteuer; Münzrecht wird in dieser Keihe nicht erwähnt, sondern
nur in der königlichen Ökonomie.
Im Perserreich hatten nicht bloß Dynasten und tributpflichtige
Städte auch Geld geschlagen, und zwar Gold so gut wie Silber; [44]
sondern auch von den Satrapen des Reiches giebt es zahlreiche Münzen,
von Pixodaros und einem ungenannten ausLampsakos auch goldene; und
daß die Satrapen nicht erst mit dem Verfall der königlichen Autorität
sich das Münzrecht angemaßt haben, zeigt die bekannte Angabe des
Herod. IV 166, daß Dareios, der eigentliche Begründer des persischen
Verwaltungsorganismus, den ägyptischen Satrapen Aryandes hinrichten
ließ, nicht weil er Silbergeld schlug, sondern weil er es feiner aus-
brachte als die königlichen Münzstätten, worin der König Empörungs-
gelüste des Satrapen zu erkennen glaubte.
Aus Alexanders Zeit findet sich nicht die geringste Spur von Münzen
seiner Satrapen. Man wird annehmen dürfen, daß er entweder in seinen
Städten, unter Verantwortung der städtischen und vielleicht königlicher
Beamten, oder durch seine Schatzmeister Harp^los, Philoxenos u. s. w.,
gewiß oft genug in seinem Hof- und Feldlager prägen ließ. Wir sahen
bereits, daß sich in dem Schatz von Saida, der nach dem Jahre 310
vergraben worden ist, auch nicht eine Satrapenmünze fand. Wie heftig
vom Tode Alexanders an die Großen des Reiches gegen einander ringen,
wie schwach Philipp Arrhidaios und der junge Alexander als Könige
sein mochten, die Autorität und Einheit des Reichs, von den Reichs-
verwesem vertreten, war der Rechtstitel, mit dem nacheinander Per-
dikkas und Eumenes, Antipatros, Polysperchon, Antigenes dem Ehrgeiz
der Satrapen und anderer territorialer Beamtungen entgegen traten;
ein Rechtstitel immer noch von hinlänglicher Bedeutung, um denselben
wenigstens die formelle Beschränkung auf ihre amtliche Competenz
ratsam erscheinen zu lassen. Selbst als der junge Alexander durch
Kassandros 311 ermordet und damit das legitime Königsgeschlecht
erloschen war, wagte keiner der Großen auszusprechen, daß nun das
Alexanderreich ein Ende habe; man fuhr fort, wie ägyptische Documente
zeigen, nach den Jahren des jungen Alexander zu datieren, der schon
tot war; man fahr fort Münzen auf seinen oder Philipps IIL oder des
großen Alexander Namen zu prägen, wenn auch in bescheidenen Bei-
zeichen, wie immer schon die Städte gethan hatten, nun auch die
mächtigeren Satrapen zeigten, daß sie die prägenden seien. So Lysima-
chos mit dem Vorderteil eines Löwen und AY (L. Müller, Münzen
des Lys. No. 1—36), so Seleukos mit dem Anker (L. Müller, Num. d'Alex.
No. 1355—1358, 1491—1514), soPtolemaios vielleicht mit dem Widder-
kopf [45] des Chnubis (No. 1515—1517), mit dem Isiskopf (No. 1518),
252 Zur Geschichte Alexanders des Grroß^en
sicherer mit dem Adler, der auf dem Blitz steht (so auf seinen Groß-
stücken mit der Athene Promachos und dem Alexanderkop^ der mit der
Elefantenhaut bedeckt ist). Erst als Antigonos der Reichsverweser über
den Satrapen von Ägypten, der sich in den Besitz von Kypros gesetzt
hatte, an der Küste der Insel bei Salamis den glänzendsten Sieg
gewonnen hatte und nun das Diadem des Reiches und den Königs-
titel annahm, folgten die Gegner des Siegers, zuerst wohl Kassandros
und Lysimachos, dann auch .Seleukos und Ptolemaios selbst dem ge-
gebenen Beispiel. Das galt dem Antigonos als Usurpation und in
neuen Kämpfen versuchte er dieselbe niederzuwerfen. Erst als er in
der Schlacht bei Ipsos den Sieg und das Leben verlor, hatte das Reich
Alexanders ein Ende.
Dieser charakteristische Gang der Entwickelung erklärt zugleich
die Thatsache, daß von keinem der zahlreichen anderen Satrapen der
Lande bis zum Indus und Jaxartes nach Alexanders Tod Münzen vor-
handen sind; der Name des Reiches hielt so lange, bis die Teilfürsten
Seleukos im oberen Asien, Ptolemaios in Ägypten, Lysimachos und
Kassandros in Europa so weit erstarkt waren, die Autorität, die das
einige Reich gehabt hatte, für ihr Diadem {djfravst xiva ßamX^iav
SoQixrrjTov, Diod. XIX 105, 3) geltend zu machen und sie gegen die
Satrapen und Strategen in ihrem Machtbereich aufrecht zu erhalten.
Es ist bekannt, daß demnächst in dem Reich der Lagiden ein
anderes Münzsystem eingeführt worden ist, das im wesentlichen auf
den alten Münzfuß der phoinikischen Städte zurückging. Die oben
angeführte Tetradrachme mit der Athene Promachos und dem Ale-
xanderkopf mit Elefantenhaut und Ammonshorn hat nicht mehr das
Gewicht der Tetradrachmen Alexanders 17,05 — 17,20 g, sondern nur
15,52 g, eine Tetradrachme mit HTOAEMAIOY IQTHPOI, die man
wegen des K9 im Felde dem Jahre 29 der philippischen Aera (295)
zugeschrieben hat, wiegt 14,2 g, eine andere, die für tyrisch gilt, mit
niOAEMAlOY BAIIAEQI 14,25 g. Wäre die Zuteilung dieser und
ähnlicher Münzen an Ptolemäos 1. sicherer, als sie ist, so würde man
erkennen können, ob er erst als König und wann einen neuen Münzfuß
in seinen Landen eingeführt hat
X.
Die Festzeit der Nemeen.
Hermes XIV 1879 S. 1—24.
[1] In der Geschichte der Diadochen und Epigonen würden einige
Thatsachen chronologisch schärfer bestimmt werden können, als nach
der Überlieferung der Historiker möglich ist, wenn die Festzeit der
Nemeen feststände.
Bei der Unzulänglichkeit der direkten chronologischen Angaben
über das Fest ist man genötigt zu versuchen, ob sich dessen Zeit aus
der Chronologie derjenigen historischen Thatsachen, in deren Zusammen-
hang Nemeen erwähnt werden, fixieren läßt.
Der Zweck der folgenden Untersuchung, die oft genug recht
mikrologisch sein wird, ist nur festzustellen, wie weit nach unseren
Mat-erialien exakter weise auf jene Frage zu antworten m-jglich ist.
L Von direkten chronologischen und anderen Angaben, die für
unsem Zweck geeignet sind, liegen folgende vor.
Die Scholien zu Pindar S. 426 ed. Böckh sagen von dem nemeischen
Agon: xal itm xQuri}'^ raloiffievog firjvl Ilavrjfia) iß". Der Panemos
nach welchem Kalender, ist nicht angegeben.
Nach der Bezeichnung rptsriig sollte man glauben, daß das Fest
ein Jahr um das andere in demselben Monat gefeiert wurde, iv Isqq-
fifjvi^ NfifudSi wie Pind. Nem. III 2 sagt. Aber in der Charakteristik
der vier großen Agone bezeichnet der Dichter die Isthmien mit dem
Ausdruck TavQ0(p6vq) xQtBxriQiSi und läßt darauf die Nemeen folgen,
„die mit dem Laube des Löwen kränzen'^ {liovto(; ßorav^\ als wenn
trieterisch zu sein das die Isthmien Unterscheidende wäre. Ist es in
diesem Sinne, daß Ausonius in den beiden letzten Eklogen die Nemeen
254 t>ie Pestzeit der Nemeen
quienquennia sacra nennt? [2] oder wird man nicht mehr daraut geben
dürfen, als wenn Plinius (H. N. IV 19 ed. Detl. und nach ihm Solinus
VII 14) anch die Isthmien als qoinquennalisch bezeichnet?
Wenn der Scholiast zur Einleitung von NeoL X angiebt, daß der
Pentathlos mit der dreizehnten Nemeade eingeführt sei und in der
vierzehnten nQ&xo^ 6 2:(OGiyivi}^ Aiytviixcjv den penthatlischen Sieg
in Nemea errungen habe, so wird sich daraus für die vorliegende Frage
wohl nichts entnehmen lassen, zumal da Leopold Schmidts Vermutung,
daß dieser Angabe eine autoschediastische Combination zu Grunde
liegt, die Schwierigkeiten beseitigt, welche aus dieser wirren Angabe
erwachsen.
Von Bedeutung könnte es sein, daß zweierlei Kranze als Preis der
Nemeen erwähnt werden. In der Weihinschrift C. I. Gr. I 234 steht
der Name der Isthmien in einem Fichtenkranz, der der Panathenaien
in einem Olivenkranz, der der Heraien (E£ APfOYI AZT7II) auf
einem Schilde, der der Nemeen in einem Eichenkranz. Und eben so
wie der Eichenkranz auf den Zeuscult, wird von Eckhel I 2 S. 288
die Antoninsmünze, die den Pfau und HPAIA, den Adler und NEMEIA
hat, gedeutet. Andererseits wird in dem Epigramm des Archias (viel-
leicht des aus Ciceros Zeit) über die vier großen Agone, das Ausonius
in seiner viertletzten Ekloge lateinisch wiedergiebt, der Eppich für die
Nemeen angeführt-; nicht minder nennt Plinius H. N. XIX 158 cqnum,
— honos in Achaia ooronare vidores sacri certaminis Nemeae\ und die
UovTOQ ßoräva Pindars wird wohl dasselbe Gewächs sein. Daß es zu
Pindars Zeit auch für die Isthmien als Preis gegeben wurde, zeigt
der Schluß von Lsth. VII 68 6\,' 'I(T&fiiov av vdnog Aoagiiov &jxx^v
Gtkiv(üv. Der Scholiast zur Einleitung in die Nemeen S. 426 und
besser der zu Olymp. XIII 43 S. 274 sagt: daß in den Isthmien trockner
Eppich {^7j()6v), in den Nemeen grüner (/Ao>pdi/) der Siegespreis ge-
wesen sei; eine wunderliche Angabe, wenn es auch Wlntememeen gab
und wenn die Isthmien, wie wohl mit Recht angenommen wird, in
den späten Frühling tallen. Denn der irische Eppich kommt mit den
Veilchen und Rosen auf den Markt, wie sich aus dem bekannten nov
fioi xä QÖSuj nov fxoi tu la u. s. w. ergiebt. Freilich hatte man
frischen Eppich, so konnte man ihn zu den Isthmien, wenn der heilige
Brauch ihn trocken haben wollte, abgeschnitten liegen lassen bis er
welk war; und die Winternemeen betreflFend, — es ist ja wohl denkbar,
daß schon [3] die Griechen ihr aikivov (nicht petroselinum, sondern
Sellerie, wie das Blatt auf den Münzen von Selinus zeigt), so wie es
unsere Hausfrauen thun, im nassen Sande bis in den Januar und
Februar grün zu halten verstanden haben ; ja nach A. Mommsen (Griech.
Die Festzeit der Nemeen 255
Jahreszeiten I S. 56) gehört noch jetzt in Griechenland die Sellerie zu
den „Herbst- und Wintergemüsen, die durch Nachsäen und Nachbau
zu verschiedenen Zeiten bis zum Mai dauern". Ungleich wunderhcher
scheint es, daß Pindar Nem. IV 88 dem schon am Acheron weilenden
Schatten des Kallikles zuruft, wie er einst in Poseidons Agon &üX7](tb
Kooiv&iotg asXivoig, Unsere Pindarscholien sind nicht der Art, daß
man auf Grund ihrer Lehre vom grünen und trocknen Eppich dem
im Ausdruck feierlichsten aller Dichter dies abgeschmackte Oxymoron
„im trocknen Eppich grünen" zuschreiben dürfte.
Von Winternemeen spricht nur Pausanias, aber an zwei Stellen.
In der ersten (1115,2) beschreibt er die zwei Wege von Kleonai nach
Argos: der eine führt durch einen Paß, wo die Höhle „des Löwen"
gezeigt wird und 15 Stadien davon i] Nsfiea rö ;^fo(>/oi', mit dem nicht
eben wohl gehaltenen Tempel des nemeischen Zeus, und um den Tempel
der Cypressenhain, wo [ivTavß-a) der kleine Opheltes, von der Amme
ins Gras gelegt, von dem Drachen getötet sein solle; er fährt (§ 3)
fort: &vovai äi !A(}yeToi r(p Ail xcu kv t?/ Nt^iia xal Nefieiov Aioq
iegea otiQovvTatj xal Ötj xal S^öfiov nQOTt&earrtv dycDva ävögämv
fbnhfjfjLivoiQ Ne^Bicov navrjyv^Bi r&v ;jf6/jW€(;/i/(Dx'* kvTavOa cVtti pikv
Vtpikrov Td(po<i u. s. w. In der zweiten Stelle IV 16, 4 wird von dem
Eleier Aristeides gesprochen, der mehrfach gesiegt habe, auch JVefjieiojv
hv naialv knl rw innitp {d^öfi(p)* S^öfiov Si dm tov Inniov fifjxog fiiv
öiavXoi SifO' heket(p&evTa öi ix IVefieiojv t€ xal 'Iff&fjLicov avxbv ßacri-
kevg läSQiavoq iq ß/^sfieicov dycjva tcjv /6i^B()ivüjv ccnaSojxev 'Agy^iotq.
Aus diesen beiden Stellen hat Unger (Phil. 1876 S. 74 und 1878
S. 574) eine Ansicht, die schon Eckhel D. N. I 2 S. 288 angedeutet
hatte, scharfsinnig weiter entwickelt. Er findet in Pausanias Worten aus-
gesprochen, daß der Kaiser Hadrian, von dem auch sonst mannigfache
Feste und Agone in den hellenischen Landen hergestellt oder begründet
worden sind, neben den weiter bestehenden alten Nemeen in Nemea
diese winterlichen in Argos gestiftet habe; er übersetzt demnach die
angeführte erste Stelle [4] des Pausanias: „es opfern aber die Argeier
dem Zeus sowohl in Nemea, als auch wählen sie einen Priester des
nemeischen Zeus (in Argos), ja sie veranstalten auch einen Wettkampf
gewappneter Männer an den W^intememeen". Er hebt hervor, daß
Pausanias selbst II 20, 3 das Uqov NB^Ltlov Jiög in Argos und II 24, 2
das Stadion erwähnt, iv cL tov äy&va to5 Ne^iico Ail xal rä 'Hoata
äyovmv.
Es sind drei Fälle möglich: entweder Hadrian hat die Nemeen
überhaupt aus Nemea nach Argos verlegt, oder einen der zwei alten
Agone, den winterlichen, in Argos feiern lassen, oder zu den alten
256 I^ie Fest zeit der Nemeen
beiden Festen in Nemea neue winterliche in Argos gegründet Es
mag gestattet sein, die einzelnen Momente, die zwischen diesen drei
Fällen entscheiden, anzuführen.
Kaiser Julian ep. XXXV spricht von der Ungerechtigkeit der
Korinthier, die seit sieben Jahren zu ihren Tierkämpfen von den andern
Städten in Hellas Beisteuer fordern trotz der AteÜe, die den Eleiem,
Delphiern, Argeiern für die großen Festspiele, die sie herzustellen haben,
gewährt ist; besonders Argos treflfe es hart: denn die Eleier und Del-
phier Siä Tfjg Tiokvfl QvXX7]T0V nevT(/6Ti]QiSog äna^ kniTskaiv eioLf&aai'
Strra Se iari JVifiea nuQä toiy; lAgyiioi^ xa&ünsQ ^lad-fiiu nagä
KoQiV&ioiii' kv fiivTOi Tovrw rd) XQ^^^ *^^ ^^o ngöxBtvrai nagu
Tolg Id^ysioig ccycüvsg i^rsoot oiäa, (oars stvai xiGaaQug navrag ivtcev-
Toiq Ti(T(Ta()fTiv. Daß Argos deren im dritten christlichen Jahrhundert,
fünf feierte, lehrt die Inschrift der Stadt Argos zu Ehren des T. Statilius
Timocrates C. I.Gr. I 1124, der da u.a. bezeichnet wird als äycovoi^irti^
'H^aicüv xui N%(iai(üV xai JS^ßarmicov xai /Vefieicov xai 'Avxivotimv
kv AQyti xai !AvTtvoBi(ov iv Mavnveia u. s. w. Also in der Pentaeteris
zweimal Nemeen, nicht noch dritte, jene winterlichen.
Femer: Pausanias beschreibt in der ersten Stelle den Weg Ton
Kleonai nach Argos; er erwähnt bei Nemea den Tempel und die Stelle
wo der kleine Opheltes umgekommen (§ 2); wollte er mit &vovgi dt
{§ 3 Zeile 1) Dinge, die in die Stadt Argos gehören, namentlich die
Agone und die Panegjris, beifügen, so würde man das § 3 Zeile 5
mit ivTuv&a fiev angeführte Grab des Opheltes natürlich auch in der
Stadt suchen müssen; aber daß dies so wie die weiteren Merkwürdig-
keiten in § 3, die Steinummauerung, dio Altäre in ihr, das Grab von
Opheltes Vater, die [5] Quelle Adrasteia u. s. w. nicht in der Stadt,
sondern in Nemea liegen, versteht sich von selbst und ergiebt sich
auch aus dem Schluß des § 3 xai ö{)o<i '4ni(Taq k^Ttv vniQ ri^v Na^iav,
Also wird der entscheidende Satz ß'vovm de u. s. w. wohl nur weiteres
über Nemea und die dortige Feier angeben sollen: „geopfert wird von
den Argeiem dem Zeus auch in Nemea" u. s. w.
Ferner: wenn Pausanias die Bezeichnung TVe/^e/a /c/ft€(>ff/c^ braucht,
so hat er im Sinn, daß es ihnen gegenüber andere, nicht winterliche
Nemeen giebt. Mögen Nemeen auch in Megara, in Aitna, in der Stadt
Argos, auch mit Agonen gefeiert werden, die eigentlichen Nemeen sind
nur die beiden in Nemea. Und wenn Pausanias in der Beschreibung
dieses Lokals von winterlichen Nemeen spricht, so sind es eben nicht
die, welche er II 26, 2 das Stadion in der Stadt Argos erwähnend an-
führt; Iv <p Tov ccy&va rrp Ne/neiq) Ail xai rä 'Hgaia äyovai, sagt
er, nicht rä Nkfxuu tu /6/jU€(>/i'öf xai rä 'Iloata,
Die Festzeit der Nemeen 257
Ferner : die Argeier haben auch ein Heiligtum des Zeus Meilichios
(II 20, 1), einen Altar des Zeus Phyxios (II 21, 2), des Zeus Hyetios
(II 19, 8), einen Tempel des Zeus Nemeios (U 20, 3); darum sagt
Pausanias von Nemeia sprechend: „es opfern die Argeier dem Zeus
auch in Nemea und wählen einen Priester des nemeischen Zeus^' —
vielleicht nur für das Fest, denn in Pausanias Zeit ist der Tempel in
Nemea nicht mehr so im stände, daß man da an ein dauerndes Priester-
tum und dessen Fürsorge denken könnte: xavB^pvfjxBi tb 6 ÖQotpog
xal äyaXfia ovSiv hi iXBinBTO (II 15, 2). £s mag daran erinnert
werden, dafi die Competenzverhältnisse in betreff der nemeischen Feier
streitig oder wechselnd gewesen sind; Pindar (Nem. IV 7 KXBmvaiov
ccn äyßvog und X 42 KXBtavaimv ngdg AvSq&v) zeigt, daß zu seiner
Zeit Eleonai das Fest hatte; und daß in Aratos Zeit Kleonai und Argos
um die Feier stritten, ergiebt Plut. Arat. 25.
Endlich: in der zweiten Stelle, in der Pausanias diö Wintememeen
nennt, sagt er, das Epigramm des Aristeides erwähne dessen Sieg in
Olympia (ßjrAoi;), in Delphoi [SiavXov)^ in Nemea (ncciaiv knl T<p
Inniq))] er fügt hinzu, daß das Wettrennen, welches in den Isthmien
und Nemeen in Abgang gekommen sei, von Kaiser Hadrian den Ar-
geiem wiedergegeben sei ig NB/ABtatv äy&va rcor ;^e/jU6(>if^d)f^, — und
nicht ig Nifuia hv '!AQyBij könnte man hinzufügen, wenn nicht dieser
Ausdruck ungenau auch von [6] den Nemeen in Nemea gebraucht
würde, so C. I. A. III 129, einem Verzeichnis von Siegen des Valerius
Eclectus: VXvfAnta kv JlBiaj] ß'^ Ilv&ia kv ABkcpoig /?', NifiBia iv
^'Aqybi / u. s. w.
Sind diese Bemerkungen richtig, so wurden noch in Pausanias
Zeit — um Ol. 240 — die Nemeen in Nemea trieterisch gefeiert, und
zwar von den Argeiern, das eine Fest im Winter, das andere in einer
anderen Jahreszeit; für jene war das außer Brauch gekommene Wagen-
rennen durch Kaiser Hadrian wieder hergestellt, — etwa durch Ge-
währung von Geldmitteln für die nötige Stallung, für Futter u. s. w.
Auch in der Stadt Argos gab es ein Heiligtum des nemeischen Zeus,
dem pentaeterische Agonen gefeiert wurden; ob erst seit Hadrian, ob
schon vor ihm, ist nicht mehr zu ersehen. Ob die ^BßdtnBiu in
C. I. Gr. 1124 eben diese Agonen oder andere sind, muß dahingestellt
bleiben.
Vielleicht erhält die dargelegte Auffassung eine Stütze durch die
Siegesinschrift des Aurelius Septimus Irenäus (C. I. Gr. UI 4472), in
der, wie die Erklärer derselben ausführen, erst die Ehrenpreise, dann
die Geldpreise, die er gewonnen, aufgeführt werden;' die erste Beihe
schließt mit den Worten xccl i^ycovitrüfiriv knl x6v ari(pccvov &vSq&v
DroTsen, Kl. Schriften IL 17
258 l^ie Festzeit der Nemeen
nvyfirjv Tfjg ä^x^'^^ negiöSov ^eßdafiia JVifiia rp npo tqi&v Ka-
Xavdcdv lavovccQicjv knl rfls TtsvraBTfjQiSog MetTiräX^ xccl Saßeiiftp
vnäroig. Abgesehen von den vielfachen Schwierigkeiten in diesen
Worten, ist soviel klar, daß hier die Nemeen „Kaiserliche", vielleicht
dem Hadrian zu Ehren, genannt sind und zwar als rfjg äqx^^^^ nagiö-
Sov. Eine bekannte Stelle des Festus sagt: in gymnids certammibus
perihodon vicisse dicüttr qui Pythia Isthmia Nemea Olympia nicit a oircuni-
itu eorum apectaouhrum. Unsere Inschrift selbst lehrt, daß dann auch
jüngere Feste als Periodos zusammengefaßt worden sind; aber wenn
die Nemeen hier ausdrücklich t^§ dpxf^^^^ nsQiöSov heißen, so sind
sie, auch mit dem privilegierten Titel „Kaiserliche", wohl das alte Fest
in dem engen Thal von Nemea.
Von großem Interesse wäre die Datierung dieser Inschrift, wenn
sie sich sicher erklären ließe. Francke (Griechische Inschriften gesammelt
von 0. Fr. v. Richter S. 1 75) wollte aus dem Eni . HI HENTAETHRI AOZ,
wie Richter aufgezeichnet hatte, lesen knl fAf](/ TtevTaBTtjQiSog. Franz
gab nach Chandler und Hauteroche ^tcI rfjg und bemerkte erläuternd:
es bedeute in solemnibus iis quae acta sunt Messala et Sabino eass. Das
Jahr dieser Consuln [7] ist 967 der Stadt, 214 n.Chr., nach hergebrachter
Rechnung OL 248 2. Wenigstens so viel scheint man aus den Worten ^/öj-
vtaäfi7}v . . Niyna rrj ngö r&v xQt&v KahxvS&v'IuvovaQioiv entnehmen
zu dürfen, daß der Tag dieses Wettkampfes der 30. Dezember 214 war.
Eine andere Zeit der Winternemeen ergab sich, wie man glaubte,
mit Sicherheit aus dem Fragment des pindarischen Dithyrambos (fr. 46
bei Bergk): hv lAgysi^ IVsfiifc fAävnv ov kav&üvei (poivixog i^gvo^
u. s. w., wie denn auf Grund dieser Stelle noch Epigonen n^ 2 S, 37
das Fest „etwa dem Februar*' zugeschrieben ist Es war mir Useners
Nachweis (Rhein. Mus. 1868 S. 148) entgangen, daß diese Worte hand-
schriftlich nicht sicher, daß sie emendiert sind aus ägyiavefABco, daß die
beiden besten Handschriften des Dionys de comp. verb. c. 22 geben: ev
akyea rsfietoi und ävagyia vsfiicji. Usener schreibt demnach kvctQyiu
tbUoov aüficcT oi Xav&dvBi u. s. w., so daß von Nemeen hier nicht
mehr die Rede ist.
Endlich die Zeit des anderen Nemeenfestes. Sie zu bestimmen haben
wir die Angabe des Scholiasten zu Pindar S. 426: l^ari rp/cr^s {6 äy^v).
TsXovfiBvog fjLfjvl ITav^fup SoDSexürtj, Unger sagt: „hätte es zweierlei
durch ungleiche Intervalle geschiedene Epochen ihrer Festzeit, eine
sommerliche und eine winterliche gegeben, so würde unser locus dassicus
wohl nicht schlechtweg rguri^g geben, und jedenfalls müßte er zwei Mo-
nate statt des einzigen Panemos nennen". Sehr richtig, nur wird man
aus dem, was dieser Scholiast nicht sagt, nicht Schlüsse machen dürfen.
Die Festzeit der Nemeen 259
Und wie natürlich es scheinen mag, daß ein trieterisches Fest in
dem gleichen Monat jedes dritten Jahres gefeiert sein wird, die aus-
drückliche Bezeugung des Gegenteils — wenn Pausanias Angahe eine
solche ist — wird man eben hinnehmen müssen, auch wenn das Motiv
dieser zweierlei Feier sich nicht mehr nachweisen läßt.
Was aber ist mit der Angabe „der 12. Panemos" gesagt? Der
Schoüast zu Ol. VII 147 S. 179 (bei Tycho MommsenScholiaGerm.lS61),
dem Festlied für den Rhodier Diagoras, giebt zu den rhodischen Tlepo-
lemien (Halien) die Bemerkung: TsksTrai 8i inl fifjvog roQniuiov xb'
^jtiipf^, äiiix^i 8i x&v JVefjbicav TjfUgag ^. Wenn Böckh aus dieser
Stelle schloß, daß der Gorpiaios ein rhodischer Monat gewesen sei, so
hat sich unter den sehr [8] zahlreichen Henkelinschriften aus Rhodos (bei
Franz C. I. Gr. III S. V), aus denen sich die zwölf rhodischen Monate
ergeben, der Name des Gorpiaios nicht gefunden. Beide Monate, Panemos
und Gorpiaios, hat nur der makedonische und hellenistische Kalender
(K. F. Hermann Griechische Monatskunde S. 104 und 119) und zwar so,
daß zwischen ihnen der Loos ist. Wenn in dem Kalender von Seleukia
in Pierien (bei Ideler I S. 433) unmittelbar auf Gorpiaios-Oktober der
Panemos-November folgt, so wird man beachten müssen, was Ideler
bemerkt: „es ist zweifelhaft, in wie weit man sich auf diesen Kalender
verlassen könne, da er sich bloß in der Lejdener Handschrift findet^;
es fehlen ihm die Monate Februar, Juni, Juli. Eine dritte Angabe über
die Zeit der Nemeen findet sich in dem Scholion zu Pindar, das Tycho
Mommsen in dem Frankfurter Programm von 1867 veröffentlicht hat
wie ich aus TJngers Angabe (Philol. 1876 S. 64) entnehme: ^yero 8h [rä
Nkfi%a) fifjvl Ilccv^fjup irj', 8g kaxtv lovkiog. Auch diese Angabe könnte
wie die über den Gorpiaios aus besserer Zeit stammen; leider hat Lehrs
derartige Spuren in den Pindarscholien nicht verfolgt. Die Gleichsetzung
des Panemos mit dem julianischen Juli führt auf den Kalender von
Antiochien (Ideler I S. 430), und von dem dortigen 12. Panemos bis zum
24. Gorpiaios sind 74 Tage, so daß den verdorbenen Zahlen in dem oben
angeführten Scholion mit der einfachsten Emendation b^ statt f^ (€<)
nicht geholfen wäre; man müßte zugleich i8' statt x8' schreiben. Daß
die Notiz über die Monate der Olympien Schol. Pind. Ol. III 35 S. 98 auf
einen anderen Kalender zurückführt, mag hier wenigstens erwähnt werden.
So weit die direkten Angaben über die Zeit der Nemeen. Sie sind
weit entfernt ein sicheres Resultat zu ergeben. Es fragt sich, ob in-
direkte Zeugnisse weiter führen, namentlich ob sie den Wechsel von
Winter- und Sommememeen bestätigen, und ob sie die olympiadischen
Jahre, in denen die einen und andern gefeiert worden sind, feststellen.
17-
260 I>ie Festieit der ^
II. Es giebt nicht eben zahlreiche lalle, in denen die Xemeen
im Znsanunenhange anderer Ereignisse oder Vorgänge, die chronolo-
gischen Anhalt gewähren, erwähnt werden; unter den nemeischen
Siegen, die Pindar feiert, ist keiner, dessen Jahr mit genügender
Sicherheit bestimmt werden kann.
[9] 1. Einen ersten Anhalt giebt die Angabe des Poljbios V 101, 6,
daß König Philipp die Nachricht Ton der Schlacht am trasimenischen
See durch einen aus Makedonien ihm gesandten Boten bei der Feier
der Nemeen erhielt Wie lange Zeit die Botschaft brauchte, wissen
wir nicht; sagen wir sechs Wochen. Wenn Alex. Biese, wie ich glaube
mit Becht, Ovid. Fast VI 763 guifUm ab extremo mense erü tue dies
mit Cod. V statt quarttis ab exiremo mense bis iUe dies schreibt und
V. 763 — 770 demgemäß nach V. 794 einschaltet, so ist der Tag der
Schlacht der römische 27. Juni (V Kai. JuL, nicht IX Kai. JuL). Die
julianische Zeit ist nach Monunsens Ausdruck „etwa im April 217K
Man würde sie aus dem Synchronismus der achäischen Vorgänge, wie
sie Polybios erzählt, genauer bestimmen können, wenn der achäische
Strateg dieses Jahres, Aratos der Vater, sein Amt in der regelmäßigen
Zeit 11. Mai angetreten hätte; aber nach Polybios V 30, 7 hat sein Vor-
gänger Eperatos vor beendetem Amtsjahr abtreten müssen und Arata<;
ist Tfls d-6QBiag iva()zopLiv7jg ihm gefolgt Wenn nach liv. XXII 32, 1
der Dictator, der nach jener Niederlage ernannt war, die Consuln be-
rufen läßt, ut eocercitus ab se exacto tarn prape semestri imperio oooiperenL,
wenn sie daan kommen und exercitu accepto hdbemaeulis mature com-
munitis — extremum autumni erat — Fhbii artibus den Krieg weiter-
führen, so müßte als eactremum autumni schon der Ausgang des julia-
nischen Oktobers gerechnet werden, wenn die trasimenische Schlacht
noch in den April gefallen sein sollte; das Schema bei Mommsen B. Chr.
S. 62 giebt den julianischen 10. Nov. als Wintersanfang. Die Schlacht
fiel nach Polybios V 101, 3 in die Zeit, als König Philipp das thessalische
Theben belagerte; er hatte während des Winters in Thessalien die zur
Belagerung nötigen Geschütze, 160 Katapulten u. s. w. bauen lassen
(V 99, 7). Polybios führt die Einzelnheiten dieser Belagerung an; nach-
dem die Stadt sich ergeben hat, die Bürgerschaft aufgelöst, in die Stadt
eine makedonische Kolonie gelegt ist, führt Philipp seine Flotte durch
den Euripus nach Kenchreai, schickt die großen Schiffe weiter, die Pelo-
ponnes zu umschiffen und nach Lechaion zu kommen, während die
die kleineren auf der Holzbahn über den Isthmos geführt werden; er
selbst begiebt sich nach Nemea zu den Spielen. Man sieht^ es liegt
zwischen dem Fall von Theben und den nemeischen Spielen einige
Zeit, eine noch etwas längere zwischen dieser und der trasimenischen
Die Fefstzeit der Nemeen 261
Schlacht. Fiel diese in [10] die ersten Tage des Mai, Fabius Ernennung
zum Dictator drei Tage darauf (Polyb. VII 86, 6, rgiraloq war die
Nachricht der Niederlage in Rom), so wurden die Nemeen im Juni
oder Anfang Juli gefeiert, also auf der Scheide von Ol. 140 3/4 ^
2. Auf eine zweite Datierung führt Demosthenes Bede gegen
Meidias, die, wenn man Schäfers Erörterungen gelten läßt, im Herbst
Ol. 107 4 geschrieben ist. Und wenigstens der urkundliche Einwand,
den Hartel (Demosth. Antrage in Comm. phil. in Mommsenii honorem
S. 533) dagegen geltend macht, scheint nicht zwingend, da Köhlers
Ergänzung im C. I. A. II 105 inl QüXXov äo^ovrog nicht unbedenklich
ist; es könnte in der Überschrift des Psephisma, die nicht völlig regel-
mäßig geschrieben ist, auch inl QovSri^ov uQ/ovrog auf dem Stein
gestanden haben; und in dem, was von dem Inhalt der Inschrift noch
erkennbar ist, scheint nichts zu liegen, was den Beschluß in Ol. 106 4
zu setzen hinderte. Andere Bedenken, die sich gegen Schäfers Ansetzung
erheben lassen, führen zu keinem positiven Resultat, das besser begründet
wäre. Läßt man also für die Zeit der Midiana den Herbst Ol. 107 4
gelten, so war Demosthenes in den Dionysien Ol. 107 2 Frühling 350
von Meidias geschlagen, er hatte nach der Probole, die gleich darauf
folgte, mehrere Erbietungen des Gegners zu gütlicher Beilegung des
Handels im Lauf des Jahres des Archon ApoUodoros Ol. 107 3 zurück-
gewiesen, er war für das folgende Jahr, das des Kallimachos Ol. 107 4
zum Buleuten gelost. Wenn er (§11 4) anführt, Meidias habe es ruhig
geschehen lassen, daß er das Opfer zum Beginn der neuen Bule ge-
bracht, daß er die Architheorie nach Nemea geführt habe, daß er zum
Hieropoios für die Semnen bestellt worden sei, so ergiebt sich daraus,
daß in diesem attischen Jahr Ol. 107 4, und zwar in dem Anfang
desselben, Nemeen gefeiert worden seien.
3. Auf ein gleiches Ergebnis führen die Nemeen, von denen*
Liv. XXVII 30 und 31 spricht. Indem Livius C. 35 die in dem darauf
folgenden Herbst geschehene Wahl der Magistrate für das nächste Jahr
anführt und zugleich erwähnt, daß in dem beginnenden römischen
Jahre die Feier der Olympien (Ol. 143 1 etwa [11] Juli 208) bevor-
steht (quod Olympiae hidienim ea aestate futurum eratjj zu der T. Manlius
sich zu begeben beauftragt wird, so hat König Philipp die Feier dieser
Nemeen — cv/ratione Heraeorum Nemeorumque suffragiis populi ad eum
^ Es mag gestattet sein, wie hergebracht, 80 zu rechnen, als ob die olym-
piadischen Jahre sich mit den attischen decken; wenigstens ungefähr ist dies
richtig, wenn auch gelegentlich einmal die Olympien sich bis in den attischen
Metageitnion verschieben konnten.
262 l^ie Festzeit der Nemeen
delaia — im Laufe des Jahres 209 gehalten und zwar^ wie man aus
den von Livius angeführten militärischen Actionen vorher und nachher
sieht, etwa in der Mitte des Jahres, d. h. entweder in den letzten Tagen
01. 142 8 oder den ersten yon Ol. 142 4.
4. Daß die Nemeen, die der Schlacht von Sellasia folgten, der
gleichen Sommerzeit, dem Anfang von Ol. 139 4, angehören ist Epig. 11^
2, 152 nachgewiesen.
5. Wenn Philopoimen in seiner zweiten Strategie {oi ndlai xi,v
kf MavTivBicc fiäxfjv vBvtxf3X(Ag Plut. Philop. 11) die Nemeen feiert, so
fallen sie, da diese Schlacht im achten Monat seiner Strategie, also
zwischen 11. Dezember 206 und 10. Januar 205 OL 143 3(?) geschlagen
worden ist, wie die bisher erwähnten, auf die Confinien eines dritten
und vierten Olympiadenjahres.
Nicht in gleichem Maße einfach ist das Ergebnis der Stellen, welche
die andere Nemeenfeier betreffen.
6. Von der Feier, die Plut Arat. 28 erwähnt, kann man mit einiger
Wahrscheinlichkeit nur sagen, daß sie weder die von Ol. 135 4 (237)
noch die von Ol. 136 4 (233) gewesen sein dürfte, sondern zwischen
beiden stattgefunden haben wird.
7. Die C. I. A. II 182 mitgeteilte Inschrift ist ein Volksbeschluß,
der sich auf die nemeische Architheorie bezieht: ^Enirikrjg — sln^v
nsQl [wv] X[iy6i] 6 ä[(}X6&e(OQo]g 6 elg rä N\iii\Ba xal Aant^Qiq] 6
7t[fi6^%voQ] rfjg nöXsoag . . . IS^eSöxlO-ai] rw SifjfjLip u. s. w. Sonderbar,
daß der Architheoros nicht mit Namen genannt ist; die sehr zerstörten
folgenden Zeilen lassen erkennen, daß es sich um Schwierigkeiten in
der Bezahlung zwischen dem Architheoros und dem Proxenos in Eleonai
gehandelt hat, und daß Bestimmungen beschlossen sind, wie es damit
künftig gehalten werden soll (a 16 [To]vg 7iQo^ivov[g[. b 4 [röv]
iS'SooqÖv [rjofg n()o^[ivoig']. b 7 rovg dk änoäixTug fUQi[(Tai T(p ä^xB}-
i9'6c6p[G)] 6g &v ä%l äQx[i\&[%oi}Qriai] ro] üqyvqiov. Zum Schluß: daß
der Proxenos Lapyris von Eleonai auf morgen ins Prytaneion geladen
werden soll. Die Inschrift ist datiert: Archen Keplusodoros 11. Hekatom-
baion. Also der Beschluß ist in den ersten Tagen des attischen Jahres
Ol. 114 2 gefaßt; der [12] ungenannte Architheoros hat, obschon er nicht
6 äQX6&ea>Q^{Tag genannt wird, seine heilige Reise wohl schon hinter
sich, vielleicht noch nicht seine Decharge; ob Tage oder Monate seit
der Pestfeier verflossen sind, ob Lapyris mit der zurückkehrenden Theorie
nach Athen kam oder bei einer späteren Anwesenheit, etwa nach allerlei
Zahlungsdifferenzen mit dem Architheoros, diese Regulierung veranlaßte,
die ihm zugleich die Auszeichnungen, welche das Psephisma erwähnt,
einbrachte, — darüber lassen die Reste der Inschrift im Unklaren.
Die Festzeit der Nemeen 263
Aus ihr also läßt sich nicht bestimmen , ob die Nemeenfeier, die zu
diesen Anordnungen Anlaß gab, um den Anfang des attischen Jahres
Ol. 114, 2 oder Wochen, Monate früher in Ol. 114 1 stattgefunden hat
8. Von besonderem Interesse sind für unsem Zweck die Nemeen,
die T. Quinctius Flamininus nach dem 195 v. Chr. mit dem Tyrannen
Nabis von Sparta geführten Kriege gefeiert hat, Jahr und Tag nach
den berühmten Isthmien, in denen er die Freiheit der Hellenen ver-
kündet hatte.
TJnger (Philologus 1878 S. 543) geht, die Zeit dieser Nemeen zu
finden, von der fünf Jahre späteren Sonnenfinsternis aus, die (Liv.
XXXVII 4) ante dum quinttmi idus Qumtiles 564, am julianischen 14» März
190 V. Chr. stattfand. Er berechnet, je nachdem die Schaltmonate in
den vorausgehenden Jahren 560, 561, 562, 563 verteilt gewesen sein
konnten, den römischen Jahresanfang von 559 auf den julianischen
12. August oder 4. September oder 26. September 195. Da die Wahlen
in Rom nach dem 21. Dezember und vor dem 18. Februar, oder vielmehr,
weil die ersten siebzehn Tage des Februar nicht comitiale gewesen
seien, den 2. Februar des römischen Jahres stattgefunden hätten und
schon vor den Wahlen die Meldung des Quinctius de rebus ad Lacedae-
monem gestü eingetroffen sei, so müsse der Bote des Feldherm späte-
stens zu Anfang des römischen Januar, d. h. vor dem julianischen resp.
26. oder 4. September oder 12. August nach Rom abgesandt worden sein.
Quinctius feierte nach dem Abschluß des Vertrages mit Nabis nach
Argos ziehend die Nemeen, die man des Kriegs wegen verschoben hatte;
„da nun der eigenUiche Termin der Spiele wenigstens einige Wochen
vorher eingetreten sein muß", so folgert TJnger, daß die rechte Zeit
der Feier „im eigentlichen Sommer Ol. 146 2", im Juli 195 v. Chr.
stattgefunden habe.
Es empfiehlt sich den Krieg des Nabis auch von seinem Anfang
[13] her anzusehn. Schon im Spätherbst 196 ist vom Senat erwogen
worden, ob man nach der Proklamierung der hellenischen Freiheit es
ruhig ansehen könne, daß Nabis mit dem Besitz von Argos, wenn die
römischen Legionen Hellas verließen, Meister der Peloponnes bleibe.
Die Entscheidung wird noch verschoben (Liv. XXXIII 45). Dann em-
pfängt Quinctius in den Winterquartieren, die er wieder in Elateia ge-
nommen hat, das Senatusconsultum, das ihm den Krieg gegen Nabis
empfiehlt (Liv. XXXIV 22). Er läßt, nachdem er eine Versammlung
der Bundesgenossen in Korinth gehalten, welche den Krieg zur Be-
freiung von Argos beschließt, seine Legionen aufbrechen; um die Zeit,
in der das Getreide zum Teil schon reif ist (um Anfang Juni), steht
er nahe bei Argos (Liv. XXXIV 26), wo eine starke Besatzung unter
264 Die Festzeit der Nemeen
des Tyrannen Schwiegersohn nnd Schwager Pythagoras den Versuch
eines Aufruhrs niederschlägt Quinctius marschiert in drei Tagen an
Tegea vorüber nach Earyai, während sein Bruder L. Quinctius mit der
römischen Flotte von Leukas kommt, die rhodische und pergamenische
Flotte sich mit ihm vereinigt. Nach einiger Rast, — ibi sociomm
auxilia exspectavit . . . oommea^ua fmüimis urbibus impercUi morabantur
Bamanum — marschiert T. Quinctius in zwei Tagen bis Sellasia, wo
beim Lagerschlagen ein Oefecht zu bestehn ist; dann geht das Heer
an Sparta vorüber nach Amyklai, lagert dort, verwüstet die reiche Land-
schaft, bezieht dann ein Lager am Eurotas, verwüstet das Land am
Taygetos und bis zum Meer hinab. Indes hat Lucius {intra paucos
dies nach Vereinigung der Flotten Liv. XXXIV 29) die Belagerung von
Gythion begonnen, die raschen Fortgang hat; sed tardavit impetum spes
obiecta dedendae urbis; denn der eine Befehlshaber der Feste erbietet
sich zur Übergabe, aber der andere ermordet ihn, steigert seinen Wider-
stand, et difficüior facta erat oppugnaüo, ni T, Quinctius cum IV miUibus
snpervenisset. Man sieht aus diesen Angaben, daß mehrere Wochen seit
dem Abmarsch aus der Nähe von Arges verflossen sein müssen; vor
Anfang August ist Oythion wohl nicht gefallen, eher später.
Vor der Übergabe von Gythion ist Pythagoras aus Argos, wo er
Timokrates mit geringer Mannschaft zurückläßt, mit 3000 Mann auf-
gebrochen, nm zu Nabis zu stoßen. Nachdem Gythion gefallen, ver-
sucht Nabis zu unterhandeln. In den Erwägungen des römischen Haupt-
quartiers, die Livius ausführlich darlegt, wird für [14] die Gewährung
namentlich geltend gemacht, wie schwierig die Belagerung Spartas in
den Winter hinein sein würde {eam fore ditUumam , . , ad hoc hiems
accedit ad oomportandum ex Umquinquo difficüis), nicht minder die Sorge,
ne novus consul provindam sortiretur et inchoati belli victoria suooessori
irad&nda esset (Liv. XXXIV 34 vgl. Plut. Flam. 13). Nabis weist die ihm
angebotenen Bedingungen eines Waffenstillstands zurück, der auf sechs
Monate geschlossen und in Bom erst genehmigt werden soll; — sechs
Monate scheint Quinctius gefordert zu haben, damit, wenn der Kampf
wieder aufgenommen werden muß, die bessere Jahreszeit wieder ge-
kommen ist. Nach der Ablehnung wendet sich T. Quinctius gegen
Sparta selbst; es erfolgt ein erster heftiger Angriff; nach enger Ein-
schließung der Stadt, nach einem zweiten Sturm, dessen Erfolg nur die
Entschlossenheit des Pythagoras hemmt, nimmt Nabis jene Bedingungen
an. Der Bericht darüber ist in Bom, bevor der Consul Valerius aus
dem Lande der Boier nach Rom kommt, die Comitien für die Consul-
wahl zu halten (Liv. XXXIV 42). Mit dem Anfang des neuen Consu-
lats {prinoipio eius anni quo P, Sdpio Africanus iterrnn et Ti, Sempronius
Die Feetzeit der Nemeen 265
LongtM oonstUes Yu^runt c. 48) kommen die Gesandten des Nabis nach
Kom ; pax quae cum T. QuincHo oonvenisset, tU rata esset petierunt impetra-
rtmtque. Darauf läßt Livias die neue Verteilung der Provinzen folgen.
Nach üngers oben angeführter Berechnung würde der Amtsantritt
der neuen Consuln mit den Ideen des März, 2^2 Monat nach dem
römischen 1. Januar, zwischen dem julianischen 1. November und
15. Januar, ihre Wahl etwa zwei Monate früher fallen. Freilich liegt
zwischen diesem Jahr und dem der Sonnenfinsternis, 564 der Stadt,
190 V. Chr., von der aus ünger die Wahlcomitien u.8. w. des Jahres 559
berechnet, der Antrag des Consul M. Acilius Glabrio, der auf größere
Wirren im römischen Kalender schließen läßt.
In Argos haben nach dem Abmarsch des Pythagoras auf die Ge-
rüchte von der Bedrängnis Spartas — iantu/m non iam captam esse,
Liv. XXXIV 40 — die Patrioten die schwache Besatzung vertrieben,
Timokrates, quia dementer praefueratj frei gegeben ; huic laeiitiae T. Quinc-
tms supervenit, pace data tyranno dimissisque ah iMcedaemone Eumene
et Bhodiis et L. Quindio fratre ad classem; laeta dvitas nobile ludicru/m
Nemeorum die stata propter belli mala praetermissum in adventum Bomani
eocerdtizs dudsque indixerunt [15] praefecenmtqtie ludis ipsis imperatorem.
Darauf führt Quinctius seine Truppen nach Elateia zurück — quo in
kibema reduxerat copias, totv/m hiemis tempus iure dicendo amsumpsit.
Schon 196 hatte man in Bom auf Antiochos von Syrien mit
Besorgnis gesehn, man fürchtete dessen Verbindung mit Hannibal.
Diese Sorge war mit dem Herbst 195 nichts weniger als gemindert;
Antiochos stand mit bedeutendem Heere zu beiden Seiten des Helle-
spontes; Hannibal war in seinem Lager. T. Quinctius mußte in der
Peloponnes höchst vorsichtig verfahren; man darf zweifeln, ob er, da
Nabis Kriegsmacht keinesweges, wie zwei Jahre vorher die des make-
donischen Königs, durch eine große Schlacht vernichtet war, das spar-
tanische Gebiet geräumt hat, bevor die Genehmigung des geschlossenen
Vertrages aus Rom eingetroflfen war. Die nachträgliche Feier der Nemeen
würde dann in die ersten zwei Monate des Jahres 194, in die beginnende
zweite Hälfte von OL 146 2 fallen. Aber wie lange nach der richtigen
Zeit, ist nicht mehr zu erkennen. Und wer hatte in Argos zu bestimmen,
ob das Fest, als die übliche Zeit nahe war, gefeiert oder verschoben
werden sollte? Wenn diese propter mala belli versäumt worden ist,
wenn seit dem Juni 195 die Umgegend von Argos — also auch Nemea
— militärisch so wenig in der Gewalt der Römer und ihrer Bundes-
genossen war, daß Pythagoras mit dem größeren Teil seiner Truppen
— vor dem Fall von Gythion — ungestört aufbrechen und nach dem
Eurotas marschieren konnte, wenn auch nachher noch Timokrates mit
266 I^ie Festzeit der Nemeen
geringer Trappenzahl sich in Argos behauptete, bis* das Gerücht von
dem nahen Fall Spartas den Argeiem den Mut gab sich zu befreien,
so ist es nicht wahrscheinlich, daß die Festzeit der verschobenen Nemeen
dem Falle von Gythion verauslag; es ist wahrscheinlicher, daß sie erst
nach der Befreiung der Stadt eintrat, als die Bürger der Stadt wieder
das Regiment hatten und beschließen konnten, daß die Feier bis zur
Ankunft des römischen Feldherm verschoben werde; denn in dem super-
venu ianiae laetitiae wird man wohl weniger eine chronologische Angabe
als eine stilistische Yerbindung sehen dürfen.
Genaueres über die ordnungsmäßige Zeit der Nemeen läßt sich
aus dem Verlauf dieser Ereignisse nicht folgern; sie kann in einen der
fünf letzten Monate des Jahres 195 gefallen sein; jedenfalls daß sie
in den Juli 195 gehört, erweisen die Vorgänge nicht.
[16] 9. Von besonderem Interesse ist das Nemeenfest des Kassandros,
das Diodor XIX 64 erwähnt In den Diadochen 11^ S. 19 ist durch einen
Druckfehler „Ol. 116 1 etwa August'^ als die Zeit^ die sich aus Epig. II -
S. 37 ergeben werde, bezeichnet Ein Carton, der erst nach Ausgabe der
ersten Exemplare gedruckt worden ist^ sagt dafür: „nachderEpig.U^S.37
gemachten Bemerkung würden diese Nemeen in Ol. 116 1 etwa Februar
fallen, was undenkbar ist; die Zeit der Feier bleibt noch ein Problem".
Die Lösung desselben, wie sie Unger giebt, stützt sich namentlich
auf den Nachweis, daß Kassandros diese Nemeen im beginnenden
Sommer 315, Ol. 116 2 gefeiert habe, wie sich aus der chronologischen
Anordnung Diodors und dem Synchronismus der Begebenheiten, die
derselbe aus dem Kriege zwischen Antigenes und Eumenes berichtet,
ergebe. Zur Übersicht diene folgende Tabelle:
Archippos Ol. 115 3 (318/7).
Diodor XVIII 58-75.
Eumenes in Nora
f, in Kilikien
Antigonos Sieg bei Byzanz
„ Marsch nach Kilikien
Eumenes in Phoinikien
„ nach Babjlonien
„ Berufung der Satrapen
Demogenes Ol. 115 4 (317/6).
Diodor XIX 2—16.
Eumenes WQ. in Karrhai Olympias Sieg über Eurydike
» gegen Peithon Philippos und Eurydikes Tod
„ nach Susiana und Seleukos Olympias Regiment in Makedonien
jf Vereinigung mit den Satrapen
Antigonos WQ. in Mesopotamien
Die Festzeit der Nemeen
267
Demokleides Ol. 116 1 (316/5).
Diodor XIX 17—36.
Antigonos Aufbrach nach Sube
Niederlage am Kopratas
nach Medien, Eumenes nach
PersiB
Erste medische Schlacht
Antigonos und Eumenes WQ.
n
n
Kassandroe von Tegea gegen Olympias
Oljmpias in Pydna
Das Ersatzheer geschlagen
[17] Diodor XIX 37-54.
Zweite medische Schlacht
Eumenes Tod
Antigonos WQ. bei Ekbatana
gegen Peithon
gegen die Eumenianer
nach Persis
nach Susa
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V
Oljmpias in Pydna belagert (Winter)
letzte Anstrengungen
Feldherr Aristonus
„ Tod
Kassandros Vermählung mit Thessa-
lonike
Iftßt Roxane und ihren Sohn
töten
nach Hellas. Herstellung
Thebens
bis Messene
Rückkehr nach Makedonien
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}}
Praxibulos Ol. 116 2 (315/4).
Diodor XIX 55—64.
Antigonos nach Babylon
,, nach Mallos
nach dem oberen Syrien
Belagerung von Tyros
Feldherrn nach Rhodos,
Hellas u. s. w.
Freiheitsdecret für die
Griechen
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Kassandros Feldherr in Argos
Marsch nach Hellas
vor Messenien
Feier der Nemeen
Rückmarsch nach Make-
donien
»
»
n
n
Diodor hat seine Excerpte für die Oescliichte der Diadochen ganz
oder fast ganz aus einer vortrefnichen Quelle geschöpft; seine Autorität
für das, was er aus eigener Einsicht hinzufugt — die Einschaltung
der. griechischen und römischen Eponymen, damit die chronologische
Anordnung der erzählten Thatsachen — ist nichts weniger als maß-
gebend. Erzählt er doch in der Reihe von Kapiteln (XVIII 58 — 75),
die er dem Archen Archippos 318/7 Ol. 115 3 zuweist, des Eumenes
Aufbruch aus Nora (Frühling 319), dessen Aufenthalt und Heeresorgani-
sation in Kilikien, dann dessen Verweilen in Phoinikien um eine Flotte
zu bauen, des Antigonos Seesieg bei Bjzanz (den auch Unger in den
Herbst 318 setzt), dann wie Eumenes auf die Nachricht von diesem
268 ^io Festzeit der Nemeen
und dem Anmarsch des Antigonos von Phoinikien nach Babylonien
marschiert, der schweren Gefahr an dem Tigriskanal entgeht, die Sa-
trapen ans den oberen Landen zu sich bescheidet, und am Schluß: xai
rä fdv xarcc ri]v 'Amccv fiixQi rovr(ov nQoißri rodrov top ivtavTÖv
(C. 73 Ende). Die Confusion Diodors wird damit nicht beseitigt, daß
er, wie ünger hervorhebt, dies Kapitel 73 aus einer [18] anderen als
seiner Hauptquelle entnommen hat, zweimal dasselbe erzählend.
Gehört der Anordnung Diodors zufolge der Tod des Eumenes (XIX
44) in das Jahr des Demokleides (XIX 17—54) 316/5, Ol. 116 1, wenige
Tage nach der Wintersonnenwende, also in den Anfang 315, wie ünger
festhält, so ergeben sich daraus unmögliche Dinge. Nach Unger ist
die letzte Schlacht zwischen Antigonos und Eumenes am 29. Dezember
316 geliefert; drei Tage darauf wird nach Diodors Angabe Eumenes
von seinem Heere ausgeliefert, am zehnten Tage hingerichtet; dann
geht Antigonos mit seinem Heere nach Ekbatana hinauf, überwintert
dort (;ra()6/«/jMa(r«), indem seine Truppen über die ganze Satrapie bis
an die kaspischen Pässe in Kantonnements verlegt werden. Dann hat
er erst gegen Peithon (der als kv roTg kaxärotq fiiQtat t^c; MrjSiaq
XBifiü^cjv bezeichnet wird Diod. XIX 46) seine ganze Macht concentriert
{(Twayaycjv ro ar^ardneSov elg ^va rönov), worauf Peithon sich unter-
wirft und hingerichtet wird. Darauf führt Antigonos sein Heer nach
Ekbatana zurück, von da nach Persepolis, „ein Weg von etwa zwanzig
Tagen" (C. 47); die Bekämpfung und Hinrichtung zweier Eumenianer
die mit ihren Kriegshaufen „Medien mit Unruhe erfüllen", wird den
Marsch des Antigonos nicht beschleunigt haben; doch kommt er „so
schnell als möglich" {kuBiSij räxitn J]1&bv C. 48) nach Persis. Auch
dort ist vieles zu ordnen und zu strafen. Dann marschiert er nach
Susa; am Pasitigris kommt ihm der Verwalter des in Susa liegenden
Schatzes entgegen, der die Weisung hat ihm denselben zu überantworten.
Auf Wagen und Kamelen diesen wie den medischen Schatz mit sich
führend, erreicht Antigonos in 22 Tagen Babylon. Dort kommt es
zwischen ihm und Seleukos zu emst«n Zerwürfnissen, Seleukos flieht
mit 50 Beitem nach Ägypten; Antigonos bricht, nachdem er die Dinge
in Babylon geordnet hat, auf, nach Kilikien zu marschieren; er legt,
nachdem er Mallos erreicht hat, sein Heer in die Winterquartiere:
StsfÜQKTB rijv Svvafiiv Big naQccxBifiatriav fiBzä Svaiv *ii(H(ovog (C. 56).
Dies ist nach Ungers Meinung der Spätuntergang des Orion Ende April
und nach seiner Berechnung Antigonos zwischen 28. April und 8. Mai
315 in Mallos angekommen.
Nicht bloß die Winterquartiere im Mai sind sonderbar. Der AVeg
von Ekbatana über Persis, Susa und Babylon nach Mallos, [19] den
Die Festzeit der Nemeen 269
Antigonos vom 17. Januar bis Anfang Mai, also in etwa 110 Tagen
marschiert sein soll, betragt in der Luftlinie reichlich 360 Meilen, nach
dem gewöhnlichen Ansatz für die Di£ferenz der wirklichen Marschwege
420 Meilen. Selbst wenn man mit Unger Antigonos in Persepolis nur
drei Tage, in Susa drei Tage, in Babylon acht Tage verweilen läßt, hätte
er mit seinem Troß von belasteten Wagen und Kamelen in weniger als
100 Tagen mehr als 400 Meilen marschieren müssen, eine militärische
Leistung, mit der ein Feldherr die beste Armee, wenn er sie ihr zu-
mutete, ruinieren würde; im vorliegenden Fall war sie um so weniger
nötig, als die vorderen Lande, namentlich Kilikien^ nicht etwa in Feindes
Hand waren, sondern unter Antigonos Beamteten und Besatzungen
standen.
Unger stützt seine chronologische Anordnung durch eine Angabe
aus dem Zusammenhang der europäischen Ereignisse, welche keinen
Zweifel zu lassen scheint Wir werden sehen, daß Olympias den Winter
317/6 hindurch in Pydna von Kassandros eng blockiert, dann roif l^aQog
dQXOfiivov härter bedrängt, zur Kapitulation gezwungen und ermordet
wurde; ihr tapferer Strateg Aristonus hatte den Auftrag Amphipolis zu
verteidigen; er hatte Kassandros Aufforderung die Stadt zu übergeben
zurückgewiesen, „weil er Eumenes noch lebend glaubte und der Meinung
war, daß Polysperchon und Alexandres Hilfe leisten würden"; auf einen
schriftlichen Befehl der alten Königin, noch vor ihrer Ermordung, über-
gab er die Stadt. In dem Ausdruck, den Diodor XIX 50 braucht:
xcel tÖv EvfUvfj ^&vra TjyovfUVOQj in di xovq tisqi 'AX^uvSqov xai
UoXvfrniQxovTcc vofii^cov (TwsniX^'^BtTd'cci, findet Unger den Beweis,
daß Eumenes in dieser Zeit, im Frühling 316, noch gelebt habe, weil
nach griechischer Sprach weise bei Worten des Meinens das Farticipium
im Unterschiede von der infinitivischen Construction bedeute, daß das
Geglaubte in der Wirklichkeit so sei, wie man glaubt. Hat wirklich —
wenn ein Nicht-Philologe sich erlauben darf solchen Zweifel zu äußern
— die syntaktische DiflFerenz der beiden Constructionsarten dieses Ge-
wicht, diese Schärfe? ist es die verbale oder die adjectivische Seite des
Participiums, die aus Meinen Gewißheit macht? gilt diese syntaktische
Feinheit auch für Stellen wie Plat Phaed. § 85: yeloTöv y\ & vBccvia^
rd äöyjJ'CC i^ysig xal rov ixalgov avxvdv SiafiaQrdvetg, ü air6v ovroD
Ttvä ijyp xf}o<po3ia' Yaoog Si xal r6v XoiäoQoiffiBvov avr(p oUi [20]
vofii^ovra Kiyeiv & ikeyov^ oder bestätigt gerade dies vopLi^ovra diesen
Unterschied? hätte Demosthenes de cor. § 26 in seinem vofii^oov Sneg
r^v äkrj&ig und folgenden Infinitiv sich das Önsg Jjv äXrj&ig sparen
können, wenn er statt des Infinitivs das Participium folgen ließ? und
wenn er § 95 sagt: rovro fiiv yäg imdgxBiv vfiäg elSörag rjyodfiat,
270 Die Festaeit der Nemecn
oder § 228 €jfto'*Myr,xa pvpt vfut^ vjtäoztiw iypüHTfiirovg itu fdv hkyuv
v^iig Tfjg yfOTo/dog. ist da das Geglaubte um das Participiiun wirk-
licher oder um den InfinitiT unsicherer geworden?
Vielleicht weiter fuhrt in der chronologischen Frage ein anderes
Moment Nach Ungers Ansetzung fallt die Vereinigung des Eumenes mit
den Satrapen ,,in den Winter oder auch erst in den Frühling 316^, die
erste der beiden medischen Schlachten in den Herbst 316. Als Eumenes
mit den Satrapen vereint in Persis stand und in Peukestas Bemühungen
um deren und der Soldaten Gunst dessen Absichten erkennen, die Lei-
tung des Krieges, dessen man in den üppigen Lagerfesten vergaß, in
des ehrgeizigen Satrapen Hand übertragen zu sehen fürchten mußte«
ließ er Briefe, die er von dem armenischen Satrapen emp&ngen haben
wollte, unter den Truppen bekannt werden, nach denen die Königin
Olympias mit ihrem Enkel au5 Epeiros zurückgekehrt, Kassandros ge-
schlagen und umgekonunen, Makedonien in ihrer Gewalt, Polysperchon
mit den Elefanten nach Asien übergesetzt und im Anmarsch gegen
Antigonos sei (Diod. XIX 23, Polyaen. IV 8, 3). Eine solche Nachricht
konnte nur dann Wirkung haben, wenn sie nach der Lage der Ding^
in Europa möglich war und das brachte, was die Makedonen in Eumenes
Heer erwarteten und wünschten. Daß im Frühling 317 Polysperchon
sein Heer mit dem des Königs von Epeiros vereinigt habe, um Olym-
pias, während Kassandros in der Peloponnes kämpfte, nach Makedonien
zurückzufuhren (Diod. XIX 1 1), konnte man in Persepolis drei Monate
später wissen. Es war das Unternehmen, das mit der Rückkehr der
Olympias, mit der Ermordung des König Philipp Arrhidaios und der
Eurydike im Herbst 317 endete; kurz darauf war Olympias von Kassan-
dros in Pydna eingeschlossen, mit dem Frühling 316 ihr Schicksal so
gut wie entschieden, in wenigen Wochen ihr Anhang im Lande ver-
nichtet) sie selbst getötet. Jene erdichteten Nachrichten des Eumenes
wären nach dem Frühling 316 unglaublich gewesen und würden durch
die folgenden Meldungen vom Fall Pydnas und dem [21] Tode der
Olympias — Antigonos und dessen Verbündete hatten Anlaß und Wege
genug sie in das Heer des Eumenes gelangen zu lassen — als Täu-
schung erkannt und zu verhängnisvoller Wirkung verkehrt worden sein.
Nun zurück zu den Nemeen des Kassandros, die Diodor XIX 64
eben so wie des Antigonos Winterquartiere in Kilikien unter dem Ar-
chonten Praxibulos Ol. 116 2, 315/4 anführt Man wird diese Zeit-
angabe aus der Beihenfolge der Begebenheiten zu kontrolieren versuchen
müssen.
Einen verhältnismäßig sicheren Ausgangspunkt giebt die Ermor-
dung des Königs Philipp Arrhidaios durch Olympias, die Diodor XIX 1 1
Die Festzeit der Nemeen 271
in dem Jahr des Demogenes Ol. 115 4 berichtet mit dem Bemerken,
daß Philipp sechs Jahre und vier Monate König gewesen sei; dessen
Ende also fallt in den Oktober oder November 317, den vierten oder
fünften Monat von Ol. 116 4.
Dann erzählt Diodor XIX 35 — 54 im Jahr des Demokleides nach
der ersten medischen Schlacht zwischen Antigenes nnd Eumenes Eas-
sandros eiligen Marsch ans der Peloponnes nach Makedonien, die Be-
lagerung von Pydna (C. 37), dann nach einer zweiten Einschaltung
(Antigonos /cijuafcov in Medien, die zweite medische Schlacht, Eumenes
Tod, Antigonos Marsch bis Susa C. 37 — 48), in Europa die Fortsetzung
der Belagerung von Pydna während des Winters, im Frühling — rov
l^ccQog äQxopi^vov — die letzten Anstrengungen der Königin, ihre
Niederlage und Hinrichtung, Eassandros Vermählung mit Thessalonike
(C. 49—52). Eein Zweifel, daß diese Vorgänge dem Winter 317/6, dem
Frühling 316 angehören, wie weit sie in den Sommer 316 Ol. 115
4./ 11 6. 1 fahren, ist nicht zu bestimmen; gewiß aber noch in diesen
Herbst 316 fallt des Eassandros Zug nach Hellas, der Befehl zur Her-
stellung Thebens (C. 52, 53), dann der weitere Marsch gegen Alexandres,
Polysperchons Sohn, bis Messene, die Bückkehr nach Makedonien, wohl
zum Winter (C. 54). Daran schließt sich was Piodor XIX 63 — 64 von
den europäischen Begebenheiten des folgenden Jahres, Archen Praxibulos,
erzählt: der Strateg, den Eassandros in Argos zurückgelassen, bekämpft
mit Erfolg den Alexandres und die Empörer in Argos; dann will Eas-
sandros auf die Nachricht, daß Antigonos den Milesier Aristodemos mit
Schiffen und Geld nach der Peloponnes abgeschickt habe (C. 57), diesem
zuvorkommen (C. 63); er versichert sich der Dankbarkeit der hergestellten
Thebaier, [22] erstürmt Eenchreai, nimmt Orchomenos, wirft sich auf
Messene; aber da Polysperchon eine starke Besatzung dorthin gelegt
hat, giebt er für jetzt die Belagerung auf [rb fdv noXioQxuv aixriv
inl rov nuQÖvroq Aniyvm G. 64), er geht nach Arkadien zurück, feiert
dann im weiteren Marsch die Nemeen, kehrt heim nach Makedonien.
Ist, wie oben dargelegt, Antigonos im November 316 nach Eilikien
gekommen und hat er demnächst — sagen wir Anfang 315 — den
Aristodemos mit Geld nach der Peloponnes gesandt, so ist es sehr natür-
lich, daß Eassandros in diesem Frühling 315 nach Hellas marschierte
und dort that was er that. Mit dem Sommer 315 begann Ol. 116 2;
Eenchreai, Orchomenos nahm Eassandros durch Belagerung, die von
Messene unterließ er „für jetzt"; ob wegen der vorgerückten Jahreszeit?
wie weit sie vorgerückt war als er diese Nemeen feierte, ist nicht zu
ersehen, auch aus den weiteren Begebenheiten nicht; nur daß dies Fest
in Ol. 116 2 nicht in das Ende von OL 116 1 föUt, ist wohl unzweifelhaft.
272 Die Festzeit der Nemeen
10. Es bleibt noch eine Nemeenfeier zu besprechen, die welche
Flut. Gleom. 1 7 erwähnt wird. Ihre Zeit ergiebt sich in folgender Art
Die Niederlage beim Hekatombaion hatte Aratos so entmutigt^ daß er
bei der demnächst erfolgenden Strategen wähl 11. Mai 224 Ol. 138 4
sich die Wahl verbat; er hatte schon im Herbst vorher unter der Hand
mit König Antigenes von Makedonien wegen eines Bündnisses gegen
Eleomenes von Sparta zu unterhandeln begonnen, nach seiner Nieder-
lage seinen Sohn zu ihm gesandt; aber daß Antigenes die Abtretung
von Akrokorinth forderte, machte die Unterhandlung scheitern; ohne
die Aussicht auf makedonische Hilfe zog Aratos vor, einem andern die
Verantwortlichkeit der Strategie zu überlassen. Timoxenos wurde ge-
wählt; der Bund begann Unterhandlungen mit Eleomenes, der nichts
forderte als daß ihm die Hegemonie übertragen werde, dafür die freie
Rückkehr aller Kriegsgefangenen, die Bückgabe aller eroberten Plätze
versprach. Mit Freuden ging man darauf ein, berief die eidgenössische
Gemeinde nach Lema, ihm dort die Hegemonie feierlich zu übertragen.
Ihn warf auf dem Wege nach Lema ein Blutsturz danieder, er mußte
nach Sparta zurückgebracht werden. Langsam genas er; eine neue
Gemeinde wurde nach Argos berufen, Kleomenes dorthin geladen; in
Tegea [23] emfing er Schreiben von Aratos mit wunderlichen Zu-
mutungen : er möge ohne Tnippen kommen und ähnliches. Kleomenes
erließ eine hefkige Erwiderung über dies Verfahren an den Bund, kün-
digte ihm von neuem den Krieg an, warf sich auf Sikyon, eilte weiter
nach Pellene, wo die Bürger sich für ihn erhoben, ebenso kam Pheneos,
PenteUon, Kaphyai in seine Gewalt; man fürchtete den Abfall Korintbs,
Sikyons; von Argos sandte man Verstärkungen dorthin. Es kam die
Zeit der Nemeen, man verlegte sie nach Argos; während der Festfeier
erschien Kleomenes mit seinen Truppen auf den Höhen bei der Stadt;
niemand griff zu den Waffen, Argos nahm willig eine spartanische Be-
satzung auf, trat unter die Hegemonie Spartas.
Wann sind diese Nemeen? Unzweifelhaft mehrere Monate nach
dem Anfang der Strategie des Timoxenos, also im Lauf von Ol. 139 1;
und vor der neuen Strategenwahl im Mai 223, wie sich aus Polyb. II 53,
1 und Plut. Arat. 40 und 41 ergiebt. In welchem Monat, läßt sich
nicht mehr erkennen; aber aus den weiteren Vorgängen (Epig. II' 2
S. 108 ff.) wird man schließen dürfen, daß die Feier wohl im späten
Herbst stattfand.
Die obigen Zusammenstellungen gewähren kein befriedigendes Er-
gebnis. Wenigstens für Nemeen auf der Scheide des 8./4. Olympiaden-
jahres zeugen die sicheren Beispiele 4, 1, 3, 5.
Die Festzeit der Nemeen 273
Ol. 139 4 Juü 221
OL 140 4 Juni/ Juli 217
Ol. 142 4 (Juni/JuU) 209
Ol. 143 4 (Juni/ Juli) 205
Von den anderen Nemeen sind 9. und 10. nur dem Jahre nach sicher,
nämlich die des Eassandros
OL 116 2 Spätherbst 315,
die des Kleomenes
OL 139 1 Herbst/ Winter 224/3,
auch dem Tage nach die im Abschnitt I angeführte aus der späteren
Kaiserzeit
OL 248 2 30. Dezember 214 n. Chr.
Wenn Tansanias zweimal den Ausdruck JVifi^ia x^ifJ^Q'^^i braucht
und derselbe nicht auf die zuerst von Eckhel angedeutete Weise zu
beseitigen ist, so wird man die Thatsache, daß die Nemeen abwechselnd
im Sommer und Winter gefeiert worden sind, [24] hinnehmen müssen,
wenn man sie auch nicht erklären kann. Daß die Wintememeen bald
in einem ersten, bald in einem zweiten Jahr einer olympiadischen Ponte-
tens gefeiert worden sind, ist bis jetzt nur aus der dürftigen Beihe
von drei Angaben zu entnehmen, von denen die präciseste einem ganz
späten, völlig verwandelten Zeitalter angehört. Wenn sich für jenen
Wechsel weitere Beweise, etwa aus neugefundenen Inschriften, ergeben
sollten, so würde man auch gegen solche Wunderlichkeit nicht die
Unmöglichkeit einer vernünftigen Erklärung geltend machen dürfen.
Der Versuch, den Heinrichs (Zeitschrift für Gymnasial wesen IX 1855
S. 214) gemacht hat, den Cyklus der Nemeaden zu entwickeln, war zu
hastig. Kennte man die Schaltperiode des Kalenders von Argos, so
würde sich da möglicherweise die Formel für den Wechsel zwischen
den zweiten und dritten olympiadischen Jahren ergeben, etwa so, daß
das Winterfest nicht später als die Wintersonnenwende oder die nächste
Mondphase nach ihr fallen durfte, also je nach dem Schaltcyklus 18
und 31 oder 25 und 25 Monate zwischen den Sommer- und Winter-
nemeen liegen mußten. Doch dies nur beispielsweise. Die Frage der
Wintememeen bleibt bis auf weiteres ein Problem.
P. S.
Die Panegyris, welche Polyb. XXII 13, 1 erwähnt, ist auf eine Nemeen -
feier (die von Ol. 148 3/4) gedeutet worden. Der Wortlaut der Stelle giebt
keinen Anhalt dafür.
Schoms Vermutung, daß in späterer Zeit die Wahl der achäischen Stra-
tegen im Herbst stattgefunden habe, ist durch die delphische Inschrift Nr. 109
DrojBen, KI. Schriften II. 18
274 Die Feeteit der N
(A. Mommsen PhiJologiis 24 S. 17) bestttigt. Von der Wahl OL 1S9 4 aigt
Poljbioe lY 27, 2 und Y 1, 1, dasB dminals (rar«) in den Tagen dea Fleinden-
aofganga (11. Mai; gewShlt wurde. Wann die Yenchiebiing der Wahl einge-
treten, ist nicht aberliefert; mSglidienretse aehon yor OL 143 8. Das aar Er-
kllnmg dea (?) Seite 262 Zeile 11.
Es gilt jetzt dal&r, daß Poljlnoa, wenn er naeh Olympiaden datiert,
Anfiug am die HerbetSqoinoctien, drei Monate apiter ala die Zttt der
rechnet Die Art, wie er lY 14, 9 daa Ende yon OL 189 and den Anfang von
OL 140 bezeichnet, verliehen mit lY 26, 1 and lY 27, 1 lißt keinen ZweüeL
daß, wenn er nach Olympiaden rechnet, er die wirkliche Penteteiis im Sinne hat.
J. G. D.
XI.
Zum Finanzwesen der Ptolemäer.
Sitzangsberichte der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1882
S. 207 flF.
(Gelesen in der Sitzung der philosophisch-historischen Klasse vom 2. Februar.)
[207] Es hat ein großes historisches Interesse, den Umwandlungen
nachzngehn, welche die Eroberungen und Gründungen Alexanders des
Großen wie in den politischen, so in den handelspolitischen und finan-
ziellen Verhältnissen der alten Welt eingeleitet haben, Veränderungen,
deren Summe dann in den zwei letzten vorchristlichen Jahrhunderten
das Partherreich auf der einen, das Bömerreich auf der andern Seite
gezogen hat.
Von den politischen Umgestaltungen in dieser hellenistischen Zeit
lassen sich die in der äußeren Politik der Mächte und Staaten auf
Grund der in unseren Quellen erhaltenen schriftstellerischen Auffas-
sungen einigermaßen verfolgen; für die der inneren Politik, f&r die
wirtschaftlichen und sozialen, sind wir fast ausschließlich auf die Über-
reste angewiesen, die, wie fragmentarisch und sporadisch immer sie
vorliegen mögen, den Vorzug haben, weil sie unmittelbare Stücke des
einst Wirklichen und Gegenwärtigen sind, je schärfer man in sie ein-
dringt sich desto ergiebiger zu erweisen.
Freilich fast nur das ptolemäische Ägypten bietet uns in solchen
Überresten, und zwar nicht bloß in Inschriften, Münzen, technischen und
künstlerischen Arbeiten, sondern und namentlich in zahlreichen geschäft-
lichen Papieren, griechischen wie demotischen, die Möglichkeit wie in
einem Beispiel zu sehen, wie sich der monarchische, der Staatsgedanke
Philipps und Alexanders hellenistisch ausgebildet und umgebildet, nur
zu schnell verbraucht hat.
Eine Preisaufgabe, welche 1864 die Pariser Akademie „über die
politische Ökonomie und die Verwaltung Ägyptens in der Zeit der
18*
276 Zun) Finanzwesen der Ptolemäer
Lagiden" stellte, hat zwei Publikationen hervorgerufen, die in sehr
dankenswerter Weise die bis dahin gewonnenen Materialien gesichtet
und bearbeitet und damit für die weitere Forschung eine breite und
sichere Basis geschaffen haben. Die Schrift von Lumbroso, die den
Preis erhielt, hat den Vorzug der umfassenden Benutzung und Inter-
pretation [208] der griechischen und demotischen Papyre, das Memoire
seines Concurrenten Bobiou ergänzt sie durch eine eingehendere Erörte-
rung der Kolonial- und Handelsverhältnisse des ptolemäiscben Ägypten.
Seitdem ist von Brugsch, Leemanns, Wessely, Krall, Robiou u. a., mit
hervorragendem Erfolg von Eugen Rövillout, weiter gearbeitet worden.
Die bedeutenden Ergebnisse dieser Studien machen es möglich, eine
Frage wieder aufzunehmen, die ihrer volkswirtschaftlichen Wichtigkeit
wegen mehrfach besprochen worden ist \ Es handelt sich um die höchste
Summe in einem Besitz aufgehäuften Edelmetalles, die aus dem Alter-
tum überliefert ist.
Appian giebt im Proömium seiner römischen Geschichte an, daß
der zweite König Ägyptens so und so viele Truppen, Kriegsschiffe, Ele-
fanten u. s. w. und in seinen Schatzhausem 740 000 ägyptische Ta-
lente gehabt habe; ungefähr 950 Millionen Thaler, wenn er Silbertalente
gemeint hat^
Begreiflich, daß diese kolossale Summe Bedenken erregte. Wem
sie undenkbar schien, dem mußte entweder Appians Ziffer für fehler-
haft gelten, mochte der Autor selbst Falsches geschrieben oder der
Abschreiber des Textes sich in der Ziffer versehen haben, — oder er
mußte diese Angabe so erklären, daß die genannte Summe in den
Grenzen des Möglichen blieb.
Freilich ein sicheres Maß für das Mögliche hatte man nicht Am
wenigsten auf die naheliegenden Vergleiche mit fürstlichen Schätzen
in den letzten zwei oder drei Jahrhunderten durfte man sich stützen
wollen, wenn man nicht zuvor nachgewiesen hatte, daß das Finanzwesen
des Altertums auf wesentlich anologen Productions-, Steuer- und Credit-
verhältnissen beruht habe, wie das der modernen Staaten, denen in
gewissem Sinn die Staatsschulden statt des Schatzes sind.
' Auch in der neuen Ausgabe der Geschichte des Hellenismus; die folgende
Untersuchung, zu der ich jetzt erst die Muße fand, mag dem da Gesagten als
Ergänzung dienen.
' In dieser Berechnung ist die ptolemfiische Drachme von 3,^7 g als rein
Silber genommen, wie es in dem attischen und römischen Geld nachgewiesen ist.
Der preußische Thaler von 18,51g hat an reinem Silber 16,66 g. Also 1 ptole-
mäisches Silbertalent 6000 x 3,57 g = 1285V5 Thaler. Wenn Appian Denar-
talente gemeint hat, so würde sich die Summe von 1036 Millionen Thalem ergeben.
Zum Finanzwesen der Ptolemfier 277
Appian selbst weist auf einen Maßstaab hin, der uns freilich
nicht mehr vorliegt, aber doch einigermaßen reconstruiert werden kann.
Er spricht in jenem Proömium von der Größe, Macht und
Dauer des römischen Seichs; er sagt: weder die griechischen Staaten,
noch die Reiche der Assyrer, Meder, Perser könnten sich damit ver-
gleichen; [209] dann sei das Reich Alexanders gekommen, das in seiner
plötzlich aufsteigenden Herrlichkeit wie ein Blitz über die Welt ge-
leuchtet habe, mit des großen Königs Tod, als das Reich in eine Reihe
von Königsherrschaften zerfallen sei, hätten noch einzelne dieser Teil-
reiche Glanz und Macht gehabt, wie denn der nach ihm zweite König
von Ägypten — und nun folgt die angeführte Aufeählung von Truppen,
Schiffen, Rüstungen und endlich jene 74 Myriaden Talente. Appian
fügt hinzu, daß auch die meisten anderen Teilreiche unter ihren ersten
Königen dem ägyptischen nicht viel nachgestanden hatten \ aber unter
ihren Nachfolgern rasch gesunken seien.
Wir haben keine sicheren Angaben über das, was man den Schatz
Alexanders nennen könnte, nur gelegentlich Notizen über die von den
Perserkönigen da und dort aufgehäuften Vorräte an Edelmetallen und
anderen Kostbarkeiten, die in seine Hand fielen. Völlig glaubwürdig
ist nur, wenn Arrian, wie man leicht erkennt, der besten Quelle, den
Aufzeichnungen Ptolemaios I. folgend, angiebt (III 16, 3), in Susa habe
Alexander fünf Myriaden Silbertalente und die übrige königliche Aus-
stattung {xatacxev/j), also Gerate, Schmuck, Purpur u. s. w. erbeutet.
Und weiterhin: er habe sich des Schatzes in Persepolis, des Schatzes
des Kyros in Pasargadai bemächtigt (III 18, 10). Die Sunmie des hier
Erbeuteten giebt Diodor (XVII 71), Gold und Silber zusammen, auf
12 Myriaden Silbertalente an; und Strabo (XV S. 731), daß außer dem,
was Alexander im Lager (bei Arbela) und in Babylon gefunden, die in
Susa und Persis erbeuteten Schätze nach einigen vier, nach anderen
fünf Myriaden betragen hätten, nach anderen seien in Ebatana 18 My-
riaden Talente niedergelegt worden. Vor der Schlacht bei Issos hatte
König Dareios das meiste von dem, was er für seinen campagnemäßigen
Bedarf mit ins Feld genommen, nach Damaskos abgehn lassen, wo es
Parmenion erbeutete; aus dessen Verzeichnis der gemachten Beute ist
die Angabe erhalten (Athen. XI S. 782), daß in derselben goldene Trink-
gefaße, 73 Talente 52 Minen, und goldene mit Edelsteinen besetzte, 56
Talente 34 Minen nach babylonischem Gewicht waren, auf ägyptische
Silbertalente reduciert etwa 1660 Talente.
Von dem was Alexander in Baktrien, in Indien an Gold, Silber,
^ 0aiv8Tai de xai noXla tatv aXltay aaxqaniav ov nolv tovkop dnoÖeopia,
728 Zum Finanzwesen der Ptolemäer
Edelsteinen u. s. w. zusammengebracht hat, sind keine Angaben über-
liefert. Aber wenn Arrian den in Pasargadai erbeuteten Schatz als
den des Kyros bezeichnt^, so verdient erwähnt zu werden, was Plinius
(XXXIII 5) von df^mselben sagt: schon Midas und Eroisos hätten große
Massen Gold und Silber besessen und Kyros, nachdem er den [210]
lydischen König besiegt, habe an Gold pondo viginti quaUuor milia außer
den goldenen und silbernen Gefäßen und Gerätschaften, und an Silber
aus dem Mischkrug der Semiramis, ouitts pondus quind&n/m müia talen-
torum gewesen sei, noch arg&nii quingenta müia abgeführt. Also, das
Gold ungerechnet, an Silber SP/s Myriaden Talente. Wenn Plinius
dazu bemerkt, daß nach Yarro ein ägyptisches Talent gleich 80 ru-
mischen Pfunden sei, so wird das nicht bloß beweisen, daß seine An-
gabe ägyptische Silbertalente meint', sondern wohl auch, daß er wie
die Gleichung, so das, was mit ihr erläutert werden soll, aus Yarro
geschöpft hat, und dann hat Yarro seine Angabe einem Autor ent>
nommen, der nach ägyptischen Talenten zu rechnen gewohnt war, also
wohl einem alexandrinischen.
Alexander war weniger darauf gewandt Schätze zu sammeln, als
die totliegenden Massen edlen Metalls, die er vorfand, in Umlauf zu
bringen. Welche Massen davon er zur Yerfugung hatte, zeigen einzelne
Yorgänge, die Arrian berichtet und, wenn er sie ohne „man sagt" und
dergleichen giebt, aus Ptolemaios geschöpft hat Zum Bau des Scheiter-
haufens für Hephaistions Leiche hat Alexander eine Myriade Silber-
talente ^ angewiesen (YII 14, 8) „oder, fügt Arrian hinzu, „wie andere
sagen, noch mehr". Er hat, als er in Opis nach der bewältigten Meuterei
1 0 000 Yeteranen in die Heimat entließ, jedem außer dem laufenden
Solde ein Talent Silber gegeben (YII 12, 1). Den schon 330 von Ek-
bataQa heimgesandten thessalischen und andern Bundesreitem hat er
außer dem laufenden Sold 2000 Talente gezahlt, in derselben Zeit dem
Antipatros zum Kriege gegen Sparta 3000 Talente gesandt (III 1 9, 5 ;
16, 10). Was die Hochzeitsgeschenke in Susa für die mehr als 10 000
Mann vom Heere, die Asiatinnen heirateten, dem Schatze gekostet haben,
wird von Arrian nicht angegeben (YU 5, 4); aber als in denselben
Tagen der König Geld auflegen ließ, von dem jeder seiner Soldaten
so viel nehmen konnte, wie seine Schulden betrugen, sollen, sagt Arrian
„bei zwei Myriaden Talente ausgezahlt worden sein". Unter den Yer-
fügungen in dem Testament Alexanders, in dem unter anderem der Bau
von 1000 Kriegsschiffen, größer als Trieren, umfassende Straßen-, Kanal-
* Ta bv ILaaaqtfadaig x^W^"^^ **'' ^®*^ Kvqov tov n^dorov OrjaavQorg,
' Also über 660 Millionen Thaler.
" Die Alexanderdrachme za 4,32 g gerechnet, also ungeföhr 15500000 Thaler.
Zum Finanzwesen der Ptolemäer 279
und Hafenbanten angeordnet waren, war auch die über 9000 Talente
zum Bau von sechs Tempeln in der griechischen und makedonischen
Heimat. Von dem Leichenwagen, der Alexanders Leiche nach dem
Ammonion überführte, und von dem Trauerzuge von Babylon dorthin
ist eine Angabe der darauf verwandten Kosten nicht überliefert^; aber
die [211] Beschreibung, die Diodor giebt (XVIII 26), läßt vermuten,
daß dieselben weit über die auf Hephaistions Scheiterhaufen verwandten
hinausgingen.
„Als Alexander die Schatzhäuser des Morgenlandes gewonnen hatte,"
sagt Athenaios (VI S.231) „brach der Morgen des Reichtums für die Welt
an'^ Die angeführten Summen geben einen Maßstab für das damals Mög-
liche, wenigstens insofern, als so gut in dem, was Alexander erbeutete,
wie in dem, was er verwendete, nach Tausenden und Zehntausenden von
Talenten gerechnet wird. Und wenn diejenigen unter seinen Nach-
folgern, die das reiche Nilland beherrschten, von dort aus die Küste
des Boten Meeres, den Handel nach Arabien und Indien gewannen,
an den Küsten des goldreichen Äthiopiens ihre Kolonien gründeten,
das Nilgold zu gewinnen fortfuhren*, — Regenten, die besser als andere
der Folgeherrscher iuerativ zu wirtschaften verstanden, — wenn diese
nach Appians Angabe 74 Myriaden Talente in ihren Sehatzhäusern
gehabt haben soUen, so wird man diese Ziffer doch nicht einfach darum
für falsch erklären dürfen, weil eine solche Summe das Maß des Mög-
lichen überschreite. Hat doch nach desselben Appians Angabe {bell
dv, n 102) Pompeius nach seinen Siegen in Asien im Triumphzug außer
silbernen und goldenen Gerätschaften, Statuen u. s. w. 65 Myriaden
Talente Silber und 2822 goldene Kränze, 20 424 Litren an Gewicht
aufgeführt, d. h. 6824 Zollpftind Gold. Andere minder verbürgte Angaben
mögen zum Vergleich in der Anmerkung angeführt werden^.
^ Diodor sagt: insi öe ib xuTUincevaiT&ev ^^f^v u^ioy vntt(ixoy jijg JUeiavÖQOV
öofrjg, ov fiopov xaxa rrjv danatfrjy 6irjvBf%B xSiv wXX(ov (ag av 6n6 noXXojv jaXavTCjv
xaTaaxevaa(^ev aXla xai jfj xaiä jrjv xixvfiv ne^iTTdir^ri nsQißoijiotf vn^Q^s u. 8. w.
' Nub-en-mu, Gold des WasBers, schon in den Schätzen der Pharaonen,
LepsiuB Abh. d. Berl. Akad. 1871 S. 35. Bei den gleich zu erwähnenden An-
fOhrungen aus Kallixenos sagt Athen. V S. 203: ^oyog yaq cüc aXrj&üg 6 XQ^-
(TOQQOag xaXovfißifog NeiXog fiexa Tqo(f)6iv uip&ovap xai x(}Vitov itxißdriXov xaxatpiiiitt
' Unter mehreren, die Diodor im ersten Buch über Schätze der alten Pha-
raonen giebt, ist die über Ramses (I 62): „er habe an Gold und Silber die
meisten Schätze zusammengebracht, an die 40 Myriaden Talente, wie überliefert
sei", eine Angabe, welche die Priester dem Diodor oder seinem Gewährsmann
aus derselben hieroglyphischen Anagraphe gemacht haben konnten, die teilweise
von OhampoUion und Roeellini in dem Bau des Königs Ramses III wieder-
gefunden worden ist. Auch mag daran erinnert werden, dass König Salomos
280 Ziam FinanzweBen der Ptolemäer
Appian beruft sich für seine Angabe über die Truppen, Schiffe,
Elefanten und den Geldvorrat des zweiten Ptolemaios auf die ßamXtxal
ävccyQaq>ai^ in denen man offizielle Aufzeichnungen zu erkennen glaubL
Im wesentlichen dieselben Angaben bat Hieronymns in seinen Erklä-
rungen zum Propheten Daniel, nur daß er statt der 74 Myriaden Talente
Appians das jährliche Einkommen des Königs mit 14 800 Talenten und
P/2 Million Artaben Getreide angiebt; sein Ausdruck läßt vermuten,
daß er die Einkünfte von Ägypten allein, die der Nebenländer unge-
rechnet, meint
[212] Man hat an diesen 14 000 Talenten keinen Anstoß genommen.
Wenn Lumbroso S. 318 und andere nach ihm für diese Summe eine
gewisse Stütze darin finden, daß die Einkünfte Ägyptens zu der Zeit,
als Ptolemaios I. die Satrapie übernahm, 8000 Talente betragen hatten,
und wenn sie hinzufügen, daß Ptolemaios die Bevölkerung aus politischen
Gründen noch habe schonen müssen, oder auch, daß erst allmählich
das ptolemäische Yerwaltnngssystem sich entwickelt habe, so bezeichnet
Diodor mit seinen 8000 Talenten keineswegs das Jahreseinkommen der
Satrapie, sondern er sagt, daß Ptolemaios mit der Satrapie 8000 Talente
überkam und nun Söldner warb^; diese Summe war also da und so-
gleich zu seiner Verfügung.
Besser zum Vergleich geeignet ist Strabos Angabe (XVII S. 798),
daß nach einer Rede Ciceros Ägypten dem Ptolemaios XIII. Auletes.
dem Vater der bekanntesten Kleopatra, in einer Zeit also, da die Macht
des Lagidenreiches schon gründlichst zerrüttet war, jährlich 12 500 Ta-
lente Einkommen gebracht habe. Nicht minder eine erwünschte Ver-
gleichung bietet die Angabe Diodors (XIX 56), die unzweifelhaft aus dem
Werke des sehr zuverlässigen und kundigen Kardianers Hieronymos
Ophirfahrer von ilirer Expedition 420 Kikkar Gold mitgebracht haben sollen
(1. König. 9, 26 ff.) und daß dieser König in einem Jahre außer dem, was er
durch Abgaben erhielt, 666 Kikkar Gold eingenommen habe (1. König. 10, 14);
wenn Brandis (Münz-, Maß- und Gewicbtskunde S. 98) diese Summen als Reduc-
tion einer echten Angabe nach Silber zu erklären glaubt, so ist das mehr über-
raschend als überzeugend. Die Chronik I 22 (21), 14 läßt sogar David selbst
■sagen, er habe 100 000 Kikkar Gold und 1000 mal tausend Kikkar Silber zum
Tempelbau beschafil, und 30 (29), 4 noch einige tausend Kikkar Gold und
Silber melu: hinzufügen, meldet auch, dass die Fürsten und hohen Beamten des
Landes noch 10 000 Kikkar Silber und 5000 Kikkar Gold und 10 000 Dareiken
aufgebracht haben.
^ Diod. XVIII 14: Jlzoleftniog fikv axivÖvyfog nagelaße rifv Atpmiojf xai
toig fiiv ifx^Q^^^S (pikav\^qwi(ag nqotTBipiqBxo, naQaXaßtjy öe öxTUKiaxi^ ralayia
fUfT&oq)6(}ovc il&QOi^e u. s. w. Da diese Nachricht wohl aus dem Kardianer
Hieronymos stammt, so sind mit Diodors Talenten makedonisch-attische ge-
meint.
Zum Finanzwesen der Ptolemäer 281
geschöpft ist: der alte Antigonos habe nach den großen Siegen in Medien,
in denen ihm im J. 316 Eiimenes und die östlichen Satrapen erlagen,
25 000 Talente heimgebracht, dann für den neuen Feldzag gegen die
Machthaber im Westen aus dem im J. 320 nach Eyinda gebrachten
Beichsschatz 10 000 Talente entnommen, außerdem aus den Einkünften
seiner Gebiete 12 000 Talente zusammengebracht; also eine Eriegskasse
von vier Myriaden und 6000 makedonisch-attischen Talenten.
Durften somit die 14 800 Talente Jahreseinnahme auch für un-
bedenklich gelten, so schien es doch klar, daß bis zum Ende des zweiten
Ptolemaios aus ihren Überschüssen, zumal da die laufenden Ausgaben
für Heer und Flotte, für zahlreiche Kriege, für große [213] Stiftungen
u. s. w. Geld vollauf kosten mußte, eine Summe von 74 Myriaden
Talenten nicht erspart sein konnte.
Trotzdem die 74 Myriaden zu retten, nahm Boeckh an, daß Appian
die Jahreseinnahme der 38 Jahre, welche Ptolemaios II. regiert hat,
zusammenaddiert habe; indem er ferner für 1^2 Millionen Artaben
Getreide nach den in den Papyren vorkommenden Preisen jährlich
500 Talente, die Jahreseinnahmen aus den übrigen ptolemaischen Län-
dern auf etwas über 4170 Talente rechnete, so erreichte er die 74 My-
riaden. Freilich für die Einnahme aus den Nebenländern hatte er keine
andere Grundlage, als daß ihm gerade 38 x 4170 Talente fehlten, um
die gegebene Summe voll zu machen.
Eine andere Lösung der Schwierigkeit fand Letronne, in der That
die einfachste. Nach mehrfachen Angaben in den alten Schrif tsteUem ^
— und die Papyre bestätigen sie im vollsten Maß — ist in dem ptole-
maischen Ägypten wie nach Silber- so nach Eupfertalenten gerechnet
worden. Letronne halt dafür, daß mit den 74 Myriaden Eupfertalente
gemeint seien, und berechnet diese Summe, nach dem von ihm ent-
wickelten Wertverhältnis zwischen Silber und Eupfer in Ägypten 1 : 60,
auf 12 533 Talent Silber.
unsere Münzsammlungen zeigen, daß ptolemäisches Geld in Gold,
Silber und Eupfer geprägt worden ist. Hatten die drei Metalle als
Münzen fixierten Wert? oder waren zwei von ihnen Ware, deren Preis
an der dritten gemessen wurde?
Die italische und in gewissem Sinn auch die sikeliotische Münz-
geschichte lehrt, daß, wo ursprünglich Eupfer das currente Geld war,
dessen Wert, sobald Silber mit in Umlauf kam, rasch im Wert sank
* So schickt nach Polyb. XXIII 9, 3 der Ägyptische König den Achaiei-n
diax6fna taXavTa rofiluftatog dniarjfiav x<*^^ov, — und früher den Rhodiem nach
dem Erdbeben Polyb. V 89, 1 aQpjgiov TaXavia xqumoaia . . . x«i :|frtAxou vo/iig-
fiaiog TÖXavia x^Xia.
282 Zum Finanzwesen der Ptolemäer
und durch seine Wertschwankungen zeigte, daß es nur noch Ware
sei. Es scheint unzweifelhaft, daß das pharaonische Ägypten einhei-
misches Geld nicht hatte, wenn auch neben anderen Gegenständen Gold,
Silber, Kupfer in Barren und in Ziegeln zu Tausch gebraucht wurde.
Mit dem Handel und der hellenischen Ansiedlung in Naukratis. mit
der wachsenden Ausfuhr von Getreide, Glas, bald auch Papyras, mußte
gemünztes Edelmetall des Auslandes nach Ägypten kommen, seit der
persischen Eroberung das Gold und Silber des Großkönigs, Stateren
xmd Sekeln, wie sie zuerst Dareios I. prägen ließ, dort häufig werden;
hat doch Dareios I. den Satrapen Aryandes schwer gestraft, weil er das
Silbergeld — denn für das Reich galt die Goldwährung — von feinerem
Gebalt als das königliche ausmünzte. Alexanders Eroberung brachte
die Silberwährung über den Osten [214] und zwar die nach attischem
Fuß, die Drachme zu 4,32 g, obschon er zugleich Gold in Menge nach
demselben Gewichtssystem prägen ließ.
Ftolemaios L blieb hei der Silberwährung Alexanders, aber er ließ,
— es ist nicht mehr zu erkennen, von welchem Jahre an — die Drachme
zu 3,57 g Silber prägen, wohl im Anschluß an das in den phonizischen
Städten hergebrachte System, die schon, ehe von Dareios die Geldprägung
für das Reich eingeführt wurde, nach dem sogenannten kleinasiatischen
Fuß gu prägen begonnen hatten.
Daß in dem ptolemäischen Ägypten so gut nach Silber- wie Kupfer-
talenten gerechnet wurde, genauer, daß die Silber- und Kupferwährung
nebeneinander galten, ist nach mehrfachen Angaben alter Schriftsteller,
sowie aus der Art, wie nach den Papyren von Privaten und an den
königlichen Kassen Silber und Kupfer gegeneinander verrechnet wurde,
außer Zweifel. Es ergiebt sich da eine Schwierigkeit, die für unsere
Frage nicht ohne Bedeutung ist.
In einem griechischen Schreiben aus der Zeit Ptolemaios VI. werden
in einer Addition von mehreren Posten 40 Silberdrachmen gleich
4260 Drachmen Kupfer gerechnet', also eine Drachme Silber = lOßYj
Kupferdrachmen. Wiederholt kommt in Papyren derselben und der
nächstfolgenden Regierung der Ausdruck /aAjrog ov äXkuyii vor*; aus
einer demotischen Papyrus führt Revillout' die Worte an: Veohange
^ Notices et extraits XVIII 2, Papyrus des Loavre 59: ibv lo^ov tc5v
Xahibjv nnetTTtjxa h40 a^pj^iov 1-4260, xai natqa <tov hlOOO, nenQaxa t6 oxP^orioy
h500, xai tb ifiuiiov h380, jaXavia 1 hl40. Also im ganzen 6140 Drachmen,
von denen 4260 in 40 Silberdrachmen bar vorlagen.
' So in den Papyren der Zois, die Amad. Peyron in den Mem. del Accad.
di Tor. XXXIU S. 154 ff. veröffentliqht hat
* R^villout in der Ägypt Zeitschrift 18T9 S. 130.
Zam Finanzwesen der Ptolemfter 283
de cuivre 4tant de 24 aereus pour deux diodemea a/irgenUu8\ also da gilt
1 Drachme Silber im Wechsel 120 Drachmen Kupfer ^
Auf eine sehr andere Bechnung führen andere Papjre derselben
Zeit. Der Wiener Tom 49. Jahr des Ptolemaios VII., welcher die Teilung
{Si€CiQB<ng) eines Grundstückes unter mehrere Geschwister betrifft, sagt
in der trapezitischen Beischrift über die Erstattung der Teilungssteuer:
daß der eine der sieben von 1 Talent Kupfer den Zehnten mit 600
Drachmen gezahlt habe (xcckxoi) räkccvra ci riAog SQccxf^cig z^heod
i^ccxoaiag) ^, also das Kupfertalent hat 6000 Drachmen. Der demotische
Text scheint TöUig anders zu rechnen; da heißt es: wer von den Be-
teiligten nicht in dem Vertrage bleibt, paierapieces [215] graveea d'argeni
oinq, sekels vingt-cinq pour les sacrifices du Eoi, qu'ü donne autres airgen-
teu8 mil dnq cents, en talents cinq^\ also ist 1 Kupfertalent gleich 800
Silberdrachmen, und 1 Silberdrachme gleich 5 Sekel oder 20 Kupfer-
drachmen.
Man sieht, da sind zwei oder drei ganz verschiedene Berechnungen
zwischen den beiden Währungen; nach der ersten ist
1 Silbertalent = IO6V3 Talent Kupfer oder 639 000 Drachmen,
nach der zweiten
1 Silbertalent = 120 „ „ =720 000 „
nach der dritten
1 Silbertalent == 20 „ „ =120 000 „
Die Differenz der beiden ersten Ansätze könnte man sich als Wert-
schwankungen des Kupfers erklären, aber Schwankungen bis zum Sechs-
fachen des Wertes in demselben Jahre, in demselben Rechtsgeschäft
sind unmöglich.
Revillout, der diese Dinge zuerst und mit allseitiger Sachkenntnis
erörtert hat, kommt zu dem Ergebnis: daß der Sekel d. i. die Tetra-
drachme in Kupfer die vmU legale sei repondant sans doute d la draekme
d^argent ptolemaique, monnaie isonome {iaövofj^og), c'est d dire commune
aux deux peuples*. Er findet darin die Bestätigung für die Angabe des
PoUux (X 86) und anderer, daß das ägyptische Talent 1500 Drachmen
^ Den demotischen Text mit Übersetzung giebt B^villout Nouv. Chrest.
dc^mot. S. 87. Die griechischen Beischriften Wessely Wiener Stadien III S. 1.
* Ähnlich die griechische Beischrift des Berl. Papyus 88 eine dsxarrj iyxwi-
hoc . . lalavia ß\ tdkog au (Rhein. Mus. 1832 III 4 S. 501, oben Th. I S. 9).
^ Eine andere Übersetzung, die mir Brugsch mitzuteilen die Güte gehabt
hat, wird Anhang 2 bringen.
* R^villout (Ägypt. Zeitschr. 1879 S. 129) sagt , . . que les Orecs d'J^gypte
eomptent ordinairement par ealques ou monnaie de euivre et les EyypHens de
raee par monnaies d^argent Diese Scheidung nach der Nationalität trifft wohl
nicht das wesentliche.
284 Zum Finanzwesen der PtolemSer
gehabt habe, nämlich Sekel, ,,der Sekel der ptolemäischen Silberdrachme
entsprechend".
In den mir bisher bekannt gewordenen Darlegungen ReTÜlonts
ist der Zusammenhang seiner Argumentation noch nicht völlig zu über-
sehen. Wenn er sagt^ daB der Sekel der Silberdrachme „entsprechend''
gewesen sei, so ist nicht deutlich, ob der Sekel mit der Silberdrachme
gleichen Wertes oder nur ein aus ihr entwickeltes und so ihr ^^ent«-
sprechendes" Teilstück gewesen sein soU. Wenn der Argenteus, wie
Kevillout ihn nennt (das Demotische setzt das bloße Zeichen Silber)
ein Silberstück war, das fünf Sekeln gleich galt, so trafen nicht in dem
Sekel, sondern in dem Silberstück die beiden Währungen zusammen
Wenn der Sekel das isonome Stück sein sollte, so mußte er entweder
auch in Silber ausgeprägt sein oder das größte Kupferstück nicht bloß
die Geltung, sondern auch den Wert von 1/5 Silberdrachme haben ; aber
einerseits giebt es kein ptolemäisches Silbergeld [216] unter der Drachme
von 3,57 g, andererseits reichen die schwersten ptolemäischen Eupfer-
stücke, die sich erhalten haben, 70,83 bis 72,40 g, nicht an den Wert
von ^/g Drachme Silber heran.
Es liegt nahe, in dem ptolemäischen Münzwesen ein Analogon von
dem zu suchen, was in Sicilien zwischen Silber- und Kupferwährnng
vermittelnd der Nummus war, der noch Ys Drachme in Silber darstellte,
1 Pfund Kupfer an Wert. Trat in Ägypten dafür vielleicht das isonome
Kupfer ein? Das bisher bekannte Material scheint dafür keinen Anhalt
zu bieten. Bevillout sagt: dans les oamptes grecs d'Egypte les monnaies
isonomes aont, sans cesse, opposSes aux monnaies „dMd U ckange^'. Unter
den mir bekannten Stellen, wo der Ausdruck „isonom" vorkommt, ist
nur eine für unseren Zweck ergiebig^. Gewisse Priester in Theben
fordern im Jahre 40 (des Ptolemaios VII. Euergetes) bei der königlichen
TQdnß^a von einer Summe von x^cheov rdhxvrcc ^v'j die sie dort depo-
niert hatten, den Rest*, nämlich xccheov rdXavxa laovöfiov raX. |'/ray«
(>!'; beide Summen sind getrennt durch einen fast senkrechten Strich,
wie er auch sonst in den griechischen Papjren als Zeichen der Gleich-
setzung vorkommt^; bei einer zweiten Mahnung, einige Wochen später,
^ Die übrigen Stellen werden im Anhang 2 genannt werden.
< Parthey (Abh. der Berl. Akademie 1869 I S. 12) las irrig x^^^ov ZEN.
Das Zeichen 'J' für 900 (statt des üblichen /^) findet sich ebenso in den grie-
chischen Beischriften No. 37 (Rhein. Mus. III 4 S. 514, Th. I S. 18) und sonst.
• Rhein. Mus. III 4 S. 520, Th. I S. 23 x»^ov talayra ß' , xeXog efaxofft«,- / x'.
Also von zwei Talenten Kupfer die eiKoarq 600 Drachmen. Derselbe Strich in
dem von Buttmann edierten Berl. Papyr. No. 36 /«Axov TakavTn ^ TÜog ^y«xo-
Zum Finanzwesen der Ptolemäer 285
nennen die Mahner nur diese zweite Summe x^^ov tüL q^. Hiernach
also sind 60 Talente isonomes Kupfer ^ 160 Talenten gewöhnliches
Kupfer^ das man als ov ülXccyri wird bezeichnen dürfen.
R^villout hebt hervor, daß Gleichungen von zweierlei Art Kupfer,
wie die erwähnten, in Papyren aus der Zeit der ersten vier Ptolemäer
sich bisher nicht gefunden haben, sondern erst seit dem Jahre 20 des
Ptolemaios V . Epipbanes. In den ersten Jahren dieses Königs begannen
die großen Aufstande, welche eine eigene Dynastie in der Thebais, eine
ägyptische, möglich machten, die sich von 203 bis 185 hielt.
Möglich, daß Ptolemaios I., als er sein Münzsystem gründete, für
den Kleinverkehr im Innern des dichtbevölkerten Nillandes, wo der
Masse der Bevölkerung Wohnung, Kleidung und Nahrung außerordent-
lich wenig kostete und in deren täglichem Leben selten eine Silber-
münze, noch seltener ein Goldstück vorkommen mochte, Kupfergeld nach
dem damals in Ägypten geltenden Preise des Kupfers normiert prägen
ließ, und zwar so, daß Silber nicht unter 1 Drachme [217] (8,57 g,
etwa ^8 Mark an Wert) ausgeprägt wurde, die minderen Nominale für
den Kleinverkehr nur in Kupfer. Je größere Massen Kupfer — und
die nahe Wüste, die Kupferwerke von Cypem, am Berge Sinai u. s. w.
gaben Erz vollauf — gemünzt wurden und je mehr auch im Klein-
verkehr Edelmetall in Umlauf kam, desto mehr sank der Kurs des
Kupfergeldes. Wenn dann wahrscheinlich gewisse Abgaben {äpyvptxccl
nQ6<ToSoi Inscr. Ros. lin. 4), sicher gewisse Strafgelder in Silber gefordert
wurden, aber in Kupfer ov äXlay^ eingezahlt werden durften, und
dieser Tausch an der königlichen rpdna^cc des Nomos, die zugleich
Staatskasse und Wechselbank war, offizieller Weise mit allerlei Provi-
sionen für die Bank vorgenommen werden mußte, und zwar nach dem
Kurswert des Kupfers — denn sonst wäre die äUxcyi^ nicht nötig ge-
wesen — , so war die notwendige Folge davon, daß aus dem Kleinver-
kehr das Silber abfloß — wie seiner Zeit das Silber und Gold Frank-
reichs vor den Assignaten, — nicht nach dem Ausland, sondern in die
königliche Kasse. Wenigstens in Ägypten; denn wenn auch in den
sonstigen ptolemäischen Ländern in gleicher Weise Kupfer geprägt
wurde, wie die Monogramme und Beizeichen von cyprischen, phönizischen
u. s. w. Städten erkennen lassen, so ist doch nicht zu erweisen, daß da
in gleicher Weise nach Kupfer gerechnet wurde, gewiß nicht aus der
Erzählung in dem Briefe des Aristeas über die LXX (und Josephus
folgt ihm), daß ein jüdischer Mann die Gefälle seiner Heimat, für deren
Erhebung bis dahin als Pacht 8000 Talente Kupfer gezahlt worden
waren, für 16 000 übernahm, — wohl Kupfer ov allayri, wie denn
diese Verpachtungen in Alexandrien versteigert wurden.
286 Zum Finanzwesen der Ptolemäer
In Anhang 2 wird weiteres über das isonome Kupfer mitgeteilt
werden; hier war diese Frage nnr in so weit zu erörtern, als sie
möglicherweise die 74 Myriaden Talente Appians erklärlicher machen
kann.
Appian sagt nicht, daß diese Summe nur in geprägtem Silber
bestand, es kann in derselben immerhin auch Silber in Barren und
Geräten, auch Oold, geprägtes, in Barren, Kränzen, Statuen, Gefößen
u. s. w. mitbegrifFen sein. Er sagt auch nicht, daß dies „des Königs
Schatz'^ gewesen sei, sondern der König habe iv rot^ &fj(TccvQoTg an
Werten (xQ^fAura) 74 Myriaden Talente gehabt. Ägyptische Talente,
sagt er an dieser Stelle, während er an anderer nach andern Talenten
rechnet; wenn er (Y 2) angiebt, daß das euböische Talent gleich 7000
Alexandrinern sei, so giebt er damit nicht, wie jüngst gesagt ist, eine
Erklärung für das, was er mit ägyptischem Talent meint, denn seine
läi^ävSpeiot Sgcexiicci sind Alexanderdrachmen, in dem Sinne wie
Mommsen R. M. S. 28 nachgewiesen hat. Von Kupfertalenten [218]
spricht Appian, soviel ich sehe, nirgends ; und in Ägypten wird keines-
weges immer und nur nach Kupfertalenten gerechnet.
Da Appian mit seinen 74 Myriaden den großen Reichtum der
ersten makedonischen Könige Ägyptens erweisen will, so kann er wohl
nur Silbertalente gemeint haben, nach dem in Ägypten geltenden Münz-
fuß einen Silberwert von ungeföhr 950 Millionen Thalem.
Zieht man mit Letronne ?or jene 74 Myriaden für Kupfertalente
zu halten, so gäbe das nach dem von Letronne angenonmienen Ver-
hältnis von 1 : 60 in Silber 12 538 Talente (gegen 15 Millionen Thaler),
nach dem oben entwickelten von 1 : 120 die Hälfte davon, — etwa
so viel wie der Rest des Schatzes betrug, den König Perseus in dem
letzten schweren Kriege, gegen die Römer nach der völligen Niederlage
auf der Flucht noch bis Samothrake rettete ; eine Summe, die für Ptole-
maios II. in der Zeit seiner höchsten Opulenz und Macht wohl mit
Recht „unansehnlich^' genannt werden durfte, „des Ruhmes nicht wert,
mit dem nicht bloß Appian dieses Königs Reichtum feierte
Scheint die Reduction der 74 Myriaden Talente auf Kupfer eben
so unangemessen, wie die Erklärung dieser Ziffer aus der Summierung
von 38 Jahreseinnahmen bedenkliche Vorraussetzungen und Ergänzungen
nötig macht, steht andererseits die bei Appian überlieferte Ziffer hand-
schriftlich fest, wie man nach Mendelssohns Textausgabe glauben darf^
so scheint nur noch die Annahme übrig zu bleiben, daß Appian mit
oder ohne Absicht Falsches berichtet hat
Es kommt darauf an, ob sich eine solche Annahme begründen oder
doch wahrscheinlich machen läßt^ und zwar in solcher Weise, daß man die
Zum Finanzwesen der Ptolemäer
287
Größe der Summe, for oder wider die der Beweis gefunden werden
soll, nicht mit als Beweismittet heranzieht
Es ist auffallend, daß das, was Hieronymus mit seinem historiae
narrant anfuhrt \ sowohl in der Auswahl und Reihenfolge der verzeich-
neten Oegenstände, wie in den Zahlen im wesentlichen mit Appians
Angaben übereinstimmt
Hieronymus
habmase eum pedituim dueenta müia
equitum viginii miUa
eUphantos quos primtts edttaoit ex
Äethiopia quadringentos
[219] curruum vero duo milia
naives longas quaa ntmc libumas voeant
müle qmngentaSf alias ad eibaria
militum portanda miüe
Appian
tois ifioig ßauiXevui fiopoig ^v uigazia
ne^&p fWQiadsg atxout,
xai lAV^Mag innitav leairaqBg^
xotl dX^<pavTeg noXsfuaiai TQvaxoiTioi
xai ägfiaia dg fiocxag öiaxUia
xal onXa dg Ötadox^iv fivqia<Ti jQiaxorTtt
xai raös /asp avioig ijy dg ne^ofiaxiag' dg da
vavfiaxlag xopxa)ia, xai oua a^ixQozaifa
äkka, ötaxlhaf T(firJQ6ig de, anb ^fiioXiag
fiaxfft' navtrjQGvgf naviaxdirtai xal //iUai
xal (Txevt^TQUjQSTixadtnXoTBQatovxtaVf&a-
XafiTjY^ ia x^üWTOnqvfiva xal xfjvadfMßoXa
dg noX^fiov nofini^y, olg avToi duniki"
ovxag dndßaivoy oi ßaaileig, ^xiaxotrutj
auri quoque ei argenti grandepondus, x((^f^^^f^^^^^o£gxhfaav(foigx8<TiTaQegxai
ita ui^ de Aegypto per singtUos eßdo^ijxoyxtt /jiv(iiadeg xaXavxcjv AI-
annos quatuordscim milia et ootin- pmxitav
genta talenta argenti aeeeperint et
frumenü artabas, quae mensura tres
modios et tertiam modii partem
hahet^j quinquies et decies centena
milia
Appian läßt die 1500000 Artraben Getreide fort; er fügt einen
Schlußsatz hinzu, der nicht ganz dem Eingang entspricht. Er hat mit
^ Die SteUe lautet im Zusammenhang (bei Migne patrol. lat. XXV 5
S. 585) zu Daniel C. 11 V. 5 iste est Ptolemaeus Philadelphua secundus rex
Aegypti, fUius Ptolemaei superioris .... tantaequB potentiae fuisse narratur
ut Ptohmaeum patrem vineeret Narrant enim historiae u. s. w.
' Die Differenz der Ziffer erklärt sich aus der häufigen Verwechselung, daß
man d' für Ovo las oder umgekehrt In dem Festzug, den Kallizenos beschreibt
(bei Athen. V S. 203), ziehen mit auf 57 600 Mann Fußvolk und 23 200 Reiter.
' Das ita ut ist hier nach dem loseren Gebrauch der späteren Latinität
epezegetisch zu verstehen, wie Hieron. in Ezech. 36, 16 S. 359 D. in Oseam 2,
10 S. 875 A.
^ Hieronymus rechnet nicht nach der ptolemäischen Artabe, die 4 Vi rö-
mische Modii beträgt, sondern nach der, wenn man will, römischen; ob er diese
Erläuterung aus eigener Kenntnis giebt oder sie in seinen historiae so fand, muß
dahingestellt bleiben.
288 Zorn FüuuDzwefleD der Ptolemfter
der Äußerung begonnen: „daß die Teilstüeke des glanzenden Alexander-
reiches immer noch glänzend genug gewesen seien^, und fuhrt dann
als Beispiel an, daß ^^ine Könige allein^' so und so viel Truppen, Schiffe
u. s. w,f so und so viel Geld ^ roig &fi(ravQOiq gehabt hatten, und
schließt dann:
lg yäg Sij TOfrovTO naffacrxevfjg re xcu axQotiäq ix t(Üv ßuaiXix&r
ävuyqatf&v tfuhtxui nQOtcyayfhv re xal xarahnafv 6 StvztQog
AlyimTOV ßaatXtvq fur 'AXi^avSgov.
Man braucht nicht Anstoß daran zu nehmen, daß Appian Ptolemaios II.
als den zweiten König Ägyptens bezeichnet, da auf Alexander zunächst
Philipp III. und Alexander IV. gefolgt seien; diese waren Könige des
ganzen Reiches, Ptolemaios I. der erste Konig Ägyptens. In der ganzen
Beihe von Aufzählungen spricht er von dem, was „seine Könige'^ gehabt
und beschafft haben; und nur zum Schluß wird das Ganze, und zwar
mit einem nicht sehr prädsen Ausdruck auf Ptolemaios II. gewandt
Wenn er sagt: aus den königlichen ävayQa(faiq erhelle, daß dieser
König bis zu solcher Höhe die Macht und die Mittel „gesteigert und
vererbt habe^, so ist weder deutlich, was zum Weiterführen, [220] was
zum Vererben da war, noch welcher Art die üvccyQccfpai sind, ans
denen dies erhellt.
Soll man annehmen, daß diese ßcctnlixal ävccyQcctpal offizielle Auf-
zeichnungen, Aktenstücke in dem königlichen Archiv zu Alexandrien
waren? ^ daß Appian, der in seiner amtlichen Stellung dort (als ini-
TQonog, prooem. 15) immerhin Zugang zu den Archiven gehabt haben
mag, solche Aufzeichnungen benutzte und korrekt wiedergab? Amtliche
Verzeichninse konnten weder so durchgehend runde Zahlen geben, noch
für jedes der 38 Jahre des zweiten Ptolemaios mit so stereotypen Ziffern
der Schiffe, Truppen, Elefanten, Streitwagen u. s. w. richtig sein wollen«
Auch Diodor bezieht sich, nicht bloß für die ägyptische Vorzeit, mehr-
fach auf ävayQUfpai So I 31, wenn er anführt, daß Ägypten in der
Pharaonenzeit mehr als 18 000 Städte und Dörfer gehabt habe G}q kv
xmg üvccypcc(paTg öqüv iarl xaTaxtx(oQia(iivov, oder I 46: oi xax
AXyvnxov iepetg kx t(S>v ävayQatp&v ItnogoüGi^ auch für seine eigene
Zeit beruft er sich auf solche Zeugnisse, so XVII 52, itpaaav oi rag
ävayQatfäg 'ixovreg röv xaroixovvrcov ävai rovg iv air^ (Alexan-
drien) ÖiaxQißovTug kl^v&iQOvg nX^iovg xßv xQiüxovxcc pLVQidSfov, tx
8i x&v nQoaöÖcov x6>v xux AXyv%xov ^fjLßüvaiv x6v ßaaiXia nketo}
x(S>v i^czxiaxihcov xaXüvxcov,
* Lumbroso S. ISl glaubt, daß diese ava^gafpai die Journale des königUchen
Kabinetts seien : iout ee qui s'y disatt et faisait fui ierit jour par jour u, & w.
Zum Finanzwesen der Ptolemäer 289
Wenn Hieronymus sagt historiae narrant und dann fast dieselben
Dinge und Zahlen in derselben Eeihenfolge wie Appian anführt, und
wenn er die Jahreseinnahme von 14 800 Talenten und V/^ Millionen
Artaben Getreide giebt, die Appian nicht hat, so war seine Quelle nicht
Appian ; wohl aber hatten die historiae, auf die Hieronymus sich beruft,
aus denselben ävayQafpatq geschöpft wie Appian oder der Autor, den
er benutzt hat. Wir haben in Appian und Hieronymus nicht zwei
Zeugen für dieselbe Sache, sondern nur verschiedene Ableitungen aus
derselben Quelle.
Es ist vielleicht beachtenswert, daß beide 2000 Wagen, Kriegs-
wagen, wie sie Appian nennt, anführen. So wenig in dem Verzeichnis
des ptolemäischen Heeres, das 217 bei Baphia gegen Antiochus III.
kämpfte, wie in dem syrischen Heere erwähnt Polybius (V 65) der
Kriegs wagen; auch in dem glänzenden Festzuge, den Kaliixen os be-
schreibt (Athen. V S. 203) und in dem auch 57 000 Mann Fußvolk,
23 000 Keiter und Kriegsmaterialien in Menge aufgeführt werden,
kommen keine äoiiaxa kq fxäxag vor, wie denn solche in dem make-
donischen Militärsystem seit Alexander und bis zu Antiochus III. Schlacht
bei Magnesia keine Stelle hatten, während die altägyptischen ävayQatpaiy
auf die sich Diodor (I 45 und 54) beruft, die 20 000 Streitwagen des
Busiris, die 24 000 des Sesostris sachgemäß anführen.
[221] Von größerem Gewicht dürfte ein anderes Bedenken sein.
Wir haben von den Schiffen des zweiten Ptolemaios noch eine andere
Angabe, die in besonderem Maße glaubwürdig erscheint. Der Sprecher
bei Athen. V S. 203 entnimmt sie sichtlich dem Werke des Rhodiers
Kallixenos, aus dem er unmittelbar vorher mehrere größere Stücke
mitteilt. Er sagt: „dieser König, der vor vielen durch Eeichtum hervor-
ragte und allen an Kriegsrüstungen voraus zu sein den Ehrgeiz hatte,
übertraf auch alle an Menge seiner Schiffe^; seine größten Schiffe waren
2 von dreißig ßuderreihen, 1 von zwanzig, 4 von dreizehn, 2 von zwölf,
14 von elf, 30 von neun, 37 von sieben, 5 von sechs, 15 von fünf Ruder-
reihen ; dann doppelt so viele, also 224, von Tetreren bis zu Halbdeck-
trieren hinab; die Zahl der nach den Inseln und den andern ptole-
mäischen Städten und nach Libyen detachierten Schiffe war mehr als
4000". Controlieren können wir diesen Katalog des Kallixenos nicht;
aber daß er so spezielle Zahlen, gewiß die für einen bestimmten
* Athen. V S. 203: noXl^dv Ht 6 0dad6X(po^' ßaaikstay nXovKo dufpege x«i
TieQi Tiüvia b(T7iovdux6i I« xataaxevaafiata (piXoxLfHüc j lodie xal n).oi(üv nh)ffti
Tiat'ta^ vjiBqißalXe. Dem entsprechend Theokrit XVII 95: oXßw fity napia^ xe
xautßeßQif^ei ßaaiXfjag, Toaaoy in itfiag txaaiov ig vKpveby ^i^/6r»( oixop.
Droysen, Kl. Schriften II. 19
290 ^°"^ Finanzwesen der Ptolemfier
Zeitpunkt in des zweiten Ptolemaios Begierong, giebt, scheint ihm den
Vorzug Tor der Nachricht von 1500 Kriegsschiffen zu geben , die ans
den ävayoaffat^ aof Appian und Hieronjmus gekommen ist
Von welcher Art diese ävuyoaifui gewesen sein mögen, — ob
Aufzeichnungen nach einer AVeihinschrift oder einem priesterlichen
Dekret zum Gedächtnis des zweiten Ptolemaios, ob Zusammenstellungen
statistischer Art, wie sie sich im Publikum verbreitet oder in beliebten
Fremdenführern für Alexandrien zu finden sein mochten, oder was sonst
— die beiden aus ihnen abgeleiteten Verzeichnisse, die wir noch haben,
stehen in dem Punkt, in welchem sie am weitesten voneinander ab-
weichen, vielleicht doch einander näher, als es auf den ersten Bli(^
scheint.
So gewiß die 14 800 Talente des Hieronymus und die 74 Myriaden
Talente des Appian runde Zahlen sind, so seltsam müßte der Zufall
gespielt haben, wenn es ein Zufall sein sollte, daß Appians Gesamt-
summe genau das Fünfzigfache der Jahreseinnahme bei Hieronymus
beträgt
Freilich Ptolemaios II. hat nur 38 Jahre regiert; aber der von
Appian gebrauchte Ausdruck nQoayaytbv scheint anzudeuten, daß er
oder der Autor, den er benutzte, nicht bloß diese 38 Jahre in Rech-
nung ziehen wollte; denn zum „Weiterfahren" gehört etwas, das weiter-
geführt werden kann , — in diesem Fall das von Ptolemaios L [222]
an Mitteln und Schätzen dem Sohn Vererbte. Appian oder der Autor,
dem er folgte, konnte auf die Zahl 50 auf mancherlei Weise kommen,
z. B. wenn er von der Schlacht von Ipsos an rechnete, mit der die
zuletzt noch von dem alten Antigenes vertretene Einheit des Alexander-
reiches für immer abgethan und damit die Selbständigkeit des ptole-
mäischen Königtums wie der anderen Teilfürsten endlich als Ergebnis
der Diadochenkämpfe gesichert war. Es sind von da bis zum Tode
des zweiten Ptolemaios (301 — 247) nicht genau 50 Jahre; aber zu den
anderen runden Zahlen ließ sich füglich auch die der Jahre abrunden,
deren je 14 800 Talente man summierte.
Wie auch diese 50 zu erklären sein mag, man wird nicht umhin
können, in den 74 Myriaden eine gemachte Zahl, nicht eine authen-
tische Überlieferung zu erkennen. Aber daß Appian diese Zahl giebt
berechtigt uns zu einer weiteren Erwägung.
Mag Appian sich jene 74 Myriaden selbst ausgerechnet oder die
Ziffer in dem Autor, dem er hier folgt, schon so gefunden haben,
— in der Planmäßigkeit seiner 24 Bücher römischer Geschichte und
in der Darstellungsart der uns davon erhaltenen zeigt er sich keines-
weges als ein Litterat nach der Mode, der Geschichte schreibt, um
Zum Finanzwesen der Ptolemäer 201
seine Rhetorik oder seine Stimmungen und Mißstimmungen an den
Mann zu bringen. Er ist lange Jahre erst in Rom, dann in Alexandrien
Beamteter gewesen; er hat etwas in seiner Art, das an seinen älteren
Zeitgenossen Arrian, den gewiegten Soldaten, erinnert; er ist ein nicht
sehr kritischer, aber verständiger und auf die Sache gewandter Schrift-
steller, dem es darum zu thun ist die große geschichtliche Thatsache
der römischen Weltherrschaft sich klar zu machen und sie in ihrem
Werden und Wachsen seinen Lesern darzulegen. Er sagt prooem. 15:
„am Schluß seines Werkes", das in der Reihenfolge der äußeren und
inneren Kämpfe Roms bis zur Feststellung der Monarchie eben diesen
Gedanken durchführt, „werde er die Stärke des Heeres der Römer, die
Einkünfte, die sie aus jeder ihrer Provinzen ziehen, ihre Ausgaben zur
Überwachung und Sicherung der Meere und zu anderen derartigen
Zwecken darlegen". Wenn ein solcher Schriftsteller, in solchem Zu-
sammenhang und im Hinblick auf solchen Schluß seines Werkes die
frühere Macht und Opulenz Ägyptens mit jenen 74 Myriaden hat be-
zeichnen wollen, so muß er der Meinung gewesen sein, daß eine solche
Summe weder das Maß des Möglichen überschreite, noch ihn in den
Augen seiner Zeitgenossen als Ignoranten oder Schwindler erscheinen
lassen müsse.
Aber vielleicht nahm er, der jahrelang in amtlicher Stellung in
Rom gelebt hatte, in dem Rom des Marc Aurel und Verus {GvvtjyoQßvfrag
Ini T&v BaaiXk(üv) aus den Anschauungen opulentester Macht und
[228] unermeßlichen Reichtums, wie er sie dort empfangen, den Maß-
stab für Zeiten, die dreihundert Jahre rückwärts lagen.
Es ist oben des Rhodiers Kaliixenos erwähnt worden, der viel-
leicht ein Zeitgenosse des vierten Ptolemaios in zwei Beschreibungen,
die uns aus dem ersten und vierten Buche seines Werkes über Alexan-
drien erhalten sind, erkennen läßt, was Ägypten in dem ersten Jahr-
hundert der Ptolemäer an Pracht, Geschmack und Technik zu leisten,
an Reichtümern zur Schau zu stellen vermochte.
Es ist einmal die Beschreibung zweier kolossaler Schiffe, die
Ptolemaios IV. Philopator hat bauen lassen (Athen. V S. 203 flf.), eines
Seeschiffes von vierzig Ruderreihen, für mehr als 4000 Ruderer,
400 Matrosen, 2850 Seesoldaten u. s. w., — und einer Nilbarke von
^2 Stadion Länge, wie ein Königspalast eingerichtet und ausgestattet,
von unbeschreiblicher Pracht und Kunst.
Sodann die Beschreibung des von Ptolemaios IL gefeierten dio-
nysischen Festes; erst des zeltartigen Prachtbaues, der für dasselbe
errichtet worden, dann des Festzugs, der sich zu demselben hin und
an ihm vorüber bewegte. Es würde der eingehenden technologischen
19*
292 Zum Finanzwesen der Ptolemäer
Interpretation eines in allen Zweigen der Gold- und Silberarbeit so
wie in der statischen Berechnung der Metallverwendung Sachkundigen
bedürfen, um eine wenigstens annähernde Schätzung des Wertes der
da angefahrten, zum Teil kolossalen Gefäße und Gerätschaften von
Gold und Silber zu gewinnen. Unter den goldenen Dreifußen, die er-
wähnt werden, sind neun von 4, acht von 6, einer von 30 Ellen
(13,87 Meter) Höhe, vier goldene Kandelaber von 10 Ellen Höhe, gol-
dene Mischkrüge und Kühlfasser zu 15, zu 30 Metreten (541 und
1182 Liter), ein silberner Mischkrug zu 600 Metreten (23 634 Liter,
also ein Cubus auf 2,87 Liter). Femer auf einem Wagen ein goldener
Thyrsos von 90 Ellen Länge (41,62 Meter), auf einem anderen Wagen
ein goldener Phallos von 120 Ellen Höhe (55,49 Meter) mit einem
goldenen Stern von 6 Ellen Umfang an seiner Spitze^. Die goldenen
[224] Kranze, Krüge, Trinkschalen, Kannen, Becken, Schüsseln u. s. w.,
mit denen Knaben, Mädchen, Satyrn, Nymphen u. s. w. in dem Fest-
zuge erscheinen, zählen nach Tausenden. Einen eigenen Teil des
Zuges bildet bloß goldenes Gerät, das vorübergefuhrt wird, einen
andern nur silbernes, dann noch einmal ein paar Hundert goldene Ge-
rätschaften, darunter ein goldener Panzer 12 Ellen hoch, 64 goldene
Panoplien, 20 goldene Schilde, ein goldenes Hörn 30 Ellen lang, und
dann zum Schluss dieses Teils der Pompe noch 20 Wagen mit Gold-
gefäßen, 400 mit silbernen, 800 Wagen mit Weihrauch und Spe-
zereien.
Für unseren Zweck von Interesse sind die drei Wertsummen, die
Kallixenos angiebt. Einmal in dem letzten Teil des Zuges in der
* Kai dy aXhj (Ter^axvxXü}) q^aXlby /^aovc nrj/üjp dxaTOP BtxofTiy dirt^ey^ii-
fiBPog xal öutd&defieyog (Tiefjfiain ötnxQvaoic u. 8. w. (S. 201 e). Die Techuikcr
mögen erklären, was ötaif^fqa^^svo'; bedeutet, ob eine Art Niello oder Bemalang
oder was sonst. Das Gold des Phallos war wohl die Umkleidung eines hölzernen
Gerüstes. Das Gewand der chryselephantinen Pallas Athene in Athen (fast
10 Meter hoch), das 44 Goldtalente wog (2805 Zollpfand Gold), hat man auf
,, wenig über eine Linie Dicke'' (1 Linie = 2V6 Millimeter) aus dem Gewicht
berechnet. Nach einem ungefähren Überschlag, das Gold des Phallos als Mantel
eines Cylinders von 56 Meter Hohe und 8 Meter Durchmesser gerechnet, fordert
dessen Goldumkleidung, wenn man dies Gold in der Dicke unserer Doppelkronrn
(l*/^ Millimeter) rechnet, 3 T02 500 Zwanzigmarkstücke, wenn in der um \'g ge-
ringeren der einfachen Kronen , 4 964 000 Zehnmarkstücke. Da 3855 Mark auf
ein ägyptisches Talent Silber gehen, so hat im ersten Fall der Mantel den
Wert von 19 208, im zweiten den von 12 876 Talenten gehabt. Leider ist bei
dem Wagen für den Phallos nicht bemerkt, wieviel Männer ihn zogen, ob 50.
180, 300, 600, denn das sind die Zahlen, die da bei anderen Wagen vorkommen;
man entbehrt so eines Anhaltes, um das Gewicht des Phallos annähernd zu be-
stimmen.
Zum Finanzwesen der Ptolemäer 293
Reihe der goldelfenbeinemen Throne mit Diademen, Krügen, Füll-
hörnern ist der Thron des Ptolemaios L mit einem Kranz kx fivQicjv
xccTsaxBvccfTiJ^ivov xQVfTöjv, also von 10000 Oktodrachmen Gold, 1 der-
selben gleich 1 Mine Silber, also 166*/3 ägyptische Silbertalente. So-
dann am Schluß: „goldene Ehrenpreise wurden 20 verteilt; Ptolemaios I.
und seine Gemahlin Berenike wurden geehrt mit drei Statuen auf
goldenen Wagen und heiligen Hainen in Dodona; der Aufwand dafür
war 2239 Tal. 50 Minen; und dies alles wurde von den Verwaltern
{olxovöfioig) Dank dem Eifer der Ehrenden {rßv (jrecpavovvrcav) gezahlt,
ehe der Zug begann; ihr Sohn Ptolemaios (wurde geehrt) mit goldenen
Bildern, zweien auf goldenen Wagen und einem von 6 Ellen, fünfen
von 5 Ellen, sechsen von 4 Ellen Höhe auf Säulen" \ Die dritte An-
gabe endlich ist aus der Beschreibung des Festzeltes; da ist dem Sym-
posion gegenüber — 100 „goldene" Diwans, neben jedem zwei goldene
Tripoden auf silbernen Untersätzen, hinter jedem je ein silbernes und
ein vergoldetes Becken — ein Schenktisch, wenn man so sagen dart^
mit Goldgeräten aufgestellt, die im einzelnen {ri^v xccrä juigog xrcra-
üxtv^fiv) aufzuzählen, sagt Kallixenos, zu weitläufig wäre, aber der Wert
derselben sei an 10000 Talente Silber gewesen*.
[225] Athenaios hat nur Fragmente aus Kallixenos Beschreibung
gegeben, der seinerseits, wie er selbst angiebt, nicht alles aufgezählt
hat, sondern hauptsächlich nur das, „wobei Gold und Silber war".
Und indem er außer in der angeführten Stelle vom Schenktisch noch
in einer zweiten bemerkt, daß er nicht rä xccrä fUQog herzählen wolle,
erfahren wir, aus welcher Quelle er seine Darstellung geschöpft hat;
wer das einzelne wissen wolle, sagt er, der möge rag rcHv nBvrsTrjQiSoDV
ygatpäg in die Hand nehmen und nachsehend
^ Auch nach Cobets Emendationen (or. de art interp. S. 62) bleibt in dieser
Stelle viel Unklares. Athenaios giebt dies Fragment so abgerissen, daß man
nicht sieht, von wem die Ehrenpreise kommen. Darf man auch annehmen, daß
die 20, sowie die für Ptolemaios I. und Berenike von dem Festgeber Ptole-
maios IL sind, so müssen die ihm gewidmet(^n doch notwendig von anderen ge-
stiftet sein. Daß die an dieser Stelle angeführten 2239'^/« Talente „nicht Silber-
talente sein können, sondern Kupfertalente sein müssen^^, nach Letronnes Ansatz
87 Vs» nach dem oben aus dem Papyrus gefundenen Wertverhältnis IS'/g Silber-
talente (nicht ganz 23 000 Thaler), wird man nach der Schilderung des Kal-
lixenos schwerlich gerechtfertigt finden.
• T6 de Tov (TxnßfMOv nk^Oog etg fivqia jaXavia äqyvqiov rfjv avfjinttffav 6ix8
' Athen. V 197 d tr ^6 xaia fiego^ avxt^v et ttg eldeyat ßovXetai tot; iciv
nepjeTriqLd(av fqaqifig Xafißavav intaxoneUci}. Man wird Bedenken tragen ava-
^Quipag zu schreiben, aber ebenso zweifeln dürfen, ob ^gonpal in dem ungeföhr
entsprechenden Sinn gebraucht werden kann. An Gemälde zu denken, Gemälde
294 . Zum Finanzwesen der Ptolemäer
Wenn allein auf dem Schenktisch Goldgefäße, die 10 000 Silber-
talente wert, aufgestellt waren, so wird wohl, was bei diesem Fest
überhaupt an Gold, Silber, Edelsteinen, Purpur, Spezereien u. s. w.
zur Schau gestellt wurde, nach Myriaden von Silbertalenten zu schätzen
sein; ob auf 10, 20 oder wieviele sonst-, entzieht sich der Berechnung.
Wenn Schlosser und nach ihm andere Gewicht darauf gelegt
haben, daß die zur Schau gestellten Schätze keinesweges dem Könige
allein gehört haben werden, daß unzweifelhaft von den Tempeln, den
Großen des Hofes, Privatleuten, was sie an Kostbarkeiten hatten mit
hergeliehen sei, so ist das immerhin möglich, aber in den Worten des
Kallixenos oder Athenaios steht nichts davon. Und wenn Kallixenos
in der Regel angiebt, was StüxQvaov, intxQvaov, /pi/crow sei, so hat
man kein Recht, nach Belieben diese oder jene der aufgeführten Stücke,
namentlich die Goldstatuen, für xatüxgvaoi zu erklären.
Es muß uns genügen, aus der Schilderung des Kallixenos eine
summarische Vorstellung von dem Reichtum des Ptolemaios II. zu
gewinnen, wenn dieselbe uns auch keinen Ersatz bietet für die aus-
drückliche Zahl der 74 Myriaden Talente Appians, die sich uns als eine
gemachte erwies.
Die kolossalen Massen edlen Metalles, welche die ägyptischen
Könige besaßen, zeigen wie unverhältnismäßig viel sie dem Verkehr,
richtiger der erwerbenden Thätigkeit entzogen und bis auf weiteres
tot legten. Daß in den anderen hellenistischen Reichen in analoger
Weise verfahren wurde und daß dann die Römer, diese Reiche eins
nach dem andern bewältigend, deren Schätze an sich brachten und
sie [226] als Provinzen nur noch habgieriger verwalteten und aussogen,
giebt für die wirtschaftlichen Zustande des ausgehenden Altertums und
zum Teil auch für die moralischen die Erklärung.
der Art, wie sie jüngst in der Famesina in Rom gefunden worden sind oder
wie ßie in C. I. L. IX 1666 erwähnt werden {idem basiliearrij in qua tahuL muneris
ab eo editi posit sunt con8ummavii\ scheint mit dem lafißaycav nicht vereinbar;
man müßte denn annehmen, daß von solchen Bildern skizzenhafte Kopien auf
Papyros mit Beischriften von Namen, Zahlen, Erklärungen, wie altägyptische
Monumente deren so viele haben, gemacht worden seien; nur daß dafür bisher
keine Spur sonst gefunden ist.
Zum Finanzwesen der Ptolemäer 295
Anhang 1.
Arsinoe Philadelphos.
Die Bruchstücke aus Eallixenos Beschreibung von Alexandrien
geben keinen sicheren Anhalt für das Jahr der Festfeier, über die er
berichtet Die Vermutungen, welche die Forscher darüber aufgestellt
haben, gehen auf 284 oder 277, indem sie den Anlaß zu dem Feste
entweder in der Übertragung des Diadems auf Ptolemaios II. oder in
dessen Vermählung mit seiner Schwester Arsinoe zu erkennen glaubten.
Ersteres hielt ich (Gesch. des Hell. 11^ 2 S. 318) für wahrscheinlich,
weil in der Beschreibung nicht, wie Berenike an Ptolemaios I. Seite,
so an der des Ptolemaios II. Arsinoe genannt wird. Weitere Erwä-
gungen haben mich zu einem andern Ergebnis geführt.
Es wird an einer Stelle der Beschreibung ein Berenikeion erwähnt,
für dessen ß'VQoofiu eine goldene Aigis und ein goldener Kranz von
80 Ellen in der Länge mit aufgeführt wird. Man darf zweifeln, ob
der noch Lebenden ein solches Heiligtum unter ihrem eigenen Namen,
nicht unter dem einer Gottheit, errichtet werden mochte. Wenn ein
Teil des Festzuges bezeichnet wird als /y rotq r&v ßatnlicov yovevrn
xccTcovofjLaafxivi], so sind damit unzweifelhaft Ptolemaios I. und Berenike,
die Eltern von Ptolemaios IL und Arsinoe, bezeichnet, und daß diese
als „Könige" bezeichnet worden, zeigt, daß das Fest gefeiert worden ist,
nachdem sich Ptolemaios IL mit seiner Schwester vermählt hatte.
Diese Arsinoe ist erst nach 279 nach Ägypten zurückgekehrt
und wie ich (Hell. III* I S. 266) wahrscheinlich zu machen versucht habe,
nicht lange vor 266 ihres Bruders Gemahlin geworden. Sie war es
bereits in der Zeit des chremonideischen Krieges, wie die Inschrift
aus dem Jahre des Peithidemos zeigt (C. L A. I 332 Hell. IIl* 1 S. 233),
einem Gemeinjahr, also nach der von Usener begründeten kalenda-
rischen Kritik einem der Jahre 267/6, 266/5, 264/3, 263/2.
Vielleicht läßt sich die Zeit der Vermählung auf Grund der
Mendesstele, die Brugsch (Zeitsch. für Agypt. Sprache 1875 S. 331)
beschrieben und übersetzt hat, noch enger umgrenzen. Das Bildwerk
dieser Stele zeigt am Schluß der Figurenreihe auf der linken Seite
die Gestalt der Königin Arsinoe mit der Beischrift: „die Tochter,
[227] Schwester und große Frau eines Königs, welche ihn liebt, die
göttliche Philadelphos Arsinoe"; auf der rechten Seite den König mit
dem Kriegshelm u. s. w. In dem Text der Inschrift sind besonders
Z. 11 und 12 für unsem Zweck wichtig; sie lauten nach einer noch-
maligen Revision von Brugsch: „der König wünschte sich zu vermählen
mit der ersten der Jungfrauen, [gleichsam] der Gott Tentefän/ (Bei-
296 Zum Finanzwesen der Ptolemfier
name des Osiris-Mendes) mit der Göttin Ba-aboli, und er gab ihr
folgende Ehrentitel: die anmutvolle Fürstin, die holdseligste, die ge-
krönte .... des Königs Schwester und des Königs Frau, welche ihn
liebt, die LandesfOrstin (?) Arsinoe. Im Jahre 15 im Monat Pachon
am Tage . . ward angesetzt die heilige Weihe der Königin und ihre
Einführung in den Tempel (der Stadt Mendes)'^ Aus Z. 9 ergiebt sich,
daß Ptolemaios bei seiner Thronbesteigung, als er gleich darauf Mendes
besuchte, den Neubau des Tempels zu beschleunigen befohlen habe,
und als er denselben vollendet gesehen „wünschte er sich zn ver-
einigen^' u. s. w. wie oben aus Z. 11 angeführt ist Also im Jahr 15
Monat Fachen d. i. Frühjahr 270 wurde er der Gemahl seiner bedeu-
tend älteren Schwester Arsinoe ^
Er hatte seine frühere Gemahlin Arsinoe, des Ljsimachos Tochter,
verstoßen, nachdem sie ihm drei Kinder, unter ihnen den späteren
Ftolemaios III. Euergetes geboren, und sie war ihm nicht früher als
283 vermählt worden. Jene andere Arsinoe war erst des Ljsimachos
Gemahlin gewesen, dem sie drei Söhne geboren hatte, den ältesten
um 298, die beiden andern 296 und 293; dann nach häuslichen Vor-
gängen, denen der Krieg von 281 und der Sturz des Ljsimachos, die
Ermordung des alten Seleukos durch Ftolemaios Keraunos folgte, wurde
sie dieses ihres Halbbruders Gemahlin, der, während ihr ältester Sohn
Ftolemaios zu den Dardanern geflüchtet war (Trog. prol. XXIV), die
beiden jüngeren Söhne Ljsimachos und Fhilippos in ihren Armen
ermordete (Just XXIV 3, 6); sie selbst rettete sich zu den Heiligtümern
in Samothrake, denen sie' und Ljsimachos in besseren Tagen mehrfach
ihre Munifizenz bewiesen hatten (Inschrift bei Conze-Benndorf Samo-
thrake S. 75 ö".). Erst später — nach 280 — kam sie nach Ägjpten.
Möglich, daß — wie Hell. IP 2 S. 268 vermutet worden ist — , ihr
Anrecht auf die Städte, die ihr Ljsimachos geschenkt, Ephesos, Hera-
kleia am Pontes, Tios, Kassandreia u. s. w., für Ptolemaios IL politisches
Interesse von großer Bedeutung war; und in dem sjrischen Kriege
von 266 — 263, mehr noch in dem dritten von 258 — 248, sind von
[228] der ägjptischen Seemacht mehrere dieser Städte, so wie andere des
einst Ijsimachischen Reiches, so Samo, Magnesia, Milet, erobert worden.
Bezieht es sich vielleicht darauf, wenn in dem Festzuge ein Wagen
mit goldgekränzten Frauen aufgeführt wird, von denen Kallixenos sagt:
nüorT7]yo()BvovTO Si IJökeii ai x &7c layvia^ xai kotnal *EXXijvtSB^
* Z. 6 sagt von Ptolemaios IL: „er war noch nicht geboren, da hatte
er bereits Besitz genommen [von der Herrschaft]; am Tage seiner Wahl wurde
er König, an der Brust ruhend der holdseligen und liebenswerten Gebieterin
(seiner Mutter)^^ Also Berenike lebte 285 noch.
Zum Finanzwesen der Ptolemäer 297
6(rai Tfjv IdfTiav xal xäq vrjtrovg xarotxovaat vn6 rovg üeQGccg
krdxd-fiGcev (S. 201 d). Freilich daß hier die Perser genannt werden,
liegt etwas weit znrück; aber auch weit zurück führt, daß in dem Fest-
zage die Statue des Ftolemaios I., den die Stadt Eorinth mit einem
goldenen Kranze krönt, aufgeführt wird; denn Ftolemaios I. hatte um
308 die Hellenen zur Freiheit aufgerufen und mit seinem Eriegsyolk
Korinth in der That befreit.
Es ist nicht mehr ersichtlich, ob damals oder später das xoivöv
der Nesioten, das in Delos seinen Mittelpunkt hatte, entstanden ist
Unter den zahlreichen Inschriften, welche die Beziehungen dieses
Bundes zu Ägypten bezeugen (HomoUe in dem Bulletin de Corresp.
Hell. IV 1880 S. 325) lautet eine: oi vtidt&rai töv vavcegxov Kalki-
xQÜrrjv Boiaxov ^äfitov ävi&ipeccv. Möglicherweise ist das der-
selbe Kallikrates, welcher 310 „unter Ftolemaios I. in Kypros gegen
Nikokles focht^'; oder Tielmehr Ftolemaios sandte ihn und den Argeios,
beide t&v (piX(ov, nach der Insel, den ihm verdächtigen König der
Faphier aus dem Wege zu räumen {AvbUiv tov JVtxoxXia Diod. XX 21);
dort gelandet, ließen sie sich von Menelaos, dem ägyptischen Strategen
der Insel, Soldaten geben, umstellten das Haus des Nikokles, forderten
ihn auf, sich selbst zu töten, was er nach einigen Einwendungen that,
darauf ermordete seine Witwe ihre Töchter, beredete die Frauen ihrer
Schwäger mit ihr gemeinsam sich zu töten; des Nikokles Brüder ver-
schlossen die Thüren, zündeten das Schloß an, in den Flammen zu
sterben. Man sieht, der Auftrag des Kallikrates und Argeios war nicht
sowohl zu fechten, als eine sehr zweideutige polizeiliche Maßregel aus-
zuführen, deren entsetzliche Folgen von Ftolemaios so wenig gewollt
waren, daß er den Frauen vielmehr Sicherheit hatte zusagen lassen.
Gewisser ist der Nauarch Kallikrates der delischen Inschrift 63 Jahre
nach jenem Vorgang in Faphos nachzuweisen; denn ihn nennt als
Schmeichler des dritten Ftolemaios {tov tqitov ßaatlevtrawog) der
Olynthier Euphantos bei Athen. VI S. 251 in den „Geschichten seiner
Zeit^', von dem man weiß, daß Antigenes (Gonatas) einst sein Schüler
gewesen ist und daß er an ihn eine Schrift über das Königtum ge-
richtet hat (Diog. L. II llO). Dieser Kallikrates ist derselbe, der in
Olympia die Statuen des Königs Ftolemaios 11. und der Arsinoe ge-
weiht hat (Inschriften aus Olympia Archäol. Zeitung 1878 S. 175 No. 193,
Nachtrag 1879 S. 143 und 211 und 1879 S. 191), — derselbe „Nau-
arch Kallikrates", [229] der auf den Strandhöhen des Zephyrion nahe bei
Alexandrien der Arsinoe-Kypris den Tempel weihte, zu dessen Weihung
Foseidippos zwei Epigramme gedichtet hat, das bekannte bei Athen. VII
S. 318 und ein zweites in einem ägyptischen Fapyrus erhaltenes, das
298 Zum Finanzwesen der Ptolemfter
Blass und nach ihm Bergk (im Bhein. Mus. 85 S. 91 und 258) be-
sprochen haben. Daß die Weihung geschah, als Arsinoe Philadelpho6
noch lebte, ergiebt wohl das bei Athen, a. a. 0. erhaltene Epigramm des
Eallimachos, mit dem in den Tempel der Arsinoe als Eypris-Zephyritds
das erste Anathem, eine gewiß kostbar gefaßte Nautilosmuschel , ge-
weiht wurde [öqjga ytvoifiav JSol t6 n^giaxtnrov %aiyviov^ ^Agaivöt}).
Die ungefähre Zeit ihres Todes läßt eine Notiz über ein zweites
Heiligtum, das ihr geweiht worden ist, erkennen; Plinius (XXXIV 147)
sagt: magnete lapide arckitectus Timochares Äleaxmdriae Arsinoes templum
concamerare inchoaverat , ut in eo simulacrum e ferro pendere aere vide-
retur; intercessit ipsivs mors et Ptolemaei regis, qui id sorori sitae itisserai
fieri. Man darf das wohl so verstehen , daß Ptolemaios II. nach dem
Tode seiner Qemahlin-Sch wester den Bau befahl, aber dessen Voll-
endung nicht mehr erlebte. Er starb in dem Jahr nach dem 27. Ok-
tober 247, denn das mit diesem Tage beginnende ägyptische Jahr ist
das erste seines Sohnes Ptolemaios III.
Ergiebt sich aus den angeführten Notizen auch nur, daß jenes
Fest, welches Kallixenos beschreibt, nach 270 und vor 247 gefeiert
worden ist, so bleibt immerhin auffallend, daß in demselben der Arsinoe
Philadelphos nicht von ihrem Gemahl Weihungen und Huldigungen
dargebracht worden sind. Es würde bedenklich sein, darauf weitere
Vermutungen zu bauen, etwa die, daß die Königin die Agonothesie
dieses Festes übernommen habe oder ähnliches. Von den vier Teilen,
aus denen der Festzug nach Kallixenos bestand (Athen. V S. 197 c),
hat er selbst nur den ersten, die dionysische Pompe, ausfuhrlicher
beschrieben, indem er den, der weiteres wissen wollte, auf die y()a(pal
r&v TtavTSTfjQidcjv verweist; und die Auszüge, die Athenaios giebt,
reichen nicht einmal aus zu erkennen, wo der zweite, der dritte Theil
des Festzuges begiönt; und den vierten, in dem der Hesperos den
Schluß macht, wie der Heophoros den Anfang des ersten, übergeht
er ganz. Daß in dem, was von dem Fest überliefert ist, Arsinoes
Name nicht vorkommt, ist mit der Lückenhaftigkeit der Überlieferung
hinreichend erklärt.
Anhang 2.
Die Kupferwährung.
[230] Ptolemäisches Kupfergeld findet sich in Stücken von 0,96 bis
72,40 g ausgeprägt. Natürlich ist in den großen Stücken das Gewicht
verhältnismäßig korrekter als in den kleinen und kleinsten. Das Groß-
Zum Finanz weseu der Ptolemäer 299
stück Yon 70 — 72 g weist auf ein System, das aus dem Gewicht der
Drachme von 8,57 ebenso wie die ptolemäische Gold- und Silbermünze
entwickelt ist
Das Kupfertalent, Kerker, wie man es zum Unterschied von dem
Silbertalent mit den demotischen Papyren zu nennen sich erlauben
darf, teilt sich dekadisch in Ten, Ket, Sekel, Drachme in folgender
Weise:
1 Kerker = 60 Ten = 600 Ket = 1500 Sekel » 6000 Drachmen,
1 „ = 10 „ = 25 „ = 100 „
1 „ = 2V,„ = 10
1 „ . = 4
Wie Kupfer gegen Silber im Preise wechseln mochte, das System
der Kupfermünzen in sich blieb unverändert; und da alle Nominale
unter einer Drachme Silber nur in Kupfer dargestellt waren, so gab
die steigende Ziffer der für eine Silberdrachme äquivalenten Summe in
Kupfergeld die Skala des sinkenden Kupfer wertes.
Wie diese beiden Währungen miteinander in Beziehung gesetzt
waren und in welcher praktischen Form das System des Kupfergeldes
mit dem wechselnden Preise für Kupfer sich dem System des Silber-
geldes anschloß, ist in hohem Maße dunkel; und die Gleichungen
zwischen beiden GeMarten, die in den Urkunden vorkommen, gehen
in so wunderlicher Weise auseinander, daß ein sicheres Resultat zu
gewinnen unmöglich scheint. Es bleibt nichts übrig, als durch eine
hypothetische Linie diese Punkte zu verbinden; mehr als eine Hypo-
these soll der folgende Versuch nicht sein.
Wog 1 Kupferdrachme 3,57 g, so waren
4 „ 14,28 „ = 1 Sekel,
10 „ 35,7 „ = 2,5 „ » 1 Ket,
20 „ 70,14 „ = 5 „ »2 „
In dem Wiener Papyrus vom Jahre 121 v. Chr. (bei Revillout
Nouv. ehrest, dem. S. 100) heißt es nach der Übersetzung, die mir
Hr. Brugsch mitgeteilt hat: „wer von uns diesen Contract nicht
einhält, der zahle das currente" (äuf-kot, currens, circumims und
conversus) „ten von 5 Silberlingen mit 25 Sekel, welche dem currenten
ten, oberwahnten 5 Silberlingen entsprechen, für die Brandopfer [231]
des Königs^, er soll leisten andere 1500 Silberlinge mit 5 Kerker, welche
den 1500 Silberlingen oberwähnten entsprechen, das ^j. 24 zu ^/j^,
an einen jeden von uns". Und ähnlich in dem Papyrus p. 119 vom
^ Diesem Ausdruck „Silberlinge für die Brandopfer des Königs^' wird
es entsprechen, wenn es im Griechischen heißt, Pap. Tur. VIII 35: xai Uqng
Toig ßaaikevaiv uQpj^iov }• x und Taur. IV 24 dieselbe Formel, etwas kürzer
Pap. Leyd. C. 14: utoX ie(^g uo ßaaikeC xal ßaaikeiarj^ (sie) aQpjQiov d(^t/^(t^ etKoai.
300 ^um Finanzwesen der Ptolemäer
Jahre 149. „3000 Silberlinge, in Sekel 15 000, welche den oberwähnten
8000 Silberling^n entsprechen, das l\. 24 zn ^j^q^^; ähnlich in dem
Papyrus S. 153 vom Jahre 119 „300 Silberlinge, 1 Kerker, welcher
den 300 Silberlingen entspricht, das if. 24 zu '/^^^ Das 2^ichen %
ist von Revillout früher mit melange {d'allicige) übersetzt worden; jetzt
wird es von ihm (Ägypt. Zeitsch. 1879 S. 129) und von Brugsch un-
bedenklich für Kupfer genommen, obschon „in vollständig demotischen
Texten", wie mir Brugsch mitteilt, „das Zeichen % durch das wohl-
bekannte Zeichen für Kupfer ^^ (/nit) ersetzt wird".
Die Formel „Kupfer 24 : ^j^" wird man nicht so verstehen wollen,
daß die vorausgehenden* Gleichungen „5 Silberdrachmen ■= 25 Sekel",
„1500 Silberdrachmen = 5 Kerker*', „300 Silberdrachmen = 1 Kerker**,
„3000 Silberlinge = 15 000 Sekel" nach dieser Formel berechnet sind,
denn dann war es überflüssig, sie hinzuzufügen; sie bezeichnet vielmehr,
wie man diese Gleichungen berechnen, wie dem in der Formel ausge-
drückten Cours gemäß den derzeitigen Wert der Gleichung finden soll ^
^ Von Interesse für diese Frage ist eine boiotische Inschrift im Museum
zu Theben (Hermes VIII S. 432 ff.)> ^^^ Abrechnung (avranoloYia) eines Hippar-
chen über das Geld, das er zu einer Expedition erhalten und in derselben ver-
ausgabt hat. Sie ist wohl aus den letzten Zeiten des boiotischen Bundes, also
aus denen des Ptolemaios VI. oder VII. Der Hipparch hat 2100 Silberdrachmen
erhalten; er führt 7 Abteilungen Reiter von verschiedener Stärke ins Feld, deren
Führer (wohl Härchen, wie der von dem Contingent von Orchomenos in
Alexanders Zug nach Asien sich nennt, Inschrift im Bull, de Gorr. Hell. III S. 454)
namentlich und mit den an jeden gezahlten Summen angeführt werden. Zwei
von diesen Führern verkaufen jeder ein Pferd, zussjnmen für 171 Drachmen
Kupfer (xalnov ÖQaxfiojy), um noch 110 Silberdrachmen ((nmfinxixov aQp.'(fiov) in
die Kasse zu bringen, da, wie es scheint, der Sold in Silber, wohl 1 Drachme
für den Tag, zu zahlen war. Für diese 110 Silberdrachmen wurden 137 Drach-
men 8 Obolen Kupfer gezahlt, /«Axot; Ögn/fiCtp HAAArhHII. Dieser Kaufpreis
müßte ungleich höher gewesen sein, wenn entweder in Boiotien Kupfer-
währung neben der Silberwährung gegolten hätte, oder wenn das Kupfergeld
nur als Metall behandelt worden wäre. Indem man, mit nur 1^', Obolen Auf-
geld auf die Drachme, Silber für Kupfer haben konnte, mußte das Kupfer als
Kleingeld, richtiger als Scheidemünze im Verkehr sein. Es gab nicht Kupfer-
drachmen neben Silberdrachmen, sondern so und soviel Stücke Kupfergeld, je
nach ihrer Größe, waren 1 Drachme und galten im Kleinverkehr demgemäß,
wie sich auch der Wechsler bei einer bedeutenden Zahl Silberdrachmen ein Auf-
geld zahlen ließ. Nach der von Foucart im Bull, de Corr. Hell. IV 1880 S. 90
edierten orchomenischen Inschrift hatte auch die boiotische Drachme 6 Obolen,
aber der Obol sehr wahrscheinlich 12/aAxotic; und unter den von Head publicierten
Kupfermünzen dieser Zeit (Coins of Buiotia 1881 S. 89 ff.) befinden sich Stücke
von 8 bis 1,75 g; ob auch in dieser Zeit noch 4-, 2-, 1 Obolenstücke in Silber
geprägt wurden, ist nicht zu ersehen. Zahlte man für jene 110 Silberdrachmen
kupferne Halbobolcn (6 /aAxovi:), so gab man 12 Stück und 3 Aufgeld für die
Drachme, man zahlte mit dem Aufgeld 9900 x^^^^*' ^^ ^^^ ^^^ Silberdrachmen.
Zum Finanzwesen der Ptolemäer 301
Die Formel selbst zeigt, daß der Ausgangsgunkt des Systems ist
^I^Q Silberdrachme = 1 Kupferdrachme, wobei es unwesentlich ist, ob
etwa zur Zeit der Gründung der Doppelwährung (um 300 vor Chr.)
thatsächlich der Wert des Kupfers gegen Silber 20 : 1 war. Das folgende
Schema giebl die Übersicht der Wertung beider Metalle auf dieser Grundlage :
[282] Kupfer
SUber
Drachme Gewicht
Sekel
Het
Ten
Kerker Drachme Gramm
1 3,57
—
—
V,o 0,17
2 7,14
—
—
—
Vio 0,35
4 14,20
1
—
—
V5 0,71
10 35,70
2\'.
1
v<
V. 1,78
20 71,40
5
2
m
— 1 3,57
100 357,00
25
10
1
— 5 17,85
1000 3570
250
100
10
— 50 178,50
6000 21420
1500
600
60
1 300 1071
In den Zeiten, aus denen uns Angaben über den Wert des Kupfers
gegen Silber in ägyptischen Papyren vorliegen, ist derselbe bereits tief
gesunken, und die Formel giebt an, wie viel mal 20 Kupferdrachmen
für eine Silberdrachme zu zahlen sind; also wenn es heißt: „Kupfer
24 : */io", so ist ^^^ Silberdrachme = 12 Kupferdrachmen, also das Wert-
verhältnis 120:1. Man wird ^/^^ Silberdrachme als Maß genommen
haben, um das größte Kupferstück, das zu 71,40 g, mit dem kleinsten
Silberstück zu 3,57 in Gleichung zu stellen.
Man mag annehmen, daß an der königlichen Trapeza der jedes-
malige Cours des x^^ov ov äXkay^ angeschrieben war. Wenn da
stand: 16: ^/j^, so war das Wertverhältnis 80: 1 und es wurden 4 x 20
Kerker für 1 Talent Silber gezahlt. Das Vielfache von 20 giebt die
Stufen dieser Skala für 1 Talent Silber:
Die Formel bedeutet: 1 Talent Silber =
für ist Kerker Sekel Drachmen
3 X 20 12 : Vio 60 = 90 000 = 360 000
4 = 20 16 : */io 80 = 120 000 » 480 000
5 = 20 20 : */io 100 = 150 000 = 600 000
.233] 5V4 X 20 21 : */,o 105 = 157 500 = 630 000
5\/, X 20 22 : «/lo HO = 165 000 = 660 000
5% X 20 23 : «/lo Ho = 172 500 = 690 000
6 X 20 24 : «/lo 120 = 180 000 = 720 000
6»/4 X 20 25 : «/lo 125 = 187 500 = 750 000
U. 8. W.
In den von der Inschrift gegebenen Ansätzen liegen die Elemente , die Stärke
der sieben Contingente und die Dauer des Zuges wenigstens bis zu einer
Alternative festzustellen, worauf hier einzugehen nicht der Ort ist. Ebenso be-
gnüge ich mich; an das Beeret zu Ehren des Protogenes (C. I. Gr. 2058), der
sich Vorschüsse in Goldstücteen in Kupfer zurückzahlen läßt, nur zu erinnern.
302 ^tiKD Finanzweaen der Ptolemäer
In dem oben angefahrten Beispiel aus dem Jahre 121 v. Chr. sollen
von dem, der dem Contract nicht nachkommt, jedem der sechs anderen
Mitcontrahenten gezahlt werden
„1500 Silberdraohmen mit 5 Kerker zu 24:*/^^".
Das will nicht sagen, daß 1500 Silberdrachmen = 5 x 6000 Kupfer-
drachmen sind, 80 daß das Wertverhältnis beider Metalle 1 500 : 30 000,
also 1 : 20 sein würde, sondern 1500 Silberdrachmen gelten nach dem
Cours 24 : ^/j^ das 6 x 20 fache von 1500, also 1 80 000 Kupferdrachmen,
so daß das Wertverhältnis von Silber gegen Kupfer zur Zeit 1 : 120 ist
Und wenn in demselben Papyrus der, welcher den Contract bricht, „für
die Brandopfer des Königs" 5 Silberdrachmen mit 25 Sekel zahlen soll,
so hat er nach dem angegebenen Cours 6 x 150 Sekel oder 600 Kupfer-
drachmen zu zahlen. Wenn in dem oben (S. 282) angeführten Papyrus
des Louvre Nr. 59, in der Zusammenzählung von Kupfer- und Silber-
geld 40 Silberdrachmen = 4260 Kupferdrachmen in Ansatz gebracht
sind, so ergiebt sich das Wertverhältnis lOö^/g : 2, es würde in der Formel
für den Cours ausgedrückt sein: 21^40 ^Vio-
Es ist hier die Stelle, auf das oben (S. 283) erwähnte isonome
Kupfergeld zurückzukommen. Wie man auch diese Bezeichnung nach
ihrer Wortbedeutung zu fassen hat, gewiß wird man nicht an die seit
Hadrian vorkommenden Kupfermünzen der ägyptischen Nomen, noch
an den vöjiiog in Tarent und Sicilien dabei denken dürfen. Das Wort
kommt in den bisher bekannten Papyren nicht eben häufig vor. Zwei
noch unedierte Holztäfelchen, Nr. 8131 des Berliner Museums und das
von Lumbroso S. 73 angeführte im Louvre, geben nur das Wort laövofiog
deutlich, der Zusammenhang ist nicht mehr zu erkennen. In dem
Papyrus des Louvre (Nr. 62), der die ausführliche Instruktion für einen
höheren Beamten des oxyrynchitischen Nomos — vielleicht für jeden
gleichgestellten in jedem Nomos — giebt, wird bestimmt, wie bei der
jährlichen Übertragung der Steuererhebungen von den alten auf die
neuen Pächter zu verfahren und welche Gebühren u. s. w. dabei zu
zahlen sind; unter anderem, wie viel bei den Pachten in Silber, in
isonomem Kupfer, in gewöhnlichem Kupfer an Steuern [234] zu zahlen
sind^ In einem andern sehr fragmentierten Papyrus des Louvre (Nr, 67)
liest man Überreste einer Berechnung, deren Zusammenhang nicht mehr
^ Das scheint der Sinn dieser überaus dunklen Stelle (Pap. des Louvre 62,
Col. 5, Z. 16: tiüv Öe ngoc aQyvQOP vjvCtv nQoadiaYQatpovaiv dkhtY'i^ ^^ ^V> f^*^^
u. s. w. xni Tb}v 7T()6c /ctAxoi' iaovo^ov iriaitJQn^ fikv u. 8. w. xiap de lomwy dtriav
TüiP TTQo^ /aÄxoy u. s. w. Es werden auch ri^yv^iov aiaj^Qeg Pap. des Louvre
Nr. 60, 2 genannt.
Zum Finanzwesen der Ptolemäer 303
erkennbar ist; da steht Col. 6 Zeile 7: /«Axov ov äXXcty}] rah . . . und
in der folgenden Zeile: laovöfiov raL |^ h qv (67 Tal. 150 Dr.), und
in Col. a Zeile 1
Xccheov oh &Xkayr] raX. xorf V v^
und darunter nach einer Lücke, in der laovöfiov gestanden haben könnte
Tcck, (f^ h y^Aiy
aber diese beiden Summen 678 tal. 460 Dr. Kupfer ov düayt} und
207 tal. 938 Dr. sind der Art, daß zwischen ihnen kein einigermaßen
rationales Verhältnis stattfindet, so daß die zweite Summe wohl kaum
auf isonomes Kupfer gedeutet werden kann.
Wohl aber ergiebt ein solches die oben (S. 284) angeführte Stelle
aus dem von Parthey edierten Berliner Papyrus x^^ov icrovö/iov rah
I' / rah Q^j es ist das Verhältnis 60:160 oder 3:8. Hieß dasjenige
geprägte {inifTfjfiog) Kupfer isonom, dessen Wert gegen Silber fixiert
war, so änderte der wechselnde Kaufpreis des Kupfers nur die zweite
Steue dieser Gleichung, also 3 : 8 oder 872? oder 9 u. s. w. Stand zur
Zeit, da der angeführte Papyrus geschrieben wurde (im Jahre 40, also
des Ptolemaios VII. Euergetes) der Cours 24: ^/j^, so waren 120 Kerker
Kupfer = 95 Tal. isonomes Kupfer, also das isonome Kupfer fixiert auf
den Cours von 4:*/^^, und es galten 120 000 isonome Drachmen
:= 6000 Drachmen Silber und von dem so fixierten Kupfergeld gingen
20 Drachmen = 5 Sekel = 2 Ket == 70,14 g Kupfer
auf 1 Silberdrachme; der isonome Kerker war = 300 Silberdrachmen
und 20 isonome Kerker = 1 Talent Silber.
Eine Bestätigung der dargelegten Hypothese scheint der Leydener
Papyrus 0 Zeile 22 (Leemans S. 79) zu geben. Er betrifft einen Handel,
der zwischen 100 und 90 v. Chr. zu fallen scheint; es leiht einer dem
anderen 24 Silberdrachmen ägyvQiov hniaijiJLov Urokeiiaixov vofii<T'
fLarog S^axficcl SexaSvo zinsfrei auf 10 Monate, mit der Bestimmung,
daß, wenn sie dann nicht zurückgezahlt sind, sofort die Summe andert-
halbmaP und von dieser Summe Zins für jeden Stater 60 Kupfer-
drachmen auf den Monat gezahlt werden soll.
[235] Ob der Stater 2 oder 4 Drachmen beträgt, ist aus diesen
* T6 fiev dayeiov r/fAioXiov naQn/g^fjin xai tov vneQneaovTog /^ö^ov xovg JÖ-
xovg d)C TOV ataiTJQog /ctilxoti ÖQü/i^mp i^r}xovia xorra ju^irr. Dies rjfAioXiot' als
Buße kommt öfter bei Leihgeschäften vor (Pap. des Louvre Nr. 7 und S) und
den Sinn der ^fiMiov bestimmt der letztgenannte Pap. mit der ausfuhrlicheren
Formel für die Zurückerstattung tavTa re xni t6 rjfiiohov'^ hier also ist außer
dem Anderthalben noch das Ganze zu zahlen.
304 Zum FiDanzwesen der Ptolcmfler
Angaben nicht zu entscheiden^; wohl aber ist klar, daß in dem Monats-
zins zu 60 Drachmen Kupfer nicht isonomes Kupfer (1 : 20) gemeint
sein kann ; in Kupfer von dem Cours 24 : ^/^^ würden die 60 Drachmen
monatlich, der Stater zu 4 Drachmen gerechnet, einen Jahreszins von
157o> der Stater zu 2 Drachmen gerechnet, von 30 7o ergeben.
In den uns erhaltenen Materialien schwankt der Wert des ge-
wöhnlichen Kupfergeldes gegen Silber von lOö^a^l bis 120:1; daß
es auch in Ägypten wie zeitweise (Hultsch S. 211) in Rom 140:1 ge-
standen haben sollte, ist möglich, aber die dafür angeführten Beweise
reichen nicht aus, es zu begründen.
Noch bleibt zu fragen, auf welche Weise das Kupfer isonom werden
konnte. Nicht dadurch, daß, während sich die gewöhnliche Kupfer-
münze durch immer größeren Zusatz von Blei verschlechterte, zu den
isouomen reines Kupfer verwendet wurde; denn ein noch so großer
Zusatz von Blei konnte, da es etwa den halben Wert von Kupfer hatte,
das gewöhuliche Kupfer nicht so tief wie es geschah, herunterdrücken;
und auch reines Kupfer hätte sich gegen Silber nicht ohne Wertschwan-
kungen halten können. Es konnte sich als isomon erhalten, wenn ein
Zusatz von Silber dem einzelnen Stücke seinen Wert sicherte; mögen
seit Tiberius solche Tetradrachmen in Billon für Ägypten geprägt worden
sein (Mommsen S. 728), unter den ptolemäischen Kupfermünzen findet
sich, so viel bekannt^ nichts der Art
So bleibt nur die Annahme, daß Kupfergeld von einer bestimmten
Art und Gepräge von Staatswegen zu dem fixierten Wert von 4 : 7io
ausgegeben und zu diesem Cours bei den königlichen Kassen ange-
nommen wurde, — Wertzeichen, welche, wie immer ihr reeller Wert
sein mochte, in ihrem nominellen Wert durch die Anerkennung dieses
Wertes von Staatswegen garantiert und durch die Annahme an der
königlichen Trapeza sicher gestellt waren, — Scheinwerte und Wert-
scheine, die man nur nicht auf ein zerbrechliches Stück Papyrus
geschrieben, sondern auf ein haltbares Stück Metall geprägt cnr-
sieren ließ.
Vielleicht wird sorgfaltige numismatische Untersuchung in der
Masse ptolemäischen Kupfergeldes das isonome Kupfer von dem übrigen
unterscheiden lehren, vielleicht zu dem Ergebnis kommen, daß nur die
Kupferstücke von dem Tetradrachmon, dem Sekel (14,28 g) aufwärts,
* Nach den metrologischen Angaben des anonymen Alexandriners and
der sogenannten Kleopatra (bei Hultsch, Metr. Scr. 1 No. 95 und 77), die beide
wohl dem ersten Jahrhundert n. Ch. angehören, aber auf Quellen aus der Pto-
lemäerzeit zurückgehen, ist der Stater die Tetradrachme, d. h. der Sekel.
Zum Finanzwesen der Ptolemfter 305
oder gar nur die Großetücke von 20 Drachmen (70,14 g) [236] isonomer
Art waren; es würde dann weiter zu fragen sein, ob die kleineren
Kupfermünzen zu prägen auch Privaten, vielleicht den Priesterschaften
etwa denen eines Haupttempels in jedem Nomos, den Städten ge-
stattet war.
Wie auch das Ergebnis sein wird, daß es isonomes Eupfergeld
in dem ptolemäischen Ägypten gab, ist sicher und für das volkswirt-
schaftliche Verständnis dieser Zeit von Bedeutung.
Drojsen, El. Schriften n. 20
XII.
Zum Finanzwesen des Dionysios von Syrakus.
Sitzungsberichte der Königl. Akademie der WisseoBchaften zu Berlin 1882
S. 1013 ff. .
(Vorgelegt am 23. November.)
[1013] Zu den Bemerkungen über das Finanzwesen der Ptolemäer^
die ich der Akademie vor einigen Monaten vorzulegen die Ehre hatte,
sind ein paar Analogien, welche die Staatsverwaltung des älteren Dionjs
von Syrakus zu bieten schien, nur obenhin berührt worden, Analogien,
welche auch in dem, was sie von den lagidischen Formen unterscheidet,
nicht ohne Interesse sind.
Die Überlieferungen von diesem Tyrannen, wie sie uns vorliegen,
sind freilich zum Teil, vielleicht darf man sagen so weit sie nicht
aus dem Geschichtswerk des Fhilistos stammen, sehr bedenklicher Art
Die öffentliche Meinung, wie sie die Griechenwelt von Alkibiades bis
zum Alexander beherrschte, wenigstens in den attischen Kreisen littera-
rischer und politischer Bildung den Ton angab, war nahezu einig
darin, in Dionys den gewaltsamsten und frivolsten Tyrannen, den
geschworenen Feind der Autonomie und bürgerlichen Freiheit zu ver-
abscheuen, von dem nicht minder schwer als von dem Großkönig
im Osten die Existenz des Griechentums bedroht sei; selbst Aristoteles
braucht gelegentlich als Beispiel eines unrichtigen Schlusses den Satz:
Dionys ist ein Bäuber, denn er ist ein schlechter Mensch; wohl aber
könne man sagen: Dionys ist ein schlechter Mensch, denn er ist ein
Räuber \
Wenn der große Scipio des zweiten punischen Krieges auf die
l^Yage, wer seiner Ansicht nach die größten und mit Einsicht kühn-
sten Staatsmänner gewesen seien, die beiden Sikelioten Dionys L und
' Arist. Khet. II 24 S. 1401b. 13, auch Etb. M. II 6, 1203a. 25.
Zum Finanzwesen des Dionysios yon Sjrakus 807
Agathokles genannt bat (Folyb. XY 85), so wird man sich erlauben
dürfen nicht ohne weiteres die Phrasen und Anekdoten des doctrinären
Tyrannenhasses, wie sie über Dionys I. überliefert sind, für die Ge-
schichte dieses bedeutenden Staats- und Eriegsmannes zu halten oder
seine Geschichte aus dem in ihnen gezeichneten Charakter psychologisch
zu entwickeln; vielmehr wird man yersuchen dürfen, das in ihnen
Sachliche von den Gesichtspunkten aus, die Scipios [1014] Urteil be-
stimmten, so weit es noch möglich ist, zu ergründen und aufzufassen?
sich klar zu machen, wie nach Lage der Dinge damals und dort, unter
den Gefahren, die das Griechentum in Sicilien und Italien auf das
Furchtbarste bedrohten, Dionys seine Aufgabe gefaßt hat und fassen
mußte, um seine Usurpation durch den Erfolg zu rechtfertigen; welche
Wege er finden, welchen Notwendigkeiten er gerecht werden mußte, um
denselben zu ermöglichen und nach fast vierzigjährigem Regiment seinem
Sohn ein mächtiges, blühendes Reich zu hinterlassen, — eine Unter-
suchung, die vielleicht dahin führen würde die Richtung und die
politischen Formen zu würdigen, in denen für das überall durch Demo-
kratie und Oligarchie, durch Kleinstaaterei, Partikularismus und Hansea-
tismus zerrüttete und sich zerfetzende Griechentum noch die Möglichkeit
lag, sich eine Zukunft zu retten.
In solchen Ereis von Anschauungen gestellt werden die folgenden
zerstreuten Bemerkungen ihren Zusanmienhang finden.
Im ptolemäischen Finanzwesen galt Silberwährung und Kupfer-
währung neben einander. Silber wurde nur bis zu Drachmenstücken
von 8,57 g ausgeprägt, alles Kleingeld unter der Drachme nur in
Kupfer; mit den Schwankungen des Kupferwertes im Handel schwankte
auch der Wert des in großer Masse circulierenden Kupfergeldes, bis
man dazu schritt, isonomes Kupfer zu prägen d. h. Kupfergeld zu fixiertem
Wert, das, indem es zu diesem seinem Nennwert auch in der Staats-
kasse angenommen wurde, in seiner so garantierten Werthöhe sich er-
halten konnte.
In Sicilien und Italien ist, schon ehe Silbergeld in Umlauf kam^
Kupfer in Barren, dann auch nach seinem Gewicht gestempelt, wie
wenigstens für Italien zahlreiche erhaltene Stücke ergeben, als Geld
gebraucht worden, das Pfund [Utqcc^ liira) zu 327,45 g.
Die rasch aufblühenden griechischen Städte an den Küsten Sici-
liens, für die der Verkehr mit der bäuerlichen Bevölkerung des getreide-
und viehreichen Binnenlandes und der Absatz der auf den Herrengutern
der Gamoren gewonnenen Erträge in erster Reihe stand, werden von
den Kauffahrern der hellenischen Heimat, die für ihren Bedarf an Ge-
treide immerfort der Zufuhr aus der Ferne bedurfte, deren Silber-
20*
308 Zum Finanzwesen des Dionysios von Syrakus
geld gern in Tausch genommen haben; und mit Becht ist darauf
hingewiesen worden ^^ daß eben daher die Einführung des attischen
Münzfußes in den meisten sikeliotischen Städten sich erklart, des Münz-
fußeS; wie er durch Solon begründet worden ist, die Drachme zu 4,366 g;
sie nahmen sie zu 4,36.
[1015] Diese Sikelioten sind, auch nachdem sie selbst Silber zu
prägen begonnen, dabei geblieben nach Kupferpfunden, wie im Binnen-
lande hergebracht war, zu rechnen. Aber sie haben ihr Eupferpfund
durch eine Gewichtsreduction mit dem Münzfuß, nach dem sie ihr Silber
fortan prägten., in Verhältnis gesetzt Sie reducierten die litra auf
*/j ihres Gewichts
von 327,45 auf 218,30 g;
ihre Litra wog nun genau ^a attische Mine, d. i. Y120 ^^ attischen
Talents. Sie nahmen als Großgewicht das attische Talent zu 26 196 g
an^; sie teilten es in 120 Litren zu 218g, die Litra in 12 Unzen zu
18,16 g. Sie rechneten nach Talent, Litren, Unzen in Kupfer, auch
wenn sie in Silber oder Gold zahlten^.
Der Wert, den sie im Verkehr dem Kupfer gegen Silber gaben,
erhellt aus dem Namen des Dekalitron, mit dem sie den Stater, das
silberne Zweidrachmenstück nach attischem Fuß, bezeichneten^. Wenn
das Zweidrachmenstück, also 8,72 g Silber, so viel galt als 10 Litren,
also 2180 g Kupfer, so war ihnen das Verhältnis von Silber zu
Kupfer = 1 : 250. Die Hälfte des Stater, die Drachme, wurde ihnen
die „Regel'' ("^dfioQ, mmmus), nach der sie ihre Prägungen in Silber
oder Kupfer regelten.
Sikeliotisches Kupfergeld aus der Zeit vor dem peloponnesischen
Kriege ist mit Sicherheit nicht nachgewiesen ^ Wenn die Deka-
* H. Droysen, Athen und der Westen S. 88.
' Nicht das attische Handelstalent zu 36 156 g; die Bestimmung des attischen
Münzgewichts ist hier berechnet nach dem attischen VolksbeschluB, der das Ver-
hältnis von Handels- und Münzgewicht auf 100 : 138 normiert
' Den Beweis dafür geben die tauromenischen Inschriften C. I. Gr. III
5640. 5641, sowie das Epigramm des Simonides für ein Weihgeschenk der De-
marate: iS sxaiov htQav xal nevrrjxoia raXavitüv . . . rac Öexatac dexaiav. Also
50 Talente 100 Litren, an Wert 1220 Drachmen Silber. Mit Recht hat Schneide-
win die angeführten zwei Zeilen aus dem Epigramm des Simonides Nr. 141 ed.
Bcrgk ausgeschieden; sie sind die Reste eines besonderen Epigramms.
^ XU^tt xal ÖBxakiT^og fnoxriQ, i^ävxiov ts xal nevx6ipiiov, sagt Epicharm
in einem Fragment bei PoUux IX 81 (bei Lorenz Epich. aqnaYai fr. 2), dessen
Zusammenhang nicht mehr erkennbar ist
^ Mommsen R. M. S. 82 hftlt für das. früheste Kupferstfick das jetzt bei
Head coins of Syr. tab. V 18 abgebildete, das nach Heads Urteil dem Stile
Zum Finanzweeen des Dionjsios von Syrakus 309
drachmen, die Gelons Gemahlin Demarete Dach dem Siege über die
Panier prägen ließ (Diod. XI 26), von den Sikelioten Pentekontalitren
genannt wurden , so war Ol. 75 bereits dies System in Syrakus in
voller Übung. Auch Agrigent und 6ela haben von Anfang her, wie
man nach den noch erhaltenen Münzen schließen muß, nach attischem
[1016] Fuß geprägt; Himera erst aiginäisch, die Drachme zu 6,20 g,
dann seit jenem Siege am Himera attisch ; Zankle, seit es Messana ge-
nannt wurde (Ol. 71), Naxos seit Ol. 70 3 attisch ^ Und wenn Aristo-
teles bei PoUux IX 77 im Oegensatz zu der in seiner Zeit geltenden
Wertung des sicilischen Talents zu 12 Nummen sagt das alte Talent
habe 24 Nummen gehabt', so ergiebt sich damit das System der
älteren Eupferrechnung:
1 Stater = 2 Nummen =10 Litren,
12 „ =24 „ = 12 X 10 Litren = 1 Talent.
Vielleicht ist noch folgender Umstand beachtenswert. Wenn die
Sikelioten die hergebrachte sikelisch-italische Litra von 327,45 g auf
218,30 herabsetzten, um sie mit dem Gewicht der attischen Silber-
münzen in Verhältnis zu setzen, so ergiebt sich das einfache Verhältnis
250:1 nur dann, wenn das attische Didrachmon, dem 10 Literen ent-
sprechen sollten, 8,732 wog.
Diesem Gewicht entspricht das attische Silbergeld nur in seinen
nach der Periode von 405—845 angehört Nach Head sind die ältesten Kupfer-
münzen bis jetzt die mit dem Polypen und 3 Kügelchen auf der Bückseite;
sie wiegen 3,78 bis 3,80 g. Diese Trianten stellt Head dem Stil nach in die
Zeit der Demokratie von 465 — 415, während Brandis Münzwesen S. 590 sie ein
Jahrhundert jünger glaubt.
^ So Friedländer in y. SaUet Numism. Zeitschr. VIII S. 99. Ob, wie neuer-
dings vermutet worden ist, die Verschiedenheit der Drachmen (euböisch-attisch
und aiginäisch) darauf zurückzuführen ist, daß man das (hypothetische) Groß-
stück von 24,80 g bald in Drittel Sechstel u. s. w. (8,27—4,13 u. s. w.), bald in
Hälften, Viertel u. s. w. (12,40—6,20 u. s. w.) teilte, muß dahingestellt bleiben.
' Böckh Metrolog. Unters. S. 315 glaubt noch Spuren davon zu erkennen,
daß ursprünglich die Litra der Nummos gewesen sei. Auch Mommsen 1. c. S. 84
hält dafür, daß der Nummos „höchst wahrscheinlich von dem ersten Dionjs'^
von 1 auf 5 Litren gesetzt sei; er nennt das die „erste und ärgste Beduction^^
Die erste ist die der Litra von 327,45 auf 218,30 g, mit der, so scheint es, das
entstand, was Aristoteles t6 a^/atoy TaAavroy genannt hat; wenigstens deutet
er nicht an, daß es ein früheres sikelisches oder sikeliotisches Talent gab. Wohl
erst mit dieser Herabsetzung der Litra auf das Gewicht von Vs Mine attisch
kam in Sicilien das Wort Talent auch für das Geld in Gebrauch, freilich in
anderer Bedeutung als sonst bei den Griechen, nämlich för einen Centner von
120 Pfund zu je 12 Unzen, nicht für einen Centner von 60 Minen zu je 100
Drachmen.
310 Zum Finanzwesen des Dionysioe von Syrakas
nachweisbar älteren Prägungen nach der solonischen Bedaction, den
Tetradrachmen zu 1 7,464 g. Die späteren Tetradrachmen wiegen
17,344; für diese würde sich das Didrachmon von 8-672 g Silber
= 218,50 g Kupfer, das Verhältnis beider Metalle 251,613: 1 ergeben,
ein Verhältnis, das zu irrational scheint, als daß es dem neuen sike-
liotischen Systeme zu Grunde liegen sollte.
Es wird gegen diese Auffiässung nicht eingewendet werden dürfen,
daß attische Didrachmen sehr selten und diese seltenen etwas leichter
sind als sie sein sollten (statt 8,73 resp. 8,66 g nur 8,41 und ge-
ringer), — noch weniger, daß Aristoteles bei PoUui 1. c. sagt: „die
Sikelioten nennen den korinthischen Stater Dekaliter^'; Aristoteles mag
den korinthischen Stater genannt haben, weil in seiner Zeit seit [1017]
Timoleon die syrakusischen Dekalitren das Grepräge korinthischer Sta-
teren hatten; aber sie wiegen nicht wie die korinthischen nur 8,50 g
und weniger, sondern 8,72.
Also das Gewicht des alten attischen Münzfußes war und blieb
in Sicilien — und noch bis in die Zeit des Agathokles hinein — nor-
mativ. Nur zu diesem hatte der Nomos ein einfaiches Verhältnis, und
den Gewichtsänderungen, die in Athen eintraten, folgten die Sikelioten
nicht
Über die Frage, warum die Sikelioten nicht folgten und warum
die Athener das Gewicht ihres Silbergeldes minderten, wird sich Tiel-
leicht in einer späteren Erörterung über das attische Münzwesen die
Antwort ergeben.
In dem ptolemäischen Münzsystem gab es kein Silber unter der
Drachme Ton 3,57 g. In dem sikeliotischen System ist unter der
Drachme, dem Pünflitrenstück noch eine ganze Reihe kleinerer Nonü-
nale in Silber ausgeprägt, nicht bloß bis zur Litra hinab (Ys Drachme
0,87 g), sondern Teüstücke der Litra bis zu '/^j Litra (drei Unzen)
hinab: also noch Silberstücke von 0,21 g^
In dem heutigen französischen System hat das kleinste Silberstück
(20 Cent) 0,9 g, in unserem Marksystem 1,09 g, davon 0,09 Legierung.
Wie stark die Legierung des sikeliotischen Silbers ist, hat man, so viel
mir bekannt, noch nicht untersucht. Wenn die Sikelioten noch Silber
^ Das Verzeichnis dieser Kleinstücke giebt Head S. 80 und zwar ab aus
der Zeit von 480—846, von Hieron bis zum Ende Dionys 11; es sind:
Zehner von 0,72 g,
Sechser „ 0,43 „
Fünfer „ 0,36 „
Vierer „ 0,29 „
Dreier „ 0,21 „
Zum Finanzwesen des Dionysios von Syrakos 311
ZU 0,21 g aasprägten, so beMedigten sie damit das Bedürfnis an Klein-
geld in einer Weise, die selbst bei der großen Wohlfeilheit der not-
wendigen Lebensbedärfhisse, wie man sie in Sicilien erkennen kann,
dem Eupfergelde im Verkehr keine bedeutende Bolle ließen. War noch
ihr Dreier von Silber, so vertrat er nach dem Verhältnis von 250 : 1
den Wert von 54,50 g Kupfer, d. h. 74 ^^^ ^^^^ ^ Unzen. Sie mußten
schon 1 Myriade Litren Kupfer ausprägen, um 400 Drachmen zu repräsen-
tieren. Was wollte das in Dionys I. Zeit sagen, wo ein kluger Kauf-
mann in Syrakus, der den ganzen Elsenhandel der Insel an sich zu
bringen verstand, mit den 50 Talent Silber, die bei ihm angelegt waren,
100 Talente verdiente.
Sind, wie Head und Poole meinen, die Kupferdrachmen, deren Bück-
seite mit dem Polypen und drei Kugeln bezeichnet ist, der Zeit [1018]
zwischen 460 und 412 angehörig und bezeichnen die drei Kugeln sie als
Trianten, als Drei-Unzenstücke, so mußten sie nach dem Verhältnis von
250: 1, wenn ihr Metallwert dem der silbemen Trianten von 0,215 ent-
sprechen sollte, 54,50 g wiegen; sie wiegen aber nur zwischen 3 und 4 g^;
das ergäbe das Verhältnis von 18 : 1 bis 14 : 1. Das heißt: diese Kupferstücke
haben an Metall nicht den Wert, für den sie als Geld coursieren sollten.
Mochte vor Zeiten, als die „BegeP^ festgestellt wurde, das Silber
gegen Kupfer in Sicilien 250:1 gestanden haben, das heißt, mochten
die hellenischen Händler in Syrakus, Akragas u. s. w. den Kombauem
auf den Herrengütem und den Viehzüchtern aus dem Hinterland das
damals noch seltene Silber so hoch haben anrechnen können, — auf
dem allgemeinen hellenischen Markt stand Silber gegen Kupfer gewiß
nicht so hoch, und mit der steigenden Silbereinfuhr mußte auch in
Sicilien das Silber billiger werden. Wer ein Talent Kupfer als Metall
verkaufte, begnügte sich dann nicht mehr for diese 120 Litren Grewicht
24 Drachmen Silber zu erhalten. Wenn man trotzdem dabei blieb,
die Doppeldrachme Silber als Dekaliter zu bezeichnen, so mußte man,
damit die Bezeichnung richtig bleibe, entweder das Gewicht der
Kupfermünzen nach dem Marktpreis des Silbers reducieren oder den
Wert der Kupferstücke nicht mehr nach ihrem Gewicht gelten lassen,
wie jener Triant viel mehr galt als er Kupferwert hatte; d. h. man
1 Poole S. 168 führt 5 solcher Stücke auf, die 4,08 — 3,36 — 3,24 —
8,09 — 2,65 g wiegen. Die von Brandis S. 590 angeführten 8 Stücke der Berliner
Sammlung wiegen 3,78 — 3,30 — 2,98 g. Die Hemilitren aus der Zeit des
besten Stils und ältere (die in Silber geprägt 0,43 wiegen) müßten in Kupfer
109 g wiegen, wiegen aber in Akragas 22 bis 19 g, in Kamarina 25,60 bis 14,90,
in Himera 6,60 g, wohl ein hinlänglicher Beweis, daß schon vor Dionjs L Zeit
Kupfer nur Scheidemünse war.
312 Zum Fmanz Wesen des Dionysios von Syrakoa
mußte das Kupfer als Scheidemünze behandeln, wenn man auch fort-
fuhr, nach Nominalen in Kupfer zu rechnen.
Die bisher besprochenen Dinge sind von den neueren Forschem
zum Teil sehr anders gedeutet worden. Sie nehmen an, daß zweierlei
Rechnungen, die nach Kupferlitren und die nach Silberlitren, neben
einander gegangen seien, daß man schwere und leichte Litren, jene zu
24, diese zu 12 Nummen, unterschieden habe, daß namentlioh die
Beduction von 24 auf 12 einen Staatsbankrott bezeichne, indem ^eine
Schuld von 25 Drachmen mit 5 Drachmen getilgt werden konnte'^,
also ein Concurs, in dem nur 20 Prozent gerettet wurde; sie erklären,
daß diese gewaltsame Operation „unzweifelhaft^^ dem Tyrannen Dionys L
zuzuschreiben seL In den Überlieferungen findet sich, soviel ich sehe,
keine Spur von sol6hem Concurs, obschon die [1019] gewiß auch den
alten Schriftetellem wohl bekannte solonische Schuld tilgung, ein Concors
auf 73 Prozent, das Beispiel einer solchen Finanzoperation gab. Die
numismatischen Thatsachen, aus denen man jenen Staatsbankrott des
Tyrannen gefolgert hat, führen auf eine andere Erklärung.
Daß Dionys I. das Princip der Scheidemünze für einen Wert zu
zu gelten, den sie nach ihrem Metallgehalt nicht hat, auch anderweitig
zu verwenden versucht hat, wird sogleich zu besprechen sein. Znvor
muß noch ein Wort von der sogenannten zweiten Reduction der litra,
der von 24 auf 12, gesagt werden.
Wie man zu dieser Beduction kommen konnte, ist vorher ange-
deutet worden. Ist es möglich noch zu erkennen, fär welche der beiden
angeführten Formen man sich entschied, um sie durchzuführen? ob
für Beduction der Kupfermünze auf ihren Metallwert oder für das
Princip der Scheidemünze? Hypothetisch wenigstens darf man darauf
zu antworten versuchen.
Auch in der guten attischen Zeit sind ein paar Versuche mit
Scheidemünze gemacht worden; und selbst von Fisenstücken, die als
Wertscheine oder Münzzeichen ausgegeben worden sind, giebt es in
anderen hellenischen Staaten Beispiele. Aber im Allgemeinen mögen
die Griechen kein anderes Geld als solches, das den vollen Metallwert
hat, für den es gelten will; Scheidemünze kommt ihnen wie eine Art
Betrug, wie Falschmünzerei vor; und gewiß hat nichts mehr dazu
gethan Dionys I. als einen großen Hallunken erscheinen zu lassen,
als daß er selbst Zinu als Silbergeld circulieren, ja dem Silbergeld
durch eine eingestempelte Marke den doppelten Wert geben ließ. Bei
der großen demokratischen Reaction, die bald nach dem Ausgang
Dionys II. mit Timoleon eintrat, war gewiß eine erste Sorge der Her-
steller diese Münzzeichen zu beseitigen, falls es noch nötig war.
Zum Finanzwesen des Dionysios von Syrakus 313
Wenn Aristoteles in der mehrfach angeführten Notiz bei PoUax
sagt: „d^ sikelische Talent sei unter allen das kleinste, das alte habe
24 Nnrnmen gegolten, das spätere 12 Nommen'^, so ist zunächst klar,
daß dies kleinere Talent noch zu seiner Zeit, Tor Ol. 114, eingeführt
worden ist. Weiter scheint es sich von selbst zu verstehen, daß nicht
der Nummos in seinem Gewicht geändert wurde, da das Silber in
der griechischen Welt gleichsam internationales Geld war, nach Piatos
Ausdruck noivbv 'EXXrjvixdv vöfiifTfia, während Kupfer und tüsen
inuner nur entweder als Waare, oder als epichorisches Geld gelten
konnte. Auch bei den Sikelioten war seit Einfahrung der „Begel^^
Silber thatsächlich das Wertmaß, wenn man auch das geprägte Silber
nach den Nominalen des litrensystems bezeichnete. [1020] Wenn
Aristoteles an einer anderen Stelle bei PoUux (IV 174) sagt: die
Sikelioten nennen (nicht: nannten) den Stater Dekalitron, so blieb, als
jene zweite Reduction erfolgt war, trotz derselben die Doppeldrachme
in Silber ein Dekalitron, und es war nach wie vor der Nummos die
Hälfte davon, nach wie vor 120 Litren ein Talent Aber das sicilische
Talent und dessen Stückelungen nach dem Litrensystem waren in ihrem
Gewicht auf die Hälfte reduciert; also «
1 Litra früher 218 g, jetzt 109 g,
10 „ „ 2180,, „ 1090,,
1 sie. Tal. 120 „ „ 26160,, „ 13 080,,
War früher 10 Lit. K. (2180 g K) = 2 Drachmen zu 8,73 g S.
so waren jetzt 10 „ „ (1090,, „) =2 „ „ 8,73 gS.
Stand früher Kupfer zu Silber = 250:1, so jetzt 125:1 (genauer: 124,85:1).
Head hat auf Tab. Y ein Reihe syrakusischer Kupfermünzen zu-
sammengestellt, die er, nicht bloß ihrem Stil nach, den Jahren von
345 — 317, denen der von Timoleon hergestellten Demokratie und Auto-
nomie, zuschreibt; in erster Beihe zwei Stücke (von 34,2 bis 31,6 g das
eine, das andere von 7,72 g), deren Vorderseiten den Kopf der Pallas
mit korinthischem Helm haben, dann andere mit dem Kopf des Zeus Eleu-
therios, andere mit dem korinthischen Pegasos u. s. w., Stücke bis 3,21 —
1,9 — 0,38 g hinunter. Dies erste Stück von 84,2 g würde als ein Dreier
('/i2 Litra) = 0,21 g S., das zweite als eine Unze (V12 Litra) == 0,07 g
Silber bezeichnet werden können. Die Stückelung des weiteren zu
verfolgen liegt außer meiner Aufgabe.
Wenn Aristoteles (nach PolluxIV 174) in der Politik der Akra-
gantiner von einem Strafansatz in dieser Stadt auf 50 Litren gesagt
hatte, daß 1 Litra 1 aiginäische Obole gelte (6,20/6 g), (und an einer
zweiten Stelle (IX 87), wo er von dem sikelischen Talent zu früher 24,
314 Zum Finanzwesen des Dionysios von STrakos
jetzt 12 Nnmmen spricht, bemerkt, daß ein Nummos 3 attische Halbobolen
(sr 1,09 g S.) gelte, so können beide Angaben nur den angefahren VTert
bestinunen wollen, aber nicht dazn benutzt werden, durch Multiplika-
tion für die höheren Nominale in Silber deren äquivalente Grewichte
in Kupfer zu bestimmen.
Nach dem Dargelegten wird man annehmen dürfen, daß in den
Finanzmaßregeln des ersten Dionys die Beductipn des Kupfers keine
lucrative Bolle gespielt hat; selbst wenn er seine kupfernen Trianten
achtzehnmal geringer ausbrachte, als sie nominell neben den Trianten
in Silber sein sollten, so wäre damit kein großer Gewinn zu erzielen
gewesen; mit je 10000 Trianten hätte er 500 Drachmen, ungefähr
130 Thaler, über den Metallbetrag dieser Stücke in Cours gesetzt
Für ihn handelte es sich bei seinen Festungsbauten, bei der
großen Marine, die er schuf und erhielt, bei seinen eisten schweren
[1021] Kriegen, dann bei seinem Söldnerheer, seinen späteren Feld-
zügen, seinen Colonisationen u. & w. um Summen, bei denen Millionen
von Trianten nichts verschlugen. Vor allem seine ersten Jahre mußten
yoU großer finanzieller Schwierigkeiten sein. Die kleinen Leute, die
Bauern im Zehntlande und der städtische Demos, die auf seiner Seite
standen, hatten nicht viel zu zahlen; und diejenigen, welche zahlen
konnten, die Gamoren und Ritter, die Oligarchen, die Reichen waren
auf das hartnäckigste wider ihn, bis es ihm gelang, sie zu Paaren zu
treiben, gewiß nicht ohne die Mittel, die der Principe des großen
Florentiners lehrt, auch die orueltd hm usate. Aber es gelang ihm,
wie nach außen Frieden und Sicherheit, so im Innern Ruhe und
Ordnung zu schaffen und zu erhalten. Mit dem Ausgang des zweiten
schweren Krieges gegen die Punier 395, demnächst mit der Occupation
yon Rhegion und Calabrien war die Macht und die große politische
Stellung des Dionys I. fertigt; Sparta, die kyprischen Könige, die Sa-
trapen Kleinasiens suchten seine Gunst, und die Athener nannten ihn
in einem Ehrendecret von 393 Aiovimov röv 2tx9Uaq ägzowa
(C. I. A. II 51. 52, Köhler athen. Mitteilungen I 8. 4).
Wir sind Ton der Steuerrerfassung Siciliens zu wenig unterrichtet,
um für die Erörterung der Finanzmaßregeln, die Dionys traf, von ihnen
ausgehen zu können, und selbst von der lex Hieronica in den Ter-
einen, aus der uns noch das beste kommt, ist noch nicht entschieden,
ob sie von dem Hieron der Perserkriege oder dem König Hieron in
Hannibals Zeit stammt Auch von den politischen Formen und Re-
^ Isocr. Philipp. 65 trjXutavtrjy de 9vvafjiiv neffiaßnlsTO nnl nel^rfv xa» yorv-
Zum Finanzwesen des DionTsios von Sjrakus 315
formen der sicilischen Städte ist unsere Kunde weder umfassend noch
sicher genug, um von da aus auf die Besteuerung der Gamoren, der
Zehntbauem u. s. w. Schlüsse machen zu können. Aus dem, was uns
noch vorliegt, sind nur unsichere Ergebnisse zu gewinnen.
Es findet sich^ so viel mir bekannt^ keine Spur davon, daß Dionjs
zur Grundlage seiner Macht den gefällten Schatz gemacht habe, wie
es das perikleische Athen gethan hat, nicht ohne die Zuversicht, mit
solcher finanziellen tTberlegenheit über die geldarmen Feloponnesier
der Macht über die Bündner, der „Tyrannis^^, wie Perikles sie genannt
hat, gewiß zu sein und zu bleiben. Dionys hatte am wenigsten in seinen
ersten zehn Jahren daran denken können Schätze zu sammeln; genug,
wenn es ihm gelang, so viel zu schaffen wie nötig war nur Syrakus
gegen die Karthager zu behaupten. Er wird die Einsicht gehabt haben
auch des weiteren alles, was er erübrigen konnte, in der Steigerung und
Vervollkommnung der Machtmittel [1022] anlegen zu müssen, auf denen
seine militärische und politische Überlegenheit beruhte, auf die „diaman-
tenen Ketten^' wie sein Ausdruck war, mit denen er das Reich geeint
und gebunden seinem Sohn hinterlasse. Und man sollte meinen, daß
er, so wie er nur erst fest im Sattel saß und das tief zerrüttete Sicilien
wieder den Mut zu friedlicher Arbeit gewann, darauf bedacht gewesen
sein muß die unendlich reichen Hilfsquelleu der Insel wieder zu be-
leben und den Wohlstand in Stadt und Land zu fördern, der ihm und
dem Staat gegebenenfalls statt eines Schatzes sein konnte, — nicht
den Reichtum derer, die gewohnt waren, ,4hres Geldes zu herrschen'^,
sondern den der kleinen Leute in Stadt und Land, die so lange von
jenen monopolistisch ausgebeutet, zu Parteizwecken und Straßenkämpfen
mißbraucht worden waren.
Freilich die große Autorität des Aristoteles tritt solchen Voraus-
' Setzungen schroff entgegen. In dem Kapitel seiner Politik, in dem
er von den Künsten spricht, welche die Tyrannen anwenden, um sich
zu sichern, den großen Bauten der Peisistratiden und des Polykrates,
den Horchern und Zuträgem des Hieron ü. s. w., sagt er endlich : „auch
die Zahlung der Steuern gehört hierher, wie in Syrakus, wo man unter
Dionys Regiment in fünf Jahren das ganze Vermögen eingezahlt hat'' \
Diese kühle Exemplification des großen Denkers ist um so auffallender,
da er ein paar Paragraphen später lehrt: „der Tyrann, der seine Herr-
schaft erhalten wolle, müsse mehr als Verwalter denn als Gebieter seines
Staats erscheinen, er müsse sich in Betreff der Abgaben und Leistungen
^ Arist. Pol. V 11, 8 xai rj eitrfpOQCt tov tBXuVj olov ir J/VQttxovaatg' ip
nhrte Y^Q ifveaip ini Jiowaiov ri]v ovalar anaaur Biaevrjvoxipoii awdßaipe.
316 Zum Finanzwesen des Dionjsios von Syrakus
[ÜGtpoQccl xal XaiTOVQyiai) das Ansehen geben sie der StaatsTerwaltong
wegen oder für den Fall eines möglichen Krieges zn fordern, überhaupt
sich als Wächter und Handhaber der öffentlichen, nicht seiner eigenen
und Privatinteressen zeigen; dann brauche er nicht zu fürchten, daß
es ihm je an Geldmitteln fehlen werde, so lange er Herr des Staates
sei ; aach wenn er abwesend, sei ihm das besser als aufgehäufte Schätze
daheim zu haben, die andere an sich bringen und gegen ihn verwenden
könnten^'. Jene auf dem Wege fünfjähriger Besteuerung gemachte
Confiscation des ganzen Vermögens {rijv ovtriav änaaav) kann weder
eine allgemeine noch dauernde Maßregel gewesen, noch kann sie über-
haupt in dieser Form zur Anwendung gekommen sein. In dieser Form
nicht; wenn alles Hab und Gut der Einwohner — denn der Ausdruck,
den Aristoteles braucht, beschränkt sich weder auf die tpavegä ova/a
noch auf das Tifirjiiay noch auf gewisse Kategorien der Bevölkerung — ,
wenn also in fünf Jahren [1023] ihr bares Geld und ihre zinstragenden
Kapitalien, ihr ländlicher Besitz mit dem lebenden und toten Inventar,
ihre Häuser in den Städten, ihre Werkstätten mit allen Werkzeugen
und Vorräten auf dem Wege der Besteuerung confisciert waren, wer
war dann noch im stände zu verdienen und zu steuern? Mag als
Strafe etwa für eine Stadt, die sich empört, für die Reichen in ihr, die
die Empörung veranlaßt, mit den Karthagern Verrat gesponnen hatten,
die gründlichste Confiscation verhängt worden sein, — dies langsam ab- 1
tötende fünfjährige Verfahren insgemein wäre so sinnlos, daß man es
weder mit der Absicht nicht durch plötzliche Wechsel des Besitzes dessen
Wert zu mindern, noch mit der, dessen werbende Thätigkeit nicht zu
unterbrechen, zu erklären wird versuchen wollen. Wie groß immer
die Autorität des Aristoteles sein mag, diese Angabe ist, so wie er sie
giebt, von sehr zweifelhafter Natur, vielleicht nur eine Anekdote, wie
man sie sich in den Kreisen der Akademie in der Zeit als Aristoteles
noch zu ihr hielt, erzählt und geglaubt haben mochte, — vielleicht
nicht einmal eine originale. Denn von dem korinthischen Tyrannen
Kypselos wurde erzählt, er habe dem Zeus alles Vermögen der Ko-
rinthier gelobt, wenn er Tyrann werde, habe dann deren Geld und
Gut katastrieren lassen, davon jährlich den Zehnten gefordert und auf
diese Weise in zehn Jahren so viel erhoben, wie der Kataster beim
Beginn seiner Tyrannis besagt habe; die Korinthier, wird ausdrücklich
hervorgehoben, seien „darüber nicht verarmt^'; denn bei dem Zehnten
blieb ihnen, da man auch später noch den Pachtzins auf wenigstens
8 Prozent vom Grundwert, den Zins von Kapitalien auf 12 bis 18 und
mehr Prozent rechnete, immer noch ein Überschuß und außerdem das
werbende Kapital. Daß der natürlich viel schlimmere Tyrann von
Zam Finanzwesen des Dionjsios von Syrakus 317
Syrakns 20 Prozent zahlen laßt und zwar nicht yom Einkommen,
sondern von allem Besitz — denn sonst wäre nicht in fünf Jahren
^ oiaia &naaa dahin gewesen, — macht die ganze Geschichte verdäch-
tig eine bloße Steigerung der Geschichte von Eypselos zu sein, —
einer Jagdgeschichte, die Herodot noch nicht kennte und die vielleicht
in Olympia Angesichts des goldenen Zensbildes, welches Eypselos ge-
weiht haben sollte, von den Fremdenführern erzählt nnd von den
Autoren, die Pausanias ausschrieb, ihnen nacherzählt sein mag^.
Unter den anderen Anekdoten über Finanzmaßregeln des Diohys I.
sind zwei, die für unsere Zwecke ein größeres Interesse haben, beide
[1024] im zweiten Buch der Oeconomica. Nach der einen hat er eiumal
eine Anleihe bei den Bürgern gemacht und als sie dann Rückzahlung
gefordert, ihnen befohlen was sie an Silbergeld hätten ihm zu bringen ;
er habe dann auf jedes Stück eine Marke schlagen lassen und befohlen,
daß jedes so gezeichnete Stück für den doppelten Wert gelten solle,
eine Drachme für zwei u. s. w. „und so lieferten sie ihm, was er ihnen
schuldig war'^ Die andere Angabe besagt: er habe Zinn statt Silber
prägen lassen und dann in einer Ekklesie mit vielen und eindring-
lichen Gründen ihnen dies Geld empfohlen, und sie hätten beschlossen
das Zinn für Silber zu halten und zu nehmen. PoUux (IX 79) ergänzt
diesen Vorgang mit der Angabe, daß solche Zinndrachmen vier attische
Drachmen statt einer gegolten hätten, eine Angabe, die neuerer Zeit
' mit Unrecht so gedeutet worden ist, als habe Dionys den Wert der
Silberdrachme, des Nunmios, auf das Vierfache erhöht und damit das
ganze Litremystem rednoiert.
Beide Formen, das Zinngeld so gut wie das gestempelte Silber-
geld, waren Versuche ein Princip weiter und ergiebiger durchzuführen,
das schon mit den Küpfertrianten von 3 — 4 g, wenn das früher darüber
Gesagte stichhaltig st, in Sicilien Eingang gefunden hatte. Beide, nach
der neueren Bezeichnung Notmünzen oder vielmehr Münzzeichen (Myn-
teteken wie in Schweden in Karls XU. Zeit) basieren auf den Kredit,
den die öffentliche Machte die sie ausgiebt, hat oder fordert Und in-
dem sie denselben nur fordern und aufrecht halten kann, wenn sie
diese Wertzeichen selbst an ihren Kassen zu dem vollen W^erte an-
nimmt, für die sie sie ausgegeben hat, so haben sie ihre Garantie in
dem Bestände des Staates und seines anerkannten Regimentes; sie
sichern so ihrerseits den Bestand dieses Staates und seines Regiments
' Nach Arist Pol. V 8, 4 gehört Kypselos nicht zu denen, die fix xw
ufiiüv Tyrannen geworden sind; nach der Erzählung des Nicol. Dam., die wohl
aus dem Ephoros stammt, ist Kypselos Polemarch gewesen, und so könnte er
allerdings eine Katastrierung veranlaßt haben, bevor er Tyrann war.
318 Zvaxk Finanzwesen des Dionysios von STrakus
durch das Interesse aller dessen Kredit zu erhalten. Nnr wenn regel-
mäßige Zinsen oder Prämien in irgend einer Form an sie geknüpft
wären oder ein wechselndes Agio der kaufmännischen Berechnung
Raum böte, würden sie die Spekulation des Auslandes locken können;
ohne solche Lockungen werden sie auf den inneren Verkehr be-
schränkt sein.
Und mit dieser Beschränkung scheint sich noch ein weiter»
Moment zu ergeben, das mit diesen Maßregeln des Dionys entweder
beabsichtigt war oder deren Wirkung sein mußte.
Neuster Zeit ist bei den lebhaften Erörterungen, ob Goldwahrung
oder Bimetallismus, der Vorschlag gemacht worden das Silber , dessen
Entwertung die Folge der immer weiter sich verbreitenden Gold-
währung ist, zu einer Art epichorischen Geldes zu machen, um weiteren
schweren Verlusten an dem massenhaft vorhandenen geprägten und
verarbeiteten Silber vorzubeugen und nicht auch far den inneren
[1025] Verkehr Gold immer teurer kaufen zu müssen, das Gold wesent-
lich auf den internationalen Verkehr zurück zu schieben, indem kein
Gold unter 20 Mark ausgeprägt, keine Bankscheine unter 100 Mark
ausgegeben werden sollen. In dem syrakusischen Fall handelte es sich
nicht darum die Entwertung des Silbers zu hemmen, sondern dem
Abfluß desselben vorzubeugen.
Eine andere Seite in der Pathologie des Geldwesens illustriert
das System der Mynteteken, das König Karl XII. schon 1711 in Bender
geplant, dann durch sein Beeret Stralsund 14/25. März 1715 ange-
ordnet und durch Baron von Görz in Ausführung gebracht hat. Zu-
gleich wurde der Münzfaß der courrenten Eupferplatten von zwei auf
drei erhöht, bald zu den Münzzeichen „Erone^, ^publica fide^ ,^nk
och fardig^' und wie sie weiter heißen auch Münzzettel ausgegeben,
bis endlich mit dem Tode des Königs das ganze System zusammen-
brach. Man hatte im Laufe von fünf Jahren allein an Münzzeichen
für nominell 34 424 600 ThL S.-M. ausgegeben, deren Realwert (nach
dem damaligen Eupferpreise von 150 Thl. Silbermünze) 180900 ThL
8.-M. betrug, also im Verhältnis von 190:1, und die regelmäßige
Jahreseinnahme des Eönigreichs war zwischen 3 — 5 MilL Thl. S.-M.
Earl XII. war der Hofhung mit der Fortsetzung des Erieges die ver-
lorenen Gebiete der Erone, die reichen Provinzen Esthland und Liev-
land, Pommern und Rügen, Bremen und Verden wieder zu gewinnen,
wenigstens Norwegen, vielleicht Westpreußen hinzu zu erobern; mit
jenen finanziellen Maßregeln schaffte er sich eine außerordentliche
Einnahme von 34 Mill. Thaler, jene Eroberungen hätten die Summe
dieser fiktiven Werte vollauf gedeckt und seine finanziellen Wagnisse
Zum Finanzwesen des Dionjsios von Syrakua 319
gerechtfertigt. Bei dem Beginn der Erobemng Norwegens fiel er.
Den militärischen und politischen Bankrott Schwedens besiegelte der
finanzielle.
Vielleicht gewinnt aus dieser Gegenstellung die Geschichte des
Dionys einiges Licht. Als er sein Regiment, richtiger seine ürsur-
pation, begann, war der Bankrott des Griechentums in Sicilien, der poli-
tische, militärische, finanzielle in vollem Zuge. Dem mächtigen Vor-
dringen der Karthager seit 409 waren Selinunt, Himera, Akragas, Gela
gefallen; alles, was sie dort fanden, die Menschen, die Herden, die
Äcker und Häuser, wie das bewegliche Vermögen, war ihre Beute ge-
worden, die Weingärten, die Olpflanzungen, die Tempel zerstört, Akragas
namentlich, mit ihren mehr als 20 000 Bürgern und 200 000 Metöken
die größte Stadt der damaligen Griechenwelt, „von unglaublichem
Beichtum^', wie ein alter Schriftsteller sagt, und dem entsprechender
Üppigkeit und Pracht, wie die überlieferten Beispiele von Tellias,
Exainetos, Antisthenes zeigen (Diod.XIII 83), lag nun [1026] ausgeraubt,
verödet und in Trümmern. Und der nächste Stoß des furchtbaren
Feindes war auf Syrakus gerichtet. Unter Führung des Dionys mit
der höchsten Anstrengung gelang es 404 noch das Äußerste abzuwehren ;
aber man mußte eines neuen schwereren Angriffes, des Schicksals von
Akr^^as gewärtig sein.
Aus diesen entsetzlichen Vorgängen wird man auf den wirt-
schaftlichen Zustand des Griechentums in Sicilien schließen dürfen.
Vor allem an seinen Zahlungsmitteln, seinem Vorrat an Edelmetallen
mußte es ungeheure Verluste erlitten haben und täglich noch erleiden,
da jeder in dem noch nicht verknechteten Teil der Insel sich beeilt
haben wird, was er an Kapitalien besaß, auswärts anzulegen.
Ohne Geld waren keine Söldner zu werben, keine Schijffe, Kata-
pulten, Festungswerke zu bauen, keine Waffen herzustellen. Aber
woher Geld schaffen? welcher Staat, welcher Tempelschatz, welche
Privaten in Tarent, Korinth, Sparta oder wo sonst dra.ußen hätten
der Stadt, die heut oder morgen ab und tot sein konnte, eine Anleihe
gewähren sollen? Wollte Dionys versuchen sie und damit die letzte
Deckung des sicilischen Griechentums zu retten, so mußte er, in
welcher Art immer, alles noch vorhandene und sich verbergende Edel-
metall in die Staatskasse ziehen, er mußte zugleich den Mangel an
umlaufenden Wertsummen, wenn auch nur in der Form von Not-
münzen und Geldzeichen, von epichorischem Gelde in möglichst aus-
gedehntem Maße ergänzen. Er konnte es, wenn seine Waffen Erfolg
hatten; fehlte dieser, so ging doch alles und nicht bloß diese Masse
fingierter Werte zu Grunde.
320 2um Finanzwesen des Dionjsios von Sjrakus
Wenn Dionys die Mündelgelder aus den Händen der Yomiander
nnd in die Verwaltung des Staates nahm, so war das eine rerzin^
liehe Anleihe, — eine Zwangsanleihe, wenn er alles Silbergeld ein-
forderte und es dann, als die Bückzahlong gefordert wurde, mit einer
Marke versehen zu dem doppelten Wert zurückgab u. s. w. Mit jener
Marke verdoppelte er den nominellen Wert des umlaufenden Greldes,
mit den fast wertlosen Zinndrachmen, die als Tetradrachmen in Cooi^
gesetzt wurden, schuf er sich nominelle Werte, die den nächstweiteren
Bedarf decken mochten. Beides waren gleichsam innere Anleihen,
unverzinsliche, und daß in der Ekklesie die Masse des Volkes die?
Zinsgeld für Silber nehmen und halten zu wollen beschloß, zeigte^
daß es entschlossen war alles an die Bettung der Stadt zu setzen,
wenn auch die Beichen und Oligarchen, um wenigstens ihr Geld zu
retten, immer neue Versuche machten den Tyrannen zu stürzen und
die „Freiheit" herzustellen. Wenn jenes Silber, das dann mit der Marke
versehen wurde, zurückgefordert werden konnte, so muß Dionys bei der
Einzahlung sich verpflichtet haben, das ihm [1027] anvertraute Geld
in bestimmter Frist zurückzuzahlen. Es wird nicht überliefert, ob er
dann in besseren Zeiten jene Massen Notgeld und Münzzeichen aus
dem Verkehr zurückgezogen oder nur verrufen, d. h. ob er den Verlust
den Privaten aufgebürdet oder ihn mit den Mitteln des nun gesicherten
und mächtigen Staates gedeckt habe. Wenigstens hat sich unter den
zahlreichen siciUschen Münzen dieser Zeit bisher auch nicht ein mit
der Marke versehenes Silberstück, geschweige denn eine jener Zinndrach-
men gefunden.
Der Zeit dieser Tyrannis werden von den Kundigen zahlreiche
Silber- und Goldmünzen zugeschrieben, .namentlich silberne Tetra-
drachmen mit dem Eopf der Arethusa auf der einen, dem Viergespann
im vollen Lauf und der schwebenden Nike, die den Siegeskranz bringt
auf der anderen Seite, Münzen von wundervollstem Grepräge, zum Teil
von den Künstlern, die die Stempel geschnitten, Konon, Euauietos^
Eumenes u. a. mit ihren Namen versehen. Den Namen des Tyrannen
trägt keine.
xin.
Zum Münzwesen Athens.
Sitzangsberichte der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1882
S. 1193 ff.
(Vorgelegt am 21. Dezember 1882)
I.
[1193] In den Bemerkungen zum Finanzwesen des älteren Dionys
Ton Sjrakus ist gelegentlich erwähnt worden, daß Ton den Sachkun-
digen das SUbergeld der guten attischen Zeit dem Gewicht nach in
zwei Arten unterschieden werde, in der einen, der früheren
die Tetradrachme die Drachme
bis zu 17,464 g, 4,366 g,
in der anderen, der späteren
bis zu 17,34 „ 4,336,,
Ist man befugt, in diesen Ziffern normale Gewichte zu erkennen?
Es mag dahingestellt bleiben, ob die sogenannten Wappenmünzen,
ohne Schrift und auf der Bückseite so gut wie durchgehend mit dem
Quadratvm incusmn, attische Münzen sind; die erhaltenen Stücke sind
außer kleineren Nominalen meist Didrachmen, einige Drachmen, wenige
Tetradrachmen; sie reichen hinauf bis
17,40 g, 8,59-8,71 g, 4,20 g,
sie sinken hinab bis
17,00,, 7,70,, 3,90,,
Aber eben so sinken die sicheren attischen Tetradrachmen und Drach-
men. Bei dem verschiedenen Zustand der Erhaltung oder Abnutzung
dieser Münzen ist auf dem Wege der Wägung kein sicheres Maß für
ihr normales Gewicht zu gewinnen.
Damit ist ein Funkt berührt^ über den zwei der jetzt namhaftesten
Numismatiker verschiedener Meinung sind. Nach Hm. Friedlaenders
Droysen, Kl. Schriften n. 21
322 ^um Münzwesen Athens
Ansicht (v. Sallet Numismat. Zeitschr.IX S. 101) muß man, wenn durch
Wägungen das normale Gewicht eines Nominals festgestellt werden
soll, dem Gewicht des besterhaltenen Exemplars immer noch etwas
hinzurechnen. Hr. Imhoof- Blumer dagegen meint, daß das nur für
Goldmünzen insgemein, für Silbermünzen nur bei denen, die nach
dem fünften Jahrhundert geprägt sind, gelten könne, da vor dieser
Zeit gleiche Nominale in Silber, selbst solche, die noch fast stempel-
frisch erscheinen, oft um ein Merkliches differieren (in den Monats-
berichten [1194] der BerL Akad. 1866 S. 656 und mit einigen Erweite-
ningen in dem Annuaire de Numismatique 1882, Separatabdruck Sw 5;.
Solche Differenzen — und in einzelnen Fällen steigen sie bis zu
10 Prozent — konnten nur bei höchst unzulänglicher Justierung ent-
stehen; sie mußten den Verkehr, wenn es sich um irgend nanihaft4'
Summen handelte, in unerträglichster Weise stören, ja dahin führen.
daß man im innem Verkehr bei 100, bei 50 Drachmen schon nicht
mehr zahlte, sondern wog, Agio forderte und zahlte, kurz alle wesent-
lichen Zwecke, die mit der Prägung von Staatswegen erreicht werden
sollten, einbüßte.
Die Athener rühmten sich das schönste Silbergeld zu haben: „rein
und fein" {ov xexißStiXsvfiivov) „von richtigem Gewicht" {dg&cig xo^ir)
„wohl geprobt" (ei xaxwSfoviafdvoff Arist. Ran. 720). Daß sie tech-
nisch genau zu justieren verstanden, zeigt ihre Goldprägung^; wie
sollten sie nicht auch ihr Silbergeld nach fester Norm geprägt, wie
namentlich ihr Großstück, die Tetradrachme, nur so ungefähr richtig
„bis gegen 17,50 g" ausgebracht haben? Und eben so andrerseits:
„fremde Kaufleute" sagt Xenophon, „die für ihre Waren statt Rück-
^ Der attische Goldstater wiegt in den erhaltenen Exemplaren bis 8,60
und 8,64 g. Nach den Wägungen des Berliner Münzkabinetts geben die aas-
gelegten Stücke
der Stater 8,60 g
der halbe Stater 4,30 „
der viertel Stater 2,144,,
der sechstel Stater 1)435,,
der zwölftel Stater 0,715,,
also das letzte Stück, der Goldobol, nur um 0,0016 weniger als ^Z^, von 8,60 g.
AVeitere Nominale giebt Beulä Monnaies d* Äthanes S. 42, nämlich Goldstückcheii
von 0,55—0,35 (Halbobolen) — 0,17—0,8 g. Die kleinsten attischen Silber-
münzen, der Halb- und Viertelobol, die als ^/|, und ^/s4 Drachme
wiegen sollten, wiegen noch
0,3613 0,35
0,1801 0,18
und das, obsehon die kleinsten Stücke in der Circulation natürlich sich am meisten
abnutzten.
Zam Münzwesen Athens 323
fracht aus Athen attisches Silbergeld heimbringen, machen ein gates
Geschäft; denn wo immer sie es verkaufen, erhalten sie Aufgeld"^;
natürlich weil es mehr wert war, mehr Silber enthielt als z. B. syra-
kusische Tetradrachmen nach demselben Münzfuß, die jenem an Kunst
und Schönheit weit überlegen waren. Also man verstand sehr wohl
den Feingehalt zu erkennen uad zu controllieren ; wie der Trapezit, der
Axgyrognomon dabei verfuhr, wissen wir nicht*.
Silbergeld verliert durch die Circulation nicht unbedeutend an Ge-
wicht. Nach den von Karmarsch (Handbuch der Technologie I [11 95]
S. 545) angestellten Wägungen zahlreicher Thalerstücke von 1857 hat
jedes in Prozenten des ursprünglichen Gewichts durchschnittlich eine
jährliche Minderung von 0,0242 erlitten. Dürfte die Circulation attischer
Tetradrachmen eben so rasch und angreifend gedacht werden wie die
der Thaler Vereinsgeld von 18,51 g, so würde die Tetradrachme von
17,464 nach 10 Jahren auf 17,42, nach 50 Jahren auf 17,25, nach
200 Jahren auf 16,61 gesunken sein. Ihr Umlauf war vielleicht
minder hastig, dafür ihr Silber weicher als das mit 10 Prozent Kupfer
legierte Silber der Thaler. Wenn die Legierung des älteren attischen
Silbers, wie nachgewiesen ist, nur 2 Prozent betrug, so verlor das Geld-
stück um so schneller an seinem Gewicht^. Daß die zu leicht ge-
wordenen Zehn-, Vier-, Eindrachmenstücke weder verrufen noch zu
vollem Wert eingezogen wurden, scheint aus dem Zustand der erhaltenen
Stücke sich zu ergeben.
IL
Sicherem Boden für unsere Frage geben die noch vorliegenden
positiven Zeugnisse über die Normierung des attischen Silbers seit
Selon. Freilich sind es drei voneinander abweichende Angaben, mit
denen man zu rechnen hat.
1. Plutarch giebt nach Androtion an (Sol. 15): „Selon habe die
Mine auf 100 Drachmen gesetzt, während sie bis dahin nur 73 gezählt
^ Xenoph. de redit. III 2 nleVov tov a^/eeiov Xafißavovieg,
' Lucian Hermotim. c. 64 xai vna(^8iv troi xaxä tovg aqfvqoYVüi^ovoLg öut-
ifirpfduaxBi^ ä T6 ööxifjia xai dxißdrjla, xai a naqotxsxqov^eva,
^ Daß von den uns erhaltenen Tetradrachmen zahlreiche unter 17,00 ja
unter 16,50 g wiegen, scheint zu erweisen, daß auch die arg abgenutzten Stücke
noch in Kurs blieben. Man könnte versuchen aus ihrem Gewicht zu berechnen,
wie lange sie in Kurs geblieben, wenn man genau sagen könnte, wieviel sie bei
ihrer schwachen Legierung durchschnittlich im Jahr verlieren mußten, und mehr
noch, was die spftteren Jahrhunderte, wo so viele von ihnen, in der Erde oder den
Trümmern des Altertums gefunden, als Agraffen, Halsschmuck, Gehänge u. s. w.
getragen worden sind, von ihnen abgenutzt haben.
21*
324 Zum Münzwesen Athens
habe/^ — wie längst anerkannt ist, ein verkehrter Ausdnick Plutarchs,
der in seiner Quelle gefanden haben mag, daß Solon aus 73 alten
Drachmen 100 nene gemacht habe.
2. Ein Yolksbeschluß aus später, vielleicht mithradatischer Zeit
(C. I. A. II 476) sagt: die Handelsmine (^ fivä i] kpLnoQixt}) soll wiegen
138 Drachmen nach den Gewichten in der Münzanstalt {nQoq xä
(Trdtffiia TU kv r^ AQyvQoxontiq)). Also nach den Normalgewichten
för die Prägung ist hier die Regel für das Handelsgewicht bestimmt.
3. Böckh (MetroL Untersuchungen S. 120) hat höchst scharfsinnig
aus einer Stelle des Friscian^ nachgewiesen, daß nach Dardanos, auf
[1196] den sich Friscian beruft, das Verhältnis des Handelsgewichts
zum Münzgewicht auf 100:138% normiert gew^en ist
Daß durch die solonische Reduction ein Talent geschaffen wurde
von 26 196 g Gewicht, erhellt wohl mit Sicherheit aus der in einem
frühem Vortrag besprochenen Reduction des alt-sicilischen Litrensy-
stems ujid die Begründung des reducierten auf den Nummos, d. h« auf
die attische Didrachme zu 8J32 g [oben S. 306 ff.].
Und wenn das solonische Talent von 26 196 g durch Reduction
der Drachme nach dem Verhältnis von 73:100 entstanden ist, so war
die Silbermünze, die Solon vorfand und reducierte, nach dem Handels-
gewicht, das bis spät hinab in Athen in Geltung geblieben ist, geprägt
gewesen, das Talent zu 36 166 g, die Drachme also zu 6,026 g — d. h.
nach dem sogenannten aiginäischen Fuß.
Die folgende Tabelle giebt die Gewichte nach den vier genannten
Systemen in Grammen:
Talent Mine Tetradrachme Drachme
vorsolonisch 36 156 602,6 24,104 6,026
zu 73:100 26 393 439,883 17,59533 4,3988
„ 100:138 26196 436,6 17,464 4,366
„ 100:1387^ .... 26010 433,5 17,34 4,335
Wenn das Jitrensystem, das vor Ol. 70 in Sicilien neu geordnet
worden ist, auf ein Silbertalent von 26 196 g führt, so muß man aus
der freilich unklar von Plutarch ausgedrückten Angabe in der Atthis
des Androtion entweder schließen, daß nach Solon — sagen wir in
der Zeit der Peisistratiden — das Münzgewicht um ein nicht Unbe-
deutendes gemindert ist, von 26 393 auf 26196, oder annehmen, daß
Androtions Angabe nur eine ungefähre war (73 statt 72,5), daß er nicht
' PriscianB Worte sind (de figuriB numer. c. 2, 10 S. 390 ed. Krehl, S. 408,
28 ed. Keil) taientum Atheniense parvum minae aexagintay magnum minae
octoginta tres et unciae qiMttuor.
Zum Münzwesen Athens 325
eben die Absicht gehabt hat, mit der Genauigkeit eines Wardein zu
sprechen.
Wenn der Y olksbeschluß aus spater Zeit die Drachme des Handels-
gewichtes nach den in der Münze aufbewahrten Normalgewichten für
die Silberdrachme bestimmt, und diese auf ein Talent Ton 26 196 g
führen, nach welchem schon Tor Ol. 70 das sicilische Litrensystem
reguliert worden ist, so hat in Athen für die Silberpragung Tor 500
bis in das erste vorchristliche Jahrhundert dasselbe Normalgewicht für
die Münzen bestanden.
Dardanos, auf den sich Priscian beruft, hat, wie neuerer Zeit nach-
gewiesen worden ist, nicht vor der Zeit Constantins geschrieben; aber
seine Schrift hat speciell die Gewichte {tcbqI ara&^&v) behandelt; und
da von attischer Silberpragung in seiner Zeit nicht mehr die Rede
sein konnte, so bezeichnet seine Formel für das talentum magnum^
[1197] wie er es nennt, nämlich lOOilSS^/^, die Norm irgend einer
Zeit des attischen Altertums, und zwar eine solche, die gegen das Normal-
gewicht in der Münze um etwas geringer ist (26 010 g gegen 26196
im Talent), aber in der Differenz zwischen den erhaltenen Tetra-
drachmen bis zu 17,46 und denen bis zu 17,34 eine Bestätigung zu
finden scheint
Giebt es eine Möglichkeit diese Differenz zu erklären und damit
zu verificieren?
III.
Die attischen Silbermünzen, abgesehen von denen aus der „Zeit
der gesunkenen Eunst'^ etwa seit dem chremonideischen Ehege, seit
Mikion und Eurykleides (Gesch. des Hell. III 2, 56 und 219), hat man
nach Technik und Stil, nach dem Schriftcharakter ihrer Beischrift, nach
ihrem Gewicht in drei Beihen gesondert, die freilich chronologisch
nicht gleichen Schrittes gehen.
1. Dem Gewicht nach. Es wird eine Tetradrachme von 17,67 g
angeführt (Mus. Britt S. 125), die ganz isoliert steht ^ Die schwersten
Tetradrachmen von bester Erhaltung wiegen
17,44 bis 17,47 g
Ein Dekadrachmon in dem schönen Exemplar des Berliner Münz-
kabinetts wiegt 42,70 g, und in dem Exemplar des brittischen Museums
43,16 g. Gewichte die für die Tetradrachmen resp. 17,08 und 17,264
^ Ich weiß nicht, ob man recht thut, diese und einige ähnliche Stücke, die
von anderen Prägestätten vorkommen, mit der Bezeichnung „ttbermünzf ' gleich-
sam zu rechtfertigen. Man müßte doch solche angeblich übermünzten Stücke
erst genauer untersuchen, nicht bloß wägen.
326 Zorn Mimzwesen Athens
geben würden. Wenn andere Tetradrachmen Ton bester Erhaltnng
17,32 g wiegen, so scheint man auf eine zweite Gewichtsart schließen
zu dürfen, die etwa
bis 17,33 g
steigt Es muß dahingestellt bleiben, ob als eine dritte Art diejenigen
zu bezeichnen sind, welche
von 17,20 bis 17,0
und tiefer hinabsinken. Lassen wir zunächst diese dritte Art ans dem
Spiel, so fallt es auf, wie sich die beiden anderen zu den ans dem
Verhältnis 100:138 und dem Ton 100:13879 entwickelten Gewichten,
die wir als die normalen bezeichnen wollen, schicken:
nonnal effektiv
nach 100:138 ... 17,464 17,47 bis 17,44
„ 100:138%.. 17,34 17,32 „ 17,28
[1198] 2. In Betreff des Stils und der Besonderheiten des Ge-
präges verweise ich auf das von Numismatikern, namentlich Ton
V. Prokesch-Osten (Abh. der Berl. Akad. 1848 S. 1) Dargelegte.
Die Münzen aus der Zeit der „gesunkenen Kunst'' oder „des nenen
Stils'' — jene breitgeschlagenen, in ihrer Zeichnung des Athenekopfes
und seines Schmucks überladenen, auf der Rückseite mit Monogrammen,
Personennamen, Beizeichen gefüllten — faßt man als eine „zweite
Klasse" zusammen, gegenüber denen der vorhergehenden drei oder vier
Jahrhunderte; man unterscheidet in dieser, der ersten Klasse, wie
man sie nennt, eine erste Abteilung „altertümlichen Stils", deren
Typus in der zweiten und dritten Abteilung, der des „strengen"
und der des „vollkommenen Stils" im wesentlichen festgehalten ist,
in der Art, daß das qttadratiim incusum der ersten Abteilung auch in
der zweiten und, wenn auch bescheidener, noch in der dritten sich
bemerklich macht.
Das Berliner Münzkabinett hat von der ersten dieser drei Abtei-
lungen — und nur diese geht uns zunächst an — 36 Tetradrachmen,
in vier Reihen (a. b. c. d.), deren Folge nach dem Stil und der Technik
ihres Gepräges bestimmt ist.
Die der Reihe a sind dicke klumpige Stücke, 24 an der Zahl, bis
zu 17,36 und 17,44 g an Gewicht, mit sicherem, wenn auch nicht be-
sonders tiefem qtiadr. ine., — der Pallaskopf auf der Schauseite alter-
tümlich, das Auge wie von vorn gesehen, meist sehr rund, in dem Ohr
ein Zierat — , der Helm mit einem Kamm und den Ansätzen des
Busches, ohne anderen Schmuck, als daß die untere Leiste des Helm-
kammes über dem Nackenblech an das Helmrund sich kreisförmig wie
Zum Münzwesen Athens 827
zum Halten anschmiegt; — endlich die Stirnhaare des Kopfes, bei
einigen Stücken in vier bis sechs sogenannten Spncklocken wie an-
geklebt, bei andern wie gekürzt in parallelen Strehlen auf die halbe
Stirn hinabhängend, bei andern in weichen Formen dem Ohr zu ge-
kämmt Eine von diesen Tetradrachmen ist gewaltsam, wie mit einer
Axt, gekerbt, als habe man sehen wollen, ob die Münze subärat sei,
wie in der Berliner Sammlung ähnlich eine attische Drachme, aach
makedonische, bisaltische, edonische u. s. w. Münzen vorkommen; daß
dies persische Marken, diese Stücke also älter als die Perserkriege seien,
ist vermutet worden, aber nicht zu erweisen.
Die fieihe b charakterisiert ein reines und tiefes quadr, ine.] zwei
von den sechs Stücken dieser fieihe haben auf der fiückseite den Öl-
zweig neben der Eule nicht links oben hängend, sondern rechts unten
stehend, eine dritte statt des Zweiges die Mondsichel. Auf zweien ist
das Stirnhaar der Pallas in Spucklocken endend, in den vier andern
in parallelen Strehlen auf die halbe Stirn hinabhängend. Das Gewicht
dieser sechs Stücke geht bis 17,16 g hinauf.
[1199] Schon in' dieser fieihe b ist ein Stück, dessen Schriftlinie
sich den Umrissen der Eule folgend ein wenig biegt In den vier Stücken
der fieihe c kommt zu dieser Eigentümlichkeit noch ein weniger tiefes
qiuulraiiim incusum und auf der Stimplatte des Helms, drei stehende
Olivenblätter, wie man sie bezeichnet hat. Auf einem dieser Stücke
zeigt sich die kreisfarmige Halte am Helmrund zu einem stilisierten
Geranke entwickelt Das Stirnhaar der Pallas ist bei zwei Stücken in
parallelen Strehlen auf die halbe Stirn herabhängend, bei zweien in
weichen Formen zur Seite gekämmt, dann gegen das Ohr im Wulst
hinabgerundet Auf der fiückseite zeigt sich bei dem Olivenzweig die
Mondsichel und ist der Ölzweig nicht dem rechten Winkel, in dem
er steht, entsprechend gebreitet, sondern in zwei langen Blättern mit
dem Fruchtstiel zwischen ihnen fast parallel herabhängend. Das Gewicht
dieser vier Stücke reicht bis zu 17,08 g hinauf.
Endlich die fieihe d, zwei Tetradrachmen, die das Theta mit dem
Kreuz haben. Die Form dieser Münzen ist nicht ganz so klumpig,
wie die in der fieihe a, aber der Typus eben so einfach, ohne die drei
Blätter auf dem Helm, das Auge der Pallas ebenso unperspectivisch
gezeichnet, in dem der einen der Augapfel scharf bezeichnet, das Stirn-
haar dieses Stückes in parallel überhängenden Strehlen, das des andern
gewellt wie zur Seite gekämmtes Lockenhaar; der Haarschopf, der unter
dem Nackenblech des Helmes herabhängt, sauberer detailliert als bei
den anderen fieihen. Das Gewicht des einen Stückes ist 17,15g, das
des andern 16,52.
328 Zum Münzwesen Athens
Da die drei stehenden Blätter auf dem Helm, die die Reihe c
charakterisieren, in den Prägungen der nächstweiteren Abteilungen der
Klasse I beibehalten sind, so wird man geneigt sein, diese Reihe c der
Reihe dy welche diesen Schmuck nicht hat, der Zeit nach nicht yoraas-
gehn, sondern folgen zu lassen. Zu dem Ölzweig auf der Rückseite
wären drei Olblätter auf der Schauseite ein Pleonasmus; und ihre Zeich*
nung ist wenig charakteristisch, es könnten eben so gut andere Blätter,
z. B. Ton der Myrte sein; deren Deutung aus dem Harmodiosliede
läge nahe genug.
Und wenn außer diesem bedeutsamen Helmschmuck auf den yier
Stücken der Reihe c auch das Rund, in das die untere Leiste des Hebn-
kammes ausläuft, hier zuerst zu einem zierlich stilisierten Greranke ent«
wickelt, in den Prägungen der folgenden Abteilungen typisch bleibt,
so führt diese Reihe c um so deutlicher zu ihnen hinüber.
Daß Ton drei Reihen a, 6, (2 die erste stilistisch und technisch
hinter der dritten merklich zurücksteht, dürfte wohl nicht ohne weiteres
für das höhere Alter von a entscheiden, wie denn selbst [1200] die
recht unschönen Spucklocken, die der Pallaskopf in a und h häufig hat,
noch auf den Vasenbildem aus der Mitte des fünften Jahrhunderts oft
vorkommen.
3. Die Beischrift und der Schriftcharakter. Sicher attisch sind
uns nur die Münzen, welche das A O E als solche erkennen läßt. Eist
mit dem Pallaskopf tritt diese Beischrift auf.
Von den drei Buchstaben, die sie bilden, hat im attischen Gebrauch
jeder seine besonderen Wandelungen, die der Zeit nach nicht parallel
gehen.
Einen chronologisch ziemlich sicheren Anhalt bietet die sorgfältig
gemeißelte Weihinschrift des Altares, den Peisistratos des Hippias
Sohn als Archen, also vor Ol. 67, dem pythischen ApoUon errichtet hat
(C. I. A. I 373«). Sie hat die drei Buchstaben in der Form A E ®.
In denselben Formen giebt dieselben die Inschrift der von den Athenern
in Delphoi geweihten Stoa (Inscr. Gr. ant. 5: t)]v aroäv xal tu inX[a
»]al T&xQODxiiQia iildvrcg r&v no\Xeii((av], der deutliche Rest des o
in dem letzten Worte zeigt, daß nicht ZI^qg&v dagestanden hat).
Als älter erweiset sich der zweite, der attische Teil der sogenannten
sigeischen Inschrift (Inscr. Gr. ant. 492), in dem er die Formen A <(^ ®
hat und wechselnd vor- und rückwärts geschrieben ist
Freilich das A und gelegentlich auch das ® hat auch noch Eu-
phronios in seinen rotfigurigen Vasenbildem gebraucht. Und A neben
E tind 0 findet sich noch in dem Verzeichnis der Gefallenen von OL 80
(C. I. A. I 433). Für unsem Zweck liegt weniger daran, wie spät hinab
Zum Münzwesen Athens 329
in Athen das ® und ^ oder ^^ als wie hoch hinanf das O und E
reicht
Unser einziger sicherer Anhalt dafür ist, so viel mir bekannt^ daß
sich auf einem Inschriftstein, der zu dem Eilbau der themistokleischen
Mauer Ol. 75 (478) verwendet worden ist (C. I. A. I 479), © neben ^
und A findet. In der wiedergefundenen Hermeninschrift (MitteiL des
athen. Inst. V S. 244 C. L A. IV2 S. 118 Nr. 492), die früher nur und
sehr incorrect in Fourmonts Abschrift vorlag, kommt nebeneinander 0
und ®, ebenso ^ und ^, Ar A und P\ vor. In dieselbe Reihe hippar-
chischer Inschriften scheint die in C. I. A. 381 mitgeteilte zu gehören,
ein Epigramm des Anakreon, den nach dem Tode des Polykrates Ol. 64
Hipparch nach Athen berief; in sauberer Schrift giebt sie A neben E,
ein Theta kommt in ihr nicht vor.
Dies gewiß altertümlichste Form ^ findet sich in nicht wenigen
Inschriften, welche O haben, wenigstens nach der Wiedergabe der-
selben im C. I. A. I; so 480, 482, auch 18 und 27 nach den im Nach-
trag gegebenen Abschriften, während die früheren vor Köhler E hatten.
[1201] Aus den angegebenen Thatsachen läßt sich kein sicheres
Besultat für die Chronologie dieser drei Buchstaben ziehen, nur das
eine viellßicht, daß O auch schon vor der Weihung des pythischen
Altars, vor OL 67 neben ® in Gebrauch gewesen ist
Die in der Reihe a aufgeführten Tetradrachmen, die dem Stil
nach für die ältesten gelten, haben AOE oder AO^.
Von denen der Reihe h haben fünf A©^, eine AOE.
Die der Reihe c haben AOE-
Die der Reihe d haben A®^ und 3®A, das Kreuz im Theta
hier liegend, da stehend.
Auch der Schriftcharakter dieser vier Reihen zeigt einen gewissen
Unterschied, nur nicht so, daß er der paläographischen IlDterschieden-
heit entsprechend sich verteilt. Bald sind die Buchstaben wie mit
einem Cantstichel eingeritzt, in einigen namentlich das ^ so, daß man
in dem stärker markierten Endpunkt der Querstriche gleichsam das
Einsetzen des Stichels zu bemerken glaubt; andere erscheinen rundlich
erhöht, als wenn sie mit dem Boltstichel in die Stanze gegraben wären;
andere, in denen die Buchstaben einen platten Rücken haben, können
nur mit einem Machstichel eingegraben sein.
IV.
Auf die Frage, von der wir ausgingen, hat sich uns aus den
Kategorien des Gewichts, des Gepräges, der Schrift keine genügende
330 Zum Münzwesen Athens
Antwort ergeben. Und auch nur wenig weiter fahrt ein technisches
Moment, das bisher absichtlich übergangen ist.
In der ältesten Technik des Prägens hat — abgesehen von ge-
wissen großgriechischen Münzen mit convexer Vorderseite und nnr
fast gleicher concaver Rückseite — nur die Schauseite ein Bildwerk^
das sie von der in den Amboß eingelassenen Matrize durch den Präge*
schlag empfangen hat; das qtuidratum incusum der andern Seite ist
der Abdruck der für den Schlag auf den Schröttling gelegten Stanze und
ihrer Einschnitte, die wohl das Ausgleiten beim Schlage hindern sollten.
Erst allmälich ist man dazu fortgeschritten diesen Einschnitten
eine regelmäßige Gestalt, etwa die eines durch zwei Diagonalen ge-
teilten Vierecks, zu geben, dann auch wohl, etwa in der Mitte dieser
Vierteilung, in einem kleinen oft kreisförmigen Spiegel ein Bildwerk
zu schneiden — so in den ältesten Münzen von Syrakus einen kleinen
weiblichen Kopf; erst allmählich erfüllt dann dies Bildwerk die ganze
Bückseite und es bleibt das vertiefte Viereck nur eine Umrandung des
Spiegels.
[1202] In welchen Zeiträumen diese Übergänge sich folgten, ist
nicht mehr ersichtlich; gewiß nicht überall in denselben.
Die Münzen mit Pallaskopf und Eule, die ihre Beischrifb a^s attische
Münzen sicher stellt, beginnen erst nachdem die Technik die zuletzt
bezeichnete Stufe erreicht hat.
In (Aristot.) Oecon. II 5 wird von dem Tyrannen Hippias neben
andern Geschichten angeführt, daß er das in Athen umlaufende Silber-
geld verrief und ein neues Gepräge einführtet Die Nachricht mag,
wie die meisten in dieser Schrift, aus guter Quelle stammen; der ge-
brauchte Ausdruck zeigt, daß das neue Gepräge kraft eines Yolks-
beschlusses eingeführt worden ist Hr. Imhoof-Blumer sagt, „ohne
ZweifeP^ sei dies neue Gepräge eben das von da an immer beibe-
haltene: „Pallaskopf und Eule^' gewesen.
Wenigstens möglich ist es. Es ist der Mühe wert sich klar zu
machen, was sich mit dieser Hypothese weiter ergeben würde.
Nicht notwendig, daß erst nach dem Tode des Feisistratos OL 63
dieser Typus eingeführt worden sei. Wenn eine Schätzung auferlegt,
wenn ein Yolksbeschluß über Einführung eines neuen oder anderen
Typus gefaßt wurde, so ist in amtlichen Formen und wohl formell
der Verfassung gemäß verfahren worden, wie ja nach Thucydides
^ Arist. Oecon. II 5: t6 de yofiiafia i6 oy Ä&t^vaiovg döoxifioy dnoli^at^'
tu^ag de lifirjv ixiXevae n^og avxbv uyaxofiitBiv avyeX&oytiay de int rr«> xo^i
6Te(foy x^Qaxj^Qa t^iöuxe t6 nvib aiffVQioy.
Zum Münzwesen Athens 331
bekanntem Ausdruck (YI 54) die Peisistratiden das Regiment in der Art
fahrten, daß immer einer aus der Familie h raig ägxctlq war. So in
amtlicher Stellung konnte Hippias schon während des Vaters Leb-
zeiten jene Neuerung veranlaßt haben, wenigstens in dessen dritter
„Tyrannis" seit Ol. 59; zu jung für die ÜQxcci TYftr er da nicht mehr,
da der Vater schon bei seiner zweiten Vertreibung, elf Jahre vorher,
sich durch ihn bestimmen ließ in dem nahen Eretria zu bleiben und
sich da zur fiückkehr bereit zu halten.
Weiter könnte man aus dem etwas auf^ligen Ausdruck xb vöfiKTfjLcc
rd 6v !ä&fivccioig entnehmen wollen, daß es beliebiges Silbergeld in
den Händen der Athener gewesen sei, nicht gerade attisches. Aber
wenn das attische Volk sich versanmielte knl ra xö^tpai 'iTB()ov x^gax-
TTiQUj so hatten sie doch wohl schon attisches Gepräge, sonst würde
statt tr^Qov wohl StjfAÖfTiov oder dergleichen gesagt sein.
Aber die durch ihre Umschrift als attisch documentierten Münzen
reichen ihrer Technik nach nicht in die erste Hälfte des sechsten Jahr-
hunderts hinauf. Und daß die schon erwähnten Wappenmünzen, die
allerdings meist auf attischem Boden gefunden worden sind, alle oder
die meisten ihrer vierzehn fieihen attische seien, ist eine Hypothese,
[1203] überdies eine solche, die in Betracht des Verfassungszustandes
des solonischen Athens zu Schlüssen fuhren würde, die zu tief greifen,
als daß man sie auf eine so unsichere Induction hin wagen dürfte,
zumal da sich sonst keine Spuren finden, daß das Athen der solonischen
Verfassung nicht sowohl ein Staat (jiia nöhg), als eine Föderation von
Gemeinden, Geschlechtern, Stämmen oder dergleichen gewesen sei
Denn diese vierzehn Reihen von Münzen^, mit eben so vielen
^ Von den fünß^ehn Keihen, die als Wappenmünzen angeführt zu werden
pflegen , hat Hr. Imhüof-Blumer die letzte (A. £berkopf , B. vertieftes Viereck)
bereits ausgeschieden; sie führt auf einen anderen ab den solonischen Münzfuß.
Vier andere Reiben sind nur mit je einem oder zweien Stücken kleinster
Nominale vertreten (Nr. 10 Mistkäfer, Nr. 11 Frosch, Nr. 12 Granatapfel, Nr. 13
Auge); sie haben sämtlich auf dem B. ein diagonal gevierteltes Viereck.
Weiter folgen sieben Beiben (Nr. 2 Dreibein, Nr. 3 KnÖcbel und Nr. 4
stehende Eule, Nr. 5 Hinterteil eines Pferdes, Nr. 6 Vorderteil eines Pferdes,
Nr. 7 Pferd mit hoher Mähne auf einer Basis stehend, Nr. 9 Amphore), die das
Gemeinsame haben, daß sie das Bild auf der Schauseite mit einem Binge (ein
Stück in Nr. 6 mit einem Doppelringe) einschließen. Aus jeder dieser sieben
Eeihen sind Didrachmen, Drachmen und kleinere Nominale erhalten; alle haben
auf der Kückseite das mit Diagonalen gevierteilte Viereck. Das Gewicht der
Didrachmen steigt bis 8,40, ja 8,66 g, sinkt bis 8,10, ja 8,00 g.
Es bleiben noch zwei Beiben, die jede in sich technisches Fortschreiten
erkennen lassen.
In der Beihe Nr. 1, mit dem Bade auf der Schauseite, führt Hr. Imboo£*
332 Zum Münzwesen Athens
verschiedenen Typen auf der Schauseite — freilich in vier Reihen
[1204] nur in kleinsten Nonünalen mit wenigen Exemplaren vertreten —
sind nicht als attische Staatsmünzen eine der anderen gefolgt; solcher
Wechsel des Gepräges in den fünfzig Jahren vom Archontat des Selon
bis zur dritten Tyrannis der Peisistratiden wäre höchst seltsam; —
sondern sie gehen nebeneinander her, wie man aus den technischen
Wandelungen innerhalb einiger dieser Reihen erkennt Aber anderer-
seits, daß nur in einer dieser Reihen Tetradrachmen neben Didrachmen
vorkommen, in den anderen die Didrachme das Großstück ist, würde
gar wohl dazu passen, daß Syrakus seiner neuen Gewichtsordnung das
Didrachmen von 8,732 g = 2180 g Kupfer zu Grunde gelegt hat
Es bleibt nur die Alternative: entweder diese Münzen sind attische;
Blumer 6 Didrachmen (bis zu 8,50 und 8,59g Gewicht), 5 Drachmen, etwa 10
kleinere Stücke an; das Berliner Museum hat von diesßn ideineren 88. Eine
der Didrachmen hat das Bad in sehr altertümlicher Form, wie wenn es aus
einem Brett durch vier kleeblattartige Rundausschnitte ^ ^ gemacht wäre; die
vier anderen zeigen ein Rad mit vier Speichen. Jene eine hat das diagonal geteilte
vertiefte Viereck auf der Rückseite mit den meisten anderen gemein. Von denDrach-
men hat die eine sechs vertiefte unregelmäßige Felder, eine zweite fünf ebenfalls
unregelmäßige. Von den kleineren Nominalen zeigt eine Vierteldrachme einen
unförmlichen Einschlag, zwei Obolenstücke Einschläge unregelmäßiger Form. End*
lieh hat eine der Berliner Didrachmen und zwei der Halbobolen ein Bad, das in
der Mitte zwischen dem altertümlichen und dem mit vier Speichen steht, indem je
drei zierlich geformte, nach dem Bande zu divergierend gebogene Stäbe
statt der Speichen sind.
Noch bestimmter tritt die chronologische Folge in Nr. 14 hervor, deren
Bild auf der Schauseite der Medusenkopf ist Die der Zeit nach ältesten dieser
Beihe sind wohl 8 Didrachmen (bis 8,71 g hinauf) mit diagonal gevierteiltem Vier-
eck auf der Bückseite; derselben Art ist das quadr, ine, der Obolen, "/« Obolen,
*/« Obolen dieser Beihe, etwa 6 an der Zahl. Dann folgen dem Stil nach Di-
drachmen mit einem Ldwenkopf von vom in einem der vier Teilstücke des
Vierecks. Dann 4 Tetradrachmen (bis 17,40 g hinauf), deren Büokseite in dem
Spiegel des quadr, ine, den Kopf eines Löwen von vom gesehen zeigt; eine
fünfte hat dafür einen Stierkopf von vorn.
Unter den alten euböischen Münzen, die Hr. Imhoof-Blnmer verzeichnet
(von Karystos, Chalkis, Eretria), finden sich allerdings auch Tetradrachmen, aber
keine von ihnen ohne wenigstens den Anfangsbuchstaben, oder die zwei, drei eisten
Buchstaben des Stadtnamens, ohne den Hahn von Kaiystos, das Bad von Chalkis,
den Polypen von Eretria in dem vertieften Viereck der Bückseite.
Weder auf den Tetradrachmen mit dem Gorgoneion Nr. 14, noch anf den
anderen Didrachmen, Drachmen und kleineren Stücken der obigen viersehn
Reihen findet sich ein Buchstabe.
Zum Münzwesen Athens 333
dann muß man sich entschließen die solonischer Verfassung anders zu
fassen, als man auf Grund der litterarischen Zeugnisse zu thun sich
gewöhnt hat, und es würde das Verdienst der Feisistratiden sein, auch
in dem einheitlichen Gepräge der Landesmünze den Gedanken der
fiia ndXiq einen großen Schritt weiter geführt zu haben, wie sie es
in andern Dingen nachweislich gethan haben, unter andern mit der
Erhebung der altertümlichen Panathenäen zu einer großen Festfeier in
jedem fünften Jahre mit ihren musischen, gymnischen und hippischen
Agonen, recht eigentlich zu einem Staatsfest — oder diese Münzen
sind nicht attische; dann hat Attika bis zu den Feisistratiden kein
eigenes Geld gehabt und Solons Reduction hat darin bestanden, daß
er fremdes Geld, euböisches oder auf euböischen Fuß geprägtes anderer
Städte, an der Stelle des bis dahin landesüblichen aiginäischen reci-
pierte; dann floß allerlei Geld nach Athen — nur nicht auf dem Wege
der „Tributentrichtung der Unterthanen der Bundesgenossen"; denn als
Athen solche hatte, nahm es nur attisches Geld in Zahlung, das die Fflich-
tigen, wenn nicht anders, bei den Trapeziten mit Aufgeld kaufen mochten.
Es ist ein Dilemma, das sich aus den bis jetzt vorliegenden histo-
rischen Materialien nicht losen, auch mit Wahrscheinlichkeitsgründen
nicht beseitigen läßt, nicht einmal mit dem, daß Syrakus den attischen
Münzfuß nicht eingeführt haben könne, bevor es attische Münzen gab.
Denn daß Syrakus den attischen Münzfuß angenommen habe, ist nicht
eine positive Überlieferung, sondern aus dem, was [1205] vorliegt, ge-
schlossen; und daß das syrakusische Gepräge um eine Stufe älter ist,
als die älteste sicher attische Münze, beweist in dieser Frage nichts,
da Syrakus nicht die Technik, sondern den Münzfuß von Athen, den
von Solon eingeführten, übernahm; die Anfange der syrakusischen Fra-
gung mit dem weiblichen Köpfchen im Spiegel des quadratum incusum
könnten trotz der älteren Technik, die sie zeigen, sehr wohl später sein
als die ältesten sicher attischen Frägungen.
V.
Wie dem auch sei, daß Solon den attischen Münzfuß geändert
hat, steht durch ausdrückliche Zeugnisse und durch den Zusammenhang
dieser Änderung mit serner Verfassungsreform fest. Daß er sich dem
euböischen Münzfuß angeschlossen habe, ist nicht positiv überliefert
sondern wird aus den Gewichten der beiderseits erhaltenen Stücke, die
älter sind als die Schlacht bei Marathon, und aus dem Namen „euböi-
sches Talent", der für das attische Talent gebraucht werde, geschlossen.
Wenigstens diese Identität der Bezeichnung ist dahin zu beschränken,
daß das „euböische Talent" zur Bezeichnung des Gewichtes gebraucht
334 Zum Münzwesen Athens
wurde, and das attische Geldtalent mit dem euböischen Gewichtstalent
nur 80 lange identisch war, als Athen nicht die Tetradrachme von
17,464 g auf 17,34 herabgesetzt hatte.
Wäre für die solonische Reduction das von Androtion angegeben?
Verhältnis 78 : 100 völlig authentisch, so hätte zwischen dem soloni-
schen und euböischen Talent ein nicht unbedeutender Unterschied statt-
gefunden:
1 Talent solonisch 26 393 g,
1 ,, euböisch 26 196 „
Die Handelsbedeutung der euböischen Städte, die seit dem 1 elanti-
schen Kriege im Sinken war und die die attischen Interessen wenigr-r
zum Anschluß als zur Rivalität auffordern mußte, konnte Solen wohi
nicht veranlassen zu ihrem Münzfuß überzugehen, und er war al-
Handelsmann weit genug umher gekommen, um selbst aus den in
Asien üblichen Geldsystemen das für Athen geeignete zu entwickeln.
Freilich, die Angabe des Androtion ist vielleicht, wie wir sahen,
nur eine ungefähre und das solonische Münzsystem in der That den
damabgen euböischen Gewicht- und Münzsystem conform gewesen, —
und dann lassen sich, nach Art solcher allgemeinen Argumentationer.
ebenso gut Gründe dafür anführen, daß Solon, etwa damit der attische
Handel um so leichter in den Plätzen, die an das euböische Geld ge-
wöhnt waren, Eingang fände u. s. w., eben das euböische Münzsystem
angenommen habe.
[1206] Wie und nach welchen Combinationen er verfuhr, darf man
nicht mehr erraten wollen. Aus den Thatsachen, die uns vorliegen, den
attischen Münzen selbst, ergeben sich Momente, die uns weiter führen.
Wir fanden für zwei Perioden der attischen Münzen — abgesehen
von der solonischen, aus der wir nicht sicher sind attische Münzen zn
haben — zwei Normalgewichte für die attische Tetradrachme:
das ältere 17,464 g
das jüngere 17,34 ,,
Wir sahen, die Tetradrachmen der älteren Periode, die uns erhalten
sind, bleiben, bis auf eine zu schwere, unter dem normalen Gewicht;
sie sinken zum Teil bis auf 17,08, ja bis auf 16,52 g hinab. Es wird
wohl nicht daraus zu folgern sein, „daß man schon in der ersten
Periode häufig unter dem Normalge wicht münzte"; und noch weniger
ist jenes doppelte Normalgewicht damit erklärt, d. h. in seiner Be-
deutung nachgewiesen.
Man bedang sich in Athen in Geschäften wohl Zahlungen in
„vollwertigem Metall" Aqyvqiov SöxifAov (Demosth. XXXV 24). Wenn
k
I..»"
Zum Münzwesen Athens 335
die Athener sich ihrer „schönen, richtig gewerteten" Drachmen rühmen
durften, so mußten sie, wenn auch ihr Silber in der Circulation sich
abnutzte, doch sicher sein, daß es richtig ausgeprägt worden war;
unmöglich konnte das, was man heut die Toleranz nennt, bis auf
5 Prozent zu wenig hinabreichen, wie in jenen Beispielen die Tetra-
drachme von 16,52 g geben würde. Die Münzer mußten jeden Schrött-
ling wiegen und wenn er, zu leicht oder zu schwer, die erlaubte Fehler-
grenze überschritt, ihn ausschließen. Welche Fehlergrenze gesetzlich
festgestellt war, wissen wir nicht; heut bei der allerdings hochent-
wickelten Technik ist in den deutschen Münzen für Silber Abweichung
bis zu 0,005 vom Schrot, bis zu 0,003 vom Korn die Toleranz.
Das Verhältnis von Schrot und Korn, von Wichte und Sichte,
wie man ehedem sagte, ist natürlich für den Wert der Münze ent-
scheidend. Nur das Korn bestimmt ihren Wert, die hinzugefügte
Legierung ist so gut wie wertlos.
Giebt es die zweierlei Normalgewichte für die attischen Tetra-
drachmen
17,467 g und 17,34 g
so ist entweder mit ihrem Gewicht auch ihr Wert ein anderer ge-
worden, oder beides ist verändert worden.
Wenn aus der Zeit um 350 ein Zeugnis vorliegt, daß für attisches
Silber außer Landes Aufgeld gezahlt wird, so ist wohl sicher, daß [1207]
damals ihr Silbergeld noch nicht im Wert gemindert, daß der Feingehalt
fixiert war; sagen wir beispielsweise; für die Tetradrachme auf 1 7,20 g,
so hatte die von 17,464 0,26 g Kupfer,
„ „ 17,34 0,14,, „
in jener war 0,985, in dieser 0,991 Feingehalt.
Daß das minder schwere Drachmengeld das spätere war, ist außer
Zweifel. Wie kam man zu dieser Veränderung? und in welcher der
drei möglichen Arten, die angeführt sind, veränderte man?
Als man in Athen in der Form, die allein sicher attisch ist, zu
prägen begann, war die Technik des Prägens über das Stadium hinaus,
wo sie möglichst reines Silber nahm, das um so leichter zu prägen
ist, je weniger Legierung es hat.
Mehrfach ist in neuerer Zeit attisches Silbergeld chemisch unter-
sucht worden, am meisten solches der „zweiten Klasse", also der späten
Zeit, etwa seit 250 v. Chr. Die Aufzählung dieser Analysen wird der
zweite Anhang geben; hier nur das für die nächste Frage Maß-
gebende.
336 Zum Münzwesen Athens
Unter drei analysierten Stücken, die sicher der Zeit der ersten IQasse
angehören, hatte
das eine an Silber 0,986,
ein zweites und drittes 0,983,
ein viertes 0,9644
nnd in diesem fand sich daneben Gold 0,000173. In den Tetradrachmen
der Klasse U ist, wie es scheint, durchgehend Grold. Beule schmolz 87
solche Tetradrachmen zusammen, und diese Masse gab Gold 0,002 bei
0,966 Silber. Er analysierte sieben Tetradrachmen derselben späteren
Art und jede von ihnen hatte Gold 0,0016, während das Silber in
ihnen von 0,924 bis 0,978 wechselte. Eine von Hussey analysierte
Drachme jüngster Prägung hatte Silber 0,9161, Gold 0,0026.
Hult^h, der diese Dinge mit Sorgfalt und voller Sachkenntnis er-
örtert hat, ist der Ansicht (S. 172], daß das Vorhandensein des Goldes
in diesen Münzen nur zufallig sei: „denn die Alten wußten nichts von
dem Vorhandensein des Goldes im Silber^'. Ist dem wirklich so, dann
hat er es mit Recht als „ein merkwürdiges Spiel des Zufalls'^ bezeichnet^
„daß die zwei Tausendteile Gold gerade den Ausfall decken, den der
Wert der Münze durch die 32 Tausendteile wertloser Legierung er-
leidet"^. Wenn aber, wie die Ägypter in ihrem [1208] Nilwasser, die
Lyder in ihrem Flußsand die minimalen Stückchen Gold erkannten,
so die Athener in ihrem laurischen und maroneischen Bleiglanz, viel-
leicht in gewissen Lagen desselben, gelegentlich ein Blättchen Gold
fanden, so werden sie darin ein Mittel erkannt haben, ihr Silber stärker
zu legieren, ohne den Feingehalt der Münze zu beeinträchtigen.
Daß Alexander der Große den attischen Münzfuß angenommen
habe, schließt man aus dem Gewicht seiner Münzen. Wir haben kein
ausdrückliches Zeugnis über das Normalgewicht seiner Tetradrachmen;
wenn die uns erhaltenen bis 17,27 und 17,29 g wiegen^, so darf man
vermuten, daß das attische seiner Zeit, dem er sich anschloß, bereits
auf 17,34 herabgesetzt war.
Nach der Analyse Hussey 's (S. 7 1) hatte eine Tetradrachme Alexanders
Silber 0,96718
_ Gold 0,00364
^ Hultscb verfährt nicht ganz korrekt, wenn er in diesen Münzen nach
250 V. Chr. das Gold noch zu dem Ib^l^isidien Wert des Silbers rechnet, den
es vielleicht in der Zeit der Perserkriege hatte.
^ Hultsch S. 181 führt nach Hussey eine Tetradrachme Alexanders von
17,92 g (genauer 17,87 g) und nach Mionnet zwei andere von 17,71g an. Die
bei weitem meisten, die gewogen sind, gehen nicht über 17,29 hinaus; h&ufiger
sind die Drachmen schwerer als 4,86 g.
Zum Münzwesen Athens 337
Wenn damals das Gold den zehnfachen Wert des Silbers hatte, so
ersetzten die drei Tausendteile Gold reichlich die fehlenden drei Hundert-
teile Silber.
Von den oben angeführten attischen Münzen der Klasse I ist die
von 0,983, wie die Analyse ergab, ohne Gold, die Ton 0,986 bei noch
schwächerer Legierung ohne Zweifel ebenso.
Es mag zur weiteren Orientierung noch angeführt werden, was
sich aus Husseys Analysen Ton Münzen anderer hellenischer Staaten
ergeben hat Die älteren Stücke von Aigina hatten 0,9687 Silber,
0,0313 Kupfer,
die „alten" von Argos 0,9666 Silber,
0,0334 Kupfer,
die späten von Argos .\ 0,9574 Silber,
0,0026 Gold,
0,0400 Kupfer,
die korinthischen schon in der „mittleren" Zeit 0,9593 Silber,
0,00104 Gt)ld,
0,0395 Kupfer
Wie dankenswert diese Analysen auch sind, sie reichen doch nicht
so weit, daß man sich nicht noch nach anderen Methoden umsehen
sollte, die Münzen nach ihrem Gehalt zu fragen ohne sie zerstören
zu müssen. Durch das spezifische Gewicht schien es mir [1209] mög-
lich ein weiteres Element für die gesuchte Antwort zu gewinnen. Hr.
HofEmann hatte die große Güte einige solche Wägungen zu veranstalten.
Ich wählte zu diesem Zwecke drei Stücke aus der kleinen Münz-
sammlung des Dr. H. Droysen. Zunächst eine schön erhaltene attische
Tetradrachme aus der Zeit des „strengen" Stils, dem „vollkommenen"
näher stehend als dem „altertümlichen";
sie wiegt noch 17,1740 g
ihr spezifisches Gewicht ist 10,534 „
sie enthält demnach Silber 0,98 also 16,888 „
Kupfer 0,02 „ 0,286 „
Sodann zur Vergleichung eine syrakusische Tetradrachme (Zwanzig-
Litrenstück) von ganz guter Erhaltung, dem Typus nach in der Mitte
stehend zwischen den zwei Stücken bei Head S. 7 und tab. I Nr. 3 und 4,
also der Zeit Gelons. und Hierons angehörend;
sie wiegt noch 16,7493 g
ihr spezifisches Gewicht ist 10,469 „
sie enthält Silber 0,939 also 15,896 „
Kupfer 0,061 „ 0,853 „
Droysen, Kl. Schriften II. 22
338 Ziun Münzwesen Athens
Von einer dritten, einer Tetradrachme Alexanders, wird in An-
hang 2 zu sprechen sein.
Daß in der spezifisch gewogenen attischen Tetradrachme kein Grold
ist, ergiebt sich aus der schwachen Legierung, in der sie mit den beiden
von Hussey analysierten goldlosen gleich ist Und man wird demnach
vermuten dürfen, daß in Athen, wenigstens bis in die Zeit des „strengen^
Stils hinein, noch nicht Gold in die Mischung gethan wurde. Wenig-
stens normalmäßig noch nicht; mit jener Drachme „von rohestem und
frühestem Stil", in der Hussey 0,9644 Süber und 0,000173 Gold
(16 Grains auf das Troypfund) fand, muß es eine besondere Bewandt-
nis haben, da das wenige Gold \ selbst wenn zur Zeit dieser Prägung
Gold zu Silber wie 1 : lö^s stand, nur eine geringe Werterhöhung gab,
die von 0,9644 auf 9670; das Talent dieser Drachme würde enthalten
haben
[1210] Süber. . . 25 263,6581g
Kupfer . . 927,7563 „
Gold . . . 4,2256 „
der Feingehalt desselben wäre gewesen 25 328,655 g, d. h. um 432 g
zu gering^.
Wenn Head die syrakusischen Tetradrachmen bis in die Zeit des
Agathokles hinab auf normal
17,49 g
^ Als man 1840 auf der Berliner Münze 1 Million Thaler in ^/^ Stücken
einschmolz, ,,fand sich durch eine zufällige Entdeckung, daß in der Masse von
fast genau 65 000 Pfand (1 29 786 g) in dem Kupfer, womit die Stücke versetzt
waren (52,08 Silber gegen 47,92 Kupfer), Gold enthalten war in einem zwar
sehr geringen und deshalb früher nicht bemerkten AnteiP^ (Hoffmann, Kleine
Schriften S. 565). Diese Angaben nach dem Gewicht auf die im Text angewandte
Berechnung reduziert, war in dieser Masse
Silber . . . 0,514 76
Kupfer . . . 0,484 76
Gold . . . 0,000 48
' Da es müßig sein würde die Frage der Echtheit über diese nicht mehr
vorhandene Münze aufzuwerfen, so bleibt nur die Alternative, daß entweder
ohne Absicht, nur zufällig Gold in dieser Münze war, oder daß man zur Zeit
ihrer Prägung auf niedrigerem Fuß prägte. Solche Herabsetzung des Münzfußes
ist darum wahrscheinlicher, weil, wenn das Gold in der Münze war ohne daß
man es gewollt hatte, die Herabsetzung nur um so größer gewesen sein würde.
Noch bliebe denkbar, daß man mit dem Zusatz Gold den Wert der Münze auf
die damals normale Höhe von 0,983, also die Tetradrachme auf die Höhe von
17,173 fein habe bringen wollen; in diesem Falle müßte das Gold damals —
etwa in der Zeit vom Sturz der Peisistratiden bis zum Fall von Milet — mehr
als das 30 fache des Silbers gegolten haben, woran nicht zu denken ist.
Zum Müiizwesen Athens 389
ansetzt, so würden 1 500 solcher Stücke, nach attischer Art ein Talent,
gewogen haben
26 235 g,
also um 39 g mehr als das Talent attischer Tetradrachmen nach der
Formel 100:138. Ich weiß nicht, ob Head diese Normale 17,49 g nur
aus dem Gewicht der erhaltenen Münzen kombiniert hat. Hätten die
Syrakuser ihr Litrensystem auf diese Norm geregelt, so würden sie den
Wert des Silbers gegen Kupfer auf 1 : 249,0074 gerechnet haben, nicht
auf das einfache und übersichtliche 1 : 250,
Nach dem gefundenen spezifischen Gewicht würden diese 1500
syrakusischen Tetradrachmen enthalten
Silber ... 24 598,044 g
Kupfer . . 1597,956,,
die vollwichtige syrakusische Tetradrachme also
Süber, . . 16,3980 g
Kupfer . . 1,0653 „
Ziffern, die den normalen in Athen so nahe kommen (17,4633 gegen
attisch 17,464), wie man bei Berechnung aus dem spezifischen Gewicht
nur irgend erwarten darf.
Wir fanden das Talent der älteren attischen Tetradrachme von
17,464 Gran 26 196 g
die Analyse ergab in Husseys Drachme ohne Gold
Silber 0,983 „
Kupfer 0,017 „
also in dem Talent Silber 25 750,668 „
Kupfer 445,332 „
[1211] So schwach legiertes Silber mußie sich in der Circulation
stark abnutzen. Daß man von 0,986 auf 0,983 herabgegangen war,
um die Legierung auf 0,017 zu erhöhen, konnte noch nicht viel wirken;
und doch durfte man nicht den Feingehalt noch mehr schädigen, um
die Legierung zu verstärken. Es kam darauf an, den gleichen 'Fein-
gehalt und eine stärkere Legierung zu kombinieren. Es ist gleichgültig,
ob die Athener so wie früher angedeutet worden ist oder auf einem
anderen Wege dazu gekommen sind, für diesen Zweck ein wenig Gold
in die Mischung zu thun. Geschah das in einer Zeit, wo Gold gegen
Silber wie 1:11 Y2 stand, so mischten sie
Silber 0,961 g,
Gold 0,002 „
Kupfer 0,037 „
22*
79
n
340 Zorn Münzwesen Athens
ihr Talent von 23 196 g hatte dann Silber 25 174,156 g,
Gold 51,392 „
Kupfer 969,252
und die Tetradrachme von 17,464 g: Silber 16,7828
Gold 0,0349 „
Kupfer 0,6461 „
Wenn das aus den attischen Bergwerken gelieferte oder gekaufte
Silbererz einmal kein Gold enthielt, so warf man in die für 1500 Tetra-
drachmen bestimmte Schmelzung 6 Stateren oder Dareiken, um die yuII-
wertige Mischung herzustellen.
Unter den wenigen bisher untersuchten Stücken der Klasse I giebt
es kein Beispiel dieses Übergangs.
Vielleicht verband man mit dieser Veränderung gleich eine zweite.
Es konnte in der Zeit, wo 7000 Talente geprägtes Silber auf der Burg
lagen, gelegentlich ein kluger Trapezit oder Metalleut ausgerechnet
haben, wie viel in dieser Geldmasse Kupfer enthalten sei und in der
Legierung wertlos da liege ohne Zinsen zu tragen; er hätte auf
180 000 Kilo Silber etwa 3000 Kilo Kupfer gefunden^. Ersetzte man
jetzt in der Mischung 0,0023 Silber mit Gold, so daß man fortan statt
der früheren 0,017 Legierung jetzt 0,037 hätte nehmen können, so
mochte es mehr als genug erscheinen, weim man sich auf 0,030 be-
schränkte; man hatte immer noch eine Legierung, die tast doppelt so
stark war als die bisherige. Dann war fortan in dem Talent
[1212] Süber 25174,356 g,
Gold 52,392 „
Kupfer 783,352 ,,
26 0r0g7~
und in der Tetradrachme Silber 16,7828 g,
Gold 0,0353 „
Kupfer 0,5223 „
17,3404 g
d. h. man hatte an die Stelle des alten Normalgewichts nach dem
Verhältnis von 100: 138 ein neues nach dem Verhältnis von 100: 138®/,
gesetzt
Zum Schluß mögen noch zwei Bemerkungen gestattet sein.
^ Wir keimen den damaligen Preis des Kupfers in Athen nicht In Sjrakm
wurden bei der Beduction vor der Zeit Dionys I. 2 Drachmen = 1090 g Kapfer
gerechnet Nach diesem Preise berechnet enthielten die 7000 Talente mit reich-
lich 3000 Kilo Kupfer ein totes Kapital, das nach attischem Zins jährlich aber
7 Minen hätte bringen können.
r.
Zum Münzwesen Athens 341
Der oben gebrauchte Ausdruck, daß Syrakus den attischen Münz-
fuß angenommen habe, ist nicht in dem ganzen Umfang, in dem man
jetzt diesen Ausdruck verstehen würde, richtig. Syrakus nahm wohl
das attische Münzgewicht an, das Zwanziglitrenstück war der alten
attischen Tetradrachme fast völlig gleich an Gewicht, nur um 0,03 g
schwerer; aber wenn es, wie in der spezifischen Wägung sich ergab,
0,74 g Silber weniger enthielt, so ließ sich der Athener in Syrakus für
seine Tetradrachme ein Zwanziglitrenstück und noch einen Dodrans
(^/^ liitren) obenein zahlen; und in Athen erhielt der Sikeliot für seine
Tetradrachme nur 23 Obolen statt 24; das attische Talent war um
256 Drachmen besser als 1500 syrakusische Tetradrachmen, denen es
dem Gewicht nach um 8 Drachmen nachstand.
Nach der Autonomie der hellenischen Staaten ist die Gleichheit
ihres Münzfußes bei weitem noch nicht ein Zeugnis für die Gleich-
wertigkeit ihrer Münzen, falls nicht einzelne durch Münzverträge sich
gegenseitig verpflichtet hatten, von dem gleichen Gewicht Feingold oder
Feinsilber die gleiche Stückzahl gleicher Nominale auszubringend
Welcher Wirrwarr in dem Geldverkehr, wie tagtägliche Gelegenheit
zu Agiotage und tTbervorteilung davon die Folge sein mußte, sieht
man aus den analogen Zuständen in deutschen Landen um die Zeit,
als von Eeichswegen der (Juldenfuß eingerichtet wurde, der wenigstens
die Goldprägung einheitlich normieren sollte, während von der Silber-
prägung [1213] in dem Beichstagsschluß gesagt wurde, „daß sie nach
des Landes Gelegenheit von mancherlei Sachen wegen nit auf ein Korn
zu bringen sei . . ."*.
Sodann ein Zweites, Wenn die Kömer in dem Friedensvertrage
bei Polyb. XXII 26 dem König ^ntiochos IIL auferlegten, 12 000 Ta-
lente äQyvQiov lAmxov äglarov zn zahlen, so meinten sie nicht bloß
12000 X 1500 Tetradrachmen attisches Geld; denn sie bestimmten das
Gewicht des Talentes, daß es nicht weniger als 80 Pfund römisch,
^ Das Fragment, des MüDzvertrages zwischen Mytilene und Phokaia (New-
ton Transact. of the Roy. Soc. II Ser. XYIII S. 543), in dem die beiden Stfidte
übereinkommen, Jahr um Jahr wechselnd die ihnen gemeinsamen Goldmünzen
zu prägen, läßt durch ein von beiden bestelltes Gericht den mit der Prägung
beauftragten Beamten dechargieren, und wenn er das Gold zu leicht ausgebracht
(ro x^<^^ov neqvav vöaQdfnsQov ^dXav) ihn mit dem Tode bestrafen. Es muß
also von beiden Staaten nicht bloß ein Normalgewicht angenommen, sondern
zugleich die Toleranz im Feingehalt bestimmt worden sein, innerhalb deren das
Gold noch nicht für ^daQeareQov galt
* Reichsabschied von 1495. Musterhaft ist ein Teil dieser deutschen Münz-
verhältnisse erörtert von Puckert, das Münzwesen Sachsens 1518—1545, erste
Abteilung 1862.
342 ^um Münzwesen Atheofi
d. h. 26 196 g wiegen sollte; sondern sie forderten attisches Silber vom
besten Korn. Und in gleicher Weise ist es zu verstehen, wenn die
Römer in dem Frieden mit den Aitolern eine Zahlung ansetzen:
ccgyvQiov fiij zBiQovog *4ttixov, also von dem Teingehalt des attischen
nagccxQflfici fih rüXavra Evßoixä Siax6aia u. s. w., also 200 Talente
Gewicht.
Wann in Athen die Gewichtsminderung der Tetradrachmen von
17,464 auf 17,34 eingeführt worden ist, wird nicht überliefert. Aus
dem Verhältnis von Schrot und Korn des Silbergeldes der perikleischen.
der demosthenischen Zeit wird es sich nach der dargelegten Hypothese
vielleicht ergeben; sie selbst wird lehren, ob die Zeiten so zu unter-
scheiden sind oder nicht.
In der Rechnung hat diese Hypothese nichts Bedenkliches. Freilich
traut sie den Athenern ein Maß metallurgischer Kenntnis und tech-
nischer Präzision zu, für die wir wenigstens litterarische Zeugnisse nicht
haben. Aber oft genug sind wir bei historischen Forschungen in der
Lage, mehr als die sogenannten Quellen uns bieten aus den Über-
resten entnehmen zu können, wenn wir sie zum Sprechen zu bringen
vermögen. Ob die dargelegte Hypothese Evidenz genug hat, daß das,
was sie voraussetzt, als erwiesen gelten kann, mögen die Technologen
entscheiden.
Anhang I.
Die Abnutzung des attischen Silbergeldes.
Die Abnutzung der Gold- und Silbermünzen im Verkehr hat man
neuester Zeit mehrfach untersucht. Die Münzen, vrelche man dabei in
Betracht gezogen hat, sind alle stärker legiert, als es die attischen
waren, und von den ich glaube einzigen modernen Geldstücken, die
noch feiner als sie ausgebracht worden sind, den sogenannten hannove-
rischen Kassengulden mit nur 0,007 Legierung, die wenig in Umlauf
gekommen sind, scheint eine Angabe ihrer Abnutzung nicht veröflFent-
licht worden zu sein.
Nach Karmarsch (Beiträge zur Technik des Münzwesens 1856),
verliert das französische Silbergeld von 0,900 Feingehalt jährlich durch-
schnittlich
Fünffrancstück 0,0052
Zweifrancstnck 0,0165
Einfrancstück 0,0279
Zum Mänzwesen Athens
843
das englische Silbergeld von 0,925 Feingehalt
halbe Krone 0,0174
Schilling 0,0403
Sixpence 0,0628
die kleineren Nominale verlieren so viel mehr wegen ihrer stärkeren
Circulation. Die preußischen Thaler verlieren nach Karmarsch jährlich
73, auf Tausend (73333). «ach M. W. Miller 7,, (73,,,).
Andere Angaben über diese Frage, die mein Kollege Hr. Schmoller
die Gute gehabt hat mir zusammenstellen zu lassen, ergaben nicht
immer dieselben, aber doch ähnliche Resultate. Sie, wie die Berech-
nungen von Karmarsch, beziehen sich fast durchgehend auf solche Mänz-
stücke, die nur eine kurze Umlaufzeit gehabt haben, da neuerer Zeit
die über ein gewisses Maß abgenutzten Exemplare eingezogen und
eingeschmolzen werden.
Ein Beispiel längerer Umlaufzeit bot mir ein preußischer Thaler
von 1750, der nach dem damals eingeführten Graumannschen
System in dem Gewicht von 22,2719 g mit 16,7039 g Feingehalt aus-
gebracht war; er ist über 100 Jahre in Umlauf gewesen und wiegt
jetzt noch 22,198 g. Durch die so viel stärkere Legierung war er
so viel besser geschützt als der Thaler von 1857 mit 0,900 g Fein-
gehalt.
Nur zur Veranschaulichung giebt die folgende Tabelle die Skala
der Abnutzung einer attischen Tetradrachme von 17,464 g unter der
Annahme, daß sie in Prozenten ihres ursprünglich vollen Gewichts
[1215] wie die preußischen Thaler von 18&7 durchschnittlich 0,0242 g
im Jahre verloren hat.
Sie verlor von 17,464 g jährüch 0,004 226 3 g,
sie hat also
nach
5 Jahren
?»
10
»>
yy
20
»j
»
30
»
>>
40
yy
»
50
»
yi
60
j>
»
70
v
»
80
»7
jy
90
»
»
100
yy
»>
150
«
»
200
»>
verloren
0,021 131 5 g
0,042 263
0,084 526
0,126 798
0,169 052
0,211 315
0,253 578
0,295 841
0,338 104
0,880 367
0,422 63
0,633 94
0,845 26
U. 8. W.
ly
und wiegt noch
17,442 868 5 g
17,421 737
17,379 474
17,337 211
17,294 948
17,252 685
17,210 422
17,168 159
17,125 896
17,083 633
17,041 37
16,831 86
16,618 74
344 ^um Münswesen Athens
Darf man bei Erörtemng des Münzfußes and des Wertes antiker
Münzen diesen Gesichtspunkt ihrer Abnutzung durch die Cärculation
in Anschlag bringen, wie mir notwendig scheint , so ergiebt sich, in
wie weit für beide Fragen das bloße Bruttogewicht der erhaltenen Stücke
maßgebend sein kann.
[1216] inhaiisU.
Die Legierung als Griterium.
Aus den 14 Analysen attischer Drachmenstücke und dem sp^-
fischen Gewicht einer nicht analysierten scheinen sich noch weitere
beachtenswerte Momente zu ergeben.
Mein Kollege , Hr. Dr. Lehmann-Filh^s, hat die Güte gehabt, die
in der spezifischen Wägung einer attischen, einer syrakusischen und
einer Alexander-Tetradrachme gefundenen Ergebnisse weiter zu be-
rechnen und mir die Formeln zu entwickeln, aus denen auch für die
analysierten Stücke die Fragen, auf die es in der folgenden Zusammen-
stellung ankommt, sich beantworten lassen.
Er fand, indem er das in der W^ägung der attischen Tetradrachme
(Nr. 3) gefundene spezifische Gewicht 10,534 und das daraus abgeleitete
Verhältnis Silber 0,98, Kupfer 0,02, ein paar Stellen weiter rechnet^,
das Verhältnis der beiden Metalle an ihr
Silber 0,9884,
Kupfer 0,0166,
und demgemäß in dieser Münze enthalten
Silber 16,888 g
Kupfer 0,286 „
Diese alte Tetradrachme, die nach dem Normalgewicht der älteren Zeit
17,464 g gehabt haben wird, wiegt zur Zeit nur noch 17,1740 g; ihr
Feingehalt ist in demselben Verhältnis gemindert.
In der folgenden Tabelle sind die bisher analysierten oder spezi-
fisch gewogenen attischen Silbermünzen nach Klasse I und Klasse IT
zusammengestellt, zwischen beiden diejenigen analysierten Münzen, deren
Beschreibung nicht ausreicht zu entscheiden, welcher von beiden Klassen
sie angehörend Jede dieser analysierten Tetradrachmen ist in dem Zu-
stand der Abnutzung, in dem sie 17,1740 g wog, in Bechnung gesetzt
^ Die einzelnen Geldstücke dnd mit a. oder sp. bezeichnet, je nachdem
sie analysiert oder spezifisch gewogen sind, sowie mit den Anfimgsbuchstaben
der Namen Beul^, Hussey, Rauch, Droysen, J. Barth^l^my, um die Provenienz
der Angaben zu bezeichnen.
Zum Mttnzwesen AtheiiB
345
[1217] Klasse!
1. a. JB.
2. a. H. .
8. sp. D.
4. a. H. .
Pro Mille
Silber | Kupfer 1 Gold
In Grammen
Silber 1 Kupfer | Gold
5. a. J B. .
6. a. J B. .
7. a. B. . .
0,986
0,9888
0,9834
0,964409
0,958
0,978
0,933
[ ]
0,0166
0,0166
0,035416
0,000173
16,9835
16,8871
16,8889
16,5626
Unbestimmt.
ll ?
?
?
[0,2405]
[0,2869]
[0,2850]
0,6080
0,0029
Spez.
Gewicht
10,5344
Klasse IL
8. a.B.*
9. a. H. .
10. a. B.»
11. a. B. .
12. a. B. .
13. a. B. .
14. a. B. .
15. a. B. .
16. a. B. .
Pro Mille
Silber 1 Kupfer | Gold
In Grammen
Silber 1 Kupfer I Gold
0,966
0,9190»
0,966
6,924
0,978
0,934
0,974
0,947
0,932
0,032
0,0784
]
1
]
0,002
0,0026
0,0016
0,0016
0,0016
0,0016
0,0016
0,0016
0,0016
16,5900
15,783
16,5900
15,8686
16,7962
16,0407
16,7278
16,2637
16,0068
0,5445
1,3464
0,5564
0,2777
0,3503
1,1060
0,4190
0,8827
1,1404
0,0343
0,04465
0,0275
0,0275
0,0275
0,0275
0,0275
0,0275
0,0275
Spez.
Gewicht
10,431
10,512
10,434
10,535
10,452
10,527
10,476
10,448
Gold ist nach dieser Tabelle durcli Analyse nachgewiesen in einem
Stück der Klasse I^ in sämtlichen der Klasse U; von den drei zwischen
beiden Klassen angeführten ist darüber keine Notiz gegeben.
Wir wissen nicht, wie hoch der Feingehalt der alten Tettadrachmen
von 17,464 normiert war; die Nr. 3 würde, wenn sie noch vollwichtig
wäre, 17,1633 g haben, ungefähr ebensoviel Nr. 2, Nr. 1 käme auf
17,2154 g. Es scheint die Norm für den Peingehalt 17,20 g gewesen
^ Unter dieser Nr. 8 ist die Durchschnittssumme von 87 Tetradrachmen
der Klasse 11, die Beul6 einschmolz, angegeben.
' Diese Ziffer ist nach Hultsch S. 171 angesetzt; Husseys Angaben nach
Troypfund ergaben 0,916 17.
' Die folgenden 7 Nummern sind in der Folge angeführt, wie Grotefend
(Chron. Ordnung 1872) deren Chronologie anders als Beul6 geordnet hat; sicher
ist auch diese keineswegs.
346 Zum Münzwescn AtheiiB
zu sein. Bei dem Zustand der Abnutzung, in dem die Tetradrachmeii
Nr. 1, 2 nur noch [1218] 17,1740 g wiegen, würde ihr Feingehalt sich
auf 16,93 und 16,88 g gemindert haben.
Wir durften vermuten, daß man, um stärker legieren zu können,
so viel Gold in die Mischung that, daß der Wert der Prozente Silber,
di§ man fortließ, damit ersetzt wurde. Der Wert des Goldes in der
griechischen W^elt ist in der Zeit des Perikles vielleicht das 13 fache
des Silbers gewesen, früher noch höher, bis 15 und vielleicht noch ein
wenig mehr; allmählich sinkt der Cours des Goldes; der Redner Lykurg
kaufte Gold zu 11,47 Silber. Seit Alexanders Eroberungen die Massen
Goldes aus den Schatzhäusern des Perserreiches in den Verkehr ge-
worfen hatten, stellte sich das Verhältnis auf 1:10.
Aus dem spezifischen Gewicht läßt sich nicht unmittelbar ent-
nehmen, ob in einer Silbermünze Gold ist oder nicht.
Da das Kupfer spezifisch leichter ist, als die beiden Edelmetalle
so wird in dem Maße, als der Prozentsatz des Kupfers in der Mischung
steigt, deren spezifisches Gewicht sinken; das Gold steigert dies Gewicht
nicht. um so viel, daß der Verlust an dem Volumen Silber, dessen
Wert es ersetzt, dadurch ausgeglichen wird, obschon das Gold im
spezifischen Gewicht fast doppelt so schwer ist als Silber.
Wenn es richtig ist, daß die 7 Tetradrachmen der Klasse 11, deren
Analyse Beule giebt (Nr. 10 bis 16), sämtlich das gleiche Quantum
Gold 0,0016 enthalten, so scheint das auf einer gesetzlichen Bestimmung
zu beruhen, um so mehr, da der Silbergehalt in ihnen auffallend
schwankt.
Wenn die eingeschmolzenen 87 Tetradrachmen Beules (Nr. 8) im
Durchschnitt auf das Stück bei 0,966 Silber 0,002 Gold ergeben, so
ersetzt dies Gold, im Wert Yon 1:10 genommen, 0,020 Silber; es
hatte also der Feingehalt dieser Tetradrachmen im Durchschnitt
bei Gewicht 0,968 an Wert 0,988
Auch von den 7 Tetradrachmen, die Beule analysierte, sind Nr. 12
Nr. 14 und Nr. 10 noch vollwertig, sie haben Peingehalt
an Gewicht an Wert
Nr. 12 ... . 0,97961 0,9940
Nr. 14 ... . 0,9756 0,9900
Nr. 10 ... . 0,9676 0,9820
^ Die beiden letzten Stellen in dieser und den folgenden Angaben beider
Reihen sind nicht genau, da dem Silber, das Beule auf drei Stellen angcigeben
bat (0,978), das mit vier Stellen angegebene Gold (0,0016) zugerechnet ist, die
beiden letzten Stellen sind also in ikesi zu niedrig.
Zum Münzwcäcn Athens 347
[1219] Die andern vier sinken auch an Wert:
Nr. 15 ... . 0,9486 0,9630
Nr. 13 ... . 0,9356 0,9490
Nr. 16 ... . 0,9336 0,9484
Nr. 1 1 ... . 0,9256 0,9400
endlich die von Hussey analysierte
Nr. 9 0,9190 0,9450
Das große Schwanken in den Werten dieser Prägungen der Klasse 11
wird sich aus den politischen Zustanden Athens in der Zeit nach dem
chremonideischen Kriege erklären.
Die drei Münzen, welche in der Tabelle zwischen beiden Klassen
als „Unbestimmt" aufgeführt sind, gehören wahrscheinlich der Klasse II
an, wenn auch die Angaben über ihre Analyse nicht erwähnen, daß
sich Gold in ihnen gefanden. Wären diese Münzen nicht durch die
Analyse zerstört, so könnte man, scheint es, durch die spezifische Wägung
feststellen, ob sie Gold enthalten. *Ist dem also?
Es ist früher einer Tetradrachme Alexanders erwähnt, die Hussey
analysiert hat; er fand in ihr
Silber 0,9673
Kupfer 0,0291
Gold 0,0036
War, wie wir annehmen dürfen, diese Münze auf den Fuß von 17,34 g
ausgebracht, so hatte sie
Silber 16,7747
Kupfer 0,5049
Gold 0,0624
und wenn wir sie in dem Zustande der Abnutzung, wo sie nur noch
17,1740g wog, in Bechnung setzen, so hatte sie immer noch
Silber 16,609
Kupfer 0,503
Gold 0,062
Nach dem Verhältnis der drei Metalle hatte diese Tetradrachme, als
sie noch vollwichtig war, Feingehalt an Gewicht 16,8371, an Wert
17,3987, also etwas mehr an Wert, als wenn das volle Gewicht der-
selben 1 7,34 g Silber gewesen wäre \
^ Es mag hier daran erinnert werden, daß die Legierung der älteren rö-
mischen Denare und die des Silbergeldes Alexanders fast genau dieselbe ist.
Der römische Denar hat an Feingehalt 0,9707 und dem Werte nach 1,001 2,
falls in der römischen Welt der Zeit das Gold gegen Silber wie 1 : 10 gerechnet
werden darf.
348 Zum Münzwesen Athens
Hatte das attische Silbergeld durch seinen höheren Feingebalt
eine Art Herrschaft in der hellenischen Welt gewonnen, so wnrde das
Alexanders bei noch höherem Feingehalt in den alt- und [1220] neu-
hellenischen Ländern unzweifelhaft zur herrschenden Münze; und mau
möchte glauben, daß Alexander seine Münzordnung eben zu diesem
Zweck eingeführt hat.
Bei der großen Schwierigkeit, die Tausende von Alexandertetra-
drachmen, die sich in den heutigen Sammlungen vorfinden, zu klassi-
ficieren, würde es der Mühe wert sein, die verschiedenen Klassen, die
L. Müller aufgestellt hat, auch nach ihrem spezifischen Gewicht zu
untersuchen, da gewiß nicht anzunehmen ist, daß überall bei des Königs
Lebzeiten unter den sehr unabhängigen Strategen und Satrapen der
weiten Lande, dann bei der raschen Zerrüttung und den Teilungen des
Reichs, die ursprüngliche Normierung festgehalten worden ist
Und so findet sich folgender bemerkenswerter Umstand. Die von
Hussey analysierte Tetradrachme tfach dem spezifischen Gewicht der
drei Metalle in ihr berechnet ergab nach Hm. Lehmann-Filhes Be-
rechnung spezifisches Gewicht
10,528
Die Tetradrachme Alexanders aus der oben erwähnten Privatsammluni::,
ein* wohlerhaltenes Stück, das der Klasse IV bei L. Müller angehören
würde, jetzt nur noch im Gewicht von 16,6114 g, ergab in der spe-
zifischen Wägung, die Hr. Hofiinann machen ließ,
10,412
Welcher Satrap oder Dynast, welche der königlichen Freistadte sie ge-
prägt haben mag, an dem Silber oder Gold oder an beiden hatte der
Münzherr in arger Weise gespart; seine Tetradrachme war in hohem
Grade unterwertig.
Die früher erwähnte syrakusische Tetradrachme derselben Privat-
sammlung aus der Zeit Gelons und Hierons von noch 16,7493 g Gewicht
ergab spezifisches Gewicht
10,4699
und daraus wurde geschlossen, daß sie enthalte
Silber 0,939
Kupfer 0,061
Unter den von v. Rauch analysierten Tetradrachmen fand sich auch
eine syrakusische, aus welcher Zeit ist nicht angegeben, sie enthielt
Silber 0,960
Also in Syrakus hatte man nach jener Zeit, ob unter dem Begiment
Dionys I. oder des Timoleon oder wann immer, das Silbergeld um
Zum Münz Wesen Athens 349
ein Bedeutendes verbessert; von Gold ist in v. Rauchs Analyse nichts
erwähnt.
Wann Athen von seinem alten Münzfuß von 17^464 auf die
Tetradrachme zu dem von 17,34 übergegangen ist, also seine Norm
[1221] von 100 : 138 auf die von 100 : 1387^ herabgesetzt hat, ist
völlig dunkel. Der früher angedeutete Versuch, aus dem dem Silber
beigemischten Gold das Wertverhältnis beider Metalle zu entnehmen
und in dem allmählichen Sinken des Goldwertes eine wenigstens un-
gefähre Bestimmung für die chronologische Folge der so qualificierten
attischen Münzen zu gewinnen, müßte erst durch weitere Unter-
suchungen besser gestützt sein, um eine Begel daraus entwickeln zu
können.
Die in der Tabelle aufgeführten Tetradrachmen der Klasse I, ab-
gesehen von der rätselhaften unter Nr. 4, die ein Geringes von Gold
enthielt, hatten an Silber 0,986 bis 0,983 und das spezifische Gewicht
der von 0,9834 (Nr. 3) war 10,5344.
In den sämtlichen analysierten Münzen der Blasse II fand sich
Gold. Wenn es richtig ist, daß die sieben Tetradrachmen dieser Klasse,
deren Analyse Beule giebt, das gleiche Quantum Gold 0,0016 hatten,
so schien uns diese sonderbare Erscheinung erklärlich, wenn man eine
gesetzliche Bestimmung, die solchen Zusatz verfügt hat, voraussetzt
Wenn die 87 Tetradrachmen, die Beule zusammenschmelzen ließ
(Nr. 8), im Durchschnitt auf das einzelne Stück ergeben:
Süber 0,966
Gold 0,002
so ersetzte dies Gold, den Wert von 1 : 10 angenommen, 0,020 Silber;
es hatte also der Feingehalt dieser 87 Stücke durchschnittlich
bei Gewicht 0,968 den Wert -von 0,988
also sie waren durchschnittlich noch vollwertig.
Ebenso noch vollwertig sind die unter Nr. 12, Nr. 14 und Nr. 10
angeführten. Nr. 12 hatte an Silber nur 0,005 weniger, als die alte
Nr. 3 von 0,983 und fügte mit 0,0016 Gold so viel Wert hinzu, daß
der Feingehalt dieser Münze 0,994 Silber wird, d. h. diese Münze über-
traf, dem Werte nach, die alte von 0,983 Silber um ein merkliches;
die alte Tetradrachme hatte
vollwichtig bei 17,464 g Wert 17,1671,
die neue vollwichtig bei 17,34 „ „ 17,2359,
die alte hatte spezifisches Gewicht 10,5341
die neue 10,535
350 Zum MüiLzwftsen Athens
Yielleiclit sachte man so den Tetradrachmen Aleiianders nachza-
kommen, aber man erreichte sie nicht ganz. Wie tief andere Tetra-
drachmen der Klasse 11 unter diesen Wert hinabsanken, zeigt die Tabelle.
Die Münzen von Erlasse I und Klasse 11 unterscheiden sich aagen-
fallig durch ihr Gepräge. Ob in solchen der Klasse I Gold enthalten
[1222] ist oder nicht, kann man, wenn man sie nicht durch die Analyse
zerstören will, durch das spezifische Gewicht nicht unterscheiden, falls
man nicht ihren normalen Wert mit in Rechnung ziehen will, der
einen zweiten sicheren Punkt für die Gleichung geben könnte; nur
daß er durch eine nur bona fide geltende Annahme sicher ist
Ob sich noch eine andere Methode als die chemische Analyse
finden lasse, festzustellen, daß in Silbermünzen Gold enthalten ist
muß noch dahingestellt bleiben. W^äre es möglich, z. B. auf dem
Wege der Spektralanalyse, so würde der Punkt gefunden sein, dnrch
spezifische Wägung, zunächst for die attischen Münzen der Klasse I,
sichere Ergebnisse zu gewinnen.
Anhang.^
De Lagidarum regno Ptolemaeo VI
Philometore rege
[Berolini 1831 4.]
Praefatlo.
[III] Inter tres iUas quae rerum Graecarum sunt aetates ut prima
tenebris §uis atque fabellis, ut altera civitatum flore, rerum gestarum
splendore, yirtutum vitiorumque omnium exemplis oculos studiaque
eruditorum in se convertunt, ita tertia qua inde ab Alexandri morte,
regnis Graecis imperio Komano, diis Graecis doctrina Christiana con-
fectis ad ultimam antiquarum virtutum oblivionem ventum est, propter
sterilitatem suam atque languorem negligi, a Romanarum rerum scrip-
toribus despici, a Christianarum deformari defamarique solet. Quo
quidem Graecarum rerum obitu laetiora imperii Romani augmenta,
ecclesiae Cbristianae initia esse uullus nego; sed utraque ex illis et
profecta sunt et suam lucem suumque decus repetunt. Accedit quod
quae nostra aetate parari videtur literarum, artium, scientiarum, legum,
rerum omnium inter gentes communio, ea illius aetatis non humanitate
sed eruditione Graeca ne dicam mundana florentis fuit.
Gonsilium enim id Alexander secutus est, ut Graeco imperio bar-
barae gentes erudirentur et ad Graecam humanitatem conformarentur.
Id quod ita evenisse videmus, ut Graecae res aliis aliarum gentium
moribus atque institutis insinuatae in similitudinem quandam gentium
atque ipsam barbariem abirent, discederent, interireni Sic Graecae illius
aetatis res tum maiorum memoria atque aemulatione sibi constant, tum
pro gentium varietate inter se variant, ut si quis scribere eas velit,
Ovidii praescribere possit verba: „in nova fert animus mutatas dicere
formas corpora".
^ Einige Zusätze des Handexemplars sind in | | aufgenommen.
B52 ^e Lagidarum regno Ptolemaeo VI Phtlometore rege
Miram potissimmn inter Aegyptios Graecae res induerunt fonnam
quam quomodo publicae res prae se ferant^ hac de Lagidarum
regno commentatione illustrare conatas sum.
lam mihi restat ut tnam, lector benevole, veniam mendis tjpo-
graphicis petam, quibus passim macalatam scriptionem meam nnnc
tandem video. Rem unam hoc mihi loco emendare liceat. Inter annornm
enim numeros, quos capitis tertii passim in margine adscripsi, quarto
loco annos habes Philippi, „qui ab excessu Alexandri Magni numeran-
tur*' (Censorini verba sunt). Mortuum Alexandram anno 324 Petavio
ChampoUioniqne olim credebam. Ad quam raüonem numeri mei quad-
rant. Sed mortuum anno 323 vere esse Idelerus mira sua sagaciiate
quantum ex rebus chronologicis potest certissima effecit atque conclusit
ratione. Quam continuatione rerum ab Alexandre gestarum iostaque
temporum descriptione ita fere firmare mihi videor: Alexander Porom
devicit hii ÜQXovxoq !A&f]vaioiQ ^HyefAÖvog firjvög Movvvxi&voq^ L e.
mense Maio anni 326; nam anni prioris h^rixovroq ^Stj xov JiQoq kx
BäxTQQjv itQOvxdiQ^i djg knl 'IvSovq (Arrian.), juero; 8k Sv^fiäq ÜXiji'ädcjr
versabatur xcctä rijv ÖQBiVfjv quae super Cophenem fluvium est; tov äi
iaQog[iy]ä()xo(iivov descendit tlg rä naSta xcei nöXtv Ta^ikcCj ivrevd-er
S' kTil 'YSäffTifjv ' xal Tfjv üthQov x^Qf^^ (Strab.). Fluvii eo tempore
agros inundabant; Ijv yocQ itovg ÜQa, ^ fjLBzä xQonäg fAdliara äv &i^ei
TQinBxai 6 i'jhog (Arrian., unde chronographi non debebant colligere
post solstitium adversus Porum pugnatum esse). Quarto fere mense
post rediri coeptum est ngo Svatoog IRfjiciSog ov nollatg tifiigatg
(Octob. 326) xal rd (p&iVÖncoQOv näv xal tov x^^I^"^^ ^^^ ^o imw
iuQ xal x6 &eQog h T(p xardnXm consumtum; n^gl xvvbg kitiroXitV
(lul. 325) ad Indi ostia ventum est. ElxdSi rod ßorjSgofAi&vog fii]rd^
TÄ ivdixarov ßaffihvovrog IAXb^üvSqov (Arr. ultimo mense anni XI;
iam nihil de Cephisodoro archonte dico siye suffectus est sive pseude-
ponymus) fAeroniAQOv xcträ IRsiüSog kTuroXijv (Strab.) i. e. 22. Sepi 325
tertio fere post regem mense Nearchus ab Indo profectus est Tertio
navigationis mense (20. Dez. 325) ad Ananium flumen regem convenit
(Arrian. Indic. 33 sq.; minus accurate Plin. VI 23); x^^P^^oq &qcc
(Arrian.) ex Caramania knl rijv nagaiSa äyuv rex iubet; Febroario
fere mense 324 Susa ventum est; post nuptias celebratas profectus Opim
dimissis veteranis in Mediam adscendit (ut videtur lunio mense). £c-
batanis /(xd^otf nvä rijv Svvafitv ävaXaßav Ay&vccg knoUi xcci nörovg
<TvvBx^'^Qi ^^ ®'S ^H(paiati(ov xov ßiov i^iXintv (autumno 324). ünde
adversus Cossaeos duxit xaintg /e/jUtDrog argarevaag, quos xaranexo-
XBfAfjxcIjg nQofjysv knl rij^ BaßvlcDvog' Tibi dum novae adversus Arabi-
cas gentes copiae classesque parantur, rex diem supremum obiit Hegesia
De lAgidarum regno Ptolexnaeo VI Philometore rege 353
archonte (Ol. 114 1) duodecimo regni anno expleto, tertii decimi mense
octavo; incepit enim regnom anno 336 Die s. Pyanepsione mense (Octob.),
unde mortnum esse videmus Thargelione mense (lunio) 323 \
Quae cum ita sint, Philippi annus primns noncupatur a primo
Thoth (24. Not.) anni 324, numeros igitur omnes quos sub Philippi no-
mine adscripsi uno anno augendos esse apparet, ut § 29 pro 143 legatur
144, § 31 pro 148 legatur 149 et sie deinceps.
Scribebam Berolini Cal. Ootob. MDCCCXXXI.
^ Vgl. 'die Chronologie des Todes Alezanders' Gesch. Alexanders des 6r.
U« 8. 343-358.
Index capltum.
Cap. I. De regni provinciis et finibus § 1 — 8.
Cap. n. De regni statu et forma
Exordium § 9, 10.
De rebus Aegjptiacis § 11 — 25.
De provinciis § 26—28.
Cap. IIL Res Ptolemaei Philometoris regis § 29—50.
[Die Bachstaben ', ^ n. s. w. im Text weisen auf am Schluß htnzngefQgte AnmerkuDgen
von U. WUcken.]
Droysen, Kl. Schriften H. 23
Caput primum.
§1.
[1] Quaestio prima de provinoiis est regni Ptolemaeo Fhilo-
metori a maioribiis traditi. In titnlo marmoris quod Tocator Adalitani
proTinciamm Ptolemaeo Euergetae I. a Philadelpho patre traditarum
hunc habes catalogam [G. I. Gr. 5127]: naQaXccßmv nagu rov ncergb^
Ti}v ßacriksiav Alyvnxov xal Aißvtjg xai JSvQtag xal <I>OiVixt]g
xal KvnQOV xal Avxiaq xal Kaglag xal x&v KvxkäStDP vf^atov.
§2.
Quo in catalogo nullam Cyrenaicae, quam Euergetae I. sub im-
perio faisse inter omnes constat, baberi mentionem mirum esse videator.
Quispiam contineri eam dixerit libyae quam Aegyptii dicunt provinciae
nomine, quod ampliore nonnunquam vi uti exemplis passim latentibus
probatum est^ Neque vero ad eundem referri usum debebat versus
Theocriti'y qui, cum eo saeculo Magas Gjrenas obtinebat, inter Fbila-
delpbi provincias Libya adscripta omisit Cjrenaicam. Sed auctor est
Plutarchus' Gleopatrae Gaesarionique Antonium redditurum totum Lagi-
darum ftiiase regnum, nimirum Aegyptum, Cyprum, Libyam, Coele-
synam; quam desideramus Gyrenaicam num Libyae nomen subindicat?
immo Ptolemaeo Apione legatore Romanis legata (658 u. a) inque
provinciae formam (679 u. c.) redacta erat^
[2] Quid multis? Libyam Gyrenaicamque ubi accuratius scribatur
nomine significari uno nego. Strabo usque ad Gatabatbmum oppidum
ait pertinere Aegyptum, ij d*i^^g kaxi KvQtjvaia xal oi negiotxodPTB^
ßägßagot MaQfiaQtSai ^ Sed Ammonius olim deus dixerat Ai/vnrop
^ Simili ratione Äfifiavlay Libyam totam dicunt, y. Steph. Byz. c in^p.
• Theocrit. XVII 87. » Flut. Anton, c 54. * Thrige Ees Cyr. p. 274 sqq.
^ Ad illad usque oppidum (hod. Agaba), cuius nomen originem Graecam indicare
yidetur, regnum Battiadarum pertinuisse probant Walther animadyr. bist et critt.
sect. y c. 8 p. 267 Rennel in Bredowii Uniersuekungen p. 655; alii Paraeto-
nium in confinio situm fiiisse dicunt, y. Thrige p. 165.
De Lagidarom regno Ptolemaeo VI Philometore rege 855
eivai ravTfjv, S]v d NeiXog knioiV ägSet, et oi hc MaQitjg tb nöXtog
xal ^moQ, olxiovreg Alyvntov rä ngöaovQa Atßvy sJvai Aißveg
xccl oix Alyvnxioi credebantur^ Regio igitnr, quam a sinistro Nili
comu remotiorem Herodoti aetate Ädyrmachidae ^ habitabant Liby-
amque Aegyptii vocabanty occidentem versus usque ad Gatabathmtim
pertinebat et ad desertam circum illud oppidmn regionem. Utriusque
provinciae qni a meridie fuerint fines traditmn non est; erant fortasse
montes qni hodie Dscibel Qebir vocati „Barcen Beduinorum vagationibns
seiungunt*'.
In titulo igitur Adulitano Libyae nomine proyincia Aegypti conter-
mina, inter Nilnm locaque circum Catabathmum deserta porrecta conti-
netur. Gyrenaicam autem non temere omissam esse res Lagidarum
probant; Ptolemaeus enim Soter Cyrenas ceterasque illius regionis
civitates Graecas et Afrorum quotquot nationes eorum sub dicione erant,
Magae privigno dono tradiderat®, quo mortuo Ptolemaeus Euergeta cum
eins filiam sibi sponsam invita matre repugnantibusque Demetrii Mace-
donis amicis in matrimonium duxisset, Gyrenaicam totam inde ab
Aegypto ad Philaenorum occidentem versus aras denuo Lagidarum ad-
iunxit regno®*.
^ Herod. II 18. ^ oi vofioiai fihv ta nXda AlfvnrioKTi /^acoi^Tai, ic&fjta
de (po(fiov(n oitjyneq oi äXXoi Älßvegy Herod. ^ Thrige p. 217 iDitio quidem
Magam ait Gyrenaicae praefectum fuisse, sed Ptolemaeo I. mortuo a Philadelpho
ezpugnasse, nt rex Gyrenaicae nomioaretur. Sed Magam, quem anno 258 a. G.
mortuum esse infra probabimus, 50 annos regem fuisse auetor est Agatharchides
(Athen. XII p. 550 b), id quod ad annum 308 regni initium refert. Neque Diodori
quippe hominis nonnunquam negligentioris silentium, cui Niebuhrius {DermischU
Schriften I p. 236) momentum summum tribui iubet, contra facere quicquam, neque
quod Ptolemaeus Soter anno 308, priusquam ipse regem se enuntiaverat, regio
nomine Magam auzit, mirum mihi videtur. Omnino enim non pUne seiunctam
regni nomine Gyrenaicam a Lagidarum provinciis fuisse ex Pausan. I 7 apparet
' In rebus his ad temporum rationem describendis post Thrigeum multus fuit
Niebuhrius, quorum in Ubris testimonia videsis adscripta. Magas enim cum
Philadelpho bellum gessit, id quod neque annis 264—262 (Froehlich, Heeren
etc.) neque anno 280 (Thrige) factum dixerim; nam Magas Antiochuml. Soterem
socerum in auxilium vocavit, qui ab anno 279 regnabat**; idem Magas, quo tempore
Alexander Epirota in regnum rediit mortuus (lustin. XXVI 3), novissimos vitae
annos teste Agatharchide vixit änoXifiTjTog. Utut est, „Magas .... Beronicen uni-
cam filiam ad finienda cum Ptolemaeo firatre certamina filio eins desponderat''
Instin. „Sed cur desponderat, cur non in matrimonium dederat?^' sie Thrigeus;
Berenice tum erat infans, matre Apama s. Arsinoe (non est Arsinoe Lysimachi
regifl f., sed Apama ab Aegyptiis ut fit Arsinoe vocata)**. Apama igitur mater
erat filia Antiochi Soteris, qui ex Stratonice Demetrii Polioreetae f. post patrem
suum anno 293 ducta quattuor susceperat Uberos, quorum maximus natu Ptole-
maeus infans mortuus est; id quod probat Apamam non ante 290 natam, non
23*
366 I^e Lagidarum regno
§3-
[3] Liter provincias igitnr, qnas a patre Ptolemaens Philometor
accepit heres^ Gyrenaica fiiit atque Libya, altera Graecis coloniis
frequentissima, Graecae [4] luxariae artibosque deditissima, altera me-
moria naturaque locorum, non item superstitione, sermone, vivendi ratione
a vere Aegyptüs diversa. In meridiem et occasum vastitatem Aegypto
circumdatam vagae Scenitarum gentes persaltant, quas in dicionem
redegisse neque magnopere refert neque firmum est. In media vasti-
tate insnlae fontibns irrigatae benignis sedes praebent ut in sabnlosis
felicissimas. Inter qoas celeberrima Oasis est quae vocatur Ammonis\
cuius incolae pari pnti Aegyptii' Herodoti aetate suo sub regulo' fuerant
quorum „tyrannorum vetemm regiam** Alexander vidit*. Non dubium
ante 278 a Maga dnctam, non ante 272 yel 271 Beronicen edidiase. Poei bunc
igitar anniim 270 deeponsa Beronice Euexgetae eet; ^^sed post mortem Magae
mater Demetrinm qui vocatur Pulchrum arceesit ad nuptias yiig^nis rc^omqoe
Cyrenarumy qui cum placendi Studium a yirgine in matrem contulerat, popalaribos
militibusque invisus, omnium animis in Ptolemaeum conversis yirgine adhortante
apud matrem interfectus est^' lust. Porphyrius OL PA ß interfectom didt:
num eodem quo Magas mortuus anno? num a puella decem annos nata? num
post quindecim fere annos quem deperibat Ptolemaeo nupsit, XXV ipsa annos
nata? Immo fuit aliquamdiu Demetrius Cyrenarum res (Euseb. I 355, Aacher,
Piut. Demet. 53). Eem egregie expedivit Niebuhrius Ol, PAB ß' scribi iabens.
Sed cur ne tum quidem virginem duzit Euergetes? Non fuit matura Tiro, sed
quod Catullus ex Callimacho yertit: „a parva virgine magnanimam", id ad illam
„adulteri iustissimam salva pietate ultionem" referendum est Duodecün igitar
hoc tempore annos fiierit nata, sedecim natam Ptolemaeus duxerit, y^nam rex
novo auctus hymenaeo vastatum fines iverat Assyrios" Cat Nata igitur fere 263
quinque ante patrem mortuum annis, qui ad bellum finiendum cum Ptolemaeo
eins iilio eam despondit. Ceterum cum omnes auctores fide digni cum hac ra-
tione consentiant, Hjginum memini dicere: ^^alii dicunt hoc amplius Ptolemaeum
Beronicis patrem miütitudine hostium perterritum fuga salutem petiisse, filiam
autem saepe consuetam insilüsse in equum etc. pro quo etiam Callimachus eam
magnanimam dicit". Autoschediasma habes grammatici, quem Aegyptiorum mos
reginam regis sororem appellandi ita fefellit, ut historiolam temere in patrexD
transferrety quae ad Euergetem (fratrem) contra Syros pugnantem pertinere vide-
tur. Suidas v. XalXifutxog , quem poetam anno Euergetae secundo, nimimm
OL PKZ mortuum narrat, ut sexcenties erravit; debebat scribere OL PAf.
In prolog. les. Sirachid. in LXX non Euergetae annus regis, sed vitae annus
interpretis est^.
^ Ouahe*Pemsie copt., Siwah hodie^ ' Rem oertiadmam, com St. Croix
eocamen p. 672 Graecos ibi habitasse frequentissimos persuasum habeat, auctori-
bus probo idoneis: Herod. IV 181 II 42 Macrisi apud Langl^ sur les Ocues
p. 893 aliisque quos videsis ap. Toelken Minutoli Reite p. 106. ' Herod. 11 32
* Curt. IV 7.
Ptolemaeo VI Philometore rege 857
est, quin haec regio Lagidaram ut poetea Bomanoruin sub dicione faerit,
immTinis, ut Mannertus putat, religionis cansa; hodie certe palmanim
poma tributi nomine redduntnr.
Item Aegypto conianctae Oases prima et secunda testeque Ptole-
maeo^ Heptanomidi adscriptae faemnt; sei msior ''Oatng OrjßatSog voca-*
tnr in edicto Tib. Alex. [G. I. Gr. 4957, 1]; Mannertus nomum eas effecisse
negat, id quod et inscriptione Oasitica® et Herodoti testimonio^, maioris
Oasis incolas non esse Aegyptios sed Samios®, probari videatur. Sed
Bomanorom aetate maioris eerte strategus memoratur Oasis, id quod
nomum eam foisse efficit, neque a Bomanis ita institutum putaverim.
§4.
[5] Aegypti qui fuerint cum Aethiopibus fines, satis accuiate de-
scribitur. Inter cataractas enim ab Elephantine insula ad Tachompso
oppidum Dodecaschoenus quae vooatur regio sita est. Qua in regione
ultima tendebant Lagidarum praesidia, unde oppidum ad ea stativa ex-
structum TTAPEMBOAH nomen accepit\ quae quarti quoque post Chri-
stum saeculi sub finem leg. II TraL fuit statio ^ Inter aedifioiorum in ea
regione disiectorum reliquias inscriptio invenitur templi post XYII. Ptole-
maei Philometoris annum IZIAI KAI ZEPAniAl KAI TOII lYNNAOlI
6E0IZ exstructi^. Unde regis nostri saeculo Lagidarum regnum ad
hunc usque locum XYI milliar. a Syene distantem promotum fuisse
apparet*.
Herodoti aetate ^t^ 'EXatpavrivij Iltgamv ai (pvXaxad ^<rav tbg
xal inl WafiuTixov*, eodemque Alexander noyissima misit praesidia^,
ut expeditionibus Oraecorum ante sextum Ptolemaeum susceptis regnum
ex hac parte auctum videatur. Neque Agatharchidae repugnat testi-
monium, ultimam esse Aegypti regionem Elephantinen, dra lAl&iönoov
X(i^Qoc KoQxia w(>c5r7/^ non tam quod nomina oppidorum inter Elephan-
tinen Cortiamque sitorum (LXXY mill. spatium est) omisit, quam quod
* Ptolem. IV 5^ • Calliaud class. Jour. 1821 lun. [C. I. Gr. 4948] idv
imb xfjg Kvastag, nomo non adiecto, qnocontra ot dnb tijg xatfirig Bovuigecjg tov
AaionoXliov [C. I. Gr. 4699] apnd Letronne reeherehes p. 392. ^ Herod. III 26.
* Oasitas hos fuisse Samios, quanquain nummum titulo OACIC MEfA omatum
apud Tochon d'ADDecy les med. des nomea p. 88 non pntaverim genuinum, Dahl-
mannus vir sospiciosior, etsi tribum quoque Samiorum, ex qua profecti Oasitae
erant, Herodotus addidit, negare non dubitat.
* Letronne p. 21. ' Mannert X 284. ' Letronne 1. c." ^ Herod.
11 30. ' Arrian II 4. ^ ap. Photium p. 477 b. nqtfAa ap. Olympiod. Phot.
p. 62 a.
358 De Lagidaram regno
qui supra Philas insulam in conyalli fluminis habitant, non Aegjptii
sunt sed Aethiopes; id quod neque Oljmpiodori auctoritate Parembolec.
Graecam civitatem, inter Blemmjum oppida non recensentis in snspi-
cionem vocatur, et locomm natura saorommque proprietate egregie fir-
matnr; nam Philas, y^^sulam asperam et undique praeruptam'' ^ in inediL^
cataraotis, „qüas transitu difficiles esse constat, tutissime'^ sitam^ sanc-
tissinüs et suis et vicinae insulae ^ßarov vocatae templis oelebermnam ^
ab Aegyptiis simnl Aethiopibnsque olim cultiim fiiisse, Osiridis sepnl-
crum et sanctissimos accipitris divini in Aethiopia qnaerendi nuts
probat®. De (pQovQ^ toIq jil&io\f)iv^^ nihil certi hodie inter tv.
dd. constat.
Quo tempore ex hac parte fines prolati sint, memoriae non tra-
ditnr. Sed ex Agatharchide ^^ orationis particula servatur, qua nescio
qms regis olim tutor ut Aethiopibus bellum inferatur regi peisuadet
Niebuhhus aut Epiphanem [6] aut Philometorem regem suspicatus est^
quattuor enim priores Ptolemaeos matura aetate diadema accepisse.
Sunt Philometoris pueri deinceps tutores M. Aemilius Lepidus, Cleopatn
mater, Eulaeus Lenaeusque; sequuntur tempora alternis cum Syro fira-
treque bellis turbatissima; expeditionis ad versus Aethiopes neque oppor-
tunitas fuit neque quisquam consultor, qui ante fnisset tutor. Ptole-
maei Epiphanis contra post pessimal Agathoclis etTlepolemi knirgonda^
Aristomenes Acarnan suscepit curam; ipse quidem olim Agathoclis
amicus, sed yevöfievog xvgioq t&v Ükcjv ngayiiccrtov xccXhava xat
aBfivötara SoxeT nQOfrvTjvcci rov re ßccatXiwq xal rfjg ßa<TiA€iaq^\
quem rex rrjv äQxh'^ ijyüna xa&aneQÜ naxiga xai ndvrcc inQcmtt
&n6 rfjg hceivov yvthfitig^^^ sed postea Sta(p&aQttq ztiV ifwxlf
(Tvvrjväyxa(T6v avrdv niövra xcbvuov rcAei/riJo-a* ^*. Factum id est
anno 184, insequenti enim anno altera Lycopolitanorum seditio a PoIy-
orate sedata est Aristomenes igitur ab anno 208 ad 196 tutor, regem
ab anno 196 ad 184 vidit regnantem, quo tempore et per firmatam
in ipso regno pacem et per exoptatissimam ab Antiocho Magno securi-
tatem, cum novis Ptolemaei nuptiis cladeque ab Bomanis accepta inno-
cuus yideretur, adversus barbaros animum advertere licebat. Orationem
illam, quae quantum cum Aristomenis ingenio moribusque consentiat
nemo non yidet, ante Antiochum devictum, anno fere 190 habitam
putaverim.
' Seneca quaest. nat. IV 1. * Seneca apd. Serv. ad Verg. A. VI 154.
^ Strab. XVII S14 Achill. Tat de amor. Clit. p. 86 cf. Mannert 1. c. ^^ Aristid.
t II p. 848. " Agath. ap. Phot. p. 445. " Polyb. XV p. 717 Ca&
^' Diod. Üb. XXIX. ^^ Diod. 1. c. Plut quomodo ab am. diff. bl.
. J ■
Ptolemaeo VI Philometore rege 859
§5.
Ut a meridie Aethiopes venatores \ ab occasn Libyuin circnmvaga-
bantnr greges, ita ab Oriente inter Nilum sinumque Arabicum montuosa
illa quae Arabia vocatur regio palatis frequens erat Arabum tnnnis,
Flinio Antaeorum Qebadaeorumque nomine notis^ neque in regnm
dicionem onquam redaotis, nam Philadelphus cum a Copto ad Berenicen
portum stemeret viam, ut viatores ab Arabum incnrsionibns defenderet,
copiis usus est haud exiguis^.
Praeter sinus Arabici litus a Philadelpho Ptolemaeo naviga-
tionis et commercii et elephantorum gratia condita aliquot oppida erant;
non ciyitates [7] diceres sed emporia; ne agrorum fines proferrent angu-
stissimae orae sterilitas aquationumque raritas impedivit. Maritimorum
aborigines, non Arabicae ut in montibus greges, pisdbus misere yive-
bant, aqua diu carendo assueti; quae familiae Graecis emporüs ad-
Golebant, aliquid humanitatis mutuatae !AQaßaiyt)nrioi Ix^ocpäyoi
vocabantur*.
Eaedem quae superiorem Aegyptum vastitates eaedemque Arabum
gentes^ inferiorem terminant. l^eque dubium mihi est, quin Hyksos
illi, qui per quinque maxime saeoula Aegypti imperium obtinuisse Aua-
rimque dominationis sedem fecisse dicuntur, faerint Arabes. liagidarum
aetate, cum inter Pbacosam et Arsinoen canali exstructo oppida eins
regionis negotiorum inter Nilum mareque Arabicum frequentia florerent,
ita Aegyptus a barbarorum incursionibus integra fuisse yidetur, ut ad
cultas regiones tuendas Tastitas illa arenosa ad orientem vergens suf-
ficeret. Neque enim bellorum, quae cum iis gentibus reges gesserint^
neque castellorum, quibus ea ex parte recens conditis regnum munierint,
Ulla fit mentio; Heroonpolis*, Pelusium, Gerrhon, Horion, Taphne^
antiquitus fines Aegypti muniebant. Nabataeorum in Petraea Arabia
regnum quo tempore sit conditum, qui faerint fines, quae cum Lagidis
ratio, hodie nescimus^.
^ Agatharch. apud Phot. 453. ' Jablonsky opp. U p. 100. ' Mannert X
p. 88 sqq. ^ Ptolem. IV p. 257 Marcian. Heracl. peripl. in geogr. min. Huds. I
p. 11. 'de illifl Arabibas maltus est Ammian MarceU. XIV 4. * Hanc urbem
pastorum Auarim esse docuit Champollio ; Mannertus contra apud Pelusiam sitam
minus recte contendit; nam inde a Pelusio ad Rhinocoluram regiones maritimas
Ttf ßaqadqa ab arenosis, Hycsorum patria, seiungunt; Manethonis verba eaque
mutila haec sunt: Ävaqig noXtg iif pofjicp tai JmUt] xeifiepr} nqog avatokrjtf tov
Bovßaffjiiov noiafiov; Euseb. Arm.: ^^in Mithraite nomo*^ Marsham chro. p. 108
emendavit (V ja 2e\^qotxri\ debebat iif Äqaivotjrjy y. inf. § 14*. ^ Taphne scripsi
cum TjXX, derivatur a Taphe-eneh, initium saeculi s. mundi. Graeci scribunt
Jaipyrf naqä t(üv ixei noXXcJp gyvofxevap daipvcjv Steph. Bjz. * cf. Ritter xur
Gesch. des Petr. Ärab, Abb. der Berl. Ak. 1824 p. 201 ^
860 De Lagidarom regno
ASyria inferiore Aegyptus deserta regione^, quae inter Pelusimn
et Gazam, quinqae dierum iter, intercedit, seiungitor. Ex miseris ea
in via vicis Bhinocorura 90 milL a Pelosio remota statio erat Aegypti
ultima 10.
§6.
[8] Aegyptas Patrimonium Lagidanim quasi gentUicinm nominari
possit; non tantom incolarum et morum et institutionnm samina est
diversitas inter hanc ceterasque Lagidarum possessiones, sed possessionis
ipsa ratione et firmitate longe inter so diffenint. Nemo enim anqnam,
Philippe qni ut Maoedonum rex Alexandri regnnm affectavit integrum
exoeptOy vel partioolam regionis illius in contentione ponere oonatos
est Non eadem erat oeterarum cum regno provincianim coniunctio
firmissima; alias alii hostes sibi vindicabant regiones, in quibos tatandis
amittendisque mnlti faenmt Lagidae.
Sic de Syria inferiore continua fere disceptatio fiiit; Seleucidis
ex loconun natura esse debere yidebatur, a Lagidis eodem quo Aegyptus
iure obtinebatur; banc Alexander 6 xzictriqy illam victoriis de Anti-
gono Demetrioque reportatis Ptolemaeus Soter oocuparat; neque cum
Lagidae armorum vi et auctoritate yalerent, de Syria expugnanda oogi-
tarunt Seleucidae. Sed Ptolemaeo Philopatore rege, postquam HenniaSy
Antiochi III adolescentis consiliator, S%iv kfxßäkXsiv rag z^Qccg xoT^
xarä Kolkf}^ 2vQlav ngäyfiaai^ primus regem admonuit, bellorum
quae inter Seleucidas et Lagidas gen inde ab initio quasi sollenme erat,
Coelesyriam causam esse simulari coeptum est Quibus argumentis suum
uterque rex probare studuerit ius, Polybius' exposuit Anms tradita
res est Antiochus apud Baphiam devictus integram Ptolemaeo Coele-
syriae Phoeniciaeque concessit rem; XV vero annis post, cum Ptolemaeus
Epiphanes a patre puer regnum accepisset, Antiochus cum Philippo ut
Lagidarum regno finem facerent societatem iniii Ab Antiocho ad Panea-
dem res ita sunt bene gestae, ut Coelesyriam et Phoeniciam occuparet;
dein* ad Achaeum novi in Asia regni conditorem debellandum profec-
turus, quo hac ex parte securior esset, Ptolemaeo pace societateque facta
Cleopatram in matrimonium dedit, dotis nomine Goelesyria, Phoenicia«
Samaria, ludaea ita additis, ut reditus inter reges dividerentnr'^ An-
tiochi magnanimitatem atque munificentiam admirareris, nisi pmdentis-
» Kah-daaie i. e. terra deserta, KaauJug. " PUn. V 13 Strab. XVI 759 C.
Liv. 45, 12.
» Polyb. V 42. « Polyb. V 67. • loseph. XR 154/5 ffieronym. in
Dan. IX 17 eV q>aQy^ Polyb. XXVIII 17.
Ptolemaeo VI Philometore rege 861
8iiue factum esset; nam rfj olxifc rccirfj (Lagidanun) ä^i ncoQ oi xarä
KoiXfjv JSvQiav n^ogxwaOat^ Bes Syxiaoae^ ut ex bellis ab An-
tiocho Epiphane postea snsoeptis colligitoTy [9] Ptolemaeo Epiphane rege
non sunt mutatae, nt Ptölemaeus Philometor patre mortao Syriam in-
feriorem cum Aegypti regno coniunctam acciperet.
§7.
Sequuntur in titulo Adnlitano Asiae proTinciae Gycladesque
insulae. Fuit aliquando tempas, quo SBcrnö^ovteg r&v inKpavtardtoav
nöX^fov xal xönoDV xa\ Xifuvtov xarä n&cccv rijv naQokiav änb üafi-
q)vh'ag fioog 'EkXtjtrnövrov xcel r&v xarä AvatfAÜx^iccv röncov, iy«-
Spevovreg di roTg iv rfj Ogdxij xal roTg kv rf^ Max^Sovi^ n^äy/jiceai
xal xax Alvov xal xarä Magdvetav xal no^QcbrtQov iri nöltojv
xvQuvovrig xal rq5 roiovrq) rpönq) fiaxQav bereraxörBg Tcä:^ X^'-Q^^
xal ngoßeßXfjfiivoi nQÖ avröv kx noXko€ tat^ Svvaardag oiSinore
nBQl T^s xar Aiyviirov iiytovicDV äQX^^^» Sed fuit illud tempus.
lam Ptolemaeo PhUopatori, quae regiones pro scuto, quo hostium im-
petam capiti imminentem exciperent ipsive hostem urgerent, fuerant
maioribus, nil nisi iiiQti na^axQBfjuifjLSva xal fiaxgäv äneanacrfiiva
rT/g ßaciXiiag videbantur. Atque erant. Nam ubi rei iste Siä rovg
dnQBTtetg 'igtorag xal rag AXöyovg xal ijruvexBtg fU&ag regni curam
negligere coepit, regionum longe remotarum praesentissimaque potestate
servandarum pemiciosior possessio erat quam certior.
Itaque factum est, cum inter Macedones, Bomanos, Pergamenos,
Bhodios, Acbaeos, Sjros bella gererentur, cum aut reges imbelles aut
pueri aut tutores ne&rii Aegjptum tenerent, Asiae regiones maritimae
„Ptolemaei sociae" * ab hac illa parte starent, urbesque quae in Ptole-
maei essent dicione per omnem oram Ciliciaeque et Gariae tentarentur^,
dein aut a praefectis venderentur^, aut cum Syris rictae in Pergame-
norum Bhodiorumve dicionem traderentur, aut a Bomanis victoribus in
libertatem vindicarentur^ Id quod potissimum urbibus in Asia Graecis
evenit, de quibus Ephesus Samusque primis Philopatoris annis praesi-
dium Aegyptiacum habuerant^
In Apamensis formula pacis nulla regionum urbiumye Ptolemaeo
restituendarum mentio est, quippe belli primo initio amissarum. An-
tiochum enim Magnum, cum in castra de Ptolemaei Epiphanis morte
(a. 196) illatus rumor esset, ut Aegypti imperium sibi Tindicaret Ephesum
* Polyb. V 86.
* Polyb. V 34. * Ldv. 88, 20. » Liv. 88, 19. * Polyb. exe. leg. 104.
» Liv. 88, 30. 49 Polyb. • Polyb. V 35.
362 I^e Lagidamm r^gno
nayigasse, dein Asiae oram legentem Lyciam proyenisse; Pataris cognitö
Ptolemaeum Tivere, navigandi qoidem [10] in Aegyptnm consiliuxn omis-
8um; Cypro nihilominns tendentem, cum Cbelidomcnm promontoriiun
superasset, remigom seditione tempestatibnsqae coactom Seleuciam re-
düse. Livii yerba 8unt^ Nisi Cypros sola in illa regione Lagidaniin
snperftdsset provincia, rex ceteras in Asia sitas neqne neglexisset neqxie
secnre adiisset.
Repugnare bis videatur inscriptio Lycia* [C. I. Gr. 4677]: ÜTokt-
fAalov TOP äQxtacofjLceroipvXccxa xai äQXixwf^Y^^ ^^f UroXBficeiav x€^
iiQditfov (pihov nal äQX'^^^Vyoi) vi6v rd notvbv r&v Avxiayp iiger^^
f^vexBv ncd svvotag rjg 6 naxiiQ avxod Siattk^T naQBx6iJLBvoq eig ri
ßuaiXia JlrokBficctov xccl rijv äSBX<pijv ßaciXiacav KXao^ecToav
&iovg im<paP6Tg xccl evxccQttrrovg xal tu xkxva xai Big rö xoivov
Tcüv Avx((av. Ex apposito xal xä xheva^ scriptam apparet inter l^S
et 181, quo tempore Lycii, pace Apamensi Rbodüs traditio cum ciTitati
Bbodiorum ut socii baberentur non subiecti a Komanis inoipetrassent,
bellum cum Bbodiis gerebant, in quo ut Bbodiis Eumenes rex ^ ita ipsis
Ftolemaeus fuisse socius videtur^^.
§8.
[11] Gyprus igitur insula Lagidarum Ulis temporibus sub dicione
mansit. Quam cum Antiochus Magnus a. 196 adgressurus esset, Polj-
' Liv. 83, 41 Appian Sjr. 4. ^ Sunt qui fonnnlam illam ntti ra rixra
ut solemnem ita saepe superfiiiam dicant; sie Chiahnll ant As. 89 n. 4 adhiberi
eam etiam tarn ait, si regia liberi non fiierinL R^ginamm contra nominibns
additom adelqn^ germanaa sororee significare. Neutnim verum esse probavit
Letronnius ; in aliis enim Philometoris inscriptionibus additum, in aliis omissom
est illud xal la tdxva. Sororis nomen solemne reginanim fuisse luculentiasima
docent «xempla. Sic Berenioe, Magae ex Apama filia Eaergetae soror vocatar in
tab. aorea Canop. [C. I. Gr. 4694], in Cat 66, 22, Hygin. astr. II 24; sie Cleopatra
Antiochi Magni ex Laodice Pontica filia, Ptolemaei Epiphanis soror (v. inscr. LycX
sie Berenicen (Cleopatram vocat Porphyr, apd. Eus. gr. 225), quae Ptolemaeo
Alezandro alteri patrui filio nupserat, Cicero reginam sororemque dicit frg. tr.
or. ed. Mai p. 49. Ex papyris enchoriis nihil addo. Sed simile quid in Selenci-
darum gente Inscr. Sige. ex Antiochi I. aetate probat ^ ; nam tov ßaatldiag xm
t^g adek<pfjg aviov ßaadiaarig Stratonicen Demetrii Poliorcetae ex Phila fUiam
significat, qua Seleucus I. Antiocho filio cesserat.; Seleucns ex Apamea Artabazi
Persae filia Antiochum I. (non item duas filias ut male Malalas refert, cf. Froeh-
lieh), ex Stratonice Philam (ab Antigono Demetrii f. ductam) susceperat (v. Plnt
Dem. 88 yit. Arat.). Ad eandem rationem fortasse Poljaeni testimonium revocan-
dum est, Antiochum IL Laodicen dfAonajQioy döeXq>rjv duxisse, quam Achaei filiam
fuisse et Alexandri „qui Sardem tenebat** germanam sororem ex Euseb. Arm.
apparet ^ • Polyb. XXV 5. 13. " Letronne reekerehes p. 58.
LI -
Ptolemaeo VI Philometore rege 36S
crates summa cum laude administrabat et Epiphani puero StecpvXcc^e \
Folycratis praefecturam Ptolemaeus Agesandri [I. Agesarchi] f., Ptole-
maei Sostratus excepit.
lam Amasis rex bene perspexerat', quantum ut Cyprum obtinerent
regum non solum propter opportunissimum et navigautibus et bella
gerentibus cum Asia situm, sed propter miram agrorum, silvarum,
metalloTum, rerum omnium abundantiam interesset Quae in illa una
insula belli subsidla quasi occulte laterent, Ptolemaei Lathuri expeditio,
qui cum XXX militum millibus egregie instructorum Alexandro lannaeo
bellum intulit, eximie manifestavit^ Quod in Aegjpto nuUae habentur
silvae, post Lyciam amissam^ Cyprus sola materiam navalem offerebat
eademque sola ad naves totas exstruendas et ornandas res omnes copio-
sissime praebebat^
Regnum igitur Lagidarum Ptolemaeo Epiphane mortuo has fere
continebat partes: Aegyptum cum Libya Arabiaque Aegyptiaca,
Cyrenaicam, Coelesyriam cum Phoenice, Samaria, Palaestina*,
Cyprum [quod Cretam insulam adtinet cf. Strabo X p. 377 ed. T.]
Caput secundum*)^
§9.
Lagidarum regnum mira fuit gentium, morum, sermonum, super-
stitionum diversissimarum coUuyies. Romae diceres praenuntiam, nisi
urbs late regina yereque rfjg olxovfiivrjg imrofii^ terras gentesque in
suam dicionem coCgisset et exanimatas emancipasset, Aegypti vero reges
non imperio sed „d^^ii^^t^ superbissimo [12] freti" exadversum gentem
servam et barbaram ad instar adversariae ipsi fuissent factionis.
Uno nomine Aegyptii tristes, Graeci degeneres, ludaei obstinati,
Cyrenaei frivoli, Syri serviles atque maligni, Cyprii beata Phoenicum
et Graecorum et Aethiopum mixtio, >uni omnes principi obnoxii, apud
omnes aliquid Graeci, barbara indole frustra renitente. Regibus origo
Graeca pro laude et superbia habita, idemque imperii ut fons et auc-
toritas, ita robur et in rerum discrimine praesidium; neque barbaros
» Polyb. XVIU 88. " Herod. II 182 VH 90. • loßeph. XHI 12, 3.
^ Etiam nunc ez Caramania, y. c. ex insula quam Castelorizzo vocant (Clisthene),
navalem materiam Alexandriam deferunt, y. Beaufort nouv. annal. des voy, V
p. 6. ' Ammian. Marc. XIV 8.
*) [Ueber die alte Kasten Verfassung und besonders über die Verteilung des
Besitzstandes s. Thierbach Programm des Erfurter Gymnas. 1889.]
864 De Lagidaram legno
ad Graecam confonnare humanitatem, neque se inter medios barbaros
Graecos servare possunt yalentque; com regibns gentes se Graecas ease
temere Simulant, barbaras impndenter dissimulani Haec nequitiae iactatio
putidissima; ne conamina qnidem invitam conformandi gentem a regi-
busy ne pericula quidem regibns strenue resistendi a gente £aota ^Titiata
ista occulta putredine regna'^ quatiunt moritnra; in ieinna torpedine, in
eniditione Alexandrina^ in fascinis nugisque mathematids requiesoitor.
Qnadamtenus plebs sibi constat in inepta ista &milianun oolle-
gionunque perpetuitate; AMcanam istam snperstitionem defixis in terram
ooolis mentibnsque anxie observat Regnm stirps generosa ad eandem
bomilitatem deprimitnr. Aula graecissat, litteras amat, fovet artes,
comissatur et heluatur, nunc splendorem Pharaonum ritumque imitans
delusum, nunc laudes et exemplar sectans Alexandri conditons. Sacer-
dotum grex priscae auotoritatis memor et desiderans piiscos mores et
priscam gravitatem non item servayit, neque recondita maiorum scientia
admirationem, neque arrogans summi ordinis tacitumitas stuporem
movet aetatis; quaecunque Sesostridarum aetate valuerunt, ea conglu-
tinant temereque commiscent cum novissima quaque perversitate et
fraude; pro fixis rebus fictas, pro accnratis meditatisque commenta-
tionibus commenta yendunt Plebis vita ut est sine consilio sineque
certa spe et lentior in excipiendis novis, dein exceptorum tenax, tem-
porum yicissitudinibus formatur augeturque sola; regi vult, nihil rec-
torem morans; sie inerti tolerantia sacerdotum, Saltarum, Persarum,
Graeoorum, Bomanorum Aegyptii deinceps tulere imperia, eo sensim
incremento aucti, ut christianam tandem exciperent doctrinam.
§10.
Prisca igitur familiarum coUegiorumque perpetuitas, pnsca super-
stitio atque sermo perseverabant Sed sermo vernaculus non in
aulaOy non in rerum [13] publicarum, non in tribunalium usum abiit;
immo plerumque reges Aegyptiacae linguae rüdes erant^ Ubiubicum
magistratibus Graecis agebatur, Graece dicendum erat^; licebat quidem,
si Aegyptii inter se negotia contraherent, notario rernaculo formulas
concipere^y sed ut auctoritatem haberent, Graece contrascribi eas edictum
regium iusserat^; permanserant quidem tribunalia Aegyptiaca^, sed
privatae tantum causae eorum foro addictae fuisse videntur^ Ne edicta
quidem decretaque regia utroque^ sermone composita edebantur; id quod
* Plut. Anton. 27. " Peyron pap. Taur. I p. 160. • antigr. Grey fin'.
* TTQosiaYfin nsQl rov ra /u^ ^puYSYQafJifidva Aiyvnjux awcdlaffiaxa axv^ eJvat^
pap. Taur. 1 p. 4 lin. 14. ^ ix laoxQnav pap. Taur. I 7, 8. ' m£ra § 22.
' ut Peyron et Reuvens putant
Ptolemaeo VI Philometore rege 365
in eo regno fieri poterat, ouius leges non tabulis publicis promul-
gabantar, sed per litteras ab epistolographo scriptas, quibus praefeotis
con yeniret ^, reddebantar. Quocontra libeUi snpplices ab Aegyptiis incolis
collegiisve regibus traditi Graece scripti* erant, saoerdotumque decretis,
onm in templis proponerentnr yemaculis, antigrapba certe Graeca addita^^.
Prisca familiarum sectarumque perpetuitas perseverabat ^K
Sed si Aegyptii quotidiano cum Qraecis commercio legitimoqne oonnubio
Qtebantar, si ad res pnblicas, ad militiam Graecam, ad honores quantalos-
cnnqne accedebant, patria quae familiis singalis erant ofßcia non pote-
rant quin yiolarentur aut inepte amplifioarentur. Neque dubium est,
quin ipsi Aegyptii molestam istam yitae cixcumscriptionem excedere
compedibnsque liberari pervetustis stnduerint Si yerbi caussa Tari-
cheutae Diospolitani, ex aeqnis sectae suae institiitis domicilia a Incis
templisqne remota habere extra oppida^^ antiqnitus consaeti, Euergeta
Ptolemaeo rege in nrbem habitatnm migraront, neglectisque sacerdotum
Anmionis expostulationibos et Aeneae strategi decreto nsQl tod roug
än6 Tfjg Jiogn6X$oi)g ragi^^vtag fjLerotxiiT&fjvm alg rä MBfivovBiaf a rege
neminem amplius impediturom tnlerunt responsum ^^, satis puto apparere,
quantum et Aegyptiorum faerit Studium sectarum prohibita transcen-
dendi^ et regum posthabitis rationibus sanctissimis obsecundaudi. Quo ex
consiUo, qui de Aegyptiis graecarentur, beneficüs privilegüsque augebantur*.
[14] Si ad res divin as spectamus, prima fronte prisoa Aegyp-
tiorum superstitio non solum perseyerasse, sed res Oraecas quasi obcae-
casse yideatur. Beges Aegyptiis diis templa pylonesque aedificabant ^^
atque sollemnibus Pharaonum anacleterüs Mempbide inaugurabantur^^;
magistratus Graeci dies festos pompasque Aegyptiorum deorum celebrare
iussi erant^^; incolae Graeoi vniQ ßamXiwv etc. ngoaxw/ifictra arasque
diis Aegyptüs dicabant; quid multis, Graeca numina aut negligebantur
aut Aegyptiis subinngebantur. Sed tantum abest ut huius aetatis prisca
fuerint numina, ut nomina tantum formasque contendam similia esse.
Osirim illum Amentis praesidem „nunquam satis ploratum'' quem XIY
in oppidis lacrimabunda Isis intemecatum luget, nunc (piloyeltord te
xccl jc^iQOPTcc iJLovcrix^ Mal x^QOtg dicunt xal Aiövvdov pLSKovopLcta-
&ipra ^^ Mortuis novus deus regnat, quem Hadem Sinopensem sacer-
• Inscr. Phil. 1. 14 [C. I. Gr. 4896]»» Pap. Taur. I 2, 24 ßeuvens lettres ä
Mr. Letronne 8 p. 46. • sie. inscript. Phil. »« bIc etele Taur. [C. I. Gr. 4717]
inacr. Ros. [C. I. Gr. 4697] " etc. *^ Boeckh Papyrus p. 25. " cf. Strabo XVII
794 C. " Pap. Taur. I p. 3, 1, 16 VIII 22. " vid. Letronne recherehes
saepius. ^* i« n(fogiptovxa v6fitfia et to vofitiofieya inscr. Roe. 28, 45 cf.
infr. § 33. 1« pap. Taur. I 3, 6. " Diod. I 18, 15 cf. Apulei. de deo Socr.
p. 295 Athenagor. leg. pro Christ p. 14.
866 ^^ Lagidaram regno
dotes Serapim esse affirmant Est quidem Serapis de antiqaissiinis
Aegjpti diis; sed cum in ordine deorum altero tamquam triste mortis
nnmen Ammoni yitae prooreatori serratorique opponeretur, quam dis-
cidii aetatem post laetum illud BifQi^xafiBPj avyx^^QOfuv tertia divinae
pacis aetas excepit, factum est ut „invento Osiri^ mortis vitaeque recon-
cUiatore nataque ,,candida Isi^' Serapis cum Tithrambo sorore furente
ad oblivionis habitaret portas ab Apide custoditas praesente vitae numine
eodemque Osiride ^®. Idem ille Serapis exsul nunc revocatur, Dei pere-
grini forma religioneque subiuncta ^^ Ne Isis quidem sibi constat^ dno
Tfjg äiSiov xal naXuiäq yeviascoQj ab oifcri^ et Xarjfii nomen eam acce-
pisse creduQt^^. Sed ne longus sim in theocrasia ista enarranda, rem
primoribus tantum labris attigisse sufßciat. Ex priscis numinibus no-
mina facta sunt inania. Hieroglyphas, quae pro mythis Aegyptio sunt,
homo Graecus Qraecae philosophiae atque petulantiae adsuetus ut intel-
ligere non potest, ita interpretari et ad reconditam quandam scientiam
revocare sibi videtur. Quam sacerdotes scientiam, ne se ipsi cum sacris
suis darent deridendos, non poterant quin toto capite adnuerent; ea enim
sola mysteriorum simulatione [15] bestiae cadaveraque Graecis venera-
bilia esse poterant; sed stupidam credulae plebiB superstitionem sacer-
dotes novo cum peregrinis consensu ridebant. Sic hac Alexaudrinae
aetatis confusione et Graeca et Aegyptia pietas doctrinae scientiaeque
si diis placet luce evanuit^^; de diis. de rerum natura, de sideribus
fabulae ineptissime finguntur, temere oonsarcinantur, a nemine credun-
tur, yanae acuminis eruditionisque nugae. Ita enim fleh necesse fuit,
ubi ad id cognitionis profectum erat, ut se ratio humana rerum om-
nium modum poneret, ut res extemas esse negaret, ut ad suam libi-
dinem arbithumque omnia revocaret, ut nefariorum perosorumque simu-
lacra regum, quae divino honore ailcerentur, in tempUs collocarentur.
Neque de rebus divinis privatisque scripturus neque de litteris
artibusque, ne quae ex universali atque continua enarratione suam
excipiant lucem abrupte et obscure tractasse videar, de rebus publicis
quae Ptolemaei Fhilometoris aetate faerint ita fere agam, ut quomodo
imperiosa populi pars se habuerit, dein quomodo imperium exercuerit
exponere studeam. Tertium titulum de ea populi parte addere poteram,
in quam dominatum sit; sed res privatas, ut dixi, tractare nolebam.
Ut Lagidarum regnum vere Aegyptiacum est provincüs pro additamentis
habitis, ita addere provinciarum res supplementi loco Visum est
'^ cf. Guigniant memoire sur h dieu Serapis p. 8, id. religions de tatUi-
quitS III 2 et 6. Jablonsky Panth. IV 2, 12. ^' praeter Taciti locum notiasi-
mum cf. Macrob. Sat I c. 7 p. 150*. '^ Diod. I 11 Euseb. praep. eyaog. I 9
Plut. de Isid. et Osir. c. 15. '^ Simile quid nostra aetas iddet
Ptolemaeo VI Philometore rege 367
§11.
De Regibus. Primus rex Aegypti Graeous Alexander^ nnncu-
patur; stirpe regia exsÜDcta Syriae^ Asiae, Thraciae, Macedoniae, Aegypti
„ex praefectis reges facti sunt^'^. Lagidae igitur non quod antiquum
Pharaonnm regnnm, sed quod regni ab Alexandre conditi partem ob-
tinent, reges se nominant [cum regno reges nomen Ptolemaei nuncu-
pant adepto loseph. Ant. lud. VIII 6, 2]. Ex eadem rerum ratione cen-
tum annis post Philippus Macedonum rex cum Aegyptum [1 6] suae dicioni
armorum vi additurus esset, ius suum se persequi poterat probare ^
Geterum inde ab altero ante Christum saeculo inter auctores sunt
qui contendant successores sibi diademata non arrogasse, sed ab Ale-
xandre accepisse legatarios^.
Ptolemaeus igitur Soter suo arbitrio Graecorumque, quos secum
babebat, consensu rex f actus, regnum e iure hereditario excipiendum
prognatis tradidit Non item Aegyptiorum consensu opus erat, ut qui
armorum vi subiecti barbaroque more regum sub imperio essent, neque
suo quidquam iure sed aut regum beneficiis aut rebellandi periculis,
si quid vollen t, nancisci possent. Velut cum Ptolemaeus Pbilopator
ad bellum Syriacum Aegyptios quoque ad militiam evocasset, oifxin
t6 nQograTTÖfievov olol tb Jjtjav vnoyiivtiv, äkX i^^xow ijysfxöva
xai %Q6<j(onov, ut seditionem facerent^ Quae seditio, Lyoopolitanam
vocant, cum anno YIII Ptolemaei Epiphanis Eucharisti conticuisse
videretur, eiusdem regis anno XXV redintegrata eo demum opprimi
poterat, ut dy nastae ^ annis positis in regis fidem confagerent et copiis
recens ex Graecia conscriptis Polycrates praefectus summa atrocitate
pugnaret lis igitur turbis rex ixivSvvevae änoßaXetv ttjv ßatTtketav^i
perdidisset, si rebellio ut debebat plebem totam accendisset, si sacer-
dotes a plebis non a regum partibus, quod ne templis quidem parce-
retur, stetissent®*
Lagidae, cum Graecorum annis regno Persarum debellato Aegyptus
^ Theonis fr, ap. Dodwell. ad calc. St. Cyprian. p. 169 Appian. bist. Rom.
praef. 8 Strabo XVII 795 Gas.; ideo in monumentiB enchorüB deorum Ptole-
maeorom Alexandrique enumerantur sacerdotes, quam ad rem referas Theoer.
XVII 15 Lucian diall. mortt. 13: d)g Y^olfir^v etg t&v Aipmiuav &eüjp (Alexandri
verba sunt); in pap. qnodam enchorice scripto Alexandri 11, Alexandri oonditoris ex
Roxane filii nomen legere Ghampollionem sibi visum esse (?) testis mihi est Kose-
garten Jahrb. für leiss. Krit 1828 p. 718 ^ " lustin. XIII 4 Appian Syr. 54 fin.
8 Polyb. XV 20 lustin. XXX 2. * sie auct lib. Macc. I 1 cf. St. Croix exam.
p. 568 et 578. Huc neque retulerim Diodori yerba: ^ 4me(^ oXijg rrjg ßaudelag
dia&i^xi], neque testamentum Alexandri apud Gurt X 10 et Ammian. Marcell.
XXIII 6. » Polyb. V 65. 107 XIV 12. » Nomina eorum affert Polyb. XXIII 16.
' Diod. XXIX 1. ® Inscr. Ros. I 27 cum interpp.
368 I^e Lagidarum regno
expugnata esset^ nt auctoritatem vigoremque regni sai servarent, imperio
mere Qraeco, Macedonicis armis freti, oculis in Graecia quasi habitan-
tibus, patriaeque memoria in mentibus infixa^ barbaros moderari debe-
tant; Graeca virtute nt conditum ita obtinendom erat regnum; id quod
bene intelligens Polybius Ptolemaeus Philopator, inqoit, 6Xiy(OQov xul
Qd&vfiov kyfiSeiXVvoMf toiq knl tßhf ^|ö> ngayfidronv [17] SiarsTayfii-
voiq, imig o)V oi nQÖTSQOi oix iXattta fiBt^o} d* k^otovvro anovSi^
Post seditionem igitor Lycopolitanam, rebus extemis iam diu
negligi coeptis, imperii Graeci maiestatem anacleterüs a Ptolemaeo
Epiphane Eucharisto celebratis primo, quibus Pharaonum more a sacer-
dotibus initiaretur et adprobaretur, Aegyptiorum indoli sese accommo-
dare moremque gerere coepisse adparet In decreto sacerdotes inau-
gurali callidissima ambiguitate, utrum inauguratione illa an hereditatis
iure rex regnum habeat in medio relinquunt; nunc Ptolemaeum regem
salutant nccgakaßövrcc nagä rov\ nazQbg rtiv ßaaiXBiavj nunc ana-
cleteria vocant nav^yvQtv tflq nccQaki^^ecog rfjg ßacrtXatag et rä nQogfj-
xovxcc vöfjLifjLa rij naQuXrirjju rfjg ßamkeiag^K Sic suum sacerdotes
consensum pro necessario vendere regemque olim Aegypti regem Aegyi>-
tiorum facere student.
§12.
Alexandri Magni aetate et paullo post ,,yetusto Macedonum modo
nihil potestas regum yalebat^ nisi prius valuisset auctoritas"^ Sed in
terris barbaris barbarorum more mox regnari coeptum est Quo regia
potestas in arbitrium licentius yertebatur, eo intemperantius non reges
sed regi quisque gratiosissimus dominabatur. Eunuchorum pravitas,
concubinarum asseclae, consiliarii sceleratissimi vices imperii turbulenter
permutabant. Aulae factiones fallaciasque factionibus, seditionibus, cae-
dibus manifestabant Alexandrini dw&örtg kxtpvaßv aräottg fuyäkag*;
oi ix T&v ävo) (TtQatoniöcov interveniebant', ne quicquam non turbare-
tur. Haec regia Lagidarum.
Operae non est aulae Alexandrinae, ut erat, luxuriosissimae
exprimere imaginem; quid enim ut sciatur refert, ex aulicis elegantiae
' Eam fdisse antiquitatiB de Lagidanim regno sententiam maltiB colligitur
locifl; sie Lucan. Phars. X aulam dicit Pellaeam, sie Moses Choren, n c 1 Ale-
xander inquit regnum suum inter plures portitus est, ita tarnen ut Macedonum
Imperium generatim universeque appellaretur; cf. St. Croiz 1. c ^° Polyb. V34.
'^ Inscr. Bos. 1 8 etc.
1 CuTt. VI 8 Diod. XVII 80 XVIII 87 Comel. Nep. Eumen. c. ö. « Philonis
sunt verba, res notissima; v. Plin. panegyr. 29 Senec. d. cons. 17 Suet Vesp. 19
etc. etc. « Polyb. XV 713 CaP.
Ptolemaeo VI Philometore rege 369
urbanitatisque legibus regum civitatumque legatos post diem X^^ et>
si gravier res esset, post quintum adeundi veniam habuisse^, peregrinos
qnoqne anlicis Aegyptiorum more vestibus indutos prodiise ^ rov ägx^"
8t<xtQov\ quem a culinis dicunt, etiam ab [18] officüs palatinis fuisse^,
vires dootos &QXioivox6ovq^ creatos esse^, inter auücos sodalioia ad
mutua convivia agenda floruisse, sie räq r&v äfitfiijToßioDv, r&v awu'
no&avovfjLiv(oVy r&v yikoiaar&v (TvvöSovg^^,
Est inter aulicos descriptio quaedam bonorum, qui ut ad ipsam
regis personam et voluntatem redeunt, ita non aulici tantum ordinis
praebent normam, sed et regni . administratio militarisque disciplina ex
iis pendet Ex institutis Persarum (ut res aulicae Graecorum pleraeque)
profecti non tam of&cia hominum indicant, quam suum cuique gradmn
ac decus tribuunt. Gradus igitur primus est rß^v cvyyiv&v^^y quo
nomine regis epistolographi, epistrategi, strategi Thebaidis omantur^^.
Iis inferiores sunt ol &QX'^^^y^^'^o(pvXaxiq^y clavigeris nostris haud
absimiles, cuius ordinis memorantur epistatae aliquot ^^, assessores non-
nulli {r&v (rvfjLTtccQÖvrcjv), aUus de assessoribus idemque;^t;jUf'c^(ri<^(>;^o$^^,
nee non äQxinwriyöq ille, qui auxilia Lycüs adduxerat^^; cum Sosibio
et Andrea ToT(i ägz^amfiarocpvkcc^if ut ludaeorum centum miüa in
Aegyptum olim deducta redderentur, egisse se Aristeas narrat^^ Qui
T&v nQd>r(ov (pikcov^ nominabantur, secundi an tertii fuerint ordinis
haud potui enucleare; ilüus ägxiTcwriyoi) xal r&v &QXi(T(ofiuto(pvXdxoov
pater äQXiXwriy6q xal r&v yigdrcov (pihov fuit; eiusdem ordinis stra-
tegi, epistatae etc. memorantur ^^ Post utrosque qui Td>fr qp/Aov sunt^®
locum tenent; id quod ex pap. Taur. colligo, ubi inter assessores post
archisomatophylaces Hermogenes r&v cpihov est Hunc excipit Pancra-
tes T&v SiaS6x(ov^y neque enim, qui inferioris ordinis sunt, anteponi
poesunt lam ol negl rijv avXriv SiaSö/ojv s. t&v SiaSö^cov
novissimum gradum teuere videntur^^, quo ex ordine ijyafic^ quidam
* Aristeas p. 43, 25 ss. ed. Schmidt. ^ Cic. pro Rah. P. 19. * Aristeas
p. 44, 30 Schmidt nhi minus recte a^itjTQog cf. Athen. VI 142 Inscript. Joum,
des savans 1828 p. 105 [cf. C. I. Gr. III 4678] „edeatrae qui praesunt tabulis
regiis*^ Festos. Persarum ex aula transiit ad Alexandri, qui Ptolemaeum huic
muneri praefecit. Crater. apud Athen. IV 171. ^ Comanum dico, v. Proclum
ad Hesiod. Dies et op. 97. Ceterum a LXX horum officiorum usus ad Pharaonum
aetatem nonnunquam transferri videtur. ^ Plnt. Anton. 71 Ptolem. apud Athen.
VI 263. • „propinqui." Caes. bell. civ. III 103. *^ cf. Letronne reeherckes
p. 276 Peyron. pap. Taur. I 63. " Peyron. 1. c. p. 72. " Pap. Taur. I
p. 1, 8, 4. " Ihscr. apud Letronne reeherckes p. 52 [C. I. Gr. III 4677].
" Aristeas p. 15, 4. 21, 13 ed. Schmidt. " vid. supra § 8. " „regii amid"
Caesar beU. civ. III 108. '^ Non officii sed honoris hoc fiiisse nomen inde
coUigitur, quod Hermias to>v neql avXrjv diadoxav in nomo Ombitico sedem habe-
bat et praesidiarÜB illius nomi copUs praeerat.
Droysen, Kl. Schriften n. 24
370 I^e Lagidarum regno
kii ävSg&v^ innuQXVQ alius kmarärfjg^^ [19] memorantur. Nomen
Peyronius aulicos secundi ordinis significare putat; quos locos ex LXX
attulit^®, non secundi probant ordinis notionem inesse roci; cuius
nesoio an pedisequorum propria faerit vis.
Quos honores, quamquam patris gradum filius hereditate non ad-
scendebat^^y regni nobilitatem et quasi seminarium praefectorum et
ducum dicas. Nobilitate ea Graeci ni fallor soli ornabantur, neque
enim ante Euergetae 11 aetatem ullius Aegyptii nomen vemaculnm.
cui id honoris additum sit, memini me legere. Euergetes vero, quem
in Graecos saevisse, rem Aegyptiam fovisse constat^^ viram Aegyptium
Cyrenaioae praefecit^^, Phommutim epistolographum et propinquum
renuntiavit^^, civem Eomanum^ quo saeculo senatus Romani in arbi-
trium fere traditum erat regnum, propinqui nomine omavit^^ Facta
talia post Ptolemaei nostri aetatem. Vir ille eruditissimos, cui Roset-
tanam debemus enodatam, Lagidis regibus ad quosquos cuicunque hono-
res neque patriae neque religionis ratione habita aditum patui^e specio-
sius quam verius contendit^^. Neque equidem remissum neminem
videri negaverim propter religionem dummodo reges Deos adoraret
propterve patriam dummodo Graecum se praeberet sive Graecos non
natione sed nomine habituque esset et cum regibus graecaretur; sin
minus, quem, cum neque reges crederet Deos, neque graecitat« imbu-
tus esset, barbarum esse appareret, ante Euergetae II aetatem praeter
morem singulari regum favore ad honores muneraque fungenda ad-
missum esse persuasum habeo. Nam fundamentum certe et regni et
aulae res Graecae erant; ut Alexandri Magni spem atque consilium ad
suam quisque successorum provinciam transtulerant et accommodarant,
ita militaria sunt regna, Graecorum reges exercituum ope dominantur.
Alexandriam ipsam castra dicas praetoria, immo praetorium ipsum atque
rrjv xoivijv iariav non patriae sed dominationis Graecae.
§13.
Quae cum esset regni ratio, fieri non poterat quin Graeci bene-
ficiis privilegiisque omati essent eximiis. De honoribus aulicis supra
dixi, addo stipendiorum [20] Privilegium perpetuorum. Erant quidem inter
»» V. Peyron. I 56, 74. Catal. Passal. Nr. 1564. " Chronic. I 18, 17 xai
viol Javlö Ol nqCixOL öiaöoxoi rov ßaadecjg heb. ^h'üri l^b. ChroQ. II 26, 11
Öiadoxog heb. "^bian '^nvo'2. ■• v. s. inscr. ttjy agxuwyrjYcjy. '^ Polyb. XXXIV
14 c. intpp. " Polyb. XXXI 27, 7. " Pap. Taur. V. «* inscr. Le-
tronne recherches p. 276. ** Dramaim. schedae bist. p. 23.
Ptolemaeo VI Philometore rege 371
Aegyptios kyxcoQiov^ qui nomina darent, sie !Anokk(üviog 6 xal VefjL-
luL(6v&fjg — Töv änd JtoanöXecog rflg fisydXrjg rT^g 0t]ßaiSog (jua&ocpd-
Q(ov inni(ov\ quem fuisse ex vemacula familia ?/ nQoyovixi) eius o\xia
probat; sed nomen daturos nomen Graecum Aegyptio addidisse videtur.
Sed quanam ratione Graecorum ii, qui neque militabant neque
mimeribus publicis fangebantur, inter barbaros habitabant? Herodoti
aetate familiarior cum Graecis quippe impuris consuetudo quoquo modo
devitabatur ^. Sed magna inde facta est rerum animorumque commu-
tatio. Nunc habitant, nunc dominantur Graeci a man ad cataractas;
familiariter iis uti non religionis sed honoris, ne a conubio quidem
abhorrent^, Graecis ipsi inferiores. Sed vel altero post Christum saeculo
tantum aberat, ut cum gentibus Aegyptiacis quinque saeculorum usu
coaluissent Graeci, ut hoc decreti publici scriberent initium: ?; nöhg
T&v IdXB^avSgicov xal 'EQfjLOvnoXig i] ^Bycch] xal ij ßovkij ij. !AvTivoi(ov
vi(ov 'Ekk^vmv xal oi äv tc5 Jikra rijs Alyvnrov xal oi rov Qrjßatxöv
vofjLÖv oixovvTeg"£Xk7]VBg^\ Quam differentiam, quo tempore aula Lagi-
darum regia, species illa atque exemplum vitae hellenisticae, Graecorum
per orbem disiectorum quasi centrum esset, multo maiorem fuisse vero*
simile est.
Per totam igitur Nili convallem, per omnia Aegypti oppida vicosque
Graeci vivebant sive milites in praesidüs nomorumque urbibus, sive
officiales {npayfiarixot, knl r&v /Qtt&v) in epistrategiis, nomis, oppidis,
sive publicani, redemptores, negotiatores, artifices etc. Utrum Aegyp-
tiacam ut ita dicam civitatem haberent iisdemque cum Aegyptiis obse-
querentur magistratibus, an seiuncta efficerent nohrsvfjLara quae ad
ipsam praefectorum Graecorum disciplinam pertinerent, traditum nön
est. Colligi quidem aliquid ex choachytarum^ videtur ad versus Hermiam
argumentum: „si causam ad laocritas dixisset etc.'^^; sed rem totam
integram relinquo.
§14.
Duas cert« civitates mere graecas fuisse ex inscriptione supra ad-
scripta [21] edocemur, Alexandream dico et Hermupolim; quae tertia
additur Antinoopolitana post Lagidarum aetatem condita.
* Pap. Taur. III. ' ov? avt^Q Alfunxiog ovxe pfvi/ ävöqa *!ElXrjva qtiXrjasis
UV TW axofiati ovdi fiaxniiffj dyÖQbg*^klrjvog /Qr/aexai — ovde xQeag xa&a(}ov ßoög
6iaTeifiTjfiivov 'JEXkrjvutjj fiaxnlqrj Yevaerair Herod. II 41. • Letronne ohservations
8ur Vohjet des repr. Zod, p. 13. * Ex anno 147. Letronne recherches p. 254
[C. I. Gr. III 4679]; ideo factum est ut Graeci, etsi sedes haberent in Aegypto
(oi natotxovvjeg) vocarentur ^evoi Peyron II 50 sqq. Plut. de Isid. et Osirid.
c. 31. * Pap. Taur. I 7, 3.
24*
372 ^^ Lagidamm regno
Alexandriae Diodori Sicali aetate GCC millia hominum liberomm
habitarant' qni namerns qnanto servis additis aageator Tel potins
moltiplicetor non ausim dicere^; sed eximiam faisse iirbis opnlentisBiTnae,
museo et emporio florentissiinae freqnentiam qais dubitaveht? Qoam
gentem ex nationibus omnibus mixtam tria potissunnm, qnae publice
ralerenty effedsse genera Poljbius narrat: tö re Alyvnriov xcel
imzcjQioP ffvkoVj ö^v xal nohrtxdvj xal tö iiia&oq>ooix6vj ßaoi*
xal nokv xal üifay(ayov' h^ ed-ovg yäo nukuiov ^ipovQ ecQupov rovg
rä Ön'/M üxoi^^Qf üox^iv piäiXov t/ ägxto&ai SeStSayfuvovg Siä ri}v
T&v ßaatiMov oiStvtiuv, roirop S fjv yhfo^ ro rßv l^lt^apSgiiop,
ovlt ccizd thxQivQq noXtrix6v Siu rag airrag alriag, xouttop ff ixti-
vfov ofMtjg. xal yäg el (iiydStg, ^Ekktiveg Spuog üvixa&tv Ijaav xal äfUfi--
vfjvTO Tov xotvoO T&if 'EjJki)viüv i&ovg^. Aegyptios et Libyes (o/
kyxtoQioi et Ol inix(OQioi) frequentissimos Alexandriae habitasse^ satis
credibile est; quo enim condita loco urbs, olim Racotis faerat oppidum
Libyco-Aegyptium^; mercatores Canopici Alexandriam migrare fderant
coacti^; neque deerant, qui mercatnrae, litteramm, anlae, noTamm rerom
gratia in urbe sedes collocarent. Civitate antem Alexandrina ea ho-
minnm grex non f^lebatur^^ Mercenarii a Polybio memorati qui fuerint
infra exponam. Tertium fuit t6 yivog r&v 'äX^avSgmv^ Urbis rere
cives, cui civitati, quanquam in Graeca® origine gloriabatur, Inda ei
quoque additi erant, qui duas TJrbis regiones soli [22] obtinebant^ suisque
^ (<paaap oi tag ävafqaqiag ^oyieg r6>y xatoiKOvriap Diod. XVII 52 [cf. Jobao.
Malal VIII p.l92 edB.]. « cf. Boeckh StaaUhaushaltV 47 88. • Polyb. XXXIV
14. * cf. lulimi Valerius p. 30. ^ Res notissima cf. Tacit. bist IV 84
Clem. Alex. prot. 42 Paus. V 21 Steph. Bjz. v. De Coptico urbis nomine videsis
epist. systat. ap. Bonjour monum, copt p. 1 2. Neque recte Hieronymus et Cjrillns
(locos habes apud St. Croiz «com. p. 540) dizerant, Urbem a scriptoribtis He*
braicis vocari No; vid. Jablonsky opp. 1 p. 162. Bacotim foifise oceidentale
Aegypti praesidium, nomen probat Mareotisi. e. Ma-areh ,;id quod ad costodiam
pertinet^S ^^ Are-phot „custodia occidentalis^' y. Forster ep. ad Michaelis p. 13;
Pharos insulae nomen est Ph-areh, rj (pvXaxTj sive ut Dionys. perieg. 258 didt
ajtQai (Txonitti^, ^ Aristot. oecon. III 33 ob quam causam Canopi, quem in
Menelai navigio gubernatorem dicunt, cultus inter Alexandrinos floruisse Epipha-
nius in ancorat. § 108 aliique narrant. ' Plin. epp. X 5 Philo lud. in Flaccum
p. 967 loseph. ct. Ap. II 3— 5. * Ad eam rem referri potest Satyrus Arro^oir
tovg öi'ifiovg xCiv ÄXeSavÖQiiop v. Voss, de bist. Graec. p. 411; praeterea in phylas
Urbs divisa fuit, sie i^ gwlrj Hiolefiatg vit. Callimachi^ [Non nisi ex regio prostag-
mate navibus e portu Alexandrino in altum provehi licebat Strabo II p. 103 C;
portus Alexandrinus praesidio validissimo munitus Strabo II p. 102 0. Ex Taphe
Alexandriam Jeremiae sepulturam transtulisse Alexandrum narrant Suid. v. df^
yoktti Chron. Paschal. p. 293 Bekk. ubi vide interprett De Alexandrinonun levi-
täte V. Dio Chrys. or. 32 init. De Alexandriae senatu v. Dio Oass. 51, 7 Ael.
Lamprid. vit. Alex. Severi. 17]. • loseph. et Ap. I. c Philo p. 750.
PtolemaeoVI Philometore rege 373
ethnarchis s. alabarchis* obsequebantur ^^. Ad hos omnes ut vocan-
tur hyyeptig !Ale^av8Q6tg immensa vis rßv rt^v nöXiv (piXigyigc xa-
romovvTwv^^ aoceduni Mathematid Chaldaei, exegetae ludaei, littera-
tores philosophique Graeci Museum atque Serapeum celebrant; Itali
nantae, Syri navicnlarü, operosae Rhodiomm, Arabma, Pontioonim
catervae in Heptastadio et ad Neptuni templum fluotuant; Necropolim,
Eleusim, Hippodromnmy Zephyrium Alexandriae libidinosa lustrat luven-
tus inertiumque cirouli ardelionum. Quid multis? Urbis hominum et
negotiosorum et otiosorum frequentissimae difficillimam ftüsse administra-
tionem multosque occupasse magistratusapparet; neque multum Strabonis
proficimus testimonio: ,,Urbis magistratus regum aetate fiodsse exegetam
purpuratum eundemque annonae praefectum, dein hypomnematogra-
phum, archidioastam et archinycterinum, quasi y^noctuvigilum prin-
cipem" ^\
Praeter Alexandriam oiyitatem Graecam inscriptio illa testatur fdisse
Hermupolim magnam; eadem est ^ Ilrolsfiarxij nöktg^^ quam Strabo
maximam dioit Thebaidis urbem neque Memphide minorem, Hxovaav
xcci (Tvarfjfta nohrixdv iv rtp 'EXlf]vix(p rpönq)^^, El tribus enim
oppidis, quae Hermupolis vocantur, et parva in Delta sita et magna
exadversum Antinoopolim a Coptis Sohmoun vocantur^^; tertiam in
Thinitico nomo Psoi vocant^^; eodem in nomo GL Ptolemaeus urbem
habet ,yIlToXefiaig ij 'Egfieiov^^, unde apparet urbem 'E^fieiov s. Psoi
vocatam Ptolemaeos in Graecam civitatem mutasse, quae privilegüs
beneficiisque ita mox floreret, ut vel maximis Aegypti urbibus haud
postponeretur. Ptolemaeus Soter condidisse eam videtur^ nam ut Alexan-
driae regum sacerdotes omnium inde ab Alexandro conditore in monu-
mentis tanquam kndiwfioi recensentur ^®, sie sacerdotes qui Ptolemalde
sunt Ptolemaeorum ^^ inde a Ptolemaeo Sotere memorantur^^.
[23] Civitates nescio an plures fuerint Graecae. SicNaucratis, quae
inde ab Amasis aetate Graecorum sedes, mercatura copiosa florentissima,
*<> loBeph. [tom. IV p. 177, 165, 245, 225, 261] antqq. XrV7, 2 bell. lud. XVIII
7 etc. cf. luven. I 130 [Inscript apd. FeUows Lycia p. 116 in dem Delta des Xan-
thu8 gefunden |TT]OC[EI]AÖNI | EYXH | MAYCÖ | AOYAAABAPXOY [C. I. Gr. III
4267]. " Edict. Tib. Alex. 1. 83 [C. I. Gr. III 4957]. " Stiab. XVII 792
Gas. Addi potest PhUonis testimonium, esse nävie fioiQag rifg nölaiog intorvfiovg
tChf TiQünay tnoixeUav trjg ^^^^^aju^arov <p(i}y^gf quas alii sie interpretantur: ÄU-
^apöifog BaaiXevg Tivog Jiog ^tcxurev. lul. Val. p. 87'». " Strab. XVII
p. 718 Gas« ^^ altera apud Aini in Hammer Fundgruben des Orients IV
p. 422 Yocatur Eschmounain. ^^ unde ^tg Hecataei apud Stepb. Byz. pro-
fectum. ^^ inscr. Ros. 1. 4. Boeckh Papyr. p. 4, 9 etc. ^^ Non Deorum
regum, sed dtpTjQcaiiofidyoiv ut videtur. ^^ v. Kosegarten Jakrb, für tnss,
Kritik 1828 p. 709.
374 ^® Lagidanim regno
nomi metropolis non }iabebatur^^, puta quia 6raeca6rat^ Ob eandem
enini causam nomi a Menelao florentissima (Ptolema^i Soteris) urbe
vocati metropolis erat Kanobns, qua« ciTitas Lagidarum aetate ad ulti-
mam fere miseriam descenderat, nt Hierooles, qui Menelaum sedem
episcopalem yidit^ ne nomen quidem metropolios, quae olim faerat,
memoret^^ Eadem ratione circa Alexandriam nomus ab Hermapoli
parva vocatos. Quod Thinitici nomi Ptolemaeus Ptolemalda foisse dicit
metropolim, nostram sententiam redargueret, nisi constaret nrbem fiiisse
veterem (Psoi) Jixo^^^'^ ^^^ <Tv(ni]^a iv 'ElXijvixw TQÖnq)^ L e. praeter
vemaculos incolas eandem habuisse Graecam coloniam et ciTitatem.
Simile quid de Arsinoe dicas ad Moerim lacum sita, quae cognomi-
nis nomi metropolis ^^ fortasse nomine tantum a Grocodilopoli diffiert,
quam alii dicunt eiusdem nomi metropolim^^, sive ,,oppidam hoc
aquosum^' Arsinoae nomen ab aedificationibus üs locis Arsinoae re^ae
conditis, sive post coloniam Graecam deductam et sjstema politicum
Graecorum more institutum accepit^ ,,Arsinoitae duo sunt; quidam no-
mina permutant et alios substituunt nomos, ut Heroonpoliten, Grocodilo-
poli ten"^^. Alterum igitur Arsinoiten alio nomine Heroonpoliten Tocant 2*,
qui secundum Ptolemaei canalem ad rubrum mare adscendit; nam cum
Arsinoe emporium ab altero Ptolemaeo conditum vere Graeca esset
civitas metropolim fecerunt, Heroonpolin, quam inter antiquissimas
Aegypti urbes fuisse Stephani Byz. testimonium probat: olim eins nomen
Aifiog fuisse, quia Typhon fulmine ictus sanguinem hoc loco efiudisset^
karl Sk i] nöhg Aüaoiq xaru rijv &Bokoyiav üvcoO-bv Twpfjüvto^
— ovTG} xakovfiivrj än6 rivog äQxcciaq &BoXoyiag (Manethonis sunt
verba). TJnde Auarim et Heroonpolin eiusdem urbis nomina esse ajv-
paret°, pastores enim isti victores Typhonii sunt^*, quos Sesostris, ut
Osiris et Horus Typhonem, depugnavit.
[24] Ceterum colonias Graecas in alias quoque civitatis Aegypti
potissimum inferioris deductas fuisse, ut alia documenta omittam, Sera-
^' id quod minus recte Plinius dicit V 9 quem contra vid. Mannert X 564
[de Graecis ibi xaioixoig v. Polyb. XXVIII 17, 11]. «<> v. Mannert 1. c. Ce-
terum ob illam etiam causam fabulam notissimam de Canopo Menelai gubematore
deque Menuthi eius coniuge fide indignam esse vides; sed sunt qui veram patent;
num Pelusium quoque Graecae originis et a Peleo AchiUis patre conditum? Am-
mian. Marcell. XXII 16. " Paus. I 7. " Plin. V 9. " Plinii sunt verba.
'^ Strabo nomen vocat 0aYQG)Qi6noXuf quod nomen ni fallor a Toce Gopt. ckrtMr
(ranae) derivatur y. £xod. 8. ^^ Diod. I 53; saepenumero enim regem illum
fabulosum priscae dodecarchiae successorem humanum cum Osiride deorum XII
secundi ordinis quasi successore ita confundi vel potius commutari in libello de
Psammaticho et Dodecarchis scripto [quod mansit ineditum] probare studid.
Ptolemaeo VI Philometore rege 375
pis iUe Canopensis band ambigue docet. Quae vestigia boc loco baud
persequi satius duxi^^
§15.
Militare supra Lagidarum regnum nominabam; militarem igitur
rem amplissimam validissimainque faisse credis. Quam ut accuratios
exponam copias quas Sosibins maior adversus Antiocbum III. eduxit,
recensere visnm est*. Sunt enim auctore PolybioM
3000 Tov xakovfjbivov nagä roTq ßatriXevaiv äy^jficerog, 2000 nekra-
(TTccL 25 000 fi (füXuy^. 8000 fiia&ocpÖQoi ''EXk7]veg eodem quo pba-
lanx exercitio nsi. 700 iTtneig oi nsgl rijv aikijv. 2300 innetQ ol und
AißvriQ xal oi h/X(oQioi, 2000 innsTg oi änb rfjq 'EXldSog xccl
näv tö tcjv fiia&ofpÖQmv innicjv nXfl&og. 3000 KQflrsgf quorum
1000 NeöxQfjTsg. 3000 Aißveg alg tov MaxeSovtxöv tqötiov
xa&oi)7th(Tfievoi. 20000 U^akayyiTai rö rcHv Alyvnrioiv nXfjßog.
4000 0Q^xeg xal raXürai ix rcjv xaroixmv xal r&v kniyövtav^.
2000 0Q^xeg xal FaXarai ngogcpärcog imfrvvax&ivTBg.
70000 pedites, 5000 equit^s^
Quo in catalogo nürum est quod Macedones omittuntur, quos
milites faisse, quos in castris a cetera militum grege seiunctis habi-
tasse, quos ab Agatbocle, ut Ptolemaeum Epiphanem regem evocarent,
primos conciliatos fuisse, quibus quaecunque yellent ad regem ipsum
referre ingenueque fateri licitum fuisse* Polybium non uno loco habeo
testem. Macedones igitur, quam tunc temporis iis praestantiam atque
auctoritatem faisse apparet^, qua ratione expeditioni noUfiop (ni(pog
Tiage^ovreg adfiierint, ex Alexandri magni exercitus similitudine, quam
Lagidarum discipiina mirum quantum imitando consecuta est, illustrari
posse Visum est. Alexandri enim et equitatus et peditatus temis com-
positus erat parübus: [25] mercenariorum, sociorum, MacedonuuL Mace-
dones robora copiarum atque pro tota gente sub rege libera; rege
mortuo Macedonum opera atque consensu duces facti reges sunt^ Mace-
donum fide atque praesidio regia potest>as firmata et si quid periculi
immineret servata. Alexander igitur Macedones babebat YIII turmas
init^ig iraiffovg, nobilitatis florem*, dein rovg inaaniaxäg rdHv iraiQcov
^ Guigniaut Serapia et son origine p. 22 ffacitus ed. Bumouftom. V 1828).
* Polyb. V 65. * alteri xatoixoi ut Graeci, alten iniyopoi G-allorum*',
quos 'Ayjifoyog ug g>ikoc tov 0dadeX(fOV nqov^evai, nvjcoj iü<TJ6 int ^ia&^
<yx(fttTevea&at Schol. ad Call, in Del. 165. Wemsdorf hac de re minus accurate
Bcripsit; fortasse Ileqafi ^^? inifovrjg pap. Lug. 0. 10 ed. Leemana huc pertinet
• Polyb. V 79. * ei/op y«^ usl xrjv jotavirjif larjyogiav ngög lovg ßrtaiXstg ni
Maxsdoveg Polyb. * Harpocrt. voce neteiaigog cf. Curt. V I.
376 I^e Lagidarum regpio
s. nB^eraiQovg^ tres chiliarchias forma ferocitateque insignes^, scatis sa-
rissisque perlongis armatos®, a Philippo rege institatos, qni ad regis
tabemaeulum excubarent; ntrisque nomen ro äyrjficc r&v ixaiQayp pro-
prium ^^, sunt enim ex nobilitate Macedonum regisque quasi pares; acoe-
dunt fortasse oi &{)yvQÜamStq tres ohiliarchiae, armis fere üsdem cum
peltastis instructi^^. Ut hi nobilitatis, ita phalanges illae YIU plebis
Macedonicae sunt. Eandem habes Lagidarum in exercitu conformationein,
neque cum Schlossero consentiam, qui equitatum illum nobilem Lagidis
fuisse negat; nam 700 Uli equites ol nBQi rijv ccvkiiv cum Alexandra
equitibus irccigoig conveniunt, 3000 Uli ro nccgä roTq ßatnkfva.v
äyfjfia ^^ cum tribus chiUarchiis nB^eraigoig, 2000 iUi nüraarai cum
argy raspidibus ; pro plebe Macedonica XXV miUa Phalangitanun aa-
benda. Tantum igitur abest ut omissi Macedones in Ulo catalogo sint,
ut 30 700 h. nomine eo contineantur.
Idem omisisse Pölybius videtur rovg (Tmfiarotpvlaxaqy quorom
saepius in eadem quae Agathoclis vocatur seditione mentio est Non }
sunt Macedonum cohors (velut )7,i] ßccaihxfj), nam unum de üs Aga- '*
thocles mittit ad Macedones oratorem. SateUites Casaubonus accuratios
quam reotius vertit, nam Aristomenes pauUo post regis pueri tutor, ;
nam Moeragenes Adaei ro€ knl Bovßüarov röre xa&%(rrafuivov [26] i
amicus, nam Sosibius rov nolvxQoviov SosibU filius, ex eo nomero
sunt^^ Hegum fuisse comites admissionalesve puto, ad quam rem honos
Ule r6iv &QXiG(o(jiccTO(fvlax(ov egregie quadrat, cuius Tocis vim losephns
minus recte percepit Andream nunc ä()Xi<TcoiJLccTo<fvXaxcc nunc top
äoxovTcc T&v acopLcnoffvXüxfov vocans^®.
§16.
Haud difficile est Ulo ex catalogo ut mercenariorum, sociorum.
Macedonum ordines enucleare, ita perpetuos milites modoque con-
scriptos distinguere. Polybius enim ad id bellum dxi rohq pLKT&offd-
^ Arrian. 114 Anonym, apud St. Croix p. 453, qui hos mihi locos pleroeque
suppeditavit ^ Polyaen.IV 3. ^ Aelian. tact. 12 Aman, tact p. 11. * Har-
pocr. 1. c. Demosth. Olynth. I § 7. *«> Arrian IH 1 1 Diod. XVII 1 10. " Aman
IV 24 Gurt IV 10 Hesych. Suid. £tym. M. b. v. Eusthatius: afijfia ra^/ua mnitar
xnl neiuv iniXexttop na(fa Maxßdoaiv non ab äyaa&at ut post Appianam Steph.
Thes. putat. ^' St Oroiz 454. ^* quorum in exexx^itu Selenc plerique
argyraspides erant Polyb. V 79 regia cohors Liv. 37, 40. *' t6 ä^f^fia ut
Lagidarum pedites ita Seleucidarum equites v. Appian. Syr. 82 Liv. 37, 40
Polyb. XXXI, 3; Letronnius ab Alexandre qui 6000 pueros Aegyptios deligi et
ad militiam Macedonicam edoceri iussisse dicitur, t6 ßaailixdy Lagidarum ufi^ua
originem ducere sine idonea causa mihi putasse videtur. ^^ Polyb. XV 32 etc.
^« loseph. XII 18 et 50.
Ptolemaeo VI Philometore rege 877
(}ovg Tovg iv ratg ä^w TtöXaatv AlexaDdriam convocatos et ^svoköyovQ
emissos esse^; nee non lustinus ^^magno ex Graecia conducto exercita^
pagnatom esse narrat K Sic ad II milia peltastarum III Libyain addun-
tur Macedonico modo armatomm, ad XXY milia phalangitarum XX
Aegjptiorum, ad Thraces rovg xarotxovg Galatasque rovg kniyövovq^
II milia oonscribuntnr. Item YIII milia Graecorum, III Cretensium,
II equitom Graecorom conducti sunt mercenarü, qoi iUo saeculo facil-
lime comparabantur^ Quocontra XXY milia phalangitarum ceterique
Macedones mercenarii xärotxoi videntur esse. Qui militarunt Aegyptii
non pertinent ad duo illa Tß>v fß.axifi(ov yivBu, de quibus Herodotus
multus est; et qui in inscr. Bos. vocantur fiäxifioi non ex illis familüs,
sed eadem XX milia ro r&v Alyvnriajv nkfj&og sunt, quorum in
catalogo mentio est. Nam ubi res in periculo esse coepit, quicunque
arma ferro poterant ex quibuscunque familiis ad militiam cogebantur;
id quod a primis Lagidarum temporibus factum est. Ftolemaeus enim
Soter in pugna ad Gazam commissa Macedones, mercenarios, Alyvn-
Ttcov n?.fl&og rö fiiv xofit^ov ßiXfj xal rijv äkh]v TtciQaaxBvtjv, rd
Sä xce&conhiTfUvov xal npög (iccxw ;^(>;)ö'«jUOf' habebat*.
Equites Libjes et lyx(o()iovg^ ad illud bellum dixi compara-
tos, non perpetuos foisse. Num perpetuus Lagidarum equitatus 700
equitum erat? accedit, quod quanquam 700 iUi nepl rijv avXijv aiüae
regiae adscripti erant, ex aliis etiam praesidiis InnÜQxui in &v8q&v
memorantur^ Bes haec esse videtur: equites perpetui, aulicis exceptis,
per nomos dispositi, ne regnum praesidiis nudaretur, [27] educi non
poterant; ad augendum equitatum praeter mercenarios illis 700 aulicis
equites Libyes et Aegyptii additi erant Polycrate et turmis perpetuis
et supplementis praefecto. Yalde ab equitibus illis äyxooQmg s. Aegyp-
tiis differunt oi xüroixoi innatg, quos Letronnius minus recte Aegyp-
tios putat fuisse. Id quod non solum contra rem supra probatam, in
pace reges Aegyptüs copiis raro usos fuisse, repugnat, sed ne cum vi
quidem Tocis consentit; legitur in marmore quodam Oxoniensi xal r&v
äiXcov ^iv(ov xaroixovvTsg xal nagsniSfjfAOvvveg iv Jijkq)^^ unde colligi-
tur xaroixeiv et xärotxoi ad ^ivovg eos pertinere, qui in aliqua regione
sedem acceperint; Graeci in Aegypto sunt |äi/oi, id quod colligiturutexre
ipsa ita ex äyoQavöficp ^svtxcp^ ad quem Graecorum causae quaedam
referuntur. Unde apparet rovg xarotxovg inntig esse Graecos in Aegypto
1 Polyb. V 63. « lustin. XXX 1. » Polyb. XXIII ib. XXXI 25.
^ Diod. XIX 80. ^ iyx^Qf'OyJi verto Aegyptios ut f^afifiaia iyx^Q^^ ^^^
iyx^Qta etc. * Letronne p. 818 Peyron I 75. ' Sic Aristeas ed. Schmidt
15, 12 rez inqnit elg tfjv /oi^av xat(axi(yey iv Toig qiQovQioig.
378 ^^ Lagidarum regno
habitantes, addita voce xäroixoq^ ne cnm perpetuis i^KT&ocpögotg ol pua&o-
(pÖQOi 7taQeniSf]iJiovvTBQ et noogcpürcog kntavvax^hvxiq confandantor.
Magna, fortasse tertia^ copiarum pars Alexandriae tendebat non
sine Summa inter aulicas res auctoritate. „Regum amicos ad mortem
deposcere, bona locupletum diripere, stipendii augendi causa regis domum
obsidere, regno expellere alios, alios accersere veteri quodam Alexandrini
exercitus instituto consne verant" ^ Sic anno 201 seditione orta, Aga*
thocles, primum Macedones, ut puerum reginm regem rennntient» dein
rä Xomcc (JvtTTfjfAara convocat xccrä roifg Xoinovg hexkrjctatTfiovgy qui-
buscum omnes, qui kx r&v ävco argaroniScov Alexandriam convenerant
sese coniungunt; postremo civitas {t6 nXfj&og, rö nohnxdv yivog^ oi
nolloi) quid sentiant declarant Tä Xoinä {TVGTijficcra, quae Drumannus ^^'
urbis regiones esse putat, copiarum Macedonibus exceptis ordines omnes.
Graecos, Thraces, Gallos kmyövovg et xaxoixovg indicant. Qui militei
systemata efficiunt non pro aetate et armis et popularitate, sed ut for-
tuna quosque congessit; nam ubi duces rei militaris peritiores exercitnm
ad belli usum instruere iubentur, iiq&tov xccrä yivri xai xa\f ifhx/a^
SieXövreg äviSoGUV ixärrvoig rovg iTiirfjSeiovg xa&onhtTfWvg dhyfooi'^-
(Tavreg rcDv noöreoov avxoig vnuQx6vT(av etc. ^^
Ceterae copiae per totum regnum dispositae, in provinciis aut
praesidia oppidorum, aut praefectorum (röi/ aTQarriyöv) cohortes praeto-
riae, aut publicanis ad [28] tributa cogenda traditae sunt ^2. In ipsa
Aegypto suam quisque nomi praefectus [(TXQarir/og) cohortem vide-
tur habuisse; sie sacerdotes Philenses de magistratibus, qui insulam
frequentarent, conquerentes hos fere recensent: cxQuxriyoi xal krtt-
(Txüxai xal &i]ßaQxai xai ßaaiXixol yoc^fifiaxeTg xal hniaxcirat
(pvXaxix&v xal oi üXkot itQuypiaxixol nävxeg xal ai äxoXov&ovfiat
dvvdfieig xal ?/ kotTiij vTnjQema^^ [ol (fvXaxsg xoü Agaßiov ^lv^ov
Strab. II 98 Gas.]. Quibus a cohortibus, quippe stationi certae non
adscriptis, sed quocunque praefecti proficiscerentur äxoXov&ovaatg^\
diversa sunt praesidia ad limites custodiendos disposita; in Arabiae
confinio Pelusii, Daphnae, Arsinoae, in castellis montibus Arabicis sub-
iectis, ubi ex faucibus Arabum imminent excursiones, velut in castellis
Isiu, Muthis, Pescla aliisque Thebaidis inferioris stativa habuerint^*.
Omnium frequentissima xä ävco axgaxönsSa Aethiopibus praetenta:
in Ombitico nomo {oi ävta xönoi^^) aliquot cohortes coUocatae erant^"
» ut fuit Komanorum aetate Strab. XVII 747 Gas. » Ca^s. bell. civ. III
110. ^^ Schedae p. 33. " Polyb. V 64. »« loseph. ant. XII 180. »» Inscr.
Phil, apud Letronne recherrhes p. 298 [G. I. Gr. III 4896]. ** Pap. Taur. I 5, 28.
" Mannert X p. 393. »• Pap. Taur. I 5, 28; 3, 7. " ib. I 15 II 3.
Ptolemaeo VI Philometore rege 879
{oi iv ro5 Vfißiry taadöfievoi Tispol xai innetg xal oi äXXoi^^. Sed
ceteri quoque nomi sua quisque praesidia stativa habent^^, qnae ab illis
ccxoXov&ovamq cohortibus cUversa esse ideo putaverim, quod eonim
praefecti in inscriptione illa non memorantor.
Qaos significari Letronnius putavit bis vocibus: kniGrürai (pvla-
xiTöv {les episiates des corps charges de la garde du pays) ut fpvkaxTrai
sint nomorum praesidia. Sed quid tox &Qxi(pvlaxiT7]q^^ sibi vult?
iium ut olim inter Francogallos ,,legionarius Galliae primus^', ita inter
Aegyptios fuit primus miles praesidiarius? Veram viri illustrissimi
versionem esse nego, sed quaenam verior? Vim eaptivitatis, quae vocis
ffv)MxTrai nonnunquam est^^, quamvis in carceribus Aegyptüs saepe
magna hominum vis faerit**, remitto. Sunt enim in Aegypto portorii
tabernae et telonia, (pvXuxui vocatae**, (fjvlaxlrui igitur portitores
censualesque ; id quod ex Aegyptiorum more cum censuali quadam de
possessionibus [29] cura convenit; sie archiphylacites domum a sacerdoti-
bus quibusdam occupatam possessori legitimo reddere a stratego iubetur***.
Belinquitur mihi, ut quae de Lagidarum navalibus copiis tradan-
tur addam^. Bellum illud Syriacum cum iniretur, in mari mediterraneo
constratas naves XXX, onerarias plus quadringentas reges habebant^^
Caesaris aetate naves longae ad Pompeium missae auxilio fuerant, trire-
mes omnes et quinqueremes aptae instructaeque omnibus rebus ad navi-
gandum ; praeter has XXII erant, quae praesidii causa Alexandhae esse
consueverant, constratae omnes; quibus omnibus et reliquis, quae in
navalibus erant, incensis, cum Alexandrini naves omnibus Nili ostiis
custodiae portorii exigendi causa dispositas Alexandriam revocassent,
veteresque naves in occultis regiae navalibus, quibus multis annis ad
navigandum non erant usi, refecissent, paucis diebus quadriremes XXII
quinqueremes V confecerant, ad quas minores apertasque complures
adiecerunt^*. Ad hanc maris intemi classes altera minore maris Rubri
addita, Lagidarum copiae navales ut multo inferiores si cum Athenien-
sium Fersarumque classibus comparantur, ita regnorum civitatumque
aequalium classibus haud impares sunt^^.
^^ Inscr. ap. Letronne p. 77 [C. I. Gr. III 4859. 4860]. ^® sie nomi
Pathyritici inndifxVS ^ aydqcjv, sie Memphidis fpqo\jqoiqxoQ pap. Lugd. G, 2 ed.
Leemans; huc t6 (pgovi^wv cnius nomen interiit (in Pathyritico ut videtnr nomo)
retnlerim pap. Berol. 39. ^ sie pap. Par. in Jour. des Sav, 1828 p. 110; idem
Bignificatur siglo a^x^fp in pap. Lugd. G, 8 Leemans Taur. II 37. '^ Nic<«-
taa II 11 Polyb. V 38 oi iv laig (jpvXaxarg, '• Pahlin ancU, de Vinser. de Ros.
p. 66. ^ Agatharch. geog. min. I p. 22 Strab. XVII 815 Gas. Sic de pecania
mntno sumpta pactionem subsignat b (Tvififqatpofpvka^ contractam ini jjjc vnoxaib)
AfifKjpecjg (pvlaxijg pap. Lugd. 0, 30 ed. Leemans. " pap. Taur. I. *' Polyb.
V 68. *• Caea bell. civ. III 110, de bell. Alex 13. " v. Liv. 34, 28 et alias.
880 ^6 Lagidarum regno
Nihil de oeleberrimis illis Lagidarum navibus, nihil de elephanti
ad belli osuia instructis, nihil de essedis, de machinis annisque, quibu:
abnndasse dicuntnr, addere ausim; inter tot res incredibiles quae iii
Mansonis et Gillies libris enarrantur, Appiani conclamatom de liagi-
damm opibos locmn lubentissime missum facio, quanquam tantum abes%
ut fidem Niebuhriüs ei iure deneget^ ut aoouratissime kx x&v ßaaiXixerit
ävcf/Qccfp&v descriptam patem^
§ 17.
De Aegypti descriptione^ quia tota pendet rerom a<iniiiiistrati *.
paucis exponere visrnn est Initium anomis capio, quos a Sesostride
vemaculi sacerdotes, a losepho ^ Indaei institntos esse certatim narract.
OvTO) ff kxäXovv Alyvnriot rä^ diaiQiaetq rag xcrvä tu fuydkce t/%
Alyvnxov fUQf]^. Numerus eorum temporum decursu auctus videnir
esse; quem si Strabo ita describit, ut X Thebaidis, [30] X in Delta.
XYI Heptanomidis (debebat X Hept XYI in Delta) enumeret, aut de
primaria Aegypti in XXXYI nomos divisione cogitavit, aut locus corm^^
tus est; ad eam certe auctoritatem Peyronius descriptionem quae Lagi-
darum esset aetate non debebat revocare. Qua aetate haud dubium e^t
Heptanomidis s. Heptapolidis ^ Septem nomos hos fuisse^: Memphis.
Aphroditopolis, Crocodilopolis s, Arsinoe, Heracleopolis, Oxy-
rynchusy Cynonpolis, Hermupolis magna^ Ptolemaeus GeograpL
octavum addit Antinoopolitanum ex occidentali Lycopolitani parte cod-
fectum. Tribus nomis qui olim mediae Aegypti {xfjg fjLBra^v) fneract
Thebaidi addiüs, hae fere regionis superioris partes erant: Lycon-
polis*, Hypselis, Aphroditopolis, This, Diospolis parva, Ten-
tyris, Antaeopolis, Panopolis, Coptos, Perithebas, Pathyris,
Hermonthis, Latopolis, Apollinopolis Magna, Ombos, quihos
Romanorum aetate 6 negl 'EXecpavrivfjv xccl ^ikaq xal nagahar
tTjq iQvi^-Qäq &aldaai]g additur^*. Aegypti inferioris nomi qui
^ Diod. I 54, 78. ' Philo, de migrat Abr. 420. ' Proclus in Timaeum
I p. 30 Jablonsky opp. I 170 sqq. ^ Dionys. perieg. 257. ^ Teste Phoöo
Agatharchides <in6 jov Msfiqujiav äcrxeog eig i^y Gtjßatöa nirva numerat nomo»:
patriarchuB ille eruditus rem egregie turbasse videtur. ^ Inter LycopoIitanuxD
et Hermopolitanum Lagidaram aetate fuisse conterminom et portoria in eo conter-
mino Sita et Agatharchidae Strabonisque testimonia probant ' Liscript Dakkeh.
apud Peyron. I p. 71 [C. L Gr. III 5075]. Letronnius non XV sed XIV Thebaidis
nomos recenset, nomum Pathyridcam eundem com Perithebaico faiase pntans.
quicum Tochon d'Annecy p. 52 Buttmann p. 47 Beuvens p. 123 alii consentinnt
Peyron pap. Taur. 1, 52 decem tantum fuisse putat, id quod II 13 ita fete efiß-
cere sibi visus est: bis diversa nomina eundem nomum indicare ratos Thinitican
et Pathjriticum reiicit, dein Plinio auctore Latopolitanum et Hypseliticiun.
Agatharchide auctore Antaeopolitanum oroisit — ecee decem nomi. PeyroniuB cum
Ptolemaeo VI Philometore rege 381
[31] fuerint eo est incertius, quod propter hominom frequentiam, et
ob inundationes terraniinque natuiam descriptio saepenumero mutata
fuisse Tidetur. Lagidarum aetate hi fere fuerint: ab occidentali Cano-
pioi fluvii parte (Niphaiat) Latopolis, Gynaecopolis, Hermupolis
parva coi additur ager Alexandrinas, qoae Urbs malte post snum
sua qnae est subtilitate et eraditione si Thiniticum et Panopolitanum non
differre probat, equidem ad Ptolemaeum provoco auctorem fide digmasimum,
c|ui p. 107 in ripa oocidentali Thiniticum Ptolemaide metropoli, in altera ripa
Panopolitanum nomum esse narrat: Peyronias Ptolemaeum contendit Chemmim
metropolim omisisse, quo nomine vemaculo significari Panopolim ipsam metro-
polim idem alio loco probavit. Difificilior res Pathyritici est. Si duo nomina
plerumque res diversas significant, ut eandem putes significari gravioribus argn-
mentis opus est Audiaa Ptolemaeum: in ripa occid. vicum esse Pathjrim, .ad
Thiniticum nomum in eadem ripa situm versus septentr. pertinere. Quid? cur
non cum Perithebaico coniunctus vicus, cuius olim pars faissQ dicitur? Prodeat
Plinius; testatur sua aetate diversos esse Thiniticum et Pathyriticum, nulla
Perithebaici mentione. Ego dico negligentia omisit (ut saepe); Peyronius contra
quod Perithebaicus et Pathyriticus inter se non di£ferant. Aio si ex tot regionis
illius papyris utrumque nomen probatur ita promiscue adhiberi, ut verbi causa
vir idem eodem libello nunc Perithebaici, nunc Pathyritici nominetur strategos etc.
Sin minus, diversos puto Perithebaicum cum Diospoli Urbe ab orientali, Pathyri-
ticum cum Memnoniis ab occidentali Nili ripa. Paraschista quidam Diospoli-
tanus paraschistam in Memnoniis habitantem apud epistatem Perithebaici accu-
savit, quod in pactione non manserat, ez qua Diospolitanus liturgias quasdam
in pagis certis r^g Aißvrjg tav Ua&uQiTov xal Konxitov accepturus alteri Pathy-
ritico ex Memnoniis tradiderat liturgias in pagis certis jov üsifi&TJßag; accusat
Diospolitanus igitur apud epistatem Diospolitanum, qui rem ad epistatem Pathy-
riticum, unde reus, tradendam curat. Id quod mihi pro certissimo documento est,
diversos fuisse nomos ut ipsa nomina*. Utrumque nomum in ripa situm fuisse altera
ita verum est, ut Perithebaicus etiam Libycae regionis particulam habuisse videa-
tur. Nam in antigraph. Grey. est Svraßowovv iv jfj Aißwi tov HsQi&rjßag iv xoig
Meuvoveioig, in pap. Taur. VIII contra Memnonia sunt tov Ha&vf^iiov, Id quod
sententiam nostram refiitare videtur, sed videtur tantum. Memnonia enim cameran
sepulcrales sunt sub montibus Libycis satis longe extensae, ad quas domicilia
ty ToCg Msfjivovskng s. ne^l xa Mefjiyoveiä (pap. Berol. 40) vocata adiacent. Quae
sepulcra eximia sanctitate fuisse videntur, nam ex aliis nomis cadavera in üs
sepelienda mlttuntur. Urbs quae olim utramque ripam occuparat, cum sensim
dilaberetur et desolaretur et xtourjdov habitari coepta esset, quamquam ut utraque
nomum efficeret ripa reges (fortasse Lagidae) decreverant, sepulcra illa sanctis-
sima utriusque nomi incolis servari debuerunt Ita factum esse putaverim, ut
ager quidam ip xoig Mefivoveloig quamquam in medio Pathyritico situs ad ulte-
riorem pertineret Perithebaicum. Scripsimus Hn&vf^ixrjg cum leremia 44, 1 et
papyris cf. St. Martin Journal des savans 1824 p. 692. Qua voce lablonsky
Panth. V 8 § 5 „regionem meridiei" putat significari, est potius ab }L&vi} dea
derivanda ut rex ille Hsvxsaxvgig i. e. 6 xrjg ji&vQog vel ut Eratosthenes in cata-
logo dicit, leQevc x^g Ätpqodixrjg.
382 ^c Lagidarum regno
accepit nomum®. A Pelusiaci fluvii parte ocoidentali [32] (Tiarabiii;
HeliupoliSy Bubastis, Arabia (Phacusa metrop.), Sethrum cum
Pelusio ceterisque pagis maritimis, Heroonpolis s. Arsinoites. In
Delta Herodoti aetate hi feie nomi erant: Busiris, Sais, Cheinini:N
Papremis, Prosopis, üiospolis, Ophthis, Tanis, Mende>.
Sebennys, Athribis, Pharbaitis, Thmuis, Onuphis, A.IlTsi^.
Myecphoris; quocnm Ptolemaei catalogus ita dissentit^ at Lagidaran:
etiam aetate rem valde mutatam faisse probabile sit; sed de nomis ali-
qnando accuratius scriptoro rem integram relinquere liGeat\
lam ad partes nomorum transeo. Strabonis testimonium, .«nom^'S
plerosque in toparchias, toparchias denuo subdividi, particulas ultima?
esse aruras"** non ad politicam sed agrariam pertinere videtur divisioneiL
eamque antiquissimam: &q ov^l xal rbv i]fUr6oov 'EQfiijv &xoieu
Ti]v TB AYyvnrov eig J^fj^tv xai xh'jQOvg änaaav rsfitTv axoivq} rtf^
ägovQaq xarafierQovvrcc^, Politicam indicat inscr. Busirit, cuios h<
initium: üSo^b roTg und xdfjfjg Bovaeioscog rot? Ai]To[7toXer\rov . ..
xal ToTg iv ccvr[i}'] xaraystvofiivoig ronoyQafifiaravffi xcct xonfxoyomi-
fAccrevai^^, ünde Letronnius nomos in rÖTiovg, rönovg in xwuai
divisos faisse efficere sibi visus est. Sed in inscr. Oasitica [C. I. Gr. III
4956, 81] hie habetur personarum ordo: oi ßaciXixol yQafifuxrug xca
x(OfjLoyQafjifiaTtTg xai TonoyQUfxpLccTtig\ si ol ronoyQccfifjLareig ampliuri^
erant quam xwixoyQa^fiarug et territorii et auctoritatis, cor p<^t-
ponuntur, cur in xcjfiy BovatiQBtog memorantur? Putamus igitc:
xtAfiag esse oppida et pagos cum agris suis in rönovg, in vicos pra^-
diaque divisis. Praeter xc^fiag a scriptoribus memoratas^** has ex
papyris enotamus: ITciBcog xal lTi}i xai Ilfivx^^^^ xcofi&v rij^ Aißvi^
Tov KonriTov, IToevncüBcog rov Konrirov^^, xdfiij TQixaräPi;
Toi) Konrtxov^^, Ex Pathyritico xCj^ai rcDv MBfivovBtcjp^ xm
vvBG)g xai TvBfinafxrjvBoyg xai ^BnivnoaQ^ xai Ha . , , . xat
MB(T&ßo€^\ Ex Perithebaico: xcDfiai rß>v KBQafXBicjv xal Optovor-
xoi(pB(og xal FaßSl xai Jl^oirrißicovog^^^. äno rot) Köx^axoi
TOV naß-vQiTov fortasse xcüixijv indicat"; ad quem nomum 7} xmti,
KalXiS'*^'' pertineat nescio. T6noi fere hi memorantur»; to^to--
!A(TxXfjniBtog kv Mifi(pBt^^;TÖnov '4(TifjTog xakovfiivov ^QBxayi\
^ Epiphan. ad Haeret. I p. 69 ÄleiavÖQBonohgy ^g vofxbg etc. Nitrioticum
Strabonis errore natum esse probavit Mannert ^ Cyrillua Alex, ad IqL I
p. 30, 10. " Letronne recherches p. 397 [C. I. Gr. III 4699]. " Sexcentasa
Strabone, Ptolemaeo, Steph. Byz., aliisque Geogr. 0aa'oßv&ig Saidae a Stephanu
vocatur 08veßrj &ig tov IlavonoXliov. " pap. Taur. VIII. " pap. Paris,
apud Peyron II 53 ^ »♦ pap. Taur. VIII. " pap. Taur. VIII. " Peyrou
1. c. " pap. Taur. X. »« pap. Zoid.'
Ptolemaeo VI Philometore rege 383
mentionem facit antigr. Grey.^*% dein oi rdnoi IIvB(pB()Cü^y xönoi xal
oixta 'EQii(oq possessorum [33] nomina fenint^®, rdnoq BiTiyxi<i
Usrevefpcirov suo et possessoris nomine significatur^^^ Item rönoi
videntur €hvccßowovv^^, iv IlaxifAeij kv IJrovrBi^^
§ 18.
Cum illa Aegjpti in provincias, nomos, xcAfiag, rönovg divisione
praefectorum ofßcialiumque ordines convenisse haud dubium est. Sed
ex rerum quae memoriae traditae sunt paucitate, ex inscriptionibus
papyrisque saepe mutilis rerum publicarum rationem atque statum cum
Sit difficillimum enucleare et illustrare, quae ex iis et qua ratione possint
colligi ita exponemus, ut et quae dubia sint ingenue fateamur, et, quae
Sit in rebus bis errandi opportunitas haud nescii, ab emendationibus
subiectionibusque temperemus.
Primus igitur Thebaidis provinciae inter magistratus ö hniargdTri'
yoQ QfjßatSog est et is semper rcüv (rvyyBv(S>v. Romanorum aetate
cum et epistrategus Thebaidis habeatur^ et in templo Oasidis maioris,
quae Ptolemaeo auctore Heptanomidis erat, et in Sphingis colosso non
procul a Busiride, qui in Busiritanorum decreto a Caviglia descripto
Latopolitani nomi vocatur pagus, epistrategi nominentur, equidem nuUus
dubito, quin et Deltam et Heptanomidem inde a Lagidarum aetate
epistrategias eflfecerint Neque cur Letronnius unum ftiisse Thebaidis
eundemque Heptanomidis epistrategum putet equidem intelligo. lam
Alexandrum regem, dein Bomanos, ne unius nimia esset praefecti
potestas, regni administrationem inter complures divisisse auctor est
Arrianus^; ad regnum firmandum ordinemque rerum conservandum
civilium disciplinam illam atque obsenantiam praefectorum, quorum
curae aliquot nomi cum suis qui erant magistratibus traditi essent,
plurimum valuisse oportet. Erat epistrategi ut provinciam perlustraref^;
ideo sacerdotes quod Philas insulam strategi, Thebarchae, scribae etc.
celebrarent conqueruntur, omissis epistrategis, quos in provinciae lu-
strationibus, quas munus ferebat, venisse suo iure apparet. Venisse eos
inscriptionis Philensis initio IlroleficcTog 'HoaxleiSov kiiiaTQccTYiyog
OrjßatSoQ 1}l&ov probari possit, si ex Lagidarum aetate eam esse
accipias^; propter omissum (TvyyBvijg malim ex [34] Romana*. Omnino
^' Asies videtur dominus. Young contra: a place of tke Äsiatie aide called
Phrecages. •* pap. Taur. X. •* Keuvens 3 p. 56. •■ Antig. Grey.
" pap. Berol. 37. 38 •.
' Inscr. Memnon. apud Hamilt. Aeg. p. 175 [C. I. Gr. ni 4751]. * Arrian.
III 2. Peyron I 65. * HamMton p. 52. * Letronne p. 276.
384 ^® Lagidaram regno
cnram epistrategi sammam civiliam militariumque remm ftdsse pnto:
addi posse militarem iurisdictionem docemnr Hermiae Ute: Hennia>^
enim r&v ^yefjiovcov rot) 'Opißsirov de domo sua a choachjrtis occnpata
libellum ad epistrategmn mittit, a quo elg rö xqixijqiov ägxaa&'cei
iubetur etc.*
Secundum locum 6 axQaxijybq 0f]ßatSog tenet In inscr. Phi-
lensi sacerdotes regem orant rogantque awxü^ui tg5 . . . kni(nokoypd<fftf
ygdtpai Aöx(p x(p (rvyyevsT xat (Txgaxtjyia 0f]ßai3og, ne insolam magi-
stratus ii, quornm munus id non ferret, freqnentarent et exhanrirent.
Letronnius alterum id epistrategi nomen esse, Peyronitis' provindae
strategam epistrategi vicarium nt hodie dicunt praesidem secundum
esse putant Sed in papyris Taur. Phommus quidam intaxQäTfjyo^
xccl <TXQccxi]ybq QfißaiSoq Tocatur*, unde neque eiusdem muneris duc
nomina, neque alterum alterius sub auctoritate® esse apparet, sed itJi
tnter se differre, ut alter rebus administrandis, alter potissimum milita-
ribus rebus et iudioiis militaribus praefuerit. Ad Phommutem nostrum
sacerdotes quidam de pecunüs a Pathyritici publicanis vi exactis con-
queruntur, quo facto Phommus epistatem Pathyritici vim iubet arcere',
quae sententia strategi fuerit an epistrategi non liquet
Addi possunt oi ;^(>?;]U «Tiara/. Ptolemaeus Philadelphus, ne pro-
vincialium advocatorumque Alexandriae frequentia annona carior fieret
agerque colendus negligeretur, chrematistarum tribunal instituisse dici-
tur^®. Cui rei fidem non abrogaverim, sed, quod de Alexandria sola
dictum est, ad metropoles omnes, in quibus sedem praefecti Grraeci habe-
bant, referre malim; necesse enim erat, ut primis Lagidarum saeculi^
novo remm ordine, novis magistratibus, novis tributis, dissensionum,
iniuriarum, litium multae darentur opportunitates, et cum litigantibns
ut rem suam exsequerentur in legitima nomi, epistrategiae, regiae tribu-
nalia deinceps ambulandum esset, ager de quo agerent negligeretur
nimiumque in urbibus frequentia eorum qui comederent augeretur.
Ptolemaeus ideo Philadelphus sapientissime et iustissime, quam sapien-
tiam et iustitiam sunt qui ita admirentur, ut totam eam rem ad Pharau-
num remotissimam antiquitatem referant, quo ex fönte omnem in poste-
ros sapientiam atque rerum divinarum humanarumque [35] cognitionem
redundasse putant, Ptolemaeus igitur tribunal chrematistarum ita insti-
tuit, ut in epistrategia huc illuc migrans (praeside quem vocant elcray^
• pap. Taur. I 2, 80, 3, 15. ^ pap. Taur. V, VI, VII. Peyronius epi-
strategi nomen honoris alt augmentum esse. ^ Ita rem 0. Müller Oött. gd.
Am. 1827, 1550 ezplicat, epidemiurgis et demiurgis Potidaeensibus com nostris
comparatis (?). • pap. Taur. V, VI, VII. " Aristeas ed Schmidt p. S4.
Ptolemaeo VI Philometore rege 385
ysvg^'^ in singolis nomorum qni suae provinciae essent oppidis oistain
quam libelli conicerentur exposita^* forum agerent Calumniae prae-
Taricationesque nt evitarentur, in sno coiqae nomo ad eos res deferenda
erat. In papyris r&v änb rov HavonoXiTOv fiixQ^^ JSufivriq ;^()i?]LtaTioTä)v
mentio est^^; quae chrematistarum provincia non sine causa ab epistra«
tegia diversa ftiisse videtur: ne Thebaidis chrematistae XV nomorum,
Heptanomidis VII tantum cognoscerent causas, Heptanomidis tribunali
IV Thebaidis nomos adscriptos puto fuisse, ut utrumque undenos haberet;
id quod eo aequius fuit, quo tribunalia arbitrio epistrategorum minus
obnoxia esse debebant\
Epistrategiamm magistraübus addi fortasse 6 iniffrokoyQäipog
potest. Nam non tantum Callimachus hniaroXoyQcctpoq xal knl r&v
ngoadömv zov JlBQi&i^ßag fuit [C. I. Gr. III 4717, 24], sed in pap.
Lugd. 6 id fere legere sibi visus est Reuvens: (fordonner d Philocratea
le parent ei epistolographe de ^
§19.
lam in nomis similem quandam atque in epistrategiis fuisse
magistratuum rerumque publicarum discriptionem ex intima regni na-
tura coUigere mihi videor, ut epistrategis quorum civilium militariumque
rerum cura erat, ut Thebaidis strategis qui administrationi praeerant,
ut chrematistarum tribunali cum suo qui erat praeside, nomorum fo-
renses, administrandae, militares civilesque res cum suis magistratibus
responderent Quo strategorum, nomarcharum, epistatarum nomina,
addito saepe nomo, qua ratione pertinere mihi visa sint, paucis ex-
ponam.
Letronnius Bomanorum aetate quod in provinciis epistrategi, id
in nomis strategi officium fiiisse egregie docuit^ Sed contra viri
egregü sententiam, strategum legitimum nomarchae nomen esse, usus
ipse papyrorum repugnat^. Strategos rebus civilibus (ordine publice
custodiendo etc.) occupatos fuisse ex papyris docemur: sie Aeneas stra-
tegus a regibus iussus epistatae sui nomi, ut [36] taricheutae, quos
Thebis habitare religio erat, in suas circum Memnonia sedes remitte-
rentur imperavit; quos sedes urbanas non reliquisse Ammonis sacer-
dotes denuo pauUo post ad strategum novum deferunt^ Praeterea
" olg /97|t4aT«7rarf eia^fe (sc. dixag) Jiovvaiog. Peyron minus recte ovg cf.
0. MüUer 1. c. *■ ivsßals ^xev^tv elg t6 nqoxBd-kv vn nviup 01^7^^^*' P^P»
Taur. I 2, 5. " Peyron 11 9 sqq. " Pap. I. III,
^ '£}(f/iiag ovYfBPffg xai ajQcmjfbg xal vo^qx^g pap. Taur.; nomarcham a
Stratege non differre putarat Letronnius. ' Peyron I p. 122.
Drojsen, KL Sehriften O. 25
386 I)e Lagidarum regno
strategi ut copiarum in nomis praefecti forum agunt^ Grradum zfor
ci(>;^/(TöjjwaToqpüic^x€öv*, r&v nQcircov q>ihaVj r&v (fiXiov^ tenent. Her-
mias ille strategus et nomarcha Ombitici nomi avyyevf/g fuit*; in nomo
illo ad fines sito eadem ex causa praefectura militaris et civilis cum
rerum administrandarum cura coniuncta, qua vir summi gradus et
eximiae praestantiae electus fnisse videtur.
Unus idem Hermias est qui in papyris vocetur vo/j,üqxvQ', nomen
ipsum procurationem totius nomi ei fuisse indicat, eomque a strateg:
munere et a rerum militarium ordinisque publici cura diversam. Bebu<
puto administrandis (fortasse vemaculis cf. Arrian III 5) praefectnnL
Mirum est in catalogo illo magistratuum, qui Philas insulam frequen-
tarent, nomarcham non nominari^ Magis etiam miratus sum, Koman<>5
(teste Strabone) instituisse vnoarQaTi)yovq nväg voyLUQXccq xcci i&väo-
XccQ xaXovfiivovg, quam lectionem Gallica illa Strabonis versio secuta
est*; sed hypostrategorum nomen cum inter legitima sit', StraboEi>
locum cum editoribus plerisque ita legam: kniaT()aTi^yovg xctl vo/iäo-
Xaq etc. Sed quäle fuerit nomarcharum Romana aetate officium, cum tota
rerum administratio ad strategos trausiisse videatur^, equidem nescio^
Nomi epistatem quasi praetorem fuisse supra dixi^. Cui, si quis
eiusdem nomi civis ab alius nomi cive accusatur, nomorum strategi m
inquirendae copiam faciunt; consilio cum assessoribus (o/ avpLnagcvth;)
habito pronuntiat sententiam (;^(>?y/tA«ri(T/idij, etnafiev s. Suaretkdfi^&ctY
reum, ut poenam solvat, ad nomi eins unde accusator remittit strate-
gum^ Non eiusdem omnes epistatae ordinis [37] erant; Peyronius
plerosque riuv d()xt(Trji)fiaTO(pv?,(ix(ov et r&v TtQt&rcov fpiXwv fuisse ex
8 Peyron I 69. * Letronne rech. p. 345 fC. I. Gr. III 4893, 4]. » I^p.
Lugd. 4, 68, 73 [A. Iss. B. 3, 2 etc., ed. Leemans]. • Strabo XVII p. 795.
' Pap. Lugd. 7 [A, 83 88. ed. Leemans]. ^ Rudorff über das Dekret des
Tiber. Alex, Rhein. Mus, 1828 Heft 1 p. 76. » Pap. Taur. I Peyron
I 53, 72. In pap. Taur. VIII paraschista quidam Diospolitanus apod Her«*
clidcm Perithebaici s. Diospolitani epistatem Amenothem circa Memnonea
habitantem accusat; pap. Taur. IX iudicatur anno 52 Eaergetiie II. Hvolf-
firiiov jbiv TiQfjJTCjP (piXoiv xai iniajaiov tov .... xai avfinaQOvtuv .... In pAp«
Taur. 12, 23 et 34 Ptolemaei tov röre dnifnftiovvxog mentio est (anno Eo^i**
getae 53 mensc septimo). In Perithcbaico autem nomo annis 52 et 54 Heraclides
fuit epistatcs; Ptolemaeus igitur Perithebaicus haberi non postest Paraschista
rcus in Memnoniis, quae maximam partem Pathyritici sunt, habitabat. Ut igi^
Hermias ex Ombitieo nomo epistatae Perithebaici, quo ex nomo eins adversani
erant, rem suam in iudicium deducit, ita paraschista Diospolitanus rem suab^
ad Diospolitanum s. Perithcbaicum epistatem, qui ad Ptolemaeum epistat^^
Pathyritici, unde reus, eam tradit iudicem. Lacunam illam ita ferc expleverim :
tni Jlrolefiniov j(üv ngcjicof iplXoy xai tniatdtov tov JTa^VQitov xai innaf^X^ ^
apÖQüjv, avfjLna^6vib}v etc.; lacuna longios esset supplementum : xai ini tar^ff^
Goötav xov yofiov*.
Ptolemaeo VI Philometore rege 387
multis illis quos Lutetiae vidit papyris collegit^^. Inter epistatas unus
est Pathyritici idemque hipparchus he xCjv neQi ccvkijv Siuööxfav, quae
auctoritas minor minorem nomum fuisse probare possit. Ceterum vox
änKTTÜrrjg ut non unius significationis, ita in Aegjpto praefectis diver-
sissimis est * Letronnius inter militares epistatas praeter röv knKTrürriv
(pvXaxiTcjVf de quo supra, alium recenset ex hac inscriptioue [C. I. Gr.
III 4698]: !AnoXköSci)Qog !AiTOV r&v ngtoxcov (piX(ov 6 kni(nürijq
xcet YQafifjLatavg r&v xaroixcjv lnni(ov\ esse eum epistatem r&v xaToi*
xcov tnne(ov\ id si verum est, cum vox kniaraxijq non temere ante
y()cefAfiaTBvg ponatur, idem foit praefectus equitum et soriba, idem ra-
tionum custos et auctor; equidem nudam vocem imffrürrjg ut in inscr.
Philensi ita nostro in titulo nomi epistatem significare pulaYerim\
§20.
Ex ceteris nomorum magistratibus hi fere memorantur:
1. Scriba regius** {6 ßccmXixdg yQccfifiarevg), quem totius nomi
fuisse et ex additis nomorum nominibus coUigitur^, et ex edicto Capi-
tonis, quo oi ßccGiXixol y^afificcreig xai xcjfioyQafifiareig xal rono-
yQafifiareig nomorum sumptus etc. in Codices expensi referre iubenturl
In causa Hermiana testimonium rov xcjfioyQafifiaricjg xccl xonoygaii'
fiaricjg choachytarum esse casam, contrascribendum et ad chrematistas
remittendum scribae regio fuit, qui de incolarum familiarumve posses-
sionibus Codices commentariosve publicos secutus esse videtur. Inter
administrationis in nomo curatores (venia sit verbo) a comnientariis
eum putaverim; Peyronius putat praefectum praediis regiis et libello-
rum de possessionibiis fandisque contrascriptorem, ne regum praedia
laederentur.
Nomus suum quisque knl x&v ngoGÖSoav habet, cui quäle fuerit
officium nomine ipso accuratius quam exemplis edocemur; plerumque
enim cum muneribus [38] aliis nomorum quaestura coniuncta; sie Hera-
clides epistates Perithebaici xal knl tcjv ngoadScov roi) vofiov^, sie
Callimachus avyyevrjg xal kni(noXoyQa(pog xal knl r&v ngoadSatv rov
mQidi]ßag\ Sed vide infra § 24.
lam addo Agoranomos^ De possessione quadam inter choachytas
et ApoUonium lis erat; res tandem convenit, pactionemque agoranomus
Perithebaici nomi consignat^ Paraschistae duo de locis utrique pro-
" Letronne p. 310.
* Hamilton Aegypt p. 174. ■ Edict Capit 1. 31 [C. I. Gr. III 4956].
» Pap. Taur. I init * Stele Taurin. apnd Peyron I 51 [C. I. Gr, DI 4717].
* Pap. Taur. IV.
25 ♦
388 I^e liagidarum regno
cnrandis pactionem fecerant Siä rod kv tfji Jiognöi^ ^Bvtxov Ayogceva-
fjLiov^. Pactio alia de fnimento credito ^i^ /ItognöXei rp fieyäXp Tfjg Ot^ßctt-
SoQ kni Aiovvalov äyogavöfjLov rod üeQi&^ßag^y alia kv 'Egfiiov&ei tov
Ucc&vQirov Tfjg 0f]ßatSog Itp 'EgpLiov äyoQavöfwv^ confeota est. S^vt^
x6v Yocator äyoQavöfAtov, quia Graecoram {^ivayif xaroixaiv) potissiiniiin
in usum institntum fuit Sed Aegyptüs quoque Graecormn more ajmd
agoranomum pacisci licebat, qna venia ad Graecoram sermonem con-
suetudinemque magis adsuescerent Quod consilium ea potissimum re
adiavabatiir, quod haec paciscendi ratio minus lenta longaque erat.
Nam pactiones enchorice scriptae , at auctoritatem haberent^, ad telc»-
nium proferri, a trapezita subsignari, ab antigrapho contrascribi, et post
Philometoiis aetatem a rw ngog tq5 ygacpitp denuo subscribi et in
Codices referri debebant, Graeci contra libelli sola agoranomi subsciip-
tione snam habebant auctoritatem ^. Quid de äyogavo^u^ r&v M^ljivo-
V6ict)v) xai rf]q xärca TonaQxlctg tov naß-VQirov^^ ^ quid de ^AanXtr
niäSrj TM nQoxexB{Qt(TfiBV(p Ty yBOD/isTQt^ dicam^^ equidem nesdo.
Cum militari illa regni discriptione, cui rerum civilium ordo, cui
administrationisy cui iurisdictionis respondet, stativam copiarum per
nomos dispositionem convenire consentaneum est. Sunt igitor sub
epistrategorum imperio praesidia praefecturarum, sub strategomm im-
perio nomorum; omnino regni ratio ita a re militari pendet, ut civilia
quoque officia saepe centurionibus primorum ordinum tradantur; sie de
nomorum epistatis alii sunt hipparchae ^*, alii scribae militares^^; sie
inter epistatarum adsessores omnium ordinum centuriones. Quos dic<>
ordines hi fere sunt: post epistrategos strategosque primi oi innäQ-
Xcci s. Ol [39] innägx^'^ ^^' ävdQ&v s. ot i%l TdyfjLOTog infido'
Xcci hii ävSg&v^^j quos singulis equitum turmis praefuisse nomen
docet. Dein ol rjyefiöveg s. oi riyBfjLÖveg kii ävSg&v^^j quos ^
ditum centuriones hipparchis inferiores fuisse puto; nam Hermias
Tdjv i]yBfi6v(ov absente stratego ad nomi hipparcham petitionem
suam tradit. Addo Tovg tpQovQdQxovg^ quos in Aegyptüs urbi-
bus praesidiis praefuisse papyrus ille a regibus Memphim missus
probat ^\
• Pap. Taur. VIII 6. ^ Pap. Paris. 3 teste Peyron I 73. pap. Lugd.
8, 4 pap. Anast et St. Martin Joum. des Savans 1S22 p. 567. * y. pap.
Taur. I 4. 14. » Peyron I 73. 156 sqq. " pap. Anast [Lugd. N 2, b\ for-
tasse altera Pathyridci itYOQnyoftia y quae Hermonthi erat superiorem, altera in-
feriorem nomi partem continebat. ^^ pap. Lugd. 8 [L 2, 3 ed. Leemansl.
" pap. Taur. II Paris. 7 [Par. XV 1, 2]. " Letronne p. 313 cf. Curt. VII 1.
" Pap. Taur. 11, VII. " Peyron I 70. " pap. Lugd. 6 (G, 2 ed. Lee-
mans).
Ptolemaeo VI Philometore rege 889
§21.
Suos quaeque nrbes, oppida, pagi, vici praefectos officialesque habe-
bant; sunt quidem qui ad civitates omnes Strabonis [XVII p. 797] verba
haec pertinere putent: r&v kntZfJOQtcov &qx6vtcov xaxä jtöXiv fx^v
ö TB iifjyrjTyjg i(TTi, 'Ix^v .... ^TitfjLikeiav rcjv zfj nölai XQV^^lJ^^'^i
xai 6 vTtofjLvrjfiaroyQd^og xal [ö] ägxiSixaaxriq^ riragrog S^ 6 vvxxb-
Qivöq (TTQarfjyög; ut omnes disertius indicarentur civitates, vv. dd. xarä
Ttökeig scribi iusserunt; sed solam Strabo Alexandriam respicit^ Quos
Terios inter mnnicipales (venia sit verbo) magistratus referre mihi videor,
hi fere sunt.
Thebarcham, cuins in Philensi inscriptione mentio est, cum
Thebaidis stratego band differre Letronnius minns recte dicit; neque
enim vocis fonna ad praefecturam redit (Thebaidarcham diceres) et
nominis inter ceteros magistratus locus non post nomorum strategos
epistatasque esse posset; quin strategus Thebaidis strategorum, epistata-
rum, Thebarcharum etc. adsiduitatem coereere eo decreto iubetur. Ipsa
potius vocis conformatio Thebarum urbis praefectum Thebarcham fnisse
docet^
Ut Thebarchae Thebis ita ethnarchae (Herodoti di^fiag/oi HI 6)
singulis civitatibus vel potius, quia civitates Aegjptiis non erant, unius
oppidi gentibas {ü&vsffi L e. sectis familüsque) praefoisse videntur; haec
enim sunt in Capitonis edicto verba: ßovXofiai ovv rovg kd-vdQxccg 'iv
ra xfi fii]T()onöXei tov vofxov xai xaff ixäartjv xc6fif]v avrb ngoO-eT-
vai^\ Ab iis tov inKTTcirrjv rfjg xc^fitjg diversum puto, sed qua
ratione differat nescio^. Addi iis fortasse potest 6 vnoaTQärrjyog^,
qui nescio an Oraecus fuerit; vernaculis ex hominibus 6 nQSffßvrsQog
Tilg xdiiJLfjg eligebatur* Sequuntur oi knifiekfjTal tov TÖitov,
quos ethnarchas esse Rudorffius minus recte dicit ^; TonÜQXcci^ an
fuerint (sunt enim T07rap;^/ai) nescio. Qui sint [40] oi xcofioygafi'
fLaTsig et oi TonoyQafifAaTelg supra exposui, quibus fortasse 6
avyy Qaq>ocpv'ka^ addi potest®.
Ne omisisse quicquam videar, duo nomina, quorum qui sit sensus
atque ordo nescio, hoc loco addere videtur. Est enim inscr. Avaifiaxov
itttQidQov itQoaxvviiiJLa\ non addita honoris aulici voce aut Romanae
aetatis® aut minoris dignitatis homo fuit; cogitabam de vicario nescio
Guius archontis adsessore^ Per epistolam quandam nostrae Urbis in
Museo adservatam homo quidam {6 äv&Qconog) commendatur: esse fratrem
* V. Letronne Joum. des Savans 1822 672. * pap. Lugd. 4 [A. 3 ed.
Leftmans]. » ib. * ib [A. 33/4]. * Inscr. in Joum, des S. 1824 694,
RudorflFI p. 79 [C. I. Gr. III 4684 88.]. • Pap. Lugd. 2 [0; 30], ' Letronne
p. 76 [C. L Gr. lU 4898].
390 I^e Lagidaium regno
Tov fiBxä AvGiSoq kmarokoyQÜtpov; patrem eius bIvui kwccviha (for-
tasse Alexandriae) ntgl TltToaiQiv äevregevovTcc^
§22.
lam ex bis rebus quantum fieri poterat accuratissime desGripti>
id certe sequitur, ut Graeconim tot tantisque privilegiis, nt tanta illa
vi atque auctoritate tum aulae Graecae tum magistratuum Graeconmu
ut tauta per totam Äegyptum Graecorum bominum frequentia Graeci-
que moris et sermonis perpetuitate, ut tot oblatis, si quis Aegrptius
rebus Graecis se conformaret, commodis eximia quaedam fuerit oppor-
tuuitas atque adeo necessitas, ut Niliaca gens a prisca vitae socordia,
a priscis divinarum bumanarumque rerum angustiis revocari, ut indole
Graeca imbuti'ad altiorem, quam pro suae uaturae torpore atque tristitk
posse viderentur, bumanitatis gradum adscendere inciperent Mnltum
quidem abfuit, ut ex consilio reges Aegyptiacam rem ita angerent:
sed quacunque ratione suam firmabant potestatem atque dominatdonem.
praeter spem atque consilium Graeca barbaris regna pro eruditione atque
disciplina foere.
Ne quis contra dicat, ex altera parte Aegyptios, ut Graecum reg-
num vere firmaretur, a rebus suis divinis, a sacerdotum pietate, a
mortuorum, a sectarum sacris, a rebus omnibus ex Pbaraonum aetate
traditis revocandos fuisse, ex parte altera tantam esse patriae terrae,
tautam ingeneratae naturae atque memoriae in meutern humanam viin,
ut Graecorum bumanitas non tantum non evaserit victrix, sed barbans
devicta et quasi circumfusa tenebris misere mox exstincta sit Haec
enim ipsa ratio est, cur Lagidarum fortuna inclinaret: res Graecae
a patriis regionibus suisque quasi incunabulis remotae, a Diis suis, que«
Graecae indolis, bumanitatis, bistoriae dicas typos atque exemplaria alif-
natae, caeca ex tot [41] contentionibus laboribusque lassitudine, fostidio^a
rerum omnium saturitate, praematura post fervidissimam laetissimamqne
adolescentiam senectute confectae, maiorum virtutis priscique candorb
ne speciem, ne memoriam quidem a praesenti barbarae inertiae nativa
vi defendere possunt atque valent. Nili aquis opimantur et oblimantur;
barbara nocte consopiuntur atque torpescunt; regnum Graecum non
corruit sed marcescit.
Eadem omnium fuit regnorum Graecorum natura vel potius mors.
Sola Aegyptus, quae antiquitus bumanam formam cum bestiali con-
iunctam pro Diis colebat, ancipitem Graecae barbaraeque indolis formam
iis saecuUs ita prae se tulit, ut etiam nunc inter temporum omnium,
^ Museum Passalacqua Nr. 1563*.
Ptolemaeo VI Philometore rege 391
quae Nili limus obruit, rainam effodere miserum istud regni monstrom
possimus. Sed sunt fragmina^.
Ancipitem illam rationem iurisdictio prae se fert, quam et Grae-
cam et yernaculam faisse papyri Tanrinenses haud obscure docent;
nam praeter chrematistarum epistatanuuque tribunalia fora laocritae'^
agebant mere Aegyptiaca; cum putidissima quae Aegyptiorum est ob-
seryantia atque fAuvaionovifc ab accusatoris origine parentibusque
cognoscendis initium capiunt. Quae res ad eorum iudicium deferantur,
non traditur; privatas putaverim, iudicia enim publica Graecorum esse
oportet; quam rem firmare causa videtur Hermiae, qui lege de pol-
linctoribus eorumque domiciliis in medium prolata privatam mutare
in publieam studuit causam, ut vemaculos iudices devitaret et suae
gentis nanciseretur iudices ^
Eadem anceps legum ratio est; promiscue in causa Hermiana
leges patriae (oi rfjg x^Q^^ vöfioi) regiaque edicta {rä nQOfTrayfiara)
afferuntur, quae illas non tarn supplent, quam discrepant cum iis atque
adeo repugnant. Edictorum, quippe a regibus vitae necisque dominis
profectorum ut summa est auctoritas, ita Osiridis, Sesostridis, Bocchoridis
leges et instituta cum intima gentis natura sie coaluerunt atque con-
sentiunt, ut quasi ultro observentur, novis istis edictLs non semel post-
habitis. Lagidis laudi tributum est, quod passim edictis (piXccvO-gdtnoiq
promulgatis^ aut certa quaedam actionum litiumve genera abolebant,
aut quaecunque quaestiones penderent, opprimi iubebant; quod repug-
nantiae illius, quae ex ipsa [42] regni natura prodibat, remedium ut
proximnm et levissimum, ita proximi tantum fructus levissimique
momenti ut quicquam efElceret quo frequentius repetendum, eo ad
ipsarum legum auctoritatem aptius erat perfringendam. Sed rem mit-
tamus obscurissimam. Peyronius bis fere principiis Ptolemaeum Soterem
regnum instituisse putat: „Aegyptii suis ex legibus et institutis vivunto
exceptis iis rebus, quas edictis nostris instituemus. Graeci iis legibus
iisque tribunalibus utuntor, quae constituemus. Aegyptiis Graecorum
tribunalium legumque usus esto". Sed de ipsis bis edictis, privilegiis,
exceptionibus, quibus regni conformatio aUiue, ut ita dicam, domestica
continetur bistoria, fere nibil accepimus.
§23.
Publicorum redituum sumptuumque quae fuerit ratio hoc mihi
loco scribendum esset; sed de sumptibus publicis ita nos documenta
» Peyron 1 168. * 0. Müller Qött gel. Änx, 1827 p. 1598. » Pap.
Taur. I saep. Inscr. Ros. 12: TtetpiXayd-gümrjxB I 14. xai tov^ iv aixUtig oring in
ixolXov XQ^ov (tniXvfre jüp ifxsnhfi^vfay.
892 I^ Lagidaram regno
deficiont^ ut si quid certi operaqne digni enudeare staderem, openin
luderem •.
Reditus igitur publici** (sive regis, regis enim et in rege rt-
omnis publica est^) Ptolemaei Philadelphi aetaie 14 800 tal. et 1 500 OCN>
artab. frum. fuisse dicuntur^. Ptolemaei Auletae aetate 12 500 taL
rediisse ex tabolls nt videtrir publicis testatur Cicero^, quam deminu-
tionem post tot provincias amissas iosto minorem polares, nisi Tectiga-
lia tribntaque reges conferenda immodice amplificassent Talen ta ce-
teram Aegyptiaca videntur, qnae cnm Atticis tantom non oninibn>
numeris conveniunt; quocontra 8000 illa et 16 000 tal., quibus Coeles^v-
riae tributa conducebantur, aut Ptolemaica^, aut x^Xxov rüXccvxa ess^
pataverim^, qnae in Aegjpto valoisse non papyri tantum docent, sei
Polybii est testimonium, fihodiis post celeberrimum terrae motam aDDi<
215 Ptolemaeum Philopatorem Aqyvqov rdkavra TQtaxdaice xtxl x^^-
xov vofAitTfjLaTO^ TuXavxa ;if/Aia pollicitum esse®; accedit qaod ^ vtTftixi
quoqne x^^ov talentis condacebatur ^
1. Latifnndia regia etc. Antiquitos ager omnis inter sacerdotes
reges, [43] milites divisus erat ® aut potius immunem sacerdotes milites^
que band vendibilium agrorum possessionem babebant®; opificibns quoquf
et agricolis fundos possidere ücebat^^, neque vero inmiunes erant'\
Lagidarum aetate templa quidem suos agros habebant^', sed militum
qui olim fuerant agri in regum possessionem abiisse videntur. XJtot re$
est, Lagidis permulta fuisse latifundia dominiaque directa nemo negabit;
sie ager ille Diospolitanus, qui /; ßaaihxij QVfif]^ vocabatur^', sie insula
illa palmetis celeberrima, cui nomen Taßivvt}^* fuisse videtur, sie
piscandi in Moeride lacu ius^^ etc. Regia item metalla, salinae, similia:
sie Ophiotis insula topazitis uberrima^®, sie auraria Aethiopibos
finitima^^; sie regüs sumptibus ad maris rubri litora, qui elephantos
venarentur, ablegati fuisse videntur^^^. Mercaturae quoque cum genti-
^ Diverses regis et publicos putavit Pahlin ad inscr. Bos. p. 53. * HieroiL
in Dan. XI 8. ' apud Strab. XVII; Diod. XVII 52 plus 6000 tal. rediisse
dieit, sed Cicero fide dignior. * Didym. Alex, apud May. p. 156. ^ In
commentario de papyris Berolinensibus quinque, novissimis bis diebus in Moseo
Khenano edito [Kl. Schrift. I S. 1 ff.J, computatione fiicta idem fere eflfeci, quod
diversa ratione Rcuvens: esse /ailxoi} lalavta = 200 d^ax- agfVQ. Äi^. » 227 \
ÖQttx. Ätxix, • Polyb. V 89. ^ pap. Zoid. Nr. 3. » Diod. I 72. • Herod. II
168. ><> id. II 109. " Strab. XVII p. 787. " Inscr. Ros. L 30, 31.
» Pap. Anast. LLugd. N, 10]. " Strabo XVII p. 814 Taßerrtjp, quam
Sozomenus III 13 Nicephorus IX 14 etc. vocant eam esse vocis sensns (copt
palmarum regionem indicat) probare videtur. Cf. Hesych. 2^ßeyyioy. ^^ Herod.
II 149 III 91. ^^ Agathar. de mar. rub. 54 Diod. lU 40 Strab. XVI p. 769.
" Diod. III 12—14 Agathar. 46. ^« Drumann s. Eos. Insek, p. 148.
Ptolemaeo VI Philometore rege 398
1)118 Indicis faciondae non privatis negotiatoribus arbitrium fuisse putave-
rim etc.
2. Pecuniae multatitiae. Si quis res hereditate acceptas non
tradidit conslgnandas, ut rijv änccQxnv (vicesimam hereditatum) et postea
ri^v .... ^;^xi^A<oi/ faciat, aerario regio decies mille drachmis multa-
tur^^ Pactio inter papyros est, ex qua alter, si conveutis non steterit,
damno pensando alteri 20 tal. x^^^^Vj regibus 400 UQctq Aqyvqiov
kniiT'ijfiov ä{)axiiäg (i. e. dsxärTjv) pensare iubetur^^. Ex alia pactione
alter alteri 30 tal. ;^aAxot;, regibus 300 ie^äg SQaxfiocg (i. e. Elxoaxiiv)
iubetur^^ Publicationibus exspectaveris frequentissime reges usos, neque
desant exempla^^
3. Vectigalia atque tributa*. Sunt et ägyvQtxd et airixä; sie
oppida quaedam aulae regiae cames, panes, strata, soleas etc. subve-
hunt^'; sie singulae templorum {rfig iegäg yfig) arurae frumentariae
artabani, arurae vinariae xBQÜfitov ry &qovq^ awrtkovGi^^^ sie xä
Uqu h^vfi T&v ßvatrivcjv ö&vtcav copiam Alexandriam subvehunt; et
ante inscriptionis Ros. aetatem slg x6 raXeaTixdv irätTtrowo^^j [44]
quod neque cum Fahlinio et Ameilhone mystagogiae pretium, neque
cum Drumanno collationes, sed riXog r&v xa&tixovaßv XBirovgyi&v
{XoyaTaiy xccQn^Ta etc.*®) fuisse putaverim. Ti]v aiXkrixfjiv dg xiiv vav-
TBiav Ptolemaeus Epiphanes Eucharistus sacerdotibus remisit*^^
In papyro quodam Parisiensi hunc catalogum habes vectigalium:
TQocpfjg, oYvov rekovg, SQaxfifjgj vtrgixTjg, rarÜQTTjg^^^ qui sit nexus
loci, nescio. Acerbissima est ij TBTÜQrrj (25 pCt.), cuicumque rei in-
iuncta fuit^ TQotpfjg riXog fortasse knwvi^ Atheniensium respondet;
oYvov rikog (ut videtur ex vindemiis) in tanta vini Aegyptiaci cele-
britate*® fuerit quaestuosissima. Aga^fJ^^lg fortasse cum ixcczoffrfj^^
comparari potest; quid fuerit, nescio. Nirgcxr) ut T6Ta(>Ti? pecuniam
impositam, non ut oiVot;, TQOtpfjg rem cui imponatur, significat; nam ex
*» pap. Taur. I 7, 13. ■<> pap. Taur. IV. " pap. Taur. VIII. " pap.
Zoid. 8. *' Aristeas p. 58 Athen. I p. 33. *^ Inscr. Ros. I 20 cf. pap.
Taur. Vn. ■* Inscr. Ros. 17 cf. Aristot. Oecon. II 25. *• Antigr. Grey.
" Inscr. Ros. 18. " Journ. des Sav, 1828 p. 484**. »• Sic Mareotides
albae Verg. Georg, n 91 Horat III 7 nummus apud Zoeg. p. 130 Sebennyticum
Plin. XIV 7 Vaillant bbt Lag. 215 Mendesium Clem. Alex. paed. 156 cf. Athen. I
33. Cetemm Psammetichi I aetate vitem in Aegypto coli coeptam esse nomen
quoque erp indicat , quod ex voce "Ef^ig (Sappho et Hipponax) derivatom esse
Tzeizes ad Ljcopb. 579 et Eustatb. Od. i' p. 360 testantur. Aegyptii contra vini
cultaram in Aegypto inventam narrant Drumann p. 163; immo mira illa Cham-
poUionis sagacitaa, ut solet, nomina omnia vinorum, phonetice addito erp in stele
qaadam Taur. ex Dynast. XX legere sibi videbatur*. '^ pap. Zoid. 8.
394 I^c Lagidarum regno
papyriß Zoidis, qui hac in re multi sunt, fylf^yjtv^^ Ttjg vtxQixK
fuisse videmus. Vocem ipsam non ex radice coptica, ut Letronnla-
Yoluit. sed a vixgov derivandam puto, quo ut in sexcentis alii^
rebus ^* ita ad condiendum et cibps^^ et cadavera Aegryptii'* uteban-
tur. Quod vectigal haud spernendi fnictus fuisse videtur, onus enin
ex publicanis, qui id conduxerant, ad pretium unius anni expierr
dum post diem legitimam solvit 11 tal. 4000 dr. /c^Axoi;. Quae v^
papyris Zoidis memorantur i^axoax^) et ixaroGTi) nedcio an tribuii
sigillaria, scribarum praemium etc. fue^int^
Praeterea roTg yf^v xul rixvaq iQya^ofiivotg^^ impositun
erat vectigal; sacerdotes quoque pro suis quae erant XeiTovQytuig t:
agris decumam, Solarium, alia tributa pensitabant; ne venditiones qa-
dem sine tributo, emptor dxo(Fn)v^ post [45] ultimum Euergetae annuni
SexÜTfiv fyxvxXiov pretii solvebant. Hereditatem adeptus r^v otnctQ^tj
pendebat'^ Omnibus omnium possessionibus tributa imposita.
4. Portoria. De mercibus invectis exportatisque exiguntnr pur-
toria, eaque Alexandriae quaestuosissima^^, quod emporium ea aetate
mirum quantum commercii frequentia florebat, nam merces Indicae ad ;
quas permutandas saepe 120 navium classis uno die ex Myoshonn*' |
proficiscebatur, nuUo anno imperii Bomani minus IIS quingenties ex-
hauriebant^®. In ceteris quoque maritimis oppidis portoria eiant
navesque portorio exigendo*"^; portoria item in epistrategiarum confiniis
sie 7/ vnoxuTM Mifitpecog qpvAorx//*"; sie i] fpv?Mxii 'EQpLonoXtrtxr, e!
0f}ßccixfi^^, iv ravTaig rßv ävw&ev xarayofuvmv hlqnQdxrovrai
xal xid-iaai rd TiXog^^\
5. Q^oQokoyiat, In titulo Ros. haec sunt verba: al vnccQxowtm
kv j4lyvnr&i TCQÖaoSoi xal (foooXoyiai, Tributa olim Atheniense^
{(pÖQovg, postea (rvvrü^atg) iis civitatibus imperabant, qua» ab hostibu?
tuendi curam in se susceperant. Qui igitur in potentioris tutelam L e.
dicionem et arbitrium se tradiderunt, ex iis suo iure, quem penes cud-
que regimen est, tributa exigat. „Nam neque quies gentium sine armis.
neque arma sine stipendiis, neque stipendia sine tributis haberi possunt^
Atheniensium in dicionem se tradiderant civitates, civitatibus imperantnr
'* id est &tltjy/ig (attice txli'jreiv, 6xAo/ei^) recte i^X/ffffig ut inscr. Ro&
b^ (htriXdugj b^keXeifiera ^ ut inscr. Olym. Lyc. ^ Saf^eug Nouv, Annal, des po-
ya^ea V p. 43. " Pliii. XXX 10. " Plut de Isid. 32. »* Gran?iUe
an essay on Egypt. mum. p. 12. '^ Strabo XVII 787 n<p taime^ xnl ai n^o<ro-
doi avviifoyto tw ßnaiXei, »• Pap. Taur. I 7, 10. " Strab. XVII p. 798.
800. " Plin. XVII 23. »• Strab. 1. e. et II p. 98. 101 Cae«. beU- AI. 13.
*• pap. Lugd. 2 [O, ed. Leemans], *» Strab. XVII p. 813. « Agathar.
apud Phot p. 447 b.
Ptolemaeo VI Philometore rege 395
tributa; Lagidae non civitates, sed homines, sed capita in dicionem
redegerant, pecunia igitur in singula capita imponitur. Ad quam rem
liaad ea tributa redennt, quae venditibnibus, mercibns, opificüs, posses-
sionibus, agris etc. imponantur, et pro venia yictum quaerendi quae-
stumqne ei hac illa re faciendi conferuntur; sed ipsa corpora regum
sunt vivendique venia et tutela pecuniis mercanda. Id demum kTcixs-
(püXatov dicas, quod ut Romanorum ^^ ita Lagidarum aetate Aegyptiis
timpositum fuisse persuasum habeo. Sed an Graeci qnoqae fiierint
tributarii ambigitur. Nego Graecos milites, officiales, homines publicos;
quippe enim regiis stipendiis sustentantur^^ Sed dicat quispiam civi-
tates Oraecas^^ Stulte omnes, bis stulte Alexandrini fecissent, si tot
tantisque turbis ne immunitatem quidem evicissent. Nibilominus rem
integram relinquo.
[46] §24.
lam paucis mihi verbis r; r&v n^oadStov xccl cpoQoXoyt&v
Sioixfjaig illustranda est; qua in re tanU illa obscuritate, quanta
nuUo me loco alio excepit, fieri fere non poterat quin deciperer; semel
enim atque iterum rem impeditissimam adgressus no id quidem effeci,
Tit mihi ipse crederem verumque invenisse persuaderenu Sed quo er-
randi, eo veniae materia uberior.
Beditus aut ex regiis agris, metallis etc., aut ex pecuniis multati-
tiis, vectigalibus, portoriis, ex toto vitae privatae commercio, aut ex tribu-
tis in capita, in possessiones, in opificia etc. impositis redeunt 1. Agri
regii fortasse ut Bomanorum aetate ex parte a Sriiioaioiq {ßaadtxoTg)
yewQyotg colebantur^*; sed metalla etc. sumptibus ut videtur regiis exer-
cebantur. 2. Inter tributa &QyvQixccl xai atrtxal avvrä^eig^ erant;
pecuniariis saltem praeerat 6 olxovöfiog ßa<TiXix6g, factum enim
est ut pastophororum collegium rov nQog rf olxovofii^ r&v &QyvQix(üV
Tov Ila&vQirov repetundarum postularet, quo facto Phommus epistrat.
et strat Theb. epistatem Pathyriticum vetare iubet, ne ex pastophoris
pecuniae quae haud convenirent exigerentur^. Pastophori sunt sacer-
dotes, qui in pompis rovg itaerovg circumferunt^ et saepenumero
medicinam exercent^ Collegium accusat, tributum igitur aut capitibus
aut possessionibus aut sacris officiis impositum ab oeconomo regio exi-
gebatur. Ad quam rem probandam ex pap. Berol. frag, haec aflFero
verba: (oaavTcog 6 olxovöfjLog rov ßamMrog ävaygdcpBi sig q)0(}o'ko^
" Rudorff II 134 sqq. ^ Athen. XI 494 B. *» [Sane civitatea Graecae,
sie insula Giius Corp. Inscr. Gr. 2356].
> Edict Tib. AL 32, 11. « pap. Taur. V, VI, VII. » Zoega de obeliac.
p. 514 etc. ^ Dramann p. 158.
396 1^6 Lagidarum regno
yiag^. Ceterum eadem olxovofjucc bis inscriptionis Ros. verbis: eig ri
ßccaihxbv (TwreXovfiivojv significari videtur. Quomodo ai airixcei avt-
rd^Big exigerentur, traditum non est; nam 6 <jtQdxx(OQ et 6 Saxifia-
ffTi]g Tov iyxvxkiov än6 rov nenrcjxörog rov xeQccfjuov pecnniaLn
exigebant^. 3. Vectigalia atque portoria plerumque publicanis locaban-
tur*; sie rrjv virginiiv, cui 6 ^nifieXrjrijg ngog xriv äyXi]xß/iv tT^
viTQtxfjg praeerat, satisdatione interposita homines privati conduxerant-.
Vectigalia inl vQäne^av conferebantur, quod unum in singulis nomi-
telonium fuisse videtur. Ibi praeside trapezita xarct Sicr/gaffit
[47] publicani (TciöStfiyg) quam 6 &vxiyQaff%vg contrasignat pecuniaiE
accipi alio quodam loco probare conatns sum. '0 in\ r&v nporrv
S(ov rov vofiov rebus bis omnibus praefuisse videtur, ut et vecti-
galia elocaret, et redemptionum pretia exigeret, et scnbaruniy porütonufi
ceterorumque officialium specularetur negligentiam perfidiamque. Nihil
de codicibus et libellis dico, quae in teloniis habebantur, nihil de alü.^
ad alia vectigalia exigenda coUegiis, nihil de molestissima eonferend:
ratione, nihil de immutata exigendi ratione deque ygatpitp rov vofiof.
quod a Ptolemaeo Philometore ut pactionum etc. ävayQafpifV 6 sroc:
T^ YQU(pi<p faceret institutum esse Peyronius docuit Me taedet labori>
nescio an frustra suscepti.
§25.
Rebus Aegyptiacis enarratis priusquam ad ceteras Lagidamm
provincias transeamus de summa totius regni administratione eaqne
Omnibus regni provinciis communi, ut pauca tradita sunt, ita paucfe
conabimur exponere. Sane dolendum est, quod pauca ista ex turl»a-
tissimo quoque saeculo profecta sunt, unde Lagidarum dominationem
tumultuariam, iuconditam, nunquam non obnoxiam turbis fuisse sceleri-
busque decantata scriptoribus fabula. Fabellam potius, quod tria sa^
cula regnum vidit, diceres, si qua ratione dicunt temerarium tumul-
tuariumque fuisset. Sed ne regnum quidem sine cautione quadam et
accuratione hominum, ne arbitrium quidem sine suo qualicunque oidine,
ne dominatus quidem sine grege suo ministrorum consultorumque,
Talem Lagidis gregem fuisse et per se intelligitur neqne desunt
quibus probe tur. Sic consilium intimum (tä awkSgiov) cuius amick
* Mus. Passal. Nr. 1564 B**.; quae Peyron ex pap. Par. XXIV (Par. 66)'
attulit (II 17) Romanam aetatem sapiunt; cf. Athen. V p. 208. * Sic in pap.
Zoid. eadem res est etg t6 ßaijüi.iK6v et inl tijp iv Ms^tpei ßaaikuniv r^cbrcCffr.
' pap. Lugd. 7 (Q ed. Leemans)^; huc fortasse illad xaTotvöifa nf^xzo^ov Ihtdo-
lytafiov (pap. Zoid.) referri potest. " pap. Zoid. 3.
Ptolemaeo VI Philometore rege 397
propinquis etc. aditus patet, rex ipse conTocat^; haud vocati qnidquid
decemnnt neque aoctoritatem habet, et quod convenerunt poenas dant^:
plerumque rege praesente agitur. Inter primos regis administros est
6 kniGxoXoyQÜ(poq^^ semper propinqui nomine ornatus qui edicta
regia ad epistrategos, strategos etc. mittit, tabellarüs regüs praeest etc. \
Ab epistolographo diversns is fiiisse videtur, ciii regii sigilli cura
est*. Tributa et vectigalia ex provinciis exacta Alexandriam [48] ad
coUegium tcjv rafii&v et äioixfjroiv mittuntur®, qnorum subministri
in provinciis oi vnoSioixtjrai fuisse videntur^
lam ad ceteras Lagidarum provincias transitums de tributis
praemoneam necesse est. Nam ut m Aegypto, cum incolae vemaculi
gentilicium non municipalem ut hodie dicunt ordinem haberent, sua
quodque caput tributa conferebat, ita in ceteris regni provinciis non
capita sed civitates nationesve regum sub dicione fuisse videntur. Sic
9
Cyrenaicae civitates vere nöXeig erant® eaeque quadamtenus avrövofjLo
Sic Palaestina pontificum praetura nihil mutata tributa conferebat,
quae cum aliquando die legitime non essent collato, rex regionem to-
tam in xXfjQov^iccg se divisurum militaresque colonias missurum minatus
est^^ Sic Samaritani cum ludaeis, quamquam uni Lagidarum imperio
subiecti erant, bella gerebant^^ Sic Sidon et Tyrus usque ad Augusti
aetatem liberum statum obtinuerunt^^. Sic XX principes Ascalonitae
et Scythopolitani aliique civitatum Coelesyriae et Phoeniciae äg^ovr^q
memorantur^'. Sic decreta habemus a singulis Cypri civitatibus edita^*.
Sic Asiae civitates Lagidarum fuerant sociae^^ Unde non eadem cum
Aegypto ratione provincias ceteras Lagidis subiectas fuisse atque tribu-
tarias recte dixisse mihi videor^
§26.
Mortuo Ptolemaeo Epiphane Cyprum, Cyrenaicam, Coelesyriam
Lagidis fuisse supra probavi. Cyprum insulam hauddum mos erat,
ut principibus iunioribus esset possessio**, a regno seiungendi^ Insulanis*
praefectum regium praefuisse Polycrates ille, de cuius administratione
^ loseph. XIII 3,4. ' Dramann. sched. p. 24. ^ b inl xoig
^Qofifiaai Polyb. * Dramann. 1. c Reuvens 3 p. 45. ' Polyb. XVI 22.
« Polyb. XXVn 12 Cic. pro Rab. Poßt 10 Athen. XI p. 494 loseph. XII 2, 3.
' pap. Lngd. 8 (B 2, 13. D 1 etc.). ® Inscr. Cyr. Joum, des Sav. 1828
p. 260 [C. I. Gr. III 5184. 5185J. » Plut. PhUop. 1 Polyb, X 25. *« loseph.
XII 4, 1. " loseph. 1. c. " Strabo XVI p. 727. " loseph. XII 4, 3, 5.
" Hammer t&pograpk. Reise p. 170, 171. " Liv. XXXVIII 10.
^ Ad quam rem accnratias significandam Champollion Figeae bene usus
est vemacala voce Vapanage, ' vr^aiarai Letronne p. 345.
398 1^6 Lagidanim regno
supra dixiy haud ambigue probat Praefecti nomen arg arijyög erat^
l'raesidia regia insulam obtinebant, qnoram de ducibus notitiam all-
quam inscriptiones suppeditant; sie Praxagoras 6v ngiv kn [49] äpSg&v
ßfixaro AayiiSaq xoiQttPOt^ TiysfAÖvcc*. In inscriptione alia mentio est
T&v (Tvvfjyafiövoov^; ex inscriptione Citiensi [C, I. Gr. II 2617] haec
affero verba: ij nöXig !Ayiav AapLO&krov KQfixa rov äQX^^^t^^^^V'^
Iccxa xal knl rTjg nöXecog, qui non praesidii sed iirbis praefectns
(sicut !A8aioq 6 knl Bovßd(rTa(og) esse videtur.
§27.
Cyrenaicam haud mihi dubium est quin Lagidae inde ab £uerge-
tae I. a«tate denuo cum regno coniunctam eadem fere qua Cjprum
ratione praesidiis in civitatibus positis, stratego, qui provinciae tributa
exigeret etc. praefecto, obtinuerint Sed quomodo ager primis tempori-
bus regius, Romana aetate publicus \ coleretur aut locaretur, quomodo
vectigalia et portoria eaque propter res multas quae exportabantur
Cjrenaicae proprias quaestuosissima administrarentur, quomodo bar-
barae illius regionis gentes cum Graecis civitatibus coniunctae essent aut
ita disiunctae ut alterae privilegiis uterentur maioribus etc., memoriae
non tradiderunt monumenta.
Civitates Graecas libertate quadam usas fuisse supra prubavi; qua
libertate fieri potuit ut Ptolemais civitas erigeret statuam hao addita
inscriptione*:
BAIIAIIIANAPIINOHN 0EA
THN TTTOAEMAIOY KAI BEPENIKHI
H noAii
' Sic Ptolemaeum irtqaxriybv xo» xnta Kvnqov Polybius, sie Ptolemaeum
Alexandrum fjjqajriyov Paus. 1, 9 yocat * Hammer p. 177 [C I. Gr. II
2613J. * Haec est inacr. [C. I. Gr. II 2614]: BaQBvixtiP rij»' ^'htmXd(ag
JlTokefiaUw ^yaixa Iloaeidinnog fpQOVQa^og xal xnrrn Kiiioy xal Bot<ntoc
xal Oixvv Tjyi'fiiüy aut xal oi awriYSfioveg (Visconti); scriptam puto anno 114*.
Tres cnim Berenicae sunt Aegypti reginae, Ptolemaei Soteris, Eueigetae I,
Alexandri I uzores; inter quaa novissima haec Berenice (Paus, et pap.
Berol. ench. 43^; Cleopatram Porphyrius et pap. Lugd. 6, 7 vocant) arctiore
quadam ratione ad insulam pertinet. Post Euergetam II mortuum filius mi-
nor, qui Aegypti rex postca factus Alexandri nomen accepit, strategi nomine
Cyprum missus quarto anno praefecturae Berenice fratris filia in matrimonium
ducta rex insulae renuntiatus est; v. Letronne p. 110. Cypri rex, non item Aegypti
solo Ptolemaei nomine cognominibus haud additis nominari poterat; ideo neque
de Sotere I neque de Euergeta I cogitandum putavi; opportunissimum erat statuis
erigendis tempus nuptiarum illarum, quibus Alexandrum cum fratre reooncilia-
tum Cyprus regem accepit Nomen Bot<rxogf cuius mentionem praeter hnnc locum
nullam inveni, fortasse cum Bo6aov(fa promontorii nomine convenit
^ Thrige res Cyr. p. 150, 266, 887. * Joum. des Scwans 1828 p. 260
LC. I. Gr. UI 5184].
Ptolemaeo VI Philometore rege 399 •
„Si in Lagidarum stemmate Arsinoen Berenicae et Ftolemaei filiam
circumspectamus, [50] nuUamnisialteramPbiladelphiuxoremsororemque
germanam invenimus^^ Sic Letronnios, adiectis dextera ex parte eaque
mutila his vocibus &eäv ädekipjjv et versu altero &b&v (rcorfjQonf. Sed
Ptolemaeum Philadelpbum neque Cyrenaicae regem fuisse et cum Maga
rege eas suscepisse inimicitias, ut cur statuam reginae civitas erigeret
causam quan tum scimus nuUam haberet, supra probare conatus sum.
Causam qualemcunque extraordinariam, ut vir ille egregius fecit, si
aliam rationem, qua res expediri posset, nullam invenires, invito auimo
poneres. Sed est Arsinoe Ftolemaei Euergetae I. ex Bereuice Euerge-
tide eaque Cyreuensi filia Ptolemaei Philopatoris (roö vfjg 'Aycc&o-
xIbu4(s) uxor sororque (Inscr. Äos. 5 ; lustinus XXX 1 Eury dicen vocat),
cui nescio ob quam causam Ptolemaidis ciyes statuam illam consecrarunt
hac fere inscriptione addita:
BAIIAIIIANAPIINOHN0EA[N<t>IAOnATOPA
THNTTTOAEMAlOYKAIBEPENIKHIIGEQNEYEPrETQN
HHOAII
Versus secundus, ut minoribus literis scriptus, pauUo longior esse
poterat
§28.
Antiochus Magnus Ptolemaeo Epiphani Eucharisto, pace facta^
Cleopatram Syram in matrimonium dederat (191) Coelesy ria, Phoenice,
Palaestina, Samaria dotis nomine ita additis, ut tributa reges intei
se di?iderent\ Civitatum principes^ [de Palaestinae possessione intei
Syros atque Aegyptios ambigua v. Hofmann p. 3. 9], ut suae quisque
patriae tributa conducerent, Alexandriam conveniebant Factum est
paullo post^ ut losephus Tobiae filius, cum Oniam 11. pontificem cum
rege Aegyptio, quod XX talentorum tributa certis pensionibus solvenda
non rediissent^ irato^ sua quae erat comitate conciliasset, totius Coelesyriae
tributa auctione instituta 8000 talentis yendita, 16 000 talentis sibi
conduceret, et multaticias insuper pecunias et bonorum publicationes,
quae cum tributis solitae erant locari, regibus concedere poUiceretur.
Duobus milibus militum a regibus acceptis XXII annos eo munere
functus est«.
* oinqiüxoi xai a(^ovxeg loseph. XII 4, 4. ■ loseph. XII 4, 3; idem 4, 10
aimoB dicit XX: Oniam pontificem tributa retinuisse rege Euergeta I (igitur ante
220); eo fere tempore losephum tributa sibi conduxisse, mortuum esse Seleuco
rege, Antiochi Magni filio (Philopatore, a losepho Soter vocatur) igitur inter
168 et 174. Quos errores a losephi indole haud abhorrere nemo nescit; pro
Ptolemaeo Euergeta Philopatoris patrem Ptolemaeum Epiphanem Philometoris
patrem, pro Onia II Oniam III, pro XX annos alium qualemcunque numerum
scribere debebat.
400 I^ Lagidaram regno
[51] Ptolemaeo Philopatore rege rerayfjLipoQinlxoiXfiQ JSvgiceq
nee non arQarriybq xoikfjg JSvQiaq^ memorantur. Sed post illas
nuptias eadem ratione Syriae praefectos foisse, in dubium vocaverim;
eo certe tempore , quo Antiochus Epiphanes bellum iis regionibns in-
tulit, Aegyptiaca praesidia atque praefecti nulli sunt. Medüs esset
Syris fortasse licebat, dummodo tributa legibus facerent. Seleucidae
autem, neque foederis neque affinitatis ratione habita ulla, suam quo-
cunque modo poterant potestatem amplificare studebaht; quae contra
studia ut ins suum uxorisque dotem defenderet, Ptolemaeus Epiphanes,
quo moriturus erat anno, quod parabat bellum adrersos Seleucum,
parasse puto; ad quas res componendas T. Quinctius Flamininus anno
183 missus fuisse videtur^ Nummi quos Tyriorum Sidoniorumque
esse ex navis insigni colligitur, Seleuci nomine siglisque l^gXq et I^qI^
(136, 137 aer. Sei. = 177, 176 a. C.)» signati eadem ratione explicari
possunt; urbes enim tnbutariae cum avrövofjLoi essent, eins regis, cuius
maior potestas yideretur, annis tempus describebant.
Sic Ptolemaeo Philometori regno suscepto satis incerta fuit Syriae
possessio, sed Cleopatra, quae olim eam dotem acceperat, superstite de
iure non poterat dubitari. Narratur quidem in secundo de Maccabaeis
libro, Apollonium a Seleuco Philopatore strategum Syriae et Phoeniciae
missum esse^ id quod iam ante 174 regiones illas Syrorum sub dicione
fuisse probare videatur. Sed disertis verbis Hieronymus Antiochum IV.
Coelesyria potitum esse tradit^; quicum libri de Maccabaeis primi ini-
tium consentit.
Caput tertium*)\
§29.
a.c. 181/0 Ptolemaeus Philometor regnum accepit hieme
Ol. 149. 3 anni 181/0; nam in canon. reg. eins patri tribuitur annus
1 p* 143 1^3 aer. Phü., qui annus [52] est ab 8 Oct 182 ad 7. Oct
a. s. 132 181 (annus Nab. 567 a. Syr. Mac. 131) et quia in canone
ü. 0. 574 jiiq ^j. in papyris is auuus, quo quis rex factus est, regis
eiusdem ita primus est, ut cam die primo mensis Thot secundus
regis annus incipiat, sequitur ut anno 568 Nab. currente i. e. inter
■ Polyb. V 63, 78. * Polyb. exe. leg. 47. * Maccab. II 3 loseph.
de Maccab. 4. ^ Uieronym. in Daniel. XI 21.
*) [cf. Hofmann de beüis ab Äntioeho ßp^hane adversus PtoUmaeos gestis,
Erlangae 1885, 4^J
Ptolemaeo VI Philometore rege 401
8 Oct. 181 et 7 Oct 180 mortnus sit Ftolemaeus Epiphanes; com
proximo vere Syris bellum illaturus esset, hieme anni 181/0 obiit^
Gleopatram Syram viduam, Ftolemaeos filios duo Cleopatramque filiam
reliquit.
Veneno rex a ducibus suis interfectus est; regnum, ut fere mos
erat Alexandriae, non sine seditione partiumque contentionibus ad filio-
lum transiisse videtur. His qiiidem temporibus desideramus Polybium,
sed quam dedit turbarum Ptolemaeo Fhilopatore mortuo descriptionem,
si quis quae fuerit AlexaDdrinorum in turbulentis novisque rebus na-
tura, quae militum auctoritas, qui civium furor atque levitas, mente
sibi fingere velit, uberrimam praebet materiam rationemque certissimam.
Ego haec mitto; Epiphane mortuo , quae fuerint civium partes, qui
partium principes, qui conspirationum dissensionumque ignes, quae post
patrem interfectum filii inter Aegyptios exspectatio, inter Oraecos existi-
matiO| quae tandem novi regni initia atque corroboratio, ut coniecturis
fingendis latus patet campus, ita neque via neque viae vestigia ad
certam aliquam rerum investigandarum rationem perducuni-
Hoc unum Champollio Figeac auctore Hieronymo statuere posse
sibi Visus est, matris Cleopatrae, Seleuci Syriae regis sororis tutela
regnum stetisse^ Neque inepte fuisset filii tutela matri tradita, cum
bellum immineret cum ipsius &atre; et cognomen, quo rex usus est,
Fbilometoris ad eundem fontem redire videatHr.
§30.
Sunt denarii argentei cum hac inscriptione: M. Lepidus pont.
max. tutor. reg. et in parte versa caput turritum subscriptum Ale-
xandrea^ [53] M. Aemilium Lepidum eodem hoc anno (180 a. ü.
514 u. c.) cum multi clari vir! petissent, pontificem maximum esse
factum constat^; eundem Tacitus Ftolemaei liberis tutorem nominat^.
Haud igitur lustinus audiendus est^, Epiphane regnante Lepidum esse
Aegyptum missum, qui tutorio nomine regnum pupilli administraret*.
Tacitus enim non liberis dixisset de uno Fhilopatoris filio^ Sed
Valerius Maximus: „cum Ftolemaeus rex, inquit, tutorem populum
^ ChampoUion Figeac annales des Lagides II p. 127. Vir ille elegantia
quam accuratione et eraditione insignior, quo mense mortuus rex dt computavit
Sed ipsa ratio panun tirma. ' Hieronymi (in Daniel. XI 21) haec sunt verba:
pOBt Cleopatrae mortem eunuchus regit.
* Oousinery Magax, encyoL 1807 t V p. 78. * Liyius XL 42. " Tacit.
ann. 11 67. * lustin. XXX 8. ^ Quibus in rebus quanta Taciti fides sit
egregie probat locus hie (annal. III 38) „diviso imperio in Rhoemetalcen et liberos
GotyiB'', ubi Cazy temere „liberum'* scribi iussit.
Droysen, KL. Sohriftan II. 26
402 ^ Lftgidarum regno
Romanum filio suo reliquisset, senatus M. Aemilium Lepidum pont^
max. bis eons. ad pueri tutelam gerendam Alexandriam misit^'^ Nam
minor ille Lepidos quem sigDificari dubium non eet^, Gxxpi 567 et
579 (187 et 175 a. C.) consul esset^ anno 180 bis consul non poterat
appellari. Sed qnae est in üs rebus Yalerii auctoritas?
Senatus igitnr popolusque Romanas regis tator; tutelae cnram
ita Lepidus snscepit, ut aut nunqnam aut semel atque itemm Ale-
xandriam prolicisceretar; nam sacromm cnra pontificem maximam in
Italia retinebat^; inseqaenti anno Lepidns poni max., creatus censor,
templa aliquot dedicavit etc. Res fortasse ita institutae erant, ut s. p.
q. R tutelam haberet, ut matri, addito Lenaeo, regimen regnique
administratio, ut Eulaeo eunucho liberorum educandorum cura tra-
dita esset. Ceterum melior puero tutor haud posse eligi videbatur
quam populus Romanus , quam Tjepidus ille semel atque iterum
princeps senatus electus, qui apud Magnesiam inter Romanorum
tribunos fuerat suaque prudentia momentom victoriae fecerat Eius
beneficio regia incunabula conseryata pariter ac decorata incertum
Ptolemaeum reddiderunt, patrisne fortuna magis an tutoris maiestate
gloriari deberet
Populus Romanus cum oblatam accepisset tutelam talique yiro
commisisset, fieri non potuit ut res Sjriacae pace Romano nomine in-
digna componerentur. Neque Seleucus talem se praebuerat, cui quic-
quam cederetur; nam ängccxroq äfia xal &G&^t]q &v 8icc ttjv tov
TiccTQÖq dvpLcpoQav^j etiam tunc annua Romam mittebat 1000 talenta,
Antiochum fratrem Romae habebat obsidem, tantaque apud eum R4)ma-
norum [54] valebat auctoritas, ut cum agmine haud spemendo Taurum
montem, ut Bithj^norum regi auxilium ferret, transgressurus esset
foederis memor a patre cum Romanis facti, ex quo Taurum transgredi
haud liceret, Antiochiam re infecta rediret®. Tali homini a senatu
Romano Coelesyriam, de qua inter reges paullo ante coeptum erat dis-
ceptari, ut pax conveniret traditam esse, üs probetur, qui secundo quoque
Maccabaeorum libro fidem omnem habendam esse velint. Immo Seleuco
rege neque bellis quantum scimus Aegyptus tentata, neque in rebus
Syriacis quicquam mutatum est Quo igitur Champollio auctore hanc
scripserit elegantissimam sententiam Seleucus fui surpris par la mort
au müieu de ses prqjets pour VEgypte equidem nescio, nisi forte de
* Valer. Max VI 6. ' „amplisBimiqne et integertüni viri sanctitatem
rei pnblicae nsibus et Bacris operatam externae procurationi (senatus) vacare
voluit, ne fides civitatis nostrae finiBtra petita ezisttmaretur". * ApinaiL Syr.
66. • Diod. XXIX 24 Polyb. exe leg. 56.
Ptolemaeo VI Phüometore rege 403
expeditione regis adversns Hierosoljma cogitavit; ibi enim Simon quidam
haberi indicaverat divitias, easque proprias Seleuoo regi^®. Inter eas
Hyroani t^esauros fuisse constat ^ \ Hjrcanus, cum a fratribas insidias
evitans trans lordanem fluvium se recepisset, hcai Särgißs (pogoXoy&v
Tovg ßccQßdgovg, quoad Antiochum Epiphanem Seleuci fratris regnum
suscepisse nuntiatum est; quo facto Suaccq ju?; (TvU.ri(p&Blq vn avrov
xoXaaß-fj Stcc rä ngög jiQccßaq aifxa n^iZQayfiiva avrdxBig avrov
yBvöfisvog obiit^*. Suo igitur iure urbem se adgredi Seleucus poterat
praedicare, ut quas divitias rovg '^gaßag sibi subiectos (poQoloytj<Tag
in aerariis deposuisset Hyrcanus, sibi vindicaret
§31.
a.
^ ^75 Seleucus postquam Demetrium filium Romam misit
Ol. 151 1 obsidem, ut Antiochus frater rediret, cum nemo in Syria
a p 148 ^desset regis, si eo tempore mortuus esset, successor, ab
a. s! 137 Heliodoro ig t)jv äQxijv ßicc^ofxivq)^ cui consilio aptissi-
'^p^ivTfl ^^^ tempus videretur, interfectus est anno duodecimo
expleto*, quo rex a patre designatus erat; id quod factum
est a. Ch. 187 vere, 125 aer. Syr. Mac. mense sexto'; mortuus igitur
est medio anno 175 a. Ch. versus finem anni 137 a. Syr. Mac. Id
quod altera perinde ex parte ita firmatur: Antiochus Epiphanes, qui
Seleucum excepit, mortuus est inter Martium Octobremque mensem 164
a. Ch. 148 a. Syr. Mac. [55] semestri secundo*, XI completis regni
annis, quod initium regni docet fuisse sub finem aestatis 175 a. Ch..
qui est a. 573 aer. Nab., annus sextus Ptolemaei Philometoris regis,
Mirum videatur, quod senatus iuvenem remisit ut acciperet puerum
obsidem. Sed Antiochus XII fere annos Romae moratus ita moribus
Bomanis assuetus atque imbutus erat^, ut senatus a Romanoram parti-
bus fore ut rex factus sua sponte staret, haud temere sperare sibi vide-
retur. Eumenis et Attali regum ope Heliodoro debellato Antiochus
(IV) &B6g kitKpccvrig t6 SiüSfjfAa xai rijv aroXtjv xal xb Saxrvhov
accepit
Notatu dignus est Hieronymi locus*®: „Antiochus Epiphanes, cui
*<> loaeph. de Macc. 4. " Macc«b. II 8, 10. " loseph. Xn 4, 10.
* Appian. Syr. 45. ■ Appian. 66 Euseb. et Porphyr, " Diodor.
XXIX 15 lustin. XXXII 2 Hieronym. in Dan. XI 19 Aurel. Victor de v. ill.
54. * FroehUch annal. Lag. proleg. 28. ' Diod. XXIX 82 Polyb.
XXVI 1. • Hieronym. in. Dan. XI 21.
26*
404 I^e Lagidaram regno
primam ab his, qui in Syria Ftolemaeo favebant, non dabatnr honor
regiuSy sed postea simulatione clementiae obtinnit regnum Syriae^. Non
putaverim inter Syros fuisse qui Cleopatram nescio an natu, majorem ^
iustam fratris interfecti beredem esse dicerent. Fortasse Syria ut
saepe fit pro Coelesyria est
§ 32.
a. c. 172 Hieme 178/2 Romanorum legati ut res Macedonicas
Ol. 151 4 inspicerent missi iidemque ad Ptolemaeum renovandae ami-
a! P. 151 citiae gratia proficisci iussi sunt. Ab Antiocbo rege sub
a. s. 140 idem tempus legati venerunt Romam, quorum princeps Apol-
pt \i 9 lonius in senatum introductus multis iustisque causis regem
Ant. iv 4 excttsavit, quod Stipendium serius quam ad diem praestaret K
Haud ita multo post Cleopatra mortua est; eodem enim anno
172 res a Lenaeo et Eulaeo eunucho administrari coeptae sunt^, qaos
post Cleopatram rexisse Hieronymus auctor est <l>eQvfjg övöfiaTi ali-
quando Coelesyria Ptolemaeo Epiphani tradita fiierat. Nunc Cleopatra
mortua, cum olim non expugnata tantum, sed per totos octo annos
a Seleucidis provincia illa occupata faisset, in eorum dicionem redire
posse videbatur. Praeterea ^| ov lAvrioxo^i kvixi}(T% ry ntQl rb Ildviov
fiüxp TOVQ IlToXBfiaiov arQccrijyovgj äii ixBivcjv r&v XQ^^^'^ knu-
ihovro navth^ ol ngoniQuifiivoi tötcoi roTg iv JSvQicc ßaatXevGtv^
Quam potestatis firmandae augendaeque ansam [56] Antiochus Epi-
phanes ävtjg TiQayfiarixög xcü rov TtQoaxfjfJiUTog rijg ßamletag di^iog*,
non negligere voluit, non parum seditionibus inter ludaeos eo tempore
ortis adiutus. Post Oniae enim pontificis mortem Onia filio relicto
puero, inter lesum s. lasonem et Oniam s. Menelaum patris fratres
de pontificatu facta disceptatione, cum ab lasonis partibus staret popu-
lus, Menelaus cum suis, inter quos maxime Tobiae filii Hyrcanique
fratres, ad Antiochum regem aufugiunt, Si^Xovvxig cnrcd) &ri ßovXovrai
Tovg nccTQiovg vöfiovg xaraXiTtövreg xai x)iv xar* avxovg nokirüaip
f^7i6(T&ai rotg ßaaihxotg xal rt/v 'EkXfjvix?jv nokireiav ^x^iv^. lUo
igitur tempore amissa Coelesyria videtur.
Sic „Antiochus imminebat Aegypti regno et pueritiam regis et
inertiam tutorum spemens, et ambigendo de Coelesyria causam belli
se habiturum existimabat; gesturumque sine uUo impedimento occupatis
^ Nam Philopatori iam Ptolemaeo nuptura fuerat; of. Appian. 88.
* Liv. 42, 6. ■ Hieronym, 1. c Diod. exe. de virt p. 579. • Polyh.
XXVni 1. * Diod. XXX 18 Polyb. XXVIH 18. • loe^h. XH 6, 1.
Ptolemaeo VI Philometore rege 405
Bomanis in Macedonico bello, id bellum'' ^ Cum Bomani nihil hanc
Aegyptii regni deminutionem imminensque bellum curarent, aut re
vera rebus Macedonicis nimis occupati, aut quod probabilius est, fore
ut Syriam et Aegyptum bellis diuturnis confectas sine magno labore
in suam redigerent dicionem sperantes, Ftolemaeus 6lSG)g rovg ccvroü
itQoyövovg iafjxörag KoiXijv 2vQiav itaQccaxzväg knoulro fjieyd'
hxg äfKfiaßrjT&v Tuvrrjg^ (Syriam repetere quam Antiochus fraude
occupasset®). Antiochus contra ubi vidit manifesto l^Srj rovg xarä rijv
!AlB^dpSQStccv itaQaaxevcc^ofiivovg slg röv tibqI KoiXrig 2vQiag nöXt-
fjLoVj elg füv rrjv 'Pc&fAfjv 'insfA'ipe nQaaßevräg rovg tisqI Mekia/Qov,
kvTBikeifiBvog Xiysiv xrj avyxhfirtü xal StaficcQTVQa<Td'cci Stövi nagä
ndvru rä Sixaicc IlToXefiaiog ccirtp Tag x^^Q^Q kTdftäXXei^.
Eadem hac hieme Antiochum et Ptolemaeum, quamvis sollicitaci
essent a legatis Persei , egregie Romanorum in fide permanere pollioi-
tosque quae populus Bomanus postularet praestaturos, legati Romani
qui circa socios reges missi erant nuntiarunt^^
§33.
lam rebus omnibTis quae bellum excitarent praenuntiarentque ex-
positiSy obscurissimum hunc de regis inauguratione locum illustrare
conabor: änoaraXivrog ö* elg Äiyvmov IdiioilfDvlov rov Mev&a&ecog
Sicc rä nQ(OTOxXiGicc ÜToXefjiaiov rov ^iXoyLi'iroQog [57] ßccatlicjg
fiaraXaßo}v Idvxioxog avrov üXlörgiov x&v ccvx&v yeyovivcci npay-
^drtDv, Tfjg xax avxhv datpaXeiag hq)Q6vTiCfiv\
Factum id est tribus ante annis quam secundam Antiochus ad-
versus Aegyptum fecit expeditionem*, cuius primo vere 169 fiiit ini-
tinm*. Quod apertae nondum susceptae simultates erant, proximum
post Cleopatrae mortem tempus indicari videtur L e. hiemis 1 73/2, quo
tempore legati Romani ad amicitiam renovandam Alexandriam yenerant.
Quid vero legati Romani, si rex sub populi Romani tutela erat? Dixe-
rim igitur rä itQCDroxUaia s. rä ngmroxXr'iGia (sie enim lectio variat)
sive caerimoniam throni primum inscensi (Froehlich) sive primae con-
tionis a rege habitae significat vox, maturae imperio aetatis fuisse prin-
cipia regnique auspicia. Cleopatra (nova Isis) fratrem minorem nevrexai-
Sheccrov Hog ixovra, cum a societate regni a Caesare iussa non posset
• Liv. 42, 29, 5. ^ Diod. XXX 2. » Hieronym. in Dan. XI 21
cf. Livius 42, 29 „bellum adversus Antiochum tutores parabant, quo vindicarent
Coelesyriam". » Polyb. XXVII 19. >° Liv. 42, 26.
* Macc II 4, 21. ■ fism tgieTtj xQovov Macc. 11 4, 23 cf. 5, 1. * vid.
infr. § 36.
406 De Lagidaram regno
ulterius removere, rijv ßaaileiccv fjdfj yBvtjaofxivfjv HQocevtkovaa <pan-
fiäxotg interfecit; id quod matoram aetatem ab aimo vitae XVI ince-
pisse probat*. Neque moror Livium, qui sub hieme 172/1 tutoribns
pueritiaque regis rhetorice usus est (42, 29, 5ss.); praeterea, ufc ipse dicit^
operae pretium ei nun visum est perseqni, ut quaecunque acta iD bis locis
sunt Ptolemaeus igitur anno 188/7 natiis [cf. Letronne Recueü I
p. 8] nunc XV annorum suae tutelae esse ooepit His a protoclisiis
diversa rä ävaxktiTijQta etrd kv&Qovt^saf^cct est Tb kv&Qovt^etr&aty
quod recentiores saepenumero fefellit interpretes*, ea videtur caerimonia
esse, quam apud Polybium* ita fere descriptam habemus: Ptolemae«
Philopatore noiortuo regem infantem oi MaxsSövsg naQcelaßövrtq xai
vaxemg hcp mnov ävaßtßuaccvreg Ijyov üq rd ^raSiov äpue Si tö
(favfjvai fihydhjg xQuvyfig xcei xqötov yevf]&ivTog knuTxtiaavriq rov
mnov xad'eikov rdv nalSa xai nQogccyccyövzsg hcd&trrav slg rijv ßatrtltxijr
&iccv. Sic 6 vedTBQog äS^lffog Kk^ondxQug et is ante maturam aetatem
interfectus avvBdgovia&i] ry ääaX(pfj^, neque absimilis est caerimonia illa,
qua Cleopatra cum filiis iussu Antonii regnum accepit/. V kv&Qovi(rfiög
igitur, Macedonum® quasi sacramentum et acclamatio, [58] quo regis heres
sive infans est sive maturae aeüitis rex renuntiatur, dum Graecorum aucto-
ritas valet, ad regem rite iusteque instituendum sufficit Sed post sedi-
tionem Lycopolitanam regum intererat, ut Aegyptiorum quoque consensu
fideque promissa regnarent, quo factum estj ut sacerdotes, apud quos anti-
quitus inauguratio quaedam regum fuerat, rä üvaxXrjztiQicc instituere
primo ab Epiphane Ptolemaeo iuberentur. „In templo Apidis enim Mem-
phitico mos fuit solio regio decorari reges qui regnabant. ibi enimsacris
initiabantur primum ut dicitur reges satis religiöse tunicati"^ Bis de
anacleteriis in Polybii libris mentio est: altera Philometoris, xä vofu-
^öfieva yivB(T&ai roTg ßafriXtmiv, 6t av eig i}hxiav HX&cjm^^y altera
Epiphanis celebatra oiSinoD vT/g yhxtag xccTenBiyov(Tfjg^\ hie fere XIV,
ille si qtiod supra proposui verum est plus XVIII annos natus; haec
» Io8. XV 5, 16. * sie Vaillant hißt. Lagid. p. 164. * Polyb. XV 32,
^ Euseb. Graec. ed Mai. c. 22 § 17 [ed. Schoene I p. 168]. ^ Plat Ant 54.
^ non sacerdotum ut Dramann sched. p. 28 putat. Ceterum band mimm est,
qaod in fabulis istis, quae Callisthenifl esse dicontur, simile quid de Alexandro
narratur: qui cum Memphin veuisset, dys&QOviaany nvxoy ot Aifvnuoi Big ro rov
*Hq>alüiov &QOviaiijQiov djg Aiyrrnnov ßaaiXea St Croix p. 167 [ed. C. Mueller p. 38]
et lul. Val. p. 47 : „quasi cum Memphim venisset inductum eum in aedem
templumqne Vulcani Aegyptii regni veete dignati sunt et selia et seasibili dei*^
Ab utroque anacleteria significantur, quae Diodorus eadem ratione cum enthronismo
confundit, exe. virt. p. 595. * Schol. ad German. p. 120 ed. St And. cf. lastin.
quest et resp. de orthod. p. 406 Clemens Alex. strom.V p. 556 Drnmann« Boa. Ins.
p. 13 sqq. »0 Polyb. XXVIII 12, 8. " Polyb. XVUl 55, 2.
Ptoiemaeo VI Phüometore rege 407
igitur aetas legitima: Ftolemaeus Euergeta II anacleteria oelebravit
post fratris mortem 144 (eodem enim tempore ex Cleopatra olim
Philometoris anno 145 mortui uxore filinm sosoepit) quamquam una
cum fratre iam antea regnum obtinaerat usque ad annum 164/3, quo
dissensionibus ortis Cyrenen rex accepit, unde sequitur, ut hoc tem-
pore 164/3 nondum XVIII annorum et post 182/1 natus sit; et quia
pater hieme 181/0 mortuus est, minor ipse quam Cleopatra soror fuisse
videtur.
Ceterum quod supra de protoclisiis dixi, Polybius firmaro videtur
bis fere verbis^^: Ptolemaeus (est Agesarchi üiius, vulgo Macro) Cypri
(TTQazfjydg xoü ßaatXimg 6ig ißixiav ysyovörog awd-üq Tikfj&og ixccvov
XQTjfiäzcjp i^aniarBikiVf id quod factum est anno 172/1; nam post
tertium abhinc annum anacleteriis nondum celebratis ad Antiocbum
Ptolemaeus Macro defeoerat^^.
§ 34.
a. G. 171 Ptolemaeus igitur Philometor inde ab initio anni 172
a. *N. 577 ^"^^ tutelae factus et Romanorum socius vere regnabat.
a. p. 152 Anno illo actionibus cum [59] Antiocho frustra consumptis
*' ^' iti auctoque in diem inter reges dissensu et periculo regni, Ptole-
Pt. VI 10 maeus quo melius rem suam defenderet primo vere bellum
Ant IV 5 Syris indixit.
Tov noXifjiov rov tisqI Koihjg ^v()iag )'iSt} xcctccqxv'^ Xaßövrog
!Avri6x(p xcci nroXsfAuiq) . . ., ijxov n()i(Tßtig elg ttjv FojyLiiv nagu fiiv
!AvTi6xov MsXiayQog xcci ^codKfüvrjg xai 'HQaxXsiSjjg' itUQcc Si
TlrolBfiaiov l^tfiö&eog xai Ad^(ov, ^weßaive Si x{)cnuv rov Ldvrio-
xov T&v xccTcc Koihjv JSvQiav xai (Poivix7jv nQayyLÜrcov .... Sion^g 6
fiiv !AvTioxog ijyovfievog zijv xurä nölefjLOV iaxvi/OTärrjv xai xaX-
Xt(TTfjv elvai XTTjfTiv (og vnif) iSicov knoieno rijv (T7iovSi]v. 6 3e nroXe-
ficcTog üSlx(og vnoXafißdvcov tov 7iQÖTe(jov ^Avrioxov (ruvem&ifievov
rfj TOV naTodg ÖQcpavi^, naQyQTjtr&ui rrig xaTa Koikrjv JSvQiav
TtöXeig ccifT&v, ovx olög x Jjv ixstvq) nuQaxfOQBiv töv TÖncov tovtwv.
AiönBQ Ol nt()l t6v MeXiayQOv jjxov IvToWg ^/oi^reg fiuQTvgecr&ai
TTJV (TvyxXfjTov SiÖTi ÜToXt^aTog avT(p itccgä nävTa tu Sixma xäg
XBiQccg knißaXXu noÖTiQog^ oi dh tibqi tov Ttfi6&6ov ne^i re Tf?g
Td>v cpiXav&QchiKüv divavB(A(TBCog xai tov SiaXvBtv tov TtQog IlB()(TBa
nökBfioVy fidXiaTa dk TtaQaTtjQBiv Tag t&v übqI tov MBXiayQov ivTBv-
^Big. IIbqI fiiv ovv Tfjg SiakiKTBwg ovx h^d^prjaav bI^biv, Müqxov
crv^ßovXBvaavTog avTolg AlfiiXiov nBgl Sb t&v (ptkav&Qcinoov ävavBco-
it
Polyb. XXVII 13. " Maccab. II 4, 23, 45.
408 ^^ Lagidaram regno
(TÜfievoi xal XaßövTsg änoxQitrsig dxokov&ovg toiq ä^iOVfiiifOig knctvfjt-
d'ov dg TTjv !AkB^ävSQBiccv, Totg Si tcsqI xbv MMceyQOv ^ crvyxXf]rog
änexQißr] Siöri Kotvrq) MccQxiq) Sfüau xf^v hnirgoniiv ygarf^ai ^€oi
TOVTCov n()6g nrokefiaiov, (hg ccirtco SoxeT (TViKpiouv he, rtjg iStag
niarecog ^ Illud rijv äniTQontjv dtba^iv non ad tutelam referendom, sed
rei publicae anctoritatem Qainctio datam esse ex addita formnla solemni
ojg avT(p SoxbT etc. colligitur.
Quantum Quinctius efficere voluerit et potuerit nescio, sed id quod
e salute regnl dßbebat, non effecit; nam Antiochus slgfjk&av aig
Aiyviirov kv ö^kq) ßccQBi, hv äQfiaaiv xal kv Mitpaai xal hv inntvai
xal hv (TTÖhp luydhp .... xal kvBXQÜnri flroksfiatog ccn6 ngoadmov
avrov xal Htpvye („pngna inter Cäsium Pelusiumque commissa^'^)
. . . xal xaxikdßovTO rag ii6X%ig rag öxvgäg hv yrj Alyvnrm xal
'ikaße rä axvXa yfjg Alyrrnrov xal hntGXQtxjJBv !Avxioxog fßsxä x6
naxa^ai AYyvnxov hv tö5 ixaxoaxm xal xeacraQaxoax^ xal xgixm
heiK Id est 170 a. Gh., nam annus 143 Sei. in primo de Maccabaeis
libro a vere anni 170 incipit*. Annum fere totum in Aegypto Antiochus
versatus videtur esse, non sine summo regni damno; Aegyptum enim
maxime inferiorem belli calamitatibus victorisque regis aviditate confec-
tam atque exhaustam esse quis duvitaverit?
losephus minus recte Antiochum dicit Siä x6 negl 'Pco^aaicjv dhog
reversum, de [60] Popilii legatione cogitans^ Sed qua ex causa rex
redierit traditum non est, nisi Tagaetg xal MaXl(&xag axamd^etv
nuntius regem in regnum revocavit®. Sed rediit ea quae voluerat
nactus. Ideo ävißri eig 'hQovaalijfi hv öxkrp ßa{m xal Xaßiav Ttävxa
(Sostrato xfjg äxgonöXBiog hnaQ/ov facto ^ hnflX&Bv Big xijv yijv ccircov
xal hTiohjfTB ffovoxxoviav xal hldXfjaBV v7iBQfi(pavBiav fjiByäXf]v^.
Non Goelesvriam tan tum in suam potestatem redegerat totam,
sed etiam Cyprum insulam; nam post victoriam Pelusiacam ad eum
defecerat Ptolemaeus Macro Agesarchi filius Megalopolitanus, Gypro
insulae a Ptolemaeo praefectus® (quem plerique cum Ptolemaeo Dory-
menis filio eundem esse *® contendunt), cuius in locum nunc rex ex suis
hominibus misit Sost^atum^^
§35.
Summum ex hoc hello Aegyptio regno detrimentum ortum, Syria
Cyprusque amissa, Aegyptus inferior exhausta atque perdita. Antiochus
» Polyb. XXVIII 1 Diod. exe. leg. p. 624. " Hieron. XI 22. « Maccab. I
1,18. ^ Froehlich prell. 18 probat Macc. II 5, 1. 4, 23. ^ loseph. ant Xu 5, 3.
• Macc. n 4, 30. 7 ibid. 27. * Macc. I 1, 21, 24. • Macc H 10, 80
Polyb. XVIII 55, 6 ff. »*» Macc. I 3, 38 loaeph. XH 7, 3. " Biacc II 4, 29.
Ptolemaeo VI Philometore rege 409
knifiavi^g hostis acerrimus regno ita confecto ut siipra caput, ita longe
superior. Neqne a sociis auxilii spes, Romanis, Rhodiis bello Macedonico
oGCupatis, ne Achaeis quidem vacuis. Regi nihil iam supererat^ nisi ut
ad popnli sui fidemque et opem provocaret.
Pater olim cum bellis domesticis turbaretur regnum, ut sibi sacer-
dotum gregem etiam tum auctoritate potentissimum et cum sacerdotibus
plebis animos conciliaret, Folycrate auctore celebraudis anacleteriis in
sacerdotum ordinem plebisque favorem ut reciperetur efficere instituerat.
Alter Polycrates quis filio fuerit Philometori traditum non est; sed ean-
dem ob causam eodemque fnictu atque pater Apidis insignia per Mem-
phidis viam sacram portavit filius.
a. Ch. 169 Quae Ptolemaei Philometoris anacleteria Drumannus^
^^ N ^^7Q Antiocho auctore post pugnam Pelusiacam, Champollio^
a. p. 154 aiiöo 171 celebrata esse censuerunt, ille Hieronymi locum
a. s. 143 quem infra § 36 adscribam, hie Polybium ut putat secutus.
Pt. VI 12 Polybii haec sunt verba: xara rbv ccvxov xaiQov (quo
A. IV 7 Achaei Polybium auxilio mittunt Romanis, pauUo [61] ante
castra inter Azorium et Dolichen posita, id quod primo vere anni 169
factum est)' xal tc^qI nroksficciov ngognecrövrog rotg 'Axccioig^ 816x1
yiyovBV ccvrai rä vofn^öfieva yevetr&ai rolg ßamXevaiVj Srccv slg ijXi^
xiav iX&ajaiv, dvaxXijr^Qia, vofAiaavTeg atpiai xce&rjxetv kni(Trjfii^vce(T'
O-ai t6 yeyovog k\pf}(pi(ravro Ttsfjbneiv nQBfrßevräg ävaveoxrofikvovg rä
itooündQXOvra r^ üß'VBi (piXüv&Qwna itgbg rijv ßamkeiav^ Nam quos
missuri ad Ptolemaeum Epiphanem renovandae amicitiae causa legatos
fuerant, ubi mortem regis audiverunt, domi mauere iusserant®. Cham-
poUionem fiigit Marcii consulis in eodem illo Polybii fragmento mentio,
qui est A. Marcius Philippus II cons.
§36.
Celebratis anacleteriis sacerdotum plebisque favore Ptolemaeus nescio
quantum adauctus et adiutus Eulaeo auctore de Coelesyriae possessione
bellum instauravit. lisdem fere locis, quibus cum Artaxerxe Chabrias,
cum Perdicca, cimi Demetrio Ptolemaeus Soter, cum Antiocho Epiphane
ante duos annos ipse pugnaverat, ab eodem Antiocho denuo victus
est\ Ptolemaeus Alexandriam aufugit; Antiochus vero Svvdfxevog
kXccaaco&ivTag rovg Alyvnrlovg änoxreTvaij nccQiTtTcevtov iß6a fitj
XTBivetv airovg, äkkä Z&vrag (Tvklafißüveiv raxv 8h rovg xccQTtovg
* Res. InBcr. p. 17. » Champoll. ann. II 133. » Liv. 44, 1, 2.
* Polyb. XXVni 12, 8 ff. » Polyb. XXV 7.
* Daniel XI 24, 25 Diod. exe. de virt. p. 579 (XXX 14).
410 I^e Lagidaruin regno
ravTfjg rfjg äyxivoiug heofuaaro xal Tcgog rijv rov Ilfßjovaiov tectrce-
Xtjtffiv xal fABTa rccvxa rr^v Ttaraxrijmv r^g jilyvTtTOV tavr^jq rfjg
(ptkav&Qconiag fdyiava <TVfißaXofAivi]g^\
Quod quo tempore anni 169 sit factum ex Polybio colligi potest.
Rhodiorum enim legatus AgxoiUvrig &eQsiaq ad Marcium consulem
missus est; qui Rhodiorum litteiis acceptis legatum Xaßmv xar Iditxv
eig rag x^^^^ O-cevfid^siv €(pi], nctig ov Tt^iQcjprai diaXvtiv oi 'PöSioi
rov ivecrrfüTu nöksfiop fidhara rov nQdypLcctog hceipoig xa&'^xovrog.
^HSij yuQ rÖT6 avveßaiva (Tvyxaxvffd-cci rov nagt Koihjg 2vQiag nöXa-
fiov. Non ita multo post contione post citum (ro/ecos) legati reditum
habita Rhodii änifrruhzv xal TtQBaßavräg alg rijP !Aka^dvSQ^av rovg
SiaXvaovtag rdv hv&at&ra Ttökafiov l4vTi6xfp xal llToXBfiai<p\
Insero Hierouymi locum, qui quae deinceps facta sint quamquam
minus diserte enariat, tamen cum Porphyrium exscripserit, iide dignissi-
mus est: ,,porro Autiochus parcens puero(?) et amicitias simulans ad-
scendit Memphim, et ibi ex more Aegjpti regnum accipiens puerique
rebus se providere dicens cum modico populo (iv dliyq) 'i&vai Dan.)
omnem Aegyptum subiugavit sibi et abundantes atque [62] uberrimas
ingressus est civitates, fecitque quae non fecerunt patres eins patres-
que patrum illius; nuUus enim regum Syriae ita vastavit Aegyptum et
omnes eorum divitias dissipavit, et tarn callidus fuit, ut prudentes cogi-
tationes eorum, qui duces pueri erant, sua fraude subverteret"*. Hiero-
nymi verba „Antiochus ex more Aegypti ibi regnum accipiens" egregie
firmantur Polybio: furä t6 naQalaßaiv rä xazä xriv Alyvnxov^y quam
esse formulam solemnem ex inscript Ros. et Adulit edocemur*. Sed
non ita multo post Antiochus ipse x^]v ßaailjaiav ait tivai rov /Zroi«-
fiaiov Tod nQaaßvriQov, Antiochus igitur post Pelusiacam pugnam
alteram Aeg}'ptiorum animis comitate et benignitate conciliatis cum
Ptolemaeus Alexandriam oonfugisset, ad Memphim adscendisse et tan-
quam expugnati regni rex a sacerdotibus inauguratus (sie rerum ordo
apud Polybium est) copiis quae maiores regni urbes occuparent di-
missis Alexandriam ipse videtur duxisse.
Nam (larä ro zagalaßsTv Avxioxov xä xaxä xtjv AXyvnxov
iSo^a xoTg hbqI xdv Kofiavöv xal Kiviav, (rwaSgavaam fisxä xov
ßarriXioogf xotvoßovhov xaxayQÜtpaiv ix xöv ini(favaaxüx(ov ijyafjLÖvfov
x6 ßov).av(TÖfiavov nagl xöv haaxcäxwv, IIq&xov ovv *iSo^a x(p awi-
Sgiq) xovg änd x^g 'EkXäSog TiaQamSrjfiijaavxag nifinaiv ngaaßevxäg
(bg xov jivxioxov xoivoXoyrjffOfiivovg vitig Siakvaacog, Aderant enim
duae Achaeorum legationes, Atheniensium legatio una et duae theoriae,
* Diod. L c. ■ Polyb. XXVIII 17, 4. * Hieronym. in Dan. XI 23.
» Polyb. XXVm 19. • Drumann die Ros. Inschr. p. 88.
Ptolemaeo VI Philometore rege 41 1
Mitesii et Clazomenii bioi legati. 'E^aniatuJiE Si xal 6 ßccakBVQ
TkfinöXefiov xccl JlrolefAcciov rov Q7]T0Qa ng^aßsindq, Ovzot fUv
ovv änXeov äva rbv notafjLÖv eig rijv ändvriimv, {SSwcc^üvt(ov Si
T&v n^eaßBvt&v rq5 !Avriöxfp 6 ßaaiXevg) änoäe^üfABVog rovg ävS^ag
(pi),avd'QCjn(og rijv fiiv nQc^rrjv ifnoSoxvv cciröjv knoii)(saTO fuyakoinBQfj'
xaxä Si Ti)v i^fjg äScjxev ivrsv^tv xal Xiyeiv ixiXtvae neQi mv ü^ovai
rag ipro^Mg, ÜQ&roi piAv ovv oi nccQcc r&v ^A/aictiv inoitiauvro
X6yovg, roirotg Si^tjg Ai}^Qaxog 6 nagä xQv 'A&f^vaiojv, fiBTcc Si
TOVTov EvSiifiog 6 Mih'imog, IldvTcov Si ngog rov avrov xaiQÖv
xal xiiV avTijv tmöd-eatv SiaXtyoiJLiv(ov nccQanlrjtriovg €ivai awißaivt
xccl rovg xccrä jU€(>og avr&v Xöyovg. Tijv fUv yäo cclriav r&v
{TVfißeßrixÖTCDv ndvreg ini(ptoov inl rovg ni{u rov EvXaiov rijv Si avy-
yePBictv xal ri]v ijhxiav ri/v rov UroXBfiaiov nQOtpe^öfievoi naotj'
rovvro rijV ö^yijv rov ßaatXicag, Idvrioxog Si, nüm rovrotg äv^ofio-
XoytjffafiBvog xal noogav^riaag rijV ixilvoav vnö&eaiv i'jo^aro Xiyetv
imiQ Töf^ i^ dQX^i^ Sixaitov, Si a)V iiiHQäro awinrdveiv r&v hv
JEvQi^ ßaaiXiarv vndQXOvaav rtjv xrfiGtv r&v xorrc^ KoiXijv JSvQiav
rÖTiayv .... i^ijg Si rovrotg dne()BiS6fi6vog inl ri^v reXevraiav xara
nöXefwv !Avri6xov rov nargog iyxrtiaiv, inl Si näaiv i^a()vovfXBvog
riiv öfioXoyiav, fjv iipacrav oi xara rijv !AXe^dvS(}6iav y^viai^-ai
IIroXBfiai(p rtp veojarl fjLer^jXXaxöri ngog 'Avrioxov rov hctlvov nariga,
8ri Set Xaßstv ainov iv (pBQvp KoiXrjv J:vQiav, or iXdfißavB KXbo-
'ndrQav r)iV rov vvv ßamXBVOvrog iiijxBQa, ÜQog [63] ravnjv rt^v
vn6&B(Tiv SiaXBX^Btg xal nBiaag oi fjLÖvov avrbv dXXa xal rovg
än7]vrfjxörag ojg Sixaia XiyBi, rörB fiiv SiinXBVffBv Big rt/v NavxQartv*
XQfjodfiBVog Si xal rovrotg (ftXavO-Qionojg xal Sovg ixdfrrq) r&v
'EXXi}Vwv r&v xarotxovvriüv XQ^^oüv TiQOfjyBv inl rfjg 'AX^avSgBiag.
ToTg Si TiQBgßBvraig rijV Änöx^imv vnirrxBro S(6(tbiv, orav oi 7iB()l
rov '4Qi(TrBiSi}v xal Of)()tv dvaxdfiiljcjcriv ojg avröv i^anBtrraXxivai
yaQ ixBiVovg itpr] ngog tov IlroXBfjbaTov , ßovXBaO'ai Si ndvrojv
avviaroQag bIvui xal fid{)rvQag rovg äno rfjg EXXdSog nQBgßBvrdg ^
§37.
,,Non est dubium, quin Antiocbus cum Ptolemaeo pacem fecerit
et inierit cum eo convivium"; Hieronymus id scripsit ad hunc Danielis
locum: xal äfufförBQoi oi ßaaiXBlg, ai xagSiai avr&v Big novi^Qiav,
xal inl rganii^i] fit^c \pBvSfi XaX^'iaovai xal ov xarBV&WBlf Öri Ht
tJiBQag Big xaiQÖv xal intrrrQhpBi Big rrjv yfjv avrov^. Accuratius
' Polyb. XXVm 19. 20.
" Hieron. in Dan. XI 27.
412 De Lagidaram regno
rem descripsit losephus: xal Söhp 6 '^vrioxog top Q>iXofiTiTOQct
JlroXsfiaiov henBQiek&ojv xaraXu^ßüv^t rriv Atyvntov, xal yavö-
luvoq kv TOtg naQi Mifjupiv rönoig xal xararrxGyif tavrrjv ägfifjaew
kitl rtjv !AXB^dv3Q6iav' (bg noXiOQxla naQafrrfjfröfiBvog aifti^v xal xov
kxBi ßafTikeifovTa x^^Q^^^^fJ^'^og ÜTolsfiaiovK Nullua dubito quin ad
idem tempus hoc Diodori fragmentum referenduin sit: 'HfiBTg Si tov
TlroXtpLalov ri^v ovrcog äysvvfj i/^i;//yi/ oifx &v nQognxövxoag ävETttfr^-
fAavTOv kdaaifuev ro yccQ kxxbg yevöfievov r&v Seiv&v xal roaovTOv
ä(p6fTtfjxöra t&v nokefiioiv avrö&ev xa&änsQ äxovixl naoaxtoQfjaai
ßamlBiag fieyiaTfjg xal fiaxaQio)tdTi]g, n(Qg ovx äv rig i^yi^aaiTO
ipvxvi TeXicog ixrsd-jjXvfjLfxivijg elt/ai] t^v el fiiv awißaivt (pvmxßtg
vnÜQXBiv UroXBfjLatG) roiavTrjv, Hamg äv rig ixBivf]v xarafUfi^paiTO'
Öze 8i Siä r&v xxttbqov nQd^eonv i] tpvaig ixav&g imiQ avtfjg AnAo-
yTj&fjy Sei^aaa röv ßamkia xal ardaifiov övra xal Sgaarixav
ovStvog ijTtov dvayxaiöv hart rag alxiag ävarin'^ivai rfjg roxi Sat-
liag xal dyevveiag eig top (rndSrnva xal t?;v hcBiVov <nymQO(piav og
he naiSdg ro fjLBtQdxiop kv xQV(p^ xal yvvaixeioig knivrjd^fAaat (Fwixcnv
Siiqy&BiQBv airoD rijv yjvxi^v^*
Ex Diodori indignatione Ptolemaeum, cum Alexandria obsidione
circumsaepta in summum periculum adductus sibi videretur, indignis
condicionibus pacem apparet composuisse, fortasse sibi sub Antiochi
auspiciis atque imperio tributarii regni posse^ione relicta. Neque vero
Alexandrini consenserunt, sed urbe a rege Memphim ad Antiochum
profecturo derelicta oi l4XB^avd()Btg r(p vsmzBQq) (Ptolemaeo VII.)
hitkxQB^ffav rä ngdyiiara Porphyr, apud Euseb. p. 162 ed. Schoene
[xQaxBt x&v nQayf.idx(ov üxoXBfiaTog 6 EifBoyixrig 6 vBc&xBQog yvdfitj
x&v lAXB^avSQBfov Synkell. p. 538 Bonn. Tov vbiAxbqov HxolBfiaiov
imb x&v 6xX(ov ävaSBSBTx&ai ßaaiXia Siä xijv nBQirrxaaiv Polyb.
XXIX 23, 4).
[64] Antiochus vero fXBxä x6 xaxaXiitBiv AXB^dvSQBiav
noXiOQXBiv izQBaßBVxäg Big x)jv 'Pdfjirjv ^^inBfjinBV ovxoi S^ljcrttv
M-BXiayQog^ ^ojmtpavrjg, 'HQaxXBiörjg* fTw&Blg q' xal v xd^^avxa
nBvxr'jXovxa ^dv (TXBtpavov 'Pcojxaioig, xä Si Xoinä x&v /piyjuc?ra>v Big
S(OQBdv xiGi x&v xaxä xijv 'EXXdSa tiöXbojv. Kaxa xäg aixäg i^fu-
Qag xaxinXBVfTuv he 'PöSov ngiaßBig Big xi}v !AXB^dv8QBiav i'Til xäg
SiaXixTBtgj oi tibqI Tloaxltova, xal fiBx oi noXv naQijaav Big xi^v
TiagBfißoXijv ngdg Idvxioxov. rBVOfiBvrjg Si xfjg kvxBv^BOjg n6)JMvg
SiBxi&Bvxo Xöyovgy xijv xb xfjg iSiag naxglSog Bvvoiav itQOfpBgd^'^oi
nQog dfi(poxigag xäg ßatrtXB/ag, xal xtjv avx&v x&v ßaciXimv ävccy-
• loseph. ant XII 243. » Diod. exe. de vit. p. 579 (XXX 17).
Ptolemaeo VI Philometore rege 418
xcciÖTfjTcc ngdg äXkyXovg xccl rd avfi<piQov ixarigoiq he rfjg öiaXvatmg.
'O 8k ßaatksvg, in Hyovxcc xbv nQeaßiVTijv kmrtficjv, ovx i(pfi
nQogSeia&cci noiXöl^ köytov rijv fUv yccg ßuGiXtiav ilvai UroXt-
liaiov Tov itQ^aßvriQov nQog 8i rovrov xccl diaXaXw&ai ndXai
xal KpiXovg imdgx^iVj xcu vvv ßovXofjiivcjv t&v kv rij nöXsi xardyetv
TOVTov, fifj xcjXvstv 'Avxioxov, xal Si^ nenoirjxevK Antioohns igitur
consilio regni sibi vindicandi deposito fratrem maiorem qui diadema
abiecerat defendere se erga minorem eumque rite regem factum simulavit
§38.
„Autiochus per honestam speciem maioris Ptolemaei reducendi in
regnnm, bellum cum minore fratre eius qui tum Alexandriam tenebat
gerens et ad Pelusium navali proelio victor fuerat et tumul-
tuario opere ponte per Nilum facto transgressus cum exercitu obsidione
ipsam Alexandriam terrebat, nee procul abesse, quin potiretur regno
opulentissimo, videbatur"^ Omnibus nominibus anxii Komam mittunt
legatos. y,Sed frustra tentatis moenibus Alexandriae (rex) abscesserat,
ceteraque Aegypto potitus relicto Mempbi maiore Ptolemaeo, cui reg-
nnm quaeri suis viribus simulabat ut victorem mox adgrederetur, in
Syriam exercitum mox abducit."
a. c. 168 Nee huius voluntatis eius ignarus Ptolemaeus, dum
Ol. 152 4 conterritum obsidionis motu minorem fratrem haberet, posse
SL P. 155 ^® recipi Alexandriae et sorore adiuvante et non repugnan-
a. s. 144 tibus fratris amicis ratus primum ad sororem, deinde ad
Pt vi^i3 fratrem amicosque eius non prius destitit mittere, quam
pt! VII 2 pacem cum üs confirmaret. Suspectum Antiochum eflFece-
Ant. IV 8 jg^^ q^Q^ cetera Aegypto sibi tradita, Pelusi validum re-
lictum erat praesidium; apparebat claustra Aegypti teneri, ut cum
vellet rursus exercitum induoeret Belle intestino cum fratre eum
exitum fore, ut victor fessus [65] certamine nequaqam par Antiocho
futurus esset Haec prudenter animadversa a maiore, cum assensu
minor frater quique cum eo erant acceperunt; soror plurimum adiuvit
non consilio modo sed etiam precibus. Itaque consentientibus cunctis
pace facta Alexandriam recipitur, ne multitudine quidem adversante,
quae in belle non per obsidionem modo, sed etiam postquam a moenibus
abscessum est, quia nihil ex Aegypto subvehebatur, omnium rerum at-
tenuata inopia erat^'^ Sic inter se reconciliati aviißaatXtvtiv &StX<p(&
coepemnt'.
* Polyb. XXVm 22. 23.
» liv. 44, 19, 88S. Polyb. XXIX 2. " Liv. 45, 11. » Polyb. XXIX 23, 4.
414 ^ Lftgidarum regno
Haec dum Alexandriae gemntur, legati a Ptolemaeo (minore)
et Cleopatra post pugnam navalem, cam res in snmmo pericaio Ter-
sarentur, missi Romam, ad senatum vocati, sordidati, barba et capillo
promisso, cum ramis oleae ingressi curiam procubuerunt; et oratio quam
babitus fuit miserabilior, senatum orabant ut opem regno regibusque
amicis imperio ferret, ea merita populi Romani in Antiochum, eam
apud omnes reges gentesque auctoritatem esse, ut, si legatos misissent,
qui denuntiarent non placere senatui sociis regibus bellum fieri, ex-
templo abscessurus a moenibus Alexandriae abducturusque exercitum
in Syriam esset; quod si cunctarentur facere, brevi extorres regno
Ftolemaeum et Cleopatram Bomam venturos cum pudore qnodam
populi Romani y quod nuUam opem in ultimo discrimine fortunamm
tulissent Moti patres precibus Alexandrinorum extemplo G. Popüiam
Laenatem et C. Decimium et C. Hostilium legatos ad finiendum inter
reges bellum miserunt Prius Antiochum, dein Ptolemaeum adire
iussi et nuntiare, ni absistatur belle, per utrum stetisset, eum non
pro amico nee pro socio habituros esse^
§39.
Sua rebus singulis tempora haud adscripsimus, ne quaestionibus
chronologicis factorum interrumperemus continuitatem; iam quantum
fieri potest accuratissime t^mporum ordinem persequar.
Primo yere 169 anacleteriis celebratis aestatis initio (lunio) bellum
inceptum esse nuntius ad consulem venerat in Thessaliam; legatus
Rhodius, quem ut bellum componere studeret admonuerat, cito redux
apud Rhodiorum senatum [66] ea de re retlulit, quo fiacto mora haud
interposita Prationem Alexandriam mittunt legatum, qui cum advenisset
(sub finem Augusti aut initio Septembris] regem vidit Euerget^un,
Philometore ab Antiochi partibus stante. Pugna illa Pelusiaca
terrestris, quia consul Romanus Rhodiusque, qui ad eum initio aestatis
legatus yenerat, nihil dum de ea andiverunt, aut nondum pugnata aut
paucis diebusante erat; nam lenissimo flatu die nono a Puteolis, die septimo
e freto Siculo Alexandriam venitur; ne id quidem temporis ut in Thessa-
liam, ut Rhodum nuntius yeniret, opus erat Qua pugna commissa Ale-
xandriam aufugit Philometor; Antiochum Memphim profectum inau-
guratumque conyeniunt legati, quorum in numero Atheniensium
sunt theori Panathenaeorum mysteriorumque causa missi. Panathenaea
^ Liv. 44, 19. Legatos dizi mmorLs esse Ptolmaei, quanquam sunt, qui a
maiore miBBOS patent; sed rerum tempommque ordme meam sententiiam probari
nemo non yidet
Ptolemaeo VI Philometore rege 415
tertio quoqne Olympiadis anno mens. Hecatomb. ry rglrri ämövrog
L e. die 15 lulii mensis 169 can. Callip. celebrantnr; theori mysteriorum
tertio mense post celebrandorum pauUo ante tempns nna cnm illis
theons missi videntar. Qnae com ita 'sint naedio aut exeunte lulio
de pace agi coeptum est; mox ipsa pax condicionibus minus honestis
conyenit, nam sab finem Augusti Tel Septembri ineunte Antiocho ab
Alexandria regresso Euergetem Rhodii legati vident regem renuntiatum.
Antiochns inde ab eo tempore Ptolemaei in regnum reducendi
gratia bellum se gerere professus, cum castra haud ita procul ab Ale-
xandria posita essent, cur non primo quoque tempore interclusit
debellayitque novum regem? Crescere flumen eo fere tempore
(22. Septemb.) coepit totamque regionem ita inundat, ut prominentibus
oppidis pagisque ini x^tQonoi'^reiyif x^fJ^d^ciyp sitis Aegaeum mare yidere
tibi Tidearis. Bello continuando non erat tempus. Antiochns tanquam
belle eins anni finito legatos circummisit.
Ptolemaei Euergetae et Gleopatrae regum legati idibus Martiis prin-
cipio anni 586 (2. lanuar. 168) in senatu auditi sunt, diebus XX, ad
summum XXX ante ab Alexandria profecti. Sub Decembris igitur initio
pugna Pelusiaca navali commissa ponteque tumultuario per Nilum
facto (nam cum medio Novembri aquae relabi incipiunt) rex transgressus
Alexandriam ipsam terrebat. Eadem bieme [in xccra ;^6ijU(ötfa) Ptole-
maeus et Ptolemaeus reges ad contionem Achaicam legatos mittunt,
unde inter se conciliatos puto mense Februario, ut Antiochns moenibus
Alexandriae frustra tentatis lanuario aut pauUo ante regressus sit.
Quam ob causam regressus sit non diserte traditur, sed fama
percrebuerat inter ludaeos, regem mortuum esse; lasen igitur cives ad
arma vocat, [67] qua de seditione rex certior factus ävce^ev^ceg ^| Alyvit-
Tov Te&rjotafUvog rrj ifrvxfj Hierosolyma profectus est^ Fortasse ea
seditio reditus causa, illius famae causa mortis qualecunque periculum,
ad quod nescio an Eusebii yerba respiciant corruptissima: 8t(&xBTcci Si xal
Lävrloxoq Xvd-QGj&ivTog xccl to€ (l^iXofii^roQog [Synkell. p. 538 Bonn.].
Anno priore 169 legati Romani duce Titio Alexandriam venerant,
qui pacem conati reconciliare infecta re Romam abiere', id quod factum
puto ante pugnam navalem (qua commissa Popilius missus est) for-
tasse inter Pelusiacam pugnam pacemque istam ignominiosam; sed res
non liquei
§40.
Ptolemaei reges, cum Antiochns quamquam domum redüsset et
inter fratres ita res convenisset, ut eins auxilio non amplius maiori
* Maecab. 11 6, 5. • Polyb. XXTX «, 4.
416 I^e Lagidarum regno
opus esset, fore ut impugnationes renovaret persuasnm haberent, arma^
copias, machinas quaecunque alia ad bellum pertineut, diligentissime
parabant Karä rijv IleXonövvrjiTov 'in xarä x^iff'^cc .... SBÖfuvoi
navToSanfjg kniTcovQiaq k^aniatuXav TtQeaßevräg EvfUvt] xal Aiovxt-
aöScogov TtQÖg roifg !Axcciovq alrodweg ns^ovg fuv X'^^^vg, inniig
Si SiaxoaiovQ, ijyefiöva Si rfjg ÖXrjg (TVfificcxtccg Avxöprav, r&v ä*
Innicov Uokvßtov, Ilgög Sa OeoSojQiSav rov 2ixv(6viov SienifitffavTO
nuQccxaXovvTBg avxbv avaxi'itraa&ai ^avoXöyiov xtXtcov ävSg&v. JSwi-
ßaive di rovg fdv ßccatXBig rijv knl ^Xaiov avarccaiv ix^iv ngbg rov^
elQfifiivovg ävSQag ix r&v ngd^toav cjv ÜQi)xcc(Xhv, T&v Sa nQ^G-
ßavT&v 7ta()ayavofiiva}Vy rfjg (tvvöSov t&v !Axui&v ovatjg iv Kogiv&io^
xcci rä TB (piXüv&Qmna nQog ri/v ßctaiXaiav ävccveaxrafiivojip övne
fieydXa, xal rijv nagiaraatv x&v ßarriXimv vn6 rijv 6\f)iv äydvrmv
xal SeojULivcüv atplai ßo7]&eiV, rö fiev nXfjdog rciy» !Axai&v Uroifiop
Jjv ov iiiQti Ttvi, 7tavSi]fiel Si avyxivdvveveiv el Sioi roTg ßaaiXsvGiv,
äiKpÖTEQOi yccQ Bixov tö TS diaSf]fia xal rijv i^ovaiav oi Si nagt
Tov KaXXtXQÜTfjv ävraXayov^ .... (laTaXaßövrag rovg Xöyovg oi nigi
Avxögrav xal üoXvßiov .... Sententiis in utramque partem prolatis
Marciique consulis in Macedonia hibernantis epistola a Callicrate suppo-
sita^ qaominus auxilium regibus concederetur, rä fiiv xarä r^r ßor)-
&aiav ovTfog Stanaaa roig ßaaiXavai, roig 9 'Axaiolg iSo^a ngacrßevrag
änoaxiXXaiv rovg SiaXvaovragj xal xarafTrd&rjaav Ü^p/eöa' ^Ayaigärr^g
jigxaaiXaog ^ÄQiaroDv MayaXoTCoXirai, Ol 8h nagä tov IlroXafjLaiov
TtQaaßavral Siaipavtr&avrag rfjg] (TVfifiaxiag ävidcoxav roTg äQXOvaiv
ivoifjiag ^/oi/T64j knicTToXäg itagä x&v ßatxtXaooVy St 5)v ij^iovv rovg
lAxaiovg kxitifinatv AvxÖQzav xal üoXvßtov iitl tov ivatTuora nöXafiop^.
Antiochus contra ubi audivit pacem inter fratres convenisse,
„Cyprum extemplo classem misit, ipse primo vere cum exercitu Aegjp-
tum petens in [68] Coelesyriam processit. Circa Rhinocolura Ptolemaei
legatis agentibus gratias, quod per eum regnum patrium recepi^et^
petentibusque ut suum munus tueretur et diceret potius quid fieri
Teilet, quam hostis ex socio factus vivatque armis ageret, respondit:
non aliter neque classem revocaturum^neque exercitum reducturum,
nisi sibi et tota Cypro et Pelusio agroque qui circa Pelusiacum Nili
ostium esset, cederetur, diemque praestituit intra quam de condicionibas
peractis responsum acciperet. Postquam dies data indutüs praeteriit ....
ad Alexandriam modicis itineribus descendit Ad Eleusinem trans-
gresso flumen, qui locus quattuor milia ab Alexandria abest, legati
Romani occurrerunt, quos cum advenientes salutasset, dextramque
» Polyb. XXIX 23. » Polyb. XXIX 25, 5as.
Ptolemaeo VI Philoinetore rege 417
Fopilio porrigeret, tabellas ei Popilios senatus constUtum scriptum
habentes tradit atque omnium primum id legere inbet Quibns perlectis
cum se consideratnram amicis adhibitis quid faciendum sibi esset dixisset,
Popilios pro cetera asperitate animi virga quam in manu gerebat
circumscripsit regem ac: priusquam hoc circulo excedas, inquit,
redde responsum senatui quid referam. Obstupefactus tam vio-
lento imperio parumper cum haesitasset: faciam^ inquit, quod censet
senatus. Tum demum Fopilius regi dextram tamquam socio atque
amico porrexit. Die deinde finita cum excessisset Aegypto Antiochus,
legati concordia etiam auctoritate sua inter fratres firmata, inter quos
vixdum convenerat pax, Cypmm navigant et inde, quae iam vicerat
proelio Aegyptias naves, classem Antiochi dimittunt"^ [haec Plinius
XXXIV 24 de Cn. Octavio, unde eins statua]. Kai 'PmfAatot fiiv örrov
ovnoD xccTccTtenovfjfiivfjv ri^v üroksfiatov ßacriXeiav tovrto t(ü TQÖno}
SUacoiTav, Tfjq ti5/i?s oürag ßQaßevovarjg rä xarä rdv Uagirea ngüy-
fiarcc xai rovg MaxeSövag, äare xai ngoq rdv bgxcct^ov xaiQov
kX&övTCC TU xccrä rijv IdXB^dvSguav xai Tfjv ÖXrjv AYyvjixov nagä
TOVTO naXiv ÖQ&ca&fiVai nagä rö (p&ütrai XQi&ivra rä xaxä rdv
IIiQaia Tigäyfiara*.
Fopilius enim Alexandream venerat paucis diebus post Perseum
ab Aemilio PauUo ad Pydnam victum; quam pugnam die XXII lunii
(pridie non. Sept) pugnatam esse ex lunae eclipsi praecederite die visa
coUigitur. Primo ut videtur veris mense Rhodiorum legati, de Popilii
missione iam certiores facti, ad Antiochum adversus Romanos foedus
facturi venerant^
§41.
Popilii iussu legati Romam missi „gratias egerunt communi nomine
regis [69] et Cleopatrae"^ Exspectaveris ,.regum nomine"; nam reg-
num pace facta fratribus commune erat. Neque vero ea est in bis rebus
Livii auctoritas ut rem certissimam incertam reddere possit. Polybius
formula soUemni usus ita scripsit: oi ßamXetg änoXeXufievoi rov ngog
'Avxioxov TtoXifiov ngö^rov fiev eig 'P(6firjv n^SfrßevTi^v i^inefiipav
]Vov/j,rjviov 'iva r&v (piXcov BvxaQiarijGOvra tibqI t&v sig avrovg yayo^
vÖTCQv eve()yBrr]fiÜT(ov^,
Champollio in rebus bis omnibus euarrandis et ad temporum
ordinem describendis nihil non turbavit, Porphyrium atque Eusebium
* Liv. 45, 11, 9 SS. Cicero Phil. 8 lustin. 34, 3 Vellei. Paterc. I 10 Plut.
apoph. 32 Appian. 66 etc. * Polyb. XXIX 27, 11. » Liv. 44, 24.
^ Liv. 45, 13. * Polyb. XXX 17 Letronnius eundem Numenium avy'^evtj
xai ini(noXoYQO[(pov ex inscr. Phil, putat^
Droyseu, Kl. Schriften II. 27
418 ^6 Lagidanim regno
minus prudenter secutas, quorum yerba numerosque, rem conompendo
aptissimam, Letronnius elegantissima emendatione adhibita ita restitait^:
ÜQX^^ ^^^ y^Q ^ ^iXofAi^TOjQ iKQÖTBQoq izBatv %p8vca \ß6voq\ 'AvTioxov
S'iniaTQarevffccvTOQ Alyvnr(p . , . . ol jiXe^ccvSQtig tc5 vamriofo
inirgexpav zu ngäyfiara xal Sid^amg uivrtoxov k^giauvro top
(l^ikofjLijTOQu xal ^/(»tyju^irfo'ei' avrolg <PiXofi^roQog iß> (volgo ig , sed
£us. Arm. XII habet) EvtQykrov Sk Iw [1. nQ&xov^ Oatsohmid], Eusebii
verba^: nQ&rog yäg 6 <PikofA^(OQ fiövog ta irrj kßaeAsvtreVj slra
vnö jivrioxov k^tßXri&i] .... xQareT r&v npayfiätiov IlToXBfiaioq 6
EvBQyixriq 6 vtdiXBQog .... yvfSfij] t&v lÄXB^avögitov. Jidfxarat Si
xai !AvxioxoQ Xv&Qca&ivxoq (?) xccl xoü <l>tkofi7ixOQOQ, xal ßa<Tik€vou4Tir
Ol Svo änb xoü iß' ixovg fkog xov i^ ixovg, 'ExQf}l»'dxt(ftv äxt] (yulgo
Bivai) [1. ovv] na^ ^Ake^avS^evaiv Swdexäxq) xod <l>tkofit)xoQog Hei
nQ&xov Bxog xov Emgyixov.
Si commune fuit ab hoc tempore fratribus regnum, utriusque
nomen et annus in papyris, utriusque imago in nummis exhibenda
fuisse Tideatur. De papyris* quantum scio nihil dum repertum^^; sed
nummus est Ptolemalde cusus Lid", Ptolemaei Philometoris nomine
imagineque signatus^; alii nummi Ptolemaei nomine annisque Ijiß^
Lty LtS" Li«' Ltgf Li^ signati, siglo ITA, quod Paphi esse constat,
tantum non in omnibus addito, ex lineamentorum similitudine quadam
Philometori tribuuntur. Suspecti Letronnio; alterius regis nomen omitti
potuisse negat. Sed Euergetae quoque nomine signati habentur annis
La' Lß" L/ L<y cusi^
§42.
Bello illo gravissimo finito Cyprus Ptolemaei Macronis'^ proditione
aliquamdiu [70] hominis Syri arbitrio tradita, dein ab Antiocho denuo
fere expugnata, Popilio auctore in Lagidarum dicionem rediit Nam
qui pauUo post inter Syros duces memoratur Nicanor Cypriarches errore
aut scriptoris aut scribarum natus est^ Syriae contra imperium
amissum; ad Seleucidas redeunt tributa; sola Ptolemals civitas pro
übertäte sua nummos Ptolemaei nomine effigieque signatos cudebat
' ap. Eos. p. 225 ed. Seal. [ed. Sohoene I p. 162]. * Eus. p. 54 [Synkell.
p. 538 Bonn.]. ^^ Pap. enim Berol. No. 47 [P. 8112] enchorice scriptns (cni hoc
est initium: anno VI Tybi XX Ptolemaeo rege, filio Ptolemaei et Cleopatnie
deorum epiphanium cet. verbia bis sub finem additis: anno VI Tybi XX regis
Ptolemaei .... mater vidua . . . .) ut ex apposito „mater vidua" apparet, non
Euergetae sed Philometoris est, caius anno VIII Cleopatram mortuam esse supra
prohavi**. * Eckhel IV 16.
* Maccab. II 12, 2.
Ptolemaeo VI Philoxnetore rege 419
Sed res longe gravissima est, quod sua Roman i auctoritate atque
intercessione servarunt regnum, regem restibuerunt; quasi arbiter legi-
timus Ptolemaeos reges legatus Romanus ut concordiam recens constitatam
firmarent admonuit^ regum legati cum gratias ad senatum agerent^
plus reges senatui populoque Romano quam parentibus suis, quam
diis immortalibus debere, responsum a senatu est, Antiochum recte
atque ordine fecisse quod legatis paruisset^ Romana igitur inde ab
hoc tempore auctoritas in rebus Aegyptiacis non yalere tantum, sed
imperare, sed dominari coepit. Eadem Romanorum auctoritas ab eodem
tempore in Graecis regnis omnibus pauUo post in proTinciaruni formam
Romanarum abituris; neque tarn armorum vi Romana yirtus ea subegit,
quam suo iure acquisivit, siquidem pro regum inertia, prayitate, hebe-
tudine, rerum externarum domesticarumque inouria suam auctoritatem,
suam constantiam, suam imperandi seyeritatem atque yirtutem substi-
tuisse Romanos, ius summum est atque praesentissimum. Sic certo
quodam rerum flexu eoque lenissimo sunmia Graeci inter Aegyptios
regni ad Romanum tandem transiit nomen, rerum forma atque statu
fere nihil mutato', nisi quod in ultimo rerum fastigio pro diis Ptole-
maeis dii Gaesares oolendi erant.
Sed ut Macedones rebellione facta Romanam ,effugere didonem
studuerunt, ita in Lagidarum etiam rebus aliquid quasi reflexus atque
reciprocationis est Regum dico fratrum dissidium. Philometor pro
iure suo propugnaturus Graecaque re Romanorum commercio ad post-
remam yirium contentionem excitata, Alexandri Magni, yeterum m-
iuriarum ultoris, hostium debellatoris, regnorum expugnatoris ad simili-
tudinem ut tenui ita laeta aemulatione Syris debellatis duplici diademate
tempora redimitus Antiochiae obiit. Euergetes contra, cuius iniuriam ius,
cuius proditionem fidem haberi populo Romano placuit, populi Romani
exadversum firatrem beneficiarius, regno post fratrem mortuum fratrisque
[71] filium interfectum suscepto Graecos expuUt, ut Graeciam, ut Asiam,
ut mare exsulibus impleret, ut Aegyptum Graecis Graecus ipse Aegypti
rex yacuefaceret. Neque quicquam post contra Romanos rebellare ausa
Lagidarum res; Romae erat et per Romanum arbitrium.
Lagidarum regnum a principio aegrotayit; Philometoris aetate in
letale adductum discrimen, ut diyersa ista elementa dissolyi, ut quasi
anima e corpore Aegyptiaco pro vemacula migrationum superstitione
revocari coepta sit; nam ut historia metempsychosis dei, ita gentes
Corpora, quas in stationes aliae aliis mentis diyinae yices succedant.
Lagidarum historiae principio Graeca res, exitio Aegyptiaca praepon-
■ Liv. 45, 13. • Tacit bist. I 11.
27*
420 De Lagidarum regno
deravit. Philometoris regnum vere Graecoaegyptiacnm dicas tristem
tristioris mixtionis florem. Haec scripsi, ne temere de Ptolemaei Philo-
metoris rebus agere viderer*.
Bello finito quantam pax tnlit animomm oonversionem, quantam
studiorom confiisionem, quantam rerum omuium perturbationem atque
dissolutionem! regui ipsa fundamenta labefactata, de patria yia rationeque
deflexnm, historiae tenor atrociter interruptus, novi saeculi intia. Bello
quadrimo eoque in felicissima regni regione gesto, pecunüs ab Antiocho
ex Aegyptiis mira avaritia extortis bona privata atque publica, agri,
civitates, regnum exhausta. Quae Antiochus Romanis Graecisque civita-
tibus dono misit GL talenta nauci ducas; sed quos ludos ßovXöfievoq
rfj fuyaXoBQyi^ imzQ^Qui röv IlaifXov Persei regis victorem edidit
splendidissimos, qualem se in Aegypto praebuisset specimen fiiere^
Neque vero hostes tantum confecerant regnum; inter ipsos regum
amicos erant» qui XQ''l^^f^^o'^ ''^oTg xaxu rf}Q ßaaüMaq xuiQOtg n^oi:
rijv ISiccv inavög&oDmv suas spolüs patriae opes augereut; sie Menal-
cidas, quem reges äniXvaav IloniXiov tccvrtjv rijv x^Q^"^ ahfiaaiuvov
Ptolemaeus Philometor, quem lustinus non sine venusta
quadam ut seiet deformatione segnem admodum dicit et quotidiana
luxuria marcentem, ut non solum regiae maiestatis officia intermitteret^
verum etiam sensu hominis nimia sagina careret^, miram illam fortunae
Ticissitudinem ea vitae aetate, qua iuvenilis animus formari seiet moresque
exprimi, expertus ex languido adolescentiae otio, ex luxu lasciviaque
pueritiae in maturam vitae severitatem traductus [72] yirum, regem,
Graecum se praebuit^ Siä r&v votbqov nQÜ^eayv ij rpiaiq airrov ixopcjg
vnkQ ccifTfjQ äneXoy'/j&f/ Set^aaa tov ßaaiXia xal ardatfiov övra xai
dQCMTTtxov oiSevdg fjrtov^,
A tali yiro toto caelo Euergetes frater et ipse rex diflFe^ebat^
homo ignavus atque sanguinolentus, rudis idem atque eruditus; neque
de eo quicquam traditur, quin ridiculum, quin foedum, quin cruentum
Sit; vultu erat deformis, statura brevis, sagina ventris non homini sed
belluae similis, quam sorditatem nimia subtilitas perlucidae vestis
augebat, prorsus quasi astu inspicienda hominibus praeberentur, quae
omni studio occultanda pudibundo yiro erant; tanta iste pinguedine
laborans abiectissima adulatione ad umbram hominis Romani humi
iacebat, quam civibus cruentus tam Romanis ridiculus^. Idem cum
nuptias celebraret cum Cleopatra sorore, filium eins interficit, filii
* Poljrb. XXVIII 18 XXXI 8. » Polyb. XXX 17. • lust. 34, 2, 7.
' Diod. exe. de virt. p. 579 [XXX 17j Polyb. fin. » Polyb. XXXIX 18.
Ptolemaeo VI Philometore rege 421
fautores trucidat, tantae tandem caedis cum ob perpetuitatem coneubi-
nas taedium caperet, qui supererant, ad maiora reservari iubet supplicia,
Euergetes^ cum immatura regno aetate esset, neque ad suam quae viri
fiitura erat turpitudinem ultimam descendisse, neque si descenderat tanta
in rebus administrandis valere eins auctoritas poterat, ut honesta fratris
conailia perfrinp:eret atque conturbaret. Sed post XV vitae annum, cum
celebratis protoclisiis sui iuris factus a regni societate non posset ultra
removeri, suae naturae totum se tradidisse videtur.
§ 43.
a. c. 163 Philometoris anno XVII Euergetae VI, non ita multo
Ol. 154 1 post Antiochi Epip.hanis mortem usque ad eins inter fratres
a! p' 160 dissensio erat aucta, ut senatus Roman us Cd, Octavio lega-
a. s. 149 tisque cum eo SjTiam profectis litteras mitteret xcel rovg iv
Pt %I^18 !AXt^av8QBi^ ßaaiXeig Siakdaai xarä Svvccfiiv^. Legati
Pt. VII 7 enim Romani, qui pauUo ante Alexandriae fuerant versati,
Ant. V 2 ij fere ^d senatum rettulerant, tantam fuisse in Euergetam
populi invidiam atque indignationem, ut seditione flagrantissima orta
sua eum auctoritate servassent atque salutis periculo liberassent: Sto
xal TcaQ kXnlSa xal itaoaSö^cog äeSofiivcov avt(p xöv xarcc Kvojjvrjv
ngayfiÜTCDV ä^fiivcog äi^airo xal rrtpaytcjv rfjLfj&Evrcov xal käßoi
rovg ÖQXovg naQcc täSekffov xal Soirj nsQl rovrov^ Frater igitur
maior, ut minorem ex invidiae vicinitate removeret, Cyrenaicum ei
tradidit regnum*.
[73] Sed Euergetes, cum ipse ut frater totius regni rex fuisset, non
tantillum tantum regni ad se pertinere iudicans, Cyprum quoque insu-
lam suae dicioni postulavit addL TJnde inter fratres vehementem ortam
disceptationem atque invidiam Cn. Octavius componere mandatum ut
dixi accepit. Non item perfecit. Nam Euergetes Ptolemaeo Sympetesi^
rebus praefecto ä&ereTv ßovXöfisvog rov yeyovöra fABQKXfiöv avrtß nQÖg
TOP äSikcpöv Romam profectus est*. Tov UroXsfiaiov .... Tte^f^ Aubqxo-
fiivov elg 'PcjfjLtjv kyvcÖQiirev avrdv 6 JrjfjLi^TQiog 6 rov JSeXevxoVf xal
x^'avfidaag rb nagaSo^ov^ kitoiriai xi ßaaiXix6v xal fiByalonQsnig
Setyfia rfjg iavrov TtgoaiQiaecog' nagazQ^fia yäq nQOxeiQiaäfUvog
ßamktxrjv htr&fjra xal diüSr]fia, !;r(>6g Si rovroig xal innov noXvreXfj
XQvaocpäXaQOv fAerä röv iSioov naiSmv äTtfjVTrjirs r(p IlToXBfAa/G)^
* Polyb. XXXI 12, 14. * ib. 18, 5. » Sic Graece audit [Pol.
XXXI 27, 7]; JJBfindttjing rectios Letronnius p. 488 scribi iubet quam yeriu8: et
Petisidis fifius nt JSiqiaag in laterc. Erat., scrib. 2^g>&a^, filias Phthatis
* Polyb. 1. c.
422 I)e Lagidarum regno
avfifii^ag 3i airrtp tf]g nöiscjq än6 Siaxoaioav araSimv xai (pikoippö^
voog äanacdfuvoq nccQBxdXu xoafiriOivta roTq rfjg ßaaiXuccq nuQctair
fiotg cc^lctv iccvTOv noii^aaa&ai rrjv eig rijv 'P(6fif]v etgoSoVy ivcc fii,
TBlitog evxara(pQ6vfiTog elvai Sö^ij' 6 3i TlroX^iuxIog tfjv fUv ^qo-
&vfiiav äneSi^arOf xoaovrov Si äniaxs rov Si^aa&ai vi r&v ätSo-
fiipojVy (Kare xal roi/ JfjfAi^rpiov ij^matv iv rtvi t&p xarä ri/v 6S6v
nöXemv xctrccfiaTvcei xccl rovg nsgl röv 'AqxIccv fiev avrod^.
Romam eodem tempore a Philometore misstis Menyllus Alaban-
densis Polybii amioas* venerat. Ad senatum vocatus Euergetes ovx
ixcav, ait, äkXa xax äväyxrjv rc} xuiQ(p 7teQiXf](p&€tg Ttsnotfjxivcei ro
nQogTartöfievov xal naQSxdXBi Trjv avyxhjrov fUQitrai ri/V Kimgov
airt^' xal yaQ xovxov yevofjiivov xaraSttariQav ^siv fisgtäa rov ctSa?,-
(po€ nuQcc noXv . . . !ff trvyxXfjTog äfia fiiv dgcdaa rdv fugtafiöp &vi^
üQv yeyovöra teXicogy &fia Si ßovXofUvt] SibXbTv rijv ßaaiXeiav npcty-
fiarix&g, airöv alricov yevofiivtov r^^ Statgicscog, avyxari&ero toi>^
vnb TOd VBCorigov naQaxaXovpiivoig knl t(p (rtperigq} avfKpeQovti ....
Ka&OQ&VTsg rö fUye&og Tf}g ^v Alyvnrip Svvatrreiag xal SsSiÖTsg^
äv noTB TVXV 'JtQoardroVj fii] fXBi^ov (pQ0V7]erj rov xa&^xovrogj xccri-
(TTfjaav nQBffßavräg Tixov ToQXOvärov xal Fvalov MbqöXov rovg
xatd^ovrag knl T7jv Kvitgov rdv UroXefiaTov xal raXeiciaovrag äfia
rijv hcBiv(DV xal rijV avz&v nQÖ&eaiv. Kai nagaxQfjfia rovrovg
i^anioTSiXav, SövrBg ivtoXosg SiaXvaai rovg äSeXq^ovg xal xaratrxev-
d(Tai T<p vscjTiQcp Tfjv Kvngov x^^Qh noXifiov^,
Quae quo tempore sint facta non diseiids verbis indicatur, Sed
Polybius xarä rdv avxbv xatQÖv ait de Octavii morte nuntium Bomam
yenisse, neque ita multo post navi Cartbaginiensi ieQaydyq) Demetrium
in Asiam rediisse®. Sollemnem Carthaginiensium theoriam, quae Tyrum
mittebatur, Alexander Magnus urbe [74] expugnata vidit mense Heca-
tomb.^ Aliis praeterea documentis Demetrium vere anni 162 in Asiam
rediisse firmatur^^. Primis igitur anni 162 mensibus Romam venit
Euergetes. Sed quo tempore turbarum initium est? Antiochus IV
mortuus aestate anni 164. Quo facto Octavius Asiam missus ficrd
rtva xQ^'^ov reges Ptolemaeos inter se conciliare iubetur. Sed post
mandata ad Octavium tradita legatos Romanos Alexandriam esse missc»s
haud probabile videtur. Quinctius igitur atque Canuleius, antequam
Octavius mandata nova acceperat, missi, populi turbis compositis de
regno dividendo inter fratres pacem conciliarant Novissimum imperii
» Diod. exe. de virt. 583 [XXXI 18, 1], • Polyb. XXXI 20, 8. » Polyb.
XXXI 18. 8 Polyb. XXXI 19, 1; 20, 11. » Arrian. II 24. " Froehlich
ad h. a.
Ptoleinaeo VI Philometore rege 423
communis fratribus annum Philometoris XYII Euergetae VI fuisse, i. e.
Nab. 583 (ab Oct. 165 ad Oct. 164) inter chronographos constat, ab
anno XVIII (ab Oct 164) Philometoris est. Annus 165/4 igitur regum
amboTum integer, hoc anno 164/3 plebis faror erupit, legatis Romanis
nescio an ob eam ipsam rem missis. Eo tempore, fortasse initio anni
1 63, legatorum auctoritate Cyrenaicum regnum Euergetes accipit. Pax
aliquamdiu observatur; sed qua pro benignitate sua fratri frater cesserat,
ea regione Euergetes haud contentus Cyprum insulam postulat, negat
frater; quam litem componere iussus Octavius quo tempore Antiochiae
interfectus est, eodem Romam Euergetes venit primis anni 162 mensi-
bus; senatu de insula tradenda pollicito primo vere eiusdem anni Cyp-
rum profectus 'est
Sunt qui Philometorem, non Euergetam Bomam venisse dicant^^
Erroris auctorem Livii epitomatorem habent, cuius ad librum 46 haec
fere yerba sunt: „Ptolemaeus Aegypti rex a minore fratre e regno pul-
sus missis ad eum legatis restitutus est''. Contra scripsit Champollio,
qui quantum in temporibus bis describendis ut fere solet erraverit^ non
operae pretium est illustrare. Qui Ptolemaeus a Gracchorum matre
repulsam tulit, non dubium est quin Euergetes noster fuerit, id quod
nescio an eodem hoc tempore sit factum ^^.
§44.
a. c. 162 Euergetes ubi cum legatis profectus Graeciam intravit,
Ol. 154 2 magnam sibi mercenariorum vim conduxit, quorum auxilio
a! P. 161 Cyprum sibi rindicaret Sed cum Rhodum ventum esset,
a. s. 150 legati mandatorum memores, ut sine armis pacem concili-
Pt.%1 19 arent, copiis dimissis Cypro intacta [75] regem Cyrenam
Ft. VII 8 traiicere postulant; se Alexandriam navigaturos, fore ut
Dem. 1 fratrem regem ad accipienda senatus decreta componen-
damque cum fratre litem adducerent Euergetes igitur cum Merula
Cretam abiit, unde mille mercenariis conductis Libyam petens apud
Apim adpeUunt
Torquatus contra cum Alexandriam venisset et quae a senatu
promissa essent communicasset, a rege ita productae de pace actiones
sunt, ut Euergetes, qui a legatis iussus ad Apim cum Cretensibus suis
tenderet, ubi cum Torquato fratrem exspectaret, nihil de pace secum
fuisse actum aegerrime ferens, primum Alexandriam Merulam mitteret,
tanquam per hunc et Torquatum quod cuperet esset eflFecturus. Sed
" Sic Vaillant p. 96 Rollin bist ant. IH 889 Eckhel IV 16 Thrige p. 246.
" Plut. Ti. Gracch. 1.
424 De Lagidarum regno
cum id quoque consilium eundem exitum haberet nullam, iamqae p<^
missum Merulam XL praeteriissent dies, neque nuntius interiin ollus
veniret, de summa rerum rex dubitare atque desperare coepii Miris
enim blanditiis Philometor legatos sibi ita conciliarat {k^iSaxaccto), ut
invitos magis quam Yolentes detineret.
Cyrenenses interim rex a se defecisse nuntium accepit; dvitates
ceteras cum iis couiunctas esse, ne Ptolemaeum quidem Sympetesin
in fide permanere, sub armis exercitum haben, cum Oraecis facere
Libyas; ab omnibus non regem exspectari, sed tyrannum reformidari.
Veritus rex, ne dum Cyprum aflfectaret vel Cyrenen amitteret, ceteris
rebus omnibus insuper habitis CjTenam revertitur, Libybusque qui circa
Catabathmum Magnum fauces occuparant victis, Mocbyrinum ubi ven-
tum est, cum aciem eduxissent Cyrenenses peditum ad YUI mUia
equitesque quingentos, proelio commisso superatus est
Eodem tempore Merula ex Alexandria ad regem rediit: nihil eorum
quae a fratre fuissent postulata impetrari potuisse, quod iis diceret
standum esse pactis, quae ab initio essent facta. Cum Merula igitur
Bomam rex misit Comanum et Ptolemaeum fratres, qui Philometoris
iniuriam ad senatum referrent Etiam T. Torquatus re infecta Romam
rediit, quo facto Menyllum Philometor legatum misit suaeque rei defen-
sorem. Qui cum in senatum vocati essent, longa inter ipsos alterca-
tione habita, cum alter alteri conviciis os verberasset, quia Titius et
Gnaeus suo testimonio iunioris causam sublevabant, senatus Menyllum
iussit ante diem quintum ürbe excedere foedusque cum Philome-
tor e tolli; ad Euergetam legatos missurum, qui illud patrum decre-
tum adferrent P. Apustius et C. Lentulus extemplo profecti decreta
ad regem pertulere, qui hoc nuntio inaQ&eig Bv&ifDg k^svolöyBi xal
ratg inißo)s,aig öXog xal näg Hjv ntQi Tf]v KvnQOv^,
[76] Quibus rebus anni 162 reliqua pars expleta videtur, ut quam
expeditionem Euergetes pararet anni 161 vere facturus esset.
§45.
O. Ch. 158 0 TtgeaßvTSQog UTolBfiaTog raxv Stä tä fUy^&og
a. 1. 155, 2 Ttjg GTQaxtüg av/xkaiaag rbv äSaXtpöv Big noXiogxiav
a P 165 (Lapethi, Cypri oppido^) xal nsiQav naarjg änootag kaßeip
u. s. 154 &vayxdaag knaveXe(T&et fiiv ccvvdv ovx kröXfifiarav, äfia
Pt^v/23 ^^^ ^'^ ^'^^ /(Jiyrrrdriyra xal Siä ro rfjg (fv(T6(og rrvyyt-
(Ft. VII 12) vig, äfia Si xal Siä rbv &n6 'Po}fjiaicov tpößov (Twex(&Qr](TB
Dem. 5 g^ aiztp TtjV äacpaXBiav xal avv&ijxag knoitjaaro,
» Polyb. XXXI 26-28 XXXII 1\
^ Polyb. XXXIX 18, 6.
Ptolemaeo VI Philometore rege 425
xud^ &Q iSBi t)]v KvQijVfjv ü^ovra xbv vb(At6qov tiSoxuv xal cixov
nkfj&OQ TUXTov Xafißüvsiv xar ivtccvröv xal rä xcträ rovq ßccatk^Tq
elq noXkijv dXloTQioTtjTcc xal xivSvvovq äTtrjXmtrfUvovg nQoaxO'ivxa
nccQaSö^ov xal (fiXav&Qt&nov (rvklv(TB(oq ärv^sK
Haec in Diodori fragmentis post Orophernae ad Demetrium le^n-
tur missionem, quam initio anni 158 faisse constat Euergetes igitur
seditione Cyrenensinm post dadem illam nescio quo modo sedata^
bellum quod hieme 161 senatus Homani decreto nora spe auctus prae-
pararat, per triennium ut videtur continuatum cum tam diuturna La-
pethi obsidione, ut neTgav Ttäfrrjg änoQiaq kaßatv coactus esset, susti-
nuisset, pace finivit ea, ut Philometori insula cederet, Cy reuen contra
Libyamque obtineret^ ad quam paeem firmandam fratris ipsi filia sponsa
est*. Champollio Cypri oppida nonnuUa Euergetae fuisse tradita nescio
quo auctore narrat.
Quam Philometoris filiam pace 158 facta non tantum sponsam
esse, sed nupsisse Euergetae, „maximus ille regis filius", de quo lustinus
mentionem facit [XXXVIII 8, 12] probare videtur; ut neque Euergetae
nxor prima Cleopatra illa soror germana, fratris vidua, quam anno 145
duxit, sed secunda esset, neque Fhilometor ex eadem Cleopatra duas
t^uitum haberet filias Cleopatram Syriae regibus ductam et Coccen
Cleopatram, non multo post 144^ Euergetae uxorem, sed tertiam [76]
eamque natu maximam, anno 158 avunculo sponsam. Nuptias anno
1 55/4 celebratas esse infra probabimus, quo tempore XII ad minimum
annos puella habebat, nata igitur anno 168, anno post anacleteria al-
tere; anno 169, quo celebrata sunt anacleteria, pater Cleopatram habebat
vel potius duxit uxorem. Consentaneum esse videatur, quo die anacleteria,
eodem nuptias factas esse, cuius geminatae celebrationis in memoriam^
haec templi Parembolitani inscriptio dedicata fuerit [C.I. Gr. III 4979]:
VTCBQ ßaaiXicoq ÜToXtfiaiov xal ßatxthaatjg KXeonäTQag rijg ßatXiXimg
4ide?^q>fjg xal yvvaixog d'ecjv (piXofi7]TÖQ(ov ^laiSi xal ^SaganiSi xal
roTg (Tvvväoig &BoTg, quam inscriptionem non multo post nuptias factas
scriptam esse formula xal rcuv rexvcov omissa indicatur. Letronnius
* Diod. XXXI 33 Liv. ep. 47 Euaeb. 68 [ed. Schoene p. 164] Syncell. 226 ed.
Yen. [p. 538 Bonn.] * Ad hanc^seditionem Niebuhrius et Thrigens Polyaeni (VIII
e. 70) referunt narrationem, Lycopnm Aetolum a CjTenenBibus ducem faisse accitum
eiqne snmmam remm permissam; pugnantibus viris valla mulieres munivisse etc.
Lycopnm autem yiris ad intemecionem caesis tyrannidem occnpasse et in mu-
lieres maledicta in se coniicientes saevisse, has vero sua sponte mortem oppetivisse.
* Polyb. XXXIX 18. * Letronnius p. 128 recte dicit ante 140. Pap. Berol. ench. 45
ita incipit: anno 29 (142/1) regis Euergetae f. Ptol. atque Cleopatrae reginae atque
Cleopatrae Euergetae fratris filiae^.
426 De Lftgidarum regno
Champollioque et nuptias et templi dedicationem anno 163 adsGribnn^
anno 169 regem connubio immaturam foisse; sed XYIU asnos nati
praeter Philometorem pater eins Epiphanes necnon Soter secnndus
confecerunt^ Philometor igitur anno 169 com anadeteriis celebrant
nuptias, anno 168 ex uxore sorore germana suscepit filiam, anno 138
fratri regi eam spopondit, anno 155/4 Tirgo patruo nupsit
§46.
a. c. 154 Karä tovg xaigoig, xa&* oifg k^BTiBfiyjev 4} cvyxXfj-
Ol. 156 2 -pQQ -pffy 'Omfjuov consulem knl rdv r&v 'O^vßifov nd},^-
a. P. 169 M®^> */^* TlrokBfKxtog 6 vedfTBQog slg rijv *P(6fjif]Vj
a. S. 158 xal nag6X&d}v slg rijv (TvyxXrjtov l^ioisiTO xartiyooiap
Pt *^vi 27 räS^hpov tpigfov vrjv ahiav rfig inißovXijg kn hcatvov
(Pt. VII16) äfia dk rag kx r&v TQccviMxrfov ovXccg vnb rijp öxpiv deix-
D«m. 9 j,^g ^^j j,^j^ Xotnijv StivoXoyiav äx6Xov&ov rovroig Siari-
&efjiBvog, k^exaXBtro rovg äv&Qcinovg TtQÖg iXsov. ^Hxov 8i xai nccQu
Tov nQBaßvriQOv nghaßtigj ol negl zöv NtoXatSav xccl IAvSqöiucxov
aTtokoyovfjLBVoi nQog rag vno rädeXcfov yevofuvceg xarfiyogiag* cjv
ij avyxXfixog oiS ävixBrr&ai dixatoXoyovfüvajv i]ßovh)&f], nQOxcnu-
Xt]fjLfiivfj raig irnö tov VBCotkQOV StaßoXaig' äXXa rovroig fUv inava-
yeiv kx rTjg 'Pdfitjg nQoaira^tv i| avrijg. Tcp Si veoDriQq} nivxB nota-
/^«rrag xaraariiaaaa rovg negl Fvalov MsgöXav xal Aei*xtov 0igfiov
xai ntvrtiQti Sovaa r&v TtgBaßevr&v ixü<nq) rovroig fuv nagt'fyyBiXs
xaräyBiV üroXBfiaTov Big KvnQov roig Sh xurä ri^v 'EX)ji3a xal r^v
I4aiuv avfifiüxoig iy^axpav i^Bivcci avfingärrBiv rm JUroXBfiaiqt rä
xarä rrjv xa&oSov\
Ex hac Euergetae xu&6S<p a senatu iussa coUigi potest insulam
quamcunque ob causam Philometorem fratri dono dedisse; opportunis-
mum eins munificentiae [78] tempus filiae cum Euergeta nuptiae pote-
rant praebere. Insula dotis nomine accepta turbae adversus ncvurn
regem eumque crudelissimum ortae erant, quarum auctorem Philome-
torem extorris iactitabat Demetrius autem Syriae rex Archiae Cypri
praefecto* pollicitus erat ngorBivBiv q! rdXavrcc naQaxonQiiaavri rfig
Kvngov xal räXXa awaxoXovß-riaovra XvairBXfj xal rifita nag' airrov
(TVVBmSBixvvBiv itQoaBVByxafAivq) rtjv ;^()«/av rtxvrtjv. !Agx''w ßovXö-
fiBvog nQoSoOvai rijV Kvtiqov rip Jr]fA7]rQi(p xal qxoQa&Big xal Big xpi-
Giv üx&Big Xaßd)v ix rfjg naQanBnBraafüvTjg avXaiag xaXdSiov iccvrop
* Letronne 129.
^ Polyb. XXXIU 8. ' Idem videtur, quicum Euergetes T^™am pro-
fectuB erat anno 162; v. § 48 \
Ptolemaeo VI Philometore rege 427
änexQBfiaatv^. Haec fortasse seditionis ansa; qua facta Euergetes de
Cjpri poesessione desperans supplex Romam ut solebat ^ venit et qnod
yoluerat nactus cum Y navibos Bomanis profectus est.
Neque qui ftierit ülius expeditionis exitus, neque an bellum novum
inter firatres conflatom sit, neque apud utrum postea insulae imperium
fuerit traditum est Sed ex rerum extemarum tunc temporis statu id
saltem sequitur, ut paullo post res compositae faerint. Nam Demetrius
rex tantam sibi hominum invidiam conflaverat, ut Syris haud invitis
Alexander Balas, qui Antiochi Epipbanis filius dioebatur, cum Lao-
dice Antiochi filia et cum Heraclide rhetore Romam profectus regnum
patemum ut senatus sibi restitueret postularet Comiter a Bomanis
exceptusy ope recuperando regno promissa, redux Ptolemaidam venerat
bellumque ad versus Demetrium incepit adiuvantibus Ptolemaeo rege
Aegypti et Attalo et Ariarathe^ Non cum Alexandro stetisset Philo-
metor, populi Romani beneficiario, si contra Euergetam Romanorumque
decreta pugnandum erat; pace contra facta cum socio populi Romani
facere debebat, quam pacem nonnisi iis Romanos condicionibus puto
dedisse, ob quas neglectas amicitiam regi renuntiarant; Cypro itaque
fratri cessisse videtur Philometor.
§47.
a. Ch. 150 Alexander Balas potissimum lonathae Maccabaei ponti-
oi. 157 2 ficis auxilio [79] pugna adversus Demetrium commissa vic-
a P. 173 ^^ omnium consensu Syriae rex Demetrio interfecto decla-
a. s. 162 ratus Ptolemaeo filiam secundam nuptum sibi dari deposcit.
Pt^v/si ^^ ^^^ lubenter annuisset Ptolemaeus Ptolemaidam pro-
fectus Cleopatram filiam regi in matrimonium dedit
tanta auri argen tique copia, quanta regem decebat, in dotem addita^.
In altero Maccabaeorum libro factum id narratur anno 162 a. Seleuc.
lud., qui est annus lul. a vere 151 ad ver 150. Nummi habentur
signati LBEP l e. 162 a. Sei. Syr. addito Demetrii nomine, cui regi
aliquid anni 162 (ab autumno 151 — 150) fuisse vides; pugna igitur
illa post autumnum 151 pugnata nuptiae hieme 150 celebratae sunt
» Polyb. XXXni 5. * Athen. XIV c. 70 el S" 6 nQoeiQtjfiepog ßaadevc,
inquit, xal xb lav Torcuycuy nX^&og scoQaxei Tay xatä jijv 'JPcjfirjy, xaxanetpevfBi av
inl xrjv iegav aviptXrjtovy dtg vnb tov icÖeXqiOv naXtv Tr\g ßaaiXelag i^eXrjXafidvog.
Quem locum Champollio errore satis ridicnlo ex Euergetae commentariis repe-
titum esse et regem iterum Romain profectum indicare putat. Euer^tae
enpediam consaetndinemque fere solemnem Romam fagiendi ridet Athenaeus.
* lustin. XXXV 1 Liv. ep. 52.
^ loseph. XIII 4, 1 Maccab. I 10, 51 sqq.
428 - De Lagidarum regno
Eodem fere tempore Oniae pontifioi in Aegypto exulanti concee-
sum a rege est rb iv AeovronöXsi rod 'H}.tono)Jtov Ugbv TtQogayopsvö'
fiBvov Ti]g ayQiaQ BovßdarBcogj qnod ad normam templi Hierosölymi-
tani ornaretur riteque levitis et sacerdotibus curaretar*. Doctores
Talmudici Onram illum Simonis lusti filium nominant, ob quam cau-
sam sunt qui dno ludaeorum templa in Aegypto foisse putent'. Cau-
sam illam celeberrimam inter Samaritanos lüdaeosque Alexandriae
degentes, utroram in patria templum iuxta Mosis praeoepta esset ex-
structum, a Ptolemaeo rege symbuliaque amicorum oognitam esse lose-
phus narrat. Cui losepho si fides haberi potest, omnino summa ludaeo-
rum apud Philometorem Cleopatramque erat auctoritas: rrjv ßaatlBteeif
ölfjv rijv iavT&v ^lovSaiotg knttrravaav xccl (ngccTfiyot 7ra<rf]g Ti}g
SvväfiBcog liaav 'Ovtag xat Joai&eog lovSatot^\
§48.
Alexander rex sua luxuria Ammoniique, hominis sibi gratiosissimi,
crudelitate lantam sibi inter Syros conflaverat invidiam, ut Demetrius
Demetrii regis filius, qui Cretae exsulabat, in patriam redire patriumque
regnum armorum vi sibi restituere aüderet. Alexander Syria inferiore
ApoUonio praefecto tradita Antiochiam rediit, ut antequam Demetrius
adveniret, rem suam quantum posset firmaret
Quamquam auctores veteres de legitimo Alexandri regno deque
origine vere [80] regia inter se dissentiunt, regem ipsum suae rei non
multum tribuisse ex iis appareat, quae postquam Demetrius Demetrii
filius suo iure magis suaque apud Syros exspectatione quam copiarum
Cretensium, quas secum habebat, auxilio fisus ad regnum suum recupe-
randum in patriam rediit, ab Alexandro Ammonioque inita sunt con-
silia. ApoUonius enim Coelesyriae praefectus haud iniussu regis lona-
tham pontificem yirum integrum regique fidelissimum ad bellum
proTocavit, scilicet ne regi fraudatori candidissimi viri amicitia olim
pemiciosior esset quam belli discrimen, quam hostis strenuitas pericu-
losior. ApoUonio victo maiorem lonathae rex simulabat amicitiam;
quam ut probaret, monile summi apud regem honoris Signum misit
non parvae regionis imperio addito.
Sub idem fere tempus Ptolemaeus Philometor rex cum opem
Alexandro genero terra marique laturus Syriam intrasset, ab omnibus
quae in itinere sunt civitatibus deinceps ab Alexandro iussis magnificen-
tissime exceptus, ubi Ptolemaidam ventum est, insidias sibi (eodem
' loseph. 1. c. ' Seiden de snccess. in pontif. 1, 8; errorem eins
refutavit Campeius Vitringa ad ledaiam XIX p. 779. ^ loseph. et Ap. II 5.
Ptolemaeo VI Philometore rege 429
Alexandro auctore) per Ammonium structas esse certior factüs, insidia-
torem supplicio tradi litteris poposcit Alexander vero caeco erga ho-
minem amore oaptns recnsaylt. Quo nnntio allato legatos Ftolemaeus
ad Demetrium nuttit; amicum se Uli fore et soclum, filiam modo ab
Alexandri toro revocatam ei uxorem daturum, patris filio regnum resti-
tuturum. Demetrius societatem laetus, laetior nuptias amplectitur. Antio-
chenses novis Alexandri Ammoniique facinoribus magis exacerbati quam
iniuriarum a Demetrii patre sibi illatarum memores, a Ptolemaeo iussi
urbe eiecerunt Alexandrum. Ipsum Ftolemaeum una Toce populusque
et exercitus enuntiant regem; qui adolescens suo privatus diademate
ad Syri regis fidem confugerat supplex, Syrorum nunc diadema suo
saperinligat nummosque cudi iubet suaque et Seleucidarum aquilis sig-
natos. Sed iustus ut erat ac probus idemque prudens, quominus sua
Victoria suoque fortunae augmento Bomanos novis victoriis novaque
superbia auetos ad certamen iniquum provocare videretur, cum adoles-
centem videret tristem deque rebus omnibus desperantem civibus in
contionem vocatis populo regem, regi populum reddit Demetrio
Philadelpho Nicatori deo.
a. c. 145 Alexander qui Antiochia eiectus in Ciliciam profugerat,
Ol. 158 4 cum de rebus iis certior factus magna cum manu in Sy-
a! P. 178 ^*^ ingressus Urbis agrum incendiis rapinisque vastasset,
a. s. 167 Ptolemaeus et Demetrius acie educta magno proelio facto
pt^/sö victores evadunt. Sed in medio proelii ardore contigerat,
ut cum Ptolemaeum equus barritu elephantis audito [81]
dorso excussum prosterneret, hostes impetum factitantes vulneribus
capiti inflictis ad salutis eum periculum adducerent, Semianimis ex
campo domum vectus per totos quattuor dies neque locutus rex est
neque audivit quicquam; quinta luce orta, pauUulum a vulneribus re-
creatus videbatur, cum a Zabelo Arabum dynasta. ad quem profugus
Alexander venerat, abscissum victi caput missum est. Quod ubi vidit
Philometor obiit^
§49.
Sic losephus rem nescio an ad nimiam quandam erga ludaeorum
fautorem benevolentiam quam ad veritatem accommodatius narrat. Haud
eadem est in Maccabaeorum libris narratio. Ptolemaeum non opem
Alexandro laturum, sed Syriam sibi vindicaturum et löyotg sioijvixoi^
' loseph. 1. c. Liy. ep. 52. [Pugna illa commissa est ad Oenoparam
flumen Strabo XVI p. 751 ed. C. Eandem rem narrat Stepb. Byz. v. Mco&cb, sed
nominibus valde atque falsissime mutatis; cf. Macc. I 11, 17.]
430 I^e Lagidarum regno
venisse; in oppidis, quae ab Alexandro iossa eum excepissent, praesidiis
relictis totaque Syriae ora subiecta atriusque regni diademate omatum
Demetrio filiam dedisse uxorem etc^; mortaom Polybius Aegypti Sy-
riaeque regem dicit\
Temporum discriptio haec fere est. Toti XXXY anni Philometori
adscribuntur 'y primus emm eins annus nuncupatur aprimoTkoth 568
a. Nab. (8. Oct. 181), ultimns in regum perpetuitate est a pnmo Thoth
602 (29. Sept. 147), nam inde a primo Thoth 603 (29. Sept 146) quan-
quam snperstes est Philometor nomenqae actis pablicis signandis prae-
bet, in regum oanone universalique computatione Euergetae primus vel
potius XXV est. Dum hoc XXXVI regni anno Philometor superstes
est, eins nomine papyri signantur, quorum novissimus est anni XXXYI
Pharmuthi 18 i. e. 12. lun. 145; inter quam diem et 27. Sept. 145
mortuus est rex, nam ab 28. Sept. 145 11 vel potius XXVI Euei^tae
annus est Inter Alexandri nummos Tyrius est signatus L^|^ L e.
166 a. Sei, qui est annus ab autamno 147 — 146; accedit losephi testi-
monium^, Alexandri Y annos regnum fuisse, i. e. ab autumno 151 ad au-
tumnum 147 atque ulterius.' Nummus ille, quo tempore Alexander Tymm
habuit, cusus et (nam pauUo post Tyrii nummi geminata aquila signati
sunt), neque post autumnum 146 eins regnum desiit. Philometor igitur
primo vere anno 146 profectus, Syriae ora brevi subiecta, Antiochiae
rex Yocatus est (aut 146). [82] Alexander multis copüs conductis (au-
tumno 146 hieme 145) Syriam ingressus denuo superatus est (rere 145)
paucis diebus ante Philometoris mortem. De Demetrii reditu ex Greta
Alexander nuntium acceperat anno 165 a. Sei. Macab.^; qui est annus
a yere 148 ad ver 147.
§50.
Ptolemaeus Philometor Syriae Aegyptique rex, quadragesimo tertio
vitae anno, tricesimo sexto regni, pro adolescentiae iniurüs ab Antiocho
Epiphane acceptis Alexandrum filium ultus rebus clarissimis gestis
supremum diem obiit rege post eum nuUo, qui maiorum nomine
gloriaque dignus esset, futuro. Polybii haec sunt de rege sibi amico
verba: Jlrolefiatog 6 r^g 2vQiaq ßatrtXsvg xccrä rbv nöXefiov nXrr
yetg krelsvTTjas t6v ßiov xarä füv rtvag fieydXcov inaivtov Teat
TifiTjg &v ä^iog, xurä Si rivag roivavrlov* ÜQ^og fUv yag fjp xai
XQf]f^TÖgy sl xat Ttg äXkog rSv nQoytyovÖToav ßamiAcjv (TtjfjLBTov Si
TOVTOv fiiyi(TT0V 6g TtQßiTOV füv ovSiva r&v iavrov (pthov kn oi-
Sevl r&v kyxkrjfiärcav kTtaveiXero' Soxcj Sk fjLtjdk r&v ülhov 'Ai^av-
^ Macc. I 11. ' Praeter cfaronographos v. latercalum in pap. Taiir. I
5, 30. > loseph. XIII 4, 9. * loeeph. 1. c Maccab. I 10, 67.
Ptolemaeo VI Philometore rege 481
Soiojv firjSiva 8i kxelvov äno&avsiv änstrcc Sö^ag henBcrsTv än6 rij^
ccQxfig vn6 räSskcpod, t6 fih nQörov kv 'AXe^avSQti^ kccßojv xcct
avTOi) xaiQov dfjioloyovfuvov äfivijmxäxfjTOv knoiriaaxo rijv äfiag-
xlav* fjLsrä Si ravra ndXiv knißovXBvaavrog ry Kvnpq) xvQioq yevö-
fAevoQ iv AaiiijO-q) rod adfAarog ä^a xal rflg ipvxfjg ccvrov^ roaovrov
üniax^ rov xoXä^uv ibg kx^Q^v^ &aT6 xal SooQBag nQoai&rjxe nagä
rag JiQÖrspov imaQXOvaag avrtp xarä (ruv&i^xag xal rr^v &vyaTiQa
SfAaetv imiaxBTO. Karä fUvrot y% rag inirvxiag xal xaroQ&CJCTBig
i^BkvBTO Tjj rfJvx^j xal T/g olov äatorla xal pa&v/iia nagl airdv
Alyvmtaxrj (Twißaiw xal xarä rorg roiavrag Sia&iaeig elg ns^inB-
reiag kvimnrev.
[Ad eam libelli parüculam (p. 1 — 33), quam scriptor post examen ,^zimia cum
laude" superatum ordini philosophorum traditam edidit, addidit quae aequuntur.]
Hanc libelli mei partem cum post decimmn qnartum diem quam
prelo subiecti typis exscriptam accepissem, ne pars altera eaque multo
maior me in longiDqunm tempus excudenda extraheret, ab amplissimo
philosophorum ordine, ut hoc scriptionis meae specimine proposito al-
mae huius aniversitatis professores comilitonesqne disputationi soUemni
die XXXI Aug. de thesibus infra adscriptis habendae Interessent, invi-
tare humanissime mihi concessum est
Scribebam Berolini die XXVII Aug. MDCCCXXXL
Theses controyersae
Opponentibus
Alberto Heydemann, praec. reg, in gym. Frid. Guil.
Ludovico Kufahl, phil, dr. in hac univ. lii priv. doc.
Guilelmo Amadeo Arendt, licent. s. s. theol.
1. Siglum L non est Xvxäßavrog,
2. A dodrina Cknstiana Oraecarum quam Ittdaeorum religio propius ahest
3. Ouria parium a verae libericUis natura abhorret.
4. Goniunge et impera.
5. Anima non immortalis.
6. Chpiae perpetuae tyrannidis documentum.
7. Cardnorum famüia fuü tragicorum,
8. Alexander euo iure deus a Graeois vocatus.
9. Nosirae aetati pro humanitate eruditio.
432 1^0 Lagidjurum regno
Vitae cumculum
Natus Treptoviae ad Regam anno h. s. YIII patre Johanne Drojsen
pastore illius oppidi primario atqne snperintendente, matre Friederica e
gente Casteniana^ puer scholam Treptoviensem, qnae in Bagenhagenii
conditoris memoria gloriatnr, ita jfrequentavi, utXII annos natns gymnasii
Sedinensis inter discipulos reciperer. Decursis gymnasii spatüs vere anni
h. s. XXVI Berolinnm me contuli atqne academicomm Friedericae
Guilelmae civium nnmero adscriptns snm A. Boeckhio rectore magni-
fico; in amplissimi philosophomm ordinis albnm insripsit decanas
illnstris Toelken. Frequentavi scholas Boeckhii, Hegelü, Lachmanni,
a Raumeri, Wilkenii, Boppii, C. Ritteri, Gansii, H. Ritteri, Neandri,
Stuhrii, Bernhardii, LaDgei, Leonis, alioram. Inprimis Boeckhio, qui
eximia me nt excepit ita prosecutus est humanitate, cnm alia plurinia
accepta refero, tum locnm in seminario regio philologico. Studiis aea-
demicis finitis, qunm unum annum cum dimidio in gymnasüs, quae
Lycophaeum Berolinense et Friderico-Werderianura vocantur, scholas
publicas habuissem, in Berolinensi illo gjmnasio coUaboratoris mihi
munus delatum est
Anmerkangen
von U. Wileken.
Die vorstehende Jugendarbeit Droysens ist durch die methodische Anordnung
und Verarbeitung des Stoffes sowie durch die FüUe anregender Gedanken auch
heute noch, nach mehr als sechzig Jahren , zum Ausgangspunkt für eine
weitere Behandlung des Themas geeignet, wenn auch die Detailfragen durch
das neu hinzugekommene Material mehrfach eine abweichende Beantwortung ge-
funden haben. Die folgenden Hinweise auf die moderne Litteratur erstreben keine
Vollständigkeit, sondern wollen nur das Wiederaufnehmen der hier angeregten
Fragen erleichtem. Nur an einigen von den Stellen, die zum Widerspruch an-
regten, habe ich, einer freundlichen Aufforderung folgend, es gewagt, selbst
Hand anzulegen, um die Fragen wenn auch nicht zu lösen, so doch weiter
zu führen. Hier bleibt noch viel Arbeit zu thun; die Greschichte der Ptoiemfier
ist noch ungeschrieben.
S. 355. a) Gegen diese Auffassung von Äißvri (wiederholt im Hellenism. HI
348) mit Recht Franz C. I. Gr. III S. 282. Wftre Droysens Auffassung richtig,
80 wäre auch die Erwähnung von ÄQaßia zu erwarten.
b) Antiochos I. regierte nicht von 279, sondern von 281 an.
c) Vgl. Droysen Hellenism. III 1. 271, 1. Wahrscheinlich ist „Arsinoe^^ bei
lustin XXVI 8 statt „Apama" nur eine der zahlreichen Namensverwechselungen
dieses Autors (vgl. XXVII 3 Eumenes von Bitbynien statt Attalos von Pergamon).
Ptolemaeo VI Philometore rege 433
S. 356. a) Über die Regierangszeit des Magas und die daran anschließen-
den Fragen vgl. Vahlen, Sitzungsb. d. Pr. Akad. 1888 LH 1380 ff.
b) Über die Oasen vgl. Amelineau La gSograpkte de TEgypie ä Vepoque
eopte 1893 S. 289 ff. (danach besser OV^g 11611X6 oder ouah pemdje). Vgl.
auch H. Brugsch Reise nach der großen Oase el-Khargeh 1878, G. Rohlfs Ex-
pedition zur Erforschung der libyschen Wüste 1876.
S. 357. a) Über den Dodekaschoenos vgl. Wilcken Hermes XXIII 595, 3.
Dieses Tempelgut der Isis von Philae hat nach den hieroglyphischen Denk-
mälern schon seit Philadelphos' Zeiten (mit Unterbrechungen) den Ptolemäern
gehört. Aus Lepsius' ,,Denkmälem aus Ägypten und Nubien^^ ergeben sich
folgende Daten: IV 6: Philadelphos in Philae. IV 12: Euergetes I in Philae.
IV 17c: Philopator in Dakkeh (= Pselkis). IV 18: Epiphanes mit Kleopatra
und einem Sohn (also nach 193 v. Chr.) in Philae. IV 23 ff.: Philometor in
Philae. IV 27: Philometor, im 24. Jahre seiner Regierung = 158/7 v. Chr. die
Schenkung der „12 Meilen im Westen, 12 Meilen im Osten, in Summa 24 Meilen'',
d. h. des Dodekaschoenos erneuernd.
b) Bemerkenswert Griech. Urk. Berl. Mus. I 15 Col. II, 1: Gxq{atriYou)
'JEniu yo^tüy xal Jiqaiyotiov x^Q*'^ Avnaeag.
c) Letronne Reeueil des ivscr. gr, et lat I 10 ff. C. I. Gr. III 4979. Die
von Droysen im Text acceptierte Berechnung der Hochzeit des Philometor
und der Kleopatra wird durch eine neuerdings vom Berliner Museum erworbene
Inschrift umgestoßen (F. Krebs Nachricht, v. d. Kgl. Ges. d.W. z. Götting. 1892
No. 15 S. 536 ff.), die die Weihung eines Chrcmatistenkollegiums des 8. und
9. Jahres des Philometor (174/3, 173/2) an Philometor und Kleopatra enthält.
An sich ist ohne Zweifel am wahrscheinlichsten, daß die Inschrift wenn nicht
im 9., so spätestens im 10. Jahre gesetzt ist. Dann fiele die Hochzeit spätestens
in die Zeit vom 5. Okt. 172 bis 4. Okt. 171. Zu der Frage, ob die Inschrift
nach einem längeren Intervall nach der Amtsniederlegung gesetzt sein kann,
vgl. Anmerk. a zu S. 425.
S. 3ö9. a) Die moderne Forschung giebt Mannert Recht. Vgl. Ed. Meyer
Geschichte d. Altertums I S. 134.
b) Zur nabatäischen Geschichte vgl. jetzt Schiirer Geschichte d. jüd. Volkes I
S. 609.
S. 360. a) Es ist ein Lapsus memoriae, wenn Droysen den Antiochos
nach der Schlacht am Panion (198) gegen Achaios ziehen läßt, der schon seit
ca. 214/3 tot war. Er meint den Zug nach der Schlacht bei Raphia (217).
b) Droysen vertritt hier und im folgenden eine auch heute noch weit ver-
breitete (z. B. Holm Griech. Gesch. IV), aber irrige Ansicht, wenn er glaubt,
daß Antiochos der Große wirklich Koelesyrien etc. selbst, und nicht nur die
Gefälle eines Teiles der darin liegenden Städte der Kleopatra als Mitgift ge-
geben habe. Vgl. Joseph, ant. XII 154 ff., wo die Art und Weise des nnqnxwqtlif
duich das nachfolgende diaiqe&ivittiv bU ti^cpoiSQOvg — (poQav genauer charak-
terisiert wird. Daß die ägyptischen Diplomaten zwanzig Jahre später die von
Droysen vorgetragene Ansicht vertraten, kann nicht maßgebend sein. Die rich-
tige Auffassung bei Stark, Gaza S. 426. Mommsen RG I® 724, 1. A. v. Gutschmid
bei Sharpe, Gesch. Ägyptens 2. Aufl. 253, 1. Vgl. meine Antiochosartikel bei
Pauly-Wissowa. Die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend für die ganze
Beurteilung der von Droysen hier behandelten Periode.
Droysen, Kl. Schriften II. 28
434 I^e Lagidaram regno
8. 362. a) Vgl. dazu Treuber, Gesch. d. Lykier 1887 S. 150.
b) C. I. Gr. U 3595 = Dittenberg. Syllog. 156. IMe Auffassang Droyaens
(wiederholt im ,,Hellenism." lU 1. 267 , vgl. KL Sehr. I 320 ff.) ist mit Boeckh
und Dittenberger aufzugeben, und das ddelq»/) der sigeiachen Inschrift als wirk-
liche Schwester zu deuten. Doch wird man jetzt, wo wir aus einem babylonischen
Keilschrifttezt (Keilschr. Bibl. III 2. 136 ff.) wissen, daß Stratonike noch 268 v. Chr.
am Leben war, nicht mehr annehmen können, daß A. diese Schwester erst nach
dem Tode der Stratonike geheiratet habe, zumal dann die sigeische Inschrift
jünger als 268 sein müßte. Antiochos wird sie vielmehr als zweite Gemahlin
neben der Stratonike gehabt haben. Vgl. Antiochos I bei Pauly-Wissowa.
Bis jetzt ist kein Beispiel bekannt, daß eine syrische Königin titular als aStlq f]
bezeichnet sei.
c) Diese irrtümliche Auffassung, daß Laodike (die Gemahlin Antiochos' II)
eine Tochter des Achaios, und nicht vielmehr des Königs eigene Schwester gewesen
sei, hat im „Hellenismus" viel Verwirrung gemacht. Die Angabe Polyfins VIII
50 hat ihre Bestätigung gefimden durch die Inschrift im Bullet de corr. hell.
IX 327, XIII 527. Vgl. Th. Reinach Trois royaunies dAsie mineure S. 206,
auch meine Artikel über Antiochos II und Achaios bei Pauly-Wissowa.
S. 363. a) Von Coelesyriam bis Palaestina ist nach der Anmerkung b
zu S. 360 zu streichen.
b) Zu diesem Kapitel ist im allgemeinen zu vergleichen Droysen Helle-
nismus in 3B->62.
8. 364. a) Greek Papyr. Brit Mus. 1893 S. 46 ff.
S. 365. a) Zur Kastenfrage vgl. A. Wiedemann les castes en Egypie {Le
Museon 1886).
b) Vgl. Wilcken Hermes XXII 1 ff.
c) Vgl. Masp^io Recueil des travaux rel. ä la phiL egypt VI S. 1 ff.
S. 366. a) Zum Serapiskult vgl Plew de Sarapide Königsb. 1868, Krall
Tacitus und der Orient, Wien 1880.
S. 367. a) Ganz neues Licht auf diese inneren Aufst&nde zur Zeit des
Epipbanes hat £ug. Revillout geworfen durch seine Entdeckung, daß damals in
der Thebais einheimische Könige viele Jahre hindurch regiert haben. Vgl.
Revillout Revue arch^olog. 1877*; Chresiomath, dhnot 1880. p. LXXXVI ff.
Brugsch, Zeitschr. f. äg. Spr. 1878 S. 43 ff. Revillout, ebenda 1879, 131. Danach
hat damals ein König Harmachis mindestens 4 Jahre, und ein König Anchtu
mindestens 14 Jahre als Gegenkönig in OberSgypten regiert
b) Über die Ptolemäer in der einheimischen (hieroglyphischen resp. demo-
tischen) Litteratur vgl. u. a. Lepsius, das Königsbuch d. alten Ägypter 1858.
Taf. LI ff. — Derselbe, Denkmäler aus Ägypten und Nubien IV Taf. 1 — 68, —
Derselbe, Über einige Ergebnisse der Sgyptischep Denkmäler für die Kenntnis
der Ptolemäergeschichte (Abhandl. d. Pr. Akad. d.W. 1852. S. 455 f.). — H. Brugsch,
Thesaurus inscriptionum aegyptiacarum V 1891 (auch die anderen Bände sind zu
vergleichen). — Eug. Revillout, Chrestomatie d^motique und Nouvelle Chrest.
d^mot. — Dümichen, Zeitschr. f. fig. Sprache und Altertumskunde I8T0, S. 1 ff.
S. 369. a) ÄQxeöeocTQog, Vgl. Lumbroso Beekerches sur Veccmom, polit de
l Egypie sous les Lag, S. 205/6. b) Oiroz6oi, Lumbroso Eeeh. 211. c) Vgl.
Lumbroso VEgitto al tempo dei Oreci e dei Born, S. 72, 3. d) Zv^f^vBi^.
Vgl. Lumbroso Rech, 189 ff. e) ÄQxta(*ifinTo<jpvlaxeg. Vgl. Lumbroso Beck, 191.
f) <f>«;.o^. Vgl. Lumbroso Beck. 191 ff. g) Jtaöoxot. Vgl. Lumbroso Beck. 195 ff.
Ptolemaeo VI Philometore rege 435
S. 371« a) Diese Inschrift hat zu verschiedenen Ansichten Aber die grie-
chischen Städte in Ägypten geführt. Vgl. Lumbroso rJEgitio S. 74 ff. Wilcken
Observationes ad bist. Ag. 17 ff. Mommsen RG. V 557.
b) Lies durchgehends choachytae statt cholchytae. Vgl. Lnmbr. Beck. 186 ff.
Wolff, de causa Eenniana S. 12 ff.
S. 372. a) Ober die Stellung der Ägypter zu den Griechen vgl. Lumbroso
VEgitto 64 ff. Mommsen RG. V 560 ff.
b) In Hieroglyphen geschrieben begegnet Alexandrien in dem Dekret der
Priester von' Bato zu Ehren des Satrapen Ptolemaios vom J. 311 als „die
Festung Alezanders am Ufer des ionischen Meeres, vormals Rakotis". Vgl.
Brugsch Zeitschr. f. ftg. Spr. 1871. S. 2, vgl. Droysen, Hellenism. II 2. 69 ff.
Nach Strab. XVII p. 792 war Rakotis in früheren Zeiten eine Station der Phy-
lakiten gewesen (nicht eine griech. Niederlassung, wie Schwarz, N. Jahrb. f. Phil.
1894. 180 interpretiert).
c) Zu den Demen und Phylen Alexandriens vgl. Lumbr. VEgitto S. 72, 2.
Bemerkenswert ist die auf griechische Ansiedler (im III. Jahrb. v. Ohr.) ange-
wendete Formel ot ovttöj inijYfisyoi Big drjfiovj die in den Flinders Petrie Papyri
mehrftich begegnet. Vgl. Mahafiy I Nr. XXVII Z. 5: . . t^; ini^oy^g rCjy ovno)
enjjYfilevay eic Ö]rjijioy . . . (wie sich durch Zusammensetzung von 8 + 2 ergiebt).
Vgl. ebenda S. 49, 1, 8: ÄXe^aydqevg tüv oi^oi [dirrjYfiByiay eig d^fiov],
S. 878. a) Alabarch. Vgl. Schürer Zeitschr. f. wiss. Theol. 1875 S. 13 ff.
Derselbe, Gesch. d. jüd. Volk. II S. 540.
b) Diese lientificierung von Hermupolis mit Ptolemais Hermeiu hat
Droysen Hellenism. III 1 44, 3 mit Recht aufgegeben. Die Inschrift spricht
von Hermupolis magna in der Heptanomis.
c) Diese Veimutung Droysens hat ihre Bestätigung gefunden durch die
Inschrift C. I. Gr. III 4925. Vgl. Droysen Hellenism. IH 1 44, 3.
d) Philos Angabe ist durch eine alexandrinische Inschrift bestätigt worden.
Vgl. Lumbroso VEgitto 135.
S« 37I:. a) Auf den Münzen Navx^ugy nicht NavxQttTUrjg. Vgl. „Naucratis"
(Egypt Explor. Fund) I 63: rj noUg i) Navxqaxi^Cty].
b) Auf die Anftnge von Arsino^-Krokodilopolis werfen die Flinders Petrie
Papyri neues Licht (Mahafiy a. a. 0.). Bemerkenswert ist, daß danach nicht
die Metropolis, sondern der Gau nach Arsinoä II umgenannt wurde. Die
Stadt heißt in diesen Texten aus der Zeit des Philadelphos und Euergetes I:
fj KQoxoÖBiXav noXig jov Jigaiyotiov vofdov. Dem entsprechend heißt sie später
korrekt nicht Arsinoe, sondern ^ ray ÄQffiyoittiv noXigy d. h. die Stadt der
arainoitischen Gaubewohner. Da der Gau des Suchos (des Krokodils) durch die
Umnennung zum Gau der ArsinoS, Arsino€ mit anderen Worten Gaugöttin
wurde, so wurde sie im Kult, um den Ägyptern die Veränderung zu erleichtem,
neben Suchos gesetzt Vgl. Mahaff^r I Nr. XXV 2, 1 : icgeig tov 2kn>xov xal rrjg
0daddXg)ov, — Vgl. zur Geschichte Arsinoes auch meine Ausführungen in
Zeitschr. d. Gesell, f. Erdkund. 1887 S. 26 ff.
c) Vgl. Anmerk. a zu S. 359.
8, 375. a) Vgl. Lumbroso Ree/i. 224—234.
b) Die Zeugenunterschrift im Pap. Leyd. 0. 1. 30: ot l{ Maxsdoyeg (bisher
fölschlich Ol ei fiaQivQsg gelesen) ist durch den Vergleich mit den 16 Ägyptern,
die unter anderen Kontrakten begegnen, auch für die Stellung der Makedonier
nicht ohne Interesse.
28*
436 . De Lagidaram regno
c) Die Beziehung von xatoiKoi aof die Thraker und von iniforoi auf die
Galater tri£Et nicht zu. Polybios anterscheidet die Th. und Gr., die schon seit
längerer Zeit im Lande angesiedelt waren {xaroutoi), resp. deren Nachkommen
waren {ini^ovoi\ von denjenigen Th. und G., die erst oben dem Heere zugefilgt
sind. Auch auf die xaroutoi und ini^ovoi haben die Flinders Petrie Papyri neues
Licht geworfen (vgl. Mahafij I 18 ff.). Die richtige Deutung dieser Begriffe hat
zuerst Reuvens Lettrea III 18 ff. aufgestellt Auch Droysen S. 877 hat Letronne
gegenüber die xaroixoc richtig bestimmt. Vgl. Lumbroso Rech. 225, VEgitto 77 ff.
S. 377« a) Vgl. vorige Anmerkung, b) jifoqavofiog ieyixog. Vgl. Pap.
Taur. VIII. Dazu Peyron U 50 ff.
S. 379. a) Gegen Droysens Auffassung der Phylakiten vgl. Lumbr. Reck. 249.
b) Vgl. Lumbr. Rech. 238.
S. 380. a) Appian Praef. 10. Vgl. Droysen Hellenism. in 1 52, 2.
b) Vgl. Parthey, Zur Erdkunde der alten Ägypter (Abb. Pr. Akad. 1S5T).
Ders., Ägypten beim Geographen von Ravenna (Abb. Pr. Akad. 1858).
c) Es ist bisher überhaupt nicht erwiesen (wenn auch allgemein ange-
nommen), daß es zur Ptolemäerzeit schon eine Heptanomis gegeben hat.
d) Lies naQalrjfintrjg [t^^] e. &. statt naqaXiav t. e. &. (C. I. Gr. 5075).
S. 381. a) Droysen hat Recht mit dieser Scheidung. Zur Entstehung des
perithebischen Gaues vgl. meine Ausführungen in den „Aktenstücken aus d.
Kgl. Bank z. Theben" S. 33, 2 (Abh. Pr. Akad. 1886).
S. 382. a) Gegenüber der weit verbreiteten irrigen Ansicht (vgl. auch
Mommsen RG. V 558, 2), daß die bekannten Noirosmünzen aus der Kaiserzeit
(vgl. Stuart Poole Cat of the coins of Alex, and the nomes 1892) auf ein damalB
verliehenes Prägerecht der Gaue schließen ließen, sei auf die Ausfuhrungen von
Pick Zeitschr. f. Num. XIV 304 ff. verwiesen. Die Nomen haben niemals geprSgt.
b) Zur Einteilung der Gaue vgl. meine Ausführungen in Observat. ad
bist. Äg. S. 20 ff. (Bestätigung in „Aktenst aus d. Kgl. Bank" etc. S. 34).
c) Vgl. Parthey a. a. 0. Die neueren Papyruspublikationen (Berlin, Paris,
London) haben massenweise neue Dorfnamen gebracht.
d) Lies: ITfi[o]vxe(üg. e) Lies: HtjivTioaQ. f) Lies: TaßcU xal Hqoirov 'Ißiavo;.
g) Die hier genannten totioi haben mit den Toparchien nichts zu schaffen.
h) Peyron a. a. O. citiert Mumienetiquette (vgl. Le Blant Tablai egyp-
tiennes in Rev. Arch^olog. 1874/5, Nr. 49 und 59).
i) Die Zois-Papyri neu ediert von Wessely XI Jahresber. Franz-Jos.-Gyin.
Wien 1885 S. 15.
8. 383. a) Greek Papyri in the Brit. Mus. 1893 S. 46, 22 ff. Kenjon
liest 0QexaYi]To[v].
b) Lies: IIveq>BqüHxog).
c) Diese Deutung ist nicht richtig. Der Zusammenhang ist 6icfii(fteTQi}xev]
. . . vnßQ Tov Tonov Bienchis, der Sohn des P.
d) Diese Vermutung hat sich durch die vervolbtändigte Kopie der Infichrift
(C. I. Gr. III add. 4933) bestätigt Sie ist vom 14. Jahre des Augustus datiert.
e) Zu UioviBi in Pap. Beri. 88 vgl. Band I S. 386.
S. 384. a) In der großen Inschrift von Assuan begegnet der Titel in
umgekehrter Ordnung, Z. 49: üxqaxrjfm xal iniatQaii^'jrai i^ig S[T^ßat^oi^. Vgl-
Beri. philol. Wochenschr. 1888 1262 ff.
S. 885. a) Zu den Chrematisten vgl. Lumbroso Rech. 183 ff. Mitteis Beichs-
Ptolemaeo VI Philometore rege 43 7
recht und Volksrecht S. 48. Die aus der Zeit des Philometor stammende Inschrift
bei Krebs, Gott. Nachr. 1892 S. 536 ff. zeigt das vollständige Personal eines solchen
Gerichtshofes: 3 Richter, 1 eigaf (Of&vgj 1 ^^/i/iarei^C; 1 V7triqixj}g. Für das 3. Jahrh.
vor Chr. werden die Chrematisten durch einige Flinders Petrie Papyri bezeugt
(Mahafff II 20, 123, 124). Sehr wichtig ist der hierfür bisher nicht verwertete
Turiner Papyrus XIII, der nach meiner AufPassung nichts anderes als eine Ent-
scheidung der Chrematisten enthält. Z. 4 ff. ist nämlich zu lesen (vgl. außer Peyron
auch Revillout Rev, EgypU 11 124 ff.): /^i/juauarori xSiv rag ßatTÜLmac' Äki^avdqog
.... *irQaxX8tdt]g . . . 2ki}YBvi]g . . . (NB. 3 Richter) [o]i t« ßaaiXuta xal ngogodixa
xai idiciiixa xqivoviBg (vgL Mahaffy II 123: xfäv ta nqogninxovja XQivopxcjy XQW^'
TKTxaiy), Unterschrift: Ji eigotY(a(Y8tog) Ji^xefiidiJQOv xxL
b) Pap. Lejd. G 17 ed. Leemans. Dieser Epistolograph hat allerdings mit
den Epistrategien nichts zu thun. Er ist, wie schon Reuvens Lettres III 45 be-
merkt, der Epistolograph des Königs.
c) Zum Strategen vgl. Lumbroso Rec?i, 260 ff. Wilcken Hermes XXVII
S. 287 ff. Philologus LIII 1894 S. 80 ff. Es ist sehr bemerkenswert, daß nach den
Flinders Petrie Papyri die Strategen schon im 3. Jahrh. vor Chr. als Civilbeamte
mit Jurisdiktion und Polizeigewalt erscheinen. Vgl. die an Strategen gerichteten
Klageschriften Mahafiy II S. 2, 28, 31 Nr. 2 und 3, dazu S. 31 Nr. 2, 6: rr/i/
VTta^ovaap fioi x[aT] avxov enl vov (seil, xov ar^ari/^oD) kqUhv, S. 31 Nr. 3
und 111, 2 b soll der Strateg die Untersuchung an den imaxaxijg weitergeben.
Vgl. auch S. 55, 12 ff. Der einzige militärische Stratege, der hier begegnet
ist ein Expeditionschef, der zur Elephantenjagd entsendet wird (S. 135, 18). Vgl.
die in Anmerkung d zu S. 392 mitgeteilte Inschrift.
S. 386. a) Der Berliner Papyrus 2394/5 ist adressiert an einen Apollonios
xtjv 6uoTlfiO)v xoig [(rvYYev8](nv x(al) crxQaxrjYm,
b) Droysens Widerspruch gegen die Identität des Nomarchen und des
Strategen, der von den Späteren wenig beachtet worden ist (vgl. Lumbroso,
Kuhn, Marquardt), findet durch die Flinders Petrie Papyri (3. Jahrh. v. Chr.)
seine volle Bestätigung. Vgl. Mahaffy II S. 68, 3: xop voiiaqxri^ fisxa xov axQoi-
xrifov. Die Nomarchen erscheinen hier als Verwaltungsbeamte, denen u. a. die
Pflege der Landwirtschaft (S. 105), die Schutzarbeiten gegen die Überschwemmung
(S. 22, 1. 138, a) u. s. w. oblag. Für ihre Rangstufe innerhalb der Bureaukratie
vgl. S. 138 a. Während die Strategen hier regelmäßig C^riechen sind, finden sich
unter den Nomarchen auch vereinzelt Ägypter (S. 105 Jififxdjvio;, 125 xrjg Ä/oX-
c) Zum Nomarchen der Kaiserzeit vgl. meine Observationes etc. p. 14.
Hartel Die Griech. Papyri Erzh. Rain. S. 63. Viereck Hermes XXVII 524 ff,
d) Zum Epistates vgl. Lumbroso Rech, 252. Ein bisher unbekannter
griechischer Gerichtshof begegnet in den Flinders Petrie Papyri aus der Zeit
des Euergetes I, der der dixatrxai unter Vorsitz des ngoeögog. VgL Mahafiy I
S. 75, 76 und meine Bemerkungen dazu in den Ädd. et Corr,
e) Nach meiner am Original vorgenommen Ordnung der Fragmente lautet
der Text unter Benutzung von Droysens Ausfährungen: "Exovg vß [Ädi)\q g
feTTt IIxoXB^aLo]v Tuv gjlXiüv xai [mnaQxov iii «i'^^di»' xai \ int(Txui[ov xov Ha&v-
gixov av]y7iaQ6yx(üP xxX,
S. 387. a) Dieser Ansicht neigt mit Recht auch Franz C. I. Gr. III 289 a zu.
b) Baa, fq. Vgl. Lumbroso Rech. S: 343. Über seine Thätigkeit bei den
Kgl. Auktionen vgl. meine „Aktenstücke aus der Kgl. Bank v. Theben" a. a. 0.
438 ^^ Lagidarum regno
c) Agoranomos. Vgl. LumbroBO Reck, S. 246 ff. Wessely Mitt. Pap. Erz.
Bai. y 88 ff. d) Franz a. a. 0. ergänzt ^iorcrn;^ statt intfnoloffqttfpog.
8. Ö88. a) Pap. Paris. Nr. 7, 1 ff. {NoU et Extr. d. Mss, XVIII 2). b) Pap.
Paris. Nr. 5, 4.
8« 889. a) Drojsens Auffassung wird bestätigt durch die folgenden Worte,
mit denen Strabo auf die in Frage stehende Stelle zurückverweist (p. 798): TrfV
(ley noliv diarafavTec dtg emoy.
b) Vgl. Lumbroso Reeh. 239. Droysens Beschränkung der Thätigkeit des
Thebarchen auf Theben selbst steht mit dem neuen Material, das die „Aktenst.
aus d. Kgl. Bank'* hierzu liefern, in Einklang. Hier begegnet mehrfach der
öittdexojiiBvog t« xara xrjv xhjßaQx^oiv, d. h. der Stellvertreter des Thebarchen
(vgl. Hermes XXIII 598 ff.). Derselbe leitet die Versteigerung von Grundstöcken
in DiospoKs und weist die Kgl. Kasse daselbst zur Auszahlung an. . Ein noch
unpublicierter Papyrus derselben Serie zeigt den Thebarchen im geschäftlichen
Verkehr mit den Priestern des thebanischen Gottes Amonrasonther.
c) Diese Ethnarchen der Komen hat schon Droysen selbst im Hellenismus
in 1. 40, 3 gestrichen.
d) Zu den Toparchen vgl. Observationes etc. p. 24 ff. Ich habe schon im
Hermes XXVII 299, 6 darauf hingewiesen, daß die a. a. 0. angefahrten Toparchien
nicht in den Arsino'itischen, sondern den Herakleopolitischen Gau gehören. Nach
den von Hartel, Pap. Erz. Rain. 68 ff. und Wessely, Mitt P. E. R. V 105 ff. ge-
gebenen Beispielen scheinen die Toparchien viel^h mit den Agoranomie-
bezirken zusammenzufallen. Vgl. z. B. die nfoqiayofiia) Ileql noUiv) bei Hartel
S. 65 und die ronaqx'^ ÜBql noXt^v Observ. S. 25. Vgl. auch Pap. Leyd. N 5 :
T^ aYOQavofiiqi xmv Me{^voveiü)v) xal tijg xa[j](o T[o]naQx^9 "f^ov Hadvqixov.
e) Die Inschrift C. I. Gr. III 4898 ist datiert vom 12. J. des Auletes, wie
schon Letronne Recherehes S. 136 ff. erkannt hat.
8. 390. a) Vgl. Letronne Lettre ä Mr. Ptisealacquay in Not. et Extr. des
Mss. XVIII 2. S. 400 ff. (Auszug aus: Passalacqua Catalogtie raisonni et kisf.
Paris 1826.) Letronne liest richtig IIbxovovqi.v statt Hetoaigiy.
8« 39J • a) Zu den Laokriten vgl. Lumbroso Reeh. S. 257. Mitteil. a. a. 0.
S. 47 ff. Zu dem Bechtsdualismus vgl. auch Wessely Studien über d. Verhältnis
d. griecb. z. äg. Recht i. Lagidenreich (Sitzungsb. K. Akad. d. W. Wien, phil-
hist. Kl. CXXIV 1891 IX). E Revillout Les obligations en droit Egyptim.
Paris 1886.
8. 392. a) Über die Staatsausgaben vgl. Lumbroso Rech. S. 275 ff.
b) Über die Staatseinnahmen vgl. Lumbroso Rech. S. 284 ff.
c) ^juiy ist Straße. Vgl. Sturz de dial. Mac. S. 29, 7 etc.
d) Zur Elephantenjagd vgl. Lumbroso ÄecÄ. 145 ff, The Store-city ofPitham
{Egypt Explorai. Fund) ed. Naville 1885 S. 18 (ans der Zeit des PhiladelphosX
Mahafiy Flind. Petr. Pap. II S. 135. Die bisher noch unpublicierte Lichas-
Inschrift sei hier mitgeteilt: (1) Bacikei Urolefiftliai xal (2) SaatUiratji ÄQtrwofft
&eoig (8) 0do7ittiOQ(Tt xal ^QÜniöi xal (4) *Taidi Äi/ag Hvqqov Äxaqrav (5)
(rTQaTTjtjrbg anoarctielg (6) tnl ir/y Srjqav libv ile(f.at^)i(ay xb devzeqov. Vgl. hierzu
meine Ausführungen Archäol. Anzeiger 1889 8. 44.
8. 893. a) Für die Steuern verweise ich auf meine demnächst erschei-
nenden „Griech. Ostraka aus Ägypten und Nubien^^
b) Zum relBaxixov vgl. Hermes XXIII 595, 1. Zur avkXrjy/ig eig xi^v vavteiar
vgl. C. Wachsmuth Rhein. Mus. XXX S. 448.
Ptolemaeo VI Philometore rege 439
c) In den Ostraka begegnet mehrfach die jeTotgirj uXieup, An diese ist
a. a. 0. eher zu denken als an die von Lnmbroso Reeh, S. 806 herangezogene
(am Roten Meer erhobene) lera^rj; raty eigipe^ofievcov q)OQTUov des Peripl. mar.
Erythr. p. 19 (wofür mit Hirschfeld R. V. G. S. 20, 2 überdies vielleicht lerrce-
Qaxoart} zu lesen sein wird).
d) Pap. Paris. 67. Vgl. Revillout Revue Egypt III 114ff.
e) erp ist seit uralten Zeiten die übliche Bezeichnung für Wein.
8. 394. a) Zur sxaToatrj und t^axotrir/ vgl. ,,Aktenst. a. d. Kgl. Bank^' S. 40.
b) Vgl. C. Wachsmuth Rhein. Mus. XXX S. 448.
S. 895. a) Vgl. Pap. Paris. 63.
b) Droysen bezieht sich mit diesen awia^ai,^ auf die Rosettana (C. I. Gr.
III 4697) Z. 14/5. Damit sind die von der Kgl. Rasse an die Priester zu ent-
richtenden Pensionen bezeichnet. Vgl Revillout Rerue Egypt. I 82. Wilcken Hermes
XXIII S. 143.
S. 896. a) Über die Verpachtung vgl. Lumbroso RecJt. S. 320.
b) Vgl. I^tronne in NoL et Exir. d. Mss. XVIII 2. 413.
c) Der Pariser Papyrus 66 gehört zu den ältesten Papyri (3. Jahrh. v. Chr.).
d) Für Tov tfxvxXlov (Reuvens Lettre III S. 52) liest Leemans a. a. 0. rich-
tig: TOI' bv Zvfjvff. Die Worte (ino tov xxL beriehen sich auf das vorhergehende
§fet. Leemans' Lesung ist durchweg richtig bis auf uysvdoxifiaau' x«i, wofür zu
lesen ist: u^bv Soxi^aaiixov.
S. 397. a) Zur Besteuerung der ptolemäischen Provinzen vgl. die wich-
tige Inschrift aus Lykien BulL de corr, hell XIV S. 162 ff.
b) Vgl. die kürzlich auf Cypern gefundene Inschrift {Joum. of Hell. Stud.
XII 1891 S. 195): HroXtfiaioP ßamldiog %nby top (Ti^ajrjtfbv xal vavuqyov xai
ag/iSQBa xai (tQ/ixvyrjyby t6 xoiyby Ttjv tV JCvnQUi juaaof^ieyay S{)(txü}v xai itjy
ax'^noliievofieycjy.
S. 398. a) Boeckh a. a. 0. liest: x«i oi xvyij[Yoi] und sieht in Berenike
die Frau des Soter I. Dieser Ansatz gewinnt eine Stütze, wenn man annimmt,
daß der in dieser Inschrift genannte Botaxog (allerdings ein häufiger Name) der
Vater des Kallikrates ist, der nach Dittenberger Syllog Nr. 152 der Arsinoe
Philadelphos in Olympia eine Statue gesetzt hat.
b) Vgl. Lepsius, Über einige Ergebnisse etc. S. 473, 2.
S. 899. a) Vgl. Anmerk. 2 zu S. 360.
S. 400. a) Vgl. Babelon Eoü de Syrie S. 66.
b) Zu den Kämpfen mit Antiochus IV vgl. Wilcken Antiochus IV bei
Pauly-Wissowa.
S. 401. a) Mit Mommsen (Rom. Münzwes. 633/4, Rom. Gesch. I« 699) ist
in Übereinstimmung mit Justin daran festzuhalten , dab I^pidus der Vormund
des Epiphanes, nicht der seiner Kinder gewesen ist. Die Erzählung des Justin
von der Entsendung des Lepidus ist zu eng mit den Ereignissen aus dem An-
fang der Regierung des Epiphanes verflochten, als daß man ein Missverständ-
nis des Justin annehmen und die Vorgänge etwa zwanzig Jahre später ansetzen
könnte. In die Zeit der Vormundschaft der Kleopatra I für ihren Sohn Philo-
metor setzt Stuart Poole die kyprische Kupfermünze mit der doppelten Auf-
schrift HuoiUffarjg XlsonaTQag (Obv.) und Jlroksftaiov {iaadecjy (Rev). Vgl.
Catalogue of greek coins in the Brit, Mus., The Ptolemies p. LIV. 78.
S. 4:03- a) Nach Appian Syr. 39 ist Antiochos IV schon unmittelbar nach
440 I^e Lagidarum regno
den ersten Friedensverhandlungen mit Seipio und vor der Eatificierung in Rom
als Geisel abgeschickt worden. Danach belauft sich sein römischer Aufenthalt
auf etwa 14 Jahre.
b) Dieser Bericht Appians (Syr. 45) findet durch die pergamenische In-
schrift I Nr. 160 ed. Fränkel seine Bestätigung und Ergänzung.
c) Da der Beiname 'Unifpayi^g (seil. &8Ög) zu recht verschiedenen Deutungen
geführt hat, ist es nicht uninteressant zu sehen , wie die ägyptischen Priester
diesen Namen, den auch Ptolemaios V geführt hat, in ihrer Sprache ausdrücken :
p' nutr pr, d. h. ^^der Gott, der herauskommt, hervortritt^^ (seil, wie die Moigen-
sonne, Horos, am Horizont). Man wird Sebg 'Enuf>ayrig am besten fassen als
„den Gott, der in die Erscheinung tritt, sich offenbart".
S. 401:. a) Vgl. Anm. b zu S. 360.
S. 406. a) Die Anakleterien des Epiphanes bringt Droysen mit Unrecht
mit dem lykopolitanischen Aufstande zusammen. Polybios XVIII 55, 3 giebt
als Grund für die Beschleunigung der Feier die in dem Aufstand des Skopas
hervorgetretenen Gefahren an. Übrigens wird man heute, nach Kenntnis der
einheimischen Tradition, nicht mehr dafür halten, daß erst Epiphanes die ägyp-
tische Königsweihe eingeführt habe. Auch Polybius sucht nur für die Be-
schleunigung der Feier einen besonderen Anlaß, die Feier selbst sieht er
offenbar als selbstverständlich an.
b) Zu den Anakleterien des Philometor vgl. Anm. a zu S. 409.
S. 407. a) Euergetes II feierte die Anakleterien im J. 169. Siehe Anm. a
S. 409.
S. 408. a) Schon hier ist der auf S. 410 mitgeteilte Bericht des Hiero-
nymus einzuschalten, der in diesen Feldzug von 171/0, nicht in den von 169
hineingehört. Hieronymus schließt die Krönung in Memphis mit porro unmittel-
bar au den Sieg bei Pelusium an. — In die Zeit dieser syrischen Occupation
gehören die kyprischen und ägyptischen Münzen, die Kopf und Namen des
Antiochus IV zeigen. Vgl. Stuart Poole a. a. 0. S. 81.
b) Joscphos (ant. XII 242—244) hat überhaupt in seinem kurzen Resume
die drei Feldzüge des Antiochos IV zu einem einzigen zusammengeworfen.
S. 409. a) Schon Schweighäuser hat im Index Polybianus VIII 1 p. 428
nachgewiesen, daß die achäische Gesandtschaft vom J. 169 nicht an Philometor,
sondern an Euergetes gerichtet war. Also sind auch die Anakleterien, die die
Veranlassung zu der Entsendung gaben, die des Euergetes. Die Anakleterien
des Philometor sind vielmehr (mit Sharpe-Gutschmid) in das J. 178 zu setzen,
denn damals schickten die Römer eine Gesandschaft an ihn renovandae amicitiae
causa (Liv. 42, 6, 4), wie es gelegentlich von Anakleterien Sitte war (vgl. Polyb.
a. 0.). In dieselbe Zeit fällt auch die Sendung des ApoUonios zu den Tr^cdro-
xUiJui (s. Droys. S. 405). Danach liegt der Schluß nahe, daß die Protoklisien
entweder identisch sind mit den Anakleterien, oder aber eine Feier bezeichnen,
die neben jener begangen werden konnte. Zu der letzteren Annahme würde
die Deutung von nqtüxoxUaia als „Hochzeitsfeier'* führen (i) xliaUt kommt für
„Ehebett^* vor), und man könnte sich auf die schon öfter erwähnte Inschrift des
Berliner Museums berufen, wonach die Ansetzung der Hochzeit des Philometor
in sein 9., ja sogar in sein 8. Jahr, d. h. 174/3, 173/2) nicht ausgeschlossen
ist. Doch dürfte Manches dagegen sprechen. Wahrscheinlicher bleibt die
Annahme, daß Protoklisien und Anakleterien eine und dieselbe Feier, d. h. das
Krönungsfest, bezeichnen. Dunkel bleibt noch der Ausdruck n^bitoMcia resp.
Ptolemaeo VI Philometore rege 441
TEQtöToxXi^aiay wie manche Handschriften haben. Sollte nQG)joxiii<na vielleicht nur
eine falsche Lesung sein statt dvnxAi/crta, entstanden aus einem zweideutigen
ä xXrjaia??
b) Antiochos war es, der den 2. syrischen Feldzug (169) eröffiiete, und
zwar war sein Gegner nicht anfangs Philometor und dann Euergetes, wie
I^rojsen annimmt, sondern von vornherein nur Euergetes. Antiochos unternahm
ihn unter dem Vorwande, für Philometor den Thron Ägyptens erobern zu wollen.
Vgl Liv. 45, 11, 8 si reducendi eins (Philometoris) causa exercitum Äegyptum
induxisset, quo speetoso titulo ad omnes Asiae et Oraeeiae civiiates legaiiombus
reeipiendis litterisque dimittendis usus erat
c) Ist nicht überliefert Der in Alexandria belagerte Ptolemaios ist
Euergetes.
S. 410. a) Diese Notiz gehört in den 1. Feldzug von 171/0. DaB An-
tiochos Pelusion 169 nochmals habe erorbem müssen, wird sonst nicht über-
liefert, ist auch wenig wahrscheinlich. In den Anfang dieses 2. Feldzuges ge-
hört vielmehr der Seesieg bei Pelusion (Liv. 44, 19, 8).
b) Siehe Anm. a zu S. 408.
S. 412. a) Die Charakteristik Diodors bezieht sich auf den feigen Ver-
such Philometors (171/0), nach Samothrake zu entfliehen, wie Polyb. XXVIII 21
zeigt. Der schmähliche Vertrag Philometors flSllt zugleich mit der Annahme,
daß der Feldzug gegen ihn gerichtet gewesen sei. Vgl. Anm. b zu S. 409.
b) Diese Proklamierung fällt nach dem Gesagten zwischen den 1. und 2.
syrischen Krieg, nach Porphyr, bei Euseb. ed. Schoene 1 162 zwischen 5. Okt. 170
und 4. Okt. 169.
S. 413. a) Die Rolle, die hier Kleopatra spielte, gewinnt jetzt an Inter-
esse, da wir nach der Berliner Inschrift annehmen dürfen, daß sie damals
schon die Gemahlin des Philometor war. Sie war wohl durch die Kriegs-
ereignisse von ihrem Gatten getrennt worden. Vielleicht auch hat sie sein
schlaffes Auftreten verurteilt und schloß sich ihm nun erst wieder an, als er
den Mut zeigte, mit dem Bruder zusammen das Reich verteidigen zu wollen.
Auch Livins bezeichnet 44, 19, 6 Kleopatra für das Jahr 169 als Königin.
Das konnte sie aber nur durch die Ehe mit dem regierenden Bruder sein.
S. 417. a) Zu Numenios vgl. Neroutsos-Bey Vanc. Alexandrie S. 98 ff.
S. 418. a) Wie inzwischen bekannt gewordene Urkunden zeigen, hat man,
während der gemeinsamen Regierung der Brüder nicht Doppeldaten geführt,
wie nach Porphyrios anzunehmen war« sondern hat die von Euergetes in dem
J. 170/69 neu begründete Zählungsweise weiter geführt, hat sie aber offenbar
als Bezeichnung für die gemeinschaftliche Regierung der Bruder be-
trachtet. Die Ansicht von Brunet de Presle (in seinen sonst vortrefflichen
Untersuchimgen Noiie, et Extr. etc. XVIII 2 S. 39 ff), daß diese Jahre als
Jahre des Euergetes aufzufassen seien, beruht auf einer irrigen Auslegung
des Porphyrios. Da die Brüder gemeinsam regierten, kann unmöglich nach
den Jahren des Jüngeren datiert worden sein. Also die Daten Lg und t im
Pap. Paris. Nr. 24, Nr. 63, Pap. Lond. XXII (ed. Kenyon S. 7) etc. sind aufzu-
fassen als J. 6 und 7 des Philometor und Euergetes. Vgl. Pap. Paris. 63 I 1 :
"lüfjgüjTai fikv ßoia[iXBvg\ ITioXefiaiog xai ßaaiXevg UtoXefiaiog 6 adeXq>bg xal ßatri-
Xiffaa jLXeanctiQa i) ^deXq>rj xai t« rexya. Vgl. Z. 18: Lg MeaoQtj xd. Diese
Zählungsweise mußte von Philometor nach der Versetzung des Euergetes nach
Kyrene (163) natürlich aufgegeben werden zu Gunsten seiner eigenen früheren
442 I^e Lagidarum regno
Datierungsart. Daher ist in einem Brief Pbilometors aus dem Ende des
kritischen Jahres 163 dieses nicht als 7., sondern als 18. bezeichnet. Vgl. Pap.
Paris. 63 XIII.
b) Über die Münzen vgl. Stuart Poole Cataiogue of the Greek eoins in the
Brit Mus. The Ptolemies S. UXff. Es giebt übrigens ägyptische Reliefs, die
die beiden Brüder zusammen mit Rleopatra darstellen, so eines in Theben (jetzt
im Berliner Museum), eines in Esneh. Das thebaniscbe Denkmal (public, bei
Lepsius Denkm. IV 28) ist dadurch besonders wichtig, daß es die Drei zusam-
men als „die Götter, die ihre Mutter lieben^^ bezeichnet, d. h. als x^boI <fikoft^^
joQec, Aus dieser schon von Lepsius in den Abb. d. Pr. Akad. 1852 S. 467
mitgeteilten Thatsache ist bisher noch nicht der notwendige Schluß gezogen
worden, daß während der Samtherrschaft; der beiden Brüder der Jüngere noch
nicht als x^ebc Eisq^fiirig einen besonderen Kult gehabt hat, sondern, ähnlich
wie ja auch die Frauen den Kultnamen des Mannes mit übernehmen, so den
des älteren Bruders mit geführt hat. Er wird erst nach dem Tode des Alteren,
als er die Alleinherrschaft übernommen hatte, zum d-ebg EveqfBXTfg gemacht wor-
den sein, sodaß es hiemach inkorrekt ist, vor dem J. 146/5 von einem Euergetes II
zu reden. Es kann somit als zweifelhaft erscheinen, ob Stuart Poole kyre-
näische Münzen mit der Umschrift Baaildas HiolBfiaiov Eveg^iiov mit Recht
schon in die Zeit von 163—146/5 angesetzt hat, man müßte denn annehmen, daß
der jüngere Ptolemaios als König von Kyrene dort zum x^ebc Evbq filzig erhoben
sei. In Ägypten ist er jedenfalls vor dem Tode des Philometor nicht als Euer-
getes verehrt worden.
c) Dieser Ptolemaios, Strateg von Oypem, begegnet in einer Inschrift BuU.
de corr. hell, XV S. 350.
d) Von diesem Berliner Papyrus ist mir keine neuere Übersetzung bekannt
Die 7nater vidua ist sehr bedenklich. Gleichfalls aus dem 6. Jahr des Philo-
metor stammt der demotische Papyrus bei Revillout Kouv, ChrestomaiK
S. 134 ff.
S. 420. a) Diese Betrachtungen Droysens finden eine Bestätigung in den
inzwischen bekannt gewordenen Escurialfragmenten aus Diodor, die von der
Revolte des JleioactQÜnLg (besser JleioaoQamg) und dem nationalen Aufstand
in der Thebais (Panopolis) berichten (Diod. XXXI 15a und 17b).
b) Zu einer anderen Charakteristik kommt A. v. Gutschmid bei Sharpe I
S. 266 A. 2.
S. 421. a) Droysen hat die Thatsache übergangen, dass, ehe es zu der
Reichsteilung kam, Philometor von dem jüngeren Bruder vertrieben wurde.
Vgl. Polyb. XXXIX 18, 5. Trog. Prol. 34. Liv. Per. 46. Porphyr, bei Euseb.
cd. Schoene I 162. Mit Hilfe von Materialien, die 1831 noch unbekannt waren,
lassen sich die in diesem Paragraphen besprochenen Vorgänge etwa folgender-
massen gruppieren. Im Anfang des 18. Jahres des Philometor, d. h. Ende 164
V. Chr. (nach dem 3. Okt.) herrschen noch beide Brüder gemeinsam. Daher
bezeichnen die Urkunden dies Jahr 164/3 noch als 7. (l^ap. Paris. 63 VII 21.
Pap. Lond. XXII a. a. 0.). Darauf vertreibt Euergetes, wie er der Kürze wegen
genannt sei, den Philometor (vgl. die oben angeführten Belege). Philometor geht
hilfeflehend nach Rom und begegnet dort in kläglichem Aufzuge dem Demetrios.
Daß diese Erzählung Diodors (XXXI 18, 1) sich auf Philometor, nicht auf
Euergetes bezieht, ergiebt sich mit Sicherheit daraus, dass er von dem König
als dxneffoyTog spricht, und wird durch Valer. Max. V 1 bestätigt, der dieselbe
PtolemaeoVI Philometore rege 443
G-eechichte von Ptolemaetia a minore fratre regno spolinius berichtet. Der
Senat beschließt, Pfailometor in sein Reich znrückzufiLhren und entsendet zu
dem Zwecke Gesandte an Euergetes {Kavokrjiop xai Koiviov Poljb. XXXI 18, 4.
Liv. Per. 46). Philometor geht einstweilen nach Cypem (Diod. XXXI 17 c).
Inzwischen hat sich Euergetes in Alezandrien verhaßt gemacht (vgl. auch
Polyb. XXXI 27, 14). Die Alexandriner rufen, der römischen Intervention
zuvorkommend, den Philometor aus Cypem herbei (Diod. a. a. 0.) Er kommt,
und die römischen Gesandten, die inzwischen auch in Alexandrien eingetroffen
sind, legen den Streit in der Weise bei, daß Philometor Ägypten, Euergetes
Kyrene erhält. Philometor nennt nun das laufende Jahr (164/3) das 18. Vgl.
Pap. Paris. 63 XIII 14: Lti; HsquIov d Msaoqi} xe. Brnnet de Presle nimmt an,
daß der in diesem Briefe hervorgehobene 19. Epiph. der Tag ist, an dem Philo-
metor wieder die Alleinherrschaft tlbernommen hat. Danach würde man den
17. Aug. 163 als den Tag des neuen Regierungsantrittes gewinnen. Im J. 162
geht dann Euergetes nach Rom, um Cypem zu erbetteln.
S. 424, a) Vgl. Diod. XXXI 23.
S. 425« a) Dieser Ansatz föllt zugleich mit der irrigen Berechnung der
Anakleterien und der Hochzeit (s. oben). Eine andere Deutung giebt Müller
Fragm, kist Or. II p. XI, die aber ebenso unsicher ist Wir schlagen folgen-
des vor. Nach der Berliner Inschrift (bei Bjrebs a. a. 0.) war Philometor sehr
wahrscheinlich schon im 10. Jahre seiner Regierung, d.h. 172/1, wenn nicht
schon früher, verheiratet Da er im J. 171 Gefangener des Antiochos Epiphanes
wurde, so wird die Inschrift von Parembole zwischen diese beiden Daten fallen.
Dazu paßt, daß Kinder noch nicht genannt werden, ebenso wenig wie in der
Berliner Inschrift. Die Möglichkeit, die letztere später als in das 10. Jahr zu
setzen (die an und für sich, wenn auch mit geringer Wahrscheinlichkeit, vor-
liegt), wird eben durch die Inschrift von Parembole abgeschnitten, denn in der
zweiten Alleinherrschaft des Philometor (von 163 an) ist für sie kein Platz, da
damals Philometor Kinder hatte (vgl. Pap. Paris 63 I 1 ff.).
b) Vgl. Revillout Nouv, Chrestom, S. 79 ff.
S. 426. a) Archias war nach obigem nicht mit Euergetes, sondern mit
Philometor in Rom gewesen. Er wird daher auch gegen diesen den Verrat
geplant haben. Dann ist Philometor der Herr von Cypem.
S« 428. a) Über den Oniastempel vgl. Schürer Gesch. d. jüd. Volkes II
544 ff. Mit Berücksichtigung der großen Bevorzugimg der Juden durch Philo-
metor liegt es nahe, die jüdischen Synagogeninschriften von Athribis (BulL de
corr, heil. XIII S. 178) nicht auf Epiphanes, wie S. Reinach vorschlägt, sondern
auf Philometor zu beziehen. Vgl. freilich C. I. L. III Suppl. n. 6583.
S. 430. a) Nach dem inzwischen bekannt gewordenen Bericht Diodon
(XXXII 9 c) gab Philometor dem Demetrios die Seleukidenkrone , behielt aber
für sich selbst Koelesyrien. Nach dem Tode Philometors hat Demetrios das
ägyptische Heer aus Syrien verjagt und die Alleinherrschaft gewonnen. Wie
das geschah , darüber liegen z. T. widerspruchsvolle und noch nicht genügend
aufgeklärte Berichte vor. Vgl. Jos. ant XIII 120 Diod. XXXIII 4 und 20.
Verzeichnis
von
Joh. Gust. Droysens Schriften zur alten Geschichte und zur
griechischen und römischen Litteratur.
Das Verzeichnis ist trotz der darauf verwendeten Mtthe vielleicht noch nicht ToIlstCndig. Die mit *
bezeichneten Arbeiten sind in der Sammlung der kleinen Schriften wieder abgedruckt
*1. Die griechischen Beischriften von fünf ägyptischen Papyren in Berlin.
[Altes] Rheinisches Museum u. s. w. III 4 [1829-J1832 S. 491—541.
Vgl. HeUenism, III 1 S. 45; Kl. Sehr. I S. 1—39 vgl. S. 386.
*2. De Lagidanim regno Ptolemaeo VI Philometore rege Berlin 1831 (IV
82 S.) 4.
S. 1—33 erschien als Doktordissertation, vertheldigt am 31. August 183L YgL
Hollenism. III S. 30 u. 5. Kl. Sehr. II S. 351—432.
8. Des Aischylos Werke übersetzt. Zwei Teile, Berlin 1832 (G. Finke, XIX
247 VII 338 S.) 8.
Gewidmet „den Freunden meines Vaters". Teil II erschien zuerst Die Vorrede
zum erst4)n Teil (über Übersetzungen antiker Dichter) ist spSter fortgelassen worden
Teil II enthfllt ein kurzes Vorwort „an den Leser''.
4. Geschichte Alexanders des Großen (mit einer Karte und einem Titelkupfer)
Berlin 1833 ([IV] 584 S.) 8.
Mit dem später fortgelassenen Motto waneQ ^eov ir avt^Qc&jtot^ eutoi eTpoi tot rcMOt-
Tov . . . .' xard dk rtov roiovrcoy oi'x iart vo/no?' avroi yoQ eiai v6ßtoi Aristoteles.
Gewidmet „seiuem Freunde Dr. Gottlieb Friedlaender, Custos der Kgl. Bibliothek b
Berlin". Die Zuschrift an ihn (11 S.) blieb später fort
5. Die Schlacht am Hydaspes, zur Habilitation vor der Berliner philosophischen
Fakultät gelesen am 29. Januar 1833, Zeitschrift für Kunst, Wissenschaft und
Geschichte des Krieges Band XXVIII Berlin 1833 S. 189—212.
Eingehende Ausführung, deren kurzes Ergebnis in die Oeschlchte Alexanders
Ckborging.
6. P. 0. ran der Chys, comnientariris geographicus in Arrianum de expeditiom
Alexandri, cum tabula aeri ineisa, Leiden 1828 (XVI 135 S.) 4. angezeigt
in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik 1833 Band I (Berlin 183S)
S. 471—480.
7. Sappho und Erinna nach ihrem Leben beschrieben und in ihren poetischen
Überresten übersetzt und erklärt von Prof. Franz W. Richter Quedlin-
burg und Leipzig 1833 (99 S.) 8. angezeigt in den Jahrbüchern für wissen-
schaftliche Kritik 1833 Band II (Berlin 1833) S. 271.
Verzeichiiis von Joh. Gast Drojseas Schriften zur alten Geschichte etc. 445
8. Sophochs Trachintae recognovit et advertariis enarratit Joannes Äpttxiua
Halle 1833 (340 XII S.) 8. angezeigt in den Jahrbüchern für wissenschaft-
liche Kritik 1833 Band II (Berlin 1883) S. 542.
9. Alexander des Großen Züge durch Turan, gelesen [1833] in der Berliner
geographischen Gesellschaft. [Altes] Rheinisches Maseum II 1834 S. 81—102
Vgl. Hellenismus I 2 S. 79.
Eingehende Aasfühnmg, deren kurzes Ergebnis in die Geschichte Alez«nders
Qberging.
10. F. W. Benicken^ Roms Staats- und Kriegsgeschichte u. s. w. Merseburg
1833 (213. 10 S.) 8. angezeigt in der Militärischen Litteraturzeitung Band XV
Berlin 1834 S. 231—235.
11. Des Aristophanes Werke übersetzt, erster Teil („ — taöi ja xaka aeXim — ")
Berlin 1835 (Veit & Comp., XX 421 S.) 8.
„Meinen Freonden Felix Mendelssohn Bartholdy und Albert Gostar Heydemann".
Wurde 1881 begonnen, 1886 wieder aufgenommen, im Sommer dieses Jahres Tollendet.
*12. Des Aristophanes Vögel und die Hermokopiden. [Altes] Rheinisches Museum
III 1835 S. 160—208 IV 1836 S. 27—62.
Kl. Sehr. II S. 1—61.
13. Geschichte des Hellenismus, erster Teil, Geschichte der Nachfolger Ale-
xanders. Hamburg 1836 (bei Friedrich Perthes, XVI 766 VI S.) 8.
IMe Vorrede (XVI S.) blieb später fort
14. Der vierjährige Krieg. L. Chr. Zimmermanns Zeitschrift für die Alter-
tumswissenschaft III 1836 Nr. 20, 21 Sp. 161—170.
Vgl. Hellenismus II 2 S. 178.
Nicht wieder abgedruckt, weil das Ergebnis durch spätere Forschungen überholt ist
*lb. De fontilme veterum auetorum in eocpeditiontbus a Oaüis in Macedoniam
■ atque Oraeciam suscepHs scripsit Dr. Ouet Ad, Schmidt Berlin 1834 8.
angezeigt in L. Chr. Zimmermanns Zeitschrift für die Altertumswissenschaft
III 1836 Nr. 73 S. 587—589.
Kl Sehr. I S. 42-45. VgL Zeitschr. f. Alt VI 1889 S. 199, MOlIenhoff DA H S. 262.
*16. Das pftonische Fürstentum (mit Münzbild). L. Chr. Zimmermanns Zeit-
schrift für die Altertumswissenschaft III 1836 Nr. 103. 104 Sp. 825—838.
Kl. Sehr. I S. 79—94.
"^17. Die Kelten bei dem Komiker Ephippos. L. Chr. Zimmermanns Zeitschrift
für die Altertumswissenschaft III 1836 Nr. 139 Sp. 1210.
Kl. Sehr. I S. 46 f.
*18. Päonien und Dardanien (mit einer Karte). Allgemeine Encyklopädie der
Wissenschaften und Künste herausgegeben von J. S. Ersch und J. G. Gruber
Sektion III Teil 9 Leipzig 1837 S. 197—211.
KL Sehr. I S. 48—79. Die Karte ist als nicht mehr ausreichend fortgelassen worden.
19. Des Aristophanes Werke übersetzt, zweiter Teil Berlii\ 1837 (Veit & Comp.,
431 S.) 8.
„Seinem Freunde Adolph Scholl".
20. Des Aristophanes Werke übersetzt, dritter Teil „ — ^ ni^i ?; am&i — **
Berlin 1838 (Veit & Comp., VIII 517 S.) 8.
i^dnem lieben Freunde Eduard Bendemann".
446 VerzeichniB von Job. GrOBt. Drojsens Schriften
*21. G. Bernhardy, G-randriß der griechifichen Litteratar mit einem ve^lei-
chenden Überblick der römischen, erster Teil Halle 1836.
Caspar i Friderici Wegner disseriatio de aula AttaUea Uterarum
artiumque fautrice lihri sex, Vol. I Havniae 1836.
Dr. Friedrich Bitschi, die alexandrinischen Bibliotheken unter den ersteu
Ptolemäem und die Sammlung der Homerischen Gedichte durch Pisi-
stratus, nach Anleitung eines Plautinischen Scholions, nebst litterar-
historischen Zugaben u. s. w. Breslau 1888.
Angezeigt in den Hallischen Jahrbüchern für deutsche Wissenschaft und
Kunst herausgegeben von Dr. A. Rüge und Dr. Th. Echtermeyer.
Halle, I 1838 Nr. 169—171 Sp. 1349—1368.
Kl. Sehr, n 8. 62-74.
*22. Über die Echtheit der Urkunden in Demosthenes Rede vom Kranz.
L. Chr. Zimmermanns Zeitschrift ftlr die Altertumswissenschaft VIII 1839
Nr. 68 E Sp. 537 ß.
Kl. Sehr. I 8. 95—256.
*23. J. Forshall y Description of the Oreek Papyri in ihe British Museum
Part I London 1839 8. angezeigt in der Litterarischen Zeitung von Brandes
Bd. VII Berlin 1840 Nr. 14.
KL Sehr. I S. 39-41.
24. Ciceros Bücher vom höchsten Gut übersetzt. Ciceros philosophischen
Schriften in deutschen Übersetzungen von Fr. K. von Strombeck, Friedrich
Jacobs, J. G. Droysen, A. Westermann, A. W. Zumpt u. a. m. herausgegeben
von Reinhold Klotz, Bd. I (Leipzig 1840, Verlag von Carl Focke) S. 137—326.
Mit kunser EioleituDg des Übersetxers; die Anmerkungeii sind größtenteils Tom
Herausgeber.
*25. Phrynichos, Aischylos und die Trilogie, eine Abhandlung. Kieler philo-
logische Studien, Kiel 1841 8. S. 43—74.
Kl. Sehr. II 8.75-104.
*26. Kritische Notizen zum Aischylos. L. Chr. Zimmermanns SiCitschrift für
die Altertumswissenschaft X 1841 Nr. 27. 28 Sp. 217—228.
Kl. Sehr. II S. 104—117.
27. Des Aischylos Werke übersetzt, zweite Auflage Berlin 1842 (bei G. Bethge,
679 S.) Kl. 8.
*28. Die Aufführung der Antigene des Sophokles in Berlin. Berliner Nach-
richten von Staats- und gelehrten Sachen (Spenersche Zeitung) 1842 Nr. 94.
erste Beilage.
KL Sehr. II S. 146—152.
29. Geschichte des Hellenismus, zweiter Teil, Geschichte der Bildung des
hellenischen Staatensystems, mit einem Anhang über die hellenistischeD
StÄdtegründungen. Hamburg 1843 (Friedrich Perthes [II] 784 S.) 8.
• Das ausmhrUche Vorwort (XXII 8.) Kl. Sehr. I S. 298—814.
*30. Über die sigeische Inschrift, ein Schreiben an Th. Bergk in Bergk und
Caesars Zeitschrift für die Altertumswissenschaft 1 1843 Nr. 7 — 9 Sp. 52—66.
Kl. Sehr. I S. 314-327.
zur alten Greschichte und zur griechischen und römischen Litteratur 447
31. Zur Geschichte der Nachfolger Alezanders I. die eponymen Priester der
Soteren zu Athen II. der hellenische Krieg. Neues Rheinisches Museum
für Philologie IV 1843 S. 387—414. 511—530. Vgl. Hellenism. II 1 S. 70 u. ö.
Klcht wiederholt wie Nr. 14.
'*'32. Die Tetralogie. Bergk und Caesars Zeitschrift für die Altertumswissen-
schaft II 1844 Nr. 13—16 Sp. 97—123 vgl. 351.
Kl. Sehr. II S. 118—145.
*SS. Die Urkunden. Demosthenes* Rede vom Kranz betreffend. Bergk und
Caesars Zeitschrift für die Altertumswissenschaft III Nr. 2—4 1845 Sp.
13—27.
KL Sehr. I S. 257—270.
*34. Über das Geburtsjahr des Demosthenes. Neues Rheinisches Museum für
Philologie IV 1846 S. 406—438. Vgl. Hellenism. III 2 S. 37 u. ö.
Kl. Sehr. I 8. 271-297.
*35. Die attische Communal Verfassung. W. A. Schmidts Allgemeine Zeitschrift
für Geschichte VIII 1847 S. 289—337. S85— 411.
Kl. Sehr. I S. 328-385.
*36. Die Wandgemälde im Ball- und Concertsaal des Königlichen Schlosses zu
Dresden erfunden und ausgeführt von K Bendemann, radiert von H. Bürkner;
mit erläuterndem Text von J. G. Drojsen. Dresden 1858 (Ernst Arnold)
quer-fol.
KL Sehr, n S. 153—181.
37. Aischylos übersetzt, dritte umgearbeitete Auflage Berlin 1868 (Verlag
von Wilhelm Hertz, Bessersche Buchhandlung, IV 574 S.) 8.
38. Des Aristophanes Werke Übersetzt, zweite Auflage, zwei Teile Leipzig 1869
(Verlag von Veit & Comp., 418. 478 S.) 8.
*39. Bemerkungen über die attischen Strategen. Hermes IX 1874 S. 1—21.
KI. Sehr. II S. 182—200.
*40. Zu Duris und Hieronymos. Hermes X 1876, S. 458—465.
Kl. Sehr. II S. 201—207.
41. Geschichte des Hellenismus, erster Teil, Geschichte Alexanders des Großen,
zweite Auflage, zwei Halbbände Gotha 1877 (Friedrich Andreas Perthes,
X 400 VIII 420 S.) 8.
^42. Alezander des Großen Armee. Hermes XII 1877 S. 226—256.
KL Sehr. II S. 206-281.
43. Geschichte des Hellenismus, dritter Teil, Geschichte der Epigonen, zweite
Auflage, erster Halbband Gotha 1877 (Friedrich Andreas Perthes, VIII
452 S.) 8.
*44. Beiträge zu der Frage über die innere Gestaltung des Reiches Alexanders
des Großen. Monatsberichte der Berliner Akademie 1877 S. 23—45.
Kl. Sehr. II S. 232—252.
45. Geschichte des Hellenismus, zweiter Teil, Geschichte der Diadochen, zweite
Auflage, zwei Halbbände Gotha 1878 (Friedrich Andreas Perthes, VIII 324
IX 399 S.) 8.
46. Geschichte des Hellenismus, dritter Theil, Geschichte der Epigonen mit
einem Anhang über die hellenischen Städtegründungen, zweiter Halbband
i /-> ;-' ^/' r
448 yerzeichnSä von Joh. Gust. Droysens Schriften zur alten Geschichte ete.
Gotha 1878 (Friedrich Andreas Perthes, YIII 891 S., Register von Dr. Al-
fred Schultz 145 S.) 8.
*47. Die Festzeit der Nemeen. Hermes XIV 1879 S. 1—24.
Kl. Sehr. II S. 263—274
48. Geschichte Alexanders des Großen, dritte Auflage, mit 5 Karten ^"on
Richard Kiepert, Gotha 1880 (Friedrich Andreas Perthes, IV 404 S.) 8.
49. Des Aristophanes Werke, dritte Auflage, zwei Teile Leipzig 1881 (Veit
& Ck)mp., 888. 452 S.) 8.
*50. Zum Finanzwesen der Ptolemäer (32. S.). Sitzungsberichte der Berliner
Akademie 1882 S. 207—236.
KL Sehr, n S. 275- 905.
*51. Zum Finanzwesen desDionjsios von Syrakus (15 S.). Sitzungsberichte der
Beriiner Akademie 1882 S. 1013—1027.
KI. Sehr. II S. 306-8'20.
*52. Zum Mtinzwesen Athens (30 S.). Sitzungsberichte der Berliner Akademie
1882 S. 1193—1222.
Kl. Sehr. U S. 321-344.
58. Aischylos übersetzt, vierte umgearbeitete Auflage, Berlin 1884 (Verlag vun
Wilhelm Hertz, Bessersche Buchhandlung, [I] 476 S.) 8.
54. Geschichte Alezanders des Großen, vierte Auflage, mit 5 Karten von
Richard Kiepert, Gotha 1892 (Friedrich Andreas Perthes, IV 510 S.) 8.