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Full text of "Kritik der kantischen Philosophie"

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I PHILOSOPHICAL LIBRARY 



L. 



OF 



PROFESSOR GEORGE S. MORRIS, 

Professor in the University, 
inro-lHHO. 



<2 



1 



Prffifnteil to tlie rniverKitjr of Mif hieran. 



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7= 



^txM ber ßaitfifi^en ^i^itofop^ie, 



^xiiik 



bcr 






(antifdien ^ilofo^Hie 



oon 



^tttto ^ifc^er. 



ülitnilieit. 

SJcrUfjöbud^l^anblung Don gr. Saffcrmann. 

1883, 



«Oe Siebte iiorlie^a(ten< 



«nlto.-«tt*ktu<ferel bon 3. ^«rnlnfl iu ^elbetbcrg. 



ISB r to r i. 



9Zad^bem iä) bie mm Bearbeitung meines Söerfeö über Äant in 
ber brüten Sluftage üoHenbet l^atte, war iä) fd^on bereit, bie jweite 
aiuögabe be§ näd^ften Sanbeö meiner ©efd^id^te ber neuern ^fiilofopfiie 
ju beforgen, aU ber fd^werfte ©d^tag, ber mein Seben treffen fonnte 
unb piö^M) traf, mir bie Äraft unb ßuft jur 9lrbeit entrife, unb id^ 
I;abe 3^it beburft, um fie im SBege be§ mül^fam errungenen 9lrbeiten§ 
aHmäl^Hg TOieberjufinben. 

^ür jene neue im Srudf befinbtid^e 2luf(age beö fünften SSanbeö, 
tüeld^er g^id^teö SBorgänger, fieben unb fiel^re umfaßt, l^abe iä) atö neue 
„ßinleitung jur ®efd^i(^te ber na($!antif($en ^l^ilofopl^ie" bie Äriti! ber 
fantif($en gef($rieben, bie id) aU @eparatf($rift l^iermit üeröffentlid^e. 
2)ie erften mer ßapitet berfelben finb üöHig neu, baö lefete giebt in 
umgearbeiteter ^orm ben Snfialt beö erften ber alten aufläge wieber. 
2)a id^ meine ©efd^id^te ber neuern ^^ilofop^ie in biefer felbft nur mit 
ber 33ejeid^nung „©. biefeö Söerf u. f. f." citiren fonnte, fo mu^te bie 
gleid^e 9lrt ber 3lnfül^rung aud^ in bie üortiegenbe Sd^rift übergeben, 
obtüol^l biefetbe unabhängig von bem ©efammtwerf erfd^eint. 

3(^ l^abe e§ früher für rii^tig unb bem ^lane meines 3öer!eö für 
angemeffen gehalten, bie ilriti! ber fantifd^en 5p{)iIofop^ie mit ber ®nt= 
widlungögefd^id^te ber nad^!antifd^en, bie in aUm if)xm g^ormen !ritif d^ 
au^ jener l^en)orge^t, ju üerbinben unb bie au§fü^rli($e SSeurtl^eilung 
erft am @($Iuffe beö ®anjen ju geben, na(^bem ber fiefer alle bie 
Stanbpunfte !ennen gelernt ^at, welche bie Söfung !antifd^er Probleme 
üerfud^t unb iura) il^re Seiftungen einen Einfluß auf ba§ x>on Äant 
erleud^tete B^talter, ba§ immer nod^ ba§ unfrige ift, geübt l^aben. äud^ 
bin id^ biefer 3lnfi(^t geblieben, bie bem l^iftorifd^en Senfen entfprid^t. 
2)a iä) aber mit meiner Slrbeit au($ ben SSebürfniffen ber unmittel= 
baren ©egenwart bienen will, fo l^abe ii^ mid^ überzeugen muffen, ba§ 



VI 

eine jufammenfaffenbe unb einjjel^eitbe, üon ber rid^tigen SSorfteffunß 
beö ©anjen ßeleitete Seurtl^eidmg ber fantif($en fiepte eine fel^r jeit= 
flemäfee g^orberuncj erfüllt unb etwas baju beitragen !ann, bie Srrtl^ümer, 
bie üon Dielen Seiten in ber l^eutigen S^ageöliteratur über Äant t)cr= 
breitet werben, ju beri($tigen. 3d^ benfe an biejenigen, xodä)t mä) einer 
wahren ©rfenntnife ber Seigre ^antö xtUiä) ftreben. 6ö ift beffer, bcn 
grojsen ^l^ilofopl^en ju oerftel^en, ofine über il^n ju fd^reiben, als, toic 
eö ^eutjutage nur ju l^äufig gef($iel^t, über il^n ju f($reiben, ol^ne if)n 
ju t)erftel^en. Söir erleben oft genug ba§ flägli($ läd^erlid^e ©(^aufpicl, 
ba^ Seute ber lefeteren Slrt fid^ wed^felfeitig anpreifen ober einanber oii^ 
anfallen, wie eö eben baö ©efd^äft unb bie i^aftige 3agb naä) unüerbien= 
tem Sol^ne mit fid6 bringt. Söenn fie in ^ßolemif ma($en, fo muffen 
bie geringfügigften Äleinigfeiten für grofee S)inge, ber breifte 2'on ftatt 
ber ©rünbe unb bie ®ttenbogen für bie Organe ber 3Biberlegung gelten. 
Unb bie SReclame wagt atteö. 6in unreifem unb confufeö 33ud^, baö oor 
einigen ^aliren erfd^ien unb fein befferes ©d^idffal liaben fonnte, alö bie 
SSergeffenl^eit, bie eö in ber ©titte begrub, wirb gegenwärtig als baö 
aOBer! auöpofaunt, weld^eö ben erften unb einzigen ^ortfd^ritt ber @r= 
fenntnifele^re feit Äant gemad^t l^abe. ®§ gel^t ju, wie auf bem 33locf §= 
berge. „(Sin Dilettant .l^at eö gef($rieben !" Unb g^reunb ©erüibiliö ruft: 
„2Jiid^ bilettirt'ö, ben 3?orl^ang aufäujiel^en !" 

@ine Sieil^e fritifd^er g^ragen über ba§ fantif($e ^auptwer!, bie id^ 
in ber Sd^lufeab^anblung beö britten 93anbe§ meiner (ät^ä)iä)te ber neuern 
^P^ilofopl^ie unterfud^en mu^te, l^at in auöfül^rlid^en unb fad^funbigen 
Seurtl^eilungen meines aBer!e§ aud^ einige ©egenerörterungen einfid^tö= 
ooHer 2Jiänner jur g^olge gel^abt. Sd^on .babur($ fül^lte iä) \mä) t)er= 
pfli($tet, jene g^ragen wieber aufjunel^men unb bie bort begonnene ^ritif 
in ber umfaffenben SBeife ausjufül^ren, wie id^ eö in ber oorliegenben 
©d^rift getl^an ju liaben wünfd^e. 

^eibelberg, ben 16. 'Suni 1883. 

^uno §f{ft9et. 



3n|a(ig|ierjet^ntt. 



<lr|le0 (Kapitel 

3)ie fatttif^e fßmo^opf^U ai» ^Unnini^U^u «... 

3)ic 2c^rc öon bcn ©rfdöcinungcn. 3)cr tranSfccnbcntalc 3bcali8mw8 

1. 2)tc ®ntftc^img bcr ©rfd^cimmgcn 

2. SDtc 3bcalität bcr (Srfd^cinungcn ..♦..• 
3)ic ©intoürfc gegen bic tranSfcenbentale Slcft^ctif .... 

1. 2)cr erfte ©intourf. 3)ie relatiöc ©eltimg ber geometrifd^en 
Sljiome ........... 

2. 3)er gtoeitc ©intourf. 3)ie natürliche SBeltanftd^t . 
3)ie ße^re öon ben 3)tngen an ftd^ . 

1. 3)ie @tnnlid^(eit ber reinen SScmunft ..... 

2. 3)ag 2)ing an ftdft 

3»iette0 (Kajittel. 

3)er (antifd^c SRealiSmug unb 3beali8ntug 
S^ag 2)ing an ftc^ al8 SBiUc . 

1. 2)ie intettigible Urfäd^Ud^feit . 

2. ^ie ntoralifd^e SBeltorbnung * 
!^ie Se^re Don (Sott unb ber Unfterblid^feil 

1. 2)er fantifd^e ^eigntnS . 

2. 2)ie fantifc^e Unfterblid^feitSlel&re 

Ilntte0 Capttel. 

S)ie (antifd^en ©mnbprobleme • . 
^ie enttoidFIung^gefc^id^tlid^e Sßeltanfid^t . 

1. ^ie natürlid^e @ntn)idtlung 

2. 3)ie intettectuette ©nttoidflung . 

3. 3)ie cuIturgefd^id^tUd^e unb fociale ©nttoidHung 

4. 3)ie ntoralifd^e unb religiöfe (Snttoidflung . 
®ie teleologiy^e SBeltanfi^t .... 

1. ^ie SBeltenttoidflung als @r{d^einung 



Seite 

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Vlll 

Seite 

2. J)ic SBcItcnttoicHung a(g stDCcftnäfeigc ©rfc^cinunfl • • ♦ 48 

3, S)ic SSkltcnttDicflung al8 ©rfd^cinung bcr 2)tn0c an ftc^ ♦ . 50 

Dtertee CapiteL 

^ie ^t^fuitü ^ev fantifd^en i^tun^Ceiftreti 57 

2)ic Sprüfung bcr ©rfcnntntfelcl^rc ....... 58 

1» 2)cr SBibcrftrcit in bcr SScmunftfrttif 58 

2. 2)ic ©ntftc^unfl bc8 SBibcrftrcitö 60 

3. ®ic erneute SBiberlegung beS 3beali8ntu8. ^ant toiber Sacobi 63 

4. ©intoürfe unb beren $ßrüfung .67 

®ie ^Prüfung ber Srei^eitSs unb ©nttoicflunggle^re .... 75 

1. ©c^open^auerS Uxxüt ber fanttfc^cn ^ß^ilojopl^ic ... 75 

2. 2)er Sufontmcnl^ang gtolfd^cn bcr ©rfenntnife* unb grci^citSlc^rc 79 

3. 3)cr SBibcrftrcit in bcr Srci^citSlc^rc 80 

4. 3)cr SBibcrftrcit gtoifc^cn bcr ©rfenntnig- unb ©nttoidflungglc^rc 81 
3)ic ^Prüfung bcr ßcl^rc öon ben ©ryc^etnungcn unb ben 2)ingcn an fid^ 82 

1. 3)ic ®rfennbarfcit bcr ntcufd^ltd^cn SScrnunft .... 82 

2. 2)ic ©rfcnnbarfcit bcr ntcnfd^lid^cn Slaturgttjcdfc unb bcr blinbcn 
Sntcttigcns . 84 

3. S)ic ©rfcnnbarfcit bcg ßcbcnS unb bcr (Bd)'6n\)t\t ... 87 

4. S)ie ©rfcnnbarfcit ber 3)ingc an ftd^ ..... 89 



iTiinfteB dapxltl 



2)ic ©runbprobkntc bcr nac^fantifd^cn $ß^ilofopl^ic 

1. 2)ag ntctap^^ftfd^c $ßrobknt . 

2. ®a8 ©rfcnntnifeproblcnt .... 
^ic ä^id^tungcn bcr nad^fantifd^en $l^Uofopl^ic . 

1. 2)ic neue S3cgrünbung bcr ©rfcnntnifelcl^re 

2. 3)ic brcifad^c Slntitl^cye: SricS, §crbart, ©d^opcnl^aucr 
^cr ®nth)idtlung8gang bcr nadöfantifd^cn ^^l^ilofopl^ic 

!♦ 3)cr ntetap^^fifd^c 3bcaU8ntn8 

2. 2)ic brcifad^c Steigerung: SRcinl^olb, fjid^tc, ©d^ctting unb ©cgel 109 

3. 2)ic Orbnung bcr nadöfantifd^cn ©^ftcnte .... 111 



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104 

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^ 



bex ßanftf(#cn ^^iCoro^^ie 



|5i^(^er, Äritit b. fttntH4>en W^o^op^ie. 



®rftcö ©apitet. 
Ute kanttfdie ))l)tloro|il)te ah (Erhenntnißlelire. 



Utn bie fantifd^e ^^itofop^ie ju beurtl^cUen, tnüffen wir imö t)or 
attem bie ©runbjügc il^reö ©pftcmö in überfi(^ttid^cr Äütjc üergegen^ 
iDärtigen unb jebc f(^iefe ober falf($c 2luffaffun9, roeld^c bie aSorftedunc; 
Derfelben t)erbirbt, burd^ bie fad^gemäfee unb rid^tige entfernen. 2)enn 
man tann nur rid^tifl beurt^eiten, waö man ri(|tic; üerftanben ^at. 
aiuö ber fritif(^en ©rfenntnife beö ©pftemö folgt bie SBegrünbung ber 
in i^m' entl^altenen neuen Probleme, bie ben ©ntroidlungögang ber 
na(^fantif(^en ^pi^Uofop^ie beftimmen. SBir werben ba^er t)on ber 6l^a= 
rafteriftif ber fantifd^en Se^re ju ber Äritif berfelben fortfd^reiten unb 
t)arauö bie 2lufgaben herleiten, bie ju i^rer Umbilbung unb ^ortbilbung 
c^efü^rt ^aben. 

®er gefammte ß^arafter ber fantifd^en ^pi^ilofop^ie vereinigt, wenn 
löir bie ^auptfad^e in'ö 2luge faffen, brei ©runbjüge in fid^, bie richtig 
DorgefteHt unb t)er!nüpft fein rooden, bamit un§ bie üode SBefenöeigen- 
t{)ümli(^feit biefer ^l^ilof op^ie , bie baö lefete ^al^rl^unbert bel^errfd^t 
i)at, einleud^te: fie ift ®r!enntnifete^re, g^rei^eitöle^re, ©ntroidf- 
tungöle^re. S)urd^ bie neue 2lrt i^rer ©rfenntnifele^re ift bie neue 
3lrt if)rer g^reil^eitöte^re, burd^ beibe bie i^rer ©ntwidftungötel^re bebingt. 
3öir orbnen biefe %i)emata, wie fie in bem ©ange ber fritifd^en Untere 
fudC)ung einanber gefolgt finb. 

'©ie erfte 3lufgabe, rooburd^ äße funbantentalen fragen ber tan- 

tif(^en gorfd^ung beftimmt werben, fragt naä) ber ©ntfte^ung ber menfd^^ 

1* 



1 



tid^en ©rfenntnife. @d fticbt feinen einfai^eren 3luöbrudt, um ben (Sl^a= 
rafter beö ©runbproblemö unb jugleid^ bie SRid^tfd^nur ju bejeid^nen, 
bie ben ^l^itofop^en in ber äuflöfung beöfelben geleitet f)ai, unb na^ 
ber wir unö am beften über bie 3lrt unb ©inrid^tung feineö ©pftcmö 
Orientiren. ®afe biefe Slufgabe vox Rani niemals ernftl^aft erfannt, 
gefd^meige gelöft worben ift, ^aben mir in unferer ©l^arafteriftif ber 
©pod^e ber fritifd^en ^l^ilofop^ie unb ber üorfantifd^en ©tanbpunfte 
ausführlich genug bargetl^an, um unfere Sefer auf jenen frül^eren 3lb= 
fd^nitt üermeifen ju fönnen.*) 

L ®ie Seigre von ben ®rfd^einungen. 2)er tranö= 

fcenbentale ^i^^öliömuö. 

1. 3)ic ©ntficj^ung ber (Srfd^cinungcn. 

SBenn bie ©ntftel^ung ber menfd^lid^en ®rfenntni§ erleud^tet merben 
foH, fo finb bie 33ebingungen ju erforfd^en, bie il^r vorausgehen, alfo 
in bem aSermögen unferer inteHectueHen 9iatur enthalten fein muffen, 
aber nid^t fetbft fd^on ©rfenntnife fein bürfen. ©ie ^p^ilofopl^en Dor 
Äant l^atten, bie einen mit ooHer 2lbfid^t, bie anbern mit ooHer ©elbft= 
täufd^ung, biefe aSorauöfefeung gemad^t unb fid^ in ber ©rflärung ber 
menfd^tid^en ®rfenntni§ bogmatif^ oerl^alten, bal^er l^atten fie bie Söfung 
oerfe^lt unb in ber ^auptfad^e nid^ts ausgerid^tet. ©eöl^alb mufete bie 
3lufgabe reformirt unb fo gefaßt merben, bafe bie gactoren ber menfd^- 
lid^en ©rfenntnife ober bie Sebingungen ju berfelben burd^ eine neue 
©rforfd^ung ber menfd^lid^en aSemunft auf jenem SBege gefu(^t mürben, 
ben Äant ben fritifd^en ober tranöfcenbentalen genannt l^at. 3)ie 
©rfenntnife ift unerflärt, fo lange il^re ©ntftel^ung bunfel bleibt, tiefer 
einleu(^tenbe ©afe gilt nid^t bloö oon ber 6rfenntni§, fonbem anä) von 
jebem il^rer Dbjecte, bemt ein Dbject erfennen l^eifet fooiel als feine 
©ntftel^ung einfe^en : bal^er f ann oon einer ©rfenntni^ ber 35inge nid^t 
bie SRebe fein, fo lange ber Urfprung ber Dbjecte bunfel bleibt. 35ie 
fjrage nad^ ber ©ntftel^ung ber menfd^lid^en ©rfenntnife fällt besl^alb 
mit ber fjrage nad^ ber ©ntftel^ung unferer ©rfenntnifeobjecte ober 
ber uns erfennbaren ®inge notl^menbigermeife jufammen. 3llle unfere ©r- 
fenntnifeobjecte finb unb muffen ®rf d^einungen fein, bie mir oorfteHen, 
mobei es junäd^ft gar nid^t in grage fommt, ob ftd^ barin bas SBefen 



*) a3b. III, a3ud& I. eaj). I. u. II. @. 3-38. 



ber Singe abnquat ober ni(^t abäquat ober überhaupt gar nid^t offen- 
bart.\ 35ie g^rage naä) ber ©ntfte^ung unferer ©rfenntnifeobjecte ift bem= 
mä) gleidC)bebeutenb mit ber g^rage na^ ber ©ntftel^ung ber ©rfd^einungen 
ober ber ©rfd^einungöioelt, b. i). berjenigen ^l^änomene, bie ber menfd^= 
U(^en SBernunft aU fot(^er einleu(^ten, ober bie toir ade auf biefetbe 
gemeinfante 2lrt oorfteden unb erfahren. ®er Inbegriff biefer @rfd^ei= 
nungen ift unfere ©innenroelt. @ö barf aU eine fefte unb unbeftrit= 
tene 2^l^atfa(^e gelten, ba§ wir eine fol(^e gemeinfame ©innentoelt l^aben 
unb oorfteHen, toaö unmöglid^ roäre, roenn wir bie 2)inge nid^t auf 
übereinftimmenbe 3lrt ober na(^ benfelben ©efefeen oorjufteHen genöt^igt 
wären. 35ie grage mä) ber ©ntftel^ung ber menfd^Hd^en ©rfenntni^, 
fobalb fie ernftl^aft unb grtinbtid^ unternommen toirb, entl^ält bie grage 
nad^ ber ©ntftel^ung unferer Sinnenwelt ober unferer gemeinfamen 
SBeltoorfteHung. 3Slan lann baö ^Problem ber @r!enntni§ ni(^t refor= 
miren unb bie Sebingungen il^rer ©ntftel^ung nid^t ergrünben, ol^ne bie 
grage in bem eben auögefül^rten ©inne ju [teilen. 9Bie wir bie Sternen^ 
weit erft rid^tig ju betrai^ten vermögen, nad^bem toir ben ©tanbpunft 
gewonnen l^aben, auö bem imö bie Sage unb SBeroegung unferer 6rbe 
einleud^tet, fo fönnen wir bie gefammte ©innenweit überl^aupt erft auö 
ber ®infid^t in ben ©tanbpunft unb bie ^l^dtigfeit unferer er!ennenben 
aSernunft rid&tig auffaffen unb würbigen. ®ö oerl^ält fid^ mit bem 
fritifd^en ober tranöfcenbentalen ©tanbpunft in ber ^l^ilofopl^ie, 
wie mit bem fopernifanifd^en in ber ©ternfunbe. 

^enn wir einen ©egenftanb felbft erjeugen, fo ift unö bie @nt= 
fteljung beöfelben fo einleud^tenb, wie unfere eigene 2^l^ätig!eit, unb er 
felbft bal^er ooHfommen erfennbar. SBenn bagegen in bem Dbject etwaö 
enthalten ift, baö ben ßl^arafter beö ©egebenen l^at unb behält, baö 
wir nid^t felbfi l^eroorbringen ober nid^t in unfere er^eugenbe S^l^ätigfeit 
auflöfen fönnen, fo wirb an biefer ©teile unfere ©rfenntnife auf eine 
unburd^bringlid^e ©d^ranfe ftofeen. Unfere Dbjecte finb bemnad^ fo weit 
ooHfommen erfennbar, als fie unfere ^probucte finb, b. f). fo weit wir 
biefelben ju erzeugen unb biefe ©rjeugung in unferem SBewu^tfein ju 
erl^eHen oermögen: nur fo weit reid^t bie ©rfennbarfeit ber Singe. 
Semgemäfe ift bie gragenad^ ber ©ntftel^ung unferer ®rfenntni§ unb 
i^rer Dbjecte, beren Inbegriff unfere gemeinfame ©innenweit auömad^t, 
naiver fo ju f äffen, ba§ unter biefer ©ntftel^ung bie ©rjeugung burd^ 
bie gactoren ober aSermögen unferer SSernunft oerftanben wirb. SBenn 
unfere ©innenweit ba§ 5ßrobuct unferer SSernunft ift, fo ift fie aud^ 



6 

beten völlig einleud^tenber Öegenftonb; fie ift biefer Oiegenftanb, nur 
f weit fie jeues ^robuct ift. ,,®enn nur fo t)iel fief)t man t)otIftänbig 
ein, atö man naä) Gegriffen felbft mad^en unb ju ©tanbe bringen 
fann." *) 

2. ®ic Sbcalttät bcr (Srfd^cinungcn. 

5Wun l)at JEant gejeigt, ba§ in aüm unferen ®rfd^einungen etroaö 
ift, baö ben ©l^arafter beö ©egebenen \)at unb bel^ält: näntUd^ unfere 
©inbrücfe ober ©mpfinbungen, bie aber aU fold^e nod^ feine§n)egö 
©egenftänbe ober ©rfd^einungen, fonbern nur beren Stoff finb, worauf 
nad^ ben ©efe^en unferer üorfteUenben SBernunft, b. ^. burd^ bie 3^onn= 
gebung unfereö 3lnf(^auenö unb 2)enfenö erft bie Dbjecte ober ©rfd^ei^ 
nungen l^erüorge^en. ©o entfielt bie ©innenroett auö beni 3Waterial 
unferer @inbrü(Je, bie nad^ ben notJ^wenbigen unb unwißfürUt^ erfüllten 
©efefeen unfereö SBorftellenö bergeftalt geformt unb üerfnüpft werben, 
ba§ wir alle biefelbe natürliche Drbnung ber 35inge oorfteßen. 3)ie 
©efefee beö SBorfteUenö finb bie ©runbformen ber 3tnfd^auung unb beö 
aSerftanbeö: Staum, 3^W unb ilategorien. 35ie unwitHürlid^e ober be= 
n)u§tlofe ©rfüHung biefer ©efefee gefd^iel^t burd^ bie @inbitbung, n)äl)renb 
bie ©rfenntnife berfelben bie ©ac^e ber fritifd^en g^orft^ung ift. 

2)a unfere SBorfteHungögefe^e bie ©rfd^einungen unb bie ®rfaf)rinig 
mad^en, fo muffen fie ber le^teren t)orauögel^en unb finb bal^er nid^t 
empirifd^ unb a pofteriori gegeben, fonbern a priori ober tranöfcen= 
bental : fie finb bie g^ormen, bie ©mpfinbungen bagegen ber ©toff ober 
bie SKaterie aller ©rfd^einung. S)iefen ©toff empfängt unfere 33ernunft, 
er ift il^r gegeben, ni^t burd^ fie : ba^er ift berfelbe ni(^t a priori, f on= 
bern a pofteriori. 35od& barf man ni(^t fagen, ba§ unö bie ®inbrüdfe 
a pofteriori ober empirifd^ gegeben finb. S)iefer ungenaue unb un= 
rid^tige 2lu§brudf üermirrt t)on ©runb an^^ bie 3luffaffung ber fantifd^en 
Seigre. SBaö mir an^ ber ©rfal^rung fd^öpfen ober maö burd^ biefelbe 
gegeben wirb, baö ift a pofteriori ober empirifd^. Sluöbrüdlid^ 
leiert Rani: „S)aö, maö lebiglid^ t)on ber @rfal)rung erborgt ift, mirb 
nur a pofteriori ober empirif(^ er!annt". **) 3liin leud^tet ein, ba§ bie 
®inbrüdfe, ba fie ben ©toff aller ©rfd^einung unb ©rfalirung auömad^en, 
ju ben 33ebingungen unb ©lementen ber le^teren gel^ören, alfo jmar in 
il^r enthalten finb, aber nid^t burd^ fie gemad^t werben : nid^t fie gefien 



*) trittf ber Urt^eilgfraft § 68 0&h, VI. @. 258). SSgl. m. ©efd). b. n. ¥§. 
S3b. IV. @. 483. - **) tritt! b. r. fß. ®iul. III. Slntncrf. (»b. II. ©. 39). 



am ber ©rfa^rung l^etüor, fonbern biefe auö i^nen. ©mpirifd^ ift, waö 
im§ burd^ ©rfal^rwng gegeben roirb: nun finb bie ©mpfinbimgen ba§ 
aJlateriat ber ®rfal^rung, alfo ju bötfelben, nid^t burd^ fie gegeben; 
balier finb fie tooI^I a pofteriori, aber nid^t etttpirif(^. 2luöbrädf(id^ lel^rt 
Äant : „35ie 2lnfd^auung, weld^e fid^ auf ben ©egenftanb burd^ @mpfin' 
bung bejiel^t, l^ei^t empirifd^".*) ®er empirifd^ ©egenftanb fefet bie 
©mpfinbung üorauö. Dbwol^l fid^ biefeß 5Berl^ältniB ber ®mpfinbung 
jur ©rfal^rung von fetbft üerftel^t, fo ift eß bod^ fel^r nöt^ig, bie rid^tige 
aSorftedung beöfetben einjuf d^ärf en , ba man un jä|)Iige mal ju lefen 
finbet: Äant l^abe geleiert, ba^ bie fjorm Unferer @rfenntni§ a priori, 
ber ©toff berfelben a pofteriori ober empirifd^ gegeben fei. Äant foH 
raiberfinniger 3Beife geleiert l^aben, ba^ ber ©toff jur ©rfal^rung burd^ 
@rf alirung gegeben fei ! ®ann Iiat er bie ®rf al^rung nid^t erflärt, fon= 
bern, n)ie feine aSorgänger, Dorauögefefet ; bann mu§ ber ®runb ber 
©mpfinbungen in ber ©rfal^rung gefud^t werben, bann ftedft baö ®ing 
an fid^ in ben ®rfd^einungen, bann tmrb bie fantifd^e 5ßl^Ufopl^ie um- 
gefeiert unb fielet auf bem Äapf. 

®a tmfere ©innenroelt nur in ©rfd^einungen befielet, fo ift biefelbe 
burd^gängig pl^änomenal. 3)a ber ©toff atter ©rfd^einung in ®mpfin= 
bungen, il^re gorm in 2lnfd^auungen unb Segriffen befielet, fo finb bie 
©lemente berfelben burd^auö fubjectiüer 3lrt, i^re materialen wie for= 
ntaten Seftanbt^eile finb in unferer erfennenben aSemunft entl^atten unb 
^aben ben ß^arafter ber aSorfteHungen (baö SBort im toeiteften ©inn 
genommen): bal^er finb atte unfere ©rfd^einungen aSorftellungen , fie 
beftelien im aSorgeftelltfein unb finb burd^gängig ibeat. 3)iefe Seigre 
oon ber ^bealität atter ©rfd^einungen ober oon bereu ©ntftel^ung aus 
unferen ©mpfinbungöjuftanben unb aSemunftformen l^ei^t ,,tran§fcen= 
bentaler Sbealiömuö". 

3ltte ©rfd^einungen finb in ber 3^itr ^^^ äußeren aud^ im SRaum. 
aCBenn fie etwas entl^ielten, baö unabl^ängig oon unferen aSorftettungen unb 
bod^ in 3laum unb 3^it wäre, fo fönnten bie lefeteren nid^t bie ©runb^ 
formen unfere§ aSorftettenö, alfo nid^t Wofee 2lnf(^auungen fein. ®a nun 
3laum unb ^ext reine 2lnfd^auungen unb nid^tö Slealeö an fid^ finb, fo 
muß attes, waö in il^nen ift, buri^gängig ben ßl^arafter ber aSorftettung 
i^aben. 35aö ©ein atter ©egenftänbe in SRaum unb 3^it befielet im 
aSorgeftetttfein. 3luö ber fantifd^en ßel^re von SRaum unb 3^^* folgt 



*) ebenbaf. Str. Sleft^. § 1 (<S. 59 flgb.). 



8 

ba^er bie 2el)xt t)on ber Sii^ealität aller Grfd^einungen ; bie tranöfcen= 
bentate 2left^etif bcgrünbct jenen tranöfcenbentalen Sbealiöntuö, ber bie 
gefammte fantif(^e ©rfenntni^Iel^re d^arafterifirt. 

SBeil SRaum unb 3^i^ ^i^ 2lnfd^auun9öfonnen unferer SBernuiift 
finb, barum finb bie reinen 9flaum= unb ^^itgröfeen, alfo (ba eö anbere 
@rö§en nid^t giebt) bie reinen ®rö§en überl^aupt bie ^robucte unferer 
anfd^auenben ober conftructiüen SBernunftt^ätigfeit unb aU fold^e voü- 
fommen einleud^tenb. 3)al^er l^at bie ©röfeenlel^re ober bie reine 3Jla- 
tl^ematif t)or aüen übrigen tl^eoretif(§en SBiffenfd^aften ben 6^ara!ter 
einer üöttig Haren unb reinen SSernunfterfenntnife, roeöl^alb Äant axi^- 
brücftid^ erHärt ,,baj5 in jeber befonberen Jlaturlel^re nur fo t)iel eigeut^ 
lid^e SBiffenfd^aft angetroffen werben fönne, alö barin aWatl^ematif an- 
Jutreffen ift". *) 

®ine SBiberlegung ber tranöfcenbentalen 2leftf)etif trifft ben gefamm= 
ten trän öfcenben taten ^beatiömus, wie bie ©runblage unb ben (Sf)ara!ter 
ber fantifd^en ®rfenntni§lel^re unb ber fritifd^en 5pi^iIofopt)ie überl^aupt. 
©ine unrid^tige 3luffaffung ift feine SBiberlegung. 3Bir l^aben eö jefet 
mit fold^en 3luffaffungen ju tl^un, roeld^e ben ©inn ber fantif(^en Sel)re 
t)erfennen unb fie mit ©rünben beftreiten, bie nid^tö reihet biefelbe auö- 
rid^ten. 

IL 35ie @inn)ürfe gegen bie tranöfcenbentale 

SKeft^etif. 

SBiber bie fantifd^e Seigre oon SRaum unb ^di aU ben beibert 
urfprüngüd^en 2lnfd^auungöformen unferer SBernunft ergeben fid^ gmei 
@inn)ürfe, oon benen ber eine ben urfprünglid^en ober apriorifd^en 
(tranöfcenbentalen), ber anbere benantl^ropologifd^en ßl^arafter jener 
beiben SBorfteHungen in 2lbrebe fteßt: ber erfte oemeint bie unbebingtc 
©eltung ber matfiematifd^en, inöbefonbere ber geometrifd^en Sl^iome unb 
ma(^t bie SlaumoorfteHungen von empirifd^en SBebingungen abf)ängig; 
ber jroeite oerneint ben antl^ropologifd^en Urfprung unb ßl^arafter jener 
©runbanfd^auungen, um bie foömologifd^e unb unioerfeße ©eltung beö 
SRaumö unb ber 3^^^ aufred^tjul^atten. 35a beibe ®inn)ürfe fo nal)c 
liegen, ba§ fie ber ^l^ilofopl^ unmöglid^ überfeinen l^aben fann, fo genügt 
eö, ben ©inn feiner Se^re flarjufteflen, um bie gunbamente berfelben 
JU fi(^em. 

*) mctapf)t)m^ SlnfaiiöSgrünbc ber ^iaturtoiffenfd^aft. SJorr. (Vlll. @. 444). 
^fll. btefeg SJJerf ; S3b. IV. @. 4. 



9 

1. ^er elfte ©intourf. ^ie relatiüc OktinnQ bcr gcometrifd^en Sljtome. 

Äant leljrt feineöroegö bie imbcbingte ©eltung ber geometrifd^en 
3li'iome, fonbern eine üon unferen'^ataumüorftellungcÄ burd^aiiö abfiäm 
gicje. SBarum mx biefe unb feine anbere Slauntanfd^auung Ijaben, 
warum unfere aSernunft tiberl^anpt fo unb ni(^t anberö eingerid^tet ift : 
biefe grage lä^t ber ^p^ilofopl^ jwar nid)t unberührt unb ungeprüft, 
n)oI|l aber ungelöft, ja er erHärt biefelbe auöbrücfUd^ für unlösbar, 
©emäfe feiner Seigre barf man bie ®inri(^tung ber menfd^lid^en aSernunft 
unb bie in il^r enthaltene- Siaumanfd^auung aU eine Urt^atfad^e am 
fef)en, biefe aber nid^t aU eine empirifd^e bejeid^nen, weil bie ©rfafirung 
baö ^probuct ber ä?ernnnft ift unb ni(^t beren SBebingung. 

9Benn eö ^lät^enwefen gäbe, fo würbe für fie bie jmeibimenfionale 
aiaumanfd^auung eine Urtl|atfa(^e fein, jufolge beren fie bie ftereometri= 
)ä)e\\ ä?orfteIIungen eben fo not^wenbig entbehren mürben, roie mir bie= 
fetben fiaben unb auöbilben muffen. SBenn von ber ebenen gläd^e gilt, 
ba§ jroifd^en jmei in il^r gelegenen ^Punften bie gerabe Sinie ber fürjefte 
Söeg ift, ba§ e§ jmif d^en beiben nur eine f old^e Sinie giebt, bafe jmei ge- 
rabe Sinien feinen ^aum einfd^liefeen fönnen u. f. f., fo merben biefe ©dfee 
ni(^t baburd^ umgeftofeen, baJ5 eö fid^ auf ber ÄugeloberPäd^e mit ber 
aSerbinbung jmeier ^Punfte, j. SB. ber ©nbpunfte beö S)ur($mefferö, an= 
berö t)ert)ält. 35a§ eine beftimmte räumlid^e 2lnfd^auung ber einleud^^ 
tenbe ®rfenntnifegrunb ift, morauö gemiffe ©infid^ten folgen, bie unter 
biefer aSorauöfefeung einmal für immer b. 1^. apobifttfd^ gelten: 
bie§ mar bie SCI^atfad^e, meldte bie 2lufmerffamfeit unfereö ^l^ilofopl^en 
gefeffelt Ijat, unb- bie er nur baburd^ ju erflären t)ermod^te, ba§ er ben 
Urgrunb aller unferer räumtid^en SBorfteHungen, ben Siaum felbft für 
eine ©runbform unfereö aSorftellenS ober für eine ©runbanfd^auung 
unferer 3?ernunft anfa^. 

S)ie ©eltung unferer mat^ematifd^en ©infid^ten ift mitl^in nad^ ber 
auöbrüdElid^en Setire unfereö ^^ilofopl^en feineömegö unbebingt, fonbern 
von unferer 9taum= unb 3eitanfdC)auung burd^auö abl^ängig, aber fie ift 
unter biefer 5Borauöfefeung apobiftifd^, roie feine anbere 3lrt unferer 
tl^eoretifd^en ©rfenntnig. aWit ben Sebingungen ber ©rfenntnife änbert 
fid^ aud^ beren 2lrt. ©efeen roir an bie Stelle unfereö biöcurfioen aSer- 
ftanbeö ben intuitiven, an bie Stelle unferer finnlid^en 3lnfd^auung bie 
inteHectueHe, fo gel^t bie ©rfenntnife nid^t mel^r ben äßeg ber ©rfaljrung, 
fonbern fielet unb burd^bringt alles mit einem Sd^lage.*) ©efeen mir 

*) SBgl. unten III. 1. @. U-16, 



10 

an bie Stelle nnferer äußeren breibimenfionalen SJaumanfd^ammg eine 
anbere;. fo änbern ^iä) bentgemäß bie 2lrt nnb ber Umfang ber niatJ^e- 
inatifd^en SSorftettungen, aber nid^t bie apobiftifd^e ®en)i§l)eit beö auf 
ßonftruction unb anfd^auenbe ©infid^t gegrünbeten Urt^eilö. SMefer 
^unft entl^ftft bie ju erflärenbe imb beut ßl^arafter ber ©röfeenlei^re 
eigent^ümli(§e Sl^tfad^e. Salier finb jene ©intoürfe, bie auf bie 3Jiög= 
lid^feit anberer SRaumonfii^auungen eine anbere 2lrt ber ©eontetrie mtb 
i^rer Slfiome grünben, fo wenig geeignet, bie Seigre Äantö ju n)ibcr= 
legen, ba§ fie melmel^r auf biefc Äel^re fid^ berufen fönnten unb foHten. 

SBenn man betoeifen fann, bo| 2 X 2 nid^t in allen glätten 
gtei(^ 4 ift, ba§ in unferer 3lnfd^auunci einer ebenen gläd^e nid^t in 
aM\ fallen bie gerabe Sinie ben fürjeften SSBeg jwifd^en jwei fünften 
befd^reibt u. f. f., bann erft l^at man bie Seigre Äantö roiberlegt. Sl^tn 
erfd^ien bie reine 9)iat^ematif aU bie finjige SBiffenfd^aft, in roeld^cr 
©rfennen unb ©rjeugen, Dbject unb ^probuct jufammenfatten. 335eU 
bie reinen ©röfeen ßonftructionen ober 3lnf(^auungöprobucte finb, barum 
gelten il^m SRaum unb 3^it al§ unfere SBernunftanfd^auungen ober alö 
unfere anfd^auenbe SBernunfttl^ätigfeit felbft. SBeil unfere ©röfeenbegriffe 
bie anf($auli(^e ober finnU(^e ©rö§enerfenntni§ oorauöf e^en , barum 
gelten il^m SRaum unb ^exi alö bie ©runbformen unferer ©inntid^feit, 
nid^t alö bie beö aSerftanbeö. 

©etbft wenn jene Einwürfe, bie fid^ auf ben empirif(^en Urfprung 
ber ©eometrie grünben wotten, ftärfer wären aU fie finb, würben fic 
hoä) roiber bie Seiire t)on ber Sbealität aller ©rfd^einungen nid^tö auö- 
rid^ten, benn fie bejiel^en fi($ nur auf ben SRaum, nid^t auf bie 3^ it. 
3ft bie 3ßü eine bIo§e SBorftedung ober 2lnfd6auungöform, fo fönnen 
bie ©rfd^einungen in ber 3^it nid^t§ oon aller aSorfteHung Unabliängigeö 
enthalten, alfo felbft ni($tö anbereö aU aSorftettungen fein. 9iun finb 
in ber ^ext alle ®rfd^einungen, bie äußeren, wie bie inneren, ©inb 
aber bie äußeren ©rfd^einungen aSorfteHungen, fo fann aud^ ber Slaum, 
ba in il^m atte äußeren @rf($einungen finb, nid^tö 9teate§ an fid^, fon= 
bern nur bie ©runbform unferer äußeren 3lnfd^auung fein. 35ie tran§= 
fcenbentale ^bealität ber 3^it begrünbet bie Sbeatität aller @rfd^ci= 
nungen, au($ bie ber äußeren, alfo aud^ bie beö SRanmeö. 

2. 3)cr ghjcitc ©intourf. 3)ic natürlid)c SBcltanfid^t. 

®ie Einwürfe, bie wnfer natürlid^eö SBewußtfein ben ©pftemcn 
großer Genfer entgegenfteHt, finb in ben 2lugen ber lefeteren gewöl^nlid^ 



11 

bie geringfügigften, aber burd^ bie forttDirfenbe Hemmung, bie fic auf 
baö 33erftänbiüj3 unb bie SBerbreitung jener @t)fteme ausüben, aUemal 
bie ftärfften, benn fie laffen fi(^, wie unfere ©efül^le unb ©mpfinbungen, 
niä)t wegreben unb finb, wie Sd^iderö SBadenftein fagt, „xou bie SBeiber, 
bie beftänbig jurüd nur fommen auf i^r erfteö 9Bort, roenn man SBernunft 
geprebigt Stnnben lang". Sold^en l^artnäcfigen, in unferer natürlid^en 
3)en!n)eife feftgewurjelten Sebenfen ift unter allen fantifd^en Seigren üon 
jeljer bie tran^fcenbentale 2leftl^etif am meiften ausgefegt gewefen, meil 
fie behauptet, ba§ SRaum unb 3^it blofee 3lnf(^auungen ber menfd^= 
lid)en aSernunft unb unab£)ängig von biefer nid^tö finb. 35emnad^ 
fönnen, wie eö fdjeint, 9taum unb 3^it in bie SBelt erft mit unferer 3Ser= 
nunft, alfo mit bem ©afein ber 3Kenfd^l^eit eintreten unb meber vox 
bereu ©ntftel^ung gegeben fein, nod^ nad^ beren Untergange fortbauern. 
9hm muffen mx unö baö 9Kenfd^engefd^led^t alö entftanben unb t)er= 
gängli(^ üorfteHen, mä^renb mir baö Uniüerfum, baö bie 33ebingungen 
beö Urfprungö wie ber 3^rftörung ber ®rbe unb i^rer 33en)ol^ner in 
fid^ ent£)ält, unmöglid^ o^ne Staum unb ^exi üorfteHen fönnen. 6§ 
erf(^eint balier l^öd^ft ungereimt, jene beiben ©runbbebingungen alles 
natürlichen 2)afeinö in bie @inrid^tung unb bie ©d^ranfen ber menf(^= 
lid)en SSernunft einfd^liejsen ju woHen, als ob fie beren Sefife unb 9)io= 
nopol wären. §at bod^ Äant felbft, beüor er feine neue Se^re t)on ber 
transfcenbentalen ^bealität beö 5Raumeö unb ber B^it einfül^rte, bie 
med)anifd)e @ntfte£)ung unb ©ntwidElung beö Äoömoö, bie 9toturgef(^id^te 
beö ^immelö, ber ®rbe unb i^rer organif(^en ©efd^öpfe gelefirt. aWit 
biefer entn)idflungögefd^i(^tli(^en SBeltanfid^t fte^t nun bie ibealiftifd^e 
i?eljre von Manm unb 3^it allem 9lnfd^eine nad^ im offenbarften SSiber- 
ftreite. g^reilid^ mufe ber ^l^ilofopl^ biefen SBiberftreit nid^t empfunben 
l)aben, ba er ii)n nirgenbö jum ©egenftanbe einer befonberen @rörte= 
rung unb 9luf!lärung gemad^t l^at. S^tbeffen bel^arren jene Einwürfe 
beö natürlid^en SBeroufetfeinö , ba§ fid^ mit feinen aSorfteHungen von 
diamn unb S^xt in bie fantifd^en fd^led^terbingö nid^t ju finben roeife. 
©elbft ein 3Serel)rer unb Kenner ber fritifd^en ^^ilofopliie, ein aWann 
üon berounberungömürbigem unb berounbertem ©(^arffinn, f(^üttelte ju 
biefer 2e^xz ben Äopf unb pflegte ju fagen: „id^ ftel^e vox ifir, wie 
baö Äamel üor bem 9tabelöl^r". 2lber ^antö £el)re von diamn unb 
3eit ift bie ©runblage feiner ©rfenntnifelel^re unb ber SBeg ju feiner 
5^reit)eitöle^re. Wan wirb ba^er von ber fritifd^en ^^ilofop^ie nid^tö 
übrig behalten, wenn man biefe Seigre verwirft. 



12 

3n 3öal)rl)eit ift fein äöiberftreit jiüifd^cn Äantd naturgefd^i# 
lid)er äBeltanfid^t unb feiner i^ernnnftlritil. S^^^^^f^ l^ben beibe oer- 
fd)iebene 2()emQta ber ^orfd)ung : bad ber erften ifl bie äBelterltäning, 
baö ber iweiten bie Seßrünbunfl unferer ©rfenntnife. Daß 2^l^ma ber 
Si^elterflarung lautet : roit ift naä) natürlid^en unb med^anifd^en ©efe^n 
bie SBelt, in ber wir leben, entftanben? ®ad ber ajemunftfritif loutet: 
wie entfielet naä) ben ©efefeen unferer JBernunft unb unfereö SSorfiellenö 
jene unfere SBelterflärung? 25ort l^anbelt ed fid^ um bie erfd^- 
nungen ber 9iatur, l)ier um bie ©rfennbarfeit berfetben. 3!)iefc erfd&ei- 
nungen wären nid^t, waö fie finb, b. 1^. \\t fönnten un« nid^t crf cä^cinen, 
wenn fie nid^t einleud^tenb unb erfennbar wären. 2)a« jjanje g^actum 
unferer SBeltüorfieHung fönnte nid^t ftattfinben, wenn bie natürltd^ 
©inge unüorfteHbar wären ober etwas Unt)orftettbared enthielten. 2)ieö 
müfete ber ^aH fein, wenn bie ©lentente, woraus fie befiel^n^ nid^t 
burd^ ben ©i^arafter unb bie 33ebingungen unfereö 3Sorjlettend beflimmt 
wären. 3)er ©toff berfelben ift beftinunt burd^ bie Slrt unb SKannid^ 
fattig!eit unferer ©inbrüdfe, bie wir t)ermöge unferer ©innlid^feit em- 
pfangen unb beöl^alb alö gegeben betrad^ten: biefe ©inbrftcfe finb ber 
©toff unferer ©rfd^einungen. ©ie gönn berfelben ifl bejHmmt burd^ bit 
©efefee unfereö aSorftellens, bie wir als reine 35emunftformen betrad^ 
ten, unb beren Inbegriff unfer ^f)ilofopl^ bie reine SBentunft ßenannt 
l^at : biefe ©efefee ntad^en bie gorni unferer ©rfd^einungen. 3)al^er finb 
bie lefeteren burd^gängig 58 or fiel hingen, fie finb eö ol^ne SReft. Stuö 
bem ©toff ber ©mpfinbungen werben nad^ ben SJemunftgefefeen unfered 
2lnfdöauenö unb ®enfen§, weld^e lefeteren ti^eilö ben ©l^arafter confH- 
tutiüer tl)eil§ ben regulativer ^rincipien l^aben, bie ©rfd^einungen, bie 
©rfal^runödobjecte unb bie fortfd^reitenbe ©rfal^rungöwiffenfd^aft erjeugt 
®iefe ©efefee bel^errfd^en bie ©rfd^einungöwelt, weil fie biefelbe mad^en: 
bal^er finb fie, fo weit fid^ baö JReid^ ber ©rfd^einungen erftredft, SEBelt- 
bebingungen ober SBeltprincipien, beren Sebeutung üöllig oerfannt 
wirb, wenn man il^nen nur antl^ropologifd^e ober pfpd^ologifd^e ©eltung 
ijufd^reiben wiH: fie fönnen nid^t burd^ ^fpd^ologie begrünbet werben, 
weil Tie biefe felbft erft begrünben. SDie fantifd^e aSernunftWtif ift 
feine antl^ropologifd^e Unterfud^ung. 

§ier wiberlegen fid^ nun jene ©inwürfe, weld^e unfere natürlid^e 
2Beltanfi($t bem fritifd^en ^l^ilofopl^en unb feiner Seigre t)on SRaum unb 
Beit entgegenfteHt. 9iaum unb 3^it finb bie SBernunftgefefee unfereö 
Slnfd^auenö, bie aU fold^e bie gefammte ©innenweit bel^errfd^en, weil 



13 

fie biefdbe übcrl^aupt erft ermöglid^en. ^ai^er roirb il^re foömifd^e ober 
uniüerfelle ©eltung, bie ber natürtid^e ©inn mit 9lc(^t forbert unb feft== 
l^ält, burd^ bie SBernunftfritif fo roenig aufgehoben, bafe fie burd^ bie= 
felbe erft toalir^aft begrünbet, juglei(^ aber bergeftalt begreuit wirb, ba§ 
noä) etwaö fein fann, baö unabl^ängig t)on SRaum unb B^it ift, roä^renb 
baö gen)öl^nlid^e SBewu^tfein, unfritifd^ unb ol^ne ©elbftprüfung, wie e§ 
ift, ben SRaum als bie ungel^eure ©(§a(§tel unb bie 3^it ^lö ben um 
gef)euren g^lufe anfielt, worin alleö, n)aö ift, entl^alten fein mu§. 

3)er SWenfc^ aU natllrlid^eö 3nbit)ibuum, n)ie il^n bie Slntl^ropologie 
betrad^tet, gel^ört unter bie ©rfd^einungen ber 3tatur unb ift ein ©lieb 
ber ©innenroelt, er ift an§t einem beftimmten SBeltjuftanbe l^erüor- 
gegangen, ber ein ©lieb in ber Eette ber SBeltoeranberungen bilbet unb 
eine 5Reil^enfolge frül^erer SBeltjuftänbe oorauöfefet. ®a§ ber Urfprung 
unb bie @ntn)idflung ber aWenfd^l^eit naturgefd^id^tld^ betrad^tet unb er== 
forfd^t werben muffe, l^at Äant fo wenig oenieint, bafe er fid^ mlme\)x 
biefe 3lufgabe felbft gefefet unb il^re SRotl^wenbigfeit auö ben SBebingungen 
unferer @rfenntni§ burd^ feine SSemunftfritif, inöbefonbere aud^ burd^ 
feine Se^re oon 3laum unb ^üt begrünbet l^at. ®er naturgef(^id^tlid^e 
3Kenfd^ ift bemnac^ feineöwegö ber @igentl|ümer von SRaum unb 3^it; 
biefe finb nid^t oon il^m abl^ängig, fonbem er ift, wie alle @rf(^einungen 
überl^aupt, burc^ fie bebingt. SBenn SRaum unb ^eit bie reinen 2ln' 
fd^auungen ber menfd^lid^en SBemunft genannt werben, fo muß man 
wo^l unterfd^eiben, in weld^em ©inne biefeö SBort ju nel^men ift: eö 
bejeid^net ben 3Kenfd^en alö baö ©ubject beö @r!ennend, nid^t alö 
eineö ber ®rfenntni§objecte. 3llö ©ubject aUeö ©rfennenö, fo weit wir 
bas le^tere ju unterfud^en unb ju prüfen im ©tanbe finb, ift unfere 
aSernunft bie SBebingung aller Dbjecte überl^aupt, ber gefammten ©innen- 
weit, worin im Saufe ber S^xt baö natürtid^e SIKenfd^engefd^led^t erfd^eint 
unb fid^ in einer S^itf^^Ö^ entwidfelt, weld^er notl^wenbigerweife eine 
58orwelt t)orauögel|t unb eine SRad^welt folgt. 5Denn atte ©rfd^einungen 
finb in ber 3^it, jebe l^at il^re 3^ttbauer, vox unb nad^ weld^er 3^* ift, 
benn fie entftel^en unb oergel^en, ausgenommen allein bie SWaterie, weld^e 
be^arrt. 2lber baö ©ubject be§ ©rfennenö ift nid^t in ber 3eit, fonbem 
biefe ift in i^m, benn fie ift bie ©runbform feines aSorfteHens. 

Söenn man bagegen mit ©d^openl^auer SRaum unb 3^tt ^lö bie 
2lnfd^auungöformen unfereö ^ntettects betrad^tet unb jugleid^ für tl^ie=^ 
rifd^e ©el^imfunctionen erHärt, bann erft entftel^t jene Ungereimtl^eit, 
bie einen offenbaren circulus vitiosus befd^reibt: SRaum unb 3^it follen 



14 

von einer Sebinflunß ab^ängiß fein, bie, wie bte t^ierifd^ Drflanifation 
unb bie il^r üorauögel^enben Stufen ber Slatur unb beö 2ebmd, felbft 
nur mögticj^ flnb unter ber Sebingung beö 9laumed unb bcr S^t ©inb 
biefe le^teren^ wie 6(i^openl^auer leiert, bad ^principium individuatio- 
nis**, b. 1^. ber ®runb oller Siell^eit unb 35erfcj^iebcnl^eit, fo fönnen fie 
unmöglid^, wie bod^ ©d^open^aucr ebenfattö leiert, bie golge unb fjunc^ 
tion inbit)ibueHer Crganifationen fein. 3lu(i^ l^at eö il^ nie gelingen 
fönnen, biefen fel^terl^aften, in einem ß^arafterjuge feiner fiel^re begrün- 
beten ^ixtel roegjureben ober aufjulöfen. 

in. ®ie Seigre t)on ben fingen an fid^. 
1. ^ic @innUd)fcit bcr reinen SSemunft. 

3)oö ©ubject beö ®rfennen§ ift nid^t in SRaum unb 3^it, fonbem 
bicfe finb in il^nt, bal^cr ift bie gefammte SBelt in SRaum unb 3^it lebig= 
lid^ ©rfd^einung ober aSorfteHung : fie ift burd^auö pl^änomenal unb ibeat. 
3n biefer Seigre beftel^t ber tranöfcenbentale ^beatiömuö, ber Rant^ er- 
fenntnifetel^re begrünbet unb (^arafterifirt. SBenn in bem ©ubjecte bc4 
©rfennenö nid^tö gegeben, fonbem atteö burd^ baöfelbe erjeugt toäre, 
fo würbe bie SBelt ber ©rfd^einungen ol^ne SReft feine ©d^öpfung fein, 
bann wären feine Segriffe unmittelbare 3lnfc^auungen, fein ®rfenntni§= 
vermögen würbe in anfd^auenbem 35enfen, b. f|. in einem intuitiven 
aSerftanbe ober in einer intellectuellen 2lnfd^auung beftel^en, wcldfter, 
wa§ fie erjeugt, fofort al§ ©egenftanb ober Ding einleud^tet. ißier pnb 
©rfennen unb ©d^affen üöllig ibentif($, l^ier ift fein Unterfd^ieb jwifd^en 
©innlid^feit unb 3Serftanb, 2lnfd^auen unb Denfen, ©egenftänben unb 
33egriffen, ©rfd^einungen unb Dingen an fid&. 

©in fold^es @rfenntni§t)ermögen ift nid^t an fid^ unmöglid^ ober 
unbenfbar, aber eö ift nid^t baö unfrige; biefeö fd^afft bie Dinge nid^t, 
fonbem entwidfelt fi(^ unb feine Cbjecte. Äant l^at wieber^olt unb ftet§ 
auf baö SHai^brüdflid^fte gelehrt, ba§ unfer SBerftanb biöcurfit), nid^t 
intuitit), unfere 3lnfd^auung finnli(^, ni(^t inteHectueH fei: er l^at beö= 
^alb ©inntid^feit unb 5ßerftanb forgfältig unterfd^ieben unb bie menfd^- 
lid^e ©rfenntnife fo erflärt, ba§ wir auö bem ©toff ber Ginbrüdfe unb 
©mpfinbungen, bie ben ß^arafter beö ©egebenen ^ahen unb bel^atten, 
bie ©rfd^einungen unb bereu ©rfenntnife (ßrfal^rung) hervorbringen . 

Der intuitive SBerftanb ift fd^öpferifd^ unb bamm göttlid^, bie 
menfd^lid^e Vernunft ift es nidC)t, aiiä) nid^t bie reine ober bas erfen- 



15 

ncnbc ©ufcjcct, benn jum ©l^orafter bcr reinen SSernunft, bie Rant in 
feiner Äritif erforfd^t, gel^ört bie ©innlid^f eit, b. i. baö SSermögen, 
©inbrüd e ju empfangen unb ju empfinben ober auf mannid^fattige 3lrt 
afficirt ju werben. 3Kan barf bie ©innlid^!eit nid^t mit ben ©inneö= 
Organen, bie il^re SBerfieuge finb, nod^ mit ben beftimmten ©inne§= 
empfinbungen, bie burd^ jene vermittelt werben, ibentipciren, benn ju 
ben le^teren gel^ört bie ©inrid^tung unb Drganifation beö menfi^lid^en 
Äörperö. 2lber unfere ©inneöempfinbungen fefeen alö fold^e ein 8Ser= 
mögen ber ©innlid^feit ober SReceptioität oorauö, burd^ roeld^e^ wir 
@inbrüdfe aufnel^men ober auf oerfd^iebene 3lrt afficirt werben fönnen, 
unb oline rotldi)e^ unö aller er!ennbare ©toff feilten, unfere ©rfenntnife 
leer bleiben, alfo überl^aupt gar nid^t ftattfinben würbe. 3)iefe ©inn= 
lid^feit red^net Rani jur reinen SSernunft, ba eö fid^ nid^t um bie 3lrt 
ber 2lffectionen ober Dualität ber ©inbrüdfe, fonbem junäd^ft bloö um 
baö aSermögen l^anbelt, ©egebeneö ju empfangen. 3)en gegebenen ©toff 
muJB unfere SSernunft nad^ ben ©efefeen il^reö aSorfteHenö (2lnfd^auen§ 
unb S)enfenö) ju ©rfd^einungen, ©rfal^rungen unb empirifd^er ©rfennt- 
ni§ verarbeiten unb geftalten. 

Unfere erfennenbe aSemunft würbe fd^öpferifd^, alfo götttid^ fein, 
wenn fie nid^t finntid^, b. 1^. burd^ ©inbrüdfe, bie fie empfangen muß 
unb nur oerfnüpfen ober orbnen fann, afficirbar wäre: bal^er oerl^ält 
fie fid^ in il^rer ©rfenntnife nid^t ftofferjeugenb, fonbem bloö form = 
gebenb, nid^t f(^öpferifd^, fonbem ard^iteftonifd^: fieift, weil fie ben 
©toff niä)t mad^t, fonbem empfängt, receptio unb in biefer SlüdEfid^t 
ni(^t urfprünglid^, fonbem abl^ängig. 3)urd^ il^re ©innli(^feit ift aber 
bie ganje ©inrid^tung i^reö ©rfennenö bebingt. ®in anbereö aSermögen 
ift bie ©innlid^feit, ein anbereö ber aSerftanb : jene ift ftoffempfangenb, 
biefer formgebenb, jene oerl^ält fid^ receptio, biefer probuctio, jene ift 
leibenb, biefer tl^ätig, jene empfängt ©inbrüdfe, biefer erjeugt Segriffe. 
Salier ift unfer 3lnfd^auung§t)ermögen nid^t intettectueH, fonbem finn= 
lid^, unfer aSerftanb nid^t intuitiv, fonbem biöcurfiv, b. 1^. er mufe bie 
2lnfd^auungen, bie er empfängt, 5Cl^eil für 2^^eil auffaffen, von ^l^eil 
ju S^l^eil iufammenfefeenb, von 2lnfd^auung ju 3lnfd^auung oergleid^enb, 
von 2lnfd^auungen ju Segriffen oerfnüpfenb unb urtl^eilenb fortfd^reiten. 
Salier finb bie Dbjecte unferer erfennenben aSemunft nid^t völlig il^re 
^Probucte, fie werben au^^ ©toff unb gorm gebilbet, jener ift i^r gegeben, 
biefe wirb burd^ fie gegeben ober l^injugefügt ; bal^er befielet unfere @r== 
fenntniJB ber ^inge (Dbjecte) in einer allmä^lid^en ©rfa^rung, fie ift 



16 

nic^t mit einem ©d^Iacje fertig, fonbem entfielet unb entmidelt fid^ ; loir 
muffen unfere Dbjecte naä) einanber unb barum anä) neben ein= 
anber üorftetten, ha in ber bloßen ©ucceffion nid^tö bel^arren roürbe, 
alfo au(§ nid^tö üorgeftettt werben fönnte. ®arum finb 3^it unb SRaum 
bie ©runbbebingungen unfereö i^orfteHenö, fie finb, ha o^ne fie nid^ts 
t)or9efteIIt werben fann, bie @ r unb formen unfereö $orftetten§, fie finb, 
ha jebe Stnfd^auung Streit für X^exl jnfammengefe^t fein roitt, bie 
©runbformen unfereö 9lnf(^auend, unb ba unfer 9lnfd^auung§t)ennööen 
nid^t intellectued, fonbem finnlii^ ift, bie ©runbformen unferer ©inn- 
Hd^feit: furj^ef agt, fie finb bie ©runbanfi^auungen unferer SSemunft. 

3)enfen mir un§ eine fd^öpferifd^e ober göttUd^e aSemnnft, fo mufe 
in biefer ©rfennen unb ©d^offen, aSorftedung unb ©ing eined unb baö- 
felbe fein. „SBie fie gebeut, fo fielet eö ba!" 3n il^r giebt eö roeber 
3eit nod^ SRoum. Unfere SBernunft unterfdbeibet fi(^ oon ber göttUd^en 
burd^ il^re ©innlii^feit, in il^r finb B^it unb SRaum bie notl^menbigen 
formen aHeö aSorftedenö imb ®r!ennenö. S)aö einjige finnUd^-Dernün- 
tige SBefen, meld^eö mir fennen, finb mir felbft. ©ai^er ift bie finnlld^ 
aSernunft für unö gleid^ ber menfc^Iic^en. SBeit ju ber reinen SSemunft 
bie Äant in feiner Äriti! unterfud^t unb ergrünbet, bie ©innlid^feit 
gef)ört, barum l^at er biefe unö allein erfennbare aSeniunft bie menfd^ 
lid^e genannt. 3tun ift bie ©innlid^leit alö ftoffempfangenbeö 58ermögen 
abl^ängiger unb abgeleiteter 3latur. 2)ieö mufe oon ber gefammten (Sin- 
rid^tung unb Sefd^affenl^eit unferer erfennenben aSernunft gelten, benn 
fie märe oi^ne ©innli(^feit eine ganj anbere, aU fie ift.*) 

^ören mir barüber ben ^^ilofopl^en felbft. ®r fagt gteid^ im ©in- 
gange feiner tranöfcenbentalen 3leftl^etif: „S)ie gäl^igfeit (3leceptit)ität), 
aSorftcHungen bur(^ bie 2lrt, mie mir oon ©egenftänben afficirt roerben, 
JU befommen, l^eifet ©innlid^feit. aSermittelft ber ©innlid^fcit alfo 
merben unö GJegenftänbe gegeben, unb fie allein liefert un« 3lnfd^au= 
ungen; burd^ ben aSerftanb aber merben fie gebai^t, unb t)on ü^m 
entfpringen Segriffe". „Sie SBirfung eineö ©egenftanbeö auf bie 
aSorfteHungöfäl^igfeit, fofern mir oon bemfelben afficirt merben, ift ©nt^^ 
pfinbung. ©iejenige 2lnfd^auung, meldte fid^ auf ben ©egenfianb burd^ 
bie ©mpfinbung bejief)t, Reifet empirif d^. 35er unbeftimmte ©egenftanb 
einer impirifd^en änfd^auung l^eifet ©rfd^einung. 3n ber ©rfd^einung 



*) Uebcr ben bigcurfiücn unb intuitiven S3erftanb ügl. biefe« SBerf: fdh. IV. 
f&ud) III. Q.ap. VI. @. 494-98. 



\ 



17 

nenne xä) baö, was ber ©mpflnbung correfponbirt, bie 3Waterie ber= 
felben; baö aber, toeld^eö mad^t, bafe baö ajJanmcJ^faltige ber ®rfd^ei= 
nung in gewiffen 5Berf)äUmffen georbnet werben fann, nenne id^ bie 
gorm ber ©rfd^einung. ®a baö, worin fid^ bie ©mpfinbungen allein 
orbnen nnb in gewiffe g^orm gefteHt werben fönnen, nid^t felbft wie^ 
berum ©rfd^einung fein fann, fo ift um jwar bie 3D?aterie aller ®rfd^ei= 
nung nur a pofteriori gegeben, bie ?5orm berfelben aber muß ju il^nen 
inögefammt im ©emütl^e a priori bereit liegen unb bal^er abgef onbert 
üon aller ©mpfinbung fönnen betrad^tet werben."*) am ©d^lufe ber 
tranöfcenbentalen Sleft^etif fagt Äant : „@ö ift aud^ nöt^ig, bafe wir bie 
2lnfd^auung§art in SRaum unb ^di auf bie ©innlid^feit be§ 3Wenfd^en 
einf darauf en ; eö mag fein, baJ3 alle enblid^e benfenbe SBBef en f)ierin mit 
bem 9Kenfd^en notl^wenbig übereinfommen muffen (wie wol^l wir biefeö 
nid^t entfd^eiben fönnen), fo l^ört fie um biefer äUgemeingültigfeit 
willen bod^ nid^t auf ©innlid^feit ju fein, weil fie abgeleitet (in- 
tuitus derivatus), nid^t urfprünglid^ (intuitus originarius), mitl^in 
nid^t intellectueHe 3lnfd^auung ift, al§ weld^e an^ bem eben angefül^rten 
©runbe allein bem Urwefen, niemals aber einem feinem ©afein fowot)l 
alö feiner 3lnfd^auung nad^, bie fein ©afein in SBejiei^ung auf gegebene 
Cbjecte beftimmt, abhängigen SBBefen jujufommen fd^eint, wiewol^l bie 
lefete Semerfung in unferer äft^etifd^en 2^l^eorie nur alö ©rläuterung, 
nid^t aU Seweggrunb gejäp werben mujs."**) 

2. S)a8 S)tng an ftd^. 

Unfere erfennenbe aSernunft t)erl^ält fid^ bemnad^ ju ber 3Waterie 
aller ©rfd^einung unb ®rfenntni§ nid^t erjeugenb, fonbern bloö empfan- 
genb, fie empfängt ben ©toff t)ermöge il^rer 9leceptit)ität ober ©inn:= 
lid^Ieit, biefe ift bal^er abpngig unb bebingt. ^ier entftel^t nun bie 
notl)wenbige 3^rage nad^ bem Urfprunge unferer ©inbrüdfe ober ®m= 
pfinbungen. ©a fie baö SRaterial finb, weld^eö unfere ©rfenntnifeüermögen 
geftalten unb orbnen, fo fönnen fie nid^t au§ ben letzteren f)ert)orgef)en, 
fonbern finb melmel^r bie notl^wenbigen SBebingungen, woburd^ biefe 
erregt unb in SC^ätigfeit gefefet werben. 5Da fie ben ©toff aller ©r- 
fd^einungen auömad^en, fo fönnen wir fie nid^t au§ ben lefeteren her- 
leiten, o^ne in ben fe^lerfiaften girfel ju gerat^en, erft bie ®rfd^einungen 



*) Ar. b. r. aSemunft. Strangfc. (Stemcntal. Xf). I. § 1. ((S. SB. a3b. II. 8. 59—60). 
- **) ®bcnbaf. Str. ©lemcntart. XI). I. § 81. a3b. II. @. 86 ffgb. 

^ifc^er, ftritif b. fantif(^en «p^ilofopl^ie. 2 



18 

au§ bcn (Sinbrüdfcn unb bann biefc aud jenen entftel^en §u taffcn; fic 
fönnen nid^t au§ ber Sinnenroctt entfprinjjen, ba melme^r bic ©innen- 
weit auö i^nen entfprtngt. ^ieraud leud^tct ein, baß ber Urfprunfl 
unfercr ©mpfinbungen feine ©rfd^einung, alfo anä) fein erf cnnbareö 
Dbject auömad^t, er ift ber ©egenftanb einer not^roenbigen %vaQe, aber 
nid^t ber einer mögüd^en ©rfenntnife, er ift etroa§, bad aller ©rfal^rung 
t)orauögel^t unb il^r ju ©runbe Hegt, aber felbft niemalö empfunben, 
t)orgeftelIt, erfahren werben fann: biefer unbefannte unb unerfennbare 
©egenftanb ift jenes trandfcenbentale x, bem bie fantifd^e Seigre im 
SBBege i^rer f^orfd^ung jenfeitd ober, beffer gefagt, biedfeitd ber ©renjen 
ber menfd^Ud^en SBernunft not^wenbig begegnen mußte. 

®§ muJ3 etwa« geben, baö bie ©inbrüde, bie wir empfangen, t)cr* 
urfad^t, ba§ unferer Sinnlid^feit unb bamit ber ganjen 33efd^affenl^eit 
unferer erfennenben SBernunft, alfo aud^ ben ©rfd^einungen unb ber 
©innenwelt in§gefammt ju ®runbe liegt unb eben beöl^alb nidbt finn- 
Hd^, nid^t ©rfd^einung, nid()t ©rfenntnifeobject fein fann. S5iefeö „über- 
finnlid^e ©ubftratum" nennt Äant ba§ S)ing an fid^ unb bejcicbnet 
bamit jenes tranöjcenbentale x, n)eld^e§ bie 3Sernunftfritif in il^re SRed^ 
nung einfül^rt unb au§ ben uad()gen)iefenen ©rünben einjufül^en fid^ 
genötl^igt fielet. ©§ Reifet „®ing an fid()" im Unterfd^iebe von aßen 
©rfd^einungen. SBBenn unfere 3Semunft nid^t finnlid^, fonbem göttlid^, 
nid^t ftoffempfangenb, fonbem fd^öpferifd^ wäre, fo würben i^re SSor- 
ftellungen bie ®inge felbft fein, unb eö gäbe feinen Unterfd^ieb jwifd^en 
©rfd^einungen unb ©ingen an fid^. ®a fie aber finnlid^ ift, fo finb 
Slaum unb 3^it bie ©runbformen il^rer änfd^auung, fo finb i^re ©r- 
fenntnifeobjecte ©rfd^einungen unb biefe blofee aSorftellungen, alfo feine 
®inge an fid^. ©al^er muJ3 unfere Sßernunft unter bem ©tanbpunfte 
i^rer fritifd^en ©elbftprüfung bie ©rfd^einungen t)on ben S)ingen an 
fid^ auf baö genauefte unterfd^eiben unb jebe SBereinigung beiber als 
eine l^eillofe SSerroirrung anfeilen. 

S)a nun ber ©egenftänbe, bie auf ba§ ®ing an fid^ ju bejiel^en 
finb, ober ber SBejie^ungen, bie auf baöfelbe fiinweifen, mele unb vtv- 
fd^iebene finb, fo erflärt fid^, warum ba§ ®ing an fid^ bei unferem 
5p^ilofopl^en in fo fielen unb t)erfd^iebenen SBejiel^ungen auftritt, ^enn 
e§ ift al§ baö überfinnlid^e ©ubftratum imferer ©innlid^feit jugteid^ baö 
ber gefammten SBefd^affenl^eit unferer erfennenben Vernunft, alfo aud^ 
ber verborgene ©runb aller unferer ©rfd^einungen, ber äußeren wie ber 
inneren, mitl^in baö ©ubftratum ber gefammten ©innenwelt. 3n 9lücf= 



19 

fid^t auf unfere ©innU($fcit, bic lebigttd^ ftoffeinpfangenb ift, gilt eö alö 
baö ftoffgebenbe ^rtncip ober aU bie Urfad^e unferer ©mpflnbungen, in 
Stüdfid^t auf bie ©inrid^tung unferer erfennenben 3Sernunft überhaupt 
alö ber verborgene ©runb unferer 3lnfd^auungö= unb S)enfart, b. ^. aU 
ber ©runb, ba§ wir anfd^aucn unb beuten, äußere unb innere ©rfd^ei- 
nungen üorftellen. ®a bie ©rfd^einungen in 3^it unb dianm finb unb 
beö^alb burd^gängig in äujseren Sejiefiungen unb SJerliältniffen beftelien, 
fo ^eiJBt ba§ ®ing an fid^ im Unterfd^iebe bat)on „baö ^ni^^i^^/ waö 
ben Dbjecten an fid^ jufoinmt", ein 3lu§brudf, ben man raol^I t)erfte^en 
muJB, um nid^t ju ber grunbfalfd^en SBorftellung t)erleitet ju werben, a(ö 
ob baö ®ing an fid^ irgenbroo in ben.®rfd^einungen ftedfe. ®§iftnid^t 
äußerlid^, nid^t auf 3lnbere§ bejogen unb von 3tnberem abhängig, alfo 
über{)aupt nid^t in Slaum unb 3^it: bieö bebeutet ber obige äuöbrudf. 
®a äße ©rfd^einungen empirifd^e Dbjecte finb, fo l^eifet baö ©ing an 
fid^ im Unterfd^iebe bat)on „baö tranöfcenbentale Dbject". ®a 
äße ©rfd^einungen 3SorfteIIungen finb unb nid^t etwa ©egenftänbe aujser 
unb unabhängig von benfelben, fo J^eifet ba§ S)ing an \iä) „ba§ 
roaijxt ßorrelatum unferer 3SorfteIIungen". Unb ba nur bie ®rfd^ei= 
nungen @rfenntniJ3objecte finb, fo bejeid^net baö S)ing an fid^ hk ©renje 
unferer ©rienntnjs unb gilt aU „ber ©renjbegriff unfereö 3Serftanbeö". 
3n allen biefen mannid^faltigen Sejeid^nungen feigen mir feinen Proteus, 
ber fid^ Derwanbelt, fonbern eine unb biefelbe ©ad^e, bie ber ^l)ilofop^ 
nad^ ben üerfd^iebenen 33ejie^ungen, bie auf biefelbe ^inroeifen, in ücr- 
fd^iebenen gaffungen barjufteHen genötf)igt ift. 

2Bir laffen i^n felbft reben. ©ö Reifet in ber iJe^re vom 9laum: 
„^er tranöfcenbentale 33egriff ber ©rfd^einungen im 9laum ift eine 
fritifd^e ©rinnerung, bafe überhaupt nid^t§, roaö im 9kume angefd^aut 
n)irb, eine ©ad^e an fid^ nod^ ber 9laum eine gorm ber S)inge fei, bie 
if)nen etwa an fid^ eigen wäre, fonbern baj3 unö bie ©egenftänbe an 
fid^ ivoax niä)t betannt finb, unb iua§ wir äußere ©egenftänbe nennen, 
nid^tö anberes alö blo^e 3Sorftellungen unferer ©innlid^feit finb, beren 
gorm ber 9laum ift, beren wal^reö ßorrelatum aber, b. i. baä ©ing 
an fid^ felbft, baburd^ gar nid^t erfannt mirb nod^ erfannt werben fann, 
naä) roeld^em aber aud^ in ber ©rfal^rung niemals gefragt wirb".*) 
,,2m Seftätigung biefer 2^l)eorie t)on ber Si^^^lität be§ äujseren fomo^l 
aU inneren ©inneö, mxH)\n aller Dbjecte ber ©inne alö bloßer ©rfd^ei- 



*) ®bcnbaf. Zx, Sleft^ctif § 3 (SBb. II. @. 68 flgb.). 

2* 



20 

nungen tann t)orjäßIi(j^ bie 33cmerfun(i bieneti: bafe aUcö, toaö in um 
fcrer erfcnntnijs jur änfd^auung gehört, nid^t§ aU bloße SSeri^ältniffe 
cntl^altc, bcr Dcrtcr in einer Slnfd^auung (3ludbe^nung), SSeränbcrung 
ber Derter (öewegung) nnb ©efefee, naä) benen biefe Sßeränberung bt- 
ftimmt wirb (bewegenbe Äräfte). SBaö aber in bem Drte gegenwärtig 
fei ober n)a§ eö außer ber !Crtöt)eränberung in ben S)ingen felbft roirfe, 
wirb baburd^ nid^t gegeben. 9hin wirb burd^ bloße 3Ser^ä(tniffe bod^ 
nid^t eine ©ad^e an fid^ erfannt; alfo ift wol^l ju urtl^eüen, ba§ ba 
un§ burd^ ben äußeren ©inn nid^td al§ bloße SSerl^ältnißüorftellungen 
gegeben werben, biefer aud^ nur ba§ aSer^ältniß eines ©egenftanbeö 
auf baö ©ubject in feiner 5Borftellung entl^alten fönne unb nid^t baö 
Snnere, roaö bem Dbjecte an fid^ jufommt. 2Rit ber inneren 
3lnfd^auung ift e§ ebenfo benjanbt/'*) 

S)a§ ©ubftratum unferer äußeren unb inneren 3lnfd^auung ift aud^ 
baö unferer äußeren unb inneren ©rfd^einungen, ber 33efd^affenl)cit un= 
ferer erfennenben SBernunft überl^aupt, ber ©innlid^feit unb beö SBer= 
ftanbeö, alfo ber ©runb unferer räumlid^en SßorfteHungen, wie unfereö 
S5enfenö. „S)aöienige @tn)a§, weld^eö ben äußeren ©rfd^einungen jum 
©runbe liegt, waö unferen ©inn fo afficirt, baß er bie Sßorftellung pon 
SRaum, SRaterie, ©eftalt u. f. ro. befommt, biefeö ©troaö al§ SRoumcnon 
(ober beffer al§ trandfcenbentaler ©egenftanb) betrad^tet, fönnte bod^ 
aud^ jugleid^ ba§ ©ubject ber ©ebanfen fein, wierool^l wir burd^ bie 
9lrt, wie unfer äußerer ©inn baburd^ afficirt wirb, feine 3lnfd^auung 
von aSorftettung, SBBillen u. f. n)., fonbern bloö vom SRaum unb beffen 
Seftimmungen befommen. 2)iefeö ©twaö aber ift nid^t auögebel^nt, nid^t 
unburd^bringlid^, nid^t jufammengefefet, weil alle biefe ^räbicate nur 
bie ©innlid^feit unb beren 3lnfd^auung angelten, fofern xvxx t)on ber- 
gleid^en (unö übrigens unbefannten) Dbjecten afficirt werben."**) 

®aß wir äußere unb innere ©rfd^einungen t)orftetten, ©innlid^fcit 
unb 3Serftanb l^aben, anfd^auen unb benfen: barin befielet bie ©inrid^- 
tung unferer erfennenben 58ernunft. 3Bir entbedfen, baß, aber nid^t 
warum biefelbe fo unb nid^t anberä organifirt ift. „S)ie bered^tigte 
grage wegen ber ©emeinfd^aft beö S)enfenben unb 3luögebel^nten würbe 
alfo, wenn man aUeö ©ingebilbete abfonbert, barauf l^inauölauf en : n)ie 
in einem benfenben ©ubjecte überl^aupt äußere 3lnfd^auung, 



*) ®benbaf. § 8 ((S. 83). — **) Stx. b. r. SS. (1781). Str. 2)ialeftif. 3)ie fßa-. 
ralog. b. r. SS. Rritif bcg gtociteu Sparaloßigmug 0dh. II. S«ad)tr. @. 667). 



21 

nämlid^ bie be§ Slaiimeö (eine ©rfüllung beöfelben, ©eftalt unb 93e= 
Toegiing) möglid^ fei? 2luf biefe g^rage aber ifl e§ feinem 3Kenfd^en 
mögtid^, eine 3lntn)ort ju finben, unb man fann biefe Südfe unfereö 
SBiffenö niemalö auöfütten, fonbern nur baburd^ bejeid^nen, baJ3 man 
bie äußeren ©rfd^einungen einem tranöfcenbentalen ©egenftanbe jufd^reibt, 
weld^er bie Urfad^e biefer 3lrt SSorfteHungen ift, ben n)ir aber gar nid^t 
fennen, nod^ jemalö einigen Segriff von x\)m befommen werben. 3n 
allen 3lufgaben, bie im g^elbe ber ®rfat)rung t)orfommen mögen, betian- 
beln mir jene ©rfd^einungcn al§ ©egenftänbe an fid^ felbft, ol^ne un§ 
um ben erften ©runb il^rer 3Wöglid^feit (alö ©rfd^einungen) ju befüm- 
mern. ©e^en mir aber über beren ©renje l^inauö, fo mirb ber 33egriff 
eine§ tranöfcenbentalen ©egenftanbeö nottimenbi^."*) 

®er 5pi^iIofopl^ ©berl^arb in ^aUe, ber nad^ ber leibnijifd^en (Sr- 
fenntnijsle^re bie fantifd^e aSernunftfritif für entbe^rlid^ unb überflüffig 
l^ielt, mad^te ber lefeteren ben ©inmurf, bafe fie ben ©toff unferer ©inn= 
lid^feit, nämlid^ bie ©mpfinbungen, nid^t ol^ne bie ®inge an fid^ ju 
erllären vermöge : ,,voxx mögen mähten, meld^eö mir motten, f o f ommen 
mir auf S)inge an fid^". Unfer 5pi^ilofopl^ entfräftet biefen (Sinmurf, 
inbem er il^n bejatit unb berid^tigt. „?lun ift ja ba§ eben bie beftänbige 
a3el)auptung ber Äritif; nur bafe fie biefen ©runb be§ ©toffeö finn= 
lid^er aSorftettungen nid^t felbft mieberum in ©ingen, al§ ©egenftänben 
ber ©inne, fonbern in etmaö Ueberfinnlid^em fe^t, xoa^ jener jum 
©runbe liegt unb mooon mir feine ©rfenntnife t)aben fönnen. ©ie 
fagt: bie ©egenftänbe aU ®inge an fid^ geben ben ©toff ju empi= 
rifd^en 3lnfd^auungen (fie entl^alten ben ©runb, ba§ aSorftettung§t)ermögen 
feiner ©innlid^feit gemäfe ju beftimmen), aber fie finb nid^t ber ©toff 
berfelben." **) 



*) (Sbcnbaf. SBetrad^tinig über b. (Summe b. reinen (Seelcnlel^re (II. (S. 696 flgb). 
m- mit beiben Slnm. bicfeS SBerf : S3b. III. @. 447, 458, 570. — **) Ueber eine 
©ntbedfung, nad^ ber alle neue ^ritif ber SScrnunft burd^ eine altere cntbcl^rlid^ 
gemadit »erben fott (1790). @. SB. S3b. III. @. 352. 3n biefer ©d^rift Pnbet \id) 
eine Slnmerfung (8. 345), bie einem ber obigen 8döe ^ants toiberftreitet. 3n ^M^ 
fid^t auf bie pfammengefefetcn 8inncnobiecte l^eifet cS: „Ob ba^ Uebcrfinnltd^c, 
njas jener ©rfd^einung al8 (Subftrat unterliegt, als S)ing an fid^, aud^ gufammcus 
gefegt ober einfad^ fei, baöon fann niemanb im 9Winbeften ettoaS iüiffen" u. f. to. 
3)0^ \)at ^ant in ber ^itt! beg gloeiten gJaralogigmuS auSbrürflid^ gelehrt: „S)iefeg 
(§^ttüa^ aber ift nid^t auSgebel^nt, nid^t unburd^bringlid^, nid^t gufammengefefet, 
iüetl alle biefe Sßrdbicatc nur bie ©innltd^feit unb beren Slnfd&auung angelten". 8elbft 
in unferer 5lnmerfung l^eifet eS furj öorljer: „baS, toaS ber ajlöglid^feit beS SwI^^w« 



22 

3n bem eben nngefüfirteu Safee ftel)t lüörtlid) jii lefen, luaö jeber 
Kenner ber aSerminftfritif toeijs unb feinen befrentbet: baJB bie ©egen- 
ftänbe a(§ ©inge an fid^ ben Stoff gn empirifd^en ainfd^annngen, b. l). 
bie ©inpfinbungen Qtben, aber nid^t finb: fie finb beren Urfad^e. 
2Rit SRed^t bemerft aud^ S^Uex: „6ä fann feinem B^^if^l nntertiegcn, 
baß Rani ein Dbject in biefeni Sinne jeberjeit behauptet unb bie ©inncö= 
empfinbung t)on bemfelben l^ergeleitet ^at". 3luö ben Dor^erge^enben 
©äfeen erl^ellt, in weld^em Sinne S^üet biefe§ Cbject nimmt: er t)er= 
fte^t barunter nad^ Äant „ba§ transfcenbentale Cbject" ober „baö 3!)ing 
an fid^ felbft" *) Snbeffen läJBt ein ^eutigeö 3Bod^enblatt feinen Äefern 
auf anonymem SBBege t)erfünben, baJ3 nad^ i^ant „bie 2)inge an fid^ 
nid^t bie Urfad^e unferer Sinneöempfinbungen finb, awä) n\d)t ber ©raub, 
baJ3 wir Sinneöempfinbungen ^aben fönnen, lool^t aber finb ber ©ninb 
©egenftänbe, beren 33ebeutung jur 3)ZögUd^feit ber ©rfa^rung ber tranö= 
fcenbentale ©egenftanb Reifet". S)ie erfte Se{)auptung ift grunbfalfd^ unb 
ein 3^i^9"i6 ^^^ Unwiffenl^eit beö SBerfafferö, bie jweite ift völlig finm 
loö unb ein 3^w9ni|3 ber ßonfufion unb beö gefd^wäfeigen Uuüerftanbeö, 
ber baö ganje ©efd^reibfel fennjeid^net. 3Benn er mir üormirft, bajs id^ 
bie 3lu§brüdfe „transfcenbentaleö Object" unb „tranöfcenbentaler ©cgen- 
ftanb" für gleid^bebeutenb ne^me unb beibe für fantijd^e Sejeid^nimgen 
beö S)inge§ an fid^ anfeile, fo meife er nid^t, waö Ä'ant gelehrt l^at. 
SBenn er mir aber vorwirft, baj3 iä) „ba§ S^ing an fid^" mit bem 
,^®inge au^er mir" Dermed^öle, fo ift biefe 3lngabe eine Süge, ba id^ 
jene beiben SBegriffe überall, loo bie Siebe bavon ift, naä) ber 9iid^t= 
fd^nur ber fritifd^en ^^ilofopl^ie auf baö genauefte unterfd^eibe unb 
unterfd^ieben miffen miß. @ö ift eine gioar jeber näf)eren Sead^tung 
unwürbige, aber immerhin curiofe 2^f)atfad^e, ba§ eine £ef)re, von xoeU 
ä)et Äant au§brüdflid^ erflärt l^at, ba§ fie „bie beftänbige 93e^aup= 
tung feiner Äritif" fei, l^eute ju 2^age bem ^l^ilofopl^en abgefpro= 
d^en unb baö finnlofe ©egent^eil berfelben jugefd^rieben mirb. Unb bieö 
gefd^iel^t felbft in einer fogenannten „gefrönten ?ßreiöfd^rift" über Äant.**) 

®ö ift jur rid^tigen SBürbigung unb Seurtlö^ilung ber fantifd^en 
^l^ilofop^ie l^öd^ft mid^tig, ba§ man bie £ef)re von bem Singe an fid^ 

mengefefeten gum @ruube liegt, njasj alfo allein alg \\i(i)t ^ufammengcfefet 
Qtbaä)t »erben fann, ift ba^ ^loumcn" u. f. m, — *) ®. 3eller: @efd)i(j^te ber bcut^ 
fddcn ^pi^ilofop^ie feit ßeibnig (2. Slufl. 1875) @. 352-53. - **) ©rengboten 9lo. 40 
(1882), @. 12. Sßgl. ^. 2a6iDi$ : 2)ie ße^re Stantg üon ber Sbealität bcS «aumeS 
unb ber 3eit u. f. f. (1883), @. 132 Slnmcrfung. 



23 

in iljrer Gntfteliiing luie in ifirem Umfange erfennt nnb nid^t, xok qz- 
nteiniglid^ gefd^ie^t, fatfd^ unb einfeitig anffajst, inbent man bie ©inge 
an fid^ bloö auf bie ©rfenntnilsobiecte ober ©rfd^einungen be^iel^t unb 
in biefe üerfefet, aU ob fie barin, wie ber Äern in ber ©d^ale, entl^alten 
wären, nur ba§ fie unö vermöge unferer finntid^en SBorftellung verborgen 
bleiben. Sie ©mpiriften, bie, wie SBacon unb Sode, feine aribere ©r- 
fenntniJ3 aU bie finnlid^e gelten liefen, erflärten bie Singe an fid^ für 
unerlennbar, n)ä^renb bie Slationaliften, wie S)e§carteö unb Seibnij, bie 
©innlid^feit für einen verworrenen 58erftanb, baö flare unb beutlid^e 
S)enfen bagegen für bie wa^re ©rfenntniBform unb barum bie S)inge 
an ]iä) für bie wafiren ©rfenntniJBobiecte fiielten. S)ann finb ®inge an 
fid^ unb ©rfd^einungen biefelben Dbjecte: bie roal^rgenommenen ©egen- 
ftänbe finb bie Singe, wie fie unö erfd^einen, bie Har unb beutlid^ ge= 
badeten bagegen bie Singe, wie fie an fid^ finb. Siefelbe ©ad^e ift nad^ 
ber 3lrt, wie wir fie t)orftellen — ob finnlid^ ober benfenb, ob unflar 
ober flar, — ©rfd^einung ober Sing an fid^. 3n eben biefer 3Sermen= 
gung fal^ Äant ben ©runbirrt^um ber bogmatifd^en ^^ilofopl^ie, in§befon= 
bere ben il^rer aJletap^t)fif . SRad^ i^m finb beibe völlig ju unterfd^eiben : 
baö Sing on fid^ ift ba§ überfinnlid^e ©ubftratum ber (grfd^einungen, 
weil eö baö unferer erfennenben aSernunft ift, weil ed baö unferer 
Sinnlid^feit ift, bie ©mpfinbungen ^at, aber nid^t erjeugt, unb ©inbrüdfe 
empfängt, beren Urfad^e weber fie felbft nod^ eineö i^rer Dbjecte fein fann. 



3n)eiteö ßapitel. 
Die kanttfitie yt|tlofb|it|te als /retl^ettdletire. 



I. Ser fantifd^e 9iealiömus unb Sbealiömuö. 

©ö ift jefet nid^t ju unterfud^en, ob bie ©runblel^ren Äantö mit 
einanber übereinftimmen ober ftreiten, ob unb inwieweit biefelben un= 
wiberfprod^en ober gar unwiberfpred^lid^ gelten. 3Bir l^aben feftjuftetten, 
baj3 bie 3lnerfennung ber Singe an fid^ unb beren Unterfd^eibung von 
ben ©rfd^einungen ju jenen ©runblel^ren gel^ört. ©ie verl^ält fid^ ju ber 
Se^re von ber Sbealität ber ©rfd^einungen, wie baö Sing an fid^ ju 
ben lefeteren unb bilbet in bem Sel^rgebäube Äantö bie notf)wenbige 
©rgänjung unb gleid^fam ©ubftruction beö tranöfcenbentalen gbealiämus. 



24 

6ö l^cifet bie gunbamentc ber fritifd^en ^l^ilofop^ic crfd^üttern, fobalb 
bie änerfcnnung bcr ©inge an [xä) uub i^rc Untcrfd^cibung von ben 
©rfd^cinungcn cnttoeber ocrncint toirb ober auf unrid^tigc 2lrt ftatt- 
finbct. SBenn bie SRealität ber SJinge an fid^ jnjar bejaht, aber dou 
ben ©rfd^einungen nid^t gehörig unterfd^ieben wirb, fo entfielt jene SBer^ 
ttiengung betber, bie ben Gl^arafter unb ©runbirrtl^um ber boginati- 
fd^en 5pi^ttofopt)ie au§mad^t. 3Benn eö blo§ S)inge an fid^ unb feine 
©rfd^einungen gäbe, fo wäre alle ©rfenntnijs unmöglid^. SBenn eö bloö 
©rfd^einungen unb feine S)inge an fid^ gäbe, fo wäre bie ©innenroett, 
bie wir t)orfteIIen, ein 2^ räum, ben wir gemeinfam träumen, jroar ein 
jufammenl^ängenbeö, aber nur fubiectit)e§ ©ebilbe ol^ne n)irfHd^en ©runb 
unb SBeftanb. ®ie ©rfennbarfeit ber SBelt befielt in il^rer ^bealität, 
b. 1^. in bem burd^gängigen gl^arafter i^rer 3SorftelIbarfeit unb il^reö 
3SorgefteIItfein§ : biefen ß^arafter lel^rt unb begrünbet bie Wtifd^e ^^^' 
tofopl^ie aU tranöfcenbentaler 3bea(i§muö. 2)ie 9iealität ber SBett befielet 
in bem, ma^ allen ©rfd^einungen, weit allen aSorftellungen unb oorftcfc 
lenben 5Bermögen, ju ©runbe liegt unb t)on ber Äritif al§ ®ing an 
fid^ bejeid^net wirb. 3n biefem ©inne barf bie Se^re t)on ben ®rf(^ei= 
nungen ber fantifd^e Sbeatiömuö, bie von ben S)ingen an fid^ ber 
fantifd^e SRealiömuö genannt werben. 

n. 5Da§ SDing an fid^ aU SBBille. 

1. S)tc intettigible Urfäd^Itdifctt. 

Unfer ^l^ilofopl^ betrad^tet bie S)inge an fid^ aU baö überfinnlid^e 
©ubftratum unferer erfennenben 5Bernunft unb ©innenwett, aU baö 
ftoffgebenbe 5princip ober aU bie Urfad^e unferer ©mpfinbungen, er 
fd^reibt il^nen bemnad^ eine Urfäd^Ud^feit ju, bie. in einem ganj an^ 
beren ©inne ju nehmen ift, aU jene Äategorie ber Urfad^e, wetd^e bie 
Zeitfolge ber ©rfd^einungen beftimmt unb baburd^ unfere ©rfa^rung 
ermöglid^t unb mad^t, aber eim be§l^alb aud^ nur innerhalb ber Iefe= 
teren gilt, tiefer ^Begriff ift eine 5Berftanbe§regel, bie bloö auf bie 
©rfd^einungen, alfo nid^t auf bie ©inge an fid^ angeroenbet werben 
barf. S)ieö ^at Äant gewußt unb geleiert. aJian barf nid^t ol^ne n)ei= 
tereö annehmen, bafe ein fotd^er S)enfer fid^ mit feinen eigenen Seigren 
in fo grobe unb l^anbgreifUd^e SBBiberfprüd^e uerftridft ^aU, baj^erbem 
felben 93egriff, beffen Ungültigfeit für bie Singe an fid^ er begrünbet 
^at, bennod^ unbeirrt auf biefe anwenbet, ^r unterfd^eibet jwei grunb^ 



25 

üerfd^iebene 3lrteu ber Gaufalität : „bie bebiuctte ober fenfible" uub „bie 
unbebinf^te ober iittelligible". ^ene gilt nur für bie ©rfd^einungen, beren 
Zeitfolge bloö burd^ fie beftimmt uub auögemad^t tuirb; biefe gut von 
feiner ®rf(^einung iinb ift unabl^ängig von aller 3^^^. "Sinn finb bie 
25inge an fid^ jeitlo§ nnb urfäd^Iid^: ba^er ift i^re ßaufalität bie un- 
bebiugte ober intelligible, bie nad^ ber Se^re unfereö ^^ilofop^en in ber 
grei^eit ober in beut reinen SBiHen befielt, ber baö moralifd^e 3Belt= 
princip auömad^t. 

2. 3)tc moralifd^e SBcItorbnimg. 

(£ö giebt nod^ eine anbere SBBett aU bie finnlid^e unb jeittid^e, eine 
üon biefer üöllig unabl^ängige intelligible SBelt, bie wir ni(^t etwa ien= 
feitö unferer gemeinfamen ©rfal^rung aU eine l^immlifd^e ©eifterwett, 
bie bod^ aud^ in SRaum unb S^ii fein müfete, fud^en unb t)orfteIIen bürfen 
— bieö wäre ber 3Beg ju ©webenborgö Träumereien, — fonbern aU 
bie moralifd^e SBelt erfennen, worin bie ©efefee ber grei^eit gelten 
unb erfüttt werben. SDie intettigibte 2Be(t ift bie 2Belt aU SBine, bie 
finnlid^e ift bie Sffielt alö JBorfteUung, jene t)er^ält fid^ ju biefer, 
wie baö ®ing an fid^ ju ben ©rfd^einungen : fie ift baö ®ing an fid^ 
unb liegt ber ©innenweit ju ©runbe, bal^er ift fie von ber festeren 
unabhängig, wä^renb biefe üon il^r abl&ängig ift. 2Bie fid^ aber bie 
finnlid^e SBelt jur intelligiblen, fo mufe fid^ unfer ßrfenntnifeüermögen 
äum SBiUen ober, wa§ baöfelbe l^eijst, unfere tlieoretifd^e 3Sernunft jur 
praftifd^en rer^alten : biefe ift von jener unabpngig, wä^renb jene t)on 
biefer abhängig ift. S)aburd^ ift baö 3Serl^ältniJ3 beftimmt, weld^eö Äant 
ben „Primat ber praftifd^en aSernunft" genannt l)at. ®r muj^te 
bie ^Realität unb Urfäd^lid^feit ber ®inge an fid^ anerfennen, er muj^te 
bie lefetere al§ intelligible ßaufalität ber g^rei^eit ober bem reinen 
2BitIen gleid^fe^en uub barum ben ^Primat ber praftifd^en aSernunft 
lefiren. 2Kit anberen SBorten: baö eigentlid^e ober reale SBeltprincip 
ift naä) Äant nid^t bie erfennenbe aSernunft, fonbern ber SBille. 

2)a§ S^zl unferes aBillenö ift nad^ bem ©efefee ber greil)eit bie 
lauter feit be§ 3Bollenö: biefeö 3^^'^ M erftrebt unb erreid^t werben, 
eö wirb in ber aBillen§läuterung erftrebt, bie baö eigentlid^e ©runb= 
tl)ema ber moralifd^en SBelt auömad^t. S)a nun ol^ne ©innenweit feine 
finnlid^en ^riebfebern unb Segierben in unö wirffam fein fönnten, alfo 
fein 5IJlaterial ber Säuterung gegeben, biefe felbft mitl^in gegenftanböloö 
unb überflüffig wäre, fo leud^tet ein, ha^ bie gefammte ©innenweit, 



26 

unbefci)abet il)rer c\(\a\en (^5ete^e, ein notljmenbiged ®(teb unb einen 
inte()rirenben ^eftanbtl)eil ber inorolifciben ^^It aMma^t, bajl fte rm 
biefer umfaßt unb bet)errfc^t n)irb^ bog bie Staturgefege ben f^rei^its^ 
Oefe^en nnter$)eorbnct ftnb, fo toenig fte burd^ btefelben ungültig gemad^ 
ober aufoe^oben t^erben fönnen. Unfer Sinnenleben erhält je^t eine 
ntorQ(ifd)e 33ebeutun() unb wirb ju einein tnoralifd^en ^l^änomen, 
luorin fid) eine beftitnntte (>)efinnungdQrt, b. 1^. ber SEBiOe in einem be^ 
ftinunten G^arofter feiner i'äuteruno ober feiner Unlauterfeit audprägt 
unb barftellt. Xie Gonftanj biefer ©efxnnungdart täfet unfere moraüfd^ 
^anblungen alö notfiroenbifl erfd^einen, b. 1^. al« bie g^olgen unferei 
fleflebenen empirifd^en 6f)arafter§. 3)a6 eö aber bie @efinnung ober 
äßiUenörid^tunß ift, bie in unferem empirifd^en E^arafter erfd^nt unb 
fein 2^ema bilbet, utad^t ben le^teren ju einem SSiUeniftpl^änomen 
ober ju einer gewollten (Srfc^einung, b. f). jur (grfd^einung beö intettv 
giblen G^arafterd ober ber g^reifieit. feier fe^en mir, mie Stant^ Sjäftt 
oon bem inteUigiblen unb empirifd^en 6l^ara!ter aud feiner Seigre t)on 
ber ^reil)eit unb l'auterung notfimenbig ^eroorge^t. Dl^ne bie 3b^lttä^ 
ber S^xt unb be§ SHaumes feine 3)föglid^feit ber ©innenmelt, aber qu4 
feine 3)Jöglid^feit ber g^reifieit ; ol^ne Sinnenmelt unb ^^reü^eit feine 9lo!^ 
meubigfeit ber SBiUenöläuterung, feine moralifd^en 5ß^änomene finnUdJei 
unb eutpirifd^er 3lrt, alfo fein empirifd^er ß^arafter als @rfd^einung 
be§ inteUigiblen, fein ^wf^mmenbeftel^en ber g^rei^eit unb Stoti^menbigfeit 
in ben ^anblungen unb ©^arafteren ber 3Wenfd^en. S)afe unfer $1^ 
fopl^ biefe§ S^^f^mmenbefte^en jum erftenmale erteud^tet l^at, nannte 
©d^open^auer ,,bie größte aller Seiftungen bed menfd^lid^en 2;ieffinnÄ^ 
unb ba ber 9Beg ju biefer ©infid^t nur burd^ bie Sel^e von dUiim 
unb 3ßit gewonnen werben fonnte, fo prie§ er bie trandfcenbentale 
3left^etif unb bie Se^re oom inteUigiblen unb empirifd^en Sl^arafter 
al§ ,,bie beiben diamanten in ber Ärone be§ fantifd^en Siul^med". 

III. S)ie Üel^re t)on @ott unb ber Unfterblid^feit. 

1. 2)er fantifd^e 2:]^ei8mui5. 

2)ie 3bee unb ©eltung ber nioralifd^en SBeltorbnung fd^Iiegt bie 
f^rage nad^ i^rem Urgrunbe unb nad^ ber ©rreid^barfeit il^reö l^öd^flen 
3iele§, nämlid^ ber aSiUenölauterfeit in fid^. S)er moralifd^e aSelturl^eber 
ift ©Ott, unb bie Sffiiaenölauterfeit ober fittlid&e aSottfommen^eit fott 
nid^t im seitlid^en, fonbern nur in einem ewigen geben, b. 1^. burd^ 



27 

bie Unfterbltd^feit ber Seele erreid)t tuerbeti fönnen. Die ^beeu ber 
g^reil)eit, @otte§ uub ber Unfterbüd^Ieit gefien bei unferem ^^ilofopl^en 
^anb in ^anb. "^n ber Äritif ber reinen J5ernunft finb fie blofee S^een, 
in ber 5lritif ber praftifd^en gelten fie aU Siealitäten, unb jwar ift eö 
bie 9iealität ber greil)eit unb fittlid^en SBeltorbnung, woburd^ bie beiben 
anberen "^beew auä) realifirt ober moralifd^ gewife gentad^t werben. 6ö 
ift unmöglid), am ber ©innenweit baö S)afein ber greil^eit, @otte§ unb 
ber Unfterblid^feit ju erfennen unb ju beweifen, melme^r muffen mit 
ben a)iitteln unferer tl^eoretifd^en erfenntnijs alle barauf gerid^teten 
S3en)eife fel)lf($lagen unb burd^ eine fritifd^e Prüfung bergeftalt raiber^ 
legt werben, ba§ bie Unbeweiöbarfeit jener Cbjecte einleud^tet unb iljre 
^iealitat baf)ingeftellt bleibt, "ilnn ^at bie Se^re t)on ber S^ealität ber 
3eit, be§ Staumeö unb ber ©innen weit bie Unmöglid^feit ber g^rei^eit 
bereite am bem 3Bege geräumt. S)a bie 3^^^ unfere blojse 33orftellung 
ift, fo lönnen wir unö von U)t unterfd^eiben unb muffen e§ f önnen ; eö 
giebt etwaö in unö, ba§ t)on aller 3^it unabliängig ift: biefe§ jeitlofe 
©twaö ift bie g^reifieit, fie ift bie einjige SBebingung, unter ber bie 
Xi)at]a^e unferer fittlid^en ©elbfterfenntnife unb bie 3Birffamfeit beö 
Sittengefefeeö in um ftattfinbet; ba^er ift nid^t bloö it)re 3D?öglid^feit, 
fonbern ii)xe 3Birflid^feit ju bejahen, ^n ber ©rfüHung i^rer ©efefee 
beftel)t bie moralif(^e SBeltorbnung ; o^ne biefe blieben il)re ©efe^e um 
erfüllt, fie wären feine ©efefee, unb bie greil)eit felbft eine blojse @in= 
bilbung. %m ber fittlid^en 3Beltorbnung, ber bie finnlid^e untergeorbnet 
fein mul3, erhellt bie ^Realität beö moralifd^en SBeltgrunbeö (©otteö), 
bie förreid^barfeit beö moralifd^en aSeltjieU, weld^eö bie 2Billenölauterfeit 
unb bamit bie Unfterblid^feit in fid^ fd^liejst. 35ieö finb bie fogenannten 
moralifd^en 3lrgumente, womit Äant burd^ bie grei^eit, ben Primat ber 
praftif(^en 5Bernunft unb bie not^wenbige ©rfüÜung ifirer ^oftulate ba§ 
2)afein ©otteö unb bie Unfterblid^feit ber ©eele ju beweifen gefud^t ^at. 
S)iefe moralifd^en Seweife ^aben unferem ^^ilofopl^en wegen if)reö 
religiöfen ©ewid^tö unb il)rer leidet fafelid^en 3lrt mele Slnl^änger, aber 
wegen il)rer anfd^einenben Unt)erdnbarfeit mit ben ©rgebniffen ber 5Ber= 
lumftfritif aud^ 2Biberfad^e.r genug Derfd^afft, bie fie jur 3ißlf^^if>^ ernfter 
unb fpöttifd()er 3lngriffe gemad^t l)aben. @ö ift behauptet worben, baJ3 
Äant in ber Äritif ber praftifd^en 93ernunft mit fd^wad^en ©rünben 
unb jum 3?ot^bef)elf fd^wac^er ©eelen wieber aufjurid^ten gefud^t, waö 
er in ber ilritif ber reinen SSernunft mit ben ftärfften ©rünben jerftört 
l)atte. Unter ben Kennern ber fritifd^en ^p^ofopl^ie ift namentlid^ 



28 

Sd^openl^auer ber Slcpräfentaut biefer 9lnfid^t unb bcr erflärtcftc 9Bibcr= 
fad^er beö fantifdjcn STI^ciöinuö. 

^ic i^e^re von bcr ^^rcil^eit unb ber abfohlten @ültigfeit ber inora- 
Ufd^en SBeltorbnung ober beni ^Primate ber proftifd^cn SBcrnunft rul^ 
bei unferent ^l^itofop^en auf fefteni ©runbe. 3Rit biefer Seigre fielet unb 
fällt ber ntoralifd^e öeroeid für ba§ SDafein ©otted. lieber bic tl^eo^ 
retifd^e 93en)ei§barfeit beö lefeteren l^at ftant in ben t)erfd^iebencn 3^tt= 
punften feiner pl^ilofopl^ifd^en gorfd^ung üerfd^ieben gebadet: in feinet 
üorfritifd^en ^periobe l^at er biefelbe umjubUben unb neu ju begrünben 
gefud^t, in ber SBernunftfritif l^at er fie nid^t btoö t)emeint, fonbem 
tt)iber(egt ober i^re Unmöglid^feit beriefen, aud^ l^at er biefeö ©rgcbnife 
roeber jurüdf genommen nod() abgeminbert, fonbem in völliger Ueber= 
einftimmung bantit in ber Kritif ber praltifd^en Sßemunft tpie in ber 
ber teleologifd^en Urtf)eilöfraft nad^ ben un§ befannten unb einleud^ 
tenben ©rünben aM ber 9Iotf)ii)enbtgteit ber moralifd^en SBettorbnung 
bie ^lot^menbigfeit beö moralifd^en 2i?eltgrunbeö ober bad 2)afein ©ottes 
bargetl^an. 3Ba§ bemnad^ bie e^rage nad^ ber Semeidbarfeit be« 
göttlid^en ^afeinö betrifft, fo finben mir in ben üerfd^iebenen Slnfid^ten 
unfere§ ^^ilofop^en feinen Sffiiberftreit , fonbem einen folgerid^tigea 
gortfd^ritt. 3lber mie üerfd^ieben er aud^ über biefen ^unft, nämtid^ 
bie ©rfennbarfeit ®otte§, gebadet, fo giebt eö in bem (SntroidtungS^ 
gange feiner pl^ilofopl^ifd^en Ueberjeugungen feinen 3Woment, n)o er bie 
9lea(ität @otte§ verneint ober aud^ nur bejmeifelt t)at. Unb eö giebt 
nod^ einen jmeiten unb britten ^unft, ber il^m unerfd^ütterlid^ fefifianb, 
felbft bamal§, a(ö er fid^ am meiften ffeptifd^ Derl^iett unb bie träume 
©mebenborgö von ber ©eiftermett unb unferer ©emeinfd^aft mit il^r 
üerlad^te: id^ meine feine Ueberjeugung, baJ3 bie 3Wora(ität unabl^ängig 
fei t)on jeber 3lrt miffenfd^afttid^er ®rfenntni§, mie von jebem 3tt>^ifri, 
ber bie aWöglid^feit ber lefeteren erfd^üttert; unb bafe bie ©eiflernjelt 
mie bie ©eiftergemeinfd^aft (ebigtid^ in ber moralifd^en ©emeinfd&aft 
ober in ber moralifd^en SEBeltorbnung beftel^e.*) 

2. S)ie fantifd^e Uuftcrbltd^fcit^Icl^re. 

dagegen unterliegt bie 3lrt unb Sffieife, mie in ber Äritif ber 
praftifd^en aSernunft baö pd^fte ®ut gefaxt unb mit ^ülfe ©otteö unb 
ber Unfterblid^feit l^ergefteHt mirb, einer 9lei{)e fd^mer miegenber 33ebenfen. 



') S3gt. btefeg Sßerf : SJb. III. @. 229-30, ©. 252-54, @. 264-65. 



29 

SBir nüiffen fiier in unfere Gl^arafteriftif ber fantifd^en Unfterf)Uct;feit§= 
Ui)xe fd^on bie Äritif berfelben aufnehmen, um bie rid^tige SJorftellung 
ber Baä)e ju gewinnen. S)a nämlid^ bie fritifd^e ^^ilofop^ie von beut 
©tanbpunit ii)xex üöHig neuen Sßeltanfd^auung bie Unfterblid^feit }u 
beja{)en l)at, fo fommt alleö barauf an, bafe biefe Seja^ung in ber 
rid^tigen 3Beife gefaj^t wirb. 

©aö ^öd^fte ®ut gilt aU bie not^roenbige ^Bereinigung t)on 2^ugenb 
unb ©lüdffeligfeit : aU ber burd^ unfere 3Bürbigfeit t)erbiente unb burd^ 
bie göttlid^e ÖJered^tigfeit unö ert^eilte 3"^^^^ ^^^ feiigen Sebenö. 2Beil 
bie Sauterfeit beö aBillenö erreid^t werben foll unb in biefem unferem 
gegenwärtigen ©afein nid^t erreid^t werben fann, barum poftulirt bie 
praftifd^e SBernunft ein lünftigeö Seben, b. f). bie gortfe^ung unb gort= 
bauer unfereö perfönlid^en S)afein§ ober bie Unfterblid^feit ber ©eele. 
SBir beurtfieilen biefe 3Sorftellung ber ©ad^e genau nad^ ber Slid^tfd^nur, 
bie unö bie fritifd^e ^pi^ilofopl^ie Dorfd^reibt. 

@ö ift junäd^ft nid^t einjufel^en, warum innerl^alb unfereä irbifd^en 
®afein§ bie ßauterfeit ber ©efinnung fd^led^terbingö unerreid^bar ober 
vöüiQ unmöglid^ fein foH. Äant felbft l)at in feiner 9leligionölel)re 
biefer Se^auptung wiberfprod^en. S)enn er ^at ben ©rlöfer nid^t bloö 
ber 3bee, fonbern ber 3Birflid^feit nad^ in ber ^erfon 3efu bavon an^- 
genommen unb ausbrüdflid^ erflärt, baJ3 biefeö 3Sorbilb unpraftifd^ unb 
unwirffam fein würbe, wenn jene ßauterfeit i^m entweber abgefprod^en 
ober aU eine übernatürlid^e SBunberfraft jugefd^rieben werben follte. *) 
® al)er ift ber ©afe, bafe unf er fittlic^eö ©nbjiel nur in einem fünftigen 
unb ewigen &eben erreid^t werben fönne, nid^t ftid^^altig. 

©iefen ©inwurf bei ©eite gefefet, fo ift nid^t einjufel^en, waö bie 
gort bauer unfere§ ©afeinö l^elfen foH. S)iefe gortbauer ift, wie bie 
S)auer überhaupt, eine ä^it'&^f^^^^i^^^fl wnb fällt alö fold^e in bie 3^it 
unb ©innenweit. 3Benn nun in ber gegenwärtigen ©innenweit bie fitt- 
lidje 3Sollfommen^eit wegen ber jeitlid^en unb finnlid^en Sefd^affenl^eit 
unfereö S)afeinö unerreid^bar ift, fo wirb fie aud^ in ber fünftigen 
©innenweit unerreid^bar bleiben, weit bie Sebingungen i^rer Unmög= 
lid^feit feineöwegö aufgehoben finb. ®aö ewige Seben ift oom jeitlid^en f 

JU unterfd^eiben : bal^er fann aud^ bie enblofe g^ortbauer nid^t aU ewigeö 
ideben augefe^en werben, unb eö ift }u tabeln, baJ3 Äant in feiner Un= 
fterblid^feitslel^re ewigem 2^ben unb enblofe g^ortbauer nid^t unterfd^ie^ 



') «öl. btefe§ Sßerf : a3b. IV. @. 309-10, ©. 321-22. 



30 

ben I^Qt. 6r forbcrt „eine \M Unenbfid^c fortbmiembe ©ytft^nj unb 
^pcrfönlid^fcit bedfclben üernünftiflen SBefcnd". 

@Ut aber bic Unftcrblicl)teit alo J^ortbaucr ober lünftxQe^ Sebtn, 
fo muffen wir fraflen: toie innertialb ber ^zxt unb SinneniDelt^ nod^ 
beut unfer leiblid^eö ^afein aufgefiört i)at, unfcre ?ßerfönlid^fcit no4 
f ortbauern f ann ? Db imd) irbif cl)e älMebergeburten (©eclenroanbenmg) 
ober burd^ äJerfe^ung auf einen anberen, oietteid^t auö feinerem (Stoffe 
(jebilbeten SBeltförper, etwa ben 3i»pitcr, wie Siant felbft in frül^ierer 
3ett e§ für möglid) t)iett *), ober in ber SBBanbernnfl burd^ bie ©ternen- 
TOelt ober wie f onft ? ©old^e ^ra^en finb anf/(un)erfcn unb laffen fid^ nid^t 
ober nur pfiantaftifd^ beantworten, womit bie iJe^re oon ber Unfterblid^- 
feit ber ©eete atd einer gortbauer unfereö perfönlid^en 35afeind in 
ber 3^it "nb Sinnenwelt auö ben ^oftulaten ber praftifd^en SSemunft 
unter bie Dbjecte ber ©inbilbung unb be§ ^^fiantaprenö Derfegt wirb. 

Unfere Sffiürbiflfeit foll nad^ ben J^orberungen ber praftifd^en SJer^ 
nunft bie Urfad^e unferer ©tüdfeligfeit, unfere iiautcrfeit bie unfercr 
©eligfeit fein. SäcAen wir bie erfte erreid^t, fo fiaben wir bie jwcite 
Derbient unb empfangen fie aus ber §anb ÖJotteö. 9hm ift nid^t ein- 
jufe^en, weld^e 3lrt t)on ©Uidffelictleit, bie nid^t aM ber iiauterfett felü 
^eruorge^t, biefer nod^ foll tiinjugefügt werben fönnen? 3)ie ©etbfi' 
ijerleugnung ift Dollenbet, alle Xriebfebern ber ©elbftliebe unb ©elbft- 
fud^t finb überwunben, womit alle bie Uebel wegfallen, bic unö unfelifl 
mad^en. S)ie ^ölle beö böfen ©ewiffenö ift getilgt, ber Fimmel be« 
guten ift gegenwärtig. SBenn biefer Seligfeit noc^ etwas gebrid^t, fo 
fann eö nur bie gülle äußerer ©üter jur ©ntfd^äbigung für erlittene 
äujsere Uebel fein. 5Rad^bem wir ben Fimmel be§ guten ©ewiffenö er- 
rungen ^dbm, follen wir, bilblid^ ju reben, axiä) nod^ in Slbra^amö 
©d^oofe fd^welgen. ©ö ift nid^t einjufel^en, mit weld^em Siedete ber 5ß^i' 
lofopl^, ber in feiner Sittenlehre bie ftrengfte unb peinlid^fte Sd^eibung 
ber Sittlid^feit unb ©lüdffeligfeit üolljogen unb auf baö nad^brüdflid^fte 
eingefd^ärft f)at, jur ^erfteHung beö ^öd^ften ®uteö bie notJ^roenbigc 
3Sereinigung beiber forbert unter ber beftänbigen 3Sorauöfe|ung il^re« 
grunbüerfd^iebenen Urfprung§. ©ie Sittlid^feit folgt au^ bcm reinen, 
ba§ Streben nad^ ©lüdffeligfeit auö bem empirifd^en 2Billen ober aus 
ber Selbftliebe, bie aHeö begehrt, was it)tem SBo^lbefinben nüftt. Qft 
nun baö Streben nad^ fünftiger unb ewiger ©lüdffeligfeit weniger 



♦) Sßßl. blefcö Sßerf: 23b. III. 8. 148. 



31 

eubämoniftifcj^, njentger begcl^rUd^ unb eigcnnü^ig, q(ö baö tiad^ gegen= 
tüärtiger? @ö l^eijst jwar: trad^tct t)or allem nad^ ber Sautcrfeit ber 
©efinnung, fo wirb eud^ bie ©tüdffeligfeit t)on fclbft fraft ber göttticj^cn 
©ered^tigfeit sufallen. 3^r follt bic lefetere tiid^t begehren unb forbern, 
Tr)ot)l aber bürft i^r fie ^offen! 3llö ob biefe Hoffnung nid^t aud^ ein 
ftitteö ©mjarten, Segel^ren unb gorbern wäre ! 3Kit einer f otd^en ^off= 
nung vev^oiUn mx nm ju ber fünftigen ©lüdffeligfeit, wie bie voo^- 
gearteten S)iener, bie nid()t§ forbern, an^ t)erfid^ern, baß fie nid)t§ neh- 
men, aber babei t)erftol^len bie ^anb öffnen. 

2lIIe biefe ©d^wäc^en ber fantifd^en Unfterblid^feitdlel^re, wie unö 
biefelbe in ben ^oftulaten ber praftifc^en aSemunft entgegentritt, laffen 
fid^ auf einen ©runbf eitler jurüdf führen. ®a§ Ttpcozov (peuSog liegt 
barin, bafe bie göttUd^e ©ered^tigfeit nad^ bem 9)lufter ber jeittid^en 
gefaxt unb in bie aSergeltung gefegt wirb, gemäß roeld^er bie SRife- 
t)erf)ältniffe jnjifd^en 2^ugenb unb ©lüdffeligfeit in unferem gegenn)är= 
tigen SBeltjuftanbe eine 3luögleid^ung forbern, bie erft im fünftigen 
hebert erreid^t werben fann unb foll, auf bie SRotJ^wenbigfeit ber 58er= 
geltung ^tünbete Äant bie ftrafenbe ©ered^tigfeit, bie ber ©taatögeroalt 
jufommt ; auf benfelben Segriff grünbet er nun bie lol^nenbe ©ered^tig- 
feit, beren oollfommene unb unfel^lbare 3lu§übung nur burd^ ©Ott mög= 
üä) ift unb erft im jenfeitigen Seben ftattfinbet. ©al^er fefet er baö ewige 
2zbm glei(^ bem fünftigen, bie Unfterblid^feit gleid^ ber perföntid^en 
gortbauer, bie fiauterfeit gleid^ einem in ber ©egenroart nie ju errei= 
d)enben S^el, ba§ fittlid^e fieben gleid^ einer ^Reihenfolge oon Säuterungö- 
juftänben, mit benen bie aSergeltungöjuftönbe ^anb in ^anb ge^en. 
9iad^ biefer 9H(^tfd^nur märe, wie fd^on ®. 3lmolbt treffenb bemerft 
^at*), }u forbern, ba§ unferer fittlid^en SBillenöbefd^affen^eit baö vex- 
biente 5Dia)3 ber ©lüdffeligfeit angepajst unb proportionirt, alfo aud^ 
bie Unlauterfeit mit ber xf)x gemäßen ©träfe oerfnüpft werbe ; unb ba 
ber nid^t oöHig geläuterte SBUIe nod^ ben ß^arafter ber Unlauterfeit 
^at, fo müßte bie göttlid^e ©ered^tigfeit i^r jenfeitigeö 3Sergeltungöamt 
wefentlid^ burd^ bie größeren ober geringeren ©trafen ausüben, bie fie 
unö nad^ bem größeren |ober geringeren 3)iaße unferer Untauterfeit 
jutfieilt. 3luf biefem SBege gelangen wir mitten in ba§ Sabprint^ ber 
platonifd^en Unfterblid^feitö= unb aSergeltungöle^re, inbem wir ben graben 
ber fantifd^en t)erfolgen. 

*) @mtl Slrnolbt: Uebcr tantg 3becn öom ^ödf)ftcn mt (Königsberg 1874), 
(S. 7-13. 



32 

ahm ift nid^t cinjufcl^en, xoaxmn in imferem gegentoärtigen Seben 
bie ücrgcltcnbe unb in bcm fünftiqen bic ftrafenbe ©ered^tigteit ®ottc§ 
paufirt ober auöfcfet, ha boc^ üon bicfcr lefetcrcn bcr ^i^Uofop^ in feiner 
Unftcrblid^feitölcfirc f o (\ut roic flar nid^t rebet ? Söarum locrben in bew 
Söcttjuftanbc, worin wir leben, bie ja^Ilofen a)H6t)crl^ltniffc jtmfc^ 
I^uflenb unb ©lüdffeligfeit jucjetaffen? SBenn ed nämlid^ bic 2Ri§oep 
flältniffe roirflid^ finb, bie fie unö jii fein fd^einen! ©inb ftc c« ni(|t, 
lüie wir nad^ ber SlUgeflentoart ©otteö unb feiner ©ered^tic^feit glouben 
foUten, fo fallen and) bie Sebingungen roecj, unter roel^en bic leitete 
erft im fünftiflen iSeben bad 3lmt unb ben ßfiarafter bcr auöglcid^^ 
ben 5Bergeltung annimmt. 

Äant wollte feine neue H'e^re üon ber ^rei^eit mit bcr alten 2e§re 
üon ber Unfterblid^feit unb jenfeitigen SSergeltung Derfd^ntcljcn^ inbem 
er bie jroeite aU ein notliroenbigeö ^oftulat ber erften l^inftcDte unb 
geltenb mad^te. 25iefer SJerfud^ mu§te fe^lfd^lagen unb an ben ^rin- 
cipien ber fritifd^en ^f)ilofopl|ie felbft fd^eitern. SBenn uns bic SBirf- 
famfeit ®otte§, toie Äant gelehrt ^at unb leieren mufete, ein uncrforfd^ 
lid^eö 9)it)fterium bleibt, fo burfte er nid^t bie SBirfungöart ber gött- 
lid^en ©ered^tigfeit entl)üllen unb nad^ einem 5Borbitbe befHmmcn loolloi, 
ba§ unter ben Sebingungen ber Qext ftel)t. 3Benn er biefe SBirfungdoit 
unbered^tigter roeife aU 5Bergeltung auffaßte unb begreiflid^ fd^cinen ße§, 
fo burfte er bie tefetere bod^ nic^t fo bel)anbeln, ba§ mir bic göttlid^ 
aSergeltung in ben gegenwärtigen SBeltjuftänben Dermiffen unb erfi in 
ben fünftigen enoarten bürfen, bafe unö in jenen bie Dergettenbe unb in 
biefen bie ftrafenbe ®ered^tig!eit ©otteö ju fel)len fd^eint. 

2ßir beurtl)eilen bie fantifd^e Unfterblid^feit§lel|re nad^ ben ©runb^ 
fäfeen ber fritifd^en ^l)ilofopl)ie unb wollen fie biefen gemäfe berid^tigen, 
nid^t überl)aupt üerneinen. 25enn wir fe^en wol)l, bafe bie neue ^rei- 
l)eitölel)re au^ bie Unfterblid^feit§lel)re üon ®runb au§ änbert, unb bafe 
bie ^xaQe ber lefeteren burd^ ben tranöfcenbentalen Sbeatismuö in ein 
neueö ©tabium ber Sejal^ung eintritt. S)ie ??affung wie bie ©ntfd^i- 
bung biefer e^rage ift baüon abl)ängig, ob wir mit allem, wa§ unfer 
SBefen auömad^t, in 3^it unb-^aum finb ober biefe in unö. SBcnn 
3eit unb JRaum bie umfaffeuben ©runbbebingungen alleö 2)afeinö finb 
unb nid^tö t)on i^nen unabhängig fein fann, fo bel^arrt nur bie 3Wa= 
terie, wä^renb if)xt g^ormen wed^feln, fo muffen alle einjelnen S)inge 
entfte^en unb cergelien, fo fann fein ©injelwefen, fein Snbimbuum, alfo 
aud^ feine ^erfon beftänbig fortbauern, t)ielmel|r t)at jebe itire beftimmte 



33 

3eitbauer, an bie il^rc ©siftenj gebunben ift, bie ©reujcn biefcr 25auer 
finb bie unüberfteiglid^cn ©d^ranfcn aUeö jeitlid^^perfönlid^en 35afeinö. 
Unter biefer 3Sorau§fefeung, naä) toeld^er ^txt unb SRaum 2)inge ober 
Seftimmungen ber ©inge an fid^ finb, bleibt unö nid^tö weiter übrig, 
alö entraeber in Uebereinftimmung mit jener 3lnnaf)ine jebe 3lrt in- 
biüibneHer (perfönlid^er) Unfterblid^feit ju verneinen ober im SBiber= 
fprud^e bamit biefelbe auf p^antaftifd^e 3lrt ju bejafien unb DorjufteUen, 
um gemiffe ®emütf)öbebürfniffe bamit ju bef riebigen. 3llle§ (Sntftefien 
unb aSerge^en gefd^iel^t in ber ^dt unb ift nur in it)r mögtid^. SBaö 
üon aller S^xt unabl^ängig ift ober ben 6{|arafter be§ jeitlofen ©einö 
f)at, fann meber entfte{)en nod^ oerge^en: ba§ allein ift eroig. 25a nun 
bie ^eit alö fold^e fein S)ing an fid^, fonbern bie notf)roenbige g^orm 
unfereö a?orfteIIen§ ift, fo finb alle jeitlid^en ©inge SJorfteUungen ober 
©rfd^einungen, bie of)ne ein SBefen, bem fie erfd^einen ober roeld^eö fie 
t)orftelIt unb erfennt, nid^t fein fönnen: biefeö SBefen aber, ba e§ bie 
33ebingung aller ©rfd^einungen auömad^t, ift felbft feine (Srfd^einung, 
e^ ift ni(^t in ber ^dt, fonbern biefe ift in i^m, bafier ift eö unab- 
hängig von aller 3^it, b. f), jeitloö ober eroig. ®§ ift unmöglid^, ba§ 
geraiffe ®rfd^einungen jroar entftef)en, aber nid^t perge^en, fonbern inö 
enblofe fortbauern f ollen; eö ift ebenfo unmögtid^, bafe geroiffe @rfd^ei= 
nungen sroar t)ergef)en, aber eigenttid^ nid^t oerge^en, fonbern auf ge= 
I;eimniJ3t)olIe 2lrt in ber 3cit unb ©innenroelt fortleben foUen. SDieö ift 
bie geroöl^nlid^e 9lrt, wie man fid^ bie Unfterbtid^feit ber menfd^Iid^en 
Seele t)orftelIt, inbem man bie aSergänglid^feit ber menfd^tid^en @rfd^ei== 
nung äugleid^ bejafit unb Demeint unb ben 5Cob für eine btofee 3^or= 
malität anfielt. 

25er loal^re a3egriff ber Unfterblid^feit fäUt mit bem ber 6 ro ig feit 
äufammen. ®iefe Unfterbtid^feit bejaht unb begrünbet bie fritifd^e ^^i- 
lofop^ie burd^ ifire neue Se^re oon S^xt unb 9laum, oon ber Sbealität 
unferer Sinnenroelt unb oon ber SReatität jeneö überfinntid^en ©ubftra= 
tumö, baö unferer erfennenben SSernunft unb i^ren ©rfd^einungen ju 
©runbe liegt, baö Äant „S)ing an fid^" genannt unb alö ba§ 5ßrincip 
ber moralif^en SBeltorbnung erleud^tet l^at. 3Bie alle ©innenobjecte 
burd^auö pl^änomenal finb, fo l^at aud^ unfer ©innenleben ben ßl^arafter 
einer btofeen ©rfd^einung ; wie bie gefammte ©innenroelt bie ©rfd^einung 
ber inteHigiblen ober moralifd^en SBeltorbnung ift, fo ift ber empirifd^e 
6t)arafter beö 3Kenfd^en bie ©rfd^einung be§ inteHigiblen : jener ift jeit- 
Vxd) unb oergängtid^, biefer jeitloö unb eroig. 35ie ßroigfeit unfereö 

^ifc^er, 5triti{ b. !antif(^n Wlofop^ie. H 



34 

intclliflibleit 2Bcfcn§ müfj'cn mx, tote bic ^rei^cit, bejal^cn, obrool&l roir 
axiä) bicfc toafire 9lrt ber UtifterbUd^feit nn^ nid^t üorjufietten ober in bcr 
©inbitbimgäfraft audjufü^ren ücrmöflen, benn fie üorftcllcn unb bitblic^ 
geftatten, ^iefec fie jeitlic^ machen unb baniit verneinen, ©a eö o^ne 
finnlid^e Siorftellungen feine erfennbaren Cbjecte giebt, fo ift bie Um 
fterblid^feit ber Seele auf tf)eoretifd^eni äPege nie jn beroeifen. S)a aber 
aUe finntic^en SJorftellnngen unter ber 33ebingung ber Seit ftel^cn, toeld^e 
fetbft unfere btofee i^orftellungöforni ift, fo ift unfer SBefen jeitlos ober 
ewig, ba^er ift bie Unfterblid^feit ber Seele nie ju toiberlcgen: alle 
Setoeife baroiber finb ebenfo oergeblid^, wie bie tlieorettfd^en Slrgu- 
gumente bafür. Hion beiben Seiten wirb irrt^ümlid^er roeife bie Slea- 
lität ber 3^^* unb bie 3^itlid^feit unfcreö äßefenö oorauögefcfet : nun 
bemonftriren bie einen, um t^ie Unfterblid)!eit ber Seele jii bcgrünben, 
bie ^ininaterialität unb 33et)arrlid^feit ber tefeteren, wogegen bie anberen, 
um fie äu wiberlegen, bie 3)iaterialität unb ä^ergänglid^feit bcr Seele 
beweifen. 5Dlan !ann ungültige 33eweife wiberlegen, inbem man i^re 
Unmöglid^feit bartl^ut, aber man fann fie nid^t burd^ 33eweife beö ©egem 
t^eiU entfräften, bie ebenfo ungültig finb. ^a^cr laffen fid^ bie ©egncr 
nid^t hnxä) 2)emonftrationen ber Unfterbli(^!eit auö bem gelbe fd^Iagen, 
wo^l aber barf man, ol^ne bie ©reujen beö richtigen 3Sernunftgebraud^§ ju 
überfd^reiten, il^nen eine §i)pot liefe entgegentialten, bie fie nid^t wiber- 
legen fönnen, unb weld^e felbft gar nid)t ben 3lnfprud^ mad^t, t^eore== 
tifd^ beweisbar ju fein. 3)ie 3)fet^obenle^re ber aSernunftfritif entl^ält 
in it)rem 2lbfd^nitt oon ber „S)iöciplin ber reinen SSernunft in 2lnfel^ung 
ber ^t)pott)efen" eine ^öd^ft bemerfen§wertt)e unb d^arafteriftifd^e ©teile, 
worin ^ant bie Unfterblid)feitölet)re in einer fold^en t)9potl)etifd^en g^f^ 
fung ben 2lnl^ängern empfiet)lt, um biefelbe wiber it)re ®egner auf- 
jubieten. „SBenn eud^ alfo wiber bie (in irgenb einer anberen, nid^t 
fpeculatiüen JRüdfic^t) angenommene immaterielle imb feiner förpertid^en 
Umwanblung unterworfene Jiatur ber Seele bie Sd^wierigfeit aufftö§t, 
ba§ gleid^wo^l bie @rfat)rung fowot)l bie ®rl)ebung alö 3^i^üttung xin- 
ferer ©eifteöfröfte bloö aU t)erfd^iebene 3Kobification unferer Organe 
JU beweifen fd^eine, fo fönnt it)r bie Äraft biefeö 33eweife§ baburd^ 
fd^wäc^en, ba^ it)r annehmet, imfer Äörper fei nid^tö aU bie 5wnba= 
mentalerfd^einung, worauf, alö Sebingimg, fid) in bem je^igen 
3uftanbe (im 2eben) ba§ gange aSermögen ber Sinnlic^feit imb f^iemit 
alle§ ©enfen bejiel^t. ®ie I'rennung üom Körper fei ba§ @nbe biefe§ 
finnlid)en ®ebraudjö eurer ©rfenntnifefraft unb ber Slnfang beö intellec= 



35 

tueffen. ®er Körper wäre atfo nid^t bie Urfad^e bcö ®enfcnö, fonbem 
eine bloö reftringirenbc Scbingung bcöfelbcn, mithin jtoar aU 33eför= 
berung bc§ finnUdien imb animalifd^en, aber befto tne^r and) atö ^in= 
berni^ beö reinen iinb fpiritueHen Sebenö anjufe^en, unb bie 3l6^ängigfeit 
beö erfteren t)on ber fötperlid^en SBefd^affenfieit beroeife nid^tö für bie 
2lbpngigfeit beö geiftigen Sebenö t)on betn 3wfto"^^ unferer Organe. 
3£)r fönnt aber nod^ weiter gef)en unb roo^l gar neue, entroeber nid^t 
aufgeworfene ober nid^t weit genug getriebene 3wrifßl auöfinbig mad^en. 
®ie B^ifättigfeit ber 3^wp>^9^"/ i^i^ ^^^ 9Kenfd^en, fo wie beim Der- 
nunftlofen ©efc^öpfe, von ber (Gelegenheit, überbem aber aud^ oft Dom 
Unterl^alte, von ber ^Regierung, bereu Saunen unb ©infällen, oft fogar 
t)om Safter abt)ängt, mad^t eine grojse Sd^roierigfeit roiber bie SReinung 
ber auf ®n)igfeiten fid^ erftredenben S)auer eineö ©efd^öpfö, beffen Seben 
unter fo uner^eblid^en unb unferer g^reifieit fo ganj unb gar überlaf- 
jenen Umftänben juerft angefangen ^at. SBaö bie J^ortbauer ber ganjen 
©attung (f)ier auf ©rben) betrifft, fo ^at biefe ©d^roierigfeit in 3[m 
fe^ung berfelben wenig auf fid^, weit ber S^^aU im ©iujelnen nid^tö 
befto weniger einer JRegel im ©anjen unterworfen ift; aber in Slnfe^- 
ung eineö jeben Snbimbuumö eine fo mäd^tige SBirfung von fo gering- 
fügigen Umftänben ju erwarten, fd^eint atterbingö bebenflid^. ^iewiber 
fönnt it)v aber eine tranöfcenbentale ^t)potl^efe aufbieten, ba^ aUeö Seben 
eigentlid^ nur inteHigibel fei, ben 3^iti)eränbenmgen gar nid^t unter- 
worfen imb weber burd^ ©eburt angefangen i)abt nod^ burd^ ben 2^ob 
geenbigt werbe, bafe biefeö Seben nid^tö aU eine blo^e ®rfd^ei= 
nung fei, b. i. eine finnlid^e 3SorfteIIung t)on bem reinen geiftigen 
Seben unb bie gange ©innenwett ein blofeeö 33ilb fei, wetd^eö unferer 
jefeigen ©rfenntnifeart Dorfd^webt unb, wie ein 2^raum, an fid^ feine 
objectioe ^Realität l^abe ; ba^, wenn wir bie ©ad^en unb unö felbft am 
fd)auen foKen, wie fie finb, wir un^ in einer 3Be(t geiftiger Jiaturen 
fe^en würben, mit weld^er unfere eiujig wal^re ©emeinfd^aft weber burd^ 
©eburt angefangen ^abe, nod^ burd^ ben Seibeötob (aU bloßer ©rfd^ei^ 
nungen) aufl^ören werbe u. f. w. £)h wir mm gleid^ üon aUem biefem, 
waö wir f)ier wiber ben 3lngriff {|t)pot^etifd^ Dorfd^üfeen, nid^t ba§ 9Win- 
befte wiffen nod^ im ©rufte bel^aupten, fonbem atteö nid^t einmal Sßer= 
nunf tibee, f onberu blo§ jur ©egenwel^r auögebad^ter Segriff ift, f o vtx- 
fatiren wir bod^ l^iebei gang Dernunftmäfeig, inbem wir bem ©egner, 
weld^er alle 3Röglid^feit erfd^öpft ju liaben meint, inbem er ben SKangel 

if)rer empirifd^en Sebingungen für einen Seweiö ber gänjlid^en Unmög= 

3* 



36 

Hd^fett be§ üon uns ©egtaubtcn fätfd^Ud^ auögicbt, nur jcigen, bafe er 
cbenfo rocnig burd^ blofee Grfafirungögefefec bad ganjc gelb mögüd^ 
Thinge an fid^ felbft umfpannen, alö toir aufeerfiatb ber ®rfal^rung für 
unfere SBermmft irgenb etwas auf gegrünbete 3lrt erwerben fönnen. 
2)er fotd^e ^t)pot^etifd^e (Segenmittel toiber bie 3lnma§ungen bcö breift 
Derneinenben (Segnerd üorfefirt, mu§ nidjt bafür gehalten n)erben, alö 
wolle er fie fid^ at§ feine waliren 3)ieinungen eigen madben. @r Dcrläfet 
fie, fobalb er ben bogmatifd^en Gigenbünfel beö ©egnerö abgefertigt 
^at. 2)enn fo befdöeiben unb gemäßigt eö auc^ anjufeben ift, wenn 
jemanb fid^ in 3lnfel)ung frember 33ef)auptungen bloö weigernb unb ©er- 
neinenb üerliält, fo ift boc^ jeberjeit, fobalb er biefe feine 6inn)ürfe aU 
Seweife beö ©egent^eilö geltenb madien will, ber 3tnfpnid^ nid^t we= 
niger ftolj unb eingebilbet, alö ob er bie bejal^enbe 5ßartei unb beren 
33el^auptung ergriffen l)ätte."*) 

ajian wirb in biefer Unfterblid^!eit§^t)potl|efe leidet unterfd^eiben, 
wa§ auf JRed^nung ber tl)eoretifd^en SJorftellungsart unb 3lu§fül>rung 
ju fefeen, unb xoa^ aU bie innerfte Ueberjeugung beö ^^ilofopl^en felbft 
ju betrad^ten ift. @ö ift feine auf bie neue üelire üon ber Sbealität 
ber Qdi unb ©innenweit gegrünbete Ueberjeugung, baj3 unfer ©innen- 
leben ben 6l)arafter einer bloßen ©rfd^einung ^at, bafe unfer inteUi- 
gibleö SBefen unabt)ängig t)on aller 3^it ift, alfo jeitloö unb frei, ewig 
unb unfterblid^. SBäre bie ©innenweit nid^t§ aU ein 5Craum, ber unö 
Dorfd^webt, ober ein 33ilb, baö wir wie ein ©d^aufpiel betrad^ten, fo 
würbe üon felbft einleud^ten, bafe wir biefen paffiüen aSorftettungö- 
juftanb überleben, benn ba§ @nbe beö Xraumeö ift nid)t aud^ ba§ beö 
2^räumerö unb ba§ @nbe be§ ©d^aufpieU nid^t aud^ baö beö ^xi- 
fd^auerö. 3lber fo einfad^ liegt bie J^rage nid^t. 2Bir üerlialten unö ju 
ber ©innenweit nid^t blo§ anfd^auenb, fonbern aud^ ^anbelnb, wir finb 
in beut Xf)taUx ber SBelt nid^t bloö unter ben 3ufd^öuern, fonbern aud^ 
unter ien ©pielern ; biefe SBelt l)at feinen anberen 3»f ^^uerraum aU 
bie 33üf)ne, fie ift ber Bä)anplaii, wo wir leben unb ^anbeln, auf bem 
wir erfd^einen unb jugleid^ unfere eigene ©rfd^einung betrad^ten unb 
erfennen. ^ier fällt ba^er ber Sebenöjuftanb mit bem 5BorftelIung§= 
juftanbe, ber Slcteur mit bem 3wf^öuer bergeftalt jufammen, bafe, voenn 
biefer ^wf^^i^^i^ aufl^ört, ©pieler ju fein, er aud^ auff)ört, 3wfd^auer 



*) tr. b. r. SJcmunft. anct^obcnlc^rc, ipptft. 1. Slbfddn. III. (@. SB. SBb. I!. 
@. 583—85). S30l. bicfcg SBcrf : S3b, III. (@. 530-531). 



a? 

}u fein. 3)Ut iinferer Gi*iftenj in ber Siimemüett entfd^roinbet iinfercr 
33etrad^tintg a\i6) bie ßrfd^einung ber S^ingc, mit imfcrcm finntid^en 
iJebenöäuftanbe ift aud^ unfer finnlid^er aSorftellungöjiiftaiib unb bamil 
ber 6f)arafter berjenigen @rfenntm§ aufgel^oben, bereu ©runbanfd^au- 
imgen 9tainn unb 3^it ft^^i^- Unferem jeitlofen SBefen entfprid^t ber 
3uftanb beö jeitlofen ©rfennenö ober jener inteUectuellen Slnfd^auung, 
ber ba§ SBefen ber 25inge unmittelbar einteud^tet. ®ieö meint ber ^l^i- 
lofopf), raenn er in ber oben angefül^rten Stelle unö bie Slnnal^me 
mad^en (äJ3t : „unfer Körper fei nid^tö alö bie J^unbamentaterfd^einung, 
worauf alö Sebingung fid^ in bem je^igen 3wftanbe baö ganje 2Ser= 
mögen ber Sinnlid^feit unb f)iemit alleö 25enfen begießt ; bie ^Trennung 
t)om Äörper fei baö ßnbe biefeö finnttd^en ©ebraud^ö unferer ©rfenntnijs- 
fraft unb ber 2lnfang be§ intellectuellen". „SBenu mir bie ©ad^en unb 
unö felbft anfd^auen follen, mie fie finb, fo mürben mir um in einer 
2Belt geiftiger Staturen feigen." Äann nun baö jeittofe ©rfennen, mie 
unfer ^^itofop^ an einer anberen ©teile leiert, nur bem Urmefen ju= 
fonunen*), fo mürbe bemgemä^ baö @nbe unfereö finnlid^en ©afeinö 
alö eine SRüdffe^r in baö Urmefen, unfer emigeö ober rein geiftigeö 
Seben alö ein Seben in ®ott ju betrad^ten fein. 3Wit ben finnlid^en 
^orfteIlung§äuftänben müßten bann aud^ bie finnlid^en 33egel^rungö= 
juftänbe unb bamit jene Säuterungöbebürftigfeit megfatten, um bereu 
mitten Äant in feiner praftifd^en Unfterb(id^feit§(el^re bie enbtofe gort- 
bauer unfereö perfönlid^en 2)afein§ geforbert ^at. ®anu mürbe bie 
Sauterfeit nid^t bie Slufgabe unb ba§ S^tl, fonbern bie Sebingung unb 
ben ß^arafter beö unfterblid^en Sebenö auömad^en. ©d^open^auer vev= 
mirft mit bem fantifd^en 2^^eiömu§ aud^ bie Unfterblid^feitölel^re, bie 
in ber Äritif ber praftifd^en 33ernunft geforbert mirb unb mit ber 2Ser= 
geltungölel^re jufammenfällt ; er bejal^t bie Unfterblid^feit unfereö SBefenö 
auf ©runb ber tranöfcenbentalen 3leftl^etif. „Sffiottte man, mie fo oft 
gefd^ef)en, g^ortbauer beö inbit)ibuellen 33emu^tfeinö t)erlangen, um eine 
jenfeitige SBelol^nimg ober 33eftrafung baran ju htüpfen, fo mürbe eö 
f)iemit im ©runbe nur auf bie 3Sereinbarfeit ber S^ugenb mit bem 
©goiömuö abgefe^en fein. 25iefe beiben aber merben fid^ nie umarmen : 
fie finb üon @runb au§ ©ntgegengefefete." „®ie grünblid^fte 2lntmort 
auf bie grage nad^ ber g^ortbauer be§ S^Wmbuumö nad^ bem 2^obe 
liegt in Äantö groger Seigre üon ber ^beatität ber 3^it, aU meldte 



*) @. oben @. 17. 



38 

gcrabe l^ier fid^ befonbcrö fotgcnrcid^ unb frud^tbar erroeift, inbem fie 
burd^ eine üöHig tl^eoretifd^e, aber n)of)l enoiefene ßinfid^t Dogmen, bie 
auf beut einen wie auf bem anberen Sßege jum 3l6furben fäl;ren, crfefet 
unb fo bie ejcitirenbfte aller ntetapl^^fifd^en fjragen mit einem 9)ia(e 
befeitigt. 3lnfangen, ©nben, J^ortbauern finb Segriffe, roetd^e il^rc Se- 
beutung einjig von ber 3^it entlel^nen unb folglid^ nur unter SBorauö- 
fefeung biefer gelten. 3lllein bie 3^it l^at fein abfotuteö ®afcin, ift 
nid^t bie 3lrt unb Sßeife be§ ©einö an fid^ ber 25inge, fonbern Uö^ 
bie gomt unferer (Srfenntni^ üon unferem unb aller 2)inge S)afein 
unb SBefen, roeld^e eben baburd^ fef)r unüollfoinmen imb auf bloße 
erfd^einungen befd^ränft ift." *) 

25a e§ nun unferer 5Bernunft bei itirer gegenwärtigen ©inrid^tung 
fd^led^terbingö umnöglid^ ift, fid^ von bem 3wftonbe beö jeitlofeix ©einö 
unb (Srfennenö eine aSorftellung ju üerfd^affen, fo fönnen toir von bem 
ßeben nad^ bem 2^obe nid^t ba§ SKinbefte lüiffen. SBir bel^erjigetx bal^er, 
roaö unfer ^l^ilof opl^ auöbrüdlid^ erf lärt f)at : baB feine ^ppot^efe nid^t 
baö 25ogma ber Unfterblid^feit Dertl^eibigen, fonbern nur bie ©egner 
beöfelben befämpfen toiH. Snbeffen bleibt eö fef)r bemerfen§n)ertl>, ba§ 
für bie erlaubten unb jur ^olemif bered)tigten „ißiipotl^efen ber reinen 
SBernunft" Äant gerabe biefeö SBeifpiel alö baö einjige unb befte geroäl^lt 
l^at: nämlid^ bie fiefire, bie unfer gegenwärtiges 35afein als eine bloße 
(Srfd^einung ober finnlid^e 3SorftelIung unfereö eroigen unb intelligiblen 
Seben§ barfteUt. SBergleid^en toir bie fantifd^e Unfterblid^feitölel^re nad^ 
biefer ^t)pot^efe ber reinen 3?>ernunft mit ber nad^ bem ^oftulate ber 
praftifd^en, fo wirb bort baö etoige Seben alö jeitloö, überfinnlid^ unb 
rein geiftig, l^ier bagegen alö jeitlid^, barum aud^ finnlid^ unb läute= 
rungöbebürftig gefaßt: bort gilt eö alö 3Sollenbung, bie wir unö alö 
ein Seben in @ott benfen muffen, ^ier bagegen al§ eine enbloö fort= 
bauernbe, in fittlid^er fiäuterung begriffene unb ber t)ergeltenben @ered^= 
tigfeit ©otteö unterworfene ßntmidlung. 3la6) ber erften J^affung ift 
unfer ewigeö Seben unabl^ängig üon ^eit unb 9taum. 3Ba§ man ben 
3uftanb ber Seele nad^ bem STobe nennt, ift für imfer gegenmärtigeö ®r- 
fenntnißüermögen-mysterium magniim, unb „bie leibige g^rage: wann? 
wie? unb wo?" wirb bamit abgefd^nitten, benn fie ift ungereimt unb 
finnloö, ba fie baö jeit= unb raumlofe ©afein in 3cit unb 9taum fud^t. 



*) 21. ©c^opcu^auer: 2)te SBcIt alg SBlUe unb ä^orftcUung. SBb. II. (5. Slufl.) 
®. 564. S3gl. Sßarcrga unb Sßaralipomcna. »b. II. ^4. Slufl.) § 137. 



39 

dlaä) ber äiüeiteu g^affiiufl bageflen fott bie Seele mä) bem 2'obe iljr 

Safein fortfefeen, fie fott eine Steige fortfd^reitenber Säuterungöjuftänbe 

erleben, alfo in ber Qeit, mithin awä) in ber Sinnentüelt fortefiftiren, 

fie mufe in einem geiüiffen S^itpunfte ben Äörper üerlaffen, einen neuen 

Crt itjreö 3lufentt)altö fnd^en, eine neue Sebenöform annel^men, unb ba 

bieö aUeö nur in S^it unb JRaum, alfo in unferer geineinfanten ©innen= 

luelt t)or fi(^ gelten fann, fo fd)eint eö, aU ob wir mit ber gel^örigen 

Spürfraft il;re üerborgenen SBege auffinben fönnten. S^fet fül^len mir 

unö nid^t met)r vox jeneö mysterium magnum geftettt, von bem toir 

fe^r lüo^l erfennen, raarum eö unö t)erfd^loffen bleibt, fonbern wir [teilen 

ratljloö, raie 5Diep]^iftop^eleö vox bem Seid^nam be§ g^auft: 

Unb ttjemt id) Xaq unb @tunben mid^ scrplage, 
SBann? tüie mtb iüo? ba^ ift btc leibigc ^rage. 



©ritteö ßapitel. 
Die kantifdie )ll|tlofo)il|ie al0 dntitiicklnngelelire. 



I. S)ie fantifd^en ©runbprobleme. 

2)ie S^atfad^e, bajs toir eine gemeinfame ©innenroelt üorfteHen, 
mat baö erfte Problem, beffen Sluflöfung baö 5C^ema ber fantifd^en 
(Srfenntnijsle^re auömad^te. SBenn biefe ©innenraelt nid^t burd^gängig 
pljänonienal, b. 1^. t)orfteIIbar unb üorgefteHt raäre, fo müfete jene Xi)aU 
fad^e für unerflärlid^ gelten. ®ie Sinnenobjecte finb ^^änomene ober 
©rf($einungen. Um bie lefeteren ju erklären, finb brei 3^ragen ju be= 
anttüorten, bie red^t eigentlid^ bie fantifd^en ©runbprobleme entt)alten. 
Gö mu^ erftenö ein Subject geben, bem überl^aupt etroaö gegenftänb= 
lid^ fein ober erfdieinen fann, ot)ne meld^eö feinerlei 2lrt oon ®rfd^ei= 
nung möglid^ märe. ®ie grage l^eijst: mer ift baö ©ubject beö @r= 
fennenö? @ö mufe jmeitenö ein 3Befen geben, baö aßen Grfdieinungen 
unb bem erfennenben Subjecte felbft ju ©runbe liegt, xvtnn baö lefetere 
nidfjt etma bie Singe, bie eö üorftellt, felbft auö fid^ l^erüorbringt, unb 
jraar ooßftänbig unb ol^ne 3ieft. 3" biefem gaß mürbe baö erfennenbe 
©ubject äugleid^ ber SBefenögrunb aller ©rfd^einungen fein. S)a nun 
biefer gall nid^t ftattfinbet, fo mu^ gefragt merben: m a ö ift baö ®ub= 
ftratum, melc^eö bem erfennenben Subjecte mie ben ©rfd^einungen in§= 



40 

gcfainmt ju ©ruiibe liegt? ßö mii§ britteiis jtoifdöeii jenem SBefcns^ 
gruitbe itnb aQem, toad attf il^m berul^t^ ein 3uf<^ininenl^ang befleißen, 
ber bie SBefcnöeiöentl^ümtid^feit iinfercr Crfeiuitnifefonnen loic xmfercr 
©rfenntni^objecte (ßrfd^eiuungcn) bcgrünbet uub, wenn imö berfeßc 
einteud^tet, erflärt. ®ie ^vaf^e l^eifet: roarum ift bic 9lrt unfcreö ©r- 
f cnncnö unb bie 3lrt ber Singe f o unb nid^t anberö bef d^aff en ? Raffen 
TDir bie brei ^Jragen furj jufanunen, inbem wir fte bloö biird^ il^re 
SlnfangötDorte bejeid^nen, fo tauten fxe: roer? roaö? warum? 

25ie 3luf(öfung ber erften g^rage giebt bie Äritif ber reinen SJcr- 
nunft burd^ il^re ©rforfd^ung unferer (STfenntnifeoermögen unb burd^ 
il^re Seigre üon ber (?ntftel^ung ber ©innentoelt au§ ben materialen 
Gtementen unferer ßinbrüdfe unb ben fonnalen unferer 3Cnfd^auungen 
unb Segriffe. 2)ie jroeite fjrage beantwortet Äant burd^ feine Unter- 
fd^eibung ber ©rfd^einungen unb ber Thinge an fid^. 2Ba§ bie leftteren 
finb, erleud^tet bie Äritif ber praftifd^en SBernunft burd^ il^re Seigre von 
ber ^reil^eit unb ber ntoralifd^en SBeltorbnung, womit il^re Seigre t)on 
©Ott unb ber Unfterblid^feit genau jufanimen^ängt. 2)ie brittc f^ragc 
gilt nad^ ber 33efd^affenf)eit ber menfd^lid^en ©rfenntni^oermögen unferem 
5ßl^i(ofop{)en für unauflöölid). Sßenn um ber S^if^J^^nenl^ang ber 3)in9e 
an fid^ unb ber ©rfd^einungen einleud^tete, fo wäre ber Urgrunb unb 
bamit ber Urfprung ber 2)inge, bie jeitlofe Sd^öpfung erfannt unb bas 
9tätf)fe( ber 3Be(t gelöft. 2lber jener 3^M"cmnnenf)ang bleibt unerfennbar, 
baö SRätl^fel ber SBelt unlösbar, bas ?Befen ber 25inge unerforfd^Iid^. 
tiefer unauflöölid^en Probleme finb brei: baö foömotogifd^e, pfpd^o^ 
logifd^e unb moralifd^e. 

SBenn ber inteHigible 6f)arafter ber 2BeIt in ber greil^eit befielet, 
fo ift e§ ber SBiüe, üon bem bie eigenttiümlid^e (Sinridötung unferer 
erfennenben finntid^en a>ernunft, wie bie eigentf)ümlid^en Slrten ber 
Grfd^einungen abl^ängen unb erzeugt werben. 3Bie bieö gefd^iel^t, ift bie 
grage, bie baö SRätf)fel ber 2BeIt in fid^ fdiliefet. Ä'ant ^at bie fjrage 
rid^tig gefaxt unb gefteHt, aber bie 3lntwort für unmöglid^ crttärt. 
©d^openl^auer nimmt ben 9hi^m in 9Infprud^, bie allein rid^tige ^nU 
wort gefunben unb in feiner £ef)re ba§ JRät^fel gelöft ju l^aben, voeU 
d^e§ ^ant allein enlbedt f)at. 

®a§ pfx;d^oIogifd^e unb moralifc^e Problem finb bem foömologifd^en 
weniger ju coorbiniren, aU imterjuorbnen, benn fie entl^alten bicfelbe 
grage in 3lnwenbung auf bie menfd^Hd^e ajernunft unb ben menfd^^ 
lid^en ©liarafter. SDaö pfi)d^o(ogifd^e betrifft bie Sefd^affenl^eit unferer 



41 

ßrfenutni^üermögen, in bereu ßinrid^tiing SiiinUdifoit unb 3?erftanb 
getrennt imb t)ereini9t finb: „2Bie ift in einem benfenben Snbject über= 
^aupt äußere Infc^auung, nämlid^ bie beö Siaunieö möglid)? 3Jennen 
lüir bas benfenbe ©ubject „Seele" unb uufere dunere erfd^einung 
,,Äörper", fo entf)ält baö p)t)d^oIogifd^e Problem in biefer feiner voal)xzn 
5Vaffuug bie alte ^xa^e naä) bem 3wftiiumenl^auge ober ber ®enteinfd;aft 
jit)ifd)en ®ee(e unb i^örper. 25aö moralifd^e 5ßrobleni betrifft bie S^fiat- 
farf)e unferer Öefinnung, ben 3wfammenl^ang unfereö intelligiblen unb 
enipirifc^en g^arafterö ober bie 2lrt, toie in unferer inoratifd^en ^anb= 
lungötoeife greitjeit unb 9lotf)toenbigfeit jufanimenbeftef)cn luib üereinigt 
finb. 3luf alle biefe fragen ift eö nad^ ber Seiire unfereö ^t)ilofoplien 
feinem aJlenfd^en möglid^, eine 2lnttoort ju finben, fie finb unb bleiben 
mit ben 9)Utteln unferer t^eoretifdien ober toiffenfd^aftlid^en (£rfennt= 
niB unauflöölid^." *) 

@§ ^aubelt fid& in ber ©runbfrage um ben 3ufcuumen^ang jtoifd^en 
ben Singen an fid^ unb ben ©rfd^einungen ober, n)a§ baöfelbe tieif^t, 
.^mifd^en ber g^rei^eit unb ber Jiatur, ber intelligiblen unb finnlidjen, 
ber moralifd^en unb materiellen SBettorbnung ober ber Gaufalität beö 
SBiHenö unb ber med^anifc^en ßaufalität. S)ie ^Bereinigung beiber liegt 
in bem ^rincip ber natürlii^en 3wedfmä^igfeit unb ber barauf gegriui= 
beten teleologifd^en Söeltbetrad^tung, bie jmar feineöioegö bie ©eltung 
einer wiffenfd^aftlid^en (tf)eoretifd^en) ©rfenntni^, mol^l aber ben 6lja= 
rafter einer not^toenbigen, unferer 5ßernunft unentbe^rlid^en 33eurt]^ei= 
lungöart in 3lnfprud6 nimmt, ajlit ber 5ßorftelIung innerer JJaturjmede 
l)ängt aber bie einer naturgemäjsen ©ntmidflung fo genau jufammen, 
baJ3 beibe SSorfteHungöarten nic^t üon einanber ju trennen finb. 2Baö 
fi^ entmidfelt, mufe fid^ ju etroaö entmidfeln, b. l). eö f)at einen inneren, 
in it)m angelegten 3^^^/ i^^t üermirflid^t merben mill ; unb maö einen 
fold^en inneren ^xoed ober eine 3lnlage l^at, bie nad) 3luöbilbung ftrebt, 
muß fid^ eben barum entmidfeln. 3n bem Segriff ber natürli($en (Snt= 
midlung vereinigen fid^ ^medttiätige unb med^anifd^e ßaufalität, SBiHe 
unb aWed^aniömuö, grei^eit unb Jiatur, 2)ing an fid^ unb ©rfd^einung. 
2)emgemäB faffen loir bie fantifd^c ©nttoidlungölel^re aU bie 5ßereini= 
gung feiner @rfenntniJ3= unb g^rei^eitöle^re. 

*) Uebcr baS fogmoloötfd^e Problem ügl. biefcgSBer!: 23b. 111. (S. 493-501. 
Ucber ba§ pfi)d()oloöifci&e : a3b. 111. @. 456-58. Ucbcr ha^ moralifd^c: f&b, 111. 
@. 498 unb ^b. IV. <5. 89-98, 



42 



Tl. Sie eutn)i(ilunflöflefd)idötHd)e SBeltanfid^t. 

1. 2)ic naiürlidic (5nttt)icf(unö. 

äßeim wir bie üorfritifd^eu g^orfd^imgen unfereö ^{)ilofoptien mit 
ber S?erniinftfritif iinb ben ®infid^ten üercjlcid^cn, bie in bcr lefetereii 
enttialten finb imb auö it)r f)en)orgef)en, )o finbcn wir eine ©runb- 
anfd^amntg, bie fid^ burd^ ben ^beencjang beiber ^erioben raie ber rot^e 
gaben l^inbur($jiet)t : e§ ift ilantö entroidftungSgefd^id^ttidöe SBelt- 
anfid^t, bie burd^ bie SSernunftfritif feineöraegö üerneint ober beein- 
träd^tigt, fonbern nnr tiefer begrüubet wirb, aU eö vor berfelben mög^ 
Ud^ war. So lange baö STfiema einer fold^en Sßeltbetrad^tung fein 
anbere§ ift, alö bie natürlid^en äßeltüeränbernngen ober bie 3ßitfo(ge 
ber t)erfd^iebenen SBeltjnftänbe, bie nad^ bem ©efefee ber ßaufalität fo 
üerfnüpft finb, baj3 bie fpäteren notf)wenbig auö ben früheren J^erüor- 
getien, fällt bie ßntwidflung ber 3)inge mit it)rer 9tatnrgefd^id^te ju- 
fammen, bie ganj anberer 2lrt ift, alö bie lierfömmlid^e ^latnrbefd^rei- 
bnng. 3)iefe begnügt fid^, bie 3)inge fünftlid^ jn claffificiren, beren 
ändere 3Jler!niale jnfanimenjufteHen nnb ju erjäl^len, xoa^ fie in il^rem 
gegenwärtigen 3i^ftonbe finb, wogegen bie 9faturgefd^id^te erflärt, wie 
bie 25inge entftanben nnb geworben finb, weld^e 5Beränbernngen nnb 
Umbilbnngen fie int Sanfe ber 3^it erfal^ren l^aben, wie nnb nnter 
weld^en Sebingnngen anö ben fri'ilieren ^wftänben ber gegenwärtige 
tieroorging. Gine fold^e natnrgefd^id6tli($e 3Belterflärnng oemujste ber 
^^ilofop^ in ben wiffenfd^aftlidien ®rfenntnij3änftänben, bie er üorfanb, 
er forberte fie aU eine nene nnb fü^ne 2lnfgqbe, beren :iiöfnng gewagt 
werben muffe, er felbft ging mit feinem SBeijpiele noran nnb mad^te 
mit feiner „allgemeinen 5Watnrgefd^id^te nnb S^l^eorie beö ^immelö" 
ben 3lnfang biefer nenen wiffenfd^aftlid^en SBelterflärnng. ©eine Keinen 
geologifd^eii 2luffä^e, wie feine pli^ififd^e @eograpt)ie bürfen alö SSei- 
LH träge jnr 9iatnrgefd^id^te ber @rbe nnb it)rer ©efc^öpfe angefel^en wer== 

ben, wie feine beiben 2lbl^anblnngen über bie äJJenfd^enracen ^Beiträge 
jnr Jktnrgefd^id^te ber äJJenfd^tieit fein wollen imb finb. „@ä ift wa^re 
^^ilofopt)ie", fagte Äant, „bie aSerfd^ieben^eit nnb 3JJannid^faltig!eit 
einer ©ad^e bnrd^ alle Reiten jn üerfolgen." *) 



♦) m^m^ ©eogr. Einleitung. § 4. - Xf), IL 5lbfd)n. I. § 3. ^ql biefeg 
mcxU »b. III. (S. 161. »b. IV. ®. 223-29. 



43 



2. Die intcttcchictte (^ntiüicflung. 

^ic 33ernimftfritif Ief)rt, wie auö ben SBebingimgeu imferer t)or= 
[tellenbcn 9Jatur bie Grfd^cinungen, bie ©innentüdt iiitb bie Grfaf)rung 
entftcfit, roic bie leitete fortfd^reitet unb üemtel^rt wirb, wie fid) biefelbe 
erweitert unb orbnet, inbem fie imd^ ber Stid^tfi^nur ber SJernunftibeen 
ein wiffenfd^aftftd^eö ©rfenntnifeftiftem anftrebt, beffen ßnbjiel, toenn eö 
erreid^bar wäre, fein anbereö fein fönnte, aU baö völlig einleiid^tenbe 
©ntwidlungöftiftetti ber 3BeIt.*) SBcnn wir bie Unterfud^ungen ber 
SSernunftfritif in ber 2lnöbUbung'unb bem Fortgänge if)rer Siefnitate 
oerfolgen unb feigen, wie fie au§ unferen ©mpfinbungen unb ben fonn= 
gebenben SSermögen unferer 3lnfd^auung unb ^nteÜigenj bie @rfd^ei= 
mmgen ober Dbjecte, auö bereu ^Serfni'ipfung bie ßrfal^rung, au§ ber 
3Serfnüpfung ber ®rfaf)rungen naä) ber JRid^tfd^nur ber Sbeen bie ft)fte= 
matifd^ georbnete @rfaf)rung, b. 1^. bie SBiffenfd^aft in if)ren aSerjwci^ 
gungen unb g^ortfd^ritten, alfo bie ©efd^id^te ber SBiffeufd^aften ent= 
[teilen Iä§t, fo fann bie Slufgabe intb ©untme ber gefammten ä^ernunft= 
fritif nid^t fürger unb treffenber beseid^net werben, aU burd^ ben 2luöbrud, 
ben wir gewäl^lt l^aben : fie ift bie @ntfte^ungö= unb (Sntwidflungölefire 
ber inenfd^lid^en ®rfenntnij3. 3n jeber ©ntwidlung ift bie erreid^te 
Stufe in il^rer auägebilbeten g^orm ober ber geworbene 3i^ft^>^^ aHemal 
bie 33ebingung, baö aWaterial, bie 3lnlage ju einer l^öfieren Oeftattung. 
3)ieö gilt aud^ üon unferen ®r!enntniJ3äuftänben : bie ©inbrüdfe finb baö 
9)iaterial, woraus bie ©rfd^einungen geformt werben, bie ©rfdieinungen 
ober SBal^rnel^mungen baö 3Katerial jur ©rfa^rung, bie gemad^ten (Sr= 
fal^rungen ber ©toff ber SBiffeufd^aft ober wirfüd^en (Srfal^rung§erfennt= 
ni§. ©0 finb bie ©rfenntni^juftänbe, bereu @ntftet)ung bie SBernunftfritif 
leiert, bie @ntwidflung§juftänbe ber utenfd^lid^en ©rfenntni^. **) 

3. 3)ie culturöcfd)id()tlidöc unb fociale ©nttülcflung. 

2)ie 9kturgefd^i(^te ber 3)}enfd)^eit ift bie Sebingung unb baö 3)ia= 
terial unferer greil^eitögefd^id^te, bie natürlid^e unb intettcctuette @nt= 
widtung bient ber moratifd^en, bie jene ni(^t etwa nur fortfe^t unb 
erl^öl^t, fonbern bemeiftert unb be^errfd^t. ^m Sienfte ber greil^eit 
erfd^eint bie fortfd^reitenbe 2luöbilbung unferer 9iatur== unb ®eifteöan= 



*) ebenbafelbft: m. 111. 23ud) II. 6ap. XIV. @. 514-18. SSgl »b. IV. 
fdnä) III. (5at). I. @. 401-407. - ♦*) S3b. HI. ^. 519-80. 



44 

tagen alö mcnfd^lidje PJefittuitfl ober aU Gulturrtefd^icftte, bereu Glja- 
rafter md) ber iiefjre unfereö ^^ilofopljen eben barin befielet, ba§ fie 
oon ben natürlid^en ^wedtn nnb ^ntereffen ber SKenfd^l^eit uuroiHfür^ 
lid^ getrieben, fortbewegt nnb jnr (Srfülliuig ber J^reil^eitögefete gcnötl^igt, 
aber nnr burd^ bie ^hee ber g^rei^eit felbft ooQenbet toirb. 35ie niora= 
lifd^e Jrei^eit fann fid^ nnr cnltnrgefd^idötUd^ enttoitfeln, nnb bie Gnltur- 
gefc^id^te fann fid^ nnr bann oottenben, wenn toir i^re l^öd^ften ^kk 
mit ber flarften (?rfenntni§ nnb 3lbfid^t erftreben. T^enn bie ^reil^eitö^ 
gefefee toollen nid^t blinb, fonbern mit ^rei^eit erfaßt werben . Sa- 
mit bie Stniagen ber menfd^Ud^en 9Jatur jn üoller ©ntfaltung gelangen 
nnb it)re natürlid^en S^täe erreichen, nuife ber 2lntagoniömuö ber 3"' 
tereffen, ber Sffietteifer ber Äräfte, bie Xifferenjirnng ber Slrbeit nnb 
3lrbeit§jn)eige, bie 3tt)ietrad^t nnb ber Äampf nm ba§ 2)afein eintreten, 
eö mu§ anö bem ifolirten Sebenöjnftanbe jn bem gefelligen, auö ber 
barbarifd^en g^reil^eit jn ber focialen nnb bürgerlid^en fortgcfd&ritten 
werben, innerl^alb loeld^er ber Äampf ber ^^ntereffen fortbauert unb mit 
ber 3Sermef)rnng nnferer 33ebnrfniffe fid^ üeroielfdltigt nnb fteigert, aber 
oI)ne bie med^felfeitige SSernid^tung nnb ©efä^rbnng beö ©afeinö unb 
ber g^rei^eit. Xenn bie üolle (Sntfaltnng ber Slnlagen ift nur m'60i 
nnter ber 33ebingnng gefiederter Sebenöjnftänbe : bie Sid^erl^eit gel^ört 
ju ben natürtid^en i^ebenöjmedfen ; bafier nuiB bie gefellige SSereinigung, 
bie öffcntlid^e Sied^töorbnnng in ber fid^erften gorm erftrebt nnb l^er- 
geftcllt werben. I^iefe fid^erfte gorm ift ber oerfaffnngömäfeigc 
Sted^töftaat, ber aber felbft fo lange nnfid^er bleibt, alfo aud^ baö 
2)afein atter ^nt^i^it^"^» ^ wie bie ©ntwidflung aller Gulturintereffen 
nnfid^er läßt, aU Staaten nnb aSölfer no(^ im gwftönbe ber barbarifd^en 
greil^eit befiarren, fid^ wed^felfeitig befriegen unb burd^ Kriege Dernid^- 
ten: bal^er forbern bie natürlid^en iJebenöjwedfe ober baö menfd^Ud^e 
®id^erf)eitöbebürfnij3 nid^t bloö bie bürgerlid^e, fonbern and^ bie inter- 
nationale Sted^töorbnnng, beren fid^erfte ^orm bie ^öberation freier 
unb üerfaffungSmöBig georbneter ßnlturoölfer ift. 

4. Die moralifdde unb religiöfc ©ntttJicflung. 

2lber bie J^reil^eit wirb nnr bann t)erwirf(id^t unb in einem fitt= 
Hd^en Sßeltjuftanbe gteid^fam üerförpert, wenn fie nid^t um ber ©id^er- 
l^eit, fonbern nm il^rer felbft willen unb mit il^ren eigenen gactoren 
erftrebt wirb: biefe finb nid^t ber SJied^aniömuä nnferer 9leigungen, 
fonbern bie bewußte 2lbfid^t, bie fittlid^e ©rfenntnife, bie moralifd^e 



45 

©cfinnunfi. ©eöl^alb forbertc Rani, baj3 bic JJotl^toenbigfcit ber 3?ölfer= 
föbcration in %b\x6)t auf ben ctoigen ^rieben nid^t nur burd^ bie '^n- 
tercffcn unfercr ©id^er{)eit iinb ßultur tuotiüirt, fonbcrn auö fittUd^en 
©rünben gefeiert, alö moralifd^er 3Beltjtocdf ericud^tet unb in bicfcr 
TOeltbürgcrlid^cn Slbfid^t bic Uniüerfalgcfd^id^te ber a)ienfd^l^cit gefd^rfcben 
TOerbe.*) Um ju beroeifen, ba^ „bie ßüohition einer naturrei^tlid^en 
aSerfaffung" im ^lan ber SBeltgefd^ii^te liege unb i^r B^italter gefom= 
men fei, berief er fid^ auf bie fittUd^e SBegeifterung unb ent^ufiaftifd^e 
2:f)eilnal^me, meldte ber aSerfud^ beö franjöfifd^en 5BoIfö, ben SRed^töftaat 
ju grünben, in allen 6ulturt)ölfern ermedft tiabe. '^n feiner eigenen 
©pod^e fal^ er ben 3lufgang be§ Selbftbenfenö unb ber ©etbfterfenntnijs, 
//baö 3^itatter ber 2lufHärung", beren ^kl fein anbereö fein fönne alö 
ein aufgeftärteö, in feinen ßulturjuftänben üon ber Sbee ber g^reifieit 
burd^brungeneö unb fittUd^ erleud^teteö SBeltalter. **) 

9Kit bem fjortfd^ritt unferer ©ulturintereffen imb unferer äujscren 
focialen ©efittung gef)t bie moralifd^e (Sntroidfhmg feineSmegö ^anb in 
^anb. 3m ©egent^eil, je reidier imb mannid^faltiger fid^ bie menfd^=: 
lid^e ©efeUfd^aft geftaltet, um fo metir mufe biefelbe fid) and) jerMüften 
unb im ©injetnen bie größte Ungleid^f)eit ber Sebenäjuftänbe auöbilben, 
um fo mel^r nä^rt luib erregt fie bie 5Crie6febern ber Selbftfud^t unb 
läfet in i^rem Snnern bie S^i^trad^t, bie gef)äffigen unb böfen £eiben= 
fd^ften, biefe „SBrut gefe^roibriger ©efinnungen" in§ 3J}afe(ofe mad^fen. 
3Bei( bie teuflifd^en Safter, roie Unbanf unb ^a§, Jieib unb ©d^aben- 
freube, 33oöl^eit unb ©d^md^fud^t u. f. tu. gerabe im ©d^oofee ber ©e= 
feßfd^aft am frud^tbarften gebeif)en unb roui^ern, barum bebarf bie Iefe= 
tere einer Ummanbhmg unb Säuterung von ®runb au§, einer focialen 
Sßiebergeburt , bie nid^t „ber juriftifd^e", fonbern nur „ber et(;ifd^e 
©taat", nid^t ber ©taat, fonbern bie ilird^e aU baö motalifd^e ®otteö= 
reid^ auf ßrben ju beroirfen üermag. ^ier foHen bie böfen ©efinnungen, 
woraus alle jene Uebet ^erüorgefien, roetd^e bie äJJenfd^en einanber ah^ 
fid^tlid^ iufügen, entrourjelt unb bie ^erjen geläutert werben, bamit bie 
gute ©efinnung in ber SBelt jur ^errfd^aft gelange. 3)ie ©rünbung 
eines fotd^en ©otteöreid^eö auf @rben ift jur Söfung ber menfd)lid^en 
^eiUfrage, biefeö mic^tigften aßer Probleme, notl^menbig unb gilt 
bal^er unferem 5ß^ilofop^en alö eine ^flid^t ber 3J}enfd)t)eit gegen \iä) 



*) m- btefeS 2Ber!: S3b. IV. @. 172 flgb., <B. 236-40. — (** (^bcnbaf. 
©. 387 flöb. ©. 247. 



48 

fein, ba alle (SntiuidPUinflöjuftänbe, roeld^er Art fie aud^ fein mögen, 
fucceffiü finb ober eine S^itfolfle bilben, alfo in her 3^it fiattfinben 
ntüffen, roeld^e felbft alö eine blofee 'i^orftellunflöfonn nur aSorfiellungeti 
ober Grfdö^inungen ent{)alten fannV 

2. ^ie SBeltenttuicflung als gmecfmägige (Srfd^einung. 

Snbeffen toirb ber Segriff ber ©rfd^einnng in ber entroidElnngS^ 
le^re not^roenbiger loeife tiefer gefaxt, alö in ber Grfenntniglc^re. Site 
Öegenftänbe nnferer (?rfa{|rung ober natnrwiffenfd^aftlid&en ©rfcnntnift 
bürfen bie (Srfd^einungen nid&t bnrd& 3^^^*^ gebadet unb ertlärt werben, 
bagegen finb fie alö Gntwidflungöfornien nid^t o^ne S^edc Dorjuftellen. 
äßaö fidj entraidfelt, mng fid) jn ettoaö entroitfeln, eö trägt feine SSe- 
ftinunnng in fidj unb j^cigt ben G^arafter ber ©etbftbefiimmung unb 
^^rei^eit. i^ergleid^en wir bie (Srfdjeinung alö ©rfenntni^object mit 
ber Grfd^einung aU (Sntraidflungöjuftanb, fo liegt bie 3)ifferenj in ber 
^yorftellung ber inneren 3w)ßdi"ä6i9f^itr toeld^e jene auöfd^lie^t unb 
biefe in fic^ begreift. Unb jroar muB bie SSorftellung ber inneren, in 
ben @rfd)einungen roirffamen ^^^^^^i^fö^^" ^^f ^i^ gefammtc 9BBeft= 
entroidlung angeroenbet werben, nidjt bloß auf bie organifd^ xmb nw^ 
ratifd)e, fonbern aud^ auf bie med^anifc^e. 3n ber organifd^cn ßnt- 
roidlung gilt ber ^^^dt^^gnff a(§ eine nottiwenbige SKayime imferer 
Seurtl^eilung, weil lutö bie lebenbigen Körper alö fold^e erfd^einen, bie 
fid^ felbft geftalten ober organifiren unb bq^er ol^ne bie 3bee ber 
inneren 3wJ^Äniä§igfeit gar nid^t oorjuftellen finb. 3n ber moralifd^en 
©ntroidlung gilt ber 3w)edbegriff alö baß notliwenbige ^rincip nid^t 
bloß unferer 33eurtf)eUung, fonbern ber ^anblungen unb ©rfd^einungen 
felbft, benn ber SBiKe l^anbelt nad^ ^xoedtn, unb ber moratifd^c 6^a= 
rafter feiner Staaten wirb burd^ baö ©ittengefefe fon)of)l beftimmt als 
beurtfieilt. ^n ber moralifd^en SEBelt l^at ber 3wedf reale, in ber orga- 
nifd^en ibeale ©eltung, in ber med^anifd^en foll er gar feine l^aben. 
3lber nad^ ber £e^re unferes ^t)ilofop{)en giebt eö nur eine 3^it unb 
einen JRaum, bal^er aud^ nur eine ©innenweit ober einen burd^- 
gängigen 3ufö^J^^^"'&ö"9 ^ö^^ ©rfd^einungen. Sßenn nun einige ber- 
felben roirflid^ nad^ ^xotden f)anbeln, anbere alö jwedfmäfeig beurtl^eilt 
werben muffen, fo fann eß feine geben, bie DoUftänbig jmedEtoö finb. 
S)enn bie moralifd^e Gntmidflung ber aJienfc^l^eit ift aud^ organifd^ unb 
mürbe ol^ne unferen organifd^=finn(id^en 6f)arafter gar nid^t Gntmidf- 
hing fein, unb bie lebenbigen Körper finb aud^ materiell unb med^anifd^; 



49 

halber fönncn an(!^ bic Icblofcn Äörpcr, obrool^I ftc ol^nc ^votäbtQxx^e 
crttärt tocrbcn muffen, bod^ nid^t o^nc 3wß<äfc fein, fonft gäbe cö feinen 
burd^gängigen 3^f^'*i^^"'^^^9 ^ß^^ @rf d^einungen , feine ©inl^eit ber 
©innenroelt, feine ©in^eit ber 3^it unb beö 9laumeö, worunter wir 
l^ier nid^t bie gefd^Ioffene ©in^eit im Sinne ber 2^otaIität üerftel^en, fon- 
bem ba§ ©egent^eil jener ja^llofen, von einanber unabl^ängigen SBelten, 
bie Seibnij annahm unb Rani in feinen erften 3lnfängen nod^ gelten 
lieJB, bann aber mit ber 3Ronabenlel^re unter „bie 3Rärd^en an^ bem 
©d^laraffenlanbe ber 3Wetap^9fif" rei^nete.*) Unfere SBeltbetrad^tung 
fd^reitet von ber leblofen SBelt jur lebenbigen unb t)on biefer jur mo= 
ralifd^en fort; fie fie^t, wie an^ ber unorganifd^en SBelt bie organifd^e, 
aus biefer bie SReufd^l^eit unb bie fittttd^e SBeltorbnung l^eroorge^t, unb 
fie würbe in ©tüdfe jerfatten, wenn fie in bem erften ©tabium ber 
SBettentroidElung bie ©eltung ber ^roeät abfolut oerneinte, bann im 
jweiten ben notl^roenbigen &ehxauä) ber ^roeäbeciti^e anerfennen müjste 
unb enblid^ im britten bie 3lealität berfelben entbedtte. ®ieö ift nid^t 
ber ©inn ber fantifd^en Se^re. Sie oemeint nid^t bie ©eltung ber 
Svoede, fonbern nur beren tl^eoretifd^e ober naturwiffenfd^aftlid^e ©r- 
fennbarfeit in ber Äörperroelt, anä) in ber organifd^en; fie bejal^t i^re 
©rfennbarfeit in ber moralifd^en SBelt, roeil l^ier bie SBirffamfeit ber 
3n)edEe unmittelbar au§ bem SBitten felbft einleud^tet. 3)ie 3Waterie mad^t 
bie ^xotde unerfennbar, ber SBitte bagegen erfennbar. 3"^^*^ f^^^ innere 
Urfai^n, bie SRaterie aber ift räumlid^ unb, wie ber 9laum, burd^auö 
äuJBerlid^, atteö in il^r ift außer einanber unb in äujseren 9lelationen 
bepnblid^, ba^er giebt eö in i^r f einerlei 3lrt erfennbarer innerer 
Urfad^en. S)ieö gilt t)on ben äußeren ©rfd^einungen überhaupt, alfo t)on 
allen Jlörpem, aud^ ben organifd^en, bie nur beö^alb, weil fie fid^ felbft 
geftalten, J^errorbringen unb fortpflanzen, b. ^. meil fie fid^ entroidfeln, 
im§ nötl^igen, fie als jmedfmäjsig ju beurtl^eilen. 

®ie ©inl^eit ber SBelt ift aud^ bie Einheit ber SBeltentwidflung : 
ba^er muß ber ©nbjroedf, ber fid^ in ber moralifd^en Drbnung ber 
®inge offenbart unb beren einleud^tenbeö 2^^ema auömad^t, anä) alö 
baö 5ßrincip gelten, baö ber natürlid^en Drbnung ber S)inge ju ©nrnbe 
liegt, aber in feiner i^rer ©rfd^einungen erfennbar ju 2^age tritt. Sener 
enbjroedf ift bie grei^eit. 2Bir muffen bemnad^ bie gefammte SBelt^ 
entroidflung als bie ©rfd^einung ber greil^eit, bie finnlid^e 9Belt= 



♦) aSflI. btcf(Ä SBcr!: SBb. 111. 8. 126 imb 8. 276. 

%iSäitv, Stvitit b. (antifi^ ^^Uofop^le. 



50 

orbming aU bic (Srfiä^einimg ber moratifd^cn bcurtl^cilcn unb unö batnit 
auf eine ^öi)Z ber 33etrad)tunfl ergeben, wo fid^ ba§ 9lätl^fcl bcr SBelt 
töft unb baö aöefeu ber ^inge, baö unfcrer ^rfenntnijs im cigcntlid^en 
©inne ftetö rer^üllt bleibt, entfd^leiert. 

3. ^ie Sä^eltenttotcflung als @rfd)etnung ber ^tnge an fid). 

©0 vereinigen )id) in ber fantifd^en föntiüidftungöle^re bic beiben 
anberen ©runbjüge ber f ritif d^en 5p^i(of op^ie : bie 6rfenntniJ3== imb g^ei- 
^eitöle^re ober, waö baöfetbe Reifet, ber 9iatur= unb 3^reil^eit§begriff. 
S)ie äJernunftfritif rollenbet fid^ in ber teleotogifd^en SBettbctrad^tung 
unb gelangt, inbein fie biefelbe auöfü^rt, ju einer fpftematifd^cn 3lnftd^t 
ber ^inge. Unfere ^Folgerungen l)alten fid^ genau an bie SBegc ber 
fantifd^en Seigre unb finb a\\6) in i^ren 2tuöbrüdfen fo gefaj^t, baJ5 bcm 
^pi^ilofop^en in feiner aöeife Säfee jugefd^rieben ober aufgenötl^igt roex- 
ben, bie er nid^t felbft auögefprod^en unb in feiner ife^re beftätigt l^at. 
@r ^at bie ßinl^eit ber SBelt roie bie ©ntwidflung ber ®ingc, bie ibeate 
©eltung ber organifd^en wie bie reale ber moralifd^en ^rüedmä^XQteit, 
bie 3=rei^eit alö ben fittlid()en ©nbjioedf ber SBelt roie ben intcHigiblen 
ei^arafter ber 3=rei^eit gelehrt unb baö 2)ing an fid^ gleic^gefefet bew 
inteHigiblen ß^arafter. Xxe S^edmä^xQUit, roeld^er 3lrt fie aud^ fei, 
befielt in ber Uebereinftiminung ber Sad^e mit einem 3^^* ober einer 
3lbfid^t, bie eine abfid^töroHe S^l^ätigfeit, alfo eine jroedftl^ätige i?raft 
unb ein jroedffefeenbeö SSermögen, b. i). SBiHe unb grei^eit rorauöfefet. 
©ntroeber ift eine fold^e Uebereinftimmung in ber ©ad^e felbft gegeben 
unb befielet in SBirflid^feit, ober eö fd^eint unferer 3Sernunft, alö ob fie 
üor^anben fein müfete: in jenem g^all ift fie fad^lid^ unb real, in biefem 
nur unfere notliroenbige 3Sorftellung unb barum bloö ibeat; von ber 
erften Slrt ift bie moralifd^e, von ber jroeiten bie organifd^e ober 
nattirlid^e 3w)edfmäfeigfeit. S)a nun o^ne ^xoeä ober 3lbfid^t, b. ^. 
ol^ne SSiHe ober 3=rei^eit bie 3tt)edEmälBigfeit überl^aupt loeber fein nod^ 
üorgeftetlt werben faim, unb äße ©ntroidflung aU jwedfmäjsig beurtl^eilt 
werben mujs, fo gilt bie lefetere alö bie Grfd^einung ber grci^eit ober 
bcö 3)inge§ an fid^. 3lnberö auögebrüdft: bie SBeltentwidflung befielt 
in ber natürlid^en unb moralifd^en Drbnung ber ®inge, aber bie jweite 
ift nid^t bloö bie ^öd^fte ©ntwidflungöftufe ber erften, fonbern beren 
©runb, bie finnlid^e SBelt ift nid^t blo§ bie jeitlid^e SSorauöfefeung ber 
moralifd^en, fonbern beren ^P^änomen. Äurjgefagt: bie gefammte SSelt- 
entwidflung ober SKeltorbnung ift bie ©rfd^einung ber g^reil^eit. 



51 

35aB \\ä) bic ©a(3^c in SEßal^r^eit fo imb iiid^t anbcrö üerl^ält, f)at 
Äant in feiner fie^re von bem ^Primate bcr praftifd^en SSernunft au^- 
9cfpro(3^en imb in feiner Äritif ber Urtl^eiUfraft beftätigt. ®r ^at erKärt, 
baJB jenes überfmnlid^e ©ubftratum iinferer erfennenben SBernunft unb 
atter ©rfd^einungen, „jenes Ueberfinnlid)e, weld^es roir ber SRatur a(ö 
^^änomen unterlegen muffen", ibentifd^ fei mit ber g^rei^eit. Qux ift 
feine ©rKdrung in roörtttd^er g^affung : „@ö mufe bod^ einen ®runb ber 
©inl^eit be§ Ueberfinnlid^en, weld^eö ber Jlatur jum ®runbe liegt, mit 
bem, maö ber 3=reil^eit§begriff praftifd^ enthält, geben, n)ot)on ber 33e= 
griff, menn er gleid^ roeber t^eoretifd^ noä) praftifd^ ju einem ©rfennt- 
ni)5 beöfelben gelangt, mithin fein eigentl^ümlidöeö ©ebiet l^at, bennod^ 
ben Uebergang von ber ©enfungöart nad^ ben 5|Jrincipien beö einen ju 
ber nad^ ben ^principien be§ anbern möglid^ mad^t". *) „3Ba§ ber grei= 
lieitöbegriff praftifd^ entl^ält," ift nad^ ber Seigre unfereö 5pt|ilofop^en 
nid^tö anberes aU ber moralifd^e ©nbjroedf. 3Baö mit biefem überein= 
ftimmt ober eineö ift, fann bloö ber moralifd^e ©nbjroedf felbft fein, 
benn biefer ift nur fid^ felbft gleid^. 3Benn ba^er t)on „ber ©inl^eit 
beö Ueberfinnlid^en, meld^eö ber SRatur jum ®runbe liegt, mit bem, 
roaö ber grei^eitöbegriff praftifd^ enthält", gerebet wirb, fo fann jeneö 
überfinnlid^e ©ubftrat nid^tö anbereö fein alö ber moralifd^e ©nbjwedf 
felbft. Unb menn ber ^l^itofop^ fagt: „eö mufe bod^ einen ®runb 
jener ©inl^eit" geben, fo fann barunter nur ber ®rimb beö moralifd^en 
©nbjmedfö oerftanben werben: biefer aber ift einjig unb allein ber 
aOBille ober bie 'Jreil^eit. Seneö „Ueberfinnlid^e, weld&eö ber 9totur 
jum ©runbe liegt", ift bemnad^ ber SBiHe ober bie 3=rei^eit. @ö giebt 
nad^ bem @eift mie nad^ bem a3udt)ftaben ber Seigre Äantö feinen an- 
bereu Slusroeg. 3lnn ^aben mir oon ber g^rei^eit aU bem moralifd^en 
enbjToedfe jmar feine tl^eoretifd^e, mol^l aber eine praftif d^e 6rf enntni§ ; 
aber üon ber 3^rei^eit aU bem überfinnlid^en Subftratum aller 6rfd^ei= 
nungen l^aben mir meber eine tl^eoretifd^e nod^ praftifd^e ©rfenntniJB, 
b. f). mir fönnen unö von bem „®runbe ber ©in 1^ ei t beö Ueberfinnlid^en, 
meld^eö ber Jiatur jum ®runbe liegt, mit bem, maö ber grei^eitöbegriff 
praftifd^ entl^ält", feinerlei aSorftettung mad^en. 2)arum fagt ber 5p^i= 
lofop^: eö mufe einen fold^en ®runb geben, beffen Segriff ims bie 



*) Ärttif ber Urt^etlSfraft. Einleitung IL ((S. 2B. JBb. VII. @. 14). ©benbaf. 
2)ialeftif ber tclcolofltfc^cn Urt^cllöfraft. § 78 (@. 231). SBflI. biefcS SBcrf; SBb. IV. 
<g. 397, (S. 497. 

4* 



52 

^Principicn ber 3latur mit bencn bcr ^reil^eit ücrciitiöen läjjt, obtool^l 
roir tDcbcr t^coretifd^ nod^ praftifd^ ju einer ©rfenntniJB biefeö @runbe§ 
ftelangen. S)ie SSereiiiigung ber 9itttur imb grei^eit befielet in bem 
Segriff ber natiirlid^en grei^eit ober Bwedmäfeigfeit, nad^ bercn 3aä)t' 
fd^nur toir bie organifd^en ©rfd^einungen betrad^ten unb bcurtl^eitcn 
muffen. S8on ber natürlid^en SRot^toenbigfeit ober bem 3Ked^aniömu§ 
ber S)inge \)abzn wir eine tl^eoretifd^e (Srfenntnife, von ber moralifd^en 
grei^eit eine praftifd^e, von ber natürlid^en ^^rei^eit gar feine, b. ^. ber 
aBiße ober bie grei^eit in ber 9iatur ift imerfennbar, bie natürlid^en 
ätoedte ober ©nburfad^en finb jroar not^roenbig üorjuftetten, aber nie 
ju erfennen. 

3lHe ©rfd^einungen ber 9iatur finb Äraftäiifeerungen : bie natürlid^e 
grei^eit beftetit in Der grei^eit ber Äraft ober beö Äönnenö, fie ift bie 
grei^eit ber ©rfd^einimg ober bie ©rfd^einung in i^rer Jrei^eit. Snner- 
^alb ber Äörperroelt erfd^eint nn^ biefe JJrei^eit in ber Selbftentn)idf= 
lang ber Körper, b. ^. in benjenigen Körpern, bie fid^ felbft geftalten, 
hervorbringen unb f ortpflanjen : baö finb bie leben big en 5Raturerfd^ei' 
nungen, bie wir beöl^alb nad^ bem 5|Jrincip objectiüer unb innerer Q^td- 
mäfeigfeit üorjuftellen unb ju beurt^eilen genötl^igt finb. S)iefe not|' 
roenbige aSetrad^tungöart ber organifd^en 9iatur war baö 2^^ema, roeld&eö 
Äant in feiner „Äritif ber teleologifd^en Urt^eilöfraft" auögefül^rt l^at. 
6ö giebt aud^ eine freie Setrad^tung ber 2)inge, worin bie ^rei^eit 
nid^t unfer 3i^l ober ^Problem, fonbern unfer 3"ftanb ift, ber J^armo- 
nifd^e 3^^^^^^ unferer ©emüt^öf räfte , worin wir bie ©rfd^einungen 
nid^t erfennen unb unterfud^en wollen, fonbern frei laffen unb mit rein 
contemplatiüer Suft wa^mel^men. S)iefem unferem üöUig freien, t)on 
feinem Sntereffe abhängigen ober eingeengten aSorfteHungöjuftanbe ent- 
fprid^t bie freie ©rfd^einung, b. i. bie ©rfd^einung in il^rer DöHigen 
ejreil^eit: fie ift ber ©egenftanb imferes reinen SBo^lgefaHenö, ben 
wir alö fd^ön ober ergaben beurt^eilen. Sluf baö ^princip einer fold^en 
fubjectiren 3w)edfmäfeigfeit ber ©rfd^einungen grünbet fid^ unfere äft^e- 
tifd^e 33etrad^tungöart, bie Äant jum 5C^ema feiner „Äritif ber äftl^e- 
tifd^en Urt^eitefraft" nalim. ©eine Unterfud^ung befd^ränfte fid^ auf 
bie 3lnal9fe unfereö äftl^etifd^en Urtl^eilö ober unferer SüorfteHung im 
3uftanbe ber greilieit: fie beburfte einer ©rgänjung, weld^e barin be- 
ftanb, baj3 nun aud^ baö Korrelatmn unferer äftlietifd^en Setrad^tung, 
nämlid^ bie ©rfd^einung im 3wft<^'^be il^rer ^reil^eit erörtert 
würbe. ©§ war ber aSerfud), bie äft^etifdje 3wedfmäfeigfeit auc^ objectio 



53 

ju begrünbcn. iDiefen ergänjenben g^ortfd^ritt \naä)te Sd^iüer, ber, 
tüie fein anbcrcr biö auf ©d^openl^auer, bie fantifd^c 3leftl^etif, o^nc bic 
©runblagcn bcr fritifd^en ^^itofop^ic ju rcrlaffen, gcförbcrt unb er- 
tücitcrt l^at. SBcnu bie gret^eit uiifcr tiöd^fteö aSernunftgefcft ift unb 
dö fold^cö auä) ber ©inrid^tung unfcrer ©rfenutnife ju ©runbc liegt, 
unter bereu ©efefeen (SBerftanbeögefefeeu) bie Sinnentoelt fielet, fo muffen 
lüir bie 3=rei^eit aud^ in ben ©rfd^einungen rorfteHen, unb bie @rfd^ei= 
nung in il^rer 3=rci^cit ift ©d^ön^eit. ©dritter fonnte feinen fantifd^en 
©tanbpunft unb jugleid^ feinen ^ortfd^ritt innerl^alb beöfelben nid^t 
treffenber unb energifd^er auöfpred^en, aU er in einem jener Sriefe an 
Äörner, bie feine äftl^etifd^en ©runbibeen in unmittelbarer g^rifd^e bar= 
ftetten, mit wenigen SBorten getrau \)at ©ie bejeugen, weld^eö tiefe 
SBerftänbnife ber fritifd^en ^^ilofop^ie er befa§. „6§ ift gemijs von 
einem fterblid^en SWenfd^en fein größere^ SBort nod^ gefprod^en roorben, 
aU biefes fantifd^e, maö jugleid^ ber Sntialt feiner ganjen ^pi^ilofopl^ie 
ift: „„befümme bid^ a\i^ bir felbft"", fomie baö in ber t^eoretifd^en ^p^i- 
lofop^ie : „„bie 5Ratur fte^t unter bem SSerftanbeögefefee"". 25iefe grojse 
3bcc ber ©elbftbeftimmung ftra^tt uns auö gemijfen erfd^einungen ber 
9latur jurüdf, unb biefe nennen wir ©d^ön^eit."*) 

SBir unterfud^en jefet nid^t, ob bie fantifd^e ©rfenntnife- unb ®nt= 
tt)idflung§lel^re mit einanber ftreiten. 3n jener finb bie ®inge an fid^ 
oöllig unerfennbar unb von ben ©rfd^einungen grimbrerfd^ieben, in biefer 
bagcgen jeigt fid^ bie ©rfd^einung ber g^rei^eit. 9)iit bem 3^^* tritt 
ber SBitte, mit biefem bie 3^rei^eit, ber inteßigible ß^arafter ober baö 
3)ing an fid^ in bie Grfd^einung ein unb immer beutlid^er l^erüor, je 
l^öl^er bie ©ntroidtlung ber 25inge fortfd^reitet. 25ie SBeltentmidflung 
gilt in ber Seigre unfereö ^^ilofopl^en aU bie ©rfd^einung unb june^= 
menbe Offenbarung ber 3^rei^eit. 3Baö in ber med^anifd^en SBelt gar 
nid^t offenbar ober üöHig üer^üttt ift, brängt fid^ in ber organifd^en 
fd^on fo meit Terror, ba§ wir bie Sebenöerfd^einungen ol^ne bie SSor- 
ftellung i^rcr inneren 3w)edfmäJ3igfeit nid^t einmal üottftänbig erfal^ren 
fönncn ; in ber moralifc^en ift eö üöHig offenbar unb gegenmärtig. 3n 
ber organifd^en SBeltentmidflung nehmen mir ben Sroed nod^ auf unfere 
SRed^nung, in ber moralifd^en ift er bie ©ad^e fclbft. 

♦) ed^ittcrg a3ricftt)crf)fcl mit törncr (2. 5(ufC. ^icrauSfl. öon ^. ©ocbcfc 1878). 
SBricf üom 18. 2fcbr. 1793 <©. 18—19. S)tc oben gcbarf)ten, in Sena gefd^ricbencn 
^Briefe finb folgenbe fünf: öont 25. 3anuar, öom 8. 18. 23. u. 28. ^bruar 1793 
(@. 5-51). 



54 

i^nbeffcii ift .^imfdbeii beii bciben iicl^ren, toic fic im ©eiftc unfcreö 
^l^ilofopl^cn gcftaltct finb, junäd^ft fein SBibcrftreit, fonbcni eine ticf- 
fiimicje Ucbcreiiiftinuniutfl. Söibcr ben Giiuüurf, bajs nad^ feiner ©r- 
fcnntiuJBtel^re bie ^iiigc an fid^ röüicj bunfel [inb imb bleiben, nad^ 
feiner Gntroidtdinflölefire bttgegen in june^menber ©rfennbarfeit erfd^ei- 
nen, n)ttrbe Äant fd^on bur^ feine Unterfd^eibung ber 6rfenntni§arten 
flebedft fein. Gr würbe entßeflnen: bafe bie Xinc^e an pd^ und nur fo 
weit einteud^ten, a(ö fie praftifd^ erfennbar finb, tl^eoretifd^ erfennbar 
feien fie nirgenbö. ^eit (Srfd^einnng ift aU ©rfenntni^object ein ©lieb 
im 3wföi«i"^^^^<^"9^ ^^^^ S^inge, jebe i)at in unferer SBcltDorftettung 
itjre beftinnnte 3^it, roie i^ren beftinnnten Crt, feine ift benfbar ol^nc 
bttö Ding an fid^, weld^eö aüen jn ©rnnbe liegt, in feiner ift biefeö 
2)ing an fid^ erfemtbar, eö erfd^eint nirgenbö, b. 1^. e§ erfd^eint nie fo, 
baJB n)ir eö in unferer 6rfenntni§ ber ÜJinge antreffen unb fagen tön- 
nen: „ba ift eö!" Um eine (Srfd^einung ju erfennen, muffen n)ir bie^ 
felbe analrifiren, jergtiebern, in il^re erfennbaren gactoren auflöfen unb 
barauö juf annnenf efeen : imter biefen g^actoren finbet fid^ nie baö ©ing 
an )id), nie ber fd&öpferifd^e ober erjeugenbe SBefenögrunb ber ©rfd^ei- 
nung fetbft. 2)iefer erfd^eint nid^t, weil er bie ©rfd^einung mad^t; er 
erfdt)eint aud^ nid^t in ber ©ntroidftung ber 2)inge, weil er fid^ in feiner 
Gntroidftungöf orm ober Stufe erfdjöpft imb in biefelbe übergel^t, er fann 
fid^ offenbaren, aber nid^t er f feinen, er loirb offenbar unb bleibt 
bod^ ewig verborgen, wie bie ©efinnung in ber Jß^nblung, baö ©enic 
beö Äünftlerö in feinem SBerf, ber SBiHe jum Seben ober ber innere 
Sebenöjroedt im Drganiönuiö, bie Äraft in ber 3Birfung, ©Ott in ber 
SBelt. ©twaö erfd^eint, l;eifet im genauen ©inne beö SBorteö : e§ ift 
in einem Dbjecte bergeftalt enthalten, bajs eö in ber 3lnalt)fe beö- 
felben angetroffen unb gefimben wirb. 9Jun vermag aud^ bie forgfäl^ 
tigfte 3lnalr)fe in feiner ©rfd^einung ben ©runb, marum unb moiu 
fie ift, b. 1^. mit anberen SBorten beren innerfteö SBefen aufjuflnben 
ober ju entbedfen. SOlan brandet fid^ um biefe ^rage nid^t ju befüm= 
mern unb ift in ber ©rfal^rungöerfenntniß unb ben fogenannten ejacten 
aSBiffenfd^aften fogar befugt, fid^ gar nid^t mit i^r ju befd^äftigen ; man 
fann fid^ berfelben anä), aU ob eö eine müßige 3^rage märe, röHig 
entfd^lagen, nur bajs biefeö unter ben 5pi^ilofopl)en bie tieffinnigen Genfer, 
benen baö Stötl^fel ber SBelt auf ber ©eele liegt, niemals vermögen. 
3)arum beliält bie fantifd^e Unterfd^eibung ber SDinge an \iä) unb ber 
Grfd^einungen, mie bie Seigre von ber Unerfennbarfeit ber erfteren im 



55 

SBcgc ber lüiffenfd^aftUd^eii 3lnalr)fe ber anbcrcn iljrcn tiefen unb fort= 
bcftänbigen Sinn. 

SJie gragc nad^ bem SDinge an ]\ä) aU bem aBefenögrunbe aller 
6cf (Meinungen fü^rt nn^ jurücf bid ju bem Urgrunbe ber ®inge, ber 
um na^ ber Seigre Äaiitö axi% feiner ©rfd^einung, weld^e eö aud^ fei, 
fonbern lebiglid^ am bem ©nbjroedfe ber SBelt einleud^tet, b. 1^. ax\^ 
bem S^^^f ^^ unfere 3Sernunft fraft i^rer grei^eit von ber SBelt, bie 
wir üorfteßen (©innenroelt), fid^ felbft fefet unb in ber SffiiHenöIäuterung 
t)ern)irf(id^t. 3n biefem Siim barf ber SRenfd^ aU ber ©nbjroed ber 
SBelt gelten. „6ö ift nur baö Segel^rungöüermögen, aber nid^t ba§= 
jenige, waö il^n von ber 5Ratur (burd^ finnlii^e 3lntriebe) abl^ängig mad^t, 
nid^t baä, in 3lnfel^ung beffen ber SBertl^ feineö 25afeinö auf bem, roaö 
er empfangt unb geniest, berul^t, fonbern ber SBert^, meldten er allein 
fid^ felbft geben fann, unb weld^er in bem befte^t, maö er t^ut, wie 
unb nad^ meldten ^rincipien er, nid^t alö 9laturglieb, fonbern in ber 
g^reil^eit feineö Sege^rungöoennögenö ^anbelt, b. ^, ein guter SBille 
ift baöjenige, moburd^ fein 2!)afein allein einen abfoluten SBertl^, unb 
in Sejiel^ung auf meld^eö baö 25afein ber SBelt einen ©nbjroedf l^aben 
tann/' *) Unfer ^pi^ilofopl^ urt^eilt, mie unf er ^id^ter : „©eniejsen mad^t 
gemein". „25ie 2^l^at ift aUeö, nid^tö ber 9lul^m !" 9JJit biefem Sefennt- 
niJB erl^ebt fid^ ber goetljefd^e 3^auft auf feine lefete ßäuterungöftufe. 

SBenn ber 3w)edf unfereö S)afeinö bie ©lüdffeligfeit ober ber SBelt- 
genujs in beftdnbigem 3lmiifement wäre, xomn wir nur beöl^alb in ber 
3Belt erfd^ienen, um, wie ber 3Rann im 5ßoffenfpiel, unö „einen Suj" 
ju mad^en unb lauter ^piäfir ju fud^en, fo möd^te ber l^eutige, t)on ber 
©enufefud^t unferer Stage infpirirte ^effimiömuö "Sttä^t \)abtn, bafe biefer 
3wedf be§ &ebm^ üerfel^lt unb baö ©egentl^eil erreid^t werbe, benn bie 
©umme ber Suft fei weit Heiner alö bie ©umme ber Unluft unb bie 
Sangeweile weit gröjser alö baö 3lmüfement. "^ann ift bas 9lefultat 
beö 2ehen^, wie baö ber ^offe, ein trauriger „S^e"- 3lber nid^tö ift 
tl^örid^ter unb aüer wirflid^en 9)ienfd^enfenntnilB baarer, aU eine fold^e 
Sfted^nung, weld^e iJuft unb Unluft, ^reube unb ©d^merj alö ^poften be= 
trautet, bie nmn, wie @elb, fummiren unb oon einanber fubtral^iren 
fönne, um mit biefem finbifd^en ©jempel baö gacit beö Sebenö ju ge- 
winnen. ®er ^Peffimiömuö unb Dptimiömuö ber gewöl^nlid^en 3lrt 



*) ^tif ber Urti^etlgfraft. § 86 (®. SB. SJb. Vll. ®. 326). a^gl. biefeg J®erf : 
»b. IV. @. 505-517. 



56 

[teilen auf gleid^cr Sinie, bcibe finb cubämoniftif d^ gefinnt imb l^altcn 
bic ©lüdffeligfcit für ba§ allein roänfd^cndtDertl^c ®iit. 3tmi finhm bie 
5ßcffimiften bic SBclt fo übel befd^affen, ba)5 u)ir jene« ®ut nie erreid^en 
imb geniejsen, fonbem nur bamad^ jagen unb l^ungem unb fomit ju 
einer beftänbigen 2'antaluöqual Derbawmt finb, einem ©lenbe, baß nii^t 
gröJBer gebadet werben fönne. 3)ie Dptimiften bagegen finben bie 333elt 
unb unfere SJernunft fo gut eingerid^tet, bajs wir mit ber rid^tigen 
Grfenntnijs unb ber i^r entfpred^enben Jööni>lungdmeife ben glüdtfeligen 
Sebenöjuftanb l^erjufteBen vermögen. ®a man fid^ l^eut ju S^age fel^r 
t)iel mit Äant befd^äftigt, fo wirb axiä) barüber l^n unb ^ergeftritten, 
ob feine Se^re im ©inne ber peffimiftifd^en ober ber optimiftifd^cn Sebenö^ 
anfid^t ju netimen fei. ©d^on bafe man eine fold^e Streitfrage fteHt 
unb mit ja ober nein ju beantworten fud^t, ift ein 3^^ß"iJ3, wie wenig 
man ben ^l^ilofop^en fennt. ©eine Seigre ift feines von beiben, benn 
fie beurtl^eilt ben ^w^^^* imfereö J^ebenö in biefer SBelt überl^aupt nid^t 
eubämoniftifd^. SBäre biefer 3w)edf bie ©lüdffeligfeit, bie wir nad^ ben 
finnlid^en 2'rieben unferer 5Ratur gebrungener weife begel^ren, fo würbe 
ein fold^er 3"ft<^"^ ^^^ SBol^lfeinö, felbft wenn er im oottften Umfange 
erreid^t werben fönnte, unfer moralifd^eö 3Befen leer unb unbefriebigt 
laffen, benn wir würben baburd^ ben wal^rl^aft menfd^Ud^en ober 
perfönlid^en Sebenöjwedf, ber unö nid^t gegeben, fonbem nur burd^ 
um felbft gefegt, b. i). gewollt werben fann, oon ®runb am Der- 
fehlen.*) ®er ^rotä beö menfd^lid^en ©afeinö in ber SBelt befielet in 
unferer moralifd^en Selbftentwidflung, bie aud^ bie ßultur imb 
beren gefammte 3lrbeit in fid^ begreift unb raftloö fortfd^reitet. Sebe 
gelöfte 3lufgabe entl^ält neue, bie ju löfen finb. ^ier giebt eö fein 
rul^igeö ®lüdE, baö wir, bie ^änbe im Sd^oojse, geniej^en, feinen 3lugen= 
blidf bel^aglid^er Söefriebigung, unb bod^ ift ade menfd^enwürbige Se- 
friebigung nur in biefem SBege ber freien ©elbftentwidflung ju finben. 
©ie wirb nid^t gefunben, fonbem erfämpft: „3lm ber oerbient fid^ 
grei^eit wie baö Seben, ber tdglid^ fie erobem mujs !" SJie 33efriebigung 
liegt nid^t in einem einzelnen SRoment, fonbem in ber gefammten 
Sebenöerfüttung, in bem ®lüdf wie in ber Dual beä ©d^affenö. SBer 
biefen SBeg wanbelt, ben fann bie ©orge nid^t mel^r anfed^ten, bie 
bem aRenfd^en jeben bel^aglid^en SebenßgenuJB ftört unb verleibe; bie 



*) ^ritif ber Urt^etlSfraft. § 83 (®. SB. SJb. VII. ©. 311 flgb.). SB9I. btefcS 
SBerf : »b. IV. ©. 507. 



57 



moralifd^e 2^l^atfraft allein lann fie nid^t ^emmen, fonberu nur fteigcrn. 

Ucber bcn S^ed unb SBcrtl^ be§ mcnfd^üd^cn Sebenö urt^cilt Rani am 

©d^luffe feiner telcologifd^en SBeltanfid^t, wie ©oet^e am Sd^luffe feines 

f^auft. 6d bebarf feiner aWagie, utn ben 9Kenfd^en von ber ©orge unb 

QÜen Duälgeiftern ber 2Belt jii befreien: 

3m SBettcrfc^rciten finb» er Dual unb müd, 
@r, uubcfrtebigt jebcn Slugeubltcf! 

2)aö 3i^l unferer moralifd^en ©elbftentroidflung ift bie greil)eit 
von ber SBelt. ®ilt „ber 3Renfd^ unter moralifd^en ©efefeen" aU ber 
©nbjroecf ber SBelt, fo müjfen bie leftteren atö aBettgefefee unb bie 
Drbnung aller ®inge aU moralifd^e SBeltorbnung gelten, fo mujs eö 
au(ä^ einen moralif(|en SBelturl^eber ober einen Urgrunb aller Singe 
geben, ber fein anbereö SBefen fein fann, aU ber weltfd^affenbe SBiße 
ober ©Ott. ©o roHenbet fid^ Äantö teleologifd^e SBeltanfid^t in ber 
nioralifd^en S^eleologie, auf bie fid^ ber einjig gültige Seroeiö für baö 
®afein ©otteö grünbet, beffen Stealität unfer ^P^itofopf) nie bejroeifelt, 
bcffen Seroeiöbarfeit er in feiner ©rfenntnifetel^re verneint unb n)iber= 
legt, beffen ©afein er in feiner 3^reif)eit§= unb ©laubenöle^re mit vöU 
Hger @en)iJ5l^eit bejafjt ^at. D^ne ben SBiUen alö Urgrunb ber SBett 
giebt eö in biefer roeber g^rei^eit nod^ S^eät nod^ ©ntroidf (img. *) 



aSierteö ßapitel. 
Die jOrttfunQ ber kantifdien (SrunMetiren. 



SBir l^aben burd^ bie geftftettung unb äSerfnüpfung ber ©runb= 
leieren Äantö bie rid^tige 3Jorftettung von bem ß^arafter beö ©riftemö 
gewonnen, wie baöfelbe im ©eifte feines Urhebers gegenwärtig war. 
@ö entl^ätt S^^emata genug, bie ber ^^itofopl^ bloä in Umriffen ent- 
worfen ober gar nid^t ausgeführt, ^Probleme genug, bie er tl^eils nn- 
gelöft gelaffen, t^eilö für unlösbar erftärt f)at 25ie 9)längel aufju- 
finben unb ju ergänzen, ift bie Slrbeit ber ©d^üler, bie bas 2Berf bes 
aReifterS üerüottftänbigen unb ausbilben wollen, of)ne an feine ^princi- 
pien ju rül^ren. dagegen ift ber 3Serfud^, bas ©pftem über feine 



♦) ®benbafelbft: »b- IV. @. 509-515. 



58 

Sd^ranfen ^iimiiöuifüljren unb ba fortjufd^reiten, too Äant ftc^en cfr- 
blieben xoax unb ber ^t^ilofop^ie JQdt (geboten ^tte, eine älufgabe^ bie 
burd^ bie ^ortbilbtinc^ unb Umgeftoltunct ber fantifd^en Seigre gelöft fein 
n)iß. Um aber eine fold^ aufgäbe ju begrünben, muffen nnr prüfen, 
ob bie ^'rincipien feiner fce^re in ber e?orm, wie ber ^l^ilofopl^ fic 
beurfunbet Ijat, feftfte^en, ob i^re Örunbjüge mit einanber übereinftim- 
mcn unb feiner berfelben fid^ ober ben anberen toiberftreitet. 

I. Sie Prüfung ber (Srfenntnifelel^re. 

1. 2)cr SBiberftrcit in ber «cmunftfriHf. 

2lUr faffen nor allem bie GrfenntniBle^re ind äuge, bie baö eigent- 
liche 2^^enm ber 3?ernunftfritif ausmad^t. Unb l^ier ift unfere erfte 
J^rage: ob ber G^arafter beö transfcenbentalen ober fritifd^en 3beali§^ 
muö, burd^ beffen Segrünbung Mant ben älul^m beö Äopernihiö ber 
'^J^ilofop^ie erworben l^at, in ber S8ernunftfritif felbft unmiberfprod^en 
f eftfte^t ? Sie f unbamentale ©eltung biefeö neuen Se^rbegriffö ift aujjer 
Jyrage, nid^t ebenfo bie confequente ??eft^altung. Samit berül^ren wir, 
wie ber funbige Sefer fogleid^ bemerft, ben 'i|Junft, worin jwifd^en ber 
erften unb jweiten 3luögabe ber SBernunftfritif jene melbefprod^ene unb 
beftrittene ^auptbifferenj befte^t, bie wir in ber ©d^lufeabl^anblung beö 
britten Sanbeö bereite jum ©egenftanbe einer fel^r auöfül^rlid^en unb 
genauen Grörtennig gemad^t ^(Ätw. Sie gegenwärtige Slufgabe, bie 
eö mit ber Seurt^eitung ber fantifd^en Se^re ju t^un i^oA, nötl^igt \x\\^, 
auf biefen fo wid^tigen 5|Junft jurüdfjufommen, inbem wir jugleid^ auf 
ben erwähnten 3lbfd^nitt ^inweifen.*) 

Gö ift gut, bie ^rage felbft fo furj unb präciö alö möglid^ ju 
faffen. Ser transfcenbentale Si^^txliömuö leiert: alle unfere ©rfd^einungen 
ober (SrfaJ^rungöobjecte finb blojse SSorftellungen unb nid^tö bat)ou 
Unabl^ängigeö. Safe eö bie inneren ©rfd^einungen finb, fielet aufeer 
^rage. ®ö ^anbelt fid^ ba^er nur um bie äußeren: biefe finb bie 
Singe außer unö, bie ßrfd^einungen im 9taum, alfo bie Äörper ober 
bie ^laterie. itant mußte lehren unb l^at in ber unjweibeutigften SBeife, 
namentlid^ in ben „5|Jaralogiömen ber reinen SSernunft", wie fie in ber 
erften 2luögabe ber 3Jernunftfritif enthalten finb, geleiert : baß bie 3Ra= 
terie eine bloße aSorftettung fei. @r l^at in ber jweiten Sluögabe ber 



') (Sbcnbafclbft: SJb,lII. SJuc^ IL ©ap.XVL ©.558-76, 



59 

a?erminftfritif eine „SBibertegmig beö S^^^liötmiö" geflebeu iinb bariu 
gelehrt, bafe bic 9)laterie feine blofee aSorftettung fei. S)ieö ift ber 
^^unft, mu ben eö fid^ ^anbelt. SBtr feigen in ber l^e^re Äantö einen 
SBibcrfprud^ t)or unö, ben feine Sluölegungöfunft an^ beni Sinn unb 
33uc^ftaben ber urfunblid^en ©teilen roegjufd^affen üennag. 

Jßier [inb biefe urfunblid^en ©teilen, ^ie erfte 3liiö9abe ber ^Ber- 
nunftfritif le^rt in ben „^aralogiönien ber reinen aSemnnft" unb in 
ber „Setrad^tung über bie ©unnne ber reinen ©eetente^re" g^olgenbeö : 
„2Bir l^aben in ber tranöfcenbentalen 3leftl^etif unleugbar betoiefen, ba§ 
Äörper blojse ©rfd^einungen unfereö äußeren ©inneö inib nid^t 3)inge 
an [ic^ felbft finb". „'^ä) t)erftel)e aber unter bem tranöfcenbentalen 
Sbealiöntuö aller ©rfd^einungen ben Se^rbegriff, nad^ roeld^em toir fie 
inögefammt alö btofee SBorfteHungen unb nid^t aU 25inge an fid^ felbft 
anfeilen." @ö l^eifet von bem tranäfcenbentalen Sbealiften : „SBeil er bie 
3)iaterie unb fogar beren innere SWöglid^feit bloö für ßrfd^einung gelten 
läfet, bie, t)on unferer ©innlid^feit abgetrennt, nid^tö ift, fo ift fie bei 
il^m nur eine 3lrt aSorfteHiuigen (Slnf^auung), loeld^e äufeerlid^ l^ei^en, 
nid^t alö ob fie fid^ auf an fid^ felbft äußere föegenftänbe bejögen, 
fonbern weil fie SBal^rnel^inungen auf ben 9tauui bejiel^en, in roeldjem 
aHeö aujser einanber, er felbft ber SRauni aber in unö ift. 3^ür biefen 
tranöfcenbentalen ^i^^^xliönmö tiaben wir nn^ fd^on im Slnfange erflärt." 
„Jiun finb aber äußere ©egenftänbe (Äörper) bloö (Srfd^einungen, mit= 
l^in aud^ nid^tö anbereö, alö eine 3lrt meiner SSorfteHungen , beren 
©egenftänbe nur burdt) biefe SSorftellungen etroaö finb, von i^nen ab- 
gefonbert aber nid^tö finb." „ߧ toirb flar gejeigt, bafe, toenn id^ baö 
benfenbe ©ubject roegnel^me, bie ganje Äörpermelt loegfaHen mufe, alö 
bie nid^tö ift, alö bie ©rfd^einung in ber ©innlid^feit unfereö ©ubjectö 
unb eine 3lrt S8orftetlungen beöfelben." *) 

3la^ ber Se^re unf ereö ^l^ilof op^en ift bie ©ubftanj nur burd^ il)re 
33el^arrlid^feit unb biefe nur an berjenigen ©rfd^einung erfennbar, toeld^e 
ju atter 3^it ben 9laum erfüllt: ba^er ift bie 3)iaterie bie einjig erf enn= 
bare ©ubftauj, weil unter allen Dbjecten baö allein beljarrlid^e. 91un 
leiert bie jtoeite 3luögabe ber S?ernunftfritif in i^rer SBiberlegung beö 
Sbcaliömuö toörtlid^: „3llfo ift bie SBa^rnel^mung biefeö 33el^arrlid^en 
nur burd^ ein Sing aujser mir unb nid^t burd^ bie blofee aSorftellung 
eines 2)inges aufeer mir möglid^."**) 

*) ^rütf b. r. SBernunft (@. 2Ö. »b. II. @. 667, 675-76, 684). - **) ®ben= 
bafelbft (@. 224). SBgl. biefeS ^cr!; SJb. IIT, (?. 573-75, 



60 

9Baö bemnadj bic ^iwQt aufeer iinö, b. 1^. bie Äörper ober bie 
3)tatcric betrifft, fo Ic^rt Rani in bcr crften 3luööabc ber Äritif: ba| 
bic äujsercn ©cgcnftänbe (Äörper) nur burd^ unfcrc 5Borftcl= 
lung etroa^ finb, von i1)mn abgefonbcrt aber ni^H finb; ba- 
gegen in ber jroeiten 3luögabe: bafe bie 3Bal^rnel^mung ber a)la= 
terie nur burd^ einging aufeer mir unb nid^t burd^ bie blofee 
a^orftellung eineö25inge§ aujser mir möglid^ fei. 6r lelirt bort : 
ba§ bie 25inge auJBer unö blojse 3JofteHungen, ^ier bagegen: bajs Tie 
nid^t blofee SBorfteHungen finb. ßr le^rt bort: baJB bie S)inge aufeer 
unö bloä burd^ unfere SSorfteßung etmaö, t)on i^nen abgefonbert aber 
nid^tö finb ; er lel^rt l^ier : baJB fie f eineöroegd burd^ unfere SSorftellungen, 
fonbern von i\)nen abgefonbert etroaö finb, alfo unfere SBorftettungen 
ber SJinge aufeer unö unb biefe felbft t)on einanber Derfd^ieben, bie 
lefeteren mitl^in von unferen 3Sorftettungen unabl^ängige ©egenftänbe, 
b. 1^. S)inge an fid^ fein muffen. 2)a nun bie S)inge aujser uns im 
9iaum finb,»fo mufe aud^ ber SRaimi etroaö üon unferer aSorftettung 
Unabl^ängigeö fein, maö fo vkl l^eißt, aU ben tranöfcenbentalen Sbealiö- 
muö von ©runb auö verneinen unb mit rotten ©egeln in ben alten Sog- 
matiömuö jurüdffe^ren. 3" feiner 33egrünbung beö tranöfcenbentaleii 
SbeaUömuö erfd^eint Äant aU ber Äopernifuö ber ^^ilofopl^ie, in feiner 
aSiberlegung beö „pfpd^ologifd^en 3i>c^Kö"iw^" bagegen aU ^tolemäuö 
ober alö eine SWifd^ung auö beiben, mie Xy)^o be 33ral^e. 

25er SBiberfprud^ ber beiben 3lu§gaben liegt am 2^age. S)ie jweite, 
morin ber Xeict ber SBernunftfritif enbgültig feftgeftettt fein fott, entplt 
bie 33egrünbung beö tranöfcenbentalen Si^^^Kömuö unb jugleid^ eine 
fold^e 2öiberlegung beö Sbealiömuö, xod^t jener fd^nurftradfö jumiber- 
tauft: l^ier flnbet fid^ bemnadj ein SBiberftreit ber fantifd^en SBernunft' 
fritif ober ©rfenntnifelel^re mit fid^ felbft, unb jwar in bud^ftäblid^er 
Mung. 

2. 2)ic @ntftcl)ung beg Söiberftrcttg. 

2)ie neue 9Biberlegung beö Sbeaüömuö in ber jweiten 3luögabe 
ber Äritif mürbe, mie bie ilnmerfungen unb ber 3lnl^ang in ben ^ro- 
legomena burd^ jene aRijsüerftänbniffe l^erüorgerufen, bie gleid^ in ber 
erften Stecenfion beö fantifd^en Jß^uptmerfö aufgetreten waren unb ben 
tranöfcenbentalen Sbeatiömuö ber neuen Seigre mit bem bogmatifd^en 
ber alten, inöbefonbere mit bem berf elet)*f d^en , rermed^fett l^atten.*) 



*) ©benbafelbft: ajb.lIL @. 72-76 unb ©♦ööS— 54. 



61 

SBSibcr fold^c falfd^c Sluffaffimgcn toottte imfcr 5pi)Uofopl^ fein SBcrf 
fd^üfeen unb bcsl^alb bic ®ad^c bcä neuen SbeaÜömuö von ber beö 
alten burd^ einen bünbigen unb bentonftrattoen öeroeiö gänjlid^ trennen. 
®er erfte begrünbet bie ©rfd^einungen unb bie ©rfal^rung, ber anbere 
bagegen grünbet fid^ auf bie S^l^atf ad^en ber inneren ©rf al^rung : barum 
bejeid^net Äant biefen bogmatifd^en Sbeatiämuö aU ben „empirifd^en" 
ober „pfpd^ologifd^en". 6r fanb benfelben in jroei ^auptformen 
entroidelt. 3luf ®runb unferer inneren Grfal^rung, bie nid^tö aU 'S^ox- 
ftettungen in unö liefert, ^atte ber empirifd^e Sbealiömnö baö ©afein 
ber S)inge aufeer un§ entweber für jroeifel^aft ober für unmöglid^ er= 
Wärt ; jenes roax burd^ SDeäcarteö, biefeö burd^ 33erf etep gef^e^en : baöer 
nannte unfer ^^ofop^ bie Seigre beö erften ben „problematifd^en", 
bie beö anberen ben „boginatifd^en 3bealiömuö". 

Serfele^ l^atte eine grunbfalfd^e SJorftettung t)oin Stautn, ben er, 
wie g^arbe, ©efd^tnadf u f. f., unter unfere ©mppnbungen red^nete unb 
beöl^alb eine t)on ben ©inbrüdfen unabl^ängige Stauntüorftettung für etwaö 
Unmöglid^eö unb t)öttig Smaginäreö anfal^. ®r l^ielt für 3Sorftettungö= 
ftoff, toas aSorftettungöfornt roar. 3?arum verneinte er ba§ S)afein ber 
Xinqe aujser uns. 9)iit 9led^t fagte iiant: „2)er ©runb ju biefem 
Sbeattöntuö ift t)on xim in ber tranöfcenbentalen Sleft^etif gel^oben".*) 

6d blieb alfo nur übrig, SDeöcarteä ju roiberlegen. 3» biefem 
Qtoed fottte beroiefen werben, bajs unfere innere Grfal^rung nur möglid^ 
fei unter ber aSorauöfefeung ber änderen, bie in ber aSorfteßung ber 
2)inge auJBer \xn^ befielt. S)a aber alle Sßorftettungen in unö finb, anä) 
bie ber 3!)inge auJBer nn^, fo mujste beroiefen werben, bafe biefe aSor= 
fteHungen nur ntöglid^ finb unter ber SSorauöfefeung beö 2)afeinö ber 
S)inge auJBer uns, bafe „bie aSorftellung ber SWaterie nur burd^ ein 
S)ing aujser mir unb nid^t burd^ bie blofee SSorftellung eines Ringes 
aujser mir möglid^ fei", ©enau biefe 9tidt)tung nal^m aus biefem ®runbe 
bie „SBiberlegung beS ^i^ealisnuis" in ber jweiten 3luSgabe ber Äritif. 
Um bas ©afein ber 25inge aufeer uns ju bemeifen, mad^te Äant bie 
innere ©rfal^ning abhängig von ber äußeren imb biefe abhängig von 
bem ©afein ber ©inge aujser uns, b. ^. er mad^te baS ©afein ber 
©inge auj^er uns unabhängig von unferer aSorfteHung unb biefe ab- 
hängig Don jenem: er liejs bie ©inge aufeer uns, bie Körper unb bie 



♦) Ärttil b. r. aSernunft: Sötbcrlcflung bcS SbealiSmuS (6. 2B. a3b. II. @. 223). 
»gl. Str. Wt^ettt ^bfrf)n. 1. (»b. II. ©. 67-68. 5luntcrfunfl ber 1. 5l«Söabe). 



62 

aWaterle SJiiigc an fid^ fein. Unb fo jcrftörtc Äant an btcfcr ©teile 
ben tranöfcenbentaleii Sbealiömuö, inbem er il^n rert^eibigen unb tüiber 
äße SSeriüedöötung mit bem enipirifd^en fd^üfeen roollte. Um bie ©ad^e 
beö erften dou ber beö anbeten grünbUd^ ju trennen, ri§ er fie Don bem 
lefeteren in bem ^Punfte loa, worin beibe übereinfttmmen. ^enn fie 
ftimmen barin überein, bajs aße unfere ©rfenntnifeobjecte ©rfc^einungen 
ober aSorfteßungen nnb aU fold)e in unö fmb. Um nun ju jeigen, bafe 
er beweifen fönne, was SJeöcarteö nid^t ju beroeifen uermod^te, fü^rt 
er einen Seroeiö, ben jener geführt ^atte, unb jroar auf bemfelben 
SSege: er bemonftrirt, bajs unfere 5ßorftettung ber Äörper nur möglid^ 
fei unter ber Sebingung beö von unferen aSorfteßungen unabl^ängigen 
2)afeinö ber Äörper. &enan fo l^atte SDeöcarteö beroiefen, bajs bie 
9Jfaterie ober bie auögebe^nte ©ubftanj ein von aßem Renten unb 
aSorfteßen unabtiängigeö 2)ing an fid^ fei, unb ber Staum baö oon aßem 
2)enfen unb aSorfteßen unabl^ängige 3lttribut biefeö S)ingeö.*) 

©eroijs ift biefe aSBibertegung beö Sbealiömuö ein fel^r merfroür- 
bigeö aSeifpiel, vok leidet in ber 23ertl^eibigung feiner ©ad^e felbft 
ein fo mäd^tiger Genfer, wie Äant, bie eigene ^Pofition preiögiebt, um 
nur ben ©d^ein jeber ©emeinfd^aft mit gewiffen üerroanbten ©tanb- 
punften, bie er befämpft, loö ju werben. !^ant unb öerfelep leieren, 
baJB ber 9laum in unö ift unb bie S)inge aufeer nn^ unfere ®r- 
fd^einungen ober Sßorfteßungen unb nid^tö havon Unabhängiges finb. 
2^rofe biefer Uebereinfttmmung finb bie iJe^ren beiber grunbüerfd^ieben. 
SRad^ aSerf elep ift ber SRaum eine ©mpfinbung, roie garbe unb ®ef d&madE ; 
nad^ Äant ift er eine t)on aßen ®mpfinbungen unabl^ängige 3lnfd^auung. 
9ia(^ aSerfetep ift ber SRaum ein gegebener aSorfteßungöftoff, wie aße 
unfere ©inbrüdfe; nadt) Rani ift er eine notl^roenbige SBorfteßungöform 
ober ein ©runbgefefe unfereö aSorfteßenö. 2)a^er roar ber berfetep'fd^e 
3bealiömuö burd^ Äantö tranöfcenbentale Sleftl^etif roibertegt unb bie 
aJerroed^ölung beiber ©tanbpunfte t)on ®runb auö unbered^tigt unb 
falfd^. Äant n)ieö mit SRed^t aud^ biefe aSiberlegimg jurüdf unb ^ätte 
eö babei bewenben laffen foßen. Slber er mod^te mit bem bogmatifd^en 
Sbealiömuö aSerfelepö gar nid^tö gemein i)aUn^ unb nun bemieö er, 
baj3 bie Singe aujser m\^ feineöroegö blojse S8orfteßungen feien unb bie 
9)taterie etroaö t)on unferen aSorfteßungen Unabhängiges. a3erfelet) ^atte 
bie 9)taterie für ein Unbing erflärt; jeftt beroieö ^ant beren 9lea(ität, 



^) a^gl. bicfcg Sajerf : a3b. I. Xi). L (3. Stuft.) @. 324-26. 



63 

als ob bic SKatcrtc ein 2)inft an fidf; wäre. 33crfetcp f)attt gejagt : ber 
Sftaum ift in um; jefet beroieö Äant, bafe er aufeer uM fei. Unb fo 
toar, wie eö im Sprid^worte Reifet, baö 5iinb mit bem 33abc a\\§f' 
gefd^üttet. 

3. 2)tc erneute Söibcrlegung bc8 Sbcali^mug. ^ant toibcr Sacobi. 

3nbeffen l^atte [id^ ber ^^ilofop^ mit feiner SBiberlegung beö 
Sbcaliömuö im ^^ejte ber jweiten 3lu§gabe ber 3Sernunftfritif nod^ 
nid^t genuggetl^an ; er fanb fid^ üeranlafet, aud^ bieSBorrebe ju biefem 
Sffierf mit einer längeren 3lnmerfung ju rerfe^en, bie jene SBiberlegung 
erneuen, auf baö beutlid^fte befräftigen unb einen ©egner ai\^ bem 
f^^elbe f dalagen foHte, ber erft in jtingfter S^it aufgetreten war. Diefer 
©egner mar gr. ^. Siacobi mit feinen „Briefen über bie Se^re ©pi^ 
uojaö'' unb feinem „©efpräd^ über ®at)ib §ume"; jene waren jmei 
Sal^e nad^ ben ^prolegomena (1785), biefeö in bemfelben 3^^^: aU bie 
podU ausgäbe ber aSernunftfritif (1787), aber einige 9)lonate früher 
erfd^ienen. 9lun l^atte ^t^cobi bel^auptet, bajs mir baö 2)afein ber 2)inge 
auj5er uns nie ju bemeifen üennögen, fonbern beöfelben nur burd^ 
©tauben gewiß fein fönnen, ba unö ein fold^ed ©afein bloö burd^ 
unmittelbare Offenbarung einleud^te. 6r ^atte biefen feinen ©tanbpunft 
nid^t bloö allem SDogmatiömuö, fonbern aud^ allem Sbealiömuö ber 
5ßl^ilofopl^ie entgegengefefet, ba ber lefetere genöt^igt fei, bie S)inge aujser 
un§ für bloJBe SBorfteßungen in unö ju l^alten. 2)iefer SSormurf gilt 
aud^ miber ben trandfcenbentalen Sbealiömuö. 

Jiatürlid^ oerfte^t S^cobi unter ben Singen aujser unö baö t)on 
allen unferen SBorftettungen unabbängige ©afein ber Singe, b. l). bie 
Singe an fid^. 5lun miH Äant ben ©egenbemeiö führen: er miU ba§ 
Safein ber Singe aujser unö in bem Sinne bemonftriren, in meld^em 
Sacobi bie Unbeweiöbarfeit beöfelben behauptet, ©o entfielt jene 31 n= 
mcrfung, bie er feiner SL^orrebe meHeid^t nod^ nad^träglid^ einverleibt 
tiat. *) 3Wan fie^t oorauö, bafe er feinen ©tanbpunft jum jweiten male 
preiögiebt: er wirb bemeifen, bajs bie Singe au^er unö Singe an fid^ 
finb. 3Birflid^ l^at il^n ber 3lngriff ^t^cobiö bergeftalt aus bem ißäuö= 
d^en gebrad^t, bafe er ben Sbealiömuö mit einem ©daläge fallen läßt. 
„Set SbealiSmuö mag in 3lnfel^ung ber mefentlid^en 3wedfe ber 9)leta= 
p^pfif für nod^ fo unfd^ulbig gel)alten werben (baö er in ber ^l^at 



♦) Ärittf b. r. )öermmft: SSorrebe gut 2. ^InSgabe (6. SB. »b. II. @. 31—32). 



64 

nid^t ifO, fo bleibt eö immer ein Scanbat ber ?pi^Uofopl^ie unb allgemeinen 
aWenfd^enDemunft, baö 2)afein ber 2)in(je aufeer \iM (von benen roir bo^ 
ben ganjen ©toff ju (Srfenntniffen fetbft für nnferen inneren ©inn l^er 
^dbm) b(oö auf ©tauben annehmen ju mflffen unb, roenn eö jemanb 
einfällt, eä ju bejioeifetn, i^m feinen genugt^uenben Seroeiö entgegen- 
[teilen ju !önnen." Gr i)ahe ivoax ben Sbeatiömuö bereits wibertegt 
unb fid^ von bem SJorrourfe beöfetben gereinigt, aber in ben 2luöbrärfen 
jenes Seroeifeö pnbc fid^ „einige S)un!et^eit", bie jefet gänjlid^ per- 
fd^roinben foDe. Unb nun roirb bie SBibertegung beö 3i>^ötiömuö in 
t)eränberter gönn fo gefül^rt, bafe wir nid^t länger iroeifetn fönnen, 
wie bie 2)inge aufeer unö jefet als S)inge an fid^ figuriren. ©onft n)ürbe 
aud^ fein Seroeiö roiber Sacobiö ©taubenöpl^itofop^ie gar nid^tö au§^ 
rid^ten fönnen. 

2Bir roiffen, bafe nad^ ber Se^re unfereö 5ß^ilofopl^en aller ©toff 
imferer 6r!enntniffe in unferen ©inbrüdfen ober @mpfinbungen befielt, 
bie wir nid^t mad^en, fonbern empfangen, bie unö gegeben merben, unb 
jroar burd^ bie 2)inge an fid^. *) Sefet belehrt unö bie neue 2lnmerhing : 
bafe eö bie S)inge aufeer unö finb, „oon benen mir bod^ ben ganjen 
©toff ju @r!enntniffen fetbft für unferen inneren ©inn l^er l^aben". 
Demnad^ figuriren bie 2)inge aufeer unö alö ®inge an fid^. 

3?ad^ ber iJe^re imfereä 5pf)ilofop^en ift unter unferen ©rfenntnijS' 
objecten bie einjige ©ubftanj, weil ber einjig be^arrlid^e ®egenftanb, 
bie aJiaterie, bie als baö raumerfüHenbe ©afein äußere ©rfd^einung 
ober SSorfteHung imb nid^tö anbereö ift. **) Sefet wirb unö in ber neuen 
2lnmer!ung fe^r nad^brüdflid^ unb mit gefperrter ©d^rift baö üöHige 
©egent^eil eingef d^ärft : „2)iefes Se^arrlid^e aber fann nid^t eine 3lm 
fd^auung in mir fein, benn alle Seftimmungögrünbe meineö 2)afeinö, 
bie in mir angetroffen werben fönnen, finb aSorftellungen unb bebürfen 
al§ fold^e fetbft ein von i^nen unterfd^iebeneö 33e^arrtid^eö, morauf in 
Sejiel^ung ber SBed^fet berfetben, mithin mein ©afein in ber 3cit/ barin 
fie med^fetn, beftimmt werben !önne". 6ö ift bemnad^ fein S^d^d, 
bafe an biefer ©teile, um allen Sbeatiömuö ju mibertegen unb ba* 
©afein ber ©inge aufeer uns ju bemeifen, bie 9Raterie aU etmaö Don 
unferen Sßorftellungen Unabhängiges, b. f). als ©ing an fid^ gelten muß. 

SWun mirb uns von neuem bie 2lb^ängigfeit ber inneren ©rfal^rung 
t)on ber äußeren unb bie 2lb^ängigfeit biefer von bem ©afein ber ©inge 



*) 8» oben 6ap. I. 8. 17-23. - **) 8. oben 6ap. IV. @. 58—60. 



65 

oufeer un« bemonjirirt ®ann Reifet eö: „9Wan fann ^ieju nod^ bic 
änmerfung fügen: bic SSorfteHung von ctroaö Sc^arrtid^cm im 35a= 
fein ift nid^t einerlei mit ber bel^arrlid^en aSorfteltung, benn biefe 
fann jel^r manbelbar unb n)ed)fetnb fein, mie ade unfere unb felbft bie 
SSorfteUungen üon ber SWaterie, unb bejiefit fid^ bod^ auf etroaö Se= 
l^arrlid^ö, weld^eö alfo ein üon aütn meinen SBorfteHungen unterfd^ie^ 
beneö unb äußere« ©ing fein muß" u. f. m. 3iad^ ber iie^re unfered 
5ßl^tofop^en ift bie SWaterie 1. baö einjige be^arrlid^e Cbject unb 
2. eine blofee ©rfd^einung ober SJorfteUung: fie ift bemnad^ bie ein- 
}ige bel^arrlid^e äJorftetlung unb a(d fo(d^e mit ber ä^orfteQung t)on 
etwad 93el^arrlid^em im ^afein DöQig einer(ei. ®oU biefeö bel^arrlid^e 
Sttoad, wie bie neue änmerfung le^rt, „ein von allen meinen äJor- 
fteUungen unterfd^iebeneö unb äußeres 2)in9" fein, fo ift bie a)laterie 
ein ©ing an fid^. 9Wit bemfelben Siedete werben mir gemäß jener äln- 
nterhmg nun aud^ bie SteumDorftettung unb bie SSorftellung beö Slaumeö 
von einanber unterfd^eiben unb ben 9iaum für ben von unferer Siaum- 
oorfiettung üerfd^iebenen imb unabl^ängigen ©egenftanb berfelben, b. t). 
für ein SJing an fid^ ober bie ©igenfd^aft eines ©ingeö au fid^ erttärcn 
muffen. Unb fo mirb ber 9iaum mieber bei Äant, maö er bei SJeö- 
carted gemefen mar. 

SBBenn man bie 3Sorfteffung unb ben ©egenftanb ber SSorfteHung 
fo unterfd^eibet, mie Äant in feiner SBiberlegung beö Sbeatiömuö unb 
in ber änmerfung feiner 58orrebe le^rt, fo ift ber tranöfcenbentate 
Sbealiömuö unb jugleid^ jebe SWöglid^feit, bie Uebereinftimmuug sroifd^en 
SJorfiettung unb ©egenftanb, b. f). bie förfenntniß, ju erflären unb bie 
SSemunftfritif ju t)erfte^cn, aufgegeben. S)arum l)at ©ig. 33edf biefe 
Art ber Unterfd^eibung jwifd^en 33orftettung imb ©egenftanb für ben 
unmöglid^en ©tanbpunft erftärt, bie SSernunftfritif t)erfte^en unb rid^tig 
beurtl^eiten ju fönnen. ®enn bie 33orftettung fann mit i^rem ®egen= 
flanbe nur bann übereinftimmcn, wenn i^r ©egenftanb aud^ SJorfteHung 
ift. 2)iefen ©tanbpunft, für meldten ber ©egenftanb ber SSorftettung 
fein t)on il^r unabhängiges S)ing, fonbern baö notf)roenbige ^robuct beä 
äSorfteKenö ift, nannte Sedf „ben einjig möglid^en", um bie aSernunft- 
fritif ju üerftel^en unb rid^tig ju beurtl^eiten. Unter bemfelben ^at er 
bie SBBerfe Äantö commentirt, unb jwar, mie er auf bem Xitel feiner 
©d^riften auöbrüdflid^ fagt: „2luf 2lnrat^en Äantö". 5Dieö ift eine 
fe^r bemerfenömert^e X^atfad^e, bie man nid^t überfeinen ober ungefannt 
laffen barf, wenn man bie S^age nad^ ber magren üeljre ilantö unb 

Sitzet, «ritit b. tantifc^n ^^tofop^U. 5 



66 

ben i^r roiberfprcd^enbeu Stellen in feinen SBerfen unterfud^en unb ent- 
fd^eiben loitt. 33ed i)ai bie SBiberfprüd^c fel^r rool^I flefannt unb auf 
eine ju leidste 2lrt roegjufd^affen gefud^t, inbem er ben 5ß^ilofopl^en um 
ber lieben SSerftänblid^feit roitten biöroeilen bie ®prad)e beö SJogmatiö- 
mud unb bed gen)ö^nUd^en Sen)ugtfeind annel^nien (ägt. SBenn Rani 
von bem ©egenftanbe ber SJorftettung atö einem von ber lefeteren un- 
abhängigen 3)inge rebe, fo fpred^e er, wie etwa Äopernifuö Doin auf- 
gang ober Untergang ber Sonne, er rebe nad^ bem geroöfintid^en ©prad^- 
gebraud^, o^ne feinen Stanbpunft ju änbeni. SBir aber finben, bQ§ 
Üant an ben ©teilen, bie wir geprüft ^aben, feinen ©tanbpunft mit 
bem beö geroö^ntid^en Seroufetfeinö Dertaufd^t, benn er te^rt, bafe man 
baö 2)afein ber S)inge au§er unö in bem ©inne be weifen fönne, in 
roeld^em baöfelbe ber bognmtifd)e ^beatiömuö oerneint unb ber gemeine 
$?erftanb t)orauöfefet. 

Äant ^atte in einer bem tranöfcenbentalen ^beatiömuö DöCiig ent- 
fpred^enben SBeife baö T>afein ber 2)inge au§er unö bargetl^an unb 
jwar fo, ba§ baburd^ bie Xf)atfad^e ber äußeren 2)inge, wie fie bem 
gemöfinlid^en 33en)u§tfein erfd^eint, DöUig erflärt mürbe. 6r i^atte ge^ 
jeigt, ba§ unb marum baö !I)afein ber !Dingc aufeer ims jebem menf(|= 
Hd^en 33emuj3tfein unmittelbar einleud^tet, maö nie ber gaU fein 
fönnte, menn jene 2)inge etmaö anbereö als ©rfd^einungen ober SSor- 
ftellungen mären. „9Jun finb alle äußeren ©egenftänbe (Äörper) bloö 
©rfd^einungcn, mithin auc^ nic^tö anbereö, alö eine 3lrt meiner SBor- 
ftellungen, bereu ©egenftänbe nur burd^ biefe 5Borftellungen etmaö finb, 
von i^nen abgefonbert aber nid^tö finb. 2llfo eEiftiren ebenfomol^l 
äußere 2)inge, aU id^ felbft ejiftire, unb jmar beibe auf baö un- 
mittelbare 3^ugni§ meines ©elbftbemufetfeinö, nur mit bem Unter- 
fd^iebe, ba§ bie SSorftellung meines ©elbft, als beä benfenben ©ubjects, 
bloä auf ben inneren, bie SSorfteUungen aber, meldte auSgebel^nte SBefen 
bejeid^nen, aud^ auf ben äußeren ©inn bejogen merben. 3d^ l^abe in 
3lbfid^t auf bie 2Birflid^!eit äußerer ©egenftänbe eben fo menig nöt^ig 
JU fd^ liefen, als in 3lnfel)ung ber SBirttid^feit bes ©egenftanbes meines 
inneren ©innes (meiner ©ebanfen), benn fie finb beibcrfeitig nid^tö als 
SJorfteHungen, beren unmittelbare 2Bal)rne^mung (Semufetfein) jugleid^ 
ein genugfamer Semeis ifirer 2Birflid^!eit ift."*) ®iefe ^öd^ft mid^tige 



*) tritif b. r. SJemunft (1. SluSgabe). ^ritif beS ötcrtcn gJaralogiSmuS ber 
tr. $Pft)c^oIogie (6. S93. fdh. Jl. (©. 676). 



\ 



67 

unb erleud^tenbe Srllärung ftel^t in ber erften 9(udgabe ber SSemunft- 
friti!, fic ift in ber iroeiten roeggelaffcn unb in bcn Sluöfül^ningcn, bie 
an il^re ©teQe getreten finb^ !einesn)egö burd^ einen Sa^ t)on äl^nUd^er 
93ebeutung erfe^t n)orben^ o6n)ol^l aud^ l^ier am ®d^lug ber ßriti! ber 
rationalen ^fp^ologie bemerft wirb, ba§ fid^ bie äußeren unb inneren 
©egenftänbe, „nur fofern cineä bem anberen alö äufeerlid^ erfd^eint, 
von einanber unterfd^eiben, unb baö, n)aö ber ©rfd^inung ber aWaterie 
ald SHng an fid^ fetbft ju ©runbe liegt, metteid^t fo ungleid^artig nid^t 
fein bürfte."*) %U ob er baö ©afein ber 3)inge aufeer wn^ nod^ gar 
nid^t aud bem fritifd^en @efid^tdpunft erleud^tet unb nid^t mit fiegreid^er 
^larl^t bargetl^an l^ätte, bag unb marum mir nid^t nöt^ig l^aben, auf 
bie SBirflid^feit äußerer ©egenftänbe ju f daließen, giebt Äant in ber 
)Toeiten SCuögabe ber Äriti! eine SBiberlegung bcö Sbeatiömuö, morin 
bad ©afein ber ©inge außer unö fptlogiftifd^ bemiefcn wirb, ©er 
©pDogiömud lautet in fürjefter gaffung: unfere innere ©rfal^rung ift 
abl^ngifl üon ber äußeren, biefe Don bem ©afein ber ©inge außer 
und, alfo finb bie lefeteren unabhängig Don unferer inneren @rfa^rung 
unb nid^t bloße ^orfteUungen. 

4. ®tntt)ürfc unb beten Prüfung. 

6mil Slrnotbt ift ein fo grünblid^er, burd^ eine Siei^e te^rreid&er 
gorf d^ungen bewährter Kenner beö Sebenö **) mie ber ße^re unfere« ^ß^i^. 



*) ^benbaf. (2.9(udgabe): S3efd)luß ber ^luflöfung bed ))ft)d)ologifd)en g^ro^: 
blemS (@. SB. »b. IL @. 326—27). - **) ©r l^at hmd) feine jttngften blogra* 
p^ifd^en fjforfd^ungen u. a. guerft feftgefteUt, bag ^ant nie bei ber t^eologifd^en 
fjfacultat infcrtbirt mar, unb baß feine ))äbagogtfd)en unb gefeUigen ^^ie^ungen gu 
bem graflid^ ^aQferling'fd^en ^aufe in 9^autenburg unb in ^önig^berg md) t^amilien^ 
t)er^tniffen gu unterfd^eiben finb, meldte bie bi^^edge Ueberlteferung n\d)t fanute. 
(@. ^molbt: ^antd 3ugenb unb bie fünf erften 3a^re feiner ^riDatbocentnr (^önig^:: 
bcrg 1882), @. 26, @. 54-57.) — S^ mad)t biefe beiläufige ^toö^nung, um in 
SSetreff ber tl^eologifd^en @tubien ^ants meine eigene 2)arftettung gu berid^tigen 
(»b. III. @. 51, bgl. »orr. @. VIII). Einige 3a^re früher ^atte 83. Obmann in 
einer ©d^rift über m. Änu^n erflärt: „^nx bag eine ift öermut^Iid^ rid^tig, bafe 
Sant ftd) bei ber t^eologifd^en f^acultat infcribiren ließ'' (@. 135). ^ber gerabe 
biefeS eine, morauf bei jener biograp^ifd^en f^rage aUed anfommt, ift falfd^. 3nbeffen 
l^at bied ben SSerf. ber genannten @d)rift nid^t gel^inbert, gegen ($. ^molbt bad 
Skrbienft ber ^orität laut unb tt>ieber^olt in ^nfprud^ gu nel^men, ja fogar bie 
@€lbftänbigfeit ber f$orfd^ung bed leiteten mit einer in jebem ®inn f(^reienben 
Ungered)tigfett gu uerbäd^tigen. (^eutfd^e iiiteraturg. 9b. 12 (1882). )&gl. mu 



68 

tofopl^en, bafe feine Unterfud^ungen bie aufmerffamfte Sead^tung vtr- 
bienen. 3" feiner eingeljenben Seurt^eilung meines SBBerfö l^at berfelbe 
axiä) biejenigen fünfte ^enjorge^oben, worin er meine Sluffaffungen 
nid^t tfieilt; banmter betrifft ber mid^tigfte ben bargetegten SBiberftreit 
in ber fantifd^en (Srfenntnifetel^re. ^n ber 2lnfid^t von bem ßl^arafter 
unb ber funbamentaten Öebeutiing beö tranöfcenbentalen ^beaUömiiö 
finb mir eint)erftanbcn, and) ift 2lrnolbt „nid^t gemißt, bie pl^ilofopl^ifd^e 
2)ifferenj ber beiben 2lu§gaben ber äJernnnftfritif megjiireben", er rämtit 
ein, bafe bie jmeite einer falfd^en Slnffaffung jener fantifd;en Se^re 
i>orfd^ub (eiften fönne luib mof)l aud^ t^atfäd)Ud^ geleiftet ^abe, bafe bie 
erfte 3luögabe megen ber energifc^en nnb nnjmeibeutigen 3lrt, momit fie 
bie Sbealität ber Üörpermett le^re, ber jmeiten Dorjujie^en fei. *) da- 
gegen beftreitet 3trnolbt, bafe bie 2)ifferenj ber beiben 3luögaben bie 
Wrunb lagen ber fantifd)en ©rfenntni^le^re betreffe, unb ba^ inö- 
befonbere jene „SBiberlegung beö ^beattömuö", bie ber ^l^ilofopl^ in 
ber jmeiten 3lnögabe auögefüfirt ijai, bem tranöfcenbentaten ^beatiömnö 
jumiberlaufe. iUetmef)r \)abc Äant an biefer Steife jur SlBiberlegung 
2)eöcarteö* nur bemeifen moHen, baj3 unfere innere @rfaf)rung von ber 
äußeren abhänge unb burd) bie le^tere vermittelt fei ; biefer Semeiö fei 
il)m gelungen unb bilbe baö eigentf|ümlid;e SJerbienft, baö feiner neuen 
„äBiberlegung beö ^^bealiömus" jufomme.**) ^d) mufe ben fd)arf finnigen 
®rörterungen 6. 3lrnolbtö f olgenbe CSrünbe entgegenfteHen : 1 . ber tranö-- 
jcenbentale Sbcaliömuö let)rt bie volle unb gleid^e Unmittelbarfeit 
ber inneren unb äußeren @rfal)rung. 6ö Reifet biefer Seigre miber- 
fpred)en, menn bie äußere @rfal)rung aU baö 5Diittel unb bie Sebingung 
ber inneren gelten foU; fie fann eine fold^e Sebingung nid^t fein, ba 
fie felbft aud^ innere @rfal)rung ift, fie ift ein X^eil ober eine befonbere 
unb notl^menbige ©p^äre ber le^teren. 2. 3)a§ unfere innere @rfa^rung 
t)on ber äußeren abliänge unb burd^ biefelbe vermittelt merbe, ift in 
^ant^ neuer „SBiberlegung beö Sbealiömuö" nid^t ba§ S^^U fonbem 
bloö eine ©tation ber Semeiöftt^rung. 3)as S^ei ift bie 3lb^ängigfeit 
ber äußeren @rfal)rung von bem 2)afein ber 2)inge au§er unö, 
b. 1^. bie Unabliängigfeit ber äußeren 2)inge von unfererSBor- 



^reufeifd^e aWonatSfd^rift XIX. 8. 175—176, 3- Sacobfon: ©errn $rof. f&, @rb^ 
manng ^oltmit gegen ®. Slrnolbt.) — *) ®. Slniolbt: tant md) tuno gifd^er« 
«euer 2)arfteaun8. ®tn frittfd)er a3erid)t. (^öniflgberg 1882), (S. 31-32, ©. 41-42. 
- **) ©benbaf. 8. 32-42. 



m 

ftellung. 2)ann gelten bie S)inöe außer um für 3)in9e an fid), bann 
werben bie ©rfdjeinnngen unb bie J^inge an fid; ucrniengt, iDaö beni 
tranöfcenbentalen ^bealiämuö unb ber gefamniten (5rfenntmfetel;re Siani^ 
auf baö äußerfte lüiberftreitet. SDieö ift ber ^^Uutft, um ben eö fid> 
Ijanbelt. S^ befiaupte bal;er, bajs ber tranöfcenbentate $^beaUömu§ in 
ber erften wie in ber äroeiten Sluögabe ber .Hritif, üerglid^en mit ber 
neuen „SBiberlegung beö ^beatiöniuä" unb mit ber 3lnmerfung in ber 
ä^orrebe ber ^weiten Sluögabe, fid; ju biefen [enteren 3tuöfiU;rungen üer- 
^alte, wie A ju dlxä)UA. Um mid^ jn mibertegen, nuife man benumc^ 
beweifen: ba§ Äant bie Unabl;ängigfcit ber äußeren S^inge (Äörper) von 
unteren aSorftettungen in ber erften Sluögabe ber iiritif nid;t burd^gängig 
Demeint imb an ben angefi'il;rten ©teilen ber ^mciten feineöiuegö bejal;t 
imb ju beroeifen gefud^t l;a()e. 

6. 3lrnoIbt verneint ben 2Biberftreit ber beiben 3(uögabcn unb fud;t 
i^re ä?erfd)ieben^eit grabuell ju faffen. ,,S)ic erfte beiueift mit größerem 
Sfad^brudE, baß bie Äörper, mit geringerem, bafe bie Seelen ©rfd^ci= 
nungen finb; fie nät)ert fic^ bem Spiritualiömuö. 2)ie jmeite bemeift 
mit größerem 9lad)brudf, baß bie Seelen, mit geringerem, baß bie Körper 
@rfd;einungen finb; fie Dertl;eibigt bem ©piritualiömuö gegenüber, ben 
fie befeitigt, bie relative Seredjtigung beö a)taterialiömuö, ben fie nid^t 
ntinber befeitigt." 3Benn man mir wüßte, wie weit in beiben gäHen 
„ber größere" wie „ber geringere 9Jad;brudf" reid;en foU, ba bod; Äant 
in ber erften Sluögabe mit allem 9Jad;brudf bie Äörper für bloße ©r- 
fd^einungen erflärt unb in beiben 3luögaben mit allem 9tad;brud ver- 
neint l^at, baß bie Seelen ®rf d^einungen ober erfennbare Dbjecte finb ! *> 

3n einem t)ortrefflid;en, mit genauer Sad^fenntniß unb einbrin- 
genbem Urtl^eil gefd^riebenen 3luffa^ über meine ©efd^id^te ber ^^ilo- 
fop^ie unb inäbefonbere mein SBerf über iRant l;at ^ol;. 33itte aud^ 
bie fritifd^e ^rage berülirt, bie unö foeben befd^äftigt. för ift barin 
meiner 3lnfid^t, baß „bie Deränberte 2)arftcllung ber jweiten äluögabe 
nid^t für eine oerbefferte ju t)alten fei", aber er verneint, baß fie ben 
©runblel^ren ber erften wiberftreite, intb möd^te bie 3)ifferenj beiber 
barauf einfd^ränfen, baß „bie jweite ben ibealiftifd^en 6l;arafter ber 
erften in unbeutlid)er SBeife abfd^wäd^e". ^d) muß i^m entgegnen^ 
baß biefer äuöbrud ju unbeftimmt unb feine näl;ere 3lu§legung nid^t 
rid^tig ift. SBaö ^aut in ben angefül;rten Stellen mä) 2:enben} xm\> 



*) ©benbafelbft. ©. 32. 



70 

SBorttaut ju beroeifen fud^t, ift tüd)t, wie 2Bittc meint, bie Unabl^ängig' 
feit ber äußeren 2)inge t)on ber bloö fubjectioen ober inbiüibuetten 9Sor= 
ftettung, fonbern von ber äJorftettung atö fotd^er. 2)arüt)er lä§t jene 
ber 5Borrebe jnr ^iweiten 9luögabe eingefügte 3lnmerfung, bie naä) ber 
Slbfid^t beä ^^itofopfien ber im S^ejt befinbUd^en „SBibertegung beö 
Sbealiömuö" fecunbiren foD, nid^t ben minbeften 3^^if^f- 3lud^ nid^t 
bie „SBiberlegung" felbft, nad^ weld^er „bie 2Baf)rnef)mung biefeö Se- 
l^arrtid^en nur hwxä) ein S)ing aufeer mir i.mb nid^t burd^ bie btofec 
tBorftetlung eines 2)ingeö au§er mir mögtid^ ift." 3?im interpretirt 
SBitte : ,,2)ie SBal^rne^mung bief e§ Se^arrtid^en (b. i. meines ®afein§ 
in ber 3^it)" u. f. ro. 3)iefe 3luötegung fd^eint mir ax\^ jmei ©rünben 
unmöglid^: 1. weil „mein 2)afein in ber 3^it" nid^t bel^arrlid^ ift, unb 
2. weit nad^ Äantö auöbrfldflid^er Se^re unter aßen erfennbaren 
fingen fein anbereö 2)afein bel^arrt alö bie aJiaterie. SBenn Äant 
ttad^ SBitteö 3lnfid^t unter „3)ing" ftet§ einen „üorgeftettten ©egenftanb" 
ober bie SSorftettung eines S)ingeä werftest, fo fagt er um in ber obigen 
©teile : „S)ie SBal^rnelimung biefeä 33el)arrtid^en ift nur burd^ ein ®ing 
(b. f). burd^ bie ä5orftellung eines 2)inges) au§er mir unb nid^t burd) 
bie blojse SBorfteHung eines 2)inges aufeer mir möglid^"! Tlan fief)t, 
bafe feinertei 3luslegungsfunft ben 2Biberfprud() wegreben fann, ben id^ 
feftgefteHt unb in feiner @ntftet)ung erflärt i)ahe. Unb id^ bürfte rool^l 
gegen bie SKeinung gefd^üfet fein, bie ein fo einfid^tsooHer unb geredeter 
^eurtf)eiler, wie aBitte, nid^t liegen foHte, als ob irgenb roeld&e SSoreim 
genommenl^eit für bie Seigre eines anberen ^fiilofopl^en, wie etma Tegels, 
auf meine SBürbigung Äants ben minbeften ©influjs geübt ^abe.*) 

6s ift immer banfenSroertf) unb förberlid^, bie (Sinroürfe grünbtid^er 
e^orfd^er ju erfal^ren, um burd^ bereu ^Prüfung bie eigene Slnfid^t be- 
tid^tigen ober, wie es in ber oorliegenben mid^tigen ??rage mir gelungen 
fein möge, beftätigen ju fönnen. Slber es ift ein fe^r unerfreuliches 
©efd^äft, ©egner jurüdfroeifen ju muffen, bie meber oon ber ©ad^e nod^ 
von ber 9lrt unb SBeife, wie id^ biefelbe befianble, bas SWinbefte oer- 
fteljen, bod^ mit unroiffenber unb breifter ©efd^roäfeigfeit ins SBBefen 
l^inein reben unb fid^ eine 5polemif anmaßen, wie fie eines unferer 
SBod^enblätter einem imgenannten ©d^reiber gegen mid^ geftattet l^at. **) 

*) 3o^.SBttte: tuno ?5ifd)erS aSe^anblung ber ©efd^ld^te ber «ß^ilofop^ic 
unb fein »erpltntfe äur Äantp^ilologie. mtpx. SWonatSfd&r. f&h. XX. @. 129-151, 
tnSbef. @. 145—148. - **) 2)ie (Srengboten dlx. 40 (1882)': ^ant unb Äuno fjtf*er, 
(B. 10-17. 



71 

SöHifl objcctit), wie id^ ftetö ju üerfafircn pflege, imterfuci^e \ä) jenen 
3Bibcrftrcit, ber jtötfd^en ben beiben Sluögaben ber SBernunftfritif in 
grage fielet unb bie fantifd^e Grfenntni^tel^re betrifft. 9hir uon biefer 
^rage, bic eine 35arftettnng ber fantifd^en 5ß^itofop^ie nid^t umßel^en 
fann, ift bie 3lebe, nid^t üon meinem ©tanbpunfte, nid^t von e^id^te, 
©d^Uing ober fonft wem. 6ö gehört ein ungemeiner ©rab Don ßon= 
fufion unb ein ungemeiner aJianget an SBa^rl^eitöfinn baju, um 2)inge 
§u Dcrmengen, bie mit einanber nid^ts ju t^un ^aben, unb in eine 
g^ragc ju mifd^en, in bie fie gar nid^t gel^ören, unb von roeld^er id^ 
felbfl jxc ganj fern gel^alten. 3luf biefe Slrt ertäfet man fid^ bie fd^mie^ 
rigc SUifgabe ber Unterfud^ung unb erteid^tert fid^ ba§ ©efd^äft ober 
©d^reiberei. g^otgenbe ©ä^e l^aben gar nid^tö mit ber ©ad^e ju tt;un: 
,,3ebem SSerei^rer Äantö mufe eö ^od&n)itt!ommen fein, ba§ enbtid^ ber 
grofte SKeifter ber ©efd^id^te ber ^^itofop^ie fid^ mit bem aJieifter ber 
^l^fopl^ie JU meffen beginnt in SRüdffidfjt auf ben eigenttid^en Äern 
ber ©rfenntniffe." „9Rit 2^rauer feigen ja tängft bie aSeretjrer Äantö ben 
lid^tüoBjien 2)arftetter beöfetben auf ben SBegen eineö gid^te unb ©d^et= 
liug manbeln." ,,3Bir Ratten eö für nötf)ig unb mid^tig, bie Swflc^ib 
über ben fonft fo großen ©efd^id^tfd^reiber in Sejug auf bie entfd)ei= 
benben ^unbamentatroa^rl^eiten aufjuHären unb fie ju bitten, feinem 
Seigrer ju glauben, ber bel^auptet, ba§ Äant fid^ fa^tid^ fetbft miber= 
fprod^en l^abe/'*) SBie rül^renb unb beforgt! ^offentUd^ wirb bie liebe 
Sugenb fein g^tel^en erl^ören unb i^m me^r glauben, aU mir, ba er fo 
fd^ön barum bittet. 3d^ ^abe fd^on an einer frttf)eren ©teile gejeigt, 
bafe er nid^t weife, maö Kant geleiert l)at, benn er läfet in Setreff ber 
S)inge an fid^ ben ^^ilofoplien ba§ ©egentfieil oon bem behaupten, maö 
berfelbe urfunblid^ gelehrt l^at unb teliren nmfete.**) 

6§ wirb genügen, nod^ an einem jmeiten Seifpiele fd^lagenb nad^= 
juroeifen, roeld^e Unfenntnife ber fritifd^en ^l)ilofop]^ie unb meldte gänj= 
lid^e Unfä^igfeit jum 3Serftänbnife berfelben unfer Slnonijmuö mit feinen 
leeren unb fd^roülftigen ^l^rafen jur Sd^au trägt. S^ber Äenner ber 
SSernunftfritif weife, bafe unb marum Äant l)ie ©tanbpunfte beö tranö^ 
fcenbentalen Sbealiömuä unb empirifdf;en SRealiöinuö einerfeitö unb bie 
©tanbpunfte beö tranöfcenbentalen 5Realiömuö unb empirifd^en 3bealiö= 
muö anbererfeitö al§ notl^roenbig jufammenge^örige betrad^tet, bafe er 
bie beiben erften in feiner Sefire oereinigt unb bie beiben anberen, bie 



*) ebenbaf. @. 11, ©. 17. - **) @. oben ©ap. 1. @. 21-22. 



72 

bcin ®0(}inatiömuö angel^ören, roibcricgt l^aben tüiH. !Dcr tranöfcenbem 
täte Sbealiömuö leiert bic Gntftel^ung imfcrer gemeinfamcn ©rfci^einungö^ 
tüclt; bcr empirifc^e SRealiömuö leiert, ba§ cö beöl^atb feine anberen 
©rfenntnifeobjecte ßiebt aU bie ©rfd^einungen ober finnüd^eu SJinge: 
ballet gel^ören bie beiben ©tanbpunfte not^roenbig jufammen, unb il^re 
jToei 5Ramen begeid^nen nur üerfd^iebene ©eiten berfetben 58orfteIIung§= 
art. ©benfo t)er|ätt eö fid^ mit ben beiben anberen. 3)er tranöfcenbentate 
SRealiömuö tel^rt, ba§ bie 3)inge aufeer nn§ unabl^ängig von unferen 
aSorftellungen ober 2)inge an fi^ finb ; ber empirifd&e Sbealiömuö lel^rt, 
baß wir eben beöl^atb bie 3)inge aufeer un§ nici^t unmittelbar, fonbem 
nur mittelbar, b. 1^. burd^ ©d^tu^folgerungen, oorfteHen, bal^er i^reö 
2)afeinö weniger gewiß fein fönnen, al§ unfereö eigenen 35enfenö, ober, 
raaö baöfelbe l^eißt : baß bie ©jiftenj unfereö benfenben SBefenö (©eele) 
allein gewiß, bagegen baö S)afein ber S)inge außer unö ungewiß ober 
jweifell^aft ift. 2Ber bie äußeren S)inge für 35inge an fid^ l^ält, muß 
il^r 2)afein für jweifell^aft l^alten, ba er beöfelben nid^t umnittelbar 
gewiß fein f ann. 3lnberö auögebrüdft : wer „tranöfcenbentater SRealift" 
ift, muß jugleid^ „empirifd^er ^bealift" fein. 2)iefe beiben ©tanb= 
punfte ftreiten nid^t mit einanber, fonbern finb ibentifd^, unb il^re 
5Ramen bejeid^nen nur üerfd^iebene ©eiten berfelben SSorftettungöart. 
SBenn e§ fid^ mit bem 35afein ber 3)inge außer uns fo oerl^ält, wie 
ber tranöfcenbentale SRealifi bel^auptet, bann muß eö fid^ mit unferer 
SSorftettung biefer 2)inge unb mit ber ©ewißl^eit il^reö 2)afeinö fo üer- 
l^alten, wie ber empirifd^e Si^^^Iift te^rt: biefe beiben ©tanbpunfte be= 
bürfen feiner aSerföl^nung, weil fie nid^t mit einanber ftreiten, fonbern 
notl^wenbig jufammengel^ören unb ben ßl^arafter jeneö bogmatifd^en 
SRationatiömuö auömad^en, ben 2)eöcarteö begrünbet unb Äant burd^ 
ben fritifd^en wibertegt l^at.*) ©o fte^t bie ©ad^e. Unb nun laffen bie 
©renjboten il^ren ^l^itofopl^en mit läd^erlid^er (Smpl^afe, wie fie teeren 
Äöpfen wol^t tl^ut, wörttid^ fotgenben Unfinn t)erfünben: „Äant fefete 
feine ganje ge wattige Äraft baran, ben ©treit jwifd^en empirifd^em 
Sbeatißmuö unb tranöfcenbentatem SReatiömuö ju fd^tid^ten"**) u. f. w. 
ättfo Äant fott 1. ben ©treit jweier ©tanbpunfte gefd^tid^tet l^aben, bie 
nad^ feiner ©infid^t unb ßel^re oöHig l^armoniren, er fott 2. ©tanb- 
punfte t)erföl^nt ^aben, bie er wibertegt l^at, unb er fott 3., um einen 



*) SBgl. tnetne @efd>. b. neuern pitof. a3b. III (3. STuft.), ®. 450-456. — 
**) S)te ©rcngboten SBr. 40 (1882) ©. 16. 



73 

Streit SU fd^lid^ten, ber imcfi feiner Ginfid^t unb ßel)re feiner ift nod^ 
je einer loar, „feine gewaltige Äraft baran gefegt f)aben'\ unb noä) baju 
,,bie ganje"! Gö ift unmöglid^, ntel^r Unfinn in weniger SBorten ju 
fagen. "iS^mn unfer Slnonpmuö feine Sefer nod^ um etroaö bitten roill, 
fo mag er benfelben etroaö abbitten: nämtid^ feine ganje ©ubetei, bie 
baö erbärmlid^fte 3^iig ift/ i^^ö V ^^^^ ^cmt gefd^rieben worben. 

3d^ fomme auf baö ®rgcbni§ meiner Prüfung ber fantifd^en ®r= 
fenntnijgle^re jurüd unb mujs baäfetbe für unroibertegt l^alten. dlaä) 
ber ©runblel^re Äantö finb bie 2)inge an fid^ t)on ben ©rfd^einungen, 
alfo aud^ von ben Singen aufeer unö auf baö genauefte ju unterfd^eiben 
unb jebe 5Bermengung beiber auf ba§ forgfältigfte ju Derl^üten. ^Dagegen 
l^at Äant im ^ejt unb in ber 58orrebe ber jweiten Sluögabe ber 58er= 
nunftfritif eine fotd^e SBiberlegung beö 3i>^<^K^i"w^ g^g^t^n, bafe bie 
Singe aujger unö alö unabhängig t)on ber SSorfteHung, mithin als Singe 
an fid^ gelten, alfo bie (enteren mit ben ®rfd^einungen vermengt werben. 
@ö entfprid^t ber fantifd^en Seigre üoHfommen unb ift burd^ ben ®eift 
wie burd^ ben Sffiorttaut berfelben geboten : baß wir ben Singen an fid^ 
^Realität unb Urfäd^Ud^feit jufd^reiben. Sagegen wiberftreitet e§ biefer 
Seigre ebenfo fel^r, ben Singen an fid^ tfieoretifd^e ©rfennbarfeit (em= 
pirifd^e ^Realität) unb äußere Gaufalität beijutegen. ©ie finb bie 
Urfad^en imferer finntid^en ©inbrüdfe ober unfereö empirifd^en ©rfenntnijs^ 
^off§, aber nid^t äußere Urfad^en, benn biefe finb äußere Singe ober 
6rfd^einungen, bie auö ben ®mpfinbungen entftel^en, alfo biefelben uu= 
möglid^ erjeugen. @s ift ba^er eine grunbfatfd^e unb vtxtefjxte 9luf= 
faffung ber fantifd^en g^unbamentatte^re, wenn man nad^ i{)r bie Singe 
an fi^ für bie äußeren Urf ad^en unferer ©inneäempfinbungen l^ätt. 
Sine fotd^e 3luffaffung ift burd^ ben tranöfcenbentaten S^^ealiömnö ab- 
folut verneint, aber burd^ bie fpätere „SBibertegung beö Sbealiömuö" 
nid^t gel^inbert, ja fo weit ermöglid^t worben, baß fie bei ben Äantianeru 
gewöl^nlid^en ©d^tageö bie tanbtäufige würbe. Siefe 3lnfid^t ift eö, bie 
g^id^te in feiner Seftreitung ber Kantianer unb fpäter ®d^openf)auer in 
feiner Äritif ber fantifd^en ^f)ilofop^ie atö wiberfantifd^ unb wiber- 
finnig nid^t ftarf genug verwerfen fonnten. g^id^te fagte: „So lange 
Äant nid^t auöbrüdflid^ erftärt: bie ®mpfinbung fei in ber ^f)ilo= 
fopl^ie an^ einem an fid^ außer nn^ t)or^anbenen tranöfcen= 
bentalen ©egenftanbe ju erklären, fo lange werbe id^ nid^t glau= 
ben, was jene 9Ju§Ieger unö t)on Äant berid^ten. S^l^ut er aber biefe 
©rftärung, fo werbe id^ bie Äritil ber reinen SJernunft el^er für ba§ 



74 

3Serf beö fonberbarften B^fcittö I^alteii, aU für baö eines Äopfö/'*) 
®od^ cö ift eine ebenfo grnnbfalfci^e nnb üerfel^rte Stnfid^t üon ber 
!antifd)en Üefire, wenn man na(S) i\)x ben SDingen an fid^, weil fie bie 
äujseren Urfaci^en nnferer ©inpfinbungen nid^t fein !önnen, äße SReatität 
unb Urfäci^Ud^feit überhaupt abfprid^t unb fie für nid^tö weiter gelten 
laffen roiH, al§ für btofee iinroirffanie Segriffe. 3^ ^«^^ ^"^ i^^i" 
(Üeift nnb Sud^ftaben beö fantifd^en ©vftemö anöfü^rtid^ nad^geroiefen, 
ba§ unfer ^^itofop^ bie ^Realität nnb Urfäd^lid^feit ber 35inge an fid^ 
geleiert l^at nnb teuren mufete, nnr ift biefe SReatität nid^t bie einpirifd^e 
nnb biefe Urfäd^tid^feit nid^t bie finnlid^e nnb änfeere, fonbern bie über- 
finntid^e nnb intettigibte: nmnlid^ bie ßanfatität beö SBitlenö. 3ft 
etwa nad^ Äant ber SBiKe nnb bie grei^eit nid^t ®ing an fid^ nnb 
jngteid^ ^Realität nnb SBirf f amf eit ? 3)aö SDing an fid^ ift nad^ Äantö 
anöbrfldElid^er iJe^re bie Urfad^e nnferer ©mpfinbnngen ; baö ®ing an 
fid^ ift nad^ Äantö anöbrüdftid^er Se^re SBitte. 2Bie !ann ber SBitte 
Urfad^e nnferer ©mpfinbnngen, nnferer Sinnlid^feit nnb SBernnnftbe^ 
fd^affen^eit überf)anpt fein? 2Bie? So fielet bie ^rage, bie nad^ 
Äant unanftööUd^ bleibt, nnb in ber ©d^openl^aner ba§ Siätl^fel ber 
3Bett fal^, baö er bnrd^ feine ßel^re t)om SffiiHen anftöfen rootttc. Unb 
bie organifd^e (Sntroidftnngögefd^id^te nnferer S^age, bie t)on SJarroin 
Ijerfoinmt, red^net in ber ertend^tenben 3lrt nnb SBeife, wie fie baö 58er= 
pttnife Don g^nnction nnb Drgan fagt, mit biefem ?5^actor, ben ©d^open- 
Iraner ben aSiUen jnm Seben genannt l^at.**) 

9iad^bem id^ gejeigt l^abe, baj3 nnb roarnm bie fantifd^e ^l^ilofoptjie 
bie ^Realität nnb Urfäd^lid^feit ber 5Dinge an fid^ bel^anptet, mn§ eö 
mir einen feltfamen (Sinbrndf mad^en, in einer „gefrönten ^reiöfd^rift" 
über biefe ^I^Uofopl^ie jn lefen : „fetbft Änno e^ifd^er ift von bem 5Bor= 
wnrf einer mifeoerftänblid^en 35entnng Äantö nid^t frei, inbent er von 
einer SReatität ber 3)inge an fid^ rebet". 3lber ba id^ fel^e, bag fid^ 
ber aSerfaffer jn feiner Unterftüfeung anf ben Slnonpmnö ber @renj= 
boten bernft nnb felbft feinen ßefern Derfünbet, baß in ber fantifd^en 
^I^Uofopl^ie „baö SDing an fid^ immer nnr ber nnftare SBieberfd^ein 
imfereö aSerftanbeö ift", fo mnnbere id^ mid^ nid^t mel^r über feinen 
„SSorronrf", fonbern nnr nod^ über feine „^reiörid^ter".***) 



^) 3. ®. fjtd&te: 3h)eitc (Sinlettwng in bie Sßiffcnfd^aftgle^re. S«r. 6. @. 2B. 
Slbt^. I. a3b. I. @. 486. — **) @. ob. ©ap. I. @. 17-23. - ©. ob. ^. 111. @. 40. 
— ***) Ä. i^aftmt^: 2)ie ßel^re ^ant« öon ber 3bcaUtat beg ^laumeg unb ber 3eit 
u. f. f. @. 132 aiimerlung. So tibm ift i:»on 81. ©laffen in ^omburg (©ren^boten 



75 

SSeim £ant nid^t baö üoit aßen i>orftefi[un9en unb (Srfd^eiuungeu 
unabpngige ©ein ber 3)in9e an fid^ befiauptet l^ätte, fo roürbe unter 
ben nad^fantifd^en 9Wetapf)i;fifern ein 3)lann, roie ^erbart, biefer ent= 
fd^iebene ©egner aHeö 3beatiömu§ unb a)loniöniuö, ninnnerme^r fid) aU 
einen „Kantianer" bejeidf^net fiaben unb überjeugt gewefen fein, bafe 
^,Äant ben roafiren ^Begriff beö ©einö befafe". SBer bie 5Dlöglid)feit 
beö ontotogifd^en Seroeifeö t)om 2)afein ©otteö fo, wie Äant in feiner 
SSenmnftfritif roibertegt ^at, war nad^ ^erbart „ber 3JJann, bie alte 
aWetap^pfif ju ftiirä^en''. *) 

n. S)ie ^Prüfung ber ^reif)eit§= unb ©ntroidftungölefire. 

1. @c^o))en]^aucrg ^riti! ber (anttfd^en g^l^ilofopl^te. 

©d^openl^auer ^at in feiner auf bie sweite 3luögabe beö ^auptioerfö 
flegrünbeten „Sritif ber fantifd^en ^fiilofop^ie" biefe atö bie ^öd^fte 
(grfd^einung geroürbigt, roeld^e bie ®efd)id^te ber ^ptofopl^ie ^erüor- 
flebrad^t l^abe. SSergtid^en mit ben frül^eren ©riftemen, üer^alte fid^ bie 
fantifd^e Seigre ju jener atten 5fKetap^i)fif t)om SBefen ber 35inge (@ott, 
SBelt unb ©eete), wie bie roal^re SBettanfd^auung jur fatfd^en ober wie 
bie neuere ßfieinie ju ben 2lld^r)miften ; unb fetbft bie tieffinnigen unb 
ibealiftifd^ gerid^teten ©t)fteme ber atten 3^it^ bie, n)ie bie inbifd^e die- 
ligion unb bie platonifd^e ^f)ilofopf)ie, ju ber ©infid^t gelangt wären, 
bafe unfere ©innenweit nur üorgefteHt unb phänomenal fei, Derl^ielten 

^r. 17 (@. 190—197) burc^ :|3arattcle Slnfül&rung einzelner toic gufammenl^ängcnbcr 
©teilen nad^sutueifen geflieht morbcn, bafe ber gefrönte ^reisbetoerber an ber ©c^rift 
eine» onberen „51. Traufe: populäre 2)arftellung ber ^rili! ber reinen Sßcrnnnft 
(ikl^r 1881)" ein öielfa^eg Plagiat öerübt l^abe. 2)ie (Sac^e f)at meine 2lufnierf= 
famleit erregt, ba id) gtütfc^en jener :|30pnlären 3)arftettnng ber Sßemunftfritt! itnb 
bem onon^men SIrttfel „^ant unb ^uno gifc^er'' in ben (Srengboten getuiffe nn^ 
^nfttge Sle^nlic^feiten ber (Schreib* unb 3)enfart bemer!t l^atte. 2)ag ööttige jUlife- 
öerftanbnife unb bie grunbfalfc^e Slnffaffung ber fantifc^en Seigre öon ben 2)ingen 
an fid^ f^at iperr ßofetui^ mit bem populären 2)arfteffer unb bem Slnon^muS gemein, 
toeld^en le^teren er oud^ ^egen mic^ anfül^rt. @ine ^reisfd^rift, bie ben S^lamen öerbient, 
foKte freilid^ ntd^t eine Slngal&l (Stellen entl^alten, bie burd^ il^ren SBortlaut an ba^ 
SBer! eineg anberen erinnern unb ben Sßerf. unerlaubter (Sntlel^mingen öerbä^tig 
mod^en fönnen. Snbeffen finb 3nl)alt unb Umfang ber bezeichneten ©teilen nic^t bebeu- 
tenb genug, um barauf tvtber bag gange S3ud^ bie Slnüage eine^ $IagtatS %u grünben. 
3ci^ l^alte bie Untere fc^on barum für ungered^tfertigt, meil ungeaddtet ber 3WängcI 
unb Srrtl^ümer, bie ßagtüi^ mit ^raufeg populärer 2)arftettung tl^eilt, feine Schrift 
SSoi^üge l^at, bie jener fehlen. — *) @. unten (5ap. V. ^x. II. 2. (S. 105-106. 



70 

\xä) äu ber fautifdjen iieljre, wie bie unridituj begrünbete 3BaI;rl;ett jiir 
ri(^tig begrünbeten, ober wie bie Ijetiocentrifd^e SBeltanfid^t einiger ^t)= 
tt)agoreer ju ber beö Kovernihiö. ^i^i^^ff^^ ermangele bie fantifc^e ^l^i- 
lo)opf)ie forool^l ber SBoDenbnng aU ber ßinftintmigfeit. 3(;re beiben 
^auptt)erbienfte feien von jwei ^auptfe^lent begleitet. Äantö grö^te^ 
3Serbienft beftefie in ber „Unterfd^eibung ber (Srf(|einnng t)om 2)inge an 
fid^", njorauö „bie gänjlid^e 3)iüerfität beö 5ReaIen unb ^bealen" ein- 
(endete unb baö bloö DorgefteHte ober v^änontenale (alfo nid^t roafire) 
Sein nnferer ©innenweit. Sein jweiteö 58erbienft befte^e in ber „6r= 
fenntnife ber unleugbaren moralifd^en Sebeutung beö ntenfdjlid^en ^am 
belnö alö ganj uerfd^ieben unb nid^t abl^ängig üon ben ©efe^en ber 
©rfd^einung, nod^ biefen gemä§ je erflärbar, fonbern al§ etioas, lueld^e^ 
baö S)ing an fid) unmittelbar berülire".*) 

3)en erften ^auptfef)ler Äantö finbet ©d^open^auer barin, bajg ber= 
felbe bie anfd)auenbe unb abftracte ober begrtfflid^e ©rfenntnig nic^t 
beutlid^ unterfd^ieben ^abe, loorauö eine ^eillofe aSerwirrung balb burd^ 
bie fatfd^e S3ermi)d)ung, 'balb burc^ bie falfd^e ©ntgegenfe^ung beiber 
gefolgt fei. SDal^er l^abe er bem SSerftanbe bie anfd^auenbe ©rfenntni^ 
abgefprod^en, al§ ob eö eine anfd^aulid^c äßelt ot)ne aSerftanb geben 
fönne; ba^er liabe er bie ä?ermmft nid^t alö baö aSermögen ber ab- 
ftracten ober begrifflid^en @rfenntni§ burd^ Urtl^eile unb Sd^lüffe, fom 
bem al§ baö ber ^JJrincipien unb be§ moralifd^en iQanbelnö beftimmt^ 
roä^renb fie nur bie Stegein erfenne, nad^ benen baö finge iQanbeln 
oerfalire. 3Jloralifd^ ober tugenbt)aft unb oernünftig ober Mug finb 
feineömegö ibentifd^: bie macd^iüeHiftifd^e ^olitif ift nid^t tugenb^aft^ 
n)ol)l aber fing unb vernünftig, unb ber aufopfernbe (Sbelmut^ ift ebenfo 
tugenbl^aft wie unflug. 3luö ber anfd^aulid&en (Srfenntnife beö SSerftanbe^ 
entftel^e burd^ baö aSermögen ber atePejion ober beö 2)enfen§ (SSernunft) 
bie abftracte. SDafier Derl^alten fid^ bie Slnfd^auungen ju ben Segriffen^. 
wie bie finnlid^en Dbjecte ju ben gebadeten, ober wie bie „^liänomena'* 
ju ben „Jloumena", aber nid^t, n)ie bie (Srfd^einungen ju ben 2)ingen 
an fid^, benn bie abftracten a3egriffe fteHen nid^tä anbereö t)or alö 6r- 
fd^einungen. 2)a§ Äant ben Unterfd)ieb ber ^l)änomcna unb Sßou- 
mena bem Unterfd^iebe ber (Srfd^einungen imb ber ®ingc an ]iä) gleid^- 
gefegt unb bemgemäfe bie lefeteren für Sioumena erttärt l^abe, fei ein 

*) 21. ©cöopcttliaucr: 2)ie 2Belt alg Sitte unb iBorftettung. »b. I. 2ln^ang 
(5. $lufl. 1879). ®. 491-500. ( 



77 

)ä)xoexex unb t)er]^än9ni6t)otter ^rrtl^um gerocfcn, bcr aii§ jenem erften 
©ruubfel^ler ^erüorgegangen. *) 

35er jroeite ^auptfel^ter, roeld^er ber ibealiftifd^en ©runbanfid^t ber 
3?ernunft!ritif auf baö äufeerfte roiberftreite, befiele in ber falfd^en @in=: 
füfirimg beö Singeä an fid^ aU ber äußeren Urfad^e unferer 6mpftn= 
bungen. 3liä)t bie 2lnerfennung eineö 2)ingeö an fid^ jur gegebenen 
6rfdf)einimg fei falfd^, fonbern biefe 2lrt feiner 3lbteitung, bie ber jroeiten 
3luögabe ber Äritif mit il^rer „SBibertegung beö ^bealiämud" jur Saft 
falle, „deiner bilbe fid^ ein, ,„,bie Äritif ber reinen 58ernunft"" ju 
fennen unb einen beutlid^en Segriff von Äantö Se^re ju i)dbzn, wenn 
er jene nur in ber jweiten ober einer ber folgenben Auflagen gelefen 
l^at; baö ift fd^led^terbingö unmögtid^, benn er ^at nur einen t)erftüm= 
malten, t)erborbenen, gewiffermafeen unäd^ten Xejt gelefen." **) ®ä Reifet 
ber ibealiftifd)en ©runbanfid^t ber fantifd^en Seigre miberfpred^en, wenn 
ba§ ®ing an fid^ nad^ bem ßaufalitätögefefe alö bie äußere Urfad&e 
unferer ©mpfinbungen gelten foH. Unb eö l^eifet bie gefammte fantifd^e 
Seigre üerneinen ober t)on ®runb auö Derfennen, wenn baä ®ing an 
fid^ iiberl^aupt abgeleugnet ober bemfelben bie ^Realität, b. ^. ber 6^a= 
rafter beö Urfeienben abgefprod^en wirb, wie eö nn^ in einigen ber 
iüngften S^ageöfd^riften nod& eben begegnet ift. Sd^open^auer moHte 
eine fold^e 3lnfid^t von bem fantifd^en ©vftem, bie er für „unfinnigeö 
SBifd^iroafd^i" erflärte, mit Unred^t bem ^l)ilofopl)en gid^te sufd^reiben, 
ber, gteid^ ©d^openl^auer, bel)auptet i)at, bafe bie folgerichtige SSernunft= 
fritif niemals bie äußere ©Eiftenj unb ßaufalität beö Singeö an fid^ 
leieren fönne,***) unb, wie jener, bie Unerfennbarfeit beöfelben in bem 
©inne t)erneint l)at, ba§ baö 2)ing an fid^ in unferem ©elbftberou^tfein 
unmittelbar ju erfennen fei unb erfannt werbe, unb jmar alö SBille. 

3Bir ^aben ^ier nid^t baä Sntereffe, ©d)openl)auerö Äritif in 3ln= 
fe^ung ber fantifd^en @rfetmtni§lel^re näl)er ju Derfolgen, ba bieö ju 
einer ^Prüfung feiner eigenen 2ei)xe füliren müfete, bie gemäfe i^rer 
Unterfd^eibung jwifdien 58erftanb unb 5Bernunft, jwifd^en ber anfd^au^ 
enben ©rfenntnife beä erften unb ber abftracten ©rfenntnife ber anberen 
fid^ genöt^igt fa^, .^antä Sel)re üon ben Kategorien beö 3Serftanbeö unb 
ben ^oftulaten ber aSernunft gönslid^ ju üermerfen. 3n ben beiben 
Öauptpunften, bie ben 6f)arafter beö fantifd^en ©pftemö auömad^en, 



*) ©benbafclbft @. 513 unb 517, (S. 563-66, @. 610-614. - **) $Die mit 
alg mUi unb S^orfteÜuufl. (S3b. I. @. 515-17. - ***) @. oben @. 73 Pgb. 



78 

näiiilic^ in ber ße^re von ber Si^calität aller ^rfd^cinungen (Cbjcctc) 
unb von ber ^Realität beä 2)ingcö an fici^, baö üon aßen ©rfd^cinungen 
völixQ unabhängig unb unterfc^ieben fei, ift er mit Äant eint)erftanben 
imb l^at gemäfe biefer SHid^tfd^nur fein eigenes ©gftein, „bie 3Belt aU 
äßiUe unb SBorftellung" auöiubüben gefud^t. 3n jener feiner änfid^t 
t)on ben ©runblagen ber fantifd^en ^l^ilofopl^ie muffen wir il^m bei= 
ftimmen; aud^ barin, bafe bie SSermengung ber ©rfd^einungen unb ber 
Thinge an fid^ biefen ©nmblagen roiberftreite ; aud^ barin, bafe bie 
5Dinge an fid^, wenn fie alö 2)inge aufeer unö unb atö äufeere Urfad^en 
unferer ®mpfinbungen gelten foDen, mit ben ©rfd^einungen üermengt 
werben; auc^ barin, bafe in ber „SBiberlegung be§ Si^ealiömuö", m 
fie bie jmeite 3luögabe ber Äritif auögefü^rt l^at, bie 35inge außer un§ 
alö etroaö t)on aller Sßorftellung Unabhängiges unb bemnad^ alö ©inge 
an fic^ figuriren. SBenn aber ©d^openl^auer, wie eö ber ^aU ift, nid^t 
bloö bie äußere Gaufalität ber 35inge an fid^, fonbem bereu Urfäd^- 
lid^feit überhaupt für unoereinbar mit ber lantifd^en Sfel^re l^ält, weil 
nad^ ber lefetereu ber Segriff ber ßaufalität überhaupt auf bie S)inge 
an fid^ nic^t anroenbbar fei, fo fönnen mir i^m roeber barin beiftimmen, 
baß eine fold^e 3lnfid^t ben von i^m bejeid^neten Sffiiberfprud^ entl^alte, 
nod^ barin, baß bie erfte 3ludgabe ber Äritif üon biefem SBiberfprud^, 
wenn eö einer märe, frei ju fpred^en fei. 35aß bie S)inge an fid^ baö 
überfinnlid^e Subftratum ober ber verborgene Urgrunb unferer aSemunf- 
befd^affenf)eit, alfo auc^ ber unferer ©mpfinbungen unb ©innenroelt finb, 
ift eine Se^re, bie Äant felbft für „bie beftänbige Sel^auptung feiner 
ilritif" erflärt ^at. ©ö ift if)m nid^t eingefallen, bie jeitlid^e ober finn= 
lic^e ßaufalität auf bie ®inge an fic^ anjumenben; i^re Urfäd^lid^feit 
ift bie jeitlofe ober inteHigible, fomie i^re ^Realität nid^t baö jeitlid^e, 
fonbem jeitlofe ©ein ift.*) SBenn ©d^openl^auer feine anbere, alö bie 
Seitlid^e ßaufalität gelten laffen roiH, fo ift baö feine ©ad^e unb gel^ört 
in bie 2)arftellung unb ^Prüfung feiner Seigre, mit ber mir jefet nid^tö 
ju t^un i)aben. ©r tabelt Äant, weil er ben ©ingen an fid^ ßaufalität 
jufd^reibe. SBarum lobt er i^n, baß er bie ^Realität berfetben bejal^t 
unb geleiert l^abe? 3^m felbft ift eö fauer genug geworben unb bod^ 
nid^t gelungen, bem 2)inge an fid^ (SBiUen) jugleid^ ba§ Urfein juju= 
fpred^en unb bie Urfäd^lid^feit abjufpred^en. 9iad^bem id^ gejeigt l^abc, 
in meldten 5punften, roaö bie 2)iffereni ber beiben 2luögaben ber 3Ser= 



*) @. oben (Jap. I. @. 17-21, (Jap. II. 8. 24 flgb. 



7Ö 

nunftfritif unb bcn SBibcrftrcit in bcr fantifd^cn ©rfcnntnifelcl^rc betrifft, 
i(i) mit ©c^opcii^auer übcreinftimme, mufe id^ wünfd^en, bafe man in 
eben biefer ^^rage biejenigen fünfte nid^t überfe^e, worin id^ von i^m 
obmeid^e. 

3)ie fantifd^e ©rfenntnifele^re, mit jenem nad^gemiefenen 3Biber= 
fprud^ belauftet, miberftreitet ber grei^eitölel^re. Dfine benfelben bt- 
grünbet fie bie 2Mögtid^feit ber grei^eit, unb imar unter aßen Spftemen 
fie aßein, benn eö ift !ein 3w)eifet, bafe gemäfe biefer Äe^re baö von 
offen ©rf^einungen völlig unterfd^iebene, von 3^it unb Siaum t)öffig 
unabpngige 25ing an fid^ nid^tö anbereö ift unb fein !ann, atö bie 
greil^t ober ber SBitle. SBir ^ahm biefen 5ßunft bereits fo au§fü^r= 
lid^ erörtert unb Rar geftellt, bafe meber neue Segrünbungen ju geben 
nod^ einjelne fantifd^e Säfee jur Seftätigung anjufül^ren finb.*) S)ie 
brei fritifd^en ißauptmerfe bürfen nn^ atö bie einteud^tenben Urfunben 
biefer Seigre gelten : bie Äriti! ber reinen SBernunft in ifirer Seigre t)om 
intefligibeln unb empirifc^en 6^ara!ter, bie Äritif ber praftifc^en SBer= 
nunft in il^rer iiel^re von ber ^Realität ber greil^eit unb t)om 5ßrimate 
beö SBiffenö, bie Äritif ber Urtl^eilöfraft in il^rer Seigre von ber natura 
lid^en 3w)edEmä§igfeit unb ben inneren Sßaturjmedfen, mie von bem mora= 
lifd^en ©nbiwede unb Urgrunbe ber SBett. Jlad^bem Äant ben 3"= 
fammenl^ang feiner @r!enntnife= unb greifieitöte^re ober, waö baöfelbe 
l^eifet, bie Sbentität jmifd^en 25ing an fi^ unb SBiffen fo einleud^tenb 
unb auöffll^rlid^ bargetl^an l^at, fönnen mir unmögtid^ mit ©d^open^auer 
meinen, ba§ il^m biefe ©ad^e nur bunfel, gteid^ einer 9I()nung, t)or= 
gefd^mebt unb er baö S)ing an fid^ aU SBillen nid^t mit ber Ueber^ 
jcugung beö ^^ilofopfien erfannt ^abe, fonbern mie „ber gute 2Menfd^, 
ber in feinem bunfeln 2)range fid^ beö redeten SBegeö mo^l bemufet ift". 
„3d^ ne^me bafier mirflid^ an'\ fagt ©d^openl^auer, „obmo^l eö nid)t 
ju bemeifen ift, bafe Äant, fo oft er t)om 2)inge an fic^ rebete, in bcr 
bunfelften ^iefe feineö ©eifteö immer fd^on ben SBillen unbeuttid^ 
badete."**) Sßad^bem aber ©d^openl^auer fetbft in ber „Unterfd^eibmtg 
ber ßrfd^einung t)om S)inge an fid^" unb in ber ,,®rfenntnife ber nn- 
leugbaren moralifd^cn Sebeutung beö menfd^lid^en ^anbelnö, alö etmaö. 



*) ©bcnbafclbft ®. 24—26. — **) 3)ie mit al8 SBitte unb S^orftcttung. 
Söb. I. @. 599. 



80 

toctd^eö baö ©ing an fid^ unmittelbar berührt", bie beiben gröJBten 
Sßcrbienftc unfereö ^l^ilofopl^en erfannt unb beffcn £ef)re x)on SRaum 
unb 3^it/ ^i^ i^i^ ^ö" bem intettigibeln unb empirifd^en Gl^arafter aU 
„bie jwei diamanten in bcr Ärone be§ fantifd^en 9tuf)me§" gepriefen 
\)at, müjfen wir in jenem ehm erwäfinten ©afe nid^t bloß eine mangels 
Jiafte unb abgeminberte SBürbigung ber SBerbienfte Äant§, fonbern einen 
offenbaren 3Biberfprud^ mit biefen feinen eigenen ©rftärungen finben. 
Äant l^at gemußt, ma§ er leierte, wenn er bie S)inge an fid^ alö ^been, 
biefe atö S^^^^/ biefe alö SBiUenöbeftimmungen unb ben SBitlen 
fetbft aU g^reifieit faßte, bie unö nur an^ unferem eigenen moraüfdfjen 
äßefen mit unmittelbarer unb DoUfter ©emißl^eit einleud^te, aber mit 
„jenem Ueberfinnlid^en, baö mir ber Statur alö ^^änomen unterlegen 
muffen", b. i). mit bem S)inge an \iä) notfimenbigenueife ibentifd^ fei.*) 

3. S)cr SBibcrflrcit in bcr fjrcil^citslcl^rc. 

3mifd^en ber folgerid^tigen ©rfenntnißlel^re Äantö unb feiner grei^ 
^eitöle^re ift fein SBiberftreit, fonbern ber genaufte unb tieffte 3"- 
fammenliang, ben entbedft unb erleud^tet ju l^aben, baö unfterblid^e SSer- 
bienft unb bie originale ©eifteötl^at fennieid^net, meldte bie tantifd^e 
5ßt)ilofopl^ie ju bem mad^t, roa^ fie ift. 

S)ie g^reil^eitslel^re forberte eine mit ber ®tüdfelig!eitölel^re DöHig 
imt)ermifd^te, über jebe 2lrt ber eubämoniftifd^en Sebenöanfid^t, barum 
aud^ über allen ©treit jmifd^en Dptimiömuö unb 5ßeffimiömuö t)öllig 
erliabene 2Moral, bie itant, inbem er ^ugenb unb ©lüdffeligfeit x)on 
einanber fc^ieb, aud^ ausgeführt, aber in feiner Se^re t)om l^ö($ften 
®ut, inbem er S^ugenb unb ©lüdfeligfeit mit einanber t)erbanb, nid^t 
feftgel^alten, fonbern im ©runbe verleugnet l^at. Jlad^bem in ber ©itten= 
leiere ber eubämoniftifd^e J?eben§jmed von ber grei^eit unb 2Billenö= 
lauterfeit völlig auögefc^loffen war, burfte er burd^ bie Se^re vom l^ö^ften 
@ut unb von ber gortbauer ber ©eele nid^t mieber eingefül^rt werben. 
SBir f)abm, um bie Unfterblid^feitölel^re unfereö 5ßl)ilofopl^en flar ju 
fteHen unb bie malere von ber falfc^en ju unterfc^eiben, f($on frülier 
biefen 3Biberftreit in feiner greil^eitölelire auöeinanbergefefet unb er= 
fparen un§ bal^er alle SBieberl^olung, inbem mir auf jene ©rörterungen 
jurüdfmeifen.**) 

*) Sßgl. ohtn 6:ajj. III. @. 51 flgb. - **) (Sbenbafelbft. ^ap. II. ©. 28-39, 
(£ajj. III. (S. 55-57. SSgl. ®d^o)3cn^auer: 2)ic SSelt aU SBittc imb SSorftcttung. 
S3b. I. ©. 620-22. 



§1 



4. I)cr SBibcrftrcit gtoifd^cn bcr ©rfcnntnife* unb ©nttoidflungSlcl^rc. 



3)afe fiant bie cntn)i(flungögefd;id&tUd^e Sctrad^tung ber 2)inflc fd^ou 
t)or ber Äritif gcforbcrt unb ju feiner 2lufnabe flcniad&t, bafe er biefelbe 
burd^ bie SJernunftfritif begrünbet unb il^re ©runbjtige in feiner 2lnfid^t 
Don ber 3latm unb ©efittung, von ber organifd^en, focialen unb mora= 
lifd&en SBelt auögefül^rt l^at, ift in einem ber t)orl^ergel^enben 2lbfd^nitte 
nad^gewiefen toorben. *) 9lud; l;aben wir gejeigt, ba§ feiner Seigre gemäfe 
bie SBeltentwidlung aU 6rfd^ einung, unb jwar aU j 10 edmä feige 
ßrfd^einung ju faffen ift, bafe fie in il^rer ßin^eit wie in il^rem tiefften 
(Srunbc nid^tö anbereß als bie fortfd^reitenbe Offenbarung ber 
Jreil^eit ift unb fein fann.**) 35arum galt \\m Äant§ ßntwidlungß^ 
Icl^re aU eine ^Bereinigung feiner @rfenntnife= unb e?reif)eitölef)re, unb 
bie SB3eltentu)idElung felbft al§ eine ^Bereinigung ber ©rfd^einung unb 
beä 3)ingeö an fid^: al§ eine fold^e ^Bereinigung, bie weber beibe vex- 
mengt, nod^ aud^ bie Uner!ennbarfeit beö 2)ingeö an \iä) auffiebt, benn 
biefed, alö ber innerfte ^voed beö 2)ingeö, ift in ber @rfd^einung, ah 
bem Dbjecte unferer (Srfal^rung, burdf; feinertei nod^ fo genaue S^tfüie- 
berung anjutreffen. 60 giebt bemnad^ einen ©efid^töpunft ber Seurt^ei= 
lung, unter weld^em bie fantifd^e entwidtungölefire mit ber ®r!enntnife= 
lel^re junäd^ft nid^t ftreitet. ***) 

SBir muffen bie ßntwidlung ber Singe teleologifd^ Dorftellen unb 
unioerfeH faffen; wir muffen ifire Oeltung auf baö gefammte Sffieltatt 
auöbel^nen, aber i^re Grfennbarfeit auf bie moralifd^e Drbnung ber 
S^inge einfd^ränfen, ba nn^ alle 3wedfe bloö an^ bem SBitlen unb biefer 
nur aM ber eigenen praftifd^en SBernunft einleud^tet. S)af)er bleibt, 
wie bie ^rotde überfiaupt, and) bie ©ntwidflung ber 2)inge tfieoretifd^ 
unerfennbar. S)a nun alle ©rfd^einungen ©egenftänbe unferer @rfaf)= 
rung ober wiffenfd^aftlid^en (tfieoretifd^en) ©rfenntnife finb, unb bie 
ßntwidflung wol^l ©rfd^einung ift, aber fein (Srfenntnifeobject fein foH: 
fo tritt uns l^ier jwifdf)en ber fantifd^en ©rfenntnijs^ unb ®ntwidflungö= 
leiere ein SÜBiberftreit entgegen, weld^er bie lefttere felbft trifft unb barin 
befielet, bafe ber ©ntwidflung ber G^arafter ber ©rfd^einung jugefprod^en 
unb ber wiffenfd^aftlid^er ©rfennbarfeit abgefprod^en wirb. 2)ie tan- 
tifd^e ^pi^ilofopl^ie lefirt bie llnerfennbar!eit beö ®ingeö an fid^ unb bie 



*) @. oben 6ajj. III. @. 39-4G. — **) ©beubaf. @. 46-57. — ***) (5ben= 
bafclbft @. 53-55. 

9if(^cr, «titif b. fantifc^n W^ofop^^ie. 6 



82 

ßrfcnnbarfeit ber Grfdjeinunfl : fic crfd^üttert bicfc xf)xe ©runb(et)re, 
fobalb fie flenöttjißt ift, entroebcr jcncö für erfcnnbar ober biefc für 
uuerfennbar gelten ju la)^m. 3ii ^i"^^ fold^en Jlötl^igung toirb [ie 
biird^ it)rc ßntroicflungöte^re gebrad;t. C^ne bic Grfenntni^ beö 3^^^^^ 
ober beö 2)inge6 an fidf), toeldfieö ber (Snttoirf hing ber 25inge ju ©runbe 
liegt, ift biefe eine unoerftänbtid^e, unerfennbare, alfo ftreng genommen 
i'iberljaupt feine ©rfd^einnng. 3Benn nn§ ber innere ^roeä ber Singe 
nid^t eintend^tet, fo erfdf)eint nm in ber 3?at«r ber Singe aiid^ feine 
(Sntioicflnng. Sa^er finbet fid) bie fantifd)e ©ntmicflungölel^re vor fol= 
genbe§ Silenuna gefteHt: entioeber mn§ ber einleuc^tenbe, erfennbare, 
b. f). pljänomenate ßljarafter ber (Jntioidtnng oenieint ober bie ßr- 
fennbarfeit beö Singeö an fid) bejatit werben, nnb jmar nid^t blos bie 
praftifd)e nnb moralifd^e Grfennbarfeit, fonbern and) bie t^eoretii(]^e 
nnb loiffenfd^afttidje. 

III. Sie ^^Jrüfnng ber iie^re oon ben ßrfd^einungen 

nnb ben Singen an fid^. 

1. 2)ie (^rfeunbavfeit ber mcnfd^Ud^cn ä^ernuiift. 

Sie wiffenfd^aftlid^e ©eltnng ber GntmidElnngölel^re forbert bieje 
33ejaf)nng. Salier lä^t fid^ bie fantifd^e erfenntnifelel^re nic^t in ber 
i^crfaffnng feft{)atten, wetd^e iljr bie aWrnnnftfritif gegeben i)at, jnfotge 
beren nnr bie finnlid^en (Srfd)einnngen ©rfenntni^objecte finb, alle 
tt)eoretifd^e ©rfenntnife anf baö ©ebiet ber (Srfd^einnngen ober ©innen- 
objecte, alle praftijd^e bagegen anf baö Oebiet ber grei^eit ober ber 
Sbeen eingefc^ränft bleibt, nnb jebe weitere (Srfenntnife für nnmöglid) 
gilt. Sie 33ernnnftfritif Jelbft. wiberftreitet biefem Siefnltat, benn fie 
mnfe eine 6rfenntni§ einräumen, bie weber praftifd^ (moralijd^) ift, 
nod^ finnlid^e Singe ober (Srfd^einungen ju ©egenftänben l^at: biefe 
©rfenntnife ift fie felbft, fofern fie auf bem 3Bege i^rer gorfd^ung bie 
Sebingnngen ber ©rfatirung ergrünbet nnb einfielet, ©ie roiU in i^rer 
tranöfcenbentaten 3leftl)etif nnb SJlnatptif bie (Sinrid^tung ober Drgani= 
fation ber menfd^lid^en SBentunft erfannt l^aben: biefe ©rfenntnife ift 
feine praftifd)e, benn it)r Dbject ift nid^t bie grei^eit; auä) finb bie 
©egenftänbe biefer ©rfenntnijs feine ©rfd^einungen, benn SRaum imb 
3eit finb, mie bie ä>ernnnftfritif letirt, nid^t ©rfd^einungen, fo menig 
wie bie probnctioe ©inbilbung, ber reine 35erftanb imb baß reine Se- 
wnjstfein; biefe ©rfenntnijs ift nid^t ©rfafirung, benn il^re ®egen= 



83 

ftänbe finb bicjenigcn 33cbin9ungen, weld^c aller ©rfa^rung Dorauögcficn 

unb blefelbe niadf)en. '^enn nun alle ®rfenutni§, bie junäd^ft nur @in= 

fid^ten, nid^t aber ^anblimgen bestüedft, tfieoretifd^ unb roiffenfd^aftUd; 

genannt tücrben umfe, fo liefert bie fantifd)e 5Bernunftfritif eine fold^e 

6r!enntniB, bie weber enipirifd^ nodj praftifd^, löofil aber tl^eoretifd^ ift 

unb ben 6l^ara!ter ber 3Biffenfd;aft in 3lnfpru(^ nimmt, ©ic ift ©r^ 

fenntnifelcl^re unb mürbe e§ nid^t fein, menn ifire Seigre von ber 

6rfenntni§ feine 6rfenntni§ märe ; fie begrünbet bie @rfaf)rung§erfennt= 

mJ5, inbem fie jeigt, mie biefetbe entfielet, unb mürbe biefeö i^r S'^d 

oerfel^Ien, menn fie felbft (Srfafirung märe, benn baö ^ie^e bie (£rfal^= 

rung burd^ bie ©rfal^rung begrünben, atfo nid;t begrünben, fonbern 

oorauöfefecn, mie bie bogmatifd^e ^^fiitofopl^ie getrau l^at. 9)Ian möge 

unö nid^t einmenben, ba§ ja Äant bie inbuctit)e a)let^obe ber 6rfal^= 

rungömiffenfd;aft gebrandet l^at, um feine (Srfenntnijslel^re ju begrünben, 

alfo bie 5ßernunft!ritif felbft auf bem SBege ber ©rfa^rung entftanben 

ift. 3Ran täufd^e fid^ nid^t über bie ©ad^e burd^ ein jmeibeutiges ©piel 

mit bem SBorte ßrfalinntg! 2llö fold^e im genauen SBerftanbe gilt 

unferem ^P^ilofopl^en nur biejenige ©rfenntnife, bereu Dbjecte @rfdf)ei= 

nun gen finb, mogegen bie S?ernunftfritif ju einer fold^en erfenntnife 

fül^rt, bereu ©egenftänbe feine ßrfd^einungen finb, fonbern bie fub= 

jectiuen Sebingungen aller ©rfd^einung. ©in anbereö ift bie 2^l^atfad^e 

ber ©rfal^rung, ein anbereö bereu Segrünbung. SBaö burd^ ©rfa^rung 

begrünbet mirb, ift empirifd^ erfannt; baöjenige bagegen, moburd^ bie 

6rfal^rung felbft begrünbet mirb, ift eben be§f)alb feine ©ad^e ber em= 

pirifd^en, fonbern ber tranöfcenben taten ©rfenntnijs, meldte beibe 

©rfenntnifearten unfer ^t)ilofopf) unterfd^eiben mujste, mie er fie unter= 

fd^ieben ^at. 3Benn nad^ it)m alle (grfenntnijs ttieiU tlieoretifd^, tl^eil§ 

praftifd^ (moralifc^) ift, fo f)at bie tranöfcenbentale ben ßliarafter ber 

tl^eoretifd^en ßrfenntnife, aber nid^t ben ber empirifd^en. 2)al^er muffen 

mir erflären, ba^ bie SBernunftfritif mit il^ren eigenen 6infi(^tcn über 

jene ©renje l^inauögel;t, meldte fie felbft aller ttieoretifd&en ©rfenntnife 

afe unübcrfteiglid^e ©d^ranfe gefegt l)at. 

2)ie ©infid^t in jene fubjectit)en 33ebingungen, morauö unfere ©r- 

fd^einungen (ßrfal^ruugöobjecte) unb bereu ©rfenntnijs entftel^t, mar ber 

tranöfcenbentale Sbealiömuö; bie baburd^ begrünbete ©infid^t, bafe mir 

feine anberen ©rfenntnijsobjecte alö bie fiunlid^en ©rfc^einungen tiaben 

fönnen, mar ber empirifd^e 9teali§mu§. 9Bir miffen, meld^er notl^menbige 

Sufammenl^ang jmifd^en beiben beftefit: fie üerljalten fid^, mie ©runb 

6* 



84 

unb ^olflc. yixä)t^ ift halber flcbanfcnlofcr, aU tt)cnn in ber 93eurtl^ci= 
lunfl ber fritifd^en ^t)itofopl^ic, wie fieutjutagc in melen Sd^riftcn ju 
jtnben ift, ber G^arafter beö tranöfcenbcntalen Sbealiömuö, fei eö au§ 
Un!enntnife ober Unoerftanb, ^an^ außer 9ld^t gelaffen unb bie fan- 
tif(^e iJel^re für @mpiri§mu§ erflärt wirb. 

Die SSernunftfriti! trägt bie Slufgabe in fid^, au^ bem SBefen un= 
ferer i^rmnift, baö unö nur vermöge ber tiefften ©elbfterfenntniß ein= 
(endetet, bie Sebingungen jur ©rfa^ning, bie Äant alö ,,@rfcnntni§' 
uennögen" bejeid^net f)at, abjuleiten unb bamit bie ©rfenntnißlc^re ju 
einer wirKid^en (Sntwidflungötefire ber ©rfenntnijs auöjubUben. 
2)iefe 2lufgabe bleibt in ber fantifc^en $f)ifofop^ie felbft ungelöft, af»er 
wir l^aben gejeigt, wie bie i^ernunftfritif fdf)on bie Slnlage baju cut- 
l^ält unb ifire Unterfud^iuigen bergeftalt orbnet, baß fie xiM ben ©nt^ 
TOidflungögang ber menfd^lid^en Grfenntniß t)on ber SBal^rnel^mung biö 
jur SBiffenfc^aft unb bem gortfd^ritt ber SBiffenfd^aften in feinen ©runb- 
jügen barftellt.*) 9hm ift bie 6rfenntnißlef)rc fetbft eine roiffenfd^aftlic^e 
©rfenntniß, unb bie ©ntroidffungölefire grünbet fid^ auf ben S3egriff be§ 
^medfeö, of)ne n)eld)en f einerlei ©ntroidtung alö fold^c cinleud^tet: batier 
barf biefer Segriff nid^t bloö al^ ein moralifd^eö ^ßrincip jur ©rfennt= 
nij3 ber fittlid^en Crbnung ber S)inge unb nid^t bloö alö eine SÄarime 
ber SlefleEion jur 33eurtf)eitung ber organifd^en SBeft angefe^en werben, 
fonbeni er ift ein ©rfenntnijsprincip, wcld^eö für bie gefammte 
erfennbare SBeltorbnung, bie natürliche wie bie moralifd^e, gilt. 

2. ^ie ($r!ennbar!ett ber tnenfd^Ud^en Slaturgtuecfe unb ber blinben SnteQtgenj. 

^Prüfen wir ben ©runb, warum Äant bie 6rfennbar!eit beö 3wede§ 
auf bie moratifd^e SBelt eingefd^ränft unb t)on ber natürlid^en auögc= 
fdf)toffen, warum er bem inneren Sßaturjwedf, ben er aU eine not^wen= 
bige 3bee in unfere Setrad^tung ber organifc^en Sßelt unb alö ^ßrincip 
ber teleologifd^en Urtlieilöfraft in feine SBernunftfritif cingcfül^rt l^at, 
bie ßrfennbarfeit abjufpred^en fid^ genötl^igt fal^. ©r urtl^eilte, baß bie 
3wede nur fo weit erfennbar feien, aU fie gewußt unb gewollt finb, 
baß nur SBiUe unb SnteHigenj 3wedfe fefeen unb jwcdmäßig l^anbeln 
fönnen, baß barum bie 9Iatur ober bie Äörperwelt feine ^xoede f)abe, 
feine erfennbaren, baß barum aud^ bie ^rotde, oi)ne weld^e wir bie 
@ntftef)ung unb ®inrid)tung ber lebenbigen Äörper nid^t Derfte^en 

*) @. oben ©ajj. III. @. 43. Sßgl. biefeS SBerf: SBb. III. (3. Slufl.) »u* II. 
6aJJ. XIV. ©. 519 flflb. 



85 

nod^ crfal^ren fönneit, feine in Der 3Jatur n)ir!fanien Äräfte, feine ex- 
fcnnbaren Dbjecte, fonbern blo^e Sbeen finb, bie wir l^aben muffen, 
locil in ben organifirten Körpern bie Tl^eile ax\^ bem ©ansen i)er= 
ftanbcn fein wollen, wir aber mit unferem biöcurfiuen 5Berftanbe baö 
©anje nur auö ben 2^l^eilen jufammenf ügen unb begreifen f önnen : bafier 
finb Tüir unuennögenb, ein ©anjeö, roeld^eö fic^ felbft tl^eitt unb glie^ 
bert, anjufd^auen unb muffen baöfelbe, weil wir eö nic^t aU ben erjeu^ 
genben ®runb be§ Sebenö ju erfennen im Staube finb, atö ben 3w)ed 
beö lefetcreu Dorftetlen. SBir muffen baö ©ange, baö wir üorftellen 
follcu, aber nid^t alö Dbject anfd^auen f önnen, alö 3^^^^ benfen unb 
beöl^Ib bie lebenbigen Körper teleologifc^ beurtlieilen. ißätten wir 
einen intuitit)en äJerftanb, fo brandeten wir feine teleologifd^e Urtl)eilö= 
fraft. 3" biefem 5ßermögen flüd^tet gleidf)fam unfere SBernunft in i^rer 
Dl^nmad^t, fie entwidelt ba§felbe an§t if)xen ©runbfräften, weil fie eö 
bebatf, um baö Unt)ermögen ber leftteren, fo gut fie fann, ju ergäujen. 
3n ber 3lrt unb äßeife, wie Äant bie reflectirenbe Urtlieilöfraft über= 
fyiupt unb inöbefonbere bie teleologifd^e begrünbet, erfd^eint biefelbe alö 
eine notl^wenbige ßntwidflungöform ber menfd^lid^en SBernunft, bie 
eine Slufgabe löfen, ein ©rfenntnijsbebürfnife befriebigen wiH unb biefeö 
3iel bei ber eigentl^ümlid^en 3Serfaffuug i^rer intellectuellen SSermögen 
auf feinem anberen 3Bege erreid^en fann.*) 

2)ie 3^^^^ ^^ ^^^ 5Ratur finb naä) fantifd^er Sefire barum nw- 
erfennbar unb im ©runbe unmöglid^, weil fie burd^ SBitle unb Sntetli^ 
genj gefefet fein müßten, unb eine folc^e bewu^tlofe Sntelligens, eine fold^e 
jugleid^ jwedftfiätige unb blinbe Äraft bem Segriff ber 3Katerie wiber^ 
flreitet, benn ber ^tilojoiömuö, ber eine lebenbige, an^ inneren Urfad^en 
wirffame 3Katerie leiert, gilt nad^ ber 3lnfid^t unfereö ^^ilofoplien alö 
ber 2^ob aller 3laturpl)ilofopl)ie. 2)a eö nun lebenbige unb organifirte 
SRaterie giebt, bie wir xin^ o\)m jwedfmäfeige ©inrid^tung nid^t üorftellen 
fönnen, fo mu^te Rani bie jwedftl)ätige, i^r }u ©runbe liegenbe Äraft 
an^ bem moralifd^en Urgrunbe ber 2)inge, b. 1^. an^ bem göttlid^en 
Sffiillen l^erleiten unb feine teleologifd^e iiebenö- unb Sffieltanfd^auung 
tl^eiftifd^ begrünben. S)amit aber werben jene inneren 5Raturjwedfe, 
beren Sbee unfere teleologifd^e Urtfieilöfraft belierrfd^t unb leitet, in 
göttlid^e 2lbfid^ten Derwanbelt, unb baö &ebm felbft bleibt unerflärt 
unb unerflärlid^, wie alle natürlid^e ©ntwidflung. 



*) gbcnbafclbft: a3b. IV. (3. ?(ufl.) Jöud^ HI. (S.ap, VI. (5.498-98. 



86 

Sie Unerfennbarfeit bcr 9Jaturjn)ede wirb von unferem ^^ilofopficn 
begrünbet biird^ bie Umnöfllid^fcit einer betüuBtIofen anteiligen} ober 
eineö blinben SBiUenö, beten 9iealität iJeibnij in feiner Se^re von ben 
unberon^ten ober fleinen ^Borftellnngen (perceptions petites) erleud^tet 
unb in feinem ßrfenntnifefpftem }u fnnbamentaler Sebeutung erfioben 
l^atte. SBir muffen nrt^eilen, ba§ an^ Rani genöt^igt mar, bie Gr= 
fennbarfeit ber Jlatutjmerfe unb bie nnbemugte SBirffamfeit unferer 
intellectuellen 5Bermögen gelten ju laffen. 6r anerfennt in ber menfd^- 
lid^en 3latur, maö er in ber organifd^en verneint. SBir beförbern burd^ 
ben „3Jled^aniömu§ ber Steigungen", mie Äant ba§ ©etriebc unferer 
natiirlid^en Sebenöjmede nennt, bie fittlid^en Sebenöjmedfe, ol^ne fie ju 
ernennen unb }u motten. Unfere natürli(^en ^"tereffen erjeugen jenen 
Äampf um baö Safein, jene fortfd^reitenbe StfieUung ber Slrbeit, auö 
meld^er unbemu^t unb ungemottt bie fittlid^en £eben§orbnungen l^eroor- 
gefien. Ueberatt, mo ber ^fiilofopf) bie JZotfimenbigfeit ber (enteren 
begrünbet, legt er baö größte ©eroid^t auf bie Slealität unb SBirffam^: 
feit unferer rein natürlid^en unb 8"9teid^ einleud^tenben Sebenöjmede. *) 
Safe mir eine gemeinfame Sinnenmelt t)orftenen, ift eine ^l^atfad^e, bie 
unfer reflectirenbeö Semufetfein t)orfinbet, aber nid^t mad^t, bie Diefmeljr 
an^ bem ©toff unferer ©inbrüdfe burd^ bie orbnenben SSorftettungö- 
vermögen ber 5Bernunft fienjorgebrad^t mirb, alfo burd^ bie reflegionö' 
lofe ober unbemu^te SBirffamfeit ber Sntettigenj entfielet. 35er ^l^iIo= 
fopl^ erfannte in ber probuctiuen (£inbi(bung§fraft biefeö geftaltenbe 
@runbt)ermögen, meld^e§ unbemugt nad^ ben ©efeften be§ reinen Se- 
mufetfeinö l^anbelt unb baö 93anb jmifd^en ©innlid^feit unb Sßerftanb 
auömad^t. ,,Die ©pntl^efiö überl^aupt ift bie bloße SBBirfung 
ber ©inbilbungöfraft, einer btinben, obgleid^ un-entbel^rlid^en 
g^unction ber ©eele, oline bie mir überall gar feine ßrfennt^ 
niß liaben mürben, ber mir un§ aber feiten nur einmal ie- 
mußt finb. 3lttein biefe ©t)ntl)efiö auf Segriffe ju bringen: ba§ ift 
eine f^^unction, bie bem SBerftanbe jufommt, unb moburd^ er unö atter= 
erft bie ©rfenntniß in eigentlid^er 33ebeutung üerfd^afft." **) 

SBenn bemnad^ Äant in unferer Setrad^tung ber 3latur, inöbefonbere 
ber organifd^en, bem ^xo^dieQxi^^ nur fubjectioe ©eltung unb 5Wot^= 
menbigfeit jufd^reibt, fo miberftreitet bem feine tl^eiftifd^e Seigre, nad^ 



*) @. Ohm ©ap. III. @. 43-44. - **) SSgl. biefeg Sößerf : a3b. III. (3. Slufl.) 
md) I. (5ap. V. @. 370. 



87 

mel^ev hex Gnbjiücrf ber S^iufle, inöbcfonberc ber llrfprunfl bcö Sebeno, 
aud bem Urgrunbc ber ^inflc I)er9elcitet, alfo eine jiDedtljätigc Äraft 
ancrfannt wirb, bie fcincötücgö Mofee äJorftellung ift. SBcnn Äaut bic 
©rfcnu barfeit ber inneren Jlaturjwede überfiaupt üerneint, fo mber=: 
fhreitet bem feine Seigre r>on ben Jlaturjwecfen be§ menfd^Hd^en 
Sebenö, bic er aU einen uöllig erkennbaren nnb jroednm^igen 3Ke= 
d^aniömu^ ber SIcignngen betradbtet, roobnri^ ber naturgefd^id&tUd^e öang 
ber aRcnfd^l^eit jur fitttid^en ©ntroicfinng gebrängt nnb baö 3^^^ ^^^ 
legteren unberonfet nnb nngerootlt (jroar nid^t erreid^t, aber) beförbert 
n)irb. SBenn ilant bie aWöglic^feit einer nnbewngten Sntettigenj nnb 
3ioedftl^atigfeit, aU weld^e ben inneren JJatnrjwedfen jn ©runbe liegen 
müfete, oerneint, fo wiberftreitet bem nid^t bloö feine Sittenlefire in 
bem d)en angeführten ^ßnnfte, fonbern and^ feine ©rfenntnijslefire, nänt= 
lid^ bie aJernnnftfriti! felbft in il^rer S)ebnction ber reinen SBerftanbeö= 
kfltiffc, inöbefonbere in i^rer Se^re von ber probnctiüen ©inbil- 
bung alö „einer blinben, obroofil nnentbe^rlid^en ^^nnction ber Seele, 
o^nt weld^e wir überall gar feine ©rfenntnijs l^aben würben." 

3. 3)ie ©rfennbarfeit beS öebcitg imb ber ©d^önl^eit. 

SBcnn Äant tel^rt, ba^ alle ßrfd^einnngen anö ben fnbjectiüen Se== 
bingungen nnferer SBernnnft, nämlid^ bem Stoff ber ©inbrtidfe nnb ben 
formgcbenben SBermögen ober ben Oefeften nnfereö SSorfteHenö I)ert)or= 
gelten, fo wiberftreitet bem feine 2lnfid^t üon ben organifd^en ©rfd^ei^ 
mmgen. Senen Sebingungen gemäß barf eö in ber gefammten Sinnen^ 
weit feine Cbjecte geben, bie nid^t an§ fold^en ^tieilen jnfammengefeftt 
finb, bie bem ©anjen üoranögelien ; ba^er leiert and^ ber ^l^ilofop^, bajg 
alle ®rfd^einnngen, inöbefonbere bie ilörper, nnr med^anifd^ erfennbar 
iinb. 3lm\ aber giebt eö gewiffe Dbjecte, mit benen eö fid^ nmgefel^rt 
üerl^ält: l^ier entftelit nidt)t ba§ &a\\ie ans ben X\)zxk\\, fonbern biefe 
anö jenem ; jebeö biefer Dbjecte ift ein @an}e§, weld^eö fid^ tfieilt, glie= 
bert, entwidfelt. Sold^e ©rfd^einnngen finb bie lebenbigen Körper. 
Könnten wir ein Oanjeö üor feinen 2^l)eilen anfd^anen nnb biefe anö 
jenem l^erleiten, fo wäre and^ ber Drganiömuö med^anifd^ erfennbar, alfo 
ein wiffenfd^aftlid^eö ©rfenntnifeobject im genanen Sinne beö SBorteö. 
3Bir fönnen eö nid^t, weil nn§ ein fold^eö 2lnfd^annngöoermögen, ein 
fold^er intnitiüer SBerftanb felilt: barnm muffen wir bie ©inrid^tnng 
unb S^l^eile beö Drgani§mn§ an§ ber 3b ee beö ©anjen l^erleiten nnb 
il^n beöl^alb teleologifd^ beurtl^eilen. 



88 

5Rim bemcrfe man iDoIjt: bcr Gfiarafter beö lebcnbifleu Äörpcrö 
befielet in einem ®anjen, meld&eö fid^ tfieilt, gliebert, entmidett; nid^t 
biefer ßl^arafter beö Crganiömuß, fonbern nur bie teleologifd^e 
SBorftellung beöfelben !ommt auf bie Sted^nung unferer 5Bernunft. SBaö 
bemnad^ bie lebenbigen ßrfd^einungen d^arafterifirt unb fie ju bem 
mad^t, road fie finb, läfet fid^ a\\^ ben fubjectiüen Sebingungen unferer 
©inbrüdfe uub SBorftettungöformen nid^t fierleiten unb ift nid^t in ber 
allgemeinen, fonbern in ber fpecififd^en ©efefemäfeigfeit ober ©igenart 
ber ßrfd^einungen jelbft begrünbet.*) 338 enn eö lebenbige ©inge giebt, 
fo erttärt um Äant in feiner Äritif ber Urtfieilötraft, warum mir bie-- 
felben teleologifd^ Dorftellen müjfen. S)a§ eö aber lebenbige SMnge 
giebt ober, maß baöfelbe Reifet, bafe unö 2tbm in ber Sinnenmelt ex- 
fd^eint, mad^t unö bie SBernunftfritif unb ber tranöfcenbentale Sbcaliö^ 
muö nid^t begreif Ud^. 3m ©egentl^eil, menn mir bie 2lrt unb SBeife, 
mie Äant bie ßrfd^einungen begrünbet, mit ber 2lrt unb 3Beife üer- 
gleid^en, wie er ben ß^arafter unb bie S^l^atfad^e beö 2tben^ ouffafet, 
fo bleibt eö imerftärt unb unerKärlid^, baß unö überfiaupt £eben in 
ber Äörpermelt erfd^eint. 3Bir muffen bal^er urtfieilen, bajs entmeber baö 
Seben alö fold^eö nid&t in bie ©rfd^einungömelt gefiört, ober bafe in it)iu 
etmaö erfd^eint, maö bie aSentunftfriti! nid^t a\i^ unferen ©rfenntnig^ 
üermögen, meber a\\^ ber ©innlid^feit nod^ auö bem SBerftanbe, l^er- 
leiten fann, fonbern maö unabf)ängig Don unferen SBorftetlungen unb 
ßrfd^einungen bem 2eben ju ©runbe liegt unb feine ©rfd^einung an^- 
mad^t. 5Run ift bie SCI^atfad^e unb ©rfd^einung beö 2tbm^ unleugbar. 
®er erjeugenbe 63runb beöfelben, ba er unabl^ängig Don unferen SSor- 
fteHungen unb ©rfd^einungen beftel)t, gel^ört unter bie S)inge an fid^, 
bie aU Sbeen unb 3wedfe gebadet fein moHen unb in SBal^r^eit SBille 
finb, baö ^rincip ber intelligibeln ober moralifc^en SBeltorbnung. SBir 
finb genötl^igt, jenen erjeugenben ©runb beö 2tbm^ alö inneren Jlatur- 
jmedf, b. f). alö unbewußte S^^^ttiö^^J ^^'^ blinben SBiHen Dorjuftetten 
unb fönnen nun biefe SBorfteKung nic^t melir für eine bloße 3bee l)al= 
ten, bie mir ber ©rfd^einung beö Sebenö l^injufügen, ba ol^ne bie 9lea- 
litdt unb SBirffamfeit innerer JZaturjmedfe, b. 1^. ol^ne blinben SBitten 
bie X^ai^aä)e unb ©rfd^einung be§ ßebenö äberl)aupt nid^t ftattfinben. 



*) Uct)cr bie ßel^rc Don bcr fpccififd^cn (Scfc6mä6ifl!cit bcr 9latur ögl. btefcSJ 
SBerf; fdh. III. (3. Slufl.) a3uc^ II. ©ap. XIV. (S. 514-518; Söb. IV. (3. STiifl.) 
Jöudi III. dap. I. <S. 403-406. 



89 

alfo jebc Sinjufügung t)on Seiten unferer i^ernunft (^ef^enftanbetoö fein 
würbe, '^me^ ©anje, weld&eö fid^ biffereiijirt, tl^eilt unb gliebert, ift ber 
bcfttmmte Sebenöjiöed ober aSBiUe jinn Seben, ber fid) betljöticjen unb 
ju feinen Functionen bie notfiwenbigen Drgane cntroicfeln inujs. 

Unb xoaQ t)on ben lebenbigen ©rfd^einungen gilt, mufe awä) üon 
ben äft^etifd^en gelten. 2)a§ in unferen SBernunftüerniögen ein ^n- 
flanb ber ißarmonie unb ^reilieit ftattfinbet, worin wir, unabljängig 
oon allen 3"tereffen be§ Segeljrenö wie be§ ©rfennenö, um rein be- 
trad^tenb unb fornigeniefeenb t)erl)alten: baö folgt a\i^ ber ©inrid^tung 
unfcreö intellectuellen Sffiefenö. ®aö äftfietifd^e SBolilgefallen ift ein rein 
fubjectioer 3"ftönb, ol)ne 33ejiel^ung auf weld^en überliaupt nid^t üon 
äfU^etifd^en ©egenftänben bie 9tebe fein fönnte. ®a§ wir aber in biefeni 
3uftanbe freier Setrad^tung biefen ©egenftanb alö fd^ön, ben anberen 
als l^äjsHd^, ben britten aU erl^aben empfinben, mufe burd^ bie eigen = 
thümlid^e 3lrt ber ©rfd^einungen bebingt fein unb läfet fid^ fo wenig, 
wie ber 6l)arafter beö Sebenö, a\\^ ben fubjectiüen ^^actoren Iierleiten, 
weld^e bie förfd^einungen unb bereu allgemeine Oefefemä^igfeit begrünben. 
6ö mufe beinnad^ ben ©rfd^einungen felbft etwaö dou unferen aSernunft= 
i)ermögen Unabliängigcö ju Orunbe liegen, baö fie ju bem mad^t, wa^ 
fie finb, unb fidf) ju ber gegebenen (Srfd^einung üerfiält, wie in unö ber 
intettigible Gfiarafter jum entpirifd^en. 3Bir muffen fiinjufügen, ba§ 
und biefeö ©twaö auö ben ©rfd^einungen felbft einleud^tet, obwol)l wir 
baöfelbe in ber 3lnalpfe ber gegebenen Cbjecte nic^t antreffen. 

4. ^ie (Srfemibarfcit ber 3)inge an fid^. 

2)iefeö (Stwaö ift ba§ S)ing an fid^, beffen völlige Unerfennbarfeit 
unfer 5pi)ilofopl) jwar bel)auptet, aber in feinen fortfd^reitenben Untere 
fud^ungen feineöwegö feftgelialten, melmetir in feiner ^ritif ber praf= 
tifd^en SBernunft wie in ber ber Urtlieilöfraft in einer SBeife gelid^tet 
l|at, bie er in ber Äritif ber reinen aSernunft nid^t Dorauöfal). iJBir 
toiffen, baj3 nod^ in ber jweiten 2luögabe ber leftteren er bie aWöglid^feit 
berjenigen ^rincipien verneint l)at, bereu 9iotl)wenbigfeit er bann ent= 
bedfte unb feiner Äritif ber äftlietif d^en Urtlieilöf raf t ju ©runbe legte. *) 
aWan mufe biefe fel)r bemerfenöwertlie SCliatfad^e wol)l bead^ten unb in 
ber 33eurtl)eilung ber fantifd^eu Seiire nid^t Dergeffen, bafe fie feineöwegö 
ate ein fertiges @i)ftem auö ber aSernunftfritif t)en)orging, fonbern fid^ 



*) ä^gl. blefcg SBerf : »b. IV. (8. 3lufl.) ^ud) III. ®ap. I. ©. 408 flgb. 



90 

fortentiDidfcIte imb ^\i Slcfultaten ncfüfjrt raiirbc, bie in jenem SSerfe 
nid^t angelegt waren, aud^ mit feiner ©rnnblacje nid^t übereinftimmten, 
axiä) nic^t bnrd^ ben '^erfud^ fünfttid)er ©pnunetrien, wie fie ber 5pi^ilo= 
fopt) gern anjnroenben pflegte, il^r angepaßt werben tonnten. 2)ie ßr- 
fd^einnngen, benen wir bie SßorfteHung ber ©d^önl^cit, 6rf)aben^eit n. f. f. 
nnb bie ber inneren S^^^^^^öfeigfeit ^injufügen, beden fid^ nid^t mit 
ben Grfd^einungen, beren ©ntftcl^Mng nnö bie 5Bernunftfritif geleiert Iiat: 
fie finb t)on eigener 2lrt unb entl^alten mefir in fid^ alö jene. 

9iad^ ber SBermmftfritif finb bie S)inge an fid^ baö ©nbftratnm 
nnferer SSermmftbefd&affen^eit wie ber 6rf c^einnngen ; barum finb fie 
von ben leftteren Döttig jn unterfd^eiben, niemals mit benfelben, alfo 
and^ nie mit ben fingen anfeer nnö, jn vermengen, fonbern als ber 
unerfennbare Urgrunb ber S)inge jn benfen : ba§ ift bie Seiire, bie fid^ 
bnrd^ bie gefammte 35ernnnftfritif wie ber rotfie graben J^inburd^jiel^t, 
nnb eö ift fd^wer in glauben, ba§ jemanb biefeö SBerf gelefen Iiat unb 
ben fantifd^en (Sfiarafter biefer Sefire in Slbrebe fteHt. ®ö fonnte bem 
^t)itofopl^en nid^t einfallen, baö 2)ing an fid^ für eine bloße aSorfteHung 
ober für ein blojseö ©ebanf enbing , b. \). für bie von unö ben ßrfd^ei- 
nungen l)injugebad^te Urfad^e unb für weiter nid^tö ju galten, wie in 
melen l^eutigen ©d^riften über Äant ju lefen fielet. SBäre ba§ 2)ing an 
)\ä) ein bloßeö ©ebanfenbing unb nid^tß weiter, fo wäre baöfelbe al§ 
fold^eö ja vöUxq erfennbar, unb feineöweg§ unerfennbar unb unerforfd^= 
lid^, wie bod^ bie 5Bernunftfritif auf baö 9lad^brücflid^fte leiert. 9Benn 
ben !I)ingen an fid^ ber 6l)ara!ter beö wal^rl^aft 3Birflid^en ober 3tealen, 
als beö Urgrunbeö aller üorftellenben unb erfd^einenben S)inge, nid^t 
jufäme, fo ^ätte ja bie Seigre oon il)rer Unerfennbarfeit feinen ©inn 
unb wäre nid^t bloö bebeutungöloö, fonbern gerabeju ungereimt. SBie 
fann etwaö, baö im ©runbe gar nid^t ift, fonbern bloö gebadet wirb, 
im ®rnfte für unerfennbar gelten? SBer bal)er meint, baß naä) fan= 
tifd^er fielire oon ber SWealität ber Dinge an fid^ nid^t ju reben fei, ber 
muß aud^ beliaupten, baß Äant nie oon ber Unerfennbarfeit berfelben 
gerebet l^abe. 9)Jeint er baö lefetere wirflid^: nun fo gel^ört er lutter 
jene jalilreid^en Äenner unfereö ^l^ilof opl^en , bie Sudler über feine 
Sefire fd^reiben, unb für weld^e bie aSernunftfritif biö ^eute ein ®ing 
an fid^ ift! 

3eber, ber in biefem 2Berfe ben grunblegenben Unterfud^ungen bi§ 
jum ©d^luß ber tran§fcenbentalen Slnalptif gefolgt ift, wirb naä) bem 
2lbfdt)nitte „t)on bem ©runbe ber Unterfd^eibung aller ©egenftänbe über= 



91 

l^aupt in ^Ijänomeim iinb !9{oumcna" ben Ginbnidf Ijahm, baft bic ^iiiflc 
an jid^ unerfcnnbar finb unb bleiben, ba§ [ie baö nnauflööUd^e SNätljfel 
ber SBelt üorfleHen, nnb nnfere ©rfenntnife \iä) anf bie finnlid^en Cb= 
jecte unb beten ©rfal^rung ju befd)ränfen t)abc. ^iefe neue 93eflrünbunfl 
beö empiriömuö, rooniit bie B^i^ftörung aller 3)Jetapf)p[if ^anb in ^anb 
gcl^t, gilt nun für baö ^auptDerbienft unb bie ei9entlid)e 2l)at ber taw- 
tifd^cn Äritif. Unter einem fold^en ©inbrud finb unfere l)entigen ,/Jieu= 
fantianer" ftel^en geblieben unb aud& manche unferer Siaturforfd^er, bie 
bcn fönigöberger ^^ilofopl^en weniger fennen als loben. Sie überfel)en, 
ba§ bie Segrünbung beö ©mpiriönuiö nid)t Gmpiriömuö ift unb fein 
fann, ba§ biefelbe in ber ©rforfd^ung ber ^rincipien aller Grfal)rung 
unb ®rfal^rung§ob)ecte beftelien unb bariyn eine ^rincipienlel^re ober 
,,9Jletapl^9fif ber ©rfd^einungen" jur golge ^abm muß, bie begrüm 
bei ju l^aben Äant alö bie 9lufgabe unb iieiftung feiner neuen ßrfennt= 
nifelcl^re anfaf). (£r würbe fonft nid;t feine ,,^rolegomena" ju einer 
ieben fünftigen SRetapliijfif, bie alö 3Biffenf^aft wirb auftreten fön= 
nen^, gefd^rieben i)dbm. 

SBenn wir aber ben @ang ber iWrnunftfritif weiter »erfolgen unb 
bid jum ©d^lujfe ber tran§fcenbentalen 2)ialeftif gelangt finb, fo l;at 
fid^ baö 2)unfel, worin bic S)inge an fid; gcl)ütlt waren, fdjon etwaö 
gclid^tet, obwol^l il)re Unerfennbarfeit burd^ Seweife befräftigt ift. 3Bir 
ftnb belel^rt, bafe unb warum wir bic 2)inge an fid^ üorftellen muffen, 
ba§ fie ixoax feine ©rfenntnijsob jecte, aber notl)wenbige ^been finb, 
bie ben Urgrunb ber ®inge, ber üorftellenben wie ber erfd()einenben, 
ben Urgrunb aHeö S)ajeinö, beö möglid^en unb beö wirlid^en, ju iljrem 
2^^ema l^aben. 3Bir wiffen jefet aud^, wa^ unter biefen Urgrünben ober 
unbebingten ^rincipien üorsuftellen ift: nämlid^ bie ©ecle, bie SBelt 
alö &anit^, unb ®ott. Unter ben SBeltibeen wirb unö bie tran§= 
fcenbentale greilieit alö bie einjige bargeftellt, bie jwar nie 6rfdbei= 
nung unb erfenntni^object, wol)l aber ber benfbare Urgrunb aller ®r= 
fd^cinungen unb i^rer naturgefeftlid^en äCrbnung fein fann. 3^*^^^^ 
bienen unö bie ^been aud^ jur 5Hid^tfd^nur ber ©rfenntnig, fie geben 
fid^ alö leitenbe ©rfenntnijsprincipien, b. l). alö 3^^'^ ^^^ ©rfalirung, 
bie jwar nie ju erreidjen, wo^l aber fortwäbrenb ju erftreben finb, um 
unfer SQBiffen ju orbnen unb in bemfelben bie l^öd^fte ®inl)eit mit ber 
l^öd^ften aWannid^faltigfeit bergeftalt }u ücreinigen, ba§ bie Stüdwerfe 
ber ßrfal^rungöwiffenfd^aften fid^ immer mefir jufammenfügen unb bem 
SWufter eineö ©rfenntniMpftemeö, baö ein ©anjeö au§ einem ©tüd 



92 

bitbet, annäljcnt. 2Bäre biefcö 3Jlufter crrcid)bar, fo würben alle SBiffen- 
fd^aften jnleftt C^tiebcr eineö ©anjen fein, unb bie SBeltorbmniß würbe 
unö als ein flenealoflifd^eö ©xjfteui einleud^ten, worin atte ©rfc^einuncjen 
in H)xm fpecififd^en 3lrten von einem einzigen Urgrunbe abftammen. 
Diefer Unjrunb ift unerfennbar. Dal^er follen and^ bie Sbeen, inbem 
fie ber (Srfal^rungöimffenfd&aft ,,bie ©rnnbfäfee ber ^omogeneität, ©peci= 
fication nnb ßontimiität (3lfftnität)" üorfd^reiben, nur als aRajimen 
nnferer @rfenntni§, nid^t alö ^rincipien ber ©inge gelten.*) ^«beffen 
finb in ber 3beenle{)re bie 2)inge an fid^ fd()on fo weit auö il^rein 
5Dunfel Ijeroorgetreten, bafe fie für nnfere ©rfenntnife jwar nii^t gegen- 
ftänblidj, wof;l aber jielfeftenb unb wegweifenb erfd^einen. 

2)ie 9)Jetf)obenleI)re ber reinen SBernunft t^ut einen ©d^ritt weitet: 
fie eröffnet un^ in i^rem „Kanon" bie 2MögUd^ feit ju einer 6rfennt= 
ni§ ber ®inge an fid^, nid^t auf beut 9Bege ber ßrfal^rung unb SBiffen- 
fd^aft, fonbern auf Orunb fittlid()er Oefefte burd^ unmittelbare ©elbft- 
erfenntni§ ober moralifd^e ©ewifel^eit. 338 enn eö fold^e ©efefee giebt, 
fo l)aben biefetben eine unbebingte, Don aller ©rfal^rung unabhängige, 
über alleö SBiffen, ^Keinen unb B^^if^^*^ erliabene ©eltung, bie unö 
unmittelbar einleud^tet. Unb fo gewijs fie felbft finb, fo gewi§ mad^en 
fie un§ aud^ bie Slealität ber fittlid^en SBeltorbnung unb berjenigen 
Sbeen, bie beren Äraft, ©nbjiel unb Urgrunb t)orftellen :- baö finb bie 
Sbeen ber ^reil^eit, Unfterblid^feit unb ©ottl^eit. ©o entlägt nn^ bie 
SSernunftfritif mit ber 3lu§fid^t auf bie aWöglid^feit einer ©rfenntnife ber 
S)inge an fid^, nur , bafe wir getialten werben, biefe ßrfenntnijs nid^t 
tl^eoretifd^, fonbern praftifd^ ju nel)men, nid^t al§ objectioe, fonbern alö 
fubjectiüe ober perfönlid^e ©ewifel^eit anjufelien unb nid^t alö 393iffen- 
fd^aft, fonbern alö ©lauben ju bejeid^nen. 

®ie Äritif ber praftifd^en SBernunft realifirt jene 2Möglid^feit, 
weld^e bie SKettiobenletire ber reinen SBernunft in 3luöfid^t geftellt l^at: 
fie conftatirt bie 2^^atfad^e be§ Sittengefefeeö unb erfennt bie ^Realität 
ber g^reil^eit unb ber moralifd^en SBeltorbnung. 2)ag unferer tl)eo= 
retifd^en Sßernunft baö 35ing an fidf) ju ©runbe liegt, leiert bie ilriti! 
ber reinen aSernunft. ®afe biefeö S)ing an fidf) ber Sßille ift, leiert bie 
ber praftifd^en. Oleid^oiel unter weld^em ^itel bie ©rfenntnig beö 
5Dingeö an fid^ gelten foH: bie ißauptfad^e ift, ba§ eö nid^t bloö aU 
3bee, fonbern alö SRealität unb Äraft in ben ©rleud^tungöfreiö unferer 



*) SSgl. bicfeg Söerf ; S3b. III. (3. 2lufl.) ^nd) II. ©ajj. XIV. @. 514-518. 



93 

Vernunft eingeigt; wir erfcnnen, tt)a§ c§ ift, unb bafe bie 6ultur= 
gcfd^id^te bcr 3Jicnfd^l^cit in ber Grfüllung bcr g^reil^eitsgcfefee unb bcr 
RttHd^en SJcrnunftjroerfe befte^t, benen unfere natürlid^cu 2cben^ro^de 
untergeorbnet finb unb bienen. S)ic fantifd^e 9lcd^t§= imb ^tcligionö^ 
pl^Uofopl^ie nebft ben baju gel^örigcn gcfd^id^töp^itofopj^ifd^en äuffäfeen 
erleiid^tet um bic Sffiettgefdfiicj^tc atö bie notJ^wcnbige euttDidtuiig unb 
ßrfd^einung ber g^reil^eit. 

Unb bag nid^t Moö bie fittlid&e, fonbern aud^ bie finnlid;e ober 
natürlid^e SEBeltorbnung, ba^ nid^t bloö bie cutturgefd;id^tlid^e, fonbern 
audö bie naturgefd^id^tlid^e ©ntroidtung ber 3Belt bie ©rfd^einnng 
beö SBißenö unb ber grei^eit ift, leiert unö ber ^^itofopf) in feiner 
Äritif ber Urt^eilöfraft. ©er aBiHe ift baö S)ing an fi(^, baö ber (£in= 
Ttd^tung unferer 6r!enntnifeoermögen ju Orunbe liegt, unfere intellec^ 
tucHe @ntn)idEIung mad^t unb in ben Dienft ber moralifd^en fteHt. 3)er 
aBitte ift baö S)ing an fid^, ba§ ben ©rfd^einungen ju ©runbe tiegt 
unb ben einpirifd^en ßfiarafter berfelben fo eigenartig geftaltet, ba§ n)ir 
geiidtl^igt finb, i^re g^ormen (im 3"ftönbe unferer freien Setrai^tung) 
äfi^etifc^ unb il^r hieben teleologifd) ju beurtl^eiten. ißier jeigt fi^, 
bafe in bem empirifd^en ßfiarafter ber Dinge etwaö gegeben ift, tt)aö fidf) 
auö unferer tfieoretifd^en 5Bernunft nid^t erflären, in unferer ©rfal^rung 
unb 3[nalt)fe ber ©rfd^einungen nid;t erfennen läfet unb bodf) unferer 
SJorftcttnng notl^roenbig unb unTOiHfürtid^ einteud^tet. S)iefeö ©twaö ift 
bie ©rfd^einung ber g^rei^eit unb bie ^reil^eit ber ©rfd^einung, mit 
einem SÜBorte bie natürlid^e g^reifieit, of)ne roeld^e eö feine (Sntwid^ 
lung, fein Seben, feine ©d^önfieit giebt, ofine n)eld;e ba^er unfere 
ttftl^etifd^e wie teleologifc^e Urtt^eilöfraft gegenftanb§Io§ fein würbe. 

2)a§ jwifc^en bem 2)inge an fid^, welc^eö unferen @rfenntni§= 
t)ennögen, unb bem, welches ben ©rfd^einungen ober ber ©innenmett 
ju ©nrnbe liegt, eine Uebereinftimmung ftattfinben muffe, l^at ber ^^ito= 
foplj fd^on in (beiben 3luögaben) feiner SJernunftfritif angebeutet unb 
in ber Äritif ber UrtfieiUfraft bel^auptet, inbem er l^ier jugteid^ erflärt, 
TDorin biefe Uebereinftimmung befte{)t. @rft baburd^ werben gemiffe fel)r 
merftoürbige ©äfte erleuchtet, bie bei einem grünblid^en ©tubium ber 
35emunftfritif jebem einbringenben Sefer aufgefallen fein unb ben @in= 
brudf gemad^t fiaben werben, bafe ber 5pt)ilofopf) mel^r fagt, al§ if)m feine 
®rfenntni^lel)re geftattet. 6r fprid^t eö al§ eine 3JJöglid^feit am, bajs 
ben äußeren unb inneren ©rfd^einungen ober, waö baöfelbe l^eifet, ben 
Äörpem unb ben ©ebanfen ein unb baöf elbe S)ing an \iä) ju ©runbe 



94 

Henc. igören wir feine eigenen SBorte : „dasjenige @tn)aö, waö imferen 
Sinn fo afficirt, bafe er bie 3SorftelIungen oon 9laum, SKaterie, ®e= 
ftalt u. f. TO. betommt, biefeö (gtroaö, aU JJoumenon (ober beffer aU 
tranöfcenbentaler ©egenftanb) betrad^tet, fönnte bod& aud^ jugleid^ 
baö Subject ber ©ebanfen fein, meroo^t wir burd^ bie 2lrt, wie 
unfer äußerer ©inn baburd^ afficirt wirb, feine Slnfd&auung von aSor= 
ftellungen, SBillen u. f. to., fonbern bloö t)om 9laum iinb beffen Se= 
ftimmungen befonimen." *) ©o lange ©eele imb^Äörper aU SDinge an 
fidf) unb grunboerfd^iebene Subftanjen galten, war eö unmöglid^, bie ®e= 
meinfdfiaft beiber ju erHären. „Sie Sd^wierigfeit, weld&e biefe Slufgabe 
veranlagt l^at, beftef)t, wie betannt, in ber Dorauögefefeten Ungleid^artig^ 
feit beö ©egenftanbeö beö inneren ©inneö (ber ©eele) mit ben ®egen= 
ftänben äußerer Sinne, ba jenem nur bie Qtxi, biefen aud^ ber 9laum 
jnr formalen Sebingung if)rex 9lnfd^auung anf)ängt. 33ebenft man aber, 
bafe beiberlei Slrt oon ©egenftänben hierin fid^ nid^t innerlid^, fonbent 
nur, fofern eineö bem anberen äufeerlid^ erf dfieint, oon einanber unter- 
fdfieiben, mitf)in baö, n)a§ ber ©rfd^einung ber SKaterie aU 
2)ing an fid& felbft jum ©runbe liegt, oielleid^t fo ungleid^- 
artig nid&t fein bürfte, fo oerfd^roinbet bie ©dfiroierigfeit" u. f. to.**) 

33e5eid^nen wir baö ®ing an fid^, n)eld^e§ imferen SBorfteHungöarten 
ober ber ©inrid^tung unferer 6rfenntnifet)ermögen (t^eoretifd^e SBernunft) 
ju ©runbe liegt alö bie unbefannte ©röfee x, unb baö Sing an fid^, 
TOeld^eö ben äußeren ©rfd^einungen ober ber Äörperroelt ju ©runbe 
liegt, alö bie unbefannte ©röfee y, fo ^at bie SBernunftfritif in i^ren 
beiben ausgaben uns fd)on auf bie ü)löglid^feit ^ingewief en , bafe 
y = X ift. Sie mufete eö tl^un, weil ja bie Äörper nid^tö anberes finb, 
alö unfere notfiroenbige 58orftellung§art. Unb bod^ burfte fie, roznn bie 
Singe an fidf) fo unerfennbar finb unb bleiben, wie fie leiert, aud^ nid^t 
oon ber a)löglid&feit reben, bafe y = x fein fönne. 

9Jun lel)rt bie Äritif ber praftifd^en aSernunft, inbem fie ben 
Primat ber lefeteren begrünbet, bafe biefe baö 5Ding an fid^ ift, weld^es 
unferer tlieoretifd^en aSernunft ju ©runbe liegt unb biefelbe be^errfd&t: 
fie lel)rt x = SBille ober greilieit, unb jwar giebt fie biefen Safe 
nid^t mit einem „Dielleid^t" ober „eö fönnte fo fein", fonbenx mit vöh 
liger ©ewijsl^eit. 



*) ^r. b. r. SS. ([. Slugfl.) SSßl. biefe» SBcrf: »b. III. (3. Wufl.) <S. 447, 
(5. 570. - **) .tr. b. r. SS. (2. SluSfl.). ^ßl. oben (5ap. IV. ©. 67. 



95 

SBenn nun y = x, unb x = SBitte ober 55^rcif)cit ift, fo mufe 
aud^ y, baö übcrfinnlid^e Subftratuni ber .Uörpenoelt, aufhören ein 
pöttig unbefannteö ober luierfennbareö ©tmaö ju fein : alfo y = SBiUe 
unb grci^eit. Der ^^ilofopf) mnfe ju biefer ®Ieid^fefeung fortfd^reiten, 
er tl^ut cd in ber ©inleitung ju feiner Slxiixt ber llrtlieiUfraft, beren 
jjanjeö 2^l^na baranf beruljt, bafe ber t)erborgene ©rnnb ber 9{atur 
ober Äörperroelt mit ber grei^eit tibereinftinunt, ba^ SlHlIe unb greilieit 
aud^ ber ©innenroelt ju ©rnnbe liegen, bafe awä) biefe SLHlIenöp^änomen 
ober ©rfd^einnng ber grei^eit ift. Söenn fie eö nid&t n)äre, gäbe eö 
feine ©etbftentroidftung ber Äörper, feine Grfdieinnng beö ^ebm^, feine 
©egenftänbe unferer äft^etifd^en unb teleologifd^en Seurt^eilung, fein 
S^^ema ber UrtfieiUfraf t , alfo aud^ feine älnfgabe ju beren Äritif. 
2)anim fagt ber ^l^ilofopf) in ber 6in(eitnng ber lefeteren : „211 fo ninj3 
eö bod^ einen ®runb ber (Sin^eit beö Ueberfinnlid^en, roeU 
d^eö ber 3?atur jum ©runbe Hegt, mit bem, maö ber grei^eit§== 
begriff praftifd^ enthält, geben, mooon ber Segriff, wenn er g(eid& 
loeber tl^eoretifd^ nod& praftifd^ ju einem @rfenntni§ beöfelben gelangt, 
im't^in fein eigentf)ümlid^eö ©ebiet f)at, bennod^ ben llebergang oon ber 
S)enfungöart nad& ben ^rincipien ber einen ju ber nad^ ben ^rincipien 
ber anberen möglid^ mad&t " *) 

SBergteid^en wir jefet bie Segrünbnng ber fantifd^en Äritif mit i^rer 
SSoHenbung, bie Äritif ber reinen Süernnnft mit ber ber llrtf)ei(öfraft, 
fo jeigt fi^ beutlid^, wie unter ben Rauben beö 5|il)iIofop^en baö $löerf 
fortgefd&ritten ift unb fid& umgeftaltet ^at. 3Beber bie iie^re oon ben 
©rfd^einungen nod& bie oon ben Singen an fid^ ift biefetbe geblieben: 
bie ©rfd^einungen treten unö mit bem ß^arafter ber @igentf)ümtid^feit 
unb greil^eit, bie Singe an fid^ mit bem ber Söefenöein^eit unb ßr= 
fennbarfeit entgegen, benn bie Uebereinftimmung jmifd^en bem übep 
fmnlid^en ©ubftratum unferer finnlid;en aSernunft unb bem ber Sinnen^ 
ober Äörpenoelt grünbet fid^ julefet auf i^re Söefenögleid&^eit : fie finb 
SBille unb grei^eit. Samit fällt von ben Singen an fid^ ber ©d^leier, 
ber fie, wie eö fd&ien, in ein unburd^bringlid&eö Sunfel einfüllte. 9Jad^= 
bem bie iiritif ber praftifd^en aSernunft bie Slealität ber grei^eit unb 
ber moralifd^en SBeltorbnung f eftgeftellt , jener unfere finnlid^e unb 



*) ^ritif ber Urtl)ctlgfraft. ©inlcituiifl (@. 2ß. »b. VII. 6. 14). SSßL biefeg 
SBerf: a3b. IV. (3. STufl.) ©. 397, 497. 3ur förläutcrunfl bc8 anflcfö^rten @afee§ 
öfll. oben (Sap. 111. 6.50-52. 



96 

tf)coretifd^c SSernunft, biefer bie Sinnem imb Äörpertüett untergeorbnet 
i)ai, gilt bie gcfammtc 3Be(torbnimg alö bie ©rfd^einung beö ®inge§ an 
fid^, aH SöiHenöp^änoinen, b. i). alö bie ©ntTüidfhmg unb erfd^einung 
ber ^reif)eit. 

3e weiter bie fantifd^en Unterfud^ungen fortfd^reiten, von ber @r= 
fenntni&(ef)re jur ^beenlefire, jur £ef)re t)on ber moralifd^en greitjeit 
unb äßeltorbnung, jur pl)i(ofop^ifd^en @efd^id^tölef)re, jur Sef)re t)on ber 
natürlid^en 'SxtH)dt ber ©rfd^einungen (Äörper), mit roeld^er lefetereu 
bie Äritif ber äftlietifd^en unb teleologifd^en Urt^eilöfraft jufammenfäüt, 
um fo beutlid^er erfieHen fid& bie 2)inge an fid^. Unb je nte^r bie tan- 
tifd^e Üefire biefe auö ben ©rfd^einungen fieroorteud^ten unb bie festeren 
ben 61^ara!ter ber 2BiUen§pf)änomene gewinnen läfet, um fo unDettenu= 
barer prägt fid^ in i^r felbft ber ßl^arafter ber entwidflungölel^re au§, 
um fo beutlid^er erfd^eint fie, wie eö bie älufgabe beö fritif^en ©enfenö 
Derlangt, aU bie p^ilofop^ifd^e Segrünbung unb Sluöbilbung ber ent= 
widflungögefd^id^tlid^en Söelterfenntnig. 2)ieö ift ber SBeg, ben bie 
fantifd^e Sbeenle^re anroeift unb nimmt. 6ö ift bal^er eine fe^r o6er= 
f(äd&Iid^e unb grunbfalfd^e 3tuffaffung ber fantifdjen ^^Uofopl^ie, wenn 
man i^re Se^re von ben ©rfd^einungen unb oon ben Singen an fid^ 
fo oerfte^t, bajs baburd^ jum 3Bol)Ie ber SKenfd^^eit bie SBelt jmifd^en 
3Biffenfd^aft unb 5jJoefie getlieilt, mit jener ber ©mpiriömnö unb 3Jla= 
terialiömuö alö atteingültige ©rfenntnife fanctionirt, mit biefer bagegen 
bie 9)ietap^t)fif auf ben ^pegafuö gefefet unb bie Sbeenle^re bered^tigt 
ober genöt^igt werbe, if)r ©ebiet im Sanb ber S^räume ju fud^en. 3luf 
biefe 3trt läuft man mit bem aSerfaffer ber „Oefd^id^te beö aWateriaIi§= 
muö" ©efa^r, Äantö Äritif ber aSernunft mit ©^itter§ „SC^eilung ber 
6rbe" }u Derwed^feln. 

Unfere 5|Jrüfimg ber fantifd^en ©runbleliren ift ju bem @rgebniffe 
gelangt, bafe auf bem 9Bege burd^ bie brei fritifd^en ^auptwerfe baö 
©pftem eine 2luöbilbung gewonnen f)at, für weld^e bie erfte ©runblage 
Weber bered^net war nod^ auöreid^t. SRad^bem baö jweite ^auptwerf bie 
erfennenbe aSernunft von bem ©efefee ber moralifd^en greil^eit ab= 
l)ängig gemad^t unb baö britte in ber ©d^önf)eit wie in bem Seben ber 
©rfd^einungen ben 6l)aratter ber natürlid^en "^xzxijüt entbedft ^at, 
finb neue Probleme entftanben, bie nid^t mef)r auf ©runb ber Unerfenn- 
barfeit ber Singe an fid^ für unlösbar gelten bürfen. S)iefe ^Probleme 
werben bie ^^emata ber nad^fantifd^en 5pi)iIofopl^ie. 



97 



??ünfte§ 6apitel. 
Die ^Aufgaben un) Hiditungen Iicr nad^hautifdien )ll|ilofo|il|ie. 



I. 35ie ©ninbprobleme bcr nad^fautifd^en 'ipi^ilofopl^ie. 

1. ^ag iiietap]^^ft(d)e Problem. 

Gine Steige Dcrfd^iebenartiger unb gefd^id^tlid^ wirtfamer ©pfteinc 
iinb in bem Saufe weniger Safirjelinte anö ben SBurjeln ber fantifd^en 
^l^itofopl^ie ^erporgegangen. ©d^on biefe Xf)atfad^e bereift, n)ie frnd^t= 
bar unb mannid^faltig bie ©inftüffe, n)ie tief unb umfaffenb bie 3ln= 
regungen geroefen finb, bie burd^ bie 5ßernunftfritif ber ®eift ber ^^ilo= 
fopl^ie empfangen l^at. aSietleid^t war feit ben ^agen ber attifd^en 
^l^ilofop^ie, bie von ©ofrateö ausging, fein p^i(ofopl^ifd^e§ 3^^^!^^^ 
fo befrud^tet unb ju großen unb fd^neU fortfd^reitenben Seiftungen fo 
befähigt, als baö burc^ Äant erleud^tete. 9{eue 2lufgaben entfpringen 
a\i^ bem fritifd^en 3Berfe Äantö, S^agen, roeld^e bie ©runblagen ber 
^l^ilofopl^ie betreffen unb dou fo t)erfd^iebenen Seiten ergriffen fein 
TOoBen, baß i^re Unterfudf)ung entgegengefefete Stanbpuntte l)en)orruft. 
S)arauö erftärt fid^ ber Derroidfelte unb oielgefpaltene 6ntn)idflung§gang, 
ben bie nad^fantifd^e ^^itofopl^ie nimmt : wir fe^en fie in Dielen, 
einanber jumiberlaufenben SHid^tungen auseinanberge^en unb biefe in 
tnand^erlei ©egenfäfee fid^ tl)ei(en, bie lieber in fteinere ©egenfäfee jer- 
fallen, ©o entfielt eine bunte, in ber jeitUd^en Fortbewegung wad^fenbe 
SBiannid^faltigfeit ber 9)leinungen, ©ijfteme unb ©df)ulen, bie auf ben 
erften äußeren 3tnfd&ein faft wie ein 3wftoJ^^ ^^^ ä5ermirrung unb beö 
3erfallS ausfielt. 2)od[) f)errfd^t in biefen ©rfd^einungen ein not^n)en= 
bigeö ®ntn)idflung§gefe$. Um fid^ in bem @ange unb ben 6ntn)idf== 
(ungöformen ber nad^tantifdfien ^f)Uofop^ie, bie fid^ bi§ in bie @egen= 
wart erftredft, jured^tjufinben , muß man ben ©tanb ber 3tufgaben 
erfennen, bie a\i^ ber l^erfaffung unb 5ßotIenbung beö fantifd^en 3Berfeö 
l^enjorgingen. 

S)aö ganje ST^ema bes lefeteren beftanb in ber Sef)re oon bem 
Urfprunge ber 6rfd^einungen auö ber 33efd^affen^eit unb ben 5ßer= 
mögen ber finnlid^en (menfd^lid^en) SBernunft einerfeitö unb ber Seiire 
Don bem Urgrunbe ber 6rfd^eimmgen ober bem Singe an fidf) an= 
bererfeitö, rotid)eQ ber erfennenben SSernunft felbft unb itjrer ©innen= 

%\\^tx, Sttitit b. fantifd^en ^l^ilofop^ie. 7 



98 

Tüelt ju ©runbe liegt. I^mn ba bie erfennenbc 33crnunft na^ Äantö 
funbamentaler Seigre finnlid^cr ober empfänglid^er uiib einbrudföfäl^iger 
9latur ift, fo fann [ie immöglid^ ber Urgrunb felbft fein. 3)a bie 
©rfd^einungen au§ ben ©inbrüdfen ober ©mpfinbungen ber finnlid^en 
Sßernunft a(ö i^rem ©toffe l|ert)orge^en, fo fönnen biefe unmöglid^ au§ 
\enm erflärt werben, benn unfer 5pi)iIofop^ war nid^t ber 2lnfid^t, ba§ 
bie 6rbe anf bem großen ©lep^anten rul^t unb ber grofee 6(epl^ant auf 
ber 6rbe. 2)ie £ef)re von bem Urfprunge ber ©rfd^einungen au§ (bem 
Stoff unb ben aSorfteHungöformen) unferer Sßernunft ift ber tranö= 
fcenbentale ober fantifd^e Sbealiömuö, bie Seigre von bem Urgnmb 
unferer erfennenben Sßernunft unb ber (Jrfd^einungen l^aben toir alö 
ben fantifd^en SHealiömuö bejeid^net, ba ber 5jJ^Uofopl^ unter bem 
SRamen beö „tranöfcenbentalen Slealiömud" biejemge SßorfteHimgöart 
Derftanben miffen mid, metd^er bie Singe au§er nn^ (b. f). bie äußeren 
erfd^einimgen) al§ S)inge an fid& gelten.*) 

Äant l^at bie ibealiftifd^e Segrünbung feiner Grfenntni^lel^re aus- 
geführt unb bie realiftifd^e mit allen barin enthaltenen fragen wegen 
ber Unerfennbarfeit beö ©ingeö an fid^ für unmöglid^ erflärt. Sie 
l)ätte bie e^rage beantworten muffen, warum unfere erfennenbe Sßernunft 
biefe unb feine anberen aSorfteHungöformen ^abe, warum fie fo unb nid^t 
anbers befd^affen fei, aber biefe 2lntwort ju geben, fei feinem aWenfd^en 
möglid^. 35od& i)ai unfer 5jJ^ilofop^ felbft jene ^rage fo weit beant- 
wortet, bafe er in ber „Slealität ber J^^ei^eit" imb beö reinen äöillenö 
baö 2)ing an fid^ erleud^tet unb ber tl^eoretifd^en SJemunft bie praftifd^e 
iu ©runbe gelegt i)at Unterfd^eiben wir atfo in ber ßrfenntnijslel^re 
bie ^rage nad& bem fubjectioen Urfprunge ber ©rfd^einungen t)on 
ber nad^ bem realen Urgrunbe berfelben, fo bitbet bie le^tere baö 
metapl^pfifd^e ^Problem, weld^eö Äant jwar für Döllig unlösbar 
erflärt, aber felbft feineöwegö DöUig ungelöft gelaffen l|at. @r läfet 
fo oiel Sid^t auf bie Sad^e fallen, bafe not^wenbigerweife mel^r Sid^t 
gefud^t unb bie DöHige ©rleud^tung beö 3)inge§ an fid^, im Unterfd^iebe 
oon allen ©rfd^einungen unb ol^ne eö mit ben Unteren ju Dermengen, 
erftrebt werben mu§. 

Um allen 3Kifet)erftänbniffen üorjubeugen, mögen unfere Sefer wol|l 
bead^ten, weld^e Sebeutung in älnfe^ung ber fantifd^en Seigre bem em= 
pirifd^en, unb weld^e bem metapl^pfifd^en 9lealiömu§ jufommt: jener 



*) @. oben eap. II. <S. 23-24. Söfll. ©. 72. 



90 

Betrifft bic ©rfd^einungcn, biefcr bie 2)inge an fict); ber tranöfccnbcn^ 
täte Sbeatiöinud begrünbct ben eiupirifd^cn 9tealiömu§ unb ift felbft 
burd^ ben metap^pfifd^en ju bcgrünbcn. 

2. 3)ag ®r!enutni6probleni. 

Die fantifd^e ©rfenntni^Iel^re in i^rem rocitcften Umfange beftanb 
in ber ©onbenuig, geftftellung unb ©rtlärnng ber ©runbt^atfad^en 
unfcrer aSenuinfterfenntnig. 3)iefe Xl)at\ad)m waren foroo^l tl^eoretifd^er 
ate praftifd^er (fittUd^er) 9lrt; bie t^eoretifd^en tljeilten fid) in bie ber 
SQBiffenfd^aft ober ©rfenntni^ im engeren ©inn unb bie unferer not^= 
tuenbigen, von ber Sbee beö 3^^*^^ geleiteten SBetrad^tung ober öe= 
urtl^eitung ber !Dinge. 5Die beiben @runbtf)atfad^en ber wiffenfd^aftlid^en 
unb im eigentUd^en (Sinn t^eoretifd^en ©rfenntnife waren bie ber 9)ia= 
tl^ematif unb 5Ratum)iffenfd^aft ; bie beiben not^wenbigen, auf bie B^edf- 
möjsigfeit ber ®rfd^einungen gerid^teten Setrad^tungöarten waren unfere 
äfil^etifd^e imb teleologifd^e Söeltanfid^t, wäfirenb bie praftifd^e GrfenntniB 
ben ©l^arafter, b. f). bie ©efinnung unb ben moralifd^en äöertlj unferer 
i&anbtungen ju i^rem ©egenftanbe fiatte. 

Me biefe SSernunf ttl^atf ad^en , fo oerfdjieben fie finb, ftimmten 
barin überein, ba^ fie eine notl^wenbige unb allgemeine ©eltung in 
änfprud^ nal^men, bie fid^ in ber 3^orm fpnt^etifd^er Urtlieile a priori 
barfteHte. ®ie ^rage beö ^liilofopljen Ijiefe : wie finb biefe S^l)atfadf)en 
möglid^? 6ö ^anbelte fid^ um bie ©rgrünbung il^rer öebingungen ober 
^actoren, bie im SEBege ber inbuctioen gorf^ung gefud)t unb gefunben 
lourben. ©o gewife jene ^^atfadjen finb, fo gewife finb bie 33ebing= 
ungen, woraus fie folgen; unb ba eö aSernunftt^atfad^en finb, muffen 
i^re Sebingungen aSernunftoermögen fein. SBie bie Sebingungen 
bem aSebingten, fo muffen biefe SBermögen i^ren ^robucten, b. i), ben 
S^^atfad^en unferer ©rfenntnife unb ©rtenntnigobjecte, alfo aud^ ber un= 
ferer ©rfal^rung unb ©rfalirungöobjecte öorauöge^en: fie finb ba^er oor 
alter ©rfal^rung ober, wie ^ant fidf) auöbrüdft, „a priori (tranöfcen^ 
bental)", b. i). fie finb reine aSernunftoermögen, fotd^e, bie ber aSernunft 
angel^ören, nid^t wie fie a\x^ xf)xtn gemad^ten ©rfal^rungen l^err>orgel)t, 
fonbern aller ©rfa^rung, bie fie erft ju mad^en ^at, oorlierge^t. 

aSir fe^en, wie bie fritifd^e 5|i^ilofopl)ie Derfä^rt. ©ie fonbert unb 

conftatirt bie aSernunfttl)atfad^cn : bieö ift il)r Sluögangöpunft, ber 

bie ©teHung ber grage enthält, ©ie jerglicbert biefe J^atfad^en unb 

finbct auf biefem inbuctioen 3Bege bic notljwenbigen unb urfprttnglic^en 

7* 



100 

Sßernunftocrmögen, bie jene ^f)at\aä)en erjeuflen: bieö ift i^re 9Wetl^obe. 
©ie erfennt, worin bie reine SSernunft befielt, ober ben Inbegriff 
n)e(d^er SBennögen biefelbe auömad^t: barin befielet i^r Grgebni§. 
^ebe eines ber cjefunbenen ^Sermögen auf, me j. 33. bie Sinnlid^feit 
ober ben SSerftanb, unb bu ^aft bie aWöglid^feit ber ©rfal^rung auf= 
gel^oben! 2)anim [inb biefe aSermögen notl^roenbig. güge ben gefun= 
benen aSermögen ein anbereö, ba§ i^nen juroiberläuft, f)inju, n)ie j. S. 
einen anfd^anenben aSerftanb ober eine überfinnlid^e 2lnf^auung, unb 
bu ^aft bie ^^atfad^e ber menfd^Iid^cn ©rfenntni^ unb ©rfal^rung 
aufgel^oben ! 2)arum ift ein fotd^eö aSermögen unmöglid^. 2)ieö ift il^re 
a3en)ei§art, welche unfer ^^ilofopl^ bie fritifd^e ober tranöfccnben^ 
tale genannt l^at. 3tuf feinem inbuctiDen SBege mü Äant bie 6inri(^= 
tung unferer aSemunft, bie ©efefee unfereö a?orftelIen§ unb 6r!ennen§ 
ebenfo metf)obifd^ unb fidler entbedft l^aben, wie Äepler bie Harmonie 
beö aSeltaHö unb bie SSewegungögefefee ber ^Planeten, ^ebe bie fepler- 
fd^en ©efefee auf, unb bie aSeroegungöerfd^einungen ber ^aneten finb 
unmöglid^. 

©0 Diele Sebingungen jur 2^f)atfad^e ber menjd^lid^en ©rfenntnig 
erforberlid^ finb, fo oiele ©runboermögen mu§ bie menfd^Ud^e aSernunft 
in fid^ fd^liefeen ; jebeö berfelben erfd^eint in ber Sled^nung ber fritifd^en 
^l^ilofop^ie unter bem „^aben" ber reinen aSernunft aU ein Soften 
ifire§ urfprtinglid^en a3efifeeö. So ift bie 2!^atfad^e ber reinen 9Kat^e= 
matif baburd^ begrünbet worben, bafe 3laum unb ^eit bie beiben ©runb- 
formen unferer ©innlid^feit ober reine 3lnfd^auungen finb; bie 2^l^at= 
fad^e ber ©rfa^rungöerfenntniB ober Jiaturmiffenfd^aft baburd^, bafe ber 
i^erftanb, ein von ber ©innlid^feit grunbt)erfd^iebene§ aSermögen, fraft 
feiner reinen, urfprünglid^en a3egriffe bie ©rfd^einungen bilbet unb t)er= 
fnüpft. ®iefe a3egriffe finb nid^t oorfteHenb, fonbern t)erfnüpfenb (ur= 
t^eilenb). aßaö fie oerfnüpfen, mujs gegeben, alfo empfangen unb barum 
finnlid^er 3trt fein, meö^alb unfere aSernunft aud^ nur im ©tanbe ift, 
finnlid^e ©egenftänbe, nid^t aber überfinnlid^e, wie bie 3)inge an fid^, 
SU erfennen. Salier giebt eö in ber ©inrid^tung unferer ©rfenntnife^ 
Dcnnögen feine intedectueHe 2lnfd^auung ober intuitiven aSerftanb, alö 
TOeld^em allein 3)inge an fid^ gegeben unb einleud^tenb fein fönnten. 
®ö giebt fein Dbject o^ne ©ubject, feine aSorfteffung ol^ne aSorfteHenbeö, 
feine ®rfd^einung o^ne ein SBefen, bem fie erfd^int. aSir würben feine 
gemeinfame ©innenmelt ^aben unb feine objective ©rfal^rung mad^en 
fönnen, wenn wir nid^t im ©tanbe wären, nad^ benfetben, allgemein 



101 

gültigen SBorftettungöflcfcfecn beit gcflebenen Stoff unfercr Ginbrüdfe ju 
uerfnüpfen, jufainmcnjufaffeii imb ju orbuen. Um (jemeinfame (Sr- 
fd^einungen l^eroorjubringen, baju geljört „baö reine Seiüufetfein" unb 
^ivt probuctioe ®in6ilbung", bie nad^ ben @efe|en beö leiteten nn= 
bewußt Derfäl^rt. Um bie gegebenen ©rfd^einnngen oorjnfteHen, bajn 
gel^ören „bie SSermögen ber 3lpprel^enfion , ber reprobuctiüen Gin6il= 
bung unb ber SRecognition im Segriff", wie Äant fie genannt Ijat. ©o 
feigen vsAx eine SReil^e üerfd^iebener ©runbpermögen por unö, bie nad^ 
ber aied^nung ber Äritif not^roenbig finb, um bie Xl^atfad^en imferer 
©rfcnntnife ju erjengen, unb beren Inbegriff ba§ ©rroerböcapital ber 
tl^eoretifd^en 3Sernunft bitbet. 3lber biefer Inbegriff l^at mir ben 
(Sl^arafter einer coHectioen ©inl^eit. 

^aiu fommt bie 2!l^atfad^e ber praftifd^en Grfenntnife, bie in 
ber moralifd^en SBertl^fd^äfenng unferer ©efinnungen unb ^anblungen 
befielet, weld^e le^tere ol^ne bie 5ßorftettung eineö abfohlten ©eboteö, 
eines unbebingt t)erpftid^tenben Sittengefefeeö unmöglid^ wäre. Gin 
©efefe aber, baö ber ©efinnung bie 3lid&tung Dorf d^reibt , alfo unfer 
eigenfteö, innerfteö SBefen betrifft, mufe burd^ unö felbft gegeben fein unb 
forbert bedl^alb baö aSermögen ber älutonomie ober greil^eit, bie in einem 
ööHig unbebingten ober reinen SBiden beftef)t. 3lu§ ber Stljatfad^e ww- 
fercö moralifd^en Urt^eilö erteilt baö Sittengefefe, a\x^ biefem bie 5rei= 
l^eit. ®a§ Sittengefefe gebietet: „bu foUft unbebingt fo unb nid^t an= 
berö gefinnt fein, fo unb nid^t anberö ^anbeln !" 25aranö erfennen wir 
bie Slutonomie unfereö reinen SBittenö ober bie ^Realität unferer grei- 
l^eit, bie fid^ in bem Safte auöfprid^t: „bu fannft, benn bn fottft!" 
©0 läßt unö ber ^p^ilofopfi bnrd^ bie 3lnalijfe einer STliatfad^e, alfo 
auf inbu etilem Söege aud^ jur ©rfenntnig unferer g^reil^eit gelangen, 
wä^renb er auöbriidflic^ erflärt, bajs biefe Ginfidjt feineöroegö empirifd^er 
Strt ift. ©ben baöfelbe nuijs oon ber Grfenntnife unferer tf)eoretifd^en 
®runbt)ermögen gelten. 

3?ad^ ben Grgebniffen ber Äritif jerfättt bie tl^eoretifd^e aSernunft 
in ben ©egenfaft ber beiben grunboerfd^iebenen Grfenntnifeftämme ber 
Sinnlid^feit unb beö aSerftanbeö, unb bie gefammte aSernnnft in ben 
©egenfaft ber tl^eoretifd^en unb praftifd^en ober in ben ber GrfenntniB^ 
öermögen unb beö reinen SBillenö. liefen aSernunftüermögen entfpre^ 
d^en bie beiben aSernunftgebiete ber finnlid^en unb fittlid^en SBeltorbnung, 
ber 3?atur unb ber greilieit. 2) ort lierrfd^t bie med^anifd^e, l^ier bie 
jwedftl^ätige Gaufalität. 3iun giebt eö tl^atfäd^lid^ Grfd;einnngen, bie 



102 

\\m ximmütüxliä) a(ö swecfmäfeifle ober jiuerfwibrige anfpred^en, bie rair 
barum, je nad^bem ber 6f)arafter tf)rer B^^^rfinä^igfeit bloö auf imfere 
Setrad^tung ober auf i^r eigeueö 2)a|eiu bejogeu roirb, entroeber 
äftljetifd^ ober teleologifd^ beurtfieilen. Sefet tritt ju ben tl^eore= 
tifd^en uub praftifd^en ©runbueniiögen nod^ bie reflectirenbe Urt^eilö^^ 
fraft, bie fid^ in bie 3Kitte jener beiben ftettt unb felbft in bie beiben 
Strten ber äft^etifd^en unb teleologifd^en Urtf)eilöfraft unterfd^eibet. 

@o ergeben fid^ auf bem inbuctiüen SBege ber fantifd^en Äritif 
burd^ bie 3lnahjfe ber ^^atfad^en unferer tfieoretifd^en unb praftifd^en 
©rfenntnife, unferer äftf)etifd^en unb teleologifd^en 33etrad&tung ber ®inge 
eine Sleil^e Derfd^iebener unb urfprünglid^er 5ßerinögen, beren cottectioeu 
Inbegriff unfere reine SBernunft auömad^t. ®iefe aSermögen oer^alten 
fid^ ju jenen ^l^atfad^en begrünbenb. S^fet entfielet bie S^rage: n)o= 
burd^ finb fie felbft begrünbet? 2)enn n)ir fönnen unö unmögli^ 
mit ber 93orftettung begnügen, bajs bie 5ßernunft nur beren ©uinnie 
ober ©ammelbegriff fei. 3Bie ber 3iifctJnmenl^ang in ben Grfd^einungen 
ba§ Söerf ber SBernunft ift, fo ift ber B^fö^^^^^^^öi^Ö ii^ ^^^^ eigenen 
5ßermögen i^r ©^arafter. 2)er Inbegriff ber le^teren ift baljer nid&t 
bloö cottectit), fonbern fpftematifd^, unb baö Softem unferer 58ernunft= 
Dermögen mu§ eine ju erforfd^enbe genteinfame Söurjel l^aben, loorauö 
fid^ baöfelbe entwidfelt. S)ie Grforfd^ung biefer SBurjel unb bie ^er== 
leitung aller ber aSermögen, bie ^ant alö Urfräfte ^ingeftettt unb ber 
©rfd^einungöroelt ju ©runbe gelegt f)at, au^ bem SBefen ber SBernunft 
felbft ift bie ©runb frage, bie fid^ nad^ bem 3lbfd^lu§ ber fritifd^en 
^^ilofopl^ie ergebt, auö il)ren ©rgebniffen l^eroorgel^t unb bie Slid^tung 
ber folgenben Unterfud^ungen beftimmt. 

n. 35ie 3lid^tungen ber nad^fantifd^en ^pi^ilofopljie. 

1. 3)te neue S3cörünbunö ber ©rfenntnifelel^re. 

®ö Ijanbelt fid^ bemnad^ in ber 9Iu§bitbung ber ©rtenntnifeleljre 
unb in ber Söfung il^re§ ^Problems um eine neue Segrünbung ber 
6rfenntniJ3t)ermögen. 3Baö Äant auf inbuctioem 3Bege gefunben, foU 
jefet auf bebuctiüem entroidfelt werben. S)ie aWöglid^feit ein^r fotd^en 
©ebuction forbert bie ©rfenntnife bes ^rincipö, n)el(^eö unferen ©r^ 
fenntnijsoermögen unb bamit ber ©inrid^tung unferer aSemunft über= 
l^aupt JU ©runbe liegt. 5?ant l^atte burd^ bie a3eoba(^tung unb S^x- 
glieberung ber ©rfenntnigtl^atfad^en bie ®efe|e unfereö aSorfteHenö unb 



103 

ßr!eiinend cntbedft, uno Meptcr Mc (^JoKfec bor 'iUitnotcnboiüertunii burrf) 
bic Seobad^tung uub »ered;mnin il;rcr 'IJljänomeue. 5{ad)btMu Meplcr 
bicfc ©efcftc inbuctio cutbedt Ijatte, erfd&ien !J{en)ton, um fie auö einer 
@runb{raft unb ciacm ©runbgcfefe ju bebuciren. älUe fid^ in bcr Sc= 
Orfinbung ber SciDegunflögefc^c unfercr feinnuelöförper -Keioton ju 
Aepler^ äl^nlid^ Dcrl^ält fidj in bcr Seflrünbunfl ber 3JorfteIIunööfle]cfec 
unfcrer aSernunft bie nad^fantifd^e '^.Ujilofopljie ju Aant. "^i) wiU biefc 
äkrglcid^ung nid^t weiter auöbeljucn, a(ö bic J^affung ber 9lufflabe 
rcid^t, unb braud^e fie nur, um bie bebuctioe iHid^tung bcr lefetercn ju 
Derbeutlid^en. 

Stant felbft l^atte biefc 5Hid)tunö bejcidjuet, nid^t bloö burdj bic bc= 
buctiüc ober fpntl^etifd^e Sefirart, bie er in feinem .<Qauptn)er!c befolgt, 
fonbcm mid^ in ber 3lnorbnung ber 3?ernunftoennögen felbft; er fjatte 
bicfe nid&t Mos coorbinirt, fonbern mit eifrigem öeftreben fijftematifd) 
georbnct. 3)ie probuctioe Ginbilbungöfraft galt if)m alö baö iHnbeglieb 
jioifd^en äJerftanb unb £inntid;feit, bereu gemeinfame SBurjel er für 
uiöglid^, aber imerfennbar crHärte; bie praftifdjc ä5ernunft galt i()m 
aU bad übergeorbnetc, bie tl^eorctifd^e alö baö jener untergeorbnete unb 
oon il^r abl^ängige SBermögen, bie reflectircnbe Urtl^eilöfraft alö baö 
SSinbeglieb beiber. So l&attc er felbft fd^on ein Sijftcm ber 3?ernunft= 
üermögen gegeben, bem, um ein fotd^eö loirHid^ ju fein, nur bcr 6f)a= 
raftcr ber ©inl^eit unb principietten SJcgrünbung fe()Ite. 

®iefc ©inl^eit ^atte bcr ^^ilofopt) für uncrfcnnbar ertlärt, alfo 
für ein 35ing an fid;. Sßirb fie erfannt, fo fällt mit ber 9luflöfung 
bcö ©rfenntnifeproblcmö bie beö metapl)i)fifd^en snfammen. 2)arauö er- 
Hart fid^, warum bie nad;!antifd)c ^f|ilofopl)ie, inbem fie bie 6rfenntni§= 
lel^re bebuctio ju begrünben fud;t, bie metapl^pfifd^c Siid^tung einfd)lägt, 
unb jmar in unmittelbarem unb nädjftem 3lnfd^lui3 an bie fantifdjc 
S5el|re felbft. Sie geftaltet fid^ in itjren fortfd^rcitenben @ntn)idlungö= 
fonnen ju einer 6r!enntniJ3 beö S)ingeö an fid^, unb e§ ift leidet oor^ 
auöjufe^en, ba^ in biefer g^ortfdfircitung bie ^rage nad^ ben Singen 
an fid^ unb i^rer ©rfennbarfcit ein 2'^ema oon eminenter unb ent- 
fd^eibenber SBic^tigfeit fein loirb. ÄHr wollen biefem fünfte fogleidE) 
eine jmeite a^orbemerfung l^injnfügen. @ilt im lanbläupgcn unb fd^ul= 
mäßigen ©inn ber fantifd^en fiel^re, inöbefonbere nad^ ben g^cftftcHungen 
ber 58emunftfritif baö Sing an \iä) für uncrfcnnbar, fo wirb bie 
Seigre von feiner ©rfennbarfeit jnglcid^ bie Sc^re oon feiner 9{id^tig= 
feit, unb bie nac^fantifd^c ^^ilofopl^ic tritt alöbalb in ein ©tabium. 



104 

Tüo fie e$ für notljwenbifl erflärt, mit ben 3)in9en an fid^ ttbcrl^aup; 
aufjuräumen. So entfteljt in bein ^ortgauflc ber imd^fantifd^en 5p^ilo- 
fopf)ie bie getüid^tige unb cinfd^neibenbe fjrage: ob mit ber ©rfenntuiß 
ber ®inge an fid^ bie ajerneinung ober bie Sejal^uug il^rer Slealitit 
^anb in ^anb gelten muffe ! 2)ie 33ejal^ung erflärt fid^ für ben wahren, 
burd^ bie tüol^berftanbene fantifd^e Seigre gebotenen 9leaUömu)S im 
©egenfafe tuiber ben tranöfcenbentalen Sbealiömuö, ber feine 33afi^ l^abe. 
So entftef)t in ber na(^fantifd^en 3Ketapl^ijfif ber Streit jroifd^en 9leaUö= 
muö unb 3beali§muö, ber bis in unfere S^age l^ineinreid^t. 

2. ^ie breif ad^e Slntitl^efc: fjrieg, iperbart, (Sd^opcnl^aucr. 

®aö näd^fte 2^^ema, meld^eö bie nad^fantifd^e ^jJIjilofopljie ergreift, 
ift bie 33egrünbung ber neuen ©rfenntniislel^re auö einem einjigen 3Ser=: 
nunftprincip. 2)iefe SRid^tung i)at brei ©^arafterjüge : fic ift aU ^mv 
cipienlelire metap^ijfifd^, al§ ßinl^eitölel^re moniftif^ ober, wie ber 
jeitgefd^id^tlid^e ^Terminuö I)ie§, Sbentitätötel^re, unb, weil i^r ^princip 
bie benfenbe imb erfenncnbe 3Semunft felbft ift, ibealiftifd^. 3^be 
biefer d^arafteriftifd^en Seftimmungen ruft eine il^r entgegengefefete 9lid&= 
tung l^erüor, bie fid^ ebenfattö auf bie fantifd^e Seigre beruft unb auö 
ber rid^tigen ©rfenntnife unb 33eurtf)eilung berfelben ju red^tfertigen 
fud^t. So entfielet in ben ©runbrid^tungen ber nac^fantifc^en 5pi^iIofopf)ie 
eine breifad^e 3lntitf)efe, bie in jebem ifirer Stanbpunfte eine @rläute= 
rung unb fid^tenbe Äritif ber fantifd^en Seigre mit fid^ fül^rt. ©ö l^an- 
belt fid^ immer von neuem um bie ^xa^t naä) ber Söal^rl^eit wie nad^ 
ben 3Kängeln unb S^rtl^ümern ber fritifd^en 5jJ^iIofopl^ie, nad^ beut, 
roa^ in bem 3Berfe Äantö baö 33(eibenbe unb a^ergänglid^e auömad^t. 

®ie erfte 3tntitl^efe reid^t am weiteften: fie bejafit bie 9lotf)wenbig= 
feit einer neuen Segrünbung ber ©rfenntnifete^re, aber fie oerneint jur 
Söfung biefer 3tufgabe bie metapl^rififd^e, moniftifd&e unb ibealiftifd^e 
(aprioriftifd^e) 3lid^tung unb forbert alö ben einzigen 3Beg, um baö 
Sijftem unferer SSernunftüermögen ju erfennen, bie Seobad^tung un= 
fereö inneren Sebenö, bie empirifd^e imb pfpd^ologifd^e gorfd^ung. Sie 
wal^re 5ßernunftfritif fönne nid^tö anbereö fein aU „innere SlntJ^ropo- 
logie, 2!l^eorie beö inneren 2eben^, SRaturle^re beö menfd^Iid^en ©emütljö". 
2)emgemä§ erfd^eint aU bie ©rimblel^re nid^t bie SDletap^pfif, fonbern 
„bie pl^ilofopl^ifd^e 3lntf)ropologie": in biefer SRid^tung ift bie SSer- 
nunftf ritif unb ilire 6rf enntni^lel^re nm ju begrünben. ®er 3Sertreter bie- 
feö Stanbpunfteß, ber eine Sd^ule geftiftet unb eine fortwirfenbe ©eltung 



105 

ßel^bt Ijat, ift Sacob J?ricbrt(^ ^rtcö*), feine örunbtegeuben 2Berfe 
ftnb: „©pftcni ber ^^JljUofopljie atö eoibcnte SBiffenfd^aft" (1804), „SBiffen, 
©taube uub SK^nuuö" (1805) uiib „SReiie Äritif ber a?ernuuft" ^1807). 
S)ie le^tere ift baö ^auptioer!. ^ie nad^fantifd^e 5p^ilofopf)ie trennt fid& in 
bic metap^rifif(fte unb antfiropolocjifd^e Slid^tung. 3Ba§ fann bie ©rfennt- 
nife ber menfd^lid^en ä?ernnnft, alfo bie 3Sernunftfritif anbereö fein 
wollen, alö innere ober pl^ilofopfiifd^e Slntl^ropologie ? ®o lel^rt ^rieö 
unb bie ©einigen. 2Bie fann bie 3tntf)ropologie bie pl^ilofopf)ifd^e ®runb= 
wiffcnfd^aft fein TOoden, ba fie bod& felbft, wie alle ©rfal^rungöraiffen- 
fd^aft überhaupt, ber 33egrünbung bebarf? ©o antworten bie ©egner. 
2)ie jweite 3lntitf)efe entfielet unb liegt innerl^alb ber nad^fantifd^en 
^JKetapl^rifif : fie bejaht bie nietapf)rififd^e Segrünbung ber 6rfenntni§= 
lel^re, aber verneint oon ©runb au§ bie moniftifd^e wie ibealiftifd^e 
SRid^tung berfelben; fie fefet jener (Sbentitötölel^re) bie 3Siell^eit ber 
^rincipien unb biefer einen 3leaüömuö entgegen, ber baö wal^rljaft 
Seienbe (3)inge an fid^) alö etwaö oon allen SßorfteHungen oöllig Um 
abpngigeö ju ergrünbcn unb ju erfennen fiat. 2Bie Äant bie ®inge 
an fid^ alö baö allen ©rfd^einungen unb 5ßorftellungen ju ©riuibe £ie= 
genbe unb dou benfelben DöHig Unabl^ängige rid^tig gefaxt fiat, fo mufe 
i^r e^arafter feftgel^atten unb mit ifirer 6rfenntni§ ©ruft gemad^t 
"werben. 3ene moniftifd^ unb ibealiftifd^ gerid^tete SDletaplipfif berul^t 
auf ber unfritifd^en unb grunbfalfd^en 3Sorau§fefeung, ba^ ein unb baö- 
felbe ©ubject uerfd^iebene 3Sermögen ober 5lräfte l^abe, b. 1^. auf ber 
wiberfpred^enben ä5orftellung, bafe ©ineö aSieleö fei. .^ant felbft l^at 
unter biefer beftänbigen SSorauöfefeung geftanben, inbem er bie menfd^= 
lid^e Süernunft alö ein fold^eö SBefen anfal^, weld^eö Diele, grunbt)erfd^ie= 
bene Gräfte fiabe unb in fid^ Dereinige ; feine 5ßernunftfritif ift in biefer 
SlüdEfid^t, unb nid^t bloö in biefer allein, nid^t fritifd^ genug gewefen: 
^t\\ barin befielt i^r ©runbirrt^uni. Sie bebarf balier nid^t bloö ber 
gortbilbung, fonbern einer Umbilbung unb ©rneuerung dou ®runb 
au8, benn fie l^at mit Segriffen gearbeitet, bie Doller 9Biberfprü(^e, barum 
untauglid^ jur ®rfenntnife, barum aud^ untauglidt; jur ^Prüfung unb 33e= 
grünbung ber ©rfenntnife finb. Sold^e wiberfpred^enbe Segriffe finb baö 
2)ing mit feinen (Sigenfd^aften unb aSeränberungen, bie ©aufalität, bie 
SRaterie, baö 3^- ^emnad^ mu^ eö bie erfte unb funbamentale 3lufgabe 
ber ^^Jl^ilofopfiie fein, unfere Crfenntni^egriffe %\\ unterfud^en unb ju 



*) geb. bell 23. STuguft 1773 in a3arb^i, gcft. \it\\ 10. Sluguft 1843 in ^cna. 



106 

bcrid^tifitMi. ^Tiefe Bearbeitung unb 33erid;ti9unc\ ift baö ^^ema einer 
neuen SDJetapl^riftf, bie aUeni 3Koniöuiuö unb Sbealiömuö wiberftreitet 
unb burdj bie 33efeitigung ber 3öiberfprü(^e, bie unfer natürlid^eö 3Den!eu 
erfüllen unb ben argen S^iftö^^b beöfelben d^arafterifiren, fid^ ben 3Beg 
jur ©rfenntnife beö wal^ren Seinö bal^nt, um von f)ier auö bie 6nt= 
fteljung ber Grfd^einungen unb 5ßorftettungen ju erflären. 

2)er 33egrünber biefeö Stanbpunfteö ift ^yo^ann griebri^ öer= 
bart*), bie erfte Segrünbung erfd^eint in ber ©d^rift: „^auptpuufte 
ber 9)letap^i)fif" (1808), bie Ueberfid^t be§ ganjen ©pftemö in bem 
,,iJel)rbud^ jur Einleitung in bie ^p^ilofop^ie" (1813), baö grunblegenbe 
2Bert in potter 3luöfül)rung ift bie „Mgemeine SWetap^pfi!" (1829). 
Siu ber äJorrebe ju biefein SBerfe fieifet e§ am Sd^lufe: „Äant lel^rt: 
„„unfer Segriff t)on einem ©egenftanbe mag enthalten, waö unb wie 
vid er wotte: fo muffen xoxx bocS) an^ ü)m f)erauögel^en, um biefem 
bie (Sjiftenj beijulegen."" „®iefeö nun ift ber ^auptpunft, auf mdä)en 
baö oorliegenbe 33ud^ überall J^intüeift; unb barum ift ber 33erfaffer 
Äantianer, wenn aud^ nur oom 3al)re 1828 unb nid^t au§ ben Reiten 
ber Äategorien unb ber Äritif ber Urtl^eilöfraft, wie ber aufmerffame 
Sefer balb bemerfen mirb. @ö ift nid^t nöt^ig, mel^r oorauöjufagen. 
SlKein man TOaffne fid^ mit ©ebulb, benn baö E^aoö ber bi^l^erigen 
3Jletapl)ijfif mufe erft gejeigt werben, wie eö aU 2^^atfad^c wirfHd^ ift, 
unb eö fann nur allmä^Iid^ jur Drbnung gebrad^t tüerben."**) 

®ie britte 9lntitl^efe entfte^t unb liegt innerl^alb ber moniftifd^ 
gerid^teten aWetap^pfif : fie bejal^t bie metapl^fif^^e unb moniftifd^c 6r== 
fenntnife beö 2)inge§ an fid^ aU beö einen Urtüefenö, weld^eö aßen 
Grfd^einungeu unb barum aud^ allem 6rfennen ju ©runbe liegt, aber 
fie verneint jebe ibealiftifd^e S^affung beöfelben, jufolge bereu baö Ur= 
mefen (2)ing an )iä)) mit ber benfenben ober erfennenben SSernunft 
ibentificirt, in ein älbftractum üerroaubelt, alfo mit ben Sßorftellungeu 
unb erf(^einungen vermengt werbe; fie forbert ba^er im ©egenfafe 
Tüiber bie ibealiftifd^e unb abftracte S^affung bie realiftifd^e unb inbit)i= 
bualiftifd^e. 3^ abftracter baö Urwefen gebadet ober je mel^r baöfelbe 
verallgemeinert unb mit 9temen, wie „bie abfolute Sbentität, bie ah^ 
fotute 5ßernunft, baö älbfolute" u. f. f. bejeid^net wirb, um fo l^eftiger 
ergrimmt biefer ©egner, ber felbft au§ ber gamilie ber Sbentitätö- 



*) geb. ben 4. Wlax 1776 in Olbeiiburg, gcft. ben 14. Wufluft 1841 in @i^ 
tingen. - **) ^crbart: Slttg. aWctapWtf. »orr. XXVIII. 



1T)7 

pl^UofopIjen I)crt)or(5cf)t. ^Taö 9ltt=Gine faim iinmöfllid) baö SlUgcineine 
fein: jcncö ift urfprüuölid), biefeö abgeleitet, iinmer abgeleitet, um fo 
ntcl^r, je aUgeineiner eö ift. 2)ie SSermmft bitbet iljre begriffe, iubem 
fie biefelben a\\^ SBorfteHungen abftral^irt, bie felbft aiiö finnU(^en 3tn= 
fd^aimngen abftral^irt [inb, weld&e leitete aus beut Stoff imferer Sinneö- 
eiubrüdfe unb beit 3lufd^auung§fonnen unfereö ^nteßectö (9taum, S^^h 
Gaufalität) erjcugt werben; biefe aber finb ©eljirufunctionen, bie alö 
fold^e bie leiblid^e Crganifation unb bereu Gntimdtuugöftufeu t)orauö= 
fefeeu. 9li^tö ift bal^er oerfe^rter, alö jene g^affuug beö älH^^eiueu, weld&e 
bie ©ad^e auf beu Mopf fteHt unb al§ baö Urfprüuglid^e uub abfolut 
ßrfte gelteu laffeu will, waö in 2Baf)r^eit in ber 3lei^e ber abgeleiteten 
unb bebingteu (£rfd;eiuungen eiueö ber legten ©lieber auömad^t. 2)a 
nun baö Urroefen nid^tö 2lllgemcineö fein fann, fo muß eö in beui 
Hern ber 3nbioibua(ität gefud^t werben; ba eö fid^ nid^t ableiten ober 
mittelbar erfennen läfet, fo ift eö unmittelbar, b. 1^. nur in um felbft, 
in unferem eigenften, innerften SBefen ju erfennen. 9Jun ift ber Äern 
imfereö Selbftberouistfeinö (Streben ober SBoHen: ber SBille ju biefer 
Sebenöcrfd^einung , biefem ©injetbafein , biefer ^nbioibnalität, biefem 
ei^araf ter ; eö ift ber SBitle, ber nid^t etwa im Sewujstf ein befielet, f on- 
bern biefeö erft auf einer gewiffen ©tufe feiner leiblid^en ©rfd^einung 
unb Drganifation ^eroortreibt, alfo ber unben)ufete ober blinbe SBille. 
aSaö aber ben Äern ober baö innerfte Söefen xniferer ©rfd^einung aw^- 
maä)i, eben baöfelbe ^princip ift ber Äern ober baö SBefen aller Gx- 
fd^einungen. 2)al)er ift baö SlH-'eine, baö Urroefen ober baö ®ing an fidE) 
aßiHe. 2)ie 2Bett unb baö Stufenreid^ ber Singe ift feine ©rfd^einung. 
2)aJ3 eö fo ift, gilt alö DöHig einleud^tenb. SBarum unb wie berSBille 
in bie ©rfd^einung tritt unb fid^ objectiüirt, bleibt unerforf^lirf;. 

®er Segrünber biefeö Stanbpunfteö ift Slrtljur Sd^openljauer*). 
6r läfet feine Seigre unmittelbar a\i^ ber fantif(^en Ijeroorgel^en unb 
roiH ber einjige ^Ijilofopl^ fein, ber bie lefetere folgeri(^tig auögebad^t 
unb ooHenbet liabe; er Derl^ält fi^ gegen grieö alö aWetap^pfifer, 
gegen ^erbart alö tranöfcenbentaler ^bealift, gegen bie Jj^^ö'^if*^" ^^^ 
3bentitätölel)re alö Diealift unb Snbioibualift ; er nennt gid^te, Sd^elling 
unb ^egel gern „bie brei großen Sopl^iften", gegen weld^e er fid^ felbft 
alö ber 5jJl|ilofop^ in eminentem Sinne erfd^eint. ^n feiner erften Sd^rift 



*) öeb. htn 22. ^Jebruar 1788 in ^anm, gcft. bcn 21. September 1860 tu 
granffurt a. 3K. 



108 

„Ueber bic t)ierfa(^c 3Burjel be^ (Saftes t)om ^ureid^euben P5runbe" 
(1813) l)at er feinen Stanbpnnft begrilnbet nnb in feinem ^auptwerfe 
„2)ie Söelt alö SEBitte unb äJorfteanng" auöflefü^rt (1819). er Ijat alö 
©reiö feinen road^fenben 9tuf)m erlebt nnb nid^t niel)r überlebt, benn 
berfetbe ftef)t nod^ in üotter ©eltnng. 

IIL 2)er GntTOidlnngögang ber nad^tantifd;en 

^pi^ilofopl^ie. 

1. 3)er metapl^^fifci^e Sbeali^muS. 

Sene breifad^e 2lntitl^efe, bie n)ir gefd^itbert Ijaben, fefet üoranö, bafe 
bie S^ljefe, wogegen fie fid^ erf)ebt, nid^t bloö feftgefteHt, fonbern in fo 
nnifaffenben nnb mäd^tigen g^ormen anögeprägt ift, bafe biefe lefeteren 
ben norl^anbenen unb l^errfd^enben ®ntn)idEIung§juftanb ber nad^fantifd^en 
5pi)ilofopfjie barfteHen. 2Bie Derfd^ieben bie ©egner nnb il^re Slid^tungen 
finb, fo l^aben fie bod^ ein gemeinfameö 3lngrifföobject, benn fie ner= 
werfen fämmtUd^ ben metQp^9fif(^en S^ealiömnö, b. f). biejenige 9iid^= 
tung, TOeld^e ben fritifd^en ober tran§fcenbentaten ^bealiömnö jur 3)Je= 
tapl^pfif niad^t ober, was baöfelbe l^ei^t, innerhalb ber erfennenben 
5ßernunft ben Urgrunb ber ©rfd^einnngen auffud^t. 3Die§ ift grnnb= 
falfd^, le^rt grieö, benn ber fritifd^e Sbealiömuö ift nid^t ntetapl^^fifd^, 
fonbern antl^ropologifd^, unb bie ©rfenntnife unferer tranöfcenbentalen 
33ennögen nid^t tranöfcenbental (a priori), fonbern empirifd^. ^n biefer 
irrtfiümlidjen 3luffaffung, weld^e ^fpd^ologie unb aWetapl^^fif, ©rfenntni^^ 
object nnb ©rfenntni^art üerwed^f elt , inbem fie bie ©rfenntniB beö 
J^reinöfcenbentafen für tranöfcenbentale ßrfenntnife anfielt, befte^t „baö 
3Sorurtl^eil beö Xranöfcenbentalen, baö fantifd^e 5ßorurtl^ei(", baö ben 
gefammten metap^pfifd^en 3^eali§mu§ bel^errf(^t. 2)iefe SRid^tung ift 
grunbfalfd^, lel^rt aud^ ^erbart, benn ber Oegenftanb ber SDJetapljijfi! 
ift nid^t bie erfennenbe SSemunft, fonbern baö reale, von allem 3Sor= 
fteHen unb (Srfennen nnabl^ängige Sein an fid^. ®iefe SRid^tung ift 
grunbfalfd^, le^rt aud^ ©d^open^aner, benn bie erfennenbe SBemunft ift 
ber fubjectine Urfprung ber ©rfd^einungen, aber feineöwegö ber Urgrunb 
ber ®inge. 

Snbeffen war ber metap^rififd^e Sbealiömuö ober bie ibealiftifd^ 
gerid^tete S^^i^titätölel^re bie erfte unb näd^fte SRid^tung, bie am ber 
fantifd^en Äritif l^enjorging. 2)er ^^ilofopl^ felbft l^atte fie nid^t bloö 
angebeutet, fonbern fd^on angebalint; er l^atte ba§ bebeutfame SBort 



109 

mftgefpTO^en, ba| ©innlid&feit unb 'l^crftnnb, biefc beibcn flruH^üorfd)ic= 
bcnen t^eoretif^en S.^mtöoen, mellcidbt eine n<*)ti<^i"ü^)"<^/ ^l^^f "t^<» ii"= 
Mannte SBiirjcl \)aben, er t)atte Me tbcoretiidie 'l^ernunft dou ber 
irrattifd^n abhängig geinad)t unb beibe burd) bie reflectirenbe Urtbeilo- 
fwft ncmiittclt ; *) er ^atte bie i^creiniflun^ beo intelliflibeln unb 
enqnrifd^en S^arofterd olö bad 7()enia beö foonio(o(^ifd)en (^nuibpro- 
Hemd, bie ä.Ureiui()un() be<^ ^Tentenö unb ber äußeren ^Hnfd)auun(i 
in bemfelben ©ubject alö baö beö vf^c^ologifdjen be,Kid)net. Uoberall 
regt jid^ in ber lantifd&en Äritif bie Jvrafle nad) beut "ilNrincip unb ber 
Sinl^t iinferer ä^ernunftDermöflen, unb ba biefe (5inl)eit für unerfenu' 
tor gilt, fo wirb fie mit bein Thinge an fid; ibentificirt, alfo ber OJeflen- 
fianb eines metapl^pfifd^en ^^robleniö, iue(d)eö ber '^^bilofopb für unlöo- 
bar erftärte. 2)er 3Serfu(l^, biefeö ^^Jrobleni auö beut äöefen ber "Vernunft 
aufgutöfeii/ ift ber nnci^fte Jvortfd^ritt unb nnifete eö fein. 

2. ^ie breifad^e Steigerung: 'JtcinI)olb, t$id)te, 3d)cUing uiib .Qcgel. 

6d l^nbelt fici^ um eine :'Heil)e aufjulöfenber, in unfercr iNernunft 
ent^ftener ©egenfafce. 3e tiefer unb untfaffenber biefe entneflenflefeftten 
Sertnögen ftnb, um fo tiefer unb umfaffcnber ift bie (Sinljeit ober 
Siiti^el, TOoraud fie ^eruorgeljen. Xa^tx burdjläuft ber metapf)ijfifd)e 
Sbealidmuö eine Steige notljwenbiger (rntiüidlungöftufcn unb ftcigert 
ober Dcrtieft unb erweitert mit jebem Sd)ritt bie /Vrtffung ber i^ernunft- 
ein^t. Unb ba ^ier bie ßntfteljung unferer Jyernunftoermögen aM 
einem Urgrunbe erfannt werben foU, fo ift baö burdigängige, fd)on in 
ber aSernunftfritif angelegte l:f)tma biefeö metapl)i)fifd^en ^bcaliönniö 
bie 6ntn)idlungölet)re ber M^ernunft. 

2fnner^alb ber erfennenben ober ttieoretifdjen äsernunftoermögen 
liegt ber ©egenfafe jn)ifd)en £innlid)!eit unb ä5erftanb, innert)alb ber 
gefoinmten ®eifteöt)ermögen ber jioifd^en ber t^eoretifd)en luib praftifd)en 
äSemuuft ober ber 6r!enntni§ unb bem SBilten, innerhalb ber gefammten 
aSemunftroelt ber jwifd^en 9Jatur unb Jyreitieit ober ber finnlid^en unb 
moralifd^en SBeltorbnung. 

S)ie erfte ^rage, roeld^e ben fleinften Umfang bef^reibt, gefit auf 
bie ©inl^eit ober Söurjel unferer tljeoretifd^en a>ermögen: eö wirb ge= 
jeigt, wie auö einem unb bemfelben Äsermögen, bem ber isorfteßung, 
©innlici^feit unb SBerftanb l)ert)orge^en. 35iefen 58erfud^ nmd)t R, y. 
SRein^olb (1758—1823) mit feiner (£lementarp^Uofopl)ie (1789). 

*) S5gl. oben S. 108. 



110 

2)ie jiueite, tiefer einbrinflenbe unb tüeiter (jreifenbe ^^rage gelit 
auf bie ©in^eit ber gefammten SScrnunftüermögen, ber t^eorctifd^en unb 
praftifd^en : eö tüirb gejeigt, rote aiiö bem reinen ©elbftberoujstfein (3^), 
beffen SBurjel ber SBille ift, fämmtti^e SBernunftüermögen na^ bem 
notfiroenbigen ©ntroicflungögefefee be§ ©eifteö, ber, roaö er ift ober ti)\it, 
axiä) anfd^auen unb erfennen nuijg, l)ert)orge()en. S)iefen tiod^roid^tigen 
unb entf^eibenben 3^ortfd;ritt mac^t 3. @. %xä)U (1762—1814) mit 
feiner Sßiffenfd^aftötelire (1794 — 1799), beren ©runbttiema fein anbereö 
ift, a(ö bie ©ntmicflungöletire beö ®eifte§. 

S)ie britte g^rage von meiteftem Umfange ge()t auf bie ßin^eit ber 
gefammten aSernunftmeft, auf bie gemeinfame SBurjel ber finntid^en 
unb fittUd^en SBeltorbnung, ber 3?atur imb ber greil)eit: eö foU ber 
©egenfafe jroifd^en SJatur unb Seift auö bem abfoluten ©in^eitöprincip, 
roeld^eö jefet „bie abfolute ^i^^ntität ober Sßernunft" ()eifet, aufgelöft 
werben. S)iefe Stid^tung nennt fid^ t)orjugön)eife „3bcntitätö(e()re" unb 
finbet i^re isaupttjertreter in gr. SB. S- ©beding (1775—1854) unb 
®. aß. %x. ^egel (1770-1831). S)ie entroidlung ber SBernunft in ber 
SBelt ober bie oernunftgemäfee aSeltentroidElung ift baö ^^ema, 
worin beibe übereinftimmen, bevor fid^ i^re ©tanbpunfte trennen. ®ie 
igauptmerfe beö erften, foroeit fie biefeö 2^^cma betreffen, faden in bie 
3a()re 1797—1807, bie beiben grunblegenben SBerfe beö anberen in bie 
Sa^re 1807—1816. S)iefe, mie ade anberen entroidflungöformen ber 
na^fantifd^en 5ß()iIofopt)ie d^arafterifire id^ ^ier nid^t näfier, fonbern 
punftire nur i^re ©nntbjüge. 

®aö Hauptproblem biefer moniftifd^ unb ibealiftifd^ gerid^teten 3)teta= 
ptipfif Hegt in ber ätuflöfung beö ©egenfafeeö ober in ber (Srfenntnife 
ber ein^eit ber 3?atur imb beö ©eifteö. (Srft muß biefer ©egenfafe inner- 
l)alb ber menf^Hd^cn 9tatur, bann innerl^alb beö Unitjerfinnö gelöft 
werben, ^m SBefen beö aWenfd^en ftreitet bie ©innlid^feit mit ber i^er- 
nunft, imb baö menfd^U^e ßeben felbft, befd^ränft unb enbtid^ wie eö 
ift, erfd^eint im ©egenfafe gegen baö göttlid^c. S)ie ©inl^cit ber finn= 
li^en unb geiftigen aWenfd^ennatur beftel^t in ber äft^etifd^en grei^eit 
inib entmidfelt fid^ in ber ©d^ön^eit unb Äunft; bie ©in^cit beö gött^ 
üd^en imb menfd^Hd^en Sebenö, me fie im 3)Jenfd^engemüt^ erfahren 
unb empfunben wirb, beftel^t in bem religiöfen ©efül^l unb in ber 
frommen Eingebung. * ®ie äft^etif^e J^affung ber Sbentität finbet itiren 
aSertreter in f?r. ©dritter (1759-1805), bie religiöfe in gr. 3^. e. 
Sc^leierma4)er (1768-1834). 



111 

2{m UniDcrfum ober in ber rtcfminnten 9lntiir ber Tiufle ift ber 
aufiutSfenbe ©Cßcnfa^ ebcufaUö ein bopvelter: ber enßero simfd)en ber 
natürli^cit uub flciftifleu äiVlt, ber tiefere unb alleo umfaffenbe sioifdjen 
bcm UniDcrfum uub öott. Xk Üluflöfuug beo erfteu flefd)iel)t burd) 
bcn S3c0tiff ber natura unb ücrnunftflemäfjen (Sntioicflung, bie Sd)cl= 
Une naturp^iIofopl)ild6 unb äft^etif^ (fünfilerifd;), .'oeflcl logifdj unb 
t^coloßifd^ flefafet f)at; bie 9(uflöfunn beö siociten flef^iel)t burd^ eine 
bem ^aut^eiömuö roibcrftreitcnbe, tljeiftifdj (jebad)te entn)idlunflölef)re 
@otted, b. i). hmä) eine Xt)eo]opl)ie, bereu 2l)ma bie 3Mt in OJott 
ober bie fjrci^ctt uub JJotljiüenbigfeit ber göttUdjen Cffenbarung ift. 
3)iefcn ©taubpunft ()at g^ranj v. S.kaber (1765-1841) uujftifd), 
©d&clling in feiner fpftteren i.'eljre, bie ben Gt)ara!ter ber pofitiüen 
^^lofop^ic in anfpruci^ ninunt, ,,()iftorifd/' unb religionöpliilofopljifc^, 
H. 6^r. gr. Äraufe (1781—1882) rationaliftif^ unb ontologifd; am-^ 
iiifäl^ren gefu(i^t. 

S)aö ©runbproblem war bie neue SJegrüubung ber von Äaut ent= 
bebten ^rincipien ber (STfeuntnijg unb >yrei(;eit, ber natürtidjen unb 
moroKfc^cn SBettorbnung. Tic crfte Jvrage betraf bie 9lrt ber >öegrün= 
bung: mctapl)i)fifd^ ober antl)ropologifd)? 3"»cr()rtlb ber nietapl;ijfifd)en 
Äid^tiing crl^ob fidj) ber Streit über bie ©in^eit ober ^J)iel)rl)eit ber '^^rin^ 
cipien^ über bereu ^bealität ober 3{ealität. ^n^^t-ljatb t)er metapfnjfifd^en 
3bcntitätötel)re entftanb bie ^rage über t)en 6()arafter beö SUWSinen, 
über beffen ^bealitftt ober JHeatität : A^ernunft ober SlUlle ? UniuerfaU 
TOittc ober Snbimbuatroiae V ®ott ober blinber ^HlJe ? @ott in ber SiVlt 
ober bie 2Se(t in ©ott? 

8. ^ie Orbnuiig ber nad)fantifci^en (Si^fteme. 

aJJit ber logifd^en ätnorbnung unb Ueberfi^t ift aud; bie (jiftorifd^e 
gegeben ; bie SRi^tigfeit ber erften beioäfjrt fid^ burd) i(;re llebercinftim= 
mung uüt ber sroeiten. S)ie näd^fte g^rtbilbung ber fritifd^en ^f)i(o= 
fopl^ie tnuJBte in ber nietapt)ijfifd^en unb ibealiftifd^en SUd^tung gefdjeljen, 
fie mufete in 9tein(jolb, 3=id^te unb Sd^eHing bie Stanbpunfte ber (JIe= 
mcntarpt)ilofopl)ie unb 3Biffenfd^aftö(e()re, ber 9iaturpf)ilofopt)ie unb 3ben= 
titätölc^re entroidfelt i)aien, beoor il)nen grieö feine ,,ant(jropo(ogifd)e 
Äritif" entgegenfefeen fonnte. !Die ©efd^idjte jener ©tanbpunfte fällt in 
bie Satire von 1789—1800. Jyrieö^ ,,3leue ilritif ber SJernunft" erfd^eint 
1807. 2)ie moniftif dj unb ibealiftifd; geridjtete 3)cetapf)i)fif nnifete in 
©d^elling unb ©ege( itjre ^öfie erreidjt Ijaben, beoor iperbart nüt feiner 



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neuen, aßem SWoniömnö unb Si>ealiöinu§ roiberftreitenben SKetapl^pfif 
auftreten tonnte, ißegels ^tiänomenologie erfd^eint 1807, feine Sogif 
1812—1816. Serbart§ igauptpunfte ber a)tetap^rifif folgen 1808, fein 
2ßf)xbnä) jur Einleitung in bie 5ßt)ilofop()ie 1813. ^n bemfetben ^al^re 
erfd^eint ©d^openliauerö erfte ©d^rift. 2l(§ biefer fein igauptwerf tjer- 
öffentlid^t (1819), ^atte ^egel feine grunblegenben SJBerfe fd^on befannt 
gemad^t unb feine einflujgreid^e Se()rn)irtfamfeit in 33er(in begonnen. 
aBiber feinen feiner ©egner jeigt fid^ ©d^open()auer erbofter, weil er 
(uon anberen 3)lotit)en beö iönffeö abgefe^en) in igegel bie tjerfefirte 
SRid^tung ber Sbentitätöpl)ilofopf)ie, ben „Unfinn", wie er eö nennt, 
gipfeln fie^t. 

3n bem furjeu geitraum eines aWenfd^enalterö (1790—1820) \)ai 
bie nad^fantifd^e ^l^ilofopfiie ifire (eitenben ©runbgebanfen, 9iid;tungen 
unb ©egenfäfee feftgefteHt unb entroidfett. 2)abei ift eine ^^^atfad^e fet)r 
bemerfensroertt) unb bebeutfani. 2)iefe neue ^^Uofopt)ie l^ätt fid^ junäd^ft 
ganj an bie Siid^tfd^nur Äantö unb will mä) im ©tabium ber 9Biffen= 
fd^aft§(cf)re nid^tö anbereö fein alö bie roofiluerftanbene fantifd^e M)xe. 
3)Jit ©d^eHing fängt fie an, Dornefim gegen Äant ju tfiun, unb eö wirb 
3)iobe, Don beut ,,alten Rani'' alö t)on einer üergangenen ©röfee ju 
reben. ;Dann er()ebt fid^ roiber ben breifad^ gefteigerten 3beati§mu§ bie 
breifad^ gett)ei(te 2lntitt)efe, beren aSertreter, jeber in feiner 2lrt, auf 
Äant jurüdf weifen. ^rie§ will Kantianer fein ot)ne bie ^i^rtl^ümer, bie 
„baö fantifd^e aSorurt^eil" in ben Sbealiften, bie ifim t)or()erge^en, be= 
wirft l^at; ißerbart will bie ^orberungen ber fantifd^en Itritif, inbem 
er fie auf bie fantifd^e £el)re fetbft anwenbet, erfüllen unb nennt fid^ 
einen Kantianer t)om '^af)xt 1828; ©d^opentiauer preift ben Segrünber 
ber fritifd^en ^^ilofop^ie alö feinen Seigrer unb 9Keifter, alö ben gröjsten 
aller Genfer unb wiH felbft ber äd^te Kantianer fein, unter allen ber 
einjige, ber bie ßetire beö 3Jleifter§ ju ©nbe gebadet unb baö Problem 
berfelben gelöft \)abe, ©o übt bie fantifd^e Setire eine be^errfd^enbe 
3)tad^t über bie f olgenben . ©pfteme, bie um fie, alö ben bewegenben 
3Jlittelpunft, il)re SSalinen befd^reiben unb a\i^ ber ©onnenferne wieber 
in bie ©onnennä^e jurüdEftreben. 35ie Oegenwart bejeugt, bafe in un= 
feren S^agen bie ©d^riften feineö ^l)ilofopl)en alö Duelle lebenbigcr 
Söalirl^eit fo eifrig ftubirt werben, al§ bie SBerfe Äantö.