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iOLTORPFLANZEN UND HAÜSTHIERE
IN IHRBH
ÜBERGANG AUS ASIEN
NACH GRIECHENLAND UND ITALIEN
SOWIE
IN DAS ÜBRieE EUROPA.
HISTORISCH-LINGUISTISCHE SKIZZEN
VICTOR HEHN.
VIERTE DURCHGESEHENE AUFLAGE.
BERLIN 1883.
GEBRÜDER BORNTRAEGER.
ED. EGGERS.
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Dm Recht der UeberseUang ist vorbehalten.
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INHALT.
Seite
Einleitung 1
Aussangung durch Kultur 2
Urzeit 14
Das Pferd 19
Griechen, Italer, Phönizier 51
Weinstock 69
Feigenbaum 79
Oelbanm 82
Ansässigkeit, Baumzucht 97
Esel, Maulthier, Ziege 107
Bienenzucht 110
Steinbaukunst 111
Bier 117
Butter 129
Schluss 133
Flachs 136
Hanf 167
Lauch, Zwiebel 159
Kümmel 171
Senf 173
Linsen, Erbsen 175
Lorbeer, Myrte 181
Buchsbaum 188
Granatapfel 192
Quitte 198
Böse, Lilie 200
Viole 209
Safran 210
Dattelpalme 217
Cypresse 228
Platane 234
Pinie 240
Bohr 246
Papyrus 250
Cucurbitaceen (Kürbiss, Gurke, Melone) 252
Haushahn 260
Taube . . , 273
Pfau 286
Perlhuhn 294
Fasan 297
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IV Inhalt.
Seite
Gans, Ente 301
Zucht der Vögel 303
Falkenjagd 304
Pflaume 310
Maulheere 313
Mandeln, Walnüsse, Kastanien 318
Kirsche 325
Arhutus, Medica, Cytisus 328
Oleander 334
Pistazie 337
Terpentinhaum 340
Mastixhaum 343
Perrükenhaum 343
Sumach 344
Styrax 344
Pfirsich, Aprikose 345
Ohstzucht, Impfen und Pfropfen 348
Agrumi (Citronen, Pomeranzen, Orangen) 354
Johannishrodhaum 367
Kaninchen 371
Katze 374
Eatte, Dachs, Hamster 380
Büffel 382
Rindvieh 384
Hopfen 386
Bückhlick, Untergang des Alterthums 392
Neu-Europa 400
Reis 406
Mais 412
Mohrhirse 413
Buchweizen 414
Araher 418
Türken 419
Tulpen, Blumen 419
Amerika 421
Cactus, Aloe 422
Tabak 423
Schluss 424
Anmerkungen 433
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JJass die Thier- und Pflanzenwelt, also die ganze ökonomische
und landschaftliche Physiognomie eines Landes im Laufe der Jahr-
hunderte unter der Hand des Menschen sich verändern kann, ist
b^onders seit der Entdeckung Amerikas ein unwidersprechlicher
Erfiahrungssatz geworden. Auf den neuentdeckten Inseln und in
den von europäischen Ansiedlem besetzten Landstrichen der west-
h'chen Hemisphäre ist während der letztverflossenen drei Jahrhun-
derte, also in ganz historischer Zeit, nach Erfindung der Buchdrucker-
kunst und gleichsam unter den Augen der gebildeten Welt, die
einheimische Flora und Fauna durch die europäische oder eine aus
allen Welttheilen zusammengebrachte verdrängt worden. So hat
sich z. B. auf St. Helena die ursprüngliche wilde Vegetation auf den
Bergstock im Innern der Insel zuruckgeflüchtet, von einer neuen,
ringförmig nachrückenden Flora umgeben, die im Gefolge des Euro-
päers über den Ocean kam.') Auch in den Pampas von Buenos
Ayres sieht das Auge meilenweit fast keine einheimischen Gewächse
mehr: sie sind der Usurpation eingeführter europäischer Pflanzen er-
legen. Eine viel weitere, auf zwei bis drei Jahrtausende sich er-
streckende üebersicht aber gewährt die Geschichte der organisirten
Katar in Griechenland und Italien. Beide Länder sind in ihrem
jetzigen Zustand das Resultat eines langen und mannigfachen Kultur-
processes und unendlich weit von dem Punkte entfernt, auf den sie
in der Urzeit von der Natur allein gestellt waren. Fast Alles was
den Reisenden, der von Norden über die Alpen steigt, wie eine neue
Welt anmuthet, die Plastik und stille Schönheit der Vegetation, die
Charakterformen der Landschaft, der Thierwelt, ja selbst der geo-
logischen Structur, insofern diese erst später durch Umwandlung der
organischen Decke hervortrat und dann die Einwirkungen des Lichtes
and der atmosphärischen Agentien erfuhr , sind ein in langen
Perioden durch vielfache Bildung und Umbildung vermitteltes Pro-
duct der Civilisation. Jeder Blick aus der Höhe auf ein Stück Erde
in Italien ist ein Blick auf frühere und spätere Jahrhunderte seiner
Vict Hehn, Kaltnrpaanzea. 1
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2 Einleitang.
Geschichte. Die Natnr gab Polhöhe, Formation des Bodens, geo-
graphische Lage: das Uebrige ist ein Werk der bauenden, säenden,
einfahrenden, ausrottenden, ordnenden, yeredehiden Kultur. Die
zwischen Festland und Insel die Mitte haltende Configuration des
Landes, das gemässigte mittlere Elima, die Mannigfaltigkeit der
historischen Verhaltnisse, in der Urzeit die mehrmals wiederholte
Einwanderung von Norden, der tyrische Seeverkehr, die griechi-
schen Kolonien, die Nähe des gegenüberliegenden Afrika, die sich
ausbreiteude, alle Gaben und Künste des Orients hinüberleitende
römische Weltherrschaft, dann die Völkerwanderung von Nordosten,
die Herrschaft der Byzantiner und Araber, die Ejreuzzüge, die Ver-
bindung italienischer Seestädte mit der Levante, endlich nach Ent-
deckung Amerikas die enge politische Verbindung mit Spanien —
aus diesen und andern Umständen und Schicksalen ist das Land
hervorgegangen, wo im dunklen Laub die Goldorangen glühn und
die Myrte still und hoch der Lorbeer steht. Die Agave americana
und der Opuntiencactus, diese blaugrünen Stachelpflanzen, die alle
Ufer des Mittelmeers überziehen und so wunderbar zur südlichen
Felsennatur und Gartenwirthschaft stimmen, sie sind erst seit dem
sechszehnten Jahrhundert aus Amerika herübergekommen! Diese
Cypresse neben dem Haus^ des Winzers, einsam und düster die
ringsum verworren sich ausbreitende Fruchtfülle überragend, sie hat
ihre Heimath auf den Gebirgen des heiligen Afghanistan, diese
eigensinnig gewundenen, mit fliessendem grauem Laube bedeckten
Oliven, sie stammen aus Palästina und Syrien, diese Dattelpalmen
im Klostergarten von S. Bonaventura in Rom, ihr Vaterland ist das
Delta des Euphrat und Tigris! So ächte Kinder hesperischen Bo-
dens und Klimas diese und andere Kulturpflanzen uns jetzt scheinen,
so sind sie doch erst im Laufe der Zeiten und in langen Zwischen-
räumen gekommen. Oft liegt ihre Geschichte mehr oder minder
deutlich vor, oft aber muss sie aus zerstreuten und zweifelhaften
Angaben zusammengelesen oder nach Analogien errathen werden.
Vielleicht aber wäre diese Umwandlung, so wie sie jetzt vor-
liegt, nichts als Verderbniss, Ausnutzung, versiegte Lebenskraft?
Historische Mystiker haben nicht verfehlt, diese romantische, d. h.
kulturfeindliche Ansicht auszusprechen. Wie unser Geschlecht über-
haupt von einem edleren Urzustand herabgekommen ist, wie wir die
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Aussaugong^ durch Kultur. 3
"Werke Gottes nur zu vernichten verstehen, wie jedes Land und
Yolk seine Zeit hat, derselbe Process sich an jedem der Reihe nach
-wiederholt, die Geschichte also nur ein immer wiederkehrender Natur-
v^organg ist, dem zuletzt durch die Wiederkunft des Herrn und das
Oericht ein Ende gemacht wird, — so sind auch die klassischen
Länder physisch abgelebt, ihre natürliche Ordnung zerstört, ihr Boden
durch Aufsaugung der Kultur erschöpft und verbraucht. Li Betreff
Griechenlands hat diese Meinung auf den ersten Blick allerdings
einigen Schein. C. Fraas erklärt in seiner Schrift: Elima und
Pflanzenwelt in der Zeit, Landshut 1847, das jetzige Griechenland,
welches in der Blütezeit seiner Geschichte waldig, regnerisch, von
w^asserreichen Bächen und Flössen durchströmt gewesen sei, für eine
starre, in Folge der Ausrodung der Wälder wasserlose, der obem
Erdschicht entkleidete, einem heissen Elima verfallene Wüste, für
ein Land, das eines ergiebigen Ackerbaues und aller Industrie, zu
der Holz erfordert wird, unfähig und folglich zum Wohnplatz einer
ökonomisch entwickelten Gesellschaft ungeeignet sei. Diese Behaup-
tung wird denn auch auf ganz Yorderasien ausgedehnt: Babylonien
z. B. soU durch uralte Menschenkultur ausgenutzt und ohne Wieder-
kehr verdorben sein. Indess, der Groll und manche getäuschte Hoff-
nung hat den mit Undank belohnten Gelehrten in jenem Urtheil
offenbar zu weit geführt Die Stellen der Alten sind einseitig aus-
gewählt; was dem Thema nicht dienen konnte, ist bei Seite ge-
lassen, Manches im Eifer auch falsch gedeutet. Der Eingang des
Vendldäd z. B., wo über grosse Kälte geklagt wird, kann nicht be-
weisen, dass das Elima von Iran erst seit jener Zeit heiss geworden,
da die Stelle entweder nur eine Erinnerung an die Urheimat des
Zendvolkes, d. h. an das Hochland am westlichen Rande Central-
asiens enthält oder sich auf irgend eine der kalten Gebirgslandschaf-
ten bezieht, an denen es innerhalb des Gebietes der iranischen
Stämme nicht fehlt. Der Umstand, dass zu Alexander des Grossen
Flotte auf dem Euphrat Cypressenholz genommen wurde, fallt gleich-
falls nicht sehr ins Gewicht, denn erstens galt seit den ältesten
Seiten der phönizischen Seefahrt die Cypresse für ganz besonders
zum Schiffbau geeignet, zweitens — wer sagt uns, ob Babylonien
jemals reich an schwerem festem Hochwald gewesen sei? — Dass
Griechenland jetzt weniger belaubt ist, als zu Homers und vor
Homers Zeit, ist sicher; dass aber z. B. der Peloponnesus in man-
chen Gebirgsgegenden jetzt dichtere Eichen- und Fichtenwälder
trägt, als damals, wo das Land bevölkert und mit Städten besäet
l*
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4 Aassanganj^ durch Kultur.
war, ebenso dass Attika schon zu Perikles und zu Alcibiades Zeit
dürr war, wie heute — ist gleichfalls unleugbar. Der llissus heisst
bei Plato auch nur ein „Wässerlein" (ydaxiov) und erst durch
Pisistratus sollte das bis dahin kahle baumlose Attika mit Oelbäuroen
bepflanzt worden sein. Waldzerstorung ist eine Phase, aber nicht
das letzte Wort der Kultur. Wenn auf einem jungfräulichen Boden
eine Menschengesellschaft die ersten Schritte zur Bildung thut, da
muss der Urwald dem nächsten Bedürfaiss weichen, da wird an
Wahl und Schonung nicht gedacht. Jeder schöpft nach Belieben
aus dem unermesslichen Vorrath, der wie die Luft Allen gleich ge-
schenkt ist. Ja, der Ausroder des Waldes erscheint auf dieser Stufe
als ein Wohlthäter und hulfreicher Heros. In den Wald vorzudrin-
gen war in jenen Urzeiten in der That schwieriger, als man jetzt
denkt, ein Werk, das fast übermenschliche Anstrengungen forderte.
Theoprast, h. pl. 5, 8, 2, erzählt von einem Versuch der Romer, auf
der Insel Corsica eine Niederlassung zu gründen, der aber an der
Undurchdringlichkeit des Waldes scheiterte: die Ankömmlinge wur-
den vom Dickicht so zu sagen zurückgeschlagen. Belehrend in
dieser Hinsicht ist auch die Stelle des Strabo, 14, 6, 5: „Erato-
Sthenes sagte (zunächst von der Insel Cypem, aber der Vorgang ist
typisch), Wald habe vor Alters alle Ebenen bedeckt und den Anbau
gehindert; der Bergbau habe ihn ein wenig gelichtet; dann sei die
Schiflffahrt gekommen, die gleichfalls viel Holz verbraucht habe; da
aber auch damit die Wildniss nicht bezwungen worden, habe man
Jedem erlaubt, niederzuhauen und sich anzusiedeln, wo er wolle,
und ihm das also gewonnene Stück Land als sein steuerfreies Eigen-
thum zugesprochen." Und erst diese letzte Massregel — setzen wir
in seinem Sinne hinzu — schuf Licht und Kultur. Je weiter der
Wald sich zurückzog, desto freundlicher wurde die Natur, desto
mannigfaltiger ihre Gaben an Kräutern und Früchten, denn der un-
unterbrochene Urwald duldete auf dem mit Fichtennadeln oder gerb-
stoffhaltigen Blättern bedeckten ewig beschatteten Boden nur eine
beschränkte und einförmige Vegetation. Erst lange nachher kehrt
sich nach dem Gesetz der drei Momente dies Verhältniss um; der
Mangel an Holz, an Schatten und Feuchtigkeit erweckt die Klage
nach der entschwundenen Naturfrische; es regt sich gleichsam das
Gewissen; jetzt wird mit bewusster Absicht dem Walde sein Be-
stehen innerhalb gewisser Grenzen gesichert oder, da wo er ganz
fehlt, Anpflanzung unternommen, wie schon heute in mehreren euro-
päischen Staaten geschieht. Ehe aber rationelle Wirthschaft wieder
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Aassaugang durch Kultar. 5
gut machen kann, was vorausgegangene Generationen unbefangen
verdorben haben, tritt häufig aus anderen historischen Gründen Ver-
wilderung ein, so dass das Laud theils als wie von der Kultur ver-
braucht, theils als der blinden menschenfeindlichen Natur anheim-
gefidlen (z. B. durch Versumpfung) sich darstellt — auf welchem
Punkte Griechenland jetzt steht. Zu keiner Zeit aber ist dies Land
feucht und dunstig, wie England, gewesen, immer lag es Afrika
nahe und schon die Alten haben Ziegen gehalten, Cistemen angelegt
und kunstlich bewässert — Von Fraas hat sich wohl auch E. Cur-
tius imponiren lassen, wenn er in der Einleitung zu seiner Bereisung
des Peloponnesus (1,53 — 55) auf Griechenlands physische Natur so
düster und hoffnungslos blickt. Dass sich bei den Philosophen,
namentlich Plato, Stellen finden, nach denen die Erde und insbeson-
dere Hellas als gealtert, als blosses einst bekleidetes Todteugebein
erscheint — was will das sagen? Plato war seinem ganzen Charakter
nach ein elegischer Idealist und Seneca, wenn er den Ausdruck:
Altersschwäche des Erdbodens (loci Senium) gebraucht, erscheint
auch hierin als Vorläufer des Christenthums. Ist es nicht auch bei
uns ein allgemein verbreitetes Gefühl und hört man nicht oft genug
sagen, dass das Elima sich verändert habe, dass in den Jugendtagen
des Sprechenden die Menschen kräftiger und gesunder, der Boden
ergiebiger u. s. w. war? Der alte Schiffer, mit dem Julius Fröbel
(Aus Amerika 1, 200) die üeberfahrt von New-York nach Chagres
machte, behauptete sogar, die Passatwinde hätten während seiner
Lebenszeit an Regelmässigkeit eingebüsst. Aus der zunehmenden
Schlechtigkeit der Welt hat man unzählige Male das bevorstehende
Ende aller Tage gefolgert. Lasaulx, ein anderer Münchener Ro-
mantiker, prophezeite vor nicht langer Zeit den Untergang der west-
europäischen Civilisation (der ihm einerlei war mit dem der Kirche)
und setzte schon die Slaven als Erben ein. Solchen Stimmungen und
Phantasien gegenüber giebt es jetzt Widerlegungsgründe, die den
altem Zeiten nicht zu Gebote standen, nämlich die Zahlen der
Statistik und die Rechnungen der Naturwissenschaft. E, Curtius
schliesst mit den Worten: „Ein Theil dieser üebelstände (die durch
Ausrodung der Wälder sich ergeben haben) kann wieder gehoben
werden, wenn von Neuem die gestörte Ordnung der Natur hergestellt
wird. Andere Schäden kann keine zweite Kultur ersetzen, so wenig
wie im organischen Leben erstorbene Kräfte durch Kunst wieder
erzeugt werden können." Welches sollen diese unersetzlichen Schä-
den sein? Humuserde kann im Terrassenbau auf die Berge geschafFt,
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6 Aassangnng durch Kultur.
stockende Flüsse können gereinigt, dürre Heiden bewässert, ver-
sampfibe Ebenen durch Eanalbauten entwässert werden; die Wälder
würden, wenn man sie gegen Ziegen und die Feuer der Hirten
schützte, in diesem glücklichen Elima in nicht allzulanger Zeit wieder
die Abhänge der Berge bedecken. Was wäre dem Kapital hier un-
möglich und welche Elräfte wären hier auf immer erstorben? Die
allgemeinen Naturverhältnisse, deren der Mensch nicht Herr werden
kann, bestanden im frühesten Alterthum wie jetzt. Die Fluten plötz-
lich einbrechender Gewitterstürme z. B. werden sich immer zer-
störend ins Thal stürzen. Bäume imd Felsen mit sich fortreissen, wie
in Homers Zeit, und wenn sie abgeflossen, sogenannte Rheumata oder
Fiumaren, d. h. trockene Kiesgründe hinterlassen, Dinge, die in den
Ebenen Mitteleuropas, wo der Regen oft tagelang vom grauen
Himmel träufelt, nicht zu befürchten sind. Was sich nordischen
Reisenden, die ein ideales Griechenland in der Vorstellung mitbrin-
gen, als Verderbniss in der Zeit darstellt, ist zum Theil Charakter
südlicher Länder und Klimate überhaupt. Die Mängel, über die
geklagt wird, sind mit allem Zauber imd Segen dieser der Sonne
näher liegenden Gegenden unauflöslich verknüpft. Man überschätze
auch nicht den Einfluss der Wälder auf das Klima. Es ist damit
gegangen^ wie oft mit neuen Gesichtspunkten: man pflegt sie allzu
ausschliesslich geltend zu machen. In dem vorliegenden Falle kam
noch das Interesse poetischer Gemüther und besonders das des feu-
dalen Adels hinzu, der für grössere Besitzstücke kämpfte, sein Jagd-
revier nicht missen wollte und diesmal so glücklich war, mit den
neuen Lehren der Bodenwirthschaft und Nationalökonomie Chorus
machen zu können. In der That aber hängen die klimatischen und
Witterungsverhältnisse der europäischen Länder im Grossen gar
nicht von der Pflanzendecke des Bodens ab^ sondern nächst der
geographischen Breite von weitgreifenden meteorologischen Vorgän-
gen, die von Afrika und dem atlantischen Ocean bis zum Aralsee
und Sibirien reichen.
Umsichtiger als Fraas hat Franz ünger die Frage, ob der Orient
von Seiten seiner physischen Natur einer Wiedergeburt fähig sei, mit
Ja beantwortet (Wissenschaftliche Ergebnisse einer Reise in Griechen-
land und in den ionischen Inseln, Wien 1862, S. 187flF.). Unger vnder-
setzt sich auch der Annahme, als gebe es einen Marasmus senilis
der Natur und als grabe die Civilisation sich ihr eigenes Grab. Man
bilde nur die Menschen um, die diesen Boden bewohnen: der Boden
selbst hat von seiner schöpferischen Kraft nichts eingebüsst; er ver-
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Aussaugang durch Kaltar. 7
laogt nur Schonung und Nachhülfe. Konnten z. B. nur die Ziegen-
heerden verringert oder zu Hause gefuttert werden, so würde sich
die Strauchvegetation in kräftigen Wald verwandeln und die Trocken-
berge sich wenigstens mit Gestrüpp bekleiden, ohne irgend eine künst-
liche Pflanzung oder Terrassirung. Die Strandkiefer und quercus
aegilops würden bald nicht mehr die einzigen Bäume sein, die dem
Reisenden auf Ausflügen in Griechenland begegnen. Wie viel Men-
schenalter nöthig wären, den Orient wieder zu belauben, ist schwer
za bestimmen, doch ist unter diesem Himmel die Zeugungs- und Heil-
kraft der Natur erstaunlich. Und wie mit der Vegetation, steht es
uch mit manchen andern Einbussen, die das Land seit dem Alter-
thum erlitten hat. Manche Häfen z. B., die die Alten benutzten,
sind jetzt versandet, aber dafür giebt es andere, noch schönere, die
der kleinen SchifKiahrt der Alten zu gross und tief waren, aber den
jetzigen Mitteln und Massstäben grade entsprechen. Man sieht, ob
Griechenland, Eleinasien, Syrien, Palästina, diese jetzt so verwahr-
losten liänder, einer neuen Blüte sich erfreuen sollen, hängt allein
von dem Gange der Welt- und Kulturgeschichte ab: die physische
Natur würde kein unübersteigliches Hindemiss in den Weg stellen.
Auch liegt dem Urtheil, dass diese Gegenden für immer ausgenutzt
seien, keine wirthschaftliche oder naturwissenschaftliche Beobachtung,
vielmehr nur falsche geschichtsphilosophische Theorie zu Grunde.
Yon einem andern, aber gleich trüben Gesichtspunkt aus haben
Janger einer neueren Wissenschaft, der Agricultur- imd Bodenchemie,
dem Orient und den Ländern um das Mittelmeer das Urtheil ge-
sprochen und schon die Todtenklage angestimmt. Der Ackerbau,
Jahrhunderte und Jahrtausende fortgesetzt, erschöpft den Boden imd
zwingt den Menschen, in ein frisches Land zu wandern. Die Stoffe,
die zum Wachsthum der Pflanzen und zur Fruchtbildung nöthig sind,
Alkalien, phosphorsaure Salze u. s. w., sind auf einer gegebenen
Bodenfläche nui* in einem gewissen begränzten Masse vorhanden:
ist durch lange auf einander folgende £mten dieser Vorrath ver-
braacht und dieses Mass erreicht, so trägt der Acker keine Frucht
mehr, vrie ein ausgebeutetes Bergwerk kein Metall mehr liefert. Durch
die Brache gewinnen die im Boden enthaltenen Mineralien nur Ge-
legenheit zu verwittern, lösbar zu werden: die Zeit schliesst, so zu
sagen, den Boden nur auf: aber weiter geht ihre Macht nicht und
wo jene Mineralien ihm einmal genommen sind, da kann auch die
Ruhe dem Acker nichts helfen. Die sorgfaltigste Bearbeitung wirkt
nur dahin, die chemischen Processe, "die die Bestandtheile des Bodens
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8 Aussanj^ng durch Kultur.
erleiden müssen, um von der Pflanze ergriffen zu werden, zu er-
leichtem und zu beschleunigen, aber neue Bestandtheile der Art kann
sie nicht schaffen. Durch Düngung geben wir dem Boden einen
Theil dessen wieder, was wir von ihm empfangen, aber eben Äur
einen Theil, und im Laufe der Jahrhunderte muss diese Differenz
sich so häufen, dass auch der einst reichste Acker die menschliche
Arbeit nicht mehr belohnt. Jede Ernte, die ausser Landes geht,
jedes Getreideschiff, das den Ertrag einer ackerbauenden Gegend über
See entführt, ist eine direkte Schmälerung des im Boden liegenden
Kapitals. Wasi die Städte verzehren, ist dem Lande entzogen und
kommt ihm gar nicht oder in geringem Masse wieder zu. Der Abfall
der Thiere und Menschen, das Laub der Bäume, der Verwesungs-
Si^ub des organischen Lebens wird von Stürmen verweht, von Strömen
fortgerissen und von beiden endlich dem Ocean, dem letzten grossen
Behälter, überliefert. Was London verbraucht, haben die Grafschaften
hergeben müssen und wird durch die Themse in die Abgründe der
Nordsee versenkt. Wie mit London, so war es einst mit Babylon,
mit Rom, so mit den unzähligen städtischen Ansiedelungen des Alter-
thums; die umgebenden Landschaften liegen jetzt kraft- und hülflos
da und es ist keine Hoffnung, dass sie je wieder aufleben könnten,
da durch eine frühe begonnene und lange fortgesetzte Kultur alle der
Umwandlung in Pflanzenleben fähigen Stoffe aufgesogen und entfernt
worden sind. — Ist dieser Gedankengang richtig, so steht der ganzen
Erde dasselbe Geschick bevor, das die Länder des Alterthums bereits
betroffen hat. Auch England wird keinen Weizen mehr tragen, wie
einst auch sein Kohlen- und Eisenvorrath erschöpft sein wird; dann
wird Mexico noch fruchtbar sein, für welches aber auch der Tag der
ewigen Ruhe kommen wird; und so weiter durch alle Länder beider
Hemisphären durch. Und was der Mensch durch seine Nutzung nur
beschleunigt, das muss auch auf dem Wege des natürlichen Pflanzen-
lebens, auch wenn es nie einen Menschen gegeben hätte, als letzte
Folge sich ergeben. Dann wird auch, setzen wir noch hinzu, alles
Gebirge auf Erden durch die Kraft der Wasser und Winde und der
Verwitterung geebnet sein und die Sonne, die immerfort Wärme ab-
giebt, ohne dass ihr die verlorene durch irgend Etwas, so viel wir
wissen, ersetzt wird, todt und kalt sein und mit ihr die Erde und
der Mensch. Glücklicher Weise können wir die Zeit, in der dies
Alles sich vollziehen wird, auch nicht annähernd berechnen und
haben unterdess Müsse, abzuwarten, ob in unserer Schlusskette sich
nicht irgend ein Glied als unhaltbar erweist und damit die ganze Vor-
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Aussaugung durch Kaitor. 9
aassage trügerisch und zur hypochondrischen Chimäre wird. So sind
schon jetzt an mehr als einem Punkte der Erde unerschöpfliche Lager
von Phosphoriten entdeckt worden, geeignet den Boden ganzer Länder
för unabsehbare Zeit zu befrachten. Sollte nicht in näherer oder
fernerer Zakunft die Kraft der raumbewältigenden Mechanik so ge-
wachsen sein, dass von solchen localen Anhäufungen auch weiter ab-
liegende Gegenden einen neuen Boden and mit ihm eine neue Energie
des Pfianzenlebens beziehen könnten? Was auf diesem Wege einst
möglich sein wird, das besitzen die Länder um das Mittelmeer zam
Theil schon jetzt an ihrer gebirgigen, reich geghederten Bodeogestalt
und an der seit uralter Zeit an dieselbe sich knüpfenden Irrigation.
Denn während in den Komebenen des europäischen Wald- und
Steppengebietes die Meteorwasser den Acker nur tränken, ohne seine
Verluste zu ersetzen, bereichem die von den Bergen stürzenden
Quellen die ausgelaugte obere Erdkrume unaufhörlich aus den Schätzen
des Erdinnem. Ein lebendiges Beispiel dafür bildet die Lombardei:
das Felsengerüste, an das sie sich lehnt, sendet ihr darch die Flüsse
und die festen oder aufgelösten Erden, die sie mitführen, immer neue
Mineralkräfte zu und erhält sie so fruchtbar, wie vor zweitausend
Jahren. Was aber die Natur allein nicht leistete, ergänzte der Mensch,
von der Noth belehrt, mit bewusster Zweckthätigkeit. Im Orient
and am Mittelmeer, im Bereiche regenloser Sommer, drohte der
Vegetation jedes Jahr während der drei oder vier heissen Monate
der Tod durch Verschmachtung. Daher in diesen Ländern seit dem
frühen Alterthum die Sorge für Bewässerang, die Fassung und Leitung
der Quellen, die Kunst wagerechter Vertheilung, die Einschnitte in
den Rand der Ströme, die Dämme und Durchstiche, die Schöpfräder
und Rinnen. So nothwendig war unter jenem Himmelsstrich diese
Bemühung, dass sie sich von Geschlecht zu Geschlecht fortsetzte und
zum bleibenden Naturell und zu angeborener Kunstfertigkeit wurde.
Und wenn die künstliche Bewässerung ursprünglich ein Zeichen des
sich regenden vorberechnenden Denkens gewesen war, so vnirde sie
ihrerseits ein mächtiger Anreiz fernerer geistiger Entwickelung. Sie
band den Menschen an den Menschen, ~ nicht durch jene dampfe
natürliche Gesellung, die auch die Thiere treibt, heerden weise zu
leben, sondern durch freie Gegenseitigkeit, die erste Gemeinde- und
Staatenbildung. Nördlich der Alpen fiel diese Nöthigung weg: da
siedelte sich der Germane an, wo es ihm beliebte, fragte nichts nach
dem Nachbar und bildete den Charakter persönlicher Eigenheit in
sich aus. Selbst in der Neuen Welt währte dies Verhältniss fort,
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IQ AnssaugQDg darch Kaltur.
da vfo beide Racen in einer ähnlichen Natur zusammenstiessen. In
Neu-Mexico, z. B. am Rio Grrande, und in Texas hatten die Spanier
meilenweit Bewässerungskanäle gezogen, die die einwandernden angel-
sächsischen Amerikaner zum Schaden des Landes wieder eingehen
Hessen. „Den Bewohnern der Vereinigten Staaten ist diese Art des
Landbaues fremd, und sie widerstreitet ihrem individualistischen Greiste,
da ein grösseres Bewässerungssystem nicht ohne eine darauf bezüg-
liche Gesetzgebung und ohne Schmälerung der freien Disposition des
Einzelnen auf seinem Lande denkbar ist" (Fröbel, Aus Amerika, 2, 160).
Ja, ein Amerikaner bemerkt selbst, unter amerikanist^hen Händen
müsse der an Bewässerung gebundene Ackerbau stets darnieder liegen,
„weil die bei einem solchen System nothwendige despotische Ver-
waltung der Gemeinde zu wenig mit den dortigen Sitten überein-
stimmt" (Griesebach, Vegetation der Erde, 2, 276). Organisirte Ge-
meinschaft also erscheint dem sächsischen Stamme als despotisch
überhaupt; am Mittelmeer, von Bactrien imd Babylonien bis zu den
Säulen des Herakles, war sie ein Gebot der Natur und wurde ein
Charakterzug der Völker. Abgesehen aber von dieser politisch-sitt-
lichen Wirkung verbürgt die Irrigation auch dem Grund und Boden,
so lange die Berge stehen und die Wasser rinnen, eine unvergäng-
liche physische Jugend. Wo das Ackerland und die Wiese nur auf
die aufsteigenden und niederfallenden Dämpfe des Meeres angewiesen
sind, da muss jener Zustand der Erschöpfung viel rascher eintreten,
welchem in den Augen besorgter, vielleicht auch hochmüthiger Beur-
theiler die Länder des Alterthums schon verfallen sind.
Nicht ein unerbittliches Naturgesetz war es, was der Kultur
des Orients den Untergang gebracht hat, sondern der Zusammenhang
geschichtlicher Ereignisse, die erst die humane Entwickelung be-
günstigende, dann sie gefährdende geographische Lage, der Contakt
der Racen, Lebensformen und Religionen und die ihn begleitende
Wuth der Zerstörung und Verunreinigung des Blutes. Die Region
der acker- und slädtebauenden Völker Vorderasiens stiess an un-
ermessliche Steppen und Wüsten, aus denen immer von Neuem
wilde, blutgierige Nomaden hervorbrachen. Einst in . sehr früher
Zeit hatten nomadische Semiten vom Kaukasus bis zum persischen
und arabischen Meerbusen sich ergossen und eine ihnen vorausgehende
Kultur zerstört, deren Wesen und Richtung wir nicht mehr erkennen.
Als sie drauf begonnen hatten, sich auf dem neuen Boden sesshaft
zu machen, erfolgte die iranische Flut, die, vielleicht gleichzeitig
mit dem Einbruch der Indoeuropäer nach Europa, die semitische
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Aassanguim^ durch Kaltor. 11
Welt mitten durch spaltete aod in einzelnen Wellen unter der Be-
oemiiiDg Pluyger, Lykier u. 8. w. bis an das mittelländische Meer
»ch fortsetzte. Seitdem rangen in Asien beide Racen mit einander,
die Semiten in ungeheuren despotischen Centren, um bildgeschmückte
Paläste sich sammelnd, Kanäle ziehend und den Spaten fahrend,
die Iranier in natürlicher Freiheit ihre Thiere weidend, in Stämme
gesondert und von Patriarchen geführt, lauernd und räuberisch, ver-
wüstend oder wegschleppend, was sie erreichen konnten. AUmählig
aber, durch den Einfluss der Zeit und des Beispiels und in der
Herrschaft über gebildetere Kulturländer, ging ein Theil der Iranier
selbst zu Niederlassung und höherer Staatsordnung über, indess die
uidere Hälfte dieses grossen Stammes — Saken und Massageten,
Sarmaten und Scythen, später Alanen und Jazygen — in den weiten
unerreichbaren Flächen die alte nomadische Lebensart bewahrte.
Diese Spaltung in zwei Hälften war der Gegensatz von Iran und
Toran, von Civilisation und Freiheit: das iranische Kulturgebiet
erwehrte sich nur mühsam der aus dem Schosse der Steppe immer
neu hereinbrechenden Wildheit. Schon gegen Ende des 7. Jahr-
honderts vor Chr. hatten Scythen einen Plünderungszug durch ganz
Asien gemacht, der aber nur acht und zwanzig Jahre dauerte ond
als blosse Episode bald wieder vergessen wurde. Dann hatte Cyrus
versucht die Massageten, Darius die Scythen zu bändigen, beide
ohne Erfolg. Yielmehr setzten sich unter dem Seleuciden reiche die
ans den Jaxartes-Gegenden gekommenen reitenden Bogenschützen
iranischen Stammes, die Parther, in dem östlichen Theile Asiens bis
an den Euphrat fest. Dann, im siebenten Jahrhundert unserer Zeit-
rechnung, stürmten die Araber, ein fanatischer Wustenstamm, ur-
plötzlich heran und rotteten alle Gründungen, die mit der Religion
zosamraenhingen — und was im Orient hing und hänge nicht mit
der Religion zusammen? — mit der Wurzel aus. Wieder einmal
war der Geist der Semiten Herr geworden über den iranischen, als
Widerspiel dessen, was einst Meder und Perser an ihnen verübt.
So gross nun auch die Verwüstung war, mit der Turanier und
Islamiten gegen die Gärten und Städte Bactriens und Mediens, der
Tigris- und Euphratländer, Syriens und Kleinasiens reagirten, —
diese Nomaden und Reiter waren doch immer desselben Blutes, von
edler Herkunft und schöner Leibesgestalt, bildungsfähig und Anlage
ond BedQrfniss civilisirten Lebens, ihnen selbst unbekannt, in sich
tragend. D,as eigentliche Verderben, ohne Möglichkeit der Wieder-
kerstellung und Anknüpfung, erfolgte erst, als die bestialischen
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12 Aussaugang durch Kultur.
Bacen, die bisher am Altai und von da weiter am Baikalsee und
auf der fürchterlichen Hochfläche im Herzen des Welttheils sich ver-
borgen gehalten und nur für das chinesische Reich den homogenen
nomadischen Hintergrund gebildet hatten, die Türken und auf deren
Spuren die Mongolen, den Weg nach Südwesten in die arisch-
semitische Welt gefunden hatten. In Europa tauchte der türkische
Stamm zuerst in der Horde der Hunnen auf und welchen Eindruck
schon ihr brutales Aeussere auf den Abendländer machte, sehen wir
aus den Schilderungen der gleichzeitigen Berichterstatter und den
Fabeln, die über die neu erschienenen Unholde im Volksmunde um-
gingen. Ammianus Marcellinus, da wo er die rohen Sitten der
Alanen, die früher Massageten genannt wurden, beschreibt, fügt doch
hinzu: „die Alanen sind fast Alle hohe, schöne Menschen (proceri
autem Alani paene sunt omnes et ptdchri), den Himnen in der
Lebensart ähnlich (suppares\ dennoch aber auf höherer Stufe der
Menschlichkeit stehend (verum victu mitiares et cultu)^. In Asien
waren schon im 6. christlichen Jahrhundert Sogdiana und Bactrien
oder die alt-iranischen kanalreichen Ufer des Jaxartes und Oxus
türkisches Land; von da wurde in den folgenden Jahrhunderten
ganz Asien alhnählig durchritten, verheert, verbrannt, geplündert und
die Einwohner * gemordet oder in die Gefangenschaft abgeführt.
Seldschukische Häuptlinge schwangen die Lederpeitsche, legten be-
siegten arabischen Emiren feierlich den Fuss auf den Nacken und
liessen sie dann in Stücke hauen; persische Mädchen mit mandel-
förmigen Augen und langen Wimpern wurden in die schmutzigen
Filzzelte ihrer heulenden missgestalteten Gebieter geschleppt; so
mischte sich vom Aralsee bis zum mittelländischen Meer unedles
hochasiatisches Blut in das der alten Kulturvölker, als ein fort-
wirkendes Element sittlicher Erniedrigung und geistiger Ohnmacht.
Indess, auch die türkische Eroberung erscheint als nur geringes
Leiden im Vergleich mit den entsetzlichen Gräueln, die den Weg
der Mongolen bezeichneten. Was diese Race gelber schief-
blickender Schakale aus der Wüste Gobi auf orientalischem Boden
verübt hat, lässt sich mit Worten gar nicht schildern. Als
Dschingiskhan im Jahre 1221 — wir wollen nur dies eine Beispiel
anführen — gegen die blühende volkreiche Stadt Balkh, das alt-
berühmte Bactra, die 1200 Moscheen und 200 öffentliche Bäder
besass, drohend heranzog, gingen ihm Abgesandte mit Geschenken
und Lebensmitteln entgegen, um Schonung flehend: der Khan war
scheinbar begütigt, zog in die Stadt ein und liess dann sämmtliche
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AussauguDg durch Kulte r. 1^
Einwohner, unter dem Yorwand sie zahlen zu wollen, in einzelnen
Abtheilongen aufs Feld hinausfahren und sie dort abschlachten, die
Stadt selbst aber schleifen — die noch gegenwärtig ein unabsehbares
Roinenfeld bildet Die türkischen Völker, deren Ausgang mehr
nach Westen zu gelegen war, waren gleich Anfangs vom Islam ge-
wonnen worden und hatten sich dadurch dem Westen innerlich ver-
bunden; auch waren sie, wie man gestehen muss, im Laufe der
Jahre nach manchen Seiten gegen die mildere Sitte und ererbte
Bildung der ihnen unterworfenen Bevölkerung nicht ganz unempfind-
lich geblieben: die mongolischen Horden aber trieb nur der In-
stinkt der Zerstörung und des Mordes und die Spuren ihres Daseins
sind bis auf den heutigen Tag nicht erloschen. Seit der mongolischen
Zeit liegt der Orient wie ein zu Tode Getroffener da, ohne sich auf-
raffen zu können. So verhängnissvoll wurde der ältesten Menschen-
kultur und den gesegneten Ländern, in denen sie erblühte, der un-
unterbrochene Zasammenhang mit den unwirthlichen Hochflächen im
Innern des grossen Welttheils, der Heimath einer niedern Menschen-
race von abstossender Gesichtsbildung und unflätigen Sitten.
Auch der griechischen Halbinsel gereichte die Nähe Asiens und
der osteuropäischen Steppen und die Verunreinigung mit fremdem
Blute zum Verderben. Denn welches waren ihre Schicksale seit
der Völkerwanderung? Die Bulgaren, ein türkischer Stamm, liessen
sich sudlich der Donau nieder, die gleichfalls türkischen wilden
Avaren überfielen mordend und plündernd die um die befestigte
Hauptstadt gelegenen Provinzen; Osmanen streiften und herrschten
schon vor einem halben Jahrtausend in diesem Vorland Europas.
Auch den Germanen diente der griechische Boden zum Schauplatz
ihrer noch ungebändigten Kriegs- und Beutegier — man erinnere
sich nur der furchtbaren Verheerungszüge der am schwarzen Meer
angelangten Gothen gegen die Küsten, Städte und Inseln Kleinasiens
und des Peloponnes — ; nach Italien pflegten sie erst zu kommen,
wenn sie ihre erste frische ßohheit schon abgelegt hatten. Slaven
überschwemmten dauernd nicht bloss die Donaugegenden und
Thrakien, sondern auch alle Theile des alten Griechenlands selbst
ond belegten Berge, Thäler, Flüsse nnd Ortschaften mit Namen
ihrer Sprache; aus rauhen Gebirgswinkeln drängten Albanesen
haufenweise in die entvölkerten Landschaften hinab; beide nahmen
dann die von Konstantinopel auf dem Wege der Kirche und der po-
litischen Administration ihnen gebotene griechische Sprache (in ent-
arteter byzantinischer Aussprache) an und bildeten mit dem Rest
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14 ürreit
der frühem Bewohner, soweit sich ein solcher noch vorfand, das
heutige Volk der Griechen. So erklärt sich die Barbarei, der sich
Hellas so schwer entwindet, aus dem Fluche der Schändung, der auf
ihm liegt, nicht aus der angeblichen Erschöpfung der Naturkraft,
die sicher noch so wirksam ist, wie einst in den Tagen der schönsten
Blüte dieses Landes.
Als die grosse arische Wanderung den beiden Halbinseln, die
nachher der Schauplatz der klassischen Bildung wurden, die ersten
Bewohner höherer Race gab, von denen wir historisch wissen, da
waren diese Länder — so dürfen wir uns die Sache denken — von
einer dichten schwer zu durchdringenden Waldung düsterer Fichten
und immergrüner oder laubabwerfender Eichen bedeckt, etwa wie
Homer sie schildert:
Diese durchathmete nie die Gewalt feuchthaucheDder Winde,
Noch traf Helios Leuchte sie je mit den flammenden Strahlen,
Auch kein strömender Regen durchnässte sie: so in einander
Wuchs das Gehölz; viel lagen umher der gefallenen Blätter —
dazwischen in den Flussthälem mit ofihem Weidestrecken, auf denen
die Rinder der Ankömmlinge sich zerstreuten, reich an nackten und
kräuterbewachsenen Felsabstürzen, an denen die Schafe rupfend auf-
und abkletterten und von deren Gipfel hin und wieder das öde un-
fruchtbare Meer sichtbar wurde. Das Schwein fand reichliche
Eichelnahrung, der Hund hütete die Heerde, wilde Bienenstöcke
lieferten Wachs und Honig, wilde Apfel-, Bim- und Schlehenbäume
boten saure harte Früchte zum Genuss, gegen den Hirsch und Eber,
den wilden Stier und den raubgierigen Wolf ward der Pfeil vom
Bogen geschnellt oder der mit scharfem Stein bewaflfnete Speer ge-
schwungen. Das Jagdthier und das Thier der Heerde gab alles
Nöthige, sein Fell zur Kleidung, seine Hörner zu Trinkgefassen,
seine Därme und Sehnen zu Bogensträngen, sein Geweih und seine
Knochen zu Werkzeugen und den Handgriffen derselben; rohes
Leder war der vorherrschende Stoff, die beinerne oder hörnerne
Nadel diente zum Nähen und Befestigen desselben (stiere ist das ur-
alte Wort für solche Lederarbeit, man vergleiche sutor der Schuster,
xaaavfia das Leder, subula die Ahle, slav. podüsiva die Schuhsohle,
aio^ ahd. mda der Pfriemen u. s. w.). Mit Leder war der auf dem
Wasser schwimmende geflochtene Kahn überzogen, mit Stiersehnen
das Lederkleid zusammengenäht, Hesiod. O. et d. 544:
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Urzeit. 15
Nähe dir Häute zusammen mit Sehnen des Stiers — ,
mit Ri^[xien die Spitze am Pfeil und am Speer befestigt, das Zug-
thier vor dem Wagen angeschirrt und die Peitsche, die zum An-
treiben diente, bewafEnet. Ein viel erlegtes, auch zur Nahrung
dienendes Thier war der Biber, der durch ganz Europa die Seen
und Flüsse dicht bevölkerte (lat. fiber^ keltisch hAer^ biber, wonach
die gallischen Städte Bibrax und Bibracte benannt waren, ahd.
pipar, büntTy mhd. biber^ ags. beofor^ altn. W/r, preussisch und lit.
bebmsy slavisch bobrü, auch bebrü, bUbrü; im Griechischen ist das
Wort, wie auch das Thier in Griechenland, frühe imtergegangen,
dafür aber von Europa in den Orient gedrungen, Frahn Ibn-Foszlan
S. 57). Zum Bogen diente besonders das Holz der Eibe^), zum
Schaft des Speeres das der Esche, auch des Holunders (axtia^ antij)
und Hartriegels, zum Schilde ein Geflecht aus Ruthen der Weide
(trug, ixia = Schild); die Bäume des Urwaldes, von riesenhaftem
Wachsthum, wurden durch Feuer und mit der steinernen Axt zu un-
geheuren Böten ausgehöhlt. Auf dem Raderwagen, einer frühe er-
fundenen Maschine, die ganz aus Holz zusammengefügt war und an
welcher Holzpflöcke die Stelle der spätem eisernen Nägel vertraten,
ward die Habe der Wanderer, ihre Melkgeftsse, Felle u. s. w. mit-
gefahrt'). Die Wolle der Schafe ward ausgerupft*) und zu Filz-
decken und Filztüchem zusammengestampft, besonders zum Schutze
des Hauptes (gr. nikng^ lat. pileus^ piUeus der Hut, germanisch und
slavisch mit erweitertem Stamm: Füz^ plüsti^ Hesiod. 0. et d. 545:
über das Haupt dir
Setze geformeten Filz, vor Nässe die Ohren zu schützen.)
Aus dem Bast der Bäume, besonders der Linde, imd aus den Fasern
der Stengel mancher Pflanzen, besonders der nesselartigen, flochten
die Weiber (das Flechten ist eine uralte Kunst, die Vorstufe des
Webens, dem es oft sehr nahe kommt) Matten und gewebeartige
Zeuge und Jagd- und Fischemetze. Milch und Fleisch war
die Nahrung, das Salz ein begehrtes Gewürz, das aber schwer zu
erlangen war und dem am Meeresufer, in der Pflanzenasche u. s. w.
nachgegangen wurde.*) Je weiter nach Süden, desto leichter wurde
es, das Vieh zu überwintern, das im höhern Norden während der
rauhen Jahreszeit nur kümmerlich unter dem Schnee seine Nahrung
fand und unter ungünstigen Umstanden massenhaft zu Grunde gehen
musste — denn der Heerde ein Obdach zu schaffen und getrocknetes
Gras für den Winter aufzubewahren, sind Künste spätem Ursprungs,
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16 Urzeit
die sich erst im Gefolge des ausgebildeten Ackerbaues einfandeD.
Auch die Race der Hausthiere war eine geringe, das Schwein z. B.
das kleine sogenannte Torfschwein, und stand vod der spätem durch
Kultur und Verkehr veredelten, die wir jetzt vor Augen haben, noch
weit ab. Zar Wohnung für den Menschen diente im Winter die
unterirdische, künstlich gegrabene Höhle, von oben mit einem Rasen-
dach oder mit Mist verdeckt^), im Sommer der Wagen selbst oder
in der Waldregion die leichte, aus Holz und Flechtwerk errichtete
zeltäbnliche Hütte. Der Natur der Sache nach musste bei einem
viehschlachtenden Volke die Kampfsitte blutig und die Strafe grau-
sam sein; Wuth und Rache, Raub- und Beutegier bildeten die An-
triebe, List und Hinterhalt und Ueberfall, wie auf der Jagd dem
Thiere gegenüber, die Formen und Mittel des Kriegs; die Gefange-
nen wurden geschlachtet, wie bei den Cimbem, ja noch den Ger-
manen des Tacitus, die Sclaven zu grösserer Sicherheit verstümmelt;
der Sieger trank von dem Blute des erlegten Feinden, der Him-
schädel diente ihm beim Schmause zur Schale und zu überm üthiger
Erinnerung^). Greise, wenn sie zum Kampfe kraftlos geworden,
gingen freiwillig in den Tod oder wurden gewaltsam erschlagen, ähn-
lich auch unheilbare Kranke®). Bei religiösen Festen und Sühn-
opfern floss reichlich Menschenblut; dem Häuptling folgten seine
Knechte, Weiber, Pferde imd Hunde in das Grab nach^); die Frau
wurde geraubt oder gekauft, das Neugeborene vom Vater aufgehoben
oder verworfen und ausgesetzt (Grimm R.-A. 455: „Von Aussetzung
der Kinder sind alle Sagen voll, nicht allein deutsche, auch römische,
griechische und des ganzen Morgenlandes. Es lässt sich nicht
zweifeln, dass diese grausame Sitte in der Rohheit des Heidenthums
rechtlich war.**) Die Naturkräfte, deren Gegenwart mit dumpfem
Schauer empfunden wurde, hatten noch keine menschlich -persön-
liche Gestalt angenommen: der Name Gottes, dessen lateinische Form
deus ist, bedeutete noch Himmel (das von den Finnen erborgte
litauische devas^ preuss. deivas hat bei ihnen noch heute den Sinn
von Himmel, finnisch taivas^ estnisch taevas, livisch tövas)^ und wäh-
rend in dem indischen Varuna schon ethische Motive entwickelt
sind, hat in dem griechischen Uranos der Process der Personification
kaum erst angesetzt. Das Loos entschied bei wichtigen oder un-
gewöhnlichen Begegnissen und Entschlüssen i®); Vorbedeutung und
Aberglaube bestimmten alles Thun und Lassen; Zauberformeln lösten
die Fesseln des Gefangenen und gaben der Waffe übernatürliche
Kraft; die Wunden, die die Axt gerissen, wurden durch Besprechung
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Urzeit. 17
geheilt, ebenso das hervorspritzende Blut gestillt (ein solcher Be-
schwörer hiess gothisch lekeis^ leikeis^ slavisch Ufkari^ altirisch Ueiff^
Uagh, Zeus» 19; Od. 19, 456:
TDnd sie Terbanden zugleich des untadligen hohen Odjsseus
Wunde geschickt und stillten das dunkele Blut mit Beschwörung.
Noch bei Pindar Pyth. 3, 51 drei Arten der Behandlung des Eoun-
ken: durch Beschwörung, inaoidri^ auch Inal Gebet zu den Göttern,
durch Salben und Tränke^ durch Schneiden mit dem Messer).
Wie in der religiösen Anschauung die Verwandlung der Natur-
mächte in dämonische Personen sich noch nicht vollzogen oder eben
erst begonnen hatte, so halteten auch im Zusammenleben der Men-
schen die unmittelbaren Naturformen : aus dem Familienverbande
und der Herrschaft des Patriarchen ging in weiterem Wachsthum
der erst engere, dann umfassendere Zusammenhang des Stammes
hervor (Wörter wie nolig^ populus, goth. thiuda u. s. w. sehen wir
erst allmahlig in das Reich der Freiheit, d. h. zu politischen Be-
griffen emporsteigen).*^) Als Auszeichnung adeliger Geschlechter
findet sich in historischer Zeit die Tätowirung, vielleicht ein Rest
uralter Sitte, da sie bei entfernten Gliedern des grossen Stammes
wiederÄhrt, so bei Gelonen und Agathyrsen (Mela 2, 1, 10: Aga-
%r» ora artusque pingunt: ut quique majoribus praestanty ita magis
vd minus: ceterum iisdem omnes noiiSy et sie ut ahlui negueant)^ bei
Thrakern (schon bei Herodot 5, 6, also vor der keltischen Zeit),
Sarmaten, Daken, den Briten auf ihrer entlegenen Insel, welche
letztere danach benannt waren (altirisch brit^ kambrisch breith
= vwriegatus^ auch die Picti möglicher Weise nur die lateinische
Uebersetzung von Briten, Britten). Bei der Aufstellung zum Kriege
herrschten schon die Zahlen des Decimalsystems — eine erste Re-
gimg der Abstraction, doch war der Begriff tausend, da das Wort
dafür fehlt, noch nicht aufgegangen^*). Im Uebrigen bildete die
Sprache einen verhältnissmässig intakten, viel gegliederten, von le-
bendigen Gesetzen mnerlich beherrschten Organismus, wie er nach
Jahrtausenden die Freude und Bewunderung des Grammatikers ist
und wie er nur im Dunkel eingehüllten Geistes und unmittelbaren
Bewusstseins wächst und sich entfaltet — mit dem erwachenden
Denken beginnt die lästige, wuchernde Formen- Vegetation und die
paradiesische Klangfülle allmahlig abzusterben. — Dies etwa war
der Zustand jener Wandervölker zur Zeit ihrer Ausbreitung in
Europa, — so weit wir ihn nach einigen seiner allgemeinen Züge
VicL Httliii« Koltarpflanxen. 2
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18 Urzeit.
im Geiste wiederherstellen können. Eine Vergleichung gewähren
etwa die Andeutungen des Alten Testaments über die kriegerische
Einwanderung semitischer Hirtenvölker in Palästina: dort traten den
Eanaanitem wilde Ureingeborne entgegen, die später als Riesen ge-
dacht wurden und die in einigen Besten noch bestanden, als ganz
zuletzt die Beni-Israel in dem Lande ihrer vorausgegangenen Stamm-
genossen gewaltsam sich festsetzten. So mögen auch die Indo-
germanen in Europa ursprüngliche Bewohner vorgefunden haben, die
sie ausrotteten, oder mit denen sie sich vermischten: im Osten die
Finnen, ein sehr tief stehendes Jägervolk, das die Wolle, das Salz
und den Räderwagen nicht kannte und nicht einmal bis hundert
zählte, im Westen und Süden die Iberer und vielleicht die Libyer,
von deren Kulturstufe wir nichts wissen. Ein anderes noch lehr-
reicheres, in ganz historische Zeit fallendes Beispiel bietet der grosse
Eroberungszug der Türken durch Asien und die Niederlassung dieses
nomadischen Stammes auf dem weiten von ihm überschwemmten
Boden. Die Türken freilich — und dies könnte geeignet sein, die
Analogie wieder etwas einzuschränken — trieben nicht ihre Rinder-
heerden vor sich her, sondern kamen auf dem geschwinden Ross,
das sie und ihre Zelte durch die Weite trug — und hier erhebt sich
die schwierige Frage, ob auch die Indoeuropäer schon mit dem ge-
zähmten Pferde in Europa einwanderten oder es erst nachmals er-
hielten? Wir haben oben unter den Grabesopfem auch die Pferde
des Bestatteten mit aufgeführt — wie, wenn wir damit einen Ana-
chronismus begangen hätten? Humboldt, Central- Asien, 1, 436 sagt:
„die Innere (Kirghisen) Horde bewohnt einen Theil der Gegenden,
in welchen vormals dieselben Kalmuk-Turguten nomadisirten, welche
von der chinesischen Grenze gekommen waren und in der Nacht des
5. Januar 1771 mit ihren 30,000 Jurten davonzogen, um auf einem
400 Meilen langen Marsche kriegführend die Ebenen der Dsun-
garei zu erreichen. Diese Wanderung von 150,000 Kahnuken, be-
gleitet von ihren Frauen, Kindern und Heerden, vor etwa 70 (jetzt
über 100) Jahren, ist eine historische Thatsache, welche auf die
alten Einfälle asiatischer Völker in Europa grosses Licht
wirft" Diese Bemerkung des tiefblickenden Meisters (für welche
wir bereit wären, ein Dutzend sog. indogermanischer Idyllen, so
reizend ihr Colorit ist, herzugeben) wollen wir uns gesagt sein lassen
und nicht vergessen — aber die Karren und Heerden der Kalmuken
waren von kriegerischen Reitern umschwärmt und so ging der Zug
unaufhaltsam und sicher fort: dürfen wir uns den frühesten Ein-
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Das Pferd. 19
brach aus Asien aach schon ähnlich ausgerüstet denken? Wir ver-
suchen im Folgenden die Hauptzüge der ältesten Geschichte des
Pferdes zusammenzustellen und dadurch vielleicht einige Wahrschein-
lichkeit für oder wider zu gewinnen.
Das Pferd.
(equus cabaüus.)
Das edle Ross, der Liebling imd Begleiter des Helden, die
Freude der Dichter, die es in prächtigen Schilderungen verherrlicht
haben, z. B. der Verfasser des Buches Hiob im 39. Kapitel oder
Homer in der Hias 6, 506:
Gleichwie das Ross, das lang im Stall sich genährt au der Krippe,
Seine Fessel zerreisst und stanopfenden Hufs durch die Ebne
Rennt, sich zu baden gewohnt in dem schönhinwallenden Strome,
Strotzend von Kraft; hoch tragt es das Haupt und umher an den Schultern
Flattern die Mähnen empor; im Gefühl der eigenen Schönheit
Tragen die Schenkel es leicht zur gewohnten Weide der Stuten, —
So schritt Priamos Sohn von Pergamos Veste hernieder,
Paris im leuchtenden Waffenglanz, der Sonne vergleichbar.
Freudig und stolz, rasch trugen die Schenkel ihn —
oder Tergil Georg. 3, 83:
tum^ « qua sonum procul arma dedere,
Stare loco nescit, micat aurihus et tremit artus^
CoTÜectumque fremens volvit sub narihus ignem —
— dies glänzende, stolze, aristokratische, rhythmisch sich bewegende,
schaudernde, nervöse Thier hat doch für die gegenwärtige Erdepoche
seine Heimath in einer der rohesten und unwirthlichsten Gegenden
der Welt, den Kiessteppen und Wcideflächen Centralasiens, dem
Tummelplatz der Stürme. Dort schwärmt es noch jetzt, wie ver-
sichert wird, im wilden Zustande imter dem Namen Tarpan umher,
— welcher Tarpan sich nicht immer von dem bloss verwilderten
Masin, dem Flüchtling zahmer oder halbzahmer Heerden, unter-
scheiden lässt. Es weidet gesellig, unter einem wachsamen Führer,
dem Winde entgegen vorschreitend, mit den Nüstern und Ohren
immer der Gefahr gewärtig, und weil phantasievoll, nicht selten von
panischem Schreck ergriffen und unaufhaltsam durch die Weite ge-
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20 Das Pferd.
jagt. Während des fürchterlichen Steppenwinters scharrt es den
Schnee mit den Hufen weg und nährt sich dürftig von den drunter
befindlichen abgestorbenen Gramineen und Chenopodeen. Es hat eine
reich wallende Mähne und einen buschigen Schweif, bei Einbruch
der Winterkälte wächst ihm das Haar am ganzen Leibe zu einer
Art dünnen Pelzes. In eben jener Weltgegend lebten auch die ur-
sprunglichsten Reitervölker, von deneü wir Kunde haben, im Osten
die Mongolen, im Westen die Türken, beide Namen im weitesten
Sinne genommen. Noch jetzt ist die Existenz dieser Racen an die
des Pferdes gebunden. Der Mongole hält es für eine Schande, zu
Fuss zu gehen, sitzt stets zu Rosse und bewegt sich und steht auf
der Erde, als wäre er in ein fremdes Element versetzt. Ehe der
kleine Knabe noch gehen kann, wird er auf das Pferd gehoben und
klammert sich an die Mähne; so wächst er im Verlauf der Jahre
auf dem Rücken des Thieres auf und wird zuletzt ganz eins mit
diesem. Auch der mongolischen Körperbildung hat diese Lebensart,
von Geschlecht zu Geschlecht Jahrtausende lang fortgesetzt, ihr
unterscheidendes Gepräge gegeben. Die Beine des Mongolen sind
säbelförmig gebogen, der Gang ist schwerfällig und der Oberkörper
nach vom gebeugt; auch innerhalb des Zeltes gleicht sein unstat
umherspähender Blick dem des Reiters in der unermesslichen Steppe,
der nach allen Seiten ausschauend eine Meile weit die kleinste Staub-
wolke am Horizonte entdeckt. Der Reichthum des Einzelnen besteht
in der Zahl und Grösse seiner in halbwildem Zustand weidenden
Tabuns ; bedarf er in gegebenem Falle eines jungen Thieres, so wird
dieses mit der Schlinge eingefangen. Die Milch der Stuten ist das
Getränk und das Berauschungsmittel (es gehört viel Uebung und
Kraft dazu, die Stuten, nachdem sie gekoppelt worden, zu melken),
das Pferdefleisch die gewohnte und liebste Nahrung. Bei den jetzi-
gen Mongolen hat freilich der Buddbismus die letztere Speise aus-
zurotten gesucht und der Lama wenigstens hütet sich in frommer
Enthaltsamkeit, davon zu kosten. Auch das Fell und das Haar de&
Pferdes ist dem Mongolen nutzbar: aus dem erstem werden die Rie-
men geschnitten, die ihm so unentbehrlich sind, das letztere dient
zu Stricken und Sieben und aus dem Felle der jungen Füllen wer-
den die Kleider zusammengenäht.
Von dem breiten Rücken des Welttheils stieg das Thier nach
allen Seiten bis in die Hochgebirge des nördlichen Indien hinauf
und in die Flüssthäler Turkestans, in die Landschaften und Wüsten
des Jaxartes und Oxus hinab. Dort ist das Pferd des Turkmenen
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Das Pferd. 21
noch jetzt von ungemeiner Kraft, Ausdauer und Klugheit Mit ge-
ringem Mundvorrath versehen macht der Turkmene Ritte von hun-
dert Kilometern, ohne zu rasten, überfällt und plündert, und ver-
schwindet, ehe der Beraubte noch zur Besinnung gekommen. Oft
übernachtet der Reiter schlafend auf seinem Thiere, mitten in der
Wüste, ohne diesem einen Tropfen Wasser bieten zu können. Auch
Hebt er, nach Vambörys Worteo, sein Ross mehr als Weib und
Kind, mehr als sich selbst; es ist rührend, mit welcher Sorgfalt die-
ser rohe, habgierige Sohn der Wüste sein Thier aufzieht, wie er es
hütet, gegen Frost und Hitze kleidet und mit Zaum und Sattelzeug
nach B>aften Aufwand treibt. Auch in den Augen des Kirgisen ist
das Pferd der Inbegriff aller Schönheit. „Er Hebt sein Pferd mehr
als seine Geliebte und schöne Pferde verleiten auch den ehrlichsten
und angesehensten Mann zum Diebstahl** (W. Radioff in der Zeitschr.
for Ethnologie, 3, S. 301). Doch ist zu bemerken, dass die turk-
menische Race, obwohl dem Kerne nach einheimisch, doch stark
mit arabischem Blute gekreuzt ist und dieser Mischung einen Theil
ihrer edlen Eigenschaften verdankt.
Dass das Pferd auch westlich von Turkestan das Steppengebiet
des heutigen südöstlichen und sQdlichen Russland bis zum Fusse der
Earpathen in ursprünglicher Wildheit durchstreifte, kann glaublich
erscheinen, weniger, dass sogar die Waldregion Mitteleuropas einst
von Radeln dieser Thiere belebt gewesen. Und doch liegt eine Reihe
historischer Zeugnisse vor, die diese letztere Thatsache ausser Zweifel
zu stellen scheinen. Von spanischen wilden Pferden berichtet
Varro de r. r. 2, 1, 5: equi feri in Hispaniae citerioris rec/ionibus
<diquot^ und ebenso Strabo 3, 4, 15: „Iberien trägt viele Rebe und
wilde Pferde (jLTtnovg ayQiovg),^ In den Alpen lebten, wie wilde
Stiere, so auch wilde Pferde (Strab. 4, 6, 10), und nicht bloss in
den Alpen, sondern im Norden überhaupt, Plin. 8, 39: septen-
irio fert et equorum greges ferorum. Auch im Mittelalter fehlt es
nicht an Belegen für die Existenz wilder Pferde in Deutschland und
in den von Deutschland östlich gelegenen Landen. Zur Zeit des
Tenantius Fortunatus wird in den Ardennen oder Vogesen neben
dem Bären, Hirschen und Eber auch der onager gejagt, worunter
— wenn das Wort nicht bloss eine poetische Floskel ist — das
wilde Pferd verstanden werden kann, ad Gogonem, Miscell. 7, 4, 19 :
Ardennae an Vosagi cervi, caprae, helicis ursi
Caede sagittifera Silva fragore tonat?
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22 Das Pferd.
Seu validi bufali ferit inter comtia campum,
Nee mortem differt ursus, onager, apert
In Italien sah man wilde Pferde zum ersten Mal während der longo-
bardischen Herrschaft, unter dem König Agilulf, PauL Diac. 4, 11:
iunc primum cabaUi silvatici et bubali in Italiam delati Italiae po-
pults miracula fnerunt, Papst Gregorius 3 schreibt um 732 an den
heil. Bonifacius (Bonifac. ep. 28 bei Jaff^, Mon. Mog. p. 91 ff.):
„Du hast Einigen erlaubt, das Fleisch von wilden Pferden zu essen,
den Meisten auch das von zahmen. Von nun an, heiligster Bruder,
gestatte dies auf keine Weise mehr." Der Apostel der Deutschen
war also bis dahin in diesem Punkt liberal gewesen — vielleicht
weil er einen Gebrauch, der dem Italiener in Rom gräulich erschien,
auf seiner heimathlichen Insel von früher Jugend an gekannt und
selbst geQbt hatte? Unter den von dem St. Galler Mönch Ekkehard
dem vierten herrührenden Segenssprüchen zu den bei dem gemein-
samen Mahl aufgetragenen Speisen (vom Jahr 1000 oder bald nach-
her, herausgegeben von Ferdinand Keller in den Mittheil, der antiqu,
Ges. in Zürich, III, 2, S. 99 ff.) bezieht sich einer auch auf das
Fleisch vom wilden Pferde, das also von den frommen Vätern des
einst in der Wildniss gegründeten Klosters noch genossen wurde,
V. 127:
Sit feralis equi caro dulcis in hoc cruce Christi,
Der Winsbeke spricht in Strophe 46 (Weingartner Liederhandschrift
S. 217) die Erfahrung aus: „Ein Fohlen in einer wilden Heerde
Pferde wird, eingefangen, eher zahm, als dass ein ungerathener
Mensch in seinem Innern Scham empfinden lerne":
ein vol in einer wilden stuot
un üzgeyangen "wirt S zam,
e daz ein ungeraten lip
gewinne ein herze daz sich schäm.
Im Sachsenspiegel, da wo die Gerade der Frau bestimmt wird (d. h.
die fahrende Habe derselben), sagt die Glosse, wilde Pferde, die
man nicht immer in Hut behalte, seien dazu nicht zu rechnen, 1, 24:
hir pruve biy dat wilde Perde, de men al tit nicht unhut, de un hären
hir tu nicht In einer westphälischen Urkunde vom Jahre 1316 (bei
Venantius Kindlinger, Münsterische Beiträge, Münster 1787, I, Urk.
no. 8, S. 21) wird einem gewissen Hermann die Fischerei im gan-
zen Walde und die wilden Pferde und die Jagd, die Vi^ildforst ge-
nannt wird, zugetheilt: item recognoscimus quod piscatura per totum
nemus pertinet Eermanno praedicto et vagi equi et venatio dicta wüt-
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Das Pferd. 23
forst. Ja nicht bloss zur Zeit der Merovinger, noch am Ende des
16. Jahrhunderts lebten solche wilde Pferde in dem Vogesengebirge,
der rauhen Kriegs- und Grenzscheide zweier Racen, — wie Heli-
saeus Rosslin, des Elsäss und gegen Lotringen grentzenden wass-
gawischen Gebirgs Gelegenheit, Strassburg 1593, S. 21, ausführlich
berichtet: „die in ihrer Art viel wilder und scheuer sind, dann in
vielen Landen die Hirsch, auch viel schwerer und mühsamlicher zu
£u3gen, eben so wohl in Garnen als die Hirsch, so sie aber zahm
gemachet, das doch mit viel Muh und Arbeit geschehen muss, sind
es die allerbesten Pferd, spanischen und türkischen Pferden gleich,
in vielen Stücken aber ihnen fürgehen und härter seind, dieweil sie
sonderlich der Kälte gewohnet, und rauhes Futters, im Gang aber
und m den Füssen fest, sicher und gewiss seind, weil sie der Berg
and Felsen, gleich wie die Gemsen, ge wohnet." Fanden sich solcher-
gestalt wilde Pferde in dem kultivirten West- und Süddeutschland,
so mussten sie sich in den Wildnissen an der Ostsee, in Polen und
Russland um so länger erhalten. Hier sind in der That die Zeug-
nisse bis in die neuere Zeit hinab zahlreich. Das Land der Pom-
mern war zur Zeit des Bischofs Otto von Bamberg, also in der
ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, reich an aller Art Wild, darunter
auch wilde Ochsen und Pferde, Herbordi vita Ottonis bei Pertz XX,
p. 745; bubahrum et equulorum agrestium . . . copia redundat omnis
promTicia. Um die gleiche Zeit gab es auch in Schlesien ungezähmte
Pferde: der Canonicus Wissegradensis, der Fortsetzer des Cosmas,
berichtet zum Jahr 1132, bei Pertz SS. IX, p. 138: Interea dux
Sobeslam (der Schwager des Königs Bela von Ungarn) . . . Poloniam
cum exercitu suo 15 Kai, Novembris intt^avif totamque pariem üUtcs
regicnü quae Sleszko (Schlesien) vocatur penitus igne consumpsit
Mvltos etiam captivos cum innumera pecunia nee non indomitarum
equarum ffreges non paucos inde secum additxit Bekannt ist und
durch viele literarische Erwähnungen wird bestätigt, dass in Preussen
bis zum Zeitalter der Reformation, ja noch später, die Wälder von
wilden Pferden bevölkert waren. Toppen, Geschichte Masurens,
Danzig 1870, S. XVII: „In Ordenszeiten jagte man wilde Rosse, so
wie anderes Wild, vorzuglich um ihrer Häute willen. Noch Herzog
Albrecht erliess um 1543 ein Mandat an den Hauptmann zu Lyck,
in welchem er ihm anbefahl, für die Erhaltung der wilden Rosse zu
sorgen" (s. auch denselben in den Preussischen Provinzialblättern
1839, Bd. 22, S. 481 und den Neuen Pr. Prov. Bl. 1847, Bd. 4,
S. 453). Auch für Polen und Litauen gehen die Hinweisungen auf
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24 Da« Pferd.
das Pferd als Jagdthier bis tief in das 17. Jahrhundert hinab (so
bei Goillebert de Lannoy 1399 — 1450, Simon Grünau, schrieb
zwischen 1516 und 1527, Matthias a Michovia, 1521 herausgekom-
men, Herberstein u. s. w.), für Russland genüge die merkwürdige
Aussage des Fürsten von Tschemigow, Wladimir Monomach (er
lebte von 1053 bis 1125), der in seiner hinterlassenen Mahnung an
seine Söhne (erhalten in der sog. Lawrentischen Chronik) über sich
selbst berichtet: „Aber in Tschemigow that ich dies: ich fing und
fesselte eigenhändig zehn bis zwanzig wilde Pferde lebendig; und
als ich längs dem Flusse Rossj ritt (so wird jetzt gelesen: in der
auch sonst sehr fehlerhaften Handschrift steht das sinnlose po Rovi ;
der genannte Fluss Rossj bildete eine Art Grenzscheide zwischen
den Russen und den wilden türkischen Polowzem), fing ich mit den
Händen eben solche wilde Pferde."
Zur richtigen Beurtheilung dieser Stellen ist vor Allem Folgen-
des zu erwägen. Bei den europäischen Völkern wurde in ältester
historischer Zeit das Pferd gehalten wie bei den asiatischen Nomaden :
es weidete abseits, fem von der Niederlassung, in ganzen Heerden,
im halbwilden Zustande (eine solche Heerde hiess ahd. stuot^ ags
und altn. stod^ lit. stodas^ slav. stado)^ und wurde hervorgeholt, wenn
die Gelegenheit sich bot, es zu brauchen. War ein herangewachse-
nes Thier dazu bestimmt, den Herrn auf einem Zuge zu begleiten,
so wurde es eingefangen, durch energische Mittel gezähmt — wobei
manches Individuum durch Erdrosselung zu Gmnde gehen musste
— und flog dann mit seinem Reiter windschnell durch die Weite.
Wenn es im altnordischen Hävamäl heisst:
Füttere das Rosa daheim.
Den Hund auswärts,
so ist dies schon eine spätere Regel, die ungeföhr dasselbe sagt, wie
das griechische, auch unter uns gebräuchlich gewordene Sprichwort:
des Herrn Auge macht die Pferde fett. Die Freiheit aber, in der
in früherer Zeit die junge Zucht aufwuchs, musste häufig Anlass zu
völliger Verwilderung einzelner Thiere oder ganzer Heerden geben.
Jene rissen sich los, so die Stuten in der Zeit der Brunst, und ver-
irrten sich, diese stürzten, von Wölfen verfolgt oder von Moskitos
gepeinigt, sinnlos in die Weite fort; so wurden sie als freie Bewoh-
ner der buschigen Wildniss Gegenstand der Jagd, wie Hirsche und
Elene. Gegen die Annahme, dass das mittlere Europa bis nach
Spanien hin zu dem natürlichen Verbreitungsbezirk des Pferdes ge-
hört habe, scheint der Umstand zu sprechen, dass dieser Welttheil
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Das Pferd. 25
Tor Beginn der Eulturthätigkeit des Menschen ein dicht verwachse-
nes und beschattetes Waldgebiet darstellte, das Pferd aber ein auf
Gras als seine Nahrung und Schnelligkeit als seine Waffe zur Rettung
Yor den grossen Raubthieren berechnetes flüchtiges Steppenthier ist.
Die Art, wie einige der oben angeführten Nachrichten gefasst
sind, deutet gleichfalls mehr auf verwilderte, als auf ursprünglich
wilde Pferde. Weon die Pferde der Vogesen, zwar mit Müh und
Arbeit, aber doch mit Erfolg gezähmt werden; wenn der duaSobez-
in« von einem Kriegszuge in Schlesien indomitarum equarum greges
mit heimführt oder in jener westphälischen Urkunde Fischerei, Jagd
and die vagi equi eines Territoriums einem der Theilhaber zu-
gesprochen werden; eben so wenn die ungehüteten Pferde nicht zu
dem Gute der Frau zu rechnen sind, so ist gewiss die Vermuthung
gestattet, dass in all diesen Fällen nur von Flüchtlingen berichtet
wird. So konnten auch die Thiere, die der heilige Otto in Pommern
vorfand oder die die Ordensritter in Preussen jagten, zwar in der
Wildniss geboren sein, dennoch aber von entlaufenen Stuten ab-
stammen, und dies um so eher, je mehr jene noch ungelichteten
Gegenden seit Jahrhunderten von innem Raub- und Kriegszügen
heimgesucht waren. Noch natürlicher war dies im Gebiet von
Tschemigow, wo der Grossfürst zehn oder zwanzig unbändige Pferde
mit eigener Hand fing und koppelte: in jenem Grenzgebiet, das un-
mittelbar an die nomadischen Pferdevölker stiess, konnten die Wälder
verlorenen oder verirrten Thieren der Art leicht eine Zuflucht ge-
boten haben. Auch sagt der Grossfürst nicht, er habe Pferde, wie
andere Jagdthiere, erlegt, sondern er habe sie eingefangen und ge-
fesselt d. h. mit kräftigem Aj-m die Schlinge geführt, die auch bei
Halbzahmen Heerden in Gebrauch war. Wir fugen noch hinzu, dass
auch die um den See, aus dem der Hypanis seinen Ursprung hatte,
weidenden wilden Pferde bei Herodot 4, 52: ^Innoi ayQioi Xevxo/
sich durch das Prädikat weiss, Xevxoi^ als geheiligte, in halber Frei-
heil gehaltene Heerden verrathen.
Kehren wir aus dem europäischen Waldrevier zu der ursprüng-
lichen Heimath des Thieres, dem Steppengebiet Asiens, zurück, so
begegnet uns hier weiter die bedeutungsvolle Thatsache, dass je ferner
von diesem Ausgangspunkte eine Landschaft gelegen ist, desto später
in ihr auch historisch das gezähmte Pferd auftritt und desto deut-
licher die Rossezucht als eine von den Nachbaren im Osten und
Nordosten abgeleitetete erscheint.
In Aegypten, um mit dem entlegensten Gliede zu beginnen,
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26 I>a8 Pferd-
hat sich im sogenannten alten Reiche keine Abbildung eines Rosses
oder eines Kriegswagens gefunden. Erst da die Epoche der Hirten-
könige vorüber ist, beginnen unter der achtzehnten Dynastie und bei
Gelegenheit der Kriegszöge, die dieselbe unternahm (etwa um das
Jahr 1700 v. Chr.), die bildlichen Darstellungen und in den Papyrus,
so weit deren Lesung mit Sicherheit gelungen ist, die Erwähnungen
des Rosses und der in asiatischer Weise bespannten Streitwagen
(Brugsch, Geschichte Aegyptens, Leipzig 1877, S. 198. 273; Chabas,
Etudes sur Tantiquite historique, p. 413fF.). Die Vermuthung, dass
es eben das Hirtenvolk der Hyksos gewesen, welches das neue
Thier und mit ihm die neue Kriegskunst nach Aegypten brachte
(Ebers, Aegypten und die Bücher Mose's 1, 121 : „es unterliegt keinem
Zweifel, dass dies Thier von den Hyksos in Aegypten eingeführt
worden ist"), hat viel Bestechendes, wird aber bis jetzt von keinem
bestimmten Denkmal gestützt. Yielleicht also waren es erst die
Könige der genannten achtzehnten Dynastie, denen bei ihrem
kriegerischen und friedlichen 'Verkehr mit Syrien das Pferd und der
Streitwagen von diesem Lande her bekannt wurden (der ägyptische
Name des Wagens ist dem hebräischen fast vollständig gleich,
ägyptisch stis das Pferd ist ein semitisches Wort, Brugsch a. a. 0.).
Wenn Chabas meint, die Zähmung und Anschirrung des Rosses
setze eine längere Anwesenheit desselben voraus, während welcher
es stufenweise zum Dienst des Menschen erzogen worden, so vergisst
er, dass es sich hier um ein fertig von den Nachbarn übernommenes,
längst an diesen Dienst gewöhntes Thier handelt. Uebrigens wurde
auch in Aegypten, wie bei den Asiaten, das Pferd nur zu
kriegerischen Zwecken gehalten; über seine Anwendung bei häus-
lichen und ländlichen Arbeiten sind die Bildwerke stunmi, — denn
das Wenige, was dahin zu deuten wäre, dürfen wir als allzu zweifel-
haft unbeachtet lassen. Kriegs wagen hat auch Achilles im Sinn,
wenn er II. 9, 383 vom ägyptischen Theben sagt:
Theben die hu ndertt hörige Stadt, es fahreo aus jedem
Thor zweihundert Männer heraus mit Rossen und Wagen.
Wie der Aegypter selbst über den Gebrauch des Pferdes dachte,
lehrt die mythische Erzählung bei Plut. de Is. et 0. 19: „Osiris
fragte den Horus, welches Thier für den Krieg wohl das nützlichste
sei? Als Horus darauf erwiederte: das Pferd, wunderte sich Osiris
und forschte weiter, warum nicht eher der Löwe als das Pferd?
Da sagte Horus: der Löwe mag demjenigen nützlich sein, der Hülfe
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Das Pferd. 27
braucht, das Pferd aber dient den fliehenden Feind zu zerstreuen
und aufzureiben." Der Löwe nämlich war von den Aegyptern, wenn
wir den Abbildungen trauen dürfen, in so weit gezähmt worden,
dass er den Pharao in die Schlacht begleiten konnte; er wurde an
einer Kette am Wagen mitgeführt und im rechten Augenblick los-
gelassen.
Für das Alter des Pferdes bei den Semiten Vorderasiens sind
wir auf die Zeugnisse des Alten Testaments, des Pentateuch, des
Buches Josua u. s. w. gewiesen — aus welcher Zeit aber stammen
dieselben? Es giebt kein Stück dieser Sammlung, das nicht aus
verschiedenartigen Bestandtheilen zusammengesetzt and nicht durch
die Hand eines Bearbeiters oder mehrerer sich folgender Bearbeiter
gegangen wäre. Hatten sich wirklich einzelne schriftliche Auf-
zeichnungen aus der Zeit der ersten Besetzung des Landes erhalten,
so mögen diese in die Erzählung aufgenommen worden sein; im
üebrigen konnte auch der älteste biblische Verfasser, der ältere
Elohist, dessen Schrift gleichwohl nicht über die Epoche der
Könige hinaufgeht, nur aus der Sage schöpfen, die ihrer Natur nach
in der langen Zeit geschäftig gewesen war, ihren Stoff je nach dem
Bedarf niss zu gestalten und umzugestalten. So sind wir bei keinem
einzelnen Zuge der biblischen Berichte völlig sicher, ob er von
ächter UeberUeferung oder von späterer theokr atischer oder nationaler
Absicht oder endlich von dem Geiste anachronistisch ausmalender
Dichtung eingegeben worden. Was nun das Pferd betrifft, so fehlen
in den sogenannten Büchern Mosis und auch in den Geschichts-
büchern die Erwähnungen desselben nicht, z. B. Jos. 11, 4 von den
Kanaanitem: „diese zogen aus mit all ihrem Heer, ein gross Volk,
so viel als des Sandes am Meer und sehr viel Ross und Wagen*'
and der Lihalt dieser Stellen wird durch das Lied der Deborah,
Richter 5, welches bedeutend älter sein muss, als die Gründung der
Monarchie, und wohl in das 13. Jahrhundert v. Chr. fällt, als acht
bestätigt, 22: „da rasselten der Pferde Füsse für dem Zagen ihrer
mächtigen Reiter", 28: „warum verzeucht sein Wagen, dass er nicht
konmit? wie bleiben die Räder seiner Wagen so dahinten?" — aber
als Haus- und Heerdethier der Patriarchen erscheint es in diesen
Schilderungen nicht; es nimmt an den Wanderungen und Kämpfen
des Volkes Israel nicht Theil; es ist das kriegerische Thier der
Nachbarn und Feinde, rasselnd und stampfend vor dem Streitwagen
oder tmter dem Reiter; als Kriegsross, und nnr als solches, wird es
aach in der schwungvollen Schilderung des Buches Hiob gefeiert;
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28 Das Pferd.
im Haushalt vertritt seine Stelle der Esel. „Lass 'dich nicht ge-
lüsten", lehrt der Dekalog, dessen Gebote doch aus verhältniss-
mässig sehr alter Zeit stammen, „deines Nächsten Weibes
noch seines Ochsen noch seines Esels noch Alles was dein Nächster
hat": das Pferd, der Hauptgegenstand des Raubes und Begehrs bei
reitenden Nomaden, ist hier bezeichnender Weise nicht genannt.
(Weitere Belege dafür, dass den Hebräern in früher Zeit das Pferd
fehlte, bei Michaelis, Mosaisches Recht, Theil 3 der zweiten Auflage,
Anhang: „Etwas von der ältesten Geschichte der Pferde und Pferde-
zucht in Palästina und den benachbarten Ländern, sonderlich
Aegypten imd Arabien.") Wenn uns später von dem König von
Juda, Josias, berichtet wird, er habe ausser anderem heidnischen
Gräuel auch die der Sonne geweihten Pferde und Wagen abgeschafft,
2. Eon. 23, 11: „Und thät abe die Ross, welche die Könige Juda
hatten der Sonnen gesetzt im Eingang des Herren Hause, an der
Kammer Nethanmelech des Kämmerers, der zuParwarim war. Und
die Wagen der Sonnen verbrannt er mit Feuer" — so war dies
unter den mannigfachen Götterdiensten, die in Jerusalem zusanamen-
flossen, ein aus Medien hierher gelangter Zug des iranischen Sonnen-
kultus (s. unten). — Kein Wunder, dass wir das Pferd auch bei
dem südlichen Zweige der Semiten, den Ismaeliten oder Arabern,
nicht antreffen. Nirgends im Alten Testament treten die Hirten der
arabischen Wüste in Begleitung dieses Thieres auf; sie ziehen nur
mit Eseln und Kameelen umher und die Kriegskunst der despotischen
Reiche vom Tigris bis zum Nil ist ihnen unbekannt. Gtmz damit
in Uebereinstimmung reiten in des Xerxes Heer die Araber nur auf
Kameelen, Herod. 7, 86: „die Araber waren alle auf Kameelen be-
ritten, die den Pferden an Schnelligkeit nicht nachgaben." Auch
nach Strabo gab es in dem glücklichen Arabien keine Pferde und
also auch keine Maulthiere, 16, 4, 2: „an Haus- und Heerdethieren
(ßooxTj^dTiüv) ist dort Ueberfluss, wenn man Pferde, Maulthiere
und Schweine ausnimmt", und ebenso im Lande der Nabatäer,
16, 4, 26: „Pferde sind in dem Lande keine: deren Stelle in der
Dienstleistung vertreten die Kameele" — und doch war Strabo, der
Freund und Genosse des Aelius Gallus, des Feldherm, der die grosse
misslungene Expedition nach Arabien gemacht hatte, über die Halb-
insel sicherlich so genau, wie nur irgend Jemand in damaliger Zeit,
unterrichtet. Noch in der Schlacht bei Magnesia führte Antiochus
der Grosse, wie einst Xerxes, Araber, auf Dromedaren sitzend, ins
Gefecht, Liv. 37, 40 (das aus mancherlei asiatischen Völkerschaften,
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Das Pferd. 29
jede in der ihr zusagenden Rüstung und Waffe, bestehende Heer
wird beschrieben, darunter die Araber): camelL quoa appellant dro-
madas. Hü insidehant Arabes sagittaHi^ gladios habentea tenues u.
s. w. Diejenigen, die diese Nachrichten der Alten aus dem Grunde
unglaublich finden wollten, weil jetzt die arabischen Pferde für die
edelsten ihres Geschlechts gelten, haben nicht erwogen, dass auf dem
Gebiet der Kulturgeschichte ähnliche Fälle keineswegs selten, ja
ausserordentlich häufig sind. In den Sandmeeren Arabiens, in denen
die Oasen gleichsam die Inseln bilden, war zur Ueberfahrt von
eiuer zur andern das Kameel, das Schiff der Wüste, bei Weitem
dienhcher als das Pferd : es konnte schnell sein, wie dieses, es konnte
auch lange dursten; es nährte sich von Wüstenkräutem und auf
seinem breiten Rücken trug es die Zeltstangen und den Mundvorrath,
die Weiber und Kinder des herumziehenden Hirten über weite
Strecken. Zu den obigen direkten Zeugnissen lässt sich noch das
negative des Publius Vegetius, eines späten hippiatrischen Compilators,
fügen, der im 6. Kapitel des 6. Buches (der Ausgabe von Schneider)
die demAlterthum bekannten, durch irgend welche Eigenschaften hervor-
stechenden Pferderacen aufzählt und charakterisirt, über das arabische
Pferd aber schweigt. Yon den afrikanischen, also dem arabischen
Schlage, wie man glauben könnte, nahestehenden Pferden sagt er,
sie würden für den Circus als die schnellsten bezogen, fügt aber
hinzu, sie seien spanischen Blutes, 6, 6, 4: nee inferioi^es prope
Sicäia exhibet circo, quamvü Africa Hispani sanguinis velocissimos
praestare consueverit Auch bei Symmachus Epp. 4, 62 wird aus
Antiochia eine Gesandtschaft — nicht etwa ins nahe Arabien,
sondern nach Spanien geschickt, um dort Rennpferde zu kaufen, und
erhält von Symmachus einen Empfehlungsbrief an den Spanier
Eaphrasius, den Besitzer grosser Stutereien. Aber bei Ammianus
Marcellinus, dem etwas älteren Zeitgenossen des Symmachus, in der
zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, wird 14, 4, 3 bei Schilderung
der Sitten der „Saracenen", deren Wohnplatz der Geschichtsschreiber
Tom Tigris bis zu den Wasserfallen des Nil sich denkt, ihrer
schnellen Pferde und schlanken Kameele, equorum adjumento per-
nidum graciliumque camelorum, Erwähnung gethan. Ungefähr gleich-
zeitig besass auch der Kaiser Valens saracenische Reiterei, Eunap.
6 ed. Bonn. p. 52: to ^aQaxrjvaiv InnixoTy die er aus dem Orient
gegen die sein Land verwüstenden Gothen voraussandte, und nach
der etwas späteren Notitia dignitatum I, cap. 25, 1, 4 hatte der Comes
Ihni^ Aegypti unter seinem Oberbefehl equites Saraceni Thamvdeni^
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30 Das Pferd.
wie auch cap. 29, 1, 5 equites Tkamtcdeni Illyriciani für Palästina
vorkommen. Das arabische Pferd muss also in den letzten Zeiten
des Alterthums und im früheren Mittelalter, zwar nicht zu allererst
eingeführt, doch in einer ihm zusagenden Natur und unter der Gnnst
pflegender Sitte zu dem stolzen und schönen Geschöpf geworden
sein, wie wir es gegenwärtig bewundern. Im Koran und in den
Ueberbleibseln vorislamitischer Poesie, so weit sie uns in genuiner
Gestalt erhalten sind, wird es schon in Schilderungen und Vergleichen
mit zärtlicher Vorliebe gepriesen.
Wenden wir uns zu den Ostseraiten, den Babyloniem und
Assyrem im Gebiet des Euphrat und Tigris, so tritt uns hier an
den Wänden der neu aufgegrabenen Paläste der Kriegswagen, von
reich aufgeschirrten Rossen gezogen, überall in sprechenden ßildem
entgegen. (Ausführlich handelt darüber Layard, Ninive and its re-
mains, T. 2, chap. 4). Von hier aus war diese Waffe ohne Zweifel
weiter nach Westen und Südwesten, zu den Syrern am mittel-
ländischen Meer und zu den Aegyptem im Nilthal gekommen. In
den mesopotamischen Ebenen muss es gewesen sein, wo die An-
wendung des Wagens zum raschen Angriff und eben so raschem
Rückzug für den Bogenschützen erfunden wurde. Wo uns die nini-
vitischen Skulpturen einen Reiter mit Pfeil und Bogen im Kampf
zeigen, da wird sein Pferd jedesmal von einem andern Reiter ihm
zur Seite gehalten und gelenkt; ist der Reiter statt des Bogens mit
dem Speer bewaffnet, so fehlt dieser GehüKe. Der Schütze musste
die Hände frei haben, um an den Köcher zu greifen, den Bogen zu
spannen und den Pfeil richtig zum Ziele zu senden; ein so mit dem
Rosse verwachsener Reiter, wie der Partber und jetzt der Turkmene,
war der Assyrer noch nicht. So verfiel er auf die Einrichtung des
helfenden Nebenreiters und in weiterer Folge auf den leichten, zwei-
räderigen, mit zwei Rossen bespannten und zwei Menschen fassenden
Krieg;swagen. Er stand auf diesem Wagen, frei umherblickend, und
der Rosselenker an seiner Seite; selbst auf der Flucht konnte er sich
umwendend den verfolgenden Feind noch treffen. Doch scheint auch
in den assyrischen Kriegszügen der Wagenkampf ein Vorzug der
Edlen zu sein, wie in anderen Zeiten und bei anderen Völkern der
ritterliche Kampf zu Rosse: der assyrische König zeigt sich nicht
zu FusS; auch nicht reitend, sondern immer zu Wagen^ ausser bei
Belagerungen fester Plätze, wo es der Natur der Sache nach auf
Flüchtigkeit der Bewegung nicht ankam. Vor den Wagen sind
immer nur zwei Rosse gespannt; ein drittes, in seltenen Fällen auch
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Das Pferd. 31
ein viertes laufen lose neben her, um wenn eins der Deichselpferde
verwundet oder sonst unbrauchbar geworden, an seine Stelle zu
treten. Die Pferde dieser Bilder sind zwar, wie die Menschen,
strenge stilisirt, doch will Place, Ninive et TAssyrie, II. p. 233, bei
den heutigen Kurden, also einem iranischen Volke, ganz ähnliche
gefunden haben. Dass das semitische Koss überhaupt aus iranischen
Landen, wie das aegyptische aus semitischen, stammte, ist eine aus
allen Umstanden sich ergebende Vermuthung. Nach dem Propheten
Ezechiel bezog auch Tyrus seine Pferde aus Thogarma d. h. aus
Annenien und Cappadocien, 27, 14: „Die von Thogarma haben Dir
Pferd und Wagen und Maulesel auf deine Märkte bracht."
Tiefer nach Südosten, in Indien, entfernen vnr uns sichtlich von
dem Mittelpunkt des Kreises, den die Verbreitung des Pferdes be-
schreibt. In Indien waren die Pferde weder häufig, noch schön
und stark, sie worden aus den Ländern im Nordwesten eingeführt
und arteten leicht aus. Die Alten erwähnen dieser Eigenthümlichkeit
des an allen andern Naturschätzen so reichen Landes nicht selten
und neuere Berichterstatter stimmen mit ihnen überein (s. Lassen,
Ind. Alterthumskunde 1, 301 f.). Doch im Grenzgebiet, bei den ve-
dischen Stämmen im Fünfstromlande, steht das Ross im höchsten
Ansehen und bildet einen erstrebten Besitz und Heichthum (H.
Zimmer, Altindisches Leben, S. 230 fi*.). Es dient zum Kriege und
als Opfer, vnrd nicht geritten, sondern zieht den Kriegswagen.
Aber wie noch andere Züge beweisen, dass das aus den Veden zu
erschliessende Leben keineswegs ein ganz ursprüngliches war, sondern
schon mannichfache Kultureinflüsse von Westen erfahren hatte (die
babylonische Mine als Goldeinheit, das Wegemass, die Eintheilung
des Tages, die Mondstationen, die semitische Flutsage), so gleicht
auch der vedische Streitwagen genau und in allen Theilen dem
homerischen und beide zusammen dem assyrischen, von dem sie
stammen (Zimmer a. a. 0. S. 245 £F.). In Karmanien, westlich vom
Indus, vertrat auch im Kriege der Esel das Pferd (Strab. 15, 2, 14)
Bnd auch in der Landschaft Persis, aus der die Stifter des persischen
Weltreichs hervorgingen, fehlte das Pferd fast ganz und war das
Reiten unbekannt. Der junge Cyrus jauchzte, als er am Hofe seines
Grossvaters das edle Thier tummeln lernte, denn in seiner ge-
birgigen Heimath war es ungewöhnlich, Pferde zu halten oder sie
zu besteigen, ja man bekam kaum ein Pferd zu Gesicht (Xen. Cyrop.
1, 3, 3). Als er später die Waffen gegen die Meder und Hyrkanier
erhoben und deren geschwinde Reiterei hatte bekämpfen müssen, da
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32 Das Pferd.
empfahl er den Seinigen, von nun an auch das Ross zu besteigen
und gleichsam beflügelt dem Feinde sich entgegen zu schwingen.
Auf die wohlgesetzte Ansprache voll attischer Beredsamkeit, die ihm
Xenophon, Cyrop. 4, 3, bei dieser Gelegenheit in den Mund legt,
erwiedert einer der Grossen, Chrysantas, mit einer beistimmenden
Rede, und seit jenen Tagen, setzt Xenophon hinzu, halten es die
Perser so, dass kein Vornehmer und Gebildeter, ovöelg tuiv xakoßv
xayai^iüv^ jemals freiwillig zu Fusse gehend erblickt wird. Daher
auf dem Grabmal des Darius, wie Onesikritos bei Strabo 15, 3, 8
berichtet, geschrieben stand, der König sei nicht nur ein treuer
Freund, sondern auch der beste Reiter, Schütze und Jäger gewesen
q>ikog fjv rolg q)iXoig' lunevg xat TO^oTr^g agiazog lyevo^rjv* xvvrjydiv
ixQavow Tiavta noielv i^dwdfirjv. Auch in diesem Punkt, wie in
den Staatsformen, der Kleidertracht, den Sitten und Lebensgewohn-
heiten bildeten sich die Perser nach den ihnen blutsverwandten
Medem, — nach babylonischem Muster nur, in so fem dies schon
früher in Medien gewirkt hatte. Das Ross als ein heiliges, verehrtes
Thier, als weissagerisch, als Opfer für den Lichtgott, der Wagen
des grossen Königs mit lichtweissen Rossen bespannt, die Unsterb-
lichen auf weissen Rossen daher sprengend, die Heldennamen, die
Namen der üntergötter mit dem Worte ofpa das Pferd zusammen-
gesetzt — dies Alles ist modisch und baktrisch und wurde auch
Glaube der Perser, Strab. 11, 13, 9: „Die ganze jetzt persisch ge-
nannte Kriegsordnung und die Vorliebe für das Schützenwesen und
für die Reitkunst und der das Königthum umgebende Dienst und
Prunk und die dem Herrscher von den Beherrschten gewidmete
gottähnliche Ehrfurcht, Alles dies ist aus Medien zu den Persem
gekommen." Medien war das Land der Pferde, woher sie ganz
Asien bezog; es war dazu geeignet, theils der natürlichen Beschaffen-
heit mancher Oertlichkeiten, theils der angeborenen Neigung seiner
Bewohner wegen ; es bildete selbst den Uebergang von Iran zu Turan,
d. h. von den ansässigen zu den reitenden Völkern iranischen Blutes.
Medien, sagt Polybius, 10, 27, zeichnet sich durch die Vorzüge
seiner Menschen wie seiner Pferde aus; durch die letzteren steht es
ganz Asien voran, daher auch die königlichen Stutereien in dieses
Land verlegt waren." Auch Strabo rühmt Medien und das an-
grenzende Armenien wegen seiner Rossezucht, 11, 13, 7: „Beide
Länder, Medien und Armenien, sind ausnehmend reich an Pferden;
auch giebt es dort eine Wiesengegend Hippobotos, durch welche die
Reisenden hindurchkommen, die von Persis und Babylon zu den
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Das Pferd. 33
Kaspischen Thoren wollen: in dieser sollen zur persischen Zeit fünf-
zigtausend Stuten geweidet, die Heerden aber dem Könige gehört
haben. ** In Medien war es, wo die berühmten nisäischen oder
nesäischen Rosse gezogen wurden, von denen das ganze Alterthum
redet, zuerst Herod. 7, 40: „in Medien liegt eine weite Ebene, deren
Name Nesaion ist: diese Ebene trägt die (nach ihr benannten) grossen
Pferde.** Strabo lässt sie von jener Wiese Hippobotos ausgehen
und versetzt sie auch nach Armenien, 11, 13, 7: „die nesäischen
Pferde, die als die besten und grössten den persischen Königen dien-
ten, stammen nach den Einen von hier, nach den Andern aus Ar-
menien", 11, 14, 9: „so sehr ist Armenien mit Pferden gesegnet,
dass es hierin Medien nicht nachsteht und die nesäischen Pferde,
deren sich die persischen Könige bedienten, auch hier vorkommen;
auch schickte der Satrap von Armenien dem Perser jedes Jahr
zwanzigtausend junge Thiere zu dem Mithrasfeste". Die nisäischen
Pferde waren schnell, wie die heutigen turkmenischen, und Aristote-
les, h. a. 9^ 50, § 251, rühmt den hyrkanischen Dromedaren nach,
wenn sie sich in Lauf setzten, thäten sie es sogar deu nisäischen
Pferden zuvor, also den geschwindesten aller Pferdie. Sie waren von
eigenthünilicher Bildung, wie die bei den asiatischen Griechen zu
Strabos Zeit parthisch genannten Thiere (Strabo 11, 13, 7). Ammia-
nos Marcellinus hatte so berittene Kämpf erschaaren selbst gesehen,
23, 6, 30: sunt ajmd eos (Medos) prata virentia: fetus equarum no^
bümm quibtcs (ut scriptores antiqui docent, nos quoque vidimtis) in-
euntes proelia viH summa vi vehi easultantes solent quos Nesaeas
appeUant Nisäa selbst ist ein Orts- und Landschaftsname, der in
Cis- und Transoxanien hin und wieder vorkommt und ohne Zweifel
eine appellativische Bedeutung hatte. Nach Strabo 11, 7, 2 war
Nesäa ein Theil Hyrkaniens oder auch, wie Andere sagten, ein Land
for sich, und der Ochus floss durch dasselbe, wie auch Ammianus
Marc. 23, 6, 54 in Hyrkanien eine Stadt Nisea kennt. In Parthien
lag eine Landschaft Nisäa, wo von den Macedoniem Alexandropolis
gegründet war, Plin. 6, 113: regio Nisiaea Parthyenes nobilis^ ubi
Alexandropolis a conditore^ und die Stadt Parthaunisa, in der der
Name Parthiens und der Parther nicht verkannt werden kann, führte
nach Isidor von Charax 12 Müller bei den Hellenen auch den Namen
Niaaia. Ptolemäus 6, 10, 4 imd 8, 23, 6 hat in Margiana einen
Ort Niaaia oder Ngyaia^ nördlich von Aria sogar ein Volk der
Nisaer, Nioäloi (6, 17, 3). Nach den Glossarien des Hesychius und
Soidas (unter Nrjaaias ^Ttnovg und ^'Innog Ntaalog) liegt zwischen
Tiet Hebn, Kaltnrpfljuizeo. 3
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34 Das Pferd.
Susiana und Baciriana eine Gegend, deren Name griechisch N^aog
oder Nlang wiedergegeben wird. Ja, selbst in den altpersischen und
altbaktrischen Denkmälern ist dieser Name noch erhalten: in der
grossen Dariusinschrift von Behistun oder Bisitun wird eine Land-
schaft Ni^ya in Medien genannt und im Vendtdäd im obem Thal
des Margos (Murghäb) zwischen Bäkhdhi (Balkh) und M6uru (Merw)
eine Ortschaft Ni^aya (s. Justi, Handbuch S. 173, Spiegel Commen-
tar zu der St.: „Wir wollen bloss bemerken, dass offenbar der Name
Ni9äya im alten Iran ein ziemlich häufiger war und an verschiede-
nen Orten vorkommt.") Die nisäischen Pferde weisen demnach in
das Grenzland zum heutigen Turkestan hin, von wo zu aller Zeit die
Einbrüche der Nomaden in das orientalische Kulturland ergangen
sind. Hier bis an den Jaxartes oder Tanais (beide Namen des
Flusses sind iranisch) und drüber hinaus lebten jene auf flüchtigen
Rossen umherschweifenden Völker, die im stetigen üebergang auch
im Norden des kaspischen und schwarzen Meeres bis zum europäi-
schen Tanais imd zum Borysthenes und Ister reichen: die Parther,
die Massageten, die Daher und Chorasmier, die Sarmateu und Scythen
u. s. w., mit einem Gesammtnamen Saker genannt. Wie diese Völ-
ker alle auf und mit ihren Rossen leben, wie sie als iTiTzoToSotai
reitend ihre Pfeile versenden, wie ihre Rosse, gleich den heutigen
turkmenischen, die weitesten Strecken flüchtig zurücklegen, ist von
den Alten häufig mit mehr oder minder Ausführlichkeit geschildert
worden. Just. 41, 3 (von den Parthern): equis omni tempore vectan-
tar, Ulis bella^ Ulis convivia^ Ulis publica ac privata officia obeunt:
super illos ire, consistere^ mercari^ colloqui^ hoc denique discrimen inter
servos liberosque est^ quod servi pedibus^ liberi non nisi equis incedunt
Von den Neu-Parthern, gegen die der Kaiser Alexander Severus
zog, giebt Herodian 6, 5, 9 folgendes Bild: „Sie brauchen ihre Bo-
gen und Pferde nicht bloss zum Kriege, wie die Römer, sondern
wachsen mit ihnen von Kindesbeinen auf und verbringen ihr Leben
auf der Jagd; den Köcher legen sie niemals ab und steigen nicht
von den Pferden, sondern brauchen sie immer, sei es gegen Feinde
oder gegen Jagdthiere." (Ganz ähnlich malt es in Versen Dionys.
Perieg. v. 1044 ff.) Die Daer ritten durch die weiten, wasserlosen
Wüsten, erst nach langen Strecken Rast machend, und überfielen
Hyrkanien und Nesäa und die Ebenen Parthyäas (Strab. 11, 8, 3).
Die Reiterei der Saken war die vorzüglichste im persischen Heere,
Herod. 9, 71: „unter den Barbaren zeichnete sich das Fussvolk der
Perser und die Reiterei der Saken vor den übrigen aus." Als
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Dts Pferd. 35 .
Xerxes nach Thessalien kam, dessen Pferde vor allen griechischen
im Rufe blanden, machte er Wettversuche zwischen diesen und den
von ihm mitgebrachten und die seinigen zeigten sich bei Weitem
überlegen (Herod. 7, 196). Bewunderungswürdig war die Fähigkeit
dieser Pferde, dürre Wüsten in langen Tagereisen zu durcheilen,
Propert. 5, 3, 35:
Et disco^ qua parte fluat vincendus Araxes,
Qaod sine aqua Parthus milia currat equus,
Kaiser Probus hatte von den Alanen oder einem andern dortigen
Volke ein Pferd erbeutet, äusserlich ganz unansehnlich, das aber
hundert Meilen täglich laufen und dies acht bis zehn Tage nach ein-
ander wiederholen konnte, Vopisc. Prob. 8: qui quantwm captivi h-
qudxmtur centum ad diem milia currere diceretur^ ita ut per dies octo
vel decem conünuaret Doch auch Heerden schönen Schlages müssen,
wie in Medien, von den scythischen Fürsten gehalten worden sein,
denn König Philipp, Vater Alexanders des Grossen, nahm den Scythen
an der Ister-Mündung 20,000 edle Stuten ab und schickte sie zur
Zucht nach Macedonien, Justin. 9, 2, 6: (a Philippe) viginti milia
nobäium equarum ad genus faciendum in Macedoniam missa. Um-
gekehrt werden die Pferde der Sigynnen, welches Volk zwar Hero-
dot in die Striche nördlich vom Ister versetzt, das aber in der That
viel weiter nach Osten am kaspischen Meer hauste, noch in man-
chen Zügen dem wilden Tarpan der Tartarei und Mongolei ähnlich
beschrieben: sie sind behaart, die Haare haben 5 Zoll Länge; sie
siod stumpfnasig und so klein, dass sie keine Reiter tragen können:
daher sie vor Wagen gespannt werden, mit denen sie sehr geschwind
laufen (Herod. 5, 9. Strab. 11, 11, 8). Die Sigynnen waren kein
türkischer Stamm, denn es wird ihnen ausdrücklich modische Her-
kunft, Sitte und Tracht zugeschrieben, aber ihre Thiere waren noch
auf der ältesten Stufe verblieben oder auf dieselbe zurückgesunken,
während die der übrigen sakischen Reitervölker durch Rücknahme
von den grasreichern, klimatisch mildem medischen Strichen eine
veredelte Bildung gewonnen hatten. Ursprünglich aber waren auch
die medischen aus Turan gekommen, der Heimath der nordöstlichen
Zweige des grossen iranischen Stammes, die, so weit das Licht der
Geschichte reicht, als Reitervölker erscheinen. Da nun auch der
ürsitz des indo-europäischen Central volkes in jener Gegend oder ihr
nahe zu denken ist^ so stehen wir hier vor unserer eigentlichen Frage:
waren es schwärmende Reiterschaaren, gleich den Turaniern der
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36 Das Pferd.
ältesten Geschichte, die sich von jenem Centralvolk ablösten und über
Europa hereinbrachen, oder erhielten die Ausgezogenen das gezähmte
Ross, gleich Assyrem und Aegyptern, erst nachmals aus der einst ver-
lassenen Heimath im Quellgebiet des Oxus und Jaxartes?
Dass die Indogermanen das Ross kannten, wird unwiderleglich
durch den Namen desselben^ akva^ bewiesen, der bei allen Gliedern
dieser Familie wiederkehrt, nur je nach Zeit und Mundart etwas ver-
schieden gesprochen: sanskr. a^cu, zendisch und altpersisch a^pa^
litauisch aszva die Stute, preussisch asvinan Stutenmilch, altsächsisch
ehuscalc der Pferdeknecht, angels. eoh^ altn. i&i\ gothisch vielleicht
aihvs^ aihvuSy altirisch eck, altkambrisch und gallisch ep (z. B. in
Epona Pferdegöttin), lat. equus^ griech. %nnog^ Ixxocr (nur in den
slavischen Sprachen verloren). Dieser Wortstamm wird allgemein
von der Wurzel ak^ eilen, streben, abgeleitet: das Pferd hiess so von
seiner Schnelligkeit, sowohl an sich, als vielleicht im Gegensatz zu
dem schwerwandelnden Ochsen. Die Vorstellung des Rosses als des
flüchtigen, geschwinden Thieres wirkt noch lange in manchen Mythen
und in der Dichtersprache nach. Die Sonne eilt schnell am Himmel
dahin, darum wird ihr von Persem und Massageten das schnellste
Thier, das Pferd, geopfert, Ov. Fast. 1, 385:
Placat equo Persis radiis Hyperiona cinctum^
Ne detur ceUri victima tarda Deo,
Herod. 1, 215 (von den Massageten): „als Gott verehren sie allein
die Sonne, der sie Pferde opfern. Der Sinn dieses Opfers ist fol-
gender: dem schnellsten aller Götter theilen sie das schnellste aller
irdischen Geschöpfe zu." Die Sonne ist bei Homer unermüdlich,
axcf/iac, eben so Notus und Boreas bei Sophokles, Trach. 112, so
aber auch die Rosse vor dem Wagen bei Pindar, Ol. 1, 87;
Den goldnen Wagen und die beflügelt unermudlicheD Rosse.
Das Ross verschmilzt in der Anschauung mit dem Sturm, so beson-
ders deutlich in der Dichtung von Boreas, der des Erichthonius
Stuten befruchtet: die Rosse fliegen dahin, ohne die Aehren des Fel-
des zu knicken, sie streifen über den Eamm der Brandung des grauen
Meeres, II. 20, 226:
Diese, so oft sie spriDgend ein Feld mit den Füssen berührten,
Streiften die nickenden A ehren im Flug und zerknickten den Halm nicht.
Sprangen sie aber dahin auf mächtigem Rucken des Meeres,
Netzten sie leise den Huf in der brandenden Spitze der Wellen.
Die Rosse sind nicht bloss wxeec, dxvniteig^ loxiinodeg, nodcixeegy
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Das Pferd. 37
aegalnodeg, nddag aiokoi^ sie heissen stürmisch, sturmfiissig, aekkd-
dsg, asXkonodeg^ bei Vergil cUipedes^ sie sind ftaQyoi d. h. rasend
(in dem alten Orakel ans der Mitte des 7. Jahrhunderts), schneller
als Habichte, ddoaoveg Iq^xwv^ schnell wie Vögel, nodcoxeeg oQVi^
x^Bg äg. Die Rosse des Rhesus glichen im Laufe den Winden,
&Bisiv d* dvd^oioiv o/noioi^ und die des Achilleus waren Söhne des
Zephyr und der Harpyie Podarge (d. h. der Schnellfussigen; die
Harpyien sind verderbliche Windstösse), sie flogen mit dem Wehen
des Windes, und eins derselben spricht selbst, II. 19, 415:
Wir wohl liefen sogar mit des Zepbyros Hauch in die Wette,
Dem nichts Anderes gleicht an Geschwindigkeit
Ja Aeolus, der Herrscher der Winde, selbst ist ^Innoxadrjg, Sohn
des Hippotes oder des Reiters. Wie bei den Griechen, erscheint
aach in den Naturbildem der nordischen Edda der Wind und Sturm
hin und wieder als Ross. Den Odin, den Gott des wehenden Ele-
ments, tragt sein graues, achtfüssiges Ross Sleipnir; der Winter, als
Riese gedacht, will den Göttern die Burg bauen, und dabei hilft
ihm sein Ross Svadilfari, d. h. der Nordwind, aber ehe der Eis-
palast ganz fertig ist, verwandelt sich Loki in eine Stute, den Sud-
wind, die nun jenes erste Pferd von der Arbeit ablenkt: so ist das
Werk des Riesen im Frühling unvollendet und der Donnergott zer-
schmettert ihm mit dem Hammer den Schädel u. s. w. Auch in
der deutschen Sage von der wilden Jagd, an deren Spitze Wuotan
auf weissem Rosse dahinfährt, ist es nur der nächtliche Sturm, der
sich in Ross und Reiter verwandelt hat. Mit diesen alten Vorstellun-
gen mag es zusammenhängen; wenn in der römischen Zeit allgemein
geglaubt wurde, in Lusitanien am Ufer des Oceans würden die Stuten
vom Winde trächtig: Varro, der zuerst davon spricht, nennt es ein
unglaubliches, aber dennoch wahres Factum, 2, 1, 19: In foetura res
mcredibüü est in Hispania, sed vera, qtcod in Lusitania in ea regione^
vbi est oppidum Olysippo, monte Tagro^ quaedam e vento certo tempore
concipiunt equae. — War nun solchergestalt das Pferd dem ürvolke
bekannt und lebte es in dessen Vorstellung als das flüchtige, ge-
schwinde, so dass auch der Name, den es trug, nach diesem Ein-
druck gebildet war — so können wir es uns im Verhältniss zum
Menschen auf dreifacher Stufe denken, entweder als blosses Jagdthier,
das blitzschnell vorüberschoss und darum schwer zu erreichen war,
oder als Reitthier, das wie in späterer Zeit den herumstreifenden
Nomaden rasch zum Ziele trug und auf dem er die weidende fort-
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38 Das Pferd.
getriebene Heerde umkreiste, oder endlich auch vor den Karren ge-
spannt, die Kibitke ziehend und der Umsiedelung dienend. Letzteres
aber ist schon nicht wahrscheinlich, da es dabei nicht auf die Ge-
schwindigkeit^ wie bei der Jagd und auf der Wache, sondern auf
die Kraft der Muskeln imd den starken Nacken ankam. Die Scythen,
ein Reitervolk, wie ihre Verwandten weiter nach Osten, fahren doch
bei Herodot und Hippokrates auf ochsenbespannten Wagen, und auf
dieselbe Art bewegen sich die Kriegs- und Wanderungszüge der
übrigen europäischen Völker, zu der Zeit wo sie uns zuerst historisch
zu Gesichte kommen. Als die Kimbern die Schlacht gegen die
Römer verloren sahen, da warfen die Weiber, wie Plutarch Mar. 27
erzählt, ihre Kinder unter die Räder der Wagen und die Füsse der
Zugthiere, x(vv vTio^vyiwVy die Männer aber, weil in der Gegend sich
nicht genug Bäume zum Aufhängen fanden, banden sich mit den
Gliedern an die Beine oder die Homer der Ochsen, trieben diese
nach entgegengesetzter Richtung und Hessen sich so in Stucke reissen.
Der Ochsen wagen erscheint bei religiösen und politischen Feierlich-
keiten, als Rest uralter Tradition, in einer im Uebrigen veränderten
Zeit. Die Göttin Nerthus bei Tacitus fahrt in einem mit Kühen be-
spannten Wagen, eben so die altgallische Göttin, die Gregor von
Tours Berecynthia nennt (Grimm DM* 234). Wenn ein Verstorbener
den Weg der Hei (goth. Halja) zum Grabe fahrt, wird der Leichen-
wagen von Rindern gezogen. Auch Könige fahren mit Ochsen in
die Volksversammlung und überall hin, wo sie sich öffentlich zeigen,
so die merovingischen (Grimm RA. S. 262 f.), eben so königliche und
edle Frauen. Der taurus regt» wird im salischen Gesetz mit der
höchsten Gomposition gebüsst, mit einer höheren, als das edelste
Pferd, der varannio regis. Auf der Antoninsäule werden zwei ge-
fangene Fürstinnen auf einem mit Polstern belegten Wagen von
einem Ochsen gezogen, daneben schreitet ein bärtiger Mann, die
Hände auf den Rücken gebunden, von zwei römischen Soldaten
eskortirt. Dies ist normal: Frauen und Kinder auf dem Ochsen-
wagen, Männer zu Fuss. Auch bei Griechen und Römern haben
sich Spuren der ältesten Zeit erhalten, wo das Rind das allgemeine
Zugthier war. Die Erfindung des Wagens und die Zähmung des
Stieres werden zusammengedacht, Tibull. 2, 1, 41 :
Uli etiam tauroa primi docuisse feruntur
Servüium et plausiro suppoauüse rotam.
Aus der röhrenden Fabel von Cleobis und Biton, die Solon bei
Herodot dem König Crösus erzählt, ersehen wir, dass die Priesterin
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Das Pferd. 39
der argivischen Hera von der Stadt zum Tempel auf einem Ochsen-
wagen zu fahren gewohnt war. Auf eben solchem Wagen musste
nach dem Spruche des Zeus Cadmus mit der Harmonia aus Theben
zu den Barbaren fliehen, Eurip. Bacch. 1333:
oxov de ft6ax(ov^ XQ^^f^^S ^S Xiyei ^log,
fl^g fiBX aXoyovy ßoQßaQiov j^yovfievog —
und gründete in Illyrien die Stadt Bov&orj^ die nach diesem Um-
stand benannt war (Steph. Byz. s. v.). Bei Verrichtungen im Hause,
auf dem Felde, bei ländlichem Verkehr dient nur der Ochse; vor
den Pflug wird nur der Ochse gespannt; ein Haus, ein Weib und
der Pflugochse bilden die Grundlage der bäuerlichen Wirthschaft,
Hesiod. Op. et d. 405:
Erst Tor Allem ein Haus und ein Weib und ein pflügender Ochse.
Wer keinen Ochsen hat, der kann keine Last bewegen und er spricht
wohl zum Nachbar: gieb mir ein Paar Ochsen und deinen Wagen,
aber Jener erwidert: meine Ochsen haben für mich zu arbeiten, 453:
Leicht ist das Wort: zwei Ochsen gewähr mir, Freund, und den Wagen,
Leicht ist die Weigerung auch: die Ochsen sind eben in Arbeit
Ein Sprichwort sagte: ^ SiiaSa tov ßnvv^ der Wagen zieht den
Ochsen, d. h. es ist die verkehrte Welt. Der Ochse als Arbeits-
genosse des Menschen ist daher unverletzlich wie der Mensch selbst,
Varr. de r. r. 2, 5: bos socius hominum in rtcsHco opere et Cereris
minister. Ab hoc antiqui manus ita abstineri voluerunt^ ut capite
sanxerint si quis occidisset Plin. 8, 180: socium enim laboins offriqtte
cuUurae kabemus hoc animal tantae apud priores curae ut sit inter
exempla damnatus a populo Romano die dicta qui . . . occidet^at bovem^
actusque in eamlium tamquam colono silo interempto, Ael. V. H. 5, 14:
^Und dies war bei den Attikern Brauch: den Ochsen, der das Joch
tragen und vor dem Pfluge oder dem Wagen sich anstrengen musste,
nicht zu opfern, denn auch dieser war ja ein Landmann und theilte
die Arbeit und Mühe des Menschen." Spruch des Pythagoras: Lasse
die Hand vom Pflugsticr, ßoog aQoiTjQog antxeoxtai. — Das Pferd
dient auch bei den homerischen Griechen nur zum Kriege und zwar
ganz wie bei den orientalischen Völkern: wie bei diesen und auf
ihren Bildwerken wird auch in der epischen Welt mit dem Pferde
gefahren, nicht auf demselben geritten. Das Letztere zwar ist den
homerischen Dichtem nicht gänzlich unbekannt, wie wäre dies auch
möglich? Als der Seesturm dem Dulder Odysseus das Floss, das er
sich auf der Insel der Kalypso gezimmert, zerbrach, da rettete er
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40 Das Pferd.
sich auf einem Balken, auf dem er nim sass, wie auf dem Rücken
des Kenners; als Diomedes und Odysseus Nachts die Rosse des Rhesus
entwandten, da wollte Ersterer auch den Wagen des erschlagenen
Königs aufheben und forttragen, aber auf den Rath der Athene zogen
die Helden es vor, die Thiere zu besteigen und mit ihnen zu den
Schiffen zurückzueilen. Dies ist unter den geschilderten Umstanden
das Natürliche; wie oft musste der Bube, der die Rosse zur Tranke
führte, ein Gleiches vor Aller Augen gethan haben ! Wie von selbst
ergiebt sich auch die Scene, die H. 15, 679 geschildert wird: ein
Mann hat aus der im Freien weidenden Heerde vier flüchtige Renner
ausgewählt: er hat sie längs der Heerstrasse in die Stadt zu bringen,
sitzt auf und schwingt sich während des gleichstrebenden Laufes von
einem Rücken zum andern, zur Bewunderung der am Wege stehenden
Menge. Mit Ausnahme dieser wenigen Fälle, aus denen sich auf
kein wirkliches Reiten schliessen lässt, dient bei Homer das Ross
nur vor dem Wagen. Auf dem Gefilde vor Troja wird gekämpft,
wie auf den Wänden des Königspalastes von Kojundschik oder
Elhorsabad: leichte Streitwagen mit einer Achse und zwei acht-
speichigen Rädern, von zwei Rossen an der Deichsel bewegt, führen
den Helden in die Nähe der Feinde, dort springt er ab und schleudert
den Speer oder zieht das Schwert. Die Rosse halten unterdess, bis
der Zeitpunkt gekommen ist, ihn wieder zurück zu den Seinigen zu
tragen. Dabei hat der Streiter einen Freund und Genossen, den
x^eganwv^ als Rosselenker zur linken Seite stehn; während der Eine
den Wagen führt, ersieht sich der Andere in der Rüstung und mit
Schild und Lanze den Feind. Zuweilen rückt ein ganzes Geschwader
von Wagen zum Angriff vor: so im vierten Buch der Ilias, wo der
erfahrene Nestor die Seinigen so aufstellt, dass vom die Wagen, in
letzter Reihe als uoerschütterlicher Wall die Fusskämpfer, in der
Mitte die Schwachen stehen, und dann das Gebot giebt, kein Wagen-
lenker solle sich vordrängen, keiner zurückbleiben, so seien vor
Alters Städte und Mauern bezwungen worden, 308:
Dies war der Brauch der Alten, so stürzten sie Vesten und Mauern.
Wie die Griechen, kämpften auch die Trojaner und die Bundes-
genossen, die Uaiovcg oder Mrjovsg mnoxogvonai^ die 0Qvy€g
innodafioi und aloXonwXoiy und es ist kein Zweifel, dass die ganze
Eampfweise, so wie das dazu gebrauchte Ross selbst aus Kleinasien
stammte. Beinamen, wie die eben angeführten, oder wie InmoxaQ^iriq^
t^nnTjlara^ Taxvnwkoi^ evinnog^ evnwXog^ xXv%6nwXog^ xivrogeg
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Das Pford. 41
"luntjp^ nlfi^tnnog u. s. w. tragen ganz iranisches Gepräge. Ares,
der Eriegsgott, selbst kämpft entweder zu Fuss oder zu Wagen,
niemals als heranstürmender Reiter. Da im fünften Buch der Ilias
die verwundete Aphrodite zum Olymp eilen will, entleiht sie ihm
seinen Eriegswagen und seine Rosse, die sie pfeilschnell zum Götter-
stz tragen. Daher er auf dem Schilde des Herakles 191 ff. dar-
gestellt war, wie er die Lanze in der Hand hoch auf dem Wagen-
sessel stand, vor ihm die schnellen Rosse, schrecklich anzuschauen.
So heisst er auch bei Pindar Pyth. 4, 87: ^aixap^arog n6aig'A(fQ0'
ii^ag^ der mit ehernem Wagen fahrende Gatte der Aphrodite. Auch
ausser dem Kriege wird bei Homer das Pferd nicht zum Reiten be-
natzt. Dies erhellt z. B. aus dem dritten Gesang der Odyssee, wo
Telemachus und des Nestors Sohn Pisistratus von Pylos nach
Lakedämon quer durch den schwierigen, gebirgigen Peloponnes
stellend im Wagen fahren, nicht etwa auf und ab über die Ge-
birgspässe oder im kiesigen Bette der Bergwasser reiten. Und zwar
geschieht dies ganz in derselben Schirrung und Rüstung, wie bei
den Kämpfen auf dem troischen Gefilde, und neben dem Helden
steht Pisistratus, der die Zügel iührt und die Rosse lenkt. Da
später Menelaus dem Telemachus zum Abschiede drei Pferde mit
dazu gehörigem Wagen schenken will, lehnt Telemachus die Gabe
ab, indem er daran erinnert, dass in Ithaka weder weite Rennbahn
noch Wiese, ovt^ ag öqo^oi aigieg ovie %i Xei^tov^ sich finde, wie
in der Ebene, die Menelaus beherrsche: keine der Inseln, die im
Meer liegen^ ist mn^kaiog d. h. eignet sich zum Fahren im flüchtigen
Wagen, von allen aber Ithaka am wenigsten. Wer sich des Rosses
freuen will, der bedarf also nicht bloss fetter Wiesen, auf denen die
Heerde weide — und Erichthonius besass eine solche von drei tausend
Stuten, — sondern auch weiten Raumes, nolv nadiov^ und ebener
Wege, )uBiai 6doi\ um auf diesen mit rasch rollenden Rädern dahin-
zufliegen; auf ungleichem Boden mit steigenden und fallenden Ge-
birgspfaden, auf denen der Reiter wohl auf- und abklettert, ist bei
Homer das Ross von keinem Gebrauch. Auch bei den Leichen-
spielen der altem Zeit finden sich noch keine Wettrennen zu Pferde;
die im 23. Gesang der Ilias bei der Bestattung des Patroklus ab-
gehaltenen Spiele bestanden aus Wagenrennen, Faustkampf, Ringen,
Lauf, WafiFenkampf, Wurf mit der Kugel, Bogenschiessen, Speerwurf.
Auch auf der Lade des Eypselos, wo die vielberühmten von Akastus
am Grabe des Pelias veranstalteten Spiele, a^la im JlsUif^ die
Stesichorus besangen hatte, abgebildet waren, hatte der Künstler kein
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42 Das Pferd.
Pferderennen dargestellt, nur zum Ziele eilende Zweigespanne, Faust-
kampfer, Ringer, Diskuswerfer und Läufer. Aus dieser ältesten Zeit
sind uns, wenn überhaupt, doch nur ganz abstrakte Abbildungen des
Rosses aufbehalten: was uns an Darstellungen desselben aus der
spätem Zeit der beginnenden und vollendeten Kunstblüte verblieben
ist, zeigt nach dem ürtheil von Kennern den schlanken, orientalischen,
nicht etwa den nordischen und aus ferner Heimath hierher mit-
gebrachten Typus.
In dieser Hinsicht sind noch einige Züge des ältesten Kultus zu
erwähnen, die gleichfalls auf iranische Einwirkung hinweisen. Die
Perser verehrten die Flüsse durch Opferung von Pferden: als Xerxes
an den Strymon kam, schlachteten die Magier diesem Strome weisse
Pferde (Herod. 7, 113), und der Parther Tiridates versöhnte zu
Tiberius Zeit den Euphrat durch ein Ross, Tac. Ann. 6, 37: cum . .
ille (Tiridates) equum placando amni (Euphrati) adomasset Ganz
ebenso waren die Troer gewohnt, lebendige Rosse in die Wirbel des
Skamandros zu versenken, wie Achilleus sagt, II. 21, 132:
Auch in den Wirbel der Flut lebendige Rosse versenktet.
An der argi vischen Küste gab es mitten im Meere eine Quelle süssen
Wassers, ^elvrj oder Jivr]^ so genannt wegen des aufsteigenden
Wirbels, den sie bildete. In diese Dine pflegten die Argiver vor
Alters aufgezäumte Rosse zu stürzen, dem Poseidon zum Opfer
(Paus. 8, 7, 2). Auch die Rhodier warfen jährlich der Sonne ge-
weihte Viergespanne ins Meer, Fest. v. October cquus: Rhodii qui
quotannis quad^ngas soll consecratas in mare jaciunty eben so die
lllyrier jedes neunte Jahr, Fest. v. Hippius: cui (Neptuno) in lUytnco
quaternos equos jaciebant nono quoque anno in mare. Auch der Sonne
Pferde zu opfern, weisse Rosse — eine durch Kultur geschaffene
krankhafte Abart — als durch ihre Farbe dem Lichtgott geweihte,
dann überhaupt als Götterpferde und als königliche anzuschauen,
diese iranische Kultussitte und religiöse Phantasie findet sich hin und
wieder in Griechenland, selbst in Italien. Kastor und PoUux, die
beiden Lichtgötter, reiten auf schneeweissen Pferden und so erschienen
sie z. B., in Scharlachmäntel gehüllt, in der Schlacht der Grotoniateu
und Lokrer am Sagraflusse, den letztem Hülfe bringend, Justin. 20,
3, 8, Cic. de nat. deor. 3, 5; sie sind mit den heitern, glänzenden
Töchtern des Leukippos vermählt, in dessen Namen sein lichtes Wesen
wiederklingt; der Tag bei Aeschylus, Pers. 387, bei Sophokles, Aj. 672,
steigt mit weissen Pferden, IsvxoTKoXog^ auf und verdrängt den düstem
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Das Pferd. 43
Umkreis der Nacht u. s. w. Als der Agrigentiner Exaenetus als
Sieger heimkehrte, begleiteten ihn die jubelnden Mitbürger unter
Anderem mit dreihundert Wagen und weissen Rossen davor, Diod.
13, 82, und auch Camillus zog nach der Einnahme Yejis in einem
mit weissen Rossen bespannten Wagen triumphirend in die Stadt
ein, Plut Cam. 7, 1 und Liv. 5, 23, was von den Zeitgenossen als
ein UebergrifF des Menschen in das Recht und die Herrlichkeit
des Sonnen- und Himmelsgottes gerügt wurde. Die Lacedämonier
schlachten auf einem Gipfel des Taygeton dem Helios Pferde (Paus.
3, 20, 5, der noch hinzufügt: „ich weiss, dass auch die Perser die-
selben Opfer zu bringen pflegen**) — welcher Brauch nicht phönizisch
sein konnte, da die Phönizier das Pferd, das sie ohnehin aus der
Fremde bezogen, in ihrem Götterdienst nicht verwendeten. Vielmehr
deutet dieser Zug, wie alle früher erwähnten, auf Entlehnung von
den Iraniern Kleinasiens, und kam das griechische ürvolk wirklich
mit dem kleinen rauchhaarigen Steppenpferde in seine späteren Wohn-
sitze eingezogen, so haben sich wenigstens schon in der ältesten uns
erreichbaren Zeit alle Spuren davon verloren. Nicht ganz so verhält
es sich mit dem nördlich von Griechenland gelegenen Thrakien,
einem schon bei Homer rosseberühmten Lande. Man könnte Letzteres
zwar mythisch deuten; Thrakien wäre die Heimath der Rosse, wie
die der Nordstürme; aus dem thrakischcn Meer kommen die wilden
Wogen herabgestürzt, in dem Rosse aber wird der Sturm und die
sich bäumende, weiss mähnige Woge angeschaut und es ist daher auch
von Poseidon geschaffen und dient zu Uebungen und Spielen an den
Kultstätten dieses Gottes. Aber die thrakischen Rosse des epischen
Gesanges haben doch ein zu wirkliches und geschichtliches Ansehen;
die Thraker sind innonokoi^ Thrakien ist innoT{)6q)og (Hes. Op. et
i 507) und in dem alten Orakel aus dem siebenten Jahrhundert
werden die thrakischen Rosse hervorgehoben, Schol. zu Theoer. 14, 48:
7unoc 0QT^txiaiy ytaxeöaifioviai da yvvalxsg^
wo freilich statt OQrjtxiat eine andere' Ueberlieferung Qeaaalixai
nannte. Die Thraker standen frühe mit den gegen über wohnenden
Völkern Kleinasiens in Kultur- und religiösem Verkehr und in Rhesus
mit seinen Rossen, die weisser denn Schnee waren, seinem Wagen
und seinen Waffen, die zu tragen eher den Göttern, als den sterb-
lichen Menschen geziemte, — ist ein iranischer Lichtdämon nach-
gebildet, der daher auch im Dunkel der Nacht seiner Rosse und
seines Lebens beraubt wird. Aber wie Kleinasien wohnten die
Thraker auch dem Gebiet der nordischen Reitervölker nahe und der
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44 Das Pferd.
thrakische Schlag mochte dem Lande der liippomolgen ursprünglich
entstammen. Weiter lassen sich auch die zahmen Pferde der Slaven,
Litauer und Germanen leicht von denen der reitenden iranischen
Nachbarn ableiten. Von den Slaven bemerkt Tacitus ausdrücklich,
sie seien kein Pferdevolk, wie die Sarmaten, von deren Sitten sie im
Uebrigen viel angenommen, sondern hätten ihre Starke zu Fuss,
peditum usu ac pemicitate gaudent, und er rechnet sie deshalb lieber
zu den Germanen. Als sie später nach dem Abzüge der Deutschen
an die Elbe und Oder vorgerückt waren, da hören wir durch die
Geschichtschreiber des Mittelalters von einer Verehrung des Pferdes
bei ihnen, die uns lebhaft an die gleiche bei Iraniem erinnert. Dem
Svatovit, dem Lichtgotte, ist ein weisses Pferd geweiht, dem Triglav,
dem Bösen und Feindlichen, ein schwarzes; das letztere wird nie ge-
ritten, das erstere zuweilen von dem Priester bestiegen. Das Pferd
dient zur Vorbedeutung, es weissagt Glück und Unglück, die Tempel,
bei denen es gehalten wird, werden dadurch zu Orakelstatten. Auch
in der böhmischen ürsprungssage ist es ein dämonisches Ross, das
den Abgesandten der Libussa den Weg zum Premysl, dem aus-
erkorenen Herrscher, weist. Dieser Gegensatz von Licht und Dunkel
und die Heiligung des Rosses wird, so gut wie der Name Gottes,
bogu^ von den sarmatischen und alanischen Nachbarn gekommen
sein. — Auch die Litauer finden wir in alten Zeugnissen als Hippo-
molgen d. h. als Trinker der Pferdemilch, eine Sitte, die, bei den
Germanen unbekannt, von den Reitern der südrussischen Steppen
bis an die Ostsee sich weiter verbreitet hatte. Wulfstan bei König
Alfred (Antiquit^s russes U, p. 469) berichtet: „bei den Esten (d. h.
den Preussen) giebt es so viel Honig, dass der König und die
Reichen den Meth den Armen und den Knechten überlassen, selbst
aber Stutenmilch trinken." Adam. Brem. 4, 18: (Serobi vel Pruzzi)
cames jumentorum pro cibo sumuni^ qtuyrum lacte vel a^uare utuntur
in potu, ita ut ineh'iari dicantur, und Peter von Dusburg, III, cap- 5
(Scriptores rerum pruss. 1, p. 54): pro potu hahent simplicem aquam
et mellicratum seu medonem et lac equarum^ quod lac quondam non
biberunt nisi prius sanctificaretur, alium potum antiquifi temporiims
non noverunt Auch bei ihnen also, wie bei den Iraniem, wurden
die Stuten in grossen Heerden gehalten und diese dann umzingelt
oder herangetrieben, um gemolken zu werden, — eine Operation, die
Anfangs schwierig war, an die sich aber die Stuten, besonders wenn
das Tränken damit verbunden wurde, zuletzt gewöhnten, und die
so gewonnene Milch wurde auch hier, wie am Tanais, durch Gährung
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Das Pferd. 45
in ein berauschendes Getränk umgesetzt, dessen sich vorzugsweise
(He Vornehmen bedienten: auch aus dem letzteren Zuge schliessen
wir, dass die Pferdezucht eine der Fremde entlehnte Kunst war.
Dass auch die Gothen in Schweden, wie die Semben in Samland,
sich mit Stutenmilch berauschten, scheint zwar das Scholion 129 zu
Adam von Bremen zu sagen: hoc tcsqtte hodie Gothi et Sembi facere
dicuntur^ quos ex lacte jumentorum inebriari certum est^ allein das
Melken der Stuten ist bei reinen Germanen nie Brauch gewesen und
90 wird sich der Scholiast wie wir mit Grimm, Gesch. d. d. Spr. 721,
annehmen, unter Gothi et Sembi wohl Samogeten gedacht haben,
üebrigens hatte die an den Gegensatz des weissen und schwarzen
Pferdes geknüpfte reUgiöse Symbolik auch bei den Preussen Eingang
gefunden, Peter von Dusburg 3, 5: Prussorum aliqui equos nigros^
qmdam aün colarü^ propter Deos auos non audebant aliqualiter
equitare. — Bei den Germanen tragt der dem Rosse gewidmete
Kultus gleichfalls einige ganz iranische Züge; die Pferde besitzen
die Kraft der Weissagung, sie werden den Göttern geopfert, sie
ziehen den heiligen Wagen, die weisse Farbe gilt für die heiligste,
wie bei Persem, Scythen, den Venetem, die nach Strab. 5, 1, 9 dem
Diomedes ein weisses Pferd opferten u. s. w. Die römischen Beur-
theiler erklaren das germanische Pferd für gering und unedel: bei
Cäsar sind die junienta der Germanen parva atque deformia^ bei
Tscitus die equi derselben non forma^ non velodtate conspicui^ aber
nach dem Erstem waren sie so gewöhnt, dass sie viel leisten konnten,
mmm ut mit laborü. Der Schlag mochte dem ursprünglichen, wie
Um die Steppe geboren hatte, noch nahe stehen: sagt doch Strabo
von den Pferden am Borysthenes und an der Mäotis fast dasselbe,
was Cäsar von den germanischen, 7, 5, 8: „sie sind klein, aber sehr
schnell (p^eig) und unbändig (^dvgneid^eic).^ Im Uebrigen war auch
der germanische Mann, wie der slavische, fester auf den Füssen als
zü Ross, Tac. Germ. 6: in Universum spectanti plus penes peditem
i^iboris^ einzelne Stamme vielleicht ausgenommen, die mit iranis*chen
Völkern auf dem Steppenboden enge Gemeinschaft gemacht hatten,
wie die Quaden mit den jazygischen Sarmaten, Amm. Marc. 17, 12, 1:
permistos Sarmatas et Quados^ vicinitate et svmilitudine moru^n arma-
^aec^ concordes. Von den nach der entgegengesetzten Seite hin
wohnenden Germanen, den nach Britannien gezogenen Angeln und
den Warnen, die er sich am Niederrhein denkt, will Procopius wissen,
das Pferd sei ihnen gänzlich unbekannt, de b. g. 4, 20: „Diese Insel-
bewohner sind kriegerischer, als die andern Barbaren, von denen wir
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46 Das Pferd.
wissen, liefern aber ihre Treffen immer zu Fuss. Ja sie kennen das
Ross nicht einmal von Angesicht and auf der Insel Brittien kommt
dies Thier gar nicht vor. Gelangt einer von ihnen auf einer Ge-
sandtschaft oder sonst wie zu Römern oder Franken oder sonst wo
hin, da ist er nicht im Stande, selbst aufzusteigen, sondern muss
hinaufgehoben, und eben so, wenn er absteigen will, auf die Erde
hinabgesetzt werden, und eben so sind auch die Warnen keine
Reiter, sondern alle nur Fussgänger." Für die Zeit, von welcher
Procopius spricht, ist dies sehr unwahrscheinlich: vielleicht bezogen
sich die Nachrichten, die er benutzte, auf die Moorgrunde des Nord-
westens, die für Pferde allerdings unwegsam waren und sind. Statt
der Angeln hätte er dann die Friesen und statt Brittien eine der
Flussinseln des Festlandes nennen sollen. Aber die Bataver, die
Bewohner der Rheininsel, galten gerade für die besten Reiter unter
den Germanen, Cass. Dio 55, 24: xQatiavoi innavetv^ Plut. Oth.
12, 4: r€(ffnavcüv Innsig (xQiatoi^ die bewafl&iet mit ihren Pferden
über den Rhein schwammen, Tac. Hist. 4, 12: eques^ praecipuo nandi
studio^ arma equosque retinens inteff)^ turmis Rhenum perrumpere. —
Auch das kaledonische Pferd wird als klein und unansehnlich ge-
schildert, war also dem germanischen verwandt und stellte auf der
isolirten Insel den altkeltischen Schlag dar, der in Gallien längst
gekreuzt und veredelt war, Cass. Dio 76, 12 (von den Caledoniem):
„sie haben kleine und schnelle Pferde, gehn aber auch zu Fuss und
laufen sehr schnell und halten im Kampf sehr festen Stand." Also
auch die Caledonier sind geschwinde Läufer, wie die Germanen und
die Wenden im Gegensatz zu den Sarmaten: die Reiterei ist bei
diesen Völkern nur eine untergeordnete HilfswafiFe. Ja der Reiter
bedarf eines flüchtigen, starken Kampfgenossen zu Fuss, der ihn be-
gleitet und ihm in entscheidenden Momenten zu Hülfe kommt. Aus-
führlich schildert Cäsar diese Combination von Ritt und Lauf bei
den Germanen, de b. g. 1, 48: „Es waren (im Heere des Ariovistus)
sechstausend Reiter und eben so viel sehr schnelle und kräftige
Kämpfer zu Fuss, die Jene sich um ihres Heils willen, suae salutis
catcsa^ aus der ganzen Menge ausgewählt hatten, und mit denen sie
während der Schlacht im Verkehr standen. Zu diesen zogen sich
die Reiter zurück; wurde an einem Punkte der Kampf schwierig, so
eilten die Fussgänger zur Unterstützung herbei; war ein Reiter ge-
troffen und sank vom Pferde, so umstanden sie den Verwundeten:
handelte es sich darum, weiter vorzusprengen oder rasch sich zurück-
zuziehen, so war ihre durch üebung gewonnene Geschwindigkeit so
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Das Pferd. 47
gross, dass sie die Mahne fassend mit den Pferden Schritt hielten."
Tacitos bestätigt dies in seiner gedrängteren Redeweise, Germ. 6:
eoKfte (pedite) mixü proeliantur apta et conffruente ad equeBtrem jmgnam
tebcitate peditMin^ quos ex omni juventute delectos ante aciem locant
Schon lange vorher waren auch die Bastarnen gewohnt, solche Neben-
kämpfer zu Fuss, die bei Plutarch naQaßarai heissen, zu gleicher
Zahl unter ihre Reiter zu mischen, Liv. 44, 26: veniebant decem milia
0pdhim^ par numerus peditum^ et ipsorum jungentium cursum equis,
et in vicem prolapsorum equitum vaaios capientium ad pugnam equos^
and dass auch die Gallier, die den späteren Germanen immer ähn-
licher werden, je weiter wir in ihrer Geschichte hinaufgehen, sich
aof ihre Reiterei allein nicht verliessen, sondern diese gern durch
kräftiges Fussvolk unterstützten, lehren einzebie Erwähnungen, wie
Cäs. d. b, g. 7, 80. Es war also allgemein nordeuropäische Sitte,
TOD Gallien bis zur Istermundung. Zwar wird auch bei den süd-
lichen Völkern hin und wieder von einer ähnlichen Kampf weise be-
richtet, die aber, genauer betrachtet, dennoch anderer Natur war.
Die Iberer ritten zu zwei auf dem Pferde in die Schlacht und dann
kämpfte der eine von beiden zu Fuss (Strab. 3, 4, 18), und von
den Keltiberen sagt Diodor 5, 33, sie seien difxdxat^ d. h. wenn sie
zu Pferde mit Erfolg gekämpft, sprängen sie ab und lieferten zu
Fuss erstaunliche Gefechte. Aehnlich war der taktische Kunstgriff,
den nach der Erzählung des Livius 26, 4 und des Valerius Maxi-
mus 2, 3, 3 die Römer einmal im zweiten punischen Kriege an-
wandten: als Capua von ihnen unter Q. Fulvius Flaccus belagert
wurde und die römische Reiterei, an Zahl schwächer, gegen die der
Belagerten sich nicht halten konnte, erdachte der Centurio Q. Navius,
um diesem beschämenden Verhältniss ein Ende zu machen, folgenden
BeheK. Es wurden aus allen Legionen die kräftigsten und beweg-
hchsten Jünglinge ausgewählt und mit langen Speeren bewaffnet,
diese setzten sich hinter den Reiter aufs Pferd und sprangen bei
gegebenem Zeichen ab, so dass sich gleichzeitig mit dem Reiter-
kampf ein Kampf zu Fuss entwickelte; das Unerwartete der Scene
und die beigebrachten Wunden zwangen von da ab die feindliche
Reiterei zur Flucht. Die Angabe dazu hatte, wie gesagt, der Cen-
surione Navius gemacht, auctorem peditum equiti immiscendorum cen-
tmoTiem Q. Navium ferunt: es war aber wohl nicht seine eigene
Erfindung, sondern von ihm bei den Barbaren oder auch den Grie-
chen gesehen oder ihm durch Hörensagen kund geworden. Nach
Pollux 1, 132 hatte Alexander der Grosse eine Art Reiter, dii-iaxai^
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48 I>as Pferd.
erfunden, die leichter bewaflnet waren, als der Hoplit, schwerer, als
der eigentliche Reiter, und die auf Beides geübt waren, auf den
Kampf zu ebener Erde und auf den vom Pferde herab, so dass sie,
wenn es eine Reiterschlacht gab, mit dreinhauen, weun es auf ein
Gefecht zu Fuss ankam, gleichfalls das Ihrige leisten konnten —
also eine, wie die neueren Dragoner, auf die eine und die andere
WafiFe eingeübte Truppe, ein Erzeugniss nicht nationaler Sitte, son-
dern reflectirender Kriegskunst. Aehnliches besagt auch wohl der
griechische Ausdruck ajuinTrni^ bei Xenophon Hell. 7, 5, 23: ne^iüv
afUTiTKov und Thycydid. 5, 57 : die ßöoter stellten fünftausend Hopli-
ten, eben so viel Leichtbewaffnete, fünfhundert Reiter und eben so
viel aiuTinni. Schon näher der geimanischen Art stünde die Fecht-
weise der Daer, wenn in dem Bericht des Curtius die letzten Worte
volle Geltung hätten, 7, 32: equi binos armatos vehunt^ quorum in-
vicem singuli repente desiliunt: equestris pugnae ordinem turbant.
Equorum velocitati par hominum pemicitas, A ber dass die Reiter-
völker, die immer und überall schwerfällig zu Fusse sind, im Lauf
mit ihren Rossen hätten wetteifern können, hat wenig Wahrschein-
lichkeit und der Angabe des genannten Geschichtschreibers liegt
sicher irgend eine Verwechselung zu Grunde. Man könnte eine
solche combinirte Kampfart schon in der Odyssee finden, wo es von
dem thrakischen Volke der Kikonen heisst, 9, 49:
geübt von den Pferden {a<p tnntov)
Oder zu Fuss, wo die Noth es gebot, mit den Männern zu kämpfen —
aber der Ausdruck at^ tnntov bedeutet bei Homer sonst immer
vom Wagen herab und die kikonische Kriegsweise würde also
ganz mit der in der Hias gebräuchlichen zusammenfallen. Warum
aber wurde sie dann ausdrücklich erwähnt? Weil der ritterliche
Kampf bei einem barbarischen Volke etwas Unerwartetes war? —
Zum Verwundern aber stimmt das troische und kikonische Wagen-
gefecht mit den Kampfsitten überein, die nachher Cäsar bei den kel-
tischen Stämmen in Britannien vorfand. Diese rollten mit ihren
Wagen in die Schlacht, wie die Helden vor Troja. Cäsar beschreibt
ihr Verfahren dabei ausführlich, de b. g. 4, 33: „Erst reiten und
fahren sie pfeileversendend nach allen Seiten und suchen die feind-
lichen Reihen in Auflösung zu bringen. Dann springen sie plötzlich
von den Wagen, ex essedü, und kämpfen zu Fuss. Unterdess hal-
ten die Wagenlenker abseits, um die Streiter, wenn diese vom Feinde
bedrängt werden, sogleich wieder aufzunehmen. So vereinigen sie
die Flüchtigkeit des Reiters mit der Standhaftigkeit des Streiters zu
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Das Pferd. 49
Fuss. Ihre Uebung darin ist so gross, dass sie auf steilen Berg-
abhängen die in vollem Lauf begriffenen Rosse aufhalten und lenken
und an der Deichsel hin und her laufen und auf das Joch treten
und dann wieder im Nu sich in den Wagen zurückziehen können."
Die Dämliche Eampfart hatte später auch Agricola vor sich, Tac.
Agr. 35: media carnpi covinariua et eques strepifu ac diacursu com-
py>at, Mela fügt hinzu, die Wagen seien mit Sicheln bewa&et ge-
wesen, worüber Cäsar und Tacitus schweigen, 3, 6, 6: dimicant non
eqmtatu modo aut pedite^ verum et bigü et curribtia gallice armati:
emnnos vocant^ quorum falcatis aadbus utuntwr, (üeber die Namen
oieda oder essedum und covinus s. Diefenbach 0. E. unter diesen
Wörtern und Glück in Fleckeisens Jahrbb., Th. 89, 1864, S. 599).
Andere berichten daneben, diese Kriegswagen seien bei den Beigen
im Gebrauch und dies führt uns zu der Annahme, dass sie nach
dem grossen keltischen Wanderzuge in den Osten und in die Nähe
inmischer und thrakischer Völker diesen letztem entlehnt waren
uid nachdem sie auf dem Festlande ausser Gebrauch gekommen, auf
der britischen Insel, wie so manches Andere aus älterer Zeit, sich
noch erhalten hatten. Die Sichelwagen waren asiatisch — Livius
37, 41 nennt sie der römischen Kriegskunst gegenüber ein ifiane
hdärnum — und das Fahren in der Schlacht überhaupt, wie wir
gesehen haben, assyrisch, persisch und kleinasiatisch.
Ob das Reiten oder das Fahren das Erste gewesen, ist eine
Ton den Dichtem bei ihren Phantasien über die Urzeit zuweilen auf-
geworfene Frage. Lucretius meint, bewaffnet auf den Rücken des
Thieres zu springen und es mit dem Zaume zu lenken, sei älter,
als mit der Biga in die Schlacht zu ziehen, 5, 1297:
Et prius est armatum in equi conscendere costas
Et modm-arier hunc frenis dextraqite vigere,
Quam bijugo curru belli temptare pericla —
und dies mag in dem Sinne richtig sein, dass zwar der Wagen
selbst ein uraltes Geräth ist, dass aber von dem rohen, schwerfälli-
gen Lastfuhrwerk der frühesten Zeiten bis zu dem leichten, geschwin-
den, zierlichen, mit Metall gearbeiteten zweirädrigen Kriegswagen
der Assyrer ein sehr weiter Schritt ist. Der Gebrauch des Rindes
als Zugthier konnte dazu einladen, auch das gefangene Ross zu
gleichem Dienst anzuhalten; aber natürlicher ist es, das wilde Thier
auf dessen eigenem Rücken mit Händen und Füssen zu umklammem
ond dann müde zu jagen, so dass es nicht weiter kann und dann
willig wird. Auch war das Ross, wie wir gesehen haben, immer
Vkt. Hfthn, Kultorpflanxen. 4 ^ t
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50 Das P^erd.
nur ein kriegerisches Thier, dessen Werth in der Geschwindigkeit
bestand, und erst der Reiter verfiel darauf, durch ein angehängtes
leicht rollendes Gefass, das ihu und seinen Gefährten au&ahm, ge-
'wisse Kriegszwecke ToUständiger zu erreichen.
Fassen wir alle obigen Notizen zusammen, so verräth sich uns
nirgends in Europa, weder bei den klassischen Völkern des Südens,
noch bei den nordeuropäischen von den Kelten westlich bis zu den
Slaven östlich das hohe Alter des Pferdes und die lange Dauer die-
ser Zähmung durch deutliche Spuren und unzweifelhafte Anzeichen.
Ja manche Thatsachen scheinen in positiver Weise die Bekanntschaft
mit dem Thiere in früher Zeit auszuschliessen, z. B. dass die home-
rischen Griechen auf dem Rosse nicht reiten (wie sie doch thun
müssten, wenn sie es ursprünglich besessen hätten), sondern mit
dem Rosse nur fahren (was sie den Asiaten abgesehen haben
müssen). Wir haben daher keinen Grund, uns die Indogermanen
bei ihrer frühesten Einwanderung als ein Rossevolk zu denken, das
mit verhängtem Zügel über Europa dahergesprengt kam und Men-
schen und Thiere mit der Schhnge aus Pferdehaar einfing. Be-
gleitete sie aber das Ross auf ihrem grossen Zuge durch die Welt
noch nicht, so müssen die dem Ausgangspunkt nahe gebliebenen
iranischen Stämme diese Kunst erst später erlernt haben — von wem
anders, als von den hinter ihnen hausenden, allmählig im Laufe der
Zeit näher gerückten Türken? Diesen und hinter ihnen den Mon-
golen verbliebe der Anspruch, den flüchtigen Einhufer auf der weiten
Steppe zuerst gefangen und überwältigt und zur Jagd und zum
Kriege abgerichtet zu haben. Als die Türken den gebildeten Völ-
kern des Occidents zuerst zu Gesicht kamen, da waren sie ein Reiter-
volk, wie man in solchem Masse noch keines kannte, auch die Scy-
then und Parther und andere Iranier nicht ausgenommen. Die Hunnen
sind axQoarpaXelgy d. h. sie fallen bei jedem Schritt, und aTiodeg^
d. h. ohne Füsse zum Auftreten (bei Suidas), sie leben, wachen und
schlafen, essen und trinken, berathen sich unter einander zu Pferde
und die Thiere sind ausdauernd, aber hässlich, also frisch von der
hochasiatischen Steppe gekommen, Amm. Marc. 31, 2, 6: equis prope
adfixij durü quidem^ sed deformibuSy et muliebriter iisdem wmnun-
quam insidentes, funguntwr muneribus consuetü. Ex ipsis quivü
pemoa et perdivs emit et vendit cibumque sumit et potum et incli-
nafvs cervici anffustae jumenU in altum soporem adtcsqiie varietatem
effunditwr somniorum. Et deliberatume super rebus proposita seriis,
hoc habitu omnes in commune Consultant Und nicht anders schildert
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(hiechen. Italer. Phönizier. 51
sie Zosimus 4, 20: „sie sind nicht im Stande, den Fuss fest auf
den Boden zu heften, leben ganz auf den Pferden, schlafen auf ihnen
u. s. w.*' Die Steppe hat das Pferd geboren, die gelben Steppen-
völker haben es gezähmt und nachdem ihnen diese That gelungen,
ihr ganzes Dasein von ihr abgeleitet. Wenn es wahr sein sollte,
wie neuerdings im Hinblick auf die zweite Art der achämenidischen
Keilschriften angenommen wird, dass Medien entweder eine ursprüng-
lich turanische, d. h. nicht-iranische Bevölkerung gehabt hat oder
ursprünglich von Ariern bewohnt wurde, die später von eingewan-
derten Turaniem unterjocht worden — so würde sich dadurch des
Weiteren erklären, warum dieses Land für ganz Vorderasien Heimat
und Ausgang der Rossezucht und Reitkunst geworden ist^')
Zur Zeit, wo die erste Dämmerung der Geschichte über der
griechischen Halbinsel anbricht, lässt sich etwa Folgendes erkennen.
Das Volk, welches später unter dem Namen der Hellenen die Welt
mit seinem Ruhm erfüllen sollte, mag an der Ostseite des adria-
tischen Meeres durch Gebirge und Wälder bis Dodona in Epirus
sich durchgekämpft haben, an welche Gegend die Nachkommen ihre
ältesten Erinnerungen und Vorstellungen frühesten Gottesdienstes und
primitiven Lebens knüpften. Hier war ein Haltepunkt; von hier
gingen die beiden nationalen Gesammtnamen aus, der der Hellenen,
der später mehr im Osten Gellung gewann, und der der Griechen,
FgaiKoi^ der im Westen der Halbinsel haftete und von da den ge-
genüberwohnenden Italem zukam, nachmals aber im Mutterlande
wieder erlosch. Von Epirus ging der Einwanderungszug, ohne
Zweifel wilden Drängern von Norden ausweichend, über schwierige
Gebirge nach Thessalien, wo ein zweites sehr altes Dodona gelegen
haben sollte, und erfüllte von dort in weiterer Ausbreitung die an-
grenzenden Landschaften, die erreichbaren Inseln und die südlichste
fast von allen Seiten vom Meer umflossene Halbinsel. Als in einer
viel spätem Epoche der kleine Stamm der Dorer von seiner Heimat
am Pamassus erobernd den Peloponnes überzogen hatte, da war die
vorbereitende Zeit der Mischung und der unstäten Hin- und Her-
züge geschlossen und die Bevölkerung der Halbinsel im Wesentlichen
in den festen Sitzen angesessen, in denen sie uns seitdem die Ge-
schichte zeigt. Ueberall wird der eigentlich griechischen Zeit die
der Pelasger als vorausgehend gedacht, ein Name, in dem entweder
nur die Vorwelt und ältere Kulturform als solche personificirt (Pelas-
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52 Griechen. Italer. Phönizier.
ger am wahrscheinlichsten so viel als Altvordern, die Altersgrauen) i*),
oder die Erinnerung an einen bei der Einwanderung den eigent-
lichen Griechen vorausgegangenen und allmählig von diesen absorbir-
ten Zweig desselben Volkes erhalten worden ist. Wie mit den
Pelasgem verhält es sich mit den frühzeitig verschwindenden Stäm-
men, die wir unter dem Namen der Leleger (wohl so viel als Selecüf
Erlesene, in anderer Form Lokrer) zusammenfassen können und die
sich als zerstreute Trümmer von Westgriechenland über die Inseln
bis an einzelne Punkte der kleinasiatischen Küste verfolgen lassen.
Sie gehörten wie die Pelasger zu den Ersten des grossen Einwande-
rungszuges und wurden von nachrückenden Haufen zersprengt oder
unteijocht oder über das Meer gejagt; ihr Ausgangspunkt war, so
viel wir sehen können, Akamanien nebst den davor liegenden Inseln.* ^)
In dieser ältesten Zeit ist die Völkerscheidung noch keine bestimmte
und Uebergänge führen nach allen Seiten hin. Erst die fortgehende
Bildungsgeschichte schuf den Gegensatz zwischen Barbaren und
Hellenen; ethnologisch verwandte Stamme, die aber auf altem Stufen
der Kultur verblieben waren und deren Mundart nicht mehr ver-
standen wurde, erschienen als fremden und ungewissen Blutes. Zu
solchen Halbhellenen mit vermittelnder Zwischenstellung gehörten
später die Aetoler und Akamanen, weiter hinauf die Thesproten und
Molosser in dem einst griechischen Epirus, auf der entgegengesetzten
östlichen Seite das nachher grosse und ruhmreiche Volk der Make-
donen (so viel als die Langen, wie umgekehrt die Minyer so viel
als die Kleinen). Sie bildeten den üebergang zu den beiden weit
ausgebreiteten Völkern der Thraker östlich und der Illyrier west^
lieh, die zwar der indoeuropäischen Familie angehörten, also auch
den Hellenen nicht absolut fremd waren, dennoch aber wegen langer
Trennung und abweichender Schicksale bereits in so weitem Abstand
sich befanden, dass bei der Berührung kein unmittelbares Gefühl
der Bluts- und Kulturverwandtscbaft mehr sprach. Ob diese massen-
haft dort gelagerten Stämme dem in den Süden fortgezogenen Ur-
volke der Griechen erst südlich der Donau nachgerückt oder ob
dieses sich kämpfend an ihnen vorbeigedrängt habe, bleibt in Dunkel
gehüllt, obgleich Pott, Ungleichheit menschlicher Rassen, S. 71, das
Letztere glaubt annehmen zu dürfen. Dass uns aber die Sprache
beider Völker auf immer verloren gegangen ist, bleibt für die Auf-
hellung der früheren Schicksale des Indogermanismus auf europäi-
schem Boden eine schwere Einbusse. In diesen Sprachen wäre uns
der Schlüssel für so manches Problem der Theilung und Wande-
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Griechen. Italer. Phönizier. 53
nmgsriclitaBg und aUmähligen Saccession der Hauptglieder dieses
Völkersystems gegeben gewesen. Denn die Thraker mit den zu
ihnen gehörenden Geten und Daken und die Slyrier mit ihren Neben-
zweigeu, den Pannoniem und Venetem, bilden die Centralmasse, von
der nach allen Seiten verbindende Fäden auslaufen. Sie standen
den Griechen nahe, aber auch den Phrygern und durch diese den
Armeniern und iranischen Stammen, mit welchen letzteren sie ohne-
hin durch Skythen und Sarmaten sich unmittelbar berührten; nicht
geringe Spuren verknüpfen sie gleichzeitig mit den nördlichen Litu-
slaven und Germanen und mit den westlichen Kelten. Indem uns
so in der Reihe der Sprachen und also der Völker ein wichtiges
Glied fehlt, bleiben wir für die Gruppirung derselben auf vereinzelte
Beobachtungen angewiesen, deren Gewicht der Eine so, der Andere
aoders schätzen kann. Zwar scheint von einem der beiden Zweige
wenigstens ein kostbarer Rest in der heutigen albanesischen Sprache
erhalten. Allein dieses Idiom liegt in junger, sehr entstellter Form
Yor; es ist von Einwirkungen der es umgebenden Zungen in alter
wie in neuer Zeit 4iei durchdrungen worden; was diesem fremden
Einfluss und was der Urverwandtschaft zuzutheilen sei, muss oft
zweifelhaft bleiben und Alles zusammengenommen hat bis jetzt die
ohnehin vielbeschäftigte vergleichende Sprachwissenschaft abgehalten,
anf diesem Boden, der vielleicht noch manches verbirgt, die Aus-
grabung in grösserem Mass vorzunehmen^^). — Die Thraker (scheint
eine griechische Benennung, die Rauhen oder die Gebirgsstämme,
Ton TQaxvg mit vertauschter Aspiration, wie Ligures asperi bei
Avienus) hatten frühe asiatische Kulturwirkung erfahren und in ihren
südlichsten Zweigen frühe eine solche auf den Norden Griechenlands
geübt: die Illyrier führen uns auf der entgegengesetzten Seite zur
Schwesterhalbinsel Italien. Dort hatten Illyrier unter dem Namen
Yeneter, Heneter, Eneter nicht bloss das Mündungsland des Po und
der übrigen Alpenflüsse besetzt, sondern auch, wie mancherlei Namens-
sparen verrathen, ja selbst directe Zeugnisse bestätigen, schon frühe
längst der ganzen Ostküste bis tief an die südliche Spitze sich aus-
gebreitet, ohne indess den Apennin zu überschreiten. Zu dem illyri-
schen Stamm mögen auch die Messapier und Japygen im Süd-
osten der Halbinsel nebst den Nachbarvölkchen zu rechnen sein.
Auf dem grossen Völkerwege um den venetischen Meerbusen herum,
die italischen Illyrier entweder vor sich und zur Seite schiebend oder
umgekehrt von diesen vorwärts nach Süden und Südwesten gedrängt,
war denn auch das eigentlich italische Volk in die Halbinsel vor-
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54 Griechen. Italer. Phönizier.
gerückt, das, wie der Augenschein den Unbefangenen lehrt, von den
Vorvätern der Hellenen sich erst verhältnissmässig spät getrennt
hatte. Unter den Unterabtheilongen, in die es aof dem neuen Boden
zerfiel und die vielleicht nur der in intermittirenden Stössen erfolgen-
den Einwanderung ihr Dasein verdanken, setzten sich die Latiner
in der Ebene sudöstlich von dem untern Tiber und auf den daran
stossenden vulkanischen Vorbergen fest; die sabellischen Stämme
drangen auf dem Rucken des Gebirges selbst vor; vom untern Po
und den Ebenen am adriatischen Meer quer durch die Halbinsel
bis zum westlichen Meer waren die ümbrer verbreitet, an welche
sich im Nordwesten, in den Gebirgen, die zu den Golfen von Genua
und Spezzia hinabsteigen, die Ligyer oder Ligurer (in ältester Form :
Ldguses), ein nicht italisches Volk, anschlössen. Ob die Einwanderer
an den Westküsten Italiens bis hinab nach Sicilien ligurische und
iberische Bewohner vorfanden und sie verjagten oder vertilgten, lässt
sich mehr ahnen als behaupten oder verneinen. Aber frühe schon
wurden die Umbrer durch einen neuen Einbruch von Norden ver-
drängt, gespalten und unterjocht: das räthselhafte; indess doch wohl
indoeuropäische Volk der Etrusker setzte sich in breiter Herrschaft
von den Alpen bis zum Tiber durch die obere Hälfte der Halbinsel
fest, wurde mächtig zur See, ging später sogar nach Campanien
über, bis es durch die über die Alpen brechenden Kelten, die sich
der Ebenen Ober-Italiens bleibend bemächtigten, immer mehr be-
schränkt und geschwächt wurde. Unterdess aber hatten sich die
kriegerischen, raub- und wanderlustigen Hirtenstämme in beiden
Halbinseln, der griechischen und der italischen, allmählig zum Acker-
bau gewandt und damit den mächtigsten Schritt auf der Bahn der
Humanität gethan. Dass sie vor der Einwanderung, zur gräco-
italischen Epoche, ja wohl gar schon im Hei*zen Asiens den Acker
bestellt und sich von der Frucht der Demeter genährt, ist eine oft
mit mehr oder minder Sicherheit aufgestellte Behauptung, deren
Stützen aber grösstentheils wenig haltbar sind. Griechisch Ceicc Spelt,
^sidcjQog agovQa der getreidespendende Acker, litauisch Javas Ge-
treidekom, Plur. Javai Getreide im Allgemeinen, so lange es noch
auf dem Halme steht, javena die Stoppel, ist zwar eine richtige
Gleichung, beweist aber nur, dass zur Zeit, wo die Griechen und
Litauer noch ungeschieden wären, irgend eine Grasärt, vielleicht mit
essbarem Korn in der Aehre, mit diesem Namen bezeichnet wurde
(man vergleiche sanscr. yava Gerste, yavasa grasreiche Weide^. Aehn-
lich verhält es sich mit xQid^ij^ lat. hoi'deum, ahd. genta: die Sprache
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Griechen. Italer. Phönizier. 55
eines Volkes, dessen BeschäftiguDg es war, Thiere zu weiden, musste
an Gras- und Pflanzennamen besonders reich sein. Aus griechisch
öy(»og, lat ager^ gothisch akrs ist gar nichts zu schliessen, da die
Bedeutung dieses Wortes Feld überhaupt, nicht bestellter Acker,
gewesen sein wird. Rechnet man ähnliche Fälle und AUes, was auf
Entlehnung beruht, ab, so bleibt eigentlich nur der eine Wortstamm
griech aQovv, lat. arare^ lit. arti^ goth. arjan u. s. w. mit den dazu
gehörigen olqotqov, ccQovQay arvum u. s. w. als Beweis der Bekannt-
schaft mit dem Pflügen und dem Pfluge vor der Völkertrennung
auf europäischem Boden übrig. Die lange Wanderung von den Ge-
genden jenseits des Aralsees bis in die Wälder Ureuropas wird von
Rasten unterbrochen gewesen sein, auf denen je nach ihrer grössern
oder geringem Zeitdauer Anfange, aber auch nur Anfange, des
Ackerbaues möglich waren. Wenn der neue Wandertrieb erwachte,
wurde das schwere, mühselige, allen llirtenstämmen so verhasste
Geschäft der Bodenarbeit angegeben und es blieb nur die allgemeine
Bekanntschaft damit zurück. Wir mögen also bei den Gräco-Italem
jenen halbnomadischen Ackerbau voraussetzen, den wir noch heute
bei Beduinen, den Stämmen jenseits der Wolga u. s. w. im Schwange
finden. Der Pflug bestand aus einem passend gekrümmten Stück
Holz, wie man es in den Wäldern suchte und fand, das aQOTQOv
avToyvov, welches noch Hesiodus kennt, während die verschiedenen
Theile des zusammengesetzten Pfluges, des von Homer und Hesiod
genannten clqotqov Tzrjxrov^ griechisch und lateinisch ganz verschie-
den benannt werden und also erst nach der Trennung in den neuen
Sitzen erfunden oder von aussen her bekannt wurden*^). Die ge-
baate Pflanze könnte Hirse gewesen sein, griechisch fieUvrj^ lat. mi-
Imnif lit. malnos^ f. pl. Schwaden, nicht sowohl dieses Namens wegen,
der offenbar nur eine Grasart bezeichnet, als weil der Hirse schon
frohe im Osten und Westen des Welttheils gemeine Komart war.
In Gemeinschaft mit ihm treten häufig die Rübe und die Bohne
auf, zwei sehr alte, mit gemeinsamen Namen benannte Früchte,
deren Pflanzung vielleicht dem Ackerbau vorausgingt *). Indess,
wie sich dies auch verhalten mag, nachdem das unruhige Hir-
tenvolk in den meerumgürteten Landschaften Griechenlands und
Italiens seine feste Heimat gefunden und der alte Trieb nur noch
in localen Wanderungen und Kämpfen ausklang, da musste in den
fetten Ebenen am Meere oder zwischen bewaldeten Bergen (Hesiod.
Op. et d. 388:
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56 (MecheiL Italer. Phönizier.
die sich dem Meere
Nah ansiedelte!), die in dem Thal am Fusse der Waldschlacht,
Fern Ton den schäumenden Wogen des Meers, den fruchtbaren Acker
Bauen)
der schwarze Boden und der gluckliche Himmel zum Eömerbau ein-
laden. Die Pelasger wurden ein von der Bodenarbeit sich nähren-
des Bauemvolk, mit dem Antlitz zur Mutter Erde gewandt, die voran-
schreitenden Ochsen mit dem xivcQov stachelnd, an dem schweren
Werke sich abmühend, das die Götter den Menschen gelehrt und
auferlegt, Hesiod. Op. et d. 398:
Schaffe das Werk, das dem Menschengeschlecht zumassen die Götter.
Der in den Waldgebirgen verbliebene Hirte freute sich der leichtem
Freiheit; arbeitsscheu und raubgierig, wie alle Hirten, überfiel er
die Wohnungen, Hürden und Speicher der Ackerbauer und im Klei-
nen herrschte dasselbe Verhältniss wie im Grossen zwischen Iran
und Turan, zwischen den Galliern kuiz vor Cäsar und den Germanen,
später zwischen den Deutschen und den Ungarn und an so vielen
andern Stellen der Geschichte. So führte das Bedürfniss zu festen
Bauten, Mauern und Burgen auf den Höhen, Schutzwerken der Feld-
besteller gegen die wilden Nachbarn in den Waldgebirgen und so
ragen an vielen Stellen Griechenlands unter dem Namen Ephyra
(die Warte), Larissa oder richtiger Larisa (wohl so viel als be-
gabt mit fettem Boden, wie ev niovi dfi^ip, niovaTov neöiovj niova
sgya, nlovsg ayQoi, ^laXa nlag vn olöag u. s. w., Larisae campus
opimaCy Larisa ist die Tochter des Piasos, in dem thessalischen Larisa
herrschen die Aleuaden, d. h. die Drescher auf der Tenne oder
Stampfer im Mörser) und Argos (Fruchtebene gegen das Meer ge-
öflBaet) feste Niederlassungen der Ackerbauer und Mauemgründer aus
der dunklen in die historische Zeit hinein. Während die stamm-
verwandten Völker im Norden bei ihrer alten unstäten Lebensart
verblieben, richteten sich die gräcoitalischen Stämme in dem neu-
gewonnenen herrlich ausgestatteten Gebiete häuslich ein, des An-
stosses gewärtig, der sie aus der natürlichen Dumpfheit erwecken
und auf eine unabsehbare Kulturbahn drängen sollte. Diesen An-
stoss gewährte die Berührung mit den Semiten, einer im Vergleich
mit der schwerfalligeren indoeuropäischen Natur gewandten, an Ab-
stractionskraft reichen und bereits in vielen Zweigen der Kultur-
technik weit vorgeschrittenen Race. Sidonische Phönizier hatten im
Verein mit Karern die Inseln des ägäischen Meeres besetzt, viel-
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Griechen. Italer. Phöniiier. 57
leicht schon im vierzehn ten oder dreizehnten Jahrhundert; sie hatten
sich ihrer Sitte gemäss der kleinen Eilande und abgesonderten Fels-
Torsprfinge am Rande des Festlandes bemächtigt, als eben so be-
quemer wie gefahrloser Stützpunkte für Handel und Industrie, waren
von den nordlichen Inseln auf thrakischen Boden übergegangen, wo
sie sich mit herübergekommenen Phrygem berührten, herrschten in
Bootien und Attika (man denke an die Sagen von der Europa und
vom Tribut der Athener nach Kreta), fassten von der Insel Kythere,
emer uralten phönizischen Kultusstätte, Fuss in dem gegenüberliegen-
den Lakedämon, hielten Korinth besetzt, wo Aphrodite, die phöni-
zische Astarte, und Elis, wo Herakles, der phönizische Melkarth,
vor Alters verehrt wurde, ja gingen vielleicht die Küste des ioni-
schen Meeres bis zu den Aetolem, Thesprotem und Ulyriem hinauf.
Sie trieben an passenden Stellen Purpurfischerei und Buntfarberei,
erö&eten Bergwerke auf Metalle und knüpften mit den Naturkindern,
die um die Faktoreien herum wohnten, einen gewinnbringenden Han-
del an, mit dem nach Weise der ältesten und auch der jüngeren
Zeit Blendwerk und Raub Hand in Hand ging. Was die Eingebor-
nen bei diesem Austausch geben konnten, war natürlich nur der
Ertrag ihrer Heerden und Wälder, also Häute, Wolle, Holz, wilden
Honig, Rinder und Schafe, — dazu kräftige Jünglinge und schöne
Mädchen, d. h. Sclaven und Sclavinnen. Was sie empfingen, war
niannigfach: Tand aller Art, wie er Wilde zu verlocken pflegt, Fi-
guren und Büchsen von Bronce und Glas, fertige Kleider (xnoiv
tmd tunica sind phönizische Wörter), eherne, überhaupt metallene
Werkzeuge, Messer und Waffen, Erzeugnisse verschiedenartigen
Handwerks, die Mechanik der Steinbaukunst, mythische Erzählun-
gen, Ideen vorderasiatischer religiöser SymboUk, grausame Opfer-
gebräuche. Zwar wurde allmählich das fremde Element, das doch
numerisch schwächer sein musste, von der Nationalität der Ein-
geborenen wieder aufgesogen und ging als besondere Existenz unter;
z^ar strömten nach dem Zuge der Dorer unternehmende Auswan-
derer in wiederholten Seezügen aus Griechenland von Insel zu Insel,
an einzelne Punkte der karischen und lydischen Küste, von diesen
^eder zu andern, ja bevölkerten und unterwarfen sogar die einst
semitischen Inseln Kreta und Rhodus; zwar erscheinen während
oieser Periode griechischer Beherrschung des ägäischen Meeres die
lyrischen Phönizier nur noch als Kaufleute auf einzelnen Handels-
sebiffen am hellenischen Strande, aber mit ihrer Vertreibung oder
Assimilation waren manche Kenntnisse und Begriffe, die einst durch
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58 Griechen. Italer. Phönizier.
sie vermittelt wurden, nicht mit ausgerottet worden, sondern blieben
als verdunkelter religiöser Kultus, als nationale Gewohnheit, deren
Ursprung bald vergessen wurde, als werth voller fortzeugender Besitz
von Gerathen, Kulturarten, Erfindungen bestehen. Wer will ent-
scheiden, ob z. B. die Bekanntschaft mit der Töpferscheibe (^(>o%og)
und die mit Spindel und Webstuhl schon mitgebracht oder von
Karern und Lydern und Phöniziern überkommen war?^*) Ob nicht
Wörter wie xC^i'^roc,^^) y^ctlxog^ f^hakkov^ die sich in die indo-euro-
päische Verwandtschaft nur gezwungen einfügen, von jenem ältesten
Verkehr stammen und lydisch-phönizischer Herkunft sind 2*), so gat
wie odxxog, xäöog und andere Handelsausdrücke? Phönizische
Heiligthumer wurden von den Griechen übernommen und allmählig
in dem freieren hellenischen Geiste ausgebildet, ohne ihre ursprüng-
liche Physiognomie jemals ganz verlieren zu können; asiatische
Bäume, die um die alten Kultstätten gestanden, Zweige-und Blumen,
die als alte Symbole gegolten hatten, pflanzten sich in der neuen
Heimath fort; der Wein, der über Meer gekommen war, die süssen
getrockneten Früchte, das duftende Oel konnten vielleicht im Lande
selbst erzeugt werden, und was von Anfangen solcher Kultur im
eigentlichen Hellas wieder erloschen war, wurde durch die grosse
Kolonisation im Osten neu belebt und strömte von Kreta und Rhodas,
von Naxos und Thasos und von den neuen Sitzen an der anatoli-
schen Küste ins Mutterland zurück. Semitischer Wein-, Oel- und
Feigenbau siedelte sich auf den Hügeln an, die das Saatfeld be-
grenzten, und die Pflanzung, die der pflegenden Hand im Einzelnen
bedarf, neben dem Acker, der mit Ochsen gepflügt, besäet und dann
der Sorge der himmlischen und unterirdischen Götter überlassen
ward. Aus jener Zeit ist uns wie durch ein Wunder in den home-
rischen Gedichten ein Spiegelbild der Sitten, Vorstellungen und Be-
schäftigungen der Menschen erhalten worden. Indess, so lichtvoll
dies Bild ist, so viel Räthsel lässt es dennoch zurück, und ein so
treues Zeugniss es abzulegen scheint, mit so grosser Vorsicht muss
es dennoch aufgenommen werden. Denn in dem homerischen und
hesiodischen Epos ist nicht Alles gleich werth voll: naive Gesänge
von achtem sagenhaftem Gehalt und kluge Werke jüngerer Nach-
ahmer und Bearbeiter, Dichtungen voll alterthümlich scheuen Glau-
bens und späte Leistungen profaner rhapsodischer Fertigkeit sind
hier mit Geschick und Ungeschick und mit mehr oder minder Wahr-
scheinlichkeit in einen Rahmen vereinigt. Auf jene ältesten Theile,
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Der Weinstock. 59
80 veit sie erkennbar sind, gilt es fest den Blick zu richten; was
hinter Homer hinausliegt, verbirgt sich in Dunkel, das nur von ein-
leben Streiflichtern der Sprache und des religiösen Mythus hin und
wieder erhellt wird.
Der Weinstock.
(viiis vinifera L.)
Bei den homerischen Griechen ist der Wein schon in all-
gemeinem Gebrauch und wird überall als eine natürliche Gabe des
Landes vorausgesetzt. 2iTog i(ai olvog oder olcog xai fii^v ist
eine gewöhnliche, häufig wiederkehrende Formel; so giebt Kalypso
dem scheidenden Odysseus Brod, Wein und E^eider, die drei ersten
Lebensbedürfnisse, aufs Schiff mit (Od. 7, 264). In Brod und Wein
liegt Kraft und Stärke des Menschen (11. 9, 706 und 19, 161) und
darin unterscheiden sich die leichtlebenden Götter von den sterb-
lichen Menschen, dass jene keiner Nahrung bedürfen und keinen
Wein trinken (IL 5, 341). Schon die kleinen Kinder werden mit
Wein aufgezogen: Phoenix, der SoTin des Ormeniden Amyntor, hat
das Knäblein Achilleus genährt und getränkt, ihm die Speise vor-
geschnitten und ihm den Becher Weines an den Mund gehalten; der
Knabe hat ihm oft das Gewand besudelt, indem er nach kindischer
Art das Getrunkene wieder ausspie (IL 9, 485 flf.). Auch Jungfrauen
and Mägde trinken Wein wie die Männer: da Nausikaa zum
Waschen an den Meeresstrand fahren will, bekommt sie von der
Mutter nicht bloss Speise und Zukost, sondern auch Wein im
Schlauch von Ziegenfell mit auf den Weg (Od. 6, 76)»»). Auf
dem Schilde des Achilleus im achtzehnten Buch der Ilias sah man
ausser einem Brach- und Emtefelde und andern Scenen des länd-
lichen Lebens auch einen Weinberg abgebildet, in welchem fröhliche
Winzer und Winzerinnen grade mit der Traubenlese beschäftigt waren.
Wie die Griechen thun auch die Troer: Hektor, Nachts am Flusse
mit seinen Schaaren lagernd, lässt die Pferde ausspannen und ihnen
Futter vorwerfen, zur Erquickung für die Menschen aber Rinder
mid Schafe und lieblichen Wein und Brot herbeiholen (II. 8, 503 ff).
Griechische Städte und Gegenden werden als reich an Reben be-
zeichnet, so B. 9, 152: nijdaaov afinekneaoav (an der Westküste
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60 Der WeinstocL
des Peloponnes) und im SchifEskatalog v. 507: o? re noXvoracpvXov
^Aqvriv e%ov (in Böotien), 537: noXvetaq^vlov d^ ^lariaiav (in Euböa),
561 : xai afineloevr ^EnidavQov. Eine Menge alter Stadt- und Land-
schaftsnamen sind vom Wein und Weinbau abgeleitet: so hiess die
Insel Aegina einst Olvwvrj; in Akarnanien lag dem rechten Ufer
des Acheloos nahe auf einem emporragenden Hügel die Stadt Oivia-
dat, von drei Seiten von einem See umgeben, der den phönizischen
Namen Msllzri trag; in der Stadt der ozolischen Lokrer Olveciv^
nahe der ätolischen Grenze, sollte Hesiodus den Tod gefunden haben;
in Attika lag eine doppelte Ortschaft Oivorj^ die eine in der Nähe
von Eleutherä an der böoiischen Grenze, die andere bei Marathon,
wie dieses zu der alten ionischen Tetrapolis jener Gegend gehörend;
auch Megaris, früher gleichfalls ionisch, hatte in der Peräa, dem
Grenzgebiet nach Korinth, einen Ort Oivoi]; derselbe Name kehrt in
Argolis und auch in Elis wieder; vor Methone in Messenien, wel-
ches selbst weinreich war, lagen die Olvovaai^ die Weininseln u. s. w.
Fragen wir, wo diese so allgemein verbreitete Kultur zuerst in
Griechenland aufgetreten war, so scheint die Antwort in zahlreichen
Ursprungs- und Stiftungssagen gegeben, die aber als blosse mythische
Spiegelbilder des Keimens, Blühens, Verdorrens der Rebe oder des
Gegensatzes der neuen gebundenen Kulturart gegen das rohe Wald-
und freie Hirtenleben dem, der* sie fassen möchte, grösstentheils
unter den Händen zergehen. So war das südliche Aetolien eine
Geburtsstatte des Weinstockes: dem Sohne des Deucalion, Orestheus
(also dem Manne vom Berge), gebar daselbst ein Hund (der Sirius,
die heisse Zeit) ein Stammende, axakBxog; er liess es in die Erde
vergraben und es erwuchs daraus ein rebenreicher Weinstock; drum
gab er seinem Sohne den Namen Phytios (Pflanzer); dessen Sohn
war wieder Oineus, der vom Wein benannt war (Hecatäus von Milet
bei Athen. 2, p. 35). Ganz dasselbe erzählten auch die benach-
barten Lokrer als bei ihnen geschehen (Pausan. 10, 38, 1), deren
Beiname Ozolae sogar von den Sprossen dieses ersten Weinstammes
abgeleitet wurde. Den ätolischen Oineus kennt auch schon die Ilias
als Vertreter des milden Weinbaues (9, 539 und 14, 117): er hat
der Artemis nicht geopfert (ohne Zweifel der kalydonischen Artemis
Laphria) imd wird dafür von dem verwüstenden Eber bedrängt; sein^e
Brüder sind Agrios (der Wilde) und Melas, der Schwarze, Schmutzige,
d. h. der Ziegenhirt, dessen Name mit dem des Melantheus oder
Melanthios, des bösen Ziegenhirten in der Odyssee, übereinkommt;
sein Sohn, der Jäger Meleager, der seine Burg gegen die anstürmen-
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Der Weinstock. 61
den Koreten rettet, ist der Gemahl der Eleopatra; Mutter der Kleo-
pato ist wiederum die Marpessa (die R&uberin), deren Eltern Idas
(das Waldgebirge) und die Euenine, d. h. die Tochter des ätolischen
Flusses Euenos sind. So blickt in der kalydonischen Sage vom
Weinmaon, wie sie Homer giebt, nicht bloss der Drang und Wider-
spruch sich befehdender Volksstamme, sondern auch der an diese
ach knüpfenden verschiedenen Lebensformen hindurch. Wie in
AetoUen war die Rebe auch an vielen anderen Orten zuerst von
Dionysos geschaffen oder geschenkt, so im attischen Demos Ikaria
dem Ikarios, dem Vater der Erigone (der im Frühling geborenen),
dem Herrn des Hundes Maira (des schimmernden Sirius), und eine
Menge durchsichtiger Märchen und lustiger oder betäubender Feste
an den verschiedensten Orten erhielten das Andenken an des Gottes
Geburt und erste Schicksale und seine Leiden und herrlichen Thaten.
Vor allen Gegenden aber erscheint Thrakien als hauptsächliche Hei-
mat und als Ausgangspunkt der Dionysos-Religion. Dort lag das
älteste Nysa, das des Homer (IL 6, 130 ff.); von dort kommen täg-
lich weinbeladene Schiffe zum Lager der Griechen vor Troja (IL 9,
72)^'); dort hat Odysseus von Maron^*), dem Priester des ismari-
schen Apollo, dem Sohne des Euanthes, d. h. des Dionysos selbst,
jenen kostlichen Wein erhalten, mit dem er den Kyklopen trunken
macht (Od. 9, 196 ff.). Den ismarischen Wein kennt auch ein an-
derer alter Zeuge, Archilochos, der in jener Gegend wohl bewandert
war, Fragm. 3. ßergk:
^Ev do()l f.iev fioi fiS^a ^efiayiiivT], iv öoqI S* olvog
^lofxaQixogy nivca 6* iv öoqI xsxli^ivog.
Eine merkwürdige Stelle des Herodot, 7, 111, berichtet von einem
unabhängigen und kriegerischen thrakischen Gebirgsvolke, den Satren,
die im innersten Gebirge ein Dionysos- Orakel besassen, dessen
Priesterthum in den Händen der Besser war. Lobeck Aglaoph.
p. 290: j^perspicuum es% oram maritimamy quae ab Hebri ostiis ad
Pindum protenditur, quasi pro domestico sacrorum Bacchicorum solo
habüum esse.^ Man sehe das weitere gelehrte Material, das Lobeck
beibringt, und Welcker, Griechische Götterlehre 1, S. 424 ff. Bis
ios Innerste des Landes, hinauf in das Hämosgebirge, ging der
Dionysos-Kultus, Mel. 2, 2, 2: Montes interior attollit Haemon et
Shodopen et Orbelon, sacris Lnberi patris et coetu Maenadum Orpheo
pnmum initiante celebrafos. Ohne Zweifel stammte dieser thrakische
Weingott aus dem gegenüberliegenden Kleinasien, wit welcher Ge-
gend kriegerische Wanderungen und Rückwanderungen das diesseitige
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62 I^er Weinstock.
Thrakien frühe in Sitten- und Kulturverkehr gesetzt hatten. Der
grosse Einbruch der Myser und Teukrer z. B., den Herodot (5, 20)
vor die Zeit des troischen Krieges setzt, mochte auch den Sabosdienst,
den Weinstock und die Kunst der Weinbereitung unter die wilden
Thraker, die Verehrer des Ares gebracht haben. Mysien wird als
besonders rebenreich gepriesen. Pind. Isthm. 7, 54: Mvoiov . . .
afinekosv neölov. Strab. 13, 1, 12: acpoÖQa evdfxneXog ioxiv jj
X(OQa (nämlich die der Stadt Priapus) xai aikrj xai €q>e^^g o^oQog,
ij TB TUJV IlaQiavdiv xat ij tüjv ^aiLUpajerjvaiv, Lampsakus war von
dem Grosskönig dem Themistokles zugewiesen, damit er von dort
seinen Bedarf an Wein bestreite; Cyzicus hatte zu den vier alt-
attischen Phylen noch zwei besondere, darunter eine der OYvconeg,
d. h. der Weinbauer, und seine Münzen zeigen, wie die der griechi-
schen Nachbarstädte, bacchische Attribute, den Panther, die Traube,
den Zweihenkeligen Weinkrug. Der Dienst des Priapos, des Gottes
der Fruchtbarkeit in Gärten und Pflanzungen, ist den hellesponti-
schen Städten gemeinsam. Die Vorstellungen von dem leidenden
und wieder triumphirenden Sonnen- und Jahresgotte, die wüthende
Lust und die herzzerreissende Klage, mit der die Thyiaden seinen
Tod und seine Wiederauferstehung feiern, der Doppelcharakter, in
welchem Dionysos und Apollon, Ares und Dionysos verschmelzen,
dies und alles daran sich Schliessende ist phrygische und überhaupt
vorderasiatische Art. Auch im thrakischen, wie im ätolischen
Bacchusmythus spielt durch die Symbolik des Naturlebens die dunkle
Anschauung eines Kulturgegensatzes, der Feindseligkeit entgegen-
stehender Stämme. Lykurgus bei Homer (H. 6, 130), der die Ammen
des schwärmenden Dionysos im heiligen NyseTon verfolgt, so dass
der Gott selbst entsetzt sich in die Meerestiefe flüchtet, — er mag
ein Bild des Winters sein, wie Pentheus in Böotien ein Bild winter*
lieber Trauer: aber als xQazeQog ^vxooQyog^ d. h. als harter Wolfs-
mann, als Sohn des Dryas d. h. des Waldes und avÖQocpovog d. h.
Menschenmörder, der den ßovnlij^ d. h. die schlachtende Axt^ *) in
der Hand führt, ist er der blutige, thrakische Gebirgsbewohner, der
in wilden üeberfällen den Weinbauer ängstigt und die fremden
Kultusbräuche nicht unter sich dulden will. Dahin deuten wir es,
wenn Maron, der Priester des Apollon (d. h. des Apollon-Dionysos),
dem Odysseus ausser Gold- und Silberwerken (Erzeugnissen orienta-
lischer Kunstfertigkeit) zwölf Amphoren des göttlichen Weins schenkt,
zum Lohne dafür, dass er mit Weib und Kind von dem Helden
beschützt worden ist (Od. 9, 199). Aber der Weingenuss und
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Der Weinstock. 63
die im Weine alle NaturfQlle anschauende Dionysos-Religion setzte
sich durch ganz Thrakien durch und wanderte mit thrakischen
Stämmen weiter nach Süden, erfüllte Makedonien, wo die Mimallo-
sen und Klodonen, bacchische Jungfrauen, rasten, gelangte an den
Pamass und nach Delphi, wo Apollon allmählig den Brudergott in
Simi und Verehrung der Menschen verdrängte, nach Theben, wo
Semele, die Erdgöttin**), dem Zeus ihren herrlichen Sohn gebar, an
den Eithäron, als Eumolpos personificirt nach Eleusis in die Nähe
Anikas und in manchen Verzweigungen weiter nach andern Seiten
hin. Diesem Kulturstrom aber begegnete von Anfang an und im
weitem Verlaufe ein anderer, mit ihm ursprünglich identischer, der
in entgegengesetzter Richtung kam, der phönizische oder karisch-
phönizische. Die Küste Thrakiens war ein alter Schauplatz phö-
nizischer kolonialer und commercieller Thätigkeit: Phönizier hatten
das Goldbergwerk am Berge Pangäus eröffnet, die gold- und wein-
reiche Insel Thasos besetzt und von dort Emporien an der thraki-
schen und hellespontischen Küste gegründet, deren Erhaltung ihren
Nachfolgern, den Pariem, schwierig wurde (Movers, Phönizier, 2, 2,
S. 273 £F0- üeberall, wo sie landeten, werden sie mit dem Wein,
den sie mitbrachten, die Barbaren zum Tauschhandel gelockt und
wo sie sich bleibend niederliessen und Kultusstätten gründeten, die
Umwohner zur Rebenpflanzung angehalten haben. Auf den Inseln
des ägäischen Meeres geht von Kreta, einem Mittelpunkt phönizi-
scher Ansiedelungen, der Weinbau imd die an ihn sich knüpfende
Sage nach Naxos und Chios und strahlt von dort weiter ans, s. Fr.
Osann, „Oenopion und seine Sippschaft oder einige Andeutungen
aber die älteste Weinkultur in Griechenland" (im Rheinischen Museum
von Welcker und Näke III. 1835. S. 241 ff.). Osann schliesst seine
Untersuchung mit dem Resultat (S. 259): „Die Verbreitung und
Einführung der Weinkultur an verschiedenen Orten Griechenlands
sehen wir mittels einer aus Kreta stammenden Familie personificirt,
welche ihren Weg über Naxos und Chios nimmt, welches der Mittel-
punkt einer ausgebildeten Weinkultur wird, von wo in verschiedenen
Verzweigungen neue Kolonien ausgehen und den Weinstock ver-
breiten." Ja nach einer schon von Hesiod (Fragm. LVII. Götd.)
erwähnten Ueberlieferung war sogar der thrakische Maron der
Odygsee ein Sohn oder Enkel dieses Oenopion und liefen also beide
Zweige oder Ausgangswege der griechischen Rebenkultur in eins zu-
sammen*'). Dass der Wein den Griechen aus semitischem Kultur-
beise zugekommen, lehrt auch die Identität der Benennung des-
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64 Der WeinstocL
selben, gr. olvog^ bekanntlicii mit Digamma, hebr. jain^ äthiopisch
und auch arabisch wain (Fr. Müller in Kuhns Zeitschr. 10, 319),
denn die umgekehrte Annahme Renans (Histoire gönörale des langues
Sömitiques p. 193 der ersten Ausg.), die Semiten hätten das Wort
von den Ariern entlehnt — wohlgemerkt von den Gräcoitalern, nicht
von den Iraniem, denen es fehlt — , ist kulturhistorisch von der
äussersten Unwahrscheinlichkeit. Auch die Versuche, das /Sanscrit
heranzuziehen und mit dessen Hülfe den Wein als Urbesitz des un-
getrennten indoeuropäischen Stammvolkes darzuthun (Pictet, Origines
indoeuropöennes, 1, 250 £F.), sind unglücklich ausgefallen und haben
in den Augen Unbefangener eher das negative Resultat bestätigt.
Das eigentliche Vaterland des Weinstocks, die durch üppigen Baum-
wuchs ausgezeichneten Gegenden südlich vom Südrande des Kaspi-
schen Meeres, war auch dem Ursitz — so weit sich dieser historisch
verfolgen lässt — des semitischen Stamms oder eines seiner Haupt-
zweige benachbart (Renan a. a. O. p. 27 £F.). Dort windet sich im
Dickicht der Waldung die Rebe mit armdickem Stamme bis in die
Wipfel der himmelhohen Bäume, schlingt ihre Ranken von Krone
zu Krone oder lockt von oben durch schwerhangende Trauben; dort
oder in Kolchis am Phasis, in den Landschaften Kachethien, Min-
grelien, Imcrethien, Armenien, zwischen Kaukasus, Ararat und Taurus,
sind nach den anziehenden Schilderungen Moritz Wagners (Reise
nach Kolchis, Leipzig 1850), Kolenatis (Reise nach Hocharmenien
und Elisabethpol, Dresden 1858) und von Blarambergs (Erinnerun-
gen, I, Berlin 1872, S. 167 S.) ganz die uralten Methoden im Ge-
brauch, die wir aus den Schriften der Griechen und Römer kennen,
die Abtheilung der Weingärten durch Kreuzgänge nach den vier
Himmelsrichtungen (limes decumarms und cardo\ das Verpichen oder
Verkalken der Amphoren, das Vergraben des Stammendes, dann des
Weines selbst in die Erde u. s. w. Dort wachsen die pomeranzen-
gelben, süss balsamischen, durchdringend duftenden Weine und liefert
die edelste kachetische Rebe, die sapiranica praecox und major, einen
Saft von so intensivem Dunkelroth, dass die Damen mit ihm ihre
Briefe zu schreiben pflegen. Aus jener Gegend begleitete der Wein-
stock die sich ausbreitenden semitischen Stämme an den unteren
Euphrat und in die Wüsten und Paradiese des Südwestens, in dem
wir sie später ansässig finden. Den Semiten, die auch die Destillation
des Alkohols erfunden haben, die die ungeheure Abstraction des
Monotheismus, des Masses, des Geldes und der Buchstabenschrift
— einer Art geistiger Destillation — vollbrachten (denn die Aegypter
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Der Weinstock. 65
blieben an der Schwelle derselben stehen), wird auch der zweideutige
Rohm yerbleiben, den Frachtsaft der Weinbeere auf der G&hrongs-
stofe festgehalten zu haben, wo er ein aufregendes oder betäubendes
Getr&nk abgiebt Aus Syrien ging die Weinknltor weiter über das
ganze sogenannte Eleinasien, zu Lydem, Phrygem, MyBem und an-
dern unterdess yon Osten nach Westen vorgerückten iranischen oder
halbiranischen Yölkem, und drang von Norden her in die griechische
HsJbinsel, indess auch direkt zar See phönizischer Handel^ karische
Ansiedelungen, von Europa an die Küsten des fremden Welttheils
übersetzende urgriechische Stämme die Kenntniss der wunderbaren
Erfindung und mit steigender Ansässigkeit auch den Anbau des
Gewächses selbst vermittelten. Zur Zeit des homerischen Epos und
der hesiodischen Gedichte ist, wie gesagt, diese Aneignung bereits
geschehen und längst vergessen; das Dasein des Weinstockes und
des Weines versteht sich von selbst und wird, wie alles Gute im
Leben, einem lehrenden oder schafiFenden Gotte zugeschrieben.
Die frühesten Seefahrten der Griechen nach Westen müssen den
dämonischen Trank auch an die Küsten Italiens gebracht haben,
demi dass er aus Griechenland kam, zeigt auf den ersten Blick das
Wort vinum (als Neutrum, welches nach der Analogie anderer itali-
scher Lehnwörter aus dem Accusativ olvov zu erklären ist)*®). Wie
Odysseus auf den Cyclopen, stiessen die über Meer gekommenen
griechischen SchifPer und Abenteurer auf ein ein<iges Hirtenvolk
auf welches der gierig aufgenommene fremde Wein dieselbe un-
gewohnte betäubende Wirkung übte, wie auf die Centauren des
Pindar bei Athen. 11, p. 476 : „als die Pheren die männerbezwin-
geode Kraft des süssen Weines kennen lernten^ stiessen sie hastig
die weisse Milch von den Tischen, tranken aus silbernen Hörnern
and irrten willenlos umher. ^ Dass die Milch in Latium älter war
ab der Wein, geht aus den auf Romulus zurückgeführten Opfer-
satznngen hervor, wonach den Göttern nicht mit Wein, sondern mit
Mildi gespendet wurde (Plin. 14, 88: Romulum lacte^ non vino lir
haue mdicio sunt sacra ab eo imtituta^ quae hodie custodiunt morem)
Nach einem Gesetz des Numa durfte der Scheiterhaufen nicht mit
Wein besprengt werden (Plin. a. a. 0: vino rogum ne re8pargito\
d. h. die ältesten Bestattungsgebräuche kennen den Wein noch nicht.
Denn es gab eine Zeit, wo die Römer nur noch Ackerbau trieben
und die Rebenkultur noch nicht eingeführt war, Plin. 18, 24: apud
Romanos mtUto aerior vitditm ctdtura esse coepit primoque^ ut necesse
^ arva tantum coluere. Merkwürdig ist, dass auch hier wie in
^let, Hebn, Kolturpflanxen. 5
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66 Der WeinstocL
Griechenland Legenden von Völkerkämpfen an die Grandang des
Weinbaaes eich knüpfen. Nach einer viel berichteten Sage (z. B.
von Cato bei Macrob. 3, 5, 10) sollte Mezentios, der König von
Cäre, den Latinem den Ertrag ihrer Weinberge oder die Erstlinge
der Kelter abgefordert, die Latiner sie aber dem Jupiter gelobt und
80 den Sieg über den firevelhaften Tyrannen gewonnen haben. Die
Herrschaft der Tusker in Campanien und Latium wurde, wie wahr-
scheinlich ist^ durch gemeinsame Anstrengungen der lange in Bon^des-
genossenschaft vereinigten Griechen und Latiner gebrochen: die
dunkle Erinnerung daran verschmolz mit dem Andenken an die za
jener Zeit in Latium sich verbreitende griechische Weinkultur, deren
Segen man als die Habsucht reizend sich dachte, und an die Ein-
führung der Erstlingsspenden an den Jupiter Liber und die Venus
Libera. Der 19. August, an dem die beiden Heiligthümer der
Murcia und der Libitina, der Göttinnen der Emtelust, ihren Stiftungs-
tag feierten, wurde nun zugleich der Tag der vinalia ncsficay des
Vorfestes der Weinlese, dem am 23. April das der vinalia priora
vorausging — beides in Anknüpfung des jungem Weinbaues an die
älteren Ackerbaufeste. Dass Jupiter der Schützer der neuen Gabe
wurde und sein Priester, der Flamen Dialis, die Weinlese weihte,
lag in dem Wesen dieses Gottes, von dem alle Befruchtung und
landliche Nahrung kam; der Beiname Liber, mit dem er sich als
Weingott oder italischer Dionysos besonderte, war die Uebersetzung
des griechischen Avaiog oder *EXevi^aQiog (Grassmann in Kuhn's
Zeitschr. 16, 107); die genealogische Ableitung, wie in Grriechen-
land, wo Dionysos als Sohn des Zeus gedacht wurde, war den Italem
nicht geläufig. Uebrigens gedieh die Bebe an den Bergen Unter-
italiens so üppig, dass schon im 5. Jahrhundert Sophokles Italien
das Lieblingsland des Bacchus nennen (Ant. 1117: xlvxav oq äf.icpi'
neig ^haliav — d Bukxbv) und die Südspitze Italiens bei Herodot
(1, 167) den Namen Oenotrien d. h. Land der Weinpfahle (nach
Hesychius war oLfCjvQov dorisch so viel als Weinpfahl) tragen konnte.
Oenotrien war die Gegend, wo die Reben an Pfählen gezogen wur-
den, im Gegensatz zu den Landschaften, wo der Wein hoch an
Bäumen emporwuchs, wie in Etrurien und Campanien, dem Gebiet
der Tusker, oder ohne Stütze kurz und niedrig gehalten wurde, wie
in der Gegend von Massilia und in Spanien, oder in dachartigen
Spalieren an Stangen oder Stricken sich fortrankte, wie im Brundi*
sinischen, oder am Boden fortkroch, wie in Kleinasien u. s. w. Die
verschiedenen Methoden, am bündigsten aufgeführt bei Yarro 1, 8,
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Der Weinstock. 67
ergaben sich theils aus der Natar des Bodens, der entweder felsig
and heiss oder feucht und humusreich war, theils aus dem Mangel
oder Yorrath an dem nöthigen Holz oder Rohr, theils aus der Ge-
wohnheit deijenigen, von denen in einer bestimmten Gegend der
Weinbau ursprünglich ausgegangen war, und der Rebenvarietät, die
sie zu allererst mitgebracht hatten. Der Waldreichthum des später
Lucania und Bruttium genannten Landes, welches von der damit
zusammenhangenden Viehzucht auch Italia benannt war, mag zu all-
gemeinem Gebrauch eigener Weinpfehle, suriy mdeSy ridicae^ palt (für
focU oder pagli: das entsprechende griechische ndaoaXog bedeutet
nur Pflock) geführt und der Name OiviozQiay OiviotQoi von solchen
Griechen herrühren, denen die frei am Boden gezogene Rebe, die
Xa^lttg, mthampelos ipsa se sustinenSy oder die Baumrebe, die äva-
derdgag, aficifia^vg (ein Wort, dessen eigentliche Form nicht fest-
steht, das aber Sappho und Epicharmus brauchten), fiafiatig^ äfiv^
axoia, egi^avig, oQivia, ß^xa, ^vaiag^ voTag, naQiag, tnog, virj
IL s.w. das Gewohnte war^^). Auch in die Gegenden an den Po-
mündungen muss der Weinstock mit dem griechischen Seeverkehr
frühe gekommen sein, so wenig der niedrige wasserreiche Boden
diese Kultur zu begünstigen scheint. Ueber das Zusammentreffen
der dortigen Sümpfe mit reichem Weinbau wunderte sich mit Recht
schon Strabo (5, 1, 7). Die vitia spionia^ quam quidam »pmeam
vocant (Plin. U, 34. Colum. 3, 2, 27. 3, 7, 1. 3, 21, 3. 10)
wuchs im Gebiet von Ravenna (Ravennati agro pecvUaris\ ertrug
Hitze und Regen, nährte sich von Nebeln und galt — was auch
von andern nordischen Reben ausgesagt wird — für reich an Ertrag.
Der Wein war in Ravenna wohlfeiler als das Wasser, so dass Mar-
tial daselbst lieber eine Cisteme mit Wasser, als einen Weinberg
besitzen mochte, 3, 56:
Sit dsterna mihi quam vinea malo Ravennae,
Cum possim midto vendere pluris aquam —
ond sich beklagt^ ein dortiger betrügerischer Schenkwirth habe ihm
lernen Wein statt des mit Wasser gemischten verkauft, 57:
CaUidus imposuit nuper mihi copo Bavennae^
Cum peterem mixtum^ vendidit ille merum,
Aach die Landschaft Picenum, in der geographische Namen und
manche andere Spuren auf eine alte Verbindung mit den Pomundun-
gen hindeuten, wird schon frühe als besonders weinreich geschildert:
bei Polybius 3, 88, 1 kurirt Hannibal die Pferde seiner Armee mit
5*
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68 Der WeinstocL
den alten, im Ueberfluss vorhandenen Weinen der Gegend: xai
Tovg ^iv tnTiovg ixkotmv toig nalaiolg oXvoig öiä to nl^&og,
i^e&SQansvae Ti^y xaxe^lav avruiv. Noch lange nachher gingen
grade die Weine Picenoms ins Ausland, nach Gallien (Plin 14, 39),
wie in den Orient (Edict. Diocl. 2.). Dort lag die Landschaft, in
der die berühmte vinum Praetutiamtm genannte Weingattong wachs,
Sü. Ital. 15, 568:
Tum qua vitiferos domitat Praetutia pubes
Laeta Idboris agros —
die der istrischen Traube ähnlich war, Dioscorides 5, 10: o ob la-
TQixbg Isyo^evog eoixe zq^JiQaiTovriavfp, ja von Plinias mit dem
am Flusse Timavus bei Aquileja wachsenden vinum Pucinum identi-
ficirt wird (14, 60 nach Silligs Emendation). Die picenische Rebe
also war aus alter griechischer Zeit am Westufer des adriatischen
Meeres bis in dessen innersten Winkel hin verbreitet. Von der
grossen Fruchtebene, die sich vom Po bis an den Fuss der Alpen
erstreckt, weiss auch im Punkt des Weines Polybius, der als Augen-
zeuge spricht, nicht genug Rühmens zu machen (Polyb. 2, 15); sie
mochte wohl schon Trauben tragen, als die Kelten in Italien ein-
brachen und nach der Sage (Liv. 5, 33. Plin. 12, 5. Plut. Camill. 15)
eben durch den Wein und die Früchte des Südens dazu angereizt
wurden. Mit Weinlaub bedeckt erscheinen bei Martial auch die Ab-
hänge der vulkanischen Euganeen bei Padua, JO, 93:
Si prior Euganeas, Clemens, Helicaonis oraa
Pictaque pampineis videris arva jugis,
Per/er Atestinae nondum vulgata Sabinae
Carmina.
Sehr berühmt wurden frühzeitig auch die vina Raetica d. h. die
heutigen Tiroler und Veltliner Weine, die aus der Ebene kommend
die Vorhögel und den Südabhang der Alpen erstiegen hatten. Nach
Serv. zu 'Verg. G. 2, 95 hatte schon Cato die rhätische Traube ge-
lobt, wurde aber dafür von CatuUus, der als geborener Veronese
hierin Bescheid wissen musste, getadelt Unvergänglichen Ruhm
aber erwarb sich der rhätische Wein durch Vergil, der ihn nur dem
Falerner nachstellte, G. 2, 95:
et quo te carmine dicam^
BaeUcal nee cellis ideo contende Falemis.
Auch Vergil war nicht weit von den Hügeln und Thälem des Süd-
alpenlandes zu Hause^ vielleicht aber pries er den Rhätier nur, weil
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Der WeinstocL 69
Augastas, wie Sueton Aug. 77 erzählt, ihn besonders liebte. Strabo
stiiiimt in das Lob mit ein, 4, 6, 8: xai o ye 'Paizinög ohog^ tdv
h toig ^haXixdig inaivovfiivwv oix aTiolslaead-ai öoxßy, h Toig
fovTwv vnwQBiaig yivatai, aber vielleicht ist er nur ein Echo Ver-
giis. Auch Plinius berichtet 14, 16: ante eum (Tiberium Caesarem)
Rae^cis prior mensa erat et avia Veronensium agro^ gleich darauf fögt
CT indess hinzu: quod et in Raetica Allobrogicaque — eüenit, dornt
nobäibus nee adgnoscendü alibi. Martial kennt gleichfalls die rhäti-
sehen Weine aus der Heimat des Catullus, 14, 100: Panaca.
Si non ignota est docH tibi terra CatulU,
Potasti teata Baetioa vina mea.
Aach noch ganz spät zu Cassiodors Zeit stand das Gebiet von Verona
wegen seiner Weine in Ruf (7ar. 12, 4).
Schon Cato hatte gefunden, dass von allen Arten der Boden-
benutzung der Weinbau die vortheilhafteste sei, 1, 7: cfe omnibus
aym .... vinea est prima^ si vino multo siety und in den spätem
Zeiten der römischen Republik war Italien bereits in so ausgedehn-
tem Masse ein Weinland geworden, dass das Yerhältniss der Reben-
zaeht zum Eornbau sich umgekehrt hatte und die Halbinsel Wein
ans- und Getreide einführte. Aber längst hatte diese Kultur auch
begonnen, über die Grenzen Italiens hinauszudringen und im Norden
imd Westen sich einzubürgern. Columella, 1, 1, 5, führt aus dem
Ütem landwirthscbafüichen Schriftsteller Sasema den Ausspruch an,
das Elima habe sich geändert, denn die Gegenden, die sonst zum
Wein- und Oelbau zu kalt gewesen, hätten jetzt Uebcrfiuss an beiden
Producten. Hier liegt die richtige Beobachtung zu Grunde, dass
der Anbau der genannten Gewächse im Laufe der Zeiten immer
weiter nach Norden gerückt sei, nicht weil das Elima ein anderes
geworden, sondern durch allmählige Acclimatisation. In der neuem
Zät ist im Yerhältniss zum Mittelalter das Umgekehrte eingetreten:
der Weinbau hat sich aas den nordischen Landstrichen zurück-
gezogen, in denen er ökonomisch nicht mehr vortheilhaft war. Das
nördliche Frankreich, die südlichen Grafschaften Englands, Thürin-
gen, die Mark Brandenburg u. s. w. trieben sonst Weinbau. Bei
entwickelterem Verkehr musste man es vorziehen, den Wein be-
gunstigterer Gegenden gegen diejenigen Früchte einzutauschen, die
der eigene Boden reichlich und sicher hervorbrachte. Der üeber-
gang des Weinbaus nach Frankreich, vne er aus historischer Zeit
in einzelnen Notizen vorliegt, gewährt übrigens eine lebendige Ana-
logie der Vorgänge, durch welche die Rebe Jahrhunderte früher zu
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70 I^er WeinstocL
den Yolkern des innem Italiens sich mag yerbreitet haben. Der
erste Weinstock auf gallischem Boden wurde ohne Zweifel yon der
Hand eines Massalioten «gepflanzt; auf den Massilia umgebenden
Bergen gedieh die Rebe vortrefflich^ Strab. 4, 1, 5: von den Massa-
lioten: xcJ^av d* k'xovoiv ilai6q>vTov fiiv xai xaxafineXnv, Die
Eulturart war die aus der Heimath mitgebrachte kleinasiatische ohne
Stützen und Pfahle. Die östlich und westlich ausgesandten Ansied-
ler verbreiteten den Weinbau längs der Küste, zunäehst um die be-
festigten Stationen herum. Die Eingebomen — Ligurer und Iberer,
später Kelten — tauschten den Wein gegen die Rohproducte ihres
Landes ein, ganz wie später die Bewohner von Aquileja den Illyriem
Oel und Wein lieferten und von diesen dafür Sclaven, Vieh und
Häute bezogen (Strab. 5, 1, 8). Zunächst waren es nur die Reichen,
die den italienischen und massaliotischen Wein tranken, während
die Aermeren bei dem nationalen Getränk aus gegorenem Getreide
blieben (Posidonius Fr. 25. Müller). Allmählich drang denn die
Kultur weiter ins Innere; von den benachbarten lernten die ent-
fernteren Stämme selbst die Rebe ziehen und den Saft der Beeren
durch Gährung in Wein verwandeln, Justin. 43, 4: tunc et vitem pu-
tare^ tunc olivam severe cansueverunt Macrob. Somn. Scip. 2, 10, 8:
GaUi vitem vel cultwm olivae^ Roma iam adolescentey didicerunt — so
sehr, dass die Römer, die nicht bloss ein Krieger-, sondern auch
ein eigennütziges Kaufmannsvolk waren^ bereits eifersüchtig wurden
und im Interesse der italischen Ausfuhr den von ihnen gezüchtigten
transalpinischen Yölkchen die Friedensbedingung auflegten, des Oel-
und Weinbaus sich zu enthalten, Cic. de rep. 3, 9, 16: nos vero
iustissimi homines gut Transalpinas gentes oleam et vitem serere non.
sinimtiSy quo pluris sint nostra oliveta nostraeque vineae (Mommsen,
Römische Geschichte^, 2, 159). AJs nach den Siegen über die
AJlobroger und Arvemer die Gegend zwischen Pyrenäen, Cevennen
und Alpen zur provincia Narbonensis erhoben worden war, fand
immer noch eine starke Einfuhr von italienischem Wein Statt Wir
sehen dies aus Ciceros Rede für den Fontejus, der sich erlaubt hatte,
von den ans Italien eingehenden Weinen ein vectigal zu erheben
und ein portorium vini einzusetzen, und deshalb in Rom angeklagt
wurde (Cic. pro Font. 5). Es folgte Cäsars Eroberung des ganzen
Landes bis zur Nordsee und zum Rhein und der Eindrang römischer
Cultur, Sitte und Lebensgewohnheit in ungehemmter Strömung. Im
ersten Jahrhundert der Kaiserzeit zeigen uns die Nachrichten bei
Plinius und ColumeUa das heutige Frankreich bereits als selbständig
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Der WeinstocL 71
ges, rivalisirendes Weinland, mit eigenen Trauben- und Weinsorten,
mit Ausfiodir und Yerpflanzung nach Italien, zugleich nicht ohne An-
zeichen der eben erst YoUbrachten Aneignung einer noch jugend-
lichen Kultur. Gallien stand damals zu Italieu, wie in der Urzeit
Italien zu Griecheuland und noch früher Griechenland zu Syrien,
Phrygien und Lydien. Gallische Weine fanden bei Italienern Ge-
schmack: Plin. 14, 39: mirum — in Italia Gaüica placere^ trans
Aipk vero Picena, Colum. 1, praef. 20: et mndemiaa condimvs ex
mulis Cycladibus ac regionibtis Baeticts GaUicisque. Der Burgun-
derwein tritt auf, wenn auch natürlich nicht unter diesem Namen,
sondern als Wein von Vienna an der ßhone, als Arvemer, Sequaner,
Hei vier, Allobroger, Plin. 14, 18: tarn inventa vitü per se in vino
ficem resipiens^ Viennensem agrwm nobilitanSj Arvemo Sequanoque et
Eelvico generibtts non pridem illustrata atque Vergili vatia aetate itir-
cognitcL^ a cujus obitu ac aguntur anni. Er schmeckte nach Pech
(wie nach Strabo 4, 6, 2 auch der ligurische, und wie noch heute
emige Burgunderweine), wurde auch künstlich mit Harz und Pech
behandelt, war an Ort und Stelle beliebt, ward aber auch nach
ItaUen ausgeführt, Martial. 13, 107: Picatum vinum:
Haec de vitifera venisse picaia Vienna
Ne dubüea: misit Bomulus ipse mihi.
Auch gallische Traubensorten, also Varietäten, die sich bereits auf
dem neuen Boden gebildet hatten, fanden in Italien Verbreitung: die
mUs helvenacia^ elvenaca^ hdvennaca (Colum. 3, 2, 25. 5, 5, 16.
Plin. 14, 32; der Name abgeleitet, wie es scheint, von dem kelti-
schen Yolksnamen Helvii, in anderer Form Helvetii, s. oben das
gems Helvicu/m bei Plinius), die vitis Biturica^ Biturigiaca (Plin. 14,
27. C!olum. 3, 2, 19 und öfter. Isid. Hisp. 17, 5, 22; schon in das
Gebiet des heutigen Bordeauxweins hinüberreichend), die Aüo-
hrogica (Plin. 14, 26. Colum. 3, 2, 16; colore nigra^ eben die rothe
Burgundertraube) u. s. w. Die Eigenschaften, die diesen gallischen
Reben zugeschrieben werden, laufen alle auf grössere Widerstands-
kraft gegen Ungunst des Klimas hinaus: sie nehmen mit magerem
Boden vorlieb, ertragen Kälte, Regen, Wind; sie sind alle reich an
Beeren und liefern viel Most; sie arten bei Ortsveränderung leicht
aus, haben also noch keinen constanten Charakter gewonnen: die
hehennaca kommt in Itahen schlecht fort, bleibt dort klein und fault
leicht, die Lieblichkeit des AUobrogers cum regione mutatur u. s. w.
An der geringen Haltbarkeit lag es, wenn die Weine von Massilia,
die etwa unseren Cette- Weinen entsprachen, nach griechischer Sitte
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72 Der WeinstocL
geräuchert worden (oft erwähnt, z. B. Martial 3, 82, 23: vel cocta
fumü musta MasaiUtams) und die proven^alischen Weine überhaupt
nicht bloss durch Rauch, sondern durch Zusatz von Kräutern and
Gewurzstoffen entstellt in den Handel kamen (Plin. 14, 68). Die
Alten griffen nach allerhand Mitteln, wie Einkochen, Räuchern, Zu-
mischen u. s. w., da sie den Branntwein, durch den unsere Xerez-,
Porto-, Marsala- und andere südhche Weine vor dem Verderben be-
wahrt werden, noch nicht kannten. Dass nun während der römi-
schen Eaiseijahrhunderte der Weinbau in Gallien nicht bloss sich
befestigte, sondern seine Grenzen erweiterte, dass er sich des Thaies
der Garumna, nach Norden und Nordwesten der Thäler der Marne
und der Mosel bemächtigte, lag im natürlichen Laufe der Dinge.
Den Rhein aber überschritt er zur Römerzeit noch nicht (Bodmann^
Rheingauische Alterthümer, S. 393: »Wir setzen unbedenklich die
Ursprünge des Weinbaues im westlichen Rheingaue auf den Zeit-
raum der austrasischen Regierung des Merovingischen Eönigsstam-
mes"). Von Gallien aber ward, wenn auch nicht der Weinstock,
so doch der Wein den angrenzenden Germanen zugeführt, die mit
Aufnahme dieses Products den verhängnissvollen Pact mit gallisch-
römischer Kultur schlössen, während bei den weiter wohnenden
Stämmen das sogenannte Freiheitsgefühl, d. h. die Anhänglichkeit
an das von den Vätern ererbte halbnomadische Jagd- und Heerden-
leben der verdächtigen Gabe sich erwehrte. (Mehr als tausend Jahr
später ging es den Deutschen in Norwegen, wie einst den Römern
in Deutschland: da waren sie die weinführenden Südmänner, die
das Volk verdarben und deshalb vom König Sverris in Bergen nicht
zugelassen wurden, s. die Stelle aus der Sverris saga bei Weinhold,
Altnordisches Leben, S. 109 f.). So sehr drohte aber auch in den
Provinzen die Weinkultur den Getreidebau zu überwuchern, dass der
Kaiser Domitianus in einem Anfall von Besorgniss die Hälfte und
mehr aller ausserhalb Italiens bestehenden Weinberge auszurotten
befahl — was sich indess natürlich nicht ausführen liess, Suet.
Domit. 7: ad mimmwm qiumdam vAertatem vini^ frumenü vero in-
opiariij exütimans nimio vinearum studio negliffi aroa^ educit: Ne qud^
in ItaUa noveüaret^ atque in provinciis vineta succiderentwr^ reldciOy
vhi plvrimfmm^ dimidia parte: nee easequi rem perseveravit Da gleich-
zeitig ein Verbot gegen die orientalische Sitte der Entmannung er-
ging, sagte Apollonius, der Kaiser schone die Menschen, eunuchisire
aber die Erde: y^v evvovxi^eiv (Philostr. vit. Apoll. 6, 42). Die
Ausführung des Befehls wurde von lonien und überhaupt von Asien
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Der Weinbau. 73
durch eine Gesandtschaft abgewehrt (Id. vit. Soph. 1, 21, 12)»»).
Indess muss der provinciale Weinbau immer von Italien ans mit un-
günstigen Augen angesehen worden sein. Denn vom Kaiser Probus
wird berichtet, er habe den Provinzen Gallien, Spanien und Britan-
niai, nach Andern Gallien, Pannonien und Mösien erlaubt, Wein-
beige zu besitzen und Wein zu bereiten, Fl. Vopisc. Prob. 18:
GaUis onmibus et Hispanida ac Britannüs hinc permisit ut vites habe-
mt vmumque consent Eutrop. h. Rom. 17: Vineas GaOos et
Pamomos habere permüit. Aurel. Vict de Caes. 37, 2: Hie Oaüiam
Pannantasque et Moeaorum colles vinetis replemt. Auch die Trinker
des Tokayerweins also könuen den Kaiser Probus leben lassen, der
nur kurz regierte, aber ein Held der Legende, eine Art Weinheili-
ger wurde — natürlick, wie so oft, auf gelehrtem Wege d. L nach
den so eben beigeschriebenen Stellen der Historiker. Weniger be-
sangen, aber von nicht geringer Wichtigkeit ist ein anderes Kultui^
Produkt, das das transalpinische Europa zugleich mit dem Wein von
Saden her kenneo und vielfach anwenden lerute, wir meinen den
Essig, französisch vinaigre (wörtlich: saurer Wein), englisch vine-
^, goth. akeit (aus acetum), alts. eJdd^ ags. oced, ahd. ezih (durch
Umstellung der beiden Consonanten), kirchensl. odtü^ pohi. neosl.
baigar. ocet, serb. ocat, magyar. eczet^ walach. ocet. Die Russen und
dorch sie die Litauer haben ihre Benennung des Essigs aus dem
Griechischeu, d. h. aus Byzanz: griech. o^og^ russisch wibt«, litauisch
«^»ö»a«, obgleich es jetzt kein Land giebt, wo eine grössere Vorliebe
ftr alles Sauere herrschte, als in dem weiten Gebiet von den Kar-
pathen bis an die chinesische Mauer. Essig mit Wasser gemischt,
die sog. posca (das Wort angeblich aus ano^g entstanden), griech,
o|v»pofToj/, war ein unter dem Volk in Italien und in den Soldaten-
lagern gewöhnliches Getränk und mag von den letzteren aus auch
ia den barbarischen Ländern sich verbreitet haben.
Vergleicht man den heutigen Zustand des Weinbaues mit dem
ZOT Zeit der Alten, so hat auch diese Kultur einigermassen an dem
allgemeinen Gange der Geschichte Theil genommen, d. h. sie ist in
ikren Ausgangsländem in Verfall gerathen und steht in dem zu aller-
jöngst gewonnenen Gebiete auf der höchsten Stufe der Entwickelung.
Als Vorderasien, die Wiege der Rebenzucht, von Völkern islamiti-
schen Glaubens überzogen worden, konnte ein Product nicht mehr
gedeihen, dessen Genuss das Gesetz den Eroberem untersagte, ti
allen Ländern arabischer Herrschaft, in Nordafrika, Sicilien, Spanien
ging der Weinbau zurück, da er von den Mächtigen nicht begünstigt
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74 Der Weinstock.
wurde, die mit semitischer Massigkeit mehr den Enltos des Wassers
und kühlen Schattens, als den des erhitzenden Getränkes übten. Ja
es fanden sich einzelne Fanatiker, die den Wein gar nicht dalden
wollten, so der Kalif Hakem 2. von Spanien ; ^er liess fast alle Wein-
reben in Spanien ausrotten: nur uogefähr einen dritten Theil der
Weingarten liess er stehen zum Genuss ihrer Früchte als reife Trau-
ben, als getrocknete Frucht, Rosinen, Syrup und Traubenhonig, was
zu geniessen das mohammedanische Gesetz erlaubte^ (Aschbach,
Gesch. der Ommaijaden in Spanien, 2. S. 158 f.). Was dem Islam
in Spanien nicht gelang — wie die heutigen Xerez- und Malaga-
weine beweisen — , das setzte er in dem gegenüberliegenden Marokko
durch. Die atlantische Küste des letztgenannten Landes war im
Alterthum ein ergiebiger und gepriesener Weinbezirk gewesen, dem
seine Traube, wie Movers, 2, 2, S. 528 flf. urtheilt, nicht erst von
den Karthagern, sondern scholl in der Urzeit von den Phöniziem
zugetragen war. Dort lag das Vorgebirge Ampelusia (Mela 1, 5.
Plin. 5, in.), also das Weinkap, heut zu Tage Cap Spartel, und die
uralte Stadt Li^, die auf ihren punischen und punisch-rönüschen
Münzen die Traube als Wahrzeichen führt (Müller, Numismatique
de Tanc. Afrique B, p. 155 ff.) und von deren Einwohnern die Sage
erzählte, dass sie sich ohne Bodenbestellung nur von freiwachsenden
Weinbeeren nährten (Paus. 1, 33, 4). Auch nach Strabo, 17, 4, 4
sollten die Weinstöcke von Maurusien so dick gewesen sein, dass
sie Yon zwei Männern nicht umspannt werden konnten, und Trau-
ben von einer Elle Länge getragen haben. Von reicher Weinerzeu-
gung dieser Gegend und einem darauf gegründeten Ausfuhrhandel
der Phönizier berichtet auch der Periplus des Scylax 112. Noch im
Mittelalter bei Ankunft der Araber muss diese Kultur bestanden
haben, da die Stadt, die von ihnen an Stelle des alten Lix gegrün-
det wurde, den Namen El-Araisch, d. h. Weinberg erhielt Jetzt
nun trägt das überaus fruchtbare Land in Folge der arabischen
Herrschaft keine oder fast keine Weinpflanzung mehr und nur unter
den ungebundenen Schelluh's des Rif hat der Islam das verbotene
Getränk nicht ausrotten können (s. Barth, Wanderungen durch die
Küstenländer des mittelländischen Meeres, S. 20)^^). Das heutige
Griechenland — nach so vielen zerrüttenden Schicksalen und Jahr-
hunderten ethnologischer und wirthschaftlicher Erniedrigung — er-
zeugt mit wenigen Ausnahmen nur schlechten Wein; der Ruhm des
Chiers, Lesbiers, Thasiers ist längst dahin und der harzgeschwängerte
Resinate, über den schon Liudprand in seiner Gesandtschaftsreise
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Der Weinstock. 75
nach EonstanÜDopel vom Jahr 968 klagt, nicht geeignet^ ihn wieder
ins Leben zu rafen (Ausführliche Mittheilangen darüber in Fiedlers
Reise durch alle Theile des Königreichs Griechenland, 1, S. 571 flf.).
Yielleicht sind auch die Korinthen nur eine durch Degeneration
kerrorgerufene Varietät. Sie sollen von der Insel Naxos gekommen
vnd nicht vor dem Jahre 1600 in Morea bekannt gewesen sein.
Merkwürdig ist, dass sie gleichsam von Gegend zu Gegend wandern:
aof Naxos sind sie yerschwunden, bei Korinth, woher ihr Name
^ammt^ sind sie nicht mehr vorhanden, ihr Productionsbezirk ist
jetzt Patras, Zante und Kephalonia (s. Xavier Scrofani, Memoire
sor la culture du raisin de Corinthe, in dessen Voyage en Grice,
frad. de l'italien, 3, S. 115 fF.). — In Italien kam es den ostgothi-
schen und longobardischen Fürsten und Edlen wie allen Barbaren
gewiss nicht auf feine geistige Blume ihres Weines, sondern auf das
Quantum an, das die unterworfenen Colonen ihnen zu liefern hatten.
Wer beim Schmause aus dem Schädel des erschlagenen Feindes
tnnkt, dem sagt das Herbe und Starke am meisten zu, vor Allem
aber begehrt er, seine kriegerische Trinkschale recht oft leeren und
wieder füllen zu können. Die Normannen im Süden, die deutschen
Könige auf ihren Römerzügen und die sie begleitenden Herzoge,
Grafen, Edlen und Mannen waren allesammt wackere Trinker, aber
sicherUch keine allzu kritischen und wählerischen Kenner. Dazu
die Gebundenheit des Grund und Bodens, die den arbeitenden Stand
in düsterem Stumpfsinn erhielt, die ewigen Raub- imd Verwüstungs-
ZQge und die Verwilderung und Unsicherheit des Lebens überhaupt,
die keine Kapitalanlage auf längere Jahre gestattete. Vielleicht
machten einige geistliche Besitzthümer eine Ausnahme, und die
Keller der Klöster mögen hin und wieder alten, durch Lagerung
Teredelten Wein enthalten haben, doch darf man sich die Zunge der
Bischöfe und Aebte des heiligen römischen Reichs anch nicht allzu
fein denken, denn auch sie, wie die Ritter, waren Kinder einer rohen
Zeit: nicht bloss tranken sie den Wein ohne Zusatz von Wasser —
im Gegensatz zu der humanen, schon bei Homer geltenden xmd
durch die Gesetze des Zaleukos ausdrücklich gebotenen Sitte der
Alten, den Wein mit Wasser zu mischen, sondern am meisten mun-
dete ihnen Wein mit Gewürz, Beeren und Honig abgekocht, vinum
ttofflrfuw, claretum s, claratumy lütertranc, m&ras, claret, ein Misch-
trank, der zwar auch bei den Alten mitunter erwähnt wird, aber
dort nur eine unter mannigfachen, in weinreichem Lande natürlichen
Nebenanwendungen des zu täglichem Genüsse dienenden Productes
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76 Der Weinstock.
war. Dass seit der Römerzeit die edlere Weinkultor Rückschritte
gemacht hat, darf man in Anbetracht dieser ungünstigen Verhält-
nisse wahrscheinlich finden. Liest man die weitläufige Abhandlung
des Plinius über den Wein (im 14. Buche) oder den Abschnitt über
denselben Gegenstand im Auszuge des ersten Buches des Athenäos,
so sieht man deutlich, wie der Geschmack und Reichthum der Vor-
nehmen diesen Kulturzweig in steter Regsamkeit erhielt. Es hat
sich eine unendliche Mannigfaltigkeit von Sorten und Arten ergeben
(gleich dem libyschen Sande, sagt Vergil, oder den Wellen des
Meeres), von denen die eine von diesem, die andere von jenem
Magnaten patronisirt wird; der Wetteifer, sich gegenseitig zu über-
bieten, führt zu immer neuen Versuchen, sowohl in Wahl der Trau-
ben, als in Behandlung des Saftes: die Mode wechselt — aber viel-
leicht auch die natürliche Güte des Gewächses. So hatten zur 2ieit
des Augustus die auf der Grenze Latiums und Campaniens wachsen-
den Weine, der aus Horaz Jedem bekannte Falemer, Massiker,
Cäcuber, für die edelsten der Halbinsel gegolten, und Plinius be-
richtet, zu seiner Zeit, also nach etwa zwei Menschenaltem, wurden
sie nicht mehr geschätzt, wodurch, fügt er hinzu, offenbar wurde,
dass jeder Boden seine Zeit hat, 14, 65: ma quilm^que terris tem-
pora esse^ sicut rerum proventus occasusque. Kurz vorher hatte er
freilich gerade mit Bezug auf den Falemer gesagt, dieser Wein sei
nicht mehr der alte (exole8cit\ weil die Prodocenten mehr auf die
Menge als auf die Qualität des Erzeugnisses Bedacht nähmen. Ganz
denselben Vorwurf macht man auch dem heutigen Weinbau in Grie-
chenland, wie in Italien. Bei der vorherrschenden, auf Natural-
abgabe basirten Pachterwirthschaft wird hauptsächlich auf das Quan-
tum gesehen, und diejenige Kulturmethode vorgezogen, die den
reichlichsten Ertrag verspricht; die Traubenlese geschieht sorglos,
unreife und faule Beeren werden mit den reifen zusammengeworfen;
um möglichst dunklen Wein zu erzielen, für welchen ein allgemeines
Vorurtheil herrscht, wird der Most zu spät von den Trestem ab-
gezapft, wodurch der in der Haut der Beeren enthaltene Pflanzen-
schleim und Farbestoff in den Wein übergeht und die essigsaure
Gährung hervorruft, die den italienischen Landwein meistens noch
vor dem Schluss des Weinjahres ergreift. Dazu kommt die noch
zu hohe Temperatur zur Zeit der Gährung im Herbste, so wie der
Mangel an luftdichten soliden Fässern und an kühlen Kellern. Die
Temperatur der letztem bleibt selten unter der mittleren des Jahres.
Die Art der Aufbewahmng bei den Alten war in einem warmen
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Der Weinatock. 77
Klima yielleicht wirklich passender, als die unsere in hölzernen
Tonnen, die die Römer bei den cisalpinischen Galliern und den
AlpaiYölkem zuerst kennen lernten und die sich von da weiter nach
Süden verbreitet hat' *). Die Schläuche im Orient haben wenigstens
den Yortheil, dass sie keine Luft zulassen, beim Gebrauch sich ent-
qtrechend zusammenziehen, leicht aufgepackt werden und auf Reisen
mm Liegen und Sitzen dienen. — Allbekannt ist, dass in moderner
Zeit die Palme der Weinproduction dem mittleren und südlichen
Frankreich zukommt. Wenn Italien die 30 Millionen Hectoliter
seines jährlichen Ertrags feist ausschliesslich selbst verbraucht und
also für das Ausland wenig übrig hat, so erzeugte Frankreich bis
fodr Kurzem (d. h. ehe die Reblaus ihre Verwüstungen begann) das
Doppdte davon, mit einem Geldwerth von etwa 2000—3000 Mill.
Fnuiken, und bildete das Hauptausfuhrland, welches alle Gegenden
der Erde mit den feinsten wie mit gewöhnlichen Tischweinen ver-
sorgte. Das einzige Departement de TH^rault brachte durchschnitt-
lich 12 — 15 Millionen Hectoliter, also dreimal oder viermal mehr
Wein hervor, als das ganze Königreich Portugal. Es ist eine merk-
würdige Thatsache, dass der Weinstock ganz nahe an der Nord-
grenze seiner Yerbreitungsphäre, in Gegenden, wo er erst mühsam
und allmählig und ganz zuletzt eingebürgert worden, den edelsten
Fruchtsaft hervorbringt, der unter dem Namen Burgunder, Johannis-
berger u. s. w. in aller Welt berühmt ist. Kultur und Technik
iiaben freilich das Ihrige dabei gethan, und wir wissen nicht, was
beide in den alten Heimatländern des Weinstocks leisten könnten,
wenn sie daselbst Eingang und Au&ahme fanden. In dieser Hin-
sicht verdient eine in den ersten Jahrhunderten des beginnenden
Hittelalters, zur Zeit des Sidonius ApoUinaris, Cassiodorus, Grego-
rins Toronensis, Yenantius Fortunatus, Fulgentius u. s. w., auftretende
Erscheinung alle Aufmerksamkeit. Damals nämlich wandte sich die
ocddentalische Welt zu den Weinen Palästinas, als den stärk-
sten und edelsten zurück, etwa in der Weise, wie wir die Sherry-
ond Portweine aus der pyrenäischen Halbinsel beziehen: Gregor.
Turon. 7, 29: müüque pueros unum post almm ad requirenda po-
tentiora vina, Laticina videlicet atque Gazitina (Weine von Gaza).
Sid. ApolL carm. 17, 15:
Vina mihi non sunt Gazetica, Chia^ Falema
QucLeque Sareptano palmite missa bibes.
C*88iod. Var. 12, 12: ibi enim reperitur (yinum) et Gazeto par
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78 Döf Weinstock.
et Sabino simüe. Auch am byzantischen Hofe ward dieser Wein
der phönizisch • philistaischen Küste geschätzt, Coripp. de laad.
Just. 3, 87:
et dulcia Bacchi
Munera quae Sarepta ferax, quae Gaza crearat,
Ascalon et laetis dederat quae Graeca colonis.
Der Einbruch der Araber machte dieser Weinproduction und dem
darauf gegründeten Handel ein Ende (s. Stark, Gaza, S. 561 f.).
Zur Zeit des Alterthums wurde der Weinstock darch alle Lan-
der getragen, die das Mittehneer umgeben: hat er sich jetzt —
könnte man fragen — , wo die Kultur in immer grösserem Massstab
die ganze Erde umfasst, über alle Welttheile verbreitet? Die Ant-
wort muss verneinend ausfallen. In der südlichen Hemisphäre ist,
mit Ausnahme des nicht bedeutenden Kaplandes, die schmale ge-
mässigte Zone, in der der Weinstock gedeiht, nicht vorhanden, und
in der sogenannten Neuen Welt haben die Vergehe, ihn Anzupflan-
zen und ertragfähig zu machen, keinen übermässigen Erfolg gehabt.
Nordamerika mag jetzt nahe an eine Million Hectoliter erzeugen und
in den meisten Wirthshäusem der Vereinigten Staaten ist schon ein-
heimischer Kalifomier zu haben, aber er wird als von nicht an-
genehmem Geschmack geschildert. Der Wein liebt, so zu sagen,
den Westen nicht imd hängt an seiner alten Nachbarschaft. In
^einigen Theilen Australiens sollen sich jetzt ziemlich ausgedehnte
Weinkulturen finden, meist von deutscher Hand angelegt, aber der
dortige Bordeaux geht zu sehr ins Blut, Mosel- und Rheinwein La-
ben keine Blume u. s. w. (s. Hugo Zöller, Rund um die Erde, Köln
1881, I, S. 157 und 190 f.). Nur an zwei Punkten hat am Aus-
gang des Mittelalters die Hand des Menschen den Bezirk der Rebe
wirlich erweitert, in Madeira und auf den Canarien — die aber
beide gewissermassen noch zu Europa und zum Kreise des Mittel-
meers gehören. Nach Madeira Hess schon Prinz Heinrich der See-
fahrer Rebschösslinge aus dem Peloponnes und von der Insel Kreta
bringen, nach Teneriffa verpflanzte Alonzo de Lungo gegen das Jahr
1507 Weinstöcke von Madeira. Der dort also aus griechischen
Reben gewonnene Wein wurde später in allen Ländern berühmt;
in neuester Zeit hat der Traubenpilz dieser Kultur den Garaus ge-
macht, und sie hat jetzt MOhe, sich wieder herzustellen. Interessant
aber ist der Weinbau auf jenen Inseln auch desshalb, weil er sich
hier dem Tropenklima am meisten nähert: die Weinberge von Süd-
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Der Feigenbaum. 79
persien und die am Eap stehen vom Aequator weiter ab, als die
der Insel Ferro unter 27*' 48' (s. Leop. v. Buch in den Abhandl.
der Berliner Akademie vom Jahre 1817, S. 352).
Der Feigenbaum.
(ficus carica, L.)
An die Rebe schliesst sich von selbst die Feige an, die
Schwester des Weinstocks, wie sie schon der lambograph Hipponax
oaimte (Fragm. 34. Bergk.):
Der Feigenbaum hat im semitischen Vorderasien, ib Syrien und Pa-
listina sein eigentliches Vaterland und erreicht dort das üppigste
Wachsthom und die süsseste Fruchtfülle. Das Alte Testament er-
wähnt des Baumes oft, vorzüglich in Verbindung mit dem Weinstock,
ond ist voll von Bildern und Gleichnissen, die daher entnommen
sind; unter seinem Weinstock und Feigenbaam wohnen oder von
seinem Weinstock und Feigenbaum essen — heisst so viel als eines
ruhigen, firiedlichen Daseins gemessen. Auch in Lydien galten Wein
ond Feigen so sehr als die ersten Güter des Lebens, dass diejenigen,
die dem Krösus den Zug gegen Cyrus abriethen, sich darauf be-
riefen, die Perser tränken nicht einmal Wein, sondern Wasser, und
hätten auch keine Feigen zur Nahrung (B[erod. 1, 71). Eben so in
Phrygien: der komische Dichter Alexis nannte die getrocknete Feige,
die loxag, eine Erfindung der phrygischen avx^ (Meineke, Fr. com.
Gr. 3. p. 456). Aber auf den nahe gelegenen kleinasiatischen Küsten
ond Inseln findet sich die Feige als Frucbtbaum zur Zeit und im
Kreise der Ilias noch nicht, um so weniger folglich auf dem
griechischen Festlande. Erst in der Odyssee tritt der «Feigenbaum
aof^ aber auch hier nur an Stellen^ deren nachträgliche Einfügung
ächthch ist. In dem Liede von Odysseus Niederfahrt zur Unter-
welt, welches selbst aus verschiedenen Stücken von Verschiedenem
Alter zu bestehen scheint, hängen über dem hungernden Tantalus
miter andern Früchten auch Feigen herab, 11, 588:
Nieder am Haupt ihm senkten die Frucht hoch blättrige Bäume,
Voll Ton Granaten und Birnen und glanzvoll prangenden Aepfeln,
Auch süsslabenden Feigen und grünenden dunklen Oliven.
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80 I^er Feigenbaum.
Die beiden letzten Verse finden sich dann in einem Bruchstück
wiederholt, das in die alterthümliche Beschreibung vom Palast des
Alkinoos mit Unterbrechung des Zusammenhangs mitten eingescho-
ben ist (7, 103 — 131) und ausser dem Hauswesen auch den Garten
des Phäakenkönigs schildert, in welchem Traube an Traube, Feige
an Feige unvergänglich sich reiht. Endlich in den letzten Scenen
der Odyssee, einem jungen Anhängsel, erscheint Laertes als Pflan-
zer auch von Feigenbäumen. Hesiodus kennt die Feige und deren
Kultur noch gar nicht; bei Archilochus aber (um 700 v. Chr.) er-
scheint sie sicher als Product seiner heimathlichen Insel Faros
(Fragm. 51. Bergk.):
'*Ea IlaQOv xai avxa xeiva xai &ak(iaoiov ßiov —
ein Vers, der vielleicht nicht viel jünger ist, als die letzterwähnte
Stelle der Odyssee. Später rühmte sich Attika, neben Sikyon, der
besten Feigen, ja die Demeter hatte auf attischem Gebiet dem Phy-
talus, der sie gastlich aufgenommen hatte, den Feigenbaum als Ge-
schenk aus der Erde spriessen lassen, wie bei anderer Gelegenheit
Athene den Oelbaum, und Pausanias las noch die Grabschrift des
Heroen, J, 37, 2:
Hier hat Phytalos einst, der Held, die hehre Demeter
Gastlich empfangen und hier zuerst erschuf sie die Frucht ihm,
Die von dem Menschengeschlecht die heilige Feige genannt wird;
Seitdem schmückt des Phytalos Stamm nie alternde Ehre.
Dass dies Geschenk zugleich als Beginn eines edleren, gebildeteren
Lebens gefühlt wurde, geht aus dem Namen TjyrjrrjQia, i^yrjroQia
hervor, mit dem eine am Feste der Plynterien in Athen aufgeführte
Masse trockener Feigen benannt wurde: die Kultur der Feige er^
schien gleichsam als Führerin zu reinerer Sitte''). Wein und Fei-
gen wurden in Griechenland ein aUgem eines Lebensbedür&iss, dem
Armen und dem Reichen gemeinsam, und wie der Araber sich mit
einer Handvoll Datteln begnügt, so reichten auch einige trockene
Feigen dem« attischen Müssiggänger hin, wenn er gafiPend und je
nach der Jahreszeit im Schatten oder in der Sonne liegend den Tag
verbrachte. Was von Plato erzählt wird, er sei ein Feigenfreund,
fpikoavxoQy gewesen (Plut. Symp. 4, 4, 5), galt im Grunde von jedem
Athener, und wie stolz der Letztere auf dies Produkt seines Bodens
war, lehrt die Sage vom Perserkönig Xerxes, der bei jeder Mittags-
tafel durch vorgesetzte attische Feigen sich daran erinnern liess, dass
er das Land, wo sie wüchsen, noch nicht sein nenne und jene
Früchte, statt sie sich von den Einwohnern steuern zu lassen, als
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Der Feigenbaum. 81
aasländische kaufen müsse (Athen. 14, p. 652. Plut. Reg.-Apophth.
Xera. 3). Der persischen Knechtschaft nun erwehrte sich die Stadt
der Sykophanten, aber der Auflösung politischer Moral, an die die-
ser von den attischen Feigen hergenommene Name erinnert, und
dem daraus folgenden Verderben entging sie nicht. — Mit der grie-
cltiscben Kolonisation muss auch der Feigenbaum zu den Stämmen
Unter- and Mittelitaliens gedrungen sein. Er findet sich in die
römische ürsprungssage verflochten, denn unter der ficus Rumtnalis
»Uten Romulus und Remus von der Wölfin gesäugt worden sein
— ein Zug der Sage, der offenbar ganz der nämlichen Symbolik,
nach welcher der strotzende fruchtreiche Baum ins hebräische Eden
versetzt wurde, sein Dasein verdankt**). Später in der Kaiserzeit
waren der Sorten und Benennungen schon so viele geworden, dass
Plinius den gedankenvollen Ausspruch thut, man ersehe daraus wohl,
dass das Bildungsgesetz, welches die Arten in festem Typus erhält,
schwankend geworden sei, 15, 72: ut vel hoc solum aestumantibus
adpareat, rtmtafam esse viiam. Noch zur Zeit des Kaisers Tiberius
wurden edle Feigenarten direkt von Syrien nach Italien versetzt
(PHn. 15, 83). Wie damals, ist noch heut zu Tage die Feige, so-
wohl frisch als getrocknet, die allgemeine und gesunde Nahrung des
Volkes in Italien, besonders im südlichen Theile des Landes. Neben
den einmal jährlich tragenden Bäumen giebt es eine Varietät, die
zweimal trägt, im Sonmier und im Spätherbst: Jicus bifera. Die
reifen Früchte müssen sogleich nach dem Abpflücken gegessen und
dürfen nicht viel mit den Fingern berührt werden: daher die drastische
Argumentation des Cato im römischen Senat, der eine Feige aus
Karthago vorwies, die noch völlig frisch vjrar: tarn prope a muris
habenms hostem (Plin. 15, 75). Sie war wohl, dürfen wir ratio-
nalistisch hinzusetzen, unreif gepflückt und durch Zeit imd Drücken
reif geworden. Die Feigen von Smyma, die wir jetzt für die besten
halten, kamen auch schon im Alterthum unter dem Namen caricae
and cauneae nach Italien und wurden damals, wie jetzt, gepresst in
Schachteln versandt. Auch die ßctca duplex des Horaz (Sat. 2, 2,
122) trifft mau noch in Unteritalien und kann das Verfahren dabei
aus der Anschauung leichter kennen lernen, als aus den Worten
der Alten. Wie von allen viel angebauten Kulturfrüchten gab es
ond giebt es auch von der Feige eine Menge Spielarten, besonders
aber, wie bei dem Wein, zwei Hauptsorten, die purpurrothen und
die grünlichen, auch jetzt noch nei^i und bianchi genannt. Die letzte-
ren als die süsseren dienen mehr zum Trocknen, die ersteren von
Viel. Hehn, Knlturpflansen. 6 ^ t
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82 l>er Oelbaum.
mehr säuerlichem Geschmack werden frisch verzehrt. In der heissen
Zeit erqoickt der Baam zugleich mit den riesigen Blättern an ' den
winkligen, gliederreichen Zweigen durch erwünschten Schatten — im
heutigen Griechenland und Italien, wie zur Zeit des Alten Testa-
ments in Palästina; im verwilderten Stande wächst er malerisch aus
den Spalten alter Mauern und in den Ruinen und an Felsen; sein
Holz, ein inutdle lignti/m d. h. ein schwammiges, leicht berstendes
und sich werfendes, so lang es frisch ist (daher Ausdrücke wie
avxLvog avrjQ bei Aristophanes), soll nach gehörigem Trocknen hart
und fest werden wie Eichenholz.
Der Oelbaum.
(Olea europaea. L.)
Der Oelbaum ist, wie der Feigenbaum, ein Gewächs des süd-
lichen Vorderasiens, das in dieser seiner eigentlichen Heimat unter
den dort wohnenden semitischen Yolksstämmen frühe veredelt und
durch Kultur zu lohnendem Fruchtertrage gebracht wurde. In allen
Theilen des Alten Testamentes finden wir das Oel zu Speisen, bei
den Opfern, zum Brennen in der Lampe und zum Salben des Haares
und des ganzen Körpers in allgemeinem Gebrauch. Tiefer nach
Asien hinein verschwindet diese Kultur, denn der Oelbaum liebt das
Meer und das Kalkgebirge, und auch Aegjrpten brachte kein Olivenöl
hervor. An der griechischen Küste Kleinasiens, auf den Inseln und
in Griechenland selbst wuchs der wilde Oelbaum häufig, der denn
auch in den homerischen Gedichten öfters erwähnt wird; sein immer-
grünes Laub, das hohe Alter, das er erreicht, seine unzerstörbare
Lebenskraft, das harte Holz, das eine schöne Politur annimmt, em-
pfahlen ihn der Aufmerksamkeit des Volkes und der epischen Sage.
So hat bei Homer die Axt des Peisandros (II. 13, 612) einen lan-
gen, wohlgeglätteten Stiel von Olivenholz; die Keide des Cyclopen
besteht aus demselben Material (Od. 9, 320), wie die des Herakles
bei Theokrit (25, 207 S.) und Andern; Odysseus hat sein Ehebett
auf den im Boden haftenden Wurzelstock eines wilden Oelbaums ge-
gründet (Od. 23, 190 ff.), offenbar der Festigkeit wegen, weil der
Oelbaum sich mit weitlaufenden Wurzeln an den Boden klammert,
die Unverrückbarkeit des Lagers aber den sicheren Bestand der Ehe
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Der Oelbanm. 83
und des Besitzes bedeutet und verbüi^; eine Tavvq>vXXoQ ilaiij
stand am Eingänge der Höhle, im Grunde des Hafens, in dem die
Phaaken den schlafenden Odysseus ans Land setzten (Od. 13, 102),
nnd erhalt im Verfolg das Prädikat heilig (v. 372: iBQrjg naQft
nv^fiiv ilairjg) n. s. w. Den Oleaster, von dessen Zweigen die
Sieger in Olympia bekränzt wurden, hatte nach Erzählung der Elier
(Pausan. 5, 7, 4) Herakles von den Hyperboreern im äussersten
Westen hierher gebracht, eine Sage, die auch Pindar sich angeeignet
hat (Ol. 3, 13). Auf der Agora von Megara stand ein uralter wil-
der Oelbaum, der in die Heldenzeit hinaufreichte (Theopr. h. pl. 5^
2, 4. Plin. 16, 199). So ist das Dasein des wilden Oelbaums in
Griechenland zwar in den ältesten Quellen und Ueberlieferungen
constatirt, aber dass er auf griechischem Boden, in einem immerhin
raaberen Klima^ unter einer im Vergleich mit der semitischen noch
juDgen und unentwickelten Gesellschaft allmählig zur ölreichen Olive
erzogen worden, hat keine Wahrscheinlichkeit: vielmehr führte der
Völkerverkehr mit andern werthvollen Gütern auch diese Kultur den
Griechen zu. Die Frage ist nur, wie frühe? Der homerischen Welt
ist das Oel nicht unbekannt^ aber als unverkennbar exotisches Pro-
dtikt, zum Gebrauch der Edlen und Reichen. Wenn die Helden
gebadet oder gewaschen worden, wird der Körper in orientalischer
Weise mit Oel eingerieben und glänzend und geschmeidig gemacht.
Naasikaa, da sie zum Meeresufer fährt, erhält von der Mutter ein
Fläschchen (Aijxu^og) mit duftendem Oel; der Leichnam des Pa-
troklus wird gewaschen imd mit Oel gesalbt; ebenso die Mähne der
Rosse des Achilleus, denn sie waren ja unsterblich. Söhne des Zephyr;
in der Schatzkammer des Telemachos lag neben Gold, Erz und
Wein auch duftendes Oel. Besonders köstlich und von wunderbarer
Kraft ist die Salbe, deren die Göttinnen sich bedienen: Hera, die
den Zeus verführen will, salbt sich mit göttlichem Oel, dessen Duft,
wenn es bewegt wird, Eümmcl und Erde durchdringt (II. 14, 171 £F.);
Aphrodite salbt den Leichnam des Hector mit ambrosischem Rosenöl
(D. 23, 186); Aphrodite wird auf Cypem von den Chariten mit
dem ansterblichen Oel gesalbt, wie es den ewigen Göttern anhaftet
(Od. 8, 364. Hymn. in Ven. 61); Penelope hat sich wegen der
Tnwer nicht gewaschen noch gesalbt, da fallt sie in einen Schlum-
mer, und Athene reinigt ihr während dessen das Antlitz mit der
Mfiterblichen Schönheit, mit der die schöngekränzte Cytherea sich
salbt, wenn sie zum lieblichen Chor der Chariten geht (Od. 18,
192 ff.). An zwei andern homerischen Stellen, wo des Oels Erwäh-
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84 I^er Oelbaum.
Dung geschieht, IL 18, 596 und Od. 7, 107, war schon den Alten
die Erklärung schwierig: an der erstem heissen die Röcke der tan-
zenden Jünglinge sanft glänzend von Oel, an der andern rinnt von den
Gewändern der sitzenden Mägde das Oel herab. Hier ist entweder
der fliessende Glanz des Zeuges mit dem des Oeles nur verglichen^
wo aber, wie man denken sollte, der gleichnissreiche Dichter sich
weniger kurz und bestimmt ausgedrückt und uns sein wie oder
gleichsam nicht vorenthalten hätte, oder — nach einer neuem
Deutung (Philologus, 1860, XV, 329) — die Fäden des Gewebes
sind zum Behufe des Glanzes oder der Biegsamkeit schon ursprüng-
lich mit Oel behandelt, so dass also das fertige Gewand, das die
Mägde im Wunderpalaste des Alkinous angelegt haben, buchstäblich
von Oel trieft (anolsißerai vygov elaiov) und sich beim Tragen
auch triefend erhält — was keiner Widerlegung bedarf. Da im
Morgenlande und bei den Göttern des Epos, wenigstens des spätem,,
duftende Kleider gewöhnlich sind (z. B. Psalm 45, 9: Deine Kleider
sind eitel Myrrhen, Aloes und Kassia; in dem schönen Fragment
aus den Cyprien bei Athen. 15, p. 682 f. sind die Kleider der Aphro-
dite von den Chariten und Boren in Frühlingsblumenduft getaucht,,
und sie trägt ÜQaig navroiatg Te^vwfie^a e^fiaza), so liesse sich
auch hier an ein flüchtiges Oel, an eine phönizische Essenz denken,
mit der die Gewänder besprengt wurden; allein von Duft ist nicht
die Rede, nur von Glanz, und die Analogie von XiTtaQog fettige
glänzend, z. B. kmaQcc xQtjdefiva^ entscheidet für die erste, schon
von den Alten gegebene Erklärung. So ist auch die weisse steinerne
Bank, auf der Nestor vor der Thür seines Hauses sitzt, blank von
Fett, d. h. als wäre sie mit Fett überzogen, spiegelblank (Od. 3,
408: 'XbvxoI anoatiXßovrsg dXaicpavog'). Die grossen Krüge mit
(aHl und älsiq>a() auf dem Scheiterhaufen des Patroklos (11. 23,
170) werden, da hier bei den Bestattungsgebräuchen Alles alter-
thümlich ist, wie der Name sagt, Honig und Thierfett enthalten
haben, zwei von dem primitiven Menschen hoch geschätzte Substan^
zen, die er auch den Todten mitgiebt. Wenn in dem Schififskatalog
(U. 2, 754) der Fluss Titaresius, der in den Peneus fällt, sich mit
dem Wasser des letzteren nicht mischt, sondern oben schwimmt,.
rji?v ekaiov^ so musste beim Baden und Waschen oft die Erfahrung
gemacht werden, dass die Salbe sich auf dem Wasser schwimmend
ausbreitet. Nimmt man alle diese Stellen zusammen, so erscheint
das Oel nicht als häufiges und verbreitetes Erträgniss des heimischen
Bodens, sondern als Schmuckmittel, das der Handel aus dem Orient
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Der Oelbaum. 85
emfuhrte, und das allmählig an die Stelle des Thierfettes trat Es
<liente zum Abreiben des Körpers, nicht aber zur Beleuchtung und
NiJining. Ueberall ist viel Zeit vergangen, ehe ein nördliches Volk
sich entschloss, seine Speisen mit Oel anzurichten. Wie noch jetzt
GB deutscher Bauer mit Behagen grosse Massen Speck verzehrt,
sich aber schwer entschliesst, Oel zum Gemüse hinzuzugiessen oder
sein Fleisch mit Oel zu braten, so weigerten sich die Gallier, wegen
üngewohntheit, wie Posidonius sagt, den Gebrauch des Oeles zur
Küche anzunehmen (Posid. bei Athen. 4, p. 151). Nicht anders wird
«s bei den Griechen der älteren Zeit gewesen sein. Um so weniger
können wir erwarten, dass der Baum selbst damals schon angepflanzt
gewesen sei. Unter den ländlichen Scenen, die Hephaistos auf dem
Schilde des Achilleus dargestellt hatte, befand sich ein schwarzer
Acker mit Pflügem darauf, ein Erntefeld, ein Weinberg und eine
Weinlese, eine Rinder- und eine Schafheerde, aber noch kein Oliven-
hain. Ganz an denselben Stellen der Odyssee freilich, wo, wie früher
erwähnt, der Feigenbaum genannt ist, wird auch des Oelbaums und
seiner Früchte gedacht, aber diese Stellen gehören, wie auch schon
oben bemerkt, zu den jungem Bestand theilen der Odyssee und fallen
wohl nicht viel früher als die Olympiadenrechnung. Von dem Schluss
<ler Odyssee ist dies unzweifelhaft; bei den beiden andern Stellen
(in dem Bruchstück von den Höllenstrafen in der Nexvia und in
dem gleichen, das in die Beschreibung des Palastes des Alkinoos ein-
geschoben ist, 7, 103 — 131), die zusammen eigentlich nur eine sind,
da die eine offenbar nur eine Wiederholung der andern gleichlauten-
den ist, erhellt wenigstens die spätere und nachträgliche Einfügung.
Aach an diesen Stellen erscheint übrigens der Oelbaum nur als ein
neben Aepfeln, Birnen, Granaten und Feigen der essbaren Früchte
wegen gezogener G^rtenbaum, nicht als Objekt ländlicher Kultur
der Oelgewinnung wegen. Mitten in der ursprünglichsten und herr-
lichsten Partie des Gesanges von Odysseus Rückkehr kommt aller-
dmgs ein Vers vor, der, wenn die gewöhnliche Deutung richtig wäre,
nöihigen würde, das Dasein kultivirter Oelbäume anzunehmen: Od.
5, 476, 477. Odysseus, an das Ufer von Scheria ausgeworfen, findet
im Walde zwei ganz zusammengewachsene, gegen Wind und Sonne
Schutz gewährende Sträucher:
doiovg d' OQ vn'qXvd^e ^afxvovg,
i^ ofioi^ev necpviijzag' 6 (xh q)vlir]g, 6 d' elairjg.
Ist nun hier (pvlia der Oleaster, so lässt sich iXaia nur als frucht-
tragender Olivenbaum fassen. Allein das Wort cpvXia gehört zu
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86 ^^^ Oelbanm.
denjenigeB; von denen offenbar die Alten selbst nicht mehr wussten,
was der Dichter mit ihnen bezeichnet habe. Ammonios erklärt
q>vXia als oxivog^ Mastixbaum, Andere verstanden darunter eine Ab-
art des Oelbaums mit myrtenähnlichen Blättern, and für letztere
behauptet Eustathius sei der Name noch bis auf seine Zeit bei Vielen
gebräuchlich. Auch Pausanias 2, 32, 9 nennt die q)vXia unter den
Arten unfruchtbarer Oelbäume: nav oaov axa^nnv iXaiag, xozivov
xai (pvXiav xat eXaiov. Der spätere Gebrauch, wenn er wirklich
Statt fand, wird seine Quelle wohl nur in eben diesem Verse Homers
haben. Das Wort fpvlia trägt noch deutlich eine allgemeine ab-
strakte Gestalt an sich. Es ist aus der Wurzel g>u gebildet, wie
g>w6vj (pvaig^ (pv^a, nur mit anderem Suffix, demselben, das auch
in q>vXij und in (pvllov (für qivXiov) und lateinisch folium erscheint.
OvXia ist also das Gewächs überhaupt, und zwar das immergrüne,
da in diesem die Lebenskraft als besonders reich sich darstellt; die
Bedeutung mag in jener frühen Zeit sich noch nicht individualisirt
haben oder je nach den Landschaften verschieden. Soll aber auf
eine bestimmte Pflanze gerathen werden, so würde sich mit Bezug
auf eine Stelle des Theophrast die Myrte, die bei Homer nicht ge-
nannt wird, am natürlichsten darbieten. Theophrast nämlich meint
(de caus. pl. 3, 10, 4), einige Bäume schienen sich zu lieben, und
berichtet nach einem altem Gewährsmann, Androtion, Myrte und
Olivenbaum pflegten ihre Wurzeln durch einander zu flechten und
die Zweige der Myrte durch die Aeste des Oelbaums zu wachsen,
andern Pflanzen aber sei die Nähe des Oelbaums zuwider. Vielleicht
stammt auch dieser Glaube nur aus Homer; aber an welches Ge-
wächs man auch denken mag (z. B. an die Steinlinde, Phillyrea,
oder an eine Art Elaeagnus)^ fXairj ist auch an dieser Stelle der
wilde, strauchartige, als ^afivog bezeichnete Oleaster, ein Gewächs
des Waldes, fem von der Stadt, in der Nähe des Wassers, wie der
Dichter ausdrücklich sagt. Nicht so leicht ist die Entscheidung an
einer andem Stelle, wo des Oelbaums Erwähnung geschieht: IL 17,
53 bis 58. Dort hat Menelaus den Euphorbus, Sohn des Panthous,
mit dem Speer durchstochen, und der Getrofiene sank hin, gleich
dem Spross des grünenden Oelbaums, den ein Pflanzer an einsamem
wasserreichem Orte aufzieht; die Lüfte umwehen ihn von allen Seiten,
er bedeckt sich mit weisser Blüte; plötzlich aber kommt ein Wirbel-
wind, reisst ihn aus der gegrabenen Vertiefung und streckt ihn über
den Boden hin. Hier wäre allerdings möglich, an einen Setzling
des Oleasters zu denken, der einst nicht Früchte, sondern Schatten,
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Der Oelbaum. 87
fiok, grüne Zweige geben soll: doch ist die Anpflanzung eines
Waldbaomes in der noch waldreichen homerischen Zeit nicht wahr-
scheinlich. Wir werden also, Alles zasammenfassend, sagen d&rfen:
in der vielleicht langen Zeit, deren Denkmäler uns bei Homer vor-
liegeD^ sehen wir die Feigen- und Olivenkultur erst fremd und un-
bekannt, dann sich ankündigen, dann in späteren Zusätzen und in
diiem Gleichniss deutlich hervortreten, zunächst natürlich auf ioni-
schem Küsten- und Inselboden.
Auf diesem Boden blühte auch in der nachhomerischen Epoche
der Oelbau. Die Insel Samos heisst bei Aeschylus (Pers. 884)
ilai6(pvToc^ olivenbepflanzt; für Milet und Chios ist ein noch älteres
Zengniss in der Anekdote enthalten, die Aristoteles (Polit. 1, 4, 5)
aas dem Leben des Thaies berichtet. Thaies nämlich schloss aus
meteorologischen Gründen (ix trjg aatgoloyiag)^ dass eine ungewöhn-
fich reiche Olivenemte bevorstehe; er pachtete also für das kommende
Jahr sämmtliche Olivenpressen in Milet und Chios, zog dann, als
der vorausgesehene Ueberfluss wirklich eintrat, beträchtlichen Ge-
winn aus der Aftervermiethung derselben und bewies so, dass auch
ein Philosoph, wenn er wolle, aus seiner Wissenschaft irdischen
Vortheil ziehen könne. Auf der Insel Delos, die von den ionischen
Cydaden umgeben war, und wo schon in älterer Zeit Festzüge der
lonier sich vereinigten, hatte Latona bei der Geburt ihrer beiden
Kinder entweder die delische Palme mit den Armen umfangen (so
im homerischen Hymnus an den delischen Apollo 117 und Theogn.
4), oder sich an den Olivenbaum gehalten (Hygin. Fab. 140,
CatulL 35, 7), oder an beide genannten Bäume sich gelehnt (Ad.
V. H. 5, 4, Schol. zu II. 1, 9, Ovid. Met. 6, 335). Der Chor in
der Iphig. T. des Euripides sehnt sich nach Delos zur Palme, zum
Lorbeer und zur heiligen Olive, die er als ylaiovg (udlva q^iXav be-
zeichnet (v. 1102); Callimachus h. in Del. nennt erst die Pahne v.
210, gleich darauf v. 262 das ysve&liov €Qvog elalrjg (wo die feste
Fonnel egvog iXairig nicht auseinandergerissen und yevi^Xiov in na-
türlicher Weise nur auf die Geburt der Leto gedeutet werden kann).
Nach Strabo 14, 1, 20 ruhte die Göttin nach der Geburt unter
dem Oelbaum nur aus, durch welche Wendung die abweichenden
Gestalten des Mythus glücklich vereinigt wurden. Die Ephesier be-
haupteten später, nicht auf Delos, sondern bei ihnen sei die Geburt
am Fusse des Oelbaums erfolgt, und jener Baum sei noch vorhan-
den (Tac. Ann. 3, 61. Strab. 14, 1, 20), wie es auch eine Quelle
^niXaiog „Unter den Oliven** bei Ephesus gab, die in die Grün-
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88 Der Oelbaum.
dungssage der Stadt verflochten war (Strab. 14, 1, 4. Athen. 8,
p. 361). Da der Oelbaum dem apollinischen Kultus sonst fremd
ist (denn der dem ApoUon geweihte beilige Oelbaum in Milet bei
Athen. 12, p. 524 ist eine ganz vereinzelte Erscheinung), so mag
vermuthet werden, die Olive auf Delos und der an sie geknQpfte
Mjrthos sei dort nicht ursprünglich, sondern verdanke ihr Dasein
erst den Athenern und dem übergreifenden Athenedienst; auf Rho-
dus aber, dieser einst ganz phöoizischen Insel, die dann zum Gebiet
der dorischen Colonisation gehörte, muss der Oelbau in hohes Alter-
thum hinaufgehen. Dort besass die Stadt Lindos einen Tempel der
Athene, den schon die Danaiden gebaut und in dem Eadmos Weih-
geschenke zurückgelassen hatte, mit einem Olivenhain, gegen wel-
chen die Oelbäume von Attika zurückstanden (Anthol. Pal. 15, 11).
Auf dem griechischen Festlande finden wir in dem Kreise, den die
Hesiodischen Gedichte beschreiben, — also in äolisch-böotischer
Sittensphäre — , noch keine Spur von Olivenzucht; denn ein von
Plinius (15, 3) angeführter angeblicher Ausspruch des Hesiodus über
die Langsamkeit des Wachsthums der Olive ist sowohl in Betreff
der Zeit als des wirklichen Urhebers desselben allzu unsicher. Bei
den spätem Griechen galt Athen als der Ursitz dieser Kultur, ja
es gab nach einem merkwürdigen Ausspruch des Herodot (5, 82)
eine Zeit, und sie war noch nicht lange vergangen, wo es sonst
nirgends auf Erden Oelbäume gab, als in Athen. Als nämlich die
Epidaurier, von Misswachs heimgesucht, sich an das delphische Ora-
kel wandten, gab dieses den Kath, Bildsäulen der Damia und Auxe-
sia aus dem Holze der zahmen Olive aufzustellen; sie baten also
die Athener um Erlaubniss, einen der attischen Oelbäume umhauen
zu dürfen, da sie die dortigen für die heiligsten hielten, oder, wie
auch gesagt wird, weil sonst nirgends Oelbäume existirten. Die
Athener bewilligten die Bitte unter der Bedingung, dass die Epi-
daurier jährlich der Athene Polias und dem Erechtheus Opfer bräch-
ten. Damals waren die Aegineten Epidauros unterthan; seitdem
aber (ro di ano tovdt) fielen sie von ihrer Mutterstadt ab, raubten
die beiden Bilder und geriethen, da sie die ausbedungenen Opfer
unterliessen, mit Athen in Feindschaft. Ueber den Zeitpunkt dieser
Begebenheit berichtet Herodot nichts; nach Otfried Müllers Ver-
muthung (Aeginet. p. 73) fiele sie etwa in Ol. 60, also in Pisistra-
tus Zeit, doch darf man sie wohl in die erste Hälfte des 6. Jahr-
hunderts hinaufrücken. Schon am Beginn des genannten Jahrhun-
derts hatte Solon gesetzliche Bestimmungen über Oliven- und Feigen
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Der Oelbaum. 89
bstt erlassen (Plut. Sol. 23, 10. 24, 1), der also doch schon einige
Wichtigkeit haben musste, wenn auch erst Pisistratus, der Schütz-
ling und Verehrer der Athene, direkt für Anbau des nützlichen
Baomes auf der bis dahin kahlen und baumlosen Landschaft sich
bemüht haben soll (Dio Chrysost. orat. 25, p. 281). In der Aka-
demie standen die der Göttin geweihten unantastbaren Oelbäume,
die noQiai^ die einen reichen Ertrag geliefert haben müssen — an-
ders als sonst heiliges Besitzthum zu thun pflegt — , da bei den
grossen Panathenäen, die Pisistratus gestiftet hatte, im gjmnischen
Agon die den Siegespreis bildenden, in bedeutender Zahl gereichten
Oelkrüge von daher gefüllt wurden. Die Bäume in der Akademie
stammten von der Mutterolive auf der Burg, der aarrj ilaia^ die
Yon Athene selbst geschaffen war und später nach der Verbrennung
durch die Perser von selbst wieder aufsprosste. Da sie ndyxvcpng
heisst, ist sie als ein blosser niedrig kriechender Wurzeltrieb zu
denken. Dass die Attiker cAo/a und xoTivog^ den zahmen und
wilden Oelbaum, durch eigene Benennungen unterschieden, beweist
schon, dass hier die Kultur des veredelten Baumes, der felia oliva^
festen Bestand gewonnen hatte, wie auch Pindar in einem seiner
Hymnen ayQing elaing (Fr. 19. Bergk.) sagte und Herodot in der
oben angeführten Stelle das Orakel von dem Holze der zahmen
Ofive, rj^dgr^g ikairjg^ sprechen lässt. In Attika kam der weissliche
Kalkboden, die yrj axiQQag der attischen Halbinsel, der dem Ge-
treidebau wenig förderlich war, der Olive begünstigend entgegen,
und sie gedieh hier — nach den Worten des Chors im Oedipus auf
Kolonos — „wie nicht im Lande Asien noch auf der grossen dori-
schen Pelops-Insel." Warum aber wurde gerade Athene die Schutz-
lierrin der neuen Kultur, und warum verflocht sich Oel und Oel-
baumzucht so innig und mannigfach mit dem Dienst der aus dem
Haupte des Himmels unmittelbar hervorgegangenen Lichtgöttin?
Xach Suidas weil das Oel zur Leuchte diente und der Oelbaum das
Feuer nährte (^ui&rjvag ayal/na' diöoaaiv avr^ — xai iXaiav, tag
xai^aQvnazrig oioiag nvOTjg • (panog yccQ vlrj f} Haia) — woraus zu-
gleich hervorginge, dass die Anwendung des Oels zum Brennen in
der Zeitfolge die zweite war, wie die als Nahrungsmittel die dritte.
Homer kennt noch keine Beziehung der Olive zu der Göttin, denn
aus dem Beiwort heilig, welches an der einen Stelle Od. 13, 373:
uqilg TTOQa Tr^iOfiiv' ikaitjg dem Oelbaum gegeben wird, lässt sich
eme solche nicht erschliessen (das älteste mit Vers 184 schliessende
Gedicht von Odysseus Rückkehr, aus dem der jüngere Fortsetzer
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90 Der Oelbaum.
sowohl den Oelbaum, als die Phrase naga nv^^iv iXalr^g genom-
men hat, enthält auch das Adjectiv heilig noch nicht). Als seit den
Fisistratiden der Oelbau den Hauptreichtbum und die auszeichnende
Eigenschaft des attischen Landes bildete, als die Athener prahlten,
vor noch nicht so langer Zeit sei nur bei ihnen und sonst an keinem
Ort der Erde ein zahmer Oelbaum zu finden gewesen, als sie auf
jedes Land, wo nur Getreide und Oelbäume wuchsen, als auf ihr
Eigenthum Anspruch machten (Cic. de rep. 3, 9, 15: Athemenses
jurare etiam publice solebant^ omnem suam esse terram^ quae oleam
frugesfüe ferret)^ da konnte dieser Segen und Stolz ihres Landes nicht
anders als der unterdess immer mehr in der Bedeutung gestiegenen
Landesgöttin geweiht und von ihr als Geschenk gespendet sein.
Dass auf dem Burgfelsen einst wilde Oelbäume wuchsen, dass einer
von diesen mit einem über Meer gekommenen oder an einem der
Küstenorte gewachsenen edlen Zweige gepfropft worden und von
diesem wieder andere Reiser und Setzlinge abstammten, dass die
vivax oliva nach dem persischen Brande wieder neu aus der Wurzel
trieb: das Alles kann immerhin Wirklichkeit sein, doch bedurfte der
Mythus solchen realen Anhaltes nicht. Als gegen Ende der Perser-
kriege der alte Nationalheld Theseus mit seinen Abenteuern und
Thaten in verklärtem Licht ins Bewusstsein trat, da hatte auch er
schon vor der Ausfahrt nach Kreta vom heiligen Oelbaum einen
Zweig gebrochen, ihn mit weisser Wolle umwunden und bittend im
Delphinium dem Apollo niedergelegt (Plut. Thes. 18, 1 — die sog.
Eiresione). — Auch in Sicyon, welches aus gleichem Grunde, wie
Attika, nämlich des günstigen Bodens wegen, als olimfera berühmt
war und Olivenfrüchte, Siq/onias baccas^ reichlich hervorbrachte,
hatte der alte fabelhafte Köm'g Epopeus der Athene einen Tempel
gebaut imd die Göttin ihm zum Zeichen ihres Wohlgefallens vor
dem Tempel eine Oelquelle aufsprudeln lassen (Pausan. 2, 6, 2), —
ihm also unmittelbar das Oel geschenkt, das die Athener und über-
haupt die späteren Zeiten sich erst durch Anpflanzung, Lese, künst-
liche Pressen u. s. w. erarbeiten mussten.
Als während des ersten Jahrhunderts der OlympiadenrechnuDg
die Küsten des Westens, Italiens, Sicihens, GraUiens, zahlreiche und
bald aufblühende griechische Ansiedelungen empfingen, da öfBaete
sich für die Olive ein neuer, grosser Bezirk, den sie allmählig ein-
nehmen und beherrschen, und in dem sie sich heimisch fühlen sollte,
fast wie im Mutterlande. Im Laufe des siebenten, sicher aber in
dem des sechsten Jahrhunderts bedeckten sich nach und nach die
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Der Oelbaum. 91
herrlichen Hügellandschaften und Eüstenabhänge der Inseln und
Söditaliens mit jener fruchttragenden und immergrünen Waldung.
Vielleicht aber war es keine griechische, sondern eine phönizische
Hand, die hier im fernen Westen den allerersten Olivenkem in die
Erde senkte oder den ersten mitgebrachten Steckling pflanzte. Ein
Mjthas nämb'ch, der uns hier entgegentritt, der von AristSus, scheint
dne donkle Erinnerung dieses Verhältnisses zu enthalten. Aristäus,
ein alter arkadischer, tbessalischer^ böotischer Hirtengott, den die
ersten Ansiedler mit nach Sicilien gebracht hatten, galt bei ihren
Nachkommen später als der Erfinder der Olive und des Oeles, Cic.
in Verr. 4, 57: Arütaevs qui — inventor olei esse dicitur. De nat.
deor. 3, 18: Arütaeus qui olivae dicitur inventor, Plin. 7, 199:
okum et trapetas Aristaeua Atheniensis (invenit). Diod. 4, 81: tov-
xov de naQa t(Sv vv^Kpuiv f^ai^orca — zcJJv ilaiwi^ ti^v xaT€Qyaaiav
itia^aL uQuicov %oig ävd^Qionoig. Nach dem Schol. zu Theoer. 5,
53 berichtete auch Aristoteles, die Nymphen hätten dem Aristaeus
ii/y tov ilaiov igyaaiav gelehrt. Man bemerke, dass Aristaeus
nicht, ^ie Athene, den Oelbaum erschaffen, sondern das Oel oder
die Olive erfunden hatte, dass er die xategyaoia twv iXaiwv oder
tov ilaiov, also die Oelbereitung, gelehrt, zu der auch der Gebrauch
der Oelpresse trapetum^ trapetuSy plur. trapetes^ gehört, und dass er
grade bei der Lese der Früchte von den Bewohnern Siciliens gött-
lich verehrt wurde (Diod. 4, 82). Nun war aber derselbe Aristäus,
noch ehe er Sicilien betrat, Herrscher der den Griechen fremden
Insel Sardinien gewesen (Pausan. 10, 17. Arist de mir. ausc. 100
(95). Serv. ad V. Georg. 1, 14), hatte auf derselben die Acker- und
Baomkultur eingeführt, da sie vorher nur von vielen und grossen
Vögeln bewohnt gewesen war, und daselbst zwei Söhne gezeugt, den
XctQfiog (Aristäus selbst ist bei Pindar Pyth. 9, 64 apÖQaOL xolq^iu
(fiXoig ayxioxov) und den KaXUxaQuog (bei Homer ist das Adjectiv
iylaoxaQnog^ da jenes nicht ins Metrum ging). Von Sardinien kommt er
nach Sicilien, welches von Aeschylus Prom. 371 xaXXixaQnog genannt
wird, wie auch Cyrene bei Strabo 17, 3, 21 xaXXlxaqnog ist, humanisirt
auch diese Insel und erfindet ausser andern ländlichen Künsten besonders
das Oel und die Procedur der Oelgewinnung. Wie nun Aristäus dem
neuen, übermächtig und glanzvoll auftretenden Glauben an die ihm
wesensverwandten Götter Apollon und Dionysos gegenüber sich nicht
hatte halten können, sondern zu deren Sohne oder Erzieher wurde, so
verschmolz er auch sichtlich mit einem libyphönizischen Gotte, den
die griechischen Einwanderer schon vorfanden und in den Kreis ihrer
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92 Der Oelbaum.
Vorstellungen aufnahmen. Dieser Gott, der Sohn der Nymphe Cyrene,
der auch in Cyrenäa zuerst das Silphion gepflanzt hat, kann nicht
anders als von Afrika nach Sardinien gekommen sein; von Sardinien
kam er nach Sicilien: sein Gewächs oder seine Erfindung muss
denselben Weg genommen haben. Ueber die Zeit freilich sagt der
Mythus nichts, und ob die Griechen in der Umgegend der phönizi-
schen Handelsniederlassungen, die sie mit bewaffneter Hand besetz-
ten, Olivengärten vorfanden oder nicht, muss zweifelhaft bleiben.
Später, als auch im griechischen Mutterlande das Oel seine wichtige
Stelle in der Oekonomie der Sitten eingenommen hatte« da begegne-
ten sich in Sicilien beide Strömungen, die karthagische und die von
dem Vorbild Attikas u. s. w. ausgehende.
Wenden wir uns zum Festland Italien, so tritt uns hier beim
ersten Schritt eine Art chronologischer Notiz entgegen, ein Glücks-
fieJl, der in der ältesten Kulturgeschichte so äusserst selten ist.
Plinius nämlich berichtet nach dem Annalisten L. Fenestella, zur
Zeit des Tarquinius Priscus sei in Italien noch kein Oelbaum vor-
handen gewesen, Plin. 15, 1: Fenestella vero (ajebat oleam) omnino
non fuisse in Italia Hüpaniaque aut Africa Tarquinio Prisco regna/nte
ah annis populi Roviani CLXXIIL Wenn diese Nachricht nicht
bloss ein Echo der oben angeführten Stelle des Herodot ist — und
die Binzufugung von Spanien und Afrika ist geeignet, diesen Ver-
dacht zu wecken — so dürfen wir sie positiv wenden und dabin
auslegen, dass es die Zeit der Tarquinier, die Zeit lebhafter Verbin-
dung mit den campanischen Griechen war, die mit andern griechi-
schen Künsten auch die Olive nach Latium brachte. Vielleicht
stammt die Notiz aus einer cumaniscben Geschichtsquelle. Dass der
Baum jedenfalls von den Griechen und nicht etwa auf anderem
Wege den Latinem zukam, beweisen die lateinischen Wörter oUva^
oleum^ die dem Griechischen entlehnt sind^^), und so viele auf
Olivensorten und die Manipulation bei der Oelbereitung bezüglichen
Ausdrücke, die gleichfalls griechische, im lateinischen Munde oft ein
wenig entstellte Benennungen sind: orchis^ cercitis^ druppa^ trapetam^
amurca u. s. w. Wenn auf dem Hute des flamen Dialis die oberste
Spitze, der ap&r, aus einem Reise vom Oelbaum bestand (Fest. p. 10
albogalerus: pileum capitis . . . adHxum hahens apicem virgula oUor
gina) und dieses mit Wolle umwunden und befestigt war (Serv. ad
V. Aen. 2, 683. 10, 270), so ergiebt sich, dass auch dieser sehr
alte Gebrauch gleichwohl jünger ist, als die Ankunft der Griechen
in Italien und der Verkehr der Latiner mit ihnen. Denn was ist
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Der Oelbaum. 93
der mit wollenen Fäden umwundene Oelzweig anders, als die ent-
lehnte griechische sigeaicivt]? Vielleicht klingt eine Erinnerung da-
Ton in der Angabe nach, dass die virga lanata zuerst in Alba von
Ascanius angeordnet sei (Serv. ad V. Aen. 2, 683: quod primum
constat apud AJbam Ascanium statui68€\ sie war also weder etrus-
kisch, noch sabiniscb. Bei Vergil freilich tritt der König Numa, so
wie der marsische sacerdos (Aen. 6, 809. 7, 751) mit Oelzweigen
geschmückt auf, aber hier hat die dichterische Phantasie, die auch
soDst in der Aeneis vom Olivenlaube reichUch Gebrauch macht, die
spätere griechische Sitte den Helden der Urzeit geliehen. Bei den
Triomphen siegreicher lorbeergeschmöcktcr Feldherren trugen die
Diener oder die Anordner des Triumphs, die selbst nicht in der
Schlacht gewesen waren. Kränze von Olivenzweigen (Paul. p.«114:
oUagineis coronü ministri triumphantium utebantur. Gell. 5, 6, 4:
okagmea Corona^ qua uti solent^ qui in proelio non fuerunty sed
trmmphum procurant)^ also in griechischer Weise als Zeichen mehr
friedlicher, als kriegerischer Beschäftigung. Auch bei der Ovation,
einer geringeren Art des Triumphes, bestand der Ehrenkranz aus
gleichem Laube (Plin. 15, 19 — wenn hier nicht ein Versehen vor-
liegt, da bei der ovatio sonst immer die Myrte, auch von Plinius
selbst, 15, 125 genannt wird). Bei der jährlich am 15. Juli zu Ehren
des Kastor und PoUux gefeierten transvectio equitum dienten gleich-
falls Kränze aus Oelzweigen als Schmuck : die Verehrung der ge-
nannten Heroen war grossgriechischen Ursprungs (Preller, Rom.
Mythol. 658 ff.). Dies alles sind Symptome der Bekanntschaft mit
der Olive schon in den frohem Z(dten der Republik, aber noch nicht
Beweise wirkhchen Anbaues derselben. Letzterer musste sich von
den verschiedenen griechischen Mittelpunkten aus überall hin ver-
breiten, wo nur der Boden dies zuliess, zuerst an der Küste, dann
in den innem Landschaften, in demselben Masse, als das natürliche
Vorortheil gegen den Oelgenuss bei den doch hauptsächlich vom
Ertrage der Heerden lebenden Eingebomen sich minderte. Bei dem
komischen Dichter Amphis, der in der zweiten Hälfte des vierten
Jahrhunderts, etwa in der Zeit von Philipp und Alexander von Mace-
donien lebte, wird das Oel von Thurii, also der Gegend des alten
Sybaris, gerühmt (Meineke, fr. com. gr. 3, p. 318: h QovQLOig
xoilatov. Athen. 1, p. 30). Von daher und von Tarcnt mochte
die kalabrische Olive, die auch oleastella hiess (Colum. 12, 51, 3),
and die ScUlentiruz, die schon Cato nennt, stammen ; die hochberühmte
Lddniana oder Licinia im ager Venafranus in Campanien und die
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94 Der Oelbaum.
vom Berge Tabumus an der Grenze von Caropanien und Samnium
(Verg. G. 2, 38) wird zu allererst von den kampanischen Griechen
eingeführt worden sein. Die sabinischen Berge trugen viel Oel: die
Sorte Sergia aber, quam Sabini Regiam vocanl (Plin. 15, 13), war
eine grosse, der Kälte widerstehende, ölreiche, aber nicht feine
(Colum. 5, 8) — bei der also dasselbe eintrat, was bei dem in die
kaltem Gegenden des Nordens verpflanzten Weinstock. Jenseit des
Apennin, wo die herrlichen Komebenen sich ö&en, duldete, wie
auch heut zu Tage, das Eüma keinen Oelbau mehr, der aber in
Picenun^, also der Gegend der heutigen Mark Ancona, die schon
zu Süditalien gerechnet werden kann, noch blühte (Martial. 1, 43, 8.
5, 78, 19. 13, 36). Italien war im ersten Jahrhundert vor Christo
schon» so reich an Oel und dies Produkt so vorzüglich und zugleich
so wohlfeil, dass die Halbinsel allen Ländern den Rang darin ablief
(Plin. 15, 3. Id. 8: principatum in hoc quoque bono obtinuü ItaUa
toto orbe). Von Massilia war, wie der Wein, so auch die Olive, be-
günstigt durch Boden und Himmel der Provence, allmählig ins
gallische Land vorgerückt, doch natürlich ohne dem Wein bis in die
Thäler der Marne und der Mosel zu folgen. Massaliotischer Her-
kunft waren ohne Zweifel auch die Oelpflanzungen an der ligurischen
Küste, die noch heut zu Tage ein ungeheurer, üppiger Olivengarten
ist. In kurzer Entfernung vom Meere, wo das Gebirge sich hebt,
musste der Oelbaum verschwinden, daher die Reiser und Kränze,
mit denen die Alpenbewohner dem Hannibal unter dem Schein der
Freundschaft entgegenzogen (Polyb. 3, 52, 3) keine Oelzweige ge-
wesen sein werden, obgleich das von Polybius gebrauchte Wort
&aXXoi in der Regel diese Bedeutung hat. Zu Strabos Zeit lieferte
Genua diesen Gebirgsvolkem Oel und bezog von ihnen dagegen
Vieh, Häute und Honig (Strab. 4, 6, 2). Auf der entgegengesetzten
Seite Italiens, im Gebiet der Pomündungen, verbot der niedrige
wasserreiche Boden die Einführung der Olive, so alt und lebhaft der
Verkehr dieser Gegend mit den ionischen Inseln, mit Tarent, später
mit Syrakus u. s. w. auch war. Umgekehrt verhielt es sich mit
dem gegenüberliegenden Istrien und Libumien, deren zum Meere
absteigende, sonnige, kalkreiche Hügel, geschützt durch das hinter
ihnen sich erhebende Gebirge, zum Anbau einladen und denselben
reichlich lohnen mussten. Auch kam das Oel von Istrien oder viel-
mehr nur der westlichen Küste dieser Halbinsel — denn Istrien hat,
der Krim vergleichbar, einen Meeresrand mit subtropischem Klima
und Pflanzenwuchs und ein rauhes, unwirthliches, von Nordwinden
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Der Oelbaum. 95
gepeitschtes Innere — in der Schätzung gleich nach dem italischen
und wetteiferte mit dem von dem spanischen Baetica (Plin. 15, 8:
räkjmm certamen inter Eistriae terram et Baeticae par est) Das
Oel, welches Aquileja gegen Vieh, Häute und Sklaven in die illyri-
schen Donaoländer einführte (Strab. 5, 1, 8), wird eben dies histrische
gewesen seia, wobei zugleich die Thatsache interessant ist, dass die
PuiDonier und Kelten der genannten Gegend zu Strabos Zeit nicht
bloss den Wein, der allen Barbaren willkommen ist, sondern auch
schon das Oel — wenn auch nur als Brennöl in Lampen — be-
gehrten. Noch zur gothischen Zeit, nach so vielen Stürmen und
Schrecken, hatte jene Region Ueberfluss an Oliven, wie wir aus
Cassiodorus sehen, Variar. 12, 22: est enim 'proxima vobts regio supra
wmm marü lonii constituta olivü referta. Apicius 1, 5, Palladius
12j 18 und die Geoponika 9, 27 lehren durch allerlei gewürzige Zu-
thaten künstlich oleum Liburnicum darstellen^ welches also zur Zeit
dieser späten Gewährsmänner im Rufe stand. Die so eben erwähnte
Provinz Baetica führte auch nach Strabo nicht bloss viel, sondern
auch das schönste Oel aus (Strab. 3, 2, 6: e^dyszai d* ix Tov{)di]-
tayiag — i'Xaiov ov noXv (j.6vov^ ctXXä xal xdlXiatov) und das ba-
usche Corduba übertraf oder erreichte die berühmten Olivengärten
Yon Venafirum und Istrien, Martial 12, 63, 1 (Schneidewin):
Uncta Corduba laelior VenafrOy
Hütra nee minus absoluta testa.
Dass Spanien, ein südliches Land mit grosser Mannigfaltigkeit der
Lagen und des Bodens, in demselben Masse als die fremde Civili-
sation sich erst der Küsten und dann des Innern bemächtigte imd
darin Bestand gewann, auch den Oelbau aufnahm, liegt in der Natur
der Dinge. Als das römische Reich seine Vollendung erreicht hatte,
war auch die edle Olive von ihrem Ausgangspunkt, dem südöstlichen
Winkel des mittelländischen Meeres^ über alle Länder verbreitet, die
ihren heutigen Bezirk bilden, und gedeiht an manchen Punkten des
eoropäischen Südwestens so gut, als wäre sie dort geboren und
immer dagewesen^ *). Nach dem Volksglauben, der schon bei den
Alten herrschte, trägt der Oelbaum in Europa nur alle zwei Jahre;
davon aber ist nur so viel wahr, dass, wenn der Baum sich durch
eine besonders reiche Fruchtbildung erschöpft hat, seine Elraft im
nächsten Jahr zu einer gleichen nicht ausreicht, es müssten ihm
denn die allergünstigste Witterung oder ein ausserordentlicher Eultur-
beitrag zu Hülfe kommen. Auch dass die OUve sich nicht weiter
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96 Der Oelbaum.
von der Küste als 300 Stadien (oder 7^2 geogr. Meilen) entferne,
wie Theophrast (h. pl. 6, 2, 4) meinte, ist nicht bachstäblich, son-
dern nur in dem Sinne richtig, dass sie den Anhauch des mittel-
ländischen Meeres liebt, dass aber zu ihrem Gedeihen auch z. ß.
der Spiegel des Gardasees genügt. Ohnehin fällt ihre Verbreitangs-
sphäre ziemlich genau mit dem Oval der Ufergegenden des mittel-
ländischen Meeres und seiner Buchten zusammen. Schön im Sinne
der Romantik ist der Baum der Minerva nicht, aber nichts erweckt
mehr das Gefühl der Kultur und friedlicher Ordnung imd zugleich
der Dauer derselben, als wenn er in ofifenen, gereinigten Hallen mit
dem kaum merklich flüsternden Xiaube an gewundenen Stämmen die
Hügel ersteigt oder die geneigten Ebenen leicht beschattet, und gern
gesteht man ihm dann mit Columella 5, 8, 1 das Prädikat prima
omnium arborum zu. Indessen fehlt viel, dass das Produkt überall
dem der Provence oder dem von Genua und Lucca gleichkäme. Das
kalabrische, sicilische und sardinische Oel ist meistens unrein und
nur zur Seifenbereitung und in Tuchfabriken anwendbar. Der
Grund liegt in der mangelhaften Darstellungsart, und diese wieder
erklärt sich aus den ungünstigen agrarischen und volkswirthschaft-
lichen Verhältnissen. Besonders die Ernte erfordert die grösste Vor-
sicht im Einzelnen: die eben gereiften Früchte müssen Stück für
Stück mit der Hand abgepflückt und ohne Zeitverlust unter die
Presse gebracht werden; Schnelligkeit und Reinlichkeit sind dabei
wesentliche Bedingungen. Zu all dem aber fehlt es in den genann-
ten Gegenden an Kapital, an Einrichtungen und an Händen. Man
schlägt die von Natur zarten Früchte entweder mit Stecken ab oder,
was noch übler ist, wartet, bis sie, überreif und halbfaul, von selbst
abfallen (über Beides klagen schon die Alten, z. B. Plinius 15, 11);
dann bleiben sie in Haufen liegen und gerathen in Gährung, ehe eine
Oelmühle frei wird. Letztere ist auch meistens so unvollkommen
construirt, dass sie Arbeitskraft verschwendet und einen beträcht-
lichen Theil Oel in den Tröstern zurücklässt. Da der gemeine Mann
das so gewonnene übelriechende Produkt, als von kräftigerem Ge-
schmack, dem feinsten proven^alischen Tisch öl, welches ihm nichts-
sagend erscheint, vorzieht, so fühlt er sich natürlich auch nicht durch
das Bedürfaiss aufgefordert, auf die Herstellung des letztem beson-
deren Fleiss zu wenden. Bei all dem sind in neuerer Zeit die Fort-
schritte unverkennbar. Wenn erst in Folge eines natürlichem Blut-
umlaufes im Volkskörper der gedrückte Stand der Pächter sich heben
wird, dann muss in der Oelkultur eine Quelle des Wohlstandes für
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Ansässigkeit. Baomzacht. 97
den gebirgigen Süden des neuen Königreiches sich öfinen. — „Zwei
Eössigkeiten, sagt Plinius 14, 150, giebt es, die dem menschlichen
Körpel" angenehm sind, innerlich der Wein, äusserlich das Oel, beide
Ton Bäamen kommend, aber das Oel etwas Nothwendiges." Demo-
kritus von Abdera, der berühmte Philosoph, der über hundert Jahr
alt wurde, erwiderte auf die Frage, wie man gesund bleiben und
seine Tage verlängern könne, mit der diätetischen Regel: innerlich
Honig, äusserlich Oel (Diophanes in den Geopon. 15, 7, 6 und
Athen. 2, p. 47). Aehnlich war die Antwort des hundertjährigen
Pollio Komilius auf die Frage des Kaisers Augustus, durch welches
Mittel er sich so rüstig erhalten habe: „innerlich durch Wein mit
Honig, äusserlich durch Oel", intus mulso, foris oleo (Plin. 22, 114).
Heut zu Tage dient das Oel nicht mehr zur äussern Körperpflege
oder nur in Gestalt von Seife; aber eben die den Alten unbekannte
Seife, eine nordische Erfindung (Grimm in Haupts Zeitschrift VII,
S. 460 f.; Zeuss* p. 161; Beckmann, Beyträge, IV, 1), hat die
orientalisch- griechische Sitte, den. Leib zu salben, die in Italien
ohnehin nur bei den höheren Klassen herrschte, ganz und gar ver-
drangt. Nur die Salbung der Könige und Kaiser und die letzte
Gelang sind noch ein verklingendes Echo der alten Römerzeit.
Wo die Kultur der drei genannten Gewächse, des Weines, der
Feige und des Oelbaums, in grösserem Massstab sich festsetzte, da
musste Lebensart und Beschäftigung der Menschen eine andere wer-
den, das Land ein anderes Ansehen gewinnen. Die Baumzucht war
ein Schritt mehr auf der Bahn fester Niederlassimg: erst mit ihr
and durch sie wurde der Mensch ganz ansässig. Der Uebergang
vom unstäten Hirtenleben zur festen Ansiedelung ist nirgends ein
plötzlicher gewesen, sondern führte immer durch zahlreiche Zwischen-
stufen, auf denen die Völker oft Jahrhunderte verharrten. Der
liemmziehende Hirte besäet fluchtig ein Stuck Land, das er im
Herbst ebenso fluchtig aberntet; er wählt im nächsten Frühling ein
anderes, frisches, das er abermals liegen lässt, nachdem er ihm den
Raab abgenommen. Hat die Horde an einem besonders fruchtbaren
Fleck sich mit ihren leichten Häusern festgesetzt, so ist doch auch
Her der Boden nach einigen Jahren erschöpft: die ganze Gemein-
schaft bricht auf, lädt alles Bewegliche auf ihre Thiere und Wagen
«Dd baut sich an einem andern Orte wieder an. Auch wenn die
Ansiedelimg eine stätige geworden, ist der BegriflF individuellen
Viet. Hehn, KaltarpflanceD. 7 ^-^ j
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98 Ansässigkeit Baomzucht.
Eigenthoms am Boden doch noch nicht vorhanden: wie die
Weide eine gemeinsame war, wird auch das Ackerland, an wel-
chem bei der geringen Bevölkerung kein Mangel ist, in jeden? Jahr
an die Genossen je nach ihrer Zahl neu vertheilt. Dies war der
Zustand der Germanen zu Tacitus Zeit, und dies ist der natürliche
Sinn der Worte des genannten Schriftstellers, an denen patriotische
Ausleger, die gern das Gegentheil erfahren hätten, nicht minder
mühselig, als in ähnlichem Fall die Bibelexegeten, gedeutet haben.
Dieselbe communistische, noch halb nomadische Form des Acker-
baues, die mit dem Patriarchalismus eng zusammenhängt, herrscht
noch heute in einem grossen Theil Russlands, bei Tataren, Beduinen,
und manchen andern Völkern. Viehzucht bleibt auf diesen ersten
Stufen des Ackerbaus immer noch das vorherrschende Geschäft,
Wandern und Raub die Leidenschaft, Fleisch und Milch die Haupt-
nahrung; die Häuser sind nur leicht gebaut, brennen häufig auf, ihr
Material ist Holz; der Pflug besteht aus einem spitzen Baumast,
ritzt den Boden nur leicht und wird von kriegsgefangenen Sklaven
geführt; die Voraussicht ist keine lange, sie geht nur vom Frühling
auf den Herbst. Einen bedeutenden Schritt weiter bezeichnet schon
die Wintersaat, aber den entscheidenden erst die Baumzucht. Erst
mit der letzteren ging das Gefühl örtlicher Heimat und der Begriff
des Eigenthums auf. Der Baum muss Jahre lang erzogen und ge-
tränkt werden, ehe er Frucht giebt (^den ich hegte und pflegte wie
eine Pflanze im Baumgarten", sagt Thetis in der Ilias von ihrem
Sohne Achilleus); dann giebt er sie jedes Jahr, indess der Bund mit
dem einjährigen Grase, das die Demeter säen gelehrt, in dem Augen-
blick aufgelöst ist, wo die Frucht geerntet worden. Um den Wein-
berg, um den Baumgarten wird eme schützende Hecke gezogen, das
Zeichen vollen Eigenthums: dem blossen Ackerbauer genügt im besten
Falle ein Grenzstein. Das Saatfeld muss auf Thau und Regen harren:
der Pflanzer leitet die Quelle aus den Bergen herab und um seine
Beete herum, und indem er dies thut, verwickelt er sich mit seinen
Nachbarn in Rechts- und Eigenthumsfragen, die nur durch eine feste
politische Ordnung gelöst werden. Schon eine der ältesten politi-
schen Urkunden, von denen wir überhaupt wissen, der uns vom
Redner Aeschines aufbewahrte Bundeseid der delphischen Amphi-
ktyonen, enthielt die Bestimmung: es darf keiner der verbündeten
Städte das fliessende Wasser abgeschnitten werden, weder im Kriege
noch im Frieden. Auch das Haus, das von Fruchtbaumgruppea
umgeben ist, wird, wie diese auf lange Jahre berechnet^ d. h. es ist
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Ansässigkeit Banmzucht. 99
?on Stein erbaat und schmückt sich in seinem Innern mit dem Yer-
machtniss der Geschlechter und dem Erwerbe fortgehender Eultar.
Das Eisen findet sich ein und wird allm&hlig das immer häufigere,
zuletzt vorherrschende Material aller Werkzeuge. Auch die Götter
werden edler: denen des Hirten, der gewohnt ist, thierische Leiber
aofzascheiden^ und dessen Poesie in der Vorstellung grasslicher, mit
der Steinaxt aufgerissener Wunden schwelgt, wird blutig und roh
geopfert, sanfter der Ceres mit geschrotenem Spelz und Salz und dem
Terminus mit Kränzen und Kuchen^ aber erst der Wein stimmte den
harten Ackerbauer mild und heiter und machte ihn zu dramatischen
Spielen aufgelegt, und erst die Olive, der Baum der Athene, der
Göttin geistiger Helle, gab das Symbol des Friedens, der Bitte und
der Freundlichkeit ab.
Schon die alten epischen Dichter unterscheiden genau die drei
Arten der Bodenbenutzung: Thierweide oder Fleisch, Milch und
Wolle; Ackerbau oder die sQsse Halmfrucht, die Nährerin des Men-
schengeschlechts; endlich Baumpflanzung oder Wein und Oel. Für
die beiden letzten Stufen, von denen die dritte, je älter die ent-
sprechende Dichterstelle ist, um so mehr nur auf die Weinkultur
sich beschränkt, gelten die sich gegenüberstehenden technischen Aus-
drücke: oQow^ oQovQa und (fVTBvWy (fvzaXia. H. 14, 121 (Dio-
medes erzählt, sein Vater Tydeus habe ein reiches Haus bewohnt
und viel weizenreiche Felder, viele Baumgärten und viele He er-
den besessen):
seia Haus war
Reich mit Schätzen gefüllt; er besass viel Weizengefilde,
Auch viel Gärten umher, von Baum und Rebe beschattet,
Auch Schafheerden in Menge.
n. 12, 313 (Sarpedon spricht zu Glaukos):
Wessbalb baun wir den weiten Bezirk an den ufern des Xanthos,
Welcher mit Pflanzungen prangt und weizenergiebigem Saatfeld?
n. 20, 184 (Achilleus fragt den Aeneas, ob ihm die Troer etwa als
Preis für die Tödtung seines Gegners ein Stück Land ausgesetzt,
versehen mit Pflanzung und Acker:
Steckten die Troer vielleicht dir ab ein erlesenes Grundstück,
Treffliche Saatengefild' und Pflanzungen, dass du sie bauest,
Wenn du mich todt hinstreckst?
(Aehnlich und mit denselben Worten von den Lykiem und dem
Bellerophontes, IL 6, 194). Auch die Aetoler bieten dem Meleager
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100 Ansässigkeit Baomzucht.
als Preis für die Theilnahme am Kampfe ein Grundstuck, zur Hälfte
Weinland, zur Hälfte Ackerboden, II. 9, 578 :
Allda hiessen sie ihn ein herrliches Gut sich erlesen,
Fiinfzig Hufen umher, zur Hälft* ein RebeDgeläude,
Halb ein freies Gefild, mit dem Pflug es zu schneiden geeignet.
Od. 9, 108 (von den Cyclopen, die weder Feldbestellung noch Baum-
zucht kennen):
OVT€ (fVTEVOVaiV XBQölv (pVtOVy OVZ aQnüJOlV,
wo das zfipaiv bedeutungsvoll ist Hesiod. Op. et d. 22:
og onsvöei nev agoftinsvai rjöe cpvTsveiv,
Auch bei Tyrtäus, fr. 3 (Brgk.):
Msaai^vTjv aya^riv ^ev ccqovVj ayct^fjv de rpvveveiv.
An einer homerischen Stelle tritt auffallender Weise zu Acker, Gar-
ten und Weide als Yiertes der Fischfang an der Küste: Od. 19, 111
(in dem Lande des gerechten Herrschers)
da bringt der schwärzliche Bodea
Weizen und Gerste hervor, schwer lastet die Frucht an den Bäumen,
Kräftig gebären die Schafe, das Meer giebt Fische zur Nahrung,
Alles als Lohn der Weisheit und zum Gedeihen des Volkes.
Auch die spätem Prosaisten pflegen das Ackerland, yrj anoQt^ioc^
"^i^rjj und das bepflanzte Land, yfj nBq^vzaxmivr^^ als die beiden
integrirenden Theile des Kulturbodens zusammenzustellen^ z. B.
Xenoph. Hell. 3, 2, 10: noXlriv de }(äya&7]v yijp OTTOQifiov^ noXlijv
de neq)VTei\uevr]v, najtinlri&eig de xai nayxdlovg vo/iäg navxodc'
noig xT^veai. Demosth. adv. Lept. 115: exazdv fiev iv Evßolcf
nXi&Qa yijg nerpvzevf.iivr^g ednoav^ exazov de tl^ii-rjg. In Xenophons
Oeconomicus hat sich Sokrates längere Zeit mit Ischomachus über
den Landbau, die yetoQyixfj rixvr^j unterhalten, da fragt Ersterer:
gehört denn auch die Baumpflanzung, fj zwv devdQwv q^vreia, mit
zum Ackerbau als ein Theil desselben? Freilich, erwiedert Ischo-
machus. Und darauf wird denn ausführlich über Tiefe und Breite
der Gruben, die Bedeckung mit Erde, die Bewässerung, die Wahl
des Bodens u. s. w. verbandelt, mit ausschliesslicher Beziehung auf
die drei Gewächse afinaXoc^ avxrj und iXaia. Wie Demeter die
Göttin der Feldfrucht, so ist besonders Dionysos, der Gott mit halb-
orientalischem Charakter, Personification der gedeihenden Baum-
frucht und des Segens, der daher kommt: Pindar. fr. 153 (Bergk.):
JevdQewv de vofxov Jiovvoog nolvya&rjg av^dvoi,
ayvov (piyyog onwQag.
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Ans&ssigkeit Baumzucht 101
Pkt. Sjrmp. 5, 3, 4: xat Uoaeidwvi ya q>vtal^i(fi, Jioviaif de
divÖQizrj, Ttdvreg, dg l'nog elnelvy ^'Ellrjveg &vovaiv. Auch IWfiv-
igog hiess der Gott Dach dieser Seite seines Wesens, Hesych. s. t.
Wenn der Beiname der Demeter ^laXoq^oQog in einer Inschrift von
Selinus so viel bedeutet, als Spenderin von Baumfrüohten, nicht etwa
Ton Schafen (O. Benndorfi die Metopen von Selinunt, S. 31), so
wäre auch diese Göttin zuweilen als Yorsteherin der Gärten ge-
dacht worden.
Nicht anders war das Verhältniss in Italien; auch dort sind
Acker und Pflanzung coordinirte Kulturzweige. Dionysius Halic.
], 37 preist Italien als keine Art des Anbaues ausschliessend: es
sei baumlos, aöevÖQog^ weil es komtragend, aivoipoQog^ sei, es sei
aber auch arm an Getreide, okiyoxaQnog^ weil es mit Bäumen be-
pflanzt, devÖQltig^ sei u. s. w. Bei Eroberung Italiens, sagt Appian
de bell civ. 1, 7, wiesen die Römer das wüste liegende Land Jedem
za, der Lust hatte, es zu bebauen, „indem sie sich nur einen jähr-
Lchen Zins vorbehielten, den Zehnten von dem Ertrage des besäe-
ten, den Fünften von dem des bepflanzten Landes." Cic. de rep. 5,
2 (den Königen, denen die Rechtsprechung oblag, wurde Land zur
Entschädigung gegeben): ob easque causas agri^ arvi et arbusü et
pascui, lati atque uberes definiebantur^ gut essent regit — in welcher
alterthümlichen Formel also der ager arbustus^ die Baumpflanzung,
dem ager arvtis und pascuus^ dem Saat- und Weidelande, als Glied
der Dreitheilung gegenübersteht, ganz wie in der obigen Stelle des
Xenophon. Lucret. 5, 9S3 ed. Lachm.
Nee robustus erat curvi moderator aratri
Quisquaniy nee seibat ferro molirier arva ;
Nee nova def ödere in terram virgiUta neque aüis ^
Arboribus veteres decidere falcibu^ ramos —
also ohne Umschreibung: weder Ackerbauer noch Baumpflanzer.
Daher auch Cn. Tremellius Scrofa bei Varro de r. r. 1, 7, 8 es als
eine Sonderbarkeit anfuhrt, dass er bei einem Kriegszuge ins innere
Gallien gegen den Rhein hin Gegenden gefunden habe, wo es ganz
an Weinstocken, Oel- und Obstbäumen fehlte: in Gallia transalpina
intus ad Rhenum, cum exercitum ducerem^ aliquot regiones accessi, ubi
nee vitis nee olea nee poma nascerentur; ubi agros stercorarent Can-
dida fossicia creta: ubi salem nee fomdum nee maritimum haberent^
wd ex quibusdam lignis combtistis carbonibus salsis pro eo uterentur.
So naturlich also schien einem Zeitgenossen des Varro und Bewoh-
ner des Südens die Verbindung des reinen Ackerbaues mit An-
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102 Ansässigkeit. Bamnzuclit.
pflanznng des Weinstocks und fruchttragender Bäume, dass er die
Abwesenheit der letztem mit der ihm unbekannten Mergeldungung
und dem Gebrauche der Asche statt des Salzes zusammenstellt.
Interessant ist, dass auch in den heiligen Schriften des Zend-
Volkes der Boden auf die dreifache Art benutzt wird, wie in Griechen-
land und Italien. Vendldäd 3, 12—13 (nach Spiegels Uebersetzung):
„Was ist zum Dritten dieser Erde am angenehmsten? Darauf ent-
gegnete Ahura-mazda: wo am meisten durch Anbau erzeugt wird,
0 heiliger Zarathustra, von Getreide, Futter und speisetragenden
Bäumen." 76—77: „Wer erfreut zum Vierten diese Erde mit der
grössten Zijfriedenheit? Darauf entgegnete Ahura-mazda: Wer am
meisten anbaut Feldfrüchte, Gras und Bäume, die Speisen bringen,
o heiliger Zarathustra." Aehnlich drückt sich auch der Perser Mar-
donius bei Herodot aus : als dieser den Xerxes zum Eriegszug gegen
die Athener bereden wollte, da rühmte er ihm Europa als ein schönes
Land, wo aller Art Fruchtbäume wüchsen und der Boden höchst
kräftig (zum Getreidebau) sei, Herod. 7, 5;: wg ^ EvQcinrj neqi^
xalkrjg X^QVy ^^^ divÖQea navxoia (fiQBi xä fj^tega^ QQBZ'qv re
axQT], Umgekehrt war Babylonien nach Herod. 1, 193 höchst frucht-
bar an Getreide: ctqiaxTi JijfxriTQog xaQnbv ixcpigeiVy trug aber keine
Spur von Bäumen: divÖQBo, ovde migatai ccqx^v q^igaiv oize auxiijVy
0VZ8 a/^nelovj ovve ilalrjv — wo die typische Zusammenstellung
der drei Gewächse, der Feige, Rebe und Olive, wiederkehrt.
Wenn Vergil G. 2, 371 sagt: Texendae saepes etiam u. s. w.,
80 ist dies nicht etwa ein neuerer Gebrauch: schon im Alten Testa-
ment und in der epischen Zeit Griechenlands werden solche Baum-
gärten als umzäunt, mit Graben oder Hecke und Mauer umgeben
gedacht, während das Saatgefilde frei daliegt. Wie die Parabel des
Propheten JesaiasEap. 5 mit den Worten beginnt: „Mein Lieber hat
einen Weinberg an einem fetten Ort und er hat ihn verzäunet und
mit Steinhaufen verwahret und edle Reben drein gesenket** — , so
war auch der Weinberg auf dem Schilde des Achilleus mit einem
Graben, xaneznCy und einer Hecke, ?(>xf>t, umzogen; Oineus, der
Herrscher von Kalydon, tödtete seinen eigenen Sohn Toxeus, d, h.
den Schützen, weil dieser es gewagt hatte, den Graben, der die
Weinstöcke umschloss, zu überspringen (Apollodor. 1, 8, 1). Das
Material, das zu der Umzäunung gelesen wird, heisst mit einer ety-
mologisch dunklen Benennung alfiaoia — entweder Domen oder
Steine, vielleicht bald das Eine, bald das Andere, oder Beides zu-
gleich, je nach der Gegend und ihrer natürlichen Beschaffenheit; der
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Ansässigkeit Baumzacht. 103
göttliche Sanhirt in der Odyssee wenigstens hat seinen Hof mit
herbeigeschleppten Steinen verwahrt und diese dann mit Domen be-
steckt, U, 10:
Steine zusammengeschleppt und oben umfriedet mit Domen.
Solche oQxoi^ q)VT<Sv oQXCttoiy wie Homer und Hesiod die umfrie-
digten Fruchtgärten, besonders die Weingärten, nach dieser ihrer
Eigenschaft benennen (da diese Wörter doch wohl auf el(pyo>,
scbliessen, zurückzuführen sind, ixbtoqxiov = ein Getreidefeld zwischen
zwei geschlossenen Gärten), bedecken und durchschneiden noch jetzt
das südliche Italien, dessen Wege zwischen Mauern und Hecken von
Stachelpflanzen dahinziehen und dem staubbedeckten Reiter die Aus-
sicht auf das Meer oder das Gebirge versagen. Auch gilt noch jetzt
in jener Gegend ein Grundstuck, das mit Mauer oder Hecke um-
geben ist, allgemein für werthvoller und an Ertrag reicher als ein
offenes.
Schon bei Homer sind es die Schwachem, besonders die Greise,
deren Obhut die Bäume anvertraut sind und die niedergebückt im
Garten pflanzen, graben und schneiden: mit dem Ochsengespann
Furchen ziehen und die Wiese mit der Sense, dginavov^ abmähen,
gilt, wie der Krieg, für das Werk der Jünglinge und Männer. Be-
sonders deutlich ist in dieser Beziehung die Stelle Od. 18, 356 ff.
Einer der Freier, Eurymachus, hat den Odysseus wegen seines Kahl-
kopfes verlacht und schlägt ihm darauf vor, als Arbeiter am Zaun
und als Pflanzer von Bäumen in seinen Dienst zu treten:
Domen gestränch mir zu sammeln und stämmige Bäume zu pflanzen.
Hierauf erwiedert ihm Odysseus: „Sollte ich mit dir auf der Wiese
den ganzen Tag über um die Wette das Gras abmähen oder mit
dem Joch Ochsen vier Morgen fetten Ackers pflügen, dann würdest
du sehen, ob ich eine Furche zu ziehen im Stande bin. Und hätte
ich Waffen, wie sie sich für den Krieger schicken, du würdest mich
unter den Ersten kämpfen sehen. Du aber scheinst dir gross und
stark, weil du mit Wenigen und Bösen verkehrst." — So hat sich
auch der greise Laertes zu den Gärten zurückgezogen, und sein
Genosse ist der gealterte Sklave Dolios, den einst Penelope von
ihres Vaters Hause in das des Ehegatten mithinübergebracht. —
Nicht anders im Hymnus an den Hermes. Dort treibt der Gott die
gestohlenen Rinder hinweg, da sieht ihn ein Mann, der im Wein-
garten arbeitet: es ist ein Greis, der, zur Erde gebeugt, im Boden
gräbt, V. 90:
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104 Ansässigkeit Baumzncht.
w yigoVj oaze q>vza oxanxBig iTTixafiTivXog w^ovQ.
Und als Tags darauf ApoUon suchend an derselben Stelle Torbei-
kommt, da findet er den Greis, einen Zaun, i'Qxog aXiofjg, zum
Schutz gegen die Strasse, auf der viel Wanderer ziehen, naQC^
oöov^ aus Dornen flechtend und redet ihn demgemäss an, v. 190:
w yiQOv^ ^OyxJJOTolo ßatoÖQOTiB noirjevTag.
Das in dem erstem Verse gebrauchte axanxeiv ist gleichfalls feste
Bezeichnung für Arbeit im Wein- und Baumgarten, wie bei Hesiod.
Op. et d. 572;
TOTB dij axäq^og oixeTt olvivjv^
und wird gern dem aQoiv^ dem Ackern auf dem Felde, gegenüber-
gestellt. So in dem Verse aus dem homerischen Margites:
Tov d' ovr' OLQ GxamiJQa ^sol deaav^ oit^ aQotiJQa.
Auch lateinisch heisst es federe kortum (Plaut. Poen. 5, 2, 30), und
fodere und arare stehen in Parallele, Terent. Heaut. 1, 1, 16: quin
te in fundo conspicer fodere aut arare. Das Werkzeug dazu ist ent-
weder das kiOTQov^ daher Od. 24, 227 Odysseys seinen alten Vater
XiOTQEvovra (pviov findet, oder die ^laxaXXa^ d. h. die einzinkige
Hacke, in der Ilias 21, 259 zum Aufgraben der Wasserrinnen im
Garten gebraucht, oder die dixelka, d. h. die zweizinkige Hacke,
in einem Fragment des Aeschylus in Gegensatz zum Pfluge gestellt,
fr. 190 (Nauck):
Faßlovg^ 7$^^ ovi^ aQozQOv ovte yazofiog
tifipsi öixeXV aQovQov,
auch die axanarrj (bei Theokrit, davon vielleicht das italienische zappa,
franz. sappe)^ in der spätem attischen Sprache die afir] und auti'vg
oder Ofitvvrjy lat. ligo, bidens^ vanga (bei Palladius, noch itaUenisch),
französisch pioche (vermuthlich statt picöcke) u. s. w.
Mit der Baumzucht freilich wurden auch die Kriege furchtbarer,
weil die Zerstörung mehr Gegenstande, fand. Nach der urältesten
Sitte, die auch bei Homer nicht fehlt, wie sie noch jetzt »bei den
Beduinen herrscht, ist das Wegtreiben der Heerden, der Raub der
Pferde ein gewöhnlicher Kriegsvortheil und die an dem Feinde
geübte Rache und Strafe ; oft holt der Beschädigte den abziehenden
Räuber wieder ein und nimmt sein Eigenthum zurück; in jedem
Falle ersetzt sich die Heerde in nicht allzulanger Zeit wieder. Die
Germanen zogen sich hinter ihre Wälder und Sumpfe zurück, und
die Römer konnten sie nirgends empfindlich treffen. „Warum sollten
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Ansässigkeit Baumzucht. . 105
wir uDS auf eine Schlacht mit Euch einlassen, antwortet bei Herod.
i 127 der Skythenkönig Idanthyrsus dem Darius, wir haben ja keine
Städte, die eingenommen, keine Pflanzungen (yij nBq^vxevfiivrj)^ die
aasgerottet werden könnten.** J^^och in unserm Jahrhundert, im
Jahre 1812, machten es die Russen ganz ähnlich: sie brannten sogar
ihre Hauptstadt nieder, die doch nur grösstentheils aus Holz bestand,
zogen sich immer weiter ins unwirthliche Innere zurück und Hessen
Entfernung, Wildniss, Klima die Vertheidiguug fuhren. Anders da,
wo der Mensch in dauernden Häusern unter Weinstöcken, Oel- und
Feigenbäumen wohnt, da wüthet ein grausamer Feind schrecklich,
und das Land ist auf Menschenalter verödet. Die Wasserleitungen
werden zerstört und damit die eigentliche Lebensquelle abgeschnitten:
sie wieder einzurichten, kostet viele Arbeit und mehr Kapital, als
nach einem Kriege vorhanden ist. Die Oelbäume werden nieder-
gehauen und wachsen nur langsam wieder; auch der Weinstock
fordert manches Jahr, ehe er tragfähig wird. Zwar das mosaische
Gesetz verbot das Ausrotten der Fruchtbäume, Deuteron. 20, 19:
,Wenn du für einer Stadt lange Zeit Hegen musst, wider die du
streitest, sie zu erobern, so sollst du die Bäume nicht verderben,
dass du mit Aexten dran fahrest, denn du kannst davon essen,
darum sollst du sie nicht ausrotten", aber dass das Verbot in der
Kriegswuth nicht beachtet wurde, lehrt das Alte Testament selbst.
So verbrannte z. B. der hebräische Nationalheld Simson mittelst
seiner Füchse nicht blos die Saaten des feindHchen Landes (die im
nächsten Jahr wiederwachsen konnten), sondern auch die Wein- und
Oelpflanzungen , die nicht so leicht wieder herzustellen waren. Als
Alyattes, König von Lydien, die Stadt Milet nicht einnehmen konnte,
bezog er alle Jahr regelmässig ihr Gebiet und verdarb Bäume und
Feldfrüchte (Herod. 1, 17). Auf solche Art ist auch später der
Orient wiederholt von hereingebrochenen wilden Horden zur Wüste
gemacht worden und hat die frühere Blute nie wieder erreicht.
Auch die Geschichte der Griechen ist voll von ähnlichen Barbareien
— vor und nach Plato, der sie in seiner Republik (5. p. 470)
wenigstens unter Gnechen nicht dulden will. Wie oft liest man
beim Thucydides die verhäognissvollen Worte: r^v yriv iöijovp oder
m^vov, z. B. 3, 26: „sie verheerten Attika, sowohl die Gegenden,
wo schon früher die Gewächse niedergemacht und jetzt etwa neu
aulgesprosst waren, als diejenigen, die bei frühem Einfallen verschont
geblieben waren." Wie die Peloponnesier besonders in den Oel-
pflanzangen Attikas gehaust hatten, ergiebt sich deutlich aus des
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106 Ans&ssigkeit. Baumzuchi
Lysias Rede neQl rov ai]xov^ wo unter andern z. B. folgende Stelle
vorkommt: „Ihr wisst, dass damals viele Gegenden mit Oelbäumen
bestanden waren, die jetzt grösstentheils niedergehauen sind, und
dass das Land seitdem kahl geworden ist." Im ersten messenischen
Kriege sollen nach Pausanias 4, 7, 1 zwar die Bäume verschont
worden sein (oifdi öivdQa exomov)^ aber nur weil die Lacedämonier
das Land als ihr eigenes betrachteten: später übten sie das Ver-
wüsten um £0 besser. Von dem Kriege, den sie gegen die Eleer
führten und den Xenophon Hell. 3, 2, 21 fif. beschreibt, heisst es
auch: „da das Heer ins feindliche Gebiet eingerückt war und schon
im Lande das Niederhauen der Bäume begonnen hatte, trat ein
Erdbeben ein** und später: „er marschirte gegen die Stadt, nieder-
schlagend und sengend im Lande". Umhauen und ausrotten war
auch im neueren griechischen Freiheitskriege das gewöhnliche Mittel,
den Feind zu zuchtigen, und in Unteritalien reden die mittelalter-
lichen Chroniken oft genug von der gleichen Behandlungsart feind-
lichen Gebietes (z. B. Muratori Scriptt. VII [, p. 546: Obsedit itaque
Princeps [Manfredtis] civitatem Brundusii et cum civitas ipsa moeni--
btc8 et populo valde munita esset nee passet per insultum eam de fadli
capere, fecit fieri depopulationern arborum circumcirca civitatem
ipsam usque ad moenüi). Nach Kaiser Friedrichs I. Barbarossa Reichs-
abschied, die Mordbrenner und Friedenstörer betreflfend, Nürnberg
1187, sollen diejenigen, die Weinberge oder Fruchtgärten zerstören,
der Strafe der Brandstifter verfallen, §. 14: statuimus etiam^ ut si
quis vineas aut pomeria exciderit proscriptioni et eacommunicationi
incendainorum subjiciatur. Umgekehrt verwirkte wohl auch der
Rebell und Uebelthäter nicht nur sein Leben, sondern auch sein
Haus wurde niedergerissen, seine Fruchtbäume umgehauen, seine
Reben ausgerottet 3^).
Wie sich halber und ganzer Ackerbau oder Ackerbau mit no-
madischen Gewohnheiten und Ackerbau verbunden mit Baumpflanzung
unterscheiden, darüber haben die Franzosen in Algier Gelegenheit
gehabt, Erfahrungeu zu machen. Die flüchtigen Araber zu treflfen,
mussten die europäischen Kolonnen mit ihnen an Beweglichkeit und
Schnelligkeit wetteifern; denn, hatte das Dorf auch nur zwei Stunden
vorher von der Annäherung des Feindes Nachricht, so fand man an
der Stelle, wo man es zu überfallen gedachte, nichts als die oft noch
warme Asche ausgelöschter Lagerfeuer. Der Stamm hatte sich
weiter ins Innere gezogen, von da wich er, wenn er verfolgt wurde,
immer weiter und weiter ins Innere bis in die unnahbare Wüste.
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Esel. Maulthier. Ziege. ]07
Man mähte ihre Ernten ab, man trieb, soweit man derselben habhaft
werden konnte^ ihre Heerden weg; zaweilen unterwarfen sie sich
dann demüthig; im nächsen Jahr aber konnte dieselbe Seene von
Neuem spielen. Ganz anders verhielten sich die Kabylen des Djur-
djoragebirges der Inyasion gegenüber. Diese directen Nachkommen
der alten Libyer sind nämlich ein gartenbauendes Volk mit halb-
steinernen Wohnungen, festem, durch Mauern und Hecken, über die
überall fruchttragende Aeste herabhängen, bezeichneten Besitzthum
und dem Gefühl der Anhänglichkeit an den Ort ihrer Geburt. Sie
wohnen im Gebirge, und der Zugang zu ihnen ist schwer: ist dieser
aber einmal erzwungen, dann hält sie die in ihrer Mitte angelegte
kleine Festung mit der geringen Besatzung bleibend \m Zaum. Sie
zahlen regelmässig ihren Tribut und sind zufrieden, wenn man sie
bei ihren alten Sitien und bei der eigenen Gemeindeverwaltung lässt.
Einige Strassen werden durch ihr Gebirge gezogen, die ungewohnte
Sicherheit belebt den Waarenaustausch und den Besuch der Märkte,
und langsam und unmerklich, aber sicher dringt europäische Civili-
sation unter das bisher nach aussen abgeschlossene und miss-
traoische Volk. Auch dio Dichtigkeit der Bevölkerung steht in
gradem Verhältniss zu der mehr oder minder durchgeführten Abkehr
?om Hirtenleben. Eine Bedainenfamilie bedarf zu ihrer Ernährung
eines weiten Raumes, den sie immer nur streift, die Eabylen graben
den Boden um und entlocken ihm zehnfachen Ertrag und, wo dort
Quadratkilometer nöthig sind, genügt hier ein Garten von wenig
Schritten.
Gleichzeitig mit der Aufnahme der neuen Kulturart, weil eng
an sie geknüpft, war die Einführung des Esels, die Erzeugung des
Manlthiers, die Verbreitung der Ziege. Der geduldige, arbeitsame
{flagarum etpenuriae tolerantissinms, laborü et famis maxime 'patiem)^
Zugleich sehr verständige Esel, der die Geschäfte des Hauses be-
sorgte, die Mühle und den Brunnen trieb, die Erde in Körben auf
die Anhöhe trug und beladen den Landmann zu den Märkten und
Opferfesten begleitete, — er bedurfte nicht wie das Rind fetter
Wiesen und schattiger Gebüsche, überhaupt weiterer Strecken, er
nahm mit dem Ersten Besten vorlieb, was am Wege wuchs oder
was das Hauswesen abwarf, mit Stroh, Stengeln, Disteln und Domen.
Dass er aus dem semitischen Kleinasien und Syrien nach Griechen-
land gekommen sei — wobei immer wahr sein kann, dass Afrika,
wo noch jetzt seine Verwandten leben, seine ursprüngliche Heimath
ist — , lehrt die Sprachgeschichte ^ ®), und wird durch die ältesten
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108 Esel. Maulthier. Ziege.
Kaltor- und Völkerverb ältnisse bestätigt. In der epischen Zeit, in
welcher Viehzucht und Ackerbau noch vorherrschen, ist der Esel
noch gar nicht das gewöhnliche Hausthier: er kommt nur an einer
Stelle der llias vor (bloss in einem Gleichniss, 11, 558 ff., das von
einem den Salaininiem imd Athenern nicht gunstigen Dichter verfasst und
dann an dieser Stelle eingeschoben scbeint; es streift an das Parodische
und ist mit der vorausgehenden Vergleichung widersinnig gepaart,
s. Welcker, der epische Cyclus^, II, 361); in der Odyssee, in deren
zweitem Theil Gelegenheit genug dazu vorhanden war, wird er gar
nicht genannt und eben so wenig bei Hesiod. Da das lateinische
Wort, asinus, eine alterthümliche Gestalt zeigt, die über die Zeit der
griechischen Kolonisation hinauszuliegen scheint, so muss das Thier
schon vorher auf dem Landwege durch Vermittellung der illyrischen
Stämme in Italien eingewandert sein. Oder sollen wir annehmen,
dass die Cumaner noch aovog sprachen, als sie ihre Stadt auf der
heutigen Insel Ischia anlegten? Im späteren Italien war der Esel,
ausser den gewöhnlichen Haus- und Felddiensten, die er verrichtete,
auch wichtig für den Ein- und Ausfuhrhandel der gebirgigen Theile
der Halbinsel. Der Waarentransport aus den innem Landschaften
^u den Seehäfen geschah auf dem Rucken der Esel und die Kauf-
leute hielten zu diesem Zweck eigene Ileerden dieser Lastthiere,
Varro de r. r. 2, 6, 5: Greges fiunt fere mercatorum^ ut eorum qui e
Brundisino aut Appulia asellis dossuariis comportant ad mare oleum
aut vinum itenique fi'umentum aut quid aliud. Mit der Wein- und
Oelkultur — die Grenze derselben nicht überschreitend — ging auch
der Esel weiter nach Norden, mit ihm sein Name: in demselben
Masse, wie das Hochwild der Wälder, der hos urus und der bos pri-
migenius (der Auerochs und der Wisent) und der Riesen hirsch (der
Scheich, noch im Nibelungenliede genannt) ausstarben, bürgerte sich
der aus der Fremde gekommene Langohr beim Landraann in Gallien
ein, erhielt mannigfache Namen und lebte in den Sitten, Scherzen,
Sprichwörtern und Fabeln des Volkes. In Deutschland war es ihm
schon zu kalt. — Das Maulthier, bei Homer schon nicht selten,
stammte aus dem pontischen Klcinasien und zwar, wie Horaer aus-
drücklich sagt, von den Enetem, einem paphlagonischen Volke, II.
2,872:
i§ ^Everwv, od-£v '^(liiovcüv yivog ayQnteQdojVy
wozu der Scholiast bemerkt: „bei den Enetem wurde zuerst die
Vermischung der Esel und Pferde erdacht" An einer anderen
Stelle sind es die Myser, die dem Priamus Maulthiere schenken,
^\ 2^' ^ '^^ • Digitized by GoOglC
Esel. Maulthier. Ziege. 109
Schirrten die Maultbiere an, starkhufige, kräftig zur Arbeit,
Welcbe die Myser dem Greise verehrt als edle Geschenke.
Myser und Paphlagonier wohnten nicht weit von einander, und der
Weg zu den letzteren geht durch das Gebiet der ersteren. In einem
Fragment des Anakreon werden die Myser geradezu als Erfinder
der Mauithierzncht genannt (fr. 34. Bergk):
iTinox^oQov de Mvani
evQtiv (u^iv oviov UQnq Xnnovc;,
Damit stimmt überein, dass auch im Alten Testament die Landschaft
Thogarma, d. h. Armenien oder Kappadocien die besten Maulesel
lieferte (Ezech. 27, 14); den Israeliten selbst verbot das Gesetz diese
Zucht Auch später noch hören wir von kappadocischen und ga-
latischen Maulthieren, und von den erstem wird berichtet, sie seien
fruchtbar, also unter besonders gunstige Naturverhältnisse gestellt:
Pseudo-Aristot. de mirab. ausc. 69 (70): h Kajrnadoxtq: cpaoly
Tjfiwvnvg elvai yovi^iovg. Plin. 8, 173: Theophrastus volgo parere in
Cappadocia tradit, sed esse id animal ibi sui generis. Plut. de cupi-
ditate divitiarum, 2: '^fiiovoi Falcttixai (als Gegenstand des
Loxus)'^). Höchst merkwürdig, weil den israelitischen religiösen
Vorstellungen (vielleicht auch denen anderer semitischer und halb-
semitischer Stamme?) analog, ist das alte, in die mythische Zeit
hinaufverlegte Verbat, im Lande der Eleer Maultbiere zu erzeugen.
Der König Oenomaus, der Sohn des Poseidon und Vater der Hippo-
damda, sollte einen Fluch, xarcfpor, über diese Zeugung ausgesprochen
haben, und seitdem brachten die Eleer ihre Stuten ausser Landes^
um sie dort von Eseln belegen zu lassen (Herod. 4, 30, Paus. 5, 5, 2);
dass der Fluch von dem alten König Oenomaus herrührte, setzt
Platarch hinzu (Qu. graec. 52). Vielleicht war in diesem elischen
Braach nur die durch Religion festgehaltene älteste Zeit aufbewahrt,
wo es in Griechenland keine anderen, als vom Orient eingeführte
Maulthiere gab und das Volksgefühl sich gegen solche widernatür-
liche Mischung noch sträubte. Auch bei Homer besitzt der Ithakesier
Naemon in dem weidereichen Elis zwölf Stuten mit den dazu ge-
hörigen MaulthierfüUen (Od. 4, 635 flf.). Im Uebrigen ist in der
epischen Welt das Maulthier schon ein eigentliches Arbeitsthier, so-
wohl bei der Feldbestellung, als im Geschirr vor dem Wagen
[inBaieQyovg) und beim Schleppen von Lasten, und es wird daher
gern als vielduldend und mühselig dargestellt (ralaBQyoc). Dass es
als starker dem Esel vorgezogen wurde, lehrt der bekannte Vers des.
Iheogiiis996:
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HO i^seL Maulthier. Ziege.
yvotrjg X oaoov ovwp ugeaoovBg fi^iovot.
Auffallend aber ist die abstracte BenennaDg f^iniovog^ Halbesel, und
6Q€vg^ ovQBvgy Bergthier, die sich in dieser doppelten Gestalt auch
bei Hesiod findet und durch das ganze Älterthum fortwährt Zur
Erklärung von oiQsig mag H. 17, 742 dienen, wo das Maulthier
Balken und Schiffsbauholz aus den Bergen mühsam hinabschleppt,
oder IL 23, 114 ff., wo die Männer mit Aexten, Seilen und Maul-
thieren in die hohen Schluchten des Idagebirges hinaufziehen, um
Holz für den Scheiterhaufen des Patroklos zu holen, die Last aber
den Maulthieren angebunden wird, die sie dann in die Ebene
stampfend hinabtragen. — Nach Italien kam der mulus, wie dieser
Name beweist, aus Griechenland;*®) das lateinische Wort diente
dann allen Völkern, die das neue künstlich geschaffene Thier bei
sich aufnahmen, zur Bezeichnung desselben. Wie noch heute, wur-
den auch zu Yarros Zeit die Fuhrwerke auf den Landstrassen
von Maulthieren gezogen, die neben der Kraft und Stärke auch
durch Schönheit dem Auge wohlgefällig sein mussten, wie gleich-
falls noch heut zu Tage, 2, 8, 5: in grege mulorum parando spectanda
aetas et forma^ alterum ut vecturis suferre labores possinty alterum ut
oculos aspectu delectare queant^ hisce enim binis conjunctis omnia vehd"
cula in viis ducuntur. Auch die Griechen lieben ein solches LeZyot;
OQixoVy und schon Nausicaa fahrt in der mit Maulthieren bespannten
ajuor^a oder an^vrj zum Meeresufer und von diesem zur Stadt zu-
rück. — Auch die Ziege ist das Hausthier des mehr gartenartigen
Anbaues in südlichen Gebirgsgegenden; sie nährt sich von aroma-
tischen Stauden, die von selbst an den heissen Felsabhängen spriessen;
sie nimmt auch mit hartblättrigem Gesträuch vorlieb und giebt eine
fette, ^ewürzige Milch. Das dürre Attika, reich an Oel und Feigen,
•ernährte auch zahlreiche Ziegen; ja eine der vier alten attischen
Phylen, die der AiyixoQeigy war nach den Ziegen benannt. Auch
wenn die Ziege schon mit den ersten arischen Völkerzügen in Europa
einzog und also den Hellenen und Italem nicht erst in ihrer neuen
Heimat bekannt wurde, so fand sie doch erst hier und erst mit der
adoptirten semitischen Kulturart ihre eigentliche Stelle und nützliche
Verwendung*^).
Dass auch die eigentliche Bienenzucht erst mit der Banm-
zucht auftreten konnte, ist leicht einzusehen. Wer ein Olivenreis
pflanzte, das ihm gehörte, und von dem er erst nach Jahren Früchte
erwartete, der konnte auch innerhalb eines umfriedigten Raumes
Bienenstöcke hinstellen, sie zur Winterszeit pflegen, ihre Zahl durch
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Bienenzucht. Steinbaoknnst/ 1 1 1
Kolonien des Mutterstockes, wie die der Fruchtbäume durch Setz-
linge, zu seinem Nutzen vermehren und zu rechter Zeit und in be-
stimmten Fristen in Gestalt von Honig und Wachs den Lohn für
seine Bemühung einziehen. Aristäus, der inventor olei, erfand auch
die xazaaxev^ xüv ofirjvwv^ d. h. die Bienenwirthschafb, und als sein
Bnider wird Autuchos genannt, d. h. der Selbstbesitzende. Homer
weiss noch nichts von Bienenstöcken; wenn das zweite Buch der
Sias einmal die Achäer sich sammeln lässt, wie die Bienen aus
einer Felsenhöhlung ausfliegen, so bilden die letzteren also einen
frei in der Wildniss lebenden Schwärm. Erst eine Stelle der hesio-
dischen Theogonie (v. 594 fF.)? die eben darum nicht sehr alt sein
kann, kennt die Ofjrjvr] und die ainßXoi^ d. h. kunstliche Bienen-
körbe, und unterscheidet auch die Arbeitsbienen von den Drohnen,
welche letztere mit den Weibern verglichen werden! Der Hirte be-
raubte wilde Bienenstöcke, die er im Walde fand, und bereitete,
wenn der Fund reich war, Meth aus dem Honig; der Ackerbauer
Hess sein Mehl zu einer Art rohen Bieres gähren; der Weinbauer
mischte oft den Honig, den er regelmässig gewann, in seinen Wein
und nannte diesen dann ^ledv oder mulsum und glaubte, der Genuss
davon schaffe ihm langes Leben**).
Schon im Vorhergehenden ist hin und wieder darauf hingedeutet
worden, dass mit der grossem Stabilität des Lebens, die die Garten-
kultur mit sich brachte, auch die Wohnungen der Menschen einen
dauernden Charakter gewannen. In der That ging auch die Stein-
baakunst vom südöstlichen Winkel des mittelländischen Meeres aus
und verbreitete sich wie Wein und Ocl schrittweise über die Küsten
und Halbinseln des südlichen Europas und von da über die civilisirte
Welt Phönizier hatten in der Urzeit die Kunst des Mauer- und
Terrassenbaues den Griechen gelehrt, Griechen brachten sie später
den Etruskern und Lateinern zu, von Italien kam sie in einem ganz
joDgen Zeitalter zu den Völkern über den Alpen. Als die Indoeuro-
päer mit ihren Heerden vom Aralsee und kaspischen Meer — deren
damalige Gestalt wir nicht kennen — westwärts zogen, da empfing
sie entweder unabsehbare Steppe oder zusammenhängender, endloser
Wald. In der erstem, die zum Umherschweifen einlud, fehlte das
Material zu dem Aufbau eines Hauses, und so lebten Skythen und
Sannaten auf dem Wagen und unter dem binsengeflochtenen Korbe,
der diesen überdeckte, Hesiod. Fragm. 189 Göttl.:
YXaxTog)aya)v slg alav^ anijvaig oixi^ ixovzuv.
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112 Steinbaukuiist.
Aesch. Prom. 708:
^xvdag ö^ d(fi^€i voftddaCy ov nXexzäg ozeyag
IledaQaioi valnva iri evxvxkotg oxoig.
Diese Wagen waren sehr gross und wurden nicht bloss von vier
sondern auch von sechs Rädern getragen, Hippocr. de aere etc. 25,
Ermer.: „sie heissen Nomaden, weil sie keine Häuser haben, sondern
auf Wagen wohnen; von den Wagen sind die kleinsten vierraderig,
die andern haben sechs Räder*' — so dass sie Häuser auf Rädern,
afia^oq^oQTjToi olxni bei Pindar, bewegliche Häuser genannt werden
konnten. Und wirklich fahrt Hippokrates fort: „diese Wagen sind
mit Filz bedacht; sie sind gebaut wie Häuser, üoneQ oixijfjaxcf^
die einen zweifach, die andern dreifach; sie schützen wider Regen,
Schnee und Wind und werden von Ochsen gezogen, bald von
zweien, bald von dreien" u. s. w. ; auf den Wagen leben die Weiber
und Kinder, die Männer reiten. Die nördlich an die Sarmaten
stossenden Slaven hatten viel von den Sitten der erstem angenom-
men, aber ein Reiter- und Wagenvolk waren sie nicht; sie schweif-
ten als Räuber durch die Wälder, aber sie bauten Häuser, Tac.
Germ. 46 (die erste genauere Erwähnung der Slaven und ihr Eintritt
in die Geschichte, nachdem Plinius bloss ihren Namen genannt).
Veneti multum ex maribm {Sarmatarum) ti^cuicerunt. Nam quicquid
inter Peucinos Fennosque süvarum ac montium eingitur^ latrociniis
peretrant Ili tarnen inter Get^manos potius referunta^ quia et domos
figunt et scuta yestant Wie dies älteste slavisch-deutsch-keltische
Haus aussah, lehreu uns noch heut zu Tage die Wohnungen der an
den Grenzen von Europa und Asien umherschweifenden Völker,
z. B. der Turkmenen (abgebildet bei Vdmb^ry, Reise in Mittelasien,
deutsche Ausgabe, zu S. 253): das Gestell wird aus Stangen ge-
macht und ebenso das Dach ; beides zusammen bildet einen oben ab-
gerundeten Cylinder; das Ganze wird mit Filzdecken belegt, auch
vorn die rechtwinkelige Thüroflfoung durch eine Filzdecke verhängt.
In seiner spätem, wohl schon vervollkommneten Gestalt zeigen es
uns die Darstellungen der Antoninsäule und die gelegentlichen Nach-
richten der Griechen und Römer, denen die Zeugnisse des frühem
Mittelalters nicht widersprechen. Auf der ersten bestehen die Yer-
theidigungswerke der Marcomannen undQuaden, die Marcus Aurelius
stürmt, deutlich aus Flechtwerk, das ins Kreuz mit gedrehten Seilen
umschnürt ist; die Wohnungen bilden Cyhnder mit rundgewölbtem
Dach, ohne Fenster, mit rectangulärer Thür: sie scheinen mit Binsen
oder Ruthen durchflochten und sind mit Schnüren umwunden. Die
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Steinbaohmsi 113
Häaser der Kelten beschreibt Strabo 4, 4, 3 als ^olosideigj cylinder-
formig, und aas Brettern und Rathengeflecht, ix aavidcjv xal yiQQcov^
bestehend, und ähnlich wohnen noch zu JordanisZeit die entfernten
Ealedonier und Mäoten, als die Stammgenossen auf dem Festland
sich schon längst römisch eingerichtet hatten, Jord. 2: virgeas hahent
casas^ communia tecta cum pecare, süvaeqtie illü aaepe sunt domus.
Auch die Slaren erscheinen bei Procop in solchen geflochtenen
Hütten^ die sie in unstätem Wechsel leicht verlassen und am andern
Orte wieder aufstellen, de bell. goth. 3, 14: olxovai de iv xaXvßatg
oixiQaig duaxi^vTjiLiivoi nolX(p fiiv an aXXrjlcjv • a/aelßovteg öi wg
xa noXla rny rrjg ivoixi^aecjg ^xaatoi x^C^^i j^ g^^z spät, als Hel-
mold schrieb, war es noch nicht anders, 2, 13: nee in constmendis
aed^ums operosi sunt (Sclavi)^ quin potius casas de virgultis contexunt^
necessitati tantum constdentea adversus tempestates et pluvias . . . nee
qmcquam hostili patet direptioni nisi tuguria tantum^ quorum amis-
nonem facüUmam judicant Die Sueven, sagt Strabo, und die
übrigen dortigen Stämme wohnen in Hütten, deren Einrichtung nur
auf einen Tag berechnet ist, 7, 1, 3: xoivov d' ioTiv anaai %öig
%av%7j ro . . . . h xaXvßioic olxeiVy icpjjfiieQOv ex^vat noQaaxevijv.
Nicht anders schildert uns Seneca die Häuser und die Lebensart
der Germanen und der Völker an der Donau, de provid. 4, 4: omnes
conaidera gentes^ in quibus Romana pax desinit: Germanos dico et
quidquid circa Histrvm vagarum gentium occursat Perpetua illoa
kiems^ triste coelum premit^ maligne solvm sterile sustentat, imbrem
culmo aut fronde defendunt^ super durata glacie stagna persultani^ in
alimentum feras captant. — Nullae Ulis domicilia nvllaeque sedes sunt,
nisi quas lassitudo in diem posuit Die Germanen kannten, wie nach-
her Tacitus berichtet, den Gebrauch von Mörtel und Ziegeln nicht,
Genn. 16: ne caementorum quidem apud illos aut tegularum usus:
materia ad omnia utuntur informi (Baumstämme, geflochtene Weiden,
Schilf) et dtra speciem aut delectationem. Ungefähr dasselbe melden
Herodian 7, 2, der .von den Buden der Germanen den sprechenden
Ausdruck oxTjvonoieiaSai braucht, und Ammianus Marc, wenn er
18, 2, 5 die Wohnungen der Germanen poetisirend als saepimenta
fragiUum penaMmn bezeichnet. Auf einem Fundament ruhten diese
Hatten nicht, denn ein Dieb konnte Nachts in sie eindringen, in-
dem er sich unter der Erde durchgrub, 1. Saxon. 4, 4: qui noctu
donntm alterius effodiens vel effringens intraverit .... capite puniatur.
üeber den Umfassungswänden lag das Dach, ohne innere Theilung
des Baumes, denn das alemannische Gesetz bestinmite, ein Neu-
Tiet H«]iD, KoltnrpflanMo. S
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X 14 Steinbaukunst.
geborenes habe gelebt, wenn es die Augen geöffnet und das Dach
und die vier Wände erblickt habe, 1. Alam. 92: ut possit aperire
octdos et videre cvhnen domus et quatuor parietes (das Haus war also
nicht rund, sondern schon viereckig, gleich den Wohnungen der
Dacier auf der Trajanssäule, die auch über der Thür schon ein
Fenster zeigen). Wie leicht das Ganze gezimmert war, ersehen wir
besonders aus dem Titel 10 der lex Bajuv., obgleich doch der Ein-
fluss aus Süden damals schon gewirkt hatte: dort wird z. B. mit
Strafe bedroht, wer ein fremdes Haus auseinanderwirft — welches
letztere folglich von lockerem Bestände war. Dass solchen Häusern
ewig die Gefahr drohte, in Feuer aufzugehen, war natürlich: der
Feind warf den Brand in das Schilfdach, wie wir Marc Aurel auf
seiner Säule wiederholt thun sehen, der Räuber legte heimlich
Feuer an das Zimmerwerk, eine zufeUig ausgebrochene Flamme ver-
zehrte rasch die Stämme der Wände und das trockene Geflecht,
mit dem sie verbunden waren. Schon das in der Mitte des Hauses
auf dem Boden brennende Heerdfeuer, das seinen Bauch zum Dach
hinaussandte und das Holzwerk ausdörrte, so wie die bei allen Nord-
völkern herrschende Sitte, die langen Winterabende mit dem bren-
nenden, in einen Spalt gesteckten Span zu erhellen, musste dem
Hause oft Verderben bringen. Nicht selten mochten dann auch die
auf dem Boden schlafenden Hausgenossen in Rauch und Flammen
ihren Untergang finden; aber, wenn sie sich retteten, stand ein neues
Haus bald wieder da, das nicht wie das alte, den Regen durch-
liess und von Rauch über und über geschwärzt war, und mit
dem alten war glücklicher Weise auch alles Ungeziefer, von dem es
bevölkert gewesen war, mitverbrannt. — Die Vordersten des grossen
indoeuropäischen Zuges, die Kelten, waren auf ihrer Wanderung
nach Westen auf das Volk der Iberer gestossen, die, wenn die Ver-
muthung nicht trügt, ihrerseits das äusserste Glied einer grossen
Völkerreihe bildeten, welche vom Nilthal die Nordküste Afrikas
entlang durch das heutige Spanien bis an den Kanal und den at-
lantischen Ocean reichte. Gehörte dieser Race der Drang nach Auf-
richtung jener Steindenkmale an, die wir unter verschiedenen Formen
und Namen in Algier wie auf Sardinien, im westlichen Frankreich
wie auf den britischen Inseln verbreitet finden (Nuragen, Dolmen,
Cromlech u. s. w.), und hatten dio Kelten diese Sitte, wenn sie sie
später auch übten, nur von diesen ihren Vorgängern geerbt? War
es derselbe, nur hier im Nordwesten in den rohesten Anfangen ver-
bliebene Zug, der in der Errichtung der Tempel Aegyptens waltete
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Steinbaukanst. 115
und fiast bis an die Grenze des Schönen und wirklicher Kunst sich
erhob? — Zufolge ihrer geographischen Stellang traten die Kelten
früher mit phönizischer, griechischer und römischer Kultur in Be-
ziehuDg und lernten eine steinerne Grundlage in die Erde senken,
den Stein fügen, schneiden, mit Mörtel verbinden und sich dadurch
daaemd auf der heimischen Scholle niederlassen. Viel später lernten
es die Germanen, die Slaven des Ostens haben es grossentheils noch
heute nicht gelernt. Der blosse Ackerbau begnügte sich wohl noch
mit hölzernen Häusern, mit geflochtenen Speichein (lit. kletis^ altsl.
HÄ/, Nebengebäude, Vorrathskammer; goth. hleithra^ Zelt, Laube;
im altkeltischen clStd^ irischen cliath^ kymbrischen clutt^ noch in der
Bedeutung Flechtwerk, Hürde, mittell. cfeto, franz. claie, proven9alisch
deda u. s. w.) und blossen Hürden für Pferde und Vieh; erst als der
Wemstock kam, kam auch die Mauer (auch altirisch mür), die ihn
amschloss, die steingewölbte Strasse, «Tta stratOy die an ihm vorbei-
führte und die steinernen Weiler, viUas^ die Märkte, mercatusy
die Brunnen (lat. putetcs^ ahd. puzza^ mhd. bütze^ nhd. mit etwas
veränderter Bedeutung Pfütze), die Klöster, die Dome und bald
auch die Städte mit einander verband. Könnten wir daran zweifeln,
dass die eigentliche Baukunst vom Mittelmeer stammt, und dass sie
vom Süden nach Norden und vom Westen nach Osten langsam vor-
drang, die Geschichte der gebräuchlichsten Wörter würde es uns be-
weisen. Das griechische X^^^^ wurde von den Römern als caLc ent-
lehnt, aus dem römischen caLc entstand imserKalk; die französische
nnd deutsche Chaussee ist die römische via calcata, die Kalksti*asse.
Unser Ziegel und Tiegel ist das entlehnte lateinische tegula^ unser
Mörtel das lat. mortarium^ unser Thurm das germanisirte turris^
das goth. kdHeriy der Thurm, stammt aus dem Altgallischen (celicnon
in einer Inschrift, s. de BeUoguet, etbnog^nie gauloise, 1, p. 202 und
Kuhn und Schleicher, Beiträge, 2, 108), das mhd. phüel^ phiesely heiz-
bares Frauengemach, ist das mittell. pisalis, pisale^ unser Fenster
nnd Söller das lat. fenestra und solarvu/m, unser Pforte, Pfosten,
Pfeiler die lateinischen portüy postis^ pilarium^ die ahd. cheminatay
mhd. kemenäte die lateinische caminata u. s. w. Woher die Stube,
ursprünglich ein heizbares, feuerfestes Gemach, besonders zum Bade
emgerichtet, eigentlich stammt, ist dunkel: ital. stufcL^ schon in der
lex Alam. 82, 2 stuffa^ stuba, altslavisch isfi/ba^ izba^ jetzt in allen
slavischen Sprachen für Bauerhaus, tugurium^ gebräuchlich* '). Als
die Slaven in die Oder- und Donaugegenden einwanderten, können
sie keinerlei Mauerwerk gekannt oder betrieben haben, denn ihre
s*
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1 ] g Steinbankanst.
Ausdrücke dafür stammen theils ausByzanz, theils aus Deutschland,
einige auch aus dem Bereich türkischer Sprachen. Für Ealk gilt
altsl. und serbisch klak aus dem Deutschen, altsl. und russisch izvüü
aus dem byzantinischen aaßearog. Für Ziegel sagen Polen und
Böhmen mit dem germanischen Wort: cegioy cihla^ während das altsl.
plinüta^ plitcLf russ. plita^ poln. plyta, lit. plyta aus dem byzantinischen
nliv&ogy örhniga aus za xeqa^ia gebildet ist Der Ursprung des
altsl. kamara oder kamara^ des altsl. kamina^ des russischen und
pohlischen komnataj Zimmer, liegt auf der Hand. Das griechische
xakvßrj wurde zu einem gemeinslavischen Wort, altsl. koliba, koUbüy
lit. kalüpaj das griech. zeQe^yov zu trhiü^ Thurm, Schloss, das
deutsche Mauer zum polnischen mur^ kroatischen und serbischen
Twtr, drang aber nicht bis zu den Russen tief im Osten. — Das
böhmische Prag an der Moldau ist eine hochgethürmte Stadt, denn
es liegt dem europäischen Westen nahe und ist mit dessen Hülfe
gebaut; das russische Moskau war bis 1812 und ist zum grossen
Theil noch jetzt ein hölzernes Lager, ähnlich der Beduinennieder-
lassung, von der Herodot berichtet, und wenn das russische Volk
seinem Czarensitz der wenigen Steinbauten wegen, die sich drin
fanden und die von herbeigerufenen Italienern errichtet waren, in
seinen Liedern den stehenden Beinamen die weisssteinige, beloka-
mennajay gab und giebt, so beweist dies nur, wie es solche Wunder
sonst im Reiche seiner Erfahnmg nicht fand. Der romanisch-
germanische Westen, nachdem er sich einmal der südlichen Bau-
weise bemächtigt, trieb im Mittelalter seine Thürme und Kreuz-
gewölbe sehnsuchtsvoll gen Himmel, fast bis zur Höhe der ägyp-
tischen Pyramiden — ein dennoch barbarischer, krankhafter Drang,
von dem sich das massvoUe Gemüth des Griechen frei gehalten
hatte. Auch die Städtearchitektur des Mittelmeers, horizontal, in
Würfeln und Terrassen den mit der Burg gekrönten Hügel von allen
Seiten ersteigend oder amphitheatralisch gegen die Meeresbucht ge-
öfihet, reicht nicht weiter als etwa der Bezirk der Olive; von da
nach Norden beginnt die von mystisch sinnenden Meistern der Bau-
zunft errichtete, gothische, in spitzen Giebeln aufwärts gedrängte
mitteleuropäische Stadt Wie hoch die babylonisch -assyrischen
Terrassenbauten aus Luftziegeln sich erhoben, wissen wir nicht gewiss;
was die Erde jetzt trägt, steigt etwa so weit empor, wie auch die
höchsten Bäume, die Sequoja von Kalifornien und die Eucalyptus
von Australien, — 4 bis 500 Fuss — , so weit ist für Menschenkunst
und für das organische Leben das Streben aufwärts von diesem
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Das Bier. 117
Planeten möglich. Wie einst der hamitisch -semitische Stein das
Unnaterial, das Holz, Terdrangt hatte, so ist mit der neuesten
technisch-mechanischen Civilisation das Glas und das Eisen als
Baustoff aufgetreten, das Glas, ein fast unkörperliches Ding, das
Eisen, spät gefunden und nur zu Werkzeugen erschaffen, — eine
dämonische Zauberkunst, die den Alten so unbegreiflich geschienen
hätte, wie Gebäude aus Wolkendunst, oder als eine Sinnestäuschung,
wie die Perlenbrucke der Iris.
Als das römische Weltreich fertig war, fielen seine Grenzen un-
ge&hr mit denen des Weines und Oeles zusanmien; wo es nach
Süden dem Weinstock zu heiss oder nach Norden zu kalt war oder
wo das Olivenöl nicht mehr zur täglichen Nothdurft gehörte, da
herrschte auch der Römer nicht oder nur vorübergehend und da
endete der Boden der antiken Welt. Auch das heutige Europa lässt
sich passend in das Wein- und Oelland und das Bier- und
Bntterland theilen; das Gebiet des erstem deckt sich etwa mit
dem der Senkung zum mittelländischen Meere, der Bezirk des
letzteren etwa mit dem der Abdachung zur Nord- und Ostsee. In
ältester Zeit war dies Verhältniss ein anderes. Sammelt man die
in den Schriften der Griechen und Römer zerstreuten auf die Ge-
schichte des Bieres und der Butter bezüglichen Stellen, so erstaunt
man, vrie ausgedehnt einst das Reich beider jetzt für nordisch ge-
haltenen Genussmittel gewesen ist und wie ganze Länder und Völker
von ihm abgefallen sind. Bacchus Gbbe verdrängte das alteinheimische
aus Körnerfrüchten gekochte tmbe Getränk und Minervens Geschenk
trat an die Stelle des Fettes, das der Hirte aus der Milch der
Schafe, Rinder und Pferde abgeschieden hatte. Es war wie der
Sieg einer aus der Fremde gekommenen neuen Religion imd Sitte
über barbarische Gewohnheiten, für welche letztere der Geschmack
nur sehr allmäblig, erst bei den Stammeshäuptem und Edlen, zuletzt
auch bei der Menge und dem Volke verloren ging. — Dass bei den
Aegyptem — diesem uralten, vorsemitischen Volk, das vielleicht
schon vor der Zeit, wo indoeuropäische Schwärme sich über Europa
ergossen, eine eigenthümliche Civilisation entwickelt hatte — ein
Trank aus Gerste im Gebrauch war, berichtet schon Hecatäus, Athen.
10, p. 447 und 10, p. 418 = Müll. Fragm. 290: tag xQi»ag tig xo
niaiia xazaXiovaiVy und nach ihm Herodot2, 77: oiv(p d' ex xQi&iwv
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118 Das Bier.
nenoiri^ivii) öiaxQ^toviai* ov yaQ acpi eiaiv iv rrj x^Qf] of^Tisloi.
Bei Aeschylus ruft der König von Argos den aus Aegypten ge-
kommenen Danaiden zu, hier würden sie eine männliche Bevölkerung
finden, nicht Trinker von Gerstenwein, Suppl. 953:
dm cLQoevdg toi z'^gde yrjg oixi^TOQag
svqtJobt oh nivovzag ix XQiduiv ^i^v.
Der Gott Osiris selbst hatte da, wo die Landesnatur der Erzeugung
des Weins sich widersetzte, zum Ersatz die Bereitung eines Ge-
tränkes aus Gerste gelehrt, welches an Wohlgeschmack und Kraft
sich fast mit dem Weine messen konnte (Diod. 1, 20). Die Aegypter,
sagt der Akademiker Dio bei Athen. 1, p. 34, die ein sehr zum
Trinken geneigtes Volk sind, haben für diejenigen, die zu arm sind,
sich Wein zu schaffen, ein Surrogat erfunden, nämlich den Wein
aus Gerste: wenn sie diesen zu sich nehmen, sind sie lustig und
singen und tanzen, kurz benehmen sich, als wären sie süssen Weines
voll. Auch in dem erst seit der macedonisch-griechischen Zeit be-
stehenden und von sehr gemischter Bevölkerung bewohnten Alexan-
drien genoss die Menge zu Strabos Zeit meist jenes altägyptische
Getränk (Strab. 17, 1, 14). Den Namen desselben meldet zuerst Theo-
phrast, de caus. pl. 6, 11, 2: olov wg ol tovg o}!vovg noiovvreg ix
Twv xQi&wv xai Tiuv nvQwv xal t6 iv uiiyvm(i) xalovfievov Cvdog^
und unter diesem Namen ^vS-og (auch l^vdog geschrieben, bald als
Masculinum, bald als Neutrum, lat. zythum) wird das Getränk seit-
dem öfters von griechischen und lateinischen Schriftstellern erwähnt
Das Wort wäre wohl aus griechischem Sprachmaterial zu deuten,
wenn es nicht ausdrücklich als ägyptisch bezeichnet würde, z. B. von
Diodor 1,34: „die Aegypter bereiten auch aus Gerste ein Getränk,
welches sie t,vdog nennen" (o xaXovat ^v^og), (S. Jablonskii
Opera ed. Te Water 1, p. 76 — 79.) Begreiflich ist, dass auch die
Aegypter den schleimigen, süsslichen Trank durch beissende Zu-
thaten geniessbarer zu machen suchten, wie denn auch bezeugt wird,
Colum. 10, 114:
Jam siser Assyrioque venu quae semine radix
Sectaque praebetur madido sociata lupino
üt Pelusiaci proritet pocula zythu
Selbst von den oberhalb Aegypten wohnenden Aethiopen berichtet
Strabo 17, 2, 2, sie lebten von Hirse und Gerste und bereiteten sich
aus dieser Feldfrucht/ ein Getränke. Noch jetzt fanden die von ver-
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Das Bier. 119
sdüedeDen Aosgangsponkten zu den Nilquellen vordringenden eng-
lischen Eteisenden bei den Halbnegerstämmen jener Gegend ein
rohes, berauschendes Bier im Gebrauch, das aus E&rbisschalen ge-
tnmken wurde. Ueber die Biere und Biemamen der frühem und
der spätem Araber in Aegypten s. die Abhandlung von S. de Sacy in
seiner Chrestomathie arabe U, 437 flF.; einer der letzteren fokka ging
als qfovxag zu den Byzantinern über, s. Ducange s. v. und die da-
selbst angeführten Stellen des Simeon Seth und des Matthaeus Sil-
Taticus. — Wie in Afrika ist auch in Spanien bei vor-indoeuro-
päischen, mit den Libyern Afrikas genealogisch oder culturhistorisch
sich berührenden iberischen Stämmen das Bier seit alter Zeit
üblich. Spanien gilt bei Plinius als ein vorzügliches Bierland, wo
man das Produkt lange aufzubewahren — was in warmem Klima
doppelt schwierig ist, — ja wohl gar durch Alter zu veredeln ver-
stand, 14, 149: Hispaniae jam et vetustatem ferre ea gener a docuerunL
In den von Strabo geschilderten Sitten der entfernter nach den
Kosten des Oceans zu wohnenden iberischen Stämme findet sich so
viel Fremdartiges, Wildes und Isolirtes, dass, wenn derselbe Schrift-
steller von den Lusitanem berichtet, sie bedienten sich des fv^og
(3, 3, 7: xQwvtat de xal ^v^€i)^ wir diesen Gebrauch nicht von kel-
tischem Einfluss ableiten, sondern für altlusitanisch halten werden.
Der Wein aber, fügt Strabo hinzu, ist bei ihnen selten (otvtp di
anavi^ovrat) — der also damals schon in das Land des Portweins
vorzudringen begann und jetzt auf der Halbinsel die Alleinherrschaft
behauptet. Einen characteristischen Zug der Anhänglichkeit an das
nationale Getränk berichtet Polybius (bei Athen. 1, p. 16) von einem
halbgräcisirten und also halbcivilisirten iberischen Könige: er ahmte
im üebrigen in seinem Palaste den des Königs der Phäaken bei
Homer nach — schon dies war barbarisch, — Hess aber eine Aus-
nahme zu: in der Mitte des Gebäudes standen silberne und goldene
Gefösse, gefüllt mit — Gerstensaft. Einen ähnlichen Eindruck
macht es, wenn wir von den heldenmüthigen Numantinem lesen, dass
sie aufs Aeusserste gebracht, im Begriff einen Ausfall auf Tod und
Leben zu machen, sich vorher bei einem Schmause mit halbrohem
Fleische füllen — also wie heutige Engländer — und mit der indigena
Ar frumento potio oder dem succus triticus per artem confectus be-
geistern (Flor. Epit. 1,34 = 2,18; ausführlicher Paul. Gros. 5, 7).
Den Namen dieses spanischen Getränkes erfahren wir zuerst durch
Plinius 22, 164: e^ iüdem (frugibus) ßunt et potm^ zythum inAegypto-^
caelia et cerea in Hispania, — Auch dieLigurer, wohl ein Seiten-
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120 I^as Bier.
zweig der Iberer oder ihr äusserster Vortrapp nach Osten, nähren
sich bei Strabo 4, 6, 2, vom Ertrage der Heerden und trinken Gersten-
wein. — Eine andere Reihe ursprünglich biertrinkender Völker im
Südosten gehört schon in die grosse Grappe der Indoeoropäer.
Phryger und Thraker, auch sonst unter einander nahe verwandt,
erscheinen schon bei Archilochus, also nach dem Jahr 700 vor Chr.,
als ßQVTov trinkend, Athen. 10 p. 447 = Fragrn. 32 Brgk.:
äanBQ TtaQ avXtp ßQvxov rj Gq^^ avqQ
Dasselbe Wort ßgvrnv brauchten auch Aeschylus in seinem Lykur-
gos (Nauck, Fragm. trag, graec. p. 29) und Sophokles in seinem
Triptolemos (Nauck 1. 1. p. 211). Hecatäus berichtete, die Päoner,
ein Volk in Thrakien, tränken ßqvzov aus Gerste und naqaßiri aas
Hirse und dem beigemengten Würzkraut xovv^t] (Athen. 10. p. 447 =
Müll. fr. 123), und der etwas spätere Hellanicus hatte in seinen
KTiaeig die Notiz gegeben, ßqikov werde auch aus Wurzeln be-
reitet, wie bei den Thrakern aus Gerste (Athen. 1, 1.). An die
Phryger schliessen sich als nächstes Glied nach Osten die Armenier,
und von dem Gebrauch des oivoq xgc^ivog auch bei diesen berichtet
Xenophon, also ein Augenzeuge, ausführlich in der Anabasis 4, 5, 26 £.
Die Zehntausend waren vom karduchischen Gebirge gekommen und
rasteten in armenischen Dörfern, auf dem Wege zu den Chalybern.
Ausser anderen Vorräthen fanden sie hier Kübel, xgcn^geg^ mit
Gerstenwein: die Gerste lag noch darin, bis an den Rand des Ge-
fasses (^ivfjaav de xal aircai ai xQi&ai iaoxsilslgy^ zum Trinken
dienten grössere und kleinere Rohrhalme, durch die der Trinker den
Saft in den Mund sog; das Getränk war stark und berauschend
(jiCLvv axgaTog)^ wenn man nicht Wasser zugoss, im Uebrigen aber
für den, der sich daran gewöhnt hatte (avfi/da^dvri)^ sehr lieblich
(jxaXa ijdv). Wie die Eingeborenen — die der Heimat des Weines
so nahe* wohnten — diesen ihren Trank benannten, sagt Xenophon
leider nicht: dass man aber den Biergenuss lernen muss, avftfÄa&elVy
kann man noch heut zu Tage an Südländern beobachten, denen
Anfangs der braune Trank widersteht, die aber nach einiger Ge-
wöhnung oft leidenschaftliche Freunde desselben werden* *). — Westlich
und nördlich von den Thrakern, bei den ihnen cultur- und stanmi-
ver wandten Dlyriem und Pannoniem, finden wir das Bier unter dem
Namen sabaja^ sabajum^ aber, da unsere Nachrichten darüber aus
später Zeit stammen, nur noch als schlechtes Volksgetränk, während
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Das Bier. 121
bei den Vornehmen, die schon lateinisch und griechisch sprachen,
ohne Zweifel längst der Wein an die Stelle getreten war: Anim.
Marcell. 26, 8, 2 (der Kaiser Valens belagert Chalcedon; von den
Mauern rofen ihm die Belagerten Sehimpfreden entgegen und nennen
ihn eben Sabaiarius; der Autor föhrt zur Erklärung dieses Wortes
fort): e9t autem sahaia ex ordeo vel frumento in liquorem conversü
paupertmus in Mlyrico potus, Aehnlich der aus eben jener Gegend
gebürtige h. Hieronymus, Comment 7. in Isaiae cap. 19: quod genus
itt poHonis ea frugUbvÄ aquaque confectum et vulgo in Dcdmatiae
Pannoniaeque provinciis gentUi barbaroque sermane appellatur sahajum.
Die Pannonier schildert auch Cassius Dio, 49, 36, der sie kennen
mosste. da er selbst als Legat Dalmatien und dann Oberpannonien
verwaltet hatte, als ein armseliges nordisches Volk in winterlichem
Klima« das weder Oel noch Wein erzeugt und seine Gerste und
seinen Hirse nicht bloss isst, sondern auch trinkt. Mehr als
zwei Jahrhunderte später erhalten wir durch den merkw&rdigen Be-
richt des Priscus, der im Jahr 448 nach Chr. mit der griechischen
Gesandtschaft auf dem Wege zum Hunnenkönig Attila die panno-
nischen Ebenen durchstrich, ein anschauliches Bild des Landes, der
Sitten, des Völkergemisches u. s. w. Statt Weizens erhielt die Ge-
sandtschaft überall Hirse, statt des Weines den von den Eingeborenen
80 genannten Meth; auf den Antheil der Dienerschaft und des Ge-
folges aber fiel gleichfalls Hirse und ein aus Gerste bereitetes Ge-
tränk, von den Barbaren xafiov genannt (Müller Fragm. IV. p. 83).
Welche Barbaren ihr Bier camum nennen, wird uns nicht gesagt;
gewiss aber waren es nicht die Hunnen, denn das Wort ist älter,
als die Ankunft dieser Horde in Europa. Bei Ulpian Dig. 33, 6, 9
(also am AnfEing des 3. Jahrh.) soll bei Vermächtnissen das camum
nicht als Wein gerechnet werden, und im sog. Edictum Diocletiani
Tom Jahre 301 wird U. 11 (ed. Waddington) neben dem Maximal-
preis verschiedener Lebensmittel auch der des camum vorgeschrieben.
Das Wort scheint keltisch (s. Ducange s. v. camba 3) und konnte
seit den Zeiten der grossen keltischen Wanderung in Pannonien
heimisch geworden oder auch durch römische Soldaten dahin ge-
bracht sein. — Auch im heutigen Ungarn also, in lllyrien und Thra-
kien, d. h. in der grösseren nördlichen Hälfte der türkisch-grie-
chischen Halbinsel, in Phrygien, Armenien, Aegypten, in Portugal
ond Spanien bis an die Gebirge der genuesischen EQste — war
änst das heute in jenen Ländern bei der Masse des Volkes fast un-
bekannte Bier im allgemeinen Gebrauch. Wenden wir uns zu den
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122 I>a8 Bier.
Völkern von Mittel- und Nordeuropa, den Kelten, Germanen, Litauern
und Slaven — sämmtlich indoeuropäischen Blutes — , so erhalten
wir den ältesten Bericht über Nahrung und Getränk der Erstge-
nannten durch Pytheas Ton Massilia, dessen Zeit zwar nicht ganz
sicher ist, indessen mit Wahrscheinlichkeit bald nach Aristoteles
angesetzt werden kann. Er erzählte nach Strabo 4, 5, 5 von den
Völkern, die er bei seiner Küstenfahrt ins Nordmeer kennen ge-
lernt hatte, „an Grartenfrüchten und Hausthieren (xagnah ttjy f;fi€Q(ov
xal ^(^wv) sei bei ihnen gänzlicher oder fast gänzlicher Mangel, sie
nährten sich von Hirse und anderen Kräutern und Beeren (kaxdvoig
xai xagnoig) und Wurzeln; diejenigen, die Getreide und Honig er-
zeugten, bereiteten sich daraus auch ihr Getränk*' (also Bier und
Meth). Den Winter der Scythen d. h. der Nordvölker überhaupt,
die Pelzbekleidung, die Wohnungen unter der Erde, die langen
Nächte, endlich auch das gegorene Getränk statt des Weines
schildert auch Vergil Georg. 3, 376, fast mit den Worten des späteren
Tacitus:
Ipsi in defossis specubus secura sub alta
Otia agunt terra, congestaque robora totasque
Advolvere focis ulmos ignique dedere.
Hie noctem ludo ducunt^ et pocula laeti
Fermento atque acidis imitantur vitea sorbis,
Talis Hyperboreo Septem subjecta trioni
Gens effrena virum Ehipaeo tunditur Euro,
Et pecudum fulvis velatur corpora saetis.
Insbesondere bei den Kelten des mittleren Frankreichs war zur Zeit
des Posidonius (Anfang des ersten Jahrhunderts vor Chr.) das Bier
unter dem Namen xoQ^a noch das eigentliche Volksgetränk, während
die oberen KJassen schon massaliotischen Wein tranken, Athen. 4, p. 151:
noQa äi ToJg ifnodeeareQOig ^vx^og nvQivov (netä fiiknog ioxava-
Ofiivov, naget öi Toig nolXolg xad^ avro • xakelzai de xogfia^
anoQQoq>ovai de ix %ov aizov nozrjQiov xaza fiixQov, ov nXelov
xvd^ov • nvxvoieqov de tovto noiovai • neQi(piqBi de 6 nalg inl
Tot de^iä xal xd lata — Letzteres etwa in heutiges Deutsch über-
setzt: Aus demselben Fasse (ex zov avxov noTrigiov) wird fleissig
(nvxvoTBQOv) Seidel nach Seidel (oS nliov xvdd^ov) gezapft und
von dem Kellner (o naJg) rechts und links ausgetheilt. Bei den
Späteren wird dann das keltische Bier nicht selten erwähnt: es er-
hielt sich in Nordfrankreich, Belgien, den britischen Inseln während
des römischen Kaiserreiches bis zum Mittelalter und von da bis auf
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Das Bier. 123
den heutigen Tag. Kaiser Julian, der es mit eigenen Augen ge-
sehen und gewiss mit eigener Zunge gekostet hatte, der aber an der
klassischen Denkart und Sitte hielt und sich gegen das Barbarische
des Nordens wie gegen das Orientalische sträubte, verhöhnte den
Pariser Pseudo-Bacchus in einem bekannten Epigramm:
Eig oivov and xQiS-rjg,
Tig Tto^ev elg Jiovvae; fna yaQ %ov aXrj&ia Bdxxov
ov a' iniyiyvciaxoj ' top Jiog olda fiovov.
xelvog vixiag odioös • av de xQayov • «y (>a ob KelToi
tfj nevif] ßoTQviüv rev^av an aaraytov,
T(p ae XQ^ xaXieiv ^rjiiii^zQiovy ov Jiovvaov^
nvQoyevij f,iäXXov, xai ßgofiov^ ov Bgo^iov —
— das sich mit Weglassung der unübersetzbaren Wortspiele etwa so
wiedergeben lässt:
Auf den Wein aus Gerste.
Da willst der Sohn des Zeas, willst Bacchus sein?
Was hat der Nektarduftende gemein
Mit dir, dem Bockigen? des Kelten Hand,
Dem keine Traube reift im kalten Land,
Hat aus des Ackers Früchten dich gebrannt.
So heisse denn auch Dionysos nicht.
Der ist geboren ans des Himmels Licht,
Der Feuergott, der Geistge, fröhlich Laute,
Du bist der Sohn des Malzes, der Gebraute.
Auch Ammianus Marcellinus kennt die Gallier als ein Trinker-
Tolk, dass sich in Ermangelung des Weins mit Surrogaten half, 15,
12, 4: vini avidum genus, adfectans ad vini sirmlitudinem muliiplices
potus — also Cider und Bier. Der von Posidonius gebrauchte Name
^OQfta, der bei Dioscorides 2, 110 in der Form xovgini erscheint,
ist mit regelrechtem Uebergang des m in w und / noch in den heu-
tigen keltischen Sprachen lebendig (Zeuss^ pH^ und 821). Viel-
leicht ist das Wort dem Stamme nach identisch mit dem oben aus
Plinius angefahrten spanischen cerea (nur mit anderem Ableitungs-
soffix), wo dann die Wahl bliebe, das Wort und folglich auch die
Sache aus Spanien zu den Kelten (wofür wir uns oben entschieden
haben) oder mit den Kelten aus Gallien nach Keltiberien wandern
zu lassen. Frühzeitig und allmählig immer häufiger erscheint die
durch Derivation erweiterte Namensform cervesia, cervüia (wie mar-
cüia von marca Ross), zuerst bei Plinius (in der o. a. Stelle am
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124 Das Bier.
Schluss des Baches 22), dann in häufigem Gebrauch durch das
ganze Mittelalter (s. Ducange s. v.) und noch in den heutigen ro-
manischen Sprachen erhalten. Ein anderes sehr merkwürdiges kel-
tisches Wort ist brace bei Plin. 18, 62, zuerst Name einer Getreide-
art, des Spelzes, dann übergehend in die Bedeutung Malz, Bier-
würze, Bier selbst, in mannichfiachen Formen, Ableitungen und An-
wendungen, mit dem dazwischenspielenden Sinn von germinare,
fermentari, im Mittellatein, in den nordromanischen und in den heu-
tigen keltischen Sprachen reich entwickelt und auch ins Deutsche
übergegangen (s. Diefenbach, O. E. p. 265 ff., woselbst auch die
bemerkenswerthe Form bracisa^ analog der Bildung cervisia, cervesa,
cervise; im Capitulare de Yillis6l ist bracii offenbar Malz, nicht ein
bierartiges Getränk: der judex soll die bracii zumPalatium schaffen
und Leute, die es verstehen, mitkommen lassen, damit sie dort gutes
Bier daraus brauen). Einen Beweis von der in der Sitte tief ge-
wurzelten Kraft des Bieres bei den britischen Kelten liefert unter
vielem Anderen die Lebensgeschichte der h. Brigitta: diese Heilige
nämlich wiederholte das Wunder der Hochzeit zu Kana, doch so,
dass sie den Durst der Bedürftigen zu stillen, das Wasser in Bier
verwandelte (Acta SS. Febr. 1. \^ita IV. S. Brigidae, cap. 10:
quodam die quidam leprosi sitientes de via cerevisiam anxie a B.
Brigida pastulaverunt Christi autem ancüUiy videns quia tunc iUico
non poterat invenire cerevisiam^ aquam ad balneum portatam benediait,
et in optimam cerevisiam conversa est a Deo, et abundanter sitientibus
propinata est); auch mehrte sie durch den blossen Blick ihrer Augen
den vorhandenen Vorrath von Bier, Milch und Butter. — Auch die
östlichen Nachbarn der Kelten, die Germanen, zeigen sich allmählig,
je mehr sie aus dem Nebel hervortreten und je mehr sie sich dem
Ackerbau zuwenden, als dem berauschenden Gerstensaft ergeben.
Cäsar erwähnt das Bier noch nicht als germanisch, wohl aber andert-
halb Jahrhunderte später Tacitus, Germ. 23: Potui humor ex hordeo
autfrumento in quandam simäitudinem vini carruptuSy während Plinius
an den Stellen, wo er des Bieres mehr oder minder ausfuhrlich gedenkt,
über Germanien schweigt. Die gegen die gallischen Grenzen drän-
genden Deutschen am Niederrhein und im Quellgebiet der Donau
mnssten bald von den Kelten den Biergenuss überkommen; die an
die Niederdonau gewanderten fanden bei der thrakischen und pan-
nonischen Urbevölkerung den Trank aus Körnerfrüchten vor, den
sie in ihren früheren Sitzen an der Ostsee vielleicht nicht gekannt
hatten; von allem Ausländischen aber nehmen Barbaren überall
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Das Bier. 125
nichts so gern imd willig an, als Berauschungsmittel. Das deutsche
Wort Bier hat Grimm nach Wackemagels Vorgange aas dem mittel-
lateinischen ^^ß, das nordgermanische Ale (welches auch za Finnen
und Litaaern übergegangen ist) aus dem lateinischen oleum ab-
geleitet. Diejenigen, die darüber erschrecken, sollten bedenken,
dass das Bier ein Erzeugniss und ein Gcnuss des Ackerbauers ist
und zu seiner, wenn auch rohen Herstellung eine Technik fordert,
die nur bei TOrherrschendem Ackerbau möglich ist; dass eine Zeit
war, wo die Germanen als Hirtenstamm in Europa einwanderten
und in den neuen Landstrichen umherzogen; dass sie in dem Augen-
blick, wo wir sie kennen lernen, erst im Begriffe sind, zu völlig
sesshaftem Leben überzugehen; dass es folglich thöricht ist, das
Bier und das Biertrinken als urgermanisch oder als von Wesen und
Begriff des Germanismus unzertrennlich anzusehen; dass, wenn der
Genuas und die Bereitung des Bieres bei den Germanen allgemeine
hervorstechende Sitte gewesen wäre, die Alten nicht so spärlich da-
von Meldung gethan und die Namen Bier und Ale uns nicht vor-
enthalten hätten, wie sie uns ja auch thrakische, spanische, keltische
ßenennuDgen der ihnen fremden und auffallenden Sache überliefert
haben; dass endlich die nächsten Nachbarn der Germanen, die
Preassen, zu Wulfstans und König Alfreds Zeit nur Meth und ge-
gorene Pferdemilch tranken, das Bier aber nicht kannten (Antiquitä
msses 2 p. 469: cerevisia apud Estos non coquitur) — was einen
sichern Rückschluss auf die Germanen in ihrer frühem Bildungs-
epoche erlaubt Auf jeden Fall würde das rohe fermentum^ das in
den subterranei apecus ier Deutschen des Tacitus getrunken wurde,
dem heutigen phantasievollen Urenkel sehr ungeniessbar vorkommen:
Ton allem Anderen abgesehen, erinnere man sich nur^ dass der
Hopfen erst in Folge der Völkerwanderung, wie es scheint, von
Osten nach Deutschland gedrungen, obgleich jetzt vielfach verwildert
ist, und dass die Beimischung dieser narkotischen Pflanze zum Bier
erst im Mittelalter allmählig Sitte wurde. Der heil. Golumbanus
traf zwar um das Jahr 600 bei den Sueven einst eine cupa mit Bier
gefällt, die ungefähr 26 modii enthielt, und mit der sie ihrem Wodan
ein Trankopfer bringen wollten (Grimm, DM^ S. 49), und schon in
der lex Alamann. 22 sollen die Knechte der Kirche richtig ihr
Quantum Bier steuern, aber im weiteren Verlauf des Mittelalters
war das Bier in Süddeutschland ganz oder fast ganz aus dem Ge-
brauch gekommen, unter denselben Modalitäten, wie etwa ehemals
in Süd- und Mittelfrankreich, und Baiem durchgängig ein Weinland
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126 I>a8 Bier.
geworden (Wackernagel in Haupts Zeitschrift 6, 261 ff.), bis in
neuerer Zeit das norddeutsche Bier, unterstützt durch vervollkommnete
Bereitungsmethoden, besonders durch die Kunst es haltbar zu machen,
und durch WohKeilheit des Preises das verlorene Terrain von Neuem
eroberte. Jetzt gilt das Bier, welches bei Beginn der europäischen
Geschichte das vorzugsweise keltische Nationalgetränk gewesen war,
für das Erkennungszeichen des Deutschen und deutscher Sitte: so
rückt die Kulturgeschichte im Laufe langer Perioden von Land zu
Land und von Volk zu Volk, und so leicht tauscht sich der, der
nur die Gegenwart im Auge hat! Räumen wir indess ein, das Malz
d. h. das Geschmolzene, Erweichte, ein echt deutsches Wort ist (und
also auch der allheilende Malzextract wenigstens zur Hälfte deutsch).
Brauen dagegen, ahd. briuwan^ ist ein Wort, über dessen Urgestalt
und Herkunft sich nichts Sicheres aussagen lässt; es erinnert lebhaft
an das thrakische /JpvTov (mit participialem t); das litauische bruwile
der Brauer steht vereinzelt und wird aus dem Deutschen stammen.
Das gothische leiihus (für sicera, berauschendes Getränk), in den
übrigen deutschen Sprachen wiederkehrend, im jetzigen Neuhoch-
deutsch erst seit Kurzem erloschen, scheint eins und dasselbe mit
altirischem lind (cerevisia), heut zu Tage je nach den Mundarten
Zmw, lionn^ leann^ llyn (Stockes, L*. gl. 221), so dass also Uiihm
für linthui steht (wie seiteins für sinteins). Wohl ein Lehnwort aus
dem Keltischen, zumal auch im Slavischen fehlend. — Weiter nach
Osten haben die Litauer ihr altis Bier, wie gesagt, von ihren deut-
schen Nachbarn entlehnt (es stimmt ganz mit dem altn. oZ, wie
dieses vor Eintritt des Umlauts lautete), die Slaven aber ihr pivo
ganz abstrakt aus dem Verbum piti trinken gebildet. Wir holen
hier eine oben absichtlich übergangene Notiz des Aristoteles nach,
der in der verloren gegangenen Schrift negt fjed^rjg auch über die
Wirkungen des Gerstenweines gesprochen und diesen als das so-
genannte nlvov bezeichnet hatte (to Xeyo/nevov nlvov^ bei Athen. 10,
p. 447). Den Namen (auch von Eustathius, 11/11, 637. p. 871 er-
wähnt, aber in der Form nivog) hatte Aristoteles ohne Zweifel aus
dem Norden: er gleicht dem slavischen jwtjo, nur mit anderem Suffix;
denn Meinekes Conjectur zu Fr. 43 des Hipponax, wonach schon
dieser kleinasiatische Dichter das Wort gebraucht hätte, ist allzu an-
sicher. Eine dritte Ableitung ist das slavische pirü^ Schmaus,
Gelage, welches buchstäblich mit dem albanesischen Partie, pass.
pire (als Substantiv: Getränk) von pi trinken zusammenfällt (v.
Hahn, Albanesische Studien, 2, 76 und 3, 101). Wer das deutsche
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Das Bier. 127
Bier mit diesem pirü und also mit niveiv^ potus u. s. w. identificirt,
mu^ im deutschen Wort eioen verdorbenen Anlaut statuiren, also
die Grundlage der Yergleichung aufheben. Das altsl. ofö, olovina
siccra, nensl. ol cerevisia, ^alach. oUmn idem hat denselben Ur-
sprung wie das deutsche a&, öL Ein anderes slavisches Wort bragoy
braha^ braja (Maische, Schlampe, Trester, ein bierartiges gemeines
Volksgetränk, litauisch broga) weist auf das keltische brace zurück.
Da es in den germanischen Sprachen fehlt — ein Zeichen später
und fremder Herkunft — und da es von den Litauern aus dem Sla-
vischen entlehnt sein kann, vielleicht ei-st nach Einfuhrung der
Branntweinbrennerei, so mag es nach der Zeit zu den Slaven ge-
langt sein, wo keltische Stämme in den Südosten, nach Böhmen
and Pannonien imd in die Donaugegenden zurückgewandert waren.
Von den beiden finnisch-estnischen Ausdrücken für das volksmässige
Dünnbier, potus vilissimus ex hordeo: kalja, kalli und toaW, taar
erinnert der erstere an das spanische caelia^ ohne dass wir uns er-
lauben, daraus für eine iberisch-finnische Verwandtschaft oder Be-
rührung Schlüsse zu ziehen. In den lindenreichen Wäldern des
europäischen Ostens, selbst noch hinter den slavischen Stämmen
bei den Nomaden und Halbnomaden der Wolgagegenden, spielte in-
dess der berauschende Honigtrank eine grössere Rolle und war ge-
wiss daselbst älter, als das Bier. Ja man darf vermuthen, dass der
Meth das Urgetränk der in Europa einwandernden Indogermanen
war und sich im Osten des Welttheils, wie so vieles Andere, nur
länger erhielt In Griechenland, wo das Bier immer nur für bar-
barisch galt, taucht doch von einem der Weinzeit vorausgehenden
Honigtranke hin und wieder eine verlorene Spur auf. Der Dichter
Antimachus aus Kolophon Hess in seiner Thebais, — deren Sagen
in ein höheres Alter hinaufreichen, als die der Uias, — den Adrast
die schmausenden Helden mit einem Trank aus Wasser und unver-
sehrtem Honig bewirthen, Athen. 11, p. 468:
ndvta ^aH^ oao^ ""u^ÖQrjOTog inoixofievog ixiXevaev,
^e^iftev • iv fxiv vöcüq iv d' äoxrj&ig fxiXi %Btav
CLQyvqitfi xqtjtFiqi, neQicpQadioyg xsQocovzeg.
In dem Orphischen Fragment 49 (aus Porphyr, de antro Nympharum,
Orph, ed. Hermann, p. 500) giebt die Nacht dem Zeus den Rath,
den Vater Kronos, wenn er honigberauscht unter den Eichen liege,
ZQ bmden und zu entmannen:
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128 Das Bier.
Evz^ av dtj f.uv lldriai vno dqvoiv vtpixofioiaiv
SQyoiaiv fied-vowa fieliaaawv iQißofißwv,
avzixa fiiv d^oov —
Vfo also die Zeit des Eronos und des Waldlebens als methtrinkend
gedacht ist Die Taulaotier, ein illyrisches Volk, verstanden es
nach Aristot. de mirab. auscult. 22(21) aus Honig Wein zu machen;
„nachdem der Honig aus den Waben gepresst worden u. s. w. (wir
übergehen das weitere Verfahren), ergiebt sich ein weinartiges, lieb-
liches und kräftiges Getränk {olvcSdeg xal aXhog rjdv xai evtovov)]
auch in Griechenland soll dasselbe Einigen gelungen sein, so dass
sich das Produkt in nichts von altem Wein unterschied (cSar« firjöev
dia<pdQ€iv oivov nakaiov\ nachher aber konnten sie trotz aller Be-
mühung die richtige Mischung nicht mehr finden." Auf reiche
Honiggewinnung in den Landstrichen jenseits des Ister deutet es
vielleicht, wenn die Thraker zu Herodots Zeit berichteten, die ge-
nannte Gegend stecke voll von Bienen, die ein Vordringen dahin
unmöglich machten (Herod. 5, 10); dasselbe wurde ehemals von der
Lüneburger Heide geglaubt). Weiter wird der Mcth direkt als
skythisches Getränk bezeichnet, das die Skythen aus dem Honig
der wilden in Felsen und Eichen wohnenden Bienen bereiten, Maxim.
Tyr. 27, 6 : Tolg di (unter den Skythen) ai ßUivcai xa%^f]dvvovai
zo nofia^ inl nezQOJV xal öqvwv diankazzovaai zovg aifißkovs.
Hesychius: fueliziov no^a zi 2xvx^ix6v fieXizog ixpo^ivov avv vdtni
xal n6<f Zivi, Der byzantinische Gesandtschaftsattach^ Priscus end-
lich giebt in der oben angeführten Stelle den in Pannonien einhei-
mischen Namen ^idog^ welcher sowohl mit dem altirischen rndd^ alt-
cambrischen med (« sicera, Gormac p. 106. Zeuss^ 136) und grie-
chischen iLiex^v — in den Landstrichen nördlich von Griechenland
wurde die Aspirata als Media gesprochen — , als mit dem slav. medu
zusammenfallt, welches letztere Wort nicht bloss Honig und Meth
bedeutet, sondern auch, wie das griechische uidv, geradezu vinum
übersetzt (medan = olvoxoog, pincerna; medvtniza = cella vinaria u.
s. w.) Die heutigen Litauer unterscheiden medtcs Honig von middus
Meth; in dem entsprechenden deutschen Wort ist die Bedeutung
Honig ganz verloren, für welche gothisch das wahrscheinlich an der
Niederdonau entlehnte mililJi^ in den anderen Mundarten das räthsel-
hafte Honig gilt. Auch heut zu Tage ist das Bier in slavischen
Landen nicht das populäre, unentbehrliche, altüberlieferte Getränk;
der Meth ist freilich auch in Gross- und Eleinrussland und in Polen
mit jedem Jahre seltener geworden, hauptsächlich weil der Zucker
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Die Butter. 129
die Bienenzacht zerstört liat; an seine Stelle ist die Erfindung der
Höfle, der Branntwein^ getreten, der das gegenwärtige Geschlecht
dedmirt und die Lebensquelle des künftigen vergiftet
Die Geschichte der Butter geht der des Bieres parallel. Die
Butter kann eine Kunst und Gewohnheit des Hirten genannt
werden, wie das Bier die des Ackerbauers ist. Die Milch in
Schläuchen musste beim Reiten oder auf dem Wagen — und alle
Nordvölker zogen auf Wagen herum, mit denen sie gleich den
Cimbem und Teutonen ihre Lager bildeten — leicht das in ihr ent-
haltene Fett als Butter ausscheiden, und ähnlich war die Wirkung,
wenn die abgeschöpften fetteren Theile der Wärme des Ofens aus-
gesetzt wurden. Die so gesonderte Butter konnte zum Essen, zum
Salben des Haares und zum Bestreichen der Wunden dienen. Grriechen
und Römer der guten Zeit wissen von Butter nichts; dass sie ihnen
Tor der Einführung des Olivenöls bekannt gewesen, dafür giebt es
kerne Spur oder Andeutung. Dennoch werden uns in ziemlich
frohen Zeugnissen die Völker rund um die beiden klassischen Länder
als butterbereitend geschildert und müssen dies Produkt also
nach der Vökertrennung kennen gelernt haben. Schon der weit-
gereiste Selon gedenkt des durch Umrühren der Milch gewonnenen
Fettes und braucht es als Bild für den Yortheil, den eigensüchtige
Führer aus politischen Unruhen ziehen, Plut. SoL 16:
ovr' av xarioxs ö^fiov ovx* inavaazo,
ngtv av tagd^ag nlag e^ilrj ydXa.
Noch vor Herodot berichtete dann Hecatäus von den Päonem am
Strymon, denselben, die in Pfahldörfern wohnten und eine doppelte
Art Bier brauten: „sie salben sich mit einem ausMüch gewonnenen
Oel", Athen. 10, p. 447: älsiq)ovTai ös ilai(p aTto yceXaxrog. Bei
dem komischen Dichter Anaxandrides (blühte um die Mitte des
4. Jahrhimderts, etwa OL 101 — 108) sitzen an der Tafel des thra-
kischen Königs £otys, der seine Tochter dem Iphikrates vermählte,
stnipphaarige butteressende Männer, Athen. 4, p. 131:
dßiTivelv avdgag ßovxvQoq)ayag
ccvxi^TjQoxofiag fiVQiouXjj^elg.
Von einer skythischen Art, die Pferdemilch zu behandeln, hat
Herodot 4, 2 gehört, aber in noch ganz unbestimmter Weise: nach-
dem er angegeben, die nomadischen Skythen blendeten ihre Sclaven,
^krt er fort: sie setzen sie um die hohlen hölzernen Milchgefässe
ykt, Heha, Kaltarpflanten. 9 ^-^ i
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130 I>ie Butter
und lassen sie diese rühren (oder schwingen: doviovai); was dann
sich oben ansetzt, to inioxäfXBvov^ wird abgeschöpft und für höher
geschätzt, das sich zu Boden Senkende, %6 vnicnafisvov^ gilt fär
geringer als Jenes. Näher beschreibt das Verfahren der auctor
Hippocrat. de morbis 4, 20 (ed. Ermerins, II. p. 461), indem er zu-
gleich das Wort ßovtvgov — ohne Zweifel zum Behufe der Be-
deutsamkeit in griechischem Munde mehr oder minder umgestaltet —
als skythisches überliefert: die Skythen, sagt er, giessen Pferdemilch
in hölzerne Gefasse und schütteln diese; dadurch sondern sich die
Theile, und das Fett, welches sie Butter nennen, schwimmtoben,
da es leicht ist: xai t6 fiiv nXnv, o ßovrvQOv xaliovai^ iniuolf^g
duoTarai elaqtQÖv iov; die schwereren Theile senken sich herab,
werden herausgenommen, getrocknet und verdickt und heissen dann
irtnaxT] (Pferdekäse, auch bei Aeschylus Fr. 192 Nauck, und bei
Hippocrates de aere u. s. w. genannt); in der Mitte ist der oqqoq
(Molken). Diese Eenntniss der Sache und des Namens stammte
ohne Zweifel von den griechischen Kolonien an der ponti sehen
Küste**). Trotzdem scheint Aristoteles den Gebrauch der Butter
im Grossen und als Volkssitte nicht gekannt oder nicht beachtet zu
haben; wenigstens kommt in der langen Auseinandersetzung über
die Milch der Thiere, die wir Histor. aninud. 3, 20 lesen, weder der
Name noch die Gewinnung und Anwendung der Butter vor; höchstens
deuten darauf die im Vorübergehen gesprochenen Vi^orte: vnaQxsi
d^ ev T(p yalaxTi kinaQortjg^ 5} xai h toig Tcenrjyoac yiverai
ikaicidr^g. Bei den Aerzten ist ßovrvgov, butyrum, ein hin und wieder
genanntes Medicament, aber noch Plinius 11, 239, ja sogar Gtdenus
de alim. facult. 3, 15 halten für nöthig, ihren Lesern das Wort wie
die Herkunft und den Gebrauch der Sache zu erklaren. — Da die
Thraker und Skythen Butter bereiteten, so dürfen wir das Gleiche
bei den Phrygern voraussetzen. Wirklich findet sich bei Hippo-
krates ein Ausdruck mxiQiov^ der auf phrygische Butter hindeutet
Dies Wort nämlich, welches Galenus und Erotianus in ihren Glos-
saren zu Hippokrates als ßovrvQov deuten, wird von dem Letzteren
zugleich nach einer älteren Quelle für phrygisch erklärt, Erotian. s.
V.: OTi @6ag o ^I&axTjaiog lazogei naqa Oqv^I nixdQiov xaleia&ai^
To ßovTVQov. Es scheint wurzelverwandt mit naxig^ pinguü. —
Auch unter den täglichen Lieferungen für den persischen Hof sind
iXaiov ano ydlaxTog nevte fudgisg au%eführt (Polyaen. strat. 4, 3, 32)
— eine sehr geringe Quantität verglichen mit den Ansätzen für die
übrigen Bedürfaisse der königlichen Tafel. Auch steht die Butter
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Die Butter. 131
mitten zwischen dem Sesam- und dem Terebinthenöl, während das
Olivenöl in dem Verzeichniss characteristischer Weise ganz fehlt —
Dass den Juden die Butter nicht unbekannt war, wen^stens zu
emer gewissen Zeit, ist aus Sprichw. 30, 33 mit Sicherheit zu
sdiUessen: „wenn man Milch stösset, so machet man Butter draus";
fir die halbsemitische Insel Cypern scheint ein Gleiches aus der
Glosse des Besychius hervorzugehen: MXcpog' ßovtvQOv. Kingioi
(fgL bei demselben: eXnog* i'Xaiov^ oxiag). Gesenius Monum. p. 389
deatet dies cyprische Wort aus dem Semitischen, Joh. Schmidt
sieht darin das sanscr. Neutrum sarpis, — Nach dem Periplus maris
Erythraei (der unter den Kaisem Titus und Domitian geschrieben
ist) kam Butter aus Indien in die Häfen des rothen Meeres, und
das heisse Land wird reich an Reis, Baumwolle, Sesamöl und —
Butter genannt (14 und 41); wie auch verwundete Elephanten da-
selbst durch eingegebene Butter (Strab. 15, 1, 43) oder durch Be-
streichen der Wunde mit Butter (Ael. H. A. 13, 7) geheilt wurden.
Aach in Arabien, im Lande des Königs Aretas, bekam das Heer
des Aelius Gallus, wie Strabo 16, 4, 24 berichtet, nur Butter statt
des Oeles. — Durch denselben Strabo hören wir, dass bei den
Aethiopiern im äussersten Süden Butter und Fett die Stelle des
Oeles vertrat, die Lusitanier im äussersten Westen statt des Oeles
sich der Butter bedienten (an den schon oben citirten Stellen: 17,
2, 2 und 3, 3, 7). Sicher war diese indische, arabische, äthiopische
und lasitanische Butter ein flüssiges Fett, wie auch die heutigen Be-
diiinenaraber gierige Trinker von Butter sind, die sie aus der
Milch ihrer Schafe uud Ziegen abscheiden. — Am Fest der Rück-
kehr der erycinischen Aphrodite in Sicilien duftete die ganze
Gegend um den Tempel nach Butter, zum Beweise, dass die Göttin
wirklich aus Afrika wiedergekehrt sei, Athen. 9. p. 395: o^ei de nag
0 tonog TOTS ßovrvQOv, (p drj tex^rigiifi %Qwvxai xrjg d^eiag inavoöov.
Das Heiligthum auf dem Eryx gehörte ursprünglich den Elymem,
einem Volke, dessen Herkunft streitig und in Sagen gehüllt ist.
Mögen sie ein Rest des über die Inseln des westlichen Mittelmeeres
verbreiteten iberischen Volksstammes oder wirklich von Asien ein-
gewandert sein, — sie werden als Rinderhüter gedacht und verehrten
einen entsprechenden Gott, dessen Gegenwart durch die Butter —
entweder als Leib- und Haarsalbe oder von den Pfannen dampfend —
kmid gethan wird (Klausen, Aeneas, 488: „von dem segnenden
Schatz des Butas oder des Rinderfürsten Anchises zeugt dann der
clarch den ganzen Ort verbreitete Buttergeruch"). — Ganz allgemein
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132 Die Butter.
aber heisst es dann bei Plinius 28, 133: e lacte fit et butyrumy bar-
bararum gentium lautiasimtis cilms et qui divites a plebe discemat
Unter den barbarae gentes sind hier dem Gesichtskreis des Plinius
nach hauptsächlich Germanen zu verstehen. Die Reichen erübrigten
Butter, da sie die Milch ihrer grösseren Heerde nicht sogleich ver-
zehrten, und der Genuss derselben unterschied folglich den Begüterten
von dem Armen. Die bei Pb'nius gleich folgende Beschreibung der
Bereitung sowohl der Butter als des Quark (oxygala) leidet übri-
gens an Confusion und ist wenig sachgemäss — ein Beweis mehr,
wie fem diese Speise der klassischen Welt lag. An einer anderen
Stelle hat Plinius die Notiz, auch die gentes pacatae d. h. die schon
policirten und halb romanisirten Stämme wendeten die Butter, wie
Eier und Milch, zu künstlicherem Backwerk an, 18, 105: quidam ex
Ovis aut lacte mbigunt (panem), butyro vero gentes eUam pacatae^ ad
operis pistorü gener a transeunte cura; — also die Kuchenbäckerei
trat auf, die bei Griechen und Römern wegen Mangels an Butter und
beschränkter Anwendung der Hefe (die letztere ist gleichfalls ein
nordischer Gebrauch) unentwickelt geblieben war. Merkwürdig ge-
nug ist es, dass das Wort Butter auf dem weiten Umwege vom
Pontus Euxinus über Griechenland und Italien — zwei Länder, die
das damit Benannte kaum kannten und wenig schätzten — zu den
meisten Völkern des westlichen und des mittleren Europa gekommen
ist. Vielleicht ist eine Spur seiner Herkunft in dem magyarischen
vajy lappischen vmoj\ finnischen und estnischen looi (im Accusativ
mit wieder hervortretendem Dental der Wurzel: woid)^ vmd-ma
salben, läpp, vmoitet^ vmoitas^ finn. woitaa, woitelee u. s. w. erhalten.
Die Erfindung, die Butter durch starkes und wiederholtes Waschen,
Kneten imd Salzen so rein und fest zu machen, wie wir sie jetzt
kennen, scheint von den nordgermanischen Stämmen ausgegangen.
Noch jetzt besteht der unterschied zwischen Nord- und Süddeutsch-
land, dass in dem ersteren die Butter gesalzen wird (wie auch in
Scandinavien und England), das letztere aber süsse Butter isst und
die Speisen mit Schmalz d. h. flüssiger Butter bereitet Dieses
Butterschmalz nennt der Alemanne (nicht der Schwabe) Anke (nach
Grimm wurzelverwandt mit ungere^ unguere; vielleicht gehört auch
das altpreussische auctan^ aucte und das keltische imb dahin, wenn
in letzterem b aus g entstanden ist, Stockes, ir. glosses 784), auch
wohl Schmutz; bei den Scandinaven heisst die Butter Schmeer
(d. h. womit geschmiert wird, schwedisch smor^ smorja u. s. w.
wie ahd. anchunsmerOy ancsToero). Auch Salbe mag in der Urzeit
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Die Butter. 133
ein deutsches Wort dafür gewesen sein, wenigstens hat das ent-
sprechende albanesische Wort gjalpe noch jetzt die Bedeutung Butter
(alban. gj ist gleich s, vergl. gjaschte mit sex^ gjak Blut mit aanguis
a. 8. w., Kuhns Zeitschrift 11,235) und beiden entspricht vielleicht
das oben genannte sanscr. sarpü mit der Bedeutung: zerlassene
Butter. Die Slaven, benennen die Butter mit demselben Wort wie
das Oel: maslo^ wortlich Mittel zum Salben, also übereinstimmend
mit den obigen germanischen Ausdrücken. Beide Völker, Germanen
and Slaven, schmierten sich also das Haar mit flüssiger Butter, die
dann, wenn sie ranzig geworden, nicht den besten Duft verbreitete,
Sidon. Apoll, carm. 12, 6:
Quod Burgundio cantat esculentua^
Jfi/undens acido comam hutyro.
Dass auch die Eelten, wenigstens die Galater in Kleinasien, sich
mit Butter salbten, die sich dem Geruchsinn merklich machte, geht
aus einer Anekdote hervor, die Plutarch adv. Colot. 4, 5 erzählt:
zu der Berronike (Berenice), der Frau des Deltauros (Dejotarus),
soll eine Lacedämonierin gekommen sein: als sie einander nahe
standen, sollen sich beide augenblicklich und gleichzeitig abgewandt
haben, indem der einen, wie es scheint, der Geruch der Salbe,
\iVQov^ der anderen der der Butter zuwider war. — In entlegenen
Dörfern nordischer Länder ist diese Sitte bei Weibern und Mädchen
auch jetzt noch nicht ausgestorben, im Uebrigen aber ist sie durch
die Pommade, ital. pomata^ verdrängt worden, in der, wie der Name
sagt, irgend eine duftende Frucht, pomo, beigemischt war. Ur-
sprunglich diente sie zugleich als Haarfarbemittel und schied sich
erst später aus demselben als reine Salbe aus. Die Erfindung
scheint, wie die der Seife, eine altbelgische zu sein, denn Toiletten-
künstler waren schon die alten Gallier, wie es ihre heutigen Pariser
Nachkommen noch sind.
Indem wir hier die drei Urgewächse der frühesten höheren
Civilisation, Wein, Oel und Feigen verlassen, — womit könnten wir
passender schliessen, als mit der sinnvollen Parabel im neunten Ka-
pitel des Buches der Richter? Wir setzen sie her, da das Buch,
^ dem sie steht, doch heut zu Tage wenig mehr gelesen wird.
«Die Bäume gingen hin, dass sie einen König über sich salbeten,
wid sprachen zum Oelbaum: Sei unser König. Aber der Oelbaum
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134 Die Butter.
antwortete ihnen: Soll ich meine Fettigkeit lassen, die beide, Götter
und Menschen, an mir preisen, und hingeben, dass ich schwebe über
den Bäumen? Da sprachen die Bäume zum Feigenbaum : Komm Du
und sei unser König. Aber der Feigenbaum sprach zu ihnen: Soll
ich meine Sässigkeit und meine gute Frucht lassen und hingehen,
dass ich über den Bäumen schwebe? Da sprachen die Bäume zum
Weinstock: Komm Du und sei unser König. Aber der Weinstock
sprach zu ihnen : Soll ich meinen Most lassen, der Götter und Men-
schen fröhlich macht, dass ich über den Bäumen schwebe? Da
sprachen alle Bäume zum Dornbusch: Komm Du und sei unser
König. Und der Dombusch sprach zu den Bäumen: Ist's wahr,
dass ihr mich zum Könige salbet über Euch, so kommt und ver-
trauet Euch unter meinen Schatten, wo nicht, so gehe Feuer aus
dem Dombusch und verzehre die Cedem Libanon." Welch ein
Bild syrischer Natur und semitischen Lebens! Jene ungeheuren
Domhecken und Stachelpflanzen der Wüste, die Acacien-BOsche,
denen man nicht anders nahen kann, als mit langen schneidenden
und zusammenraffenden eisemen Stangen bewaffnet^ — sie werden
in der Sommerglut dürre wie Gerippe und werfen keinen Schatten,
und wenn sie sich zufallig entzünden, dann geht der Brand ver-
heerend, so weit der Horizont reicht^ und ergreift die Fruchtbäume
mit, die sich auf seinem Wege finden. So liefen die Feuer des
Despotismus und der Eroberung über ganz Asien und verzehrten
alles Privatglück, alle stille Kulturthätigkeit. Die furchtbare Maje-
stät der Herrscher von Ninive und Babylon glühte erbarmungslos
wie die Sonne im Sommer und brannte die Völker nieder, wie der
Dornbusch die Cedem Libanon; Oelbaum, Feigenbaum und Wein-
stock aber glichen dem Manne, der in begrenztem Ejreise Werke
des Friedens schafft und Wohlthaten spendet. Und bis auf den heu-
tigen Tag sind Politik und Musik — im griechischen Sinne —
feindliche Gegensätze geblieben: unser Dichter erfuhr es, als er unter-
nahm, über den Bäumen zu schweben, und Wahrheit und Liebe,
vor Allem aber die Poesie, die Götter und Menschen fröhlich
macht, in seinem Lmera zu versiegen drohte. Seitdem hasste er
in der Reyolution den flammenden Dombusch, der die Gärten und
Pflanzungen verheerte.
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Der Flachs. ]35
Der Flachs. Der Hanf.
{Imwn usitaiissitnum,) {cannabis scUiva,)
In welcher Gegend der Erde der Flachs autochthon ist, ist
&ne noch nicht mit Sicherheit beantwortete, bei so vielen Koltor-
gewächsen wiederkehrende Frage. Da der dOrre Felsboden der
Lander um das Mittehneer, die lange Sommerglut, die oft plötzlich
niederstürzenden Regengüsse u. s. w. dem Flachse nicht zusagen, so
hat man seine Heimat wohl in den kälteren und feuchteren Strichen
des mittleren Europa gesucht. Allein Aegypten und Eolchis lehren,
dass nicht die Wärme des Südens, nur die mangelnde Feuchtigkeit
dem Gedeihen der Pflanze in den klassischen Ländern hinderlich
ist Wenn neuere Reisende den Flachs in Nordindien oder am Altai
oder am Fasse des Kaukasus wild wachsend gefunden haben, wenn
Grisebach, Spicilegium, 1. p. 118 vom Flachse sagt: sponte crescit in
Macedonia Thradaque omni^ so liegt bei einer so alten Kultur-
pflanze die Möglichkeit nahe, dass sie auch da nur der Gefangen-
schaft des Menschen entschlüpft, d. h. nur verwildert sei. Von Wich-
tigkeit bei der Geschichte sowohl des Flachses, als des Hanfes^ ist
auch ihre doppelte Anwendung: die Benutzung der öligen Frucht
zur Nahrung und die der Fasern des Stengels zu Stricken und Ge-
weben: beide finden sich nicht immer gleichzeitig auf demselben
Boden und bei demselben Volke, und es ist noch die Frage, welche
?on beiden den Anbau zuerst veranlasst hat. Das heutige Indien
presst die Leinsaat zu Oel, verarbeitet aber die Pflanze selbst nicht;
auch in Abyssbien dient sie nur zum Essen; Herodot erzählt 4, 73 ff.
Ton den Skythen, wie sie bei Todtenbestattungen mit dem Dampf
der auf glühende Steine geworfenen Hanfsaat sich reinigten und
zugleich berauschten; dass sie aber die Benutzung des Hanfes zu
Geweben nicht kannten, geht aus der Notiz hervor, die Herodot so-
gleich hinzufügt, die Thraker (also nicht die Skythen) verständen
aas dieser Pflanze auch Kleider zu weben, die dem Linnen sehr
ähnlich seien. Eben so finden wir bei den Griechen zeitig neben
den Mohn- und Sesamkömem auch die Leinsaat mit Honig ein-
gekocht zum Gebäcke dienend: zuerst im siebenten Jahrhundert bei
dem Lyriker Alcman, Fr. 74 Bergk.:
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136 Der Bachs.
xXivai *fiev iTita xai zoaai iqanBodai
liaxwvidwv aQTWv ini(jTiq>oiaai
Xivifi TB oaaafitqf ze.
Im pelopoDnesiscIlen Kriege, als die Insel Sphakteria von den Athenern
belagert wurde, brachten Taucher unter dem Wasser in Schläuchen
Mohnsaat in Honig und zerstossene Leinsaat den Belagerten zu,
Thucyd. 4, 26: kivov onigfia xsxofxjnhov. Auch in Italien jenseits
des Po gab es nach Plinius 19, in., einen cilms msticua ac praedulcis
aus Leinsaat, der aber jetzt nur noch bei Opfern vorkomme: nach
der Oertlichkeit und dem Opfergebrauch zu schliessen wohl ein alt-
keltisches oder altligurisches Gericht Reicher als die Geschichte
der Leinsaat als Speise ist freilich die des Flachses als technischen
Gewächses.
Die Linnenkultur geht in Aegypten und Vorderasien ins höchste
Alterthum hinauf. Linnene Stoffe und Kleider, Tücher und Binden,
Zelte und Netze, Taue und Segel sind bei den Aegyptem, den Phö-
niziern, im Alten Testament in allgemeinster Anwendung. Alt-
ägyptische Wandmalereien zeigen uns den ganzen Process der Be-
arbeitung des Flachses, das Rösten, Bläuen, Kämmen u. s. w. des-
selben (Wilkinson, ni, p. 138. No. 356, p. 140. No. 357). Dass die^
Mumien in Leinwandbinden gewickelt sind, haben nach der ent-
gegengesetzten Behauptung Rosellinis, der gegen zweihundert Mumien
untersucht und nie andere als baumwollene Binden gefunden haben
wollte (Monumenti, 11. 1. p. 333 ff.), neuere auf die Anwendung des
Mikroskops gestützte Forschungen unzweifelhaft festgestellt (Brugsch
in der Allgemeinen Monatsschrift 1854, August, S. 633)**). Be-
denkt man die Länge der so verwendeten Leinwandstreifen und die
naturliche Zahl der Todten — einen Leichnam in Wolle zu bestatten
wäre ein Gräuel gewesen — , femer die allgemeine Anwendung der
Leinwand auch bei der Tracht der Lebenden und die Satzung, nach
der die Priester nur reine linnene Unterkleider tragen (Herod. 2, 37
von den Aegyptem: «Siucrra öi Uvea q>OQeovoi aiei veonXvra^
iniTTjdevovteg tovto fialiava, und von den Priestern: iad^za de
q>OQiovai ni igieg livirjv fiovvrjv .... aklrjv di otpc ia&fjza ovx
e^eoxi Xaßelv) und höchstens ausser dem Tempel einen wollenen
Mantel überwerfen durften, endlich den Betrag der Ausfuhr, der zu
jeder Zeit bedeutend war, so muss man über den Umfang und die
Masse dieser Production in dem Nilthale erstaunen. Dass die ägyp-
tische Linnenindustrie auch die feinsten und kunstreichsten Luxus-
gewebe lieferte, beweist nicht nur ihr Ruf im ganzen Alterthum,
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Der Flachs. 137
sondern aach der Befand mancher MumienhQllen. So schenkte der
Eönig Amasis den Lacedämoniem und dem Tempel der Athepe
m Lmdos auf der Insel Rhodus je ein leinenes Panzerhemd mit
öDgewebten Thierbildem, mit Gold und Baumwolle gestickt, von
solcher Feinheit der Fäden, dass dreihundert sechzig derselben
wieder einen Faden bildeten (Herod. 3, 47; 2, 182. Plin. 19, 12)* 0- —
Dass die Phönizier frühe den Anwohnern der Küsten des Mittel-
meeres linnene Kleider als Tauschwaaren zubrachten, geht aus der
Identität des griechischen Wortes /iTcJy, xi&wv mit dem phönizischen
iäonet, ketxmet Leinwand (Movers 3, 1, S. 97), so wie aus dem ho-
merischen o&ovri (s. u.) hervor. Sie bezogen jenen Stoff ihrerseits,
aosser aus Aegypten, besonders aas ihrem palästinensischen Hinter-
lande, wo nach den Zeugnissen des Alten Testaments der Flachs
allgemein in den Häusern von der Hand der Frauen gesponnen und
za Kleidern, Gürteln, Schnüren, Lampendochten u. s. w. verarbeitet
ward. Da in einzelnen wärmeren Gegenden Palästinas auch die
Baumwollstaude, gomfpmm herbaceum^ wuchs, so mögen auch hier,
wie bei der aegyptischen Waare, Baumwollstoffe und feines Linnen
in Sprache und Verkehr nicht immer unterschieden worden sein.
Die Schiffe der Phönizier wurden nicht bloss von Rudern fort-
bewegt, sondern führten auch linnene Segel; woraus aber bestand
das Tauwerk, das die Masten hielt und an dem die Segel hingen?
Vielleicht aus ägyptischem Byblus, da der Flachs dazu zu schwach
scheint. Als viele Jahrhunderte später Xerzes seine grosse Schiff-
brücke über den Hellespont schlug, hatten die Aegypter die dazu
nöthigen Seile aus Byblus, die Phönizier aus weissem Flachs,
Uvxolivov, zu liefern, (Herod. 7, 25 und 34). Unter dem weissen
Flachs verstand Salmasius (Plin. Exercitat. p. 538) bearbeiteten,
iw*w maceratam^ da der Flachs durch Rösten, Bläuen u. s. w. weiss
wird, im Gegensatz zu dem rohen Flachs, crudartum^ utfiohvov. Allein
bei Seilen, an denen eine Brücke hängen soll, kommt es nicht auf
Weisse und Zartheit, sondern vor Allem auf Haltbarkeit an. Aevxolivov
ist nichts. anderes, als die Xevxeay Xevxaiay die nach Athen. 5, p. 206
Hiero II zu den Tauen seines Prachtschiffes aus Spanien, i§ ^IßrjQiag,
bezog, also Spartgras, attpa tenacissima^ welche spanische Pflanze die
Phönizier zu Xerxes Zeit längst kennen und benutzen gelernt hatten.
•^ Tiefer in den Continent hinein trugen auch die Babylonier lange
linnene Kittel (Herod. 1, 195: iad^^zi de toifjde xQeoivvai, xi^üpi
^odrjvaxi'i Xiviip . . .); Strabo 16, 1, 7 zeichnet besonders die
babylonische Stadt Borsippa als livovQyaiov fiiya aus, und was für
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138 I^er Flachs.
seine Zeit galt, wird bei der Stabilität des Orients in lokalen Ge-
werben auch für eine viel frühere richtig sein. — Weiter nach Norden
blühte die Flachskoltur in Eolchis d. h. in den sumpfigen Gegenden
am südwestlichen Fuss des Kaukasus , in solcher Fülle und Voll-
kommenheit, dass Herodot 2, 105 darin einen weiteren Grund sieht^
die Kolcher und Aegypter für eines Stammes zu halten. Eolchisches
Linnen hiess nach Herodot bei den Griechen sardonisches, ^agdovi-
xov*®), und war auch später noch ein Ausfuhrartikel von Euf,
Strab. 11, 2, 17: (Kolchis) Xivov tb noiel nokd xai xawaßiv xai
xrjQov xat nixzav. ^ öi Xivovgyia xai te^Qvlijvar xai /-ap slg
xovg e^io Tonovg i^exSfii^ov. Zu allen Arten Netze, lehrt Xenophon
de ven. 2, 4, dient phasianischer (d. h. kolchischer) oder karthagischer
feiner F*achs (ähnl. Poll. 5, 26). Der ganze Orient wusste die Lein-
wand zugleich bunt zu förben, glänzend zu durchwirken, arabesken-
artig oder in Form von Bildern mit Goldfäden u. s. w. zu sticken,
und linnene Gewänder auf die angegebene Art verziert und wegen
der höchsten Feinheit halb durchsichtig bildeten an den Höfen und
im Harem der Könige und Satrapen die dem Mächtigen und Götter-
gleichen und seiner Umgebung zukommende Tracht. Wie in
Aegypten hüllten sich auch in den vorderasiatischen Gülten, die
Jehovareligion nicht ausgenommen, die Priester in zartes, weisses
Linnen, Symbol des Lichtes und der Reinheit: Joseph. Ant 3, 7, 2:
Xiveov evövfita dmkijg q)OQ€l aivdovog ßvaoivrjg (p iegsvg), Xe&ofisvri
jüiv xaXeiTai, Xiveov de tovzo ajjfiaiver x^^ov yäg xb Xivov ^fiBig
xaXovfi€v. Nach Philo warf der Hohepriester, wenn er das Aller-
heiligste betrat, das bunte Gewand ab imd legte das linnene von
weissem Byssus gewebte an, de somn. 1, 37: oxav elg zä eatordaü)
zwv ayiiov 6 alxog ovzog aQXiSQ^vg doirj, vfjv fiiv noixiXrjv ia^ra
ana^tpioxBxai^ Xivijv 6e higav, ßvaoov x^g xa^aQwtQXTjg nenoi-
Tj/itivrjv^ ävaXafjßavei. Diese ägyptisch -asiatische Kultussitte ging
dann später auch in Europa auf die Pythagoreer, die Orphiker, die
Isispriester, auf Betende und Büssende überhaupt über, wie TibuUs
Delia sich bei solcher Gelegenheit in Leinwand hüllte^ 1, 3, 29:
üt mea voHvas persolüens Delia voces
Ante sacras Uno tecta /ores sedeat,
ja erhielt sich als weisses Chorhemd, alba sacerdotalis^ französ. aube,
in der christlichen Kirche bis auf den heutigen Tag. — Auch
bimtgewirkte Segel und Flaggen aus Linnen mit Gold- und
Purpurbesatz und eben solche Zeltdecken werden an den Schiffen
imd Barken der orientalischen Despoten gerühmt, von denen die
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Der Flachs. 139
griechischen Könige, wie so vieles Andere, auch diesen halbbar-
barischen Luxus annahmen. Schon Theseus batte^ aus Kreta heim-
sduffend, zum Zeichen seiner Rettung ein purpurnes Segel aufgezogen
eine Wendung der Sage, welcher Simonides gefolgt war, Plut.
Thes. 17), und so wagte es auch Alkibiades, als er nach der Ver-
bannung triumphirend in seine Vaterstadt zurückkehrte, auf einer
Trireme mit purpurnem Segel: ioziiit älovQyw^ in den Hafen einzu-
fahren (Plut. Ale. 32 und Athen. 12. p. 535, beide nach Duris von
Samos). Auch Kleopatras SchifiF führte bei Actium ein solches Segel,
mit dessen Hülfe sie gegen Ende der Schlacht eilig das Weite suchte.
Eine weitere, in Asien gewiss seit alten Zeiten gebräuchliche An-
wendung des Flachses war die zu linnenen Panzern, durch welche
der scharfe Pfeil des Feindes und auf der Jagd der Zahn und die
Kralle des Raubthieres, des Löwen und Pardels, abgestumpft wurde.
Die Bemannung der phönizischen und philistäischen Schiffe im
Kriegszuge des Xerxes trug linnene Panzer (Herod. 7, 89: ipöeövxozeg
de dciQrjxag liviovg)', ebenso die Assyrer (Herod. 7, 63); Abradatas,
König der Susier, legt bei Xenophon, Cyrop. 6, 4, 2, den landes-
üblichen linnenen Harnisch an (^oigaxa Hg inixwQiog lyv ainolg)\
bei den Chalybem in Armenien fanden die Zehntausend dieselbe Art
Kriegsbekleidung (Xen. Anab. 4, 7, 15); die Mossynöken, ein pon-
tisches Volk, trugen Kittel bis über die Knie, von der Dicke wie
die Leinwandsäcke, in welche man im damaligen Griechenland die
Bettpolster beim Wegräumen oder auf Reisen zu stopfen pflegte
(Xen. Anab. 5, 4, 13), und auch in den karthagischen Heeren, die
aus sehr verschiedenen Söldnern bestanden, war der Leinwandpanzer
ein gebräuchliches Waffenstück (Pausan. 6, 19, 1),
Dass nun ein durch ganz Asien von Alters her so allgemein
verbreitetes Produkt den Griechen der epischen Zeit nicht unbekannt
sein konnte, ergiebt sich von selbst. Es fragt sich nur, ob die bei
Homer erwähnten liimenen Gewänder auf dem Wege des Handels
eingeführt oder der Robstoff daheim gewonnen und von den Frauen
mit der Spindel und am Webstuhl zu Zeugen verarbeitet worden?
Die Ox^ovri wenigstens, ein feines linnenes Frauenkleid von weisser
Farbe**), war, wie der Name lehrt (Movers, 2, 3, S. 319), und der
Zusammenhang der Stellen, in denen sie erscheint, wahrscheinlich
macht, ein Erzeugniss asiatischer, nicht griechischer Kunstfertigkeit.
Helena, die auch sonst mit semitisch-phrygischem Luxus umgebene
Königin, die eben ein Gewand gewebt hat, doppelt und purpurn, in
welchem die Kämpfe der Troer und der Achäer zu schauen waren,
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140 ' Der Flachs.
eilt aus dem Gemache, in weisse od-ovai gehiilll (IL 3, 141). Auf
dem Schilde des Achilleus sah man tanzende Jünglinge in xircS^fig
gekleidet, die Jangfraaen aber in zarte 6&6vai gehüllt (IL 18, 595).
Bei den Phäaken, in dem Wunderschlosse, sitzen die Mägde webend
und die Spindel drehend, gleich den Blättern der Pappel, gekleidet
in dichtgewebte ox^ovai^ die von Oel triefen (Od. 7, 107), wo das
Adjectiv xaiQoaiwv^ die von Aristarch (statt xpoaacurcJJi», mit Troddeln
versehen) eingeführte Lesart, zur Aufhellung der Natur des StofiFes
nichts beiträgt, da es selbst dunkel ist. Auch die feinen Betttücher,
für welche Homer den europäischen im Orient sich nirgends finden-
den Namen Xlvov (mit kurzem Wurzelvokal) braucht, könnten immer
noch fremder Herkunft sein. Zum wohlbereiteten Lager gehört ausser
Vliessen und Wollstoffen auch der zarte Flaum des Linnens (II. 9, 660),
so bei dem Lager, das die Phäaken dem Odysseus auf dem Schiffe
bereiten (Od. 13, 73) und mit dem sie ihn schlafend ans Land tragen
(118). Aus welchem Stoffe die Segel der homerischen Schiffe be-
standen, ergiebt sich aus der stehenden Formel der Odyssee: laTia
Xevxd: sie waren weiss und folglich von Leinwand, und wenn Kalypso
dem Odysseus rpaQsay Tücher, bringt, damit er für sein frisch ge-
zimmertes Fahrzeug Segel daraus mache (Od. 5, 258), so lehren die
Beiwörter, mit denen kurz vorher das Gewand oder der ümwurf,
(poQoc^ der Kalypso geschildert worden, dass auch dieses als linnenes
Gewand zu denken ist (Od. 5, 230; danach wiederholt 10, 543).
Zum Tauwerk dagegen konnte auch in der homerischen Schifffahrt
der Flachs nicht dienen; woraus es hergestellt war, darüber geben
glücklicher Weise Anzeigen des Textes selbst hinreichende Auskunft.
Od. 12, 422 wird der Mast von den Wogen niedergebrochen; an
dessen Spitze war das Tau, intTovoc^ umgeschlungen, welches aus
Rindshaut verfertigt war (ßoog ^ivoio rsrevxtJQ) und das daher auch
geradezu ßnaifig genannt wird (Od. 2, 426 und in der Parallelstelle
15, 291), wo zugleich das Adjectiv ivoTQenToiGi lehrt, dass ein solches
Tau aus zusammengedrehten schmaleren Lederstreifen bestand. Neben
den Riemen aus Ochsenhaut aber findet sich im zweiten Theil der
Odyssee auch schon ßvßlivog als Prädikat eines Schiffsseiles: unter
der Vorhalle des Palastes liegt ein von einem Schiffe stammender
Strang aus Byblus und Philoitios bindet damit die Ausgangsthür zu
(21, 390). Wie nun solche Seile aus ägyptischem Bast den Griechen
ohne Zweifel durch semitische Schiffer zugebracht waren, so konnten
auch die Tücher der Kalypso und überhaupt das Segeltuch aus
fremden Regionen auf dem Wege des Handels bezogen worden sein.
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Der Flachs. ]41
Der obige Name JUvov dient aber wieder bei Homer auch für die
Angelschnar, das Fischernetz und den Faden an der SpindeL
Patroklus hat den Thestor mit dem Schwert in die Zähne getroffen
und zieht ihn vom Wagen, wie der Angler den heiligen Fisch an
der Leinschnur aus dem Wasser zieht (II. 16, 406). Sarpedon ruft
dem Hektor scheltend zu, er möge sich hüten, mit den Seinigen eine
Beute des Feindes zu werden, gleichsam gefasst von den Maschen
des allfangenden Leinnetzes (IL 5, 487). An der Spindel zum Faden
gezogen erscheint das Xivov in dem religiösen Bilde von dem zuge-
sponnenen Lebensschicksal. Achilles wird dasjenige erdulden, was
ihm die Schicksalsgöttin bei der Geburt mit dem Leinenfaden zuge-
sponnen (B. 20, 128; danach auch 24, 209; ähnlich auch Od. 7, 198).
Bedenkt man^ dass noch jetzt der rohe Flachs in ganzen Schiffs-
ladungen in die Länder des Südens geht, um dort von Frauen und
Mädchen im Freien, vor den Häusern, auf der Weide der Schafe
ond Ziegen an der Eunkel versponnen zu werden, so könnten auch
die homerischen Weiber und nach ihrem Vorbüd die Mören ägyp-
tischen, palästinensischen oder kolchischen Flachs zu Fäden gedreht
ond zu Netzen gestrickt haben. Eine andere Frage wäre die, ob
nicht Uvov in Europa ein sehr altes Wort ist, das über die Zeit des
Flachses hinausgeht und nur den Faden und das daraus Gestrickte
überhaupt bedeutet? Fischfang mit Angel und Netz ist eine sehr
primitive Beschäftigung und Naturvölker wissen aus allerlei wild-
wachsenden Pflanzen, besonders denen aus dem Nesselgeschlecht,
und aus dem Bast gewisser Bäume Fäden zu drehen und gewand-
artige Matten zu flechten. Warum sollten auch die Parzen bei
Homer gerade den Lein und nicht lieber die WoUe des Schicksals
abspinnen, wie sie doch später thun? (S. darüber unten). Asiatische
Waare mögen auch die Leinwand-Panzer gewesen sein, die an zwei
Stellen des Schiffskatalogs erwähnt werden, II. 2, 529 und 830. An
der einen (die freilich ganz wie ein junges Einschiebsel aussieht)
wird Ajax, Führer der Lokrer, Xivo^wQrj^ genannt, an der andern
gleicher Weise Amphius, Sohn des Merops, einer der troischen
Bundesgenossen. Dass der Letztere, ein halbbarbarischer Asiate, in
der Tracht erscheint, wie die Chalyber des Xenophon, hat nichts Auf-
Wlendes; bei dem Führer der Lokrer hängt das Prädikat offenbar
mit der Eampfweise dieses den Lelegern blutsverwandten Stammes
zosanmien: die Lokrer standen nicht Mann gegen Mann in der
Schlacht, schwangen nicht den Speer und trugen nicht eherne Helme
und Schilder, sondern führten Bogen und Schleuder, schössen aus der
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142 I>er Flachs.
Feme und deckten sich also zweckmässig darch leichtere gewebte
oder gesteppte Kittel (II. 13, 373 ff.). Der linnene Harnisch wird
von da an darch das ganze griechische Alterthum hin und wieder
erwähnt. In dem um die Mitte des siebenten Jahrhunderts an die
Aegier (nach Anderen an die Megarer) ergangenen sehr berühmt
und sprichwörtlich gewordenen Orakel heissen die Argiver leinwand-
bepanzert, Anth. Pal. 14, 73:
In einem Fragment des Alcäus (blühte um 600 vor Chr.) wird
unter andern Eriegswaffen auch der ^ciga^ aus Itvov aufgeführt
(Fr. 15 Bergk.); in Olympia lagen drei linnene Harnische, Weih-
geschenke des Gelon und der Syrakuser nach ihren Siegen zu Lande
und zu Wasser über die Karthager (Paus. 6, 19, 4), und auch sonst
sah Pausanias Panzer dieser Art an heiligen Stätten aufgehängt,
z. B. im Heiligthum des gryneischen Apollo (1, 21); Iphikrates gab
den athenischen Kriegern, um sie beweglicher zu machen, linnene
statt der frühem ehernen und Kettenpanzer (Com. Nep. Iphicr. 1, 4:
pro sertis atqtce aeneis linteas dedit). In der Gruppe der Aegineten
trägt Teucer, des Ajax Bmder, über einem ärmellosen reich gefalteten
Unterhemd den linnenen Harnisch mit doppelten megvyeg, dessen
Enden nach vorn über beide Schultern fallen; auch Hercules hat
über einem Untergewand mit gefälteltem Saum den Linnenpanzer,
aber nur ein Ende hängt über die linke Schulter. Dass der Lokrer
diese Art Rüstung erhielt, geschah nach homerischem Vorgang und
nach der Sitte dieses gewissermassen vorhellenischen Stammes; bei
Hercules, dem mit Keule und Bogen bewafl&ieten Helden, erscheint
natürlicher Weise neben dem Fell des erlegten Thieres auch die älteste
leichte Kriegstracht, noch nicht der Stahlpanzer und die dorisch-ritter-
liche TiQvonlla. — Im Uebrigen herrscht das wollene Kleid bei den
Griechen vor; die Leinwand gilt für üppig und weibisch, sowohl
wenn sie weiss und glänzend wie Schnee, als wenn sie mit Farben,
Bildem und Franzen geschmückt war. Die lonier in Asien hatten
das lange fliessende Kleid aus Leinwand von ihren karischen Unter-
thanen und reichen Nachbaren angenommen : schon bei Homer heissen
sie ^Idoveg elxex^^^v^Q^ wie die Troerinnen klxsoiTtenkot; von den
loniem war dieselbe Tracht zu den blutsverwandten, frühe der orien-
talischen Civilisation geöffneten Athenem übergegangen. Herodot
erzählt 5, 87 die angebliche Veranlassung zu dem Letzteren: danach
«inem unglücklichen Kriegszuge gegen die Aegineten der einzige
entronnene athenische Krieger von den wegen der ünglücksbotschaft
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Der Flachs. 143
und des Yerlustes ihrer Männer -wütheuden "Weibern mit dem Dom
der Schnallen, die ihre Gewänder festhielten, erstochen worden,
wurde zur Strafe dafür die weibliche Tracht durch Volksbeschluss
geändert: die Frauen mussten das dorische ^ wollene, bloss umge-
worfene E^eid ablegen und den ionischen oder, wie Herodot hinzu-
setzt, eigentlich altkarischeo , ganz genähten und folglich keiner
Spange bedürfenden linnenen xid-wv annehmen. Später kam indess
in Athen die ionische Leinwandtracht wieder ab: Thucydides berichtet
in einer nicht ganz klaren und viel bestrittenen Stelle (1, 6), gegen
die Zeit des peloponnesischen Krieges sei auch bei den Athenern
das altgriechische wollene Gewand wieder Gebrauch geworden; nur
unter der Klasse der reichem Bürger hätten die altern am Herge-
brachten hängenden Leute den gewohnten Prunk nicht aufgeben
wollen. Seitdem tmgen nur die Weiber noch Stoflfe aus Flachs,
deren feinere Sorten aus fremden Ländern eingeführt wurden. Bei
Aechylus Sept. 1038 trägt Antigone ein ßvaaivov nsnXwjna und in
Euripides Bacchen 820 sind ßvaaivoi nenloi soviel als Frauen-
kleider. Ueber einen Anbau der Pflanze selbst auf griechischem
Boden liegt aus älterer Zeit kein bestimmtes Zeagniss vor. Li den
hesiodischen Gedichten ist nirgends vom Flachs die Rede; auch
später sagt Theophrast nur einmal im Vorbeigehen, der Flachs ver-
lange einen guten Boden (de caus. pl. 4, 5, 4); ganz spät berichtet
Pausanias (6, 26, 4) von den Bewohnern der Landschaft Ells, sie
säeten je nach der Beschaffenheit des Bodens Hanf^ Lein und Byssos.
Elis trägt nach Leake, Morea, 1, S. 12, noch heut zu Tage einigen
Flachs, der aber nur ein grobes Produkt giebt. Jedenfalls nahm der
Flachs zu keiner Zeit in der griechischen Bodenwirthschaft die her-
vorragende Stelle ein, wie in manchen Gegenden des asiatischen
Gontinents.
Es konnte nicht fehlen, dass linnene Tücher, Kleider und Stoffe
frühzeitig auch nach Italien hinübergebracht wurden. Freilich, wenn
Diogenes von Laerte Recht hätte, so wäre zu Pythagoras Zeit, also
in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts, die Leinwand in
den grossgriechisehen Städten noch unbekannt gewesen (8, 1, 19; tcc
yag Xiva ovnw sig exeivovg aq>ixto Toig Tonovg^ daher der Meister,
anders als seine spätem Nachfolger, gezwungen war, sich in reine
weisse Wolle zu kleiden, — allein die Nachricht hat wenig Gewähr
and besagt wohl nur, dass das ionische linnene Kleid bei den Kro-
toniaten, wie natürlich, nicht im Gebrauch war und Pythagoras in
Kroton sich trug, wie alle Uebrigen. Das lateinische Wort linum
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144 Der Flachs.
stimmt in der Quantität nicht mit dem homerischen llvov überein,
wohl aber mit dem Gebrauch attischer Komiker und wanderte also,
wenn es Lehnwort war, aus einer Gegend ein, deren Volkssprache
jener attischen nahe stand. Aus früher Zeit hören wir von alt-
römischen Büchern auf Leinwand, libri lintei, auf deren Auctoritafc
sich noch einzelne Annalisten berafen: dem Namen nach vermuthen
wir, dass sie auf Bast geschrieben waren; an wirkliche Leinwand ist
wohl desshalb schon nicht zu denken, weil die Alten nicht, wie wir,
lange zusammengerollte, später zu verschneidende Stucke dieses
Stoffes webten, sondern immer schon fertige, zu unmittelbarem Ge-
brauch bestimmte Kleider, Tücher u. s. w. Dass die vejentischen
Etrusker nach der Mitte des fünften Jahrhunderts vor Chr. sich
linnener Harnische bedienten, oder dass wenigstens ihr König, wenn
er zu Pferde in die Schlacht zog, einen Thorax von Leinwand trug,'
geht aus Livius 4, 20 hervor: damals nämlich tödtete A. Cornelius
Cossus den Vejenterkönig Tolumnius in der Schlacht und weihte
dessen ihorax linteus im Tempel des Jupiter Feretrius auf dem Kapitol,
Kaiser Augustus aber, als er den genannten Tempel, der verfallen
war, wieder herstellte, las noch die Weihinschrift auf dem thorax
selbst, an dessen Aechtheit also nicht zu zweifeln war. Dem Volk
der Falisker, das den Vejentem blutsverwandt und benachbart war
and an der erwähnten Schlacht Theil genommen hatte, schreibt der
Dichter Silius Italiens linnene Tracht zu, als bei ihnen hergebracht,
4, 223:
Inductosqtie simul gentilia lina Falücos,
Eine andere etruskische Stadt, Tarquinii, die gleichfalls nicht sehr
fem lag, lieferte gegen Ende des zweiten punischen Krieges, als die
Bundesgenossen pro suis quisque facultatibtcs d. h. Jeder nach den
Naturerzeugnissen oder der Industrie seines Landes zur römischen
Flotte beisteuerten, Leinwand zu Segein (Liv. 28, 45). Ja die ganze
Gegend, wo der Tiberfluss durch buschige Wildniss dem Meere
zuströmte, wird von Gratius Faliscus als Flachs tragend ge-
schildert, 36:
et aprico Tuscorum stupea campo
Messis^ contiguum Sorbens de flumine rorem^
Qua cultor Laüi per opaca silentia Tibris
Labitur inque Sintis magno venu ore marinos.
At contra nostris imbellia lina Faliscis.
Und nicht bloss feucht, setzen wir hinzu, war der Landstrich am
untern Tiber und darum für die stupea messis, d. h. die Flachsernte
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Der Flachs. 145
geeignet, sondern auch Schauplatz eines sehr alten Handelsverkehrs.
Dass die Samniter gegen Ende des vierten Jahrhunderts von der
Leinwand schon ausgedehnten Gebrauch machten, wie sie auch an
Gold und Silber nicht arm sein konnten, erheUt aus dem Bericht
d^ Livius 9, 40: danach stellten sie ein doppeltes Heer au^ das
eine mit vergoldeten, das andere mit silbergeschmückten Schildern,
beide mit Büschen auf den Helmen; die goldene Schaar trug bunte,
die silberne weisse leinene Tuniken; auch die bunten bestanden wohl
aas gefärbter Leinwand, die vielleicht im fernen Osten gewebt war,
wie ja auch der Besitz kostbarer MetaUe auf Tauschverkehr mit dem
Auslande hinweist. Noch bedeutungsvoller ist ein anderer Vorgang,
von dem Livius 10, 38 erzählt und der die Aufmerksamkeit derMy-
thologen noch wenig erregt hat. Im Jahre 293 versammelten die
Samniter bei Aquilonia mit Aufgebot aller Kräfte ein Heer von
rierzigtausend Mann« Mitten im Lager war ein Raum von zwei-
hundert Fuss nach aHen Seiten mit Flechtwerk und Brettern um^
geben und mit Leinwand bedeckt. Dort wurde nach verschollenem
Brauch der Väter und dem Text eines alten über linteus ein Opfer
gebracht und dann die Edelsten des Volkes einer nach dem andern
hereingeführt. Der Anblick des nach ungewohnter Form vollzogenen
Opfers, der Altar mitten in dem ganz bedeckten Raum, die frisch
geschlachteten Opferthiere ringsum, die mit gezückten Schwertern
dastehenden Centurionen : Alles ergriff das Gemüth des Eintretenden,
der sich mehr wie ein Schlachtopfer, als wie ein Opferer vorkam.
Erst musste er schwören, nichts von dem zu verrathen, was er hier
sehen oder hören würde, dann leistete er nach einer grausigen Formel,
mit Anrufung des Verderbens auf sich, sein Haus und sein Ge-
schlecht, einen Eid, durch den er sich verpflichtete, den Führern in
die Schlacht zu folgen, nimmer aus der Schlacht zu fliehen und Jeden,
den er fliehen sähe, augenblicklich zu tödten. Als Anfangs Einige
sich weigerten, diesen Schwur zu leisten, wurden sie am Altar selbst
niedergemacht, welcher Anblick darauf die Folgenden willig machte.
Nachdem so der Adel durch den Eidschwur sich gebunden, befahl
der Feldherr zehn von ihm Ernannten, sich Jeder einen Genossen
zu erwählen, und diesen wieder dasselbe, bis so durch fortgehende
Wahl ein Heerhaufe von sechzehn tausend Mann beisammen war.
Diese Legion hiess die legio linteata^ von der Umhüllung des Raumes,
in welchem der Adel sich dem Siege oder Tode geweiht hatte. Sie
erhielt hervorleuchtende Waflfen und Helmbüsche, wurde aber trotz
Allem von den Römern an einem blutigen Schlachttage völlig auf-
Viet Heho, KoUarpflADteD. 10 C^ r^r\r\\r>
L^,gitized by vJiOUvlV^
146 I^er Flachs.
gerieben. Warum aber war der Raum, wo die Verschwörungshand-
loDg vor sich ging, grade mit Leinwaad überspannt und die Legion
grade nach diesem Umstand linteata geheissen? Vielleicht wirkten
hier pythagoreische religiöse Yorstellungen ein, von denen die Sam-
niter, wie sich auch sonst beobachten lässt, nicht unberührt geblieben
waren. — Als die Romer in die Erbschaft der Samniter und der
Griechen eintraten, waren vestes linteae^ wie im Orient und in Griech^i-
land, eine kostbare üppige Tracht: Cicero in Yerr. 5, 56 fuhrt unter
den Luxuswaaren des Orients, wie Purpur von Tyrus, Weihrauch,
wohlriechende Essenzen, feine Weine, Gemmen und Perlen, auch
leinene Kleider auf, etwa wie wir sagen: Diamanten und Spitzen.
Dienende Knabeo bei schwelgerischen Gastmälem trugen, um flüch-
tiger in der Bewegung zu sein, leichtes anschliessendes Linnen; die
Reize schöner Libertinen wurden durch florartige, purpurfarbige, gold-
gestickte koische und amorgische Gewebe — zu denen auch der
feinste Flachs diente, PoU. 7, 74 — mehr verrathen als verhüllt; reiche
Magistrate und Cäsaren spannten, um das schauende Yolk und Richter
und Gerichtete vor der Sonne zu schützen, ein Leinwand dach über
das Theater und das Forum. Bei dem Wechsel der Mode, über den schon
frühe noch zur Zeit der Republik geklagt wird, erschienen neue Kleider-
formen, Tücher, Binden u. s. w. aus linnenem Stoff: so der supparus
(ursprünglich Name eines Segels und zwar eines kleinen oder Hül&-
segels, dann ein Frauengewand, schon bei den Komikern, Novius
(bei Ribbeck, Com. lat. reliq. p. 224):
Supparum purum Veliemem linteum,
Afranius (p. 154):
tace!
Pudla non mm, supparo si induta mm;
nach Varro L 1. 5, 30 Spengel. ein oscisches Wort, das aber wohl
aus dem Orient stammte; Paul. p. 311 Müller setzt es geradezu dem
spätem carmsia^ Hemde, gleich), das sudarium (eine Art Handtuch
oder Taschentuch, das von Leinwand gewesen sein muss, da Catullus
es an zwei Stell^i 12, 14 imd 25, 7 von Saeiabis in Spanien, dem
berühmten Flachsbezirke, kommen lässt und Yatinius bei Quintilian 6,
3, 60 ein candidum sudamum fuhrt; später orarium genannt und als
solches zur christlichen Messkleidung gehörig) u. s. w. Linnene Fäden
dienten zur Angelschnur, zum Verbinden der Briefe, dickgewebte
Leinwandtücher zum Abreiben in den Bädern, als Tischdecken, letztere
unter dem Namen manteliaj mantela^ dazu bestimmt, den aus kost-
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Der Flachs. 147
barem Holz bestehenden Tisch gegen die Eindrücke der aufgetragenen
Schüsseln zu schützen, Mart. 14, 138. Mantele:
Nobilius villosa tegant tihi Untea citrum;
Orhihm in nostris eirculuB esse potest
Die Pflanze selbst aber wurde in dem Italien südlich von Rom —
und dieser Theil der Halbinsel war in den ersten Zeiten der rö-
mischen Weltherrschaft der civilisirte, der gebende und emp&ngende,
der Weg in die alte Welt, auf ihn gleichsam das Gesicht der Haupt-
stadt gerichtet — kaum oder nur in geringem Masse angebaut. Cato
erwähnt des Flaclises in seiner Landwirthschaft ganz und gar nicht,
Yarro nur flüchtig. Auch Colomella legt auf diese Kultur kein Ge-
wichfc; einmal. 2, 7, 1, zählt er unter Bohnen, Linsen, Erbsen und
andern Arten legumina auch den Flachs mit auf^ woraus sich ergiebt,
dass in Erautgänten wohl auch ein Stück Land zur Erzeugung von
Leinsaat bestimmt wurde. Ein ganz anderer, weiter, über die
griechisch-römische Welt hinausführender Blick aber öfFhet sich in
dem Kapitel, welches Plinius am Anfang des 19. Buches dem Flachse
und seiner Kultur in der Welt widmet. Wir erkennen hier, dass,
wenn die am Nil und im Herzen Asiens frühe blühende Linnenkultur
bei ihrer Wanderang nach Europa in den warmen Gebirgsland-
schaften der beiden klassischen Halbinseln keine rechte Stätte fand,
sie in den feuchten, nebligen Ebenen der Barbaren, auf humusreichem
Waldboden, in den Ländern frischen Anbruchs sich bald üppig ent-
fi<ete. Schon Herodot 5, 12 lässt ein Mädchen vom Stamme der
Päoner in Thrakien mit dem Flachs an der Spindel auftreten; am
entgegengesetzten Ende Europas wird Spanien in früher und in
später Zeit als leinproducirend gerühmt: in der Schlacht bei Cannä
trogen dielberer purpurverbrämte linnene Kittel nach Landessitte
(xaxa xä nargia^ Polyb. 3, 114, 4 und nach ihm Liv. 22, 46: Hü-
pani Unteü praeteatis purpura tunicis)] die feinen Siebe aus Flachs-
faden sind eine ursprünglich spanische Erfindung (Plin. 18, 108); die
Emporiten treiben Leinwandindustrie (Strab. 3, 4, 9); das feine Pro-
dukt von Tarraco (dort mit dem phönizischen Worte carbasus be-
ngmit, welches selbst wieder für den indischen Namen der Baum-
wolle gehalten wird) und Saetabis stand in hohem Rufe und wird
oft erwähnt, z. B. Sil. Ital. 3, 374:
Saetabis et ielas Arabum sprevisse euperba
Et Pelueiaco ßum componere Uno —
ond wenn uns dies von Orten an der Küste des mittelländischen
Meeres, die von frühe an mannichfachem Kultureinfluss geöfFhe
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148 I>er Flachs.
war, weniger wandert, so hören wir doch auch von dem Flachs der
fernen Stadt Zoelae im Lande der rohen Asturer am Strande des
atlantischen Oceans (Plin. 19, 10) und von den linnenen Harnischen
der wilden und räuberischen Lusitanier im hintern Land (Strab. 3, 4, 6).
Daher es von Spanien ganz allgemein heisst, Just. 44, 1, 6: jam
Uni spartique vis (in Hispania) ingens; Mel. 2, 6, 2: (Hispania) adeo
fertilis^ ut^ sicubi ob penuriam aquarum efeta et sud dUsvmüü est^
Unum tarnen aut spartum alat In Italien selbst aber bilden alle die
von der inneren Adria her zugänglichen Gregenden, die wasserreichen,
von Flüssen und Kanälen durchschnittenen Ebenen, der Landstrich,
den einst Etrusker, dann keltische Völker besetzt hielten, und das
von entgegengesetzten Seiten daran stossende ligurische und veoetische
Gebiet von Alters her eine Zone der Flachskultur. Plinius kennt
in Oberitalien Flachssorten, die nach den spanischen für die besten
auf europäischem Boden galten, den von Faenza in der Romagna
(in Aemilia via Faventina, noch heut zu Tage geschätzt), den von
Retovium (bei dem heutigen Voghera) und den in der regio Aliana
zwischen Po und Tessin (beide letztere auf altligurischem Boden).
Eine in der Umgegend Ferrara's, also gleichfalls in der Romagna,
gefundene, freilich verdächtige Inschrift (Orelli 1614) ist dem Sil-
vanus cann^bifer et linifer geweiht. Dass die Etrusker frühe Flachs-
bau trieben, ist schon oben erwähnt imd bildet ein Symptom mehr
für den Zusammenhang, der dies Volk mit dem !({orden verknüpft,
und für die Kalturscheide, die der Tiberfluss abgab. Jenseits der
Alpen beschreibt Plinius ganz Gallien als Leinwand webend, be-
sonders die Cadurci (Strab. 4, 3, 2: naqa di toig KadovQxoig
livovQyiai\ die Caleti, Ruteni, Bituriges, und die für die äussersten
der Menschen geltenden Morini, d. h. die keltischen Bewohner der
Niederlande, — so dass also belgischer Flachs und flämische Lein-
wand ihren Adel bis wenigstens zum ersten Jahrhimdert nach Chr.
hinaufdatiren können. Ein Denkmal davon bewahrt die italienische
Sprache in dem Wort renso^ feiner Flachs, von der Stadt Rheims,
woher er bezogen wurde. Selbst bis zu den Germanen jenseits des
Rheins, fahrt Plinius fort, ist diese Kunstfertigkeit gedrungen; das
germanische Weib kennt kein schöneres Kleid als das linnene; sie
sitzen in unterirdischen Räumen und spinnen und weben dort (id
opus agunt). Ungefähr dasselbe sagt Tacitus, Germ. 17: die
Frauen kleiden sich wie die Männer, nur dass die ersteren häufiger
sich in linnene Tücher hüllen, die sie mit Roth verzieren (purpura
variant), — Finden wir so den Flachs bei allen Völkern Mittel-
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Der Flachs. 149
Europas unter den frühe ergriffenen, weil dem Boden and Himmel
zusagenden Eoltorzweigen, bei den Eeltiberern am biscayischen
Meerbusen, den Ligurem am obem Po, den Thraken, Kelten, Ger-
manen, so lehrt zugleich das Wort Lein, dass ihnen Allen das Ge-
wächs von den klassischen Völkern zugekommen war: dieser Name
geht nämlich durch den ganzen Welttheil, von den Basken am Fuss
der Pyrenäen durch alle keltischen und germanischen Völker bis zu
den Litauern und Slaven, den Albanesen, Magyaren und Finnen,
und findet sich in den Sprachen verschiedenster Herkunft wieder*®).
Bei den Barbaren aber wurde Leinwand nicht bloss allgemeines
Lebensbed&rfhiss und fand mannichfache Anwendung, sondern ge-
wann von dort auch Eingang in die Sitten der im Abscheiden be-
griffenen antiken Welt. Leinwand als Volkstracht ist nordischen
Ursprungs. Wie der Gebrauch gestopfter, mit Leinwand überzogener
Polster und Edssen aus Gallien, namentlich von den schon oben ge-
nannten Cadurci, nach Italien kam (culcitae^ tomenta^ bei Martialis
Leuconica oder Ldngonica genannt) — denn das frühere Alterthum
bediente sich der stramenta^ d. h. blosser Lagen von Decken und
weichen Stoffen (Plin. 19, 13) — so ging auch das linnene Unterkleid,
das eigentliche Hemde, das die Griechen imd Römer in der Weise,
wie die heutigen Europäer, nicht kannten, von den Barbaren aus,
nut ihm der neue, zuerst bei dem heiligen Hieronymus vorkommende,
gallische Name camma (Zeuss^ p. 787). Früher hatten höchstens
die Weiber vornehmen Standes Leinwand unmittelbar am Körper
getragen; Plinius bemerkt, in der Familie der Serraner sei auch zu
seiner Zeit das Hemd als weibliches Kleidungsstuck nicht üblich:
ohne Zweifel in conservativer Anhänglichkeit an die ältere Sitte.
Nicht mehr südlich-klassisch, schon nordisch-barbarisch war es, wenn
der Kaiser Alexander Severus, wie sein Biograph Aelius Lampridius
40 berichtet, frische, weisse Leinwand liebte, weil sie nichts Rauhes
habe (wie die Wolle), und die purpurgestreifte oder gar mit Gold-
fiden gestickte, also das orientalische Luxusgewand, verschmähte.
Einige Decennien später schenkte Kaiser Aurelian schon dem populus
Romanus weisse, mit Aermeln versehene Tuniken, die in ver-
schiedenen Provinzen angefertigt waren, darunter auch ungefärbte
linnene aus Afrika und Aegypten, Vopisc. Aur.^48. Aus dem Edictum
Diocletiani vom Jahre 301, Cap. 17 und 18, ersehen wir, dass die
ahherühmten syrischen Leinwandfabriken schon grobe Zeuge für den
gemeinen Mann und für Sclaven (lg ;fß^aiy tcov idioncüv ijtot q>a'
\^iU(xQix(ay) lieferten, darunter caracallae, Leinwandmäntel gallischen
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150 Der Flachs.
Schnittes, mit Kaputze in Weise der noch heute geltenden Mönchs-
tracht, (paoxivia oder (paaxslat^ Binden, die Füsse zu nmwickeb,
an Stelle der heutigen Strumpfe, aivdovsg xoitaQiai^ Bettlaken, tvlai
und nQOQxeqxxkaia oder Matratzeuüberzuge und Eissenbühren u. s. w.,
lauter im Laufe der Kaiserzeiten von Gallien her, wie wir glauben,
bei den untern Volksklassen herrschend gewordene Bedürfiiisse.
Noch ein Jahrhundert später endlich sagt der h. Augustinus Sermon.
37, 6, schon geradezu und ganz alllgemein : interiora sunt enim Unea
vestimenta^ lanea exteriora^ also: über Leinwandhemden trägt man
Röcke von wollenem Tuch (der Kirchenvater findet desshalb, mit
dem aberwitzigen Tiefsinn des Mittelalters, in der Wolle etwas
Fleischliches, camale altquid^ im Lein aber etwas Geistiges oder
Geistliches, spiritcUe).
Weder Plinius noch Tacitus sagen uns, ob der rohe Flachs,
der den germanischen Frauen zu ihren Leingeweben diente, wie die
rothe Farbe*, etwa aus Gallien eingeführt, oder der Anbau schon ins
innere Land eingedrungen war, oder ob er sich auf die Rheingegenden,
die an gallischer Kultur am frühesten Theil nahmen, beschränkte?
Aus der Tracht der heiligen Prophetinnen bei den Cimbern, welche
Strabo 7, 2, 3 als grauhaarig, barfuss mit ehernen Gürteln und
spangenbefestigten Mänteln aus feinem Flachs (xagnaoivag iq)anTiöag
inmenoQTiTjfievai) schildert, lässt sich nicht etwa auf Flachsbau an
der untern Elbe in so früher Zeit schliessen, da die Cimbern, wenn
sie wirklich germanischen Stammes waren, vor ihrem Untergang
durch die Römer weit in keltischen, ja in keltiberischen Landen um-
hergezogen und in jeder Beziehung nicht ohne keltische Beimischung
geblieben waren. Paulus Diaconus 1, 20 berichtet aus der älteren,
d. h. voritaüschen Geschichte der Longobarden eine sagenhafte Be-
gebenheit, die auf germanischen Flachsbau deuten könnte. Die
Herder, von den Longobarden besiegt, hielten auf der Flucht ein
blühendes Leinfeld für einen See (Goethe, Italien. Reise, Palcimo,
13. April 1787: „Man glaubt in den Gründen kleine Teiche zu sehen,
so schön blaugrün liegen die Leintelder unten^), stürzten sich hinein,
als ob sie schwimmen wollten, und wurden so von den verfolgenden
Siegern ereilt und niedergemacht. Allein die Scene dieser Sage ist
die pannonische Theissgegend, wo die Flachskultur alt sein mochte,
und ohnehin die vorausgesetzte Zeit eine späte, etwa das Jahr 500
nach Chr. Im Laufe der Völkerwanderung hatte sich indess das
Leinkleid bei den aus ihren Sitzen aufgebrochenen Stämmen immer
allgemeiner verbreitet und wird g^en Ende derselben ausdrücklich
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Der Flachs. 151
als gewöhDÜche germanische Volkstracht genannt, Paul. Diac. 4, 23:
Vestimenta vero eis (Longobardis) erant Icuca et maxime linea qualia
AngUsaaones habere solent, omata institis latioribm^ vario colore con-
textis. Als die Gothen unter Kaiser Valens über die Donaa setzten,
am in römisches Gebiet aofgenommen zu werden, da reizten ihre
linnenen Gewebe mit troddelartigem Besatz die Habsucht der Griechen
(Eünap. 6 ed. Bonn. p. 50). So tragen auch die Franken bei
Agathias 2, 5 theils lederne, theils linnene Hosen und die west-
gothischen Aeltesten bei Sidonius ApoUinaris c. 7, 455 schmutziges
Linnen und kurze Pelze. Nach dem monachus SangaDensis 1, 34
gehorte früher zu der Tracht der vornehmsten Franken ausser den
lothen leinenen Hosen, tibialia vel doxalia linea ^ auch die camima
cUzana^ d. h. das Hemd aus Glanzleinwand; zu Karls des Grossen
Zeit aber zogen die jungen Prinzen schon das gallische kurze ge-
streifte sagum vor, während der Kaiser selbst bei der väterlichen
Tracht blieb, Einh. vit. 23: vestitu patrio id est franciaco utebatur.
Ad corpus camisam lineam et feminalibtis lineis induebatur. Wenn
die Germanen, die viele Jahrhunderte lang ruhige Anwohner des
Meeres gewesen waren und Anfangs nur in leichten Kähnen (Untres^
Tac. Ann. 11, 18) oder ausgehöhlten Baumstämmen (sinffulis ar-
boribus cavatiSy Plin. 16, 203) die benachbarten belgischen Küsten
zu plündern gewagt hatten, plötzlich in weiten See- und Raubzügen
als kühne Schiffer erscheinen, die Sachsen seit dem vierten, die
Danen seit dem sechsten, die Normannen seit Beginn des achten
Jahrhunderts, so mag ausser der allmähligen Bekanntschaft mit dem
Eisen und mit dem römischen Schiffsbau überhaupt (einen sprechenden
Fall solcher Aneignung erzählt Eumenius in seinem Panegyricus
an den Kaiser Constantius, cap. 12), vielleicht auch die steigende
Verbreitung des Flachsbaues und die Gewinnung von Leinwand im
Grossen zu Segeln ein Grund davon gewesen sein. Die Veneter
wenigstens in der Bretagne, die häufig zu den blutsverwandten
Stammen in Britannien hinüberschifften, hatten zu Cäsars Zeit, wie
dieser ausfuhrlich beschreibt (de bell. gall. 3, 13), Segel aus Thier-
fellen und Leder und eiserne Ankerketten, entweder, fügt Cäsar
hinzu, weil sie den Gebrauch des Flachses nicht kannten, oder, was
wahrscheinlicher ist, weil die Gewalt der Stürme dort so gross ist.
Woraas bestanden aber die venetiscben Segeltaae, die von der
römischen Schiffsmannschaft mit scharfen Sicheln an langen Stangen
zerschnitten wurden, so dass die feindlichen Schiffe unbeweglich
wurden und sich ergeben mussten? Wohl auch aus ledernen Riemen»
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152 Der Flachs.
da Cäsar das Material nicht besonders bezeichnet; bedienten sich
doch auch nicht bloss die homerischen Griechen, sondern auch die
illyrischen Libumen derselben bei ihren SchiflFen (Varro bei Gellius
17, 3), wie auch bei den Normannen die Ankertaue aus dem Fell
der Walthiere und Seehunde geschnitten (s. Ohtheres ersten Reise-
bericht bei König Alfred) und in Island noch bis in die neuere
Zeit die Fischemetze aus Lederstreifen geflochten waren; wo ^
hänfene Taue gab, wären wohl auch die Segel aus Hanf gewebt
worden. Zu Plinius Zeit webte ganz Gallien Segeltuch, das auch
schon jenseit des Rheins Eingang gefunden hatte (dort also früher
unbekannt war), 19, 8: GaUiae universae vela teaunt^ jam qttddem et
transrhenani hostes. Die Suionen, also die Vorfahren der Normannen,
kannten zu Tacitus Zeit, wie dieser Germ. 44 ausdrücklich sagt, den
Gebrauch der Segel noch nicht, eben so wenig die Einrichtung
geschlossener Ruderbänke; Vorder- und Hintertheil war bei ihren
Schiffen nicht geschieden, so dass sie, ohne zu wenden, überall landen
konnten — eine Einrichtung, die Germanicus auf seinem grossen
unglücklichen Nordseezuge im Jahre 16 nach Chr. bei einem Theil
seiner Schiffe nachahmte. Solche altnordische Kähne mochten zur
Fahrt zwischen den Inseln und in den Belten und Fiorden geeignet
sein ; im Hochsommer setzten sie vielleicht von der Insel Gothland in
den finnischen und rigaischen Meerbusen bin aber; aber erst mit der aus
Süden gekommenen Technik des Segeltuchs und des Eisens kam der
Muth zu den weiten Wikingerzügen. Das deutsche Wort Segel, ags.
segele altn. segl^ im Germanischen dunkel und fremdartig, stammt
wohl aus dem Keltischen (altirisch seol^ söol^ mit unterdrücktem
gutturalen Inlaut) oder direkt aus dem lateinischen sagulum, Litauer
und Polen entlehnten wieder das deutsche Segel, litauisch zeglaSy
polnisch zagiely die Böhmen halfen sich mit der Wendung: Stück
Leinwand oder Windfang, die Südslaven brauchten Schoss für Segel,
die Russen nahmen das griechische q)aQOQ in der Form parua an —
lauter späte Sprachprodukte. — Bei den Germanen wurden übrigens
seit jenen Zeiten Gewebe aus Flachs für inmier eine Lieblingskleidung.
Der Südländer, mehr im Freien lebend, bedurfte zum Schutz gegen
die wechselnde Temperatur der Umhüllung mit WoUe; der Germane^
besonders der Nordgermane, im winterlichen Klima zur Gefangen-
schaft im Hause gezwungen, dabei mit angeborenem Sinn für Rein-
lichkeit begabt, zog das leichte glatte Linnen vor, das Abends und
Nachts in der geheizten dumpfen Hütte sich kühl an den Leib legte,
an dem jeder Fleck gleich sichtbar wurde, das häufig gewaschen
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Der Flachs. 153
werden konnte und immer weicher und schmiegsamer aus der Wäsche
kam. Ganz dieselben Eigenschaften rühmt schon Platarch de Isid.
et Os. 4 an der Leinwand: sie gewährt, sagt er, ein glattes und
immer reines Kleid, beschwert den Tragenden durch kein Gewicht,
ist passend zu jeder Jahreszeit und beherbergt keine Läuse — in
der That ist die letztgenannte Plage, an der die gepriesene Urzeit
gewiss in einem Masse litt, von dem sich unsere Idealisten nichts
träamen lassen, ein Charakterzug aller pelztragenden Völker. In
einer altnordischen Sage (die wir Weinhold, Altnordisches Leben,
S. 160, entnehmen) wird ein Meermännlein von einem König ge-
fangen: von Allem, was es im menschlichen Leben erfahrt^ gefällt
ihm dreierlei am meisten: kalt Wasser für die Augen, Fleisch f&r
die Zähne und Leinwand für den Leib. Dies ist aus dem Innersten
germanischer Empfindung geschöpft. Die dämonische Frau Berchta
imd die gleichbedeutende Holla, die als spinnende Frau gedacht
wird und der der Flachsbau angelegen ist (Grimm DM^ S. 247),
bezeugen gleichfalls als mythische Gegenbilder der il^issigen spinnen-
den Hausfrau den Werth, den das Volksgefuhl auf dies Geschäft und
auf dessen Produkt legt. Nicht bloss Silbergeräth, sondern auch
Leinwand in Fülle ist in einer Zeit, in der es weder Werthpapiere
noch Sparkassen gab, das Zeichen des Keichthums^ der Stolz und
die Yorliebe der Mutter und eine Mitgift für die Töchter. Mit
treffendem Scherz behauptet Jean Paul irgendwo, wenn der Teufel
eine deutsche Hausfrau verführen wollte, würde ihm das durch ein
Geschenk von guter Leinwand noch am leichtesten gelingen. Alexis
bei Gt)ethe ruft aus:
• Doch nicht Schmuck and Juwelen allein verschafft Dein Geliebter,
Was ein häusliches Weib freuet, das bringt er Dir auch —
Köstlicher Leinwand Stücke. Du sitzest und nähest und kleidest
Dich und mich und auch wohl noch ein Drittes darein,
und der Vater in Hermann und Dorothea meint:
Nicht umsonst bereitet durch manche Jahre die Mutter
Viele Leinwand der Tochter, von feinem und starkem Gewebe.
Denn neben andern trefflichen Eigenschaften hat die Leinwand auch
die, aufbewahrt werden zu können und für künftige Zeiten unver-
sehrt bereit zu liegen, während die Wolle mancherlei Feinde zu
ferchten hat.
Aach den westlichen Slaven war ziemlich frühe im Mittelalter
^er Flachs und die Leinwand schon bekannt. Nach Helmold 1, 12
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154 Der Flachs.
erhielt der Bischof von Aldenburg aus dem ganzen Lande der Wagrier
und Obodriten von jedem Pflug vierzig Bündel Flachs als Zins —
so dass also diese deutschen Grenznachbam schon zur Zeit als das
Bisthum Aldenburg noch bestand, Flachs auf ihren Feldern bauten.
In der von Herzog Heinrich von Sachsen und Baiem für das Bis-
thum Ratzeburg ausgestellten Dotationsurkunde vom Jahre 1158
(Mecklenburger Urkundenbuch No. 65) wird bestimmt, es solle de
unco d. h. vom Haken Landes ein Topp (d. h. Zopf) Flachs, toppus
Uni untis^ gegeben werden, dessen Anbau alao schon gewöhnlich war.
Derselbe Helmold berichtet von den Ranen auf der Lasel Rügen,
sie hätten (Anfang des 12. Jahrhunderts) noch kein gemünztes Geld,
an dessen Stelle Leinwand als Tauschwerth diene, 1, 38, 7: apud
Ranos non habetur moneta nee est in camparandis rebus consuetvdo
numorum^ sed quidquid in foro mercaH volueris^ panno lineo compa-
rabis. Ganz eben so wird in altnordischen Gesetzbüchern nach
Ellen Leinwand gerechnet, die bedeutend höher im Preise stand,
als das einheimische grobe Tuch, das ^Wadmal. Weiter nach
Osten erhielt sich die Leinwand noch lange als allgemeines Ae-
quivalent, ja noch im 18. Jahrhundert wurde sie von kau-
kasischen Völkern als Durchgangszoll gefordert, Güldenstadts
Reisen, herausgegeben von J. vonKlaproth, Berlin 1815, S. 25: „Die
Dugoren verlangten für jeden Mann meiner Begleitung fünf Hemden
oder vierzig Ellen Leinewand und zwei Hemden für jedes Pferd als
Zoll und noch für jeden Gehülfen, den ich zum Uebertragen nöthig
haben würde, fünf Hemden: so stark war aber mein Vorrath von
Leinwand nicht." Mit dem geregelten Ackerbau drang die Flachs-
kultur in das Innere des grossen ostenropäischen Flachlandes ein, vo
der Pflanze der XJeberfluss an frischem Boden in der See- und Wald-
region günstig entgegenkam. Ganze Bauerndörfer im Herzen Russ-
lands legten sich auf Lein wandweberei und wussten ihren Handtüchern
und Laken denselben rothen Rand zu geben, wie die Germanen des
Tacitus. Segeltuch wurde seit Eröffnung des Landes ein bedeutender
Ausfuhrartikel, bis die Baumwollfabrikation auftrat und den altein-
heimischen Lidustriezweig tödtete. Besonders in den feuchten Ost-
seestiichen gedieh der Flachs, den wohl die deutschen Eroberer und
Kolonisten dort einführten, wie in seinem eigentlichen Vaterlande,
und rigaischer Lein und Werg und die von dort kommende Leinsaat
ist Jahrhunderte lang eine in Westeuropa unter diesem Namen ge-
suchte Handelswaare gewesen.
Die Geschichte des Flachses bei den neueuropäischen Völkern
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Der Flachs. 155
bis zum indastriellen neunzehnten Jahrhundert hinab za verfolgen,
überkssen wir dem historischen Theil der Technologie und Volks-
wirthschaft und wollen nur erwähnen, das eine der wichtigsten Er-
findungen, die des Papiers aus linnenen Lumpen, nur durch die all-
gemeine Verbreitung und Anwendung dieser Pflanze in Europa möglich
war. Die Alten verfielen nicht darauf, da damals keine massenhaften
Abfalle zu weiterer Verarbeitung aufforderten: hätten die Lumpen
linnener Kleider, Betttucher, Tischdecken u. s. w. sich gehäuft, etwa
wie die Scherben der Töpfe, die in Rom angeblich einen ganzen
Berg gebildet haben, vielleicht wäre schon damals diese neue Ajrt
libri lintei aufgetreten^ — da doch z. B. die Charpie aus altem Linnen
den griechischen und römischen Wundärzten nicht unbekannt war.
Mit dem Anbau der Baumwolle in Westasien hatte sich auch die
Kenntniss des baumwollenen Papiers von China nach Samarkand,
Ton da durch die Araber mit Beginn des achten christlichen Jahr-
handerts nach Mekka, von Mekka nach Spanien verbreitet. In
Spanien muss dann auch die Ajiwendung alter Leinwand statt baum-
wollener Lumpen zuerst versucht worden sein: interessant ist, dass
schon seit dem 12. Jahrhundert die Ortschaft Xativa, das alte durch
seinen Flachsbau bei den Römern berühmte Saetabis, unvergleich-
liches Papier lieferte, das in den Orient und Occident versandt wurde,
s. Edrisis Geographie von Jaubert IL p. 37. Von Spanien gelangte
dann diese Kunst allmählig weiter nach Frankreich, Burgund, Deutsch-
land und Italien. (Ausführlich handelt darüber W. Wattenbach, das
Schriftwesen im Mittelalter. Leipzig, 1871, S. 92 ff.) Da aber das
Linnenpapier wiederum die spätere Erfindung der Buchdruckerkunst
.erst fruchtbar machte, da auf der Wohlfeilheit und Zweckmässigkeit
dieses Materials die allgemeine Anwendung der Schrift in Leben,
Verkehr und Staat und damit die ganze neuere Kultur beruht, so
steigt die Bedeutung der Lein pflanze in den Augen des Kultur-
historikers so hoch, dass er ihr in antiker Weise das Prädikat heilig
oder göttlich geben möchte, das ihr die Alten, die sie nur halb
kannten und nützten, beizulegen versäumt haben. Vergessen wir
aach die Malerei auf Leinwand nicht, die erst im späteren Alterthum
und auch da nur spärlich sich findet, so wie die Anwendung des
Leinöls zur Malerei, die in den Niederlanden, der alten Heimath des
Leinbaues, wenn auch nicht zu allererst erfunden, doch vervollkommnet
und zu einem edlen neuen Kunstzweige erhoben worden ist. Der
Orient möchte in alter Zeit feine Gewebe liefern und sie mit glän-
zenden Farben, wie sie in jenen Sonnenländem erzeugt werden und
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156 Der Flachs.
den Menschen gefallen, tränken und verzieren: unsere Batiste, bra-
banter Spitzen, flämischen Tafelzeuge, hervorgebracht unter Sturm
und Nebel in den Umgebungen des Oceans, können sich mit jenen
wohl messen. Auch wissen wir unsere weissen Kleider mit Laugen-
seife, einer gleichfalls altbelgischen Erfindung, wirklich zu waschen;
Nausikaa und das frühere Alterthum verstand sie nur in fliessendem
Wasser zu spülen, während die halb abergläubische, halb zweck-
mässige Technik der fullones in Rom nur mit Surrogaten operirte.
Wie aber im Mittelalter das linnene Segel, „das sich für alle be-
müht" (Goethe), die Ruderbänke entfernte und die daran geschmie-
deten Sclaven befreite, so hat in neuester Zeit der Dampf das Segel
mit seinen vielen Tauen, das immer noch so viel Hände forderte,
immer mehr zur Seite gedrängt und die Zahl der dienenden Matrosen
vermindert. Dann ist die Baumwolle gekommen, die die Alten nur
aus der Feme kannten, und hat tausend Fabriken in Bewegung ge-
setzt und Millionen Menschen bekleidet: ihr erster ernsthafter Zu-
sammenstoss mit der Leinfaser führte zu der wichtigen Erfindung der
mechanischen Flachsspindel. Wiederum trat eine Zeit der Baum-
wollennoth ein, wo der king cotton seiner Herrlichkeit entkleidet zu
sein schien und Wolle und Flachs wieder den ersten Rang einnehmen
wollten. Doch ging die Krisis wieder vorüber und, statt die Baum-
wolle fallen zu lassen, hat die europäische Arbeit angefangen, immer
mehr aus dem Reichthum der Tropenländer und fremder Welttheile
zu schöpfen und dort entdeckte neue Gespinnstpflanzen durch chemische
und technische Wissenschaft nutzbar zu machen. Wir erinnern in
dieser Beziehung nur an die Jute, das Chinagras und den neusee-
ländischen Flachs, Phormium tenax, und den bedeutenden Rang, den
diese StofiPe schon in der heutigen Industrie einnehmen. In den
klassischen Ländern, um zu unserem Ausgangspunkte zurückzukehren,
hält sich die Flachskultur ungefähr auf der Stufe des Alterthums.
In Griechenland ist sie fast null; die fluss- und kanalreichen Ebenen
der Lombardei und Venetiens bringen geschätzte Sorten von Sommer-
und Winterflachs hervor, der durch eigenthümliche, sorgfaltige, viel-
leicht aus dem Alterthum stammende Behandlung ein sehr weisses
und dauerhaftes Produkt giebt; auch Toskana, das alte Etruskerland,
die Romagna und die Marken haben noch ziemlich viel Flachs; je
weiter nach Süden, desto sporadischer wird der Anbau, und Samen-
und Oelgewinnung der Hauptzweck. Im Ganzen ist auch das heutige
Italien, trotz der zahlreichen Webstühle der Lombardei, im Punkte
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' Der Hanf. 157
der Leinwand den nördlicher gelegenen Ländern, der im Nebel sich
verbergenden Insel Hibemia, dem Lande der Bataver, dem Cherus-
kersitze Westphalen, dem Lygierlande Schlesien u. s. w., nicht eben-
börtig. Wie die Baumwolle erst durch ihre Verpflanzung nach
Amerika ein Weltprodukt wurde, so auch der Flachs erst im Norden
Europas, welcher für diese altägyptische und babylonische Pflanze
das Colonialland bildete, wie Amerika für jene ostindische.
Der Zwillingsbruder des Flachses, der Hanf, cannabis sativa^
gehört doch einer anderen Familie an, der der ürticeen, und hat sich
auf anderen Wegen und viel später über die Welt verbreitet. Die
Aegypter kannten ihn nicht — in der Umhüllung der Mumien hat
sich keine Spur von Hanffasem gefunden, — eben so wenig die
Phönizier**), und auch das Alte Testament erwähnt seiner nirgends.
Dass die Pflanze zu Herodots Zeiten in Griechenland unbekannt war^
geht aus der schon oben angeführten Stelle dieses Geschichtsschreibers
(4, 74) hervor, wo er sie seinen Lesern als eine neue beschreibt.
Die Skythen aber bauten den Hanf an und reinigten und berauschten
sich mittelst der Saat; er war also bei medopersischen Stämmen,
gleichsam im Rücken der Yorderasiaten im Gebrauch und stammte
aus Bactrien und Sogdiana, den kaspischen und Aralgegenden , wo
er noch jetzt mit Ueppigkeit wild wachsen soll (Humboldt, Ansichten
der Natur, 3. Ausg., Th. 2. S. 64: „der aus Persien nach Europa ein-
geführte gemeine Hanf"). Auch der Gebrauch des Haschisch d. h.
die Betäubung durch einen Extract aus cannabis indica findet ein
Analogen schon bei den Skythen Herodots. Hesych. xawaßig' oxv-
^ixov ^v^iafjia o rniavTriv exet dvva^iv wäre i^txind^eLv navxa tov
naqeoTÜTa. Die Thraker webten Kleider aus dieser Pflanze, die sie
diesmal nicht aus Eleinasien — denn sonst wäre sie auch den Griechen
bekannt gewesen — , sondern von ihren Nachbarn im Nordosten am '
Tyras und Borysthenes überkommen hatten. Vom Pontus und aus
Thrakien wird denn auch dies vorzügliche Material zu Seilerarbeiten
den Griechen zugekommen sein, wie noch heut zu Tage die griechische
Seemacht ihren Hanfbedarf aus Russland bezieht. Unter dem un-
veränderten Namen cannabis ^ cannabus wanderte das Gewächs in
verhaltnissmässig später Zeit auch nach Sicilien und Italien. Als
Hiero IL von Syrakus sein bei Athenäus 5, p. 206 beschriebenes un-
geheures Prachtschiflf baute, zu dem er von allen Ländern je da»
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158 Der Hanf.
Beste in seiner Art kommen Hess, wurden Hanf und Pech vom Flusse
Rhodanus in Grallien bezogen. Dort also gedieh er besonders schön
— war er von Italien aus dahin verpflanzt oder längs der grossen
kdtischen Völkerkette, die damals schon von Gallien bis Pannonicn
mid an den Hämus reichte, so weit vorgedrungen? — Von den
römischen Schriftstellern ist der Satiriker Lucilius um 100 vor Chr.
der älteste, der des Hanfes Erwähnung thut (Festus p. 356 Müller:
vidimics vinctum thomice cannabina, mit einem hänfenen Strick).
Cato nennt weder Flachs noch Hanf; das seit dem zweiten punischen
Kriege aufgekommene spanische Spartum, stipa tenacissima^ schränkte
den Hanf ein, der nicht oft genannt und also wohl auch sparsam
angebaut ward. An einzelnen fruchtbaren Stellen indess gedieh er
üppig, so in dem berühmtem Landstrich um Keate im Sabinerlande,
wo er Baumeshöhe erreichte, Plin. 19,174: rosea agriSaUni arbortm
aUitudinem aequat Der griechisch-römische Name für die Pflanze,
der ursprünglich medisch gewesen sein wird, aber auch in der
Sprache der alten Inder vorkommt t^), geht zum Beweise ihrer Her-
kunft unverändert durch alle europäischen Sprachen, im Deutchen
lautverschoben, ahd. hanaf^ ags. hänep^ altn. hanp\ Auch die deut-
schen Benennungen des männlichen und weiblichen Hanfes, Fimmel
und Mäschel, sind lateinischen oder italienischen Ursprungs, Fimmel
= femeUay Mäschel = masculuSy freilich mit umgekehrter Anwendung,
denn der Fimmel ist gerade der männliche Hanf, der aber weil er
kürzer und schwächer ist, in der Vorstellung des Volkes als der
weibliche erschien. Jetzt ist der Hanf durch ganz Europa aus-
gebreitet und spottet so sehr aller klimatischen Unterschiede, dass
Ostindien und die russischen Häfen an der Ostsee, ja Archangel in
der Nähe des Polarkreises in Betreff dieses Produktes in den eng-
lischen Markt sich theilen. Im heutigen Italien sind die Gegenden
südlich vom unteren Po ein reicher Eulturbezirk für diese Pflanze,
in welchem sie oft doppelte Manneshöhe erreicht; die Ernte wird
theils im Lande selbst zu Tauen und Segeltuch verarbeitet, theils
über das adriatische Meer ins Ausland verschifft. Der Betrieb auf
Saat, der in Russland, wo während der langen und strengen grie-
chischen Fasten das Hanföl allgemein zur Nahrung dient, eine
Hauptstelle einnimmt, ist im Süden nicht gewöhnlich. Wir bemerken
noch, dass der auf europäischen Märkten unter dem Namen Kanton-
hanf oder Manillahanf bekannte Faserstoff kein wirklicher Hanf
ist, sondern aus dem Schaft einer tropischen Pflanze, einer Art
Banane, gewonnen wird; er soll viel biegsamer, elastischer und leichter
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Lauch. Zwiebeln. 1 59
sein, als der gemeine Hanf^ ferner auf dem Wasser schwimmen nnd
im nassen Zustand, auf Reisen in den nördlichen Gegenden, nicht ge-
frieren, s. J. W. von Idüller, Reisen in Mexico, 1. 218 und Jagor,
Reisen in den Philippinen, S. 245 S.
Lauch. Zwiebeln.
Neben den Nahrungspflanzen und dem Fleisch und der Milch
der Jagd- und der gezähmten Thiere grifiPen schon die Urvölker mit
Begierde nach anregenden Gewürzen, unter denen das Salz bis auf
den heutigen Tag die erste Stelle einnimmt. Das Pflanzenreich bot
mancherlei scharfe, beissende Säfte, auf deren Entdeckung der Zufall
fahrte und die dann auf den Bergen eifrig gesucht wurden. Je nach
ursprünglicher Anlage und dem Grade der Bildung wirkten solche
Reizmittel freilich sehr verschieden auf die Meeren oder roheren
oder auch nur anders organisirten Geschmacksnerven der sich fol-
genden Menschengeschlechter. Das Silphium, das die älteren Griechen
for die köstlichste Beigabe jeder Speise hielten, gerieth später in
Vei^essenheit, angeblich weil es nicht mehr au&utreiben war, in der
That, wie wir glauben, weil sich der Geschmack veränderte; denn
bei starker Nachfrage wäre es entweder mehr im Innern Afrikas
noch zu finden gewesen oder, wenn die Pflanze endemisch war, im
Gebiet von Cyrene durch Anbau künstlich erzeugt worden. Das
laserpitmm^ das die Römer Jahrhunderte nachher für einerlei mit
dem griechischen Silphium hielten und aus Asien bezogen — ob-
gleich nachbildende Dichter und alterthümelnde Literatoren dabei
Cyrene zu nennen liebten — war wahrscheinlich ferula asa foetida^
deren Beimischung die verschlemmte Zunge vornehmer Wüstlinge
fremdartig reizte. Auch den Zwiebeln gegenüber reagirt noch jetzt
die Volksempfindung sehr verschieden. Dem niedersächsischen Ger-
manen ist der Knoblauch des Orientalen ganz unerträglich und der
Zwiebelathem des Russen eine Scheidewand, die keine Gemeinschaft
znlässt. Ja, man könnte nach diesem Kriterium die Völker in zwei
grosse Gruppen theilen, in die der alldum-y eiehrer und der alliurnn
Hasser, die nach der "Weltgegend zugleich als die nordwestliche und
die südöstliche oder in Europa als die des Mittelmeeres und die der
Nord- und Ostsee zu bezeichnen wären.
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160 Lauch. Zwiebeln.
Wenn es wahr ist^ dass die in Rede stehenden Pflanzen ur-
sprünglich im innem Asien zu Hause sind, auf dessen Steppen Bo-
taniker sie wildwachsend gefunden haben wollen, dann hat sie schon
in grauer Vorzeit Verkehr und Wanderung nach Sudwesten weiter
verbreitet, zum Beweise, wie sehr diese derbe Würze dem Natur-
menschen begehrenswerth schien. Denn in Aegypten, dessen Sitten
sich in einer Epoche festsetzten, als es vielleicht noch gar keine
Indogermanen gab, finden wir Zwiebel und Knoblauch von jeher als
Bestandtheil der allgemeinen Volksnahrung. Nach den Lauchge-
wächsen des Nilthaies sehnen sich in der Wüste die Israeliten zurück,
Num. 11, 6: „Wir gedenken — derPheben, Lauch (chazir\ Zwiebeln
(bezalim) und Knoblauch (^schumim),^ Beim Bau der grossen
Pyramide des Cheops, so erzählt Herodot 2, 165, wurden allein für
die Rettig-, Zwiebel- und Knoblauchkost der Arbeiter 1600 Talente
Silber aufgewandt, wie auf der Pyramide selbst in ägyptischen Schrift-
zeichen zu lesen stand. Da die Aegypter alle Dinge, auch das Ein-
zelnste und Greiflichste der realen Welt in das Duokel der Religion
versenkten, so konste es nicht fehlen, dass diese Lieblingsge-
wächse auch als heilige und geweihte, als Götter mit Scheu ver-
ehrt und demgemäss von Priestern und Frommen nicht berührt
wurden. Die Aegypter, sagt Plinius, schwören unter Anrufung des
Knoblauchs und der Zwiebel, 19, 101: Alium cepasque inier deos in
jure jurando habet Aegyptm. Juvenal spottet darüber, dass auf solche
Art die Götter der Aegypter im Küchengarten wüchsen, 15, 9:
Porrum et caepe nefas violare ac frangere morsu,
0 sanctas gentes, quibtis haec nascuntur in hortis
Numina! —
während der Christ Prudentius darüber entrüstet ist, contra Symmach.
2, 865:
Sunt qui quadriviis brevioribus ire parati
Villa Niliacis venerantur oluscula in hortis,,
Porrum et cepe Deos inponere nubibus ausi,
Alliaque et Serapin caeli super astra locare,
und Peristeph. 10, 259:
Adpone porris religiosas arulas,
Venerare acerbum cepe, mordax allium.
Für die Enthaltung der Priester vom Zwiebelgenuss führt Plutarch
deren eigene Erklärung an, es geschehe, weil diese Pflanze nur bei
abnehmendem Mond wachse, sucht aber seine eigenen vernünftigen
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Lauch. Zwiebeln. 161
Grande geltend zu machen: in der That schicke sich die Zwiebel
weder for fastende Süsser, noch für die, die fröhliche Feste begehen;
den ersteren wecke sie Begierden, den anderen locke sie Thränen
ins Auge (de Is. et Osir. 8). An einer anderen Stelle hatte Plutarch,
wie wir ans GeUius ersehen^ anter Anführung desselben astro-phyto-
logischen Motiys die Schea gegen die Zwiebel auf die Priesterschaft
Ton Pelosium, also auf den Localkoltos der den semitischen und
philistaischen Landen zunächst gelegenen und mit diesen durch
Handel und Verkehr eng verbundenen Stadt beschränkt^ 20, 8 : qiu)d
apud Plutarchum in quarto in Hesiodum cormnentario legi: y^cepe tum
rectrescit et congerminat decedente luna, contra autem inarescit adtUe-
scente. Eam causam esse dicunt sacerdotes Aegyptii^ cur Pelusiotae
cepe non edinty quia solum olerum omnium contra lunae augmenta
atque dofmna vices minuendi et augendi haheat contrarias — und dies
wird durch Lucian bestätigt (Jup. Tragoed. 42), während wir noch
näher durch Sextus Empiricus erfahren, dass es der Dienst des Zeus
Kasios bei Pelusium war, der die Zwiebel ausschloss, wie der der
libyschen Aphrodite den Büioblauch (Pyrrh. hypot. 3, 24, p. 184). —
In dem nahen Philistäa wird Zwiebelbau und also Zwiebelverbrauch
dorch die berühmte Zwiebel von Ascalon verbürgt, die schon Theo-
phrast, h. pl. 7, 4, 7. 8, beschreibt und nach der bis auf den heutigen
Tag die Schalotte, echalotte^ scahgno (in Deutschland vom Volks-
mnnde zu Aschlauch, Eschlauch germanisirt) benannt ist. Die kre-
tische Zwiebel war der askalonischen ähnlich oder mit ihr eins und
dasselbe (Theophr. L 1. 9.) — hatten die Philister diese Zwiebel auf
ihren frühen Wanderungen und Seezügen von einer Küste zur an-
deren gebracht? Wie die libysche Aphrodite schloss auch die Mutter
der Götter den Enoblauchesser von ihrem Tempel aus. Denn als
der witzige und gottlose Philosoph Stilpo einst sich mit Knoblauch
gesättigt und dann in dem genannten Heiligthum sich zum Schlaf
niedergelegt hatte, erschien ihm die Göttin im Traum und sagte: du
bist doch ein Philosoph und scheust dich nicht, das Gesetz zu über-
treten? Worauf er antwortete: Gieb mir was Anderes zu essen und ich
will mich des Knoblauchs enthalten (Athen. 10 p.232). — Die Israeliten,
seit sie im Wüstensande sich des ägyptischen Eüioblauchs wehmüthig
erinnerten, blieben alle Zeit unerschütterliche Freunde desselben,
sowohl vor als nach der Zerstörung Jerusalems, wie einst daheim
in Palästina, so in der Diaspora unter der Herrschaft des Talmuds
^d der Rabbinen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Sage von
dem foetor judaicus^ wegen dessen die Juden von allen Nationen alter
..gitizedbyV^OOgle
Ig2 Laach. Zwiebeln.
und neaer Zeit yerhöhnt und zurückgestossen wurden^ yon dem unter
ihnen allgemetn verbreiteten Genosse dieses streng riechenden Ge-
würzes zu allererst herrührte. Ein komischer Zag, den Ammianus
Marcellinas aus dem Leben des Marcus Aurelius erzahlt, beweist,
dass schon damals die Juden in dem erwähnten bösen Rufe standen:
als dieser Kaiser, der Sieger über die Markomannen und Quaden,
auf einer Reise nach Aegypten durch Palästina kam, da wurde ihm
Gestank und Lärm der Juden so lästig, dass er schmerzlich aus-
gerufen haben soll: o Markomannen, Quaden und Sarmaten! habe
ich doch noch schlimmere Leute, als ihr, gefunden, 22, 5, 5: lUe enim
cum Pcdaestinam trarmret^ Aegyptum petenSy foetentiwm Judaeorum et
tumultuantium (durch einander schreiend, etwa wie in den heutigen
Börsenhallen oder den sprichwörtlich gewordenen Judenschulen) saepe
taedio perdtu» dolenter dicitwr exclamas&e: o Marcomanni^ o Quocft, o
Sarmatae! tandem alio» vobis inerUores inveni. (Wenn in Griechen-
land eine Abtheilung der Lokrer Ozolae d. h. die Stinkenden ge-
nannt wurden, so rührte dieser Beiname vermuthlich nicht von einem
Nahrungsmittel, sondern von ihrer Kleidung her: sie trugen in alter-
thümlicher Weise Ziegenfelle und verbreiteten daher, wo sie er-
schienen^ eine Art Juchtenduft). — Aus dem Yerzeichniss täglicher
Lieferungen an das Oberküchenmeisteramt des persischen Hofes
ersehen wir, dass der Verbrauch von Boioblauch und Zwiebeln an
der Tafel des grossen Königs und seines Gesindes kein unbedeutender
war: ausser Kümmel, Silphium u. s. w. ist als tägliches Bedürfiuss
ein Talent Gewicht Knoblauch, ein halbes Talent Zwiebeln, letztere
von der scharfen Art, angesetzt (Polyaen. Strat. 4, 3, 32). Das hohe
Alter der Zwiebel wird dann weiter durch Homer bestätigt, der diese
Pflanze bereits unter dem Namen xqo/jvov kennt, und zwar sowohl
in der Qias als in der Odyssee. In der ersten heisst die Zwiebel
11, 630, noT^ otpovy Beiessen zum Mischtrank, den die schönlockige
Hekamede dem durstig aus der Schlacht heimgekehrten Nestor be-
reitet, in der andern, 19, 232, trägt Odysseus eine glänzende
Tunika, fein wie das Häutchen um die trockene Zwiebel. Ebenso
alt oder noch älter als diese homerischen Stellen ist möglicher Weise
der Name der einst megarischen, später korinthischen Ortschaft
Kgof^vciv, Kqefivwv^ der offenbar von der dort angebauten Zwiebel
abgeleitet ist. Megaris war auch in späteren Zeiten wegen des in
der Landschaft wachsenden und von den Bewohnern reichlieh ver-
zehrten Eüioblauchs berühmt oder berüchtigt: tj yaQ MeyaQix^
axoQoöog>6Qog, sagt der Scholiast zu Aristoph, Pac. 246, — und
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Lauch. Zwiebeln. 163
m^^arensisclie Thranen, Meya^itav ddxQva^ nannte ein Sprichwort
(bei Suidas und Hesychius) erheuchelte oder Krokodilsthränen, wie
derjenige yergiesst, der eine aufgeschnittene Zwiebel anblickt In
der ältesten Zeit, ehe das Ländchen ionisch und später dorisch wurde,
war es von Earern und später Lelegem besetzt oder heimgesucht
gewesen, und schon damals konnten von diesen schwärmenden An-
kömmlingen orientalische aUmm- Arten, eingeführt worden sein. Aus
dem Namen des mythischen Stifters der Stadt, des Eromos, des
Sohnes des Poseidon (bei Pausan. 2, 1, 3) lässt sich auf eine kürzere
Urform des griechischen Wortes für Zwiebel schliessen, welches mit
dem von der Schweiz bis nach Skandinavien hin verbreiteten Ramser,
Ramsely Rams (Schmeller 3, 92), allium ursinum L., wilder Knoblauch,
Aüermannshamisch^ Siegwurz, angelsächsisch hravisa, englisch ramsen,
ramsony buckraTm, irisch creamh^ litauisch kermusze^ polnisch trzemcha,
trzemucha^ russisch cet^emsa, ieremica^ cererrmika zusammengestellt
werden darf. — Lateinisch cepe^ caepa hat ofiPenbar sein Analogen
in dem von Hesychius aufbewahrten arkadischen xoTiia für Knob-
lauch (xaitia xa axoQoda, KeQvyfxat), die Annahme aber, dass in
dem Worte der Begriff Kopf liege, caepa capitata^ xecpaliatov^ xe-
q>al6QQita häufig bei Theophrast — diese Annahme führt in eine
ferne Sprachperiode hinaus, wo caput und x8g>aXi^ ihre Suffixe noch
nicht entwickelt hatten. Und dennoch reichen die letzteren noch in
die Zeit der europäischen Völkergemeinschaft hinauf: caput stimmt
genau zu dem altnordischen hofuth für hafuth (das gothische hattbüh
zeigt schon eine Ausartung), xecpal^ zu dem angelsächsischen hafela^
heafola (wo die Aspiration im griechischen Wort wohl dem folgenden
/ ihr Dasein verdankt). Da indess, wie sich hieraus ergiebt, die
Suffixe noch schwankten, so mochte zu derselben Zeit aujch das
mibekleidete Wort bei einzelnen Wanderstämmen, die das Alter-
thümliche bewahrten, noch fortdauern und, als der Kopilauch oder
die Zwiebel vom Orient kam, auf diese angewandt worden sein. Die
von Polybius 12, 6 berichtete ürsprungssage der italischen Lokrer
zeigt deutlich, dass unter ihnen x£q>aXi] auch den Kopf der Zwiebel
bedeuten konnte. Als sie zu allererst in Italien gelandet waren,
gaben sie den Ureinwohnern, den Sicolem, das eidliche Versprechen,
in Frieden tmd Freundschaft mit ihnen das Land gemeinsam zu be-
atzen, 80 lang^ sie diese Erde betreten und ihre Köpfe auf den
Schultern tragen würden. Sie hatten aber Erde in ihre Schuhe ge-
schüttet und trugen Zwiebelköpfe, axoQodwv xscpaldg, heimlich unter
den Kleidern auf den Schultern; nachdem sie sich beider entledigt,
*^,gitizedby Google
2g4 Lauch. Zwiebeln.
waren sie &ei vom Schwur und nahmen das Land für sich atlein
in Besitz. Und daher kam das Sprichwort Aoxqüv oiv^rnia^^)
Auch lateinisch wird in dem Zwiegespräch des Königs Numa mit
dem Himmelsgotte bei Ov. Fast. 3, 339 caput und cepa als gleich-
bedeutend vorausgesetzt:
Caede caput, dixit. Cut rex^ parebimuSy inquit^
Caedenda est hortis eruta cepa meis.
Das griechische axoQodov^ oxoqöov^ ist als „übel machend '^ erklärt
und mit dem slavischen skar^dü verglichen worden (Fick* S. 205);
die lateinischen Namen alium^ allium und ulpicum (schon bei Plautus
und Cato) wissen wir nicht zu deuten — oder sollte in dem erstem,
worauf das griechische aylig führt, ein assimilirter g- oder c-Laut
stecken? Tlqaaov hiess ursprünglich, wie das hebräische chazir^
Eraut^ Gemüse überhaupt; das davon abgeleitete nqaaio, Gartenbeet
braucht schon der Dichter, der in der Odyssee die Gärten des Alcinous
beschrieb, und giebt ihm das Beiwort xoofiriTog d. h. durch Kultur
geschafiPeu, Vernunft und Zweck ofiPen an sich tragend; ein attischer
Demos hiess Tlgaaialf ebenso eine lakonische Stadt; in der Bedeutung
Lauch ging das Wort zu den Lateinern über, in deren Munde es
porrum lautete, und in weit späterer Zeit in der Form prasü^ prazü
zu den Slaven. Der durch Herodot berühmte See Prasias trägt
seinen Namen wohl eben daher, woher in derselben Gegend der von
Aeschylos und Thucydides Bolßrj genannte See so hiess, nämlich
von einer am Ufer wachsenden Zwiebelart, vielleicht der sogenannten
Meerzwiebel, Scilla maritima. Unter den andern griechischen Be-
nennungen xidaXov (bei Hesychius), ccyXig^ yskyic^ al yelyeig, ysl-
yidovo^ai (bei Theophrast), Gen. yelyldog, yeXyld^og^ ßolßog^ oxiXla^
yr^vovj yrjTeioVy yr]&vXXig (schon bei Epicharmus) — nimmt die
letzte, yri&vXXicy ein besonderes Literesse in Anspruch, weil sich
ein reb'giöser Brauch an sie knüpft und ihr daher ein relatives Alter
verbürgt. Am Fest der Theoxenien in Delphi nämlich, das als eine
BewirthuDg sämmtlicher Götter durch Apollo gedacht war, erhielt
derjenige, der die grösste yrjdvXXigj Lauchzwiebel, mitbrachte, einen
Antheil von dem Opferschmause: der Grund war, weil Leto, da sie
mit ihrem Sohn schwanger ging. Verlangen nach einer solchen
yri^vXXig getragen hatte. So erzählt Polemon, der Perieget, bei
Athen. 9, p. 372. Sollte yrj&vovy yijdvXXig ein Compositum aus yrj
und x>vü) sein können, mit der Bedeutung Erdrauch (so auch im
Slavischen, woher das litauische dimkqs^ eine Zwiebelgattung), in
späterer Sprache xanviog^ fumariaf Lateinisch hiess das Wort
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Lauch. Zwiebeln. 165
pallacana (nach Plinius) — welches wie von pallacoy Kebsweib, ab-
geleitet aussieht.
Debrigens waren im nachhomerischen Griechenland wie in Italien
Zwiebelgewächse die allerbeliebteste, üblichste Nahrung des Volkes.
Für Athen lehrt dies fast jede Scene des Aristophanes, so wie eine
Menge gelegentlicher Aeusserungen anderer Autoren, Anekdoten, die
erzählt werden, Redensarten, die daher entnommen sind u. s. w.
Mit der steigenden Bildung und daraus fliessenden Milderung der
Sitten und feinem Reizbarkeit der Nerven schlug dann bei den
höheren Ständen die alte Vorliebe in Widerwillen um: Jemandem
Zwiebeln anwünschen, bedeutete jetzt nichts Gutes, und Knoblauch
gemessen und die entsprochende Atmosphäre verbreiten, verrieth den
Mann aus dem niedrigsten Volke oder ward als ein Ueberbleibsel
aus der rohen, bäuerischen Zeit der Väter angesehen. Als der ly-
rische König Alyattes den weisen Bias von Priene einlud, zu ihm
zu kommen, fertigte dieser den Einlader mit der kurzen Antwort
ab: nach meinem Willen soll der König Zwiebeln essen d. h. Thränen
vergiessen (Diog. Laert. Bias). Dieselbe Sage berichtet Plutarch von
Pittakus von Mitylene, dem er noch eine Erweiterung in den Mund
legt: der König solle Zwiebeln essen und heisses Brod verschlingen
(Sept. sap. conviv. 10). Dieselbe Redensart auch in Italien: in den
Eumeniden des Varro hiess es (Riese, M. T. Varronis Sat Menipp.
rehquiae, fr. 28): in somnis venit^ jubet me cepam esse. Der home-
rische Brauch, den Trunk durch den Genuss von Zwiebeln zu würzen,
der sich mehr für Matrosen als für Könige zu schicken schien, er-
regte bei den Späteren Verwunderung (Plut. Symp. 4, 3, 8). Doch
half man sich mit Unterscheidung der süssen und der herben Zwiebel;
die erstere, noch jetzt im Orient gebräuchlich, von milderem Ge-
schmack und Geruch, kann ohne Unbequemlichkeit aus freier Hand
genossen werden; nur die andere, xgSfivov ÖQifJLv, verbreitete den /a-
crimosus oder und konnte von Ennius cepe maestum^ von Varro und
Lucilius flebüe cepe^ von letzterem die talla oder tala (Zwiebelhülse)
lamTnosa genannt werden. Bei einem komischen Dichter setzen die
Athener den Dioskuren Käse, Oliven und Lauch nach alter Sitte
zum Frühmahl vor (Athen. 4, p. 137) — und dasselbe wendet Varro
ia mehr römischer Weise so, die Worte der Vorfahren hätten woU
nach Knoblauch geduftet, um so edler sei aber der Hauch ihres
Gdstes gewesen, bei Non. Marc. 3, p. 201: avi et atavt nostri, cttm
olium ac cepe eorwm verba olerent, tarnen optume animati erant
Schon bei Plautus ist, wie bei Aristophanes, Knoblauchgeruch das
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166 Lftnch. Zwiebeln.
Zeichen des Armen und erregt dem Edlen heftigen Ekel, MostelL
1,1,38:
Ät te Jupiter
Dique omnes perdant : fu, oboluisti alium^
worauf später der Andere sagt:
Tu tibi istos hdbeas turtures, piscis, avis^
Sine me aliatum fungi fortunae tneae —
und bei Naevius (in Apella, Prise. 6, 11, p. 681) kam der Yers vor:
ut iUum di ferant^ qui primum holitor cepam protulit.
Bekannt ist die an Mäcenas gerichtete dritte Epode des Horaz, in
der der nervös organisirte Dichter seinem ganzen Abscheu gegen
den Ejioblauch halb ernst, halb scherzend Luft macht. Hart ist das
Eingeweide der Schnitter, ruft er aus, — deren Arbeit in der That
bei der Sommerglut des Südens zu den allerschwersten gehört, die
darum viel vertragen können, und die auch bei Vergil sich mit
Knoblauch stärken, Ecl. 2, 10:
Thestylis et rapido feem messoribus aestu
Alia serpyüumque herbae contundit dentis.
Mir scheint es, fährt er fort, ein Gift, das eine böse Hexe mir bei-
gebracht hat! Gebt es künftig den Verbrechern statt des Schierlings-
bechers! Es versengt mir die Glieder, wie die Sonne Apoliens, wie
das Nessusgewand den Körper des Herkules! Sollte jemals, o
Mäcenas, eine Laune dich verführen, von diesem Kraut zu gemessen,
dann möge die Geliebte deinen Kuss abwehren und fem von deiner
Umarmung an das unterste Ende des Lagers sich flüchten! — Der
letzere Gedanke: „das Mädchen küsst dich nicht, wenn du Lauch
gegessen hast^ (man könnte in modemer Weise sagen: wenn du
Tabak rauchest oder schnupfest, — aber die heutigen Damen —
rauchen selbst!), dieser Gedanke kehrt bei griechischen und rö-
mischen Dichtem auch sonst wieder, z. B. bei Martial 1, 3, 18:
Fila Tarentini gramter redolentia porri
Edisti quotiens, oscula clusa dato —
und in einer Komödie des Alexis oder Antiphanes enthält sich der
noQvog^ wenn er mit guten Gesellen speist, des Lauches, um dem
Geliebten keinen unreinen Athem entgegenzubringen (Athen. 13,
p. 572). Umgekehrt that Niceratus seiner eifersüchtigen Frau wegen,
bei Xenophon Symp. 4, 8: „Charmides sagte: Hochgeehrte Herren,
der Niceratus hier liebt es mit einem Zwiebelathem nach Hause zu
kommen, damit seine Frau überzeugt sein könne, es habe Niemand
es sich einfallen lassen, ihm einen Kuss zu geben/ Auch bei Ari-
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Laach. Zwiebeln. 167
stophanes ThesmopL 493 kaut die ungetreae Fraa gegen Morgen
EJQoblaucli, um dem von der Wache heimkehrenden Manne dadurch
ihre Unschuld zu beweisen.
Nach einer anderen Seite hin schaffite der durchdringende Ge-
ruch und Geschmack der Zwiebel und dem Knoblauch auch aber-
gläubische Heilkraft, besonders die Eraft^ bösen Zauber zu brechen
und eingeflösstes Gift unwirksam zu machen. Denn alles Stark-
riechende hat diese abwehrende, das Feindselige erstickende Macht,
wie auch der dampfende Schwefel als xaxüv axog die durch Mord
befleckte HaUe reinigt. Eine Schrift über die Heilkraft der bulbi
wurde auf Pythagoras zurückgeführt, Plin. 19, 94: untMn de üs (bulbU)
vohtmen (xmdidU Pythagoras phtlosophusy coüigem medicas viresy und
der Knoblauch war Bestandtheil vieler Arzneien, besonders bei
dem Landvolk, ibid. 111: altum ad multa ruris praecipue medicor
menta prodesse creditur. Derselbe Philosoph sollte gelehrt haben,
eine an der Schwelle der Thür angebrachte Meerzwiebel wehre dem
Uebel den Eintritt, Plin. 20, 101: Pyihag<yras scülam in limine quoqm
ianuae suBpensam malorum introitum pellere tradity und auf denselben
Glauben zielt ein Fragment des Aristophanes (bei Suidas v. avXeiog^
mit Meinekes Correctur): nQhg tbv aTqoq>ia xriq avXelag axivov
x€<paliiv xctTOQvrreiv. Da in der bei allen Griechen berühmten
Stelle der Odyssee das Ejraut f^äXv — von den Göttern so benannt,
niit schwarzer Wurzel und milch weisser Blüte, den Menschen schwer
zu graben, den Göttern, die alles können, leicht zuganglich — den
Odysseus stark macht, die Künste der Circo zu vereiteln, so wurden
später in den verschiedenen Landschaften bald diese bald jene zu
Gegenzauber dienende Kräuter und Wurzeln mit dem schon zur Zeit
des Dichters der Abenteuer mit der Circe nur in der Göttersprache
noch vorhandenen, nachher ganz verschollenen Namen fitSlv be-
zeichnet, darunter auch die aus der Gattung allium. So wuchs in
gewissen Gegenden Arkadiens, wie Theophrast in dem für die popul&re
d. h. älteste Heilmittellehre überaus wichtigen 15. Kapitel des 9. Buches
seiner Pflanzengeschichte berichtet, ein Kraut fiOjXv, mit runder
zwiebelf5rmiger Wurzel, mit Blättern denen der Meerzwiebel ähn-
lich, als Gegengift und zur Abwehr von Zauber dienlich, sonst ganz
zu Homers Worten passend, nur im Widerspruch mit ihnen ganz
leicht zu graben. Im Norden Kleinasiens und in der Pontusgegend,
dem Gebiet der Gifi;e und Gegengifte, der Zauber und Gegenzauber,
der blutstillenden und gegen Schlangenbiss feienden Wurzeln, an
dessen Aberglauben und magischen Yerrichtungen auch dieNachbar-
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168 Lauch. Zwiebeln.
lander, Thessalien und Thrakien auf der einen, Eolchis auf der
andern Seite Theil nahmen, in dem kleinasiatischen Gralatien und in
Kappadokien trug die Bergraute, nijyavov äyQiov^ ruta graveolem
oder montana L., den homerischen Namen fiuXv und diente ohne
Zweifel zu Averruncationen (Dioscor, 3, 46). Diesen Namen hatten
die griechischen Ansiedler des Pontus mit ihrem Homer in das gift-
und zauberkundige Land mitgebracht, und in die kappadokische
wie in die galatische Sprache war es mit andern Gräcismen über-
gegangen. Denn wenn auch fxwXv ursprunglich ein Fremdling war,
— dass das vorauszusetzende Mutterwort sich nach so viel Jahr-
hunderten bei den eingewanderten Galatem und den fernen Eappa-
doken lebendig erhalten hätte, erscheint uns hundertmal minder wahr-
scheinlich, als dass, wie in anderen Fällen, auch hier Homer die
gemeinsame Quelle war.
Die Germanen lernten die eigentliche Zwiebel oder Bolle von
Italien aus kennen, wie diese Namen lehren (beide aus ital. cipoUa,
dies aus dem spätlateinischen cepuUa). Aber ein anderes merkwür-
diges Wort geht nördlich der Alpen quer von West nach Ost durch
die drei grossen Racen der Kelten, Germanen und Slaven, in der
ursprünglichen Bedeutung herba, herba sttcctdenta, dann in der de-
terminirten porrum^ cepe^ aUium, Altirisch Zw«, kymrisch llysiau^
comisch fes, herba^ porrwm (s für älteres a, wie des» = dexter^ sess =
sea, 688 = goth. auhaa^ auhsuSy der Ochse u. s. w.); altn. laukr^ ags.
ledc^ ahd. Ixmh (also gothisch lauks)\ slav. luku^ lit. lukai plor.
Dass hier nicht etwa Urverwandtschaft, sondern Entlehnung vorliegt,
lehrt 'die gleiche Consonantenstufe im Deutschen und Slavischen;
von wo aber ging das Wort aus, und in welcher Richtung wanderte
es? Grimm Gr. 2, 22 leitet laukr vom gothischen Ivkan claudere ab
(welches Verbum selbst sich ein wenig der Analogie entzieht) und
erklärt: ab aperiendo folia; danach wäre das Wort bei den Deut-
schen entstanden und rechts und links von Slaven und Kelten er-
borgt worden — kulturhistorisch wenig glaublich. Da die Urbedeu-
tung herba bei den Kelten am meisten erhalten geblieben, die enger
fixirte cepa^ porrvm bei den Slaven, wie es scheint, die einzige ist;
da die Kelten, wie in allen Zweigen kultivirten Lebens, so auch im
Grarten- und Gemüsebau den weiter östlich in halber Wildheit ver-
bliebenen verwandten Stämmen um Jahrhundejrte vorausgingen, so
scheint uns der Lauch und der Name dafür eher aus Gallien an die
Ostsee, als vom Smensee und oberen Dniepr, Gegenden, die die
Slaven noch zu Tacitus Zeit als Räuber durchstreiften, zum Rhein
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Lftuch. Zwiebeln. 169
und zu den Fruchtgefilden und Städten an der Sequana und dem
Rhodanos gekommen zu sein. Das auslautende 8 des keltischen
Wortes konnte yon den Deutschen als Nominativzeichen empfunden
and als solches weggelassen worden sein. Doch muss hier Alles,
wie natürlich, nur Vermuthung bleiben. Die Alazonen und Ealli-
piden in der Nähe Olbias am schwarzen Meer bauten zu Herodots
Zeit, 4, 17, xQOfifiva xai axoQoda^ doch waren diese halbhelleni-
sirten Skythen den nachmaligen Slaven räumlich nicht näher, als sie
es bald den heranziehenden Kelten wurden, geistig aber viel femer.
Bei den Thrakern war die Zwiebel altherkömmlich uud unentbehr-
lieh) wenn wir nämlich dem Komiker bei Athen. 4^ p. 131, der die
thrakischen Hochzeitsgebräuche schildert, trauen d&rfen: dort er-
lödten bei der Vermählung des Iphikrates mit der Tochter des Kö-
nigs Kotys die Neuvermählten ausser andern kostbaren Geschenken
einen Krug Schnee, einen Keller Hirse und einen zwölf Ellen hohen
Topf Zwiebeln :
Xtovog Te uqoxovv xiyxqwv xa aiQov
ßoXßaiv %e %vtQav diodexdnrjxw.
Die thrakischen ßolftoi gehörten wohl demselben Kulturkreise an^
wie die xgoftva des Homer, und haben mit dem des europäischen
Kordens nichts zu thun. AJs die Slaven später in die Wohnsitze
der Thraker rückten, wurden sie die Erben des thrakischen Hirse
und der thrakischen Zwiebel. Im germauischen Noi^den scheint
der laukr magische Klraft gehabt zu haben, wie in Kleinasien und
Griechenland. Er wird in den Trank geworfen, um diesen vor Ver-
rath zu schützen, Lied von Sigurdrifa 8 (nach Simrocks Ueber-
setzong):
Die FülluDg segne^
Vor Gefahr Dich zu schützen,
Und lege Lauch in den Trank.
So weiss ich wohl
Wird dir nimmer
Der Meth mit Meineid gemischt.
Als Helgi geboren war und Sigmundr, sein Vater, aus der Schlacht
heimkehrte, da trug er edlen Lauch (itrlatck), Erstes Lied von Helgi
dem Hundingstödter, 7:
Der König selbst
Ging aus deoQ Schlachtl&rm,
Dem jungen Helden
Edlen Lanch zu bringen.
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170 Lauch. Zwiebeln.
Grimm DM' 1165 fülirt dazu die Yölsongasaga Cap. 8 an und
fügt hinzu: „es erhellt nicht, ob der König als heimkehrender Sieger
Lauch trug, oder weil es Sitte war, beim Namengeben ihn zu tragen.*'
Da der Allermannshamisch dem Namen gemäss den Mann beschützt
und als Siegwurz, aUium victoriale^ den Sieg verleiht, so scheint die
erstere Erklärung sich mehr zu empfehlen. — Unser Knoblauch
ist verdorbene neuere Aussprache für Kloblauch, ahd. chlopolouh,
cMovoUmh^ welches Grimm als gespaltenen, zerriebenen Lauch,
von klieben^ klauben, erklärt hat; dass das richtig ist, beweist das
slavische iesnükü, iemtct^ welches von ce^aü pectere^ rädere' abgeleitet
ist. Das angelsächsische gdrUdc^ engl, garlich^ altirisch gakieog
(entlehnt), altn. geirlaukr besagt soviel als Spiesslauch. Ein in
althochdeutschen Glossen vorkommendes surio, snrro für cepoy porrum,
und das litauische stoogunaa Zwiebel, notiren wir, ohne eine Erklärdng
geben zu können. — Das Gegentheil von Kjioblauch drückt das
bäuerisch lateinische Wort unio bei Columella aus, d. h. die einfache,
einzige Zwiebel, aus dem das französische oignon entstanden ist —
denn dass dies unio nicht lateinisch, sondern nur Wiedergabe einer
altgallischen Benennung der Zwiebel wäre, wie Stockes Irish glosses
Nr. 862 andeutet, kommt uns diesmal weniger wahrscheinlich vor.
Das französische cive^ cwette^ Schnittlauch, ist nichts als das latei-
nische caepa.
Ln europäischen Süden ist heut zu Tage Zwiebel und Knob-
lauch ganz eben so gesucht und gemieden, wie zu Zeit des Ari-
stophanes und Plautus. In Italien versäumt kein Bauer, w^m er
irgend kann, etwas Knoblauch im Garten zu ziehen xmd ihm fleissig
zuzusprechen, während der Gebildete sich dieser Würze zu enthalten
oder vorsichtig zu bedienen pflegt. Dass Spanien ein noch ärgeres
Knoblauchland ist, als Italien, ist bekannt; wir erinnern nur an die
köstliche Scene im Don Quixote, wo der edle Ritter an der Heer-
strasse eine Bäuerin heranreiten sieht, sie für die schöne Dnlcinea
von Toboso hält, in seiner Liebeshuldigung aber durch den stechen-
den E^noblauchsgeruch, der von dem vermeintlichen Edelfränlein aus-
geht, etwas gestört wird und den unglücklichen Umstand durch die
Tücke der Zauberer erklärt^ die ihn schon so lange verfolgen und
nun auch den süssesten, lange ersehnten Moment seines Lebens durch
solches Missgeschick verderben. — In Byzanz war der Zwiebel-
verbrauch, sogar an der Kaiserlichen Tafel, so stark, dass Liudprand,
der Bischof von Cremona, der doch selbst ein Italiener war, dies
Uebermass anstössig fand. „Der Beherrscher der Griechen, sagt er
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Lauch. Zwiebeln. Kümmel. 171
in seinem Gesandtschaftsbericht yom Jahre 968, trägt langes Haar,
Schleppkleider, weite Aermel nnd eine Weiberhaabe . . . . , nährt sich
von Knoblaach, Zwiebeln and Lauch nnd säuft Badewasser^ (d. h.
mit Harz und Gips versetzten Wein). Und ein ander Mal: „Er be-
&I1I mir zu seiner Mahlzeit zu kommen, die t&chtig nach Knob-
laach and Zwiebeln duftete und mit Oel und Fischlake besudelt war.^
Ganz um dieselbe Zeit freilich machte ein Orientale, der Geograph
Ibn-Hauqal, einer occidentalischen Stadt, der Hauptstadt von Sicilien,
denselben schmähliclien Vorwurf. In seiner Beschreibung von Pa-
Wmo (ed. de Goeje S. 86 ff. und im Auszuge bei Jäqüt) schreibt
er den Einwohnern alle möglichen Laster und Thorheiten zu, nennt
sie stampf und gottlos, lau zu allem Guten, geneigt zu allem Bösen;
die Wurzel dieses traurigen Zustandes, fügt er hinzu, ist die Ge-
wohnheit, die bei ihnen herrscht, Morgens und Abends rohe Zwie-
beln zu essen, wodurch ihr Hirn verstört und ihr Sinn abgestumpft
wird. Man sieht dies an ihrem Benehmen, an ihrem Aussehen: sie
trinken lieber stehendes, als fliessendes Wasser, scheuen sich vor
keiner stinkenden Speise, sind schmutzig amLeibe, ihre Häuser sind
unrein, in den prächtigsten Wohnungen laufen die Hühner herum
IL s. w. Zur Erklärung dieser Stelle seines Vorgängers führt Jäqüt
das Zeugniss eines medicinischen Buches an, wonach die Zwiebel so
sehr das Gehirn und die Sinne betäubt, dass nach deren Genuss der
Esser übelriechendes Wasser nicht mehr als solches erkennt (bei M.
Aman, Storia dei Musulmani di Sicilia^ H, Firenze 1858, p. 307).
Ob hier nicht der alte Glaube an die Wunderkraft der Zwiebel noch
nachwirkt, nur dass sich, wie so oft, der behütende Zauber in den
bethörenden umgesetzt hat?
Aus dem Orient stammen auch zwei andere Gewürzpflanzen,
die wir hier gleich anschliessen, der Pfefferkümmel, caminwrn cy^
mnum L,j und der Senf, sinapis alba und nigra L. Bei dem er-
steren liegt dies in dem griechischen Wort xvfiivov unmittelbar zu
Tage. Das hebräische kammon muss in den übrigen semitischen
Sprachen ähnlich gelautet haben: aus einer derselben stammt die
griechische Form, die weiter das römische cummum abgab, aus wel-
diem letztem dann wieder alle europäischen Namen abgeleitet sind —
nnr dass die Deutschen sich die Endung etwas mundgerechter machten,
die Polen mit Ausstossung des Vocals kmin sagten und daraus die
Bossen endlich mit Herstellung der beliebten Verbindung tm statt
fei ihr tmin schmiedeten. Der Weg, auf dem dies Gewürz wanderte,
ist also der bei zahlreichen Eulturobjecten beobachtete und kultur-
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172 Kümmel.
geschichtlich, sozusagen, normale. Theophrast berichtet, zum Ge-
deihen des Kümmels gehöre, bei der Saat Fluche und Lästerungen
hören zu lassen (h. pl. 7, 3, 3 und 9, 8, 8). Diesem Aberglauben
liesse sich vielleicht eine Deutung abgewinnen, aber auf die Herkunft
der Pflanze fiele dadurch, so viel wir sehen, kein neues Licht. Nach
Dioskorides 3, 61 war der äthiopische Kümmel der beste, der von
Hippokrates der königliche genannt worden sei. In unserm jetzigen
Hippokrates findet sich nichts von einem xvfitvov ßaaikixov^ und
Dioskorides bezieht sich entweder auf eine jetzt verlorene Schrift,
die unter dem grossen Namen des koischen Arztes ging, oder, was
wahrscheinlicher ist, sein Gedächtniss war ihm hier untreu. Am
persischen Hofe wurde allerdings nach der bereits angeführten Stelle
des Polyaenus auch äthiopischer Kümmel verbraucht und zwar tag-
lich sechs xaTihieg^ welches persische Mass dem attischen xohi^
gleich war. Nach dem äthiopischen Kümmel kam als nächstbeste
Sorte der ägyptische; unter dem erstem würde also der oberägyptisch-
nubische zu verstehen sein, wenn wir nicht vorzögen, an den vom
rothen Meer zu denken: da ja Aethiopen auch in Indien gedacht
wurden. Der Kümmel, fahrt Dioskorides fort, wächst auch in dem
kleinasiatischen Galatien und in Cilicien, sowie im Tarentinischen
(durch Verpflanzung): in der That bezieht ihn auch das heutige
Griechenland aus levantinischen Häfen, besonders aus Smyma, und
Apulien treibt starken Kümmelbau und lebhaften Handel mit dem
geemteten Produkt. Innerhalb des römischen Reiches — so ergänzt
Plinius die Angaben des Dioskorides — gilt der Kümmel von Car-
petanien im Herzen Spaniens für den besten, sonst der äthiopische
und afrische oder auch der ägyptische, 19, 161: in Carpetania nostri
orbis maanime laudatur^ alioqui aethiopico ajricoqae pcdma est quidam
huic aegypUcum praeferunt — Im ganzen Alterthum war übrigens
der Kümmel als ein mildes, anregendes, wohlschmeckendes Gewürz
beliebt. Bei einem Dichter der mittleren Komödie, sind Kraut,
Kümmel, Salz, Wasser und Oel die gewöhnlichsten Küchenrequisite,
um einen Fisch anzurichten (Athen. 7, p. 293) und bei Plinius reizt
der Kümmel einen verdrossenen Magen am angenehmsten, 160:
fctötidüs cvminum amicimmum. Wie das Salz ein Symbol der
Freundschaft war, so auch Salz und Kümmel: ol nsgi ala xai
xvfivvov sind soviel als vertraute Freunde (Plut. Symp. 5, 10, 1).
Der Kümmel galt für ein hochstrebendes Kraut, in sublime tendenSy
wie schon Pythagoras anerkannt haben sollte, und besass die Kraft;,
rothe Wangen zu bleichen, daher easangue cuminum bei Horaz und
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Kümmel Senf. 173
faUentis grana cumini bei Persius. Ehe der Pfeffer erfunden war
oder in allgemeinen Gebraach kam, spielten Samen, wie der römische
EämmeL der Schwarzkümmel, nigella sativa^ der Koriander, xoqLavvov^
a. s. w. natürlich eine wichtigere Rolle. Darunter heben wir den
Schwarzkümmel hervor, weil er bei den Römern den orientalischen
Namen ffit^ gith führt und seinen Ursprung also an der Stirn trägt.
Er kommt schon bei Plautus Rud. 5, 2, 39 vor, wenn anders die
Stelle nicht verdorben ist ; später wird er von Columella und Plinius
als etwas Gewöhnliches genannt. Da er bei den Griechen anders
heisst, Plin. 20, 182: git e^ Graects alii melanthium, alii melaspermon
vocanty so kann er nicht über Griechenland nach Italien gekommen
sein — von wo anders also in so früher Zeit, als vom karthagischen
Afrika? In der That berichtet ein Zusatz zu Dioskorides 3, 64, die
Afrer nennten das xoQiavvov (d. h. Wanzensamen, Koriander) yoiS,
Lesen wir dies Wort nach spät griechischer Aussprache gid^ so ist
dieser Name derselbe, wie der römische für nigella saüva^ an den
sich auch der althebräische gad für Koriander anschliesst. Ob dies
gad ursprünglich semitisch oder selbst wieder entlehnt ist, kann uns
hier gleichgültig sein; auch dass die Pflanzen verschieden sind, macht
bei der Ungenauigkeit und Unbeständigkeit der Volks- und popu-
lären Handelssprache des Alterthums keine Schwierigkeit. — Der
eigentliche in Mitteleuropa einheimische Kümmel, carum carvi, ist,
wie bekannt, bis auf den heutigen Tag ein vielgebrauchtes, will-
kommenes Gewürz geblieben, das auf dem Brode, im Käse, Kohl u.
s. w,, besonders aber im Branntwein als Doppelkümmel auch den
Hyperboreern gar sehr, oft nur allzusehr mundet.
Auch der Senf wird schon von den attischen Komikern als
wohlbekannte, beissende Substanz erwähnt, die zwar zu Thränen
and Gesichtsverzerrung reizt, aber trefflich sich eignet, eine abge-
schmackte Kost zu stärken und zu beleben. Die Attiker nannten
ilm vanv^ während der hellenistische Name aivani^ aivanv und da-
nach der lateinische sinapi^ sinape oder senapis war. Die erstere
Form, die auch in in der Erweiterung vdneiov vorkommt, stimmt
aofilftllend mit dem lateinischen napics^ die Steckrübe, überein, mit
welcher letztem die Senfstaude einige Aehnlichkeit hat und deren
Namen sie annehmen oder der sie den ihrigen geben konnte. NSnv
teisst der Senf bei allen Aelteren (z. B. Aristoph. Eq. 631) und
aach Theophrast sagt nie anders, bis seit der macedonischen Zeit die
ttna die Silbe oi längere Form auftaucht, zuerst bei einem Dichter
der neueren Komödie, Athen. 9, pag. 404:
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174 Senf.
aivani Tovrotg naQorl&Tjfii xai noiw
Xvloifg ixofiivovg dQi/ÄvrriTog, ttjv q)vaip
tva öieyelQag TtvBvpLaTui tov ÜQa.
Der Verfiasser dieser Verse wird im überlieferten Text Anthippus
genannt; da ein solcher Name unerhört ist, so haben die Heraus-
geber dafür Anaxippus gesetzt, welcher Dichter zur Zeit des An-
tigonus und Demetrius Poliorcetes lebte. Noch älter indess wäre
das abgeleitete Verbum aivani^siv^ Athen. 9, 367 : to d^vydtQiow ti
fiov aeoivanixe dia tijg ^ivrjg — wenn die Worte in Ordnung sind
und der Urheber derselben, Xenarchus, richtig zur mittleren Komödie
gerechnet wird. Bei dem alexandrinischen Dichter Nicander ist der
vollere Name häufig und seitdem das altere vanv ausser Gebrauch
und nur noch literarisch vorhanden. In Italien herrscht sinapis^ se-
napis ausschliessUch (schon bei Ennius und Piautas), während napus^
wie gesagt, nur die Kohlrübe bedeutet. In welchem Verhaltniss
beide Formen zu einander stehen — denn dass sie vöUig unabhängig
von einander und also der Gleichklang nur zufallig wäre, scheint
doch nicht annehmbar — und wie die Vorsatzsilbe hinzutreten oder
wegfallen konnte, darüber haben wir keine Meinung. In den Cre-
setzen der Sprache, aus der das Wort entnommen wurde, konnte
diese Doppelform begründet sein, aber welches war diese Sprache?
In Athen galt für den besten Senf der von der Insel Cypem, vanv
KvTtQoVj wie wir aus den Versen des Eubulus bei PoUux 6, 67 und
Athen. 1, 28 ersehen. Benfey, Griech. Wurzelwörterb. 1, 428, stellt
eine Vermuthung auf, wonach das Wort ursprünglich sanskritisch,
dann in persischem Munde umgestaltet, endlich noch mehr verwandelt
zum griechischen aivani geworden wäre — der Sache nach nicht
unmöglich, ob aber lautlich ohne Gewaltsamkeit? Aegyptische Wörter
wie oili und aiaeXig^ oaQi (ägyptische Wasserpflanze) und otaagov,
femer xofifiiy xlxi oder xlxi, xvcpi, afifii^ avi/ifii oder avißL u. s. w.
lassen uns auch für vanv und aivani. auf ägyptische Herkunft
rathen. — Das ital. mostardoy franz. moutarde u. s. w. stammt von
dem Most, mtistum, mit dem der Senf angemacht wurde, der deutsche
Senf aber wie der Essig, die Zwiebel, der Kümmel, das Oel und
der Salat, wie Lattich, Endivie, Cichorie, Kresse, Sellerie, Petersilie,
Fenchel, Anis und vieles Andere — aus Italien.
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Linsen. Erbsen. 175
Linsen und Erbsen.
Nahe der Zeit nach schliessen sich an den ersten Anbau der
mehlreichen Grraser auch die noch jetzt gebräuchlichen Hülsen-
früchte an, in manchen Gegenden den ersteren an Rang und
Nutzen fiäst ebenbürtig, sei es zur Ernährung des Menschen oder
als Thierfutter oder als Brach- und Zwischenfrucht, und auch darin
jenen gleichkommend, dass ihre Kömer — ein sehr -wesentlicher
Vorzog — nicht vergänglich sind, sondern sich lange aufbewahren
und in die Feme tragen lassen. Von der Bohne, als einem sehr
alten Nahrungsmittel, ist an einer andern Stelle (Anmerk. 18) im
Vorübergehen gesprochen; auch Linse und Erbse mussten in den
Ländern, wo sie wild wuchsen, frühe unter den Kräutern des Feldes
dardi ihren essbaren Samen den Hirten bemerkbar werden; von da
an war, als Noth und Beispiel dem schweifenden Leben immer
aigere Grenzen steckten, bis zur künstlichen Ausstreuung derselben
nur ein Schritt. Wo aber wuchsen sie wild? und von wo ging
folglich ihre Kultur aus? Da die Naturforscher bis jetzt darüber
nichts Bestimmtes auszusagen wissen, so finden wir uns wieder
aof die uralten Zeugnisse zurückgewiesen, die in den Sprachen
niedergelegt sind und von den sich folgenden Menschengeschlechtern
in onbewusstem Thun bis in die Zeiten weiter gerettet wurden, wo
das historische Morgengrauen anbricht. Aber auch dort scheint
diesmal nur ein vieldeutiges, unbestimmtes Orakel auf unsere Frage
ZQ antworten. Erstlich sind die bezüglichen Namen zum Theil von
so allgemeinem Charakter, dass sie sehr alt sein können, die Fmcht
aber, die sie benennen, jung; zweitens steigt mitten in der Freude,
bei getrennten Völkern eine übereinstimmende individuelle Bezeich-
nung zu finden, der böse Zweifel auf, ob nicht Kulturunterricht
ganz später Zeit d. h. Entlehnung das Wort weiter getragen; drittens
entzieht sich auch in dem letzteren Falle, der immerhin belehrend
sein würde, oft der Zusammenhang selbst unseren Blicken d. L es
bleibt oft fraglich, ob die Ueberlieferung von Nord nach Süd
n. 8. w. oder in umgekehrter Richtung geschehen sei. Nur so viel
erkennen vnr mit einiger Deutlichkeit, dass die Linse schon ein
Besitz der vorindogermanischen Kultur und den europäischen Völkern
^on Südost her zugekommen ist, dass umgekehrt die Erbse — wir
^^Afisen unter diesem Namen alle verwandten Arten zusammen ^ dem
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176 Linsen. Erbsen.
Norden d. h. dem mitderen Asien angehört und sich von dort am
Pontus vorüber den Weg nach Europa gebahnt hat
Die Linse in Aegypten, namentlich bei dem semitischen Grenz-
ort Pelasium und sonst im Nildelta, wo Phacussa oder Phacussae,
die Linsenstadt, lag, ist vielfach bezeugt. Um die Pyramiden sah
Strabo 17, 1, 34 die Abfälle von den behauenen Steinen in Gestalt
kleiner, linsenförmiger Kömchen haufenweise liegen und die Leute
behaupteten, dies seien versteinerte Reste der dort von den Ar-
beitern gehaltenen Mahlzeiten — woraus wenigstens erhellt, dass
man sich jene ältesten Steinmetzen schon als linsenessend dachte.
Dass die Frucht auch den alten Hebräern nicht fremd war, weiss
Jeder aus der sogenannten biblischen Geschichte, mit der man seine
früheste Jugend aufgezogen hat. Der Erzvater kochte einen Linsen-
brei, und so köstlich war diese Speise, dass der ältere Sohn dem
jüngeren dafür das Recht der Erstgeburt verkaufte. Und den David,
da er in der Wüste verweilte, versehen seine Freunde ausser anderen
Lebensmittehi auch mit Linsen, 2. Sam. 17, 28: „brachten ....
Weizen, Gersten, Mehl, Sangen (geröstete Aehren), Bohnen, Linsen,
Grütz, Honig, Butter, Schaf und Rinder, Käse zu David und zu
dem Volk, das bei ihm war, zu essen, denn sie gedachten, das
Volk wird hungrig, müde und dürstig sein in der Wüsten.*' Der
althebräische Name dafür adaschim ist noch der heutige bei den
Arabern und auch von den Persem adoptirt worden (Ol. Celsius,
Hierobot. 2, 103 fiF.). Den Griechen, den Zöglingen der Semiteo,
konnte auch diese Frucht nicht lange verborgen bleiben. Zwar
Homer erwähnt sie nicht; aber in Athen ist seit der Mitte des
fünften Jahrhunderts das Linsenessen schon eine Sitte des niederen
Volkes, deren sich der Begüterte und Gebildete enthält, und hat
also bereits eine lange Geschichte hinter sich, z. B. Aristoph.
Plut. 1004: „jetzt wo er reich geworden ist, mag er Linsen nicht
mehr; früher, da er noch arm war, ass er was ihm vorkam.^ „Nur
keine Linsen, ruft eine Person bei dem Komiker Pherecrates (Athen. 4
p. 159), wer Linsen isst, riecht aus dem Munde.*' Die Griechen
nannten die Linse und das Gericht daraus ^xxx^, die Pflanze und
ihre Frucht (paxog — mit einem dunklen Worte, das ganz einsam
steht d. h. in keiner verwandten Sprache sein Analogen hat, auch
nicht nach Italien weiter gewandert ist. Denn bei den Römern, wo
schon der alte Cato in seiner Landwirthschaft Linsen säen und
Linsen mit Essig behandeln lehrt und bei Todtenmählem den Ver-
storbenen Linsen und Salz vorgesetzt wurden (Plut. Grass. 19),
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Linsen. Erbsen. 177
tragt die Fracht den gaoz abweichenden Namen fens, lentis — der
also nicht aas griechischer Quelle stammt Aus welcher aber? Wir
haben nicht einmal eine Yermathang darüber. Auch aus dem
Lateinischen selbst bietet sich keine Ableitung. Ist, wie in dem
ähnUch klingenden lens, lendüy nach lateinischer Weise ein An&ngs-^
oder -g abgefallen? oder dürfen wir an lenim^ lenü denken? — Auf
dem richtigen Wege gelangte die Linse weiter aus Italien über die
Alpen nach Deutschland und zu Litauern und Slaven. Althoch-
deutsch Imsiy mittelhd. Imse aus dem Lateinischen; litauisch lenszisy
slavisch leita^ lesUca^ Uica^ UicOj magyarisch lensce u. s. w. — Alles
nar das im barbarischen Munde nach Bedürfiiiss umgemodelte
lateinische lens^ lentis. Die Slaven haben daneben noch einen
anderen Ausdruck: socivOy lens^ auch legumen überhaupt, novella
triüci ffrancLy lupinuSy in den lebenden Sprachen gewöhnlich in ver-
längerter Form; russ. cecemcoy mcemca, poln. soczevica^ coczka^ czech.
coiamcey socomce. Damit vergleicht sich das altpreussische licutkekers
LiDsen, kecken Erbsen. Wie das letztere, sind auch die assibilirten
slavischen Formen nur ein Nachhall des lateinischen cicery deutsch
Eicher, italienisch cece^ französisch chiche.
unter den vielfachen Namen für die Erbse und ihre Arten ist
der interessanteste, weil altbezeugte und noch heute in seinen Ab-
kömmlingen lebende, das griechische iQeßiv&og. Es steht nämlich
schon bei Homer und zwar neben der Bohne: Helenus, der Sohn
des Priamus, hatte auf den Menelaus einen Pfeil abgeschossen, dieser
aber sprang von der Rüstung ab, wie auf weiter Tenne im Wehen
des Windes die dunklen Bohnen und die Erebinthen von der Wurf-
schaufel springend fliegen, II. 13, 588 (nach Donner):
Wie von geplatteter Schaufel die Frucht der gesprenkelten Bohnen
Oder der Erbsen im Herbst auf räumiger Tenne dahin fliegt,
Unter dem Schwünge des Worflers vom sausenden Winde getragen :
So von dem Panzergewölbe des herrlichen Danaerfursten
Prallte der bittere Pfeil und tauchte sich weit in die Ferne.
Ob hier die Bacher- oder die gemeine oder die Platterbse u. s. w.
zu verstehen sei, lehrt die Stelle unmittelbar nicht; der um so viel
Jahrhunderte spätere Theophrast freilich spricht, wenn er igißivd'og
sagt, sicher von der Kichererbse, da er die Schote für rund erklärt,
h. pL 8, 5, 2: azQoyyvloXoßa xa^aneQ 6 iQsßivd^og. Aus dem
Hiatus bei Homer aber und aus einigen bei Hesychius erhaltenen
mit y beginnenden Formen, in denen sich zugleich ein l dem r sub-
stituirt hat, erhellt, dass das Wort ursprünglich mit einem Digamma
^et. H«hn, KaltaTpfUmseii. 12
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178 Erbsen. Linsen.
begann. Trennen wir das im alteren Griechisch häufige and, wie es
scheint, deminutivische Suffix ivv^- ab, so fallt iQißiv&og mit dem
andern Erbsennamen oQoßog zusammen. Da ferner auch das in-
lautende ß nur ein verhärtetes Digamma ist, so wird die Urform des
Wortes FoqFoq gewesen sein (s. Legerlotz in Kuhns Zeitschrift
10, 379), die sich nicht weiter auflösen lässt, und in der uns ein
Fremdwort aus Eleinasien vorliegen kann. Nach Eleinasien aber
kann der ogoßog oder egißiv&og nicht aus den warmen Palmenländeni
nach Indien zu, denen Theophrast h. pL 4, 4, 9 ausdrucklich so-
wohl den iQeßiv&og als q>ax6g abspricht, gekommen sein und eben
so wenig aus dem syrisch-ägyptischen Kulturkreise, innerhalb dessen
die Frucht nirgends erwähnt wird, folglich nur aus dem Gebiet des
Pontus und des Kaukasus, das mit dem innem Asien in natürlichem
Zusammenhange stand. Als die Kultur der Erbse von den Griechen
nach Italien gebracht und den Römern bekannt wurde, war das
anlautende Digamma in der Aussprache schon verschwunden^ denn
die Lateiner sagten ervum^ ervüia^ Festus: enmm et ercüia a Graeoo
sunt dicta quia Uli enywm ogoßogj ervüium bqoßivov appellant Die
lateinische Wortform liegt dann weiter der deutschen zu Grunde,
noch ohne Ableitung im angelsächsischen earfe^ plur. earfan^ in den
übrigen deutschen Sprachen mit t weiter gebildet, woraus sich in
hochdeutscher Lautverschiebung das althochd. arcmtz^ araweiz und
durch fernere Entstellung unser heutiges Erbse ergab. In seiner
Geschichte der deutschen Sprache hatte Grimm die deutschen Wörter
noch für entlehnt gehalten, S. 46 Anm.: „mit der Sache scheine
uns diese Namen von den Römern zugebracht'', bei Ausarbeitung
des Wörterbuches aber, wo sein Sinn immer grüblerischer geworden
war und das Einfache ihm nicht mehr genügte, schrieb er unter
Erbeiss: „die Wurzel liegt völlig im Dunkel." Wir halten uns, wie in
andern FäUen, an den früheren Grimm, besonders an den unsterblichen
Verfasser der Grammatik; indess, sehen wir genauer zu, so könnte viel-
leicht in der That nicht das lateinische ervum^ sondern das griechische
igißiv^og die Quelle von arawizy ervet u. s. w. und der Zeitpunkt, wo
die Erbsen den Deutschen bekannt wurden, in die Jahrhunderte hinauf-
zurücken sein, in denen die Gothen und andere deutsche Völker an
der unteren Donau unmittelbar mit griechischer Sprache oder mit
Völkern griechischer Halbkultur zusammenstiessen. Wackemagel,
die ümdeutschung fremder Wörter, Ausgabe 2, S. 18 drückt sich
unbestimmt aus: „aus dem Griechischen und Lateinischen entlehnt
iQißivx^og ahd. arawiz araweiz^; an einer anderen Stelle, S. 14,
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Linsen. Erbsen. 179
bemerkt er, das Hochdeutsche habe schon frühe das griechische th
als t genommen, weil sonst aus igißiv&og nicht arawtz hätte
werden können; dass der AnfangSYokal im Hochdeutschen ein a ist,
erklärt er aus dem im gothischen ai vor r — denn nur so konnte
ülphilas das € in iQ€ßLv9og schreiben — doch noch hörbaren a
(Beispiele davon S. 18). Die gothische Form des Wortes entgeht
nns leider; nach arawtz rathen wir auf airveits: in iQißiv^og näm-
lich wurde das b schon wie v, das th in nordgriechischer Weise
wie d gesprochen; aus diesem d ergab sich regelmässig ein goth. t,
akd. 2; der Diphthong ei entstand aus Unterdrückung des n, wie
seitems aus sinteinSy peikabaffms aus (pivi^, (plvixog (so wurde damals
schon statt (poiri^ ausgesprochen) u. s. w. Ein slavisches remtovo
zrino für egißivdog (Mikl. p. 797) gleicht ganz dem supponirten
goth. airveits und gr. igeßtv^og.
Neben oQoßog und igißiv&og besassen dio Griechen noch eine
alterthümliche Benennung für die gemeine Erbse: niaog^ niaogy
niaov^ niaaov. Dieses Wort bringen alle Etymologen in Ver-
bindung mit dem Stamme, zu dem das lateinische pinsere^ pisere
stampfen gehört, und die Ableitung hat gewiss viel Wahrschein-
lichkeit, für das Alter der Frucht ist aber damit nichts gewonnen.
Sie ist damit nicht sowohl als mahlbare, wie Grimm will, bezeich-
net — denn dass sie gemahlen werde, ist grade bei der Erbse
nicht von nöthen, — auch nicht als zu einem Brei verkochte, wie
Cordus erklärt, — denn dieser Begriff liegt nicht in der Wurzel
and dem daraus erwachsenen Wortstamme — y sondern als Körner-
frucht, aus runden Stückchen oder Kügelchen bestehend, wie sie
beim Zermalmen und Zerstampfen sich ergeben und bei grobem
Kies, Hagelschauem u. s. w. der Anschauung vorlagen: litauisch
p^ka Sand, (auch smütisy begrifflich fast dasselbe), altslavisch p&ükü^
Sand, auch calculus^ russ. pesok, poln. piasek u. s. w. Das längst
vorhandene Wort wurde also auf die Erbse angewandt und blieb
tt ihr haften. Dem Beispiel der Griechen folgten die Lateiner mit
ihrem pisum^ wenn sie das Wort nicht direkt entlehnten; es erhielt
sich in den romanischen Sprachen und ging auch in die keltischen
und ins Englische über, nicht aber zu den Germanen, vielleicht
ein weiterer Wink, dass diese ihr Erbse schon früher, noch vor
Beginn des mittelalterlichen Kultureinflusses von Süden und Westen
gebildet hatten.
Aebnlich wie mit Ttiaov verhält es sich mit dem reduplicirten
lateinischen cicer^ dem nach Curtius no. 42*» der Begriff des Harten,
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180 Linsen. Erbsen.
also kleiner harter Körperchen, zu Grunde liegt. Dasselbe Wort
wäre das griechische xiyxQog, welches aber in die Bedeutung Hirse
ausgewichen war und in dieser sich fixirte. Schwierigkeit macht
nur der Umstand, dass die kurzen, dicken, an einem Ende etwas
umgebogenen Schoten des cicer cmetinumy xqioq oQoßiaiog^ wirklich
einem Widderkopf ähnlich sehen — wodurch die Deutung nach einer
anderen Seite abgelenkt wird. Wie die Zwiebeln und Linsen in
Athen, bildeten Zwiebeln und Kichererbsen in Italien die frugale
Mahlzeit der ärmeren Yolksklasse, z. B. Horat. Sat. 1, 6, 144:
inde domum me
Ad parri et ciceris re/ero laganique catinum —
daher auch bei den Floralien Bohnen und Kichern unter das Volk
ausgestreut wurden, das sie mit Gelächter au&ufangen suchte.
Jedermann weiss, dass, wie Lentulus, Fabius, Piso nach den ent-
sprechenden Körnern, so Cicero nach den Kichern benannt ist: wir
erinnern hier nur desshalb daran, weil solche populäre Beinamen
nur einer dem Volke altbekannten Speise oder Feldfrucht ent-
nommen sein können. Das deutsche Kicher, preussische kecken
verdient Erwähnung, weil es in eine Zeit weist, wo das c noch
wie k gesprochen wurde; viel jünger ist die andere Form Zieser
und wohl aus dem norditalischen sizer^ sezer entsprungen.
Andere griechische Ausdrücke, wie ^XQ^S^ aqaxog oder aqcLXog
und XädvQog übergehen wir, weil sie für die Geschichte nichts
ergeben, und halten uns nur noch bei einem slavischen Worte
auf: altslavisch grachü in der Bedeutung faba^ russisch goroch,
polnisch grochy czechisch hrdch die Erbse, slovenisch grah, grahor-,
grahorica die Wicke. Das neugriechische ygdxog wird ein Lehnwort
aus dem Slavischen sein, eben so das albanesische grose, grosa die
Linse. Wohl aber muss vicia cracca bei Plinius dasselbe Wort sein,
welches wieder auf das reduplicirte griechische xaxi'tjB^ xo^i«?
Kiesel, Steinchen hinweist. Letzteres stellte sich slavisch als gracM
dar, wie xaAaC« (für x<iXccöja und dies für X^cfd/a) als gradu. Auch
hier also würde der Name für die Körner der Hülsenfrüchte auf den
Begriff calcuhis zurückzuführen sein, den die verschiedenen Völker,
sei es zufolge angeborener gleicher Richtung der Phantasie oder
nach dem Beispiel derer, von denen sie jene Kömer erhielten, gleich-
massig anwandten. Ein anderes altslavisches Wort für Erbse
slanutükü (Mikl. s, v.) muss von slana Reif abgeleitet sein — be-
deutete also ursprünglich HBgelkömer, Eistropfen.
Da die Wicke nur als grünes Futterkraut oder zur Nahrung der
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Lorbeer. Mjrte.
Tauben, fiahner u. s. w. in der späteren Zeit künstUcher Boden-
wirthschaft angebaut wurde, so ist der Weg vom griechischen ßixog^
ßixiov zum lateinischen vtcta^ von diesem zu dem deutschen Wicke
and weiter zum litauischen toikke u. s. w. der normale, den so viel
Dinge und Namen gewandert sind.
Lorbeer und Myrte.
(laurus nobilis, myrtus communis L.)
In frühe Zeit fallt auch die Einftihrung der Myrte und des
Lorbeers, — die eine der Aphrodite, der andere dem Apollo heilig,
und beide, wie in Mignons Liede, so auch bei den Alten oft zusammen-
genannt, z. B. Verg. Ecl. 2, 54:
Et vo8y 0 lauri, carpam, et te, proxima myrte:
Sic positae quoniam sitavis miscetis odores,
oder bei Horaz, Od. 3, 4, 18, wo die Tauben das schlafende Dichter-
lünd mit Lorbeer und Myrte bedecken:
ut premerer sacra
Lauroque coUataque myrto.
Beide gelangten im Gefolge wandernder religiöser Kulte von Ort zu
Ort weiter ins griechische Land und wurden um die entsprechenden
Heiligthümer angepflanzt. Die Myrte, ihres balsamischen Duftes
wegen so benannt, kam aus eben der Gegend, von wo die orientalische
Natoi^öttin, die Aphrodite, stammte. Li Lydien jenseits des Hermos
in der Stadt Temnos hatte schon Pelops, des Tantalos Sohn, der
Aphrodite aus lebendiger Myrte ein Bild gemacht, damit die Göttin
ihm bei Bewerbung um die Hippodamia günstig sei (Pausan. 5, 13, 4).
In Cypem, dem Sitze der Astarte, ward des Priester-Königs Cinyras
Tochter, die Myrrha, nachdem sie mit dem Vater in blutschände-
rischem Umgang gelebt, um sie nach der Entdeckung vor der Ver-
folgung desselben zu retten, in einen Myrtenbaum verwandelt, aus
dem nach vollendeter Zeit Adonis geboren wurde (Serv. adV. Aen.
5, 72). Dasselbe erzählte der Epiker Panyasis, nur hiess bei ihm
der Vater Theias und war ein assyrischer {A. h. syrischer) König,
die Tochter aber ward in den Myrrhenbaum, Smyma, die arabische
Myrte, verwandelt (ApoUod. 3, 14, 4). Auch bei Hyginus (Fab. 58)
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182 Lorbeer. Myrte.
ist Cinyras, ihr Vater, ein assyrischer König. Bei dem Fest der
HellotieD, das in Kreta and Korinth, Stätten altsemitischer Religions-
übung, der Mondgöttin Europa gefeiert wurde, ward auch ein unge-
heuerer Myrtenkranz mitaufgeführt, Hellotis genannt, nach dem gleich
oder ähnlich lautenden Namen der Göttin selbst (Et. Magn., Athen.
15, p. 678 und Schol. zu Find. Ol. 13, 39). Auch die Namen der
Amazonen, der Priesterinnen der kleinasiatischen Mondgöttin, Myrina.
deren Grabhügel schon in der Ilias erwähnt wird, Smyma, nach der
die Stadt des Namens benannt sein sollte, u. s. w., weisen auf die
mit dem Dienst der Göttin verknüpften Raucherungen, Salbungen
und Bekränzungen mit Myrrhen und Myrten. Als die drei uralten,
der Insel Cythere gegenüberliegenden Städte, Side, nach der Tochter
des Danaus genannt, Etis und Aphrodisias, beide von Aeneas, dem
Sohne der Aphrodite, gegründet, sich zu gemeinsamer Anlage einer
neuen Stadt Böä, Boiat\ vereinigten, da zeigte ihnen ein Hase (ein
aphrodisisches Thier), der sich in einem Myrtenbusch verbarg, den
passenden Ort dazu an; die Myrte ward zu einem Götterbilde ge-
weiht und bestand noch zu Pausanias Zeit, unter dem Namen der
Artemis Soteira (Pausan. 3, 22, 9). Polycharmus aus Naukratis er-
zählte in seiner Schrift über die Aphrodite, in der dreiundzwanzigsten
Olympiade habe Herostratus auf einer Kaufmannsfahrt in Paphos in
Cypern ein kleines Bild der Aphrodite erworben und sei darauf nach
Naukratis unter Segel gegangen: nicht weit von der ägyptischen
Küste habe ihn plötzlich ein Sturm überfallen, so dass die SchiflFs-
leute zum Bilde der Aphrodite sich wandten und die Göttin um
Rettung anflehten; diese, die den Naukratiten hold war, habe darauf
das ganze Schiff plötzlich mit grünen Myrtenzweigen und süssem
Duft erfüllt — wie im homerischen Hymnus auf Dionysos dieser das
Schiff der den Gott verkennenden Seeleute ganz mit Weinlaub und
Epheu füllt — , zugleich sei die Sonne wieder erschienen und die
Fahrenden seien glücklich in den ersehnten Hafen eingelaufen; da
habe Herostratus sowohl das Bild, als alle die Myrtenzweige im
Tempel der Aphrodite als Weihgeschenk niedergelegt und im Heilig-
thum selbst ein Mahl gegeben, bei dem die Gäste Myrtenkränze
trugen, und solche Kränze seien seitdem naukratische genannt worden
(wörtlich aus Polycharmus bei Athen. 15, p. 675). Da dies in der
23. Ol. geschehen sein soll, also vor der Gründung des Delta-Em-
poriums, das den griechischen Namen Naukratis trug, so bestand
hier also schon früher eine Seestation mit Aphroditekultns, wie denn
die unterägyptische Küste seit uralter Zeit mit Syrien, Phöniiien
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Lorbeer. Myrte. 183
und Cypem durch SdiifiKiahrt und Wanderung verbunden war und
mit diesen Ländern in religiöser Wechselwirkung stand. Als im
Verlaufe der Zeit die Aphrodite aus einer unter barbarischer Form
angeschauten und mit zuchtlosen Br&uchen verehrten Naturpotenz
bei den Griechen immer mehr zur Personification -weiblicher Schön-
heit und des Liebesgenusses geworden war, da fehlte auch nirgends
im uferreichen Lande bei Tempeln, in Gärten und bald auch im
Freien an den Felsenküsten der Myrtenstrauch, wegen seines lieb-
lichen Duftes, der freundUchen Gestalt seiner unverwelklichen immer-
grünen Blätter, der weissrothen BlQten und gewürzhaften Beeren
allgemein beliebt und reichlich zu Schmuck und Kränzen verwandt,
auch bei Gelegenheiten, wo Aphrodite nicht unmittelbar waltete.
Nur der strengen Hera und der Artemis war begreiflicher Weise die
Myrte verhasst und von ihrem Dienst ausgeschlossen, und in den
seltenen Fällen, wo wir die keusche Artemis mit dem bräutlichen
Gewächs in Verbindung gebracht finden, da mag, wie bei der obigen
Artemis Soteira in Böä, die Verwandlung der bewaffneten Aschera
von Askalon, der Göttin von Cythere, in eine griechische Gestalt
nur eine andere Richtung genommen haben. — Auch der Lorbeer
ward wegen des scharfen aromatischen Geruchs und Geschmacks
seiner immergrünen Blätter und Beeren frühe ein Götterbaum. Der
starke Duft seiner Zweige verscheuchte Moder und Verwesung, und
derjenige Gott, der aus einer Personification der die Seuche senden-
den und also auch von ihr wieder befreienden Sonnenglut allmählig
zam ernsten Gott der Sühne für sittliche Befleckung und Erkrankung
geworden war, Apollo, der Leto Sohn, Apollo Katharsios, erwählte
sich diesen Baum als Zeichen und magisches Mittel der von ihm
ausgehenden Reinigungen. Zwar im ersten Buch der Ilias, wo das
Heer der Achäer sich entsündigt (^aueXvfiiaivovto) und die Xifitna
ins Meer geworfen werden, ist von dem Lorbeer nicht die Rede,
aber in der Sage von Orestes, dem von den Erinyen umgetriebenen
und dann durch Apollo von Wahn und Schuld geheilten Mutter-
mörder, hat auch der Lorbeer, der Baum der Sühne, seine Stelle.
Als Orestes in Trözen in einem eigenen Gebäude, aytr^vi^ des Orestes
genannt, da den Befleckten kein Bürger in sein Haus au&ehmen
wollte, vom Mutterblute gesühnt worden war und die xa^^dgaia in
die Erde vergraben waren, sprosste von ihnen ein Lorbeerbaum
auf, der noch zu Pausanias Zeit vor der oxr^vri zu sehen war (Pausan.
2, 31, 1 1). Apollo selbst, da er den Python erlegt hatte, bedurfte
der Sühne des vergossenen Blutes: auf Geheiss des Zeuss (xara
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184 Lorbeer. Myrte.
ngoarayfia tov Jiog) eilte er — "wie die Thessaler erzählten —
nach der thessalischen Hestiäotis in das Thal Tempe, kränzte sich
dort mit dem Lorbeer neben dem Altare, nahm einen Zweig des
Baumes in die Hand und zog auf der pythischen Strasse als herr-
licher Orakelfürst in Delphi ein (Ael. V. H. 3, 1). Diesen mythischcD
Vorgang wiederholten die Delphier alle acht Jahre in einer eigenen
heiligen Darstellung: ein delphischer Edelknabe zog, wie einst der
Gott, mit der Theorie der Daphnephoren zu dem Altare im Thal
Tempe, brach sich den Sühnzweig von dem Baume und kehrte auf
dem vom Mythus bezeichneten heiligen Wege von einer apollinischen
Eultstätte zur anderen zum delphischen Tempel zurück (0. Müllei*,
Dorier, 2. Ausgabe, 1, 204 fiF.). Griechenland bedeckte sich, je
dichter die apollinischen Heiligthümer in allen Landschaften aus-
gestreut waren, um so mehr mit gepflanzten, duftenden, immergrünen
Lorbeerwaldchen. Weil der Baum einmal dem Gotte gehörte, nahm
er auch Theil an dessen übrigen göttlichen Neigungen und Verrich-
tungen. Der Lorbeerstab (^cuaaxog) verlieh dem Seher und Weis-
sager die Kraft;, das Verborgene zu schauen; ApoUo selbst gab seine
Orakel vom Lorbeer her (Hom. hymn. in Apoll. 396) und im Alier-
heiligsten um und an dem Dreifuss, von dem die Pythia weissagte,
schlangen sich Lorbeerzweige. Die Tochter des Sehers Tiresias, die
Manto, wurde von Andern auch Daphne, der Lorbeer, genannt: als
die Epigonen Theben eingenommen hatten, weihten sie diese Daphne
nach Delphi und dort weissagte sie seitdem die Zukunft;, Homer aber
entlehnte manchen ihrer Sprüche und verwob sie in seinen epischen
Gesang (Diod. 4, 66). Und da die Dichter auch Seher sind und
Apollo, der Musenfürst, sie erfüllt, so wurde der Lorbeerzweig und
der Kranz aus Lorbeerblättern auch das Abzeichen der Sänger, das
die musische Begeisterung weckende ZaubermitteL So gaben die
Musen demHesiodus, wie er selbst rühmt, den helik<Adschen Lorbeer
in die Hand, auf dass er mit Götterstimme das Zukünftige und das
Vergangene verkünde (Theog. 30). Bei apollinischen Festzügen,
Opfern, Wettspielen, Anrufungen und Besprengungen, Abwendungen
von Uebel und Krankheit an Menschen und Pflanzen u. s. w. dienten
Lorbeerreiser als nirgends zu missendes Wahrzeichen der Gegenwart
des Gottes. Gediehen diese an einer günstigen Stelle besonders gut,
dann bildete sich bald die Fabel, hier sei die Daphne ursprünglich
entstanden und geboren worden: so erzählten die Arkader, Daphne
sei die Tochter ihres Flusses Ladon und der Erde gewesen und dort
in einen Lorbeerbaum verwandelt worden (Serv. ad V. Aen. 2, 513.
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Lorbeer. Myrte. 185
Paosan. 8, 20, 2.). Nach Python aber war der Lorbeer von Thessalien
übertragen worden, wie die Sage in mancherlei Wendungen überein-
stimmend berichtet: der Kranz der Sieger in den pythischen Spielen
ward Anfangs aus Tempe beschafft (Argunou Pind. Pyth.) oder be-
stand aus Eichenlaub, da der Lorbeer dort noch fehlte (Ov. Met.
1, 449) u. 8. w. Der Scholiast zu Nie. Alex. 198 sagt geradezu :
BeoaaXixrJQy dioTi nQÜzov ixel BVQid^rj to (pvxov. Der Lorbeer war
also ein thessalisches Gewächs: weiter führt vorläufig die Spur nicht.
Begeben wir uns auf italischen Boden, so waren diesem sowohl
Aphrodite als Apollo ursprünglich fremd. Erst die griechischen An-
siedelungen brachten beide Gottheiten und mit ihr die Myrte und
den Lorbeer in die westliche Halbinsel. Die Vorstellungen der cam-
panischen Griechen von des Aeneas, des Sohnes der dardanischen
Aphrodite, Wanderfahrt und Niederlassung in Italien, der weite Ruhm
und Einfluss des von den Phöniziern gegründeten, dann von den
Griechen übernommenen Heiligthums der Venus Urania in Eryx auf
Sidlien, die von dort ausgehenden neuen Stiftungen, dies Alles konnte
nicht verfehlen, wie den Kultus der Göttin, so auch ihr Lieblings-
symbol unter den Bewohnern des Westens zu verbreiten. Zu aller-
erst sollte die Myrte in diesen Gegenden auf der Insel der Circe,
dem Vorgebirge südlich von den pontiuischen Sümpfen, am Grabe
des Elpenor, des jugendlichen Gefährten des Odysseus, der wein- und
schlaftrunken vom Dache gestürzt war (Od. 10, 552 ff.), erschienen
sein, Theophr. h. pl. 5,8,3 und nach ihm Plin. 15, 119: 'primum
Ctrceis in BJlpenoris tumuio vüa traditur Graecumque ei nomen
remanet quo peregrinam esse adparet Li den grossgriechischen
Städten war auch Apollo ein viel verehrter Gott, dem die fromme
Hand der Tempelstifter und der ihn mit Opfern und Gebet An-
gehenden seinen Baum zu pflanzen gewiss nicht unterliess. Li
Rhegium sollte Orestes vom Mutterblute gesühnt worden sein, wie
ia Athen und Ttözen; er gründete dort dem Apollo einen Tempel,
aus dessen geweihtem Hain die Rheginer, wenn sie nach Delphi
pilgerten, den Lorbeer mitzunehmen pflegten (Varro bei Prob. Verg.
Ecl. Prooem.); Münzen der Brettier, von Nola u. s. w. zeigen den
ApoUokopf mit Lorbeerkranz (Mommsen, Römisches Münzwesen,
S. 130, 165 u. s. w.); in Cumä, der Heimat der sibyllinischen Sprüche,
stand der Tempel des weissagenden Gottes auf der Burghöhe über dem
Meere; von dort her ergoss sich griechische Bildung nach Cicero's
Ausdruck nicht als dünnes Bächlein, sondern in vollem Strom über
die Barbaren und trug ihnen vor Allem die Verehrung der reinsten
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186 Lorbeer. Myrte.
griechischen Göttergestalt und deren Attribute zu. Der Lorbeer fand
bald seine Stelle in den zahlreichen dem Apolloglauben wahlver-
wandten Lustrations- undSuhnungsgebräuchen der latinisch-sabinischen
Religion, in dem Dienst der Laren, in der Feier der Palilien und
Poplifugien, bei Triumphzügen siegreicher Heere und Feldherren
— denn er reinigte von dem im Kriege vergossenen Blute, wie
die Myrte, das Symbol der Vereinigung und des Glückes, den-
jenigen schmückt, der den Feldzug ohne Schwertschlag beendigt
hat — , und ward auch nach dieser reinigenden Kraft benannt**).
So konnte um 300 vor Chr. Theophrast (an dem so eben ange-
führten Orte) schon sagen, die latinische Ebene sei reich an
Lorbeer- und Myrtenbäumen und die Berge an Tannen und
Fichten. Anderthalb Jahrhunderte später finden wir bei Cato drei
Lorbeerarten genannt, laurus Cypria^ Delphdca, süvatica, von welchen
Namen die beiden erstem sich selbst erklären, der letzte aber wohl
auf Vibuf'num Tintis L, geht (Plin. 15, 128: tinus; Ivane sävestrem
laurum aliqui intelligunt\ wie auch die wilde Myrte, fivgtrivrj aygia
des Dioskorides, nichts ist als der Mäusedom, ruscus aculeatus L.
Dass der Lorbeer nicht etwa in Italien einheimisch war, beweist
auch die Analogie der Insel Corsica, wo die ursprüngliche Wildniss
sich bis in die historische Zeit erhielt und an welcher Italien daher,
wie immer Continente an gegenüberliegenden Inseln, ein Spiegelbild
seiner eigenen Vorzeit hatte: auf Corsica wuchs keine Art Lorbeer,
gedieh aber später nach der Einführung ganz wohl, Plin. 15, 132:
notatum antiquis nullum genus laurus in Corsica fuuse^ quod nunc
satum et ibi provenit In Italien war der Lorbeer immer ein Tempel-
und Gartenbaum, und der nordische Wallfahrer, der von hesperischen
Lorbeerwäldem träumt, wird sich in dieser Hinsicht sehr getäuscht
finden. Auch in Griechenland ist laurus nobüis im wilden Zustande
meistens nur ein grösserer Strauch, wächst aber wohl unter günstigen
Umständen zu einem stattlichen Baum heran. Fraas (Synopsis
plantarum florae class. p. 288) fand ihn im südlichen Griechenland
selten, erst im nördlichen, namentlich im phthiotischen Thessalien,
waldähnlich versammelt und Haine bildend, „wenigstens in der
Nähe von Klöstern, die sich ihre Zucht angelegen sein
lassen." Zur Zeit Hesiod's muss der Baum in Böoticn am
Helikon schon nicht imgewöhnlich gewesen sein, da der Dichter
(Op. et d. 435, also in einer der ächtesten Partien des Gedichts)
die Vorschrift giebt, die Deichsel des Pfluges aus Lorbeer- oder
Ulmenholz zu machen, als dem Wurmfrass nicht ausgesetzt. Auch
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Lorbeer. Myrte. 187
die Höhle des Cyclopen in der Odyssee ist schon in Lorbeer ver-
steckt, 9, 182:
Sahn wir am Ufersanm in der Nfihe des Meeres die Höhle,
Hoch QDd Ton Lorbeerbäumen umwölbt.
Der Baom kam, wie wir vermathen, ans Eleinasien nach Europa
hinüber^ wohl als Begleiter einer lostrirenden Religion, sei es mit
wandernden Thrakern oder Karern oder Kretern u. s. w. Von
dem Seher Branchas, dem mythischen Stifter des Branchiden -Orakels
bei Milet, welches die ionischen Einwanderer als karisches Institut
schon vorfanden, berichtet die Sage, er habe bei einer Pest in Milet
die Milesier mit Lorbeerzweigen besprengt und gereinigt (Clem.
Alex. Strom. 5 p. 570 B. ed. Paris. 1629. fol.). Eine andere Er-
wähnung des Lorbeers in der Argonautensage führt auf den
thrakischen Bosporus. Dort wohnte in der Vorzeit das mythische
Volk der Bebryker, nach Strabo thrakischen Stammes, deren König
Amykos, Sohn des Poseidon, sich mit Polydeukes in einen fQr ihn
tödtUchen Faustkampf einliess — wie Apollonius Rhodius am An-
&Dg des zweiten Buches der Argonautica ausführlich erzählt. Die
Helden kränzten sich nach dem Siege mit dem Laube eines am
Ufer wachsenden Lorbeers, an dem sie ihr SchifP mit Seilen
befestigt hatten, und sangen ju Orpheus Leier den Hymnus
(v. 159). Dazu bemerkt der Scholiast nach dem einen von zwei
altem Autoren, die jenes Lokal in ihren Schriften behandelt hatten:
es stehe dort wirklich ein hoher Lorbeerbaum an einem noch be-
wohnten Orte, der Amykos heisse, fünf Stadien vom Chalcedonischen
Nymphäum entfernt; tiach dem andern: es befinde sich dort ein
Heroon des Amykos mit einem Lorbeer, und wer von demselben
ein Reis breche, verfalle in Schmähungen (eig XoidoQiav ävioirjai).
Nach Plinius wuchs der Lorbeer seit Bestattung des Amycus auf
dessen Grabe und hiess der unvernünftige, weil, wenn ein Reis davon
aufs Schiff gebracht wurde, sogleich Zank entstand, bis es wieder
weggeworfen wurde, 16, 239: in eodem tractu portus Amyci est
BAryce rege interfecto clartis; ejus tumulus a supremo die lauro
tegitur quam insanam vocant^ quoniam si quid ex ea decerptum
inferatur navibus jurgiafiunt^ donec abiciatur. Der Lorbeer hat auch
hier die Bedeutung der Sühne nach geschehener Tödtung: dass er
aber zu bösen Reden verführt, und insana oder ddcpvrj fiaivo^uvrj
heisst (bei Arrian. peripl. Ponti Eux. und Steph. Byz.) kommt
daher, weil er auf dem Grabe oder beim Sacellnm des prahlerischen,
streitsüchtigen Riesen wuchs. Noch weiter nach Nordosten bei
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188 Lorbeer, Myrte.
Panticapäum (dem heutigen Kertsch in der Krim) hatte man, wie
Theophräst h. pL 4, 5, 3 berichtet, Myrte und Lorbeer anzupflanzen
versucht, zum Zwecke priesterlicher Verrichtungen (ngog zag iBQOOvvag^
nämlich des Apollo und der in Panticapäum vielverehrten Aphrodite),
aber der Versuch misslang, offenbar der skythischen Winter wegen.
Plinius wiederholt diese Nachricht, mischt aber seltsamer Weise den
König Mithridates ein, 18, 137: circa Bosporum Gimmerium in
Panticapaeo urbe omni modo laboravit Mithridates rex et ceteri incolae^
sacrorum certe caicsa^ laurum myrtunupie habere: non Contimit Hing
diese Anpflanzung — falls Plinius nicht aus irgend einem Miss-
verständniss, wie ihm dies nicht selten begegnet, den Mithridates
herbeigezogen hat**) — mit der Religion des pontischen Königs,
der vom persischen Stamme war, zusammen, so wird auch von den
Persern selbst erwähnt, sie bedienten sich bei gewissen heiligen
Handlungen der Myrten und Lorbeerreiser, die sich also doch in
ihrem Lande finden mussten (Herod. 1, 132. Strab. 15, 3, 14).
Die uferliebende Myrte (amantis litora myrtos^ Ktora myrtetk laetissima)
und auch der Lorbeer sind Gewächse eines milden^ von Extremen
freien Himmelsstrichs. Die Myrte ist in dieser Beziehung, wie auch
Theophräst h. pl. 4, 5, 3 bemerkt, noch zärtlicher als der Lorbeer.
Die erstere verbreitete sich, wenn wir uns nicht täuschen, von Süd-
osten her über die Felsenufer des mittelländischen Meeres; der
andere, häufig nicht bloss in Cilicien, wo er fast bis an die be-
rühmten cilicischen Thore reicht, in dem apollinischen Lycien, an den
Gestaden Kleinasiens bis Troas hinauf, sondern auch am Südrande
der Propontis und des Pontus bis Georgien, wo er aufhört
(s. Tchihatcheff, Asie mineure, botanique H. p. 445 und die daselbst
angeführten Werke von Sestini, Grisebach und Koch), ward zuerst
in den Norden der hellenischen Halbinsel und weiter nach Süden
und Westen getragen, ohne indess in Europa im freien Stande,
sowohl was die Zahl als die Pracht der Exemplare betrifft, so
fröhlich zu gedeihen, wie in Vorderasien.
Die Frage, ob das geringere Abbild der Myrte, der immer-
grüne Buchsbaum, der südeuropäischen Flora ursprünglich an-
gehört, werden alle Botaniker unbedenklich mit Ja beantworten:
dem Historiker ist die Sache noch nicht so ausgemacht. Beim
ersten Blick muss auffallen^ dass die lateinische Benennung buxus
(oder in der altem, volksmässigen Form btucum) von den Griechen,
bei denen das Gewächs nv^og heisst, entlehnt ist — denn an eine
Urverwandtschaft; beider Wörter wird Niemand denken wollen —
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BuchsbaiuD. 189
imd dass also ein in Italien einheimischer Strauch oder Baum einen
fremden Namen trägt. Das Holz des buania wurde seit dem frühen
Alterthum wegen seiner Härte, Dichtigkeit, Schwere, unvergänglichen
Dauer und wegen der fehlerlosen Glätte der daraus gefertigten
Platten hochgeschätzt: es war das nordische und abendländische
Ebenholz; es diente zu Werkzeugen aller Art, zu Cithem und Flöten,
Schmuckkästchen, Tafeln, Thürpfosten, Götterbildern, wie auch heut
za Tage die Holzschneidekunst es nicht entbehren kann; Grundes
genug das Bäumchen zu verbreiten, welches nach Theopbrast h. pl. 3,
6, 1 zu den avav^^ gehört d. h. zu solchen Gewächsen, die sich
leicht vermehren, und also, nachdem es in einer dunkeln Periode,
ans der es keine Urkunden giebt, von Menschen weitergetragen
worden, in historischen Zeiten leicht sich auf dem neuen Boden als
freigeboren darstellte. Wenn es aber von Asien herübergekolnmen
war, — in welcher Gegend dieses Festlandes lag der Punkt, von
dem seine Wanderung ausging? Theophrast in dem wunderbaren
Abschnitt seiner Pflanzengeschichte, wo er das Bild einer Pflanzen-
geographie entwirft, die schon das ungeheure Reich AJexanders des
Grossen und einen Theil der Welt darüber hinaus umfasst, wir
meinen die ersten Kapitel des vierten Buches — , rechnet 4, 5, 1 die
nv^og unter die cpiXoxptiXQct d. h. unter die Gewächse nicht des warmen,
sondern des kalten Himmelsstrichs, und im vorhergehenden Kapitel
hatte er berichtet, der griechische Epheu lasse sich in den babylo-
nischen Gärten wegen der übergrossen Milde des Klimas gar nicht,
der Buchsbaum und die Linde aber nur mit grosser Schwierigkeit
ziehen (4, 4, 1). Aehnlich äussert er sich de caus. pl. 2, 3, 3: in
den heissen Ländern, wo die Dattelpalme gedeiht, kommen Buchs-
baom und Linde schwer fort. Der Buchsbaum war also kein
Gewächs des warmen semitischen Landstrichs, und der im Alten
Testament Jes. 41, 19. 60, 13 und in etwas anderer Form Ezech. 27,
6 genannte Baum kann schon aus diesem Grunde nicht btucus sein,
wie Bochart und nach ihm Celsius wollten. Aber auf den Ge-
birgen des pontischen Kleinasiens wucherte der Baunx in unermess-
Kcher Fülle, und erreichte in Höhe und Dicke ein Wachsthum, wie
nirgends in Griechenland. Dort in Paphlagonien, bei der Stadt
Amastris, war besonders das Cytorusgebirge, welches nahe an das
schwarze Meer herantritt, wegen seiner Buxuswaldung berühmt
(Theophr. 3, 15, 5. Strab. 12, 3, 10), CatuU. 4, 13:
Amastri Pontica et Cytore huxifer,
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1 90 BuchsbaunL
Verg. Georg 2, 437:
Et juvat undantem buxo spectare Cytorum —
und wie es hiess: Eulen nach Athen oder Fische in den Helles-
pont tragen, und wie wir sagen: Holz in den Wald tragen, so
galt nach Eastatbias ad II. 1, 206 auch das Spruchwort: Du hast
Buchsbaum auf den Cytorus gebracht, nv^ov elg Kvtcdqov fjyayeg.
Zu dem (Jytorus fugt Plinius noch das Berecyntus-Gebirge in Phry-
gien am Flusse Sangarius, 16, 71: btucm . . . G/tartü montibus plu-
ruma et Berecyntio tracfu. Eben so die Dichter: Verg. Aen. 9, 619:
btumsque vocat Berecyntia matris
Idaeae.
Ovid. ex Pont. 1, 1, 45:
pro sistro phrygüque foramine bttxi»
Da nun die Paphlagonier schon bei Homer Bundesgenossen der Troer
sind und yon den dortigen Henetem die Maulthiere stammten, so
erklärt sich, dass schon das Epos, obgleich in einem seiner jüngsten
Theile, dem 24. Buch der Ilias, dem alten Priamus einen maul-
thierbespannten Wagen giebt mit einem aus Buxus gearbeiteten
Bchön verzierten Joche (v. 268). Noch im Mittelalter heisst es bei
Marco Polo, 1, Gap. 4: In der Provinz Georgien bestehen alle
Wälder aus Buchsbaum — wozu der neueste Herausgeber, H- Yule,
die Notiz fügt: Buchsbaumholz fand sich in den abchasischen
Wäldern so reichlich und bildete einen so wichtigen genuesischen
Handelsartikel, dass die Bai von Bambor, nordwestlich von Suchum
Eale, über welche dieser Handel ging, den Namen Ghao de Box
(cavo di Bussi) erhielt. Auch auf dem macedonischen Olympus
wuchs der Buchsbaum schon zu Theophrast's Zeit, aber verkümmert,
niedrig, knotenreich und darum den Technikern nicht nutzbar (Theophr.
h. pl. 3, 15, 5. 5, 7, 7). In dem mehr südlichen Griechenland, dem
Gebiet des heutigen Königreichs, ist btucus aempervirens ungewöhnlich;
von dem Westlande aber und insbesondere von der Insel Kymos
hat Theophrast gehört, dort wachse der höchste und schönste Buchs-
baum, der jeden anderen an Länge und Dicke übertreffe, und davon
habe der dortige Honig seinen üblen Geruch (h. pL 3, 16, 3). Den
Griechen, die einen Theil der Küsten Italiens, Galliens und Spaniens
schon frühe mit Kolonien besetzt hatten, blieb doch das Innere der
genannten Länder lange und bis in die jüngste Epoche fast unbe-
kannt, und noch zu Theophrasts Zeit ruht ein Schleier darüber,
der den Schriftstellern des Mutterlandes nur momentane einzebe
Blicke gestattet. Besonders Corsica war damals noch ein halb
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Bnchsbaum. 191
mythisches Land, auf welches nach der uralten Anschauung der
Identität des äussersten Westens mit dem äussersten Osten gewohn-
beitsmassig die Natui^aben des Pontus, in diesem Fall das gepriesene
Holz des Bnchsbaums, übertragen werden konnten. Denn auch im
Pcmtos hatte der Honig seinen widrigen Geruch von dem Buchs-
baam (Aristot. de mir. auscult. 18, wiederholt von Aelian n. a. 5,
42), und noch ein so später Schriftsteller wie Diodor (oder vielmehr
der sicilische Geschichtschreiber Timaeus, welchen Diodor hier aus-
schrieb) berichtet 5, 14 über Corsica wie über ein Phantasieland,
in dem tugendhafte und gerechte Menschen leben, gleich den Abiem
und Hyperboreern, und die einfachen Sitten der Hirten weit herrschen.
Sei es nun, dass auf diese Art die Phantasie in die gefurchteten
dichten Wftlder der Insel den Buchsbaum nur hineinschaute, oder
dass wirklich die jetzt den balearischen Inseln eigenth um liehe, früher
vielleicht weiter über die atlantisch-iberische Welt, wie Korkbaum
und Speiseeiche, verbreitete Art, die die Botaniker buaui bcdearica
nennen, auch auf Corsica sich fand — auf jeden Fall gehört der
Zusammenhang zwischen dem bitteren Honig und dem Buchsbaum
der Insel in das Reich der Fabel, ja jene Eigenschaft des Honigs
selbst ist nur von der gleichen des pontischen abgeleitet, Dass
aber wenigstens an der italischen Küste und zwar bei dem heutigen
Policastro in Ealabrien im fünften Jahrhundert vor Chr., zwei bis
dreihundert Jahre nach der ersten Ankunft der Griechen in jenen
Gegenden, der Buchsbaum wuchs, geht aus dem Namen der Stadt
Hv^ovg^ bei den Italem Buxentum^ hervor: dieser von Mikythos,
Tyrannen von Messana, Ol. 78, 2 oder 467 vor Chr. gegründete
Ort war ohne Zweifel nach dem in der Umgegend vorgefundenen'^
buius benannt. Bei den späteren Römern diente der lebendige
Strauch, wie noch heute, zu Einfassung von Gängen und Beeten und
wurde nach dem Geschmack der damaligen Gartenkunst von der
Hand der topiarü und viridarü zu mannichfachen Gestalten, Thier-
bildem, sogar Buchstaben zugeschnitten, worüber der jüngere Plinius
in der Schilderung seiner tuscischen Villa, Ep. 5, 6, uns ein be-
lehrendes Document hinterlassen hat. Ein so allgemein verwendetes
Gewächs und ein so gesuchtes Holz musste sich nach und nach in
passenden Localitäten Dasein und Raum scha£Fen. Der ältere Plinius
wiederholt nach semer Art die Angaben, die er bei Theophrast fand,
darunter auch die vom corsischen Buchsbaum; Einiges aber fügt er
auch selbständig oder aus anderen Quellen hinzu, was über die
damalige Verbreitung des Baumes Licht giebt, 16, 70 (wir geben
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192 Bachsbanm. Granatapfelbaum.
hier den Text nach DeÜefsen): tria ejus generai gaUicum quod in
metas emittitur amplitudine proceriores; oleastrum in omni tisu dam-
natum gravem praefert odorem; tertium genus nostras vocant^ e silvestarty
ut credo, mitigatwm satu, dzffusms et densitate parietum^ virens semper
ac tormk. Buatis Pyrenaeis ac Cytorm montibus plurima (u. s. w.,
s. o.). Die gallische Art halten wir für die balearische, die edler,
höher und gegen die nordische Kälte empfindlicher ist, als die
gemeine, und eben dahin mag der Buchsbaum der Pyrenäen gehört
haben: die beiden anderen unterschieden sich nach Plinius eigener
Andeutung nur wie Verwilderung und Kultur. In den achtzehn
Jahrhunderten seit Plinius hat sich der Buchsbaum an den Küsten
Frankreichs, Englands, ja Irlands in völliger Freiheit angesiedelt;
da ihn dorthin sicher erst menschlicher Verkehr gebracht hat, so
wird es nicht unvernünftig sein, für eine viel frühere Zeit eine
ähnliche Wanderung von Kappadocien in das europäische Mittel-
meergebiet anzunehmen.
Dass die europäische Benennung des Baumes in allen Sprachen
aus der lateinischen stammt, kann nicht verwundem; interessanter
aber ist, wie seit dem Mittelalter das beliebte Material allem ur-
sprünglich daraus Gefertigten den Namen lieh. So im Deutschen
Büchse (in allen Bedeutungen, auch in der des Feuergewehrs):
französisch botte die Schachtel, botter hinken (d. h. aus der Pfanne,
boite^ bringen oder gerathen); boisseau der ScheflTel, englisch bu&hel;
boussole der Kompass, spanisch bnucula; buisson der Strauch, ital.
bttsctone; buste^ ital. busto die Büste (nach Diez); slavisch jM^7ifca
pu^a die Kanone, puikarl der Kanonier, magyarisch pudca (aus dem
deutschen buksa^ puhsa) und manches Andere*^).
Der Granatapfelbaum.
ijpunica graruUum L.)
Religiöser Verkehr hat in alter Zeit auch den schönen Granat-
bäum nach Europa gebracht, dessen purpurne Blüte im glänzenden
Laube und rothwangige, kernreiche Frucht die Phantasie symbolisch
denkender Völker Vorderasiens von Anbeginn lebhaftJS ergreifen
musste. In der Odyssee sind an zwei schon früher behandelten
Stellen unter den Früchten im Garten des Phäakenkönigs und|unter
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Granatapfelbaom. 193
denen, die den phrygischen Tantalus dorch ihren Anblick quälen,
anch Grranatapfel, ^oiai\ welcher Name allein schon für die Her-
kunft des Gewächses aus semitischem Sprach- und Eulturkreise
entscheidendes Zeugniss ablegt ^^). Im syrisch-phönizischen Götter-
dienst war der Baum von so hervorragender Bedeutung, dass der
Xame des Granatapfels, Rimmon^ mit dem des Sonnengottes, Hadad-
Rimmon, zusammenföllt (Movers, Phönizier, 1, 196 ff.). In Cypem
hatte Aphrodite selbst den Baum gepflanzt (nach dem Komiker
Eriphus bei Athen. 3, p. 84); er war dem Adonis geweiht und in
die phrygischen theogonischen Mythen vielfach verwebt. Der Apfel,
den der troische Paris der Aphrodite, der Landesgöttin, im Streite
mit den eindringenden Kulten der Athene und Hera als Preis zu-
erkannte, war ohne Zweifel urspr&nglich als Granatapfel gedacht.
Eine zweite griechische Benennung der Frucht und des Baumes,
acdi;, stammte, wie ^oid aus Syrien, so vermuthlich aus Kleinasien
and mag karisch oder phrygisch u. s. w. gewesen sein. Literarisch
erscheint das Wort zuerst in dem von Plutarch (Symp. 5, 8, 2)
aufbewahrten Verse des Empedokles (v. 220. Stein.):
ovvsxev oxpiyovoi ts aidai xal insgcploa fi^lcty
also in der Mitte des fianften Jahrhunderts. Die Schriften des Hippo-
krates, in denen des Wort gleichfalls wiederholt vorkommt, gewähren
zwar keine sichere Zeitbestinmiung, wohl aber Aufklärung über
Localitat und Mundart, in denen es gebräuchlich war. Die Böoter
sagten aidi]^ die Athener ^oa: Athenäus erzählt nach Agatharchides
(14. p. 650 f.), einst hätten die Böoter und Athener um ein Grenz-
land, Namens 2idai^ gestritten: da habe Epaminondas plötzlich einen
Granatapfel hervorgeholt und gefragt: wie nennt ihr das? Als darauf
die Athener erwiederten; ^oi, rief Epaminondas: wir aber aidrj, und
blieb auf solche Art Sieger im Streit. In viel ältere Zeit, als diese
Erwähnungen, führen die Namen von Ortschaften, die von der aidrj
entlehnt sind. An der lakonischen Eüste lag eine Stadt Side, nach
einer Tochter des Danaus benannt, im politischen Verein mit den
beiden auf Troas hinweisenden Orten Etis und Aphrodisias (s. oben
bei der Myrte); in der Landschaft Troas selbst nennt Strabo (13,
1, 11 und 42) eine Stadt Sidene am Granikus nebst gleichnamigem
Gebiet; ein anderes lykisches Sidene erwähnt Stephanus von Byzanz
nach Xanthus; ein Flecken bei Korinth oder ein Hafenort in Megaris
^idovg trug besonders schöne fi^Aa (Nicand. in seinen Heteröumena
imd andere Gewährsmänner bei Athen. 3. p. 82), worunter dem
Namen des Ortes nach ursprünglich oder vorzüglich Granatäpfel zu
Vict Hehn, Kolturpflanten. 13 /^^ ^ ^ ^T ^
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]94 ^^^ (Iranatapfelbaam.
verstehen waren; Dörfer mit demselben Namen kennt Stephanus von
Byzanz an der kleinasiatischen Küste bei Elazomenä nnd bei Erythrä;
eine Stadt 2idovaaa in lonien kam bei Hecataus in seiner Um-
schiffuDg Asiens vor und wird auch später noch erwähnt Side in
Pamphylien, welches aaf seioen Münzen einen Granatapfel zeigt,
lag zwar dem syrischen Süden schon nahe, war aber eine Gründung
des äolischen Kyme (Strab. 14, 4, 2: 2idij, Kvfiaitov anoixog).
Auch im innersten Pontus endlich lag in der glücklichen Landschaft
Sidene, also dem Granatenlande, die hochgelegene Eüstenstadt Side
(Strab. 12, 3, 16). Eine ältere, auch von Eallimachos (in lavacr.
Fall. 28) gebrauchte Wortform aißdrj statt oidi] — älter, weil die
letztere aus der ersteren, nicht aber jene aus dieser entstehen konnte —
führt direkt nach Karien, Steph. Byz.: 2ißda^ nolig liaqiag. — Wie
in Asien, dient der Baum und seine Frucht denn auch in Griechen-
and in den entsprechenden Kulten zum Ausdruck dunkler Vor-
stellungen von Zeugung und Befruchtung und wiederum von Tod
und Vernichtung. Eine phrygische Färbung trug die thebanische
Legende, nach welcher am Grabe des Eteokles ein von den Erinyen
gepfianzter Granatbaum wuchs, aus dem, wenn man eine Frucht
brach, Blut floss (Philostr. Lnag. 2, 29), oder jene andere, nach
welcher beim Grabmal des Menoikeus, der beim Anzug des Polynices,
einem delphischen Oaikelspruch gehorchend, sich selbst den Tod
gegeben hatte, eine Granate aufjgesprosst war, deren reife Früchte
innerlich wie von Blut geröthet waren (Pausan. 9, 25, 1). Auf der
bildgeschmückten Lade des Kypselos im Heräum zu Olympia, deren
Anfertigung in das erste Jahrhundert der Olympiadenrechnung fallt
und die noch Pausanias an Ort und Stelle fand und genau be-
schrieben hat, sah man den Gott Dionysos in einer Höhle liegend,
um ihn herum aber Weinstöcke, Apfel- und Granatbäume wachsend
(Paus. 5, 19, 1). Das im Heräum zwischen Argos und Mykene
von Polyklet gearbeitete Bild der Göttin hielt in der einen Hand
das Scepter mit dem Kukuk, in der anderen den Granatapfel —
was dieser letztere bedeutet, fügt Pausanias bei Beschreibung des
Werkes (2, 17) hinzu, verschweige ich, da es nicht auszusprechen
ist. Er bedeutete aber eben die Erdgöttin als die vom Himmel be-
fruchtete und unendlich hervorbringende, wie der Kukuk die reg-
nerische Frühlingszeit, in der jene Befruchtung vor sich geht Be-
sonders im Mythus von dem Pluto und der Proserpina erscheint
der Granatapfel als bedeutungsvolles Attribut: schon der homerische
Hymnus auf die Demeter berichtet, wie Persephone in der Unterwelt
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Der Granstapfelbanm. 195
einen Kern der Frucht Qoirjg xoxxovy ^ehriöi^ idwdrjv) zu kosten
gezwangen worden d. h. mit dem Aldoneos sich geschlechtlich ver-
banden habe und ihm dadurch verfallen sei. Da die Granate
fiberall ^n mystischer Weise auf das Naturleben deutet, so konnte sie
der Pallas Athene, der sittlichen, geistigen Göttin, der Göttin des
Staates und der Stadt Athen, nicht angehören. Um so auffallender
masste es sein, wenn von dem Bilde der ungeflügelten Athena Nike
am Aufgang zur Burg in Athen berichtet wird, es habe in der
Linken den Helm, in der Rechten einen Granatapfel getragen (Har-
pocration unter Nixr] Idd^r^vS)^ und wir stimmen daher gern 0. Benn-
dorf bei, der dies Bild von dem oben genannten Side in Pamphylien
ableitet (Festschrift zur fünfzigjährigen Grundungsfeier des archäo-
logischen Institutes in Rom, Wien 1879, 4^). Danach hat es Eimon
als Denkmal des Doppelsieges am Eurymedon gestiftet und zum
Zeagniss dessen die Pallas von Side, der dem Eurymedon nahe
gelegenen Stadt, durch Ealamis nachbilden lassen. So war hier die
Göttin nur zugewandert und ihr Granatapfel nur das Zeichen der
asiatischen Gegend, aus der sie kam und in der eben die Asiaten
überwunden worden waren.
Wie bei der argivischen Hera, so wird auch in dem abgeleiteten
Uerakult der achäischen Städte in Italien, besonders der ihnen
gemeinsamen Hera Lakinia bei Kroton, das Symbol des Granat-
apfels und abo auch bei Tempeln und in Gärten der Baum selbst
nicht gefehlt haben. Darauf deutet hin, was von der Siegesstatue
des Milon von Kroton in Olympia berichtet wird: dieser gross-
griechische Athlet, der schon um das Jahr 520 vor Chr. lebte, war
als Priester der Hera dargestellt und trug als solcher in der linken
Hand einen Granatapfel (Philostr. vit. Apoll. 4, 28, woselbst der
Satz aufgestellt ist: rj ()oä di fiovr] (pvTuiv tfj ^'HQf (pvBzai). Weiter
muss der Verkehr der Römer mit den campanischen Griechen, der die
erycinische Aphrodite und die vom troischen Ida stammenden sibyl-
linischen Bucher nach Rom brachte, auch die Kunde der Granatfrucbt,
dieses häufigen Symboles, und des Baumes, auf dem sie wuchs, ver-
mittelt haben. In der That finden wir den Granatzweig in einer der
ältesten Partieen des römischen Priesterrituals erwähnt: die Gattin des
Hamen Dialis^ die Flaminica^ die in Tracht und Sitte ein Abbild der
römischen Matrone aus der Urzeit darstellte, trug auf dem Haupte
einen Granatenzweig, arculum^ inarculum^ dessen Enden mit einem
Faden weisser Wolle an einander geknüpft waren, offenbar zum
Zeichen ehelicher Fruchtbarkeit — wie das Haupt ihres Gatten mit
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196 ^^^ Granatapfelbanm.
einem Oelzweig am apex geschmückt war. Hier wird die Granate
nicht jüngeren Datums sein^ als die Olive, die wie wir sahen, zur
Zeit der Tarquinier in Italien auftrat. „Granatapfel von Thon sind
zugleich mit sonstigen Früchten ähnlicher Votivbestimmung aus
unteritalischen, hauptsächlich nolanischen Gräbern — zahlreich vor-
handen" (Gerhard, Denkm. und Forsch. 1850, n. 14. 15). Um so
mehr dürfen wir uns wundern, in Italien keine der beiden griechischen
Benennungen der Frucht, sondern bloss den allgemeinen Ausdruck
malum mit dem specificirenden Adjectiv punicum oder granatum zu
finden, z. B. Columella 12, 42, 1 : mala dtUcia granata quae Pumca
vocantur. Aus welcher Zeit stammt der Beisatz punicumf Aus
jenem frühen Alterthum, in dem der von Polybius aufbewahrte
Handels- und SchiflFfahrts vertrag mit Karthago abgeschlossen ward?
Schon desshalb nicht, weil die nahe Verbindung mit den Griechen in
Cumä, Velia u. s. w. in noch ältere Zeit fallt und der Name der
Punier selbst ein aus griechischem Munde entlehnter ist. Wie das
Wort fi^Xov bei den Griechen selbst nicht bloss die eigentlichen
Aepfel, sondern auch die Quitten, Granaten u. s. w. umfasst, so ge-
nügte den italischen Naturkindern auch der allgemeine Begriff malum,
der erforderlichen Falles durch ein beschreibendes Epitheton näher
bestimmt wurde. Als dann den Römern der Reichthum an Granat-
bäumen in den Kolonien der Karthager und endlich in Afrika selbst
zu Gesicht kam und der Handel ihnen die süssesten, blutrotheD,
scheinbar kernlosen d. h. weichkernigen Früchte aus Süden in Menge
zuführte, da mag sich der Beiname punisch festgesetzt haben, in dem
zugleich ein Anklang an die Farbe lag. Denn dem Wortlaut nach
kann malum punicum auch als malum puniceum^ q)oivixovv fiaXoVy
der Purpurapfel, verstanden werden. Auf dem afrikanischen Boden,
wohin der Baum grades Wegs von Kanaan, seiner Heimat, ge-
bracht war, gediehen die feinsten Sorten. Zwar wenn Plinius
13, 112 den Granatapfel geradezu den Gegenden um Karthago zu-
spricht; circa Carihaginem Pwnicwm malum cognomine sibi vincUcat
(Africa), so ist dies, wie der Zusatz cognomine lehrt, nur ein Schluss
aus dem Namen, keine historische oder naturgeschichtliche Beobach-
tung; aber dass Afrika in dieser Hinsicht bei den Römern berühmt
war, leidet keinen Zweifel. Martialis begleitet die Zusendung eines
Korbes mit Obst mit den Worten: „hier keine afrikanischen Granaten
ohne Kern, sondern inländische Früchte aus meinem Garten*',
13, 42:
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Der Granatapfelbaum. 197
Non tibi de Libycis iuberes aut apyrina ramis,
De Nomentanis aed damus ctrhoribus.
Direkt bestätigt dies das an den Flayianus Myrmecius gerichtete
kleine Gedicht des Rufus Festus Avienas (bei Wemsdorf, Poetae
lat min. 5, p. 1296), der in der zweiten Hälfte des vierten Jahr-
bimderts lebte nnd Afrika selbst gesehen hatte. Er bittet den ge-
nannten Freund, wenn dessen Schiff aus Afrika ankommen sollte,
ihm einige dort gewachsene Granatäpfel zuzuschicken. Nicht dass
mein eigener Garten, fügt er hinzu, keine Früchte der Art trüge, aber
sie sind sauer und herb und nicht mit dem Nektar zu vergleichen,
wie ihn die warme Sonne Afrikas erzeugt, v. 25:
Nee tantum mseri videar possessor agelH,
üt gemis hoc arbos nullo mihi floreat horto :
Nascitur et midtis onerat sua brachia pomiSy
Sed gravis austerum fert succus ad ora aaporem,
lila autem Libycae quae se 8U8tollit ad auras,
Mitescit meliore solo coelique iepentis
Nutrimenta trahens aucco ae nectaris implet.
In den Paradiesen der Vandalen in Afrika, von denen Luxorius
spricht (Anthologia vet. Lat. et epigr. poem. ed. H. Meyer, epigr. 343),
fehlte ohne Zweifel der liebliche Baum nicht, den auch die Araber,
die Freunde schöner Blüten und erfrischender Fruchtsäfte, mit Vor-
liebe pflegten. Der Name des Granatapfels und des Granatbaumes
bei den Portugiesen ist noch heut zu Tage der arabische, roma,
romeira (also wie malum punicum bei den Römern); von demselben
arabischen Wort stammt der italienische und französische Name der
Schnellwage, romano, romaine^ da das Gegengewicht bei arabischen
Wagen in Form eines Granatapfels gebildet zu sein pflegte; auch die
Ton den Mauren im zehnten Jahrhundert gegründete Stadt Granada,
das Damaskus des Westens, sollte von der Granate den Namen
haben, deren Bild in das Wappen der Stadt überging und noch
Jetzt alle Strassen und öffentlichen Gebäude schmückt (Murphy, The
history of the mahometan empire in Spain, p. 188). In Italien ist
bei den scriptores rei rusticae, von Cato an, der Baum schon ge-
wöhnlich; Plinius in der Eaiserzeit weiss mannigfache Sorten, mit
vielfacher Anwendung, aufzuzählen. Das heutige Griechenland und
Italien haben schon wilde Granatapfelbäume d. h. verwilderte, strauch-
förmige, domige an Hecken, deren Früchte aber ungeniessbar sind;
auch die kultivirten erreichen die Grösse und den köstlichen Ge-
schmack nicht, der von den Granatäpfeln in dem asiatischen Paradies-
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198 ^^^ Qaittenbaum.
klima des Baumes gerühmt wird (s. darüber den trefflichen Excurs
von Ritter, Erdkunde, Band XI.% Auch dient in Italien die prächtige
rothe Frucht mehr zur Augenweide, zum Schmuck der Tafel, als zum
eigentlichen Genuss. Im Spätherbst, wo sie reift (vergl. oben oxpiyovoi
aiöai im Verse des Empedokle8), ist mit der heissen Jahreszeit
auch das Verlangen nach Erquickung durch säuerlichen Fruchtsaft
vorüber. Hauptsächlich die Citrone, kann man sagen, hat dem
Granatapfel den Platz geraubt, den er bei den Alten behauptete.
Noch jetzt aber nach so vielen Jahrhunderten verknüpft das Volk
in Griechenland mit der Granate die Vorstellung reichen Segens und
der unzählbaren Menge*®) und die purpurfarbene Blüte ist als Ge-
schenk ein Zeichen feuriger Liebe. Dass das Wort punicum nirgends
in den neuromischen Sprachen erhalten ist (die Italiener sagen: me-
lag^^anOy granato u. s. w.), beweist, dass es nie ganz volksmässig ge-
wesen ist.
Der Quittenbaum.
(Pyrus Cydonia L, Cydonia vulgaris.)
Unter den Aepfeln sind, wie oben gesagt, im früheren Alterthum
neben den Granaten auch Quitten zu verstehen, die wir aus diesem
Grunde sogleich hier anschliessen. Die XQvaaa firjXa der Hesperiden
und der Atalante waren idealisirte Quitten, und der der Aphrodite
geweihte, in Mädchen- und Liebesspielen aller Art und zu bräut-
lichen Gaben dienende Apfel war gleichfalls kein anderer als der
duftende Quittenapfel. Seine Farbe, wie die der rothen Granate,
machte überall, wo er zuerst erschien, lebhaften Eindruck auf den
Naturmenschen. Roh konnte er nicht genossen werden, aber in
Wein, Most, Oel und besonders Honig eingemacht, gab er diesen
Stoffen einen feinen Duft und Geschmack. Der griechische Name,
cydonischer Apfel, fifjlov Kvdciviov^ wirft einiges willkommene Licht
auf die Geschichte des Baumes. Danach kam er den Griechen
zunächst aus Kreta und zwar aus dem Gebiete der Kydonen, die
an der Nordwestküste am Flusse Jardanus wohnten und, mochten sie
nun semitischen Stammes sein oder nicht, doch zu den ältesten halb-
mythischen Bewohnern der Insel gehörten. Ihre Stadt war die mater
v/rbivm des Landes, und dass die Quitte grade nach ihr benannt
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Der Quittenbaom. 199
war, deutet auf ein frühes Zeitalter ihrer Einfuhrung sowohl als ihrer
Weiterverbreitung zu den Griechen. Ihre älteste urkundliche Er-
wähnung findet sich, wenn xodif^alov, worin ein Anklang an fiSXov
KvdiavLov nicht verkannt werden kann, soviel als Quitte ist, bei dem
aas Lydien gebürtigen Alcman (Fr. 90 Bergk.), also in der Mitte
des siebenten Jahrhunderts ; bald darauf^ um 600 vor Chr., wird sie
in der Helena des Sicalers Stesichorus genannt (Fr. 27 Bergk):
TloXXa fiiv Kvdiuvia fiaXa noxBQqimovv noxi diq>Qov avaxxi.
Etwa um dieselbe Zeit verordnete Solon in einem Gesetz, bei Hoch-
zeiten solle die Braut, ehe sie das Brautgemach betrete, einen cy-
donischen Apfel essen, offenbar um sich symbolisch damit dem Dienst
der Aphrodite zu weihen (Plut. Conj. Praecept. 1 und Quaest. Rom. 65,
der übrigens dies solonische Gesetz, durch welches nur ein attischer
Brauch sanctionirt wurde, rationalistisch erklärt). Gleichzeitig wird
der Baum auch von den italiotischen Griechen cultivirt worden sein:
Ibykus aus Rhegium, also ein geborener Italiot, erwähnt um die
Mitte des 6. Jahrhunderts der cydonischen Apfelbäume in bewässerten
Gärten (Fr. 1, 1: Kvötoviai firjXidsc). Auf die umwohnenden Bar-
baren verfehlten die goldenen Aepfel ihren Reiz gewiss nicht. Dass
die Frucht in Italien alt war, lehrt, ausser der populären Latinisirung
im Volksmunde: mala cotonea statt cydonia^ auch eine sprechende
Stelle bei Properz (3, 13, 27), wo der Dichter die Einfachheit der
frahem Zeit mit der später herrschenden Ueppigkeit vergleicht: sonst,
sagt er, schenkte die ländliche Jugend sich Quitten, vom Baum herab-
geschüttelt, und volle Körbe mit Brombeeren, jetzt müssen esLevkoien
und leuchtende Lilien sein u. s. w. Golumella und Plinius kennen
schon mehrere Arten, darunter die Quittenbirn, malum strutheum^
wörtlich Sperlingsapfel, die schon bei Cato erwähnt wird und also
gleichfalls älter als der dritte punische Krieg ist. Wie zu Plinius
Zeit, werden noch jetzt in Italien die Quitten in Zimmern aufgestellt,
am diese mit angenehmem Duft zu erfüllen, und den Zuckerbäckern
dienen sie zu der cotognata^ franz. cotignacy wie im Alterthum zum
fiTjXa/neXi. oder xvdiovnfieX/. Die melimela^ wörtlich Honigäpfel, bei
Varro de r. r. 1, 59, 1: quae antea mustea vocabant^ nunc melimela
appellant, bei Horaz Sat. 2, 8, 31:
post hoc me docuit melimela rubere minorem
ad lunam delecta —
imd an mehreren Stellen des Martial werden von neueren Auslegern
als besonders süsse Aepfel gedeutet; dass sie aber eine zum Ein-
kochen in Most und später in Honig vorzüglich geeignete Varietät
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200 ILoBe, Lilie.
Quitten waren, bezeugt nicht nur der SchoL Cruq. ausdrücklich,
sondern lehrt auch das spanische membriüo^ das portugiesische "niaT'
melOy Quitte, Quittenmuss, von welchem letzteren das allgemein euro-
päische Wort Marmelade abgeleitet ist. Schon zu Galenus Zeit kam
solche spanische Marmelade nach Rom (de aliment. facult. 2, 23.
VI. p. 603 Kühn.) Im üebrigen ist der Baum im heutigen Italien
nicht sehr häufig und gewiss seltener als bei den Alten, die noch
keine Ananas und keine Apfelsinen kannten. Im Orient dagegen
und in ganz Osteuropa, der Weltgegend eingemachter Früchte und
des Zuckerwerks, ist das Mittelalter hindurch und bis auf die
neueste Zeit die Quitte ein beliebter, in Bazaren feilgebotener Genuss
müssiger Menschen geblieben, wovon die Menge der zum Theil ver-
stümmelten Namen derselben bei den Völkern slavischen Stammes
ein lebendiges Bild giebt (s. Miklosich, Fremdwörter, S. 89, darunter
auch persische und türkische, wie piffva, aiva^ armvd u. s. w.)
Rose und Lilie.
{Ro»a gallica^ cmtifolia, Lilium candidum L.)
Wie die Früchte mit dem köstlichen goldenen oder röthlichen
Mark, so erschienen auch die Blumen des Orients — dort von weichlich
civilisirten, nur für ihre Despoten und Religionsbräuche lebenden
Menschen angepflanzt, veredelt und zu Salben und Wassern ver-
arbeitet — den Hirten, Kriegern und Ackerbauern des Westens
lockend und wunderbar. Rosen und Lilien waren schon zur Zeit
des Epos zu den Griechen gelangt, Anfangs wohl nur dem Rufe
nach, als etwas unbestimmt Herrliches der Blumenwelt, von dessen
Farbe und Gestalt erzählt wurde, in Form duftenden Oeles, dann
auch allmählig die Pflanzen selbst mit ihren Blüten. Homer und
Hesiod nennen die Morgenröthe rosenfingrig, in einem homerischen
Hymnus heisst sie auch rosenarmig, wie auch in der Theogonie
zwei rosenarmige Töchter des Nereus vorkommen; Aphrodite salbt
den Leichnam des Hektor mit rosenduftendem Oel; Hektor will
die lilienzarte Haut des Ajax mit seinem Speer zerfleischen; die
Stimme der Cicaden und in der Theogonie die der Musen heisst eine
Lilienstimme. Dies sind lauter vergleichende Bezeichnungen, die
sich auf eine möglicher Weise ferne Sache beziehen, wie denn auch
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Rose. Lilie. 201
schon jener aJte Forscher bei Gellius N. A. 14, 6, 3 die Frage auf-
warf^ warum Homer das Rosenöl gekannt, die Rose selbst aber nicht
gekannt habe (quapropter rosam non noritj oleum ex rosa norü). Die
Blumen selbst erscheinen in dem Hymnus auf die Demeter, dieser ehr-
würdigen Urkunde des alteleusinischen Demeterdienstes (von Welcker,
Gr. Götterlehre 2, S. 546, in Ol. 30 oder in die Mitte des 7. Jahr-
lianderts gesetzt), aber immer noch in fremdartigem Phantasie-Scheine:
Proserpina spielt auf der Wiese mit ihren Gefährtinnen und pflöckt
Rosen (die Rose also als Blume einer idealen Wiese, nicht vom
Straoch gebrochen und nicht mit Domen bewehrt) und ausser Krokos
und Violen und Iris und Hyakinthos auch den Narkissos, eine neu-
geschaffene Wunderblume, bei deren Anblick Götter und Menschen
staonen, die sich mit hundert Häuptern aus der Wurzel erhebt, deren
Duft Himmel, Meer und Erde erfreut — offenbar Verherrlichung
des in den Mysterien gebräuchlichen Symbols der Narcisse, die, wie
der Name bezeugt, ursprunglich nur berauschende, exotische Blumen-
döfte überhaupt repräsentirte. An einer späteren Stelle desselben
Hymnus erzählt Proserpina ihrer Mutter, wie sie auf der reizenden
Wiese gespielt und
Kelche der Rosen und Lilien auch, ein Wunder zu schauen^
gepflückt — wo der Zusatz davfia iöiox^ai das Feme und
Fabelhafte oder Seltene dieser herrlichen Blumen ausdruckt.
Unter den Namen der Nymphen, der Gespielinnen Proserpina's
auf der Wiese, finden sich auch zwei oder drei, die der Rose
entnommen sind: ^Pnöeia, ^Podonrj (die Rosige), ^Üxvqotj xalvxwnig
(Okyroe mit dem Gesicht wie der Kelch einer Rose; dasselbe
Adjectiv auch im Hymnus an die Aphrodite zur Bezeichnung einer
Nymphe). In einem Fragment des um ein Menschenalter älteren
Archilochus, dessen Welt aber eine weitere war, als die jener eleu-
sinischen Tempelpoesie, und ausser den Inseln auch Thrakien und
Lydien umfasst, tritt der Rosenstrauch selbst mit seinen Bluten auf
und zwar letztere neben Myrtenzweigen als Schmuck des Mädchens,
ohne Zweifel der Neobule, der Geliebten des Dichters, Fr. 29. Bergk :
sxovöa xfaXXov fnvQoivrjq iviQnsro
^odijg TB xaXov avd^og.
Hundert Jahre später war die Rose ein Liebling der Dichterin Sappho,
von der sie häufig gepriesen und verherrlicht und als Gleichniss
schöner Mädchen gebraucht wurde (Philostn Ep. 73). Von da an
finden wir Rosen und Lilien unter dem Fest- und Blumenschmuck
liebenden Volke der Griechen eingebürgert, überall verbreitet und in
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202 Rose. Lilie.
Leben und Sitte verflochten. Von wo aber waren beide Blumen
gekommen? In welcher Gegend des Orients, unter welcher seiner
Yölkergruppen war die auch in Europa einheimische rosa galiica,
die Stammform der Centifolie, zur sussduftenden, sechzig- oder
hundertblättrigen erzogen worden?
Dass die Rosen den Verfassern der Apokryphen des Alten Testa-
ments nicht unbekannt sind, darf nicht Wunder nehmen, da diese
Schriften in griechische Zeit falleo, aber auch in den älteren Theilen
der Bibel würde, wenn wir Luthers Uebersetzung folgen wollten, die
Rose erwähnt werden, z. B. bei dem Propheten Hosea (er lebte im
8. Jahrh.) 14, 6: Ich will Israel wie ein Thau sein, dass er soll
blühen wie eine Rose, oder an mehreren Stellen des Hohen Liedes,
z. B. 2, 1: Ich bin eine Bliime zu Saron und eine Rose im Thal,
2: wie eine Rose unter den Domen, so ist meine Freundin unter
den Töchtern u. s. w. Allein Luther hat hier, der Auslegung der
Rabbinen folgend, das hebräische msan^ susannah falsch mit Rose
übersetzt: es bedeutete vielmehr xqIvov nach der Uebertraguog der
Septuaginta d. h. Lilie und zwar nicht sowohl lilium candidum^
griechisch XeiQior^ als die farbige Feuerlilie, lilium chalcedonicum und
bulbiferum (Plinius: est et rubens lilium quod Graeci xgivov vocant)
oder noch wahrscheinlicher eine Art der gleichfalls glockenförmigen
Kaiserkrone, fritiUaria. Die edle Gartenrose war also den Griechen
früher bekannt als den alten Hebräern und ist somit keine semitische
Kulturpflanze. Bestätigt wird dies durch die Abwesenheit der Rose
auf den Bildwerken des alten Aegyptens, aut denen sonst die Blumen-
zierde nicht fehlt: auch Herodot erwähnt in seinen Schilderungen
ägyptischer Sitten nur der Lotosblume und rosenähnlicher xgivec^
von welchen letzteren dasselbe gilt, was von den Lilien der Hebräer
(Herod. 2, 92: q>veiai iv tq väari xQtvBa nokkä — von den
Aegyptem Awroc genannt: eati de xalalka xQtvea ^odotai ifiq>sQea^^y
Sind wir somit in Betrefi" beider Blumen auf Centralasien gewiesen,
so kommt uns hier die Sprache hülfreich entgegen, die so oft die
Tiefen der Vorwelt erschliesst, bis zu denen keine historische Kunde
reicht Das griechische ^odov^ in älterer Form ßqodov (noch Sappho
schrieb das Wort mit dem Digamma), die Rose, und Isigiov^ die
Lilie, sind ursprünglich iranische Wörter^®), und aus Medien also,
über Armenien und Phrygien kamen Benennung und Sache den
Griechen zu. Das heisse, heitere Pei'sien ist noch jetzt ein Blumen-
land. Ueber Teheran sagt Ritter, Erdkunde, 8, 610: „die Rose
gedeiht hier zu einer Vollkommenheit, wie in keiner Gegend der
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Rose. Lilie. 203
Welt, nirgend wird sie wie hier gepflanzt und hochgeschätzt; Gärten
and Höfe sind mit Rosen überfüllt, alle Säle mit Rosentöpfen besetzt,
jedes Bad mit Rosen bestreut, die von den immer wieder sich füllenden
Rosenbüschen stets ersetzt und erneut werden: Selbst das Kalium
(die Rauchtabak-Wasserflasche) wird mit der hundertblättrigen Rose
fär den ärmsten Raucher in Persien geschmückt, so dass Rosenduft
Alles umweht.** Auch die Rosen von Schiras in Süd -Persien sind
wenigstens aus Hafis Gedichten Jedermann bekannt. Zu Herodots
Zeit hatten die Babylonier den Gebrauch der Rosen bereits von ihren
medisch- persischen Ueberwindern angenommen: jeder Babylonier,
sagt er 1, 195, trägt auf seinem Stock das Bild entweder eines
Apfels oder einer Rose oder eines xpivov oder eines Adlers oder
irgend eines anderen Gegenstandes. Nach Griechenland aber wanderte
die Blume über Phrygien, Thrakien und Macedonien ein, wie un-
Terkennbare Spuren in sagenhaften Nachrichten der Alten selbst
Yerrathen. Das nyseische Gefilde, auf dem Persephone nach dem
homerischen Hymnus Rosen und Lilien pflückt, ist nach Dias 6, 133
in Thrakien zu denken, und der Name einer ihrer Gespielinnen,
Rhodope, ist zugleich der des thrakischen Gebirges, in welches jene
Nymphe verwandelt sein sollte. Nach Herodot 8, 138 lagen am
Fqss des Bermionberges in Macedonien (an welchem nach Strabo
7. Excerpt. Vat. 25 die Briger wohnten, die in Asien Phrygcr ge-
nannt wurden) die sogenannten Gärten des Midas, des Sohnes des
Gordias: dort sprossten von selbst die sechzigblättrigen Rosen, deren
Duft schöner war, als der aller anderen. Noch deutlicher, nur mit
Anwendung der gelehrten Terminologie seiner Zeit und Schule, drückt
sich der alexandrinische Dichter Nicander aus, im zweiten Buch
semer Georgika (bei Athen. 15. p. 683): Midas von Odonien (Edonien,
Landschaft in Thrakien), nachdem er die Herrschaft von Asis (in
Eleinasien) verlassen, erzog zuerst in emathischen Gärten (Emathia,
Landschaft in Macedonien), die Rosen, die mit sechzig Blumen-
blättern umsäumt sind. Man bemerke hier die altbabylonische Zahl
sechzig, die allein schon auf Herkunft aus Asien weiset. Nach
Macedonien, in die Gegend von Philippi setzt auch Theophrast
(h. pL 6, 6, 4) die reich gefüllten Rosen, die er schon eKaxovxaq>vXXa^
Cenüfolien, nennt: die Einwohner sollten sie vom nahe gelegenen
gold- und silberreichen Berge Pangäus (xo llayyalov) beziehen. In
dieselbe Gegend weist ein Fragment der Sappho, also ein altes und
gewichtiges Zeugniss, Fr. 68 Bergk. :
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204 Rose. Lilie.
ov yaQ nedix^ig ßgodiov
tdßv ix Uieffiag.
Aach aus den Mythen, die sich sofort an die neuen Blumen knüpfen,
klingt der phrygische Naturdienst wieder. Die Rose ist der Aphro-
dite geweiht, sie ist auch die Blume des Dionysos; sie ist zugleich
das Symbol der Liebe und des Todes; wie sie entstand, als Attis,
der phrygische Adonis, starb, wird verschieden erzählt: bald schuf
sie Aphrodite aus dem Blut des Adonis (Serv. ad V. Aen. 5, 72),
bald ritzte sich die Göttin selbst, als sie von dem Tode ihres Lieb-
lings hörte und durch Dornen herbeieilte, den Fuss, und ihr Blut
verwandelte die weisse Rose in die rothe (Geopon. 11, 17), bald —
und dies scheint die eigentlich phrygische Form des Mythus —
erwächst die Blume von selbst aus dem Blut des Adonis, wie in
ähnlichem Falle Granat- und Mandelbaum, Bion 1, 64:
So viel Thr&nen vergiesst die paphische Göttin als Tropfen
Blutes Adonis: am Boden da werden sie alle zu Blumen,
Rosen erwachsen dem Blut, Anemonen den Tbränen der Göttin.
Von der Lilie, der rosa Junonis, wurde gefabelt, sie sei aus der Milch
der Hera entstanden, als diese schlafend den Herakles säugte (Geopon.
11, 19); mit der Aphrodite war die Lilie der reinen unbefleckten
Farbe wegen im Streit: um die keusche Blume zu beschämen, setzte
die Göttin ihr das gelbe Pistill ein, welches an den brünstigen Esel
erinnerte (Nie. Alexiph. 406 ff., id. apud Athen. 1, 1.).
Nach Italien kam die orientalische Gartenrose frühe mit den
griechischen Kolonien, wie die populäre Verwandlung des Namens
in das lateinische rosa beweist, und mit ihr wohl auch die LiUe,
lilium;^^) von Italien gingen beide unter demselben Namen in alle
Welt aus, doch je weiter nach Norden, desto mehr von der Eraft und
Süssigkeit des Duftes einbüssend, der sie in ihrer ursprunglichen
Heimat umweht. Unter dem italienischen Himmel gedieh indess
die Rose noch herrlich, sie blühte den grössten Theil des Jahres je
nach den Varietäten, von denen die campanische die früheste, die von
Präneste die späteste sein sollte (Plin. 21, 20); Campanien brachte
Centifolien hervor; von den Rosen um Pästum rühmte man, sie blühten
zweimal im Jahr. Schon bei Plautus ist rosay mea rosa eine lieb-
kosende Anrede; schon Cicero nennt die Rose, wo er ein Leben voll
Ueppigkeit bezeichnen will, z. B. de fin. 2, 20: M. Regulum clamai
vvrtus beatiorem fume quam potantem in rosa Thorium. Zwar mag
es orientalische Ausschweifung gewesen sein, wenn Eleopatra den
Antonius in Cilicien in Speisezimmern bewirthete, deren Boden eine
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Rose. Lilie. 205
•
Elle hoch mit Rosen bedeckt war (Athen. 4, p. H8); zwar war es
Ton Verres, dem Proprator in Sicilien, Nachahmung der bithynischen
Könige, wenn er sich auf Rosenkissen in der Sänfte tragen liess und
dabei ein mit Rosen gefülltes Spitzennetz an die Nase hielt (Gic. in
Verr. 5, 11, 27: lectica octophoro ferebatur^ in qua pulvinus erat
ferlucidm^ MelitensiSy rosa fartus: ipse autem coranam habebat una/m
in capite^ alteram in collo^ reticulumque ad naris sibi admovebat^ tenun
issmo Uno, minutis maculiSy plenum rosaeX aber ein Blick in die
lyrischen und elegischen Dichter lehrt, wie auch in Italien die Rose
überall in den Liebes- und Lebensgenuss verflochten ist: der Tisch
der Schmausenden ist ganz unter Rosen verborgen, Liebende liegen
auf Rosen, der Boden ist mit Rosen bestreut, das Haupt der Tänzerin,
der Flötenspielerin, des weinschenkenden Knaben mit einem Rosen-
kranz umwunden. Der Trinker bekränzt sich selbst, er bekränzt den
Becher mit Rosen. Sinnentaumel und Rosen sind unzertrennbar:
unter zahlreichen Stellen der Dichter nur die eine desMartial, 10,19, 19:
cum furit Lyaeus^
Cum regnai rosa, cum madent capiüi.
Und dass die Rose hinwiederum auch eine Bluriie der Gräber war,
dass man den Todten Rosen wie Thränen spendete, ist eine sehr alte,
psychologisch nahe liegende und auch in Italien gewöhnliche, durch
zahlreiche Grabinschriften (Orelli-Henzen, inscriptt, T. 3, ind. s. v.
rosa) bestätigte Sitte und Vorstellung. Denn die aus dem Blute des
sterbenden Naturgottes entstandene Rose ist eben so schön als flüchtig
(Hör. Od. 2, 3, 13: nimium breves ßores amoenae rosae; 1, 36, 16:
breve liHum] „bist du an einer Rose vorübergegangen, so suche sie
nicht wieder**, sagt das griechische Sprichwort: Qodov naQeX^dv
fiTjxiTi Cijrei n&Xiv^ und das italienische: non v'ha rosa di cento
giomi); sie stellt höchste Lebensfülle dar, aber momentan: wegen
der ersteren Eigenschaft ist sie wie Wein und Blut den Todten, den
lechzenden Schattenwesen, erwünscht. Auch zu Essenzen, Wassern
und Salben wurde die Rose viel verarbeitet, so wie sie auch in der
Arzneikunst als Rosenwein und Rosenwasser, ja nach den Berichten
der Alten sogar in der Küche reicher Schlenmxer- Anwendung fand.
Kein Wunder, dass in und ausserhalb der Stadt Rosengärten häufig
varen, imd deren Ertrag, sowie der der Lilienbeete, von stationären
^d wandernden Blumenhändlern feil geboten wurde. Varro räth
schon in der republikanischen Zeit als vortheilbaft an, wenn man in
der Nähe der Stadt ein Grundstück besitze, Veilchen- und Rosen-
gärten anzulegen, 1, 16, 3: itaque sub urbe colere hortos late expedit,
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206 Rose. Lilie.
•
sie violaria ac rosaria^ wie er auch 1. 35, 1 die Jahreszeit bestimmt,
wo es passend sei, serei^e lüium» Aber auch in weitcrem Bereise bis
nach Campanien und Pästum hin sorgten Blumenanlagen für das Be-
durfiiiss der reichen, ungeheuren Hauptstadt (Martial 9, 61). In der
Kaiserzeit, wo die Ausschweifung in der vornehmen Welt und bei
Hofe immer höher stieg und die Sitten sich orientalisirtÄn, wurde
auch im Punkt der Blumen sinnlos verschwendet. Im Sommer Rosen
zu haben, war jetzt schon zu gemein, man suchte sie im Winter, bei
Beginn des Frühlings. Leben diejenigen nicht widernatürlich, klagt
der Philosoph Seneca, die im Wmter nach Rosen verlangen, ep. 122,
8: non vivunt contra naturam gut hieme concupiscunt rosam?^ und
Macrobius (Sat. 7, 5, 32) stellt als parallele Forderungen des Luxus
zusammen: aesüvae nives et hibemae rosae. Man bezog daher zur
Winterszeit Rosen zu Schiff aus dem wärmeren Aegypten, wie Martial 6,
80 beweist, und trieb Rosen und Lilien in Rom selbst unter Glas,
wie wir aus demselben Dichter ersehen, 4, 22, 5:
Condita sie puro numerantur lilia vitroy
Sie prohibet tenuis gemma latere rosas.
In all dem waren die Orientalen vorangegangen. Von Antiochus dem
Grossen, einem ächten griechisch -orientalischen Despoten, erzählt
Florus Ep. 2, 8, 9, er habe nach Eröffiiung des Krieges mit den
Römern und Einnahme der Inseln goldgestickte seidene Zelte am
Euripus, der ein fliessendes Wasser ist, aufgestellt, dann sub ipso
freti murmurey quum inter fluenta tibiis ßdibitsqite concineret^ coUatis
undique^ quam vis per hiemem^ rosis^ ne non aliquo ducem genere
agere videretur^ virginum puerorumqtie delectus habebat — die Römer
trieben ihn, jam sua Itucuria dehellatum, wie Florus mit Recht hinzu-
setzt, schnell nach Hause zurück. Die spätem Kaiser in Rom aber
gaben ihm nichts nach. Ueber L. Aelius Veras berichtet sein Bio-
graph Ael. Spartianus, 5, er habe eine neue Art Bett erfunden, ganz
von einem feinen Netz umgeben, ausgestopft mit Rosenblättera, denen
das Weisse genommen war, und mit einer Decke von Lilienblättem.
Auch bei Tische lag er, wie Einige überliefern, auf Polstern von
Rosen und Lilien, und zwar gereinigten. Noch ärger ist, was Aehus
Lampridius 9 und 11 von Heliogabalus erzählt. Dieser aus Syrien
stammende Kaiser liess nicht nur Alles in seinem Palaste mit Rosen-,
Lilien-, Violen-, Hyacinthen- und Narcissenteppichen belegen, über
die er wandelte, sondern bei Gastmählern lagen seine Gäste auf
beweglichen Polstern so in Blumen vergraben, dass einige, wahr-
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Rose. Lilie. 207
schemlich schwer vom Wein, sich nicht mehr emporarbeiten konnten
and in Violen und andern Blumen erstickten.
Im Mittelalter, wo so viel Kulturen zu Grunde gingen, blieben
doch Rose und Lilie, beide verhältnissmässig leicht zu erziehen und
durch Duft und Farbe auch dem rohen Menschen imponirend, in
den Grärten gewöhnlich. Die Dichter des Mittelalters, denen nicht
viel Farben zu Gebote stehen, verwenden Rosen und Lilien reichlich
in ihren Schilderungen; dem Christenthum dienten beide zu beliebten
Symbolen: die heilige Jungfrau in ihrer Anmuth und Milde erschien
als Rose, die himmlische Reinheit ward in der Lilie angeschaut;
gothische Kirchen schmückten sich mit steinernen mystischen Rosen,
auf Bildern der Verkündigung pflegt der Engel den Lilienstengel zu
tragen, mitunter — und dieg ist charakteristisch — die Kelche ohne
Staubfäden. Auch in die VTappensprache jener bildlich denkenden
Zeit gingen beide Blumen über: bekannt sind die (angeblich aus
Lanzenspitzen hervorgegangenen) drei Lilien im königlichen Wappen
von Frankreich, die auch der Jungfrau von Orleans bei ihrer Er-
hebung in den Adelstand verliehen wurden, so wie die feindlichen
Zeichen der rothen und der weissen Rose in den Kämpfen der Königs-
geschlechter von England. Unter den unzählig vielen Einzelnheiten,
die sich aus Sitte, Kunst und Religion des Mittelalters in Bezug auf
dies Thema sammeln Hessen, wollen wir nur zweier Züge gedenken,
die beide im Grunde aus derselben Wurzel abzuleiten sind: der päpst-
hchen sogenannten goldnen Rose und der mythischen Figur der
Rassalken bei einem Theil der Slaven. Am vierten Fastensonntage,
dem Sonntag Lätare, der in den Frühling feilt, weihte der Papst,
weiss angethan, in Gegenwart des CardinalcoUegiums, in einer mit
Rosen geschmückten Kapelle, am Altare eine goldne Rose, die hernach
als segenbringönd Fürsten und Fürstinnen, auch Kirchen und Städten
Terschenkt wurde. Er tauchte sie in Balsam, bestreute sie mit Weih-
rauch, besprengte sie mit Weihwasser und betete indess zu Christus
als der Blume des Feldes und Lilie des Thaies. Kurz vor der Re-
formation erhielt Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen die
goldne Rose, in unseren Tagen die unglückliche Kaiserin Charlotte
Ton Mexiko und die fromme Königin Isabella IL von Spanien. Nach-
richten über diesen Gebrauch gehen bis in das eilfte Jahrhundert,
m die Zeit Leo des 9., hinauf, aber die Anfänge desselben knüpfen
sich offenbar an die altrömischen Vorstellungen von der Rose als
Blume des Lebens wie der Vergänglichkeit, die in der Hand des
Üeberwinders sowohl seine Glorie und Freude als seine Sterblichkeit
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208 Rose. Lilie.
und Demuth bedeutet. — Ueberaus interessant sind die slavischea
Russalken als lebendiger Beweis, wie in einer noch im Naturdienst
gefangenen Volksseele aus kleinen Umständen, Namenskläogen, all-
gemeinen BegriflFen, auswärtigem Kultureinfluss mythische PersoDi-
ficationen sich bilden. Rosenfeste, rosaria^ rosalia, wurden noch im
spätesten Rom an verschiedenen Tagen des Mai und Juni gefeiert
und bestanden in Schmückung der Gräber mit Rosen und in gemein-
samen Mahlzeiten, bei denen den Theilnehmem Rosen, die Grabe der
Jahreszeit, gereicht wurden. Auch in der illyrischen Halbinsel und
an der Donau waren bei dem romanisirten Landvolke solche Früh-
lings- oder Sommerfeste unter dem lateinischen Namen ^ovaalia ge-
bräuchlich, hier ohne Zweifel als Fortsetzung der bei den thrakischen
Stämmen längst hergebrachten sommerlichen Dionysosfeier und der
an diese geknüpften Rosenlust (s. W. Tomaschek, Ueber Brumalia
und Rosalia, in den Sitzungsberichten der Wiener Akadenue 1868).
In der christlichen Zeit trat das gleichfalls in den Mai fallende Pfingst-
fest in die Erbschaft der Rosalien ein: es hiess pascha rosata oder
roaarum (im römischen Volksmunde noch heute: pasqua rosa oder
durch Missverständniss pasqua rugiada) und am Pfingstsonntage, der
sogenannten domenica de rosa, wurden Rosen von der Höhe der Kirche
auf den Boden herabgelassen. Als darauf im sechsten Jahrhundert
slavische Völkerschwärme die Landstriche an der mittleren und unteren
Donau und im Osten und Süden der Karpathen besetzten und zwischen
Heidenthum und Christenthum schwankend und getheilt waren, da
fiel auf natürliche Weise das christliche Pfingst- oder Rosenfest mit
der heidnisch-barbarischen Frühlingsfeier zusammen. Bei den Slovenen,
Serben, Weiss- und Kleinrussen und bei den Slowaken hiess das
Pfingstfest oder ein um die gleiche Zeit begangenes fröhliches Natur-
fest rusalija (ähnlich bei Walachen und Albanesen); aus dem Feste
entwickelte sich dann bei den Weiss- und einem Theil der Klein-
russen die Vorstellung überirdischer weiblicher Wesen, die um diese
Zeit Feld und Wald beleben, der Rusalky, des mythischen Gegen-
bildes der herumschwärmenden, lachenden. Kränze windenden und
das selbsterdachte Orakel befragenden slavischen Mädchen. Diesen
historischen Ursprung des Russalkenglaubens aus dem lateinischen
rosa hat zuerst Miklosich dargethan (in den Sitzungsberichten der
Wiener Akademie vom Jahr 1864), während noch SchaflFarik in einer
eigenen Abhandlung die Wurzeln desselben im tiefsten Alterthum
und in den Abgründen des Slavismus suchte und Andere, die in der
Nationalbegeisterung stärker als in der wissenschaftlichen Kritik waren.
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Die Viole. 209
den Yolksglauben mit mannigfacheD poetisch-romantischen Füttern
ägener Erfindung aufstützten. Auch in Deutschland mischte sich
äbrigens in die alten Vorstellungen vom Kampfe des Winters und
Sommers die südländische Rose und das italische Rosenfest (s. Uhland,
der Kosengarten von Worms, in der Germania 6, 307 flF.); wie die
Slaven diese Form des Festes und Einkleidung des Mythus von der
Niederdonau empfingen, so die Germanen aus dem keltisch-römischen
Tirol und überhaupt aus Wälschland.
In der neueren Zeit hat die Gartenkunst unz&hlige Varietäten
der Rose geschaffen, in allen Formen und Farben, mit eigenen Phan-
tasienamen belegt ^^). Es kamen auch Zeiten, wo die Rose von
anderen, zum Theil aus fernen Ländern eingeführten Blumen ver-
drängt wurde, den Dahlien, Camelien, Azalien u. s. w. Aber bei
allem Wechsel der Mode wird sich die Rose als Königin der Blumen
' immer wieder herstellen. Nördlich von den Alpen, besonders in Eng-
land, mag die Kunst sie in einzelnen Fällen veredeln und vervoll-
kommnen; doch wird sie dort nie so in das Leben verwebt sein und
&st das ganze Jahr hindurch in Villen und an allen Mauern blühen,
wie unter dem Himmel von Neapel. Im Orient, so weit er nicht
ganz in Barbarei verfallen ist, hat sich die Pflege der Rosen wohl
erhalten: in der Poesie ist die Rose immer gefeiert und die Liebe
zwischen ihr und der Nachtigall besungen worden ; noch jetzt werden
auf weiten Rosenfeldem die Blätter gesammelt, die zur Bereitung der
kjstlichen Rosenessenz und des beliebten Rosen-Zuckerwerks dienen.
Der alte Busbequius im 16. Jahrhundert erzählt im ersten seiner
Briefe aus Konsiantinopel^ die Türken duldeten nicht, dass ein Rosen-
blatt auf der Erde liege, denn sie glaubten, die Rose sei aus Mu-
hammeds Schweisstropfen entstanden — die alte, nicht erloschene,
nur islamisirte und ins Prosaische übertragene Adonissage. Auf dem
angeblichen Grabe Ali's bei Messar, in der Nähe des heutigen Belch
und alten Bactra, sah Vamb^ry (Reise in Mittelasien, Deutsche Aus-
gabe, S. 188) die wunderwirkenden rothen Rosen (gvM surcK)^ die
ihm in der That an Geruch und Farbe allen anderen vorzugehen
schienen, und die, weil sie nach der islamitischen Lokalsage nirgends
anderswo gedeihen sollen, auch nirgends angepflanzt worden sind.
Mit der Rose und weissen Lilie pflegt bei den Alten, wie schon
aus einigen der obigen Citate hervorgeht, als Schmuck der Gärten
and angenehme Zierde die Viole zusammen genannt zu werden. Ihre
Geschichte läuft der der Rose parallel. Auch sie stammt als Garten-
blume und in ihren veredelten Formen aus ELleinasien; Homer er-
Viet Hehn, KalrarpflAnsen. 14
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210 Der Safran.
'wähnt sie in vergleichenden Adjektiven, wie iodveq>Tjg^ ioeidijg^ tofitg,
die auf die schwarze Farbe, nicht auf den Duft gehen; einmal auch
in der Odyssee bei Beschreibung der wunderbaren, selbst die Götter
zum Staunen bewegenden Natur um die Höhle der Kalypso: dort
wächst sie auf weicher Wiese ueben dem Eppich („eine üble Stand-
ortsgesellschaft", Fraas Synops. 114); wv bedeutet eben noch jede
oder irgend eine dunkelblühende Blume, duftend oder nicht. Später
unterschied man von den schwarzen die hellen, farbigen Violen (Find.
Ol. 6, 55) und verstand unter den letzteren durchgängig die Levkoje,
Matthiola incana^ und den Goldlack, Cheiranthus cheiri. Das lateinische
viola stammt wohl aus dem Griechischen und demgemäss auch die
Kultur dieser Blumen aus Griecheuland, welches dieselbe selbst, wie
gesagt, dem gegenüberliegenden Asien verdankt
Der Safran-
{crocus saiivus L.)
Eine frühe berühmte Blume, der Rose an Rang gleich, sie an
technischem Nutzen noch übertreffend, war auch der orientalische
Safran, crocus sativus, — der vornehme und erlauchte Verwandte
des europäischen bescheidenen Frühlingscrocus, crocus vemus. Ausser
seinem Dufte, der das orientalische und später auch das europäische
Alterthum entzückte, gab die Narbe seiner Blüte auch eine dauernde
gelbe Farbe, und Gewänder, Säume, Schleier, Schuhe, mit dieser ge-
tränkt, erschienen dem Auge der ältesten asiatischen Kultur- und
Religionsgründer so herrlich, wie der Purpur, sowohl an sich, als
zum Ausdruck des Lichtes und der Majestät — denn Wirklichkeit
und Symbol scheidet der gebundene Geist jener träumenden Zeiten
noch nicht. Krokus- und Purpurgewand, thatlose Apathie, Aermel
am Kleide und Binden um das Haupt bilden die Lust der Phryger,
Verg. Aen. 9, 614:
Vobis picta croco et fulgenti murice vestis,
Desidiae cordi; juvat indtdgere choreis
Et tunicae manicas et kabent ridimicula mitrae.
Zu der Tracht der Perserkönige, die der älteren babylonisch-medischen
nachgeahmt war, gehört die safrangelbe Fussbekleidung: in den
Persem des Aeschylus (v. 657 ff.) ruft der Chor den todten Danas
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Der Safran. 211
aas der Unterwelt mit den beschwörenden Worten empor: Erscheine,
erscheine, alter Herrscher, komme mit der krokusgetränkten Eumaris
an den Füssen, mit der königlichen Tiara auf dem Haupt, (üeber
die Verbreitung dieser Pflanze durch Asien s. Ritter, Erdkunde,
Band 18, S. 736ff.) Den Abglanz orientalischer Heiligung des lichten,
reinen Safrangelb zeigen die ältesten mythisch-poetischen Vorstellungen
der Griechen. lason, der Argonaute, als er in Kolchis sich anschickte,
mit den feuerspeienden Stieren den Acker zu pflügen, warf das safran-
&rbige Gewand, mit dem er bekleidet war, ab (Pind. Pyth. 4, 232).
Bacchus, der orientalische Gott, trägt den xQoxcoTog^ das Safrankleid^
und eben so die taumelnden Theilnehmer an den Freudenfesten, die
ihm geweiht sind, Der neugeborene Herakles ist bei Pindar in krokus-
gdbe Windeln gehüllt (Nem. 1, 37). Besonders aber Göttinnen,
Nymphen, Königinnen, Jungfrauen werden mit dem safrangelben
oder mit Safran gezierten Kleide gedacht. Der Pallas Athene sticken
die attischen Jungfrauen das buntdurchwirkte Krokusgewand, Eur.
Hec.466:
Scbonthronige Pallas, soll
Einst wohl ich in deiner Stadt
Auf dem Krokosgewande dein
Rossegespann und den Wagen
Bilden im Kunstgewebe mit
Blumen gefärbtem Faden?
Antigene in der Yerzweiflung über der Brüder und der Mutter Tod
lässt die krokosfarbene Stolis fallen, in der sie im Glücke und als
Königstochter prangte (Eur. Phoen. 1491), ebenso Iphigenia bei der
Opferung in Aulis (Aesch. Agam. 239). Venus kleidet die Medea
in ihr (der Göttin) krokusgewebtes Kleid, Valer. Flacc. 8, 234:
Ipsa suas iUi(Medeae) croceo subtemine vestes
Indult,
Die an den Fels geschmiedete Andromeda (oder vielmehr Mnesilochus,
der als solche verkleidet ist) hat den xQoxSeig angelegt (Aristoph.
Thesm. 1044). Helena hat von ihrer Mutter Leda die goldgestickte
Palla und den mit Krokus umsäumten Schleier zum Geschenk er-
halten und mit nach Mycenä gebracht, Verg. Aen. 1, 648:
Ferre jubet pallam signis auroque rigentem
Et circumtextum croceo velamen acantho,
OrnaUiB Argivae Jlelenae^ quoa iUa Mycenis^
Pergama quum peteret inconcessosque Hymenaeos,
Extuleraty matrü Ledae mirabile donum.
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212 Der Safran,
Die Eos im Epos ist durchgäDgig xQoxonenXog^ bei Hesiodus die
Flussnymphe Telesto und die Enyo, die Tochter des Phorkys und
der Keto, und ebenso die Musen bei AJcman fr. 85: Mwaai xpo-
xouenloi. Auch das Haar der Jungfrauen des Mythus wird als
krokusfarben angeschaut , so das der Ariadne auf Naxos, Ov. Art
am. 1, 530:
niuia pedem, croceas inreligata comas^
und das der schönen Töchter des Keleos, die mit auf geschürztem
Gewände zum Brunnen eilen ^ an dem die Demeter sitzt, Hymn. in
Cerer. 177:
doch um die Schultern
Flatterte rings das Haar^ der Blume des Erokos yergleichbar.
Die Bekanntschaft mit der Safranfarbe geht also bei den Griechen
in die Zeit der Ausbildung des Heroenmythus hinauf; dass sie aus
orientalischer Quelle stammte, wurde, wenn dies sonst zweifelhaft
sein könnte, das Wort xQoxog selbst lehren. Die althebräische Form
desselben war karkSm^ wie wir aus dem Hohenliede 4, 14 sehen; in
andern semitischen Dialecten, z. B. in der Sprache der Cilicier, ma^
sie anders, doch ähnlich gelautet haben. Denn in Cilicien fand sich
ein Vorgebirge Kioqvxoc^ und nicht weit davon die corycische Höhle,
wo in einer Thalniederung der schönste ächte Safran wuchs (Strab. 14,
5, 5), und dass Berg und Gefilde von dem Krokos benannt sind, ist
eine naheliegende Vermuthung. Ob dem semitischen Worte vielleicht
ein indisches zu Grunde liegt, das durch uralten Verkehr herüber-
gebracht sein könnte, ist für Griechenland gleichgültig, welches die
gelben oder mit Gelb gestickten Kleider als kostbare Waare zunächst
aus semitischen Händen empfangen hatte. Dies war schon in und
vor der epischen Zeit geschehen; eine andere Frage aber ist, ob die
homerischen Sänger die Blume selbst schon mit Augen erblickt hatten?
Als Zeus und Hera auf dem Ida sich vereinigten, sprosste der Krokos,
wie Lotos und Hyakinthos, aus der Erde, II. 14, 347:
Ihnen gebar frisch grünenden Rasen die heilige Erde,
Lotos, besprengt mit Thau, auch Krokos und auch Hyakinthos,
Dicht zur weichlichen Streu, die vom Boden sie schwellend emporhob •—
aber das ideale Frühlings -Brautbett des Himmels und der Erde
schmückt der Dichter mit dem Herrlichsten, von dem er in Nähe
und Feme gehört. Auch sonst wachsen Krokusblumen auf den
mythischen Wiesen, den Schauplätzen der Göttergeschichte, so bei
dem Raube der Proserpina, Hom. h. in Cerer. 6:
Rosen sich pflückend und Erokos und liebliche Veilchen auf zarter
Wiese —
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Der Safran. 213
425:
Spielten und lasen uns liebliche Blumen daselbst mit den Händen,
Bald Hjakinthos und Iris und bald den freundlichen Erokos,
Kelche der Rosen und Lilien auch^ ein Wunder zu schauen^
Auch den, gleich dem Krokos, die Erde gebar, den Narkissos.
Wie hier Proserpina, ist auch Greusa, die Tochter des Erechtheus,
beschäftigt, goldene ELrokusblQten in ihren Schooss zu lesen, da sie
von dem schimmernden Gotte Apollo überrascht wird, Eurip. Ion. 887:
Da erschienst du mit goldenem Haar
Schimmernd, als ich zur Blumenzier
Sammelte mir ins Gewand
Goldleuohtende Erokosblüten,
und ebenso die Gefährtinnen der Europa, als sich ihr Zeus in Stier-
gestalt nahte^ Mosch. 1, 68:
Sie wetteifernd lasen sich grade des goldenen Erokos
Duftendes Haar.
Wenn Pan auf weicher Wiese mit den Nymphen singend streift, dann
blüht Erokos und Hyakinthos unter dem mannigfachen Rasen, Hom.
L in Pan. 25:
Auf dem Teppich der Wiese, da wo Hyakinthos und Erokos
Duftend sich drängen und bluhn in yerworrener Fülle der Gräser.
Als die Phantasie diese Scenen erfand, war die AufmerksaDikeit
schwerlich schon auf die einheimischen Crocus-Arten gelenkt; übeniU
ist der ferne asiatische Safran gedacht, von dem die Sage erzählte.
Auch in dem herrlichen Triumphliede des Sophokles auf Kolonos
schob sich der begeisterten Anschauung des Dichters statt des wirk-
lichen Fruhlingsblümchens, das dort wuchs, der als goldstrahlend ge-
dachte crocus sativus des Morgenlandes unter, 0. C. 681 :
und in schönem Geringel blüht
Ewig unter des Himmels Thau Narkissos,
Der altheilige Eranz der zwei
Grossen Göttinnen; golden glänzt
Erokos; nimmer versiegen die
Schiummerlosen Gewässer.
Theophrast aber unterscheidet schon genau den wilden, oQBivog^ nicht
duftenden d. L crocus vemus^ von dem kultivirten, fjfiSQog, und duf-
tenden (h. pl. 6, 8, 3). Den ersten nennt er auch den weissen^ eine
dritte Art den domigen, die beide duftlos sind(7, 7, 4). Doch biisste
iie Blume in dem kälteren Europa einen Theil ihres Aromas ein,
denn sie artet leicht aus (6, 6, 5); unter allen von Griechen be-
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214 Der Safran.
wohnten Landschaften aber trag der Erokas von Cyrene am afri-
kanischen Strande den Preis davon (de caus. pL 6, 18, 3). Aach
in den römischen Gärten finden wir neben Rosen, Lilien und Violen
auch den Krokus; Varro 1, 35, 1 giebt an, wann lilium und crocus
zu stecken, und wie Rosenbüsche und violaria zu behandeln sind.
Doch war die Blume fremd und sie erziehen ein Triumph derAccli-
matisationskunst: wir sehen dies aus Columella, der sie mit der casia^
dem Weihrauch, der Myrrhe zusammensteUt, 3, 8, 4: quippe com-
pluribtis locis urbü jam casiam frondentem conspicimuSj jam tuream
plantam^ florentesque hortos myrrha et croco. Nach Plinius 21, 31
lohnt es sich nicht, in Italien Safran anzupflanzen: serere in Itdlia
minime expedit, doch wird auch wieder der sicilische gerühmt und
mit dem italischen verglichen, den es also doch geben musste. Auf
jeden Fall konnte den starken Verbrauch die einheimische Produktion
nicht decken, und der sonnigere Orient musste Massen von Safiran,
theils roh, theils in Gestalt von Wassern, Salben, Arzneien, gefärbten
Stoffen ins römische Italien senden. Wo der vorzüglichste wuchs,
darüber waren die Meinungen getheilt; Theophrast hatte den cyre-
näischen besonders hervorgehoben, Vergil den des lydischen Tmolus-
Gebirges, Georg. 1, 56:
nonne vides croceoa ut Tmolus odores,
India mittit eburf
Sonst galt allgemein der cilicische, namentlich der vom Berge Corycus,
für den edelsten, so auch bei Dioscorides 1, 25, der für den nächst
besten den lycischen vom Berge Olympus, für den dritten den von
der äolischen Stadt Aegae in Kleinasien erklärt. Plinius 21, 31 weist
nach dem cilicischen und lycischen dem von Centuripae in Sicihen,
einer Stadt am Fusse des Aetna, den dritten Rang an. In den Zeiten
römischen Reichthums und sinnloser Anwendung desselben wurden,
wie Rosenblätter, so auch Krokusdüfte und Krokusblumen verschwendet,
wovon in den scriptores historiae Augustae Beispiele zu finden sind.
Wenn schon Lucretius zur Zeit der Republik den Gebrauch kennt,
die Theater des Wohlgeruchs wegen mit Safranwasser zu besprengen
2, 416:
et cum scena croco Cilici per/usa recens est,
und nach Sallustius bei Macrob. Sat 3, 13, 9 Metellus Pius darch
ein Gastmahl gefeiert wurde, bei dem der Speisesaal wie ein Tempe
ausgestattet und der Boden mit Krokus bestreut war: siimU croco
sparsa humus et alia in modum templi celeberrimi^ — so ist nicht zu
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Der Safran. 215
verwundem, wenn zur Kaiserzeit die Statuen im Theater von Ejrokus-
saft flössen, Lucan. 9, 809:
Ätqtie soUt pariter totis ae effundere sigräs
CorycH pressura er od: sie omnia membra
Emisere simul nttilum pro sangume virtis —
oder wenn es von Hadrian heisst, AeL Spart 19: in honorem Trajani
bakama et crocum per gradtis theatri fiuere fumt^ und HeliogabaluF^
der verkörperte Orient auf dem römischen Thron, in Teichen sich
badete, deren Wasser durch Safran duftend gemacht war, oder seine
Graste auf Polstern von Krokusblättem niedersitzen liess. Auch die
Kochkunst und Medicin machte von dem Safran reichlichen Ge-
brauch. Er bildete eine beliebte Würze in Speisen und Getränken
nnd war gegen alle Uebel heilsam. Es gab wenig componirte Recepte,
in deren Zusammensetzung dieser Bestandtheil fehlte (J. F. Hertodt,
Crocologia s. curiosa croci enucleatio. Jenae 1670, 8®). Die hohen
Ehren, die das Alterthum dem Safran zuerkannt hatte, mussten in
dem kindisch abhängigen Mittelalter unverkürzt bleiben, ja sich noch
steigern« So ging die Sage, unter Eduard III. habe ein Pilger aus
dem gelobten Lande in einem ausgehöhlten Stöcke eine Safranzwiebel
nach England gebracht (Beckmann, Beyträge, 2, 80), — offenbar
weil das Köstlichste auf Erden nur in tiefem Geheimniss und unter
Lebensgefahr zu gewinnen ist; mit der Seide hatte es ja eine ähnliche
Bewandtniss gehabt. In Wirklichkeit waren es die Araber, die neben
so vielem Andern auch diese Kultur nach Europa brachten; ihnen
gelang, was das Alterthum entweder vergeblich unternommen oder
bei dem offenen Verkehr mit dem Orient nicht ernstlich versucht
hatte. Von jener Zeit und aus Spanien stammen die Safranfelder
am Mittelmeer, wie auch seitdem der arabische Name Safran, ital.
zaferano^ span. azafran u. s. w. den alten griechisch-römischen crocus^
der freilich anderthalb oder zwei Jahrtausende früher auch von den
Grenzen Arabiens gekommen war, verdrängt hat. Nur darin haben
sich die Zeiten geändert, dass die jetzigen Menschen gegen das
Aroma dieser Blume gleichgültig geworden sind : weder gilt der Duft
und Geschmack für so reizend, wie er frühern Geschlechtern schien:
ja Manche weisen ihn ganz ab; noch bedürfen wir dieser Blüten-
griffel ausschliesslich, um den Geweben und dem Leder den Glanz
hochgelber Farbe zu geben; und dies Alles nicht bloss in Europa,
sondern, was merkwürdig ist, auch im Orient selbst. Dieser Rück-
gang des Safrans in Asien beweist, dass auch in jener unbeweglichen,
ganz von unabänderlichen Naturbedingungen gebundenen Weltgegend
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216 Die Dattelpalme.
in langen Zeitränmen langsame Abweichungen yor sich gehen und
die Nerven eine andere Stimmung gewinnen.
Wir fügen noch anhangsweise hinzu, dass eine ähnliche, doch
minder edle Farbepflanze, der Saflor, carthamuA tinctorius^ einDistd-
gewächs, das in Ostindien zu Hause ist, schon den Griechen über
Aegypten bekannt geworden war. Der griechische Name xv^xog
entspricht einiger Massen dem indischen (s. Benfey, Wurzelwörter-
buch, unter diesem Wort) und stammte ohne Zweifel aus der aoge-
gebenen vermittelnden Gegend. Schon Aristoteles und Theophrast
kennen das Wort; Theokrit braucht es adjectivisch in der Bedeutung
fahl, gelblich (wo es dann die Grammatiker xvijxSg betont haben
wollen). Theophrast unterscheidet h. pl. 6, 4, 5, schon die ayQia und
die TJf^eQog, von der Anwendung zur Färberei aber spricht er nicht,
die doch allein die Verbreitung bewirkt haben kann. Im heutigen
Aegypten werden die Samen gegessen, in Italien dienten sie als Lab
zur Milch. Erst die Araber aber lehrten den Anbau im Grossen
und die Benutzung zur Roth- und Gelbfärbung, und von ihnen
stammt denn auch der Name, ital. asforo, as/hri, zafrone^ . deutsch
Saflor, engl. saffl<yiv, zafer u. s. w.
Die Dattelpalme.
(Phoenix dactylifera L)
Die Dattelpalme ist nach Ritter der ächte „Repräsentant der
subtropischen Zone ohne Regenniederschlag in der Alten Welt", einer
Zone, als deren Mittelpunkt etwa Babylon, die palmenreiche Haupt-
stadt der semitischen Völker, angesehen werden kann. Am besten
gedeiht sie nach Link, Urwelt 1, 347, zwischen dem 19 bis 35 Grad
nördlicher Breite; südwärts vom Ausfluss des Indus und eben so in
der Landschaft Darf ur unter 13 bis 15 Grad der Breite ist sie bereits
verschwunden; nach Norden bedarf sie, um geniessbare Fruchte zu
tragen, einer mittleren Jahres wärme von 21 bis 23'' C. Sie verlangt
Sandboden und liebt den sengenden 'Hauch der Wüste ; aber als
Gegensatz ist Befeuchtung ihren durstigen Wurzeln unentbehrlich.
Der König der Oasen, sagt der Araber, taucht seine Füsse in Wasser
und sein Haupt in das Feuer des Himmels. Kein Sturm bricht oder
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Die Dattelpalme. 217
entwurzelt die Dattelpalme, denn ihr Stamm besteht aus den ver-
iloditenen Fasern der Blattstiele, und die durch einander geschlungenen
Worzeladem binden sie an den Boden. Sie wird 50 und mehr Fuss
bocli; sie wächst langsam, ist mit 100 Jahren in ihrer vollen Kraft,
?on da an nimmt sie ab. Durch das Schirmdach der säuselnden, ge-
neigten Blätter dringt kein Sonnenstrahl; drunten weht es lieblich,
aach das Wasser fehlt nicht; Gemüse und kleinere Fruchtbäume ge-
deihen noch auf dem Boden. AUe Ortschaften, aUe Einzelhütten
d« Araber bergen sich in Palmenhainen, und mit Freude sieht der
Beisende am Wustenhorizont die dunkeln Kronen anfauchen, gewiss,
dort bewohnte Stätten und gastfreundliche Au&ahme zu finden.
„Ehret die Dattelpalme, soll der Prophet gelehrt haben, denn sie ist
eure Muhme von Vaters Seite" (Kazwini bei S. de Sacy, Chresto-
madiie arabe, 3 p. 378) und: „sie ist aus demselben Stoffe geschaffen,
wie Adam, und der einzige Baum, der künstlich befruchtet wird."
Im heutigen Arabien bildet die Dattel das Brod, das eigentliche
tägliche Brod des Landes und zugleich den wichtigsten Handels-
artikel (nach Palgrave, Reise in Arabien, 1, 46 der deutschen Aus-
gabe). Aber nicht von Anbeginn ist der Baum in vollem Masse
das gewesen, was er jetzt ist. Erst die Pflege der Menschenhand
liat ihn so veredelt^ dass seine Fruchte süss und essbar wurden und
ganze Yölkerstämme jetzt von ihm fast ausschliesslich leben können.
Die ältesten Nachrichten kennen die Dattelpalme noch nicht als
Fruchtbaum (s. die Ausführung bei Ritter, Erdkunde, 13, 771 ff.).
Es war in den Ebenen am unteren Euphrat und Tigris, im Paradies-
klima des Baumes, wo, wie Ritter urtheilt, die Kunst der Dattel-
veredelung von den babylonischen Nabatäem zuerst erfunden und ge-
übt wurde. Dort zog sich meilenweit eine ununterbrochene frucht-
tragende Palmenwaldung fort; dort befriedigte der Baum fast alle
Lebensbedüriiiisse; es gab nach Strabo 16, 1, 14 einen persischen,
nach Plut. Symp. 8, 4, 5 einen babylonischen Hymnus, in welchem
360 Arten, von ihm Nutzen zu ziehen, aufgezählt waren (die mystisch-
astrologische Zahl, die uns schon bei den Aegyptem begegnet ist,
und die z. B. bei den 360 Frauen des Perserkönigs, regiae peUiceSy
die den Macedoniem in die Hände fielen, Curt. 3, 8, wiederkehrt).
Von dort wurde die fruchttragende Dattelpalme nach Jericho, Phö-
nizien, zum ailanitischen Golf am rothen Meer u. s. w. verbreitet.
Man kann dies merkwürdige Factum der Kulturgeschichte nur mit
jener andern Thatsache in Parallele stellen, dass das Kameel erst
seit dem dritten Jahrhundert nach Chr. in Afrika eingeführt worden —
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218 t>ie Dattelpalme.
welches Thier doch fQr die libyschen Wüsten wie geschaffen scheint
und den anzugänglichen Welttheil fremden Yölkem, ihrem Handel,
ihrer Eeligion erst geöffnet hat (s. Waitz, Anthropologie, 1, 410,
der sich auf Reinaud im Institut von 1857 p. 136 beruft; auch nach
Brugsch fehlt das Eameel gänzlich auf den ägyptischen Monumenten,
histoire d'Egypte, p. 25: nous remarquons que le chameau^ Vanimal
le plus utile aujourcChui en Egypte^ ne se rencontre famctis sur les
monuments).^^) Eameel und Dattelpalme, zwei innerlich verwandte
und denselben Existenzbedingungen unterworfene Geschöpfe, gehören
dem Wüsten- und Oasenvolk der Semiten, dem Volke der bittem
Mühsal und der träumerischen Müsse, nicht nur ursprünglich an,
sondern sind auch von ihm, so zu sagen, geschaffen worden: es hat
das erstere gezähmt und verbreitet und der andern den nährenden
Fruchthonig entlockt und so durch beides eine ganze Erdgegend be-
wohnbar gemacht.
Von einer Uebertragung der Dattelpalme nach Europa in dem
Sinne, wie der Weinstock, der Oel- und Kirschbaum dort eine zweite
Heimath fanden, kann nach den oben angegebenen klimatischen Be-
dingungen, von denen sie .abhängt, nicht die Rede sein. Sic wurde
am nördlichen Ufersaume des mittelländischen Meeres angepflanzt,
aber trug keine reifen Früchte mehr; sie schmückte reizend und
fremdartig die Landschaft und lieh ihr einen flüchtigen Schimmer
der jenseits gelegenen orientalischen Sonnenländer; der nordische
Gebirgsbewohner^ der in die Küstenländer hinabstieg, staunte sie als
eine wunderbare Naturgestalt an, aber er konnte nicht, wie der
Orientale, sorglos sein Dasein an sie knüpfen und in ihi*em Schatten
Märchen ersinnen und anhören : eine schwerere Arbeit war ihm unter
dem rauheren europäischen Himmel auferlegt. Zwar ist alle Baum-
zucht, wenn sie auch nachdenkliche, zusammenhängende Thätigkeit
voraussetzt und entwickelt, eine leichtere, in gewissem Sinne humanere
Beschäftigung: aber von dem Leben unter der Dattelpalme gilt dies
in allzu hohem Grade, und der Mensch, dem sie fast ohne sein Za-
thun Alles gewährt, bleibt ewig in düsterem Fatalismus gebunden,
und unter der würdevollen Ruhe, die ihn selten verlässt, schlummert
eine heisse^ tigerartige Leidenschaft.
Von wem den Griechen die Kenntniss des wunderbaren Baumes
zugekommen war, lehrt uns gleich an der Schwelle der Name, den
er bei ihnen führt. Wie q>oivi^ Scharlach die aus Phönizien stam-
mende Farbe, (poivi^^ q>oivixiov ein phönizisches musikalisches
Instrument, so bezeichnete q)olvi§ Dattelpalme den aus Phönizien
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Die Dattelpalme. 219
herrälireiiden Baam, ^^) der als charakteristischee Produkt und zu-
gleich Symbol des Landes auf phönizischen, später karthagischen, in
Sicilien geschlagenen Münzen wiederkehrt. Die Ilias weiss von der
Palme nichts, die an der anatolischen Küste ganz eben so, wie im
eigentlichen Griechenland ein Fremdling ist; aber Odyss. 6, 162, in
der ältesten und schönsten Partie dieses Epos, wird der Palme auf
Delos gedacht, in Worten, aus denen die Bewunderung spricht, die
das neu erschienene, fremdartige Pflanzengebilde bei den Griechen
der epischen Zeit erregte. Odysseus hat sich am Meeresstrande der
Naosikaa genähert und spricht zu ihr schmeichelnd und um Hülfe
flehend:
Denn noch nirgends sah ich, wie Dich, der Sterblichen eiDen,
Sei es Weib oder Mann, und Bewunderung fasst mich beim Anblick.
Also auf Delos erblickt' ich einst mit Augen der Palme
Joog aufstrebenden Spross am Altar des Phöbus ApoUon.
Denn dorthin auch war ich gelangt mit vielen Genossen
Aof der Fahrt, die mir schwer zum Unheil sollte gereichen.
So nun jene erblickend erstaunt' ich lang' im Gemüthe,
Denn nicht trägt ein solches Gewächs sonst irgend die Erde.
So auch Dich, o Jungfrau, schau ich bewundernd und fQrchte
Flehend die Knie zu berühren, und schmerzliche Trauer befängt mich.
Der weitgewanderte Odysseus also hatte sonst nirgends auf Erden
einen Baum (dogv — in dieser alterthümlichen Bedeutung nur an
dieser einen Stelle, sonst bei Homer immer Balken, Speer; wohl mit
Bezug auf den graden, zweiglosen, oben in einer Erone endigenden
Schaft), wie den Spross des Phönix (q>oinxog egvog) gesehen, und
er yergleicht die schlanke Bildung des letzteren mit der Gestalt der
königlichen Jungfrau, ganz wie der Sänger des Hohen Liedes, 7, 8:
»Dein Wuchs gleicht der Palme und deine Brüste den Datteltrauben",
und wie Königstöchter im Alten Testament den Namen Tamar,
Dattelpalme, tragen. Auch der homerische Hymnus auf den delischen
Apollo, der bei einer delischen Festversammlung gesungen worden
sein mag, yersäumt nicht die Palme zu nennen, die der Stolz der
Insel war; an ihrem Fuss, den Stamm mit den Armen umfassend,
117: afifl de q>omi(i ßdle nri%BB^ gebiert Leto iliren herrlichen
Sohn. Je besuchter die Insel als apollinischer Wallfahrtsort und als
Emporium wurde, desto höher stieg der Ruhm der delischen Palme,
zomal da er auch in der Odyssee einen Wiederhall gefunden hatte. **)
Palmblätter dienten später bei den vier grossen Festen als Sieges-
zeichen, theils in Gestalt von Kränzen auf dem Haupt, theils als
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220 Die Dattelpalme.
Zweig in den Händen: zur Erklärung dieser Sitte, die schon Pindar
kennt (s. Boeckh zu Pind. Fr. p. 578), berichtete der Mythus,
Theseus habe, von Kreta zurückkehrend, in Delos zu Ehren Apollos
ein Kampfepiel gefeiert und die Sieger mit Zweigen der Palme ge-
schmückt, und dies sei dann auf die übrigen Spiele übergegangen
(Plut. Thes. 21. Sympos. 8, 4, 3. Pausan. 8, 48, 2). Wir deuten
dies so, dass nicht bloss die Palme als Attribut des Licht- und
Sonnengottes Apollon, sondern der Palmzweig als Symbol des Sieges
und der Siegesfreude über Kreta und Delos aus dem Kultur- und
religiösen Vorstellungskreise der Semiten gekommen war, denn auch
bei diesen dienten Palmen als Zeichen des Lobes und Sieges und
festlicher Freude (z. B. am jüdischen Laubhüttenfest), und Theseus
personificirt die Fahrten und Thaten der attischen lonier zwischen
Kreta und Athen und erscheint als ein eifriger Jünger auch der
semitischen Aphrodite. Statt des Theseus nannte eine auf anderem
Lokal erwachsene Legende den Herakles : dieser hatte aus der Unter-
welt wiederkehrend zuerst die Palme erblickt und sich mit ihren
Zweigen bekränzt, Philargyr. ad V. G. 2, 67: quia Hercules cum ab
inferü rediret hanc primus arborem dicitur contemplatus e^e et se inde
coronassey conveniente colore arboris Uli eventui qtco e tenebrü in lucem
commeavit — wo im Herakles der orientalische Sonnengott, dem die
Palme als Baum des Lichts angehört, nicht zu verkennen ist. Da-
mals hatte der arkadische Held lasios als erster Ueberwinder im
Wettrennen von Herakles die Siegespalme erhalten, und Pausanias
8, 48, 1 sah sein Bild in der Stadt Tegea, wie er in der Linken ein
Ross führte und in der Rechten den Palmzweig hielt. Schon in der
Mitte des siebenten Jahrhunderts vor Chr. stiftete der Tyrann
Kypselos, der Herrscher im halborientalischen Korinth, eine eherne
Palme als Weihgeschenk in Delphi, woselbst die natürliche Palme
nicht wuchs: die unten am Stamme angebrachten Frösche und Wasser^
schlangen machten den spätem Mythologen und Hodegeten viel Kopf-
brechens (Plut. Conv. sept. sap. 21. de Pyth. oracc. 12); wahr-
scheinlich hatte der Künstler in naturalistischer Weise nur ausdrücken
wollen, dass die Palme, das Kind der Wüste, doch ohne im Boden
verborgenes oder aus der Tiefe hervorbrechendes Wasser nicht leben
kann, brakiges Wasser aber allem Uebrigen vorzieht — worüber ihm
in Korinth wohl Kunde zugekommen sein konnte. Wie Kypselos,
weihten auch die Athener zu Ehren ihres Doppelsieges am Eurymedon,
vielleicht um damit das Land zu bezeichnen, in welchem dieser Sieg
erfochten war, eine eherne Palme in Delphi (Paus. 10, 15, 3) und
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Die Dattelpalme. 221
später eine gleiche darch Niidas in Delos (Plut. Nie. 3, 5); Palm-
bäome sieht man auf Münzen von Ephesas, von Hierapytna and
Priansas auf Ereta^ von Earystos auf Euboa (s. Mionnet unter diesen
Städten) und aaf Vasengemälden als Attribut der Leto und des
Apollo oder auch den Palmzweig als dem Sieger am Ziele winkend
(z.B. vor einem brausend dahersprengenden Viergespann bei Miliin
1; pl 24). Dass auch das argivische Nemea schon zu Pindars Zeit
seine Palme besass, geht aus dem von Dionysius de comp. yerb. 22
aufbewahrten Anfang des in Athen gesungenen FrOhlings-Dithyram-
kus dieses Dichters hervor, v. 12:
Im Argeischen Nemea bleibt dem Seher nicht verborgen
Der Palme Spross, wenn der Hören Gemach sich öffnet
Und den duftenden Frühling empfinden die nektarischen Pflanzen —
wo die homerische Formel q>oivixog sgvog nichts anderes bedeutet
ab Palmbaum (Hesych. q>oivixog sqvoq' nBQiq>Qaa%ixü}q %ov q)oi-
J'ixö), der Seher, fidvtig^ aber wohl nur der priesterliche Wächter
ist, der den geweihten Baum beobachtet und pflegt. Auch zu Aulis
vor dem Tempel der dortigen Artemis fand Pausanias 9, 19, 5 Palm-
bäome stehen, die keine so schönen Datteln gaben, wie die von
Palästina, aber immer s&ssere, als die in lonien erzeugten. So hatten
sich denn im Laufe der Zeiten trotz des pythagoreischen Verbots:
HTjde q>oivixa g>VTeveiv, keinen Dattelbaum zu pflanzen, Plut. de Is.
et Os. 10 (weil Zweige dieses Baumes das Siegeszeichen abgaben,
ein solches aber den Pythagoreem gottlos schien) hin und wieder in
Griechenland die Umgebungen der Heiligthumer und Ortschaften mit
einzeben oder Gruppen jener* babylonisch-libyschen Wunderbäume
geschmückt, zum Staunen Jedes, der sie zum ersten Mal sah.
Wenden wir uns zu den Schicksalen der Palme in Siciüen und
Italien, so müssen wir vor Allem die Dattelpalme, phoenia dactylifera^
and die Zwergpalme, Chamaeropa kumilü, genau unterscheiden —
letztere ein in Spanien, Sicilien und auch Unteritalien auf heissem
Boden wucherndes, meist verkrüppeltes, blaugrünes Gesträuch, dessen
jnnge Blattsprossen, Wurzeln und Früchte gegessen, und aus dessen
fächerförmigen Blättern Kehrbesen verfertigt, Stricke gedreht und
Körbe, Matten u. s. w. geflochten werden. In Folge des gleichen
Namens palma sind häufig Notizen der Alten, die sich auf die Zwerg-
palme bezogen, irrig für die Geschichte der Dattelpalme benutzt
worden. Schon Theophrast sondert beide Arten aufs Bestimmteste,
h. pL 2, 6, 11: „die sog. Zwergpalmen (pi x(xfiaiQQig>€lg xaXovfiavoi)
sind von den Dattelpalmen verschieden, obgleich sie denselben Namen
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222 I>ie Dattelpalme.
tragen: sie leben nach Entfernung des Gehirnes fort (die schmack-
haften Blätterknospen, während die Dattelpalme abstirbt, v^enn man
ihr das cerebrum^ den Gipfeltrieb, nimmt) und abgehauen schlagen
sie aus der Wurzel wieder aus (dies sind die caeduae palmarum sä'-
vae, germinantes rursus ab radice succüae des Plinius, die Dattelpalme
treibt nicht wieder aus der Wurzel). Sie unterscheiden sich auch
durch die Frucht und die Blätter: letztere sind breit und zart (sie
sind denen der Fächerpalme nicht unähnlich), weshalb man auch
Körbe und Matten aus ihnen flicht (wie noch heut zu Tage). Die
Zwergpalmen sind häufig in Kreta, aber noch mehr in Sicilien.*
Von den Wurzeln und Trieben dieser sicilischen Küstenpalme nährten
sich die Matrosen der von ihrem Führer verlassenen Flotte bei Cic
Verr. II, 5, 87 : posteaquam paulum provecta classis est et Pachynum
quinto die denique apptUsa: nautae coacH fame radice» palniarum
agrestium^ quarum erat in iüis locis^ sicut in rnagna parte Sicüiae,
multitudo, coUigebant et his miseri perditique alebantur. Wenn Vergil
Aen. 3, 705 sagt: palmosa Selinm, so dachte er an die Zwergpalme,
die noch jetzt die Küstensteppe um die Ruinen dieser Stadt bei
Castelvetrano weit und breit überzieht Von derselben Palme kamen
die Kehrwische, mit denen der musivische Fussboden gereinigt wird,
bei Horaz Sat. 2, 4, 83:
Ten' lapides varios luttdenta rädere pahna^
und bei Martial 14, 82:
In pretio scopas testatur palma fuisse.
Zu den Stricken, Seilen und Matten, die Varro 1, 22, 1 aus Hanf,
Flachs, Rohr, Palmen und Binsen bereiten lässt, eben so zu den
Palmmatten, mit denen Columellas Oheim in der Provinz Bätica
zur Zeit der Hundstage seine Weinreben bedeckte (Col. 5, 5, 15),
dienten die Blätter der einheimischen Zwergpalme. Palma campestris
bei Colum. 3, 1, 2 ist offenbar Chanmerops humilis^ und eben dahin
gehört die regio palmae foecunda bei demselben 11, 2, 90. Das
Verbum palmare^ Colum. 11, 2, 96: caeterum palmare id est fnaterias
aUigare — kann weder von palma ^ die flache Hand, mit der sieb
nichts anbinden lässt, noch von palmes, palmitis^ gebildet sein, sondern
nur von palma^ die Zwergpalme. Selbst die planta palmarum bei
dem späteren Palladius 5, 5, 2, quam cephalonem vocamtis^ und die
den dürren Boden, der sonst keine Frucht trägt, von selbst über-
deckt, 11, 12, 2: constat autem locum prope nuUis utüem fructibus in
quo palmae ^onte nascuntur — kann keine andere sein, als die
Chamaerops humilis^ die noch jetzt in Italien cefaglione heisst (von
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Die Dattelpalme. 223
iyxitpaXoQy die essbaren obersten jungen Sprossen). Auch die Insel
Palfflaria, jetzt Palmarola^ hiess so von dem Palmengesträuch, mit
dem sie ursprünglich bewachsen war. — Aber auch die Dattelpalme
oder die Palme als wirklicher Baum tritt uns in Italien ziemlich
frühe entgegen. Zwar wenn erzählt WTirde, Rhea Silvia, die Mutter
des Romulus und Remns, habe im Traume am Altar der Vesta zwei
Palmbäume aufwachsen sehen^ von denen der eine grössere den ganzen
Erdkreis beschattete und zugleich den Himmel mit dem Gipfel be-
rührte, Ov. Fast. 3; 31:
Inde duae pariter, visu mirahüe, palmae
Surgunt. Ex iUü altera major erat
Et gravibus ramis totum protexerat orhem
Contigeratqtte sua sidera summa coma —
so konnte diese griechische Dichtung erst entstehen, als Kom schon
mächtig und an Siegen reich war, und das Vorbild gab der Wein-
stock ab, der aus dem Schooss der Mandane, der Tochter des Astyages,
emporwuchs und ganz Asien überdeckte, oder jener Oelkranz, den
Xerxes im Traum sah und dessen Zweige über die ganze Erde
rächten, Herod. 7, 19. Aber auch in Roms früherer Zeit, da es
noch klein war und sein Name nicht weit reichte, war schon die
lunica palmataj die die Römer mit den übrigen Abzeichen obrigkeit-
licher Herrlichkeit von den Etruskem überkommen hatten, mit den
Blattformen der orientalischen Dattelpalme gestickt. Palmzweige
als Siegespreis in den römischen Spielen kamen, wie Livius 10, 47
ausdrücklich berichtet, zuerst im Jahr der Stadt 459 oder 293 vor
Chr. vor, in Nachahmung griechischer Sitte: trandato e Graecia
more. Hieraus, wie aus der Palmstickerei wäre freilich noch nicht
mit Sicherheit zu schliessen, dass die Palmbäume selbst schon in
Italien wuchsen: die zu den Siegespreisen nöthigen Blätter konnten
za Schiff nach Italien kommen, wie noch heut zu Tage der See-
handel denselben Artikel für jüdische und christliche Feste liefert,
und die» um so leichter, als Palmblätter lange grün bleiben und
nicht welken. Aber um dieselbe Zeit im Jahr 291 vor Chr., geschah
folgendes Wunder im Hain des Apollo zuAntium: die Römer hatten
aus Anlass einer Pest die Schlange des Aesculap aus Epidauros ge-
holt und landeten mit ihr in der genannten Stadt; die Schlange, die
bis dahin den Abgesandten klug und willig gefolgt war und deren
Absichten errathen hatte, schlüpfte aus dem Schiff, ringelte sich um
ie dort stehende hohe Palme und kehrte nach drei Tagen ruhig in
das Schiff zurück, welches dann den Tiber hinauf nach Rom fuhr
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224 Die Dattelpalme.
u. 8. w. (Val. Max. 1, 8, 2). Man mag über diesen Vorgang denken,
wie man wolle: die Existenz eines Palmbaumes in Antiam mnss als
Anknüpfungspunkt für die Sage vorausgesetzt werden und hat in
einem Hafen mit lebhaftem Verkehr und Apollodienst nichts Un-
wahrscheinliches. Das Prodigium, welches Livius 24, 10 unter dem
Jahr 214 berichtet: in Apulia palmam viridem armse^ konnte nicht
geschehen, wenn damals in Apulien nicht wenigstens eine Palme
vorhanden war. Wie in Antium standen .wohl auch bei den
griechischen Städten in Unteritalien Dattelpalmen hin und wieder an
der schönen Küste als Begleiterinnen apollinischer Heiligthümer. Zu
Varros Zeit fehlte es an diesen Bäumen in Italien nicht, wie aas
seiner Bemerkung hervorgeht, der Palmbaum bringe in Judäa reife
Datteln hervor, in Italien vermöge er es nicht, 2, 1, 27: tum scitis
palmulas (Aldina richtiger: palmas) caryotaa in Syria parere in Judaea,
in Italia non posse? und bei Plinius im ersten Kaiserjahrhundert ist
der Baum schon in Italien gemein, 13, 26: Suntquidem et in Europa
volgoque Italia^ sed Stiles. Von wem aber war er ursprünglich in
Italien eingeführt worden? Wenn nach Livius die Palmen als Sieger-
schmuck in den römischen Spielen aus Griechenland stammten, wenn
auch die etruskische Palmenstickerei, wie Otfried Müller, Etrusker 1,
373, urtheilt, ein Ausfluss griechischer Sitte war — woher dann der
ungriechische Name palmaf Das Wort ist aus dem Lateinischen
nicht zu erklären; wie sollte auch ein so fremder exotischer Baum
einheimisch benannt worden sein? Palma muss aus dem semitischen
tamar^ tomer entstellt (wie aus Tadg der Pfau pavuSy pavo wurde),
oder es muss einer semitischen Sprache, in der der Anlaut wie p
klang, nachgesprochen worden sein. Letztere Annahme findet in dem
biblischen Tadmor und der entsprechenden griechisch-lateinischen
Benennung Palmyra^ Palmira (zuerst bei Plinius und Josephus), wo-
bei an keine Uebersetzung zu denken ist, einigen Anhalt ^ ^). Noch
vor den Griechen also oder vielmehr,- so zu sagen, an ihnen vorbei,
zu einer Zeit, in deren Seeverkehr uns der von Polybius autbewahrte
Schifffahrtstraktat einen Blick eröfiEnet, müssen entweder taskische
oder lateinische Schiffer den Baum an libyschen, sicilischen, sardi-
nischen Küsten erblickt und seinen Namen erfahren oder punische
Kauffahrer Zweige desselben, termites^ aTtddixeg^'^)^ an die italische
Küste gebracht haben, sei es als Wunder des Südens, wie auch
unsere Schiffer Papageien und Kokosnüsse bringen, sei es zom
Schmuck religiöser Feste oder als Zeichen der Huldigung für ein-
heimische Fürsten und Oberhäupter. So könnten auch die Etrusker,
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Die Dattelpalme. 225
wie die Namen, so aach den Gebraach der Palmblätter als Insignien
der Herrscherwürde ohne griechische Yermittelung direkt von den
Poniem gelernt haben. An die Fracht der Palme als Handels-
artikel ist nach dem gleich Anfangs Bemerkten in jener älteren Zeit
noch nicht zn denken. Das dem Semitischen entlehnte Wort daxzvlog,
dactybiSy welches mit Finger nichts zu thon hat, wie palma nichts
mit der Hand, kommt erst spät vor (bei Artemidor 5, 89, zar Zeit
der Antonine, und unter den Lateinern bei dem wahrscheinlich noch
Tiel jüngeren Apicius, denn bei Plinius 13, 46 sind die dadyli nur
eme bestimmte Sorte unter vielen andern), ist aber in alle romani-
schen Sprachen (itaL datterOj span. data, franz. datte) und von diesen
aach in die germanischen übergegangen. Aelter ist eine andere,
gleichfalls nur einer besonderen nussförmigen Art Datteln zustehende,
später verallgemeinerte Benennung: xagvonog, xagvcSvig^ l&t caryota,
caryoiü, häufig im ersten Jahrhimdert der Eaiserzeit, zu allererst bei
Yarro 2, 1, 27, dann bei Strabo und Scribonius Largus. Entsprechend
dem griechischen q>oivi^ die Dattel sagten die Dichter auch palma
für die Frucht, z. B. Ov. Fast. 1, 185:
qtdd vuU palma 9ibi rugosaque carica disi,
wie auch das verkleinerte palmula denselben Begriff ausdrückte,
schon bei Varro 1, 67. Doch gingen alle diese Ausdrücke wieder
Yerloren, und Dattel wurde der allgemein übliche Name in der west-
europäischen Handelssprache.
Da der in die Erde gesteckte Dattelkern bald keimt, so ist es
leicht, Palmen zu erziehen und zu vervielfältigen. Trüge der Baum
in Europa Frucht, wie im afrikanischen DatteDande, gewiss würden
dann an zahlreichen Stellen der drei ins mittelländische Meer aus-
iaofenden europäischen Halbinseln Palmenwälder rauschen^ und gewiss
liätten auch dann die Menschen Sorge getragen, beide Geschlechter
des Baumes neben einander zu pflanzen und der natürlichen Be-
frachtung, wie im Orient, künstlich zu Hülfe zu kommen. Als nach
dem Untergang der antiken Welt Barbarei über jene Gegenden herein-
brach und der Sinn für Anmuth des Lebens erloschen war, da
starben auch die Palmbäume allmählig ab, die etwa aus dem Alter-
tham sich noch erhalten hatten: sie brachten nichts ein, imd neben
der Sehnsucht ins Jenseits und der Selbstqual herrschte nur noch
der grobe gierige Eigennutz. So weit dann die Araber an den
Küsten des Mittelmeers sich niederliessen, ward auch die Palme
wieder sichtbar. In Spanien pflanzte um das Jahr 756 der christ-
lichen Aera der Ealif Abdorrahman I in einem Garten bei Gordova
Tkt Hebn, Knltnrpflanzen. 15
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226 ^^^ Dattelpalme.
mit eigener Hand die erste Dattelpalme, von der alle übrigen im
heutigen Spanien abstammen sollen (Gonde, historia de la dominacion
de los Arabes en Espana, part 2, cap. 9), und betrachtete sie oft in
sehnsüchtiger Erinnerung an die arabische Heimat, von der sie
beide, der Kalif und der Baum, so fern waren. Aehnlich thaten die
Saracenen in Sicilien und Ealabrien, doch hatte dieser Orientalismus
auf europäischem Boden nur fluchtigen Bestand. Bis in die neuere
Zeit waren einzelne Exemplare wie zufällig stehen geblieben, zur
Freude und Ueberraschung der Reisenden von Norden, durch welche
die Anwohner erst auf den malerischen vegetativen Schmuck, den
sie an dem Baum besassen, aufmerksam gemacht wurden. Wie in
so Vielem, war unterdess auch in dem Symbol der Palmen die
christliche Kirche der Bildersprache des Heidenthums und Judenthums
treu geblieben, und dieselben Zweige, die bei den Festen d^ Osiris
in Aegypten, bei feierlichen Einzügen der Könige und Kriegshelden
in Jerusalem, bei den olympischen Spielen und auf dem Kleide
römischer Imperatoren ein Zeichen der Siegesfreude gewesen waren,
wurden auch in Rom am Palmsonntage vom Haupte der Christen-
heit geweiht und an alle Kirchen der ewigen Stadt vertheilt. Dies
gab Veranlassung zur Anlage des grössten Palmenhaines, den das
jetzige Italien besitzt, des von Bordighera^ an der herrlichen üfer-
strasse, die von Genua nach Nizza führt, zwischen S. Remo und
Ventimiglia, unter fast 44 Gr. nördl. Breite. Die Einwohner dieses
Stadtchens haben seit alter Zeit (angeblich seit Errichtung des Obe-
lisken auf dem St. Petersplatze) das durch Gewohnheit geheiligte
Vorrecht, zum Osterfest Palmen nach Rom zu liefern, und diese
Industrie schuf allmählig die über mehrere Meilen sich hinziehende
Pflanzung, die über 4000 Stämme zählen soll. Um die theueren und
besonders geschätzten weissen Palmen zu erzielen, werden vom Hoch-
sommer an die Kronen oben zusammengebunden, so dass die innersten
Blätter, vom Licht unberührt, kein Chlorophyll erzeugen können und
dann ein Bild nicht bloss des Sieges, wie die grünen, sondern zu-
gleich der himmlischen Reinheit abgeben — ein acht christlicher
Gedanke, auf den die Alten nicht verfielen. Der Reisende, der um
die genannte Zeit die Riviera di Ponente durchzieht ^ sieht dann die
Palmengipfel in Gestalt riesiger Tulpenknospen sich erheben und be-
greift; AnfiEuigs nicht, was die Verstümmelung des schönen Baumes
bezweckt. Von Bordighera aus hat sich die Palme in einzelnen
Exemplaren längs dieser ganzen Küste verbreitet; in Rom bildet die
Palme vor S. Pietro in vinculis das Studium der Maler, die an
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Die Dattelpalme. 227
biblischen Scenen arbeiten; wer Capri besucht hat, kennt die Pahne
im Garten von Michele Pagano; in der villa nazionale von Neapel
sind jetzt einige prachtige Exemplare der Umgegend vereinigt, die
an danklen Sommerabenden, von dem bleichen Licht der weissen
Gasflammen getroffen, über den Klängen des Orchesters und den
Köpfen der ruhenden und auf- und abwandehiden Menge geisterhaft
schweben. Häufiger, mit der zunehmenden Kraft der Sonne, wird
der Baum nach Calabrien zu und in Sicilien und Sardinien. In der
Umgegend des calabrischen Reggio sollen ehedem ganze Wälder von
Dattelpalmen sich erhoben haben, die entweder von den Arabern
selbst, als sie von dieser Küste verdrängt wurden, oder von den
Christen als Nachlass der Ungläubigen zerstört wurden (G. Vom
Rath, ein Ausflug nach Calabrien, Bonn 1871, S. 15). Auch südlich
von Palermo soll durch die Könige aus dem Hause Anjou, als diese
im 14. Jahrhundert die Insel Sicilien wieder zu unterwerfen suchten,
eine ganze Palmenwaldung ausgerottet worden sein (Theob. Fischer,
Beiträge zur physischen Geographie der Mittelmeerländer, Leipzig 1877,
S. 146 f.). Wie zu Bordighera in Italien, steht in Südspanien, zu
Elche südwestlich von Alicante nach der Grenze des heissen Murcia
hin, zwischen 39 und 40 Gr. nördl. Br., ein berühmter Palmenwald,
60,000 Stämme stark, der nicht bloss Blätter in die Hand frommer
Waller, sondern auch süsse Früchte zum Genuss für Knaben und
Mädchen bietet. Die Araber wurden besiegt, die Moriscos ausge-
trieben und vertilgt, der Wald von Elche, obgleich ursprünglich von
ungläubiger Hand gepflanzt, blieb stehen, ein Zeichen von Glaubens-
schwäche selbst bei den Zöglingen Loyolas. Im äussersten Westen
mitten im Ocean auf den Inseln der Glückseligen fanden die ersten
Entdecker schon fruchtbare Dattelpalmen vor: wenigstens berichtete
der numidische König Juba, dessen Ausssage uns Plinius 6, 205 auf-
bewahrt hat, hanc (Canariam) et palmetis caryotas ferentibus ac niice
pinea (von pinus Canariensis) abundare. Waren von dem gegenüber-
liegenden Afrika etwa Dattelkerne durch die Wellen hinübergespült
worden und so die genannten Bäume auf jener Insel aufgegangen?
In der entgegengesetzten Weltrichtung hatten die früheren Araber
sogar am Südufer des kaspischen Meeres noch eine ergiebige Dattel-
zucht getrieben, so dass das kalte Reich der Russen hier seine
Grenzen bis fast an die subtropische Zone der Dattelpalme vorgerückt
hat; wenn aus jener Zeit nur noch einzelne Epigonen ohne Frucht-
ertrag übrig geblieben sind, so scheint v. Baer, der zuerst auf ihr
Vorkommen aufmerksam gemacht hat, mehr geneigt, den Untergang
15*
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I
228 ^^^ Cypresse.
dieser Kultur auf eine Abkühlung des Klimas, als auf die Indoloiz
der jetzigen Bewohner zurückzuführen (s. v. Baer im Bulletin der
Petersburger Akademie, 1860: „Dattelpalmen an den üfem des
Kaspischen Meeres, sonst und jetzt").
Cypresse.
(cupressus temperwrena L)
Nach A. V. Humboldt, Kosmos 2, 132, der sich auf Edrisi be-
ruft, scheinen die Gebirge von Busih westlich von Herat die ur-
sprüngUchc Heimat der Cypresse zu sein. Auf der Westseite des
Industhaies, in den Plateaulandschaften von Kabul und Afghanistan,
wo der Baum zu riesigen Grössen emporwachst, besonders aber in
dem genannten Busih oder Bushank, Fuscheng, findet auch Ritter,
auf Ibn-Hauqal und Edrisi gestützt, das wahre Vaterland der Berg-
Cypresse (Erdkunde, Band XI: „die asiatische Verbreitung der Cy-
presse"). Von diesem seinem Ursitz wanderte der Baum im Gefolge
des iranischen Lichtdienstes weiter nach Westen. In der schlanken,
obeliskenartigen, zum Himmel aufstrebenden Gestalt der Cypresse
schaute die Zendreligion das Bild der heiligen Feuerflamme; nach
dem Schäh-Nämeh stammte sie aus dem Paradiese, Zoroaster selbst
hatte sie zuerst auf Erden gepflanzt, sie ward die Zeugin für Onnuzd
und dessen reines Wort und prangte durch ganz Iran in alten ehr-
würdigen Exemplaren vor den Feuertempeln, in den Höfen der
Paläste, im Mittelpunkt der medopersischen Baumgärten oder Paradiese.
Frühzeitig, mit den ältesten assyrisch-babylonischen Eroberungszögen,
war sie in die Länder des aramäisch-kanaanitischen Stanmies gelangt,
auf den Libanos, auf die nach der Cypresse benannte Insel Cypem^ ®),
und ward auch hier ein heiliger Baum, in welchem eine Naturgöttin
gegenwärtig war, dieselbe, deren uralten verlassenen Tempel mit der
geweihten Cypresse Vergil uns im troischen Gebiete zeigt, Aen.
2, 713:
Est urbe egressis tumulua templumque vetmtum
Desertae CererU juxtaque antiqua citpressus
EeUgione patrum mtdtos servata per annoa —
und die er wie hier Ceres, so an einer anderen Stelle Diana nemit;
Aen. 3, 680:
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Die Cypresse. 229
Aeriae querem cnU coniferae cyparissi
Constiterunt^ süva aUa Jovü lucusve Dianae.
Mit der religiösen Bedeutung, dieselbe theils erhöhend, theils durch-
kreuzend, verschmolz eigenthümlich der technisch-praktische Werth,
den die Cypresse bei den Phöniziern gewann und später durch das
ganze griechische und römische Alterthum behielt Das Cypressen-
kolz, hart, duftend, in der Flamme mit angenehmem Geruch ver^
bremiend, galt zugleich f&r unvergänglich und unzerstörbar. Plat
de legg. 5 p. 741: die Landloose der Bärger sollen in den Tempeln
aof cypressenen Gredenktafeln für die Nachwelt, mq tov eneita
XQovop^ verzeichnet werden. Theophr. h. pl. 5, 4, 2: von Natur un-
yerweslich ist die Cypresse, Ceder (folgen noch eine Anzahl Hölzer);
von diesen scheint das Cypressenholz am meisten Dauer zu haben,
jfonciraTa doxel xa xvnagltziva ehai. Martial 6, 73, 7 (das Bild
des Priapus spricht):
Sed mihi perpetua nunquam moritura cupresso
Pkidiaca rigeat mentida cUgna manu,
Cypressenstamme wurden zum Bau der phönizischen Handelsschiffe
allen übrigen vorgezogen; wie schon die Arche No&h aus Cypressen-
kolz bestanden haben sollte, so baute noch Alexander der Grosse
seine Euphratflotte aus diesem edlen Material, das er zum Theil quer
über Land in fertig gezimmerten Stücken aus Phönizien und Cypem
bezog (Strab. 16, 1, 11 und Arr. 7, 19, 3), so wie Antigonus zu der
seinigen im Kriege gegen die wider ihn verbündeten Mitfeldherren
die prachtvollen Cedem und Cypressen des Libanon fallen liess
(Diod« 19, 58). Das Cypressenholz wurde zu kostbaren Kisten, zu
Thüren der Tempel, z. B. zu denen des ephesischen Dianentempels
(Theophr. h. pl. 5, 4, 2) u. s. w. verarbeitet; es war im Bezirk des
delphischen Tempels bei dem fiiXa&gov verwendet worden, in welchem
Arkesilas den Wagen weihte, mit dem er in den pythischen Spielen
gesiegt hatte (Pind. Pyth. 5, 51); es diente zu Särgen Verstorbener,
denen es eine lange Dauer versprach. Als z. B. in Athen zu An-
fang des peloponnesischen Krieges jene öffentliche Bestattung der für
das Vaterland Gefallenen gefeiert ward, bei welcher Perikles seine
berühmte Rede zur Verherrlichung Athens hielt, da umschlossen
Schreine aus Cypressenholz, XocQvuxeg xvnaQlooivai^ je einer für jede
Phyle, die in die Erde zu bergenden Gebeine (Thuc. 2, 34). Auf
dem schon erwähnten prachtvollen Getreideschiff Hiero des zweiten
von Syrakus, diesem Great Eastem des Alterthums, dessen Bau
Archimedes als Ober-Ingenieur leitete, bestanden Wände und Dach
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230 ^^^ Cypresse.
des Aphrodisiums aus Cypressenliolz, die Thür aus Elfenbein und
Thujaholz. Besonders aber zu Idolen der Götter — und deren waren
in grossen und kleinen Heiligthümem eine Unzahl über ganz Griechen-
land zerstreut — wurde gern duftendes, der Zeit und den Würmern
widerstehendes Cypressenholz genommen: wie man sich das Scepter
des Zeus aus diesem Holz bestehend dachte (Diog. Laert. 8, 1, 8 (10),
Jambl. de vit. Pyth. 155), so schien es auch für §6ava d. h. hölzerne
Götterbilder (neben Eben-, Cedem-, Eichen-, Taxus- und Lotosholz,
Pausan. 8, 17, 2. Theophr. h. pl. 5, 3, 7) ein besonders würdiger Stoff.
Der komische Dichter Hermippus, der im Beginn des peloponnesischen
Krieges blühte, nennt in einer uns erhaltenen merkwürdigen Stelle,
die den Handel des mittelländischen Meeres in parodischen home-
rischen Hexametern schildert, unter den Artikeln, die zur See nach
Athen kamen, auch kretisches Cypressenholz zu Statuen der
Götter, Meineke Fr. com. gr. 2, 1, p. 407:
doch aus Kreta, der schonen, Cypressen zu Bildern der Götter —
und Xenophon erzählt, wie er nach der Rückkehr aus Asien bei
Olympia einen kleinen Tempel der ephesischen Artemis und darin
das Bild der Göttin aus Cypressenholz gestiftet habe (Anab. 5, 3, 12).
Auch die älteste Athletenstatue, die Pausanias in Olympia sah, die
des Aegineten Praxidamas, vor OL 59 (c. 540 vor Chr.), bestand
aus Cypressenholz und hatte sich besser erhalten, als eine andere,
etwas spätere, die aus Feigenholz gearbeitet war (Paus. 6, 18, 7).
Nicht anders in Italien. Plinius spricht von einem sehr alten Idol
des Vejovis auf der arx in Rom, das aus Cypressenholz bestand
(Plin. 16, 216), und Livius erzählt, wie im Jahre 207 vor Chr. zwei
aus diesem Stoff gearbeitete Bilder der Juno Regina in feierlicher
Prozession in den aventinischen Tempel der Göttin gebracht wurden
(Liv. 27, 37). Was vor Zerstörung durch Würmer und Insekten be-
wahrt bleiben sollte, wurde auch bei den Römern in cypressene
Kästchen eingeschlossen z. B. Manuscripte bei Horaz, ad Pis. 332:
cannina — levi servanda cupresso.
Kein Wunder nun, dass einen religiös so hoch verehrten und
technisch so nützlichen Baum die Phönizier und Philister schon in
ältester Zeit überall verbreiteten, wo sie sich niederliessen und wo
das Klima es erlaubte. In Kreta, dieser frühe semitischen Insel, ge-
dieh die Cypresse so mächtig und stieg so hoch die Gebirge hinan
(Theophr. h. pL 4, 1, 3), dass diese Insel für das ursprüngliche
Vaterland derselben gehalten werden konnte, Plin. 16, 141 : kuic patria
itmUa Creta. Der homerische Schiffskatalog kennt bereits anf dem
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Die Cjpresse. 231
griechischen Fesilande zwei nach der Cypresse benannte Oertlichkeiten,
die eine in Phocis anf dem Pamass, B. 2, 519:
Die Eyparissos umher uod die felsige Pjtho bewohnteo,
die andere in Triphylien, im Gebiet des Nestor, IL 2, 593:
Auch die KyparisseTs und Amphigeoeia bestellten.
Auch an der lakonischen Küste, einem frühen Schauplatz phöuizischer
Einwirkungen, lag eine Hafenstadt KvnaQiaaia^ wie denselben oder
einen ähnlichen Namen auch eine messenische Ortschaft trug; in
beiden Städten ward eine ^uid^rjvS KvnaQiaaia verehrt, in der wir
eine griechisch benannte semitische Gottheit vermuthen dürfen.
Wandert man an der Hand des Pausanias durch das spätere Griechen-
land, so trifft man hin und wieder auf Cypressenhaine, in denen,
was wohl zu beachten ist, meist Dämonen asiatischer Herkunft ver-
ehrt werden, so auf der Burg von Phlius die Ganymeda, eine dem
Dionysos wesensverwandte, in keinem Bilde verehrte Göttin, sonst
auch Dia genannt (Strab. 8, 6, 24), die Löserin der Bande, an deren
Cypressen befreite Gefangene ihre Fesseln aufhingen (Paus. 2, 13, 3),
oder im Kraneion, einem Cypressenhain bei Korinth, die Heiligthümer
des Bellerophontes und der Aphrodite Melainis (Paus. 2, 2, 4), oder
die himmelhohen Cypressen von Psophis in Arkadien, die am Grabe
des Alcmäon standen und von den Einwohnern Jungfrauen ge-
heissen und nicht angetastet wurden (Paus. 8, 24)^^). Dass die
Cypresse aus semitischen Landen nach Griechenland eingewandert
war, wird schon durch den Namen xvnoQiaaog (im älteren Hebräisch
gofer, 1. Mos. 6, 14) ausser Zweifel gesetzt. Vielleicht bildete, wie
so oft, die Insel Kreta dabei eine Zwischenstation: darauf deutet
wenigstens eine von Serv. ad Aen. 3, 680 aufbehaltene Version des
Mythus von der Verwandlung des Kyparissos in einen Cypressen-
baom: danach war dieser Jüngling ein Eretenser, wurde von Apollo
oder vom Zephyr geliebt, flüchtete, um seine Keuschheit zu bewahren,
zum Flusse Orontes und zum mons Castus (woselbst Baal als
Himmelsgott thronte, ein alter den Aramäem und Philistäem ge-
meinsamer Kultus) und wurde dort in den nach ihm benannten
Baum verwandelt. Was die Zeit dieser Einführung betrifFk, so kennt
die Bias, oder wenigstens das Stück derselben, welches unter dem
N^amen xcetaXoyog %civ vetSv ein abgesondertes Ganze bildet, bereits,
wie so eben erwähnt, zwei nach der Cypresse benannte griechische
Städte, deren Griündung also das Dasein des Baumes schon voraus-
setzt. In der Odyssee und zwar dem ältesten, ächtesten Kern der-
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232 ' Die Cypresse.
selben, wächst der duftende Cypressenbaum schon in dem Park um
die Höhle der Kalypso, 5, 63:
Ringsher breitete sich MschgrQnender Wald um die Grotte,
Eller und Pappel und auch die balsamreiche Cypresse —
und in dem zweiten Theil der Odyssee, der auf Ithaka spielt, er-
scheint das Cypressenholz wenigstens als Baumaterial, entweder ein-
geführt oder an Ort und Stelle gewonnen]: Odysseus lehnt sich, in
Bettlergestalt auf der Schwelle seines Palastes sitzend^ an die Thür-
pfosten aus Cypressenholz, die der Zimmermann einst kundig geglättet
und nach dem Richtmass gefilgt hatte (17, 340). In dem be-
schränkteren Kreise des Hesiodus ist von der Cypresse nirgends die
Rede.
Da die Cypresse kein Fruchtbaum ist (Schwätzer wurden gern
mit den fruchtlosen Cypressen verglichen), und da ihre religiöse Be-
deutung bei den Griechen keine sehr ausgebreitete war, so fällt ihre
Versetzung nach Italien schwerlich in die Zeit der ersten Colonisation.
Zwar spricht Plinius (16, 236) von einer Cypresse im Yolcanal in
Rom, die zu Ende der Regierungszeit Neros zusammenbrach und
eben so alt wie die Stadt gewesen sein sollte, aber wer besass da-
mals die Mittel, jenes Alter zu berechnen? Glaublicher sagt derselbe
Schriftsteller an einer anderen Stelle, die Cypresse sei ein in Italien
fremder Baum, dessen Acclimatisation schwierig gewesen, daher auch
Cato so umständlich über ihn handle, 16, 139: cupresstts advena et
difßciUime nascentium fuit^ ut de qua verbosius saepiusque quam de
Omnibus aliü prodiderit Cato. In Theokrits Idyllen, die auf dem
wärmeren Boden Siciliens spielen, ist ein Jahrhundert vor Cato die
Cypresse schon ein öfters erwähnter und gepriesener Baum, z. B.
11, 45, wo der verliebte Polyphemos die Galatea in seine Höhle
lockt, die von Lorbeeren und schlanken Cypressen, ^adivai xv-
naqiaaoi^ umwachsen ist Von Sicilien scheint der Baum über Tarent
ins innere Italien gelangt zu sein, wie aus Catos Bezeichnung tar en-
tin ische Cypresse (151, 2) hervorgeht, Plin. 16, 141: Cato Taren-
ünam eam appeUat^ credo quod primum eo venerit. Dies wird in der
Zeit nach Unterwerfung Tarents geschehen sein, wo der hellenisirende
Einfluss der Stadt auf das neue römische Gebiet mächtig war, und
wo zugleich der Geschmack an Villen, Parks, Grabmälem, die Freude
an der Schönheit der Bäume als solcher den Römern allmählig auf-
zugehen begann. Dass auch der Nutzen, den die Cypresse als bei
Tischlern und Schnitzlern im Preise stehendes Holz brachte, dem
praktischen Volke bald einleuchtete, erhellt aus der Nachricht des
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Die Cypresse. 233
Plinias, die Alten hätten eine Cypressenpflanzung die Aussteuer
far die Tochter zu nennen gepflegt, 16, 141: quaestümssima in satus
ratione sika volgoque dotem JUiae antiqui plantaria appeüabant: man
pflanzte die Bäume etwa bei Geburt einer Tochter und mit ihr wuchsen
sie in die Hohe, als lebendiges Kapital, zugleich ihr Bild und Gleich-
niss^**). Auch um die Grenzen des fundus zu bezeichnen, wurden
ausser anderen Bäumen Reihen von Cy pressen gepflanzt (Varro 1, 15,
der aber zu diesem Zweck die Ulmen vorzieht). Als dann das rö-
mische Reich Afrika und Asien umfasste, verbreitete sich auch die
döstere immergrüne Cypresse in orientalischer Weise als Sjrmbol der
chthonischen Gottheiten (Plin. 16, 139: Diti sacra et ideo ßinebri signo
ad dornus posita\ zunächst natürlich bei den Vornehmen, die sich
bald die mystische Zeichensprache des Morgenlandes aneigneten,
Lucan. 3, 442:
Et tum phbefos luctus testata cupressua*
Bei den Dichtem des augusteischen Zeitalters ist die Cypresse
als Baum der Trauer, mit dessen Zweigen Leichenaltar und Scheiter-
liaiifen besteckt werden und der gern in Gegensatz zum Genuss der
heiteren Gegenwart gestellt wird, schon gewöhnlich, z. B. Horaz
Od, 2, 14,22:
neqw harunty quas colüy arborum
Te praeter invisaa cupressos
ÜUa brevem dominum sequetur —
oder Ovid. Trist. 3, 13,21:
Funeris ara mihi ferali cincta cupreseo
Convenü et structis flamma parata rogis.
Bei Vergil errichtet Aeneas dem Polydorus einen Altar mit schwarzen
Binden und Cypressenzweigen umwunden, Aen. 3, 64:
etarU manibus arae^
Ccteruleis maeetae viUis atraque cupresso —
wie auch am Scheiterhaufen des Misenus Cypressen angebracht sind^
6, 215:
Ingentem stnixere pyram: cui frondibus atris
Intexunt latera et feralie ante cupressos
Constituunt decorantque super fülgentibus armis.
Seit jener Zeit ist der herrliche Baum, der neben der Pinie die eigent-
liche Charaktergestalt der südeuropäischen Landschaft bildet, in
Italien eingebürgert. Wo die Cypresse beginnt, da beginnt das Reich
der Formen, der ideale Stil, da ist klassischer Boden. Eigentliche
Gypressenhaine, cupresseta^ sind in Italien indess nicht zu finden:
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234 I>ie Platane.
die Cypresse steht meist einsam oder in kleinen Grappen, oder sie
zieht in eben so düsterer als anmathiger Säidenreihe dahin. Wie
in der Ebene von Neapel der Blick besonders häa% auf Pinien
fallt, so im Amothal auf Cypressen. üeber die Alpen geht der
Baum nicht hinaus. So mächtig und schlank übrigens einzelne
Exemplare hin und wieder in Italien erscheinen mögen, z. B. in der
Yilla Este bei Tivoli, der Baum erreicht in diesem fremden Lande
doch nicht die Majestät, wie im Orient, wo nach Ritters Worten
„balsamisch duftende, ewig grüne, unvergängliche Haine solcher
Pyramidengestalten" über die weissen Gräber der Gläubigen ihre
schimmernde lichte Dämmerung verbreiten, z. B. in Scutari bei Eon-
stantinopel oder noch schöner in Smyma oder Brussa, und im An-
gesicht des Todes doch das Gefühl des ewig sich erneuenden, empor-
strebenden, unerschöpflichen Lebens erwecken.
Eine Abart der pyramidalen Cypresse, cupressus horizontaliSy mit
nicht aufstrebenden, sondern sich seitwärts ausbreitenden Zweigen ist
in Italien und Griechenland selten, in den wärmeren Oertlichkeiten
von Eleinasien häufiger. Ein herrliches Exemplar dieser Spezies,
die Cypresse des heil. Elias, findet sich in dem Prachtwerk|: die Lisd
Bhodus von A. Berg, Braunschweig 1862, Beschreibender Theü
S. 146, abgebildet
Platane.
(platanm orientalis L.)
Der Ruhm des Platanenbaumes erfüllt das ganze Alterthom,
das Morgenland vn^ das Abendland, xmd klingt noch heute aus
den Berichten älterer und neuerer Reisenden wieder. Was kann in
den dürren Felsenlabyrinthen südlicher Sonnenländer erwünschter
sein, ja mehr zu Andacht und Bewunderung stimmen, als der Baum,
der mit herrlichem hellem Laube an grünlich-grauem Stamme, mit
schwebenden, breiten, tiefausgezackten Blättern murmelnde Quellen
und Bäche beschattet und noch heute den Ankömmling empfangt,
wie er vor Jahrhunderten die Vorältem empfangen und mit Kühlung
erquickt hat? Welche Aussicht ist köstlicher, als die von verbrannten
Bergzinnen auf eine Platanengruppe tief unten, die Verkündigerin
eines Quells im feuchten Thalgrunde, wo der Wanderer losbinden,
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Die Platene. 235
sein Thier tränken^ seinen eigenen Durst stillen und im Schatten
aosnüien kann? Mit welchem Entzücken beschreibt der platonische
Socrates jene Platane in der Nähe Athens, unter der er sich mit
Phädros zum Gespräch lagert, das eiskalte Wässerlein an ihrem
Foss, den Blutenduft von oben, die wehende Kühlung, den Chor der
Gicaden, den weichen Rasen — in Worten von so süsser Fülle, dass
das gekünstelte rhetorische Compliment, dass ihnen später Cicero
machte, uns recht abgeschmackt erscheint, de orat. 1, 7: illa (pla-
tanus), cujus umbram secutus est Socrates^ quae mihi videtur non tarn
tpsa aquula quae describitur, quam Piatonis oratione crevisse, Klein-
asien und die griechische Halbinsel, sonst von Menschenhand so
schmählich yerwüstet, weisen doch noch immer einzelne Platanen von
ri^enhafter Grösse und hohem Alter auf. Weit und breit berühmt
ist die ungeheuere Platane von Yostizza, dem alten Aigion in Achaja,
deren Stamm, eine EUe vom Boden, über vierzig Fuss im Umfange
misst; der Baum hat noch seine vollständige Krone und „würde
vielleicht noch Jahrhunderte leben, wenn man nicht während der
Revolution den unten zum Theil hohlen Stamm zur Küche benutzt
und ihn bei dieser Gelegenheit angezündet hätte, so dass das Feuer
bis oben hinaus brannte** (Fürst Pückler, Südöstlicher Bildersaal, 2,
127). Jeder, der Konstantinopel besucht hat, kennt die Platanen
von Bajukdere, genannt die sieben Brüder, aneinander gewachsen,
durch Alter und die Feuer der Hirten ausgehöhlt, aber noch immer
majestätisch und herrlich. Stackeiberg (der Apollotempel von Bassä,
S. 14. Anm.) sah in der Nähe des Tempels eine Platane, deren
Stamm einen Umfang von 48 Fuss hatte, während die in demselben
befindliche Höhlung einem Schäfer für seine ganze Heerde als Hürde
diente. Der Verfasser von „Morgenland und Abendland" belichtet
(2, S. 131 der zweiten Aufl.) von Stanchio auf der Insel Cos: „Vor
der Moschee steht eine Platane, uralt und herrlich, dreissig Fuss im
umfang, und ringsum gestützt und getragen von antiken Marmor-
ond Granitsäulen, denen man keine schönere Ruhestätte anweisen
könnte." Von demselben Baume sagt der Fürst Pückler, die Rück-
kehr, 3, 164: „Mein erster Gang am folgenden Tage war nach der
berühmten Platane, die für den kolossalsten Baum dieser Gattung
im Orient gilt. Der Umfang ihres Stammes misst zwar nur fünf-
imddreissig Fuss, aber ihre Aeste beschatten den ganzen kleinen
Marktplatz von Stanchio. Sie werden von Marmorsäulen gestützt,
die man früher aus dem Tempel Aesculaps entnommen hat, und die
jetzt an ihrer Spitze meist schon von der Rinde der ungeheuren Aeste
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236 Die Platane.
wie mit einer dicken Wukt überwachsen sind und sich so völlig mit
ihnen amalgamirt haben. Zwei Sarkophage am Fasse des Banmes
dienen als Wasserbehälter.^ Bei dem in der arkadischen Gebirgs-
wildniss liegenden Höhlenkloster Megaspeläon steht die Platane, im
der der heilige Lucas das wunderthätige Bild der Mutter Gottes
malte: „ihr hohler aber frischer Stamm umschliesst die Eiipelle der
Panagia Plataniotissa, die so geräumig ist, dass zehn Menschen darin
Platz haben" (Ulrichs, Reisen und Forschungen in Griechenland, 1,51 ; s.
auchRoss, Königsreisen, 1, 169 flF.). NachDodwell, A classical and topo-
graphical tour through Greece, 1, 121, sind noch jetzt die Bazars oder
Marktplätze der meisten griechischen Städte von Platanen beschattet,
ganz wie einst die Agora von Athen durch Cimon mit Bäumen derselben
Gattung bepflanzt worden war (Plut. Cim. 13, 11). Schon die Alten
bewunderten einzelne alte, besonders umfangreiche und ehrwürdige
Exemplare. So erzählt Theophrast, h. pl. 1, 7, 1, von einer Platane
in der Nähe der Wasserleitung im Lyceum bei Athen, die, obgleich
sie noch jung war, doch schon Wurzeln von drei und dreissig Ellen
Länge getrieben hatte. Auch Pausanias weiss auf seiner Wanderung
hin und wieder von gewaltigen, an die Fabelwelt geknüpften Indivi-
duen dieser Bäume zu berichten. So sah er bei Pharä in Achaja
am Flusse Pieros Platanen von solcher Grösse, dass man in der
Höhlung der Stämme einen Schmaus halten und nach Belieben aacli
darin schlafen konnte (7, 22, 1), und bei Kaphyä in Arkadien die
hohe und herrliche Menelals d. h. die Platane des Menelaus, die
dieser Held selbst, wie die Umwohner sagten, vor der Abfahrt nach
Troja an der Quelle gepflanzt hatte (8, 23, 3). Nach Theophrast,
h. pl. 4, 13, 2, war der Baum von Kaphyä •vielmehr von Agamemnon
gepflanzt worden, auf den auch die Platane am kastalischen Quell
in Delphi zurückgeführt wurde. Nimmt man dazu die Platane der
Helena bei Theokrit 18, 43 ff., so sieht man, wie die Sage diesen
Baum, der als Schatten- und Wonnebaum immer den Königen, über-
haupt den Hohen und Reichen gehörte, gern mit den Pelopiden, als
dem eigentlichen Herrschergeschlechte, in Verbindung brachte. Als
unter ihrer Führung die Helden in Aulis sich zur Abfahrt rüsteten,
da brachten sie am Quell unter einer Platane das Opfer, D. 2, 307:
unter der schonen Platane, wo blinkendes Wasser hervorquoll,
und dort ward ihnen in den Zweigen des Baumes das Zeichen,
welches Kalchas auf zehnjährige Dauer des Zuges deutete. Griechen-
land hatte den Baum und die Freude an ihm (sie drückt sich in dem
Adjectiv schön, xaA^, aus) aus Asien überkommen, wo die Platane,
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Die Platane. 237
wie die Gypresse, von Alters her bei den baamliebenden Iraniem
and den vorder-iranischen Stämmen Eleinasiens in religiöser Verehrang
stand. Bekannt ist die schöne £pisode im Eriegszage des Xerzes
gegen Hellas, die uns Herodot 7, 31 und Aelian Y. H. 2, 14, auf-
bewahrt haben : der König kam auf dem Wege nach Sardis in Lydien
m einer Platane, deren Schönheit sein Gemüth so ergriff, dass er
sie, wie ein Liebender die Geliebte, beschenkte, ihre Zweige mit
Goldketten and Armbändern umwand und einen immerwährenden
Wächter für sie bestellte. Hamilton, Reisen in Eleinasien, deutsche
üebersetzuDg 1, 470, zog ganz in derselben Gegend an dem halb-
Terrotteten Stamme einer der riesigsten Platanen vorüber, die er
jemals gesehen, und deutet an, es könne vielleicht noch die nämliche
sein, die einst von Xerxes bewundert wurde. In derselben Land-
schaft wurde auch die hohe Platane des Marsyas gezeigt, an der der
Gott Apollo seinen unglücklichen Gegner aufgeknüpft hatte, Plin. 16,
240: regionem Aulocrenen diaimtUy per gtuim ab Apamia in Phrygiam
iiur; ibi platanus ostenditur^ ex qua pependerit Marsyas victus ab
ApolUney quae jam tum magnitudine electa est Einen der grössten
Bäume der Art beschreibt derselbe Plinus 12, 9 als in Lykien befind-
Kch, wo er ohne Zweifel gleichfalls durch den Mythus geheiligt war:
er stand, wie immer, an einer Quelle, fonUs gelidi socia amoenitate^
und die Weite seiner Höhlung betrug 81 Fuss, obgleich die Krone
noch so kräftig grünte, dass sie ein breites undurchdringliches
Schattendach bildete; der Consul Licinius Mutianus, als er in dieser
Platane mit achtzehn Gästen gespeist und nach dem Schmause geruht,
gestand, dass sie ihm eine schönere Umgebung gewährt habe, als
die gold- und bildgeschmückten Marmorsäle Roms bieten konnten.
Bei Homer erscheint die Platane nur an der einen so eben erwähnten
Stelle, die möglicher Weise jüngeren Datums ist; wenigstens dem
Dichter der herrlichen Stelle Od. 17, 204 ff., wo der pappelbeschattete
Quell in der Nähe der Stadt Ithaka beschrieben wird, kann der
Baum schwerlich bekannt gewesen sein. Nach Homer findet sich
zuerst wieder bei Theognis ein Platanenhain in Lakonien erwähnt
(unter der Form nXaxaviaxovg) und auch dieser Hain stand an einem
kalten Wasser, mit dem ein Winzer seine Reben tränkte (v. 879 — 884).
Die Phönizier hatten die Platane nicht nach Griechenland gebracht,
denn sie ist kein semitischer Baum; zwar stand bei Gortyn auf Kreta
die angeblich immergrüne Platane, unter welcher Zeus mit der Europa
ach vermählt hatte (Theophr. h. pl. 1, 9, 5), allein in dem Europa-
dienst von Gortyn muss das phönizische Element mit lykisch-karischem
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238 I>ie Platane.
sich durchdrungen haben (Movere, 2, 2, S. 80). Denn auch den
Karem war die Platane, wie den Lykiem, ein heiliger Baum: nach
Herodot 5, 119 stand bei Labraynda ein ausgedehnter, dem ein-
heimischen Zeus Stratios geweihter Platanenhain, in dessen Schutz
sich die von den Persem geschlagenen Karer zurückzogen (ein
iranischer Zug in dem sonst semitischen Charakter der karischen
Religion). Als eigentliches Heimatland der Platane möchten nach
Grisebach, Vegetation der Erde, 1, 310, die Gebirge der vorder-
asiatischen Steppen gelten dürfen, wo die Platane am Taurus bis
über 5000 Fuss ansteigt. Dass die Griechen den Baum nicht aus se-
mitischem, sondern aus phrygisch-lykischem oder überhaupt iranischem
Kulturkreise empfangen hatten, beweist auch der Name desselben
(jiXaxavLoto^ bei Homer und Theognis und Herodot, nXazavoq bei
den Attikern): an phönizischen Ueberlieferungen haftete auch der
phönizische Name; nXaxaviatog aber — der breitblatterige oder
weitschattende Baum — ist entweder innerhalb der griechischen
Sprache selbst gebildet worden {ulazvg breit u. s. w.) oder, was
uns wahrscheinlicher ist, lautete schon in dem verwandten iranischen
Idiom ähnlich (zendisch fraih ausbreiten, pei^ethu breit, von der
Wohnung, den Wolken, der Erde, Justi Handbuch S. 191. Die
spätem persischen Namen des Baumes, dfulh^ dtdbar und tscfdnch'y
tachandl sind auch in die neueren semitischen Sprachen übergegangen,
die sich also darin von iranischer Kultur abhängig zeigen, P. de
Lagarde, Ges. Abhandlungen S. 31). Eine schöne Abbildung der
orientalischen Platane findet sich in der Ausgabe des Marco Polo
von H. Yule, London 1871, 1, 120.
üeber die Verbreitung des Platanenbaums weiter in den euro-
päischen Westen haben wir ein gewichtiges Zeugniss des Theophrast,
h. pl. 4, 5, 6: „In den Landschaften um das adriatische Meer soll
die Platane nicht vorkommen, ausser um das Heiligthum des Dio-
medes (i h. auf der Diomedes -Insel, einer der jetzt sogenannten
Tremiti-Inseln, nordlich vom Garganos- Vorgebirge), in Italien soll
sie selten sein, obgleich es dem Lande an grösseren Gewässern nicht
fehlt; diejenigen Platanen wenigstens, die der ältere Dionysius in
Bhegium in seinen Baumgarten gepflanzt hatte und die jetzt im
Gymnasium stehen, "wollen trotz aller Pflege nicht recht gedeihen.*
Diese Nachricht wiederholt Plinius 12, 6, erweitert sie aber, wir
wissen nicht ob aus andern Quellen oder bloss durch Interpretation
der ihm vorliegenden Stelle des Theophrast, dahin, dass der Baum
zuerst ins adriatische Meer nach dem Grabe des Diomedes auf der
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Die Platane. 239
nach diesem Helden benannten Insel, dann nach Sicilien nnd früh-
zeitig, inter prinuzs^ nach Italien gebracht worden sei — worauf die
Geschichte von der Aopflanzung des Dionysius in Rhegium folgt.
Bei den romischen Grossen des letzten Jahrhunderts der Republik ist
Anpflanzung von Platanen ein vornehmer Zeitvertreib, gleich den
Fischteichen nnd andern kostspieligen Anlagen in YiUen imd Qärten«
wahrend geringe Leute natürlich lieber einen Fruchtbaum setzten^
der etwas tragen und einbringen konnte. Dass es den Platanen gut
thue, mit Wein statt mit Wasser begossen zu werden, war ein der
reichen Aristokratie willkommener Aberglaube^ da er dem Hange
nach exclusivem Luxus entgegenkam. Von dem berühmten Redner
Hortensius, dem Zeitgenossen des Cicero, wird berichtet (Macrob.
Sat. 3, 13, 3), er habe einmal bei einer Gerichtsverhandlung den Cicero
gebeten, mit ihm die Reihe im Reden zu tauschen, da er nothwendig
anf seine YiUa bei Tusculum müsse, um seine Platane eigenhändig
mit Wein zu begiessen. Wie einst Menelaus und Agamemnon und
später Dionysius nnd wie die persischen Könige, die fjeydloi ßaoilelg,
so pflanzte auch der grosse Cäsar am Guadalquivir eine Platane,
Ton der wir durch einen Hymnus das Martial wissen: ihr Wachs-
thom war in den Augen des Dichters ein Sinnbild der unvergäng-
lichen Herrlichkeit des Dictators und seines Hauses, 9, 61:
0 (Ulecta deis, o magni Caesaris arbor^
Ne metuas ferrum sacrüegosque focos.
Perpetuos sperare licet tibi frondis honores:
Non Pompejanae te posuere maniis,
ha dichten Schatten dieses aristokratischen Baumes am kühlen Quell
dem Genüsse der Ruhe und des Weines sich hingeben, ist auch bei
den Dichtem, den Freunden des Hofes Lieblingssitte. Verg. G.
4, 146:
Jamque ministrantem platanum potantibus umbram.
Her. Od. 2, 11, 13;
Cur non mb aUa vd platano vd hac
Pinu jacentes potamus unctif
Bei Ovid, Met. 10, 95, heisst die Platane genialis d. h. ein wonniger,
der Pflege des Genius oder dem Lebensgenuss dienender Baum.
Indess regt sich in acht römischer Weise auch wieder das Ge-
wissen, den heiligen Boden, die fruchtspendende Erde durch einen
blossen Schönheitsbaum, der keinen Nutzen brachte, zu entweihen —
etwa wie man den Kindern verbietet, mit Brod zu spielen. Daher
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240 Die Platane.
die Ausdrücke: platanus vidua^ sterüü^ caelebs^ z. B. Hör. Od.
2, 15:
Jam pauca aratro jugera regiae
Molen retinquenty undique kUhis
Externa vieetUur Lucrino
Stagna lacu platanusque caelehe
Evmcet ulmos —
welche letztere nämlich Weinreben za tragen geeignet sind, oder die
Klage des Nussbaumes bei Ovid, Nuc. 17:
At poäquam platanis sterilem praebentibus umbramy
Uberior quavis arbore venu hanoe:
No8 quoque frugiferae, ei nux modo ponor in tWt»,
Coepimus in patulae luxuriare comas,
Plinius drückt dies Gefühl in directen Worten aus, 12, 6: quis tum
jure miretur arborem ttmbrae graUa tantum ex alieno pedtum orbef
Flatanus — jam ad Morinos tisque pervecta ac iribtUarium etdam de-
tinens solumy ut gentes vecUgal et pro wmbra pendant Dass übrigens
die achte Platane, platanus orientalü, bei den Morinem am belgisch-
firanzösischen Seestrande angepflanzt worden sei and daselbst aas-
gedauert habe, ist nicht glaublich: es wird ein ähnlicher Schatten-
baum gewesen sein, der nordische Ahorn, acer platanrndes^ von Pli-
nius selbst 16, 66 der gallische oder weisse Ahorn genannt, für
welchen Baum eine merkwürdige gleichartige Benennung durch die
Sprachen der Kelten, Germanen, Slaven und — Thraker geht'*)
Aus noch weiterer Feme, als die Platane der Alten, und auch nur
um des Schattens willen ist der gewöhnlichen Meinung nach der
amerikanische Ahombaum, platanus occidentalisy zu uns gebracht
worden, der jetzt in Mitteleuropa vielfach zu Baumgängen verwandt
wird; Andere wollen in ihm nur eine Abart der orientalischen finden.
Nach den Beobachtungen von Theobald Fischer, Beiträge 150 ff,
ist indess die erstere Annahme bei weitem wahrscheinlicher.
Die Pinie.
(pinits pifua L,)
Die Geschichte des Pinienbaumes ist aus dem Grunde schwierig,
weil die Alten, wo sie der zapfentragenden Nadelbäume erwähnen
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Die Pinie. 241
die Arten derselben nicht strenge zu sondern pflegen und also der
Deutung und Yermuthung ein freies Feld lassen. Immerhin können
zwei Gruppen dieser Bäume mit hinreichender Sicherheit unterschieden
werden, die eine, ikaTrj genannt, pinus picea Z/., die andere mit dem
Doppelnamen nhvg und nevxr^y unter der die Pinie, wo sie überhaupt
?orkommt, mitbegriffen sein muss. Homer kennt schon alle drei Be-
oennangen; iXätrj ist ihm ein hoher, zum Himmel strebender Baum,
ovQovofirjxTjg^ negiin^xetog^ vxpi]Xijy also die Tanne; dass er aber
anter seiner nixvg die Pinie, pinus pinea^ den Baum mit dem rei-
zenden Schirmdach und den essbaren, mandelartigen Früchten ver-
standen hat, wie Fraas, Synopsis p. 263, annimmt, geht aus den
drei oder vielmehr zwei Stellen, in denen das Wort vorkommt, nicht
hervor. II. 13, 389 ff. und gleichlautend 16, 482 ff. heisst es von
dem in der Schlacht fallenden Helden:
Aber er stürzte dahin, wie der Eich bäum oder die Pappel
Oder die Fichte, die schlanke (ßhubpy])^ von Zimmerern hoch im Gebirge
Mit scbarfsch neidendem Beile gefallt zum Baue des Schiffes.
Hier führt das Prädikat ßXtJx^Qogy hochaufgeschossen, und die Ver-
bindung mit Eiche und Silberpappel weit natürlicher B^nipinus Laricio
oder auch auf die sonst iXatr} genannte pinus picea^ als auf den
nüssetragenden Pinienbaum, wie denn auch Odysseus, Od. 6, 239,
aof der Insel der Ealypso sein Schiff aus EUem^ Pappeln und Tannen,
llitTi^ baut. Ganz ebenso verhält es sich mit der anderen Stelle,
Od. 9, 186 ff., wo um die Höhle desCyclopen eine Hürde für Schafe
und Ziegen aus Steinen und
Ans langstammigen (jjMxfi^iv) Fichten und hochumwipfelten Eichen —
gebaut ist. Tlixvg und nevxrj sind nur verschiedene Formen desselben
Wortes, welchem die Bedeutung: harzreicher Baum, Pechbaum zu
Grrande zu liegen scheint Je nach den Landschaften mag bald diese,
bald jene Benennung für ein und dieselbe Species, oder umgekehrt
dieselbe Benennung für verschiedene Arten im Gebrauch gewesen
sein — Mne denn Theophrast h. pl. 3, 9, 4 ausdrücklich sagt, was er
^ivxTj nenne, heisse bei den Arkadem nizvg. Standort, Boden,
Klima, Altersstadium brachten gewiss auch damals schon Varietäten
hervor. Die ausführliche Darstellung bei Theophrast (in dem so
eben angeführten 9. Kapitel des drittenBuches seiner Pflanzengeschichte)
ist doch nicht bestimmt genug, um in unserem Sinne eine feste Syno-
nymik der Nadelhölzer möglich zu machen. In der dort vorkommenden
nUxTj ij^egog, die mit der nevxrj i} xo)voq>6Qog^ 2, 2, 6, identisch zu
sein scheint, erkennt man die Pinie, da jenes Adjectiv die von
Vkt. Hehn, KaUorpfl.ii.en. 16_ ^^ GoOglC
242 I>ie Pinie.
Menschenhand der Früchte oder des Schattens wegen gepflanzten,
veredelten Bäame zu bezeichnen pflegt, and xwvoiy Zapfen, auch
sonst als der specifische Ausdruck für die essbare Pinienfirucht auf-
tritt; aber nichts sagt uns zunächst, ob die zahme Kiefer ihren
wilden Repräsentanten in den griechischen Bergen hatte, oder ob sie
ein fremder Baum und im letztem Falle wann und von wo sie ein-
geführt war. Sehen wir auf die Namen für die Nüsse selbst, so ist
uns ein solcher angeblich schon aus einem Gedicht des Solon auf-
bewahrt: Phrynich. p. 396, ed. Lob. : crt yag vvv x&xxcciya kiyovai
oi fioXkoi 6Qx>dfg. xai yaQ 26l(ov kv %6lq noiijfiaai ovro) z^rar
Koxxwvag akXog, azeQog de a^aafjia.
Daraus geht nur hervor, dass xoxxwveg^ die bei Solon auch Granat-
kerne oder sonst eine Beere bezeichnen konnten, in der spätesten Zeit
als Pinienkeme gedeutet wurden. Dasselbe ist der Fall mit dem
verwandten Wort xoxxakog bei Hippokrates, von welchem Galenus,
XV. p. 848 Kühn, erklärend bemerkt, es sei dasselbe, was sonst
xürog genannt worden sei, bei den neueren Aerzten aber atgoßdog
heisse. Dass ein ähnlicher Ausdruck in späterer Zeit im Munde des
Volkes lebte, beweist auch der neugriechische Name für die Pinie
xovxowaQtd, Eine frühere Benennung war xcSvog, eine spätere otgo-
ßilog^ G^len. XI IT, p. 10 Kühn: ovg vvv anavTsg^EXlrivsg ovofid^ovai
OTQoßikovg^ %6 ndkai de nagd toig ^Aixtxoig ixalovwo xwvoi.
In der attischen Inschrift bei Böckh, Staatshaushalt 2, 356 (der
zweiten Ausg.), die vielleicht in das zweite Jahrhundert vor Chr.
gehört, kommen in der That unter anderem Naschwerk auch xaivoi
vor, aber ob sie in Griechenland gewachsen oder von auswärts ge-
kommen waren, wie z. B. die Datteln und die ägyptischen Bohnen,
erfahren wir nicht Pseudo-Herodot. vit. Hom. 20 sagt von der
Pinienfrucht, Einige nennten sie azgoßiXog^ Andere xüvog. Die Be-
nennung azgoßtXog tritt zuerst bei Aristoteles oder bei Theophrast
auf (Lobeck zu der obigen Stelle des Phrynichus). Wenn in der so
eben erwähnten Inschrift ausser xwvoi auch nvgriveg erwähnt werden,
so deutet Boeckh die ersteren gewiss richtig als Pignolen mit der
Schale, die letztem als geschälte (und zugleich gedörrte, weil sie sich
sonst nicht halten); das Wort nvgi]v^ welches in älterer Zeit ganz
allgemein den Kern der Früchte, z. B. der Weinbeere oder der
Olive (Herodot 2, 92), bedeutet hatte, erfuhr also dieselbe Entwickelang
der Bedeutung, wie xoxxiov^ xoxxakog, xoxxog. Eineji andern sonst
nicht vorkonmienden und von der Härte der Umhüllung entnommenen
Ausdruck ooTgaxig brauchte der athenische Arzt Mnesitheus, wie wir
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Die Pinie.
au8 AtheD. 2. p. 57 erfahren. Dioskorides im ersten Jahrhundert
nach Chr. hat die abstractere Benennung niTvtg, 1, 87: niwtdeg
di xaloTrrai 6 xagnog twv nttvov xai tijg nsvxrjg o evQiaxo/iievog
h Toig xiovoig — also die Kerne selbst, die in den Nüssen stecken.
Halt tkBXL alle diese Zeugnisse zusammen, so ergiebt sich als Resultat,
dass, je weiter in der Zeit hinab, desto deutlicher die Pinie hervor-
tritt, desto bestimmter allgemeine Namen auf die Pinienfrucht sich
&dren und desto gewöhnlicher die letztere als Naschwerk im ge-
meinen Leben erscheint. Bei den attischen Komikern geschieht der
Pignolen keine Erwähnung. In Sicilien kennt Theokrit die Pinien-
nüsse bereits als beliebten Leckerbissen: 5, 45 £P. wird ein angenehmer
Ruhesitz beschrieben, wo Quellen frischen Wassers sprudeln, die
Vogel zwitschern, die Schatten der Bäume Kühlung verbreiten und
die Pinie von oben ihre Nüsse abwirft:
ßaXXei de xal a nitvg v\po9e xcivoig —
(in der That öffnet der Pinienzapfen, nachdem er vier Jahre festver-
schlossen am Baume gehangen, von selbst die Schuppen und lässt dann
die Nüsse herabfallen, die dann nur aufgeklopft zu werden brauchen).
Auf dem italienischen Festland treffen wir die Pinie auch bei Cato,
der die Kerne säen lehrt, 48, 3: ntices pinecm ad eundem modum^
msi tanquam alium serito, Plinius 15, 35 beginnt seine Aufzählung
der Banmfirüchte schon mit vier Sorten essbarer Zapfenkeme, vier
verschiedenen Arten Bäume angehörig, darunter auch die picea sativa
and der Pinaster, dessen Nüsse die Tauriner in Honig einkochten
nnd dann aquicelos nannten. Wenn der jüngere Plinius in seinem
berühmten zweiten Briefe an Tacitus den aus dem Vesuv aufsteigenden
Rauch mit einer pinas vergleicht, 6, 20: nubes oriebatur^ cujus simüi-
iu^nem et farmam non alia arbor magü quam pintis expresserity so
erkennen wir deutlich unsere Pinie mit der gewölbten Laubkrone
aaf schlankem, oben in Aeste sich theilenden Stamme. Von den
Dichtem wird sie bei Schilderungen ländlicher Paradiese mitaufjgeführt;
sie war kein Wald-, sondern ein Gartenbaum und also gewiss fremder
Herkunft. Verg. Ecl. 7, 65:
Fraxinus in süvis pvlcherrimay pinus in hortis^
Populus in fluoiis, abies in montibus ahis.
Ovid. Art. am. 3, 687:
Est prope purpureos colli» florentis Eymetti
Föns sacer et viridi cespite mollis humus.
Sika nemus non alia facit; tegit arbutus herbam;
Bos maris et lauri nigraque myrtus olent.
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244 Die Pinie.
Nee densum foliis huxum fragilesque myricae
Nee tenue^ cytisi cultaque pinus dbest.
Petron. sat. 131:
Nohilis aestivas platanus diffuderat umbraa
Et baccü redimita daphne tremulaeque cvpresstts
Et circunUonsae trepidanti vertice pinus —
wo das Bild der unten zweiglosen, ctrcumtonsa^ oben ein flüsterndes
Schirmdach tragenden Pinie deudich wiedergegeben ist. Martial
warnt den Wanderer davor, sich unter die Pinie zu setzen, denn
ihre schweren Zapfen könnten ihm auf den Eopf fallen, 13, 25 nuces
pineae :
Poma sumus Oyhelae^ procul Mnc diacede, viator^
Ne cadat in miserum nostra ruina caput.
Die Pinie steigt nicht auf die hohen Gebirge, entfernt sich auch
nicht von den Vorbergen und Ufern des mittelländischen Meeres,
für uns ein Beweis mehr, dass sie in Italien, ja auch in Griechenland
eingewandert ist; denn was ursprunglich in diesen Ländern, über die
doch auch schneidende Nordhauche hinwehen, einheimisch war, be-
sitzt auch die Kraft, mit Hülfe pflegender Kultur die Alpen zu über-
steigen und einzelne begünstigte Localitaten Mitteleuropas zu betreten.
Der Pinie ist aber bereits die Gegend von Turin zu kalt Wir
wissen nicht, ob und in welcher Landschaft Asiens sie etwa noch
wild vorkommt. Nach Fiedler wächst sie im heutigen Griechenland
nur hin und wieder und meist einzeln ; was an Kiefemüssen auf der
grösseren Bazars feilgeboten wird, kommt meistens aus Russland von
pimis cembra L. Nach Grisebach, Spicilegium II, 347, findet sich die
Pinie, vermischt mit pinus Laricio^ als hoher Wald auf dem nörd-
lichen Ufer der Halbinsel Hajion-Oros (die in den Berg Athos aus-
läuft). — Im heutigen Italien bildet die Pinie den malerischen
Schmuck der Villen und Gärten, z. B. in Rom ; besonders häufig ist
sie neuerdings, wie schon früher bemerkt, in der reichen Campagna
von Neapel angepflanzt, über der weit und breit ihre reizenden grünen
Laubkugeln schweben. Hin und wieder trifit man die Pinie auch in
zusammenhängenden Beständen^ nirgends so ausgedehnt, als in der
berühmten Pineta von Ravenna. Dieser Pinienwald, dem das sumpf-
umgebene Ravenna nach der allgemeinen Meinung seine gesunde Luft
verdankt, erstreckt sich auf altem Meeresboden in einer Breite von
einer Stunde und in einer Länge von mehr als sechs geographischen
Meilen dem Ufer entlang. Schön ist er von Karl Witte beschrieben.
Alpinisches und Transalpinisches, Berlin 1858, S. 308; „Statt der
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Die Pinie. 245
Einförmigkeit eines schwebenden Baldachins, die man sonst an ihm
gewohnt ist, entwickelt der Baum hier in so viel hundert uralter und
kräfUger Exemplare die mannigfachsten, oft wunderbar verschränkten
nnd knorrigen Gestalten. Unter dem Dache der Pinien aber, auf
dem feuchten fruchtbaren Boden hin, wuchert ein üppiges Wachsthum
von niedem Gesträuchen und Schlingpflanzen in buntester Fülle.
Schon ein Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts zählte fast drei-
hundert Pflanzenarten in dieser Pineta. Dazwischen singt und summt
und zwischert es von unzähligen Yögeln und anderem fliegenden Ge-
thier; oben durch die Pinienzweige aber flüstert ohne Unterlass der
Windeshauch vom nahen Meere." üeber den £rtrag an Früchten
and die Art der Einsammlung und Reinigung s. ebendaselbst S. 309 f.
Die Pineta giebt jährlich etwa 9000 preussische Scheffel Pinienkeme,
die leeren harzigen Zapfen bilden das schönste Material für Eamin-
fener. Da der Wald von Ravenna zum grossten Theil auf neuge-
bildetem Boden steht, der zur Römerzeit noch Meer war, so kann
er erst im Mittelalter, nicht vor den Zeiten des Procopius, angelegt
worden sein. Wohl aber war jenes ganze Territorium schon frühe
reich an Pinien, Sil. Ital. 8, 595:
et undique aollers
Arva coronantem nutrire Faventia pinum.
Das von Ravenna nicht weit abstehende Faenza pflegte also zu Silius
Zeit schon die Pinie, die die Saatfelder krönt. Dass Augustus weisen
dieses Baumes Ravenna zu einem der beiden Standorte seiner Flotte
erhoben haben sollte, glauben wir nicht, da Schiffswerft und Flotten-
station zweierlei sind und bei Wahl der letzteren ganz andere mili-
tärisch-politische Grunde entscheiden. Jordanis 57: (Tlieodoriem)
tramacto Pado amne ad Ravennam^ regiam urbem^ castra cotnjmnü
terHo fere mtUtario loco qui appellatur Pineta. Zur Zeit des Einbruchs
der Ostgothen gab es also schon einen Ort Pineta bei Ravenna, der
aber nordwestlich von der Stadt gelegen zu haben scheint und abo
mit der heutigen Pineta nicht zusammenfallt (Palmann, Gescbichte
der Völkerwanderung, II, 489 f.). Der Wald wurde zum Schatze
Rayennas gegen das Meer zu der Zeit angelegt, wo durch ganz Nord-
italien im Kampfe mit der Natur Kanäle, Dämme und andere Wunder-
werke der technischen Kunst ausgeführt wurden. Dante kennt und
preist ihn bereits und benennt ihn nach Chiassi (dem alten Hafen,
Classis, von Ravenna), eben so Boccaccio. Er gehörte sonst mehreren
Kirchen und Klöstern und bildete dann bis zur Entstehung des Kr*aig-
reichs Italien ein Eigenthum der apostolischen Kammer: dies© trat
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246 I^fts Rohr.
ihn im Jahre 1860 durch Vertrag (oder Scheinvertrag) an die Ka-
noniker des Lateran ab, die ihrerseits ihre Rechte auf eine Privat-
person übertrugen. Beide Eontrakte wurden von den italienischen
Gerichten für nichtig erklärt, da wegen Wechsels der Landessouveräne-
tät die päpstliche Kammer nicht mehr als Eigenthümerin angesehen
werden konnte. Indess liess sich die italienische Regierung zu einem
Abkommen herbei, vermöge dessen gegen eine verhältnissmässig ge-
ringe Abfindungssumme die Pineia, deren Eapitalwerth auf 4 bis
5 Millionen Franken geschätzt wird, in die Hand der neuen Regierung
überging (heftige Debatten darüber im Florentiner Parlament, März
1866). Uebrigens haben nach altem Brauch die Bürger von Ra-
venna ausgedehnte Nutzungsrechte an dem Walde; ja man beschwerte
sich, dass der leichte Erwerb, zu dem er Gelegenheit biete, der Faul-
heit Vorschub leiste und müssiges Gesindel aus weitem Umkreise
herbeiziehe. Dennoch gilt die Pineta für das Heiligthum Ravennas,
das die Stadt und ihr Gebiet gegen giftige Dunste und die Meeres-
strömungen schützt und demgemäss hochgehalten und gepflegt wird.
Das Rohr.
(arundo donax L.)
Der nordische Reisende staunt, wenn er jenseits der Alpen ein
dichtes, hochwallendes, im Winde rauschendes Rohrfeld sieht, dessen
schwankende, in Blätter gekleidete, knotenreiche Halme, oft bis za
einem Zoll Dicke, weit über seinen Kopf reichen. In fetten be-
feuchteten Gründen, längs den Dämmen, an den Ufern der Flüsse und
Kanäle, aber auch auf trockenen Feldern werden die Wurzelknollen
{pculi bei den Alten) in tiefe Gräben gelegt, die aufgeschossenen
Rohre im Herbste geschnitten und die übrig bleibenden Stöcke an-
gezündet, damit die Asche den Boden für die neuen Triebe des
künftigen Jahres dünge. Oft sieht man dann von hohem Punkten,
z. B. auf Abendspatziergängen von einem der sieben Hügel Roms,
Feuer und Rauch in der Feme wunderbar über die Ebene ziehen.
Dies Riesengras ersetzt nicht nur im waldlosen Süden das fehlende
Holz zur Feuerung, sondern es stützt auch die Weinreben, umzäunt
die Aecker und Gärten, dient zu Lauben, Spalieren, Gipsdecken der
Zimmer, zum Trocknen der Wäsche, zu Angel- und Leimrathen, zo
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Das Rohr. 247
Spulen der Weber und zu hundertfältigem anderem Gebrauch. Wie
schon im Alterthum, so ist noch jetzt ein Stück Rohr die leichte
Spindel des Hirtenmädchens, niit der sie, ohne an ihr schwer zu
tragen, auf Felsen pfaden den Zickehi und Lämmern nachspringt; wie
im Alterthum, schneidet noch jetzt der Hirtenbursche aus dem Rohr-
hahne sich seine Schalmei, die tibia^ fisiula^ syrinx. Zwar geschrieben
wird auch im Süden nicht mehr mit dem Rohre, aber das Tintenfass
heisst noch immer calamajo^ wie die Magnetnadel calamita und das
Brenneisen calamistro^ und die Knaben reiten noch immer auf dem
langen Rohrhalme umher, wie die Buben zu Horatius Zeiten, Sat.
2, 3, 248: equitare in arundine longa. Auch diese Kulturpflanze, die
mit dem europäischen Sumpfrohr, Phragmites communü^ nicht zu ver-
wechseln ist (s. Zeitschrift für allgemeine Erdkunde, Neue Folge,
Band 13: „Die Grasvegetation Italiens, nach Pariatores Flora italiana
bearbeitet von Dr. C. Bolle", S. 298), stammt aus dem wärmeren
Asien und verlässt auch jetzt nicht den Bezirk des Mittelmeeres.
Schon in homerischer Zeit brachten die Phönizier mancherlei aus
(mmdo donax Gefertigtes herüber — wie wir aus einigen Namen
schliessen, die schon die epische Sprache kennt. Das dem Semitischen
entnommene xavvrj^ ursprünglich xdvrj (Renan, histoire des langues
s^mitiques, ^dit. 1, p. 192, 193 und Benfey unter diesem Wort), das
wieder die Römer den Griechen entlehnten (canna früher cana, wie
eanalis beweist), gab nämlich das homerische xaveov^ xavewv Brod-
korb, und den xavciv d. h. Kamm oder Spule am Webstuhl und da."^
Querholz am Schilde, das entweder die Handhabe zu befestigen oder
den Schild selbst auszuspannen diente. Der Brodkorb, später aueb
in der erweiterten Form xdvaaxgov^ xdinoTQov^ aus dem beim Mahl
den Grasten das Brod vertheilt wird, war aus gespaltenem Rohr ge-
flochten und mag ein phönizischer Handelsartikel gewesen sein. Die
xavoveg am Schilde mussten stark und zugleich leicht sein: beide
Eigenschaften sind die Hauptvorzüge eines guten Schildes, und beide
besass gerade das asiatische Rohr. Die Wage, deren sich die Kauf-
leate bedienten, wenn sie am Strande ihre Waaren ausbreiteten und
den Kauflustigen zuwogen, wird ein gleichschwebendes Rohr gewesen
sein ^ 2), eben so das Mass und das Richtscheit ein grader Rohratab,
denn in beiden Bedeutungen finden wir das Wort xavciv später wieder.
Die cyclopischen Mauern von Mycenä waren mit dem Kanon und
dem Steinmeissel gefügt, Eurip. Herc. fiir. 944:
Tci KvxXtincDv ßa&Qa
q>oivixi xavovi xal tvxoig TjQfioafiiva^
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248 Das Rohr.
wo das Adjectiv (polvi§ roth — dens phönizisch kann es ja woU
nicht bedeuten — beweist, dass der Dichter sich unter xavcjv bereits
eine Richtschnur gedacht hat, die beim Abschnellen eine farbige ge-
rade Linie zurücklässt. Auch Matten und Decken aus xapva ge-
flochten kommen frühe vor, schon in einem Fragment des Hipponax
bei Pollux 10, 183. Das Wort xdvva^ xdvvr] selbst ist im griechischen
Alterthum selten und wo es erscheint, hat es die Bedeutung des ans
Kohr Geflochtenen, nicht der Pflanze selbst. Wann kam die letztere
also nach Griechenland, und wie allgemein wurde sie angebaut? Das
Rohrdickicht; in welchem Menelaus und Odysseus die Nacht hindurch
vor Troja im Hinterhalt lagen, Od. 14, 474, mag aus gewöhnlichem
Sump&ohr bestanden haben ; aber waren nicht die dovaxsg xakdfioio
an der Phorminx des Hermes^ Hymn. in Merc. 47, aus edlem asia-
tischem Rohr geschnitten? Das letztere liesse sich noch am ehesten
bei dem Pfeil voraussetzen, mit welchem Paris, IL 11, 584, den Eury-
pylus im Schenkel traf, so dass das Rohr abbrach, denn hier kam
es auf einen leichten und doch kräftigen Schaft an: aber die Pfeile
konnten eingeführt und das Material ein fremdes sein. Auch die
ausführliche Erörterung über die Arten des Rohres bei Theophrast
h. pL 4, 11, ist nicht präcis genug, um arundo donaa mit Sicherheit
in einer derselben wiederzuerkennen. Indess wenn er am Schlnss
des Kapitels hinzufügt, alles Rohr wachse schöner, wenn es nach
dem Schnitt abgebrannt werde, so muss er doch wohl eine wirkliche
Rohrpflanzung öder wenigstens ein Geröhricht, das von Menschenhand
gepflegt wurde, im Auge gehabt haben. Deutlicher bezeichnet Dio-
skorides das ächte asiatische Rohr, wenn er 1, 114 sagt: „eine Art
des Rohres ist dick und hohl, wächst an Flüssen und wird doncue^
von Einigen auch cyprisches Rohr genannt" — von welcher Insel
es also bezogen wurde oder ursprünglich gekommen war. Eine weitere
Uebergangsstation mag die Insel Kreta gewesen sein, deren Einwohner
schon bei Pindar To^oq>6QOt sind und treffliche im ganzen Alterthum
berühmte Pfeile fuhren. Cnidus an der karischen Küste heisst bei
Catull 36, 13 arundinosa; im eigentlichen Griechenland eignete sich
keine Oertlichkeit mehr zur Aufnahme des fremden Rohres, als die
Ufer des kopalschen Sees in Böotien und der in denselben mündenden
Flüsse, eine Gegend, die frühe dem orientalischen Einfluss geöffiiet
war. Das später dort wachsende Flötenrohr, xaka^og avlijuxog,
kann wohl nur ai^undo donax gewesen sein, aus der sich noch beute
die griechischen Hirten ihre Syrinx schneiden (Fraas, Synops. 298,
denkt an eine andere seltenere Rohrspecies, Sacharum Ravennae L.)-
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Das Bohr. 249
Vielleicht waren auf sicilischem Boden die ßohrbalme, mit denen
Dionysios der ältere Nachts das achradinische Thor in Syrakus an-
zündete, and die er aus den nahen Sümpfen hatte holen lassen, Diod.
13, 113, von Menschenhand gezogen worden — wie noch jetzt am
Anapus arundo donax üppig gedeiht. In Italien giebt schon Cato
6, 3 Anweisung, an Flussufem und feuchten Stellen ein arundineium
«nzulegen, eben so seine Nachfolger Varro, Columella, Plinius u. s. w.,
und zwar sind die Methoden, das Einlegen der Wurzelstöcke, das
Abbrennen, die Benutzung zu Hürden, zum Häuserbau, zur Stütze
der Weinstocke u. s. w. ganz die heutigen. Wie in Griechenland
erscheint aber auch in Italien das Wort canna erst spät, ja es ist
der Name für das dünnere und schwächere gemeine Rohr im Gegen-
satz zu der eigentlichen arundo. Der älteste Schriftsteller, bei dem
68 vorkommt, scheint Vitruvius zu sein, welcher 7, 3 die Wände zum
Behuf der Stuckatur mit cannae benageln lehrt. Ovid, der eine Vor-
liebe für das Wort canna hat, dessen sich seine poetischen Zeit-
genossen enthalten, unterscheidet die kleinere canna von der langen
wrundo, Met. 8, 337:
longa parvae mh arundine cannae,
and Columella berichtet ausdrücklich, das Volk nenne das aus-
geartete Rohr canna, 7, 9, 7: tanquam scirpi juncique et degenerü
arunddnis quam vulgus cannam vocanty uud meint, durch Alter werde
der Wuchs des Rohres so dicht, dass die Halme schlank würden,
wie die der canna 4, 32, 3: .... w^ gracilis et cannae similis arundo
prodeaL Vitruv in dena so eben angeführten Kapitel räth für den
Fall, dass arundo graeca nicht zur Hand sei, als Surrogat dünnes
Sumpfrohr zu nehmen: sin autem arundinis graecas copia non erit,
d£ paludibus tenues colligantur, und nennt also arundo donax noch
immer nach dem Lande, aus dem es zunächst stammte. Bei Pal-
ladius endlich in der spätesten Kaiserzeit ist der vulgäre Ausdruck
schon ganz so, wie noch heute, für Rohr überhaupt herrschend, 1,
13: postea palustrem cannam vel haru; crassio^^emy quae in usu est , . .
tubnectemus. Dass das Wort in Italien viel älter als Vitruv ist, be-
zeugt die schon oben erwähnte Ableitung canalis; auch der berühmte
Flecken Cannae am Aufidus in Apulien wird von dem dort wachsen-
den Rohr den Namen gehabt haben, wie von demselben Umstand
die äolische Stadt Kdvat in Kleinasien. Die neueren europäischen
Sprachen besitzen dann noch weitere Anwendungen und Ableitungen
des Wortes, denen man die mannichfacLe Geschichte, deren Nieder-
schlag sie sind, nicht ansieht: Kanne und Kannengiesser, Knaster,
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250 Der Papyrus.
Canon ^ Kanone, kanonisches Recht, Kaneel (Zimmt), chanaine und
chanoinesse, chSneau (Dachrinne), engl. Channel (der Kanal zwischen
England und Frankreich) u. s. w., alle in letzter Instanz auf das
hebräische kaneh oder dessen phönizischen Repräsentanten zurück-
gehend.
Eine den Cyperaceen oder Halbgräsem angehörende, also der
arundo donax nar halb verwandte Pflanze, die Papyrasstande,
übertrifl^ diese durch tausendjährigen Ruhm und reizende Schönheit
der Erscheinung. Dass sie auch nach Europa gekommen ist, weiss
Jeder, der das alte Syrakus auf der Insel Sicilien besucht hat. Dort
ist ein Nebenarm des Anapus, der zu der fabelberuhmten Quelle der
Cyane (jetzt Testa di Pisima) fuhrt, von beiden Seiten mit Papyrus-
schilf bewachsen, der unmittelbar aus dem nicht tiefen, klaren, leise
rinnenden Gewässer aufsteigt. Besonders an einer Stelle, wo sich
das Flusschen zu einem seeartigen Becken ausdehnt, dem sogenannten
Camerone, wird die Scene märchenhaft und ganz tropisch: die riesen-
haften, zwölf bis sechzelin oder gar achtzehn Fuss hohen Stauden
mit ihren anmuthig geneigten Kronenbuscheln umschliessen von allen
Seiten wie ein dichter Wald die Spiegelfläche, auf der ihr Bild ruhig
schwimmt und an der ihre Wurzeln und Stengel ewig trinken. Im
alten Aegypten wuchs diese Pflanze, wie allbekannt, in ungeheurer
Menge und wurde zu mannichfachen Zwecken verwendet, die Wurzeln
zur Nahrung, der Bast zu Stricken, Körben, Matten, Flusskähnen,
die feinen Häute zu Schreibpapier. Die Griechen bezogen ihr
Byblos -Material aus dem Nilthale und benannten ihre Bibeln oder
Bücher, Schriften und Briefe nach dem Namen desselben. Merk-
würdig genug ist es, dass die Papyrusstaude im heutigen Aegypten
ganz ausgestorben ist — denn wenn einzelne Reisende sie gesehen
haben wollten, so war höchst wahrscheinlich Verwechslung im Spiel
— und dass die Pflanze erst am weissen Nil und Gazellenflusse
wieder vorkommt und zwar in ungeheurer Menge. Sie ging m
Aegypten unter, wohin sie wohl aus den oberen Gegenden eingeführt
war, und theilte darin das Schicksal der im Alterthum vielgenannten
ägyptischen Bohne (^xvafing Aiyvmi^og^ Nymphaea Nelumbo L.) —
zum Beweise^ dass die Kultur, wie sie ein Land oder ganze Welt-
theile bereichert, so auch unter veränderten Umständen ihre (Jaben
wieder zurücknimmt. Beiden Gewächsen ward die Concurren»
anderer Pflanzen und neuer Erfindungen verderblich, die des Per"
gaments und besonders des Lumpenpapiers, des Hanfes und Spart-
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Der Papyrus. 251
grases, mehlreicherer Früchte u. s. w. In Griechenlaad selbt hat
sich nie eine Spar einer Papyruspflanzung gefanden: am so räthsel-
kfter schien ihr Aoftreten in Sicilien, bis die Untersuchungen des
Florentiner Botanikers P. Pariatore in den Schriften der Pariser
Akademie (^Mhnoires prisenUs par divers savants etc. Sciences matlihn.
et physiques T. 12. 1854. p. 469 etsuiv,) die Geschichte des sicilischen
Papyrus aufklärten. Pariatore unterscheidet zunächst zwei Arten
der Pflanze, die jetzt verschwundene ägyptische, die aber in Mumien-
resten und noch lebend in Nubien und Abyssinien vorhanden sei,
und die er cyperus papyrus nennt, und die sicilische, viel höher
wachsende, oben in einen ausgebreiteten Büschel, nicht in einen
Kelch ausgehende, die aus Syrien stammt und der er daher den
Namen cyperus syriacus giebt. Diese Unterscheidung hat wenig
Glück gemacht^ zumal Syrien seinen Papyrus doch nur durch Ver-
pflanzung iaus Aegypten besitzt, historisch sicher aber ist, dass die
Alten von keiner Papyrusstaude in Sicilien wissen, und dass sie da-
mals auf der Insel noch fehlte. Vielmehr brachten sie die Araber
kurz vor dem 10. Jahrhundert aus Syrien dahin: Ibn-Hauqal, der
977 — 978 schrieb, nennt sie zuerst; Hugo Falcandus bei Muratori
Scriptt t. 7 (gegen Ende des 12. Jahrhunderts) kennt sie gleichfalls
in Sicilien. Zuerst mag sie an dem Flusschen bei Palermo, dem
danach benannten Papireto, angepflanzt worden sein: dort wuchs sie
reichlich bis zum Jahr 1591, wo auf Veranlassung des damaligen
Vicekönigs wegen der vom Papireto ausgehenden Malaria die ganze
Gegend trocken gelegt wurde und damit auch der Papyrashain ver-
schwand. Aber noch jetzt heisst jene Oertlichkeit p«a7w> del papireto^
und in dem dort angelegten öffentlichen Garten wird auch die Pa-
pymsstaude gepflegt. Nach Syrakus muss sie erst um die Mitte des
17. Jahrhunderts versetzt worden sein, denn ein zuverlässiger Autor
vom Jahr 1624 kennt sie daselbst noch nicht, wohl aber ein anderer
Tom Jahr 1674. Jetzt findet sie sich, ausser am Anapus, hin und
wieder im sudlichen und östlichen Theil der Insel wild und in den
Gärten der reichen Aristokratie mit Vorliebe cultivirt. Die Exem-
plare in den europäischen Gewächshausem scheinen alle aus Sicilien
zu stammen. Hätten die Araber ihre Herrschaft auch auf Griechen-
land ausgedehnt und daselbst, wie in Palermo, einen glänzenden Hof
gegründet^ so würden wir an dem einen oder dem andern Flusse
dieses warmen und der syrischen Küste näheren Landes vielleicht
auch dem herrlichen Uferschmuck begegnen, wie einst am Papireto
und jetzt am Anapo.
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252 Cucurbitaceen.
Cucurbitaceen.
Die Früchte dieser Familie, die zu den grössten, zu den wahren
Riesen des Pflanzenreiches gehören, stammen alle aus Asien, die
meisten aus Sudasien, speciell aus Indien. In einigen Arten frühe
in den Ländern der alten Kulturwelt verbreitet, bilden sie noch jetzt
die Lieblinge der südlichen, besonders aber der östlichen Völker.
Durch eine dichte Schale gedeckt, die die Ausdünstung der inneren
Feuchtigkeit verhütet, sammeln sie während der Monate, wo der
Sonnenbrand Alles versengt, einen reichlichen immer kühlen Safl
an, mit dem sie dann den durstenden Essej* erquicken. Je nach den
Arten ist freilich Menge und Geschmack desselben sehr verschieden:
bald zerfliesst das Fleisch der Frucht fast zu Wasser und träufelt
beim Essen in dicken Tropfen von Hand und Mund, wie bei der
orientalischen Wassermelone, bald bildet es eine aromatische, süsse,
duftende Masse, wie bei der Zuckermelone; während die eben ge-
nannten Arten im Zustand völliger Keife, nach Entfernung der Saat,
genossen werden, dient die Gurke heut zu Tage nur unreif mitsammt
der Saat und meistens eingemacht oder mit beissenden Zuthaten ver-
sehen zur Nahrung; der Kürbiss aber ist nicht, wie seine Verwandten;
roh, sondern nur gekocht oder gebraten essbar. Zu der oft unge-
heuren Grösse der Früchte stehen die schwachen Stengel und Ranken
nicht im Verhältniss, daher die ersteren ruhig auf der Erde liegend
anschwellen und ihre Reife erwarten, nicht etwa, wie die Kokosnüsse
oder andere Baumfrüchte, lockend von oben herabhängen und endlich
zur Verbreitung des Samens auf den Boden niederfallen. Dies setzte
schon die Alten in Verwunderung. So nannte Matron, der lustige
Paröde, den Kürbiss „den Sohn der hehren Erde", was Homer von
dem Titanen Tityos gesagt hatte, und wenn der Letztere bei Homer
auf dem Boden liegt und neun Plethren bedeckt, so lag der Kürbiss
des Matron im Gartenbeet und reichte über neun Tische weg,
Athen. 3. p. 73:
Auch den Kürbiss sah ich, den Sohn der gewaltigen Erde,
Liegend unter dem Kraut; er lag neun Tische bedeckend.
So wächst und wächst bei Callimachus der Kürbiss im thauigen
Beet (ögoasQ^ ivi %(iQ(fi^ d. h. nicht am luftigen Zweige, Athen, ibid.)
und ist daher fjdvyaiog^ wie Heraklides von Tarent bei Athenaeus
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Cucurbitaceen. 253
eben da sagt, und so windet sich bei Vergil die Gurke durch das
Gras, allmählig zur Bauchform anschwellend, G. 4, 121:
tortusque per herbam
Cresceret in ventrem cucumis.
Bei keiner Art Früchte sind die Abweichungen, Uebergänge und
Ausartungen so gross, als bei den Cucuibitaceen. Vielleicht Hegt
die Ursache in demselben strotzenden und daher leicht abirrenden
Bildungstriebe, der auch den erstaunlichen Umfang einiger derselben
erzeugt. Da nun schon im Alterthum die Grenze zwischen den Arten
in der Anschauung des Volkes oft unbestimmt schwankte und die
gebrauchlichen Namen, von vieldeutiger Allgemeinheit, je nach Zeit
und Gegend und Umständen Verschiedenes bezeichneten, so ist es
jetzt ausserordentlich schwer, ja unmöglich, die Aogaben der Alten
mit unserer Renntniss der Sache zu vereinigen und im gegebenen
Falle mit Sicherheit zu unterscheiden, ob ein Kürbiss und welcher
oder eine Gurkenart und welche gemeint sei.
Das älteste Zeugniss für die Existenz der Kürbissfrüchte im
Orient oder eigentlich in Aegypten findet sich im 4. Buch Mosis 11^ 5.
Dort erinnern sich die Israeliten, durch die wasserlose Wüste
wandernd, sehnsüchtig der in Aegypten genossenen Früchte: „Wir
gedenken der Fische, die wir in Aegypten umsonst assen, und der
Kürbiss, Pfeben, Lauch, Zwiebeln und Knoblauch.** Was hier Luther
mit Kürbiss und Pfeben wiedergiebt, wird von neueren Auslegern
seit Celsius, Hierobotanicon I, 356 und II, 247, wahrscheinlicher
durch Gurken und Melonen gedeutet, da die beiden hebräischen
Ausdrücke, kischuim und abattichim^ bis auf den heutigen Tag bei
den semitischen Völkern in dem angegebenen Sinne gebräuchlich
sind. Bei der Gurke wird dabei an die ägyptische cucumis Chate L.
gedacht, eine grosse, längliche Frucht, die noch jetzt unter diesem
Namen in der Levante allgemein frisch verzehrt wird, nachdem sie
zur Reife gelangt und dann in Geschmack und Wirkung einiger
Massen der Melone ähnlich geworden ist. Doch wäre immer möglich,
dass seit jener frühen Zeit bei Syrern, Arabern und Juden die
Namen von einer Art auf die andere übergingen und, während die
eine verschwand und die andere neu auftrat, doch die Bezeichnung
dieselbe blieb, s« unten.
In der epischen Poesie der Griechen, bei Homer und Hesiod,
findet sich weder eine der für diese Früchte später üblichen Be-
nennungen, noch eine Andeutung, die auf Kenntniss derselben zu
jener Zeit schliessen liesse. Eine solche könnte in dem Namen der
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254 Cacurbitaceen.
Stadt Sicyon liegen d. h. der Garkenstadt, doch geht derselbe in
kein hohes Alterthum hinauf. Zwar kennt ihn schon die Ilias an
zwei Stellen, im Schiffskatalog v. 572 und bei den Leichenspielen
zu Ehren des Patroklus 23, 299, aber der erstgenannte Vers ist
auch aus anderen Gründen als späteres Einschiebsel verdächtig, und
die letzterwähnte Partie trägt ganz den Charakter einer nachmaligen
rhapsodischen Erweiterung. Der frühere Name Sicyons war Mekone,
die Mohnstadt, und so heisst der Ort noch in der hesiodischen Theo-
gonie; als den Vater des Sikyon nennt der Mythus den Marathon
d. h. den Fenchelmann. Danach trug die fruchtbare Ebene von
Sicyon, die Asopia längs dem unterep Laufe des Asopus, zuerst
Mohn (ein uraltes, mit dem Getreide als Unkraut aus Asien ge-
kommenes Gewächs, mit schöner Blume und essbarem Samen) und
Fenchel (eine einheimische Doldenpflanze, schon frühe von den
ältesten Bewohnern des Landes als Gewürz aufgefunden und seitdem
durch alle Jahrhunderte hindurch hochgehalten), dann erst in weiterer
Folge die aus dem Morgenlande über See eingeführten Gurken (oder
Kürbisse). Bei einer Neugründung erhielt die Stadt dann auch nach
dieser Kultur ihren neuen Namen. Bestände für uns nicht die lange
traurige Lücke, die in der griechischen Literatur das älteste Epos
von Pindar und Aeschylos trennt, so würden wir den Zeitpunkt, in
dem die Griechen Kleinasiens und des europäischen Mutterlandes
sich zuerst mit Gurken und Kürbissen befassten, vielleicht genauer
präcisiren können. Aber weder die Elegiker und Lyriker sind uns
erhalten, noch Archilochus, der vielberühmte zweite Homer, dessen
Werke noch in der christlichen Zeit vorhanden waren und erst dem
Vertilgungseifer der Kirche und ihrer Bischöfe erlagen. Jetzt wissen
wir durch einen Zufall nur, dass Alcäus einmal das Wort <y/xt'5
brauchte, das also zu seiner Zeit schon bestand, Athen. 3, p. 73:
^^Xxaing de „daxrjj q^rjoi^ twv aixvtüv^ ano ei»'>€iag Trjg aixvg. Aber
was dachte sich der Dichter unter a/xi^c:? Das Wort, mit wechselnder
Endung, ist, wie wir glauben, eine Neben- und Scheideform von
avxnv die Feige (s. Anmerkung 34) mit vertauschtem oder dissimi-
lirtem Vocal; wie bei der Feige, war es auch bei der Gurke und
dem Kürbiss, A^vpraegnans Cucurbita^ zunächst die strotzen de Zengangs-
kraft, der Samenreich th um, woran Sinn und Blick, des Natursohnes
haftete. Für Kürbiss setzte sich später ein anderer Ausdruck fest:
xoloxvv&a^ xoXoxvvTTjy wie wir aus dem Ausspruch des Phanias,
eines Schülers des Aristoteles, sehen, Athen. 2, p. 68: xoloxtfyrrj ii
wfii\ fiiv äßgunog • eqp^j) de xai oTttij ßQwzii — denn nicht anders
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Cacarbitaceen. 255
als gekocht oder gebraten geniessbar za sein, kann nur auf den
Eürbiss gehen. Die Anschauung, die diesem Namen zu Grunde
liegt, ist übrigens derjenigen, die zu der Benennung aixvg^ oixvog^
aixia fährte, analog: die Frucht wurde nach ihrer kolossalen Grösse
so benannt (xoloaaog für xoXoxiog mit der häufigen Ableitungssilbe
yw, vif&; eine andere Form desselben Wortes enthält der Beiname
der in Sicyon verehrten Koloxaaia !^v^iyva, der Kürbiss-Göttin, bei
Athen. 3, p. 72, worunter später die sog. ägyptische Bohne, eine
^eichfialls durch den Wuchertrieb und die Grösse der Blätter auf-
faUende Pflanze, verstanden wurde). Eben dahin deutet das Sprüch-
wort: gesunder als ein Kürbiss, das schon Epicharmus brauchte
(Athen. 2, p. 59) und später Diphilus, Com. gr. fr. 4, 420: ^in sieben
Tagen stelle ich ihn dir entweder als Eürbiss oder als Lilie'' d. h.
entweder strotzend von Gesundheit oder bleich und todt als ein Bild
der Tergänglichkeit. Dass die xoloxvwr] als etwas Neues und
Ausserordentliches gleichsam in die bekannte Naturordnung nicht
passte, sieht man aus dem lächerlichen Streit der akademischen Phi-
losophen im Gymnasium bei dem Komiker Epikrates, Athen. 2, p. 59:
dort ist die Frage aufgeworfen, was die xoXoxvvttj für eine Pflanze
sei; die Denker beugen sich nieder und versinken in tiefes Sinnen;
plötzlich sagt Einer, es sei ein rundes Gemüse, ein Anderer, es sei
ein Kraut, ein Dritter, es sei ein Baum (^laxc^ov rig eq^ij axQoyyvXov
«lyai, noiav ö*äXXog^ divÖQov d^hegog); da unterbricht sie drastisch
em anwesender sicilischer Arzt; worauf Plato mit unerschüttertem
Ernst die Untersuchung fortführt. Besonders merkwürdig aber ist,
dass die xoIoxvvtt] noch in späterer Zeit hin und wieder ^hdix-fi^
die indische Frucht, genannt wird, mit dem ausdrücklichen Beifügen,
sie heisse so, weil sie aus Indien stamme (Athen. 2, p. 59). Ein
dritter, noch späterer Ausdruck ist ninojv^ eigentlich das Adjectiv
reif, welches dann ohne hinzugefügtes oixvog diejenige Frucht be-
zeichnete, die zur Reife kommen musste, um zur Nahrung zu dienen.
Der Name schloss also nur solche Gurken aus, die im ersten zarten
Stadium genossen wurden, während diejenigen Sorten, die bei der
Reife einen melonenartigen Wohlgeschmack erreichten und nach
orientalischer Weise frisch aus dem Garten gegessen wurden, eben
80 wohl ninoveg heissen konnten.
AJle bisher erwähnten und auch die nicht angeführten Stellen
der Alten lassen sich ohne Zwang auf Gurke und Kürbiss deuten,
keine einzige mit Sicherheit auf die eigentliche Melone. Nirgends
wd die honiggleiche Süssigkeit (eingekochter Melonensafi dient den
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256 Cncnrbitaceen.
Orientalen noch jetzt an Stelle des Zuckers), nirgends das auf der
Zunge schmelzende, den köstlichsten Baumfrüchten ebenbürtige Mark,
die goldgelbe oder auch zartweisse Farbe, der ambrosische, die Ver-
kaufshalle, ja den Markt erfQllende Duft hervorgehobeo. Erst unter
den späteren römischen Kaisern erkennen wir in der von den scripto-
res historiae Augustae meh genannten Frucht, die, wie Pfirsiche
u. s. w., zu den Delicien gerechnet wird, ohne Schwierigkeit unsere
Zuckermelone. Plin. 19, 67 berichtet, in Campanien sei zufallig eine
Gurke entstanden, mali cotonei effigie (die Farbe des Quittenapfels
mit eingeschlossen), die dann durch Saat weiter vermehrt worden;
das Wunderbare dieser mehpepones sei ausser der Gestalt imd dem
Dufte, dass sie sich nach der Reife sogleich vom Stengel ablösten.
Hier hören wir zum ersten Mal von dem Duft, odor, dieser Früchte
sprechen; der griechische Ausdruck entstand in dem griechischen
Campanien (jiiTJlov die Quitte) und wurde später nach Verbreitung
der Frucht im Volksmunde zu melo abgekürzt — wie sie auch
Palladius nennt. Bei Galenus ist das Wort itii]lo7can(t)v schon häufig.
Dass die Melone durch ein Naturspiel in Campanien aus der cucumis
entstanden sei, wird Niemand glaublich finden; woher also kam sie?
Nach Alph. Decandolle, g^ographie botanique p. 907, wäre die Me-
lone ursprünglich ein Produkt der Tartarei und des Kaukasus. Unter
der ersteren kann wohl nur das alte Bactrien und Sogdiana, die
Oasen am Oxus und Jaxartes, gemeint sein, und von dorther also
wäre die Fruöht im Laufe des ersten christlichen Jahrhunderts in
die Grärten Neapels gebracht worden. Zwar ist über die letztere
Thatsache keine positive historische Nachricht aufbehalten worden,
aber diese Art Früchte sind leicht durch die Saat in die weiteste
Feme zu übertragen, und die ersten Versuche konnten unbemerkt
bleiben oder in Vergessenheit gerathen. Marco Polo sagt von der
Landschaft westlich von Balkh, 1, 26; „hier wachsen die besten Me-
lonen der Welt. Man schneidet sie in die Runde in Streifen und
lässt sie an der Sonne trocknen. So gedörrt sind sie süsser als
Honig und gehen als Handelswaare über alles Land." Dasselbe
rühmt Ibn Batuta von den Melonen von Kharizm, Pariser Ausgabe,
3, 15, und Vämb^ry von denen von Chiwa: „Für Melonen hat Chiwa
keinen Rivalen, nicht nur in Asien, sondern in der ganzen Welt.
Kein Europäer kann sich einen Begriff machen von dem süssen
würzigen Wohlgeschmack dieser köstlichen Frucht. Sie schmilzt im
Munde und mit Brot gegessen ist sie die lieblichste und erquicklichste
Speise, die die Natur bietet." Auch Pcrsien ist ein vorzügUches
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CucurbitÄceen. 257
MeloneDland, in welchem die feinsten Sorten erzogen, mit äusserster
angeerbter Sorgfalt behandelt und aufs Höchste geschätzt werden.
Der Varietäten sind dort unzählige, und sie wechseln von Dorf zu
Dorf; darunter einige von weitverbreitetem, verdientem Ruhme. Zu
den wichtigsten Lebensbedurfiiissen der persischen Städte, berichtet
E. Polak, gehören auch die Melonen : in den Preistarifen steht gleich
hinter Brod, Reis, Fleisch, Käse, Butter und Eis der Marktpreis der
Melonen. Sie sind dort so süss, dass der Perser über den Unver-
stand der Europäer lacht, die ihre Melonen mit Zucker essen. Das
Alles scheint dafür zu sprechen, dass die Zuckermelone eine in jenen
Gegenden einheimische Frucht ist; dem Ausländer aber ist, wie Polak
hinzusetzt, ihr Genuss gefährlich, zum Theil auch dem Inländer, in
so fem Unmässigkeit in diesem Punkt auch bei diesem, obgleich
häufig begangen, doch sich sogleich bestraft.
Die lateinischen Bezeichnungen für Gurke und Kürbiss, cucumis
und cucurbitay geben den Eindruck strotzenden Wachsthums, den
diese Früchte auch dort auf die Volksempfindung gemacht hatten,
dorch die Reduplication wieder; zugleich steht Cucurbita so nahe
zu ccrhis^ Korb, Gefass, corbita das Lastschiff, corbitare einladen, und
eben so cucumis^ gen. cucumis und cucumerisy zu cumera^ cumerum^
bedecktes Gefäss, Truhe, dass es schwer ist^ den Zusammenhang
zwischen beiden abzuweisen. Kürbissschalen dienten von jeher zu
Gefassen und dienen unter dem Namen Calebassen dazu noch jetzt:
erblickten die italischen Strandbewohner zuerst solche grüne Schalen
und Töpfe in den Händen gelandeter SchiflPer, ehe sie die Frucht
selbst zu essen und später auch zu pflanzen Gelegenheit hatten?
Colum. 11, 3, 49: nam sunt (Cucurbitae) ad usum vasorum satis idoneae.
Plin. 19, 71: nwper in balnearum usum venere urceorum vicCy jampridem
vero etiam cadorum ad vina condenda — also Kürbissflaschen zur
Aufbewahrung des Weines. (Nach Fick, Beiträge 7, 383, wäre
Cucurbita mit xvqßig drehbare Säule, noQVfi] Gipfel d. h. Wirbel
und goth. hvairban^ altn. hverfa zusammenzustellen und also so viel
als rund gedreht). Sonderbar stimmen zu dem lateinischen cu-
cumis und Cucurbita die Glossen des Hesychius: xvxvov • tov gixvov,
und xvxvtl^a* ylvxsla xoloxw^a. Leider erfahren wir nicht, wo
das Wort xvxvog gebräuchlich war, oder welcher Schriftsteller es ge-
braucht hatte; wie die jungem Sprachen aus Cucurbita durch Laut-
entstellung neue Wörter geschaffen haben, lehrt der Artikel cucuzza
bei Diez.
Im frühen Mittelalter trat in Byzanz ein neuer Name für Gurke
Vict. Hehn, EuUnrpflaDsen. 17 ^->, ,
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258 Cucurbitaceen.
auf^ der aas dem Orient gekommen war und sich im Laufe der Zeit
weit über Europa von Volk zu Volk verbreitete. Es war dies
äyyovQiov^ ayyovQOv^ ayyovQiv^ ein persisch-aramäiscbes Wort, zu
dessen Bildung der Anklang an ayysiov Gefass vielleicht mitgewirkt
hat Neben ayyovQia sagte man auch rezQayyovQa^ entweder uro
damit eine viermal schwerere oder eine viereckig gestaltete Sorte zu
bezeichnen, oder nach Salmasius gar nicht verwerflicher Vermuthung
als Verstümmelung und Umdeutung von xvTQctyyvXov^ ital. citriuolo^
franz. citrouille, von citreum. Ueber die Zeit, wann dieser neue
Name auftrat, sagt E. Meyer, Geschichte der Botanik, 3, 361: „In
den Geoponicis heissen die Gurken noch wie vor Alters aixikt; erst
Suidas erklärt diesen zu seiner Zeit ausser Gebrauch gekommenen
Namen durch t« TstgdyyovQa^ und einen Unterschied zwischen An-
gurien und Tetrangurien macht erst Michael Psellus.*' Indess, wenn
der Arzt A€tius Amidenus, der unter Justinian lebte, das neue Wort
schon brauchte, so muss es bedeutend älter sein, als die Sammlung
der Geoponica und Suidas. Die damit bezeichneten Gurken scheinen
dieselben Sorten gewesen zu sein, deren wir uns jetzt zu unseren
Salaten und zum Einmachen bedienen; was das Alterthum an Gurken
besass, war nach allem Obigen eine grosse, jetzt in Europa nicht
mehr angebaute Art, die zur Erfrischung gegessen und je nach dem
Stadium der Reife auch gesotten und gebraten wurde. Von Byzanz
kam die Gurke, wie der Name bezeugt, zu den Slaven, russisch
ogurec, poln. ogörek u. s. w. und ward bei den Völkern dieser Race,
so wie bei den unmittelbar hinter ihnen wohnenden Stammen tata-
rischer und mongolischer Abkunft, zu dem allgemeinsten, mit grosser
Vorliebe genossenen Nahrungsmittel. Ohne Gurken kann z. B. der
Gross- und Kleinrusse nicht leben ; in Salzwasser eingemacht verzehrt
er sie den ganzen Winter und schlägt sich mit ihrer Hülfe durch
die langen, strengen Fasten der orientalischen Kirche durch. Von
den Slaven kam die Agurke, später mit abgefallenem Vokal Gurke,
wie gleichfalls der Name lehrt, zu den Deutschen, aber erst in neuerer
Zeit, denn die Spuren des Wortes gehen nur bis in das siebzehnte
Jahrhundert hinauf (s. Grimm, Wörterbuch, unter Agurke, und
Weigand unter Gurke). Ethnographisch beachtenswerth ist der
Umstand, dass die sogenannte „saure Gurke ^ nur in den Theilen
Deutschlands üblich geworden ist, die ehemals von Slaven bewohnt
waren und sich erst nachmals germanisirt haben. Uebrigens soU
die kleine, grünliche, wohlschmeckende slavische Gurke, wie sie in
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Cucurbitaceen. 259
ganz RusslaDd gemein ist, nach Deutschland versetzt ausarten: sie
bedarf also wohl eines excessiven Elimas.
Gleichfalls erst ein ADkömmling des Mittelalters ist die saftreiche
Wassermelone, cucumü citruUus, denn dass sie der pepo der
Alten sei, wie Manche angenommen haben, lässt sich nicht erweisen.
Italienisch trägt sie den byzantinischen Namen anguria (in manchen
Gegenden cocomero aus cucumis)^ französisch den arabischen pasüque.
Sie ist jenseits der Alpen beliebt, da sie in der entsprechenden Jahres-
zeit ein er&ischendes Labsal bietet, und überall sieht man dann die
blutrothen Halbfrüchte mit den glänzend schwarzen Kernen auf den
Märkten und an den Strassenecken aufgethürmt und die Tische, wo
sie schnittweise für geringe Kupfermünze feil sind, von durstigen
Bauern, Soldaten u. s. w. umdrängt. Sie reift grade in der grössten
Hitze des Augustmonats und ist um so süsser und saftiger, je heisser
nnd trockener der Jahrgang gewesen. Ungleich wichtiger aber ist
sie im Haushalt des orientalischen Lebens und bei den Halborientalen
des europäischen Südostens. Die glühenden Sommer und strengen
Lüfte begünstigen dort das Gedeihen der einjährigen Pflanze. Sie
wird auf weiten Feldern gebaut und zur bestimmten Zeit in ganzen
Wagenladungen in die Städte gebracht, wo Jung und Alt sich mit
Leidenschaft dem Genüsse hingiebt. Die Wassermelone geht durch
ganz Vorderasien, Persien, die Kaukasusländer bis zur Niederdonau,
Ungarn, der Wallachei (vergl. schon Plin. 19, 65: cucumeres . . .
phcent ffrandissimi Moesiae)^ besonders aber den humusreichen
trockenen Ebenen des südlichen Russlands und den angrenzenden
asiatischen halb Steppen- halb Gartenländern. Mindestens zwei
Monatim Jahr lebt der russische Steppenbewohner nur von Arbusen —
dies ist der tatarisch-slavische Name |der Frucht — mit ein wenig
Brod. Ist der nordische Reisende in seinem unförmlichen „Tarantas**
allmählig bis in jene Gegend gerollt, dann lehrt ihn ein Blick auf
die Melonenfelder und die gewöhnlich danebenstehenden hochragenden,
ursprünglich aus Amerika stammenden Sonnenblumen, helianthus
annuuSy deren Samen ein beliebtes Oel abgeben, dass er die Sch^ eile
des Orients bereits überschritten hat. Li den Kaukasusländern, die
so überschwenglich reich an dem herrlichsten Obst, an Trauben und
Nüssen sind, verschmäht der Eingeborene, er sei welcher Ract er
wolle, neben dem Saft der Wassermelone, der dem Deutschen wie
Gurkenwasser mit ein wenig Zucker schmeckt, jeden andern Lecker-
bissen. Auf die Herkunft der Frucht wirft der neupersische N.nme
Mndevdne d. h. indische Frucht ein helles Licht; woher sie nach
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260 I>er Haushahn.
Griechenland, Russland und Polen kam, lehrt die tatarische Be-
zeichnung charpuz^ karpus gegenüber dem neugriechischen xagnovoia^
slayischen arbuz. (Die Variante arbuz und karpas erinnert an ooxiov
und slav. kosti^ " Ynavig und Kuban und an den alanischen Namen
Aspar und dessen deutsche Form Gaspar^ hochd. Kaspar^ s. Zeoss,
die Deutschen, S. 461 Anm.). Sie wanderte also nach Persien ein,
als die Verbindung mit Indien neu eröffiiet war, sei es zur Zeit der
arabischen oder der mongolischen Herrschaft, nach Griechenland
durch die Türken, nach Kussland von den tatarischen Reichen Astrachan
und Kasan; in Kleinrussland waren wohl die Kosakenhorden am
Dniepr die Verbreiter. Das polnische kawon Wassermelone ist gleich-
falls ein orientalisches Wort (asiatische Benennungen der Früchte
dieser Familie finden sich gesammelt und untersucht von Pott in der
Zeitschrift für Kunde des Morgenl. 7, 151 £F.)- Das altslavische
tykvay der Kürbiss, haben wir schon früher (bei der Feige) an das
griechische aixva angelehnt; das altsl. dynja^ Melone, erklart Miklosich
aus dem Verbum dqti dunqti flare^ also die aufgeblasene Frucht;
poln. banja^ Wassermelone, scheint eins und dasselbe mit banjcL, Ge-
fass, Wanne; beides letztere, wie man sieht, eine der Auffassung
der alten Griechen und Römer ganz verwandte Namensgebung. Alt-
und südslavisch (auch albanesisch) krastavici cucumis erklärt sich aus
krastavi acabidus^ scaber^ also die rauhe Frucht, alt- und südslavisch
lubü^ Cucurbita citrullus, wohl aus liibü calva^ Himschädel. Die
deutschen Wörter Kürbiss, Pfebe, Melone stammen aus dem
Lateinischen und die damit bezeichneten Naturobjecte aus Italien, also
nicht etwa aus Ungarn und dem byzantinischen Reiche.
Der Haushahn.
Der Haushahn ist in Vorderasien und in Europa viel jünger, als
man denken sollte. Die semitischen Kulturvölker können ihn nicht
gekannt haben, da das Alte Testament seiner nirgends erwähnt Er
fehlt auch auf den ägyptischen Denkmälern, deren Bildwerke uns
im Uebrigen das Detail des Haushalts der Nilthalbewohner so an-
schaulich vor Augen stellen: wir sehen dort Scharen von zahmen
Gänsen, wie sie von der Weide heimgetrieben, sie selbst und ihre
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Der Haasliahn. 261
Eier sorgfältig gezählt werden u. s. w., nirgends aber Hühner^ und
wenn Aristoteles sagt, die Eier würden in Aegypten auch könstlich
twisgebrütet, indem man sie in Mist vergrabe (hist. anim. 6, 2, 3),
nnd Aehnliches auch Diodorl, 74 berichtet, so ward diese Industrie
entweder nur an Gänsen und Enten geübt — welcher Vermuthung
Aristoteles nicht widerspricht, da er nur ganz allgemein von Vogel-
eiem redet, oder gehört in die Zeit nach der persischen Eroberung, -
wie Diodor selbst anzudeuten scheint, da er seine Erzählung von den
Brutofen mit den Worten einleitet, Vieles in Betreff der Züchtung
und Wartung der Thiere hätten die Aegypter von den Vorfahren
überkommen, Vieles aber hätten sie dazu erfunden und darunter als
das Wunderbarste die künstliche Ausbrötung der Eier. Der Haushahn
stammt ursprünglich aus Indien, wo sein Vorfahr, der Bankiva-Hahn,
noch jetzt von Hinterindien und den indischen Inseln bis nach Kasch-
mir hin lebt, und verbreitete sich erst mit den medisch-persischen
Eroberungszügen weiter nach Westen. Der Samier Menodotus be-
hauptete in seiner Schrift über den Tempel der samischen Hera,
wie der Hahn von der Landschaft Persis aus, so habe sich
der Pfau von dem genannten Heiligthum aus über die umliegenden
Gegenden verbreitet (Athen. 14 p. 655). In der Zoroaster- Religion
waren Hund und Hahn heilige Thiere, der eine als der treue Hüter
des Hauses und der Heerden, der andere als Verkündiger des Morgens
und als Symbol des Lichts und der Sonne. Der Hahn ist vorzüglich
dem (^raosha geweiht, dem himmlischen Wächter, der, vom Feuer
geweckt, selbst wiederum den Hahn weckt: dieser vertreibt dann
durch sein Krähen die Da^vas, die bösen Geister der Finstemiss,
besonders den Dämon des Schlafes, die gelbe, langhändige Büshya^ta.
Im 18. Fargard des Vendldäd heisst es § 34 ff. (nach Spiegels Ueber-
setzung): „Darauf entgegnete Ahura-mazda: der Vogel, der den Namen
Parödars führt, o heiliger Zarathustra, den die übelredenden Menschen
mit dem Namen Kahrkatäp belegen, dieser Vogel erhebt seine Stimme
bei jeder göttlichen Morgenröthe." (Ebenso 18, 51 ff.). Ormuzd
hatte den Vogel also selbst dem Zoroaster empfohlen. Eine Stelle
des Bundehesch im 14. Abschnitt lautet (übersetzt von Grotefend in
Lassens Zeitschr. 4 S. 51): „Halka der Hahn ist den Dews und
Sauberem feind. Er unterstutzt den Hund, wie im Gesetze steht:
unter den Weltgeschöpfen, die Darudsch plagen, vereinigen Hahn
und Hund ihre Kräfte. Er soll Wache halten über die Welt, gleich
als wäre kein Hund zur Beschützung der Heerden (oder Häuser) da.
Wenn der Hund mit dem Hahn gegen Darudsch streitet, so entr-
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262 I^er Haushahn.
kräften sie ihn, der sonst Menschen und Vieh peinigt. Daher heisst
es: durch ihn werden alle Feinde des Guten überwunden; seine Stimme
zerstört das Böse** oder nach der üebersetzung Windischmann's (Zo-
roastrische Studien, S. 95): „der Hahn ist zur Vertilgung der Devs
und Zauberer geschalPen; mit dem Hund sind sie Gehulfen, wie ge-
sagt ist in der Din: von den irdischen Geschöpfen sind diese zum
Schlagen der Drukh's zusammen Gehülfen, Hahn und Hund.** Wo
sich ein persischer Mann niederliess, da sorgte er gewiss so sicher
für einen Hahn, als er die Frühgebete und Reinigungen vor und bei
Sonnenaufgang nicht unterliess. So weit die Grenzen der persischen
Herrschaft reichten, fand ohne Zweifel das so zahme und nützliche,
so leicht übertragbare und zugleich in Gestalt und Sitten so eigen-
thümliche Thier in den Höfen und Haushaltungen der Menschen,
auch der Andersgläubigen, leichten Eingang und willige Au&ahme.
Auf dem sogenannten Harpyien-Monument der Akropolis von Xanthus
in Lykien, das sich jetzt in London befindet, wird einer sitzenden
Göttergestalt ein Hahn als Geschenk oder Opfer dargebracht. Stammte
dies Grabdenkmal, wie Welcker in seiner Ausgabe von O. Müllers
Archäologie der Kunst annimmt, wirklich aus der Zeit vor OL 58,3
d. h. vor der Einnahme der Stadt Xanthus durch die Perser, so
wäre der Hahn den Lykiem in der That vor der Ausbreitung der
persischen Macht bekannt gewesen. Allein der archaistische Stil der
dort dargestellten Scenen, der in Griechenland vielleicht auf eine
mehr oder minder bestimmte Epoche führen würde, bildet für Lykien,
dessen Kunstentwicklung uns unbekannt ist, kein irgendwie sicheres
chronologisches Merkmal. Die Akropolis wurde vor der Einnahme
durch den persischen Feldherm von den Einwohnern selbst durch
Feuer vernichtet und dabei gingen, wie man glauben muss, auch die
daselbst vorhandenen Denkmäler mit zu Grunde, und dass zur Zeit
der persischen Herrschaft, die nur eine Art Oberhoheit war und die
Lykier in relativer Unabhängigkeit beliess, kein solches Grabmonument
errichtet werden konnte, ist gewiss eine grundlose Behauptung.
Ginge die Bekanntschaft mit dem Haushahn in Lykien weit in die
vorpersische Zeit hinauf, dann würde die griechische Welt sicher an
dieser Kenntniss Theil genommen haben. Aber auf griechischem
Boden zeigt sich bei Homer und Hesiod und in den Fragmenten
der altem Dichter von Hahn und Henne keine Spur. Und doch
müsste der bei Nacht die Stunden abrufende Prophet (unter Menschen,
die noch keine Uhr besassen), der vornehm stolzirende, lächerh'ch
krähende, blinzelnde Sänger (Herr Chanteclers\ der von seinem
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Der Hanshahn. 263
Hähnerharem umgebene, höchst eifersüchtige Sultan (salax galltis)y
der hitzige, eitle, mit Kamm, Troddel und Sporn bewaffiiete Kämpfer,
die ihr Eierlegen durch schluchzendes Crackern der Welt verkündende
Henne (Frau Kratzefuss), überhaupt diese ganze heitere Parodie
menschlicher Familie und ritterlicher Sitte ein häufiger Gegenstand
der Besprechung und Vergleichung bei den Dichtern sein, wenn Be-
kanntschaft damit stattgefunden hätte. Auch war es schon den
Alten nicht entgangen, dass Homer, wenn er auch die Eigennamen
'JUxzwq und uilexTQvwv habe, doch das Thier, das eben so be-
nannt wurde, nicht zu kennen scheine, Eastath. ad. B. 17, 602,
p. 1120, 13: „aber des Thieres Name, sagen die Alten, werde bei '
Homer nirgends gelesen** (ähnlich p. 1479, 41). Die älteste Erwäh-
nung ist die bei Theognis, einem Dichter der zweiten Hälfte des
6. Jahrhunderts, der ohne Zweifel die Unterwerfung der lonier durch
Harpagus und die Besetzung von Samos durch die Perser (im
J. 522) erlebte und schon die nahe Besorgniss vor einem Kriege mit
den gewaltigen Medem ausspricht, v. 863, 864:
kanegiTj %*e^Bt^L xal oQx^qIti avrig igeifii,
7] flog aXexjQvovüJv (p^oyyog iyeigo/iivtav
— obgleich die Zumischung so mancher fremden Bestandtheile in
unserer Sammlung der Gedichte des Theognis jeder darauf gebauten
Zeitbestimmung viel von ihrer Sicherheit nimmt. Aus derBatracho-
myomachie, wo der Hahn gleichfalls vorkommt, ist bei dem Zustand
des Textes und dem vermuthlich jungen Ursprung dieses Werkes
natürlich noch viel weniger zu schliessen. Zu der Zeit des Theognis
würde es stinmien, wenn der berühmte Athlet, Milon von Kroton,
wirklich von der gemma alectoria d. h. dem im Magen des Hahnes
gefundenen angeblichen Edelsteine als Amulet zur Erringung des
Sieges Gebrauch gemacht hätte (Plin. 27, 144): allein dieser Aber-
glaube wurde von den Späteren nur auf Milon übertragen, dessen
Leben von einer Menge Legenden umsponnen ist. Aber bei Epi-
charmus, der um die Zeit der Perserkriege blühte, bei Simonides,
Aeschylus und Pindar finden wir den Hahn unter dem stolzen Namen
aXixTioQ schon als gewohnten Genossen des Menschen. Der Kampf
der Hähne desselben Hofes mit einander wird frühe von den Dicli lern
als Gleichniss und Vorbild auf den Streit der Menschen bezogen»
In den Eumeniden des Aeschylus (v. 848 ed. Herm.) warnt Athene
vor dem Bürgerkrieg, als dem Kampf der Hähne gleichend (nach
Otfr. Müllers Uebersetzung):
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264 I>er Haoshahn.
Noch auch vergäll' ihr Herz wie eines Hahnes Sinn,
und pflanze Eriegslust meinen Bürgern in den Geiste
Die innem Zwist schafft, Trutz und Gegentrutz erzeugt.
Jenseits der Marken wüthe Krieg, vom Heerde fem.
Wo hohe Sehnsucht nach dem Ruhm sich offenbart;
Den Kampf des Yogels auf dem Hof wünsch ich hinweg.
Eben so vergleicht Pindar im 12. olympischen Liede den ruhmlosen
Sieg in der Vaterstadt mit dem des Hahnes daheim auf dem Hofe
(in der Epode): ivdofiäxag fix' alexTWQ. Auch Themistokles soll
den Math seines Heeres einst durch den Hinweis aaf zwei kämpfende
Hähne belebt haben, die bloss für den Siegerruhm, nicht für Heerd
und Gtötter ihr Leben einsetzen (Ael. V. H. 2, 28). Wenn man die
späteren öffentlichen und künstlichen Hahnengefechte, die sehr beliebt
worden und in zahlreichen Bildwerken des Alterthums dargestellt
sind (O. Jahn, Archäologische Beiträge, S. 437 ff.), von dieser Rede
des Themistokles ableitete, so erhellt daraus wenigstens, dass man
sich diese Wettkämpfe nicht älter dachte, als die persischen Kriege.
Bei den Komikern, bei denen wir mehr die Sprache des Lebens
vernehmen, heisst der Hahn immer noch der persische Vogel:
Cratinus bei Athen. 9, p. 374 :
äonsQ 6 neQOixog äqav naaav xavaxfSv oX6g)covog akixtWQ,
Aristoph. av. 483:
avtUcL d^v/iuv ngdiz^ irtidei^o) tov äXexTQv6v\ wg hvQavvai^
rjQxe TB IleQawv nQWxov ticcvzcjv^ JaQslov xai Meyaßa^ov^
äoTS xaXaixai nsQOixdg OQvig and zrjg OQxrfg et* ixeivrjg.
V. 707:
o fiiv ÖQTvya dovg, 6 de noQq>vQia)v\ 6 di x^^\ o de TleQOixov OQviv.
(Nach Aussage des Scholi asten verstanden hier einige unter dem
persischen Vogel den Pfauen: aber die Zusammenstellung mit
Wachtel, Wasserhuhn und Gans spricht mehr für das bescheidene
Huhn, als für den kostbaren Pfau).
V. 883:
OQvig afp* i^ftwv zov yivovg xov UeQaixov,
oansQ kiyezai. deivozaiog elvai nctvxaxov
u^gecjg veottog.
An einer anderen Stelle desselben Stückes (v. 276) führt der Hahn
den komischen Namen M^dog^ der Meder, und Peithetairos wundert
sich, wie er als Meder ohne Eameel herbeigekommen sei. An zwei
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Der Haushahn. 265
Stellen des Tragikers Ion, die Athenäus (4, p. 185) erhalten hat,
lässt die Flöte als Hahn das lydische Lied erklingen:
int <J' avXog akixrioQ Xvdiov vfivov ax^wv
(nach Meinekes Emendation), und die Hirtenpfeife heisst der Hahn
vom Berge Ida in Phrygien :
7iQ0&ei (Mein, ^o&ei) de toi avQiy^ ^Idalog älixzu)().
Woher aber das Wort alixrwQ^ äkexTQviiv selbst, das ein so emi-
nent griechisches Gepräge trägt? Es muss in lonien, als die dor-
tigen Städte nach dem Sturz des Crösus unter persische Botmässig-
keit fielen und wie den Besatzungen, so auch dem Kultus des Siegers
and dessen heiligen Thieren ihre Thore öffneten, entstanden, oder
vielmehr, vielleicht mit Anklang an das iranische halka^ alka^ er-
fanden worden sein. Der wunderbare, licht verkündende Sonnen vogel,
der den priester liehen Namen Parödars führte, wurde in einer aus
dem Traume des Mythus halb erwachten und der epischen Sprache,
wie der epischen Sage schon in beginnender Reflexion sich gegen-
überstellenden Zeit mit dem auf den Sonnengott hinweisenden, gleich-
falls mystisch-bedeutungsvollen Worte olUxtvjq genannt. Die Namen
flUnitDQ ^YneQiiüv (die strahlend wandelnde Sonne), t^Isxtqov (glän-
zendes Metall, sonnenfarbiger Bernstein), ^HlixzQa (Göttin des wieder-
spiegelnden Wasserglanzes), ^HlexTQiwv^ Sohn des Perseus, die elek-
trischen Inseln, das elektrische Thor in Theben u. s. w., und auch
die Formen mit anlautendem a: ^AXbxtqvcjv^ ^AUxiwq waren aus
Homer und dem Heroenmythus jedem gebildeten Frommen lebendig
and geläufig, wie auch noch Empedokles in dem Verse, in dem er
die vier Elemente aufzählt, das Feuer hieratisch riXexxwQ nennt:
^XixTWQ ze x^oiv T€ xai ovQavo^ /jöe S-akaoaa,
Mit der Zeit freilich, als der ursprüngliche Sinn des alten Wortes
im allgemeinen Gefühl erloschen war, wurde es in populärer Deutung
als Zusanmiensetzung mit Hxtqov aufgefasst, entweder als Lager-
genosse, wie Sophokles alixxcoQ für alnxog Gattin gebrauchte
(fr. 766 Nauck), oder als der Lagerlose, nicht Schlummernde, was
auf den Hahn gut zu passen schien. Dass aber der neue Name in
den beiden Formen qA€xtcoq und alsxiQvcuv auftrat — von denen
die erstere sich als die poetisch-edle isolirte, die andere dem täglichen
Gebrauche zufiel — , ist ein sprechender Beleg dafür, dass er nach
dem Vorbild jener mythischen Heroennamen gebildet ist. Auch dass
zu Aristophanes Zeit die Sprache noch keine feste Form des Femi-
ninums zu dem Masculinum alexTQvdv gebildet hatte, so dass der
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266 Der Haushahn.
Dichter diejenigen verlacht, die sich des Ausdrucks alextgraiva be-
dienten (Nub. 658 ff.), bestätigt die Neuheit des Namens und der
Sache, da gerade bei diesem Hausthier die fixe Unterscheidung bei-
der Geschlechter ein dringendes sprachliches Bedör&iss ist; erst
Aristoteles braucht die weibliche Form älexxoQig neutral in der
Weise unseres Huhn für die Gattung. Der Volksraund m&fr sich,
ehe dXexTQvviv von oben herab durchdrang, mancherlei Benennungen
gebildet haben, von denen persischer Vogel eine ist, die übrigen aber,
wie natürlich, auf literarischem Wege nicht bis zu uns gelangt
sind. — Da der Hahn in einer jüngeren Epoche erschien, wo die
mythische Produktion schon im Absterben begriffen war, so konnte
er keine hervorstechende religiöse Bedeutung erlangen. Als Kampf-
hahn war er natürlich dem Ares und auch der Pallas Athene heilig;
Plutarch Marcell. 22 erzählt, in Sparta sei nach vollbrachtem Feld-
zuge eine zwiefache Art Opfer Brauch gewesen: wer seine Sache
mit List und Ueberredung geführt, opferte ein Rind; wer durch
Kampf seine Absicht erreicht, einen Hahn. Als die Sonne verkündend
oder bedeutend war der Hahn in Olympia, von der Hand des Onatas
gebildet, auf dem Schilde des Idomeneus zu sehen, der ein Enkel
der Pasiphae und also Abkömmling des Sonnengottes war (Pausan.
5, 25, 5); Plutarch spricht (de Pythiae oracc. 12) von einem Bilde
des Apollo, der auf der Hand einen Hahn trug, also als Sonnengott
gedacht war; auf Münzen vonPhaestus in Kreta hält ein jugendlicher
Gott, offenbar Personification der Sonne, mit der Rechten einen auf
seinem Schoss- sitzenden Hahn (Welcker, Gr. Götterl. 2, 244). Dass
der Hahn dem Heilgotte Asklepios geopfert wurde, ist aus dem
Schlüsse von Piatos Pbädon allgemein bekannt Der Hahnenaber-
glaube in dem Felsensiädtchen Methana zwischen Epidaurus und
Trözen, von welchem Pausanias (2, 34, 3) erzählt, hängt gleichfalls
mit dem Dienst des Asklepios in jener Gegend zusammen: um die
bösen Wirkungen des ytitff^ des Südostwindes, auf die Reben zu ver-
hüten, zertheilten dort zwei Männer einen Hahn, liefen jeder mit der
Hälfte des Thieres von entgegengesetzter Seite um die Weinberge
herum und begruben das Thier an der Stelle, wo sie zusammentrafen.
Dass bei dem berühmtem Beilager des Ares und der Aphrodite der
Wächter Alektryon eingeschlafen, den Tag zu melden vergessen und
dafür von Ares in einen Hahn verwandelt worden, erklärt Eustathius,
der an der betreffenden Stelle der Odyssee (p. 1598 ex.) diese auch
von Lucian (Somnium seu gallus p. 292 f. ed. Bip.) erwähnte Fabel
erzählt, selbst für eine spätere Erdichtung. — Bald nach ihrem Er-
\
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Der Haushahn. 267
scheinen in Griechenland werden Hühoerfamilien zu SchifFe — nikhts
ist leichter, als diese Thiere zu Schiffe mit sich zu führen — auch
nach Sicilien und Unteritalien gekommen und wie in Griechenland
von Haus zu Haus gewandert sein. Dass die Sybariten keinen
Hahn geduldet, um nicht im Schlaf gestört zu werden, ist eine von
den spät erfundenen Anekdoten, an denen der Witz sich übte; ihre
Stadt wurde übrigens schon im Jahr 510 oder 511 vor Chr. zerstört,
als der Hahn noch gar nicht in Italien oder daselbst noch sehr jung
war. Auf den Münzen von Himera in Sicilien sieht man den Hahn,
zaweüen auch auf der Rückseite die Henne, vielleicht als Attribut
des Asklepios, der in den Heilquellen der Stadt waltete. Auch was
sonst auf Münzen und auf Vasen alten und ältesten Stils in Griechen-
land wie in Sicilien und Italien an Darstellungen des Haushahns sich
findet, geht über die von uns angegebene Epoche (zweite Hälfte des
6. Jahrhunderts) nicht hinaus.
Die Römer, die den Vogel direkt oder durch Vermittelung von
einer dieser griechischen Städte empfingen, benutzten ihn mit acht
römischer religiöser List zur Weissagung im Kriege: da nämlich kein
Aagur das ausziehende Heer begleitete und folglich atispicia ex avibtcs
nicht möglich waren, schuf man sich den Answeg, zahme Hühner
im Kä6g mitzuführen und mittelst ihrer sog. aicspicia ex tripudiis
anzustellen : frassen die Thiere mit Begierde von dem vorgeworfenen
Brei und zwar so, dass Stücke desselben aus dem Schnabel wieder
auf die Erde fielen, so war dies ein tripudium solisümum d. h. ein
günstiges Zeichen für die bevorstehende Unternehmung; der umge-
kehrte Fall ward als Wainung und Abmahnung angesehen. Natürlich
hatte dabei der pullarius^ je nachdem er seinen Thieren vorher zu
fi^ssen gegeben hatte oder nicht, den Erfolg ganz in seiner Hand.
Dass die Sitte jüngeren Ursprungs war (Cic. de divin. 2, 35: qtio
antiquissimos augures non esse usos, argumento est^ quod decretum
colleffii vetm habemus^ omnem avem tripudium facere posse\ gehtauch
ans der verhaltnissmässig kritischen Au&ssung hervor, die sie in
einer religiös bereits herabgestimmten Epoche erfuhr. Jener Feldherr
im ersten punischen Kriege, P. Claudius Pulcher,* von dem Cicerü
erzählt (de nat. deor. 2, 3, 7), Hess die heiligen Hühner, weil sie das
vorgeworfene Futter verschmähten, ins Wasser werfen; wenn sie
nicht fressen wollten, rief er, so möchten sie saufen, büsste die
Lästerung freilich mit dem Verlust der Flotte. Cicero selbst aber
drückt sich nicht sehr respectvoU über das Hühnerorakel aus — ei'
nennt es ein auspicium coactum et eapressum — und Plinius 10, 49
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268 Der Haushahn.
ist ironisch erstaunt, dass die ^nichtigsten Staatsgeschäfte, die ent-
scheidenden Schlachten und Siege von Hühnern gelenkt und die
Weltbeherrscher wieder von Hühnern beherrscht würden. In Catos
ländlicher Oekonomie spielen die Hühner noch keine grosse Rolle —
er lehrt nur an einer Stelle, wie Hühner und Gänse gestopft würden — ,
aus der ausführlichen Unterweisung aber, die Varro 3, 9 und Colu-
mella 8, 2 ff. über die Behandlung und Pflege derselben geben, er-
sieht man, wie entwickelt und verbreitet die Hühnerzucht zur Zeit
dieser Schriftsteller in Italien schon war. Grössere edlere Varietäten
des asiatischen Haushahnes, besonders Eampfhähne, wurden aus ver-
schiedenen, durch besondere Zucht und Race sich auszeichnenden
Orten Griechenlands bezogen. In früherer Zeit war die Insel Delos
in dieser Hinsicht berühmt gewesen: Cicero erzählt (Acad. 2, 18),
die Delier hätten bei Anblick eines Eies die Henne angeben können,
von der es gelegt worden (was übrigens nicht so schwer ist, denn
das Sprichwort: so ähnlich wie ein Ei dem andern — trifil nicht
ganz zu); jetzt standen die tanagräischen, rhodischen, chalcidischeu
Hähne als stark und schön in besonderem Ruf. Varro, Columella
und Pliuius erwähnen auch der grossen sogenannten meUschen
Hühner, gaüinae melicae^ die nach dem Erstgenannten, der auch eia
Sprachforscher war, wiewohl nicht immer ein glücklicher, eigentlich
medicae^ modische Hühner, heissen sollten. Wir entnehmen daraas
die Thatsache, dass noch in römischer Zeit Medien, woher die
Hühner zuerst nach Europa gekommen waren, frisches Blut nach-
lieferte; die Form melicae könnte aber eben desshalb richtig sein und
das altbaktrische meregha avis^ persische murgh, kurdische mmhk,
ossetische margh gallina^ wiedergeben, welches dann auch die Ur-
form zu dem griechischen, durch Volksetymologie entstellten ^sle-
ctyQig wäre.
Auf welchen Wegen sich das Geschlecht der Haushühner zu den
Barbaren im mittleren und nördlichen Europa verbreitete, darüber
giebt es natürlich keine direkten historischen Zeugnisse. Diese Vei^
breitung konnte geraden Weges von Asien zu den stammverwandten
Völkern der südrussischen Steppen und des Ostabhangs der Karpathen
gehen, deren Religion der der übrigen iranischen Stämme folgte und
die in einigen ihrer Glieder schon zu Herodots Zeit Ackerbau trieben,
oder durch die griechischen Kolonien am schwarzen Meer, deren
Einfluss sich bekanntlich weit erstreckte, oder von Thrakien zu den
'Stämmen an der Donau, oder von Italien aus auf den alten Handels-
wegen über die Alpen, oder über Massilia in die Rhone- und
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Der Haashahn. 269
KheiDgegenden, oder endlich auf mehreren dieser Wege zugleich.
Je mehr ein Volk vom nomadischen Hirtenleben zur festen An-
siedelang überzugehen sich anschickte, desto leichter musste dies den
geschlossenen Hof belebende, körnerfressende, von Fuchs und Wiesel
?erfolgte Hausgeflügel bei ihnen Aufnahme, bleibende Statte und
Gedeihen finden. Cäsar traf um die Mitte des ersten JahrhuDderts
Tor Chr. die Henne schon bei den Britannen (de b. gall. 5, 12), in-
dess vielleicht nur bei den gallisch gebildeten, den Boden bestellenden
Stämmen in der Nähe der Südkuste. Befragen wir die Sprachen,
so ergeben sich einige nicht uninteressante Resultate. Wir sehen
Reihen von Benennungen von Volk zu Volk gehen, in verschiedenen
sich kreuzenden Richtungen, die auf die Sitze und den Verkehr dieser
Völker ein dämmerndes Licht werfen. Zwar gestatten auch manche
andere Kulturbegriffe ähnliche Schlüsse, selten aber mit einem ver-
hältm'ssmässig so festen chronologischen Anhalt. Da der Hahn nicht
vor der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Chr. in Griechenland
erschien, so werden wir seine Ankunft im inneren Europa nicht vor
das fünfte Jahrhundert setzen dürfen. Was in dem civilisirten
Griechenland schnell von Statten ging, konnte im barbarischen Norden
nur langsam, allmäblig und stufenweise sich vollziehen. Um die ge-
nannte Zeit müssen
1) die Germanen schon ein abgesondertes Ganze gebildet haben,
da sie den Vogel mit einem eigenen, nur ihnen angehörenden Namen:
hana bezeichnen; sie müssen
2) auf engem abgeschlossenem Raum zusammengewohnt haben,
da alle germanischen Stämme diesen Namen gleichmässig besitzen;
sie zerfielen folglich noch nicht in einen scandinavischen und einen
continentalen Zweig oder nach anderer Ansicht in Ost- und West-
germanen ;
3) die Deutschen müssen unmittelbare Nachbarn der Finnen
gewesen sein, da das gothische Wort sich finnisch (nicht aber litauiscLi
u. s. w.) wiederfindet;
4) die deutsche Lautverschiebung kann noch nicht eingetreten
gewesen sein, da das deutsche hana bei den Finnen kana lautet:
5) der bildende Trieb war in der Sprache der Deutschen jeuer
Zeit noch so naturalistisch fein und rege, dass er mit den geringsten
Lautmitteln für das männliche und weibliche Thier und das Junge
besondere Benennungen schuf, etwa wie solche für Stier, Kuh und
Kalb schon bestanden. Aus dem gothischen hana^ ahd. hano^ ags.
Aona, altn. hani — welches selbst sehr alterthümliche Gestalt zeigt,
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270 Der Haushahn.
da es darch keinen andern Behelf, als das bei Nominalstammen so
häufige w, gebildet ist — ward ein epicönisches Neutrum ahd. hwm^ in
der Bedeutung pulhis, später in der des nhd. Huhn, also gothisch
h6n, und zur Bezeichnung des weiblichen Genus vermittelst eines;
ahd. hennd, also gothisch hanjo^ abgeleitet — zwei ungemein primi-
tive Bildungen;
6) Slaven und Litauer müssen bereits von einander gesondert ge-
wesen sein, da sie den Hahn abweichend benennen; •
7) das Volk der Slaven muss schon auf dem ursprünglichen
Boden in die spätere nordost-südliche und die westliche Gruppe zer-
fallen sein, da pieüü gallus nur bei der ersteren, kogut^ kohtit idem
vorzugsweise bei der letzteren erscheint, während das erstere Wort
zugleich in der Bedeutung (der Sänger), nicht in der Etymologie
mit dem litauischen und vielleicht mit dem germanischen zusammen-
stimmt;
8) die Slaven müssen nach ihrer Trennung von den Litauern in
einem, auch durch andere Indicien sich verrathenden Zusammenhang
mit medopersischen Stämmen (Skythen, Sauromaten, Alanen) ge-
standen haben, da das gemeinslavische hirü^ kura gallus^ galUna,
zugleich persisch ist: churu^ churuh^ churüs;
9) das tik, tyuk gallina der Magyaren stimmt genau zu dem
kurdischen dik gallus (beiLerch, Forschungen IL 130. 122), welches
selbst- wieder arabisch ist: erhielten sie es, wie ihr Wort für den
Begriff tausend, direkt von einem iranischen Volke, damals als
sie noch jenseits der Wolga im Lande der heutigen Baschkiren
sassen?
10) Eine seltsame Kette von Namen geht vom Kanal bis zum
innersten Winkel der Ostsee oder vom französischen (nicht proven-
palischen) und armorischen coq bis zum finnischen kukko und zu
anderen finnischen Stämmen, während ein ähnliches Wort (Küchlein)
in etwas veränderter Bedeutung bei Niederdeutschen, Angelsachsen
und Scandinaviem (nicht bei Hochdeutschen) herrscht, also auf dem
angegebenen Parallel am Boden haftete;
11) keine Spur weist direkt nach Italien, sondern alle fuhren
mehr oder minder deutlich nach dem Südosten des Welttheils, was
nur bei iranischen, nie bei semitischen Kulturerwerbungen der Fall
ist. Wäre uns das Alt-Thrakische und Alt-Illyrische oder Pannonische
erhalten, so würden die Namensanklänge, die das Griechische gewährt,
vielleicht zur vollen Identität werden;
12) das altbaktrischo kahrka Huhn (zu erschliessen aus kcArk-
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Der Haushahn. 271
flffl der Geier d. h. der Hühnerfiresser) stimmt unmittelbar Zusammen
mit dem altirischen cerc gaüina^ Glosse bei Zeuss* p. 782: cerodae^
gaUmaceus. Dazwischen liegt das ossetische kjark gaüina und die
Glosse des Hesychius: xiQxog' aAfixr^vcJy (welche Benennung irgend-
wo auf der Hämus-Halbinsel Brauch gewesen sein muss), so wie
yielleicht gothisch hruk galUcinium^ mit dem dazu gehörigeo Verbum
hruk/'an. Das Wort geht also quer durch das europäische Festland
Tom PoDtns bis an den Kanal und jenseits desselben und stammt
tos der Zelt, wo keltische Stämme von Gallieu bis zum schwarzen
Meer theils sich tummelteu, theils sich bereits gelagert hatten. Die
litauischen und slavischen Yerba karkti, karkati^ h^okati bedeuten
mdir krächzen, schnarren, und gehen, wie graculus^ altn. kraka^
x^'ffity, crocire^ C7*ocitare und eine Menge anklingender Ausdrücke
auf das Genus cortms;
13) es war naturlich, dass mit dem Thier und seinem Namen
auch die religiösen Begriffe, die daran sich knüpften, von Land zu
Land wanderten. Die Redensart: den rothen Hahn aufs Dach setzen,
nennt statt des Elementes den Vogel, der ihm geweiht und in der
Anschauung verwandt war. Eine in dem Volumen decretorum des
Bischofs Burchard von Worms (bei Panzer, Bayerische Sagen und
Bräuche, I, S. 310) enthaltene Stelle, wonach es geföhrlich ist, vor
dem Hahnenruf Nachts das Haus zu verlassen, eo quod immundi
9piritu8 ante gaUicinium plus ad nocendum potestatis habent^ quam
postj et gallus suo cantu plus valeat eos repellere et sedare quam illa
drnna mensy quae est in homine sua fide et crucis signaculo — diese
Stelle klingt wie ein direkter Bericht über den Glauben der alten
Perser an die von ihnen Da^vas genannten immundi spiritus und an
die Kraft des Hahnes, dieselben durch seine Stimme zu verscheuchen.
Noch in Shakespeares Hamlet (Act 1, Scene 1) sagt Horatio ganz
ähnlich: „Ich habe gehört, dass der Hahn, der die Trompete des
Morgens ist, mit heller Stimme den Gott des Tages weckt und dass
bei seinem warnenden Ruf all die Geister, die in Wasser oder Feuer,
in Luft oder Erde schweifen und irren, jeder an seinen Ort zurück-
schlüpfen." Demselben Vorstellungskreise gehört es an, wenn der
Vogel des Lichts bei Nacht der Nachtgöttin geopfert wird, Ov. Fast.
1, 455:
Nocte deae noctis cristatus caedüur ales.
Aueh die slavischen Pommern verehrten den Hahn und fielen an-
betend vor ihm nieder (die Citate bei Panzer a. a. O. S. 317); bei
den Litauern werden Hahn und Henne der Erdgöttin geschlachtet
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272 Der Haashahn.
(Matth. Praetorius, Deliciae prussicae, herausgeg. von W. Pierson,
Berlin, 1871, S. 62), eben so bei Einsegnung der Häuser zaerst ins
Haus gelassen: „diese werden gehegt und nicht geschlachtet noch ge-
gessen, aber darum nicht vor Götter gehalten" (S. 37). In dem alt-
indischen Gesetzbuch war das Essen von Hühnerfleisch nicht erlaubt
(Lassen, Ind. Alterth. 1, 297), und auch die Mysten in Eleusis
enthielten sich dieser Tögel, die der chthonischen Göttin, der Perse-
phone, und der Demeter geweiht waren (Porphyr, de abst 4, 16):
in überraschender Weise berichtet Cäsar (a.a.O.) von denBritannen:
leporem et gallinam et anaerem gustare fas non putant — , die also
mit dem Thier und seinem Namen auch die Scheu vor seiner Gött-
lichkeit mit übernommen hatten. Wie die Römer, wo keine wilden
Vögel und Yogelschauer zur Hand waren, mit zahmen Hühnern sich
halfen, so opferten auf Seeland die heidnischen Dänen alle neoD
Jahre neben Menschen, Pferden und Hunden auch Hähne, weil die
Raubvögel nicht zu beschaflFen waren, Thietmar von Mersebui^ bei
Pertz Scriptt. HI p. 739 : nonaginta et novem hamines et totidem equos
cum canibtts et gallis pro accipitribus oblatis immolant — was
ihnen vielleicht kluge Sclaven aus dem Süden vor Alters an die
Hand gegeben hatten. Wie femer bei Plutarch de Is. et Osir. 61
Anubis sowohl über die Oberwelt, tä avio, als unter dem Namen
Hermanubis über die Unterwelt, la xdiw^ waltet und ihm in der
ersteren Eigenschaft ein weisser, in der anderen ein safrangelber,
gleichsam schwefelfarbiger, Hahn geopfert wird, so singt in der Vö-
luspä, dem ältesten Theil der Edda, der goldkammige Hahn, Symbol
des Lichtes, bei den Äsen, der schwarzrothe, dämonische in der
Unterwelt, in den Sälen der Hei (Völ. 35), und so unterscheiden
die Volkssagen auch sonst zwischen dem weissen, rothen und schwar-
zen Hahn (s. Reinhold Köhler in der Germania XI, S. 85 ff.). Die
Russen unter Sviatoslav bringen nächtliche Todtenopfer bei Doro-
stolum am Ister, indem sie Säuglinge und Hähne erwürgen und sie
dann in die Wogen des Stromes versenken (Leo Diac. 9, 6); auch
bei der Bestattung des russischen Häuptlings, deren Verlauf uns
Ibn-Foszlan (bei Frähn) ausführlich schildert, werden Hahn und
Henne geschlachtet und dann zu dem Todten in das Schiff geworfen.
Wenn es wahr ist, was in der Zeitschr. für d. Mythologie H. S. 327 f.
deducirt wird, dass der Hahn dem Donar, Thunar, Thorr eigen-
thümlich gehört, so würde dieser deutsche Gott sich dem (^raosha
oder einer entsprechenden Gestalt der vermittelnden Völker substitoirt
haben. Da die nordischen Stämme zur Zeit, wo dies neue, seltsame
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. Die Taube. 273
Hansthier bei ihnen erschien, noch in ganz elementarem Bewosstsein
be&ngen lagen and das Qemüth sich der Eindrücke, die es erfuhr,
nur in ahnender Bildersprache entäussem konnte, so ^ird ein mannich-
&cher Hahnenaberglaube seitdem auch spontan bei ihnen Wurzel ge-
fitöst und sich ausgebreitet haben. Die Mythenvergleicher aber, die
die wirkliche oder angebliche UebereinstimmuDg von mythischen Vor-
stellongen, Namen, Sprüchen, Märchen, Zauberformeln, Gebräuchen
u, s. w. der alten und neuen europäischen und asiatischen Völker
zum Aufbau einer reichen und phantasievollen Urmythologie des
iodoeoropäischen Stammyolkes benutzen, sollten, wie sich auch hier-
bei wiederum ergiebt, drei Momente bei jedem Schritte sich gegen-
wärtig halten: erstens dass, so weit der Blick reicht, eine ungeheuere
Eoltur- und Religionsentlehnung Statt gefunden hat, zweitens dass
dieselben Umstände und Lebensstufen auf den yerschiedensten Punkten
zu sehr verschiedener Zeit parallele Anregungen hervorriefen, drittens
dass in gewissen Grenzen auch dem Zufall sein Recht werden
muss.
Statt die Geschichte des Hahnes durch das Mittelalter zu ver-
folgen und durch alle fünf Welttheile zu begleiten, denn dies nütz-
liche Hausthier ist selbst bis zu den Negern im innersten Afrika
gedrangen, schliessen wir lieber mit den Worten des alten würdigen
Thomas Hyde ( Veterum Persarum et Parthorum et Medorum religionia
historta. Ed. 11. Oxonii 1760. i^, p. 22): üsque hodie gaUinis adeo
tcatet Media, ut eo fere solo cibo et earum ovis (una cum came ovina)
exdpiantur nostrates ibi peregrinantes. Ab illa regione jam utilissima
haec avis per totum orbem mtUtiplicatur, Hocque novisse juvat: nam
rdms aliemgenia longo temporis tractu aptid nos f actis tamquam indi-
genis, unde primum venerint tandem ignoratur; quod de miUtia plantis
et arboribus verum et de arrnnalilus havd paucis — Worte, die wir
diesem ganzen Buche als Motto hätten voranstellen können ^^).
Die Taube.
Schon Homer erwähnt nicht selten der Tauben unter dem Namen
niUiat^ Tceleiädeg; aber nichts Iftsst vermuthen, dass er die Haus-
taube darunter verstanden habe. Die Tauben sind ihm das Bild des
\itL Hehn, KaltQrpfl«nzeo. 18
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274 I>i« Taube.
Flüchtigen und Furchtsamen: so entzieht, sich Artemis der Hera, die
ihr den Köcher geraubt hat, II. 21, 493:
Weinend aber entfloh sie zur Seite sofort, wie die Taube,
Die Yom Habicht verfolgt in den Spalt des zerklüfteten Felsens
Schlüpft — nicht wars ihr beschieden des Raubers Beute zu werden.
Hector flieht vor Achilles, wie eine scheue Taube vor dem Falken,
H. 22, 139, wo das Gleichniss folgendermassen ausgemalt wird:
Wie im Gebirge der Falk» der geschwindeste unter den Vögeln,
Leicht im Schwünge des Flugs der schüchternen Taube sich nachstürzt;
Seitwärts fluchtet sie bang; dicht hinter ihr stürmt er best&ndig
Nach mit^ellem Geschrei und brennt vor Begier sie zu fangen.
Daher auch das Adjectiv tqi^qcov^ scheu, flüchtig, das Homer dem
Namen der Tauben gern hinzufügt, wie Aeschylus Sept. 292 navxqo-
fxog TteXeiagy die ganz zitternde Taube, sagt. Auch als der schnellste
Yogel erscheint die Taube in dem Sagenkreise von den Argonauten.
Das Schifif Argo war, wie der Name sagt, wunderbar schnell, und
wenn die Taube zwischen den zusammenschlagenden Felsen hindurch-
flog, durfte auch das Fahrzeug, das die Helden trug, unverletzt hin-
durchzusegeln hoffen. Daher vorher mit ihr die Probe gemacht
werden soll, Apoll. Rh. Argon. 2, 328:
Macht vor Allem zuerst den Versuch mit dem Yogel, der Taube,
Lasst sie zuvor vom Schiff ausfliegen.
Aus der Argonautensage stammt denn auch in der Odyssee die War-
nung der Circo vor den glatten Felsen, 12, 59:
Rechtshin sind zwei Felsen und hängen herüber, an diese
Donnert die mächtige Woge der bläulichen Amphitrite:
Die sind irrende Felsen genannt von den seligen Gottern.
Da fliegt selbst kein Yogei vorbei, ja schüchterne Tauben
Nicht einmal, die dem Yater, dem Zeus, Ambrosia bringen;
Auch von diesen sogar raubt allzeit eine die Felswand,
und eine andere sendet, die Zahl zu ergänzen, der Yater«
So verderblich also sind diese Felsen, dass selbst die geschwinden
Tauben ihnen nicht immer entgehen und Vater Zeus, dem sie Am-
brosia bringen — sie schvnngen sich als dimheig durch die Hinmiels-
bläue — , die verlorenen durch andere ersetzen muss. Auch bei den
Tragikern ist die Taube schnell wie der Sturmwind und wie die
Wuth oder die Kache, Soph. O. C. 1081:
€L&^ äsXlaia taxvQQioaiog neXeiäg
al&s()iag vBq)eXag
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Die Taube. 275
Earip. BaccL 1090 (die Mänaden stürzen auf den Pentheus):
jl^av neXaiag (ixvTrjT^ oix 7Joaoveg,
Noch schoeller freilich ist der Habicht oder Falke, der der schnellste
aller Vögel ist — da er ja auf die Tauben Jagd macht — und nur
das WunderschifF der Phäaken, das den schlummernden Odysseus nach
Ithaka brachte, übertrifft ihn an Flüchtigkeit, Od. 13, 86:
Rastlos lief es und sicher dabin: kein kreisender Habicht
Flöge den Lauf ihm nach, der geschwindeste unter den Vögeln;
So hineilend und leicht durchschnitt es die Wogen des Meeres.
Griechenland war in Fels und Wald so reich an Tauben, Ringel-,
Felsen-, Turteltauben, dass ihre Rolle in Gedicht und Sage nicht auf-
fallen kann. Der Schiffskatalog bezeichnet das böotische Thisbe
(IL 2, 502) und das lacedämonische Messe (582) als nolvTQtJQioVy
taabenreich, ebenso Aeschylus die Insel Salamis als neXsio^QiiA^wv^
taabennährend (Pers. 309 Dindorf.). Drosseln und Tauben werden
in Netzen oder Schlingen gefangen, die im Gebüsch aufgestellt sind,
Od. 22, 468:
Wie bisweilen ein Zug breitschwin giger Drosseln und Tauben
Sich in der Schlinge verfangt, die aufgestellt im Gebüsch ist,
Wann sie zum Nest heimeilen; ein trauriges Lager empfängt sie —
nnd es kann daher nicht auffallen, wenn im 23. Buch der Ilias
Achilles bei den Leichenspielen des Patroklus eine lebendige, an die
Spitze eines Mastbaumes gebundene Taube als Ziel aufstellt: Teukros,
der gefeierte Bogenschütze, schiesst zuerst, aber er vergisst, tlem
Apollo sein Gelübde zu thun, und trifft nur die Schnur; die befreite
Taube strebt kreisend zum Himmel auf; da ergreift Meriones schnell
den Bogen, betet, und holt den flüchtigen Vogel mit dem Pfeil vom
Himmel herunter (IL 23, 850 ff.). Daher die Taube auch das my-
thische Bild des der Fesseln sich entledigenden Gefangenen und
Flüchtlings ist: die drei Töchter des Anius auf Delos, die Oino,
Spermo und Elais, die Alles, was sie berührten, in Wein, Kom tmd
Oel verwandelten und desshalb Oinotropoi genannt wurden, sollten
von Agamemnon in Fesseln geschlagen und mit Gewalt nach Troja
geschleppt werden, da verwandelten sie sich in Tauben und flogen
davon (Ov. Metam. 13, 650 ff.). Dass endlich die Taube auch ein
dämonischer weissagerischer Vogel ist, beweist das Orakel von Do-
dona: dort thaten Eingeltauben vom Gipfel der heiligen Eiche in
ihrem Fluge und Girren, dem Geräusch ihrer Flügel, ihrem Konitiien
und Gehen, Aufsteigen und Niederstürzen die Zukunft und den Willen
des Zeus kund, wie ja Yogelorakel auch in dem gegenüberliegende&i
18*
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276 I>ie Taube.
in Vielem dem epirotischen Lande so verwandten Italien ein uralter
Brauch waren und wie die Veneter den Dohlen Euchen auf dem
Felde hinzustellen pflegten, damit sie die -Saat verschonten (Theo-
pompus bei Müller Fr. 143).
An allen angeführten Stellen des Epos wird die Taube niXeta
genannt (im Plural auch naleiadeg); nur einmal kommt bei Homer
das später übliche qxiaoa vor und zwar als erster Bestandtheil des
Adj. q>aaao(p6vog^ taubenmordend, Prädikat des Habichts (H 15,237).
Ein dritter Ausdruck, (fiiV^ Gen. (paßbg^ findet sich zuerst bei
Aeschylus, fragm. 206 Nauck.:
aitoiifiivriv övatrjvov ad^liav q>aßa^
fiiaaxTa nlevQa ngog nrvoig nenleyfiivrpf —
also die vom Eom naschende, unglückliche Taube, der mit der Worf-
schaufel die Knochen zerschmettert werden. Die spätere wissen-
schaftliche Zoologie (bei Aristoteles, Anim. hist. 5, 13, 2) unterscheidet
mit diesen Namen die besonderen Arten Tauben und fügt noch olvag
(wörtlich: die Weintaube) und TQvyiiv (die Turteltaube, vom Girren,
TQv^ü)^ benannt, zuerst bei Aristophanes in den Vögeln) hinzu: in
der Urzeit gingen diese Benennungen wohl ohne Unterschied je nach
der Landschaft oder nach einer der Eigenschaften des Thiers, die
grade in das Bewusstsein des Redenden fiel, auf das Geschlecht der
wilden Tauben überhaupt, denn die dodonäische niXeia, die in den
Bäumen wohnte, columba palumbu8y kann unmöglich mit der niXeiüy
die bei Homer in einen Felsspalt schlüpft, columba livia^ dieselbe
gewesen sein. Der eigentliche Name für die Haustaube, und damit
diese selbst, tritt erst in der spätem attischen Sprache auf, zuerst
bei Sophokles (Fr. 781 Nauck., wo sie deutlich als oixhig und
iq>iaTing bezeichnet ist), dann bei den Komikern und bei Plato:
nsQiazeQogy naQiaxBQa, Täuberich, Taube, neQiaxeQtdavc^ negiate-
gidiov^ neqLOTBQLovy Täubchen, nsQiaTCQBwv^ der Taubenschlag —
neue Wörter, die der dorische Dialect, der fortfuhr nslsidg zu sagen,
gar nicht annahm (Sophron bei Athen. 9, p. 394). Woher nun kam
den Griechen in so später Zeit dies freundliche Hausthier, das gegen
das Ende des 5. Jahrhunderts vor Chr. in Athen schon ganz ge-
w.öhnlich ist? und war die zahme Taube etwa identisch mit einer
der in Griechenland lebenden wilden Arten? — Sehen wir uns zur
Beantwortung dieser Fragen zuerst, wie gewöhnlich, in der semi-
tischen Welt um.
Dass in den syrischen Städten die Taube der dort unter ver-
schiedenenen Namen verehrten weiblichen Naturgottheit, die die
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Die Taube. 277
Griechen Aphrodite nennen, heilig war und bei ihren Tempehi in
dichten Schaaren gehegt wurde, ist eine von den verschiedensten
alten Schriftstellern bezeugte Thatsache. Xenophon, als er im Heere
des jungem Cyrus mit andern griechischen Söldnern Syrien durch-
zog, fand, dass die Einwohner die Fische und die Tauben als gött-
liche Wesen verehrten und ihnen kein Leid anzuthun wagten, Anab.
1, 4, 9: „welche (die Fische) die Syrer für Götter hielten und ihnen
kein Leids anthaten, so wenig als den Tauben.^ Nach Pseudo-
Lacian. de Syria dea 54 waren in Hierapolis oder Bambyce die
Tauben so heilige dass Niemand eine derselben auch nur zu berühren
wagte; wenn dies Jemandem wider Willen widerfuhr, dann trug er
für den ganzen Tag den Fluch des Verbrechens; daher auch, f>
der Verfasser hinzu, die Tauben mit den Menschen ganz als Ge-
nossen leben, in deren Häuser eintreten und weit und breit den Erd-
boden einnehmen. Ganz dasselbe berichtet der Jude Philo (bei
Eoseb. praep. evang. 8, 14) von Askalon, dem ürsitz der ^uicpQodlxri
OvQavlr]^ oder der Astaroth: „ich fand dort, sagt er wörtlich, eine
unzählige Menge Tauben auf den Strassen und in jedem Hause, und
als ich nach der Ursache fragte, erwiderte man mir, es bestehe ein
altes religiöses Verbog die Tauben zu fangen und zu profanem Ge-
brauch zu verwenden. Dadurch ist das Thier so zahm geworden,
dass es nicht bloss unter dem Dache lebt, sondern ein Tischgenosse
des Menschen ist und dreisten Muth willen treibt." Die Tauben der
paphischen Göttin auf Cypem, die Paphiae columbae^ die im Tempel
ein- und ausflogen, ja sich selbst auf das Bild der Göttin setzten,
sind so bekannt, selbst aus Münzen und Genunen, dass es der An-
{Qhrung eines besonderen Zeugnisses nicht bedarf. Da nun die
Astarte von Askalon in sehr alter Zeit nachKythera und Lacedämon,
überhaupt die semitische Aphrodite nach Eorinth und an die ver-
schiedensten Punkte der griechischen Eüste verpflanzt wurde und
Cypem schon frühe das Ziel griechischer Seefahrten und Nieder-
lassungen war, so musste, wie man denken sollte, auch die Taube, das
Symbol und der Liebling der Göttin, mit ihr selbst und eben so
frühe nach Griechenland gekommen und bei ihren Heiligthümem
Gegenstand der Zucht und Pflege geworden sein. Davon aber giebt
es durchaus keine Ueberlieferung. In dem homerischen Hymnus auf
Aphrodite finden sich die Tauben nicht erwähnt: die Göttin betritt
ihren duftenden Tempel auf der Insel Cypern, sie wird von den Chariten
mit dem unsterblichen Oel gesalbt, mit herrlichen Gewändern be-
kleidet und mit goldenem Geschmeide geschmückt und schwingt sich
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278 I>ie Taube.
dann, Cypem verlassend, hoch durch die Wolken nach dem quellen-
reichen Ida. Und auch am Schlüsse des Hymnus heisst es btess:
sie entschwebte zum wehenden Himmel: rfi'^e nQog ovqavov ^ve-
fioevta. Auch in den kleineren Hymnen Y und IX bezieht sich
keines der der Göttin gegebenen Prädikate auf ihre Tauben; sie
heisst %Qvaooteq>avQg^ iooticpavoq^ elixoßXiq>aQog\ yXvxvfieilix^g^
SaX(x(nvog ivxTi^tivrig fiediovaa xai naarjg Kvtiqox\ ^ naarjg
KvTiQOV xQfjdß^va XiXoyx^v elvaXirjg u. s. w. In der uns durch Dio-
nysius von Halikamassus de compos. verb. erhaltenen Ode der Sappho,
die mit den Worten beginnt:
IIoLxiXd&QOv' adavctt* ^Aq^gdöna^
wird der Wagen der Göttin nicht von Tauben oder Schwänen,
sondern von schnellen Sperlingen durch den Himmel gezogen (£r. !•
Bergk.): '
xaXoi de 6* ayov
alx££S OTQOv&oc ucqI yag ^leXaivag
nvxva divevvieg miQ* an^ wqolvo) aL&e-
Qog diä fiF.aao),
Von einer Erwähnung der Tauben bei derselben Sappho berichtet das
Scholion zu Pindar Pyth. 1, 10: bei Pindar nämlich sitzt der Adler
auf dem Scepter des Zeus, die Flögel sinken lassend : aixeiav Ttxiqvy*
äfiq)otiQO)d'iv xccXa^aic; umgekehrt, sagt der Scholiast, äussert eich
die Sappho über die Tauben:
Täiac de rpoxQog fiiv eyevto dvf^og^
TtaQ ö^ \'eiai tä miga (fr. 16 Bergk.)
Wir wissen weder, mit welchem Worte hier die Tauben bezeichnet
waren, noch ob sie als Attribut eines Gottes oder einer Göttin vor*
kamen; da ihnen ein kaltes Gemüth zugeschrieben wird, können nur
die wilden, nicht die kyprischen gemeint gewesen sein. In der
ganzen übrigen Lyrik bis auf Pindar hinab — so weit sie uns in
Bruchstücken und Nachrichten erhalten ist — fehlt die Taube
durchaus.
Dies späte Erscheinen des nachher in Kunst, Religion und Leben
so verbreiteten Vogels hat seinen Grund offenbar in dem gleichen
Vorgang in Syrien, Palästina und Cypem. Auch dort geht die
zahme Taube nicht in frühes Alterthum hinauf, sondern wurde erst
Symbol der Astarte und Aschera, als in Folge von Eroberungszügen
und Handelsverkehr der Dienst dieser Göttinnen mit dem der wesens-
gleichen centralasiatischen Semiramis verschmolz. Semiramis war
als Taube gedacht und bedeutete so viel als Taube, Diodor2, 4:
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Die Tanbe. 279
^Semiramis ist in der Sprache der Syrer so nach den Tauben be-
naoDt, die seit jener Zeit von allen Bewohnern Syriens als Göt-
tiimen verehrt werden." Hesych. SefiiQa^ig' nsQiatSQct oqsioq
^Ellrjviati. Sie wurde in Askalon von ihrer Mutter, der Fischgöttin
Derketo, gleich nach der Geburt ausgesetzt, von Tauben gen&hrt^
Tom Hirten Simmas, der sie nach seinem Namen benannte, aufer-
zogen; dann trat sie in Ninive als herrliche Kriegerin auf und ver-
wandelte sich zuletzt in eine Taube und flog mit Tauben davon
(Diod. 2, 20 nach Ktesias). Nach Hygin. fab. 197 fiel vom Himmel
ein ungeheures Ei in den Euphrat; Fische wälzten es an das Ufer^
Tauben brüteten es aus, und es ging die Venus daraus hervor, die
spater die dea Syria genannt wurde; daher die Syrer auch Fische
und Tauben für heilig halten und nicht essen. Der Taubendienst
kam also vom Euphrat nach Yorderasien, ebenso die Anschauung der
Natnrgöttin als Taube. Im Alten Testament findet sich die erste
einiger Massen sichere Erwähnung der zahmen Taube bei Pseudo-
Jesaias 60, 8 : »Wer sind die, welche fliegen wie die Wolken und
wie die Tauben zu ihren Fenstern (Gittern d. h. zum Taubenschlage)?'*
Diese Partie des Jesaias ist in der Epoche des Exils geschrieben,
mid um diese Zeit, nach den babylonischen Eroberungszugen, mag
sich auch die Aneignung der Taubenzucht in Vorderasien und die
Aufnahme des zärtlichen Vogels in den syrisch-phönizischen Kultus
und als Tempelbewohner schrittweise vollzogen haben. Sollten die
Taubengleichnisse in dem Hohen Liede nicht anders als von zulimt^n
Tauben verstanden werden können — was wir dahin ge^^iellt sein
lassen — , dann könnte auch dies Gedicht, dessen Zeitalter utigewiss
ist, nicht höher hinaufgerückt werden. (Nach H. Grätz, das Salo-
monische Hohelied, Wien 1871, fiele es erst in die macedonisch-
griechische Zeit, nach S. J. Kämpf, das Hohelied, Prag 1877, in die
vorexilische Epoche und zwar weil die Stimmung darin eine freudige
ist!) Auch auf der spätem Königsburg in Jerusalem, die im all-
gemeinen Brande unterging, waren nach Josephus b. j. fi, 4, 4 „viele
Thürme zahmer Tauben."
Von den syrischen Küsten, doch auf einem Umwege, kam dann
die Haustaube «mit dem Beginn des fünften Jahrhunderts auch den
Griechen zu — wie uns ein merkwürdiges Zeugniss belehrt, dass
nur richtig verstanden werden muss. Charon von Lampsaku?, der
Vorgänger des Herodot, berichtete in seinen fleQaixdy zu der Zeit,
wo die persische Seemacht unter Mardonius bei UmschiiTuDg des
Vorgebirges Athos zu Grunde ging, also zwei Jahre vor der Schlacht.
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280 I>ie Taube.
bei Marathon, seien zuerst in Griechenland die weissen Tauben er-
schienen, die bis dahin unbekannt waren (Athen. 9. p. 394). Was
ist hier unter weissen Tauben gemeint? Nichts anderes als Haus-
und Tempeltauben edler ßace, wie die wilden als schwarze, graue,
Rehfarbene, fahle gedacht und danach genannt werden, und zwar
nicht bloss bei den Griechen, sondern auch in den Sprachen der
urverwandten europäischen Völker. Den Tauben von Dodona legt
Herodot ausdrücklich schwarze Farbe bei, 2, 55 und 57, wenn er
auch das schwarze Gefieder, so wie das ganze Taubenorakel, bereits
in der Weise der jüngeren Zeit rationalistisch deutet. Den Namen
des Vogels niXsia erklärten schon die Alten aus dem Adjectiv nelog^
nsXiog, nsllog, noliog grau (womit einverstanden ist Pott, Zeitschr.
6, 282); dasselbe Wort ist das lateinische palumbus oder pahmbeSy
auch palumha^ dessen erweiterte Form ans dem ursprünglich auf das
l folgenden v mit hinzutretender Nasalirung entstand, wie in palUdus,
puüus das doppelte l aus Assimilation. Ganz so stammt das czechische
(auch polnische und russiche) siwdk^ die wilde Taube, aus siwy^
caesius^ glaucus^ das gleichbedeutende russische sis^ak aus sizyi bläulich,
das französische büet^ die Holztaube, aus bis schwärzlich. Nicht
anders ist auch das deutsche Taube, goth. dvho^ ags. deäf, altn.
daufr mit dem Adjectiv davhs^ taub, stumm, blind, duster, dunkel-
farbig, zusammenzustellen, für welche letztere Bedeutung das Kel-
tische willkommene Bestätigung bietet: altirisch dubh niger^ dvb atra-
mentum^ Dvhü der Schwarzbach (Zeuss^ p. 14). Im Gegensatz da-
zu wird die asiatische, der Aphrodite geweihte Taube wegen ihres
zart weissen, in hellen Farben schillernden Gefieders durchgängig
die weisse, /«vx^, dlha^ Candida genannt. Der Komiker Alexis
bei Athen. 9, p. 395:
l^vxbg If^qiQodlTTjg el^l yaQ TtßQiareQog.
Catull. 29, 9:
vt albulus columbus aut Ädoneus.
Tibull. 1, 7, 16:
Qutd referam, ut volitet crebras intacta per urbes
Alba Palaestino sancta columba viro.
Ovid. Metam. 2, 536 (vom Eaben, der früher schne^weiss war wie
die Taube):
Nam fuü haec quondam niveis argentea pennis
AleSy tä aequaret totas sine labe columbas,
Martial. 8, 28 (der Dichter richtet das Epigramm an eine ihm ge-
schenkte Toga und rühmt die Reinheit ihrer weissen Farbe durch
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Die Tanbt. 281
Tergleichong mit der Lilie, der Ligusterblüte, dem Elfenbein, dem
Schwan, der paphischen Taube und der Perle), v. 11:
Lilia tu vmcis nee adhuc delapaa ligustra
Et Tiburtino monte quod albet ebur.
Spartanus tibi cedet olor Paphiaeque columbae^
Cedet Erythraeis eruta gemma vadis.
Apolej. Met 6, 6, p. 175: de multis quae circa ctibiculum dominae
äabulant procedunt qiuituor candidae columbae ethüaris incessibus
picta coüa torquentes jugum gemmeum subeunt suaceptaqtie domina
laetae subvolant Sil. Ital. 3, 677 lässt im Anschluss an Herodot und
zugleich einigerroassen im Widerspruch mit ihm, also vielleicht nach
Pindar, der in seinem Päan an den dodonäischen Zeus derselben
Stifiangssage erwähnt hatte, ursprünglich zwei Tauben aus dem Schoss
der Thebe ausfliegen: die eine schwingt sich nach Chaonien und
weissagt auf dem Wipfel der Eiche von Dodona; die andere, weiss
mit weissen Flügeln (jene erste war also schwarz oder grau), strebt
über das Meer nach Afrika und gründet als Vogel der Cythere das
ammonische Orakel:
Nam cui dona Jovis non divülgata per orbem.
In gremio Thebes geminas sedisse columbae 1
^larum Chaonias pennis quae contigit oras,
Jmplet faiidico Dodonida murmure quercum,
At quae Carpaihium super aequor vecta per auras
In Libyen niveis tranavit concolor alis,
Ilanc sedem templo Cytherela condidit ales.
Die iBvxal n£()iaT€Qai des Charon von Lampsakus waren also zahme
Tauben, die beim Schiffbruch der persischen Flotte am Athos von
den scheiternden Fahrzeugen sich aus Land gerettet haben mochten
und den Einwohnern in die Hände fielen. Da die Perser nach He-
rodot 1, 138 die assyrisch-babylonischen ?.€vxag neQioteQag — auch
Herodot nennt sie Xevxal — als der Sonne feindlich verabscheuten
und in ihrem Lande nicht duldeten, so werden es phönizische,
cyprische, cilicische Schiffer gewesen sein, die mit Idolen ihrer Göttin
auch die Tauben derselben mit sich führten. Ein halbes Jahrhundert
später ist unter den Athenern, die mit Thrakien in lebhaftem poli-
tischen und Handelsverkehr standen, die Taube unter dem Namen
niQKjTega^ der vielleicht auch aus jener nördlichen Gegend stammt,
ein verbreitetes Hausthier und wird, wie im Orient, zu schnellen
Botschaften gebraucht, Pherecr. bei Athen. 9, p. 395 (Meineke, fr*
com. gr. II, 1, p. 266):
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282 Die Taube.
änone^ipov äyyillovra tov neQiategov.
Der um dieselbe Zeit lebende Aeginet Taurosthenes sandte seinem
Vater von Olympia aus durch eine Taube Botschaft von seinem
Siege, die noch an demselben Tage nach Aegina gelangte, AeL V.
H. 9, 2. Müller. Aegin. p. 142 Anm. Dass von nun an die Tauben
der Aphrodite untrennbar gehörten, dass sie in deren HeiligthQmem
gehegt, ihr als Geschenk dargebracht wurden, in Wirklichkeit und
in Marmor, dass Tauben unter Liebenden eine bedeutungsvolle Gabe
bildeten, das Alles ist aus bildlichen Darstellungen und Erwähnungen
der Dichter allbekannt.
Italien machte mit der Haustaube wohl durch Yermittelung des
Tempels von Eryx in Sicilien zuerst Bekanntschaft. Auf diesem
Berge, einem alten phönizischen und karthagischen Cultussitze, wohnten
Schaaren weisser und farbiger, schmeichlerischer, girrender Tauben,
der dort verehrten grossen Göttin geweiht und an deren Festen
theilnehmend. Zog die Göttin am Tage der uivayciyia fort nach
Afrika, dann verschwanden mit ihr auch ihre Tauben; erschien
nach neun Tagen die erste Taube wieder, dann war auch die Göttin
nahe, und es brach das lärmende Freudenfest der KaTctywyict an
(Athen. 9, p. 394. AeL N. A. 4, 2). In der traurigen Zwischenzeit
der neun Tage mochten die Tauben wohl in ihren Kammern veiv
schlössen gehalten werden. Vom Eryx stammten denn auch die
2ix€lixai nBQiaxsQai, die in Theophrasts Characteren V. der Selbst-
gefallige neben Affen sich anschafft. Den Yogel nannten die sici-
lischen Griechen, als sie ihn zuerst erblickten, x6XvfißoL\ xoXv/ußa
(vergl. xoXvfißaio), wie wir aus dem lateinischen columba^ coltmJm$
schliessen. Schwärzlich nämlich war die die Uferklippen, Felsen-
zinnen und Kronen hoher Bäume bewohnende wilde Taube im Gegen-
satz zu den Wasser- und Schwimmvögeln, welche letztere die weissen
hiessen: z. B. ahd. alpiz, ags. dlfety altn. dlft, sl. lebedi^ der Schwan,
identisch mit lat. albm^ gr. alq>6c. Das griechische xoXvfißoc: (ge-
bildet wie xcQVfißog und palumbus) hat sein Analogen im litauischen
gulhe der Schwan, altir. gall idem (Cormac p. 84), und da es also
den weissen Wasservogel bedeutet, so lag es nahe, auch den weissen
Vogel der Aphrodite so zu benennen, die ja selbst eine pelagische
Göttin ist und deshalb auch den Schwan liebte. In Italien wurde
der schöne Vogel erst allmählig näher bekannt und seine Zucht zur
allgemeinen Sitte. Wir brauchten sonst, sagt Varro, ohne unter-
schied columbae von den Männchen und Weibchen, erst später, da
der Vogel in unseren Häusern gewöhnlich ward, lernten wir den co-
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Die Taubb. 283
kmlms von der columba unierscheiden, de 1. 1. 9, 38. SpeDgel: Nam
et cum omnes mores et feminae dicerentur columbaey quod non erant
in eo usu domestico quo nunc^ contra propter domesUcos usus quod
intemovimus^ appellatur mos columbuSy femina columba. Aus den
scriptores rei rusticae, zuerst aus Varro, 3, 7, ersehen wir, dass auch
eine Art der einheimischen Taube, d^ genus saxatile, also dieFelsen-
taabe, italienisch sassajuolo^ in den Yillen zu einer Art halber Zähmung
gebracht war: diese Tauben bewohnten die höchsten Thürrae und
Zinnen des Landhauses, kamen und gingen und suchten im Uebrigen
ihr Futter frei im Lande. Die andere Art, fügt Varro hinzu, ist
zahmer und lebt nur von dem innerhalb des Hauses gereichten Futter:
sie ist hauptsächlich von weisser Farbe, während jene wilde
Taube gemischten Gefieders, ganz ohne Weiss, ist. Diese völlig do-
mesticirte, weisse Taube — offenbar die aus Babylonien stammende
kjrpriotisch-syrische — wurde dann auch mit der einheimischen
grauen Art zusammengebracht upd eine Mischung erzeugt, miscellum
tertium genus^ von der in den grossen Taubenhäusern, neQiazsQBwv
oder nsQiateQOTQocpelov genannt, oft bis auf 5000 Stück versammelt
waren (Varro 1. L). Den Unterschied beider Arten, der xatoixiöiot
oder Haustauben und der ßooxaÖBc^ ayQini oder Feldtauben, kennt
auch Galenus, der noch hinzusetzt, bei ihm zu Hause d. h. in der
Gegend von Pergamum in Kleinasien erbaue man auf dem Lande
Thörme zum Anlocken und Unterhalt der letztgenannten (de compo^
ntione medicamentorum per genera, H. 10, T. XHL p. 514 Kühn).
Diese Halbzucht der wilden Taube mochte nicht bloss in Kleinasien,
sondern im Orient überhaupt und in Aegypten sehr alt sein. Wenn
das mosaische Gesetz Vorschriften über Taubenopfer giebt, die He-
bräer aber sonst wilde Thiere nicht opfern, so müssen in dem tauben-
reichen Kanaan solche Anstalten zur Anlockung der columba liria
und auch der Turteltaube frühzeitig bestanden haben. Auch in der
Sage von Noah und seinem Kasten scheinen die Taube, %velche
wiederkehrt, und der Rabe, welcher ausbleibt, nicht bloss den Gegen-
satz der Farbe, sondern auch den der Zahmheit und Wildheit aus-
drücken zu sollen. Eben so in Aegypten. Zwar bei der Krönungs-
scene, die Wilkinson hat abbilden lassen (Second series, ])l 76),
können die vier Tauben, die als Symbol weitreichender Herrschaft
nach den vier Weltgegenden ausfliegen, der Natur der Sache nach
nur wilde gewesen sein, die der Bande eutledigt das Weite suchen,
aber das von Brugsch (die ägyptische Gräberwelt, S. 14) beschriebene
Wirthschaftsbild enthält wirklich Tauben, die gefüttert werden. Man
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284 Die Taube.
bemerke übrigens, da^s die beigefügten iDschriften sagen sollen: ,,die
Gans wird gefüttert", „die Ente erhält zu fressen*", „die Taube holt sich
Futter" — welcher letztere Ausdruck auf die eben so schüchterne,
als gierige Feld taube trefiflich passt. Aber die Taube der Semiramis,
die von Askalon und unsere Farben- und Racentaube — verschieden
von den sogenannten Feldflüchtem — kann in so alter Zeit in
Aegypten nicht vorhanden gewesen sein, da sie dann auch in der
asiatisch-europäischen Eulturwelt nicht so spät erschienen wäre.
Von Italien ging mit der Macht und Kultur des römischen Reiches
die Haustaube über ganz Europa aus. Die keltischen Namen für
dieselbe (altirisch colum^ wälsch und altkomisch colomy bretonisch
kotUm, klorn) sind dem Lateinischen entlehnt, eben so die slavischen
(golqbi u. s. w.). Dem Ghristenthum diente ihr Bild frohe zum Aus-
druck der neuen Religion und der damit verbundenen Seelenstimmung:
die Taube war ein reiner, frommer Vogel, einfaltig und ohne Falsch;
in ihrer Gestalt stieg der heilige Geist nieder; beim Tode des Gläu-
bigen schwang sich die Seele als Taube zum Himmel. Man sieht
sie in den ältesten christlichen Katakomben häufig abgebildet, und
in den Heiligenlegenden des Mittelalters ist sie das sichtbare Zeichen
der Einwirkung des Geistes von oben. Als der Frankenkönig Chlod-
wig sich in Rheims taufen Hess, da brachte eine Taube dem h. Remi-
gius — wie Hincmar im Leben des Heiligen erzählt — das Oel-
fläschchen zur Salbung vom Himmel herab. Es war seit den Zeiten
der Kirchenväter ein allgemeiner Glaube^ dass die Taube keine Galle
habe; daher z. ß. bei Walther von der Vogel weide 19, 13 Lachm.:
rÖ8 dne dorn, ein tübe sunder gallen.
Der Papst verschenkte, wie die- Rose, so auch das Bild der Taube.
Den europäischen Naturvölkern war die graue Taube, wie sie in der
Wildniss lebt, ein düsterer vorbedeutender Vogel, vielleicht auch ein
Leichen- und Trauervogel gewesen (Grimm, DM.^ S. 1087 f. und
daselbst die Stelle aus Paulus Diaconus 6, 34) : ihr trat jetzt, wie
dem Heidenthum das Christentbum, die anmuthige und zärtliche,
mit dem Menschen lebende und aus der Hand des Menschen ihre
Speise nehmende, weisse, fremdländische Taube gegenüber. Im
Westen war indess die Taube immer auch ein Hausvogel, dessen
Mist und Federn verwandt wurden und der wie Gans, Ente und
Huhn zum Essen diente; in den Gremeinden der anatolischen Kirche
aber bildete sie in Anknüpfung an altorientalische Vorstellungen
einen Gegenstand religiöser Verehrung und abergläubischer Skrupel.
Li Moskau und den übrigen Städten des weiten Russlands werden
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Die Tanbe. 285
fiberall Schaaren von Tauben von den Kaufleuten unterhalten und
genährt, und einen der heiligen Vögel zu tödten, zu rupfen und zu
essen, wäre eine Art Schändung des Heiligen und würde dem Thäter
übel bekommen — ganz wie einst zur Zeit Xenophons und Philos
in Hierapolis und Askalon. In dem halbgriechischen Venedig be-
wohnen noch jetzt Schwärme von Tauben die Kuppeln der Markus-
kirche und das Dach des Dogenpalastes, treiben, von Niemandem
gekränkt, auf dem Markusplatze ihr Wesen und erhalten zur be-
stimmten Stunde auf öffentliche Kosten ihr Futter gestreut. Die
neueuropäische Taubenzucht theilt sich zwar noch in die beiden
Tarronischen Zweige, aber die Arten und Varietäten der eigentlichen
Haastaube, der sogenannten Racen- oder Farbentaube, haben sich in
Folge der Züchtung und des umfassenden Weltverkehrs ins Unüber-
sehbare vermehrt, wie jeder zoologische Garten und jede Tauben-
ausstellung beweist. Im Orient werden noch jetzt, wie ältere und
neuere Reisende berichten, ungeheure Taubenhäuser unterhalten, deren
Hauptwerth in der Erzeugung des für die Gartenkultur unschätzbaren
Taubenmistes besteht: sie mögen noch dieselbe columba livia ent-
halten und noch die Form und Grösse haben, wie die, deren Galenus
an der o. a. Stelle erwähnt und die wir in Aegypten und Palästina
voraussetzten. Auch bei Moscheen und Heiligthümern, in Mekka,
und anderswo, unterhalten die Muhammedaner gern Tauben, die ihnen,
TO den orientalischen Christen, fromme, dem Reiche Gottes ange-
hörende Vögel sind: eine Taube war es gewesen, die dem Proplieten
Alles ins Ohr flüsterte, was sie gesehen und erspäht hatte. Zu keiner
Zeit aber, weder im Westen noch im Osten, hat die Taulie im
wirthschaftlichen Leben der Menschen die Bedeutung erreicht wie
das Haushuhn ^*).
An die beiden im Obigen behandelten, zu historischer Zeit aus
Asien nach Griechenland versetzten Hausvögel schliessen sicli drei
andere an, gleichfalls Fremdlinge auf dem naturarmen europäischen
Boden, gleichfalls zur Griechenzeit herübergebracht, um das auf
höheren Stufen der Civilisation sich regende Bedürfniss nach Er-
weiterung und Bereicherung der Anschauung zu befriediger; der
Pfau, das Perlhuhn, der Fasan.
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286 Der Pfau.
Der Pfau.
Noch weniger, als die Taube, war der Pfau unmittelbar nutz-
bar, aber noch mehr geeignet, durch die Pracht seines Gefieders, das
er stolz auszubreiten verstand, der schauenden Menge zur Augen-
weide zu dienen und den Glanz reicher Häuser und Höfe zu erhöhen.
Er galt für den schönsten aller Vögel, Varr. 3, 6, 2: huic (pavoni)
enim natura forviae e volttanlms dedit palmam; Columell. 8, 11, 1:
harum autem decor avium etiam exteros^ nedum dominos oblectat Der
Weg seiner Einführung zu den Kulturvölkern des Alterthums lässt
sich im Allgemeinen, wenigstens nach den Haupt- Haltepunkten, noch
erkennen. Er stammte aus dem fernen Wunderlande Indien und ge-
hörte, wie das blanke Gold, die blitzenden Edelsteine, das weisse
Elfenbein und das schwarze Ebenholz zu dessen angestaunten und
begehrten Herrlichkeiten. Alexander der Grosse fand dort die Pfauen
in wildem Zustande in einem Walde voll unbekannter Bäume, Gurt.
9, 2 : JStnc per deserta ventum est ad flumen Hydraotim, junctum erct
ßumini nemuSy opacum. arboribics alibi intisitatis agrestiumque pavonum
multitudine frequens^ und bedrohte, von der Schönheit der Vögel be-
trofiFen, Jeden, der sie zum Opfer schlachten wollte, mit den schwer-
sten Strafen, Aelian. N. A. 5, 21: xai tov xdl?.ovg x^avfiaoag i^nei-
Xrjoe Tip xatadvoavii xaihv anat'kag ßaQxrtazag. Dort also lebte
der Vogel frei in den Wäldern, und von dort gelangte er auf dem
Wege des phönizischen Seehandels in das Gebiet des Mittelmeers,
wie nicht bloss ein bestimmtes, auf den Anfang des zehnten Jahr-
hunderts weisendes Zeugniss lehrt, sondern auch die Vergleichung
der Namen bestätigt. König Salomos in den edomitischen Häfen
ausgerüstete Schiffe brachten von der Fahrt nach und von Ophir
neben andern Kostbarkeiten auch Pfauen mit (1. Könige 10, 22),
die im hebräischen Text den Namen tukhjtm führen. Dieses Wort
ist, wie zuerst Benary, dann Benfey Griech. Wurzelwörterb. 2, 236
erkannt hat (dem dann Lassen, Indische Alterthumskunde 1, 538
folgte, ohne Neues hinzuzufügen; Ritter, Erdkunde 14, 402 fiF. beruht
auf Lassen), nichts anderes, als das Sanskritwort ^sikht^ welches alt-
tamulisch togei lautet. An der Küste Malabar also lag Ophir, oder
von dort kamen jene kostbaren Waaren nach Ophir, wenn letzteres
nur ein vermittebder Stapelplatz war, — und neben bunten Papa-
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Der Pfau. 287
geien and lächerlicheD Affen ward auch der Pfau Dicht unwQrdig be-
ümden, dem Hofe des weisen Königs Unterhaltung und den Schein
des Ausserordentlichen zu geben. Eine ferne Seltenheit muss der
Vogel indess noch lange geblieben sein ; er war theuer zu beschaffen,
vielleicht noch nicht ganz gezähmt oder schwer im neuen Klima zu
erhalten und zu vermehren. Wir schliessen dies aus der Langsam-
keit seiner Verbreitung nach Westen und der Schwierigkeit, die seine
Zucht und Hütung noch gegen Ende des funiten Jahrhunderts in
Athen machte. Dass die Griechen ihn aus dem semitischen Vorder-
asien erhalten hatten, lehrt schon der Name, den er bei ihnen führt:
jodg (mit schwankender grammatischer Form; die Attiker sprachen
in sonst ganz ungewöhnlicher Weise, aber der ursprünglichen Gestalt
des Wortes näher, die zweite Silbe mit Aspiration: raufg). Der
erste Punkt auf griechischem Boden, wo Pfauen gehalten wurden,
könnte das Heräum von Samos gewesen sein, da nach der Legende
des genannten Tempels die Pfauen dort zuerst entstanden und von
dort als dem Ausgangspunkt den andern Ländern zugeführt sein
sollten (Menodotus von Samos in der schon oben im Abschnitt vom
Haoshahn aus Athen. 14. p. 655 angeführten Stelle). Was den Pfau
zam Liebling der Hera machte, war der Augenglanz seines Gefieders;
denn die Augen' sind Sterne, und Hera war auch die Himmelsgöttin,
nicht bloss im abgeleiteten samischen, sondern auch im ursprüng-
lichen argivischen Cultus. Hier floss der Bach Asterion, also der
Stemenbach, dessen drei Töchter die Ammen der Ilcra gewesen
waren; am Ufer dieses Flusses wuchs das Kraut Asterion, also das
Stemenkraut, welches der Göttin dargebracht wurde (Pausan. 2, 17, 2).
DerP&u, der Sternen vogel, schloss sich so, nachdem er bekannt ge-
worden, dem Herakultus ganz natürlich an. Ein sich von selbst er-
gebender Mythus war es denn auch, dass der allschauende Argus,
der die Mondgöttin lo zu bewachen hatte, nach seiner Tödtung durch
den Argeiphontes sich in den Pfau verwandelte (Schol. Aristoph.
Av. 102) oder dass der Pfau aus dem purpurnen Blut des Getödteten
mit blumenreichen Fittigen hervorging und seine Schwingen entfaltete,
wie das SeeschiflF seine Ruder (Mosch. 2, 58) oder dass die Juno
die hundert Augen des Wächters auf die Federn des Vogels setzte,
Ovid. Met. 1, 722:
Excipit hos (oculos) volucrisque suae Saiurnia pennis
CoUocat et gemmis caudam steüaniibus impleL
Der Pfau war also an der Kultusstätte selbst entstanden, nicht aus
Indien gekommen, aber in „unvordenkliche Zeit," wie Movers will,
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288 Der Pfau.
darfen wir desshalb seine Aufnahme in den Heradienst nicht setzen.
Dass bestehenden religiösen Gebräuchen eine anfangslose Dauer zu-
geschrieben wird, liegt in der Natur solcher Institute und der an
dieselben sich knüpfenden Sage. Als der spätere samische Tempel,
den Herodot für den grössten aller griechischen seiner Zeit erklärt,
vollendet war, da schenkte vielleicht ein reicher Verehrer, ein Kauf-
mann, der nach Syrien und bis ins rothe Meer handelte, oder ein in
einem syrischen oder ägyptischen Hafenplatz angesiedelter frommer
Samier dem Tempel das erste Paar; ging dieses etwa zu Grande,
dann bemühte sich die Priesterscbaft um ein neues, das endlich be-
schafft wurde und glücklich ausdauerte und sich fortpflanzte; das
Naturwunder zog dann immer neue Wallfahrer an und trug dazu bei,
das Ansehen des Tempels und dessen Einkünfte zu mehren; und so
stolz war die Insel zuletzt auf diesen Besitz, dass sie den Pfau auf
ihre Münzen setzte (Athen, a. a. 0.; Mionnet unter den Münzen von
Samos). Zu Polykrates Zeit wird der Vogel indess auf Samos noch
nicht vorhanden gewesen sein: hätten die Dichter Ibykns und Ana-
kreon, die am Hofe des Tyrannen lebten, den Pfau mit Augen gesehen,
so hätten sie desselben in ihren Gedichten doch wohl erwähnt und
Spätere, wieAthenäus, nicht unterlassen, diese Stellen zu citiren und
für uns aufzubewahren^*). Auch nach Athen würde dann der Ruf
des Vogels und der Vogel selbst wohl früher gedrungen sein. In
Athen nämlich finden wir ihn erst nach Mitte des 5. Jahrhunderts
und zwar als höchste Merkwürdigkeit und Gegenstand äusserster Be-
wunderung. Vielleicht gab der Abfall der Samier von der athe-
nischen Hegemonie in Ol. 84, 4 oder 440 a Chr. und der Feldzug,
den Perikles zur Züchtigung der Insel unternahm und mit Unter-
werfung derselben beschloss, den Siegern Gelegenheit, auch Pfauen
vom Heräon nach Athen zu entführen, obgleich Thucydides 1, 117
nur von Auslieferung der Schiffe und Bezahlung der Kriegskosten
spricht. Wie das neugierige, schaulustige athenische Volk durch die
Erscheinung des glänzenden Vogels aufgeregt wurde, und wie sich
die Begierde, ihn zu sehen und zu besitzen, durch den hohen Preis
und die Schwierigkeit der Zucht und Vermehrung nur steigerte, dies
Bild malen uns in einzelnen treffenden Zügen die bei Athenäus 14.
p. 654. 655 aufbewahrten Stellen der Komiker und die Inhaltsangaben
eines Xoyog des Redners Antiphon über die Pfauen (ibid. und bei
Aelian. N. A. 5, 21). Aus der letzteren Schrift ersehen wir z. B.,
dass es in Athen einen reichen Vogelzüchter gab, Namens Demos,
Sohn des Pyrilampes, — reich, denn er stellte eine nach Cypem be-
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Der Pfan. 289
sdmmte Triere und besass Yom GrossköDig eine goldene Triokschale
als ovfißolov^ vielleicht weil er dem Monarchen einen Pfauen über-
reicht hatte (Lysias de bonis Aristophanis 19, 25 flF.)? Dieser Demos
Würde seiner Pfauen wegen von Neugierigen überlaufen, selbst aus
fernen Landschaften, wie Lacedämon und Thessalien. Jeder wollte
die Yögel schauen und bewundern und wo möglich Eier von ihnen
sich verschaffen. Jeden Monat einmal, am Tage des Neumondes,
worden Alle zugelassen, an den anderen Tagen Niemand. „Und das,
setzt Antiphon hinzu, geht nun schon mehr als dreissig Jahr so
fort**^*). In der That war auch schon der Vater, Pyrilampes, Be-
sitzer einer 6Qn$l^o%Qoq>ia und sollte seinem Freunde, dem grossen
Perikles, bei dessen Liebeshändeln Vorschub geleistet haben, indem
er den Weibern, die Perikles zu gewinnen wünschte, unbemerkt Pfauen
zuwandte (Plut. Pericl. 13, 13). Die Vögel in der Stadt zu verbreiten,
fahrt Antiphon fort, geht nicht an, weil sie dem Besitzer davon-
fliegen; wollte sie Jemand stutzen, so würde er ihnen alle Schönheit
nehmen, denn diese besteht in den Federn, nicht in dem Körper.
Daher sie lange eine Seltenheit blieben und ein Paar 10,000 Drachmen
(dgaxfidiv fivgiwv^ nach anderer Lesart xtlliov) kostete. „Ist es nicht
Wahnsinn, hiess es bei Anaxandrides, einem Dichter der mittleren
Komödie, Pfauen im Hause zu ziehen und Summen dafür aufzu-
wenden, die zum Ankauf von Kunstwerken ausreichen würden?**
Und in einer Komödie des Eupolis kamen die Worte vor: „So viel
Geld zu verthun! Hätte ich Hasenmilch und Pfauen, wahrhaftig ich
würde das nicht verzehren!" Die Komiker unterliessen nicht, den
Werth, der auf den Besitz von Pfauen gelegt wurde, aus deren Selten-
heit zu erklären (Eubulus bei Athen. 9. p. 397), denn an sich sind
Pfauen und nichtige Possen an Gehalt einander gleich, wie eine
Stelle des Strattis sagte. Im Laufe des 4. Jahrhunderts mussten die
Pfauen von Athen aus, der, wenn auch nicht mehr politisch, doch
im Punkte der Sitten und des Geschmackes noch immer hegemo-
nischen Stadt, sich mehr und mehr unter den Griechen verbreiten.
„Sonst — sagt der Komiker Antiphanes ohne Zweifel übertreibend —
war es etwas Grosses, auch nur ein Paar Pfauen zu besitzen, jetzt
sind sie häufiger als die Wachteln!** Nach Alexander dem Grossen
drang mit der griechischen Herrschaft und Colonisation auch der
Pfau in die Städte und Gärten des inneren Asiens. Zwar wird auch
Babylonien reich an schönfarbigen Pfauen genannt (Diod. 2, 53) und
dass ein Naturobjekt, welches schon König Salomo aus der Feme
bezog, auch in dem verwandten, durch Krieg und Handel mit den
Tiet Hehn, Kaltnrpfluizeii. I9
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290 I>er Pf*tt-
semitischen Eüsteniändem am Mittelmeer vielfach verbandenen Ba-
bylon bekannt und dann häufig geworden, hätte an sich nichts Un-
wahrscheinliches; aber der Umstand, dass die asiatischen Pfaaennamen
alle dem Griechischen entlehnt sind (Pott in Lassens Zeitschr. 4, S. 28^
Paul de Lagarde, Gesammelte Abhandlungen, 227. 35 ff.)) spricht
dafür, dass erst die griechische Herrschaft — durch Rückwanderung,
die auch sonst noch beobachtet werden kann — den Vogel in dem
weiten Continent populär machte. Dass Suidas fir^öixog oQvig mit Pfau
glossirt und Clemens von Alexandrien den Pfauen an zwei Stellen das
Prädikat M^dog, fifjöiHog giebt, will eben so wenig sagen, als wenn
wir den aus Amerika stammenden Mais Türkischend?7eizen oder den
gleichfalls amerikanischen Truthahn Ealkutischen Hahn (d. h. Hahn
von Calicut) nennen.
Die Griechen hatten den Pfau taioSs^ tatoSriy tahSs genannt: die
Römer nannten ihn abweichend pdvus oder pdvo^ pdvonü. Dieses
Eintreten eines p statt des t erinnert an das gleiche bei tadmar —
palmüf welches wir durch eine Yorausgesetzte Differenz semitischer
Mundarten zu erklären suchten. Wäre auch hier der Vogel aas
phonizisch-karthagischen Händen direkt den italisch redenden Stämmen
überliefert worden? Die Notiz bei Eustathius (II. 22, p. 1257. 30):
„der Pfau war bei den Bewohnern Libyens heilig und wer ihn schä-
digte, wurde bestraft** — ist zu vereinzelt und bei einem so späten
Schriftsteller ohne Gewicht; von Pfauen in Afrika weiss die Nator-
geschichte nichts und eben so wenig die Religionsgeschichte von solchen
beim Tempel des Ammon oder der karthagischen Juno. Adler und
Pfau auf den Münzen von Leptis magna, auf die sich Movers beruft,
sind nichts als Apotheosen des Augustus und der Livia oder Julia^
die demgemäss als Jupiter und als Juno erscheinen sollten (Müller,
Numismat. de Tanc. Afrique U. p. 13). Die Möglichkeit indess, dass,
wie ebur^ barrus^ palma^ so auch dies Produkt der Ophirfahrten aus
Karthago, Sardinien, Sicilien unmittelbar an die italische Küste ge-
langt sei, lässt sich nicht verneinen. Pfauenfedern, aus ihnen za-
sammengebundene Büschel und Wedel, mit ihnen besetzte Hüte, sind
wie Glas- und Bemsteinperlen ein bei Kindervölkem beliebter Ab-
satzartikel, für den sie ihre Schafe und Felle gern hingeben. Wenn
Ennius fingirte, Homer sei ihm im Traume erschienen und habe ihm
eröffnet, er (Homer) erinnere sich in einen Pfau verwandelt gewesen
zu sein (Vahlen, Enn. poes. reliquiae p. 6. Charis. ed. Keil. 96: 'me-
mini me fieri pavuin\ so war dies ohne Zweifel eine pythagoreische
Vorstellung, die sich der Dichter in Tarent angeeignet hatte: als
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Der Pfan. 291
Symbol des stemetragenden Furmamentes und der EIrd- und Himmels-
göttin war gerade der Pfau würdig befanden worden, Homers Sede
aofeanelmien, der ja auch f&r einen Samier galt, wie der Meister
Pytiiagoras einer war. Auch als römisches Cognomen tritt Pcnms^
Pavo^ wie andere Yogelnamen, schon zur 2^t der Republik auf und
die Sache kann daher in Italien nicht neu gewesen sein: so der
flrcellius Payo bei Tarro de r. r. 3, 2, 2, der auch wenn Reatinus
nicht dabei stünde, durch Fircellius (fircos » hircus) sich als Sabiner
Yerrathen würde, und P. Favus Tuditanus in der 14. Sat des Lucilius
(ed. L. Müller, p. 64):
Publiü* Pavo* Tuditanus mihi quaestor Hibera
' In terra fuit, luci/ugusy nsbtäoy id genu* $ane.
Bei den späteren Römern musste ein Thier, das schon in Athen der
üeppigkeit gedient hatte, in um so höherem Masse in Aufnahme
kommen, als der römische Luxus und Reichthum den attischen hinter sich
liess. Zuerst sollte der Redner Hortensius, der Zeitgenosse des Cicero,
der auch in andern Dingen den Reihen römischer Ausschweifung er-
öffiiet, den Pfau gebraten auf die Tafel gebracht haben und zwar bei
dem prächtigen Antrittsmahl, das er bei seiner Ernennung zum
Augur gab (Yarr. de r. r. 3, 6, 6). Obgleich das Pfauenfleisch, we-
nigstens das der älteren Thiere, ziemlich ungeniessbar ist, so fand
das gegebene Beispiel doch bald allgemeine Nachfolge. Schon Cicero
schreibt in einem Briefe: Ich habe mir eine Kühnheit eriaubt und
sogar dem Hirtius ein Diner gegeben — doch ohne Pfauenbraten
(Ad famil. 9, 20, 3: sed mde audaciam: eüam Hirtio eenam dedi^ sine
paoane tarnen)^ und Horaz wirft seinen Zeitgenossen vor: wird ein
P&u aufgetragen imd daneben ein Huhn, da greift Alles nach dem
P&a — und warum das? weil der seltene Vogel Goldes werth ist
und ein prächtiges Gefieder ausbreitet, als wenn dadurch dem Ge-
schmack geholfen werde, Sat 2, 2, 23:
Vix tarnen eripiam^ poiito pavone, velis quin
Hoc potius quam gaüina tergere palatum,
Corruptus vanis rerum, quia veneat auro
Rara avis et picta pandat spectacula cauda,
Tamquam ad rem adtineat quidquam — ,
welchem horazischen quia als eigentliches Motiv das stolze Bewasst-
sein im Besitz grenzenloser Mittel zu sein and Sonne, Mond und
Sterne in die Luft yerpu£Pen zu können, und der daraus hervor-
gehende Selbstgenuss zu Grande lag. Auch zu Fliegenwedeln
dienten an reichen Tafeln Pfauenschweife, wie goldenes Geschirr und
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292 Der Pfau.
Becher mit geschnittenen Steinen, Mart. 14, 67. Mascarium pa-
Yoninum:
Lambere quae iurpes prohibet tua prandia muscas^
AUlis eximiae cauda superba fuiU
Da so der Pfau in allgemeinein Begehr stand, so wurde die Zucht
dieses Vogels in ganzen HeerdenGegenVand landwirthschaftlicher In-
dustrie, die Anfangs nicht ohne Schwierigkeit war. Die kleinen Ei-
lande um Italien herum wurden zu Pfaueninseln eingerichtet, wohl
nach griechischem Vorgange; so hatte schon zu Varros Zeit(3, 6, 2)
M. Piso die Insel Planasia, jetzt Pianosa, mit seinen Pfauen besetzt
Die Vortheile solcher seeumgebenen Pfauengärten setzt Columella
8, 11 auseinander: der Pfau, der weder hoch noch längere Zeit zu
fliegen vermag, kann über die Insel nicht hinaus, lebt aber auf dieser
in völliger Freiheit und sucht sich den grössten Theil seines Futters
selbst; die Pfauhennen erziehen in der Freiheit ihre Jungen mit
naturgemässer SorgMt; kein Wächter ist erforderlich, kein Dieb und
kein schädliches Thier ist zu fürchten; der Aufseher hat nur nöthig,
zur bestimmten Stunde die Heerde um das "Wirthschaftsgebäude zu
versammeln, den herbeieilenden Thieren etwas Futter zu streuen und
sie dabei zu überzählen. Da solcher Inseln aber doch nur eine be-
schränkte Zahl war, so wurden denn auch auf dem Festlande Pfauen-
parks mit grossen Kosten angelegt. Die ganze Einrichtung, die da-
bei zu beobachtende Vorsicht und die mannigfachen Operationen
einer solchen Züchtung beschreiben uns die Alten gleichfalls aus-
führlich. Zu Athenäus Zeit (gegen Ende des zweiten Jahrhunderts
nach Chr.) war Rom so voll Pfauen, dass diese nach des Komikers
Antiphanes prophetischem Ausspruch wirklich gemeiner waren, als
die Wachteln, während gleichzeitig der indische Handel über das
rothe Meer und wohl auch zu Lande über Neu-Persien immer neue
Exemplare aus dem Vaterlande des Thieres selbst lieferte. In dem
Gespräch des Lucian Navigium seu vota 23. wünscht sich der eine
der Redenden, Adimantus, wenn er plötzlich reich würde, für seine
Tafel ausser andern Leckerbissen aus fernen Ländern auch einen
Taatg i§ ^IvöLag^ der also damals aus jener Gegend noch bezogen
wurde.
In sämmtlichen europäischen Sprachen beginnt der Name des
Pfauen mit dem lateinischen p, nicht dem griechischen t, zum deut-
lichen Beweise, dass der Vogel von der Apenninenhalbinsel, nicht aus
Griechenland oder dem Orient in das barbarische Europa gekommen
ist. Wie die Taube, nahm das Christenthum auch den Pfau in seine
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Der Pfau. 293
Symbolik auf, theils als Bild der AuferstehuDg, weil nach der
märchenhaften Naturgeschichte der Zeit das Pfauenfleisch unverweslich
sein sollte (August de Civ. De^ 21, 4: quis entm nisiDetia creator om^
rUum decUt cami pavonis mortui ne putresceretf der Kirchenvater will
lächerlicher Weise bei einem von ihm selbst angestellten Versuche
die Sache bestätigt gefunden haben), theils zum Ausdruck himm-
lischer Herrlichkeit, wegen der Pracht seines Aeussern. In letzterer
Beziehung erinnern wir nur an die Pfauenfedern in den Flügeln der
Engel auf Hans Memlings berühmtem Bilde des jüngsten Gerichts
in Danzig. Das Misstrauen gegen alle sinnliche Schönheit, das der
christlichen negativen Weltansicht eigen war, schärfte den Blick
dann auch wieder für die Unvollkommenheiten des schmuckreichen
Geschöpfes, z. B. in Freidanks Bescheidenheit, 43, S. 142. Grimm:
der phäwe diehes sliche hdt^
tiuvels stimme^ und engeis wdt^
und gern wies man im Sinne christlicher Moral auf seine nackten
hasslichen Füsse hin, als eine beschämende Mahnung zur Demuth.
Auf den schleichenden Diebsgang ging wohl auch der Name Petitpas,
den der Pfau im französischen Kenart führt. Im Uebrigen sagte die
P&aenfeder dem barbarischen Geschmacke ganz so zu, wie einge-
setzte Edelsteine und wie überhaupt alles Schimmernde und Hervor-
stechende. Pfauenfedern prangten auf dem Haupte des Ritters, wie
in Gestalt von Kränzen um den Hals des Fräuleins, Petr, Crescentius
im Kapitel de pavouibus: pennae puellis pro sertis et aliis omamentis
aptae, und wenn z. B. im Parcival die prächtige E^eidung des kranken
Königs Amfortas (225, Lachmann) oder die majestätische Tracht der
furchtbaren Kundrie la Sorciöre (313) oder die des Königs Gramo-
flanz (605) beschrieben wird, da fehlt nirgends unter andern kost-
baren Gewandstücken der p/aewtn oder phawtn huot, Dass solche
Pfauenhüte aus England kamen, lehren die obengenannten und noch
andere Dichterstellen, und dort müssen auch die das Material dazu
liefernden Thiere gezüchtet worden sein. Schon Karl der Grosse
liatte befohleu, auf seinen Gütern ausser andern Vögeln auch Pfauen
und Fasanen zu halten (Gapitulare de villis 40), und diese Sitte
pflanzte sich wohl auf den Schlössern des normannischen Adels in
England fort. Auch der Gebrauch, bei Prunkmahlzeiten einen ge-
bratenen Pfauen im ganzen Schmuck seines Gefieders auf den Tisch
za bringen, war seit dem Alterthum nicht verloren gegangen und er-
kielt sich bis ins 16. Jahrhundert hinein. Gewöhnlich trug ihn die
Dame selbst unter Trompetenschall auf goldener oder silberner
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294 ^M Perlhuhn.
Schössel feierlich auf und der Herr zerlegte ihn, wie im Lanzelot
König Artas dies seinen an der Tafel yersammdten Rittern that
Ueber die auf den gebratenen Pfan von französischen Rittern abge-
legten halb wahnsinnigen Gelfibde, die sogenannten voenx da p&n, in
denen es immer Einer dem Andern zuyorzathun sachte, s. Legrand
d'Aussy, Histoire de la vie priv4e des Francis, Paris 1782, 1. p. 299 ff.
and Grimm RA. S. 901, der die Sitte von den altnordischen Ge-
lübden auf den £ber ableitet Gegen die Zeit der Renaissance be-
gann dieser P£aaen Enthusiasmas za erkalten, and der Vogel trat
allmählig in die bescheidenere Stellang zurück^ die er heutiges Tages
einnimmt. Er verschwand von der Tafel, mit manchem anderen in-
haltslosen Prunk, an dem sich der rohere Sinn ergötzte, und wenn
der Wilde sich mit vorgefundenen Naturgegenstanden, wie Yogelfedem
und Glimmerblattchen, unmittelbar behängt, so verschmäht der ge-
bildete Geschmack aUen nicht von der mildernden und ausgleichen-
den Hand der Kunst umgewandelten und dem Reich des lE^lemen-
taren enthobenen Schmuck. Li Parks mag auch jetzt noch wohl
unter anderem Gethier ein Pfau stolziren, obgleich seine hassliche
Stimme und der Schade, den er anrichtet, nicht im Yerhältniss za
dem Vergnügen steht, das sein Anblick gewährt: die Pfauenfedern
aber sind immer weiter nach Osten, zu Orientalen, Tataren, ras-
sischen Kutschern, Chinesen^ die sie zur Auszeichnung der höch-
sten Rangstafen benutzen, u. s. w., gedrängt worden und stehen nur
noch einem blau und roth tätowirten Häuptling gut, wenn er sie als
glänzenden Schurz um die Weichen gürtet.
Das Perlhuhn.
Das Perlhuhn, Numida meleagris L., wird für unsere Kennt-
niss zuerst von Sophokles erwähnt, der in seiner Tragödie Melea-
gros gesagt hatte, das Electron fliesse jenseit Indien aus den Thränen
der den Tod des Meleager beweinenden Vögel dieses Namens, Plin.
37, 88: ITu? (Sophocles) ultra Indtamfluere diait (electrum) e lacrm»
meUagridum avium Meleagrum deßentium, Dass die Schwestern des
Meleager bei dem Tode ihrer Mutter und ihres Bruders und dem
Untergang ihres Haoses in Vögel verwandelt worden, mochte eise
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Dfts PerUmhn. 295
sehr alte Sage sein, da der Mythus in seiner Sprache das oner-
trägliche Leid der Unglücklichen durch eine Terwandlong in Vögel
auszudrücken pflegt (s. Feuerbach in den annali delP instituto T. 15.
1843 über die Meleagerstatue des Berliner Museums): merkwürdig
aber ist, dass schon zu Sophokles Zeit diese Vögol nicht als irgend
ein einheimisches, sondern als ein fernes, üabelhaftes Geschlecht be-
stonmt waren und das Elektron in einem über Indien hinaus lie-
genden Phantasielande erzeugen sollten. Nimmt man die andere
Sage hinzu, dass die Meleagriden atff den elektrischen Inseln am
Aosfluss des Eridanus — den Aeschylas zu den Iberern, dem &us-
sersten Westvolke, verlegte — leben sollten (Strab. 5, 1, 9), eben
da, wo Phaeton herabgestürzt war und von den Pappeln, in die seine
Schwestern, die Heliaden, verwandelt waren, das kostbare goldgelbe
Harz niedertr&ufelt^ — so bestätigt sich die Yermuthung, dass der
Haushahn, alix%(aQ^ nach der Sonne und dem Sonnenstein, dem
Bernstein, diesen Namen erhalten hatte: die Perlhühner, als die
nächsten Verwandten des Haushuhns^ waren gleichfalls Sonnenkinder
und wurden tief im Morgenlande, wo die Sonne sich vom Lager er»
hebt, und tief im Westen, wo sie untertaucht, oder vielmehr an dem
Punkte gedacht, wo Osten und Westen jenseits Indien zusammen-
stossen. Schon geographisch genauer, obgleich immer noch halb
mythisch, berichtete Mnaseas (bei Plin. 37, 38), es sei in A&ika eine
Gegend Sicyon, wo ein See durch den FIuss Crathis in den atlan-
tischen Ocean abfliesse: dort lebten die Vögel, die meUagrides und
penelopae (eine bunte, gleichialls fremdländische Entenart) genannt
wurden, und dort entstehe auch das Elektron. Ganz dieselbe Gegend,
doch mit andern Ortsnamen und mit Weglassung der fabelhaften Er-
zeugung des Bernsteins, wird dann in dem Periplus des Scylax von
Garyanda 112 ab einziger Ort bezeichnet, wo sich fieleaygiÖBg
finden: wenn man zu den Säulen des Hercules hinausschifPt un^
Afrika immer zur Linken behält, so öffiiet sich bis zum Cap des
Hermes ein weiter Golf mit Namen Kotes (^Kwtrjc); in der Mitte
dieses Golfes liegt die Stadt Pontion {Tlovriiav) und ein grosser
rohrumgebener See, Eephesias (KTiq)i]aidg) genannt; dort leben die
Vögel fieXeayQideg und sonst nirgends, ausser wohin sie von dort
hinübergebracht sind. In der That ist das nordwestliche Afrika, die
Gegend von Sierra Leone, des grünen Vorgebirges u. s. w. reich an
Perlhühnern, aber sie fehlen auch im Osten des Welttheils nicht.
Nach Strabo 16, 4, 5 und Diodor 3, 29 war eine Insel des rothai
Meeres von Perlhühnern bewohnt; Kapitän Speke fand auf seiner von^
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296 I>as Perlhulm.
Zanzibar aas zar Entdeckung der Nilquellen unternommenen Reise,
dass „das Perlhulm der häufigste aller jagdbaren Vögel** war (S. 13
der deutschen UebersetzuDg), ja selbst von Arabien sagt Niebohr:
^Perlhühner sind daselbst zwar wild, aber in Tehama an der bergichten
Gegend so häufig, dass die Knaben sie mit Steinen werfen und nach
der Stadt zum Verkaufe bringen" (Beschreibung von Arabien, Kopen-
hagen 1772, S. 168). Ueber den Weg, auf dem diese Vögel, sei es
vom Westen oder vom Osten Afrikas, zuerst nach Griechenland ge-
langt und warum sie gerade nach Meleager benannt worden, ist uns
nichts Bestimmtes aufbewahrt. Vielleicht dachten sich diejenigen
unter den Griechen, die diesen schönen, dem Haushahn verwandten,
mit Perlen oder Thränen über und über besäeten Vogel zuerst mit
Augen erblickten, auch den blühenden, starken, dem Mutterfluch er-
legenen Jüngling als den scheidenden Sonnengott, der vom Winter
getödtet worden, und daher seine Schwestern als in Sonnenvögel
verwandelt. Wenn Menodotus von Samos in der schon oben zwei-
mal von uns angezogenen Notiz Aetolien als Ausgangspunkt derMe-
leagriden angiebt, so enthält dies Zeugniss nichts als einen Schluss
aus dem Namen und ist daher historisch werthlos. Nach dem Schüler
des Aristoteles, Clytus von Milet, aus dessen Geschichte von Milet
Athenäus 14, p. 655 die betrefifende Stelle des ersten Buches wört-
Uch anführt, wurden auf der kleinen, von den Milesiern kolonisirten
Insel Leros um den Tempel der Parthenos d. h. der Artemis, die bei
den Leriem den Namen lokallis geführt zu haben scheint, OQvi&iQ
fisleayQideg gehalten, d. h., wie aus der nachfolgenden ausführlichen
Beschreibung hervorgeht, afrikanische Perlhühner. Wie sie dahin
gekommen und warum sie der jungfräulichen Göttin geweiht waren,
wird nicht gesagt. Da die Perlhühner noch tapferer und streitsüch-
tiger sind, als der indische Uaushahn, so schaute die mythische
Phantasie in diesen Vögeln wohl die kriegerischen Amazonen, die
Hierodulen der spröden Artemis: sie waren die Genossinnen der
lokallis gewesen, ovvq&eig ^ loxakUöog Tfjg iv ytigt^ IlaQ&ivov, tjv
TifiußOi daifioncog (Suid. und Phot. v. MeXeayQiÖBc). Die Lerier
wissen wohl, sagt Ael. N. A. 4, 42, warum deijenige, der die Gottheit,
besonders aber die Artemis verehrt, sich des Fleisches dieser Vögel
enthält. Kein Raubvogel, behauptete die dortige fromme Sage, wagte
es mit gebogenen Krallen die lerischen heiligen Hühner anzugreifen
(Ister bei Ael. N. A. 5, 27). Die lokallis mochte wohl einerlei sein
mit der arkadischen Nymphe Kallisto, der Tochter der "AQzefiig
KaXlioTT]^ die zusammen mit lo auch auf der Burg von Athen
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Der Fasan. 297
stand (Paasao. 1, 25, 1); vielleicht erklärt sich dadurch die sonst un-
erhörte Nachricht des Suidas von Perlhühnern auf der Akropolis:
MiUayQideg. oqvbo ansQ kvefiovro iv %fi ^AxQonoket. Italien, wel-
ches dem westafrikanischen Ausgangspunkte derselben schon näher
lag, mochte sie wohl ohne Yermittelung der Griechen durch die
Scliiffiahrt des Westens, vielleicht erst zur Zeit der punischen Kriege
erhalten haben, darauf deuten wenigstens die lateinischen Namen:
Nunddicae^ Africae aves, gaUinae Africanae bei Varro, Afra avü
bei Horaz und Juvenal, Ubycae voltccres und Numidicae guttatae bei
Martial u. s. w. Als man die damit bezeichneten Hühner mit den
griechischen fieleayQideg vergleichen konnte, musste die Identität in
die Augen springen, Varr. 3, 9, 18: gallinae Africanae 9unt grandes^
vmae, gibberae^ qua» fieXsayQidag appeüant Oraeci, Hae novissimae
in tricUnium ganearium introierunt e culina^ proptei' fastidium ho^
minum. Veneunt propter penuriam magno. Die Perlhühner waren
also zu Yarros Zeit immer noch selten, folglich theuer in Italien; sie
kamen schon auf die Speisetische, weil die Römer Alles in den
Mund stecken mussten und, je neuer und kostbarer ein Gericht war,
mu 80 gieriger danach trachteten; von einer religiösen Scheu oder
Einführung in eine Phantasiewelt zeigt sich keine Spur. Mit dem
Untergang des römischen Reiches verschwand auch dieser Ziervogel
aus dem Bereiche europäischen Lebens — denn das Mittelalter kannte
ihn, so viel wir wissen, nicht — , um nach tausend Jahren mit der
Wiedergeburt der antiken Kultur und den Entdeckungen der Portu-
giesen längs der Küste Afrikas sich den Europäern wieder zu zeigen.
Er ward von den nächsten Nachbarn Numidiens, den Portugiesen und
Spaniern, auch nach Amerika hinübergebracht und fand dort am
entgegengesetzten Ufer des atlantischen Oceans eine ihm so zusagende
Natur, dass er in den Wäldern Mittelamerikas jetzt in grossen Schaaren
förmlich verwildert sein soll.
Der Fasan.
Dass der Fasan oder Vogel vom mythusberühmten Flusse
Phasis in dem nach Morgen gelegenen Zauberlande Kolchis, zu dem
ernst in der uralten Wuu derzeit die göttergleichen Heroen auf der
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298 I>er Fasan.
Bchnellen Argo geschiffi, — in demselben Jahrhundert bei Aea Grie-
chen erschienen ist, wie der älixzwQ and die (ueleaygigj geht nicht
ohne Wahrscheinlichkeit aas diesem seinem Namen hervor. Er ist
ihm von Menschen gegeben, die noch die Welt nicht anders fiissteo,
als in mythischer Yerwandlang, und die dennoch mit dem Mythos
schon spielten. In den Wäldern Hyrkaniens, südlich vom kaspischen
Meer, mag der 'Vogel ursprünglich zu Haase sein und von dort den
griechischen Ansiedlem am schwarzen Meer und weiter den euro-
päischen Griechen bekannt geworden sein. In der Literatur finden
wir ihn vor Aristophanes nicht Denn dass Solon dem Krösus, als
dieser sich ihm einst in seiner ganzen königlichen Herrlichkeit zeigte,
zur Beschämung gesagt habe, Hähne, Fasanen und Pfauen seien
weit schöner, weil von der Natur selbst geschmückt (Diog. Laert
Sol. 51) — dies im Sinne der spätem Zeit erdachte moralische Ge-
schichtchen wird Niemand historisch nehmen wollen, wie wir auch
beim Hahn und beim Pfauen davon keinen Gebrauch gemacht haben.
Die Verse des Aristophanes aber, Nub. 108:
ovx av fiq tov ^lovvaov^ $1 doirjg yi (xol
Tovg q>aaiavovg oig zQiq^et ^etoyogag —
constatiren zur Zeit des Dichters die Fasanen als kostbaren Luxus-
vogel in Athen. Zwar wollten hier einige Grammatiker nicht Vögel,
sondern Pferde vom Phasis verstanden wissen, allein diese Erklärung
scheint nur eine zum Besten der Theorie, nach welcher die attische
Sprache nicht q>aaiav6g. sondern (paaiavixog gesagt haben sollte,
erdachte Auskunft. An einer anderen Stelle desselben Komikers,
Av. 68, kommt allerdings 0aaiavix6g als Beiwort zu einem erfundenen
lächerlichen Yogelnamen vor: nachdem Euelpides sich für einen li-
byschen Vogel, Hypodedios, ausgegeben, fügt Peithetairos hinzu, er
sei ein phasianischer Epikecbodos:
^EnixBxodijjg eywye Oaaiavixog —
mit ofienbarcr Hindeutung auf den also den Zuschauem schon wohl-
bekannten kolchischen Vogel. Aristoteles in seiner Thiergesdiichte
spricht von dem Fasan hin und wieder in einer Weise, die schliessen
lässt, dass der Vogel ihm und seinen Lesern keine ungewöhnliche
Erscheinung war. Einige weitere historisch-geographische Aufklärong
giebt uns dann eine Stelle aus den Schriften des ägyptischen Königs
Ptolemäus Euergetes U oder Physkon, die uns bei Athenäus 14. p. 654
aufbewahrt ist In seinen Denkwürdigkeiten über den Palast von
Alexandrien nämlich sagte dieser König da, wo er auf die dort ge-
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Der Fasan. 299
haltaien Thiere zu reden kam, von den Fasanen: „diese Yögel,
die man xhagoi nennt, wurden nicht bloss ans Medien eingefQhjrt,
sondern anch dnrch Züchtung so vermehrt, dass sie auch zor Speise
dienten, denn ihr Fleisch soll köstlich sein^ (der Text ist zwar ver-
dorben, aber der Sinn nicht zwjsifelhaft). Wir ersehen hieraus, dass
die Fasanen auch nach Alexandrien aus Medien d. h. den stldkas-
{»sehen Landen kamen, und dass ihr eigentlicher Name thagot
war oder wie Athenäus an einer andern Stelle (9. p. 387) nach äl-
teren Glossatoren das Wort schreibt: tarvQai, So hiessen sie in
medischer Sprache, wie das heutige persische tedzrev der Fasan und
das gleichbedeutende, eben daher stammende altslavische tetreviy
Uterem^ teirjcL, teter§ bestätigt. Das Wort zieht sich durch den Osten
Eeropas von Volk zu Volk fort und bezeichnet dort, da der Fasan
fehlte einen der grossen einheimischen Vögel, Trappe, Auerhahn,
Birkhahn^ neuerdings auch Truthahn. Russisch teterev, teterja, pol-
nisch cietrzew^ czechisch tetefv^ litauisch teterva^ tytarasy preussisch
tatarwü^ lettisch tettera^ UUeriSy estnisch tedder^ finnisch tetr% schwe-
disch ^Vwfer, dänisch tuir^ angeblich auch altnordisch iMdr^ thidkr
(das Schneehuhn). In das Scandinavische kam das Wort, welches
den germanischen Sprachen fehlt, aus dem Finnischen (etwa wie der
Name des Fuchses: altn. refr^ schwedisch ra/, dänisch rat?), in dieses
aas dem Litauisch-Lettischen: entnahmen es die Litauer und die
Slaven von ihren einstigen Nachbarn im Süden, den scythisch-sar-
matisehen Medem? Gründe und Umstände der Entlehnung lassen sich
mancherlei denken: Knechtschaft und Unterwerfung, Jagd-, Religions-,
Marktverkehr, Thiermärchen, die mit sammt den Namen weiter erzählt
werden u. s. w. Auch das griechische tsxQaiov (Hesych. ogvig noi6g\
titga^ (bei Epicharmus und Aristophanes), tizgi^ (bei Aristoteles), t«-
tQcldiüv beiAlcäus), T^r^aZo)' (lakonisch) ist schwerlich einheimisch, son-
dern aus Asien herübergenommen, aus ähnlichem Anlass, wie dieLateiner
ihr tetrao aus dem Griechischen erborgten. — Bei der ins Ungeheure
getriebenen Zucht der Vögel in den römischen Aviarien und Parks
fehlte auf römischen Gasttafeln der pAonanua, auch tetrao genannt,
natürlich nicht, spielte vielmehr, wie sich denken lässt, eine Haupt-
rolle; in dem Edict Diocletians hat der gemästete und der wilde
Fasan, phasianus pastus und agrestü^ sowie die Fasanenhenne ihren
besonderen, von oben anbefohlenen Marktpreis; auf Karls des Grossen
Villen sollen, wie der Kaiser anordnet, auch Fasanen gehalten werden,
and so hat sich der schöne auf reichen Tafeln gesuchte Vogel das
ganze Mittelalter hindurch nicht bloss in fürstlichen Fasanerien er-
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300 I>er Fasan.
halten, sondern lebt jetzt in manchen Gegenden, z. B. des österrei-
chtschen Eaiserstaats, im Zustande vollkommener Freiheit, so dass
ihm Europa, wohin ihn einst die menschliche Hand nicht ohne
Schwierigkeit hinüberbrachte, zum zweiten Vaterlande geworden ist
Die beiden prächtigen Abad^n des gemeinen westasiatischen Fasans,
der Silber- und der Goldfasan, die man jetzt in Parks der Vor-
nehmen und iu Thiergärten bewundert, wurden in Folge der Ent-
deckung des Seeweges nach Ostindien von ihrem Vaterlande China
her bekannt und in einzelnen Exemplaren nach Europa gebracht
(Dass sie schon froher in Eolchis gewesen, will Dureau de la Malle,
Annales des sc. naturelles, XVIII. p. 279 aus den Worten des Plinius
10, 132 schliessen: phasianae in Colchis geminas ex pluma auris sub-
mitttunt svh'iguntque). Den wunderbar geschmückten Goldfasan
hielt Cuvier für den alle 500 Jahr erscheinenden heiligen Sonnen-
vogel der Aegypter, den Phönix — in euhemeristischer grober Ma-
terialisirung eines mythischen Symbols oder einer kosmogonisch-
periodologischen Phantasie, wie wir ihr von Rationalisten und Natur-
forschem im Felde der Wunderdeutung, der Urgeschichte u. s. w. oft
genug begegnen.
Während die Zahl der Säugethiere, die der Mensch gezähmt
und sich als Hausgenossen zugesellt hat, in historischer Zeit nur
um ein Geringes sich vermehrte, haben sich in relativ später Epoche,
wie aus dem Obigen erhellt, die Gehöfte und Niederlassungen der
Menschen mit mannichfachem zahmem Hausgeflügel belebt und be-
völkert, darunter das wichtigste von allem, das Haushuhn. Zucht
des Geflügels und Rindviehzucht stehen in einem gewissen Gegen-
satz zu einander: nicht wo weite, von reichlichen Niederschlägen be-
fruchtete Ebenen in unabsehbaren Saatfeldern und grünen Wiesen
sich dehnen und dichte Wälder und Forsten sich anschliessen, sondern
im sonnigen, auf- und absteigenden Gebiet der kleinen Gartenkoltur,
wo Hof an Hof stösst und Hecke an Hecke sich reiht, da picken
und flattern die geflügelten Geschöpfe um den an und neben seinem
Hause hantierenden Menschen und bilden im System seiner Wirth-
schaft eine nicht zu unterschätzende Quelle des Unterhalts und der
Einnahme. In Europa sind daher ihrem W^ohnort und ihrer Tradi-
tion nach die romanischen Völker die vögelessenden und vögelerzie-
henden; die Germanen nähren sich mehr von dem Fleisch und der
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Gans. Ente. 301
Milch ihrer Binder. Frankreich besitzt nach einem massigen An-
schlag über 100 Millionen Hühner und fährt jährlich über 400 Mil-
honen Hühnereier nach England aus; in südlichen Ländern ist das
einzige Fleisch, das der Reisende oft Monate lang zu kosten bekommt
and dass der einheimische Bauer an Festtagen sich erlaubt, ein ge-
bratenes oder mit Reis oder Polenta gekochtes Huhn.
In viel höheres Alterthum, als das der bisher genannten Vögel,
geht die Zähmung der Gans und der Ente hinauf; auch sind beide
nicht aus Asien eingeführt, sondern stammen von den einheimischen
wilden Arten. Der Name der Ente gehört den verwandten Völkern
gleichmässig an : sanscr. äü (für anti\ lat. anas^ anatis^ griech. vrjaaa
(wohl aus V1JTIQ), ahd. anut^ ags. ened^ altn. öndj altkomisch fioet
(mit müssigem h und unterdrücktem Nasal), kambrisch hwyad^ litauisch
anik^ kirchenslavisch qty^ qtg^ qtica^ qtuka^ russisch utka^ serbisch
utca u. s. w., und auch der der Gans geht über die ganze indo-
europäische Gruppe vom altirischen geidh^ gM, auch goss (mit unter-
drücktem Nasal) im äussersten Westen bis zum sanskritischen hansas^
hanst im äussersten Osten. Die Gans darum für ein bereits ge-
zähmtes Hausthier des Urvolks vor der Epoche der Wanderungen
zu halten, wäre* ein voreiliger Schluss: sie konnte ein gesuchtes
Jagdthier an Seen, Strömen und wasserreichen Niederungen sein, wie
sie es noch jetzt bei Nomaden und Halbnomaden in Mittelasien ist.
So lange sie häufig und leicht zu erlangen war, regte sich kein Be-
dürfiiiss, sie in der Gefangenschaft künstlich aufzuziehen, und war
die darauf gerichtete Bemühung zwecklos, und so lange die Lebens-
art eine unstäte blieb, passte ein Vogel, der dreissig Tage zum
Brüten und eine entsprechende Zeit zum Aufziehen seiner Jungen
braucht, nicht wohl zum Haushalt der Weidevölker. Als sich aber
an den ufern der Seen relativ feste Niederlassungen gebildet, konnten
junge Thierchen leicht von Knaben aus den Nestern genommen und
dann mit gebrochenen Flügeln aufgezogen werden; starben diese weg,
so wurde der Versuch wiederholt, bis er endlich gelang, zumal die
Wildgans verhältnissmässig zu den am leichtesten zähmbaren unter
den Vögeln gehört. Da sie im Süden Europas nicht brütet, sondern
im Herbst mit bereits erwachsenen Jungen in das Gebiet des Mittel-
meers fliegt, so ist dieser Vorgang im mittleren Europa leichter denk-
bar, als in den klassischen Ländern, und da es den letztem an
Wasserspiegeln fehlt, so ist sie dort überhaupt nicht so häaüg und
zugänglich, als in den Gegenden amAusfluss des Rheins, inMeklen-
bürg, Pommern und Scandinavien. Bei den Griechen galt die Gans
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302 ^^s- £nte.
für einen lieblichen Vogel, dessen Schönheit bewnndert wurde und
der za Geschenken an geliebte Knaben q. s. w. diente (s. Jahn,
Leipziger Berichte, 1848, S. 51 ff.). Schon Penelope bei Homer, in
der herrlichen Stelle, wo sie ihrem unbekannten, in Betüergestalt ihr
gegenübersitzenden Gemahl ihren Traum erzählt^ besitzt eine kleine
Heerde von 20 Gänsen, an denen sie ihre Freude hat: sie erscheine
dort ab Hausthiere, die weniger um des Nutzens willen, den sie
bringen, als wegen der Lust des Anblicks, den sie gewähr^i, von
der Herrin des Hofes gehalten werden. So hat auch Gkidrun in der
Edda ihre Gänse auf dem Hofe und diese schrieen hell auf, als ihre
Herrin am Leichnam Sigurds laut jammerte, erstes Lied von Gudrun
16 (nach Simrock):
und hell auf schrien Die zieren Vögel,
Im Hofe die Gänse, Die Gudrun zog.
Zugleich sind die Gänse nach griechischer Vorstellung wachsame
Hüterinnen des Hauses: auf dem Grabe einer guten Hausfrau war
unter andern Emblemen eine Gans abgebildet, um die Wachsamkeit
der Verstorbenen auszudrücken, Anth. Pal. 7, 425, 7:
Xäv de dojLKüv q>vXaxag fiskeöijfÄOva.
Bei den Römern wurden sorgfaltig die ganz weissen Gränse aus-
gewählt und zur Zucht verwandt, so dass sich mit der Zeit eine weisse
und zahmere Abart bildete, die sich vor der grauen Wildgans und
ihren direkten Abkömmlingen merklich unterschied. Wie noch im
heutigen Italien, war auch im alten die Gans in der kleinen Land-
wirthschaft nicht so verbreitet, wie im Norden: theils fehlte es an
dem nöthigen Wasser, theils wurde der Schade gefürchtet, den da«
mit den Halsmuskeln und dem kräftigen Schnabel die jungen Pflanzen
abzupfende und die Weide verunreinigende Thier anzustiften pflegt.
Aber in den grossen Cbenoboskien der Unternehmer und Villenbe-
sitzer schnatterten zahlreiche Schaaren dieser Vögel; dabei ward
durch Zwangsfiitter die übergrosse Leber erzeugt, nach der den
Schweigern der Mund wässerte^ — eine künstliche Krankheit zum
Dank für die Rettung des Kapitels. Die Benutzung der Gänse-
federn zu Kissen war dem eigentlichen Alterthum fremd: erst die
spätem Römer lernten diesen Gebrauch von Kelten und Germanen.
Zu Plinius Zeit wurden ganze Heerden von Gänsen aus Belgien nach
Italien getrieben, namentlich aus dem Gebiet der Morini, die an den
belgischen Küsten sassen; auch die zarten weissen Federn, die von
dorther kamen, waren berühmt und sollten einer Art angehören, die
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Zucht der YögeL 303
den Namen gontae fährte (der dentale Auslaut des Wortes ist speci-
fisch keltisch, findet sich indess in den angrenzenden niederdeutschen
Mundarten, sowie im ahd. gamo^ der Gänserich). Es war kein
Hausrogel, sondern eine Art wilder Gans, und die von ihr gewonnenen
Federn standen in so hohem Preis, dass auf den entfernten römischen
Militarstationen oft ganze Gehörten auseinandergingen, um dieser
Jagd obzuliegen. Die so gestopften Kissen waren eine Neuerung, zu
der die echten Römer bedenklich den Kopf schüttelten: wir sind
jetzt, fugt Piinias hinzu, zu dem Grade von Weichlichkeit gelangt,
isßs sogar Männer ohne eine solche Vorrichtung ihr Haupt nicht
niederlegen können (Plin. 10, 54). Bis auf den heutigen Tag sind
Federbetten eine mehr nordische Sitte geblieben, die dem wärmeren
Süden nicht zusagt. Ein anderer Gebrauch der Gänsefeder, der zum
Schreiben, war dem Alterthum gleichfalls unbekannt: die Schreibfeder
tritt genau mit Einbruch des eigentlichen Mittelalters auf (zu aller-
erst zur Zeit des Ostgothen Theoderich bei dem Anonymus Valesii,
8. Beckmann, Beyträge4, 289, Isid. Orig. 6, 14: instrumenta mnt scri-
bendi calamus et pennd). Jetzt ist sie durch die Stahlfeder verdrängt,
«0 dass sich för dieses Werkzeug drei grosse Perioden ergeben: die
älteste, die yon den Anfangen des Schreibens bei den Aegyptern bis
zum Untergang des römischen Reiches geht, die des gespaltenen
Bohrs, welches Thucydides und Tacitus in der Hand führten; —
die andere, die des Gänsekiels, mit der Dante und Voltaire, Goethe,
Hegel und Humboldt geschrieben haben; endlich die im 19. Jahr-
hundert beginnende der Stahlfeder, mit der Leitartikel und Feuilletons
hingeworfen werden, um noch nass in der Werkstatt gesetzt und
mit Dampfkraft gedruckt zu werden. Die Perioden dieses Schreibe-
werkzeuges fallen, wie man sieht, mit denen des Materials, auf
wdches geschrieben wurde und wird, nicht zusammen.
Das Alterthum hatte in Domestication der Vögel nach ver-
schiedenen Seiten hin Wege erö&et, die seitdem nicht wieder be-
treten worden sind, und Resultate erreicht, die die heutige Welt
wieder hat fallen lassen. In A.egypten war, wie die Monumente lehren,
ein grosser Wasservogel, der in unbestimmter Weise Reiher genannt
wird, zum zahmen Genossen des Menschen geworden, in Rom der
Kranich, der Storch, der Schwan, von kleinerem Gevögel der turdus,
die perdix, cotumix u. s. w. Gegenstand der Zucht und Fütterung
und auf den Tafeln ein von der Mode bald empfohlener und gefor^
derter, bald wieder verschmähter Braten. Man sehe bei Horaz, um
nur diesen Dichter zu nennen, die Stellen: Sat. H, 2, 49 und 8, 87.
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304 Die Palkenjagd.
Noch in den leges barbaroram, wie 1. SaL 7, 8 (wenigstens in der
späteren Redaction) und 1. Alam. 99, 17 ff., werden dem vorgefondenen
Stande römischer Landhäuser gemäss auch Schwäne, Störche, Kra-
niche und andere Vögel, deren Namen schwer zu deuten sind, zum
Hausgeflügel gerechnet und Strafen auf deren Entwendung gesetzt
Die Kirche verbot aber den Genuss z. B. von Störchen (wie auch
von Bibern, Hasen und Pferden); Papst Zacharias schreibt am
4. Nov. 751 an den heiligen Bonifacius: in primü volatiUbus, id est
de graculü et comiculis atque ciconiis. Quae omnino cavendae sunt
ab esu Christianorum, Etiam et fibri et lepores et equi süvatici multo
amplius vitandi. Das spätere Mittelalter beschränkte sich daher auf
Gänse, Enten und Huhner und überliess es der Jagd, die in den un-
geheuren, wenig bevölkerten Waldstrecken Mitteleuropas ein ergiebiges
Revier fand, die Küche mit Wildpret zu versorgen. In Italien hatte
zur Zeit der Römer von reicher Jagdbeute nicht die Rede sein können,
und das Hochwild, von dem die germanischen Wälder belebt waren,
so wie das Federwild der Moore des Nordens nach Italien zu schaffen,
wurde durch die Entfernung und das warme Klima verhindert. So
sahen sich die Römer auf künstliche Zucht delicater Wildvögel an-
gewiesen, die denn auch in oft kolossalen Anstalten der Art betrieben
vnirde und auf verschiedenen Stufen zu mehr oder minder erreichter
Zähmung führte. Diese Versuche sind, wie gesagt, von der neueren
Thierzucht nicht wiederholt worden, und wenn auch in Europa die
Wildniss immer weiter gerückt ist, so führen jetzt die Eisenbahnen
die erlegten Jagdthiere der fernsten Einöden blitzschnell den grossen
Consumtionscentren zu: der Markt von Paris bezieht seine Rebhühner
schon aus Algier und dem nördlichen Russland. Die Varietäten des
einmal bestehenden Hausgeflügels, besonders der Hühner und Tauben,
haben sich dagegen im heutigen Europa, bei der immer umfassen-
deren und beschleunigteren Welt Verbindung, ins Unendliche vermehrt,
und die vortheilhafteren und schöneren unter ihnen verdrängen all-
mählig die aus dem Alterthum zu uns übergegangenen Racen.
Eine gezähmte Vögelklasse, von der das frühere Alterthum nur
als Wunder aus der Feme gehört hatte, trat mit der Herrschaft der
Barbaren in ganz Europa auf und ist seit dem Anbruch der neueren
Bildung langsam wieder verschwunden — wir meinen die zur Jagd
auf andere Vögel abgerichteten Raubvögel, Geier, Habichte, Falken,
die Lieblinge des Ritters, die so stolz auf seiner Faust sassen, in
denen er sein eigenes Ebenbild erkannte und denen er oft eine leidai-
schaftliche Zuneigung zuwandte. Jacob Grimm hat der Falkenjagd
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Die Falkei^'agd. 305
in seiner Geschichte der deutschen Sprache ein eigenes Kapitel ge»
widmet, in welchem er durch Sammlung von Stellen aus Schrift-
steilem und Dichtem des Mittelalters die herrschende Vorliebe für
diese Art Jagd ins Licht setzt und die letztere zugleich als nationale
Sitte in das höchste vorhistorische Alterthum des germanischen
Stammes zurnckverlegt. Allein wie es seiner Phantasie auch sonst
b^^et, spät Erborgtes und nachmab Erlerntes, das auf dem neuen
Boden oft am üppigsten wuchert, wenn es auf dem alten schon im
Absterben begriffen ist, als ein in den Tiefen der Jahrhunderte schatten-
haft sich Bewegendes und von dort an das Licht Aufsteigendes
ahnungsvoll zu schauen, — so auch hier. Die Falkenjagd ist keine
deutsche Uebung, vielmehr den Deutschen von den Kelten zugekommen,
und nicht einmal in sehr früher Zeit Die Jagd als Kunst, in ver-
feinerter und berechneter Ausbildung, ist ein keltischer Nationalzug,
der sich durch den Bestand eines reichen und mächtigen Adels in
dem zu Cäsars Zeit schon hoch civilisirten, mit Strassen, Städten,
Brücken, Zöllen u. s. w. versehenen und doch noch frischen und
waldreichen Gallien leicht erklärt. Schon die Römer lernten von den
Edten die Hetzjagd im freien Felde, die chasse au courre^ im Gegen-
satz zu der Birsch (mit Spürhund, Armbrust und Bolzen, im Walde;
das deutsche Wort Birsch, birschen vom altfranzösischen berser)^ und
entlehnten daher den canü gallicus (schon bei Ovid und Martial, er-
halten im heutigen spanischen galgd)^ den canü vertragtis (im heu-
tigen Deutsch durch Volksetymologie in Windhund entstellt, s. die
Geschichte des interessanten Wortes bei Zeuss^ p. 145, Diefenbach
0. E. 330 und Glück in Fleckeisens Jahrbb. 1864. S. 597) und segimus
(eine besondere Art Jagdhund, benannt nach einem gallischen Stamme
an der Loire). Beide letzteren Ausdrücke kommen schon in den
deutschen Gesetzbüchern vor, und wenn der Falke als Haus- und
Jagdthier eben da erwähnt wird, so beweist dies also nichts für einen
altgermanischen Ursprung. Deutlich aber weist der Name des eigent-
lichen deutschen Jagdvogels, des Habichts, auf seine Herkunft aus
Gallien: altirisch heisst er sebocc^ und so oder ähnlich muss er in der
ältesten keltischen Sprache gelautet haben. In dem einen der beiden
Zweige des Keltischen, dem britischen, dem sich auch das Idiom der
GraUier des Festlandes anschloss, verwandelte sich aber in einer An-
zahl Wörter das 8 in h: aus sebocc wurde im kambrisch-kornischen
Munde hebauc^ und in dieser secundären Gestalt ging das Wort zu
den Deutschen über: ahd. hapuhj altn. haukr u. s. w. Die Germanen
der ältesten Zeit kämpften gegen den Bären und Wolf und erlegten
VIct. Hehn, KuHnrpflanxen. 20
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306 I>iö Falkenjagd.
den Auer- und Bisonochsen, den Elch und Scheich und den Eber:
die Falkenbeize aber lernten sie später von jenseits des Rheines and
der Donau her kennen. Auch lässt sich nicht behaupten, dass die
letztere jemals in Deutschland yolksmässig gewesen sei. Sie war die
Lust des Edlen hoch zu Ross, seiner Dame und des Jagdgesindes:
der Bauer trieb sie nicht; er staunte die adelige fremdländische
Kunst an, wie er die Waffen und Eampfmanieren des Ritters be-
wunderte und deren romanische Namen allmählig nachsprechen lernte.
Eine andere Frage aber ist, ob die keltischen Völker, die die ger^
manische Welt von Westen und Süden her ein- und abschlössen, die
Jagd mit abgerichteten Stossvögeln etwa selbst erfunden oder sie
nur ausgebildet, und im letzteren Falle von welcher Seite sie sie ur-
sprünglich empfangen hatten? Die älteste Nachricht über Jagd mit
Raubvögeln findet sich bei Aristoteles H. A. 9, 36, 4 (das 9. Bach
rührt zwar in seiner jetzigen Gestalt schwerlich von Aristoteles her,
aber die Stelle findet sich schon bei Antigonus Carystius, unter dem
zweiten und dritten Ptolemäer^ im Auszuge wiederholt): „In der
Gegend von Thrakien, welche ehemals Kedreipolis hiess (iv de
&Q^xri tfj xalovfth'U noti KBÖQBinoXei)^ werden in einem Sumpfe
die kleinen Vögel von den Menschen in Gemeinschaft mit den Ha-
bichten gejagt: die Menschen schlagen mit Stöcken an das Rohr und
Buschwerk, damit die Vögel auffliegen, die Habichte aber erscheinen
von oben her und verfolgen sie und die erschreckten Vögel fliegen
wieder zur Erde hinab, worauf sie die Menschen mit Stöcken schlagen
und ergreifen und den Habichten einen Theil von der Beute ge-
währen: sie werfen ihnen nämlich einige Vögel entgegen und diese
werden von den Habichten aufgefangen." Statt der ©p^xiy ^ xalovfiipTi
noTB KedQeinolig wird in der Schrift de mirab. auscultat 118 die
@Q(fHr] ^ vneQ IdfjKfinoXiv genannt, und in dieser Gestalt ist die
Notiz auf Plinius 10, 23 übergegangen. Gewisse Thraker also be-
dienten sich der gezähmten Raubvögel, UgaxEg^ um in einer Sumpf-
gegend die aufgejagten Vögel wieder zur Erde zurückzuscheuchen, wo
sie von den Jägern mit Stöcken erlegt wurden: der Raubvogel fasst
das gejagte Thier nicht selbst, erhält aber von der Beute seinen An-
theiL (Letzeres ganz nach der Sitte der späteren Falkenjäger).
Der Jude Philo lässt in seinem verloren gegangenen, aber in der ar-
menischen Uebersetzung erhaltenen Dialog: de ratione quam habere
etiam bruta animalia dicebat Alexander (Opera ed. Richter, T. 8, § 37)
seinen Gegner ganz dieselbe aristotelische Angabe wiederholen und
zwar mit dem Zusatz: „mir schien die Geschichte von den thrakischen
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Die Palkeiyagd. 307
Habichten anglaubUch, bis ich mehrere Eingeborene, darunter einen
TöIIig redlichen, befragte, die mir alle die Sache bestätigten.^ War
dies thrakische Erfindung? Wir wissen es nicht, denn wenn auch
Ton Aehnlichem in Indien berichtet wird (schon von Etesias bei
Photius und ausfuhrlicher bei Aelian N. A. 4, 26, s. MfÜler Fr. Ctesiae
11 hinter seiner Ausgabe des Herodot; die Inder jagen Hasen und
Fdchse mit Raubvögeln; die Zähmung der letzteren ist ganz die der
spateren Falconiere, die Thiere bekommen ihr Theil), und die Aegypter
einen Raubvogel, den aaregiagj so zahm gemacht hatten, dass er der
menschlichen Stimme gehorsam war (Ael. N. A. 5, 36), so liegt
zwischen beiden Ländern und Thrakien ganz Westasien und von einer
so auffallenden Jagdart bei den Völkern des letztgenannten Länder-
gebietes hätten uns die Griechen wohl Meldung geihan, wenn sie
daselbst üblich gewesen wäre. Etesias erzählte von ihr als einer
Merkwürdigkeit Indiens: am persischen Hofe, an dem er lebte,
mass sie also unbekannt gewesen sein. Dass sie bei einem der das
sogenannte Eleinasien bewohnenden Völker, der Nachbarn und Ver-
kehrsgenossen der Thraker gangbar gewesen, ist bei dem Still-
schweigen der Griechen gleichfalls nicht anzunehmen. Da aber die
von Etesias ausführlich beschriebene Abrichtungsweise mit der spä-
teren europäischen so genau zusammenstimmt, so mag irgend ein
Zusammenhang, den wir nicht mehr aufweisen können, von dem
diese Jagd betreibenden, in irgend einem Grenzgebirge Indiens hau-
senden Stamme (Etesias spricht von Gebirgshasen, die so gejagt
werden) bis nach Thrakien reichen — wo die Zwischenglieder etwa
Ghorasmier und Massageten, Sarmaten und Scythen waren? Layard,
Niniveh und Babylon, übersetzt von Zenker, Leipzig s. a., enthält
S. 369 Anm. die Notiz: y^Ani einem Basrelief in Ehorsabad, welches
ich bei meinem letzten Besuche daselbst sah, war, wie es schien, ein
Falkonircr mit dem Falken auf der Faust abgebildet." Leider macht
der Zusatz: „wie es schien ** die Sache unsicher; aber wenn die
Herrschaft der grossen Euphrat- und Tigris- Reiche zu Zeiten bis an
die Grenzen Indiens reichte, mochte eine dort gebräuchliche Jagdart
auch einmal in der Hauptstadt an einer der Wände des Königspa-
lastes dargestellt worden sein. — Aus Thrakien konnten die Eelten,
die auf zahlreichen Eriegs- und Wanderzögen die Hämushalbinsel
heimsuchten, die nicht leichte Eunst der Abrichtung von Raubvögeln
zor Jagd sich geholt haben. Auf einer gewissen Lebensstufe eignen
sich die Völker von ihren Nachbaren nichts bereitwilliger an, als
neue und leichtere Arten dem Jagdthier beizukommen, das den Gegen-
20*
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308 ^^^ Falkei^jagd.
stand ihrer Begierde bildet Diejenigen Kelten wenigstens, die Italien
überzogen und Rom verbrannten, können die Falkenjagd noch nicht
gekannt haben, da sich bei den älteren Römern keine Spur einer
solchen findet« Erst in den Jahrhunderten der Eaiserzeit taueben
hin und wieder Andeutungen derselben auf, aber in sehr unbestimmter
Weise, bis plötzlich in den letzten Zeiten der Völkerwanderung und
bald nachher die Sache im Munde aller Schriftsteller ist und als all-
gemein üblich vorausgesetzt wird. In dem Epigramm des Martial
14, 216, Accipiter:
Praedo fuü volucrum, farmdus nunc aucupis: idem
Decipü et capias non sibi maeret aves —
scheint ein ganz deutlicher Hinweis auf Verwendung des Habichts
zur Jagd zu liegen, aber gleichzeitig berichtet Pliuius von der neuer-
dings ergangenen, höchst wunderbaren Sage, in der Gegend von
Eriza in Asien (dies Eriza war eine Stadt in Earien an den Grenzen
Lykiens und Phrygiens) jage ein gewisser Craterus Monoceros mit
Hülfe von Raben, die für ihn das Wild aufspürten und trieben, und
wenn er ausziehe, gesellten sich auch wilde Raben dazu, 10, 124: nee
non et recens fama Crateri Monocerotis cognomine in Erizena regione
Asiae corvorv/m opera venantis eo quod devehebat in Silvas eos insidentis
Comiculis umerisque; iUi vesUgahant agebantque eo perducta consuetu-
dine ut exeuntem sie comitarentu/r et feri. Aus der zweiten Hälfte
des folgenden Jahrhunderts scheint eine Stelle bei Apulejus (Apologia
s. de magia lib. 34. p. 44 ed. Erueger.) auf Jagd mit Habichten hin-
zudeuten: wäre es nicht absurd, so ungefähr drückt sich der Autor
aus, mit missbrauchlicher Anwendung des Gleichklangs den Fisch
accipiter zum Vogelfang brauchen zu wollen: quam si dicas....
aucupandis volantibus piscem accipitrem (guaesitum\ aber der Schlnss
aus den Worten wird^ hinfallig, wenn man das unmittelbar Folgende
hinzuzieht: aut venandis apris piscem apriculum. Denn wie konnten
Eber mit Hülfe eines Ferkels gejagt werden? Höchstens bei Wölfen
konnte es zur Anlockung verwandt werden. Vielleicht liegt in fol-
gender Beschreibung einer Art Falkenjagd in der Paraphrase von
Oppian. de aucup. 3, 5 die Erklärung des obigen Epigramms von
Martial und der Worte des Apulejus: „eine angenehme Jagd ist es,
wenn man einen Falken, ÜQaxa^ mitbringt und diesen unt^r einen
Busch legt; die kleinen Vögel ol oxQOvdoiy erschrecken, suchen sich
im Laube zu verbergen, schauen aber immer auf den Falken, von
der Angst gebannt, wie wenn ein Wanderer plötzlich einen Räuber
erblickt und, starr vom Schreck, sich nicht von der SteDe bewegt;
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Die Palkenjagd. 809
der Vogelsteller zieht dieYögel so mit aller Müsse yom Baume her-
ab.' Hier haben wir den Anfang einer noch sehr onvoUkommenen
Jagd mit Raubvögeln, und an nichts Anderes dachten, wie gesagt,
fielleicht Martialis und Apulejus. Aber bei Julius Firmicns Matemus,
bei Prosper Aqoitanus, Sidonius Apollinaris u. s. w. im vierten und
fonften Jahrhundert ist die Falkenjagd eine ausgebildete, beliebte und
verbreitete Kunst, die ohne Zweifel von den Barbaren herrührte.
Schon in der halb fabelhaften Urgeschichte der Sachsen bei Widu-
kind tritt ein Jäger mit dem Habicht auf, 1, 10: aus der belagerten
Stadt Scheidungen an der Unstrut, die durch die Yerheissung des
Friedens in Sicherheit gewiegt war, ging ein ThCLringer mit einem
Habicht hinaus und suchte über dem Ufer des genannten Flusses
Nahrung; als er den Yogel hatte steigen lassen,"]nahm ihn Einer von
den Sachsen am jenseitigen Ufer alsbald in Empfiemg und weigerte
sich ihn herauszugeben; Jener aber sprach: gieb ihn heraus, so will
ich dir ein wichtiges Geheimniss verrathen; die Mittheilung des Ge-
heinmisses aber führte zum Untergang der Stadt — lauter in Märchen
nicht ungewöhnliche Motive. Während des Mittelalters stand diese
Jagd im ganzen feudalcA Europa in Blüte (der grosse Kaiser Frie-
drich n. schrieb selbst ein Buch de arte venandi cum avibus) und
wanderte von Deutschland und von Byzanz nach dem Osten des
Wdttheils und zu den Völkern Asiens an die Höfe der Grossfürsten
und Gzaren, der Emire, Scheikhs, Chagane und Schahs, bis zu den
Nomaden der Steppe und den Beduinen der Wüste. Marco Polo
fand sie in den Residenzen der mongolischen Fürsten bis nach China
hio, ebenso neuere Reisende des 17. und 18. Jahrhunderts in den
Landern des Islams. In Europa gerieth sie in demselben Masse,
wie das Schiessgewehr sich ausbreitete und vervollkommnete, in Yer-
&11 und endlich in Vergessenheit, wobei es charakteristisch ist, dass
die Namen der neuen durch die Luft treffenden mörderischen Waffen
so häufig von den Stossvögeln entnommen sind, an deren Stelle sie
traten (vgl. fdlconetto\ moschetto, die Muskete, eigentlich der Sperber;
terzeruolo^ eigentlich das Männchen des Habichts; sagro^ ein Geschütz,
eigentlich der Sakerfalke). In Frankreich gingen bis zur Revolution
bei feierlichen Aufzügen des Hofes die königlichen Falkoniere voran,
oder vielmehr Leute, die deren Abzeichen trugen, denn in Wirklich-
lichkeit gab es keine fattconnerie du Roi mehr. In England soll noch
jetzt bei einem oder zwei Landlords in ehrwürdiger Tradition ein
Falkenstaat aufrecht erhalten und die dazu nöthigen abgerichteten
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310 ^^^ PflMunenbaam.
Thiere aus Belgien bezogen werden. In Asien aber ist die Falken-
jagd bis auf den heutigen Tag in vielen Gegenden eine eifrig be-
triebene Lieblingsbeschäftigung^^).
Der Pflaumenbaum.
(prunus domestica L., prunus insitüia L.)
Der Pflaumenbaum, prunus^ wird nur einmal bei Cato 133 ge-
nannt, w&hrend er in der Parallelstelle 51 übergangen ist. Von
aUgemeiner Kultur in den Gärten und einer dabei sich ergebenden
Mannichfaltigkeit der Sorten konnte also damals noch nicht die Rede
sein. Den Dichtem der goldenen Zeit dagegen ist die Frucht schon
ganz geläufig, Yerg. EcL 2, 53:
Addain cerea pruna; honos erit huic quoque pomo.
Was cerea pruna sind, erklärt Ovid. Met. 13, 817:
Prunaque^ non solum nigro liverUia stwco.
Verum etiam generosa novasqvs imüantia cerea.
Auch das Pfropfen der edlen Pflaume auf den Schlehdom ist all-
gemein, Verg. G. 4, 145:
spinös jam pruna ferentis.
Auf Horazens Villa waren Pflaumen auf Domen zu sehen, Ep.
1,16,8:
quidf si rubicunda benigne
Coma vepres et pruna ferunt?
Columella kennt drei Sorten: cereohim^ Damasciy onychinum^ Plinios
aber eine verwirrende Menge von Varietäten, 15, 41: Ingens postea
turba prunorum — folgt die Aufeählung einiger derselben. In pere-
ffrinü arborUms dicta sunt Damascena a Syrien Damasco cognominata,
jam pridem in Italia nascentia. — Simul dici posaunt populäres eorum
myaaey quae et ipsae nunc coeperunt Romae nasci insitae sorbis. Diese
Damascener-Pflaume, als die alleredelste, gab bei den Byzantioem
und Neugriechen den Namen für Eulturpflaume überhaupt her; der
Name prunus ging mit dem Baum und der Frucht von Italien ans
durch alle Länder West- und Mitteleuropas. Die Römer hatten ihrer-
seits deu Namen von den Griechen entlehnt; ngovfivov aber galt nach
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Der Pflanmenbanm. 311
Gakous eigentlich för die Fracht des wilden Baumes, 6, p. 619 Kühn:
0 t€ %ü}v ayQioxoxievfii]X(ov ^ a nQovftva noQ ^fiiy (d. h. im nord-
westlichen Kleinasien) xaXovai^ fand aber dann auch, wie in ähnlichen
Fallen auch sonst geschah, aof die eälepruntu domestica Anwendong,
z. B. bei Dioscor. 1, 174. Sonst hiess bei den Griechen die Frucht
der letzteren xoxxt/nT^lov (die erste Hälfte ein orientalisches Wort,
8. Pott in Lassens Zeitschrift 7, 109), die Schlehenpflaume ßgaßviof.
Das älteste Zeugniss für den ersteren Namen ist in einem Citat des
PoUux 1, 232 aus Archilochus, also aus dem Anfemg des siebenten
Jahrhunderts, enthalten, dann in einem Fragment des Uipponax aus
der Mitte des sechsten Jahrhunderts, Fr. 81. Bergk.:
aziq>avov eixov xoxxvfxrjlfov xai ^iv^rjg.
In der Abhandlung über die Pflaumen bei Athenäus 2, p. 49 ff. wird
nadi dem Peripatetiker Clearchus berichtet, die Rhodier und die
Sikelioten nennten auch die Plaumen ßQcißvXa^ und nach dem Glossator
Seleukus, ßgaßvla^ ^Aa, xoxxvfiTjXa^ fidÖQva seien dasselbe. Der
Sprachgebrauch des Theokrit bestätigt diese Angabe nicht: von den
zwei Stellen dieses Dichters, in denen das Wort ßgaßvkov vorkommt,
wird in der einen, 12, 3, die Ankunft der Geliebten so süss genannt,
wie der Frühling im Gegensatz zum Winter, und das fifjlov im Ver-
gleich mit dem ßQcißvXov: hier kann unter dem letzteren schwerlich
die köstliche Pflaume verstanden werden, vielmehr wird fn^Xov nur
als kürzerer Ausdruck für xoxxvfitjXov zu nehmen sein. In der anderen
Stelle 7, 146, werden bei Schilderung eines Lustortes Birnen, Aepfel
und ßgaßvXa zusammen genannt, und es steht nichts entgegen, sie
auch hier als die einheimischen Schlehenpflaumen zu fassen. Die
heutigen romanischen Sprachen verwenden für die Schlehe das Ver-
kleinerungswort der Pflaume: prugnola^ pruneUe; das englische bullace
Schlehe soll aus dem Keltischen stammen (s. Schuchardt in E.
Zeitschr. 20, 1871, S. 249); dem deutschen Schlehe, ahd. slShä, mhd.
tWie entspricht buchstäblich das slavische sliva in der Bedeutung
Pflaume; dem französischen crkque oder vielleicht direkt dem lat.
graecum ist das deutsche Krieche, niederdeutsche Kreke nachgebildet
(Grimm, Wörterb. 5, 2206), auch altpreussisch krichaytos; Zwetsche,
welches slavischen Klang hat, aber in den slavischen Sprachen nicht
vorkommt, ist nach Schmeller 4, 310 aus daf,iaaxrfv6v entstellt, wie
die Engländer aus demselben griechischen Wort ihr damsin^ darMon
gemacht haben. Das italienische «tmna, spanische endHncL, vielleicht
nach Orten oder Menschen benannt, stimmen wenigstens in der Endung
mit den Namen bei Plinius : onychina^ maldna n. s. w. überein. Dier
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312 I>er Pflaamenbaum.
Mirabelle, italienisch mirabeUa, fahrt Diez 1, 280 auf fivQoßdlavog
zarQck^ welches griechische Wort ursprünglich eine indische, zu Be-
reitung einer Salbe dienende Frucht bedeutete, dann aber auf eine
einheimische Art kleiner gelblicher Pflaumen angewandt wurde. Das
in Tyrol gebräuchliche Zeiber (s. Schöpf^ Tyrolisches Idiotikon) lautet
bei den benachbarten Slowenen cibara. Von den obigen Glossen
i]la, fiaÖQva^ zu denen man noch o^vf^aXa und ßadgva hinzufügen
kann (Nauck zu Arist. Byz. p. 118), ist nur ^la allenfalls aus orien-
talischen, zur iranischen Familie gehörenden Sprachen zu erklaren
(Pott a. a. O. S. 108).
Die gegen den nordischen Winter abgehärtete prunus msitUia
mit runden Früchten mag in Europa ursprünglich heimisch sein, aber
in ikrer veredelten Gestalt stammt sie, wie die ächte Pflaume, aas
Asien. Bei den Alten wird die eine von der anderen um so weniger
genau unterschieden, als auch die erstere unter der Hand der Kultur
die feinsten Früchte lieferte und noch liefert, z. B. die Reine-CUmde.
Wie schon der letztere Name andeutet, ist auch in diesem Zweige
der Obstbaumzucht Frankreich das eigentUch klassische Land, sei es
in Folge des Klimas oder der industriellen Bemühung seiner Bewohner.
Geht man weiter nach Süden, zu den Küsten des mittelländischen
Meeres hinab, so scheint auch die Pflaume viel von ihrem köstlichen
Aroma zu verlieren. Die europäische Gegend aber, wo die Pflaumen-
zucht im Grossen betrieben wird und als integrirender Factor der
Bodenproduction auftritt, ist das österreichisch-türkische Grenzland
(s. darüber G. Thoemmel, Geschichtliche, politische und topographisch-
statistische Beschreibung des Yilajet Bosnien, Wien 1867, und
F. Kanitz, Serbien, Wien 1868). Dort begegnet man ganzen Wäldern
von Zwetschenbäamen, ihre Früchte bilden 4 bis 6 Wochen hindurch
frisch gepflückt die Hauptnahrung der Bevölkerung und werden in
gedörrtem Zustande massenhaft nach Deutschland, ja bis nach Amerika
hin, ausgeführt. Schweine und Pflaumen sind fast die einzigen Aequi-
valente, mit denen diese Länder ihren Bedarf vom Auslande, von
dem sie in allen Stücken abhängig sind, bezahlen. Die Haupt-
anwendung aber, die von dem reichen Ertrage der Frucht gemacht
wird, ist die zu Pflaumenbranntwein, der beliebten slivovica. Obgleich
von diesem Artikel ungeheure Mengen an Ort und Stelle verbraucht
werden — denn wozu besässen jene Racen eine tiefere Prädestination,
als zum Genuss von Raki? — , so ist auch die Ausfuhr noch be-
deutend. Wie alt diese Kultur dort ist und ob sie vielleicht über
die Zeit der slavischen Einwanderung hinausgeht, ist uns unbekannt
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Der Maalbeerbanm. 313
Ans Beeren, an denen der Nordosten reich ist, ein Getränke zu
machen, ist ein altslayischer oder osteuropäischer Nationalzug, der
schon von Herodot in seiner Beschreibung des hinterskythischen
Landes angedeutet wird.
Der Maulbeerbaum.
(morui nigra L.).
Dieser medisch-pontische Baum fand seiner blutrothen, angenehm
säaexüch-süssen Früchte wegen ziemlich fr&he Verbreitung nach
Westen. Er erreicht eine ansehnliche Höhe und trägt ein dunkles
Laab, das im Frühling spät hervorbricht. Letztere Eigenschaft ver-
schaffte ihm, wie Plinius 16, 102 sagt, den Beinamen sapientissima
arhcrwn d. h« der vorsichtige Baum, der sich erst hervorwagt, wenn
kein Frühlingsfrost mehr zu fürchten ist. Die Beeren, der Himbeere
an Grestalt ähnlich, im eigentlichen Yaterlande oft einen Zoll gross,
munden nur und sind nur gesund, wenn sie die völlige Reife haben,
dann aber müssen sie rasch verzehrt werden, weil der Saft bald in
Grahrung geräth und zu Essig wird. Man pflückt sie daher frühmorgens
und kauft und geniesst sie, ehe die Hitze des Tages sie verdorben
liat, auf den Fruchtmärkten heutiger südlicher Städte, wie einst in
Italien zu Horaz Zeiten, Sat. 2, 4, 21:
nie salubris
Äestaies peraget qui nigris prandia moris
Finiet^ ante gravem quae legerit arbore solem.
Die dankelrothe Färbung war das Merkmal, das den Alten an ihnen
besonders auffiel. Wie Horaz, so nennt sie auch Martial schwarz,
8,64,7:
Sil moro coma nigrior caduco;
bei Vergil sind sie blutig, Ecl. 6, 22:
Sanguineis frontein moris et tempora fingit;
so auch bei Columella, 10, 401:
cumulataque moris
Candida sanguineo manat fisceüa cruore;
Sullas Gesicht war von grellem Roth mit weissen Flecken untermischt,
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314 Der Manlbeerbanm.
so dass ein Spotter in Athen dichtete, es sei wie eine Maulbeere^
mit Mehl bestreut, Flut Sali. 2:
2vxdfnvov eab^ 6 Svllag^ altpitip nenaofthov.
Elephanten, denen vor der Schlacht der Rüssel mit Maulbeeren
bestrichen war, sollten dadurch kampfgierig werden, offenbar wegen
der Aehnlichkeit des Saftes mit dem Blute (1. Maccab. 6, 34 nach
Luther: „da liess der König.... die Elephanten mit rothem Wein
und Maulbeersaft bespritzen, sie anzubringen und zu erzürnen").
Ueppige Weiber und lastige Leute^ die Mummenschanz trieben, be-
malten sich Schläfe und Wangen mit Maulbeersafk, und dem Weine,
den sie dazu tranken, war vielleicht auch, wenn er zu blass gewesen
war, ein Zusatz von demselben Saft gegeben worden, um ihn dunkel*
roth zu machen (jtiilag olvog^ wie /nikav alfia) — wie noch jetzt im
Soden Praxis ist.
Fragen wir, wann der Maulbeerbaum aus seinem asiatischen
Yaterlande zuerst in Europa erschienen, so verweisen uns einige bei-
läufig aufbewahrte Dichterstellen auf die Zeit der attischen Tragiker*
andere ein Jahrhundert später auf die der mittleren und neuen Ko-
mödie. Nur dass die Verwechselung mit der Sykomore, dem ägyp-
tischen Maulbeerfeigenbaum, und andererseits mit dem Brombeer-
und Himbeerstrauch einige Unsicherheit in die Deutung der Zeug-
nisse bringt. Die Sykomore nämlich, ein weitschattender Baum mit
feigenähnlichen Früchten, ursprünglich in Aegypten zu Hause, aber
auch in semitischen Landen, wo der Boden es erlaubte, in Palästina
und Cypem vielfach angepflanzt, war auch den Griechen aus ihrem
Verkehr mit jener Erdgegend nicht anbekannt geblieben; der Baum
empfahl sich nicht bloss durch die Kühlung, die sein Laub gewährte,
sondern auch durch die Früchte, die eine Nahrung des niederen Volks
bildeten, und durch das sehr geschätzte Holz, das eben so fest als
leicht sein sollte. In den heiligen Schriften der Hebräer erscheint
die Sycomore nur in den beiden Pluralformen : schikmim und schikmotj
und vergleicht man dazu die beiden griechischen Benennungen, die
frühere avxafiivog^ und die spätere ovxofiOQog, avxn^wQiay so ist
augenfällig, dass sie jenen hebräischen oder vielmehr den entsprechen-
den syrischen oder niederägyptischen nachgebildet sind. Diesem Sy-
komorenbaum erschien nun der eigentliche Maulbeerbaum mit Recht
oder mit Unrecht sehr ähnlich und entlieh ihm auch seinen Namen.
Theophr. h. pl. 4, 2, 1: „der Maulbeerbaum kommt der dortigen Sy-
komore sehr nahe, denn er hat ein ähnliches Blatt, gleicht ihm auch
in der Grösse und der ganzen Gestalt.'' Wiederholt von Plinios,
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Der Manlbeerbaum. 315
13, 56: Arber (ficm AeffypUd) moro wmüis foUc^ magnitudine^ adspectu.
Ebaiso Dioscorides, 1, 181: voig (pvKloig ioixog ftogitf. Daher sagt
Diodor 1, 34 geradezu: es giebt zwei Arten SykamineD^ die einen
tragen Maulbeeren, die anderen Früchte wie Feigen. Andererseits
waren die Früchte des Maulbeerbaumes denen des Brombeerstrauches^
ßdroCy sehr ähnlich, und der uralte Name der letzteren f^oga^ h^Q^t
mora konnte leicht auch auf die ersteren angewandt werden. Athen.
2. p. 51 : avxdfiii>a a »aXovaiv kvioi. fioga . . . Jr^^r^xQiog di 'l§i(üv
ra alrra avxifxiva xai ^oQa, Phanias, der Eresier, der Schüler des
Aristoteles, wollte den Namen fiogov auf die Frucht der wilden
avxdfiivog d. h. auf die Brombeere beschränkt wissen, die auch sehr
süss sei (Athen, ibid.), aber die Uebertragung hatte schon zu weit
nm sich gegriffen. Ja, die Alexandriner brauchten, wie Athenäus
eben dort berichtet, ausschliesslich ^OQa für Maulbeeren, vermuthlich
weil ovxifiiva iur die. bei ihnen häufigen Früchte der ägyptischen
Sycomore schon seine feste Verwendung gefunden hatte. Selbst der
Ausdruck ßavia^ der doch wörtlich die Beeren des Domstrauchs be-
deutet, wurde hin und wieder auf die Maulbeeren angewandt, Bekk.
Anecd. gr. 224, 13: ßatia' avxa^lvov 6 xaQJiog vnd 2ala/niviü)v.
Wenn nun berichtet wird, Aeschylus habe in seiner Tragödie „die
Phryger*' von Hector gesagt, er sei reifer gewesen, als die f^oga^
Athen. 2 p. 51:
avi^Q exeivog ^v narcaUsgog fiogcav^
so sind wir nicht sicher, ob der Dichter hier in der That, wie die
Späteren annahmen, an Maulbeeren gedacht und diese ihm also be-
kannt gewesen, oder ob er nicht vielmehr die einheimischen Brom-
l)eeren im Sinne gehabt? Bedenkt man, dass die Maulbeere vor der
TöUigen Reife ungeniessbar ist, dann aber auch unverweilt gepflückt
und verzehrt werden muss, so kann das Erstere allerdings wahr-
scheinlicher sein und besser auf Hectors vollzogenes Geschick passen.
Aber dasselbe Wort ^oqov hatte Aeschylus noch bei einer andern
Gelegenheit gebraucht, in den Erreterinnen, und zwar vom Brombeer-
strauch, xavä T^g ßdxov^ Athen, ibid.:
udevxolg %6 yäg fiogoiai. xal fieXayxi^oig
xai fiilTonQimoig ßgid^erat talrov XQdvov,
Hier würde der Wechsel der Farbe an den Früchten vom Weiss
durch das Röthliche bis zum Schwarzen in der That auf Maulbeeren
rathen lassen (Plin. 15, 97: moris,,. trini colores, candidtis primo^ mox
mi^ns, matwrü niger^ cf. Theophr. de caus. pl. 6, 6, 4)^ wenn nicht
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316 I^er Maolbeerbauin.
Athenäas^ der die Stelle excerpirte und den ZosammenhaDg dodi
gekannt haben moss, grade die ßdtog ab den Gegenstand der Rede
angäbe. Eben so unbestimmt als diese Stellen desAeschylos ist die
des Sophokles ans einer verlorenen Tragödie, Bekk. Anecd. gr.361, 20
(Nauck, Fr. Soph. n». 362):
TiQwxov ^lev otpei levxov av&ovvra araxw,
STieiza fpoivl^avca yoyyvXov (lOQOVy
eneiTa yrJQOtg lafißdveig AiyvTtTiov,
Ausser manchen Bedenken, die diese Verse erwecken, worunter das
unerträgliche o fiÖQog für rb (xoqov^ welches freilich Eustathius sich
gefallen liess, erscheint das Beiwort yoyyvXog rund weder fOr die
Brombeere, noch für die Maulbeere passend. Ein dritter Zeuge aus
älterer Zeit für das Wort iuopa, welches mehr der dorischen
Mundart angehörte, ist Epicharmus, Phot Lex. v. ovxafiLva'
ta de fioQa, Jdqiov fiSlXov* xai ^EnixctQfiog* litogiov veov %o ipvtov.
Muss auch hier die eigentliche Bedeutung zweifelhaft bleiben, so
findet sich bei den jüngeren Komikern die Maulbeere deutlich und
unverkennbar, Eubulas (blühte nach Suidas Ol. 101, muss aber bis
zu Demosthenes Zeit gelebt haben) bei Athen. 13. p. 557:
ovd' äansQ v^aig avxainivq) Tag yva&ovg
xBXQifJiBvai.
PhiEppides (zwischen Ol. 118 und 122, Freund des Königs Lysimachus)
bei Phot. 1. 1.:
zolg avxafilvoig d' avrl tov q)vxovg oXov
t6 nQogionov —
denn statt der Schminke kann zum Färben des Gesichts nur der
rothe Maulbeersaft dienen. Theophrast unterscheidet in seiner ge-
naueren Sprache die ovxafAivog oder den Maulbeerbaum von der
avxa^ivog Aiyvmia oder der Sykomore, und eben so sicher ist der
erstere unter dem Namen fiogia in den von Athenäus 2. p. 51 auf-
bewahrten Versen aas den retogyixa des Nicander zu erkennen:
xai (xoQerjg ^ naial niXu ^eiliyfta vioiai,
TtQCüTov inayyiXXovaa ßgotoig ^deiav otkoqtjv.
und des Maulbeerbaums mit den jugendbeglückenden Fruchten,
Der den Menschen zuerst die Fruchtzeit kündigt, die süsse.
In der That ist mortis nigra wie mit ihrem Laube im Frühling die
späteste, so mit ihren Früchten, der Wonne der Jugend, im Sommer
die erste. Zu Galenus Zeit endlich war ptoQOv schon der allein ge-
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Der Manlbeerbauin. 817
bräucUiche Ansdruck und avxifiivoy nicht« als eine klassische Anti-
quität: „ich will lieber, bemerkt er de aliment. facolt. 2, 11, (jloqov
sagen, wie es Allen geläufig ist, als ax^Ha^uvov^ wie die Attiker Tor
600 Jahren sich ausdrückten: thöricht derjenige, dem es mehr auf
sogenannte korrekte Sprache, als auf Gesundheit des Lebens ankommt.^
Um so auffaUender ist, dass die Neugriechen, zwar auch fioQsay da-
neben aber auch övxafirjvBa sagen sollen.
Bei dem Uebergange des Baumes nach Italien war die Be-
nennung ovnaiiivog schon verloren gegangen: er trug fortan, wie der
Brombeer- und Himbeerstrauch, nur mora. War (hoqov oder (itiQov
ein dorisches Wort und brauchte es Epicharmus in Sicilien, so wird
Name und Sache von Ghrossgriechenland aus zu den Lateinern ge-
kommen sein. Der Name in so fem, als das Beispiel der Griechen
die lateinisch Redenden vermochte, das in ihrer Sprache gewiss alte
Wort morum auf die neue Beere anzuwenden. Wo Verwechselung
möglich war, da mochte man sagen Beere vom Baume, morum cebae
arborüj und für Maulbeerbaum moros ceha^ worauf wenigstens das
italienische geho fuhrt. Bei den Dichtem wird die Frucht nicht
sdten erwähnt; Ovid erzählt uns im vierten Buche seiner Metamor-
phosen, woher die rotbe Farbe der Beeren stammt, nämlich vom Blute
des Pyramus, als dieser sich wegen der Thisbe unter dem Baume
den Tod gab — eine ganz kleinasiatische, auch bei andern Pflanzen
wiederkehrende Sage, die diesmal Babylon zum Schauplatz gewählt
hatte und darin eine Erinnerung an die Herkunft des Baumes aus
dem tieferen Osten bewahrte. Sehr zärtlich war der Baum nicht,
denn er hat seitdem die Alpen überstiegen und gedeiht nicht bloss
in Frankreicb, sondern auch in England und Deutschland, ja in
Scandinavien, obgleich es wohl vorkommt, dass er in hartem Wintern
erfiriert Wichtiger als durch seine Früchte wurde er ein Jahrtausend
später durch sein Laub ; er machte die Einwanderung der ostindisch-
chinesichen Seidenraupe möglich. Die ersten Pflanzer, die nach den
schwarzen Beeren begehrten, ahnten nicht, dass die rauhen Blätter
einst durch eine mannichfache Metamorphose vermittelst eines kleinen
Thierchens sich in ein kostbares, weiches, glänzendes Gewebe ver-
wandeln würden. Die Römer hatten zwar die serischen Gewänder
allmählig kennen gelernt und wogen sie mit Gold auf, aber dass diese
wunderbaren Fäden nur versponnene Maulbeerblätter seien, kam auch
ihnen nicht zu Sinn. Im weitem Verlauf der Zeiten freilich trat
mortis nigra das Amt, die Seidenraupe zu füttern, an einen andern
noch spätem Ankömmling aus dem centralen und östlichen Asien
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818 Mandeln. Walnüsse. Kastanien.
ab, an die morus alha^ einen Schwesterbaum von kleinerem Wüchse,
glatteren und zarteren Blättern nnd weissen honigsüssen Früchten,
der gegen Ende des Mittelalters in Europa erschien. Die persischen
Provinzen am kaspischen Meere, in Europa Italien und Frankreich,
die Hauptseidenländer des Westens, sind jetzt in den Bezirken, wo
diese Industrie blüht, über und über mit beschnittenen und bempften
weissen Maulbeerbäumen bedeckt; nur hin und wieder steht der
Maulbeerbaum der Alten noch angepflanzt da und dient nur in zurück«
gebliebenen und abgelegenen Gegenden mit seinem Laube zur Er-
nährung der spinnenden Raupe und zur Erzeugung einer grobem,
minder edlen Seide. Eine noch dienlichere Art worus, als der ge-
wöhnliche weisse Maulbeerbaum, die morus alba multicatUü, ist in
neuerer Zeit aus Manilla, wohin sie aus China gekommen war, in
Europa eingeführt worden und soll, richtig behandelt, gut gedeihen. ^ ®)
Mandeln. Walnüsse. Kastanien.
In der römischen Eaiserzeit wusste man die drei in der Ueberschrifl;
genannten Früchte, als juglandes^ Walnüsse, amygdalae^ Mandeln, und
nucea castaneae, Kastanien, genau zu unterscheiden; je weiter man
aber in der Zeit hinaufgeht, desto mehr verwirren sich die Namen.
So lange die Bäume selbst, deren Ansehen und Natur so verschieden
ist, dass sie gar nicht mit einander zu verwechseln sind, nicht allge-
mein bekannt waren, und nur der Seehandel jene Schalenfrüchte in
Säcken oder Thonfässern auf den Markt, z. B. den von Athen, brachte,
griff man bei der Benennung zu den einheimischen Wörtern Nuss
oder Eichel und fügte wechselnde Beinamen hinzu, die von der Be-
schaffenheit der Schale oder von dem Lande, wo die Frucht angeb-
lich wuchs, oder von dem Handelshafen, der sie geliefert hatte, her-
genommen waren. So schwankend aber blieb der Gebrauch, dass
z. B. der populäre Name Jupiters Eichel, ^log ßdKaifog^ der in
Griechenland in den meisten Fällen die Kastanie bezeichnete, in der
entsprechenden lateinischen Form juglans die Bedeutung Walnuss hat
Am frühesten tritt die Mandel auf^ die unter dem Namen äjuvydalrj
bei den attischen Komikern schon gewöhnlich ist; die Namen der
Walnuss, der Kastanie und einiger edlern Arten der Haselnnss laufea
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Mandeln. Walnüsse. Kastanien. 319
aber noch lange durch einander. Hält man die Hauptstellen zu-
sammen, so ei^iebt sich wenigstens eine unzweifelhafte pflanzen-
geographische Thatsache, nämlich die Herkunft aller dieser Früchte
aas dem mittlem Kleinasien, besonders aber aus den Poutusgegenden
und zwar in verhältnissmässig später Zeit. Dorthin weisen alle
Namen: Hermippus ap. Athen. 1, p. 28:
Tag de /Jiog ßaXavovg xai a/avydala aiyaXoBvra
IlacpXayoveg nagi^ovoi: za yag %" dya^ij/Aaza daudg,
Plin. 15, 93 von den Kastanien: Sardijbus hae provenere prvmum:
ideo <qntd Graecos Sardianaa balanoa appellant Dioscor. 1, *145:
ci SaQdtavai ßalavoi, äg Tiweg Xonifia^ fj xaarava xaXovaiv, ^
/lOTor, ^ Jiog ßdXavoi. Galen. 6, p. 778 Kühn.: oV ye fi^v if^oi
aoXlzai, xa9d7teQ olv xai aXXoi to/v iv ^Aai<fy ^aQÖiavdg xb xai
XtVM^vag ovoftd^ovaiv avtdg (die E^astanien) dno %Civ x(aQiU)v^ h olg
nldarai ysvvüvrai (also wo sie am häufigsten sind, nicht etwa wo
eine besondere feine Sorte wächst), zo ftiv ovv ^tbqov twv ovoftdtwv
toito)y svdrjXov kativ dno zivog yiyore* Xevx^vai de dno xcjqIov
tivog iv zq OQßi zrj ^Idrj tiJv nQogwvv/iiay kaxiqxaaiv. Amphilochus
ap. Athen. 2, p. 54: onov öi yivezai, zd xoQva zd Sivcanixd, zavza
divÖQa ixdXow dß(oza (was oben Dioscorides fxoza nannte — beide
Formen schwer deutbar und vielleicht vordorben). Strab. 12, 3, 12:
i^ de 2ivct)nlzig xai ag>evdafivov ej^ei, xai oQOxdQvoVj i§ wv zag
tQani^ag zi^vovaiv. Theophr. h. pl. 3, 15, 1: ^ de 'HQaxXewzix^
xoQva — folgt die Beschreib ang, die auf die Haselnuss passt. In-
schrift bei ßoekh, Staatshaushalt 2, 356; negaixdg S^gdg xai dfivy-
dalag xai'HQaxXecazixd xdgva xai xcuvovg xai xaazdvaia. Macrob.
Sat 3, 18, 7: nua castanea .... vocatur et Heracleotica. Nam
vir doctus Oppius in libro quem fecit de süvestribm arboribvs sie ait:
Heracleotica haec nux^ quem, quidam caataneam vocant, Diocles ap.
Athen. 2, p. 53 : zd de'HgaxXewzixd xaXov^eva xai Jiog ßdXavoi
zqitpei (lev ovx o^ioicug zolg dfxvyddXoig, exet de zi xeyxQf^deg,
Nüsse also oder Eichek^ benannt nach Sardes in Lydien, nach
einer Gegend am Idagebirge, »nach Sinope und Heraklea, den beiden
Hafenstädten am schwarzen Meere und bezogen aus Paphlagonien, der
Landschaft an demselben Meere. Ganz gewöhnUch ist aber auch
die direkte Benennung pontische Nüsse, meistens, aber nicht aus-
schliesslich, für eine grössere Art Haselnüsse gebraucht, so wie per-
sische oder königliche, weil sie aus einer Gegend stammten, die
den persischen Königen unterworfen war. Plin. 15, 88: In Asiam
Graeciamqtie e Ponto venere ideoque Ponticae ntcces vocantur. Idem
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320 Mandeln. Walnüsse. Kastanien.
87 : Et hcuB (juglandes) e Perside regibus translatas indicio sunt Graeea
namina; Optimum quippe genus earum Persicon atque baailicon vo-
cant^ et haec fuere prima nomina. Diosc. 1, 179: ta de novzixa^
8 hfioi XertToxaQva xalovaiv. Idem 1, 178: Kaqva ßaailixä, a
evioi Tiegaixa xaloiaiv, Athen. 2, p. 53: "Ort novzixwv xakov-
l^ivwv xagviov, o lonifid tiveg ovo^a^ovöi, fiyTjfioyevcL NixtxpdQog.
^EQ^iova^ de xai Ti^axidag h yXciaaaig Jiog ßaXavov (priai xa-
Xeia&ai to novtixov xagvov.
Woher aber stammte der Name Kastanie, und wann taucht er
zaerst auf? Xenophon kam mit den Zehntausend auch zu den Mo-
synöken, einem pontischen Volke, und fand bei ihnen viel breite
Nüsse aufjgespeichert — sie dienten also zur Volksnahrung — , die
von den Spätem, s. Poll. On. 1, 232, für Kastanien gehalten wordai
sind, Anab. 5, 4, 28: xdgva di ini twv avioyalwv rjv nollä tä
nlatia, ovx exovxa diaq)v^v olde^iiav — viel wahrscheinlicher aber
eine grosse Art corybis waren, wie sie jene Gegenden hervorbringen;
auf jeden Fall aber kennt er den Namen Kastanie noch nicht Der-
selbe würde zuerst bei Theophrast L pl. 4, 8, 11 erscheinen: ifi(peQrjg
T(p Kaazavaixfp xagvif}, wenn die Lesart sicher wäre uud die vier
Worte, da sie dem sonstigen Gebrauch des Theophrast wider-
sprechen, nicht ganz wie ein späteres Glossem aussähen. Erst der
Dichter Nikander im zweiten Jahrhundert vor Chr. spricht deutUch
von der Nuss, die das Land Kastanis erzeugt, Alexiph. 271:
dvgXsniog xoqvolo^ to Kaaxavig ^TQsqtev ala.
Aber wo lag die Gegend Kastanis? der Scholiast belehrt uns: nohg
Oecaaliagy o&ev xd xaaxdvia anc t^g Kaaravidog y^g^ und ähnlich
drückt sich das Etymologicum M. s. v. Kaarayia ' s^us. In derTbat
gab es an der thessalischen Küste am Fuss des Pelion in der Land-
schaft Magnesia einen kleinen Hafen oder nach Strabo ein Dorf^
xiofii]^ des Namens Äaav^avcf/jy, KaoTavaia, zuerst bei Herodot 7, 183
und 188 erwähnt; auch sagt Theophrast h. pl. 4, 5, 4, es wüchsen in
Magnesia und auf Euböa, welche Insel der Landschaft Magnesia
gegenüber lag, viel Euboische Nüsse d. h. Kastanien. Von diesem
wenig bekannten Flecken also hätte die Kastanie ihren Namen? oder
suchte man in der Verlegenheit nicht vielmehr nur irgend einen geo-
graphischen Namen, um den der Frucht damit zu erklären? Aocli
fügt der Scholiast noch eine zweite Deutung hinzu, die an sich viel
grössere Wahrscheinlichkeit hätte: ?} Kaaxavig noXig UovxoVy onov
7ileovd^€i x6 xaoxdviov — wenn sich nur sonst von einer pontischen
Stadt oder Gegend dieses Namens eine Spur fände. Oder taucht
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Mandeln. WalniUse. Kastanien. 321
liier jenes r&thselhafte Kaatafjiwy südwestlich von Sinope auf, das
wir in byzantinischer Zeit als einen bedeutenden Ort kennen lernen,
ohne dass die Alten seiner erwähnten (Ritter, Erdkunde, 18, 414flf.)?
Jene Inschrift bei Boeckh, in der dieser Gelehrte keine römischen
Sparen fiuid, kann wegen des darin Yorkommenden Namens natni"
vaia wenigstens nicht weit von der römischen Zeit abliegen. Dass
auch in verschiedenen orientalischen Sprachen die Namen gUms
reffia, Jiog ßdlavog oder juglam für die Kastanie vorkommen (Pott
in derZeitschr. für Kunde des Morgen! 7, llOE), würde bedeutungs-
ToU sein, wenn nicht Benennungen wie bendak^ pandek für ntuc Pon-
Ucoy arabisch mitkon für malum Medicum bewiesen, dass auch abend-
ländische Fruchtnamen den Rückweg in den Orient fanden. Nicht
in den semitischen, wohl aber, wie wir glauben, in iranischen Idiomen,
l)e8onder8 im Altarmenischen, würden Kenner dieser Sprachen viel-
leicht den Ursprung und eine Erklärung des Namens Kastanie ent-
decken können. — In Italien nennt Cato gegen die Mitte des zweiten
Jahrhunderts vor Chr. weder juglcmdes^ noch Kastanien, noch Mandeln.
An einer Stelle aber, 8, 2, giebt er die Vorschrift: nuces calvaa aveU
lanas praenestinas et graecas^ haec facUo uti serantur. Hier sind
nnter nuces aveüanae die aus Gampanien stammenden, dorthin von
den griechischen Küstenstadten verpflanzten edlem Haselnüsse, unsere
Lamberts- d. L lombardischen Nüsse zu verstehen, die den Griechen
sdbst aus dem Pontus zugekommen waren; aber wie sind nuces cal-
vae und fff'oecae zu deuten? Ernst Meyer, Geschichte der Botanik,
1, 344, vermuthet in der ntue graeca die Kastanie, befindet sich da-
mit aber im Widerspruch mit dem Gebrauch der Spätem, die durch-
gängig unter nux graeca die Mandel verstehen. Bei Golumella heisst
der Baum amygdcUa^ die Frucht ntuü graeca; Plinius 15, 90 sagt aus-
drücklich: haec arbor (der Mandelbaum) an fuerü in Italia Catanis
aetate dubitatury qtumiam graecaa nominaty und eben so Macrob.
Sat. 3, 18, 8: nux gra£ca haec est quae et cmygdaU dicitwr^ sed et
Thasia eadem nua vocatur. Testis est Cloatius in Ordinatorum Orae-
cofwn libro quartOj cum sie ait: Nua graeca amygdale. Ist also
Gates nua graeca^ wie nicht zu bezweifeln, die Mandel, so hätte man
bei der nua calva die Wahl zwischen der Walnuss und der Kastanie.
Vergleicht man die vier Sorten Kastanien bei dem Scholiasten zu
Nicandr. Alex. 271: fäv de xaatavwv to fiev 2aQdiavdv, %6 de 16-
nifiov^ ro de fialaxöv, to de yvfiyoXonov — so könnte calvus wohl
einerlei sein mit yvfjivoXonog, nacktschalig, und nua calva folglich
die Kastanie bedeuten. Einen ähnlichen unbestimmten Ausdruck,
Vict Hehn, Knltnrpfluisea. 21
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322 Mandeln. Walnüsse. Kastanien.
moUusca nux^ hatte Plautus gebraucht, Macrob. Sat 3, 18, 9: FUmixu^
in Calceolo sie ejus meminit:
moUuscam nucem
Super ejus dixit impendere Ugulas.
Ecce Plautus nominat quidem, sed quae sit nux mollusca^ non exprimdt.
Halt man diese Bezeichnung zu dem obigen nalaxov beim Scho*
liasten des Nicander und zu Vergils castaneae moUes (Ecl. 1, 82;
moUes = weichschalig, nicht, wie man gewollt hat, wohlschmeckend),
80 wird man nicht anstehen, auch hier den das Dach beschattenden
Kastanienbaum vorauszusetzen. Auf jeden Fall kann bei dem Mangel
fester Namen an eine allgemeine Kultur dieser Bäume in Italien zu
Plautus und Gatos Zeit nicht gedacht werden. Die Walnüsse finden
sich unter dem Namen jv^glandes schon mehrmals bei Varro und
einmal bei Cicero — da wo er erzählt, der Tyrann Dionysiu« der
ältere habe sich von seinen Töchtern den Bart mit glühenden Nuss-
schalen abbrennen lassen, Tusc. 5, 20, 28 — , der Eitötanien er-
wähnt zuerst Yergil, in der so eben angeführten Stelle und Ecl.
2,52:
Castaneaeqae nuces mea quas Amaryllis amabat^
der amygdala Ovid, Art. amat. 3, 183:
Nee glandeSy Amaryllif tuae nee amygdala desunt,
die amygdala amara und dulcia finden sich so bezeichnet zuerst bei
Scribonius Largus in dessen compositiones medicamentorum vor der
Mitte des ersten Jahrhunderts nach Ghr Von da an waren die
Bäume sowohl als die Namen in Italien so eingebürgert wie noch
heut zu Tage die nod^ mandorle^ castagne. In allen Gärten stehen
die Mandelbäumchen bei mildem Wetter schon im Januar, sonst
aber im Februar und März, ehe noch die Blätter hervorgekommen
sind, in ihrem schneeigen Blütenschmuck da, die Nussbäume be-
schatten mit ihrem dichten aromatischen Laube die Wege selbst in
Deutschland^ und die Kastanien haben in Italien, Spanien und einem
Theile Frankreichs sogar zu wirklichen Wäldern sich vermehrt, die
je nach der geographischen Breite in hohem oder tiefem Zonen die
Berge, z. B. in prachtvollen Exemplaren den Kegel des Aetna, um-
gürten. So sehr sind die Früchte der letzteren zur allgemeinen
Yolksnahrung geworden, dass man in Frankreich die Trägheit der
Gorsen ihren Kastanien zugeschrieben und deshalb den Untergang
dieser Bäume gewünscht hat — wie die Banane den Tropenmenschen
faul macht. In der That — besitzt eine korsische Familie nur zwei
Dutzend Kastanienbäume, dazu eine Heerde Ziegen, die das ganze
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Mandeln. WalnQsse. Kastanien. 323
Jahr hindurch firei weidet, so sind alle Bedürfnisse gedeckt, und der
Wunsch des Vaters und jedes der Söhne geht nur noch auf Erwerb
eines Summchens, um damit eine — Flinte zu kaufen. Auch im
rauhen italienischen Apennin lebt der Gebirgsbewohner, da wo der
Ackerbau unmöglich oder unergiebig geworden ist, einen grossen
Theil des Jahres von Kastanien und Eastanienmehl und geräth in
grosse Noth, wenn einmal in einem ungünstigen Jahr die Ernte
spärlich ausfällt. Ausser den Früchten giebt der Eastanienbaum in
der heissen Zeit auch Schatten und Kühlung und das Holz dient
nicht bloss zur Feuerung, sondern auch zu Werkzeugen und Geräthen
jeder Art. So gehört dieser Baum zu den allerwichtigsten Erwer-
bungen der Kultur, die uns das Alterthum hinterlassen hat. Auf
die Botaniker pflegt freilich die Kastanie in Südeuropa den Eindruck
emes dort yon Urbeginn einheimischen Gewächses zu machen. So
lasst z. B. Link, der ein Torzüglicher Kenner des europäischen Südens
gewesen sein soll, die ersten Menschengeschlechter in Europa, noch
vor der Epoche des Hirtenlebens, Ton dieser Frucht sich hauptsäch-
lich nähren (die Urwelt und das Alterthum, 1, 355 — 361). Allein
dem widerspricht schon der Umstand, dass weder die Griechen noch
die Römer für den Kastanienbaum und seine Frucht einen indivi-
duellen Namen haben. Vielmehr waren Himmel und Boden in den
Gebirgen Süd- und zum Theil Mitteleuropas für diesen Baum so
günstig, dass er sich rasch verbreitete, der Hand des Menschen sich
entzog und in weiten Strecken zum Waldbaume wurde. Der Fall
ist durchaus nicht der einzige dieser Art. So wurden nach der Er-
oberung Teneriffas durch die Spanier am Ende des 15. Jahrhunderts
Kastanien auf dieser Insel angepflanzt und „bilden dort jetzt einen
Wald, der fast nur durch europäische Blumen, die er beschützt, seinen
europäischen Ursprung verräth" (L. v. Buch, Ueber die Flora auf
den kanarischen Inseln, Abhandl. der Berliner Akademie, 1816—1817,
S. 351.) Man vergesse nicht, dass seit der vorausgesetzten Einführung
dieses Baumes zweitausend Jahr und mehr verflossen sind. Nach
eben so langer Zeit wird Amerika in noch grösserem Massstabe
ahnliche Erscheinungen bieten. Auch würden die Griechen, wenn
sie in ihrem Lande den Kastanienbaum vorgefunden hätten, seiner
Frucht gewiss in ihren kulturgeschichtlichen Sagen erwähnen. Wir
hören aber immer nur von den Eicheln der dQvg^ der Speiseeiche,
und die ersten Menschen, wie die wilden Arkader in ihren Bergen
und Wäldern, werden immer nur als Eichelesser, ßalavrjqxiyoty be-
zeichnet, selbst durch Göttermund, Orakel bei Herod. 1, 66:
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324 Mandeln. Kastanien. Walnüsse.
noXlot iv ^AQxadirj ßaXavrjipa'yoi avdgeg eaaiv.
Würde Hesiodas in der schonen Stelle der Werke und Tage, wo er
das Gedeihen preist, das Friede und Recht über die Mensche
bringen, 232:
Ihnen gewährt viel Nahrung die £rd\ im Gebirge die Eiche
Trägt hoch oben die Eicheln und mehr zur Mitte die Bienen,
Reichlich beschwert sich das Schaf zur Schvn mit wolligem Yliesse —
würde er die Kastanien yergessen haben, wenn sie damals schon in
den Bergen wachsen und ihre süsse Frucht den Menschen spendeten?
Würden sich dann die lateinischen Dichter, wenn sie das goldene
Zeitalter schildern, nur auf Arbutusfirüchte, Erdbeeren, Comelkirschen,
Brombeeren und Eicheln beschränken, z. B. Ov. Met 1, 103 :
Contentique cibis nullo cogente ereaUs
ÄrbiUeos fetu8 mofdanaque fraga legebant^
Comaque et in duris haerentia mora rubetis
Et quae deciderant patula Jovis arbore glandes —?
Dass aber die Gegenden südlich vom Kaukasus und der Nordrand
von Kleinasien alle Arten Nüsse und Kastanien in höchster Fülle und
Vollkommenheit hervorbringen, darüber sind ältere wie neuere Rei-
sende einstimmig. Kolenati sah in Armenien fiaselnussbäume, deren
Stamm zwei bis drei Fuss Durchmesser hatte; Wutzer, Keise in den
Orient, 11, 151, traf auf dem Wege von Nicaa nach Brossa Platanen
und Kastanien, deren Grösse ihn in Erstaunen setzte: „beide Bäume
bilden die Riesen der Vegetation Westasiens, in welcher die Platane
den ersten, die Kastanie den zweiten Platz einnimmt — Es war die
Zeit der Kastanienemte, weshalb denn zahlreiche mit Säcken be-
ladene Esel umherstanden, um die Früchte aufzunehmen, welche
Männer und Knaben von den hohen Bäumen herabholten, während
Frauen sie aufhoben und verpackten. Die glühenden Sonnenstrahlen
bemühten sich vergebens, das gewaltige Laubdach zu durchdringen''.
Von diesen Gegenden kamen die Kastanien auf dem Landwege über
Thrakien, Makedonien und Thessalien nach Euböa, nach welcher
Insel sie in Athen zu Theophrasts Zeit euböische Nüsse hiessen.
Heut zu Tage sind die griechischen Kastanien klein und meist mil
der den Kern umgebenden bittern Schale durch- und verwachsen und
daher nicht angenehm zu essen (nach Fiedler). Die besten durch
Kultur veredelten Kastanien liefert von den europäischen Ländern
letzt das südliche Frankreichs^).
Die wilde oder sogenannte Rosskastanie, aesculus hippocastor
num L,y gehört zu den Gewächsen, deren Verbreitung Europa den
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Der Kirschbaum. 325
Törken verdankt. Der schöne, schattige, im Frühling unter den
erstai sich belaubende Baum kam gegen Ende des sechszehnten
Ji^hunderts über Wien aus Eonstantinopel und inurde bald in Gärten
nod auf öffentlichen Spaziergängen beliebt — man erinnere sich nur
Jer Ejistanien des Tuileriengartens und unter ihnen des berühmten
Ntpoleon-Baumes. Die aufrecht stehende stolz prangende Blüte ent-
sprach, wie die Tulpe, dem türkischen Geschmack; der prosaische
Name Rosskastanie soll Ton der türkischen Gewohnheit stammen den
Hasten der Pferde mit der Frucht des Baumes zu curiren.
Der Kirschbaum.
(prunus ceroBW L.^
Das6 die Kirschen, die Lust der Knaben und der Vögel, von
dem reichen Lucullus, dem Sieger über Mithridates, nach Europa
gebracht worden, das weiss auch jeder Knabe aus der römischen Ge-
schichte, obgleich ihm yor dem vollen Korbe mit den süssen rothen
Beeren die Sache so gleichgültig ist, wie dem naschenden Sperling
aof dem Baum. In der That melden von Plinius an verschiedene
Gewährsmanner, dass nach Zerstörung der Stadt Cerasus, die an der
pontischen Küste zwischen Sinope und Trapezunt lag, der römische
Feldherr, L. Lucullus, aus der Umgegend derselben den Kirschbaum
nach Italien verpflanzt habe — jedenfalls eine kostbarere und länger
dauernde Kriegsbeute, als das sechs Fuss hohe goldeue Kolossalbild
des Mithridates und der gemmenbesetzte Schild und die vielen gol-
denen und silbernen Gefässe^ mit denen Lucullus seineu Triumph
zierte. Wo Plinius seine Angabe her hat, wissen wir nicht; Plutarch
im Leben des Lucullus, der doch eine Meuge Einzelheiten gesammelt
hat, schweigt über die durch seinen Helden geschehene Einführung
einer neuen Obstgattung. Indessen stimmt mit der Nachricht des
Erstem gut überein, dass die Kirsche bei Cato ganz fehlt, bei Varro
nor einmal genannt wird und bei den Spätem häufig ist. Eine
völlig neue Entdeckung war die Frucht freilich auch zu Lucullus
Zeit nicht. Erstens wird bei Athenäus 2, p. 51 eine Stelle aus den
Schriften des -Diphilus von Siphnus, eines Zeitgenossen des Königs
Lysimachns, dessen Reich sich auch über Yorderasien erstreckte,
angeführt, in der die diätetischen Eigenschaften der Kirschen, tct
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326 ^^^ Kirschbaum.
xegaaia^ erörtert werden, mit dem Beifögen, die rötheren und die
milesischen verdienten den Yorzug. Zweitens besass auch Italien
einen einheimischen Verwandten des Baumes, prunus avium Z/., der
bei den Alten Ton dem Comelkirschenbaum, comus maacula L., nicht
unterschieden wird, dessen Früchte aber in Europa bisher nicht ver-
edelt waren und sich dort vielleicht auch nicht veredeln liessen.
Daher Servius ad Yerg. G. 2, 18 ganz richtig bemerkt: hoc caUem
eüam ante Lucuüum erat in Italia, sed durwm^ et comum appellabatur.
Diese wilde Süsskirsche, zusammen mit der Komellenkirsche und
dem Hartriegel, wird bei Theophrast h. pl. 3, 12 unter dem Namen
der männlichen und weiblichen xQaveia beschrieben: die männUche
hat sehr hartes Holz, die weibliche weicheres; die Bewohner des
troischen Idagebirges sagen 7on der weiblichen, sie trage Fracht;
diese letztere ist essbar, säss und duftend; die Macedonier da-
gegen behaupten^ beide Geschlechter seien fruchttragend, die weib-
liche Frucht aber nicht essbar. Solche auf kleinasiatischem Boden
am Idagebirge und bei Milet zur Zeit des Königs Lysimachus bereits
veredelte Süsskirschen mögen auch die xegaaia desDiphilusSiphnius, —
diejenigen aber, die Lucullus im Reiche Pontus kennen lernte und
mit denen er Italien beschenkte, eine edlere, grössere, saftreichere
Art Sauerkirsche gewesen sein. Beide Hauptarten wurden, nachdem
diese Frucht einmal bekannt und beliebt geworden, rasch vermehrt,
aus Asien, das sich bald darauf völlig aufschloss, vielfach bezogen,
auf die einheimischen wilden Bäume gepfropft und eine Menge Varie-
täten, darunter die allerköstlichsten und feinsten, erzeugt. Ein be-
sonderer Vorzug der Kirsche war es, dass sie so fruhe^ schon mitten
im Sommer, reifte und in der heissen Zeit ihren erfrischenden Saft
spendete, wenn die übrigen Früchte noch im Rückstande waren. Als
aus dem Pontus, einer Gegend mit harten Wintern, stammend und
in gemeinem Arten sogar im südlichen Europa einheimisch, konnte
dieser Fruchtbaum auch durch das ganze mittlere Europa, bis in den
Norden des Welttheils hinein, weiter wandern. Wirklich war die
Kirsche zu Plinius Zeit, hundert zwanzig Jahr, nachdem sie zuerst
in Italien erschienen^ schon über den Ocean nach Britannien gegangen
(Plin. 15, 102); sie wuchs an den Ufern des Rheins; in Belgien gab
man der nach Lusitanien benannten Sorte den Vorzug, in welchem
letzteren Lande sie also gleichfalls vorkam und schon eine eigene
Spielart gebildet hatte. Ja, in den Alpen und jenseits der Alpen
in den ehemaligen Barbarenländem trägt der Baum aromatischere
Früchte, als an den Gestaden des Mittelmeers, wo ihm unter Ein-
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Der Einchbaiun. 327
wirkniig der See das Elima zu gleichmässig milde ist, Plin. 104:
ßeptentrione frigidüque gaudet. Tyrol, die Schweiz, der Oberrhein
sind jetzt ein reicher Eirschenbezirk, in welchem es dem Baume be-
sonders wohl ist. Wie in der Schweiz aas dem Ueberfloss dieser
Ernte das bekannte Eirschwasser destillirt wird, so in Dalmatien,
Triest, Venedig aas der marasca d. h. der Saaerkirsche der marc^
9ckino rosoUo^ der an Feinheit seine angarisch-serbische Nachbarin,
die Pflaamen-SliYOvica, übertrifft.
Entsprechend den beiden earopäischen Haaptarten der Eirsche,
der süssen and der saaero, gehen darch die europäischen Sprachen
zwei Hauptnamen für diese Frucht. Das lateinische cerams, grie-
chische xigaaog^ x8Qaa6c^ ist, wie zuerst Casaabonus einsah, nicht
Ton der sinopischen Eolonie Kagaootg hergenommen, sondern die
Stadt Tieimehr nach dem Namen des dort wachsenden Baumes be-
nannt Kigaaog scheint nur die kleinasiatische Form für das eigent-
Kch griechische xgdvBia (schon homerisch), lat. comusy welche Wörter
niit xeQag nnd comu genau verwandt sind und den Baum nach der
homartigen Härte des Holzes, die es zu Wurfspeeren besonders ge-
eignet machte, bezeichnen. Man beachte die Schilderung des Theo-
phrast, h. pl. 3, 12, 1: „das Holz der xQavsia ist ohne Mark und
ganz fest, an Dichtigkeit und Stärke dem Home ähnlich; das der
weiblichen xQavsia aber hat ein inneres Mark und ist weicher und
ausgehöhlt und taugt daher nicht zu Speejren.^ Im homerischen
Hymnus an den Hermes 460 erhält der Speer das Prädikat xQaviiov,
ja fj KQavBia hiess später ohne Weiteres die Lanze. (Da merkwür-
diger Weise auch im Litauischen ragötine der Speer von rdgas Hörn
abgeleitet ist, so muss der Speer aus dem Hombaum oder dem
Hartriegel eine sehr alte europäische Waffe sein. Auch der deutsche
Homung; lit raguttis^ ist nach der in diesem Monat festgefrorenen
Erde so benannt). Theophrast kennt auch den Namen xegaoog^ h.
pL 3, 13; 4, 15, 1; 9, 1, 2; aber aus seiner Beschreibung geht hervor,
dass er einen Waldbaum meinte, dessen Bast zu Stricken verwendet,
dessen bohnengrosse rothe Früchte mit weichem Kern aber, wie es
scheint, nicht essbar waren. Bei den Griechen am Pontus hiess die
edle Eirsche, die ja gleichfalls ein Baum mit rothen B'rüchten war,
niqaaog^ und von da ging der Name mit dem Baume nach Italien
über, von Italien ins transalpinische Europa. Die romanischen
Sprachen bildeten ihr Wort, wie gewöhnlich, aus dem Adjectiv ceraseus
(die Formen bei Diez, 1, 129); das deutsche Eirsche ist nicht aus
dem Romanischen, sondern unmittelbar aus dem Lateinischen ge-
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328 Arbntas. Medica. Cytigas.
nommen, folglich zur Zeit der Yölkerwanderang oder bald nachher;
das slavische irjemja wurde seit der Einwaoderang der Slayen in
das Donaugebiet aus dem Deutschen entlehnt (wie auch das ans
dem deutschen Pluralzeichen entstandene n lehrt — gleich dem deut-
schen Femininum aus dem lat. cerasay Wackemagel, Umdeutschung,
S. 42), das magyarische tseresznye wieder aus dem Slavischen; das
byzantinische x^paaog ging in das Türkische, Persische, Kurdische
u. s. w. über. — Dunkler ist die Herkunft des andern durch ganz
Europa verbreiteten Namens der Kirsche, besonders der sauren:
ital. visciolüy altfranz. guüne^ jetzt guigne^ span. guinda; deutsdi
Weichsel, ahd. tmksela; slav. vUnja^ vünt^ lit. vysznoy neugr. ßiaipfop,
ßiaivov (auch walachisch, albanesisch, türkisch) — lauter Formen
desselben Wortes, ohne regelmässige Lautvertretung. Liesse sich
irgend ein BegrifGszusammenhang zwischen den Kirschen und den
Beeren der Mistel aufweisen, oder vielmehr, — da ein solcher wohl
herzustellen wäre — , versicherte uns irgend ein Factum, dass er reell
geltend geworden, so wäre nicht bloss durch das griech. l^og (mit
Digamma), lat. viscus^ vtscumy eine Erklärung des Wortes gefunden,
sondern auch die naturgemässe Herkunft der Frucht aus Italien durch
den Namen bestätigt Will man das deutsche Wort an die Spitze
stellen, wozu der franzosische und spanische Anlaut gu einladet, so
ist zunächst der inlautende Ghittural als jüngeres Element zu ent-
fernen: er fand sich vor sl^ wie im Flussnamen Weichsel (VüUda,
Vkulüy slav. Visld) ein, während im niederdeutschen Wispelbaum
(Vogelkirsche, Bremisches Wörterb.) durch Einfügung eines p ein
deutscher Klang hervorgebracht wurde ^®): In einem Fragment des
Komikers Amphis wird die Frucht der xgaveia oder des Comel-
kirschenbaumes fiianilov genannt, Mein. ft. com. gr. 3, 318:
6 avxafiivog avxdfiiv^ ^Q^Q^ g>0Q€iy
6 ngivog axvXovg, 6 xofiagog fitfiaixvla^
xgaveia fiianiXa.
Wir wissen nicht, ob dies auf eine Spur führen kann.
Arbutus. Medica. Cytisus.
Dem heissen, gebirgigen Süden sind die blumenreichen Wiesen
des Nordens und die grünen Matten der Hochalpen versagt: ihre
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Arbutns. Medica. Cytisns. 329
Stelle Yertritt die immergrüne Strauchvegetation, die, nachdem der
Wald längst der Eultor gewichen, die Verberge, die felsigen Küsten,
die Rander der Schlachten and Wasserrinnen bekleidet. Von einem
der schönsten Bäumchen dieser Region, dem fjrdbeerbaum^ arbutua
unedo L^ wissen wir nicht, ob er immer da gewesen oder mit den
Mensdien von Südosten her eingewandert. Mit lorbeerartigen Blättern,
den Erdbeeren ähnlichen, erst grünen, dann allmählig gelb and roth
sich färbenden Früchten, die er wie der Citronenbaum gleichzeitig
mit den Blüten an seinen Zweigen trägt, mit ewig sich emeuemdem
Laabe, dessen gleichmässiges Schwinden und Spriessen schon Theo-
phrast h. pl. 1, 9, 3 richtig beobachtet hat, — geht der Baum über
das mittlere Italien nicht gern nach Norden hinaus, entwickelt aber,
wie Juba bei Plinius 15, 99 übertreibend behauptet, in Arabien einen
Wuchs von 50 Ellen. Varro indess 2, 1, 4 rechnet die Arbutusfrucht,
wie Eicheln, Brombeeren und poma (Aepfel oder Beeren), zu den
Nahrungsmitteln der Urwelt, also zu den Früchten, die die jungfräu-
liche Erde selbst darbot: qucie inviolata ultra ferret terra^ und die
folglich nicht erst die Kultur erzogen und verbreitet hat. Und eben
80 thut Ovid in der oben S. 324 aus dem ersten Buch der Metamor-
phosen angeführten Stelle. Jetzt gilt die Frucht sowohl in Griechen-
land als in Italien für ungesund und betäubend, und man überlässt
sie den Yögeln, für die sie den gesuchtesten Leckerbissen bildet;
dies populäre Yorurtheil theilten schon die Spätem unter den Alten,
80 bereits Dioscorides 1, 175. Theophrast (s. unten) nennt sie ohne
Vorbehalt essbar; nach Galen, de alim. fac. 2, 38 pflegten Landleute
sie zu gemessen: tä fiifiaixvXa sad-iovai avvrii^(aq oi xaza zovg
aygohg^ und heut zu Tage ist sie von Nordländern oft ohne Schaden
gegessen worden (z. B. Fetter, Dalmatien, Gotha 1857, 1, S. 76:
»idi habe mit meiner Familie die schönen rothen Beeren des Erd-
beerbaumes oft genossen, mit Wein, Zucker und Zimmt zubereitet,
wie man es in meiner Heimath mit den Erdbeeren machte aber keine
betäubenden Eigenschaften wahrgenommen^). — Die Verschiedenheit
der Benennung bei Griechen und Römern erlaubt übrigens den Schluss,
dass in dem Lande^ wo der griechische und der italische Urstamm
sich trennten, um verschiedene Wanderrichtungen einzuschlagen, der
Erdbeerbaum nicht wuchs. Das lateinische arbutus, arbutmn schliesst
sich sichtlich an a/rboe^ a/rbustum an ; das griechische xofiagog erklärt
Benfey durch gewunden, kriechend, was aber zu der Natur des
Baumes nicht passt; nach Fick^ 33 wäre es ein uralter indoeuro-
päischer Pflanzenname. Der Name der Frucht fiifAaixvlov (mit Ya-
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330 Arbutas. Medica. Cytisus.
rianten der Schreibart) kommt zuerst bei Aristophanes vor, Athen.
2. p. 50 (nach Meinekes Correctur):
iv toig ÖQBOiv d' avTOfidz^ avrälg jct ^tfiaixvX* iq>v€To nolla^
dann aach bei Theophr. h. pl. 3, 16, 4: 17 de xofnaQog^ 1} ro /ue-
fiaixvlov (fiqovaa %6 idtidi/nov — nach Benfey 1, 219 eine Zusammen-
setzang von juifii- mit axvlog die essbare Eichel. Wir deuten lieber
Winterfrucht (fiaifidaao}^ fiaifidxtijgy fiaifiaxmjgia)^ Lucret
5, 940:
quae nunc hiberno tempore cemis
Arbuta puniceo fieri matura colore.
Auch arhutus andrachne Z/., avdqdxkri^ war den Alten bekannt —
wohl so viel als der Strauch, der eine gute Eohle^ av^gaE^ giebt.
In jenen immergrünen saltus fand die Heerde des Ackerbauers
zur Noth eine genügende Nahrung; da dieselben aber nicht überall
nahe lagen, mnssten die Alten darauf verfallen, das Laub der im
Garten gepflanzten Bäume abzustreifen und neben der theuren Eom-
und Mehlnahrung zur Fütterung der Hausthiere zu verwenden. Esel
und Ziegen hatten, so zu sagen, Anleitung dazu gegeben; der Esel
verzehrte Alles, was abseits wuchs, es mochte noch so stachlicht,
hart und klebrig sein, und die Ziege ging mit Vorliebe den jungen
Blättern der Sträucher und Bäumchen nach. So wurden die Zweige,
die bei Schneitelung des Oelbaumes und des Weinstocks abfielen,
denXhieren vorgeworfen und im Herbste das welke Laub gesammelt
und zum Unterhalt des Viehes benutzt Da dies nicht ausreichte,
so erfolgte der weitere Schritt, die Ränder der Aecker und die
Gräben und Wege einfach und doppelt mit Reihen von Bäumen za
bepflanzen^ die zugleich Holz zur Feuerung und zu ländlichen Werk-
zeugen und ihr Laub zur Nahrung des Viehes und zur Streu ab-
gaben. So führte die südliche Form des Ackerbaus zu Laub-
fütterung und Forstgärtnerei. Schon Cato 30 ertheilt die dem
Ohr des nordischen Landwirthes seltsam klingende Vorschrift: Gieb
dem Ochsen Laub von Ulmen, Pappeln, Eichen und Feigenbäumen,
so lange du davon hast; den Schafen gieb grünes Baumlaub, so lange
du solches hast u. s. w., und 54, 2 wiederholt er: Hast du kein
Heu, so gieb dem Ochsen Eichen- und Epheublätter. Auch bei den
spätem landwirthschaftlichen Schriftstellern wird diese Art Füttenmg
so ofi erwähnt und vorausgesetzt, dass sich an ihrer Allgemeinheit
nicht zweifeln lässt. An diesem Punkte sehen wir besonders deutlich^
vrie sehr die sudlich-antike Bodenwirthschaft von der neuem in nor-
dischen Breiten sich unterschied und noch unterscheidet; die letztere,
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Arbutos. Medioa. Cjüsiis. 331
die grösseren Raum hat, nimmt die Gaben aus der Hand der Natur
mehr direct entgegen, die erstere verdankt Alles sich selbst und
lebt wie in einer zweiten^ selbstgeschaffenen Welt, Yon der aus ge*
sehen die rohe Natur in unabsehbar weiter Feme liegt. Auch die
Alten aber mussten bemerken, dass nicht jedes Baumlaub geeignet
war, den Pflugstier kräftig, das Schlachtvieh fett, die Milchkuh er-
giebig zu machen, und dies gab Anlass, Futterpflanzen, die diesem
Zwecke besser entsprachen, aus dem Orient einzufahren. Eine solche
Erwerbung waren die medica oder Luzerne und der cytisus^ die Cato
beide noch nicht kennt, Varro aber erwähnt und die also in der
Zwischenzeit von der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Chr. bis
nach der Mitte des ersten Jahrhunderts in Italien verbreitet wurden.
Die fii]dixTJ noa oder firjöixrj^ lat. medica^ medicago sativa L., stammte,
wie der Name sagt, aus Medien, aus den wohlbewässerten, mit
üppigem Pflanzenwuchs und saftigen Triften gesegneten Landschaftien
südöstlich vom Kaukasus, vnö talg Kaanloig nvXaig^ die Strabo
ais so reizend schildert und denen er ausdrücklich die gepriesene
Staude zuweist, 11, 13, 7: xal rrv ßotdvrp^ de %^v (läXiata TQiq>ovaav
%ovg tnnovg äno tov nXeovd^eiv ivrav&a idlwg Mijdixi^v xaXovfisv,
Besonders den Pferden sollte ihr Genuss zuträglich sein, und den
Rosse züchtenden und dasRoss verehrenden Persern wird denn auch
ihre Verbreitung zugeschrieben, in genauerer Angabe den Kriegs-
zfigen des Königs Darius, Plin. 18, 144: Medica externa etiam Graeciae
esty ut a Media advecta per hella Persarum quae Darius intulit
Eine schöne Bestätigung dieser Nachrichten giebt der Name des
Lozemerklees bei den Persem aspesty wörtlich so viel als Pferdefutter
(Nöldeke in ZDMG. 32, 408), so wie die hohe Steuer, die der sasa-
nidische König Chosroes I. (Chosrau, um die Mitte des 6. christ-
Kchen Jahrhunderts) auf die Kultur dieser Pflanze legte (Nöldeke,
Geschichte der Perser und Araber zur Zeit der Sasaniden, aus der
arabischen Chronik desTabari übersetzt, Leyden 1879, S. 244 Anm.:
„bei der fiskalischen Behandlung der Luzerne muss man sich die
ungeheure Bedeutung der Pferdezucht im eigentlichen Iran ver-
gegenwärtigen.") Unter den griechischen Schriftstellern erscheint die
Lazeme zuerst bei Aristophanes und zwar gleichfalls als Pferdefutter,
Eq. 606: tjOx^iov di (ol Vnnoi) xovg nayovgovg avzi nolag fiTjöixrjg.
Aristoteles erwähnt sie wiederholt, aber in Betreff ihres Nutzens in
ziemUch abfUliger Weise : zwar sollte sie den Bienen zuträglich sein,
hist anim. 9^ 40: q)UT€veiv de avfiq>iQ€i neQi tä ö^t^vti .... noav
Mridixiji\ aber ihr erster Schnitt ist untauglich, 8, 8: rrjg di noag
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332 Arbntas. Medica. Cjtisas.
T^g Mfjdtx^g ij TtQwtoxovQog g>avXrj^ und sie entzieht den Thieren
die Milch, besonders den Wiederkäuern, 3, 21 : ttjq di TQoq>^g f
fiiv aßiwvai to yaXa^ xai fxakiata %oig (nrjQvxa^ovaiy. In Italien
war das Urtheil in so fem ein anderes, als wenigstens die Schafe
durch Futterung mit der Medica reicheren Ertrag an Milch geben
sollten, Yarr. 2, 2, 19: maxime amicum cyimtm et medica, nam et
pingues facit facüUme (oves) et genit lac. Im folgenden Jahrhundert
ist Columella über diese Futterpflanze des Lobes voll, 2, 10, 25:
ex iü (pcJnäorum generibus), quae pldcet^ eximxa est herba Medica,
quod cum semel serituVy decem annis durat; quod per annum demde
rede quater^ interdum etiam sexies demetitur; quod agrum stercarat;
quod omne emaciatum amnentum ex ea pinguescit; quod aegrotanti
pecori remedium est; quod jugeru/m ejus toto armo tribus equis abunde
suffidt Da sie also perennirend ist, bis zu sechs Mal im Jahre ge-
mäht werden kann, den Acker nicht erschöpft, sondern befruchtet,
das gesunde Vieh fett macht, das kranke heilt und von einem Morgen
Medica drei Pferde das ganze Jahr erhalten werden können — wie
sollte sie nicht eifrig angebaut worden sein, besonders in den Ter-
brannten, im Sommer wasserlosen Gebirgsgegenden, wo noch f6r dsB
kletternde Schaf, nicht aber für das Pferd und den Ochsen genügende
frische Nahrung sich feuid. Die Staude, die, weil sie die Wurzeln
sehr tief treibt, die Trockenheit nicht scheut, wird auch jetzt noch
in Italien angebaut, doch viel seltener, als im Alterthum; die Namen,
die ihr ausser medica je nach den Landschaften gegeben werden,
erba spagnay ßeno d^üngheria^ scheinen auf eine abermalige Einführung
in neuerer Zeit zu deuten. Das spanische mielga ist nur eine Ent-
stellung aus medica, das gleichfalls spanische cdfalfa stammt aus dem
Arabischen, ist aber vielleicht eine andere Pflanze. Das französische
luzeme^ das auch in die deutsche Sprache übergegangen ist, proven-
^alische lauzerdo ist etjrmologisch dunkel, denn die Herkunft aus
dem Schweizer Kanton Lucem oder dem piemontesischen Oertchen
und Flüsschen Luzema oder Ijuseme wird, so viel wir wissen, dorch
kein historisches Zeugniss belegt. Der, wie es scheint, von Belgien
ausgegangene Kleebau mag in Nordeuropa der medicago satica
hinderlich gewesen sein. — Der cytisus^ Medicago arborea Z/., ist ein
Strauch, dessen Laub als den Hausthieren erwönscht und heilsam
von Dichtem und technischen Schriftstellern des Alterthums ein-
stimmig gepriesen wird. Wie der Maulbeerbaum in den Seidebeziiken
und der Tbeestrauch in China, ward er nur seiner Blätter wegen g^
baut und musste sich gefallen lassen, derselben in regelmässigen
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Arbntns. Medica. Cjtistis. 33S
Fristen grausam beraabt za werden. Man köpfte ihn und zog ihn
niedrig und benatzte also vorzugsweise den inuner erneuten Stock*
aosschlag. Nicht bloss dem eigentlichen Yieh, auch den Hdhnem
and Bienen war er zuträglich und die specifische Wirkung auf Ver-
mehrung der Milch so augenfällig, dass selbst säugenden mensch-
lichen Müttern ein Decoct aus Cytisusblättem mit Wein eingegeben
and das Kind dadurch gestärkt und sein Wuchs befördert wurde.
Acht Monat lieferte der Baum den Thieren grünes Futter, den Rest
des Jahres noch gute Nahrung in getrockneter Gestalt. Dabei sollte
diese Kultur nur geringe Kosten machen, die Pflanze selbst mit dem
magersten Boden sich begnügen und gegen alle Witterung und die
Unbilden excessiven Klimas unempfindlich sein. So etwa drücken
sich Cohunella 5, 12 und Plinius 13, 130 ff. aus, wobei der letztere
noch hinzusetzt, es sei um so mehr zu verwundern, dass der Cytisua
in Italien nicht noch häufiger sei. Zu allererst sollte der Strauch auf
der Insel Kythnos, einer der Cycladen, aufgetreten, von dort auf die
übrigen Inseln, dann auf das griechische Festland und nach Italien
übergegangen sein. Ob er auch nach Kythnos von anderswo ge-
kommen, darüber fehlte die Nachricht; in wie frühe Zeit die erste
Benutzung und die Verbreitung fiel, wird nicht gemeldet. Das Wort
•xvnaog kommt in einer der pseudo-hippokrateischen Schriften (de
vietus ratione 2, 64. T. III, p. 447 Emierim) vor, deren Zeit wir
nicht bestimmen können, dann mit Sicherheit bei den komischen
Dichtem Cratinus (in dem Fragment, das die Blumen, die zu Kränzen
dienen, aufzahlt) und Eupolis (in dem berühmten Ziegenchor). Ari-
stoteles und Theophrast nennen den Cytisus, ein Athener Amphi-
lochus hatte über ihn und die Medica eine eigene Schrift geschrieben
(Plin. 18, 144 und jetzt auch 13, 130. Schol. Nie. Ther. 617), aber
wann er lebte, wissen wir nicht. Wenn auch aus Democritus ein
Ausspruch über den Cytisus angeführt wird, so führt dies auf kein
höheres Alter, denn die landwirthschaftlichen Schriften, die unter
dem Namen des berühmten Philosophen gingen, waren spätere Fäl-
schungen. Ob nicht die Insel Kythnos durch eine Art etymologischer
Sage zur ersten Heimat dieses Strauches oder seiner Kultur ge-
worden ist? Das griechische xvTioog (lateinisch auch als Neutrum
cytmMUy aus dem Accusativ xvtioov) sieht wie ein einheimisches
Wort aus und mag mit x6%tvog der wilde Oelbaum und lat. cotirmSy
rhm cotinus L., verwandt sein; es könnte auch aus einer der Sprachen
oder Mundarten Kleinasiens stammen, etwa wie xigaaog im Yer-
hältniss zu xgaveia und comua. In der neuem Landwirthschaft
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334 Der Oleander.
spielt der Straucb, so viel uds bekannt ist, keine Rolle mehr, bildet
aber eine Zierpflanze unserer Gärten. In den Lobsprücben, die ihm
die Römer ertheilten, darin dem Vorgang der Griechen folgend,
drückt sich wohl nur die Freude an dem neuerfundenen Futterbau
überhaupt und dessen überraschend wohlthätigem und nachhaltigem
Einfluss auf das Gedeihen der ganaen Wirthschafi aus.
Der Oleander.
(nerium oUander L.)
Der Oleander oder Lorbeerrosenbaum schmückt jetzt in Griechen-
land und Italien nicht bloss die Gärten, sondern begleitet auch die
Wege und die trockenen Betten der Flüsse mit seinen rosenartigen,
lieblich duftenden Blüten und dem fablen Glänze seiner länglichen
immergrünen Blätter. Wie so manche andere Pflanze dieser Gegenden
schwebt er mitten inne zwischen dem Kultur- und dem wilden
Stande d. h. einmal herübergebracht, wusste er sich selbst zu helfen
und nahm den Schein eines freien Naturkindes an. So fand ihn
schon Plinius; auf den ersten Blick mochte er das Bäumchen for
eingeboren in Italien halten, aber als er sich auf den Namen besann,
der ein griechischer ist, rhododendron^ Rosenbaum, oder hododnphne,
Rosenlorbeer, erkannte er wohl, dass er einen Fremdling zunächst
aus Griechenland vor sich hatte, 16,79: rhododendron^ ut nomine adr
paret^ a Graecis venit; alii nerium vocarunt, aUi rhododaphnen, sempi-
temum fronde^ rosae simüitudine^ caulibtis fruficosum; jumeni^ capm-
qu£ et ovibits venenum est^ idem homini contra serpentium venena re-
medio. Auch der Zeitgenosse des Plinius, der Arzt Dioscorides,
kennt und beschreibt den Strauch genau, der als giftig zugleich einen
wirksamen Arzneistoff und, wie der eigentliche Lorbeer und vorzüg-
lich die Raute, ein Heilmittel gegen Schlangenbiss abgab, 4, 82:
y^vijQiov^ oder ^ododd(pvrj^ oder ^odoÖBvdQOv, Ein bekannter Strauch,
der längere und dickere Blätter hat, als der Mandelbaum" — (folgt
die weitere Beschreibung, dann:) „er wächst in Paradiesen und in
Ufergegenden und an den Flüssen; seine Blüten und Blätter wirken
schädlich auf Hunde und Esel und Maulthiere und die meisten Vier-
füssler, den Menschen aber sind sie, mit Wein getrunken, heilsam
gegen denBiss vonXhieren, besonders wenn man Raute hinzumengt;
kleinere Thiere aber, wie Ziegen und Schafe, sterben, wenn sie einen
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Der Oleander.. 335
Anfgoss davon trinken.^ Dass der Oleander den Thieren verderblich
sei, war eine allgemeine Meinung, die noch jetzt herrscht. Palladias
1,35,9 erwähnt selbst eines Mittels die Mäuse damit zu vertilgen,
indem man nämlich deren Gänge und Löcher mit Blättern dieses
Baumes verstopft, und die bei Lucian in der lächerlichen Geschichte
Tom verwandelten Esel, der hungrig in einen Garten bricht, Asin. 17,
ausgedrückte Furcht vor den dort wachsenden Oleandern liegt noch
dem heut zu Tage in Süditalien gebräuchlichen Namen amazza
fasmo, Eselsmörder, als Yolksmeinung zu Grunde. In der römischen
Kaiserzeit also ist der Kosenlorbeer bei den Äerzten and im gemeinen
Leben so häufig und bekannt, wie noch jetzt. Sehen wir uns bei
den älteren Griechen um, aus deren Sprache die Namen desselben
stammen, so treffen wir nirgends eine Spur von Bekanntschaft mit
dem doch so auffalligen Gewächse an. In Theophrasts beiden bo-
tanischen Werken findet sich in der langen Reihe der von ihm beob-
achteten oder auch nur vorübergehend erwähnten Pflanzen keine, die
auf den Oleander passte, denn der auf Lesbos und anderswo wach-
sende, sliivvfiog genannte Baum h. pl. 3, 18, 13, der zwar auch den
Schafen und Ziegen tödtlich ist, aber Blüten trägt wie das weisse
Veilchen, die nach Mord, qfovoVy riechen (was Plinius 13, 118 über-
setzt: festem denuntians)^ ist kein anderer als Evonymics latifolius^
der Spindelbaum. Eben so wenig stossen wir bei Aristoteles oder
einem Komiker oder sonst einem der früheren Prosaiker oder Dichter
anf eine dahin zu beziehende Notiz. Der andere griechische, zuerst
bei Plinius und Dioscorides auftretende Name viJQiov könnte uns
Terführen, der Pflanze dennoch ein hohes Alterthum in Griechenland
beizulegen; schliesst sich derselbe nämlich an das tragische vaQog^
ffjQog fliessend, an Nereus, den Wassergott, und die Nereiden, die
Göttinnen des feuchten Elements, und sagt er also soviel als Wasser-
pflanze aus, so muss er jener frühen Periode der Sprachbildung an-
gehören, aus der diese alterthümlichen Wort- und Fabelzeugen in
die jüngere Welt herabgestiegen waren. Allein, wenn der Oleander
es auch liebt, die Rinnen der Bäche und die kiesigen Schluchten, in
denen sich vorübergehend, oft nur einige Stunden lang, die wilden
Wasser hinabstürzen, von beiden Seiten in langen, blühenden Reihen
zu verfolgen, so ist er doch keine eigentliche Wasserpflanze und
ersteigt auch die Berge; und sollte die liebliche Blume mit ihrem
Mandelduft, wenn sie schon so frühe Griechenlands Landschaften
zierte, oder das den Ziegen und Eseln todbringende Laub nirgends
in Literatur und Mythus einen Widerhall gefunden haben? Von
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336 Der Oleander.
einem späten Schriftsteller, der in der zweiten Hälfte des ersten
christlichen Jahrhunderts lebte und allerlei Sagen, persönliche Vor-
fälle nnd wunderbare Zöge sammelte, dem Ptolemäns Chennus aus
Alexandrien (auszugsweise erhalten in des Photius Bibliothek), er-
fahren wir, eine Rhododaphne sei auf dem Grabe des Amycus ge-
wachsen und wer davon genoss, sei zum Faustkampf angeregt worden
(p. 148 b. Bekk.). Es ist derselbe Amycus und dasselbe Grab, von
denen schon früher bei dem Lorbeer die Rede gewesen. Was dort
dem Lorbeer zugeschrieben wurde, die Kraft die Sinne zu yerwirren
und zu Streit zu verführen, das vnrd hier dem Oleander bei-
gelegt; aber wie alt ist diese Variante, und aus welcher trüben Qaelle
mag Ptolemäus sie abgeleitet haben? — Bei all dem ist nicht on-
wahrscheinUch, dass der Baum aus Eleinasien und speziell der Pontus-
gegend, dem Vaterland der Gifte und Gegengifte, nach Griechenland
herüberwanderte. Dort lebten z. B. die Sanni, ein Volk, dessen
Honig betäubende Kraft hatte: man sachte die Ursache davon in
den Blüten der Oleanderbüsche von denen dort alle Wälder voll
waren^ Plin. 21^ 23, 45: almd ffenua in eodem PonU aüUy gente
Sannortim, meUis quod ab insania quam gignit maenomenon vacant
Id existwmatur contrahi flore rhododendri quo scatent sävae; gensqus
eOy cfwm ceram in tributa Romanis praestenty mel^ quomam eaitiale est,
non pendit^^). Noch jetzt wuchert der Oleander in ganz Kleinasien
an den Bächen und auf den Bergen; mehr nach Süden, in dem Ge-
biet der semitischen Race, trägt er bei den Arabern den sichtlich
aus dem griechischen ddg>vrj abgeleiteten Namen difleh, defte^ difnoj
ist also nicht vor der Bekanntschaft mit den Griechen dort eingefühlt
worden.
Nach Allem kann der Oleander erst in der Zeit zwischen Theo-
phrast und etwa den letzten Zeiten der römischen Republik nach
Griechenland gekommen sein, nach Italien entsprechend später. Die
älteste literarische Erwähnung wäre die in dem Vergilischen Culex^
V. 402:
Laurua item Phoebi Jürgens d€cus\ kic rhododaphne — ,
wenn wir sicher sein könnten, dass dieses Gedicht vrirklich ein Jugend-
werk dessen ist, dem es zugeschrieben ward®*). Sehen wir davon
ab, so erscheint der Name zaerst ein Jahrhundert später bei Scribonios
Largus, während er bei Oelsus noch fehlt; bald darauf ist das Ge-
wächs, wie schon bemerkt. Jedermann in Italien bekannt: zuerst
war es in den Gärten (Dioscorides: iv nagaöeiaaig) der Zierde wegen
angepflanzt worden, dann verbreitete es sich auch im freien Lande
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Die Pistftsie. 337
am 80 schneller^ als Ziegen und Esel, die Feinde aller jungen Bäom-
diCD, die nichts aafkonunen za lassen pflegen, es verschonten, und
von da an leuchten die hellrothen Oleanderrosen, Termischt mit den
sanften blaaen Bl&ten des vitea agnusy wie gewundene röthliche Band-
streifen an beiden Ufern der vom Gebirge herabkommenden Wasser-
rinnen Südeuropas. Das Yolk in Italien aber yerwandelte das ihm
schwierige griechische Wort rhododendron^ anter Anlehnung an lauruSj
allmählig in das heutige oleandrOy leandro^ das in allen Sprachen und
auch in der wissenschaftlichen Botanik gilt; nur die Neugriechen sagen
gewöhnlich nixQodaq>vri oder bittrer Lorbeer.
Die Pistazie.
(pistacia vera L.)
Die köstliche Pistaziennuss, die auch in nordischen Ländern den
Zuckerbäckern und Glaciers zu einem ihrer feinsten Ligredienzen
dient, wächst auf einem kleinen Baume mit gewflrzhaft duftenden
Blättern aus der Familie der Terebinthaceen. Sie gleicht an Grrösse
einer Haselnuss, ist länglich-dreikantig gestaltet und schliesst einen
grünen, enganliegenden, mandelartigen Kern ein. Das Yaterland des
Baumes ist das wärmere Mittelasien, sein Name scheint persisch^').
Im semitischen Syrien war er, wenn die Deutung nicht trügt, frühe
zur Zeit der Erzväter, und dann wieder ganz spät, als im Abend-
lande schon die römische Republik ins Kaiserthum umschlug, wegen
seiner Fruchte hochgeschätzt Aber da die älteren Griechen von
Pistazien nichts wissen, kann der Handel dieselben in jener früheren
Zeit noch nicht den europäischen Küsten zugeführt haben. Erst
nachdem Alexander der Grosse das Herz des Welttheils aufgeschlossen
hatte, taucht von dorther die erste Kunde von dem Baume und seinen
Nüssen auf, die die Einen der Mandel, die Anderen der Pignole
vergleichen, tmd erst in der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts
nach Chr., wird uns berichtet, brachte ein Römer die Pflanze selbst
ans Syrien nach Italien hinüber xmd gleichzeitig ein anderer nach
Spanien.
Als die Brüder Josephs, von der Hungersnoth gedrängt, zum
zweiten Mal nach Aegypten zogen, nahmen sie kostbare Geschenke
mit) den Yezir des Pharao, in dem sie ihren Bruder nicht vermutheten,
damit günstig zu stimmen. Unter den erlesenen Landesfrüchten, die
Tiet. Hehn, Koltnrpflansen. 22
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338 ^^^ Pistazie.
bei dieser Gelegenheit, Genesis 43, 11, aufgeführt werden, stehen
neben Mandeki auch batnim d. h. nach der Uebersetzung der Septua-
ginta, der Yulgata, der arabischen und syrischen: Terebinthen-
beeren; da diese aber, wenn sie auch in manchen Gegenden ge-
gessen werden, doch in keinem Falle zu den Leckerbissen gehorten,
die des Mitnehmens und Darbringens werth gewesen wären, so suchte
zuerst Bochart Geogr. sacra II, 1, 10 den Beweis zu führen, es seien
vielmehr Pistazien gemeint. Olaus Celsius im Hierobotanicon 1, 24
stimmte ihm bei, und seitdem scheint die Sache ausgemacht zu sein.
Ffin Umstand aber bleibt dabei bedenklich: dass nämlich seit Jacobs
und Josephs Zeiten der Baum wie verschollen ist, die Griechen ihn
nicht kennen und erst Theophrast, offenbar in Folge von Alezanders
Zügen, nicht von Syrien, sondern vonBaktrien her von dieser
neuen wunderbaren Art Terebinthus durch Hörensagen Kenntniss
hat. So kann man sich der Yermuthung nicht erwehren, ob nicht
erst die persische oder gar erst die griechisch-syrische Herrschaft
den Baum in die Gegend der von den syrischen Königen neu ge-
gründeten Stadt Beroea, Berroea, des heutigen Aleppo (J. Oppert,
Expedition scientif. en M^opotamie, 1. p. 39) gebracht habe. Die
Stelle des Theophrast lautet, h. pl. 4, 4, 7: „Man sagt aber, dass es
eine Terebinthe gebe oder nach Andern einen der Terebinthe ähn-
lichen Baum, bei dem zwar Blatt und Aeste und alles Uebrige tere-
binthenartig sei, nur die Frucht eine andere, denn die letztere gleiche
der MandeL Diese Terebinthe komme in Baktrien vor und trage
Nüsse wie die Mandeln und diesen an Aussehen ähnlich, nur dass
die Schale nicht rauh sei, an Geschmack aber und zum Genasse
weit vorzüglicher als die Mandeln, daher sie auch bei den Einge-
borenen mehr im Gebrauch seien" (wiederholt von Plinius 12, 25).
Die Beschreibung ist richtig, obgleich sie bloss auf einem q)aai fef-
vai ruht, der Name aber fehlt noch. Dieser erscheint erst bei Ni-
cander im folgenden Jahrhundert, aber die Pflanze wächst auch bei
diesem Dichter noch am indischen Strome des Ghoaspes, des Flusses
von Susa, Theriac. 890 :
Und wie viel nur dort an des brausend wilden Ghoaspes
Indischem Strom gleich Mandeln Pistazien tragen die Aeste.
Der erste, der der syrischen Pistazien erwähnt, ist dann, wieder
ein Jahrhundert später, der Stoiker xmd Geschichtschreiber Posi-
donius aus Apamea in Syrien, also ein Eind des Landes selbst^ bei
Athen, 14. p. 649: „In Arabien und Syrien wächst auch die Persea
und die sogenannte Pistazie (ro xalovfievoy ßiaiaxwv, also ein noch
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Die Pistazie. 339
neaer Name), welche eine tranbenförmige Fracht trägt, weissschalig
imd lang, ähnlich den Tbränen (roTg daxQvoig — so auch bei
Möller, Fragm. 6; die frühem Herausgeber haben hier äfAvyddloig
oder xagvoig vermuthet), diese sitzen wie die Weinbeeren über ein-
ander; innerlich sind sie grüulich und stehen den Pinienkemen an
Geschmack zwar nach, haben aber schöneren Duft.^ Die Späteren
wissen Alle, dass Syrien und namentlich Aleppo diese Frucht in
höchster Vollkommenheit hervorbringt; so Dioscoridos 1, 177: nioxaxia
fcr ßh yevvwfieva iv 2i}Qi(^j Sfioia azQoßiXoig^ evavofiaxa. Plin.
13, 51: Syria — peculiarü habet arbores: in ntumm genere pütacia
nota. Galen, de simpl. medic. temperamentis et £acult. 8, 21 (Tom.
12 Kühn.): maraxiov, ivJSvgiif nleiaroy yewaTaiTovvo to qpvroy.
Idem de aliment facult. 2, 30 (T. 6 Kühn.): neQt niaraxtayv. Fev^
varai xat xcträ trjv /leydlTjvltiXs^avdQeiav (der Baum war also schon
nach Aegypten verpflanzt), noXi/ nleio) d^iv BeQQoiff Ttjg Ivgiag.
Nach Europa und zwar nach Italien versetzte den Baum Vitellius,
nach Spanien zu derselben Zeit der römische Ritter Flaccus Pompejus,
PUn. 15, 91 : haec autem {pütadd) idem Vitellius in Italiam primus
intulit mmulque in Hispaniam Flaccus Pompejtis eques Ramanm qui
cum eo miUtabat; L. Vitellius, der nachher Censor wurde, war zur
Zeit des Kaisers Tiberius Legat in Syrien gewesen und hatte seine
Anwesenheit in jener Provinz dazu benutzt, mancherlei Gartenfrüchte
von dort auf sein Landgut bei der Stadt Alba zu versetzen — wie
Plinius kurz vorher 15, 83 berichtet hatte. Ob die Pistazien am
letztgenannten Orte gediehen, wird uns nicht gesagt; da aber die
Stadt Alba nicht weit vom Fuciner See, dem vor Kurzem abgelei-
teten lago die Celano, also mitten im rauhen marsischen Gebirge
liegt (der See fror, als er noch bestand, mitunter zu) und es noch
heat zu Tage der Pistazie in Nord- und Mittelitalien zu kalt ist, so
wird wohl auch L. Vitellius an diesem Theil seiner Pflanzung wenig
Freude gehabt, haben. In Galabrien und Sicilien liess sich der
Baum eher naturalisiren; dort liefert er jetzt Früchte zur Ausfuhr,
die indess für nicht so gewürzhaft gelten, wie die orientalischen. Da
die Pistazie, vrie alle Terebinthaceen, eine diöcische Pflanze ist, so
sichert auch bei ihr, vrie bei der Dattelpalme, die Hand des Gärtners
die Befruchtung, indem er die Blütenrispe des männlichen Baumes
künstlich mit der des weiblichen in Berührung bringt Sehr ge-
wöhnlich ist es, den gemeinen Terpentinbaum mit einem Pistazien-
reis zu veredeln. Ob die sicilischen Pistazien übrigens aus der Zeit
des L. Vitellius und überhaupt aus der Römerzeit oder erst aus der
22*
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340 Ber Terpeatiiibaum.
Epoche der arabischen Herrschaft stammen, könnte fraglich scheinen,
zamal da der sicilische Name fastuca dem arabischen gleicht, wenn
nicht Palladius in seinen Büchern de re rustica wiederholt über
Pflanzung und Kultur der Pistazien Unterricht gäbe. Palladius be-
sasSy wie er selbst berichtet, 4, 10, 16, Güter in Sardinien, und auf
dieser warmen Insel konnte allerdings der zärtliche medisch-syrische
Baum theilweise seine ursprüngliche Heimat wiederfinden. Wäre
der Orient nicht im Gartenbau, wie in allem Uebrigen, so tief in
Barbarei versunken, die Pistazienzucht könnte dort unter Yölkem^ die
dem Sorbette und allen Sfissigkeiten leidenschaftlich zugethan sind,
für den Pflanzer gewinnreich werden. Noch immer ist der Pistazien-
hain von Aleppo weit und breit berühmt; von Persien berichtet
Polak (Persien, 2, S. 47): „Pistazien ziehen ausschliesslich die Be-
wohner von Easwin und Damgan und zwar in unübertrefflicher
Qualität. 9 Dort also ist auch der erste Ausgangspunkt de^ Baumes
zu suchen.
Zu den Charakterpflanzen der Mittelmeerflora gehören die nahen
und entfernteren Yerwandten der Pistazie: pistacia lentis cuSj der
sog. Mastixbaum, der mehr in Form von immergrünen G^büseben
in der süditalischen Eüstenregion häufig ist, dort aber keinen Mastix
und aus seinen Beeren auch nur ein herbes, höchstens zum Brennen
dienliches Oel giebt; pistacia terebinthus^ der Terpentinbaum,
der in Italien oft seine Blätter abwirft und nur ganz im Süden ids
inmiergrüner Strauch auftritt, in Europa keinen Terpentin liefert,
auch keine essbaren Beeren trägt; rhus cotinus^ der Perrüken-
baum (warum er so heisst, weiss Jeder^ der den Baum nach der
Blüte und die einem verwirrten Haarschopf ähnlichen Rückstände
derselben gesehen hat); endlich rhus coriaria^ der eigentliche Sa-
mach, dessen Blätter in getrocknetem und gepulvertem Zustand den
vorzüglichsten Gerbestoff für feine farbige Lederarbeiten aus Ziegen-
feilen, für Saffian, Corduan, Maroquin abgeben, jetzt in Sicilien all-
gemein angebaut und einer der wichtigsten Exportartikel der Insel.
Ob diese Bäume oder Sträucher, alle balsamisch, inunergrün,
gerbstoffhaltig, der Schmuck südlicher Felsenufer, von Urbeginn zu
der europäischen Flora gehört haben oder gleich der Myrte erst an
der Hand des Menschen von Asien eingewandert und dann verwildert
sind, erscheint zweifelhaft. In Europa halten sie sich an dem wannen
südlichen Rande des Welttheils und wagen sich nicht weit nach
Norden, wie doch acht italienische Gewächse zu thun pflegen; sie
erscheinen in Strauchgestalt, während ihre Brüder in Asien zu statt-
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Der Terpentinbanin. 341
Heben Bäumen aufwachsen; sie liefern kein balsamisches Harz, keine
essbaren Früchte, kein duftendes Oel, oder nur in dem Masse, als
sie sich dem wärmer^i Asien nähern; zu ihrer EinfCLhmng konnten
ihre medicinischen Kräfte, ihr technischer Nutzen, der aromatische
Dnfl und Geschmack ihres Harzes und ihrer Beeren, endlich auch
religiöser Wahn das Motiv abgeben. Unter ihnen ist der Sumach
technisch am wichtigsten, die Terebinthe historisch am interessan-
testen. Der Terpentinbaum weist uns in die älteste Zeit nach
Persien. Die Perser sind Terebinthenesser: als Astyages, König der
Meder, auf dem Throne sitzend, erblicken musste, wie die Seinigen
Ton den Schaaren des Cyrus geschlagen vrurden, da rief er: wehel
wie tapfer sind diese terebinthenessenden Perser! Nicol. Damasc.
ed. Möller. 66, 59. p. 404: ot fini rnvg TeQiiiv&og>ayovg nigaag^ ola
agtativovat. Ael. V. H. 3, 39, die Arkader assen Eicheln, die Perser
aber Terebinthen: ßalavovg l^gxddeg.,. deinvov el^ov..., TSQfuv^ov
ÖS xai xtxQda/Aov JUgaai. Unter den für die Tafel der persischen
Könige täglich zu liefernden Artikeln, deren Betrag neben anderen
Gesetzen auf einer ehernen Säule im Palaste eingegraben stand^ findet
sich auch Terebinthenöl, Polyaen. Strat. 4, 3, 32: ilaiov and reg-
iiivdov nivre /ndgug, das also auch der König zur Speise nicht
missen wollte. Die Jugend der Perser wurde angehalten, im freien
Felde zu leben und sich von Terebinthen, Eicheln und wilden Birnen
ztt nähren, Strab. 15, 3, 18 : xai xagnoig aygioig XQfjo&ai^ T€Qfiivx^(p,
dQvoßalavoig^ ax(>adi. Terebinthen wuchsen auf dem Paropamisus:
als Alexander nach Bactriana zog, kam er durch eine furchtbare
Bergwüste; sie war ganz baumlos, Terebinthengebüsch ausgenommen,
Strab. 15, 2, 10: nlfjv teQfiivdov ^afivcidovg oXiyijg (hier Pistacta
Vera zu yerstehen, wie Sprengel zu Dioscorides und nach ihm Ritter
wollen, ist kein Grund). Zu Dioscorides Zeit lieferte der Baum vor-
zugsweise in der Region, die den Wohnplatz der semitischen Völker
bildet, das hochgeschätzte Terpentinharz, 1,91: ^das Harz dieses
Baumes kommt aus dem peträischen Arabien; er wächst aber auch
in Judäa und Syrien und Cypem und Libyen und auf den Cycladen",
und schon früher hatte Theophrast die hohen mächtigen Terebinthus-
bäome der Umgegend von Damascus mit dem niedrigen Terebinthen-
gebüsch des Idagebirges und Macedoniens in Contrast gesetzt, h. pl.
3, 15,3: „die Terebinthe ist am Idagebirge und inMacedonien klein^
strauchartig, gewunden, bei Damascus in Syrien aber hoch, zahlreich
und stattlich : dort sagt man, ist ein Berg ganz voll von Terebinthen,
neben welchen nichts Anderes wächst (dasselbe bei Plinius 13, 54).
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342 I^er Terpentdnbanm.
Im Alten Testament hat der Baum religiöse Bedeutung und zwar
um so mehr, je älter die Zeit ist, um die es sich handelt. Die
beerentragende Terebinthe ist, wie die eicheltragende Eiche von der
sie nicht immer zu unterscheiden ist, der ürbaam, unter dem die
Erscheinung des Göttlichen empfangen und der Altar erriclitet und
das Opfer dargebracht wird. Abraham erhob seine Hütte und kam
tmd wohnte bei den Terebinthen Mamre, die zu Hebron sind und
baute daselbst dem Herrn einen Altar (Genes. 13, 18). Und dort
ward ihm die Erscheinung des Herrn und dessen Yerheissung (Genes.
18). Die Stätte, wo der Baum des Abraham gestanden hatte, war
noch lange Jahrhunderte geweiht: die dortige Terebinthe sollte so
alt sein, wie die Welt, Joseph, de bell. jud. 4, 9, 7; „man zeigt aber
sechs Stadien von der Stadt eine sehr grosse Terebinthe, die seit
ErschaflFimg der Welt dastehen soll." Euseb. demonstrat. evang. 5, 9:
„daher wird bis auf den heutigen Tag der Ort von den Umwohnern
ab ein heiliger verehrt wegen der daselbst dem Abraham gewordenen
Erscheinung, und auch die Terebinthe ist noch dort zu sehen." Auch
die femer Wohnenden, Phönizier and Araber, kamen dort zusammen,
spendeten Wein, schlachteten Opferthiere, schatteten Gtiben in die
Quelle, und wie gewöhnlich war mit dem religiösen Dienst Handel
und Wandel, Waaren- und Marktverkehr verbunden. Wegen des
Gräaels solcher Baum- und Quellvergötterung befahl Kaiser Con-
stantin der Grosse, aaf Andringen seiner Mutter, der heiligen Helena,
den Altar zu zertrümmern, die Bildsäulen zu verbrennen und eine
christliche Kapelle an die Stelle zu setzen (Sozomen. h. e. 2, 3).
Eine andere heilige Terebinthe war die des Jacob zu Sichern
(Genes. 35, 4), unter der zu Josuas Zeit die Bundeslade stand uod
von Josua ein steinerner Altar errichtet wurde (Jos. 24, 26); dort
versammelten sich noch zur Zeit der Richter alle Männer von Sichem
und machten Abimelech zum Könige (Richter 9, 6). Auch zu Grideon
kam der Engel des Herrn unter einer Terebiathe zu Ophra und Gi-
deon baute daselbst einen neaen Altar, nachdem er die Aschera der
Midianiter umgehauen hatte (Richter 6, 11 ff.) Todte wurden unter
Terebinthen begraben. Genes. 35, 8: Da starb Debora, der Rebecca
Amme, und ward begraben unter Beth El, unter der Eichen (Tere-
binthe), und ward genennet die Klageiche. In späterer Zeit, da der
Jehovakultus geistiger geworden war, ist es den Propheten besonders
anstössig, dass den kanaanitischen Heiden die Bäume, darunter die
Terebinthen, heilig sind, z. B. Hos. 4, 13: Oben auf den Bergen
opfern sie und auf den Hügeln räuchern sie, unter den Eichen,
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Mastixbftmn. Peirükenbanm. SmnaclL 343
Pappeln und TerebintheD, deDn die haben feine Schatten. Elzech.
6, 13: dass ihr erfahren sollet, Ich sei der Herr, wenn ihre ErscUa-
genen unter ihren Götzen liegen werden, am ihren Altar her, obea
auf allen Bergen, nnd anter allen grünen Bäumen and unter allen
dicken Eichen (Terebinthen). Gerade diese Verehrung aber mochte
frühzeitig dazu beigetragen haben, dass der Baum sich an die Küsten
Europas verbreitete. Lieferte er indess schon in Asien, nur geringe
Mengen des kostbaren, heilkräftigen, reinen Terpentins, so büsste er
in Europa mit der Höhe des Wuchses auch die Kraft, diesen auszu-
scheiden, gänzlich ein; einige griechische Inseln, wieChios, etwa aus-
genommen. Was man schon bei den Römern und auch jetzt noch
unter Terpentin versteht, wird von pintcs picea und dem Lärchenbaum,
krü, gewonnen und kommt dem echten Terpentin natürlich nicht
gleich. Das Geigenharz, Kolophonium genannt, trug diesen Namen
schon im Alterthum, KoXogxovia niaaa, weil es, wie Dioscor. 1, 93
berichtet, ehemals aus dem kleinasiatischen Kolophon bezogen wurde.
Der Mastiic bäum, a^Iyog, wird anter diesem Namen zuerst bei
Herodot 4, 177 genannt. Das Harz des Baumes, fiaatix^j^ hatte seinen
Namen von der Sitte, es zu kauen (iLiaara^u) kauen, /laara^ Mund),
wie aus dem Holze auch beliebte Zahnstocher gemacht wurden. Die
Einwohner der Insel Ohio, wo viel Mastix gewonnen wird, kauen
noch jetzt beständig dieses Harz, womit sie nicht bloss einen ange-
nehmen Athem zu gewinnen, sondern auch ihrer Gesundheit zu dienen
glauben. Es gehört dieser Gebrauch, wie das Betelkauen, mit zu
dem System des orientalischen Müssiggangs, kann sich indess neben
dem amerikanischen, in der ganzen Welt gemein gewordenen Tabak-
rauchen immer noch mit Ehren sehen lassen. Der lateinische Name
leniisctiSy eine Ableitung von lentus^ ist entweder von der zähen,
klebrigen Beschaffenheit des Harzes oder von der Biegsamkeit der
Aeste, die als Reitgerten beliebt sind, hergenommen.
Der Perrükenbaum, rhu^s cotinics, findet sich bei Theophrast
h. pl. 3, 16, 6 unter dem Namen xoxxvyia (so ist der Text nach
Plm. 13, 121 und Hesych. v. xexoxxvywidivrjv sicher festzustellen) er-
wähnt. Dass dieser Baum, der zum Rothfarben diente, eins ist mit
rhus cotmus Z/., geht aus dem Zusatz des Theophrast hervor: idiov
ii e^si xo ixnannovox^ai %bv xagnov. ndnnog ist nämlich eben
jenes grosse röthliche Gefieder der Fruchtrispen, von dem der Baum
seinen deutschen Namen hat.
Der Sumach, rhtts coriaria, wird unter dem Namen ^ovg sehr
frühzeitig, nämlich schon von Solon, also am Anfang des 6. Jahr-
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344 ^^T^ SnmaclL
honderts,- genannt, Phot. p. 491, 21: ^ovv zo Tjöva^a. 26lwv, Die
Beeren bildeten also ein Gewürz, ijdvofia, das die Speisen schmack-
haft machte, wie Myrtenbeeren oder wie jetzt der Pfeffer und die
Citrone. Dioscor. 1, 147: ^ovg 6 inl tä oipa, ov evioi igv&Qov
xalovai, xoQnog iazi t^g xaXov^ivrjg ßvQOodeHfixijg ^o6g. ^EQv&Qog
ist ein häufiger Beiname dieser Fracht, und vielleicht hegt dieselbe
Wurzel dem Namen ^oZg zu Grunde, der entweder auf griechischem
Boden oder in einer yerwandten kleinasiatischen Sprache danach ge-
bildet wurde. Dann würde der Sinn mit dem von xoxxvyia zu-
sammentreffen, wie auch beide Bäume sich nahe stehen. Schon die
Alten brauchten die Blätter des Gewächses, das nach seinem Vater-
lande Syrien bei Oelsus und Scribonius Largus rhus syriacus heisst,
als Gerberlohe; dass es aber in Sicilien, wo es jetzt das beste Pro-
dukt giebt, erst seit der arabischen oder mittelgriechischen Zeit an-
gebaut wird, verräth der Name iommaco^ Sumacb, der dem arabischen
sommdq und byzantinischen aovfidxi bei Du Cange ganz gleich ist
Für die Kultur des Sumach sind übrigens die Inseln Sardinien und
Sicilien^ so wie manche Provinzen der pyreoäischen Halbinsel wie
geschaffen, denn gleich dem Opuntiencactus zieht er steriles Stein-
geröll und dürren Felsengrund jedem anderen Boden vor und findet
darum in jener Erdgegend einen fast unbeschränkten Verbreitungs-
raum. Auch hat der Anbau seit einem Menschenalter reissende
Fortschritte gemacht: im Jahre 1875 führte der Hafen Palermo Su-
mach zum Werthe von mehr als 17 Millionen Lire aus (nach Theo-
bald Fischer, Beiträge, S. 124).
Unter dem Räucherwerk des wärmeren Asiens, den O-vftiafjara
und agtifittTa^ wird von den Alten häufig auch des Styraxharzes
gedacht, welches die Phönizier zu Herodots Zeit nach Griechenland
ausfühlten, Herod, 3, 107: t^v art^axa... t^v ig^'EllTjvag Ooivixsg
i^dyovat. Vielleicht aber hatten diesen syrischen Baum die Phö-
nizier frühe auch um ihre europäischen Niederlassungen anzupflanzen
gesucht. Zwar Theophrast, da wo er die lange Reihe asiatischer
aromatischer Substanzen aufführt, darunter auch die otifgaB^ h. pl.
9, 7, 3: olg fiiv olv eig ra aQiofxata xQ^^^^^i oxedov rdde i(ni^
xaaia xivdfiio^iov,.. atvQaS:, XQig u. s. w., lügt gleich hinzu, mit Aus-
nahme der Iris gehöre nichts davon Europa selbst an: Ix yctQ aitrjg
EvQcinrjg nvdiv ioxiv e^o) z^g iQijSog, Aber bei der böotischen
Stadt Haliartus, in einer Landschaft, an die sich Ueberlieferongen
früher phönizischer Kultur und religiösen Verkehrs mit der Insel
Kreta knüpfen, wuchsen nicht weit von der Quelle Kiaaovaa^ in der
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PfirsiclL Aprikose. 345
die Ammen den neugeborenen Bacchus abgewaschen hatten, Styrax»
I>äame, Plut Lys. 28, 7: ol di KQrjaioi atvQaneg nv nQoaio neQi--
mgfvxaoiv^ und die Haliartier bestätigten damit, dass Rhadamanthys
bei ihnen gewohnt habe, und wussten auch sein Grab noch aufzu-
zeigen. Von Kreta kam auch später noch Styrax, doch wurde dieser
natürlich nicht für den besten gehalten, Plin. 12, 25, 55: styrax lau*
datur,,, ex Pisidia^ Sidone^ Oj/prOy Greta minume — wenn die Lesart
richtig ist. Die Bäumchen von Haliartus lieferten wohl gar keinen
Ertrag, aber zu Lanzenschäften mochte ihr Holz wohl dienen. Die
latinisirte Form storax beweist übrigens, dass dies bei Opfern beliebte
Räocherwerk frühe nach Italien kam, ganz wie wir dies aus der la-
teinischen Benennung des Quittenbaums schlössen, dem den Alten
zufolge der Styraxbaum ähnlich sehen sollte.
Pfirsich, Aprikose.
(amygdalus peraica.L, prunus armeniaca L.)
Beide Bäume stammten, wie ihre Namen lehren, aus dem inneren
Asien, noch jenseits des Kirschenlandes, und wurden im ersten J ahr-
handert der Kaiserherrschafb in Italien bekannt. Weder Cato, Yarro,
Cicero oder sonst ein Schriftsteller der republikanischen Zeit, noch
ein Dichter des augusteischen Alters weiss etwas von ihnen, und
eben so wenig die älteren Griechen, so weit sie uns erhalten sind.
Erst als sich die römische Staatsmacht seit Mithridates Untergang
theils direct, theils mittelbar bis zu den Thälem Armeniens und an
den Südrand des kaspischen Meeres erstreckte und zwischen ihr nnd
dem Partherreiche die Grenze ungowiss schwankte und die Bezie-
hungen in Krieg und Frieden hin- und hergingen, da schlössen ^\^
allmählich auch die Naturschätze dieser fremdartigen, fruchtreichen
Gegenden auf und wurden theilweise nach Italien hinübergeleitet.
Die Citrone, „die schwer ruht als ein goldener Ball", konnte, ehe
der Baum selbst von einem Europäer erblickt war, im Abendland
bewandert werden — schneidet sich doch jetzt der bärtige Kaufmann
in Archangel, der nächste Nachbar des ewigen Polareises, frische
Citronenscheiben in seinen chinesischen Thee — ; nicht so die weich-
liche Aprikose und der schmelzende Pfirsich, denn, nach Plinhxs
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346 Pfirsich. Aprikose.
Wort, non aliud fugacitia, Indess, gegen die Mitte des ersten Jahr-
hunderts nach Chr. hatten gewerbsame Grartner diese Fruchtbänme in
Italien angepflanzt und liessen sich die ersten gewonnenen persischen
Aepfel und armenischen Pflaumen theuer bezahlen. S. Plin. 15,
cap. 11—13. S. 10 — 13. Dass die Namen Anfangs schwankten und
erst später constant wurden, war bei so seltenen, imbekannten, aristo-
kratischen Früchten, die dem Blick und der Zunge der Menge erst
nach und nach vertraut wurden, und bei dem Mangel an sicherer
naturwissenschaftlicher Systematik nicht zu verwundern; doch ist
gerade hier die Geschichte der Namen zugleich die der betreffenden
Frucht and ausserdem lehrreich für die Art, wie solche Namen über-
haupt imVolksmunde entstehen. Anfangs wusste man nur, dass der
Pfirsich und auch die Aprikose hinter dem im engeren Sinne so ge-
nannten Asien ihre Heimath hatten, und man nannte sie demgemäss
persische Früchte, die Aprikosen, die der Pflaume ähnlich und ver^
wandt sind, auch Früchte aus Armenien. Der Name persisch gab
Verwechselungen mit der ägyptischen Persea, wohl auch mit dem
modischen Apfel oder der Citrone, und die Späteren hatten die aber-
gläubischen oder unrichtigen Vorstellungen zu widerlegen, die durch
solche Irrung veranlasst waren. Weiter fanden sich Abarten ein,
deren besondere Eigenschaften durch sprechende Beinamen hervor-
gehoben wurden; so sagten die Obstzüchter von der feinsten Art
Pfirsiche duracina^ weil diese eine stärkere Haut oder ein festeres
Fleisch hatten, von einer andern frühe reifenden Art praecoqua,
praecocia. Letzterer Name^ ein auch sonst vielfach angewandter,
technischer Gärtnerausdruck, dessen erster Bestandtheil dem grie-
chischen TiQfot^ deutschen früh, genau entspricht, musste aber be-
sonders auf den Aprikosenbaum, der nicht bloss gleich der Mandel
zeitig blüht und also UQCjiavx^tjg ist, sondern auch seine Früchte als
nQCütxaQTtog^ hätif, hdidveaUy zeitig reift, Anwendung finden und blieb
zuletzt als Appellativum völlig auf ihm haften. So konnte schon
Dioscorides 1, 165 sagen: rd de fdixQoteQa xaXoifieva agfisnaxä,
^wfiatoTt de nQaixoxia. Von den Römern aber entlehnten femer
die Griechen die so in Italien fixirten Namen — deim im UmschwuDg
der Zeiten war die Bewegung schon eine rückläufige geworden, und
orientalische Naturprodukte gingen schon von Westen nach Griechen-
land — und theilten sie wieder dem Orient mit, der das damit Be-
zeichnete ursprünglich besessen hatte, aber desselben nicht bewosst
geworden war. Die Pfirsiche, deren beste Sorte, wie so eben be-
merkt, die Härtlinge, duracina^ gewesen waren, hiessen jetzt mittel-
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Pfirsich. Aprikose. 347
griechisch und neugriechisch ^oddxivOy der Baam ^odaxividy ^oda--
xtvia, nach Salmasius wahrscheinlicher Yermuthong nichts als eine
ümstelliing des lat duracinoy dmqaxiva^ zu welcher in dem Anklang
an ^oioy die Rose eine VerfQhrung lag. Praecoqua^ ngaixoxia ver-
wandelte sich in mittelgriechischem Munde in nQenvnxiov^ ngo^
toxxia, ߀Q€X€xxov, ßeQixwxoVy ßagvxoxxov, ßeqixovxa, ßiQixoxa,
und da man in der zweiten Hälfte des Wortes das griechische xoxxog.
Kern, Beere, oder xoxxv^, der Eukuk, zu hören glaubte^ auch in
xoxxofiTjXoy fiTJlov xoxxvyog, den alten Namen der Pflaume (Lang-
kavel, Botanik der späteren Griechen, S. 5). Aus einer dieser ent-
stellten Formen bildeten die Araber dann mit dem Artikel ihr al-
harqäq^ und als dies sorbettoschlJlrfende, nach Erfrischung schmach-
tende Volk in Spanien, auf den Inseln des Mittelmeers und in Süd-
italien seine Gärten anlegte und gleichzeitig in den Häfen seine
Waaren ausschiffte, da ging auch dieses Wort in seiner arabischen
Form in den Mund der Abendländer zurück und vollendete so seinen
westöstlichen Kreislauf: ital. cdbercoccOy albicoccOy bacocco^ span. al-
haricoque^ daraus französ. abricot^ aus diesem wieder deutsch Aprikose
TL 8. w. Auch armeniacum hat sich in dem jetzigen ital. meliaca^
muliaca erhalten, wie das alte persicum in den heutigen Formen
persica^ pesca^ peche^ Pfirsich, slavisch je nach den Mundarten breskva^
proBkoa^ hroskvina^ magyar. baraczk u. s. w.
Schon zu Plinius und Colamellas Zeit war eine Art Pfirsich
der gallische genannt, Plin. 15, 39: nationum habent cognomen gaU
Uca et asiatica. Colum. 10, 409:
Quin etiam efusdem gentis de nomine dicia
Exiguo properant mitescere Persica malo,
Tempestiva madent, quae maxima Gallia donat;
Frigoribus pigro veniunt Asiatica foetu.
Da es auffallend ist, dass schon damals, in jener Jugendzeit der
Frucht, Gallien eine Abart erzeugt hätte, so könnte man an Gallo-
graecia inEleinasien denken; doch wurde von diesem Lande schwer-
lich kurzweg gallicus^ vielmehr galaticus, gesagt. Der Pfirsich ist
eine Frucht, die leicht abändert, und so war also in der Provence
schon eine grosse Art Früh-Pfirsich erzeugt worden, die in Italien
nach dieser Herkunft benannt wurde. Jetzt ist die Frucht in unzäh-
lige Abarten und Spielarten auseinandergegangen, von denen wir nur
der sog. Nectarinen, pescanod, erwähnen wollen, entstanden, wie die
Alten fabelten, durch Impfung des Pfirsichs auf den Wahiussbaum.
^on den populären Aprikosennamen ist der interessanteste das nea-
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348 Obstznclit, Impfen und Pfropfen.
politamsclie criaiwmmolo, dem das griechische xQva6^7ii.ov^ goldener
Apfel, zu Grunde liegt. Chrysomela war nach Plinius ursprünglich
Name einer Art Quitten: als diese Frucht selten und die Aprikose
häufig und beliebt wurde, ging die poetische Benennung bei den phan-
tasievollen Neapolitanern auf die letztere, und zwar auf die sogenannte
Mandelaprikose, über.
Blickt man auf die lange Reihe von fruchttragenden Bäumai
zurück, mit denen Italien zur Zeit seiner höchsten Macht und Blüte
sich bereichert hatte — edlere Aepfel und Birnen, Feigen und Gra-
naten, Quitten und Mandeln, Kirschen, Pfirsiche, Maulbeeren, Pflaum^
Pistazien u. s. w. — , so staunt man nicht über die Aussage Varros,
Italien sei ein grosser Obstgarten, 1, 2,6: non arboribus consitaltaUa
estf ut iota pomarium videaturf und die Schilderung des Lucretius:
5, 1376:
ut nunc esse vides vario distincia lepore
omnia, quae pomis intersifa dulcibus ornant
arbustisque tenent felicibus opsita circum.
Diese Umwandlung hatte dieselbe Zeit gebraucht, wie die Erhebung
Roms zum Centrum von Italien und Italiens zur Herrscherin der
Welt. Die älteren Griechen kennen die Halbinsel noch als ein Land,
das im Vergleich mit ihrem eigenen und mit dem Orient einen nor-
dischen primitiven Charakter trug und dessen Produktion hauptsächlich
in Getreide, Holz, Vieh bestand. Der Komiker Hermippus, der in
der ersten Zeit des peloponnesischen Krieges dichtete, weiss unter den
Ausfuhrartikeln Italiens nur Graupen und Ochsenrippen zu nennen,
Athen. 1, p. 27 :
ix S*avt^ ^Irallag xovdgov xai nXevQa ßoBia,
Alcibiades bei Thucydides 6, 90, da wo er den Lacedämoniem die
Vortheile eines Zuges nach Sicilien und Grossgriechenland darstellt,
beruft sich auf den Reichthum Italiens an Schiffsbauholz und Korn.
Anderthalb Jahrhunderte später rechnet Theophrast, h. pl, 4, 5, 5,
Italien zu den wenigen Ländern, wo vavJirjYrjaifiog vkrj, d. h. Schiffis-
bauholz, vorkomme. Als Hiero 2. von Syrakus sein von uns wieder-
holt erwähntes riesenhaftes Getreideschiff von Stapel gelassen hatte,
da fand sich ein Baum, der zum Hauptmast dienen konnte, nur in
Italien im brettischen Gebirge, Athen. 5, p. 208 (also im Sila-Walde,
der aus Laricio-Kiefem besteht; da ein Sauhirt der Auffinder ^ar,
m&ssen diese auch mit Eichen oder Buchen untermischt gewesen
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Obstzucht, Impfen nnd Pfropfen. 349
sein: der Wald wird von Dioo. Hai. 20 fr. 15 Eiessl. ausführlich ge-
schildert) Von angehearen, unwirthlichen W&ldem hören wir auch
durch die römische Ueberlieferung. Den ciminischen Wald bei dem
heutigen Yiterbo^ nördlich von der römischen Campagna, im Süden
des etruskischen Gebietes, beschreibt Livius unter dem Jahr 308,
also nach der Zeit Alezanders des Grossen, als so schrecklich, wie
nur die von den Römern später betretenen Wälder Germaniens, 9, 36:
sika erat Cvminia magis tum invia atque horrenda^ quam nuper fuere
Germanici saltus^ nuUi ad eam diem ne mercatorum quidem adita.
Und ähnliche Farben braucht Florus 1, 12 (17): Ciminius Interim
sahus in meddo^ ante invius plane quasi Caledonitcs vel Herct/nius, adeo
imn terrori erat^ ut senatus c(yn»uli denuntiaret^ ne tantum perundi
ingredi änderet Als der Prätor C. Manlius zu Anfang des zweiten
ponischen Krieges zum Entsätze des von den Bojem bedrängten
Mutina herbeiruckte^ wurde sein Heer in den unwegsamen Wäldern
fast aufgerieben, Liv. 21, 25: sävae tunc circa viam erant, plerisque
incultis u, s. w. Noch übler erging es dem Praetor L. Postumius in
der silva Litana, Liv. 23, 24, von dessen Heere in dem genannten
Walde fast kein Mann übrig blieb. An die Stelle solcher Wild-
nisse und ihrer Holz- und Pech-, Jagd- und Weideerträge war jetzt
eine Waldung orientalischer Obstbäume, an Stelle der Fleisch- und
Breinahrung der Alten der orientalisch-südliche Genuss an erfrischen-
dem Fruchtsaft getreten. Die Vermittler dieser Umwandlung waren
grossen Theils selbst Asiaten d. h. Sclaven und Freigelassene, die
Yon dorther gebürtig waren, Syrer, Juden, Phönicier, Cilicier. Italien
wimmelte von ihnen, lange vor Juvenal, der sich bildlich beklagt,
es sei so weit gekommen, dass der syrische Orontes sich in den Tiber
ergiesse, 3, 62:
Jam pridem Syrus in Tiberim defluxit Orontes,
Die semitischen Sclaven waren durch Arbeitsamkeit, Ausdauer und
leidende Ergebung Ideale dieses Standes und für denselben wie ge-
schaffen, Cic. de prov. consul. 5, 10: Judaeis et Syris^ natumtbus natis
sermtutL Schon Plautus kennt sie als genus patientissimumj Trinumm.
2,4,141:
Tum autem Surorum, genus quod paiientissumumst
Hominum, nemo exstat qui ibi sex nvensis vixerit.
Das rauhe Kriegshandwerk war nicht ihre Sache; von den Soldaten
des Königs Antiochus sagt der Legat T. Quinctius bei Liv. 35, 49:
Syros omnes essei havd pauUo mancipiorwm melius, propter sermUa
ingenia^ quam militum gentis, und ganz eben so drückt sich der Con-
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350 Obstzucht, Impfen und Propfen.
sul M\ Acilius vor der Schlacht mit dem König aus: hie Syri et
Asiatdci Graeci sunt, lemssima genera hominum et servituti naia.
Gartenkunst aber und Freude an dem stillen, liebevoUen Geschäft
der Erziehung und Pflege von Pflanzen war ein Erbtheil des ara-
mäischen Stammes von Alters her, oder vielmehr das Ergebniss einer
langen, überalten Kultur und des Bodens, auf dem diese sich ent-
wickelt hatte, Plin. 20, 33: Syria in hortis operosissima est: indeque
proverbium Graecis : Multa Syrorum olera. Wenn die römischen Aristo-
kraten aus jenen östlichen Provinzen nach Ablauf ihres Jahres heim-
kehrten und manche scböne Frucht, die dort auf ihre Tafel gekommen
war, nach Italien und auf ihre "Villen zu versetzen wünschten, da
boten sich ihnen erfahrene Gärtner in Menge dar, die beim Transport
und der Anpflanzung behülflich waren und zur Belohnung die Freiheit
erhielten oder wenigstens eine milde Behandlung erfuhren. Die gleiche
Geschicklichkeit der den Syrern benachbarten und stamm verwandtcD
Oilicier war in Aller Munde, seitdem Vergil in der schönen, viel-
bewunderten Episode des vierten Buches seiner Georgica den Garten
des corycischen Greises bei Tarent und die von ihm auf ganz ste-
rilem Boden erzielte Fülle des Gemüses und der Früchte gepriesen
hatte. Wenn einige Grammatiker den Corycius senex des Dichters
so verstehen wollten, doss mit diesem Beinamen eben nur die Meistei^
Schaft oder die Art und Weise des Gärtners, nicht seine Herkunft,
bezeichnet werde, so setzt die Möglichkeit dieser Deutung eben eben
auch abgesehen von Vergil bestehenden allgemeinen Ruhm cilicischer
Gartenkunst voraus.
Die syrischen Sclaven brachten aber neben anderen sinnlichen
Terführungsdiensten des Orients auch das orientalische Raffinement
in Behandlung der Thiere und Pflanzen mit. Wie die Entmannung,
die Circumcision und die Bastarderzeugung, war dort auch die Za-
stutzung der Bäume und die Vermischung der Fruchtarten durch
Impfen und Pfropfen von frühe an üblich. Die geflissentlich er-
zeugten Monstrositäten, die sorgfaltig bewahrten Naturspiele, die
Künsteleien mit der Kraft des Wachsthums, dies Alles war freilich
nur derselbe Trieb in seiner Ausartung, der die Olive und den Dattel-
baum ursprünglich fruchttragend gemacht und die Caprification der
Feige, die Füllung der Rosen, Violen u. s. w. erfunden hatte. In den
Gärten Italiens — von Cato an, der cap. 52 und 133 schon lehrt,
^m lebendigen Baum selbst vermittelst durchbrochener erdegefällter
Töpfe oder Körbe künstliche Wurzeln und einen neuen Baum zu er-
.zeugen, und selbstzufrieden hinzusetzt: hoc modo quod gentis vis propa-
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Obstzucht, Impfen und Pfropfen« 351
qabis^ und : eo modo quod vis genus arborum facere poteria, bis za dem
opus topiarium der Späteren^ wo durch Bescbeereo, Bekleidung mitEpheu
0. s. w. die Bäume in Thiergestalten u. s. w. yerwandelt wurden,
sachte nicht sowohl das reine NaturgefQhl Ausdruck, als sich die
List daran übte, die Natur, die ewig schaffende, auf fremden wunder-
baren Wegen zu Formen und Zwecken zu verführen, die sie nicht
gewollt hatte. Die hohen Bäume wurden in Zwerggestalt, die zarten
Frächte in Kiesengrösse hervorgebracht, und was in Wirklichkeit
sich nicht leisten liess, das wurde wenigstens in dem allgemeinen
Volksglauben, bei praktischen Gärtnern, wie bei denkenden Natur-
betrachtem, als vollbracht und möglich vorgestellt. Die allmählige
Steigerung darin liegt in der Reihe der Schriftsteller über diesen
Gegenstand deutlich vor. Yarro 1, 40, 5 meint noch, Apfel- und Birn-
baum liessen sich gegenseitig auf einander pfropfen, nicht aber ein
Birnenreis auf einen Eichbaum. Bei Yergil aber trägt schon der
Erdbeerbaum Nüsse, die Platane Aepfel, die Kastanie Bucheckern,
die Esche Birnen und die Ulme Eicheln, G. 2, 69:
Inseritur vero et nuds arbutus horrida foetu;
Et steriUs platani ^malos gessere valentis;
Castaneae fagus ornusque incanuit cdbo
Flore piri glandemque sues fregere sub ulmis.
Golumella thut erst 5, 11, 12 den Ausspruch, die Insition sei nur bei
ahnUcher Rinde beider Bäume möglich, dann aber tadelt er wieder
die Alten, die die Möglichkeit des Gelingens auf gleichartige Bäume
beschränkt hätten, vielmehr könne jedes beliebige Reis auf jeden be-
liebigen Baum gebracht werden — worauf die Beschreibung eines
Kunstgriffes folgt, aus einem Feigenbaum einen Olivenzweig hervor-
wachsen zu lassen. Plinius 17, 120 will einen Baum gesehen haben,
der an seinen verschiedenen Aesten Nüsse, Oliven (bacae)^ Weintrauben,
Bimen, Feigen, Granaten, Aepfelsorten zugleich trug. BeiPalladius
endlich, der seinen Büchern de re rustica ein eigenes Gedicht in
elegischem Yersmass de insitionibus hinzufügt, und in der Sammlung
der Geoponica ist kaum ein Baum, von dem nicht ausgesagt würde,
er könne die und die fremden Früchte zu tragen gezwungen werden.
Plinius ist über diese Yirtuosität^ die Natur zu irren und zu miss-
braucheo, wie über einen Frevel erschrocken 1, 5, 57: pars J^aec vttae
jampridem venit ad columen, eapertis cuncta Jwminilms Nee
quicquam ampUus excogitari potest; nullum certe pomvm novom diu
jom invenitur. Neque omnia insita misceri fas est Plinius war zwar
Qor ein Compilator, der bei der Last der Geschäfte und des unge-
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352 Obstzucht, Impfen und Pfropfen.
heuren Materiales nicht immer geoaa sein konnte, und dessen Ans-
dmck manierirt nnd daher oft dunkel ist, aber es bricht doch nicht
selten bei ihm ein grosser Sinn durch, und im gegenwärtigen Fall
das tragische Gefühl eines beschlossenen, nach allen Seiten nnd bis
auf den Grand seines Inhalts erschöpften Lebens. Italien, will er
sagen, hat alle Pflanzen des Erdkreises in sich yersammelt und an
ihnen nut Aufwand alles Witzes alle Bildungs- und Triebkraft der
Natur versucht — was steht noch bevor, was kann noch kommen,
als das Nichts? Und es kam in der That das tausendjährige Mittel-
alter, und in Syrien war der Mann schon aufgestanden, dess^i Lehre
sich wie ein fremder tödtender StoflF durch alle Adern der griechisch-
römischen Welt goss, der wahre ex oasibus tdtor nicht bloss für den
Brand Karthagos, der syrischen Kolonie. So weit die alte Religion
noch hielt, widersetzte sie sich auch dem Spiel mit der organische
Natur: Bäume, die zweierlei Aeste trugen^ brachten Lrung in de
Situs von Beschwörung und Sühnung der Blitze, und dieser Scrupel
mag Manchen von solchen Versuchen abgeschreckt haben. Li dem-
selben Sinne hatte schon das mosaische Gesetz verboten^ natürlich
Geschiedenes zu paaren, Bastarde zu erzielen, Kleider zugleich aas
Wolle und aus Lein gewebt zu tragen, Ochsen und Esel zusammen
vor den Pflug zu spannen und den Acker mit zweierlei Saat
zu besäen (Levit. 19, 19). Lidess, diese eifrige Bemühung des
Pfropfens, Impfens und Lioculirens, so aberwitzig sie sein mochte,
wenn sie über die Grenzen des Natürlichen hinaus wollte, trug doch
dazu bei, die Mannichfaltigkeit und Vollkommenheit der einst fremden,
jetzt eingebürgerten Früchte immer weiter zu steigern. Das Obst,
die ursprüngliche, des Feuers nicht bedürftige Nahrung des Menschen,
der nur in den Himmelsstrichen sich schön entwickelt, wo die Baum-
früchte gedeihen, veredelte und verbreitete sich nicht nur durch
ganz Italien, und wurde bis auf den heutigen Tag auch in der Fa-
milie des Armen ein nothwendiger Bestandtheil des täglichen Mahles,
sondern ging hoch über die Alpen in das mittlere und westliche
Europa hinüber, wo das Klima bei entsprechender Einsicht und
Thätigkeit des Kulturmenschen diese Zucht noch erlaubte, ja be-
günstigte. Frankreichs Boden und Himmel erzeugt jetzt das aller-
feinste Obst, England hat auch in diesem Zweige die Kultur aufe
höchste getrieben, und dem Beispiel beider Länder folgte in einiger
Entfernung Deutschland nach. Letzteres Land hielt Tacitus für schon
zu kalt zum Obstbau, obgleich für Getreidebau noch geeignet, Genn. 5:
terra . . . satis ferax^ frugiferarum arborum impatien»^ und die Ein-
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Obstzucht, Impfen und Pfropfen. 353
wohner nährten sich yon wilden Beeren, frischem Wildpret und saurer
Milch, 23: cibi 9impl%ces\ agrestia poma^ recens fera et lac concretum;
in der That trägt der Norden Deutschlands auch heat za Tage in
offenen Gärten keine italienischen Feigen^ Mandeln and Pfirsiche.
In dem Donangebiet befinden sich die meisten Arten noch sehr wohl
und die Einfuhr frischen und trockenen Obstes von dort (und be-
sonders Ton Böhmen) in das deutsche Reich betrug schon vor einigen
Jahren gegen 300,000 Centner zum Werth von mindestens 9 Millionen
Mark. Je weiter nach Nordosten, in die Region des excessiven
Klimas mit harten Wintern und Frühlingsfrösten, desto mehr ver-
kümmert der Fruchtbaum, und in den Dörfern des eigentlichen Mos-
kowien &llt es den Bauern nicht ein, einen Baum zu pflanzen oder
im Herbst eine fröhliche Aepfel- oder Bimenemte halten zu wollen.
Das heutige Europa hat die Versuche angegeben, NQsse auf Eichen
Bu pfropfen und dergleichen; es veredelt auch den Wein nicht mehr
durch Impfen, wie doch Cato that; es operirt durch zweckmässige
Wahl und Pflege und sucht f&r den jedesmaligen Standort die ihm
zusagende Frucht. Dass die Namen der mitteleuropäischen Früchte
aas Italien stammen, haben wir bei Besprechung jeder einzelnen
gesehen; dasselbe tritt grösstentheils bei den Benennungen der Yer-
edlungsmanipulation ein. Das in der lex Salica vorkommende inpotus
ftr Pfropfreis, das französ. ente^ enter^ proven^alisch entar^ ahd. im-
püon^ mhd. impfetm^ ndl. mten^ nhd. impfen^ gehen aUe auf das
griechishe €fiq>vTog, i^g>VTev€iv zurück; i&sst man das Gebiet ins
Auge, in welchem dieser Ausdruck herrscht — er kommt unter den
italienischen Mundarten in der von Piemont, Parma, Modena vor, s.
Diez — , so wird glaublich, dass die damit bezeichnete Erfindung den
keltischen Bewohnern des westlichen Oberitaliens, der Rhonegegend
und durch diese den Landschaften am Ober- und Dnterrhein von
einer griechischen Seestadt zugekommen ist — wobei Jedem zunächst
Massilia einfallen muss. Eine griechische Quelle scheint auch dem
französischen grefe Propfreis, grefer pfropfen, zu Grunde zu liegen,
8. Diez unter diesem Wort. Der andere deutsche Ausdruck pfropfen,
Pfropfreis führt dagegen direkt auf Italien und ins Lateinische:
prcpago^ ein dritter: pelzen stammt vom proven^aL errvpeltar^ welches
selbst von pelUs^ der Haut d. h. der Rinde des Baumes, gebildet ist.
Nicht minder interessant aber als diese lebendigen Zeugen des
Kaltureinflusses vom klassischen Süden her ist das einheimische Wort,
welches Ulfilas an mehreren Stellen im eilften Kapitel des Römer-
briefes für das griechische iyxevtQLt^Biv braucht: intrisgan, intrvsgjan.
Viet Hehn» Knltarpflanxen. 23 /^^ t
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354 AgrurnL
Es fehlt in allen übrigen deutschen Mundarten, findet sich aber aaf
slavischem Gebiet wieder und gehört also zu der Zahl merkwürdiger
Erborgungen der ostgermanischen Sprachen aus dem Slavischen. Die
Bedeutung war spalten und mit der Pr&position in: einspalten,
in einen Spalt senken. Im Slavischen, wo dieser Stamm mannich-
fach verzweigt ist, entwickelt sich aus der YorsteUuDg spalten, platzen,
die des Krachens, ferner die des Blitzes als spaltenden Donnerkeik:
nsl. tr¬ij russ. tremuti findig rumpiy russ. tregiaü platzen, treiOna
Spalt, altsl. triska sarmentmn^ tr&ku .fuimen^ trimuM percutere^ bdg.
tr&k Span, croat. triskati einschlagen, tr&kati strepüum edere u. s. w.
Litauisch scheint trukis ein Riss, eine Spalte, trukti platzen (mit
langem Yocal, Nessehnann S. 118) dasselbe Wort zu sein. Ob auch
das griechische 'ri^x^og, tgexvog Ast, Zweig dahin gehört? Den näm-
lichen Bedeutungsübergang von spalten zu pfropfen zeigt ein anderer
slavisch-litauischer Stamm: cipati, elpiti findere^ dp surctUus iweriu^
cipina segmentum^ lit. czepiH pfropfen, ezepas Pfröpfling u. s. w.
(Noch andere auf die Veredlung der Obstbäume sich beziehende,
grösstentheils secundäre Benennungen gesanmielt von Pott in den Bei-
trägen von Kuhn und Schleicher 11, S. 401 ff.).
Agriimi-
Der Phantasie des Nordländers, der sich, wie alle hyperboreischen
Völker seit mehr als zweitausend Jahren, nach dem schönen Süden
sehnt, schweben vor Allem die Hesperidenbäume mit den goldenen
Früchten vor, die er unter seinem Nebelhimmel nur in Papier ge-
wickelt aus der Hand des Schiffers oder des Eaa£D:ianns erhält. Und
in der That, welcher Gartenbaum könnte der Orange an Schönheit
und Adel den Bang streitig machen! Hoch und stattlich, wo das
EUma mild und der Boden üppig genug ist, mit glänzendem, dunklem,
immergrünem Laube^ mit lilienartig duftenden weissen Blüten, die
das ganze Jahr hindurch hervorbrechen, mit erst grünlichen, dann
allmählig golden schimmernden Früchten, deren Schale, mit flüchtigem
Oel gefüllt, aromatisch duftet, deren Geschmack je nach den Varie-
täten von balsamischer Bitterkeit und der strengsten, aber fdnsten
Säure bis zum süssesten Nektar aufsteigt, mit festem, dichtem Holze
und einer Lebensdauer, die die des Menschen bei weitem übertrifft —
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Agrumi 855
in welchem anderen Baume des Südens wäre so die Kraft der Sonne
und der sanfte Hauch der Lüfte und der lichte Glanz des TTtTnmftlfl
ZQsammengeiasst und vegetativ dargestellt, als in den Aorantiaceen!
An den Gitronenhain in der Nähe von Porös im Peloponnes, an die
Agnuni von Messina am Fasse des Aetna und dem gegenüberliegenden
R^lgio in Calabrien, an die Gärten von Sorrento bei Neapel nnd die
saaberischen Pomeranzenwälder von Milis auf der Insel Sardinien
denkt jeder Reisende, der das Glück gehabt, sie zu sehen, immerfort
mit Entzücken zurück. Der Agmmiwald von Porös zieht sich etwa
eine Stunde in die Länge und in die Breite den sanften Abhang des
Gebirges in die Ebene hinab und gewährt von seinem erhöhten
Rande zi^leich eine herrliche Aussicht über Land und Meer und die
geäiüimten Felsgipfel; reiche Quellen, die aus den Bergen kommen,
bewässern ihn in man^ichfach vertheilten Rinnsalen; die Bäume
stehen licht, doch so, dass sich die Zweige gegenseitig berühren; die
Zahl der Stämme beträgt 30,000 (nach Ross, Königsreisen 11, S. 7;
bei Fiedler, Reise I, S. 282, steht 2000, wohl durch Druckfehler statt
20,000). Ueber die Orangen von Milis giebt Alfred Meissner, Durch
Sardinien, S. 183 folgenden kurzen, aber schönen Bericht: „Es giebt
der Orangengärten um Milis herum über dreihundert; die grössten
gehören dem Domkapitel von Oristano und dem Marquis von Boyl
an. Ich liess mich zuerst in den einen, dann in den andern führen.
Beides sind kleine Wälder, einzig aus Pomeranzenbäumen gebildet.
In der freien Natur hat der Baum seine steife Eugelform verloren,
er streckt und reckt seine Aeste nach allen Seiten, und in seiner
Krone leuchten die goldenen Aepfel, die silbernen Blüten. Man
wandelt unter einem ununterbrochenen, schattenden, schimmernden
Laubdach. Eine dicke Schicht herabgefallener Orangenblüten deckt
den Boden, kleine Bächlein sind an den mächtigen schwarzen Wurzeln
Torübergeleitet, ihr Gemurmel vereinigt sich mit dem Gesänge der
Vögel, die in den Zweigen wohnen. Man kann in diesem Haine
der Hesperiden frei umhergehen, die Zweige bei Seite biegen, die
dem Wanderer ihre Blüten ins Gesicht schlagen, und, von einem '
Dnf^ ohne Gleichen berauscht, sich in den Schatten von Orangen
strecken, die so mächtig wie Waldbäume sind. — Der gesammte, den
verschiedenen Besitzern gehörige Orangenwald von Milis soll 500,000
Bäame zahlen. Er giebt in einem Durchschnittsjahre zwölf Millionen
Stack solch goldener Aepfel ab^ (nach einem Gewährsmann bei La
Marmora 60 Millionen, wohl übertrieben). „Im Garten des erz-
bischöflichen Kapitels ist ein Baum, der allein jährlich über 5000
23*
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356 Agrumi.
Früchte tragen soll. Melirere Bäume dort sind, wie mir der Gärtner,
ein Geistlicher, sagte, nachweisbar über sieben Jahrhunderte alt.
Der Urvater von aUen steht im Garten des Marchese von BoyL Er
ist so stark, dass ein Mann ihn mit ausgebreiteten Armen nicht um-
spannen kann; seine Krone ist majestätisch, wie die einer Eiche. Der
Gang durch den Orangenwald von Milis schien mir allein schon die
Heise nach Sardinien zu lohnen. In einem Pavillon im hochstgele-
genen Giirten sitzend, sah ich die herrlichste der Campagnen sich
meilenweit ausdehnen, das Abendroth lieh dem freundlichen Bilde
eine zauberische Beleuchtung.*' Aehnlich ist das ürtheil des Frei-
herm von Maltzan, der die Vega von Milis ausfuhrlich schildert
(Reise auf der Insel Sardinien, Leipzig 1869, S. 246 fif.). Das reizende
Puerto de Soller auf der Insel Mallorca soll dem sardinischen Milis
an Schönheit und Fülle dieser Kultur nicht nachstehen. Dort ver-
bindet sie sich mit dem Terrassenbau an heissen schuttreicben Fels-
wänden, über die die Winterbäche herabstürzen; während die fast
senkrechten Bergzinnen ringsum glühen, hat doch die Sonne Raum,
in das Thalbecken zu dringen, und ein Flüsschen entsendet seine
Wasserfaden nach allen Seiten hin durch Rinnen und über Aquäducte
in die Gärten. Die jährliche Ausfuhr aus dem Hafen von Soller
betrug nach Pagenstecher (die Insel Mallorca, Leipzig 1867, S. 97 ff.)
über 50 Millionen ausserordentlich süsser Orangen, die damals an
Bord der Schiffe etwa eine Million Franken werth waren; nach
M. Willkomm (über Südfrüchte, in der Sammlung vnssenschafüicher
Vorträge von Virchow und Holtzendorff, Heft 266 und 267, Berlin
1877) wäre der Werth an Ort und Stelle gegen 4 Millionen Franken.
Leider hat in den letzten Jahren die Gummikrankbeit unter den
Orangen von Mallorca bedrohliche Fortschritte gemacht
Indess, dies Alles sind doch nur Oasen in dem südlichen Europa,
welches weit entfernt ist, ein eigentliches Orangenland zu sein. Der
Tourist muss schon eigens darauf ausgehen, wenn er an einzelnen
Punkten dem momentanen Genuss oder der magischen Täuschong
einer fr^en Hesperidenwaldung sich hingeben will. In Griechenland
wird die Agrumikultur weder in nennenswerthem Umfang betrieben,
noch sind die gewonnenen Südfrüchte von sonderlicher Güte, viel-
mehr bald dickschalig und saftlos, bald sauer oder bitter u. s. w.; in
Oberitalien sind die im Sommer so reizenden sogenannten giardm
am Westufer des Gardasees, der riviera di Salo, doch nur an Maaem
gelehnt und werden bei Eintritt der rauhen Jahreszeit mit einem
Ziegeldach und bretternen Seitenwänden verwahrt; durch ganzOber-
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Agromi. 357
und Mittelitalien trifft man die Limone in den G&rten zwar hänfig,
aber immer in grossen thönemen Kübeln; aach in dem warmen
SiciUen furchtet der Baum die Dürre des Sommers und die Stürme
des Winters und fehlt darum an der ganzen West- und Südküste
der Insel, mit Ausnahme weniger begünstigter Flecke. Und wie diese
Natorarmuth geeignet ist, den erwartungsvollen Wanderer zu ent-
täuschen, so auch die historische Jugend des (Baumes in Europa,
der den Alten in ihrer besten Zeit ganz unbekannt, in der späteren
Zeit nur halb bekannt war. Die goldenen Aepfel, die Herkules dem
Atlas abnahm, und jene anderen aphrodisischen, durch welche Ata-
lante im Wettlauf mit ihrem schönen Freier sich aufhalten liess,
waren keine mala citria^ wie die Alten später annahmen, noch we-
niger Apfelsinen, wie Neuere öfter geträumt haben, sondern zur Zeit
der Einführung dieser orientalischen Naturmythen nur als wirkliche,
wemi auch idealisirte Aepfel, Quitten oder Granaten gedacht. Erst
als Alexander der Grosse durch seine Kriegszüge und die Errichtung
eines griechischen Reichs im Herzen Asiens den Schleier gehoben
hatte, der das Innere dieses Welttheils deckte, hörten die europäischen
Griechen von einem Wunderbaum mit goldenen Früchten in Persien
und Medien. Damals schrieb Theophrast bei Abfassung seiner
Pflanzengeschichte die berühmte Stelle nieder, in der er von diesem
Baum Nachricht gab und die ein halbes Jahrtausend lang wiederholt,
nachgeahmt und als Quelle benutzt wurde, 4, 4, 2: der Osten und
Süden besitzt ihm ganz eigenthümliche Thiere und Pflanzen, wie
Medien und Persien neben vielem Andern den sogenannten medischen
oder persischen Apfel, olov ij %e Mtjdia %iOQa xai Hegoig akka re
^<t nkeiü) xai to fi^kov %6 fiTjdixov ij to negoixov xaXovfxevov.
Er hat Blätter wie die Andrachle und spitze Stacheln; der Apfel
wird nicht gegessen, duftet aber schön, wie auch die Blätter; unter
Kleider gelegt, schützt er diese gegen Motten; wenn Jemand Gift
bekommen hat, giebt er ein wirksames Gegengift ab; wenn man ihn
kocht und das Fleisch, t6 eacod'ev^ in den Mund ausdrückt und
hinunterschluckt, verbessert er denAthem; man steckt die Kerne im
Frühling auf wohlbearbeiteten Grartenbeeten, die alle vier oder fünf
Tage gewässert werden; sind die Pflanzen herangewachsen, so werden
sie wieder im Frühling auf einen zarten, feuchten, nicht allzuleichten
Boden, eig xtoQiov fiakaxov xai B(pvdQOv xai ov liav Xenrov^ ver-
setzt; der Baum trägt das ganze Jahr hindurch und prangt gleich-
zeitig mit Blüten, mit unreifen und mit reifen Früchten (dasselbe
auch de c. pl. 1, 11, 1 und 1, 18, 5); von den Blüten smd diejenigen,
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358 Agrumi.
die in der Mitte eine Art Spindel, rjXaxdrrjv^ tragen, fraditbar, die
anderen nicht (dasselbe auch 1, 13, 4); man zieht den Baum anch
in dorchlöcherten tbonemen Gefässen, aneigsrai de xai eig ooTQaxa
diatezQTifiiva^ wie die Palmen; dieser Baom wächst, wie gesagt, in
Peisis nnd Medien, tibqI ti^v JlaQaiöa xai tt/v Mrjdiav. An dieser
sehr sorg<igen, obgleich aas der Feme entworfenen Schilderung
fällt nor auf, das» die Frucht selbst nach Grösse, Gestalt, Farbe und
innerer Beschaffenheit nicht näher beschrieben wird. Waren etwa
medische Aepfel schon nach Athen gekommen und den Lesern des
Theophrast nicht unbekannt? Wirklich scheint ein uns aufbehaltenes
Fragment des der sog. mittleren Komödie angehörenden Dichters
Antiphanes sich dahin deuten zu lassen, Athen. 3, p. 84 (nach Meineke's
Redaktion):
xai nsgi fiiv oxpov y* ^li^wv to xai Xiyevv
äaneg nqbg änlijaTovg, dXXa Tavri Xafißave
Ttag&eve tä fiijXü. JB. xaXa y€. J. xaXd d^r* c3 %^«o/*
vecjGti yccQ t6 oniQ^a Tovi* atpiyixivov
elg Tag ^A&r]vag iaxi naga xov ßaeiXiaig,
B. naQ* 'Eanegidwv ^littjv ye. A. vii ziqv O(aaq>6Q0v
(paoiv xd xQvod lA^Xa xavt* elvai. JB. TQia
fiovov ioriy. A. oXiyov to xaXov iaxi navtaxov
xai Tifxiov,
Die Lebenszeit des Antiphanes steht nicht ganz fest: nach Suidas
wäre er im Jahre 328 vor Chr. gestorben, also gerade zur Zeit von
Alexanders Zügen in Asien: in einem andern Fragment des Dichters
wird aber der König Seleukus erwähnt, wonach er beträchtlich länger
gelebt haben müsste; doch könnte dies letztere Fragment dem jüngeren
Haupte der mittleren Komödie, dem Amphis, angehören und dem
Antiphanes durch Verwechslung mit diesem zugeschrieben worden
sein. Da in unserer Stelle die Früchte, to aniQjtia Tovto, vom Ba-
oiXevg gekommen sind und zwar neulich, vetoari^ so ist der letztere
und sein Reich also als noch bestehend gedacht; da femer während
Alexanders Vordringen ein häufiger Verkehr zwischen dem Heere
und der Heimat Statt fand, Verstärkungen und Kriegsmaterial von
Europa dorthin, von dort Kranke und Beutestücke zurück nach Europa
gingen, so mögen während dieser Zeit auch persische Aepfel ihr<^
Weg nach Athen gefunden haben, so gut wie noch jetzt Apfelsinen
von Sicilien bis in die Hauptstadt von Sibirien dringen. Selten und
neu sind sie noch, mit Bewunderung werden sie angeschaut, mit den
Hesperidenäpfeln verglichen; der Geber besitzt nur drei, denn, sagt
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Agmmi. 359
er, das Schöne ist überall eben so rar als gesucht Aber nach Grün-
dung der griechischen Königreiche im innem Asien konnte es nicht
feUen, dass die Hesperidenfnichi häufig auf dem europäischen Markt
erschien; doch essbar war sie nicht, und so wundervoll ihr Aeusseres
schien, so abscheulich der Zunge ihr Saft. Der Glaube an ihre von
Theophrast zuerst Terkündigten Eigenschaften, die giftzerstörende,
Ungeziefer vertilgende Kraft und die Reinigung des Athems, wurde
eine auch im Abendlande allgemein herrschende Phantasie. Yergil
in seiner Schilderung des Baumes und der Frucht, Georg. 2, 126:
Media fert tristü succos tardumque saporem
FeUcis mali: quo non pratsentius uüum^
Poctda si quando saevae infecere novercae u. 8. w.
ist ganz von Theophrast abhängig, dessen Worte er nur poetisch um-
setzt: glücklich nennt er den medischen Apfel, weil er den guten
Mächten dient und den Geschöpfen des bösen Gottes, Gift, Gewiirm,
unreinem Athem entgegenwirkt; aber sein Saft ist trütis d. h. stechend
(wie Ennius den Senf triste genannt hatte, s. o.), und sein Geschmack
tardus d. h. lange haftend. Dass direkte Versuche die in der Fracht
liegende antidotische Lebenskraft unwiderleglich bestätigten, brachte
die Natur des Wunderwahnes mit sich, dem, wenn er tief gewurzelt
war, die Erfolge niemals gefehlt haben (Marc. 9, 23: „alle ding sind
müglich dem der da glaubet*'). So wird bei dem fingirten GasLmal
des Athenäus 3, p. 84 nach beglaubigten Aussagen erzählt, dass in
Aegypten Verbrecher, die zufällig von einer solchen Frucht gekostet
hatten, wilden Thieren und giftigen Schlangen vorgeworfen wurden
und unversehrt blieben: dass man darauf von zwei Verbrechern dem
einen dies G^engift auf seinem letzten Gange mitgegeben, dem andern
nicht, und der letztere auf der Stelle vom Schlangenbiss getödtet
worden, der erstere ohne Schaden davongekommen sei; dass dieser
Versuch dann häufig und immer mit demselben Erfolge wiederholt
worden sei. Als die Deipnosophisten des Athenäus dies hörten,
griffen sie fleissig nach den aufgetischten medischen Aepfeln, nicht
des Geschmackes wegen, dürfen wir hinzusetzen, und wohl uDter
Gesichterschneiden. Die zweite Eigenschaft der Frucht, dass sie
verderbliches Ungeziefer abwehrte, gab zu dem lateinischen Namen
citrusj malum citreium u. s. w. Veranlassung. Das griechische xeditog^
mit welchem die duftenden unzerstörbaren Coniferen-Hölzer, Wach-
holderarten, Cedem, Thuja articulata u. s. w., die nicht nur selbst
den Würmern widerstanden, sondern auch die Kleider vor denselben
bewahrten, bezeichnet wurden, — dies xiÖQog war in Italien durch
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360 AgnimL
populäre Entstellang zu citrus gewordeo (wie mala coixmea für xt»-
diüvia^ Euretice für Euryddce, taeda für d^da und manches Andere).
Citrus bedeutete insbesondere das aus Afrika seit alter Zeit einge-
führte Holz des Lebensbaumes^ Thuja articulata, aus dessen Masern
in der späteren Epoche des Luxu^ und Reichthums kostbare Tisch-
platten gefertigt wurden, das aber mit seinem aromatischen Dufte
auch die Motte, den Erbfeind der wolletragenden Völker des Alter-
thums, von den Eleiderkisten fem hielt, Plin. 13, 86: libros citratos
futsse; propterea arbitrarier iineas non teügisse. Auf diese Sitte, die
wollenen Tuniken durch Harz oder Splitter der Thuja oder südlicher
Wachholderspecies vor der Zerstörung zu sichern, bezieht sich viel-
leicht der schon von Nävius in seinem Epos vom ersten punischen
Kriege gebrauchte Ausdruck citrosa vestis d. h. das citrusduftende
Kleid (Macrob. Sat. 3, 19, 4), obgleich Festus p. 42 Müller und
Isidorus darunter ein wie die CitruSiT^em geflammtes verstanden
wissen wollen. Da nun der goldene medische Apfel gleichfalls und
zu dem gleichen Zweck in die Kleiderladen gelegt wurde — und
diese Sitte erhielt sich, wie wir aus Athenäus ersehen, bis zu den
Zeiten der Grossväter, d. h. bis in den Anfang des zweiten Jahrh.
nach Chr. — , auch der Duft der Schale einiger Massen dem des
Cederharzes analog ist, so wurde er in der Vorstellung des Volkes
zur Frucht des Gitrusbaumes und im gemeinem Leben, später auch
bei den Gebildeten, ja bei den Griechen danach benannt. Dioscorides
1, 166 sagt noch: ta di fiTjdcxä Xeyofieva ^ nsQOixa ij xedQo^r^hxy
(fWfiaiaTl de xixQia^ aber Galenus de aliment. facult 2, 37 lacht
schon über diejenigen seiner Collegen, die aus gelehrter Affeetation
sich des allgemein verständlichen xitgiov enthalten und statt dessen
To firidixov fifjkov sagen. Der Zeitgenosse des Gtilenus, der Afrikaner
Apulejus, der eine Schrift de arboribus geschrieben hatte, tadelte da-
rin, wie Servius zu der oben angeführten Stelle des Vergil berichtet,
die Gewohnheit, den Baum mit dem medischen Apfel als citrus zu
bezeichnen, da beide ganz verschieden seien: Iianc plerique citrum
volun% quod negat Apidejus in libris quos de arboribus scripsit et docet
longe aliud esse genus arboris. Aber der Name war in der Sprache
des Volkes herrschend geworden und konnte in einer Zeit, deren
Signatur gerade die Reaction des Populären gegen die Bildung war,
nicht mehr ausgerottet werden.
Seit wann aber darf man annehmen, dass der Baum selbst in
Italien gezogen wurde, und welche Art des Genus citrus war es,
welcher die einst in Athen, dann in Italien und nach Juba von
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AgrumL 361
Maoritanien auch in Libyen als Hesperidenäpfcl angeschaute Frucht
angehörte?
Hätten die älteren unter den griechischen und römischen Schrift-
steilem den Baum schon in Europa mit Augen gesehen, sie hätten
sich nicht so lange ausschliesslich an die Beschreibung des Theophrast
gehalten, und noch viel weniger hätte der Name citrus für ihn auf-
kommen können. Plinias giebt ganz die Schilderung des Theophrast
wieder, dann setzt er hinzu 12, 16: temptavere gentes tramferre ad
uxe propter remecU praestantiam ßctilibus in vasiSy dato per cavemas
radicäms spiramento . . . ., sed nisi apud Medos et in Perside nasci
noluit Also Versuche waren bereits gemacht worden, aber, wie es
mit ersten Versuchen oft geht, vergebliche; man hatte Bäumchen in
thönemen durchlöcherten Kübeln reisen lassen, sie waren aber ausser-
halb Mediens und Persiens nicht fortgekommen, oder hatten wenig-
stens keine Früchte angesetzt^ 16, 135: fastidit... nataAssyria malus
alild ferre. Ohne diese ausdrücklichen Zeugnisse könnte eine andere
Stelle des Plinius für die entgegengesetze Meinung benutzt werden,
13, 103: alia est arbor eodem nomine (arbor citn)^ malum ferens exe-
crafyim aliquis odore et amaritudiney aliis eapetitum, domtcs etiam de-
corans^ nee dicenda verbosius. Hier sind die drei letzten Worte durch
die schon früher von dem Autor nach Theophrast gegebene Be-
schreibung motivirt, die drei vorhergehenden: domus etiam decorans
erklaren sich durch die im Text eben beendigte ausführliche Be-
sprechung der aus dem afrikanischen Citrusholz gearbeiteten Pracht-
üsche. In wie fem aber schmückte, wie jener afrikanische, so auch
dieser medische Baum die Häuser? Stand er in Kübeln unter den
Säulen der Halle und war er also doch, der obigen Versicherung zu-
wider, auch ausserhalb Mediens lebensfähig? Oder zierte er die
Wohnungen der Reichen nur durch seine Früchte, die etwa als xe/-
^iiilia auf Tischen und Gesimsen prangten und die Dämonen des
Verderbens als felicia mala abhielten? Ein oder anderthalb Jahr-
hunderte nach Plinius wenigstens muss der Baum schon ein wirk-
licher Schmuck der Villen und Gärten begünstigter Landschaften ge-
wesen sein. Florentinus, der im ersten Drittel des dritten christlichen
Jahrhunderts gelebt haben wird und dessen Werk zwar verloren ge-
gangen ist, aber dem Inhalt nach zum grossen Theil in der Samm-
lung der Geoponika des Cassianus Bassus sich wiederfindet, schildert
10, 7 die Kultur der xiTgiai ganz nach dem Bilde der heut zu Tage
in Oberitalien z. B. in den giardini des Gardasees, gebräuchlichen;
man zieht sie an der Südseite von West nach Ost laufender Mauern,
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362 Agnuni
bedeckt sie im Winter mit Matten, tpid&oigy u. s. w. Reiche Leute,
fügt Florentinas hinzu, die Aufwand machen können, pflanzen sie
unter Säulengangen, die der Sonne geoffiiet sind, an die Mauer, be-
giessen sie reichlich, lassen die Sommerglut auf sie wirken und be-
decken sie, wenn der Winter naht Also doch nur Treibhauskultur.
Bei Palladius, der im vierten oder vielleicht erst im fOnften Jahr-
hundert lebte^ wachsen Citronenbäume auf Sardinien und bei Neapel,
also in warmen, durch Seeluft gemilderten Gegenden, auf fettem,
reichlich bewässertem Boden, Winter und Sommer unter freiem
Himmel, und die bisher nur traditionellen, halb sagenhaften Vor-
stellungen konnten jezt an der Wirklichkeit gemessen und berichtigt
werden. So fand sich z. B., dass der Baum wirklich, wie schon
Theophrast angegeben hatte, immerfort Blüten und Früchte hervor-
brachte, contitma /oecunddtatej 4, 10, 16: Asserü MarticUis (Gargäm
Martialüy Mitte des dritten Jahrhunderts) a'pud Assyrios pomü hone
arborem nunquam (in den Handschriften steht: non) carere: quod ego
in Sardinia et in territorio NeapoUtano in fundis mm comperi (gmlm
solnm et coelum tepidvm est et hvmor exundans) per gradus qtwsdom
sibi semper poma mccedere^ cum maiuris se acerha substituant^ acerbonm
vero aetatem florentia consequantur, orbem quendam continuae foecwk-
ditaUa sibi ministrante natura. So war denn im Lauf der ersten
christlichen Jahrhunderte der immergrüne Baum, der die goldenen
Aepfel trug, wirklich in Italien naturalisirt worden, erst in Kübeln,
mit zweifelhaftem Erfolge, dann durch Mauern gegen Norden, im
Winter durch Bedeckung geschützt, endlich in erlesenen Paradiesen
auch völlig im Freien, und damit durch ein weiteres Beispiel be-
wiesen, dass die Kaiserjahrhunderie, diese Epoche unrettbaren, be-
schleunigten Yer&lls, doch auch in manchen Zweigen menschlichen
Schaffens, die weniger den Blick auf sich zu ziehen pflegen, wie in
Austausch und technischer Verwerthung der Naturobjecte der ve^
schiedensten Länder, eine aufwärts gerichtete Entwickelung zeigen.
Fragen wir, welche Art der Aurantiaceen wir uns unter dem me-
dischen Apfel und der arbor citri zu denken haben, so lässt sich mit
Sicherheit antworten: die Citronat-Citrone, citrus medica cedra, und
zwar aus mehreren Gründen. Erstlich heisst diese dickschalige, oft
köpf grosse Frucht, mit verhältnissmässig geringem saurem, bei einer
Abart auch süsslichem Fleische oder Safte, noch jetzt in Italien cedro^
dann findet sich in der persischen Provinz Gilän, einem Theil des
alten Mediens, der Gitronatbaum noch ganz mit dem Habitus, den
Theophrast beschreibt, namentlich mit häufigen scharfen Stacheln be-
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Agnmd. 363
wa&et (s. Gmelin Reise durch Rnssland zur Untersachang der drei
Natorreiche, Theil 3, St. Petersburg 1774, S. 108, wo Theophrast
nicht genannt, aber die Beschreibung des citrm spinams völlig mit
dem Bilde zusanunen&llt, das der GrifiPel des alten Meisters ent-
worfen); drittens passen die gelegentlichen Aeusserungen der Alten
über die Gestalt, Zusammensetzung und Essbarkeit des medischen
Apfels nur auf diese Citrone; Dioscorides nennt sie inifjujxsg^ länglich,
und iQQVTidwfihoVj runzlich (s. die Abbildung bei Gmelin); die
Fracht wird mit Wein, mit Honig eingekocht, sie ist essbar und ist
es nicht; sie ist so gross, dass bei Apicius jede einzelne in einem
besonderen Topf eingemacht wird, 1. 21: tn vas citrium mitte^ gyp^
suspende (wo Andere eine Art Kürbiss verstehen wollten); wenn sie
noch unreif ist, umgiebt man sie mit einer thönemen HüUe, in die
sie hineinwächst und deren Gestalt sie annimmt; das Fleisch d. h.
die weisse, dicke, beinahe den ganzen Raum einnehmende Schale
wird als Uauptbestandtheil mit aufgezählt, t^v olov aagtea bei Galen,
de ahm. fac. 2, 37 — lauter für die citrus medica cedra treffende Züge;
endUch tragen alle übrigen Arten der Hesperidenfrucht Namen, die
jeden Zweifel über das spätere Zeitalter, in welchem sie eingeführt
wmden, ausschliessen. Die Limone — die wir deutsch falschlich
Citrone nennen — , eine kleinere, mehr oder minder rundliche Frucht
mit dünner aromatischer Schale und reichem saurem Saft heisst so
nach dem arabischen Umun; dies stammt aus dem Persischen; letzteres
entlehnte das Wort aus dem Indischen — womit Herkunft, Weg und
Zeit genugsam angedeutet sind. Zur Zeit Karls des Grossen wuchs
an den Ufern des Comersees, über welchen damals ein Hauptweg
von Italien nach Norden in das Bisthum Chur und das Rheinthal
fährte, ausser Oliven, Granaten, Lorbeem, Myrten auch der persische
Apfel^ citreon genannt, Paulus Diaconus in laude Larii laci (Haupt,
Berichte der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, phil.-
hist. Klasse, 1850, 1, 6 ; Dümmler, Gedichte aus dem Hofkreise Karls
des Grossen, in der Zeitschrift für deutsches Alterthum, 12, 1865, S. 451 ;
neuerdings auch bei Dahn, Paulus Diaconus, p. 97) 15:
Vmcit odore suo delcUum Perside malum;
Citreon hos omnes vincit odore suo —
er besiegt sie alle mit seinem Duft und diese Eigenschaft wie sein
Name kennzeichnet ihn als dickschalige citrus medica cedra. Als zwei
Jahrhunderte später, um das Jahr 1000, der Fürst von Salemo von
Arabern in seiner Stadt belagert wurde und vierzig zufallig aus dem
heiligen Lande heimkehrende Normannen ihn befreit hatten^ schickte
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364 Agromi.
er in die Normandie Gesandte nnd mit ihnen poma cedrinaj amdg-
dolos quoqm et deauratas nuces — um die Nonnannen zu bewegen, in
ein so schönes Land zu kommen und es vertheidigen zu helfen
(Chronica Montis Cassiniensis bei Pertz Scr. 7 p. 652; in der altfran-
zösischen Uebersetzung des Amatus von Montecassino, herausgeg.
von Champollion-Figeac, 1, 19, sind die poma cedrina durch eure
wiedergegeben). Um diese Zeit also wächst auch in ünteritali^i
immer nur noch die Citronate der Alten. Auch als Jacobus de
Vitriaco, Bischof von Accon, nachher von Tusculum und Kardinal,
der im Jahre 1240 in Rom starb, die Naturwunder des heiligen
Landes beschrieb, kann der Limonenbaum noch nicht in Europa ge-
wesen sein, denn er führt ihn ausdrücklich unter den in Europa
fremden palästinensischen Pflanzen auf, Bongarsii Acta Dei per
Francos, Hanoviae 1611, p. 1099 (bist, hierosolymit. 1, cap. 85): mnt
praetereo aUae arbores fructus acidos pcntici (nüttellateinisch für au-
stertis, 8. Du C) videlicet saporü^ ex se procreantes, quos appeUant
limones: quorum micco in aestate cum camibus et piscibus libentissime
utuntur^ eo quod sit frigidus et exsiccons palatum et provocans oppe-
titum. Auch die Pompelmuse, franz. pamplemousse, von den Italieneni
pomo di paradiso oder d^ Adorno genannt, fand Jacobus unter dem
letzteren Namen in Palästina: sunt ibi aliae arbores poma ptdcherrima
et citrina ex se producentes^ in quibus quasi morsus hominis cum denr
tibus manifeste apporet et idcirco poma Adam ab omnibus appeUantur,
Es sind dieselben Früchte, die noch jetzt die Juden aller Länder
nach Levit 23, 40 zu ihrem Lauberhüttenfest brauchen und die bloss
zu diesem Zweck in mehreren Gegenden Italiens gebaut werden.
Die Kreuzfahrer also oder Handelsleute der italienischen Seestädte
oder die Araber bei ihren Kriegszügen und Niederlassungen auf den
Inseln und Küsten des Mittelländischen Meeres brachten die Limonen
hinüber, deren intensive Fruchtsäure in Europa wie im Orient eine
beliebte belebende Beigabe zu vielen Speisen bildete, unreines, übel
schmeckendes Wasser trinkbar machte und mit dem zugleich bekannter
werdenden Zucker die köstliche, vielbegehrte limonata abgab. Der
Epoche der Araber verdankt Europa auch die Pomeranze, citrus
amrantium amarum^ ital. arancio^ melarancio, franz. orange. Ur-
sprünglich war auch dieser Baum mit der glühend rothgoldeneU;
bitter aromatischen Frucht und den wundervoll duftenden Blüten aas
Indien, seiner Heimath, nach Persien gekommen, persisch näreng,
von dort zu den Arabern, arabisch ndrang^ und weiter nach Europa,
byzantinisch vegavt^tov. In der kleinen Abhandlung, die Silvestre de
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Agnmü. 365
Sacy der Geschichte der Aorantiaceen bei den Arabern widmet (in
seiner Aasgabe der Beschreibung Aegyptens von Abd-AUatif, Paris
1810, p. 115), findet sich ans Makrisi folgendes wichtige historbche
Zeogniss des Masadi angefahrt : Makrizi dtt: y^Mcacmdi rapporte dans
«on Mstoire (statt dessen conjectnrirt de Sacy mit einer ganz leichten
Yeränderung des arabischen Wortes: en parlant de Vorange\ que le
cüron rond (die Pomeranze) a M apport^ de Finde postMeurement ä
Fan 300 de Vhigire (August 912 der christlichen Aera); qiCü fut
iabcrd semS dans VOman, De lä^ ajcute-lrü^ ü fut port^ ä Boftra
en Irak et en Sj/rie^ et ü devint tr^ commun dans les maisons des
habüants de Tarse et autres viUes frontüres de la Syrie, ä Äntioche^
mr les cStes de Syrien dans la Palestine et en Egypte, On ne le con-
ncdssaU pomt atiparacant. Mais ü perdit beaucoup de Vodeur stuwe
et de la belle couUur quHl avait dans Vlnde^ parceqtCü n^avait plus
m le meme climat, ni la meme terre^ ni tout ce qui est partictdier ä
ce pays.^ Bei dem weiteren Uebergange nach Europa musste sie
natürlich noch mehr von dem süssen Duft und der schönen Farbe
yeriieren, die der Araber schon in Westasien an ihr vermisste. In
einigen italienischen Mundarten und im Spanischen ist das anlautende
n des arabischen Wortes noch erhalten; dem franzosischen orange
gab der hineinspielende Begriff von or, aurum seine etwas abweichende
Form: in orange liegt schon das Goethe^sche Goldorange. Schon Ja-
cobus de Titriaco hat das Wort in französischer Gestalt: in parvis f
autem arboribus quaedam crescunt oMa poma citrina, minoris quanti-
tatü frigida et acidi seu pontici saporis^ quae poma Or enges ab inddr-
gems nuncupantur, Albertus Magnus in seinem Buche de Yegetabi-
Hbos, welches kurz vor 1256, also nicht sehr lange nach lac. de
Yitriaco geschrieben ist, tadelt 6, 53 diejenigen, die für die cedrus
(den Gitronenbaum der Alten, quae arbor facit poma crocea obhnga^
Wöjrwo, quae fere figuram praetendunt cucumeris et habent in se grana
acetosa) den Namen arangus braueben: sed tarnen arangus pomum
habet breoe et rotundum et caro ejus est moUis u. s. w. Nach Aman,
storia dei Musulmani di Sicilia, vol. 2, Firenze 1858, p. 445 wäre
die in einem Diplom von 1094 (bei Pirro, Sicilia Sacra, p. 770) vor-
kommende via de Arangeriis in der Nähe von Patti — ein Orangen-
weg, also der Name und die Frucht schon vor den Kreuzzügen durch
die Araber auf die Insel Sicilien gekommen.
Noch weit jünger ist in Europa die süsse Pomeranze, citrus
mrantium dtUce. Auch hier liegt in der deutschen Benennung Apfel-
sine d. h. chinesischer Apfel und in der italienischen portogaUo die
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366 AgmmL
Gescbichte und der Weg des Baumes aasgesprochen. Erst die Porta-
giesen brachten ihn nach Ausbreitung ihrer Schiffahrt in den Meeren
des östlichen Asien ans dem südlichen China nach Europa, angebUch
im Jahre 1548, und der europäische Urbaum stand noch lange zu
Lissabon im Hause des Grafen St. Laurent Der Jesuit Le Comte,
der lange in China gelebt hatte, berichtet darüber in seinen Nonveanx
m^moires sur l'^tat pr^ent de la Chine, 2* Edition, Paris 1679, T. 1,
p. 173: On les nomme en France Orange de la Chine parceqtie ceUes
que neu» vvmes pour la premüre fais en avaient iU appartSes. Le
premier et uniqtLe oranger^ duquel on dit qu^eUes sont toiUes venues, se
canserve encore ä Lübonne dans la maüon du Comte S. Laurent et
(fest aux Portugals que nous sommes redevables d!un d exceUent fruit.
Noch Ferrarius (Hesperides, Romae 1646, fol.) nennt die Apfelsine
auranüum Olysiponeme^ Orange von Lissabon, und fügt p. 425 hinzu,
sie sei von dort nach Rom ad Pias et Barberinos hortos geschickt
worden. Das Letztere ist nur ein CompHment für den Papst Urban 8.
Barberini, unter dem der Jesuit Ferrari sein Werk yer£asste; die
Gärten der Pier können aber nur die der beiden Päpste Pius 4 und
Pius 5 sein, die von 1555 bis 1572 den päpstlichen Stuhl einnahmen.
Die ([östliche Frucht verschafifte dem Baum bald Verbreitung um
die Küsten des mittelländischen Meeres bis tief nach Westasien hin-
ein, und nicht bloss die Italiener, auch die Neugriechen sagen noQ-
Toyalectj die Albanesen protokale^ ja selbst die Eurden portoghal
(Pott, Zeitschr. für Kunde desMorgeuL 7, 113), während im Norden
die Russen, die Grenznachbam der Chinesen, den deutschen Nameo
Appelsin angenommen haben — lauter Anzeichen der vollbrachten
Umwälzung im Weltverkehr, der nicht mehr wie zur Zeit des Helle-
nismus und der römischen Kaiser und später der islamitischen Araber
quer durch Asien von Ost nach West ging, sondern seit Yasco de
Gama die umgekehrte Richtung genommen und sich den Ocean zmn
Schauplatz gemacht hatte. Auch nach Amerika brachten Portugiesen
und Spanier den Baum, der in den tropischen Gegenden der Neuen
Welt wunderbar gedieh. Eine neue Varietät, die sogenannten Man-
darinen, citrus madurensis, kleiner^ süsser, gewürzhafter, als die
Apfelsinen, trat im 19. Jahrhundert auf und erwirbt sich mit jedem
Jahr ein grösseres Terrain; nach Sicilien sollen die Mandarinen von
Malta gekommen sein. Zu Abweichungen ist dies ganze Fruchtge-
schlecht überhaupt sehr geneigt, und Oertlichkeit, Impfung und Be-
handlung haben unzähUge Spielarten hervorgebracht Solche künstUch
zu erzeugen, war sonst der Stolz der Gärtner, als von den Tuilerien
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Der JohamusbrodbaiuiL 367
und später Ton Versailles aas neben Oper, Ballet^ Vergoldung und
Porcellan anch der Besitz weidäafiger Orangerien mit kugelig be-
schnittoien Bäumen in prachtvollen Kübeln und Kasten, die im
Sommer lange Alleen bildeten, zum kostbaren Erfordemiss aller Hof-
lialtangen, ja der Herrenhäuser des reichsunmittelbaren Landadels ge-
worden war. Später verwandelten sich bei steigender Bildung die
Oraogerien in mehr botanische Treibhäuser, und als der ästhetische
Humanismus auch den mittleren Ständen den dumpfeu, theologischen
Kerker geöffiiet hatte, da zog der junge Schwärmer, den Hofgärten
imd ihren Schneckengesimsen den Rücken kehrend und Mignon nach-
singend, in das Land, wo unter azurnem Himmel die Goldorange in
dmiklem Laube glühte und in reiner Form die dorische Säule auf-
stieg. Doch musste er lange wandern, ehe er einen Hesperidenhain
betrat, und auch da war Alles in prosaischer Weise auf Ertrag, Be-
natzoDg und Absatz berechnet; die Citronen wurden zerquetscht und
der abfliessende trübe Saft in hölzerne Fässer gegossen; die Blüten
worden unbarmherzig abgeschüttelt, damit aus ihnen kölnisches
Wasser, eau deCohgne^ bereitet werde; der Zuckerbäcker versott die
Früchte für den Markt von London, Hamburg, Bergen in Norwegen
ond Archangel am Eispol; der Destillateur fabricirte Bergamottol
ans den Schalen. Auch war damals, als Pästum seine Tempel er-
riehtete, die Tauromenier im Theater sassen und Pindar, Aescbylus
and Plato von den Herrschern von Syrakus als Gäste angenommen
worden, weit und breit kein blühender Citronenbaum zu sehen, ja
jene alten Helden, Künstler und Denker hatten nie von einem solchen
aach nur gehört Erst die Villen, in denen die Humanisten des
fnn£sehnten Jahrhunderts und die Mitglieder der platonischen Akademie
wandelten, waren mit Pomeranzen geschmückt, und süsse Orangen
brachen erst die schwarzen Väter Jesuiten aus den immergrünen
Zweigen und überreichten sie den lächelnden Hofdamen in Puder
imd Reifrock zur Erfrischung für die schönen, lechzenden, geschminkten
.8«)
Der Johannisbrodbaum.
(Ceratonia ailigua L.)
Der Johannisbrodbaum ist ein immergrüner, nicht sehr hoher,
aber schattenreicher, mächtig ausgebreiteter Baum, der am liebsteti
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368 I^er Johannisbrodbamn.
in der Nähe des Meeres die heissen, sonneerwärmten Felsenwände,
die ihm zam Schatz gegen kalte Nordwinde dienen, mit seinen
Wurzeln umklammert. Er wächst langsam, trägt erst nach zwanzig
Jahren und dauert Jahrhunderte lang. Seine Fruchte — braune,
flache, einen Zoll breite, einen halben, ja einen ganzen Fuss lange,
hom- oder sichelförmig gekrOmmte Schoten, mit glänzend dunklen,
bohnenartigen Samen und süssem, nahrhaftem Fleisch, das sogenannte
Johannisbrod — werden von Thieren und Menschen gegessen and
bilden einen namhaft<m Handelsartikel. So lange sie nicht ganz
reif sind und ihre braune Farbe noch nicht angenommen haben,
gelten sie für schädlich^ ja giftig, nachher aber nähren sich Schweine,
Pferde und Esel von ihnen, und auch der Schweinehirt und der
Eseltreiber verschmäht sie nicht, nachdem er sie sich vorher geröstet
oder gebacken. Soll der Baum nicht bloss Schatten gewähren,
sondern auch reichlich Früchte tragen, dann muss er von Zeit zu
Zeit beschnitten werden, wie der Weinstock und der Oelbaum. Seine
nördliche Grenze föllt ungefähr mit der der Citronen und Orangen
zusammen. Das Johannisbrod wird weit im Orient verfuhrt ond
fehlt bis tief in Russland auf keinem Volksmarkt unter den feilge-
botenen Leckerbissen; auch in Oberitalien sieht man es im Winter
viel, es kostet wenig, und besonders die Knaben stopfen es sich gern
in den Mund. Im alten Griechenland wuchs der Baum nicht, aber
die süssen Hörnchen kamen, vom Orient eingeführt, auf den Marlt
Man nannte sie ägyptische Feigen, aber missbräuchlich, denn in
Aegypten war, wie Theophrast mit Nachdruck versichert, die neqiavia
gerade nicht zu finden, h. pl. 4, 2, 4: n de xagnog elloßog ov xalovoi
%iveg alyvmiov avxop dirj/nagTijxoTeg' ov yiverac yag olog ntgt
AtyvTiTOV alV iv ^vqltf xai iv ^Iwvitf de xai nsQi Kvlöov tm
^Podov, Es war also ein Gewächs Syriens und loniens, das sich bis
Knidos im südwestlichen Kleinasien und bis Rhodus verbreitet hatte.
Im Uebrigen beschreibt Theophrast den Baum richtig und genan,
aber er beschreibt ihn eben und zwar ausführlich, zum Beweise,
dass seine Leser selbst ihn nicht kannten und täglich beobachten
konnten. Auch Strabo kennt ihn nicht in Aegypten, wohl aber in
Aethiopien oder dem Lande, wo Meroe liegt, 17, 2, 2: nleovalei i^
twv q>VTa)v o xe q)olvL§ xat ^ negaia xai eßevog xai xsQOfio.
Schon Theophrast hatte auf eine unfreundliche Wirkung der Blüte
hingewiesen: av&og exlevxov ^ov xai ti ßaQvvrjtog, er hätte hin-
zusetzen können: auch der unreifen Schoten; Galenus dehnt die
Schädlichkeit auch auf die reifen Früchte aus und meint, es wäre
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Der Johumisbrodbamn. 369
besser, sie würden aas dem Orient, wo sie wachsen, lieber gar nicht
nach Europa gebracht, de aliment fac 2, 33: äat^ afieivov ijv ai%ä
(itiii xofii^sa^ai ngog fj^iag ix xcuv avarokixwv xtagliov iv olg
yinSnai. Bas eigentliche Vaterland des Baumes war das an Frucht-
bäomen so gesegnete Kanaan: da er geimpft werden muss, um ess-
bare Früchte zu spenden, so war er also auch, wie Olive und Dattel-
palme, ein Product menschlicher, insbesondere semitischer Kunst und
Mühe. Einst, wie jetzt, bildeten die süssen Schoten in Palästina
eine gemeine Speise. Der Täufer Johannes hatte damit in der Wüste
sem Leben gefristet, und noch den Reisenden neuerer Zeit wurde der
angebliche Baum gezeigt, der den Vorläufer des Messias mit seinem
Johannisbrod genährt hatte. In der Parabel im 15. Kapitel des
Lucas begehrt der verlorene Sohn, der zum Hüter der Schweineheerde
herabgesunken ist, seinen Hunger mit den Hörnchen, ani twv xe-
Qcniwv^ die die Schweine frassen, zu stillen, aber Niemand gab sie
ihm. Auch der Name des kleinen Gold- und Diamantengewichts,
des Karats, der von den Bohnen der Johannisbrodschote, xegaTiOy
genonmien ist (schon bei Isidor cerates, später von den Arabern
adoptirt und durch sie den Sprachen aller Länder mitgetheilt, — wo-
for aach süiqua gesagt ward), beweist, wie verbreitet und alltäglich
die Frucht im griechischen Orient war. Bei den römischen Schrift-
stellern finden wir einige Stellen, die auf schon damals versuchte
Anpflanzung im Abendlande hindeuten. Nach Columella 7, 9, 6
soUen die Schweine im Walde ausser von anderen vdldwachsenden
Frachten auch von graeccie nliquae sich nähren. Da zu Columellas
Zeit unmöglich Johannisbrodbäume einen Bestandtheil europäischer
nenuyra ausmachen konnten, so mag die Notiz aus irgend einem
griechisch-orientalischen Schriftsteller über Landwirthschaft stammen.
An einer anderen Stelle giebt Columella den Rath, den Baum im
Herbst zu säen, 5, 10, 20: siliqttam graecam quam quidam xbqoltlov
vocant et Perncum ante brumam per av^ctumnum serito. Auch dies
ißt wohl nur eine aufjgenommene fremde Wirthschaftsregel; Plinius
wiederholt sie mit denselben Worten (17, 136), entweder aus Colu-
mella, oder aus der gemeinsamen Quelle; im Uebrigen nennt er die
Frucht praedulces siliquae (15, 95) oder süiquae syriacae (23, 151)
und behandelt sie nicht als einheimische. Syriacae heissen die Schoten
auch bei Scribonius Largus ein Menschenalter früher; wo sonst sili-
quae als Speise des Armen und Genügsamen vorkommen, ist kein
Grund, etwas Anderes ab das Nächste d. h. als Bohnen oder Erbsen
darunter zu verstehen. Bei Galenus gegen Ende des zweiten Jahr-
Vict HebD, Kultorpflanseo. ^^
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370 Der Johaimisbrodbanm.
hunderts ist, wie wir so eben gesehen haben, das Johannisbrod dorch-
ans nur Gegenstand der Einfuhr aus dem Orient. Palladius aber in
den letzten Zeiten des Römerreichs lehrt ausführlich den Baum fort-
pflanzen und spricht auch von seinen eigenen Erfahrungen dabei,
3, 25, 27: siliqua Februario meme seriiur et Nwembri et sermne et
planus : amat loca maritima^ calida^ sicca, campestria: tarnen ut ego
eapertua sum, in locis caMdis foecundior fiet^ d adjuvetur humore: potest
et taleis poni u. s. w. Da diese Stelle in einigen Ilandschriften feWt,
auch der fleissige Benutzer des Palladius, Petrus Crescentius, über
den Baum schweigt, so bleibt Zweifel, ob wir nicht am Ende ein
nachmaliges Einschiebsel vor uns haben. Sollte aber auch die NaturaU-
sation des Baumes zur Zeit der Römer begonnen haben, so lehren doch
die arabischen Namen: ital. carrobo^ carrvba^ span. garrobo^ alga/rrobo^
portug. alfarroba^ französ. carovhe^ carouge^ dass erst die Araber ent-
weder die erloschene Kultur von Neuem aufiiahmen oder der noch
vorhandenen die heutige Verbreitung gaben. In der südlichen H&lfte
der italienischen Halbinsel sind jetzt die Carroben häufiger und die
Ernte reichlicher, als derjenige Reisende voraussetzt, der bloss die
gewöhnliche Strasse der Touristen gewandert ist und den syrischen
Baum etwa nur an der Felsenstrasse bei Amalfi gesehen hat. Sicilien,
die arabische Insel, erzeugt und verschifft viel Johannisbrod; auch
auf Sardinien fehlen die Ceratonien nicht und man pflanzt sie gern
in Feldgegenden einzeln zur Mittagsrast; die reichsten Bäume dieser
Art aber stehen am apulischen Grargano, diesem in malerischer, natur-
wissenschaftlicher, auch botanischer Hinsicht so merkwürdigen, aber
auch so selten besuchten, massigen, isolirten, zum Meer abstürzenden
Kalkstein- Vorgebirge. Im heutigen Griechenland finden sich Carroben-
bäume hin und wieder auf dem Festlande und auf den Insehi zer-
streut, darunter einige von ehrwürdigem Alter, wie derjenige, unter
dem Fiedler, Reise, 1, 224, auf dem skironischen Wege sein Mittags-
mahl hielt und dessen Stamm einige Fuss Durchmesser hatte. In
Kleinasien, Syrien u. s. w. geniesst der Baum auch religiöse Ver-
ehrung, und zwar bei Muselmännern wie bei Christen. Er ist dem
heüigen Georg geweiht und Kapellen unter oder in seinen Zweigen
sind gewöhnlich. Wie bei allen Kulturgewächsen haben sich auch
bei diesem Varietäten gebildet, die sich durch grössere oder geringere
Süssigkeit und Haltbarkeit und durch Form und Grösse der Schoten
unterscheiden. Im Orient, wo die Frucht noch mehr Zucker cnt-
wickehx mag, und zuweüen auch in Europa presst man aus den
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Das Kaninchen. 371
Schoten auch eine Art Honig, mit dem andere Früchte eingemacht
werd^, nnd wirit die Rückstände den Schweinen vor. Aach das
harte Holz wird geschätzt and die Rinde dient zum Gerben.
Das Kaninchen.
{Lepu$ cuniculus L.)
Von Spanien her lernten die Römer ein dem Hasen verwandtes
Haasthier kennen, das den Grriechen im Osten des Mittehneeres
nicht za Gesicht gekommen war: das Kaninchen. Es war, wie das
Spartgras and die Korkeiche, Spanien eigenthümlich imd eng an den
iberischen Volksstamm geknüpft, mit dem es über Afrika nach dem
westlichen Earopa gekommen sein mag. Es trug bei den Römern
den Namen cunictUus^ ein Wort, dessen Stamm möglicher Weise der
iberischen Zange angehört and nar mit lateinischer Endang versehen
ist**). Mit demselben Aasdrack bezeichneten die Römer schon seit
Cicero and Cäsar auch unterirdische Gänge, und es war Streit, ob
diese nach dem Thier oder umgekehrt das Thier nach jenen benannt
sei; die Alten entschieden sich meist für Letzteres, aus keinem anderen
Grunde, als weil ihnen die Sache und also auch das Wort in dieser
Bedeutung häafiger aufstiess, als das halb unbekannte Thierchen, —
während wir die erstere Annahme für natürlicher halten, wenn auch
die römischen Sapeurs und Mineurs ihre Kunst nicht gerade den
Kaninchen abgelernt haben, wie Martialis meint, 13, 60:
Gaudet in effossis hahitare cuniculus aniris:
Monstravit tacitas hostibus ille vias.
In der Literatur kommt das Kaninchen zuerst bei Polybius vor, also
am die Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Chr., in der nach dem
Lateinischen gebildeten Form xvvmXogy 12, 3: auf Corsica giebt es
keine wilden Thiere nX^v aXconexcjv xai xvvixlcov xai nQoßaxov
ayQiiov (Moufflons). Bei Athenaeas 9, p. 400 lautet die von Polybius
gebrauchte Form xovvixlog^ dem Lateinischen nicht gerade näher,
da das u in cuniculus kurz ist. Auch bei dem Geschichtsschreiber
und Philosophen Posidonius von Apamea in der ersten Hälfte des
ersten Jahrhunderts vor Chr. kam das Wort vor. CatuUus kennt
Spanien als ein kaninchenreiches Land oder als ein Land reich an
Kaninchengängen, 37, 18: Tu cuniculosae Celtiberiae ßli Egnati, Aus-
24*
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372 ^^ Kaninchen.
führlicher verbreiten sich darauf über das Thier, seine Ansiedelang
und Verbreitung und die Art es zu fangen, Varro 3, 12, 6, Strabo
an zwei Stellen des dritten Buches 2, 6 und 5, 2, endlich Plinius
8, 217 ff. Die Iberer müssen besondere Liebhaber dieser Zucht und
des Kaninchenfleisches gewesen sein: sie hatten das Thier auch auf
die spanisch-italischen Inseln, auf denen sie vor Alters angesessen
waren, mit über Meer gebracht, nicht bloss nach Corsica, wie wir
so eben von Polybius gehört haben, sondern auch auf die balearischen
Inseln. Für den grössten Leckerbissen galt bei ihnen der noch nicht
geborene Fötus oder das noch säugende Thierchen, welches ganz
und gar, ohne ausgeweidet zu werden, verzehrt wurde: solche noch
erst werdende oder eben auf die Welt gekommene Kaninchen hiessen
laurices^ mit einem wohl gleichfalls iberischen Namen. Aber die
grosse Fruchtbarkeit, die dem Hasengeschlecht eigen ist — ein Ka-
ninchen kann sechs bis sieben Mal im Jahre vier bis zwölf Junge
werfen und beginnt dies Geschäft schon einige Monate nach der
Geburt — machte das Thier zu einer wahren Landplage auf dem
spanischen Festlande wie auf den Inseln: es überzog mit seinen
Gängen und Höhlen den Kulturboden, nagte die Wurzeln und Sprossen
weg und untergrub Bäume, ja sogar die Wohnungen der Menschen.
Nach Strabo sollten die Bewohner der rvfivrjalai d. h. Mallorcas
und Minorcas einst zu den Römern Abgesandte geschickt haben,
mit der Bitte, ihnen ein anderes Land zum Wohnplatz anzuweisen,
da sie sich gegen die Menge Kaninchen nicht mehr halten könnten.
Als gewiss berichtet Plinius, sie hätten den Kaiser Augnstus am
militärische Hülfe angegangen, da sie allein mit den Thieren nicht
fertig werden könnten. Und nicht bloss durch ganz Spanien herrschte
diese Noth, sondern erstreckte sich auch bis Massilia — vielleicht
ein Fingerzeig mehr für die ethnographische Stellung der Liguren,
die vor der Ankunft der Kelten von Norden den ganzen Küstenstrich,
an dem Marseille liegt, bewohnt hatten. Die Iberer hatten indess
in einem anderen halb wilden, halb domesticirten Thiere, das sie aas
Afinka bezogen hatten, einen wirksamen Feind und Vemichter des
Kaninchens und höchst eifrigen Jagdgenossen kennen und anstelleo
gelernt, das Frettchen, eine Art Iltis, lateinisch viverra (lit vaivaraSy
das Männchen vom Utis und Marder, lit. vovere, preuss. vevare, slav.
vSoerica^ das Eichhorn), span. huron^ ital. furetto^ französisch fwret.
Es kroch in die Kaninchenhöhle und trieb die Bewohner zum Aas-
gang hinaus, wo der Jäger sie auffing und erlegte. Die Griechen
benannten dies Frettchen mit dem allgemeinen Ausdruck yaAf , dem
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Das EanincheiL 373
sie zu Däherer Bestimmung das Prädikat TaQtTjaala UnzufQgten.
Schon Herodot weiss von solchen tartessischen d. h. spanischen
Wieseln: er sagt 4, 192 bei natorhistorischer Beschreibung der Nord-
küste ?on Afrika, es lebten dort unter Silphiumstauden yaXiaiy den
tartessischen ganz ähnlich — welche letztere also im fünften Jahr-
hundert vor Chr. schon in Spanien zur Jagd üblich waren. Dass
schon zur Zeit der Republik Kaninchen auch von den Römern in
sogenannten Leporarien gehalten wurden, sehen wir aus Varro; an
der Tafel des Athenäus hat einer der Sprechenden auf der Fahrt
Ton Dicäarchia, dem heutigen Pozzuoli, nach Neapel die kleine Insel
an der äussersten Landspitze, also das heutige Nisida, von wenig
Menschen und viel Kaninchen bewohnt gesehen (Athen. 1. 1.) — was
auch noch heut zu Tage von den italienischen Inseln im Verhältniss
zmn Festlande gilt. Immer aber ward das Thierchen bei den Römern
als charakteristisches Merkmal des Landes Spanien betrachtet: wir
sehen dies z. B. aus Gold- und Silbermünzen des Kaisers Hadrian,
wo auf dem Revers mit der Legende Hispania vor einer liegenden
weiblichen Figur, die einen Olivenzweig hält und den linken Arm
auf den Felsen Calpe stützt, ein Kaninchen abgebildet ist (H. Cohen,
Description historique des . . . m^dailles imperiales, T. 2, Paris 1859,
Adrien n» 270-276).
Heut zu Tage haben sich die niedlichen, so eigenthümlichen
Thierchen mit dem wohlschmeckenden Fleische über einen grossen
Theil Europas ausgebreitet, sind aber besonders in Frankreich und
Belgien unter dem Namen lapin (nach Diez für clapiriy Yolksausdruck:
der Ducker) eine häufige und beliebte Speise. Dies muss schon zu
der Zeit, die Gregor v. Tours beschreibt, der Fall gewesen sein, denn
5, 4 berichtet er von Roccolenus: erant enim dies sanctae Quadra-
genrnae in qua fetm cuniculorum (also die oben genannten laurices)
saep'e comedit. Bei Petrus Crescentius, dem Zeitgenossen Dantes,
wohnt das Kaninchen in dem zusammenhängenden Strich Landes von
Spanien durch die Provence bis in die Lombardei, 9, 80: quod in
Hispania et in Provincia et in partibus Lombardiae^ sibi cohaerentibus,
nascitur — also immer noch auf iberischem Urboden. Jetzt ist es
nicht bloss dem Proven^alen, sondern auch dem Pariser wohlbekannt
tind hat nicht bloss die Inseln des wesüichen Mittelmeers, sondern
auch die des östlichen oder griechischen überzogen und mit seinen
Gangen durchlöchert. In Frankreich, England und den Niederlanden
ist es zugleich durch Züchtung und Kreuzung wesentlich verwandelt
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374 I^i® Katze.
und veredelt worden, sowohl was Zartheit des Fleisches, Grosse,
Frachtbarkeit, Abhärtung gegen das Klima, als die seidengleiche
Weichheit des Haares betrifft®*).
Die Katze.
Der Hund ist ein uralter Begleiter des Menschen, ja gewiss das
früheste und erste von allen Thieren^ die der Mensch sich zugesellt
hat, — wer, der es nicht weiss, sollte glauben, dass die lächerliche
Feindin des Hundes, die Katze, die jetzt fast in keinem Hause fehlt,
so weit civilisirte und halbcivilisirte Menschen leben, eine ganz junge
Erwerbung der Kultur ist? Freilich die Bewohner des Nilthaies
müssen wir dabei ausnehmen. Dass das geheimnissvolle, mit seinem
Thun in die Nacht der Zeiten hinabreichende, eben so anziehende
ab abstossende Volk der Aegypter die Katzen in Menge erzog, sie
heiUg hielt, sie nach dem Tode einbalsamirte, melden nicht bloss die
Alten, wie Herodot und Diodor, sondern bestätigen auch die Denk-
mäler imd üeberreste (man sehe z. B. den Hymnus auf die Sonnen-
katze auf einer Stele, übersetzt von Brngsch in der Zeitschrift der
DM6. 10, 683). Diodor 1, 83 erzählt einen Vorgang, dessen Augen-
zeuge er selber war und der, wie er hinzusetzt, die tiefe religiöse
Scheu der Aegypter vor der Heiligkeit dieses Thieres offenbar machte.
Es war die Zeit, wo die grösste Furcht vor Roms Uebermacht
herrschte und Alles gethan wurde, um den einzelnen Römern, die
sich grade im Lande befanden, zu Willen zu sein und jeden Streit
mit ihnen zu verhüten. Da geschah es, dass ein Römer, ohne es
zu wollen, eine Katze tödtete; sogleich rottete sich das Volk zu-
sammen, der Aufstand richtete sich gegen das Haus, in dem die
That verübt war; keine Bemühung des Königs Ptolemäus und seiner
Beamten, keine Furcht vor Rom und den Römern vermochte das
Leben des Verbrechers zu retten. Die gezähmte Art war die feVi»
maniculata Ruepp. (Dr. Hartmann in der Zeitschrift für ägyptische
Sprache, 1864, S. 11). Das Verschlossene und Stumme, daher
Ahnungsreiche, das nach Hegel alle Thiere haben, ist in der Katze
und deren eigenthümlichen, gleichsam mystischen Sitten und Nei-
gungen besonders fühlbar. Sie hat noch jetzt für den, der sie ge-
währen lässt und sie aufmerksam beobachtet, etwas Aegyptisches,
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Die Katie. 375
das die Vorliebe der Einen, den Widerwillen der Anderen weckt.
Dies Thier so yoUkommen zu zähmen und an den Menschen zu ge-
wöhnen — denn die Haaskatze verwildert nicht and kehrt immer
wieder zam Hanse zurfick — konnte nur dem Aegypter gelingen
und war die Arbeit von Jahrhunderten. Nur wenn viele, sehr viele
Generationen des Thieres auf dieselbe behutsame, pflegende, liebevolle
Art behandelt wurden und in der langen Zeit jede Erfahrung eines
Terorsachten Schmerzes oder zugefügten Leides aus dem Gedochtniss
der scheuen Creatur ausgelöscht war, konnte aus der wilden Ratze,
deren Geschlecht von allen am wenigsten auf Zähmung angelegt
scheint, unsere jetzige anschmiegende Hauskatze werden. Religiöser
Aberglaube hat hier, wie so oft, das Unglaubliche geleistet und auch
einmal der Kultur gedient, statt sie aufzuhalten. Nach Fr. Lenormant,
die Anfange der Kultur, 1, Jena 1875, S. 242 f, käme übrigens die
Katze erst seit der 12. Dynastie auf ägyptischen Bildwerken vor:
wenn dies richtig ist, dann würde das Verdienst der ersten Zähmung
den Bewohnern der obern Nilländer gehören und Aegypten das be-
gonnene Werk nur fortgesetzt haben. Ein Glück war es, dass die
Weiterverbreitung der ägyptischen Katze noch zur Zeit des römischen
Reiches, ehe das ascetische Christenthum in die Tiefe drang, und
vor dem Einbruch des islamitischen Sturmes Statt fand; sonst hätte
mit der Vernichtung des gesammten alten Aegyptens und der Ver-
tilgung seiner religiösen Vorstellungen und Sitten auch die dieses
Haosthieres erfolgen und vielleicht nicht wieder gut gemacht werden
können. Ist doch manches Thier, das einst dem Menschen diente,
diesem Schicksal verfallen, so vor Allem der afrikanische Elephant^
der Hannibals B[rieger trug, durch Schnee und Eis über die Alpen
stieg und jetzt nur noch in den Wildnissen des innern Afrika von
grausamen Jägern erlegt und langsam ausgerottet wird.
Die Griechen und Römer litten nicht selten unter der Plage
ungeheurer Vermehrung der Mäuse, und hin und wieder werden uns
Geschichten überliefert von wunderbarer Rettung einer Gegend vor
den Mäusen oder von geschehener Auswanderung wegen Unmöglichkeit,
sich dieser Nagethierchen zu erwehren. Als Hausdiebin kennt die
Maus schon die voreuropäische Sprache, denn dieser Name, der
sich in Griechenland und Italien und an der Elbe wie am Indus
wiederfindet, stammt bekanntlich von einem Verbum mit der Be-
deatung stehlen. Als Feinde der Maus — und sie hat deren viele —
massten auch frühzeitig die das Haus des Menschen umschleichenden
Thiere, das Wiesel mit seinen Unterarten®^), Iltis, Marder, wilde
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376 Die Katze.
Katze, beobachtet werden; einige davon wurden desshalb gehegt und
nicht verfolgt und traten in eine Art Gemeinschaft mit den Menschen;
Wiesel und Marder lassen sich zähmen und ehe die Katze eingeführt
war, geschah dies viel häufiger ab jetzt Doch litt unter diesen
Baubem auch wieder das Federvieh, besonders dessen junge Brut,
und man suchte sie dann wieder abzuhalten und machte ihnen den
Krieg. Griechisch lauteten die Namen yalitj, xrig, IxTig, gen.
ixTidog^ alilovQos oder al'lovQogf lateinisch mustelcL, musteüa^ felis
oder feleSy melü. Genau unterschieden wurden die Thiere nicht, und
auch die Benennungen schwanken, wie im Volksmunde^ so auch in
der Literatur. An keiner Stelle aber, wo wir auf einen dieser Namen
stossen, sind wir gezwungen, ihn auf die gezähmte Hauskatze zu
deuten. Besonders das Wiesel, yaXitj^ mustela^ wird als Gegenstand
der Furcht für die Maus und übermächtige Feindin mit derselben so
zusammengenannt, wie wir Katze und 'Maus in Fabeln, Redensarten
und Spielen zu verbinden pflegen. Zwei Wesen, sagt die Maus am
Anfang der Batrachomyomachie zum Frosche, furchte ich vor Allem
auf der ganzen Erde, den Habicht, x/pxog, und Abs Wiesel, yalii]^
die meinem Geschlecht viel des Leides gebracht haben, dann auch
die schmerzenreiche, verhängnissvolle, trügerische Falle, am meisten
aber doch das Wiesel, das das stärkste ist, und mir selbst in meine
Locher spürend nachkriecht Li den Wespen des Aristophaneß ei^
widert auf die Aufforderung des Einen: erzähle mir eine Hansge-
schichte, der Andere: o, damit kann ich dienen; also es war einmal
ein Mäusel und ein Wiesel, oikw no%* ^v fivg xal yaX^ — wie man
bei uns den Kindern vorträgt: es war einmal ein Kätzchen imd ein
Mäuschen. Auch in einem Stück des Plautus hat vor den Füssen
eines der Redenden das Wiesel eine Maus gefangen. Stich. 3, 460:
spedatum hoc mikist:
Mustella murem ut abstulü praeter pedes.
Die ägyptische Hauskatze wird von den griechischen Berichterstattern
ailovQog genannt; wo das Wort, das überhaupt nicht häufig vor-
kommt, auf ein griechisches Thier angewandt wird, hindert nichts,
an den Marder oder die Wildkatze zu denken. In der Stelle des in
Alexandrien dichtenden Kallimachus in Cerer. 111 könnte auf den
ersten Blick die Wahrscheinlichkeit für die ägyptische Katze sprechen:
Erysichthon bat im Heisshunger Alles im Hause verzehrt, die Euk,
das kriegerische Ross,
xal Tccv avlovQOV^ tov etgefte &i]Qia xixxd — ,
wozu der Schol. die Erklärung fügt: tov idltog Xeyofievov xanov*
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Die Katze. - 377
Aber dass die kleinen Thiere die aikovQog fürchten, ist noch cha-
rakteristischer für den Hausmarder, als für die zwar auch räuberische,
aber doch auch schmeichlerische, weichliche Hauskatze, der also
der Dichter wohl ein auderes Epitheton gegeben hätte. Aehnlich
steht es mit einem Verse der gleichfalls in Alexandrien spielenden
fünfzehnten Idylle des Theokrit. Dort schildert die ungeduldige
Hausfrau eine säumige Magd mit den Worten, 27:
naliv ai yaliai ^alaxcSg xq/^ovti xa&evdsiv;
wollen die Wiesel wieder weich schlummern? Hier könnte der Dichter,
da wir uns, wie gesagt, in Alexandrien befinden, in der That an
ägyptische Hauskatzen gedacht haben, doch werden auch zahme
Wiesel oder Marder ein weiches Lager nicht verschmäht haben. In
einem Fragment des komischen Dichters Anaxandrides bei Athen. 7
p. 300 verhöhnt der Redende einen Aegypter wegen der ägyptischen
Sitten, die er nach dem Vorgänge Herodots als den griechischen
grade entgegengesetzt schildert: wenn du, sagt er unter Anderem,
eine Katze leiden siehst^ so weinst du, ich aber schlage sie am liebsten
todt und zieh ihr das Fell ab:
Tov aliXovQOv xaxov ^ovt* iav Xdrjg
Kldeig^ eytj d' rjdiGT^ anoxtelvag diqu) —
wo der Grieche sein griechisches, jenem ägyptischen entsprechendes
Thier im Sinne haben konnte. Das lateinische mtcstela passt genau
auf das Wiesel^ aber auch felis ist nirgends die zahme Katze, sondern
sei es der Iltis und Marder, oder die Wildkatze. Die landwirth-
schaftlichen Schrifi;steller Yarro imd Columella lehren die Entenhäuser
und Hasenparks so anlegen, dass keine feles und 77^2^ Eingang
finden können — wobei sie unmöglich an Hauskatzen gedacht haben
können. Die Art, wie Horaz Sat. 2, 6, 79 die bekaimte Fabel von
der Land- und Stadtmaus erzählt, beweist augenscheinlich, dass zu
des Dichters Zeit in den Häusern der Hauptstadt noch keine Katzen
gehalten wurden: „Eine Stadtmaus machte der Feldmaus einen Be-
such und wurde von dieser nach Kräften bewirthet, mit Erbsen,
Haferkömem, wilden Beeren und Stückchen Speck. Der verwöhnte
Gast aber verschmähte die gemeine Kost und sprach: Was nützt es
dir hier in Feld und Wald einsam imd fem von den Menschen zu
leben? Komm, • folge mir in die Stadt, da giebt es bessere Bissen.
Beide brachen auf, es war tiefe Nacht, krochen durch ein Loch der
Mauer und schlichen in das städtische Haus. Da standen noch die
Schüsseln und Körbe vom Gastmahl des vorigen Abends, sie Hessen
sichs schmecken und ruhten auf purpurnen Teppichen. Da plötzlich —
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378 ^ö Katze.
sehen sie die Katze herbeischleichen und retten sich kaum aas
äasserster Todesnoth? Ganz und gar nicht, sondern die Thnren
offnen sich mit Geräusch, lautes Hundegebell erschüttert das Haus,
beide Mäuse laufen ängstlich hin und her und färchten sich fast zu
Tode. Da sagte die Feldmaus: ich danke schön für dies schwelgerische
Leben; da gefallt mir mein» Loch in der Erde, wo ich sicher und
ungestört bin, mehr, wenn es da auch nur Erbsen zu nagen giebt." —
Hier würde ein neuerer Fabeldichter statt des Motivs der Bedienten,
die frühmorgens zur Reinigung des Speisesaales eintreten, unfehlbar
der Katze ihre Rolle angewiesen und auch von den bellenden Hunden
nichts erwähnt haben. — Bei Plinius findet sich einige Bekanntscbafi
mit den Eigenheiten der Katze, felis, aber als zahme Hausfreundin
der Mensehen stellt auch er sie nicht dar, 10, 202: Feles quidem quo
silentio^ quam levilms vestigiis obrepunt avibtts! quam occulte specidatae
in musculoB exsiliuntf excrementa stia effossa obruunt terra intelligentes
odorem iUum indicem sui esse. Richtige Beobachtungen, die aber an
der europäischen wilden Katze sich ganz eben so machen liessen,
wie die entsprechenden am Fuchse und anderen Thieren der Wälder
und Berge. Ein pompejanisches Mosaikbild, jetzt im Museo nazionale
in Neapel, zeigt „eine Katze, die eine Wachtel zerreisst", — aber
das luchsartige, etwas gestreifte Fell, sowie der Ausdruck des Kopfes
deuten mehr auf die wilde Katze, wenn auch eine ähnliche Bildung
hin und wieder bei der jetzigen Hauskatze vorkommen mag. Auch
die bei Mazois H, t. 55 abgebildete Katze ist zwar ein katzenartiges
Thier, aber unmöglich eine Hauskatze; auch sagt der Herausgeber
selbst: un chat reprdsentd avec assez peu de naturel. Bei den Auf-
grabungen in Pompeji haben sich nirgends Reste einer Katze gezeigt,
s. das Ausland, 1872, n® 7, Zur altem Geschichte des Vesuv, S. 167:
Pferde, Hunde, Ziegen und Hausthiere wurden verschüttet und ihre
Reste sind wieder aufgefunden worden; „merkwürdiger Weise waren
aber alle Katzen schon bei Zeiten verschwunden." Die Merkwür-
digkeit hört auf, wenn es in der Stadt eben noch keine Katzen gab.
Auch die Thierchen auf frühen tarentinischen und rheginischen
Münzen, die von Einigen für Katzen genommen worden sind, können
bei ihrer Kleinheit und Unbestimmtheit auf jede andere Axt gedeutet
werden — wie Jeder zugeben wird, der solche Münzen in der Hand
gehabt hat. — Sehen wir uns in der Literatur der Fabel um, so
gewährt uns diese leider keinen sichern chronologischen Anhalt. In
den im Yolksmunde in alter Zeit lebenden äsopischen Fabeln, so
weit sie uns in Bruchstücken und Andeutungen bei den Schriftsteilem
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Die Kfttze. 379
der klassischen Zeit erhalten sind, tritt nirgends die Eatze auf. Bei
Babrios, dessen Zeitalter streitig ist, erscheint in zwei Fabehi der
aUotfQog^ beide Mal deatlich als Marder, der dem Hühnervolk nach-
stellt: in Fabel 17 hängt sich der allovQog als Sack (cog d'vXoHog
nc, als Beutel von Marderfell) am Pflock auf, wird aber vom Hahn
an dem noch dran sitzenden Gebiss erkannt, in Fabel 121 ist die
Henne krank und der aiXovQog schleicht theilnehmend herbei, wo-
laaf Jene sagt: geh nur fort, das ist die beste Art, meinen Tod zu
Terhüten. Als Feindin der Maus sieht auch Babrios das Wiesel an:
Fabel 32, wo das Wiesel in eine schöne Frau verwandelt wird und
bei der Hochzeit sich durch Verfolgung einer Maus verräth, beweist
dies unwidersprechlich (wir sagen dagegen: die Eatze lässt das
Mausen nicht), eben so Fabel 31, wo die Wiesel, yalal^ und die
Mäuse Krieg führen. In den Fabeln des Phädrus ist das Yerhältniss
ganz dasselbe. Auch da führen 4, 6, die Mäuse und die Wiesel
Krieg und ein vom Menschen gefangenes Wiesel ruft 1, 22 aus:
schone mich, qtiae tibi molestü muribus purgo domum. Aber bei
Palladius, als die Tage des weströmischen Reiches bereits gezählt
waren, erkennen wir unsere Hauskatze unter dem nur für dies neue
Hausthier geltenden Namen catus, der seitdem von Italien aus, wie
das ägyptische Thier selbst, zu allen Völkern gewandert ist, nicht
bloss zu allen europäischen, Basken, Finpen, Albanesen und Neu-
griechen miteingeschlossen, sondern auch weithin in den Orient zu
Asiaten des verschiedensten Stammes®®). Die Worte des Palladius
lauten, 4, 9,4: Contra talpas prodest catoa (in anderen Handschriften
cattos) frequenter habere in mediis cardicetis (Artischockengärten.)
mustelas habent pleriqtce manmetas (die also damals noch häufiger
waren), aliqui foramina earum (oder eorurn) rubrica et succo agrestis
cucumeris impleverunt nonnulli juxta cabilia talparum plures cavemas
aperiunt, ut illae territae fugiant solis admissu. plerique laqueos in
aditu earum (eorum) setis pendentihus ponunt Unter talpae verstand
Palladius, der schon romanische Neigungen zeigt, an dieser Stelle,
wie wir glauben, die Maus, nicht den Maulwurf, italienisch topo masc.
die Maus (aus talpa)] die Variante eo^nim könnte in diesem Falle
schon von dem Verfasser selbst herrühren, wie ja auch Vergil das
Wort talpa männlich gebraucht hatte. Nach Palladius finden wir
das Wort vdeder bei dem griechisch schreibenden Kirchenhistoriker
Evagrius Scholasticus, 4,23: aXXovQOv^ ^v ytaxtav ^ auv^d-eia Xiyei.
Evagrius lebte in Epiphania in Cölesyrien und führte seine Geschichte
bis zum Jahre 594; gegen das Jahr 600 also war der Ausdruck
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380 Die Katze.
xacra in Vorderasien schon ein gewöhnlicher. Das avvrj&eia des
Evagrius druckt im äussersten Westen der ungefähr gleichzeitige
oder nur wenig spätere Isidorus durch vulffus aus, 12, 2, 38: hunc
(murionern) vtdgus catum a captura vocant Auch sonst kommt das
Wort in diesen Zeiten und mit jedem Menschenalter häufiger vor, s.
Ducange. Es war eine in Italien gebildete Volksbenennung: das
Thierchen, das Junge, wie man für Gans das "Vögelchen, auca^
für Schaf la pecora u. s. w. sagte. Wenigstens ist dies immer noch
die wahrscheinlichste üerleitung. Ob aber nicht eine besondere Ver-
anlassung, das jetzt gerade ein ägyptisches Thier, an das die Griechen
und Römer bisher nicht gedacht hatten, in den Häusern gewöhnlicher
wurde, als früher? Die Geschichte schweigt davon, doch drängt sich
folgende Vermuthung auf. Zur Zeit der Völkerwanderung überzog
von Asien her ein bis dahin unbekanntes gefrässiges Nagethier, die
Ratte, mt^ rattus^ die Keller, Speicher und Wohnungen der euro-
päischen Welt. Der Zeitpunkt ihres Erscheinens und die Richtung
ihres Weges ist nicht überliefert, aber der Name Ratte findet sich
schon in frühen althochdeutschen Glossaren, so wie in dem angel-
sächsischen des Älfric in England und ist also bedeutend alter, als
Albertus Magnus, bei dem dies Thier von Naturforschem signalisirt
worden ist. Zog es im Gefolge der Yölkerströme in Europa ein,
ward es im Herzen Asiens durch den Aufbruch türkischer Völker,
z. B. der Hunnen, mitbeunruhigt? Als es den Osten Europas er-
reichte, müssen die Slaven sich bereits in Stämme gesondert haben,
denn sie benennen es ungleich: der Pole sagt szczur (gleich ahd.
acero die Schermaus, der Maulwurf, also vne talpa = Maus), der
Russe krym^ die Donauslaven wieder anders. Der deutsche Name
Ratte, Ratz, ahd. rato^ wird ein anlautendes h verloren haben und
mit dem altslavischen krütü^ russischen krot^ der Maulwurf, Ut kertuSy
die Spitzmaus, identisch sein. Altirisch hiess die Ratte fränkische
Maus (Stockes, ir. gl. 248), sie war den Iren also vom Frankenlande
zugekommen. Eine zweite, noch furchtbarere Invasion der Art hat
Europa seit dem ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts erlebt:
da erschien die grosse Wanderratte, mua decumanua, an der unteren
Wolga, überzog mit allmähligem, oft eigensinnigem Vorrücken eine
Stadt und Gegend nach der anderen, verbreitete sich mit Fluss- und
Seeschiffen — denn sie hat eine Vorliebe für Wasserfahrten — und
in den Revolutionskriegen mit den Magazinen der österreichischen
und russischen Armeen über Deutschland und den Westen Europas
und hat seit lange nicht bloss von Paris und London Besitz genommen
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Die Katse. 381
(vielleicht zu Schiffe direkt von Ostindien), sondern im Wege des
Handels auch die neae Welt jenseits des atlantischen Oceans erreicht,
überall ihre schwächere Vorgängerin, die Haasratte des Mittelalters,
ausrottend (s. v. Middendorff, Sibirische Reise, IV, S. 887 ff.). Auch
die kleine, niedliche, naschhafte Hausmaus muss einst so aus dem
sfidlichen Asien zu uns hinübergekommen sein — fiel ihre Ankunft
etwa mit dem Einbruch der Indoeuropäer zusammen? Noch andere
Thiere, die dem Alterthum anbekannt waren, scheinen mit der Völker-
wanderung oder mit dem Eindringen von Eultar und Strassen in den
dunklen Osten Europas in den Gesichtskreis der Kaltarvolker des
Westens getreten zu sein, so der Dachs und der Hamster. Der
Name des ersteren verbreitete sich von den Germanen her über das
romanische Gebiet, dem das Thier bis dahin fremd gewesen zu sein
scheint; der des letzteren, in Italien unbekannt, in Frankreich roh
ans demDeatschen herübergenommen: le hamster^ von den Germanen
einem slavischen Worte nachgesprochen, deutet auf einen von Osten
gekommenen Erdbewohner, dem die Lichtung der Wälder durch den
Ackerbau den Weg bahnte^®).
Den Germanen kam die Katze zu einer Zeit zu, wo die mythische
Produktion, wenn auch geschwächt, doch nicht ganz erloschen war^®).
Die Eatze wurde das Lieblingsthier der Freya, der Liebesgöttin,
vielleicht in Vertretung des Wiesels. Grimm DM' 634: „der Freya
Wagen war mit zwei Katzen bespannt. Katze und Wiesel galten
für klage, zauberkundige Thiere, die man zu schonen Ursache hat."
Im späteren Mittelalter verwandeln sich Hexen und Zauberinnen in
Katzen, wozu das schleichende, nachtwandlerische Wesen, das dunkle
Fell, die im Finstem unheimlich glühenden Augen des Thieres auch
ohne Erinnerung an das Heidenthum Anlass geben konnten. Die
märkische Sage bei Kuhn n^ 134a mag statt aller übrigen der Art
dienen: „Am letzten April war ein Müllergesell noch spät Abends
in einer Mühle beschäftigt, da kommt eine schwarze Katze zur Mühle
lÜDein; er versetzt ihr einen Schlag auf den Vorderfuss, dass sie
schreiend davonläuft. Andern Morgens, als er in das Haus des
HoUers kommt, bemerkt er^ dass dessen Frau mit gequetschtem Arm
im Bett liegt, und erfährt, dass sie das seit gestern Abend habe.
Niemand wisse woher. Da hat er denn gemerkt, dass die Müller-
fraa eine Hexe war, und dass sie am vorigen Abend als Katze zum
Blocksberg gewesen sein müsse." Dass auch vornehme Weiber und
Fürstinnen schon im eilften Jahrhundert Lieblingskatzen im Schos»
hielten und mit Leckerbissen fütterten, beweist das Beispiel der
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382 l^er Büffel
Gemahlin des Kaisers Constantin Monomachus bei Tzetzes, GhiL
5, 522:
äansQ yal^v xatoixioVj yaXfjv tüjv fivoxrovwv
ij Movofjidxov GvCvyog ^fitSv rov atBq>7iq>6QOV u. s. w.
Noch jetzt ist das Thier im europäischen Osten und Süden und bei
Morgenländern beliebter, als bei den Völkern germanischer Abkunft,
in Russland giebt es keinen Kaufladen, an dessen Schnelle nicht
eine wohlgenährte Katze im Halbschlummer blinzelnd läge. Ancb
In Frankreich ist die Katze die gern gesehene Freundin des Hauses
und der Familien und in Italien herrscht eine allgemeine Vorliebe
für das feine, reinliche, graziöse Thier. „In mancher Eörche Ton
Venedig bis Rom, erzählt Fridolin Hoffmann (Bilder römischen
Lebens, Münster 1871), sah ich wohlgenährte Sakristei-Kater auf
den Balustraden der Seitenaltäre oder selbst auf der Communionbank
sitzen; sogar der Gottesdienst stört die Thiere nicht in ihrer Behag-
lichkeit. Ruhig schreiten sie mitunter hin, während der Klänge der
Orgel, über den vordem hohen Theil der Kniebänke, und die Leute
sind sogar so artig, ihre Hände mit dem Gebetbuch zu lüften, nm
den Spaziergänger ungehindert vorbeizulassen Angesichts solcher
Bevorzugung ist es also nicht zu wundem, wenn selbst in sehr an-
ständigen Wirthshäusem auf einmal eine oder zwei Katzen sich neben
uns auf einem Sessel oder einer gepolsterten Bank niederlassen, ge-
häbig spinnen oder sich mit der Schnauze seitwärts magnetisch
reiben." Wie einzelne Menschen von diesem Thier in unbegreiflicher
"Weise angezogen werden, dafür ist der Beraer Tagelöhner Gottfried
Mind, der Katzen-Rafael, ein Beispiel. Er war als Knabe, wie
später als Mann, stumpf für Alles und fast blödsinnig, nur das
Leben und Treiben, der Katzen beobachtete er mit Verständniss
und Liebe und stellte es in Aquarellbildem meisterhaft dar (er
starb 1814).
Der Büffel.
In Folge der Völkerwanderung vermehrte sich auch die Familie
der Rinder, dieses Urthieres der aus der Wildheit sich erhebenden
Menschen, um einen aus dem fernen Süden gekommenen Verwandten,
den schwarzen^ tückisch blickenden, mit mächtiger Zugkraft begabten
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Der Büffel 383
Büffel. Er lebt jetzt in den feuchten, heissen Malaria-Ebenen
Italiens^ in deren Schlamm ihm wohl ist und deren giftige Dünste
er nicht fürchtet: in den toskanischen Maremrocn, in den Niederongen
der Tibermündong, in den pontinischen Sümpfen, bei Pästum, in der
Basilicata, in den Landes der Gascogne, in manchen Gegenden Ungarns
u. s. w. Gleich ungeheuren Schweinen wälzen sich die pontinischen
Büffel in dem baumhohen Schilfe, beim Geräusch des Wagens still-
haltend nnd den vorüberziehenden Reisenden dumm anstierend, oder
stecken, gesichert vor den Stichen der Bremsen, bis an die Nüstern
im Schlamme der Sümpfe. Der Büffel wird benutzt wie das gemeine
Rind, zieht den schweren Pflug, den hochgethürmten Erntewagen,
den gewaltigen, mit Steinen beladenen zweirädrigen Karren, liefert
Milch und sehr geschätzten Käse (die in Neapel sogenannten rnuz-
zareüi) und nach dem Tode das grobe Fell zu dem schwersten derben
Leder. Auch im Morgenlande fand Niebuhr dies Thier sehr ver-
breitet, Beschreibung von Arabien, Kopenhagen 1772, S. 165: „Den
Büffelochsen findet man in den Morgenländern fast in allen sumpfigen
Gegenden und bei grossen Flüssen und daselbst gemeiniglich in
grösserer Menge als das gemeine Hornvieh. Die Büffelkühe geben
mehr Milch und die Büffelochsen sind zur Arbeit wenigstens eben
so geschickt, als die gemeinen. Ich sah Büffel in Aegypten, auf der
Insel Bombay, bei Surat, amEuphrat, Tigris, Orontes, zu Scanderone
XL 8. w. Ich erinnere mich nicht, sie in Arabien gefunden zu haben,
und da ist für dieses Thier auch zu wenig Wasser. Das Fleisch
der Büffelochsen schmeckte mir nicht so gut als anderes Ochsenfleisch.
Es ist härter und grobfasriger.** Während der unaufhaltsame Kultur-
process die königlichen, eigenwilligen, wüthendön Bewohner der euro-
päischen Wälder, den ür und den Bison, bis auf einen geringen
Rest vertilgt hat, brachte das Völkergedränge diesen Fremdling von
den Grenzen Ostindiens bis an die Südküsten Italiens. Dort in
Arachosien, nach dem heutigen Kabul zu, kennt Aristoteles einen
.wilden Ochsen, der der Beschreibung des Meisters nach kein anderer,
als unser heutiger Büffel gewesen ist, bist. anim. 2, 1 (II, 4): iv
^Qaxokaigy ovneq xal ol ßoeg ol Hygior diaq)€QovaL d' ol ccyQioi
rcüv ^fieQwv ooov neq ol veg ol ayqioi fiQog Toig fi^aqovg' ftiXavig
w yaq eiai xai lo%VQol Ttp ei'dei xal Bniyqvnoi^ %a de xigava
i^ntidl^ovra sxovai fjiallov. Von dort her müssen sich in den fol-
genden Jahrhunderten die Büffel weiter durch Asien verbreitet haben;
in Italien zeigten sie sich zuerst gegen das Jahr 600 nach Chr. unter
der Regierung des longobardischen Königs Agilulf, Paul. Diac. 4, 11:
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384 Der Büffel.
twnc pHmvm caballi süvatici et bubali in Italiam delatd ItaUae popuUs
miracula fuerunt^^). Wir müssen dem longobardischen Mönche für
diese Nachricht dankbar sein, denn wie selten lassen sich die Ge-
schichtschreiber, die mit Kriegszugen nnd Thronstreitigkeiten alle
Hände voll za thun haben, herab, uns einen kulturhistorischen Brocken
zuzuwerfen, — hätten aber doch etwas nähere Auskunft gewünscht.
Waren diese hubali etwa die uri und büontes der europäischen Wälder?
Schwerlich, denn diese mussten doch schon viel und oft in Italien
gesehen worden sein und hätten weder bei Römern noch bei Longo-
barden Verwunderung errregt Wenn es aber wirkliche Böffel
waren, — woher und auf welchem Wege kamen diese Bewohner
warmer Landstriche in das ferne, kalte Europa? Zu Schiffe konnten
sie nicht eingeführt sein. Da sie in Gesellschaft wilder Pferde er-
schienen, so scheint uns wahrscheinlich, dass sie ein Geschenk des
Chans der Awaren an den Longobardenkönig waren; denn dies No-
madenvolk türkischen Stammes, das damals an der Donau hauste
und in furchtbaren VerheerungszQgen das römische Reich heimsuchte,
stand mit dem longobardischen Hofe in freundlichen Beziehungen.
Schickte König Agilulf dem Chan der Awaren Schi&baumeister, die
ihm die Fahrzeuge zur Eroberung einer Insel in Thrakien stellten,
so konnte Jener wohl Produkte aus dem Herzen Asiens als Gegen-
gabe bieten. So sind denn die schwarzen, nackten, schwerwandelnden
Büffel^ die in so charakteristisch asiatischer Weise von flüchtige
Hirten zu Pferde mit der langen Pike im Steigbügel umkreist and
in Ordnung gehalten werden, noch lebendige Zeugen jener furcht-
baren Zeiten, wo die unermessliche ösüiche Landmasse, mit der die
Halbinsel Europa ohne andere Schutzwehr als die Entfernung zu-
sammenhängt, ihre Horden ausspie, um wo möglich alle Menschlichkeit,
das Werk und den Gewinn langer veredelnder Arbeit, bis auf die
Wurzel zu vertilgen. Dass die ganzen und halben Nomaden, die
sich in dem schönen, fruchtbaren, einst hochkultivirten Pannonien
wechselsweise lagerten und verdrängten, neue Rindviehracen mit-
brachten und vielleicht vortheilhaftere, als das Alterthum sie aus der
Ueberliefernng derYorwelt besass, lag in der Natur der Dinge; eben
so dass diese auch in Italien einwanderten und ihren Stamm daselbst
behaupteten, nachdem die Völkerwoge, die sie herbeigetragen hatte,
längst abgeflossen war. Die dreifache Race der südrussischen Steppen,
einer klassischen Rindviehgegend, ist ein Niederschlag von eben so
viel Nomaden-Einbrüchen. Der sogenannte ukrainische oder podo-
lische oder ungarische Ochs, gross, grauweiss, hochbeinig, langgehömt,
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Das Rindvieh. 385
reich an Talg und Fleisch, das Zugihier der Lastwagen und Fracht-
fahren, die die Steppe oft handerte von Wersten weit durchziehen,
findet seinen Verwandten in der südlich vom Po durch Mittelitalien
herrschenden grossen weisslichen Art mit den langen von einander
abstehenden Hörnern, die auch nach Spanien und Algier übergegangen
ist Da schon Yarro sagt 2, 5, 10: albi in Italia non tarn frequentes^
quam qui in Thracia ad fiilava xolnov^ übt alio colore pauci^ so
könnte dies das skythische Vieh gewesen sein, gekommen mit den
iranischen Weidevölkem und durch Gothen oder Longobarden nach
Italien verschlagen. Eben daher würde die euböische Race stammen,
die gleichfalls weiss war, AeL h. a. 12, 36: xai h Elßoiif de oi
ßo^g levxoi tixrovrai o%idov navxag^ evd^sv toi aal agyißoiov ixdlow
Ol noiTi%ai ri^v Evßoiav^ denn Euböa stand frühe mit Thrakien und
überhaupt dem Norden in Verbindung. Indess ist das skythische
Vieh bei Herodot xoXov und bei Hippokrates xigeog azsQ und gleicht
also dem kleinen germanischen, dem nach Tacitus die Glorie der
Stime fehlt. Vielleicht also ist der zweite südrussische Schlag, das
kleinere, rothe^ eigentliche Steppenvieh, ein Abkömmling jener alt-
skythischen Heerden, während die dritte Race, das sogenannte kal-
mükische Vieh, wie der Name sagt, die tatarischen oder gar erst
die mongolischen Horden in den Westen begleitet hat. Im Italien
des Varro war die gallische (also mit den Galliem eingezogene?)
Race vorzüglich zur Feldarbeit geeignet, in dem des Plinius galt das
kleine, unansehnliche Alpenvieh für das milchreichste, 8, 179: pluri-
mum lactis Alpinis quibtcs minumum corporis^ wie auch bei Columella
6, 24, 5 die Altinischen Eühe im Veneterlande humilis statwraey lactis
abundantes waren. Noch zu des Ostgothen Theodorich Zeit war das
tyrohsche Vieh klein aber kräftig; als die Alemannen, von dem
Frankenkönig Chlodwig aufs Haupt geschlagen, auf gothischem Ge-
biet Schutz suchten und zum Theil in Italien angesiedelt werden
sollten, da waren die Rinder der Flüchtlinge von der langen eiligen
Wanderung ermüdet und konnten nicht weiter, und der König befahl
den norischen Provincialen, die grossen alemannischen Thiere gegen
ihre kleinen einzutauschen, womit beiden Theilen geholfen sein werde,
Gassiod. Var. 3, 50: JProvincialibtis Noricis Theodor. R decre^
vmus^ ut Alamannorum boves^ qui videntur preiioaiores propter corporis
granditatem^ sed itineris hnginquitate defecU sunt, commutari vobiscum
Uceatt minorem quidem membrisj sed idoneos ad labores: ut et iUorum
profectio aanioribus animalUms adjuveiur et vestri agri armentis gran-
dimbua instruantur. Itaque fit ut ÜU acquirant viribm robustos^ vos
Vict Hebo, Kaltarpflanzen. 25
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386 I>er Hopfen.
forma conspictios. Der grosse alemannische Schlag konnte von den
gallisch-römischen Ansiedlern innerhalb des limes herrühren, deren
Städte und Höfe die Alemannen erst beraubt und verheert und dann
in Besitz genommen hatten. Das hornlose Yieh ist jetzt in Deutsch-
land überall durch die Kultur ausgerottet, findet sich aber noch in
Skandinavien, von wo es durch den Verkehr des Mittelalters auch
in die Gegenden am weissen Meer gekommen ist. Das älteste euro-
päische Rind mag zur Zeit der Römer noch in dem ligurischen
erhalten gewesen sein, welches für schwächlich und elend galt (Varro
nennt die dortigen Ochsen nugatorit)^ und dessen Reste wir vielleicht
noch aus dem Grunde der Pfahlbauten ans Licht schaffen. In den
Rindviehracen, deren Yertheilung und Ankunft in Europa ist noch
viel zu untersuchen und vielleicht zu — finden. Dass unser zahmer
Ochse von dem Auerochsen der Urzeit stammt, leidet keinen Zweifel,
aber die Zähmung geschah schwerlich auf europäischem Boden.
Der Hopfen.
(Humulus lupulus L.)
Der grosse Linnö behauptete im Jahre 1766 (in einer der io
die Amoenitates academicae aufgenommenen Dissertationen, T. 7, diss.
148: neces»itas hütoriae naturalis Rossiae, § IIX tmter anderen Küch^-
gewächsen, wie spincusea oleracea^ atnplea hortensis^ artemtsia dracun-
ctUususrw.^ sei auch der Hopfen zur Zeit der Völkerwanderung
hinten weit aus Russland in das eigentliche Europa eingewandert:
ignotae fuere veterUms et introdiu^tae seculis barbaris^ dum Gotki no-
strates occupabant Italiamy qui sine dubio secum aUulere in ItaUam
plantas suas oleraceas et culinares. Dass der Hopfen jetzt an Hecken
und in Wäldern wild wächst, wäre keine Instanz gegen diese Yer-
muthung: ein soviel angebautes Gewächs, vorausgesetzt dass KUma
und Boden ihm sonst zusagten, konnte als Flüchtling den Weg leicht
auch in solche Gegenden finden, wo es vorher nie von Menschenhand
angepflanzt worden. Gewiss sind nur folgende drei Sätze: 1) dass
die Alten nie von einer ähnlichen Pflanze gehört hatten, deren Bluten
einen angenehmen Zusatz zum Biere geben; 2) dass die Denkmäler
des frühesten Mittelalters, in denen das Bier und die Produkte süd-
licher Gärten oft genannt werden, nirgends bei solcher Gelegenheit
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Der Hopfen. 387
des später so uneDtbehrlichen Hopfens Erwähnung thun; endlich
3) dass in manchen Ländern Europas, wie England and Schweden,
der Gebraach, Hopfen zum Biere zu thun, erst gegen Ausgang des
Mittelalters oder gar erst im Laufe des 16. Jahrhunderts auftritt und
«UmäUig allgemeiner wird.
In der lex salica und in den Verordnungen Karls des Grossen
Sachen wir vergeblich nach einer Andeutung dieser Pflanze und ihres
Anbaues; eben so wenig nennt sie kurz vor der Mitte des 9. Jahr-
himderts der Oberdeutsche Walafridus Strabo in seinem hortiUus.
Um dieselbe Zeit aber tauchen aus anderen Gegenden die ersten
Sparen derselben auf. In einem Schenkungsbriefe des Königs Pipin,
Vaters Karls des Grossen, vom 17. Jahr seiner Regierung an die
Abtei St. Denys (bei Doublet, histoire de Tabbaye de S. Denys,
Paris 1625, 4®, p. 699) vergiebt der König dem Stifte Eumlonarias
cum integritatej worin man das mittellateinische humlo der Hopfen
finden kann; indess ist dies dort ein Eigenname neben vielen anderen,
d^ eine Oerdichkeit oder ein Besitzthum f&hrt, und die Lautähn-
lichkeit ist vielleicht nur zufällig. Aber in dem Polyptychon des
Irmino, Abtes von St Germains-des-Pr^s, das in den ersten Jahren
des 9. Jahrhunderts, noch vor dem Ableben Karls des Grossen, auf-
gesetzt ist, werden häufig Zinsabgaben von Hopfen erwähnt, der in
dem Text humolo^ humelo^ umlo^ zwei Mal auch fumlo, genannt wird
(s. Gufrard, Polyptyque de l'abb^ Irminon, Paris 1844, 4®, 1, 2,
p. 714). Nur wenige Jahre später werden in den Statuten des Abtes
Adalhardus von Corvey vom Jahre 822 (bei d'Achery, Spicilegium,
Paris 1723, fol., T. I., Statuta antiqua abbatiae S. Petri Corbeiensis,
Hb. 1, cap. 7, p. 589) die Müller von der Arbeit mit Malz und Hopfen
oder von der Lieferung des letzteren befreit: et ideo nolumtis ut (mo-
linarius) tälum alium Bervitvum nee cum carro nee cum eabaUo nee manibus
operando nee arandonec seminando nee messes velprata eoUigendo nee braces
facienda nee humlonem nee ligna solvendo nee quidquam ad opus do-
minicum faciat. In den Urkunden des Stifts Freisingen (bei Meichel-
beck, Historia Frising. I, Pars instrumentaria) kommen schon zur
Zeit Ludwigs des Deutschen in der Mitte und der zweiten Hälfte
des 9. Jahrhunderts nicht selten Hopfengärten, humularia, vor,
die also auch in jener oberdeutschen Gegend schon Brauch geworden
waren. In den folgenden Jahrhunderten wird der Hopfenbau immer
allgemeiner in Deutschland, und je weiter in der Zeit, desto häufiger
erscheint die Steuer an Hopfen in Zinsbüchem und der Hopfengarten
anter den Bestandtheilen der durch Kauf oder Schenkung in andere
26»
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388 ^^^ Hopfen.
Hand abergehenden Grandstacke. Die Pflanze ist der Aebtissin
Hildegard, dem Albertus Magnas bekannt, ihr Anbaa so verbrdt^
dass er dem Sachsenspiegel, Schwabenspiegel a. s. w. Anlass zu aus-
drücklichen Rechtsbestimmangen giebt. Auch in den Gegenden mit
slavischer Bevölkerung, Schlesien, Brandenburg, Meklenburg, ist seit
der Zeit, wo sie uns näher bekannt werden, die Hopfenabgabe ganz
gebräuchlich, wie eine flöchtige Durchsicht der einschlagenden Ur-
kundenbucher lehrt. Nach Stenzel, Geschichte Schlesiens, 1, 301,
findet sich die erste Erwähnung, dass Hopfen in Schlesien angebaat
wurde, im Jahre 1224. In Folge der Beimischung dieses bitteren
Aromas wurden die Biere haltbarer, konnten weit verfahren werden
und bildeten allmählig den Gegenstand lebhaften Binnenhandels
zwischen den Braustätten und entlegenen Consumtionsbezirken. Be-
sonders Flandern und Norddeutschland enthielt solche wegen des
Hopfenbieres berühmte und durch Bierhandel sich bereichernde
Städte. Unter den ersteren ragte z. B. Gent hervor, dessen bürger-
liche Bierbrauer, die beiden Arteveldt, Vater und Sohn, es mit Kö-
nigen aufnahmen, unter den letzteren z. B. Eimbeck; der baierische
Name Bockbier, eine Verstümmelung aus Eimbeck-Bier, erhält noch
das Andenken daran (Schmeller, 1,151 f., der noch von einer lächer-
lichen Fortzeugung des Irrthums berichtet: „als Gegenstück zu diesem
stärker stossenden Bock ging, besonders aus den Brauhäusern der
Jesuiten, die etwas sanftmüthigere Gaiss hervor.^) Wie spät ver-
hältnissmässig der Hopfen aus Deutschland in die Nachbarländer ge-
kommen, lehren die Belege und Ausführungen bei Becklnann, Bey-
träge 5, 222, nach England z. B. nicht vor Heinrich 8. und Eduard 6.
Von Alters her waren andere Zusätze üblich gewesen, Eichenrinde,
Baumblätter, bittere Wurzeb, vdlde Kräuter mancherlei Art, in
Schweden z. B. die Srhafjgarbe, Achülea miUefolium, oder die Pflanze,
die dort Pors, in Deutschland Porsch, Porst, Post, ledum pahtsire,
genannt wird. Das schon zu Hecatäus Zeit die Päonier in Thrakien
eine Art Bier mit Zusatz von xovv^i] brauten, ist bei früherer Ge-
legenheit bemerkt worden (S. 120); aber was die Päonier in so
hohem Alterthum unter conyza verstanden — für die spätere Zeit
deutet man diesen Namen als erigeron viscosumy invla viscosa oder
graveolens u. s. w. — lässt sich natürlich nicht mehr ausmachen.
War aber die Pflanze wirklich erst durch die Völkerwanderong
ins westliche Europa gekommen, und wo wurde sie zuerst zur Würze
des Bieres verwandt? Da die Geschichte uns die Antwort versagt,
so sind wir auch diesmal genöthigt, mit Gegenüberstellung der Namen
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Der Hopfen. 389
m den yerschiedenen Sprachen uns zu helfen. Aber auch diese
scheinen uns diesmal nur necken und in die Irre fahren zu wollen.
Halbe Uebereinstimmungen, mögliche Uebergänge locken zur Ver-
kDüpfung an; Unsicherheit gebietet^ dieselbe wieder fallen zu lassen;
entschliesst man sich, einen Ausgangspunkt zu fixiren, so spinnt
sich von daher der Faden leidlich fort, aber eben so wohl liesse sich
aoch das letzte Glied zum ersten machen und der Wanderung und
Entwickelnng des Wortes die umgekehrte Richtung geben.
Die einfachste Form, die man desshalb versucht ist, an die
Spitze zu stellen, ist das niederdeutsche und niederländische hoppe^
hop der Hopfen Es kommt schon in den Glossen des Junius bei
Nyerup, Symbolae ad lit. teuton. antiquior., vor, die von GrafF ins
achte bis neunte Jahrhundert gesetzt werden: ftappe Hmalus (ver-
schrieben oder verlesen statt humaltcaf)^ feldhoppe bradigalo (bryoniat
wofar merkwürdiger Weise bei Dioscor.4, 182 ein dakisches nQiaöjjXa}.
Dass dies Aoppey wie Weigand im Wörterbuch vermuthet, selbst erst
aas mittellat. kupa entstanden sei, hat keine Wahrscheinlichkeit;
htpa findet sich nach Ducange nur in einer Quelle, die selbst dem
Boden der Niederlande angehört, und ist schwerlich mehr als Latini-
siruDg des deutschen Wortes. Eine Etymologie liesse sich in dem
Yerbum hüpfen, hoppen^ finden; aber eine von Ast zu Ast sprin-
gende Pflanze statt einer rankenden scheint keine natürliche Vor-
stellung und Benennung. Doch welches auch seine Herkunft sei, aus
diesem fioppe entstand eine Verkleinerungsform mit hinzutretendem l,
aas der sich das französische houblon für houbeloriy so wie das mittel- *
lat. hubabis (bei Kleinmaym, Juvavia, Diplomatischer Anhang, S. 309:
duo8 modtos hubali) erklärt. Weiter in Italien, wo die Pflanze weder
angebaut noch gebraucht wurde, verwuchs der fremde Name mit dem
Artikel zu dem italienischen Zwpofo, luppolo^ aus welchem Vulgärwort
dann im spätem Mittellatein das gerade bei italienischen Schrifb-
stellem auftretende luptdus der Hopfen entstand. Bei der Abhängig-
keit der mittelalterlichen Botanik von der gleichsam mit kanonischem
Ansehen bekleideten griechisch-römischen Literatur suchte man nach
einem ähnlich klingenden Pflanzennamen bei den Alten und fand ihn
aach glücklich bei Plinius 21, 86: secuntur herbae sponte nascentes
quibus pleraeque genUvm utuntwr in cibü .... In Italza paucissimas
nomnus^ froffa^ tamnum^ rvscum^ batim marinamy batim hortensiam^
quam aUqut asparagum gaUicum vocant, praeter hos pastinacam
pratememj lupum salictarium, eaque verius oblectamenta quam cibos.
Also: wildwachsende, zur Speise dienende Pflanzen giebt es in Italien
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390 I>e' Hopfen.
wenige, daranter auch ein im Weidengebüsch wachsender luptis; doch
gewähren sie mehr eine Art Naschwerk oder Delikatesse, als eine
Nahrung. Vielleicht ist dies derselbe lupuSy den Martial 9, 26, 6
erwähnt:
Appetitur posüo vilis oliva lupo —
d. h. wenn uns lupus vorgesetzt wird, verlangen wir nach der ge-
meinen Olive; der lupus war also eine nicht geschätzte Würze der
Tafel. Dass er eine rankende Pflanze gewesen, ist nicht gesagt, und
wenn der Name sich nicht zum mittellateinischen lupulus halten liesse,
würde Niemand auf den Hopfen gerathen haben. — Bei dem leichten
Uebergange des 6, p in m, zumal vor folgendem Z, entwickelte sich
aber aus hupa^ hubalus^ hubelo auch ein mittellateinisches humlo, hu-
mulus und. dies ist seit dem Ende des achten Jahrhunderts der ge-
.wöhnlichste und am weitesten verbreitete Ausdruck, der mit dem
Hopfen selbst nach Norden und Osten wanderte. Altnordisch wurde
daraus htimaU^ finnisch und estnisch humala^ humaly bei allen Slaveo
chmelij chmfli^ magyarisch komU^ neugriechisch xovftili^ walachisch
hemeju u. s. w. So würde das Wort selbst in seinen Transfor-
mationen auf Ausgang der Sitte vom Niederrhein weisen; die
deutschen Franken oder schon die keltischen Belgier wären die Er-
finder des bitteren Trankes, und Linn^s Hypothese ergäbe sich als
grundlos.
Wie aber, wenn vielmehr das slavische chmeli das Grundwort^
der Ahnherr aller übrigen Namen wäre? Könnte es nicht in slavischer
Lautbildung (ch für s) das griechische afiiXa^^ Ofulos sein, welches
zwar nicht unser Hopfen, aber doch eine rankende Pflanze ist (bei
Theofhrsai inaXloxavlog und ßoTQvwdrjg^ vonHesychius erklärt: xitto-
aidig q>vTdv iXiaaofievov ?Q7t€i de asi nqog %b vipog^ bei Diodor 20,41
mit dem Epheu zusammengestellt: xiTT<^ xal OfxiXaxC) und zugleich eine
rauhe (ufiiXa^ tQaxeid bei Dioskorides)? Beachtenswerth ist die all-
gemeine Bedeutung Berauschung, Trunkenheit, und in den abgeleiteten
Formen sich berauschen, trinken u. s. w., die das Wort bei den
Slaven hat. Diese Bedeutung ist sehr alt, wie aus einer merkwürdigen
Stelle des Zonaras vom Jahre 1120 hervorgeht (in den not ad canon.
Apostol. 3 bei Beveregius, Pand. can. 1. 1. p. 2): cixiga di iavi not
To av€v oXvov fiid'Tjv ixnoiovvj ola elaiv a iniTrjdevovaiv av^qmnoi^
mg Xeyofiivrj XOv^iXrj^ xal oaa bf-tiog axevaJ^ovrai. Euer ist also
humeU ein Trank, der ohne Wein Berauschung bewirkt, wie dasselbe
slavische Wort auch heute noch auf den Branntwein und die Wir-
kungen desselben angewandt wird. Auf eine noch ältere Zeit, als
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Der Hopfen. 391
die des Zonaras, deutet eine sprichwörtliche Formel bei dem GhronisteD
Nestor. Als Wladimir im Jahr 6493 (d. h. 985 nach Chr.) gegen
die Bolgaren an der Wolga, welche Stiefel trugen, gezogen war und
sie besiegt hatte, rieth ihm Dobrynja : Lassen wir die Stiefeltr&ger, von
denen wir keinen Tribut erzwingen werden, und wenden wir uns
gegen die Bastschuhträger. Da machte Wladimir Frieden mit den
Bolgaren, den diese so lange zu halten versprachen, „bis der Stein be-
ginnen wird oben zu schwimmen, das Hopfenblatt aber zu Boden zu
sinken^. Auch in den russischen Hochzeitsgebrauchen hat der Hopfen
seine Stelle, jetzt wie im 15. Jahrhundert and gewiss noch früher: ab
Helena, die Tochter Iwans 3. Wassiljewitsch, in Wilna mit dem
Grossfbrsten Alexander von Litauen getraut wurde, da flochten ihr
die Bojarinnen in der Kirche zur Mutter Gottes den Haarzopf los,
setzten ihr die Kika (Kopfputz in Gestalt einer Elster) aufs Haupt
ond Gberschütteten sie mit Hopfen (s. Karamsin, Band 6).
Aach hier bedeutete der Hopfen Berauschung, Fröhlichkeit, Fülle
des Gaten. Brachten somit die Slaven ihr Gewächs nach Deutsch-
land und wurde der slavische Name desselben von den Deutschen
adoptirt, so ergab sich daraus das lateinische humtUus und in weiterer
Umgestaltung die Formen mit b und p.
Nach einer dritten Ableitung könnte der lupii8 des Plinius und
Martialis sein ^ welches als Artikel genommen wurde, in Frankreich
verloren haben und dann durch Anlehnung an hüpfen (wie aus upupa
dorch Volksetymologie niederdeutsch der Hophop, hochdeutsch der
Wiedehopf entstand) zu koppe geworden sein. Schon Ducange war
der Meinung, humulua sei eine aus luptdus hervorgegangene jüngere
Form. Zur Bestätigung liesse sich anführen, dass luptis^ eben dieses
Namens wegen, eine bittere Pflanze gewesen sein muss, wie auch
hpmus^ die Wolfsbobne, nach eben dieser Eigenschaft benannt ist
ond schon in Aegypten dem Biere zugesetzt wurde (s. die Yerse des
Columella auf S. 118).
Was man auch für das Wahrscheinlichste halten mag, — dass
Hopfen, humtdus und chmell nur Varietäten desselben Wortes sind,
entstanden durch Uebertragung von Mund, zu Mund lässt sich nicht
wohl läagnen. Das Mittelalter verbreitete die Pflanze und schuf da-
mit erst das eigentliche, neueuropäische Bier, welches von dem der
Urzeit, das aus Stierhömem getrunken wurde, sich weit unterscheidet.
Jetzt sind auf dem Kontinent bekanntlich Böhmen und das baierische
Franken, ausserhalb desselben besonders England, auch jenseits des
Oceans Amerika die Länder, wo nicht bloss der meiste, sondern auch
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392 Rückblick.
der feinste Hopfen erzeugt wird; der Osten Europas, Ton wo diese
nordische Weinrebe yielleicht herstammt, bringt nur verhaltnissmässig
wenigen und diesen von gröberer Qualit&t hervor. Auch hier also
würde sich der Fall wiederholen, dass eine Pflanze auf neuem Boden,
unter menschlicher Pflege edlere Eigenschaften entwickelt, die ihr im
wilden Stande und in ihrem natürlichen Vaterlande abgehen.'')
Wir haben im Vorigen die Schwelle des Mittelaltei*s schon über-
schritten und es ziemt sich, an diesem Wendepunkte einige allgemeine
Rück- und Vorblicke zu thun.
Das Resultat des langen Assimilationsprozesses, dessen einzelne
Momente wir uns zu vergegenwärtigen versucht haben, war die
Homogeneität der Bodenkultur in allen Uferländem des Mittelmecres.
Diese Gleichartigkeit stellte sich auch äusserlich in der Einheit des
römischen Reiches dar^ welches in seinem wesentlichen Bestände eine
Zusammenfassung der um dies innere Seebecken gelagerten Land-
schaften war. Der gartenartige Anbau und die wichtigsten Eultor-
gewächse dieses Gebietes waren semitischer Abkunft und, wie das
Christenthum, von dem südöstlichen Winkel desselben ausgegangen.
Die einst barbarischen Länder Griechenland, Italien, Provence, Spa-
nien, Waldgegenden mit groben Rohprodacten, stellten jetzt das Bild
einer blühenden, in mancher Beziehung auch ausgearteten Kultur im
Kleinen, mit Gartenmesser und Hacke, Wasserleitungen und Cistemen,
gegrabenen Weihern, berupften Bftumen und umgitterten Vogelhäusern
dar — wie in Kanaan und Cilicien. Das Sommerlaub und die
schwellenden Umrisse der nordischen Pflanzenwelt waren der starren
Zeichnung einer plastisch regungslosen, immergrünen, dunkel gefärbten
Vegetation gewichen. Cypressen, Lorbeeren, Pinien, Myrtenbüsche,
Granat- und Erdbeerbäumchen u. s. w. umstanden die Gehöfte der
Menschen oder bekleideten verwildert die Felsen und Vorgebirge der
Küste. Griechenland und Italien gingen aus der Hand der Geschichte
als wesentlich immergrüne Länder hervor, ohne Sommerregen, mit
Bewässerung als erster Bedingung des Gedeihens und dringendster
Sorge des Pflanzers. Sie hatten sich im Laufe des Alterthums orien-
talisirt, und selbst die Dattelpalme fehlte nicht, als lebendige Zeugin
dieser merkwürdigen Metamorphose.
Indess, neben der semitischen Strömung läuft ein anderer, der
Zeit nach späterer Kultureinfluss, von den Ländern im Süden des
Kaukasus aus. Wir können beide integrirende Bestandtheile der
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KückbUck. 393
Enltarflora des Mittelmeers als den syrischen und den armenischen
unterscheiden — die Namen Syrien und Armenien in weiterem Sinne
genommen. Die armenischen Bäume, firuehtreicher und üppiger, als
die Urvegetation des südlichen Europa, ertragen doch die Winterkälte
leichter, als die Abkömmlinge Syriens, und sind wir über die Her-
konfi; einer dieser Pflanzen in Zweifel^ so brauchen wir nur zuzu-
sehen, ob sie sich strenge südlich der Alpen und etwa derCevennen
hält oder jene klimatische Scheidewand, wenn auch in spärlichen
und verkümmerten Repräsentanten, an der Hand der Kultur noch
übersteigt Dass die Pinie nicht aus Eleinasien stammen kann, lehrt
ans ihre Abwesenheit in Deutschland, ja in Frankreich; dass der
Weinstock den südkaspischen Ländern angehört, aber von den Syrern
nns zugebracht ist, erkennen wir an der Haltung dieses Ranken-
gewächses in Europa: nur in Südeuropa spendet die Rebe reichlich
imd natürlich, breitet sich behaglich aus, führt, so zu sagen, ein
sorgloses Leben, aber sie lässt sich noch in Schlesien ziehen, sie hat
sich hie und da in deutsche Wälder verirrt, und liefert auf ihr zu-
sagendem Boden, wie in der Champagne, in geschützten Thälem,
wie am Rhein, an vulkanischen Hügeln, vrie in Ungarn, mit Beibülfe
der Kultur noch edle Früchte. Die Feige ist ein semitischer Baum,
vor Allem aber ist es die Olive, die Herrscherin des innem Meeres,
die von Byblus und Gaza, nicht etwa von Cyzicus und Sinope aus,
ihr mittelgrosses, streng begrenztes Reich gegründet hat Pontisch
ond kaspisch dagegen im eminenten Sinne sind die Nussbäume, so-
wohl die eigentlichen, als die Kastanien. Die Letzteren ersteigen
die Gebirge der hesperischen Halbinseln in dichten ausgebreiteten
Beständen, ohne den frischen Hauch der Höhe zu fürchten, und haben
die Bachen vor sich her auf die obersten Abhänge gedrängt, doch
auch im westlichen Mitteldeutschland begleitet der Walnussbaum die
Wege und sammeln sich die Kastanien zu bescheidenen Wäldchen.
Hit einsichtsvoller Naturfreude hat Josephus diese Gesellung ver-
schiedener Bäume aus ungleichen klimatischen Zonen in der mediter-
ranen Flora geschildert, zunächst mit Bezug auf die Gegend um den
See Genezareth, de bell. jud. 3, 10, 8: „Die Traube und die Feige,
die Könige unter den Früchten, reifen dort fast ununterbrochen;
neben den Feigen- und Oelbäumen, denen eine sanftere Luft zusagt,
stehen in unerm esslicher Fülle die Nussbäume, die die winterlichsten
sind (d. h. aus dem Norden stammen), und die Dattelpalmen, die
heissesten, die von der Glut sich nähren. Und es ist, als hätte die
Natur ihren Ehrgeiz darein gesetzt, hier die Fruchtgewächse streitender
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394 Rückblick.
Himmelsstriche mit einander wetteifern zu lassen.^ Etwas Aelm-
Uches rühmt Colamella von Italien : nachdem er angeführt, wie auch
manche Duft- und Balsampflanzen heisser Länder vermocht worden,
in Rom Laab und Blüte zu tragen, fahrt er fort^ 3, 9, 5: hds tarnen
eaemplis nimirum admonemur^ curae mortalium obsequentissimafn esse
Italiam quae paene totius orbü fruges adhiibüo studio colonorum ferre
didicerit — Dass auch manche Gewächse, die im Rücken Armeniens
und Syriens im beissen Persien, ja ursprünglich im tropischen Indien
lebten, in Südeuropa naturalisirt werden konnten, dafür gab unter
manchem Anderen die Orange das leuchtendste Beispiel, und wie
aus dem Indus- und Gtmgeslande etwa sechshundert Jahre vor Chr.
Geburt eins der nützlichsten Hausthiere, der Haushahn, gekommen
war, so etwa sechshundert Jahre nach Chr., gleichsam zum Beweise,
dass die Bewegung des Austausches noch nicht völlig ruhte, der ara-
chosische Ochse oder der BüflFel.
Im ersten Jahrhundert vor Chr. hatte das weite Reich, dessen
Mittelpunkt Italien war, d. h. das geographische Gebiet der antiken
Kulturperiode, seine Vollendung erreicht; es umfasste als ein grosses
orientalisches Eolonialland das Mittelmeer von allen Seiten. Die
Grenzprovinzen am Euphrat nach Osten, an Rhein und Donau nach
Norden bildeten zu äusserst liegende schwankende Erwerbungen, mit
anderem Charakter, Beiwerke, schon zu weit von der Binnensee ent-
femt, um welche die klassische Welt gruppirt war. Innerhalb dieser
natürlichen Schranken und der entsprechenden festen und spröden
Gestalt der Sitten und des Lebens aber begann diese Kultur in sich
selbst zu ersticken. Während der ersten Jahrhunderte der christ-
lichen Aera vollzieht sich sichtlich ein unaufhaltsamer, beschleunigter
Process des Verfalls, der, wie eine rettungslose Krankheit, endlich
zur Auflösung führte. Es ist leicht, diese auf den ersten Blick
räthselhafte Erscheinung, die von Aussen keine zwingenden Gründe
hatte, mit dem Altem und dem Tode des organischen Individuums
zu vergleichen; aber da Völker und Epochen keine Pflanzen oder
Thiere sind, so sagt das beliebte Bild über den Vorgang selbst und
die dabei wirkenden reellen Ursachen unmittelbar nichts aus. Viel-
leicht lagen einige der letzteren in Folgendem.
Ein Grundfehler und der eigentlich schadhafte Punkt der antiken
Civilisation war die unwirthschaftliche Construction der Ge-
sellschaft und des Staates und die damit zusammenhängende Ab-
wesenheit realistisch -technischen Sinnes bei den Menschen.
Während der römischen Kaiserzeit wurde die Welt immer ärmer,
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Bückblick. 395
daher immer mathloser und gedrückter. Die Steaern stiegen von
Begierong zu Regierung, warfen aber immer nicht das Nöthige ab
und liessen sich immer schwerer, zuletzt als unerschwinglich gar
nicht mehr eintreiben. Man half sich, indem man sie zu möglichst
hohem Satze Generalpächtem in die Hand gab: welche publicam
sich dann wieder durch erbarmungslose Aussaagang schadlos hielten^
wie in Frankreich vor der Revolution. In den Städten mussten ein-
zelne reiche, mit hervorragenden Ehrenämtern bekleidete Bürger
(or die Gemeinde haften and wurden mit ihrem Vermögen die Beute
des Fiskus. In der Noth griffen die Kaiser zu Verschlechterung
der Münze — das Papiergeld mit Zwangskurs war noch nicht er-
fanden — , was nur zur Folge hatte, dass alle Preise in die Höhe
gingen und das Leben immer theurer wurde. Letzteres wurde dann
dem Eigennutz und bösen "Willen der Verkäufer und Händler zuge-
schrieben und demgemäss z. B. vom Kaiser Diocletian das berühmte
Edict erlassen, nach welchem die Maximalpreise aller Lebensmittel,
Rohstoffe, Arbeitslöhne und gewöhnlichen Manufacte von Staatswegen
normirt waren, ein schlagendes Beweisstuck für die Rohheit national-
ökonomischer Begriffe — die übrigens in dem sog. Gesetz des
Maximam von 1793 genau sich wiederholt. Anders als auf Symptome
za curiren, vielmehr den gesteigerten Anforderungen des Staates
darch Entfesselang der Production und freie wirthschaftliche Be-
wegung zu begegnen, fiel Niemandem ein. Zwar hatten die Römer
Strassen und Brücken gebaut, die noch jetzt unsere Bewunderung
erregen, aber diese dienten mehr dem Glanz und der Grösse der
Weltherrscher und der Leichtigkeit militärischer und administrativer
Verbindung, als den Zwecken des Handels und Verkehrs. Sie waren
durch Binnenzölle gesperrt und diese wieder in den Händen der
Staatspächter, mit allen Uebelständen und vexatorischen Praktiken
dieses Systems. Ausfuhr- und Einfuhrverbote an den Grenzen,
widernatürliche Getreidegesetze u. s. w. hemmten die Circulation der
Güter und also die Vermehrung des Kapitals und Reich thams. Da-
zu kamen die Staats- und Regierungsmonopole, deren Zahl immer
zunahm, und die kaiserlichen Fabriken, die nur scheinbar vortheilhaft
arbeiteten. Der unersättlichen Habgier des Soldatenstaates, der, von
Anfang an militärisch construirt, sich in fast immerwährendem Kriegs-
zustand befand, konnte keine Production der ackerbauenden und fa-
bricirenden Bevölkerung genügen; was die Abgaben übrig liessen,
wurde durch die Einquartierung und die Natural Verpflegung der
Trappen verzehrt. Die Soldaten, denen schon gegen Ende der Re-
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396 RückbUck.
publik gewaltsam und willkührlich Aecker in Italien zugeiheilt waren^
spielten seitdem die grosse Rolle. Sie waren meist unverehdicht,
verschwelgten auf grobe Weise, was sie im Kriege zusammengebracht^
waren faul zur Arbeit und zu UebergriflFen geneigt ^ *). Bei dem un-
entwickelten Zustande des Finanz- und Rechnungswesens und der
Unbekanntschaft mit den natürlichen Gesetzen, die es regeln, konnte
auch der Geldbandel und der leichte Umlauf der Kapitalien kein
Element zunehmenden Reichthums bilden. Der Zinsfuss stieg auf
eine unerhörte Höhe, und die Verbote, die dem Wucher steuern
sollten, machten das Uebel nur schlimmer. Wie der Zins überhaupt
im Alterthum für verächtlich, ja för unerlaubt galt, so blieb auch
das Prinzip der Arbeitstheilung unbegri£Fen. Schon Cato und
und Varro warnen gradezu vor derselben: der Erstere will, der
Landwirth solle möglichst wenig kaufen, 2, 5: patrem famüias ven-
dacem^ non emacem esse oportet; der Andere giebt die Vorschrift, was
auf dem Landgute vom Gesinde selbst gemacht werden könne, solle
nicht von auswärts gekauft werden, 1, 22, 1 : quae nasci in fundo ac
fieri a domesticis poterunt^ eorum ne quid ematur. Die Arbeit za
Hause also wurde nicht als ausgegebenes Geld gerechnet; auch unter-
hielten die grösseren Wirthschaften ihre eigenen Schmiede, Zimmer-
leute, Schuster, Bötticher u. s. w. selbst, wogegen in den Städten
der arbeitende Bürger- und Handwerkerstand fehlte. Kein Wunder,
dass die Technik des Handwerks unvollkommen blieb« welcher ohne-
hin in dem Naturell der Alten keine verwandte Richtung entgegen-
kam. Die natürliche Realität der Dinge imbefangen beobachten, sich
ihrer zweck- und werkmässig bedienen, sich durch solches Rüstzeug
befreien, ist kein antiker Charakterzug. Die Alten lebten im Traume
religiöser Phantasie, in idealem Schein, beherrscht vom Hange
künstlerischer Darstellung, befangen im Zauber des Schönen, als ein
adeliges Geschlecht. Sehen wir uns in den pompejanisbhen Resten
die Geräthe, die Werkzeuge u. s. w. an, wie schön und edel sind
sie gezeichnet, obgleich vielleicht von Sclavenhand gearbeitet, aber
auch meistens wie kindlich! Was uns daran durch rationelle Technik
erfreut, war nicht Ergebniss nüchterner Beobachtung und verstän-
diger Berechnung, sondern alte Tradition, bei der es blieb und die
als solche von Menschenalter zu Menschenalter sinken musste. Und
mit der Technik sank auch der Geschmack, die Grazie und Reinheit
der Formen und der Adel des Gedankens. Denn beide sind nicht
absolut getrennt; was die Technik gewinnt, kommt auch dem Geiste
zu Gute; jede Erweiterung ihrer Schranken, die der erstem gelingt,
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RückbUck. 397
gestattet auch dem letztern den Flug in eine bisher unbekannte Welt.
Hätten die Alten z. B. ihre dürftigen musikalischen Instrumente
maonichfEtcher entwickeln und etwa die Orgel und die Geige — die
erst mit den Arabern auftrat — erfinden können, es ist kein Zweifel,
dass auch ihre Musik selbst eine neue Seele gewonnen hätte. Wie
stationär die mechanischen Künste bei den Römern blieben und wie
fem ihnen die Natur als Object verständiger Forschung lag, lehrt
insbesondere die Geschichte der römischen Seefahrt und des rö-
mischen Ackerbaues. Umfang und Grenzen des grossen Reiches
boten Anlass genug sich auf der hoben See zu rersuchen. Die Welt-
herrscher waren in Besitz der iberischen, lusitanischen und mauri-
tanischen Küsten, aber die nahe gelegenen canarischen loseln musste
Plinius nach den Aufzeichnungen des Königs Juba beschreiben: rö-
mischen SchifPem oder Handelsleuten war es nicht eingefallen, sich
80 weit zu wagen. Die Insel Hibemia, an der vielleicht schon Py-
theas drei Jahrhunderte vor Chr. gelandet war, blieb den Römern
wie im Halbnebel zur Seite liegen; sie verbarg sich hinter dem
schwierigen biscayischen Meerbusen und dem stürmischen, klippen-
reichen irisch-englischen Kanal. Die römischen Schi£Fe waren und
blieben Küstenfahrer, die mit herannahendem Winter die Häfen auf-
sachten und die umbrausten Vorgebirge fürchteten. Winde, Wellen
imd Jahreszeiten wurden mythisch angeschaut: der Schnabel de&
Schiffes war zierlich und künstlerisch geschnitzt, das Schiff selbst
aber unvollkommen construirt. Vom rothen Meer ging ein alter
lebhafter Handelsverkehr nach Indien, und Strabo erfuhr, dass aus-
dem dortigen Hafen Myos Hormos jährlich 1 20 Schiffe nach diesem
Lande ausliefen: aber weder das indische Zahlensystem, noch die
Mi^etnadel gelangte von dort in den römischen Westen, der, in
den eigenen engen Kreis gebannt, gegen das Neue unempfindlich
war und vom Orient nicht, wie später in der Epoche der Araber,
Bereicherung und Anregung erfuhr. Nach Nordosten, am Pontus-
Euxinus, stand es wie am rothen Meer. Die Römer besassen eine
Anzahl befestigter Plätze an den Ufern des Pontus, aber der Handel^
der über jene Gegenden ging, lag in den Händen der Asiaten und
die Geographie des kaspischen Meeres erfuhr • keinerlei Fortschritt.
Wie ganz anders thätig bewiesen sich dort im Mittelalter die Genuesen,
Bürger einer kleinen Stadt, denen nicht, wie dem civis romanua^ die
Furcht und das Ansehen des römischen Namens schützend zur Seite
stand. Als sie sich in der Krim festgesetzt hatten, da befuhren sie
auch mit eigenen Schiffen das kaspische Meer und ihre Kaufleute
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398 Rückblick.
waren zahlreich in Taoris in Persien angesessen — und so £and sie
ein anderer Italiener, der Venetianex Marco Polo, als er dort vorbei-
kam, um den ganzen ungeheuren Welttheil zu durchziehen und diesen
dann, als der Herodot des Mittelalters, zu beschreiben. Zu dem
Einen wie zu dem Andern fehlte dem Römer der offene Sinn fax
die fremde Welt: wo er nicht mehr erobern konnte und die von ihm
geschaffenen politischen, socialen, rechtlichen und militärischen Formen
in regelmässigen Linien wie ein festes Mauerwerk hinstellen konnte,
da lockte ihn kein Begehr, da war die Luft nicht mehr, in der er
athmete und lebte. — Der römischen Seefahrt glich der römische
Ackerbau; auch in ihm regte sich kein Trieb der Entwickelung.
Die Werkzeuge waren und blieben die durch Ueberlieferung ge-
gebenen unvollkommenen, die Methoden die hergebrachten, höchstens
um neue eben so unwissenschaftliche vermehrt, die ein Gremisch von
bloss praktischen, wirklichen oder vermeintlichen Erfahrungen und
abergläubischer Phantastik darstellten. Düngung und Fruchtwechsel
waren bekannt, aber nicht nach Gebühr gewürdigt und nicht in ihren
Oonsequenzen entwickelt. Der Boden versagte zuletzt, Aecker ver-
wandelten sich in Weidegrund, Hungersnoth war häufig und Getreide-
zufuhr eine Hauptsorge der Regierung; Italien trug durchschnittlich
nur das vierte Eom (Dureau de la Malle, Economic politique des
Romains II, S. 121 ff.) Der eigentliche Grund des steigenden Miss-
erfolgs lag in der Höhe der Arbeitskosten, diese aber beruhten in
dem volkswirthschaftlich - technischen Ungeschick und der Gleich-
gQltigkeit gegen reelle Naturkenntniss.
Zu den Gründen, die den Untergang der antiken Gesellschaft
herbeiführten, hat man sich gewöhnt, vorzugsweise die Sklaverei
zu rechnen. Gewiss ist diese mit der höchsten industriellen Ent-
wickelung unverträglich, aber auf manchen Bildungsstufen — ganz
abgesehen von der Racenanlage und den daher rührenden verwickd-
ten politischen und socialen Problemen — ist sie ein natürliches,
unter Umständen sogar wohlthätiges Institut. Sie bestand auch bei
den Barbaren, die dem antiken Leben ein Ende machten; sie währte
in dem germanisch-romanischen Europa ungeschwächt fort und löste
sich dort im Fortgang der wirthschafblichen Kultur durch verschiedene
Zwischenstufen allmählig und natürlich von selbst auf. In Rom
unterschied sich das Sclaven- und Colonenwesen in den meisten
Beziehungen nur dem Namen nach von der strengen Gesindeordnung
und der feudalen Gutsverfassung modemer europäischer Länder bis
vor nicht langer Zeit. Ja, im Sklavenstande lag oft noch ein g&-
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Rückblick. 399
sdiötzter Rest des Yolksvermögens: der Sklave konnte wenigstens
nicht vom Pfluge weggerissen und in das Lager der Legionen ge-
schkppt werden, während die freie Bevölkerung durch Conscription
decimirt wurde uud sich nur aihnahlig durch die häufigen Freilassungen
ergänzte. Auch in Rom hätte sich, wenn im Uebrigen die Zeiten
nicht so trostlos rückläufig gewesen wären, die Sklaverei vor dem
Wachsthum der winhschaftüchen und politischen Kräfte nicht auf
immer halten können.
Ein Ausdruck dieses allgemeineu Elends war die unaufhaltsame
Verbreitung der neuen visionären Religion vom Orient her, die dem
?erzweifelnden Geschlecht einen rettenden Ausweg in das Linere des
Gemüthes zeigte. Das Christenthum, indem es „das Herz im Tiefsten
löste*' und alles Wesentliche in das lunere verlegte, untergrub aber
eben dadurch die Grundlagen selbst, auf denen die alte Welt ruhte.
Der Christ, dem die Armen die Seligen und der Tod ein Gewinn
war, blieb kalt gegen Erwerb und Vermehrung irdischer Güter: sein
Sinn stand ' in einer anderen, durch Entzückung geschauten Welt,
und er sammelte Schätze im Himmel. Bekannt ist, dass bei dem
allgemeinen Sinken geistiger Produktion doch die Jurisprudenz, dieser
Kern und Stamm römischen Wesens, sich nicht bloss erhielt, sondern
weiter gedieh: aber in der zahlreichen Reihe auf einander folgender
Juristen ist kaum ein Christ; was konnte diesem an der Ordnung
der Verbältnisse dieser kurzen Pilgerschaft liegen? nicht um Rechts-
ansprüche festzustellen, sondern am Heile der Seele zu schaffen, war
ihm dies zeitliche Dasein gegeben. Auch die Erkenntniss der Natur,
ja Wissenschaft jeder Art Hess ihn gleichgültig; im Glauben besass
er alle Wahrheit; ohnehin stand der Untergang dieser gegenwärtigen
Dinge jeden Tag zu erwarten. Auch im römischen Feldlager befand
sich der Bekenner der neuen Religion dem Feinde mit ganz anderen
Gefahlen gegenüber, als der echte Römer der alten Zeit: der Sieg
brachte ihm keine Freude, und Tod und Niederlage befreite ihn von
irdischer Trübsal oder diente ihm zur heilsamen Prüfung. Sein
wahrer Feind war der Heide und dessen Schönheitsdienst und Selbst-
genügsamkeit. So verloren Recht und Krieg, die Grundpfeiler Roms,
vor dem Hauch des neuen christlichen Geistes ihren Halt und ihre
tragende Kraft.
Eine andere, langsam wirkende Zerstörung, mit der durch das
Christenthum in der Wurzel identisch, war durch das Racengemisch,
den Eindrang orientalischen Blutes in die Bevölkerung des Abend-
landes gegeben. Das römische Reich befasste in der einen und all-
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400 Nen-EüTopa.
gemeiDen politischen Form einen sehr verschiedenartigen Inhalt von
sehr ungleichem Eultorwerth. Rom war ein Pandämoniom theüs
unreifer und roher, theils durch uralte Tradition verhärteter, tief in
Banden li^ender Yolksgeister. So unbeugsam der römische Staat
diese dunkehi Naturkräfte der Norm des Verstandes unterwarf, so
sieber ging er allmählig an deren geheimer Arbeit zu Grunde. Der
sich beschleunigende Verfall war nur eine Folge der Umbildung
der Race. Eingeborene Afrikas und Aegyptens, Orientalen jeder
Art, europäische und asiatische Griechen, spanische Iberer, Uljrier
und Thraker überschwemmten Italien, kreuzten sich unter einander,
bemächtigten sich der Organe des Staates, der Erziehung, der Literatur,
ja bestiegen nicht selten sogar den Thron der Imperatoren. Schon
seit Ciceros und Gäsars Zeit föUten sich alle Städte, darunter Born
selbst, mit Beschnittenen, die sich unter einander verstanden und, so
sinnlos, so allem Menschlichen abgekehrt ihre Meinungen den Römern
erschienen, doch in der Hartnäckigkeit ihrer Anlage unbemerkt das
allgemeine Bewusstsein umwandelten. Die jüdischen Gemeinden
waren es, die dem Ghristenthum zunächst die Wege bahnten und
dessen Keime in allen Provinzen, wie in den entfernteren Quartieren
der Hauptstadt ausstreuten. Wer behaupten wollte, nicht die Ger-
manen, sondern die Juden hätten das römische Reich zerstört, der
würde in dieser Schroffheit der Worte zwar zu viel sagen, dennoch
aber der Wahrheit näher kommen, als es Unkundigen scheinen
möchte. „O wäre Judäa nimmer, so klagt Rutilius Namatianos in
seinem Itinerarium, von Pompejus imd Titus bezwungen worden!
Von daher kommt jetzt weit und breit der Stoff der Ansteckung
und die einst Besiegten werfen den Siegern das Joch über den
Nacken!"
Nach einer anderen, helleren Seite hin öffiieten sich die Schranken
der antiken Kultur durch den Eintritt Nordwest- und Mitteleuropas
in die Geschichte der Menschheit. Diesen Durchbruch bewirkte zu-
erst der grosse Cäsar, indem er Gallien und Belgien eroberte und
Britannien und Germanien betrat. In jenen neuen Gebieten wehte
schon der Athem des Oceans, und ungeheure Wälder mit riesigem
Baumwuchs beschatteten den jungfräulichen, noch nicht angebrochenen
Boden. Häufige Nebel und Regen erhielten das Land auch im Sommer
noch feucht; die Bäume Hessen das Laub im Herbste fallen, im
Winter gefroren die sumpfigen Gründe und konnten betreten werden.
Ln Gegensatz zu den engen Landschaften der durch Gebirge ge-
theilten südeuropäischen Halbinseln und der gedrängten Baumzacht
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Nen-EüTopa. 401
des Ostens und Südens streckten sich die nordischen Flächen in un-
geheurer barbarischer Weite nach allen Seiten fort, und das Leben
trag das Gepräge dieser grösseren Verhältnisse^ wie im Ocean die
Woge breiter ist, als im geschlossenen Meere. Wo der Acker ge-
baut wurde, wie in gallischen Landen, da wuchs das Korn in anab-
sehbaren Auen, daran grenzte überall die Waldregion, die Heimat
der grossen Raub- und Jagdthiere, je weiter östlich vom Rhein, desto
seltener durch sporadische Eulturflecke unterbrochen. Die Civilisation
stand in den Anfangen, besonders bei Briten, Beigen und Germanen;
sie war bei den Galliem schon weiter vorgerückt, aber im Vergleich
mit Italien, der Erbin Griechenlands und des Orients, immer noch
im Stande der Kindheit. Dennoch hatte die mitteleuropäische oder
äansalpinische Technik des Lebens, so unentwickelt sie war, vor der
griechisch-römischen manche Vortheile voraus, die durch Klima,
Vegetation, Boden, überhaupt durch den ganz anders gearteten na-
türlichen Ausgangspunkt von selbst sich ergaben. Eine ganze Reihe
von Erfindungen liessen sich aufzahlen, die von Gallien den Römern
zukamen, aber von diesen, die bereits abgeschlossen hatten, mehr
notirt, als in lebendigen Gebrauch verwandelt wurden; wir führen
beispielsweise nur an: den Räderpflng, den rheda genannten Wagen,
die Seife, das linnene Hemd, die Mergeldüngung. Li religiösen, sitt-
lichen und Rechtsbegriffen fanden die Römer bei Briten und Germanen
ihre eigene, längst vergessene Jugendzeit wieder: sie, die Römer,
hatten diesen Urständ in langer Stufenfolge zu einem ins Einzelne
ausgeführten, überall von feinem Verstände und reicher Erfahrung
des Menschenlebens durchdrungenen, fest gestalteten und mannich-
fach vermittelten Systeme entwickelt; aber dieser unschätzbare Kultur-
gewinn war conventionell erstarrt und ward als Fessel empfanden:
bei den Germanen waltete noch das unmittelbare, rohe, aber frische
Natorgefühl, und tiefdenkende Römer, wie Tacitus, sehnten sich nach
diesen Anfangen des Lebens, die sie mit unverkennbarer Vorliebe
schildern und von denen sie in wohlthuender Täuschung wie von
Freiheit angeweht wurden. Um sich dies Verhältniss des alten
Kulturvolks zu den nordischen Waldbewobnern klar zu machen,
halte man etwa die lyrischen und epischen Volkslieder der Germanen
35U den Tragödien desSeneca: die ersteren sind elementar, aber von
dnnkler Poesie durchweht, die anderen gehören einer höheren Kunst-
gattung an (zu der das ganze Mittelalter sich nicht erheben konnte),
tragen das Gepräge formaler Bildung, aber der Geist ist entwichen:
dort ein Ueberschuss der Phantasie und des Gefühls über die Dar-
VicC HebD, Kultnrpflaiixen. 26
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402 Neu-Europa.
Stellung, hier frostige Verwendung fertiger, einst beseelter, jetzt hohler
Formen. In einem ähnlichen, nur noch härteren, oft mit staonendei*
Sympathie wahrgenommenen Gegensatze hatten sich Jahrhunderte
früher die Griechen zu den Pontusgegenden befunden, die so arm
und elend und doch wieder so reich waren: die griechische Schiff-
fahrt brachte Wein und Oel dahin, das Doppelsymbol der antiken
Kultur, und was sonst civilisirtes Leben zu bieten hat, Strab.
11, 2, 3: oaa rrjg ^fiiQov dtaiTTjg oixeia, und holte von dort Getreide,
Thierhäute, Vieh, Honig und Wachs, gesalzene Fische und — kraf-
tige Menschenleiber zum Behufe des Dienstes und der Arbeit, Polyb.
4, 38: t6 twv eig rag dovXeiag ayofiiviav aio^atmv nX^d'og ol xatä
TOP Hoviov rifAlv Tonoi naQaaxattdl^ovai daWikiatarov xai XQtjoi-
ficitaTov 6fioloyovfi€V(og. Schon frühe hatten die Griechen in jenem
Norden ein Geschlecht der gerechtesten Männer geschaut, und selbst
ein weiser Philosoph, Anacharsis, der weitgewanderte Urheber wohl-
thätiger Erfindungen, hatte dort seine Heimat. Griechen hatten sich
im Herzen des Skythenlandes niedergelassen, wie römische Händler
in der Hauptstadt des Maroboduus. Doch ging aus dem Contact
der Hellenen und der Ackerbauer und Nomaden im Norden des
Pontus keine neue Schöpfung, noch viel weniger ein neues Zeitalter
hervor: eine Völkerwelle nach der anderen spülte dort das unmittel-
bar Vorhergegangene wieder fort; Türkenstämme ritten aus den
Wildnissen Asiens hervor, Menschen und Saaten niederstampfend;
Slaven von Norden ergossen sich über das Donauland bis zum adria-
tischen Meer und tief in die griechische Halbinsel hinein; ihnen
folgend drängte sich noch ganz zuletzt ein finnischer Stamm vom
Ural her mitten zwischen sie hinein und behauptete das schöne,
einst von gebildeten Menschen edler Race bewohnte, jetzt zur Pferde
weide gewordene Pannonien. Anders im -Westen. Dort bildeten
Italien, Spanien, Gallien, die britischen Inseln, Germanien nach dem
politischen Falle Roms immer noch ein innerlich zusammengehaltenes
Ga^e, die europäische Völkergemeinde, deren idealer Mittelpunkt
die^ ewige Stadt war. Diesem Schauplatz des Mittelalters lag das
byzantinische Reich im Osten so gegenüber, wie einst Asien den
Griechen: cultivirter in vieler Beziehung, aber unfrei und tief ent-
artet, von Barbaren umlagert In dem Wechselverkehr des Nordens
und Südens oder der Germanen und Roms besteht der Hauptinhalt
d^ Geschichte des europäischen Mittelalters. Von Deutschland
waren dieSchaaren ausgegangen, die den stolzen militärisch-admim-
strativen Bau des Imperatorenreiches in Trümmer geschlagen hatten:
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Nen-Europa. 403
sie wirkten als Befreier, weil sie Ei dz elleben an Stelle der
wie mit ehernen Klammem festgefügten Einheit gesetzt hatten. Um-
gekehrt hatte Deatschland schon vor der Völkerwanderung sich der
Verführungen südlicher Kultur nicht erwehren können und erfuhr
nun während des Mittelalters den unaufhaltsamen allmählig alle Adern
durchdringenden Proce SS der Romanisirung an sich: seine Wälder
worden ausgerodet (Caroli M. Capit II. de 813 § 19: et plantent
vineas^ faciant pomaria^ et vhicunque invenient utUes ullos homines
detur Ulis süva ad extirpandum)^ Ansiedelungen, bald auch
Städte gegründet und die Sitten, die Regierungs- und Rechtsnormen,
die das Alterthum erfunden hatte, auf den neuen Boden angewandt.
Ein wichtiger Mittelpunkt der hin- und hergehenden Kulturbewegung
war Belgien. Zur Zeit Cäsars wohnten dort noch kriegerische, in
derber Naturfrische verbliebene Kelten, den Germanen ähnlich, von
diesen bedrängt, später mit ihnen sich mischend: den Germanen
nachher ein Vorbild weitergeschrittener Civilisation, des Ackerbaus,
der Industrie, der Freiheit, den alten Römerlanden eine Quelle der
Jugend. Belgien, Nordostfrankreich und das Rheinland zu beiden
Seiten des Stromes schienen bestimmt, ein eigenes Reich mit indi-
viduellem Gepräge zu werden, ein Zwischenglied beider Hälfken
Europas; doch vollzog sich dieser Ansatz nicht, und jene Gegend
blieb ein schwankender Grenzstrich, bald dem einen, bald dem an-
deren Theile zufallend. Flandrische Kolonisten aber waren es, die
in Deutschland die höheren Formen des Ackerbaus lehrten; von
Burguod ging die Tuch- und Leinwandweberei aus; dort (in St. Denys,
Rheims u. s. w.) ward die gothische Architektur erfunden und war
eine dichte Saat von Städten mit Kathedralen, eine mächtiger als
die andere, ausgestreut; dort gingen die Fabeln von Reineke Fuchs
um und erwachte zuerst die fanatisch-phantastische Idee der Kreuz-
züge; dort hatte die modernste Kunst, die Musik, ihre Geburtsstätte
und wurde die Oelmalerei, wenn nicht erfunden, so doch angewandt
und vervollkommnet. Aber während Deutschland mit den Mitteln
antiker Kultur erzogen und gebildet wurde, erweiterte es seinerseits
den Bezirk Europas durch unermüdlich fortgesetzte Kolonisation nach
Osten — eine der grössten, nicht genug zu beachtenden Erschei-
nungen des Mittelalters. Im Süden ging diese germanische Expansion
von dem Stamme der Baiem aus, dem Laufe der Donau nach; im
Norden von den Sachsen, quer über die Elbe, die Oder, die Weichsel,
bis hoch an den Küsten der Ostsee hinauf; in jenen deutsch ge-
wordenen Landen erhielten die Nibelungen wenigstens ihre letzte
26*
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404 Nen-Europa.
Fassung und schwang sich die Pflanzstadt Wien zum Eaisersitz au£^
in diesen trat Copemicus auf und wurden nach Jahrhunderten
Eant, Winckebnann, Fichte und Humboldt geboren; und während
dadurch im Süden das Keich des heiligen Stephan in den Kreis der
neueuropäischen Civilisation gezogen wurde, wurde im Norden auch
das weite Gebiet der Piasten und Jagellonen dem geistigen Leben
des -Westens geöflhet
Hatten Germanen das weströmische Reich, Türken und Slawen
die nördliche Hälfte des griechischen Gebietes überflutet, so brach
seit dem 7. Jahrhundert, um den Untergang der alten Welt voll-
ständig zu machen, der Arabersturm über Syrien und das noch
blühende Nordgestade Afrikas los. In der ersten Wuth des Islam
war die Zerstörung furchtbar und ist bis auf den heutigen Tag noch
nicht wieder gut gemacht — „keimt ein Glaube nea," so wird die
Arbeit vieler vergangener Geschlechter ^wie ein böses Unkraot aus-
gerauft" — , aber nachdem der erste fanatische Paroxysmus ver-
flogen, vermehrten die Araber das aus dem Alterthum vererbte
Eulturkapital durch werthvolle Beiträge: den Kompass, die ''Soge-
nannten arabischen Zahlen, die Anfänge der Chemie und Pharmade,
der Kaufmanns- und Hafenpraxis, manche neue Bodengewächse u. s. w.
Die arabische Kultur selbst verschwand freilich wie eine Episode,
aber das von ihr Zugebrachte wurde im Abendlande weiter entwickelt,
und als die italienischen Seestädte aufblühten und Banken und
Wechselgeschäfbe einrichteten, und als das Schiesspulver und das
Linnen-Papier erfunden waren und allgemeiner angewendet wurden,
da war nach langen Jahrhunderten der Barbarei und des Aber-
glaubens ein Punkt der Umkehr erreicht, von dem an das Leben
wieder aufzusteigen begann. Hätten schon die Bömer die beiden
letztgenannten Erfindungen machen können^ vieUeicht wäre die lui-
geheure Unterbrechung stetigen Kulturganges, die wir das Mittelalter
nennen, vermieden worden. Vor dem Schiesspulver wären vielleicht
die Hunnen in ihre Steppen zurückgeflohen, und das Papier hätte
möglicher Weise den Untergang der griechisch-römischen Literatur —
denn was wir besitzen, sind nur kümmerliche zerstreute Reste —
verhütet Im fünfzehnten Jahrhundert war Italien bereits wieder so
erstarkt, dass der Humanismus^ sowohl der literarische, als der sitt-
liche und politische, da anknüpfen konnte, wo das Alterthum in
seiner Erschöpfung den Faden hatte fallen lassen. Die Welt ö&etc
sich dem wieder sehend gewordenen Auge, der Mensch empfend
wieder Freude an dem Dasein in dieser Natur und begann nach Er-
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Nen-Enropa. 405
kenntniss ilirer Gesetze und ihres geheimnissYoIlen Iimem sich zu
sehneu. Mit der Magnetnadel bewafinet, segelten kühne Schiffer von
Lnsitanien und Iberien aus nach Amerika, Ostindien und China: vor
den Blicken breitete sich in tausendfacher Fülle der Naturwunder
die neue Welt aus, die einst Seneca jenseits der Meere geahnt hatte
— dorn mehr als die Ahnung war den Römern nicht beschieden.
Mathematik, Physik, Mechanik, Astronomie, Anatomie, Botanik
regten sich mit jugendlichem Eifer; die Earche bewachte sie miss-
traoisch, konnte sie aber nicht mehr ersticken; mit Hülfe von Messer
und Wage, Schmelztiegel und Retorte, Hebel und Pumpe, Thermo-
meter und Barometer, Teleskop und Mikroskop, Pendel, Loga-
rithmen und Infinitesimalrechnung bereitete sich die immer vollere
and umfassendere Befreiung der Menschheit vor. Was die moderne
Welt von der alten unterscheidet, ist Naturwissenschaft, Technik und
Nationalökonomie.
Wenden wir uns nach diesen allgemeinen Betrachtungen wieder
zu unserem näheren Thema, so lehrt die Nameugebnng in der deut-
schen Sprache, dass von der Epoche der Völkerwanderung an bis
tief in die mittleren Zeiten hinein Alles, was der deutsche Garten
trug und ein grosser Theil der Feldverrichtungen aus Italien und
Gallien oder Süd&ankreich eingeführt war. So weit das Klima es
erlaubte, wui'de durch eine fortgesetzte Kulturwanderung angeeignet,
was Italien entweder ursprünglich besessen oder selbst in früheren
Jabrhnnderten aus Grriechenland und Asien bezogen hatte. Nicht
bloss die Baumfrüchte, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Maulbeeren, die
Trauben und alle Manipulationen der Kelterung und Weingewinnung,
dazu auch der Keller (cella\ die Tonne und die Kufe, die Flasche,
die Kanne, der Becher, der Kelch, der Krug (ein keltisches Wort,
Zeuss* 151. 778), die Kumme (cucuma)^ der Kumpen, Kumpf (cym-
htum)y der Kessel (catirms)^ der Tiegel (tegtdä)^ sondern auch Blumen,
Gemüse, Küchen- und Apothekergewächse, wie Kohl (caulis)^ Kabes,
Kappes (caputium)j Erbse (^rrww), Wicke (vtcia), Linse (Jens)^ Petersilie,
Zwiebel, Kümmel, Beete (slavisch aveklü entstellt aus aaiiTlov)^ Rettich)
den die Bömer selbst erst unter den ersten Kaisem aus Syrien als radda
Syfia bezogen hatten), Meerrettich (entstellt aus armoracia)^ Münze
{menüia)f Koriander, Kerbel, Liebstöckel (libisticum statt liffti8ticum%
Lavendel, Melisse, Polei (pulegitm)^ Fenchel, Anis, Karde, Lattich
Qactuca)^ Spargel und vieles Andere, sind lateinisch benannt; die
Sichel ist das lateinische &^«^to, Flegel — jlageUum^ Mergel — margok^
fnargüa^ Speicher — apicarvum; lateinisch sind Butter und Käse,
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406 Der Beis.
Pferd and Zelter, die Masse: Meile, Centner, Pfand, Matt (modkui)^
Sche£Fel (scaphum^ 8capüus\ Seidel (situla) a. s. w. Wie die italienische
oder gallische Villa mit allem Zabehör, den Gewächsen, Thieren
and nothigen Werkzeugen and Arbeiten aaf deutschen Boden Ter-
setzt wurde, davon giebt Karls des Grossen capitulare de viUis und
das dpecimen breviarii verum facalium ein deutliches Bild. In Italien
selbst hatte sich trotz der Völkerwanderung und der chaotischen
Auflösung die Zahl der angebauten Gewächse und der gebräuchlichen
Hausthiere im Allgemeinen nicht verringert: so zähe ist das Privat-
leben, und so unermüdlich geht in den kleinen Kreisen desselben
der Zerstörung die Heilung und Wiederherstellung zur Seite. In den
tausend Jahren des Mittelalters bis zur Entdeckung Amerikas ist
kein gezähmtes /Thier m eh r zu verzeichnen ; es blieb bei dem alten
Bestände trotz der Bewegungen im inneren Asien, der grossen ara-
bischen Herrschaft vom Indus bis zum Tajo und der Einbrüche der
Türken und Mongolen. Wohl aber bereicherten die eben genannten
Weltbegebenheiten die Kulturflora des Westens um einige integrirende
Glieder, unter denen wir uns, wie billig, zunächst zu den Früchten
des Ackers wenden.
Der Reis.
(oryza scUiva L.)
Der Reis, eine Pflanze fetter, wasserreicher Niederungen in tro-
pischem und subtropischem Klima, wurde von Alters her in Indien
überall gebaut. Im Mündungslande des Indus musste die sumpfige
Natur des Bodens dieser Art Getreide besonders zusagen, aber auch
auf trockenen und höher gelegenen Strecken konnte die Aussaat so
geregelt werden, dass die zu bestimmten Zeiten eintretenden tropischen
Regen der aufschiessenden Frucht zu Hülfe kamen. Obgleich an
eigentlichen Nahrungsstoffen hinter dem Weizen zurückstehend, war
and ist der Reis doch mehr als dieser die allgemeine Yolksnahnmg
nicht bloss im eigentlichen Indien, sondern auch bei den Bewohnern
der Halbinsel jenseits des Ganges, Südchinas und der Inseln des in-
dischen Meeres, bis im äussersten Osten die Sagopalme an die Stelle
dieser Grasart tritt. Reisfelder fehlen in dem bezeichneten Gebiet
nur da, wo im rauheren Gebirge die Wärme nicht mehr ausreicht
oder die Monsunregen ausbleiben und künstliche Bewässerung nicht
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Der Reis. 407
möglich ist Eine eigentliche Brodfracht ist der Reis in so fem
nicht, als er selten gemahlen und verbacken wird; er bildet als
Lieblingsspeise eine kernige, weiche, aus gequollenen Eomem be-
stehende, wohl auch mit Fett getränkte GrQtze, die die alten grie-
chischen Berichterstatter mit ihrem Wort xo^^Q^S^ Graupenbrei, die
Lateiner mit cUica bezeichneten. Auch die Eunst aus Reis ein alkohol-
haltiges Getränk, den Arrac, wie aus dem Saft des Zuckerrohrs den
Rum, zu bereiten, ist eine altindische, denn schon dio (rriechen haben
dayoD gehört, Strab. 15, 1, 53: olvov re yag oi nivaiv (%ovg*lvöovg),
alVky ^itaiaig iiovov, nlvsiv 3* ajt* oqvQijq arri xgtd^lvwv avvTi9iv^
tag' xal aizla di to nXiov oQvTl^av elvai ^og>T]%ijp. Aelian. de nat.
anim. 13, 8: r(p öi eig noXefiov ad^lovvti (eXi<pavTi) olvog fiiv, ov
fi^y 0 %wv afiniXwv inei tov fiiv i£ oQv^rig X6iQovQyovai^ rov de
ix xaXapLOV. Freilich darf man sich darunter noch nicht jenes stark
destillirte Wasser denken^ was wir heut zu Tage Arrac und Rum
nenneu, sondern nach den Worten der Alten eine Art Bier oder
Wein. Der Sanskritname des Reises war vrtki (noch nicht im Rig-,
wohl aber im Atharyayeda) ; bei Uebergang in die iranischen Sprachen
mosste dies Wort den Lautgesetzen gemäss zu hrtzi werden; aus
dieser altpersischen Form machten die Griechen ihr 0Qv1I,a^ oQvt/ov^
welches letztere Wort dann durch Vermittelung des Lateinischen der
bei allen neneuropäischen Yölkem vorhandenen Benennung zu
Grunde liegt.
Die erste Bekanntschaft mit dem Reis machte das Abendland
durch die Feldzüge Alexander des Grossen, obgleich einzelne, aller-
dings unbestimmte Spuren schon auf die Mitte des fünften Jahr-
hunderts weisen. Nach einer Notiz des Athenäus nämlich hatte So-
phokles in seinem Triptolemos von einem ogivdr^g a(jtog gesprochen,
den die Späteren entweder als Brod aus Reis oder aus einem in
Aethiopien einheimischen sesamähnlichen Korne deuteten, 3. p. 110:
OQivdov d' aQZov fiifivrjTai 2oq)oxX^g iv TgirnoXe/iifi^ rjioi xov i^
OQvCijg yevofiivov ij and tov iv Al9ioni(f yivo^ivov anigfiarog^ o
ioviv oiAOiov OTjadfKp. Pollux 6, 73 erklärt ungefähr ebenso, lässt
aber den Reis weg: dg ogivdrjv ztva oqzov Al9ioneg %ov i§ oqiv-
diov yivofievov o iaxi onigfxa inixwQWV^ oixotov arjaafi(p. Auch
Hesychius stellt die Aethiopier an die Spitze: oqMijv' aQvov nagä
Ai^ioipf xai anigfia naganXfjawv ar]oafi(f, oneg ^xpoweg anovv-
tat. zivkg di ogv^av, während Phrynichus in Bekk. Anecd. 1. p. 54
ganz kurz sagt: ogivda* ^v oi noXXoi oQV^av xaXovaiv, Hätte So-
phokles selbst schon an jener Stelle des Triptolemus den oghör^g
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408 Der Reis.
a(»Tos iiut den Aethiopem in Yerbindong gebracht, so könnte er an
die Aethiopen Homers, die nach Sonnenaufgang hin wohnen, oder an
die uild^loneg ol ix r^g ^Aoitjg seines Freundes Herodot d. h. eben
an die Anwohner des unteren Indus und der angrenzenden Küste
gedacht haben, und beide Deutungen würden zusammenfsdlen. Die
Namensform oQlvda, ogivdiop stimmt merkwürdiger Weise in der
Nasalisirung, hinter welcher das C ii^ <^ überging, mit dem arme-
nichen brinz^ neupersischen biring^ birang überein. Herodot selbst,
der ja auch schon von der auf Bäumen wachsenden Wolle gehört
hat, erwähnt einer Abtheilung der Inder, die sich von einer wild-
wachsenden Pflanze nähre, deren Eömer von der Qrösse eines Hirse-
korns in einer Hülse steckten und mit der letzteren gekocht und so
gegessen werden, 3, 100: xal avtoiai iart oaov xiyxQog %6 fiiyadvg
iv xalvxi^ avTOfiazov ix Trjg yfjg yivofiei^ov, t6 avlXiyovreg avr^
xdXvxi. Stpovai ta xai aniovcai,. Auch dies kann als Reis ge-
deutet werden; die Fehler der Beschreibung, z. B. dass der Reis,
der zu Herodots Zeit längst eine Kulturfrucht war, als atfTOfitnof
bezeichnet wird, erklären sich durch das trübende Medium der Feme,
durch welches damals noch jenes äusserste Wunderland geschaut
werden musste; einen Namen der Frucht scheint Herodot nicht er-
fahren zu haben, wogegen sein ^ipovac richtiger ist, als das Brod
des Sophokles. Mit der Eroberung Asiens durch die Macedonier
trat, wie so vieles Andere, so auch der indische Reis vollständig in
den Gesichtskreis der Griechen. Gleich Theophrast beschreibt die
Pflanze und ihren Gebrauch genau, h. pl. 4, 4, 10: fidliota di
aneiQovai to xaXoviasvov oqvI^ov i§ ov tö ^tprjfia, Tovvo de ofioiof
tJj 1^61$ xal negiTtriad'iv olov x^^^Q^Sy evnemov di, rrjv oipiv ti«-
q>vx6g ofjioiov raig aigaig xai tov noXvv xqovov Iv vdatiy änoxeitai
di ovx Big avQXvVy aXH olov q^oßrjv äansQ 6 xiyxQ^S ^^^ ^ eXvfiog.
Noch merkwürdiger aber ist die Nachricht des Aristobulus, der ein
Begleiter Alexanders auf dessen Heerzügen in Asien gewesen war
und in hohem Alter eine Geschichte des grossen Königs, vwbunden
mit einer Naturschilderung der durchzogenen Länder verfasste, bei
Strab. 15, 1, 18: tjJv d* oQv^äv q>i]atv 6 liQta%6ßovXog iatavai ^
vdati xXeiaTip^ nqaoiag d* elvai %ag ixovaag avti^v vipog di tov
g>VT0v TevQoinrjxVj noXvataxv tb xal noXvxaQnov ^eQU^ead-ai de
neql dvaip üXr/iddog xal ntioaear^ai wg Tag ^etdg' qweoi^ai de
xal iv rfj BaxxQiavfj xal BaßvXiovlq xal 2ovaidv xal ij xdtoi de
2vQia g>vei. MiyiXXog di t^v oQv^av oneigeG^ai fiiv ngo Tßf
ofißQtov q>rjalvj ägdeiag di xal (pweiag dela^ai^ anb twv xXeiatiif
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Der Reis. 409
mni^ofiirTf¥ vSanov. Hier also wird nicht bloss die Eultarart in
geschlossenen, überschwemmten Beeten überraschend richtig be-
sehrieben, sondern schon Bactriana (also die Gegend am oberen
Oxns), Babylonien und Susis (also schon die ontem Eaphrat- und
Tigrisländer, semitisches Gebiet) als reisbauend dargestellt. Bestätigt
wird die letztere Angabe durch Diodor, der bei Erzählung der Kämpfe
zwischen Eumenes und Selenkus den ersteren wegen Getreidemangels
seine Truppen in Susiana mit Reis, Sesam und Datteln nähren lässt^
mit welchen Produkten die genannte Gegend ungemein gesegnet sei,
19, 13: Evfiivijg di diaßag t6v Tlygiv xai nagaye^ofiepog elg tt^v
2ovouiP7]Vj elg tqia fiiQfj dulks t^v dvvafiiv^ dia t^v tov aizov
onmp. inmoQevofieyog de z^vxwqav xavä iiiqog alzov fiiv navteXwg
hmdvi^sv, oQvl^av de xai a^aafiov xal (poLvixa diiöcjxe Toig azQo^
tuizaig, öatffiXtjg ixovarig r^g X^Q^S '^ovg zoiovrovg xagnovg. Noch
unter der Perserherrschafk und wohl in Folge derselben war also die
Beiskultur vom Indus bis zum Oxus und Euphrat vorgedrungen,
und von dort stammte denn auch der Name oQv^a, Die Worte:
xai 1/ xatü) de 2vQia q>vei scheinen ein Zusatz des Strabo selbst zu
sein, zu dessen Zeit also auch Niedersyrien schon in den Kreis dieser
Kultur einzutreten begann. Wer der gleichfalls angeführte Megillus
war^ und zu welcher Zeit er lebte, wissen wir zwar nicht, auch ist
der Text des Strabo hier verdorben, aber so viel deutlich, dass auch
Megillus von der Art, den Reis zu bauen, eine richtige Vorstellung
hatte. Ein dritter Berichterstatter, der Zeit nach dem Theopbrast
und Aristobulus nahe stehend, Megasthenes (er war Agent des Königs
Selenkus in den östlichen Landen, gegen das Jahr 300 vor Chr.);
hat auch gesehen, wie der Reis an indischen Höfen gegessen wurde,
und an solchen Mahlzeiten ohne Zweifel selbst Theil genommen: jeder
der Gäste bekommt einen Tisch, in Form eines Behälters oder Unter-
satzes; dieser trägt eine goldene Schüssel; in die Schüssel wird ge-
kochter Reis, in Art unseres Graupenbreis, gethan und dann mit
vielen Zusätzen indischer Fabrikation gemengt, Athen. 4. p. 153:
Meyaa&dvrjg <f iv %^ ÖBvriqtf twv Uvöixwv Toig ^Ivöolg^ V^f^l^i
h T^J deinvtff naqaxid'ead'ai exdarcp Tgane^av zavtTjv d' elvai
bpLoiav xdig iy/v^f^xaig xai inixi^ea&ai lii avrfj TQvßUov xQvaovv^
dg 0 ifdßalelv avtovg nquitov fiev ttjv OQv^av €q)^^v, dg ar xig
hp^aeie xo^^Qov* eneixa oxpa noXXa xexeigovQyijfiiva Taig^Ivdixalg
oxevaaiaig. Also schon ganz der überall im jetzigen Orient ge-
bräuchliche, je nach den Gegenden verschieden bereitete Pilav. Seit
der Gründung des ägyptisch -griechischen Reiches musste ein leb-
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410 l>«r Reis.
hafier Handel, wie mit anderen indischen Erzeagnissen, so auch mit
Reis über das persische and rothe Meer zu den dortigen Häfen gehen.
F5r die römische Zeit sehen wir dies aus dem Periplos maris mbri
des sog. Arrian, der diesen Artikel mehr als einmal anter den Pro-
dakten der von den Schiffern besachten Küsten aafiPuhrt, z. B. 14:
i^agri^eTai di avvrjx^wg xai aao tdiv eaa) tottwi», x^g i^gian^g
xai Bagvya^wVy elg xa avra zä rov niqav ifinoQia yhri nQO-
XWQoZvxa and xwv xonatv^ aJxog xai oQv^a u. s. w. (Vergl. aach
31, 37 and 41). Der Reis diente seitdem den griechisch-römischen
Aerzten zu einem schleimigen Getränk and wird als daza bestimmt
hin and wieder angeführt; dass er zar Zeit des Horaz noch theaer
war — in der That masste die Feme, aas der er kam, and die
Leichtigkeit des Verderbens, der er aasgesetzt war, den Preis erhöhen
— erhellt aas Sat. 2, 3, 155, wo einem Geizhals eine solche Reistisane
verschrieben wird and er vor dem Preis erschrickt:
agedum, mme hoc ptisanarium oryzae.
Q^anti emtctel Parvo. Quanii ergo7 Octussüms. Eheu.
Za einer gewöhnlichen Speise diente der Reis noch nicht, — bei
Apicias kommt nar einmal der suacs oryzae als Ingredienz vor, 2, 51
ed. Schach., — noch viel weniger wnrde zar Zeit der Alten irgendwo
im Abendlande der Versuch gemacht, die Pflanze anzubauen.
Das letztgenannte Verdienst gebührt den spanischen Arabern.
Längst seit alter Zeit durch den indisch- äthiopischen Handel, der
durch ihre Hände ging, mit diesem Getreide bekannt und schon ao
dessen Genuss gewöhnt, hatten die Araber nach Eroberung Aegyptens
den Reisbau im Nildelta, dessen natürliche Beschaffenheit sich tre£flich
dazu eignete, und in den Oasen einheimisch gemacht Bei ihrem
Bestreben, die neugewonnenen Länder nach dem Bilde derer, aas
denen sie kamen, einzurichten, mussten die Mauren auch in Spanien
darauf verfallen, die bewässerten Niederungen mit dem Lieblings-
kome zu bestellen, das noch jetzt den Orientalen so werth ist. Dazu
boten sich ausser den Flussbecken der Guadiana und des Guadal-
quivir besonders die fetten Marschgründe der Provinz Valencia, and
hier gewannen die Araber, ohnehin Meister in der Kunst der Be-
wässerung und des Eanalbaues, bald die gewünschten Ernten, deren
Ueberfluss der Handel sogar den Küsten des europäischen Auslandes
zuführte. Nach der allmähligen Eroberung der maurischen König-
reiche durch die Christen gingen die arabischen Reisfelder in die
Hand der letzteren über, und hierin das Werk der Ungläubigen fort-
zusetzen, verbot glücklicher Weise die Religion nicht Als gegen
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Der Reis. 411
Ende des fänfzehnten und za ÄDfaog des sechszehnten Jahrhimderts,
wo die Welt wie neu werden wollte und über Alles, was aus Afrika,
Ostindien und Amerika kam oder was von daher berichtet wurde,
nicht aus dem Staunen fiel, die spanische Macht sich in Neapel, dann
in Mailand festsetzte, indess die italienische Seefahrt nach und von
der Levante noch blühte, da wurde auch der Reisbau entweder direkt
ans Spanien oder nach dem Beispiel der Spanier aus Aegypten nach
Italien verpflanzt, zunächst natürlich an den Punkten, wo Kanali-
sation und Ueberschwemmung von alter Zeit her gebräuchlich war,
im Mailändischen und Yenetianischen. Es schien damit fftr den Land-
mann eine Quelle des Reichthums geöflhet, und Alles warf sich mit
Eifer auf die neue Kultur, etwa wie zur Zeit des amerikanischen
Bürgerkrieges in Süditalien auf die der Baumwolle. Wiesen und
Weizenfelder wichen weit und breit den Reisbeeten und vom Mün-
dongslande der Alpenflüsse, des Po, der Etsch u. s. w., von den
Niederungen bei Mantua, Ravenoa, Ferrara u. s. w. verbreitete sich
der Reisbau, der in der That einträglicher war, als die gewöhnliche
Körnerfrucht, auch in die oberen Gegenden ^ in die Romagna, nach
Piemont u. s. w. Bald aber wurde man inne, dass dadurch das ganze
Land in einen künstlichen Sumpf verwandelt wurde und Malaria und
Fieber überhand nahmen. So gross nun in jenem südlichen Lande
die Gewinnsucht ist, so gross auch die aus vielfacher Erfahrung ge-
schöpfte Furcht vor böser Luft und den Wirkungen stehenden Wassers.
Es begann das Gegenstreben sämmtlicher Regierungen, das sich
schon seit der ersten Hälfte des sechszehnten bis in das laufende
neunzehnte Jahrhundert in einer Reihe von Verboten und gesetz-
lichen Einschränkungen kund that. Ueberall wurde eine Entfernung
von so und so viel Meilen festgesetzt, innerhalb welcher die Reis-
felder sich von jeder grösseren und kleineren Stadt abseits halten
mussten. Dann folgten noch strengere Verordnungen, nach denen
nur solche Ländereien mit Reis bestellt werden sollten, die wegen
ihrer sumpfigen Beschaffenheit keines anderen Anbaues fähig wären,
and in deren Nähe kein bewohntes Haus läge und keine befahrene
Strasse vorüberführe. Eine besondere Aufsichtsbehörde, ohne deren
Erlaubniss kein Reiskorn gesteckt werden durfte, wachte über Auf-
rechthaltung der gesetzlichen Bestimmungen. Obgleich diese im
Interesse der öffentlichen Gesundheit erlassenen Beschränkungen immer
noch in Kraft sind, hält sich der Reisbau in Venetien und der Lom-
bardei doch in blühendem Stande und liefert einen bedeutenden Deber-
schuss zur Ausfuhr. Die Kultur selbst erfordert viel Aufwand von
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412 I>«r Mais.
Axbeit und Sorge, sowohl bei der ersten Einrichtung und Bestellung
der wagerechten, mit Damm und Graben umzogenen Beete und der
späteren Zu- und Ablassung des Wassers, als bei der Ernte und dem
Dreschen, Stampfen, Reinigen des Kornes; zudem wirkt das Wühlen
und Waten in Schlamm und Wasser, das Jäten u. s. w. nicht günstig
auf die Gesundheit der Arbeiter und Arbeiterinnen und ihrer Kinder.
In Süditalien^ wo das Klima noch wärmer und die Gefahr noch
grösser ist, war die Verfolgung der Obrigkeiten in demselben Masse
lebhafter, so dass dort der Reisbau, so wie er überhand nehmen
wollte, immer wieder erstickt wurde und jetzt sich auf einzelne un-
bewohnte Punkte beschränkt. Der Ertrag der ganzen Halbinsel an
Reis wird auf mehr als 2 Millionen Hectoliter im Werth von etwa
70 bis 100 Millionen Lire geschätzt. In Spanien soll diese altarabische
Kultur sehr gesunken sein, wohl auch in Folge sanitätspolizeilicher
Verbote; aus Südfrankreich ist sie verschwunden, in der europäischen
Türkei sah Busbequius im 16. Jahrhundert Reisfelder bei Philippopel,
epist. 1: fuimvA Pfdlippopoli^ vidimus in locis palustribus et cupum
orizam instar tritici crescentem. So vorzüglich übrigens die Qualität
des südeuropäischen Reises im Allgemeinen ist, so wenig fiUlt der
Handel damit in's Gewicht gegen die Massen, die Ostindien, Java,
besonders aber Amerika auf den Markt bringen. Wie nämlich mit
dem Zucker und Kaffee und der Baumwolle geschah, so auch mit
dem Reis: erst die Versetzung in die neue Welt hat ihn zu einem
Weltprodukt gemacht. Die südlichen Staaten der Union, Florida^
Mississippi, Alabama, Louisiana, Georgien, besonders aber Südcarolina
erzeugen jetzt Reis fQr Millionen an Ausfuhrwerth und trotz der
grossen Entfernung halten die Preise die Concurreoz mit den italienischen
aus. Europa war für diese Frucht die Haltestation, wohin sie die
Araber, die alten Zwischenhändler des Ostens und Westens, brachten,
und von wo Andere sie weiter nach Neu-Indien jenseits des Oceans
schafften.
Ein noch wichtigeres Gegengeschenk hat übrigens Amerika der
alten Welt durch seinen Mais, zea Mau L., gemacht, der jetzt
einen grossen Theil von Südeuropa und der Levante nährt und bis
nach China und Japan und ins tiefste Herz von Afrika zu Neger-
stämmen, die nie einen Europäer gesehen haben, gedrungen ist
Schon Columbus fand diese Saatfrucht in Hispaniola vor, und schon
damals wurde sie durch ganz Amerika angebaut, so weit nur Ackerbau
herrschte und das Klima es erlaubte. Seit dem Anfang des 16. Jahr-
hunderts wurden Körner davon in spanischen und italienischen, aack
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Der Mohrhirse. 413
französischen, deutschen und englischen Gärten gesteckt und die
Pflanze bald auch im Grossen auf Feldern gezogen. Die Yenetianer
verbreiteten sie im Orient; sie siedelte sich unter dem Namen Kukuruz
in der Türkei, den Donauländem, Ungarn an, und gab auch dort
eine Lieblingsspeise ab (z. B. als Mamaliga bei den Walachen, zu
welcher der Branntwein aus Zwetschen, die sog. Tsckukay nicht fehlen
darf); nach Deutschland kam sie als türkischer Weizen oder Wälsch-
kom aus Italien, „unser Germania,** sagt Hieronymus Bock (Tragus),
New Kjeüterbuch, Strasburg 1539 foL, 2, 21, wird hsILA felix Arcibia
heissen, dieweil wir so viel fremder Gewächs von Tag zu Tag aus
fremden Landen in unsem Grund gewöhnen, unter welchen das gross
Welschkom nit das geringst ist." Li Norditalien ist jetzt die Polenta
d. h. der Maisbrei die gewöhnliche Kost des Landmannes und der
Maisbau wetteifert besonders in den fruchtbaren Flächen des nörd-
lichen Theiles der Halbinsel mit der Weizenkultur. Liefert die letztere
auch ein edleres Rom und feineres Mehl, so wie eine gesundere
Nahrung, so steht sie dem ersteren doch an Ergiebigkeit nach und
hat ihm deshalb Schritt für Schritt vom besten Boden abtreten
müssen^*).
Leichter als den Reis muss es gewesen sein, den Mohrhirse^
wrgum vulgare L.^ die dhorra und dochn der Araber, aus Ostindien
nach Europa zu bringen, denn schon kurz vor Plinius war er in
Itahen erschienen, 18, 55: müium intra hos decem annos ex India in
ItaUam invectum est, nigrwn colore, amplum granOy harundineum cuhno,
adolescii adpedes altitudine Septem^ praegrandtbus comis (ctdmis): juba»
(phobas) vocant: omnium frugum fertUissimum. ex uno grano sextari
terrd gignuntur. seri dehet in umidis. Die Beschreibung ist zutreffend
and an der Identität nicht zu zweifeln; auch mit der Angabe, dass
der Sorgo das fruchtbarste aller Körner sei, hat es seine Richtigkeit.
Leider steht der Gehalt bei diesem Getreide nicht im Verhältniss zu
semer Ergiebigkeit, und da es sich auch durch Farbe und Geschmack
nicht sehr empfiehlt, so mag der Anbau nachher wieder aufgegeben
worden sein^*). Wenigstens hören wir nach Plinius nichts wieder
von der Dhorra, und erst die Araber verbreiteten dies in den Gegenden
am das rothe Meer bis zu den Schwarzen im inneren Afrika gewöhn-
liche Saatkorn zum zweiten Male über die Länder am Mittelmeer.
Petrus de Crescentiis (am 1300 nach Chr. oder gleich nachher) kennt,
es genau unter dem Namen müica (auch heut zu Tage melga^ melica^ in
anderen Gegendenso^^no, sorgo genannt) und beschreibt die Anwendung
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414 I^er BachweizeiL
desselben alsThierfutter, in Tbeurungsjahren alsBeimischangzu anderem
Mehl, zu technischen Zwecken u. s. w. ganz in heutiger Weise, üb.
3 de milica (der Basler Quartausgabe von 1538); Melegaria competunt
ad claudenda tuguria et vias in tempore luti stemendas et competunt
iffni et clibanis fadendh^ cum fuerint easiccata^ et plantU saUcum in-
volvendüy ne excorientur a bestiis et ne sole urentur aestioo Semen
milicae bonus cibus est porcis et bobus et equis dari potest et kommes
eo tempore necessitatis utuntur et cum aUü granü in pane et praecipue
rusticis. Die verschiedenen Arten und Varietäten dieser Frucht
kommen auch im jetzigen Italien vor, doch ist ibr Anbau überhaupt
beschrankt : sie dient grün als Futterkraut oder in Eömergestalt zur
Schweinemast, denn den Vögeln ist sie schädlich, oder mit ilu^i
Kispen, je nach der Grösse, zu Börsten oder Besen, oder endlich mit
den Halmen zu den geflochtenen Wänden der einfachen Bauexhütten.
Wie der Roggen ein zu nordisches, ist der Mohrenhirse ein zu süd-
liches, ein Negerkom, und beide, ohnehin wegen ihres schwärzlicheD
Mehles verachtet, streifen nach Italien nur hinüber, zum gegen-
seitigen Erstaunen wo sie zusammentreffen^^).
Der Buchweizen.
(polygonum fagopyrum L.)
Gleichsam zum Ersatz für den dem Süden gewährten Mais er-
hielt zu derselben Zeit oder nur wenig früher der Norden Europas
aus dem Innern Asiens ein der civilisirten Welt bis dahin unbekanntes
Korn, den Buchweizen. Ihr Vaterland hat diese dikotyledone Pflanze
— denn sie ist keine Grasart, wie die übrigen Cerealien — in Nord-
china, Südsibirien und den Steppen Turkestans und muss sich mit
den Völkern, die aus jenen uncrmesslichen Weiten aufbrachen, weiter
nach Westen in Bewegung gesetzt haben. Wie Piano Carpini, Ru-
bruquis und vor Allen Marco Polo zum ersten Male, seit es ein
Europa in geschichtlichem Sinne gab, den Weg zu jenen Einöden
mit Glutsomroem undEiswintem und den barbarischen Hofhaltungen
schlitzäugiger gelber Menschen sich bahnten, so kamen in umgekehrtei
Richtung neben dem unsäglichen Unheil, das jene fürchterlichen
Racen brachten, auch einzelne Sitten, Fertigkeiten, Pflanzen, die für
Bereicherung gelten konnten, aus Asien erst zu den östlichen Grenzen
<ler civiUsirten Völker, dann zu diesen selbst in langsamem Vor*
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Der Buchweixen. 415
schreiten hinüber. Marco Polo selbst, der den ächten Rhabarber in
dessen Vaterlande mit Äugen sab, und aber diese ferne, ^wunderbare
Wurzel berichtet, schweigt über den Buchweizen. Aber die ersten
botanischen Schriftsteller seit dem Beginn des sechszehnten Jahr-
hunderts kennen dies Saatkorn bereits als ein seit Menschengedenken
aus der Fremde eingeführtes. Joh. Ruellius, dessen Werk de stirpium
natura zuerst 1536 in Paris herauskam, hat p. 324 (der Basler Aus-
gabe 1537 fol.) die Notiz: hanc (Jrugem) quoniam avorum nostrorum
aetate e Cfraecia vel Asia venerum turcium frumentam nominant, und
gleich darauf: jam agri plerique in Gallia hac frage rubent Noch
älter wäre die Aussage des jüngeren Champier in seiner Schrift de
re cibaria libri XXII, Jo. Bruyerino Campegio Lugdun. authore,
Lugduni 1560. 8*^, wenn seine Behauptung in der Widmung an den
Kanzler Michel THdpital, er habe sein Buch annos abhinc triginta
flus mmusve^ also um das Jahr 1530, geschrieben, buchstäblich und
mit Ausschluss jedes späteren Zusatzes zu verstehen wäre. Dort
heisst es lib. 5, cap. 23, p. 374: serunt praeterea gaUici rusUci frugem
dUam non ita pridem e Graecia Asiave aliove orhe ad no8 invectam —
folgt die Beschreibung des Buchweizens und dann: vulgus turcicum
fmmentum nominat. Die Worte stimmen fast wörtlich mit denen
des Ruellius überein, welcher letztere das Manuscript des Bruyerinus
Campegius noch vor dem Druck benutzt haben könnte. Der Aus-
druck avorum nostrorum aetate führt für Frankreich auf das Ende
des 15. Jahrhunderts und für Deutschland entsprechend frQher, etwa
auf die Mitte oder die erste Hälfte desselben. Ueber den Weg der
Einwanderung erfahren wir nichts Bestimmtes. Die Benennung tur^
cicum frtimentum, statt deren sich frühe die andere: bl^ Sarrazin,
grano saraceno einstellte, weist nur ganz unbestimmt auf die asia-
tische, über die christliche Welt hinausliegende Heidenschaft hin.
Daher Leonhart Fuchs, de historia stirpium, Basileae 1542 fol., p. 824
ganz richtig sagt: e Graecia autem et Asia in Germaniam veni% unde
turcicum fmmentum appellatum est: Asiam enim univen^am hodie im-
manimmus Twrca occupat Nord- und Süddeutschland nennen dies Korn
verschieden tmd haben es also nicht auf gleichem Wege überkommen.
Der niederdeutsche Namen Buchweizen ist, wie man sieht, an Ort
und Stelle gegeben und bezieht sich auf die Aehnlichkeit der Körner
mit den Bucheckern; das niederländische boekweyt ging in der Form
hcuquette^ hucaü u. s. w. in das benachbarte, nordöstliche Frankreich
über, welches also den Buchweizen aus Brabant bekommen hat.
Schon die plattdeutschen Bibeln, die von Cöln (nach 1470), die Lü-
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416 I^ei* Bachweixen.
becker von 1594 u. s. w. setzen Jes. 28, 25 boehcete f&r das Wort,
welches Luther später mit Spelt übertrug und die vorlutherischen
hochdeutschen Bibeln mit Wicken wiedergaben. Die älteste Erwäh-
nung des norddeutschen Buchweizens fände sich nach Pritzel (Sitzungs-
berichte der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin, Mai
1866) in Originalregistem des meklenburgischen Amtes Gradebusch
vom Jahre 1436. Der andere, in Söddeutschland übliche Ausdrude
Heidenkorn (jetzt durch Umdeutung gewöhnlich Heidekom, als
wäre es ein auf Heidegrund wachsendes Kom), der sich schon in
Glossensammlungen der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts findet
(so bei Diefenbach glossar. lat. germ. s. v. cicer, im Anzeiger für
Kunde deutscher Vorzeit 6, 438 als Verdeutschung für medica u. s. w.),
sagt dasselbe aus, was czechisch pohankcL, pofuminoy poln. pogankoy
magyar. pohdnka — ein von den Heiden gekommenes Getreide; da
aber andere slavische Sprachen derselben Weltgegend auch (^da,
kajda^ hajdina sagen, welches oflFenbar ein Lehnwort aus dem Deut-
schen ist, so bleibt Zweifel, ob nicht das czechische pohanka auch
nur ein übersetztes Heidenkom ist. Ein dritter deutscher Name
Taterkorn, Tatelkorn ist soviel als frumentum Tatarorum und
hat sein Analogon im czechischen und kleinrussischen tatarka^
magyar. tatdrka^ finnischen tattari^ estnischen tatri, Hierm läge ein
deutlicher Wink, von welchem Volke Osteuropa diese Frucht be-
zogen hätte, nämlich den Tataren, unter welchem Namen sowohl
die Stämme mongolischer Race, als die eigentlichen Wolga- und
Erimtataren verstanden wurden ; aber dass die Russen diesen Namen
nicht kennen, muss bedenklich machen, und es scheint uns daher
wahrscheinlich, dass damit Zigeunerkom ausgedrückt werden sollte,
da diese wandernden Horden den Namen Tätern oder das Heiden-
volk führten und zum Theil noch führen und auf ihren Zügeo,
mit denen sie grade im 15. Jahrhundert das westliche Europa
überfluteten, diese Saat verbreiten mochten (s. C. Hopf^ die Ein-
wanderung der Zigeuner in Europa, Gotha 1870). Das russische
greiay grecucha^ grecicha^ kleinruss. hreika^ poln. gryka, lit plur.
grUcai^ auch in deutschen Mundarten Ghücken (walachisch hridk,
magyar. haricshi) bedeutet griechisches Getreide d. h. ein von
Süden gekommenes, fremdes, in demselben Sinne, den das Beiwort
wälsch bei den Deutschen hatte. Daneben gilt in Russland, in den
Gegenden an der Unterwolga ein dikuia^ so viel als wildes Eom,
d. h. entweder wildwachsendes, oder von den Wilden, den jenseitigen
Nomadenstämmen angebautes oder von ihnen bezogenes Korn, wofar
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Der Buchweizen. 417
auch das tatarische Wort kurluk gebraucht wird. Pallas sab auf
seinen Reisen häufig, wie diese Nomaden bei ihren flüchtigen Acker-
baaTersuchen den tatarischen Bachweizen, polygcnum tataricum^ theils
anbaaten, theils sich seiner als eines Unkrautes nicht erwehren
konnten. Nach Linde (in seinem Wörterbuch unter grykd) fände
sich Wort und Sache in polnischen Inventarien nicht Yor der Re-
gierung des Königs Sigismund August, also nicht vor der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts. Doch mag diiQ gryka bis dahin nur
seltener gewesen sein, als später, und ihre Erwähnung nur spär-
licher. Alles in Allem genommen, waren es die Türken- und Mon-
golenstämme, die dies neue Eom in die Gegend des schwarzen
Meeres brachten, von wo es dann (wenn man die Zigeuner aus dem
Spiel lassen will) der Seehandel über Venedig und Antwerpen weiter
nach Deutschland und Frankreich und beziehungsweise nach den
Niederlanden trug; dass es von den Slaven den Deutschen übermittelt
worden, dafür spricht, wie wir gesehen haben, kein sicheres An-
zeichen in der Namengebung. Es empfahl sich durch den angenehmen
Geschmack und die kurze Vegetationsperiode, letzteres zugleich eine
Bestätigung seiner Herkunft aus dem strengen hochasiatischen Himmels-
stricL Jetzt ist das weite Russland, seiner geographischen und
kulturhistorischen Stellung gemäss, ein vorzügliches Erzeugungsland
dieser Feldfrucht und die aus ihr bereitete Grütze, die sogenannce
iaia^ die aus dem Mehl derselben gebackenen Vorfasten-Euchen
Q. s. w. eine unentbehrliche, nationale, dem Volke nicht wie so vieles
Andere aus Europa aufgedrängte Kost und Sitte. Auch in Nord-
deatschland, z. B. in Holstein, hängt der gemeine Mann von Alters
her an seiner Ghrütze aus Buchweizen, der selbst in den Niederlanden
einen wichtigen ländlichen Artikel bildet Im Süden wird das Heide-
kom seltener und verschwindet am Mittelmeer ganz; aber in den
rauheren österreichischen und tyroler Alpen, wo der Mais nicht mebi*
trägt, stösst man häufig im Herbst nach der Ernte auf die artig aus-
sehenden Felder mit den rothen Stengeln und weissen Blüten des
Heidekoms. Es heisst dort Plent (aus polenta, s. Schöpf^ Tirolisches
Idiotikon) und das Gericht daraus Sterz.
Schon im Vorhergehenden ist bei Besprechung mancher einzelaen
asiatischen Kulturpflanze, z B. der Citrone und Pomeranze, der
Dattelpahne, des Safrans, des Mohrhirse, derCeratonia siliquau. s.w.
bemerkt worden, dass, wenn ihre erste Einwanderung auch schon ia
Viet HebD, Koltarpflaoun. ^
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418 Araber.
die Zeit des Alterthums fiel, sie doch erst durch die Araber ein
bleibender Besitz der Küsten des Mittelmeers geworden sind. Die
Araber nahmen das Werk des Alterthums kräftig auf und gaben der
Bewegung einen neuen mächtigen Impuls. Es war eine Zeit, wo das
innere Meer ein arabischer See heissen konnte. Zwar Eonstantinopel
zu erobern, gelang diesem kriegerischen Kulturvolke nicht, obgleich
dies vielleicht nicht zum Schaden der versunkenen Hauptstadt ge-
wesen wäre und auch sich an der Loire, also im kalten Mitteleuropa,
festzusetzen, war wider die Natur und konnte, welches auch der
Ausgang der gegen Karl Martell gelieferten Schlacht war, nicht von
Bestand sein, — aber in Aegypten und ganz Nordafrika, in Spanien,
auf Sardinien und den Balearen, in Sicilien, Kalabrien, Apulieo, an
den Küsten der Levante, geboten Araber, bauten den Boden und be-
luden Schiffe, und an glänzenden Höfen der Kalifen und ihrer Statt-
halter blühten in einer Epoche allgemeiner Barbarei die Künste und
humane Sitten. Ja, der Trieb, die Vegetatien Asiens nach Europa
zu versetzen, wirkte noch tiefer und in weiterem Umfang, als jemals
zur Zeit der Römer, deren Macht doch auch bis ins Linere Asiens
gereicht hatte. Durch die Araber kamen ostindische Produkte, von
denen das spätere Alterthum nur gehört, oder die es durch den
Handel als kostbare Waare empfangen hatte, lebend und leibhaftig
an das Mittelmeer. Zwar den Pfefferstrauch zu verpflanzen, ging
nicht an, und vom' Kaffee war noch nichts zu hören, aber die Seiden-
raupe ynirde in Spanien und Sicilien angesiedelt, und maurische
Seidenzeuge aus Palermo dienten dem Herrn der Christenheit zum
prachtvollen Krön ungs- und Kaisergewand, an stillen Wassern rausch-
ten Papyrusdickichte, und die Baumwolle und das Zuckerrohr ver-
suchten in den wärmsten Lagen auf europäischem Boden zu ge-
deihen — letzteres ein Ereigniss von unberechenbarer Wichtigkeit.
Denn wenn auch der Anbau des Zuckers und der Baumwolle in
Europa selbst keinen nennenswerthen Umfang gewinnen konnte —
erst in Folge der amerikanischen Krisis stieg der Ertrag der letzteren
in Süditalien auf etwa 100,000 Ballen — , so ward er doch Anlass
zu der ungeheuren Produktion jener ostindischen Gewächse in West-
indien, zu der entsprechenden Consumtion bei allen Völkern der
Erde und dem beide vermittelnden, die Oceane und alle Häfen be-
lebenden Welthandel. Wer heut zu Tage nach einem Besuche Pom-
^jis aus dem Thor dieser verschütteten Stadt tritt, an deren Wänden
flüchtig gezeichnete Landschaften von der schon damals gelungenen
Aneignung so mancher subtropischen Bäume Zeugniss geben, der
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Die Tulpe. 419
kann an den Baumwollefeldem, die sich dorch die Gegend hinziehen,
sich yergegenwärtigen, wie die Epoche der Maaren dem Alterthom
io dieser Hinsicht ebenbürtig ist. Gleich den Namen zucchero and
cotone^ belegen dies noch andere aas dem Arabischen stammende
oder darch das Arabische vermittelte Bezeichnangen, z. B. melia
azedarach^ ein über alle Gestade des Mittelmeers verbreiteter Baam,
lazzemolo^ der Azerolenbaum, mit essbaren Früchten, gesminOy gelso*
minoj der ächte Jasmin, der in dem genannten Bezirk fast schon
verwildert ist, a. s. w.^*)
Als die Araber zerfielen und alimälig unterlagen, war unterdess
im Zeitalter der Ereuzzüge der Seehandel der italienischen Städte
aufgeblüht: Venedig und Genua beherrschten die Märkte der Levante
und unterwarfen sich Inseln und Territorien. Auch diese Ver-
bindung wandte Europa einen Theil des Reichthums jener geseg-
neten morgenländischen Gebiete zu, und selbst als die Türken
immer weiter erobernd vordrangen, schlug auch dies der Weltkultar
zum Gewinn aus.
Denn die Türken waren kein bloss zerstörendes Volk, wie die
Mongolen, sondern führten Europa aus der Besonderheit ihres ur-
sprünglichen Heimatlandes und ihres daran geknüpften Naturells
manches Neue, Unerhörte zu, das die Schranken der gewohnten
Sitte und den Kreis der Vorstellungen erweiterte. So waren sie
Freunde der Bäume, besonders der Blumen. In den kurzen, hef-
tigen Sommern Turkestans erblühen auf trockenen, fast ununter-
brochen von dem Licht der Sonne getrofifenen Heiden zahlreiche,
feurbige, stolze Blumen, und diese begehrte der Türke auch nach
seiner Wanderung in den Südwesten in seinen Gärten zu schauen
und gesellte ihnen aus den vielen in seiner Hand vereinigten Ländern
noch andere bisher unbekannte hinzu. So wurde Stambul und das
Tfirkenreich überhaupt das Bezugsland für eine neue prächtige
Gartenflora, die auf zwei Hauptwegen, über Wien und über Venedig,
in Europa einwanderte. Die berühmteste und wegen ihrer weiteren
Schicksale merkwürdigste dieser türkischen Blumen war die Tulpe,
so in Italien nach dem persischen dulbend oder Turban genannt,
das Staunen und die Bewunderung der damals noch sehr naiven
Kinder des Westens. Das Wesentliche der Geschichte dieses stolz
blühenden, leicht Spielarten bildenden Zwiebelgewächses hat J. Beck-
mann in seinen Bey trägen 1, 233 ff. und 2, 548 ff. mit gewohnter
27*
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420 JWo Tulpe.
Gründlichkeit erzählt. Conrad Gesner, der Linn^ des 16. Jahrhunderts,
sah die erste Tulpe im Jahr 1559 in Äugsbarg im Grarten eines der
dortigen Patrider; f&r das Jahr 1565 sind blühende Talpen auch im
Garten der reichen Fugger bezeugt Die Saat jener ersten sollte aus
Eonstantinopel oder, wie Andere sagten, aus Eappadocien gekommen
sein ; nach Clusius war Eaffia in der Krim ihr Vaterland, mit anderen
Worten die krimischen Tataren, die Stammgenossen der Türken,
hatten sie mitgebracht und angepflanzt und lieferten die Zwiebeln.
Während die Italiener eine andere Art direkt bezogen und ihr, wie
gesagt, auch den Namen tulipano gegeben hatten, sollte der Kaiser-
liche Gesandte Busbeck, der sich allerdings mit dieser Blume viel
befasste, die erste deutsche Tulpe nach Prag gebracht haben. Aus
Wien erhielt sie Nord-Europa, namentlich England; die grossten
Liebhaber aber £and die Blume an den unterdess frei und reich ge-
wordenen, phantasielos gebliebenen Holländern. In Holland erwachte
der Wetteifer, immer neue, seltene, wunderliche Abarten und Farben-
mischungen zu erzeugen, und führte endlich in der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts zu dem weltbekannten Tulpenschwindel, dem Kauf
und Verkauf auf Zeit von nie dagewesenen Exemplaren, mit Ent-
richtung bloss der Differenz zwischen dem vereinbarten und dem am
Verfalltage notirten Preise, einem „WindhandeP, der das Vorspiel
bildete zu den ein Jahrhundert später zu Paris in der rue Quin-
campoix sich abwickelnden Scenen und zu dem oflen und verstedrt
getriebenen Glücksspiel unserer Börsen. Die Geschichte sagt nicht,
ob es vielleicht schon damals speculative Kinder Israels waren, die
in Amsterdam, Harlem und Rotterdam für eine Phantasie-Tulpe den
Preis eines Hauses oder Landgutes bezahlten, und ob sie schliesslich
die einzig Gewinnenden waren, indess allen übrigen Spielern der er-
träumte Reichthum in der Hand zerfloss. — Andere Blumen und
Ziergewächse, die Europa dem Halbmond verdankt, sind der jetzt
allgemein verbreitete, lieblich duftende Syringenstrauch, syringa vulr
garis^ italienisch und spanisch lilacj franzos. lilas — ein orientalischer
Name — , durch Busbequius aus Stambul herübergebracht; der
Hibücus ByriacM mit den prachtvollen rosenartigen Blüten; die aro-
matisch duftende orientalische Hyacinthe, Eyacinthus orientaUs, ans
Bagdad und Aleppo nach Venedig und Italien gebracht, später die
Nebenbuhlerin der Tulpe auf den Blumenbeeten der Holländer und,
wie diese, in unzähligen Farben und Abarten erzeugt; die Kaiser-
krone, Fritülaria imperialü^ eine persische Blume, die die Europäer
in den Gärten Konstantinopels kennen lernten; die Gartenranunkel,
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Amerika. 421
ranunculus asiaticuSj die Lieblingsblume Mahomed des yierten, die
dieser in allen Formen ans den Provinzen seines weiten Reiches in
den Gärten seiner Haoptstadt versammelte, und die dann von dort
nach Italien und weiter nach Deutschland und den Niederlanden
wanderte. Bei der einmal erwachten Blumenlust kamen dann zu
diesen und anderen tfirkischen Blumen noch andere aus anderen
Geilenden, so die schöne Balsamine, impatiens BaUamina^ noch jetzt
fiberall in ItaUen blühend, im 16. Jahrhundert von den Portugiesen
ans Ostindien gebracht, und die in ItaUen selbständig aufgetretene
Nelke, ital. garofoh^ garofcmo^ fnanzösisch oiUet, das Aeuglein, ge-
nannt, dianthus caryophyUus^ die Blume der italienischen Renaissance
— denn in der Epoche des Aufblühens der Städte und des Handels
hatte das Auge des Menschen sie in dem südlichen Italien wild ge-
fimden und seine Kunst und Pflege ihr gesteigerten würzhaften
Doft, Blätterfulle und alle Abstufungen der Farbe abgelockt. Noch
jetzt ist sie,
Im schönen Kreis der Blätter Drang,
Und Woblgeruch das Leben lang
Und alle tausend Farben — ,
obgleich von den Alten nicht beachtet, der besondere Liebling des
Volkes jenseits der Alpen. — Dass aber nicht bloss Blumen, sondern
auch Bäume durch die Türken über die Welt verbreitet sind, beweist
der von uns an anderer Stelle bereits erwähnte schöne Kastanienbaum
mit den pyramidalen Blüten und dem dichten Schatten schon im
Frühling, Aesculus hippocastanum, aus dem Vaterlande der Türken
stammend; der Kirschlorbeer, in der zweiten Hälft« des 16. Jahr-
bonderts aus Trapezunt, wo ihn Pierre Belon zuerst sah, durch
Glnsius nach Wien übertragen; endlich die reizende, zarte, süss duf-
tende Albizzia Jvlibrimny deren italienischer landschaftlicher Name
goffffia dt Costantmopoli verräth, an welchem Punkte sie zuerst den
Boden Europas betreten hat. — Von dem Bachweizen, als einem
türkiscb-mongolischen, aus Hochasien mitgebrachten Korn ist bereits
die Rede gewesen.
Doch was bedeuteten diese verspäteten Ankömmlinge aus dem
Orient gegen den ungeheuren Umtausch, der mit der Entdeckung
Amerikas begann? Amerika, sagt Kohl sehr schön in seiner Ge-
schichte der Entdeckung Amerikas, Bremen, 1861, S. 412, tauchte
anf^ wie ein unserem Planeten angehängter neuer Stern. Was Amerikas
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422 Amerika.
Tropen- und gemässigte Zone lieferteD^ war nicht ein Nachtrag, von
Phöniziern, Eleinasiaten, Griechen und Römern nur zu&Uig versäumt,
sondern Graben und Erzeugnisse einer ganz neuen Welt — und es
begann die zweite grosse Periode der Geschichte, die des Verkehrs
beider Hemisphären, da die erste nur die Entwickelung der einen
aus sich und in sich gewesen war. Wir stehen noch am An£euig
dieser Epoche, die der grosse Genuese eröffiiet hat^ und Transplan-
tation und Acclimatisation sind bis jetzt nur das zufällige Geleite
des Ebtndels und der Schiflfahrt gewesen. Dennoch fuhrt schon jetzt
jeder Spaziergang durch europäische Parks und Gärten, jede Fahrt
auf Landwegen und Eisenbahnen an amerikanischen Gewächsen vor-
über: die vitis Labruscoj der sogenannte wilde Wein, aus Nord-
amerika, bekleidet Säulen und Wände, rothgluhend im Herbste, dodi
keinen Traubensaft spendend, wie die morgenländische Schwester
vom Kaukasus und Demavend; neben ihr klettert mit hochgelben
Blüten die peruanische Kapuzinerkresse, Tropaeolum majru^ empor;
die Pyramidalpappel, populus däatata^ zieht wie ein grüner Säulen-
gang oder paarweise in Procession an der Heerstrasse fort, am Mis-
sissippi einheimisch, für uns zunächst aus Italien gekommen und
daher lombardische Pappel genannt, der einzige Baum, 'der in un-
serem Norden Gestalt bat und daher auch von den Gemüthsschwärmem
der romantischen Zeit und Schule verachtet und verfolgt; breiten,
dichten Schatten wirft die amerikanische Platane, platanus occidm-
taUs'j Hecken nordamerikanischer Acacien, Robinia pseudacacic^ om-
geben die öffentlichen Spaziergänge^ in denen IHnus Strolms^ die
Wheymouthskiefer, Bignonia Catalpay der Tulpenbaum, Liriodendron
ttUipiferum^ jenseits der Alpen die jetzt allverbreitete herrliche Mag-
nolie, MagnoKa grandiflorcLt die aus dem tropischen Amerika stam-
mende, süssen Veilchenduft verbreitende Acacia Famesiana, der
australische Eucalyptus globulus^ mit dem man jetzt die römische
Campagna bepflanzen will, der japanische Ligusterbaum, der gleich-
fjAÜs japanische schöne Mispelbaum mit den duftenden Blüten im
Herbst und den goldenen Fruchtbüscheln im Frühling (Eriobotkrya
japonica^ eine jetzt in Süditalien und Sicilien wichtige Kulturpflanze),
der zarte Pfefferbaum, schmus moUe^ der prächtige Korallen baoin,
Eryihrina coraUodendron u. s. w. den Eintretenden empfangen. Föf
den Weizen und das Rind und das Pferd — Geschenke von un-
schätzbarem Werth — haben wir den Truthahn, den Mais, die Kar-
toffel, den Opuntiencactus, Opuntia fums indica^ zurückerhalten.
Was die Kartoffel im Norden ist — auch für diese Frucht ist, wie
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Amerika. 428
der Name lehrt, Italien das Mittelland gewesen — , weiss Jeder,
weniger dass die Opontienfeige für die Wüsten und Felsen des Mittel-
meeres fast dieselbe Bedeutung hat, wie jenes Knollengewächs für
die Heiden des Nordens. An allen Küsten jenes Südens, vom Atlas
und der Sierra Morena am Aetna vorbei bis zum Taurus und Sinai,
hat diese südamerikanische, blaugraue, stachlichte, in sonderbarer
Vegetation ein fleischiges Stengelglied aus dem Ende des anderen
hervortreibende Pflanze die dürrsten, unfiruchtbarsten Felswände und
Steingründe überzogen und sie so durch Humusbildung der Kultur
wiedergegeben. Man pflanzt sie auf den Lavafeldern des Aetna, um
diese rascher urbar zu machen; ihre Stacheln hüten das Feld, von
den Blättern nährt sich das Vieh, und die saftigen Früchte bilden
vier Monate gegen den Herbst jedes Jahres die Nahrung und Er-
frischung der ganzen Bevölkerung. Neben ihr wuchert ihre Gefährtin
und physiognomische Verwandte, die Aloe, ixgave americana^ mit der
riesengrossen grünen Blätterrosette und dem aus dieser bäum- oder
kaodelaberartig aufsteigenden Blütenschaft; beide zusammen haben
den Typus der mediterranen Landschaft, die längst vom Orient her
ihr strenges, stilles Kolorit erhalten hatte, durch ein völlig ein-
stimmendes Element wesentlich ergänzt. Die Kartoffel hat sich bei
den Südländern nicht beliebt gemacht ^^), wohl aber eine andere,
der Kartoffel nahe verwandte, ursprünglich giftige amerikanische
Frucht, die Tomate, auch pomi d'oro genannt, Solanum Lycopemctum^
deren gelbrother säuerlicher Saft die italienischen Schüsseln zu färben
pflegt und überall in der italienischen Küche, wo es nur möglich ist,
angebracht wird.
Damit dem Bilde des Wechselverkehrs mit der neuen Welt sein
Schatten nicht fehle, ist auch noch des Tabaks zu erwähnen. Wie
die Europäer nicht bloss die wohlthätigen Resultate einer dreitausend-
jährigen Kultur nach dem jungfräulichen Lande hinüberleiteten, sondern
mit ihren Schiffen im Süden auch Neger und Jesuiten, im Norden
auch die Pocken und den Branntwein landeten, so verdanken wir
Amerika nicht nur die Kartoffel und die edlen Metalle und das Bei-
spiel republikanischer Freiheit: es hat uns auch das genannte nar-
kotische Giftkraut überliefert, das jetzt ganz unvertilglich scheint
Dass ein barbarischer Gebrauch der Indianer, den Rauch der trockenen
Blätter einer betäubenden Pflanze durch ein Rohr oder eine zusammen-
gedrehte Rolle in den Mund zu leiten und dann wieder auszustossen
oder dieselben Blätter in gepulvertem Zustande in die Nase zu stopfen,
von den Rothhäuten zu weissen, gelben und schwarzen Menschen
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424 Schlags.
auf der ganzen Erde hat übergehen und bei allen sich so tief ein-
wurzeln können, ist eine Thatsache, die viel zu denken giebt Wie
in Europa ^er Arme, der Verbrecher um ein Stückchen Geld zu —
Tabak bettelt, so gewinnt der Reisende oder Eaufinann auch den
Neger im inneren Afrika, den Samojeden, Malaien u. s. w. durch
nichts so leicht als durch eine Gabe Tabak. Türken, Araber und
Perser hauchen den Rauch dieses Krautes stillsitzend yor sich her,
als ein Bild ihres eigenen unnützen, apathischen, träumerischen
Lebens ^^). Hunderte von Millionen sind seit zwei Jahrhunderten
auf diese hässliche Gewohnheit verwandt worden, die au^ehäaft oder
productiv angelegt alle Völker hätten wohlhabend machen können,
und noch jetzt sind viele Tausende von Morgen oder Hectaren des
kostbaren Erdbodens, der Weizen oder Wein hätte tragen können,
mit dieser Species giftigen Nachtschattens bestellt. Aehnlicher Er-
scheinungen werden die kommenden Jahrhunderte vielleicht noch mehr
bringen. Denn wie die Hellenen" als ein Adel der Menschheit rings
Ton Barbaren umgeben lebten, von abergläubischen Aegyptem,
knechtischen Asiaten, trunksüchtigen Thrakern u. s. w., so auch bisher
die Europäer, umringt von farbigen, untergeordneten Racen Der
die Erde immer dichter umspannende Verkehr wird den weissen Mann
in immer nähere Gemeinschaft und Berührung mit jenen Massen
bringen und diese Kreuzung vielleicht die Matter mancher bestialischen
Ausgeburt werden. Der Veredolungsprocess der Menschheit wird
auch dann seinen Fortgang nehmen und auch diese ungeheure Auf-
gabe wird gelöst werden, aber in wie langen Zeiträumen, über welche
barbarischen Zwischenstufen, unter wie viel Opfern, Rückfällen and
Trümmern!
Schluss.
Die vorstehenden Skizzen tragen in mehr als einer Hinsicht,
auch abgesehen von den Unterlassungsfehlem, die der Verfasser be-
gangen haben wird, und deren Folgen er auf sich nehmen muss, den
Charakter des Fragmentarischen und der Vereinzelung an sich. Zu-
nächst ist die Bodenkultur, die Garten- und Haaswirthschaft nur der
Theil eines Gunzen, ein blosser Ausschnitt aus der allseitig sich voll-
ziehenden Bildungsgeschichte der Menschheit. Dennoch spiegelt sich
auch wieder im Einzelnen das Allgemeine, und wie die Kulturpflanzen
von Volk zu Volk, von Ost nach West, von Süd nach Nord ge-
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Schlags. 425
wandert sind, so in derselben Richtung und Zeit auch die Freiheit
üod Kultur selbst in jeder Gestalt Aus Indien und Persien, aus
Syrien und Armenien stammen unsere Feld- und Baumfrüchte, eben
daher auch unsere Idärchen und Sagen, unsere religiösen Systeme,
alle primitiven Erfindungen und grundlegenden technischen Künste.
Griechenland und Italien ftihrten uns die Nähr- und Nutzpflanzen zu,
mit denen wir im mittleren und nördlichen Europa unsere Wohn-
stltten umgeben, und eben diese Länder lehrten uns in eben dieser
Reihenfolge edlere Sitte, tieferes Denken, ideale Kunst, humane Zwecke
und die höheren Formen politischer und socialer Gemeinschaft. Was
die Pflanzengeschichte bezeugt, würde auch von der Kulturgeschichte
im umfEtösenden Sinne nicht anders ausgesagt werden. Auch die
letztere ist nur eine Geschichte des Verkehrs, und wie der einzelne
Mensch nur in der Gesellschaft seine Bestimmung, d. h. die höchste
Entwickelung seiner Anlagen erreicht, so sind auch die Völker in
demselben Masse, wie sie zur Bildung sich erheben, nur Schüler und
Erben anderer umwohnender, überlegener Völker. Die grösste Vater-
landsliebe zeigten daher zu allen Zeiten diejenigen nationalen Führer,
die nicht die heimische Eigenart am hartnäckigsten festhielten, sondern
am offensten und bereitwilligsten auf die Lehren der Fremde und
den früher und anderswo erreichten Kulturgewinn eingingen.
Wie die Pflanzen und Hausthiere von Hand zu Hand gingen,
davon enthält dieses Buch eine Anzahl monographischer Umrisse;
eine andere, jene erste ergänzende Aufgabe wäre es, festzustellen,
welche seiner eigenen wilden Pflanzen das Abendland auf die gleiche
Weise zur Kultur erhoben hat, sei es direkt oder nach dem Vorbild
des Ostens und Südens. Einiges davon ist im Vorhergehenden ge-
legentlich angedeutet worden, das Uebrige muss einer eigenen Unter-
suchung überlassen bleiben. So wächst oder wuchs der Kohl, jetzt
eines der nützlichsten und verbreitetsten Gemüse, ohne Zweifel in
Europa wild; wann und wo aber fing man an, ihn in Gärten zu ver-
setzen, ihn umzubilden und immer schmackhafter zu machen, und
unzählige Varietäten, eine immer zarter, beliebter und von dem Grund-
typus entfernter^ als die andere, zu erziehen? Manches ist darüber
in e'mernnermesslichen Literatur zerstreut; Vieles muss dunkel bleiben;
Einiges lehren die Namen, wie sie noch jetzt gangbar sind oder es
früher waren. Wo der Savoyer und Wirsing-Kohl herstammt, ist in
diesen Beinamen ausgesprochen, denn auch letzteres ist nichts als
das oberitalienische verza d. h. grüner Kohl; dass überhaupt Italien
uns lehrte, Kohl zu essen und zu pflanzen, sagt das Wort Kohl, aus
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426 ScUass.
catäis, eben so Eabes, slavisch kapus^ kapusta^ aas caputium, capuccio,
unmittelbar aus-, auch der Kohlrabi , der Raps und Rübsen tragen
lateinisch-italienische Namen, cauhrapa^ caulü rapi und rapicium und
sind jungen Datums in Deutschland; der zarte, seltsam gebildete
Blumenkohl stammt aus dem Morgenlande und kam über Venedig
und Antwerpen nach Europa^ nach Deutschland erst kurz vor Beginn
des dreissigjäbrigen Krieges; das Sauerkraut mag eine tatarische,
von den Slaven adoptirte Erfindung sein, die sich vom Slavenlande
weiter nach Nieder- und Oberdeutschland verbreitete. Wie der Kohl
ist auch die Artischocke eine in Europa einheimische, veredelte
Distel; europäisch sind auch die RQbe und die Möhre, daucus carotaL.
Wenn der Apfelbaum in unseren Wäldern ursprünglich wild wuchs,
so sind doch die edlen Bäume unserer Gärten nicht gerade Abkömm-
linge von ihm, sondern stammen von Zweigen, die über die Alpen
gebracht und auf den einheimischen Stamm gepfropft wurden — ein
Gleichniss für viele ähnliche, jetzt vordunkelte Besitztitel auf geistigem
Gebiet ^^). Im Allgemeinen hat Europa auch von dem, was es von
Natur besass, nur Weniges aus eigenem Impuls aus der Wildmss
gehoben und durch Erziehung nutzbar gemacht; es musste dazu am
Mittelmeer aus Asien, in seinen mittleren Gegenden durch den Süden
angeregt werden, in dem alle Quellen unserer Bildung liegen.
Jahrhunderte, ja Jahrtausende lang haben die Kulturpflanzen
unter künstlichen Bedingungen mit dem Menschen gelebt, und die
Frage liegt nahe, in wie fem sie dadurch ihre Natur verändert haben?
Der Mensch sorgt durch einseitige Wahl und berechnete Pflege far
Häufung bestimmter organischer Riebtungen und Ausweichungen;
daraus gingen Abarten hervor, aus diesen wieder andere; wenn die
Zwischenglieder als minder kulturmässig sich verloren, so sind wir
verlegen, in dem Gartengewächs den Wildling, von dem es stammt,
wiederzuerkennen. Dies ist ein Thema, das die Naturforscher jetzt
vielfach beschäftigt, bei dessen Behahdlung ihnen aber grössere Be-
kanntschaft mit der Geschichte, der Literatur und Sprache der Alten,
ihren bildlichen Denkmälern u. s. w. von Nutzen sein würde. Noch
bedeutungsvoller erscheint dieselbe Frage in ihrer Anwendung auf
die Hausthiere. Doch da dieselbe jetzt seit Darwin bei den Natur-
forschem auf der Tagesordnung steht, so beschränken wir uns auf
folgende den Zusammenhang des physiologischen Problems mit der
menschlichen Geschichte betreffende Bemerkungen.
Es ist eine, vöe uns dünkt, unbestreitbare Thatsache, dass nicht
bloss angeborene, sondern auch individuell erworbene Charaktere sich
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Schluss. 427
TererbeD, mit anderen Worten, dass Schicksale und Erfahrungen
froherer Generationen mit den jöngeren als feste Nataranlage wieder*
geboren werden. Was die Vorfahren erst gelernt hatten, oft mit
Widerwillen and unter Sträuben, das erscheint in den Nachkommen
als gegebenes Naturell; was dort Resultat war, wird hier Ausgangs-
punkt. Und je längere Zeit ein Zustand bei den Voreltern durch
die Gewalt der Umstände aufrecht erhalten worden, desto sicherer
erscheint er als Erwerb der Enkel. Psychische Regungen bewirken
leibliche Veränderungen: indem die letzteren auf die Nachkommen-
schaft äbergehen, rufen sie mit Noth wendigkeit auch die ersteren
wieder hervor, die dann als geistige Richtung und Fertigkeit, als
Mitgift der Geburt, unmittelbarer^Stammcharakter vorgefunden werden.
Was wir Geschichte nennen, ist nichts als diese langsame leiblich-
geistige Umwandlung der jüngeren Geschlechter nach den Eindrücken,
die die älteren erfahren haben, — eben so der sogenannte Zeitgeist
nichts als das in den Kindern bewusstlos wirkende GemeingefQhl
der von den Vätern und Grossvätem erlebten Schicksale. Könnten
wir bei plötzlich eintretenden; scheinbar unvermittelten neuen Ge-
schichtsepochen, deren Ideenreichthum und unerwarteter Durchbruch
uns überrascht, die stillen Vorbereitungen in den nächstvorhergehenden
Geschlechtem übersehen, alles Wunderbare würde sich verlieren. Bei
der Langsamkeit der physiologischen Metamorphose ist ein Sprung
nirgends und bei keinem Volke je möglich gewesen. Wird eine Race
plötzlich durch eine geschichtliche Constellation unter eine Civili-
sation geworfen, für die sie durch ihre früheren Schicksale nicht be-
fähigt ist; dann entsteht ein Chaos von Scheinkultur, Rück&Uen,
disparaten Trieben, barbarischem Raffinement, Rohheit und Siechthum,
bis nach Jahrhunderten eines stürmischen Processes sich endlich Alles
ins Gleichgewicht gesetzt hat. So ging es z. B. den Germanen auf
römischem Boden: sie, die noch kaum die Anfänge des Ackerbaues
sich angeeignet hatten, sollten in ummauerten Städten wohnen, der
Ordnung eines auf verwickelte Lebensverhältnisse und die feinsten
Bedürfriisse berechneten Rechtes sich fügen, in die spitzfindigen
Distinctionen der durch die Kirchenväter allseitig abgesteckten Dog-
matik und in den symbolischen, altorientalischen Pomp des Rituals sich
finden! Hatten sie vorher ein Jahrtausend lang nur an kriegerischen
Zügen Freude gefunden und in der Stille der Wälder an einem ganz
allgemeinen und daher ganz primitiven Naturkultus, der grausame
Opfer nicht ausschloss, sich genügt, so war wieder ein Jahrtausend
eines neuen Lebens nöthig, ehe an die Stelle der Körperbeschaffen-
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428 Schloss.
heit jener ersten Periode and der in ihr wurzelnden Neigungen neae
Nerven, Muskelfasern, Oehimfibem, anders gestaltete Blutkörperchen
und damit auch andere Seelenregungen traten. Den Uebergang vom
umherschweifenden Jagdleben zur Zähmung und Weide der Thiere,
eben so von der nomadischen Freiheit zur Ansässigkeit können wir
uns daher nicht langsam und schwierig genug denken. Die Noth
musste gross sein, ehe der Hirt sich entschloss, den Weidegrund auf-
zagraben, Körner hineinzustreuen, deren Wachsthum abzuwarten, den
Ertrag ein Jahr lang aufzubewahren und so an eine bestimmte Stelle
der Welt wie ein Knecht und ein Gefangener sich zu fesseln. Fiel
der Drang der Umstände weg, so wandte er sich sicherlich wie ein
Befreiter wieder zum Wanderleben, der inneren Stimme folgend.
Nicht anders empfand auch der Jäger die Viehzucht als Knecht-
schaft. Mit Pfeil und Bogen, mit dem geschäiften Stein am Ende
des hölzernen Speeres durchstreifte er frei die Wälder, und die An-
fertigung dieser Waffen war seine einzige Arbeit und Sorge. War
es ihm gegluckt, einen wilden Stier zu erlegen, dann war Tage lang
ein schwelgerisches Freudenfest für ihn. Diesen selben Stier oder
die Wildkuh einzufangen, aufzusparen, an Nachfolge zu gewöhnen,
das Kalb aufzuziehen, die Heerde auf der Weide zu bewachen, die
Kuh zu vermögen, sich ruhig melken zu lassen — welch eine Reihe
umständlicher, einengender, regelmässiger Verrichtungen ! Um sie za
unternehmen, musste die Jagd ganz unergiebig geworden und nach
keiner Seite eine Flucht in die Weite möglich sein. So wie sich
eine Zuflucht öffnete, war der Rückfall in das freie Jägerleben un-
ausbleiblich^^^). Je länger aber die neue Lebensart zwangsweise
aufrecht erhalten blieb, desto mehr wurde sie Naturell: in den Ur-
urenkcln begann der alte Trieb nach Freiheit allmählig zu erlöschen
und Kulturempfindung schlug Wurzel. — Dass das Alles nicht bloss
Phantasie ist, sondern wirklich so vorging und noch vorgeht, lässt
sich deutlich an den Thieren beobachten. Auch bei diesen werden
Erfahrungen der Voreltern zum Instinkt der Nachkommen. Weidendes
Vieh rührt die Pflanzen nicht an, die ihm tödtlich oder schädlich
sind; bringt man es in ein entferntes Land, in einen andern Welt-
theil, wo unbekannte Kräuter wachsen, da weiss es nicht zu unter-
scheiden und siecht oder stirbt an dem genossenen Gift. Vögel haben
eine unmittelbare Angst vor dem sie verfolgenden Raubvogel, weil
fr&here Generationen von diesem Feinde bedrängt worden und ihm
in einzelnen Fällen entgangen sind. Wo der Mensch auf sie Jagd
naacht, fürchten sie den Menschen aufs Aeusserste; wo er aus ii^end
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Schloss. 429
einem Grunde sie schont, da sind sie zutraulich und dreist, auch ohne
individuelle Erfahrung und ohne das Beispiel der Eltern. Hunde,
die längere Zeit hindurch von irgend einem Volke zu einer bestimmten
Art Jagd gebraucht worden, werden mit ausgesprochenem Naturtriebe
gerade für diese Jagd geboren; junge Schäferhunde, deren Vorfahren
Jahrhunderte lang zur Bewachung der Heerden angehalten worden,
bringen eine unverkennbare Neigung und Geschicklichkeit zum
Wächteramt mit zur Welt Wo die Ochsen der Landessitte nach
nicht zum Ziehen gebraucht werden, da hält es schwer, den jungen
Abkönunling ins Joch zu spannen; umgekehrt, wo dies schon frQher
der Fdl war. Ebenso lassen sich Kühe, deren weibliche Ascendenten
nicht gemolken worden, nur schwer dazu bewegen, beim Melken stille
zu halten. Die Haustaube, haben wir gesehen, wurde so vollkommen
gezähmt, weil sie Jahrhunderte lang ein geheiligter Vogel war, den
Niemand anrührte; der Haushahn, weil er bei Persem, britischen
Kelten, Slaven, Ungarn u. s. w. dem Lichtgott geweiht und unverletzlich
war; die Katze, weil ägyptischer Aberglaube, verbunden mit ägyp-
tischer Geduld, lange Zeiten hindurch dies scheue Raubthier schonte
nnd pflegte. Die Summe der Erfahrungen aller einzelnen Individuen
wurde endlich zur veränderten Natur. Die Anwendung von diesem
AUem auf den Menschen ergiebt sich von selbst. Auch bei diesem
ist der Humanisirungsprocess ein langsamer, das Werk der Zeit, und
auch hier ist der Erfolg nur sicher, wenn dieselben günstigen Ein-
flösse hinreichend lange gewirkt haben. Tausend Jahre der Knecht-
schaft bei einem Volke sind z. B. nicht durch einen einmaligen Eman-
dpationsact auszulöschen, eine an andere Lebensbedingungen ge-
knöpfte Race nicht über Nacht durch Erlass europäischer Gesetze
zu einem Gliede der civilisirten Familie zu machen. Je weiter ur-
sprünglich der Abstand^ um so länger die nöthige Reihe von Ge-
schlechtem und die stille Arbeit der Umwandlung — so lang, dass
man oft an der Möglichkeit der Lösung der Angabe überhaupt ver-
zweifeln möchte. Den code Napoleon bei irgend einer barbarischen
oder halbbarbarischen Race einführen, den Soldaten europäische Uni-
formen und Exerciermeister geben, Gasröhren legen, eine Eisenbahn
darch das Land ziehen und beide durch europäische Angestellte be-
sorgen lassen, französisch abgefasste diplomatische Noten überreichen,
die von einem im Hintergrunde versteckten europäischen Sekretär
geschrieben worden: dies Alles ist so leicht, wie jeder andere Anputz
dorch äussere Farbe, aber nur die unreife, abstrakte Denkart der
Menge wird dies für einen grossen Gewinn halten. Eher könnte, da
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430 Schloss.
das stille Wachsthum von inDen und von unten dadurch gestört wird,
nur eine ewige Impotenz die Wirkung sein.
Wir haben gesehen, vne die Flora der italischen Halbinsel im
Laufe der Geschichte immer mehr den südlichen Charakter an-
genommen hat. Als die ersten Griechen in Unteritalien landeten,
bestand die Waldung noch vorherrschend aus laubabwerfenden Bäumen,
die Buchen reichten tiefer hinab, als jetzt, wo sie auf die höchsten
Gebirgsregionen beschränkt sind. Jahrhunderte später erblickt man
auf den Landschaften an den Wänden Pompejis schon lauter immer-
grüne Bäume, laurus nobilis^ den Oelbaum, die Cypresse, den Oleander;
in den letzten Eaiserzeiten und im Mittelalter finden sich die Limonen-
4md Pomeranzen bäume ein, seit der Entdeckung Amerikas die Mag-
nolien, die Agaven und indischen Feigen. Es kann keine Frage
sein, dass diese Umwandlung hauptsächlich durch Menschenhand ge-
schehen ist: ob aber in Ländern, wo, wie in den südeuropäischen
Halbinseln, zwei Vegetationstypen zusammenstossen, der subtropische,
immergrüne, und der der gemässigten Zone, nicht der Zug und Trieb
der Natur selbst das Bemühen der Menschen unterstützte? Ob jene
mehr südlichen Pflanzen mit lederartigem Blatt, kräftiger Rinde und
mannichfacher Bewaffnung nicht im sogenannten Kampf ums Dasein
durch härteres Leben den Sieg davontragen d. h. allmählig bis dahin
vordrangen, wo erst mit dem Apennin, dann mit den Alpen der
jetzigen mediterranen Flora ein Gränzwall gesetzt ist? Auch Deutsch-
land, Frankreich, England haben sich zu historischer Zeit bedeutend
im südlichen Sinne umgestaltet; dass aber nordische Eulturgewächse
umgekehrt über die Berge gestiegen wären und sich über Nord-, dann
über Süditalien ausgebreitet hätten, davon enthalten die zwei bis drei
Jahrtausende, über welche unsere geschichtliche feinde reicht, kein
Zeugniss. Ist es mit dem Menschen nicht eben so, und siegt nicht
stets der dunkelhaarige über den blonden? Liegt in der Natur des
letzteren nicht das Streben, sich der des ersteren anzunähern? Von
welcher Complexion das Urvolk der Indogermanen gewesen, wissen
wir unmittelbar nicht. In der Epoche, wo wir es kennen lernen, ist
es längst in Zweige gespalten, deren Haar-, Haut- und Augenfarbe
zwei verschiedene Typen zeigt. Asiaten, Griechen, Römer sind
schwarz, Kelten und Germanen blondlockig, blauäugig, hellfarbig; die
erstem dabei von kürzerer Statur, mit lebhaften Gesten, kundige,
kluge, braune Zwerge: Kelten und Germanen hochaufgeschossene,
lothwangige Riesengestalten mit wallendem Haar (s. die Belege bei
^uss, die Deutschen, S. 49 ff., zu denen sich noch die Stelle des AmnL
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Schluss. 431
Marcell. 15, 12 ffigen lässt: ceUwiHs staturae et candidi paene OalU
iunt omnes et rutUi)^^^). Wie noch jetzt deo Südländern, erschien
auch dem Griechen das blonde Haar als besonders schön und edel
und er theilte es gern den jQnglingen und Frauen .seines idealen
Helden- und Götterkreises zu. Nördlich von Griechenland, in Ost-
europa, dem Schauplatz früher Yölkermischung, finden wir zwar auch
die helle oder röthliche Haut- und Haarfarbe hin und wieder her-
vorgehoben, aber lange nicht mit solcher Entschiedenheit, wie im
Westen. Zwar die Budinen schildert Herodot als ein Volk yXavKov
u nav iaxvQdk; xal nvQQov^ aber sie zeichneten sich eben dadurch
vor den übrigen Stammen aus. Die Slaven nennt nachher Procopius
IriBQv^Qoi d. L weder hell noch dunkel, sondern etwas ins Blonde
Mend; Ammianus gieht den iranischen Alanen massig blondes Haar
— crinäms mediocriter flavis. Auch das Haar der Thraker und
Skythen unterschied sich von dem griechischen durch eine Ab-
weichung ins Helle und so erklärt sich, dass sie mitunter ausdrück-
lich als weiss, roth, weichhaarig bezeichnet werden, in. den meisten
Fällen aber ihre Gleichartigkeit mit den Griechen stillschweigend
vorausgesetzt wird. Umgekehrt gelten die Aegypter für besonders
schwarz, dabei wollhaarig, also dem Negertypus sich nähernd (sie
sind bei Herodot ^uXayxQoeg und ovXoxQLXBg^ bei Aeschylus avdqBg
ßilayxlfioig yvioiai)^ ebenso die Kolcher (vorsemitische Autochthonen,
bei Pindar xeXaivaineg) — so dass wir uns die Griechen selbst zwar
als südlich braun, doch nicht vom tiefsten Schwarz zu denken haben,
lo welchem von beiden Typen aber, dem dunkeln oder hellen, dürfen
wir mit grösserer Wahrscheinlichkeit das Abbild der Urzeit erkennen?
Alles spricht dafür, dass diejenigen Stämme, die in historischer Iso-
lirong am wenigsten von der ursprünglichen Lebensweise sich ent-
fernt hatten, nämlich die nordischen, auch die leiblichen Stammes-
zeichen am treuesten bewahrt hatten. Wo sie seitdem der südlichen
Natur und Lebensform sich genähert oder mit der dunkleren Race
sich gemischt haben, da hat allemal die letztere die Oberhand ge-
wonnen. Die Gallier der späteren Römerzeit sind schon weniger blond
als die Germanen; daher die ersteren, um bei Caligulas Triumphzug
Germanen vorstellen zu können, sich färben müssen, während doch
ihre Stammverwandten auf der britischen Insel, die Caledonier, noch
80 rothhaarig sind und so gestreckte Glieder besitzen, dass Tacitus
sie desshalb für Germanen ansehen will. In ganz Gallien ging im
Contakt mit den Römern der nordische Typus in den italischen über;
ver erkennt in den nervigen, sehnigen, braunen, gewandten, kurz-
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432 Schloss.
gewachsenen Bewohnern des heutigen Frankreich die hohen, grob-
knochigen Albinos-Natoren der alten Kelten, die, wie Cäsar bemerkt,
den Romer wegen seiner Kleinheit verachteten? Süddeutschland oder
die Landschaften längs dem Alpenabhang, der Donau, dem Oberrhein,
ja dem Main u. s. w. , tragt jetzt mindestens kastanienbraones Haar
und ist dem romanischen Typus verwandt; in Norddeutschland, an
der Nord- und Ostsee, gleichen bei Weitem nicht alle Individuen
mehr dem von den Römern gezeichneten Bilde. Goethe, den wir uns
gern als Archegeten seines Volkes denken, hatte braune Augen und
braunes Haar und auch Wilhelm Meister , sein Ebenbild, war nicht
blond (Buch 5, Kapitel 6); Dorothea, Hermanns Geliebte, hatte
schwarze Augen (6. Gesang) — freilich stammte sie von der Grenze
Frankreichs. Bei Mischehen z. B. zwischen Juden oder Griechen und
Germanen zeigt sich in dem Habitus der Nachkommenschaft die
grössere Energie der südlichen Complexion, die geringere Wider-
standskraft der nordischen. Kein Wunder, dass von den Gothen,
Longobarden u. s. w. in Italien, von den Franken, Burgunden, West-
gotben in Frankreich und Spanien so wenig in der äusseren Er-
scheinung der Menschen mehr zu erblicken ist. Die Walachen sind
als Resultat der buntesten nordsüdlichen Mischung ein sehr dunkd-
haariger, braungefarbter Menschenschlag. Sei es nun in diesen, wie
in vielen anderen von uns übergangenen Fällen mehr die Nahrung,
also der Stoffwechsel, oder die gebildetere Sitte überhaupt oder endlich
Vermischung, was diesen Uebergang der Incamation bewirkt hat,
inmier ist der Process jenem anderen analog, durch welchen seit deo
ältesten Zeiten auf dem Wege der Natur, hauptsächlich und un-
bestreitbar aber auf dem der humanen Kultur die Yegetaüonsformen
des Südostens in den Westen und Norden vordrangen und dort eine
andere, immergrüne, idealere Landschaft schufen und den Gruppen
und Bildern menschlicher Ansiedelung andere, lichtvollere, bestimmtere,
reinere Umrisse gaben.
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ANMERKUNGEN.
1. s.i.
B. Seemann, Narrative of the voyage of H. M. S. Herald doring the years
1845—51 etc. London 1853. Vol. II. p. 268 und 275. — Diese wegen ihres ob-
jectiven Charakters höchst schätzenswerthe Reise ist auch ins Deutsche übersetzt
worden.
2. S. 15.
Die Eibe, taxus baccata^ war schon im Alterthum als giftig gefürchtet, darum
ein dämonischer, den Todesgöttem geweihter Baum. Als Catuvolcus, ein König
der Eburonen, an seiner Lage verzweifelte, nahm er sich durch Taxusgift das
Leben, Caes. de b. g. 6, 31, 2: Catuvolcus, rex dimidiae partts Ehuronuniy . . . taxo^
cujui magna in Oallia Qermaniaque copia est, se exanimavit. Wie bei den Alten
wurde auch im Mittelalter die Eibe gern auf Leichenfeldem gepflanzt, und da
der Baum sich zugleich durch eine ausserordentlich lange Lebensdauer aus-
zeichnet, so finden sich an solchen Orten auch jetzt noch, besonders in England
nnd Irland, uralte herrliche Exemplare. Er war nach Oäsars so eben angeführten
Worten in Mitteleuropa überaus häufig, aber die Schönheit seines Holzes, die es
den Drechslern nnd Schnitzlem so werth machte, wie es später das des Buchs-
banms war, führte in ganzen Gegenden zu seiner Ausrottung. Besonders aber
zu Bogen verwandte es die Urzeit, die darin Bescheid wusste, so ausschliesslich,
dass z.B. das altnordische ir, ^ gradezu arctis bedeutet (wie /Jt^XCn, die Esche,
bei Homer die Lanze ist) und die y-Rune die Form eines Bogens hat. So steht
auch das griechische t6|ov der Bogen in naher Verwandtschaft mit dem lat.
taxus und slav. tisü die Eibe und zwar in der Weise, dass diese Wörter sich dem
grossen Wortstamm bei Curtius no. 235 einordnen: taxw ist das Material für den
Künstler in Holz, wie goth. thaho argilla für den Bildner aus Erde, und beide
könnten Tvxioc heissen, wie der, der bei Homer dem Ajax seinen Schild ans
sieben Ochsenhäuten gefertigt hat, oder auch Tivxgog, der zwar kein Werkmeister
war, aber, wie auch der Künstler muss, immer das Richtige traf. — Ein anderer
interessanter Name für den Baum geht durch die Reihe der Völker von Westen
nach Osten, doch so, dass er in der letztgenannten Weltgegend mit dem Ge-
wächse selbst allmählig erlischt: altiriäch eo (=wus, wie heo = vivus n. s, "w,),
kymr. yir, com. hiven ^ hret ivtn, in erweiterter Form altirisch Mar, ibar, jubar,
welches letztere noch heut zu Tage taxus und arcus bedeutet und nach Zeuss' 88
dem Namen der oben erwähnten Eburonen zu Grunde liegt; spanisch und portug.
wer, franz. if, mit. ivus; ahd. iva, iga, ags. tv, eöv, engl, yew, dän. ibe, schwed. id;
ahprenssisch iiwis die Eibe, lit. jeva der Faulbaum (aus jinva, Joh. Schmidt, zur
Gesch. des indog. Vocalismus, I. 68), lett. eva; slavisch tva die Weide. Litauisch
heisst der Eibenbaum eglus oder oglus, welches dem slavischen /s/» oder je/a die
Tanne gleich ist Im HeimatUande der Slaven zwischen den Quellen des Dniepr
Vict. Hebn, Kaltarpflansen. 28
Google
434 Anmerkungen.
und der Wolga wuchs der Taxusbaum nicht mehr (wie auch die Buche nicht und
und wie aus demselben Grunde die Finnen ihr tamnU Eiche aus dem slav. dqbü
oder dem germ. Hmlfr gebildet haben) und so weichen in ihrer Sprache die Namen
iva und tisü^ tisa u. s. w. in die Bedeutung scUix und pinus aus. Doch führte
frühzeitig der Handelsverkehr Eibenholz, daraus gefertigte Eimer, Bogen u. s. w.
aus den Rheingegenden an die Ostsee, wo der Baum seltener wurde, Yon da zu
den Aisten und Wenden, wo er ganz aufhörte. — Dass übrigens neben dem
eibenen auch der hörnerne Bogen im Gebrauch war, lehren Zeugnisse des früheren
Alterthums und des fernen Ostens. So wendet in der Odyssee Odjsseus seinen
Bogen hin und her, um zu sehen, ob ihm in der langen Abwesenheit die Würmer
nicht das Hom durchbohrt haben, und so besitzt in der Dias der Troer Pandaras
einen Bogen, den ihm der xegao^oos lixnoy aus den Hörnern eines wilden Stein-
bocks verfertigt hat. Auch die Ungarn werden uns bei ihrem Erscheinen im
Abendlande als mit Hornbogen bewafEnet geschildert: auf ihren B^mem sitzend
und die Zähne bleckend sandten sie von diesen Bogen ihre sichern, auch ver-
gifteten Pfeile ab. Im Nibelungenliede heisst daher einer von Etzels Mannen
nicht ohne Bedeutung Homboge.
8. S. 15.
Ein Bild dieser frühesten Wagen geben uns noch heut zu Tage die Karren
der Nogaier, die sogenannten Arba^s. Räder und Achse drehen sich zusammen;
da sie nie mit Fett oder Theer geschmiert werden, so bewegen sie sich mit einem
widrigen, weit durch die Steppe hörbaren Aechzen. Die Nogaier sind stolz auf
dies Gekreische und sagen: wir sind keine Diebe, man hört uns schon von Weitem
( J. V. Blaramberg, Erinnerungen, I, Berlin 1872, S. 101). Aehnliche Wagen, denen
man die Herkunft aus ältester Zeit ansieht, haben sich auch sonst noch erhalten.
Als die Oesterreicher im Herbst 1878 in Bosnien einrückten, schrieb ein Augen-
zeuge von dort: „Kein bosnischer Bauer hat einen Wagen, an welchem auch nnr
ein Loth Eisen ist. Räder, Achsen, Nägel — Alles von Holz. Ein Reif^ ein Be-
schlag sind unbekannte Dinge; ein sechsspänniger bosnischer Bauerwagen macht
ein Geschrei, das einem auf eine halbe Meile durch Mark und Bein geht Dass
man ein Wagenrad schmieren könne, darauf ist der Bosniak noch nicht ver-
fallen." — Gewiss glichen die Wagen der Cimbem bei Verona im Jahre 101
vor Chr. den jetzigen bosnischen auf ein Haar.
4. 8.15.
Das Schaf ist ein altes Eulturthier, aber die Kunst es zu scheeren war den
frühem Menschengeschlechtern unbekannt; vielmehr wurde die Wolle mit den
Händen abgerissen. Noch im neunzehnten Jahrhundert fand C. J. Graba (Tage-
buch geführt auf einer Reise nach Färö i. J. 1828, Hamburg 1830) auf den ent-
legenen Faröem diese Sitte in Kraft: nachdem er S. 200 ff. das dabei beobachtete
Verfahren ausführlich beschrieben, fügt er hinzu: „Dies sieht grausamer aus, als
es ist, denn nur diejenige Wolle, welche fast von selbst ausfällt, wird abgerissen,
die übrige bleibt sitzen und wird vierzehn Tage später genommen.*' In Italien
war selbst zu Yarros und Plinius Zeit das Ausrupfen noch nicht ganz abgekommen,
Plin. 8, 73: ovei non uhique tonderUur^ durat guibusdam in /ocis vellendimos; nach
Yarro de r. r. 2, 11, 9 Hessen diejenigen, die die ältere Methode bei-
behalten hatten, die Thiere drei Tage lang hungern, damit die Wolle sich
leichter ablöse. Ja Yarro weiss sogar nach einem Öffentlichen Document den
Zeitpunkt anzugeben, wo aus Sicilien die ersten Schafscheerer (natürlich mit den
nöthigen künstlichen Scheeren) nach Italien kamen, 2, 11, 10: o7nnmo tonsores in
Italia primum verUsae ex Sicilia dictmt post R, c. o. CCCCLlIlIy ut scriptum »
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Anmerkungen. 435
publice Ardeae in literis extat^ eosque adduxUse P. Ticinium Menam, Sie kamen
«OB Sicilien d. h. die Griechen waren auch hierin die Lehrer. Oh in der epischen
Zeit das Schaf schon geschoren oder ihm die Wolle noch ausgerupft wurde, kOnnte
nach der einen homerischen Stelle, die drauf Bezug nimmt, fraglich scheinen,
IL 12, 451:
toi (T or* Ttoifdriy ^(la t^igfi noxov uQaivo^ o/6f,
XffQ^^ laß<oy h^QH, oXfyoy S4 ^iv ax^og fmfyiu
Also; Hector höh den schweren Stein so leicht auf, wie der Schäfer — entweder
das geschorene Vliess oder das Bündel ausgerupfter Wolle. Aber das Wort noxog
spricht für die zweite der beiden Deutungen, //oxoc n&mlich, so wie das Verbum
TttUtty bei Hesiod Op. et d. 775: ör» nt^xar und bei Theokrit 5, 98:
ttXk* fyoj (s x^"'^"^ fittXttxoy noxoy^ onnoxa nt^tj
läy oly rny ndXay^ KgaifSq «foipiiffo/ictr avroi —
ist der specifische Ausdruck für carpere lanam im Gegensatz zu xilgtiy^ xnQtjyat,
scheeren, abschneiden. In der Odyssee 18, 814 ruft Odjsseus den Mftgden zu:
Gehet ins Haus zu Eurer Herrin und unterhaltet sie; dreht bei ihr sitzend die
Spindel oder zupfet die Wolle mit den H&nden: 5 «^C« 7rt{x€7i x^QO^y — dem
Rupfen und Zupfen liegt zugleich das Kämmen nahe (^nixitir^ pectere, pecten),
welches mit dem Scheeren nichts gemein hat Diese Urbedeutung von nixny
wird aufs schönste durch das identische litauische Verbum p^$zH (sz = k) be-
stätigt, welches noch heut zu Tage raufen, rupfen bezeichnet. Nicht anders ist
slavisch runo das Vliess aus rüvati rupfen gebildet; dass auch vellus nach vellere
so benannt sei, hielt Varro, der mehrmals drauf zurückkommt, für unzweifelhaft:
Neuere freilich, wie Corssen, trennen beide Wörter, indem sie v&llu$ zu I^iok,
oiJlof, vellere aber zum gothischen vilvan rauben (d. h. eigentlich zerren) stellen.
Varro de 1. 1. 5, 8 führt auch die Meinung Einiger an, die Velia^ der Nebenhügel
des Palab'n, habe diesen Namen von der Gewohnheit der palatinischen Hirten
ihren Schafen an jenem Orte die Wolle auszuraufen — woraus wir wenigstens
ersehen, dass man sich jene ältesten Schäfer nicht mit der Scheere in der Hand
dachte. — Mit der Wolle der Schafe ging es, wie mit dem menschlichen Haar
zu Zeiten der Trauer. Dass Verzweifelnde es sich ausrauften, war bei der
leidenschaftlichen Geberdensprache des Südens und des Alterthums in der Natur
gegründet und so braucht in solchem Falle Homer das Verbum iCXXtiv^ xlXXfodai^
welches ein eigentliches Ausraufen besagt; dass in späterer Zeit, wo das Haar
nicht mehr der Stolz des Mannes war. Trauernde sich das Haupt und den Bart
sc hören, war bloss ein conventionelles Zeichen und so erscheint in andern
Partien des Epos und in der spätem Dichtersprache statt jenes Ausdrucks der
andere: xitguy^ x((Q(o&ai, — Wie frühe im Orient die Sitte, das Schaf zu
scheeren, sich einfand, wissen wir nicht genau; auf jeden Fall geschah dies früher,
als in Griechenland. Da schon in den ältesten Theilen der Bibel die Abnahme
der Wolle als ein ländliches Freudenfest erscheint, so hat dies neuem Auslegern
Anlass gegeben, an eine gemeinsame, zu bestimmter Frist vorgenommene Schur
zu denken. Sehr bündig freilich ist dieser Schluss nicht. Man erwäge auch, dass
die Schafheerden der Patriarchen nicht ausschliesslich oder vorzugsweise wegen
des Wollertrages gehalten wurden, dass das Schaf vielmehr neben der Milch haupt-
sächlich dazu bestimmt war, geschlachtet und gegessen zu werden und sein Fell
zur Kleidung und zum Ruhelager abzugeben.
5. S.15.
Siehe des Verfassers Schrift: Das Salz. Eine kulturhistorische Studie.
Berlin 1873. Reichhaltiger ist das Buch von M. J. Schieiden: Das Salz. Seine
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436 Anmerkungen.
Geschichte, seine Symholik und seine Bedeutung im Menschenlehen. Eine mono-
graphische Skizze. Leipzig 1875, das den Gegenstand von allen Seiten zu
fassen sucht.
Wir benutzen diese Gelegenheit, einige kurze Nachträge zu unserer so eben
genannten Studie zu geben.
Nach einem Aufsatz von R. Ludwig in dem Archiv für Hessische Geschichte
und Alterthumskunde, Band XI, Darmstadt 1867, S. 46 ff., war das Bad Nauheim
zwischen Frankfurt und Giessen eine altkeltische Saline. Man hat dort ausser
keltischen Silbermünzen und Broncegefässen keltischen Ursprungs auch thöneme
Töpfe zum Salzsieden gefunden. Welchem keltischen Volke gehörte dies Salz-
werk an? Vielleicht den Bojem, da die Helvetier in ihrer firühem Zeit möglicher
Weise bis an den Mwn wohnten, doch diesen Flnss schwerlich überschritten
haben. Oder wurde auch hier mitten im germanischen Lande ein Siedwerk von
Kelten zwangsweise oder für Lohn betrieben? — Den Namen der *Akavyo£ bei
PtolemÄus aus dem keltischen kaloin zu deuten, wie wir S. 33 mit Zeuss gethan
haben, ist desshalb bedenklich, weil die Verwandlung des 8 in /* in früherer Zeit
nur sporadisch auftritt und erst gegen £nde der römischen Herrschaft allgemein
wird. Wohl aber könnte im Namen der keltischen Salassi, die in den höchsten
Alpen sassen, der Begriff des Salzes stecken; dann würde auch \7as Appian
niyr. 17 von ihnen erzählt (sie hätten sich den Römern wegen Mangels an Salz
ergeben müssen; später, als sie wieder abgefallen waren, hätten sie zum Behuf
der Vertheidigung eine Menge Salz in ihren Bergen aufgespeichert), eine sagen-
hafte, zu dem Namen in irgend einer Beziehung stehende Motivirung enthalten.
— Was S. 49 über den Ursprung des Namens Heilsbronn vermuthet worden, wird
durch das in Zeitschr. für deutsches Alterthura, Neue Folge, Band VI, S. 153 ff.
Angeführte widerlegt. — Die Saline Salzungen an der Werra kommt schon in
einem Diplom Karls des Grossen vom Jahr 775 vor (bei Wenck, Hessische Landes-
geschichte, Band 3, Urkundenbuch No. 5): ad SaUunga super flavium Uuisera ....
%M patelloH ad sah facere ponuntur, — Der Fluss Halys, den zuerst Herodot
nennt und der nach Strabo 12, 3, 12 nach den Salzquellen benannt ist, an denen
er vorüberfliesst, hat die griechische Form seines Namens von den hellenischen
Ansiedlem an der pontischen Küste. Wenn aber in dem armenischen agh{$ar)
das <7Ä = / ist und das anlautende « in iranischer, auch griechischer Weise in
Aspiration übergegangen oder ganz weggefallen ist, dann würde auch die ar-
menische Sprache, die schon nach Europa weist, das europäische Wort sal be-
sessen und der Name des Flusses vielleicht ursprünglich ein phrygisch-armenischer
sein. — Harinc^ herinc wird von Müllenhoff auf unmittelbar treffende Weise aus
dem Deutschen als Heerfisch, in Schwärmen ankommender Fisch gedeutet (V. Rose
im Hermes VIII, 1874. S. 226). Damit fällt ein Theil der Schwierigkeiten weg,
es bleibt aber das altn. stld^ lit. silke^ slav. seidig das nur Salzfisch bedeuten kann.
Auch wie das Problem von Saale = Salzfluss, Hall = Salzwerk anders gelöst werden
soD, als durch Annahme keltischer Lautform für das letztere, sehen wir noch
immer nicht ein.
6. S. 16.
Diese unterirdischen Wohnungen finden sich in den verschiedensten Gegenden;
es sind die olxoi vnavjQoi xai xarnaxtot der Saken bei Aelian, die von Xenophon
beschriebenen oixiai xnrnystoi der Armenier, die demersae in humwn sedes und
specus aut subfoasa der Satarchen bei Mela, die defossi specus der Skjrthen, die
subterranei specus der Germanen, die gegen die Kälte von oben mit Mist bedeckt
waren, ahd. und mhd. tunc, woher unser Dung, Dünger, screona in der lex Salica,
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Anmerkungen. 437
altfranzösisch escregne u. s. w. (s. Wackemagel bei Binding, Geschichte des bur-
gnndisch-romanischen Königreichs, 1, S. 333, der das Wort für deutsch hält und
niit dem ags. scrdf antrum zusammenstellt). Griechische Ausdrücke für solche
Erdhöhlen sind yuTnj, yvnaQiov (bei Hesjchius und Suidas, Aristoph. Equ. 790,
altslavisch zupiSte^ zupUUte = cumuhts, sepulcrum, polnisch iupa = sali» fodina\
qualiog^ la (ptoUa (auch in der Form yoiAeoc), rpoJyAij, wovon derYolksname der
Troglodjten am arabischen Meerbusen und am Kaukasus u. s. w. AUmählig hob
sieh das Rasendach und die Höhle unter dem Hause diente nur noch zur Winter-
wohnung und zum Aufenthalt der Weiber. Doch hat sich jene älteste Sitte noch
hin und wieder bis auf den heutigen Tag erhalten, und der Fremdling, der sich
einem solchen Dorfe nähert, hält die kaum erhobenen Dächer für natürliche Auf-
schüttungen des Bodens. Wo in Russland Erdarbeiten vorgenommen werden z. B.
bei Führung einer Eisenbahn, da ist das Erste der Bau solcher Höhlen: ein
trichterförmiges Loch, Stufen zur Seite, darüber Baumstämme mit Rasen belegt
und die Wohnung ist fertig. Die walachischen Bauerhütten, die sog. bordeiu,
haben einen schräg geneigten Eingang; im Innern findet sich zuweilen, doch
selten, ein Fenster, das mit einem Stück Papier verklebt ist und nur wenig Licht
einlässt. Gegen Ende des Herbstes werden alle Ritzen verstopft, Thüren von
Flechtwerk angebracht und unterirdische Ställe gegraben (s. darüber das unter-
richtende Buch von C. Allard, la Bulgarie Orientale, Paris 1864). Der Mangel
an Lüftung macht diese troglodytischen Behausungen zu einem ganz unerträg-
lichen Aufenthalt; die drin herrschende stinkende und erstickende Atmosphäre
treibt selbst die stumpfen Bewohner zuweilen in die Winterkälte hinaus. Dazu
die entsetzliche Flohnoth, über die alle Reisenden, hier wie durch ganz Sibirien,
klagen. Die Flöhe zwingen buchstäblich auch den Eingeborenen, wenn die
Jahreszeit es irgend erlaubt, draussen zu schlafen, die Hauptursache der häufigen
Wechselfieber. Die Insecten besetzen die unterirdische Wand oft so dicht, dass
diese wie mit einem schwarzen Schimmer überzogen erscheint. Li den primitiven
Zeiten und mehr nach Norden hin, wo die Winter lang sind (z. B. in Scandinavien,
ehe die südliche Kultur bis dahin drang), mussten die gleichen Umstände in
demselben oder in erhöhtem Masse wirken, und wer sich die Vorzeit vergegen-
wärtigen will, wird gut thun, diese Züge des Bildes nicht ausser Acht zu lassen.
Und hier sei es uns erlaubt, noch einer andern Wohlthat der Kultur zu gedenken.
Die sibirischen Reisenden, von Pallas und Humboldt bis auf die neuesten herab,
sind einstimmig in Schilderung der Qualen, die ihnen die im Sommer die Luft
erfüllenden xmd Menschen und Thiere anfallenden Mücken, Schnaken, Kanker,
Stechfliegen, Bremsen u. s. w. bereiteten (z. B. von Middendorff, Sibirische Reise,
Band 4, S. 830ff.). Sich gegen diese Blutsauger zu vertheidigen, ist unmöglich;
es giebt nur ein Mittel gegen sie: ihnen den Boden der Existenz entziehen, d. h.
Entsumpfung und Entwaldung. Deutschland war vor der Römerzeit in dieser Be-
ziehung sicher dem heutigen Sibirien ganz gleich (Middendorff a. a. 0. : „Es kann
keinem Zweifel unterliegen, dass unsere Altvordern auch im Kerne Europas den-
selben Qualen ausgesetzt gewesen seien, welche den Reisenden in allen Ur-
gegenden so unausstehlich peinigen/ „Den Zweifler daran, ob die Kultur der
Menschheit wirklich zum Vortheil gereicht habe, schicke man in die ümatur zu
den Moskitos." „Die Moskitoplage ist offenbar die Hauptursache der Wanderungen
der Rennthiere und des Rothwildes"). Zwar wird die Haut der alten Deutschen
gegen Lisektenstiche innerhalb und ausserhalb des Hauses viel abgehärteter ge-
wesen sein, als die des jetzigen gebildeten Europäers, aber wo die Haut un-
empfindlich ist, da ist es auch Geist und Seele.
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438 Anmerkungen.
7. S. 16.
Dass die germanische Sitte, den Sch&del des erlegten Feindes znm Trink-
gefäss za machen, nicht etwa von den skythischen oder später den türkischen
Nachham im Osten stamme, wird durch den gleichen Gebrauch bei den Kelten
in früher, vorgermanischer Zeit bewiesen. Die Bojer in Oberitalien verfahren so
mit dem Kopfe des gefallenen römischen Consuls Postumius, Liv. 23, 24: purgato
inde capite, ut mos ü$ est, calvam auro caelavere idque sacrum vtu üs erat, quo
soUemnibtis libarent poculutnqtte idem sacerdoti esset ac templi anttstibtts, und von
der Vorzeit der keltischen Scordisker in Illyrien braucht Amm. l(arc. 27, 4 die
Worte: humanum sanguinein in ossibus capitum cavis bibentes avidius,
8. S. 16.
Der Brauch, Greise aus der Welt zu schaffen, herrschte bei Germanen des
Festlandes und Scandinaviens, bei Wenden, Litauern und — Römern, s. Grimm RA.,
Cap. 4 am Schluss des ersten Bandes. Auch von iranischen Völkern wird Aehn-
liches berichtet, so von den Bactrem (Strab. 11, 11, 3), von den Kaspiem (11, 11,8),
den Massageten (11, 8, 6) u. s. w. Das Greisenalter, y^paf , ist unerträglich und
selbst die Götter hassen es, hymn. in Ven. 247:
ovXo^iyov, xajLtajfiQoy, 8 tt aivy^ovoi i^toC mg.
Der Greis selbst wünscht sich hinweg und bittet die Seinigen ihn abzuthun.
Naturvölker sind nicht sentimental, wie auch heutige Bauern nicht, und der Tod
eines Verwandten, der Gedanke des eigenen Todes lässt sie gleichgültig. Was
Herodot 5, 4 von dem thrakischen Volke der Trauser erzählt, sie beklagten das
Neugeborene, da ihm die Leiden des Lebens noch bevorstünden, und priesen den
Tod als Befreiung von denselben, und was Theognis v. 425 ff., so wie Euripides
in der berühmten Stelle aus dem Kresphontes ausdrückte (Nauck, Euripidis fi«g-
menta, Lipsiae 1869, no. 452):
iX9*i^ yo(i i5^«ff avkloyoy notovfiiyovs
joy (fvyta Ogr^ytTy eis da iQxetat xaxa^
toy d*ttv dayoyia xnX noyojy ntnav^iyoy
XttCgoyjtts fvq)fjuovyictg fxni/itnfiy cfo^oiv —
— dies ist im Grunde die Anschauung aller Völker auf einer gewissen Ent-
wickelungsstufe der erwachten Reflexion. Ein Schritt weiter ist es dann, sich
mit einem bessern Leben jenseits des Todes zu trösten, unter Wegdenkung aller
Schranken der Endlichkeit, wie die Geten thaten, die Herodot ol ddayatC^oyiH
nennt.
9. S.16.
Die Sitte der Menschenopfer und grausamer Todtenbestattung blickt bei allen
indoeuropäischen Stänmien unheimlich aus dem Dunkel ihrer Vorzeit hervor und
schwindet wie jeder reb'giöse Wahn nur allmählig je nach der erreichten Stufe
der Menschlichkeit oder der Berührung mit gereifteren Völkern. Was die Griechen
und Römer betrifft, so beziehen wir uns in dieser Hinsicht auf die reichhaltigen
Sammlungen in der Schrift von E. v. Lasaulx: die Sühnopfer der Griechen und
Römer (in den Studien des klassischen AJterthums, Regensburg 1854, ^\ S. 233ff)
und auf Welcker, Gr. Götterlehre, 2 S. 769ff, Auch für die nordischen Völker
liegen zahlreiche Zeugnisse vor, die, je weiter von Westen nach Nordosten, in
immer spätere Zeit hinabreichen. Als Alexander der Grosse gegen die Taulantier,
ein illjrisches Volk, und ihre Nachbaren anrückte, schlachteten diese, bevor sie
die Waffen erhoben, drei Knaben und eben so viel Mädchen und drei schwarze
Widder (Arrian. 1, 5, 11). Die keltischen Skordisker opfern die gefangenen Feinde
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Anmerkungen. 439
ihren barbarischen (jöttem, Amm. Marc. 27, 4: Scorduciy saevi guondam et trucesy
kmtiis capHvorum Bell<mae litantes et Marti . , . Eben so thnn die Galater in
Eldnasien: der Proconsnl Cn. Manlins sagt in einer Bede im Senat, Liy. 38, 47,
die umwohnenden Völker seien von ihren VerheerongsEugen betroffen worden,
qtium vis redimendi captivoi copia e$$ei ei mactatoi kumcmaa hostias immolatosqtte
liberos suos audirent. Von den Galliem im eigentlichen Gallien berichtet Cäsar
anderthalb Jahrhunderte sp&ter, de b. g. 6, 16: Qui sunt affecti gravioribxu morbi$
quique in proeliis periculisgue versantur^ aut pro victimis homnes immohmt aut se
immolaturos vovent admvmtrisque ad ea sacrißcia druidibu» utuntur^ quody pro vita
bominü nisi hominis vita reddatur^ non posse deorum immortalium numen placari
arbitrantur publicegtte ejusdem generis habent instituta aacrißcia, und Mela bestStig^
dies mit dem Ausdruck des Schauders, 3, 2, 8: gentes superbae^ superstitiosae, ali-
quando etiam immanes adeo^ ut hominem optimam et gratissimam Diis victimam
caederent. Denselben mordsüchtigen Glauben finden wir bei den Germanen, Tac.
Germ. 9: Deorum maxime Mercurium colunt^ cui certis diebus humanis quoque
kostüs litare fas habent: 39: stato tempore in siivam . . . coeunt caesoque publice
homine celebrant barbari ritits horrenda primordia, Jord. 6: Quem Martern Gothi
semper asperrima placavere cuitura (nam victimae g'us mortes fuere captorum),
opinantesy bellorum praesulem apte humani sanguinis ^^tsione placandum. Procop.
de b. g. 2, 15: rtüy ^i hgeitoy aqiai i6 xdXXtaioy ny>onog iaxty^ ovntQ av
doQtttlojJoy xrof^aavro TiQ^ioy lovioy yoQ rtß ^Aqu &vovoiy^ (ntl d-ioy avtby
vojufCovai /iiytaioy tlyat {ol BovXTrai). Als die Bömer unter Germanicus das
Schlachtfeld betraten, auf dem die Legionen des Varus von den Barbaren um-
zingelt worden waren, da lagen noch die Glieder der Pferde umher, auf Baum-
stämmen staken deren Köpfe, in den nahen Hainen standen noch die Altftre, an
denen die Kriegstribunen und obersten Centurionen geschlachtet worden; einige
üeberlebende zeigten die Stätten der Galgen, an denen die Soldaten aufgehängt,
die Gruben, in denen die Leichname verscharrt worden waren u. s. w. (Tac.
Ann. 1, 61). Nach der wüthenden Schlacht zwischen Chatten und Hermunduren,
von der bei Tacitus Ann. 13, 57 die Rede ist und in welcher die Erstem unter-
lagen, wurde alles lebend Ergriffene nach den Worten des Geschichtschreibers
der Vernichtung geweiht, occisioni dantur. Ans dem Zucken der Muskelfasern,
dem Sprudeln des Blutes im Opferkessel, der Lage der Eingeweide wurde zugleich
von den Weissagerinnen das kommende Schicksal gedeutet. So bei den Cimbem,
Strab. 7, 2, 3: „In Begleitung ihrer Weiber befanden sich heilige Prophetinnen,
grauhaarig, weiss angethan, in linnenen spangenbefestigten Umwürfen, mit ehernem
Gürtel, barfüssig; diese ergriffen mit dem Schwert in der Hand die Gefangenen
im Lager, führten sie in der Opferverhüllung zu einem grossen etwa zwanzig
Amphoren fassenden ehernen Kessel, stiegen die Stufen hinan, die zu ihm hin-
aufführten, und schnitten hinübergebengt jedem Gefangenen die Kehle ab: aus
dem in den Kessel hinabströmenden Blute weissagten sie, während Andere die
Leiber aufschnitten und aus den Eingeweiden den Sieg verkündigten.'' Auch
bei den Scandinaviem waren Menschenopfer im grossen Stil im Schwange. Die
Dänen feierten alle neun Jahr, wie Thietmar von Merseburg berichtet, in ihrer
Hauptstadt Lethra ein grosses Opferfest, bei dem neunundnennzig Menschen und
eben so viel Pferde geschlachtet wurden; dies thaten sie, wie Thietmar erläutert,
um sich vor den Rachegöttem von aller Schuld zu reinigen: putantes^ hos eisdem
erga in/eros servituros et commissa crimina apud eosdem placaturos. Dieselbe Be-
deutung eines stellvertretenden Sühnopfers hatte wohl auch das ganz ähnliche
grosse Fest, das die Schweden nach Adam von Bremen 4, 27, alle neun Jahre in
Upsala begingen: dort wurden von allem Männlichen neun Köpfe dargebracht,
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440 Anmerkungen.
die Körper aber im nahen Hain an Bäumen aufgehängt und der Verwesung über-
lassen und Menschen und Hunde hingen dort zusammen — das Scholion 137
setzt noch berichtigend oder ergänzend hinzu: „neun Tage lang opfern sie jeden
Tag einen Menschen nebst anderen Geschöpfen, so dass es in neun Tagen
72 Geschöpfe werden; dies Opfer findet um die Frählingsnachtgleiche Statt" In
schweren Landesnöthen oder zum Ausdruck besonderen Dankes wurden den
Göttern auch ausserordentlicher Weise Menschenleben dargebracht, wie die alt-
nordische Sagengeschichte lehrt (Grimm DM, Kapitel Gottesdienst). Auf der
gegenüberliegenden Küste der Ostsee, in Estland d. h. bei den Preussen, sah es
nicht anders ans, Adam. Br. de situ Daniae 224: Dracones adorant cum volucribus
quKms etiam vivos Ixbani homines, quos a mercatoribus emuni, diligerUer omnino pro-
batos^ ne maculam in corpore habeant. — Ebenso allgemein, wie diese religiöse
Sitte, war die andere, ihr verwandte, am Scheiterhaufen Verstorbener Frauen,
Knechte, Gefangene, Pferde abzuschlachten. Achilleus im 23. Buch der Ilias
opfert dem Schatten des Patroklos Bosse, Hunde und zwölf junge Trojaner, die
er sich selbst zu diesem Zweck lebend gefangen hat, und auf seinem eigenen
Grabe wird später die Polyxena geopfert, wie in der *lXiov tkqoCs des Arctinus
zu lesen stand. Bei den Galliern wurden noch kurz vor Cäsars Zeit Knechte
und Schützlinge, die dem Herrn besonders lieb gewesen waren, mit ihm ver-
brannt, de b. g. 6, 19: paulo supra hone mcmoriam servi et cüentesj quos ab ü»
diUctos esse constabat, justis funeribus con/ectis una cremabantur , und Verwandte
sprangen auf den brennenden Holzst^ss, um sich mit dem Todten zu vereinigen,
Mela 3, 2, 3: olim — erant qui se in rogos suormn^ velut una victuri, libenter im-
müterent. Bei gewissen Thrakern drängten sich die Frauen des Verstorbenen zu
der Ehre, an seiner Gruft geschlachtet zu werden — wie HerodotÖ, 5 erzählt;
diejenige, der es gelingt, so für die geliebteste erachtet zu werden, wird von
Allen gepriesen und mit dem Manne begraben, die übrigen aber bejammern ihr
Loos und tragen grosse Schande. Dasselbe in noch ausführlicherer Schilderung
berichtet Mela 2, 2, 4 als allgemein thrakische Sitte. Bei den fierulem (und
also wohl auch den ihnen näher verwandten Nachbarvölkern an der Ostsee) er-
hängt sich die Frau am Grabe ihres Gatten mit einer Schlinge: die dies unter-
lassen wollte, würde sich ewiger Schmach und zugleich dem Hasse der Ver-
wandten ihres verstorbenen Mannes aussetzen (Procop. de b g. 2, 14). Bekannt
sind die grausamen Begräbnisse der Skythen bei Herodot4, 71 und 72: wenn
der König gestorben ist, wird eine der Beischläferinnen erdrosselt und mitbegraben,
ebenso der Mundschenk und der Koch und der Marschalk und der Leibdiener
und der Bote und die Pferde u. s. w. , ums Jahr aber werden eben so fün&ig
Diener, die der König aus der Zahl seiner Unterthanen sich gewählt hatte —
denn gekaufte giebt es bei ihnen nicht — , erwürgt und eben so fünfzig der
schönsten Pferde. Auch bei den Slaven wird die Frau mit dem verstorbenen
Manne verbrannt, wie der h. Bonifacius und später Thietmar übereinstimmend
melden, Brief des Bonifacius und anderer Bischöfe an den König Aethilbald
von Mercia (zwischen den Jahren 744 und 747, bei Jaff^, Monumenta Moguntina
p. 172) : Winediy quod est foedissimum et deterrimwn genus hominum , tarn magno
zelo matrimonii amorein mutuum ohservani^ ut mulier, viro proprio mortuOj vivere
recuset. Et laudabilis mulier inter illos esse judicatur, quia proprio manu sibi
mortem intulit et in una strue pariter ardeat cum viro stto; Thietmar von Merse-
burg 8, 2 von den Polen: In tempore patris sui (d. h. des Vaters von Boleslav
Chrabry), cum is jam gentilis esset, unaquaeque mulier post viri exequias sui igne
cremati decollata subsequitur. Auch die Preussen gaben dem Todten Pferde,
Knechte und Mägde, Jagdhunde u. s. w. mit, Petrus von Dusburg 3, 5 (Scriptores
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Anmerkungen. 441
lenan prassicamm I p. 54): unde eontmgebat quod cum nobiiibus mortuü armat
eqvi, servi et ancillae, vesies, ccmes vmalici et avea rapacei et alia gyae spectant
od mUtiam werentur, und sie müssen bei ihrer Bekehrung versprechen, dass sie
ki Todtenbestattnngen in Zukunft keine Pferde oder Menschen mehr mitver-
brennen oder mithegraben wollen, Dreger Cod. Pomeran. diplom. no. 191, vom
Jahre 1249, Friedensvergleich zwischen dem deutschen Orden und den Preussen:
firomüenmt quod ipsi et keredes eorum in mortuü combwrendis vel 8ubterrandi$ cum
equia iive hominibus vel cum armis seu veatibm vel guibuscumgue alü'i preciosis
rebus vel etiam in cJiis guibuscumgue ritus gentilium de cetera non servabimt Aber
Gedimin, der Grossfurst des mehr östlich gelegenen Litauen, wo sich das Heiden-
tfaom und überhaupt die europäische Vorzeit am längsten erhielt, wurde noch
gegen das Jahr 1341 , also zur Zeit Petrarcas und der beginnenden Kenaissance,
folgendermassen bestattet (Stryjkowski, Kronika polska, Ende des XL Buches):
^ wurde ein Scheiterhaufe von Fichtenholz errichtet und darauf der Leichnam
gelegt, in den Kleidern, die der Lebende am meisten geliebt hatte, mit dem Säbel,
dem Speer, dem Köcher und Bogen. Dann wurden je zwei Falken und Jagd-
hunde, ein lebendiges gesatteltes Pferd und der getreueste Lieblingsdiener unter
Wehklagen der umstehenden Kriegerschaar mitverbrannt. In die Flamme wurden
Luchs- und Bärenkrallen geworfen, so wie ein Theil der dem Feinde abgenommenen
Beute, endlich auch drei gefangene deutsche Ritter lebendig verbrannt. Nachdem
die Flamme erloschen war, wurde die Asche und das Gebein des Fürsten, des
Dieners, des Pferdes, der Hunde u. s. w. gesammelt und in einem Grabe an der
Stelle, wo die Flüsschen Wilna und Wilia zusammenfliessen, niedergelegt und
mit Erde bedeckt.** lieber den Leichenbrauch der skandinavischen Germanen be-
lehrt uns die Edda im dritten Lied von Sigurd dem Fafuirstödter: Brunhild giebt
sich nach Sigurds Ermordung selbst den Tod und ordnet sterbend an (nach
Simrocks üebersetzung):
Dem Hunengebieter
Brennt zur Seite
Meine Knechte mit kostbaren
Ketten geschmückt:
Zwei zu Häupten
Und zwei zu den Füssen,
Dazu zwei Hunde
Und der Habichte zwei.
Also ist Alles
Eben vertheilt.
Dies war das Todtengefolge für Sigurd, für sich selbst verlangt sie:
Ihm folgen mit mir
Der Mägde fünf.
Dazu acht Knechte
Edeln Geschlechts,
Meine Milchbrüder
Mit mir erwachsen.
Die seinem Kinde
Budli geschenkt.
Wie es die Ost-Scandinavier hielten, die unter dem Namen Russen den Osten
Europas als Krieger, Räuber und Herrscher durchzogen und unterwarfen, ersehen
^ aus zwei Meldungen, die eine eines Byzantiners, die andere eines Arabers,
beide um so wichtiger, als sie dem zehnten Jahi'hundert angehören, bis wohin
OÄsere übrigen Quellen nicht reichen. Leo Diac. ed. Hase 9, 6 p. 92: Die Russen
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442 Anmerkungen.
unter Swietoslav in Dorostolum eingeschlossen, liefern den Griechen auf dem
Felde vor den Mauern häufige Gefechte. Einst, als wieder ein solcher Kampf
Statt gefunden hat, in welchem Ikmor, der zweite im Range nach Swietoslav, ge-
tödtet worden, sammeln die Barbaren Nachts bei Vollmond die Leichname und
verbrennen sie auf Scheiterhaufen, während auf denselben zugleich nach väter-
licher Sitte (xarä lov nuTQiov yo/uoy) die meisten der Kriegsgefangenen, Männer
und Weiber, geschlachtet werden. Sie bringen dazu auch Todtenopfer {(yayiafiovi)y
indem sie auf der Donau Säuglinge und Hähne erwürgen und sie dann im Strom
versenken. Noch ausfuhrlicher ist die Beschreibung, die der Araber Ibn-Fosilan
bei Frähn S. 13 ff. von einem russischen Leichenbegängniss giebt, dem er im
Jahre 921 oder 922 als Augenzeuge beiwohnte. Ein Häuptling war gestorben und
eins seiner Mädchen, das sich meldete, starb mit ihm. Der Todte ward auf dem
Schiflf in halbsitzender Stellung auf einem Ruhebett niedergelegt, ein Hund in zwei
Theile zerschnitten und ins Schiff geworfen, alle Waffen des Todten ihm bei-
gegeben, zwei Pferde zerhauen und die Stücke ins Schiff geworfen, eben so zwei
Ochsen u.' s. w. Während das Mädchen von den Männern mit einem Strick er-
drosselt wurde, stach ihr gleichzeitig ein altes Weib, das sie den Todesengel
nennen, mit einem Messer ins Herz, drauf wurden beide Leichname mit den Bei-
gaben verbrannt. Während des Abschlachtens machten die Männer mit ihren
Schilden ein Getöse, um das Todesgeschrei des Mädchens zu übertönen, welches
andere Mädchen in ähnlichem Falle hätte abgeneigt machen können, sich mit
ihrem Herrn wiederzuvereinigen. Vor dem Tode hatte sie ihre beiden Armbänder
abgezogen und sie dem Todesengel gegeben (der Araber nennt dies alte Weib
einen „Teufel mit finstrem, grimmigem Blick", s. oben die grauhaarigen Pro-
phetinnen der Cimbem), eben so ihre beiden Beinringe und sie zwei ihr dienenden
Mädchen, den Töchtern der alten Mörderin, gereicht u. s. w. Wir übergehen die
übrigen Einzelheiten, die diesen Bericht zu eindm der kostbarsten Denkmale des
frühen nordischen Alterthums machen J. Grimm freilich (in seiner Schrift über
Leichenverbrennung) geht widerwillig an dieser Erzählung vorbei, die ihm seine
Kreise stört; der Schöpfer der deutschen Alterthumskunde war trotz Allem ein
Zögling der romantischen Zeit und sein Absehen, im Gegensatz zum achtzehnten
Jahrhundert, hauptsächlich drauf gerichtet, in der nationalen Vorzeit die Züge
tiefen Sinnes aufzudecken. — Die obigen Belegstellen Hessen sich leicht noch
vermehren, doch reichen die gegebenen hin, die Allgemeinheit dieser Sitte und
ihr hohes Alterthum zu beweisen. Wenn wir heut zu Tage die Stein- oder Erd-
grüfte der europäischen Urzeit aufwühlen und ihren Moder auseinanderschütten,
so pflegen wir nicht daran zu denken, wie viel Gräuel, wie viel Angst und Ent-
setzen vergangener Tage hier an jedem Stäubchen haften! Nichts aber fuhrt
tiefer ein in die Gemüthsart jener frühen Menschengeschlechter und die finstre
Gefangenschaft ihres Geistes, als das Bild dieser Frauen, die wetteifernd sich
zum Feuertode drängen müssen, der Diener, die zu Dutzenden dem Herrn mit-
gegeben, der zappelnden Gefangenen, die im düstem Walde oder über dem grossen
Kessel geschlachtet werden. In Gallien war der Mord bei Leichenbegängnissen
schon vor der Ankunft der Römer ausser üebung gekommen — durch die Macht
zunehmender Bildung — , aber die religiösen Menschenopfer mussten erst durch
strenge Verbote der römischen Kaiser ausgerottet werden, Suet Claud. 25:
Druidarum religionem apud Gallos dirae immanitatis . . . penitus aholevü. In
fesselnder Weise malt uns Tacitus die Scene bei Eroberung der Insel Mona an
der britannischen Küste (des heutigen Anglesea), in deren heiligem Hain die Ge-
fangenen bluteten, ganz wie im Heiligthum der Nerthus oder im Teutoburger
Walde nach der Varus-Schlacht: das Ufer war mit einer bewafbeten Menge dicht
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Anmerkungen. 443
b^etzt, weibliche Furien, in die Farbe des Todes gekleidet, mit fliegendem Haar,
schwangen hin- und herstreifend die Fackel in den Händen, die Druiden heulten
mit erhobenen Armen zum Himmel auf — Alles vergebens, die Römer erzwangen
die Landung und fällten die geweihten Bäume, die Zeugen blutiger Mysterien
seit Jahrhunderten, Ann. 14, 30: excisique lud, saevis superstitionibui sacri, nani
cruore captivo adolere aras et hominum fibris consulere deos fas hahebant. Dass
die blutigen Begräbnisse in Gallien von selbst abkamen, die religiösen Menschen-
opfer aber nur der Gewalt wichen, beweist, wie viel leichter das populäre Her-
kommen bei steigendem Lichte sich auflöst, als der Wahnwitz der durch einen
festen Friesterstand bewachten Glaubenssatzung. Bei den Germanen, Litauern,
Wenden war es erst das Christenthum, das der letztem ein Ende machte: wenn
man sich bisweilen versucht fühlt, den plötzlichen Abbruch der organischen Ent-
wickelung naturfrischer Völker durch die Bekehrung zum semitischen Christen-
thnm zu bedauern, so darf man sich nur solcher Züge des heidnischen Lebens
erinnern, um sich mit dessen unvermitteltem Untergang zu versöhnen. — Wir
fiigen noch hinzu, dass auch jedes erste Beginnen, jede Unternehmung und
Gründung Menschenblut verlangte, als Bürgschaft des Erfolgs oder der Dauer,
eben so jedes Geheimniss, denn nur der Tod ist völlig stumm. Als die Sachsen
sich gezwungen sahen, die Westküste Galliens zu verlassen und nach Hause zu
schiffen, da wurde der Sitte gemäss jeder zehnte Gefangene grausam umgebracht
and dann erst der Anker gelichtet, Sidon. Apoll. Ep. 8, 6 : mos est remeaturis de-
cimum quetnque captorum per aeguales et cructarias poenas^ plus ob hoc tristi quod
superstitioso ritu, necare. Die schon zum Christenthum bekehrten Franken machten
mrter ihrem König Theudebert einen Zug nach Italien, um das Gothenreich unter
Witigis zu bekriegen: im Begriff den Po bei Pavia zu überschreiten und also den
eigentlichen Krieg zu beginnen, opferten sie die dort vorgefundenen Kinder und
Weiber der Gothen und warfen die Leichname in den Strom — als Erstlings-
spenden der Unternehmung, Procop. de bell. goth. 2, 25: naiödg i€ xal yvyaixag
my rot&üty^ ovgniQ iytuüi>u tvgoyj Ugivoy rs xal avrdiy t« aiofxaia h roy
noxttfjiov äxQo9£vta. lov noX^fiov igotnjovy. Bei Aufbau von Vesten und Brücken
wird ein Lebendiges vermauert (Grimm DM.' S. 1095 ff.), bei Anlage von Städten
durch einen niedergemetzelten oder lebendig vergrabenen Menschen dem Boden
Festigkeit und Sicherheit gegeben. Als z. B. Seleucus Nicator die Stadt Antiochia
am Orontes gründete, da wurde grade in der Mitte der Anlage und des Flusses
durch den Oberpriester eine Jungfrau, xogt] naodivo^^ geschlachtet und diese als
das Glück der Stadt angesehen (Job. Malalas 8 p. 256 ed. Oxon.). So wurde an
der Stätte, wo Moskau 1147 angelegt werden soUte, der Besitzer des Ortes,
Kutschko, in einem Teich ersäuft, ebenso Krakau (nach der Ursprungsage bei
Kadlubek) auf dem Felsen des von den beiden Söhnen des Krakus getödteten
Drachen gegründet, nachdem der jüngere Bruder den altern umgebracht,
wie Romulus den Remus u. s. w. Wo Schätze niedergelegt werden, wo im Aller-
beiligsten eine Handlung vorgeht, von der Niemand berichten darf, da müssen
die dienenden Arbeiter sterben. Der Wagen und die Kleider und das Bild der
Nerthus, der Mutter Erde, wurden in einem verborgenen See gewaschen und drauf
die Knechte, die dabei behülflich gewesen, in eben dem See ersäuft. Als König
Alarich in Unteritalien plötzlich gestorben war, leiteten seine Gothen einen Fluss
ab, begruben den Todten in den Boden und Hessen das Wasser wieder drüber
strömen; damit aber Niemand die Stätte wieder auffinde, wurden die dabei ge-
brauchten Gefangenen umgebracht, Jord. 29: collecto captivorum agmine sepulturae
locum ^odiunt . , . ne a quoquam quandogue locus cognosceretur fossores omnes
interemerunt. Lange vorher hatte Decebalus, der König der Daker, seine Schätze
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444 Anmerkungen.
in ganz ähnlicher Weise vor dem Kaiser Trajan zu hüten gesucht, wie Cassius
Dio 68, 14 erzählt: er grub den Fluss Sargetias, der an seiner Eönigsburg vor-
überfloss, ab, versenkte sein Gold und Silber in den Boden und leitete dann den
Fluss wieder drüber, verbarg auch seine prächtigen Gewänder, die von der Feuch-
tigkeit hätten leiden können, in einer Höhle und liess dann die Kriegsgefangenen,
von denen beide Arbeiten ausgeführt waren, tödten, damit Keiner etwas davon
verrathen könne. Es half ihm freilich nichts, denn, wie Dio weiter berichtet,
wurde der Vertraute des Königs, BiMlis, von den Kömem gefangen und brachte
das Geschehene an den Tag. Den Inhalt der Schatzhäuser in Kriegsnöthen vor
dem Feinde zu bergen, war überhaupt bei allen alten Völkern die ewige Sorge
und gewiss verdanken wir diesem Umstand manchen antiquarischen Fund, den
wir gemacht haben oder in Zukunft noch machen werden.
Wir haben uns bei allem Obigen auf die indoeuropäischen Völker beschränkt;
dass die geschilderte Sitte aber auch über den Kreis derselben hinausgeht, lehrt
z. B. folgende Stelle des Livius, Epit. 49: exstarU tres orationes ejus (Servii Sulpicü
Galbae) — una in qua Lusitanos propter sese castra haberUes caesos /atetur, quod
compertum hahuerit, eqiMt atque homine suo ritu immolatU^ per speciem pacis adoriri
exercitum suum in animo hahuisse. Also auch die Lusitaner, ein iberisches Volk,
opferten bei Beginn einer kriegerischen Unternehmung einen Menschen und ein
Pferd!
Um dies düstere Kapitel mit einem heiteren Zuge zu beschliessen, wollen
wir noch an einen Vorgang aus der jüngsten Geschichte erinnern. Als Friedrich
Wilhelm, der letzte Kurfürst von Hessen, gestorben war (in Pi'ag, Januar 1874),
zogen die acht isabellfarbigen Pferde, die er so sehr geliebt hatte, den Leichen-
wagen, sowohl in Prag, als später bei der Bestattung in Kassel — und sollten,
einer Zeitungsnachricht zufolge, nach diesem letzten Dienst erschossen, also
ihm in die himmlischen Gefilde mitgegeben werden, wie auch den Königen der
Skythen ihre Pferde nachgeschickt wurden.
10. S. 16.
Unter den zahlreichen Belegen für das Looswerfen der alten Völker wollen
wir hier nur des ergreifenden Vorfalls erwähnen, von dem Cäsar de b. g. gegen
Ende des ersten Buches berichtet. Cäsar hatte zwei Abgesandte in das Lager
des Ariovistus geschickt, um dessen Vorschläge entgegenzunehmen, den ihm nahe
befreundeten Gajus Valerius Procillus, einen durch Tugend und Bildung ans-
gezeichneten jungen Mann, der zugleich der gallischen Sprache kundig war, und
den M. Metius, der mit Ariovistus auf dem Fusse der Gastfreundschaft stand.
Kaum aber hatte Ariovistus die beiden Römer erblickt, als er laut ausrief: Ihr
seid Spione, ihnen das Wort abschnitt und sie in Ketten werfen liess. Es folgte
die Schlacht, die mit der Flucht der Germanen endigte; bei der Verfolgung stiess
Cäsar selbst auf den dreifach gefesselten Valerius Procillus und entriss ihn den
Händen der ihn mitschleppenden Wächter. Der Befreite erzählte, wie nur der
Zufall ihn gerettet habe: dreimal sei vor seinen Augen das Loos darüber ge-
worfen worden, ob er sogleich zu verbrennen oder für spätere Gelegenheit auf-
zusparen sei; dreimal sei ihm das Loos günstig gewesen und so sei er noch am
Leben. Cäsar war, wie er selbst sagt, über den eben errungenen Sieg nicht höher
erfreut, als über diese Rettung, und der erstere wäre ihm verdüstert worden,
wenn sein theurer Freund unter den Händen der Barbaren geblieben wäre. Auch
M. Metius ward aufgefunden und Cäsar wieder zugeführt.
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Amnerkimgen. 445
11. S.17.
Uolii und populus gehen auf den Begriff Fülle, Menge zurück, thiuda (woher
unser deutsch, Deutschlands, auch in den italischen Sprachen und im Keltischen
and Litauischen lebendig, ist aus der Wurzel tu = crescere^ tumere erwachsen, das
deutsche Leute, slav. yudü populus, altpreussisch Ivdis der Herr, der Wirth, der
Mensch, lettisch laudis Leute, Volk hat seinen Boden in dem noch vorhandenen
gotldschen Verhum liudan = pullulare, das slavische narodü genta, populwty homineSy
wmdw in roditi generare , parere u. s. w. Wir lassen uns hier auf dies reiche
Hiema, das uns zu weit fuhren würde, nicht ein und wollen nur des altberühmten
Namens der Gothen gedenken, aus dem der Naturgeist der ältesten Zeiten ver-
nehmlich spricht. Denn dass dieser Name aus dem Yerbum gtutan^ giessen,
gnecL //dtf, \bL fundo zu erklären ist, leidet keinen Zweifel. Die Gothen sind
g?«t, prq/usiy wie die Menschen überhaupt, wie die Blätter des Waldes, die der
Wind herahstreut und der Frühling hervortreibt, wie das Gewimmel der Fische
nnd die Keime des Lebens überall. Jes. Sir. 14, 19: „Gleichwie die grfmen Blätter
auf einem schönen Baum etliche abfallen, etliche wieder wachsen, also gehets mit
den Leuten auch, etliche sterben, etliche werden geboren." Homer U. 6, 146:
So wie der Blätter Geschlecht, so sind die Geschlechter der Menschen.
Blätt«r ja schüttet (x^fi) zur Erde der Sturm jetzt, andere sprossen
Neu im grünenden Wald und wieder gebiert sich der Frühling:
Also der Menschen Geschlecht, dies treibt und das andre verschwindet.
Sollte ich mit dir, sagt Apollo E. 21, 462 ff. zu dem Erderschütterer, der armen
Sterblichen wegen kämpfen, die den Blättern gleichen und bald blühen, bald
vergehen?
Die Kikonen zogen heran, wie Blätter, Od. 9, 51 :
Zahllos kamen sie nun, wie Blätter und Blüten im Frühling,
ebenso die Achäer, wie Blätter oder Sandkörner, D. 2, 800:
Denn wie die Blätter des Waldes, wie Sand an des Meeres Gestaden
Ziehn sie daher in der Ebene.
Homer sagt (pvXltoy x^aic, Hesiod Op. et d. 421:
vXr^ tfvXlrc J*lo«f€ X^^'t
and Pindar von der Saat, Pyth. 4, 42:
(VQV^OQOV oniQfjia nniv Sgag.
Dasselbe Verhum bei Homer vom Gedränge der Menschen und Thiere, so II. 5, 141
von den Schafen, die fliehend sich drängen (x/;^i/vTni), H 16, 259 von den Myr-
midonen, die unter Patroklus Führung wie ein Wespenschwarm sich ergiessen
{f^Z^oyru)^ D. 2, 465 von dem achäischen Volk, das auf die Ebene um den
Scamander heranrückt (nooxiovto)^ D. 15,360 von den Troern, die zum Kampfe
herbeiströmen (^(io;^^oi^o), D. 19,222 von der Fülle der Halme, die das Erz in
der Schlacht niederstreut (]^x^viv\ Od. 22, 387 von den Fischen, die schnappend
am Ge^stade übereinander wimmeln (ief/vyini) u. s. w. Bei Aristoteles Hist.
anim. 5, 9, 32 sind x^rol Xxf^viq Zugfische, die sich schwännend drängen und mit
Netzen gefangen werden; Hesychius hat ein reduplicirtes xoxv mit der Bedeutung
viel, reichlich, der Scholiast zu Theokrit 2, 107 ein sonst unbekanntes Substantiv
xbyoi = reichliche Strömung. Noch näher zum lateinischen, gothischen und
albanesischen Worte (alban. hetk huth ich giesse, werfe) stehen xoxväio) reichlich
fliessen (bei Theokrit), x*'^^ reichlich, haufenweise, ;fi;Jni(^öi, ;^üJ«ro?, /i/(f«iVjT/',
Xv^aiow^ Xv^atoiTjg — Alles vom Volksmässigen, daher Gemeinen und Gewöhn-
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446 AmnerkungeiL
liehen. Dass auch lat. fundo von der zeugenden Kraft der Erde gebraucht wird,
lehren SteUen, wie Lucret. 5, 917:
tempore quo primum tellus animaUa fudit^
Cic. terra fruge» fundit^ Verg. fundü vtctum tellus, fundit humus ßoresvLS.w.
Grade so heisst altnordisch gjöta parere, procreare, got oder gota fetura piscium,
während die Bedeutung giessen in dieser Mundart fast erloschen ist. So sind die
Gothen des Festlandes, die Gutox oder Outans, und die scandinavischen Gautar
und Ootar nichts als die Ergossenen d. h. die Erzeugten, die aus dem Schosse
der Erde Geborenen, die Fülle der Lebendigen (wie die Welt gothisch manaseth
d. h. Menschensaat heisst), ein Name, der yiel alterthümlicher ist, als die stolzen
Composita, mit denen sich keltische, auch germanische Völker in jüngerer histo-
rischer Zeit schmückten. — In der litauisch-slavischen Sprache ist giutan spurlos
verloren und wird durch slav. lijati, litt fundere, lit. leti fundere, letas /usus, /y/i
pluere, lytus oder letus pluvia ersetzt. Es liegt nahe, den Namen Litauens und
der Litauer: Letuva, Letuvü aus diesem Wortstamm zu deuten, wie den der
Gothen, ihrer Nachbarn und Kulturverwandten, aus giutan,
12. S. 17.
Das griech. x^^'^h äolisch ;f/Ailio( ist neuerdings dem skr. Bcdiasra, send.
hazanra gleichgesetzt worden. Wenn dies richtig ist — was wir dahingestellt
sein lassen — , dann haben die Griechen, wie milU und ihusundi lehren, ihr Wort
für tausend aus Asien, der Heimat der grossen Zahlen und der Riesenperioden,
entlehnt, wie sie auch aus dem zendischen baevare oder einer der entsprechenden
westiranischen Formen mit der gewöhnlichen Vertauschung von b und m ihr
uvnioi bildeten. Benfey meinte, die übrigen europäischen Völker hätten auf der
Wanderung, wie überhaupt ihre alte Kultur, so auch ihre gemeinsame Bezeiclmnng
der Zahl tausend eingebüsst und sie sich nachmals wieder neu schaffen müssen.
Dies ist aber wider die Natur der menschlichen Seele. Ein Volk, das in neue
Sitze rückt, kann mancherlei Naturobjecte der früheren Heimat aus dem Ge-
dächtniss verlieren, hat es aber einmal die Fähigkeit gewonnen, den Begriff
tausend zu denken, so kann es von dieser Stufe psychischer Entwickelung auf
keine Weise wieder zurücktreten. Die Vorstellung einer Vielheit wie tausend
fällt dem Naturmenschen überhaupt gar nicht so leicht, wie man jetzt wohl glaubt,
und dass die einwandernden Indoeuropäer sich dieselbe noch nicht zu bilden
wussten, ist gar nicht so wunderbar. Die Finnen lernten erst von den Slaven
hundert denken und sagen, und zehntausend nennt der gemeine Russe noch
jetzt tma d. h. Dunkelheit.
18. S.51.
Seit unser das Pferd behandelnder Abschnitt geschrieben wurde, sind zvei
für dies Thema wichtige Schriften erschienen, deren Inhalt mit unserer Aus-
führung im Allgemeinen nicht im Widerspruch steht, vielmehr von einem NachbM-
gebiete aus, dem der Archäologie, manche Bestätigung bietet. Wir meinen die
von L. Stephani publicirte Silbervase von Nicopol, die der Herausgeber in das
4. Jahrhundert vor Chr., also in die beste Zeit der griechischen Kunst setzt, und
die von Wl. Stassoff beschriebene Grabkammer von Kert^ch (Chambre sepulcrale
avec fresques döcouverte en 1872 pres de Kertch, St. P^tersbourg 1875. gr. 4*).
Da der scharfsinnige und belesene Verfasser der letztem Schrift sich zugleich
während seiner Arbeit der Unterstützung des berühmten Reisenden und Hippo-
logen A. V. Middendorff zu erfreuen hatte, auch auf die Vase von Nicopol ge-
bührend Bezug nimmt, so glauben wir uns den Dank des Lesers zu verdienen,
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Anmerkungen. 447
wenn wir hier einen gedrängten Auszug dessen geben, was sich den genannten
beiden Forschem für die Geschichte des Pferdes auf arch&ologischem Wege er-
geben hat Wir fugen unsererseits kurze Bemerkungen in Klammem hinzu und
Tcrweisen im üebrigen auf das Werk selbst.
Die Denkmäler des orientalischen und klassischen Alterthums zeigen uns
drei Typen von Pferden: das Steppenpferd, das Halb-Zugpferd (mehr zum Ziehen
als zum Reiten geeignet, demi-cheval de trait) und das Reitpferd (cheval de seile).
Auf der Vase von Nicopol sind die beiden ersten dieser Typen getreu dargestellt:
das Pferd des Hüters der Heerde ist ein gesatteltes reines Steppenpferd und den
jetzigen kalmükischen Pferden ähnlich; die Pferde der Heerde selbst gehören
nicht mehr der Drrace der Steppe an, sondern sind schon mehr Zug- als Sattel-
pferde und weisen auf fruchtbare Niedemngen als ihre Heimat hin. Sie sind
den assyrischen Pferden an den Wänden von Khorsabad verwandt: dass assyrische
Pferd ist auch ein halbes Zugpferd, das auf Gegenden von noch reicherem Gras-
wuchs deutet. (Dass das scythische veredelte Pferd von dem assyrischen ab-
zuleiten sei, scheint uns nicht annehmbar; ihre Aehnlichkeit erklärt sich wohl
durch die gleiche Herkunft aus Medien.) Ein älterer assyrischer Schlag, den
wir aus den ninivitischen Abbildungen kennen lernen, nähert sich dem griechischen
archaischen Pferde auf Vasenbüdem. Letzteres wird so beschrieben: sehr feine
Beine, starkes Kreuz, langer runder Hals; Uebergang des Halses zur Brust hirsch-
artig; das Haar des Schweifes, der Mähne, der Stim kurz, der Schweif abstehend.
Dieselben Merkmale finden sich bei dem ägyptischen Pferde und das griechisclvs
hat sich unter ägyptischem Einfluss gebildet (historisch kaum möglich; beide
werden in nicht sehr verschiedener Zeit aus derselben Gegend d. h. aus Vorder-
asien herübergenommen sein). — Den genannten zwei Typen steht der dritte
Schlag gegenüber, das reine Reitpferd auf den Denkmälem der Sasaniden und
den röulischen, z. B. den Basreliefs der Trajanssäule. Es ist nicht hoch von
Wuchs, hat einen kurzem Leib und niedrige Beine, ist kräftig, musculös, sehr
breit, mit nicht langem Halse: es muss sich aus dem arabischen entwickelt haben;
sein Vorfahr zeigt sich auf den Bildwerken von Persepolis; von diesem oder
seinen Blutsverwandten hat das sasanidische und das römische Pferd seine Ge-
drungenheit und die edle Bildung des Hauptes. (Als das persische, dann das
macedonisch-griechische, endlich das römische Weltreich einen allgemeinen Ver-
kehr und Austausch möglich gemacht hatten, verbreitete sich ein immer schönerer
Pferdeschlag in immer weiteren Kreisen, vom Euphrat bis zum Tiber und vom
Tigris bis zum Nil. Dadier die Gleichartigkeit der Race auf späteren Dar-
stellungen des iranischen Ostens und des europäischen Westens. Dieselben Zeiten
und Umstände sind es auch, die das arabische Pferd geschaffen haben, welches
seitdem das edelste wurde, wie es früher das medische gewesen war.) Auf den
Fresken der Grabkammer zu Kertsch, die dem Zeitraum zwischen dem Anfang
des 2. und dem Ende des 4. Jahrhunderts nach Chr. anzugehören scheinen und
denen alles Griechische oder Römische fehlt, finden wir die Bewohner von
Panticapaeum im Besitz des edleren arabischen Pferdes, nur das Thier auf Tafel 6
gleicht einiger Massen dem primitiven Schlag der Steppe; zugleich zeigt alles
Beiwerk, Schmuck, Waffen, Geräthe, Tracht, iranischen Charakter — ein
schöner Beweis mehr für den Satz, dass wir uns die Urbevölkerung an den Küsten
des schwarzen und asowschen Meeres, unter der die Griechen sich ansiedelten,
als iranischen Blutes zu denken haben, das erst später dem türkischen wich oder
sich mit ihm mischte.
Bei all dem ist natürlich vorausgesetzt, dass die Urheber der Zeichnungen
und Reliefs, die wir mit einander vergleichen, naturalistisch verfuhren und den
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448 Anmerkungen.
ihnen in der Natur vorliegenden Gegenstand wirklich in seiner Lebendigkeit er-
fassten oder erfassen wollten. Wie aber, wenn sie in einer religiös und künstlerisch
gebundenen Epoche nur den starren Ausdrucksformen eines gegebenen Stiles
folgten? Oder in einer freieren dem Gesetze idealer Schönheit, wie es ihnen vor-
schwebte? Die Menschen auf den ältesten griechischen Bildern sehen wie die
Aegypter aus — soUen wir daraus schliessen, dass die Natur den alten Griechen
ägyptische Gesichter gegeben hatte oder gar, dass die Griechen von den Aegyptem
abstammten? Man sieht, auch die Kunstgeschichte hat hier ein Wort; mitzu-
sprechen, aber nur um die Untersuchung nach Daten der uns erhaltenen Ab-
bildungen noch unsicherer und verwickelter zu machen.
So viel über das genannte Werk. Im üebrigen kann es dem Verfasser nicht
einfallen, durch seine mehr historische Darstellung den Gegenstand für erschöpft
oder alle einschlagenden Fragen für erledigt zu halten. Doch glaubt er die haupt-
sächlichen Gesichtspunkte geltend gemacht, die wichtigsten Zeugnisse vorgelegt
und letztere nach ersteren geordnet zu haben. Manches an sich Interessante,
wie die Castration, die von osteuropäischen Völkern, den Skythen, Sarmaten u. s. w.
ausging, Strab. 7, 4, 8, oder der Huf beschlag, der dem Alterthum unbekannt, erst
bei den Byzantinern seit dem 9. Jahrhundert sicher bezeugt ist, Beckmann, Bey-
träge 3, 122 — wurde übergangen, weil es für die Urgeschichte nicht von Belang
schien.
14. S.32.
Die Wortform ritlrcayoi selbst ist noch nicht befriedigend erklärt, aber der
Sinn scheint der im Text angegebene. Strab. 7, Eic. 1. und 2.: qaal Sk xieJ
xttid Tr,v laiv MoXoxjtav xaX ^tanototuty ykotjiny läq ygaiaq mlCa^ x«lfT<f$tti
x«l 7ov{ y^Qovttti 77 (lCov<:, Dasselbe gleich darauf mit dem Zusatz: xaSumg
xal TtttQa Maxföuoi' neliyoras yovv xakovatr fxtlyoi roitg (v Ttfiniq^ xa$a
^agu Aaxtoai xal Maaaali<üTaiq rovc yioortni. Dazu albanesisch pljak = Mntf,
veius. Bei Aeschylus nennt sich Pelasgus selbst den Sohn des erdgeborenen
Palächthon, Suppl. 250:
Tov yriytyovs yag iifi iy<n UaXalx^ovoi
Bei Homer Jtot IJiXaayol = die altehrwürdigen. Denselben Sinn hat der Name
-TjQffixo/, Graeci^ den umgekehrten wahrscheinlich der der Ywortf.
15. S.52.
Neuere Philologen (z. B. Deimling, die Leleger, Leipzig 1862), halten die
lelegischen Völker und Völkchen für frühe Einwanderer aus Kleinasien: dann
dürften sie aber nicht für Griechen und nahe Verwandte der Pelasger-Hellenen
ausgegeben werden. Wenn sie dies aber nach Religion und Sprache doch waren,
so können sie keinen anderen Ausgangspunkt gehabt haben, als die europäischen
Indogermanen überhaupt und die Gräcoitaler insbesondere. Kleinasien war im
Norden von westlichen Ausläufern des grossen iranischen Stammes, die schon
den Uebergang nach Europa bildeten, den Armeniern und den diesen nach dem
ausdrücklichen Zeugniss des Eudoxus und des Strabo sprach- und stammverwandten
Phrygem, im Südosten von Zweigen der semitischen Familie, in der Mitte ron
Bluts- und Kulturmischlingen beider besetzt Von der Donau herabdringende
Thraker mögen frühe über den Hellespont und an die Südküste der Propontis,
Pelasger und Leleger auf einer der zahlreich hinüberführenden Insel-Bracken
an den Band des gegenüberliegenden Continents gelangt sein. Sie wurden dann
im Norden von lydischen und phrygischen Elementen durchsetzt, im Süden von
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Anmerinmgen. 449
den Semiten Terschlangen oder beherrscht. Umgekehrt gingen auch Karer —
ein Volk, das sich zn Herodots Zeit für autochthon in Kleinasien hielt — auf
die Inseln hinüber, wo sie die Leleger zu Sclaven machten, und betraten hin
and wieder Punkte des Festlandes, z. B. £pidaum8. In derselben ost-westlichen
Richtung setzten auch phrjgische Stftmme nach Thrakien hinüber und brachten
orientalische Kultur, so weit de ihnen damals zugekommen war, nach Europa
mit Herodot erwähnt einmal (7, 20) im Vorbeigehen eines grossen vor der
troischen Zeit erfolgten Zuges der Myser und Teukrer über den Bosporus, wobei
sie aüe Thraker sollten unterworfen haben und bis an den adriatischen Meerbusen
und nach Süden bis an den Fluss Peneus vorgedrungen sein, und ein neuerer Ge-
lehrter (Giseke, Thrakisch-pelasgische Stämme der Balkanhalbinsel, Leipzig 1858)
hat auf diese Nachricht ein ganzes Buch gebaut und einen grossen Theil der
griechischen Urgeschichte darnach construirt Die beiden Meerengen, die die
Propontis einschüessen, mögen öfter Zeugen solcher Züge und Gegenzüge ge-
wesen sein; auch die Päoner am Strymon mögen der Rest eines solchen sein,
obgleich die Angabe der beiden p&onischen Mfinner bei Herodot (5, 12. 13.), sie
seien Abkönmilinge der troischen Teukrer, vielleicht nur ein Nachklang aus der
Dias ist, in der die Pftoner Bundesgenossen der Troer sind, und obgleich die
Sitten des pftonischen Mädchens dem Darius gerade als ganz unasiatisch auf-
fallen; aber die grosse Wanderung, die Griechenland und Italien ihre gleichartige
Bevölkerung gab, und die weiterhin auch die Kelten, und mehr nach Norden
auch die Germanen, Litauer und Slaven in sich begreift, geschah gewiss nicht
von Eleinasien aus.
16. S.58.
So dankbar wir dem verstorbenen v. Hahn für seine Mittheilungen aus dem
Gebiet der albanesischen Sprache und Sitte sein müssen, so wenig annehmbar
sind die urgeschichtlichen Speculationen, die er hinzufügt. — Der Versuch, die
altljkischen Inschriften aus dem heutigen Albanesischen zu erklären und dies
letztere Idiom zu einem speciell iranischen zu stempeln (0. Blau in der Zeit-
schrift der DMG. XVU, 649), ist mit zu dürftigen Mitteln unternommen, als dass
er nicht gänzlich hätte scheitern sollen. Man darf sich daher verwundem, wenn
Justi (in der Vorrede zu seinem Handbuch der Zendsprache S. X.) geneigt ist,
auf eine so luftige Hypothese einzugehen und das Albanesische „für einen Aus-
läufer der arischen Sprachen und speciell für einen Nachkommen des Lykischen"
gelten zu lassen.
Dass die Thraker rein und geradezu ein iranischer Stamm gewesen, wie
P. de Lagarde, Gesammelte Abhandlungen, S. 281, und nach ihm Roesler (Dacier
nnd Romanen, in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, 1866, S. 81) zu
behaupten Anstalt machen, — diese Meinung hat bis jetzt noch nichts für sich.
Die einzige thrakische Glosse, die unverkennbar iranisches Gepräge hat, ist der
Name des angeblich thrakischen Stammes der Saraparai oder Kopfabschneider bei
Strabo 11, 14, 14, aber dieses wilde Volk wohnte tief in Asien, über Armenien,
in der Nähe der Guranier und Meder, und führte diesen Beinamen dort. Man
sehe sich nur die Worte des Strabo an: rpaal J^ (also nur: man sagt) xai Sqaxiuv
ityas, tovg nQoaayoQtvo/niyovg (bei den umwohnenden Völkern?) Haganagae^ olov
xitpttloro/Ltovg ^ oixrjaat vnig i^? ^AgfieyCaCy nlriaiov rovgavCtov xai Mvjdioyy
^QtdSiis dv^Qtonovg xa\ dmi^ei?, dgeCyovg^ niQiaxv&iaiai rt Jf«l anoxitpaltarae.
Wenn das thrakische ßgiCt^ wirklich mit vrihi Reis zusammenhängt, so ist es ein
Fremdwort, das den weiten Weg von Indien über Iran und Kleinasien zu den
Thrakern zurückgelegt hat, und beweist also gar nichts. Der thrakische Dämon
Vict. Hehii, Kaitarpflanzen. 29
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450 AnmerkimgeiL
Zalmoxis, Zamolxis, berichtet Porphjrius im Leben des Pjthagoras, sei desshalb
80 genannt worden, weil über ihn gleich nach der G^bnrt ein B&renfell geworfen
worden: itir yag 6ogay Qg^xtg ^aXfiov xaXovaiy. Soll hier oi|(( B&r bedeuten,
so würde dies zwar mit arischen, aber nicht weniger mit eorop&ischen Wörtern
zusammenstimmen: gr. o^xroc, lat. ursus für urctus. Ziehen wir das ßi znr zweiten
H&lfte hinzu: /uo{/c, so bietet sich das litauische meazka, slav. mectka^ der B&r.
Da man aber Fellb&r für Bärenfell nicht sagen kann, so will P. de Lagarde Ca^-
fio^ii als das braune Fell deuten: allein auch dabei ergiebt sich nichts spe-
cifisch Iranisches: fio^i^ h&tte auf europäischem Boden sein Analogon im slaTischen
in^chü^ das Fell, und die Slaven sind keine Iranier, l^ak ist gleichfalls in Europa
ganz gewöhnlich, z. B. lit. zalas grün, delti grünen, zole Gras, slav. zelije Kraut,
eelenyi grün u. s.w. Aber die ganze Deutung braunes Fell leidet an zwei
wesentlichen Fehlem: erstens kann kein Gott oder Mensch einfach Fell genannt
werden, und nur das ist wahrscheinlich und im Sinne der nordischen Völker, dass
die Thraker ihren Gott in B&rengestalt oder in ein Bärenfell gehüllt sich
dachten und demgemäss benannten; zweitens heisst das Wort, welches den
ersten Theil des Compositums bilden soll, nie braun oder gelbschwärzlich, sondern
immer grün, grüngelblich und passt daher nicht zur Bärenhaut. Aus Zamolxis
also ist für den Iranismus der Thraker nichts zu gewinnen, und Porphjrius hat
entweder, wie die Alten seit Herodot gewohnt waren, sein ^aXfioi für Fell aas
dem Namen des Zalmoxis selbst gebildet, oder Cf^fiog entspricht, wenn die An-
gabe richtig ist, etwa dem griechischen x^^f*^^ (^^ ^^^ Termuthet hat), in
welchem letzteren Fall die zweite Hälfte des Wortes etwas dem lat. pelle amictuf
oder peiiitus Aehnliches aussagen muss. — Im Gegentheil sind die Beziehungen
der Thraker und der ihnen nahe verwandten Daken und G^ten — sie sprachen
alle eine und dieselbe Sprache, wie Strabo ausdrücklich bezeugt — zu den Yölkein
des Nordens mannichfache. GWmm hat bei Verfolgung seiner unglücklichen
Hypothese manche verwandte Züge zwischen G^ten und Germanen aufgewiesen;
dass zwischen getischer und slavi seh er Zunge Analogien walten, hat Müllenbof
(Artikel Geten in der Encyclopädie von Ersch und Gruber) scharfsinnig erkannt;
unter den dakischen Pflanzennamen sind die zwei allein durchsichtigen: propedula
das Fünfblatt und dyn die Nessel rein ^keltisch. Auch bei den Illyriem stösst
Aehnliches auf. Im heutigen Albanesischen heisst mallj der Berg und di zwei;
schon Niebuhr (Vorträge über alte Länder- und Völkerkunde, Berlin 1851, S. 305)
machte darauf au&nerksam, dass dies mit dem Namen der altülyrischen Stadt
Dimallum, die auf einem zwei gipfeligen Berge lag, genau zusanmienstimme, das
Albanesische also wirklich ein Abkömmling des alten Illjrischen seL Nun giebt
es aber überraschender Weise auch ein altirisches Wort meall coUU^ locus editus
und mit diesem waren die gallischen Namen Mellosectum, MeHodunum (wörtlich
Bergfestung, heut zu Tage Melun zwischen Paris und Fontainebleau) zusammen-
gesetzt (s. Glück, die bei Cäsar vorkommenden keltischen Namen, S. 138 f.). Die
altinische, also venetische, also illjrische ceva die Kuh (bei Golumella), hent in
Tage albanesisch ka, kau der Ochse, stimmt merkwürdiger Weise dem verschobenen
Anlaut nach mit dem Germanischen, während die übrigen Sprachen hier die
Median aufweisen und Griechen, Lateiner und Kelten aus y ein 6 entwickelten
(sollte nicht xa^Xa bei Dioscorides 3, 146 als Synonym von ßovfpd^uX^ov in der
ersten Hälfte dasselbe albanesische Wort, in der zweiten aber lit akU, l«t
oculus u. s. w. enthalten?). Das albanesische Ijope, IJopa die Kuh geht in den
Alpen weit nach Westen, durch die Schweiz bis in die romanischen Dialecte am
Genfersee (Bridel, Glossaire du patois de la Suisse romande, Lausanne 1866,
p. 266) — war es ein venetisches oder euganeisches Wort, das die erobernden
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Anmerknngen. 451
Kelten bei den Alpenbewohnem vorfanden und das sich, wie es mit Namen
menschlicher ürbeschaftigung, zumal im Hochgebirge, zu geschehen pflegt, bis
auf den heutigen Tag erhielt? Das messapische ßij^ydog Hirsch (Mommsen,
ünterit Dial. S. 70), im heutigen Albanes. dren (mit d fiai bf) findet sich im alt-
prenssischen braydis Elen, lit. hredis Elen und Hirsch, lett breedU wieder. — Je
langer und aufmerksamer man Thraker und nijrier anblickt, desto mehr befestigt
sich die üeberzeugung, dass dieser Doppelstamm, dessen eine Hälfte Herodot für
das zahlreichste Volk nach den Indem hielt, wie geographisch, so auch ethno-
logisch, religiös und sprachlich eine Centralstellung einnahm, von der aus nicht
bloss zu den Iraniem, sondern nach Nord und Süd, West und Ost des Welttheils
verbindende Adern ausliefen.
17. S.55.
Wir haben im Texte bei einer Materie, die überhaupt nur schwankende Ver-
muthungen gestattet, und bei der sich nur nach dem allgemeinen Eindruck ur-
theilen lässt, den der Eine so, der Andere anders empfängt, eine Art Ackerbau
vor dem Ende der Wanderungen zugestanden, neigen uns aber persönlich mehr
der entgegengesetzten Ansicht zu. Die gewöhnlichste Annahme ist, dass zwar
das indoeuropäische Urvolk noch nicht ackerbauend gewesen sei — da die ent-
sprechenden Ausdrücke im Sanscrit nicht mit Sicherheit aufgewiesen werden
können — , dass aber Benennungen wie ararcy moler e u. s. w., die bei europäischen
Gliedern desselben sich vriederfinden, die Existenz eines ackerbauenden euro-
päischen Muttervolkes beweisen. Dabei ist zuvörderst zu bemerken, dass die-
jenigen, die dies behaupten und zugleich über die frühere oder spätere Abtrennung
des einen und des andern Yölkerzweiges von dem gemeinsamen Ausgangspunkte,
z. B. des keltischen oder des slavodeutschen u. s. w., Betrachtungen anstellen und
darüber Stammbäume aufnehmen, sich einer offenbaren Inconsequenz schuldig
machen. Denn sind nicht alle europäischen Stämme als ein ungetrenntes Ganzes
ond zu gleicher Zeit in Europa eingewandert, so kann auch ^(joTQoy^ slavisch
radlo u. s. w. nur entweder von dem einen zum andern übergegangen, oder von
den einzelnen, vielleicht in sehr verschiedener Zeit, analog gebildet worden sein.
Man bedenke, dass in jener frühen Epoche die Sprachen sich noch sehr nahe
standen und dass, wenn eine Technik, ein Werkzeug u. s. w. von dem Nachbar-
volke übernommen wurde, der Name, den es bei diesem hatte, leicht und schnell
in die Lautart der eigenen Sprache übertragen werden konnte. Wenn z. B. ein
Verbum molere in der Bedeutung zerreiben, zerstückeln, ein anderes serere
in der Bedeutung streuen in allen Sprachen der bisherigen Hirtenstämme be-
stand UTid der eine von dem andern allmählig die Kunst des Säens und Mahlens
lernte, so musste er auch von den verschiedenen Wortstämmen ähnlicher, aber
allgemeinerer Bedeutung gerade denjenigen für die neue Verrichtung individuell
fixiren, mit dem der lehrende Theil dieselbe bezeichnet^. Die Gleichheit der
Ausdrücke beweist also nur, dass z. B. die Eenntniss des Pfluges innerhalb der
indoeuropäischen Familie in Europa von Glied zu Glied sich weiter verbreitet
hat, und dass nicht etwa der eine Theil sie südöstlich aus Asien, durch Ver-
mittehmg der Semiten aus Aegypten, der andere südwestlich von den Iberern an
den Pyrenäen und am Rhonefluss, ein dritter von einem dritten unbekannten ür-
volke u. 8. w. erhalten hat Auch die Zusätze, mit denen A. Fick (die ehemalige
Spracheinheit der Indogermanen Europas, S. 289 ff.) die hergebrachten Beweis-
mittel zu vermehren versucht hat, können dies Verhältniss nicht ändern. Wer
mit den alten Wörtern neue Kulturbegriffe verbindet, wfrd freilich in der Zeit
der frühesten Anfänge ohne Mühe unser heutiges Leben wiederfinden. Was soll
29*
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452 AnmerkimgeiL
aber z. B. lira die Furche beweisen? Dies Wort bedeutet in den germanischen
Sprachen Geleise, Spur und dies war offenbar der eigentliche und ursprünglieke
Sinn desselben, — der noch im lateinischen delirare, von der Spur abirren,
durchblickt. Nach dem üebergang zum Ackerbau, vielleicht in sehr verschiedener
Zeit, verwandten die Litauer und die Slaven das vorhandene Wort zur Bezeichnung
des Ackerbeetes, die Lateiner zu der der Furche, w&hrend die Deutschen bei der
Bedeutung Spur verblieben. Noch weniger wollen Wörter wie cuimms, stipuloj
pinsere u. s. w. sagen. Der Halm braucht ja nicht gerade Getreidehabn bedeutet
zu haben, das slav. stlblo heisst Stengel und hat viel Verwandte, das deutsche
Stoppel ist eine späte Entlehnung aus dem Mittellatein; pinsere hatte den Sinn
von zerstampfen überhaupt: als das Eom nicht mehr nach urältester Sitte an-
mittelbar aus der gerösteten Aehre gegessen, sondern vorher durch Stampfen ans
der Umhüllung befreit und zu einer Art Grütze oder rohen Mehles verkleinert
wurde, da bot sich das vorhandene Verbum von selbst zur Benennung dieser Ver-
richtung oder wanderte mit der letztem von Gegend zu Gegend. Noch in histo-
rischer Zeit hatten sich die nordeuropäischen Völker kaum die nothdürftigsten
Anfänge des Ackerbaus angeeignet. Die Kelten im Innern der britischen nnd
irischen Insel, wie sie Strabo, Tacitus, Cassius Dio u. s. w. uns schildern, oder
die Wenden des Tacitus, die die Wälder Osteuropas latrociniU pererrantj als
fleissige Feldbauer uns zu denken, ist unmöglich. Von dem alten Germanien
sagt Fick S. 289: „es muss ein wohlbebautes Land gewesen sein — denn ohne
intensive Bodenbestellung hätte Deutschland gar nicht diese gewaltigen Völker-
massen entsenden können, die das römische Reich in Trümmer schlugen.'' Dass
dieser oft gehörte Satz falsch ist, hat Röscher in seiner von uns in Anmerkung 28
angeführten Schrift unwiderleglich dargethan. Grade der umgekehrte Schluss ist
richtig: je höher die Lebensform, die ein Volk erreicht hat, desto geringer der
Procentsatz, den es zu kriegerischen Zügen verwendet; bei noch unstäten Völkern
wandert und kämpft jeder erwachsene Mann. Hätten die Deutschen emsig den
Boden bestellt, dann wären sie überhaupt nicht ausgezogen, das römische Reich
in Trümmer zu schlagen, vielmehr würde ihr Land, wie Gallien, römische Provinz
geworden sein.
Wir fügen im Folgenden einige zerstreute Beiträge zu der alten Ackerbau-
Sprache hinzu, welche letztere, vollständig und vor Allem kritisch aufgestellt,
eine nicht zu verachtende Ergänzung zu den Untersuchungen der Naturforscher
über Herkunft und Vaterland der Getreidearten u. s. w. abgeben würde.
Gothisch hvaiteis der Weizen ist das weisse Korn, jJso wie aus dem Prä-
dikat hervorgeht, eine spätere Art, deren Name die Kenntniss eines schwärzeren
Getreides voraussetzt. Der Weizen geht nicht so hoch in den Norden hinauf,
wie andere Cerealien, und ist in Mitteleuropa erst spät erschienen und daselbst
erst allmählig acclimatisirt worden. Das litauische kwetys, plur, kweczet\ preuss.
gaydis findet sich nicl^ bei den Slawen, ist also aufgenommen worden, als beide
Zweige sich bereits von einander getrennt hatten. Da nun auch in keltischen
Sprachen weiss und Weizen auf dieselbe Wurzel zurückgehen (bretonisch ^ireim
weiss , gwiniz Weizen u. s. w. aus altgallischem vindos = weiss z. B. im Namen
Vindobona, welchem wieder cvind zu Grunde liegt), so folgte dass dies Getreide
seinen Weg von Gallien zu den Deutschen, von diesen zu den Litauern (Aestyem)
nahm. — Das griechische al(pty nXgpirov, Gerstengraupen, wörtlich gleichfalls
soviel als weisses Korn, mag seinen Namen von einer neuen, ein reineres Produkt
rgebenden Art des Schrotens bekommen haben. — Griechisch nvgoc Weizen,
schon homerisch, findet sich im altslavischen pyroy Weizen, Erbsen, Linsen und
im litauischen purai Winterweizen (dialectisch) wieder. Die erste und älteste Be-
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Anmerkungen. 453
deatong ist in den nordischen Sprachen erhalten: russisch pyrei, ciechisch
fnfrxL8.w. Quecke, preussisch pure Trespe, angelsachsisch /yr» lolium, ruscuSy
engL/urz^ furge. Es war also die Benennung för eine Grasart, die spftter auf
den Reizen und Andere Kömer angewandt wurde. Die Thraker und die Znv&tu
yw^yoC mögen den von ihnen gebauten und in unterirdischen Gruben auf-
bewahrten Weizen so genannt haben. — Das slavische zito Getreide ist eine klare
Bildung ¥on zi-ti leben (mit unterdrücktem v); das schon homerische altoi w&re
damit nur zu rereinigen, wenn es ein Fremdwort vom mjsisch-thrakischen Korden
wire, was gar nicht unmöglich ist
Ist der Weizen ein südliches Korn, so ist umgekehrt der Haber ein
nördliches. Bei den Alten galt er für ein Unkraut, da^ sich unter das Korn
mischte oder in welches das Korn sich Terwandelte, in beiden F&llen den Ertrag
mindernd oder aufhebend. Theophr. h. pl. 8, 9, 2: od* niyCXtoxit xal 6 ßQOjnos,
aoTKQ äyg^ atta xa\ ayrifii(ta. Cat. de re rust. 37,5: Frutnenta face bis
sarias runcesque avenamque deetringas. Cic. de fin. 5, 30, 9: ne seges quidem
igitur spicis uberibm et crebris, si avenam uspiam videris. Verg. Georg. 1, 154:
Infelix lolium et stenies dominaniur avenae.
Ovid. Fast 1,691:
Et careant loliis oculos vitiantibus agri
Nee sterilU culto surgat avena ioco.
Phn. 18, 149: Primum omnium frumenti Vitium avena est: et horddum in eam
degenerat. Indess lernte man später von der avena fatua auch eine fruchttragende
Art Haber unterscheiden. Plinius a a. 0. meint, wie das edle Korn sich in Haber
verwandele, so gehe dieser auch in eine Art Getreide über, frumenti instar, und
fügt hinzu, die Germanen säeten sogar Haber und lebten ausschliesslich von dieser
ArtMuss oder Grütze: quippe quuin Oermaniae populi seranl eam neque alia pulte
vivant. Dasselbe wird noch im Mittelalter von den britischen Kelten gemeldet,
Girald. Cambr. descr. 40: totus propemodum populus armentis pascitur et avenis,
lacte, caseo et butyro; carne plenius, pane parcius vesei solet. Noch jetzt n&hrt
sich der Schotte von seinem Habermuss und geschmalzter Haberbrei ist ein Lieb-
lingsgericht schwäbischer und alemannischer Bauern. Auch die späteren Griechen
kannten den Haber wenigstens als Yiehfutter: Galen, de alimentomm facultatibus
1, 14: in Asien, besonders in Mjsien ist der Haber sehr häufig: rgotpii d' iarXy
vno^vyltov^ ovx dy&Q(6n(oy, d ^r^ non aQcc Xi^ioiroyin iaxaras dyayxaa^tTiy fx
Tovifyv Tov anigf^aioQ agioTtoina^nr, Was die Namen dieser Frucht betrifft, so
hat Grimm (Gesch. d. d. Spr. 66) die schöne Entdeckung gemacht, dass sie zwar
alle verschieden, alle aber vom Schaf oder Bock hergenommen sind, „sei es, fügt
er hinzu, dass das Thier dem Haber (vielleicht einem ähnlichen Unkraut) nach-
stellt oder vormals damit gefüttert wurde." Das Letztere aber ist unrichtig und
der Grund liegt wo anders. Ln Gegensatz zu ficus, dem fruchttragenden Feigen
bäum, ist caprificus, der Bocksfeigenbaum, der wilde, unfruchtbare, welchen letztem
die Messenier jQÜyoi Bock nannten (nach Pausanias 4, 20, 1). Tgaycty wurde von
Weinstöcken gebraucht, wenn sie keine Frucht trugen, Suid. s. v.: xal iQctyay
(pcioi lovi ttUTtiloug, oray ^rf xoQnoy tf'iQtoaiy. The ophrast leitet diese ünfrucht-
bariceit von zu üppigem Wachsthum ab, de caus. pL 5, 9, 10: ($ vntQßoliji di xai
t6 TQttydy T^j (tjLtnfAoVj xni oaoig aXXoig axagntTy ovfißa(yu öiä rriv ivßXaantay,
Dahin gehört auch capreolus der Rebschoss, italienisch capriuolo, sowie das ver-
altete hirquitallu*, hirquitallire (gleichsam einen geilen Bockszweig treiben, später
nur von Knaben gesagt, die, in die Pubertät tretend, ihre Stimme verändern).
Wenn ein Weizenfeld, sagt Theophrast h. pl. 8, 7, 5, ganz nieder- und zusammen-
getreten ist, z. B. durch den Marsch eines darüber weggegangenen Heeres, so
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454 Anmerkungen.
wachsen im nächsten Jahre nur kleine Aehren und solche, die man aovfg^ L&mmer,
Widder, nennt (d h. unfruchtbare, verkümmerte). Den schon von Grimm an-
geführten griechischen Pflanzennamen aiyUatip Schwindelhaber, alyCnvQoi; (bei
Theocrit mit kurzem t?, dennoch offenbar von nvQftc Weizen, nicht von nvQ) und
ßgoßiOi: Haber (welches sich mit ßftaißiog Bocksgeruch, ßgtoßtaSrfi:^ ßgofimötig^
bockig riechend, berührt, obgleich später die Grammatiker beide Wörter auf die
angegebene Art durch kurzen und langen Yocal unterscheiden wollten) lässt sich
noch xoloxuvt^« a/yoc (für Cucurbita ailvatica bei Dioscor. 4, 175) und nlptr Lolch,
i^atgova&tti sich in Lolch verwandeln (verglichen mit lat. aries, lit eris) hinza-
fngen. Aus all dem geht hervor, dass, wenn der Haber das Bockskraut genannt
wurde, er damit als das nichtige und leere, als das getreideähnliche Unkraut be-
zeichnet wurde; die Benennung setzt die Bekanntschaft mit der Komfrucht schon
voraus, und obgleich die Species erst im Norden zur Menschennahrung diente,
so muss sie mitsammt ihrem Namen doch von Süden, vielleicht über Thrakien,
gekommen sein.
Der Koggen, der die Nordgränze der beiden klassischen Länder nur streift,
galt bei den späteren Kömem, als sie ihn kennen gelernt hatten, für ein hässlich
schwarzes, unschmackhaftes und unverdauliches Korn. Noch jetzt ist er den
romanischen Nationen verhasst, und Goethe bemerkt mit Recht (Campagne in
Frankreich, 24. Sept. 1792): „Weiss und schwarz Brod ist eigentlich das Schibolet,
das Feldgeschrei zwischen Deutschen und Franzosen." Wo die Mädchen schwarz
sind, da ist das Brod weiss, und umgekehrt:
Soldatentrost.
Nein hier hat es keine Noth,
Schwarze Mädchen, weisses Brod.
Morgen in ein ander Städtchen,
Schwarzes Brod und weisse Mädchen. (Goethe.)
Unter frumentum, Getreide, versteht der Romane .vorzugsweise Weizen (fonnento,
frofnent), unter Korn der Norddeutsche vorzugsweise Roggen, wie der Schwede
Gerste. Indess in den Alpen, also in einer kalten Gegend, bauten die Tauriner,
ein ligurischer Yolkszweig, Roggen, den sie asia nannten (Plin. 18, 141); lateinisch
flnden wir zuerst bei PÜnius den Namen «eca/e, im ed. DiocL sicak (etwa so viel
alsSichelkom?), der jetzt durch die romanischen Sprachen, das Walachische mit
eingeschlossen, hindurchgeht und auch in keltische Sprachen, ins Albanesische
und Neugriechische vorgedrungen ist (alban. thekere, walach. secdre, neugr. a^xaXi),
mit auffallendem Zurückweichen des Accents auf die erste Silbe: itaL segola^ »egala,
franz. seigle u. s. w. Dies war der Name innerhalb der Grenzen des romischen
Kaiserreichs; bei den hyperboreischen Völkern, in der eigentlichen Roggengegend,
finden wir eine andere weitverbreitete Benennung: ahd. rocco, altn. rugr, ags.
ryge, preuss. rvgis, lit. ruggys (Plur. rvggei), russ. roz\ czech. resn. s. w., magyar.
ro8z; bei den Westfinnen dasselbe Wort mit dem alterthümlicheren ^, ky bei den
Ostfinnen, Tataren u. s. w. mit der slavischen Assibilation. Die letztere Erschei-
nung, wie andererseits die Uebereinstimmung zwischen Germanen, Litauern und
baltischen Finnen beruht auf Entlehnung und Wanderung des Wortes, welchem
Volke aber gehört es ursprünglich an? Benfey (Griech. Wurzellexicon, 2, 125)
meinte, Roggen sei Rothkom und vom Slavenland zu den Deutschen gekommen;
allein die Wörter, die roth, rosten u. s. w. bedeuten, haben im Slavischen ein
wurzelhaftes (/, aus welchem, nicht aus^, das mit dem Schein der Aehnlichkeit
täuschende z entstanden ist. Das vereinzelte cambrische rhygen^ rhyg Roggen mag,
wie die lautliche Uebereinstimmung lehrt, aus dem Angelsächsischen stammen,
das ebenso vereinzelte französisch - mundartliche riguet (in der Dauphin^, s.
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AnmerkoDgen. 455
de Bellognet, ethnog^e ganloise, 1, p. 148) durch die Yölkerwanderang dahin
versprengt worden sein. Eine andere bedeutsame Namensform aber überliefert
nns Galenus de alim. facult 1, 13 (YI. p. 514 Kühn) aus Makedonien und Thrakien.
Er fand dort eine Art Eom, •• '«in übelriechendes schwarzes Mehl gab, offenbar
Boggen, Ton den Eingeborenen angebaut und mit dem einheimischen Wort ßQ(Cn
bentuint. Das C der zweiten Silbe ist leicht als ein palatalesy zu erkennen, das
in dieser Verwandlung bei den Slaven wiederkehrt und bei den Skythen, einem
iranischen Stamme, wohl auch vorauszusetzen ist Ist nun das v vor dem r weiter
nach Norden verloren gegangen — eine häufige Erscheinung — und dürfen wir
zur Erklftrung des Wortes nach Wurzeln suchen, die mit vr anlauten? Oder ist
ßglCn eins mit dem griechischen oQvCn Reis, welches die Griechen durch persische
Yermittelung aus Indien (sanscr. vrlM) erhielten? Aber welchem Volke gehörte
dann die Verdunkelung des Vocals zu dem tiefem u und die Verwandlung des h
mg mit ganz germanischer Lautverschiebung an, da doch die Germanen nord-
westlich und westlich von Thrakern, Skythen und Slaven wohnten und also in
der Reihe der Empfänger die letzten waren? Oder sollen wir annehmen, dass sie
das Wort schon zu einer Zeit erhielten, wo bei jenen vermittelnden Völkern die
Assibilimng der Kehllaute noch nicht eingetreten war? — De Candolle, Geographie
botanique, p. 938 hält die Gegend zwischen den Alpen und dem schwarzen Meer,
also das Gebiet des heutigen österreichischen Kaiserstaates, für die Heimat des
Roggens, freilich aus Gründen, die nicht sehr schwer wiegen. Ueber die Herkunft
der Getreidearten überhaupt verweisen wir auf Humboldt, Ansichten der Natur,
3. Ausgabe, Stuttgart 1871, I, S. 206 fit.: mehr als dort enthalten ist, lässt sich über
diesen Gegenstand vorläufig nicht sagen.
Der alte Name für den primitiven Hakenpflug, der aus einem spitzen, ge-
krümmten Stück Holz bestand, ist litauisch szaka Ast, Zinke, Zacke, Ende am
Hirschgeweih, altslavisch socha^ Stück Holz, Pfahl, in den neueren Sprachen mit-
unter Gabel, Galgen, hauptsächlich aber Haken. Da nun das slavische «, litauische
^ zuweilen aus ursprüngUchem A:, deutschem ä, entsteht, so wird es erlaubt sein,
das gothische hoha Pflug, ahd. kuohili, mit dem lit. szaka und slavischen socka
gleichzusetzen. Hoha selbst aber gehört sichtlich zu dem Verbum hahan mit
der nasalirten Nebenform hangan (das lange o aus unterdrücktem »?), auf welches
Verbum eine Menge Ausdrücke für die Begriffe gekrümmt, eckig, Bug an
Knochen und Gliedern, hinkend u. s. w. zurückgehen (z. B. Haken, Hacke = Ferse,
Henge, Henkel, ahd. hahhila = Kesselhaken, griechisch xoxtavn^ xoxxv^ = ossacrum;
mit 8 weitergebildet: die Hachse = Kniebug, lateinisch coxa = Winkel der Feld-
grenze, altirisch cos, cambr. coes = femur, mit unterdrücktem Guttural u. s. w.).
Damit stimmen auch westfinnische Wörter, zwar sämmtlich aus dem Germanischen
entlehnt, aber einige darunter — ein auch sonst zu beobachtendes Faktum —
vor der Lautverschiebung; estnisch konka der Haken, kook Haken an der Egge,
am Brunnen und an dem der Kessel hängt, buchstäblich = goth. hoha u. s. w.
Dass auch das griechische yvr\<: zu allererst weiter nichts als ein gekrümmtes
Stück Holz, einen winkeligen Sjiochen bedeutete, lehren die verwandten Wörter
ta yvTtt die Knie, später Glieder überhaupt, ywoc, verkrümmt, yvt6(o lähmen,
yvttlov Krümmung, "Afjuptyvr^dg der auf beiden Füssen hinkende oder verkrümmte
Hephaistos (nicht richtig gedeutet bei Welcker, Gr. GötterL, 1, 633) u. s. w. üoha
war also ursprünglich ein gekrümmtes Hirschgeweih, ein hakiger Ast oder Knochen,
mit dem die Erde aufgeritzt wurde. Das in keltischen Sprachen sich findende
««Ä, Boch (vomer), ahd. «eA, sech, franz. «oc kann demnach mit dem slavischen
socha nicht verwandt sein.
Zu dem slavisch-deutschen Kulturkreise gehören auch goth. hlaifs das Brod
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456 Anmerkungen.
und guaimus die Mühle, der Mühlstein. Hlaifs, hUUbs (in allen deutschen Mund-
arten), litauisch klepas^ lettisch klaips, slavisch chl^bü (in allen slaTischen Sprachen),
ist dasselbe mit latein. libum („unzweifelhaft^ statt cliöum, Corssen Kritische Nach-
träge zur lateinischen Formenlehre S. 36) und pilUh. xllßavov^ xQlßavov, Dass
das Wort und also die Kunst des Brotbackens, die überall eine sp&te ist, tod
den Deutschen zu den Slaven gekommen ist, beweist der in germuiischer Weise
verschobene Anlaut; die Litauer, denen die Kehlaspirata fehlt, setzten, wie in
ähnlichen Fällen, die entsprechende Tennis dafür. Die Urbedeutung war die eines
im Ofen in rundlicher Form aus Teig gebackenen Brotkuchens, im Gegensatz sn
dem älteren durch Kochen gebildeten Brei oder der Grütze. In Griechenland
war das Wort sehr alt, denn schon Alkman brauchte xgißavtoxog^ xgißdyri, xgCßaror
für nlaxovQ (Fragm. 62 Bergk. mit den dazu angeführten Worten des Athenäos),
mag aber auch dahin aus Kleinasien eingewandert sein (Alkman war selbst in
Sardes geboren). Von Griechenland oder Italien pflanzte es sich durch Ver-
mittelung der dazwischenliegenden Völker zu den Deutschen fort, die es weiter
den Litauern und Slaven übergaben. W»im halten wir für entlehnt aus d^n
Griechischen, wie puls (jioXtog^ schon bei Alkman), mana (uaCa)^ placenta (nla-
xovyta) u. s. w. Dass man später sagte, ein Laib Brot, altn. ost-hleifr ein Brot
Käse, war der häufige Begriffs-Uebergang, wie im Italienischen und Französischen
pane dt zucchero, pain de sucre^ in Salinen ein Brot Salz u. s. w. Wie Üaifs nach
dem Ofen, war das weitgewanderte ital. focaccia^ das schon Isidor kennt und
welches alt- und mittelhochdeutsch, serbisch, bulgarisch, russisch, magyarisch,
walachisch, türkisch, neugriechisch wiederkehrt, nach dem focus benannt, d. h.
ein in der heissen Asche des Heerdes gar gebackener Brotkuchen (s. Diez, Wörterb.
s. V., und Miklosich, Fremdwörter S. 118). In dem deutschen Brot liegt, wie
wir glauben, der Begriff des gesäuerten Brotes, des ngroi ^vfilirn^ wie es bei dem
Gastmahl, das der thrakische König Seuthes dem Xenophon gab (Anab. 7, 3),
mit dem Fleische zusammengeheftet, den Gästen vorgesetzt wurde. — Quaimu$
die Handmühle (in allen deutschen Sprachen), lit. gima der Mühlstein, Plur. ffimo$
die Mühle, slav. zrünHvü (in allen slavischen Sprachen), auch altirisch broon^ bröo,
brö (wo b für ^), ist von der kreisrunden Bewegung benannt, wenn man die
griechischen Wörter vergleicht: yvgot krumm, gebogen (Odjss. 19, 246), yvgog
der Kreis, yvgsvto im Kreise sich bewegen, yvgios rund, yvgic feines Weizenmehl,
rugal niigm (runde Meeresfelsen, wie Mühlsteine). Das lange v hinter dem y
reflectirt sich in dem deutschen qa; mit Kom, Kern, slav. zrtmo^ lit. zimis kann,
wie der Anlaut des slavischen und litauischen Woi-tes und der kurze Vocal der
ersten Silbe lehrt, gvairnus und gr. yvgis nichts zu thun haben. Jene ursprüng-
liche Handmühle zu drehen, war, wie die Führung des Hakens, die schwere Arbeit
der Sclaven, an denen es den rohen kriegsgierigen Hirtenvölkern nie gefehlt haben
kann: wie für Mühle und Hakenpflug, giebt es auch für diesen Frohndienst ein
gemeinsames deutsch-slavisches Wort: goth. arbaU/is, slav. rabota, welches, wenn
es auch mit dem lateinischen labos verwandt ist, doch bei Slaven und Deutschen
dasselbe ableitende Suffix zeigt, ja dessen Stammwort vielleicht noch in d«
Sprache der Erstem erhalten ist: rab, rob^ der Knecht Knechte und Mägde,
indem sie sitzend den oberen Stein der Mühle drehten, sangen dazu MahUieder:
die uralte Sitte, bei jeder Arbeit, die dies erlaubt, zu singen, herrscL*v bis auf
den heutigen Tag bei Russen, Beduinen u. s. w. Die jetzigen Benennungen Mühle,
Müller, sind im Deutschen, wie in den übrigen europäischen Sprachen, nicht von
dem einheimischen Verbum malan u s. w. abgeleitet, sondern aus dem Lateinischen
erborgt und verbreiteten sich mit den Wassermühlen und überhaupt den ver-
besserten mechanischen Einrichtungen zur Zerreibung und Reinigung des Ge-
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Anmerkungen. 457
treides Yon Italien über £uropa. Das Mehl, wie es die Handmahle der ältesten
Zeit lieferte, war unrein und mit Erde gemischt und knisterte zwischen den
Zähnen; so findet es der Europ&er noch jetzt bei entfernten Barbaren in ab-
gelegenen Gegenden.
Der eigentliche Pflug — mehrfach gegliedert, mit eiserner Schar, in noch
weiterer Entwickelnng mit Bädern — ward erst ein Bedürfoiss, als im Laufe der
Jahrhonderte der Boden freier von Wnrzehi und Steinen ward und der Ackerbau
seinen nomadischen, accessorischen Charakter verlor. Aus dieser Zeit, wo die
nordöstiichen Völker aus ihren Wäldern und von ihren Weideplätzen nach Süd-
westen theüs vorgedrungen waren, theils von dorther Bildungselemente aller Art
empfingen, stammt der germanisch-slavische Ausdruck Pflug, slav. plugü. Die
Geschichte dieses Wortes lässt sich ziemlich übersehen. Bei Plinius 18, 172 findet
sich die Nachricht: id non pridem inventum in Raetia Qalliae, ut duas adderent
tali rotulas, quod genui vocatU plaumorati. Unter den Bewohnern des zu Gallien
gehörenden Rhätiens werden wir subalpine Ackerbauer ursprünglich keltischen
Stammes verstehen, in der gegebenen Benennung aber, obgleich die Lesart nicht
sicher und die Wortform dunkel ist, die älteste Erwähnung des späteren Pfluges
finden dürfen. Die Angelsachsen, die im 6. Jahrhundert nach Britannien über-
setzten, hatten das Wort noch nicht, welches erst im 11. Jahrhundert auf ihrer
Insel sich einstellt. Aber in der Mitte des 7. Jahrh. steht bereits im longo-
bardischen (xesetz, ed. Roth. 288 (293) : de plovum. Si quis plovum (plobum) aut
arainan u. s. w. Aus Deutschland kam das Wort dann zu den Slaven, als auch
diese — wie immer hinter und nach den Germanen — den hohem Formen des
Ackerbaues sich zuwandten. In jetziger Zeit finden wir bei den Kleinrussen den
Pflng, bei den Grossrussen noch den Haken im Gebrauch. Wie zähe aber Natur-
völker sind, deren Sittlichkeit in Üeberlieferung, deren ganzes Denken in reli-
giösem Aberglauben besteht, und wie schwer es hält, sie auch nur um eine Kultur-
stufe aufwärts zu heben, lehrt z. B. folgende Nachricht bei Herberstein, Rerum
moscoviticarum commentarii, de Lithuania: „die Litauer bearbeiten ihr Land, ob-
gleich dies nicht sandig ist, sondern ein fettes Erdreich hat, nur mit hölzernen,
nicht mit eisernen Pflügen. Wenn sie zum Ackern aufs Feld gehen, pflegen sie
mehrere Pflughölzer mitzunehmen, damit wenn das eine zerbricht, das andere
gleich zur Hand sei (denselben Rath giebt der alte Hesiodus: *f x ^^fQo*" y
a^atg^ hfgov x (nl ßoval ßaioio). Einer von den über die Provinz gesetzten
Statthaltern wollte ihnen eine bessere Methode beibringen und Hess eine grosse
Menge eiserner Pflüge kommen. Da aber in den nächsten Jahren die Erllte nicht
einschlug, schrieben sie dies den eisernen Werkzeugen zu, ein Aufruhr stand zu
befürchten und der Statthalter sah sich genöthigt, seine Pflüge zurückzuziehen
und die alte rohe Art der Feldbestellung wieder zu gestatten.**
In der Sprache der Griechen und Römer herrscht in den Getreidenamen
grosse gegenseitige Verschiedenheit Man vergleiche otro?, nvQOi, C«'«, f^V'V^
olvga^ äl(f'ir(t^ akiCata^ X^^QOy x^vÖgog^ xgCfivo^'^ niiuga, xäxQVS U. S. w. mit tri-
tieum, ador (Adj. adoreus für adoseus), far (Gen. farri^ für faresü^ farina für
farrina, f(xrrago\ panicitm, siligo, polten, alica, acus (Gen. aceris für acesis), paUa,
fwfwr u. s. w. Eben so in den Werkzeugen und Verrichtungen, z. B. die Theile
des Pfluges: laioßoivg^ ^X^'^V^ 7"^V^y vyyi^^ ^Ivfia verglichen mit temo, stiva, bura,
vomer; oder iix^oV, Xtx^rjnjg^ nivov Worfschaufel (beide homerisch), Uxvoy Ge-
treideschwinge ^ymn. in Merc. 21. 63 in der Bedeutung Wiege), dKm (homerisch),
oA/uof Mörser zum Zerstampfen der Körner, iimgoq Stössel (beide Hesiod. Op. et
1423: ...
olfAOV fiky rginodriy ra^yar, vmgoy 6i rginrixvy)
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458 Anmerkungen.
und dagegen vannuSf eoailere, area, pila^ pilutn u. s. w. Die lateinischen Aosdraeke
aarire oder scurrire, runcare, strigare^ lira, parca, elix^ colliciaej metere^ me^is.
ralium, rasirwiif ligOy occa, irpex, crates u. s. w. fehlen im Griechischen entweder
ganz oder in dieser speciellen Form und Bedeutung. Lateinisch sarpere, sarmaUttm
stimmt zum griechischen oQTirj (auch zum slavischen sriipu), deutet aher auf ein
Werkzeug, das über die Ackerbauzeit hinaus liegen kann; wie sich aifilSaU^ und
simila^ similago zu einander verhalten, ist dunkel; ntCaatiy mag gleich pinsere
sein, beweist aber weni^; dass a(>roc und pani» (in älterer Form pane) nicht über-
einstimmen, ist bei einer so sp&ten Erfindung nicht zu verwundern. Aus dem
Ackermass die ursprüngliche Identit&t gräcoitalischer Bodenkultur deducireii zu
wollen, scheint uns vergeblich. Zwar wird angegeben, der vorsus der Osker und
ümbrer, von 100 Fuss im Quadrat, entspreche dem griechischen Plethron (Mommsen,
die unterital. Dialekte S. 260 f.), aUein das griechische Plethron war, wie der Fuss
und das Stadion, babylonischer Herkunft, und die ursprüngliche Länge des oscisch-
umbrischen vorsus kennen wir nicht Soll sie mit der des griechischen Plethron
identisch gewesen sein, so kann dies Mass nur von den Griechen oder aus der-
selben orientalischen Quelle stammen. Soll die Uebereinstimmung aber nur in
der gleichen Eintheilung in hundert Fuss bestehen, so ist klar, dass dieselbe bei
Völkern, in deren Sprachen das Decimalsjstem herrscht, gar nichts sagen wilL
Auch das gallische candetum yfBX^ wie schon der Name lehrt, nach der Zahl hundert
gemessen. Viel bedeutsamer ist die Differenz der römischen Bodeneintheüimg
von der griechischen. Der römische actm beträgt 120 Fuss, die acnua 120 Fuss
im Quadrat (Yarro de r. r. 1, 10, 2), eine Messung nach dem Duodecimalsjstem,
die eben so etruskisch und vielleicht auch iberisch war. Auch auf den Tafeln
von Heraklea am Siris enthält das dort gebräuchliche Landmass, der a/or^oc,
30 ÖQ^yfiata zu 4 Fuss, also 120 Fuss (Corp. Inscr. IIE n» 5774. 5775).
18. S.55.
Wenn fxtXtvr,, miliuin Honigfrucht ausdrückte (Plin. 22, 131: Panicum DhcUs
medicus mel frugum appdlavU) , so wäre damit gesagt: süsse Frucht der Aehren,
milde Pflanzennahrung überhaupt im Gegensatz zur blutigen Fleischnahrung des
Nomaden. Man erinnere sich der homerischen Ausdrücke: altov tt ykvxiQolo^
adoio f4tlt^QOVogy fjtfXirjd^a oder u(Xt(fgoya nvifOVj Ifatoto uiliffi^a xagnor,
rowyfiy ayotonriy ufXirj(f/r. Dann aber müsste das lit. malnos ein Lehnwort sein,
da diese Sprache nicht zu dem Kreise derjenigen gehört, die den Honig mit den
Formen* auf / bezeichnen. Hirse — wir unterscheiden im Folgenden milium nicht
von panicum oder xfyxQoc von fXvfioq — ist die Speise der iberischen Völker im
äussersten Westen und der Kelten. In Aquitanien — dem von Iberern bewohnten
Lande zwischen Pyrenäen und Garonne — wächst, wie Strabo 4, 2, 1 versichert^
fast nur Hirse. Plin. 18, 101 : Pamco et QalUae quidem, praecipue Aquitania tUUur,
Sed et Circumpadana Italia addita faba sine qua nihil conficiunt. Pytheas (bei
Strab. 4, 5, 5) fand, dass die Völker der von ihm besuchten (keltischen) Küste sich
von Hirse, von anderen Gemüsen (kn^aydic, Bohnen?) und Wurzeln (Rüben?)
nährten. Als Cäsar Massilia belagerte, fristeten die Einwohner ihr Leben mit
altem Hirse und verdorbener Gerste, die seit lange in den Stadtmagazinen auf-
bewahrt waren, de hello civ. 2, 22: panico enim vetere atque ordeo corrupto onmes
alebaniaVy quod ad hujusmodi casus antiquitus pnratum in publicum contulerant. Von
dem gallischen Italien berichtet Poljbius, der es mit eigenen Augen gesehen
hatte, dass dort ein überschwenglicher Reichthum an beiden Arten Hirse sei,
2, 15, 2: *EXvfiov yt uriy xai xiyxpov rtX^toi vnfgßaXXovaa SaiplXan ytyytia*
nan avrotc, eben SO Strabo, es sei als wohl bewässert reich an Hirse und könne.
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Anmerkungen. 459
da diese Emclit nie versage, auch nie Hanger leiden, 5, 1, 12: fait di xal xeyxQo-
(fo^t S^atptQorttDi dta rrly (vtSgiay' lovto dk h/dov fiiytatoy tajiy axoi' ngog
anarras yag xaiQOvg aiQmv ayr^/fi xa\ ovd4noi ^ntltCntiy ivvatfd ^ xay toT
ttllov oftov Y^ytiittt andyic, und noch ganz spÄt, in den letzten Zeiten des
gothischen Reichs in It^klien, ergeht bei einer Hongersnoth der Befehl, aus den
Magazinen von Ticinom und Dertona Panicom für einen geringen Preis unter das
Toli auszutheilen (Cassiod. Var. 12, 27). Weiter im Osten säten die Alazonen,
ein sijtliisches Volk am Hypanis, Weizen, Zwiebeln, Knoblauch, Bohnen und
Hirse (Herod. 4, 17). In Thrakien marschirten die mit Xenophon zurückgekehrten
Zehntaasend l&ngs dem Pontus nach Salmjdessus durch das Gebiet der Hirse-
esser, JVIdivotpayoi y und enthielten zu Deraosthenes Zeit die unterirdischen
Granarien EEirse und olvoa (Demosth. de Chersoneso p. 100 ex. PhiL 4, 16).
PHn. 18, 100 erklärt Hirsebrei für die Hauptnahrung der Sarmaten: Sarmatarum
quoque gentes hac maxtune pulte aiuntur, und Panicum für die Lieblingsspeise der
pontischen Völker, 101: Fonticae gentes nulium panico praeferunt cibuin. Die
Mäoten und Sarmaten nähren sich von Hirse, wie die Athener von Feigen und
Andere von Anderem, AeL V. H. 3, 39; ßakdyovg *AQxaitiy *Agyttot d* ditCovij
A^i\yuioi 41 avxa^ Ttg^y&toi <fi a^Qu^as dflnyov il/oy^ ^ly6o\ xaldfiov;, Kag/uayol
ipofyixagy x^y^poy J^ Maiaiitti xrtl iavpounrni^ i/outyO^ny tf^ xal xnQ-
dttßioy JT^paat, In Pannonien war nach Cassius Dio 49, 36, der selbst dort ge-
wesen war, Hirse und Gerste die Volksnahrung, und Priscus wurde auf der Ge-
sandtschaftsreise zu Attila ausschliesslich mit dieser Frucht bewirthet (Müller,
Fragm. 4. p. 83). Die Japoden, ein keltisch -illyrisches Mischvolk auf dem Ge-
birge der illjrischen Küste, leben von Spelt und Hirse, Strab. 7, 5, 4: ^h^ xal
*fyX9V '« noXld rgnfoiufyor. Bei den klassischen Völkern trat der Hirse, wenn
sie ihn etwa vor der Trennimg in Pannonien und Illjrrien gekannt hatten, vor
andern Cerealien in den Hintergrund; nur die Lacedämonier, conservativ in Allem,
werden als Hirsebrei-Esser genannt (.Hesych. Hvuog' an^pjua o hfjovrfg ol Adx(oyf<:
ia&iovait), Germanen, Litauer und Slaven wohnten schon zu nördlich, als dass
ursprünglicher Hirsebau bei ihnen vorauszusetzen wäre. Auch benennen sie die
Frucht ganz verschieden, ahd. hir8t\ slav. proso, lit. soros plur. von sora Hirse-
korn. Als die Slaven in die Donaugegend rückten, wurde auch bei ihnen der
Hirse ein beliebtes Korn, was er bei den Germanen nie gewesen ist; im heutigen
Oberitalien ist er durch den Reis und den Mais aus seinen alten Rechten ver-
drängt worden. Dass die Bohne (lat. faba^ slav. bobü^ preuss. babo, lit. pupa,
altirisch seib, wo s für f , kambrisch /a für/oA; über das deutsche Bohne s.
Grimm im Wörterbuch) sich zum Hirse gesellt, geht aus den eben angeführten
Stellen hervor; in Betreff der Rübe (gr. ^anvr, lat. rdpa, räpum, altn. rofa, slav.
repa, lit. rope) fügen wir noch die Nachricht des Plinius 18, 127 hinzu: A vino
atque m€s$e tertius hie (die Rübe) TroMpadanU fructtts. Das hohe Alter der
Bohne, und zwar der Ackerbohne, Vicia Faba L^ die unter dem Namen xvttuos
(welches sich zu der Nebenform rrvayoc^ nva^ioc verhält, wie das altlateinische,
sabinische und faliskische haba zu faba^ Monmisen, ünterit. Dial. S. 358 f.) schon
in der Dias (13, 589) erwähnt wird, liesse sich noch aus manchen Anzeichen,
z. B. der Rolle, die sie in den Sacralalterthümem spielt, wahrscheinlich machen
(Pfund, de antiquissima apud Italos fabae cultura ac religione, Berol. 1845) ; dass
sie aber dennoch jünger ist, als die genügsame, in der Asche verbrannter Waldung
besonders gedeihende Rübe, scheint aus der Sprache der Westfinnen hervor-
zugehen, in der die Bohne (finnisch papu, estnisch ubbä), wie fast alle Kultur-
objecte, indoeuropäisch benannt ist, die Rübe aber ihren eigenen Ausdruck hat
<finn. naurü, estn. naris, nairis, weps. und karelisch nagrü).
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460 AnmerkungeiL
19. &&8.
Die Töpferscheibe sollte Yom Skythen Anacharsis, nach Theophrast tob
dem Korinthier Hyperbios erfunden worden sein (Schol. zu Pind. OL 13, 27); da
nnn Eorinth ein Hanptsitz phönizischer Enltur war, so könnte in dem Letzteren
ein Wink über die Herkunft dieser Kunst bei den Griechen liegen: aber die An-
gabe hat, wie fast Alles in den Schriften negl evQtifitiTtjy , geringen historischen
Werth. Der Tyrann Kritias preist den xiQttfiog, den Sohn der Scheibe, der Erde
und des Ofens, als Erfindung seiner Vaterstadt Athen, Fragro. 1, 12 Bergk. :
Toy cf^ jgoxov yaifjg re xa/niyov i t^xyovov iVQtv^
xXuvotarov xigafiov^ XQ'i^'f*^^ oixorofiov^
i; TÖ xalby Afaga&divi xaraariiaaaa Tgonaioy,
Auch gab es einen attischen Demos KtgaßiiTf^ dessen Angehörige dem Heros
Keramos Opfer brachten. Da ein im Töpferofen gebranntes und ein ungebranntes,
ein aus freier Hand gearbeitetes und ein gedrehtes ThongefSss sich auf den ersten
Blick imterscheiden, so müssen wir uns über diesen Punkt auf die Forschung der
^ufgrabungsarchftologen beziehen.
Für das Weben scheint es alte Sprachzeugnisse zu geben, die auf eine Aus-
übung dieser Kunst vor der Völkertrennung und den Wanderzügen deute« würden:
griech. uipa^yw, deutsch weben, lat. texer e^ slav. tukntixk, s. w. Wüssten wir nur
gewiss, dass diese Wörter in der Urzeit nicht auf das kunstreiche Stricken,
Flechten und Nähen, sondern auf das Drehen des Fadens an der Spindel und anf
das eigentliche Weben am Webstuhl gingen! Beim Flechten von Matten aus
Lindenbast mit Lang- und Querstreifen, einer beinernen Nadel, an di« das Bani
befestigt war, oder einem Röhrknochen, durch den es Hef u. s. w., konnten sieh
Ausdrücke ergeben, die auf das spätere Aufzug, Einschlag u. s. w. leicht Anwen-
dung fanden. Noch heut zu Tage wird bei conservativen Völkchen in abgelegenen
Winkeln Europas das Weben in Weise dieses lu^prünglichen Strickens oder
Flechtens betrieben. So fand es C. J. Graba im Jahre 1828 bei den Bewohnern
der Faröer und neuerdings Franz Maurer bei den Bosniaken, Reise durch Bosnien,
S. 266: „Man webt ohne Schiffchen aus freier Hand, ind^m der Einschlagsfaden
mittelst einer langen hölzernen Nadel (nach Art der Netzstricknadeln) durch die
paraUel aufgespannten Haltefäden (das sog. Geschirr) lundurchgeführt und dann
mit einem durchgezogenen Stocke festgedrückt wird." Wer dem ürvolke die
Kenntniss der Weberei zuschreibt, sollte nicht vergessen, dass diese Kunstfertigkeit
von sehr rohen Anfängen durch viele Stufen bis zur Vollendung in historischer
Zeit sich entwickelt hat Wie leicht schiebt sich der Phantasie des Sprach-
vergleichers ein jetziger Webstuhl, ein hindurchfliegendes Schiffchen u. s. w. unter!
Im üebrigen sind im Griechischen und Lateinischen die Wörter, mit denen Spindel
und Webstuhl und die Verrichtungen damit bezeichnet werden, sehr imgleich.
Auf der einen Seite: utQaxxoq^ ijkaxarri^ xXfo&ai^ tjrgioy^ xaytuy, fiCros (Hom.
IL 23, 760:
tog or€ lii tt yvyaixog ivCtoyoio
atri^eoi iart xayatyy oyr fv ftaXa /f^oi rayvaatjiy
Ttriyioy f^fXxovaa nagix jnfroVy ayxo&t cT fo^tt
arrif>(o<:\
xtQxd^ xgixuy (bei Sappho Fr. 90 Brgk.: xgixriy loy Yaioy), xgoxriy Accusatir
xgoxn (Hes. Op. et d. 538:
otTjfjioyi cf* iy TKtvgtp nollriy xgoxa iLtrigvaaa&tti) ,
fffroff, arriuioy (lat. stamen vermuthlich dorisches Lehnwort), and&ti (lat »paAa
ein spätes Lehnwort) dytCoy (bei Aristophanes), äyyv&fq (Ge¥richt8teine) ; auf der
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Anmerkungen. 461
Andern: colus, fusus, fihtm, giomtu, jugum, radius, tela^ trama^ licium u. s. w. Die
slAvische Webersprache hat manches Bemerkenswerthe : kroBno Webstuhl, Gewebe
(gleich dem griechischen xoixftr^ xgoxri, mit der slavischen Verwandlung des k
in«), qiiikü Einschlag (= albanes. indi und griech. äyrioy, wie das vorige ver-
mnthlich entlehnt), mVi Faden (gehört zu v^cu, vif^cu u. s. w.), navot liciatorium,
pr^* nere, pr^deno tela, yr^lica fusus, pr^divo filum, vrcUilo, vreteno (ganz wie
lat verUcillus)^ brüdo^ russ. berdo, südslav. brdo pecten textorius, licium u. s. w.
Dass diese Ausdriicke nicht sehr alt sein können, beweist ihre Abwesenheit im
Litauischen, welches selbständige Benennungen hat: xtdis das Gewebe, attsti weben,
üzeiwa das Weberschiffchen, ^^'a Weberfaden, Masche (rtytis bedeutet den Schaft
am Webstuhl), stdkUs der Webstuhl (ein Plurale t., slav. slanu), werpU spinnen,
warpste, Spule, Spindel, drobe die Leinwand u. s. w. Das altslav. kqdeli ist viel-
leicht nur eine Entstellung des deutschen Kunkel, welches selbst wieder auf das
lateinische colia zurückgeht Man sieht an Allem, dass wir uns hier auf einem
jüngeren Boden befinden.
20. 8.58.
Dass Griechen und Lateiner und respective Litauer und Slaven das Gold
unter sich abweichend benennen, ist ein zwingender Beweis für die späte Er-
scheinung dieses Metalles in Europa. Das lateinische ourttm Gold, aurora Morgen-
rothe u. s. w. lautete ursprünglich aitsum, ausom; der etruskische Sonnengott üsil
lässt vermuthen, dass auch die Etrusker das Gold ähnlich, wie die Latiner, be-
nannten; denselben Namen finden wir am entgegengesetzten Ende Europas,
prenssisch ausi8, litauisch auksas (mit der im Litauischen häufigen Verstärkung
durch k vor «) ; wie anders gelangte der italische Name an das hochnordische
Meer, als auf dem Wege des Bemsteinhandels, der auf der heiligen Strasse der
Etrusker, von den HeUaden und dem Eridanus im innem Winkel des adriatischen
Busens zu den Haffen und Nehrungen Preussens ging? Die Letten brauchen statt
dessen das slavische Wort selU; sie wohnten also schon damals abseits, wo sich
kein Bernstein mehr fand und wohin die italischen Einflüsse nicht reichten. Später
als die Preussen haben die Kelten das Gold von Italien her empfangen, nämlich
zu einer Zeit, wo im Wort aurum das 8 schon in r übergegangen war; altirisch ör,
in den jüngeren Dialecten owr, «r, owr^ — so grosse Freude dieser Volksstamm
auch später an dem glänzenden Goldschmucke hatte. Slaven und Germanen
haben ein gemeinsames Wort: goth. guUh, slav. tiato, welches später Herkunft
ist, da es den Litauern fehlt, und nicht nach Italien, sondern nach Südosten in
die iranische Welt weist. Das griechische xqvoo^, das sich diesen Formen aller-
dings anreihen lässt, wurde von Pott schon vor länger als einem Menschenalter
für entlehnt aus dem Phönizischen erklärt und auch Renan ist dieser Ansicht, zu
Max Müllers Mythologie compar^e p. 36: y,xQyo6(; me parait le semitique kharous,
qui aurait passe en Qrece par le commerce des Pheniciens, comme le moi uHnlXov,^
In der That haben neuere Inschriftenfunde gelehrt, dass das im Hebräischen nur
poetische charus bei den Phöniziern der gewöhnliche Ausdruck für Gold war. Das
Gold bahnte sich erst allmähüg den Weg in die Wildnisse Europas und des
turanischen Asiens, worauf dann die erwachte Gier darauf führte, auch den
heimischen Boden nach dem verborgenen Schatze umzuwühlen und auszuwaschen.
Die westlichen Finnen benennen das Gold mit dem deutschen Worte; die
Wolga- und Uralstämme, darunter auch die Magyaren, brauchen lauter iranische
(massagetische, Herod. 1, 215) Namen, so jung und trügerisch ist die Sage von
dem Sitze des Goldes in jenem hohen Nordosten. —
Auch bei dem Silber scheiden sich die europäischen Völker nach Gruppen:
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462 Anmerkungen.
Germanen, Litauer und Slaven haben einen Ausdruck dafür, Griechen und Römer
einen andern, welcher letztere ganz wie ein Kachhall aus Asien klingt, während
jener erstere (goth. siiubr, slav. srebro, preuss. siraplis) lebhaft an das homerische
'Akvßri am Pontus (für '-rfAi5/?i; und dies Vai £akvßt]?)^ Z&ty agyvgov iarl yiy^dk^^
erinnert. Auch die semitischen Sprachen gehen in Benennung des Silbers weit
auseinander; seltsam ist es, dass die Syrer und dann die Perser ihre alten Namen
desselben ganz oder theilweise aufgaben und dafür das griechische aariuoi (un-
gemünzt) in der Form sem, sm annahmen.
21. S.68.
Da die Eenntniss des Metalles in den Combinationen über die sogenannten
Pfahlbauten einen hauptsächlichen Eintheilungsgrund abzugeben pflegt, so be-
nutzen wir den gegebenen Anlass, um dieser Reste alten Menschendaseins, auf
die wir noch hin und wieder werden zurückkommen müssen, in einigen Worten
2U gedenken. Da ist nun zuvörderst zu sagen, dass es nicht gut thut, die Ur-
geschichte der europäischen Menschheit nach isolirten Gesichtspimkten ergründe
zu wollen: haltlose Phantasien sind die Folge. Aber die Gräberforscher mit ihren
drei Zeitaltem wussten oft wenig von alter Ethnographie und überlieferter Ge-
schichte; den reinen Ethnologen mit ihren Menschenracen fehlte das Licht der
comparativen Sprachforschung; Sprachvergleicher haben nicht immer die That-
sachen und Möglichkeiten der Kulturgeschichte in Rechnung gezogen; theolo-
gisirende Urhistoriker gaben sich nicht die Mühe oder konnten sich nicht ent-
schliessen, das Gewicht der Urkunden, auf deren Text sie sich bezogen, vorher
historisch- kritisch festzustellen. Was nun die Wohnungen auf Pfählen in Seen
und Sümpfen betrifft, so ist es nicht wahr, dass die Geschichte gänzlich über sie
schweigt. Hippokrates de a6re, locis etc. 22. p. 268 Ermerins berichtet von den
Kolchiem, sie hätten ihre Wohnungen von Holz und Rohr mitten in den Wassern
errichtet: t« ts oixriß.ittttt ^vltyn xal xaXa^tva 4y rotat vJaai fxiurixayrjftira.
Diese Kolchier sind das von Andern Moavvoixoi genannte Volk, das eben nach
seinen hölzernen Thürmen (uooi/yo/, /noavyfg, auch mit doppeltem o) so geheissen
war. Freilich, welcher Völkerfamilie die Kolchier angehörten, ist ungewiss. Dass
aber auch indoeuropäischen Stämmen diese Bauart nicht fremd war, lehrt der
merkwürdige Bericht des Herodot 5, 16 über das Volk der Päoner in Thrakien,
eine Stelle, die der Welt mehr als zweitausend Jahr vorlag, ehe bei Meilen im
Zürchersee zum allgemeinen ungeheuren Staunen alte Pfähle nebst einer „Kultur-
Schicht" entdeckt wurden. Die Päoner, erzählt der Vater der Geschichte, wohnen
auf Pfählen im See Prasias; wer eine Frau nimmt — und sie verheirathen sich
mit mehr als einer — , hat drei Pfähle einzurammen, zu denen ein naher Berg-
wald das Material liefert; die Pfähle tragen ein Verdeck; auf diesem hat Jeder
seine Hütte (xalvßrj\ Fallthüren öffnen sich gegen den See, eine schmale Brücke
führt zum Lande; die kleinen Kinder werden am Fusse angebunden, um nicht ins
Wasser zu fallen; Pferde und Hausthiere werden mit Fischen gefüttert, denn der
See ist so fischreich, dass man durch die Fallthür nur einen Eimer herabzulassen
braucht, um ihn mit Fischen gefüllt vrieder heraufzuziehen (offenbar wegen der
reichlichen Nahrung, die die Abfälle gewährten). Da die Thraker auch sonst io
ihren Sitten sich vielfach zum Norden stellen, warum sollten nicht um dieselbe
Zeit auch die Seen im innem Europa auf ähnliche Weise bewohnt worden sein?
um so mehr, da zu einer Zeit, wo Europa fast nur ein grosser Wald war, Flüsse
und Seen natürliche Wege und Haltepunkte abgaben, solche Wasserbauten mit
leicht abgebrochenem Zugang aber den damaligen Menschen dieselbe Sicherheit
gewährten, wie den heutigen etwa die Festungen Mantua und Comom. Gewiss
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Anmerkangeu. 463
waren die sehr alten StAdte Spina und Atria im Mündungslande des Po, so wie
die Wohnstatten der Veneter, die mitten in Sümpfen und Wassern sich erhoben
(Strab. 5, 1,5: raiv ^i noiftjy al ftlv yrjaiCovaiy nl 6' ix fi^()ovg xkvCoytai), in
ähnlicher Weise auf Pfählen erbaut. Ein Bild davon giebt uns Eavenna in völlig
heller historischer Zeit. Ravenna war ganz von Holz gebaut und von Wasser
durchströmt, und der Verkehr in der Stadt geschah durch Brückenübergänge und
Gondeln (Strab. 1. 1. 6: ^vXonayii^ oXri xal StaggvTOi^ yicpvgatg xn\ nogi^fidoig
odivofiiyri); alle Gebäude aber ruhten auf Pfahlwerk (Vitruv. 2, 9, 11: est autem
maxime id considerare Ravennae, qtiod ibi omnia opera et publica et privata sub
fundamentis ejus generis habent palos — nämlich von Erlenholz, welches unter der
Erde von unvergänglicher Dauer war: die Gebäude selbst bestanden aus Lärchen-
holz, das den Po hinabkam und dem Feuer Widerstand leisten sollte). Wie Ravenna
war auch Altinum nichts als ein veredeltes Pfahldorf, und dieselbe Kunst und
Sitt« ist es, die später in den Lagunen an der Brentamündung erst kleine An-
siedelungen, dann das prächtige Venedig entstehen Hess. Cäsar fand das Ufer
der Themse mit spitzen Pfählen verwahrt und Pfähle eben der Art im Flusse
steckend und von Wasser bedeckt (de b. g. 12, 18: ejusdemqite generis sub aqua
d^xae Budes flumine tegebantur). Dass nun unter den Besten dieser den ver-
schiedensten Punkten des indoeuropäischen Gebietes angehörenden Bauten sich
auch solche finden, die nur steinerne Werkzeuge enthalten, ist nicht zu ver-
wundern. Die einwandernden Hirten kannten das Metall (in Gestalt des Kupfers),
wie die Gleichung sanskr. ayas, zend. ayanh^ lat. aes^ goth. at>, altirisch larn für
isam beweist, aber dass sie es nicht zu Werkzeugen verarbeiteten, sondern sich
der Steinwaffen bedienten, kann nicht zweifelhaft sein und wird unter vielem
Anderen durch Wörter wie hatnar und sahs (Grimm DM* 165) bestätigt. Je nach
ihrer Stellung in der Völkerreihe erhielten darauf die einzelnen Stämme firüher
oder später von Süden her bronzene, d. h. durch Mischung von Kupfer und Zinn
gehärtete Messer und Schwerter, aber dass diese Umwandlung plötzlich geschehen
sei, wäre eine aller Erfahrung und der Natur widersprechende Annahme. Es
dauerte gewiss Jahrhunderte lang, ehe in Krieg und Jagd, bei Fällung und
Spaltung der Baumstämme, beim Schlachten der Thiere u. s. w. die steinerne Axt
der Concurrenz des bronzenen Messers wich und endlich ganz ausser Gebrauch
kam. Gewohnheit, ererbte Fertigkeit und Uebung, das Beispiel der Vorfahren,
Mythus und religiöser Aberglaube, die natürliche Stumpfheit entlegener Natur-
völker, dies Alles entschied für das Stein- und Beingeräth, und die einzelnen
bronzenen Schwerter, die in das innere Land drangen, werden lange Zeit nichts
als Schmuck und Spielzeug der Häuptlinge gewesen sein. Als Cäsar in Britannien
landete, fand er eherne oder eiserne Gewichtstangen statt Geldes in Gebrauch
(5, 12: utunlur aut aere aiU taleis ferrevi ad certum pondus examinatis pro nummo\
also eine für das gallische Festland, das längst schon Münzen prägte, vorüber-
gegangene Epoche in Kraft; die Insel, reich an Metallen, auch an Zinn, erhielt
dennoch ihr Erz nur durch Einfuhr (aere utuntur importato)^ und die Stämme im
Linem, die meistens keinen Ackerbau trieben, von Fleisch und Milch sich nährten
und mit Fellen bekleidet waren, werden vom Metall wohl noch gar keinen Ge-
brauch gemacht haben. Im germanischen und slavischen Norden reicht das Stein-
alter bis tief in die eigentlich historische Zeit hinein, ja berührt sich in einzelnen
Fällen sogar mit der Epoche des Schiesspulvers. Nach aU dem scheint die Ver-
muthung nicht zu gewagt, dass die Bewohner auch derjenigen Schweizer Pfahl-
bauten, die bisher nur Steingeräth, dabei aber Beschäftigung mit Ackerbau er-
geben haben, keltischen und speciell helvetischen Stammes, die der Pfahldörfer
in der Emilia ümbrer, entweder selbständige oder von Etruskem unterjochte, die
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464 AmneTkungen.
der meklenburgischen Seebauten Gothen u. s. w. gewesen seien. Das einzige
Neue, das die Aufdeckung der Pfahldörfer geliefert hat, d. h. der einzige Cia-
stand, den die bisherige Geschichte aUein vielleicht nicht mit solcher Bestimmt-
heit hätte constatiren können, ist die Priorität des Ackerbaues vor den Metallen
und zwar eines schon vorgeschrittenen Ackerbaues mit mehreren Varietäten Gerste
und Weizen, zierlich in Bündel gebundenem geemteten Flachs, Baumfirüchten u. s. w.
Wenn hier keine Beobachtungsfehler vorliegen und wenn nicht etwa spätere Fund#
das bisherige Resultat wieder umwerfen, so wäre damit erwiesen, dass die Metallurg? i
der Kulturwelt des Mittelmeers erst sehr spät in die Gegend des Bodensees ge-
drungen ist, jedenfalls später als die feste Ansässigkeit und der Korn- und
Flachsbau. Eine bedeutungsvolle Sage bei Plinius 12, 5 scheint ausdrucken zu
wollen, die Schmiedekunst sei den Galliern aus Italien zugekommen und zwar
gleichzeitig mit der Kenntniss des Weines und Öles oder nicht lange vor dem
grossen Bellovesus- und Sigovesuszuge: ein helvetischer Bürger Helico (offenbar
ein Repräsentativname) hielt sich der Schmiedekunst wegen — fahrilem ob artem
— in Rom auf und brachte von dort eine getrocknete Feige und Weintraube,
sowie eine Quantität besten Weines und Öles in die Heimath mit, und dies beweg
die Gallier, die Alpen zu übersteigen und in Italien einzubrechen. Da dieser
Einbruch gegen das Jahr 400 vor Chr. erfolgte (Zeuss, die Deutschen, S. 165.
Contzen, Die Wanderungen der Kelten, S. 102ff.; der früheren Datirung des Livins,
dem Otfr. Müller und M. Duncker, Origines germanicae p. 14 ff., Glauben schenken
wollten, steht als entscheidende Instanz Herodot entgegen, der noch von keinen
Kelten in Italien weiss), so würde die Einfuhr italischen Metallwerks in das yot-
ausgehende Jahrhundert fallen, seit etwa hundert Jahr nach der Gründung
Massilias; die kombauende Steinzeit läge darüber hinaus. Wir wissen nicht, was
sich historisch und kulturgeschichtlich dagegen einwenden Hesse. Die Kelten
wurden übrigens, als sie nach ihrem grossen kriegerischen Wanderzuge nach Osten
feste Wohnsitze längs den Alpen gewonnen hatten, Meister in der Metallarbeit:
sie waren die schmiedenden Zwerge, die die Germanen und den ganzen Norden
mit Schwertern, Kesseln u. s. w. versorgten. Das norische Eisen wurde berühmt,
und es ist nicht auffallend, wenn deutsche Wörter, wie Eisen (goth. eisarn mit
dem keltischen Suffix ama, s. Schleicher in Hildebrands Jahrbüchern 1, S. 410)
oder Beil (altirisch biaii^ altcomisch bahelly Zeuss' p. 1061) oder ahd. gir der
Speer, folglich gothisch gais (die keltischen Am o« r ot = Speerträger, Zeuss' 53;
das Wort ist auch iranisch, Justi S. 98, und stammt vielleicht ursprünglich von
einem iranischen Volk) oder Brünne (gothisch brunjo, slav. brünja, aus altirisch
bruinne = Brust, Bauch, Zeuss* 1058, Arti, Gen. bronn^ Stockes ir. gl. no. 647, wie
Panzer^ ital. panciera, aus pantex Wanst) der Entlehnung aus dem Keltischen ver-
dächtig sind. Nichts wandert so leicht, wie Waffen und Waffennamen.
22. S.59.
Auch in der schönen Stelle des Euripides Bacch. 274 ff. werden die Gaben
der Demeter und des Bacchus oder Brot und Wein als die ersten Güter des
Menschengeschlechts gepriesen.
28. S.61.
Auf die Stelle II. 7, 467 ff., wo Euneos, d. h. der Wohlschiffende, der Sohn
des lason, von der thrakdschen Insel Lenmos zum achäischen Lager weinbeladene
Schiffe sendet, die Erz und Eisen, Felle, Ochsen und Sclaven gegen den olroe
eintauschen, während die beiden Atriden abgesondert tausend Mass fii^v erhalten
— auf diese Stelle ist wenig zu bauen da sie den jungem Ursprung an der Stirn
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Anmerlnmgeii. 465
trtgt Das Wort iivSganoSov gehört der attischen Prosa an, Euneos, der lasonide^
stammt aus H 23, 747 n. s. w. Der Unterschied zwischen ofvoc und ^i^v ist also
^eichfalls nichtig.
24. s.ei.
Maron selbst ist nichts als eine mythische Personification der lakonischen
Stadt Ismaros, welche mit Wegfall des a vor ß und erweiterndem Suffixe auch
Maroneia hiess, während ein nahe gelegener See den Namen Ismaris trug (Herod.
7, 109). Der Sohn des thrakischen Eumolpus — culturam Vitium et arborum (in-
venit) Eumolpus AthemensiSj Plin. 7, 199 — hiess Ismarus oder Immaradus mit ,
assimilirtem Anlaut und genealogischem Suffixe. Die Beihe Ismaros, Ismaris,
Lnmaradus, Maron, Maroneia enth< interessante Winke für thrakische und speciell
kikonische Lautverhältnisse und Gesetze der Wortbildung.
25. 8.62.
So deuten wir ßovnltj^ hier, nicht als Stachelstab zum Antreiben der Ochsen.
Das Beil, die uralte Waffe, die aus der steinernen Axt stammt und noch deren
Form zeiget, dient in Eriegsscenen immer als Attribut der Barbaren (Annali dell'
institnto arch. 1863. p. 339. 340). Bei Homer ist es als Waffe selten; im 15. Buch
der Dias bek&mpfen sich Troer und Achäer freilich auch
o^iai ÖTj ntUxeaai xal a^iyriai (v. 711),
aber unmittelbar am Schiffe, das Hector schon fasst und anzuzünden hofft, also
Leib an Leib, wie auf Zimmerholz und Opferthiere auf einander zuhauend.
Einmal führt auch der Trojaner Pisander einen Streich mit der ä^iyfj gegen
Menelans, wird aber von diesem mit dem Schwert getödtet (D. 13, 611).
26. S.68.
Es ist nicht allzukühn, Semele als thrakisches Wort in der Bedeutung Erde,
Erdgdttin zu fassen. Der Stamm, zu dem gr.;^a/ua/u. s. w., lat. humvs u. s. w.
gehört, erscheint zendisch, litauisch und slavisch mit assibilirtem Anlaut. Eben
so finden wir das thrakische und phrygische Sabos, Sabazios, die macedonischen
Savadat bei Hesjchius u. s. w. in dem Beinamen des Dionysos "Yrii oder 'Yfi^f,
der Feuchte, Fruchtbringende, dessen Ammen auch die Hjaden sind, wieder. Es
giebt einen Sabazios Hjes, und auch die Semele ward von Pherecydes Hye ge-
nannt ScU)08 und *'Yrig stimmen buchstäblich überein.
27. S.68.
Ebendahin würde der ß^ßktyoq olyog bei Hesiod Op. et d. 689 fahren, in so
fem er bald von Thrakien, bald von Naxos abgeleitet wird, Steph. Byz.: BißXiyrjy
X^Q^ Ogaxiji' dno javirig 6 BCßliyog olyos, ot dl dnb BißlCag ttfxniXov^ Zrjßog
d* 6 ^rjliog thy Na^toy q>ijaiy, fTttid^ Na^ov noiafxog BCßlog, Stammt der Name
von der phönizischen Stadt Byblus (phönizisch Gybl d. h. Höhe, althebr. Gobel,
die Stadt der Gibliter), wie in dem Yerse des Archestratus bei Athen. 1, p. 28
angedeutet ist:
Tby (T dnb <PotyUrji IgSg, rby ßvßltyoy, alym,
80 sind die Varianten ßvßXtyog und ßCßXivog gleich richtig, da der phönizische
Yokal auf die eine und die andere Art wieder gegeben werden kann; nicht weit
liegt auch die nasalirte Form ßC^ßXtyog (bei Hesychius) ab. Merkwürdig ist, dass
dieser Wein uns spftter auf sicilischem und unteritalischem Boden begegnet: er
kam bei Epicharmus vor, Theokrit erwähnt seiner (14, 15), der Geschichtschreiber
Hippys von Rhegium erzählte, er sei von Italien nach Syrakus verpflanzt worden
Viet. HehD, Kultarpflanzea. 30
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^gg Anmerkungen.
(Athen. 1, p. 31) ; endlich findet er sich auf der ersten der beiden heraUeotischen
Tafeln, wenn die dort vorkommenden Ausdrücke a ßvßX(a und juv ßvßUyav
fiaaxalay von Mazochi, dem Herausgeber und Erkl&rer der Inschrift, richtig als
„byblische Weinpflanzung** gedeutet sind (das C. I. III. no. 5774 und 5775 stimmt
ihm bei: recte videtur Mazochius a vUis genere ex Byblo Phoenida repetendo deri-
vare, unde etiam ßvßlivo^ olyog), Dass diese Benennung indess in ein so hohes,
l&ngst verschollenes Alterthum hinaufgehe und eine Erinnerung an die Kolonien
der Bjblier enthalte, die die frühesten aller phönizischen waren, kommt uns nicht
wahrscheinlich vor. Weniger phantastisch möchte es sein, an den Byblusstoft zu
denken, da Homer dasselbe Adjectiv ßvßktrog kennt; er legt es Od. 21, 391 einem
Schiffeseil bei, welches also aus Papyrus-Bast gedreht war. Es fragt sich nur,
wie eine Art Wein danach heissen konnte. Wurden die Beeren auf Byblus-Matten
gedörrt und dann erst gekeltert, so dass sie eine Art Strohwein, vwum fMSsum,
gaben? Oder rankten sich die Reben an Byblus-Stricken fort, wie zu Varros Zeit
in der Gegend von Brundisium in Italien ? Auf Letzteres würden die Worte des
Hippys von Rhegium führen, bei Athen. 1, p. 31: 'InnCaq (so heisst er an dieser
Stelle) dl 6 *Pr\Ylyoi t^y tiXeoy italov^(yr\y afiniloy BißKay tpr^al xaltta^m.
Oder wurden sie mit Byblus-B&ndem an die Stützen angebunden, so dass die
Trauben sich freier entwickeln konnten? — Grotefend in den Annali dell' insi VE.
p. 275 und nach ihm Göttling zu der o. a. Stelle des Hesiod leiteten auch den
etruskischen Namen des Bacchus Fufluns von ßvßXiyog ab; Corssen, Sprache der
Etrusker 1, 314 lehnt diese Zusammenstellung ab, da griechischem und lateinischem b
im Anlaut p, niemals f entspreche. — Welche Bewandtniss es mit dem von Homer
an zwei Stellen (IL 11, 638. Od. 10, 235) genannten, zum Weinbrei oder Misch-
trank dienenden pramn eis eben Wein eigentlich hatte, und ob dieser Name eine
Art Rebe oder Bereitungsart oder eine Gegend und welche bezeichne, wussten
die sp&teren Erklärer offenbar eben so wenig, als was der ßlßXiyoq olyog eigentlich
sei, obgleich es an Yermuthungen und Behauptungen nicht fehlte (s. besondeis
Athen. 1, p. 30) und der pramneische oder pramnische Wein auch in der nach-
homerischen Zeit hin und wieder erw&hnt wird, z. B. von dem Komiker Ephippus:
(fftldi ys ngaßvioy olvoy Xioßtoy
(Athen. 1, p. 28). Erinnert man sich des thrakischen oder eigentlich päonischen
aus Hirse mit Zusatz von xoyvCij gebrauten Mischtrankes nagaß^rj, dessen HecatSns
Erwähnung that, so wird man von der Yermuthung beschlichen, das AdjecÜT
pramneisch stelle nur eine andere Form desselben thrakischen oder phrygischen
Wortes dar.
28. S.65.
Gehörte olyoc, vinurriy wie zuerst Pott aufjgestellt hat, in eine Reihe mit viere,
viHs, vitex, vimen, vitta, fr^«, ttvg u. s. w., so hätten die Griechen und Lateiner
aus einer einheimischen Wurzel, die winden, ranken bedeutete, vermittelst
eines participalen n ihre Benennung des Weines gebildet. Allein da 1) das Ge-
tränk sowohl durch die mannichfache technische Procedur, deren Ergebniss es
ist, als durch Wirkung und Eigenschaften zu weit von der Pflanze absteht, nm
nach deren rankender Natur benannt zu werden; 2) bei üebertragung dieser
Kultur von Yolk zu Volk zuerst das fertige Produkt eingeführt und mit dem
fremden Namen benannt, nachher erst der Anbau selbst gelehrt wird — wo such
dann leicht jüngere Wörter wie of^tj, oiyas^ otyagoy u. s. w. ergeben; 3) die nahe
Uebereinstimmung des semitischen Wortes nur durch Entlehnung von Seiten der
Griechen, die mit der Sache auch den Namen empfingen, ihre Erklärung findet;
— so wird mehr als wahrscheinlich, dass vinum nur zufällig an vitü anklingt.
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Aiunerkungen. 4g7
jenes ein Fremdwort, dieses ein einheimisches mit der Bedeutung : „biegsames
Gewichs" ist (s. unten Anmerkung 50). Auch die Germanen entlehnten das Wort
Wein, benannten aber die Rebe deutsch (ahd. repa). — Curtius no. 694 sagt:
„Warum die Frucht der Ranke nicht selbst ursprünglich Ranke genannt sein
sollte, ist nicht abzusehen. Das litauische Wort bietet die schlagendste Analogie^
(nämlich apvynys Hopfenranke, Plur. apvynei Hopfen). Schlagend wftre die Ana-
logie, wenn in irgend einer Sprache das Bier nach der stachlichten Natur der
Aehre benannt w&re: so aber ist jener litauische Bedeutungsübergang ungefähr
derselbe wie in aviaas, Haberkom, Plural, ttvizoi Haber und wie in hundert ähn-
lichen Fällen. Man erwäge nur, dass vinum ja nicht von vitis abgeleitet ist, wo
die Sache denkbar wäre, sondern unmittelbar aus einer Wurzel mit der Bedeutung
flechten, biegsam sein stammen soll — denn der Begriff ranken ist nur
ontei^eschoben, um die beliebte Etymologie scheinbar zu machen, und wird
schon durch das griechische iUoj die Weide, ein zähes, zu Flechtwerk dienendes
Hok, widerlegt
Auch Mommsen hält unter Anlehnung an eine angebliche sanskritische Ver-
wandtschaft für wahrscheinlich, dass das in Italien einziehende Urvolk den Wein-
stock schon mitgebracht habe (an mehreren Stellen seiner Römischen Geschichte,
besonders 1, 173 f. der zweiten Auflage). Allein, da der Weinbau den höchsten
Grad Ton Ansässigkeit voraussetzt, so ist er mit den Sitten einer wandernden
Horde nicht vereinbar. Völkerwanderungen in Masse sind auf der Stufe kriegerischen
Hirtenlebens natürlich, bei ausgebildetem Ackerbau mit Bodeneigenthum und
festen Häusern nur unter ganz besonderen Umständen und in höchst seltenen
Fällen möglich, bei Baumzucht und Weinbau ganz undenkbar. Man sehe die
Briten oder die Germanen des Cäsar, ihre Rindviehzucht, ihren beginnenden,
halb nomadischen Ackerbau, ihre aus Milch und Fleisch bestehende Nahrung,
ihre Bekleidung mit Fellen u. s. w. Glaubt man, sie hätten Weinbau treiben
können, der so viel Sorge für die Zukunft;, so viel Vermittelungen der Kultur in
sich schliesst? Sie, die wahrscheinlich nur Sommerkom bauten, da die Winter-
saat schon einen zu feinen Plan und eine zu weite Berechnung voraussetzt
(Röscher, Ansichten der Volkswirthschaft, Leipzig und Heidelberg 1861: (Jeher
die Landwirthschaft der ältesten Deutschen, S. 75 ff. — v. Sjbel, Kleine historische
Schriften, 1868, S. Böffl), sie hätten sich mit Rebstöcklingen befassen können, die
erst nach Jahren die ersten Beeren tragen? Nun stand aber das in Italien ein-
brechende Wandervolk gewiss auf keiner höheren Lebensstufe, als die Germanen
der ältesten Geschichte, eher auf einer niedrigeren: sie kamen mit Rindern,
Schweinen und steinernen Aexten, aber sicherlich nicht mit dem Weinstock. Der
Unterschied in der Entwickelung der grossen Völkergruppen Europas besteht
nur in dem früheren oder späteren Eintreten in bestimmte Phasen der Kultur:
die Griechen wurden vom Orient aus angeregt, die Italer von den Griechen; die
Kelten wandten sich zum Acker-, Städte-, Wege- und Brückenbau um Jahr-
hunderte später, als die graecoitalischen Stämme, von denen sie Mancherlei
lernten; wieder um Jahrhunderte später die Germanen, die unterdess die ciriH-
sirende Einwirkung der Kelten erfahren hatten; noch später im Rücken der Ger-
manen die Slaven unter fortwährendem Bildungseinfluss des germanischen Westens.
Der Unterschied des Naturells und des Klimas versteht sich hierbei von selbst,
aber gerade das Klima gebietet ein allmähliges Aufsteigen des Weinstocks von
Südosten und verbietet die Herabkunft desselben von jenseit der Alpen. Dass
vom Gesichtspunkt römischer Quellen und Traditionen der Weinbau in Italien
ab sehr alt erscheint, geben wir zu, nur fragt sich wie alt? die Zeit griechischer
Einwirkung ist für die Feststellung des römischen Rituals und überhaupt für
80*
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468 Anmerkungen.
Italien — von Rom aus gesehen — immer noch eine sehr alte, eine Urzeit. Wenn
z. B. der Stammgott der Sabiner, Sancos, als Winzer, vitücUor^ mit der gebogenen
Sichel gedacht wurde, so wollten dieselbt'n Sabiner doch auch von Sabns dem
Lacedftmonier abstammen!
29. S.67. ^
Der griechische Ausdruck xdfAtt^ (schon bei Homer und Hesiod) bedeutete
nur die leichte, rohrartige Ruthe oder Stange, an die die Reben sich klammerten
oder die von Baum zu Baum gezogen wurde: der Weinberg auf dem Schilde d^
Herakles bei Hesiod (v. 897) schwingt sich mit Blättern und xdfiaxsq hin und her:
OHOfitvos tpvlkotai xaX dQyvgif^ai xdfiu^i,
und das kot^xn in dem entsprechenden Verse der Hias 18, 563:
kai^ixii Sh xdfda^i ^la^un^gh agyvQ^riaty —
will wohl nur sagen, dass Rohrstützen in durchlaufenden Reihen eingesteckt
waren und die Reben hielten. Auch die jüngere Benennung /a^ol (wovon nach
Diez das französische echalas)^ eigentlich ein zugespitzter Steckling, wird ur-
sprünglich im Sinne von Rohr oder Ruthe gebraucht: die x^gaxtg z. B., die die
fünf reichen Corcyr&er bei Thucydides 3, 70 aus dem Hain des Zeus und des
Alkinoos geschnitten haben sollten, können nur Ruthen geweseu sein, da die
Schuldigen für jedes Stück einen Stater bezahlen sollten und die Strafe über-
mässig hart schien, aus einem geweihten Hain aber nicht viele Pffihle unbemerkt
gehauen werden konnten. Der eigentlich griechische Ausdruck für Weinpfahl
wÄre Ttriiof oder nrj^oy (entsprechend dem lateinischen pedare vineam^ pedamenium,
pedum der Hirtenstab u. s. w., nur mit gesteigertem Wurzelvocal, buchstäblich =
goth. fotu8\ aber dies Wort kam zu keiner Entwickelung: es erscheint bei Homer
in der Bedeutung Fussende des Ruders; in der Stelle D. 5, 838, wo von der
buchenen Wagenachse die Rede ist, gab es eine alte Lesart nti^ivo^ statt (pr^ytpoq
(s. Eustath. zu der Stelle) und bei Theophrast h. pl. 5, 7, 6 hat Schneider nach
Handschriften nriöo^ für den Baum, der zu Wagenachsen und Pflugbäumen dient,
wiederhergestellt (s. Schneid, zu Theophr. h. pL 4, 1, 3). — Sind die Oenotrer von
den Weinpfählen benannt, so führt der Name der in Italien ältesten Traube, der
vüü Aminaea oder Ammea^ seltsamer Weise zu den Peucetiem, dem Brudervolk
der Oenotrer. Philargyr. ad Verg. G. 2, 97: Aristoteles in Politüs scribü Amineos
ThcBsalios fuüse, qui tuae regionis vites in Italiam transtulerint , atque Ulis inde
nomen impositum. Dazu die Glosse des Hesjchius: i; ydg üevxeiia 'Afjitvala U-
yitai. Auch nach Macrobius Sat. 3, 20, 7 war die amineische Traube nach einer
Gegend benannt: Aminea, scilicet e regione, nam Aminei fuerunt ubi nunc Fcdernum
est Galenus verlegt an zwei Stellen seiner Schriften den amineischen Wein, den
er wässerig, vduTWifrjs, und leicht, Itntosy nennt, in die Umgegend Neapels, de
methodo medendi 12, 4: o re NeanoUrrig 6 ^Afiivaioq^ iv joig mgl Nsdnohf
XOigCoti yivofiivoiiy de antid. 1,3: o is (rNsanoXsi xatd tovi i/noxHfiivovi avx^
k6(povfy ^Afxivttloß ßkv 6yofiaC6f4€yog x» t. L Danach besserte Voss in der so -eben
angeführten Stelle des Macrobius Salemum statt Falemum (worin ihm VaL Bo^e,
Aristot. pseudepigr. p. 467 beizustimmen scheint) und verstand unter dem Pen-
cetien des Hesychius das Land der Picentiner südöstlich von Neapel Allein die
amineische Traube war gerade in dem eigentlichen Campanien recht zu Hause.
Wenn Varro die vitis Aminea auch Scantiana nennt (de r. r. 1, 58, Plin. 14,47),
so ist dies Wort doch von der silva Scantia abgeleitet, die eben in Campanien
lag. In alter wie in neuer Zeit wurde die Rebe in Campanien hoch an B&nmen
gezogen, und eine vitis arbustiva war gerade die amineische. Letzteres geht aus
den Beschreibungen bei ColumeUa 3,2, 8—14 und Plinius 14, 21 ff. und aus den
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Amnerkungen. 469
Vorschriften der Geoponica 4, 1, 8. 5, 17, 2. ö, 27, 2 deutlich genug hervor. So
konnte die amineische Traube der Gegend, in der zu Galenus Zeit der amineische
Wein wuchs, ursprünglich angehören. Die Peucetier freilich, das Fichtenvolk,
dachte man sich später anderswo, allein dieser Name ist ein Appellativum , mit
dem der Begriff von Wald und B&umen verknüpft wurde, und an Wäldern fehlte
es Campanien auch zu Giceros Zeit nicht, wie ausser der so eben erwähnten
Scaniia die silva Oallinaria am Fluss Voltumus beweist, ein noch jetzt vorhandener,
aus Fichten bestehender Wald. Die thessalische Herkunft besagt wohl weiter
nichts, als dass diese Traube in die älteste Zeit der griechischen Ansiedelung
hinaufging. — Liest man bei Hesjchius uoQytov döog d^tn^Xov und erinnert sich
der von Cato MurgenHnum genannten Rebenart, so treten auch die Morgeten,
deren Name im Uebrigen von dem zugetheilten Feldmass (von fd^fgofiai, mit Ver-
dickung desy in y) gebildet scheint, zum Weinbau in Beziehung. In den zahl-
reichen Benennungen für Traubensorten steckt überhaupt noch manches Alter-
thum. Dem Namen der visuh z. B. liegt wohl das griechische olaosy oiaog^ olaov^
oiava (das Adjectiv oiavi'yos schon homerisch) zu Grunde, französisch (wter, bre-
tonisch oazil. Sollte die spionia oder apinea, die an den Pomündungen heimisch
war, auf das griechische ifj^vofittiy ipiydg zurückzuführen sein, da an die alt-
berühmte Stadt Spina zu denken allzukühn wäre? — Merkwürdig ist, wie die
Verschiedenheit in Anpflanzung und Erziehung der Beben je nach der Landschaft
vom frühen Alterthum bis auf den heutigen Tag sich erhalten hat Die Provence
zieht ihren Wein noch jetzt, wie die Phokäer es gewohnt waren; die ähnliche
catalonische Methode stammt von den massaliotischen Pflanzstädten; in Toskana
und in der Campagna von Neapel, vom Voltumo südlich, wächst der Wein an
hohen Ulmen und Pappeln empor, in der Lombardei schlingt er sich an Mass-
holderbäumchen {opulus, gleich popu/t4« in keltischer Aussprache, mit unterdrücktem
anlautenden p, wie athir =pat€r, iasg = piBcis u. s. w.) in Guirlanden (rumpi, tra-
duc€8) fort, in den Alpenthälem bildet er weite, säulengetragene Lauben — Alles
wie zur Zeit des Varro, Plinius und ColumeUa. Den Weinbau in der baumlosen
Levante schildern ünger und Kotschy, die Insel Cypem, S. 449: ^Auch ohne
Stütze muss der Kebenschössling sein Leben fristen, seine Tranben tragen und
sie zur Keife bringen, denn woher sollte das Holz zu den Stützen genommen
werden, die ihm wie in unseren Weingärten die Last der Fruchtschwere er-
leichterten? Dazu ist weder auf den ionischen Inseln, weder in ganz Griechen-
land, in Syrien und Palästina, noch hier auf der Insel (Cypem) das Material vor-
handen. Wer den Orient bereiset, gewöhnt sich, dort wo der Weinstock nicht
seinem natürlichen Triebe folgen und in den Wipfeln der Bäume grünen und
hausen kann, ihn als eine planta humifusa in grösster Submission und Sclaverei
zu betrachten."
80. S.78.
Etwas ganz Aehnliches erlebte Portugal noch in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts. Das in den tiefsten wirthschaftlichen Verfall gerathene Land
fand eine Quelle des Erwerbs nur noch in der Weinproduction , die sich nun
durch das ganze Land, auf günstigem und ungünstigem Boden, an Stelle des
Ackerbaues gesetzt hatte. Der Minister PombaJ befahl, in ganzen Districten,
namentlich im Thal des Tajo, die Weinstöcke auszureissen und das Land mit Ge-
treide zu besäen- Der Befehl wurde ausgeführt, denn der gewaltsame Reformator
duldete keinen Widerspruch.
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470 Anmerkimgeii.
81. 8.74.
Von einem sonderbaren Vorläufer • des Islam bei den Geten erzählt Strabo
7, 8, 11. Dies Volk war wie die Skythen und Thraker und nachher die Slayen
wegen seiner Trunksucht berüchtigt, die jeden politischen und kriegerischen Auf-
schwung desselben hemmte. Da trat unter ihnen nicht lange Yor Strabos Zeit
(oder wie Jordanis 11 nach Dio Chrysostomus berichtet: zur Zeit von Sullas
Dictatur) ein Zauberer, Namens Decaeneus, auf, der viel in Aegypten gewandert
war und dort die Kunst der Weissagung gelernt hatte, und gewann ausserordent-
lichen Einfluss auf seine Volksgenossen. Sie gehorchten ihm so blind, dass sie
auf seinen Bath alle Weinstdcke im Lande ausrotteten und fortan ohne Wein
lebten. Dies traf mit der Herrschaft des Königs Boerebista zusammen, der den
gleichen Zweck, das Volk mannhaft zu machen, verfolgte und in der That, nach
allen Seiten siegreich, ein mächtiges getisches Reich gründete, bis Parteiungen
gegen ihn ausbrachen und die getische Macht wieder zerfieL Ob die Tugend der
Enthaltsamkeit sich länger erhielt und ob Decaeneus, wie später Muhamed, als
Ersatz für den verbotenen Wein die getische Vielweiberei bestehen Hess oder gar
begünstigte — wird nicht gemeldet. Thraker, Geten und Daken waren ein Stamm
von ungezügelter Sinnlichkeit, welcher letzteren dann wieder (worauf MüllenhofT
aufmerksam macht, Artikel Geten in der Encyclopädie) von Zeit zu Zeit eine as-
cetische Reaction, die durch Geisterglauben genlöirt wurde, gegenübertrat.
82. S.77.
Das proven^alisch-franzosische Wort torutj tonne y das sich auch walachisch
wiederfindet und in alle keltischen und germanischen Sprachen übergegangen ist,
aber charakteristischer Weise im Italienischen fehlt, muss aus einer der Alpen-
sprachen stammen, dem Ligurischen oder Rhätischen. Lateinisch und italienisch
giebt es ein Wort mit anderem Wurzelvocal: tina, Weinkübel. Nach Strabo
waren im cisalpinischen Gallien ausser Pechsiedereien (in den waldigen Vorbergen
der Alpen) auch ungeheure hölzerne Fässer, gross wie Häuser, zur Aufiiahme
des Weines im Gebrauch, 6, 1, 12: i6 d* oluov to nXfjS'Of firjyvovaty ol nl^oi'
ol Svltyoi yitg fniCovg otxtoy iia(. Auch die Illyrier luden nach demselben 5, 1,8
den Wein, den sie aus Aquileja bezogen, in hölzernen Fässern, ^n\ ^vUymy nl^v^
auf ihre Wagen. — Mit den Holzgefässen trat noch ein anderes weitverbreitetes
Wort auf: Daube, Dauge, welches durch alle romanischen und slavischen
Sprachen geht und auch im Magyarischen, Albanesischen, Walachischen und Neu-
griechischen nicht fehlt Diez führt alle vorhandenen Formen desselben auf ein
der sinkenden Latinität angehörendes doga zurück, welches selbst wieder aus dem
griechischen doxi entstanden wäre. Das Wort ist in das Germanische nur ver-
einzelt gedrungen, wuchert aber in den slavischen Sprachen in Form und Sinn
üppig, wird z. B. auf den Regenbogen am Himmel angewandt (Miklosich, die
Fremdwörter in den slav. Spr. , S. 83) und erhält daher als abgeleitetes Adjectiv
sogar die Bedeutrmg bunt. Der Verbreitungsbezirk des Wortes ist das wald-
reiche Donauland, und dort war auch die Sache einheimisch — wobei es immer
möglich ist, dass ein griechisch-lateinischer Ausdruck, der vielleicht in der tech-
nischen und Handelssprache von Aquileja üblich war, zu Grunde liegt. Noch
jetzt kommt das Holz zu den Fässern, die der Orient gebraucht, grösstentheils
aus Ungarn, und auch die Reifen dazu, aus corylus pontica, werden über Xon-
stantinopel eingeführt. — Ein dritter, in dem holzreichen, neurömischen Bezirk
vielgebrauchter und begrifflich sich nach allen Seiten weit verzweigender Aus-
druck ist cupa^ ein ursprünglich griechisches Wort (xunfj). Als Maximinus im
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Anmerkungen. 471
Jahr 238 Aqnileja belagern wollte, mit seinem Heere aber einen reissenden, an-
geschwollenen Strom nicht überschreiten konnte, da kam ihm der ausgebreitete
Weinhandel und Weinertrag Aquilejas zn Statten: er fand anf dem Lande eine
Menge grosser, leerer, hölzerner Weinkufen, aus denen er sich eine Brücke baute,
Herodian. 8, 4, 9: vnißaiov nytg laiy nx^ixtiVy nollä dyat xtyä olvoipoga
axivti 7i€QKftQ0vs Svlov iv toZs igrjfAois dygoTi^ otg (;^pö)VTO a^i' »rpoTi^oy oi
xaroixoüyTsg tie vnriQfatay iavTcüv xal ucfgaTri/untiv tov olvoy dacpaltüg roZs
SiOfiivoii, Jul. Capitolinus, der dasselbe berichtet, giebt diesen ungeheuren Tonnen
den Namen cupa^ Maximin. 22: ponte üaque cupü facto Maximintu ßuvium transivit
et de proximo AguHejam obiidere coepit Auch die Massilier müssen solche be-
sessen haben, denn als Cäsar ihre Stadt belagerte, wSJzten sie dieselben, mit
brennendem Theer und Pech gefüllt, von der Mauer auf das feindliche Schanz-
werk herab, de b. civ. 2, 11: cupas taeda ac pice refertas incendunt eaague de muro
in muscttltmi devolvunt, wie schon früher die Bewohner von UxeUodunum in dem
weinreichen Aquitanien in gleichem FaU gethan hatten, de b. gaU. 8, 42: cupas
sevo, pice, scandulis complent ; eas ardentes in opera provolvunt Von der Insel bei
Salona, auf der der Dichter Lucanus die Cäsarianer belagert werden l&sst, suchten
diese bei Nacht auf Flössen, die sie aus leeren Weinkufen gemacht hatten, zum
illjrischen Festlande zu entkommen, 4, 420:
Namque ratem vacuae sustentant umUque cupae^
deren es also in dem weinbauenden Lande, dessen Gebirge noch mit Wald be-
standen waren, wohl geben musste. Der Handwerker, der dem Winzer und Kauf-
mann solche cvpae machte, war der cuparius, wie wir z. B. aus einer Trierer In-
schrift sehen, bei Orelli no. 4176 : cupariua et saccarius (der zugleich Säcke ver-
fertigte, also für den Frachthandel überhaupt arbeitete). Bei den Barbaren diente
die cupa auch zur Aufnahme des Bieres; dass in ihr auch Korn und Mehl ver-
laden wurde, sehen wir aus verschiedenen Stellen der römischen Rechtsbücher.
Was aus dem Worte im Mittelalter und in den neurömischen Sprachen geworden
ist, davon giebt der Artikel coppa bei Diez ein wenn auch verkürztes Bild: das
ursprüngliche Kufe und Kübel nahm die Bedeutung von Becher und Schale, Kopf
und Büschel, Berggipfel und gewölbte Kuppel an. Im Deutschen stammt nicht
bloss das eben genannte Kübel und Kuppel daher, sondern auch Kopf, denn nach
uralter Art sind Schale und Haupt oder Schädel gleichbenannt, und der Name der
Gefässe geht auf Schiff und Kahn, Haus und Sarg über. — Das dem lateinischen
cupn^ cuppa entsprechende griechische ßovjig, ßovnoy, ßviig, ßviCyr\ hat eine gleich
mannichfache Anwendung und weite Verbreitung durch ganz Neueuropa gefunden
und klingt noch heute in Bütte, Böttcher, Bouteille, franz. botte der Stiefel u. s. w.
täglich an unser Ohr. Daher wohl auch altirisch bothan die Hütte, both das Haus,
preussisch buttan, litauisch buttaa das Haus, ja auch das deutsche und slavische
Bude, englisch booth. — Unser Ohm, früher Ahm ist das entlehnte griechische
afiri^ lat. hama^ unser Seidel das lat. situla^ unser Flasche wohl in letzter Instanz
das lat. vasculum, welches, wie man sieht, jetzt meistens ein Glasgefäss bedeutet.
Auch das Glas ist, wie das Holz, ein erst im Norden und in nachrömischer Zeit
zu allgemeiner und täglicher Anwendung gekommener Stoff ; aus dem hölzernen
Fass zapfen wir den Wein in gläserne Flaschen, die wir mit dem Korkstöpsel
schliessen. Erstere, die Flaschen, sind schwerlich älter, als das fünfzehnte Jahr-
hundert (Beckmann, Beyträge, II, S. 485 ff.); die Kunst, die enge Oeffnung eines
Ctefässes mit der elastischen Binde der Korkeiche zu verscMiessen, geht gleich-
falls in kein hohes Alterthum hinauf, und allgemein geworden ist sie erst seit
den letzten Jahrhunderten und zwar sehr langsam. Die Korkeiche, querem 8ttber,
ist in Griechenland jetzt vielleicht gar nicht mehr vorhanden, im Alterthum war
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472 Anmerkungen.
sie dort selten; sie ist ein Baum des südwestlichen Europa mid des gegenüber-
liegenden Aj^rika. Unter den Eichenarten des Theophrast l&sst sie sich nicht mit
Sicherheit constatiren; den Baum, der geschält wird und nach Verlust der Rinde
nur noch besser gedeiht, versetzt er nach Tyrrhenien, also in das Land nach
Westen, giebt aber zugleich an, er verliere im Winter sein Laub, was geeignet
ist, uns wieder irre zu machen (H. pl. 3, 17, 1). Pausanias 8, 12, 1 fuhrt unter
den Eichen Arkadiens eine an, deren Binde so locker und leicht ist, dass man
sie als Ankerzeichen und an Fischemetzen auf dem Meere schwimmen l&sst, —
also offenbar die Korkeiche, aber man hört es seinen Worten an, dass er damit
eine Naturmerkwurdigkeit des Landes beschreibt, die seinen Lesern neu ist und
die anderswo nicht vorkommt. Die Bömer hatten einen Lidividualnamen für die
Korkeiche: auber und unterschieden sie unter diesem genau von den übrigen
B&umen des Waldes. Die Binde kommt schon in der Sage von CamiUus vor.
Camillus soll zum Dictator ernannt werden, aber dazu gehört ein Beschluss des
von den Galliern im Kapitel eingeschlossenen Senates. Ein Jüngling, Namens
Pontius Cominius, übernimmt es, die Botschaft auszurichten. Da die Brücke über
den Tiber von den Feinden bewacht ist, schwimmt er Nachts, von Stücken Kork
unterstüzt, über den Fluss, Flut. Cam. 25, 3: lois (fsXloTg ig>iU t5 oufia xal
avv67iixovq)CC(ov ry mgatova^at ngoc rtjr nohv i^^ßrj. Die Sitte, Gref&sse mit
verharztem Kork zu verschliessen, stammte, wie es scheint, von den Galliem,
Colum 12, 23: corticata püe qua utuntur ad condüura» Allobroges, Cato 120 giebt
die Yorschriffc: mustum si voles totum annum habere j in amphoram mustum indüo
et corticem oppicato^ demittito in piscinam; es soll also, um den Most das ganze
Jahr hindurch frisch zu erhalten, die OefEuung der Amphora mit Kork und Pech
verschlossen und das Gefäss darauf im Grunde des Wassers aufbewahrt werden.
Aehnüch ist bei Horaz die weinhaltende Amphora mit einem cortes adstrictu» pice
verwahrt. Od. 3, 8, 9:
hie die* anno redeunte festus
corticem adstrictum pice demovebit
amphorae fumum bibere institutae
consule Tullo.
Deutlicher spricht Plinius über Gebrauch und Nutzen der Binde des Korkbaumes
16, 34: U8U8 ejus (suberis) ancoralibus maxume navium (zu Bojen, zu denen jetzt
meist leichtes Holz genommen wird) piscantiumque tragulis (zu Flossen der Fischer-
netze, zu denen jetzt leichte Holztfif eichen dienen) et cadorum oplurainentis (zu
Verspundung der Fässer), praeterea in hibemo fefninarum calciatu (zu Pantoffel-
sohlen, wie noch jetzt). Bei all dem war die eigentliche Verkorkung bei den
Römern nur selten: das Gewöhnliche ist die Verschliessung durch Pech, Gyps,
Wachs u. s. w.; darüber gegossenes Oel bewahrte, wie noch jetzt häufig in Italien,
den Wein vor Berührung mit der Luft; auch eignete sich die Form der thonemen
Krüge, ihr grösserer Umfang und ihre weitere Oeffhung nicht zum Verschluss
durch Korkrinde. Das Verhältniss blieb das Mittelalter hindurch ungef&hr dasselbe.
Fässer wurden durch Holzpflöcke verspundet; kleinere Thon-, Blech- oder Holz-
behälter, die man sich auf der Jagd, zu Pferde u. s. w. umhing, silberne und
goldene Flaschen der Vornehmen wurden mit Zapfen desselben Materials ver-
stopft oder zugeschraubt oder auch mit Wachs verschmiert u. s. w. Erst das
Aufkommen enghalsiger, sehr wohlfeiler Glasflaschen, der sich ausbreitende Handel
und die Versendung brachte in neuerer Zeit den Kork (von cortex^ zunächst
wohl vom spanischen corcha, französisch liege d. h. der leichte Stoff von levis)
in allgemeinen Gebrauch — der uns jetzt besonders bei edleren Weinen so un-
entbehrlich scheint.
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Anmerkungen, 473
oo* kI« cKI«
An einem anderen, ungefähr gleichzeitigen Feste, den Thargelien, waren die
beiden (poQfiaxoiy die als Sühnopfer zum Tode geführt wurden, der eine mit
weissen, der andere mit schwarzen Feigen behangen und wurden mit Feigen-
rothen gegeisselt (A. Mommsen, Heortologie, 8. 417 ff.)- ^s ^^ ^ui altionisches
Fest, aber welchen Sinn hier die Feige hatte, ist ungewiss.
84. S.81.
Die ficus Buminalis, so genannt Ton dem Jupiter Ruminus und der Dira
Bmnina, deren Namen wiederum von der rutna = mamma herstammten, also
Prochtbarkeit und Zeugung symbolisiren, s. Preller, Rom. Mythol. S. 368, Corssen,
Kritische Beiträge S..429. — Demselben Vorstellungskreise gehört der Brauch
an, die Büder des Priapus aus Feigenholz zu machen. Wie Feigenbaum und
Schwein als Bilder überschwänglicher Zeugung gleiche Geltung haben, lehrt
die Yariante einer alten Sage bei Strabo (Hesiod. Fragm. CLXIX. Göttling.):
Hesiodus erzählte, Kalchas habe in Eolophon den Mopsus, den Enkel des Tiresias,
gefragt, wie viel Früchte der vor ihnen stehende Feigenbaum trage; als Mopsus
die Zahl und das Mass richtig angab, starb Kalchas in dem schmerzlichen Gefühl,
einen überlegenen Seher gefunden zu haben. Dieselbe Geschichte berichtete
Pherecydes, nur betraf nach diesem die Frage nicht die Menge der Früchte eines
Feigenbaumes, sondern die Zahl der Ferkel, die eine daliegende trächtige Sau
werfen würde. Demgemäss hat man rrvxov und avs^ aus, von derselben hypo-
thetischen Wurzel 8u (generare) ableiten und in ficus eine analoge Bildung von
ßeri^ q>v(iy finden wollen. Dieser Etymologie ist aber schon deshalb nicht zu
trauen, weil die Zeit der Einführung der Feige bei Griechen und Römern eine
zu späte ist, um solche primitive Wortbildungen zu gestatten. Benfey 1, 442 ver-
muthet Entlehnung des griechischen Wortes aus dem Orient und beruft sich dafür
auf avxd/uiyoe. Dass nach dem n ein Digamma stand, aus dem der Vokal v her-
vorging, lehrt die italische Wortform: ficus wurde aus nnxov, mefides aus aq(6€g
und wie /allere gleich ntpaklttv, fungus gleich aqooyyof u. s. w. ist. Da die The-
baner ivxa für avxa sagten und der syrakusische Stadttheil Svxri auch Tvxfj
geheissen zu haben scheint, woraus durch Missverstand das spätere Tu^n im Sinne
von Fortuna entstÄud, so hält Ahrens (de dial. dorica p. 64) tFixov für die Ur-
form. Oder gaben die Griechen den anlautenden fremden Consonanten bald mit s,
bald mit t wieder, wie in Sor, Sar und Tyrus? Dass im Norden der griechischen
Halbinsel auch bei dem verwandten ntxia (für avxva^ avxM) der Anlaut als t
gesprochen wurde, ist aus dem slavischen tykva der Kürbiss zu schliessen, der
den Slaven doch aus den Donaugegenden zukam. Die gothische Benennung für
Feige: smakka, nach welcher Kuhn, Zeitschr. 4, 17, auch für die Griechen eine
Urform sFakva annimmt, ist wohl nur eine Umbildung in gothischem Munde, da
das lange v nicht in den gothischen Vocalismus passte — wenn die Umformung
nicht schon in der Sprache der den Namen vermittelnden Nordstämme der Balkan-
balbinsel vorgenommen war. JVI für ß zu sagen, war barbarische Sitte, Steph.
Byz. *Aßaytig, to *jißavila ^riXvxoy, onfQ xctju ßaQßaqixriv igonr^v tov ß
tts fi *Afjtavi(n Mx^fl naga u4yiiy6yqi iy Maxedoyix^ nsgitiyijati. So wechselte
*AfivS(ov (Stadt der Päoner schon bei Homer) mit Aßv$mv^ Albanien lautet bei
Ptolemäus vielleicht "AX^r\y7\^ der Fluss Boyj^poc bei Herodot heisst hernach
Margus, heut zu Tage Morawa, Bellerophontes wird in Italien zu Melerpanta u. s. w.
Auchp und V werden zu m: ^naldq hiess macedonisch aifftilo;, der Fluss Tila-
ventum ist der heutige Tagliamento u. s. w. So konnte das ursprüngliche Di-
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474 Anmerkimgen.
gamma in avxov den Gothen, als sie an die Donan gezogen waren, in Gestalt
eines m mit dem HöKsvokal a entgegenklingen. Die hinter den (Gothen woh-
nenden Wenden konnten die Feige, natürlich in getrockneter Gestalt, nnr durch
Yermittelung der ersteren erhalten, nnd der slavische Name (altslavisch smokivi
smoky^ smukva) ist folglich dem gothischen nachgesprochen, zn einer Zeit, wo die
Assimilation von kv zn kk noch nicht erfolgt war. Wir bemerken noch, dass der
wilde Feigenbaum fgtvtoey Ton dem aber die Kniturf eige nicht abgeleitet werden
kann, schon bei Homer vorkonmit, nnd dass sein Name mit dem der Fracht,
olvp&o(y vielleicht etymologisch eins und dasselbe ist.
85. S.91.
Die griechischen Benennungen ila^Uy Hatov sind in römischem Munde o/itni,
oleuin geworden (s. Fleckeisen in den Neuen Jahrb. für Ph^L und F&dag. 1866. 1},
und die letzteren Namen finden sich dann weiter in allen europäischen Sprachen,
unter verschiedenen Formen, die Diefenbach, Goth. W. 1, 361, gesammelt hat
Da der Gothe kein kurzes o oder e besass und dieses naturgemäss zu a wurde,
so ist alev Ol, aUvabagiM Ölbaum dem lat oleum oder gr. ^kaiov ziemlich genau
nachgesprochen.
86. S«95.
A. de la Marmora, Itin^raire de Tile de Sardaigne, Turin 1860, 2, p. 358 sagt
von dem sardinischen Ölbaum: ,0/i s'expriinerait maly ä man avi$, si ton voulait
parier de Vintroductlon qu'on y aurait faxte da cette plante puisque ce pay$ eet
visiblement sa patrie naturelle,'^ Diese Bemerkung des trefflichen Naturforschers
ist zwar historisch unrichtig, beweist aber, wie üppig der Baum in dem neu-
gewonnenen europäischen Kulturbezirke gedeiht Auch auf Corsica stehen jetzt
herrliche Olivengruppen, und doch hatten die Römer Mühe den Baum dahin zn
verpflanzen, ja, wenn wir Senecas Rhetorik glauben wollen, fehlte zur Zeit dieses
Schriftstellers der ölbau noch gänzlich auf der wilden Insel, Epigr. super
ezilio 2, 8, 4:
Non poma auctumnus, segetes non educat aestas^
Canague Palladio munere bruma caret.
Selbst auf Sardinien sah sich die Regierung veranlasst, demjenigen den Adels-
titel zu versprechen, der eine Anzahl Ölbäume erzogen haben würde, wie auch
die Venetianer auf ihren griechischen Besitzungen durch Belohnungen zum ölbau
aufmuntern mussten. Der wilde Ölbaum, sagt La Marmora an einer andern
Stelle (Voyage en Sardaigne, ed. 2, 1, 164), bedeckt ungeheure Strecken in der
Hügelregion der Insel Sardinien und erwartet nur die Hand des Impfers, um
herrliche Früchte zu tragen. Ist der Baum hier, möchten wir fragen, wirklidi
wild oder nur — verwildert? Nach drittehalb Jahrtausenden und dem unsäg-
lichen Kriegselend, mit dem sie angefüllt sind, ist die letztere Annahme gewiss
nicht zu gewagt
87. S.106.
Bei den Arabern in Afrika bleibt bei Verwüstungszügen in Feindesland die
Dattelpalme verschont G. RoUfs, Afrikanische Reisen, Aufl. 2, Bremen 1869,
S. 70: „die Felder waren verwüstet, die Wasserleitungen zerstört, die Ksors
(Dörfer) überall von aussen stark verbarricadirt, die Obstbäume umgehauen, nur
die Palme, die immer respectirt wird, erhob traurig ihr Haupt über diese Öden
Felder, wo die Menschen seit zwei Monaten um nichts sich täglich erwürgten.*
S. 186: „Palmen abschneiden gilt unter den Muselmanen für eins der grössten
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Anmerkungen. 475
Verbrechen. Als er (der Ha^j Abd-el- Kader) mir seine Heldenthaten erzählte,
fragte er mich: Hatte ich Hecht, meinen Feinden die Palmenbftnme omzohanen?
Ich erwiederte ihm: Nein, denn hier in der Wüste ist die Palme der einzige
Unterhalt der Menschen. Diese Antwort freute ihn, er sagte, bisher hätten ihm
Alle, selbst die Tholba gesagt, dass er Recht habe, obgleich eine innere Stimme
ihm zurufe, dass er ein grosses Unrecht begangen habe.^
88. S.107.
Das griechische ovof, lat asintta, leiten wir mit Benfey aus einer semitischen
Benennung ab, der im Hebräischen athön, die Eselin, entspricht, wobei im
griechischen Wort der aus dem Dental entstandene Sibilant als vor dem n aus-
gefallen angenommen wird. Aus dem Lateinischen stammen dann weiter das
gothische a»Uus, litauische asilaSj und slavische osilu. Herodot berichtet aus-
drücklich, in Skythien gebe es weder Esel noch Maulthiere, und zwar weil das
Land für diese Thiere zu kalt sei (4, 129: dtä ra t^v/f«), und fügt hinzu, die
skythische Reiterei sei durch die Stimme der Esel in Darius Heer wiederholt zur
Umkehr genöthigt worden. Aristoteles bestätigt dies, mit dem Zusatz, auch bei
den Kelten über Iberien sei es für den Esel schon zu kalt: de animal. generat
2, 8: ^t6nt(j iy tois x^^f^^9^^^''S ov ^iXei yiytai^tu lonotg Jtd t6 dviQiyov ilyai
rijy (pvaiVj olov thqX Zxv&ag *«l tjJv ofiOQoy /(ogav^ ovJk ntgl Kdrovs rovs
vTilg rijg */ßr]Q{ae' %pv/Qc yug xal avrij i X^9^' Eben so bist. anim. 8, 25: Juj-
giyoratoy iT iail luiy iotovT(oy ^(ptüy dio xctX mgl Ilovioy xal iiiy £xv&txr\v
ov yivoyiai oyot. Nicht anders Strabo 7, 4, 18: oyovg le yoQ od igicpovai (Jyf-
piyoy yag lo f^oy), und Plinius 8, 167: iysum animcU (asinus) frigoris maxume
impatiens, ideo non generatur in Ponto. Da der Esel nicht sowohl ein Heerden-
als ein Hausthier ist und sein Geschäft hauptsächlich darin besteht, in den be-
grenzten Räumen fester menschlicher Ansiedelung Lasten hin und her zu tragen
(daher italienisch somaro der Esel d. i. Lastthier, neugriechisch yo/utigt von yofioi
Last, Fracht), so kann er an den ältesten Wanderzügen indoeuropäischer Hirten-
stämme überhaupt nicht Theil genommen haben. Zu den Litauern wird das
Wort von benachbarten deutschen Stämmen gekommen sein, vielleicht schon
frühe, z.B. zur Zeit des Gothenkönigs Ermanarich, denn wie die Hausirer aus
Süden, zogen auch Lustigmacher mit Eseln und darauf sitzenden Affen in den
Barbarenländem umher; auch die ersten christlichen Sendboten konnten die Kunde
des Thieres verbreiten, denn der Esel fand sich in den Erzählungen der Bibel
häufig und war vielleicht auf rohen Bildern aus der heiligen Geschichte zu sehen.
Auch das slavische Wort ist gothischen Ursprungs. Das gothische asilus selbst
aber stammt unmittelbar aus dem Lateinischen, nicht aus asellus, welche Form
in den romanischen Sprachen fehlt und also nicht populär war, auch wider-
sprechend accentuirt ist, sondern aus asinus mit der gewöhnlichen Verwandlung
des n in das der deutschen Zunge geläufigere 1. Ganz ebenso wurde aus lat.
caiinus das goth. katilSf slav. kotlüy ans lagma ahd. lagella, mhd. lagel Fässchen,
aus Organum Orgel, aus cuminum ahd. chumil Kümmel. Andere deutsche Sprachen
haben eine Nebenform, bei der das lateinische n erhalten ist. Von dem keltischen
assal urtheilt auch Stockes (Irish glosses 296) , es könne nach den Lautgesetzen
kein einheimisches Wort sein, sondern müsse aus dem Lateinischen stammen;
an einer späteren Stelle (S. 159) fügt er hinzu, auch oyog und asinuB scheinen
nicht indoeuropäischer, sondern orientalischer Herkunft — In den sog. Terra-
mara-Lagem von Parma, die der Bronzezeit angehören, wurden nur in den oberen
Lagen und zwar nur zweifelhafte Knochen vom Esel angetroffen (Mittheilungen
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476 Anmerkimgen.
der Antiquarischen Gesellsch. in Zürich, Band XIY, S. 186). Der Esel erschien
also in jener Gegend Italiens später als die Bronze.
89. 8.109.
Das homerische ^^iokuv aygoKQttoty kann nur bedeuten: auf der Weide,
in freien Heerden aufgewachsen, noch ungezähmt. Solche junge Thiere kamen
von den Enetem und wurden dann von dem Empf&nger gebändigt und abgerichtet,
ganz wie solches mit den Pferden geschah. Neuere Erklärer des Homer halten
das Maulthier, diesen Bastard von Pferd und Esel, für ein natürliches wild-
lebendes Thiergeschlecht oder erinnern an den equus hemionus der Zoologen,
den Dschiggetai in den Wildnissen Asiens, welcher letztere dann ohne Zweifel
für den zoologischen Garten der Trojaner bestimmt war! — Aber die Onager,
die Liudprand auf seiner Gesandschaftsreise im J. 968 in einem Brühl in Eon-
stantinopel sah, könnten wirklich Dschiggetais gewesen sein. Leider hatte
Liudprand nicht Interesse für die Sache genug, um uns diese wilden Esel ge-
nauer zu beschreiben und sich beim Wächter zu erkundigen, von wo sie be-
zogen waren.
40. S.110.
Das lat. malus wird mit Wahrscheinlichkeit ron dem griechischen uv^losy
Zucht- oder Springesel, abgeleitet, wobei der Ausfall des/ sich in der Länge
des Vocals reflectirt. Mvxloi war nach Hesychius ein phokäisches Wort und die
Phokäer sind ja die Seefahrer und Colonisatoren des Westens. — Das albanesische
(auch walachische) mttske, das slavische müküy misgü, tnüt^, welches sich von
viesiti, mtSati mischen nicht ableiten lässt, muss auf ut;;^ilo( zurückgehen; es fehlt
im Polnischen und Litauischen und wird eine thrakische Wortform sein. Die
heutigen Russen haben ihre beiden Ausdrücke für Maulthier: üchak und loschak,
eben so wie ihr Wort für Pferd, von den Tataren genommen. Wäre uns die
Sprache des grossen thrakisch-illjrischen Volksstammes erhalten, der gewiss schon
in sehr alter Zeit eine Menge Kulturbegriffe nach Norden hin vermittelte, wir
würden in der Urgeschichte Europas bei Weitem klarer sehen. Manches, was
uns jetzt mit dem Schein der üiTerwandtschaft täuscht, würde sich dann, wie
wir glauben, als Kulturwanderung erweisen. — Die beiden Namen für Esel, Pferd,
Maulthier, mannus und buricus, deren wechselnde Formen Diefenbach, Origines
europaeae, S. 378 f. gesammelt hat, scheinen keltischer oder iberischer Herkunft:
wie wenn sie nichts als populäre Entstellungen von rjfi hvoc und optvc (mit Di-
gamma, welches sich als ß darstellt) und über Massalia und die spanisch-
griechischen Städte mitsammt dem Thiere selbst in den ligurischen und iberischen
Westen gedrungen wären? — Das lateinische hinnus für den Abkömmling von
Hengst und Eselin (Varro de r. r. 2, 8, 1 : ej? equa enim et asino fit mulus, contra
ex equo et asina hinnus) ist gleichfalls griechischen Ursprungs: fyvof, tyvos^ yiryoc*
Wenn das y hier einem alten Digamma entspricht, so ist die Einwanderung des
Wortes nach Italien in eine verhältnissmässig späte Zeit zu setzen, was auch
ohnehin der Natur der Sache nach — da diese Art Paarung weniger gebräuchlich
war — wahrscheinlich ist.
41. S.110.
Das griechische nff , aiyog Ziege findet sich im Sanskrit und im Litauischen
wieder und geht also in die Zeit vor der Völkertrennung hinauf. Daraus folgt
übrigens noch nicht ohne Weiteres, dass das Urvolk die Ziege schon als Haus-
tliier besessen habe; es konnte irgend ein springendes Jagdthier mit einem Namen
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Anmerkimgen. 477
beneimen, der sp&ter bei Bekanntwerden mit der zahmen 2iiege anf diese über-
ging — eine Möglichkeit, deren sich diejenigen, die so sicher ans dem Vor-
handensein gewisser gemeinsamer Wörter anf den Enltorstand des primitiven
StammYolkes schliessen, in ähnlichen Fällen häufiger erinnern sollten. Movers,
ganz andern Sparen and Combinationen folgend, sucht die Herkunft der Ziege
aus dem gebirgigen Theil des nördlichen Afrika zu erweisen (11,2, S. 366 fr.).
Die Alten erwähnen hin und wieder wilder 2iiegen in Griechenland und Italien.
AUein Ziegen yerwildem leicht und vermehren sich dann schnelL Auf der Insel
Cerigo waren im siebzehnten Jahrhundert alle Einwohner von den Türken er-
mordet oder weggeschleppt und die Wohnungen niedergebrannt worden. Nur
einige Ziegen waren entflohen. Fünfzehn Jahre später hatten sich diese zu vielen
Tausenden vermehrt, waren aber so wild wie Gemsen geworden (Beckmann,
literatar der älteren Reisebeschreibungen, 1, 647). La Marmora hatte viel von
den wilden Ziegen auf der kleinen Insel Tavolara bei Sardinien gehört, die nichts
als ein ungeheurer Block von kohlensaurem Kalk ist. Nachdem er nicht ohne
Mühe und Gefahr einige dieser Thiere erlegt, ergab die Untersuchung, dass die
wilden Ziegen nichts als — verwilderte zahme waren (Vojage en Sardaigne,
Ausg. 2, 1, 171). Gewiss aber ist, dass die Ziege in den Felsenlabyrinthen der
griechischen Inseln, Siciliens, Sardiniens, Calabriens, so wie in Palästina und am
Atlas sich heimischer fühlt, reichlichere Milch giebt und einen stattlicheren Wuchs
erreicht, als in den nebligen, gras- und waldreichen Niederungen, auf denen in
der Urzeit die germanischen und lituslavischen Stämme ihre Rinder weideten.
42. S.111.
Der Südosten von Europa, die Abhänge der Karpathen und die öich an-
schliessenden Ebenen waren von Urbeginn eine grosse Lindenwaldung, die noch
in historischer Zeit einen unermesslichen Honigertrag lieferte und in der die
unterdess eingerückten Slaven hausten und schmausten. Bei steigender Kultur
des Bodens hatte jeder Zeidler sein bestimmtes Revier im Walde, und die Honig-
bäume wurden gezeichnet Ganz spät erst fanden sich von Süden und Westen
her Bienenstöcke, alvei^ alvearia (mittellat. api/e, lit avilys, slav. uleU bei Hesjchius
dn^iXai' aijxoO bei den Häusern und in den Gärten ein, indess gleichzeitig der
Wald immer weiter rückte. In Litauen und Rassland aber blieb das Honig-
sammeln in den Wäldern noch bis in späte Zeiten überwiegend. Strahlenberg,
das nord- und ostliche Theil von Europa und Asia, Stockholm 1730, 4®, S. 333:
„In Litauen und in Rassland an vielen Orten heget und hält man Bienen nicht
häufig in Körben, noch in aus- und abgehauenen Klötzen oder Stöcken bei den
Häusern, sondern in den W&ldem, an den höchsten und geradesten Tannen-
bäumen, nahe bei deren Spitzen" u. s. w., worauf noch erzählt wird, die Dörp-
tischen Bauern (in Lief land) hätten in alter Zeit mit den Pleskauischen Bürgern
einen Contrakt gemacht, „dass sie in den Pleskauischen Wäldern ihre Bienen-
stöcke halten könnten** — „nachdem aber diese Wälder ruiniret und ausgehauen
worden, hat solches aufgehöret. ** Diese Waldbienenzucht war das Geschäft des
Zeidlers oder Beutners (russ. bortnik, poln. bartnik; Beute = Bienenkorb) und hatte
sich im Laufe der Jahrhunderte von Gallien, wo sie einst auch geblüht haben
muss, nach Germanien, wo die Bienen zur Mark gehörten und die Rechtsbücher
über die Zeidelweide Bestimmungen treffen, und weiter nach Nordosteuropa, wa
sie sich am längsten hielt, zurückgezogen.
48. S.115.
Wir konnten im Text das Thema von der Baukunst natürlich nur flüchtig
berühren, obgleich es bei eingehender Behandlung die fruchtbarsten Gksichts-
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478 ' Anmerkungen.
pnnkte eröffiien würde. Woher stammt z. B. das gothische ram domusf Wie
dieses, ist auch hus das Haus (nach Fick* 47 wSre altn. hus domu$ einerlei mit
altn. haus cranium, nach Grimm entspräche das lat. curia, nach dem Wörterbuch
Iftge die Wurzel sku tegere zu Grunde; das slay. chiza die Hütte muss entlehnt
sein) ein noch unaufgelöstes Bäthsel; wir halten es für ein aus einer iranischen
Sprache geborgtes Wort (vergl. Lerch, Forschungen, S. 88 und 103), wie auch
das vielbesprochene Gott, goth. ^A, ans derselben Quelle stanmien mnss. Die
iranischen Stämme auf europäischem Boden haben in Kultur und Religion
grösseren Einfluss geübt und in den Sprachen mehr Spuren hinterlassen, ab
bisher beachtet worden ist Da nach Tacitus die Slaren viel Ton den Sitten der
Sarmaten angenonmoen und z. B. ihren alten Namen Gottes mit dem iranischen
Tertauscht hatten, wie hätten die Germanen sich dieser Einwirkung, die ihnen
auf mehr als einem Wege zukommen konnte, entziehen sollen? Nicht alle Skjthen
waren ein nomadisches Wagenrolk; einzelne ihrer Abtheüungen, 6ie ZxC&ai apo-
T^Qii und yecDQyoiy bauten den Boden und betrieben GetreidehandeL Die früh
gegründeten Kolonien am Pontus mussten so bildend und erziehend auf sie
wirken, wie Massilia auf die Kelten, und dass die Landsleute des Anacharsis
wenigstens ein entwickeltes Göttersystem besassen, geht aus Herodots Angaben
klar genug hervor. Später waren Quaden und Jazygen, Gothen und Alanen
Waffenbrüder und werden oft zusammen genannt, Amm. Marc. 17, 12: pemUstos
Sarmatas et Quados, vicinitcUe et simüüudine morum armaturaegue Concorde», Auch
der Suevenkönig Yannius, der 30 Jahr unter römischem Schutz regierte, halte
eine sarmatische und jazjgische Reiterei
44. S.120.
Niebuhr, Beschreibung von Arabien, Kopenhagen 1772, 4®, S. 57: „Man hat
ein weisses und dickes Getränk, Busa, welches aus Mehl zubereitet wird ... In
Armenien ist es ein allgemein bekannter TranL Daselbst wird es in grossen
Töpfen in der Erde aufbehalten und gemeiniglich aus denselben ver-
mittelst eines Rohres getrunken.' Dazu in der Anmerkung: „das Busa
scheint einige Aehnlichkeit mit dem Tranke zu haben, welchen die Russen Kisli-
Schti oder mit dem, welchen sie Kwass nennen. ** Letztere sind aber nicht be-
rauschend, wie der Trank des Xenophon war.
45. 8.180.
Das herodoteische Soviovai findet sich noch heute im Innern Kleinasiens
wieder. Ein rohrartig ausgehöhlter Baumstamm ist an beiden Enden mit einem
Brett verschlossen und hat oben ein Loch. Das Gefäss hängt an zwei Stricken
und wird wie eine Schaukel von einem jungen Mädchen hin und her geschwungen,
bis die Butter sich abgesetzt hat. S. die Abbildung bei Van Lennep, Travels
in little-known parts of Asia minor, London 1870, 1, p. 131.
46. S.18«.
Wenn die Behauptung Parthejs (in seiner Ausgabe von Flui de Iside et
Os. S. 158) richtig ist, dass bei den allerältesten Mumien noch Hüllen von Schaf-
wollen angewendet sind und erst von der 12. Dynastie an leinene Binden sich
finden, die von da an im allgemeinen Gebrauch blieben, so ist auch in Aegyptra
der Flachsbau erst eine verhältnissmässig jüngere Kulturerwerbung. Wir würden
dies auch ohne direktes historisches Zeugniss annehmen müssen, denn Aegypten
war bei der ersten Besitzergreifung gewiss ein Weideland, ein Land der vofioL
wozu es die Natur gemacht hatte; nur das ist bemerkenswerth, dass danach die
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Anmerkungen. 479
Sitte der Einbalsaminmg, die Entwickelung höherer politischer Ordnung u. s. w.
der Bekanntschaft mit der Leinpflanze vorausging. — Auch in einem altchal-
duschen Grabe — also aus einer Zeit, die dem Reiche Babjlon vorausgegangen
sein soll — wurden angeblich Stücke Leinwand gefunden, Journal of the R. Asiatic
Society, t. XV. p. 271: „Pieces of linen are observed about the bones, and the tohole
dxleton aeems to have been bound with a species of thong.^ Aber war es wirklich
Leinwand und nicht vielmehr Geflecht aus irgend einer bastartigen Pflanze?
47. S.187.
Die Zahl der F&den 860 entsprach offenbar der Zahl der Tage des ältesten
Jahres (Peter von Bohlen, das alte Indien, 2, S. 270). Der Aegypter war so tief
in Symbolik befangen, dass nichts für ihn ausserhalb der Beligion lag, dass er
das Realste, was es geben kann, die nach äusseren Yerstandeszwecken verfahrende
Technik des Handwerks, durch Mystik heiligte und an den Himmel knüpfte. Was
politische und wissenschaftliche Romantiker des neunzehnten Jahrhunderts ge-
sucht und als Forderung aufgestellt haben, christlicher Staat, christliche Volks-
wirthschaft, christliche Astronomie u. s. w., war im alten Aegypten wirklich einmal
vorhanden. Goethe, Farbenlehre, Zur Geschichte der Urzeit: „Stationäre Völker
behandeln ihre Technik mit Religion." Literessant aber ist, dass in dem Bericht
des Plinius, fünfhundert Jahr nach Herodot, statt der Zahl 360 schon 365 er-
scheint, eine stillschweigende Verbesserung der Sage, durch welche zugleich die
obige Deutung bestätigt wird. Auch die beiden ägjrptischen Masse, die den
Namen hinn und kiti führten, wurden in je 360 Theüe zerlegt (Lepsius in der
Zeitschrift für ägyptische Sprache, 1865, S. 109), — eine mystisch-religiöse Ein-
richtung, da für die Praxis die ünterabtheilungen zu klein waren. — Die Webe-
knnst, bei welcher zwei entgegengesetzte Richtungen ein aus ihrer Durchdringung
entstehendes Drittes erzeugen, bot übrigens der mythischen Phantasie der ältesten
Zeiten von selbst das Bild zweier Naturpotenzen, einer empfangenden und einer
zeugenden, und ihrer fruchtbaren Vermischung.
4S. S. 188.
Wäre die kolchische Leinwand über die lydische Hauptstadt Sardis ge-
kommen, so hätte das Adjectiv vielmehr JS«pJr»jvov, ^ag^irivixoy lauten müssen.
Da Herodot sagt, die Kolchier und Aegypter webten auf dieselbe Art, xaia lai/idn
— gab es vielleicht auch in Kolchis ein Gewebe, dessen Fäden aus 360 noch
feineren bestanden, und hiess ein solches sardonisch nach dem lydischen und
ganz allgemein iranischen Worte aagötg, das Jahr? — Wie Herodot bringt auch
ein neuerer Naturforscher den ägyptischen und kolchischen Flachs in Verbindung,
ünger. Botanische Streifzüge auf dem Gebiet der Kulturgeschichte, Wiener
Sitzungsberichte, Band 38, S. 130: „Die Leinpflanze ist nicht in Aegypten ein-
heimisch, sondern daselbst eingeführt und zwar, nach der Natur der Pflanze zu
urtheOen, aus viel nördlicher gelegenen Ländern, wahrscheinlich aus Kolchis.^
Aber letzteres doch gewiss nicht direct, sondern über Babylonien.
49. S.189.
Ritter, üeber die geographische Verbreitung der Baumwolle u. s. w. (in den
AbhandL der Akad. der Wissensch. zu Berlin aus dem Jahre 1851), deutet S. 336 ff.
die o^ovttiy 6&6via als baumwollene Stoffe, aber ohne einen haltbaren Grund
anzuführen und bloss auf eine verfehlte Etymologie gestützt. Nach H. Brandes,
üeber die antiken Namen und die geographische Verbreitung der Baumwolle im
Alterthum, S. 106, bezieht sich der Ausdruck 6&6yfi „nicht sowohl auf einen be-
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480 Anmerkimgen.
stimmten Stoff, als vielmehr auf bestimmte Arten oder Formen Ton Geweben,
welche als Kleidungsstück dienen konnten.** Mit anderen Worten also : die 6»6yat
können bei Homer sehr wohl LeingewÄnder sein, auch wenn späte Schriftsteller
unverkennbar baumwollene darunter verstehen.
50. 8.U9.
Wie die europäische Urwelt in der Waldepoche sich Stricke schaffte, davon
giebt uns eine Stelle der Odyssee 10, 166 ff. ein anschauliches Bild. Odysseiis
hat auf der Insel der Circo einen HirSch erlegt, ein ungewöhnlich grosses Thief ,
und es handelt sich darum, die Beute zu den Gefährten am Meeresstrande zu
schaffen. Er rafft Gezweig und Ruthen, ^wnus n luyovg rt, zusammen, flicht
daraus einen klafterlangen, von beiden Enden wohlgedrehten Strick, mlofAn
tvajQi(pkg äfi(poi4Qai»iVy bindet dem Thier damit die Füsse zusammen, hängt es
sich um den Nacken und trägt es so hinab zum schwarzen Schiffe. Damit ver-
gleiche man folgendes Wort bei Nesselmann, Wörterbuch der litauischen Sprache,
S. 180: kardelus oder kardelis ein starkes Tau zum Anbinden der Holzflösse und
Wittinnen (Art Flussfahrzeuge), meist von Bast oder Reisern geflochten;
das Ankertau auf grösseren Schiffen; die Drittstange am Wagen, eine junge
mit einer geflochtenen Oese versehene Birke oder auch ein Strick,
woran das dritte Pferd gepannt wird. Was in dem unentwickelten Litauen noch
heute Brauch ist, das übten auch die Germanen in einem frühen Zeitalter.
Grimm, RA. 683: „Das einfache Alterthum drehte statt der hänfenen Seile Zweige
von frischem, zähem Holz,^ ahd. uni, mhd. wicUt lancwit^ widen binden, nhd.
Wiede, Langwiede, auch in den übrigen deutschen Sprachen, so wie in den
keltischen und slavischen, sich wiederfindend (die verschiedenen Formen bei
Diefenbach, G. W. 1, 146). Die Wiede diente zum Zusammenbinden der Dächer
und der Flösse, am Wagen und Joche, zur Koppelung der Thiere, zur Geisselung
und als Seil beim Aufhängen der Verbrecher u. s. w. In jeder Hinsicht ent-
sprechend ist das lateinische viti$. Dieses Wort bedeutet nicht etwa die sich um
einen Baum oder Stock rankende Pflanze, sondern, wie vitex^ vimen und das
griechische /r/rr, ein biegsames, dem Menschen zum Winden, Binden und Flechten
dienliches Gewächs. Yergil sagt lentae vites wie lenta salix. Wie der Sclave
und üebelthäter mit der geflochtenen Wiede geschlagen wird, ja das mhd. Yerbum
widen geradezu schlagen bedeutet, so bildet bei den Römern die väis in der
Hand des Genturionen das Werkzeug der Züchtigung für ungehorsame Soldaten,
z. B. Liv. Epit. 57: quem tnilitem extra ordinem deprehenditj si Romanus esset, vi-
tibus, si extraneus y fmtibus cecidit. Ein der Rebe ähnliches Rankengewächs, die
Brjonie, lat. viiis alba, dessen Name wahrscheinlich auf den Weinstock überging,
wird von Ovid ausdrücklich mit der Weide zusammengestellt, Met 13, 800:
Lentior et Salicis virgis et vitibus eUbis —
und diente wie Ginster und Binse zum Eorbflechten, Serv. ad Y. G. 1, 165: quo-
niam de genistis vel junco vel alba vite solent fieri. Man vergleiche auch altn. sneis
Zweig, mhd. sneise Schnur. Eben so ist wohl das ahd. repa die Rebe mit goth.
skaudaraip Schuhriemen, ahd. reif das Seil verwandt, bezeichnete also ein zu
Flechtwerk und Stricken dienendes Gewächs, einen Strauch mit biegsamen Ruthen,
in dem das Rebhuhn zu nisten pflegt, und wurde später auf die Weinrebe nach
deren Bekanntwerden angewandt Französisch hiess und heisst die Wiede hard,
hart, die zum Binden dienende Weidengerte harcelle, also gegen das litauische
kardelus mit germanischer Lautverschiebung und folglich aus dem Deutschen
stammend.
Ein Schritt weiter war es, wenn der Bast der Bäume, ein noch weiterer.
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Anmerbrngen. 431
wenn die Fasern der Nessel zu Seilen, Z&umen, Gürteln, Zeugen, Kleidern,
Sddlden u. s. w. verarbeitet wurden. Die Massageten kleiden sich in Bast, Strab.
11,8,7: afin^x^yjttt d^ (ol Maaaaydm) roiff raiy Jiydotov (fXoiOvSy und ebenso
die Germanen, Mela 3, 3, 2: mri sagt» velantur, aut libris arborum, guamvis saeva
kieme, und tragen Schilde von roher Baumrinde, Val. Flacc. 6, 97 (von den
Bastamen):
guoSy duce Teutogono, crudi mora corticis armat.
Zu solchem Bastgeflecht diente besonders die Linde, die auch in allen Sprachen
nach dieser Eigenschaft benannt ist. Das griechische (piXvQu heisst Linde und
Bast und ist sicher mit yicioj Rinde und tfiXkoQ Kork verwandt. Theophr. h.
pL5, 7,5: l;f€t 6h xn\ (17 (ptXvga) roy <f\Xoi6y X9V^*f*^^ ^POf ^* ""* 0x01 v(a xai
ngbg tag xiomq. Also noch Theophrast kennt den Gebrauch des Lindenbastes
zu Stricken und zu Kisten. Li der grossen Lindenregion Europas, in Weiss- und
Kleinrussland und den an die Karpathen sich lehnenden Landschaften ist die
Lindenrinde noch heut zu Tage in lebendiger Anwendung und dient je nach dem
Alter des Baumes zu Wagenkörben und FlusskÄhnen, zu Matten, Stricken, Schuhen,
Säcken, Sieben u. s. w. Man berechnet die Zahl der hier und in dem waldreichen
russischen Nordosten, in Wiatkau. s. w., zum Behuf der Sch&lung jährlich ge-
fällten Bäume auf etwa eine Million; der Bast wird in Wasser geweicht und das
Material ist fertig. Ahd. lirUa, ags. und altn. lind die Linde, altn. lindi der Gürtel;
das Lind in deutschen Mundarten so viel als Bast, Lindschleisser in der älteren
Sprache gleich Seiler (Grimm RA. S. 261 und 520). Von dem deutschen Lind
kann das lateinische linteum nicht getrennt werden; nach Wackemagel würde
auch das romanische barca die Barke aus dem niederdeutschen Borke, altn. borkr
abzuleiten sein, doch scheint das griechische ßcigig^ welches vielleicht aus Aegjpten
stammt, das messapische ßn^iQ und lateinische barU grösseren Anspruch zu haben.
Das homerische nur im Dativ und Accusativ vorkommende Air/, Xtra (also für
XiytC Xiyjo) ziehen wir mit Pott gleichfalls hierher: es bedeutete ein gröberes
Tuch, ursprünglich wohl eine Matte aus Lindenbast: der weggestellte Wagen
wird damit bedeckt, es wird auf den Sessel gebreitet und dajüber die schöne
purpurne Sitzdecke, der Leichnam des Patroklus wird damit verhüllt und darüber
das weisse Leichentuch geworfen. Ob wir uns dabei im Sinne der Sänger noch
eine wirkliche Bastmatte oder schon ein grobes Leinenzeng zu denken haben,
bleibt ungewiss. Lateinisch tilia Linde, tüiae Bast, französisch teilkr Hanf brechen,
italienisch Hglio HanMnde. Dem slavischen lipa^ litauischen lepa die Linde ent-
spricht gr. Xinny schälen, Xiniog zart (durchgängig von Zeugen aus Flachs ge-
braucht, Xiniä i5</)ao^«Ta = linnene Gewebe), Ht. Zupft schälen, ahd. louft^ Inft
Baumrinde. Ebenso gehört lat licium ohne Zweifel in dieselbe Reihe mit lit.
ImkaSy russ. pohu czech. lyko der Bast. Wie lat. liber beweist, war Bast auch das
älteste Schreibmaterial. Ulp. Dig. 32, 52: Librorum appellatione continentur amnia
Volumina f sive in Charta^ sive in membrana sint^ sive in quavis alia materia: sed
et 91 in philyra aut in tilia, ut nonnulli conficiunt, aut in quo alio corio, idem erit
dicendum. Mit Anbruch der historischen Zeit ist dieser vielgebrauchte Stoff überall
im Verschwinden, aber manche Benennungen, die ihm gegolten hatten, gingen
auf die neuen Pflanzen über, die an seine Stelle traten.
Schon dem Flachse näher stehen die Gewebe aus den Fasern der gemeinen
wildwachsenden Nessel. Sie sind bei den Halbnomaden an der Grenze Asiens
und Europas, einer Gegend, die bei dem stufenmässigen Zurückweichen der älteren
Culturepochen nach Osten uns oft in überraschender Weise die Gestalt Ureuropas
vor Augen stellt, noch heut zu Tage ganz gewöhnlich. Die Weiber der Basch-
kiren, der Koibalen, der Sagai-Tataren u. s. w. verarbeiten die urtica dioeca nicht
Yict. Hehn, KultDrpflans«ii. 31
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482 AnmerkimgeiL
bloss zu Netzen und Gameo, sondern anch zn einer Art Leinwand, s. Storch,
Tableau historiqne et statistique de Pempire de Bnssie, 1801, IL 249. Ton den
Baschkiren berichtet Pallas, Reise durch verschiedene Provinzen des russischen
Reichs, St Petersburg 1801, L 8. 448: „Ihr grobes Leinenzeug zur Kleidung ver-
fertigen sie grossentheils selbst, indem sie auch von der gemeinen grossen
Nessel Garn spinnen. Diese Nessel wächst in dem fetten Erdreich bei den Woh-
nungen h&nfig und wird wie der Hanf im Herbst ausgerauft, getrocknet, danach
etwas eingewässert, der Bast am meisten mit den Händen durch das Brechen der
Stengel abgezogen und zuletzt in hölzernen Mörsern gestampft, bis nichts als das
Werg übrig bleibt^ Ein Handelsbetrug, der in Turicestan oft vorkömmt, besteht
darin, dass Nesselfäden mit der Seide verwebt werden und das Zeug als reiner
Damast verkauft wird. Nestor erzählt an einer merkwürdigen SteHe, Oleg habe,
von Konstantinopel wegschiffend, den Schiffen der Russen Segel aus powohka^
denen der Slaven Segel aus Nesseln, kropiva^ gegeben, Schlözer, Nestor, HL,
S. 295 f. (Das erstere Wort erklärt Krug, Zur Münzkunde Russlands, St Peters-
burg 1805, S. 109ff. ab verderbt aus „babylonisches Zeug** d.h. Seide; viel-
leicht waren die Segel von Nesseln linnene mit Beibehaltung des alterthümlichen
Ausdrucks, nur feinere, denn die Slaven beklagen sich, dass sie ihre gewöhnÜchen
groben nicht bekommen haben, die dem Sturme besser Widerstand geleistet
hätten). Dass auch die Grermanen Netze aus Nesselgam strickten, lehrt die ety-
mologische Verwandtschaft dieser beiden Wörter, goth. nati, ags. net das Netz,
ags. netele die Nessel u. s. w.; auch die Nessel, preuss. noatis, lit notere^ lett ndtra^
altirisch nenaid (reduplicirt, Cormac p. 126), scheint vom Nähen so benannt
Noch Albertus M. kennt den Gebrauch der urtica zu Geweben, de vegetabilibus
ed. Jessen 6, 462: ducu autem habet peiies (urtica) y interiorem et exteriorem: et
illae Munt, ex quibus est operatio, sicut ex Uno et canabo. Und gleich darauf:
sed panmtB urticae pruritum excitat, quod non facit Uni vel canabi. Auch das
Chinagras, das wir jetzt aus Indien, Java, China beziehen, ist nichts als die
Brennnessel oder eine Varietät derselben und liefert Stoffe, die der Baumwolle in
jeder Beziehung überlegen sind.
Als der Flachs den europäischen Völkern zukam, da war es natürlich, dass
die vorhandenen Namen des Bastes und der Nessel und der aus ihnen gear-
beiteten Produkte auf die neue Gespinnstpflanze übergingen. So erhielt das la-
teinische Unteum den Sinn von Leinwand, während im Deutschen Lind die Be-
deutung Bast und Linde die des basttragenden Baumes bewahrte. Ein keltisches
Wort für Nessel ist kymbrisch dynat^ danady welches altkomisch Unhaden, ar-
morisch Unad^ Unad, Unaden lautet (Zeuss' 1076). Das Primitiv davon scheint in
dem bei Dioscorides aufbewahrten dakischen Svy = xr^rj^ urtica (Diefenbach
O. E. S. 329) und mit demselben Wechsel von d und 1, wie bei dynad und Unad,
in dem griechischen X^roy vorzuliegen. Ist die letztere Vermuthung gegründet,
so würden die GWechen, als ihnen in vorhomerischer Zeit der Flachs und die
Leinwand von Asien her zugetragen wurde, ihre Bezeichnung der Nessel und des
Nesselgeflechts auf das ähnliche, wenn auch vollkommnere Gespinnst aus Flachs
angewandt haben. Der ursprünglich kurze Vocal wurde mit der Zeit und in
einigen Landschaften lang: ITyoy (der umgekehrte Vorgang wäre nach den sonst
beobachteten Gesetzen sprachlicher Entwickelung minder wahrscheinlich), und
80 lautet das Wort bei Aristophanes Pac. 1178 und beim Komiker Antiphanes
(Athen. 10, p. 455) — welch letztere Stelle Meineke mit Unrecht durch Conjectur
ändert In dieser jüngeren Gestalt fnden wir das Wort in Italien wieder: timm;
von da kam es zu den transalpinischen Völkern, goth. lein u. s. w. — Die deutsche
Sprache hat noch zwei Ausdrücke für die Pflanze selbst, beide sichtlich vom
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Anmerkungen. 433
ileckten nnd Weben entnommen nnd mit Wörtern der Bedeutung Haar sich be-
ruhend: ahd. /Iah» nnd Aarti, gen. harawes (ersteres hat im litauischen plaukoM
und slaTischen o^otti den Begriff Haar, im lit plauizas den von feinem Bast;
fahsj das Haar, die Nebenform Yonßahi, ist eins und dasselbe mit dem griech.
a^xogy näaxog, welches letztere Wort der Scholiast zu Nie. Ther. 549 erklart:
nfaxog Jk lor q>Xoi6y i^f ßoiayrj^y also Bast, rt^xtj k&mmen, lai pecto; haruj
altn. kor^ der Lein, halten wir für identisch mit dem slar. kropiva, die Nessel,
und dem alban. kerp = Hanf).
Unter den aus Schweizer Seen aufgefischten Gegenständen haben sich auch
Böndel geemteten Flachses, Stücke linnenen Zeuges, aus Flachs geflochtene
Matten n. s. w. gefunden. Da namhafte Naturforscher in den genannten Ueber-
resten wirklich die Fasern des Flachses erkannt haben, so dürfen wir an der
Thatsache nicht zweifeln, obgleich bei Garrigou et Filhol, Äge de la pierre polie,
Paris et Toulouse, s. a., 4®, p. 51 es vorsichtiger Weise nur heisst: le lin leur
üaU probablemenl cownuy h moinM qu' une autre plante ä ecorce filamenteuse (die
grosse Nessel?) aä pu leur foumir de quoi faire de» vStement». Der Flachs war
übrigens nicht unser jetzt gebräuchlicher, sondern eine besondere YarietAt. 0. Heer
in den Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich 15, 312: „Der Pfahl-
bautenlein ist nicht der gemeine Flachs. Der schmalblättrige Flachs, linum an-
guttifolium Hud»,, der in den Mittelmeerl&ndem von Griechenland und Dalmatien
weg bis zn den Pyrenäen zu Hause ist, darf als die Mutterpflanze des kultivirten
Pfiüilbautenleins bezeichnet werden. Dass die Pfahlbautenleute ihren Flachssamen
aus dem südlichen Europa bezogen, beweist das kretische Leimkraut^ — welches
letztere sich nämlich als Unkraut unter den Flachsresten findet. Danach also
war der Schweizer Flachsbau erst von dem italischen abgeleitet. Je ausgebildeter
wir uns überhaupt den Acker- und Obstbau bei den Bewohnern dieser Wasser-
bauten denken, desto tiefer in der Zeit müssen wir sie herabrücken. Man erwäge
wohl, dass die aus dem Grunde der Seen heraufgeholten Gegenstände, so in-
teressant ihr Anblick sein mag, doch unmittelbar chronologisch nichts aussagen
imd dass Alles, was über die £poche dieser Kultur vermuthet worden ist, nicht
der Betrachtung ihrer Reste, sondern anderweitigen oft sehr luftigen Erwägungen
imd Voraussetzungen entnommen ist. Wenn es das Glück so fügte, dass sich
mitten in einem dieser Flachsbündel ein massaliotisches Geldstück eingeschlossen
fände, oder wenn eine gütige Fee uns einige wenige Wörter der Sprache dieser
Pfahlbauer, z. B. die Namen, mit denen sie den Flachs, den Weizen, den
Pflug u. 8. w. bezeichneten, vertrauen wollte — welch ein heller Lichtstrahl fiele
plötzlich in diese dunkle Welt! Wir würden uns nicht wundem, wenn sich dann
ergäbe, dass diese räthselhaften Urmenschen mit den steinernen Werkzeugen in
der Hand Niemand anders als die Väter der uns seit Cäsar wohlbekannten Hel-
yetier waren und dass die höhere Kultur, deren Spuren wir bei ihnen finden, von
den Ufern des mittelländischen Meeres stammte.
51. S 157.
MoYers, Phönizier, 2, 3, 157 behauptet ganz grundlos: „Hanf zu Schiffsseilen
und Segein wurde in der ausgezeichnetsten Güte in Phönizien gezogen.^ Das
könnte höchstens von der Bömerzeit wahr sein, wo auch der Hanf der karischen
Stadt Alabanda im höchsten Bufe stand. — Der an einer einzigen Stelle im
Homer vorkommende Ausdruck anagia für Schifistaue, H. 2, 135:
xal (fjj SovQot aiarin» vaav xn\ ana^na Ukvytai —
lässt über den Stoff, aus dem sie gefertigt waren, im Dunklen. Vergleicht man
indess das verwandte Wort anvQd^ lat. »porla der Korb, so wird glaublich, dass
31*
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484 Anmerkungeii.
auch onuQioy aas einer Binsen- oder Ginsterart gedreht war. Aher die anagra
nvxya fniQttfifjt^va an den Leinwand -Harnischen der Chalyher hei Xenophcn
Anah. 4, 7, 15 mögen hänfenen Stoffes gewesen sein, da die Chaljher derojenigren
Landstrich und Yolksstamme nahe wohnten, wo der Hanf zuerst auftritt.
52. S.15S.
Kehen dem allgemein europäischen Ausdruck hahen die Slaren ein eigen-
thümliches Wort für Hanf: russisch penka^ poln. pienka, czechisch pinek, penka.
Sie könnten dies, wie so vieles Andere, Ton den Skjrthen oder Sarmaten entlehnt
hahen, denn neupersisch und afghanisch beng^ bang und schon vedisch bhanga
der Hanf, zendisch banha Trunkenheit, Baflga Name des Daeya der Trunkenheit,
8. Justi, Handbuch, S. 209. Ein zweiter slavischer Ausdruck poskanl (so auch
russisch und czechisch) stellt sich zu ahd./oA«, gr. nioxtUy das polnische pio$kon
zu ahd. flahi — ein merkwürdiger Parallelismus beider Sprachgruppen. — Bischof
Otto von Bamberg fand bei den heidnischen Slaven in Pommern viel canapumj
s. Herbordi vita Ottonis bei Pertz, Scr. 20 p. 746.
58. 8.164.
Wie die Lokrer mit den Siculem sollte der attische Feldherr Hagnon mit
den Barbaren am Strymon verfahren sein: er leistete ihnen den Eid, drei Tage
nichts unternehmen zu wollen, warf aber bei Nacht seine Befestigungen auf und
gründete so Amphipolis (Polyän. 6, 53). Als die Perser Barke in AMka ver-
geblich belagerten, schwuren sie den Barkäem zu, gegen einen zu zahlenden
Tribut die Belagerung aufheben zu wollen. Dies Versprechen sollte so lange
gelten, als die Erde, auf der sie stünden, unter ihren Füssen halten werde. Der
Boden war aber künstlich unterhölt, die Erde sank zusammen und die Stadt wurde
überfallen und eingenommen (Herod. 4, 201). Durch buchstäbliche Aaslegang
erwarb sich auch Dido den Boden zur Gründung von Karthago. Bei dem Mönch
von Corvey, Widukind, landet der Stamm der Sachsen zuerst in Hadeln. Einer
ihrer Jünglinge kauft; den Thüringern für viel Gold einen Haufen Erde ab und.
wird als Betrogener ausgelacht. Hinterher aber bestreut er weit und breit das
Land mit dem erkauften Staube und so gehört der Grund und Boden den Sachsen.
Dieser Anspruch wird dann durch eine blutige Schlacht und die Niederlage der
Thüringer bekräftigt Auf ähnliche Art kam die Wartburg in den Bedti der
Landgrafen von Thüringen. Zwölf Ritter, im Burghof stehend, schwuren bei
ihren Schwertern, dass sie auf landgräflichem Boden stünden: sie selbst aber
hatten vorher thüringische Erde in den Burghof geschafft — Bei Naturvölkern
mit noch unentwickeltem sittlichen Gefühl wird die List bewundert, wie die
Tapferkeit Der Eid wird gefürchtet, aber nur als Formel, und so ist auch das
Becht noch unabtrennbar vom SjmboL Noch jetzt machen ungebildete Menschen
den Eid unwirksam, indem sie eine Art Gegenzauber anwenden, z. B. während
sie die rechte Hand zum Schwur erheben, die drei Finger der linken hinter dem
Bücken nach unten ausstrecken u. s. w.
54 S. 1S6.
IjQurus abgeleitet von /uo, lavo. Derselben Herkunft ist Lavimoy L<wmium^
die angeblich mit Lorbeer umpflanzte Sühnstadt Laurentum u. s. w. s. Schwegler,
Komische Geschichte, 1, S. 319f. Diese Herleitung würde noch sicherer sein,
wenn wir mit Benfej das griechische dn<f>yri mit ^^qxo, 6i\p(a^ 64^fto in der nr-
sprünglichen Bedeutung benetzen, anfeucliten in Verbindung bringen dürften.
Aber störend ist das thessalische davxva in dem zusammengesetzten Worte kqx*'
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Anmerkungen. 485
^avxvatfOQkiaag bei Boeckh C. I. no. 1766, so wie das jetzt bei Nicander an zwei
Stellen (Ther. 94 und Alexiph. 199) wiederhergestellte Savxvog für Lorbeer. Andere
haben das Wort daher von einer Wurzel mit der Bedeutung brennen ableiten
wollen (Legerlotz in Euhn's Zeitschr. 7, 293), wo denn der Lorbeer hmner noch als
lustrirender, nur nicht als durch Spülen, sondern durch aromatische Bäucherung
reinigender Baum benannt wäre (Paul. Epit. ed. 0. MnUer, p. 117: iiaque eandem
launtm omniims suffittonibus adhiberi solitum erat). Stände danach das / im latei-
nischen lavTus für dy wie in anderen bekannten Fällen? Die Pergäer in Klein-
aden sagten k€iq}vri für dttq}yri nach Hesychius. Derselbe hat ein Wort, welches
wegen der Ableitung mitr nahe an das lateinische heranreicht: Svage^a* ij iy
toTg Ti/nmai dacpvTi* — Wenn das griechische Wort aus einer asiatischen Sprache
stammt, dann ist natürlich alle Bemühung um etymologische Erklärung aus dem
Griechischen yergeblich. — Auch juvqtos (jiVQaCvri^ fiuggCvri, ^vQ(yri) ist, weil von
uvgov^ fivQQa, ojuvgya nicht ZU trennen, ein orientalisches Wort. Li der ältesten
Zeit wurden die Sträucher, deren Blätter und ausschwitzendes Harz zu Wohl-
geruch dienten, nicht genau unterschieden. Zu den im Texte angeführten Stellen
ist noch Serv. adV. A. 3, 23 zu fügen, wo Myrene, ein schönes Mädchen,
Priesterin der Venus, weil sie einen Jüngling heirathen wiU, von der Göttin in
eine myrtus verwandelt wird. Dass im Namen der Myrrha, der Tochter des
Cinyras, der Begriff Trauer stecke, wie Movers 1,243 wollte, ist nach dem
Obigen nicht glaublich.
56. S. 1S8.
Schneider zu der ang. Stelle des Theophrast bemerkt: is (Plinius) igitur out
pJara in $uo libro scripta legit, aut aliunde inseruit Mithridatis nomen. Aber den
Namen des Mithridates kounte Plinius doch nicht in seinem Exemplar des Theo-
phrast finden, der zweihundert Jahr vor Mithridates lebte. Beispiel gelehrter
Zerstreutheit!
56. S.192.
Sollte nicht umgekehrt der griechische Name nv^og erst von den Produkten
der feineren Holztechnik und der Eunstschreinerei auf den Baum übergegangen
sein? Dass das Wort zu nrvaao) gehört, darüber kann kein Zweifel sein; der zu
Grunde liegende Begriff kann aber nicht biegsam sein, wie Benfey im Wurzel-
wörterbuch vermuthet, denn der Buchsbaum zeigt gerade die entgegengesetzte
Eigenschaffe, eben so wenig der des krausen, krummen Strauches, wie Grimm
wollte, denn ntvoota sagt gerade das Gegentheil aus: falten, schichten, fügen,
zurechtlegen, aus Tafeln zusammensetzen. Schon Homer hat titvxh für die Lagen
des Schildes, iy* nCyaxt nrvxt^ für die Doppeltafel, auf deren innerer Fläche
Zeichen eingegraben waren, Pindar vfivtov mv^aU für die wie bei kunstreichen
Gefässen in einander greifenden Fugen der Gesänge u. s. w. Hat der Baum von
solchen aus seinem Holz gefugten Kisten und Tafeln den Namen, so folgt, dass
der Handel diese, so wie vielleicht Blöcke des rohen Materials, den Griechen zu-
führte, ehe der Baum selbst ihnen zu Gesicht gekommen war, — eine Bestätigung
der im Text geäusserten Ansicht. — Der Name Kvitugogy Kmtogoy könnte
griechisch, nicht barbarisch, sein, wenn nämlich darin in äolischer Form das sehr
alte Wort steckt, welches als xoriyoj bei den späteren Griechen den Oleaster,
bei den Lateinern als cotinus irgend einen Strauch in den Apenninen bedeutete,
bei den Sinopeem aber vielleicht den auf dem Gebirge wachsenden bttsus be-
zeichnete.
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486 Anmerkungen.
57. S.198.
Benfej, 2, 872. Das m des semitischen rimtnon ging „dnrch eine sehr natar-
liche Umwandlung^ in das griechische Digamma über. Hesjchins kennt noch
für eine Sorte grosser Granat&pfel den Namen ^ißtßat. (Wenn freilich, was er
hinzusetzt, das Wort lante besser ^(fißau ond die roransgehende Glosse: ^fyißQtu'
^ofa/. AioltTc sicher w&re, so würden andere Yermnthnngen Platz greifen).
Dasselbe semitische Wort steckt yieUeicht im ersten Theil yon ogoßaxxoi (SchoL
ad Nie. Ther. 869: liytiai dk ofioCua ^ i(dy&fiatg xüy ^oiüv ogoßaxxoc) oder
6Qoß(ixx7j (ILesjclL ÖQoßnxxfl' ßorayti Tic. ot Sk t^c ^oiag lovi xaQnov(, ov( iyiot
xvtiyovi), Avjipoi gilt auch für die Blüte, ans der sich die Fracht entwickelt,
SchoL ad Nie. Alex. 610: xvrtyov tpaat t6 av^oc xfig ^otäg, ZntQ avitj^iy ^oiä
y^ycrai, Zn den Yersen des Nicander, Alex. 489:
ß(ivxoi i* akXoit xttQuoy akii q>oiytodta a(dnQ
KgriaidoQy olytuTifjt ri xal ^y JT^o/u/kciov l/iovai —
bemerkt der Scholiast: otytonfjs' dSoc ^oiSs xal oiya^og. xa\ nqofxiyaoy ^ dSog
^oiac, tuyofiaat d* auj^y ano iiyoc ÜQOfiiyov JTpijro;. Bei aißdrj erinnert Pott
EF.'4, 81 an das persische $eb = pomum, malum. Yon dem Namen der Blüte
ßalavauoy (wohl auch ein orientalisches Fremdwort, s. Low, Aram&ische Pflanien-
namen, S. 364) stammt bekanntlich das italienische balauslro, balamtrata vl s. "w.
und also auch unser Balustrade.
58. 8 198.
Fiedler (Reise, 1,625) erz&hlt: „Als König Otto 1834 an den Thermopylen
war, brachte ein altes Mütterchen einen stattlichen Granatapfel und wünschte dem
König so yiel glückliche Jahre, als Kerne sich darin bef&nden.^ Dies erinnert
an Herodot4, 143: Als Darius einen Granatapfel öffnete und gefragt wurde, yon
welchem Ding er eine so grosse Anzahl wünsche, als Kerne in der Frucht wären,
erwiederte er, so viel Getreue, die dem Megabazus glichen, und das werde er
noch höher schätzen, als Griechenland unterworfen zu sehen. Dieselbe Geschichte
erzählt Plutarch (Regum et Lnp. apophthegm. m.\ aber mit Bezug auf Zopjns.
59. S.202.
Solche xQ^ya werden auch die Lilien sein, die man auf assyrischen Basreliefs
geftmden haben will (G. Rawlinson, the five great monarchies, 1, 440}, so wie die-
jenigen, nach deren Bilde die Säulenknäufe des salomonischen Tempels gearbeitet
waren. Auch die xoCya^ die Phidias auf dem Mantel des olympischen Zeus an-
gebracht hatte (nach Pausan. 5, 11, 1 — wenn es mit dem Text seine Richtigkeit
hat), sind nicht als lilia Candida, sondern als stilisirte, allgemeine Blumenformen
zu denken. Die ägyptischen, rosenähnUchen, im Flusse wachsenden xqCyta werden
als Nymphaea Nelumbo L, gedeutet.
60 S. 202.
üeber {^oSoy, ßgoSoy und die identischen Wörter im Armenischen, Knr-
dischen u. s. w. siehe die Citate bei Pott EF.' 2, 817. Das armenische vard fahrt
nach Spiegel Beiträge, 1, 817) auf ein altpersisches vareda, aus dem, mit Verlnst
des schliessenden c?, auf regelmässige Weise das heutige, schon im Huzy&resch
Torkommende guly die Rose, entstand. Auch Spiegel bestreitet die semitische
Herkunft des Wortes. Für unzweifelhaft persisch muss Xdgioy = persisch i(M
die Lilie (Benfey 2, 137) gelten. Susa, die Winterresidenz der persischen Könige,
sollte Ton dem Lilienreichthum der Gegend den Namen haben, denn persisch
oovaoy = griechisch xglyoy.
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Anmerbmgen. 487
61. S.204.
Rosa nach Pott aus ^oS4a, Rosenstrauch, wie die italische Yolkssprache
CloMUM ans Claudius n. s. w. machte. Knr möchten wir statt des Substantivnms
^o^ia^ wo zugleich ein BegrÜTsübergang yorausgesetzt wird, lieber das Ac^ectiv
§oJ4a, ^06 (a zu Grunde legen. Die Rose heisst seit alter Zeit ^06 ia xalv^^ schon
im Hjmnus an die Demeter; xdlv^ nämlich zum unterschied der edlen gefüllten
Rose yon der wilden. Dies war so gewöhnlich, dass auch xalvi allein schon für
Rose galt, daher xttlvxtoTiig Nv/utpfj und xovgfj^ die Nymphe oder das Mädchen
mit den Rosenwangen. Umgekehrt aber Hess auch woU die Yolkssprache das
Substantiv weg und sagte bloss rj ^oöia = rosa. — Die Macedonier hatten nach
Hesychius ein eigenes "Wort für Rose: aßayra* ^oda; Macedonien war ja für den
europäischen Welttheil auch das Vaterland dieser Kulturpflanze. — Bei Zeuss*
p. 1076 findet sich für rosa ein altkomisches Wort breilu (kambrisch breila, breilw)
dessen Deutung und Yerwerthung für die Kulturgeschichte wir genaueren Kennern
dieser Sprache überlassen müssen. Eben so dunkel ist p. 168 die kambrische
Glosse: ffuan (rosae). — Lilium statt lirium ging aus dem Streben nach Assimi-
lation hervor; die neulateinischen Sprachen fühlten hier umgekehrt das Bedürfniss
nach Dissimilation und sagten giglio, lirio u. s. w. Das spanische und portu-
giesische azucena für weisse Lilie stammt aus dem Arabischen und ist also ur-
sprünglich eins mit dem alttestamentlichen susan^ Susannah, und dem Worte, das
nach Stephanus von Bjzanz dem Namen der persischen Hauptstadt Susa zu
Grunde liegt Die Araber waren Garten- und Blumenfreunde. Die Neugriechen
haben das Wort aufgegeben und sagen: die dreissigblättrige , xQiaviaq>vkXta
(Fraas, Synopsis, p. 76, ähnlich schon die späteren Griechen; s. Langkavel, Botanik
der sp. Gr., S. 7), welches Wort auch ins Albanesische überging; die Lilie, xqIvoq^
führt ungefähr den alten Namen, dessen sich auch die Walachen bedienen und
den die altslavische Kirchensprache gleichfalls adoptirte.
62. S. 209.
Yergl. das ausführliche Werk: M. J. Schieiden, Die Rose. Geschichte und
Symbolik in ethnographischer und kulturhistorischer Beziehung. Leipzig 1873, 8^.
68. S.218
Später haben Hartmann in der Zeitschrift für ägyptische Sprache 1864 S. 21
und Ebers, Aegypten und die Bücher Mosers, 1, S. 267 vermuthet, es könnte wohl
aus irgend einem uns unbekannten Grunde den ägyptischen Malern verboten ge-
wesen sein, Kameele abzubilden, — aber wenn das Kameel in Aegypten vor-
handen gewesen wäre, dann hätte es nicht in ganz Nordafrika bis auf die
Römerzeit gefehlt, s. Barth, Wanderungen, S. 3—7. Auch die Hühner, auf die
sich Ebers beruft, sind ein spät eingeführtes Kulturthier, s. unten den Abschnitt
vom Haushahn. Auf die Dromedarknochen, die bei Bohrungen im ägyptischen
Boden neben anderen Thierresten angeblich gefunden worden sind, ist als auf
ein viel zu vages und tausend Möglichkeiten unterliegendes Argument vorläufig
noch nichts zu bauen. So bleibt es dabei, dass zu der angenommenen Zeit der
Pharao dem Abraham noch keine Kameele geschenkt haben kann, wahrscheinlich
ans andern Gründen auch keine Esel, während das Pferd, das zwar in Aegypten
erst eingeführt ist, aber in einer Zeit, die den jüdischen Erinnerungen und Auf-
zeichnungen lange vorausging, unter den Geschenken nicht fehlen durfte.
64. S. 219.
Movers, Phönizier, Th. 11. zu Anfang, ist der umgekehrten Meinung und leitet
den griechischen Namen des Landes, i) <PoiyUtjy von (poCvt^ Dattelpalme ab, da
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488 Anmerkimgen.
Phönizien, Pal&stina, Idnin&a nnd Syrien bei den Alten für palmenreiche L&nder
galten. Allein, was wird dann aus tpoCvt^ Scharlach, welches Wort doch offenbar
denselben Ursprang hat? Gesenios, der geneigt war, q>o(vt^ Pnrpnr zum Aus-
gangspunkt zu nehmen (Monum. phoen. p. 338), konnte doch wenigstens eine leid-
liche griechische Etymologie ((po^if, q>oty6g u. s. w.) für sich geltend machen. Wie
aber soll <jd o/yil Palme aus dem Griechischen sich erklären lassen? Dazu kommt
der entscheidende Grund, dass Homer die Phönizier längst als ein die Meere be-
fahrendes, Handel und Seeraub treibendes Volk kennt — man erinnere sich nur
der Lebensgeschichte des göttlichen Sauhirten Eumäus — , yon der Bewunderung
der Palme auf Delos aber noch ganz erfüllt ist. ^»o/v/l, der Phönizier, kann
nicht anders als aus dem einheimischen Namen des Landes entstanden sein,
dessen hebräische Form Kanaan, Eenaan und spätere phönizische Xvä, *Oxya
uns überliefert ist. Der Anlaut, über dessen Aussprache in so früher Zeit, die
über alle schriftlichen Denkmäler hinausliegt, wir nichts wissen, sprang entweder
im griechischen Munde in den Labial über oder das Wort begann in einer alter-
thümlichen semitischen oder halbsemitischen Mundart, z. B. der der Philister oder
der Rarer, wenn diese semitischen Blutes waren, mit einem Laute, der in Europa
durch q) wiedergegeben wurde. Auf der Medialstufe wurde ganz so aus hebräischem
Gobel, phönizischem Gybl das griechische BvßXos. Dass auch eine kürzere Form
in alter Zeit im Gebrauch war, geht aus dem entlehnten lateinischen Poenua
hervor, welches griechisch <l>oiyog wäre; <l»otyos aber weist auf ein noch älteres
^oyjos»
65. S.219.
Plin. 16, 240: Palma Deli ab ^'usdem dei (Apollinis) aetate conspicitur. Also
die delische Palme stand noch zu Plinius Zeit: da nun die natürliche Lebensdauer
der Datt-elpalme nicht so weit reicht und seit Odysseus Zeiten mehr als ein
neues Exemplar das alte hatte ersetzen müssen, so mag uns dies in andern Fällen,
wo lange dauernde Bäume gleichfalls von der mythischen und heroischen Epoche
abgeleitet werden, vorsichtig machen.
66. S. 224.
Gesenius im Thesaur. S. 345 findet im griechisch-lateinischen Palmyra eine
Wiedergabe halb nach dem Sinne, halb nach dem Klange, ohne eine solche
Halbirung durch irgend einen Grund wahrscheinlich machen zu können. Die
Römer werden bei Eroberung Asiens den Namen doch schon vorgefunden haben,
die Griechen des Seleucidenreiches aber konnten bei einer üebersetzung sich
nicht des lateinischen palma bedienen. Movers 2, 3, S. 253 sagt: „den Namen
Palmyra halte ich für eine Corruption von Tadmor." Da aber ganz dieselbe
Corruption bei dem altlateinischen Worte palma eintrat, so wird dieselbe wohl
einen andern Namen bekommen müssen. Der üebergang des d oder t in l vor
einem m liegt übrigens nahe, vergl. z. B. xadfiCa^ xaöfiila mit dem romanischen
calamvie, giallamina^ deutsch Galmei, oder Patmos, jetzt Palmosa, oder arab.
pers. elinäs^ russ. almaz, der Diamant, aus (vira/ias, oder den Flussnamen zendisch
Haetumant^ griechisch Etymandros^ mit dem heutigen Hilmend u. s. w.
67. S.224
Dies anaSi^ anaSixog — beide Vokale sind lang — ist in so fem ein merk-
würdiges Wort, als es ganz in die Bedeutxmgen von goo/vil eintritt. Es bezeichnet
den Palmenzweig, angeblich mit der daran hängenden Frucht, dann die rothe,
rothbraune Farbe, endlich auch ein musikalisches Instrument Gellius 2, 26 er-
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Anmerkungen. 4g9
klärt das Wort für ein doruches: spadica emm Dorici vocant avulsum ex palma
termitem cum fructu — also nicht die männliche Blütenrispe, die ana&rj^ eher die
Datteltranbe; nach Plntarch. Sjmp. 8, 4, 8 bedeutete es den Palmenzireig d. h.
das Blatt, mit dem der Sieger gekrönt wird: xaitot doxa /uoi fuyijfAoyfvHp iy
woU *AtiixoX^ dyeyyaxtog if^^yx^^y ^" ^^<(>to( ^^ ^ril<p Brjaevs ayiüya notaiy
anianaae xXdSoy toD hgov (poiytxog* § xal anddt^ toyofiaadri. £ine kürzere
Form erscheint bei Hesychios: and* t6 (pvioy rov q>olytxoi. unter den Latei-
nern braucht das Wort Yergil von der braunen Farbe der Pferde, die sonst mit
badius, itaL %o, franz. bat bezeichnet wird, Georg. 3, 82:
honesH
Spadices glaucique: color deterrimus albi.
Die Alten leiteten es von audta ab, wie die obigen Stellen des Gellius und
Plntarch lehren; es kann aber nicht zweifelhaft sein, dass es ein Lehnwort aus
dem Semitischen ist. Eine spätere Benennung für Palmzweig: ßaU^ ßatoy, die
im Neuen Testament gebraucht ist, stammt aus Aegjrpten*. altägyptisch bat kop-
tisch ßrit, s. Champollion, gramm. 6gjpt 1, p. 59. Benfey 2, 369. Der eigent-
liche lateinische Ausdruck ist das schon oben bei Gellius Torgekommene termes,
wie die SteUe Ammian. Marcell. 24, 3, 12, lehrt: et quaqua incesserit quisqttam^
termites et »padica cemit adsidua, quorum ex fructu mdlis et vini conficitur abun-
dantia. Es wird Tom griechischen lig^Att abgeleitet sein und den als Siegespreis
am Ziel aufgesteckten Zweig bedeutet haben.
es. S.228.
Cypem, die alte Station der Seefahrer, erhielt den Namen von den Cypressen,
die dem nahenden Schiffer von fem winkten, oder deren Holz von hier ausgeführt
ward. Bekannt ist, wie auch sonst Inseln nach Bäumen benannt sind, z. B. die
Pityusen bei Spanien von der Fichte, tf/ivc, oder Madeira vom Bauholz, a inaierie.
— Bitter, der am Anfang seiner schönen Monographie annimmt, die Cjrpresse
habe in Afghanistan ihre wahre Heimat, und von hier aus sei sie mit dem alten
Glauben ursprünglich ausgegangen, ist später doch wieder geneigt, den Baum
auch in Phönizien, in Kanaan, ja auf den ägäischen Inseln für einheimisch zu
halten (S. 577). Würde aber dann wohl die Einbürgerung in dem verwandten
Klima Süditaliens (s. weiter unten im Text) so schwierig gewesen sein, und würde
dort der Baum an Wuchs und Kraft so merklich zurückstehen? Letztere Er-
scheinung erklärt sich leicht, wenn wir eine lange, von Afghanistan ausgehende,
allmählig abnehmende Reihe voraussetzen, deren letztes Glied nach Nordwesten
das Apenninenland ist. Auch dass die Insel Kreta in die ursprüngliche Ver-
breitungssphäre eines Baumes, der in Griechenland selbst fehlte, eingeschlossen
gewesen sei, ist bei der Aehnlichkeit der Naturbedingungen hier und dort nicht
glaublich. Die Cypressen auf dem Libanon mögen imponirend gewesen sein, da
sie sich aber mit den Riesen im Westgebiet des Indus nicht messen konnten, so
erscheinen sie doch nur als secundär und von diesen abgeleitet
69. S.281.
Auch sonst sind die Ursprungssagen von Psophis (bei Pausan. 1. 1. und Steph.
Byz. s. w. 4>riy(ta und ^'w(fig) bedeutungsvoll. Die berichtete Veränderung des
Namens deutet, wie bei Kyparissia in Phocis, auf den Eintritt einer neuen
Kulturepoche: der Ort, der früher <Ptiyiia^ <p9jyia d. h. Eichen- oder Buchenstadt
hiess, und wo Alphesiboia d. h die Rinderbringende oder Rindemährende waltete,
wurde beim Uebergang zu veredelter Baumzucht Psophis genannt; Psophis aber
war die Tochter des sikanischenlSönigs Eryz und gebar von Herakles, dem wan-
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490 Anmerkungen.
dernden Yollbringer von Eultorweiken, den Echephron und Promachns. Aueh
hier, wie in der Sage TonMeleager, tritt das einbreehende Waldleben in Grestalt
des die G&rten yerwüstenden Ebers anf, der ron Herakles bezwungen wird. Das
Halsband und der Peplos der Harmonia (Moyers, 1, 509 ff.), die Psophis als
Tochter d^s Eryx, die Verehrung der Aphrodite Erycina bei den PsophidienL,
endlich die Cypressen oder Jungfrauen am Grabe des Alcmfton deuten un-
vei^ennbar aut phöniiischen Einfluss. Auf welchem Wege dieser gekommen war,
lehrt die Verknüpfung mit Akamanien (in dieser Landschaft lag ein anderes
Psophis; nach Akamanien zog Alcm&on, gab dem Lande den Namen und kehrte
von daher wieder) und mit Zakynthos (wo die Burg Psophis hiess und von dem
Psophidier Zakynthos, dem Sohn des Dardanos, gegründet sein sollte), also mit
den Sitzen der Teleboer und Taphier, beide yom Lelegerstamme, die, wie es
scheint, zuerst von Griechenland aus nach Sicilien schifften. Zum Bergbau
musste der Ort Psophis frühe einladen, zufolge der eigenthümlichen Lage des
Berges, die von Polybius 4, 70 genau beschrieben wird. E. Gurtius (Peloponn. 1,
400) vermuthet, eine Yerwandlungssage habe sich an die psophidischen Cypressen
angeschlossen. Dass in der Cjpresse eine weibliche Gottheit wohnt, und dass
umgekehrt die Jungfrau mit der Cypresse yerglichen wird, ist religiöse und
Dichtersitte im Orient yon der ältesten bis auf die gegenwärtige Zeit Goethe
im Westdstlichen Diyan :
Verzeihe, Meister, wie Du weisst,
Dass ich mich oft yergesse.
Wenn sie das Auge nach sich reisst,
Die wandelnde Cypresse. —
An der Cypresse reinstem, jungem Streben,
Allschön^ewachsne, gleich erkenn' ich Dich. —
Ueber die Cypresse als mystisches Attribut handelt yom kunstarchäologischen
Geächtspunkt in Weise Creuzers die Schrift yon Lajard: Recherche» sur U cuUe
du cyprh pyramidal chez les peupUs civüises de VarUiquite^ Paris 1854, in 4^ Die
bei den Alten zerstreuten Züge des Mythus yom Kyparissos, dem Liebling des
Apollo, fasste zur Erläuterung eines pompejanischen Gemäldes Ayellino zusammen:
il mito dt Ciparisso, Napoli 1841, 4\
10. S.288.
Wir können es uns nicht yersagen, zu dem Ausdruck des Plinius: dotemßiiae
antiqui plantaria appellabant folgende Stellen aus Hebels Schatzkästlein herzu-
setzen: „Wenn ich die Wahl hätte, ein eigenes Eühlein oder ein eigener Kirsch-
baum oder Nussbaum, lieber ein Baum.^ — „So ein Baum frisst keinen Klee
und keinen Haber. Nein er trinkt still wie ein Mutterkind den nährenden Saft
der Erde und saugt reines warmes Leben aus dem Sonnenschein und frisches
aus der Luft und schüttelt die Haare im Sturm. Auch könnte mir das Kühlen
zeitlich sterben. Aber so ein Baum wartet auf Kind und ICindeskinder mit seinen
Blüten, mit seinen Vogelnestern und mit seinem Segen." — „Wenn ich mir ein-
mal so yiel erworben habe, dass ich mir ein eigenes Gütlein kaufen und meiner
Frau Schwiegermutter ihre Tochter heirathen kann und der liebe Gott bescheert
mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein eigenes Bäumlein und
das Bäumlein muss heissen wie das I[ind, Ludwig, Johannes, Henriette, und ist
sein erstes eigenes Kapital und Vermögen, und ich sehe zu, wie sie mit einander
wachsen und gedeihen und immer schöner werden und wie nach wenig Jahr«]
das Büblein selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht.* — Bei den
Arabern in Spanien herrschte die Sitte, bei Gel)urt eines Kindes ein sog. Silo in
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Amnerkimgen. 491
den Boden aoszograben, mit Getreide zn füllen und dann luftdicht zu bedecken.
Das Korn hielt sich viele Jahre in diesem unterirdischen BehSlter und bildete
des Kindes Eigenthum, wenn dieses erwachsen war, s. Murphy, the history of the
mahometan empire in Spain, p. 262 — der sich dafür auf Jacob's trayels in the
flonth of Spain beruft Derselbe, nur wie billig barbarisirte, Brauch galt bei
den Eleinrussen am Dniepr: bei Geburt einer Tochter wurde ein F&sschen
Branntwein in die Erde yergraben, dann bei der Hochzeit des M&dchens hervor-
geholt und von den Gästen mit Jubel geleert — wobei natürlich dafür gesorgt
war, dass noch andere und wieder andere mit jüngerem Inhalt gefüllte Eimer
oder F&sser die begeisterte Wuth unterhielten.
71. S.240.
Bussisch kkn, poln. klon^ czech. kierk, Ht kl^as der Ahorn; altn. hlynr, hlinr
(Schmeller 2, 465), mhd. linboum, limboum, nhd. die Lehne; altkomisch kelifit
cambr. kelyn, armor. keien^ kelennen (Zeuss* p. 1077); mlat clenus. Zu diesem nor-
dischen Worte halte man die Stelle des Theophrast h. pl. 8, 11, 1: ^V /niv 6ri
(y^yog) rp xoty^ ngogayo^tvovai atfiydafivov, htgov Jk Cvyiay, igdov 6k xXt-
rotgoxopy tos ol mgl Ziayugu. Dies war der Name bei dem Landvolk um
Stagira, wie Theophrast wohl aus dem Munde seines Lehrers wusste; vielleicht
drückte die zweite Hälfte des Wortes, nach dem Anlaut ig zu schliessen, den
Begriff Baum aus. Ein anderes macedonisches Wort yiftvov, vklvov (oder
yXkivoi^)^ Theophr. 3, 3, 1: aq>iySajuyoSf ijy (y fxly t(ß ogti napvxvTay l^vyCay
Molovaty, (y Sk rtp mdiqt yXftyoyy 3, 11, 2: xaXovat cT avTfjy ?viot yltiyoyt ov
atpMafiyoy^ muss mit den obigen Ausdrücken verwandt sein. — Das lateinische
(iceTy acerU (für acesu) scheint eins mit axaaioi* rj aqiyöauvoi bei Hesjchius.
Bekannt ist, dass unser Ahorn (o wegen des Anklanges an Hom) aus dem latei-
nischen acer oder eigentlich aus dem Adjectiv acernus gebildet ist; aus dem
Deutschen stammt wieder das slavische javor, — Ein acht slavisches Wort ripina
für Ahorn (auch albanesisch) ist von ripij der Stachel gebildet, wie lat. acer und
griech. o^va von der Wurzel ak scharf sein (W. Tomaschek in der Zeitschr. t d.
oesterr. Gjmn. 1875. S. 529).
72. S.247.
Oder bestand nur die Zunge an der Wage aus einem Stück Rohr? oder war
das Messen mit dem Rohr das Erste, und wurde der Name des Rohres in der
Bedeutung Norm erst von daher auf die Wage übertragen? — Das dunkle t^d-
läyri, lat. tnUina erklärt sich aus dem slavischen triisti arundo, wo das s regel-
recht aus dem t entstanden ist, und bedeutete also ursprünglich gleichfalls Rohr.
78. S.278.
Wir fügen hier zur genaueren Ausführung des im Text Gesagten noch einige
sprachliche Bemerkungen an, wie sie uns gelegentlich sich ergaben.
Fr. Beckmann will in einer gelehrten Abhandlung über „Ursprung und Be-
deutung des Bemsteinnamens Elektron'' (in der Zeitschr. für die Geschichte und
Alterthumskunde Ermlands, I, Mainz 1860, S. 201 ff. und 633 ff.) sowohl den
rtXixitog *Ynfgiü)y als das iiXfxrgoy und den altxigvtoy von äXixo), aX^^m ableiten,
so dass allen diesen Benennungen der Begriff des Abwehrens zu Grunde läge.
Ob nun mit der Bezeichnung iqXäxitog der G^tt ursprünglich als strahlend oder
als abwehrend (etwa wie 'AniXXtuy) gedacht worden, ist für unseren Zweck gleich-
gültig; der Bemsteinname aber wurde sicher erst nach dem des Sonnengottes
gebildet Dass in späteren Zeiten das Elektron auch als phantastisches HeU-
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492 AnmerkungeiL
mittel and wanderkräftiger Talisman gebraucht wurde, will gar nichts sagen,
denn dasselbe geschah mit tausend andern Naturobjecten und namentlich mit
allen Edelsteinen. Eben so wenig hatte die g&nma alectoria eine behütende oder
abwehrende Kraft: sie half den Athleten nur desshalb, weil sie angeblich im
Magen des Hahnes sich fand und dieser ein streitbares Thier, dXfxtgvtotf fiaxt-
fAOi, ist.
Das lateinische gcdlus, gaUina stellen Pott und Leo Meyer mit dem griechi-
schen ttyydkoi, ayyeXog zusammen, welches dunkle Wort im Oriechischen selbst
nur als Kest einer yerschollenen Wurzel erscheint. Dass noch um das Jahr 500
vor Chr. in Italien aus einem dort sonst nicht erhörten Verbum der Art kurzweg
das Wort gallua gebildet worden, ist schwer zu glauben. Wahrscheinlicher hat
daher Curtius vermuthet, gallus sei eine Assimilation von gar^ lus aus garrio,
ytlQvaf, Allein auch gar-lm wäre eine zu alterthümliche Bildung, da die Wurzel
hier ohne das ihr längst angewachsene Suffix, wie in garrulus, erschiene. Dazu
kommt, dass garrire nie von der Stimme des Hahnes gebraucht wird, wie auch
im Griechischen ytiQvnv nicht, und dass das entsprechende, nur reduplicirte slav.
glagolati (loqui) zu einem ganz anderen Vogelnamen dient: gcUica, galka, die
Dohle, der schwatzende Vogel. Vergleicht man das lateinische gallo, der Gall-
apfel, mit dem gleichbedeutenden griechischen xrixist so kann man sich der Ver-
muthung nicht erwehren, auch in gallus stecke ein assimilirter Guttural, und der
Vogel sei onomatopoetisch als der gackernde so benannt worden. Hesych.
xdxa' xaxia fj ogyeoy.
Das deutsche hana wird allgemein mit dem lateinischen canere verglichen,
welches Verbum gerade vom Krähen des Hahnes gilt (galliciniim, canorwn cmimal
gallus gallinaceus). Dasselbe Verbum ist auch im Altkelt^chen vorhanden und
zwar, wie das lateinische, als reduplicirendes. Im Griechischen findet sich der-
selbe Wortstamm in erweiterter Gestalt: xarax^y Jf«i^«fw, xoraßoiy im schon an-
geführten Verse des Cratinus auch vom Hahn gebraucht: xopox^Sy olotf^torog
aUxKOQ, Bedenklich ist nur, dass von dem hierbei vorauszusetzenden Verbum
hmian sich weder im Germanischen, noch im Litauischen und Slavischen irgend
eine Spur findet, femer, dass das älteste und ächtest« deutsche Wort für den
Hahnengesang hruk, hrukfan lautet, noch bei Goethe, Adler und Taube, vom
Girren der Tauben:
Da kommt
Dahergerauscht ein Tanbenpaar
Und ruckt einander an.
Danach bleibt der Zweifel, ab nicht das deutsche hana irgend ein entlehnter
südlicher Name ist. Wenn irgendwo ein Wort im Gange war, wie das in der
Glosse des Hesychius steckende: Tjtxnrog' 6 dlexigvciv (von Gerland als Früh-
sänger erklärt, Pott EF.» 4, 283), so würde das deutsche nicht so auffallend ein-
sam dastehen.
Zu dem armorischen, nordfranzösischen, angelsächsischen cog, cocc, finnischen
xind estnischen kukko, kuk stellen wir das zur Bezeichnung der jungen Brut
dienende nordgermanische Wort, altn. kykllngr, ags. cicen, cycen, häufig im Nieder-
deutschen, von wo es in der Form Küchlein auch ins Neuhochdeutsche gedrungen
ist. Von dem gothischen qiiis^ nhd. quick und allem dazu Gehörigen sondert sich
dieser Ausdruck durch die constante Verschiedenheit des Anlauts und der Voca-
lisirang, wenn auch bei der Nähe der Laute hin und wieder Vermischung Statt
gefunden haben mag. Dasselbe Wort aber erscheint wiederum im alten Griechen-
land als der eigentlich populäre Ausdruck für das Singen und Krähen des Hahnes.
Sophokles nannte den Hahn xoxxvßoag ogytg (Fr. 718 NaucL), bei Aristophanes,
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Anmerkungen. 498
Cimtinns (Meineke 2, 1, 186: xoxxvCny toy aXixiQvoy* ovx «K^/ovrai) und Theo-
krit, Tolksmässigen Dichtern, ist xoxxvCia, xoxxvadta die ungezwungene Bezeichnung
für den Hahnenschrei, deren sich auch die Redner Hyperides und Demosthenes
bedienten (PolL 5, 89). Das oberdeutsche Göckelhahn u. s. w. mag aus dem
^französischen stammen.
üeber einen ganz anderen Landstrich, nämlich die weite slavisch-byzantinische
Welt-, ist ein ähnlicher, aber nicht identischer Name verbreitet: slav. kokotü gallus,
kokoicLf kokoH gallina, walachisch cocös, magyarisch kakas, albanesisch kokoiiy
neugr. leoxoioc (mit den enstellten Nebenformen russisch koöet und albanesisch
kapoi). Das Sanskritwort kukkuta gallus liegt räumlich und zeitlich zu entfernt,
um damit in Verbindung gebracht zu werden.
Nur bei einem Theü der slavischen Völker, der sprachlich auch sonst eine
besondere (jruppe bildet, findet sich altsl. pietlt), serbisch pijetaoy croatisch petelin^
russisch (mit anderem Suffix) pietuch. Dem Sinne nach damit übereinstimmend
litauisch gaidys (der Sänger, von gedöti singen, wovon auch gqsli, das bekannte
slavische Saiteninstrument, die Gusli), und das albanesische kendee» (vom Verbum
kendoig ich singe, welches vermuthlich das entlehnte lat cantare ist.)
Einen altkeltischen Namen des Hahnes neben cerc bietet das komische
Vocabularium bei Zeuss* p 1074: chelioc, colyek, altirisch coileach. Zeuss deutet
es zweifelnd als salax^ p. 849 und 816. Das bei Marcellus Empiricus (E. Meyer,
(beschichte der Botanik, II, S. 312) vorkommende calocatanos = papaver silvestre
fände hier seine erwünschte Erklärung (Hahnenblume, wie coquelicot s. Diez s. v. :
nach V. Martens, Italien, 2, 40 heissen die purpur-violetten Blumen der campanula
speculwn L. in der Gegend von Verona cantagaktti oder cuchetti).
Auch an dunklen, ganz vereinzelten Benennungen fehlt es auf europäischem
Boden nicht: so das alti^ambrische, komische und bretonische lar, yar die Henne
und für den gleichen Begriff das litauische viazta, lettische vista. Altpreussiscb
hiess der Hahn gertis, die Henne gerto, der Habicht gertoanax.
Sicher sind viele der obigen Ausdrücke nur Onomatopöien. Die Erklärung
durch unabhängig von einander entstandene Klangnachahmungen reicht indess
aUein nicht aus. Sie widerlegt sich durch den Umstand, dass jene Bezeichnungen
offenbar reihen- und zonenweise auftreten, und durch ihre zu nahe Uebereinstim-
mung. Wären sie nicht gewandert, sondern auf jedem Boden von selbst ent-
standen, so würde sich ein« viel grössere individuelle Mannichfaltigkeit zeigen,
denn jedes Volk hört anders und liebt andere Lautcombinationen. Nichts spricht
dagegen ein Nachbar dem andem leichter nach, als Onomatopöien, Interjectionen,
Ausbrüche des Affects, emphatische und elementare Ausdrücke aller Art. Und
wenn der herumziehende Handelsmann oder Arzt — diese beiden Hauptmissionäre
der Kultur unter feindlichen Barbaren — und der gefangene Sclave oder das
geraubte Mädchen den Hahn in ihrer Muttersprache z. B. als Sänger zu bezeichnen
gewohnt waren, so werden sie ihn den Barbaren in deren Sprache, wenn sie diese
radebrechen gelemt hatten, wohl auch nicht anders benannt und gedeutet haben.
So hat sich das griechische xX(oCiiy^ lat. glocire, glocidare (Colnmella 5, 4: gh-
cientilms: sie enim appellant rusiici aves eas qttae volunt incubare) wohl auch nicht
ohne Hülfe von Entlehnung so weit durch alle europäischen Sprachen, auch
durch die slavischen, verbreitet
74. S.285.
In dem spät auftauchenden ntQiareQd die zahme Taube fand Benfey 2, 106-
eine Superlativ- und Comparativbildung von pri lieben, so dass es „sehr verliebt**
bedeutete. Wir ziehen vor, an slav. pero perma, prati, pariti volare, zendisch
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494 Anmerkungen.
parena, perena Feder, Flügel^ neapers. par^ kurdisch per, ahd. fam oder fam^
ags. feam (Famkraut d. h. das gefiederte; litauisch und slayisch redupHcirt: lit.
papariiif poln. paprod, russ. paparoi; altgallisch rcUis, nach keltischer Art für
pratis, altirisch rath, raith, altcomisch reden, cambr. rkedyn) zu denken. — 'Päifff
^aßos hat schon Pott in seinen ersten E. F. aus q>4ßofiat furchten erklärt; in
(paaaa muss ein assimilirter Guttural stecken, wo denn das mittelgriechische
(pd/riK t6 alfia iiji q>aaar}gy das mittellateinische faehcL, fad^a^ fakecha und
selbst orientalische Benennungan anklingen würden (s. Pott in Lassens Zeitschr.
rV, ^28. — Diefenbach, G. W. s. y. ahaks). Ein altrussisches faga, palumbes, hfilt
Miklosich, Fremdwörter in der slavischen Spr. S. 87, für entlehntes griechisches
qtdaao, — Zu dem preussischen ketUarü Ringeltaube stimmt altcom. cudon^
cambr. ysguthan, altir. ciadcholum = palumbei (Zeuss* 1074), ebenso in über-
raschender Weise preussisch poalis Taube zu niketbj palumbus. — Das slaTisehe
golqbi hat ein zu genau lateinisches Aussehen, als dass es nicht ans der Sprache
der Weltherrscher und des Christenthums entlehnt w&re, zumal da im Htamschen
gulbe der Schwan die Form und Bedeutung vorliegt, in der allein das Wort in
diesem Osten ursprünglich sein könnte. Die Erweichung des c zu g, auch sonst
nicht unerhört, hat kein Gewicht gegen die kulturhistorischen Gründe, die für
die Entlehnung sprechen. — Ob das räthselhafte gothische ahah neQtaj€gd den
Gothen rom europäischen Westen oder yom asiatischen Osten zukam, l&sst sieh
noch nicht ausmachen (Diefenbach s. y.; Tergl. auch altirisch caog die Dohlos
St ir. gl. 201, und lit kogas die Rabenkrähe). — Das Litauische weist noch zwei
Taubennamen auf, beide, wie es scheint, von nur localem Grebrauch: karvili» und
bcdandU. Ich weiss nicht, ob Letzteres zum ossetischen baldn (nach dem andern
Dialekt bMny bcUuon) gehalten werden darf; es ist auch ins Livlsche übergegangen
(Wiedemann im Bulletin der Petersburger Akademie, 1859. S. 694), während das
Lettische und das Estnische ihre Benennungen der zahmen Taube aus dem Ger-
manischen genommen haben. — Litauer und Slayen benennen den Auerhahn
nach der Taubheit: lit. kurtmys taub und Auerhahn, sl. gluchü turdus, russ.
glucharj, poln. gluszec, sloy. hluchan u. s. w. der Auerhahn. Da dieser Vogel aber
in der Falz wirklich wie taub zu sein pflegt, so ist das Yerhältniss yon tanb zu
Taube ein anderes.
75. S.288.
Wenn der Aristoteliker Cljtus in seiner Schrift über Milet (bei Athen. 12
p. 540) yon Poljkrates erzählte, derselbe habe die Producte aller Länder auf
Samos zusammengebracht: vnh tgvipfie id nayraxo&By ovrayeiy xvvag fjikv ^
*HntiQOVj alya{ di ix ZxvqoVj ix 6k Mtli^iov ngoßaia, vg 6i ix ZixdUtq^ so
sieht man, dass der Tyrann sich die Yerbessemng der landwirthschaftlichen
Thierracen angelegen sein liess, was ihm dann als rgvq>ri yerdacht wurde, aber
für den Pfau ist aus dieser Nachricht nichts zu schliessen. Dieser kann nämlich
aus einem entgegengesetzten Grunde nicht erwähnt sein, entweder weil er bereits
auf der Insel sich yorfand, oder weil er dem Polykrates und den Samiern noch
unbekannt war; auch ist er ein blosses Luzusthier, das wohl zu der igvcpriy nicht
aber in den Zusammenhang der ökonomischen Bemühungen des Tyrannen passte.
76. S.2$9.
Da Antiphon im J. 411 hingerichtet wurde, so würden freilich die dreisdg
und mehr Jahre auf ein früheres Datum der Bekanntschaft Athens mit den Pfauen
führen, als das yon uns yermuthungsweise angenommene Jahr 440. Aber die
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Anmerkungen. 495
B«de über die Pfauen rührte schwerlich Ton Antiphon her und wurde wohl erst
nach dessen Tode, wenn auch nicht lange nachher, Terfasst. •
77. S.810.
Interessant ist es zu sehen, wie im frühesten Mittelalter mit der neu auf-
tretenden und mit grosser Vorliebe und beziehentlich Verwunderung aufgenommenen
Fidkenbeize der Yolksmund für das sonst unbeachtete Thier sich neue Benennun-
gen schuf, die dann von Land zu Land wanderten. Ein mittellateinischer, zuerst
bei Servius auftretender Name desselben war falco^ der in die meisten europäischen
Sprachen überging; das Vorbild desselben war das griechische &gnri^ welches Raub-
Yogel und Sichel bedeutet — Accipiter wurde von accipere abgeleitet und desshalb
auch in der Form acceptor gebraucht, gleichsam den auffliegenden Vogel in Empfang
nehmend, wie man auch Habich mit haben in Verbindung brachte. Von capere wurde
ein kurzes, mittellateinisch ganz gebräuchliches capus gebildet; die Notiz des Servius,
der dies capta für ein alttuskisches, also nach Jahrhunderten plötzlich wieder auf-
erstandenes Wort eridftrt, nach welchem auch die Stadt Oapua benannt sei, l&sst
sich nur mit Eopfschütteln aufoehmen. Ueber das spanische, vielleicht aus capw
erwachsene gavilan der Sperber s. Diez im Wörterbuch. — Mittellateinisch gyro
falcOy vom Kreisen (gyrus, gyrare) so benannt, itsl, girfalco, fnja, gerfcwt ^ gab
den Deutschen ihren Geier, s. Diez. — Ein sehr weitverbreitetes europäisches
Wort sacer ist, wie wahrscheinlich auch das deutsche Weihe, ahd. tüio, wtgo,
wihoy nur eine Uebersetzung des griechischen Uga^i mitteil, sacer, itaL aagro,
franz. und spanisch sacre, mhd. sackers der Sackerfalk, mittelgr. naxgt. Dasselbe
Wort drang auch in den Orient: arabisch sakry persisch sonkor, kurdisch aakkar,
slav. sokoluy litauisch sakalas. — Bei Aristoteles ist ttojegtag^ gestirnt, gefleckt,
ein Beiname des Ugn( und wird auch selbständig als Benennung einer Art Raub-
vögel gebraucht; dasselbe Wort erscheint ganz spät im Lateinischen (bei Firmicus
Matemus) in der (Gestalt asiur (die Endung wohl durch vultur oder den Volks-
namen Astur veranlasst); davon auf nicht regelmässige Weise, um dem Gleich-
klang mit <M(ro Gestirn zu entgehen, das itsÄ, astore, provenQ. austor, altfranz.
08tor, neufranz. autour (welche Formen Diez vorzieht von acceptor herzuleiten,
wobei indess die Laute gleichfalls nicht ungestört sind), und die slavischen Habicht-
namen: bI&v, fastrqbüf seThischjastrebJastrob, TVLSsischjastreb, polnischya«fr2r^6u.s.w.
— Der litauische und lettische Name wannagas, warmags für Habicht ist offenbar
dem Germanischen erborgt: es ist ein heiliger Raubvogel, „dem Wannen an
die Häuser ausgehängt worden, dass er in ihnen niste** (Grimm S. 50), toannoweho,
wannunwechely lateinisch timmctUus von tina Gefäss. Wanne ist das entlehnte
lateinische vannw: Wort und Sitte stammen aus Italien. — In dem im Text an-
gefahrten Buche von Lajard finden sich S. 366 ff. neben ausführlichen und sehr
interessanten Nachrichten über die Falkenjagd im heutigen Orient auch eine An-
zahl dort gebräuchlicher Namen für Arten und Spielarten des Vogels. Darunter
ist tschark wohl das griechische xigxot, slav. kredet. Dieser tschark, der gewöhn-
liche Falke der Beduinen, „greift seine Beute immer auf dem Boden an, ausser
den Adler, auf den man ihn auch in der Luft stossen lässt. Er geht haupt-
sächlich auf Gazellen und Trappen, aber auch auf Hasen und anderes Wild.**
Also Hasenjagd mit Falken, wie bei Ktesias; bei der Gazelleigagd pflegen Wind-
hund und FaUce zusammenzuvrirken.
78. S.818.
Fraas in seiner Synopsis florae classicae behauptet mit Unrecht, die Alten
hätten den weissen Maulbeerbaum, schon gekannt Aeschylus spricht nur von
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496 Anmerkimgen.
weissen, röthlichen und dnnkelrothen Beeren, die in yerschiedenen Stadien der
Beife zu derselben Zeit, ravjoi xQorov^ am Batune h&ngen; Ovid erkl&ct in seiner
Verwandlungsfabel nur den Ursprung der rothen Farbe, wie er z. B. auch das
schwarze Gefieder des Raben durch Metamorphose aus dem früheren weissen ent-
stehen lässt; die Geoponica 10, 69 lehren nur, wie man durch Pfropfen auf eine
Xsvxrjy d.h. eine Weisspappel, den Maulbeeren weisse Farbe geben könne, ein
Kunststück neben hundert andern ähnlichen, von denen diese Sammlung toU ist.
— Das ganze Mittelalter hindurch ist ron morua alba in Europa keine sichere
Spur zu finden, s. Ritter, Erdkunde 17, 495, der sich vergeblich nach einer solchen
bemüht hat Auch bei Albertus M. de Yegetabilibus 6, 143 wird nur morus nigra
beschrieben, nicht marus alba — wie der neueste Heraasgeber annimmt.
79. S.824.
Wenn coryluSy corulns in lateinischer Weise aus cosilus entstanden und also
gleich ahd. haaal und dem von Zeuss ' p. 1077 erschlossenen altgallischen cosl ist,
so könnte xdaxayoy dasselbe Wort in einer pontischen Sprache sein, nur mit
anderem Suffix. Das albanesische arre Nuss, Nussbaum erinnert an die Gloss^i
des Hesjchius: ocQva' la ^QaxXetorixtt xagva und avaga' ta noPiixa xagva» Da
eine dialektische Nebenform charre lautet, so wird in arre der ^* Anlaut abgefallen
und das Wort dem griechischen xagvoy gleich sein. — Das slawische orachuj
orechii, litauische reszutas, reszutys, Nuss, führt nach Persien: aragh Nuss. üeber
die romanischen Ausdrücke, ital. marroney franz. marron weiss auch Diez nichts
Sicheres. — Nach Movers I, 578. 586. wÄre d^vySdlri der semitische Name der
phrygischen Cjbele und bedeutete grosse Mutter; in der That war der wach-
same, d. h. Mhblühende, zuerst aus dem Winterschlale erwachende Mandelbaom
aus dem Blut der Göttermutter entstanden. Auf eine einheimisch griechische
Ableitung aber führt das lakonische fivxrigoq^ ^ovxrigoe = Nuss, Mandel, welches
mit dem seltenen lateinischen nuceres, nucerum (gen. pL, Coelius bei Charis. 1, 40)
identisch zu sein scheint. Halten wir /üivaaa), /^i>if*, lat mucus dazu, so war die
Bedeutung wohl weiche, schleimige Frucht, wie auch eine Art Pflaume myso,
myxum hiess.
80. S. 828.
Die Mistel, ahd. masc. mistil, war in der Druidenreligion eine hochheilige
Pflanze und die doch nur geringen Spuren einer gleichen Anschauung im ger-
manischen Mythus werden wohl nur ein Reflex aus dem Eeltenlande sein, zumal
da der slavische Volksglaube die Mistel ganz unbeachtet l&sst Auch das Wort
ist wohl ein Fremdling in Deutschland und dasselbe mit viscw^ vüculus; auf
welchem Boden aber die Verwandlung des t? in m vor sich ging, wollen wir nicht
entscheiden. Eine andere von den Druiden zu abergläubischer Heilung gebrauchte
Pflanze hiess samolus (Diefenbach 0. E. 416); denken wir uns dieses Wort nach-
mals seines anlautenden s entkleidet (durch (Jebergang in h), so stimmt es zu dem
litauisch-slavischen Namen der Mistel, lit. amalis, emalas, lett. dmuls, preuss. emelno,
slav. omela. — Franz. griotUy Sauerkirsche, lautet italienisch agrioUa und ist
folglich von acer abgeleitet; merise Vogelkirsche scheint, wie ital. amc^^TUL, ama-
rascaj marasca, auf amarus zurückzugehen. — Magyarisch heisst die saure Kirsche
medgy^ der Kirschbaum medgyfa. Woher dies?
81. S.886.
Neuere haben in diesem Rhododendron des Plinius eine unserer Rhododen-
dronarten, wie zuerst Toumefort, oder azalea pontica finden wollen (s. E. Meyer,
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AnmerkimgeD. 497
Botanische Erl&uteningen zn Strabo's Geographie, S. Ö2ff. und Langkavel, Botanik
der späteren Griechen, S. 65). Man mag nun in Wirklichkeit die schädliche
Wirkung des pontischen Honigs ableiten von welcher Pflanze man wolle, — die
Alt«n verstanden unter Rhododendron immer Nerium okander und man darf ihnen
kein anderes Gewächs unterschieben, von dem sie nicht reden wollten oder konnten.
82« S« o8v«
Mit dem neuesten Herausgeber, 0. Ribbeck, an die Authenticität des Culex
zu glauben, hindert uns der Charakter des Gedichts, der viel mehr aberwitzige
Ueberreife, als jugendliche Unreife ausspricht. Gleich die Anfangsverse können
nur von Einem geschrieben sein, der bereits die Georgica und die Aeneis, oder
wenigstens die Belogen vor Augen hatte:
posterius graviore sono tibi musa loquetur
nostra, dabunt quom tnaturos mihi tempora fructus,
ut tibi digna tuo poliantur cannina sensu,
und erinnern an die Rede Friedrichs des Grossen an seine Generale bei Beginn
des siebenjährigen Krieges: Jetzt eröf&ien wir den siebenjährigen Krieg! Schon
das Wort rhododaphne ist verdächtig; hätte der junge Vergil es gekannt, dann
wurden wir es wohl auch bei den Spätem, z. B. bei Ovid, lesen, zumal es so
schön in den Hexameter ging.
88. 8.887.
So urtheilt Benfey,2, 79, der 7riar«xij, Ttiaraxiov als mehlreich erklärt.
Nach der Glosse des Hesychius: ßiara^' 6 ßaatXtvg naQcc Uigotttc wollten
Frühere in dem Wort so viel als regiae nuces sehen, wie man xdgva ßaaiXixd für
eine Ari; Nüsse oder Wallnüsse sagte (persisch pdshdäd, pehlwi peshddt, Pisch-
dadier, zendisch paradhäta). Der Anlaut wechselt übrigens zwischen /r, cp, ß^
ja iff; nach Steph. Byz. lag am Tigris eine Stadt Vitia;?!/, genannt nach den
dort wachsenden Pistazien. — Auch in}(ßtv9oq, -tiafitv^oi ist woM ein persisches
Wort, worauf auch der Wechsel zwischen ß und fx führt, der bei persischen Namen
im Griechischen einzutreten pflegt. S. Pott, Kurdische Studien, in Lassens
Zeitschr. 6, S. 63 f. Das dort angeführte kurdische dariben kann doch schwerlich,
da es sich um einen in Kurdistan einheimischen mächtigen Waldbaum handelt,
aus dem Griechischen entlehnt sein. Polak, Persien, 2, 155: „Kurdistan besitzt
neben zahlreichen Terebinthaceen, welche das bekannte Sakkesharz liefern, grosse
Eichenwälder."
84. S.867.
Die Orangenkultur ist für das jetzige Italien ein wichtiger Productionszweig
geworden. Nach einem Vortrag von Langenbach in der Berliner Gesellschaft
für Erdkunde, gehalten am 2. Nov. 1872, führte Palermo im Jahre 1864 22 Millionen
Kilogr. Südfrüchte aus, im J. 1867 schon 37 Mill. , jetzt gegen 60 Millionen. Bei
Palermo bringt eine Hectare Agrumi 3600 Franken Bruttoertrag. Die Ausfahr
geht zu zwei Dritteln nach den Vereinigten Staaten.
85. S.371.
Aelian, freilich kein besonderer Gewährsmann, erklärt das Wort direkt für
ein iberisches, N. A. 13, 15: xovixkoi oyojua av7(^' ovx ti^i öi noiriTtig dyoftdicoyy
o&tP Xttl iy TJjJ« tJ auyyQag)^ (fvldito) ir^r (nayvfi^ay irjy (^ «p/?f, tjyneg oZv
^lßn9^Q ot ^Ean^Qiot i.^tyio 0/, nag oU xaX y(yi'iaC i« xai ^ajt ndßjnolvg. — Der
iberische Volksstamm, seine Zweige und deren Ausbreitung, seine Sprache in
Vlct. Uebn, Kultarpflanzen. 32
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498 Anmerkungen.
ihren Ältesten Resten und ihrem heutigen jüngeren Bestände, erwarten noch
immer ihren Kaspar Zeuss, der sie, wie dieser die Ursprünge der mitteleuropäischen
Völker und die Sprache der Kelten, mit den Mitteln und der Methode der
modernen Wissenschaft aus dem Dunkel, das sie bedeckt, emporhöbe. Aber die
baskische Sprache ist seit W. Humboldt in den Händen französischer und spanischer
oder einheimischer Dilettanten geblieben; in Deutschland, wo die formale Aus-
rüstung eher zu erwarten wäre, hat nur die germanische Urgeschichte seit Zeuss
üppig gewuchert, ohne dass mit wenigen Ausnahmen die Gh-enzen, die dieser grosse
Forscher vor mehr als vierzig Jahren sicher umschrieben hatte, verrückt oder um-
geworfen wären. Aus der Flut entgegengesetzter Hypothesen und Berichtigungen
haben sich „die Deutschen und die Nachbarstämme" immer wieder hergestellt —
unter anderen Beispielen nur eins: wo sind die Skythen mongolischen Stamme«
geblieben und sind sie nicht wieder Iranier geworden, wie Zeuss mit wenigen
Meisterstrichen festsetzte? Der orphische Yers, den Stockes auf die keltische
Grammatik anwandte:
Zfv( ciQX^n Zivg fiiaaa, Jio^ «f ix rrayra iHvxxtti
— gilt auch für jenes ethnographische Werk, das im Hintergründe blieb, indess
die nebenbuhlerische „Geschichte der deutschen Sprache" mehrere Auflagen er-
lebte und ihrem Inhalt nach in populäre Handbücher überging — kein gutes
Zeichen! Wäre — dies war es, was wir sagen wollten — von jener vielgeschäftigen
meist vergeblichen Bemühung etwas mehr den Iberern oder Albanesen zu Theil
geworden, einem Gebiet, wo die übereinanderliegenden, halbvergrabenen Ruinen
die reichsten Entdeckungen versprechen!
86. 8.874.
Was die Zoologie nach dem heutigen Stande der Forschung über die ur-
sprüngliche Verbreitung des lepus cuniculus zu sagen weiss, findet sich in ge-
lehrter Vollständigkeit in der Monographie von J. F. Brandt: Untersuchungen
über das Kaninchen u. s. w. (Mälanges biologiques der Petersburger Akad. der
Wissensch. T. 9. 1876). Da die Kaninchen leicht verwildem und dann den ur-
sprünglich wilden so ähnlich werden, dass sich zwischen beiden kein Unterschied
entdecken lässt (S. 481), so ist es unmöglich, aus ihrer jetzigen Verbreitung irgend
welche Schlüsse zu ziehen. Zwar finden sich in Westeuropa von Portugal bis
England und Deutschland angebliche oder wirkliche fossile Reste des Kaninchens,
die aus der Dilnvialzeit stammen, — doch das ist lange her und die zunehmende
Erkaltung des Nordens brachte dem gegen niedere Temperaturen empfindlichen
Thierchen inzwischen den Untergang. In der historischen Zeit kann es in Griechen-
land und Italien im wilden Zustand nicht gelebt haben, da sonst die Griechen
und Römer darüber nicht geschwiegen hätten; dagegen erscheint es überall in
iberischen Landen und eng an die iberische Race gebunden.
Von dem Tyrannen Anaxilas von Rhegion, der sich auch der Stadt Zankle
(seitdem Messana genannt) bemächtigte, vrird berichtet, er habe die Hasen in
Sicilien einheimisch gemacht und desshalb einen Hasen auf seine Münzen gesetzt
Fehlte dies Thier bis dahin auf der Insel? Man könnte an Kaninchen denken,
die der Tyrann etwa bei Messina angesiedelt hätte, aber die Münzen zeigen
deutlich einen in vollem Lauf begriffenen Hasen.
Noch ein griechischer Name des Kaninchens Xfßrjo^s, den Strabo auf keine
Localität beschränkt (raiv yetagv/tou kayid^tov ovi tviot leßriQi^ttg nQogayoQfvovai^
wird von Erotianus nach dem Grammatiker Polemarchus für massaliotisch er^
klärt: 0 'Püjfxatoi fikp xovyixlov xakovaiy Maaattltaitat dk leßtigi^a. Wenn es
wirklich ein äolisches d. h. altgriechisches Wort XinoQtg der Hase gab, so konnte
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Anmerkungen. 499
darans bei den an der spanischen und provenoalischen Küste seit früher Zeit an-
gesiedelten Griechen mit erweichtem Labial ein k(ßiig(<: erwachsen, wie UßnQ^
in der anderen Bedeutung Hülse, Balg mit kinuv schälen, lonog Schale, BiJg
Terwandt ist Liegt aber nur das lateinische lepw zu Grunde, so hätten wir hier
eins der Wörter, wie sie in der sicilisch-italiotischen Eolonialsprache vorkamen,
nfimlich einen gräcisirten lateinischen Ausdruck, dessen Form durch jenes andere
X«/9i}p/c Balg bestimmt wurde, der aber dann nicht ausschliesslich massaliotisch
sein würde. — Dass laurix, welches in den romanischen Sprachen und im Mittel-
latein verschwunden ist, in althochdeutschen Glossen sich wiederfindet: loricfn\
Icrichin in der Bedeutung cuniculus, — ist merkwürdig genug. Wenn übrigens
laurix nichts als andere Form oder Aussprache von Ifßrjgii wäre — Raum für
diese Yermuthung fände sich genug in dem Gebiet der uns unbekannten Mund-
arten zwischen Gades und Massilia — , dann müsste entweder auch laurix
griechisch-römisch oder auch ktßrjgii ein iberisches Wort sein. — Auf eine kel-
tische Benennung geht englisch rabbit das Kaninchen, franz. rabouilUere die
Kaninchenhecke zurück (MüDer, Etymol. Wörterb. der englischen Sprache unter
diesem Wort). — Einen hübschen Beitrag zur Volksetymologie liefert die litauisch-
slavische Entstellung von cuniciUus: lit kralikkas, russ. koroleky krolik, poln.
krolik u. s. w., d. h. kleiner König. Der grosse Karl hat es sich wohl nicht träumen
lassen, dass sein Name einst jenseits der Oder zur Bezeichnung des Kaninchens
dienen würde! Vielleicht sind diese Ausdrücke aber nur üebersetzungen des im
9ltem Deutsch gebräuchlichen küniglein mhd. künoU, s. Pott, Doppelung, S. 821,
Formen, die gleichfalls der Volksetymologie ihr Dasein verdanken.
87. S.875.
„Als Alkmene, so erzählt Antoninus Liberalis 29, den Herakles nicht gebären
konnte, weil die Moiren und Eileithyia die Geburt hinderten, überlistete die
€ralinthias (bei Ovid. Met. 9, 806 ff. heisst sie Galanthis) die Göttinnen, so dass
die Geburt erfolgen konnte, und wurde von diesen zur Strafe in ein Wiesel, yait^,
verwandelt. Aber Hekate empfand Mitleid mit ihr und machte sie zu ihrer
heiligen Dienerin. Und als Herakles erwachsen war, gedachte er ihrer Hülfe-
leistung und errichtete ihr neben dem Hause ein Heiligthum und brachte ihr
Opfer. Diesen Brauch beobachten die Thebaner noch bis heute und bringen vor
dem Feste des Herakles zuerst der Galinthias Opfer." Bei Aelian N. A. 16, 11
heisst es dagegen: „das Wiesel, habe ich gehört, war einst ein Mensch, übte
Zauberei und Vergiftimg und war zügellos in unerlaubter Liebe; der Zorn der
Göttin Hekate verwandelte sie in dieses böse Thier. Also habe ich erzählen
hören.** In umgekehrter Wendung wird in der Fabel 32 des Babrius das Wiesel
von der Aphrodite in ein schönes Mädchen verwandelt, verräth sich aber am
Hochzeitstage als das, was sie wirklich ist, — ein Wiesel. Eine Anspielung
darauf kam schon beim Komiker Strattis vor, der von OL 92 bis nach OL 99 Stücke
aufführte (Meineke Fr. com. gr. 2, 2. 790).
Diese Verwandlungssage ist weit gewandert und klingt in den Namen wieder,
die das Wiesel in vielen europäischen Sprachen trägt Es heisst das Jüngferchm,
ital. donnola^ neugr. wiicpina, Schonlhierkin y SchÖndinglem, dänisch den kjönne
(= pulchra), altenglisch /airy, spanisch comadreja Gevatterin (= commatercula%
baskisch andereigerra (andrea = Frau), albanesisch „des Bruders Frau**, slavisch
lagiotschka, die freundliche oder trügerische (von laskati schmeicheln, iistit*
täuschen; eben so heisst die Schwalbe), slav. nevestuka die Braut oder das
Mädchen u. s. w. Die Namen in vielen italienischen Mundarten gehen auf das
lateinische bellula zurück (Flechia im Archivio glottologico italiano 11 p. 47ff.).
32*
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500 Anmerkungen.
Keltische Wörter sind nesa (Zeuss* 49) und eds (St ir. gl. 259), letzteres, wenn e»
ein anlautendes v verloren hat (Zeuss' 55), vielleicht identisch mit ahd. ttisHia,
wisala. Eomisch-bre tonische Benennungen bei Zeuss^ 1075 scheinen die Begriffe
fröhlich, geschwind zu enthalten. Dunkle Namen sind portugiesisch tovrdo,
spanisch garduna^ litauisch zebenksztis (mehr das braune Wiesel), szarmonys,
seermonys (mehr das weisse, identisch mit dem deutschen Hermelin aus HarmX
altpreussisch mosuco (deutsch Mösch, Müsch, vielleicht = mu$ moMcovUicusf)^ alba-
nesisch hukljeza, Sie mögen euphemistische Umschreibungen enthalten, denn das
Wiesel wird wegen seiner Beweglichkeit und seines unterirdischen Thuns als
dftmonisches Wesen empfunden, ein solches aber darf nicht genannt werden,
sonst ist es da. Auch musteia^ die Mausfängerin, ist aus euphemistischer Aus-
weichung zu erkl&ren. Lateinisch felis erscheint in dem kjmrischen bele der
Marder, woraus französisch belette das Wiesel (s. Diez unter diesem Wort und
Diefenbach 0. E. p. 259), deutsch Bille, Bilchmaus, ahd. pilih, litauisch peU, alt-
preussisch peles die Maus, slav. plüchü glia u. s. w.
88. S.879.
Fr. Müller in den Sitzungsber. der philosophisch -histor. Klasse der Wiener
Acad., Bd. 42, 1863. S. 250 deutet das zendische, im VendidM oft vorkommende
gadhwa mit Katze, und Spiegel in Kuhns Zeitschrift 13, 369 stimmt ihm beL
Dagegen ist von Justi eingewandt worden, dass die Huzvaresch-Uebersetzung
gadhwa mit Hund wiedergiebt und dass die Katze erst im Mittelalter in Asien
erschienen ist In der That kamen sämmtliche asiatische Namen des Thiers,
sowohl in den semitischen Sprachen, als im Armenischen, Ossetischen, Persischen,
Türkischen u. s. w. in letzter Instanz aus dem byzantinischen Griechisch, welches
selbst wieder den seinigen dem Lateinischen entnommen hat. Dass catus in aUen
romanischen Sprachen vorhanden ist und nur im Walachischen fehlt, ist bedeutsam
für die Chronologie des Wortes: es trat auf, als Dacien bereits eine Beute der
Barbaren geworden und die dortige lateinische Sprache isolirt war. üeber andere
ziemlich weit verbreitete Formen, itaL micio, deutsch Büeze, slavisch ma6ika u. s. w.
8. Diez, Weigand und Miklosich unter diesen Wörtern. Wie in Miezchen kleine
Marie, im böhmischen macek kleiner Matthias steckt, so heisst in Bussland die
Katze tpaska d. h. kleiner Basilius oder miscftka d. h. Michelchen. (S. auch Albert
Höfer, Deutsche Namen des Katers, in der Germania 2, 168 und über den bei
Germanen und Kelten weitverbreiteten Namen Buse, Bise Grinmi im Wörterbuch).
89. S.881.
Wir folgen hier der gewöhnlichen Annahme, wonach tasso, taxoy taxu$ aus
dem Deutschen ins Romanische und Mittellatein gekommen ist. Grimm leitete
das Wort Dachs schon in der Grammatik 2,40 vom mhd. Verbum dehsen den
Flachs schwingen, linum vertere, circumagerey ab; dies dehsen ist, mit der häufigen
germanischen Erweiterung durch ein s, einerlei mit lit Ukinti drehen, drechseln,
slav. tociti circumvolvere, tokari der Drechsler, und läuft, wie auch Deichsel und
goth. thaho der Thon d. h. Stoff zum Bilden oder Drehen, in den grossen weit-
verzweigten Stamm aus, zu dem gr. r//»'i?, i^xnovy itJ/cu, ivicog u. s, w. gehören.
Der Dachs Messe der Dreher, weil er seine Wohnung in die Erde gräbt und daher
ein Künstler, ein Baumeister ist Unterstützung fände diese Deutung in dem
griechischen rgoxog bei Aristoteles de gener. anim. 3, 6, in welchem Wort nicht
sowohl einfach der Läufer, als der Dreher, der Läufer in die Runde läge (vergL
Tpo/o( das Rad, die Töpferscheibe, und der Läufer in der Mühle, bei den
Seilern u. s. w.).
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Anmerkungen. 501
Indess bleiben Zweifel, ob nicht das Wort Dachs vielmehr keltisch und das
Tfaier schon bei den Yölkem dieses Namens popul&r war. Das Dachsfett, dem
ein aher Yolksaberglaube besondere Wirkung zuschreibt, wird schon bei Serenus
Sammonicus gepriesen:
nee spernendus adeps^ dederit quem bestia meles,
wo meUs doch nur Dachs sein kann. Marcellus Empiricus verschreibt gleichfalls
eine Dosis Dachsfett, adipis taxoninae: also schon im vierten Jahrhundert müsste
das deutsche Wort ins Latein gedrungen sein. Noch weiter zurück, etwa 100 Jahr
Tor Chr., weist das Citat aus Afranius bei Isidor. 20, 2: Taxea lardum est gallice
dictum : unde et Afranius in Rosa : öallum sagatum pingui postum taxea. Also mit
Dachsfett gen&hrt?
Nicht weiter führen andere Namen des Thieres. Die Engl&nder sagen badger
d. h« Komhändler, die Franzosen ebenso blaireau d. h. bladarius^ die Italiener
^ajo (vielleicht = agrarius)^ die Scandinaven und Niederländer grävlitig^ grevinc
d. h. Gräber, — lauter Euphemismen. Das dänisch-schwedische brock lautet auch
englisch so und kambrisch und komisch broch; wenn dies Entlehnung ist, lief
das Wort auf dem bezeichneten Parallelkreis von Ost nach West d. h. von Scan-
dinavien nach Britannieu, etwa mit den Dänenzügen, oder in umgekehrter Richtung
von den alten Briten zu den Nordgermanen? — Das russische barsuk, poln. borsuk
scheint persischen oder türkischen Ursprungs, wie auch bars der Leopard ein
asiatisches Wort ist; mit dem letztem fällt das magyarische borz der Dachs zu-
sammen. Das slav. jazvü und die litauischen Wörter: altpreuss. wobsdus, lit.
abstrus, lett dp^is sind dunkel, obgleich gewiss einst bedeutsam.
Unverkennbar ist die späte Einwanderung des Hamsters von Osten. Er fehlt
noch in vielen Theilen Deutschlands, ist aber in den kombauenden Ländem Ost-
europas häufig. Das russische chomjak^ poln. chomik, und noch näher das bei
Miklosich verzeichnete choftihtara animal quoddam gaben dem deutschen Hamster,
ahd. hamastro, hamistro Entstehung. Auch das russische karbysch Hamster weist
den Lauten nach auf eine tatarische Quelle. Altpreussisch dutkis, lit. baiesas,
beide unverständb'ch.
90. 8.881.
Dasselbe gilt von der sprachlichen Production: die Sprache benutzte den
Abstand der hochdeutschen und niederdeutschen Lautstufe, um zwischen Katze
und Kater zu unterscheiden, und fügte mit einer Art Ablaut hinzu: die Katze
Mezt, hat gekiezt, d. h. hat Junge geworfen.
91. S.884.
Das griechische ßovßakig, ßovßnlog ist unzweifelhaft so viel als Reh, Antilope,
Gazelle, nicht ein Thier aus dem Geschlecht der Rinder. Schon bei Aeschylus
Fr. 322 Nauck.:
IfOVTOxoQiay ßovßaXtv vtndtQOV^
die dem Löwen zum Frasse dienende junge Antilope. Denjenigen Thieren, sagt
Aristoteles de part. anim. 3, 2, denen das Horageweih zum Schutze nichts hilft,
gab die Natur ein anderes Rettungsmittel, die Schnelligkeit, — so den Hirschen,
den Antilopen, ßovßaXoig, und Rehen, Jooxaa», welche letztere sich zwar zu-
weilen mit den Hömem zur Wehr setzen, vor den starken Raubthieren aber sich
schleunigst auf die Flucht begeben. Besonders in Afrika sind diese Thiere
heimisch. Dort leben nach Herodot 4, 192 nvyauyoi xul ^oonndn xn\ ßovßdkug
xal ovoi, und Polybius 12, 3, 5 setzt hinzu: wer hat uns nicht von den grossen
Katzen Afrikas und der Schönheit der Antilopen, ßovßdXtov xdkloq, und der Grösse
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502 AnmerknngeiL
der Straasse, oroov^toy fityi&ri, berichtet? In Italien begann das Volk mit diesem
griechischen Wort die Auerochsen nnd Wisente der germanischen WUlder sn be-
zeichnen, die mit dem flüchtigen Rehe nichts gemein haben, Mart Epigr. ^ 4:
Uli cessil alrox bubalus atque btson.
Plinius tadelt dies als Missbrauch, indem er bemerkt, die bubali seien Tielmehr
afrikimische Thiere, mehr dem Kalbe und Hirsche ähnlich, 8, 38: guibus (urü)
inperitvm volgus bubalorum noinen rnponit, cum id gignat Africa vüuli potius cervigtie
quadam similitudine. Die Verwechselung, die wohl durch den Anklang an bo»,
bovis in der ersten H&lfle des Wortes enstanden war, erhielt sich trotz Plinius in
den folgenden Jahrhunderten, wie wir aus Stellen späterer Schriftsteller ersehen,
und als unter den Longobarden die Büffel in Italien erschienen, war der Name
ganz fertig. Die Geschichte des Wortes würde auf diese Weise ganz natürlich
verlaufen, wenn die slavischen Sprachen nicht störend einträten und uns irren
möchten: slav. byvolH, russisch bujvol^ der Auerochs, polnisch bawoi^ bulgarisch
bivol, magyarisch bival^ alban. bual, gr. ßovßaXoq, „Dass diese Wörter zusammen-
gehören, ist nicht zu bezweifeln: ob aber und wo Entlehnung stattgefunden,
möchte schwer zu bestimmen sein*^ (Miklosich). Allerdings mussten die Slaven
in der Urzeit beide Arten wilder Stiere in ihren Wäldern kennen und benennen,
aber als sie in die Donauländer rückten, waren dort die Auerochsen doch wohl
schon selten und wurden es im Laufe des Mittelalters dort und in der Urheimat
des Stammes immer mehr. Sie vergassen die alten Namen und nahmen später
den griechisch-lateinischen an, etwa wie bei den Germanen der Elch ganz Ter-
schollen war und später durch das slavisch-litauische Elen wieder ersetzt wurde.
Bei der Gestaltung des Wortes wirkte der Anklang an volH Stier wahrscheinlich
mit. (Noch andere Namen und Zusammenstellungen bei Pott E. F.', II, 1, 8061).
— Wir fügen noch hinzu, dass diejenigen, die geneigt sein möchten, in den
Worten des Paulus Diaconus wegen der Erwähnung der equi siivatici auch die
bubali als nordeuropäische Auerochsen zu fassen, die Einführung der Büffel in
Italien bis auf die Zeit der Araber oder der Ereuzzüge herabrücken müssen.
Letzteres nahm auch Humboldt an, Kosmos 2, 191: „von dem indischen Büffel,
welcher letzte erst zur Zeit der Kreuzzüge in Europa eingeführt wurde." Link
lässt den Büffel mit den Horden des Attila kommen.
92. S.892.
In Nürnberg erscheint schon seit Jahren eine „Allgemeine Hopfenzeitung'
in 4^ Dieses ohne Zweifel sehr interessante Blatt ist uns leider nie zu Gesicht
gekommen. Gewiss enthält es über die im Text behandelten schwierigen Fragen
vollständige Aufklärung — da doch nicht anzunehmen ist, dass die Verfasser
bloss auf die vortheilhafteste Production und den Preis an den verschiedenen
Märkten geachtet und nicht danach gefragt haben werden, woher das Kraut, das
ihnen Nahrung und Beschäftigung giebt, ursprünglich stammt, von wem es be-
nannt ist und wer es zuerst dem Bier beigemischt hat.
98. S.896.
Sprechend für die Haltung des Soldatenstandes in dem römischen Kaiserstaat
ist folgende kleine Scene aus den Metamorphosen des Apulejus (gegen Ende des
9. Buches). Ein hortulanus geht mit seinem unbeladenen Esel die Strasse entlang
nach Hause. Da kommt ein baumstarker Soldat, miles e legione^ ihm entgeg^
und fragt mit herrischem Ton, wohin er den Esel führe? Der Bauer, des Latei-
nischen unkundig (denn wir befinden uns in griechischen Landen), erwidert nichts,
sondern geht ruhig seines Weges weiter. Ueber dies Stillschweigen ergrimmt.
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Amnerkungeii. 503
schwingt der Soldat die viti's, die er in der Hand führt, über den Rücken des
Esels und seines Herrn. Da entschuldigt sich der Bauer flehentlich, er habe
wegen Unkenntniss der Sprache nicht verstanden, was der gestrenge Herr gesagt
hii>e. Darauf spricht der Soldat griechisch: wohin bringst du diesen Esel?
Jener entgegnet: in das nächste Dorf. Ich aber, versetzt der Soldat, habe den
Esel für mich nöthig; er soll das Gepftck unseres Kommandanten, pramdis nostri,
aus dem Kastell herschaffen helfen. Darauf ergreift er den Zügel des Thieres,
um dasselbe abzuführen. Alle Bitten helfen nichts, der Soldat kehrt im Gegen-
theil seine vitis um, um dem Bauern mit dem dicken und knotigen Ende den
Schädel zu spalten. Drauf wird weiter erzählt, wie der Bauer, zur Verzweiflung
gebracht, sich ermannt, den Soldaten durchprügelt, ihm die spatha abnimmt,
ihn Braun und blau geschlagen liegen lässt und sich nach vollbrachter That voU
Angst im Dorfe bei einem Freunde versteckt Andere Soldaten aber sind ihrem
halbtodten Kameraden zu Hülfe gekommen, die Obrigkeit wird auf die Beine ge-
bracht, der Versteck des Thäters entdeckt und dieser in den publicua carcer ge-
worfen, um dort seine Hinrichtung zu erwarten. — Römischer „Militarismus'', an
den der angebliche neudeutsche noch lange nicht heranreicht!
94. S. 418.
Die Benennung türkischer Weizen und die weite Verbreitung des Mais nicht
bloss in der Levante, sondern auch in Ostasien und im innem Afrika haben schon
öfter die ketzerische Behauptung hervorgerufen, dieses Korn stamme gar nicht
aus Amerika, sondern sei ein alter Besitz der östlichen Erdhälfte. Fraas in der
Synopsis florae class. führt allerlei unzureichende Gründe dafür an; die gleiche
Ansicht von Bonafous widerlegt Alph. De Candolle in der g^ographie botanique
S. 943 ff. ausführlich mit siegreicher Argumentation. Türkisch bedeutete am An-
fang des 16. Jahrhunderts nur überhaupt fremdländisch oder über Meer ge-
kommen: die geographischen Begriffe waren zu jener Zeit noch zu unbestimmt,
um West- und Ostindien und von beiden das Land der Türken genau zu unter-
scheiden. Noch jetzt heisst der doch gewiss aus Amerika stammende Truthahn
bei den Engländern turkey-cock, wie der Mais turkey-com^ bei den Deutschen kal-
kutischer Hahn, als wäre er aus Kalekut zu uns gebracht worden, während ihn
die Türken ägyptisches Huhn nennen (Pott, Beiträge, 6, 323).
95. 8.414.
Wenn es wahr ist, dass in einer altägyptischen Abbildung Holcus Sorgum
erkennbar ist (A. Thaer, die alt-ägyptische Landwirthschaft, Berlin 1881, S. 19)
und Kömer davon in Mumiengräbem gefunden sind, dann hätte sich diese Frucht
im Laufe der Zeiten aus Aegypten in die obem Nilgegenden zurückgezogen.
Denn der arabische Arzt aus Bagdad, Abd-Allatif, der im Jahre 1161 geboren
war und dessen Beschreibung Aegyptens S. de Sacy herausgegeben hat, sagt
S. 32 ausdrücklich, beide Arten Mohrhirse fehlten in Aegypten, mit Ausnahme
der oberen Gegend des Said, wo besonders der dochn angebaut werde. Und, was
noch auffallender ist, selbst Prosper Alpinus fand dort gegen Ende des 16. Jahr-
hunderts kein anderes Brod als Weizenbrod: ibi emm nulla alia panis gener a co-
gnoscuntur quam ex tritico parata. Auch wäre es zu Plinius Zeit, wenn sich Sorgum
in Aegypten fand, nicht nöthig gewesen, nach Indien zurückzugreifen. Da aber
unter der Herrschaft der Römer der Verkehr der Häfen am rothen Meer mit
Indien nicht unbedeutend war, so konnte ein aus Oberägypten stammendes Korn
irrthümlich als ein über Aegypten aus Indien eingeführtes angesehen werden.
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504 Anmerkungen.
96. 8.419.
0. HartwiA^ in seinen schönen Enltur- und Geschichtsbildern aus Sicilien
behauptet mit Bezug auf die arabische Kultur in Sicilien, wo neue (Jewllchse ein-
geführt werden, müsse der Ertrag nothwendig steigen. Wäre dieser Satz ganz
wahr, so würde er für die Gesammt- Kulturgeschichte von höchster Bedeutung
sein. Aber er unterliegt vielfachen Einschränkungen. Einwanderer können die
Gewächse mitbringen, für die sie eine Vorliebe haben und die in der Heimat
vielleicht die vortheilhaftesten waren: sie setzen die gewohnte Kultur traditionell
fort Eine Kultur kann momentan und unter gunstigen Umständen Yortheil
bringen und wird dann aus Trägheit beibehalten, auch wenn die Conjuncturen,
unter denen die Einführung geschah, längst vorüber sind. Auch die Gewerbe-
nnd Handelsgesetzgebung, die Art und das Mass der Besteuerung, Regierungsact«
aller Art geben dem Landbau Richtungen, die mit dem natürlichen Beruf des
Bodens nicht immer im Einklang sind. Man sieht, die Rechnung muss in jedem
einzelnen Fall immer besonders gemacht werden.
97. S. 423.
Als Arthur Young Frankreich bereiste, kurz vor der Revolution, war die Kar-
toffel eine dort fast noch unbekannte Frucht und unter hundert Bauern hätten
sich, wie er sagt, gewiss neunnndneunzig geweigert, sie auch nur in den Mund
zu nehmen.
9S. S.424.
Moltke in seinen Reisebriefen aus der Türkei macht die feine Bemerkung,
die Tabakspfeife sei der Zauberstab gewesen, der die Türken aus einer der tur-
bulentesten Nationen zu einer der ruhigsten gemacht habe. Unnatur ist aller-
dings die erste grobe Form, unter der sich der Mensch dem blinden Triebe ent-
zieht, und so können wir alle Abscheulichkeiten, die wilde Völker gegen ihreu
Körper verüben, hochschätzen und als eine Regung der Freiheit begrüssen. Opium,
Tabak, Branntwein, Hanf, Fliegenpilz u. s w. brechen die Wildheit, aber ersetzen
sie durch Stumpfheit Wenn Moltke's Beobachtung richtig ist, dann werden auch
unsere Socialdemokraten nächstens zahm werden, denn man sieht sie selten anders,
als mit dem Cigarren-Stumpf im Munde.
99. S.426.
Auch Link, Urwelt 1, 428, war der Meinung, der Apfelbaum unserer Gärten
stamme nicht von dem europäischen wilden ab. Der Name des Apfelbaumes
hat darin besonderes Interesse, dass er bei Kelten, Germanen, Litauern und Slaven
derselbe ist und also einen näheren Zusammenhang des äussersten westlicheu
Gliedes, des keltischen, mit dem germano-slavischen, als mit dem italischen
Stamme, mit beweisen hilft: altkeltisch aball (wo all ableitendes Element ist),
angelsächsisch äppel^ altn. epli (apaldr, Apfelbaum), ahd. aphuly lit oholy»y abolU^
altpreussisch woble^ der Apfel, lit. obelis, abelis^ altpr. wobalne der Apfelbaum, alt-
slavischyoÄ/wAro, ablvko der Apfel, jablani, ablani^ der Apfelbaum. Wenn die in
Mitteleuropa von Osten her einbrechenden indogermanischen Schwärme, deren
Vortrapp die nachmaligen keltischen Völker bildeten, den Baum in den neu er-
kämpften Landstrichen vorfanden und ihre rohe Zunge an dessen sauren zu-
sammenziehenden Früchten Gefallen fand, so konnte es leicht geschehen, dass sie
den Namen von dem Jäger- und Fischervolke annahmen, das ihnen zuerst auf
europäischem Boden entgegentrat, — den Finnen. Den Namen der Frucht bei
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Amnerkungeii. 505
diesen keimen wir natürlich nnr in seiner jüngsten Gestalt nnd wissen nicht,
welche Veränderungen er seitdem erfahren hat: estnisch ti6in, uvtn oder in dem
anderen Dialekt aun, oun, livisch umärs, finnisch omena, magyarisch alma (eben so
türkisch). Wenn erst das Stndium der finnischen Idiome so weit gediehen ist,
dass ans Vergleichung der verschiedenen Zweige dieses Sprachstammes feste
Lautgesetze sich ergeben, nach welchen auf die Urform eines gegebenen Wortes
geschlossen werden kann, dann wird sich auch entscheiden lassen, ob die in den
obigen Namensformen enthaltenen Anklänge nur zufällig sind oder einen wirk-
lichen Zusammenhang beurkunden. Griechisch und lateinisch hat der Apfel
eigentlich keinen individuellen Namen, denn griech. fjctXov, lat. malum bedeutete
die grössere Baumfrucht überhaupt und fixirte sich erst allmählig für den Apfel;
ebenso das lateinische 7>omi/m; auch hat malum den Schein eines Lehnwortes ans
dem Griechischen. — Der in den südlichen Halbinseln einheimische wilde Birn-
baum — die Arkader sollten wie von Eicheln so auch von Birnen sich genährt
haben — hiess «;^(>«c, «/fpcfoj, der kultivirte oyxyri (schon bei Homer) und
xoyxyri (nach Hesychius), auch «77105, die Frucht amov; aus der Vergleichung
des letzteren mit dem lateinischen pirm, pirum erhellt, dass im griechischen Wort
ein o ausgefallen (etwa wie ioi das Grift lateinisch virus lautet) und das a nur
ein Vorschlag ist, wie ihn das Griechische liebt. Das lateinische Wort ging zu
den Kelten und Germanen über, zum Beweise, dass in der Heimat beider Völker
der Birnbaum ursprünglich nicht wuchs. Litauer und Slaven aber haben für
die Birne ihren eigenen Ausdruck: lit. krausze, altpr. crausios, slav. gruia, chrusa.
Da nicht anzunehmen ist, dass die Slaven einen Baum sollten gekannt und be-
nannt haben, der in den milderen Wohnstrichen der Kelten und Germanen fehlte,
so muss dies gru^a ein Lehnwort sein — aber woher? vermuthlich aus einer der
pontischen oder kaspischen Sprachen, denn mit ^XQ^ij a^^odiJoq kann es doch
nicht zusammengestellt werden? Auch die Albanesen haben ein eigenes Wort
für die Bime: darde. — Im heutigen Europa ist Nordfrankreich, besonders die
Normandie, das eigentliche Apfel- und Bimenland, das nicht bloss die meisten,
sondern auch die feinsten dieser Früchte trägt und wo der aus ihnen bereitete
Cider {cidrcy ital. s/c?ro, cidro aus sicera^ aixtim^ welches selbst wieder ein alt-
semitisches Wort ist) den Wein als allgemeines Volksgetränk vertritt. Weiter
nach Süden, von wo sie doch stammen, ist es diesen Obstbäumen weniger wohl,
— eine keineswegs vereinzelte, aber darum nicht minder merkwürdige Er-
scheinung.
100. S. 428.
Der Jäger, schweigsam und scheu („Im Felde schleich ich still und wild"),
gleicht noch dem Raubthier. Thierzucht aber ist schon voll Menschlichkeit:
man sehe z. B. das Bild von Heinrich Bürkel in der Neuen Pinakothek in
München: Schaf heerde in der Römischen Campagna. Der Hirt geht voran,
die Heerde folgt; er hält ein neugebomes Lamm behutsam in den Armen, noch
andere trägt das Pferd in gleichschwebenden Körben; die Mütter gehen zu beiden
Seiten und blöken hinan. Wie human und idyllisch!
101. 8.481.
Neben der Farbe gelten auch die ocuH truces, die torvitas luminum^ die
XaQOTtiiTjQ i(ov ou^artov für ein Merkmal der germanischen und anderen Bar-
baren des Nordens. Erst die Kultur, die das innere Leben weckt, beseelt auch
das Auge, das bei den Wald- und Steppenbewohnern noch den eigenthümlich
frischen Blick des Jagdthieres oder den scharfen des Raubvogels hat. Vämböry,
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506 Anmerkungen.
Globus 1870, S. 29 vom Kurden: „Besonders sind es seine Augen, diese ewig
funkelnden, auf Unheil oder Trug sinnenden Lichter, durch welche er unter
hunderten von Asiaten erkennbar wird. Es ist merkwürdig, dass sowohl der
Beduine, wie der Turkmene durch diese Kennzeichen unter seinen ansässigen
Stammesgenossen eben so auffällt. Ist es der unüberwindliche Hass gegen vier
Wände oder der grenzenlose Horizont, oder das Leben im Freien, welche diesen
Glanz in die Augen der Nomaden hineinzaubem?''
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Wortregister.
(Die Buchstabenfolge ist die des lateinischen Alphabets; ch = x ^^^^^ hinter c,
th = d hinter t.)
maced. äßoLym 487.
kelt aball 504.
'AßdvTiqt 'AjüLOLVTiA 473.
hebr. abatticbim 253.
franz. abricot 347.
'Aßv»u!v, 'AjxyMv 473.
accipiter, acceptor 495.
acer, acernus 491.
acnua 458.
actns 458.
actis 457.
ixpag oLXepSog 505.
did/uLöLg 488.
hebr. adaschim 176.
ador, adoreus 457.
ieXkaSeg, oLe^XonoSeg 37.
aes 463.
Aetoler 52.
Africae aves, gallinae
Africanae, Afra avis
297.
Agathyrsen 17.
ager 55.
ager arbostus, ager ar-
VU9, ager pascuus 101.
drfyovßiov, ctyyovpov, «7-
yovpw 258.
armen, agh 436.
Syhg 164.
Agrios 60.
ital. agriotta 496
iypig 55.
Agurke 258.
goth. ahaks 494.
Ahorn 491.
slav. ajda 416.
Alytxopsiq 1 10.
OLiyiKwyp 454.
cdyinvpoq 454.
xoXoKuvft* »1705 454.
goth. aihvs, aihvus 36.
cukovpoq, OLWkovpog 376 ff.
eLhjM(rtoL 102.
dipa, 454.
CLKTAXOg 184.
slav. aiva 200.
arg 476.
^oth. aiz 463.
axA/uLOLg 36.
Akarnanen 52.
äKdorog 491.
goth. akeit 73.
lit. akis 450.
oiKpOiT<f>cLk€ig 50.
goth. akrs 55.
OLXT^Ct, fltXTIJ 14.
indoeurop. akva, sanscr.
a^va, zend., altpers.
a9pa 36.
Alanen 11. 12. 44. 431.
'Akoivvoi 436.
alba sacerdotalis 138.
Albanesen 13. 53.
Albanien, 'AXju>fv>) 473.
span. albaricoque, arab.
al-barqüq 347.
ital. albercocco,albicocco,
bacocco 347.
Albizzia Julibrissin 422.
albus, aXtpog 282.
Ak 125.
iXeictroL 457.
^AksKrwüyAkexrpvwVfOikex'
Tojp 263.
dXexrpvwv , d "kBXTpvAivciL,
aXexTopig^ gemma alec-
toria 265. 295. 491.
Aleuaden 56.
goth. alev, alevabagms
474.
span. alfalfa 332.
ctX(|>i, äXi^iTov 452. 457.
alica 407.
alipedes 37.
alium, allium 164.
Allermannsharnisch 163.
170.
magjar. alma 505.
russ. almaz 488.
otkoj^^og 265.
Aloe, agave ainericana
aXwv] 457.
ahd. alpiz, ags.älfet, altn.
dlft 282.
lit. alus 126.
alvei, alvearia 477.
'Akvßyi 462,
lit. aoQalis, lett ämuls
496.
maced. diuLcckog 473.
ifULA ual^vg 67.
«/jt*6* 110.
ital. amarina, amarasca
496.
äfjLri 104. 471.
'Ajui^tyyj'^eig 455.
vitis Aminaea, Aminea
^468.
cbjuLiTTnoi 48.
ital. ammazza rasino335.
otjjLfxi 174.
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508
Wortregister.
a/uuuTA 319.
amurca 92.
ifvßy&ctkvi, amygdala 318.
^ 321. 496.
avoLSevSpclq 67.
anas 301.
bask. andereigerra 499.
dvipeino&ov 464.
dv&poLTkvi, «vdpal 330.
ADgeln 45.
ital. aoguria 259.
Anis 405.
Anke, ahd. aochunsmero,
aDcsm^ro 132.
oivrlov 460.
iit. antis, sl^v. Qty, qiq,
qtica, qtuka 301.
ahd. anut, ags. ened, aitD.
önd 301.
ATTEkXoil 477.
a7r>fv>j 110.
Apfelbaum 426.
Apfelsine 365. 366.
ahd. aphul, ags. äppel,
altn. epii, apaldr 504.
mittellat. apile 477.
olmog, imov 505.
ätroSeq 50.
Aprikose 347.
lett. &p^is 501.
Iit. apyynys, apYynei467.
aquicelos 243.
Araber 27. 28.
pers. aragh 496.
äpoLxoq, äpcny^og 180.
ital. arancio, arangus 364.
arare 55.
ahd. arawiz, araweiz 178.
goth. arbaitbs 456.
Arbusen, slav. arbuz 259.
260.
arbutus, arbutum 329.
arculuin, inarculum 195.
oipjl^iSciv'/yoLif^opela'cLq 484.
485.
area 458.
Argos 56.
goth. aijan 55.
aries 454.
Aristaeus 91.
ipxrog 450.
ipjULevMKA 347.
Armenien 32.
slav. armud 200.
ipveg 450.
iporpov 55. 451.
(tpoiü, apovpA 55 99.
ionvi 458. 495.
alban. arre, apuct, AvcLpcL
496.
Iit. arti 55.
Artischocke 426.
oLpToq 458.
äprog Cu/*iT>j5 456.
arvum 55.
asellus 475.
itai. asforo, asfiori 216.
taurin. asia 454.
goth. asilus, lit.asilas475.
asinus 108. 475.
alan. Aspar 260.
persisch aspest 331.
kelt assal 475.
Assyrer 30.
Assyria malus 361.
A(rr£put;,a8tur, ital. astore,
proven^al. austor,franz.
ostor, autour 307. 495.
preuss. asvinan 36.
Iit. aszva 36.
sanscr. äti 301.
OLTpOLKTOg 460.
slay. ^tükü 461.
franz. aube 138.
ital. auca 380.
preuss. auctan, aucte 1 32.
iit auksas 461.
aurantium Olysiponense
366.
aurum, aurora 461.
preuss. ausis 461.
auspicia ex avibus, ex
tripudiis 267.
Iit. austi 461.
Avaren 12.
Duces avellanae 321.
Iit. avilys 477.
- ayiza, avizos 467.
«|iwj 465.
sanscr. ayas 463.
span. azafran 215.
B.
preuss. babo 459.
engl, badger 501.
badius 489.
ßASpVOL 312.
zend. baevare 446.
ital. bajo, franz. bai 489.
j3*i5, ßcttov, agypt. bä,
kopt. ßYiT 489.
Iit. baländis, osset. ba-
lau, balön, balaoD 494.
Aiog ßotkcLvog 318.
ßcnXciAJoriov, ital. balaa-
stro, balaustrata, Ba-
lustrade 486.
Iit. balesas 501.
Balkh 12.
Balsamine 421.
zend. banha, Banga 484.
poln. baDJa 260.
magyar. baraczk 347.
barca, Borke, altn. borkr
481.
ßSpig^ bans 481.
barrus 290.
russ. bars, barsuk, poln.
borsuk, magyar. borz
501.
Bastarneu 47.
Bataver 46.
hebr. batnim 338.
ßoLTOq, ßoLTltL 315.
altpr., Iit. bebrus, slav.
bebru 14.
Becher 405.
Beete 405.
Beil 464.
j3>fxÄ 67.
cambr. bele, franz. be-
lette 500.
bellula 499.
pers. beng, bang 484.
altir. b^o 433.
ags. beofor 14.
russ. berdo, südsl. brdo
461.
Besser 61.
altir. biail, altcorn. ba-
hell 464.
kelt. biber, mhd. biber,
ahd. bibur, slav. bibru
14.
ßlßhvoq omq 465. 466.
Bibracte, Bibrax 14.
bidens 104.
Bier 125. 126.
altn. bifr 14.
Bignonia Catalpa 422.
ßiKOq, ßixloY 181.
Bille, Bilchmaus 500.
pers. biring, biran^ 408.
Birsch, birschen, franx.
berser 305.
neugr. ßi(r*;vov, ßiVt!'ov328.
franz. biset, bis 280.
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Wortregister.
509
ßlaral 497.
□ranz, blaireau 501.
slav. bobrü 14.
- bobü 459.
ßoeug 140.
Boyypos, Mar gas, Mo-
rawa 473.
slay. bogü 44.
Bohoe 55. 459.
franz. boisseau 192.
- botte, boiter 192.
ßokßog 164.
Bolle 168.
Bordeauxwein 71.
walacb. bordeitz 437.
russ. bortnik, poln. bart-
nik 477.
altir. both, bothan 471.
Böttcher 471.
franz. botte 471.
ßp<ißv\ov 311.
brace, bracisa, bracii 1 24.
127.
bradigalo 389.
slav. braga, braha, braja
127.
Brauen 126.
preuss. brajdis 451.
lit bredis, lett. breedis
451.
altcorn. breilu, carnbr.
breila, breilw 487.
messap. ßp^viog 451.
slav. breskva, praskva,
broskvina 347.
armen, brinz 408.
Briten, Britten 17.
ahd. briuwan 126.
ßpi'C« 449. 455.
altir. bro, broo, broon
456.
dän., scbwed., engl, brock,
cambr. corn. brochöOl.
ßpo/üLOc;, ßpofxwiyiq, ßpw-
jULog, ßpiufjuuSvig 454.
Brot 456.
slav. brüdo 461.
altir. bruinne, brii 464.
goth. brunjo, slav.brunja,
Brunne 464.
Brunnen 115.
lit bruwSle 126.
Span, bruxula 192.
ßpvrov 120. 126.
bubalus, ßovßotXigy j3ou-
ßaXoq 384. 501.
franz. bucail 415.
Büchse 191.
Buchweizen, niederländ.
boekweyt 415.
Bude 471.
Budinen 431.
franz. buisson 192.
alban. bukljeza 500.
engl, bullace 311.
Bulgaren 12.
ßovnXr^i 62. 465.
franz. bouquette 415.
bura 457.
Burgunderwein 71.
buricus 476.
armen. Busa 478.
ital. buscione 192.
Buse, Bise 500.
engl, bushel 192.
franz. boussole 192.
buste, ital. busto
192.
engl, booth 471.
franz. bouteille 471.
ßoVTig^ ßoXJTlOVf ßyjTic^ ßV'
TlVYl 471.
Bütte 471.
preuss. buttan, lit. but-
tas 471.
Butter 132. 405.
ßoyjTjfov 130. 131.
Bou[>o'>i 39.
mhd. bütze 115.
buxus, buxum 188. 189.
ßyjßXmg 140. 465. 466.
ByifiUg 488.
ßv(r(rivov nirikiufjm*» 143.
ßyj^invoi nin'koi 143.
slav. byvolü, russ. bujvol,
poln . bawol, bulg. bivol,
magyar. bival, alban.
bual 502.
Caecuber 76.
caelia 119. 127.
caepa capitata 163.
ital. calamaja, calamita,
calamistro 247.
calamine, giallamina,Gal-
mei 488.
Caledonier 46.
calocatanos 493.
calx 115.
camisia 149.
camisia clizana 151.
canalis 247. 249.
gall. candetum 458.
Cannae 249.
altir. caog 494.
capreolus, ital. capriuolo
453.
caprificus 453.
ital. capuccio 426.
mittellat. capus 495.
Caput 163. 164.
caracallae 150.
carbasus 147.
cardo 64.
ital. carrobo, carruba,
franz. caroube, carouge
370.
nuces castaneae 318. 321.
322.
catus, cattus, xdrrA 380.
500.
ital. cece, russ. <^edevica
177.
itel. cedro 362.
- cefaglione 220.
poln., bohm. cegla, cihla
116.
Centner 406.
slav. cepati, cepiti, cep,
cepina 354.
cepe, caepa 163. 165.
cepulla 168.
altir. cerc 271.
cercitis 92.
cerea 119. 123.
russ. deremsa, deremica,
(^eremuska 163.
cervesia, cervisia 125.
slav. desati 170.
desnükü, ciesnici
170.
ceva 450.
cicer, Kicher 177. 179.
Cider, franz. cidre, ital.
cidro, sidro 123. 505.
sanscr. pikhi 286.
ital. cipoila 168.
- citriuolo, franz. ci-
trouille 258.
citrus, malum citreum,
citrosa vestis, citratus,
Y,irpi(ti 360.
franz. cive, civette 170.
claie 115.
claratum, claretum, cla-
ret 75.
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510
Wortregister.
provenQ. cleda 115.
mittellat. clenus 491.
kelt. cleta, mitteil, cleta,
slav. kleti, lit kletis
115.
irisch cliath 115.
kymbr. cluit 115.
ital. cocomero 259.
poln. coczka, czech. 6o6o-
vice 177.
altir. coileach, coro, che-
lioc, colyek 493.
colliciae 458.
altir. colum, cambr., corD.
colom , bret koulm,
klom 284.
colus 461.
spaD. comadreja 499.
ital. coppa 471.
fraoz. coq, armor. cocc
270. 492.
corbis, corbita, corbitare
257.
apan. corcha 471.
cornus 326.
cortex 471.
corylus, corulus 496.
altir. cos, cambr. coes
455.
altgall. cosl 496.
ital. cotoguata, franz. co-
tignac 199.
ital. cotone 419.
mala cotonea 199. 360.
cotIdus, covioDUS 49.
coxa 455.
vicia cracca 180.
crates 458.
ir. creamh 163.
slay. <5remiga 116.
franz. creque 311.
slav. 6rjesnja 328.
ital. crisuommolo 348.
Cromlech 114.
cucumis 259.
Cucurbita 257.
ital. cucuzza 257.
corn. cudoD, cambr. ys-
guthan, altir. ciadcho-
lum 494.
culcitae 149.
culmus 452.
cumera, cumerum 257. ^
cuniculus, xuvtxXo;, xov-
vLxkog 371.
cupa, XU TT*), cuparius471.
cupressus Tarentina 232.
Cypern 489.
lit. czepiti, czepas 354
Ch, X.
XaXctC* 180.
y^aXxdtp /HAT og 41.
yäXjco'g 58.
X*?ug 115.
XoljuiaI 465.
'^ÖLjUUTiq 67.
engl. Channel 250.
franz. chanoine, chanoi-
nesse 250.
Chanteclers 262.
Xe/pctg 468.
X(tpfJLoq9l.
Chaussee 115.
äolisch -^{Khoi 446.
abd. cbeminata 115.
franz. ch^neau 250.
'^duj 445.
tranz. chiche 177.
XÖp* 457.
YiXioi 446.
Chinagras 156. 482.
ynrwv, xi»a/v 57. 137. 140.
äav. cbiia 478.
yXä^v5 450.
slav. chlebü 456.
abd. chlopolouh, chlovo-
louh 170. ^
slav. cbmeli, chmeli,
neugriecbisch y^ovfxih^
walach. bemeju 390.
phöniz. Xvf, 'OxvÄ 488.
russ. cbomjak, poln. cho-
mik, slav. cbomestarü
501.
YpVpo5 407. 457.
Uhorasmier 34.
y(jpv<rouy\kov 348.
^pvcog 58. 461.
pers. cburu, churüb, cbu-
rüs 270.
y\j^<£i<ni^ yiy&dißw^ X^"
&cnory\q 445.
X^Tol Hx^eg 445.
D.
Dachs 381. 500.
^i^v^l 484.
^a<j)v>) lUMivojuL^Yi 187.
Daher, Daer 34. 48.
Daken 17. 52.
^«xniXo;, dactylus 225.
engl, damsin, damson 31 1.
alban. darde 505.
kurd. dariben 497.
slav. dqti, duni|ti 260.
franz. datte, ital. dattero,
span. datil 225.
Daube, Datige 470.
ffotb. daubs 280.
Jäv'xvä, ^Auy^vog 484.
i^ipw, Ss^f^eixi, &s>f/w 484.
mhd. dehsen 500.
Deichsel 500.
preuss. deivas 16.
delirare 452.
»evSplrrig, ^evJom; 101.
kelt. dess 168.
lit dgvas 16.
arab. dhorra 413.
alban. di 450.
arab. difleb, defle, difna
336.
kurd. dik 270.
^U* 104.
russ. dikusa 416.
Dimallum 450.
iifxfi^tLi 47.
lit. dimkas 164.
arab. docbn 413. 503.
doga, (ä^x^' 470.
Dolmen 114.
A)Wg 248.
ital. donnola 499.
iip\) 219.
alban. dren 451.
ip^nctvov 103.
lit drobe 461.
druppa 92.
altir. dubh, dub, Dubis
gotb. dubo, ags. de«,
altn. daufr 280.
pers. dulb, dulbar 238.
pers. dulbend 419.
duracina 346.
preuss. dutkis 501.
&u(tpeut 485.
dak., kelt dyn450.482.
cambr. dynat, danad 482.
slav. dynja 260.
ags. earfe 177.
altir. eis 500.
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Wortregister.
511
ebor 290.
mag. eczet 73.
altir. ech 36.
franz. eohalas 468.
franz. echalotte 161.
IX^X*,^ 457.
jjTijTijpiÄ, Y^yvifropltL 80.
eyKitpaUg 223.
)it. ^glus, oglus 433.
altaachs. ehuscalc 36.
Eibe 14. 433. 434.
vjixcLvog 492.
elpsa-iijayyi 90. 93.
Eisen, goth. eisarn 464.
alts. ekid 73.
Jikit 311.
ijXaxcmi 460.
ehtU, IXoLiw 85. 89. 474.
fi<rrii «>^«* 89.
ehtuSdtvToq 87.
ihtrri 241.
Elch, Eleo 502.
yiyjicrwp "TneplwVy ^X«e-
Tpovy WJxrp<ty 'HXex-
rpvwv 265. 491. 492.
'^Xevb^piog 66.
elix 457.
6kKs<r(nenXoi, IXxeYirwvec
142.
arab., pers. elmäs 488.
jftiovos 476.
Airog, tktpoq 131.
tkvfjLA 457.
fXuyuos 458. 459.
lit. emalas, preuss. emelno
496.
IfX^VTOqy l/ULff>VT€\J€lV 353.
proven^. empeltar 353.
hSev^pog 101.
span. endrina 311.
Eneter 53. 108.
franz. ante, enter, proven<?.
entar, ndl. enten 353.
altir. io 433.
ags. eoh 36.
sallisch ep, Epona 36.
haoi&ii 17.
erriTOvoq 140.
Ephyra 56.
Epopeus 91.
flnoi^vg 73.
*HpÄxX€ourixa xdpvüL 319.
ital. erba spagna 332.
Erbse 405.
Erdrauch 164.
Ipe'ßivbog 177—179.
Erigone 61.
ioiveoq 474.
ipiov 435.
lit eris 454.
Ipxos 102.
ipvctrig 67.
eryum, ervilia 178.
Esche 14.
franz. escregne 437.
kelt. ess 168.
esseda, essedum 48.
Essig, ahd. ezih 73.
Esten 44.
y^Tpiov 460.
Etrueker 54.
lett. eya 433.
evallere 458.
Eucalyptus 422.
evLnnog 40.
evww/uLoq 335.
Euretice 360.
svarp^TTTOKri 140.
e^oLipovc^cLi 454. ,
F.
faba 180. 458.
(j)otY*)T6, facha, facheta,
rakecba 494.
ahd. fahs 483.
alteugl. fairy 499.
4>o&x)J, t^ditog 176.
falco 495.
ital. falconetto 309.
Faleroer 76.
far, farina, farrago 457.
(pCtpjULßLKol 473.
ahd. farn, farm, ags. fearn,
Farokraut 494.
f^SCpog 140.
(j)a(rxeTctt, (j)fltcrxiW 150.
(j)a(navo';, ^(tcicuvLxoq 298.
(()ctV(rÄ, di(t<ro'o^vog 276.
494.
^oL-4^ 276. 494.
russ. faza 494.
^YiyetoL, ^Yp/uL 489.
felis, feles 376£F. 500.
Senoq 481.
Fenchel 254. 405.
Fenster 115.
cambr. ffa 459.
ffuon 487.
fiber 14.
ficus 473.
ficus duplex, bifera, ficus
caricae, cauneae 81.
ital.fieno d'Ungheria 332.
filum 461.
öilv'pa. 481.
Filz 14.
Fimmel 158. ,
Finnen 18.
Flach 8(neu8eeländischer)
156.
ahd. flahs 483.
Flasche 405. 471.
Flegel 405.
<j)Xoto'5 481.
ital. focaccia 456.
arab. fokka 119.
fodere 104.
^oiviKf] 487.
^olvixoq ipvog 221.
<|)oCwg^ 179. 218. 487.
Sw'keoq, TOL ^{uked 437.
folium 86.
ital. formen to 454
goth. fotus 468.
zend. frath 238.
franz. froment 454.
Fufluns 466.
cj)ovxots 119.
^llones 156.
fumaria 165.
fundo 445.
ital. furetto, franz. füret
372.
furfur 457.
engl, furz, furze 453.
fusus 461.
({)*jXia, (()uX>j, <j)uXXov, d)u-
rov'y <j)t/(ri(;, (pv/uLOL 8d.
ags. fyrs 453.
(j)ur6uw, (J)UT*Xi* 99.
G.
hebr. gad 173.
zend. gadhva 500.
ital. gaggia di Gostan-
tinopoli 421.
lit. gaidys 493.
ToLKraToi 464.
yotX^v\ 376 ff.
slay. galica, galka 492.
altir. gali 282.
galla 492.
canis gallicus, span.galgo
305.
Gallier 47.
Silva Gallinaria 469.
gallus, gallina 492.
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512
Wortregister.
Gslmei, giallamina 488.
span. garduna 500.
ags. giriere, eogl. gar-
lick, altir. gairleog 1 70.
ital. garofolo, garofano
421.
garrire 492.
spaD. garrobo, algarrobo,
portug. alfarroba 370.
slay. gqsli, Gusli 493.
Gaspar 260.
Gautar 446.
preuss. gaydis 452.
71} (Txtppots 89.
4»vTgu/x^ 100. 105.
altir. geidh, ged, goss
301.
altn. geirlaukr 170.
yckyig^ yeX'^i^oOo'bci.i 164.
Geloneo 17.
ital. gelso 317.
ahd. ger 464.
gersta 54.
preuss. gertis, gerto, ger-
toanax 493.
yvjpveiv 492.
ital. gesmino, gelsomino
419.
Geten 53.^
y^dvov, 7>)T€iov, 7>)ftuXXis
164.
albaD. gjak 133.
- gjalpe 133.
gjascbte 133.
ital. giglio 487.
lit. gija 461.
alto. gj6ta 446.
lit. girna, fn^nos 456.
git, gith 173.
goth. giutan 445.
slav. glagolati 492.
glans regia 321.
Glas 471.^
yXeivov, 7X.TV01' 491.
glocire, glocidare 493.
glomus 461.
slav. glucbü, russ. glu-
cbarj, poln. gluszec,
slov. hlucban 494.
hebr. Gobel, pboniz. Gybl
488.
GockelhabD 493.
70» 173.
slav. ^golgbi 284. 494.
ytvksog 437.
I neugr. youetpL, yo/mog 475.
hebr. gofer 231.
russ. goroch 180.
altD. got, gota, Gotar 446.
Gothen 12. 445. 446.
(skandiDavische)
45.
graculus 271.
slav. grachiiDeugr.7pa^)^o$,
slov. grab, grahor, gra-
horica 180.
TpcLixol, Graeci 51. 448.
ital. grajo 501.
Graoada 197.
ital. granato 198.
malum granatum 196.
scandin. , ndl. grävling,
greving 501.
russ. greda, greöicba, gre-
6ucba 416.
franz. greffe, grefFer 353.
lit. grikai 416.
fran:^ griotte 496.
poln. groch 180.
alban. grose, grosa 180.
Grücken 416.
slav. grusa, cbrusa 505.
poln. gryka 416.
franz. guigne, guisne 328.
span. guinda 328.
pers. gul 486.
lit gulbe 282. 494.
gotb. gultb 461.
Gurke 258.
Gutaos, Gutos 446.
gotb. gutb 478.
bretoD. gwenn, gwiniz
452.
yuaXov 455.
yv'viq 455. 457.
TÄ 7vT*, 7Vi05, yoi^w 455.
yvnrij yjnctpiov 437.
mittellat. gyro, gyrus,
gyrare, ital. girfalco,
franz. gerfaut, Geier
495.
yüpog, TJpoq, 7^pi5,^ 7^-
p€uu>, yijpioq^ TvpoLi ni'
rpai 456.
H.
haba 459.
Habicbt,abd. bapub, altn.
baükr 305.
Häcbse 455.
Hacke 456.
ags. hafela, heafola 163.
gotb. hahan 455.
abd. bahbila 455.
slav. bajda, bajdina416.
Haken 455.
gotb. Haija 38.
iran. balka, alka 265.
Hall 436.
kelt. haloin 436.
Halys 436.
bama 471.
abd. bamar 463.
Hamster, abd. bamastro,
bamistro 381. 501.
gotb. bana, abd. bano,
ags. bona, altn. bani
269. 492.
ahd. bauaf, ags. hfinep,
altn. banpr 158.
goth. bangan 455.
sanscr. bansas, banst 301.
franz. bard, hart, bar-
Celle 480.
magyar. baricska 416.
ahd. barinc, herinc 436.
Hartriegel 14.
abd. baru 483.
- basal 496.
goth. baubith 163.
zend. bazanra 446.
cambr., corn. bebaue 305.
Heidenkom , Heidekora
416.
Helico 464.
Hellenen 51.
Henkel 455.
Heneter 53.
Henge 455.
ahd. henn& 270.
alban. heth, buth 445.
bibiscus syriacus 420.
pers. bindev&ne 259.
ägypt. hinn 479.
Hippobotos 32.
hirquitallus, hirquitallire
453.
ahd. hirsi 459.
gotb. blaifs, blaibs 455.
456.
altn. ost-bleifr 456.
gotb. hleithra 115.
altn. hlinr 491.
corn. hoet, cambr. hwyad
301.
altn. hofuth 163.
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Wortregister.
513
foth. holia 455.
[olander 14.
Honig 128.
oiederd., nieder!, hoppe,
hop 389.
altn. hör 483.
hordenm 54.
Hornung 327.
czech. hrdch 180.
ags. hramsa 164.
kleinniss. hredka 416.
walacb. hrÜk 416.
goth. hmk, hrukjan 271.
492.
mittell. hubalus, franz.
houblon 389.
mittellat humlo, humolo,
humelo, umio, fumlo
387. 319.
mittell. humulas, altn.
humall, fion., estn. hu-
mala, bumal 389.
humus 465.
Hunnen 12.
ahd. buohili 455.
- huoD 270.
mitteil, hupa 389.
flpan. huron 372.
goth., altn. hus 478.
hvairban 257.
hvaiteis 452.
alto. hverfa 257.
HykBOS 26.
I.
slaT. jablüko, ablüko, jab-
lani, ablani 504.
bebr. jain 64.
^oiovsg 448.
Japygen 53.
cambr., com., bret iar,
yar 493.
altir. Sarn 463.
slay.jastr^bü, niss., serb.
jastreb, jastrob, poln.
jastrzgb 495.
lit. Javas, javai, javena 54.
slav. javor 491.
Jaxartes 34.
slay. jazYu 501.
Jazygen 11.
dän. ibe 433.
Iberer 18. 48. 114.
altir. ibbar^ ibar, jnbar
433.
Vict. Hcho, Koltarpflansen.
schwed. id 433.
slav. jeli, jela 433.
lit. jeva 433.
fr-.nz. if 433.
ixrfe 476.
lllyrier 52. 53.
kelt imb 132.
Immaradus 465.
ahd.impiton, mbd.impfe-
ten, nbd. impfen 353.
albaD. indi 461.
Iwoq, Xwogy ylv^oq^ binnut
476.
inpotus 353.
gotb. intrisgan, intrus-
gjan 354.
preuss. invis 433.
iov 210.
altn. iör 36.
ixxoc 36.
\mrd%y\ 130.
ITTTrijXfl^TÄ 40.
^pnjyec irtnoodfxoi^ Mijovec,
Innoi QpvitxMi 43.
[nnoni'Koi 43.
Ttttto; 36.
"Inftcrdi-^c, 37.
innorolc^^Ttti 34.
Inirorpi^og 43.
a,4> 'Irrnwv 48.
K^opeg Innwv 40. 41.
altn. ir, ^r 433.
irpex 458.
russ. iscbak 476.
Ismariscber Wein 60.
Ismaros, Ismaris 465.
löToßogri; 457.
I(rr6q 460.
slav. istöba 115.
Wä, Iru; 466.
altn. itrlaukr J70.
juglans 318. 322.
jugum 461.
Jüngfercben(Wie8el)499.
Jute 156.
abd. iva, iga, ags. tv, eöv,
slav. iva 433.
span., portug. Iva, mittell.
ivus 433.
bret ivin, corn. hiven,
433.
i|o5 328.
slav. izba 115.
I - izvisti 116.
alban. ka, kau 450.
Kabes Kappes 405.
Kabylen 107.
xfl^X* 450.
x(txX>ig, x</xX«g 180.
KüL-^vq 457.
slav. k^döli 461.
xn&fxUy KoSueU 488.
Kc^^oc 58.
zend. kabrka 271.
Kctipoa-^iuv 140.
Kaiserkrone 420.
KüixeL 492.
xJhtfxoi ÄvXi)Ti)e<fs 248.
finniscb-estn. kalja. kalli
127.
Kalk 116.
KorXXucfltpn'og, KdiXkUdpitoc
91.
Kalmuk-Turguten , Kal-
muken 18.
Ut. kaliipa 116.
xaX\)%\unii 201.
slav. kamara 116.
köIlm]^ 468.
bebr. kammon 171.
KAjULOVy camnm 121.
finn. kana 269.
bebr. Kanaan, Kenaan
488.^
XÄVÄYif, xotvACui, Kovctßog
49^.
KolvöLi 249.
xcLvciarpov^ xclviarpov 247.
Kaneel 250.
bebr. kaneb 250.
KtivsoVy KAveiov 247.
X0^wot/3f$,cannabi8, canna-
bus, cannabinus 157.
^158.
KotvvY), xdvYiy canna, cana
247ff.
Kanne, Kannengiesser
249.
xAvujVy Canon, kanonisch
247. 250. 460.
Kanone 250.
xatnero^ 102.
xdnict 163.
xdnvioq 165.
slav. kapus, kapusta 426.
Kapuzinerlnresse 422.
russ. karbysch 501.
83
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514
Wortregister.
Karde 405.
litkardelus, kardeli8480.
Karer 56. 238. 488.
hebTy karkom 212.
lit., slay. karkti, karkati,
krokati 271.
Karmanien 31.
xttpnovcioiy tatar. karpas,
charpuz 260.
lit. karv^lis 494.
KdLpvoL ßAcikotdy nepctxA
320.
KttpvwTig^ xapviüToqy ca-
ryota, caryotis 225.
ru8s. kasa 417.
Käse 405.
Kaspaf 260.
Ka(r<rüfxA 13.
xo^(rr*i'*,x*öTavt*, XÄcrrot-
VOLM 320 ff.
Kastanieobauni , aescu-
lus hippocastanum 325.
421.
goth. katils 475.
polu. kawon 260.
preuss. keckers, lieutke-
kers 177. 180.
x€&po HAviKüL 360.
x^^^po;, cedrus 359. 362.
xe(j)«tX>f 162. 163.
x£d>0trWppiCot, xe(|>otXu)roV
163.
X^XP05 180.
K€ip€iv^ KApyjveLiy xeipso'ütti
435.
xtixfe 492.
Kelch 405.
goth. kelikn, kelt celic-
Don 115.
altcorn. kelin, cambr. ke-
lyn, armor. kelen, ke-
lenoen 491.
Keller 405.
Kessel 405.
Kelten 53.
Keltiberer 48.
mhd. kemeuäte 115.
alban. kendees 493.
%i)npov 56.
yi^p(tiuLO(;. KepctiiASig 460,
Tot KepcLa-ut, x^poKTog, >
pcLo^g 326 — 328.
xepclTM^ cerates 369.
Kerbel 405.
xepxfe 460.
xe-
lit. kermusze 163.
xepwvloL 368.
alban. kerp 483.
lit. kertus 380.
preuss. keutaris 494.
xiiaXow 164.
dän. den kjonne 499.
xixt, xwct 174.
Kikonen 48.
mrgisen 18. 21.
xipxo; 495.
Kirsche 327.
Kirschlorbeer 421.
hebr. kischuim 253.
ägypt. kiti 479.
phönizisch kitonet, ke-
tonet 137.
xiTpoLyyvkov 258.
lett klaips 456.
slay. klak 116.
russ., czecb. klen, poln,
klon 491.
lit. klepas 456.
- klevas 491.
xXij3*vov 456.
xkiv^Tpo^ov 491.
xXu/dtü 460.
KhJZeiv 493.
poln. kmin 172.
Knaster 249.
xv^xo?, xvvixog 216.
Knoblauch 170.
xv/wvvi 455.
xo^^oc, xoy^vS^üj 445.
xoYv 445.
xoS\juoLkov 199.
lit kogas 494.
xoyjKvvi 505.
slavisch kogut, kohnt270.
Kohl, Kohlrabi 405. 425.
426.
xoxxa iuLY}^Ay uvikovxoxxvyoq
347.
xoxxüuv, xoxxaXogy xoxxog
240.
xoxxvy^cL 343.
xoxxvuy{kov 311.
xoxxv^ 455.
xoxxvZw, xoxxvß^cLq 492.
slay. kokotü, kokosa, ko-
kosi, waJach. cocos,
magyar. kakas, neugr.
xoxoToqy russ. kocet,
alban. kapos 493.
slay. koliba, kolibü 116.
Kokoxoi<rU Xdijva 255.
xokoxvvboLy xoXoxuVni 254.
255.
xokoxvvbd auy^g 454.
xokoo'a'oq 255.
xoXvjUißoqy xohjjuißd, co-
lumba, columbus 282.
283.
slay. komara 116.
xofjutpog 3 '29.
magyar. komlo 390.
xofjLiJu, 174.
russ., poln. komnata 116.
estn. konks 455.
xun'o; 242.
xon;:>| 120. 388.
estn. kook 455.
Kopf 471.
Korallenbaum 422.
Kork 471. 472.
Koriander 405.
xopwtwov 173.
Korinthen 75.
xop/xA 122. 123.
xQp\)^if[ 257.
slay. kosti 260.
xorivo^y cotinus 89. 333.
485.
slay. kotlü 475.
altn. kräka 271.
lit. kralikkas, russ. ko-
rolek, krolik, poln.kro-
lik 499.
xpilv€iA 327. 328.
slay. krastayi, krastayici
260.
lit. krausze, preus«. crao-
sios 505.
xpixtiv 460.
slav. kre^t 495.
xplßctvov, xptj3*v*|, xpißflt-
vwTog 456.
Krieche, Kreke 311.
xpijuLvov 458.
xpivov 202. 486.
xpt&r 54.
xpox>i 460.
xp/xflc 212. ^
Kpofxvwv^ Kpe/xvtüv, xpo-
jULXfOV 162.
slay. kropiya 482. 483.
krosno 461.
xpoca-wTwv 140.
xpu/Cciv, crocire, crocitare
271.
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.Wortregister.
515
Krag 405.
slay. krütü, niss. krot
380.
rnss. krysa 380.
xrk 376.
Kuban 260.
Kufe 405.
finn., estn. kukko, kuk
492.
neugriechisch xoiocoumpto^
Kukuruz 413.
KQmmelyahd. chumil405.
475.
mhd. künolt, Küoiglein
499.
Kurbiss 260.
niss. kurluk 417.
KoOpm 123.
lit. Kurtinys 494.
slaT. kurü, kura 270.
lit kwetys 452.
xuaiuLoq 459.
f4S(kov Kv^wviov 199.
xviwvo juLeKi 199.
altn. kjkiiogr, ag8. cicen,
cyceo 492.
xvxyt'ZA 257.
Küxvoq 257.
xv^t 174.
xo/iuvov 171.
Kumme, Kumpen,Kumpf,
^405.
xvvtxXog^ xovvtKkog 371.
499.
xvnetpia'<rog 231.
xupßig 257.
xvTivog 486.
xi/rt(ro5, cytisas, cytisum
ILvTwpogy KvTuipov 485.
labos 456.
'Kdtf^vvi 485.
ahd. lagella, mhd. lägel
475.
pers. läleh 486. ^
franz. lapin 373.
Larisa, Larissa 56.
laserpitium 159.
slay. lastoSka 499.
Latiner 54.
Lattich 405.
hlbvpog 180.
lett laudis 445.
altn. laukr 168.
laurix 372. 499.
laurus, Lauren tum 484.
laurus insana 187.
Lavendel 405.
lavo, Lavinia, Lavinium
484.
ital. lazzeruolo 419.
ags. Ie4c 168.
slav. lebedi 282.
Ußyipk 499.
gotb. lein 482.
Xeipiov, lilium, lirio 202.
486.
goth. leithus 126.
lekeis, leikeis, slay.
lekari 17.
Leleger 52.
lens, magyar. lensce, lit.
lenszis 177.
lit. lepa 481.
UnBLv, Xenrog 481. 499.
>Jnopigy iepus 499.
slay. lesöa, l^sta 177.
lit. leti, letas, letus 446.
Letuva, Letuvis 446.
Leute 445.
Leuconica 149.
"kevx^oLy "kevKdU 137.
'ksvxd'kivov 137.
kexjKonwkoi; 42.
über 481.
Liber, Libera 66.
mittel!. Ubisticum 405.
libum 456.
Libycae volucres 297.
Libyer 18.
licium 461. 481.
Liebstöckel 405.
franz. lifege 472.
altir. lieig, liagh 17.
ligo 104. 458.
Ligurer, Ligyer, Liguses
54.
Ligures asperi 53.
Ligusterbaum 422.
slay. lijati, liti 446.
hx/uL^g, 'KacfM'yin^p 457.
"kixvov 457.
ital., span. lilac, franz.
lilas 420.
limes decumanus 64.
ital. limonata 364.
Limone, limones, arab.
limün 364.
mhd. linboum, limboum
nhd. Lehne 491.
altir. lind 126.
Lind, Linde, Lind-
schleisser, ahd. linta,
ags., altn. lind, altn.
lindi 481. 482.
Lingonica 149.
altcorn. linhaden, armor.
linad, lenad, linaden
482.
ir. linn, lionn, leann, llyn
126.
XiW,linuml40. 141. 143.
144. 482.
XtvoWptig 141.
Linse, ahd. linsi, mhd.
linse 177. 405.
legio linteata 145.
libri liutei 144.
linteum 481.
alban. Ijope, Ijopa 450.
slav. lipa 481.
lira 452. 458. ^
XlarpoVy ydOTpevix) 104.
XiTÄl 17.
Litauer 44.
XiTi, Wtä 481.
goth. liudan, slay. Ijudü
445.
Lokrer 52.
/ioKpüjv rJv^yi/xct 164.
Xondg 499.
ahd. lorichi, lorichin 499.
russ. loschak 476.
ahd. louft, loft 481.
. louh 168.
slay. lubu, lübü 260.
preuss. ludis 445.
lit. lukai, slay. luku 168.
goth. lukan 168.
lit lunkas 481.
lue 484.
lit lupti 481.
lupus, ital. lupolo, lup-
polo, mitteil, lupulus
389. 390. 391.
altir. lus, kymr. llysiau,
corn. les 168.
lütertranc 75.
franz. luzerne, prov. lau-
zerdo 332. 333.
Lykier 11.
83*
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516
russ., poln., czech. lyko
481.
AuVios 66.
lit. lyti, lytus 446.
slav. ma^a, macek 500.
Madeira 489.
wi^pvtt 311. 312.
Magnolie 422.
/uMifxti<r(rit} , ficti/iJLJixTyig,
fJMljUMXT'^pM 330.
Maira 61.
Makedonen 52.
fjLdlKeXhi 104.
goth. malan 456.
sdban. mallj 450.
lit maloo8 55. 458.
julSlKovj malum 505.
uaXo^opog 101.
Malz 126.
Mamaliga 413.
/ULAjüLOLTig 67.
mantela, mantelia 146.
gotb. roanaseths 446.
mannus 476.
ital. marasca, franz. me-
rise 327. 496.
marca marcisia 124.
osset. majgh 268.
uAp'ioi 37.
Märkte 115.
portug. marmelo, Mar-
melade 200.
Maron, Maroneia 465.
ital. marrone, franz. mar-
ron 496.
Mäschel 158.
slav. maslo 133.
massa 456.
Massageten 11. 12. 34.
Massiker 76.
ufltcm'/^tj 343.
Mauer 115.
^{ot 456.
altir. meall 450.
slaT. mechü 450.
- meöika 450.
Meder, Medien 31. 32.
magyar. medgy, medgyfa
496.
/Li)]^>} ItidL^ fXY\iiK1f[ 331.
/a/^o;, cambr. med, lit. me-
du8, slay. medü, med-
Tinica, medari 128.
Wortregirter.
Meerrettich 405.
Mey cLp^iuv &(iKp\jcL 163.
Meile 406.
ueipofjMi 469.
ital. melagrano 198.
melantbium , melasper-
mon 173.
ital. melarancio 364.
Melas, Melantheus, Me-
lantbios, Ziegenhirt 60.
juLsUAypk 294 £f.
Melerpanta, Bellerophon-
tes 473.
ital. melga, meliea 413.
- melia azedarach 419.
- meliaca, muliaca 347.
jüLskiri 433.
melimela 199.
MeXivo<j)A70i 459.
fieklvvi 55. 458.
melis, meles 376. 500.
Melisse 405.
ucXiTwv 128.
Mellodünum, Mellosec-
tum 450.
melo, melopepones, /xi]-
Xoitiitijjv 256.
fxvihi juLeh 199.
357. 358. 360.
Melone 260.
Melun 451.
span. membrillo 200.
zend. meregha 268.
Mergel 405.
ui(rnikov 328.
Messapier 53.
lit. meszka 450.
fxiToXKov 58. 462.
metere, messis 458.
Meth 127. 128.
ueropXiov 103.
fiibxj 111.465.
ital. micio 500.
altir. mid, lit. middus
128.
span. mielga 332.
Mieze, Miezchen 500.
mitteil, milica 413.
milium 54. 458.
goth. milith 128.
mille 446.
uiUÄ&tuXöv 329.
Minyer 52.
kroatisch, serbisch mir
116.
Mirabelle 312.
russ. mischka 500.
slav. miskü, misgii, miäte
476.
jap. Mispelbaum 422.
ahd. mistil, Mistel 328.
496.
arab. mitkon 321.
uiTo; 460.
Mohn 254.
Möhre 426.
molere 451.
mollusca nux 322.
Molosser 52.
fxujkv 167.
Mongolen 12. 20.
juöp*, fjLwpA^ mora, neugr.
fjLiupsA 315. 317.
moras 75.
fxßpr/Lovy Morgeten, Mur-
gentinum 469.
uoputi 89.
Mörtel 115.
ital. moschetto 309.
- mostarda 174.
preuss. mosuco 500. ^
juuoTüVBqy fjuliruvQiy Moövwi-
xoi 462.
fJUOTA 319.
kurd. mrishk 268.
mucus 496.
Mühle, Müller 456.
mulus 388. 476.
Münze 405.
altir. mdr 115.
poln. mur 116.
pers. murgh 268.
Musin 19.
alban. mu^ke 476.
mustela, mustella 376 ff.
500.
franz. moutarde 174.
Mutt 406.
/LLvylog 476.^
ymix>jp05, jULOvnvipoq 496.
juixßpioi 446.
fjt,vpoßdhtvoq 312.
fivpov, fivplvyi fMvppA, ^vp-
flivij, /Liupcrinj, (TfxyjpvfLy
Myrene 485.
uvpTog 485.
Myser 62. 109.
luL'J<r(ru} 496.
yu-vg*, myxa, myxum 496.
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Wortregister.
517
N.
Nabatfier 29.
v&TTü, Dapus 173.
pers. nareD^, arab. d^
ran^i byzant. vepdvT'
Ciov 364.
slay. narodii 445.
goth. nati 482.
lett Batra 482.
Naukratische Kranze 182.
finD. nauris, estn. naris,
nairis, weps. nagris
459.
alay. nayoT 461.
Nelke 421.
altir. nenaid 482.
vr,pi0V9 vvipoqy vApog 335.
NesaioD, Nesaea, l^fi<rog
33.
kelt nessöOO.
vrj<rccL 301.
ags. net, netele 482.
slay. nevestüka 499.
Ni^aya 34.
Nisaea, Nisiaea, Nktcuoi,
NT(ros 33.
slay. nitr 461.
preuss. noatis 482.
lit notere 482.
nuceres, nucerum 496.
Numidicae aves 297.
Numidicae guttatae 297.
Nuragen 114.
nuxpontica, graeca,Duce8
calvae 319—321.
neugr. vvfx^vTA 499.
lit nytis 461.
0.
bretoD. oazil 469.
lit. obolys, abolis, obelis,
abelis, preuss. woble,
wobalne 504.
lit obszru8 501.
occa 458.
ags. oced, slay. ocitii, serb.
ocat, poln.,walacb.ocet
73.
oculi, ocalus 246. 450.
tüx/'os 180.
franz. oeillet 421.
Ocnotrer 468.
07X1^ 505.
russ. ogurec, poln. og6rek
258.
Ohm 471.
I franz. oignon 170.
loivo^, oivapov, orv)} 276.
I 466.
Oinens 60.
owoq 64. 465. 466.
OivuiTput, Owmrpoiy olvui-
rpov 67.
Oinotropoi 275.
oiffo^y oi(rig, ourov, ourvcc-,
oiax/'ivoci 469.
iuxhg,ujxvno&sg, luxvn^reig
36.
altn. öl 126.
ital. oleandro, ieandro
337.
oleastella 93.
! oleum 92. 474.
oleum Liburnicum 95.
I oliya 92. 474.
^ felix oliya 89.
oliya Liciniana, Licinia,
Sallentina, Sergia 93.
yiyax oliva 90.
ohiuLog 457.
slay. olü, oloyina 127.
Avvbog 474.
ohjp(t Abi.
slay. omela 496.
finn. omena, liy. umärs
505.
wjüuo'Kivov 137.
onager 21.
ivog 475.
opulus 469.
Opuntiencaclus 2. 422.
altir. 6t 461.
slay. orachü, or^cbü 496.
franz. orange 364. 365.
orarium 146.
orchis 92.
Op5^0t, <j)VTU)V ipl/^ATOL 103.
Orestheus 60.
oü€\jgj ovpevg HO.
Orgel 475.^
I^evyog ipotov 110.
oplvSvig Aprog, oplv&A, oplv-
Aov407. 408.
^pivU 67.
cjoo'ß«>exo?, opoßclKXy\ 486.
opoßog 178.
ipoxctpvov 319.
oppdg 130.
oithampelos 67.
cfpvC* 408. 409. 455.
franz. osier 469.
slay. osilü 475.
Osmanen 13.
oarjpAKig 242.
mvfj 137. 139. 140.479.
oyatio 93.
o^og 73.
oxygala 132.
oJ^^xpoLTOv 73.
0^ fJLClXcf, 312.
Ozolae 162.
P,
noLTüg 130.
palea 457.
pali, pacli, pagU 67.
pallaca, pallacana 165.
pallidus 280.
palma 237 — 240. 290.
488.
palmare, tunica palmata
222. 223.
Palmosa 488.
palmula 225.
Palmyra, Palmira 224.
488.
palumbus, palumbes, pa-
lumba 280.
franz. pamplemous9e364.
ital. panciera, Panzer,
pantex 464.
ital. pane di zucchero,
franz. pain de sucre
456.
panicum 457.
panis, pane 458.
Pannonier 53.
jravon'KU 142.
lit. papartis, poln. pa-
pro6, russ. paporot 494.
Paphlagonier 109.
lombardiscbePappel 422.
Trdnnog 343.
finn. papu 459.
noLpAßdrai 47.
noLpctßlvi 120. 466.
zend. paradbäta 497.
parena, perena,
pers. par, kurd. per
494.
tTApTOLg 67.
Parther 11. 34.
russ. parus 152.
noLO'caXog 67.
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518
Wortregister.
franz. past^qae 259.
Patmos 488.
pavus, pavo 290.
traoz. pecbe 347.
ital. pecora 380.
n>iSog, nviSov, ni^iivogy pe-
dare, pedameotum, pe-
dum 468.
TTviydLvov iypiov 168.
goth. peikabagms 179.
neiKeiVy nixsiv 435.
pecto, pecten 435. 483.
Pelasger 51. 448.
lit. pele, preuss. peles
500.
TrAeiÄ, neXeio[Seg274. 275.
276. 280.
n£k€Kvq 465.
jrfX/;, nektogy nek'kog, no-
Uq 280.
pelzen 353.
ru88. penka, poln. pienka,
czecli. penek , penka
484.
niitiuv 255.
zend. perethu 238.
nepiarepel^ nsaKTTepog 276.
493.
%€vx(tijr6pt<rT€paLi2S0, 281.
nepiarepeujv^ nepiTrepoTpo-
4)fTov 276. 283.
slav. pero, prati, pariti
493.
ital. persica, pesca 347.
- pescanoci 347.
lit. peska, slav. pesükü,
ru8s. pesok, poln. pia-
Bek 179.
lit. p^szti 435.
Petersilie 405.
Petitpas 293.
slay. petlü, serb. pijetao,
croat. petelin 493.
ru88. petuch 493.
Peucetier, Picentiner468.
n€\jx>i 241.
Pfebe 260.
Pfefferbaum 423.
Pfeiler 115.
Pferd 406.
Pfirsich 347.
Pflug 457.
Pforte, Pfosten 115.
pfropfen, Pfropfreis, pro-
pago 353.
Pfund 406.
mhd. pbisel, phieeel 115.
Phönizier 56. 63.
Phryger 11.
Phytios 60.
picea sativa 243.
Picti 17.
slav. pietlü 261. 493.
- pigva 200.
naUpiov 130.
neugriechisch 7rtxpo^otd>i^
337.
pila, pilum 458.
pileus, pilleus 14.
ahd. piJih, nhd. Bille,
Bilchmaus 500.
liiKog 14.
pinguis 130.
ttTvov, nmg 126.
pinsere 178. 452. 458.
franz. pioche 104.
ahd. pipar 14.
alban. pire 127.
slav pirü 127.
pirus, pirum 505.
mittell. pisalis, pisale
115.
Pischdadier, pers. p(^sh-
däd, huzvar. peshdät
497.
Tfurog, Trio'o'?, ttutov, ttiVo'ov,
pisum 179.
iticrdKioVy ßirrdKiov, ni-
öTÄx»! 338. 487.
niTvtg 243.
nlrvpct 457.
niTvg 241.
Pityusen 489.
slav. pivo 126.
placenta, nXctKOiig 456.
Platane (amerikanische)
240. 422.
nXATdvKTTog^ nXdroLvoq 238.
litplaukas, plausza8483.
plaumorati 457.
Pleot 417.
nX^l^innog 41.
alban. pljak 448.
slav. plinüta 116.
- plita, poln., lit. plyta
116.
poln. ploskon 484.
plovum 457.
slav. plüchö 500.
plugü 457.
plüsti 14.
noictg ocloXot, noSijjxeeq 36.
slav. podüsiva 13.
Poenus 488.
poln. poganka, czech. po-
hanka, pohanina, ma-
gyarisch poh4nka 416.
noxog 435.
Polei 405.
nohg 445.
poUen 457.
noXrog 456.
ital. pomata, Pommade
133.
Pomeranze 364.
ital. pomo di paradiso,
d'Adamo 364.
Pompelmuse 364.
pomum 505.
mittellat ponticus 364.
populus 17. 445.
porca 458.
porrum 164.
neugriech. noproyaXeoiy al-
banesisch protokale,
kurd. portoghal 366.
posca 73.
slav. poskoni 484.
povoloka 482.
praecoqua, praecocia346.
pramneisch, n'pa^uyiog 466.
npdo'ov 164.
slav. pr^deno, pr^divo,
pr^slica, pr^sti 461.
Preussen 44.
dac npuL&vikA 389.
- , kelt propedula 450.
npagKS^oikAioL 150.
slav. proso 459.
ital. prugnola, franz.
prunelle 311.
npov/mvov 310.
prunus 310.
Pruzzi 44.
•d/ivdgy >//ivo/ucii 469.
Psophis 489.
TTripvyeg 142.
nTur<reiy 458.
nrvov 457.
itTViTtriu^ nrd'izgy tttvxto;
485.
pullua 280.
puls 456.
malum punicum 195.
lit. pupa 459.
lit. purai, preuss. pure
452. 453.
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Wortregister.
519
dav. pu^ka, puska, pus-
kari, magjar. puska
192.
abd. puzza 1 ) 5.
TrücLjUioqy TTUAvoq 459.
czech. pyr, russ. pyrei,
slav. pyro 453.
TTüpyjysq 242.
jrvpcg 452. 457.
nvlog 188. 485.
goth. qualm US 456.
quius, nbd. quick
492.
R.
eugl. rabbit^ franz. ra-
bouilli^re 499.
slay. rabota 456.
radlo 451.
radius 461.
radix Syria 405.
lit rdgas, ragotine, ra-
guttis 327.
gotb. skaudaraip, abd.
reif 480.
rallum 458.
Rams, Ramse], Ramser,
engl, ramsen, ramson,
buckrams 163.
Ranunkel 421.
rapa, rapum, pdrrvg 459.
Raps 426.
rastrum 458.
gall. ratis, altir. ratb,
raitb , com. reden,
cambr. rbedyn 494.
Ratte, abd. rato 380.
goth. razn 478.
Rebbubn 480.
altn. refr, schwed. räf,
dän. räv 299.
ital. renso 148.
abd. repa 467. 480.
slav. repina, repij 491.
repa 459.
Relticb 405.
]it reszutas, reszutys 496.
slay. revitovo zrino 179.
czecb. Tei 454.
rbododapbne, rbododen-
dron 334. 336. 496.
cambr. rhyg, rbygen 454.
ridicae 67.
franz. riguet 454.
semit rimmon, plußcLi
486.
Rimmon, Hadad-Rimmon
193.
Robinia 422.
abd. rocco 454.
loSaxivA 347.
*Po&€ut, *Po»onfi 201.
slav. roditi 445.
po&ov, ßpo%v, po^iA 202.
486.
altn. rofa 459.
^oitl^ pod 193.
portug. roma, romeira,
ital. romano, franz.
roroaine 197.
lit. rope 459.
rosa 204. 487.
pascba rosata, rosarum
208.
Rossj (Fluss) 24.
magyar. rosz 454.
mss. ro^ 454.
Rübe 54. 426.
Rübsen 426.
preuss. rugis, lit. mggys,
altn. rugr 454.
mma, ficus Ruminalis,
Ruminus, Rumina 81.
473.
mmpi 469.
runcare 458.
slav. runo 435.
poOg 344.
slav. rusalija 208.
- rüvati 435.
ags. ryge 454.
S.
Saale 436.
sabaja, sabajnm 120.
Sabos, Sabazios 465.
mittellat. sacer, ital.sagro,
franz. , span. sacre,
mbd. sackers^ mittelgr.
(TCLKpB 495.
Sabellische Stamme 54.
Sabus 468.
Saflor, engl, safflow,
zaflfer 216.
ital. saggina 414.
- Bagro 309.
lat sagulum 152.
sagum 151.
sanskr. sahasra 446.
abd. sahs 463.
lit sakalas, slav. sokolü
495.
Saken 11. 34.
O'OLKKOg 58.
arab., sakr., pers. sonkor^
kurd. sakkar 495.
Salassi 436.
Salbe 132.
samolus 496.
Sancus 468.
franz. sappe 104.
Saracenen 29.
grano sai^ceno, ble Sar-
razin 415.
Saraparai 449.
"ScLpOlOLVCU ßothlLVOl 319.
<rtip^g 479.
'ScLpSovac^v 138.
a-dpi 174.
sarire, sarrire 458.
Sarmaten 17. 44. 45.
sarpere, sarmentum 458.
sanscr. earpis 131. 133.«
ital. sassajuolo 283.
Satren 61.
"^SdtjctäAi 465.
ital. scalogno 161.
vitis Scantiana, silva
Scantia 468.
abd. scgro 380.
Schalotte 161.
Scheffel 406.
bebr. scbikmim, scbik-
mot 314.
(T^Tvo; 86. 343.
Schmeer 132.
ffXoivog 458.
Schontbierlein , Schon-
dinglein (Wiesel) 499.
ags. scräf 437.
mitteil, screona 436.
pers. sßb 486.
altir. sebocc 305.
secale, walacb. secdre
454.
Segel, ags. segel, altn,
segl 152.
ital. segola, segala 454.
canis segusius 305.
abd. sßb, sech 455.
altir. seib 459.
Seidel 406. 471.
franz. seigle 454.
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520
Wortregister.
goth. seiteins 126. 179.
slav. seldi 436.
lett. selts 461.
Semben 44.
Semele 465.
(TB/xl&ötXi^ 458.
'SBfxlpoLfjug 278. 279.
Semiten 56.
altirisch seol, sool 152.
serere 451.
kelt. ses 168.
(rdo'ehg 174.
(revrXov 405.
(rlßSvi 486.
sicale 454.
Sicyon oiivifera, Sicyo-
nias baccas 90.
Sichel 405.
(n'*»i 193.
Siebe 147.
Siegwurz 163. 170.
Sigynnen 35.
neugr. cacoLki 454.
a-UepoL^ sicera 505.
(T&tu;, Sicyon, cUvoq, ctxyjdt.
. 254. 255. 473.
altn. Bild 436.
(tOci 174.
siligo 457.
siliqua, eiliqaae syriacae
369.
lit. Silke 436.
slav. ^ilo 13.
SUphion 92.
goth. silubr462.
(TifX^Ol, 111.
Bimila, similago 458.
sinapi, sinapis, senapis
173. 174.
ariv&dveq xotroLploLi 150.
preuss. siraplis 462.
ü-{<rapov 174.
(tTtoc 453. 457.
ahd. siula 13.
ßlav. siwak, siw^ 280.
ital. sizer, sezer 180.
russ. sizjak, sizyi 280.
(TjcÄTTrctv, (TxanTifp, (Txä-
ndvYi 104.
slav. skar^du 164.
a-xy^ des Orestes 183.
(TK\XKa, 164.
C^^poSoVy (TK^p&OV 163.
slay. slana 180.
- slanutuku 180.
Slayen 43.
ahd. sl^hä, mhd. siehe,
slav. sliva 311.
slivovica 312.
goth. smakka 473.
(T^JUM^ 111.
(TfxtkaL^y CfMkog 390.
lit. smiltis 179.
cjuuvyjg, c/MvyjTi 104.
slav. smokÖYi, smoky,
smokva 474.
schwed. smör, smorja
132.
franz. soc 455.
slay. socSiYO, poln. socze-
yica, russ. so6evica,
czech. soöovice 177.
slav. socha 455.
Söller 115.
ital. somaro 475.
- sommaco, arab. som-
mdq, (royjfjLAKi 344.
Sonnenblume 259.
lit. sora, soros 451.
ital. sorgo 413.
(rndhl 224. 488. 489.
Spargel 405.
(TTtipTtL 483.
Spartgras 137.
<ntibv\y spatha 460. 489.
Speicher 405.
Spinde] 58.
spionia, spinea 67. 469.
sporta 483.
a-mjplg 483.
slav. srebro 462.
srupü 458.
- stado 24.
lit. st4kles 461.
slav. stanü 461.
(TTifyLtuiv, stamen 460.
Sterz 417.
slay. stiblo 452.
arl/x/uu, (Trißi 174.
stipa tenacissima 1 37.
158.
stipula 452.
stiva 457.
ags., altn. stod, lit. sto-
das 24.
Stoppel 452.
stramenta 148.
Strasse 115.
strigare 458.
(Trpoßikog 242.
malum strutheum 199.
Stube, ital. stufe 115.
ahd. stuot 24.
stupea messis 144.
(TTupdl, storax 344.
suber 472.
subula 13.
sudarium 146.
sudes 67.
suere, sutor 13.
kelt. suh, soch 455.
supparus 146.
ahd. surio, sqito 170.
ägypt. sus 26.
Susa, <ro(}<rov^ susan, Su-
sannah 202. 486.
ital. susina 311.
Svatovit 44.
slav. sveklü 405.
lit. svogunas 170.
avMiuuvog. avai fjuapo^ crv
Kttfjuupeet, neugr. o^xo-
l^y^ysd 314—317. 473.
(TVKOv 255. 471.
Syringe 420.
TÜgy sus 471.
lit. szaka 455.
- szarmonySy szermo-
nys 500.
poln. szczur 380.
lit. szeiva 461.
finn.-estn. taari, taar 127.
rcLTJTTujKoi 40.
Tadmor 224. 488.
taeda 360.
finnisch taivas, estn. tae-
vas 16.
talla, tala 165.
talpa 379.
hebr. tamar, tomer 224.
finn. tammi 434.
Tanais 34.
rtiwg 287.
Tarantas 259.
Tarpan 19.
7aX? TapT^o-ff^ 372. 373.
czech., kleinruss. tatarka,
magyar. tat4rka 416.
preuss. tatarwis 299.
Taterkorn,Tatelkorn 41 6.
finn. tattari, estn. tatri
416.
tausend 17.
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Wortregister.
521
taxo, taxus, tasso, taxeus
433. 501.
estn. tedder, Add. tetri
299.
pers. tedzrev 299.
tegula 405.
franz. teiller 481.
lit. tekinti 500.
TÄCTüUV, T^V>J 500.
tela 461.
temo 457.
ripTto^, rpsxvoq 354.
rspißiv^oq^ T^pjuLivbog 341.
497.
termes 224. 489.
ital. terzeruolo 309.
riroipoL, rcLivpAi 299.
lit. teterva, tytaras, lett.
tettera, tetteris 299.
rerpaiyyovpif. 258.
Terp'/wv, rh-poL^, Thpil^^
rerpcLSwv, rerpouovy te-
irao 299.
alav. tetreYi, teterevi, te-
trja, teter^, russ. te-
terev, teteija, poln.
cietrzew, czecb. tetefv
299.
Teukrer 62.
TaJxpo; 433.
texere 460.
scbwed. tjäder, dän. tuir
299.
Ti<|)>, 457.
ital. tiglio 481.
magyar. tik, tyuk 270.
Tilaventum, Tagliamento
473.
tilia, tiliae 481.
rCKkeiy^ TiXXetrdat 435.
timalus 389.
tina 470.
tinuDculus 495.
tinus 186.
slay. tiau 433. 434.
russ. tma 446.
- tmin 172.
alav. toöiti, tokari 500.
tamulisch togei 286.
Tomate 423.
tomenta 149.
proveo^. , franz. tona,
tonne, Tonne 405. 470.
Töpferscheibe 58.
topiarii 191.
ital. topo 379.
portug. tourÄo 500.
liviscb tövas 16.
Togov 433.
Tpy%vg 53.
traducea 469.
rpoLyog, rpaySlv 453.
trama 461.
tranavectio equitum 93.
trapetum, trapetua, tra-
petea 9L 92.
alav. tremü 116.
TOvipwv 274.
alav. treanoti, tresnuti,
tresdati, tres6ina, tr^s-
ka, tr^akii etc. 354.
neugriech. TpMVT(t^v)0^e(t
487.
Triglav 44.
tripudium, aolistimum
267.
triticum 457.
rpifpt;, rpüyog 58. 500.
TpujyXv\ 43y.
lit. trukis, trukti 354.
alav. trüati 491.
Tpvywv, rpvZuj 276.
TpvToivvi, trutina 491.
poln. trzemcba , trze-
mucba 163.
oriental. tacbark 495.
pers. tschindr. tachan&l
238.
Tachuka 413.
magyar. taereaznye 328.
alav. tükati 460.
hebr. tukkijim 286.
ital. tulipano 420.
Tolpenbaum 422.
tunica 57.
abd., mhd. tunc 436.
turcium , turcicum fru-
mentum 415.
Türken 12. 18. 50.
engl. turkey-cock,turkey-
corn 503.
Tburm 115.
Turkmenen 20.
Tuaker 66.
rvKOL, Tvx>} 474.
alav. tykva 260. 474.
TÜhti 150.
TvXiog 433.
th, ^.
gotb. tbabo 433. 500.
dotUoi 94.
alban. tbekere 454.
^epdrnuv 40.
Tbeaproten 52.
altn. tbidr, tbidbr 299.
gotb. tbiuda 17. 445.
Tbogarma 109.
Tbraker 17. 43. 52. 53.
61. 62. 63. 449.
gotb. tbuaundi 446.
U.
eatn. ubba 459.
ubin, uvin,aun,oun,
505.
lit. udia 461.
russ. ukaus, lit. uksosas
73.
slav. ulei 477.
ovKog 435.
ulpicum 164.
Umbrer 54.
unio 170.
Uranos 16.
ursus 450.
etruak. Uail 461.
ruaa. utka, serb. utva301.
V, w.
Wadmal 154.
magyar. vaj 132.
ätbiop., arab. wain 64.
lit. vaivaras 372.
vanga 104.
lit., lett. wannagas, wan-
nags 495.
abd. wannowebo, wan-
nun wecbeljWanne 495.
vannus 458.
armen, vard, pers. vareda
486.
Warnen 45.
Varunas 16.
russ. waska 500.
weben 460.
Webstuhl 58.
Weichsel 328.
Weiler 115.
wilder Wein, vitis La-
brusca 422.
vellere, vellus 435.
Veneter 53.
lit. verpti, varpste 461.
verticillus 461.
canis vertragus 305.
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522
Wortregister.
Wheymouthskiefer 422.
vicia 181.
Wicke 181. 406.
viere 467.
Wiesel, ahd. wisala, wi-
sula 499. 500.
ahd. wihsela 328.
gotb. vilvan 4S5.
TimeD 467.
vina Laticioa, Gazitina,
Gazetica, Gazeta 77.
Tina Raetica 68.
franz. vicaigre , engl.
vinegar 73.
Windhund 305.
altgall. vindos, Vindo-
bona 452.
yinum 65. 466.
rooratum 75.
passum 466.
rraetutianum 68.
Pucinum 68.
ahd, wio, wigo, wiho,
Weihe 495.
viola 210.
virga lanata 93.
viridarii 191.
viscus, viscum, ital. vi-
eciola 329. 496.
slav. Visla 329.
viänja, viini, Ht.
yyszna 329.
Wispelbaum 328.
visula 4G9.
lit. 7i8zt4, Iett.vi8ta493.
ahd. wit, mhd. wide,
lancwit, widen, nhd.
Wiede, Langwiede 480.
vitex 466.
vitis 466. 480.
- alba 480.
Aminaea, Aminea
468. 469.
▼itis Allobrogica, Bitu-
rica, Biturigiaca, hel-
venacia, elvenaca, hel-
vennaca 71.
vitta 466.
viverra 372.
slav. vlasü 483.
preuss. wobsdus 501.
finn., estn. ^oi, woidma,
woitoa, wuoitelee 132,
vomer 455. 457.
ose. vorsus 458.
Ht vovere, preusa. ve-
vare, slav. veverica372.
slav. vratilo, vrBteno 461.
sanscr. vrihi 440. 455.
läpp. WU03, wuoitet 132.
l^xKrrtlg 67.
sanscr. yava, yavasa 57.
'^Y.q, ^Yct/s 465.
engl, yew 433.
vfboLww 460.
U105, vitj o7.
vwig 457.
'^noLviq 260.
^nikouoq 87.
itnepog 457.
vtrTot^ 67.
kymr. yw 433.
ital. zafiTerano 215.
poln. zagiel 152.
lit. ialas, s^Iti, zole 450.
CctXftos 450.
ZalmoxiSy Zamolxis 450.
ital. zappa 104.
lit. ^^ebenksztis 500.
- ^glas 152.
C€*Ä 54. 457.
Zeiber, slow, cibara 312.
Zeidler 477.
Zeliwpoq äponjptt, 54.
slav. zelije, zelenyi 450.
Zelter 406.
Ziegel 115.
Zieser 180.
lit. ^rnis 456.
slav. zito 453.
- zlato 46L
zrüno 456.
^rünüvü 456.
ital. ' BUcchero 419.
poln. zupa, slav. zupiste,
zupiliste 437.
Zwetsche 311.
Zwiebel 168. 405.
Cw^o«, zythom 118.
Druckfehler.
Seite 334 in der Mitte Hes: rhododaphne statt hododaphne.
Drnck Ton G«br. Uoger (Tb. Orimm), Berlin 8 W., öchönebergerstr. 17 a
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