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Full text of "Kulturpflanzen und hausthiere in ihrem übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa. Historisch linguistishe [!] skizzen"

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O  i 


iOLTORPFLANZEN  UND  HAÜSTHIERE 


IN  IHRBH 


ÜBERGANG  AUS  ASIEN 

NACH    GRIECHENLAND    UND    ITALIEN 

SOWIE 

IN  DAS  ÜBRieE  EUROPA. 


HISTORISCH-LINGUISTISCHE  SKIZZEN 


VICTOR  HEHN. 


VIERTE  DURCHGESEHENE  AUFLAGE. 


BERLIN  1883. 

GEBRÜDER    BORNTRAEGER. 

ED.    EGGERS. 


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Dm  Recht  der  UeberseUang  ist  vorbehalten. 


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INHALT. 


Seite 

Einleitung 1 

Aussangung  durch  Kultur 2 

Urzeit 14 

Das  Pferd 19 

Griechen,  Italer,  Phönizier 51 

Weinstock 69 

Feigenbaum 79 

Oelbanm 82 

Ansässigkeit,  Baumzucht 97 

Esel,  Maulthier,  Ziege 107 

Bienenzucht 110 

Steinbaukunst 111 

Bier 117 

Butter 129 

Schluss 133 

Flachs 136 

Hanf 167 

Lauch,  Zwiebel 159 

Kümmel 171 

Senf 173 

Linsen,  Erbsen 175 

Lorbeer,  Myrte 181 

Buchsbaum 188 

Granatapfel 192 

Quitte 198 

Böse,  Lilie 200 

Viole 209 

Safran 210 

Dattelpalme 217 

Cypresse 228 

Platane 234 

Pinie 240 

Bohr 246 

Papyrus 250 

Cucurbitaceen  (Kürbiss,  Gurke,  Melone) 252 

Haushahn 260 

Taube     .    .    , 273 

Pfau 286 

Perlhuhn 294 

Fasan 297 


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IV  Inhalt. 

Seite 

Gans,  Ente 301 

Zucht  der  Vögel 303 

Falkenjagd 304 

Pflaume 310 

Maulheere 313 

Mandeln,  Walnüsse,  Kastanien 318 

Kirsche 325 

Arhutus,  Medica,  Cytisus 328 

Oleander 334 

Pistazie 337 

Terpentinhaum 340 

Mastixhaum 343 

Perrükenhaum 343 

Sumach 344 

Styrax 344 

Pfirsich,  Aprikose 345 

Ohstzucht,  Impfen  und  Pfropfen 348 

Agrumi  (Citronen,  Pomeranzen,  Orangen) 354 

Johannishrodhaum 367 

Kaninchen 371 

Katze 374 

Eatte,  Dachs,  Hamster 380 

Büffel 382 

Rindvieh 384 

Hopfen 386 

Bückhlick,  Untergang  des  Alterthums 392 

Neu-Europa 400 

Reis 406 

Mais 412 

Mohrhirse 413 

Buchweizen 414 

Araher 418 

Türken 419 

Tulpen,  Blumen 419 

Amerika 421 

Cactus,  Aloe 422 

Tabak 423 

Schluss 424 

Anmerkungen 433 


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JJass  die  Thier-  und  Pflanzenwelt,  also  die  ganze  ökonomische 
und  landschaftliche  Physiognomie  eines  Landes  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte unter  der  Hand  des  Menschen  sich  verändern  kann,  ist 
b^onders  seit  der  Entdeckung  Amerikas  ein  unwidersprechlicher 
Erfiahrungssatz  geworden.  Auf  den  neuentdeckten  Inseln  und  in 
den  von  europäischen  Ansiedlem  besetzten  Landstrichen  der  west- 
h'chen  Hemisphäre  ist  während  der  letztverflossenen  drei  Jahrhun- 
derte, also  in  ganz  historischer  Zeit,  nach  Erfindung  der  Buchdrucker- 
kunst  und  gleichsam  unter  den  Augen  der  gebildeten  Welt,  die 
einheimische  Flora  und  Fauna  durch  die  europäische  oder  eine  aus 
allen  Welttheilen  zusammengebrachte  verdrängt  worden.  So  hat 
sich  z.  B.  auf  St.  Helena  die  ursprüngliche  wilde  Vegetation  auf  den 
Bergstock  im  Innern  der  Insel  zuruckgeflüchtet,  von  einer  neuen, 
ringförmig  nachrückenden  Flora  umgeben,  die  im  Gefolge  des  Euro- 
päers über  den  Ocean  kam.')  Auch  in  den  Pampas  von  Buenos 
Ayres  sieht  das  Auge  meilenweit  fast  keine  einheimischen  Gewächse 
mehr:  sie  sind  der  Usurpation  eingeführter  europäischer  Pflanzen  er- 
legen. Eine  viel  weitere,  auf  zwei  bis  drei  Jahrtausende  sich  er- 
streckende üebersicht  aber  gewährt  die  Geschichte  der  organisirten 
Katar  in  Griechenland  und  Italien.  Beide  Länder  sind  in  ihrem 
jetzigen  Zustand  das  Resultat  eines  langen  und  mannigfachen  Kultur- 
processes  und  unendlich  weit  von  dem  Punkte  entfernt,  auf  den  sie 
in  der  Urzeit  von  der  Natur  allein  gestellt  waren.  Fast  Alles  was 
den  Reisenden,  der  von  Norden  über  die  Alpen  steigt,  wie  eine  neue 
Welt  anmuthet,  die  Plastik  und  stille  Schönheit  der  Vegetation,  die 
Charakterformen  der  Landschaft,  der  Thierwelt,  ja  selbst  der  geo- 
logischen Structur,  insofern  diese  erst  später  durch  Umwandlung  der 
organischen  Decke  hervortrat  und  dann  die  Einwirkungen  des  Lichtes 
and  der  atmosphärischen  Agentien  erfuhr ,  sind  ein  in  langen 
Perioden  durch  vielfache  Bildung  und  Umbildung  vermitteltes  Pro- 
duct  der  Civilisation.  Jeder  Blick  aus  der  Höhe  auf  ein  Stück  Erde 
in  Italien  ist  ein  Blick  auf  frühere  und  spätere  Jahrhunderte   seiner 

Vict  Hehn,  Kaltnrpaanzea.  1 

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2  Einleitang. 

Geschichte.  Die  Natnr  gab  Polhöhe,  Formation  des  Bodens,  geo- 
graphische Lage:  das  Uebrige  ist  ein  Werk  der  bauenden,  säenden, 
einfahrenden,  ausrottenden,  ordnenden,  yeredehiden  Kultur.  Die 
zwischen  Festland  und  Insel  die  Mitte  haltende  Configuration  des 
Landes,  das  gemässigte  mittlere  Elima,  die  Mannigfaltigkeit  der 
historischen  Verhaltnisse,  in  der  Urzeit  die  mehrmals  wiederholte 
Einwanderung  von  Norden,  der  tyrische  Seeverkehr,  die  griechi- 
schen Kolonien,  die  Nähe  des  gegenüberliegenden  Afrika,  die  sich 
ausbreiteude,  alle  Gaben  und  Künste  des  Orients  hinüberleitende 
römische  Weltherrschaft,  dann  die  Völkerwanderung  von  Nordosten, 
die  Herrschaft  der  Byzantiner  und  Araber,  die  Ejreuzzüge,  die  Ver- 
bindung italienischer  Seestädte  mit  der  Levante,  endlich  nach  Ent- 
deckung Amerikas  die  enge  politische  Verbindung  mit  Spanien  — 
aus  diesen  und  andern  Umständen  und  Schicksalen  ist  das  Land 
hervorgegangen,  wo  im  dunklen  Laub  die  Goldorangen  glühn  und 
die  Myrte  still  und  hoch  der  Lorbeer  steht.  Die  Agave  americana 
und  der  Opuntiencactus,  diese  blaugrünen  Stachelpflanzen,  die  alle 
Ufer  des  Mittelmeers  überziehen  und  so  wunderbar  zur  südlichen 
Felsennatur  und  Gartenwirthschaft  stimmen,  sie  sind  erst  seit  dem 
sechszehnten  Jahrhundert  aus  Amerika  herübergekommen!  Diese 
Cypresse  neben  dem  Haus^  des  Winzers,  einsam  und  düster  die 
ringsum  verworren  sich  ausbreitende  Fruchtfülle  überragend,  sie  hat 
ihre  Heimath  auf  den  Gebirgen  des  heiligen  Afghanistan,  diese 
eigensinnig  gewundenen,  mit  fliessendem  grauem  Laube  bedeckten 
Oliven,  sie  stammen  aus  Palästina  und  Syrien,  diese  Dattelpalmen 
im  Klostergarten  von  S.  Bonaventura  in  Rom,  ihr  Vaterland  ist  das 
Delta  des  Euphrat  und  Tigris!  So  ächte  Kinder  hesperischen  Bo- 
dens und  Klimas  diese  und  andere  Kulturpflanzen  uns  jetzt  scheinen, 
so  sind  sie  doch  erst  im  Laufe  der  Zeiten  und  in  langen  Zwischen- 
räumen gekommen.  Oft  liegt  ihre  Geschichte  mehr  oder  minder 
deutlich  vor,  oft  aber  muss  sie  aus  zerstreuten  und  zweifelhaften 
Angaben  zusammengelesen  oder  nach  Analogien  errathen  werden. 


Vielleicht  aber  wäre  diese  Umwandlung,  so  wie  sie  jetzt  vor- 
liegt, nichts  als  Verderbniss,  Ausnutzung,  versiegte  Lebenskraft? 
Historische  Mystiker  haben  nicht  verfehlt,  diese  romantische,  d.  h. 
kulturfeindliche  Ansicht  auszusprechen.  Wie  unser  Geschlecht  über- 
haupt von  einem  edleren  Urzustand  herabgekommen  ist,  wie  wir  die 

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Aussaugong^  durch  Kultur.  3 

"Werke  Gottes  nur  zu  vernichten  verstehen,  wie  jedes  Land  und 
Yolk  seine  Zeit  hat,  derselbe  Process  sich  an  jedem  der  Reihe  nach 
-wiederholt,  die  Geschichte  also  nur  ein  immer  wiederkehrender  Natur- 
v^organg  ist,  dem  zuletzt  durch  die  Wiederkunft  des  Herrn  und  das 
Oericht  ein  Ende  gemacht  wird,  —  so  sind  auch  die  klassischen 
Länder  physisch  abgelebt,  ihre  natürliche  Ordnung  zerstört,  ihr  Boden 
durch  Aufsaugung  der  Kultur  erschöpft  und  verbraucht.  Li  Betreff 
Griechenlands  hat  diese  Meinung  auf  den  ersten  Blick  allerdings 
einigen  Schein.  C.  Fraas  erklärt  in  seiner  Schrift:  Elima  und 
Pflanzenwelt  in  der  Zeit,  Landshut  1847,  das  jetzige  Griechenland, 
welches  in  der  Blütezeit  seiner  Geschichte  waldig,  regnerisch,  von 
w^asserreichen  Bächen  und  Flössen  durchströmt  gewesen  sei,  für  eine 
starre,  in  Folge  der  Ausrodung  der  Wälder  wasserlose,  der  obem 
Erdschicht  entkleidete,  einem  heissen  Elima  verfallene  Wüste,  für 
ein  Land,  das  eines  ergiebigen  Ackerbaues  und  aller  Industrie,  zu 
der  Holz  erfordert  wird,  unfähig  und  folglich  zum  Wohnplatz  einer 
ökonomisch  entwickelten  Gesellschaft  ungeeignet  sei.  Diese  Behaup- 
tung wird  denn  auch  auf  ganz  Yorderasien  ausgedehnt:  Babylonien 
z.  B.  soU  durch  uralte  Menschenkultur  ausgenutzt  und  ohne  Wieder- 
kehr verdorben  sein.  Indess,  der  Groll  und  manche  getäuschte  Hoff- 
nung hat  den  mit  Undank  belohnten  Gelehrten  in  jenem  Urtheil 
offenbar  zu  weit  geführt  Die  Stellen  der  Alten  sind  einseitig  aus- 
gewählt; was  dem  Thema  nicht  dienen  konnte,  ist  bei  Seite  ge- 
lassen, Manches  im  Eifer  auch  falsch  gedeutet.  Der  Eingang  des 
Vendldäd  z.  B.,  wo  über  grosse  Kälte  geklagt  wird,  kann  nicht  be- 
weisen, dass  das  Elima  von  Iran  erst  seit  jener  Zeit  heiss  geworden, 
da  die  Stelle  entweder  nur  eine  Erinnerung  an  die  Urheimat  des 
Zendvolkes,  d.  h.  an  das  Hochland  am  westlichen  Rande  Central- 
asiens  enthält  oder  sich  auf  irgend  eine  der  kalten  Gebirgslandschaf- 
ten bezieht,  an  denen  es  innerhalb  des  Gebietes  der  iranischen 
Stämme  nicht  fehlt.  Der  Umstand,  dass  zu  Alexander  des  Grossen 
Flotte  auf  dem  Euphrat  Cypressenholz  genommen  wurde,  fallt  gleich- 
falls nicht  sehr  ins  Gewicht,  denn  erstens  galt  seit  den  ältesten 
Seiten  der  phönizischen  Seefahrt  die  Cypresse  für  ganz  besonders 
zum  Schiffbau  geeignet,  zweitens  —  wer  sagt  uns,  ob  Babylonien 
jemals  reich  an  schwerem  festem  Hochwald  gewesen  sei?  —  Dass 
Griechenland  jetzt  weniger  belaubt  ist,  als  zu  Homers  und  vor 
Homers  Zeit,  ist  sicher;  dass  aber  z.  B.  der  Peloponnesus  in  man- 
chen Gebirgsgegenden  jetzt  dichtere  Eichen-  und  Fichtenwälder 
trägt,    als   damals,    wo  das  Land  bevölkert  und  mit  Städten  besäet 

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4  Aassanganj^  durch  Kultur. 

war,  ebenso  dass  Attika  schon  zu  Perikles  und  zu  Alcibiades  Zeit 
dürr  war,  wie  heute  —  ist  gleichfalls  unleugbar.  Der  llissus  heisst 
bei  Plato  auch  nur  ein  „Wässerlein"  (ydaxiov)  und  erst  durch 
Pisistratus  sollte  das  bis  dahin  kahle  baumlose  Attika  mit  Oelbäuroen 
bepflanzt  worden  sein.  Waldzerstorung  ist  eine  Phase,  aber  nicht 
das  letzte  Wort  der  Kultur.  Wenn  auf  einem  jungfräulichen  Boden 
eine  Menschengesellschaft  die  ersten  Schritte  zur  Bildung  thut,  da 
muss  der  Urwald  dem  nächsten  Bedürfaiss  weichen,  da  wird  an 
Wahl  und  Schonung  nicht  gedacht.  Jeder  schöpft  nach  Belieben 
aus  dem  unermesslichen  Vorrath,  der  wie  die  Luft  Allen  gleich  ge- 
schenkt ist.  Ja,  der  Ausroder  des  Waldes  erscheint  auf  dieser  Stufe 
als  ein  Wohlthäter  und  hulfreicher  Heros.  In  den  Wald  vorzudrin- 
gen war  in  jenen  Urzeiten  in  der  That  schwieriger,  als  man  jetzt 
denkt,  ein  Werk,  das  fast  übermenschliche  Anstrengungen  forderte. 
Theoprast,  h.  pl.  5,  8,  2,  erzählt  von  einem  Versuch  der  Romer,  auf 
der  Insel  Corsica  eine  Niederlassung  zu  gründen,  der  aber  an  der 
Undurchdringlichkeit  des  Waldes  scheiterte:  die  Ankömmlinge  wur- 
den vom  Dickicht  so  zu  sagen  zurückgeschlagen.  Belehrend  in 
dieser  Hinsicht  ist  auch  die  Stelle  des  Strabo,  14,  6,  5:  „Erato- 
Sthenes  sagte  (zunächst  von  der  Insel  Cypem,  aber  der  Vorgang  ist 
typisch),  Wald  habe  vor  Alters  alle  Ebenen  bedeckt  und  den  Anbau 
gehindert;  der  Bergbau  habe  ihn  ein  wenig  gelichtet;  dann  sei  die 
Schiflffahrt  gekommen,  die  gleichfalls  viel  Holz  verbraucht  habe;  da 
aber  auch  damit  die  Wildniss  nicht  bezwungen  worden,  habe  man 
Jedem  erlaubt,  niederzuhauen  und  sich  anzusiedeln,  wo  er  wolle, 
und  ihm  das  also  gewonnene  Stück  Land  als  sein  steuerfreies  Eigen- 
thum  zugesprochen."  Und  erst  diese  letzte  Massregel  —  setzen  wir 
in  seinem  Sinne  hinzu  —  schuf  Licht  und  Kultur.  Je  weiter  der 
Wald  sich  zurückzog,  desto  freundlicher  wurde  die  Natur,  desto 
mannigfaltiger  ihre  Gaben  an  Kräutern  und  Früchten,  denn  der  un- 
unterbrochene Urwald  duldete  auf  dem  mit  Fichtennadeln  oder  gerb- 
stoffhaltigen  Blättern  bedeckten  ewig  beschatteten  Boden  nur  eine 
beschränkte  und  einförmige  Vegetation.  Erst  lange  nachher  kehrt 
sich  nach  dem  Gesetz  der  drei  Momente  dies  Verhältniss  um;  der 
Mangel  an  Holz,  an  Schatten  und  Feuchtigkeit  erweckt  die  Klage 
nach  der  entschwundenen  Naturfrische;  es  regt  sich  gleichsam  das 
Gewissen;  jetzt  wird  mit  bewusster  Absicht  dem  Walde  sein  Be- 
stehen innerhalb  gewisser  Grenzen  gesichert  oder,  da  wo  er  ganz 
fehlt,  Anpflanzung  unternommen,  wie  schon  heute  in  mehreren  euro- 
päischen Staaten  geschieht.    Ehe  aber  rationelle  Wirthschaft  wieder 

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Aassaugang  durch  Kultar.  5 

gut  machen  kann,  was  vorausgegangene  Generationen  unbefangen 
verdorben  haben,  tritt  häufig  aus  anderen  historischen  Gründen  Ver- 
wilderung ein,  so  dass  das  Laud  theils  als  wie  von  der  Kultur  ver- 
braucht, theils  als  der  blinden  menschenfeindlichen  Natur  anheim- 
gefidlen  (z.  B.  durch  Versumpfung)  sich  darstellt  —  auf  welchem 
Punkte  Griechenland  jetzt  steht.  Zu  keiner  Zeit  aber  ist  dies  Land 
feucht  und  dunstig,  wie  England,  gewesen,  immer  lag  es  Afrika 
nahe  und  schon  die  Alten  haben  Ziegen  gehalten,  Cistemen  angelegt 
und  kunstlich  bewässert  —  Von  Fraas  hat  sich  wohl  auch  E.  Cur- 
tius  imponiren  lassen,  wenn  er  in  der  Einleitung  zu  seiner  Bereisung 
des  Peloponnesus  (1,53 — 55)  auf  Griechenlands  physische  Natur  so 
düster  und  hoffnungslos  blickt.  Dass  sich  bei  den  Philosophen, 
namentlich  Plato,  Stellen  finden,  nach  denen  die  Erde  und  insbeson- 
dere Hellas  als  gealtert,  als  blosses  einst  bekleidetes  Todteugebein 
erscheint  —  was  will  das  sagen?  Plato  war  seinem  ganzen  Charakter 
nach  ein  elegischer  Idealist  und  Seneca,  wenn  er  den  Ausdruck: 
Altersschwäche  des  Erdbodens  (loci  Senium)  gebraucht,  erscheint 
auch  hierin  als  Vorläufer  des  Christenthums.  Ist  es  nicht  auch  bei 
uns  ein  allgemein  verbreitetes  Gefühl  und  hört  man  nicht  oft  genug 
sagen,  dass  das  Elima  sich  verändert  habe,  dass  in  den  Jugendtagen 
des  Sprechenden  die  Menschen  kräftiger  und  gesunder,  der  Boden 
ergiebiger  u.  s.  w.  war?  Der  alte  Schiffer,  mit  dem  Julius  Fröbel 
(Aus  Amerika  1,  200)  die  üeberfahrt  von  New-York  nach  Chagres 
machte,  behauptete  sogar,  die  Passatwinde  hätten  während  seiner 
Lebenszeit  an  Regelmässigkeit  eingebüsst.  Aus  der  zunehmenden 
Schlechtigkeit  der  Welt  hat  man  unzählige  Male  das  bevorstehende 
Ende  aller  Tage  gefolgert.  Lasaulx,  ein  anderer  Münchener  Ro- 
mantiker, prophezeite  vor  nicht  langer  Zeit  den  Untergang  der  west- 
europäischen Civilisation  (der  ihm  einerlei  war  mit  dem  der  Kirche) 
und  setzte  schon  die  Slaven  als  Erben  ein.  Solchen  Stimmungen  und 
Phantasien  gegenüber  giebt  es  jetzt  Widerlegungsgründe,  die  den 
altem  Zeiten  nicht  zu  Gebote  standen,  nämlich  die  Zahlen  der 
Statistik  und  die  Rechnungen  der  Naturwissenschaft.  E,  Curtius 
schliesst  mit  den  Worten:  „Ein  Theil  dieser  üebelstände  (die  durch 
Ausrodung  der  Wälder  sich  ergeben  haben)  kann  wieder  gehoben 
werden,  wenn  von  Neuem  die  gestörte  Ordnung  der  Natur  hergestellt 
wird.  Andere  Schäden  kann  keine  zweite  Kultur  ersetzen,  so  wenig 
wie  im  organischen  Leben  erstorbene  Kräfte  durch  Kunst  wieder 
erzeugt  werden  können."  Welches  sollen  diese  unersetzlichen  Schä- 
den sein?  Humuserde  kann  im  Terrassenbau  auf  die  Berge  geschafFt, 

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6  Aassangnng  durch  Kultur. 

stockende  Flüsse  können  gereinigt,  dürre  Heiden  bewässert,  ver- 
sampfibe  Ebenen  durch  Eanalbauten  entwässert  werden;  die  Wälder 
würden,  wenn  man  sie  gegen  Ziegen  und  die  Feuer  der  Hirten 
schützte,  in  diesem  glücklichen  Elima  in  nicht  allzulanger  Zeit  wieder 
die  Abhänge  der  Berge  bedecken.  Was  wäre  dem  Kapital  hier  un- 
möglich und  welche  Elräfte  wären  hier  auf  immer  erstorben?  Die 
allgemeinen  Naturverhältnisse,  deren  der  Mensch  nicht  Herr  werden 
kann,  bestanden  im  frühesten  Alterthum  wie  jetzt.  Die  Fluten  plötz- 
lich einbrechender  Gewitterstürme  z.  B.  werden  sich  immer  zer- 
störend ins  Thal  stürzen.  Bäume  imd  Felsen  mit  sich  fortreissen,  wie 
in  Homers  Zeit,  und  wenn  sie  abgeflossen,  sogenannte  Rheumata  oder 
Fiumaren,  d.  h.  trockene  Kiesgründe  hinterlassen,  Dinge,  die  in  den 
Ebenen  Mitteleuropas,  wo  der  Regen  oft  tagelang  vom  grauen 
Himmel  träufelt,  nicht  zu  befürchten  sind.  Was  sich  nordischen 
Reisenden,  die  ein  ideales  Griechenland  in  der  Vorstellung  mitbrin- 
gen, als  Verderbniss  in  der  Zeit  darstellt,  ist  zum  Theil  Charakter 
südlicher  Länder  und  Klimate  überhaupt.  Die  Mängel,  über  die 
geklagt  wird,  sind  mit  allem  Zauber  imd  Segen  dieser  der  Sonne 
näher  liegenden  Gegenden  unauflöslich  verknüpft.  Man  überschätze 
auch  nicht  den  Einfluss  der  Wälder  auf  das  Klima.  Es  ist  damit 
gegangen^  wie  oft  mit  neuen  Gesichtspunkten:  man  pflegt  sie  allzu 
ausschliesslich  geltend  zu  machen.  In  dem  vorliegenden  Falle  kam 
noch  das  Interesse  poetischer  Gemüther  und  besonders  das  des  feu- 
dalen Adels  hinzu,  der  für  grössere  Besitzstücke  kämpfte,  sein  Jagd- 
revier nicht  missen  wollte  und  diesmal  so  glücklich  war,  mit  den 
neuen  Lehren  der  Bodenwirthschaft  und  Nationalökonomie  Chorus 
machen  zu  können.  In  der  That  aber  hängen  die  klimatischen  und 
Witterungsverhältnisse  der  europäischen  Länder  im  Grossen  gar 
nicht  von  der  Pflanzendecke  des  Bodens  ab^  sondern  nächst  der 
geographischen  Breite  von  weitgreifenden  meteorologischen  Vorgän- 
gen, die  von  Afrika  und  dem  atlantischen  Ocean  bis  zum  Aralsee 
und  Sibirien  reichen. 

Umsichtiger  als  Fraas  hat  Franz  ünger  die  Frage,  ob  der  Orient 
von  Seiten  seiner  physischen  Natur  einer  Wiedergeburt  fähig  sei,  mit 
Ja  beantwortet  (Wissenschaftliche  Ergebnisse  einer  Reise  in  Griechen- 
land und  in  den  ionischen  Inseln,  Wien  1862,  S.  187flF.).  Unger  vnder- 
setzt  sich  auch  der  Annahme,  als  gebe  es  einen  Marasmus  senilis 
der  Natur  und  als  grabe  die  Civilisation  sich  ihr  eigenes  Grab.  Man 
bilde  nur  die  Menschen  um,  die  diesen  Boden  bewohnen:  der  Boden 
selbst  hat  von  seiner  schöpferischen  Kraft  nichts  eingebüsst;  er  ver- 

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Aussaugang  durch  Kaltar.  7 

laogt  nur  Schonung  und  Nachhülfe.  Konnten  z.  B.  nur  die  Ziegen- 
heerden  verringert  oder  zu  Hause  gefuttert  werden,  so  würde  sich 
die  Strauchvegetation  in  kräftigen  Wald  verwandeln  und  die  Trocken- 
berge  sich  wenigstens  mit  Gestrüpp  bekleiden,  ohne  irgend  eine  künst- 
liche Pflanzung  oder  Terrassirung.  Die  Strandkiefer  und  quercus 
aegilops  würden  bald  nicht  mehr  die  einzigen  Bäume  sein,  die  dem 
Reisenden  auf  Ausflügen  in  Griechenland  begegnen.  Wie  viel  Men- 
schenalter nöthig  wären,  den  Orient  wieder  zu  belauben,  ist  schwer 
za  bestimmen,  doch  ist  unter  diesem  Himmel  die  Zeugungs-  und  Heil- 
kraft der  Natur  erstaunlich.  Und  wie  mit  der  Vegetation,  steht  es 
uch  mit  manchen  andern  Einbussen,  die  das  Land  seit  dem  Alter- 
thum  erlitten  hat.  Manche  Häfen  z.  B.,  die  die  Alten  benutzten, 
sind  jetzt  versandet,  aber  dafür  giebt  es  andere,  noch  schönere,  die 
der  kleinen  SchifKiahrt  der  Alten  zu  gross  und  tief  waren,  aber  den 
jetzigen  Mitteln  und  Massstäben  grade  entsprechen.  Man  sieht,  ob 
Griechenland,  Eleinasien,  Syrien,  Palästina,  diese  jetzt  so  verwahr- 
losten liänder,  einer  neuen  Blüte  sich  erfreuen  sollen,  hängt  allein 
von  dem  Gange  der  Welt-  und  Kulturgeschichte  ab:  die  physische 
Natur  würde  kein  unübersteigliches  Hindemiss  in  den  Weg  stellen. 
Auch  liegt  dem  Urtheil,  dass  diese  Gegenden  für  immer  ausgenutzt 
seien,  keine  wirthschaftliche  oder  naturwissenschaftliche  Beobachtung, 
vielmehr  nur  falsche  geschichtsphilosophische  Theorie  zu  Grunde. 

Yon  einem  andern,  aber  gleich  trüben  Gesichtspunkt  aus  haben 
Janger  einer  neueren  Wissenschaft,  der  Agricultur-  imd  Bodenchemie, 
dem  Orient  und  den  Ländern  um  das  Mittelmeer  das  Urtheil  ge- 
sprochen und  schon  die  Todtenklage  angestimmt.  Der  Ackerbau, 
Jahrhunderte  und  Jahrtausende  fortgesetzt,  erschöpft  den  Boden  imd 
zwingt  den  Menschen,  in  ein  frisches  Land  zu  wandern.  Die  Stoffe, 
die  zum  Wachsthum  der  Pflanzen  und  zur  Fruchtbildung  nöthig  sind, 
Alkalien,  phosphorsaure  Salze  u.  s.  w.,  sind  auf  einer  gegebenen 
Bodenfläche  nui*  in  einem  gewissen  begränzten  Masse  vorhanden: 
ist  durch  lange  auf  einander  folgende  £mten  dieser  Vorrath  ver- 
braacht  und  dieses  Mass  erreicht,  so  trägt  der  Acker  keine  Frucht 
mehr,  vrie  ein  ausgebeutetes  Bergwerk  kein  Metall  mehr  liefert.  Durch 
die  Brache  gewinnen  die  im  Boden  enthaltenen  Mineralien  nur  Ge- 
legenheit zu  verwittern,  lösbar  zu  werden:  die  Zeit  schliesst,  so  zu 
sagen,  den  Boden  nur  auf:  aber  weiter  geht  ihre  Macht  nicht  und 
wo  jene  Mineralien  ihm  einmal  genommen  sind,  da  kann  auch  die 
Ruhe  dem  Acker  nichts  helfen.  Die  sorgfaltigste  Bearbeitung  wirkt 
nur  dahin,  die  chemischen  Processe,  "die  die  Bestandtheile  des  Bodens 

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8  Aussanj^ng  durch  Kultur. 

erleiden  müssen,  um  von  der  Pflanze  ergriffen  zu  werden,  zu  er- 
leichtem und  zu  beschleunigen,  aber  neue  Bestandtheile  der  Art  kann 
sie  nicht  schaffen.  Durch  Düngung  geben  wir  dem  Boden  einen 
Theil  dessen  wieder,  was  wir  von  ihm  empfangen,  aber  eben  Äur 
einen  Theil,  und  im  Laufe  der  Jahrhunderte  muss  diese  Differenz 
sich  so  häufen,  dass  auch  der  einst  reichste  Acker  die  menschliche 
Arbeit  nicht  mehr  belohnt.  Jede  Ernte,  die  ausser  Landes  geht, 
jedes  Getreideschiff,  das  den  Ertrag  einer  ackerbauenden  Gegend  über 
See  entführt,  ist  eine  direkte  Schmälerung  des  im  Boden  liegenden 
Kapitals.  Wasi  die  Städte  verzehren,  ist  dem  Lande  entzogen  und 
kommt  ihm  gar  nicht  oder  in  geringem  Masse  wieder  zu.  Der  Abfall 
der  Thiere  und  Menschen,  das  Laub  der  Bäume,  der  Verwesungs- 
Si^ub  des  organischen  Lebens  wird  von  Stürmen  verweht,  von  Strömen 
fortgerissen  und  von  beiden  endlich  dem  Ocean,  dem  letzten  grossen 
Behälter,  überliefert.  Was  London  verbraucht,  haben  die  Grafschaften 
hergeben  müssen  und  wird  durch  die  Themse  in  die  Abgründe  der 
Nordsee  versenkt.  Wie  mit  London,  so  war  es  einst  mit  Babylon, 
mit  Rom,  so  mit  den  unzähligen  städtischen  Ansiedelungen  des  Alter- 
thums;  die  umgebenden  Landschaften  liegen  jetzt  kraft-  und  hülflos 
da  und  es  ist  keine  Hoffnung,  dass  sie  je  wieder  aufleben  könnten, 
da  durch  eine  frühe  begonnene  und  lange  fortgesetzte  Kultur  alle  der 
Umwandlung  in  Pflanzenleben  fähigen  Stoffe  aufgesogen  und  entfernt 
worden  sind.  —  Ist  dieser  Gedankengang  richtig,  so  steht  der  ganzen 
Erde  dasselbe  Geschick  bevor,  das  die  Länder  des  Alterthums  bereits 
betroffen  hat.  Auch  England  wird  keinen  Weizen  mehr  tragen,  wie 
einst  auch  sein  Kohlen-  und  Eisenvorrath  erschöpft  sein  wird;  dann 
wird  Mexico  noch  fruchtbar  sein,  für  welches  aber  auch  der  Tag  der 
ewigen  Ruhe  kommen  wird;  und  so  weiter  durch  alle  Länder  beider 
Hemisphären  durch.  Und  was  der  Mensch  durch  seine  Nutzung  nur 
beschleunigt,  das  muss  auch  auf  dem  Wege  des  natürlichen  Pflanzen- 
lebens, auch  wenn  es  nie  einen  Menschen  gegeben  hätte,  als  letzte 
Folge  sich  ergeben.  Dann  wird  auch,  setzen  wir  noch  hinzu,  alles 
Gebirge  auf  Erden  durch  die  Kraft  der  Wasser  und  Winde  und  der 
Verwitterung  geebnet  sein  und  die  Sonne,  die  immerfort  Wärme  ab- 
giebt,  ohne  dass  ihr  die  verlorene  durch  irgend  Etwas,  so  viel  wir 
wissen,  ersetzt  wird,  todt  und  kalt  sein  und  mit  ihr  die  Erde  und 
der  Mensch.  Glücklicher  Weise  können  wir  die  Zeit,  in  der  dies 
Alles  sich  vollziehen  wird,  auch  nicht  annähernd  berechnen  und 
haben  unterdess  Müsse,  abzuwarten,  ob  in  unserer  Schlusskette  sich 
nicht  irgend  ein  Glied  als  unhaltbar  erweist  und  damit  die  ganze  Vor- 

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Aussaugung  durch  Kaitor.  9 

aassage  trügerisch  und  zur  hypochondrischen  Chimäre  wird.  So  sind 
schon  jetzt  an  mehr  als  einem  Punkte  der  Erde  unerschöpfliche  Lager 
von  Phosphoriten  entdeckt  worden,  geeignet  den  Boden  ganzer  Länder 
för  unabsehbare  Zeit  zu  befrachten.  Sollte  nicht  in  näherer  oder 
fernerer  Zakunft  die  Kraft  der  raumbewältigenden  Mechanik  so  ge- 
wachsen sein,  dass  von  solchen  localen  Anhäufungen  auch  weiter  ab- 
liegende Gegenden  einen  neuen  Boden  and  mit  ihm  eine  neue  Energie 
des  Pfianzenlebens  beziehen  könnten?  Was  auf  diesem  Wege  einst 
möglich  sein  wird,  das  besitzen  die  Länder  um  das  Mittelmeer  zam 
Theil  schon  jetzt  an  ihrer  gebirgigen,  reich  geghederten  Bodeogestalt 
und  an  der  seit  uralter  Zeit  an  dieselbe  sich  knüpfenden  Irrigation. 
Denn  während  in  den  Komebenen  des  europäischen  Wald-  und 
Steppengebietes  die  Meteorwasser  den  Acker  nur  tränken,  ohne  seine 
Verluste  zu  ersetzen,  bereichem  die  von  den  Bergen  stürzenden 
Quellen  die  ausgelaugte  obere  Erdkrume  unaufhörlich  aus  den  Schätzen 
des  Erdinnem.  Ein  lebendiges  Beispiel  dafür  bildet  die  Lombardei: 
das  Felsengerüste,  an  das  sie  sich  lehnt,  sendet  ihr  darch  die  Flüsse 
und  die  festen  oder  aufgelösten  Erden,  die  sie  mitführen,  immer  neue 
Mineralkräfte  zu  und  erhält  sie  so  fruchtbar,  wie  vor  zweitausend 
Jahren.  Was  aber  die  Natur  allein  nicht  leistete,  ergänzte  der  Mensch, 
von  der  Noth  belehrt,  mit  bewusster  Zweckthätigkeit.  Im  Orient 
and  am  Mittelmeer,  im  Bereiche  regenloser  Sommer,  drohte  der 
Vegetation  jedes  Jahr  während  der  drei  oder  vier  heissen  Monate 
der  Tod  durch  Verschmachtung.  Daher  in  diesen  Ländern  seit  dem 
frühen  Alterthum  die  Sorge  für  Bewässerang,  die  Fassung  und  Leitung 
der  Quellen,  die  Kunst  wagerechter  Vertheilung,  die  Einschnitte  in 
den  Rand  der  Ströme,  die  Dämme  und  Durchstiche,  die  Schöpfräder 
und  Rinnen.  So  nothwendig  war  unter  jenem  Himmelsstrich  diese 
Bemühung,  dass  sie  sich  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  fortsetzte  und 
zum  bleibenden  Naturell  und  zu  angeborener  Kunstfertigkeit  wurde. 
Und  wenn  die  künstliche  Bewässerung  ursprünglich  ein  Zeichen  des 
sich  regenden  vorberechnenden  Denkens  gewesen  war,  so  vnirde  sie 
ihrerseits  ein  mächtiger  Anreiz  fernerer  geistiger  Entwickelung.  Sie 
band  den  Menschen  an  den  Menschen,  ~  nicht  durch  jene  dampfe 
natürliche  Gesellung,  die  auch  die  Thiere  treibt,  heerden weise  zu 
leben,  sondern  durch  freie  Gegenseitigkeit,  die  erste  Gemeinde-  und 
Staatenbildung.  Nördlich  der  Alpen  fiel  diese  Nöthigung  weg:  da 
siedelte  sich  der  Germane  an,  wo  es  ihm  beliebte,  fragte  nichts  nach 
dem  Nachbar  und  bildete  den  Charakter  persönlicher  Eigenheit  in 
sich  aus.    Selbst  in  der  Neuen  Welt  währte  dies  Verhältniss  fort, 


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IQ  AnssaugQDg  darch  Kaltur. 

da  vfo  beide  Racen  in  einer  ähnlichen  Natur  zusammenstiessen.  In 
Neu-Mexico,  z.  B.  am  Rio  Grrande,  und  in  Texas  hatten  die  Spanier 
meilenweit  Bewässerungskanäle  gezogen,  die  die  einwandernden  angel- 
sächsischen Amerikaner  zum  Schaden  des  Landes  wieder  eingehen 
Hessen.  „Den  Bewohnern  der  Vereinigten  Staaten  ist  diese  Art  des 
Landbaues  fremd,  und  sie  widerstreitet  ihrem  individualistischen  Greiste, 
da  ein  grösseres  Bewässerungssystem  nicht  ohne  eine  darauf  bezüg- 
liche Gesetzgebung  und  ohne  Schmälerung  der  freien  Disposition  des 
Einzelnen  auf  seinem  Lande  denkbar  ist"  (Fröbel,  Aus  Amerika,  2, 160). 
Ja,  ein  Amerikaner  bemerkt  selbst,  unter  amerikanist^hen  Händen 
müsse  der  an  Bewässerung  gebundene  Ackerbau  stets  darnieder  liegen, 
„weil  die  bei  einem  solchen  System  nothwendige  despotische  Ver- 
waltung der  Gemeinde  zu  wenig  mit  den  dortigen  Sitten  überein- 
stimmt" (Griesebach,  Vegetation  der  Erde,  2,  276).  Organisirte  Ge- 
meinschaft also  erscheint  dem  sächsischen  Stamme  als  despotisch 
überhaupt;  am  Mittelmeer,  von  Bactrien  imd  Babylonien  bis  zu  den 
Säulen  des  Herakles,  war  sie  ein  Gebot  der  Natur  und  wurde  ein 
Charakterzug  der  Völker.  Abgesehen  aber  von  dieser  politisch-sitt- 
lichen Wirkung  verbürgt  die  Irrigation  auch  dem  Grund  und  Boden, 
so  lange  die  Berge  stehen  und  die  Wasser  rinnen,  eine  unvergäng- 
liche physische  Jugend.  Wo  das  Ackerland  und  die  Wiese  nur  auf 
die  aufsteigenden  und  niederfallenden  Dämpfe  des  Meeres  angewiesen 
sind,  da  muss  jener  Zustand  der  Erschöpfung  viel  rascher  eintreten, 
welchem  in  den  Augen  besorgter,  vielleicht  auch  hochmüthiger  Beur- 
theiler  die  Länder  des  Alterthums  schon  verfallen  sind. 

Nicht  ein  unerbittliches  Naturgesetz  war  es,  was  der  Kultur 
des  Orients  den  Untergang  gebracht  hat,  sondern  der  Zusammenhang 
geschichtlicher  Ereignisse,  die  erst  die  humane  Entwickelung  be- 
günstigende, dann  sie  gefährdende  geographische  Lage,  der  Contakt 
der  Racen,  Lebensformen  und  Religionen  und  die  ihn  begleitende 
Wuth  der  Zerstörung  und  Verunreinigung  des  Blutes.  Die  Region 
der  acker-  und  slädtebauenden  Völker  Vorderasiens  stiess  an  un- 
ermessliche  Steppen  und  Wüsten,  aus  denen  immer  von  Neuem 
wilde,  blutgierige  Nomaden  hervorbrachen.  Einst  in .  sehr  früher 
Zeit  hatten  nomadische  Semiten  vom  Kaukasus  bis  zum  persischen 
und  arabischen  Meerbusen  sich  ergossen  und  eine  ihnen  vorausgehende 
Kultur  zerstört,  deren  Wesen  und  Richtung  wir  nicht  mehr  erkennen. 
Als  sie  drauf  begonnen  hatten,  sich  auf  dem  neuen  Boden  sesshaft 
zu  machen,  erfolgte  die  iranische  Flut,  die,  vielleicht  gleichzeitig 
mit  dem  Einbruch   der  Indoeuropäer    nach  Europa,    die    semitische 

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Aassanguim^  durch  Kaltor.  11 

Welt  mitten  durch  spaltete   aod  in  einzelnen  Wellen  unter  der  Be- 
oemiiiDg  Pluyger,   Lykier  u.  8.  w.    bis  an   das  mittelländische  Meer 
»ch  fortsetzte.     Seitdem  rangen  in  Asien  beide  Racen  mit  einander, 
die  Semiten  in  ungeheuren  despotischen  Centren,  um  bildgeschmückte 
Paläste  sich  sammelnd,    Kanäle    ziehend    und  den  Spaten   fahrend, 
die  Iranier  in   natürlicher  Freiheit  ihre  Thiere  weidend,   in  Stämme 
gesondert  und  von  Patriarchen  geführt,  lauernd  und  räuberisch,  ver- 
wüstend oder  wegschleppend,  was  sie  erreichen  konnten.     AUmählig 
aber,   durch    den  Einfluss   der  Zeit   und    des  Beispiels    und   in   der 
Herrschaft  über  gebildetere  Kulturländer,  ging  ein  Theil  der  Iranier 
selbst   zu  Niederlassung  und  höherer  Staatsordnung  über,  indess  die 
uidere  Hälfte    dieses  grossen  Stammes   —   Saken    und  Massageten, 
Sarmaten  und  Scythen,  später  Alanen  und  Jazygen  —  in  den  weiten 
unerreichbaren    Flächen    die   alte    nomadische   Lebensart   bewahrte. 
Diese  Spaltung  in   zwei  Hälften    war   der  Gegensatz   von  Iran   und 
Toran,    von    Civilisation    und    Freiheit:    das   iranische    Kulturgebiet 
erwehrte  sich   nur  mühsam  der  aus  dem  Schosse  der  Steppe  immer 
neu  hereinbrechenden  Wildheit.     Schon    gegen  Ende   des    7.  Jahr- 
honderts  vor  Chr.  hatten  Scythen  einen  Plünderungszug  durch  ganz 
Asien  gemacht,    der  aber  nur   acht  und  zwanzig  Jahre  dauerte  ond 
als  blosse  Episode  bald  wieder  vergessen  wurde.    Dann  hatte  Cyrus 
versucht    die  Massageten,    Darius    die  Scythen   zu   bändigen,    beide 
ohne  Erfolg.     Yielmehr  setzten  sich   unter  dem  Seleuciden reiche  die 
ans   den    Jaxartes-Gegenden    gekommenen    reitenden    Bogenschützen 
iranischen  Stammes,  die  Parther,  in  dem  östlichen  Theile  Asiens  bis 
an  den  Euphrat  fest.     Dann,  im  siebenten  Jahrhundert  unserer  Zeit- 
rechnung,   stürmten    die  Araber,    ein   fanatischer  Wustenstamm,    ur- 
plötzlich heran  und  rotteten  alle  Gründungen,    die  mit    der  Religion 
zosamraenhingen  —    und    was    im  Orient  hing  und  hänge  nicht  mit 
der  Religion  zusammen?   —   mit   der  Wurzel  aus.     Wieder  einmal 
war  der  Geist  der  Semiten  Herr  geworden  über  den  iranischen,    als 
Widerspiel  dessen,    was  einst  Meder   und  Perser   an   ihnen  verübt. 
So  gross    nun    auch    die   Verwüstung   war,    mit    der   Turanier    und 
Islamiten  gegen  die  Gärten  und  Städte  Bactriens  und  Mediens,    der 
Tigris-    und  Euphratländer,    Syriens   und   Kleinasiens   reagirten,    — 
diese  Nomaden  und  Reiter  waren  doch  immer  desselben  Blutes,  von 
edler  Herkunft  und  schöner  Leibesgestalt,  bildungsfähig  und  Anlage 
ond  BedQrfniss  civilisirten  Lebens,    ihnen    selbst  unbekannt,    in  sich 
tragend.    D,as  eigentliche  Verderben,    ohne  Möglichkeit  der  Wieder- 
kerstellung    und    Anknüpfung,    erfolgte   erst,    als    die    bestialischen 

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12  Aussaugang  durch  Kultur. 

Bacen,  die  bisher  am  Altai  und  von  da  weiter  am  Baikalsee  und 
auf  der  fürchterlichen  Hochfläche  im  Herzen  des  Welttheils  sich  ver- 
borgen gehalten  und  nur  für  das  chinesische  Reich  den  homogenen 
nomadischen  Hintergrund  gebildet  hatten,  die  Türken  und  auf  deren 
Spuren  die  Mongolen,  den  Weg  nach  Südwesten  in  die  arisch- 
semitische Welt  gefunden  hatten.  In  Europa  tauchte  der  türkische 
Stamm  zuerst  in  der  Horde  der  Hunnen  auf  und  welchen  Eindruck 
schon  ihr  brutales  Aeussere  auf  den  Abendländer  machte,  sehen  wir 
aus  den  Schilderungen  der  gleichzeitigen  Berichterstatter  und  den 
Fabeln,  die  über  die  neu  erschienenen  Unholde  im  Volksmunde  um- 
gingen. Ammianus  Marcellinus,  da  wo  er  die  rohen  Sitten  der 
Alanen,  die  früher  Massageten  genannt  wurden,  beschreibt,  fügt  doch 
hinzu:  „die  Alanen  sind  fast  Alle  hohe,  schöne  Menschen  (proceri 
autem  Alani  paene  sunt  omnes  et  ptdchri),  den  Himnen  in  der 
Lebensart  ähnlich  (suppares\  dennoch  aber  auf  höherer  Stufe  der 
Menschlichkeit  stehend  (verum  victu  mitiares  et  cultu)^.  In  Asien 
waren  schon  im  6.  christlichen  Jahrhundert  Sogdiana  und  Bactrien 
oder  die  alt-iranischen  kanalreichen  Ufer  des  Jaxartes  und  Oxus 
türkisches  Land;  von  da  wurde  in  den  folgenden  Jahrhunderten 
ganz  Asien  alhnählig  durchritten,  verheert,  verbrannt,  geplündert  und 
die  Einwohner  *  gemordet  oder  in  die  Gefangenschaft  abgeführt. 
Seldschukische  Häuptlinge  schwangen  die  Lederpeitsche,  legten  be- 
siegten arabischen  Emiren  feierlich  den  Fuss  auf  den  Nacken  und 
liessen  sie  dann  in  Stücke  hauen;  persische  Mädchen  mit  mandel- 
förmigen Augen  und  langen  Wimpern  wurden  in  die  schmutzigen 
Filzzelte  ihrer  heulenden  missgestalteten  Gebieter  geschleppt;  so 
mischte  sich  vom  Aralsee  bis  zum  mittelländischen  Meer  unedles 
hochasiatisches  Blut  in  das  der  alten  Kulturvölker,  als  ein  fort- 
wirkendes Element  sittlicher  Erniedrigung  und  geistiger  Ohnmacht. 
Indess,  auch  die  türkische  Eroberung  erscheint  als  nur  geringes 
Leiden  im  Vergleich  mit  den  entsetzlichen  Gräueln,  die  den  Weg 
der  Mongolen  bezeichneten.  Was  diese  Race  gelber  schief- 
blickender Schakale  aus  der  Wüste  Gobi  auf  orientalischem  Boden 
verübt  hat,  lässt  sich  mit  Worten  gar  nicht  schildern.  Als 
Dschingiskhan  im  Jahre  1221  —  wir  wollen  nur  dies  eine  Beispiel 
anführen  —  gegen  die  blühende  volkreiche  Stadt  Balkh,  das  alt- 
berühmte  Bactra,  die  1200  Moscheen  und  200  öffentliche  Bäder 
besass,  drohend  heranzog,  gingen  ihm  Abgesandte  mit  Geschenken 
und  Lebensmitteln  entgegen,  um  Schonung  flehend:  der  Khan  war 
scheinbar  begütigt,    zog  in  die  Stadt   ein  und  liess  dann  sämmtliche 

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AussauguDg  durch  Kulte  r.  1^ 

Einwohner,  unter  dem  Yorwand  sie  zahlen  zu  wollen,  in  einzelnen 
Abtheilongen  aufs  Feld  hinausfahren  und  sie  dort  abschlachten,  die 
Stadt  selbst  aber  schleifen  —  die  noch  gegenwärtig  ein  unabsehbares 
Roinenfeld  bildet  Die  türkischen  Völker,  deren  Ausgang  mehr 
nach  Westen  zu  gelegen  war,  waren  gleich  Anfangs  vom  Islam  ge- 
wonnen worden  und  hatten  sich  dadurch  dem  Westen  innerlich  ver- 
bunden; auch  waren  sie,  wie  man  gestehen  muss,  im  Laufe  der 
Jahre  nach  manchen  Seiten  gegen  die  mildere  Sitte  und  ererbte 
Bildung  der  ihnen  unterworfenen  Bevölkerung  nicht  ganz  unempfind- 
lich geblieben:  die  mongolischen  Horden  aber  trieb  nur  der  In- 
stinkt der  Zerstörung  und  des  Mordes  und  die  Spuren  ihres  Daseins 
sind  bis  auf  den  heutigen  Tag  nicht  erloschen.  Seit  der  mongolischen 
Zeit  liegt  der  Orient  wie  ein  zu  Tode  Getroffener  da,  ohne  sich  auf- 
raffen zu  können.  So  verhängnissvoll  wurde  der  ältesten  Menschen- 
kultur und  den  gesegneten  Ländern,  in  denen  sie  erblühte,  der  un- 
unterbrochene Zasammenhang  mit  den  unwirthlichen  Hochflächen  im 
Innern  des  grossen  Welttheils,  der  Heimath  einer  niedern  Menschen- 
race  von  abstossender  Gesichtsbildung  und  unflätigen  Sitten. 

Auch  der  griechischen  Halbinsel  gereichte  die  Nähe  Asiens  und 
der  osteuropäischen  Steppen  und  die  Verunreinigung  mit  fremdem 
Blute  zum  Verderben.  Denn  welches  waren  ihre  Schicksale  seit 
der  Völkerwanderung?  Die  Bulgaren,  ein  türkischer  Stamm,  liessen 
sich  sudlich  der  Donau  nieder,  die  gleichfalls  türkischen  wilden 
Avaren  überfielen  mordend  und  plündernd  die  um  die  befestigte 
Hauptstadt  gelegenen  Provinzen;  Osmanen  streiften  und  herrschten 
schon  vor  einem  halben  Jahrtausend  in  diesem  Vorland  Europas. 
Auch  den  Germanen  diente  der  griechische  Boden  zum  Schauplatz 
ihrer  noch  ungebändigten  Kriegs-  und  Beutegier  —  man  erinnere 
sich  nur  der  furchtbaren  Verheerungszüge  der  am  schwarzen  Meer 
angelangten  Gothen  gegen  die  Küsten,  Städte  und  Inseln  Kleinasiens 
und  des  Peloponnes  — ;  nach  Italien  pflegten  sie  erst  zu  kommen, 
wenn  sie  ihre  erste  frische  ßohheit  schon  abgelegt  hatten.  Slaven 
überschwemmten  dauernd  nicht  bloss  die  Donaugegenden  und 
Thrakien,  sondern  auch  alle  Theile  des  alten  Griechenlands  selbst 
ond  belegten  Berge,  Thäler,  Flüsse  nnd  Ortschaften  mit  Namen 
ihrer  Sprache;  aus  rauhen  Gebirgswinkeln  drängten  Albanesen 
haufenweise  in  die  entvölkerten  Landschaften  hinab;  beide  nahmen 
dann  die  von  Konstantinopel  auf  dem  Wege  der  Kirche  und  der  po- 
litischen Administration  ihnen  gebotene  griechische  Sprache  (in  ent- 
arteter  byzantinischer  Aussprache)    an  und   bildeten   mit   dem  Rest 


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14  ürreit 

der  frühem  Bewohner,  soweit  sich  ein  solcher  noch  vorfand,  das 
heutige  Volk  der  Griechen.  So  erklärt  sich  die  Barbarei,  der  sich 
Hellas  so  schwer  entwindet,  aus  dem  Fluche  der  Schändung,  der  auf 
ihm  liegt,  nicht  aus  der  angeblichen  Erschöpfung  der  Naturkraft, 
die  sicher  noch  so  wirksam  ist,  wie  einst  in  den  Tagen  der  schönsten 
Blüte  dieses  Landes. 


Als  die  grosse  arische  Wanderung  den  beiden  Halbinseln,  die 
nachher  der  Schauplatz  der  klassischen  Bildung  wurden,  die  ersten 
Bewohner  höherer  Race  gab,  von  denen  wir  historisch  wissen,  da 
waren  diese  Länder  —  so  dürfen  wir  uns  die  Sache  denken  —  von 
einer  dichten  schwer  zu  durchdringenden  Waldung  düsterer  Fichten 
und  immergrüner  oder  laubabwerfender  Eichen  bedeckt,  etwa  wie 
Homer  sie  schildert: 

Diese  durchathmete  nie  die  Gewalt  feuchthaucheDder  Winde, 
Noch  traf  Helios  Leuchte  sie  je  mit  den  flammenden  Strahlen, 
Auch  kein  strömender  Regen  durchnässte  sie:  so  in  einander 
Wuchs  das  Gehölz;  viel  lagen  umher  der  gefallenen  Blätter  — 

dazwischen  in  den  Flussthälem  mit  ofihem  Weidestrecken,  auf  denen 
die  Rinder  der  Ankömmlinge  sich  zerstreuten,  reich  an  nackten  und 
kräuterbewachsenen  Felsabstürzen,  an  denen  die  Schafe  rupfend  auf- 
und  abkletterten  und  von  deren  Gipfel  hin  und  wieder  das  öde  un- 
fruchtbare Meer  sichtbar  wurde.  Das  Schwein  fand  reichliche 
Eichelnahrung,  der  Hund  hütete  die  Heerde,  wilde  Bienenstöcke 
lieferten  Wachs  und  Honig,  wilde  Apfel-,  Bim-  und  Schlehenbäume 
boten  saure  harte  Früchte  zum  Genuss,  gegen  den  Hirsch  und  Eber, 
den  wilden  Stier  und  den  raubgierigen  Wolf  ward  der  Pfeil  vom 
Bogen  geschnellt  oder  der  mit  scharfem  Stein  bewaflfnete  Speer  ge- 
schwungen. Das  Jagdthier  und  das  Thier  der  Heerde  gab  alles 
Nöthige,  sein  Fell  zur  Kleidung,  seine  Hörner  zu  Trinkgefassen, 
seine  Därme  und  Sehnen  zu  Bogensträngen,  sein  Geweih  und  seine 
Knochen  zu  Werkzeugen  und  den  Handgriffen  derselben;  rohes 
Leder  war  der  vorherrschende  Stoff,  die  beinerne  oder  hörnerne 
Nadel  diente  zum  Nähen  und  Befestigen  desselben  (stiere  ist  das  ur- 
alte Wort  für  solche  Lederarbeit,  man  vergleiche  sutor  der  Schuster, 
xaaavfia  das  Leder,  subula  die  Ahle,  slav.  podüsiva  die  Schuhsohle, 
aio^  ahd.  mda  der  Pfriemen  u.  s.  w.).  Mit  Leder  war  der  auf  dem 
Wasser  schwimmende  geflochtene  Kahn  überzogen,  mit  Stiersehnen 
das  Lederkleid  zusammengenäht,  Hesiod.  O.  et  d.  544: 


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Urzeit.  15 

Nähe  dir  Häute  zusammen  mit  Sehnen  des  Stiers  — , 

mit  Ri^[xien  die  Spitze  am  Pfeil  und  am  Speer  befestigt,  das  Zug- 
thier  vor  dem  Wagen  angeschirrt  und  die  Peitsche,  die  zum  An- 
treiben diente,  bewafEnet.  Ein  viel  erlegtes,  auch  zur  Nahrung 
dienendes  Thier  war  der  Biber,  der  durch  ganz  Europa  die  Seen 
und  Flüsse  dicht  bevölkerte  (lat.  fiber^  keltisch  hAer^  biber,  wonach 
die  gallischen  Städte  Bibrax  und  Bibracte  benannt  waren,  ahd. 
pipar,  büntTy  mhd.  biber^  ags.  beofor^  altn.  W/r,  preussisch  und  lit. 
bebmsy  slavisch  bobrü,  auch  bebrü,  bUbrü;  im  Griechischen  ist  das 
Wort,  wie  auch  das  Thier  in  Griechenland,  frühe  imtergegangen, 
dafür  aber  von  Europa  in  den  Orient  gedrungen,  Frahn  Ibn-Foszlan 
S.  57).  Zum  Bogen  diente  besonders  das  Holz  der  Eibe^),  zum 
Schaft  des  Speeres  das  der  Esche,  auch  des  Holunders  (axtia^  antij) 
und  Hartriegels,  zum  Schilde  ein  Geflecht  aus  Ruthen  der  Weide 
(trug,  ixia  =  Schild);  die  Bäume  des  Urwaldes,  von  riesenhaftem 
Wachsthum,  wurden  durch  Feuer  und  mit  der  steinernen  Axt  zu  un- 
geheuren Böten  ausgehöhlt.  Auf  dem  Raderwagen,  einer  frühe  er- 
fundenen Maschine,  die  ganz  aus  Holz  zusammengefügt  war  und  an 
welcher  Holzpflöcke  die  Stelle  der  spätem  eisernen  Nägel  vertraten, 
ward  die  Habe  der  Wanderer,  ihre  Melkgeftsse,  Felle  u.  s.  w.  mit- 
gefahrt').  Die  Wolle  der  Schafe  ward  ausgerupft*)  und  zu  Filz- 
decken und  Filztüchem  zusammengestampft,  besonders  zum  Schutze 
des  Hauptes  (gr.  nikng^  lat.  pileus^  piUeus  der  Hut,  germanisch  und 
slavisch  mit  erweitertem  Stamm:  Füz^  plüsti^  Hesiod.  0.  et  d.  545: 

über  das  Haupt  dir 
Setze  geformeten  Filz,  vor  Nässe  die  Ohren  zu  schützen.) 

Aus  dem  Bast  der  Bäume,  besonders  der  Linde,  imd  aus  den  Fasern 
der  Stengel  mancher  Pflanzen,  besonders  der  nesselartigen,  flochten 
die  Weiber  (das  Flechten  ist  eine  uralte  Kunst,  die  Vorstufe  des 
Webens,  dem  es  oft  sehr  nahe  kommt)  Matten  und  gewebeartige 
Zeuge  und  Jagd-  und  Fischemetze.  Milch  und  Fleisch  war 
die  Nahrung,  das  Salz  ein  begehrtes  Gewürz,  das  aber  schwer  zu 
erlangen  war  und  dem  am  Meeresufer,  in  der  Pflanzenasche  u.  s.  w. 
nachgegangen  wurde.*)  Je  weiter  nach  Süden,  desto  leichter  wurde 
es,  das  Vieh  zu  überwintern,  das  im  höhern  Norden  während  der 
rauhen  Jahreszeit  nur  kümmerlich  unter  dem  Schnee  seine  Nahrung 
fand  und  unter  ungünstigen  Umstanden  massenhaft  zu  Grunde  gehen 
musste  —  denn  der  Heerde  ein  Obdach  zu  schaffen  und  getrocknetes 
Gras  für  den  Winter  aufzubewahren,  sind  Künste  spätem  Ursprungs, 


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16  Urzeit 

die  sich  erst  im  Gefolge  des  ausgebildeten  Ackerbaues  einfandeD. 
Auch  die  Race  der  Hausthiere  war  eine  geringe,  das  Schwein  z.  B. 
das  kleine  sogenannte  Torfschwein,  und  stand  vod  der  spätem  durch 
Kultur  und  Verkehr  veredelten,  die  wir  jetzt  vor  Augen  haben,  noch 
weit  ab.  Zar  Wohnung  für  den  Menschen  diente  im  Winter  die 
unterirdische,  künstlich  gegrabene  Höhle,  von  oben  mit  einem  Rasen- 
dach oder  mit  Mist  verdeckt^),  im  Sommer  der  Wagen  selbst  oder 
in  der  Waldregion  die  leichte,  aus  Holz  und  Flechtwerk  errichtete 
zeltäbnliche  Hütte.  Der  Natur  der  Sache  nach  musste  bei  einem 
viehschlachtenden  Volke  die  Kampfsitte  blutig  und  die  Strafe  grau- 
sam sein;  Wuth  und  Rache,  Raub-  und  Beutegier  bildeten  die  An- 
triebe, List  und  Hinterhalt  und  Ueberfall,  wie  auf  der  Jagd  dem 
Thiere  gegenüber,  die  Formen  und  Mittel  des  Kriegs;  die  Gefange- 
nen wurden  geschlachtet,  wie  bei  den  Cimbem,  ja  noch  den  Ger- 
manen des  Tacitus,  die  Sclaven  zu  grösserer  Sicherheit  verstümmelt; 
der  Sieger  trank  von  dem  Blute  des  erlegten  Feinden,  der  Him- 
schädel  diente  ihm  beim  Schmause  zur  Schale  und  zu  überm üthiger 
Erinnerung^).  Greise,  wenn  sie  zum  Kampfe  kraftlos  geworden, 
gingen  freiwillig  in  den  Tod  oder  wurden  gewaltsam  erschlagen,  ähn- 
lich auch  unheilbare  Kranke®).  Bei  religiösen  Festen  und  Sühn- 
opfern floss  reichlich  Menschenblut;  dem  Häuptling  folgten  seine 
Knechte,  Weiber,  Pferde  imd  Hunde  in  das  Grab  nach^);  die  Frau 
wurde  geraubt  oder  gekauft,  das  Neugeborene  vom  Vater  aufgehoben 
oder  verworfen  und  ausgesetzt  (Grimm  R.-A.  455:  „Von  Aussetzung 
der  Kinder  sind  alle  Sagen  voll,  nicht  allein  deutsche,  auch  römische, 
griechische  und  des  ganzen  Morgenlandes.  Es  lässt  sich  nicht 
zweifeln,  dass  diese  grausame  Sitte  in  der  Rohheit  des  Heidenthums 
rechtlich  war.**)  Die  Naturkräfte,  deren  Gegenwart  mit  dumpfem 
Schauer  empfunden  wurde,  hatten  noch  keine  menschlich -persön- 
liche Gestalt  angenommen:  der  Name  Gottes,  dessen  lateinische  Form 
deus  ist,  bedeutete  noch  Himmel  (das  von  den  Finnen  erborgte 
litauische  devas^  preuss.  deivas  hat  bei  ihnen  noch  heute  den  Sinn 
von  Himmel,  finnisch  taivas^  estnisch  taevas,  livisch  tövas)^  und  wäh- 
rend in  dem  indischen  Varuna  schon  ethische  Motive  entwickelt 
sind,  hat  in  dem  griechischen  Uranos  der  Process  der  Personification 
kaum  erst  angesetzt.  Das  Loos  entschied  bei  wichtigen  oder  un- 
gewöhnlichen Begegnissen  und  Entschlüssen i®);  Vorbedeutung  und 
Aberglaube  bestimmten  alles  Thun  und  Lassen;  Zauberformeln  lösten 
die  Fesseln  des  Gefangenen  und  gaben  der  Waffe  übernatürliche 
Kraft;  die  Wunden,  die  die  Axt  gerissen,  wurden  durch  Besprechung 

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Urzeit.  17 

geheilt,  ebenso  das  hervorspritzende  Blut  gestillt  (ein  solcher  Be- 
schwörer hiess  gothisch  lekeis^  leikeis^  slavisch  Ufkari^  altirisch  Ueiff^ 
Uagh,  Zeus»   19;  Od.  19,  456: 

TDnd  sie  Terbanden  zugleich  des  untadligen  hohen  Odjsseus 
Wunde  geschickt  und  stillten  das  dunkele  Blut  mit  Beschwörung. 

Noch  bei  Pindar  Pyth.  3,  51  drei  Arten  der  Behandlung  des  Eoun- 
ken:  durch  Beschwörung,  inaoidri^  auch  Inal  Gebet  zu  den  Göttern, 
durch  Salben  und  Tränke^  durch  Schneiden  mit  dem  Messer). 
Wie  in  der  religiösen  Anschauung  die  Verwandlung  der  Natur- 
mächte in  dämonische  Personen  sich  noch  nicht  vollzogen  oder  eben 
erst  begonnen  hatte,  so  halteten  auch  im  Zusammenleben  der  Men- 
schen die  unmittelbaren  Naturformen :  aus  dem  Familienverbande 
und  der  Herrschaft  des  Patriarchen  ging  in  weiterem  Wachsthum 
der  erst  engere,  dann  umfassendere  Zusammenhang  des  Stammes 
hervor  (Wörter  wie  nolig^  populus,  goth.  thiuda  u.  s.  w.  sehen  wir 
erst  allmahlig  in  das  Reich  der  Freiheit,  d.  h.  zu  politischen  Be- 
griffen emporsteigen).*^)  Als  Auszeichnung  adeliger  Geschlechter 
findet  sich  in  historischer  Zeit  die  Tätowirung,  vielleicht  ein  Rest 
uralter  Sitte,  da  sie  bei  entfernten  Gliedern  des  grossen  Stammes 
wiederÄhrt,  so  bei  Gelonen  und  Agathyrsen  (Mela  2,  1,  10:  Aga- 
%r»  ora  artusque  pingunt:  ut  quique  majoribus  praestanty  ita  magis 
vd  minus:  ceterum  iisdem  omnes  noiiSy  et  sie  ut  ahlui  negueant)^  bei 
Thrakern  (schon  bei  Herodot  5,  6,  also  vor  der  keltischen  Zeit), 
Sarmaten,  Daken,  den  Briten  auf  ihrer  entlegenen  Insel,  welche 
letztere  danach  benannt  waren  (altirisch  brit^  kambrisch  breith 
=  vwriegatus^  auch  die  Picti  möglicher  Weise  nur  die  lateinische 
Uebersetzung  von  Briten,  Britten).  Bei  der  Aufstellung  zum  Kriege 
herrschten  schon  die  Zahlen  des  Decimalsystems  —  eine  erste  Re- 
gimg der  Abstraction,  doch  war  der  Begriff  tausend,  da  das  Wort 
dafür  fehlt,  noch  nicht  aufgegangen^*).  Im  Uebrigen  bildete  die 
Sprache  einen  verhältnissmässig  intakten,  viel  gegliederten,  von  le- 
bendigen Gesetzen  mnerlich  beherrschten  Organismus,  wie  er  nach 
Jahrtausenden  die  Freude  und  Bewunderung  des  Grammatikers  ist 
und  wie  er  nur  im  Dunkel  eingehüllten  Geistes  und  unmittelbaren 
Bewusstseins  wächst  und  sich  entfaltet  —  mit  dem  erwachenden 
Denken  beginnt  die  lästige,  wuchernde  Formen- Vegetation  und  die 
paradiesische  Klangfülle  allmahlig  abzusterben.  —  Dies  etwa  war 
der  Zustand  jener  Wandervölker  zur  Zeit  ihrer  Ausbreitung  in 
Europa,  —  so   weit   wir   ihn   nach  einigen  seiner  allgemeinen  Züge 

VicL  Httliii«  Koltarpflanxen.  2 

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18  Urzeit. 

im  Geiste  wiederherstellen  können.  Eine  Vergleichung  gewähren 
etwa  die  Andeutungen  des  Alten  Testaments  über  die  kriegerische 
Einwanderung  semitischer  Hirtenvölker  in  Palästina:  dort  traten  den 
Eanaanitem  wilde  Ureingeborne  entgegen,  die  später  als  Riesen  ge- 
dacht wurden  und  die  in  einigen  Besten  noch  bestanden,  als  ganz 
zuletzt  die  Beni-Israel  in  dem  Lande  ihrer  vorausgegangenen  Stamm- 
genossen gewaltsam  sich  festsetzten.  So  mögen  auch  die  Indo- 
germanen  in  Europa  ursprüngliche  Bewohner  vorgefunden  haben,  die 
sie  ausrotteten,  oder  mit  denen  sie  sich  vermischten:  im  Osten  die 
Finnen,  ein  sehr  tief  stehendes  Jägervolk,  das  die  Wolle,  das  Salz 
und  den  Räderwagen  nicht  kannte  und  nicht  einmal  bis  hundert 
zählte,  im  Westen  und  Süden  die  Iberer  und  vielleicht  die  Libyer, 
von  deren  Kulturstufe  wir  nichts  wissen.  Ein  anderes  noch  lehr- 
reicheres, in  ganz  historische  Zeit  fallendes  Beispiel  bietet  der  grosse 
Eroberungszug  der  Türken  durch  Asien  und  die  Niederlassung  dieses 
nomadischen  Stammes  auf  dem  weiten  von  ihm  überschwemmten 
Boden.  Die  Türken  freilich  —  und  dies  könnte  geeignet  sein,  die 
Analogie  wieder  etwas  einzuschränken  —  trieben  nicht  ihre  Rinder- 
heerden  vor  sich  her,  sondern  kamen  auf  dem  geschwinden  Ross, 
das  sie  und  ihre  Zelte  durch  die  Weite  trug  —  und  hier  erhebt  sich 
die  schwierige  Frage,  ob  auch  die  Indoeuropäer  schon  mit  dem  ge- 
zähmten Pferde  in  Europa  einwanderten  oder  es  erst  nachmals  er- 
hielten? Wir  haben  oben  unter  den  Grabesopfem  auch  die  Pferde 
des  Bestatteten  mit  aufgeführt  —  wie,  wenn  wir  damit  einen  Ana- 
chronismus begangen  hätten?  Humboldt,  Central- Asien,  1,  436  sagt: 
„die  Innere  (Kirghisen)  Horde  bewohnt  einen  Theil  der  Gegenden, 
in  welchen  vormals  dieselben  Kalmuk-Turguten  nomadisirten,  welche 
von  der  chinesischen  Grenze  gekommen  waren  und  in  der  Nacht  des 
5.  Januar  1771  mit  ihren  30,000  Jurten  davonzogen,  um  auf  einem 
400  Meilen  langen  Marsche  kriegführend  die  Ebenen  der  Dsun- 
garei  zu  erreichen.  Diese  Wanderung  von  150,000  Kahnuken,  be- 
gleitet von  ihren  Frauen,  Kindern  und  Heerden,  vor  etwa  70  (jetzt 
über  100)  Jahren,  ist  eine  historische  Thatsache,  welche  auf  die 
alten  Einfälle  asiatischer  Völker  in  Europa  grosses  Licht 
wirft"  Diese  Bemerkung  des  tiefblickenden  Meisters  (für  welche 
wir  bereit  wären,  ein  Dutzend  sog.  indogermanischer  Idyllen,  so 
reizend  ihr  Colorit  ist,  herzugeben)  wollen  wir  uns  gesagt  sein  lassen 
und  nicht  vergessen  —  aber  die  Karren  und  Heerden  der  Kalmuken 
waren  von  kriegerischen  Reitern  umschwärmt  und  so  ging  der  Zug 
unaufhaltsam  und  sicher  fort:    dürfen    wir    uns    den   frühesten  Ein- 

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Das  Pferd.  19 

brach  aus  Asien  aach  schon  ähnlich  ausgerüstet  denken?  Wir  ver- 
suchen im  Folgenden  die  Hauptzüge  der  ältesten  Geschichte  des 
Pferdes  zusammenzustellen  und  dadurch  vielleicht  einige  Wahrschein- 
lichkeit für  oder  wider  zu  gewinnen. 


Das  Pferd. 

(equus  cabaüus.) 

Das  edle  Ross,  der  Liebling  imd  Begleiter  des  Helden,  die 
Freude  der  Dichter,  die  es  in  prächtigen  Schilderungen  verherrlicht 
haben,  z.  B.  der  Verfasser  des  Buches  Hiob  im  39.  Kapitel  oder 
Homer  in  der  Hias  6,  506: 

Gleichwie  das  Ross,  das  lang  im  Stall  sich  genährt  au  der  Krippe, 
Seine  Fessel  zerreisst  und  stanopfenden  Hufs  durch  die  Ebne 
Rennt,  sich  zu  baden  gewohnt  in  dem  schönhinwallenden  Strome, 
Strotzend  von  Kraft;  hoch  tragt  es  das  Haupt  und  umher  an  den  Schultern 
Flattern  die  Mähnen  empor;  im  Gefühl  der  eigenen  Schönheit 
Tragen  die  Schenkel  es  leicht  zur  gewohnten  Weide  der  Stuten,  — 
So  schritt  Priamos  Sohn  von  Pergamos  Veste  hernieder, 
Paris  im  leuchtenden  Waffenglanz,  der  Sonne  vergleichbar. 
Freudig  und  stolz,  rasch  trugen  die  Schenkel  ihn  — 

oder  Tergil  Georg.  3,  83: 

tum^  «  qua  sonum  procul  arma  dedere, 
Stare  loco  nescit,  micat  aurihus  et  tremit  artus^ 
CoTÜectumque  fremens  volvit  sub  narihus  ignem  — 

—  dies  glänzende,  stolze,  aristokratische,  rhythmisch  sich  bewegende, 
schaudernde,  nervöse  Thier  hat  doch  für  die  gegenwärtige  Erdepoche 
seine  Heimath  in  einer  der  rohesten  und  unwirthlichsten  Gegenden 
der  Welt,  den  Kiessteppen  und  Wcideflächen  Centralasiens,  dem 
Tummelplatz  der  Stürme.  Dort  schwärmt  es  noch  jetzt,  wie  ver- 
sichert wird,    im  wilden  Zustande  imter  dem  Namen  Tarpan  umher, 

—  welcher  Tarpan  sich  nicht  immer  von  dem  bloss  verwilderten 
Masin,  dem  Flüchtling  zahmer  oder  halbzahmer  Heerden,  unter- 
scheiden lässt.  Es  weidet  gesellig,  unter  einem  wachsamen  Führer, 
dem  Winde  entgegen  vorschreitend,  mit  den  Nüstern  und  Ohren 
immer  der  Gefahr  gewärtig,  und  weil  phantasievoll,  nicht  selten  von 
panischem  Schreck  ergriffen  und  unaufhaltsam  durch  die  Weite  ge- 

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20  Das  Pferd. 

jagt.  Während  des  fürchterlichen  Steppenwinters  scharrt  es  den 
Schnee  mit  den  Hufen  weg  und  nährt  sich  dürftig  von  den  drunter 
befindlichen  abgestorbenen  Gramineen  und  Chenopodeen.  Es  hat  eine 
reich  wallende  Mähne  und  einen  buschigen  Schweif,  bei  Einbruch 
der  Winterkälte  wächst  ihm  das  Haar  am  ganzen  Leibe  zu  einer 
Art  dünnen  Pelzes.  In  eben  jener  Weltgegend  lebten  auch  die  ur- 
sprunglichsten Reitervölker,  von  deneü  wir  Kunde  haben,  im  Osten 
die  Mongolen,  im  Westen  die  Türken,  beide  Namen  im  weitesten 
Sinne  genommen.  Noch  jetzt  ist  die  Existenz  dieser  Racen  an  die 
des  Pferdes  gebunden.  Der  Mongole  hält  es  für  eine  Schande,  zu 
Fuss  zu  gehen,  sitzt  stets  zu  Rosse  und  bewegt  sich  und  steht  auf 
der  Erde,  als  wäre  er  in  ein  fremdes  Element  versetzt.  Ehe  der 
kleine  Knabe  noch  gehen  kann,  wird  er  auf  das  Pferd  gehoben  und 
klammert  sich  an  die  Mähne;  so  wächst  er  im  Verlauf  der  Jahre 
auf  dem  Rücken  des  Thieres  auf  und  wird  zuletzt  ganz  eins  mit 
diesem.  Auch  der  mongolischen  Körperbildung  hat  diese  Lebensart, 
von  Geschlecht  zu  Geschlecht  Jahrtausende  lang  fortgesetzt,  ihr 
unterscheidendes  Gepräge  gegeben.  Die  Beine  des  Mongolen  sind 
säbelförmig  gebogen,  der  Gang  ist  schwerfällig  und  der  Oberkörper 
nach  vom  gebeugt;  auch  innerhalb  des  Zeltes  gleicht  sein  unstat 
umherspähender  Blick  dem  des  Reiters  in  der  unermesslichen  Steppe, 
der  nach  allen  Seiten  ausschauend  eine  Meile  weit  die  kleinste  Staub- 
wolke am  Horizonte  entdeckt.  Der  Reichthum  des  Einzelnen  besteht 
in  der  Zahl  und  Grösse  seiner  in  halbwildem  Zustand  weidenden 
Tabuns ;  bedarf  er  in  gegebenem  Falle  eines  jungen  Thieres,  so  wird 
dieses  mit  der  Schlinge  eingefangen.  Die  Milch  der  Stuten  ist  das 
Getränk  und  das  Berauschungsmittel  (es  gehört  viel  Uebung  und 
Kraft  dazu,  die  Stuten,  nachdem  sie  gekoppelt  worden,  zu  melken), 
das  Pferdefleisch  die  gewohnte  und  liebste  Nahrung.  Bei  den  jetzi- 
gen Mongolen  hat  freilich  der  Buddbismus  die  letztere  Speise  aus- 
zurotten gesucht  und  der  Lama  wenigstens  hütet  sich  in  frommer 
Enthaltsamkeit,  davon  zu  kosten.  Auch  das  Fell  und  das  Haar  de& 
Pferdes  ist  dem  Mongolen  nutzbar:  aus  dem  erstem  werden  die  Rie- 
men geschnitten,  die  ihm  so  unentbehrlich  sind,  das  letztere  dient 
zu  Stricken  und  Sieben  und  aus  dem  Felle  der  jungen  Füllen  wer- 
den die  Kleider  zusammengenäht. 

Von  dem  breiten  Rücken  des  Welttheils  stieg  das  Thier  nach 
allen  Seiten  bis  in  die  Hochgebirge  des  nördlichen  Indien  hinauf 
und  in  die  Flüssthäler  Turkestans,  in  die  Landschaften  und  Wüsten 
des  Jaxartes  und  Oxus  hinab.    Dort  ist  das  Pferd    des  Turkmenen 

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Das  Pferd.  21 

noch  jetzt  von  ungemeiner  Kraft,  Ausdauer  und  Klugheit  Mit  ge- 
ringem Mundvorrath  versehen  macht  der  Turkmene  Ritte  von  hun- 
dert Kilometern,  ohne  zu  rasten,  überfällt  und  plündert,  und  ver- 
schwindet, ehe  der  Beraubte  noch  zur  Besinnung  gekommen.  Oft 
übernachtet  der  Reiter  schlafend  auf  seinem  Thiere,  mitten  in  der 
Wüste,  ohne  diesem  einen  Tropfen  Wasser  bieten  zu  können.  Auch 
Hebt  er,  nach  Vambörys  Worteo,  sein  Ross  mehr  als  Weib  und 
Kind,  mehr  als  sich  selbst;  es  ist  rührend,  mit  welcher  Sorgfalt  die- 
ser rohe,  habgierige  Sohn  der  Wüste  sein  Thier  aufzieht,  wie  er  es 
hütet,  gegen  Frost  und  Hitze  kleidet  und  mit  Zaum  und  Sattelzeug 
nach  B>aften  Aufwand  treibt.  Auch  in  den  Augen  des  Kirgisen  ist 
das  Pferd  der  Inbegriff  aller  Schönheit.  „Er  Hebt  sein  Pferd  mehr 
als  seine  Geliebte  und  schöne  Pferde  verleiten  auch  den  ehrlichsten 
und  angesehensten  Mann  zum  Diebstahl**  (W.  Radioff  in  der  Zeitschr. 
for  Ethnologie,  3,  S.  301).  Doch  ist  zu  bemerken,  dass  die  turk- 
menische Race,  obwohl  dem  Kerne  nach  einheimisch,  doch  stark 
mit  arabischem  Blute  gekreuzt  ist  und  dieser  Mischung  einen  Theil 
ihrer  edlen  Eigenschaften  verdankt. 

Dass  das  Pferd  auch  westlich  von  Turkestan  das  Steppengebiet 
des  heutigen  südöstlichen  und  sQdlichen  Russland  bis  zum  Fusse  der 
Earpathen  in  ursprünglicher  Wildheit  durchstreifte,  kann  glaublich 
erscheinen,  weniger,  dass  sogar  die  Waldregion  Mitteleuropas  einst 
von  Radeln  dieser  Thiere  belebt  gewesen.  Und  doch  liegt  eine  Reihe 
historischer  Zeugnisse  vor,  die  diese  letztere  Thatsache  ausser  Zweifel 
zu  stellen  scheinen.  Von  spanischen  wilden  Pferden  berichtet 
Varro  de  r.  r.  2,  1,  5:  equi  feri  in  Hispaniae  citerioris  rec/ionibus 
<diquot^  und  ebenso  Strabo  3,  4,  15:  „Iberien  trägt  viele  Rebe  und 
wilde  Pferde  (jLTtnovg  ayQiovg),^  In  den  Alpen  lebten,  wie  wilde 
Stiere,  so  auch  wilde  Pferde  (Strab.  4,  6,  10),  und  nicht  bloss  in 
den  Alpen,  sondern  im  Norden  überhaupt,  Plin.  8,  39:  septen- 
irio  fert  et  equorum  greges  ferorum.  Auch  im  Mittelalter  fehlt  es 
nicht  an  Belegen  für  die  Existenz  wilder  Pferde  in  Deutschland  und 
in  den  von  Deutschland  östlich  gelegenen  Landen.  Zur  Zeit  des 
Tenantius  Fortunatus  wird  in  den  Ardennen  oder  Vogesen  neben 
dem  Bären,  Hirschen  und  Eber  auch  der  onager  gejagt,  worunter 
—  wenn  das  Wort  nicht  bloss  eine  poetische  Floskel  ist  —  das 
wilde  Pferd  verstanden  werden  kann,  ad  Gogonem,  Miscell.  7,  4,  19 : 
Ardennae  an  Vosagi  cervi,  caprae,  helicis  ursi 
Caede  sagittifera  Silva  fragore  tonat? 

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22  Das  Pferd. 

Seu  validi  bufali  ferit  inter  comtia  campum, 

Nee  mortem  differt  ursus,  onager,  apert 
In  Italien  sah  man  wilde  Pferde  zum  ersten  Mal  während  der  longo- 
bardischen  Herrschaft,  unter  dem  König  Agilulf,  PauL  Diac.  4,  11: 
iunc  primum  cabaUi  silvatici  et  bubali  in  Italiam  delati  Italiae  po- 
pults  miracula  fnerunt,  Papst  Gregorius  3  schreibt  um  732  an  den 
heil.  Bonifacius  (Bonifac.  ep.  28  bei  Jaff^,  Mon.  Mog.  p.  91  ff.): 
„Du  hast  Einigen  erlaubt,  das  Fleisch  von  wilden  Pferden  zu  essen, 
den  Meisten  auch  das  von  zahmen.  Von  nun  an,  heiligster  Bruder, 
gestatte  dies  auf  keine  Weise  mehr."  Der  Apostel  der  Deutschen 
war  also  bis  dahin  in  diesem  Punkt  liberal  gewesen  —  vielleicht 
weil  er  einen  Gebrauch,  der  dem  Italiener  in  Rom  gräulich  erschien, 
auf  seiner  heimathlichen  Insel  von  früher  Jugend  an  gekannt  und 
selbst  geQbt  hatte?  Unter  den  von  dem  St.  Galler  Mönch  Ekkehard 
dem  vierten  herrührenden  Segenssprüchen  zu  den  bei  dem  gemein- 
samen Mahl  aufgetragenen  Speisen  (vom  Jahr  1000  oder  bald  nach- 
her, herausgegeben  von  Ferdinand  Keller  in  den  Mittheil,  der  antiqu, 
Ges.  in  Zürich,  III,  2,  S.  99  ff.)  bezieht  sich  einer  auch  auf  das 
Fleisch  vom  wilden  Pferde,  das  also  von  den  frommen  Vätern  des 
einst  in  der  Wildniss  gegründeten  Klosters  noch  genossen  wurde, 
V.  127: 

Sit  feralis  equi  caro  dulcis  in  hoc  cruce  Christi, 

Der  Winsbeke  spricht  in  Strophe  46  (Weingartner  Liederhandschrift 
S.  217)  die  Erfahrung  aus:  „Ein  Fohlen  in  einer  wilden  Heerde 
Pferde  wird,  eingefangen,  eher  zahm,  als  dass  ein  ungerathener 
Mensch  in  seinem  Innern  Scham  empfinden  lerne": 

ein  vol  in  einer  wilden  stuot 

un  üzgeyangen  "wirt  S  zam, 

e  daz  ein  ungeraten  lip 

gewinne  ein  herze  daz  sich  schäm. 
Im  Sachsenspiegel,  da  wo  die  Gerade  der  Frau  bestimmt  wird  (d.  h. 
die  fahrende  Habe  derselben),  sagt  die  Glosse,  wilde  Pferde,  die 
man  nicht  immer  in  Hut  behalte,  seien  dazu  nicht  zu  rechnen,  1,  24: 
hir  pruve  biy  dat  wilde  Perde,  de  men  al  tit  nicht  unhut,  de  un  hären 
hir  tu  nicht  In  einer  westphälischen  Urkunde  vom  Jahre  1316  (bei 
Venantius  Kindlinger,  Münsterische  Beiträge,  Münster  1787,  I,  Urk. 
no.  8,  S.  21)  wird  einem  gewissen  Hermann  die  Fischerei  im  gan- 
zen Walde  und  die  wilden  Pferde  und  die  Jagd,  die  Vi^ildforst  ge- 
nannt wird,  zugetheilt:  item  recognoscimus  quod  piscatura  per  totum 
nemus  pertinet  Eermanno  praedicto  et  vagi  equi  et  venatio  dicta  wüt- 

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Das  Pferd.  23 

forst.  Ja  nicht  bloss  zur  Zeit  der  Merovinger,  noch  am  Ende  des 
16.  Jahrhunderts  lebten  solche  wilde  Pferde  in  dem  Vogesengebirge, 
der  rauhen  Kriegs-  und  Grenzscheide  zweier  Racen,  —  wie  Heli- 
saeus  Rosslin,  des  Elsäss  und  gegen  Lotringen  grentzenden  wass- 
gawischen  Gebirgs  Gelegenheit,  Strassburg  1593,  S.  21,  ausführlich 
berichtet:  „die  in  ihrer  Art  viel  wilder  und  scheuer  sind,  dann  in 
vielen  Landen  die  Hirsch,  auch  viel  schwerer  und  mühsamlicher  zu 
£u3gen,  eben  so  wohl  in  Garnen  als  die  Hirsch,  so  sie  aber  zahm 
gemachet,  das  doch  mit  viel  Muh  und  Arbeit  geschehen  muss,  sind 
es  die  allerbesten  Pferd,  spanischen  und  türkischen  Pferden  gleich, 
in  vielen  Stücken  aber  ihnen  fürgehen  und  härter  seind,  dieweil  sie 
sonderlich  der  Kälte  gewohnet,  und  rauhes  Futters,  im  Gang  aber 
und  m  den  Füssen  fest,  sicher  und  gewiss  seind,  weil  sie  der  Berg 
and  Felsen,  gleich  wie  die  Gemsen,  ge wohnet."  Fanden  sich  solcher- 
gestalt wilde  Pferde  in  dem  kultivirten  West-  und  Süddeutschland, 
so  mussten  sie  sich  in  den  Wildnissen  an  der  Ostsee,  in  Polen  und 
Russland  um  so  länger  erhalten.  Hier  sind  in  der  That  die  Zeug- 
nisse bis  in  die  neuere  Zeit  hinab  zahlreich.  Das  Land  der  Pom- 
mern war  zur  Zeit  des  Bischofs  Otto  von  Bamberg,  also  in  der 
ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts,  reich  an  aller  Art  Wild,  darunter 
auch  wilde  Ochsen  und  Pferde,  Herbordi  vita  Ottonis  bei  Pertz  XX, 
p.  745;  bubahrum  et  equulorum  agrestium  .  .  .  copia  redundat  omnis 
promTicia.  Um  die  gleiche  Zeit  gab  es  auch  in  Schlesien  ungezähmte 
Pferde:  der  Canonicus  Wissegradensis,  der  Fortsetzer  des  Cosmas, 
berichtet  zum  Jahr  1132,  bei  Pertz  SS.  IX,  p.  138:  Interea  dux 
Sobeslam  (der  Schwager  des  Königs  Bela  von  Ungarn)  .  .  .  Poloniam 
cum  exercitu  suo  15  Kai,  Novembris  intt^avif  totamque  pariem  üUtcs 
regicnü  quae  Sleszko  (Schlesien)  vocatur  penitus  igne  consumpsit 
Mvltos  etiam  captivos  cum  innumera  pecunia  nee  non  indomitarum 
equarum  ffreges  non  paucos  inde  secum  additxit  Bekannt  ist  und 
durch  viele  literarische  Erwähnungen  wird  bestätigt,  dass  in  Preussen 
bis  zum  Zeitalter  der  Reformation,  ja  noch  später,  die  Wälder  von 
wilden  Pferden  bevölkert  waren.  Toppen,  Geschichte  Masurens, 
Danzig  1870,  S.  XVII:  „In  Ordenszeiten  jagte  man  wilde  Rosse,  so 
wie  anderes  Wild,  vorzuglich  um  ihrer  Häute  willen.  Noch  Herzog 
Albrecht  erliess  um  1543  ein  Mandat  an  den  Hauptmann  zu  Lyck, 
in  welchem  er  ihm  anbefahl,  für  die  Erhaltung  der  wilden  Rosse  zu 
sorgen"  (s.  auch  denselben  in  den  Preussischen  Provinzialblättern 
1839,  Bd.  22,  S.  481  und  den  Neuen  Pr.  Prov.  Bl.  1847,  Bd.  4, 
S.  453).     Auch  für  Polen  und  Litauen  gehen  die  Hinweisungen  auf 

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24  Da«  Pferd. 

das  Pferd  als  Jagdthier  bis  tief  in  das  17.  Jahrhundert  hinab  (so 
bei  Goillebert  de  Lannoy  1399  — 1450,  Simon  Grünau,  schrieb 
zwischen  1516  und  1527,  Matthias  a  Michovia,  1521  herausgekom- 
men, Herberstein  u.  s.  w.),  für  Russland  genüge  die  merkwürdige 
Aussage  des  Fürsten  von  Tschemigow,  Wladimir  Monomach  (er 
lebte  von  1053  bis  1125),  der  in  seiner  hinterlassenen  Mahnung  an 
seine  Söhne  (erhalten  in  der  sog.  Lawrentischen  Chronik)  über  sich 
selbst  berichtet:  „Aber  in  Tschemigow  that  ich  dies:  ich  fing  und 
fesselte  eigenhändig  zehn  bis  zwanzig  wilde  Pferde  lebendig;  und 
als  ich  längs  dem  Flusse  Rossj  ritt  (so  wird  jetzt  gelesen:  in  der 
auch  sonst  sehr  fehlerhaften  Handschrift  steht  das  sinnlose  po  Rovi ; 
der  genannte  Fluss  Rossj  bildete  eine  Art  Grenzscheide  zwischen 
den  Russen  und  den  wilden  türkischen  Polowzem),  fing  ich  mit  den 
Händen  eben  solche  wilde  Pferde." 

Zur  richtigen  Beurtheilung  dieser  Stellen  ist  vor  Allem  Folgen- 
des zu  erwägen.  Bei  den  europäischen  Völkern  wurde  in  ältester 
historischer  Zeit  das  Pferd  gehalten  wie  bei  den  asiatischen  Nomaden : 
es  weidete  abseits,  fem  von  der  Niederlassung,  in  ganzen  Heerden, 
im  halbwilden  Zustande  (eine  solche  Heerde  hiess  ahd.  stuot^  ags 
und  altn.  stod^  lit.  stodas^  slav.  stado)^  und  wurde  hervorgeholt,  wenn 
die  Gelegenheit  sich  bot,  es  zu  brauchen.  War  ein  herangewachse- 
nes Thier  dazu  bestimmt,  den  Herrn  auf  einem  Zuge  zu  begleiten, 
so  wurde  es  eingefangen,  durch  energische  Mittel  gezähmt  —  wobei 
manches  Individuum  durch  Erdrosselung  zu  Gmnde  gehen  musste 
—  und  flog  dann  mit  seinem  Reiter  windschnell  durch  die  Weite. 
Wenn  es  im  altnordischen  Hävamäl  heisst: 

Füttere  das  Rosa  daheim. 

Den  Hund  auswärts, 
so  ist  dies  schon  eine  spätere  Regel,  die  ungeföhr  dasselbe  sagt,  wie 
das  griechische,  auch  unter  uns  gebräuchlich  gewordene  Sprichwort: 
des  Herrn  Auge  macht  die  Pferde  fett.  Die  Freiheit  aber,  in  der 
in  früherer  Zeit  die  junge  Zucht  aufwuchs,  musste  häufig  Anlass  zu 
völliger  Verwilderung  einzelner  Thiere  oder  ganzer  Heerden  geben. 
Jene  rissen  sich  los,  so  die  Stuten  in  der  Zeit  der  Brunst,  und  ver- 
irrten sich,  diese  stürzten,  von  Wölfen  verfolgt  oder  von  Moskitos 
gepeinigt,  sinnlos  in  die  Weite  fort;  so  wurden  sie  als  freie  Bewoh- 
ner der  buschigen  Wildniss  Gegenstand  der  Jagd,  wie  Hirsche  und 
Elene.  Gegen  die  Annahme,  dass  das  mittlere  Europa  bis  nach 
Spanien  hin  zu  dem  natürlichen  Verbreitungsbezirk  des  Pferdes  ge- 
hört habe,  scheint  der  Umstand  zu  sprechen,    dass    dieser  Welttheil 

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Das  Pferd.  25 

Tor  Beginn  der  Eulturthätigkeit  des  Menschen  ein  dicht  verwachse- 
nes und  beschattetes  Waldgebiet  darstellte,  das  Pferd  aber  ein  auf 
Gras  als  seine  Nahrung  und  Schnelligkeit  als  seine  Waffe  zur  Rettung 
Yor  den  grossen  Raubthieren  berechnetes  flüchtiges  Steppenthier  ist. 
Die  Art,  wie  einige  der  oben  angeführten  Nachrichten  gefasst 
sind,  deutet  gleichfalls  mehr  auf  verwilderte,  als  auf  ursprünglich 
wilde  Pferde.  Weon  die  Pferde  der  Vogesen,  zwar  mit  Müh  und 
Arbeit,  aber  doch  mit  Erfolg  gezähmt  werden;  wenn  der  duaSobez- 
in«  von  einem  Kriegszuge  in  Schlesien  indomitarum  equarum  greges 
mit  heimführt  oder  in  jener  westphälischen  Urkunde  Fischerei,  Jagd 
and  die  vagi  equi  eines  Territoriums  einem  der  Theilhaber  zu- 
gesprochen werden;  eben  so  wenn  die  ungehüteten  Pferde  nicht  zu 
dem  Gute  der  Frau  zu  rechnen  sind,  so  ist  gewiss  die  Vermuthung 
gestattet,  dass  in  all  diesen  Fällen  nur  von  Flüchtlingen  berichtet 
wird.  So  konnten  auch  die  Thiere,  die  der  heilige  Otto  in  Pommern 
vorfand  oder  die  die  Ordensritter  in  Preussen  jagten,  zwar  in  der 
Wildniss  geboren  sein,  dennoch  aber  von  entlaufenen  Stuten  ab- 
stammen, und  dies  um  so  eher,  je  mehr  jene  noch  ungelichteten 
Gegenden  seit  Jahrhunderten  von  innem  Raub-  und  Kriegszügen 
heimgesucht  waren.  Noch  natürlicher  war  dies  im  Gebiet  von 
Tschemigow,  wo  der  Grossfürst  zehn  oder  zwanzig  unbändige  Pferde 
mit  eigener  Hand  fing  und  koppelte:  in  jenem  Grenzgebiet,  das  un- 
mittelbar an  die  nomadischen  Pferdevölker  stiess,  konnten  die  Wälder 
verlorenen  oder  verirrten  Thieren  der  Art  leicht  eine  Zuflucht  ge- 
boten haben.  Auch  sagt  der  Grossfürst  nicht,  er  habe  Pferde,  wie 
andere  Jagdthiere,  erlegt,  sondern  er  habe  sie  eingefangen  und  ge- 
fesselt d.  h.  mit  kräftigem  Aj-m  die  Schlinge  geführt,  die  auch  bei 
Halbzahmen  Heerden  in  Gebrauch  war.  Wir  fugen  noch  hinzu,  dass 
auch  die  um  den  See,  aus  dem  der  Hypanis  seinen  Ursprung  hatte, 
weidenden  wilden  Pferde  bei  Herodot  4,  52:  ^Innoi  ayQioi  Xevxo/ 
sich  durch  das  Prädikat  weiss,  Xevxoi^  als  geheiligte,  in  halber  Frei- 
heil  gehaltene  Heerden  verrathen. 

Kehren  wir  aus  dem  europäischen  Waldrevier  zu  der  ursprüng- 
lichen Heimath  des  Thieres,  dem  Steppengebiet  Asiens,  zurück,  so 
begegnet  uns  hier  weiter  die  bedeutungsvolle  Thatsache,  dass  je  ferner 
von  diesem  Ausgangspunkte  eine  Landschaft  gelegen  ist,  desto  später 
in  ihr  auch  historisch  das  gezähmte  Pferd  auftritt  und  desto  deut- 
licher die  Rossezucht  als  eine  von  den  Nachbaren  im  Osten  und 
Nordosten  abgeleitetete  erscheint. 

In  Aegypten,    um  mit   dem    entlegensten   Gliede   zu  beginnen, 

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26  I>a8  Pferd- 

hat sich  im  sogenannten  alten  Reiche  keine  Abbildung  eines  Rosses 
oder  eines  Kriegswagens  gefunden.  Erst  da  die  Epoche  der  Hirten- 
könige vorüber  ist,  beginnen  unter  der  achtzehnten  Dynastie  und  bei 
Gelegenheit  der  Kriegszöge,  die  dieselbe  unternahm  (etwa  um  das 
Jahr  1700  v.  Chr.),  die  bildlichen  Darstellungen  und  in  den  Papyrus, 
so  weit  deren  Lesung  mit  Sicherheit  gelungen  ist,  die  Erwähnungen 
des  Rosses  und  der  in  asiatischer  Weise  bespannten  Streitwagen 
(Brugsch,  Geschichte  Aegyptens,  Leipzig  1877,  S.  198.  273;  Chabas, 
Etudes  sur  Tantiquite  historique,  p.  413fF.).  Die  Vermuthung,  dass 
es  eben  das  Hirtenvolk  der  Hyksos  gewesen,  welches  das  neue 
Thier  und  mit  ihm  die  neue  Kriegskunst  nach  Aegypten  brachte 
(Ebers,  Aegypten  und  die  Bücher  Mose's  1,  121 :  „es  unterliegt  keinem 
Zweifel,  dass  dies  Thier  von  den  Hyksos  in  Aegypten  eingeführt 
worden  ist"),  hat  viel  Bestechendes,  wird  aber  bis  jetzt  von  keinem 
bestimmten  Denkmal  gestützt.  Yielleicht  also  waren  es  erst  die 
Könige  der  genannten  achtzehnten  Dynastie,  denen  bei  ihrem 
kriegerischen  und  friedlichen  'Verkehr  mit  Syrien  das  Pferd  und  der 
Streitwagen  von  diesem  Lande  her  bekannt  wurden  (der  ägyptische 
Name  des  Wagens  ist  dem  hebräischen  fast  vollständig  gleich, 
ägyptisch  stis  das  Pferd  ist  ein  semitisches  Wort,  Brugsch  a.  a.  0.). 
Wenn  Chabas  meint,  die  Zähmung  und  Anschirrung  des  Rosses 
setze  eine  längere  Anwesenheit  desselben  voraus,  während  welcher 
es  stufenweise  zum  Dienst  des  Menschen  erzogen  worden,  so  vergisst 
er,  dass  es  sich  hier  um  ein  fertig  von  den  Nachbarn  übernommenes, 
längst  an  diesen  Dienst  gewöhntes  Thier  handelt.  Uebrigens  wurde 
auch  in  Aegypten,  wie  bei  den  Asiaten,  das  Pferd  nur  zu 
kriegerischen  Zwecken  gehalten;  über  seine  Anwendung  bei  häus- 
lichen und  ländlichen  Arbeiten  sind  die  Bildwerke  stunmi,  —  denn 
das  Wenige,  was  dahin  zu  deuten  wäre,  dürfen  wir  als  allzu  zweifel- 
haft unbeachtet  lassen.  Kriegs  wagen  hat  auch  Achilles  im  Sinn, 
wenn  er  II.  9,  383  vom  ägyptischen  Theben  sagt: 

Theben  die  hu ndertt hörige  Stadt,  es  fahreo  aus  jedem 
Thor  zweihundert  Männer  heraus  mit  Rossen  und  Wagen. 

Wie  der  Aegypter  selbst  über  den  Gebrauch  des  Pferdes  dachte, 
lehrt  die  mythische  Erzählung  bei  Plut.  de  Is.  et  0.  19:  „Osiris 
fragte  den  Horus,  welches  Thier  für  den  Krieg  wohl  das  nützlichste 
sei?  Als  Horus  darauf  erwiederte:  das  Pferd,  wunderte  sich  Osiris 
und  forschte  weiter,  warum  nicht  eher  der  Löwe  als  das  Pferd? 
Da  sagte  Horus:  der  Löwe  mag  demjenigen  nützlich  sein,  der  Hülfe 


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Das  Pferd.  27 

braucht,  das  Pferd  aber  dient  den  fliehenden  Feind  zu  zerstreuen 
und  aufzureiben."  Der  Löwe  nämlich  war  von  den  Aegyptern,  wenn 
wir  den  Abbildungen  trauen  dürfen,  in  so  weit  gezähmt  worden, 
dass  er  den  Pharao  in  die  Schlacht  begleiten  konnte;  er  wurde  an 
einer  Kette  am  Wagen  mitgeführt  und  im  rechten  Augenblick  los- 
gelassen. 

Für  das  Alter  des  Pferdes  bei  den  Semiten  Vorderasiens  sind 
wir  auf  die  Zeugnisse  des  Alten  Testaments,  des  Pentateuch,  des 
Buches  Josua  u.  s.  w.  gewiesen  —  aus  welcher  Zeit  aber  stammen 
dieselben?  Es  giebt  kein  Stück  dieser  Sammlung,  das  nicht  aus 
verschiedenartigen  Bestandtheilen  zusammengesetzt  and  nicht  durch 
die  Hand  eines  Bearbeiters  oder  mehrerer  sich  folgender  Bearbeiter 
gegangen  wäre.  Hatten  sich  wirklich  einzelne  schriftliche  Auf- 
zeichnungen aus  der  Zeit  der  ersten  Besetzung  des  Landes  erhalten, 
so  mögen  diese  in  die  Erzählung  aufgenommen  worden  sein;  im 
üebrigen  konnte  auch  der  älteste  biblische  Verfasser,  der  ältere 
Elohist,  dessen  Schrift  gleichwohl  nicht  über  die  Epoche  der 
Könige  hinaufgeht,  nur  aus  der  Sage  schöpfen,  die  ihrer  Natur  nach 
in  der  langen  Zeit  geschäftig  gewesen  war,  ihren  Stoff  je  nach  dem 
Bedarf niss  zu  gestalten  und  umzugestalten.  So  sind  wir  bei  keinem 
einzelnen  Zuge  der  biblischen  Berichte  völlig  sicher,  ob  er  von 
ächter  UeberUeferung  oder  von  späterer  theokr atischer  oder  nationaler 
Absicht  oder  endlich  von  dem  Geiste  anachronistisch  ausmalender 
Dichtung  eingegeben  worden.  Was  nun  das  Pferd  betrifft,  so  fehlen 
in  den  sogenannten  Büchern  Mosis  und  auch  in  den  Geschichts- 
büchern die  Erwähnungen  desselben  nicht,  z.  B.  Jos.  11,  4  von  den 
Kanaanitem:  „diese  zogen  aus  mit  all  ihrem  Heer,  ein  gross  Volk, 
so  viel  als  des  Sandes  am  Meer  und  sehr  viel  Ross  und  Wagen*' 
and  der  Lihalt  dieser  Stellen  wird  durch  das  Lied  der  Deborah, 
Richter  5,  welches  bedeutend  älter  sein  muss,  als  die  Gründung  der 
Monarchie,  und  wohl  in  das  13.  Jahrhundert  v.  Chr.  fällt,  als  acht 
bestätigt,  22:  „da  rasselten  der  Pferde  Füsse  für  dem  Zagen  ihrer 
mächtigen  Reiter",  28:  „warum  verzeucht  sein  Wagen,  dass  er  nicht 
konmit?  wie  bleiben  die  Räder  seiner  Wagen  so  dahinten?"  —  aber 
als  Haus-  und  Heerdethier  der  Patriarchen  erscheint  es  in  diesen 
Schilderungen  nicht;  es  nimmt  an  den  Wanderungen  und  Kämpfen 
des  Volkes  Israel  nicht  Theil;  es  ist  das  kriegerische  Thier  der 
Nachbarn  und  Feinde,  rasselnd  und  stampfend  vor  dem  Streitwagen 
oder  tmter  dem  Reiter;  als  Kriegsross,  und  nnr  als  solches,  wird  es 
aach   in   der   schwungvollen  Schilderung    des  Buches  Hiob  gefeiert; 

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28  Das  Pferd. 

im  Haushalt  vertritt  seine  Stelle  der  Esel.  „Lass  'dich  nicht  ge- 
lüsten",  lehrt   der   Dekalog,    dessen    Gebote    doch    aus  verhältniss- 

mässig   sehr   alter  Zeit   stammen,    „deines   Nächsten  Weibes 

noch  seines  Ochsen  noch  seines  Esels  noch  Alles  was  dein  Nächster 
hat":  das  Pferd,  der  Hauptgegenstand  des  Raubes  und  Begehrs  bei 
reitenden  Nomaden,  ist  hier  bezeichnender  Weise  nicht  genannt. 
(Weitere  Belege  dafür,  dass  den  Hebräern  in  früher  Zeit  das  Pferd 
fehlte,  bei  Michaelis,  Mosaisches  Recht,  Theil  3  der  zweiten  Auflage, 
Anhang:  „Etwas  von  der  ältesten  Geschichte  der  Pferde  und  Pferde- 
zucht in  Palästina  und  den  benachbarten  Ländern,  sonderlich 
Aegypten  imd  Arabien.")  Wenn  uns  später  von  dem  König  von 
Juda,  Josias,  berichtet  wird,  er  habe  ausser  anderem  heidnischen 
Gräuel  auch  die  der  Sonne  geweihten  Pferde  und  Wagen  abgeschafft, 
2.  Eon.  23,  11:  „Und  thät  abe  die  Ross,  welche  die  Könige  Juda 
hatten  der  Sonnen  gesetzt  im  Eingang  des  Herren  Hause,  an  der 
Kammer  Nethanmelech  des  Kämmerers,  der  zuParwarim  war.  Und 
die  Wagen  der  Sonnen  verbrannt  er  mit  Feuer"  —  so  war  dies 
unter  den  mannigfachen  Götterdiensten,  die  in  Jerusalem  zusanamen- 
flossen,  ein  aus  Medien  hierher  gelangter  Zug  des  iranischen  Sonnen- 
kultus (s.  unten).  —  Kein  Wunder,  dass  wir  das  Pferd  auch  bei 
dem  südlichen  Zweige  der  Semiten,  den  Ismaeliten  oder  Arabern, 
nicht  antreffen.  Nirgends  im  Alten  Testament  treten  die  Hirten  der 
arabischen  Wüste  in  Begleitung  dieses  Thieres  auf;  sie  ziehen  nur 
mit  Eseln  und  Kameelen  umher  und  die  Kriegskunst  der  despotischen 
Reiche  vom  Tigris  bis  zum  Nil  ist  ihnen  unbekannt.  Gtmz  damit 
in  Uebereinstimmung  reiten  in  des  Xerxes  Heer  die  Araber  nur  auf 
Kameelen,  Herod.  7,  86:  „die  Araber  waren  alle  auf  Kameelen  be- 
ritten, die  den  Pferden  an  Schnelligkeit  nicht  nachgaben."  Auch 
nach  Strabo  gab  es  in  dem  glücklichen  Arabien  keine  Pferde  und 
also  auch  keine  Maulthiere,  16,  4,  2:  „an  Haus-  und  Heerdethieren 
(ßooxTj^dTiüv)  ist  dort  Ueberfluss,  wenn  man  Pferde,  Maulthiere 
und  Schweine  ausnimmt",  und  ebenso  im  Lande  der  Nabatäer, 
16,  4,  26:  „Pferde  sind  in  dem  Lande  keine:  deren  Stelle  in  der 
Dienstleistung  vertreten  die  Kameele"  —  und  doch  war  Strabo,  der 
Freund  und  Genosse  des  Aelius  Gallus,  des  Feldherm,  der  die  grosse 
misslungene  Expedition  nach  Arabien  gemacht  hatte,  über  die  Halb- 
insel sicherlich  so  genau,  wie  nur  irgend  Jemand  in  damaliger  Zeit, 
unterrichtet.  Noch  in  der  Schlacht  bei  Magnesia  führte  Antiochus 
der  Grosse,  wie  einst  Xerxes,  Araber,  auf  Dromedaren  sitzend,  ins 
Gefecht,    Liv.  37,  40  (das  aus  mancherlei    asiatischen  Völkerschaften, 

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Das  Pferd.  29 

jede  in  der  ihr  zusagenden  Rüstung  und  Waffe,  bestehende  Heer 
wird  beschrieben,  darunter  die  Araber):  camelL  quoa  appellant  dro- 
madas.  Hü  insidehant  Arabes  sagittaHi^  gladios  habentea  tenues  u. 
s.  w.  Diejenigen,  die  diese  Nachrichten  der  Alten  aus  dem  Grunde 
unglaublich  finden  wollten,  weil  jetzt  die  arabischen  Pferde  für  die 
edelsten  ihres  Geschlechts  gelten,  haben  nicht  erwogen,  dass  auf  dem 
Gebiet  der  Kulturgeschichte  ähnliche  Fälle  keineswegs  selten,  ja 
ausserordentlich  häufig  sind.  In  den  Sandmeeren  Arabiens,  in  denen 
die  Oasen  gleichsam  die  Inseln  bilden,  war  zur  Ueberfahrt  von 
eiuer  zur  andern  das  Kameel,  das  Schiff  der  Wüste,  bei  Weitem 
dienhcher  als  das  Pferd :  es  konnte  schnell  sein,  wie  dieses,  es  konnte 
auch  lange  dursten;  es  nährte  sich  von  Wüstenkräutem  und  auf 
seinem  breiten  Rücken  trug  es  die  Zeltstangen  und  den  Mundvorrath, 
die  Weiber  und  Kinder  des  herumziehenden  Hirten  über  weite 
Strecken.  Zu  den  obigen  direkten  Zeugnissen  lässt  sich  noch  das 
negative  des  Publius  Vegetius,  eines  späten  hippiatrischen  Compilators, 
fügen,  der  im  6.  Kapitel  des  6.  Buches  (der  Ausgabe  von  Schneider) 
die  demAlterthum  bekannten,  durch  irgend  welche  Eigenschaften  hervor- 
stechenden Pferderacen  aufzählt  und  charakterisirt,  über  das  arabische 
Pferd  aber  schweigt.  Yon  den  afrikanischen,  also  dem  arabischen 
Schlage,  wie  man  glauben  könnte,  nahestehenden  Pferden  sagt  er, 
sie  würden  für  den  Circus  als  die  schnellsten  bezogen,  fügt  aber 
hinzu,  sie  seien  spanischen  Blutes,  6,  6,  4:  nee  inferioi^es  prope 
Sicäia  exhibet  circo,  quamvü  Africa  Hispani  sanguinis  velocissimos 
praestare  consueverit  Auch  bei  Symmachus  Epp.  4,  62  wird  aus 
Antiochia  eine  Gesandtschaft  —  nicht  etwa  ins  nahe  Arabien, 
sondern  nach  Spanien  geschickt,  um  dort  Rennpferde  zu  kaufen,  und 
erhält  von  Symmachus  einen  Empfehlungsbrief  an  den  Spanier 
Eaphrasius,  den  Besitzer  grosser  Stutereien.  Aber  bei  Ammianus 
Marcellinus,  dem  etwas  älteren  Zeitgenossen  des  Symmachus,  in  der 
zweiten  Hälfte  des  4.  Jahrhunderts,  wird  14,  4,  3  bei  Schilderung 
der  Sitten  der  „Saracenen",  deren  Wohnplatz  der  Geschichtsschreiber 
Tom  Tigris  bis  zu  den  Wasserfallen  des  Nil  sich  denkt,  ihrer 
schnellen  Pferde  und  schlanken  Kameele,  equorum  adjumento  per- 
nidum  graciliumque  camelorum,  Erwähnung  gethan.  Ungefähr  gleich- 
zeitig besass  auch  der  Kaiser  Valens  saracenische  Reiterei,  Eunap. 
6  ed.  Bonn.  p.  52:  to  ^aQaxrjvaiv  InnixoTy  die  er  aus  dem  Orient 
gegen  die  sein  Land  verwüstenden  Gothen  voraussandte,  und  nach 
der  etwas  späteren  Notitia  dignitatum  I,  cap.  25,  1,  4  hatte  der  Comes 
Ihni^  Aegypti  unter   seinem  Oberbefehl  equites  Saraceni  Thamvdeni^ 

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30  Das  Pferd. 

wie  auch  cap.  29,  1,  5  equites  Tkamtcdeni  Illyriciani  für  Palästina 
vorkommen.  Das  arabische  Pferd  muss  also  in  den  letzten  Zeiten 
des  Alterthums  und  im  früheren  Mittelalter,  zwar  nicht  zu  allererst 
eingeführt,  doch  in  einer  ihm  zusagenden  Natur  und  unter  der  Gnnst 
pflegender  Sitte  zu  dem  stolzen  und  schönen  Geschöpf  geworden 
sein,  wie  wir  es  gegenwärtig  bewundern.  Im  Koran  und  in  den 
Ueberbleibseln  vorislamitischer  Poesie,  so  weit  sie  uns  in  genuiner 
Gestalt  erhalten  sind,  wird  es  schon  in  Schilderungen  und  Vergleichen 
mit  zärtlicher  Vorliebe  gepriesen. 

Wenden  wir  uns  zu  den  Ostseraiten,  den  Babyloniem  und 
Assyrem  im  Gebiet  des  Euphrat  und  Tigris,  so  tritt  uns  hier  an 
den  Wänden  der  neu  aufgegrabenen  Paläste  der  Kriegswagen,  von 
reich  aufgeschirrten  Rossen  gezogen,  überall  in  sprechenden  ßildem 
entgegen.  (Ausführlich  handelt  darüber  Layard,  Ninive  and  its  re- 
mains,  T.  2,  chap.  4).  Von  hier  aus  war  diese  Waffe  ohne  Zweifel 
weiter  nach  Westen  und  Südwesten,  zu  den  Syrern  am  mittel- 
ländischen Meer  und  zu  den  Aegyptem  im  Nilthal  gekommen.  In 
den  mesopotamischen  Ebenen  muss  es  gewesen  sein,  wo  die  An- 
wendung des  Wagens  zum  raschen  Angriff  und  eben  so  raschem 
Rückzug  für  den  Bogenschützen  erfunden  wurde.  Wo  uns  die  nini- 
vitischen  Skulpturen  einen  Reiter  mit  Pfeil  und  Bogen  im  Kampf 
zeigen,  da  wird  sein  Pferd  jedesmal  von  einem  andern  Reiter  ihm 
zur  Seite  gehalten  und  gelenkt;  ist  der  Reiter  statt  des  Bogens  mit 
dem  Speer  bewaffnet,  so  fehlt  dieser  GehüKe.  Der  Schütze  musste 
die  Hände  frei  haben,  um  an  den  Köcher  zu  greifen,  den  Bogen  zu 
spannen  und  den  Pfeil  richtig  zum  Ziele  zu  senden;  ein  so  mit  dem 
Rosse  verwachsener  Reiter,  wie  der  Partber  und  jetzt  der  Turkmene, 
war  der  Assyrer  noch  nicht.  So  verfiel  er  auf  die  Einrichtung  des 
helfenden  Nebenreiters  und  in  weiterer  Folge  auf  den  leichten,  zwei- 
räderigen,  mit  zwei  Rossen  bespannten  und  zwei  Menschen  fassenden 
Krieg;swagen.  Er  stand  auf  diesem  Wagen,  frei  umherblickend,  und 
der  Rosselenker  an  seiner  Seite;  selbst  auf  der  Flucht  konnte  er  sich 
umwendend  den  verfolgenden  Feind  noch  treffen.  Doch  scheint  auch 
in  den  assyrischen  Kriegszügen  der  Wagenkampf  ein  Vorzug  der 
Edlen  zu  sein,  wie  in  anderen  Zeiten  und  bei  anderen  Völkern  der 
ritterliche  Kampf  zu  Rosse:  der  assyrische  König  zeigt  sich  nicht 
zu  FusS;  auch  nicht  reitend,  sondern  immer  zu  Wagen^  ausser  bei 
Belagerungen  fester  Plätze,  wo  es  der  Natur  der  Sache  nach  auf 
Flüchtigkeit  der  Bewegung  nicht  ankam.  Vor  den  Wagen  sind 
immer  nur  zwei  Rosse  gespannt;  ein  drittes,  in  seltenen  Fällen  auch 


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Das  Pferd.  31 

ein  viertes  laufen  lose  neben  her,  um  wenn  eins  der  Deichselpferde 
verwundet  oder  sonst  unbrauchbar  geworden,  an  seine  Stelle  zu 
treten.  Die  Pferde  dieser  Bilder  sind  zwar,  wie  die  Menschen, 
strenge  stilisirt,  doch  will  Place,  Ninive  et  TAssyrie,  II.  p.  233,  bei 
den  heutigen  Kurden,  also  einem  iranischen  Volke,  ganz  ähnliche 
gefunden  haben.  Dass  das  semitische  Koss  überhaupt  aus  iranischen 
Landen,  wie  das  aegyptische  aus  semitischen,  stammte,  ist  eine  aus 
allen  Umstanden  sich  ergebende  Vermuthung.  Nach  dem  Propheten 
Ezechiel  bezog  auch  Tyrus  seine  Pferde  aus  Thogarma  d.  h.  aus 
Annenien  und  Cappadocien,  27,  14:  „Die  von  Thogarma  haben  Dir 
Pferd  und  Wagen  und  Maulesel  auf  deine  Märkte  bracht." 

Tiefer  nach  Südosten,  in  Indien,  entfernen  vnr  uns  sichtlich  von 
dem  Mittelpunkt  des  Kreises,    den  die  Verbreitung   des  Pferdes  be- 
schreibt.    In  Indien    waren    die   Pferde   weder    häufig,    noch    schön 
und  stark,    sie  worden    aus  den  Ländern    im  Nordwesten   eingeführt 
und  arteten  leicht  aus.    Die  Alten  erwähnen  dieser  Eigenthümlichkeit 
des  an  allen  andern  Naturschätzen    so   reichen  Landes  nicht   selten 
und  neuere  Berichterstatter   stimmen    mit   ihnen  überein  (s.  Lassen, 
Ind.  Alterthumskunde  1,  301  f.).     Doch  im  Grenzgebiet,  bei  den  ve- 
dischen  Stämmen   im  Fünfstromlande,    steht    das  Ross   im   höchsten 
Ansehen    und    bildet    einen    erstrebten    Besitz    und    Heichthum    (H. 
Zimmer,  Altindisches  Leben,    S.  230  fi*.).     Es  dient  zum  Kriege  und 
als  Opfer,    vnrd    nicht    geritten,    sondern    zieht    den    Kriegswagen. 
Aber  wie  noch  andere  Züge    beweisen,    dass  das  aus  den  Veden  zu 
erschliessende  Leben  keineswegs  ein  ganz  ursprüngliches  war,  sondern 
schon   mannichfache  Kultureinflüsse    von  Westen  erfahren  hatte  (die 
babylonische  Mine   als  Goldeinheit,    das  Wegemass,    die  Eintheilung 
des  Tages,    die  Mondstationen,    die  semitische  Flutsage),    so    gleicht 
auch    der    vedische  Streitwagen    genau   und    in    allen    Theilen    dem 
homerischen    und    beide  zusammen    dem    assyrischen,    von    dem    sie 
stammen  (Zimmer  a.  a.  0.  S.  245  £F.).     In  Karmanien,    westlich   vom 
Indus,  vertrat  auch  im  Kriege  der  Esel   das  Pferd  (Strab.  15,  2,  14) 
Bnd  auch  in  der  Landschaft  Persis,  aus  der  die  Stifter  des  persischen 
Weltreichs  hervorgingen,    fehlte    das  Pferd    fast   ganz   und    war  das 
Reiten  unbekannt.    Der  junge  Cyrus  jauchzte,  als  er  am  Hofe  seines 
Grossvaters    das    edle    Thier   tummeln    lernte,    denn    in    seiner    ge- 
birgigen Heimath   war  es    ungewöhnlich,    Pferde  zu    halten  oder  sie 
zu  besteigen,  ja  man  bekam  kaum  ein  Pferd  zu  Gesicht  (Xen.  Cyrop. 
1,  3,  3).    Als  er  später  die  Waffen  gegen  die  Meder  und  Hyrkanier 
erhoben  und  deren  geschwinde  Reiterei  hatte  bekämpfen  müssen,  da 

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32  Das  Pferd. 

empfahl  er  den  Seinigen,   von   nun  an    auch  das  Ross    zu  besteigen 
und  gleichsam   beflügelt   dem  Feinde   sich   entgegen   zu   schwingen. 
Auf  die  wohlgesetzte  Ansprache  voll  attischer  Beredsamkeit,  die  ihm 
Xenophon,    Cyrop.  4,  3,    bei    dieser  Gelegenheit   in    den  Mund  legt, 
erwiedert  einer   der  Grossen,   Chrysantas,   mit   einer  beistimmenden 
Rede,    und  seit  jenen  Tagen,    setzt  Xenophon  hinzu,    halten   es   die 
Perser  so,  dass  kein  Vornehmer  und  Gebildeter,    ovöelg   tuiv  xakoßv 
xayai^iüv^   jemals    freiwillig  zu  Fusse   gehend  erblickt  wird.     Daher 
auf   dem  Grabmal   des  Darius,    wie  Onesikritos   bei   Strabo  15,  3,  8 
berichtet,    geschrieben    stand,    der  König   sei    nicht   nur    ein    treuer 
Freund,  sondern  auch  der  beste  Reiter,  Schütze  und  Jäger  gewesen 
q>ikog  fjv  rolg  q)iXoig'  lunevg  xat  TO^oTr^g  agiazog  lyevo^rjv*  xvvrjydiv 
ixQavow   Tiavta  noielv  i^dwdfirjv.    Auch  in  diesem  Punkt,    wie  in 
den  Staatsformen,  der  Kleidertracht,   den  Sitten  und  Lebensgewohn- 
heiten  bildeten   sich    die    Perser   nach    den   ihnen   blutsverwandten 
Medem,   —  nach  babylonischem  Muster  nur,   in  so    fem  dies  schon 
früher  in  Medien  gewirkt  hatte.    Das  Ross  als  ein  heiliges,  verehrtes 
Thier,    als   weissagerisch,    als  Opfer   für  den  Lichtgott,    der  Wagen 
des  grossen  Königs  mit  lichtweissen  Rossen   bespannt,    die  Unsterb- 
lichen auf  weissen  Rossen    daher  sprengend,    die  Heldennamen,    die 
Namen  der  üntergötter   mit  dem  Worte  ofpa  das  Pferd  zusammen- 
gesetzt   —    dies  Alles    ist  modisch    und   baktrisch    und  wurde  auch 
Glaube  der  Perser,  Strab.  11,  13,  9:    „Die   ganze  jetzt   persisch  ge- 
nannte Kriegsordnung  und    die  Vorliebe  für  das  Schützenwesen  und 
für  die  Reitkunst   und    der   das  Königthum    umgebende  Dienst  und 
Prunk    und    die    dem  Herrscher   von    den    Beherrschten    gewidmete 
gottähnliche  Ehrfurcht,    Alles  dies   ist   aus  Medien   zu    den  Persem 
gekommen."     Medien   war   das  Land    der  Pferde,   woher   sie   ganz 
Asien  bezog;  es  war  dazu  geeignet,  theils  der  natürlichen  Beschaffen- 
heit mancher  Oertlichkeiten,    theils  der  angeborenen  Neigung   seiner 
Bewohner  wegen ;  es  bildete  selbst  den  Uebergang  von  Iran  zu  Turan, 
d.  h.  von  den  ansässigen  zu  den  reitenden  Völkern  iranischen  Blutes. 
Medien,    sagt   Polybius,    10,   27,    zeichnet    sich   durch    die    Vorzüge 
seiner  Menschen  wie  seiner  Pferde  aus;  durch  die  letzteren  steht  es 
ganz  Asien   voran,   daher   auch  die  königlichen  Stutereien  in  dieses 
Land    verlegt   waren."     Auch  Strabo   rühmt   Medien   und    das    an- 
grenzende  Armenien    wegen    seiner   Rossezucht,    11,  13,  7:    „Beide 
Länder,  Medien  und  Armenien,    sind  ausnehmend  reich  an  Pferden; 
auch  giebt  es  dort  eine  Wiesengegend  Hippobotos,  durch  welche  die 
Reisenden   hindurchkommen,    die    von  Persis   und  Babylon    zu    den 

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Das  Pferd.  33 

Kaspischen  Thoren  wollen:  in  dieser  sollen  zur  persischen  Zeit  fünf- 
zigtausend  Stuten  geweidet,  die  Heerden  aber  dem  Könige  gehört 
haben. **  In  Medien  war  es,  wo  die  berühmten  nisäischen  oder 
nesäischen  Rosse  gezogen  wurden,  von  denen  das  ganze  Alterthum 
redet,  zuerst  Herod.  7,  40:  „in  Medien  liegt  eine  weite  Ebene,  deren 
Name  Nesaion  ist:  diese  Ebene  trägt  die  (nach  ihr  benannten)  grossen 
Pferde.**  Strabo  lässt  sie  von  jener  Wiese  Hippobotos  ausgehen 
und  versetzt  sie  auch  nach  Armenien,  11,  13,  7:  „die  nesäischen 
Pferde,  die  als  die  besten  und  grössten  den  persischen  Königen  dien- 
ten, stammen  nach  den  Einen  von  hier,  nach  den  Andern  aus  Ar- 
menien", 11,  14,  9:  „so  sehr  ist  Armenien  mit  Pferden  gesegnet, 
dass  es  hierin  Medien  nicht  nachsteht  und  die  nesäischen  Pferde, 
deren  sich  die  persischen  Könige  bedienten,  auch  hier  vorkommen; 
auch  schickte  der  Satrap  von  Armenien  dem  Perser  jedes  Jahr 
zwanzigtausend  junge  Thiere  zu  dem  Mithrasfeste".  Die  nisäischen 
Pferde  waren  schnell,  wie  die  heutigen  turkmenischen,  und  Aristote- 
les, h.  a.  9^  50,  §  251,  rühmt  den  hyrkanischen  Dromedaren  nach, 
wenn  sie  sich  in  Lauf  setzten,  thäten  sie  es  sogar  deu  nisäischen 
Pferden  zuvor,  also  den  geschwindesten  aller  Pferdie.  Sie  waren  von 
eigenthünilicher  Bildung,  wie  die  bei  den  asiatischen  Griechen  zu 
Strabos  Zeit  parthisch  genannten  Thiere  (Strabo  11,  13,  7).  Ammia- 
nos  Marcellinus  hatte  so  berittene  Kämpf erschaaren  selbst  gesehen, 
23,  6,  30:  sunt  ajmd  eos  (Medos)  prata  virentia:  fetus  equarum  no^ 
bümm  quibtcs  (ut  scriptores  antiqui  docent,  nos  quoque  vidimtis)  in- 
euntes  proelia  viH  summa  vi  vehi  easultantes  solent  quos  Nesaeas 
appeUant  Nisäa  selbst  ist  ein  Orts-  und  Landschaftsname,  der  in 
Cis-  und  Transoxanien  hin  und  wieder  vorkommt  und  ohne  Zweifel 
eine  appellativische  Bedeutung  hatte.  Nach  Strabo  11,  7,  2  war 
Nesäa  ein  Theil  Hyrkaniens  oder  auch,  wie  Andere  sagten,  ein  Land 
for  sich,  und  der  Ochus  floss  durch  dasselbe,  wie  auch  Ammianus 
Marc.  23,  6,  54  in  Hyrkanien  eine  Stadt  Nisea  kennt.  In  Parthien 
lag  eine  Landschaft  Nisäa,  wo  von  den  Macedoniem  Alexandropolis 
gegründet  war,  Plin.  6,  113:  regio  Nisiaea  Parthyenes  nobilis^  ubi 
Alexandropolis  a  conditore^  und  die  Stadt  Parthaunisa,  in  der  der 
Name  Parthiens  und  der  Parther  nicht  verkannt  werden  kann,  führte 
nach  Isidor  von  Charax  12  Müller  bei  den  Hellenen  auch  den  Namen 
Niaaia.  Ptolemäus  6,  10,  4  imd  8,  23,  6  hat  in  Margiana  einen 
Ort  Niaaia  oder  Ngyaia^  nördlich  von  Aria  sogar  ein  Volk  der 
Nisaer,  Nioäloi  (6,  17,  3).  Nach  den  Glossarien  des  Hesychius  und 
Soidas  (unter  Nrjaaias  ^Ttnovg  und  ^'Innog  Ntaalog)  liegt  zwischen 

Tiet  Hebn,  Kaltnrpfljuizeo.  3 

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34  Das  Pferd. 

Susiana  und  Baciriana  eine  Gegend,  deren  Name  griechisch  N^aog 
oder  Nlang  wiedergegeben  wird.  Ja,  selbst  in  den  altpersischen  und 
altbaktrischen  Denkmälern  ist  dieser  Name  noch  erhalten:  in  der 
grossen  Dariusinschrift  von  Behistun  oder  Bisitun  wird  eine  Land- 
schaft Ni^ya  in  Medien  genannt  und  im  Vendtdäd  im  obem  Thal 
des  Margos  (Murghäb)  zwischen  Bäkhdhi  (Balkh)  und  M6uru  (Merw) 
eine  Ortschaft  Ni^aya  (s.  Justi,  Handbuch  S.  173,  Spiegel  Commen- 
tar  zu  der  St.:  „Wir  wollen  bloss  bemerken,  dass  offenbar  der  Name 
Ni9äya  im  alten  Iran  ein  ziemlich  häufiger  war  und  an  verschiede- 
nen Orten  vorkommt.")  Die  nisäischen  Pferde  weisen  demnach  in 
das  Grenzland  zum  heutigen  Turkestan  hin,  von  wo  zu  aller  Zeit  die 
Einbrüche  der  Nomaden  in  das  orientalische  Kulturland  ergangen 
sind.  Hier  bis  an  den  Jaxartes  oder  Tanais  (beide  Namen  des 
Flusses  sind  iranisch)  und  drüber  hinaus  lebten  jene  auf  flüchtigen 
Rossen  umherschweifenden  Völker,  die  im  stetigen  üebergang  auch 
im  Norden  des  kaspischen  und  schwarzen  Meeres  bis  zum  europäi- 
schen Tanais  imd  zum  Borysthenes  und  Ister  reichen:  die  Parther, 
die  Massageten,  die  Daher  und  Chorasmier,  die  Sarmateu  und  Scythen 
u.  s.  w.,  mit  einem  Gesammtnamen  Saker  genannt.  Wie  diese  Völ- 
ker alle  auf  und  mit  ihren  Rossen  leben,  wie  sie  als  iTiTzoToSotai 
reitend  ihre  Pfeile  versenden,  wie  ihre  Rosse,  gleich  den  heutigen 
turkmenischen,  die  weitesten  Strecken  flüchtig  zurücklegen,  ist  von 
den  Alten  häufig  mit  mehr  oder  minder  Ausführlichkeit  geschildert 
worden.  Just.  41,  3  (von  den  Parthern):  equis  omni  tempore  vectan- 
tar,  Ulis  bella^  Ulis  convivia^  Ulis  publica  ac  privata  officia  obeunt: 
super  illos  ire,  consistere^  mercari^  colloqui^  hoc  denique  discrimen  inter 
servos  liberosque  est^  quod  servi  pedibus^  liberi  non  nisi  equis  incedunt 
Von  den  Neu-Parthern,  gegen  die  der  Kaiser  Alexander  Severus 
zog,  giebt  Herodian  6,  5,  9  folgendes  Bild:  „Sie  brauchen  ihre  Bo- 
gen und  Pferde  nicht  bloss  zum  Kriege,  wie  die  Römer,  sondern 
wachsen  mit  ihnen  von  Kindesbeinen  auf  und  verbringen  ihr  Leben 
auf  der  Jagd;  den  Köcher  legen  sie  niemals  ab  und  steigen  nicht 
von  den  Pferden,  sondern  brauchen  sie  immer,  sei  es  gegen  Feinde 
oder  gegen  Jagdthiere."  (Ganz  ähnlich  malt  es  in  Versen  Dionys. 
Perieg.  v.  1044  ff.)  Die  Daer  ritten  durch  die  weiten,  wasserlosen 
Wüsten,  erst  nach  langen  Strecken  Rast  machend,  und  überfielen 
Hyrkanien  und  Nesäa  und  die  Ebenen  Parthyäas  (Strab.  11,  8,  3). 
Die  Reiterei  der  Saken  war  die  vorzüglichste  im  persischen  Heere, 
Herod.  9,  71:  „unter  den  Barbaren  zeichnete  sich  das  Fussvolk  der 
Perser   und   die    Reiterei    der  Saken   vor    den    übrigen   aus."      Als 


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Dts  Pferd.  35  . 

Xerxes  nach  Thessalien  kam,  dessen  Pferde  vor  allen  griechischen 
im  Rufe  blanden,  machte  er  Wettversuche  zwischen  diesen  und  den 
von  ihm  mitgebrachten  und  die  seinigen  zeigten  sich  bei  Weitem 
überlegen  (Herod.  7,  196).  Bewunderungswürdig  war  die  Fähigkeit 
dieser  Pferde,  dürre  Wüsten  in  langen  Tagereisen  zu  durcheilen, 
Propert.  5,  3,  35: 

Et  disco^  qua  parte  fluat  vincendus  Araxes, 
Qaod  sine  aqua  Parthus  milia  currat  equus, 

Kaiser  Probus  hatte  von  den  Alanen  oder  einem  andern  dortigen 
Volke  ein  Pferd  erbeutet,  äusserlich  ganz  unansehnlich,  das  aber 
hundert  Meilen  täglich  laufen  und  dies  acht  bis  zehn  Tage  nach  ein- 
ander wiederholen  konnte,  Vopisc.  Prob.  8:  qui  quantwm  captivi  h- 
qudxmtur  centum  ad  diem  milia  currere  diceretur^  ita  ut  per  dies  octo 
vel  decem  conünuaret  Doch  auch  Heerden  schönen  Schlages  müssen, 
wie  in  Medien,  von  den  scythischen  Fürsten  gehalten  worden  sein, 
denn  König  Philipp,  Vater  Alexanders  des  Grossen,  nahm  den  Scythen 
an  der  Ister-Mündung  20,000  edle  Stuten  ab  und  schickte  sie  zur 
Zucht  nach  Macedonien,  Justin.  9,  2,  6:  (a  Philippe)  viginti  milia 
nobäium  equarum  ad  genus  faciendum  in  Macedoniam  missa.  Um- 
gekehrt werden  die  Pferde  der  Sigynnen,  welches  Volk  zwar  Hero- 
dot  in  die  Striche  nördlich  vom  Ister  versetzt,  das  aber  in  der  That 
viel  weiter  nach  Osten  am  kaspischen  Meer  hauste,  noch  in  man- 
chen Zügen  dem  wilden  Tarpan  der  Tartarei  und  Mongolei  ähnlich 
beschrieben:  sie  sind  behaart,  die  Haare  haben  5  Zoll  Länge;  sie 
siod  stumpfnasig  und  so  klein,  dass  sie  keine  Reiter  tragen  können: 
daher  sie  vor  Wagen  gespannt  werden,  mit  denen  sie  sehr  geschwind 
laufen  (Herod.  5,  9.  Strab.  11,  11,  8).  Die  Sigynnen  waren  kein 
türkischer  Stamm,  denn  es  wird  ihnen  ausdrücklich  modische  Her- 
kunft, Sitte  und  Tracht  zugeschrieben,  aber  ihre  Thiere  waren  noch 
auf  der  ältesten  Stufe  verblieben  oder  auf  dieselbe  zurückgesunken, 
während  die  der  übrigen  sakischen  Reitervölker  durch  Rücknahme 
von  den  grasreichern,  klimatisch  mildem  medischen  Strichen  eine 
veredelte  Bildung  gewonnen  hatten.  Ursprünglich  aber  waren  auch 
die  medischen  aus  Turan  gekommen,  der  Heimath  der  nordöstlichen 
Zweige  des  grossen  iranischen  Stammes,  die,  so  weit  das  Licht  der 
Geschichte  reicht,  als  Reitervölker  erscheinen.  Da  nun  auch  der 
ürsitz  des  indo-europäischen  Central volkes  in  jener  Gegend  oder  ihr 
nahe  zu  denken  ist^  so  stehen  wir  hier  vor  unserer  eigentlichen  Frage: 
waren    es    schwärmende   Reiterschaaren,    gleich    den    Turaniern    der 

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36  Das  Pferd. 

ältesten  Geschichte,  die  sich  von  jenem  Centralvolk  ablösten  und  über 
Europa  hereinbrachen,  oder  erhielten  die  Ausgezogenen  das  gezähmte 
Ross,  gleich  Assyrem  und  Aegyptern,  erst  nachmals  aus  der  einst  ver- 
lassenen Heimath  im  Quellgebiet  des  Oxus  und  Jaxartes? 

Dass  die  Indogermanen  das  Ross  kannten,  wird  unwiderleglich 
durch  den  Namen  desselben^  akva^  bewiesen,  der  bei  allen  Gliedern 
dieser  Familie  wiederkehrt,  nur  je  nach  Zeit  und  Mundart  etwas  ver- 
schieden gesprochen:  sanskr.  a^cu,  zendisch  und  altpersisch  a^pa^ 
litauisch  aszva  die  Stute,  preussisch  asvinan  Stutenmilch,  altsächsisch 
ehuscalc  der  Pferdeknecht,  angels.  eoh^  altn.  i&i\  gothisch  vielleicht 
aihvs^  aihvuSy  altirisch  eck,  altkambrisch  und  gallisch  ep  (z.  B.  in 
Epona  Pferdegöttin),  lat.  equus^  griech.  %nnog^  Ixxocr  (nur  in  den 
slavischen  Sprachen  verloren).  Dieser  Wortstamm  wird  allgemein 
von  der  Wurzel  ak^  eilen,  streben,  abgeleitet:  das  Pferd  hiess  so  von 
seiner  Schnelligkeit,  sowohl  an  sich,  als  vielleicht  im  Gegensatz  zu 
dem  schwerwandelnden  Ochsen.  Die  Vorstellung  des  Rosses  als  des 
flüchtigen,  geschwinden  Thieres  wirkt  noch  lange  in  manchen  Mythen 
und  in  der  Dichtersprache  nach.  Die  Sonne  eilt  schnell  am  Himmel 
dahin,  darum  wird  ihr  von  Persem  und  Massageten  das  schnellste 
Thier,  das  Pferd,  geopfert,  Ov.  Fast.  1,  385: 

Placat  equo  Persis  radiis  Hyperiona  cinctum^ 

Ne  detur  ceUri  victima  tarda  Deo, 

Herod.  1,  215  (von  den  Massageten):  „als  Gott  verehren  sie  allein 
die  Sonne,  der  sie  Pferde  opfern.  Der  Sinn  dieses  Opfers  ist  fol- 
gender: dem  schnellsten  aller  Götter  theilen  sie  das  schnellste  aller 
irdischen  Geschöpfe  zu."  Die  Sonne  ist  bei  Homer  unermüdlich, 
axcf/iac,  eben  so  Notus  und  Boreas  bei  Sophokles,  Trach.  112,  so 
aber  auch  die  Rosse  vor  dem  Wagen  bei  Pindar,  Ol.  1,  87; 
Den  goldnen  Wagen  und  die  beflügelt  unermudlicheD  Rosse. 

Das  Ross  verschmilzt  in  der  Anschauung  mit  dem  Sturm,  so  beson- 
ders deutlich  in  der  Dichtung  von  Boreas,  der  des  Erichthonius 
Stuten  befruchtet:  die  Rosse  fliegen  dahin,  ohne  die  Aehren  des  Fel- 
des zu  knicken,  sie  streifen  über  den  Eamm  der  Brandung  des  grauen 
Meeres,  II.  20,  226: 

Diese,  so  oft  sie  spriDgend  ein  Feld  mit  den  Füssen  berührten, 
Streiften  die  nickenden  A ehren  im  Flug  und  zerknickten  den  Halm  nicht. 
Sprangen  sie  aber  dahin  auf  mächtigem  Rucken  des  Meeres, 
Netzten  sie  leise  den  Huf  in  der  brandenden  Spitze  der  Wellen. 

Die  Rosse  sind  nicht  bloss  wxeec,   dxvniteig^  loxiinodeg,  nodcixeegy 

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Das  Pferd.  37 

aegalnodeg,  nddag  aiokoi^  sie  heissen  stürmisch,  sturmfiissig,  aekkd- 
dsg,  asXkonodeg^  bei  Vergil  cUipedes^  sie  sind  ftaQyoi  d.  h.  rasend 
(in  dem  alten  Orakel  ans  der  Mitte  des  7.  Jahrhunderts),  schneller 
als  Habichte,  ddoaoveg  Iq^xwv^  schnell  wie  Vögel,  nodcoxeeg  oQVi^ 
x^Bg  äg.  Die  Rosse  des  Rhesus  glichen  im  Laufe  den  Winden, 
&Bisiv  d*  dvd^oioiv  o/noioi^  und  die  des  Achilleus  waren  Söhne  des 
Zephyr  und  der  Harpyie  Podarge  (d.  h.  der  Schnellfussigen;  die 
Harpyien  sind  verderbliche  Windstösse),  sie  flogen  mit  dem  Wehen 
des  Windes,  und  eins  derselben  spricht  selbst,  II.  19,  415: 

Wir  wohl  liefen  sogar  mit  des  Zepbyros  Hauch  in  die  Wette, 
Dem  nichts  Anderes  gleicht  an  Geschwindigkeit 

Ja  Aeolus,  der  Herrscher  der  Winde,  selbst  ist  ^Innoxadrjg,  Sohn 
des  Hippotes  oder  des  Reiters.  Wie  bei  den  Griechen,  erscheint 
aach  in  den  Naturbildem  der  nordischen  Edda  der  Wind  und  Sturm 
hin  und  wieder  als  Ross.  Den  Odin,  den  Gott  des  wehenden  Ele- 
ments, tragt  sein  graues,  achtfüssiges  Ross  Sleipnir;  der  Winter,  als 
Riese  gedacht,  will  den  Göttern  die  Burg  bauen,  und  dabei  hilft 
ihm  sein  Ross  Svadilfari,  d.  h.  der  Nordwind,  aber  ehe  der  Eis- 
palast ganz  fertig  ist,  verwandelt  sich  Loki  in  eine  Stute,  den  Sud- 
wind, die  nun  jenes  erste  Pferd  von  der  Arbeit  ablenkt:  so  ist  das 
Werk  des  Riesen  im  Frühling  unvollendet  und  der  Donnergott  zer- 
schmettert ihm  mit  dem  Hammer  den  Schädel  u.  s.  w.  Auch  in 
der  deutschen  Sage  von  der  wilden  Jagd,  an  deren  Spitze  Wuotan 
auf  weissem  Rosse  dahinfährt,  ist  es  nur  der  nächtliche  Sturm,  der 
sich  in  Ross  und  Reiter  verwandelt  hat.  Mit  diesen  alten  Vorstellun- 
gen mag  es  zusammenhängen;  wenn  in  der  römischen  Zeit  allgemein 
geglaubt  wurde,  in  Lusitanien  am  Ufer  des  Oceans  würden  die  Stuten 
vom  Winde  trächtig:  Varro,  der  zuerst  davon  spricht,  nennt  es  ein 
unglaubliches,  aber  dennoch  wahres  Factum,  2,  1,  19:  In  foetura  res 
mcredibüü  est  in  Hispania,  sed  vera,  qtcod  in  Lusitania  in  ea  regione^ 
vbi  est  oppidum  Olysippo,  monte  Tagro^  quaedam  e  vento  certo  tempore 
concipiunt  equae.  —  War  nun  solchergestalt  das  Pferd  dem  ürvolke 
bekannt  und  lebte  es  in  dessen  Vorstellung  als  das  flüchtige,  ge- 
schwinde, so  dass  auch  der  Name,  den  es  trug,  nach  diesem  Ein- 
druck gebildet  war  —  so  können  wir  es  uns  im  Verhältniss  zum 
Menschen  auf  dreifacher  Stufe  denken,  entweder  als  blosses  Jagdthier, 
das  blitzschnell  vorüberschoss  und  darum  schwer  zu  erreichen  war, 
oder  als  Reitthier,  das  wie  in  späterer  Zeit  den  herumstreifenden 
Nomaden  rasch  zum  Ziele  trug    und  auf  dem  er  die  weidende   fort- 

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38  Das  Pferd. 

getriebene  Heerde  umkreiste,  oder  endlich  auch  vor  den  Karren  ge- 
spannt, die  Kibitke  ziehend  und  der  Umsiedelung  dienend.    Letzteres 
aber  ist  schon  nicht  wahrscheinlich,    da  es  dabei  nicht  auf  die  Ge- 
schwindigkeit^   wie   bei  der  Jagd  und  auf  der  Wache,    sondern  auf 
die  Kraft  der  Muskeln  imd  den  starken  Nacken  ankam.    Die  Scythen, 
ein  Reitervolk,  wie  ihre  Verwandten  weiter  nach  Osten,  fahren  doch 
bei  Herodot  und  Hippokrates  auf  ochsenbespannten  Wagen,  und  auf 
dieselbe  Art    bewegen  sich    die  Kriegs-  und  Wanderungszüge    der 
übrigen  europäischen  Völker,  zu  der  Zeit  wo  sie  uns  zuerst  historisch 
zu    Gesichte    kommen.     Als    die  Kimbern    die  Schlacht    gegen    die 
Römer  verloren  sahen,  da  warfen  die  Weiber,  wie  Plutarch  Mar.  27 
erzählt,  ihre  Kinder  unter  die  Räder  der  Wagen  und  die  Füsse  der 
Zugthiere,  x(vv  vTio^vyiwVy  die  Männer  aber,  weil  in  der  Gegend  sich 
nicht  genug  Bäume  zum  Aufhängen  fanden,    banden  sich  mit  den 
Gliedern  an  die  Beine   oder  die  Homer  der  Ochsen,    trieben   diese 
nach  entgegengesetzter  Richtung  und  Hessen  sich  so  in  Stucke  reissen. 
Der  Ochsen  wagen  erscheint  bei  religiösen  und  politischen  Feierlich- 
keiten, als  Rest  uralter  Tradition,  in  einer  im  Uebrigen  veränderten 
Zeit.     Die  Göttin  Nerthus  bei  Tacitus  fahrt  in  einem  mit  Kühen  be- 
spannten Wagen,    eben  so  die  altgallische  Göttin,   die  Gregor  von 
Tours  Berecynthia  nennt  (Grimm  DM*  234).    Wenn  ein  Verstorbener 
den  Weg  der  Hei  (goth.  Halja)  zum  Grabe  fahrt,  wird  der  Leichen- 
wagen von  Rindern  gezogen.     Auch  Könige  fahren   mit  Ochsen  in 
die  Volksversammlung  und  überall  hin,  wo  sie  sich  öffentlich  zeigen, 
so  die  merovingischen  (Grimm  RA.  S.  262  f.),  eben  so  königliche  und 
edle  Frauen.     Der  taurus  regt»  wird    im  salischen  Gesetz    mit    der 
höchsten  Gomposition  gebüsst,    mit  einer  höheren,    als  das  edelste 
Pferd,  der  varannio  regis.     Auf  der  Antoninsäule  werden  zwei  ge- 
fangene Fürstinnen    auf   einem    mit  Polstern    belegten   Wagen    von 
einem  Ochsen  gezogen,    daneben   schreitet  ein   bärtiger  Mann,    die 
Hände    auf   den  Rücken    gebunden,   von    zwei    römischen   Soldaten 
eskortirt.     Dies  ist  normal:    Frauen  und  Kinder   auf  dem  Ochsen- 
wagen,   Männer  zu  Fuss.     Auch  bei  Griechen   und  Römern  haben 
sich  Spuren  der  ältesten  Zeit  erhalten,  wo  das  Rind  das  allgemeine 
Zugthier  war.     Die  Erfindung   des   Wagens    und   die  Zähmung  des 
Stieres  werden  zusammengedacht,  Tibull.  2,  1,  41 : 

Uli  etiam  tauroa  primi  docuisse  feruntur 

Servüium  et  plausiro  suppoauüse  rotam. 
Aus  der   röhrenden  Fabel  von  Cleobis   und   Biton,    die  Solon    bei 
Herodot  dem  König  Crösus  erzählt,  ersehen  wir,  dass  die  Priesterin 

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Das  Pferd.  39 

der  argivischen  Hera  von  der  Stadt  zum  Tempel  auf  einem  Ochsen- 
wagen  zu  fahren  gewohnt  war.  Auf  eben  solchem  Wagen  musste 
nach  dem  Spruche  des  Zeus  Cadmus  mit  der  Harmonia  aus  Theben 
zu  den  Barbaren  fliehen,  Eurip.  Bacch.  1333: 

oxov  de  ft6ax(ov^  XQ^^f^^S  ^S  Xiyei  ^log, 
fl^g  fiBX  aXoyovy  ßoQßaQiov  j^yovfievog  — 
und  gründete  in  Illyrien  die  Stadt  Bov&orj^  die  nach  diesem  Um- 
stand benannt  war  (Steph.  Byz.  s.  v.).  Bei  Verrichtungen  im  Hause, 
auf  dem  Felde,  bei  ländlichem  Verkehr  dient  nur  der  Ochse;  vor 
den  Pflug  wird  nur  der  Ochse  gespannt;  ein  Haus,  ein  Weib  und 
der  Pflugochse  bilden  die  Grundlage  der  bäuerlichen  Wirthschaft, 
Hesiod.  Op.  et  d.  405: 

Erst  Tor  Allem  ein  Haus  und  ein  Weib  und  ein  pflügender  Ochse. 

Wer  keinen  Ochsen  hat,  der  kann  keine  Last  bewegen  und  er  spricht 
wohl  zum  Nachbar:  gieb  mir  ein  Paar  Ochsen  und  deinen  Wagen, 
aber  Jener  erwidert:  meine  Ochsen  haben  für  mich  zu  arbeiten,  453: 

Leicht  ist  das  Wort:  zwei  Ochsen  gewähr  mir,  Freund,  und  den  Wagen, 
Leicht  ist  die  Weigerung  auch:  die  Ochsen  sind  eben  in  Arbeit 

Ein  Sprichwort  sagte:  ^  SiiaSa  tov  ßnvv^  der  Wagen  zieht  den 
Ochsen,  d.  h.  es  ist  die  verkehrte  Welt.  Der  Ochse  als  Arbeits- 
genosse des  Menschen  ist  daher  unverletzlich  wie  der  Mensch  selbst, 
Varr.  de  r.  r.  2,  5:  bos  socius  hominum  in  rtcsHco  opere  et  Cereris 
minister.  Ab  hoc  antiqui  manus  ita  abstineri  voluerunt^  ut  capite 
sanxerint  si  quis  occidisset  Plin.  8,  180:  socium  enim  laboins  offriqtte 
cuUurae  kabemus  hoc  animal  tantae  apud  priores  curae  ut  sit  inter 
exempla  damnatus  a  populo  Romano  die  dicta  qui  .  .  .  occidet^at  bovem^ 
actusque  in  eamlium  tamquam  colono  silo  interempto,  Ael.  V.  H.  5,  14: 
^Und  dies  war  bei  den  Attikern  Brauch:  den  Ochsen,  der  das  Joch 
tragen  und  vor  dem  Pfluge  oder  dem  Wagen  sich  anstrengen  musste, 
nicht  zu  opfern,  denn  auch  dieser  war  ja  ein  Landmann  und  theilte 
die  Arbeit  und  Mühe  des  Menschen."  Spruch  des  Pythagoras:  Lasse 
die  Hand  vom  Pflugsticr,  ßoog  aQoiTjQog  antxeoxtai.  —  Das  Pferd 
dient  auch  bei  den  homerischen  Griechen  nur  zum  Kriege  und  zwar 
ganz  wie  bei  den  orientalischen  Völkern:  wie  bei  diesen  und  auf 
ihren  Bildwerken  wird  auch  in  der  epischen  Welt  mit  dem  Pferde 
gefahren,  nicht  auf  demselben  geritten.  Das  Letztere  zwar  ist  den 
homerischen  Dichtem  nicht  gänzlich  unbekannt,  wie  wäre  dies  auch 
möglich?  Als  der  Seesturm  dem  Dulder  Odysseus  das  Floss,  das  er 
sich  auf  der  Insel   der  Kalypso  gezimmert,    zerbrach,    da  rettete  er 

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40  Das  Pferd. 

sich  auf  einem  Balken,  auf  dem  er  nim  sass,  wie  auf  dem  Rücken 
des  Kenners;  als  Diomedes  und  Odysseus  Nachts  die  Rosse  des  Rhesus 
entwandten,  da  wollte  Ersterer  auch  den  Wagen  des  erschlagenen 
Königs  aufheben  und  forttragen,  aber  auf  den  Rath  der  Athene  zogen 
die  Helden  es  vor,  die  Thiere  zu  besteigen  und  mit  ihnen  zu  den 
Schiffen  zurückzueilen.  Dies  ist  unter  den  geschilderten  Umstanden 
das  Natürliche;  wie  oft  musste  der  Bube,  der  die  Rosse  zur  Tranke 
führte,  ein  Gleiches  vor  Aller  Augen  gethan  haben !  Wie  von  selbst 
ergiebt  sich  auch  die  Scene,  die  H.  15,  679  geschildert  wird:  ein 
Mann  hat  aus  der  im  Freien  weidenden  Heerde  vier  flüchtige  Renner 
ausgewählt:  er  hat  sie  längs  der  Heerstrasse  in  die  Stadt  zu  bringen, 
sitzt  auf  und  schwingt  sich  während  des  gleichstrebenden  Laufes  von 
einem  Rücken  zum  andern,  zur  Bewunderung  der  am  Wege  stehenden 
Menge.  Mit  Ausnahme  dieser  wenigen  Fälle,  aus  denen  sich  auf 
kein  wirkliches  Reiten  schliessen  lässt,  dient  bei  Homer  das  Ross 
nur  vor  dem  Wagen.  Auf  dem  Gefilde  vor  Troja  wird  gekämpft, 
wie  auf  den  Wänden  des  Königspalastes  von  Kojundschik  oder 
Elhorsabad:  leichte  Streitwagen  mit  einer  Achse  und  zwei  acht- 
speichigen  Rädern,  von  zwei  Rossen  an  der  Deichsel  bewegt,  führen 
den  Helden  in  die  Nähe  der  Feinde,  dort  springt  er  ab  und  schleudert 
den  Speer  oder  zieht  das  Schwert.  Die  Rosse  halten  unterdess,  bis 
der  Zeitpunkt  gekommen  ist,  ihn  wieder  zurück  zu  den  Seinigen  zu 
tragen.  Dabei  hat  der  Streiter  einen  Freund  und  Genossen,  den 
x^eganwv^  als  Rosselenker  zur  linken  Seite  stehn;  während  der  Eine 
den  Wagen  führt,  ersieht  sich  der  Andere  in  der  Rüstung  und  mit 
Schild  und  Lanze  den  Feind.  Zuweilen  rückt  ein  ganzes  Geschwader 
von  Wagen  zum  Angriff  vor:  so  im  vierten  Buch  der  Ilias,  wo  der 
erfahrene  Nestor  die  Seinigen  so  aufstellt,  dass  vom  die  Wagen,  in 
letzter  Reihe  als  uoerschütterlicher  Wall  die  Fusskämpfer,  in  der 
Mitte  die  Schwachen  stehen,  und  dann  das  Gebot  giebt,  kein  Wagen- 
lenker solle  sich  vordrängen,  keiner  zurückbleiben,  so  seien  vor 
Alters  Städte  und  Mauern  bezwungen  worden,  308: 

Dies  war  der  Brauch  der  Alten,  so  stürzten  sie  Vesten  und  Mauern. 

Wie  die  Griechen,  kämpften  auch  die  Trojaner  und  die  Bundes- 
genossen, die  Uaiovcg  oder  Mrjovsg  mnoxogvonai^  die  0Qvy€g 
innodafioi  und  aloXonwXoiy  und  es  ist  kein  Zweifel,  dass  die  ganze 
Eampfweise,  so  wie  das  dazu  gebrauchte  Ross  selbst  aus  Kleinasien 
stammte.  Beinamen,  wie  die  eben  angeführten,  oder  wie  InmoxaQ^iriq^ 
t^nnTjlara^  Taxvnwkoi^    evinnog^    evnwXog^   xXv%6nwXog^    xivrogeg 

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Das  Pford.  41 

"luntjp^  nlfi^tnnog  u.  s.  w.  tragen  ganz  iranisches  Gepräge.  Ares, 
der  Eriegsgott,  selbst  kämpft  entweder  zu  Fuss  oder  zu  Wagen, 
niemals  als  heranstürmender  Reiter.  Da  im  fünften  Buch  der  Ilias 
die  verwundete  Aphrodite  zum  Olymp  eilen  will,  entleiht  sie  ihm 
seinen  Eriegswagen  und  seine  Rosse,  die  sie  pfeilschnell  zum  Götter- 
stz  tragen.  Daher  er  auf  dem  Schilde  des  Herakles  191  ff.  dar- 
gestellt war,  wie  er  die  Lanze  in  der  Hand  hoch  auf  dem  Wagen- 
sessel stand,  vor  ihm  die  schnellen  Rosse,  schrecklich  anzuschauen. 
So  heisst  er  auch  bei  Pindar  Pyth.  4,  87:  ^aixap^arog  n6aig'A(fQ0' 
ii^ag^  der  mit  ehernem  Wagen  fahrende  Gatte  der  Aphrodite.  Auch 
ausser  dem  Kriege  wird  bei  Homer  das  Pferd  nicht  zum  Reiten  be- 
natzt. Dies  erhellt  z.  B.  aus  dem  dritten  Gesang  der  Odyssee,  wo 
Telemachus  und  des  Nestors  Sohn  Pisistratus  von  Pylos  nach 
Lakedämon  quer  durch  den  schwierigen,  gebirgigen  Peloponnes 
stellend  im  Wagen  fahren,  nicht  etwa  auf  und  ab  über  die  Ge- 
birgspässe oder  im  kiesigen  Bette  der  Bergwasser  reiten.  Und  zwar 
geschieht  dies  ganz  in  derselben  Schirrung  und  Rüstung,  wie  bei 
den  Kämpfen  auf  dem  troischen  Gefilde,  und  neben  dem  Helden 
steht  Pisistratus,  der  die  Zügel  iührt  und  die  Rosse  lenkt.  Da 
später  Menelaus  dem  Telemachus  zum  Abschiede  drei  Pferde  mit 
dazu  gehörigem  Wagen  schenken  will,  lehnt  Telemachus  die  Gabe 
ab,  indem  er  daran  erinnert,  dass  in  Ithaka  weder  weite  Rennbahn 
noch  Wiese,  ovt^  ag  öqo^oi  aigieg  ovie  %i  Xei^tov^  sich  finde,  wie 
in  der  Ebene,  die  Menelaus  beherrsche:  keine  der  Inseln,  die  im 
Meer  liegen^  ist  mn^kaiog  d.  h.  eignet  sich  zum  Fahren  im  flüchtigen 
Wagen,  von  allen  aber  Ithaka  am  wenigsten.  Wer  sich  des  Rosses 
freuen  will,  der  bedarf  also  nicht  bloss  fetter  Wiesen,  auf  denen  die 
Heerde  weide  —  und  Erichthonius  besass  eine  solche  von  drei  tausend 
Stuten,  —  sondern  auch  weiten  Raumes,  nolv  nadiov^  und  ebener 
Wege,  )uBiai  6doi\  um  auf  diesen  mit  rasch  rollenden  Rädern  dahin- 
zufliegen; auf  ungleichem  Boden  mit  steigenden  und  fallenden  Ge- 
birgspfaden,  auf  denen  der  Reiter  wohl  auf-  und  abklettert,  ist  bei 
Homer  das  Ross  von  keinem  Gebrauch.  Auch  bei  den  Leichen- 
spielen der  altem  Zeit  finden  sich  noch  keine  Wettrennen  zu  Pferde; 
die  im  23.  Gesang  der  Ilias  bei  der  Bestattung  des  Patroklus  ab- 
gehaltenen Spiele  bestanden  aus  Wagenrennen,  Faustkampf,  Ringen, 
Lauf,  WafiFenkampf,  Wurf  mit  der  Kugel,  Bogenschiessen,  Speerwurf. 
Auch  auf  der  Lade  des  Eypselos,  wo  die  vielberühmten  von  Akastus 
am  Grabe  des  Pelias  veranstalteten  Spiele,  a^la  im  JlsUif^  die 
Stesichorus  besangen  hatte,  abgebildet  waren,  hatte  der  Künstler  kein 

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42  Das  Pferd. 

Pferderennen  dargestellt,  nur  zum  Ziele  eilende  Zweigespanne,  Faust- 
kampfer, Ringer,  Diskuswerfer  und  Läufer.  Aus  dieser  ältesten  Zeit 
sind  uns,  wenn  überhaupt,  doch  nur  ganz  abstrakte  Abbildungen  des 
Rosses  aufbehalten:  was  uns  an  Darstellungen  desselben  aus  der 
spätem  Zeit  der  beginnenden  und  vollendeten  Kunstblüte  verblieben 
ist,  zeigt  nach  dem  ürtheil  von  Kennern  den  schlanken,  orientalischen, 
nicht  etwa  den  nordischen  und  aus  ferner  Heimath  hierher  mit- 
gebrachten Typus. 

In  dieser  Hinsicht  sind  noch  einige  Züge  des  ältesten  Kultus  zu 
erwähnen,  die  gleichfalls  auf  iranische  Einwirkung  hinweisen.  Die 
Perser  verehrten  die  Flüsse  durch  Opferung  von  Pferden:  als  Xerxes 
an  den  Strymon  kam,  schlachteten  die  Magier  diesem  Strome  weisse 
Pferde  (Herod.  7,  113),  und  der  Parther  Tiridates  versöhnte  zu 
Tiberius  Zeit  den  Euphrat  durch  ein  Ross,  Tac.  Ann.  6,  37:  cum  .  . 
ille  (Tiridates)  equum  placando  amni  (Euphrati)  adomasset  Ganz 
ebenso  waren  die  Troer  gewohnt,  lebendige  Rosse  in  die  Wirbel  des 
Skamandros  zu  versenken,  wie  Achilleus  sagt,  II.  21,  132: 

Auch  in  den  Wirbel  der  Flut  lebendige  Rosse  versenktet. 

An  der  argi vischen  Küste  gab  es  mitten  im  Meere  eine  Quelle  süssen 
Wassers,  ^elvrj  oder  Jivr]^  so  genannt  wegen  des  aufsteigenden 
Wirbels,  den  sie  bildete.  In  diese  Dine  pflegten  die  Argiver  vor 
Alters  aufgezäumte  Rosse  zu  stürzen,  dem  Poseidon  zum  Opfer 
(Paus.  8,  7,  2).  Auch  die  Rhodier  warfen  jährlich  der  Sonne  ge- 
weihte Viergespanne  ins  Meer,  Fest.  v.  October  cquus:  Rhodii  qui 
quotannis  quad^ngas  soll  consecratas  in  mare  jaciunty  eben  so  die 
lllyrier  jedes  neunte  Jahr,  Fest.  v.  Hippius:  cui  (Neptuno)  in  lUytnco 
quaternos  equos  jaciebant  nono  quoque  anno  in  mare.  Auch  der  Sonne 
Pferde  zu  opfern,  weisse  Rosse  —  eine  durch  Kultur  geschaffene 
krankhafte  Abart  —  als  durch  ihre  Farbe  dem  Lichtgott  geweihte, 
dann  überhaupt  als  Götterpferde  und  als  königliche  anzuschauen, 
diese  iranische  Kultussitte  und  religiöse  Phantasie  findet  sich  hin  und 
wieder  in  Griechenland,  selbst  in  Italien.  Kastor  und  PoUux,  die 
beiden  Lichtgötter,  reiten  auf  schneeweissen  Pferden  und  so  erschienen 
sie  z.  B.,  in  Scharlachmäntel  gehüllt,  in  der  Schlacht  der  Grotoniateu 
und  Lokrer  am  Sagraflusse,  den  letztem  Hülfe  bringend,  Justin.  20, 
3,  8,  Cic.  de  nat.  deor.  3,  5;  sie  sind  mit  den  heitern,  glänzenden 
Töchtern  des  Leukippos  vermählt,  in  dessen  Namen  sein  lichtes  Wesen 
wiederklingt;  der  Tag  bei  Aeschylus,  Pers.  387,  bei  Sophokles,  Aj.  672, 
steigt  mit  weissen  Pferden,  IsvxoTKoXog^  auf  und  verdrängt  den  düstem 


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Das  Pferd.  43 

Umkreis  der  Nacht  u.  s.  w.  Als  der  Agrigentiner  Exaenetus  als 
Sieger  heimkehrte,  begleiteten  ihn  die  jubelnden  Mitbürger  unter 
Anderem  mit  dreihundert  Wagen  und  weissen  Rossen  davor,  Diod. 
13,  82,  und  auch  Camillus  zog  nach  der  Einnahme  Yejis  in  einem 
mit  weissen  Rossen  bespannten  Wagen  triumphirend  in  die  Stadt 
ein,  Plut  Cam.  7,  1  und  Liv.  5,  23,  was  von  den  Zeitgenossen  als 
ein  UebergrifF  des  Menschen  in  das  Recht  und  die  Herrlichkeit 
des  Sonnen-  und  Himmelsgottes  gerügt  wurde.  Die  Lacedämonier 
schlachten  auf  einem  Gipfel  des  Taygeton  dem  Helios  Pferde  (Paus. 
3, 20,  5,  der  noch  hinzufügt:  „ich  weiss,  dass  auch  die  Perser  die- 
selben Opfer  zu  bringen  pflegen**)  —  welcher  Brauch  nicht  phönizisch 
sein  konnte,  da  die  Phönizier  das  Pferd,  das  sie  ohnehin  aus  der 
Fremde  bezogen,  in  ihrem  Götterdienst  nicht  verwendeten.  Vielmehr 
deutet  dieser  Zug,  wie  alle  früher  erwähnten,  auf  Entlehnung  von 
den  Iraniern  Kleinasiens,  und  kam  das  griechische  ürvolk  wirklich 
mit  dem  kleinen  rauchhaarigen  Steppenpferde  in  seine  späteren  Wohn- 
sitze eingezogen,  so  haben  sich  wenigstens  schon  in  der  ältesten  uns 
erreichbaren  Zeit  alle  Spuren  davon  verloren.  Nicht  ganz  so  verhält 
es  sich  mit  dem  nördlich  von  Griechenland  gelegenen  Thrakien, 
einem  schon  bei  Homer  rosseberühmten  Lande.  Man  könnte  Letzteres 
zwar  mythisch  deuten;  Thrakien  wäre  die  Heimath  der  Rosse,  wie 
die  der  Nordstürme;  aus  dem  thrakischcn  Meer  kommen  die  wilden 
Wogen  herabgestürzt,  in  dem  Rosse  aber  wird  der  Sturm  und  die 
sich  bäumende,  weiss  mähnige  Woge  angeschaut  und  es  ist  daher  auch 
von  Poseidon  geschaffen  und  dient  zu  Uebungen  und  Spielen  an  den 
Kultstätten  dieses  Gottes.  Aber  die  thrakischen  Rosse  des  epischen 
Gesanges  haben  doch  ein  zu  wirkliches  und  geschichtliches  Ansehen; 
die  Thraker  sind  innonokoi^  Thrakien  ist  innoT{)6q)og  (Hes.  Op.  et 
i  507)  und  in  dem  alten  Orakel  aus  dem  siebenten  Jahrhundert 
werden  die  thrakischen  Rosse  hervorgehoben,  Schol.  zu  Theoer.  14,  48: 

7unoc  0QT^txiaiy  ytaxeöaifioviai  da  yvvalxsg^ 
wo  freilich  statt  OQrjtxiat  eine  andere' Ueberlieferung  Qeaaalixai 
nannte.  Die  Thraker  standen  frühe  mit  den  gegen  über  wohnenden 
Völkern  Kleinasiens  in  Kultur-  und  religiösem  Verkehr  und  in  Rhesus 
mit  seinen  Rossen,  die  weisser  denn  Schnee  waren,  seinem  Wagen 
und  seinen  Waffen,  die  zu  tragen  eher  den  Göttern,  als  den  sterb- 
lichen Menschen  geziemte,  —  ist  ein  iranischer  Lichtdämon  nach- 
gebildet, der  daher  auch  im  Dunkel  der  Nacht  seiner  Rosse  und 
seines  Lebens  beraubt  wird.  Aber  wie  Kleinasien  wohnten  die 
Thraker  auch  dem  Gebiet  der  nordischen  Reitervölker  nahe  und  der 

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44  Das  Pferd. 

thrakische  Schlag  mochte  dem  Lande  der  liippomolgen  ursprünglich 
entstammen.  Weiter  lassen  sich  auch  die  zahmen  Pferde  der  Slaven, 
Litauer  und  Germanen  leicht  von  denen  der  reitenden  iranischen 
Nachbarn  ableiten.  Von  den  Slaven  bemerkt  Tacitus  ausdrücklich, 
sie  seien  kein  Pferdevolk,  wie  die  Sarmaten,  von  deren  Sitten  sie  im 
Uebrigen  viel  angenommen,  sondern  hätten  ihre  Starke  zu  Fuss, 
peditum  usu  ac  pemicitate  gaudent,  und  er  rechnet  sie  deshalb  lieber 
zu  den  Germanen.  Als  sie  später  nach  dem  Abzüge  der  Deutschen 
an  die  Elbe  und  Oder  vorgerückt  waren,  da  hören  wir  durch  die 
Geschichtschreiber  des  Mittelalters  von  einer  Verehrung  des  Pferdes 
bei  ihnen,  die  uns  lebhaft  an  die  gleiche  bei  Iraniem  erinnert.  Dem 
Svatovit,  dem  Lichtgotte,  ist  ein  weisses  Pferd  geweiht,  dem  Triglav, 
dem  Bösen  und  Feindlichen,  ein  schwarzes;  das  letztere  wird  nie  ge- 
ritten, das  erstere  zuweilen  von  dem  Priester  bestiegen.  Das  Pferd 
dient  zur  Vorbedeutung,  es  weissagt  Glück  und  Unglück,  die  Tempel, 
bei  denen  es  gehalten  wird,  werden  dadurch  zu  Orakelstatten.  Auch 
in  der  böhmischen  ürsprungssage  ist  es  ein  dämonisches  Ross,  das 
den  Abgesandten  der  Libussa  den  Weg  zum  Premysl,  dem  aus- 
erkorenen Herrscher,  weist.  Dieser  Gegensatz  von  Licht  und  Dunkel 
und  die  Heiligung  des  Rosses  wird,  so  gut  wie  der  Name  Gottes, 
bogu^  von  den  sarmatischen  und  alanischen  Nachbarn  gekommen 
sein.  —  Auch  die  Litauer  finden  wir  in  alten  Zeugnissen  als  Hippo- 
molgen  d.  h.  als  Trinker  der  Pferdemilch,  eine  Sitte,  die,  bei  den 
Germanen  unbekannt,  von  den  Reitern  der  südrussischen  Steppen 
bis  an  die  Ostsee  sich  weiter  verbreitet  hatte.  Wulfstan  bei  König 
Alfred  (Antiquit^s  russes  U,  p.  469)  berichtet:  „bei  den  Esten  (d.  h. 
den  Preussen)  giebt  es  so  viel  Honig,  dass  der  König  und  die 
Reichen  den  Meth  den  Armen  und  den  Knechten  überlassen,  selbst 
aber  Stutenmilch  trinken."  Adam.  Brem.  4,  18:  (Serobi  vel  Pruzzi) 
cames  jumentorum  pro  cibo  sumuni^  qtuyrum  lacte  vel  a^uare  utuntur 
in  potu,  ita  ut  ineh'iari  dicantur,  und  Peter  von  Dusburg,  III,  cap-  5 
(Scriptores  rerum  pruss.  1,  p.  54):  pro  potu  hahent  simplicem  aquam 
et  mellicratum  seu  medonem  et  lac  equarum^  quod  lac  quondam  non 
biberunt  nisi  prius  sanctificaretur,  alium  potum  antiquifi  temporiims 
non  noverunt  Auch  bei  ihnen  also,  wie  bei  den  Iraniem,  wurden 
die  Stuten  in  grossen  Heerden  gehalten  und  diese  dann  umzingelt 
oder  herangetrieben,  um  gemolken  zu  werden,  —  eine  Operation,  die 
Anfangs  schwierig  war,  an  die  sich  aber  die  Stuten,  besonders  wenn 
das  Tränken  damit  verbunden  wurde,  zuletzt  gewöhnten,  und  die 
so  gewonnene  Milch  wurde  auch  hier,  wie  am  Tanais,  durch  Gährung 


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Das  Pferd.  45 

in  ein  berauschendes  Getränk  umgesetzt,    dessen  sich   vorzugsweise 
(He  Vornehmen   bedienten:    auch  aus  dem  letzteren  Zuge  schliessen 
wir,   dass   die  Pferdezucht  eine   der  Fremde  entlehnte   Kunst  war. 
Dass  auch  die  Gothen  in  Schweden,  wie  die  Semben  in  Samland, 
sich  mit  Stutenmilch  berauschten,  scheint  zwar  das  Scholion  129  zu 
Adam  von  Bremen  zu  sagen:   hoc  tcsqtte  hodie  Gothi  et  Sembi  facere 
dicuntur^   quos  ex  lacte  jumentorum  inebriari  certum  est^    allein  das 
Melken  der  Stuten  ist  bei  reinen  Germanen  nie  Brauch  gewesen  und 
90  wird  sich  der  Scholiast  wie  wir  mit  Grimm,  Gesch.  d.  d.  Spr.  721, 
annehmen,    unter  Gothi  et  Sembi  wohl  Samogeten  gedacht  haben, 
üebrigens  hatte   die  an  den  Gegensatz  des  weissen  und  schwarzen 
Pferdes  geknüpfte  reUgiöse  Symbolik  auch  bei  den  Preussen  Eingang 
gefunden,    Peter  von  Dusburg  3,  5:    Prussorum  aliqui   equos  nigros^ 
qmdam  aün  colarü^  propter  Deos  auos   non   audebant   aliqualiter 
equitare.  —   Bei    den    Germanen    tragt    der    dem    Rosse    gewidmete 
Kultus  gleichfalls  einige  ganz  iranische  Züge;    die  Pferde  besitzen 
die  Kraft  der  Weissagung,    sie    werden   den  Göttern    geopfert,    sie 
ziehen  den  heiligen  Wagen,    die  weisse  Farbe  gilt  für  die  heiligste, 
wie  bei  Persem,  Scythen,  den  Venetem,  die  nach  Strab.  5,  1,  9  dem 
Diomedes   ein  weisses  Pferd  opferten  u.  s.  w.     Die  römischen  Beur- 
theiler  erklaren  das  germanische  Pferd  für  gering  und   unedel:    bei 
Cäsar  sind  die  junienta  der  Germanen  parva   atque   deformia^    bei 
Tscitus  die  equi  derselben  non  forma^   non  velodtate  conspicui^    aber 
nach  dem  Erstem  waren  sie  so  gewöhnt,  dass  sie  viel  leisten  konnten, 
mmm  ut  mit  laborü.     Der  Schlag  mochte  dem  ursprünglichen,  wie 
Um  die  Steppe  geboren  hatte,    noch  nahe  stehen:    sagt  doch  Strabo 
von  den  Pferden  am  Borysthenes  und  an  der  Mäotis  fast  dasselbe, 
was  Cäsar  von  den  germanischen,  7,  5,  8:  „sie  sind  klein,  aber  sehr 
schnell  (p^eig)  und  unbändig  (^dvgneid^eic).^    Im  Uebrigen  war  auch 
der  germanische  Mann,  wie  der  slavische,  fester  auf  den  Füssen  als 
zü  Ross,    Tac.  Germ.  6:    in  Universum  spectanti  plus  penes  peditem 
i^iboris^  einzelne  Stamme  vielleicht  ausgenommen,  die  mit  iranis*chen 
Völkern  auf  dem  Steppenboden  enge  Gemeinschaft  gemacht  hatten, 
wie  die  Quaden  mit  den  jazygischen  Sarmaten,  Amm.  Marc.  17,  12,  1: 
permistos  Sarmatas  et  Quados^  vicinitate  et  svmilitudine  moru^n  arma- 
^aec^  concordes.    Von  den   nach  der  entgegengesetzten  Seite  hin 
wohnenden  Germanen,    den  nach  Britannien  gezogenen  Angeln  und 
den  Warnen,  die  er  sich  am  Niederrhein  denkt,  will  Procopius  wissen, 
das  Pferd  sei  ihnen  gänzlich  unbekannt,  de  b.  g.  4,  20:    „Diese  Insel- 
bewohner sind  kriegerischer,  als  die  andern  Barbaren,  von  denen  wir 

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46  Das  Pferd. 

wissen,  liefern  aber  ihre  Treffen  immer  zu  Fuss.  Ja  sie  kennen  das 
Ross  nicht  einmal  von  Angesicht  and  auf  der  Insel  Brittien  kommt 
dies  Thier  gar  nicht  vor.  Gelangt  einer  von  ihnen  auf  einer  Ge- 
sandtschaft oder  sonst  wie  zu  Römern  oder  Franken  oder  sonst  wo 
hin,  da  ist  er  nicht  im  Stande,  selbst  aufzusteigen,  sondern  muss 
hinaufgehoben,  und  eben  so,  wenn  er  absteigen  will,  auf  die  Erde 
hinabgesetzt  werden,  und  eben  so  sind  auch  die  Warnen  keine 
Reiter,  sondern  alle  nur  Fussgänger."  Für  die  Zeit,  von  welcher 
Procopius  spricht,  ist  dies  sehr  unwahrscheinlich:  vielleicht  bezogen 
sich  die  Nachrichten,  die  er  benutzte,  auf  die  Moorgrunde  des  Nord- 
westens, die  für  Pferde  allerdings  unwegsam  waren  und  sind.  Statt 
der  Angeln  hätte  er  dann  die  Friesen  und  statt  Brittien  eine  der 
Flussinseln  des  Festlandes  nennen  sollen.  Aber  die  Bataver,  die 
Bewohner  der  Rheininsel,  galten  gerade  für  die  besten  Reiter  unter 
den  Germanen,  Cass.  Dio  55,  24:  xQatiavoi  innavetv^  Plut.  Oth. 
12,  4:  r€(ffnavcüv  Innsig  (xQiatoi^  die  bewafl&iet  mit  ihren  Pferden 
über  den  Rhein  schwammen,  Tac.  Hist.  4,  12:  eques^  praecipuo  nandi 
studio^  arma  equosque  retinens  inteff)^  turmis  Rhenum  perrumpere.  — 
Auch  das  kaledonische  Pferd  wird  als  klein  und  unansehnlich  ge- 
schildert, war  also  dem  germanischen  verwandt  und  stellte  auf  der 
isolirten  Insel  den  altkeltischen  Schlag  dar,  der  in  Gallien  längst 
gekreuzt  und  veredelt  war,  Cass.  Dio  76,  12  (von  den  Caledoniem): 
„sie  haben  kleine  und  schnelle  Pferde,  gehn  aber  auch  zu  Fuss  und 
laufen  sehr  schnell  und  halten  im  Kampf  sehr  festen  Stand."  Also 
auch  die  Caledonier  sind  geschwinde  Läufer,  wie  die  Germanen  und 
die  Wenden  im  Gegensatz  zu  den  Sarmaten:  die  Reiterei  ist  bei 
diesen  Völkern  nur  eine  untergeordnete  HilfswafiFe.  Ja  der  Reiter 
bedarf  eines  flüchtigen,  starken  Kampfgenossen  zu  Fuss,  der  ihn  be- 
gleitet und  ihm  in  entscheidenden  Momenten  zu  Hülfe  kommt.  Aus- 
führlich schildert  Cäsar  diese  Combination  von  Ritt  und  Lauf  bei 
den  Germanen,  de  b.  g.  1,  48:  „Es  waren  (im  Heere  des  Ariovistus) 
sechstausend  Reiter  und  eben  so  viel  sehr  schnelle  und  kräftige 
Kämpfer  zu  Fuss,  die  Jene  sich  um  ihres  Heils  willen,  suae  salutis 
catcsa^  aus  der  ganzen  Menge  ausgewählt  hatten,  und  mit  denen  sie 
während  der  Schlacht  im  Verkehr  standen.  Zu  diesen  zogen  sich 
die  Reiter  zurück;  wurde  an  einem  Punkte  der  Kampf  schwierig,  so 
eilten  die  Fussgänger  zur  Unterstützung  herbei;  war  ein  Reiter  ge- 
troffen und  sank  vom  Pferde,  so  umstanden  sie  den  Verwundeten: 
handelte  es  sich  darum,  weiter  vorzusprengen  oder  rasch  sich  zurück- 
zuziehen, so  war  ihre  durch  üebung  gewonnene  Geschwindigkeit  so 


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Das  Pferd.  47 

gross,  dass  sie  die  Mahne  fassend  mit  den  Pferden  Schritt  hielten." 
Tacitos  bestätigt  dies  in  seiner  gedrängteren  Redeweise,  Germ.  6: 
eoKfte  (pedite)  mixü  proeliantur  apta  et  conffruente  ad  equeBtrem  jmgnam 
tebcitate  peditMin^  quos  ex  omni  juventute  delectos  ante  aciem  locant 
Schon  lange  vorher  waren  auch  die  Bastarnen  gewohnt,  solche  Neben- 
kämpfer zu  Fuss,  die  bei  Plutarch  naQaßarai  heissen,  zu  gleicher 
Zahl  unter  ihre  Reiter  zu  mischen,  Liv.  44,  26:  veniebant  decem  milia 
0pdhim^  par  numerus  peditum^  et  ipsorum  jungentium  cursum  equis, 
et  in  vicem  prolapsorum  equitum  vaaios  capientium  ad  pugnam  equos^ 
and  dass  auch  die  Gallier,  die  den  späteren  Germanen  immer  ähn- 
licher werden,  je  weiter  wir  in  ihrer  Geschichte  hinaufgehen,  sich 
aof  ihre  Reiterei  allein  nicht  verliessen,  sondern  diese  gern  durch 
kräftiges  Fussvolk  unterstützten,  lehren  einzebie  Erwähnungen,  wie 
Cäs.  d.  b,  g.  7,  80.  Es  war  also  allgemein  nordeuropäische  Sitte, 
TOD  Gallien  bis  zur  Istermundung.  Zwar  wird  auch  bei  den  süd- 
lichen Völkern  hin  und  wieder  von  einer  ähnlichen  Kampf  weise  be- 
richtet, die  aber,  genauer  betrachtet,  dennoch  anderer  Natur  war. 
Die  Iberer  ritten  zu  zwei  auf  dem  Pferde  in  die  Schlacht  und  dann 
kämpfte  der  eine  von  beiden  zu  Fuss  (Strab.  3,  4,  18),  und  von 
den  Keltiberen  sagt  Diodor  5,  33,  sie  seien  difxdxat^  d.  h.  wenn  sie 
zu  Pferde  mit  Erfolg  gekämpft,  sprängen  sie  ab  und  lieferten  zu 
Fuss  erstaunliche  Gefechte.  Aehnlich  war  der  taktische  Kunstgriff, 
den  nach  der  Erzählung  des  Livius  26,  4  und  des  Valerius  Maxi- 
mus 2,  3,  3  die  Römer  einmal  im  zweiten  punischen  Kriege  an- 
wandten: als  Capua  von  ihnen  unter  Q.  Fulvius  Flaccus  belagert 
wurde  und  die  römische  Reiterei,  an  Zahl  schwächer,  gegen  die  der 
Belagerten  sich  nicht  halten  konnte,  erdachte  der  Centurio  Q.  Navius, 
um  diesem  beschämenden  Verhältniss  ein  Ende  zu  machen,  folgenden 
BeheK.  Es  wurden  aus  allen  Legionen  die  kräftigsten  und  beweg- 
hchsten  Jünglinge  ausgewählt  und  mit  langen  Speeren  bewaffnet, 
diese  setzten  sich  hinter  den  Reiter  aufs  Pferd  und  sprangen  bei 
gegebenem  Zeichen  ab,  so  dass  sich  gleichzeitig  mit  dem  Reiter- 
kampf ein  Kampf  zu  Fuss  entwickelte;  das  Unerwartete  der  Scene 
und  die  beigebrachten  Wunden  zwangen  von  da  ab  die  feindliche 
Reiterei  zur  Flucht.  Die  Angabe  dazu  hatte,  wie  gesagt,  der  Cen- 
surione  Navius  gemacht,  auctorem  peditum  equiti  immiscendorum  cen- 
tmoTiem  Q.  Navium  ferunt:  es  war  aber  wohl  nicht  seine  eigene 
Erfindung,  sondern  von  ihm  bei  den  Barbaren  oder  auch  den  Grie- 
chen gesehen  oder  ihm  durch  Hörensagen  kund  geworden.  Nach 
Pollux  1,  132  hatte  Alexander  der  Grosse  eine  Art  Reiter,  dii-iaxai^ 

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48  I>as  Pferd. 

erfunden,  die  leichter  bewaflnet  waren,  als  der  Hoplit,  schwerer,  als 
der  eigentliche  Reiter,  und  die  auf  Beides  geübt  waren,  auf  den 
Kampf  zu  ebener  Erde  und  auf  den  vom  Pferde  herab,  so  dass  sie, 
wenn  es  eine  Reiterschlacht  gab,  mit  dreinhauen,  weun  es  auf  ein 
Gefecht  zu  Fuss  ankam,  gleichfalls  das  Ihrige  leisten  konnten  — 
also  eine,  wie  die  neueren  Dragoner,  auf  die  eine  und  die  andere 
WafiFe  eingeübte  Truppe,  ein  Erzeugniss  nicht  nationaler  Sitte,  son- 
dern reflectirender  Kriegskunst.  Aehnliches  besagt  auch  wohl  der 
griechische  Ausdruck  ajuinTrni^  bei  Xenophon  Hell.  7,  5,  23:  ne^iüv 
afUTiTKov  und  Thycydid.  5,  57 :  die  ßöoter  stellten  fünftausend  Hopli- 
ten,  eben  so  viel  Leichtbewaffnete,  fünfhundert  Reiter  und  eben  so 
viel  aiuTinni.  Schon  näher  der  geimanischen  Art  stünde  die  Fecht- 
weise der  Daer,  wenn  in  dem  Bericht  des  Curtius  die  letzten  Worte 
volle  Geltung  hätten,  7,  32:  equi  binos  armatos  vehunt^  quorum  in- 
vicem  singuli  repente  desiliunt:  equestris  pugnae  ordinem  turbant. 
Equorum  velocitati  par  hominum  pemicitas,  A  ber  dass  die  Reiter- 
völker, die  immer  und  überall  schwerfällig  zu  Fusse  sind,  im  Lauf 
mit  ihren  Rossen  hätten  wetteifern  können,  hat  wenig  Wahrschein- 
lichkeit und  der  Angabe  des  genannten  Geschichtschreibers  liegt 
sicher  irgend  eine  Verwechselung  zu  Grunde.  Man  könnte  eine 
solche  combinirte  Kampfart  schon  in  der  Odyssee  finden,  wo  es  von 
dem  thrakischen  Volke  der  Kikonen  heisst,  9,  49: 

geübt  von  den  Pferden  {a<p  tnntov) 
Oder  zu  Fuss,  wo  die  Noth  es  gebot,  mit  den  Männern  zu  kämpfen  — 
aber  der  Ausdruck  at^  tnntov  bedeutet  bei  Homer  sonst  immer 
vom  Wagen  herab  und  die  kikonische  Kriegsweise  würde  also 
ganz  mit  der  in  der  Hias  gebräuchlichen  zusammenfallen.  Warum 
aber  wurde  sie  dann  ausdrücklich  erwähnt?  Weil  der  ritterliche 
Kampf  bei  einem  barbarischen  Volke  etwas  Unerwartetes  war?  — 
Zum  Verwundern  aber  stimmt  das  troische  und  kikonische  Wagen- 
gefecht mit  den  Kampfsitten  überein,  die  nachher  Cäsar  bei  den  kel- 
tischen Stämmen  in  Britannien  vorfand.  Diese  rollten  mit  ihren 
Wagen  in  die  Schlacht,  wie  die  Helden  vor  Troja.  Cäsar  beschreibt 
ihr  Verfahren  dabei  ausführlich,  de  b.  g.  4,  33:  „Erst  reiten  und 
fahren  sie  pfeileversendend  nach  allen  Seiten  und  suchen  die  feind- 
lichen Reihen  in  Auflösung  zu  bringen.  Dann  springen  sie  plötzlich 
von  den  Wagen,  ex  essedü,  und  kämpfen  zu  Fuss.  Unterdess  hal- 
ten die  Wagenlenker  abseits,  um  die  Streiter,  wenn  diese  vom  Feinde 
bedrängt  werden,  sogleich  wieder  aufzunehmen.  So  vereinigen  sie 
die  Flüchtigkeit  des  Reiters  mit  der  Standhaftigkeit  des  Streiters  zu 

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Das  Pferd.  49 

Fuss.  Ihre  Uebung  darin  ist  so  gross,  dass  sie  auf  steilen  Berg- 
abhängen  die  in  vollem  Lauf  begriffenen  Rosse  aufhalten  und  lenken 
und  an  der  Deichsel  hin  und  her  laufen  und  auf  das  Joch  treten 
und  dann  wieder  im  Nu  sich  in  den  Wagen  zurückziehen  können." 
Die  Dämliche  Eampfart  hatte  später  auch  Agricola  vor  sich,  Tac. 
Agr.  35:  media  carnpi  covinariua  et  eques  strepifu  ac  diacursu  com- 
py>at,  Mela  fügt  hinzu,  die  Wagen  seien  mit  Sicheln  bewa&et  ge- 
wesen, worüber  Cäsar  und  Tacitus  schweigen,  3,  6,  6:  dimicant  non 
eqmtatu  modo  aut  pedite^  verum  et  bigü  et  curribtia  gallice  armati: 
emnnos  vocant^  quorum  falcatis  aadbus  utuntwr,  (üeber  die  Namen 
oieda  oder  essedum  und  covinus  s.  Diefenbach  0.  E.  unter  diesen 
Wörtern  und  Glück  in  Fleckeisens  Jahrbb.,  Th.  89,  1864,  S.  599). 
Andere  berichten  daneben,  diese  Kriegswagen  seien  bei  den  Beigen 
im  Gebrauch  und  dies  führt  uns  zu  der  Annahme,  dass  sie  nach 
dem  grossen  keltischen  Wanderzuge  in  den  Osten  und  in  die  Nähe 
inmischer  und  thrakischer  Völker  diesen  letztem  entlehnt  waren 
uid  nachdem  sie  auf  dem  Festlande  ausser  Gebrauch  gekommen,  auf 
der  britischen  Insel,  wie  so  manches  Andere  aus  älterer  Zeit,  sich 
noch  erhalten  hatten.  Die  Sichelwagen  waren  asiatisch  —  Livius 
37,  41  nennt  sie  der  römischen  Kriegskunst  gegenüber  ein  ifiane 
hdärnum  —  und  das  Fahren  in  der  Schlacht  überhaupt,  wie  wir 
gesehen  haben,  assyrisch,   persisch  und  kleinasiatisch. 

Ob  das  Reiten  oder  das  Fahren  das  Erste  gewesen,  ist  eine 
Ton  den  Dichtem  bei  ihren  Phantasien  über  die  Urzeit  zuweilen  auf- 
geworfene Frage.  Lucretius  meint,  bewaffnet  auf  den  Rücken  des 
Thieres  zu  springen  und  es  mit  dem  Zaume  zu  lenken,  sei  älter, 
als  mit  der  Biga  in  die  Schlacht  zu  ziehen,  5,  1297: 

Et  prius  est  armatum  in  equi  conscendere  costas 

Et  modm-arier  hunc  frenis  dextraqite  vigere, 

Quam  bijugo  curru  belli  temptare  pericla  — 

und  dies  mag  in  dem  Sinne  richtig  sein,  dass  zwar  der  Wagen 
selbst  ein  uraltes  Geräth  ist,  dass  aber  von  dem  rohen,  schwerfälli- 
gen Lastfuhrwerk  der  frühesten  Zeiten  bis  zu  dem  leichten,  geschwin- 
den, zierlichen,  mit  Metall  gearbeiteten  zweirädrigen  Kriegswagen 
der  Assyrer  ein  sehr  weiter  Schritt  ist.  Der  Gebrauch  des  Rindes 
als  Zugthier  konnte  dazu  einladen,  auch  das  gefangene  Ross  zu 
gleichem  Dienst  anzuhalten;  aber  natürlicher  ist  es,  das  wilde  Thier 
auf  dessen  eigenem  Rücken  mit  Händen  und  Füssen  zu  umklammem 
ond  dann  müde  zu  jagen,  so  dass  es  nicht  weiter  kann  und  dann 
willig  wird.    Auch  war  das  Ross,    wie   wir  gesehen   haben,    immer 

Vkt.  Hfthn,  Kultorpflanxen.  4  ^  t 

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50  Das  P^erd. 

nur  ein  kriegerisches  Thier,  dessen  Werth  in  der  Geschwindigkeit 
bestand,  und  erst  der  Reiter  verfiel  darauf,  durch  ein  angehängtes 
leicht  rollendes  Gefass,  das  ihu  und  seinen  Gefährten  au&ahm,  ge- 
'wisse  Kriegszwecke  ToUständiger  zu  erreichen. 

Fassen  wir  alle  obigen  Notizen  zusammen,  so  verräth  sich  uns 
nirgends  in  Europa,  weder  bei  den  klassischen  Völkern  des  Südens, 
noch  bei  den  nordeuropäischen  von  den  Kelten  westlich  bis  zu  den 
Slaven  östlich  das  hohe  Alter  des  Pferdes  und  die  lange  Dauer  die- 
ser Zähmung  durch  deutliche  Spuren  und  unzweifelhafte  Anzeichen. 
Ja  manche  Thatsachen  scheinen  in  positiver  Weise  die  Bekanntschaft 
mit  dem  Thiere  in  früher  Zeit  auszuschliessen,  z.  B.  dass  die  home- 
rischen Griechen  auf  dem  Rosse  nicht  reiten  (wie  sie  doch  thun 
müssten,  wenn  sie  es  ursprünglich  besessen  hätten),  sondern  mit 
dem  Rosse  nur  fahren  (was  sie  den  Asiaten  abgesehen  haben 
müssen).  Wir  haben  daher  keinen  Grund,  uns  die  Indogermanen 
bei  ihrer  frühesten  Einwanderung  als  ein  Rossevolk  zu  denken,  das 
mit  verhängtem  Zügel  über  Europa  dahergesprengt  kam  und  Men- 
schen und  Thiere  mit  der  Schhnge  aus  Pferdehaar  einfing.  Be- 
gleitete sie  aber  das  Ross  auf  ihrem  grossen  Zuge  durch  die  Welt 
noch  nicht,  so  müssen  die  dem  Ausgangspunkt  nahe  gebliebenen 
iranischen  Stämme  diese  Kunst  erst  später  erlernt  haben  —  von  wem 
anders,  als  von  den  hinter  ihnen  hausenden,  allmählig  im  Laufe  der 
Zeit  näher  gerückten  Türken?  Diesen  und  hinter  ihnen  den  Mon- 
golen verbliebe  der  Anspruch,  den  flüchtigen  Einhufer  auf  der  weiten 
Steppe  zuerst  gefangen  und  überwältigt  und  zur  Jagd  und  zum 
Kriege  abgerichtet  zu  haben.  Als  die  Türken  den  gebildeten  Völ- 
kern des  Occidents  zuerst  zu  Gesicht  kamen,  da  waren  sie  ein  Reiter- 
volk, wie  man  in  solchem  Masse  noch  keines  kannte,  auch  die  Scy- 
then  und  Parther  und  andere  Iranier  nicht  ausgenommen.  Die  Hunnen 
sind  axQoarpaXelgy  d.  h.  sie  fallen  bei  jedem  Schritt,  und  aTiodeg^ 
d.  h.  ohne  Füsse  zum  Auftreten  (bei  Suidas),  sie  leben,  wachen  und 
schlafen,  essen  und  trinken,  berathen  sich  unter  einander  zu  Pferde 
und  die  Thiere  sind  ausdauernd,  aber  hässlich,  also  frisch  von  der 
hochasiatischen  Steppe  gekommen,  Amm.  Marc.  31,  2,  6:  equis  prope 
adfixij  durü  quidem^  sed  deformibuSy  et  muliebriter  iisdem  wmnun- 
quam  insidentes,  funguntwr  muneribus  consuetü.  Ex  ipsis  quivü 
pemoa  et  perdivs  emit  et  vendit  cibumque  sumit  et  potum  et  incli- 
nafvs  cervici  anffustae  jumenU  in  altum  soporem  adtcsqiie  varietatem 
effunditwr  somniorum.  Et  deliberatume  super  rebus  proposita  seriis, 
hoc  habitu  omnes  in  commune  Consultant   Und  nicht  anders  schildert 

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(hiechen.    Italer.    Phönizier.  51 

sie  Zosimus  4,  20:  „sie  sind  nicht  im  Stande,  den  Fuss  fest  auf 
den  Boden  zu  heften,  leben  ganz  auf  den  Pferden,  schlafen  auf  ihnen 
u.  s.  w.*'  Die  Steppe  hat  das  Pferd  geboren,  die  gelben  Steppen- 
völker haben  es  gezähmt  und  nachdem  ihnen  diese  That  gelungen, 
ihr  ganzes  Dasein  von  ihr  abgeleitet.  Wenn  es  wahr  sein  sollte, 
wie  neuerdings  im  Hinblick  auf  die  zweite  Art  der  achämenidischen 
Keilschriften  angenommen  wird,  dass  Medien  entweder  eine  ursprüng- 
lich turanische,  d.  h.  nicht-iranische  Bevölkerung  gehabt  hat  oder 
ursprünglich  von  Ariern  bewohnt  wurde,  die  später  von  eingewan- 
derten Turaniem  unterjocht  worden  —  so  würde  sich  dadurch  des 
Weiteren  erklären,  warum  dieses  Land  für  ganz  Vorderasien  Heimat 
und  Ausgang  der  Rossezucht  und  Reitkunst  geworden  ist^') 


Zur  Zeit,  wo  die  erste  Dämmerung  der  Geschichte  über  der 
griechischen  Halbinsel  anbricht,  lässt  sich  etwa  Folgendes  erkennen. 
Das  Volk,  welches  später  unter  dem  Namen  der  Hellenen  die  Welt 
mit  seinem  Ruhm  erfüllen  sollte,  mag  an  der  Ostseite  des  adria- 
tischen  Meeres  durch  Gebirge  und  Wälder  bis  Dodona  in  Epirus 
sich  durchgekämpft  haben,  an  welche  Gegend  die  Nachkommen  ihre 
ältesten  Erinnerungen  und  Vorstellungen  frühesten  Gottesdienstes  und 
primitiven  Lebens  knüpften.  Hier  war  ein  Haltepunkt;  von  hier 
gingen  die  beiden  nationalen  Gesammtnamen  aus,  der  der  Hellenen, 
der  später  mehr  im  Osten  Gellung  gewann,  und  der  der  Griechen, 
FgaiKoi^  der  im  Westen  der  Halbinsel  haftete  und  von  da  den  ge- 
genüberwohnenden Italem  zukam,  nachmals  aber  im  Mutterlande 
wieder  erlosch.  Von  Epirus  ging  der  Einwanderungszug,  ohne 
Zweifel  wilden  Drängern  von  Norden  ausweichend,  über  schwierige 
Gebirge  nach  Thessalien,  wo  ein  zweites  sehr  altes  Dodona  gelegen 
haben  sollte,  und  erfüllte  von  dort  in  weiterer  Ausbreitung  die  an- 
grenzenden Landschaften,  die  erreichbaren  Inseln  und  die  südlichste 
fast  von  allen  Seiten  vom  Meer  umflossene  Halbinsel.  Als  in  einer 
viel  spätem  Epoche  der  kleine  Stamm  der  Dorer  von  seiner  Heimat 
am  Pamassus  erobernd  den  Peloponnes  überzogen  hatte,  da  war  die 
vorbereitende  Zeit  der  Mischung  und  der  unstäten  Hin-  und  Her- 
züge geschlossen  und  die  Bevölkerung  der  Halbinsel  im  Wesentlichen 
in  den  festen  Sitzen  angesessen,  in  denen  sie  uns  seitdem  die  Ge- 
schichte zeigt.  Ueberall  wird  der  eigentlich  griechischen  Zeit  die 
der  Pelasger  als  vorausgehend  gedacht,  ein  Name,  in  dem  entweder 
nur  die  Vorwelt  und  ältere  Kulturform  als  solche  personificirt  (Pelas- 

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52  Griechen.    Italer.    Phönizier. 

ger  am  wahrscheinlichsten  so  viel  als  Altvordern,  die  Altersgrauen) i*), 
oder  die  Erinnerung  an  einen  bei  der  Einwanderung  den  eigent- 
lichen Griechen  vorausgegangenen  und  allmählig  von  diesen  absorbir- 
ten  Zweig  desselben  Volkes  erhalten  worden  ist.  Wie  mit  den 
Pelasgem  verhält  es  sich  mit  den  frühzeitig  verschwindenden  Stäm- 
men, die  wir  unter  dem  Namen  der  Leleger  (wohl  so  viel  als  Selecüf 
Erlesene,  in  anderer  Form  Lokrer)  zusammenfassen  können  und  die 
sich  als  zerstreute  Trümmer  von  Westgriechenland  über  die  Inseln 
bis  an  einzelne  Punkte  der  kleinasiatischen  Küste  verfolgen  lassen. 
Sie  gehörten  wie  die  Pelasger  zu  den  Ersten  des  grossen  Einwande- 
rungszuges und  wurden  von  nachrückenden  Haufen  zersprengt  oder 
unteijocht  oder  über  das  Meer  gejagt;  ihr  Ausgangspunkt  war,  so 
viel  wir  sehen  können,  Akamanien  nebst  den  davor  liegenden  Inseln.*  ^) 
In  dieser  ältesten  Zeit  ist  die  Völkerscheidung  noch  keine  bestimmte 
und  Uebergänge  führen  nach  allen  Seiten  hin.  Erst  die  fortgehende 
Bildungsgeschichte  schuf  den  Gegensatz  zwischen  Barbaren  und 
Hellenen;  ethnologisch  verwandte  Stamme,  die  aber  auf  altem  Stufen 
der  Kultur  verblieben  waren  und  deren  Mundart  nicht  mehr  ver- 
standen wurde,  erschienen  als  fremden  und  ungewissen  Blutes.  Zu 
solchen  Halbhellenen  mit  vermittelnder  Zwischenstellung  gehörten 
später  die  Aetoler  und  Akamanen,  weiter  hinauf  die  Thesproten  und 
Molosser  in  dem  einst  griechischen  Epirus,  auf  der  entgegengesetzten 
östlichen  Seite  das  nachher  grosse  und  ruhmreiche  Volk  der  Make- 
donen  (so  viel  als  die  Langen,  wie  umgekehrt  die  Minyer  so  viel 
als  die  Kleinen).  Sie  bildeten  den  üebergang  zu  den  beiden  weit 
ausgebreiteten  Völkern  der  Thraker  östlich  und  der  Illyrier  west^ 
lieh,  die  zwar  der  indoeuropäischen  Familie  angehörten,  also  auch 
den  Hellenen  nicht  absolut  fremd  waren,  dennoch  aber  wegen  langer 
Trennung  und  abweichender  Schicksale  bereits  in  so  weitem  Abstand 
sich  befanden,  dass  bei  der  Berührung  kein  unmittelbares  Gefühl 
der  Bluts-  und  Kulturverwandtscbaft  mehr  sprach.  Ob  diese  massen- 
haft dort  gelagerten  Stämme  dem  in  den  Süden  fortgezogenen  Ur- 
volke  der  Griechen  erst  südlich  der  Donau  nachgerückt  oder  ob 
dieses  sich  kämpfend  an  ihnen  vorbeigedrängt  habe,  bleibt  in  Dunkel 
gehüllt,  obgleich  Pott,  Ungleichheit  menschlicher  Rassen,  S.  71,  das 
Letztere  glaubt  annehmen  zu  dürfen.  Dass  uns  aber  die  Sprache 
beider  Völker  auf  immer  verloren  gegangen  ist,  bleibt  für  die  Auf- 
hellung der  früheren  Schicksale  des  Indogermanismus  auf  europäi- 
schem Boden  eine  schwere  Einbusse.  In  diesen  Sprachen  wäre  uns 
der  Schlüssel   für   so    manches  Problem    der  Theilung  und  Wande- 

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Griechen.    Italer.    Phönizier.  53 

nmgsriclitaBg  und  aUmähligen  Saccession  der  Hauptglieder  dieses 
Völkersystems  gegeben  gewesen.  Denn  die  Thraker  mit  den  zu 
ihnen  gehörenden  Geten  und  Daken  und  die  Slyrier  mit  ihren  Neben- 
zweigeu,  den  Pannoniem  und  Venetem,  bilden  die  Centralmasse,  von 
der  nach  allen  Seiten  verbindende  Fäden  auslaufen.  Sie  standen 
den  Griechen  nahe,  aber  auch  den  Phrygern  und  durch  diese  den 
Armeniern  und  iranischen  Stammen,  mit  welchen  letzteren  sie  ohne- 
hin durch  Skythen  und  Sarmaten  sich  unmittelbar  berührten;  nicht 
geringe  Spuren  verknüpfen  sie  gleichzeitig  mit  den  nördlichen  Litu- 
slaven  und  Germanen  und  mit  den  westlichen  Kelten.  Indem  uns 
so  in  der  Reihe  der  Sprachen  und  also  der  Völker  ein  wichtiges 
Glied  fehlt,  bleiben  wir  für  die  Gruppirung  derselben  auf  vereinzelte 
Beobachtungen  angewiesen,  deren  Gewicht  der  Eine  so,  der  Andere 
aoders  schätzen  kann.  Zwar  scheint  von  einem  der  beiden  Zweige 
wenigstens  ein  kostbarer  Rest  in  der  heutigen  albanesischen  Sprache 
erhalten.  Allein  dieses  Idiom  liegt  in  junger,  sehr  entstellter  Form 
Yor;  es  ist  von  Einwirkungen  der  es  umgebenden  Zungen  in  alter 
wie  in  neuer  Zeit  4iei  durchdrungen  worden;  was  diesem  fremden 
Einfluss  und  was  der  Urverwandtschaft  zuzutheilen  sei,  muss  oft 
zweifelhaft  bleiben  und  Alles  zusammengenommen  hat  bis  jetzt  die 
ohnehin  vielbeschäftigte  vergleichende  Sprachwissenschaft  abgehalten, 
anf  diesem  Boden,  der  vielleicht  noch  manches  verbirgt,  die  Aus- 
grabung in  grösserem  Mass  vorzunehmen^^).  —  Die  Thraker  (scheint 
eine  griechische  Benennung,  die  Rauhen  oder  die  Gebirgsstämme, 
Ton  TQaxvg  mit  vertauschter  Aspiration,  wie  Ligures  asperi  bei 
Avienus)  hatten  frühe  asiatische  Kulturwirkung  erfahren  und  in  ihren 
südlichsten  Zweigen  frühe  eine  solche  auf  den  Norden  Griechenlands 
geübt:  die  Illyrier  führen  uns  auf  der  entgegengesetzten  Seite  zur 
Schwesterhalbinsel  Italien.  Dort  hatten  Illyrier  unter  dem  Namen 
Yeneter,  Heneter,  Eneter  nicht  bloss  das  Mündungsland  des  Po  und 
der  übrigen  Alpenflüsse  besetzt,  sondern  auch,  wie  mancherlei  Namens- 
sparen verrathen,  ja  selbst  directe  Zeugnisse  bestätigen,  schon  frühe 
längst  der  ganzen  Ostküste  bis  tief  an  die  südliche  Spitze  sich  aus- 
gebreitet, ohne  indess  den  Apennin  zu  überschreiten.  Zu  dem  illyri- 
schen Stamm  mögen  auch  die  Messapier  und  Japygen  im  Süd- 
osten der  Halbinsel  nebst  den  Nachbarvölkchen  zu  rechnen  sein. 
Auf  dem  grossen  Völkerwege  um  den  venetischen  Meerbusen  herum, 
die  italischen  Illyrier  entweder  vor  sich  und  zur  Seite  schiebend  oder 
umgekehrt  von  diesen  vorwärts  nach  Süden  und  Südwesten  gedrängt, 
war  denn  auch  das  eigentlich  italische  Volk   in   die  Halbinsel   vor- 

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54  Griechen.    Italer.    Phönizier. 

gerückt,  das,  wie  der  Augenschein  den  Unbefangenen  lehrt,  von  den 
Vorvätern  der  Hellenen  sich  erst  verhältnissmässig  spät  getrennt 
hatte.  Unter  den  Unterabtheilongen,  in  die  es  aof  dem  neuen  Boden 
zerfiel  und  die  vielleicht  nur  der  in  intermittirenden  Stössen  erfolgen- 
den Einwanderung  ihr  Dasein  verdanken,  setzten  sich  die  Latiner 
in  der  Ebene  sudöstlich  von  dem  untern  Tiber  und  auf  den  daran 
stossenden  vulkanischen  Vorbergen  fest;  die  sabellischen  Stämme 
drangen  auf  dem  Rucken  des  Gebirges  selbst  vor;  vom  untern  Po 
und  den  Ebenen  am  adriatischen  Meer  quer  durch  die  Halbinsel 
bis  zum  westlichen  Meer  waren  die  ümbrer  verbreitet,  an  welche 
sich  im  Nordwesten,  in  den  Gebirgen,  die  zu  den  Golfen  von  Genua 
und  Spezzia  hinabsteigen,  die  Ligyer  oder  Ligurer  (in  ältester  Form : 
Ldguses),  ein  nicht  italisches  Volk,  anschlössen.  Ob  die  Einwanderer 
an  den  Westküsten  Italiens  bis  hinab  nach  Sicilien  ligurische  und 
iberische  Bewohner  vorfanden  und  sie  verjagten  oder  vertilgten,  lässt 
sich  mehr  ahnen  als  behaupten  oder  verneinen.  Aber  frühe  schon 
wurden  die  Umbrer  durch  einen  neuen  Einbruch  von  Norden  ver- 
drängt, gespalten  und  unterjocht:  das  räthselhafte;  indess  doch  wohl 
indoeuropäische  Volk  der  Etrusker  setzte  sich  in  breiter  Herrschaft 
von  den  Alpen  bis  zum  Tiber  durch  die  obere  Hälfte  der  Halbinsel 
fest,  wurde  mächtig  zur  See,  ging  später  sogar  nach  Campanien 
über,  bis  es  durch  die  über  die  Alpen  brechenden  Kelten,  die  sich 
der  Ebenen  Ober-Italiens  bleibend  bemächtigten,  immer  mehr  be- 
schränkt und  geschwächt  wurde.  Unterdess  aber  hatten  sich  die 
kriegerischen,  raub-  und  wanderlustigen  Hirtenstämme  in  beiden 
Halbinseln,  der  griechischen  und  der  italischen,  allmählig  zum  Acker- 
bau gewandt  und  damit  den  mächtigsten  Schritt  auf  der  Bahn  der 
Humanität  gethan.  Dass  sie  vor  der  Einwanderung,  zur  gräco- 
italischen  Epoche,  ja  wohl  gar  schon  im  Hei*zen  Asiens  den  Acker 
bestellt  und  sich  von  der  Frucht  der  Demeter  genährt,  ist  eine  oft 
mit  mehr  oder  minder  Sicherheit  aufgestellte  Behauptung,  deren 
Stützen  aber  grösstentheils  wenig  haltbar  sind.  Griechisch  Ceicc  Spelt, 
^sidcjQog  agovQa  der  getreidespendende  Acker,  litauisch  Javas  Ge- 
treidekom,  Plur.  Javai  Getreide  im  Allgemeinen,  so  lange  es  noch 
auf  dem  Halme  steht,  javena  die  Stoppel,  ist  zwar  eine  richtige 
Gleichung,  beweist  aber  nur,  dass  zur  Zeit,  wo  die  Griechen  und 
Litauer  noch  ungeschieden  wären,  irgend  eine  Grasärt,  vielleicht  mit 
essbarem  Korn  in  der  Aehre,  mit  diesem  Namen  bezeichnet  wurde 
(man  vergleiche  sanscr.  yava  Gerste,  yavasa  grasreiche  Weide^.  Aehn- 
lich  verhält  es  sich  mit  xQid^ij^  lat.  hoi'deum,  ahd.  genta:  die  Sprache 

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Griechen.    Italer.    Phönizier.  55 

eines  Volkes,  dessen  BeschäftiguDg  es  war,  Thiere  zu  weiden,  musste 
an  Gras-  und  Pflanzennamen  besonders  reich  sein.  Aus  griechisch 
öy(»og,  lat  ager^  gothisch  akrs  ist  gar  nichts  zu  schliessen,  da  die 
Bedeutung  dieses  Wortes  Feld  überhaupt,  nicht  bestellter  Acker, 
gewesen  sein  wird.  Rechnet  man  ähnliche  Fälle  und  AUes,  was  auf 
Entlehnung  beruht,  ab,  so  bleibt  eigentlich  nur  der  eine  Wortstamm 
griech  aQovv,  lat.  arare^  lit.  arti^  goth.  arjan  u.  s.  w.  mit  den  dazu 
gehörigen  olqotqov,  ccQovQay  arvum  u.  s.  w.  als  Beweis  der  Bekannt- 
schaft mit  dem  Pflügen  und  dem  Pfluge  vor  der  Völkertrennung 
auf  europäischem  Boden  übrig.  Die  lange  Wanderung  von  den  Ge- 
genden jenseits  des  Aralsees  bis  in  die  Wälder  Ureuropas  wird  von 
Rasten  unterbrochen  gewesen  sein,  auf  denen  je  nach  ihrer  grössern 
oder  geringem  Zeitdauer  Anfange,  aber  auch  nur  Anfange,  des 
Ackerbaues  möglich  waren.  Wenn  der  neue  Wandertrieb  erwachte, 
wurde  das  schwere,  mühselige,  allen  llirtenstämmen  so  verhasste 
Geschäft  der  Bodenarbeit  angegeben  und  es  blieb  nur  die  allgemeine 
Bekanntschaft  damit  zurück.  Wir  mögen  also  bei  den  Gräco-Italem 
jenen  halbnomadischen  Ackerbau  voraussetzen,  den  wir  noch  heute 
bei  Beduinen,  den  Stämmen  jenseits  der  Wolga  u.  s.  w.  im  Schwange 
finden.  Der  Pflug  bestand  aus  einem  passend  gekrümmten  Stück 
Holz,  wie  man  es  in  den  Wäldern  suchte  und  fand,  das  aQOTQOv 
avToyvov,  welches  noch  Hesiodus  kennt,  während  die  verschiedenen 
Theile  des  zusammengesetzten  Pfluges,  des  von  Homer  und  Hesiod 
genannten  clqotqov  Tzrjxrov^  griechisch  und  lateinisch  ganz  verschie- 
den benannt  werden  und  also  erst  nach  der  Trennung  in  den  neuen 
Sitzen  erfunden  oder  von  aussen  her  bekannt  wurden*^).  Die  ge- 
baate  Pflanze  könnte  Hirse  gewesen  sein,  griechisch  fieUvrj^  lat.  mi- 
Imnif  lit.  malnos^  f.  pl.  Schwaden,  nicht  sowohl  dieses  Namens  wegen, 
der  offenbar  nur  eine  Grasart  bezeichnet,  als  weil  der  Hirse  schon 
frohe  im  Osten  und  Westen  des  Welttheils  gemeine  Komart  war. 
In  Gemeinschaft  mit  ihm  treten  häufig  die  Rübe  und  die  Bohne 
auf,  zwei  sehr  alte,  mit  gemeinsamen  Namen  benannte  Früchte, 
deren  Pflanzung  vielleicht  dem  Ackerbau  vorausgingt  *).  Indess, 
wie  sich  dies  auch  verhalten  mag,  nachdem  das  unruhige  Hir- 
tenvolk in  den  meerumgürteten  Landschaften  Griechenlands  und 
Italiens  seine  feste  Heimat  gefunden  und  der  alte  Trieb  nur  noch 
in  localen  Wanderungen  und  Kämpfen  ausklang,  da  musste  in  den 
fetten  Ebenen  am  Meere  oder  zwischen  bewaldeten  Bergen  (Hesiod. 
Op.  et  d.  388: 


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56  (MecheiL    Italer.    Phönizier. 

die  sich  dem  Meere 
Nah  ansiedelte!),  die  in  dem  Thal  am  Fusse  der  Waldschlacht, 
Fern  Ton  den  schäumenden  Wogen  des  Meers,  den  fruchtbaren  Acker 
Bauen) 

der  schwarze  Boden  und  der  gluckliche  Himmel  zum  Eömerbau  ein- 
laden. Die  Pelasger  wurden  ein  von  der  Bodenarbeit  sich  nähren- 
des Bauemvolk,  mit  dem  Antlitz  zur  Mutter  Erde  gewandt,  die  voran- 
schreitenden Ochsen  mit  dem  xivcQov  stachelnd,  an  dem  schweren 
Werke  sich  abmühend,  das  die  Götter  den  Menschen  gelehrt  und 
auferlegt,  Hesiod.  Op.  et  d.  398: 

Schaffe  das  Werk,  das  dem  Menschengeschlecht  zumassen  die  Götter. 

Der  in  den  Waldgebirgen  verbliebene  Hirte  freute  sich  der  leichtem 
Freiheit;  arbeitsscheu  und  raubgierig,  wie  alle  Hirten,  überfiel  er 
die  Wohnungen,  Hürden  und  Speicher  der  Ackerbauer  und  im  Klei- 
nen herrschte  dasselbe  Verhältniss  wie  im  Grossen  zwischen  Iran 
und  Turan,  zwischen  den  Galliern  kuiz  vor  Cäsar  und  den  Germanen, 
später  zwischen  den  Deutschen  und  den  Ungarn  und  an  so  vielen 
andern  Stellen  der  Geschichte.  So  führte  das  Bedürfniss  zu  festen 
Bauten,  Mauern  und  Burgen  auf  den  Höhen,  Schutzwerken  der  Feld- 
besteller gegen  die  wilden  Nachbarn  in  den  Waldgebirgen  und  so 
ragen  an  vielen  Stellen  Griechenlands  unter  dem  Namen  Ephyra 
(die  Warte),  Larissa  oder  richtiger  Larisa  (wohl  so  viel  als  be- 
gabt mit  fettem  Boden,  wie  ev  niovi  dfi^ip,  niovaTov  neöiovj  niova 
sgya,  nlovsg  ayQoi,  ^laXa  nlag  vn  olöag  u.  s.  w.,  Larisae  campus 
opimaCy  Larisa  ist  die  Tochter  des  Piasos,  in  dem  thessalischen  Larisa 
herrschen  die  Aleuaden,  d.  h.  die  Drescher  auf  der  Tenne  oder 
Stampfer  im  Mörser)  und  Argos  (Fruchtebene  gegen  das  Meer  ge- 
öflBaet)  feste  Niederlassungen  der  Ackerbauer  und  Mauemgründer  aus 
der  dunklen  in  die  historische  Zeit  hinein.  Während  die  stamm- 
verwandten Völker  im  Norden  bei  ihrer  alten  unstäten  Lebensart 
verblieben,  richteten  sich  die  gräcoitalischen  Stämme  in  dem  neu- 
gewonnenen herrlich  ausgestatteten  Gebiete  häuslich  ein,  des  An- 
stosses  gewärtig,  der  sie  aus  der  natürlichen  Dumpfheit  erwecken 
und  auf  eine  unabsehbare  Kulturbahn  drängen  sollte.  Diesen  An- 
stoss  gewährte  die  Berührung  mit  den  Semiten,  einer  im  Vergleich 
mit  der  schwerfalligeren  indoeuropäischen  Natur  gewandten,  an  Ab- 
stractionskraft  reichen  und  bereits  in  vielen  Zweigen  der  Kultur- 
technik weit  vorgeschrittenen  Race.  Sidonische  Phönizier  hatten  im 
Verein   mit  Karern   die  Inseln   des   ägäischen  Meeres  besetzt,   viel- 


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Griechen.    Italer.    Phöniiier.  57 

leicht  schon  im  vierzehn ten  oder  dreizehnten  Jahrhundert;  sie  hatten 
sich  ihrer  Sitte  gemäss  der  kleinen  Eilande  und  abgesonderten  Fels- 
Torsprfinge  am  Rande  des  Festlandes  bemächtigt,  als  eben  so  be- 
quemer wie  gefahrloser  Stützpunkte  für  Handel  und  Industrie,  waren 
von  den  nordlichen  Inseln  auf  thrakischen  Boden  übergegangen,  wo 
sie  sich  mit  herübergekommenen  Phrygem  berührten,  herrschten  in 
Bootien  und  Attika  (man  denke  an  die  Sagen  von  der  Europa  und 
vom  Tribut  der  Athener  nach  Kreta),  fassten  von  der  Insel  Kythere, 
emer  uralten  phönizischen  Kultusstätte,  Fuss  in  dem  gegenüberliegen- 
den Lakedämon,  hielten  Korinth  besetzt,  wo  Aphrodite,  die  phöni- 
zische  Astarte,  und  Elis,  wo  Herakles,  der  phönizische  Melkarth, 
vor  Alters  verehrt  wurde,  ja  gingen  vielleicht  die  Küste  des  ioni- 
schen Meeres  bis  zu  den  Aetolem,  Thesprotem  und  Ulyriem  hinauf. 
Sie  trieben  an  passenden  Stellen  Purpurfischerei  und  Buntfarberei, 
erö&eten  Bergwerke  auf  Metalle  und  knüpften  mit  den  Naturkindern, 
die  um  die  Faktoreien  herum  wohnten,  einen  gewinnbringenden  Han- 
del an,  mit  dem  nach  Weise  der  ältesten  und  auch  der  jüngeren 
Zeit  Blendwerk  und  Raub  Hand  in  Hand  ging.  Was  die  Eingebor- 
nen  bei  diesem  Austausch  geben  konnten,  war  natürlich  nur  der 
Ertrag  ihrer  Heerden  und  Wälder,  also  Häute,  Wolle,  Holz,  wilden 
Honig,  Rinder  und  Schafe,  —  dazu  kräftige  Jünglinge  und  schöne 
Mädchen,  d.  h.  Sclaven  und  Sclavinnen.  Was  sie  empfingen,  war 
niannigfach:  Tand  aller  Art,  wie  er  Wilde  zu  verlocken  pflegt,  Fi- 
guren und  Büchsen  von  Bronce  und  Glas,  fertige  Kleider  (xnoiv 
tmd  tunica  sind  phönizische  Wörter),  eherne,  überhaupt  metallene 
Werkzeuge,  Messer  und  Waffen,  Erzeugnisse  verschiedenartigen 
Handwerks,  die  Mechanik  der  Steinbaukunst,  mythische  Erzählun- 
gen, Ideen  vorderasiatischer  religiöser  SymboUk,  grausame  Opfer- 
gebräuche. Zwar  wurde  allmählich  das  fremde  Element,  das  doch 
numerisch  schwächer  sein  musste,  von  der  Nationalität  der  Ein- 
geborenen wieder  aufgesogen  und  ging  als  besondere  Existenz  unter; 
z^ar  strömten  nach  dem  Zuge  der  Dorer  unternehmende  Auswan- 
derer in  wiederholten  Seezügen  aus  Griechenland  von  Insel  zu  Insel, 
an  einzelne  Punkte  der  karischen  und  lydischen  Küste,  von  diesen 
^eder  zu  andern,  ja  bevölkerten  und  unterwarfen  sogar  die  einst 
semitischen  Inseln  Kreta  und  Rhodus;  zwar  erscheinen  während 
oieser  Periode  griechischer  Beherrschung  des  ägäischen  Meeres  die 
lyrischen  Phönizier  nur  noch  als  Kaufleute  auf  einzelnen  Handels- 
sebiffen  am  hellenischen  Strande,  aber  mit  ihrer  Vertreibung  oder 
Assimilation  waren  manche  Kenntnisse  und  Begriffe,  die  einst  durch 


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58  Griechen.    Italer.    Phönizier. 

sie  vermittelt  wurden,  nicht  mit  ausgerottet  worden,  sondern  blieben 
als  verdunkelter  religiöser  Kultus,  als  nationale  Gewohnheit,  deren 
Ursprung  bald  vergessen  wurde,  als  werth voller  fortzeugender  Besitz 
von  Gerathen,  Kulturarten,  Erfindungen  bestehen.  Wer  will  ent- 
scheiden, ob  z.  B.  die  Bekanntschaft  mit  der  Töpferscheibe  (^(>o%og) 
und  die  mit  Spindel  und  Webstuhl  schon  mitgebracht  oder  von 
Karern  und  Lydern  und  Phöniziern  überkommen  war?^*)  Ob  nicht 
Wörter  wie  xC^i'^roc,^^)  y^ctlxog^  f^hakkov^  die  sich  in  die  indo-euro- 
päische  Verwandtschaft  nur  gezwungen  einfügen,  von  jenem  ältesten 
Verkehr  stammen  und  lydisch-phönizischer  Herkunft  sind  2*),  so  gat 
wie  odxxog,  xäöog  und  andere  Handelsausdrücke?  Phönizische 
Heiligthumer  wurden  von  den  Griechen  übernommen  und  allmählig 
in  dem  freieren  hellenischen  Geiste  ausgebildet,  ohne  ihre  ursprüng- 
liche Physiognomie  jemals  ganz  verlieren  zu  können;  asiatische 
Bäume,  die  um  die  alten  Kultstätten  gestanden,  Zweige-und  Blumen, 
die  als  alte  Symbole  gegolten  hatten,  pflanzten  sich  in  der  neuen 
Heimath  fort;  der  Wein,  der  über  Meer  gekommen  war,  die  süssen 
getrockneten  Früchte,  das  duftende  Oel  konnten  vielleicht  im  Lande 
selbst  erzeugt  werden,  und  was  von  Anfangen  solcher  Kultur  im 
eigentlichen  Hellas  wieder  erloschen  war,  wurde  durch  die  grosse 
Kolonisation  im  Osten  neu  belebt  und  strömte  von  Kreta  und  Rhodas, 
von  Naxos  und  Thasos  und  von  den  neuen  Sitzen  an  der  anatoli- 
schen  Küste  ins  Mutterland  zurück.  Semitischer  Wein-,  Oel-  und 
Feigenbau  siedelte  sich  auf  den  Hügeln  an,  die  das  Saatfeld  be- 
grenzten, und  die  Pflanzung,  die  der  pflegenden  Hand  im  Einzelnen 
bedarf,  neben  dem  Acker,  der  mit  Ochsen  gepflügt,  besäet  und  dann 
der  Sorge  der  himmlischen  und  unterirdischen  Götter  überlassen 
ward.  Aus  jener  Zeit  ist  uns  wie  durch  ein  Wunder  in  den  home- 
rischen Gedichten  ein  Spiegelbild  der  Sitten,  Vorstellungen  und  Be- 
schäftigungen der  Menschen  erhalten  worden.  Indess,  so  lichtvoll 
dies  Bild  ist,  so  viel  Räthsel  lässt  es  dennoch  zurück,  und  ein  so 
treues  Zeugniss  es  abzulegen  scheint,  mit  so  grosser  Vorsicht  muss 
es  dennoch  aufgenommen  werden.  Denn  in  dem  homerischen  und 
hesiodischen  Epos  ist  nicht  Alles  gleich  werth  voll:  naive  Gesänge 
von  achtem  sagenhaftem  Gehalt  und  kluge  Werke  jüngerer  Nach- 
ahmer und  Bearbeiter,  Dichtungen  voll  alterthümlich  scheuen  Glau- 
bens und  späte  Leistungen  profaner  rhapsodischer  Fertigkeit  sind 
hier  mit  Geschick  und  Ungeschick  und  mit  mehr  oder  minder  Wahr- 
scheinlichkeit in  einen  Rahmen  vereinigt.    Auf  jene  ältesten  Theile, 

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Der  Weinstock.  59 

80  veit  sie  erkennbar  sind,  gilt  es  fest  den  Blick  zu  richten;  was 
hinter  Homer  hinausliegt,  verbirgt  sich  in  Dunkel,  das  nur  von  ein- 
leben Streiflichtern  der  Sprache  und  des  religiösen  Mythus  hin  und 
wieder  erhellt  wird. 


Der  Weinstock. 

(viiis  vinifera  L.) 

Bei  den  homerischen  Griechen  ist  der  Wein  schon  in  all- 
gemeinem Gebrauch  und  wird  überall  als  eine  natürliche  Gabe  des 
Landes  vorausgesetzt.  2iTog  i(ai  olvog  oder  olcog  xai  fii^v  ist 
eine  gewöhnliche,  häufig  wiederkehrende  Formel;  so  giebt  Kalypso 
dem  scheidenden  Odysseus  Brod,  Wein  und  E^eider,  die  drei  ersten 
Lebensbedürfnisse,  aufs  Schiff  mit  (Od.  7,  264).  In  Brod  und  Wein 
liegt  Kraft  und  Stärke  des  Menschen  (11.  9,  706  und  19,  161)  und 
darin  unterscheiden  sich  die  leichtlebenden  Götter  von  den  sterb- 
lichen Menschen,  dass  jene  keiner  Nahrung  bedürfen  und  keinen 
Wein  trinken  (IL  5,  341).  Schon  die  kleinen  Kinder  werden  mit 
Wein  aufgezogen:  Phoenix,  der  SoTin  des  Ormeniden  Amyntor,  hat 
das  Knäblein  Achilleus  genährt  und  getränkt,  ihm  die  Speise  vor- 
geschnitten und  ihm  den  Becher  Weines  an  den  Mund  gehalten;  der 
Knabe  hat  ihm  oft  das  Gewand  besudelt,  indem  er  nach  kindischer 
Art  das  Getrunkene  wieder  ausspie  (IL  9,  485  flf.).  Auch  Jungfrauen 
and  Mägde  trinken  Wein  wie  die  Männer:  da  Nausikaa  zum 
Waschen  an  den  Meeresstrand  fahren  will,  bekommt  sie  von  der 
Mutter  nicht  bloss  Speise  und  Zukost,  sondern  auch  Wein  im 
Schlauch  von  Ziegenfell  mit  auf  den  Weg  (Od.  6,  76)»»).  Auf 
dem  Schilde  des  Achilleus  im  achtzehnten  Buch  der  Ilias  sah  man 
ausser  einem  Brach-  und  Emtefelde  und  andern  Scenen  des  länd- 
lichen Lebens  auch  einen  Weinberg  abgebildet,  in  welchem  fröhliche 
Winzer  und  Winzerinnen  grade  mit  der  Traubenlese  beschäftigt  waren. 
Wie  die  Griechen  thun  auch  die  Troer:  Hektor,  Nachts  am  Flusse 
mit  seinen  Schaaren  lagernd,  lässt  die  Pferde  ausspannen  und  ihnen 
Futter  vorwerfen,  zur  Erquickung  für  die  Menschen  aber  Rinder 
mid  Schafe  und  lieblichen  Wein  und  Brot  herbeiholen  (II.  8,  503  ff). 
Griechische  Städte  und  Gegenden  werden  als  reich  an  Reben  be- 
zeichnet, so  B.  9,  152:    nijdaaov  afinekneaoav   (an    der  Westküste 


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60  Der  WeinstocL 

des  Peloponnes)  und  im  SchifEskatalog  v.  507:  o?  re  noXvoracpvXov 
^Aqvriv  e%ov  (in  Böotien),  537:  noXvetaq^vlov  d^  ^lariaiav  (in  Euböa), 
561 :  xai  afineloevr  ^EnidavQov.   Eine  Menge  alter  Stadt-  und  Land- 
schaftsnamen sind  vom  Wein  und  Weinbau  abgeleitet:    so  hiess  die 
Insel  Aegina  einst  Olvwvrj;    in  Akarnanien    lag   dem   rechten  Ufer 
des  Acheloos  nahe  auf  einem  emporragenden  Hügel  die  Stadt  Oivia- 
dat,  von  drei  Seiten  von  einem  See  umgeben,  der  den  phönizischen 
Namen  Msllzri  trag;   in    der  Stadt   der   ozolischen  Lokrer  Olveciv^ 
nahe  der  ätolischen  Grenze,  sollte  Hesiodus  den  Tod  gefunden  haben; 
in  Attika  lag  eine  doppelte  Ortschaft  Oivorj^    die    eine  in  der  Nähe 
von  Eleutherä  an  der  böoiischen  Grenze,    die  andere  bei  Marathon, 
wie  dieses  zu  der  alten  ionischen  Tetrapolis  jener  Gegend  gehörend; 
auch  Megaris,  früher  gleichfalls    ionisch,    hatte   in    der  Peräa,    dem 
Grenzgebiet  nach  Korinth,  einen  Ort  Oivoi];  derselbe  Name  kehrt  in 
Argolis  und  auch  in  Elis  wieder;   vor  Methone  in  Messenien,    wel- 
ches selbst  weinreich  war,  lagen  die  Olvovaai^  die  Weininseln  u.  s.  w. 
Fragen    wir,    wo    diese    so    allgemein    verbreitete  Kultur   zuerst   in 
Griechenland  aufgetreten  war,  so  scheint  die  Antwort  in  zahlreichen 
Ursprungs-  und  Stiftungssagen  gegeben,  die  aber  als  blosse  mythische 
Spiegelbilder  des  Keimens,    Blühens,  Verdorrens  der  Rebe  oder  des 
Gegensatzes  der  neuen  gebundenen  Kulturart  gegen  das  rohe  Wald- 
und   freie  Hirtenleben    dem,    der*  sie   fassen   möchte,   grösstentheils 
unter   den  Händen   zergehen.     So    war   das    südliche  Aetolien   eine 
Geburtsstatte  des  Weinstockes:  dem  Sohne  des  Deucalion,  Orestheus 
(also  dem  Manne  vom  Berge),  gebar  daselbst  ein  Hund  (der  Sirius, 
die  heisse  Zeit)  ein  Stammende,  axakBxog;    er  liess  es   in   die  Erde 
vergraben  und  es  erwuchs  daraus  ein  rebenreicher  Weinstock;  drum 
gab  er   seinem  Sohne    den  Namen  Phytios  (Pflanzer);    dessen  Sohn 
war  wieder  Oineus,  der  vom  Wein  benannt  war  (Hecatäus  von  Milet 
bei  Athen.  2,  p.  35).     Ganz    dasselbe   erzählten    auch   die   benach- 
barten Lokrer   als  bei  ihnen  geschehen   (Pausan.  10,  38,  1),    deren 
Beiname  Ozolae  sogar  von  den  Sprossen  dieses  ersten  Weinstammes 
abgeleitet  wurde.    Den  ätolischen  Oineus  kennt  auch  schon  die  Ilias 
als  Vertreter   des  milden  Weinbaues   (9,  539  und  14,  117):    er  hat 
der  Artemis  nicht  geopfert  (ohne  Zweifel  der  kalydonischen  Artemis 
Laphria)  imd  wird  dafür  von  dem  verwüstenden  Eber  bedrängt;  sein^e 
Brüder  sind  Agrios  (der  Wilde)  und  Melas,  der  Schwarze,  Schmutzige, 
d.  h.    der  Ziegenhirt,    dessen  Name    mit   dem    des  Melantheus   oder 
Melanthios,    des  bösen  Ziegenhirten  in  der  Odyssee,    übereinkommt; 
sein  Sohn,  der  Jäger  Meleager,  der  seine  Burg  gegen  die  anstürmen- 

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Der  Weinstock.  61 

den  Koreten  rettet,  ist  der  Gemahl  der  Eleopatra;  Mutter  der  Kleo- 
pato  ist  wiederum  die  Marpessa  (die  R&uberin),  deren  Eltern  Idas 
(das  Waldgebirge)  und  die  Euenine,  d.  h.  die  Tochter  des  ätolischen 
Flusses  Euenos  sind.  So  blickt  in  der  kalydonischen  Sage  vom 
Weinmaon,  wie  sie  Homer  giebt,  nicht  bloss  der  Drang  und  Wider- 
spruch sich  befehdender  Volksstamme,  sondern  auch  der  an  diese 
ach  knüpfenden  verschiedenen  Lebensformen  hindurch.  Wie  in 
AetoUen  war  die  Rebe  auch  an  vielen  anderen  Orten  zuerst  von 
Dionysos  geschaffen  oder  geschenkt,  so  im  attischen  Demos  Ikaria 
dem  Ikarios,  dem  Vater  der  Erigone  (der  im  Frühling  geborenen), 
dem  Herrn  des  Hundes  Maira  (des  schimmernden  Sirius),  und  eine 
Menge  durchsichtiger  Märchen  und  lustiger  oder  betäubender  Feste 
an  den  verschiedensten  Orten  erhielten  das  Andenken  an  des  Gottes 
Geburt  und  erste  Schicksale  und  seine  Leiden  und  herrlichen  Thaten. 
Vor  allen  Gegenden  aber  erscheint  Thrakien  als  hauptsächliche  Hei- 
mat und  als  Ausgangspunkt  der  Dionysos-Religion.  Dort  lag  das 
älteste  Nysa,  das  des  Homer  (IL  6,  130  ff.);  von  dort  kommen  täg- 
lich weinbeladene  Schiffe  zum  Lager  der  Griechen  vor  Troja  (IL  9, 
72)^');  dort  hat  Odysseus  von  Maron^*),  dem  Priester  des  ismari- 
schen Apollo,  dem  Sohne  des  Euanthes,  d.  h.  des  Dionysos  selbst, 
jenen  kostlichen  Wein  erhalten,  mit  dem  er  den  Kyklopen  trunken 
macht  (Od.  9,  196  ff.).  Den  ismarischen  Wein  kennt  auch  ein  an- 
derer alter  Zeuge,  Archilochos,  der  in  jener  Gegend  wohl  bewandert 
war,  Fragm.  3.  ßergk: 

^Ev  do()l  f.iev  fioi  fiS^a  ^efiayiiivT],  iv  öoqI  S*  olvog 

^lofxaQixogy  nivca  6*  iv  öoqI  xsxli^ivog. 
Eine  merkwürdige  Stelle  des  Herodot,  7,  111,  berichtet  von  einem 
unabhängigen  und  kriegerischen  thrakischen  Gebirgsvolke,  den  Satren, 
die  im  innersten  Gebirge  ein  Dionysos- Orakel  besassen,  dessen 
Priesterthum  in  den  Händen  der  Besser  war.  Lobeck  Aglaoph. 
p.  290:  j^perspicuum  es%  oram  maritimamy  quae  ab  Hebri  ostiis  ad 
Pindum  protenditur,  quasi  pro  domestico  sacrorum  Bacchicorum  solo 
habüum  esse.^  Man  sehe  das  weitere  gelehrte  Material,  das  Lobeck 
beibringt,  und  Welcker,  Griechische  Götterlehre  1,  S.  424  ff.  Bis 
ios  Innerste  des  Landes,  hinauf  in  das  Hämosgebirge,  ging  der 
Dionysos-Kultus,  Mel.  2,  2,  2:  Montes  interior  attollit  Haemon  et 
Shodopen  et  Orbelon,  sacris  Lnberi  patris  et  coetu  Maenadum  Orpheo 
pnmum  initiante  celebrafos.  Ohne  Zweifel  stammte  dieser  thrakische 
Weingott  aus  dem  gegenüberliegenden  Kleinasien,  wit  welcher  Ge- 
gend kriegerische  Wanderungen  und  Rückwanderungen  das  diesseitige 

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62  I^er  Weinstock. 

Thrakien  frühe  in  Sitten-  und  Kulturverkehr  gesetzt  hatten.  Der 
grosse  Einbruch  der  Myser  und  Teukrer  z.  B.,  den  Herodot  (5,  20) 
vor  die  Zeit  des  troischen  Krieges  setzt,  mochte  auch  den  Sabosdienst, 
den  Weinstock  und  die  Kunst  der  Weinbereitung  unter  die  wilden 
Thraker,  die  Verehrer  des  Ares  gebracht  haben.  Mysien  wird  als 
besonders  rebenreich  gepriesen.  Pind.  Isthm.  7,  54:  Mvoiov  .  .  . 
afinekosv  neölov.  Strab.  13,  1,  12:  acpoÖQa  evdfxneXog  ioxiv  jj 
X(OQa  (nämlich  die  der  Stadt  Priapus)  xai  aikrj  xai  €q>e^^g  o^oQog, 
ij  TB  TUJV  IlaQiavdiv  xat  ij  tüjv  ^aiLUpajerjvaiv,  Lampsakus  war  von 
dem  Grosskönig  dem  Themistokles  zugewiesen,  damit  er  von  dort 
seinen  Bedarf  an  Wein  bestreite;  Cyzicus  hatte  zu  den  vier  alt- 
attischen Phylen  noch  zwei  besondere,  darunter  eine  der  OYvconeg, 
d.  h.  der  Weinbauer,  und  seine  Münzen  zeigen,  wie  die  der  griechi- 
schen Nachbarstädte,  bacchische  Attribute,  den  Panther,  die  Traube, 
den  Zweihenkeligen  Weinkrug.  Der  Dienst  des  Priapos,  des  Gottes 
der  Fruchtbarkeit  in  Gärten  und  Pflanzungen,  ist  den  hellesponti- 
schen  Städten  gemeinsam.  Die  Vorstellungen  von  dem  leidenden 
und  wieder  triumphirenden  Sonnen-  und  Jahresgotte,  die  wüthende 
Lust  und  die  herzzerreissende  Klage,  mit  der  die  Thyiaden  seinen 
Tod  und  seine  Wiederauferstehung  feiern,  der  Doppelcharakter,  in 
welchem  Dionysos  und  Apollon,  Ares  und  Dionysos  verschmelzen, 
dies  und  alles  daran  sich  Schliessende  ist  phrygische  und  überhaupt 
vorderasiatische  Art.  Auch  im  thrakischen,  wie  im  ätolischen 
Bacchusmythus  spielt  durch  die  Symbolik  des  Naturlebens  die  dunkle 
Anschauung  eines  Kulturgegensatzes,  der  Feindseligkeit  entgegen- 
stehender Stämme.  Lykurgus  bei  Homer  (H.  6,  130),  der  die  Ammen 
des  schwärmenden  Dionysos  im  heiligen  NyseTon  verfolgt,  so  dass 
der  Gott  selbst  entsetzt  sich  in  die  Meerestiefe  flüchtet,  —  er  mag 
ein  Bild  des  Winters  sein,  wie  Pentheus  in  Böotien  ein  Bild  winter* 
lieber  Trauer:  aber  als  xQazeQog  ^vxooQyog^  d.  h.  als  harter  Wolfs- 
mann, als  Sohn  des  Dryas  d.  h.  des  Waldes  und  avÖQocpovog  d.  h. 
Menschenmörder,  der  den  ßovnlij^  d.  h.  die  schlachtende  Axt^  *)  in 
der  Hand  führt,  ist  er  der  blutige,  thrakische  Gebirgsbewohner,  der 
in  wilden  üeberfällen  den  Weinbauer  ängstigt  und  die  fremden 
Kultusbräuche  nicht  unter  sich  dulden  will.  Dahin  deuten  wir  es, 
wenn  Maron,  der  Priester  des  Apollon  (d.  h.  des  Apollon-Dionysos), 
dem  Odysseus  ausser  Gold-  und  Silberwerken  (Erzeugnissen  orienta- 
lischer Kunstfertigkeit)  zwölf  Amphoren  des  göttlichen  Weins  schenkt, 
zum  Lohne  dafür,  dass  er  mit  Weib  und  Kind  von  dem  Helden 
beschützt  worden  ist  (Od.  9,  199).    Aber  der  Weingenuss   und 

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Der  Weinstock.  63 

die  im  Weine  alle  NaturfQlle  anschauende  Dionysos-Religion  setzte 
sich  durch  ganz  Thrakien  durch  und  wanderte  mit  thrakischen 
Stämmen  weiter  nach  Süden,  erfüllte  Makedonien,  wo  die  Mimallo- 
sen  und  Klodonen,  bacchische  Jungfrauen,  rasten,  gelangte  an  den 
Pamass  und  nach  Delphi,  wo  Apollon  allmählig  den  Brudergott  in 
Simi  und  Verehrung  der  Menschen  verdrängte,  nach  Theben,  wo 
Semele,  die  Erdgöttin**),  dem  Zeus  ihren  herrlichen  Sohn  gebar,  an 
den  Eithäron,  als  Eumolpos  personificirt  nach  Eleusis  in  die  Nähe 
Anikas  und  in  manchen  Verzweigungen  weiter  nach  andern  Seiten 
hin.  Diesem  Kulturstrom  aber  begegnete  von  Anfang  an  und  im 
weitem  Verlaufe  ein  anderer,  mit  ihm  ursprünglich  identischer,  der 
in  entgegengesetzter  Richtung  kam,  der  phönizische  oder  karisch- 
phönizische.  Die  Küste  Thrakiens  war  ein  alter  Schauplatz  phö- 
nizischer  kolonialer  und  commercieller  Thätigkeit:  Phönizier  hatten 
das  Goldbergwerk  am  Berge  Pangäus  eröffnet,  die  gold-  und  wein- 
reiche Insel  Thasos  besetzt  und  von  dort  Emporien  an  der  thraki- 
schen und  hellespontischen  Küste  gegründet,  deren  Erhaltung  ihren 
Nachfolgern,  den  Pariem,  schwierig  wurde  (Movers,  Phönizier,  2,  2, 
S.  273  £F0-  üeberall,  wo  sie  landeten,  werden  sie  mit  dem  Wein, 
den  sie  mitbrachten,  die  Barbaren  zum  Tauschhandel  gelockt  und 
wo  sie  sich  bleibend  niederliessen  und  Kultusstätten  gründeten,  die 
Umwohner  zur  Rebenpflanzung  angehalten  haben.  Auf  den  Inseln 
des  ägäischen  Meeres  geht  von  Kreta,  einem  Mittelpunkt  phönizi- 
scher  Ansiedelungen,  der  Weinbau  imd  die  an  ihn  sich  knüpfende 
Sage  nach  Naxos  und  Chios  und  strahlt  von  dort  weiter  ans,  s.  Fr. 
Osann,  „Oenopion  und  seine  Sippschaft  oder  einige  Andeutungen 
aber  die  älteste  Weinkultur  in  Griechenland"  (im  Rheinischen  Museum 
von  Welcker  und  Näke  III.  1835.  S.  241  ff.).  Osann  schliesst  seine 
Untersuchung  mit  dem  Resultat  (S.  259):  „Die  Verbreitung  und 
Einführung  der  Weinkultur  an  verschiedenen  Orten  Griechenlands 
sehen  wir  mittels  einer  aus  Kreta  stammenden  Familie  personificirt, 
welche  ihren  Weg  über  Naxos  und  Chios  nimmt,  welches  der  Mittel- 
punkt einer  ausgebildeten  Weinkultur  wird,  von  wo  in  verschiedenen 
Verzweigungen  neue  Kolonien  ausgehen  und  den  Weinstock  ver- 
breiten." Ja  nach  einer  schon  von  Hesiod  (Fragm.  LVII.  Götd.) 
erwähnten  Ueberlieferung  war  sogar  der  thrakische  Maron  der 
Odygsee  ein  Sohn  oder  Enkel  dieses  Oenopion  und  liefen  also  beide 
Zweige  oder  Ausgangswege  der  griechischen  Rebenkultur  in  eins  zu- 
sammen*'). Dass  der  Wein  den  Griechen  aus  semitischem  Kultur- 
beise  zugekommen,    lehrt   auch    die  Identität   der  Benennung    des- 

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64  Der  WeinstocL 

selben,  gr.  olvog^  bekanntlicii  mit  Digamma,  hebr.  jain^  äthiopisch 
und  auch  arabisch  wain  (Fr.  Müller  in  Kuhns  Zeitschr.  10,  319), 
denn  die  umgekehrte  Annahme  Renans  (Histoire  gönörale  des  langues 
Sömitiques  p.  193  der  ersten  Ausg.),  die  Semiten  hätten  das  Wort 
von  den  Ariern  entlehnt  —  wohlgemerkt  von  den  Gräcoitalern,  nicht 
von  den  Iraniem,  denen  es  fehlt  — ,  ist  kulturhistorisch  von  der 
äussersten  Unwahrscheinlichkeit.  Auch  die  Versuche,  das  /Sanscrit 
heranzuziehen  und  mit  dessen  Hülfe  den  Wein  als  Urbesitz  des  un- 
getrennten indoeuropäischen  Stammvolkes  darzuthun  (Pictet,  Origines 
indoeuropöennes,  1,  250  £F.),  sind  unglücklich  ausgefallen  und  haben 
in  den  Augen  Unbefangener  eher  das  negative  Resultat  bestätigt. 
Das  eigentliche  Vaterland  des  Weinstocks,  die  durch  üppigen  Baum- 
wuchs ausgezeichneten  Gegenden  südlich  vom  Südrande  des  Kaspi- 
schen  Meeres,  war  auch  dem  Ursitz  —  so  weit  sich  dieser  historisch 
verfolgen  lässt  —  des  semitischen  Stamms  oder  eines  seiner  Haupt- 
zweige benachbart  (Renan  a.  a.  O.  p.  27  £F.).  Dort  windet  sich  im 
Dickicht  der  Waldung  die  Rebe  mit  armdickem  Stamme  bis  in  die 
Wipfel  der  himmelhohen  Bäume,  schlingt  ihre  Ranken  von  Krone 
zu  Krone  oder  lockt  von  oben  durch  schwerhangende  Trauben;  dort 
oder  in  Kolchis  am  Phasis,  in  den  Landschaften  Kachethien,  Min- 
grelien,  Imcrethien,  Armenien,  zwischen  Kaukasus,  Ararat  und  Taurus, 
sind  nach  den  anziehenden  Schilderungen  Moritz  Wagners  (Reise 
nach  Kolchis,  Leipzig  1850),  Kolenatis  (Reise  nach  Hocharmenien 
und  Elisabethpol,  Dresden  1858)  und  von  Blarambergs  (Erinnerun- 
gen, I,  Berlin  1872,  S.  167  S.)  ganz  die  uralten  Methoden  im  Ge- 
brauch, die  wir  aus  den  Schriften  der  Griechen  und  Römer  kennen, 
die  Abtheilung  der  Weingärten  durch  Kreuzgänge  nach  den  vier 
Himmelsrichtungen  (limes  decumarms  und  cardo\  das  Verpichen  oder 
Verkalken  der  Amphoren,  das  Vergraben  des  Stammendes,  dann  des 
Weines  selbst  in  die  Erde  u.  s.  w.  Dort  wachsen  die  pomeranzen- 
gelben, süss  balsamischen,  durchdringend  duftenden  Weine  und  liefert 
die  edelste  kachetische  Rebe,  die  sapiranica  praecox  und  major,  einen 
Saft  von  so  intensivem  Dunkelroth,  dass  die  Damen  mit  ihm  ihre 
Briefe  zu  schreiben  pflegen.  Aus  jener  Gegend  begleitete  der  Wein- 
stock die  sich  ausbreitenden  semitischen  Stämme  an  den  unteren 
Euphrat  und  in  die  Wüsten  und  Paradiese  des  Südwestens,  in  dem 
wir  sie  später  ansässig  finden.  Den  Semiten,  die  auch  die  Destillation 
des  Alkohols  erfunden  haben,  die  die  ungeheure  Abstraction  des 
Monotheismus,  des  Masses,  des  Geldes  und  der  Buchstabenschrift 
—  einer  Art  geistiger  Destillation  —  vollbrachten  (denn  die  Aegypter 

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Der  Weinstock.  65 

blieben  an  der  Schwelle  derselben  stehen),  wird  auch  der  zweideutige 
Rohm  yerbleiben,  den  Frachtsaft  der  Weinbeere  auf  der  G&hrongs- 
stofe  festgehalten  zu  haben,  wo  er  ein  aufregendes  oder  betäubendes 
Getr&nk  abgiebt  Aus  Syrien  ging  die  Weinknltor  weiter  über  das 
ganze  sogenannte  Eleinasien,  zu  Lydem,  Phrygem,  MyBem  und  an- 
dern unterdess  yon  Osten  nach  Westen  vorgerückten  iranischen  oder 
halbiranischen  Yölkem,  und  drang  von  Norden  her  in  die  griechische 
HsJbinsel,  indess  auch  direkt  zar  See  phönizischer  Handel^  karische 
Ansiedelungen,  von  Europa  an  die  Küsten  des  fremden  Welttheils 
übersetzende  urgriechische  Stämme  die  Kenntniss  der  wunderbaren 
Erfindung  und  mit  steigender  Ansässigkeit  auch  den  Anbau  des 
Gewächses  selbst  vermittelten.  Zur  Zeit  des  homerischen  Epos  und 
der  hesiodischen  Gedichte  ist,  wie  gesagt,  diese  Aneignung  bereits 
geschehen  und  längst  vergessen;  das  Dasein  des  Weinstockes  und 
des  Weines  versteht  sich  von  selbst  und  wird,  wie  alles  Gute  im 
Leben,  einem  lehrenden  oder  schafiFenden  Gotte  zugeschrieben. 

Die  frühesten  Seefahrten  der  Griechen  nach  Westen  müssen  den 
dämonischen  Trank  auch  an  die  Küsten  Italiens  gebracht  haben, 
demi  dass  er  aus  Griechenland  kam,  zeigt  auf  den  ersten  Blick  das 
Wort  vinum  (als  Neutrum,  welches  nach  der  Analogie  anderer  itali- 
scher Lehnwörter  aus  dem  Accusativ  olvov  zu  erklären  ist)*®).  Wie 
Odysseus  auf  den  Cyclopen,  stiessen  die  über  Meer  gekommenen 
griechischen  SchifPer  und  Abenteurer  auf  ein  ein&ltiges  Hirtenvolk 
auf  welches  der  gierig  aufgenommene  fremde  Wein  dieselbe  un- 
gewohnte betäubende  Wirkung  übte,  wie  auf  die  Centauren  des 
Pindar  bei  Athen.  11,  p.  476 :  „als  die  Pheren  die  männerbezwin- 
geode  Kraft  des  süssen  Weines  kennen  lernten^  stiessen  sie  hastig 
die  weisse  Milch  von  den  Tischen,  tranken  aus  silbernen  Hörnern 
and  irrten  willenlos  umher.  ^  Dass  die  Milch  in  Latium  älter  war 
ab  der  Wein,  geht  aus  den  auf  Romulus  zurückgeführten  Opfer- 
satznngen  hervor,  wonach  den  Göttern  nicht  mit  Wein,  sondern  mit 
Mildi  gespendet  wurde  (Plin.  14,  88:  Romulum  lacte^  non  vino  lir 
haue  mdicio  sunt  sacra  ab  eo  imtituta^  quae  hodie  custodiunt  morem) 
Nach  einem  Gesetz  des  Numa  durfte  der  Scheiterhaufen  nicht  mit 
Wein  besprengt  werden  (Plin.  a.  a.  0:  vino  rogum  ne  re8pargito\ 
d.  h.  die  ältesten  Bestattungsgebräuche  kennen  den  Wein  noch  nicht. 
Denn  es  gab  eine  Zeit,  wo  die  Römer  nur  noch  Ackerbau  trieben 
und  die  Rebenkultur  noch  nicht  eingeführt  war,  Plin.  18,  24:  apud 
Romanos  mtUto  aerior  vitditm  ctdtura  esse  coepit  primoque^  ut  necesse 
^  arva  tantum  coluere.    Merkwürdig    ist,    dass    auch    hier    wie    in 

^let,  Hebn,  Kolturpflanxen.  5 

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66  Der  WeinstocL 

Griechenland  Legenden  von  Völkerkämpfen  an  die  Grandang  des 
Weinbaaes  eich  knüpfen.  Nach  einer  viel  berichteten  Sage  (z.  B. 
von  Cato  bei  Macrob.  3,  5,  10)  sollte  Mezentios,  der  König  von 
Cäre,  den  Latinem  den  Ertrag  ihrer  Weinberge  oder  die  Erstlinge 
der  Kelter  abgefordert,  die  Latiner  sie  aber  dem  Jupiter  gelobt  und 
80  den  Sieg  über  den  firevelhaften  Tyrannen  gewonnen  haben.  Die 
Herrschaft  der  Tusker  in  Campanien  und  Latium  wurde,  wie  wahr- 
scheinlich ist^  durch  gemeinsame  Anstrengungen  der  lange  in  Bon^des- 
genossenschaft  vereinigten  Griechen  und  Latiner  gebrochen:  die 
dunkle  Erinnerung  daran  verschmolz  mit  dem  Andenken  an  die  za 
jener  Zeit  in  Latium  sich  verbreitende  griechische  Weinkultur,  deren 
Segen  man  als  die  Habsucht  reizend  sich  dachte,  und  an  die  Ein- 
führung der  Erstlingsspenden  an  den  Jupiter  Liber  und  die  Venus 
Libera.  Der  19.  August,  an  dem  die  beiden  Heiligthümer  der 
Murcia  und  der  Libitina,  der  Göttinnen  der  Emtelust,  ihren  Stiftungs- 
tag  feierten,  wurde  nun  zugleich  der  Tag  der  vinalia  ncsficay  des 
Vorfestes  der  Weinlese,  dem  am  23.  April  das  der  vinalia  priora 
vorausging  —  beides  in  Anknüpfung  des  jungem  Weinbaues  an  die 
älteren  Ackerbaufeste.  Dass  Jupiter  der  Schützer  der  neuen  Gabe 
wurde  und  sein  Priester,  der  Flamen  Dialis,  die  Weinlese  weihte, 
lag  in  dem  Wesen  dieses  Gottes,  von  dem  alle  Befruchtung  und 
landliche  Nahrung  kam;  der  Beiname  Liber,  mit  dem  er  sich  als 
Weingott  oder  italischer  Dionysos  besonderte,  war  die  Uebersetzung 
des  griechischen  Avaiog  oder  *EXevi^aQiog  (Grassmann  in  Kuhn's 
Zeitschr.  16,  107);  die  genealogische  Ableitung,  wie  in  Grriechen- 
land,  wo  Dionysos  als  Sohn  des  Zeus  gedacht  wurde,  war  den  Italem 
nicht  geläufig.  Uebrigens  gedieh  die  Bebe  an  den  Bergen  Unter- 
italiens  so  üppig,  dass  schon  im  5.  Jahrhundert  Sophokles  Italien 
das  Lieblingsland  des  Bacchus  nennen  (Ant.  1117:  xlvxav  oq  äf.icpi' 
neig  ^haliav  —  d  Bukxbv)  und  die  Südspitze  Italiens  bei  Herodot 
(1,  167)  den  Namen  Oenotrien  d.  h.  Land  der  Weinpfahle  (nach 
Hesychius  war  oLfCjvQov  dorisch  so  viel  als  Weinpfahl)  tragen  konnte. 
Oenotrien  war  die  Gegend,  wo  die  Reben  an  Pfählen  gezogen  wur- 
den, im  Gegensatz  zu  den  Landschaften,  wo  der  Wein  hoch  an 
Bäumen  emporwuchs,  wie  in  Etrurien  und  Campanien,  dem  Gebiet 
der  Tusker,  oder  ohne  Stütze  kurz  und  niedrig  gehalten  wurde,  wie 
in  der  Gegend  von  Massilia  und  in  Spanien,  oder  in  dachartigen 
Spalieren  an  Stangen  oder  Stricken  sich  fortrankte,  wie  im  Brundi* 
sinischen,  oder  am  Boden  fortkroch,  wie  in  Kleinasien  u.  s.  w.  Die 
verschiedenen  Methoden,    am  bündigsten  aufgeführt  bei  Yarro  1,  8, 

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Der  Weinstock.  67 

ergaben  sich  theils  aus  der  Natar  des  Bodens,  der  entweder  felsig 
and  heiss  oder  feucht  und  humusreich  war,  theils  aus  dem  Mangel 
oder  Yorrath  an  dem  nöthigen  Holz  oder  Rohr,  theils  aus  der  Ge- 
wohnheit deijenigen,  von  denen  in  einer  bestimmten  Gegend  der 
Weinbau  ursprünglich  ausgegangen  war,  und  der  Rebenvarietät,  die 
sie  zu  allererst  mitgebracht  hatten.  Der  Waldreichthum  des  später 
Lucania  und  Bruttium  genannten  Landes,  welches  von  der  damit 
zusammenhangenden  Viehzucht  auch  Italia  benannt  war,  mag  zu  all- 
gemeinem Gebrauch  eigener  Weinpfehle,  suriy  mdeSy  ridicae^  palt  (für 
focU  oder  pagli:  das  entsprechende  griechische  ndaoaXog  bedeutet 
nur  Pflock)  geführt  und  der  Name  OiviozQiay  OiviotQoi  von  solchen 
Griechen  herrühren,  denen  die  frei  am  Boden  gezogene  Rebe,  die 
Xa^lttg,  mthampelos  ipsa  se  sustinenSy  oder  die  Baumrebe,  die  äva- 
derdgag,  aficifia^vg  (ein  Wort,  dessen  eigentliche  Form  nicht  fest- 
steht, das  aber  Sappho  und  Epicharmus  brauchten),  fiafiatig^  äfiv^ 
axoia,  egi^avig,  oQivia,  ß^xa,  ^vaiag^  voTag,  naQiag,  tnog,  virj 
IL  s.w.  das  Gewohnte  war^^).  Auch  in  die  Gegenden  an  den  Po- 
mündungen  muss  der  Weinstock  mit  dem  griechischen  Seeverkehr 
frühe  gekommen  sein,  so  wenig  der  niedrige  wasserreiche  Boden 
diese  Kultur  zu  begünstigen  scheint.  Ueber  das  Zusammentreffen 
der  dortigen  Sümpfe  mit  reichem  Weinbau  wunderte  sich  mit  Recht 
schon  Strabo  (5,  1,  7).  Die  vitia  spionia^  quam  quidam  »pmeam 
vocant  (Plin.  U,  34.  Colum.  3,  2,  27.  3,  7,  1.  3,  21,  3.  10) 
wuchs  im  Gebiet  von  Ravenna  (Ravennati  agro  pecvUaris\  ertrug 
Hitze  und  Regen,  nährte  sich  von  Nebeln  und  galt  —  was  auch 
von  andern  nordischen  Reben  ausgesagt  wird  —  für  reich  an  Ertrag. 
Der  Wein  war  in  Ravenna  wohlfeiler  als  das  Wasser,  so  dass  Mar- 
tial  daselbst  lieber  eine  Cisteme  mit  Wasser,  als  einen  Weinberg 
besitzen  mochte,  3,  56: 

Sit  dsterna  mihi  quam  vinea  malo  Ravennae, 
Cum  possim  midto  vendere  pluris  aquam  — 

ond  sich  beklagt^  ein  dortiger  betrügerischer  Schenkwirth  habe  ihm 
lernen  Wein  statt  des  mit  Wasser  gemischten  verkauft,  57: 

CaUidus  imposuit  nuper  mihi  copo  Bavennae^ 
Cum  peterem  mixtum^  vendidit  ille  merum, 

Aach  die  Landschaft  Picenum,  in  der  geographische  Namen  und 
manche  andere  Spuren  auf  eine  alte  Verbindung  mit  den  Pomundun- 
gen  hindeuten,  wird  schon  frühe  als  besonders  weinreich  geschildert: 
bei  Polybius  3,  88,  1  kurirt  Hannibal   die  Pferde  seiner  Armee  mit 

5* 

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68  Der  WeinstocL 

den  alten,  im  Ueberfluss  vorhandenen  Weinen  der  Gegend:  xai 
Tovg  ^iv  tnTiovg  ixkotmv  toig  nalaiolg  oXvoig  öiä  to  nl^&og, 
i^e&SQansvae  Ti^y  xaxe^lav  avruiv.  Noch  lange  nachher  gingen 
grade  die  Weine  Picenoms  ins  Ausland,  nach  Gallien  (Plin  14,  39), 
wie  in  den  Orient  (Edict.  Diocl.  2.).  Dort  lag  die  Landschaft,  in 
der  die  berühmte  vinum  Praetutiamtm  genannte  Weingattong  wachs, 
Sü.  Ital.  15,  568: 

Tum  qua  vitiferos  domitat  Praetutia  pubes 
Laeta  Idboris  agros  — 

die  der  istrischen  Traube  ähnlich  war,  Dioscorides  5,  10:  o  ob  la- 
TQixbg  Isyo^evog  eoixe  zq^JiQaiTovriavfp,  ja  von  Plinias  mit  dem 
am  Flusse  Timavus  bei  Aquileja  wachsenden  vinum  Pucinum  identi- 
ficirt  wird  (14,  60  nach  Silligs  Emendation).  Die  picenische  Rebe 
also  war  aus  alter  griechischer  Zeit  am  Westufer  des  adriatischen 
Meeres  bis  in  dessen  innersten  Winkel  hin  verbreitet.  Von  der 
grossen  Fruchtebene,  die  sich  vom  Po  bis  an  den  Fuss  der  Alpen 
erstreckt,  weiss  auch  im  Punkt  des  Weines  Polybius,  der  als  Augen- 
zeuge spricht,  nicht  genug  Rühmens  zu  machen  (Polyb.  2,  15);  sie 
mochte  wohl  schon  Trauben  tragen,  als  die  Kelten  in  Italien  ein- 
brachen und  nach  der  Sage  (Liv.  5,  33.  Plin.  12,  5.  Plut.  Camill.  15) 
eben  durch  den  Wein  und  die  Früchte  des  Südens  dazu  angereizt 
wurden.  Mit  Weinlaub  bedeckt  erscheinen  bei  Martial  auch  die  Ab- 
hänge der  vulkanischen  Euganeen  bei  Padua,  JO,  93: 

Si  prior  Euganeas,  Clemens,  Helicaonis  oraa 
Pictaque  pampineis  videris  arva  jugis, 
Per/er  Atestinae  nondum  vulgata  Sabinae 
Carmina. 

Sehr  berühmt  wurden  frühzeitig  auch  die  vina  Raetica  d.  h.  die 
heutigen  Tiroler  und  Veltliner  Weine,  die  aus  der  Ebene  kommend 
die  Vorhögel  und  den  Südabhang  der  Alpen  erstiegen  hatten.  Nach 
Serv.  zu  'Verg.  G.  2,  95  hatte  schon  Cato  die  rhätische  Traube  ge- 
lobt, wurde  aber  dafür  von  CatuUus,  der  als  geborener  Veronese 
hierin  Bescheid  wissen  musste,  getadelt  Unvergänglichen  Ruhm 
aber  erwarb  sich  der  rhätische  Wein  durch  Vergil,  der  ihn  nur  dem 
Falerner  nachstellte,  G.  2,  95: 

et  quo  te  carmine  dicam^ 
BaeUcal  nee  cellis  ideo  contende  Falemis. 

Auch  Vergil  war  nicht  weit  von  den  Hügeln  und  Thälem  des  Süd- 
alpenlandes zu  Hause^  vielleicht  aber  pries  er  den  Rhätier  nur,  weil 


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Der  WeinstocL  69 

Augastas,  wie  Sueton  Aug.  77  erzählt,  ihn  besonders  liebte.  Strabo 
stiiiimt  in  das  Lob  mit  ein,  4,  6,  8:  xai  o  ye  'Paizinög  ohog^  tdv 
h  toig  ^haXixdig  inaivovfiivwv  oix  aTiolslaead-ai  öoxßy,  h  Toig 
fovTwv  vnwQBiaig  yivatai,  aber  vielleicht  ist  er  nur  ein  Echo  Ver- 
giis.  Auch  Plinius  berichtet  14,  16:  ante  eum  (Tiberium  Caesarem) 
Rae^cis  prior  mensa  erat  et  avia  Veronensium  agro^  gleich  darauf  fögt 
CT  indess  hinzu:  quod  et  in  Raetica  Allobrogicaque  —  eüenit,  dornt 
nobäibus  nee  adgnoscendü  alibi.  Martial  kennt  gleichfalls  die  rhäti- 
sehen  Weine  aus  der  Heimat  des  Catullus,  14,  100:  Panaca. 

Si  non  ignota  est  docH  tibi  terra  CatulU, 

Potasti  teata  Baetioa  vina  mea. 
Aach  noch  ganz  spät  zu  Cassiodors  Zeit  stand  das  Gebiet  von  Verona 
wegen  seiner  Weine  in  Ruf  (7ar.  12,  4). 

Schon  Cato  hatte  gefunden,  dass  von  allen  Arten  der  Boden- 
benutzung der  Weinbau  die  vortheilhafteste  sei,  1,  7:  cfe  omnibus 
aym  ....  vinea  est  prima^  si  vino  multo  siety  und  in  den  spätem 
Zeiten  der  römischen  Republik  war  Italien  bereits  in  so  ausgedehn- 
tem Masse  ein  Weinland  geworden,  dass  das  Yerhältniss  der  Reben- 
zaeht  zum  Eornbau  sich  umgekehrt  hatte  und  die  Halbinsel  Wein 
ans-  und  Getreide  einführte.  Aber  längst  hatte  diese  Kultur  auch 
begonnen,  über  die  Grenzen  Italiens  hinauszudringen  und  im  Norden 
imd  Westen  sich  einzubürgern.  Columella,  1,  1,  5,  führt  aus  dem 
Ütem  landwirthscbafüichen  Schriftsteller  Sasema  den  Ausspruch  an, 
das  Elima  habe  sich  geändert,  denn  die  Gegenden,  die  sonst  zum 
Wein-  und  Oelbau  zu  kalt  gewesen,  hätten  jetzt  Uebcrfiuss  an  beiden 
Producten.  Hier  liegt  die  richtige  Beobachtung  zu  Grunde,  dass 
der  Anbau  der  genannten  Gewächse  im  Laufe  der  Zeiten  immer 
weiter  nach  Norden  gerückt  sei,  nicht  weil  das  Elima  ein  anderes 
geworden,  sondern  durch  allmählige  Acclimatisation.  In  der  neuem 
Zät  ist  im  Yerhältniss  zum  Mittelalter  das  Umgekehrte  eingetreten: 
der  Weinbau  hat  sich  aas  den  nordischen  Landstrichen  zurück- 
gezogen, in  denen  er  ökonomisch  nicht  mehr  vortheilhaft  war.  Das 
nördliche  Frankreich,  die  südlichen  Grafschaften  Englands,  Thürin- 
gen, die  Mark  Brandenburg  u.  s.  w.  trieben  sonst  Weinbau.  Bei 
entwickelterem  Verkehr  musste  man  es  vorziehen,  den  Wein  be- 
gunstigterer  Gegenden  gegen  diejenigen  Früchte  einzutauschen,  die 
der  eigene  Boden  reichlich  und  sicher  hervorbrachte.  Der  üeber- 
gang  des  Weinbaus  nach  Frankreich,  vne  er  aus  historischer  Zeit 
in  einzelnen  Notizen  vorliegt,  gewährt  übrigens  eine  lebendige  Ana- 
logie der  Vorgänge,   durch  welche  die  Rebe  Jahrhunderte  früher  zu 

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70  I^er  WeinstocL 

den  Yolkern  des  innem  Italiens  sich  mag  yerbreitet  haben.  Der 
erste  Weinstock  auf  gallischem  Boden  wurde  ohne  Zweifel  yon  der 
Hand  eines  Massalioten  «gepflanzt;  auf  den  Massilia  umgebenden 
Bergen  gedieh  die  Rebe  vortrefflich^  Strab.  4,  1,  5:  von  den  Massa- 
lioten: xcJ^av  d*  k'xovoiv  ilai6q>vTov  fiiv  xai  xaxafineXnv,  Die 
Eulturart  war  die  aus  der  Heimath  mitgebrachte  kleinasiatische  ohne 
Stützen  und  Pfahle.  Die  östlich  und  westlich  ausgesandten  Ansied- 
ler verbreiteten  den  Weinbau  längs  der  Küste,  zunäehst  um  die  be- 
festigten Stationen  herum.  Die  Eingebomen  —  Ligurer  und  Iberer, 
später  Kelten  —  tauschten  den  Wein  gegen  die  Rohproducte  ihres 
Landes  ein,  ganz  wie  später  die  Bewohner  von  Aquileja  den  Illyriem 
Oel  und  Wein  lieferten  und  von  diesen  dafür  Sclaven,  Vieh  und 
Häute  bezogen  (Strab.  5,  1,  8).  Zunächst  waren  es  nur  die  Reichen, 
die  den  italienischen  und  massaliotischen  Wein  tranken,  während 
die  Aermeren  bei  dem  nationalen  Getränk  aus  gegorenem  Getreide 
blieben  (Posidonius  Fr.  25.  Müller).  Allmählich  drang  denn  die 
Kultur  weiter  ins  Innere;  von  den  benachbarten  lernten  die  ent- 
fernteren Stämme  selbst  die  Rebe  ziehen  und  den  Saft  der  Beeren 
durch  Gährung  in  Wein  verwandeln,  Justin.  43,  4:  tunc  et  vitem  pu- 
tare^  tunc  olivam  severe  cansueverunt  Macrob.  Somn.  Scip.  2,  10,  8: 
GaUi  vitem  vel  cultwm  olivae^  Roma  iam  adolescentey  didicerunt  —  so 
sehr,  dass  die  Römer,  die  nicht  bloss  ein  Krieger-,  sondern  auch 
ein  eigennütziges  Kaufmannsvolk  waren^  bereits  eifersüchtig  wurden 
und  im  Interesse  der  italischen  Ausfuhr  den  von  ihnen  gezüchtigten 
transalpinischen  Yölkchen  die  Friedensbedingung  auflegten,  des  Oel- 
und  Weinbaus  sich  zu  enthalten,  Cic.  de  rep.  3,  9,  16:  nos  vero 
iustissimi  homines  gut  Transalpinas  gentes  oleam  et  vitem  serere  non. 
sinimtiSy  quo  pluris  sint  nostra  oliveta  nostraeque  vineae  (Mommsen, 
Römische  Geschichte^,  2,  159).  AJs  nach  den  Siegen  über  die 
AJlobroger  und  Arvemer  die  Gegend  zwischen  Pyrenäen,  Cevennen 
und  Alpen  zur  provincia  Narbonensis  erhoben  worden  war,  fand 
immer  noch  eine  starke  Einfuhr  von  italienischem  Wein  Statt  Wir 
sehen  dies  aus  Ciceros  Rede  für  den  Fontejus,  der  sich  erlaubt  hatte, 
von  den  ans  Italien  eingehenden  Weinen  ein  vectigal  zu  erheben 
und  ein  portorium  vini  einzusetzen,  und  deshalb  in  Rom  angeklagt 
wurde  (Cic.  pro  Font.  5).  Es  folgte  Cäsars  Eroberung  des  ganzen 
Landes  bis  zur  Nordsee  und  zum  Rhein  und  der  Eindrang  römischer 
Cultur,  Sitte  und  Lebensgewohnheit  in  ungehemmter  Strömung.  Im 
ersten  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  zeigen  uns  die  Nachrichten  bei 
Plinius  und  ColumeUa  das  heutige  Frankreich  bereits  als  selbständig 

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Der  WeinstocL  71 

ges,  rivalisirendes  Weinland,  mit  eigenen  Trauben-  und  Weinsorten, 
mit  Ausfiodir  und  Yerpflanzung  nach  Italien,  zugleich  nicht  ohne  An- 
zeichen der  eben  erst  YoUbrachten  Aneignung  einer  noch  jugend- 
lichen Kultur.  Gallien  stand  damals  zu  Italieu,  wie  in  der  Urzeit 
Italien  zu  Griecheuland  und  noch  früher  Griechenland  zu  Syrien, 
Phrygien  und  Lydien.  Gallische  Weine  fanden  bei  Italienern  Ge- 
schmack: Plin.  14,  39:  mirum  —  in  Italia  Gaüica  placere^  trans 
Aipk  vero  Picena,  Colum.  1,  praef.  20:  et  mndemiaa  condimvs  ex 
mulis  Cycladibus  ac  regionibtis  Baeticts  GaUicisque.  Der  Burgun- 
derwein tritt  auf,  wenn  auch  natürlich  nicht  unter  diesem  Namen, 
sondern  als  Wein  von  Vienna  an  der  ßhone,  als  Arvemer,  Sequaner, 
Hei  vier,  Allobroger,  Plin.  14,  18:  tarn  inventa  vitü  per  se  in  vino 
ficem  resipiens^  Viennensem  agrwm  nobilitanSj  Arvemo  Sequanoque  et 
Eelvico  generibtts  non  pridem  illustrata  atque  Vergili  vatia  aetate  itir- 
cognitcL^  a  cujus  obitu  ac  aguntur  anni.  Er  schmeckte  nach  Pech 
(wie  nach  Strabo  4,  6,  2  auch  der  ligurische,  und  wie  noch  heute 
emige  Burgunderweine),  wurde  auch  künstlich  mit  Harz  und  Pech 
behandelt,  war  an  Ort  und  Stelle  beliebt,  ward  aber  auch  nach 
ItaUen  ausgeführt,  Martial.  13,  107:  Picatum  vinum: 

Haec  de  vitifera  venisse  picaia  Vienna 

Ne  dubüea:  misit  Bomulus  ipse  mihi. 
Auch  gallische  Traubensorten,  also  Varietäten,  die  sich  bereits  auf 
dem  neuen  Boden  gebildet  hatten,  fanden  in  Italien  Verbreitung:  die 
mUs  helvenacia^  elvenaca^  hdvennaca  (Colum.  3,  2,  25.  5,  5,  16. 
Plin.  14,  32;  der  Name  abgeleitet,  wie  es  scheint,  von  dem  kelti- 
schen Yolksnamen  Helvii,  in  anderer  Form  Helvetii,  s.  oben  das 
gems  Helvicu/m  bei  Plinius),  die  vitis  Biturica^  Biturigiaca  (Plin.  14, 
27.  C!olum.  3,  2,  19  und  öfter.  Isid.  Hisp.  17,  5,  22;  schon  in  das 
Gebiet  des  heutigen  Bordeauxweins  hinüberreichend),  die  Aüo- 
hrogica  (Plin.  14,  26.  Colum.  3,  2,  16;  colore  nigra^  eben  die  rothe 
Burgundertraube)  u.  s.  w.  Die  Eigenschaften,  die  diesen  gallischen 
Reben  zugeschrieben  werden,  laufen  alle  auf  grössere  Widerstands- 
kraft gegen  Ungunst  des  Klimas  hinaus:  sie  nehmen  mit  magerem 
Boden  vorlieb,  ertragen  Kälte,  Regen,  Wind;  sie  sind  alle  reich  an 
Beeren  und  liefern  viel  Most;  sie  arten  bei  Ortsveränderung  leicht 
aus,  haben  also  noch  keinen  constanten  Charakter  gewonnen:  die 
hehennaca  kommt  in  Itahen  schlecht  fort,  bleibt  dort  klein  und  fault 
leicht,  die  Lieblichkeit  des  AUobrogers  cum  regione  mutatur  u.  s.  w. 
An  der  geringen  Haltbarkeit  lag  es,  wenn  die  Weine  von  Massilia, 
die  etwa  unseren  Cette- Weinen  entsprachen,  nach  griechischer  Sitte 

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72  Der  WeinstocL 

geräuchert  worden  (oft  erwähnt,  z.  B.  Martial  3,  82,  23:  vel  cocta 
fumü  musta  MasaiUtams)  und  die  proven^alischen  Weine  überhaupt 
nicht  bloss  durch  Rauch,  sondern  durch  Zusatz  von  Kräutern  and 
Gewurzstoffen  entstellt  in  den  Handel  kamen  (Plin.  14,  68).  Die 
Alten  griffen  nach  allerhand  Mitteln,  wie  Einkochen,  Räuchern,  Zu- 
mischen  u.  s.  w.,  da  sie  den  Branntwein,  durch  den  unsere  Xerez-, 
Porto-,  Marsala-  und  andere  südhche  Weine  vor  dem  Verderben  be- 
wahrt werden,  noch  nicht  kannten.  Dass  nun  während  der  römi- 
schen Eaiseijahrhunderte  der  Weinbau  in  Gallien  nicht  bloss  sich 
befestigte,  sondern  seine  Grenzen  erweiterte,  dass  er  sich  des  Thaies 
der  Garumna,  nach  Norden  und  Nordwesten  der  Thäler  der  Marne 
und  der  Mosel  bemächtigte,  lag  im  natürlichen  Laufe  der  Dinge. 
Den  Rhein  aber  überschritt  er  zur  Römerzeit  noch  nicht  (Bodmann^ 
Rheingauische  Alterthümer,  S.  393:  »Wir  setzen  unbedenklich  die 
Ursprünge  des  Weinbaues  im  westlichen  Rheingaue  auf  den  Zeit- 
raum der  austrasischen  Regierung  des  Merovingischen  Eönigsstam- 
mes").  Von  Gallien  aber  ward,  wenn  auch  nicht  der  Weinstock, 
so  doch  der  Wein  den  angrenzenden  Germanen  zugeführt,  die  mit 
Aufnahme  dieses  Products  den  verhängnissvollen  Pact  mit  gallisch- 
römischer Kultur  schlössen,  während  bei  den  weiter  wohnenden 
Stämmen  das  sogenannte  Freiheitsgefühl,  d.  h.  die  Anhänglichkeit 
an  das  von  den  Vätern  ererbte  halbnomadische  Jagd-  und  Heerden- 
leben  der  verdächtigen  Gabe  sich  erwehrte.  (Mehr  als  tausend  Jahr 
später  ging  es  den  Deutschen  in  Norwegen,  wie  einst  den  Römern 
in  Deutschland:  da  waren  sie  die  weinführenden  Südmänner,  die 
das  Volk  verdarben  und  deshalb  vom  König  Sverris  in  Bergen  nicht 
zugelassen  wurden,  s.  die  Stelle  aus  der  Sverris  saga  bei  Weinhold, 
Altnordisches  Leben,  S.  109  f.).  So  sehr  drohte  aber  auch  in  den 
Provinzen  die  Weinkultur  den  Getreidebau  zu  überwuchern,  dass  der 
Kaiser  Domitianus  in  einem  Anfall  von  Besorgniss  die  Hälfte  und 
mehr  aller  ausserhalb  Italiens  bestehenden  Weinberge  auszurotten 
befahl  —  was  sich  indess  natürlich  nicht  ausführen  liess,  Suet. 
Domit.  7:  ad  mimmwm  qiumdam  vAertatem  vini^  frumenü  vero  in- 
opiariij  exütimans  nimio  vinearum  studio  negliffi  aroa^  educit:  Ne  qud^ 
in  ItaUa  noveüaret^  atque  in  provinciis  vineta  succiderentwr^  reldciOy 
vhi  plvrimfmm^  dimidia  parte:  nee  easequi  rem  perseveravit  Da  gleich- 
zeitig ein  Verbot  gegen  die  orientalische  Sitte  der  Entmannung  er- 
ging, sagte  Apollonius,  der  Kaiser  schone  die  Menschen,  eunuchisire 
aber  die  Erde:  y^v  evvovxi^eiv  (Philostr.  vit.  Apoll.  6,  42).  Die 
Ausführung  des  Befehls  wurde  von  lonien  und  überhaupt  von  Asien 

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Der  Weinbau.  73 

durch   eine  Gesandtschaft   abgewehrt   (Id.  vit.  Soph.  1,  21,  12)»»). 
Indess  muss  der  provinciale  Weinbau  immer  von  Italien  ans  mit  un- 
günstigen Augen  angesehen  worden  sein.    Denn  vom  Kaiser  Probus 
wird  berichtet,  er  habe  den  Provinzen  Gallien,  Spanien  und  Britan- 
niai,  nach  Andern  Gallien,   Pannonien  und  Mösien   erlaubt,   Wein- 
beige zu    besitzen   und  Wein   zu   bereiten,   Fl.  Vopisc.   Prob.    18: 
GaUis  onmibus  et  Hispanida  ac  Britannüs  hinc  permisit  ut  vites  habe- 
mt  vmumque  consent     Eutrop.   h.    Rom.    17:    Vineas  GaOos  et 
Pamomos  habere  permüit.    Aurel.  Vict  de  Caes.  37,  2:  Hie  Oaüiam 
Pannantasque  et  Moeaorum  colles  vinetis  replemt.     Auch   die  Trinker 
des  Tokayerweins  also  könuen  den  Kaiser  Probus  leben  lassen,  der 
nur  kurz  regierte,   aber  ein  Held  der  Legende,   eine  Art  Weinheili- 
ger wurde  —  natürlick,  wie  so  oft,  auf  gelehrtem  Wege  d.  L  nach 
den  so  eben   beigeschriebenen  Stellen  der  Historiker.     Weniger  be- 
sangen, aber  von  nicht  geringer  Wichtigkeit  ist  ein  anderes  Kultui^ 
Produkt,  das  das  transalpinische  Europa  zugleich  mit  dem  Wein  von 
Saden  her   kenneo    und  vielfach  anwenden  lerute,    wir   meinen  den 
Essig,  französisch  vinaigre  (wörtlich:    saurer  Wein),   englisch  vine- 
^,  goth.  akeit  (aus  acetum),   alts.  eJdd^  ags.  oced,  ahd.  ezih  (durch 
Umstellung  der  beiden  Consonanten),    kirchensl.    odtü^   pohi.   neosl. 
baigar.  ocet,  serb.  ocat,  magyar.  eczet^  walach.  ocet.   Die  Russen  und 
dorch   sie   die  Litauer   haben   ihre  Benennung   des  Essigs  aus  dem 
Griechischeu,  d.  h.  aus  Byzanz:  griech.  o^og^  russisch  wibt«,  litauisch 
«^»ö»a«,  obgleich  es  jetzt  kein  Land  giebt,  wo  eine  grössere  Vorliebe 
ftr  alles  Sauere  herrschte,    als   in  dem  weiten  Gebiet  von  den  Kar- 
pathen   bis  an  die  chinesische  Mauer.     Essig   mit  Wasser  gemischt, 
die  sog.  posca   (das  Wort  angeblich  aus  ano^g  entstanden),  griech, 
o|v»pofToj/,  war  ein  unter  dem  Volk  in  Italien  und  in  den  Soldaten- 
lagern gewöhnliches  Getränk   und    mag   von  den  letzteren  aus  auch 
ia  den  barbarischen  Ländern  sich  verbreitet  haben. 

Vergleicht  man  den  heutigen  Zustand  des  Weinbaues  mit  dem 
ZOT  Zeit  der  Alten,  so  hat  auch  diese  Kultur  einigermassen  an  dem 
allgemeinen  Gange  der  Geschichte  Theil  genommen,  d.  h.  sie  ist  in 
ikren  Ausgangsländem  in  Verfall  gerathen  und  steht  in  dem  zu  aller- 
jöngst  gewonnenen  Gebiete  auf  der  höchsten  Stufe  der  Entwickelung. 
Als  Vorderasien,  die  Wiege  der  Rebenzucht,  von  Völkern  islamiti- 
schen Glaubens  überzogen  worden,  konnte  ein  Product  nicht  mehr 
gedeihen,  dessen  Genuss  das  Gesetz  den  Eroberem  untersagte,  ti 
allen  Ländern  arabischer  Herrschaft,  in  Nordafrika,  Sicilien,  Spanien 
ging  der  Weinbau  zurück,  da  er  von  den  Mächtigen  nicht  begünstigt 

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74  Der  Weinstock. 

wurde,  die  mit  semitischer  Massigkeit  mehr  den  Enltos  des  Wassers 
und  kühlen  Schattens,  als  den  des  erhitzenden  Getränkes  übten.  Ja 
es  fanden  sich  einzelne  Fanatiker,  die  den  Wein  gar  nicht  dalden 
wollten,  so  der  Kalif  Hakem  2.  von  Spanien ;  ^er  liess  fast  alle  Wein- 
reben in  Spanien  ausrotten:  nur  uogefähr  einen  dritten  Theil  der 
Weingarten  liess  er  stehen  zum  Genuss  ihrer  Früchte  als  reife  Trau- 
ben, als  getrocknete  Frucht,  Rosinen,  Syrup  und  Traubenhonig,  was 
zu  geniessen  das  mohammedanische  Gesetz  erlaubte^  (Aschbach, 
Gesch.  der  Ommaijaden  in  Spanien,  2.  S.  158  f.).  Was  dem  Islam 
in  Spanien  nicht  gelang  —  wie  die  heutigen  Xerez-  und  Malaga- 
weine beweisen  — ,  das  setzte  er  in  dem  gegenüberliegenden  Marokko 
durch.  Die  atlantische  Küste  des  letztgenannten  Landes  war  im 
Alterthum  ein  ergiebiger  und  gepriesener  Weinbezirk  gewesen,  dem 
seine  Traube,  wie  Movers,  2,  2,  S.  528  flf.  urtheilt,  nicht  erst  von 
den  Karthagern,  sondern  scholl  in  der  Urzeit  von  den  Phöniziem 
zugetragen  war.  Dort  lag  das  Vorgebirge  Ampelusia  (Mela  1,  5. 
Plin.  5,  in.),  also  das  Weinkap,  heut  zu  Tage  Cap  Spartel,  und  die 
uralte  Stadt  Li^,  die  auf  ihren  punischen  und  punisch-rönüschen 
Münzen  die  Traube  als  Wahrzeichen  führt  (Müller,  Numismatique 
de  Tanc.  Afrique  B,  p.  155  ff.)  und  von  deren  Einwohnern  die  Sage 
erzählte,  dass  sie  sich  ohne  Bodenbestellung  nur  von  freiwachsenden 
Weinbeeren  nährten  (Paus.  1,  33,  4).  Auch  nach  Strabo,  17,  4,  4 
sollten  die  Weinstöcke  von  Maurusien  so  dick  gewesen  sein,  dass 
sie  Yon  zwei  Männern  nicht  umspannt  werden  konnten,  und  Trau- 
ben von  einer  Elle  Länge  getragen  haben.  Von  reicher  Weinerzeu- 
gung dieser  Gegend  und  einem  darauf  gegründeten  Ausfuhrhandel 
der  Phönizier  berichtet  auch  der  Periplus  des  Scylax  112.  Noch  im 
Mittelalter  bei  Ankunft  der  Araber  muss  diese  Kultur  bestanden 
haben,  da  die  Stadt,  die  von  ihnen  an  Stelle  des  alten  Lix  gegrün- 
det wurde,  den  Namen  El-Araisch,  d.  h.  Weinberg  erhielt  Jetzt 
nun  trägt  das  überaus  fruchtbare  Land  in  Folge  der  arabischen 
Herrschaft  keine  oder  fast  keine  Weinpflanzung  mehr  und  nur  unter 
den  ungebundenen  Schelluh's  des  Rif  hat  der  Islam  das  verbotene 
Getränk  nicht  ausrotten  können  (s.  Barth,  Wanderungen  durch  die 
Küstenländer  des  mittelländischen  Meeres,  S.  20)^^).  Das  heutige 
Griechenland  —  nach  so  vielen  zerrüttenden  Schicksalen  und  Jahr- 
hunderten ethnologischer  und  wirthschaftlicher  Erniedrigung  —  er- 
zeugt mit  wenigen  Ausnahmen  nur  schlechten  Wein;  der  Ruhm  des 
Chiers,  Lesbiers,  Thasiers  ist  längst  dahin  und  der  harzgeschwängerte 
Resinate,    über   den  schon  Liudprand   in    seiner  Gesandtschaftsreise 

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Der  Weinstock.  75 

nach  EonstanÜDopel  vom  Jahr  968  klagt,  nicht  geeignet^  ihn  wieder 
ins  Leben  zu  rafen  (Ausführliche  Mittheilangen   darüber  in  Fiedlers 
Reise  durch  alle  Theile  des  Königreichs  Griechenland,  1,  S.  571  flf.). 
Yielleicht   sind    auch   die  Korinthen  nur  eine  durch  Degeneration 
kerrorgerufene  Varietät.    Sie  sollen  von  der  Insel  Naxos  gekommen 
vnd  nicht   vor   dem  Jahre  1600   in  Morea    bekannt   gewesen    sein. 
Merkwürdig  ist,  dass  sie  gleichsam  von  Gegend  zu  Gegend  wandern: 
aof  Naxos    sind    sie   yerschwunden,    bei   Korinth,   woher   ihr  Name 
^ammt^   sind   sie   nicht  mehr  vorhanden,   ihr  Productionsbezirk   ist 
jetzt  Patras,    Zante   und  Kephalonia   (s.  Xavier  Scrofani,    Memoire 
sor  la   culture   du  raisin  de  Corinthe,    in  dessen  Voyage  en  Grice, 
frad.  de  l'italien,  3,  S.  115  fF.).  —  In  Italien  kam  es  den  ostgothi- 
schen  und  longobardischen  Fürsten   und  Edlen   wie    allen  Barbaren 
gewiss  nicht  auf  feine  geistige  Blume  ihres  Weines,  sondern  auf  das 
Quantum  an,  das  die  unterworfenen  Colonen  ihnen  zu  liefern  hatten. 
Wer  beim  Schmause   aus   dem    Schädel   des   erschlagenen   Feindes 
tnnkt,   dem  sagt  das  Herbe  und  Starke  am  meisten  zu,    vor  Allem 
aber  begehrt  er,  seine  kriegerische  Trinkschale  recht  oft  leeren  und 
wieder  füllen  zu  können.    Die  Normannen  im  Süden,    die  deutschen 
Könige   auf  ihren  Römerzügen    und    die   sie  begleitenden  Herzoge, 
Grafen,  Edlen  und  Mannen  waren  allesammt  wackere  Trinker,  aber 
sicherUch   keine    allzu   kritischen    und  wählerischen  Kenner.     Dazu 
die  Gebundenheit  des  Grund  und  Bodens,  die  den  arbeitenden  Stand 
in  düsterem  Stumpfsinn  erhielt,  die  ewigen  Raub-  imd  Verwüstungs- 
ZQge  und  die  Verwilderung  und  Unsicherheit  des  Lebens  überhaupt, 
die  keine    Kapitalanlage   auf  längere   Jahre   gestattete.      Vielleicht 
machten    einige    geistliche   Besitzthümer    eine   Ausnahme,    und    die 
Keller  der  Klöster   mögen    hin    und    wieder  alten,    durch  Lagerung 
Teredelten  Wein  enthalten  haben,  doch  darf  man  sich  die  Zunge  der 
Bischöfe  und  Aebte  des  heiligen  römischen  Reichs  anch  nicht  allzu 
fein  denken,  denn  auch  sie,  wie  die  Ritter,  waren  Kinder  einer  rohen 
Zeit:  nicht  bloss  tranken  sie  den  Wein  ohne  Zusatz  von  Wasser  — 
im  Gegensatz   zu   der   humanen,    schon   bei  Homer   geltenden   xmd 
durch   die  Gesetze    des  Zaleukos    ausdrücklich    gebotenen  Sitte    der 
Alten,  den  Wein  mit  Wasser  zu  mischen,  sondern  am  meisten  mun- 
dete ihnen  Wein  mit  Gewürz,    Beeren  und  Honig  abgekocht,  vinum 
ttofflrfuw,  claretum  s,  claratumy  lütertranc,  m&ras,   claret,   ein  Misch- 
trank,  der   zwar  auch  bei  den  Alten  mitunter   erwähnt  wird,    aber 
dort  nur  eine  unter  mannigfachen,  in  weinreichem  Lande  natürlichen 
Nebenanwendungen  des  zu   täglichem  Genüsse    dienenden  Productes 

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76  Der  Weinstock. 

war.    Dass   seit   der  Römerzeit  die   edlere  Weinkultor  Rückschritte 
gemacht   hat,   darf  man   in  Anbetracht  dieser  ungünstigen  Verhält- 
nisse wahrscheinlich   finden.    Liest  man  die  weitläufige  Abhandlung 
des  Plinius  über  den  Wein  (im  14.  Buche)  oder  den  Abschnitt  über 
denselben  Gegenstand  im  Auszuge  des  ersten  Buches  des  Athenäos, 
so  sieht  man  deutlich,  wie  der  Geschmack  und  Reichthum  der  Vor- 
nehmen  diesen  Kulturzweig  in   steter  Regsamkeit   erhielt.    Es  hat 
sich  eine  unendliche  Mannigfaltigkeit  von  Sorten  und  Arten  ergeben 
(gleich   dem   libyschen  Sande,   sagt  Vergil,    oder  den  Wellen   des 
Meeres),   von   denen    die   eine   von   diesem,    die  andere  von  jenem 
Magnaten  patronisirt  wird;   der  Wetteifer,  sich  gegenseitig  zu  über- 
bieten, führt  zu  immer  neuen  Versuchen,  sowohl  in  Wahl  der  Trau- 
ben, als  in  Behandlung  des  Saftes:  die  Mode  wechselt  —  aber  viel- 
leicht auch  die  natürliche  Güte  des  Gewächses.    So  hatten  zur  2ieit 
des  Augustus  die  auf  der  Grenze  Latiums  und  Campaniens  wachsen- 
den   Weine,    der   aus   Horaz   Jedem    bekannte  Falemer,   Massiker, 
Cäcuber,   für   die   edelsten  der  Halbinsel  gegolten,   und  Plinius  be- 
richtet, zu  seiner  Zeit,  also  nach  etwa  zwei  Menschenaltem,  wurden 
sie  nicht  mehr  geschätzt,    wodurch,   fügt  er  hinzu,   offenbar   wurde, 
dass  jeder  Boden   seine  Zeit  hat,    14,  65:   ma  quilm^que  terris  tem- 
pora  esse^   sicut  rerum  proventus  occasusque.    Kurz    vorher   hatte   er 
freilich  gerade  mit  Bezug  auf  den  Falemer  gesagt,    dieser  Wein  sei 
nicht  mehr  der  alte  (exole8cit\   weil    die  Prodocenten  mehr  auf   die 
Menge  als  auf  die  Qualität  des  Erzeugnisses  Bedacht  nähmen.  Ganz 
denselben  Vorwurf  macht  man  auch  dem  heutigen  Weinbau  in  Grie- 
chenland,  wie   in  Italien.     Bei   der    vorherrschenden,    auf  Natural- 
abgabe basirten  Pachterwirthschaft  wird  hauptsächlich  auf  das  Quan- 
tum   gesehen,    und    diejenige   Kulturmethode    vorgezogen,    die    den 
reichlichsten  Ertrag  verspricht;    die  Traubenlese   geschieht   sorglos, 
unreife  und  faule  Beeren  werden  mit  den  reifen  zusammengeworfen; 
um  möglichst  dunklen  Wein  zu  erzielen,  für  welchen  ein  allgemeines 
Vorurtheil  herrscht,  wird  der  Most   zu  spät   von   den  Trestem   ab- 
gezapft,  wodurch  der  in  der  Haut  der  Beeren   enthaltene  Pflanzen- 
schleim und  Farbestoff  in  den  Wein   übergeht   und   die   essigsaure 
Gährung   hervorruft,    die    den  italienischen  Landwein  meistens  noch 
vor  dem  Schluss    des  Weinjahres  ergreift.    Dazu   kommt   die   noch 
zu  hohe  Temperatur  zur  Zeit  der  Gährung  im  Herbste,    so  wie  der 
Mangel  an  luftdichten  soliden  Fässern  und  an  kühlen  Kellern.     Die 
Temperatur  der  letztem  bleibt  selten  unter  der  mittleren  des  Jahres. 
Die  Art   der  Aufbewahmng   bei    den  Alten   war   in  einem  warmen 

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Der  Weinatock.  77 

Klima  yielleicht  wirklich  passender,  als  die  unsere  in  hölzernen 
Tonnen,  die  die  Römer  bei  den  cisalpinischen  Galliern  und  den 
AlpaiYölkem  zuerst  kennen  lernten  und  die  sich  von  da  weiter  nach 
Süden  verbreitet  hat'  *).  Die  Schläuche  im  Orient  haben  wenigstens 
den  Yortheil,  dass  sie  keine  Luft  zulassen,  beim  Gebrauch  sich  ent- 
qtrechend  zusammenziehen,  leicht  aufgepackt  werden  und  auf  Reisen 
mm  Liegen  und  Sitzen  dienen.  —  Allbekannt  ist,  dass  in  moderner 
Zeit  die  Palme  der  Weinproduction  dem  mittleren  und  südlichen 
Frankreich  zukommt.  Wenn  Italien  die  30  Millionen  Hectoliter 
seines  jährlichen  Ertrags  feist  ausschliesslich  selbst  verbraucht  und 
also  für  das  Ausland  wenig  übrig  hat,  so  erzeugte  Frankreich  bis 
fodr  Kurzem  (d.  h.  ehe  die  Reblaus  ihre  Verwüstungen  begann)  das 
Doppdte  davon,  mit  einem  Geldwerth  von  etwa  2000—3000  Mill. 
Fnuiken,  und  bildete  das  Hauptausfuhrland,  welches  alle  Gegenden 
der  Erde  mit  den  feinsten  wie  mit  gewöhnlichen  Tischweinen  ver- 
sorgte. Das  einzige  Departement  de  TH^rault  brachte  durchschnitt- 
lich 12 — 15  Millionen  Hectoliter,  also  dreimal  oder  viermal  mehr 
Wein  hervor,  als  das  ganze  Königreich  Portugal.  Es  ist  eine  merk- 
würdige Thatsache,  dass  der  Weinstock  ganz  nahe  an  der  Nord- 
grenze seiner  Yerbreitungsphäre,  in  Gegenden,  wo  er  erst  mühsam 
und  allmählig  und  ganz  zuletzt  eingebürgert  worden,  den  edelsten 
Fruchtsaft  hervorbringt,  der  unter  dem  Namen  Burgunder,  Johannis- 
berger  u.  s.  w.  in  aller  Welt  berühmt  ist.  Kultur  und  Technik 
iiaben  freilich  das  Ihrige  dabei  gethan,  und  wir  wissen  nicht,  was 
beide  in  den  alten  Heimatländern  des  Weinstocks  leisten  könnten, 
wenn  sie  daselbst  Eingang  und  Au&ahme  fanden.  In  dieser  Hin- 
sicht verdient  eine  in  den  ersten  Jahrhunderten  des  beginnenden 
Hittelalters,  zur  Zeit  des  Sidonius  ApoUinaris,  Cassiodorus,  Grego- 
rins  Toronensis,  Yenantius  Fortunatus,  Fulgentius  u.  s.  w.,  auftretende 
Erscheinung  alle  Aufmerksamkeit.  Damals  nämlich  wandte  sich  die 
ocddentalische  Welt  zu  den  Weinen  Palästinas,  als  den  stärk- 
sten und  edelsten  zurück,  etwa  in  der  Weise,  wie  wir  die  Sherry- 
ond  Portweine  aus  der  pyrenäischen  Halbinsel  beziehen:  Gregor. 
Turon.  7,  29:  müüque  pueros  unum  post  almm  ad  requirenda  po- 
tentiora  vina,  Laticina  videlicet  atque  Gazitina  (Weine  von  Gaza). 
Sid.  ApolL  carm.  17,  15: 

Vina  mihi  non  sunt  Gazetica,  Chia^  Falema 
QucLeque  Sareptano  palmite  missa  bibes. 

C*88iod.  Var.   12,  12:   ibi  enim  reperitur   (yinum)    et  Gazeto  par 

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78  Döf  Weinstock. 

et  Sabino  simüe.  Auch  am  byzantischen  Hofe  ward  dieser  Wein 
der  phönizisch  •  philistaischen  Küste  geschätzt,  Coripp.  de  laad. 
Just.  3,  87: 

et  dulcia  Bacchi 
Munera  quae  Sarepta  ferax,  quae  Gaza  crearat, 
Ascalon  et  laetis  dederat  quae  Graeca  colonis. 

Der  Einbruch  der  Araber  machte  dieser  Weinproduction  und  dem 
darauf  gegründeten  Handel  ein  Ende  (s.  Stark,  Gaza,  S.  561  f.). 

Zur  Zeit  des  Alterthums  wurde  der  Weinstock  darch  alle  Lan- 
der  getragen,    die    das  Mittehneer   umgeben:    hat   er   sich  jetzt  — 
könnte  man  fragen  — ,  wo  die  Kultur  in  immer  grösserem  Massstab 
die  ganze  Erde  umfasst,   über  alle  Welttheile  verbreitet?     Die  Ant- 
wort muss  verneinend  ausfallen.     In  der   südlichen  Hemisphäre    ist, 
mit  Ausnahme   des   nicht   bedeutenden  Kaplandes,    die  schmale  ge- 
mässigte Zone,  in  der  der  Weinstock  gedeiht,  nicht  vorhanden,  und 
in  der  sogenannten  Neuen  Welt  haben  die  Vergehe,  ihn  Anzupflan- 
zen und  ertragfähig  zu  machen,  keinen  übermässigen  Erfolg  gehabt. 
Nordamerika  mag  jetzt  nahe  an  eine  Million  Hectoliter  erzeugen  und 
in  den  meisten  Wirthshäusem  der  Vereinigten  Staaten  ist  schon  ein- 
heimischer Kalifomier   zu    haben,    aber   er   wird   als   von  nicht  an- 
genehmem Geschmack   geschildert.    Der  Wein   liebt,    so   zu   sagen, 
den  Westen   nicht   imd    hängt   an   seiner   alten  Nachbarschaft.     In 
^einigen  Theilen  Australiens    sollen   sich  jetzt   ziemlich   ausgedehnte 
Weinkulturen  finden,    meist  von  deutscher  Hand  angelegt,    aber  der 
dortige  Bordeaux  geht  zu  sehr  ins  Blut,   Mosel-  und  Rheinwein  La- 
ben keine  Blume  u.  s.  w.  (s.  Hugo  Zöller,  Rund  um  die  Erde,  Köln 
1881,  I,  S.  157  und  190  f.).     Nur   an   zwei  Punkten    hat   am  Aus- 
gang des  Mittelalters  die  Hand  des  Menschen  den  Bezirk  der  Rebe 
wirlich    erweitert,   in  Madeira   und    auf   den  Canarien  —  die   aber 
beide  gewissermassen  noch  zu  Europa  und   zum  Kreise    des  Mittel- 
meers gehören.    Nach  Madeira  Hess  schon  Prinz  Heinrich  der  See- 
fahrer Rebschösslinge  aus  dem  Peloponnes  und  von  der  Insel  Kreta 
bringen,  nach  Teneriffa  verpflanzte  Alonzo  de  Lungo  gegen  das  Jahr 
1507    Weinstöcke    von   Madeira.     Der    dort   also   aus   griechischen 
Reben  gewonnene  Wein   wurde   später   in   allen  Ländern   berühmt; 
in  neuester  Zeit  hat  der  Traubenpilz  dieser  Kultur   den  Garaus  ge- 
macht, und  sie  hat  jetzt  MOhe,  sich  wieder  herzustellen.    Interessant 
aber  ist  der  Weinbau  auf  jenen  Inseln  auch  desshalb,    weil    er  sich 
hier  dem  Tropenklima  am  meisten  nähert:  die  Weinberge  von  Süd- 


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Der  Feigenbaum.  79 

persien  und  die  am  Eap  stehen  vom  Aequator  weiter  ab,  als  die 
der  Insel  Ferro  unter  27*'  48'  (s.  Leop.  v.  Buch  in  den  Abhandl. 
der  Berliner  Akademie  vom  Jahre  1817,  S.  352). 


Der  Feigenbaum. 

(ficus  carica,    L.) 

An  die  Rebe  schliesst  sich  von  selbst  die  Feige  an,  die 
Schwester  des  Weinstocks,  wie  sie  schon  der  lambograph  Hipponax 
oaimte  (Fragm.  34.  Bergk.): 

Der  Feigenbaum  hat  im  semitischen  Vorderasien,  ib  Syrien  und  Pa- 
listina sein  eigentliches  Vaterland  und  erreicht  dort  das  üppigste 
Wachsthom  und  die  süsseste  Fruchtfülle.  Das  Alte  Testament  er- 
wähnt des  Baumes  oft,  vorzüglich  in  Verbindung  mit  dem  Weinstock, 
ond  ist  voll  von  Bildern  und  Gleichnissen,  die  daher  entnommen 
sind;  unter  seinem  Weinstock  und  Feigenbaam  wohnen  oder  von 
seinem  Weinstock  und  Feigenbaum  essen  —  heisst  so  viel  als  eines 
ruhigen,  firiedlichen  Daseins  gemessen.  Auch  in  Lydien  galten  Wein 
ond  Feigen  so  sehr  als  die  ersten  Güter  des  Lebens,  dass  diejenigen, 
die  dem  Krösus  den  Zug  gegen  Cyrus  abriethen,  sich  darauf  be- 
riefen, die  Perser  tränken  nicht  einmal  Wein,  sondern  Wasser,  und 
hätten  auch  keine  Feigen  zur  Nahrung  (B[erod.  1,  71).  Eben  so  in 
Phrygien:  der  komische  Dichter  Alexis  nannte  die  getrocknete  Feige, 
die  loxag,  eine  Erfindung  der  phrygischen  avx^  (Meineke,  Fr.  com. 
Gr.  3.  p.  456).  Aber  auf  den  nahe  gelegenen  kleinasiatischen  Küsten 
ond  Inseln  findet  sich  die  Feige  als  Frucbtbaum  zur  Zeit  und  im 
Kreise  der  Ilias  noch  nicht,  um  so  weniger  folglich  auf  dem 
griechischen  Festlande.  Erst  in  der  Odyssee  tritt  der  «Feigenbaum 
aof^  aber  auch  hier  nur  an  Stellen^  deren  nachträgliche  Einfügung 
ächthch  ist.  In  dem  Liede  von  Odysseus  Niederfahrt  zur  Unter- 
welt, welches  selbst  aus  verschiedenen  Stücken  von  Verschiedenem 
Alter  zu  bestehen  scheint,  hängen  über  dem  hungernden  Tantalus 
miter  andern  Früchten  auch  Feigen  herab,  11,  588: 
Nieder  am  Haupt  ihm  senkten  die  Frucht  hoch  blättrige  Bäume, 
Voll  Ton  Granaten  und  Birnen  und  glanzvoll  prangenden  Aepfeln, 
Auch  süsslabenden  Feigen  und  grünenden  dunklen  Oliven. 

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80  I^er  Feigenbaum. 

Die  beiden  letzten  Verse  finden  sich  dann  in  einem  Bruchstück 
wiederholt,  das  in  die  alterthümliche  Beschreibung  vom  Palast  des 
Alkinoos  mit  Unterbrechung  des  Zusammenhangs  mitten  eingescho- 
ben ist  (7,  103 — 131)  und  ausser  dem  Hauswesen  auch  den  Garten 
des  Phäakenkönigs  schildert,  in  welchem  Traube  an  Traube,  Feige 
an  Feige  unvergänglich  sich  reiht.  Endlich  in  den  letzten  Scenen 
der  Odyssee,  einem  jungen  Anhängsel,  erscheint  Laertes  als  Pflan- 
zer auch  von  Feigenbäumen.  Hesiodus  kennt  die  Feige  und  deren 
Kultur  noch  gar  nicht;  bei  Archilochus  aber  (um  700  v.  Chr.)  er- 
scheint sie  sicher  als  Product  seiner  heimathlichen  Insel  Faros 
(Fragm.  51.  Bergk.): 

'*Ea  IlaQOv  xai  avxa  xeiva  xai  &ak(iaoiov  ßiov  — 
ein  Vers,  der  vielleicht  nicht  viel  jünger  ist,  als  die  letzterwähnte 
Stelle  der  Odyssee.  Später  rühmte  sich  Attika,  neben  Sikyon,  der 
besten  Feigen,  ja  die  Demeter  hatte  auf  attischem  Gebiet  dem  Phy- 
talus,  der  sie  gastlich  aufgenommen  hatte,  den  Feigenbaum  als  Ge- 
schenk aus  der  Erde  spriessen  lassen,  wie  bei  anderer  Gelegenheit 
Athene  den  Oelbaum,  und  Pausanias  las  noch  die  Grabschrift  des 
Heroen,  J,  37,  2: 

Hier  hat  Phytalos  einst,  der  Held,  die  hehre  Demeter 
Gastlich  empfangen  und  hier  zuerst  erschuf  sie  die  Frucht  ihm, 
Die  von  dem  Menschengeschlecht  die  heilige  Feige  genannt  wird; 
Seitdem  schmückt  des  Phytalos  Stamm  nie  alternde  Ehre. 

Dass  dies  Geschenk  zugleich  als  Beginn  eines  edleren,  gebildeteren 
Lebens  gefühlt  wurde,  geht  aus  dem  Namen  TjyrjrrjQia,  i^yrjroQia 
hervor,  mit  dem  eine  am  Feste  der  Plynterien  in  Athen  aufgeführte 
Masse  trockener  Feigen  benannt  wurde:  die  Kultur  der  Feige  er^ 
schien  gleichsam  als  Führerin  zu  reinerer  Sitte'').  Wein  und  Fei- 
gen wurden  in  Griechenland  ein  aUgem  eines  Lebensbedür&iss,  dem 
Armen  und  dem  Reichen  gemeinsam,  und  wie  der  Araber  sich  mit 
einer  Handvoll  Datteln  begnügt,  so  reichten  auch  einige  trockene 
Feigen  dem«  attischen  Müssiggänger  hin,  wenn  er  gafiPend  und  je 
nach  der  Jahreszeit  im  Schatten  oder  in  der  Sonne  liegend  den  Tag 
verbrachte.  Was  von  Plato  erzählt  wird,  er  sei  ein  Feigenfreund, 
fpikoavxoQy  gewesen  (Plut.  Symp.  4,  4,  5),  galt  im  Grunde  von  jedem 
Athener,  und  wie  stolz  der  Letztere  auf  dies  Produkt  seines  Bodens 
war,  lehrt  die  Sage  vom  Perserkönig  Xerxes,  der  bei  jeder  Mittags- 
tafel durch  vorgesetzte  attische  Feigen  sich  daran  erinnern  liess,  dass 
er  das  Land,  wo  sie  wüchsen,  noch  nicht  sein  nenne  und  jene 
Früchte,    statt   sie   sich  von  den  Einwohnern  steuern  zu  lassen,    als 

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Der  Feigenbaum.  81 

aasländische  kaufen  müsse  (Athen.  14,  p.  652.  Plut.  Reg.-Apophth. 
Xera.  3).  Der  persischen  Knechtschaft  nun  erwehrte  sich  die  Stadt 
der  Sykophanten,  aber  der  Auflösung  politischer  Moral,  an  die  die- 
ser von  den  attischen  Feigen  hergenommene  Name  erinnert,  und 
dem  daraus  folgenden  Verderben  entging  sie  nicht.  —  Mit  der  grie- 
cltiscben  Kolonisation  muss  auch  der  Feigenbaum  zu  den  Stämmen 
Unter-  and  Mittelitaliens  gedrungen  sein.  Er  findet  sich  in  die 
römische  ürsprungssage  verflochten,  denn  unter  der  ficus  Rumtnalis 
»Uten  Romulus  und  Remus  von  der  Wölfin  gesäugt  worden  sein 
—  ein  Zug  der  Sage,  der  offenbar  ganz  der  nämlichen  Symbolik, 
nach  welcher  der  strotzende  fruchtreiche  Baum  ins  hebräische  Eden 
versetzt  wurde,  sein  Dasein  verdankt**).  Später  in  der  Kaiserzeit 
waren  der  Sorten  und  Benennungen  schon  so  viele  geworden,  dass 
Plinius  den  gedankenvollen  Ausspruch  thut,  man  ersehe  daraus  wohl, 
dass  das  Bildungsgesetz,  welches  die  Arten  in  festem  Typus  erhält, 
schwankend  geworden  sei,  15,  72:  ut  vel  hoc  solum  aestumantibus 
adpareat,  rtmtafam  esse  viiam.  Noch  zur  Zeit  des  Kaisers  Tiberius 
wurden  edle  Feigenarten  direkt  von  Syrien  nach  Italien  versetzt 
(PHn.  15,  83).  Wie  damals,  ist  noch  heut  zu  Tage  die  Feige,  so- 
wohl frisch  als  getrocknet,  die  allgemeine  und  gesunde  Nahrung  des 
Volkes  in  Italien,  besonders  im  südlichen  Theile  des  Landes.  Neben 
den  einmal  jährlich  tragenden  Bäumen  giebt  es  eine  Varietät,  die 
zweimal  trägt,  im  Sonmier  und  im  Spätherbst:  Jicus  bifera.  Die 
reifen  Früchte  müssen  sogleich  nach  dem  Abpflücken  gegessen  und 
dürfen  nicht  viel  mit  den  Fingern  berührt  werden:  daher  die  drastische 
Argumentation  des  Cato  im  römischen  Senat,  der  eine  Feige  aus 
Karthago  vorwies,  die  noch  völlig  frisch  vjrar:  tarn  prope  a  muris 
habenms  hostem  (Plin.  15,  75).  Sie  war  wohl,  dürfen  wir  ratio- 
nalistisch hinzusetzen,  unreif  gepflückt  und  durch  Zeit  imd  Drücken 
reif  geworden.  Die  Feigen  von  Smyma,  die  wir  jetzt  für  die  besten 
halten,  kamen  auch  schon  im  Alterthum  unter  dem  Namen  caricae 
and  cauneae  nach  Italien  und  wurden  damals,  wie  jetzt,  gepresst  in 
Schachteln  versandt.  Auch  die  ßctca  duplex  des  Horaz  (Sat.  2,  2, 
122)  trifft  mau  noch  in  Unteritalien  und  kann  das  Verfahren  dabei 
aus  der  Anschauung  leichter  kennen  lernen,  als  aus  den  Worten 
der  Alten.  Wie  von  allen  viel  angebauten  Kulturfrüchten  gab  es 
ond  giebt  es  auch  von  der  Feige  eine  Menge  Spielarten,  besonders 
aber,  wie  bei  dem  Wein,  zwei  Hauptsorten,  die  purpurrothen  und 
die  grünlichen,  auch  jetzt  noch  nei^i  und  bianchi  genannt.  Die  letzte- 
ren als  die  süsseren  dienen  mehr    zum  Trocknen,    die    ersteren   von 

Viel.  Hehn,  Knlturpflansen.  6  ^  t 

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82  l>er  Oelbaum. 

mehr  säuerlichem  Geschmack  werden  frisch  verzehrt.  In  der  heissen 
Zeit  erqoickt  der  Baam  zugleich  mit  den  riesigen  Blättern  an '  den 
winkligen,  gliederreichen  Zweigen  durch  erwünschten  Schatten  —  im 
heutigen  Griechenland  und  Italien,  wie  zur  Zeit  des  Alten  Testa- 
ments in  Palästina;  im  verwilderten  Stande  wächst  er  malerisch  aus 
den  Spalten  alter  Mauern  und  in  den  Ruinen  und  an  Felsen;  sein 
Holz,  ein  inutdle  lignti/m  d.  h.  ein  schwammiges,  leicht  berstendes 
und  sich  werfendes,  so  lang  es  frisch  ist  (daher  Ausdrücke  wie 
avxLvog  avrjQ  bei  Aristophanes),  soll  nach  gehörigem  Trocknen  hart 
und  fest  werden  wie  Eichenholz. 


Der  Oelbaum. 

(Olea  europaea.     L.) 

Der  Oelbaum  ist,  wie  der  Feigenbaum,  ein  Gewächs  des  süd- 
lichen Vorderasiens,  das  in  dieser  seiner  eigentlichen  Heimat  unter 
den  dort  wohnenden  semitischen  Yolksstämmen  frühe  veredelt  und 
durch  Kultur  zu  lohnendem  Fruchtertrage  gebracht  wurde.  In  allen 
Theilen  des  Alten  Testamentes  finden  wir  das  Oel  zu  Speisen,  bei 
den  Opfern,  zum  Brennen  in  der  Lampe  und  zum  Salben  des  Haares 
und  des  ganzen  Körpers  in  allgemeinem  Gebrauch.  Tiefer  nach 
Asien  hinein  verschwindet  diese  Kultur,  denn  der  Oelbaum  liebt  das 
Meer  und  das  Kalkgebirge,  und  auch  Aegjrpten  brachte  kein  Olivenöl 
hervor.  An  der  griechischen  Küste  Kleinasiens,  auf  den  Inseln  und 
in  Griechenland  selbst  wuchs  der  wilde  Oelbaum  häufig,  der  denn 
auch  in  den  homerischen  Gedichten  öfters  erwähnt  wird;  sein  immer- 
grünes Laub,  das  hohe  Alter,  das  er  erreicht,  seine  unzerstörbare 
Lebenskraft,  das  harte  Holz,  das  eine  schöne  Politur  annimmt,  em- 
pfahlen ihn  der  Aufmerksamkeit  des  Volkes  und  der  epischen  Sage. 
So  hat  bei  Homer  die  Axt  des  Peisandros  (II.  13,  612)  einen  lan- 
gen, wohlgeglätteten  Stiel  von  Olivenholz;  die  Keide  des  Cyclopen 
besteht  aus  demselben  Material  (Od.  9,  320),  wie  die  des  Herakles 
bei  Theokrit  (25,  207  S.)  und  Andern;  Odysseus  hat  sein  Ehebett 
auf  den  im  Boden  haftenden  Wurzelstock  eines  wilden  Oelbaums  ge- 
gründet (Od.  23,  190  ff.),  offenbar  der  Festigkeit  wegen,  weil  der 
Oelbaum  sich  mit  weitlaufenden  Wurzeln  an  den  Boden  klammert, 
die  Unverrückbarkeit  des  Lagers  aber  den  sicheren  Bestand  der  Ehe 


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Der  Oelbanm.  83 

und  des  Besitzes  bedeutet  und  verbüi^;  eine  Tavvq>vXXoQ  ilaiij 
stand  am  Eingänge  der  Höhle,  im  Grunde  des  Hafens,  in  dem  die 
Phaaken  den  schlafenden  Odysseus  ans  Land  setzten  (Od.  13,  102), 
nnd  erhalt  im  Verfolg  das  Prädikat  heilig  (v.  372:  iBQrjg  naQft 
nv^fiiv  ilairjg)  n.  s.  w.  Den  Oleaster,  von  dessen  Zweigen  die 
Sieger  in  Olympia  bekränzt  wurden,  hatte  nach  Erzählung  der  Elier 
(Pausan.  5,  7,  4)  Herakles  von  den  Hyperboreern  im  äussersten 
Westen  hierher  gebracht,  eine  Sage,  die  auch  Pindar  sich  angeeignet 
hat  (Ol.  3,  13).  Auf  der  Agora  von  Megara  stand  ein  uralter  wil- 
der Oelbaum,  der  in  die  Heldenzeit  hinaufreichte  (Theopr.  h.  pl.  5^ 
2,  4.  Plin.  16,  199).  So  ist  das  Dasein  des  wilden  Oelbaums  in 
Griechenland  zwar  in  den  ältesten  Quellen  und  Ueberlieferungen 
constatirt,  aber  dass  er  auf  griechischem  Boden,  in  einem  immerhin 
raaberen  Klima^  unter  einer  im  Vergleich  mit  der  semitischen  noch 
juDgen  und  unentwickelten  Gesellschaft  allmählig  zur  ölreichen  Olive 
erzogen  worden,  hat  keine  Wahrscheinlichkeit:  vielmehr  führte  der 
Völkerverkehr  mit  andern  werthvollen  Gütern  auch  diese  Kultur  den 
Griechen  zu.  Die  Frage  ist  nur,  wie  frühe?  Der  homerischen  Welt 
ist  das  Oel  nicht  unbekannt^  aber  als  unverkennbar  exotisches  Pro- 
dtikt,  zum  Gebrauch  der  Edlen  und  Reichen.  Wenn  die  Helden 
gebadet  oder  gewaschen  worden,  wird  der  Körper  in  orientalischer 
Weise  mit  Oel  eingerieben  und  glänzend  und  geschmeidig  gemacht. 
Naasikaa,  da  sie  zum  Meeresufer  fährt,  erhält  von  der  Mutter  ein 
Fläschchen  (Aijxu^og)  mit  duftendem  Oel;  der  Leichnam  des  Pa- 
troklus  wird  gewaschen  imd  mit  Oel  gesalbt;  ebenso  die  Mähne  der 
Rosse  des  Achilleus,  denn  sie  waren  ja  unsterblich.  Söhne  des  Zephyr; 
in  der  Schatzkammer  des  Telemachos  lag  neben  Gold,  Erz  und 
Wein  auch  duftendes  Oel.  Besonders  köstlich  und  von  wunderbarer 
Kraft  ist  die  Salbe,  deren  die  Göttinnen  sich  bedienen:  Hera,  die 
den  Zeus  verführen  will,  salbt  sich  mit  göttlichem  Oel,  dessen  Duft, 
wenn  es  bewegt  wird,  Eümmcl  und  Erde  durchdringt  (II.  14,  171  £F.); 
Aphrodite  salbt  den  Leichnam  des  Hector  mit  ambrosischem  Rosenöl 
(D.  23,  186);  Aphrodite  wird  auf  Cypem  von  den  Chariten  mit 
dem  ansterblichen  Oel  gesalbt,  wie  es  den  ewigen  Göttern  anhaftet 
(Od.  8,  364.  Hymn.  in  Ven.  61);  Penelope  hat  sich  wegen  der 
Tnwer  nicht  gewaschen  noch  gesalbt,  da  fallt  sie  in  einen  Schlum- 
mer, und  Athene  reinigt  ihr  während  dessen  das  Antlitz  mit  der 
Mfiterblichen  Schönheit,  mit  der  die  schöngekränzte  Cytherea  sich 
salbt,  wenn  sie  zum  lieblichen  Chor  der  Chariten  geht  (Od.  18, 
192  ff.).    An  zwei  andern  homerischen  Stellen,  wo  des  Oels  Erwäh- 

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84  I^er  Oelbaum. 

Dung  geschieht,  IL  18,  596  und  Od.  7,  107,    war   schon    den  Alten 
die  Erklärung  schwierig:  an  der  erstem  heissen  die  Röcke  der  tan- 
zenden Jünglinge  sanft  glänzend  von  Oel,  an  der  andern  rinnt  von  den 
Gewändern  der  sitzenden  Mägde  das  Oel  herab.     Hier  ist  entweder 
der  fliessende  Glanz  des  Zeuges  mit  dem  des  Oeles   nur  verglichen^ 
wo  aber,  wie  man  denken  sollte,    der   gleichnissreiche  Dichter   sich 
weniger    kurz    und    bestimmt   ausgedrückt   und    uns    sein  wie  oder 
gleichsam    nicht    vorenthalten    hätte,    oder   —   nach    einer  neuem 
Deutung  (Philologus,    1860,    XV,    329)  —  die  Fäden    des  Gewebes 
sind  zum  Behufe  des  Glanzes  oder  der  Biegsamkeit  schon  ursprüng- 
lich mit  Oel  behandelt,    so    dass    also    das  fertige  Gewand,    das  die 
Mägde  im  Wunderpalaste  des  Alkinous  angelegt  haben,  buchstäblich 
von  Oel   trieft  (anolsißerai  vygov  elaiov)    und    sich    beim  Tragen 
auch   triefend    erhält   —    was    keiner  Widerlegung   bedarf.     Da  im 
Morgenlande  und  bei  den  Göttern  des  Epos,  wenigstens  des  spätem,, 
duftende  Kleider  gewöhnlich  sind  (z.  B.  Psalm  45,  9:  Deine  Kleider 
sind  eitel  Myrrhen,    Aloes  und  Kassia;    in    dem   schönen  Fragment 
aus  den  Cyprien  bei  Athen.  15,  p.  682  f.  sind  die  Kleider  der  Aphro- 
dite von  den  Chariten  und  Boren  in  Frühlingsblumenduft   getaucht,, 
und    sie  trägt  ÜQaig   navroiatg  Te^vwfie^a  e^fiaza),    so    liesse    sich 
auch  hier  an  ein  flüchtiges  Oel,  an  eine  phönizische  Essenz  denken, 
mit  der  die  Gewänder  besprengt  wurden;  allein  von  Duft  ist  nicht 
die  Rede,   nur  von  Glanz,    und   die  Analogie   von   XiTtaQog   fettige 
glänzend,  z.  B.  kmaQcc    xQtjdefiva^    entscheidet  für  die  erste,    schon 
von  den  Alten  gegebene  Erklärung.    So  ist  auch  die  weisse  steinerne 
Bank,  auf  der  Nestor  vor  der  Thür  seines  Hauses  sitzt,    blank    von 
Fett,    d.  h.    als  wäre  sie  mit  Fett  überzogen,   spiegelblank   (Od.  3, 
408:  'XbvxoI    anoatiXßovrsg   dXaicpavog').     Die    grossen   Krüge   mit 
(aHl   und    älsiq>a()    auf   dem  Scheiterhaufen    des  Patroklos  (11.  23, 
170)    werden,    da   hier    bei  den  Bestattungsgebräuchen  Alles    alter- 
thümlich   ist,    wie    der  Name    sagt,    Honig   und  Thierfett   enthalten 
haben,  zwei  von  dem  primitiven  Menschen  hoch  geschätzte  Substan^ 
zen,  die  er  auch  den  Todten  mitgiebt.     Wenn  in  dem  Schififskatalog 
(U.  2,  754)  der  Fluss  Titaresius,    der  in  den  Peneus  fällt,    sich  mit 
dem  Wasser    des   letzteren  nicht    mischt,    sondern    oben    schwimmt,. 
rji?v   ekaiov^  so  musste  beim  Baden  und  Waschen  oft  die  Erfahrung 
gemacht  werden,    dass  die  Salbe  sich  auf  dem  Wasser  schwimmend 
ausbreitet.    Nimmt  man  alle  diese  Stellen   zusammen,    so    erscheint 
das  Oel  nicht  als  häufiges  und  verbreitetes  Erträgniss  des  heimischen 
Bodens,  sondern  als  Schmuckmittel,  das  der  Handel  aus  dem  Orient 

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Der  Oelbaum.  85 

emfuhrte,  und  das  allmählig  an  die  Stelle  des  Thierfettes  trat  Es 
<liente  zum  Abreiben  des  Körpers,  nicht  aber  zur  Beleuchtung  und 
NiJining.  Ueberall  ist  viel  Zeit  vergangen,  ehe  ein  nördliches  Volk 
sich  entschloss,  seine  Speisen  mit  Oel  anzurichten.  Wie  noch  jetzt 
GB  deutscher  Bauer  mit  Behagen  grosse  Massen  Speck  verzehrt, 
sich  aber  schwer  entschliesst,  Oel  zum  Gemüse  hinzuzugiessen  oder 
sein  Fleisch  mit  Oel  zu  braten,  so  weigerten  sich  die  Gallier,  wegen 
üngewohntheit,  wie  Posidonius  sagt,  den  Gebrauch  des  Oeles  zur 
Küche  anzunehmen  (Posid.  bei  Athen.  4,  p.  151).  Nicht  anders  wird 
«s  bei  den  Griechen  der  älteren  Zeit  gewesen  sein.  Um  so  weniger 
können  wir  erwarten,  dass  der  Baum  selbst  damals  schon  angepflanzt 
gewesen  sei.  Unter  den  ländlichen  Scenen,  die  Hephaistos  auf  dem 
Schilde  des  Achilleus  dargestellt  hatte,  befand  sich  ein  schwarzer 
Acker  mit  Pflügem  darauf,  ein  Erntefeld,  ein  Weinberg  und  eine 
Weinlese,  eine  Rinder-  und  eine  Schafheerde,  aber  noch  kein  Oliven- 
hain. Ganz  an  denselben  Stellen  der  Odyssee  freilich,  wo,  wie  früher 
erwähnt,  der  Feigenbaum  genannt  ist,  wird  auch  des  Oelbaums  und 
seiner  Früchte  gedacht,  aber  diese  Stellen  gehören,  wie  auch  schon 
oben  bemerkt,  zu  den  jungem  Bestand theilen  der  Odyssee  und  fallen 
wohl  nicht  viel  früher  als  die  Olympiadenrechnung.  Von  dem  Schluss 
<ler  Odyssee  ist  dies  unzweifelhaft;  bei  den  beiden  andern  Stellen 
(in  dem  Bruchstück  von  den  Höllenstrafen  in  der  Nexvia  und  in 
dem  gleichen,  das  in  die  Beschreibung  des  Palastes  des  Alkinoos  ein- 
geschoben ist,  7,  103 — 131),  die  zusammen  eigentlich  nur  eine  sind, 
da  die  eine  offenbar  nur  eine  Wiederholung  der  andern  gleichlauten- 
den ist,  erhellt  wenigstens  die  spätere  und  nachträgliche  Einfügung. 
Aach  an  diesen  Stellen  erscheint  übrigens  der  Oelbaum  nur  als  ein 
neben  Aepfeln,  Birnen,  Granaten  und  Feigen  der  essbaren  Früchte 
wegen  gezogener  G^rtenbaum,  nicht  als  Objekt  ländlicher  Kultur 
der  Oelgewinnung  wegen.  Mitten  in  der  ursprünglichsten  und  herr- 
lichsten Partie  des  Gesanges  von  Odysseus  Rückkehr  kommt  aller- 
dmgs  ein  Vers  vor,  der,  wenn  die  gewöhnliche  Deutung  richtig  wäre, 
nöihigen  würde,  das  Dasein  kultivirter  Oelbäume  anzunehmen:  Od. 
5,  476,  477.  Odysseus,  an  das  Ufer  von  Scheria  ausgeworfen,  findet 
im  Walde  zwei  ganz  zusammengewachsene,  gegen  Wind  und  Sonne 
Schutz  gewährende  Sträucher: 

doiovg  d'  OQ    vn'qXvd^e  ^afxvovg, 
i^  ofioi^ev  necpviijzag'  6  (xh  q)vlir]g,  6  d'  elairjg. 
Ist  nun  hier  (pvlia  der  Oleaster,  so  lässt  sich  iXaia  nur  als  frucht- 
tragender Olivenbaum   fassen.    Allein   das  Wort    cpvXia   gehört   zu 

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86  ^^^  Oelbanm. 

denjenigeB;  von  denen  offenbar  die  Alten  selbst  nicht  mehr  wussten, 
was  der  Dichter  mit  ihnen  bezeichnet  habe.  Ammonios  erklärt 
q>vXia  als  oxivog^  Mastixbaum,  Andere  verstanden  darunter  eine  Ab- 
art des  Oelbaums  mit  myrtenähnlichen  Blättern,  and  für  letztere 
behauptet  Eustathius  sei  der  Name  noch  bis  auf  seine  Zeit  bei  Vielen 
gebräuchlich.  Auch  Pausanias  2,  32,  9  nennt  die  q)vXia  unter  den 
Arten  unfruchtbarer  Oelbäume:  nav  oaov  axa^nnv  iXaiag,  xozivov 
xai  (pvXiav  xat  eXaiov.  Der  spätere  Gebrauch,  wenn  er  wirklich 
Statt  fand,  wird  seine  Quelle  wohl  nur  in  eben  diesem  Verse  Homers 
haben.  Das  Wort  fpvlia  trägt  noch  deutlich  eine  allgemeine  ab- 
strakte Gestalt  an  sich.  Es  ist  aus  der  Wurzel  g>u  gebildet,  wie 
g>w6vj  (pvaig^  (pv^a,  nur  mit  anderem  Suffix,  demselben,  das  auch 
in  q>vXij  und  in  (pvllov  (für  qivXiov)  und  lateinisch  folium  erscheint. 
OvXia  ist  also  das  Gewächs  überhaupt,  und  zwar  das  immergrüne, 
da  in  diesem  die  Lebenskraft  als  besonders  reich  sich  darstellt;  die 
Bedeutung  mag  in  jener  frühen  Zeit  sich  noch  nicht  individualisirt 
haben  oder  je  nach  den  Landschaften  verschieden.  Soll  aber  auf 
eine  bestimmte  Pflanze  gerathen  werden,  so  würde  sich  mit  Bezug 
auf  eine  Stelle  des  Theophrast  die  Myrte,  die  bei  Homer  nicht  ge- 
nannt wird,  am  natürlichsten  darbieten.  Theophrast  nämlich  meint 
(de  caus.  pl.  3,  10,  4),  einige  Bäume  schienen  sich  zu  lieben,  und 
berichtet  nach  einem  altem  Gewährsmann,  Androtion,  Myrte  und 
Olivenbaum  pflegten  ihre  Wurzeln  durch  einander  zu  flechten  und 
die  Zweige  der  Myrte  durch  die  Aeste  des  Oelbaums  zu  wachsen, 
andern  Pflanzen  aber  sei  die  Nähe  des  Oelbaums  zuwider.  Vielleicht 
stammt  auch  dieser  Glaube  nur  aus  Homer;  aber  an  welches  Ge- 
wächs man  auch  denken  mag  (z.  B.  an  die  Steinlinde,  Phillyrea, 
oder  an  eine  Art  Elaeagnus)^  fXairj  ist  auch  an  dieser  Stelle  der 
wilde,  strauchartige,  als  ^afivog  bezeichnete  Oleaster,  ein  Gewächs 
des  Waldes,  fem  von  der  Stadt,  in  der  Nähe  des  Wassers,  wie  der 
Dichter  ausdrücklich  sagt.  Nicht  so  leicht  ist  die  Entscheidung  an 
einer  andem  Stelle,  wo  des  Oelbaums  Erwähnung  geschieht:  IL  17, 
53  bis  58.  Dort  hat  Menelaus  den  Euphorbus,  Sohn  des  Panthous, 
mit  dem  Speer  durchstochen,  und  der  Getrofiene  sank  hin,  gleich 
dem  Spross  des  grünenden  Oelbaums,  den  ein  Pflanzer  an  einsamem 
wasserreichem  Orte  aufzieht;  die  Lüfte  umwehen  ihn  von  allen  Seiten, 
er  bedeckt  sich  mit  weisser  Blüte;  plötzlich  aber  kommt  ein  Wirbel- 
wind, reisst  ihn  aus  der  gegrabenen  Vertiefung  und  streckt  ihn  über 
den  Boden  hin.  Hier  wäre  allerdings  möglich,  an  einen  Setzling 
des  Oleasters  zu  denken,  der  einst  nicht  Früchte,  sondern  Schatten, 

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Der  Oelbaum.  87 

fiok,  grüne  Zweige  geben  soll:  doch  ist  die  Anpflanzung  eines 
Waldbaomes  in  der  noch  waldreichen  homerischen  Zeit  nicht  wahr- 
scheinlich. Wir  werden  also,  Alles  zasammenfassend,  sagen  d&rfen: 
in  der  vielleicht  langen  Zeit,  deren  Denkmäler  uns  bei  Homer  vor- 
liegeD^  sehen  wir  die  Feigen-  und  Olivenkultur  erst  fremd  und  un- 
bekannt, dann  sich  ankündigen,  dann  in  späteren  Zusätzen  und  in 
diiem  Gleichniss  deutlich  hervortreten,  zunächst  natürlich  auf  ioni- 
schem Küsten-  und  Inselboden. 

Auf  diesem  Boden  blühte  auch  in  der  nachhomerischen  Epoche 
der  Oelbau.  Die  Insel  Samos  heisst  bei  Aeschylus  (Pers.  884) 
ilai6(pvToc^  olivenbepflanzt;  für  Milet  und  Chios  ist  ein  noch  älteres 
Zengniss  in  der  Anekdote  enthalten,  die  Aristoteles  (Polit.  1,  4,  5) 
aas  dem  Leben  des  Thaies  berichtet.  Thaies  nämlich  schloss  aus 
meteorologischen  Gründen  (ix  trjg  aatgoloyiag)^  dass  eine  ungewöhn- 
fich  reiche  Olivenemte  bevorstehe;  er  pachtete  also  für  das  kommende 
Jahr  sämmtliche  Olivenpressen  in  Milet  und  Chios,  zog  dann,  als 
der  vorausgesehene  Ueberfluss  wirklich  eintrat,  beträchtlichen  Ge- 
winn aus  der  Aftervermiethung  derselben  und  bewies  so,  dass  auch 
ein  Philosoph,  wenn  er  wolle,  aus  seiner  Wissenschaft  irdischen 
Vortheil  ziehen  könne.  Auf  der  Insel  Delos,  die  von  den  ionischen 
Cydaden  umgeben  war,  und  wo  schon  in  älterer  Zeit  Festzüge  der 
lonier  sich  vereinigten,  hatte  Latona  bei  der  Geburt  ihrer  beiden 
Kinder  entweder  die  delische  Palme  mit  den  Armen  umfangen  (so 
im  homerischen  Hymnus  an  den  delischen  Apollo  117  und  Theogn. 
4),  oder  sich  an  den  Olivenbaum  gehalten  (Hygin.  Fab.  140, 
CatulL  35,  7),  oder  an  beide  genannten  Bäume  sich  gelehnt  (Ad. 
V.  H.  5,  4,  Schol.  zu  II.  1,  9,  Ovid.  Met.  6,  335).  Der  Chor  in 
der  Iphig.  T.  des  Euripides  sehnt  sich  nach  Delos  zur  Palme,  zum 
Lorbeer  und  zur  heiligen  Olive,  die  er  als  ylaiovg  (udlva  q^iXav  be- 
zeichnet (v.  1102);  Callimachus  h.  in  Del.  nennt  erst  die  Pahne  v. 
210,  gleich  darauf  v.  262  das  ysve&liov  €Qvog  elalrjg  (wo  die  feste 
Fonnel  egvog  iXairig  nicht  auseinandergerissen  und  yevi^Xiov  in  na- 
türlicher Weise  nur  auf  die  Geburt  der  Leto  gedeutet  werden  kann). 
Nach  Strabo  14,  1,  20  ruhte  die  Göttin  nach  der  Geburt  unter 
dem  Oelbaum  nur  aus,  durch  welche  Wendung  die  abweichenden 
Gestalten  des  Mythus  glücklich  vereinigt  wurden.  Die  Ephesier  be- 
haupteten später,  nicht  auf  Delos,  sondern  bei  ihnen  sei  die  Geburt 
am  Fusse  des  Oelbaums  erfolgt,  und  jener  Baum  sei  noch  vorhan- 
den (Tac.  Ann.  3,  61.  Strab.  14,  1,  20),  wie  es  auch  eine  Quelle 
^niXaiog  „Unter  den  Oliven**  bei  Ephesus  gab,    die   in    die  Grün- 


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88  Der  Oelbaum. 

dungssage  der  Stadt  verflochten  war  (Strab.  14,  1,  4.  Athen.  8, 
p.  361).  Da  der  Oelbaum  dem  apollinischen  Kultus  sonst  fremd 
ist  (denn  der  dem  ApoUon  geweihte  beilige  Oelbaum  in  Milet  bei 
Athen.  12,  p.  524  ist  eine  ganz  vereinzelte  Erscheinung),  so  mag 
vermuthet  werden,  die  Olive  auf  Delos  und  der  an  sie  geknQpfte 
Mjrthos  sei  dort  nicht  ursprünglich,  sondern  verdanke  ihr  Dasein 
erst  den  Athenern  und  dem  übergreifenden  Athenedienst;  auf  Rho- 
dus  aber,  dieser  einst  ganz  phöoizischen  Insel,  die  dann  zum  Gebiet 
der  dorischen  Colonisation  gehörte,  muss  der  Oelbau  in  hohes  Alter- 
thum  hinaufgehen.  Dort  besass  die  Stadt  Lindos  einen  Tempel  der 
Athene,  den  schon  die  Danaiden  gebaut  und  in  dem  Eadmos  Weih- 
geschenke zurückgelassen  hatte,  mit  einem  Olivenhain,  gegen  wel- 
chen die  Oelbäume  von  Attika  zurückstanden  (Anthol.  Pal.  15,  11). 
Auf  dem  griechischen  Festlande  finden  wir  in  dem  Kreise,  den  die 
Hesiodischen  Gedichte  beschreiben,  —  also  in  äolisch-böotischer 
Sittensphäre  — ,  noch  keine  Spur  von  Olivenzucht;  denn  ein  von 
Plinius  (15,  3)  angeführter  angeblicher  Ausspruch  des  Hesiodus  über 
die  Langsamkeit  des  Wachsthums  der  Olive  ist  sowohl  in  Betreff 
der  Zeit  als  des  wirklichen  Urhebers  desselben  allzu  unsicher.  Bei 
den  spätem  Griechen  galt  Athen  als  der  Ursitz  dieser  Kultur,  ja 
es  gab  nach  einem  merkwürdigen  Ausspruch  des  Herodot  (5,  82) 
eine  Zeit,  und  sie  war  noch  nicht  lange  vergangen,  wo  es  sonst 
nirgends  auf  Erden  Oelbäume  gab,  als  in  Athen.  Als  nämlich  die 
Epidaurier,  von  Misswachs  heimgesucht,  sich  an  das  delphische  Ora- 
kel wandten,  gab  dieses  den  Kath,  Bildsäulen  der  Damia  und  Auxe- 
sia  aus  dem  Holze  der  zahmen  Olive  aufzustellen;  sie  baten  also 
die  Athener  um  Erlaubniss,  einen  der  attischen  Oelbäume  umhauen 
zu  dürfen,  da  sie  die  dortigen  für  die  heiligsten  hielten,  oder,  wie 
auch  gesagt  wird,  weil  sonst  nirgends  Oelbäume  existirten.  Die 
Athener  bewilligten  die  Bitte  unter  der  Bedingung,  dass  die  Epi- 
daurier jährlich  der  Athene  Polias  und  dem  Erechtheus  Opfer  bräch- 
ten. Damals  waren  die  Aegineten  Epidauros  unterthan;  seitdem 
aber  (ro  di  ano  tovdt)  fielen  sie  von  ihrer  Mutterstadt  ab,  raubten 
die  beiden  Bilder  und  geriethen,  da  sie  die  ausbedungenen  Opfer 
unterliessen,  mit  Athen  in  Feindschaft.  Ueber  den  Zeitpunkt  dieser 
Begebenheit  berichtet  Herodot  nichts;  nach  Otfried  Müllers  Ver- 
muthung  (Aeginet.  p.  73)  fiele  sie  etwa  in  Ol.  60,  also  in  Pisistra- 
tus  Zeit,  doch  darf  man  sie  wohl  in  die  erste  Hälfte  des  6.  Jahr- 
hunderts hinaufrücken.  Schon  am  Beginn  des  genannten  Jahrhun- 
derts hatte  Solon  gesetzliche  Bestimmungen  über  Oliven-  und  Feigen 

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Der  Oelbaum.  89 

bstt  erlassen  (Plut.  Sol.  23,  10.  24,  1),  der  also  doch  schon  einige 
Wichtigkeit  haben  musste,  wenn  auch  erst  Pisistratus,  der  Schütz- 
ling und  Verehrer  der  Athene,  direkt  für  Anbau  des  nützlichen 
Baomes  auf  der  bis  dahin  kahlen  und  baumlosen  Landschaft  sich 
bemüht  haben  soll  (Dio  Chrysost.  orat.  25,  p.  281).  In  der  Aka- 
demie standen  die  der  Göttin  geweihten  unantastbaren  Oelbäume, 
die  noQiai^  die  einen  reichen  Ertrag  geliefert  haben  müssen  —  an- 
ders als  sonst  heiliges  Besitzthum  zu  thun  pflegt  — ,  da  bei  den 
grossen  Panathenäen,  die  Pisistratus  gestiftet  hatte,  im  gjmnischen 
Agon  die  den  Siegespreis  bildenden,  in  bedeutender  Zahl  gereichten 
Oelkrüge  von  daher  gefüllt  wurden.  Die  Bäume  in  der  Akademie 
stammten  von  der  Mutterolive  auf  der  Burg,  der  aarrj  ilaia^  die 
Yon  Athene  selbst  geschaffen  war  und  später  nach  der  Verbrennung 
durch  die  Perser  von  selbst  wieder  aufsprosste.  Da  sie  ndyxvcpng 
heisst,  ist  sie  als  ein  blosser  niedrig  kriechender  Wurzeltrieb  zu 
denken.  Dass  die  Attiker  cAo/a  und  xoTivog^  den  zahmen  und 
wilden  Oelbaum,  durch  eigene  Benennungen  unterschieden,  beweist 
schon,  dass  hier  die  Kultur  des  veredelten  Baumes,  der  felia  oliva^ 
festen  Bestand  gewonnen  hatte,  wie  auch  Pindar  in  einem  seiner 
Hymnen  ayQing  elaing  (Fr.  19.  Bergk.)  sagte  und  Herodot  in  der 
oben  angeführten  Stelle  das  Orakel  von  dem  Holze  der  zahmen 
Ofive,  rj^dgr^g  ikairjg^  sprechen  lässt.  In  Attika  kam  der  weissliche 
Kalkboden,  die  yrj  axiQQag  der  attischen  Halbinsel,  der  dem  Ge- 
treidebau wenig  förderlich  war,  der  Olive  begünstigend  entgegen, 
und  sie  gedieh  hier  —  nach  den  Worten  des  Chors  im  Oedipus  auf 
Kolonos  —  „wie  nicht  im  Lande  Asien  noch  auf  der  grossen  dori- 
schen Pelops-Insel."  Warum  aber  wurde  gerade  Athene  die  Schutz- 
lierrin  der  neuen  Kultur,  und  warum  verflocht  sich  Oel  und  Oel- 
baumzucht  so  innig  und  mannigfach  mit  dem  Dienst  der  aus  dem 
Haupte  des  Himmels  unmittelbar  hervorgegangenen  Lichtgöttin? 
Xach  Suidas  weil  das  Oel  zur  Leuchte  diente  und  der  Oelbaum  das 
Feuer  nährte  (^ui&rjvag  ayal/na'  diöoaaiv  avr^  —  xai  iXaiav,  tag 
xai^aQvnazrig  oioiag  nvOTjg  •  (panog  yccQ  vlrj  f}  Haia)  —  woraus  zu- 
gleich hervorginge,  dass  die  Anwendung  des  Oels  zum  Brennen  in 
der  Zeitfolge  die  zweite  war,  wie  die  als  Nahrungsmittel  die  dritte. 
Homer  kennt  noch  keine  Beziehung  der  Olive  zu  der  Göttin,  denn 
aus  dem  Beiwort  heilig,  welches  an  der  einen  Stelle  Od.  13,  373: 
uqilg  TTOQa  Tr^iOfiiv'  ikaitjg  dem  Oelbaum  gegeben  wird,  lässt  sich 
eme  solche  nicht  erschliessen  (das  älteste  mit  Vers  184  schliessende 
Gedicht  von  Odysseus  Rückkehr,    aus    dem    der  jüngere  Fortsetzer 

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90  Der  Oelbaum. 

sowohl  den  Oelbaum,  als  die  Phrase  naga  nv^^iv  iXalr^g  genom- 
men hat,  enthält  auch  das  Adjectiv  heilig  noch  nicht).  Als  seit  den 
Fisistratiden  der  Oelbau  den  Hauptreichtbum  und  die  auszeichnende 
Eigenschaft  des  attischen  Landes  bildete,  als  die  Athener  prahlten, 
vor  noch  nicht  so  langer  Zeit  sei  nur  bei  ihnen  und  sonst  an  keinem 
Ort  der  Erde  ein  zahmer  Oelbaum  zu  finden  gewesen,  als  sie  auf 
jedes  Land,  wo  nur  Getreide  und  Oelbäume  wuchsen,  als  auf  ihr 
Eigenthum  Anspruch  machten  (Cic.  de  rep.  3,  9,  15:  Athemenses 
jurare  etiam  publice  solebant^  omnem  suam  esse  terram^  quae  oleam 
frugesfüe  ferret)^  da  konnte  dieser  Segen  und  Stolz  ihres  Landes  nicht 
anders  als  der  unterdess  immer  mehr  in  der  Bedeutung  gestiegenen 
Landesgöttin  geweiht  und  von  ihr  als  Geschenk  gespendet  sein. 
Dass  auf  dem  Burgfelsen  einst  wilde  Oelbäume  wuchsen,  dass  einer 
von  diesen  mit  einem  über  Meer  gekommenen  oder  an  einem  der 
Küstenorte  gewachsenen  edlen  Zweige  gepfropft  worden  und  von 
diesem  wieder  andere  Reiser  und  Setzlinge  abstammten,  dass  die 
vivax  oliva  nach  dem  persischen  Brande  wieder  neu  aus  der  Wurzel 
trieb:  das  Alles  kann  immerhin  Wirklichkeit  sein,  doch  bedurfte  der 
Mythus  solchen  realen  Anhaltes  nicht.  Als  gegen  Ende  der  Perser- 
kriege der  alte  Nationalheld  Theseus  mit  seinen  Abenteuern  und 
Thaten  in  verklärtem  Licht  ins  Bewusstsein  trat,  da  hatte  auch  er 
schon  vor  der  Ausfahrt  nach  Kreta  vom  heiligen  Oelbaum  einen 
Zweig  gebrochen,  ihn  mit  weisser  Wolle  umwunden  und  bittend  im 
Delphinium  dem  Apollo  niedergelegt  (Plut.  Thes.  18,  1  —  die  sog. 
Eiresione).  —  Auch  in  Sicyon,  welches  aus  gleichem  Grunde,  wie 
Attika,  nämlich  des  günstigen  Bodens  wegen,  als  olimfera  berühmt 
war  und  Olivenfrüchte,  Siq/onias  baccas^  reichlich  hervorbrachte, 
hatte  der  alte  fabelhafte  Köm'g  Epopeus  der  Athene  einen  Tempel 
gebaut  imd  die  Göttin  ihm  zum  Zeichen  ihres  Wohlgefallens  vor 
dem  Tempel  eine  Oelquelle  aufsprudeln  lassen  (Pausan.  2,  6,  2),  — 
ihm  also  unmittelbar  das  Oel  geschenkt,  das  die  Athener  und  über- 
haupt die  späteren  Zeiten  sich  erst  durch  Anpflanzung,  Lese,  künst- 
liche Pressen  u.  s.  w.  erarbeiten  mussten. 

Als  während  des  ersten  Jahrhunderts  der  OlympiadenrechnuDg 
die  Küsten  des  Westens,  Italiens,  Sicihens,  GraUiens,  zahlreiche  und 
bald  aufblühende  griechische  Ansiedelungen  empfingen,  da  öfBaete 
sich  für  die  Olive  ein  neuer,  grosser  Bezirk,  den  sie  allmählig  ein- 
nehmen und  beherrschen,  und  in  dem  sie  sich  heimisch  fühlen  sollte, 
fast  wie  im  Mutterlande.  Im  Laufe  des  siebenten,  sicher  aber  in 
dem  des  sechsten  Jahrhunderts  bedeckten    sich  nach    und  nach   die 

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Der  Oelbaum.  91 

herrlichen  Hügellandschaften  und  Eüstenabhänge  der  Inseln  und 
Söditaliens  mit  jener  fruchttragenden  und  immergrünen  Waldung. 
Vielleicht  aber  war  es  keine  griechische,  sondern  eine  phönizische 
Hand,  die  hier  im  fernen  Westen  den  allerersten  Olivenkem  in  die 
Erde  senkte  oder  den  ersten  mitgebrachten  Steckling  pflanzte.  Ein 
Mjthas  nämb'ch,  der  uns  hier  entgegentritt,  der  von  AristSus,  scheint 
dne  donkle  Erinnerung  dieses  Verhältnisses  zu  enthalten.  Aristäus, 
ein  alter  arkadischer,  tbessalischer^  böotischer  Hirtengott,  den  die 
ersten  Ansiedler  mit  nach  Sicilien  gebracht  hatten,  galt  bei  ihren 
Nachkommen  später  als  der  Erfinder  der  Olive  und  des  Oeles,  Cic. 
in  Verr.  4,  57:  Arütaevs  qui  —  inventor  olei  esse  dicitur.  De  nat. 
deor.  3,  18:  Arütaeus  qui  olivae  dicitur  inventor,  Plin.  7,  199: 
okum  et  trapetas  Aristaeua  Atheniensis  (invenit).  Diod.  4,  81:  tov- 
xov  de  naQa  t(Sv  vv^Kpuiv  f^ai^orca  —  zcJJv  ilaiwi^  ti^v  xaT€Qyaaiav 
itia^aL  uQuicov  %oig  ävd^Qionoig.  Nach  dem  Schol.  zu  Theoer.  5, 
53  berichtete  auch  Aristoteles,  die  Nymphen  hätten  dem  Aristaeus 
ii/y  tov  ilaiov  igyaaiav  gelehrt.  Man  bemerke,  dass  Aristaeus 
nicht,  ^ie  Athene,  den  Oelbaum  erschaffen,  sondern  das  Oel  oder 
die  Olive  erfunden  hatte,  dass  er  die  xategyaoia  twv  iXaiwv  oder 
tov  ilaiov,  also  die  Oelbereitung,  gelehrt,  zu  der  auch  der  Gebrauch 
der  Oelpresse  trapetum^  trapetuSy  plur.  trapetes^  gehört,  und  dass  er 
grade  bei  der  Lese  der  Früchte  von  den  Bewohnern  Siciliens  gött- 
lich verehrt  wurde  (Diod.  4,  82).  Nun  war  aber  derselbe  Aristäus, 
noch  ehe  er  Sicilien  betrat,  Herrscher  der  den  Griechen  fremden 
Insel  Sardinien  gewesen  (Pausan.  10,  17.  Arist  de  mir.  ausc.  100 
(95).  Serv.  ad  V.  Georg.  1,  14),  hatte  auf  derselben  die  Acker-  und 
Baomkultur  eingeführt,  da  sie  vorher  nur  von  vielen  und  grossen 
Vögeln  bewohnt  gewesen  war,  und  daselbst  zwei  Söhne  gezeugt,  den 
XctQfiog  (Aristäus  selbst  ist  bei  Pindar  Pyth.  9,  64  apÖQaOL  xolq^iu 
(fiXoig  ayxioxov)  und  den  KaXUxaQuog  (bei  Homer  ist  das  Adjectiv 
iylaoxaQnog^  da  jenes  nicht  ins  Metrum  ging).  Von  Sardinien  kommt  er 
nach  Sicilien,  welches  von  Aeschylus  Prom.  371  xaXXixaQnog  genannt 
wird,  wie  auch  Cyrene  bei  Strabo  17,  3,  21  xaXXlxaqnog  ist,  humanisirt 
auch  diese  Insel  und  erfindet  ausser  andern  ländlichen  Künsten  besonders 
das  Oel  und  die  Procedur  der  Oelgewinnung.  Wie  nun  Aristäus  dem 
neuen,  übermächtig  und  glanzvoll  auftretenden  Glauben  an  die  ihm 
wesensverwandten  Götter  Apollon  und  Dionysos  gegenüber  sich  nicht 
hatte  halten  können,  sondern  zu  deren  Sohne  oder  Erzieher  wurde,  so 
verschmolz  er  auch  sichtlich  mit  einem  libyphönizischen  Gotte,  den 
die  griechischen  Einwanderer  schon  vorfanden  und  in  den  Kreis  ihrer 

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92  Der  Oelbaum. 

Vorstellungen  aufnahmen.  Dieser  Gott,  der  Sohn  der  Nymphe  Cyrene, 
der  auch  in  Cyrenäa  zuerst  das  Silphion  gepflanzt  hat,  kann  nicht 
anders  als  von  Afrika  nach  Sardinien  gekommen  sein;  von  Sardinien 
kam  er  nach  Sicilien:  sein  Gewächs  oder  seine  Erfindung  muss 
denselben  Weg  genommen  haben.  Ueber  die  Zeit  freilich  sagt  der 
Mythus  nichts,  und  ob  die  Griechen  in  der  Umgegend  der  phönizi- 
schen  Handelsniederlassungen,  die  sie  mit  bewaffneter  Hand  besetz- 
ten, Olivengärten  vorfanden  oder  nicht,  muss  zweifelhaft  bleiben. 
Später,  als  auch  im  griechischen  Mutterlande  das  Oel  seine  wichtige 
Stelle  in  der  Oekonomie  der  Sitten  eingenommen  hatte«  da  begegne- 
ten sich  in  Sicilien  beide  Strömungen,  die  karthagische  und  die  von 
dem  Vorbild  Attikas  u.  s.  w.  ausgehende. 

Wenden  wir  uns  zum  Festland  Italien,  so  tritt  uns  hier  beim 
ersten  Schritt  eine  Art  chronologischer  Notiz  entgegen,  ein  Glücks- 
fieJl,  der  in  der  ältesten  Kulturgeschichte  so  äusserst  selten  ist. 
Plinius  nämlich  berichtet  nach  dem  Annalisten  L.  Fenestella,  zur 
Zeit  des  Tarquinius  Priscus  sei  in  Italien  noch  kein  Oelbaum  vor- 
handen gewesen,  Plin.  15,  1:  Fenestella  vero  (ajebat  oleam)  omnino 
non  fuisse  in  Italia  Hüpaniaque  aut  Africa  Tarquinio  Prisco  regna/nte 
ah  annis  populi  Roviani  CLXXIIL  Wenn  diese  Nachricht  nicht 
bloss  ein  Echo  der  oben  angeführten  Stelle  des  Herodot  ist  —  und 
die  Binzufugung  von  Spanien  und  Afrika  ist  geeignet,  diesen  Ver- 
dacht zu  wecken  —  so  dürfen  wir  sie  positiv  wenden  und  dabin 
auslegen,  dass  es  die  Zeit  der  Tarquinier,  die  Zeit  lebhafter  Verbin- 
dung mit  den  campanischen  Griechen  war,  die  mit  andern  griechi- 
schen Künsten  auch  die  Olive  nach  Latium  brachte.  Vielleicht 
stammt  die  Notiz  aus  einer  cumaniscben  Geschichtsquelle.  Dass  der 
Baum  jedenfalls  von  den  Griechen  und  nicht  etwa  auf  anderem 
Wege  den  Latinem  zukam,  beweisen  die  lateinischen  Wörter  oUva^ 
oleum^  die  dem  Griechischen  entlehnt  sind^^),  und  so  viele  auf 
Olivensorten  und  die  Manipulation  bei  der  Oelbereitung  bezüglichen 
Ausdrücke,  die  gleichfalls  griechische,  im  lateinischen  Munde  oft  ein 
wenig  entstellte  Benennungen  sind:  orchis^  cercitis^  druppa^  trapetam^ 
amurca  u.  s.  w.  Wenn  auf  dem  Hute  des  flamen  Dialis  die  oberste 
Spitze,  der  ap&r,  aus  einem  Reise  vom  Oelbaum  bestand  (Fest.  p.  10 
albogalerus:  pileum  capitis  .  .  .  adHxum  hahens  apicem  virgula  oUor 
gina)  und  dieses  mit  Wolle  umwunden  und  befestigt  war  (Serv.  ad 
V.  Aen.  2,  683.  10,  270),  so  ergiebt  sich,  dass  auch  dieser  sehr 
alte  Gebrauch  gleichwohl  jünger  ist,  als  die  Ankunft  der  Griechen 
in  Italien    und    der  Verkehr    der  Latiner  mit  ihnen.     Denn  was  ist 

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Der  Oelbaum.  93 

der  mit  wollenen  Fäden  umwundene  Oelzweig  anders,  als  die  ent- 
lehnte griechische  sigeaicivt]?  Vielleicht  klingt  eine  Erinnerung  da- 
Ton  in  der  Angabe  nach,  dass  die  virga  lanata  zuerst  in  Alba  von 
Ascanius  angeordnet  sei  (Serv.  ad  V.  Aen.  2,  683:  quod  primum 
constat  apud  AJbam  Ascanium  statui68€\  sie  war  also  weder  etrus- 
kisch,  noch  sabiniscb.  Bei  Vergil  freilich  tritt  der  König  Numa,  so 
wie  der  marsische  sacerdos  (Aen.  6,  809.  7,  751)  mit  Oelzweigen 
geschmückt  auf,  aber  hier  hat  die  dichterische  Phantasie,  die  auch 
soDst  in  der  Aeneis  vom  Olivenlaube  reichUch  Gebrauch  macht,  die 
spätere  griechische  Sitte  den  Helden  der  Urzeit  geliehen.  Bei  den 
Triomphen  siegreicher  lorbeergeschmöcktcr  Feldherren  trugen  die 
Diener  oder  die  Anordner  des  Triumphs,  die  selbst  nicht  in  der 
Schlacht  gewesen  waren.  Kränze  von  Olivenzweigen  (Paul.  p.«114: 
oUagineis  coronü  ministri  triumphantium  utebantur.  Gell.  5,  6,  4: 
okagmea  Corona^  qua  uti  solent^  qui  in  proelio  non  fuerunty  sed 
trmmphum  procurant)^  also  in  griechischer  Weise  als  Zeichen  mehr 
friedlicher,  als  kriegerischer  Beschäftigung.  Auch  bei  der  Ovation, 
einer  geringeren  Art  des  Triumphes,  bestand  der  Ehrenkranz  aus 
gleichem  Laube  (Plin.  15,  19  —  wenn  hier  nicht  ein  Versehen  vor- 
liegt, da  bei  der  ovatio  sonst  immer  die  Myrte,  auch  von  Plinius 
selbst,  15,  125  genannt  wird).  Bei  der  jährlich  am  15.  Juli  zu  Ehren 
des  Kastor  und  PoUux  gefeierten  transvectio  equitum  dienten  gleich- 
falls Kränze  aus  Oelzweigen  als  Schmuck :  die  Verehrung  der  ge- 
nannten Heroen  war  grossgriechischen  Ursprungs  (Preller,  Rom. 
Mythol.  658  ff.).  Dies  alles  sind  Symptome  der  Bekanntschaft  mit 
der  Olive  schon  in  den  frohem  Z(dten  der  Republik,  aber  noch  nicht 
Beweise  wirkhchen  Anbaues  derselben.  Letzterer  musste  sich  von 
den  verschiedenen  griechischen  Mittelpunkten  aus  überall  hin  ver- 
breiten, wo  nur  der  Boden  dies  zuliess,  zuerst  an  der  Küste,  dann 
in  den  innem  Landschaften,  in  demselben  Masse,  als  das  natürliche 
Vorortheil  gegen  den  Oelgenuss  bei  den  doch  hauptsächlich  vom 
Ertrage  der  Heerden  lebenden  Eingebomen  sich  minderte.  Bei  dem 
komischen  Dichter  Amphis,  der  in  der  zweiten  Hälfte  des  vierten 
Jahrhunderts,  etwa  in  der  Zeit  von  Philipp  und  Alexander  von  Mace- 
donien  lebte,  wird  das  Oel  von  Thurii,  also  der  Gegend  des  alten 
Sybaris,  gerühmt  (Meineke,  fr.  com.  gr.  3,  p.  318:  h  QovQLOig 
xoilatov.  Athen.  1,  p.  30).  Von  daher  und  von  Tarcnt  mochte 
die  kalabrische  Olive,  die  auch  oleastella  hiess  (Colum.  12,  51,  3), 
and  die  ScUlentiruz,  die  schon  Cato  nennt,  stammen ;  die  hochberühmte 
Lddniana  oder  Licinia  im  ager  Venafranus    in  Campanien   und    die 

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94  Der  Oelbaum. 

vom  Berge  Tabumus  an  der  Grenze  von  Caropanien  und  Samnium 
(Verg.  G.  2,  38)  wird  zu  allererst  von  den  kampanischen  Griechen 
eingeführt  worden  sein.  Die  sabinischen  Berge  trugen  viel  Oel:  die 
Sorte  Sergia  aber,  quam  Sabini  Regiam  vocanl  (Plin.  15,  13),  war 
eine  grosse,  der  Kälte  widerstehende,  ölreiche,  aber  nicht  feine 
(Colum.  5,  8)  —  bei  der  also  dasselbe  eintrat,  was  bei  dem  in  die 
kaltem  Gegenden  des  Nordens  verpflanzten  Weinstock.  Jenseit  des 
Apennin,  wo  die  herrlichen  Komebenen  sich  ö&en,  duldete,  wie 
auch  heut  zu  Tage,  das  Eüma  keinen  Oelbau  mehr,  der  aber  in 
Picenun^,  also  der  Gegend  der  heutigen  Mark  Ancona,  die  schon 
zu  Süditalien  gerechnet  werden  kann,  noch  blühte  (Martial.  1,  43,  8. 
5,  78,  19.  13,  36).  Italien  war  im  ersten  Jahrhundert  vor  Christo 
schon»  so  reich  an  Oel  und  dies  Produkt  so  vorzüglich  und  zugleich 
so  wohlfeil,  dass  die  Halbinsel  allen  Ländern  den  Rang  darin  ablief 
(Plin.  15,  3.  Id.  8:  principatum  in  hoc  quoque  bono  obtinuü  ItaUa 
toto  orbe).  Von  Massilia  war,  wie  der  Wein,  so  auch  die  Olive,  be- 
günstigt durch  Boden  und  Himmel  der  Provence,  allmählig  ins 
gallische  Land  vorgerückt,  doch  natürlich  ohne  dem  Wein  bis  in  die 
Thäler  der  Marne  und  der  Mosel  zu  folgen.  Massaliotischer  Her- 
kunft waren  ohne  Zweifel  auch  die  Oelpflanzungen  an  der  ligurischen 
Küste,  die  noch  heut  zu  Tage  ein  ungeheurer,  üppiger  Olivengarten 
ist.  In  kurzer  Entfernung  vom  Meere,  wo  das  Gebirge  sich  hebt, 
musste  der  Oelbaum  verschwinden,  daher  die  Reiser  und  Kränze, 
mit  denen  die  Alpenbewohner  dem  Hannibal  unter  dem  Schein  der 
Freundschaft  entgegenzogen  (Polyb.  3,  52,  3)  keine  Oelzweige  ge- 
wesen sein  werden,  obgleich  das  von  Polybius  gebrauchte  Wort 
&aXXoi  in  der  Regel  diese  Bedeutung  hat.  Zu  Strabos  Zeit  lieferte 
Genua  diesen  Gebirgsvolkem  Oel  und  bezog  von  ihnen  dagegen 
Vieh,  Häute  und  Honig  (Strab.  4,  6,  2).  Auf  der  entgegengesetzten 
Seite  Italiens,  im  Gebiet  der  Pomündungen,  verbot  der  niedrige 
wasserreiche  Boden  die  Einführung  der  Olive,  so  alt  und  lebhaft  der 
Verkehr  dieser  Gegend  mit  den  ionischen  Inseln,  mit  Tarent,  später 
mit  Syrakus  u.  s.  w.  auch  war.  Umgekehrt  verhielt  es  sich  mit 
dem  gegenüberliegenden  Istrien  und  Libumien,  deren  zum  Meere 
absteigende,  sonnige,  kalkreiche  Hügel,  geschützt  durch  das  hinter 
ihnen  sich  erhebende  Gebirge,  zum  Anbau  einladen  und  denselben 
reichlich  lohnen  mussten.  Auch  kam  das  Oel  von  Istrien  oder  viel- 
mehr nur  der  westlichen  Küste  dieser  Halbinsel  —  denn  Istrien  hat, 
der  Krim  vergleichbar,  einen  Meeresrand  mit  subtropischem  Klima 
und  Pflanzenwuchs  und  ein  rauhes,   unwirthliches,    von  Nordwinden 

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Der  Oelbaum.  95 

gepeitschtes  Innere  —  in  der  Schätzung  gleich  nach  dem  italischen 
und  wetteiferte  mit  dem  von  dem  spanischen  Baetica  (Plin.  15,  8: 
räkjmm  certamen  inter  Eistriae  terram  et  Baeticae  par  est)  Das 
Oel,  welches  Aquileja  gegen  Vieh,  Häute  und  Sklaven  in  die  illyri- 
schen Donaoländer  einführte  (Strab.  5,  1,  8),  wird  eben  dies  histrische 
gewesen  seia,  wobei  zugleich  die  Thatsache  interessant  ist,  dass  die 
PuiDonier  und  Kelten  der  genannten  Gegend  zu  Strabos  Zeit  nicht 
bloss  den  Wein,  der  allen  Barbaren  willkommen  ist,  sondern  auch 
schon  das  Oel  —  wenn  auch  nur  als  Brennöl  in  Lampen  —  be- 
gehrten. Noch  zur  gothischen  Zeit,  nach  so  vielen  Stürmen  und 
Schrecken,  hatte  jene  Region  Ueberfluss  an  Oliven,  wie  wir  aus 
Cassiodorus  sehen,  Variar.  12,  22:  est  enim 'proxima  vobts  regio  supra 
wmm  marü  lonii  constituta  olivü  referta.  Apicius  1,  5,  Palladius 
12j  18  und  die  Geoponika  9,  27  lehren  durch  allerlei  gewürzige  Zu- 
thaten  künstlich  oleum  Liburnicum  darstellen^  welches  also  zur  Zeit 
dieser  späten  Gewährsmänner  im  Rufe  stand.  Die  so  eben  erwähnte 
Provinz  Baetica  führte  auch  nach  Strabo  nicht  bloss  viel,  sondern 
auch  das  schönste  Oel  aus  (Strab.  3,  2,  6:  e^dyszai  d*  ix  Tov{)di]- 
tayiag  —  i'Xaiov  ov  noXv  (j.6vov^  ctXXä  xal  xdlXiatov)  und  das  ba- 
usche Corduba  übertraf  oder  erreichte  die  berühmten  Olivengärten 
Yon  Venafirum  und  Istrien,  Martial  12,  63,  1  (Schneidewin): 

Uncta  Corduba  laelior   VenafrOy 
Hütra  nee  minus  absoluta  testa. 

Dass  Spanien,  ein  südliches  Land  mit  grosser  Mannigfaltigkeit  der 
Lagen  und  des  Bodens,  in  demselben  Masse  als  die  fremde  Civili- 
sation  sich  erst  der  Küsten  und  dann  des  Innern  bemächtigte  imd 
darin  Bestand  gewann,  auch  den  Oelbau  aufnahm,  liegt  in  der  Natur 
der  Dinge.  Als  das  römische  Reich  seine  Vollendung  erreicht  hatte, 
war  auch  die  edle  Olive  von  ihrem  Ausgangspunkt,  dem  südöstlichen 
Winkel  des  mittelländischen  Meeres^  über  alle  Länder  verbreitet,  die 
ihren  heutigen  Bezirk  bilden,  und  gedeiht  an  manchen  Punkten  des 
eoropäischen  Südwestens  so  gut,  als  wäre  sie  dort  geboren  und 
immer  dagewesen^  *).  Nach  dem  Volksglauben,  der  schon  bei  den 
Alten  herrschte,  trägt  der  Oelbaum  in  Europa  nur  alle  zwei  Jahre; 
davon  aber  ist  nur  so  viel  wahr,  dass,  wenn  der  Baum  sich  durch 
eine  besonders  reiche  Fruchtbildung  erschöpft  hat,  seine  Elraft  im 
nächsten  Jahr  zu  einer  gleichen  nicht  ausreicht,  es  müssten  ihm 
denn  die  allergünstigste  Witterung  oder  ein  ausserordentlicher  Eultur- 
beitrag  zu  Hülfe  kommen.     Auch   dass  die  OUve    sich  nicht  weiter 

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96  Der  Oelbaum. 

von  der  Küste  als  300  Stadien  (oder  7^2  geogr.  Meilen)  entferne, 
wie  Theophrast  (h.  pl.  6,  2,  4)  meinte,  ist  nicht  bachstäblich,  son- 
dern nur  in  dem  Sinne  richtig,  dass  sie  den  Anhauch  des  mittel- 
ländischen Meeres  liebt,  dass  aber  zu  ihrem  Gedeihen  auch  z.  ß. 
der  Spiegel  des  Gardasees  genügt.  Ohnehin  fällt  ihre  Verbreitangs- 
sphäre  ziemlich  genau  mit  dem  Oval  der  Ufergegenden  des  mittel- 
ländischen Meeres  und  seiner  Buchten  zusammen.  Schön  im  Sinne 
der  Romantik  ist  der  Baum  der  Minerva  nicht,  aber  nichts  erweckt 
mehr  das  Gefühl  der  Kultur  und  friedlicher  Ordnung  imd  zugleich 
der  Dauer  derselben,  als  wenn  er  in  ofifenen,  gereinigten  Hallen  mit 
dem  kaum  merklich  flüsternden  Xiaube  an  gewundenen  Stämmen  die 
Hügel  ersteigt  oder  die  geneigten  Ebenen  leicht  beschattet,  und  gern 
gesteht  man  ihm  dann  mit  Columella  5,  8,  1  das  Prädikat  prima 
omnium  arborum  zu.  Indessen  fehlt  viel,  dass  das  Produkt  überall 
dem  der  Provence  oder  dem  von  Genua  und  Lucca  gleichkäme.  Das 
kalabrische,  sicilische  und  sardinische  Oel  ist  meistens  unrein  und 
nur  zur  Seifenbereitung  und  in  Tuchfabriken  anwendbar.  Der 
Grund  liegt  in  der  mangelhaften  Darstellungsart,  und  diese  wieder 
erklärt  sich  aus  den  ungünstigen  agrarischen  und  volkswirthschaft- 
lichen  Verhältnissen.  Besonders  die  Ernte  erfordert  die  grösste  Vor- 
sicht im  Einzelnen:  die  eben  gereiften  Früchte  müssen  Stück  für 
Stück  mit  der  Hand  abgepflückt  und  ohne  Zeitverlust  unter  die 
Presse  gebracht  werden;  Schnelligkeit  und  Reinlichkeit  sind  dabei 
wesentliche  Bedingungen.  Zu  all  dem  aber  fehlt  es  in  den  genann- 
ten Gegenden  an  Kapital,  an  Einrichtungen  und  an  Händen.  Man 
schlägt  die  von  Natur  zarten  Früchte  entweder  mit  Stecken  ab  oder, 
was  noch  übler  ist,  wartet,  bis  sie,  überreif  und  halbfaul,  von  selbst 
abfallen  (über  Beides  klagen  schon  die  Alten,  z.  B.  Plinius  15,  11); 
dann  bleiben  sie  in  Haufen  liegen  und  gerathen  in  Gährung,  ehe  eine 
Oelmühle  frei  wird.  Letztere  ist  auch  meistens  so  unvollkommen 
construirt,  dass  sie  Arbeitskraft  verschwendet  und  einen  beträcht- 
lichen Theil  Oel  in  den  Tröstern  zurücklässt.  Da  der  gemeine  Mann 
das  so  gewonnene  übelriechende  Produkt,  als  von  kräftigerem  Ge- 
schmack, dem  feinsten  proven^alischen  Tisch  öl,  welches  ihm  nichts- 
sagend erscheint,  vorzieht,  so  fühlt  er  sich  natürlich  auch  nicht  durch 
das  Bedürfaiss  aufgefordert,  auf  die  Herstellung  des  letztem  beson- 
deren Fleiss  zu  wenden.  Bei  all  dem  sind  in  neuerer  Zeit  die  Fort- 
schritte unverkennbar.  Wenn  erst  in  Folge  eines  natürlichem  Blut- 
umlaufes im  Volkskörper  der  gedrückte  Stand  der  Pächter  sich  heben 
wird,  dann  muss  in  der  Oelkultur  eine  Quelle  des  Wohlstandes  für 

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Ansässigkeit.    Baomzacht.  97 

den  gebirgigen  Süden  des  neuen  Königreiches  sich  öfinen.  —  „Zwei 
Eössigkeiten,  sagt  Plinius  14,  150,  giebt  es,  die  dem  menschlichen 
Körpel"  angenehm  sind,  innerlich  der  Wein,  äusserlich  das  Oel,  beide 
Ton  Bäamen  kommend,  aber  das  Oel  etwas  Nothwendiges."  Demo- 
kritus  von  Abdera,  der  berühmte  Philosoph,  der  über  hundert  Jahr 
alt  wurde,  erwiderte  auf  die  Frage,  wie  man  gesund  bleiben  und 
seine  Tage  verlängern  könne,  mit  der  diätetischen  Regel:  innerlich 
Honig,  äusserlich  Oel  (Diophanes  in  den  Geopon.  15,  7,  6  und 
Athen.  2,  p.  47).  Aehnlich  war  die  Antwort  des  hundertjährigen 
Pollio  Komilius  auf  die  Frage  des  Kaisers  Augustus,  durch  welches 
Mittel  er  sich  so  rüstig  erhalten  habe:  „innerlich  durch  Wein  mit 
Honig,  äusserlich  durch  Oel",  intus  mulso,  foris  oleo  (Plin.  22,  114). 
Heut  zu  Tage  dient  das  Oel  nicht  mehr  zur  äussern  Körperpflege 
oder  nur  in  Gestalt  von  Seife;  aber  eben  die  den  Alten  unbekannte 
Seife,  eine  nordische  Erfindung  (Grimm  in  Haupts  Zeitschrift  VII, 
S.  460  f.;  Zeuss*  p.  161;  Beckmann,  Beyträge,  IV,  1),  hat  die 
orientalisch- griechische  Sitte,  den. Leib  zu  salben,  die  in  Italien 
ohnehin  nur  bei  den  höheren  Klassen  herrschte,  ganz  und  gar  ver- 
drangt. Nur  die  Salbung  der  Könige  und  Kaiser  und  die  letzte 
Gelang  sind  noch  ein  verklingendes  Echo  der  alten  Römerzeit. 


Wo  die  Kultur  der  drei  genannten  Gewächse,  des  Weines,  der 
Feige  und  des  Oelbaums,  in  grösserem  Massstab  sich  festsetzte,  da 
musste  Lebensart  und  Beschäftigung  der  Menschen  eine  andere  wer- 
den, das  Land  ein  anderes  Ansehen  gewinnen.  Die  Baumzucht  war 
ein  Schritt  mehr  auf  der  Bahn  fester  Niederlassimg:  erst  mit  ihr 
and  durch  sie  wurde  der  Mensch  ganz  ansässig.  Der  Uebergang 
vom  unstäten  Hirtenleben  zur  festen  Ansiedelung  ist  nirgends  ein 
plötzlicher  gewesen,  sondern  führte  immer  durch  zahlreiche  Zwischen- 
stufen, auf  denen  die  Völker  oft  Jahrhunderte  verharrten.  Der 
liemmziehende  Hirte  besäet  fluchtig  ein  Stuck  Land,  das  er  im 
Herbst  ebenso  fluchtig  aberntet;  er  wählt  im  nächsten  Frühling  ein 
anderes,  frisches,  das  er  abermals  liegen  lässt,  nachdem  er  ihm  den 
Raab  abgenommen.  Hat  die  Horde  an  einem  besonders  fruchtbaren 
Fleck  sich  mit  ihren  leichten  Häusern  festgesetzt,  so  ist  doch  auch 
Her  der  Boden  nach  einigen  Jahren  erschöpft:  die  ganze  Gemein- 
schaft bricht  auf,  lädt  alles  Bewegliche  auf  ihre  Thiere  und  Wagen 
«Dd  baut  sich  an  einem  andern  Orte  wieder  an.  Auch  wenn  die 
Ansiedelimg    eine   stätige   geworden,    ist   der   BegriflF   individuellen 

Viet.  Hehn,  KaltarpflanceD.  7  ^-^  j 

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98  Ansässigkeit    Baomzucht. 

Eigenthoms  am  Boden  doch  noch  nicht  vorhanden:  wie  die 
Weide  eine  gemeinsame  war,  wird  auch  das  Ackerland,  an  wel- 
chem bei  der  geringen  Bevölkerung  kein  Mangel  ist,  in  jeden?  Jahr 
an  die  Genossen  je  nach  ihrer  Zahl  neu  vertheilt.  Dies  war  der 
Zustand  der  Germanen  zu  Tacitus  Zeit,  und  dies  ist  der  natürliche 
Sinn  der  Worte  des  genannten  Schriftstellers,  an  denen  patriotische 
Ausleger,  die  gern  das  Gegentheil  erfahren  hätten,  nicht  minder 
mühselig,  als  in  ähnlichem  Fall  die  Bibelexegeten,  gedeutet  haben. 
Dieselbe  communistische,  noch  halb  nomadische  Form  des  Acker- 
baues, die  mit  dem  Patriarchalismus  eng  zusammenhängt,  herrscht 
noch  heute  in  einem  grossen  Theil  Russlands,  bei  Tataren,  Beduinen, 
und  manchen  andern  Völkern.  Viehzucht  bleibt  auf  diesen  ersten 
Stufen  des  Ackerbaus  immer  noch  das  vorherrschende  Geschäft, 
Wandern  und  Raub  die  Leidenschaft,  Fleisch  und  Milch  die  Haupt- 
nahrung; die  Häuser  sind  nur  leicht  gebaut,  brennen  häufig  auf,  ihr 
Material  ist  Holz;  der  Pflug  besteht  aus  einem  spitzen  Baumast, 
ritzt  den  Boden  nur  leicht  und  wird  von  kriegsgefangenen  Sklaven 
geführt;  die  Voraussicht  ist  keine  lange,  sie  geht  nur  vom  Frühling 
auf  den  Herbst.  Einen  bedeutenden  Schritt  weiter  bezeichnet  schon 
die  Wintersaat,  aber  den  entscheidenden  erst  die  Baumzucht.  Erst 
mit  der  letzteren  ging  das  Gefühl  örtlicher  Heimat  und  der  Begriff 
des  Eigenthums  auf.  Der  Baum  muss  Jahre  lang  erzogen  und  ge- 
tränkt werden,  ehe  er  Frucht  giebt  (^den  ich  hegte  und  pflegte  wie 
eine  Pflanze  im  Baumgarten",  sagt  Thetis  in  der  Ilias  von  ihrem 
Sohne  Achilleus);  dann  giebt  er  sie  jedes  Jahr,  indess  der  Bund  mit 
dem  einjährigen  Grase,  das  die  Demeter  säen  gelehrt,  in  dem  Augen- 
blick aufgelöst  ist,  wo  die  Frucht  geerntet  worden.  Um  den  Wein- 
berg, um  den  Baumgarten  wird  eme  schützende  Hecke  gezogen,  das 
Zeichen  vollen  Eigenthums:  dem  blossen  Ackerbauer  genügt  im  besten 
Falle  ein  Grenzstein.  Das  Saatfeld  muss  auf  Thau  und  Regen  harren: 
der  Pflanzer  leitet  die  Quelle  aus  den  Bergen  herab  und  um  seine 
Beete  herum,  und  indem  er  dies  thut,  verwickelt  er  sich  mit  seinen 
Nachbarn  in  Rechts-  und  Eigenthumsfragen,  die  nur  durch  eine  feste 
politische  Ordnung  gelöst  werden.  Schon  eine  der  ältesten  politi- 
schen Urkunden,  von  denen  wir  überhaupt  wissen,  der  uns  vom 
Redner  Aeschines  aufbewahrte  Bundeseid  der  delphischen  Amphi- 
ktyonen,  enthielt  die  Bestimmung:  es  darf  keiner  der  verbündeten 
Städte  das  fliessende  Wasser  abgeschnitten  werden,  weder  im  Kriege 
noch  im  Frieden.  Auch  das  Haus,  das  von  Fruchtbaumgruppea 
umgeben  ist,  wird,  wie  diese  auf  lange  Jahre  berechnet^  d.  h.  es  ist 

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Ansässigkeit    Banmzucht.  99 

?on  Stein  erbaat  und  schmückt  sich  in  seinem  Innern  mit  dem  Yer- 
machtniss  der  Geschlechter  und  dem  Erwerbe  fortgehender  Eultar. 
Das  Eisen  findet  sich  ein  und  wird  allm&hlig  das  immer  häufigere, 
zuletzt  vorherrschende  Material  aller  Werkzeuge.  Auch  die  Götter 
werden  edler:  denen  des  Hirten,  der  gewohnt  ist,  thierische  Leiber 
aofzascheiden^  und  dessen  Poesie  in  der  Vorstellung  grasslicher,  mit 
der  Steinaxt  aufgerissener  Wunden  schwelgt,  wird  blutig  und  roh 
geopfert,  sanfter  der  Ceres  mit  geschrotenem  Spelz  und  Salz  und  dem 
Terminus  mit  Kränzen  und  Kuchen^  aber  erst  der  Wein  stimmte  den 
harten  Ackerbauer  mild  und  heiter  und  machte  ihn  zu  dramatischen 
Spielen  aufgelegt,  und  erst  die  Olive,  der  Baum  der  Athene,  der 
Göttin  geistiger  Helle,  gab  das  Symbol  des  Friedens,  der  Bitte  und 
der  Freundlichkeit  ab. 

Schon  die  alten  epischen  Dichter  unterscheiden  genau  die  drei 
Arten  der  Bodenbenutzung:  Thierweide  oder  Fleisch,  Milch  und 
Wolle;  Ackerbau  oder  die  sQsse  Halmfrucht,  die  Nährerin  des  Men- 
schengeschlechts; endlich  Baumpflanzung  oder  Wein  und  Oel.  Für 
die  beiden  letzten  Stufen,  von  denen  die  dritte,  je  älter  die  ent- 
sprechende Dichterstelle  ist,  um  so  mehr  nur  auf  die  Weinkultur 
sich  beschränkt,  gelten  die  sich  gegenüberstehenden  technischen  Aus- 
drücke: oQow^  oQovQa  und  (fVTBvWy  (fvzaXia.  H.  14,  121  (Dio- 
medes  erzählt,  sein  Vater  Tydeus  habe  ein  reiches  Haus  bewohnt 
und  viel  weizenreiche  Felder,  viele  Baumgärten  und  viele  He  er- 
den besessen): 

seia  Haus  war 

Reich  mit  Schätzen  gefüllt;  er  besass  viel  Weizengefilde, 

Auch  viel  Gärten  umher,  von  Baum  und  Rebe  beschattet, 

Auch  Schafheerden  in  Menge. 

n.  12,  313  (Sarpedon  spricht  zu  Glaukos): 

Wessbalb  baun  wir  den  weiten  Bezirk  an  den  ufern  des  Xanthos, 
Welcher  mit  Pflanzungen  prangt  und  weizenergiebigem  Saatfeld? 

n.  20,  184  (Achilleus  fragt  den  Aeneas,  ob  ihm  die  Troer  etwa  als 
Preis  für  die  Tödtung  seines  Gegners  ein  Stück  Land  ausgesetzt, 
versehen  mit  Pflanzung  und  Acker: 

Steckten  die  Troer  vielleicht  dir  ab  ein  erlesenes  Grundstück, 
Treffliche  Saatengefild'  und  Pflanzungen,  dass  du  sie  bauest, 
Wenn  du  mich  todt  hinstreckst? 
(Aehnlich   und  mit  denselben  Worten   von   den  Lykiem   und    dem 
Bellerophontes,  IL  6,  194).     Auch  die  Aetoler  bieten  dem  Meleager 

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100  Ansässigkeit    Baomzucht. 

als  Preis  für  die  Theilnahme  am  Kampfe  ein  Grundstuck,  zur  Hälfte 

Weinland,  zur  Hälfte  Ackerboden,  II.  9,  578 : 

Allda  hiessen  sie  ihn  ein  herrliches  Gut  sich  erlesen, 

Fiinfzig  Hufen  umher,  zur  Hälft*  ein  RebeDgeläude, 

Halb  ein  freies  Gefild,  mit  dem  Pflug  es  zu  schneiden  geeignet. 

Od.  9,  108  (von  den  Cyclopen,  die  weder  Feldbestellung  noch  Baum- 
zucht kennen): 

OVT€    (fVTEVOVaiV   XBQölv    (pVtOVy    OVZ     aQnüJOlV, 

wo  das  zfipaiv  bedeutungsvoll  ist    Hesiod.  Op.  et  d.  22: 
og  onsvöei  nev  agoftinsvai  rjöe  cpvTsveiv, 

Auch  bei  Tyrtäus,  fr.  3  (Brgk.): 

Msaai^vTjv  aya^riv  ^ev  ccqovVj  ayct^fjv  de  rpvveveiv. 

An  einer  homerischen  Stelle  tritt  auffallender  Weise  zu  Acker,  Gar- 
ten und  Weide  als  Yiertes  der  Fischfang  an  der  Küste:  Od.  19,  111 
(in  dem  Lande  des  gerechten  Herrschers) 

da  bringt  der  schwärzliche  Bodea 
Weizen  und  Gerste  hervor,   schwer  lastet  die  Frucht  an  den  Bäumen, 
Kräftig  gebären  die  Schafe,  das  Meer  giebt  Fische  zur  Nahrung, 
Alles  als  Lohn  der  Weisheit  und  zum  Gedeihen  des  Volkes. 

Auch  die  spätem  Prosaisten  pflegen  das  Ackerland,  yrj  anoQt^ioc^ 
"^i^rjj  und  das  bepflanzte  Land,  yfj  nBq^vzaxmivr^^  als  die  beiden 
integrirenden  Theile  des  Kulturbodens  zusammenzustellen^  z.  B. 
Xenoph.  Hell.  3,  2,  10:  noXlriv  de  }(äya&7]v  yijp  OTTOQifiov^  noXlijv 
de  neq)VTei\uevr]v,  najtinlri&eig  de  xai  nayxdlovg  vo/iäg  navxodc' 
noig  xT^veai.  Demosth.  adv.  Lept.  115:  exazdv  fiev  iv  Evßolcf 
nXi&Qa  yijg  nerpvzevf.iivr^g  ednoav^  exazov  de  tl^ii-rjg.  In  Xenophons 
Oeconomicus  hat  sich  Sokrates  längere  Zeit  mit  Ischomachus  über 
den  Landbau,  die  yetoQyixfj  rixvr^j  unterhalten,  da  fragt  Ersterer: 
gehört  denn  auch  die  Baumpflanzung,  fj  zwv  devdQwv  q^vreia,  mit 
zum  Ackerbau  als  ein  Theil  desselben?  Freilich,  erwiedert  Ischo- 
machus. Und  darauf  wird  denn  ausführlich  über  Tiefe  und  Breite 
der  Gruben,  die  Bedeckung  mit  Erde,  die  Bewässerung,  die  Wahl 
des  Bodens  u.  s.  w.  verbandelt,  mit  ausschliesslicher  Beziehung  auf 
die  drei  Gewächse  afinaXoc^  avxrj  und  iXaia.  Wie  Demeter  die 
Göttin  der  Feldfrucht,  so  ist  besonders  Dionysos,  der  Gott  mit  halb- 
orientalischem Charakter,  Personification  der  gedeihenden  Baum- 
frucht und  des  Segens,  der  daher  kommt:  Pindar.  fr.  153  (Bergk.): 

JevdQewv  de  vofxov  Jiovvoog  nolvya&rjg  av^dvoi, 

ayvov  (piyyog  onwQag. 


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Ans&ssigkeit    Baumzucht  101 

Pkt.  Sjrmp.  5,  3,  4:  xat  Uoaeidwvi  ya  q>vtal^i(fi,  Jioviaif  de 
divÖQizrj,  Ttdvreg,  dg  l'nog  elnelvy  ^'Ellrjveg  &vovaiv.  Auch  IWfiv- 
igog  hiess  der  Gott  Dach  dieser  Seite  seines  Wesens,  Hesych.  s.  t. 
Wenn  der  Beiname  der  Demeter  ^laXoq^oQog  in  einer  Inschrift  von 
Selinus  so  viel  bedeutet,  als  Spenderin  von  Baumfrüohten,  nicht  etwa 
Ton  Schafen  (O.  Benndorfi  die  Metopen  von  Selinunt,  S.  31),  so 
wäre  auch  diese  Göttin  zuweilen  als  Yorsteherin  der  Gärten  ge- 
dacht worden. 

Nicht  anders  war  das  Verhältniss  in  Italien;  auch  dort  sind 
Acker  und  Pflanzung  coordinirte  Kulturzweige.  Dionysius  Halic. 
],  37  preist  Italien  als  keine  Art  des  Anbaues  ausschliessend:  es 
sei  baumlos,  aöevÖQog^  weil  es  komtragend,  aivoipoQog^  sei,  es  sei 
aber  auch  arm  an  Getreide,  okiyoxaQnog^  weil  es  mit  Bäumen  be- 
pflanzt, devÖQltig^  sei  u.  s.  w.  Bei  Eroberung  Italiens,  sagt  Appian 
de  bell  civ.  1,  7,  wiesen  die  Römer  das  wüste  liegende  Land  Jedem 
za,  der  Lust  hatte,  es  zu  bebauen,  „indem  sie  sich  nur  einen  jähr- 
Lchen  Zins  vorbehielten,  den  Zehnten  von  dem  Ertrage  des  besäe- 
ten,  den  Fünften  von  dem  des  bepflanzten  Landes."  Cic.  de  rep.  5, 
2  (den  Königen,  denen  die  Rechtsprechung  oblag,  wurde  Land  zur 
Entschädigung  gegeben):  ob  easque  causas  agri^  arvi  et  arbusü  et 
pascui,  lati  atque  uberes  definiebantur^  gut  essent  regit  —  in  welcher 
alterthümlichen  Formel  also  der  ager  arbustus^  die  Baumpflanzung, 
dem  ager  arvtis  und  pascuus^  dem  Saat-  und  Weidelande,  als  Glied 
der  Dreitheilung  gegenübersteht,  ganz  wie  in  der  obigen  Stelle  des 
Xenophon.  Lucret.  5,  9S3  ed.  Lachm. 

Nee  robustus  erat  curvi  moderator  aratri 

Quisquaniy  nee  seibat  ferro  molirier  arva ; 

Nee  nova  def ödere  in  terram  virgiUta  neque  aüis    ^ 

Arboribus  veteres  decidere  falcibu^  ramos  — 

also  ohne  Umschreibung:  weder  Ackerbauer  noch  Baumpflanzer. 
Daher  auch  Cn.  Tremellius  Scrofa  bei  Varro  de  r.  r.  1,  7,  8  es  als 
eine  Sonderbarkeit  anfuhrt,  dass  er  bei  einem  Kriegszuge  ins  innere 
Gallien  gegen  den  Rhein  hin  Gegenden  gefunden  habe,  wo  es  ganz 
an  Weinstocken,  Oel-  und  Obstbäumen  fehlte:  in  Gallia  transalpina 
intus  ad  Rhenum,  cum  exercitum  ducerem^  aliquot  regiones  accessi,  ubi 
nee  vitis  nee  olea  nee  poma  nascerentur;  ubi  agros  stercorarent  Can- 
dida fossicia  creta:  ubi  salem  nee  fomdum  nee  maritimum  haberent^ 
wd  ex  quibusdam  lignis  combtistis  carbonibus  salsis  pro  eo  uterentur. 
So  naturlich  also  schien  einem  Zeitgenossen  des  Varro  und  Bewoh- 
ner des  Südens   die  Verbindung   des   reinen   Ackerbaues   mit   An- 

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102  Ansässigkeit.    Bamnzuclit. 

pflanznng  des  Weinstocks  und  fruchttragender  Bäume,  dass  er  die 
Abwesenheit  der  letztem  mit  der  ihm  unbekannten  Mergeldungung 
und  dem  Gebrauche  der  Asche  statt  des  Salzes  zusammenstellt. 

Interessant  ist,  dass  auch  in  den  heiligen  Schriften  des  Zend- 
Volkes  der  Boden  auf  die  dreifache  Art  benutzt  wird,  wie  in  Griechen- 
land und  Italien.  Vendldäd  3,  12—13  (nach  Spiegels  Uebersetzung): 
„Was  ist  zum  Dritten  dieser  Erde  am  angenehmsten?  Darauf  ent- 
gegnete Ahura-mazda:  wo  am  meisten  durch  Anbau  erzeugt  wird, 
0  heiliger  Zarathustra,  von  Getreide,  Futter  und  speisetragenden 
Bäumen."  76—77:  „Wer  erfreut  zum  Vierten  diese  Erde  mit  der 
grössten  Zijfriedenheit?  Darauf  entgegnete  Ahura-mazda:  Wer  am 
meisten  anbaut  Feldfrüchte,  Gras  und  Bäume,  die  Speisen  bringen, 
o  heiliger  Zarathustra."  Aehnlich  drückt  sich  auch  der  Perser  Mar- 
donius  bei  Herodot  aus :  als  dieser  den  Xerxes  zum  Eriegszug  gegen 
die  Athener  bereden  wollte,  da  rühmte  er  ihm  Europa  als  ein  schönes 
Land,  wo  aller  Art  Fruchtbäume  wüchsen  und  der  Boden  höchst 
kräftig  (zum  Getreidebau)  sei,  Herod.  7,  5;:  wg  ^  EvQcinrj  neqi^ 
xalkrjg  X^QVy  ^^^  divÖQea  navxoia  (fiQBi  xä  fj^tega^  QQBZ'qv  re 
axQT],  Umgekehrt  war  Babylonien  nach  Herod.  1,  193  höchst  frucht- 
bar an  Getreide:  ctqiaxTi  JijfxriTQog  xaQnbv  ixcpigeiVy  trug  aber  keine 
Spur  von  Bäumen:  divÖQBo,  ovde  migatai  ccqx^v  q^igaiv  oize  auxiijVy 
0VZ8  a/^nelovj  ovve  ilalrjv  —  wo  die  typische  Zusammenstellung 
der  drei  Gewächse,  der  Feige,  Rebe  und  Olive,  wiederkehrt. 

Wenn  Vergil  G.  2,  371  sagt:  Texendae  saepes  etiam  u.  s.  w., 
80  ist  dies  nicht  etwa  ein  neuerer  Gebrauch:  schon  im  Alten  Testa- 
ment und  in  der  epischen  Zeit  Griechenlands  werden  solche  Baum- 
gärten als  umzäunt,  mit  Graben  oder  Hecke  und  Mauer  umgeben 
gedacht,  während  das  Saatgefilde  frei  daliegt.  Wie  die  Parabel  des 
Propheten  JesaiasEap.  5  mit  den  Worten  beginnt:  „Mein  Lieber  hat 
einen  Weinberg  an  einem  fetten  Ort  und  er  hat  ihn  verzäunet  und 
mit  Steinhaufen  verwahret  und  edle  Reben  drein  gesenket**  — ,  so 
war  auch  der  Weinberg  auf  dem  Schilde  des  Achilleus  mit  einem 
Graben,  xaneznCy  und  einer  Hecke,  ?(>xf>t,  umzogen;  Oineus,  der 
Herrscher  von  Kalydon,  tödtete  seinen  eigenen  Sohn  Toxeus,  d,  h. 
den  Schützen,  weil  dieser  es  gewagt  hatte,  den  Graben,  der  die 
Weinstöcke  umschloss,  zu  überspringen  (Apollodor.  1,  8,  1).  Das 
Material,  das  zu  der  Umzäunung  gelesen  wird,  heisst  mit  einer  ety- 
mologisch dunklen  Benennung  alfiaoia  —  entweder  Domen  oder 
Steine,  vielleicht  bald  das  Eine,  bald  das  Andere,  oder  Beides  zu- 
gleich, je  nach  der  Gegend  und  ihrer  natürlichen  Beschaffenheit;  der 

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Ansässigkeit    Baumzacht.  103 

göttliche  Sanhirt  in  der  Odyssee  wenigstens  hat  seinen  Hof  mit 
herbeigeschleppten  Steinen  verwahrt  und  diese  dann  mit  Domen  be- 
steckt, U,  10: 

Steine  zusammengeschleppt  und  oben  umfriedet  mit  Domen. 

Solche  oQxoi^  q)VT<Sv  oQXCttoiy  wie  Homer  und  Hesiod  die  umfrie- 
digten Fruchtgärten,  besonders  die  Weingärten,  nach  dieser  ihrer 
Eigenschaft  benennen  (da  diese  Wörter  doch  wohl  auf  el(pyo>, 
scbliessen,  zurückzuführen  sind,  ixbtoqxiov  =  ein  Getreidefeld  zwischen 
zwei  geschlossenen  Gärten),  bedecken  und  durchschneiden  noch  jetzt 
das  südliche  Italien,  dessen  Wege  zwischen  Mauern  und  Hecken  von 
Stachelpflanzen  dahinziehen  und  dem  staubbedeckten  Reiter  die  Aus- 
sicht auf  das  Meer  oder  das  Gebirge  versagen.  Auch  gilt  noch  jetzt 
in  jener  Gegend  ein  Grundstuck,  das  mit  Mauer  oder  Hecke  um- 
geben ist,  allgemein  für  werthvoller  und  an  Ertrag  reicher  als  ein 
offenes. 

Schon  bei  Homer  sind  es  die  Schwachem,  besonders  die  Greise, 
deren  Obhut  die  Bäume  anvertraut  sind  und  die  niedergebückt  im 
Garten  pflanzen,  graben  und  schneiden:  mit  dem  Ochsengespann 
Furchen  ziehen  und  die  Wiese  mit  der  Sense,  dginavov^  abmähen, 
gilt,  wie  der  Krieg,  für  das  Werk  der  Jünglinge  und  Männer.  Be- 
sonders deutlich  ist  in  dieser  Beziehung  die  Stelle  Od.  18,  356  ff. 
Einer  der  Freier,  Eurymachus,  hat  den  Odysseus  wegen  seines  Kahl- 
kopfes verlacht  und  schlägt  ihm  darauf  vor,  als  Arbeiter  am  Zaun 
und  als  Pflanzer  von  Bäumen  in  seinen  Dienst  zu  treten: 

Domen gestränch  mir  zu  sammeln  und  stämmige  Bäume  zu  pflanzen. 

Hierauf  erwiedert  ihm  Odysseus:  „Sollte  ich  mit  dir  auf  der  Wiese 
den  ganzen  Tag  über  um  die  Wette  das  Gras  abmähen  oder  mit 
dem  Joch  Ochsen  vier  Morgen  fetten  Ackers  pflügen,  dann  würdest 
du  sehen,  ob  ich  eine  Furche  zu  ziehen  im  Stande  bin.  Und  hätte 
ich  Waffen,  wie  sie  sich  für  den  Krieger  schicken,  du  würdest  mich 
unter  den  Ersten  kämpfen  sehen.  Du  aber  scheinst  dir  gross  und 
stark,  weil  du  mit  Wenigen  und  Bösen  verkehrst."  —  So  hat  sich 
auch  der  greise  Laertes  zu  den  Gärten  zurückgezogen,  und  sein 
Genosse  ist  der  gealterte  Sklave  Dolios,  den  einst  Penelope  von 
ihres  Vaters  Hause  in  das  des  Ehegatten  mithinübergebracht.  — 
Nicht  anders  im  Hymnus  an  den  Hermes.  Dort  treibt  der  Gott  die 
gestohlenen  Rinder  hinweg,  da  sieht  ihn  ein  Mann,  der  im  Wein- 
garten arbeitet:  es  ist  ein  Greis,  der,  zur  Erde  gebeugt,  im  Boden 
gräbt,  V.  90: 


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104  Ansässigkeit    Baumzncht. 

w  yigoVj  oaze  q>vza  oxanxBig  iTTixafiTivXog  w^ovQ. 
Und  als  Tags  darauf  ApoUon  suchend  an  derselben  Stelle  Torbei- 
kommt,    da  findet  er  den  Greis,    einen  Zaun,    i'Qxog   aXiofjg,   zum 
Schutz   gegen  die  Strasse,    auf  der   viel  Wanderer   ziehen,    naQC^ 
oöov^  aus  Dornen  flechtend  und  redet  ihn  demgemäss  an,  v.  190: 

w  yiQOv^  ^OyxJJOTolo  ßatoÖQOTiB  noirjevTag. 

Das  in  dem  erstem  Verse  gebrauchte  axanxeiv  ist  gleichfalls  feste 
Bezeichnung  für  Arbeit  im  Wein-  und  Baumgarten,  wie  bei  Hesiod. 
Op.  et  d.  572; 

TOTB  dij  axäq^og  oixeTt  olvivjv^ 

und  wird  gern  dem  aQoiv^  dem  Ackern  auf  dem  Felde,  gegenüber- 
gestellt.    So  in  dem  Verse  aus  dem  homerischen  Margites: 
Tov  d'  ovr'  OLQ  GxamiJQa  ^sol  deaav^  oit^  aQotiJQa. 

Auch  lateinisch  heisst  es  federe  kortum  (Plaut.  Poen.  5,  2,  30),  und 
fodere  und  arare  stehen  in  Parallele,  Terent.  Heaut.  1,  1,  16:  quin 
te  in  fundo  conspicer  fodere  aut  arare.  Das  Werkzeug  dazu  ist  ent- 
weder das  kiOTQov^  daher  Od.  24,  227  Odysseys  seinen  alten  Vater 
XiOTQEvovra  (pviov  findet,  oder  die  ^laxaXXa^  d.  h.  die  einzinkige 
Hacke,  in  der  Ilias  21,  259  zum  Aufgraben  der  Wasserrinnen  im 
Garten  gebraucht,  oder  die  dixelka,  d.  h.  die  zweizinkige  Hacke, 
in  einem  Fragment  des  Aeschylus  in  Gegensatz  zum  Pfluge  gestellt, 
fr.  190  (Nauck): 

Faßlovg^  7$^^  ovi^  aQozQOv  ovte  yazofiog 
tifipsi  öixeXV  aQovQov, 

auch  die  axanarrj  (bei  Theokrit,  davon  vielleicht  das  italienische  zappa, 
franz.  sappe)^  in  der  spätem  attischen  Sprache  die  afir]  und  auti'vg 
oder  Ofitvvrjy  lat.  ligo,  bidens^  vanga  (bei  Palladius,  noch  itaUenisch), 
französisch  pioche  (vermuthlich  statt  picöcke)  u.  s.  w. 

Mit  der  Baumzucht  freilich  wurden  auch  die  Kriege  furchtbarer, 
weil  die  Zerstörung  mehr  Gegenstande,  fand.  Nach  der  urältesten 
Sitte,  die  auch  bei  Homer  nicht  fehlt,  wie  sie  noch  jetzt  »bei  den 
Beduinen  herrscht,  ist  das  Wegtreiben  der  Heerden,  der  Raub  der 
Pferde  ein  gewöhnlicher  Kriegsvortheil  und  die  an  dem  Feinde 
geübte  Rache  und  Strafe ;  oft  holt  der  Beschädigte  den  abziehenden 
Räuber  wieder  ein  und  nimmt  sein  Eigenthum  zurück;  in  jedem 
Falle  ersetzt  sich  die  Heerde  in  nicht  allzulanger  Zeit  wieder.  Die 
Germanen  zogen  sich  hinter  ihre  Wälder  und  Sumpfe  zurück,  und 
die  Römer  konnten  sie  nirgends  empfindlich  treffen.    „Warum  sollten 

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Ansässigkeit    Baumzucht.        .  105 

wir  uDS  auf  eine  Schlacht  mit  Euch  einlassen,  antwortet  bei  Herod. 
i  127  der  Skythenkönig  Idanthyrsus  dem  Darius,  wir  haben  ja  keine 
Städte,  die  eingenommen,  keine  Pflanzungen  (yij  nBq^vxevfiivrj)^  die 
aasgerottet  werden  könnten.**  J^^och  in  unserm  Jahrhundert,  im 
Jahre  1812,  machten  es  die  Russen  ganz  ähnlich:  sie  brannten  sogar 
ihre  Hauptstadt  nieder,  die  doch  nur  grösstentheils  aus  Holz  bestand, 
zogen  sich  immer  weiter  ins  unwirthliche  Innere  zurück  und  Hessen 
Entfernung,  Wildniss,  Klima  die  Vertheidiguug  fuhren.  Anders  da, 
wo  der  Mensch  in  dauernden  Häusern  unter  Weinstöcken,  Oel-  und 
Feigenbäumen  wohnt,  da  wüthet  ein  grausamer  Feind  schrecklich, 
und  das  Land  ist  auf  Menschenalter  verödet.  Die  Wasserleitungen 
werden  zerstört  und  damit  die  eigentliche  Lebensquelle  abgeschnitten: 
sie  wieder  einzurichten,  kostet  viele  Arbeit  und  mehr  Kapital,  als 
nach  einem  Kriege  vorhanden  ist.  Die  Oelbäume  werden  nieder- 
gehauen und  wachsen  nur  langsam  wieder;  auch  der  Weinstock 
fordert  manches  Jahr,  ehe  er  tragfähig  wird.  Zwar  das  mosaische 
Gesetz  verbot  das  Ausrotten  der  Fruchtbäume,  Deuteron.  20,  19: 
,Wenn  du  für  einer  Stadt  lange  Zeit  Hegen  musst,  wider  die  du 
streitest,  sie  zu  erobern,  so  sollst  du  die  Bäume  nicht  verderben, 
dass  du  mit  Aexten  dran  fahrest,  denn  du  kannst  davon  essen, 
darum  sollst  du  sie  nicht  ausrotten",  aber  dass  das  Verbot  in  der 
Kriegswuth  nicht  beachtet  wurde,  lehrt  das  Alte  Testament  selbst. 
So  verbrannte  z.  B.  der  hebräische  Nationalheld  Simson  mittelst 
seiner  Füchse  nicht  blos  die  Saaten  des  feindHchen  Landes  (die  im 
nächsten  Jahr  wiederwachsen  konnten),  sondern  auch  die  Wein-  und 
Oelpflanzungen ,  die  nicht  so  leicht  wieder  herzustellen  waren.  Als 
Alyattes,  König  von  Lydien,  die  Stadt  Milet  nicht  einnehmen  konnte, 
bezog  er  alle  Jahr  regelmässig  ihr  Gebiet  und  verdarb  Bäume  und 
Feldfrüchte  (Herod.  1,  17).  Auf  solche  Art  ist  auch  später  der 
Orient  wiederholt  von  hereingebrochenen  wilden  Horden  zur  Wüste 
gemacht  worden  und  hat  die  frühere  Blute  nie  wieder  erreicht. 
Auch  die  Geschichte  der  Griechen  ist  voll  von  ähnlichen  Barbareien 
—  vor  und  nach  Plato,  der  sie  in  seiner  Republik  (5.  p.  470) 
wenigstens  unter  Gnechen  nicht  dulden  will.  Wie  oft  liest  man 
beim Thucydides  die  verhäognissvollen  Worte:  r^v  yriv  iöijovp  oder 
m^vov,  z.  B.  3,  26:  „sie  verheerten  Attika,  sowohl  die  Gegenden, 
wo  schon  früher  die  Gewächse  niedergemacht  und  jetzt  etwa  neu 
aulgesprosst  waren,  als  diejenigen,  die  bei  frühem  Einfallen  verschont 
geblieben  waren."  Wie  die  Peloponnesier  besonders  in  den  Oel- 
pflanzangen  Attikas  gehaust  hatten,   ergiebt  sich   deutlich  aus    des 

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106  Ans&ssigkeit.    Baumzuchi 

Lysias  Rede  neQl  rov  ai]xov^  wo  unter  andern  z.  B.  folgende  Stelle 
vorkommt:  „Ihr  wisst,  dass  damals  viele  Gegenden  mit  Oelbäumen 
bestanden  waren,  die  jetzt  grösstentheils  niedergehauen  sind,  und 
dass  das  Land  seitdem  kahl  geworden  ist."  Im  ersten  messenischen 
Kriege  sollen  nach  Pausanias  4,  7,  1  zwar  die  Bäume  verschont 
worden  sein  (oifdi  öivdQa  exomov)^  aber  nur  weil  die  Lacedämonier 
das  Land  als  ihr  eigenes  betrachteten:  später  übten  sie  das  Ver- 
wüsten um  £0  besser.  Von  dem  Kriege,  den  sie  gegen  die  Eleer 
führten  und  den  Xenophon  Hell.  3,  2,  21  fif.  beschreibt,  heisst  es 
auch:  „da  das  Heer  ins  feindliche  Gebiet  eingerückt  war  und  schon 
im  Lande  das  Niederhauen  der  Bäume  begonnen  hatte,  trat  ein 
Erdbeben  ein**  und  später:  „er  marschirte  gegen  die  Stadt,  nieder- 
schlagend und  sengend  im  Lande".  Umhauen  und  ausrotten  war 
auch  im  neueren  griechischen  Freiheitskriege  das  gewöhnliche  Mittel, 
den  Feind  zu  zuchtigen,  und  in  Unteritalien  reden  die  mittelalter- 
lichen Chroniken  oft  genug  von  der  gleichen  Behandlungsart  feind- 
lichen Gebietes  (z.  B.  Muratori  Scriptt.  VII  [,  p.  546:  Obsedit  itaque 
Princeps  [Manfredtis]  civitatem  Brundusii  et  cum  civitas  ipsa  moeni-- 
btc8  et  populo  valde  munita  esset  nee  passet  per  insultum  eam  de  fadli 
capere,  fecit  fieri  depopulationern  arborum  circumcirca  civitatem 
ipsam  usque  ad  moenüi).  Nach  Kaiser  Friedrichs  I.  Barbarossa  Reichs- 
abschied, die  Mordbrenner  und  Friedenstörer  betreflfend,  Nürnberg 
1187,  sollen  diejenigen,  die  Weinberge  oder  Fruchtgärten  zerstören, 
der  Strafe  der  Brandstifter  verfallen,  §.  14:  statuimus  etiam^  ut  si 
quis  vineas  aut  pomeria  exciderit  proscriptioni  et  eacommunicationi 
incendainorum  subjiciatur.  Umgekehrt  verwirkte  wohl  auch  der 
Rebell  und  Uebelthäter  nicht  nur  sein  Leben,  sondern  auch  sein 
Haus  wurde  niedergerissen,  seine  Fruchtbäume  umgehauen,  seine 
Reben  ausgerottet  3^). 

Wie  sich  halber  und  ganzer  Ackerbau  oder  Ackerbau  mit  no- 
madischen Gewohnheiten  und  Ackerbau  verbunden  mit  Baumpflanzung 
unterscheiden,  darüber  haben  die  Franzosen  in  Algier  Gelegenheit 
gehabt,  Erfahrungeu  zu  machen.  Die  flüchtigen  Araber  zu  treflfen, 
mussten  die  europäischen  Kolonnen  mit  ihnen  an  Beweglichkeit  und 
Schnelligkeit  wetteifern;  denn,  hatte  das  Dorf  auch  nur  zwei  Stunden 
vorher  von  der  Annäherung  des  Feindes  Nachricht,  so  fand  man  an 
der  Stelle,  wo  man  es  zu  überfallen  gedachte,  nichts  als  die  oft  noch 
warme  Asche  ausgelöschter  Lagerfeuer.  Der  Stamm  hatte  sich 
weiter  ins  Innere  gezogen,  von  da  wich  er,  wenn  er  verfolgt  wurde, 
immer  weiter  und  weiter  ins  Innere  bis  in  die  unnahbare    Wüste. 

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Esel.    Maulthier.    Ziege.  ]07 

Man  mähte  ihre  Ernten  ab,  man  trieb,  soweit  man  derselben  habhaft 
werden  konnte^  ihre  Heerden  weg;  zaweilen  unterwarfen  sie  sich 
dann  demüthig;  im  nächsen  Jahr  aber  konnte  dieselbe  Seene  von 
Neuem  spielen.  Ganz  anders  verhielten  sich  die  Kabylen  des  Djur- 
djoragebirges  der  Inyasion  gegenüber.  Diese  directen  Nachkommen 
der  alten  Libyer  sind  nämlich  ein  gartenbauendes  Volk  mit  halb- 
steinernen  Wohnungen,  festem,  durch  Mauern  und  Hecken,  über  die 
überall  fruchttragende  Aeste  herabhängen,  bezeichneten  Besitzthum 
und  dem  Gefühl  der  Anhänglichkeit  an  den  Ort  ihrer  Geburt.  Sie 
wohnen  im  Gebirge,  und  der  Zugang  zu  ihnen  ist  schwer:  ist  dieser 
aber  einmal  erzwungen,  dann  hält  sie  die  in  ihrer  Mitte  angelegte 
kleine  Festung  mit  der  geringen  Besatzung  bleibend  \m  Zaum.  Sie 
zahlen  regelmässig  ihren  Tribut  und  sind  zufrieden,  wenn  man  sie 
bei  ihren  alten  Sitien  und  bei  der  eigenen  Gemeindeverwaltung  lässt. 
Einige  Strassen  werden  durch  ihr  Gebirge  gezogen,  die  ungewohnte 
Sicherheit  belebt  den  Waarenaustausch  und  den  Besuch  der  Märkte, 
und  langsam  und  unmerklich,  aber  sicher  dringt  europäische  Civili- 
sation  unter  das  bisher  nach  aussen  abgeschlossene  und  miss- 
traoische  Volk.  Auch  dio  Dichtigkeit  der  Bevölkerung  steht  in 
gradem  Verhältniss  zu  der  mehr  oder  minder  durchgeführten  Abkehr 
?om  Hirtenleben.  Eine  Bedainenfamilie  bedarf  zu  ihrer  Ernährung 
eines  weiten  Raumes,  den  sie  immer  nur  streift,  die  Eabylen  graben 
den  Boden  um  und  entlocken  ihm  zehnfachen  Ertrag  und,  wo  dort 
Quadratkilometer  nöthig  sind,  genügt  hier  ein  Garten  von  wenig 
Schritten. 

Gleichzeitig  mit  der  Aufnahme  der  neuen  Kulturart,  weil  eng 
an  sie  geknüpft,  war  die  Einführung  des  Esels,  die  Erzeugung  des 
Manlthiers,  die  Verbreitung  der  Ziege.  Der  geduldige,  arbeitsame 
{flagarum  etpenuriae  tolerantissinms,  laborü  et  famis  maxime  'patiem)^ 
Zugleich  sehr  verständige  Esel,  der  die  Geschäfte  des  Hauses  be- 
sorgte, die  Mühle  und  den  Brunnen  trieb,  die  Erde  in  Körben  auf 
die  Anhöhe  trug  und  beladen  den  Landmann  zu  den  Märkten  und 
Opferfesten  begleitete,  —  er  bedurfte  nicht  wie  das  Rind  fetter 
Wiesen  und  schattiger  Gebüsche,  überhaupt  weiterer  Strecken,  er 
nahm  mit  dem  Ersten  Besten  vorlieb,  was  am  Wege  wuchs  oder 
was  das  Hauswesen  abwarf,  mit  Stroh,  Stengeln,  Disteln  und  Domen. 
Dass  er  aus  dem  semitischen  Kleinasien  und  Syrien  nach  Griechen- 
land gekommen  sei  —  wobei  immer  wahr  sein  kann,  dass  Afrika, 
wo  noch  jetzt  seine  Verwandten  leben,  seine  ursprüngliche  Heimath 
ist  — ,  lehrt   die  Sprachgeschichte  ^  ®),    und   wird  durch  die  ältesten 

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108  Esel.    Maulthier.    Ziege. 

Kaltor-  und  Völkerverb ältnisse  bestätigt.  In  der  epischen  Zeit,  in 
welcher  Viehzucht  und  Ackerbau  noch  vorherrschen,  ist  der  Esel 
noch  gar  nicht  das  gewöhnliche  Hausthier:  er  kommt  nur  an  einer 
Stelle  der  llias  vor  (bloss  in  einem  Gleichniss,  11,  558  ff.,  das  von 
einem  den  Salaininiem  imd  Athenern  nicht  gunstigen  Dichter  verfasst  und 
dann  an  dieser  Stelle  eingeschoben  scbeint;  es  streift  an  das  Parodische 
und  ist  mit  der  vorausgehenden  Vergleichung  widersinnig  gepaart, 
s.  Welcker,  der  epische  Cyclus^,  II,  361);  in  der  Odyssee,  in  deren 
zweitem  Theil  Gelegenheit  genug  dazu  vorhanden  war,  wird  er  gar 
nicht  genannt  und  eben  so  wenig  bei  Hesiod.  Da  das  lateinische 
Wort,  asinus,  eine  alterthümliche  Gestalt  zeigt,  die  über  die  Zeit  der 
griechischen  Kolonisation  hinauszuliegen  scheint,  so  muss  das  Thier 
schon  vorher  auf  dem  Landwege  durch  Vermittellung  der  illyrischen 
Stämme  in  Italien  eingewandert  sein.  Oder  sollen  wir  annehmen, 
dass  die  Cumaner  noch  aovog  sprachen,  als  sie  ihre  Stadt  auf  der 
heutigen  Insel  Ischia  anlegten?  Im  späteren  Italien  war  der  Esel, 
ausser  den  gewöhnlichen  Haus-  und  Felddiensten,  die  er  verrichtete, 
auch  wichtig  für  den  Ein-  und  Ausfuhrhandel  der  gebirgigen  Theile 
der  Halbinsel.  Der  Waarentransport  aus  den  innem  Landschaften 
^u  den  Seehäfen  geschah  auf  dem  Rucken  der  Esel  und  die  Kauf- 
leute hielten  zu  diesem  Zweck  eigene  Ileerden  dieser  Lastthiere, 
Varro  de  r.  r.  2,  6,  5:  Greges  fiunt  fere  mercatorum^  ut  eorum  qui  e 
Brundisino  aut  Appulia  asellis  dossuariis  comportant  ad  mare  oleum 
aut  vinum  itenique  fi'umentum  aut  quid  aliud.  Mit  der  Wein-  und 
Oelkultur —  die  Grenze  derselben  nicht  überschreitend —  ging  auch 
der  Esel  weiter  nach  Norden,  mit  ihm  sein  Name:  in  demselben 
Masse,  wie  das  Hochwild  der  Wälder,  der  hos  urus  und  der  bos  pri- 
migenius  (der  Auerochs  und  der  Wisent)  und  der  Riesen hirsch  (der 
Scheich,  noch  im  Nibelungenliede  genannt)  ausstarben,  bürgerte  sich 
der  aus  der  Fremde  gekommene  Langohr  beim  Landraann  in  Gallien 
ein,  erhielt  mannigfache  Namen  und  lebte  in  den  Sitten,  Scherzen, 
Sprichwörtern  und  Fabeln  des  Volkes.  In  Deutschland  war  es  ihm 
schon  zu  kalt.  —  Das  Maulthier,  bei  Homer  schon  nicht  selten, 
stammte  aus  dem  pontischen  Klcinasien  und  zwar,  wie  Horaer  aus- 
drücklich sagt,  von  den  Enetem,  einem  paphlagonischen  Volke,  II. 
2,872: 

i§  ^Everwv,  od-£v  '^(liiovcüv  yivog  ayQnteQdojVy 
wozu    der  Scholiast    bemerkt:    „bei    den  Enetem    wurde   zuerst   die 
Vermischung    der   Esel   und    Pferde    erdacht"      An    einer    anderen 
Stelle    sind    es    die  Myser,    die   dem  Priamus  Maulthiere   schenken, 

^\  2^'  ^ '^^  •  Digitized  by  GoOglC 


Esel.    Maulthier.    Ziege.  109 

Schirrten  die  Maultbiere  an,  starkhufige,  kräftig  zur  Arbeit, 
Welcbe  die  Myser  dem  Greise  verehrt  als  edle  Geschenke. 
Myser  und  Paphlagonier  wohnten   nicht  weit  von  einander,    und  der 
Weg  zu  den  letzteren  geht  durch  das  Gebiet  der  ersteren.    In  einem 
Fragment    des  Anakreon    werden    die  Myser   geradezu   als  Erfinder 
der  Mauithierzncht  genannt  (fr.  34.  Bergk): 

iTinox^oQov  de  Mvani 
evQtiv  (u^iv  oviov  UQnq  Xnnovc;, 
Damit  stimmt  überein,  dass  auch  im  Alten  Testament  die  Landschaft 
Thogarma,  d.  h.  Armenien  oder  Kappadocien  die  besten  Maulesel 
lieferte  (Ezech.  27, 14);  den  Israeliten  selbst  verbot  das  Gesetz  diese 
Zucht  Auch  später  noch  hören  wir  von  kappadocischen  und  ga- 
latischen Maulthieren,  und  von  den  erstem  wird  berichtet,  sie  seien 
fruchtbar,  also  unter  besonders  gunstige  Naturverhältnisse  gestellt: 
Pseudo-Aristot.  de  mirab.  ausc.  69  (70):  h  Kajrnadoxtq:  cpaoly 
Tjfiwvnvg  elvai  yovi^iovg.  Plin.  8,  173:  Theophrastus  volgo  parere  in 
Cappadocia  tradit,  sed  esse  id  animal  ibi  sui  generis.  Plut.  de  cupi- 
ditate  divitiarum,  2:  '^fiiovoi  Falcttixai  (als  Gegenstand  des 
Loxus)'^).  Höchst  merkwürdig,  weil  den  israelitischen  religiösen 
Vorstellungen  (vielleicht  auch  denen  anderer  semitischer  und  halb- 
semitischer  Stamme?)  analog,  ist  das  alte,  in  die  mythische  Zeit 
hinaufverlegte  Verbat,  im  Lande  der  Eleer  Maultbiere  zu  erzeugen. 
Der  König  Oenomaus,  der  Sohn  des  Poseidon  und  Vater  der  Hippo- 
damda,  sollte  einen  Fluch,  xarcfpor,  über  diese  Zeugung  ausgesprochen 
haben,  und  seitdem  brachten  die  Eleer  ihre  Stuten  ausser  Landes^ 
um  sie  dort  von  Eseln  belegen  zu  lassen  (Herod.  4,  30,  Paus.  5,  5,  2); 
dass  der  Fluch  von  dem  alten  König  Oenomaus  herrührte,  setzt 
Platarch  hinzu  (Qu.  graec.  52).  Vielleicht  war  in  diesem  elischen 
Braach  nur  die  durch  Religion  festgehaltene  älteste  Zeit  aufbewahrt, 
wo  es  in  Griechenland  keine  anderen,  als  vom  Orient  eingeführte 
Maulthiere  gab  und  das  Volksgefühl  sich  gegen  solche  widernatür- 
liche Mischung  noch  sträubte.  Auch  bei  Homer  besitzt  der  Ithakesier 
Naemon  in  dem  weidereichen  Elis  zwölf  Stuten  mit  den  dazu  ge- 
hörigen MaulthierfüUen  (Od.  4,  635  flf.).  Im  Uebrigen  ist  in  der 
epischen  Welt  das  Maulthier  schon  ein  eigentliches  Arbeitsthier,  so- 
wohl bei  der  Feldbestellung,  als  im  Geschirr  vor  dem  Wagen 
[inBaieQyovg)  und  beim  Schleppen  von  Lasten,  und  es  wird  daher 
gern  als  vielduldend  und  mühselig  dargestellt  (ralaBQyoc).  Dass  es 
als  starker  dem  Esel  vorgezogen  wurde,  lehrt  der  bekannte  Vers  des. 
Iheogiiis996: 


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HO  i^seL    Maulthier.    Ziege. 


yvotrjg  X  oaoov  ovwp  ugeaoovBg  fi^iovot. 
Auffallend  aber  ist  die  abstracte  BenennaDg  f^iniovog^  Halbesel,  und 
6Q€vg^  ovQBvgy  Bergthier,  die  sich  in  dieser  doppelten  Gestalt  auch 
bei  Hesiod  findet  und  durch  das  ganze  Älterthum  fortwährt  Zur 
Erklärung  von  oiQsig  mag  H.  17,  742  dienen,  wo  das  Maulthier 
Balken  und  Schiffsbauholz  aus  den  Bergen  mühsam  hinabschleppt, 
oder  IL  23,  114  ff.,  wo  die  Männer  mit  Aexten,  Seilen  und  Maul- 
thieren  in  die  hohen  Schluchten  des  Idagebirges  hinaufziehen,  um 
Holz  für  den  Scheiterhaufen  des  Patroklos  zu  holen,  die  Last  aber 
den  Maulthieren  angebunden  wird,  die  sie  dann  in  die  Ebene 
stampfend  hinabtragen.  —  Nach  Italien  kam  der  mulus,  wie  dieser 
Name  beweist,  aus  Griechenland;*®)  das  lateinische  Wort  diente 
dann  allen  Völkern,  die  das  neue  künstlich  geschaffene  Thier  bei 
sich  aufnahmen,  zur  Bezeichnung  desselben.  Wie  noch  heute,  wur- 
den auch  zu  Yarros  Zeit  die  Fuhrwerke  auf  den  Landstrassen 
von  Maulthieren  gezogen,  die  neben  der  Kraft  und  Stärke  auch 
durch  Schönheit  dem  Auge  wohlgefällig  sein  mussten,  wie  gleich- 
falls noch  heut  zu  Tage,  2,  8,  5:  in  grege  mulorum  parando  spectanda 
aetas  et  forma^  alterum  ut  vecturis  suferre  labores  possinty  alterum  ut 
oculos  aspectu  delectare  queant^  hisce  enim  binis  conjunctis  omnia  vehd" 
cula  in  viis  ducuntur.  Auch  die  Griechen  lieben  ein  solches  LeZyot; 
OQixoVy  und  schon  Nausicaa  fahrt  in  der  mit  Maulthieren  bespannten 
ajuor^a  oder  an^vrj  zum  Meeresufer  und  von  diesem  zur  Stadt  zu- 
rück. —  Auch  die  Ziege  ist  das  Hausthier  des  mehr  gartenartigen 
Anbaues  in  südlichen  Gebirgsgegenden;  sie  nährt  sich  von  aroma- 
tischen Stauden,  die  von  selbst  an  den  heissen  Felsabhängen  spriessen; 
sie  nimmt  auch  mit  hartblättrigem  Gesträuch  vorlieb  und  giebt  eine 
fette,  ^ewürzige  Milch.  Das  dürre  Attika,  reich  an  Oel  und  Feigen, 
•ernährte  auch  zahlreiche  Ziegen;  ja  eine  der  vier  alten  attischen 
Phylen,  die  der  AiyixoQeigy  war  nach  den  Ziegen  benannt.  Auch 
wenn  die  Ziege  schon  mit  den  ersten  arischen  Völkerzügen  in  Europa 
einzog  und  also  den  Hellenen  und  Italem  nicht  erst  in  ihrer  neuen 
Heimat  bekannt  wurde,  so  fand  sie  doch  erst  hier  und  erst  mit  der 
adoptirten  semitischen  Kulturart  ihre  eigentliche  Stelle  und  nützliche 
Verwendung*^). 

Dass  auch  die  eigentliche  Bienenzucht  erst  mit  der  Banm- 
zucht  auftreten  konnte,  ist  leicht  einzusehen.  Wer  ein  Olivenreis 
pflanzte,  das  ihm  gehörte,  und  von  dem  er  erst  nach  Jahren  Früchte 
erwartete,  der  konnte  auch  innerhalb  eines  umfriedigten  Raumes 
Bienenstöcke  hinstellen,  sie  zur  Winterszeit  pflegen,  ihre  Zahl  durch 

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Bienenzucht.    Steinbaoknnst/  1 1 1 

Kolonien  des  Mutterstockes,  wie  die  der  Fruchtbäume  durch  Setz- 
linge, zu  seinem  Nutzen  vermehren  und  zu  rechter  Zeit  und  in  be- 
stimmten Fristen  in  Gestalt  von  Honig  und  Wachs  den  Lohn  für 
seine  Bemühung  einziehen.  Aristäus,  der  inventor  olei,  erfand  auch 
die  xazaaxev^  xüv  ofirjvwv^  d.  h.  die  Bienenwirthschafb,  und  als  sein 
Bnider  wird  Autuchos  genannt,  d.  h.  der  Selbstbesitzende.  Homer 
weiss  noch  nichts  von  Bienenstöcken;  wenn  das  zweite  Buch  der 
Sias  einmal  die  Achäer  sich  sammeln  lässt,  wie  die  Bienen  aus 
einer  Felsenhöhlung  ausfliegen,  so  bilden  die  letzteren  also  einen 
frei  in  der  Wildniss  lebenden  Schwärm.  Erst  eine  Stelle  der  hesio- 
dischen  Theogonie  (v.  594  fF.)?  die  eben  darum  nicht  sehr  alt  sein 
kann,  kennt  die  Ofjrjvr]  und  die  ainßXoi^  d.  h.  kunstliche  Bienen- 
körbe, und  unterscheidet  auch  die  Arbeitsbienen  von  den  Drohnen, 
welche  letztere  mit  den  Weibern  verglichen  werden!  Der  Hirte  be- 
raubte wilde  Bienenstöcke,  die  er  im  Walde  fand,  und  bereitete, 
wenn  der  Fund  reich  war,  Meth  aus  dem  Honig;  der  Ackerbauer 
Hess  sein  Mehl  zu  einer  Art  rohen  Bieres  gähren;  der  Weinbauer 
mischte  oft  den  Honig,  den  er  regelmässig  gewann,  in  seinen  Wein 
und  nannte  diesen  dann  ^ledv  oder  mulsum  und  glaubte,  der  Genuss 
davon  schaffe  ihm  langes  Leben**). 


Schon  im  Vorhergehenden  ist  hin  und  wieder  darauf  hingedeutet 
worden,  dass  mit  der  grossem  Stabilität  des  Lebens,  die  die  Garten- 
kultur mit  sich  brachte,  auch  die  Wohnungen  der  Menschen  einen 
dauernden  Charakter  gewannen.  In  der  That  ging  auch  die  Stein- 
baakunst  vom  südöstlichen  Winkel  des  mittelländischen  Meeres  aus 
und  verbreitete  sich  wie  Wein  und  Ocl  schrittweise  über  die  Küsten 
und  Halbinseln  des  südlichen  Europas  und  von  da  über  die  civilisirte 
Welt  Phönizier  hatten  in  der  Urzeit  die  Kunst  des  Mauer-  und 
Terrassenbaues  den  Griechen  gelehrt,  Griechen  brachten  sie  später 
den  Etruskern  und  Lateinern  zu,  von  Italien  kam  sie  in  einem  ganz 
joDgen  Zeitalter  zu  den  Völkern  über  den  Alpen.  Als  die  Indoeuro- 
päer  mit  ihren  Heerden  vom  Aralsee  und  kaspischen  Meer  —  deren 
damalige  Gestalt  wir  nicht  kennen  —  westwärts  zogen,  da  empfing 
sie  entweder  unabsehbare  Steppe  oder  zusammenhängender,  endloser 
Wald.  In  der  erstem,  die  zum  Umherschweifen  einlud,  fehlte  das 
Material  zu  dem  Aufbau  eines  Hauses,  und  so  lebten  Skythen  und 
Sannaten  auf  dem  Wagen  und  unter  dem  binsengeflochtenen  Korbe, 
der  diesen  überdeckte,  Hesiod.  Fragm.  189  Göttl.: 

YXaxTog)aya)v  slg  alav^  anijvaig  oixi^  ixovzuv. 

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112  Steinbaukuiist. 

Aesch.  Prom.  708: 

^xvdag  ö^  d(fi^€i  voftddaCy  ov  nXexzäg  ozeyag 

IledaQaioi  valnva  iri  evxvxkotg  oxoig. 
Diese  Wagen  waren  sehr  gross  und  wurden  nicht  bloss  von  vier 
sondern  auch  von  sechs  Rädern  getragen,  Hippocr.  de  aere  etc.  25, 
Ermer.:  „sie  heissen  Nomaden,  weil  sie  keine  Häuser  haben,  sondern 
auf  Wagen  wohnen;  von  den  Wagen  sind  die  kleinsten  vierraderig, 
die  andern  haben  sechs  Räder*'  —  so  dass  sie  Häuser  auf  Rädern, 
afia^oq^oQTjToi  olxni  bei  Pindar,  bewegliche  Häuser  genannt  werden 
konnten.  Und  wirklich  fahrt  Hippokrates  fort:  „diese  Wagen  sind 
mit  Filz  bedacht;  sie  sind  gebaut  wie  Häuser,  üoneQ  oixijfjaxcf^ 
die  einen  zweifach,  die  andern  dreifach;  sie  schützen  wider  Regen, 
Schnee  und  Wind  und  werden  von  Ochsen  gezogen,  bald  von 
zweien,  bald  von  dreien"  u.  s.  w. ;  auf  den  Wagen  leben  die  Weiber 
und  Kinder,  die  Männer  reiten.  Die  nördlich  an  die  Sarmaten 
stossenden  Slaven  hatten  viel  von  den  Sitten  der  erstem  angenom- 
men, aber  ein  Reiter-  und  Wagenvolk  waren  sie  nicht;  sie  schweif- 
ten als  Räuber  durch  die  Wälder,  aber  sie  bauten  Häuser,  Tac. 
Germ.  46  (die  erste  genauere  Erwähnung  der  Slaven  und  ihr  Eintritt 
in  die  Geschichte,  nachdem  Plinius  bloss  ihren  Namen  genannt). 
Veneti  multum  ex  maribm  {Sarmatarum)  ti^cuicerunt.  Nam  quicquid 
inter  Peucinos  Fennosque  süvarum  ac  montium  eingitur^  latrociniis 
peretrant  Ili  tarnen  inter  Get^manos  potius  referunta^  quia  et  domos 
figunt  et  scuta  yestant  Wie  dies  älteste  slavisch-deutsch-keltische 
Haus  aussah,  lehreu  uns  noch  heut  zu  Tage  die  Wohnungen  der  an 
den  Grenzen  von  Europa  und  Asien  umherschweifenden  Völker, 
z.  B.  der  Turkmenen  (abgebildet  bei  Vdmb^ry,  Reise  in  Mittelasien, 
deutsche  Ausgabe,  zu  S.  253):  das  Gestell  wird  aus  Stangen  ge- 
macht und  ebenso  das  Dach ;  beides  zusammen  bildet  einen  oben  ab- 
gerundeten Cylinder;  das  Ganze  wird  mit  Filzdecken  belegt,  auch 
vorn  die  rechtwinkelige  Thüroflfoung  durch  eine  Filzdecke  verhängt. 
In  seiner  spätem,  wohl  schon  vervollkommneten  Gestalt  zeigen  es 
uns  die  Darstellungen  der  Antoninsäule  und  die  gelegentlichen  Nach- 
richten der  Griechen  und  Römer,  denen  die  Zeugnisse  des  frühem 
Mittelalters  nicht  widersprechen.  Auf  der  ersten  bestehen  die  Yer- 
theidigungswerke  der  Marcomannen  undQuaden,  die  Marcus  Aurelius 
stürmt,  deutlich  aus  Flechtwerk,  das  ins  Kreuz  mit  gedrehten  Seilen 
umschnürt  ist;  die  Wohnungen  bilden  Cyhnder  mit  rundgewölbtem 
Dach,  ohne  Fenster,  mit  rectangulärer  Thür:  sie  scheinen  mit  Binsen 
oder  Ruthen  durchflochten    und  sind  mit  Schnüren  umwunden.     Die 

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Steinbaohmsi  113 

Häaser  der  Kelten  beschreibt  Strabo  4, 4,  3  als  ^olosideigj  cylinder- 
formig,  und  aas  Brettern  und  Rathengeflecht,  ix  aavidcjv  xal  yiQQcov^ 
bestehend,  und  ähnlich  wohnen  noch  zu  JordanisZeit  die  entfernten 
Ealedonier  und  Mäoten,  als  die  Stammgenossen  auf  dem  Festland 
sich  schon  längst  römisch  eingerichtet  hatten,  Jord.  2:  virgeas  hahent 
casas^  communia  tecta  cum  pecare,  süvaeqtie  illü  aaepe  sunt  domus. 
Auch  die  Slaren  erscheinen  bei  Procop  in  solchen  geflochtenen 
Hütten^  die  sie  in  unstätem  Wechsel  leicht  verlassen  und  am  andern 
Orte  wieder  aufstellen,  de  bell.  goth.  3,  14:  olxovai  de  iv  xaXvßatg 
oixiQaig  duaxi^vTjiLiivoi  nolX(p  fiiv  an  aXXrjlcjv  •  a/aelßovteg  öi  wg 
xa  noXla  rny  rrjg  ivoixi^aecjg  ^xaatoi  x^C^^i  j^  g^^z  spät,  als  Hel- 
mold  schrieb,  war  es  noch  nicht  anders,  2,  13:  nee  in  constmendis 
aed^ums  operosi  sunt  (Sclavi)^  quin  potius  casas  de  virgultis  contexunt^ 
necessitati  tantum  constdentea  adversus  tempestates  et  pluvias . . .  nee 
qmcquam  hostili  patet  direptioni  nisi  tuguria  tantum^  quorum  amis- 
nonem  facüUmam  judicant  Die  Sueven,  sagt  Strabo,  und  die 
übrigen  dortigen  Stämme  wohnen  in  Hütten,  deren  Einrichtung  nur 
auf  einen  Tag  berechnet  ist,  7,  1,  3:  xoivov  d'  ioTiv  anaai  %öig 
%av%7j  ro . . . .  h  xaXvßioic  olxeiVy  icpjjfiieQOv  ex^vat  noQaaxevijv. 
Nicht  anders  schildert  uns  Seneca  die  Häuser  und  die  Lebensart 
der  Germanen  und  der  Völker  an  der  Donau,  de  provid.  4,  4:  omnes 
conaidera  gentes^  in  quibus  Romana  pax  desinit:  Germanos  dico  et 
quidquid  circa  Histrvm  vagarum  gentium  occursat  Perpetua  illoa 
kiems^  triste  coelum  premit^  maligne  solvm  sterile  sustentat,  imbrem 
culmo  aut  fronde  defendunt^  super  durata  glacie  stagna  persultani^  in 
alimentum  feras  captant.  —  Nullae  Ulis  domicilia  nvllaeque  sedes  sunt, 
nisi  quas  lassitudo  in  diem  posuit  Die  Germanen  kannten,  wie  nach- 
her Tacitus  berichtet,  den  Gebrauch  von  Mörtel  und  Ziegeln  nicht, 
Genn.  16:  ne  caementorum  quidem  apud  illos  aut  tegularum  usus: 
materia  ad  omnia  utuntur  informi  (Baumstämme,  geflochtene  Weiden, 
Schilf)  et  dtra  speciem  aut  delectationem.  Ungefähr  dasselbe  melden 
Herodian  7,  2,  der  .von  den  Buden  der  Germanen  den  sprechenden 
Ausdruck  oxTjvonoieiaSai  braucht,  und  Ammianus  Marc,  wenn  er 
18,  2,  5  die  Wohnungen  der  Germanen  poetisirend  als  saepimenta 
fragiUum  penaMmn  bezeichnet.  Auf  einem  Fundament  ruhten  diese 
Hatten  nicht,  denn  ein  Dieb  konnte  Nachts  in  sie  eindringen,  in- 
dem er  sich  unter  der  Erde  durchgrub,  1.  Saxon.  4,  4:  qui  noctu 
donntm  alterius  effodiens  vel  effringens  intraverit ....  capite  puniatur. 
üeber  den  Umfassungswänden  lag  das  Dach,  ohne  innere  Theilung 
des  Baumes,    denn   das   alemannische   Gesetz   bestinmite,    ein   Neu- 

Tiet  H«]iD,  KoltnrpflanMo.  S 

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X 14  Steinbaukunst. 

geborenes  habe  gelebt,  wenn  es  die  Augen  geöffnet  und  das  Dach 
und  die  vier  Wände  erblickt  habe,  1.  Alam.  92:  ut  possit  aperire 
octdos  et  videre  cvhnen  domus  et  quatuor  parietes  (das  Haus  war  also 
nicht  rund,  sondern  schon  viereckig,  gleich  den  Wohnungen  der 
Dacier  auf  der  Trajanssäule,  die  auch  über  der  Thür  schon  ein 
Fenster  zeigen).  Wie  leicht  das  Ganze  gezimmert  war,  ersehen  wir 
besonders  aus  dem  Titel  10  der  lex  Bajuv.,  obgleich  doch  der  Ein- 
fluss  aus  Süden  damals  schon  gewirkt  hatte:  dort  wird  z.  B.  mit 
Strafe  bedroht,  wer  ein  fremdes  Haus  auseinanderwirft — welches 
letztere  folglich  von  lockerem  Bestände  war.  Dass  solchen  Häusern 
ewig  die  Gefahr  drohte,  in  Feuer  aufzugehen,  war  natürlich:  der 
Feind  warf  den  Brand  in  das  Schilfdach,  wie  wir  Marc  Aurel  auf 
seiner  Säule  wiederholt  thun  sehen,  der  Räuber  legte  heimlich 
Feuer  an  das  Zimmerwerk,  eine  zufeUig  ausgebrochene  Flamme  ver- 
zehrte rasch  die  Stämme  der  Wände  und  das  trockene  Geflecht, 
mit  dem  sie  verbunden  waren.  Schon  das  in  der  Mitte  des  Hauses 
auf  dem  Boden  brennende  Heerdfeuer,  das  seinen  Bauch  zum  Dach 
hinaussandte  und  das  Holzwerk  ausdörrte,  so  wie  die  bei  allen  Nord- 
völkern herrschende  Sitte,  die  langen  Winterabende  mit  dem  bren- 
nenden, in  einen  Spalt  gesteckten  Span  zu  erhellen,  musste  dem 
Hause  oft  Verderben  bringen.  Nicht  selten  mochten  dann  auch  die 
auf  dem  Boden  schlafenden  Hausgenossen  in  Rauch  und  Flammen 
ihren  Untergang  finden;  aber,  wenn  sie  sich  retteten,  stand  ein  neues 
Haus  bald  wieder  da,  das  nicht  wie  das  alte,  den  Regen  durch- 
liess  und  von  Rauch  über  und  über  geschwärzt  war,  und  mit 
dem  alten  war  glücklicher  Weise  auch  alles  Ungeziefer,  von  dem  es 
bevölkert  gewesen  war,  mitverbrannt.  —  Die  Vordersten  des  grossen 
indoeuropäischen  Zuges,  die  Kelten,  waren  auf  ihrer  Wanderung 
nach  Westen  auf  das  Volk  der  Iberer  gestossen,  die,  wenn  die  Ver- 
muthung  nicht  trügt,  ihrerseits  das  äusserste  Glied  einer  grossen 
Völkerreihe  bildeten,  welche  vom  Nilthal  die  Nordküste  Afrikas 
entlang  durch  das  heutige  Spanien  bis  an  den  Kanal  und  den  at- 
lantischen Ocean  reichte.  Gehörte  dieser  Race  der  Drang  nach  Auf- 
richtung jener  Steindenkmale  an,  die  wir  unter  verschiedenen  Formen 
und  Namen  in  Algier  wie  auf  Sardinien,  im  westlichen  Frankreich 
wie  auf  den  britischen  Inseln  verbreitet  finden  (Nuragen,  Dolmen, 
Cromlech  u.  s.  w.),  und  hatten  dio  Kelten  diese  Sitte,  wenn  sie  sie 
später  auch  übten,  nur  von  diesen  ihren  Vorgängern  geerbt?  War 
es  derselbe,  nur  hier  im  Nordwesten  in  den  rohesten  Anfangen  ver- 
bliebene Zug,    der  in  der  Errichtung  der  Tempel  Aegyptens  waltete 

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Steinbaukanst.  115 

und  fiast  bis  an  die  Grenze  des  Schönen  und  wirklicher  Kunst  sich 
erhob?  —  Zufolge  ihrer  geographischen  Stellang  traten  die  Kelten 
früher  mit  phönizischer,  griechischer  und  römischer  Kultur  in  Be- 
ziehuDg  und  lernten  eine  steinerne  Grundlage  in  die  Erde  senken, 
den  Stein  fügen,  schneiden,  mit  Mörtel  verbinden  und  sich  dadurch 
daaemd  auf  der  heimischen  Scholle  niederlassen.  Viel  später  lernten 
es  die  Germanen,  die  Slaven  des  Ostens  haben  es  grossentheils  noch 
heute  nicht  gelernt.  Der  blosse  Ackerbau  begnügte  sich  wohl  noch 
mit  hölzernen  Häusern,  mit  geflochtenen  Speichein  (lit.  kletis^  altsl. 
HÄ/,  Nebengebäude,  Vorrathskammer;  goth.  hleithra^  Zelt,  Laube; 
im  altkeltischen  clStd^  irischen  cliath^  kymbrischen  clutt^  noch  in  der 
Bedeutung  Flechtwerk,  Hürde,  mittell.  cfeto,  franz.  claie,  proven9alisch 
deda  u.  s.  w.)  und  blossen  Hürden  für  Pferde  und  Vieh;  erst  als  der 
Wemstock  kam,  kam  auch  die  Mauer  (auch  altirisch  mür),  die  ihn 
amschloss,  die  steingewölbte  Strasse,  «Tta  stratOy  die  an  ihm  vorbei- 
führte  und  die  steinernen  Weiler,  viUas^  die  Märkte,  mercatusy 
die  Brunnen  (lat.  putetcs^  ahd.  puzza^  mhd.  bütze^  nhd.  mit  etwas 
veränderter  Bedeutung  Pfütze),  die  Klöster,  die  Dome  und  bald 
auch  die  Städte  mit  einander  verband.  Könnten  wir  daran  zweifeln, 
dass  die  eigentliche  Baukunst  vom  Mittelmeer  stammt,  und  dass  sie 
vom  Süden  nach  Norden  und  vom  Westen  nach  Osten  langsam  vor- 
drang, die  Geschichte  der  gebräuchlichsten  Wörter  würde  es  uns  be- 
weisen. Das  griechische  X^^^^  wurde  von  den  Römern  als  caLc  ent- 
lehnt, aus  dem  römischen  caLc  entstand  imserKalk;  die  französische 
nnd  deutsche  Chaussee  ist  die  römische  via  calcata,  die  Kalksti*asse. 
Unser  Ziegel  und  Tiegel  ist  das  entlehnte  lateinische  tegula^  unser 
Mörtel  das  lat.  mortarium^  unser  Thurm  das  germanisirte  turris^ 
das  goth.  kdHeriy  der  Thurm,  stammt  aus  dem  Altgallischen  (celicnon 
in  einer  Inschrift,  s.  de  BeUoguet,  etbnog^nie  gauloise,  1,  p.  202  und 
Kuhn  und  Schleicher,  Beiträge,  2, 108),  das  mhd.  phüel^  phiesely  heiz- 
bares Frauengemach,  ist  das  mittell.  pisalis,  pisale^  unser  Fenster 
nnd  Söller  das  lat.  fenestra  und  solarvu/m,  unser  Pforte,  Pfosten, 
Pfeiler  die  lateinischen  portüy  postis^  pilarium^  die  ahd.  cheminatay 
mhd.  kemenäte  die  lateinische  caminata  u.  s.  w.  Woher  die  Stube, 
ursprünglich  ein  heizbares,  feuerfestes  Gemach,  besonders  zum  Bade 
emgerichtet,  eigentlich  stammt,  ist  dunkel:  ital.  stufcL^  schon  in  der 
lex  Alam.  82,  2  stuffa^  stuba,  altslavisch  isfi/ba^  izba^  jetzt  in  allen 
slavischen  Sprachen  für  Bauerhaus,  tugurium^  gebräuchlich* ').  Als 
die  Slaven  in  die  Oder-  und  Donaugegenden  einwanderten,  können 
sie  keinerlei  Mauerwerk   gekannt  oder  betrieben   haben,    denn  ihre 

s* 

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1  ]  g  Steinbankanst. 

Ausdrücke  dafür  stammen  theils  ausByzanz,  theils  aus  Deutschland, 
einige  auch  aus  dem  Bereich  türkischer  Sprachen.  Für  Ealk  gilt 
altsl.  und  serbisch  klak  aus  dem  Deutschen,  altsl.  und  russisch  izvüü 
aus  dem  byzantinischen  aaßearog.  Für  Ziegel  sagen  Polen  und 
Böhmen  mit  dem  germanischen  Wort:  cegioy  cihla^  während  das  altsl. 
plinüta^  plitcLf  russ.  plita^  poln.  plyta,  lit.  plyta  aus  dem  byzantinischen 
nliv&ogy  örhniga  aus  za  xeqa^ia  gebildet  ist  Der  Ursprung  des 
altsl.  kamara  oder  kamara^  des  altsl.  kamina^  des  russischen  und 
pohlischen  komnataj  Zimmer,  liegt  auf  der  Hand.  Das  griechische 
xakvßrj  wurde  zu  einem  gemeinslavischen  Wort,  altsl.  koliba,  koUbüy 
lit.  kalüpaj  das  griech.  zeQe^yov  zu  trhiü^  Thurm,  Schloss,  das 
deutsche  Mauer  zum  polnischen  mur^  kroatischen  und  serbischen 
Twtr,  drang  aber  nicht  bis  zu  den  Russen  tief  im  Osten.  —  Das 
böhmische  Prag  an  der  Moldau  ist  eine  hochgethürmte  Stadt,  denn 
es  liegt  dem  europäischen  Westen  nahe  und  ist  mit  dessen  Hülfe 
gebaut;  das  russische  Moskau  war  bis  1812  und  ist  zum  grossen 
Theil  noch  jetzt  ein  hölzernes  Lager,  ähnlich  der  Beduinennieder- 
lassung, von  der  Herodot  berichtet,  und  wenn  das  russische  Volk 
seinem  Czarensitz  der  wenigen  Steinbauten  wegen,  die  sich  drin 
fanden  und  die  von  herbeigerufenen  Italienern  errichtet  waren,  in 
seinen  Liedern  den  stehenden  Beinamen  die  weisssteinige,  beloka- 
mennajay  gab  und  giebt,  so  beweist  dies  nur,  wie  es  solche  Wunder 
sonst  im  Reiche  seiner  Erfahnmg  nicht  fand.  Der  romanisch- 
germanische Westen,  nachdem  er  sich  einmal  der  südlichen  Bau- 
weise bemächtigt,  trieb  im  Mittelalter  seine  Thürme  und  Kreuz- 
gewölbe sehnsuchtsvoll  gen  Himmel,  fast  bis  zur  Höhe  der  ägyp- 
tischen Pyramiden  —  ein  dennoch  barbarischer,  krankhafter  Drang, 
von  dem  sich  das  massvoUe  Gemüth  des  Griechen  frei  gehalten 
hatte.  Auch  die  Städtearchitektur  des  Mittelmeers,  horizontal,  in 
Würfeln  und  Terrassen  den  mit  der  Burg  gekrönten  Hügel  von  allen 
Seiten  ersteigend  oder  amphitheatralisch  gegen  die  Meeresbucht  ge- 
öfihet,  reicht  nicht  weiter  als  etwa  der  Bezirk  der  Olive;  von  da 
nach  Norden  beginnt  die  von  mystisch  sinnenden  Meistern  der  Bau- 
zunft errichtete,  gothische,  in  spitzen  Giebeln  aufwärts  gedrängte 
mitteleuropäische  Stadt  Wie  hoch  die  babylonisch -assyrischen 
Terrassenbauten  aus  Luftziegeln  sich  erhoben,  wissen  wir  nicht  gewiss; 
was  die  Erde  jetzt  trägt,  steigt  etwa  so  weit  empor,  wie  auch  die 
höchsten  Bäume,  die  Sequoja  von  Kalifornien  und  die  Eucalyptus 
von  Australien,  —  4  bis  500  Fuss  — ,  so  weit  ist  für  Menschenkunst 
und   für   das   organische  Leben    das  Streben    aufwärts   von   diesem 

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Das  Bier.  117 

Planeten  möglich.  Wie  einst  der  hamitisch -semitische  Stein  das 
Unnaterial,  das  Holz,  Terdrangt  hatte,  so  ist  mit  der  neuesten 
technisch-mechanischen  Civilisation  das  Glas  und  das  Eisen  als 
Baustoff  aufgetreten,  das  Glas,  ein  fast  unkörperliches  Ding,  das 
Eisen,  spät  gefunden  und  nur  zu  Werkzeugen  erschaffen,  —  eine 
dämonische  Zauberkunst,  die  den  Alten  so  unbegreiflich  geschienen 
hätte,  wie  Gebäude  aus  Wolkendunst,  oder  als  eine  Sinnestäuschung, 
wie  die  Perlenbrucke  der  Iris. 


Als  das  römische  Weltreich  fertig  war,  fielen  seine  Grenzen  un- 
ge&hr  mit  denen  des  Weines  und  Oeles  zusanmien;  wo  es  nach 
Süden  dem  Weinstock  zu  heiss  oder  nach  Norden  zu  kalt  war  oder 
wo  das  Olivenöl  nicht  mehr  zur  täglichen  Nothdurft  gehörte,  da 
herrschte  auch  der  Römer  nicht  oder  nur  vorübergehend  und  da 
endete  der  Boden  der  antiken  Welt.  Auch  das  heutige  Europa  lässt 
sich  passend  in  das  Wein-  und  Oelland  und  das  Bier-  und 
Bntterland  theilen;  das  Gebiet  des  erstem  deckt  sich  etwa  mit 
dem  der  Senkung  zum  mittelländischen  Meere,  der  Bezirk  des 
letzteren  etwa  mit  dem  der  Abdachung  zur  Nord-  und  Ostsee.  In 
ältester  Zeit  war  dies  Verhältniss  ein  anderes.  Sammelt  man  die 
in  den  Schriften  der  Griechen  und  Römer  zerstreuten  auf  die  Ge- 
schichte des  Bieres  und  der  Butter  bezüglichen  Stellen,  so  erstaunt 
man,  vrie  ausgedehnt  einst  das  Reich  beider  jetzt  für  nordisch  ge- 
haltenen Genussmittel  gewesen  ist  und  wie  ganze  Länder  und  Völker 
von  ihm  abgefallen  sind.  Bacchus  Gbbe  verdrängte  das  alteinheimische 
aus  Körnerfrüchten  gekochte  tmbe  Getränk  und  Minervens  Geschenk 
trat  an  die  Stelle  des  Fettes,  das  der  Hirte  aus  der  Milch  der 
Schafe,  Rinder  und  Pferde  abgeschieden  hatte.  Es  war  wie  der 
Sieg  einer  aus  der  Fremde  gekommenen  neuen  Religion  imd  Sitte 
über  barbarische  Gewohnheiten,  für  welche  letztere  der  Geschmack 
nur  sehr  allmäblig,  erst  bei  den  Stammeshäuptem  und  Edlen,  zuletzt 
auch  bei  der  Menge  und  dem  Volke  verloren  ging.  —  Dass  bei  den 
Aegyptem  —  diesem  uralten,  vorsemitischen  Volk,  das  vielleicht 
schon  vor  der  Zeit,  wo  indoeuropäische  Schwärme  sich  über  Europa 
ergossen,  eine  eigenthümliche  Civilisation  entwickelt  hatte  —  ein 
Trank  aus  Gerste  im  Gebrauch  war,  berichtet  schon  Hecatäus,  Athen. 
10,  p.  447  und  10,  p.  418  =  Müll.  Fragm.  290:  tag  xQi»ag  tig  xo 
niaiia  xazaXiovaiVy  und  nach  ihm  Herodot2, 77:  oiv(p  d'  ex  xQi&iwv 

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118  Das  Bier. 

nenoiri^ivii)  öiaxQ^toviai*  ov  yaQ  acpi  eiaiv  iv  rrj  x^Qf]  of^Tisloi. 
Bei  Aeschylus  ruft  der  König  von  Argos  den  aus  Aegypten  ge- 
kommenen Danaiden  zu,  hier  würden  sie  eine  männliche  Bevölkerung 
finden,  nicht  Trinker  von  Gerstenwein,  Suppl.  953: 

dm  cLQoevdg  toi  z'^gde  yrjg  oixi^TOQag 
svqtJobt    oh  nivovzag  ix  XQiduiv  ^i^v. 

Der  Gott  Osiris  selbst  hatte  da,  wo  die  Landesnatur  der  Erzeugung 
des  Weins  sich  widersetzte,  zum  Ersatz  die  Bereitung  eines  Ge- 
tränkes aus  Gerste  gelehrt,  welches  an  Wohlgeschmack  und  Kraft 
sich  fast  mit  dem  Weine  messen  konnte  (Diod.  1,  20).  Die  Aegypter, 
sagt  der  Akademiker  Dio  bei  Athen.  1,  p.  34,  die  ein  sehr  zum 
Trinken  geneigtes  Volk  sind,  haben  für  diejenigen,  die  zu  arm  sind, 
sich  Wein  zu  schaffen,  ein  Surrogat  erfunden,  nämlich  den  Wein 
aus  Gerste:  wenn  sie  diesen  zu  sich  nehmen,  sind  sie  lustig  und 
singen  und  tanzen,  kurz  benehmen  sich,  als  wären  sie  süssen  Weines 
voll.  Auch  in  dem  erst  seit  der  macedonisch-griechischen  Zeit  be- 
stehenden und  von  sehr  gemischter  Bevölkerung  bewohnten  Alexan- 
drien  genoss  die  Menge  zu  Strabos  Zeit  meist  jenes  altägyptische 
Getränk  (Strab.  17,  1,  14).  Den  Namen  desselben  meldet  zuerst  Theo- 
phrast,  de  caus.  pl.  6,  11,  2:  olov  wg  ol  tovg  o}!vovg  noiovvreg  ix 
Twv  xQi&wv  xai  Tiuv  nvQwv  xal  t6  iv  uiiyvm(i)  xalovfievov  Cvdog^ 
und  unter  diesem  Namen  ^vS-og  (auch  l^vdog  geschrieben,  bald  als 
Masculinum,  bald  als  Neutrum,  lat.  zythum)  wird  das  Getränk  seit- 
dem öfters  von  griechischen  und  lateinischen  Schriftstellern  erwähnt 
Das  Wort  wäre  wohl  aus  griechischem  Sprachmaterial  zu  deuten, 
wenn  es  nicht  ausdrücklich  als  ägyptisch  bezeichnet  würde,  z.  B.  von 
Diodor  1,34:  „die  Aegypter  bereiten  auch  aus  Gerste  ein  Getränk, 
welches  sie  t,vdog  nennen"  (o  xaXovat  ^v^og),  (S.  Jablonskii 
Opera  ed.  Te  Water  1,  p.  76 — 79.)  Begreiflich  ist,  dass  auch  die 
Aegypter  den  schleimigen,  süsslichen  Trank  durch  beissende  Zu- 
thaten  geniessbarer  zu  machen  suchten,  wie  denn  auch  bezeugt  wird, 
Colum.  10,  114: 

Jam  siser  Assyrioque  venu  quae  semine  radix 
Sectaque  praebetur  madido  sociata  lupino 
üt  Pelusiaci  proritet  pocula  zythu 

Selbst  von  den  oberhalb  Aegypten  wohnenden  Aethiopen  berichtet 
Strabo  17,  2,  2,  sie  lebten  von  Hirse  und  Gerste  und  bereiteten  sich 
aus  dieser  Feldfrucht/  ein  Getränke.    Noch  jetzt  fanden  die  von  ver- 

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Das  Bier.  119 

sdüedeDen  Aosgangsponkten  zu  den  Nilquellen  vordringenden  eng- 
lischen Eteisenden  bei  den  Halbnegerstämmen  jener  Gegend  ein 
rohes,  berauschendes  Bier  im  Gebrauch,  das  aus  E&rbisschalen  ge- 
tnmken  wurde.  Ueber  die  Biere  und  Biemamen  der  frühem  und 
der  spätem  Araber  in  Aegypten  s.  die  Abhandlung  von  S.  de  Sacy  in 
seiner  Chrestomathie  arabe  U,  437  flF.;  einer  der  letzteren  fokka  ging 
als  qfovxag  zu  den  Byzantinern  über,  s.  Ducange  s.  v.  und  die  da- 
selbst angeführten  Stellen  des  Simeon  Seth  und  des  Matthaeus  Sil- 
Taticus.  —  Wie  in  Afrika  ist  auch  in  Spanien  bei  vor-indoeuro- 
päischen,  mit  den  Libyern  Afrikas  genealogisch  oder  culturhistorisch 
sich  berührenden  iberischen  Stämmen  das  Bier  seit  alter  Zeit 
üblich.  Spanien  gilt  bei  Plinius  als  ein  vorzügliches  Bierland,  wo 
man  das  Produkt  lange  aufzubewahren  —  was  in  warmem  Klima 
doppelt  schwierig  ist,  —  ja  wohl  gar  durch  Alter  zu  veredeln  ver- 
stand, 14,  149:  Hispaniae  jam  et  vetustatem  ferre  ea  gener a  docuerunL 
In  den  von  Strabo  geschilderten  Sitten  der  entfernter  nach  den 
Kosten  des  Oceans  zu  wohnenden  iberischen  Stämme  findet  sich  so 
viel  Fremdartiges,  Wildes  und  Isolirtes,  dass,  wenn  derselbe  Schrift- 
steller von  den  Lusitanem  berichtet,  sie  bedienten  sich  des  fv^og 
(3,  3,  7:  xQwvtat  de  xal  ^v^€i)^  wir  diesen  Gebrauch  nicht  von  kel- 
tischem Einfluss  ableiten,  sondern  für  altlusitanisch  halten  werden. 
Der  Wein  aber,  fügt  Strabo  hinzu,  ist  bei  ihnen  selten  (otvtp  di 
anavi^ovrat)  —  der  also  damals  schon  in  das  Land  des  Portweins 
vorzudringen  begann  und  jetzt  auf  der  Halbinsel  die  Alleinherrschaft 
behauptet.  Einen  characteristischen  Zug  der  Anhänglichkeit  an  das 
nationale  Getränk  berichtet  Polybius  (bei  Athen.  1,  p.  16)  von  einem 
halbgräcisirten  und  also  halbcivilisirten  iberischen  Könige:  er  ahmte 
im  üebrigen  in  seinem  Palaste  den  des  Königs  der  Phäaken  bei 
Homer  nach  —  schon  dies  war  barbarisch,  —  Hess  aber  eine  Aus- 
nahme zu:  in  der  Mitte  des  Gebäudes  standen  silberne  und  goldene 
Gefösse,  gefüllt  mit  —  Gerstensaft.  Einen  ähnlichen  Eindruck 
macht  es,  wenn  wir  von  den  heldenmüthigen  Numantinem  lesen,  dass 
sie  aufs  Aeusserste  gebracht,  im  Begriff  einen  Ausfall  auf  Tod  und 
Leben  zu  machen,  sich  vorher  bei  einem  Schmause  mit  halbrohem 
Fleische  füllen  —  also  wie  heutige  Engländer  —  und  mit  der  indigena 
Ar  frumento  potio  oder  dem  succus  triticus  per  artem  confectus  be- 
geistern (Flor.  Epit.  1,34  =  2,18;  ausführlicher  Paul.  Gros.  5,  7). 
Den  Namen  dieses  spanischen  Getränkes  erfahren  wir  zuerst  durch 
Plinius  22, 164:  e^  iüdem  (frugibus)  ßunt  et  potm^  zythum  inAegypto-^ 
caelia  et  cerea  in  Hispania,  —  Auch  dieLigurer,  wohl  ein  Seiten- 


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120  I^as  Bier. 

zweig  der  Iberer  oder  ihr  äusserster  Vortrapp  nach  Osten,  nähren 
sich  bei  Strabo  4,  6,  2,  vom  Ertrage  der  Heerden  und  trinken  Gersten- 
wein. —  Eine  andere  Reihe  ursprünglich  biertrinkender  Völker  im 
Südosten  gehört  schon  in  die  grosse  Grappe  der  Indoeoropäer. 
Phryger  und  Thraker,  auch  sonst  unter  einander  nahe  verwandt, 
erscheinen  schon  bei  Archilochus,  also  nach  dem  Jahr  700  vor  Chr., 
als  ßQVTov  trinkend,  Athen.  10  p.  447  =  Fragrn.  32  Brgk.: 

äanBQ  TtaQ   avXtp  ßQvxov  rj  Gq^^  avqQ 

Dasselbe  Wort  ßgvrnv  brauchten  auch  Aeschylus  in  seinem  Lykur- 
gos  (Nauck,  Fragm.  trag,  graec.  p.  29)  und  Sophokles  in  seinem 
Triptolemos  (Nauck  1.  1.  p.  211).  Hecatäus  berichtete,  die  Päoner, 
ein  Volk  in  Thrakien,  tränken  ßqvzov  aus  Gerste  und  naqaßiri  aas 
Hirse  und  dem  beigemengten  Würzkraut  xovv^t]  (Athen.  10.  p.  447  = 
Müll.  fr.  123),  und  der  etwas  spätere  Hellanicus  hatte  in  seinen 
KTiaeig  die  Notiz  gegeben,  ßqikov  werde  auch  aus  Wurzeln  be- 
reitet, wie  bei  den  Thrakern  aus  Gerste  (Athen.  1, 1.).  An  die 
Phryger  schliessen  sich  als  nächstes  Glied  nach  Osten  die  Armenier, 
und  von  dem  Gebrauch  des  oivoq  xgc^ivog  auch  bei  diesen  berichtet 
Xenophon,  also  ein  Augenzeuge,  ausführlich  in  der  Anabasis  4,  5,  26  £. 
Die  Zehntausend  waren  vom  karduchischen  Gebirge  gekommen  und 
rasteten  in  armenischen  Dörfern,  auf  dem  Wege  zu  den  Chalybern. 
Ausser  anderen  Vorräthen  fanden  sie  hier  Kübel,  xgcn^geg^  mit 
Gerstenwein:  die  Gerste  lag  noch  darin,  bis  an  den  Rand  des  Ge- 
fasses  (^ivfjaav  de  xal  aircai  ai  xQi&ai  iaoxsilslgy^  zum  Trinken 
dienten  grössere  und  kleinere  Rohrhalme,  durch  die  der  Trinker  den 
Saft  in  den  Mund  sog;  das  Getränk  war  stark  und  berauschend 
(jiCLvv  axgaTog)^  wenn  man  nicht  Wasser  zugoss,  im  Uebrigen  aber 
für  den,  der  sich  daran  gewöhnt  hatte  (avfi/da^dvri)^  sehr  lieblich 
(jxaXa  ijdv).  Wie  die  Eingeborenen  —  die  der  Heimat  des  Weines 
so  nahe*  wohnten  —  diesen  ihren  Trank  benannten,  sagt  Xenophon 
leider  nicht:  dass  man  aber  den  Biergenuss  lernen  muss,  avftfÄa&elVy 
kann  man  noch  heut  zu  Tage  an  Südländern  beobachten,  denen 
Anfangs  der  braune  Trank  widersteht,  die  aber  nach  einiger  Ge- 
wöhnung oft  leidenschaftliche  Freunde  desselben  werden*  *). — Westlich 
und  nördlich  von  den  Thrakern,  bei  den  ihnen  cultur-  und  stanmi- 
ver wandten  Dlyriem  und  Pannoniem,  finden  wir  das  Bier  unter  dem 
Namen  sabaja^  sabajum^  aber,  da  unsere  Nachrichten  darüber  aus 
später  Zeit  stammen,  nur  noch  als  schlechtes  Volksgetränk,  während 

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Das  Bier.  121 

bei  den  Vornehmen,  die  schon  lateinisch  und  griechisch  sprachen, 
ohne  Zweifel  längst  der  Wein  an  die  Stelle  getreten  war:  Anim. 
Marcell.  26,  8,  2  (der  Kaiser  Valens  belagert  Chalcedon;  von  den 
Mauern  rofen  ihm  die  Belagerten  Sehimpfreden  entgegen  und  nennen 
ihn  eben  Sabaiarius;  der  Autor  föhrt  zur  Erklärung  dieses  Wortes 
fort):  e9t  autem  sahaia  ex  ordeo  vel  frumento  in  liquorem  conversü 
paupertmus  in  Mlyrico  potus,  Aehnlich  der  aus  eben  jener  Gegend 
gebürtige  h.  Hieronymus,  Comment  7.  in  Isaiae  cap.  19:  quod  genus 
itt  poHonis  ea  frugUbvÄ  aquaque  confectum  et  vulgo  in  Dcdmatiae 
Pannoniaeque  provinciis  gentUi  barbaroque  sermane  appellatur  sahajum. 
Die  Pannonier  schildert  auch  Cassius  Dio,  49,  36,  der  sie  kennen 
mosste.  da  er  selbst  als  Legat  Dalmatien  und  dann  Oberpannonien 
verwaltet  hatte,  als  ein  armseliges  nordisches  Volk  in  winterlichem 
Klima«  das  weder  Oel  noch  Wein  erzeugt  und  seine  Gerste  und 
seinen  Hirse  nicht  bloss  isst,  sondern  auch  trinkt.  Mehr  als 
zwei  Jahrhunderte  später  erhalten  wir  durch  den  merkw&rdigen  Be- 
richt des  Priscus,  der  im  Jahr  448  nach  Chr.  mit  der  griechischen 
Gesandtschaft  auf  dem  Wege  zum  Hunnenkönig  Attila  die  panno- 
nischen  Ebenen  durchstrich,  ein  anschauliches  Bild  des  Landes,  der 
Sitten,  des  Völkergemisches  u.  s.  w.  Statt  Weizens  erhielt  die  Ge- 
sandtschaft überall  Hirse,  statt  des  Weines  den  von  den  Eingeborenen 
80  genannten  Meth;  auf  den  Antheil  der  Dienerschaft  und  des  Ge- 
folges aber  fiel  gleichfalls  Hirse  und  ein  aus  Gerste  bereitetes  Ge- 
tränk, von  den  Barbaren  xafiov  genannt  (Müller  Fragm.  IV.  p.  83). 
Welche  Barbaren  ihr  Bier  camum  nennen,  wird  uns  nicht  gesagt; 
gewiss  aber  waren  es  nicht  die  Hunnen,  denn  das  Wort  ist  älter, 
als  die  Ankunft  dieser  Horde  in  Europa.  Bei  Ulpian  Dig.  33,  6,  9 
(also  am  AnfEing  des  3.  Jahrh.)  soll  bei  Vermächtnissen  das  camum 
nicht  als  Wein  gerechnet  werden,  und  im  sog.  Edictum  Diocletiani 
Tom  Jahre  301  wird  U.  11  (ed.  Waddington)  neben  dem  Maximal- 
preis verschiedener  Lebensmittel  auch  der  des  camum  vorgeschrieben. 
Das  Wort  scheint  keltisch  (s.  Ducange  s.  v.  camba  3)  und  konnte 
seit  den  Zeiten  der  grossen  keltischen  Wanderung  in  Pannonien 
heimisch  geworden  oder  auch  durch  römische  Soldaten  dahin  ge- 
bracht sein.  —  Auch  im  heutigen  Ungarn  also,  in  lllyrien  und  Thra- 
kien, d.  h.  in  der  grösseren  nördlichen  Hälfte  der  türkisch-grie- 
chischen Halbinsel,  in  Phrygien,  Armenien,  Aegypten,  in  Portugal 
ond  Spanien  bis  an  die  Gebirge  der  genuesischen  EQste  —  war 
änst  das  heute  in  jenen  Ländern  bei  der  Masse  des  Volkes  fast  un- 
bekannte Bier  im    allgemeinen  Gebrauch.     Wenden   wir  uns  zu  den 

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122  I>a8  Bier. 

Völkern  von  Mittel-  und  Nordeuropa,  den  Kelten,  Germanen,  Litauern 
und  Slaven  —  sämmtlich  indoeuropäischen  Blutes  — ,  so  erhalten 
wir  den  ältesten  Bericht  über  Nahrung  und  Getränk  der  Erstge- 
nannten durch  Pytheas  Ton  Massilia,  dessen  Zeit  zwar  nicht  ganz 
sicher  ist,  indessen  mit  Wahrscheinlichkeit  bald  nach  Aristoteles 
angesetzt  werden  kann.  Er  erzählte  nach  Strabo  4,  5,  5  von  den 
Völkern,  die  er  bei  seiner  Küstenfahrt  ins  Nordmeer  kennen  ge- 
lernt hatte,  „an  Grartenfrüchten  und  Hausthieren  (xagnah  ttjy  f;fi€Q(ov 
xal  ^(^wv)  sei  bei  ihnen  gänzlicher  oder  fast  gänzlicher  Mangel,  sie 
nährten  sich  von  Hirse  und  anderen  Kräutern  und  Beeren  (kaxdvoig 
xai  xagnoig)  und  Wurzeln;  diejenigen,  die  Getreide  und  Honig  er- 
zeugten, bereiteten  sich  daraus  auch  ihr  Getränk*'  (also  Bier  und 
Meth).  Den  Winter  der  Scythen  d.  h.  der  Nordvölker  überhaupt, 
die  Pelzbekleidung,  die  Wohnungen  unter  der  Erde,  die  langen 
Nächte,  endlich  auch  das  gegorene  Getränk  statt  des  Weines 
schildert  auch  Vergil  Georg.  3,  376,  fast  mit  den  Worten  des  späteren 
Tacitus: 

Ipsi  in  defossis  specubus  secura  sub  alta 

Otia  agunt  terra,  congestaque  robora  totasque 

Advolvere  focis  ulmos  ignique  dedere. 

Hie  noctem  ludo  ducunt^  et  pocula  laeti 

Fermento  atque  acidis  imitantur  vitea  sorbis, 

Talis  Hyperboreo  Septem  subjecta  trioni 

Gens  effrena  virum  Ehipaeo  tunditur  Euro, 

Et  pecudum  fulvis  velatur  corpora  saetis. 

Insbesondere  bei  den  Kelten  des  mittleren  Frankreichs  war  zur  Zeit 
des  Posidonius  (Anfang  des  ersten  Jahrhunderts  vor  Chr.)  das  Bier 
unter  dem  Namen  xoQ^a  noch  das  eigentliche  Volksgetränk,  während 
die  oberen  KJassen  schon  massaliotischen  Wein  tranken,  Athen.  4,  p.  151: 
noQa  äi  ToJg  ifnodeeareQOig  ^vx^og  nvQivov  (netä  fiiknog  ioxava- 
Ofiivov,  naget  öi  Toig  nolXolg  xad^  avro  •  xakelzai  de  xogfia^ 
anoQQoq>ovai  de  ix  %ov  aizov  nozrjQiov  xaza  fiixQov,  ov  nXelov 
xvd^ov  •  nvxvoieqov  de  tovto  noiovai  •  neQi(piqBi  de  6  nalg  inl 
Tot  de^iä  xal  xd  lata  —  Letzteres  etwa  in  heutiges  Deutsch  über- 
setzt: Aus  demselben  Fasse  (ex  zov  avxov  noTrigiov)  wird  fleissig 
(nvxvoTBQOv)  Seidel  nach  Seidel  (oS  nliov  xvdd^ov)  gezapft  und 
von  dem  Kellner  (o  naJg)  rechts  und  links  ausgetheilt.  Bei  den 
Späteren  wird  dann  das  keltische  Bier  nicht  selten  erwähnt:  es  er- 
hielt sich  in  Nordfrankreich,  Belgien,  den  britischen  Inseln  während 
des  römischen  Kaiserreiches  bis  zum  Mittelalter  und  von  da  bis  auf 


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Das  Bier.  123 

den  heutigen  Tag.  Kaiser  Julian,  der  es  mit  eigenen  Augen  ge- 
sehen und  gewiss  mit  eigener  Zunge  gekostet  hatte,  der  aber  an  der 
klassischen  Denkart  und  Sitte  hielt  und  sich  gegen  das  Barbarische 
des  Nordens  wie  gegen  das  Orientalische  sträubte,  verhöhnte  den 
Pariser  Pseudo-Bacchus  in  einem  bekannten  Epigramm: 

Eig  oivov  and  xQiS-rjg, 

Tig  Tto^ev  elg  Jiovvae;  fna  yaQ  %ov  aXrj&ia  Bdxxov 

ov  a'  iniyiyvciaxoj '  top  Jiog  olda  fiovov. 

xelvog  vixiag  odioös  •  av  de  xQayov  •  «y  (>a  ob  KelToi 

tfj  nevif]  ßoTQviüv  rev^av  an    aaraytov, 

T(p  ae  XQ^  xaXieiv  ^rjiiii^zQiovy  ov  Jiovvaov^ 

nvQoyevij  f,iäXXov,  xai  ßgofiov^  ov  Bgo^iov  — 

—  das  sich  mit  Weglassung  der  unübersetzbaren  Wortspiele  etwa  so 
wiedergeben  lässt: 

Auf  den  Wein  aus  Gerste. 
Da  willst  der  Sohn  des  Zeas,  willst  Bacchus  sein? 
Was  hat  der  Nektarduftende  gemein 
Mit  dir,  dem  Bockigen?    des  Kelten  Hand, 
Dem  keine  Traube  reift  im  kalten  Land, 
Hat  aus  des  Ackers  Früchten  dich  gebrannt. 
So  heisse  denn  auch  Dionysos  nicht. 
Der  ist  geboren  ans  des  Himmels  Licht, 
Der  Feuergott,  der  Geistge,  fröhlich  Laute, 
Du  bist  der  Sohn  des  Malzes,  der  Gebraute. 

Auch  Ammianus  Marcellinus  kennt  die  Gallier  als  ein  Trinker- 
Tolk,  dass  sich  in  Ermangelung  des  Weins  mit  Surrogaten  half,  15, 
12,  4:  vini  avidum  genus,  adfectans  ad  vini  sirmlitudinem  muliiplices 
potus  —  also  Cider  und  Bier.  Der  von  Posidonius  gebrauchte  Name 
^OQfta,  der  bei  Dioscorides  2,  110  in  der  Form  xovgini  erscheint, 
ist  mit  regelrechtem  Uebergang  des  m  in  w  und  /  noch  in  den  heu- 
tigen keltischen  Sprachen  lebendig  (Zeuss^  pH^  und  821).  Viel- 
leicht ist  das  Wort  dem  Stamme  nach  identisch  mit  dem  oben  aus 
Plinius  angefahrten  spanischen  cerea  (nur  mit  anderem  Ableitungs- 
soffix),  wo  dann  die  Wahl  bliebe,  das  Wort  und  folglich  auch  die 
Sache  aus  Spanien  zu  den  Kelten  (wofür  wir  uns  oben  entschieden 
haben)  oder  mit  den  Kelten  aus  Gallien  nach  Keltiberien  wandern 
zu  lassen.  Frühzeitig  und  allmählig  immer  häufiger  erscheint  die 
durch  Derivation  erweiterte  Namensform  cervesia,  cervüia  (wie  mar- 
cüia  von  marca  Ross),   zuerst    bei  Plinius    (in    der  o.  a.  Stelle    am 


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124  Das  Bier. 

Schluss  des  Baches  22),  dann  in  häufigem  Gebrauch  durch  das 
ganze  Mittelalter  (s.  Ducange  s.  v.)  und  noch  in  den  heutigen  ro- 
manischen Sprachen  erhalten.  Ein  anderes  sehr  merkwürdiges  kel- 
tisches Wort  ist  brace  bei  Plin.  18,  62,  zuerst  Name  einer  Getreide- 
art, des  Spelzes,  dann  übergehend  in  die  Bedeutung  Malz,  Bier- 
würze, Bier  selbst,  in  mannichfiachen  Formen,  Ableitungen  und  An- 
wendungen, mit  dem  dazwischenspielenden  Sinn  von  germinare, 
fermentari,  im  Mittellatein,  in  den  nordromanischen  und  in  den  heu- 
tigen keltischen  Sprachen  reich  entwickelt  und  auch  ins  Deutsche 
übergegangen  (s.  Diefenbach,  O.  E.  p.  265  ff.,  woselbst  auch  die 
bemerkenswerthe  Form  bracisa^  analog  der  Bildung  cervisia,  cervesa, 
cervise;  im  Capitulare  de  Yillis6l  ist  bracii  offenbar  Malz,  nicht  ein 
bierartiges  Getränk:  der  judex  soll  die  bracii  zumPalatium  schaffen 
und  Leute,  die  es  verstehen,  mitkommen  lassen,  damit  sie  dort  gutes 
Bier  daraus  brauen).  Einen  Beweis  von  der  in  der  Sitte  tief  ge- 
wurzelten Kraft  des  Bieres  bei  den  britischen  Kelten  liefert  unter 
vielem  Anderen  die  Lebensgeschichte  der  h.  Brigitta:  diese  Heilige 
nämlich  wiederholte  das  Wunder  der  Hochzeit  zu  Kana,  doch  so, 
dass  sie  den  Durst  der  Bedürftigen  zu  stillen,  das  Wasser  in  Bier 
verwandelte  (Acta  SS.  Febr.  1.  \^ita  IV.  S.  Brigidae,  cap.  10: 
quodam  die  quidam  leprosi  sitientes  de  via  cerevisiam  anxie  a  B. 
Brigida  pastulaverunt  Christi  autem  ancüUiy  videns  quia  tunc  iUico 
non  poterat  invenire  cerevisiam^  aquam  ad  balneum  portatam  benediait, 
et  in  optimam  cerevisiam  conversa  est  a  Deo,  et  abundanter  sitientibus 
propinata  est);  auch  mehrte  sie  durch  den  blossen  Blick  ihrer  Augen 
den  vorhandenen  Vorrath  von  Bier,  Milch  und  Butter.  —  Auch  die 
östlichen  Nachbarn  der  Kelten,  die  Germanen,  zeigen  sich  allmählig, 
je  mehr  sie  aus  dem  Nebel  hervortreten  und  je  mehr  sie  sich  dem 
Ackerbau  zuwenden,  als  dem  berauschenden  Gerstensaft  ergeben. 
Cäsar  erwähnt  das  Bier  noch  nicht  als  germanisch,  wohl  aber  andert- 
halb Jahrhunderte  später  Tacitus,  Germ.  23:  Potui  humor  ex  hordeo 
autfrumento  in  quandam  simäitudinem  vini  carruptuSy  während  Plinius 
an  den  Stellen,  wo  er  des  Bieres  mehr  oder  minder  ausfuhrlich  gedenkt, 
über  Germanien  schweigt.  Die  gegen  die  gallischen  Grenzen  drän- 
genden Deutschen  am  Niederrhein  und  im  Quellgebiet  der  Donau 
mnssten  bald  von  den  Kelten  den  Biergenuss  überkommen;  die  an 
die  Niederdonau  gewanderten  fanden  bei  der  thrakischen  und  pan- 
nonischen  Urbevölkerung  den  Trank  aus  Körnerfrüchten  vor,  den 
sie  in  ihren  früheren  Sitzen  an  der  Ostsee  vielleicht  nicht  gekannt 
hatten;    von    allem    Ausländischen   aber   nehmen    Barbaren    überall 

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Das  Bier.  125 

nichts  so  gern  imd  willig  an,  als  Berauschungsmittel.  Das  deutsche 
Wort  Bier  hat  Grimm  nach  Wackemagels  Vorgange  aas  dem  mittel- 
lateinischen  ^^ß,  das  nordgermanische  Ale  (welches  auch  za  Finnen 
und  Litaaern  übergegangen  ist)  aus  dem  lateinischen  oleum  ab- 
geleitet. Diejenigen,  die  darüber  erschrecken,  sollten  bedenken, 
dass  das  Bier  ein  Erzeugniss  und  ein  Gcnuss  des  Ackerbauers  ist 
und  zu  seiner,  wenn  auch  rohen  Herstellung  eine  Technik  fordert, 
die  nur  bei  TOrherrschendem  Ackerbau  möglich  ist;  dass  eine  Zeit 
war,  wo  die  Germanen  als  Hirtenstamm  in  Europa  einwanderten 
und  in  den  neuen  Landstrichen  umherzogen;  dass  sie  in  dem  Augen- 
blick, wo  wir  sie  kennen  lernen,  erst  im  Begriffe  sind,  zu  völlig 
sesshaftem  Leben  überzugehen;  dass  es  folglich  thöricht  ist,  das 
Bier  und  das  Biertrinken  als  urgermanisch  oder  als  von  Wesen  und 
Begriff  des  Germanismus  unzertrennlich  anzusehen;  dass,  wenn  der 
Genuas  und  die  Bereitung  des  Bieres  bei  den  Germanen  allgemeine 
hervorstechende  Sitte  gewesen  wäre,  die  Alten  nicht  so  spärlich  da- 
von Meldung  gethan  und  die  Namen  Bier  und  Ale  uns  nicht  vor- 
enthalten hätten,  wie  sie  uns  ja  auch  thrakische,  spanische,  keltische 
ßenennuDgen  der  ihnen  fremden  und  auffallenden  Sache  überliefert 
haben;  dass  endlich  die  nächsten  Nachbarn  der  Germanen,  die 
Preassen,  zu  Wulfstans  und  König  Alfreds  Zeit  nur  Meth  und  ge- 
gorene Pferdemilch  tranken,  das  Bier  aber  nicht  kannten  (Antiquitä 
msses  2  p.  469:  cerevisia  apud  Estos  non  coquitur)  —  was  einen 
sichern  Rückschluss  auf  die  Germanen  in  ihrer  frühem  Bildungs- 
epoche erlaubt  Auf  jeden  Fall  würde  das  rohe  fermentum^  das  in 
den  subterranei  apecus  ier  Deutschen  des  Tacitus  getrunken  wurde, 
dem  heutigen  phantasievollen  Urenkel  sehr  ungeniessbar  vorkommen: 
Ton  allem  Anderen  abgesehen,  erinnere  man  sich  nur^  dass  der 
Hopfen  erst  in  Folge  der  Völkerwanderung,  wie  es  scheint,  von 
Osten  nach  Deutschland  gedrungen,  obgleich  jetzt  vielfach  verwildert 
ist,  und  dass  die  Beimischung  dieser  narkotischen  Pflanze  zum  Bier 
erst  im  Mittelalter  allmählig  Sitte  wurde.  Der  heil.  Golumbanus 
traf  zwar  um  das  Jahr  600  bei  den  Sueven  einst  eine  cupa  mit  Bier 
gefällt,  die  ungefähr  26  modii  enthielt,  und  mit  der  sie  ihrem  Wodan 
ein  Trankopfer  bringen  wollten  (Grimm,  DM^  S.  49),  und  schon  in 
der  lex  Alamann.  22  sollen  die  Knechte  der  Kirche  richtig  ihr 
Quantum  Bier  steuern,  aber  im  weiteren  Verlauf  des  Mittelalters 
war  das  Bier  in  Süddeutschland  ganz  oder  fast  ganz  aus  dem  Ge- 
brauch gekommen,  unter  denselben  Modalitäten,  wie  etwa  ehemals 
in  Süd-  und  Mittelfrankreich,  und  Baiem  durchgängig  ein  Weinland 

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126  I>a8  Bier. 

geworden  (Wackernagel  in  Haupts  Zeitschrift  6,  261  ff.),  bis  in 
neuerer  Zeit  das  norddeutsche  Bier,  unterstützt  durch  vervollkommnete 
Bereitungsmethoden,  besonders  durch  die  Kunst  es  haltbar  zu  machen, 
und  durch  WohKeilheit  des  Preises  das  verlorene  Terrain  von  Neuem 
eroberte.  Jetzt  gilt  das  Bier,  welches  bei  Beginn  der  europäischen 
Geschichte  das  vorzugsweise  keltische  Nationalgetränk  gewesen  war, 
für  das  Erkennungszeichen  des  Deutschen  und  deutscher  Sitte:  so 
rückt  die  Kulturgeschichte  im  Laufe  langer  Perioden  von  Land  zu 
Land  und  von  Volk  zu  Volk,  und  so  leicht  tauscht  sich  der,  der 
nur  die  Gegenwart  im  Auge  hat!  Räumen  wir  indess  ein,  das  Malz 
d.  h.  das  Geschmolzene,  Erweichte,  ein  echt  deutsches  Wort  ist  (und 
also  auch  der  allheilende  Malzextract  wenigstens  zur  Hälfte  deutsch). 
Brauen  dagegen,  ahd.  briuwan^  ist  ein  Wort,  über  dessen  Urgestalt 
und  Herkunft  sich  nichts  Sicheres  aussagen  lässt;  es  erinnert  lebhaft 
an  das  thrakische /JpvTov  (mit  participialem  t);  das  litauische  bruwile 
der  Brauer  steht  vereinzelt  und  wird  aus  dem  Deutschen  stammen. 
Das  gothische  leiihus  (für  sicera,  berauschendes  Getränk),  in  den 
übrigen  deutschen  Sprachen  wiederkehrend,  im  jetzigen  Neuhoch- 
deutsch erst  seit  Kurzem  erloschen,  scheint  eins  und  dasselbe  mit 
altirischem  lind  (cerevisia),  heut  zu  Tage  je  nach  den  Mundarten 
Zmw,  lionn^  leann^  llyn  (Stockes,  L*.  gl.  221),  so  dass  also  Uiihm 
für  linthui  steht  (wie  seiteins  für  sinteins).  Wohl  ein  Lehnwort  aus 
dem  Keltischen,  zumal  auch  im  Slavischen  fehlend.  —  Weiter  nach 
Osten  haben  die  Litauer  ihr  altis  Bier,  wie  gesagt,  von  ihren  deut- 
schen Nachbarn  entlehnt  (es  stimmt  ganz  mit  dem  altn.  oZ,  wie 
dieses  vor  Eintritt  des  Umlauts  lautete),  die  Slaven  aber  ihr  pivo 
ganz  abstrakt  aus  dem  Verbum  piti  trinken  gebildet.  Wir  holen 
hier  eine  oben  absichtlich  übergangene  Notiz  des  Aristoteles  nach, 
der  in  der  verloren  gegangenen  Schrift  negt  fjed^rjg  auch  über  die 
Wirkungen  des  Gerstenweines  gesprochen  und  diesen  als  das  so- 
genannte nlvov  bezeichnet  hatte  (to  Xeyo/nevov  nlvov^  bei  Athen.  10, 
p.  447).  Den  Namen  (auch  von  Eustathius,  11/11,  637.  p.  871  er- 
wähnt, aber  in  der  Form  nivog)  hatte  Aristoteles  ohne  Zweifel  aus 
dem  Norden:  er  gleicht  dem  slavischen  jwtjo,  nur  mit  anderem  Suffix; 
denn  Meinekes  Conjectur  zu  Fr.  43  des  Hipponax,  wonach  schon 
dieser  kleinasiatische  Dichter  das  Wort  gebraucht  hätte,  ist  allzu  an- 
sicher. Eine  dritte  Ableitung  ist  das  slavische  pirü^  Schmaus, 
Gelage,  welches  buchstäblich  mit  dem  albanesischen  Partie,  pass. 
pire  (als  Substantiv:  Getränk)  von  pi  trinken  zusammenfällt  (v. 
Hahn,    Albanesische  Studien,   2,  76  und  3,  101).     Wer  das  deutsche 


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Das  Bier.  127 

Bier  mit  diesem  pirü  und  also  mit  niveiv^  potus  u.  s.  w.  identificirt, 
mu^  im  deutschen  Wort  eioen  verdorbenen  Anlaut  statuiren,  also 
die  Grundlage  der  Yergleichung  aufheben.  Das  altsl.  ofö,  olovina 
siccra,  nensl.  ol  cerevisia,  ^alach.  oUmn  idem  hat  denselben  Ur- 
sprung wie  das  deutsche  a&,  öL  Ein  anderes  slavisches  Wort  bragoy 
braha^  braja  (Maische,  Schlampe,  Trester,  ein  bierartiges  gemeines 
Volksgetränk,  litauisch  broga)  weist  auf  das  keltische  brace  zurück. 
Da  es  in  den  germanischen  Sprachen  fehlt  —  ein  Zeichen  später 
und  fremder  Herkunft  —  und  da  es  von  den  Litauern  aus  dem  Sla- 
vischen  entlehnt  sein  kann,  vielleicht  ei-st  nach  Einfuhrung  der 
Branntweinbrennerei,  so  mag  es  nach  der  Zeit  zu  den  Slaven  ge- 
langt sein,  wo  keltische  Stämme  in  den  Südosten,  nach  Böhmen 
and  Pannonien  imd  in  die  Donaugegenden  zurückgewandert  waren. 
Von  den  beiden  finnisch-estnischen  Ausdrücken  für  das  volksmässige 
Dünnbier,  potus  vilissimus  ex  hordeo:  kalja,  kalli  und  toaW,  taar 
erinnert  der  erstere  an  das  spanische  caelia^  ohne  dass  wir  uns  er- 
lauben, daraus  für  eine  iberisch-finnische  Verwandtschaft  oder  Be- 
rührung Schlüsse  zu  ziehen.  In  den  lindenreichen  Wäldern  des 
europäischen  Ostens,  selbst  noch  hinter  den  slavischen  Stämmen 
bei  den  Nomaden  und  Halbnomaden  der  Wolgagegenden,  spielte  in- 
dess  der  berauschende  Honigtrank  eine  grössere  Rolle  und  war  ge- 
wiss daselbst  älter,  als  das  Bier.  Ja  man  darf  vermuthen,  dass  der 
Meth  das  Urgetränk  der  in  Europa  einwandernden  Indogermanen 
war  und  sich  im  Osten  des  Welttheils,  wie  so  vieles  Andere,  nur 
länger  erhielt  In  Griechenland,  wo  das  Bier  immer  nur  für  bar- 
barisch galt,  taucht  doch  von  einem  der  Weinzeit  vorausgehenden 
Honigtranke  hin  und  wieder  eine  verlorene  Spur  auf.  Der  Dichter 
Antimachus  aus  Kolophon  Hess  in  seiner  Thebais,  —  deren  Sagen 
in  ein  höheres  Alter  hinaufreichen,  als  die  der  Uias,  —  den  Adrast 
die  schmausenden  Helden  mit  einem  Trank  aus  Wasser  und  unver- 
sehrtem Honig  bewirthen,  Athen.  11,  p.  468: 

ndvta  ^aH^  oao^  ""u^ÖQrjOTog  inoixofievog  ixiXevaev, 
^e^iftev  •  iv  fxiv  vöcüq  iv  d'  äoxrj&ig  fxiXi  %Btav 
CLQyvqitfi  xqtjtFiqi,  neQicpQadioyg  xsQocovzeg. 

In  dem  Orphischen  Fragment  49  (aus  Porphyr,  de  antro  Nympharum, 
Orph,  ed.  Hermann,  p.  500)  giebt  die  Nacht  dem  Zeus  den  Rath, 
den  Vater  Kronos,  wenn  er  honigberauscht  unter  den  Eichen  liege, 
ZQ  bmden  und  zu  entmannen: 


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128  Das  Bier. 

Evz^  av  dtj  f.uv  lldriai  vno  dqvoiv  vtpixofioiaiv 

SQyoiaiv  fied-vowa  fieliaaawv  iQißofißwv, 

avzixa  fiiv  d^oov  — 
Vfo  also  die  Zeit   des  Eronos   und  des  Waldlebens  als  methtrinkend 
gedacht  ist     Die  Taulaotier,    ein    illyrisches  Volk,    verstanden  es 
nach  Aristot.  de  mirab.  auscult.  22(21)  aus  Honig  Wein  zu  machen; 
„nachdem    der  Honig  aus  den  Waben  gepresst  worden  u.  s.  w.  (wir 
übergehen  das  weitere  Verfahren),  ergiebt  sich  ein  weinartiges,  lieb- 
liches und  kräftiges  Getränk   {olvcSdeg  xal  aXhog  rjdv  xai  evtovov)] 
auch  in  Griechenland    soll    dasselbe  Einigen  gelungen  sein,    so  dass 
sich  das  Produkt  in  nichts  von  altem  Wein  unterschied  (cSar«  firjöev 
dia<pdQ€iv  oivov  nakaiov\  nachher  aber  konnten  sie  trotz  aller  Be- 
mühung  die    richtige   Mischung    nicht    mehr   finden."      Auf  reiche 
Honiggewinnung   in    den  Landstrichen  jenseits    des  Ister   deutet  es 
vielleicht,    wenn    die  Thraker  zu  Herodots  Zeit  berichteten,    die  ge- 
nannte Gegend    stecke    voll    von  Bienen,    die   ein  Vordringen  dahin 
unmöglich  machten  (Herod.  5,  10);   dasselbe  wurde  ehemals  von  der 
Lüneburger   Heide    geglaubt).     Weiter   wird    der   Mcth    direkt   als 
skythisches  Getränk  bezeichnet,    das  die  Skythen  aus  dem  Honig 
der  wilden  in  Felsen  und  Eichen  wohnenden  Bienen  bereiten,  Maxim. 
Tyr.  27,  6 :    Tolg  di  (unter   den  Skythen)    ai  ßUivcai  xa%^f]dvvovai 
zo    nofia^    inl    nezQOJV  xal   öqvwv   diankazzovaai   zovg  aifißkovs. 
Hesychius:  fueliziov  no^a  zi  2xvx^ix6v  fieXizog  ixpo^ivov  avv  vdtni 
xal  n6<f  Zivi,    Der  byzantinische  Gesandtschaftsattach^  Priscus  end- 
lich giebt   in  der  oben    angeführten  Stelle  den  in  Pannonien  einhei- 
mischen Namen  ^idog^  welcher  sowohl  mit  dem  altirischen  rndd^  alt- 
cambrischen    med  («  sicera,    Gormac  p.  106.  Zeuss^  136)  und  grie- 
chischen iLiex^v   —   in    den  Landstrichen  nördlich    von  Griechenland 
wurde  die  Aspirata  als  Media  gesprochen  — ,  als  mit  dem  slav.  medu 
zusammenfallt,    welches   letztere  Wort   nicht   bloss  Honig  und  Meth 
bedeutet,    sondern  auch,    wie  das  griechische  uidv,    geradezu  vinum 
übersetzt  (medan  =  olvoxoog,  pincerna;   medvtniza  =  cella  vinaria  u. 
s.  w.)     Die  heutigen  Litauer  unterscheiden  medtcs  Honig  von  middus 
Meth;    in   dem  entsprechenden    deutschen   Wort   ist   die    Bedeutung 
Honig  ganz  verloren,  für  welche  gothisch  das  wahrscheinlich  an  der 
Niederdonau  entlehnte  mililJi^  in  den  anderen  Mundarten  das  räthsel- 
hafte  Honig    gilt.    Auch   heut   zu  Tage   ist  das  Bier  in  slavischen 
Landen  nicht  das   populäre,    unentbehrliche,    altüberlieferte  Getränk; 
der  Meth  ist  freilich  auch  in  Gross-  und  Eleinrussland  und  in  Polen 
mit  jedem  Jahre  seltener  geworden,    hauptsächlich   weil    der  Zucker 

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Die  Butter.  129 

die  Bienenzacht  zerstört  liat;  an  seine  Stelle  ist  die  Erfindung  der 
Höfle,  der  Branntwein^  getreten,  der  das  gegenwärtige  Geschlecht 
dedmirt  und  die  Lebensquelle  des  künftigen  vergiftet 

Die  Geschichte  der  Butter  geht  der  des  Bieres  parallel.  Die 
Butter  kann  eine  Kunst  und  Gewohnheit  des  Hirten  genannt 
werden,  wie  das  Bier  die  des  Ackerbauers  ist.  Die  Milch  in 
Schläuchen  musste  beim  Reiten  oder  auf  dem  Wagen  —  und  alle 
Nordvölker  zogen  auf  Wagen  herum,  mit  denen  sie  gleich  den 
Cimbem  und  Teutonen  ihre  Lager  bildeten  —  leicht  das  in  ihr  ent- 
haltene Fett  als  Butter  ausscheiden,  und  ähnlich  war  die  Wirkung, 
wenn  die  abgeschöpften  fetteren  Theile  der  Wärme  des  Ofens  aus- 
gesetzt wurden.  Die  so  gesonderte  Butter  konnte  zum  Essen,  zum 
Salben  des  Haares  und  zum  Bestreichen  der  Wunden  dienen.  Grriechen 
und  Römer  der  guten  Zeit  wissen  von  Butter  nichts;  dass  sie  ihnen 
Tor  der  Einführung  des  Olivenöls  bekannt  gewesen,  dafür  giebt  es 
kerne  Spur  oder  Andeutung.  Dennoch  werden  uns  in  ziemlich 
frohen  Zeugnissen  die  Völker  rund  um  die  beiden  klassischen  Länder 
als  butterbereitend  geschildert  und  müssen  dies  Produkt  also 
nach  der  Vökertrennung  kennen  gelernt  haben.  Schon  der  weit- 
gereiste Selon  gedenkt  des  durch  Umrühren  der  Milch  gewonnenen 
Fettes  und  braucht  es  als  Bild  für  den  Yortheil,  den  eigensüchtige 
Führer  aus  politischen  Unruhen  ziehen,  Plut.  SoL  16: 

ovr'  av  xarioxs  ö^fiov  ovx*  inavaazo, 
ngtv  av  tagd^ag  nlag  e^ilrj  ydXa. 

Noch  vor  Herodot  berichtete  dann  Hecatäus  von  den  Päonem  am 
Strymon,  denselben,  die  in  Pfahldörfern  wohnten  und  eine  doppelte 
Art  Bier  brauten:  „sie  salben  sich  mit  einem  ausMüch  gewonnenen 
Oel",  Athen.  10,  p.  447:  älsiq)ovTai  ös  ilai(p  aTto  yceXaxrog.  Bei 
dem  komischen  Dichter  Anaxandrides  (blühte  um  die  Mitte  des 
4.  Jahrhimderts,  etwa  OL  101 — 108)  sitzen  an  der  Tafel  des  thra- 
kischen  Königs  £otys,  der  seine  Tochter  dem  Iphikrates  vermählte, 
stnipphaarige  butteressende  Männer,  Athen.  4,  p.  131: 

dßiTivelv  avdgag  ßovxvQoq)ayag 
ccvxi^TjQoxofiag  fiVQiouXjj^elg. 

Von  einer  skythischen  Art,  die  Pferdemilch  zu  behandeln,  hat 
Herodot  4,  2  gehört,  aber  in  noch  ganz  unbestimmter  Weise:  nach- 
dem er  angegeben,  die  nomadischen  Skythen  blendeten  ihre  Sclaven, 
^krt  er  fort:   sie   setzen   sie  um  die  hohlen   hölzernen  Milchgefässe 

ykt,  Heha,  Kaltarpflanten.  9  ^-^  i 

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130  I>ie  Butter 

und  lassen  sie  diese  rühren   (oder  schwingen:    doviovai);    was  dann 
sich  oben  ansetzt,  to  inioxäfXBvov^    wird  abgeschöpft  und  für  höher 
geschätzt,    das   sich   zu  Boden  Senkende,    %6  vnicnafisvov^    gilt  fär 
geringer   als  Jenes.     Näher   beschreibt    das   Verfahren   der   auctor 
Hippocrat.  de  morbis  4,  20  (ed.  Ermerins,  II.  p.  461),   indem  er  zu- 
gleich   das  Wort   ßovtvgov   —   ohne  Zweifel    zum  Behufe   der  Be- 
deutsamkeit in  griechischem  Munde  mehr  oder  minder  umgestaltet — 
als  skythisches  überliefert:  die  Skythen,  sagt  er,  giessen  Pferdemilch 
in  hölzerne  Gefasse  und  schütteln  diese;    dadurch    sondern   sich  die 
Theile,  und  das  Fett,  welches  sie  Butter  nennen,  schwimmtoben, 
da  es  leicht  ist:    xai  t6  fiiv  nXnv,    o  ßovrvQOv  xaliovai^    iniuolf^g 
duoTarai   elaqtQÖv   iov;    die   schwereren  Theile  senken  sich  herab, 
werden  herausgenommen,  getrocknet  und  verdickt  und  heissen  dann 
irtnaxT]    (Pferdekäse,   auch   bei  Aeschylus  Fr.  192  Nauck,    und   bei 
Hippocrates  de  aere  u.  s.  w.  genannt);    in    der  Mitte   ist    der   oqqoq 
(Molken).    Diese  Eenntniss    der  Sache  und   des  Namens   stammte 
ohne   Zweifel   von    den   griechischen    Kolonien    an    der    ponti  sehen 
Küste**).     Trotzdem   scheint  Aristoteles    den  Gebrauch   der  Butter 
im  Grossen  und  als  Volkssitte  nicht  gekannt  oder  nicht  beachtet  zu 
haben;   wenigstens   kommt   in    der  langen  Auseinandersetzung  über 
die  Milch  der  Thiere,  die  wir  Histor.  aninud.  3,  20  lesen,  weder  der 
Name  noch  die  Gewinnung  und  Anwendung  der  Butter  vor;  höchstens 
deuten  darauf  die   im  Vorübergehen   gesprochenen  Vi^orte:    vnaQxsi 
d^    ev   T(p   yalaxTi   kinaQortjg^    5}    xai    h   toig    Tcenrjyoac   yiverai 
ikaicidr^g.    Bei  den  Aerzten  ist  ßovrvgov,  butyrum,  ein  hin  und  wieder 
genanntes  Medicament,    aber  noch  Plinius  11,  239,  ja  sogar  Gtdenus 
de  alim.  facult.  3, 15  halten  für  nöthig,   ihren  Lesern  das  Wort  wie 
die  Herkunft  und  den  Gebrauch  der  Sache  zu  erklaren.    —   Da  die 
Thraker   und  Skythen  Butter  bereiteten,    so  dürfen  wir  das  Gleiche 
bei  den  Phrygern   voraussetzen.     Wirklich   findet  sich  bei  Hippo- 
krates  ein  Ausdruck  mxiQiov^   der  auf  phrygische  Butter  hindeutet 
Dies  Wort  nämlich,   welches  Galenus    und  Erotianus  in  ihren  Glos- 
saren zu  Hippokrates  als  ßovrvQov  deuten,  wird  von  dem  Letzteren 
zugleich  nach  einer  älteren  Quelle  für  phrygisch  erklärt,  Erotian.  s. 
V.:  OTi  @6ag  o  ^I&axTjaiog  lazogei  naqa  Oqv^I  nixdQiov  xaleia&ai^ 
To  ßovTVQov.     Es    scheint   wurzelverwandt   mit    naxig^  pinguü.  — 
Auch  unter  den  täglichen  Lieferungen  für  den  persischen  Hof  sind 
iXaiov  ano  ydlaxTog  nevte  fudgisg  au%eführt  (Polyaen.  strat.  4,  3, 32) 
—  eine  sehr  geringe  Quantität  verglichen  mit  den  Ansätzen  für  die 
übrigen  Bedürfaisse   der   königlichen  Tafel.    Auch    steht  die  Butter 

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Die  Butter.  131 

mitten  zwischen  dem  Sesam-  und  dem  Terebinthenöl,  während  das 
Olivenöl  in  dem  Verzeichniss  characteristischer  Weise  ganz  fehlt  — 
Dass  den  Juden  die  Butter  nicht  unbekannt  war,  wen^stens  zu 
emer  gewissen  Zeit,  ist  aus  Sprichw.  30,  33  mit  Sicherheit  zu 
sdiUessen:  „wenn  man  Milch  stösset,  so  machet  man  Butter  draus"; 
fir  die  halbsemitische  Insel  Cypern  scheint  ein  Gleiches  aus  der 
Glosse  des  Besychius  hervorzugehen:  MXcpog'  ßovtvQOv.  Kingioi 
(fgL  bei  demselben:  eXnog*  i'Xaiov^  oxiag).  Gesenius  Monum.  p.  389 
deatet  dies  cyprische  Wort  aus  dem  Semitischen,  Joh.  Schmidt 
sieht  darin  das  sanscr.  Neutrum  sarpis,  —  Nach  dem  Periplus  maris 
Erythraei  (der  unter  den  Kaisem  Titus  und  Domitian  geschrieben 
ist)  kam  Butter  aus  Indien  in  die  Häfen  des  rothen  Meeres,  und 
das  heisse  Land  wird  reich  an  Reis,  Baumwolle,  Sesamöl  und  — 
Butter  genannt  (14  und  41);  wie  auch  verwundete  Elephanten  da- 
selbst durch  eingegebene  Butter  (Strab.  15,  1,  43)  oder  durch  Be- 
streichen der  Wunde  mit  Butter  (Ael.  H.  A.  13,  7)  geheilt  wurden. 
Aach  in  Arabien,  im  Lande  des  Königs  Aretas,  bekam  das  Heer 
des  Aelius  Gallus,  wie  Strabo  16,  4,  24  berichtet,  nur  Butter  statt 
des  Oeles.  —  Durch  denselben  Strabo  hören  wir,  dass  bei  den 
Aethiopiern  im  äussersten  Süden  Butter  und  Fett  die  Stelle  des 
Oeles  vertrat,  die  Lusitanier  im  äussersten  Westen  statt  des  Oeles 
sich  der  Butter  bedienten  (an  den  schon  oben  citirten  Stellen:  17, 
2,  2  und  3,  3,  7).  Sicher  war  diese  indische,  arabische,  äthiopische 
und  lasitanische  Butter  ein  flüssiges  Fett,  wie  auch  die  heutigen  Be- 
diiinenaraber  gierige  Trinker  von  Butter  sind,  die  sie  aus  der 
Milch  ihrer  Schafe  uud  Ziegen  abscheiden.  —  Am  Fest  der  Rück- 
kehr der  erycinischen  Aphrodite  in  Sicilien  duftete  die  ganze 
Gegend  um  den  Tempel  nach  Butter,  zum  Beweise,  dass  die  Göttin 
wirklich  aus  Afrika  wiedergekehrt  sei,  Athen.  9.  p.  395:  o^ei  de  nag 
0  tonog  TOTS  ßovrvQOv,  (p  drj  tex^rigiifi  %Qwvxai  xrjg  d^eiag  inavoöov. 
Das  Heiligthum  auf  dem  Eryx  gehörte  ursprünglich  den  Elymem, 
einem  Volke,  dessen  Herkunft  streitig  und  in  Sagen  gehüllt  ist. 
Mögen  sie  ein  Rest  des  über  die  Inseln  des  westlichen  Mittelmeeres 
verbreiteten  iberischen  Volksstammes  oder  wirklich  von  Asien  ein- 
gewandert sein,  —  sie  werden  als  Rinderhüter  gedacht  und  verehrten 
einen  entsprechenden  Gott,  dessen  Gegenwart  durch  die  Butter  — 
entweder  als  Leib-  und  Haarsalbe  oder  von  den  Pfannen  dampfend  — 
kmid  gethan  wird  (Klausen,  Aeneas,  488:  „von  dem  segnenden 
Schatz  des  Butas  oder  des  Rinderfürsten  Anchises  zeugt  dann  der 
clarch  den  ganzen  Ort  verbreitete  Buttergeruch").  —  Ganz  allgemein 

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132  Die  Butter. 

aber  heisst  es  dann  bei  Plinius  28,  133:  e  lacte  fit  et  butyrumy  bar- 
bararum  gentium  lautiasimtis  cilms  et  qui  divites  a  plebe  discemat 
Unter  den  barbarae  gentes  sind  hier  dem  Gesichtskreis  des  Plinius 
nach  hauptsächlich  Germanen  zu  verstehen.  Die  Reichen  erübrigten 
Butter,  da  sie  die  Milch  ihrer  grösseren  Heerde  nicht  sogleich  ver- 
zehrten, und  der  Genuss  derselben  unterschied  folglich  den  Begüterten 
von  dem  Armen.  Die  bei  Pb'nius  gleich  folgende  Beschreibung  der 
Bereitung  sowohl  der  Butter  als  des  Quark  (oxygala)  leidet  übri- 
gens an  Confusion  und  ist  wenig  sachgemäss  —  ein  Beweis  mehr, 
wie  fem  diese  Speise  der  klassischen  Welt  lag.  An  einer  anderen 
Stelle  hat  Plinius  die  Notiz,  auch  die  gentes  pacatae  d.  h.  die  schon 
policirten  und  halb  romanisirten  Stämme  wendeten  die  Butter,  wie 
Eier  und  Milch,  zu  künstlicherem  Backwerk  an,  18,  105:  quidam  ex 
Ovis  aut  lacte  mbigunt  (panem),  butyro  vero  gentes  eUam  pacatae^  ad 
operis  pistorü  gener a  transeunte  cura;  —  also  die  Kuchenbäckerei 
trat  auf,  die  bei  Griechen  und  Römern  wegen  Mangels  an  Butter  und 
beschränkter  Anwendung  der  Hefe  (die  letztere  ist  gleichfalls  ein 
nordischer  Gebrauch)  unentwickelt  geblieben  war.  Merkwürdig  ge- 
nug ist  es,  dass  das  Wort  Butter  auf  dem  weiten  Umwege  vom 
Pontus  Euxinus  über  Griechenland  und  Italien  —  zwei  Länder,  die 
das  damit  Benannte  kaum  kannten  und  wenig  schätzten  —  zu  den 
meisten  Völkern  des  westlichen  und  des  mittleren  Europa  gekommen 
ist.  Vielleicht  ist  eine  Spur  seiner  Herkunft  in  dem  magyarischen 
vajy  lappischen  vmoj\  finnischen  und  estnischen  looi  (im  Accusativ 
mit  wieder  hervortretendem  Dental  der  Wurzel:  woid)^  vmd-ma 
salben,  läpp,  vmoitet^  vmoitas^  finn.  woitaa,  woitelee  u.  s.  w.  erhalten. 
Die  Erfindung,  die  Butter  durch  starkes  und  wiederholtes  Waschen, 
Kneten  imd  Salzen  so  rein  und  fest  zu  machen,  wie  wir  sie  jetzt 
kennen,  scheint  von  den  nordgermanischen  Stämmen  ausgegangen. 
Noch  jetzt  besteht  der  unterschied  zwischen  Nord-  und  Süddeutsch- 
land, dass  in  dem  ersteren  die  Butter  gesalzen  wird  (wie  auch  in 
Scandinavien  und  England),  das  letztere  aber  süsse  Butter  isst  und 
die  Speisen  mit  Schmalz  d.  h.  flüssiger  Butter  bereitet  Dieses 
Butterschmalz  nennt  der  Alemanne  (nicht  der  Schwabe)  Anke  (nach 
Grimm  wurzelverwandt  mit  ungere^  unguere;  vielleicht  gehört  auch 
das  altpreussische  auctan^  aucte  und  das  keltische  imb  dahin,  wenn 
in  letzterem  b  aus  g  entstanden  ist,  Stockes,  ir.  glosses  784),  auch 
wohl  Schmutz;  bei  den  Scandinaven  heisst  die  Butter  Schmeer 
(d.  h.  womit  geschmiert  wird,  schwedisch  smor^  smorja  u.  s.  w. 
wie  ahd.    anchunsmerOy    ancsToero).    Auch  Salbe  mag  in  der  Urzeit 

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Die  Butter.  133 

ein  deutsches  Wort  dafür  gewesen  sein,  wenigstens  hat  das  ent- 
sprechende albanesische  Wort  gjalpe  noch  jetzt  die  Bedeutung  Butter 
(alban.  gj  ist  gleich  s,  vergl.  gjaschte  mit  sex^  gjak  Blut  mit  aanguis 
a.  8.  w.,  Kuhns  Zeitschrift  11,235)  und  beiden  entspricht  vielleicht 
das  oben  genannte  sanscr.  sarpü  mit  der  Bedeutung:  zerlassene 
Butter.  Die  Slaven,  benennen  die  Butter  mit  demselben  Wort  wie 
das  Oel:  maslo^  wortlich  Mittel  zum  Salben,  also  übereinstimmend 
mit  den  obigen  germanischen  Ausdrücken.  Beide  Völker,  Germanen 
and  Slaven,  schmierten  sich  also  das  Haar  mit  flüssiger  Butter,  die 
dann,  wenn  sie  ranzig  geworden,  nicht  den  besten  Duft  verbreitete, 
Sidon.  Apoll,  carm.  12,  6: 

Quod  Burgundio  cantat  esculentua^ 
Jfi/undens  acido  comam  hutyro. 

Dass  auch  die  Eelten,  wenigstens  die  Galater  in  Kleinasien,  sich 
mit  Butter  salbten,  die  sich  dem  Geruchsinn  merklich  machte,  geht 
aus  einer  Anekdote  hervor,  die  Plutarch  adv.  Colot.  4,  5  erzählt: 
zu  der  Berronike  (Berenice),  der  Frau  des  Deltauros  (Dejotarus), 
soll  eine  Lacedämonierin  gekommen  sein:  als  sie  einander  nahe 
standen,  sollen  sich  beide  augenblicklich  und  gleichzeitig  abgewandt 
haben,  indem  der  einen,  wie  es  scheint,  der  Geruch  der  Salbe, 
\iVQov^  der  anderen  der  der  Butter  zuwider  war.  —  In  entlegenen 
Dörfern  nordischer  Länder  ist  diese  Sitte  bei  Weibern  und  Mädchen 
auch  jetzt  noch  nicht  ausgestorben,  im  Uebrigen  aber  ist  sie  durch 
die  Pommade,  ital.  pomata^  verdrängt  worden,  in  der,  wie  der  Name 
sagt,  irgend  eine  duftende  Frucht,  pomo,  beigemischt  war.  Ur- 
sprunglich diente  sie  zugleich  als  Haarfarbemittel  und  schied  sich 
erst  später  aus  demselben  als  reine  Salbe  aus.  Die  Erfindung 
scheint,  wie  die  der  Seife,  eine  altbelgische  zu  sein,  denn  Toiletten- 
künstler waren  schon  die  alten  Gallier,  wie  es  ihre  heutigen  Pariser 
Nachkommen  noch  sind. 


Indem  wir  hier  die  drei  Urgewächse  der  frühesten  höheren 
Civilisation,  Wein,  Oel  und  Feigen  verlassen,  —  womit  könnten  wir 
passender  schliessen,  als  mit  der  sinnvollen  Parabel  im  neunten  Ka- 
pitel des  Buches  der  Richter?  Wir  setzen  sie  her,  da  das  Buch, 
^  dem  sie  steht,  doch  heut  zu  Tage  wenig  mehr  gelesen  wird. 
«Die  Bäume  gingen  hin,  dass  sie  einen  König  über  sich  salbeten, 
wid  sprachen  zum  Oelbaum:    Sei  unser  König.     Aber  der  Oelbaum 

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134  Die  Butter. 

antwortete  ihnen:  Soll  ich  meine  Fettigkeit  lassen,  die  beide,  Götter 
und  Menschen,  an  mir  preisen,  und  hingeben,  dass  ich  schwebe  über 
den  Bäumen?  Da  sprachen  die  Bäume  zum  Feigenbaum :  Komm  Du 
und  sei  unser  König.  Aber  der  Feigenbaum  sprach  zu  ihnen:  Soll 
ich  meine  Sässigkeit  und  meine  gute  Frucht  lassen  und  hingehen, 
dass  ich  über  den  Bäumen  schwebe?  Da  sprachen  die  Bäume  zum 
Weinstock:  Komm  Du  und  sei  unser  König.  Aber  der  Weinstock 
sprach  zu  ihnen :  Soll  ich  meinen  Most  lassen,  der  Götter  und  Men- 
schen fröhlich  macht,  dass  ich  über  den  Bäumen  schwebe?  Da 
sprachen  alle  Bäume  zum  Dornbusch:  Komm  Du  und  sei  unser 
König.  Und  der  Dombusch  sprach  zu  den  Bäumen:  Ist's  wahr, 
dass  ihr  mich  zum  Könige  salbet  über  Euch,  so  kommt  und  ver- 
trauet Euch  unter  meinen  Schatten,  wo  nicht,  so  gehe  Feuer  aus 
dem  Dombusch  und  verzehre  die  Cedem  Libanon."  Welch  ein 
Bild  syrischer  Natur  und  semitischen  Lebens!  Jene  ungeheuren 
Domhecken  und  Stachelpflanzen  der  Wüste,  die  Acacien-BOsche, 
denen  man  nicht  anders  nahen  kann,  als  mit  langen  schneidenden 
und  zusammenraffenden  eisemen  Stangen  bewaffnet^  —  sie  werden 
in  der  Sommerglut  dürre  wie  Gerippe  und  werfen  keinen  Schatten, 
und  wenn  sie  sich  zufallig  entzünden,  dann  geht  der  Brand  ver- 
heerend, so  weit  der  Horizont  reicht^  und  ergreift  die  Fruchtbäume 
mit,  die  sich  auf  seinem  Wege  finden.  So  liefen  die  Feuer  des 
Despotismus  und  der  Eroberung  über  ganz  Asien  und  verzehrten 
alles  Privatglück,  alle  stille  Kulturthätigkeit.  Die  furchtbare  Maje- 
stät der  Herrscher  von  Ninive  und  Babylon  glühte  erbarmungslos 
wie  die  Sonne  im  Sommer  und  brannte  die  Völker  nieder,  wie  der 
Dornbusch  die  Cedem  Libanon;  Oelbaum,  Feigenbaum  und  Wein- 
stock aber  glichen  dem  Manne,  der  in  begrenztem  Ejreise  Werke 
des  Friedens  schafft  und  Wohlthaten  spendet.  Und  bis  auf  den  heu- 
tigen Tag  sind  Politik  und  Musik  —  im  griechischen  Sinne  — 
feindliche  Gegensätze  geblieben:  unser  Dichter  erfuhr  es,  als  er  unter- 
nahm, über  den  Bäumen  zu  schweben,  und  Wahrheit  und  Liebe, 
vor  Allem  aber  die  Poesie,  die  Götter  und  Menschen  fröhlich 
macht,  in  seinem  Lmera  zu  versiegen  drohte.  Seitdem  hasste  er 
in  der  Reyolution  den  flammenden  Dombusch,  der  die  Gärten  und 
Pflanzungen  verheerte. 


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Der  Flachs.  ]35 


Der  Flachs.  Der  Hanf. 

{Imwn  usitaiissitnum,)  {cannabis  scUiva,) 

In  welcher  Gegend  der  Erde  der  Flachs  autochthon  ist,  ist 
&ne  noch  nicht  mit  Sicherheit  beantwortete,  bei  so  vielen  Koltor- 
gewächsen  wiederkehrende  Frage.  Da  der  dOrre  Felsboden  der 
Lander  um  das  Mittehneer,  die  lange  Sommerglut,  die  oft  plötzlich 
niederstürzenden  Regengüsse  u.  s.  w.  dem  Flachse  nicht  zusagen,  so 
hat  man  seine  Heimat  wohl  in  den  kälteren  und  feuchteren  Strichen 
des  mittleren  Europa  gesucht.  Allein  Aegypten  und  Eolchis  lehren, 
dass  nicht  die  Wärme  des  Südens,  nur  die  mangelnde  Feuchtigkeit 
dem  Gedeihen  der  Pflanze  in  den  klassischen  Ländern  hinderlich 
ist  Wenn  neuere  Reisende  den  Flachs  in  Nordindien  oder  am  Altai 
oder  am  Fasse  des  Kaukasus  wild  wachsend  gefunden  haben,  wenn 
Grisebach,  Spicilegium,  1.  p.  118  vom  Flachse  sagt:  sponte  crescit  in 
Macedonia  Thradaque  omni^  so  liegt  bei  einer  so  alten  Kultur- 
pflanze die  Möglichkeit  nahe,  dass  sie  auch  da  nur  der  Gefangen- 
schaft des  Menschen  entschlüpft,  d.  h.  nur  verwildert  sei.  Von  Wich- 
tigkeit bei  der  Geschichte  sowohl  des  Flachses,  als  des  Hanfes^  ist 
auch  ihre  doppelte  Anwendung:  die  Benutzung  der  öligen  Frucht 
zur  Nahrung  und  die  der  Fasern  des  Stengels  zu  Stricken  und  Ge- 
weben: beide  finden  sich  nicht  immer  gleichzeitig  auf  demselben 
Boden  und  bei  demselben  Volke,  und  es  ist  noch  die  Frage,  welche 
?on  beiden  den  Anbau  zuerst  veranlasst  hat.  Das  heutige  Indien 
presst  die  Leinsaat  zu  Oel,  verarbeitet  aber  die  Pflanze  selbst  nicht; 
auch  in  Abyssbien  dient  sie  nur  zum  Essen;  Herodot  erzählt  4,  73  ff. 
Ton  den  Skythen,  wie  sie  bei  Todtenbestattungen  mit  dem  Dampf 
der  auf  glühende  Steine  geworfenen  Hanfsaat  sich  reinigten  und 
zugleich  berauschten;  dass  sie  aber  die  Benutzung  des  Hanfes  zu 
Geweben  nicht  kannten,  geht  aus  der  Notiz  hervor,  die  Herodot  so- 
gleich hinzufügt,  die  Thraker  (also  nicht  die  Skythen)  verständen 
aas  dieser  Pflanze  auch  Kleider  zu  weben,  die  dem  Linnen  sehr 
ähnlich  seien.  Eben  so  finden  wir  bei  den  Griechen  zeitig  neben 
den  Mohn-  und  Sesamkömem  auch  die  Leinsaat  mit  Honig  ein- 
gekocht zum  Gebäcke  dienend:  zuerst  im  siebenten  Jahrhundert  bei 
dem  Lyriker  Alcman,  Fr.  74  Bergk.: 


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136  Der  Bachs. 

xXivai  *fiev  iTita  xai  zoaai  iqanBodai 

liaxwvidwv  aQTWv  ini(jTiq>oiaai 

Xivifi  TB  oaaafitqf  ze. 
Im  pelopoDnesiscIlen  Kriege,  als  die  Insel  Sphakteria  von  den  Athenern 
belagert  wurde,  brachten  Taucher  unter  dem  Wasser  in  Schläuchen 
Mohnsaat  in  Honig  und  zerstossene  Leinsaat  den  Belagerten  zu, 
Thucyd.  4,  26:  kivov  onigfia  xsxofxjnhov.  Auch  in  Italien  jenseits 
des  Po  gab  es  nach  Plinius  19,  in.,  einen  cilms  msticua  ac  praedulcis 
aus  Leinsaat,  der  aber  jetzt  nur  noch  bei  Opfern  vorkomme:  nach 
der  Oertlichkeit  und  dem  Opfergebrauch  zu  schliessen  wohl  ein  alt- 
keltisches oder  altligurisches  Gericht  Reicher  als  die  Geschichte 
der  Leinsaat  als  Speise  ist  freilich  die  des  Flachses  als  technischen 
Gewächses. 

Die  Linnenkultur  geht  in  Aegypten  und  Vorderasien  ins  höchste 
Alterthum  hinauf.  Linnene  Stoffe  und  Kleider,  Tücher  und  Binden, 
Zelte  und  Netze,  Taue  und  Segel  sind  bei  den  Aegyptem,  den  Phö- 
niziern, im  Alten  Testament  in  allgemeinster  Anwendung.  Alt- 
ägyptische Wandmalereien  zeigen  uns  den  ganzen  Process  der  Be- 
arbeitung des  Flachses,  das  Rösten,  Bläuen,  Kämmen  u.  s.  w.  des- 
selben (Wilkinson,  ni,  p.  138.  No.  356,  p.  140.  No.  357).  Dass  die^ 
Mumien  in  Leinwandbinden  gewickelt  sind,  haben  nach  der  ent- 
gegengesetzten Behauptung  Rosellinis,  der  gegen  zweihundert  Mumien 
untersucht  und  nie  andere  als  baumwollene  Binden  gefunden  haben 
wollte  (Monumenti,  11.  1.  p.  333  ff.),  neuere  auf  die  Anwendung  des 
Mikroskops  gestützte  Forschungen  unzweifelhaft  festgestellt  (Brugsch 
in  der  Allgemeinen  Monatsschrift  1854,  August,  S.  633)**).  Be- 
denkt man  die  Länge  der  so  verwendeten  Leinwandstreifen  und  die 
naturliche  Zahl  der  Todten  —  einen  Leichnam  in  Wolle  zu  bestatten 
wäre  ein  Gräuel  gewesen  — ,  femer  die  allgemeine  Anwendung  der 
Leinwand  auch  bei  der  Tracht  der  Lebenden  und  die  Satzung,  nach 
der  die  Priester  nur  reine  linnene  Unterkleider  tragen  (Herod.  2,  37 
von  den  Aegyptem:  «Siucrra  öi  Uvea  q>OQeovoi  aiei  veonXvra^ 
iniTTjdevovteg  tovto  fialiava,  und  von  den  Priestern:  iad^za  de 
q>OQiovai  ni  igieg  livirjv  fiovvrjv  ....  aklrjv  di  otpc  ia&fjza  ovx 
e^eoxi  Xaßelv)  und  höchstens  ausser  dem  Tempel  einen  wollenen 
Mantel  überwerfen  durften,  endlich  den  Betrag  der  Ausfuhr,  der  zu 
jeder  Zeit  bedeutend  war,  so  muss  man  über  den  Umfang  und  die 
Masse  dieser  Production  in  dem  Nilthale  erstaunen.  Dass  die  ägyp- 
tische Linnenindustrie  auch  die  feinsten  und  kunstreichsten  Luxus- 
gewebe  lieferte,    beweist   nicht   nur   ihr  Ruf  im  ganzen  Alterthum, 

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Der  Flachs.  137 

sondern  aach  der  Befand  mancher  MumienhQllen.  So  schenkte  der 
Eönig  Amasis  den  Lacedämoniem  und  dem  Tempel  der  Athepe 
m  Lmdos  auf  der  Insel  Rhodus  je  ein  leinenes  Panzerhemd  mit 
öDgewebten  Thierbildem,  mit  Gold  und  Baumwolle  gestickt,  von 
solcher  Feinheit  der  Fäden,  dass  dreihundert  sechzig  derselben 
wieder  einen  Faden  bildeten  (Herod.  3,  47;  2, 182.  Plin.  19, 12)*  0-  — 
Dass  die  Phönizier  frühe  den  Anwohnern  der  Küsten  des  Mittel- 
meeres  linnene  Kleider  als  Tauschwaaren  zubrachten,  geht  aus  der 
Identität  des  griechischen  Wortes  /iTcJy,  xi&wv  mit  dem  phönizischen 
iäonet,  ketxmet  Leinwand  (Movers  3,  1,  S.  97),  so  wie  aus  dem  ho- 
merischen o&ovri  (s.  u.)  hervor.  Sie  bezogen  jenen  Stoff  ihrerseits, 
aosser  aus  Aegypten,  besonders  aas  ihrem  palästinensischen  Hinter- 
lande, wo  nach  den  Zeugnissen  des  Alten  Testaments  der  Flachs 
allgemein  in  den  Häusern  von  der  Hand  der  Frauen  gesponnen  und 
za  Kleidern,  Gürteln,  Schnüren,  Lampendochten  u.  s.  w.  verarbeitet 
ward.  Da  in  einzelnen  wärmeren  Gegenden  Palästinas  auch  die 
Baumwollstaude,  gomfpmm  herbaceum^  wuchs,  so  mögen  auch  hier, 
wie  bei  der  aegyptischen  Waare,  Baumwollstoffe  und  feines  Linnen 
in  Sprache  und  Verkehr  nicht  immer  unterschieden  worden  sein. 
Die  Schiffe  der  Phönizier  wurden  nicht  bloss  von  Rudern  fort- 
bewegt, sondern  führten  auch  linnene  Segel;  woraus  aber  bestand 
das  Tauwerk,  das  die  Masten  hielt  und  an  dem  die  Segel  hingen? 
Vielleicht  aus  ägyptischem  Byblus,  da  der  Flachs  dazu  zu  schwach 
scheint.  Als  viele  Jahrhunderte  später  Xerzes  seine  grosse  Schiff- 
brücke über  den  Hellespont  schlug,  hatten  die  Aegypter  die  dazu 
nöthigen  Seile  aus  Byblus,  die  Phönizier  aus  weissem  Flachs, 
Uvxolivov,  zu  liefern,  (Herod.  7,  25  und  34).  Unter  dem  weissen 
Flachs  verstand  Salmasius  (Plin.  Exercitat.  p.  538)  bearbeiteten, 
iw*w  maceratam^  da  der  Flachs  durch  Rösten,  Bläuen  u.  s.  w.  weiss 
wird,  im  Gegensatz  zu  dem  rohen  Flachs,  crudartum^  utfiohvov.  Allein 
bei  Seilen,  an  denen  eine  Brücke  hängen  soll,  kommt  es  nicht  auf 
Weisse  und  Zartheit,  sondern  vor  Allem  auf  Haltbarkeit  an.  Aevxolivov 
ist  nichts. anderes,  als  die  Xevxeay  Xevxaiay  die  nach  Athen.  5,  p.  206 
Hiero  II  zu  den  Tauen  seines  Prachtschiffes  aus  Spanien,  i§  ^IßrjQiag, 
bezog,  also  Spartgras,  attpa  tenacissima^  welche  spanische  Pflanze  die 
Phönizier  zu  Xerxes  Zeit  längst  kennen  und  benutzen  gelernt  hatten. 
•^  Tiefer  in  den  Continent  hinein  trugen  auch  die  Babylonier  lange 
linnene  Kittel  (Herod.  1,  195:  iad^^zi  de  toifjde  xQeoivvai,  xi^üpi 
^odrjvaxi'i  Xiviip  .  .  .);  Strabo  16,  1,  7  zeichnet  besonders  die 
babylonische  Stadt  Borsippa  als  livovQyaiov  fiiya  aus,  und  was  für 

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138  I^er  Flachs. 

seine  Zeit  galt,  wird  bei  der  Stabilität  des  Orients  in  lokalen  Ge- 
werben auch  für  eine  viel  frühere  richtig  sein.  —  Weiter  nach  Norden 
blühte  die  Flachskoltur  in  Eolchis  d.  h.  in  den  sumpfigen  Gegenden 
am  südwestlichen  Fuss  des  Kaukasus ,  in  solcher  Fülle  und  Voll- 
kommenheit, dass  Herodot  2,  105  darin  einen  weiteren  Grund  sieht^ 
die  Kolcher  und  Aegypter  für  eines  Stammes  zu  halten.  Eolchisches 
Linnen  hiess  nach  Herodot  bei  den  Griechen  sardonisches,  ^agdovi- 
xov*®),  und  war  auch  später  noch  ein  Ausfuhrartikel  von  Euf, 
Strab.  11,  2,  17:  (Kolchis)  Xivov  tb  noiel  nokd  xai  xawaßiv  xai 
xrjQov  xat  nixzav.  ^  öi  Xivovgyia  xai  te^Qvlijvar  xai  /-ap  slg 
xovg  e^io  Tonovg  i^exSfii^ov.  Zu  allen  Arten  Netze,  lehrt  Xenophon 
de  ven.  2,  4,  dient  phasianischer  (d.  h.  kolchischer)  oder  karthagischer 
feiner  F*achs  (ähnl.  Poll.  5,  26).  Der  ganze  Orient  wusste  die  Lein- 
wand zugleich  bunt  zu  förben,  glänzend  zu  durchwirken,  arabesken- 
artig oder  in  Form  von  Bildern  mit  Goldfäden  u.  s.  w.  zu  sticken, 
und  linnene  Gewänder  auf  die  angegebene  Art  verziert  und  wegen 
der  höchsten  Feinheit  halb  durchsichtig  bildeten  an  den  Höfen  und 
im  Harem  der  Könige  und  Satrapen  die  dem  Mächtigen  und  Götter- 
gleichen  und  seiner  Umgebung  zukommende  Tracht.  Wie  in 
Aegypten  hüllten  sich  auch  in  den  vorderasiatischen  Gülten,  die 
Jehovareligion  nicht  ausgenommen,  die  Priester  in  zartes,  weisses 
Linnen,  Symbol  des  Lichtes  und  der  Reinheit:  Joseph.  Ant  3,  7,  2: 
Xiveov  evövfita  dmkijg  q)OQ€l  aivdovog  ßvaoivrjg  (p  iegsvg),  Xe&ofisvri 
jüiv  xaXeiTai,  Xiveov  de  tovzo  ajjfiaiver  x^^ov  yäg  xb  Xivov  ^fiBig 
xaXovfi€v.  Nach  Philo  warf  der  Hohepriester,  wenn  er  das  Aller- 
heiligste  betrat,  das  bunte  Gewand  ab  imd  legte  das  linnene  von 
weissem  Byssus  gewebte  an,  de  somn.  1,  37:  oxav  elg  zä  eatordaü) 
zwv  ayiiov  6  alxog  ovzog  aQXiSQ^vg  doirj,  vfjv  fiiv  noixiXrjv  ia^ra 
ana^tpioxBxai^  Xivijv  6e  higav,  ßvaoov  x^g  xa^aQwtQXTjg  nenoi- 
Tj/itivrjv^  ävaXafjßavei.  Diese  ägyptisch -asiatische  Kultussitte  ging 
dann  später  auch  in  Europa  auf  die  Pythagoreer,  die  Orphiker,  die 
Isispriester,  auf  Betende  und  Büssende  überhaupt  über,  wie  TibuUs 
Delia  sich  bei  solcher  Gelegenheit  in  Leinwand  hüllte^  1,  3,  29: 

üt  mea  voHvas  persolüens  Delia  voces 

Ante  sacras  Uno  tecta  /ores  sedeat, 

ja  erhielt  sich  als  weisses  Chorhemd,  alba  sacerdotalis^  französ.  aube, 
in  der  christlichen  Kirche  bis  auf  den  heutigen  Tag.  —  Auch 
bimtgewirkte  Segel  und  Flaggen  aus  Linnen  mit  Gold-  und 
Purpurbesatz  und  eben  solche  Zeltdecken  werden  an  den  Schiffen 
imd  Barken    der   orientalischen  Despoten  gerühmt,    von  denen   die 

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Der  Flachs.  139 

griechischen  Könige,  wie  so  vieles  Andere,  auch  diesen  halbbar- 
barischen Luxus  annahmen.  Schon  Theseus  batte^  aus  Kreta  heim- 
sduffend,  zum  Zeichen  seiner  Rettung  ein  purpurnes  Segel  aufgezogen 
eine  Wendung  der  Sage,  welcher  Simonides  gefolgt  war,  Plut. 
Thes.  17),  und  so  wagte  es  auch  Alkibiades,  als  er  nach  der  Ver- 
bannung triumphirend  in  seine  Vaterstadt  zurückkehrte,  auf  einer 
Trireme  mit  purpurnem  Segel:  ioziiit  älovQyw^  in  den  Hafen  einzu- 
fahren (Plut.  Ale.  32  und  Athen.  12.  p.  535,  beide  nach  Duris  von 
Samos).  Auch  Kleopatras  SchifiF  führte  bei  Actium  ein  solches  Segel, 
mit  dessen  Hülfe  sie  gegen  Ende  der  Schlacht  eilig  das  Weite  suchte. 
Eine  weitere,  in  Asien  gewiss  seit  alten  Zeiten  gebräuchliche  An- 
wendung des  Flachses  war  die  zu  linnenen  Panzern,  durch  welche 
der  scharfe  Pfeil  des  Feindes  und  auf  der  Jagd  der  Zahn  und  die 
Kralle  des  Raubthieres,  des  Löwen  und  Pardels,  abgestumpft  wurde. 
Die  Bemannung  der  phönizischen  und  philistäischen  Schiffe  im 
Kriegszuge  des  Xerxes  trug  linnene  Panzer  (Herod.  7,  89:  ipöeövxozeg 
de  dciQrjxag  liviovg)',  ebenso  die  Assyrer  (Herod.  7,  63);  Abradatas, 
König  der  Susier,  legt  bei  Xenophon,  Cyrop.  6,  4,  2,  den  landes- 
üblichen linnenen  Harnisch  an  (^oigaxa  Hg  inixwQiog  lyv  ainolg)\ 
bei  den  Chalybem  in  Armenien  fanden  die  Zehntausend  dieselbe  Art 
Kriegsbekleidung  (Xen.  Anab.  4,  7,  15);  die  Mossynöken,  ein  pon- 
tisches  Volk,  trugen  Kittel  bis  über  die  Knie,  von  der  Dicke  wie 
die  Leinwandsäcke,  in  welche  man  im  damaligen  Griechenland  die 
Bettpolster  beim  Wegräumen  oder  auf  Reisen  zu  stopfen  pflegte 
(Xen.  Anab.  5,  4,  13),  und  auch  in  den  karthagischen  Heeren,  die 
aus  sehr  verschiedenen  Söldnern  bestanden,  war  der  Leinwandpanzer 
ein  gebräuchliches  Waffenstück  (Pausan.  6,  19,  1), 

Dass  nun  ein  durch  ganz  Asien  von  Alters  her  so  allgemein 
verbreitetes  Produkt  den  Griechen  der  epischen  Zeit  nicht  unbekannt 
sein  konnte,  ergiebt  sich  von  selbst.  Es  fragt  sich  nur,  ob  die  bei 
Homer  erwähnten  liimenen  Gewänder  auf  dem  Wege  des  Handels 
eingeführt  oder  der  Robstoff  daheim  gewonnen  und  von  den  Frauen 
mit  der  Spindel  und  am  Webstuhl  zu  Zeugen  verarbeitet  worden? 
Die  Ox^ovri  wenigstens,  ein  feines  linnenes  Frauenkleid  von  weisser 
Farbe**),  war,  wie  der  Name  lehrt  (Movers,  2,  3,  S.  319),  und  der 
Zusammenhang  der  Stellen,  in  denen  sie  erscheint,  wahrscheinlich 
macht,  ein  Erzeugniss  asiatischer,  nicht  griechischer  Kunstfertigkeit. 
Helena,  die  auch  sonst  mit  semitisch-phrygischem  Luxus  umgebene 
Königin,  die  eben  ein  Gewand  gewebt  hat,  doppelt  und  purpurn,  in 
welchem  die  Kämpfe  der  Troer  und  der  Achäer   zu  schauen  waren, 

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140    '  Der  Flachs. 

eilt  aus  dem  Gemache,  in  weisse  od-ovai  gehiilll  (IL  3,  141).  Auf 
dem  Schilde  des  Achilleus  sah  man  tanzende  Jünglinge  in  xircS^fig 
gekleidet,  die  Jangfraaen  aber  in  zarte  6&6vai  gehüllt  (IL  18,  595). 
Bei  den  Phäaken,  in  dem  Wunderschlosse,  sitzen  die  Mägde  webend 
und  die  Spindel  drehend,  gleich  den  Blättern  der  Pappel,  gekleidet 
in  dichtgewebte  ox^ovai^  die  von  Oel  triefen  (Od.  7,  107),  wo  das 
Adjectiv  xaiQoaiwv^  die  von  Aristarch  (statt  xpoaacurcJJi»,  mit  Troddeln 
versehen)  eingeführte  Lesart,  zur  Aufhellung  der  Natur  des  StofiFes 
nichts  beiträgt,  da  es  selbst  dunkel  ist.  Auch  die  feinen  Betttücher, 
für  welche  Homer  den  europäischen  im  Orient  sich  nirgends  finden- 
den Namen  Xlvov  (mit  kurzem  Wurzelvokal)  braucht,  könnten  immer 
noch  fremder  Herkunft  sein.  Zum  wohlbereiteten  Lager  gehört  ausser 
Vliessen  und  Wollstoffen  auch  der  zarte  Flaum  des  Linnens  (II.  9, 660), 
so  bei  dem  Lager,  das  die  Phäaken  dem  Odysseus  auf  dem  Schiffe 
bereiten  (Od.  13,  73)  und  mit  dem  sie  ihn  schlafend  ans  Land  tragen 
(118).  Aus  welchem  Stoffe  die  Segel  der  homerischen  Schiffe  be- 
standen, ergiebt  sich  aus  der  stehenden  Formel  der  Odyssee:  laTia 
Xevxd:  sie  waren  weiss  und  folglich  von  Leinwand,  und  wenn  Kalypso 
dem  Odysseus  rpaQsay  Tücher,  bringt,  damit  er  für  sein  frisch  ge- 
zimmertes Fahrzeug  Segel  daraus  mache  (Od.  5,  258),  so  lehren  die 
Beiwörter,  mit  denen  kurz  vorher  das  Gewand  oder  der  ümwurf, 
(poQoc^  der  Kalypso  geschildert  worden,  dass  auch  dieses  als  linnenes 
Gewand  zu  denken  ist  (Od.  5,  230;  danach  wiederholt  10,  543). 
Zum  Tauwerk  dagegen  konnte  auch  in  der  homerischen  Schifffahrt 
der  Flachs  nicht  dienen;  woraus  es  hergestellt  war,  darüber  geben 
glücklicher  Weise  Anzeigen  des  Textes  selbst  hinreichende  Auskunft. 
Od.  12, 422  wird  der  Mast  von  den  Wogen  niedergebrochen;  an 
dessen  Spitze  war  das  Tau,  intTovoc^  umgeschlungen,  welches  aus 
Rindshaut  verfertigt  war  (ßoog  ^ivoio  rsrevxtJQ)  und  das  daher  auch 
geradezu  ßnaifig  genannt  wird  (Od.  2,  426  und  in  der  Parallelstelle 
15,  291),  wo  zugleich  das  Adjectiv  ivoTQenToiGi  lehrt,  dass  ein  solches 
Tau  aus  zusammengedrehten  schmaleren  Lederstreifen  bestand.  Neben 
den  Riemen  aus  Ochsenhaut  aber  findet  sich  im  zweiten  Theil  der 
Odyssee  auch  schon  ßvßlivog  als  Prädikat  eines  Schiffsseiles:  unter 
der  Vorhalle  des  Palastes  liegt  ein  von  einem  Schiffe  stammender 
Strang  aus  Byblus  und  Philoitios  bindet  damit  die  Ausgangsthür  zu 
(21,  390).  Wie  nun  solche  Seile  aus  ägyptischem  Bast  den  Griechen 
ohne  Zweifel  durch  semitische  Schiffer  zugebracht  waren,  so  konnten 
auch  die  Tücher  der  Kalypso  und  überhaupt  das  Segeltuch  aus 
fremden  Regionen  auf  dem  Wege  des  Handels  bezogen  worden  sein. 

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Der  Flachs.  ]41 

Der  obige  Name  JUvov  dient  aber  wieder  bei  Homer  auch  für  die 
Angelschnar,  das  Fischernetz  und  den  Faden  an  der  SpindeL 
Patroklus  hat  den  Thestor  mit  dem  Schwert  in  die  Zähne  getroffen 
und  zieht  ihn  vom  Wagen,  wie  der  Angler  den  heiligen  Fisch  an 
der  Leinschnur  aus  dem  Wasser  zieht  (II.  16,  406).  Sarpedon  ruft 
dem  Hektor  scheltend  zu,  er  möge  sich  hüten,  mit  den  Seinigen  eine 
Beute  des  Feindes  zu  werden,  gleichsam  gefasst  von  den  Maschen 
des  allfangenden  Leinnetzes  (IL  5,  487).  An  der  Spindel  zum  Faden 
gezogen  erscheint  das  Xivov  in  dem  religiösen  Bilde  von  dem  zuge- 
sponnenen Lebensschicksal.  Achilles  wird  dasjenige  erdulden,  was 
ihm  die  Schicksalsgöttin  bei  der  Geburt  mit  dem  Leinenfaden  zuge- 
sponnen (B.  20,  128;  danach  auch  24,  209;  ähnlich  auch  Od.  7,  198). 
Bedenkt  man^  dass  noch  jetzt  der  rohe  Flachs  in  ganzen  Schiffs- 
ladungen in  die  Länder  des  Südens  geht,  um  dort  von  Frauen  und 
Mädchen  im  Freien,  vor  den  Häusern,  auf  der  Weide  der  Schafe 
ond  Ziegen  an  der  Eunkel  versponnen  zu  werden,  so  könnten  auch 
die  homerischen  Weiber  und  nach  ihrem  Vorbüd  die  Mören  ägyp- 
tischen, palästinensischen  oder  kolchischen  Flachs  zu  Fäden  gedreht 
ond  zu  Netzen  gestrickt  haben.  Eine  andere  Frage  wäre  die,  ob 
nicht  Uvov  in  Europa  ein  sehr  altes  Wort  ist,  das  über  die  Zeit  des 
Flachses  hinausgeht  und  nur  den  Faden  und  das  daraus  Gestrickte 
überhaupt  bedeutet?  Fischfang  mit  Angel  und  Netz  ist  eine  sehr 
primitive  Beschäftigung  und  Naturvölker  wissen  aus  allerlei  wild- 
wachsenden Pflanzen,  besonders  denen  aus  dem  Nesselgeschlecht, 
und  aus  dem  Bast  gewisser  Bäume  Fäden  zu  drehen  und  gewand- 
artige Matten  zu  flechten.  Warum  sollten  auch  die  Parzen  bei 
Homer  gerade  den  Lein  und  nicht  lieber  die  WoUe  des  Schicksals 
abspinnen,  wie  sie  doch  später  thun?  (S.  darüber  unten).  Asiatische 
Waare  mögen  auch  die  Leinwand-Panzer  gewesen  sein,  die  an  zwei 
Stellen  des  Schiffskatalogs  erwähnt  werden,  II.  2,  529  und  830.  An 
der  einen  (die  freilich  ganz  wie  ein  junges  Einschiebsel  aussieht) 
wird  Ajax,  Führer  der  Lokrer,  Xivo^wQrj^  genannt,  an  der  andern 
gleicher  Weise  Amphius,  Sohn  des  Merops,  einer  der  troischen 
Bundesgenossen.  Dass  der  Letztere,  ein  halbbarbarischer  Asiate,  in 
der  Tracht  erscheint,  wie  die  Chalyber  des  Xenophon,  hat  nichts  Auf- 
Wlendes;  bei  dem  Führer  der  Lokrer  hängt  das  Prädikat  offenbar 
mit  der  Eampfweise  dieses  den  Lelegern  blutsverwandten  Stammes 
zosanmien:  die  Lokrer  standen  nicht  Mann  gegen  Mann  in  der 
Schlacht,  schwangen  nicht  den  Speer  und  trugen  nicht  eherne  Helme 
und  Schilder,  sondern  führten  Bogen  und  Schleuder,  schössen  aus  der 

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142  I>er  Flachs. 

Feme  und  deckten  sich  also  zweckmässig  darch  leichtere  gewebte 
oder  gesteppte  Kittel  (II.  13,  373  ff.).  Der  linnene  Harnisch  wird 
von  da  an  darch  das  ganze  griechische  Alterthum  hin  und  wieder 
erwähnt.  In  dem  um  die  Mitte  des  siebenten  Jahrhunderts  an  die 
Aegier  (nach  Anderen  an  die  Megarer)  ergangenen  sehr  berühmt 
und  sprichwörtlich  gewordenen  Orakel  heissen  die  Argiver  leinwand- 
bepanzert,  Anth.  Pal.  14,  73: 

In  einem  Fragment  des  Alcäus  (blühte  um  600  vor  Chr.)  wird 
unter  andern  Eriegswaffen  auch  der  ^ciga^  aus  Itvov  aufgeführt 
(Fr.  15  Bergk.);  in  Olympia  lagen  drei  linnene  Harnische,  Weih- 
geschenke des  Gelon  und  der  Syrakuser  nach  ihren  Siegen  zu  Lande 
und  zu  Wasser  über  die  Karthager  (Paus.  6,  19,  4),  und  auch  sonst 
sah  Pausanias  Panzer  dieser  Art  an  heiligen  Stätten  aufgehängt, 
z.  B.  im  Heiligthum  des  gryneischen  Apollo  (1,  21);  Iphikrates  gab 
den  athenischen  Kriegern,  um  sie  beweglicher  zu  machen,  linnene 
statt  der  frühem  ehernen  und  Kettenpanzer  (Com.  Nep.  Iphicr.  1,  4: 
pro  sertis  atqtce  aeneis  linteas  dedit).  In  der  Gruppe  der  Aegineten 
trägt  Teucer,  des  Ajax  Bmder,  über  einem  ärmellosen  reich  gefalteten 
Unterhemd  den  linnenen  Harnisch  mit  doppelten  megvyeg,  dessen 
Enden  nach  vorn  über  beide  Schultern  fallen;  auch  Hercules  hat 
über  einem  Untergewand  mit  gefälteltem  Saum  den  Linnenpanzer, 
aber  nur  ein  Ende  hängt  über  die  linke  Schulter.  Dass  der  Lokrer 
diese  Art  Rüstung  erhielt,  geschah  nach  homerischem  Vorgang  und 
nach  der  Sitte  dieses  gewissermassen  vorhellenischen  Stammes;  bei 
Hercules,  dem  mit  Keule  und  Bogen  bewafl&ieten  Helden,  erscheint 
natürlicher  Weise  neben  dem  Fell  des  erlegten  Thieres  auch  die  älteste 
leichte  Kriegstracht,  noch  nicht  der  Stahlpanzer  und  die  dorisch-ritter- 
liche TiQvonlla.  —  Im  Uebrigen  herrscht  das  wollene  Kleid  bei  den 
Griechen  vor;  die  Leinwand  gilt  für  üppig  und  weibisch,  sowohl 
wenn  sie  weiss  und  glänzend  wie  Schnee,  als  wenn  sie  mit  Farben, 
Bildem  und  Franzen  geschmückt  war.  Die  lonier  in  Asien  hatten 
das  lange  fliessende  Kleid  aus  Leinwand  von  ihren  karischen  Unter- 
thanen  und  reichen  Nachbaren  angenommen :  schon  bei  Homer  heissen 
sie  ^Idoveg  elxex^^^v^Q^  wie  die  Troerinnen  klxsoiTtenkot;  von  den 
loniem  war  dieselbe  Tracht  zu  den  blutsverwandten,  frühe  der  orien- 
talischen Civilisation  geöffneten  Athenem  übergegangen.  Herodot 
erzählt  5,  87  die  angebliche  Veranlassung  zu  dem  Letzteren:  danach 
«inem  unglücklichen  Kriegszuge  gegen  die  Aegineten  der  einzige 
entronnene  athenische  Krieger  von  den  wegen  der  ünglücksbotschaft 


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Der  Flachs.  143 

und  des  Yerlustes  ihrer  Männer  -wütheuden  "Weibern  mit  dem  Dom 
der  Schnallen,  die  ihre  Gewänder  festhielten,  erstochen  worden, 
wurde  zur  Strafe  dafür  die  weibliche  Tracht  durch  Volksbeschluss 
geändert:  die  Frauen  mussten  das  dorische  ^  wollene,  bloss  umge- 
worfene E^eid  ablegen  und  den  ionischen  oder,  wie  Herodot  hinzu- 
setzt, eigentlich  altkarischeo ,  ganz  genähten  und  folglich  keiner 
Spange  bedürfenden  linnenen  xid-wv  annehmen.  Später  kam  indess 
in  Athen  die  ionische  Leinwandtracht  wieder  ab:  Thucydides  berichtet 
in  einer  nicht  ganz  klaren  und  viel  bestrittenen  Stelle  (1,  6),  gegen 
die  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  sei  auch  bei  den  Athenern 
das  altgriechische  wollene  Gewand  wieder  Gebrauch  geworden;  nur 
unter  der  Klasse  der  reichem  Bürger  hätten  die  altern  am  Herge- 
brachten hängenden  Leute  den  gewohnten  Prunk  nicht  aufgeben 
wollen.  Seitdem  tmgen  nur  die  Weiber  noch  Stoflfe  aus  Flachs, 
deren  feinere  Sorten  aus  fremden  Ländern  eingeführt  wurden.  Bei 
Aechylus  Sept.  1038  trägt  Antigone  ein  ßvaaivov  nsnXwjna  und  in 
Euripides  Bacchen  820  sind  ßvaaivoi  nenloi  soviel  als  Frauen- 
kleider. Ueber  einen  Anbau  der  Pflanze  selbst  auf  griechischem 
Boden  liegt  aus  älterer  Zeit  kein  bestimmtes  Zeagniss  vor.  Li  den 
hesiodischen  Gedichten  ist  nirgends  vom  Flachs  die  Rede;  auch 
später  sagt  Theophrast  nur  einmal  im  Vorbeigehen,  der  Flachs  ver- 
lange einen  guten  Boden  (de  caus.  pl.  4,  5,  4);  ganz  spät  berichtet 
Pausanias  (6,  26,  4)  von  den  Bewohnern  der  Landschaft  Ells,  sie 
säeten  je  nach  der  Beschaffenheit  des  Bodens  Hanf^  Lein  und  Byssos. 
Elis  trägt  nach  Leake,  Morea,  1,  S.  12,  noch  heut  zu  Tage  einigen 
Flachs,  der  aber  nur  ein  grobes  Produkt  giebt.  Jedenfalls  nahm  der 
Flachs  zu  keiner  Zeit  in  der  griechischen  Bodenwirthschaft  die  her- 
vorragende Stelle  ein,  wie  in  manchen  Gegenden  des  asiatischen 
Gontinents. 

Es  konnte  nicht  fehlen,  dass  linnene  Tücher,  Kleider  und  Stoffe 
frühzeitig  auch  nach  Italien  hinübergebracht  wurden.  Freilich,  wenn 
Diogenes  von  Laerte  Recht  hätte,  so  wäre  zu  Pythagoras  Zeit,  also 
in  der  zweiten  Hälfte  des  sechsten  Jahrhunderts,  die  Leinwand  in 
den  grossgriechisehen  Städten  noch  unbekannt  gewesen  (8, 1,  19;  tcc 
yag  Xiva  ovnw  sig  exeivovg  aq>ixto  Toig  Tonovg^  daher  der  Meister, 
anders  als  seine  spätem  Nachfolger,  gezwungen  war,  sich  in  reine 
weisse  Wolle  zu  kleiden,  —  allein  die  Nachricht  hat  wenig  Gewähr 
and  besagt  wohl  nur,  dass  das  ionische  linnene  Kleid  bei  den  Kro- 
toniaten,  wie  natürlich,  nicht  im  Gebrauch  war  und  Pythagoras  in 
Kroton  sich  trug,    wie   alle  Uebrigen.     Das   lateinische  Wort   linum 

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144  Der  Flachs. 

stimmt  in  der  Quantität  nicht  mit  dem  homerischen  llvov  überein, 
wohl  aber  mit  dem  Gebrauch  attischer  Komiker  und  wanderte  also, 
wenn  es  Lehnwort  war,  aus  einer  Gegend  ein,  deren  Volkssprache 
jener  attischen  nahe  stand.  Aus  früher  Zeit  hören  wir  von  alt- 
römischen Büchern  auf  Leinwand,  libri  lintei,  auf  deren  Auctoritafc 
sich  noch  einzelne  Annalisten  berafen:  dem  Namen  nach  vermuthen 
wir,  dass  sie  auf  Bast  geschrieben  waren;  an  wirkliche  Leinwand  ist 
wohl  desshalb  schon  nicht  zu  denken,  weil  die  Alten  nicht,  wie  wir, 
lange  zusammengerollte,  später  zu  verschneidende  Stucke  dieses 
Stoffes  webten,  sondern  immer  schon  fertige,  zu  unmittelbarem  Ge- 
brauch bestimmte  Kleider,  Tücher  u.  s.  w.  Dass  die  vejentischen 
Etrusker  nach  der  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts  vor  Chr.  sich 
linnener  Harnische  bedienten,  oder  dass  wenigstens  ihr  König,  wenn 
er  zu  Pferde  in  die  Schlacht  zog,  einen  Thorax  von  Leinwand  trug,' 
geht  aus  Livius  4,  20  hervor:  damals  nämlich  tödtete  A.  Cornelius 
Cossus  den  Vejenterkönig  Tolumnius  in  der  Schlacht  und  weihte 
dessen  ihorax  linteus  im  Tempel  des  Jupiter  Feretrius  auf  dem  Kapitol, 
Kaiser  Augustus  aber,  als  er  den  genannten  Tempel,  der  verfallen 
war,  wieder  herstellte,  las  noch  die  Weihinschrift  auf  dem  thorax 
selbst,  an  dessen  Aechtheit  also  nicht  zu  zweifeln  war.  Dem  Volk 
der  Falisker,  das  den  Vejentem  blutsverwandt  und  benachbart  war 
and  an  der  erwähnten  Schlacht  Theil  genommen  hatte,  schreibt  der 
Dichter  Silius  Italiens  linnene  Tracht  zu,  als  bei  ihnen  hergebracht, 
4,  223: 

Inductosqtie  simul  gentilia  lina  Falücos, 
Eine  andere  etruskische  Stadt,  Tarquinii,  die  gleichfalls  nicht  sehr 
fem  lag,  lieferte  gegen  Ende  des  zweiten  punischen  Krieges,  als  die 
Bundesgenossen  pro  suis  quisque  facultatibtcs  d.  h.  Jeder  nach  den 
Naturerzeugnissen  oder  der  Industrie  seines  Landes  zur  römischen 
Flotte  beisteuerten,  Leinwand  zu  Segein  (Liv.  28,  45).  Ja  die  ganze 
Gegend,  wo  der  Tiberfluss  durch  buschige  Wildniss  dem  Meere 
zuströmte,  wird  von  Gratius  Faliscus  als  Flachs  tragend  ge- 
schildert, 36: 

et  aprico  Tuscorum  stupea  campo 

Messis^  contiguum  Sorbens  de  flumine  rorem^ 

Qua  cultor  Laüi  per  opaca  silentia  Tibris 

Labitur  inque  Sintis  magno  venu  ore  marinos. 

At  contra  nostris  imbellia  lina  Faliscis. 

Und  nicht   bloss   feucht,    setzen  wir  hinzu,    war   der  Landstrich  am 
untern  Tiber  und  darum  für  die  stupea  messis,    d.  h.  die  Flachsernte 


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Der  Flachs.  145 

geeignet,  sondern  auch  Schauplatz  eines  sehr  alten  Handelsverkehrs. 
Dass  die  Samniter  gegen  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  von  der 
Leinwand  schon  ausgedehnten  Gebrauch  machten,  wie  sie  auch  an 
Gold  und  Silber  nicht  arm  sein  konnten,  erheUt  aus  dem  Bericht 
d^  Livius  9, 40:  danach  stellten  sie  ein  doppeltes  Heer  au^  das 
eine  mit  vergoldeten,  das  andere  mit  silbergeschmückten  Schildern, 
beide  mit  Büschen  auf  den  Helmen;  die  goldene  Schaar  trug  bunte, 
die  silberne  weisse  leinene  Tuniken;  auch  die  bunten  bestanden  wohl 
aas  gefärbter  Leinwand,  die  vielleicht  im  fernen  Osten  gewebt  war, 
wie  ja  auch  der  Besitz  kostbarer  MetaUe  auf  Tauschverkehr  mit  dem 
Auslande  hinweist.  Noch  bedeutungsvoller  ist  ein  anderer  Vorgang, 
von  dem  Livius  10,  38  erzählt  und  der  die  Aufmerksamkeit  derMy- 
thologen  noch  wenig  erregt  hat.  Im  Jahre  293  versammelten  die 
Samniter  bei  Aquilonia  mit  Aufgebot  aller  Kräfte  ein  Heer  von 
rierzigtausend  Mann«  Mitten  im  Lager  war  ein  Raum  von  zwei- 
hundert Fuss  nach  aHen  Seiten  mit  Flechtwerk  und  Brettern  um^ 
geben  und  mit  Leinwand  bedeckt.  Dort  wurde  nach  verschollenem 
Brauch  der  Väter  und  dem  Text  eines  alten  über  linteus  ein  Opfer 
gebracht  und  dann  die  Edelsten  des  Volkes  einer  nach  dem  andern 
hereingeführt.  Der  Anblick  des  nach  ungewohnter  Form  vollzogenen 
Opfers,  der  Altar  mitten  in  dem  ganz  bedeckten  Raum,  die  frisch 
geschlachteten  Opferthiere  ringsum,  die  mit  gezückten  Schwertern 
dastehenden  Centurionen :  Alles  ergriff  das  Gemüth  des  Eintretenden, 
der  sich  mehr  wie  ein  Schlachtopfer,  als  wie  ein  Opferer  vorkam. 
Erst  musste  er  schwören,  nichts  von  dem  zu  verrathen,  was  er  hier 
sehen  oder  hören  würde,  dann  leistete  er  nach  einer  grausigen  Formel, 
mit  Anrufung  des  Verderbens  auf  sich,  sein  Haus  und  sein  Ge- 
schlecht, einen  Eid,  durch  den  er  sich  verpflichtete,  den  Führern  in 
die  Schlacht  zu  folgen,  nimmer  aus  der  Schlacht  zu  fliehen  und  Jeden, 
den  er  fliehen  sähe,  augenblicklich  zu  tödten.  Als  Anfangs  Einige 
sich  weigerten,  diesen  Schwur  zu  leisten,  wurden  sie  am  Altar  selbst 
niedergemacht,  welcher  Anblick  darauf  die  Folgenden  willig  machte. 
Nachdem  so  der  Adel  durch  den  Eidschwur  sich  gebunden,  befahl 
der  Feldherr  zehn  von  ihm  Ernannten,  sich  Jeder  einen  Genossen 
zu  erwählen,  und  diesen  wieder  dasselbe,  bis  so  durch  fortgehende 
Wahl  ein  Heerhaufe  von  sechzehn  tausend  Mann  beisammen  war. 
Diese  Legion  hiess  die  legio  linteata^  von  der  Umhüllung  des  Raumes, 
in  welchem  der  Adel  sich  dem  Siege  oder  Tode  geweiht  hatte.  Sie 
erhielt  hervorleuchtende  Waflfen  und  Helmbüsche,  wurde  aber  trotz 
Allem  von  den  Römern  an  einem  blutigen  Schlachttage  völlig  auf- 

Viet  Heho,  KoUarpflADteD.  10  C^  r^r\r\\r> 

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146  I^er  Flachs. 

gerieben.  Warum  aber  war  der  Raum,  wo  die  Verschwörungshand- 
loDg  vor  sich  ging,  grade  mit  Leinwaad  überspannt  und  die  Legion 
grade  nach  diesem  Umstand  linteata  geheissen?  Vielleicht  wirkten 
hier  pythagoreische  religiöse  Yorstellungen  ein,  von  denen  die  Sam- 
niter,  wie  sich  auch  sonst  beobachten  lässt,  nicht  unberührt  geblieben 
waren.  —  Als  die  Romer  in  die  Erbschaft  der  Samniter  und  der 
Griechen  eintraten,  waren  vestes  linteae^  wie  im  Orient  und  in  Griech^i- 
land,  eine  kostbare  üppige  Tracht:  Cicero  in  Yerr.  5,  56  fuhrt  unter 
den  Luxuswaaren  des  Orients,  wie  Purpur  von  Tyrus,  Weihrauch, 
wohlriechende  Essenzen,  feine  Weine,  Gemmen  und  Perlen,  auch 
leinene  Kleider  auf,  etwa  wie  wir  sagen:  Diamanten  und  Spitzen. 
Dienende  Knabeo  bei  schwelgerischen  Gastmälem  trugen,  um  flüch- 
tiger in  der  Bewegung  zu  sein,  leichtes  anschliessendes  Linnen;  die 
Reize  schöner  Libertinen  wurden  durch  florartige,  purpurfarbige,  gold- 
gestickte koische  und  amorgische  Gewebe  —  zu  denen  auch  der 
feinste  Flachs  diente,  PoU.  7,  74  —  mehr  verrathen  als  verhüllt;  reiche 
Magistrate  und  Cäsaren  spannten,  um  das  schauende  Yolk  und  Richter 
und  Gerichtete  vor  der  Sonne  zu  schützen,  ein  Leinwand  dach  über 
das  Theater  und  das  Forum.  Bei  dem  Wechsel  der  Mode,  über  den  schon 
frühe  noch  zur  Zeit  der  Republik  geklagt  wird,  erschienen  neue  Kleider- 
formen, Tücher,  Binden  u.  s.  w.  aus  linnenem  Stoff:  so  der  supparus 
(ursprünglich  Name  eines  Segels  und  zwar  eines  kleinen  oder  Hül&- 
segels,  dann  ein  Frauengewand,  schon  bei  den  Komikern,  Novius 
(bei  Ribbeck,  Com.  lat.  reliq.  p.  224): 

Supparum  purum  Veliemem  linteum, 

Afranius  (p.  154): 

tace! 
Pudla  non  mm,  supparo  si  induta  mm; 

nach  Varro  L  1.  5,  30  Spengel.  ein  oscisches  Wort,  das  aber  wohl 
aus  dem  Orient  stammte;  Paul.  p.  311  Müller  setzt  es  geradezu  dem 
spätem  carmsia^  Hemde,  gleich),  das  sudarium  (eine  Art  Handtuch 
oder  Taschentuch,  das  von  Leinwand  gewesen  sein  muss,  da  Catullus 
es  an  zwei  Stell^i  12,  14  imd  25,  7  von  Saeiabis  in  Spanien,  dem 
berühmten  Flachsbezirke,  kommen  lässt  und  Yatinius  bei  Quintilian  6, 
3,  60  ein  candidum  sudamum  fuhrt;  später  orarium  genannt  und  als 
solches  zur  christlichen  Messkleidung  gehörig)  u.  s.  w.  Linnene  Fäden 
dienten  zur  Angelschnur,  zum  Verbinden  der  Briefe,  dickgewebte 
Leinwandtücher  zum  Abreiben  in  den  Bädern,  als  Tischdecken,  letztere 
unter  dem  Namen  manteliaj  mantela^  dazu  bestimmt,    den  aus  kost- 

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Der  Flachs.  147 

barem  Holz  bestehenden  Tisch  gegen  die  Eindrücke  der  aufgetragenen 
Schüsseln  zu  schützen,  Mart.  14,  138.     Mantele: 

Nobilius  villosa  tegant  tihi  Untea  citrum; 
Orhihm  in  nostris  eirculuB  esse  potest 
Die  Pflanze  selbst  aber  wurde  in  dem  Italien  südlich  von  Rom  — 
und  dieser  Theil  der  Halbinsel  war  in  den  ersten  Zeiten  der  rö- 
mischen Weltherrschaft  der  civilisirte,  der  gebende  und  emp&ngende, 
der  Weg  in  die  alte  Welt,  auf  ihn  gleichsam  das  Gesicht  der  Haupt- 
stadt gerichtet  —  kaum  oder  nur  in  geringem  Masse  angebaut.  Cato 
erwähnt  des  Flaclises  in  seiner  Landwirthschaft  ganz  und  gar  nicht, 
Yarro  nur  flüchtig.  Auch  Colomella  legt  auf  diese  Kultur  kein  Ge- 
wichfc;  einmal.  2,  7,  1,  zählt  er  unter  Bohnen,  Linsen,  Erbsen  und 
andern  Arten  legumina  auch  den  Flachs  mit  auf^  woraus  sich  ergiebt, 
dass  in  Erautgänten  wohl  auch  ein  Stück  Land  zur  Erzeugung  von 
Leinsaat  bestimmt  wurde.  Ein  ganz  anderer,  weiter,  über  die 
griechisch-römische  Welt  hinausführender  Blick  aber  öfFhet  sich  in 
dem  Kapitel,  welches  Plinius  am  Anfang  des  19.  Buches  dem  Flachse 
und  seiner  Kultur  in  der  Welt  widmet.  Wir  erkennen  hier,  dass, 
wenn  die  am  Nil  und  im  Herzen  Asiens  frühe  blühende  Linnenkultur 
bei  ihrer  Wanderang  nach  Europa  in  den  warmen  Gebirgsland- 
schaften der  beiden  klassischen  Halbinseln  keine  rechte  Stätte  fand, 
sie  in  den  feuchten,  nebligen  Ebenen  der  Barbaren,  auf  humusreichem 
Waldboden,  in  den  Ländern  frischen  Anbruchs  sich  bald  üppig  ent- 
fi&ltete.  Schon  Herodot  5, 12  lässt  ein  Mädchen  vom  Stamme  der 
Päoner  in  Thrakien  mit  dem  Flachs  an  der  Spindel  auftreten;  am 
entgegengesetzten  Ende  Europas  wird  Spanien  in  früher  und  in 
später  Zeit  als  leinproducirend  gerühmt:  in  der  Schlacht  bei  Cannä 
trogen  dielberer  purpurverbrämte  linnene  Kittel  nach  Landessitte 
(xaxa  xä  nargia^  Polyb.  3,  114,  4  und  nach  ihm  Liv.  22,  46:  Hü- 
pani  Unteü  praeteatis  purpura  tunicis)]  die  feinen  Siebe  aus  Flachs- 
faden sind  eine  ursprünglich  spanische  Erfindung  (Plin.  18,  108);  die 
Emporiten  treiben  Leinwandindustrie  (Strab.  3,  4,  9);  das  feine  Pro- 
dukt von  Tarraco  (dort  mit  dem  phönizischen  Worte  carbasus  be- 
ngmit,  welches  selbst  wieder  für  den  indischen  Namen  der  Baum- 
wolle gehalten  wird)  und  Saetabis  stand  in  hohem  Rufe  und  wird 
oft  erwähnt,  z.  B.  Sil.  Ital.  3,  374: 

Saetabis  et  ielas  Arabum  sprevisse  euperba 

Et  Pelueiaco  ßum  componere  Uno  — 
ond  wenn   uns   dies    von  Orten   an  der  Küste   des  mittelländischen 
Meeres,    die    von    frühe    an   mannichfachem    Kultureinfluss   geöfFhe 

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148  I>er  Flachs. 

war,  weniger  wandert,  so  hören  wir  doch  auch  von  dem  Flachs  der 
fernen  Stadt  Zoelae  im  Lande  der  rohen  Asturer  am  Strande  des 
atlantischen  Oceans  (Plin.  19,  10)  und  von  den  linnenen  Harnischen 
der  wilden  und  räuberischen  Lusitanier  im  hintern  Land  (Strab.  3, 4, 6). 
Daher  es  von  Spanien  ganz  allgemein  heisst,  Just.  44,  1,  6:  jam 
Uni  spartique  vis  (in  Hispania)  ingens;  Mel.  2,  6,  2:  (Hispania)  adeo 
fertilis^  ut^  sicubi  ob  penuriam  aquarum  efeta  et  sud  dUsvmüü  est^ 
Unum  tarnen  aut  spartum  alat  In  Italien  selbst  aber  bilden  alle  die 
von  der  inneren  Adria  her  zugänglichen  Gregenden,  die  wasserreichen, 
von  Flüssen  und  Kanälen  durchschnittenen  Ebenen,  der  Landstrich, 
den  einst  Etrusker,  dann  keltische  Völker  besetzt  hielten,  und  das 
von  entgegengesetzten  Seiten  daran  stossende  ligurische  und  veoetische 
Gebiet  von  Alters  her  eine  Zone  der  Flachskultur.  Plinius  kennt 
in  Oberitalien  Flachssorten,  die  nach  den  spanischen  für  die  besten 
auf  europäischem  Boden  galten,  den  von  Faenza  in  der  Romagna 
(in  Aemilia  via  Faventina,  noch  heut  zu  Tage  geschätzt),  den  von 
Retovium  (bei  dem  heutigen  Voghera)  und  den  in  der  regio  Aliana 
zwischen  Po  und  Tessin  (beide  letztere  auf  altligurischem  Boden). 
Eine  in  der  Umgegend  Ferrara's,  also  gleichfalls  in  der  Romagna, 
gefundene,  freilich  verdächtige  Inschrift  (Orelli  1614)  ist  dem  Sil- 
vanus  cann^bifer  et  linifer  geweiht.  Dass  die  Etrusker  frühe  Flachs- 
bau trieben,  ist  schon  oben  erwähnt  imd  bildet  ein  Symptom  mehr 
für  den  Zusammenhang,  der  dies  Volk  mit  dem  !({orden  verknüpft, 
und  für  die  Kalturscheide,  die  der  Tiberfluss  abgab.  Jenseits  der 
Alpen  beschreibt  Plinius  ganz  Gallien  als  Leinwand  webend,  be- 
sonders die  Cadurci  (Strab.  4,  3,  2:  naqa  di  toig  KadovQxoig 
livovQyiai\  die  Caleti,  Ruteni,  Bituriges,  und  die  für  die  äussersten 
der  Menschen  geltenden  Morini,  d.  h.  die  keltischen  Bewohner  der 
Niederlande,  —  so  dass  also  belgischer  Flachs  und  flämische  Lein- 
wand ihren  Adel  bis  wenigstens  zum  ersten  Jahrhimdert  nach  Chr. 
hinaufdatiren  können.  Ein  Denkmal  davon  bewahrt  die  italienische 
Sprache  in  dem  Wort  renso^  feiner  Flachs,  von  der  Stadt  Rheims, 
woher  er  bezogen  wurde.  Selbst  bis  zu  den  Germanen  jenseits  des 
Rheins,  fahrt  Plinius  fort,  ist  diese  Kunstfertigkeit  gedrungen;  das 
germanische  Weib  kennt  kein  schöneres  Kleid  als  das  linnene;  sie 
sitzen  in  unterirdischen  Räumen  und  spinnen  und  weben  dort  (id 
opus  agunt).  Ungefähr  dasselbe  sagt  Tacitus,  Germ.  17:  die 
Frauen  kleiden  sich  wie  die  Männer,  nur  dass  die  ersteren  häufiger 
sich  in  linnene  Tücher  hüllen,  die  sie  mit  Roth  verzieren  (purpura 
variant),   —   Finden    wir    so    den  Flachs    bei  allen  Völkern  Mittel- 

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Der  Flachs.  149 

Europas  unter  den  frühe  ergriffenen,  weil  dem  Boden  and  Himmel 
zusagenden  Eoltorzweigen,  bei  den  Eeltiberern  am  biscayischen 
Meerbusen,  den  Ligurem  am  obem  Po,  den  Thraken,  Kelten,  Ger- 
manen, so  lehrt  zugleich  das  Wort  Lein,  dass  ihnen  Allen  das  Ge- 
wächs von  den  klassischen  Völkern  zugekommen  war:  dieser  Name 
geht  nämlich  durch  den  ganzen  Welttheil,  von  den  Basken  am  Fuss 
der  Pyrenäen  durch  alle  keltischen  und  germanischen  Völker  bis  zu 
den  Litauern  und  Slaven,  den  Albanesen,  Magyaren  und  Finnen, 
und  findet  sich  in  den  Sprachen  verschiedenster  Herkunft  wieder*®). 
Bei  den  Barbaren  aber  wurde  Leinwand  nicht  bloss  allgemeines 
Lebensbed&rfhiss  und  fand  mannichfache  Anwendung,  sondern  ge- 
wann von  dort  auch  Eingang  in  die  Sitten  der  im  Abscheiden  be- 
griffenen antiken  Welt.  Leinwand  als  Volkstracht  ist  nordischen 
Ursprungs.  Wie  der  Gebrauch  gestopfter,  mit  Leinwand  überzogener 
Polster  und  Edssen  aus  Gallien,  namentlich  von  den  schon  oben  ge- 
nannten Cadurci,  nach  Italien  kam  (culcitae^  tomenta^  bei  Martialis 
Leuconica  oder  Ldngonica  genannt)  —  denn  das  frühere  Alterthum 
bediente  sich  der  stramenta^  d.  h.  blosser  Lagen  von  Decken  und 
weichen  Stoffen  (Plin.  19,  13)  —  so  ging  auch  das  linnene  Unterkleid, 
das  eigentliche  Hemde,  das  die  Griechen  imd  Römer  in  der  Weise, 
wie  die  heutigen  Europäer,  nicht  kannten,  von  den  Barbaren  aus, 
nut  ihm  der  neue,  zuerst  bei  dem  heiligen  Hieronymus  vorkommende, 
gallische  Name  camma  (Zeuss^  p.  787).  Früher  hatten  höchstens 
die  Weiber  vornehmen  Standes  Leinwand  unmittelbar  am  Körper 
getragen;  Plinius  bemerkt,  in  der  Familie  der  Serraner  sei  auch  zu 
seiner  Zeit  das  Hemd  als  weibliches  Kleidungsstuck  nicht  üblich: 
ohne  Zweifel  in  conservativer  Anhänglichkeit  an  die  ältere  Sitte. 
Nicht  mehr  südlich-klassisch,  schon  nordisch-barbarisch  war  es,  wenn 
der  Kaiser  Alexander  Severus,  wie  sein  Biograph  Aelius  Lampridius 
40  berichtet,  frische,  weisse  Leinwand  liebte,  weil  sie  nichts  Rauhes 
habe  (wie  die  Wolle),  und  die  purpurgestreifte  oder  gar  mit  Gold- 
fiden  gestickte,  also  das  orientalische  Luxusgewand,  verschmähte. 
Einige  Decennien  später  schenkte  Kaiser  Aurelian  schon  dem  populus 
Romanus  weisse,  mit  Aermeln  versehene  Tuniken,  die  in  ver- 
schiedenen Provinzen  angefertigt  waren,  darunter  auch  ungefärbte 
linnene  aus  Afrika  und  Aegypten,  Vopisc.  Aur.^48.  Aus  dem  Edictum 
Diocletiani  vom  Jahre  301,  Cap.  17  und  18,  ersehen  wir,  dass  die 
ahherühmten  syrischen  Leinwandfabriken  schon  grobe  Zeuge  für  den 
gemeinen  Mann  und  für  Sclaven  (lg  ;fß^aiy  tcov  idioncüv  ijtot  q>a' 
\^iU(xQix(ay)  lieferten,  darunter  caracallae,  Leinwandmäntel  gallischen 

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150  Der  Flachs. 

Schnittes,  mit  Kaputze  in  Weise  der  noch  heute  geltenden  Mönchs- 
tracht, (paoxivia  oder  (paaxslat^  Binden,  die  Füsse  zu  nmwickeb, 
an  Stelle  der  heutigen  Strumpfe,  aivdovsg  xoitaQiai^  Bettlaken,  tvlai 
und  nQOQxeqxxkaia  oder  Matratzeuüberzuge  und  Eissenbühren  u.  s.  w., 
lauter  im  Laufe  der  Kaiserzeiten  von  Gallien  her,  wie  wir  glauben, 
bei  den  untern  Volksklassen  herrschend  gewordene  Bedürfiiisse. 
Noch  ein  Jahrhundert  später  endlich  sagt  der  h.  Augustinus  Sermon. 
37,  6,  schon  geradezu  und  ganz  alllgemein :  interiora  sunt  enim  Unea 
vestimenta^  lanea  exteriora^  also:  über  Leinwandhemden  trägt  man 
Röcke  von  wollenem  Tuch  (der  Kirchenvater  findet  desshalb,  mit 
dem  aberwitzigen  Tiefsinn  des  Mittelalters,  in  der  Wolle  etwas 
Fleischliches,  camale  altquid^  im  Lein  aber  etwas  Geistiges  oder 
Geistliches,  spiritcUe). 

Weder  Plinius  noch  Tacitus  sagen  uns,  ob  der  rohe  Flachs, 
der  den  germanischen  Frauen  zu  ihren  Leingeweben  diente,  wie  die 
rothe  Farbe*,  etwa  aus  Gallien  eingeführt,  oder  der  Anbau  schon  ins 
innere  Land  eingedrungen  war,  oder  ob  er  sich  auf  die  Rheingegenden, 
die  an  gallischer  Kultur  am  frühesten  Theil  nahmen,  beschränkte? 
Aus  der  Tracht  der  heiligen  Prophetinnen  bei  den  Cimbern,  welche 
Strabo  7,  2,  3  als  grauhaarig,  barfuss  mit  ehernen  Gürteln  und 
spangenbefestigten  Mänteln  aus  feinem  Flachs  (xagnaoivag  iq)anTiöag 
inmenoQTiTjfievai)  schildert,  lässt  sich  nicht  etwa  auf  Flachsbau  an 
der  untern  Elbe  in  so  früher  Zeit  schliessen,  da  die  Cimbern,  wenn 
sie  wirklich  germanischen  Stammes  waren,  vor  ihrem  Untergang 
durch  die  Römer  weit  in  keltischen,  ja  in  keltiberischen  Landen  um- 
hergezogen und  in  jeder  Beziehung  nicht  ohne  keltische  Beimischung 
geblieben  waren.  Paulus  Diaconus  1,  20  berichtet  aus  der  älteren, 
d.  h.  voritaüschen  Geschichte  der  Longobarden  eine  sagenhafte  Be- 
gebenheit, die  auf  germanischen  Flachsbau  deuten  könnte.  Die 
Herder,  von  den  Longobarden  besiegt,  hielten  auf  der  Flucht  ein 
blühendes  Leinfeld  für  einen  See  (Goethe,  Italien.  Reise,  Palcimo, 
13.  April  1787:  „Man  glaubt  in  den  Gründen  kleine  Teiche  zu  sehen, 
so  schön  blaugrün  liegen  die  Leintelder  unten^),  stürzten  sich  hinein, 
als  ob  sie  schwimmen  wollten,  und  wurden  so  von  den  verfolgenden 
Siegern  ereilt  und  niedergemacht.  Allein  die  Scene  dieser  Sage  ist 
die  pannonische  Theissgegend,  wo  die  Flachskultur  alt  sein  mochte, 
und  ohnehin  die  vorausgesetzte  Zeit  eine  späte,  etwa  das  Jahr  500 
nach  Chr.  Im  Laufe  der  Völkerwanderung  hatte  sich  indess  das 
Leinkleid  bei  den  aus  ihren  Sitzen  aufgebrochenen  Stämmen  immer 
allgemeiner  verbreitet  und  wird  g^en  Ende  derselben  ausdrücklich 

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Der  Flachs.  151 

als  gewöhDÜche  germanische  Volkstracht  genannt,  Paul.  Diac.  4,  23: 
Vestimenta  vero  eis  (Longobardis)  erant  Icuca  et  maxime  linea  qualia 
AngUsaaones  habere  solent,  omata  institis  latioribm^  vario  colore  con- 
textis.  Als  die  Gothen  unter  Kaiser  Valens  über  die  Donaa  setzten, 
am  in  römisches  Gebiet  aofgenommen  zu  werden,  da  reizten  ihre 
linnenen  Gewebe  mit  troddelartigem  Besatz  die  Habsucht  der  Griechen 
(Eünap.  6  ed.  Bonn.  p.  50).  So  tragen  auch  die  Franken  bei 
Agathias  2,  5  theils  lederne,  theils  linnene  Hosen  und  die  west- 
gothischen  Aeltesten  bei  Sidonius  ApoUinaris  c.  7,  455  schmutziges 
Linnen  und  kurze  Pelze.  Nach  dem  monachus  SangaDensis  1,  34 
gehorte  früher  zu  der  Tracht  der  vornehmsten  Franken  ausser  den 
lothen  leinenen  Hosen,  tibialia  vel  doxalia  linea ^  auch  die  camima 
cUzana^  d.  h.  das  Hemd  aus  Glanzleinwand;  zu  Karls  des  Grossen 
Zeit  aber  zogen  die  jungen  Prinzen  schon  das  gallische  kurze  ge- 
streifte sagum  vor,  während  der  Kaiser  selbst  bei  der  väterlichen 
Tracht  blieb,  Einh.  vit.  23:  vestitu  patrio  id  est  franciaco  utebatur. 
Ad  corpus  camisam  lineam  et  feminalibtis  lineis  induebatur.  Wenn 
die  Germanen,  die  viele  Jahrhunderte  lang  ruhige  Anwohner  des 
Meeres  gewesen  waren  und  Anfangs  nur  in  leichten  Kähnen  (Untres^ 
Tac.  Ann.  11,  18)  oder  ausgehöhlten  Baumstämmen  (sinffulis  ar- 
boribus  cavatiSy  Plin.  16,  203)  die  benachbarten  belgischen  Küsten 
zu  plündern  gewagt  hatten,  plötzlich  in  weiten  See-  und  Raubzügen 
als  kühne  Schiffer  erscheinen,  die  Sachsen  seit  dem  vierten,  die 
Danen  seit  dem  sechsten,  die  Normannen  seit  Beginn  des  achten 
Jahrhunderts,  so  mag  ausser  der  allmähligen  Bekanntschaft  mit  dem 
Eisen  und  mit  dem  römischen  Schiffsbau  überhaupt  (einen  sprechenden 
Fall  solcher  Aneignung  erzählt  Eumenius  in  seinem  Panegyricus 
an  den  Kaiser  Constantius,  cap.  12),  vielleicht  auch  die  steigende 
Verbreitung  des  Flachsbaues  und  die  Gewinnung  von  Leinwand  im 
Grossen  zu  Segeln  ein  Grund  davon  gewesen  sein.  Die  Veneter 
wenigstens  in  der  Bretagne,  die  häufig  zu  den  blutsverwandten 
Stammen  in  Britannien  hinüberschifften,  hatten  zu  Cäsars  Zeit,  wie 
dieser  ausfuhrlich  beschreibt  (de  bell.  gall.  3,  13),  Segel  aus  Thier- 
fellen  und  Leder  und  eiserne  Ankerketten,  entweder,  fügt  Cäsar 
hinzu,  weil  sie  den  Gebrauch  des  Flachses  nicht  kannten,  oder,  was 
wahrscheinlicher  ist,  weil  die  Gewalt  der  Stürme  dort  so  gross  ist. 
Woraas  bestanden  aber  die  venetiscben  Segeltaae,  die  von  der 
römischen  Schiffsmannschaft  mit  scharfen  Sicheln  an  langen  Stangen 
zerschnitten  wurden,  so  dass  die  feindlichen  Schiffe  unbeweglich 
wurden  und  sich  ergeben  mussten?    Wohl  auch  aus  ledernen  Riemen» 

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152  Der  Flachs. 

da  Cäsar  das  Material  nicht  besonders  bezeichnet;  bedienten  sich 
doch  auch  nicht  bloss  die  homerischen  Griechen,  sondern  auch  die 
illyrischen  Libumen  derselben  bei  ihren  SchiflFen  (Varro  bei  Gellius 
17,  3),  wie  auch  bei  den  Normannen  die  Ankertaue  aus  dem  Fell 
der  Walthiere  und  Seehunde  geschnitten  (s.  Ohtheres  ersten  Reise- 
bericht bei  König  Alfred)  und  in  Island  noch  bis  in  die  neuere 
Zeit  die  Fischemetze  aus  Lederstreifen  geflochten  waren;  wo  ^ 
hänfene  Taue  gab,  wären  wohl  auch  die  Segel  aus  Hanf  gewebt 
worden.  Zu  Plinius  Zeit  webte  ganz  Gallien  Segeltuch,  das  auch 
schon  jenseit  des  Rheins  Eingang  gefunden  hatte  (dort  also  früher 
unbekannt  war),  19,  8:  GaUiae  universae  vela  teaunt^  jam  qttddem  et 
transrhenani  hostes.  Die  Suionen,  also  die  Vorfahren  der  Normannen, 
kannten  zu  Tacitus  Zeit,  wie  dieser  Germ.  44  ausdrücklich  sagt,  den 
Gebrauch  der  Segel  noch  nicht,  eben  so  wenig  die  Einrichtung 
geschlossener  Ruderbänke;  Vorder-  und  Hintertheil  war  bei  ihren 
Schiffen  nicht  geschieden,  so  dass  sie,  ohne  zu  wenden,  überall  landen 
konnten  —  eine  Einrichtung,  die  Germanicus  auf  seinem  grossen 
unglücklichen  Nordseezuge  im  Jahre  16  nach  Chr.  bei  einem  Theil 
seiner  Schiffe  nachahmte.  Solche  altnordische  Kähne  mochten  zur 
Fahrt  zwischen  den  Inseln  und  in  den  Belten  und  Fiorden  geeignet 
sein ;  im  Hochsommer  setzten  sie  vielleicht  von  der  Insel  Gothland  in 
den  finnischen  und  rigaischen  Meerbusen  bin  aber;  aber  erst  mit  der  aus 
Süden  gekommenen  Technik  des  Segeltuchs  und  des  Eisens  kam  der 
Muth  zu  den  weiten  Wikingerzügen.  Das  deutsche  Wort  Segel,  ags. 
segele  altn.  segl^  im  Germanischen  dunkel  und  fremdartig,  stammt 
wohl  aus  dem  Keltischen  (altirisch  seol^  söol^  mit  unterdrücktem 
gutturalen  Inlaut)  oder  direkt  aus  dem  lateinischen  sagulum,  Litauer 
und  Polen  entlehnten  wieder  das  deutsche  Segel,  litauisch  zeglaSy 
polnisch  zagiely  die  Böhmen  halfen  sich  mit  der  Wendung:  Stück 
Leinwand  oder  Windfang,  die  Südslaven  brauchten  Schoss  für  Segel, 
die  Russen  nahmen  das  griechische  q)aQOQ  in  der  Form  parua  an  — 
lauter  späte  Sprachprodukte.  —  Bei  den  Germanen  wurden  übrigens 
seit  jenen  Zeiten  Gewebe  aus  Flachs  für  inmier  eine  Lieblingskleidung. 
Der  Südländer,  mehr  im  Freien  lebend,  bedurfte  zum  Schutz  gegen 
die  wechselnde  Temperatur  der  Umhüllung  mit  WoUe;  der  Germane^ 
besonders  der  Nordgermane,  im  winterlichen  Klima  zur  Gefangen- 
schaft im  Hause  gezwungen,  dabei  mit  angeborenem  Sinn  für  Rein- 
lichkeit begabt,  zog  das  leichte  glatte  Linnen  vor,  das  Abends  und 
Nachts  in  der  geheizten  dumpfen  Hütte  sich  kühl  an  den  Leib  legte, 
an  dem  jeder  Fleck  gleich  sichtbar  wurde,    das   häufig   gewaschen 


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Der  Flachs.  153 

werden  konnte  und  immer  weicher  und  schmiegsamer  aus  der  Wäsche 
kam.  Ganz  dieselben  Eigenschaften  rühmt  schon  Platarch  de  Isid. 
et  Os.  4  an  der  Leinwand:  sie  gewährt,  sagt  er,  ein  glattes  und 
immer  reines  Kleid,  beschwert  den  Tragenden  durch  kein  Gewicht, 
ist  passend  zu  jeder  Jahreszeit  und  beherbergt  keine  Läuse  —  in 
der  That  ist  die  letztgenannte  Plage,  an  der  die  gepriesene  Urzeit 
gewiss  in  einem  Masse  litt,  von  dem  sich  unsere  Idealisten  nichts 
träamen  lassen,  ein  Charakterzug  aller  pelztragenden  Völker.  In 
einer  altnordischen  Sage  (die  wir  Weinhold,  Altnordisches  Leben, 
S.  160,  entnehmen)  wird  ein  Meermännlein  von  einem  König  ge- 
fangen: von  Allem,  was  es  im  menschlichen  Leben  erfahrt^  gefällt 
ihm  dreierlei  am  meisten:  kalt  Wasser  für  die  Augen,  Fleisch  f&r 
die  Zähne  und  Leinwand  für  den  Leib.  Dies  ist  aus  dem  Innersten 
germanischer  Empfindung  geschöpft.  Die  dämonische  Frau  Berchta 
imd  die  gleichbedeutende  Holla,  die  als  spinnende  Frau  gedacht 
wird  und  der  der  Flachsbau  angelegen  ist  (Grimm  DM^  S.  247), 
bezeugen  gleichfalls  als  mythische  Gegenbilder  der  il^issigen  spinnen- 
den Hausfrau  den  Werth,  den  das  Volksgefuhl  auf  dies  Geschäft  und 
auf  dessen  Produkt  legt.  Nicht  bloss  Silbergeräth,  sondern  auch 
Leinwand  in  Fülle  ist  in  einer  Zeit,  in  der  es  weder  Werthpapiere 
noch  Sparkassen  gab,  das  Zeichen  des  Keichthums^  der  Stolz  und 
die  Yorliebe  der  Mutter  und  eine  Mitgift  für  die  Töchter.  Mit 
treffendem  Scherz  behauptet  Jean  Paul  irgendwo,  wenn  der  Teufel 
eine  deutsche  Hausfrau  verführen  wollte,  würde  ihm  das  durch  ein 
Geschenk  von  guter  Leinwand  noch  am  leichtesten  gelingen.  Alexis 
bei  Gt)ethe  ruft  aus: 

•  Doch  nicht  Schmuck  and  Juwelen  allein  verschafft  Dein  Geliebter, 
Was  ein  häusliches  Weib  freuet,  das  bringt  er  Dir  auch  — 
Köstlicher  Leinwand  Stücke.    Du  sitzest  und  nähest  und  kleidest 
Dich  und  mich  und  auch  wohl  noch  ein  Drittes  darein, 

und  der  Vater  in  Hermann  und  Dorothea  meint: 

Nicht  umsonst  bereitet  durch  manche  Jahre  die  Mutter 

Viele  Leinwand  der  Tochter,  von  feinem  und  starkem  Gewebe. 

Denn  neben  andern  trefflichen  Eigenschaften  hat  die  Leinwand  auch 
die,  aufbewahrt  werden  zu  können  und  für  künftige  Zeiten  unver- 
sehrt bereit  zu  liegen,  während  die  Wolle  mancherlei  Feinde  zu 
ferchten  hat. 

Aach  den  westlichen  Slaven  war  ziemlich  frühe  im  Mittelalter 
^er  Flachs  und  die  Leinwand  schon  bekannt.     Nach  Helmold  1,  12 

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154  Der  Flachs. 

erhielt  der  Bischof  von  Aldenburg  aus  dem  ganzen  Lande  der  Wagrier 
und  Obodriten  von  jedem  Pflug  vierzig  Bündel  Flachs  als  Zins  — 
so  dass  also  diese  deutschen  Grenznachbam  schon  zur  Zeit  als  das 
Bisthum  Aldenburg  noch  bestand,  Flachs  auf  ihren  Feldern  bauten. 
In  der  von  Herzog  Heinrich  von  Sachsen  und  Baiem  für  das  Bis- 
thum Ratzeburg  ausgestellten  Dotationsurkunde  vom  Jahre  1158 
(Mecklenburger  Urkundenbuch  No.  65)  wird  bestimmt,  es  solle  de 
unco  d.  h.  vom  Haken  Landes  ein  Topp  (d.  h.  Zopf)  Flachs,  toppus 
Uni  untis^  gegeben  werden,  dessen  Anbau  alao  schon  gewöhnlich  war. 
Derselbe  Helmold  berichtet  von  den  Ranen  auf  der  Lasel  Rügen, 
sie  hätten  (Anfang  des  12.  Jahrhunderts)  noch  kein  gemünztes  Geld, 
an  dessen  Stelle  Leinwand  als  Tauschwerth  diene,  1,  38,  7:  apud 
Ranos  non  habetur  moneta  nee  est  in  camparandis  rebus  consuetvdo 
numorum^  sed  quidquid  in  foro  mercaH  volueris^  panno  lineo  compa- 
rabis.  Ganz  eben  so  wird  in  altnordischen  Gesetzbüchern  nach 
Ellen  Leinwand  gerechnet,  die  bedeutend  höher  im  Preise  stand, 
als  das  einheimische  grobe  Tuch,  das  ^Wadmal.  Weiter  nach 
Osten  erhielt  sich  die  Leinwand  noch  lange  als  allgemeines  Ae- 
quivalent,  ja  noch  im  18.  Jahrhundert  wurde  sie  von  kau- 
kasischen Völkern  als  Durchgangszoll  gefordert,  Güldenstadts 
Reisen,  herausgegeben  von  J.  vonKlaproth,  Berlin  1815,  S.  25:  „Die 
Dugoren  verlangten  für  jeden  Mann  meiner  Begleitung  fünf  Hemden 
oder  vierzig  Ellen  Leinewand  und  zwei  Hemden  für  jedes  Pferd  als 
Zoll  und  noch  für  jeden  Gehülfen,  den  ich  zum  Uebertragen  nöthig 
haben  würde,  fünf  Hemden:  so  stark  war  aber  mein  Vorrath  von 
Leinwand  nicht."  Mit  dem  geregelten  Ackerbau  drang  die  Flachs- 
kultur in  das  Innere  des  grossen  ostenropäischen  Flachlandes  ein,  vo 
der  Pflanze  der  XJeberfluss  an  frischem  Boden  in  der  See-  und  Wald- 
region günstig  entgegenkam.  Ganze  Bauerndörfer  im  Herzen  Russ- 
lands legten  sich  auf  Lein wandweberei  und  wussten  ihren  Handtüchern 
und  Laken  denselben  rothen  Rand  zu  geben,  wie  die  Germanen  des 
Tacitus.  Segeltuch  wurde  seit  Eröffnung  des  Landes  ein  bedeutender 
Ausfuhrartikel,  bis  die  Baumwollfabrikation  auftrat  und  den  altein- 
heimischen Lidustriezweig  tödtete.  Besonders  in  den  feuchten  Ost- 
seestiichen  gedieh  der  Flachs,  den  wohl  die  deutschen  Eroberer  und 
Kolonisten  dort  einführten,  wie  in  seinem  eigentlichen  Vaterlande, 
und  rigaischer  Lein  und  Werg  und  die  von  dort  kommende  Leinsaat 
ist  Jahrhunderte  lang  eine  in  Westeuropa  unter  diesem  Namen  ge- 
suchte Handelswaare  gewesen. 

Die  Geschichte  des  Flachses  bei  den  neueuropäischen  Völkern 


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Der  Flachs.  155 

bis  zum  indastriellen  neunzehnten  Jahrhundert  hinab  za  verfolgen, 
überkssen  wir  dem  historischen  Theil  der  Technologie  und  Volks- 
wirthschaft  und  wollen  nur  erwähnen,  das  eine  der  wichtigsten  Er- 
findungen, die  des  Papiers  aus  linnenen  Lumpen,  nur  durch  die  all- 
gemeine Verbreitung  und  Anwendung  dieser  Pflanze  in  Europa  möglich 
war.  Die  Alten  verfielen  nicht  darauf,  da  damals  keine  massenhaften 
Abfalle  zu  weiterer  Verarbeitung  aufforderten:  hätten  die  Lumpen 
linnener  Kleider,  Betttucher,  Tischdecken  u.  s.  w.  sich  gehäuft,  etwa 
wie  die  Scherben  der  Töpfe,  die  in  Rom  angeblich  einen  ganzen 
Berg  gebildet  haben,  vielleicht  wäre  schon  damals  diese  neue  Ajrt 
libri  lintei  aufgetreten^  —  da  doch  z.  B.  die  Charpie  aus  altem  Linnen 
den  griechischen  und  römischen  Wundärzten  nicht  unbekannt  war. 
Mit  dem  Anbau  der  Baumwolle  in  Westasien  hatte  sich  auch  die 
Kenntniss  des  baumwollenen  Papiers  von  China  nach  Samarkand, 
Ton  da  durch  die  Araber  mit  Beginn  des  achten  christlichen  Jahr- 
handerts  nach  Mekka,  von  Mekka  nach  Spanien  verbreitet.  In 
Spanien  muss  dann  auch  die  Ajiwendung  alter  Leinwand  statt  baum- 
wollener Lumpen  zuerst  versucht  worden  sein:  interessant  ist,  dass 
schon  seit  dem  12.  Jahrhundert  die  Ortschaft  Xativa,  das  alte  durch 
seinen  Flachsbau  bei  den  Römern  berühmte  Saetabis,  unvergleich- 
liches Papier  lieferte,  das  in  den  Orient  und  Occident  versandt  wurde, 
s.  Edrisis  Geographie  von  Jaubert  IL  p.  37.  Von  Spanien  gelangte 
dann  diese  Kunst  allmählig  weiter  nach  Frankreich,  Burgund,  Deutsch- 
land und  Italien.  (Ausführlich  handelt  darüber  W.  Wattenbach,  das 
Schriftwesen  im  Mittelalter.  Leipzig,  1871,  S.  92 ff.)  Da  aber  das 
Linnenpapier  wiederum  die  spätere  Erfindung  der  Buchdruckerkunst 
.erst  fruchtbar  machte,  da  auf  der  Wohlfeilheit  und  Zweckmässigkeit 
dieses  Materials  die  allgemeine  Anwendung  der  Schrift  in  Leben, 
Verkehr  und  Staat  und  damit  die  ganze  neuere  Kultur  beruht,  so 
steigt  die  Bedeutung  der  Lein  pflanze  in  den  Augen  des  Kultur- 
historikers so  hoch,  dass  er  ihr  in  antiker  Weise  das  Prädikat  heilig 
oder  göttlich  geben  möchte,  das  ihr  die  Alten,  die  sie  nur  halb 
kannten  und  nützten,  beizulegen  versäumt  haben.  Vergessen  wir 
aach  die  Malerei  auf  Leinwand  nicht,  die  erst  im  späteren  Alterthum 
und  auch  da  nur  spärlich  sich  findet,  so  wie  die  Anwendung  des 
Leinöls  zur  Malerei,  die  in  den  Niederlanden,  der  alten  Heimath  des 
Leinbaues,  wenn  auch  nicht  zu  allererst  erfunden,  doch  vervollkommnet 
und  zu  einem  edlen  neuen  Kunstzweige  erhoben  worden  ist.  Der 
Orient  möchte  in  alter  Zeit  feine  Gewebe  liefern  und  sie  mit  glän- 
zenden Farben,  wie  sie  in  jenen  Sonnenländem  erzeugt  werden  und 

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156  Der  Flachs. 

den  Menschen  gefallen,  tränken  und  verzieren:  unsere  Batiste,  bra- 
banter  Spitzen,  flämischen  Tafelzeuge,  hervorgebracht  unter  Sturm 
und  Nebel  in  den  Umgebungen  des  Oceans,  können  sich  mit  jenen 
wohl  messen.  Auch  wissen  wir  unsere  weissen  Kleider  mit  Laugen- 
seife, einer  gleichfalls  altbelgischen  Erfindung,  wirklich  zu  waschen; 
Nausikaa  und  das  frühere  Alterthum  verstand  sie  nur  in  fliessendem 
Wasser  zu  spülen,  während  die  halb  abergläubische,  halb  zweck- 
mässige Technik  der  fullones  in  Rom  nur  mit  Surrogaten  operirte. 
Wie  aber  im  Mittelalter  das  linnene  Segel,  „das  sich  für  alle  be- 
müht" (Goethe),  die  Ruderbänke  entfernte  und  die  daran  geschmie- 
deten Sclaven  befreite,  so  hat  in  neuester  Zeit  der  Dampf  das  Segel 
mit  seinen  vielen  Tauen,  das  immer  noch  so  viel  Hände  forderte, 
immer  mehr  zur  Seite  gedrängt  und  die  Zahl  der  dienenden  Matrosen 
vermindert.  Dann  ist  die  Baumwolle  gekommen,  die  die  Alten  nur 
aus  der  Feme  kannten,  und  hat  tausend  Fabriken  in  Bewegung  ge- 
setzt und  Millionen  Menschen  bekleidet:  ihr  erster  ernsthafter  Zu- 
sammenstoss  mit  der  Leinfaser  führte  zu  der  wichtigen  Erfindung  der 
mechanischen  Flachsspindel.  Wiederum  trat  eine  Zeit  der  Baum- 
wollennoth  ein,  wo  der  king  cotton  seiner  Herrlichkeit  entkleidet  zu 
sein  schien  und  Wolle  und  Flachs  wieder  den  ersten  Rang  einnehmen 
wollten.  Doch  ging  die  Krisis  wieder  vorüber  und,  statt  die  Baum- 
wolle fallen  zu  lassen,  hat  die  europäische  Arbeit  angefangen,  immer 
mehr  aus  dem  Reichthum  der  Tropenländer  und  fremder  Welttheile 
zu  schöpfen  und  dort  entdeckte  neue  Gespinnstpflanzen  durch  chemische 
und  technische  Wissenschaft  nutzbar  zu  machen.  Wir  erinnern  in 
dieser  Beziehung  nur  an  die  Jute,  das  Chinagras  und  den  neusee- 
ländischen Flachs,  Phormium  tenax,  und  den  bedeutenden  Rang,  den 
diese  StofiPe  schon  in  der  heutigen  Industrie  einnehmen.  In  den 
klassischen  Ländern,  um  zu  unserem  Ausgangspunkte  zurückzukehren, 
hält  sich  die  Flachskultur  ungefähr  auf  der  Stufe  des  Alterthums. 
In  Griechenland  ist  sie  fast  null;  die  fluss-  und  kanalreichen  Ebenen 
der  Lombardei  und  Venetiens  bringen  geschätzte  Sorten  von  Sommer- 
und  Winterflachs  hervor,  der  durch  eigenthümliche,  sorgfaltige,  viel- 
leicht aus  dem  Alterthum  stammende  Behandlung  ein  sehr  weisses 
und  dauerhaftes  Produkt  giebt;  auch  Toskana,  das  alte  Etruskerland, 
die  Romagna  und  die  Marken  haben  noch  ziemlich  viel  Flachs;  je 
weiter  nach  Süden,  desto  sporadischer  wird  der  Anbau,  und  Samen- 
und  Oelgewinnung  der  Hauptzweck.  Im  Ganzen  ist  auch  das  heutige 
Italien,  trotz  der  zahlreichen  Webstühle  der  Lombardei,    im  Punkte 


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'  Der  Hanf.  157 

der  Leinwand  den  nördlicher  gelegenen  Ländern,  der  im  Nebel  sich 
verbergenden  Insel  Hibemia,  dem  Lande  der  Bataver,  dem  Cherus- 
kersitze Westphalen,  dem  Lygierlande  Schlesien  u.  s.  w.,  nicht  eben- 
börtig.  Wie  die  Baumwolle  erst  durch  ihre  Verpflanzung  nach 
Amerika  ein  Weltprodukt  wurde,  so  auch  der  Flachs  erst  im  Norden 
Europas,  welcher  für  diese  altägyptische  und  babylonische  Pflanze 
das  Colonialland  bildete,  wie  Amerika  für  jene  ostindische. 


Der  Zwillingsbruder  des  Flachses,  der  Hanf,  cannabis  sativa^ 
gehört  doch  einer  anderen  Familie  an,  der  der  ürticeen,  und  hat  sich 
auf  anderen  Wegen  und  viel  später  über  die  Welt  verbreitet.  Die 
Aegypter  kannten  ihn  nicht  —  in  der  Umhüllung  der  Mumien  hat 
sich  keine  Spur  von  Hanffasem  gefunden,  —  eben  so  wenig  die 
Phönizier**),  und  auch  das  Alte  Testament  erwähnt  seiner  nirgends. 
Dass  die  Pflanze  zu  Herodots  Zeiten  in  Griechenland  unbekannt  war^ 
geht  aus  der  schon  oben  angeführten  Stelle  dieses  Geschichtsschreibers 
(4,  74)  hervor,  wo  er  sie  seinen  Lesern  als  eine  neue  beschreibt. 
Die  Skythen  aber  bauten  den  Hanf  an  und  reinigten  und  berauschten 
sich  mittelst  der  Saat;  er  war  also  bei  medopersischen  Stämmen, 
gleichsam  im  Rücken  der  Yorderasiaten  im  Gebrauch  und  stammte 
aus  Bactrien  und  Sogdiana,  den  kaspischen  und  Aralgegenden ,  wo 
er  noch  jetzt  mit  Ueppigkeit  wild  wachsen  soll  (Humboldt,  Ansichten 
der  Natur,  3.  Ausg.,  Th.  2.  S.  64:  „der  aus  Persien  nach  Europa  ein- 
geführte  gemeine  Hanf").  Auch  der  Gebrauch  des  Haschisch  d.  h. 
die  Betäubung  durch  einen  Extract  aus  cannabis  indica  findet  ein 
Analogen  schon  bei  den  Skythen  Herodots.  Hesych.  xawaßig'  oxv- 
^ixov  ^v^iafjia  o  rniavTriv  exet  dvva^iv  wäre  i^txind^eLv  navxa  tov 
naqeoTÜTa.  Die  Thraker  webten  Kleider  aus  dieser  Pflanze,  die  sie 
diesmal  nicht  aus  Eleinasien  —  denn  sonst  wäre  sie  auch  den  Griechen 
bekannt  gewesen  — ,  sondern  von  ihren  Nachbarn  im  Nordosten  am  ' 

Tyras  und  Borysthenes  überkommen  hatten.  Vom  Pontus  und  aus 
Thrakien  wird  denn  auch  dies  vorzügliche  Material  zu  Seilerarbeiten 
den  Griechen  zugekommen  sein,  wie  noch  heut  zu  Tage  die  griechische 
Seemacht  ihren  Hanfbedarf  aus  Russland  bezieht.  Unter  dem  un- 
veränderten Namen  cannabis  ^  cannabus  wanderte  das  Gewächs  in 
verhaltnissmässig  später  Zeit  auch  nach  Sicilien  und  Italien.  Als 
Hiero  IL  von  Syrakus  sein  bei  Athenäus  5,  p.  206  beschriebenes  un- 
geheures Prachtschiflf  baute,   zu  dem  er  von  allen  Ländern  je  da» 

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158  Der  Hanf. 

Beste  in  seiner  Art  kommen  Hess,  wurden  Hanf  und  Pech  vom  Flusse 
Rhodanus  in  Grallien  bezogen.  Dort  also  gedieh  er  besonders  schön 
—  war  er  von  Italien  aus  dahin  verpflanzt  oder  längs  der  grossen 
kdtischen  Völkerkette,  die  damals  schon  von  Gallien  bis  Pannonicn 
mid  an  den  Hämus  reichte,  so  weit  vorgedrungen?  —  Von  den 
römischen  Schriftstellern  ist  der  Satiriker  Lucilius  um  100  vor  Chr. 
der  älteste,  der  des  Hanfes  Erwähnung  thut  (Festus  p.  356  Müller: 
vidimics  vinctum  thomice  cannabina,  mit  einem  hänfenen  Strick). 
Cato  nennt  weder  Flachs  noch  Hanf;  das  seit  dem  zweiten  punischen 
Kriege  aufgekommene  spanische  Spartum,  stipa  tenacissima^  schränkte 
den  Hanf  ein,  der  nicht  oft  genannt  und  also  wohl  auch  sparsam 
angebaut  ward.  An  einzelnen  fruchtbaren  Stellen  indess  gedieh  er 
üppig,  so  in  dem  berühmtem  Landstrich  um  Keate  im  Sabinerlande, 
wo  er  Baumeshöhe  erreichte,  Plin.  19,174:  rosea  agriSaUni  arbortm 
aUitudinem  aequat  Der  griechisch-römische  Name  für  die  Pflanze, 
der  ursprünglich  medisch  gewesen  sein  wird,  aber  auch  in  der 
Sprache  der  alten  Inder  vorkommt  t^),  geht  zum  Beweise  ihrer  Her- 
kunft unverändert  durch  alle  europäischen  Sprachen,  im  Deutchen 
lautverschoben,  ahd.  hanaf^  ags.  hänep^  altn.  hanp\  Auch  die  deut- 
schen Benennungen  des  männlichen  und  weiblichen  Hanfes,  Fimmel 
und  Mäschel,  sind  lateinischen  oder  italienischen  Ursprungs,  Fimmel 
=  femeUay  Mäschel  =  masculuSy  freilich  mit  umgekehrter  Anwendung, 
denn  der  Fimmel  ist  gerade  der  männliche  Hanf,  der  aber  weil  er 
kürzer  und  schwächer  ist,  in  der  Vorstellung  des  Volkes  als  der 
weibliche  erschien.  Jetzt  ist  der  Hanf  durch  ganz  Europa  aus- 
gebreitet und  spottet  so  sehr  aller  klimatischen  Unterschiede,  dass 
Ostindien  und  die  russischen  Häfen  an  der  Ostsee,  ja  Archangel  in 
der  Nähe  des  Polarkreises  in  Betreff  dieses  Produktes  in  den  eng- 
lischen Markt  sich  theilen.  Im  heutigen  Italien  sind  die  Gegenden 
südlich  vom  unteren  Po  ein  reicher  Eulturbezirk  für  diese  Pflanze, 
in  welchem  sie  oft  doppelte  Manneshöhe  erreicht;  die  Ernte  wird 
theils  im  Lande  selbst  zu  Tauen  und  Segeltuch  verarbeitet,  theils 
über  das  adriatische  Meer  ins  Ausland  verschifft.  Der  Betrieb  auf 
Saat,  der  in  Russland,  wo  während  der  langen  und  strengen  grie- 
chischen Fasten  das  Hanföl  allgemein  zur  Nahrung  dient,  eine 
Hauptstelle  einnimmt,  ist  im  Süden  nicht  gewöhnlich.  Wir  bemerken 
noch,  dass  der  auf  europäischen  Märkten  unter  dem  Namen  Kanton- 
hanf oder  Manillahanf  bekannte  Faserstoff  kein  wirklicher  Hanf 
ist,  sondern  aus  dem  Schaft  einer  tropischen  Pflanze,  einer  Art 
Banane,  gewonnen  wird;  er  soll  viel  biegsamer,  elastischer  und  leichter 

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Lauch.    Zwiebeln.  1 59 

sein,  als  der  gemeine  Hanf^  ferner  auf  dem  Wasser  schwimmen  nnd 
im  nassen  Zustand,  auf  Reisen  in  den  nördlichen  Gegenden,  nicht  ge- 
frieren, s.  J.  W.  von  Idüller,  Reisen  in  Mexico,  1.  218  und  Jagor, 
Reisen  in  den  Philippinen,  S.  245  S. 


Lauch.  Zwiebeln. 

Neben  den  Nahrungspflanzen  und  dem  Fleisch  und  der  Milch 
der  Jagd-  und  der  gezähmten  Thiere  grifiPen  schon  die  Urvölker  mit 
Begierde  nach  anregenden  Gewürzen,  unter  denen  das  Salz  bis  auf 
den  heutigen  Tag  die  erste  Stelle  einnimmt.  Das  Pflanzenreich  bot 
mancherlei  scharfe,  beissende  Säfte,  auf  deren  Entdeckung  der  Zufall 
fahrte  und  die  dann  auf  den  Bergen  eifrig  gesucht  wurden.  Je  nach 
ursprünglicher  Anlage  und  dem  Grade  der  Bildung  wirkten  solche 
Reizmittel  freilich  sehr  verschieden  auf  die  Meeren  oder  roheren 
oder  auch  nur  anders  organisirten  Geschmacksnerven  der  sich  fol- 
genden Menschengeschlechter.  Das  Silphium,  das  die  älteren  Griechen 
for  die  köstlichste  Beigabe  jeder  Speise  hielten,  gerieth  später  in 
Vei^essenheit,  angeblich  weil  es  nicht  mehr  au&utreiben  war,  in  der 
That,  wie  wir  glauben,  weil  sich  der  Geschmack  veränderte;  denn 
bei  starker  Nachfrage  wäre  es  entweder  mehr  im  Innern  Afrikas 
noch  zu  finden  gewesen  oder,  wenn  die  Pflanze  endemisch  war,  im 
Gebiet  von  Cyrene  durch  Anbau  künstlich  erzeugt  worden.  Das 
laserpitmm^  das  die  Römer  Jahrhunderte  nachher  für  einerlei  mit 
dem  griechischen  Silphium  hielten  und  aus  Asien  bezogen  —  ob- 
gleich nachbildende  Dichter  und  alterthümelnde  Literatoren  dabei 
Cyrene  zu  nennen  liebten  —  war  wahrscheinlich  ferula  asa  foetida^ 
deren  Beimischung  die  verschlemmte  Zunge  vornehmer  Wüstlinge 
fremdartig  reizte.  Auch  den  Zwiebeln  gegenüber  reagirt  noch  jetzt 
die  Volksempfindung  sehr  verschieden.  Dem  niedersächsischen  Ger- 
manen ist  der  Knoblauch  des  Orientalen  ganz  unerträglich  und  der 
Zwiebelathem  des  Russen  eine  Scheidewand,  die  keine  Gemeinschaft 
znlässt.  Ja,  man  könnte  nach  diesem  Kriterium  die  Völker  in  zwei 
grosse  Gruppen  theilen,  in  die  der  alldum-y eiehrer  und  der  alliurnn 
Hasser,  die  nach  der  "Weltgegend  zugleich  als  die  nordwestliche  und 
die  südöstliche  oder  in  Europa  als  die  des  Mittelmeeres  und  die  der 
Nord-  und  Ostsee  zu  bezeichnen  wären. 

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160  Lauch.    Zwiebeln. 

Wenn  es  wahr  ist^  dass  die  in  Rede  stehenden  Pflanzen  ur- 
sprünglich im  innem  Asien  zu  Hause  sind,  auf  dessen  Steppen  Bo- 
taniker sie  wildwachsend  gefunden  haben  wollen,  dann  hat  sie  schon 
in  grauer  Vorzeit  Verkehr  und  Wanderung  nach  Sudwesten  weiter 
verbreitet,  zum  Beweise,  wie  sehr  diese  derbe  Würze  dem  Natur- 
menschen begehrenswerth  schien.  Denn  in  Aegypten,  dessen  Sitten 
sich  in  einer  Epoche  festsetzten,  als  es  vielleicht  noch  gar  keine 
Indogermanen  gab,  finden  wir  Zwiebel  und  Knoblauch  von  jeher  als 
Bestandtheil  der  allgemeinen  Volksnahrung.  Nach  den  Lauchge- 
wächsen des  Nilthaies  sehnen  sich  in  der  Wüste  die  Israeliten  zurück, 
Num.  11, 6:  „Wir  gedenken  —  derPheben,  Lauch  (chazir\  Zwiebeln 
(bezalim)  und  Knoblauch  (^schumim),^  Beim  Bau  der  grossen 
Pyramide  des  Cheops,  so  erzählt  Herodot  2,  165,  wurden  allein  für 
die  Rettig-,  Zwiebel-  und  Knoblauchkost  der  Arbeiter  1600  Talente 
Silber  aufgewandt,  wie  auf  der  Pyramide  selbst  in  ägyptischen  Schrift- 
zeichen  zu  lesen  stand.  Da  die  Aegypter  alle  Dinge,  auch  das  Ein- 
zelnste und  Greiflichste  der  realen  Welt  in  das  Duokel  der  Religion 
versenkten,  so  konste  es  nicht  fehlen,  dass  diese  Lieblingsge- 
wächse  auch  als  heilige  und  geweihte,  als  Götter  mit  Scheu  ver- 
ehrt und  demgemäss  von  Priestern  und  Frommen  nicht  berührt 
wurden.  Die  Aegypter,  sagt  Plinius,  schwören  unter  Anrufung  des 
Knoblauchs  und  der  Zwiebel,  19,  101:  Alium  cepasque  inier  deos  in 
jure  jurando  habet  Aegyptm.  Juvenal  spottet  darüber,  dass  auf  solche 
Art  die  Götter  der  Aegypter  im  Küchengarten  wüchsen,  15,  9: 

Porrum  et  caepe  nefas  violare  ac  frangere  morsu, 
0  sanctas  gentes,  quibtis  haec  nascuntur  in  hortis 
Numina!  — 

während  der  Christ  Prudentius  darüber  entrüstet  ist,  contra  Symmach. 
2,  865: 

Sunt  qui  quadriviis  brevioribus  ire  parati 

Villa  Niliacis  venerantur  oluscula  in  hortis,, 

Porrum  et  cepe  Deos  inponere  nubibus  ausi, 

Alliaque  et  Serapin  caeli  super  astra  locare, 

und  Peristeph.  10,  259: 

Adpone  porris  religiosas  arulas, 
Venerare  acerbum  cepe,  mordax  allium. 

Für  die  Enthaltung  der  Priester  vom  Zwiebelgenuss  führt  Plutarch 
deren  eigene  Erklärung  an,  es  geschehe,  weil  diese  Pflanze  nur  bei 
abnehmendem  Mond  wachse,    sucht  aber   seine  eigenen  vernünftigen 

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Lauch.    Zwiebeln.  161 

Grande  geltend  zu  machen:    in  der  That   schicke   sich   die  Zwiebel 
weder  for  fastende  Süsser,  noch  für  die,  die  fröhliche  Feste  begehen; 
den   ersteren   wecke  sie  Begierden,    den  anderen    locke  sie  Thränen 
ins  Auge  (de  Is.  et  Osir.  8).    An  einer  anderen  Stelle  hatte  Plutarch, 
wie  wir  ans  GeUius  ersehen^  anter  Anführung  desselben  astro-phyto- 
logischen  Motiys  die  Schea  gegen  die  Zwiebel  auf  die  Priesterschaft 
Ton  Pelosium,   also   auf  den  Localkoltos    der   den    semitischen    und 
philistaischen   Landen    zunächst    gelegenen    und    mit    diesen    durch 
Handel  und  Verkehr  eng  verbundenen  Stadt  beschränkt^  20,  8 :  qiu)d 
apud  Plutarchum  in  quarto  in  Hesiodum  cormnentario  legi:  y^cepe  tum 
rectrescit  et  congerminat  decedente  luna,   contra  autem  inarescit  adtUe- 
scente.     Eam  causam  esse   dicunt  sacerdotes  Aegyptii^   cur  Pelusiotae 
cepe  non  edinty   quia  solum   olerum   omnium   contra   lunae  augmenta 
atque  dofmna  vices  minuendi  et  augendi  haheat  contrarias  —  und  dies 
wird  durch  Lucian  bestätigt   (Jup.  Tragoed.  42),    während  wir  noch 
näher  durch  Sextus  Empiricus  erfahren,  dass  es  der  Dienst  des  Zeus 
Kasios    bei  Pelusium  war,   der  die  Zwiebel  ausschloss,    wie  der  der 
libyschen  Aphrodite  den  Büioblauch  (Pyrrh.  hypot.  3,  24,  p.  184).  — 
In  dem  nahen  Philistäa  wird  Zwiebelbau  und  also  Zwiebelverbrauch 
dorch  die  berühmte  Zwiebel  von  Ascalon  verbürgt,  die  schon  Theo- 
phrast,  h.  pl.  7,  4,  7.  8,  beschreibt  und  nach  der  bis  auf  den  heutigen 
Tag   die  Schalotte,    echalotte^   scahgno   (in  Deutschland    vom  Volks- 
mnnde  zu  Aschlauch,  Eschlauch  germanisirt)  benannt  ist.    Die  kre- 
tische Zwiebel    war  der  askalonischen  ähnlich  oder  mit  ihr  eins  und 
dasselbe  (Theophr.  L  1.  9.)  —  hatten  die  Philister  diese  Zwiebel  auf 
ihren   frühen  Wanderungen   und  Seezügen  von  einer  Küste  zur  an- 
deren gebracht?    Wie  die  libysche  Aphrodite  schloss  auch  die  Mutter 
der  Götter   den  Enoblauchesser   von   ihrem  Tempel   aus.    Denn  als 
der  witzige   und  gottlose  Philosoph  Stilpo    einst  sich  mit  Knoblauch 
gesättigt  und    dann   in  dem  genannten  Heiligthum    sich  zum  Schlaf 
niedergelegt  hatte,  erschien  ihm  die  Göttin  im  Traum  und  sagte:  du 
bist  doch  ein  Philosoph  und  scheust  dich  nicht,  das  Gesetz  zu  über- 
treten? Worauf  er  antwortete:  Gieb  mir  was  Anderes  zu  essen  und  ich 
will  mich  des  Knoblauchs  enthalten  (Athen.  10  p.232). —  Die  Israeliten, 
seit  sie  im  Wüstensande  sich  des  ägyptischen  Eüioblauchs  wehmüthig 
erinnerten,    blieben   alle    Zeit    unerschütterliche   Freunde    desselben, 
sowohl  vor  als  nach  der  Zerstörung  Jerusalems,   wie  einst  daheim 
in  Palästina,    so  in  der  Diaspora  unter  der  Herrschaft  des  Talmuds 
^d  der  Rabbinen.    Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  Sage  von 
dem  foetor  judaicus^  wegen  dessen  die  Juden  von  allen  Nationen  alter 

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Ig2  Laach.    Zwiebeln. 

und  neaer  Zeit  yerhöhnt  und  zurückgestossen  wurden^  yon  dem  unter 
ihnen  allgemetn  verbreiteten  Genosse  dieses  streng  riechenden  Ge- 
würzes zu  allererst  herrührte.    Ein  komischer  Zag,    den  Ammianus 
Marcellinas  aus  dem  Leben   des  Marcus  Aurelius  erzahlt,   beweist, 
dass  schon  damals  die  Juden  in  dem  erwähnten  bösen  Rufe  standen: 
als  dieser  Kaiser,    der  Sieger  über  die  Markomannen  und  Quaden, 
auf  einer  Reise  nach  Aegypten  durch  Palästina  kam,  da  wurde  ihm 
Gestank  und  Lärm  der  Juden  so  lästig,    dass   er  schmerzlich  aus- 
gerufen haben  soll:   o  Markomannen,  Quaden  und  Sarmaten!    habe 
ich  doch  noch  schlimmere  Leute,  als  ihr,  gefunden,  22,  5,  5:  lUe  enim 
cum  Pcdaestinam  trarmret^  Aegyptum  petenSy  foetentiwm  Judaeorum  et 
tumultuantium  (durch  einander  schreiend,   etwa  wie  in  den  heutigen 
Börsenhallen  oder  den  sprichwörtlich  gewordenen  Judenschulen)  saepe 
taedio  perdtu»  dolenter  dicitwr  exclamas&e:  o  Marcomanni^  o  Quocft,  o 
Sarmatae!  tandem  alio»  vobis  inerUores  inveni.    (Wenn  in  Griechen- 
land eine  Abtheilung  der  Lokrer  Ozolae  d.  h.   die  Stinkenden  ge- 
nannt wurden,  so  rührte  dieser  Beiname  vermuthlich  nicht  von  einem 
Nahrungsmittel,  sondern  von  ihrer  Kleidung  her:  sie  trugen  in  alter- 
thümlicher  Weise  Ziegenfelle    und   verbreiteten   daher,    wo    sie    er- 
schienen^ eine  Art  Juchtenduft).  —  Aus  dem  Yerzeichniss  täglicher 
Lieferungen   an  das  Oberküchenmeisteramt  des  persischen  Hofes 
ersehen  wir,    dass  der  Verbrauch  von  Boioblauch  und  Zwiebeln  an 
der  Tafel  des  grossen  Königs  und  seines  Gesindes  kein  unbedeutender 
war:   ausser  Kümmel,  Silphium  u.  s.  w.  ist  als  tägliches  Bedürfiuss 
ein  Talent  Gewicht  Knoblauch,  ein  halbes  Talent  Zwiebeln,  letztere 
von  der  scharfen  Art,  angesetzt  (Polyaen.  Strat.  4,  3,  32).    Das  hohe 
Alter  der  Zwiebel  wird  dann  weiter  durch  Homer  bestätigt,  der  diese 
Pflanze  bereits  unter  dem  Namen  xqo/jvov  kennt,   und  zwar  sowohl 
in  der  Qias  als  in  der  Odyssee.     In  der  ersten  heisst  die  Zwiebel 
11,  630,  noT^  otpovy  Beiessen  zum  Mischtrank,  den  die  schönlockige 
Hekamede  dem  durstig  aus  der  Schlacht  heimgekehrten  Nestor  be- 
reitet, in   der   andern,    19,    232,    trägt    Odysseus    eine    glänzende 
Tunika,   fein  wie  das  Häutchen  um  die  trockene  Zwiebel.    Ebenso 
alt  oder  noch  älter  als  diese  homerischen  Stellen  ist  möglicher  Weise 
der   Name   der   einst   megarischen,    später   korinthischen    Ortschaft 
Kgof^vciv,  Kqefivwv^  der  offenbar  von  der  dort  angebauten  Zwiebel 
abgeleitet  ist.     Megaris  war  auch  in  späteren  Zeiten  wegen  des  in 
der  Landschaft  wachsenden  und  von  den  Bewohnern  reichlieh  ver- 
zehrten  Eüioblauchs   berühmt    oder   berüchtigt:    tj    yaQ    MeyaQix^ 
axoQoöog>6Qog,   sagt    der   Scholiast  zu  Aristoph,  Pac.  246,  —  und 


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Lauch.     Zwiebeln.  163 

m^^arensisclie  Thranen,  Meya^itav  ddxQva^  nannte  ein  Sprichwort 
(bei  Suidas  und  Hesychius)  erheuchelte  oder  Krokodilsthränen,  wie 
derjenige  yergiesst,  der  eine  aufgeschnittene  Zwiebel  anblickt  In 
der  ältesten  Zeit,  ehe  das  Ländchen  ionisch  und  später  dorisch  wurde, 
war  es  von  Earern  und  später  Lelegem  besetzt  oder  heimgesucht 
gewesen,  und  schon  damals  konnten  von  diesen  schwärmenden  An- 
kömmlingen orientalische  aUmm- Arten,  eingeführt  worden  sein.  Aus 
dem  Namen  des  mythischen  Stifters  der  Stadt,  des  Eromos,  des 
Sohnes  des  Poseidon  (bei  Pausan.  2, 1,  3)  lässt  sich  auf  eine  kürzere 
Urform  des  griechischen  Wortes  für  Zwiebel  schliessen,  welches  mit 
dem  von  der  Schweiz  bis  nach  Skandinavien  hin  verbreiteten  Ramser, 
Ramsely  Rams  (Schmeller  3,  92),  allium  ursinum  L.,  wilder  Knoblauch, 
Aüermannshamisch^  Siegwurz,  angelsächsisch  hravisa,  englisch  ramsen, 
ramsony  buckraTm,  irisch  creamh^  litauisch  kermusze^  polnisch  trzemcha, 
trzemucha^  russisch  cet^emsa,  ieremica^  cererrmika  zusammengestellt 
werden  darf.  —  Lateinisch  cepe^  caepa  hat  ofiPenbar  sein  Analogen 
in  dem  von  Hesychius  aufbewahrten  arkadischen  xoTiia  für  Knob- 
lauch (xaitia  xa  axoQoda,  KeQvyfxat),  die  Annahme  aber,  dass  in 
dem  Worte  der  Begriff  Kopf  liege,  caepa  capitata^  xecpaliatov^  xe- 
q>al6QQita  häufig  bei  Theophrast  —  diese  Annahme  führt  in  eine 
ferne  Sprachperiode  hinaus,  wo  caput  und  x8g>aXi^  ihre  Suffixe  noch 
nicht  entwickelt  hatten.  Und  dennoch  reichen  die  letzteren  noch  in 
die  Zeit  der  europäischen  Völkergemeinschaft  hinauf:  caput  stimmt 
genau  zu  dem  altnordischen  hofuth  für  hafuth  (das  gothische  hattbüh 
zeigt  schon  eine  Ausartung),  xecpal^  zu  dem  angelsächsischen  hafela^ 
heafola  (wo  die  Aspiration  im  griechischen  Wort  wohl  dem  folgenden 
/  ihr  Dasein  verdankt).  Da  indess,  wie  sich  hieraus  ergiebt,  die 
Suffixe  noch  schwankten,  so  mochte  zu  derselben  Zeit  aujch  das 
mibekleidete  Wort  bei  einzelnen  Wanderstämmen,  die  das  Alter- 
thümliche  bewahrten,  noch  fortdauern  und,  als  der  Kopilauch  oder 
die  Zwiebel  vom  Orient  kam,  auf  diese  angewandt  worden  sein.  Die 
von  Polybius  12,  6  berichtete  ürsprungssage  der  italischen  Lokrer 
zeigt  deutlich,  dass  unter  ihnen  x£q>aXi]  auch  den  Kopf  der  Zwiebel 
bedeuten  konnte.  Als  sie  zu  allererst  in  Italien  gelandet  waren, 
gaben  sie  den  Ureinwohnern,  den  Sicolem,  das  eidliche  Versprechen, 
in  Frieden  tmd  Freundschaft  mit  ihnen  das  Land  gemeinsam  zu  be- 
atzen, 80  lang^  sie  diese  Erde  betreten  und  ihre  Köpfe  auf  den 
Schultern  tragen  würden.  Sie  hatten  aber  Erde  in  ihre  Schuhe  ge- 
schüttet und  trugen  Zwiebelköpfe,  axoQodwv  xscpaldg,  heimlich  unter 
den  Kleidern  auf  den  Schultern;    nachdem  sie  sich    beider  entledigt, 

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2g4  Lauch.    Zwiebeln. 

waren  sie  &ei  vom  Schwur  und  nahmen  das  Land  für  sich  atlein 
in  Besitz.  Und  daher  kam  das  Sprichwort  Aoxqüv  oiv^rnia^^) 
Auch  lateinisch  wird  in  dem  Zwiegespräch  des  Königs  Numa  mit 
dem  Himmelsgotte  bei  Ov.  Fast.  3,  339  caput  und  cepa  als  gleich- 
bedeutend vorausgesetzt: 

Caede  caput,  dixit.     Cut  rex^  parebimuSy  inquit^ 
Caedenda  est  hortis  eruta  cepa  meis. 
Das  griechische  axoQodov^    oxoqöov^   ist  als  „übel  machend '^  erklärt 
und  mit  dem   slavischen  skar^dü  verglichen   worden  (Fick*  S.  205); 
die  lateinischen  Namen  alium^  allium  und  ulpicum  (schon  bei  Plautus 
und  Cato)  wissen  wir  nicht  zu  deuten  —  oder  sollte  in  dem  erstem, 
worauf  das  griechische    aylig  führt,    ein  assimilirter  g-  oder  c-Laut 
stecken?     Tlqaaov   hiess    ursprünglich,    wie    das   hebräische    chazir^ 
Eraut^  Gemüse  überhaupt;  das  davon  abgeleitete  nqaaio,  Gartenbeet 
braucht  schon  der  Dichter,  der  in  der  Odyssee  die  Gärten  des  Alcinous 
beschrieb,    und  giebt  ihm  das  Beiwort  xoofiriTog  d.  h.  durch  Kultur 
geschafiPeu,  Vernunft  und  Zweck  ofiPen  an  sich  tragend;   ein  attischer 
Demos  hiess  Tlgaaialf  ebenso  eine  lakonische  Stadt;  in  der  Bedeutung 
Lauch  ging   das  Wort  zu   den  Lateinern    über,   in   deren  Munde  es 
porrum  lautete,  und  in  weit  späterer  Zeit  in  der  Form  prasü^  prazü 
zu   den   Slaven.     Der    durch    Herodot   berühmte  See  Prasias    trägt 
seinen  Namen  wohl  eben  daher,  woher  in  derselben  Gegend  der  von 
Aeschylos    und  Thucydides  Bolßrj    genannte  See   so  hiess,    nämlich 
von  einer  am  Ufer  wachsenden  Zwiebelart,  vielleicht  der  sogenannten 
Meerzwiebel,   Scilla  maritima.     Unter    den   andern  griechischen  Be- 
nennungen xidaXov  (bei  Hesychius),    ccyXig^  yskyic^  al  yelyeig,  ysl- 
yidovo^ai  (bei  Theophrast),  Gen.  yelyldog,  yeXyld^og^  ßolßog^  oxiXla^ 
yr^vovj  yrjTeioVy    yr]&vXXig  (schon  bei  Epicharmus)    —    nimmt    die 
letzte,    yri&vXXicy   ein  besonderes  Literesse   in  Anspruch,   weil    sich 
ein  reb'giöser  Brauch  an  sie  knüpft  und  ihr  daher  ein  relatives  Alter 
verbürgt.    Am  Fest  der  Theoxenien  in  Delphi  nämlich,  das  als  eine 
BewirthuDg    sämmtlicher  Götter    durch  Apollo    gedacht  war,   erhielt 
derjenige,  der  die  grösste  yrjdvXXigj  Lauchzwiebel,  mitbrachte,  einen 
Antheil  von  dem  Opferschmause:  der  Grund  war,  weil  Leto,  da  sie 
mit   ihrem    Sohn   schwanger    ging.    Verlangen    nach   einer    solchen 
yri^vXXig   getragen    hatte.     So    erzählt   Polemon,    der  Perieget,    bei 
Athen.  9,  p.  372.     Sollte  yrj&vovy    yijdvXXig  ein  Compositum  aus  yrj 
und  x>vü)  sein  können,    mit  der  Bedeutung  Erdrauch    (so  auch  im 
Slavischen,    woher  das    litauische   dimkqs^    eine  Zwiebelgattung),    in 
späterer   Sprache    xanviog^   fumariaf     Lateinisch    hiess    das   Wort 

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Lauch.    Zwiebeln.  165 

pallacana  (nach  Plinius)  —  welches  wie  von  pallacoy  Kebsweib,  ab- 
geleitet aussieht. 

Debrigens  waren  im  nachhomerischen  Griechenland  wie  in  Italien 
Zwiebelgewächse  die  allerbeliebteste,  üblichste  Nahrung  des  Volkes. 
Für  Athen  lehrt  dies  fast  jede  Scene  des  Aristophanes,  so  wie  eine 
Menge  gelegentlicher  Aeusserungen  anderer  Autoren,  Anekdoten,  die 
erzählt  werden,  Redensarten,  die  daher  entnommen  sind  u.  s.  w. 
Mit  der  steigenden  Bildung  und  daraus  fliessenden  Milderung  der 
Sitten  und  feinem  Reizbarkeit  der  Nerven  schlug  dann  bei  den 
höheren  Ständen  die  alte  Vorliebe  in  Widerwillen  um:  Jemandem 
Zwiebeln  anwünschen,  bedeutete  jetzt  nichts  Gutes,  und  Knoblauch 
gemessen  und  die  entsprochende  Atmosphäre  verbreiten,  verrieth  den 
Mann  aus  dem  niedrigsten  Volke  oder  ward  als  ein  Ueberbleibsel 
aus  der  rohen,  bäuerischen  Zeit  der  Väter  angesehen.  Als  der  ly- 
rische König  Alyattes  den  weisen  Bias  von  Priene  einlud,  zu  ihm 
zu  kommen,  fertigte  dieser  den  Einlader  mit  der  kurzen  Antwort 
ab:  nach  meinem  Willen  soll  der  König  Zwiebeln  essen  d.  h.  Thränen 
vergiessen  (Diog.  Laert.  Bias).  Dieselbe  Sage  berichtet  Plutarch  von 
Pittakus  von  Mitylene,  dem  er  noch  eine  Erweiterung  in  den  Mund 
legt:  der  König  solle  Zwiebeln  essen  und  heisses  Brod  verschlingen 
(Sept.  sap.  conviv.  10).  Dieselbe  Redensart  auch  in  Italien:  in  den 
Eumeniden  des  Varro  hiess  es  (Riese,  M.  T.  Varronis  Sat  Menipp. 
rehquiae,  fr.  28):  in  somnis  venit^  jubet  me  cepam  esse.  Der  home- 
rische Brauch,  den  Trunk  durch  den  Genuss  von  Zwiebeln  zu  würzen, 
der  sich  mehr  für  Matrosen  als  für  Könige  zu  schicken  schien,  er- 
regte bei  den  Späteren  Verwunderung  (Plut.  Symp.  4,  3,  8).  Doch 
half  man  sich  mit  Unterscheidung  der  süssen  und  der  herben  Zwiebel; 
die  erstere,  noch  jetzt  im  Orient  gebräuchlich,  von  milderem  Ge- 
schmack und  Geruch,  kann  ohne  Unbequemlichkeit  aus  freier  Hand 
genossen  werden;  nur  die  andere,  xgSfivov  ÖQifJLv,  verbreitete  den  /a- 
crimosus  oder  und  konnte  von  Ennius  cepe  maestum^  von  Varro  und 
Lucilius  flebüe  cepe^  von  letzterem  die  talla  oder  tala  (Zwiebelhülse) 
lamTnosa  genannt  werden.  Bei  einem  komischen  Dichter  setzen  die 
Athener  den  Dioskuren  Käse,  Oliven  und  Lauch  nach  alter  Sitte 
zum  Frühmahl  vor  (Athen.  4,  p.  137)  —  und  dasselbe  wendet  Varro 
ia  mehr  römischer  Weise  so,  die  Worte  der  Vorfahren  hätten  woU 
nach  Knoblauch  geduftet,  um  so  edler  sei  aber  der  Hauch  ihres 
Gdstes  gewesen,  bei  Non.  Marc.  3,  p.  201:  avi  et  atavt  nostri,  cttm 
olium  ac  cepe  eorwm  verba  olerent,  tarnen  optume  animati  erant 
Schon  bei  Plautus  ist,   wie   bei  Aristophanes,   Knoblauchgeruch  das 


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166  Lftnch.    Zwiebeln. 

Zeichen   des  Armen  und   erregt   dem  Edlen  heftigen  Ekel,   MostelL 

1,1,38: 

Ät  te  Jupiter 
Dique  omnes  perdant :  fu,  oboluisti  alium^ 

worauf  später  der  Andere  sagt: 

Tu  tibi  istos  hdbeas  turtures,  piscis,  avis^ 
Sine  me  aliatum  fungi  fortunae  tneae  — 
und  bei  Naevius  (in  Apella,  Prise.  6,  11,  p.  681)  kam  der  Yers  vor: 

ut  iUum  di  ferant^  qui  primum  holitor  cepam  protulit. 
Bekannt  ist  die  an  Mäcenas  gerichtete  dritte  Epode  des  Horaz,  in 
der  der  nervös  organisirte  Dichter  seinem  ganzen  Abscheu  gegen 
den  Ejioblauch  halb  ernst,  halb  scherzend  Luft  macht.  Hart  ist  das 
Eingeweide  der  Schnitter,  ruft  er  aus,  —  deren  Arbeit  in  der  That 
bei  der  Sommerglut  des  Südens  zu  den  allerschwersten  gehört,  die 
darum  viel  vertragen  können,  und  die  auch  bei  Vergil  sich  mit 
Knoblauch  stärken,  Ecl.  2,  10: 

Thestylis  et  rapido  feem  messoribus  aestu 

Alia  serpyüumque  herbae  contundit  dentis. 
Mir  scheint  es,  fährt  er  fort,  ein  Gift,  das  eine  böse  Hexe  mir  bei- 
gebracht hat!  Gebt  es  künftig  den  Verbrechern  statt  des  Schierlings- 
bechers! Es  versengt  mir  die  Glieder,  wie  die  Sonne  Apoliens,  wie 
das  Nessusgewand  den  Körper  des  Herkules!  Sollte  jemals,  o 
Mäcenas,  eine  Laune  dich  verführen,  von  diesem  Kraut  zu  gemessen, 
dann  möge  die  Geliebte  deinen  Kuss  abwehren  und  fem  von  deiner 
Umarmung  an  das  unterste  Ende  des  Lagers  sich  flüchten!  —  Der 
letzere  Gedanke:  „das  Mädchen  küsst  dich  nicht,  wenn  du  Lauch 
gegessen  hast^  (man  könnte  in  modemer  Weise  sagen:  wenn  du 
Tabak  rauchest  oder  schnupfest,  —  aber  die  heutigen  Damen  — 
rauchen  selbst!),  dieser  Gedanke  kehrt  bei  griechischen  und  rö- 
mischen Dichtem  auch  sonst  wieder,  z.  B.  bei  Martial  1,  3,  18: 
Fila  Tarentini  gramter  redolentia  porri 
Edisti  quotiens,  oscula  clusa  dato  — 
und  in  einer  Komödie  des  Alexis  oder  Antiphanes  enthält  sich  der 
noQvog^  wenn  er  mit  guten  Gesellen  speist,  des  Lauches,  um  dem 
Geliebten  keinen  unreinen  Athem  entgegenzubringen  (Athen.  13, 
p.  572).  Umgekehrt  that  Niceratus  seiner  eifersüchtigen  Frau  wegen, 
bei  Xenophon  Symp.  4,  8:  „Charmides  sagte:  Hochgeehrte  Herren, 
der  Niceratus  hier  liebt  es  mit  einem  Zwiebelathem  nach  Hause  zu 
kommen,  damit  seine  Frau  überzeugt  sein  könne,  es  habe  Niemand 
es  sich  einfallen  lassen,  ihm  einen  Kuss  zu  geben/    Auch  bei  Ari- 


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Laach.    Zwiebeln.  167 

stophanes  ThesmopL  493  kaut  die  ungetreae  Fraa  gegen  Morgen 
EJQoblaucli,  um  dem  von  der  Wache  heimkehrenden  Manne  dadurch 
ihre  Unschuld  zu  beweisen. 

Nach  einer  anderen  Seite  hin  schaffite  der  durchdringende  Ge- 
ruch und  Geschmack  der  Zwiebel  und  dem  Knoblauch  auch  aber- 
gläubische Heilkraft,  besonders  die  Eraft^  bösen  Zauber  zu  brechen 
und  eingeflösstes  Gift  unwirksam  zu  machen.  Denn  alles  Stark- 
riechende hat  diese  abwehrende,  das  Feindselige  erstickende  Macht, 
wie  auch  der  dampfende  Schwefel  als  xaxüv  axog  die  durch  Mord 
befleckte  HaUe  reinigt.  Eine  Schrift  über  die  Heilkraft  der  bulbi 
wurde  auf  Pythagoras  zurückgeführt,  Plin.  19,  94:  untMn  de  üs  (bulbU) 
vohtmen  (xmdidU  Pythagoras  phtlosophusy  coüigem  medicas  viresy  und 
der  Knoblauch  war  Bestandtheil  vieler  Arzneien,  besonders  bei 
dem  Landvolk,  ibid.  111:  altum  ad  multa  ruris  praecipue  medicor 
menta  prodesse  creditur.  Derselbe  Philosoph  sollte  gelehrt  haben, 
eine  an  der  Schwelle  der  Thür  angebrachte  Meerzwiebel  wehre  dem 
Uebel  den  Eintritt,  Plin.  20, 101:  Pyihag<yras  scülam  in  limine  quoqm 
ianuae  suBpensam  malorum  introitum  pellere  tradity  und  auf  denselben 
Glauben  zielt  ein  Fragment  des  Aristophanes  (bei  Suidas  v.  avXeiog^ 
mit  Meinekes  Correctur):  nQhg  tbv  aTqoq>ia  xriq  avXelag  axivov 
x€<paliiv  xctTOQvrreiv.  Da  in  der  bei  allen  Griechen  berühmten 
Stelle  der  Odyssee  das  Ejraut  f^äXv  —  von  den  Göttern  so  benannt, 
niit  schwarzer  Wurzel  und  milch  weisser  Blüte,  den  Menschen  schwer 
zu  graben,  den  Göttern,  die  alles  können,  leicht  zuganglich  —  den 
Odysseus  stark  macht,  die  Künste  der  Circo  zu  vereiteln,  so  wurden 
später  in  den  verschiedenen  Landschaften  bald  diese  bald  jene  zu 
Gegenzauber  dienende  Kräuter  und  Wurzeln  mit  dem  schon  zur  Zeit 
des  Dichters  der  Abenteuer  mit  der  Circe  nur  in  der  Göttersprache 
noch  vorhandenen,  nachher  ganz  verschollenen  Namen  fitSlv  be- 
zeichnet, darunter  auch  die  aus  der  Gattung  allium.  So  wuchs  in 
gewissen  Gegenden  Arkadiens,  wie  Theophrast  in  dem  für  die  popul&re 
d.  h.  älteste  Heilmittellehre  überaus  wichtigen  15.  Kapitel  des  9.  Buches 
seiner  Pflanzengeschichte  berichtet,  ein  Kraut  fiOjXv,  mit  runder 
zwiebelf5rmiger  Wurzel,  mit  Blättern  denen  der  Meerzwiebel  ähn- 
lich, als  Gegengift  und  zur  Abwehr  von  Zauber  dienlich,  sonst  ganz 
zu  Homers  Worten  passend,  nur  im  Widerspruch  mit  ihnen  ganz 
leicht  zu  graben.  Im  Norden  Kleinasiens  und  in  der  Pontusgegend, 
dem  Gebiet  der  Gifi;e  und  Gegengifte,  der  Zauber  und  Gegenzauber, 
der  blutstillenden  und  gegen  Schlangenbiss  feienden  Wurzeln,  an 
dessen  Aberglauben  und  magischen  Yerrichtungen  auch  dieNachbar- 


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168  Lauch.    Zwiebeln. 

lander,  Thessalien  und  Thrakien  auf  der  einen,  Eolchis  auf  der 
andern  Seite  Theil  nahmen,  in  dem  kleinasiatischen  Gralatien  und  in 
Kappadokien  trug  die  Bergraute,  nijyavov  äyQiov^  ruta  graveolem 
oder  montana  L.,  den  homerischen  Namen  fiuXv  und  diente  ohne 
Zweifel  zu  Averruncationen  (Dioscor,  3,  46).  Diesen  Namen  hatten 
die  griechischen  Ansiedler  des  Pontus  mit  ihrem  Homer  in  das  gift- 
und  zauberkundige  Land  mitgebracht,  und  in  die  kappadokische 
wie  in  die  galatische  Sprache  war  es  mit  andern  Gräcismen  über- 
gegangen. Denn  wenn  auch  fxwXv  ursprunglich  ein  Fremdling  war, 
—  dass  das  vorauszusetzende  Mutterwort  sich  nach  so  viel  Jahr- 
hunderten bei  den  eingewanderten  Galatem  und  den  fernen  Eappa- 
doken  lebendig  erhalten  hätte,  erscheint  uns  hundertmal  minder  wahr- 
scheinlich, als  dass,  wie  in  anderen  Fällen,  auch  hier  Homer  die 
gemeinsame  Quelle  war. 

Die  Germanen  lernten  die  eigentliche  Zwiebel  oder  Bolle  von 
Italien  aus  kennen,  wie  diese  Namen  lehren  (beide  aus  ital.  cipoUa, 
dies  aus  dem  spätlateinischen  cepuUa).  Aber  ein  anderes  merkwür- 
diges Wort  geht  nördlich  der  Alpen  quer  von  West  nach  Ost  durch 
die  drei  grossen  Racen  der  Kelten,  Germanen  und  Slaven,  in  der 
ursprünglichen  Bedeutung  herba,  herba  sttcctdenta,  dann  in  der  de- 
terminirten  porrum^  cepe^  aUium,  Altirisch  Zw«,  kymrisch  llysiau^ 
comisch  fes,  herba^  porrwm  (s  für  älteres  a,  wie  des»  =  dexter^  sess  = 
sea,  688  =  goth.  auhaa^  auhsuSy  der  Ochse  u.  s.  w.);  altn.  laukr^  ags. 
ledc^  ahd.  Ixmh  (also  gothisch  lauks)\  slav.  luku^  lit.  lukai  plor. 
Dass  hier  nicht  etwa  Urverwandtschaft,  sondern  Entlehnung  vorliegt, 
lehrt  'die  gleiche  Consonantenstufe  im  Deutschen  und  Slavischen; 
von  wo  aber  ging  das  Wort  aus,  und  in  welcher  Richtung  wanderte 
es?  Grimm  Gr.  2,  22  leitet  laukr  vom  gothischen  Ivkan  claudere  ab 
(welches  Verbum  selbst  sich  ein  wenig  der  Analogie  entzieht)  und 
erklärt:  ab  aperiendo  folia;  danach  wäre  das  Wort  bei  den  Deut- 
schen entstanden  und  rechts  und  links  von  Slaven  und  Kelten  er- 
borgt worden  —  kulturhistorisch  wenig  glaublich.  Da  die  Urbedeu- 
tung herba  bei  den  Kelten  am  meisten  erhalten  geblieben,  die  enger 
fixirte  cepa^  porrvm  bei  den  Slaven,  wie  es  scheint,  die  einzige  ist; 
da  die  Kelten,  wie  in  allen  Zweigen  kultivirten  Lebens,  so  auch  im 
Grarten-  und  Gemüsebau  den  weiter  östlich  in  halber  Wildheit  ver- 
bliebenen verwandten  Stämmen  um  Jahrhundejrte  vorausgingen,  so 
scheint  uns  der  Lauch  und  der  Name  dafür  eher  aus  Gallien  an  die 
Ostsee,  als  vom  Smensee  und  oberen  Dniepr,  Gegenden,  die  die 
Slaven  noch   zu  Tacitus  Zeit  als  Räuber   durchstreiften,    zum  Rhein 

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Lftuch.    Zwiebeln.  169 

und  zu  den  Fruchtgefilden  und  Städten  an  der  Sequana  und  dem 
Rhodanos  gekommen  zu  sein.  Das  auslautende  8  des  keltischen 
Wortes  konnte  yon  den  Deutschen  als  Nominativzeichen  empfunden 
and  als  solches  weggelassen  worden  sein.  Doch  muss  hier  Alles, 
wie  natürlich,  nur  Vermuthung  bleiben.  Die  Alazonen  und  Ealli- 
piden  in  der  Nähe  Olbias  am  schwarzen  Meer  bauten  zu  Herodots 
Zeit,  4,  17,  xQOfifiva  xai  axoQoda^  doch  waren  diese  halbhelleni- 
sirten  Skythen  den  nachmaligen  Slaven  räumlich  nicht  näher,  als  sie 
es  bald  den  heranziehenden  Kelten  wurden,  geistig  aber  viel  femer. 
Bei  den  Thrakern  war  die  Zwiebel  altherkömmlich  uud  unentbehr- 
lieh)  wenn  wir  nämlich  dem  Komiker  bei  Athen.  4^  p.  131,  der  die 
thrakischen  Hochzeitsgebräuche  schildert,  trauen  d&rfen:  dort  er- 
lödten  bei  der  Vermählung  des  Iphikrates  mit  der  Tochter  des  Kö- 
nigs Kotys  die  Neuvermählten  ausser  andern  kostbaren  Geschenken 
einen  Krug  Schnee,  einen  Keller  Hirse  und  einen  zwölf  Ellen  hohen 
Topf  Zwiebeln : 

Xtovog  Te  uqoxovv  xiyxqwv  xa  aiQov 
ßoXßaiv  %e  %vtQav  diodexdnrjxw. 
Die  thrakischen  ßolftoi  gehörten  wohl  demselben  Kulturkreise  an^ 
wie  die  xgoftva  des  Homer,  und  haben  mit  dem  des  europäischen 
Kordens  nichts  zu  thun.  AJs  die  Slaven  später  in  die  Wohnsitze 
der  Thraker  rückten,  wurden  sie  die  Erben  des  thrakischen  Hirse 
und  der  thrakischen  Zwiebel.  Im  germauischen  Noi^den  scheint 
der  laukr  magische  Klraft  gehabt  zu  haben,  wie  in  Kleinasien  und 
Griechenland.  Er  wird  in  den  Trank  geworfen,  um  diesen  vor  Ver- 
rath  zu  schützen,  Lied  von  Sigurdrifa  8  (nach  Simrocks  Ueber- 
setzong): 

Die  FülluDg  segne^ 

Vor  Gefahr  Dich  zu  schützen, 

Und  lege  Lauch  in  den  Trank. 

So  weiss  ich  wohl 

Wird  dir  nimmer 

Der  Meth  mit  Meineid  gemischt. 

Als  Helgi  geboren  war  und  Sigmundr,  sein  Vater,  aus  der  Schlacht 
heimkehrte,  da  trug  er  edlen  Lauch  (itrlatck),  Erstes  Lied  von  Helgi 
dem  Hundingstödter,  7: 

Der  König  selbst 
Ging  aus  deoQ  Schlachtl&rm, 
Dem  jungen  Helden 
Edlen  Lanch  zu  bringen. 

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170  Lauch.    Zwiebeln. 

Grimm  DM'  1165  fülirt  dazu  die  Yölsongasaga  Cap.  8  an  und 
fügt  hinzu:  „es  erhellt  nicht,  ob  der  König  als  heimkehrender  Sieger 
Lauch  trug,  oder  weil  es  Sitte  war,  beim  Namengeben  ihn  zu  tragen.*' 
Da  der  Allermannshamisch  dem  Namen  gemäss  den  Mann  beschützt 
und  als  Siegwurz,  aUium  victoriale^  den  Sieg  verleiht,  so  scheint  die 
erstere  Erklärung  sich  mehr  zu  empfehlen.  —  Unser  Knoblauch 
ist  verdorbene  neuere  Aussprache  für  Kloblauch,  ahd.  chlopolouh, 
cMovoUmh^  welches  Grimm  als  gespaltenen,  zerriebenen  Lauch, 
von  klieben^  klauben,  erklärt  hat;  dass  das  richtig  ist,  beweist  das 
slavische  iesnükü,  iemtct^  welches  von  ce^aü  pectere^  rädere'  abgeleitet 
ist.  Das  angelsächsische  gdrUdc^  engl,  garlich^  altirisch  gakieog 
(entlehnt),  altn.  geirlaukr  besagt  soviel  als  Spiesslauch.  Ein  in 
althochdeutschen  Glossen  vorkommendes  surio,  snrro  für  cepoy  porrum, 
und  das  litauische  stoogunaa  Zwiebel,  notiren  wir,  ohne  eine  Erklärdng 
geben  zu  können.  —  Das  Gegentheil  von  Kjioblauch  drückt  das 
bäuerisch  lateinische  Wort  unio  bei  Columella  aus,  d.  h.  die  einfache, 
einzige  Zwiebel,  aus  dem  das  französische  oignon  entstanden  ist  — 
denn  dass  dies  unio  nicht  lateinisch,  sondern  nur  Wiedergabe  einer 
altgallischen  Benennung  der  Zwiebel  wäre,  wie  Stockes  Irish  glosses 
Nr.  862  andeutet,  kommt  uns  diesmal  weniger  wahrscheinlich  vor. 
Das  französische  cive^  cwette^  Schnittlauch,  ist  nichts  als  das  latei- 
nische caepa. 

Ln  europäischen  Süden  ist  heut  zu  Tage  Zwiebel  und  Knob- 
lauch ganz  eben  so  gesucht  und  gemieden,  wie  zu  Zeit  des  Ari- 
stophanes  und  Plautus.  In  Italien  versäumt  kein  Bauer,  w^m  er 
irgend  kann,  etwas  Knoblauch  im  Garten  zu  ziehen  xmd  ihm  fleissig 
zuzusprechen,  während  der  Gebildete  sich  dieser  Würze  zu  enthalten 
oder  vorsichtig  zu  bedienen  pflegt.  Dass  Spanien  ein  noch  ärgeres 
Knoblauchland  ist,  als  Italien,  ist  bekannt;  wir  erinnern  nur  an  die 
köstliche  Scene  im  Don  Quixote,  wo  der  edle  Ritter  an  der  Heer- 
strasse eine  Bäuerin  heranreiten  sieht,  sie  für  die  schöne  Dnlcinea 
von  Toboso  hält,  in  seiner  Liebeshuldigung  aber  durch  den  stechen- 
den E^noblauchsgeruch,  der  von  dem  vermeintlichen  Edelfränlein  aus- 
geht, etwas  gestört  wird  und  den  unglücklichen  Umstand  durch  die 
Tücke  der  Zauberer  erklärt^  die  ihn  schon  so  lange  verfolgen  und 
nun  auch  den  süssesten,  lange  ersehnten  Moment  seines  Lebens  durch 
solches  Missgeschick  verderben.  —  In  Byzanz  war  der  Zwiebel- 
verbrauch, sogar  an  der  Kaiserlichen  Tafel,  so  stark,  dass  Liudprand, 
der  Bischof  von  Cremona,  der  doch  selbst  ein  Italiener  war,  dies 
Uebermass  anstössig  fand.     „Der  Beherrscher  der  Griechen,  sagt  er 

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Lauch.    Zwiebeln.    Kümmel.  171 

in  seinem  Gesandtschaftsbericht  yom  Jahre  968,  trägt  langes  Haar, 
Schleppkleider,  weite  Aermel  nnd  eine  Weiberhaabe . . . . ,  nährt  sich 
von  Knoblaach,  Zwiebeln  and  Lauch  nnd  säuft  Badewasser^  (d.  h. 
mit  Harz  und  Gips  versetzten  Wein).  Und  ein  ander  Mal:  „Er  be- 
&I1I  mir  zu  seiner  Mahlzeit  zu  kommen,  die  t&chtig  nach  Knob- 
laach and  Zwiebeln  duftete  und  mit  Oel  und  Fischlake  besudelt  war.^ 
Ganz  um  dieselbe  Zeit  freilich  machte  ein  Orientale,  der  Geograph 
Ibn-Hauqal,  einer  occidentalischen  Stadt,  der  Hauptstadt  von  Sicilien, 
denselben  schmähliclien  Vorwurf.  In  seiner  Beschreibung  von  Pa- 
Wmo  (ed.  de  Goeje  S.  86  ff.  und  im  Auszuge  bei  Jäqüt)  schreibt 
er  den  Einwohnern  alle  möglichen  Laster  und  Thorheiten  zu,  nennt 
sie  stampf  und  gottlos,  lau  zu  allem  Guten,  geneigt  zu  allem  Bösen; 
die  Wurzel  dieses  traurigen  Zustandes,  fügt  er  hinzu,  ist  die  Ge- 
wohnheit, die  bei  ihnen  herrscht,  Morgens  und  Abends  rohe  Zwie- 
beln zu  essen,  wodurch  ihr  Hirn  verstört  und  ihr  Sinn  abgestumpft 
wird.  Man  sieht  dies  an  ihrem  Benehmen,  an  ihrem  Aussehen:  sie 
trinken  lieber  stehendes,  als  fliessendes  Wasser,  scheuen  sich  vor 
keiner  stinkenden  Speise,  sind  schmutzig  amLeibe,  ihre  Häuser  sind 
unrein,  in  den  prächtigsten  Wohnungen  laufen  die  Hühner  herum 
IL  s.  w.  Zur  Erklärung  dieser  Stelle  seines  Vorgängers  führt  Jäqüt 
das  Zeugniss  eines  medicinischen  Buches  an,  wonach  die  Zwiebel  so 
sehr  das  Gehirn  und  die  Sinne  betäubt,  dass  nach  deren  Genuss  der 
Esser  übelriechendes  Wasser  nicht  mehr  als  solches  erkennt  (bei  M. 
Aman,  Storia  dei  Musulmani  di  Sicilia^  H,  Firenze  1858,  p.  307). 
Ob  hier  nicht  der  alte  Glaube  an  die  Wunderkraft  der  Zwiebel  noch 
nachwirkt,  nur  dass  sich,  wie  so  oft,  der  behütende  Zauber  in  den 
bethörenden  umgesetzt  hat? 

Aus  dem  Orient  stammen  auch  zwei  andere  Gewürzpflanzen, 
die  wir  hier  gleich  anschliessen,  der  Pfefferkümmel,  caminwrn  cy^ 
mnum  L,j  und  der  Senf,  sinapis  alba  und  nigra  L.  Bei  dem  er- 
steren  liegt  dies  in  dem  griechischen  Wort  xvfiivov  unmittelbar  zu 
Tage.  Das  hebräische  kammon  muss  in  den  übrigen  semitischen 
Sprachen  ähnlich  gelautet  haben:  aus  einer  derselben  stammt  die 
griechische  Form,  die  weiter  das  römische  cummum  abgab,  aus  wel- 
diem  letztem  dann  wieder  alle  europäischen  Namen  abgeleitet  sind  — 
nnr  dass  die  Deutschen  sich  die  Endung  etwas  mundgerechter  machten, 
die  Polen  mit  Ausstossung  des  Vocals  kmin  sagten  und  daraus  die 
Bossen  endlich  mit  Herstellung  der  beliebten  Verbindung  tm  statt 
fei  ihr  tmin  schmiedeten.  Der  Weg,  auf  dem  dies  Gewürz  wanderte, 
ist  also  der  bei  zahlreichen  Eulturobjecten  beobachtete  und  kultur- 

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172  Kümmel. 

geschichtlich,  sozusagen,  normale.  Theophrast  berichtet,  zum  Ge- 
deihen des  Kümmels  gehöre,  bei  der  Saat  Fluche  und  Lästerungen 
hören  zu  lassen  (h.  pl.  7,  3,  3  und  9,  8,  8).  Diesem  Aberglauben 
liesse  sich  vielleicht  eine  Deutung  abgewinnen,  aber  auf  die  Herkunft 
der  Pflanze  fiele  dadurch,  so  viel  wir  sehen,  kein  neues  Licht.  Nach 
Dioskorides  3,  61  war  der  äthiopische  Kümmel  der  beste,  der  von 
Hippokrates  der  königliche  genannt  worden  sei.  In  unserm  jetzigen 
Hippokrates  findet  sich  nichts  von  einem  xvfitvov  ßaaikixov^  und 
Dioskorides  bezieht  sich  entweder  auf  eine  jetzt  verlorene  Schrift, 
die  unter  dem  grossen  Namen  des  koischen  Arztes  ging,  oder,  was 
wahrscheinlicher  ist,  sein  Gedächtniss  war  ihm  hier  untreu.  Am 
persischen  Hofe  wurde  allerdings  nach  der  bereits  angeführten  Stelle 
des  Polyaenus  auch  äthiopischer  Kümmel  verbraucht  und  zwar  tag- 
lich sechs  xaTihieg^  welches  persische  Mass  dem  attischen  xohi^ 
gleich  war.  Nach  dem  äthiopischen  Kümmel  kam  als  nächstbeste 
Sorte  der  ägyptische;  unter  dem  erstem  würde  also  der  oberägyptisch- 
nubische  zu  verstehen  sein,  wenn  wir  nicht  vorzögen,  an  den  vom 
rothen  Meer  zu  denken:  da  ja  Aethiopen  auch  in  Indien  gedacht 
wurden.  Der  Kümmel,  fahrt  Dioskorides  fort,  wächst  auch  in  dem 
kleinasiatischen  Galatien  und  in  Cilicien,  sowie  im  Tarentinischen 
(durch  Verpflanzung):  in  der  That  bezieht  ihn  auch  das  heutige 
Griechenland  aus  levantinischen  Häfen,  besonders  aus  Smyma,  und 
Apulien  treibt  starken  Kümmelbau  und  lebhaften  Handel  mit  dem 
geemteten  Produkt.  Innerhalb  des  römischen  Reiches  —  so  ergänzt 
Plinius  die  Angaben  des  Dioskorides  —  gilt  der  Kümmel  von  Car- 
petanien  im  Herzen  Spaniens  für  den  besten,  sonst  der  äthiopische 
und  afrische  oder  auch  der  ägyptische,  19,  161:  in  Carpetania  nostri 
orbis  maanime  laudatur^  alioqui  aethiopico  ajricoqae  pcdma  est  quidam 
huic  aegypUcum  praeferunt  —  Im  ganzen  Alterthum  war  übrigens 
der  Kümmel  als  ein  mildes,  anregendes,  wohlschmeckendes  Gewürz 
beliebt.  Bei  einem  Dichter  der  mittleren  Komödie,  sind  Kraut, 
Kümmel,  Salz,  Wasser  und  Oel  die  gewöhnlichsten  Küchenrequisite, 
um  einen  Fisch  anzurichten  (Athen.  7,  p.  293)  und  bei  Plinius  reizt 
der  Kümmel  einen  verdrossenen  Magen  am  angenehmsten,  160: 
fctötidüs  cvminum  amicimmum.  Wie  das  Salz  ein  Symbol  der 
Freundschaft  war,  so  auch  Salz  und  Kümmel:  ol  nsgi  ala  xai 
xvfivvov  sind  soviel  als  vertraute  Freunde  (Plut.  Symp.  5,  10,  1). 
Der  Kümmel  galt  für  ein  hochstrebendes  Kraut,  in  sublime  tendenSy 
wie  schon  Pythagoras  anerkannt  haben  sollte,  und  besass  die  Kraft;, 
rothe  Wangen  zu  bleichen,   daher  easangue  cuminum  bei  Horaz  und 

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Kümmel    Senf.  173 

faUentis  grana  cumini  bei  Persius.  Ehe  der  Pfeffer  erfunden  war 
oder  in  allgemeinen  Gebraach  kam,  spielten  Samen,  wie  der  römische 
EämmeL  der  Schwarzkümmel,  nigella  sativa^  der  Koriander,  xoqLavvov^ 
a.  s.  w.  natürlich  eine  wichtigere  Rolle.  Darunter  heben  wir  den 
Schwarzkümmel  hervor,  weil  er  bei  den  Römern  den  orientalischen 
Namen  ffit^  gith  führt  und  seinen  Ursprung  also  an  der  Stirn  trägt. 
Er  kommt  schon  bei  Plautus  Rud.  5,  2,  39  vor,  wenn  anders  die 
Stelle  nicht  verdorben  ist ;  später  wird  er  von  Columella  und  Plinius 
als  etwas  Gewöhnliches  genannt.  Da  er  bei  den  Griechen  anders 
heisst,  Plin.  20,  182:  git  e^  Graects  alii  melanthium,  alii  melaspermon 
vocanty  so  kann  er  nicht  über  Griechenland  nach  Italien  gekommen 
sein  —  von  wo  anders  also  in  so  früher  Zeit,  als  vom  karthagischen 
Afrika?  In  der  That  berichtet  ein  Zusatz  zu  Dioskorides  3,  64,  die 
Afrer  nennten  das  xoQiavvov  (d.  h.  Wanzensamen,  Koriander)  yoiS, 
Lesen  wir  dies  Wort  nach  spät  griechischer  Aussprache  gid^  so  ist 
dieser  Name  derselbe,  wie  der  römische  für  nigella  saüva^  an  den 
sich  auch  der  althebräische  gad  für  Koriander  anschliesst.  Ob  dies 
gad  ursprünglich  semitisch  oder  selbst  wieder  entlehnt  ist,  kann  uns 
hier  gleichgültig  sein;  auch  dass  die  Pflanzen  verschieden  sind,  macht 
bei  der  Ungenauigkeit  und  Unbeständigkeit  der  Volks-  und  popu- 
lären Handelssprache  des  Alterthums  keine  Schwierigkeit.  —  Der 
eigentliche  in  Mitteleuropa  einheimische  Kümmel,  carum  carvi,  ist, 
wie  bekannt,  bis  auf  den  heutigen  Tag  ein  vielgebrauchtes,  will- 
kommenes Gewürz  geblieben,  das  auf  dem  Brode,  im  Käse,  Kohl  u. 
s.  w,,  besonders  aber  im  Branntwein  als  Doppelkümmel  auch  den 
Hyperboreern  gar  sehr,  oft  nur  allzusehr  mundet. 

Auch  der  Senf  wird  schon  von  den  attischen  Komikern  als 
wohlbekannte,  beissende  Substanz  erwähnt,  die  zwar  zu  Thränen 
and  Gesichtsverzerrung  reizt,  aber  trefflich  sich  eignet,  eine  abge- 
schmackte Kost  zu  stärken  und  zu  beleben.  Die  Attiker  nannten 
ilm  vanv^  während  der  hellenistische  Name  aivani^  aivanv  und  da- 
nach der  lateinische  sinapi^  sinape  oder  senapis  war.  Die  erstere 
Form,  die  auch  in  in  der  Erweiterung  vdneiov  vorkommt,  stimmt 
aofilftllend  mit  dem  lateinischen  napics^  die  Steckrübe,  überein,  mit 
welcher  letztem  die  Senfstaude  einige  Aehnlichkeit  hat  und  deren 
Namen  sie  annehmen  oder  der  sie  den  ihrigen  geben  konnte.  NSnv 
teisst  der  Senf  bei  allen  Aelteren  (z.  B.  Aristoph.  Eq.  631)  und 
aach  Theophrast  sagt  nie  anders,  bis  seit  der  macedonischen  Zeit  die 
ttna  die  Silbe  oi  längere  Form  auftaucht,  zuerst  bei  einem  Dichter 
der  neueren  Komödie,  Athen.  9,  pag.  404: 

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174  Senf. 

aivani  Tovrotg  naQorl&Tjfii  xai  noiw 
Xvloifg  ixofiivovg  dQi/ÄvrriTog,  ttjv  q)vaip 
tva  öieyelQag  TtvBvpLaTui  tov  ÜQa. 
Der  Verfiasser   dieser  Verse   wird   im   überlieferten  Text  Anthippus 
genannt;   da  ein  solcher  Name  unerhört  ist,    so  haben  die  Heraus- 
geber  dafür  Anaxippus   gesetzt,    welcher  Dichter   zur  Zeit   des  An- 
tigonus   und  Demetrius  Poliorcetes   lebte.     Noch   älter   indess   wäre 
das  abgeleitete  Verbum  aivani^siv^  Athen.  9,  367 :    to  d^vydtQiow  ti 
fiov  aeoivanixe  dia  tijg  ^ivrjg  —  wenn  die  Worte  in  Ordnung  sind 
und  der  Urheber  derselben,  Xenarchus,  richtig  zur  mittleren  Komödie 
gerechnet  wird.    Bei  dem  alexandrinischen  Dichter  Nicander  ist  der 
vollere  Name   häufig  und  seitdem    das  altere  vanv  ausser  Gebrauch 
und  nur  noch  literarisch  vorhanden.     In  Italien  herrscht  sinapis^  se- 
napis  ausschliessUch  (schon  bei  Ennius  und  Piautas),  während  napus^ 
wie   gesagt,   nur   die    Kohlrübe   bedeutet.    In   welchem  Verhaltniss 
beide  Formen  zu  einander  stehen  —  denn  dass  sie  vöUig  unabhängig 
von   einander   und    also   der  Gleichklang  nur  zufallig  wäre,    scheint 
doch  nicht  annehmbar  —  und  wie  die  Vorsatzsilbe  hinzutreten  oder 
wegfallen  konnte,    darüber  haben  wir   keine  Meinung.    In    den  Cre- 
setzen  der  Sprache,    aus   der   das  Wort   entnommen  wurde,    konnte 
diese  Doppelform  begründet  sein,    aber  welches   war  diese  Sprache? 
In  Athen  galt  für  den  besten  Senf  der  von  der  Insel  Cypem,  vanv 
KvTtQoVj   wie  wir  aus  den  Versen  des  Eubulus  bei  PoUux  6,  67  und 
Athen.  1,  28  ersehen.     Benfey,    Griech.  Wurzelwörterb.  1,  428,    stellt 
eine  Vermuthung    auf,    wonach  das  Wort   ursprünglich   sanskritisch, 
dann  in  persischem  Munde  umgestaltet,  endlich  noch  mehr  verwandelt 
zum  griechischen   aivani   geworden  wäre    —    der  Sache  nach  nicht 
unmöglich,  ob  aber  lautlich  ohne  Gewaltsamkeit?  Aegyptische  Wörter 
wie  oili  und  aiaeXig^  oaQi  (ägyptische  Wasserpflanze)  und  otaagov, 
femer  xofifiiy  xlxi  oder  xlxi,  xvcpi,  afifii^  avi/ifii  oder  avißL  u.  s.  w. 
lassen   uns   auch   für   vanv   und    aivani.    auf   ägyptische   Herkunft 
rathen.  —  Das  ital.  mostardoy   franz.  moutarde  u.  s.  w.  stammt  von 
dem  Most,  mtistum,  mit  dem  der  Senf  angemacht  wurde,  der  deutsche 
Senf  aber  wie  der  Essig,    die  Zwiebel,    der  Kümmel,    das  Oel  und 
der  Salat,  wie  Lattich,  Endivie,  Cichorie,  Kresse,  Sellerie,  Petersilie, 
Fenchel,  Anis  und  vieles  Andere  —  aus  Italien. 


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Linsen.    Erbsen.  175 


Linsen  und  Erbsen. 

Nahe  der  Zeit  nach  schliessen  sich  an  den  ersten  Anbau  der 
mehlreichen  Grraser  auch  die  noch  jetzt  gebräuchlichen  Hülsen- 
früchte an,  in  manchen  Gegenden  den  ersteren  an  Rang  und 
Nutzen  fiäst  ebenbürtig,  sei  es  zur  Ernährung  des  Menschen  oder 
als  Thierfutter  oder  als  Brach-  und  Zwischenfrucht,  und  auch  darin 
jenen  gleichkommend,  dass  ihre  Kömer  —  ein  sehr  -wesentlicher 
Vorzog  —  nicht  vergänglich  sind,  sondern  sich  lange  aufbewahren 
und  in  die  Feme  tragen  lassen.  Von  der  Bohne,  als  einem  sehr 
alten  Nahrungsmittel,  ist  an  einer  andern  Stelle  (Anmerk.  18)  im 
Vorübergehen  gesprochen;  auch  Linse  und  Erbse  mussten  in  den 
Ländern,  wo  sie  wild  wuchsen,  frühe  unter  den  Kräutern  des  Feldes 
dardi  ihren  essbaren  Samen  den  Hirten  bemerkbar  werden;  von  da 
an  war,  als  Noth  und  Beispiel  dem  schweifenden  Leben  immer 
aigere  Grenzen  steckten,  bis  zur  künstlichen  Ausstreuung  derselben 
nur  ein  Schritt.  Wo  aber  wuchsen  sie  wild?  und  von  wo  ging 
folglich  ihre  Kultur  aus?  Da  die  Naturforscher  bis  jetzt  darüber 
nichts  Bestimmtes  auszusagen  wissen,  so  finden  wir  uns  wieder 
aof  die  uralten  Zeugnisse  zurückgewiesen,  die  in  den  Sprachen 
niedergelegt  sind  und  von  den  sich  folgenden  Menschengeschlechtern 
in  onbewusstem  Thun  bis  in  die  Zeiten  weiter  gerettet  wurden,  wo 
das  historische  Morgengrauen  anbricht.  Aber  auch  dort  scheint 
diesmal  nur  ein  vieldeutiges,  unbestimmtes  Orakel  auf  unsere  Frage 
ZQ  antworten.  Erstlich  sind  die  bezüglichen  Namen  zum  Theil  von 
so  allgemeinem  Charakter,  dass  sie  sehr  alt  sein  können,  die  Fmcht 
aber,  die  sie  benennen,  jung;  zweitens  steigt  mitten  in  der  Freude, 
bei  getrennten  Völkern  eine  übereinstimmende  individuelle  Bezeich- 
nung zu  finden,  der  böse  Zweifel  auf,  ob  nicht  Kulturunterricht 
ganz  später  Zeit  d.  h.  Entlehnung  das  Wort  weiter  getragen;  drittens 
entzieht  sich  auch  in  dem  letzteren  Falle,  der  immerhin  belehrend 
sein  würde,  oft  der  Zusammenhang  selbst  unseren  Blicken  d.  L  es 
bleibt  oft  fraglich,  ob  die  Ueberlieferung  von  Nord  nach  Süd 
n.  8.  w.  oder  in  umgekehrter  Richtung  geschehen  sei.  Nur  so  viel 
erkennen  vnr  mit  einiger  Deutlichkeit,  dass  die  Linse  schon  ein 
Besitz  der  vorindogermanischen  Kultur  und  den  europäischen  Völkern 
^on  Südost  her  zugekommen  ist,  dass  umgekehrt  die  Erbse  —  wir 
^^Afisen  unter  diesem  Namen  alle  verwandten  Arten  zusammen  ^  dem 


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176  Linsen.    Erbsen. 

Norden  d.  h.  dem  mitderen  Asien    angehört  und  sich  von  dort  am 
Pontus  vorüber  den  Weg  nach  Europa  gebahnt  hat 

Die  Linse  in  Aegypten,  namentlich  bei  dem  semitischen  Grenz- 
ort Pelasium  und  sonst  im  Nildelta,  wo  Phacussa  oder  Phacussae, 
die  Linsenstadt,  lag,  ist  vielfach  bezeugt.  Um  die  Pyramiden  sah 
Strabo  17,  1,  34  die  Abfälle  von  den  behauenen  Steinen  in  Gestalt 
kleiner,  linsenförmiger  Kömchen  haufenweise  liegen  und  die  Leute 
behaupteten,  dies  seien  versteinerte  Reste  der  dort  von  den  Ar- 
beitern gehaltenen  Mahlzeiten  —  woraus  wenigstens  erhellt,  dass 
man  sich  jene  ältesten  Steinmetzen  schon  als  linsenessend  dachte. 
Dass  die  Frucht  auch  den  alten  Hebräern  nicht  fremd  war,  weiss 
Jeder  aus  der  sogenannten  biblischen  Geschichte,  mit  der  man  seine 
früheste  Jugend  aufgezogen  hat.  Der  Erzvater  kochte  einen  Linsen- 
brei, und  so  köstlich  war  diese  Speise,  dass  der  ältere  Sohn  dem 
jüngeren  dafür  das  Recht  der  Erstgeburt  verkaufte.  Und  den  David, 
da  er  in  der  Wüste  verweilte,  versehen  seine  Freunde  ausser  anderen 
Lebensmittehi  auch  mit  Linsen,  2.  Sam.  17,  28:  „brachten  .... 
Weizen,  Gersten,  Mehl,  Sangen  (geröstete  Aehren),  Bohnen,  Linsen, 
Grütz,  Honig,  Butter,  Schaf  und  Rinder,  Käse  zu  David  und  zu 
dem  Volk,  das  bei  ihm  war,  zu  essen,  denn  sie  gedachten,  das 
Volk  wird  hungrig,  müde  und  dürstig  sein  in  der  Wüsten.*'  Der 
althebräische  Name  dafür  adaschim  ist  noch  der  heutige  bei  den 
Arabern  und  auch  von  den  Persem  adoptirt  worden  (Ol.  Celsius, 
Hierobot.  2,  103  fiF.).  Den  Griechen,  den  Zöglingen  der  Semiteo, 
konnte  auch  diese  Frucht  nicht  lange  verborgen  bleiben.  Zwar 
Homer  erwähnt  sie  nicht;  aber  in  Athen  ist  seit  der  Mitte  des 
fünften  Jahrhunderts  das  Linsenessen  schon  eine  Sitte  des  niederen 
Volkes,  deren  sich  der  Begüterte  und  Gebildete  enthält,  und  hat 
also  bereits  eine  lange  Geschichte  hinter  sich,  z.  B.  Aristoph. 
Plut.  1004:  „jetzt  wo  er  reich  geworden  ist,  mag  er  Linsen  nicht 
mehr;  früher,  da  er  noch  arm  war,  ass  er  was  ihm  vorkam.^  „Nur 
keine  Linsen,  ruft  eine  Person  bei  dem  Komiker  Pherecrates  (Athen.  4 
p.  159),  wer  Linsen  isst,  riecht  aus  dem  Munde.*'  Die  Griechen 
nannten  die  Linse  und  das  Gericht  daraus  ^xxx^,  die  Pflanze  und 
ihre  Frucht  (paxog  —  mit  einem  dunklen  Worte,  das  ganz  einsam 
steht  d.  h.  in  keiner  verwandten  Sprache  sein  Analogen  hat,  auch 
nicht  nach  Italien  weiter  gewandert  ist.  Denn  bei  den  Römern,  wo 
schon  der  alte  Cato  in  seiner  Landwirthschaft  Linsen  säen  und 
Linsen  mit  Essig  behandeln  lehrt  und  bei  Todtenmählem  den  Ver- 
storbenen  Linsen   und   Salz   vorgesetzt    wurden    (Plut.    Grass.   19), 

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Linsen.    Erbsen.  177 

tragt  die  Fracht  den  gaoz  abweichenden  Namen  fens,  lentis  —  der 
also  nicht  aas  griechischer  Quelle  stammt  Aus  welcher  aber?  Wir 
haben  nicht  einmal  eine  Yermathang  darüber.  Auch  aus  dem 
Lateinischen  selbst  bietet  sich  keine  Ableitung.  Ist,  wie  in  dem 
ähnUch  klingenden  lens,  lendüy  nach  lateinischer  Weise  ein  An&ngs-^ 
oder  -g  abgefallen?  oder  dürfen  wir  an  lenim^  lenü  denken?  —  Auf 
dem  richtigen  Wege  gelangte  die  Linse  weiter  aus  Italien  über  die 
Alpen  nach  Deutschland  und  zu  Litauern  und  Slaven.  Althoch- 
deutsch Imsiy  mittelhd.  Imse  aus  dem  Lateinischen;  litauisch  lenszisy 
slavisch  leita^  lesUca^  Uica^  UicOj  magyarisch  lensce  u.  s.  w.  —  Alles 
nar  das  im  barbarischen  Munde  nach  Bedürfiiiss  umgemodelte 
lateinische  lens^  lentis.  Die  Slaven  haben  daneben  noch  einen 
anderen  Ausdruck:  socivOy  lens^  auch  legumen  überhaupt,  novella 
triüci  ffrancLy  lupinuSy  in  den  lebenden  Sprachen  gewöhnlich  in  ver- 
längerter Form;  russ.  cecemcoy  mcemca,  poln.  soczevica^  coczka^  czech. 
coiamcey  socomce.  Damit  vergleicht  sich  das  altpreussische  licutkekers 
LiDsen,  kecken  Erbsen.  Wie  das  letztere,  sind  auch  die  assibilirten 
slavischen  Formen  nur  ein  Nachhall  des  lateinischen  cicery  deutsch 
Eicher,  italienisch  cece^  französisch  chiche. 

unter  den  vielfachen  Namen  für  die  Erbse  und  ihre  Arten  ist 
der  interessanteste,  weil  altbezeugte  und  noch  heute  in  seinen  Ab- 
kömmlingen lebende,  das  griechische  iQeßiv&og.  Es  steht  nämlich 
schon  bei  Homer  und  zwar  neben  der  Bohne:  Helenus,  der  Sohn 
des  Priamus,  hatte  auf  den  Menelaus  einen  Pfeil  abgeschossen,  dieser 
aber  sprang  von  der  Rüstung  ab,  wie  auf  weiter  Tenne  im  Wehen 
des  Windes  die  dunklen  Bohnen  und  die  Erebinthen  von  der  Wurf- 
schaufel  springend  fliegen,  II.  13,  588  (nach  Donner): 

Wie  von  geplatteter  Schaufel  die  Frucht  der  gesprenkelten  Bohnen 
Oder  der  Erbsen  im  Herbst  auf  räumiger  Tenne  dahin  fliegt, 
Unter  dem  Schwünge  des  Worflers  vom  sausenden  Winde  getragen  : 
So  von  dem  Panzergewölbe  des  herrlichen  Danaerfursten 
Prallte  der  bittere  Pfeil  und  tauchte  sich  weit  in  die  Ferne. 

Ob  hier  die  Bacher-  oder  die  gemeine  oder  die  Platterbse  u.  s.  w. 
zu  verstehen  sei,  lehrt  die  Stelle  unmittelbar  nicht;  der  um  so  viel 
Jahrhunderte  spätere  Theophrast  freilich  spricht,  wenn  er  igißivd'og 
sagt,  sicher  von  der  Kichererbse,  da  er  die  Schote  für  rund  erklärt, 
h.  pL  8,  5,  2:  azQoyyvloXoßa  xa^aneQ  6  iQsßivd^og.  Aus  dem 
Hiatus  bei  Homer  aber  und  aus  einigen  bei  Hesychius  erhaltenen 
mit  y  beginnenden  Formen,  in  denen  sich  zugleich  ein  l  dem  r  sub- 
stituirt  hat,  erhellt,  dass  das  Wort  ursprünglich  mit  einem  Digamma 

^et.  H«hn,  KaltaTpfUmseii.  12 

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178  Erbsen.    Linsen. 

begann.    Trennen  wir  das  im  alteren  Griechisch  häufige  and,  wie  es 
scheint,    deminutivische  Suffix  ivv^-  ab,    so  fallt   iQißiv&og  mit  dem 
andern  Erbsennamen    oQoßog   zusammen.     Da   ferner   auch  das  in- 
lautende ß  nur  ein  verhärtetes  Digamma  ist,  so  wird  die  Urform  des 
Wortes  FoqFoq   gewesen    sein   (s.    Legerlotz   in   Kuhns   Zeitschrift 
10,  379),    die    sich  nicht  weiter  auflösen  lässt,    und  in  der  uns  ein 
Fremdwort   aus  Eleinasien   vorliegen   kann.    Nach  Eleinasien    aber 
kann  der  ogoßog  oder  egißiv&og  nicht  aus  den  warmen  Palmenländeni 
nach   Indien    zu,    denen   Theophrast  h.  pL  4,  4,  9    ausdrucklich   so- 
wohl den  iQeßiv&og  als  q>ax6g  abspricht,   gekommen  sein  und  eben 
so  wenig  aus  dem  syrisch-ägyptischen  Kulturkreise,  innerhalb  dessen 
die  Frucht  nirgends  erwähnt  wird,    folglich  nur  aus  dem  Gebiet  des 
Pontus  und  des  Kaukasus,  das  mit  dem  innem  Asien  in  natürlichem 
Zusammenhange  stand.    Als  die  Kultur  der  Erbse  von  den  Griechen 
nach  Italien   gebracht   und   den  Römern    bekannt   wurde,   war    das 
anlautende  Digamma  in  der  Aussprache  schon   verschwunden^    denn 
die  Lateiner  sagten  ervum^  ervüia^  Festus:   enmm  et  ercüia  a  Graeoo 
sunt  dicta  quia  Uli  enywm  ogoßogj   ervüium  bqoßivov  appellant     Die 
lateinische  Wortform   liegt   dann   weiter   der  deutschen  zu  Grunde, 
noch  ohne  Ableitung  im  angelsächsischen  earfe^  plur.  earfan^  in  den 
übrigen    deutschen  Sprachen   mit  t  weiter   gebildet,   woraus    sich  in 
hochdeutscher  Lautverschiebung  das  althochd.  arcmtz^    araweiz  und 
durch   fernere  Entstellung    unser   heutiges  Erbse   ergab.     In    seiner 
Geschichte  der  deutschen  Sprache  hatte  Grimm  die  deutschen  Wörter 
noch  für  entlehnt  gehalten,    S.  46  Anm.:    „mit  der  Sache  scheine 
uns  diese  Namen  von    den  Römern   zugebracht'',    bei  Ausarbeitung 
des  Wörterbuches  aber,  wo  sein  Sinn  immer  grüblerischer  geworden 
war   und  das  Einfache  ihm  nicht  mehr   genügte,    schrieb   er    unter 
Erbeiss:  „die  Wurzel  liegt  völlig  im  Dunkel."    Wir  halten  uns,  wie  in 
andern  FäUen,  an  den  früheren  Grimm,  besonders  an  den  unsterblichen 
Verfasser  der  Grammatik;  indess,  sehen  wir  genauer  zu,  so  könnte  viel- 
leicht in  der  That  nicht  das  lateinische  ervum^  sondern  das  griechische 
igißiv^og  die  Quelle  von  arawizy  ervet  u.  s.  w.  und  der  Zeitpunkt,  wo 
die  Erbsen  den  Deutschen  bekannt  wurden,  in  die  Jahrhunderte  hinauf- 
zurücken sein,  in  denen  die  Gothen  und  andere  deutsche  Völker  an 
der   unteren  Donau   unmittelbar   mit   griechischer  Sprache  oder  mit 
Völkern   griechischer   Halbkultur   zusammenstiessen.     Wackemagel, 
die  ümdeutschung   fremder  Wörter,  Ausgabe  2,  S.   18  drückt   sich 
unbestimmt  aus:   „aus  dem  Griechischen  und  Lateinischen  entlehnt 
iQißivx^og   ahd.   arawiz   araweiz^;   an   einer   anderen  Stelle,  S.  14, 

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Linsen.    Erbsen.  179 

bemerkt  er,  das  Hochdeutsche  habe  schon  frühe  das  griechische  th 
als  t  genommen,  weil  sonst  aus  igißiv&og  nicht  arawtz  hätte 
werden  können;  dass  der  AnfangSYokal  im  Hochdeutschen  ein  a  ist, 
erklärt  er  aus  dem  im  gothischen  ai  vor  r  —  denn  nur  so  konnte 
ülphilas  das  €  in  iQ€ßLv9og  schreiben  —  doch  noch  hörbaren  a 
(Beispiele  davon  S.  18).  Die  gothische  Form  des  Wortes  entgeht 
nns  leider;  nach  arawtz  rathen  wir  auf  airveits:  in  iQißiv^og  näm- 
lich wurde  das  b  schon  wie  v,  das  th  in  nordgriechischer  Weise 
wie  d  gesprochen;  aus  diesem  d  ergab  sich  regelmässig  ein  goth.  t, 
akd.  2;  der  Diphthong  ei  entstand  aus  Unterdrückung  des  n,  wie 
seitems  aus  sinteinSy  peikabaffms  aus  (pivi^,  (plvixog  (so  wurde  damals 
schon  statt  (poiri^  ausgesprochen)  u.  s.  w.  Ein  slavisches  remtovo 
zrino  für  egißivdog  (Mikl.  p.  797)  gleicht  ganz  dem  supponirten 
goth.  airveits  und  gr.  igeßtv^og. 

Neben  oQoßog  und  igißiv&og  besassen  dio  Griechen   noch  eine 
alterthümliche   Benennung   für   die   gemeine   Erbse:    niaog^    niaogy 
niaov^   niaaov.     Dieses  Wort    bringen    alle   Etymologen   in   Ver- 
bindung mit  dem  Stamme,    zu   dem    das   lateinische  pinsere^  pisere 
stampfen   gehört,    und    die  Ableitung   hat   gewiss  viel  Wahrschein- 
lichkeit, für  das  Alter  der  Frucht   ist    aber   damit  nichts  gewonnen. 
Sie  ist  damit  nicht  sowohl  als  mahlbare,  wie  Grimm  will,    bezeich- 
net —   denn   dass    sie    gemahlen   werde,    ist   grade    bei    der  Erbse 
nicht  von  nöthen,  —  auch  nicht  als  zu  einem  Brei  verkochte,   wie 
Cordus   erklärt,  —  denn    dieser  Begriff  liegt   nicht   in  der  Wurzel 
and  dem  daraus  erwachsenen  Wortstamme  — y  sondern   als  Körner- 
frucht,  aus  runden  Stückchen   oder  Kügelchen   bestehend,   wie  sie 
beim  Zermalmen   und  Zerstampfen   sich    ergeben    und   bei    grobem 
Kies,   Hagelschauem  u.  s.  w.    der   Anschauung   vorlagen:    litauisch 
p^ka  Sand,  (auch  smütisy  begrifflich  fast  dasselbe),  altslavisch  p&ükü^ 
Sand,   auch   calculus^   russ.  pesok,  poln.  piasek  u.  s.  w.     Das  längst 
vorhandene  Wort    wurde    also   auf   die  Erbse  angewandt  und  blieb 
tt  ihr  haften.    Dem  Beispiel  der  Griechen  folgten  die  Lateiner  mit 
ihrem  pisum^  wenn  sie  das  Wort  nicht  direkt  entlehnten;  es  erhielt 
sich  in  den  romanischen  Sprachen  und    ging  auch  in  die  keltischen 
und  ins  Englische   über,    nicht   aber   zu   den   Germanen,    vielleicht 
ein  weiterer  Wink,    dass   diese   ihr  Erbse    schon  früher,    noch   vor 
Beginn  des  mittelalterlichen  Kultureinflusses  von  Süden  und  Westen 
gebildet  hatten. 

Aebnlich  wie  mit  Ttiaov  verhält  es  sich  mit  dem  reduplicirten 
lateinischen  cicer^  dem  nach  Curtius  no.  42*»  der  Begriff  des  Harten, 

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180  Linsen.    Erbsen. 

also  kleiner  harter  Körperchen,  zu  Grunde  liegt.  Dasselbe  Wort 
wäre  das  griechische  xiyxQog,  welches  aber  in  die  Bedeutung  Hirse 
ausgewichen  war  und  in  dieser  sich  fixirte.  Schwierigkeit  macht 
nur  der  Umstand,  dass  die  kurzen,  dicken,  an  einem  Ende  etwas 
umgebogenen  Schoten  des  cicer  cmetinumy  xqioq  oQoßiaiog^  wirklich 
einem  Widderkopf  ähnlich  sehen  —  wodurch  die  Deutung  nach  einer 
anderen  Seite  abgelenkt  wird.  Wie  die  Zwiebeln  und  Linsen  in 
Athen,  bildeten  Zwiebeln  und  Kichererbsen  in  Italien  die  frugale 
Mahlzeit  der  ärmeren  Yolksklasse,  z.  B.  Horat.  Sat.  1,  6,  144: 

inde  domum  me 
Ad  parri  et  ciceris  re/ero  laganique  catinum  — 
daher  auch  bei  den  Floralien  Bohnen  und  Kichern  unter  das  Volk 
ausgestreut  wurden,  das  sie  mit  Gelächter  au&ufangen  suchte. 
Jedermann  weiss,  dass,  wie  Lentulus,  Fabius,  Piso  nach  den  ent- 
sprechenden Körnern,  so  Cicero  nach  den  Kichern  benannt  ist:  wir 
erinnern  hier  nur  desshalb  daran,  weil  solche  populäre  Beinamen 
nur  einer  dem  Volke  altbekannten  Speise  oder  Feldfrucht  ent- 
nommen sein  können.  Das  deutsche  Kicher,  preussische  kecken 
verdient  Erwähnung,  weil  es  in  eine  Zeit  weist,  wo  das  c  noch 
wie  k  gesprochen  wurde;  viel  jünger  ist  die  andere  Form  Zieser 
und  wohl  aus  dem  norditalischen  sizer^  sezer  entsprungen. 

Andere  griechische  Ausdrücke,  wie  ^XQ^S^  aqaxog  oder  aqcLXog 
und  XädvQog  übergehen  wir,  weil  sie  für  die  Geschichte  nichts 
ergeben,  und  halten  uns  nur  noch  bei  einem  slavischen  Worte 
auf:  altslavisch  grachü  in  der  Bedeutung  faba^  russisch  goroch, 
polnisch  grochy  czechisch  hrdch  die  Erbse,  slovenisch  grah,  grahor-, 
grahorica  die  Wicke.  Das  neugriechische  ygdxog  wird  ein  Lehnwort 
aus  dem  Slavischen  sein,  eben  so  das  albanesische  grose,  grosa  die 
Linse.  Wohl  aber  muss  vicia  cracca  bei  Plinius  dasselbe  Wort  sein, 
welches  wieder  auf  das  reduplicirte  griechische  xaxi'tjB^  xo^i«? 
Kiesel,  Steinchen  hinweist.  Letzteres  stellte  sich  slavisch  als  gracM 
dar,  wie  xaAaC«  (für  x<iXccöja  und  dies  für  X^cfd/a)  als  gradu.  Auch 
hier  also  würde  der  Name  für  die  Körner  der  Hülsenfrüchte  auf  den 
Begriff  calcuhis  zurückzuführen  sein,  den  die  verschiedenen  Völker, 
sei  es  zufolge  angeborener  gleicher  Richtung  der  Phantasie  oder 
nach  dem  Beispiel  derer,  von  denen  sie  jene  Kömer  erhielten,  gleich- 
massig  anwandten.  Ein  anderes  altslavisches  Wort  für  Erbse 
slanutükü  (Mikl.  s,  v.)  muss  von  slana  Reif  abgeleitet  sein  —  be- 
deutete also  ursprünglich  HBgelkömer,  Eistropfen. 

Da  die  Wicke  nur  als  grünes  Futterkraut  oder  zur  Nahrung  der 

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Lorbeer.    Mjrte. 

Tauben,  fiahner  u.  s.  w.  in  der  späteren  Zeit  künstUcher  Boden- 
wirthschaft  angebaut  wurde,  so  ist  der  Weg  vom  griechischen  ßixog^ 
ßixiov  zum  lateinischen  vtcta^  von  diesem  zu  dem  deutschen  Wicke 
and  weiter  zum  litauischen  toikke  u.  s.  w.  der  normale,  den  so  viel 
Dinge  und  Namen  gewandert  sind. 


Lorbeer  und  Myrte. 

(laurus  nobilis,  myrtus  communis  L.) 

In  frühe  Zeit  fallt  auch  die  Einftihrung  der  Myrte  und  des 
Lorbeers,  —  die  eine  der  Aphrodite,  der  andere  dem  Apollo  heilig, 
und  beide,  wie  in  Mignons  Liede,  so  auch  bei  den  Alten  oft  zusammen- 
genannt, z.  B.  Verg.  Ecl.  2,  54: 

Et  vo8y  0  lauri,  carpam,  et  te,  proxima  myrte: 
Sic  positae  quoniam  sitavis  miscetis  odores, 

oder  bei  Horaz,  Od.  3,  4,  18,  wo  die  Tauben  das  schlafende  Dichter- 
lünd  mit  Lorbeer  und  Myrte  bedecken: 

ut  premerer  sacra 
Lauroque  coUataque  myrto. 

Beide  gelangten  im  Gefolge  wandernder  religiöser  Kulte  von  Ort  zu 
Ort  weiter  ins  griechische  Land  und  wurden  um  die  entsprechenden 
Heiligthümer  angepflanzt.  Die  Myrte,  ihres  balsamischen  Duftes 
wegen  so  benannt,  kam  aus  eben  der  Gegend,  von  wo  die  orientalische 
Natoi^öttin,  die  Aphrodite,  stammte.  Li  Lydien  jenseits  des  Hermos 
in  der  Stadt  Temnos  hatte  schon  Pelops,  des  Tantalos  Sohn,  der 
Aphrodite  aus  lebendiger  Myrte  ein  Bild  gemacht,  damit  die  Göttin 
ihm  bei  Bewerbung  um  die  Hippodamia  günstig  sei  (Pausan.  5, 13,  4). 
In  Cypem,  dem  Sitze  der  Astarte,  ward  des  Priester-Königs  Cinyras 
Tochter,  die  Myrrha,  nachdem  sie  mit  dem  Vater  in  blutschände- 
rischem Umgang  gelebt,  um  sie  nach  der  Entdeckung  vor  der  Ver- 
folgung desselben  zu  retten,  in  einen  Myrtenbaum  verwandelt,  aus 
dem  nach  vollendeter  Zeit  Adonis  geboren  wurde  (Serv.  adV.  Aen. 
5,  72).  Dasselbe  erzählte  der  Epiker  Panyasis,  nur  hiess  bei  ihm 
der  Vater  Theias  und  war  ein  assyrischer  {A.  h.  syrischer)  König, 
die  Tochter  aber  ward  in  den  Myrrhenbaum,  Smyma,  die  arabische 
Myrte,   verwandelt  (ApoUod.  3, 14,  4).    Auch  bei  Hyginus  (Fab.  58) 

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182  Lorbeer.    Myrte. 

ist  Cinyras,  ihr  Vater,  ein  assyrischer  König.  Bei  dem  Fest  der 
HellotieD,  das  in  Kreta  and  Korinth,  Stätten  altsemitischer  Religions- 
übung, der  Mondgöttin  Europa  gefeiert  wurde,  ward  auch  ein  unge- 
heuerer Myrtenkranz  mitaufgeführt,  Hellotis  genannt,  nach  dem  gleich 
oder  ähnlich  lautenden  Namen  der  Göttin  selbst  (Et.  Magn.,  Athen. 
15,  p.  678  und  Schol.  zu  Find.  Ol.  13,  39).  Auch  die  Namen  der 
Amazonen,  der  Priesterinnen  der  kleinasiatischen  Mondgöttin,  Myrina. 
deren  Grabhügel  schon  in  der  Ilias  erwähnt  wird,  Smyma,  nach  der 
die  Stadt  des  Namens  benannt  sein  sollte,  u.  s.  w.,  weisen  auf  die 
mit  dem  Dienst  der  Göttin  verknüpften  Raucherungen,  Salbungen 
und  Bekränzungen  mit  Myrrhen  und  Myrten.  Als  die  drei  uralten, 
der  Insel  Cythere  gegenüberliegenden  Städte,  Side,  nach  der  Tochter 
des  Danaus  genannt,  Etis  und  Aphrodisias,  beide  von  Aeneas,  dem 
Sohne  der  Aphrodite,  gegründet,  sich  zu  gemeinsamer  Anlage  einer 
neuen  Stadt  Böä,  Boiat\  vereinigten,  da  zeigte  ihnen  ein  Hase  (ein 
aphrodisisches  Thier),  der  sich  in  einem  Myrtenbusch  verbarg,  den 
passenden  Ort  dazu  an;  die  Myrte  ward  zu  einem  Götterbilde  ge- 
weiht und  bestand  noch  zu  Pausanias  Zeit,  unter  dem  Namen  der 
Artemis  Soteira  (Pausan.  3,  22,  9).  Polycharmus  aus  Naukratis  er- 
zählte in  seiner  Schrift  über  die  Aphrodite,  in  der  dreiundzwanzigsten 
Olympiade  habe  Herostratus  auf  einer  Kaufmannsfahrt  in  Paphos  in 
Cypern  ein  kleines  Bild  der  Aphrodite  erworben  und  sei  darauf  nach 
Naukratis  unter  Segel  gegangen:  nicht  weit  von  der  ägyptischen 
Küste  habe  ihn  plötzlich  ein  Sturm  überfallen,  so  dass  die  SchiflFs- 
leute  zum  Bilde  der  Aphrodite  sich  wandten  und  die  Göttin  um 
Rettung  anflehten;  diese,  die  den  Naukratiten  hold  war,  habe  darauf 
das  ganze  Schiff  plötzlich  mit  grünen  Myrtenzweigen  und  süssem 
Duft  erfüllt  —  wie  im  homerischen  Hymnus  auf  Dionysos  dieser  das 
Schiff  der  den  Gott  verkennenden  Seeleute  ganz  mit  Weinlaub  und 
Epheu  füllt  — ,  zugleich  sei  die  Sonne  wieder  erschienen  und  die 
Fahrenden  seien  glücklich  in  den  ersehnten  Hafen  eingelaufen;  da 
habe  Herostratus  sowohl  das  Bild,  als  alle  die  Myrtenzweige  im 
Tempel  der  Aphrodite  als  Weihgeschenk  niedergelegt  und  im  Heilig- 
thum  selbst  ein  Mahl  gegeben,  bei  dem  die  Gäste  Myrtenkränze 
trugen,  und  solche  Kränze  seien  seitdem  naukratische  genannt  worden 
(wörtlich  aus  Polycharmus  bei  Athen.  15,  p.  675).  Da  dies  in  der 
23.  Ol.  geschehen  sein  soll,  also  vor  der  Gründung  des  Delta-Em- 
poriums,  das  den  griechischen  Namen  Naukratis  trug,  so  bestand 
hier  also  schon  früher  eine  Seestation  mit  Aphroditekultns,  wie  denn 
die    unterägyptische  Küste   seit   uralter  Zeit   mit   Syrien,   Phöniiien 

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Lorbeer.    Myrte.  183 

und  Cypem  durch  SdiifiKiahrt  und  Wanderung  verbunden  war  und 
mit  diesen  Ländern  in  religiöser  Wechselwirkung  stand.  Als  im 
Verlaufe  der  Zeit  die  Aphrodite  aus  einer  unter  barbarischer  Form 
angeschauten  und  mit  zuchtlosen  Br&uchen  verehrten  Naturpotenz 
bei  den  Griechen  immer  mehr  zur  Personification  -weiblicher  Schön- 
heit und  des  Liebesgenusses  geworden  war,  da  fehlte  auch  nirgends 
im  uferreichen  Lande  bei  Tempeln,  in  Gärten  und  bald  auch  im 
Freien  an  den  Felsenküsten  der  Myrtenstrauch,  wegen  seines  lieb- 
lichen Duftes,  der  freundUchen  Gestalt  seiner  unverwelklichen  immer- 
grünen Blätter,  der  weissrothen  BlQten  und  gewürzhaften  Beeren 
allgemein  beliebt  und  reichlich  zu  Schmuck  und  Kränzen  verwandt, 
auch  bei  Gelegenheiten,  wo  Aphrodite  nicht  unmittelbar  waltete. 
Nur  der  strengen  Hera  und  der  Artemis  war  begreiflicher  Weise  die 
Myrte  verhasst  und  von  ihrem  Dienst  ausgeschlossen,  und  in  den 
seltenen  Fällen,  wo  wir  die  keusche  Artemis  mit  dem  bräutlichen 
Gewächs  in  Verbindung  gebracht  finden,  da  mag,  wie  bei  der  obigen 
Artemis  Soteira  in  Böä,  die  Verwandlung  der  bewaffneten  Aschera 
von  Askalon,  der  Göttin  von  Cythere,  in  eine  griechische  Gestalt 
nur  eine  andere  Richtung  genommen  haben.  —  Auch  der  Lorbeer 
ward  wegen  des  scharfen  aromatischen  Geruchs  und  Geschmacks 
seiner  immergrünen  Blätter  und  Beeren  frühe  ein  Götterbaum.  Der 
starke  Duft  seiner  Zweige  verscheuchte  Moder  und  Verwesung,  und 
derjenige  Gott,  der  aus  einer  Personification  der  die  Seuche  senden- 
den und  also  auch  von  ihr  wieder  befreienden  Sonnenglut  allmählig 
zam  ernsten  Gott  der  Sühne  für  sittliche  Befleckung  und  Erkrankung 
geworden  war,  Apollo,  der  Leto  Sohn,  Apollo  Katharsios,  erwählte 
sich  diesen  Baum  als  Zeichen  und  magisches  Mittel  der  von  ihm 
ausgehenden  Reinigungen.  Zwar  im  ersten  Buch  der  Ilias,  wo  das 
Heer  der  Achäer  sich  entsündigt  (^aueXvfiiaivovto)  und  die  Xifitna 
ins  Meer  geworfen  werden,  ist  von  dem  Lorbeer  nicht  die  Rede, 
aber  in  der  Sage  von  Orestes,  dem  von  den  Erinyen  umgetriebenen 
und  dann  durch  Apollo  von  Wahn  und  Schuld  geheilten  Mutter- 
mörder, hat  auch  der  Lorbeer,  der  Baum  der  Sühne,  seine  Stelle. 
Als  Orestes  in  Trözen  in  einem  eigenen  Gebäude,  aytr^vi^  des  Orestes 
genannt,  da  den  Befleckten  kein  Bürger  in  sein  Haus  au&ehmen 
wollte,  vom  Mutterblute  gesühnt  worden  war  und  die  xa^^dgaia  in 
die  Erde  vergraben  waren,  sprosste  von  ihnen  ein  Lorbeerbaum 
auf,  der  noch  zu  Pausanias  Zeit  vor  der  oxr^vri  zu  sehen  war  (Pausan. 
2, 31,  1 1).  Apollo  selbst,  da  er  den  Python  erlegt  hatte,  bedurfte 
der  Sühne   des   vergossenen  Blutes:   auf  Geheiss   des  Zeuss   (xara 


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184  Lorbeer.    Myrte. 

ngoarayfia  tov  Jiog)   eilte  er   —   "wie  die  Thessaler  erzählten   — 
nach  der  thessalischen  Hestiäotis  in  das  Thal  Tempe,   kränzte  sich 
dort   mit  dem  Lorbeer   neben    dem  Altare,    nahm   einen  Zweig  des 
Baumes   in  die  Hand  und  zog   auf  der  pythischen  Strasse  als  herr- 
licher Orakelfürst  in  Delphi  ein  (Ael.  V.  H.  3,  1).    Diesen  mythischcD 
Vorgang  wiederholten  die  Delphier  alle  acht  Jahre  in  einer  eigenen 
heiligen  Darstellung:   ein  delphischer  Edelknabe  zog,    wie  einst  der 
Gott,   mit  der  Theorie    der  Daphnephoren  zu  dem   Altare  im  Thal 
Tempe,    brach   sich  den  Sühnzweig  von  dem  Baume  und  kehrte  auf 
dem  vom  Mythus  bezeichneten  heiligen  Wege  von  einer  apollinischen 
Eultstätte   zur  anderen  zum  delphischen  Tempel  zurück  (0.  Müllei*, 
Dorier,    2.  Ausgabe,    1,   204  fiF.).     Griechenland   bedeckte   sich,   je 
dichter   die   apollinischen  Heiligthümer   in  allen  Landschaften   aus- 
gestreut waren,  um  so  mehr  mit  gepflanzten,  duftenden,  immergrünen 
Lorbeerwaldchen.    Weil  der  Baum  einmal  dem  Gotte  gehörte,  nahm 
er  auch  Theil  an  dessen  übrigen  göttlichen  Neigungen  und  Verrich- 
tungen.   Der  Lorbeerstab    (^cuaaxog)   verlieh  dem  Seher  und  Weis- 
sager die  Kraft;,  das  Verborgene  zu  schauen;  ApoUo  selbst  gab  seine 
Orakel  vom  Lorbeer  her  (Hom.  hymn.  in  Apoll.  396)  und  im  Alier- 
heiligsten  um  und  an  dem  Dreifuss,    von  dem  die  Pythia  weissagte, 
schlangen  sich  Lorbeerzweige.    Die  Tochter  des  Sehers  Tiresias,  die 
Manto,  wurde  von  Andern  auch  Daphne,  der  Lorbeer,  genannt:    als 
die  Epigonen  Theben  eingenommen  hatten,  weihten  sie  diese  Daphne 
nach  Delphi  und  dort  weissagte  sie  seitdem  die  Zukunft;,  Homer  aber 
entlehnte  manchen  ihrer  Sprüche  und  verwob  sie  in  seinen  epischen 
Gesang  (Diod.  4,  66).     Und    da   die  Dichter   auch  Seher   sind    und 
Apollo,  der  Musenfürst,   sie  erfüllt,   so  wurde  der  Lorbeerzweig  und 
der  Kranz  aus  Lorbeerblättern  auch  das  Abzeichen  der  Sänger,  das 
die   musische    Begeisterung   weckende   ZaubermitteL    So   gaben   die 
Musen  demHesiodus,  wie  er  selbst  rühmt,  den  helik<Adschen  Lorbeer 
in  die  Hand,  auf  dass  er  mit  Götterstimme  das  Zukünftige  und  das 
Vergangene    verkünde    (Theog.  30).     Bei    apollinischen    Festzügen, 
Opfern,  Wettspielen,  Anrufungen  und  Besprengungen,  Abwendungen 
von  Uebel  und  Krankheit  an  Menschen  und  Pflanzen  u.  s.  w.  dienten 
Lorbeerreiser  als  nirgends  zu  missendes  Wahrzeichen  der  Gegenwart 
des  Gottes.    Gediehen  diese  an  einer  günstigen  Stelle  besonders  gut, 
dann  bildete  sich  bald  die  Fabel,    hier  sei  die  Daphne  ursprünglich 
entstanden  und  geboren  worden:    so  erzählten  die  Arkader,   Daphne 
sei  die  Tochter  ihres  Flusses  Ladon  und  der  Erde  gewesen  und  dort 
in  einen  Lorbeerbaum  verwandelt  worden  (Serv.  ad  V.  Aen.  2,  513. 

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Lorbeer.    Myrte.  185 

Paosan.  8,  20,  2.).  Nach  Python  aber  war  der  Lorbeer  von  Thessalien 
übertragen  worden,  wie  die  Sage  in  mancherlei  Wendungen  überein- 
stimmend berichtet:  der  Kranz  der  Sieger  in  den  pythischen  Spielen 
ward  Anfangs  aus  Tempe  beschafft  (Argunou  Pind.  Pyth.)  oder  be- 
stand aus  Eichenlaub,  da  der  Lorbeer  dort  noch  fehlte  (Ov.  Met. 
1, 449)  u.  8.  w.  Der  Scholiast  zu  Nie.  Alex.  198  sagt  geradezu : 
BeoaaXixrJQy  dioTi  nQÜzov  ixel  BVQid^rj  to  (pvxov.  Der  Lorbeer  war 
also  ein  thessalisches  Gewächs:  weiter  führt  vorläufig  die  Spur  nicht. 
Begeben  wir  uns  auf  italischen  Boden,  so  waren  diesem  sowohl 
Aphrodite  als  Apollo  ursprünglich  fremd.  Erst  die  griechischen  An- 
siedelungen brachten  beide  Gottheiten  und  mit  ihr  die  Myrte  und 
den  Lorbeer  in  die  westliche  Halbinsel.  Die  Vorstellungen  der  cam- 
panischen  Griechen  von  des  Aeneas,  des  Sohnes  der  dardanischen 
Aphrodite,  Wanderfahrt  und  Niederlassung  in  Italien,  der  weite  Ruhm 
und  Einfluss  des  von  den  Phöniziern  gegründeten,  dann  von  den 
Griechen  übernommenen  Heiligthums  der  Venus  Urania  in  Eryx  auf 
Sidlien,  die  von  dort  ausgehenden  neuen  Stiftungen,  dies  Alles  konnte 
nicht  verfehlen,  wie  den  Kultus  der  Göttin,  so  auch  ihr  Lieblings- 
symbol unter  den  Bewohnern  des  Westens  zu  verbreiten.  Zu  aller- 
erst sollte  die  Myrte  in  diesen  Gegenden  auf  der  Insel  der  Circe, 
dem  Vorgebirge  südlich  von  den  pontiuischen  Sümpfen,  am  Grabe 
des  Elpenor,  des  jugendlichen  Gefährten  des  Odysseus,  der  wein-  und 
schlaftrunken  vom  Dache  gestürzt  war  (Od.  10,  552  ff.),  erschienen 
sein,  Theophr.  h.  pl.  5,8,3  und  nach  ihm  Plin.  15,  119:  'primum 
Ctrceis  in  BJlpenoris  tumuio  vüa  traditur  Graecumque  ei  nomen 
remanet  quo  peregrinam  esse  adparet  Li  den  grossgriechischen 
Städten  war  auch  Apollo  ein  viel  verehrter  Gott,  dem  die  fromme 
Hand  der  Tempelstifter  und  der  ihn  mit  Opfern  und  Gebet  An- 
gehenden seinen  Baum  zu  pflanzen  gewiss  nicht  unterliess.  Li 
Rhegium  sollte  Orestes  vom  Mutterblute  gesühnt  worden  sein,  wie 
ia  Athen  und  Ttözen;  er  gründete  dort  dem  Apollo  einen  Tempel, 
aus  dessen  geweihtem  Hain  die  Rheginer,  wenn  sie  nach  Delphi 
pilgerten,  den  Lorbeer  mitzunehmen  pflegten  (Varro  bei  Prob.  Verg. 
Ecl.  Prooem.);  Münzen  der  Brettier,  von  Nola  u.  s.  w.  zeigen  den 
ApoUokopf  mit  Lorbeerkranz  (Mommsen,  Römisches  Münzwesen, 
S.  130, 165  u.  s.  w.);  in  Cumä,  der  Heimat  der  sibyllinischen  Sprüche, 
stand  der  Tempel  des  weissagenden  Gottes  auf  der  Burghöhe  über  dem 
Meere;  von  dort  her  ergoss  sich  griechische  Bildung  nach  Cicero's 
Ausdruck  nicht  als  dünnes  Bächlein,  sondern  in  vollem  Strom  über 
die  Barbaren  und  trug  ihnen  vor  Allem  die  Verehrung  der  reinsten 

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186  Lorbeer.    Myrte. 

griechischen  Göttergestalt  und  deren  Attribute  zu.  Der  Lorbeer  fand 
bald  seine  Stelle  in  den  zahlreichen  dem  Apolloglauben  wahlver- 
wandten Lustrations-  undSuhnungsgebräuchen  der  latinisch-sabinischen 
Religion,  in  dem  Dienst  der  Laren,  in  der  Feier  der  Palilien  und 
Poplifugien,  bei  Triumphzügen  siegreicher  Heere  und  Feldherren 
—  denn  er  reinigte  von  dem  im  Kriege  vergossenen  Blute,  wie 
die  Myrte,  das  Symbol  der  Vereinigung  und  des  Glückes,  den- 
jenigen schmückt,  der  den  Feldzug  ohne  Schwertschlag  beendigt 
hat  — ,  und  ward  auch  nach  dieser  reinigenden  Kraft  benannt**). 
So  konnte  um  300  vor  Chr.  Theophrast  (an  dem  so  eben  ange- 
führten Orte)  schon  sagen,  die  latinische  Ebene  sei  reich  an 
Lorbeer-  und  Myrtenbäumen  und  die  Berge  an  Tannen  und 
Fichten.  Anderthalb  Jahrhunderte  später  finden  wir  bei  Cato  drei 
Lorbeerarten  genannt,  laurus  Cypria^  Delphdca,  süvatica,  von  welchen 
Namen  die  beiden  erstem  sich  selbst  erklären,  der  letzte  aber  wohl 
auf  Vibuf'num  Tintis  L,  geht  (Plin.  15,  128:  tinus;  Ivane  sävestrem 
laurum  aliqui  intelligunt\  wie  auch  die  wilde  Myrte,  fivgtrivrj  aygia 
des  Dioskorides,  nichts  ist  als  der  Mäusedom,  ruscus  aculeatus  L. 
Dass  der  Lorbeer  nicht  etwa  in  Italien  einheimisch  war,  beweist 
auch  die  Analogie  der  Insel  Corsica,  wo  die  ursprüngliche  Wildniss 
sich  bis  in  die  historische  Zeit  erhielt  und  an  welcher  Italien  daher, 
wie  immer  Continente  an  gegenüberliegenden  Inseln,  ein  Spiegelbild 
seiner  eigenen  Vorzeit  hatte:  auf  Corsica  wuchs  keine  Art  Lorbeer, 
gedieh  aber  später  nach  der  Einführung  ganz  wohl,  Plin.  15,  132: 
notatum  antiquis  nullum  genus  laurus  in  Corsica  fuuse^  quod  nunc 
satum  et  ibi  provenit  In  Italien  war  der  Lorbeer  immer  ein  Tempel- 
und  Gartenbaum,  und  der  nordische  Wallfahrer,  der  von  hesperischen 
Lorbeerwäldem  träumt,  wird  sich  in  dieser  Hinsicht  sehr  getäuscht 
finden.  Auch  in  Griechenland  ist  laurus  nobüis  im  wilden  Zustande 
meistens  nur  ein  grösserer  Strauch,  wächst  aber  wohl  unter  günstigen 
Umständen  zu  einem  stattlichen  Baum  heran.  Fraas  (Synopsis 
plantarum  florae  class.  p.  288)  fand  ihn  im  südlichen  Griechenland 
selten,  erst  im  nördlichen,  namentlich  im  phthiotischen  Thessalien, 
waldähnlich  versammelt  und  Haine  bildend,  „wenigstens  in  der 
Nähe  von  Klöstern,  die  sich  ihre  Zucht  angelegen  sein 
lassen."  Zur  Zeit  Hesiod's  muss  der  Baum  in  Böoticn  am 
Helikon  schon  nicht  imgewöhnlich  gewesen  sein,  da  der  Dichter 
(Op.  et  d.  435,  also  in  einer  der  ächtesten  Partien  des  Gedichts) 
die  Vorschrift  giebt,  die  Deichsel  des  Pfluges  aus  Lorbeer-  oder 
Ulmenholz  zu  machen,  als  dem  Wurmfrass  nicht  ausgesetzt.     Auch 

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Lorbeer.    Myrte.  187 

die  Höhle  des  Cyclopen  in  der  Odyssee   ist   schon  in  Lorbeer  ver- 
steckt, 9,  182: 

Sahn  wir  am  Ufersanm  in  der  Nfihe  des  Meeres  die  Höhle, 

Hoch  QDd  Ton  Lorbeerbäumen  umwölbt. 
Der  Baom  kam,  wie  wir  vermathen,  ans  Eleinasien  nach  Europa 
hinüber^  wohl  als  Begleiter  einer  lostrirenden  Religion,  sei  es  mit 
wandernden  Thrakern  oder  Karern  oder  Kretern  u.  s.  w.  Von 
dem  Seher  Branchas,  dem  mythischen  Stifter  des  Branchiden -Orakels 
bei  Milet,  welches  die  ionischen  Einwanderer  als  karisches  Institut 
schon  vorfanden,  berichtet  die  Sage,  er  habe  bei  einer  Pest  in  Milet 
die  Milesier  mit  Lorbeerzweigen  besprengt  und  gereinigt  (Clem. 
Alex.  Strom.  5  p.  570  B.  ed.  Paris.  1629.  fol.).  Eine  andere  Er- 
wähnung des  Lorbeers  in  der  Argonautensage  führt  auf  den 
thrakischen  Bosporus.  Dort  wohnte  in  der  Vorzeit  das  mythische 
Volk  der  Bebryker,  nach  Strabo  thrakischen  Stammes,  deren  König 
Amykos,  Sohn  des  Poseidon,  sich  mit  Polydeukes  in  einen  fQr  ihn 
tödtUchen  Faustkampf  einliess  —  wie  Apollonius  Rhodius  am  An- 
&Dg  des  zweiten  Buches  der  Argonautica  ausführlich  erzählt.  Die 
Helden  kränzten  sich  nach  dem  Siege  mit  dem  Laube  eines  am 
Ufer  wachsenden  Lorbeers,  an  dem  sie  ihr  SchifP  mit  Seilen 
befestigt  hatten,  und  sangen  ju  Orpheus  Leier  den  Hymnus 
(v.  159).  Dazu  bemerkt  der  Scholiast  nach  dem  einen  von  zwei 
altem  Autoren,  die  jenes  Lokal  in  ihren  Schriften  behandelt  hatten: 
es  stehe  dort  wirklich  ein  hoher  Lorbeerbaum  an  einem  noch  be- 
wohnten Orte,  der  Amykos  heisse,  fünf  Stadien  vom  Chalcedonischen 
Nymphäum  entfernt;  tiach  dem  andern:  es  befinde  sich  dort  ein 
Heroon  des  Amykos  mit  einem  Lorbeer,  und  wer  von  demselben 
ein  Reis  breche,  verfalle  in  Schmähungen  (eig  XoidoQiav  ävioirjai). 
Nach  Plinius  wuchs  der  Lorbeer  seit  Bestattung  des  Amycus  auf 
dessen  Grabe  und  hiess  der  unvernünftige,  weil,  wenn  ein  Reis  davon 
aufs  Schiff  gebracht  wurde,  sogleich  Zank  entstand,  bis  es  wieder 
weggeworfen  wurde,  16,  239:  in  eodem  tractu  portus  Amyci  est 
BAryce  rege  interfecto  clartis;  ejus  tumulus  a  supremo  die  lauro 
tegitur  quam  insanam  vocant^  quoniam  si  quid  ex  ea  decerptum 
inferatur  navibus  jurgiafiunt^  donec  abiciatur.  Der  Lorbeer  hat  auch 
hier  die  Bedeutung  der  Sühne  nach  geschehener  Tödtung:  dass  er 
aber  zu  bösen  Reden  verführt,  und  insana  oder  ddcpvrj  fiaivo^uvrj 
heisst  (bei  Arrian.  peripl.  Ponti  Eux.  und  Steph.  Byz.)  kommt 
daher,  weil  er  auf  dem  Grabe  oder  beim  Sacellnm  des  prahlerischen, 
streitsüchtigen    Riesen    wuchs.      Noch    weiter    nach    Nordosten    bei 


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188  Lorbeer,    Myrte. 

Panticapäum  (dem  heutigen  Kertsch  in  der  Krim)  hatte  man,  wie 
Theophräst  h.  pL  4,  5,  3  berichtet,  Myrte  und  Lorbeer  anzupflanzen 
versucht,  zum  Zwecke  priesterlicher  Verrichtungen  (ngog  zag  iBQOOvvag^ 
nämlich  des  Apollo  und  der  in  Panticapäum  vielverehrten  Aphrodite), 
aber  der  Versuch  misslang,  offenbar  der  skythischen  Winter  wegen. 
Plinius  wiederholt  diese  Nachricht,  mischt  aber  seltsamer  Weise  den 
König  Mithridates  ein,  18,  137:  circa  Bosporum  Gimmerium  in 
Panticapaeo  urbe  omni  modo  laboravit  Mithridates  rex  et  ceteri  incolae^ 
sacrorum  certe  caicsa^  laurum  myrtunupie  habere:  non  Contimit  Hing 
diese  Anpflanzung  —  falls  Plinius  nicht  aus  irgend  einem  Miss- 
verständniss,  wie  ihm  dies  nicht  selten  begegnet,  den  Mithridates 
herbeigezogen  hat**)  —  mit  der  Religion  des  pontischen  Königs, 
der  vom  persischen  Stamme  war,  zusammen,  so  wird  auch  von  den 
Persern  selbst  erwähnt,  sie  bedienten  sich  bei  gewissen  heiligen 
Handlungen  der  Myrten  und  Lorbeerreiser,  die  sich  also  doch  in 
ihrem  Lande  finden  mussten  (Herod.  1,  132.  Strab.  15,  3,  14). 
Die  uferliebende  Myrte  (amantis  litora  myrtos^  Ktora  myrtetk  laetissima) 
und  auch  der  Lorbeer  sind  Gewächse  eines  milden^  von  Extremen 
freien  Himmelsstrichs.  Die  Myrte  ist  in  dieser  Beziehung,  wie  auch 
Theophräst  h.  pl.  4,  5,  3  bemerkt,  noch  zärtlicher  als  der  Lorbeer. 
Die  erstere  verbreitete  sich,  wenn  wir  uns  nicht  täuschen,  von  Süd- 
osten her  über  die  Felsenufer  des  mittelländischen  Meeres;  der 
andere,  häufig  nicht  bloss  in  Cilicien,  wo  er  fast  bis  an  die  be- 
rühmten cilicischen  Thore  reicht,  in  dem  apollinischen  Lycien,  an  den 
Gestaden  Kleinasiens  bis  Troas  hinauf,  sondern  auch  am  Südrande 
der  Propontis  und  des  Pontus  bis  Georgien,  wo  er  aufhört 
(s.  Tchihatcheff,  Asie  mineure,  botanique  H.  p.  445  und  die  daselbst 
angeführten  Werke  von  Sestini,  Grisebach  und  Koch),  ward  zuerst 
in  den  Norden  der  hellenischen  Halbinsel  und  weiter  nach  Süden 
und  Westen  getragen,  ohne  indess  in  Europa  im  freien  Stande, 
sowohl  was  die  Zahl  als  die  Pracht  der  Exemplare  betrifft,  so 
fröhlich  zu  gedeihen,  wie  in  Vorderasien. 

Die  Frage,  ob  das  geringere  Abbild  der  Myrte,  der  immer- 
grüne Buchsbaum,  der  südeuropäischen  Flora  ursprünglich  an- 
gehört, werden  alle  Botaniker  unbedenklich  mit  Ja  beantworten: 
dem  Historiker  ist  die  Sache  noch  nicht  so  ausgemacht.  Beim 
ersten  Blick  muss  auffallen^  dass  die  lateinische  Benennung  buxus 
(oder  in  der  altem,  volksmässigen  Form  btucum)  von  den  Griechen, 
bei  denen  das  Gewächs  nv^og  heisst,  entlehnt  ist  —  denn  an  eine 
Urverwandtschaft;    beider  Wörter   wird  Niemand    denken   wollen  — 

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BuchsbaiuD.  189 

imd  dass  also  ein  in  Italien  einheimischer  Strauch  oder  Baum  einen 
fremden  Namen  trägt.  Das  Holz  des  buania  wurde  seit  dem  frühen 
Alterthum  wegen  seiner  Härte,  Dichtigkeit,  Schwere,  unvergänglichen 
Dauer  und  wegen  der  fehlerlosen  Glätte  der  daraus  gefertigten 
Platten  hochgeschätzt:  es  war  das  nordische  und  abendländische 
Ebenholz;  es  diente  zu  Werkzeugen  aller  Art,  zu  Cithem  und  Flöten, 
Schmuckkästchen,  Tafeln,  Thürpfosten,  Götterbildern,  wie  auch  heut 
za  Tage  die  Holzschneidekunst  es  nicht  entbehren  kann;  Grundes 
genug  das  Bäumchen  zu  verbreiten,  welches  nach  Theopbrast  h.  pl.  3, 
6,  1  zu  den  avav^^  gehört  d.  h.  zu  solchen  Gewächsen,  die  sich 
leicht  vermehren,  und  also,  nachdem  es  in  einer  dunkeln  Periode, 
ans  der  es  keine  Urkunden  giebt,  von  Menschen  weitergetragen 
worden,  in  historischen  Zeiten  leicht  sich  auf  dem  neuen  Boden  als 
freigeboren  darstellte.  Wenn  es  aber  von  Asien  herübergekolnmen 
war,  —  in  welcher  Gegend  dieses  Festlandes  lag  der  Punkt,  von 
dem  seine  Wanderung  ausging?  Theophrast  in  dem  wunderbaren 
Abschnitt  seiner  Pflanzengeschichte,  wo  er  das  Bild  einer  Pflanzen- 
geographie entwirft,  die  schon  das  ungeheure  Reich  AJexanders  des 
Grossen  und  einen  Theil  der  Welt  darüber  hinaus  umfasst,  wir 
meinen  die  ersten  Kapitel  des  vierten  Buches  — ,  rechnet  4,  5,  1  die 
nv^og  unter  die  cpiXoxptiXQct  d.  h.  unter  die  Gewächse  nicht  des  warmen, 
sondern  des  kalten  Himmelsstrichs,  und  im  vorhergehenden  Kapitel 
hatte  er  berichtet,  der  griechische  Epheu  lasse  sich  in  den  babylo- 
nischen Gärten  wegen  der  übergrossen  Milde  des  Klimas  gar  nicht, 
der  Buchsbaum  und  die  Linde  aber  nur  mit  grosser  Schwierigkeit 
ziehen  (4,  4,  1).  Aehnlich  äussert  er  sich  de  caus.  pl.  2,  3,  3:  in 
den  heissen  Ländern,  wo  die  Dattelpalme  gedeiht,  kommen  Buchs- 
baom  und  Linde  schwer  fort.  Der  Buchsbaum  war  also  kein 
Gewächs  des  warmen  semitischen  Landstrichs,  und  der  im  Alten 
Testament  Jes.  41,  19.  60,  13  und  in  etwas  anderer  Form  Ezech.  27, 
6  genannte  Baum  kann  schon  aus  diesem  Grunde  nicht  btucus  sein, 
wie  Bochart  und  nach  ihm  Celsius  wollten.  Aber  auf  den  Ge- 
birgen des  pontischen  Kleinasiens  wucherte  der  Baunx  in  unermess- 
Kcher  Fülle,  und  erreichte  in  Höhe  und  Dicke  ein  Wachsthum,  wie 
nirgends  in  Griechenland.  Dort  in  Paphlagonien,  bei  der  Stadt 
Amastris,  war  besonders  das  Cytorusgebirge,  welches  nahe  an  das 
schwarze  Meer  herantritt,  wegen  seiner  Buxuswaldung  berühmt 
(Theophr.  3,  15,  5.  Strab.  12,  3,  10),  CatuU.  4,  13: 
Amastri  Pontica  et  Cytore  huxifer, 

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1 90  BuchsbaunL 

Verg.  Georg  2,  437: 

Et  juvat  undantem  buxo  spectare  Cytorum  — 
und  wie  es  hiess:  Eulen  nach  Athen  oder  Fische  in  den  Helles- 
pont  tragen,  und  wie  wir  sagen:  Holz  in  den  Wald  tragen,  so 
galt  nach  Eastatbias  ad  II.  1,  206  auch  das  Spruchwort:  Du  hast 
Buchsbaum  auf  den  Cytorus  gebracht,  nv^ov  elg  Kvtcdqov  fjyayeg. 
Zu  dem  (Jytorus  fugt  Plinius  noch  das  Berecyntus-Gebirge  in  Phry- 
gien  am  Flusse  Sangarius,  16,  71:  btucm  .  .  .  G/tartü  montibus  plu- 
ruma  et  Berecyntio  tracfu.    Eben  so  die  Dichter:  Verg.  Aen.  9,  619: 

btumsque  vocat  Berecyntia  matris 
Idaeae. 
Ovid.  ex  Pont.  1,  1,  45: 

pro  sistro  phrygüque  foramine  bttxi» 
Da  nun  die  Paphlagonier  schon  bei  Homer  Bundesgenossen  der  Troer 
sind  und  yon  den  dortigen  Henetem  die  Maulthiere  stammten,  so 
erklärt  sich,  dass  schon  das  Epos,  obgleich  in  einem  seiner  jüngsten 
Theile,  dem  24.  Buch  der  Ilias,  dem  alten  Priamus  einen  maul- 
thierbespannten  Wagen  giebt  mit  einem  aus  Buxus  gearbeiteten 
Bchön  verzierten  Joche  (v.  268).  Noch  im  Mittelalter  heisst  es  bei 
Marco  Polo,  1,  Gap.  4:  In  der  Provinz  Georgien  bestehen  alle 
Wälder  aus  Buchsbaum  —  wozu  der  neueste  Herausgeber,  H-  Yule, 
die  Notiz  fügt:  Buchsbaumholz  fand  sich  in  den  abchasischen 
Wäldern  so  reichlich  und  bildete  einen  so  wichtigen  genuesischen 
Handelsartikel,  dass  die  Bai  von  Bambor,  nordwestlich  von  Suchum 
Eale,  über  welche  dieser  Handel  ging,  den  Namen  Ghao  de  Box 
(cavo  di  Bussi)  erhielt.  Auch  auf  dem  macedonischen  Olympus 
wuchs  der  Buchsbaum  schon  zu  Theophrast's  Zeit,  aber  verkümmert, 
niedrig,  knotenreich  und  darum  den  Technikern  nicht  nutzbar  (Theophr. 
h.  pl.  3,  15,  5.  5,  7,  7).  In  dem  mehr  südlichen  Griechenland,  dem 
Gebiet  des  heutigen  Königreichs,  ist  btucus  aempervirens  ungewöhnlich; 
von  dem  Westlande  aber  und  insbesondere  von  der  Insel  Kymos 
hat  Theophrast  gehört,  dort  wachse  der  höchste  und  schönste  Buchs- 
baum, der  jeden  anderen  an  Länge  und  Dicke  übertreffe,  und  davon 
habe  der  dortige  Honig  seinen  üblen  Geruch  (h.  pL  3,  16,  3).  Den 
Griechen,  die  einen  Theil  der  Küsten  Italiens,  Galliens  und  Spaniens 
schon  frühe  mit  Kolonien  besetzt  hatten,  blieb  doch  das  Innere  der 
genannten  Länder  lange  und  bis  in  die  jüngste  Epoche  fast  unbe- 
kannt, und  noch  zu  Theophrasts  Zeit  ruht  ein  Schleier  darüber, 
der  den  Schriftstellern  des  Mutterlandes  nur  momentane  einzebe 
Blicke   gestattet.     Besonders   Corsica   war    damals    noch   ein  halb 

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Bnchsbaum.  191 

mythisches  Land,  auf  welches  nach  der  uralten  Anschauung  der 
Identität  des  äussersten  Westens  mit  dem  äussersten  Osten  gewohn- 
beitsmassig  die  Natui^aben  des  Pontus,  in  diesem  Fall  das  gepriesene 
Holz  des  Bnchsbaums,  übertragen  werden  konnten.  Denn  auch  im 
Pcmtos  hatte  der  Honig  seinen  widrigen  Geruch  von  dem  Buchs- 
baam  (Aristot.  de  mir.  auscult.  18,  wiederholt  von  Aelian  n.  a.  5, 
42),  und  noch  ein  so  später  Schriftsteller  wie  Diodor  (oder  vielmehr 
der  sicilische  Geschichtschreiber  Timaeus,  welchen  Diodor  hier  aus- 
schrieb) berichtet  5,  14  über  Corsica  wie  über  ein  Phantasieland, 
in  dem  tugendhafte  und  gerechte  Menschen  leben,  gleich  den  Abiem 
und  Hyperboreern,  und  die  einfachen  Sitten  der  Hirten  weit  herrschen. 
Sei  es  nun,  dass  auf  diese  Art  die  Phantasie  in  die  gefurchteten 
dichten  Wftlder  der  Insel  den  Buchsbaum  nur  hineinschaute,  oder 
dass  wirklich  die  jetzt  den  balearischen  Inseln  eigenth  um  liehe,  früher 
vielleicht  weiter  über  die  atlantisch-iberische  Welt,  wie  Korkbaum 
und  Speiseeiche,  verbreitete  Art,  die  die  Botaniker  buaui  bcdearica 
nennen,  auch  auf  Corsica  sich  fand  —  auf  jeden  Fall  gehört  der 
Zusammenhang  zwischen  dem  bitteren  Honig  und  dem  Buchsbaum 
der  Insel  in  das  Reich  der  Fabel,  ja  jene  Eigenschaft  des  Honigs 
selbst  ist  nur  von  der  gleichen  des  pontischen  abgeleitet,  Dass 
aber  wenigstens  an  der  italischen  Küste  und  zwar  bei  dem  heutigen 
Policastro  in  Ealabrien  im  fünften  Jahrhundert  vor  Chr.,  zwei  bis 
dreihundert  Jahre  nach  der  ersten  Ankunft  der  Griechen  in  jenen 
Gegenden,  der  Buchsbaum  wuchs,  geht  aus  dem  Namen  der  Stadt 
Hv^ovg^  bei  den  Italem  Buxentum^  hervor:  dieser  von  Mikythos, 
Tyrannen  von  Messana,  Ol.  78,  2  oder  467  vor  Chr.  gegründete 
Ort  war  ohne  Zweifel  nach  dem  in  der  Umgegend  vorgefundenen'^ 
buius  benannt.  Bei  den  späteren  Römern  diente  der  lebendige 
Strauch,  wie  noch  heute,  zu  Einfassung  von  Gängen  und  Beeten  und 
wurde  nach  dem  Geschmack  der  damaligen  Gartenkunst  von  der 
Hand  der  topiarü  und  viridarü  zu  mannichfachen  Gestalten,  Thier- 
bildem,  sogar  Buchstaben  zugeschnitten,  worüber  der  jüngere  Plinius 
in  der  Schilderung  seiner  tuscischen  Villa,  Ep.  5,  6,  uns  ein  be- 
lehrendes Document  hinterlassen  hat.  Ein  so  allgemein  verwendetes 
Gewächs  und  ein  so  gesuchtes  Holz  musste  sich  nach  und  nach  in 
passenden  Localitäten  Dasein  und  Raum  scha£Fen.  Der  ältere  Plinius 
wiederholt  nach  semer  Art  die  Angaben,  die  er  bei  Theophrast  fand, 
darunter  auch  die  vom  corsischen  Buchsbaum;  Einiges  aber  fügt  er 
auch  selbständig  oder  aus  anderen  Quellen  hinzu,  was  über  die 
damalige  Verbreitung   des  Baumes  Licht   giebt,    16,  70  (wir  geben 

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192  Bachsbanm.    Granatapfelbaum. 

hier  den  Text  nach  DeÜefsen):  tria  ejus  generai  gaUicum  quod  in 
metas  emittitur  amplitudine  proceriores;  oleastrum  in  omni  tisu  dam- 
natum  gravem  praefert  odorem;  tertium  genus  nostras  vocant^  e  silvestarty 
ut  credo,  mitigatwm  satu,  dzffusms  et  densitate  parietum^  virens  semper 
ac  tormk.  Buatis  Pyrenaeis  ac  Cytorm  montibus  plurima  (u.  s.  w., 
s.  o.).  Die  gallische  Art  halten  wir  für  die  balearische,  die  edler, 
höher  und  gegen  die  nordische  Kälte  empfindlicher  ist,  als  die 
gemeine,  und  eben  dahin  mag  der  Buchsbaum  der  Pyrenäen  gehört 
haben:  die  beiden  anderen  unterschieden  sich  nach  Plinius  eigener 
Andeutung  nur  wie  Verwilderung  und  Kultur.  In  den  achtzehn 
Jahrhunderten  seit  Plinius  hat  sich  der  Buchsbaum  an  den  Küsten 
Frankreichs,  Englands,  ja  Irlands  in  völliger  Freiheit  angesiedelt; 
da  ihn  dorthin  sicher  erst  menschlicher  Verkehr  gebracht  hat,  so 
wird  es  nicht  unvernünftig  sein,  für  eine  viel  frühere  Zeit  eine 
ähnliche  Wanderung  von  Kappadocien  in  das  europäische  Mittel- 
meergebiet anzunehmen. 

Dass  die  europäische  Benennung  des  Baumes  in  allen  Sprachen 
aus  der  lateinischen  stammt,  kann  nicht  verwundem;  interessanter 
aber  ist,  wie  seit  dem  Mittelalter  das  beliebte  Material  allem  ur- 
sprünglich daraus  Gefertigten  den  Namen  lieh.  So  im  Deutschen 
Büchse  (in  allen  Bedeutungen,  auch  in  der  des  Feuergewehrs): 
französisch  botte  die  Schachtel,  botter  hinken  (d.  h.  aus  der  Pfanne, 
boite^  bringen  oder  gerathen);  boisseau  der  ScheflTel,  englisch  bu&hel; 
boussole  der  Kompass,  spanisch  bnucula;  buisson  der  Strauch,  ital. 
bttsctone;  buste^  ital.  busto  die  Büste  (nach  Diez);  slavisch  jM^7ifca 
pu^a  die  Kanone,  puikarl  der  Kanonier,  magyarisch  pudca  (aus  dem 
deutschen  buksa^  puhsa)  und  manches  Andere*^). 


Der  Granatapfelbaum. 

ijpunica  graruUum  L.) 

Religiöser  Verkehr  hat  in  alter  Zeit  auch  den  schönen  Granat- 
bäum  nach  Europa  gebracht,  dessen  purpurne  Blüte  im  glänzenden 
Laube  und  rothwangige,  kernreiche  Frucht  die  Phantasie  symbolisch 
denkender  Völker  Vorderasiens  von  Anbeginn  lebhaftJS  ergreifen 
musste.  In  der  Odyssee  sind  an  zwei  schon  früher  behandelten 
Stellen  unter  den  Früchten  im  Garten  des  Phäakenkönigs  und|unter 

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Granatapfelbaom.  193 

denen,  die  den  phrygischen  Tantalus  dorch  ihren  Anblick  quälen, 
anch  Grranatapfel,  ^oiai\  welcher  Name  allein  schon  für  die  Her- 
kunft des  Gewächses  aus  semitischem  Sprach-  und  Eulturkreise 
entscheidendes  Zeugniss  ablegt  ^^).  Im  syrisch-phönizischen  Götter- 
dienst war  der  Baum  von  so  hervorragender  Bedeutung,  dass  der 
Xame  des  Granatapfels,  Rimmon^  mit  dem  des  Sonnengottes,  Hadad- 
Rimmon,  zusammenföllt  (Movers,  Phönizier,  1,  196  ff.).  In  Cypem 
hatte  Aphrodite  selbst  den  Baum  gepflanzt  (nach  dem  Komiker 
Eriphus  bei  Athen.  3,  p.  84);  er  war  dem  Adonis  geweiht  und  in 
die  phrygischen  theogonischen  Mythen  vielfach  verwebt.  Der  Apfel, 
den  der  troische  Paris  der  Aphrodite,  der  Landesgöttin,  im  Streite 
mit  den  eindringenden  Kulten  der  Athene  und  Hera  als  Preis  zu- 
erkannte, war  ohne  Zweifel  urspr&nglich  als  Granatapfel  gedacht. 
Eine  zweite  griechische  Benennung  der  Frucht  und  des  Baumes, 
acdi;,  stammte,  wie  ^oid  aus  Syrien,  so  vermuthlich  aus  Kleinasien 
and  mag  karisch  oder  phrygisch  u.  s.  w.  gewesen  sein.  Literarisch 
erscheint  das  Wort  zuerst  in  dem  von  Plutarch  (Symp.  5,  8,  2) 
aufbewahrten  Verse  des  Empedokles  (v.  220.  Stein.): 

ovvsxev  oxpiyovoi  ts  aidai  xal  insgcploa  fi^lcty 
also  in  der  Mitte  des  fianften  Jahrhunderts.  Die  Schriften  des  Hippo- 
krates,  in  denen  des  Wort  gleichfalls  wiederholt  vorkommt,  gewähren 
zwar  keine  sichere  Zeitbestinmiung,  wohl  aber  Aufklärung  über 
Localitat  und  Mundart,  in  denen  es  gebräuchlich  war.  Die  Böoter 
sagten  aidi]^  die  Athener  ^oa:  Athenäus  erzählt  nach  Agatharchides 
(14.  p.  650  f.),  einst  hätten  die  Böoter  und  Athener  um  ein  Grenz- 
land, Namens  2idai^  gestritten:  da  habe  Epaminondas  plötzlich  einen 
Granatapfel  hervorgeholt  und  gefragt:  wie  nennt  ihr  das?  Als  darauf 
die  Athener  erwiederten;  ^oi,  rief  Epaminondas:  wir  aber  aidrj,  und 
blieb  auf  solche  Art  Sieger  im  Streit.  In  viel  ältere  Zeit,  als  diese 
Erwähnungen,  führen  die  Namen  von  Ortschaften,  die  von  der  aidrj 
entlehnt  sind.  An  der  lakonischen  Eüste  lag  eine  Stadt  Side,  nach 
einer  Tochter  des  Danaus  benannt,  im  politischen  Verein  mit  den 
beiden  auf  Troas  hinweisenden  Orten  Etis  und  Aphrodisias  (s.  oben 
bei  der  Myrte);  in  der  Landschaft  Troas  selbst  nennt  Strabo  (13, 
1,  11  und  42)  eine  Stadt  Sidene  am  Granikus  nebst  gleichnamigem 
Gebiet;  ein  anderes  lykisches  Sidene  erwähnt  Stephanus  von  Byzanz 
nach  Xanthus;  ein  Flecken  bei  Korinth  oder  ein  Hafenort  in  Megaris 
^idovg  trug  besonders  schöne  fi^Aa  (Nicand.  in  seinen  Heteröumena 
imd  andere  Gewährsmänner  bei  Athen.  3.  p.  82),  worunter  dem 
Namen  des  Ortes  nach  ursprünglich  oder  vorzüglich  Granatäpfel  zu 

Vict  Hehn,  Kolturpflanten.  13  /^^  ^  ^  ^T  ^ 

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]94  ^^^  (Iranatapfelbaam. 

verstehen  waren;  Dörfer  mit  demselben  Namen  kennt  Stephanus  von 
Byzanz  an  der  kleinasiatischen  Küste  bei  Elazomenä  nnd  bei  Erythrä; 
eine  Stadt  2idovaaa  in  lonien  kam  bei  Hecataus  in  seiner  Um- 
schiffuDg  Asiens  vor  und  wird  auch  später  noch  erwähnt  Side  in 
Pamphylien,  welches  aaf  seioen  Münzen  einen  Granatapfel  zeigt, 
lag  zwar  dem  syrischen  Süden  schon  nahe,  war  aber  eine  Gründung 
des  äolischen  Kyme  (Strab.  14,  4,  2:  2idij,  Kvfiaitov  anoixog). 
Auch  im  innersten  Pontus  endlich  lag  in  der  glücklichen  Landschaft 
Sidene,  also  dem  Granatenlande,  die  hochgelegene  Eüstenstadt  Side 
(Strab.  12,  3,  16).  Eine  ältere,  auch  von  Eallimachos  (in  lavacr. 
Fall.  28)  gebrauchte  Wortform  aißdrj  statt  oidi]  —  älter,  weil  die 
letztere  aus  der  ersteren,  nicht  aber  jene  aus  dieser  entstehen  konnte  — 
führt  direkt  nach  Karien,  Steph.  Byz.:  2ißda^  nolig  liaqiag.  —  Wie 
in  Asien,  dient  der  Baum  und  seine  Frucht  denn  auch  in  Griechen- 
and  in  den  entsprechenden  Kulten  zum  Ausdruck  dunkler  Vor- 
stellungen von  Zeugung  und  Befruchtung  und  wiederum  von  Tod 
und  Vernichtung.  Eine  phrygische  Färbung  trug  die  thebanische 
Legende,  nach  welcher  am  Grabe  des  Eteokles  ein  von  den  Erinyen 
gepfianzter  Granatbaum  wuchs,  aus  dem,  wenn  man  eine  Frucht 
brach,  Blut  floss  (Philostr.  Lnag.  2,  29),  oder  jene  andere,  nach 
welcher  beim  Grabmal  des  Menoikeus,  der  beim  Anzug  des  Polynices, 
einem  delphischen  Oaikelspruch  gehorchend,  sich  selbst  den  Tod 
gegeben  hatte,  eine  Granate  aufjgesprosst  war,  deren  reife  Früchte 
innerlich  wie  von  Blut  geröthet  waren  (Pausan.  9,  25,  1).  Auf  der 
bildgeschmückten  Lade  des  Kypselos  im  Heräum  zu  Olympia,  deren 
Anfertigung  in  das  erste  Jahrhundert  der  Olympiadenrechnung  fallt 
und  die  noch  Pausanias  an  Ort  und  Stelle  fand  und  genau  be- 
schrieben hat,  sah  man  den  Gott  Dionysos  in  einer  Höhle  liegend, 
um  ihn  herum  aber  Weinstöcke,  Apfel-  und  Granatbäume  wachsend 
(Paus.  5,  19,  1).  Das  im  Heräum  zwischen  Argos  und  Mykene 
von  Polyklet  gearbeitete  Bild  der  Göttin  hielt  in  der  einen  Hand 
das  Scepter  mit  dem  Kukuk,  in  der  anderen  den  Granatapfel  — 
was  dieser  letztere  bedeutet,  fügt  Pausanias  bei  Beschreibung  des 
Werkes  (2,  17)  hinzu,  verschweige  ich,  da  es  nicht  auszusprechen 
ist.  Er  bedeutete  aber  eben  die  Erdgöttin  als  die  vom  Himmel  be- 
fruchtete und  unendlich  hervorbringende,  wie  der  Kukuk  die  reg- 
nerische Frühlingszeit,  in  der  jene  Befruchtung  vor  sich  geht  Be- 
sonders im  Mythus  von  dem  Pluto  und  der  Proserpina  erscheint 
der  Granatapfel  als  bedeutungsvolles  Attribut:  schon  der  homerische 
Hymnus  auf  die  Demeter  berichtet,  wie  Persephone  in  der  Unterwelt 

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Der  Granstapfelbanm.  195 

einen  Kern  der  Frucht  Qoirjg  xoxxovy  ^ehriöi^  idwdrjv)  zu  kosten 
gezwangen  worden  d.  h.  mit  dem  Aldoneos  sich  geschlechtlich  ver- 
banden habe  und  ihm  dadurch  verfallen  sei.  Da  die  Granate 
fiberall  ^n  mystischer  Weise  auf  das  Naturleben  deutet,  so  konnte  sie 
der  Pallas  Athene,  der  sittlichen,  geistigen  Göttin,  der  Göttin  des 
Staates  und  der  Stadt  Athen,  nicht  angehören.  Um  so  auffallender 
masste  es  sein,  wenn  von  dem  Bilde  der  ungeflügelten  Athena  Nike 
am  Aufgang  zur  Burg  in  Athen  berichtet  wird,  es  habe  in  der 
Linken  den  Helm,  in  der  Rechten  einen  Granatapfel  getragen  (Har- 
pocration  unter  Nixr]  Idd^r^vS)^  und  wir  stimmen  daher  gern  0.  Benn- 
dorf  bei,  der  dies  Bild  von  dem  oben  genannten  Side  in  Pamphylien 
ableitet  (Festschrift  zur  fünfzigjährigen  Grundungsfeier  des  archäo- 
logischen Institutes  in  Rom,  Wien  1879,  4^).  Danach  hat  es  Eimon 
als  Denkmal  des  Doppelsieges  am  Eurymedon  gestiftet  und  zum 
Zeagniss  dessen  die  Pallas  von  Side,  der  dem  Eurymedon  nahe 
gelegenen  Stadt,  durch  Ealamis  nachbilden  lassen.  So  war  hier  die 
Göttin  nur  zugewandert  und  ihr  Granatapfel  nur  das  Zeichen  der 
asiatischen  Gegend,  aus  der  sie  kam  und  in  der  eben  die  Asiaten 
überwunden  worden  waren. 

Wie  bei  der  argivischen  Hera,  so  wird  auch  in  dem  abgeleiteten 
Uerakult    der   achäischen  Städte   in  Italien,   besonders    der  ihnen 
gemeinsamen   Hera   Lakinia  bei    Kroton,    das  Symbol   des   Granat- 
apfels  und   abo    auch  bei  Tempeln  und  in  Gärten  der  Baum  selbst 
nicht  gefehlt   haben.    Darauf  deutet  hin,  was  von  der  Siegesstatue 
des   Milon    von  Kroton    in  Olympia   berichtet   wird:    dieser    gross- 
griechische Athlet,  der  schon  um  das  Jahr  520  vor  Chr.  lebte,  war 
als  Priester  der  Hera  dargestellt  und  trug  als  solcher  in  der  linken 
Hand   einen  Granatapfel  (Philostr.    vit.  Apoll.    4,  28,    woselbst   der 
Satz  aufgestellt  ist:    rj  ()oä  di  fiovr]  (pvTuiv  tfj  ^'HQf  (pvBzai).    Weiter 
muss  der  Verkehr  der  Römer  mit  den  campanischen  Griechen,  der  die 
erycinische  Aphrodite  und  die  vom  troischen  Ida  stammenden  sibyl- 
linischen  Bucher  nach  Rom  brachte,  auch  die  Kunde  der  Granatfrucbt, 
dieses  häufigen  Symboles,  und  des  Baumes,  auf  dem  sie  wuchs,  ver- 
mittelt haben.     In  der  That  finden  wir  den  Granatzweig  in  einer  der 
ältesten  Partieen  des  römischen  Priesterrituals  erwähnt:  die  Gattin  des 
Hamen  Dialis^  die  Flaminica^  die  in  Tracht  und  Sitte  ein  Abbild  der 
römischen  Matrone  aus  der  Urzeit  darstellte,    trug  auf  dem  Haupte 
einen  Granatenzweig,  arculum^   inarculum^   dessen  Enden  mit  einem 
Faden  weisser  Wolle   an   einander   geknüpft   waren,   offenbar   zum 
Zeichen  ehelicher  Fruchtbarkeit  —  wie  das  Haupt  ihres  Gatten  mit 

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196  ^^^  Granatapfelbanm. 

einem  Oelzweig   am  apex  geschmückt  war.    Hier  wird  die  Granate 
nicht  jüngeren  Datums  sein^    als  die  Olive,    die  wie  wir  sahen,   zur 
Zeit  der  Tarquinier  in  Italien  auftrat.     „Granatapfel  von  Thon  sind 
zugleich    mit    sonstigen    Früchten    ähnlicher   Votivbestimmung    aus 
unteritalischen,   hauptsächlich  nolanischen  Gräbern  —  zahlreich  vor- 
handen" (Gerhard,    Denkm.  und  Forsch.  1850,    n.  14.  15).     Um  so 
mehr  dürfen  wir  uns  wundern,  in  Italien  keine  der  beiden  griechischen 
Benennungen   der  Frucht,    sondern  bloss  den  allgemeinen  Ausdruck 
malum  mit  dem   specificirenden  Adjectiv  punicum  oder  granatum  zu 
finden,  z.  B.  Columella  12,  42,  1 :   mala  dtUcia  granata  quae  Pumca 
vocantur.    Aus    welcher   Zeit   stammt   der  Beisatz  punicumf      Aus 
jenem   frühen   Alterthum,    in   dem    der    von  Polybius    aufbewahrte 
Handels-  und  SchiflFfahrts vertrag   mit  Karthago  abgeschlossen  ward? 
Schon  desshalb  nicht,  weil  die  nahe  Verbindung  mit  den  Griechen  in 
Cumä,    Velia  u.  s.  w.    in  noch   ältere  Zeit  fallt  und  der  Name  der 
Punier  selbst  ein  aus  griechischem  Munde  entlehnter  ist.     Wie  das 
Wort  fi^Xov   bei    den   Griechen   selbst   nicht   bloss  die  eigentlichen 
Aepfel,  sondern  auch  die  Quitten,  Granaten  u.  s.  w.  umfasst,  so  ge- 
nügte den  italischen  Naturkindern  auch  der  allgemeine  Begriff  malum, 
der  erforderlichen  Falles    durch    ein  beschreibendes  Epitheton  näher 
bestimmt  wurde.     Als  dann  den  Römern   der  Reichthum  an  Granat- 
bäumen in  den  Kolonien  der  Karthager  und  endlich  in  Afrika  selbst 
zu    Gesicht   kam   und  der   Handel  ihnen  die  süssesten,    blutrotheD, 
scheinbar  kernlosen  d.  h.  weichkernigen  Früchte  aus  Süden  in  Menge 
zuführte,  da  mag  sich  der  Beiname  punisch  festgesetzt  haben,  in  dem 
zugleich    ein  Anklang  an  die  Farbe  lag.    Denn  dem  Wortlaut  nach 
kann  malum  punicum  auch   als  malum  puniceum^    q)oivixovv   fiaXoVy 
der  Purpurapfel,  verstanden  werden.    Auf  dem  afrikanischen  Boden, 
wohin   der   Baum   grades    Wegs  von    Kanaan,   seiner   Heimat,    ge- 
bracht  war,    gediehen    die    feinsten    Sorten.      Zwar    wenn    Plinius 
13,  112  den  Granatapfel   geradezu   den  Gegenden  um  Karthago  zu- 
spricht;  circa  Carihaginem  Pwnicwm   malum   cognomine  sibi  vincUcat 
(Africa),  so  ist  dies,  wie  der  Zusatz  cognomine  lehrt,  nur  ein  Schluss 
aus  dem  Namen,  keine  historische  oder  naturgeschichtliche  Beobach- 
tung;  aber  dass  Afrika  in  dieser  Hinsicht  bei  den  Römern  berühmt 
war,  leidet  keinen  Zweifel.     Martialis    begleitet  die  Zusendung  eines 
Korbes  mit  Obst  mit  den  Worten:  „hier  keine  afrikanischen  Granaten 
ohne    Kern,    sondern    inländische    Früchte    aus    meinem    Garten*', 
13,  42: 

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Der  Granatapfelbaum.  197 

Non  tibi  de  Libycis  iuberes  aut  apyrina  ramis, 
De  Nomentanis  aed  damus  ctrhoribus. 

Direkt  bestätigt  dies  das  an  den  Flayianus  Myrmecius  gerichtete 
kleine  Gedicht  des  Rufus  Festus  Avienas  (bei  Wemsdorf,  Poetae 
lat  min.  5,  p.  1296),  der  in  der  zweiten  Hälfte  des  vierten  Jahr- 
bimderts  lebte  nnd  Afrika  selbst  gesehen  hatte.  Er  bittet  den  ge- 
nannten Freund,  wenn  dessen  Schiff  aus  Afrika  ankommen  sollte, 
ihm  einige  dort  gewachsene  Granatäpfel  zuzuschicken.  Nicht  dass 
mein  eigener  Garten,  fügt  er  hinzu,  keine  Früchte  der  Art  trüge,  aber 
sie  sind  sauer  und  herb  und  nicht  mit  dem  Nektar  zu  vergleichen, 
wie  ihn  die  warme  Sonne  Afrikas  erzeugt,  v.  25: 

Nee  tantum  mseri  videar  possessor  agelH, 
üt  gemis  hoc  arbos  nullo  mihi  floreat  horto : 
Nascitur  et  midtis  onerat  sua  brachia  pomiSy 
Sed  gravis  austerum  fert  succus  ad  ora  aaporem, 
lila  autem  Libycae  quae  se  8U8tollit  ad  auras, 
Mitescit  meliore  solo  coelique  iepentis 
Nutrimenta  trahens  aucco  ae  nectaris  implet. 

In  den  Paradiesen  der  Vandalen  in  Afrika,  von  denen  Luxorius 
spricht  (Anthologia  vet.  Lat.  et  epigr.  poem.  ed.  H.  Meyer,  epigr.  343), 
fehlte  ohne  Zweifel  der  liebliche  Baum  nicht,  den  auch  die  Araber, 
die  Freunde  schöner  Blüten  und  erfrischender  Fruchtsäfte,  mit  Vor- 
liebe pflegten.  Der  Name  des  Granatapfels  und  des  Granatbaumes 
bei  den  Portugiesen  ist  noch  heut  zu  Tage  der  arabische,  roma, 
romeira  (also  wie  malum  punicum  bei  den  Römern);  von  demselben 
arabischen  Wort  stammt  der  italienische  und  französische  Name  der 
Schnellwage,  romano,  romaine^  da  das  Gegengewicht  bei  arabischen 
Wagen  in  Form  eines  Granatapfels  gebildet  zu  sein  pflegte;  auch  die 
Ton  den  Mauren  im  zehnten  Jahrhundert  gegründete  Stadt  Granada, 
das  Damaskus  des  Westens,  sollte  von  der  Granate  den  Namen 
haben,  deren  Bild  in  das  Wappen  der  Stadt  überging  und  noch 
Jetzt  alle  Strassen  und  öffentlichen  Gebäude  schmückt  (Murphy,  The 
history  of  the  mahometan  empire  in  Spain,  p.  188).  In  Italien  ist 
bei  den  scriptores  rei  rusticae,  von  Cato  an,  der  Baum  schon  ge- 
wöhnlich; Plinius  in  der  Eaiserzeit  weiss  mannigfache  Sorten,  mit 
vielfacher  Anwendung,  aufzuzählen.  Das  heutige  Griechenland  und 
Italien  haben  schon  wilde  Granatapfelbäume  d.  h.  verwilderte,  strauch- 
förmige,  domige  an  Hecken,  deren  Früchte  aber  ungeniessbar  sind; 
auch  die  kultivirten  erreichen  die  Grösse  und  den  köstlichen  Ge- 
schmack nicht,  der  von  den  Granatäpfeln  in  dem  asiatischen  Paradies- 

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198  ^^^  Qaittenbaum. 

klima  des  Baumes  gerühmt  wird  (s.  darüber  den  trefflichen  Excurs 
von  Ritter,  Erdkunde,  Band  XI.%  Auch  dient  in  Italien  die  prächtige 
rothe  Frucht  mehr  zur  Augenweide,  zum  Schmuck  der  Tafel,  als  zum 
eigentlichen  Genuss.  Im  Spätherbst,  wo  sie  reift  (vergl.  oben  oxpiyovoi 
aiöai  im  Verse  des  Empedokle8),  ist  mit  der  heissen  Jahreszeit 
auch  das  Verlangen  nach  Erquickung  durch  säuerlichen  Fruchtsaft 
vorüber.  Hauptsächlich  die  Citrone,  kann  man  sagen,  hat  dem 
Granatapfel  den  Platz  geraubt,  den  er  bei  den  Alten  behauptete. 
Noch  jetzt  aber  nach  so  vielen  Jahrhunderten  verknüpft  das  Volk 
in  Griechenland  mit  der  Granate  die  Vorstellung  reichen  Segens  und 
der  unzählbaren  Menge*®)  und  die  purpurfarbene  Blüte  ist  als  Ge- 
schenk ein  Zeichen  feuriger  Liebe.  Dass  das  Wort  punicum  nirgends 
in  den  neuromischen  Sprachen  erhalten  ist  (die  Italiener  sagen:  me- 
lag^^anOy  granato  u.  s.  w.),  beweist,  dass  es  nie  ganz  volksmässig  ge- 
wesen ist. 


Der  Quittenbaum. 

(Pyrus  Cydonia  L,    Cydonia  vulgaris.) 

Unter  den  Aepfeln  sind,  wie  oben  gesagt,  im  früheren  Alterthum 
neben  den  Granaten  auch  Quitten  zu  verstehen,  die  wir  aus  diesem 
Grunde  sogleich  hier  anschliessen.  Die  XQvaaa  firjXa  der  Hesperiden 
und  der  Atalante  waren  idealisirte  Quitten,  und  der  der  Aphrodite 
geweihte,  in  Mädchen-  und  Liebesspielen  aller  Art  und  zu  bräut- 
lichen Gaben  dienende  Apfel  war  gleichfalls  kein  anderer  als  der 
duftende  Quittenapfel.  Seine  Farbe,  wie  die  der  rothen  Granate, 
machte  überall,  wo  er  zuerst  erschien,  lebhaften  Eindruck  auf  den 
Naturmenschen.  Roh  konnte  er  nicht  genossen  werden,  aber  in 
Wein,  Most,  Oel  und  besonders  Honig  eingemacht,  gab  er  diesen 
Stoffen  einen  feinen  Duft  und  Geschmack.  Der  griechische  Name, 
cydonischer  Apfel,  fifjlov  Kvdciviov^  wirft  einiges  willkommene  Licht 
auf  die  Geschichte  des  Baumes.  Danach  kam  er  den  Griechen 
zunächst  aus  Kreta  und  zwar  aus  dem  Gebiete  der  Kydonen,  die 
an  der  Nordwestküste  am  Flusse  Jardanus  wohnten  und,  mochten  sie 
nun  semitischen  Stammes  sein  oder  nicht,  doch  zu  den  ältesten  halb- 
mythischen Bewohnern  der  Insel  gehörten.  Ihre  Stadt  war  die  mater 
v/rbivm  des  Landes,   und   dass  die  Quitte   grade   nach  ihr  benannt 

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Der  Quittenbaom.  199 

war,  deutet  auf  ein  frühes  Zeitalter  ihrer  Einfuhrung  sowohl  als  ihrer 
Weiterverbreitung  zu  den  Griechen.  Ihre  älteste  urkundliche  Er- 
wähnung findet  sich,  wenn  xodif^alov,  worin  ein  Anklang  an  fiSXov 
KvdiavLov  nicht  verkannt  werden  kann,  soviel  als  Quitte  ist,  bei  dem 
aas  Lydien  gebürtigen  Alcman  (Fr.  90  Bergk.),  also  in  der  Mitte 
des  siebenten  Jahrhunderts ;  bald  darauf^  um  600  vor  Chr.,  wird  sie 
in  der  Helena  des  Sicalers  Stesichorus  genannt  (Fr.  27  Bergk): 
TloXXa  fiiv  Kvdiuvia  fiaXa  noxBQqimovv  noxi  diq>Qov  avaxxi. 
Etwa  um  dieselbe  Zeit  verordnete  Solon  in  einem  Gesetz,  bei  Hoch- 
zeiten solle  die  Braut,  ehe  sie  das  Brautgemach  betrete,  einen  cy- 
donischen  Apfel  essen,  offenbar  um  sich  symbolisch  damit  dem  Dienst 
der  Aphrodite  zu  weihen  (Plut.  Conj.  Praecept.  1  und  Quaest.  Rom.  65, 
der  übrigens  dies  solonische  Gesetz,  durch  welches  nur  ein  attischer 
Brauch  sanctionirt  wurde,  rationalistisch  erklärt).  Gleichzeitig  wird 
der  Baum  auch  von  den  italiotischen  Griechen  cultivirt  worden  sein: 
Ibykus  aus  Rhegium,  also  ein  geborener  Italiot,  erwähnt  um  die 
Mitte  des  6.  Jahrhunderts  der  cydonischen  Apfelbäume  in  bewässerten 
Gärten  (Fr.  1,  1:  Kvötoviai  firjXidsc).  Auf  die  umwohnenden  Bar- 
baren verfehlten  die  goldenen  Aepfel  ihren  Reiz  gewiss  nicht.  Dass 
die  Frucht  in  Italien  alt  war,  lehrt,  ausser  der  populären  Latinisirung 
im  Volksmunde:  mala  cotonea  statt  cydonia^  auch  eine  sprechende 
Stelle  bei  Properz  (3,  13,  27),  wo  der  Dichter  die  Einfachheit  der 
frahem  Zeit  mit  der  später  herrschenden  Ueppigkeit  vergleicht:  sonst, 
sagt  er,  schenkte  die  ländliche  Jugend  sich  Quitten,  vom  Baum  herab- 
geschüttelt, und  volle  Körbe  mit  Brombeeren,  jetzt  müssen  esLevkoien 
und  leuchtende  Lilien  sein  u.  s.  w.  Golumella  und  Plinius  kennen 
schon  mehrere  Arten,  darunter  die  Quittenbirn,  malum  strutheum^ 
wörtlich  Sperlingsapfel,  die  schon  bei  Cato  erwähnt  wird  und  also 
gleichfalls  älter  als  der  dritte  punische  Krieg  ist.  Wie  zu  Plinius 
Zeit,  werden  noch  jetzt  in  Italien  die  Quitten  in  Zimmern  aufgestellt, 
am  diese  mit  angenehmem  Duft  zu  erfüllen,  und  den  Zuckerbäckern 
dienen  sie  zu  der  cotognata^  franz.  cotignacy  wie  im  Alterthum  zum 
fiTjXa/neXi.  oder  xvdiovnfieX/.  Die  melimela^  wörtlich  Honigäpfel,  bei 
Varro  de  r.  r.  1,  59,  1:  quae  antea  mustea  vocabant^  nunc  melimela 
appellant,  bei  Horaz  Sat.  2,  8,  31: 

post  hoc  me  docuit  melimela  rubere  minorem 
ad  lunam  delecta  — 
imd  an  mehreren  Stellen  des  Martial  werden  von  neueren  Auslegern 
als  besonders  süsse  Aepfel  gedeutet;    dass   sie   aber   eine  zum  Ein- 
kochen   in  Most   und  später  in  Honig  vorzüglich  geeignete  Varietät 

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200  ILoBe,    Lilie. 

Quitten  waren,  bezeugt  nicht  nur  der  SchoL  Cruq.  ausdrücklich, 
sondern  lehrt  auch  das  spanische  membriüo^  das  portugiesische  "niaT' 
melOy  Quitte,  Quittenmuss,  von  welchem  letzteren  das  allgemein  euro- 
päische Wort  Marmelade  abgeleitet  ist.  Schon  zu  Galenus  Zeit  kam 
solche  spanische  Marmelade  nach  Rom  (de  aliment.  facult.  2,  23. 
VI.  p.  603  Kühn.)  Im  üebrigen  ist  der  Baum  im  heutigen  Italien 
nicht  sehr  häufig  und  gewiss  seltener  als  bei  den  Alten,  die  noch 
keine  Ananas  und  keine  Apfelsinen  kannten.  Im  Orient  dagegen 
und  in  ganz  Osteuropa,  der  Weltgegend  eingemachter  Früchte  und 
des  Zuckerwerks,  ist  das  Mittelalter  hindurch  und  bis  auf  die 
neueste  Zeit  die  Quitte  ein  beliebter,  in  Bazaren  feilgebotener  Genuss 
müssiger  Menschen  geblieben,  wovon  die  Menge  der  zum  Theil  ver- 
stümmelten Namen  derselben  bei  den  Völkern  slavischen  Stammes 
ein  lebendiges  Bild  giebt  (s.  Miklosich,  Fremdwörter,  S.  89,  darunter 
auch  persische  und  türkische,  wie  piffva,  aiva^  armvd  u.  s.  w.) 


Rose  und  Lilie. 

{Ro»a  gallica^  cmtifolia,    Lilium  candidum  L.) 

Wie  die  Früchte  mit  dem  köstlichen  goldenen  oder  röthlichen 
Mark,  so  erschienen  auch  die  Blumen  des  Orients  —  dort  von  weichlich 
civilisirten,  nur  für  ihre  Despoten  und  Religionsbräuche  lebenden 
Menschen  angepflanzt,  veredelt  und  zu  Salben  und  Wassern  ver- 
arbeitet —  den  Hirten,  Kriegern  und  Ackerbauern  des  Westens 
lockend  und  wunderbar.  Rosen  und  Lilien  waren  schon  zur  Zeit 
des  Epos  zu  den  Griechen  gelangt,  Anfangs  wohl  nur  dem  Rufe 
nach,  als  etwas  unbestimmt  Herrliches  der  Blumenwelt,  von  dessen 
Farbe  und  Gestalt  erzählt  wurde,  in  Form  duftenden  Oeles,  dann 
auch  allmählig  die  Pflanzen  selbst  mit  ihren  Blüten.  Homer  und 
Hesiod  nennen  die  Morgenröthe  rosenfingrig,  in  einem  homerischen 
Hymnus  heisst  sie  auch  rosenarmig,  wie  auch  in  der  Theogonie 
zwei  rosenarmige  Töchter  des  Nereus  vorkommen;  Aphrodite  salbt 
den  Leichnam  des  Hektor  mit  rosenduftendem  Oel;  Hektor  will 
die  lilienzarte  Haut  des  Ajax  mit  seinem  Speer  zerfleischen;  die 
Stimme  der  Cicaden  und  in  der  Theogonie  die  der  Musen  heisst  eine 
Lilienstimme.  Dies  sind  lauter  vergleichende  Bezeichnungen,  die 
sich  auf  eine  möglicher  Weise  ferne  Sache  beziehen,  wie  denn  auch 


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Rose.    Lilie.  201 

schon  jener  aJte  Forscher  bei  Gellius  N.  A.  14,  6,  3  die  Frage  auf- 
warf^  warum  Homer  das  Rosenöl  gekannt,  die  Rose  selbst  aber  nicht 
gekannt  habe  (quapropter  rosam  non  noritj  oleum  ex  rosa  norü).  Die 
Blumen  selbst  erscheinen  in  dem  Hymnus  auf  die  Demeter,  dieser  ehr- 
würdigen Urkunde  des  alteleusinischen  Demeterdienstes  (von  Welcker, 
Gr.  Götterlehre  2,  S.  546,  in  Ol.  30  oder  in  die  Mitte  des  7.  Jahr- 
lianderts  gesetzt),  aber  immer  noch  in  fremdartigem  Phantasie-Scheine: 
Proserpina  spielt  auf  der  Wiese  mit  ihren  Gefährtinnen  und  pflöckt 
Rosen  (die  Rose  also  als  Blume  einer  idealen  Wiese,  nicht  vom 
Straoch  gebrochen  und  nicht  mit  Domen  bewehrt)  und  ausser  Krokos 
und  Violen  und  Iris  und  Hyakinthos  auch  den  Narkissos,  eine  neu- 
geschaffene Wunderblume,  bei  deren  Anblick  Götter  und  Menschen 
staonen,  die  sich  mit  hundert  Häuptern  aus  der  Wurzel  erhebt,  deren 
Duft  Himmel,  Meer  und  Erde  erfreut  —  offenbar  Verherrlichung 
des  in  den  Mysterien  gebräuchlichen  Symbols  der  Narcisse,  die,  wie 
der  Name  bezeugt,  ursprunglich  nur  berauschende,  exotische  Blumen- 
döfte  überhaupt  repräsentirte.  An  einer  späteren  Stelle  desselben 
Hymnus  erzählt  Proserpina  ihrer  Mutter,  wie  sie  auf  der  reizenden 
Wiese  gespielt  und 

Kelche  der  Rosen  und  Lilien  auch,  ein  Wunder  zu  schauen^ 
gepflückt  —  wo  der  Zusatz  davfia  iöiox^ai  das  Feme  und 
Fabelhafte  oder  Seltene  dieser  herrlichen  Blumen  ausdruckt. 
Unter  den  Namen  der  Nymphen,  der  Gespielinnen  Proserpina's 
auf  der  Wiese,  finden  sich  auch  zwei  oder  drei,  die  der  Rose 
entnommen  sind:  ^Pnöeia,  ^Podonrj  (die  Rosige),  ^Üxvqotj  xalvxwnig 
(Okyroe  mit  dem  Gesicht  wie  der  Kelch  einer  Rose;  dasselbe 
Adjectiv  auch  im  Hymnus  an  die  Aphrodite  zur  Bezeichnung  einer 
Nymphe).  In  einem  Fragment  des  um  ein  Menschenalter  älteren 
Archilochus,  dessen  Welt  aber  eine  weitere  war,  als  die  jener  eleu- 
sinischen  Tempelpoesie,  und  ausser  den  Inseln  auch  Thrakien  und 
Lydien  umfasst,  tritt  der  Rosenstrauch  selbst  mit  seinen  Bluten  auf 
und  zwar  letztere  neben  Myrtenzweigen  als  Schmuck  des  Mädchens, 
ohne  Zweifel  der  Neobule,  der  Geliebten  des  Dichters,  Fr.  29.  Bergk : 
sxovöa  xfaXXov  fnvQoivrjq  iviQnsro 
^odijg  TB  xaXov  avd^og. 
Hundert  Jahre  später  war  die  Rose  ein  Liebling  der  Dichterin  Sappho, 
von  der  sie  häufig  gepriesen  und  verherrlicht  und  als  Gleichniss 
schöner  Mädchen  gebraucht  wurde  (Philostn  Ep.  73).  Von  da  an 
finden  wir  Rosen  und  Lilien  unter  dem  Fest-  und  Blumenschmuck 
liebenden  Volke  der  Griechen  eingebürgert,  überall  verbreitet  und  in 

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202  Rose.    Lilie. 

Leben  und  Sitte  verflochten.  Von  wo  aber  waren  beide  Blumen 
gekommen?  In  welcher  Gegend  des  Orients,  unter  welcher  seiner 
Yölkergruppen  war  die  auch  in  Europa  einheimische  rosa  galiica, 
die  Stammform  der  Centifolie,  zur  sussduftenden,  sechzig-  oder 
hundertblättrigen  erzogen  worden? 

Dass  die  Rosen  den  Verfassern  der  Apokryphen  des  Alten  Testa- 
ments nicht  unbekannt  sind,  darf  nicht  Wunder  nehmen,  da  diese 
Schriften  in  griechische  Zeit  falleo,  aber  auch  in  den  älteren  Theilen 
der  Bibel  würde,  wenn  wir  Luthers  Uebersetzung  folgen  wollten,  die 
Rose  erwähnt  werden,  z.  B.  bei  dem  Propheten  Hosea  (er  lebte  im 
8.  Jahrh.)  14,  6:  Ich  will  Israel  wie  ein  Thau  sein,  dass  er  soll 
blühen  wie  eine  Rose,  oder  an  mehreren  Stellen  des  Hohen  Liedes, 
z.  B.  2,  1:  Ich  bin  eine  Bliime  zu  Saron  und  eine  Rose  im  Thal, 
2:  wie  eine  Rose  unter  den  Domen,  so  ist  meine  Freundin  unter 
den  Töchtern  u.  s.  w.  Allein  Luther  hat  hier,  der  Auslegung  der 
Rabbinen  folgend,  das  hebräische  msan^  susannah  falsch  mit  Rose 
übersetzt:  es  bedeutete  vielmehr  xqIvov  nach  der  Uebertraguog  der 
Septuaginta  d.  h.  Lilie  und  zwar  nicht  sowohl  lilium  candidum^ 
griechisch  XeiQior^  als  die  farbige  Feuerlilie,  lilium  chalcedonicum  und 
bulbiferum  (Plinius:  est  et  rubens  lilium  quod  Graeci  xgivov  vocant) 
oder  noch  wahrscheinlicher  eine  Art  der  gleichfalls  glockenförmigen 
Kaiserkrone,  fritiUaria.  Die  edle  Gartenrose  war  also  den  Griechen 
früher  bekannt  als  den  alten  Hebräern  und  ist  somit  keine  semitische 
Kulturpflanze.  Bestätigt  wird  dies  durch  die  Abwesenheit  der  Rose 
auf  den  Bildwerken  des  alten  Aegyptens,  aut  denen  sonst  die  Blumen- 
zierde nicht  fehlt:  auch  Herodot  erwähnt  in  seinen  Schilderungen 
ägyptischer  Sitten  nur  der  Lotosblume  und  rosenähnlicher  xgivec^ 
von  welchen  letzteren  dasselbe  gilt,  was  von  den  Lilien  der  Hebräer 
(Herod.  2,  92:  q>veiai  iv  tq  väari  xQtvBa  nokkä  —  von  den 
Aegyptem  Awroc genannt:  eati  de  xalalka  xQtvea  ^odotai  ifiq>sQea^^y 
Sind  wir  somit  in  Betrefi"  beider  Blumen  auf  Centralasien  gewiesen, 
so  kommt  uns  hier  die  Sprache  hülfreich  entgegen,  die  so  oft  die 
Tiefen  der  Vorwelt  erschliesst,  bis  zu  denen  keine  historische  Kunde 
reicht  Das  griechische  ^odov^  in  älterer  Form  ßqodov  (noch  Sappho 
schrieb  das  Wort  mit  dem  Digamma),  die  Rose,  und  Isigiov^  die 
Lilie,  sind  ursprünglich  iranische  Wörter^®),  und  aus  Medien  also, 
über  Armenien  und  Phrygien  kamen  Benennung  und  Sache  den 
Griechen  zu.  Das  heisse,  heitere  Pei'sien  ist  noch  jetzt  ein  Blumen- 
land. Ueber  Teheran  sagt  Ritter,  Erdkunde,  8,  610:  „die  Rose 
gedeiht   hier   zu  einer  Vollkommenheit,    wie   in    keiner  Gegend  der 


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Rose.    Lilie.  203 

Welt,  nirgend  wird  sie  wie  hier  gepflanzt  und  hochgeschätzt;  Gärten 
and  Höfe  sind  mit  Rosen  überfüllt,  alle  Säle  mit  Rosentöpfen  besetzt, 
jedes  Bad  mit  Rosen  bestreut,  die  von  den  immer  wieder  sich  füllenden 
Rosenbüschen  stets  ersetzt  und  erneut  werden:  Selbst  das  Kalium 
(die  Rauchtabak-Wasserflasche)  wird  mit  der  hundertblättrigen  Rose 
fär  den  ärmsten  Raucher  in  Persien  geschmückt,  so  dass  Rosenduft 
Alles  umweht.**  Auch  die  Rosen  von  Schiras  in  Süd -Persien  sind 
wenigstens  aus  Hafis  Gedichten  Jedermann  bekannt.  Zu  Herodots 
Zeit  hatten  die  Babylonier  den  Gebrauch  der  Rosen  bereits  von  ihren 
medisch- persischen  Ueberwindern  angenommen:  jeder  Babylonier, 
sagt  er  1,  195,  trägt  auf  seinem  Stock  das  Bild  entweder  eines 
Apfels  oder  einer  Rose  oder  eines  xpivov  oder  eines  Adlers  oder 
irgend  eines  anderen  Gegenstandes.  Nach  Griechenland  aber  wanderte 
die  Blume  über  Phrygien,  Thrakien  und  Macedonien  ein,  wie  un- 
Terkennbare  Spuren  in  sagenhaften  Nachrichten  der  Alten  selbst 
Yerrathen.  Das  nyseische  Gefilde,  auf  dem  Persephone  nach  dem 
homerischen  Hymnus  Rosen  und  Lilien  pflückt,  ist  nach  Dias  6,  133 
in  Thrakien  zu  denken,  und  der  Name  einer  ihrer  Gespielinnen, 
Rhodope,  ist  zugleich  der  des  thrakischen  Gebirges,  in  welches  jene 
Nymphe  verwandelt  sein  sollte.  Nach  Herodot  8,  138  lagen  am 
Fqss  des  Bermionberges  in  Macedonien  (an  welchem  nach  Strabo 
7.  Excerpt.  Vat.  25  die  Briger  wohnten,  die  in  Asien  Phrygcr  ge- 
nannt wurden)  die  sogenannten  Gärten  des  Midas,  des  Sohnes  des 
Gordias:  dort  sprossten  von  selbst  die  sechzigblättrigen  Rosen,  deren 
Duft  schöner  war,  als  der  aller  anderen.  Noch  deutlicher,  nur  mit 
Anwendung  der  gelehrten  Terminologie  seiner  Zeit  und  Schule,  drückt 
sich  der  alexandrinische  Dichter  Nicander  aus,  im  zweiten  Buch 
semer  Georgika  (bei  Athen.  15.  p.  683):  Midas  von  Odonien  (Edonien, 
Landschaft  in  Thrakien),  nachdem  er  die  Herrschaft  von  Asis  (in 
Eleinasien)  verlassen,  erzog  zuerst  in  emathischen  Gärten  (Emathia, 
Landschaft  in  Macedonien),  die  Rosen,  die  mit  sechzig  Blumen- 
blättern umsäumt  sind.  Man  bemerke  hier  die  altbabylonische  Zahl 
sechzig,  die  allein  schon  auf  Herkunft  aus  Asien  weiset.  Nach 
Macedonien,  in  die  Gegend  von  Philippi  setzt  auch  Theophrast 
(h.  pL  6,  6,  4)  die  reich  gefüllten  Rosen,  die  er  schon  eKaxovxaq>vXXa^ 
Cenüfolien,  nennt:  die  Einwohner  sollten  sie  vom  nahe  gelegenen 
gold-  und  silberreichen  Berge  Pangäus  (xo  llayyalov)  beziehen.  In 
dieselbe  Gegend  weist  ein  Fragment  der  Sappho,  also  ein  altes  und 
gewichtiges  Zeugniss,  Fr.  68  Bergk. : 


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204  Rose.    Lilie. 

ov  yaQ  nedix^ig  ßgodiov 
tdßv  ix  Uieffiag. 
Aach  aus  den  Mythen,  die  sich  sofort  an  die  neuen  Blumen  knüpfen, 
klingt  der  phrygische  Naturdienst  wieder.     Die  Rose  ist  der  Aphro- 
dite geweiht,  sie  ist  auch  die  Blume  des  Dionysos;  sie  ist  zugleich 
das  Symbol  der  Liebe  und  des  Todes;    wie  sie  entstand,    als  Attis, 
der  phrygische  Adonis,    starb,    wird  verschieden  erzählt:  bald  schuf 
sie  Aphrodite  aus   dem  Blut  des  Adonis  (Serv.  ad  V.  Aen.   5,  72), 
bald  ritzte  sich  die  Göttin  selbst,  als  sie  von  dem  Tode  ihres  Lieb- 
lings  hörte  und  durch  Dornen  herbeieilte,   den  Fuss,  und  ihr  Blut 
verwandelte  die  weisse  Rose  in  die  rothe  (Geopon.  11,  17),  bald  — 
und    dies   scheint   die   eigentlich   phrygische  Form  des  Mythus  — 
erwächst   die  Blume   von  selbst  aus  dem  Blut  des  Adonis,  wie  in 
ähnlichem  Falle  Granat-  und  Mandelbaum,  Bion  1,  64: 
So  viel  Thr&nen  vergiesst  die  paphische  Göttin  als  Tropfen 
Blutes  Adonis:  am  Boden  da  werden  sie  alle  zu  Blumen, 
Rosen  erwachsen  dem  Blut,  Anemonen  den  Tbränen  der  Göttin. 

Von  der  Lilie,  der  rosa  Junonis,  wurde  gefabelt,  sie  sei  aus  der  Milch 
der  Hera  entstanden,  als  diese  schlafend  den  Herakles  säugte  (Geopon. 
11,  19);  mit  der  Aphrodite  war  die  Lilie  der  reinen  unbefleckten 
Farbe  wegen  im  Streit:  um  die  keusche  Blume  zu  beschämen,  setzte 
die  Göttin  ihr  das  gelbe  Pistill  ein,  welches  an  den  brünstigen  Esel 
erinnerte  (Nie.  Alexiph.  406  ff.,  id.  apud  Athen.  1,  1.). 

Nach  Italien  kam  die  orientalische  Gartenrose  frühe  mit  den 
griechischen  Kolonien,  wie  die  populäre  Verwandlung  des  Namens 
in  das  lateinische  rosa  beweist,  und  mit  ihr  wohl  auch  die  LiUe, 
lilium;^^)  von  Italien  gingen  beide  unter  demselben  Namen  in  alle 
Welt  aus,  doch  je  weiter  nach  Norden,  desto  mehr  von  der  Eraft  und 
Süssigkeit  des  Duftes  einbüssend,  der  sie  in  ihrer  ursprunglichen 
Heimat  umweht.  Unter  dem  italienischen  Himmel  gedieh  indess 
die  Rose  noch  herrlich,  sie  blühte  den  grössten  Theil  des  Jahres  je 
nach  den  Varietäten,  von  denen  die  campanische  die  früheste,  die  von 
Präneste  die  späteste  sein  sollte  (Plin.  21,  20);  Campanien  brachte 
Centifolien  hervor;  von  den  Rosen  um  Pästum  rühmte  man,  sie  blühten 
zweimal  im  Jahr.  Schon  bei  Plautus  ist  rosay  mea  rosa  eine  lieb- 
kosende Anrede;  schon  Cicero  nennt  die  Rose,  wo  er  ein  Leben  voll 
Ueppigkeit  bezeichnen  will,  z.  B.  de  fin.  2,  20:  M.  Regulum  clamai 
vvrtus  beatiorem  fume  quam  potantem  in  rosa  Thorium.  Zwar  mag 
es  orientalische  Ausschweifung  gewesen  sein,  wenn  Eleopatra  den 
Antonius  in  Cilicien  in  Speisezimmern  bewirthete,  deren  Boden  eine 

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Rose.    Lilie.  205 

• 

Elle  hoch  mit  Rosen  bedeckt  war  (Athen.  4,  p.  H8);  zwar  war  es 
Ton  Verres,  dem  Proprator  in  Sicilien,  Nachahmung  der  bithynischen 
Könige,  wenn  er  sich  auf  Rosenkissen  in  der  Sänfte  tragen  liess  und 
dabei  ein  mit  Rosen  gefülltes  Spitzennetz  an  die  Nase  hielt  (Gic.  in 
Verr.  5,  11,  27:  lectica  octophoro  ferebatur^  in  qua  pulvinus  erat 
ferlucidm^  MelitensiSy  rosa  fartus:  ipse  autem  coranam  habebat  una/m 
in  capite^  alteram  in  collo^  reticulumque  ad  naris  sibi  admovebat^  tenun 
issmo  Uno,  minutis  maculiSy  plenum  rosaeX  aber  ein  Blick  in  die 
lyrischen  und  elegischen  Dichter  lehrt,  wie  auch  in  Italien  die  Rose 
überall  in  den  Liebes-  und  Lebensgenuss  verflochten  ist:  der  Tisch 
der  Schmausenden  ist  ganz  unter  Rosen  verborgen,  Liebende  liegen 
auf  Rosen,  der  Boden  ist  mit  Rosen  bestreut,  das  Haupt  der  Tänzerin, 
der  Flötenspielerin,  des  weinschenkenden  Knaben  mit  einem  Rosen- 
kranz umwunden.  Der  Trinker  bekränzt  sich  selbst,  er  bekränzt  den 
Becher  mit  Rosen.  Sinnentaumel  und  Rosen  sind  unzertrennbar: 
unter  zahlreichen  Stellen  der  Dichter  nur  die  eine  desMartial,  10,19, 19: 

cum  furit  Lyaeus^ 
Cum  regnai  rosa,  cum  madent  capiüi. 

Und  dass  die  Rose  hinwiederum  auch  eine  Bluriie  der  Gräber  war, 
dass  man  den  Todten  Rosen  wie  Thränen  spendete,  ist  eine  sehr  alte, 
psychologisch  nahe  liegende  und  auch  in  Italien  gewöhnliche,  durch 
zahlreiche  Grabinschriften  (Orelli-Henzen,  inscriptt,  T.  3,  ind.  s.  v. 
rosa)  bestätigte  Sitte  und  Vorstellung.  Denn  die  aus  dem  Blute  des 
sterbenden  Naturgottes  entstandene  Rose  ist  eben  so  schön  als  flüchtig 
(Hör.  Od.  2,  3,  13:  nimium  breves  ßores  amoenae  rosae;  1,  36,  16: 
breve  liHum]  „bist  du  an  einer  Rose  vorübergegangen,  so  suche  sie 
nicht  wieder**,  sagt  das  griechische  Sprichwort:  Qodov  naQeX^dv 
fiTjxiTi  Cijrei  n&Xiv^  und  das  italienische:  non  v'ha  rosa  di  cento 
giomi);  sie  stellt  höchste  Lebensfülle  dar,  aber  momentan:  wegen 
der  ersteren  Eigenschaft  ist  sie  wie  Wein  und  Blut  den  Todten,  den 
lechzenden  Schattenwesen,  erwünscht.  Auch  zu  Essenzen,  Wassern 
und  Salben  wurde  die  Rose  viel  verarbeitet,  so  wie  sie  auch  in  der 
Arzneikunst  als  Rosenwein  und  Rosenwasser,  ja  nach  den  Berichten 
der  Alten  sogar  in  der  Küche  reicher  Schlenmxer- Anwendung  fand. 
Kein  Wunder,  dass  in  und  ausserhalb  der  Stadt  Rosengärten  häufig 
varen,  imd  deren  Ertrag,  sowie  der  der  Lilienbeete,  von  stationären 
^d  wandernden  Blumenhändlern  feil  geboten  wurde.  Varro  räth 
schon  in  der  republikanischen  Zeit  als  vortheilbaft  an,  wenn  man  in 
der  Nähe  der  Stadt  ein  Grundstück  besitze,  Veilchen-  und  Rosen- 
gärten anzulegen,  1,  16,  3:  itaque  sub  urbe  colere  hortos  late  expedit, 

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206  Rose.    Lilie. 

• 

sie  violaria  ac  rosaria^  wie  er  auch  1.  35,  1  die  Jahreszeit  bestimmt, 
wo  es  passend  sei,  serei^e  lüium»  Aber  auch  in  weitcrem  Bereise  bis 
nach  Campanien  und  Pästum  hin  sorgten  Blumenanlagen  für  das  Be- 
durfiiiss  der  reichen,  ungeheuren  Hauptstadt  (Martial  9,  61).  In  der 
Kaiserzeit,  wo  die  Ausschweifung  in  der  vornehmen  Welt  und  bei 
Hofe  immer  höher  stieg  und  die  Sitten  sich  orientalisirtÄn,  wurde 
auch  im  Punkt  der  Blumen  sinnlos  verschwendet.  Im  Sommer  Rosen 
zu  haben,  war  jetzt  schon  zu  gemein,  man  suchte  sie  im  Winter,  bei 
Beginn  des  Frühlings.  Leben  diejenigen  nicht  widernatürlich,  klagt 
der  Philosoph  Seneca,  die  im  Wmter  nach  Rosen  verlangen,  ep.  122, 
8:  non  vivunt  contra  naturam  gut  hieme  concupiscunt  rosam?^  und 
Macrobius  (Sat.  7,  5,  32)  stellt  als  parallele  Forderungen  des  Luxus 
zusammen:  aesüvae  nives  et  hibemae  rosae.  Man  bezog  daher  zur 
Winterszeit  Rosen  zu  Schiff  aus  dem  wärmeren  Aegypten,  wie  Martial  6, 
80  beweist,  und  trieb  Rosen  und  Lilien  in  Rom  selbst  unter  Glas, 
wie  wir  aus  demselben  Dichter  ersehen,  4,  22,  5: 

Condita  sie  puro  numerantur  lilia  vitroy 

Sie  prohibet  tenuis  gemma  latere  rosas. 

In  all  dem  waren  die  Orientalen  vorangegangen.  Von  Antiochus  dem 
Grossen,  einem  ächten  griechisch -orientalischen  Despoten,  erzählt 
Florus  Ep.  2,  8,  9,  er  habe  nach  Eröffiiung  des  Krieges  mit  den 
Römern  und  Einnahme  der  Inseln  goldgestickte  seidene  Zelte  am 
Euripus,  der  ein  fliessendes  Wasser  ist,  aufgestellt,  dann  sub  ipso 
freti  murmurey  quum  inter  fluenta  tibiis  ßdibitsqite  concineret^  coUatis 
undique^  quam  vis  per  hiemem^  rosis^  ne  non  aliquo  ducem  genere 
agere  videretur^  virginum  puerorumqtie  delectus  habebat  —  die  Römer 
trieben  ihn,  jam  sua  Itucuria  dehellatum,  wie  Florus  mit  Recht  hinzu- 
setzt, schnell  nach  Hause  zurück.  Die  spätem  Kaiser  in  Rom  aber 
gaben  ihm  nichts  nach.  Ueber  L.  Aelius  Veras  berichtet  sein  Bio- 
graph Ael.  Spartianus,  5,  er  habe  eine  neue  Art  Bett  erfunden,  ganz 
von  einem  feinen  Netz  umgeben,  ausgestopft  mit  Rosenblättera,  denen 
das  Weisse  genommen  war,  und  mit  einer  Decke  von  Lilienblättem. 
Auch  bei  Tische  lag  er,  wie  Einige  überliefern,  auf  Polstern  von 
Rosen  und  Lilien,  und  zwar  gereinigten.  Noch  ärger  ist,  was  Aehus 
Lampridius  9  und  11  von  Heliogabalus  erzählt.  Dieser  aus  Syrien 
stammende  Kaiser  liess  nicht  nur  Alles  in  seinem  Palaste  mit  Rosen-, 
Lilien-,  Violen-,  Hyacinthen-  und  Narcissenteppichen  belegen,  über 
die  er  wandelte,  sondern  bei  Gastmählern  lagen  seine  Gäste  auf 
beweglichen  Polstern   so  in  Blumen  vergraben,    dass   einige,    wahr- 


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Rose.    Lilie.  207 

schemlich  schwer  vom  Wein,  sich  nicht  mehr  emporarbeiten  konnten 
and  in  Violen  und  andern  Blumen  erstickten. 

Im  Mittelalter,  wo  so  viel  Kulturen  zu  Grunde  gingen,  blieben 
doch  Rose  und  Lilie,  beide  verhältnissmässig  leicht  zu  erziehen  und 
durch  Duft  und  Farbe  auch  dem  rohen  Menschen  imponirend,  in 
den  Grärten  gewöhnlich.  Die  Dichter  des  Mittelalters,  denen  nicht 
viel  Farben  zu  Gebote  stehen,  verwenden  Rosen  und  Lilien  reichlich 
in  ihren  Schilderungen;  dem  Christenthum  dienten  beide  zu  beliebten 
Symbolen:  die  heilige  Jungfrau  in  ihrer  Anmuth  und  Milde  erschien 
als  Rose,  die  himmlische  Reinheit  ward  in  der  Lilie  angeschaut; 
gothische  Kirchen  schmückten  sich  mit  steinernen  mystischen  Rosen, 
auf  Bildern  der  Verkündigung  pflegt  der  Engel  den  Lilienstengel  zu 
tragen,  mitunter  —  und  dieg  ist  charakteristisch  —  die  Kelche  ohne 
Staubfäden.  Auch  in  die  VTappensprache  jener  bildlich  denkenden 
Zeit  gingen  beide  Blumen  über:  bekannt  sind  die  (angeblich  aus 
Lanzenspitzen  hervorgegangenen)  drei  Lilien  im  königlichen  Wappen 
von  Frankreich,  die  auch  der  Jungfrau  von  Orleans  bei  ihrer  Er- 
hebung in  den  Adelstand  verliehen  wurden,  so  wie  die  feindlichen 
Zeichen  der  rothen  und  der  weissen  Rose  in  den  Kämpfen  der  Königs- 
geschlechter von  England.  Unter  den  unzählig  vielen  Einzelnheiten, 
die  sich  aus  Sitte,  Kunst  und  Religion  des  Mittelalters  in  Bezug  auf 
dies  Thema  sammeln  Hessen,  wollen  wir  nur  zweier  Züge  gedenken, 
die  beide  im  Grunde  aus  derselben  Wurzel  abzuleiten  sind:  der  päpst- 
hchen  sogenannten  goldnen  Rose  und  der  mythischen  Figur  der 
Rassalken  bei  einem  Theil  der  Slaven.  Am  vierten  Fastensonntage, 
dem  Sonntag  Lätare,  der  in  den  Frühling  feilt,  weihte  der  Papst, 
weiss  angethan,  in  Gegenwart  des  CardinalcoUegiums,  in  einer  mit 
Rosen  geschmückten  Kapelle,  am  Altare  eine  goldne  Rose,  die  hernach 
als  segenbringönd  Fürsten  und  Fürstinnen,  auch  Kirchen  und  Städten 
Terschenkt  wurde.  Er  tauchte  sie  in  Balsam,  bestreute  sie  mit  Weih- 
rauch, besprengte  sie  mit  Weihwasser  und  betete  indess  zu  Christus 
als  der  Blume  des  Feldes  und  Lilie  des  Thaies.  Kurz  vor  der  Re- 
formation erhielt  Kurfürst  Friedrich  der  Weise  von  Sachsen  die 
goldne  Rose,  in  unseren  Tagen  die  unglückliche  Kaiserin  Charlotte 
Ton  Mexiko  und  die  fromme  Königin  Isabella  IL  von  Spanien.  Nach- 
richten über  diesen  Gebrauch  gehen  bis  in  das  eilfte  Jahrhundert, 
m  die  Zeit  Leo  des  9.,  hinauf,  aber  die  Anfänge  desselben  knüpfen 
sich  offenbar  an  die  altrömischen  Vorstellungen  von  der  Rose  als 
Blume  des  Lebens  wie  der  Vergänglichkeit,  die  in  der  Hand  des 
Üeberwinders  sowohl  seine  Glorie  und  Freude  als  seine  Sterblichkeit 


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208  Rose.    Lilie. 

und  Demuth  bedeutet.  —  Ueberaus  interessant  sind  die  slavischea 
Russalken  als  lebendiger  Beweis,  wie  in  einer  noch  im  Naturdienst 
gefangenen  Volksseele  aus  kleinen  Umständen,  Namenskläogen,  all- 
gemeinen BegriflFen,  auswärtigem  Kultureinfluss  mythische  PersoDi- 
ficationen  sich  bilden.  Rosenfeste,  rosaria^  rosalia,  wurden  noch  im 
spätesten  Rom  an  verschiedenen  Tagen  des  Mai  und  Juni  gefeiert 
und  bestanden  in  Schmückung  der  Gräber  mit  Rosen  und  in  gemein- 
samen Mahlzeiten,  bei  denen  den  Theilnehmem  Rosen,  die  Grabe  der 
Jahreszeit,  gereicht  wurden.  Auch  in  der  illyrischen  Halbinsel  und 
an  der  Donau  waren  bei  dem  romanisirten  Landvolke  solche  Früh- 
lings- oder  Sommerfeste  unter  dem  lateinischen  Namen  ^ovaalia  ge- 
bräuchlich, hier  ohne  Zweifel  als  Fortsetzung  der  bei  den  thrakischen 
Stämmen  längst  hergebrachten  sommerlichen  Dionysosfeier  und  der 
an  diese  geknüpften  Rosenlust  (s.  W.  Tomaschek,  Ueber  Brumalia 
und  Rosalia,  in  den  Sitzungsberichten  der  Wiener  Akadenue  1868). 
In  der  christlichen  Zeit  trat  das  gleichfalls  in  den  Mai  fallende  Pfingst- 
fest  in  die  Erbschaft  der  Rosalien  ein:  es  hiess  pascha  rosata  oder 
roaarum  (im  römischen  Volksmunde  noch  heute:  pasqua  rosa  oder 
durch  Missverständniss  pasqua  rugiada)  und  am  Pfingstsonntage,  der 
sogenannten  domenica  de  rosa,  wurden  Rosen  von  der  Höhe  der  Kirche 
auf  den  Boden  herabgelassen.  Als  darauf  im  sechsten  Jahrhundert 
slavische  Völkerschwärme  die  Landstriche  an  der  mittleren  und  unteren 
Donau  und  im  Osten  und  Süden  der  Karpathen  besetzten  und  zwischen 
Heidenthum  und  Christenthum  schwankend  und  getheilt  waren,  da 
fiel  auf  natürliche  Weise  das  christliche  Pfingst-  oder  Rosenfest  mit 
der  heidnisch-barbarischen  Frühlingsfeier  zusammen.  Bei  den  Slovenen, 
Serben,  Weiss-  und  Kleinrussen  und  bei  den  Slowaken  hiess  das 
Pfingstfest  oder  ein  um  die  gleiche  Zeit  begangenes  fröhliches  Natur- 
fest  rusalija  (ähnlich  bei  Walachen  und  Albanesen);  aus  dem  Feste 
entwickelte  sich  dann  bei  den  Weiss-  und  einem  Theil  der  Klein- 
russen die  Vorstellung  überirdischer  weiblicher  Wesen,  die  um  diese 
Zeit  Feld  und  Wald  beleben,  der  Rusalky,  des  mythischen  Gegen- 
bildes der  herumschwärmenden,  lachenden.  Kränze  windenden  und 
das  selbsterdachte  Orakel  befragenden  slavischen  Mädchen.  Diesen 
historischen  Ursprung  des  Russalkenglaubens  aus  dem  lateinischen 
rosa  hat  zuerst  Miklosich  dargethan  (in  den  Sitzungsberichten  der 
Wiener  Akademie  vom  Jahr  1864),  während  noch  SchaflFarik  in  einer 
eigenen  Abhandlung  die  Wurzeln  desselben  im  tiefsten  Alterthum 
und  in  den  Abgründen  des  Slavismus  suchte  und  Andere,  die  in  der 
Nationalbegeisterung  stärker  als  in  der  wissenschaftlichen  Kritik  waren. 


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Die  Viole.  209 

den  Yolksglauben  mit  mannigfacheD  poetisch-romantischen  Füttern 
ägener  Erfindung  aufstützten.  Auch  in  Deutschland  mischte  sich 
äbrigens  in  die  alten  Vorstellungen  vom  Kampfe  des  Winters  und 
Sommers  die  südländische  Rose  und  das  italische  Rosenfest  (s.  Uhland, 
der  Kosengarten  von  Worms,  in  der  Germania  6,  307 flF.);  wie  die 
Slaven  diese  Form  des  Festes  und  Einkleidung  des  Mythus  von  der 
Niederdonau  empfingen,  so  die  Germanen  aus  dem  keltisch-römischen 
Tirol  und  überhaupt  aus  Wälschland. 

In  der  neueren  Zeit  hat  die  Gartenkunst  unz&hlige  Varietäten 
der  Rose  geschaffen,  in  allen  Formen  und  Farben,  mit  eigenen  Phan- 
tasienamen belegt ^^).  Es  kamen  auch  Zeiten,  wo  die  Rose  von 
anderen,  zum  Theil  aus  fernen  Ländern  eingeführten  Blumen  ver- 
drängt wurde,  den  Dahlien,  Camelien,  Azalien  u.  s.  w.  Aber  bei 
allem  Wechsel  der  Mode  wird  sich  die  Rose  als  Königin  der  Blumen 
'  immer  wieder  herstellen.  Nördlich  von  den  Alpen,  besonders  in  Eng- 
land, mag  die  Kunst  sie  in  einzelnen  Fällen  veredeln  und  vervoll- 
kommnen; doch  wird  sie  dort  nie  so  in  das  Leben  verwebt  sein  und 
&st  das  ganze  Jahr  hindurch  in  Villen  und  an  allen  Mauern  blühen, 
wie  unter  dem  Himmel  von  Neapel.  Im  Orient,  so  weit  er  nicht 
ganz  in  Barbarei  verfallen  ist,  hat  sich  die  Pflege  der  Rosen  wohl 
erhalten:  in  der  Poesie  ist  die  Rose  immer  gefeiert  und  die  Liebe 
zwischen  ihr  und  der  Nachtigall  besungen  worden ;  noch  jetzt  werden 
auf  weiten  Rosenfeldem  die  Blätter  gesammelt,  die  zur  Bereitung  der 
kjstlichen  Rosenessenz  und  des  beliebten  Rosen-Zuckerwerks  dienen. 
Der  alte  Busbequius  im  16.  Jahrhundert  erzählt  im  ersten  seiner 
Briefe  aus  Konsiantinopel^  die  Türken  duldeten  nicht,  dass  ein  Rosen- 
blatt auf  der  Erde  liege,  denn  sie  glaubten,  die  Rose  sei  aus  Mu- 
hammeds  Schweisstropfen  entstanden  —  die  alte,  nicht  erloschene, 
nur  islamisirte  und  ins  Prosaische  übertragene  Adonissage.  Auf  dem 
angeblichen  Grabe  Ali's  bei  Messar,  in  der  Nähe  des  heutigen  Belch 
und  alten  Bactra,  sah  Vamb^ry  (Reise  in  Mittelasien,  Deutsche  Aus- 
gabe, S.  188)  die  wunderwirkenden  rothen  Rosen  (gvM  surcK)^  die 
ihm  in  der  That  an  Geruch  und  Farbe  allen  anderen  vorzugehen 
schienen,  und  die,  weil  sie  nach  der  islamitischen  Lokalsage  nirgends 
anderswo  gedeihen  sollen,  auch  nirgends  angepflanzt  worden  sind. 

Mit  der  Rose  und  weissen  Lilie  pflegt  bei  den  Alten,  wie  schon 
aus  einigen  der  obigen  Citate  hervorgeht,  als  Schmuck  der  Gärten 
and  angenehme  Zierde  die  Viole  zusammen  genannt  zu  werden.  Ihre 
Geschichte  läuft  der  der  Rose  parallel.  Auch  sie  stammt  als  Garten- 
blume und  in  ihren  veredelten  Formen  aus  ELleinasien;   Homer  er- 

Viet  Hehn,  KalrarpflAnsen.  14 

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210  Der  Safran. 

'wähnt  sie  in  vergleichenden  Adjektiven,  wie  iodveq>Tjg^  ioeidijg^  tofitg, 
die  auf  die  schwarze  Farbe,  nicht  auf  den  Duft  gehen;  einmal  auch 
in  der  Odyssee  bei  Beschreibung  der  wunderbaren,  selbst  die  Götter 
zum  Staunen  bewegenden  Natur  um  die  Höhle  der  Kalypso:  dort 
wächst  sie  auf  weicher  Wiese  ueben  dem  Eppich  („eine  üble  Stand- 
ortsgesellschaft", Fraas  Synops.  114);  wv  bedeutet  eben  noch  jede 
oder  irgend  eine  dunkelblühende  Blume,  duftend  oder  nicht.  Später 
unterschied  man  von  den  schwarzen  die  hellen,  farbigen  Violen  (Find. 
Ol.  6,  55)  und  verstand  unter  den  letzteren  durchgängig  die  Levkoje, 
Matthiola  incana^  und  den  Goldlack,  Cheiranthus  cheiri.  Das  lateinische 
viola  stammt  wohl  aus  dem  Griechischen  und  demgemäss  auch  die 
Kultur  dieser  Blumen  aus  Griecheuland,  welches  dieselbe  selbst,  wie 
gesagt,  dem  gegenüberliegenden  Asien  verdankt 


Der  Safran- 

{crocus  saiivus  L.) 

Eine  frühe  berühmte  Blume,  der  Rose  an  Rang  gleich,  sie  an 
technischem  Nutzen  noch  übertreffend,  war  auch  der  orientalische 
Safran,  crocus  sativus,  —  der  vornehme  und  erlauchte  Verwandte 
des  europäischen  bescheidenen  Frühlingscrocus,  crocus  vemus.  Ausser 
seinem  Dufte,  der  das  orientalische  und  später  auch  das  europäische 
Alterthum  entzückte,  gab  die  Narbe  seiner  Blüte  auch  eine  dauernde 
gelbe  Farbe,  und  Gewänder,  Säume,  Schleier,  Schuhe,  mit  dieser  ge- 
tränkt, erschienen  dem  Auge  der  ältesten  asiatischen  Kultur-  und 
Religionsgründer  so  herrlich,  wie  der  Purpur,  sowohl  an  sich,  als 
zum  Ausdruck  des  Lichtes  und  der  Majestät  —  denn  Wirklichkeit 
und  Symbol  scheidet  der  gebundene  Geist  jener  träumenden  Zeiten 
noch  nicht.  Krokus-  und  Purpurgewand,  thatlose  Apathie,  Aermel 
am  Kleide  und  Binden  um  das  Haupt  bilden  die  Lust  der  Phryger, 
Verg.  Aen.  9,  614: 

Vobis  picta  croco  et  fulgenti  murice  vestis, 

Desidiae  cordi;  juvat  indtdgere  choreis 

Et  tunicae  manicas  et  kabent  ridimicula  mitrae. 

Zu  der  Tracht  der  Perserkönige,  die  der  älteren  babylonisch-medischen 
nachgeahmt  war,  gehört  die  safrangelbe  Fussbekleidung:  in  den 
Persem  des  Aeschylus  (v.  657  ff.)  ruft  der  Chor  den  todten  Danas 


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Der  Safran.  211 

aas  der  Unterwelt  mit  den  beschwörenden  Worten  empor:  Erscheine, 
erscheine,  alter  Herrscher,  komme  mit  der  krokusgetränkten  Eumaris 
an  den  Füssen,  mit  der  königlichen  Tiara  auf  dem  Haupt,  (üeber 
die  Verbreitung  dieser  Pflanze  durch  Asien  s.  Ritter,  Erdkunde, 
Band  18,  S.  736ff.)  Den  Abglanz  orientalischer  Heiligung  des  lichten, 
reinen  Safrangelb  zeigen  die  ältesten  mythisch-poetischen  Vorstellungen 
der  Griechen.  lason,  der  Argonaute,  als  er  in  Kolchis  sich  anschickte, 
mit  den  feuerspeienden  Stieren  den  Acker  zu  pflügen,  warf  das  safran- 
&rbige  Gewand,  mit  dem  er  bekleidet  war,  ab  (Pind.  Pyth.  4,  232). 
Bacchus,  der  orientalische  Gott,  trägt  den  xQoxcoTog^  das  Safrankleid^ 
und  eben  so  die  taumelnden  Theilnehmer  an  den  Freudenfesten,  die 
ihm  geweiht  sind,  Der  neugeborene  Herakles  ist  bei  Pindar  in  krokus- 
gdbe  Windeln  gehüllt  (Nem.  1,  37).  Besonders  aber  Göttinnen, 
Nymphen,  Königinnen,  Jungfrauen  werden  mit  dem  safrangelben 
oder  mit  Safran  gezierten  Kleide  gedacht.  Der  Pallas  Athene  sticken 
die  attischen  Jungfrauen  das  buntdurchwirkte  Krokusgewand,  Eur. 
Hec.466: 

Scbonthronige  Pallas,  soll 

Einst  wohl  ich  in  deiner  Stadt 

Auf  dem  Krokosgewande  dein 

Rossegespann  und  den  Wagen 

Bilden  im  Kunstgewebe  mit 

Blumen  gefärbtem  Faden? 

Antigene  in  der  Yerzweiflung  über  der  Brüder  und  der  Mutter  Tod 
lässt  die  krokosfarbene  Stolis  fallen,  in  der  sie  im  Glücke  und  als 
Königstochter  prangte  (Eur.  Phoen.  1491),  ebenso  Iphigenia  bei  der 
Opferung  in  Aulis  (Aesch.  Agam.  239).  Venus  kleidet  die  Medea 
in  ihr  (der  Göttin)  krokusgewebtes  Kleid,  Valer.  Flacc.  8,  234: 

Ipsa  suas  iUi(Medeae)  croceo  subtemine  vestes 

Indult, 
Die  an  den  Fels  geschmiedete  Andromeda  (oder  vielmehr  Mnesilochus, 
der  als  solche  verkleidet  ist)  hat  den  xQoxSeig  angelegt  (Aristoph. 
Thesm.  1044).  Helena  hat  von  ihrer  Mutter  Leda  die  goldgestickte 
Palla  und  den  mit  Krokus  umsäumten  Schleier  zum  Geschenk  er- 
halten und  mit  nach  Mycenä  gebracht,  Verg.  Aen.  1,  648: 

Ferre  jubet  pallam  signis  auroque  rigentem 
Et  circumtextum  croceo  velamen  acantho, 
OrnaUiB  Argivae  Jlelenae^  quoa  iUa  Mycenis^ 
Pergama  quum  peteret  inconcessosque  Hymenaeos, 
Extuleraty  matrü  Ledae  mirabile  donum. 

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212  Der  Safran, 

Die  Eos  im  Epos  ist  durchgäDgig  xQoxonenXog^  bei  Hesiodus  die 
Flussnymphe  Telesto  und  die  Enyo,  die  Tochter  des  Phorkys  und 
der  Keto,  und  ebenso  die  Musen  bei  AJcman  fr.  85:  Mwaai  xpo- 
xouenloi.  Auch  das  Haar  der  Jungfrauen  des  Mythus  wird  als 
krokusfarben  angeschaut ,  so  das  der  Ariadne  auf  Naxos,  Ov.  Art 
am.  1,  530: 

niuia  pedem,  croceas  inreligata  comas^ 
und  das  der  schönen  Töchter  des  Keleos,    die  mit  auf  geschürztem 
Gewände  zum  Brunnen  eilen ^    an  dem  die  Demeter  sitzt,  Hymn.  in 
Cerer.  177: 

doch  um  die  Schultern 
Flatterte  rings  das  Haar^  der  Blume  des  Erokos  yergleichbar. 

Die  Bekanntschaft  mit  der  Safranfarbe  geht  also  bei  den  Griechen 
in  die  Zeit  der  Ausbildung  des  Heroenmythus  hinauf;  dass  sie  aus 
orientalischer  Quelle  stammte,  wurde,  wenn  dies  sonst  zweifelhaft 
sein  könnte,  das  Wort  xQoxog  selbst  lehren.  Die  althebräische  Form 
desselben  war  karkSm^  wie  wir  aus  dem  Hohenliede  4,  14  sehen;  in 
andern  semitischen  Dialecten,  z.  B.  in  der  Sprache  der  Cilicier,  ma^ 
sie  anders,  doch  ähnlich  gelautet  haben.  Denn  in  Cilicien  fand  sich 
ein  Vorgebirge  Kioqvxoc^  und  nicht  weit  davon  die  corycische  Höhle, 
wo  in  einer  Thalniederung  der  schönste  ächte  Safran  wuchs  (Strab.  14, 
5,  5),  und  dass  Berg  und  Gefilde  von  dem  Krokos  benannt  sind,  ist 
eine  naheliegende  Vermuthung.  Ob  dem  semitischen  Worte  vielleicht 
ein  indisches  zu  Grunde  liegt,  das  durch  uralten  Verkehr  herüber- 
gebracht sein  könnte,  ist  für  Griechenland  gleichgültig,  welches  die 
gelben  oder  mit  Gelb  gestickten  Kleider  als  kostbare  Waare  zunächst 
aus  semitischen  Händen  empfangen  hatte.  Dies  war  schon  in  und 
vor  der  epischen  Zeit  geschehen;  eine  andere  Frage  aber  ist,  ob  die 
homerischen  Sänger  die  Blume  selbst  schon  mit  Augen  erblickt  hatten? 
Als  Zeus  und  Hera  auf  dem  Ida  sich  vereinigten,  sprosste  der  Krokos, 
wie  Lotos  und  Hyakinthos,  aus  der  Erde,  II.  14,  347: 
Ihnen  gebar  frisch  grünenden  Rasen  die  heilige  Erde, 
Lotos,  besprengt  mit  Thau,  auch  Krokos  und  auch  Hyakinthos, 
Dicht  zur  weichlichen  Streu,  die  vom  Boden  sie  schwellend  emporhob  •— 

aber  das  ideale  Frühlings -Brautbett  des  Himmels  und  der  Erde 
schmückt  der  Dichter  mit  dem  Herrlichsten,  von  dem  er  in  Nähe 
und  Feme  gehört.  Auch  sonst  wachsen  Krokusblumen  auf  den 
mythischen  Wiesen,  den  Schauplätzen  der  Göttergeschichte,  so  bei 
dem  Raube  der  Proserpina,  Hom.  h.  in  Cerer.  6: 

Rosen  sich  pflückend  und  Erokos  und  liebliche  Veilchen  auf  zarter 
Wiese  — 

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Der  Safran.  213 

425: 
Spielten  und  lasen  uns  liebliche  Blumen  daselbst  mit  den  Händen, 
Bald  Hjakinthos  und  Iris  und  bald  den  freundlichen  Erokos, 
Kelche  der  Rosen  und  Lilien  auch^  ein  Wunder  zu  schauen^ 
Auch  den,  gleich  dem  Krokos,  die  Erde  gebar,  den  Narkissos. 
Wie  hier  Proserpina,   ist  auch  Greusa,  die  Tochter  des  Erechtheus, 
beschäftigt,  goldene  ELrokusblQten  in  ihren  Schooss  zu  lesen,  da  sie 
von  dem  schimmernden  Gotte  Apollo  überrascht  wird,  Eurip.  Ion.  887: 

Da  erschienst  du  mit  goldenem  Haar 
Schimmernd,  als  ich  zur  Blumenzier 
Sammelte  mir  ins  Gewand 
Goldleuohtende  Erokosblüten, 

und  ebenso  die  Gefährtinnen  der  Europa,  als  sich  ihr  Zeus  in  Stier- 
gestalt nahte^  Mosch.  1,  68: 

Sie  wetteifernd  lasen  sich  grade  des  goldenen  Erokos 

Duftendes  Haar. 

Wenn  Pan  auf  weicher  Wiese  mit  den  Nymphen  singend  streift,  dann 
blüht  Erokos  und  Hyakinthos  unter  dem  mannigfachen  Rasen,  Hom. 
L  in  Pan.  25: 

Auf  dem  Teppich  der  Wiese,  da  wo  Hyakinthos  und  Erokos 
Duftend  sich  drängen  und  bluhn  in  yerworrener  Fülle  der  Gräser. 
Als  die  Phantasie  diese  Scenen  erfand,  war  die  AufmerksaDikeit 
schwerlich  schon  auf  die  einheimischen  Crocus-Arten  gelenkt;  übeniU 
ist  der  ferne  asiatische  Safran  gedacht,  von  dem  die  Sage  erzählte. 
Auch  in  dem  herrlichen  Triumphliede  des  Sophokles  auf  Kolonos 
schob  sich  der  begeisterten  Anschauung  des  Dichters  statt  des  wirk- 
lichen Fruhlingsblümchens,  das  dort  wuchs,  der  als  goldstrahlend  ge- 
dachte crocus  sativus  des  Morgenlandes  unter,  0.  C.  681 : 

und  in  schönem  Geringel  blüht 
Ewig  unter  des  Himmels  Thau  Narkissos, 
Der  altheilige  Eranz  der  zwei 
Grossen  Göttinnen;  golden  glänzt 
Erokos;  nimmer  versiegen  die 
Schiummerlosen  Gewässer. 

Theophrast  aber  unterscheidet  schon  genau  den  wilden,  oQBivog^  nicht 
duftenden  d.  L  crocus  vemus^  von  dem  kultivirten,  fjfiSQog,  und  duf- 
tenden (h.  pl.  6,  8,  3).  Den  ersten  nennt  er  auch  den  weissen^  eine 
dritte  Art  den  domigen,  die  beide  duftlos  sind(7,  7,  4).  Doch  biisste 
iie  Blume  in  dem  kälteren  Europa  einen  Theil  ihres  Aromas  ein, 
denn  sie   artet   leicht  aus  (6,  6,  5);   unter   allen  von  Griechen  be- 


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214  Der  Safran. 

wohnten  Landschaften  aber  trag  der  Erokas  von  Cyrene  am  afri- 
kanischen Strande  den  Preis  davon  (de  caus.  pL  6,  18,  3).  Aach 
in  den  römischen  Gärten  finden  wir  neben  Rosen,  Lilien  und  Violen 
auch  den  Krokus;  Varro  1,  35,  1  giebt  an,  wann  lilium  und  crocus 
zu  stecken,  und  wie  Rosenbüsche  und  violaria  zu  behandeln  sind. 
Doch  war  die  Blume  fremd  und  sie  erziehen  ein  Triumph  derAccli- 
matisationskunst:  wir  sehen  dies  aus  Columella,  der  sie  mit  der  casia^ 
dem  Weihrauch,  der  Myrrhe  zusammensteUt,  3,  8,  4:  quippe  com- 
pluribtis  locis  urbü  jam  casiam  frondentem  conspicimuSj  jam  tuream 
plantam^  florentesque  hortos  myrrha  et  croco.  Nach  Plinius  21,  31 
lohnt  es  sich  nicht,  in  Italien  Safran  anzupflanzen:  serere  in  Itdlia 
minime  expedit,  doch  wird  auch  wieder  der  sicilische  gerühmt  und 
mit  dem  italischen  verglichen,  den  es  also  doch  geben  musste.  Auf 
jeden  Fall  konnte  den  starken  Verbrauch  die  einheimische  Produktion 
nicht  decken,  und  der  sonnigere  Orient  musste  Massen  von  Safiran, 
theils  roh,  theils  in  Gestalt  von  Wassern,  Salben,  Arzneien,  gefärbten 
Stoffen  ins  römische  Italien  senden.  Wo  der  vorzüglichste  wuchs, 
darüber  waren  die  Meinungen  getheilt;  Theophrast  hatte  den  cyre- 
näischen  besonders  hervorgehoben,  Vergil  den  des  lydischen  Tmolus- 
Gebirges,  Georg.  1,  56: 

nonne  vides  croceoa  ut  Tmolus  odores, 
India  mittit  eburf 

Sonst  galt  allgemein  der  cilicische,  namentlich  der  vom  Berge  Corycus, 
für  den  edelsten,  so  auch  bei  Dioscorides  1,  25,  der  für  den  nächst 
besten  den  lycischen  vom  Berge  Olympus,  für  den  dritten  den  von 
der  äolischen  Stadt  Aegae  in  Kleinasien  erklärt.  Plinius  21,  31  weist 
nach  dem  cilicischen  und  lycischen  dem  von  Centuripae  in  Sicihen, 
einer  Stadt  am  Fusse  des  Aetna,  den  dritten  Rang  an.  In  den  Zeiten 
römischen  Reichthums  und  sinnloser  Anwendung  desselben  wurden, 
wie  Rosenblätter,  so  auch  Krokusdüfte  und  Krokusblumen  verschwendet, 
wovon  in  den  scriptores  historiae  Augustae  Beispiele  zu  finden  sind. 
Wenn  schon  Lucretius  zur  Zeit  der  Republik  den  Gebrauch  kennt, 
die  Theater  des  Wohlgeruchs  wegen  mit  Safranwasser  zu  besprengen 
2,  416: 

et  cum  scena  croco  Cilici  per/usa  recens  est, 

und  nach  Sallustius  bei  Macrob.  Sat  3,  13,  9  Metellus  Pius  darch 
ein  Gastmahl  gefeiert  wurde,  bei  dem  der  Speisesaal  wie  ein  Tempe 
ausgestattet  und  der  Boden  mit  Krokus  bestreut  war:  siimU  croco 
sparsa  humus  et  alia  in  modum  templi  celeberrimi^  —  so  ist  nicht  zu 

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Der  Safran.  215 

verwundem,  wenn  zur  Kaiserzeit  die  Statuen  im  Theater  von  Ejrokus- 
saft  flössen,  Lucan.  9,  809: 

Ätqtie  soUt  pariter  totis  ae  effundere  sigräs 

CorycH  pressura  er  od:  sie  omnia  membra 

Emisere  simul  nttilum  pro  sangume  virtis  — 

oder  wenn  es  von  Hadrian  heisst,  AeL  Spart  19:  in  honorem  Trajani 
bakama  et  crocum  per  gradtis  theatri  fiuere  fumt^  und  HeliogabaluF^ 
der  verkörperte  Orient  auf  dem  römischen  Thron,  in  Teichen  sich 
badete,  deren  Wasser  durch  Safran  duftend  gemacht  war,  oder  seine 
Graste  auf  Polstern  von  Krokusblättem  niedersitzen  liess.  Auch  die 
Kochkunst  und  Medicin  machte  von  dem  Safran  reichlichen  Ge- 
brauch. Er  bildete  eine  beliebte  Würze  in  Speisen  und  Getränken 
nnd  war  gegen  alle  Uebel  heilsam.  Es  gab  wenig  componirte  Recepte, 
in  deren  Zusammensetzung  dieser  Bestandtheil  fehlte  (J.  F.  Hertodt, 
Crocologia  s.  curiosa  croci  enucleatio.  Jenae  1670,  8®).  Die  hohen 
Ehren,  die  das  Alterthum  dem  Safran  zuerkannt  hatte,  mussten  in 
dem  kindisch  abhängigen  Mittelalter  unverkürzt  bleiben,  ja  sich  noch 
steigern«  So  ging  die  Sage,  unter  Eduard  III.  habe  ein  Pilger  aus 
dem  gelobten  Lande  in  einem  ausgehöhlten  Stöcke  eine  Safranzwiebel 
nach  England  gebracht  (Beckmann,  Beyträge,  2,  80),  —  offenbar 
weil  das  Köstlichste  auf  Erden  nur  in  tiefem  Geheimniss  und  unter 
Lebensgefahr  zu  gewinnen  ist;  mit  der  Seide  hatte  es  ja  eine  ähnliche 
Bewandtniss  gehabt.  In  Wirklichkeit  waren  es  die  Araber,  die  neben 
so  vielem  Andern  auch  diese  Kultur  nach  Europa  brachten;  ihnen 
gelang,  was  das  Alterthum  entweder  vergeblich  unternommen  oder 
bei  dem  offenen  Verkehr  mit  dem  Orient  nicht  ernstlich  versucht 
hatte.  Von  jener  Zeit  und  aus  Spanien  stammen  die  Safranfelder 
am  Mittelmeer,  wie  auch  seitdem  der  arabische  Name  Safran,  ital. 
zaferano^  span.  azafran  u.  s.  w.  den  alten  griechisch-römischen  crocus^ 
der  freilich  anderthalb  oder  zwei  Jahrtausende  früher  auch  von  den 
Grenzen  Arabiens  gekommen  war,  verdrängt  hat.  Nur  darin  haben 
sich  die  Zeiten  geändert,  dass  die  jetzigen  Menschen  gegen  das 
Aroma  dieser  Blume  gleichgültig  geworden  sind :  weder  gilt  der  Duft 
und  Geschmack  für  so  reizend,  wie  er  frühern  Geschlechtern  schien: 
ja  Manche  weisen  ihn  ganz  ab;  noch  bedürfen  wir  dieser  Blüten- 
griffel  ausschliesslich,  um  den  Geweben  und  dem  Leder  den  Glanz 
hochgelber  Farbe  zu  geben;  und  dies  Alles  nicht  bloss  in  Europa, 
sondern,  was  merkwürdig  ist,  auch  im  Orient  selbst.  Dieser  Rück- 
gang des  Safrans  in  Asien  beweist,  dass  auch  in  jener  unbeweglichen, 
ganz  von  unabänderlichen  Naturbedingungen  gebundenen  Weltgegend 


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216  Die  Dattelpalme. 

in  langen  Zeitränmen   langsame  Abweichungen   yor  sich  gehen  und 
die  Nerven  eine  andere  Stimmung  gewinnen. 

Wir  fügen  noch  anhangsweise  hinzu,  dass  eine  ähnliche,  doch 
minder  edle  Farbepflanze,  der  Saflor,  carthamuA  tinctorius^  einDistd- 
gewächs,  das  in  Ostindien  zu  Hause  ist,  schon  den  Griechen  über 
Aegypten  bekannt  geworden  war.  Der  griechische  Name  xv^xog 
entspricht  einiger  Massen  dem  indischen  (s.  Benfey,  Wurzelwörter- 
buch, unter  diesem  Wort)  und  stammte  ohne  Zweifel  aus  der  aoge- 
gebenen  vermittelnden  Gegend.  Schon  Aristoteles  und  Theophrast 
kennen  das  Wort;  Theokrit  braucht  es  adjectivisch  in  der  Bedeutung 
fahl,  gelblich  (wo  es  dann  die  Grammatiker  xvijxSg  betont  haben 
wollen).  Theophrast  unterscheidet  h.  pl.  6,  4,  5,  schon  die  ayQia  und 
die  TJf^eQog,  von  der  Anwendung  zur  Färberei  aber  spricht  er  nicht, 
die  doch  allein  die  Verbreitung  bewirkt  haben  kann.  Im  heutigen 
Aegypten  werden  die  Samen  gegessen,  in  Italien  dienten  sie  als  Lab 
zur  Milch.  Erst  die  Araber  aber  lehrten  den  Anbau  im  Grossen 
und  die  Benutzung  zur  Roth-  und  Gelbfärbung,  und  von  ihnen 
stammt  denn  auch  der  Name,  ital.  asforo,  as/hri,  zafrone^  .  deutsch 
Saflor,  engl.  saffl<yiv,  zafer  u.  s.  w. 


Die  Dattelpalme. 

(Phoenix  dactylifera  L) 

Die  Dattelpalme  ist  nach  Ritter  der  ächte  „Repräsentant  der 
subtropischen  Zone  ohne  Regenniederschlag  in  der  Alten  Welt",  einer 
Zone,  als  deren  Mittelpunkt  etwa  Babylon,  die  palmenreiche  Haupt- 
stadt der  semitischen  Völker,  angesehen  werden  kann.  Am  besten 
gedeiht  sie  nach  Link,  Urwelt  1,  347,  zwischen  dem  19  bis  35  Grad 
nördlicher  Breite;  südwärts  vom  Ausfluss  des  Indus  und  eben  so  in 
der  Landschaft  Darf ur  unter  13  bis  15  Grad  der  Breite  ist  sie  bereits 
verschwunden;  nach  Norden  bedarf  sie,  um  geniessbare  Fruchte  zu 
tragen,  einer  mittleren  Jahres  wärme  von  21  bis  23'' C.  Sie  verlangt 
Sandboden  und  liebt  den  sengenden  'Hauch  der  Wüste ;  aber  als 
Gegensatz  ist  Befeuchtung  ihren  durstigen  Wurzeln  unentbehrlich. 
Der  König  der  Oasen,  sagt  der  Araber,  taucht  seine  Füsse  in  Wasser 
und  sein  Haupt  in  das  Feuer  des  Himmels.    Kein  Sturm  bricht  oder 

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Die  Dattelpalme.  217 

entwurzelt  die  Dattelpalme,  denn  ihr  Stamm  besteht  aus  den  ver- 
iloditenen  Fasern  der  Blattstiele,  und  die  durch  einander  geschlungenen 
Worzeladem  binden  sie  an  den  Boden.  Sie  wird  50  und  mehr  Fuss 
bocli;  sie  wächst  langsam,  ist  mit  100  Jahren  in  ihrer  vollen  Kraft, 
?on  da  an  nimmt  sie  ab.  Durch  das  Schirmdach  der  säuselnden,  ge- 
neigten Blätter  dringt  kein  Sonnenstrahl;  drunten  weht  es  lieblich, 
aach  das  Wasser  fehlt  nicht;  Gemüse  und  kleinere  Fruchtbäume  ge- 
deihen noch  auf  dem  Boden.  AUe  Ortschaften,  aUe  Einzelhütten 
d«  Araber  bergen  sich  in  Palmenhainen,  und  mit  Freude  sieht  der 
Beisende  am  Wustenhorizont  die  dunkeln  Kronen  anfauchen,  gewiss, 
dort  bewohnte  Stätten  und  gastfreundliche  Au&ahme  zu  finden. 
„Ehret  die  Dattelpalme,  soll  der  Prophet  gelehrt  haben,  denn  sie  ist 
eure  Muhme  von  Vaters  Seite"  (Kazwini  bei  S.  de  Sacy,  Chresto- 
madiie  arabe,  3  p.  378)  und:  „sie  ist  aus  demselben  Stoffe  geschaffen, 
wie  Adam,  und  der  einzige  Baum,  der  künstlich  befruchtet  wird." 
Im  heutigen  Arabien  bildet  die  Dattel  das  Brod,  das  eigentliche 
tägliche  Brod  des  Landes  und  zugleich  den  wichtigsten  Handels- 
artikel (nach  Palgrave,  Reise  in  Arabien,  1,  46  der  deutschen  Aus- 
gabe). Aber  nicht  von  Anbeginn  ist  der  Baum  in  vollem  Masse 
das  gewesen,  was  er  jetzt  ist.  Erst  die  Pflege  der  Menschenhand 
liat  ihn  so  veredelt^  dass  seine  Fruchte  süss  und  essbar  wurden  und 
ganze  Yölkerstämme  jetzt  von  ihm  fast  ausschliesslich  leben  können. 
Die  ältesten  Nachrichten  kennen  die  Dattelpalme  noch  nicht  als 
Fruchtbaum  (s.  die  Ausführung  bei  Ritter,  Erdkunde,  13,  771  ff.). 
Es  war  in  den  Ebenen  am  unteren  Euphrat  und  Tigris,  im  Paradies- 
klima des  Baumes,  wo,  wie  Ritter  urtheilt,  die  Kunst  der  Dattel- 
veredelung von  den  babylonischen  Nabatäem  zuerst  erfunden  und  ge- 
übt wurde.  Dort  zog  sich  meilenweit  eine  ununterbrochene  frucht- 
tragende Palmenwaldung  fort;  dort  befriedigte  der  Baum  fast  alle 
Lebensbedüriiiisse;  es  gab  nach  Strabo  16,  1,  14  einen  persischen, 
nach  Plut.  Symp.  8,  4,  5  einen  babylonischen  Hymnus,  in  welchem 
360  Arten,  von  ihm  Nutzen  zu  ziehen,  aufgezählt  waren  (die  mystisch- 
astrologische  Zahl,  die  uns  schon  bei  den  Aegyptem  begegnet  ist, 
und  die  z.  B.  bei  den  360  Frauen  des  Perserkönigs,  regiae  peUiceSy 
die  den  Macedoniem  in  die  Hände  fielen,  Curt.  3,  8,  wiederkehrt). 
Von  dort  wurde  die  fruchttragende  Dattelpalme  nach  Jericho,  Phö- 
nizien,  zum  ailanitischen  Golf  am  rothen  Meer  u.  s.  w.  verbreitet. 
Man  kann  dies  merkwürdige  Factum  der  Kulturgeschichte  nur  mit 
jener  andern  Thatsache  in  Parallele  stellen,  dass  das  Kameel  erst 
seit  dem  dritten  Jahrhundert  nach  Chr.  in  Afrika  eingeführt  worden  — 


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218  t>ie  Dattelpalme. 

welches  Thier  doch  fQr  die  libyschen  Wüsten  wie  geschaffen  scheint 
und  den  anzugänglichen  Welttheil  fremden  Yölkem,  ihrem  Handel, 
ihrer  Eeligion  erst  geöffnet  hat  (s.  Waitz,  Anthropologie,  1,  410, 
der  sich  auf  Reinaud  im  Institut  von  1857  p.  136  beruft;  auch  nach 
Brugsch  fehlt  das  Eameel  gänzlich  auf  den  ägyptischen  Monumenten, 
histoire  d'Egypte,  p.  25:  nous  remarquons  que  le  chameau^  Vanimal 
le  plus  utile  aujourcChui  en  Egypte^  ne  se  rencontre  famctis  sur  les 
monuments).^^)  Eameel  und  Dattelpalme,  zwei  innerlich  verwandte 
und  denselben  Existenzbedingungen  unterworfene  Geschöpfe,  gehören 
dem  Wüsten-  und  Oasenvolk  der  Semiten,  dem  Volke  der  bittem 
Mühsal  und  der  träumerischen  Müsse,  nicht  nur  ursprünglich  an, 
sondern  sind  auch  von  ihm,  so  zu  sagen,  geschaffen  worden:  es  hat 
das  erstere  gezähmt  und  verbreitet  und  der  andern  den  nährenden 
Fruchthonig  entlockt  und  so  durch  beides  eine  ganze  Erdgegend  be- 
wohnbar gemacht. 

Von  einer  Uebertragung  der  Dattelpalme  nach  Europa  in  dem 
Sinne,  wie  der  Weinstock,  der  Oel-  und  Kirschbaum  dort  eine  zweite 
Heimath  fanden,  kann  nach  den  oben  angegebenen  klimatischen  Be- 
dingungen, von  denen  sie  .abhängt,  nicht  die  Rede  sein.  Sic  wurde 
am  nördlichen  Ufersaume  des  mittelländischen  Meeres  angepflanzt, 
aber  trug  keine  reifen  Früchte  mehr;  sie  schmückte  reizend  und 
fremdartig  die  Landschaft  und  lieh  ihr  einen  flüchtigen  Schimmer 
der  jenseits  gelegenen  orientalischen  Sonnenländer;  der  nordische 
Gebirgsbewohner^  der  in  die  Küstenländer  hinabstieg,  staunte  sie  als 
eine  wunderbare  Naturgestalt  an,  aber  er  konnte  nicht,  wie  der 
Orientale,  sorglos  sein  Dasein  an  sie  knüpfen  und  in  ihi*em  Schatten 
Märchen  ersinnen  und  anhören :  eine  schwerere  Arbeit  war  ihm  unter 
dem  rauheren  europäischen  Himmel  auferlegt.  Zwar  ist  alle  Baum- 
zucht, wenn  sie  auch  nachdenkliche,  zusammenhängende  Thätigkeit 
voraussetzt  und  entwickelt,  eine  leichtere,  in  gewissem  Sinne  humanere 
Beschäftigung:  aber  von  dem  Leben  unter  der  Dattelpalme  gilt  dies 
in  allzu  hohem  Grade,  und  der  Mensch,  dem  sie  fast  ohne  sein  Za- 
thun  Alles  gewährt,  bleibt  ewig  in  düsterem  Fatalismus  gebunden, 
und  unter  der  würdevollen  Ruhe,  die  ihn  selten  verlässt,  schlummert 
eine  heisse^  tigerartige  Leidenschaft. 

Von  wem  den  Griechen  die  Kenntniss  des  wunderbaren  Baumes 
zugekommen  war,  lehrt  uns  gleich  an  der  Schwelle  der  Name,  den 
er  bei  ihnen  führt.  Wie  q>oivi^  Scharlach  die  aus  Phönizien  stam- 
mende Farbe,  (poivi^^  q>oivixiov  ein  phönizisches  musikalisches 
Instrument,  so  bezeichnete  q)olvi§  Dattelpalme  den  aus  Phönizien 

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Die  Dattelpalme.  219 

herrälireiiden  Baam,  ^^)  der  als  charakteristischee  Produkt  und  zu- 
gleich Symbol  des  Landes  auf  phönizischen,  später  karthagischen,  in 
Sicilien  geschlagenen  Münzen  wiederkehrt.  Die  Ilias  weiss  von  der 
Palme  nichts,  die  an  der  anatolischen  Küste  ganz  eben  so,  wie  im 
eigentlichen  Griechenland  ein  Fremdling  ist;  aber  Odyss.  6,  162,  in 
der  ältesten  und  schönsten  Partie  dieses  Epos,  wird  der  Palme  auf 
Delos  gedacht,  in  Worten,  aus  denen  die  Bewunderung  spricht,  die 
das  neu  erschienene,  fremdartige  Pflanzengebilde  bei  den  Griechen 
der  epischen  Zeit  erregte.  Odysseus  hat  sich  am  Meeresstrande  der 
Naosikaa  genähert  und  spricht  zu  ihr  schmeichelnd  und  um  Hülfe 
flehend: 

Denn  noch  nirgends  sah  ich,  wie  Dich,  der  Sterblichen  eiDen, 

Sei  es  Weib  oder  Mann,  und  Bewunderung  fasst  mich  beim  Anblick. 

Also  auf  Delos  erblickt'  ich  einst  mit  Augen  der  Palme 

Joog  aufstrebenden  Spross  am  Altar  des  Phöbus  ApoUon. 

Denn  dorthin  auch  war  ich  gelangt  mit  vielen  Genossen 

Aof  der  Fahrt,  die  mir  schwer  zum  Unheil  sollte  gereichen. 

So  nun  jene  erblickend  erstaunt'  ich  lang'  im  Gemüthe, 

Denn  nicht  trägt  ein  solches  Gewächs  sonst  irgend  die  Erde. 

So  auch  Dich,  o  Jungfrau,  schau  ich  bewundernd  und  fQrchte 

Flehend  die  Knie  zu  berühren,  und  schmerzliche  Trauer  befängt  mich. 

Der  weitgewanderte  Odysseus  also  hatte  sonst  nirgends  auf  Erden 
einen  Baum  (dogv  —  in  dieser  alterthümlichen  Bedeutung  nur  an 
dieser  einen  Stelle,  sonst  bei  Homer  immer  Balken,  Speer;  wohl  mit 
Bezug  auf  den  graden,  zweiglosen,  oben  in  einer  Erone  endigenden 
Schaft),  wie  den  Spross  des  Phönix  (q>oinxog  egvog)  gesehen,  und 
er  yergleicht  die  schlanke  Bildung  des  letzteren  mit  der  Gestalt  der 
königlichen  Jungfrau,  ganz  wie  der  Sänger  des  Hohen  Liedes,  7,  8: 
»Dein  Wuchs  gleicht  der  Palme  und  deine  Brüste  den  Datteltrauben", 
und  wie  Königstöchter  im  Alten  Testament  den  Namen  Tamar, 
Dattelpalme,  tragen.  Auch  der  homerische  Hymnus  auf  den  delischen 
Apollo,  der  bei  einer  delischen  Festversammlung  gesungen  worden 
sein  mag,  yersäumt  nicht  die  Palme  zu  nennen,  die  der  Stolz  der 
Insel  war;  an  ihrem  Fuss,  den  Stamm  mit  den  Armen  umfassend, 
117:  afifl  de  q>omi(i  ßdle  nri%BB^  gebiert  Leto  iliren  herrlichen 
Sohn.  Je  besuchter  die  Insel  als  apollinischer  Wallfahrtsort  und  als 
Emporium  wurde,  desto  höher  stieg  der  Ruhm  der  delischen  Palme, 
zomal  da  er  auch  in  der  Odyssee  einen  Wiederhall  gefunden  hatte.  **) 
Palmblätter  dienten  später  bei  den  vier  grossen  Festen  als  Sieges- 
zeichen,  theils  in  Gestalt  von  Kränzen  auf  dem  Haupt,    theils  als 

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220  Die  Dattelpalme. 

Zweig  in  den  Händen:  zur  Erklärung  dieser  Sitte,  die  schon  Pindar 
kennt  (s.  Boeckh  zu  Pind.  Fr.  p.  578),  berichtete  der  Mythus, 
Theseus  habe,  von  Kreta  zurückkehrend,  in  Delos  zu  Ehren  Apollos 
ein  Kampfepiel  gefeiert  und  die  Sieger  mit  Zweigen  der  Palme  ge- 
schmückt, und  dies  sei  dann  auf  die  übrigen  Spiele  übergegangen 
(Plut.  Thes.  21.  Sympos.  8,  4,  3.  Pausan.  8,  48,  2).  Wir  deuten 
dies  so,  dass  nicht  bloss  die  Palme  als  Attribut  des  Licht-  und 
Sonnengottes  Apollon,  sondern  der  Palmzweig  als  Symbol  des  Sieges 
und  der  Siegesfreude  über  Kreta  und  Delos  aus  dem  Kultur-  und 
religiösen  Vorstellungskreise  der  Semiten  gekommen  war,  denn  auch 
bei  diesen  dienten  Palmen  als  Zeichen  des  Lobes  und  Sieges  und 
festlicher  Freude  (z.  B.  am  jüdischen  Laubhüttenfest),  und  Theseus 
personificirt  die  Fahrten  und  Thaten  der  attischen  lonier  zwischen 
Kreta  und  Athen  und  erscheint  als  ein  eifriger  Jünger  auch  der 
semitischen  Aphrodite.  Statt  des  Theseus  nannte  eine  auf  anderem 
Lokal  erwachsene  Legende  den  Herakles :  dieser  hatte  aus  der  Unter- 
welt wiederkehrend  zuerst  die  Palme  erblickt  und  sich  mit  ihren 
Zweigen  bekränzt,  Philargyr.  ad  V.  G.  2,  67:  quia  Hercules  cum  ab 
inferü  rediret  hanc  primus  arborem  dicitur  contemplatus  e^e  et  se  inde 
coronassey  conveniente  colore  arboris  Uli  eventui  qtco  e  tenebrü  in  lucem 
commeavit  —  wo  im  Herakles  der  orientalische  Sonnengott,  dem  die 
Palme  als  Baum  des  Lichts  angehört,  nicht  zu  verkennen  ist.  Da- 
mals hatte  der  arkadische  Held  lasios  als  erster  Ueberwinder  im 
Wettrennen  von  Herakles  die  Siegespalme  erhalten,  und  Pausanias 
8,  48,  1  sah  sein  Bild  in  der  Stadt  Tegea,  wie  er  in  der  Linken  ein 
Ross  führte  und  in  der  Rechten  den  Palmzweig  hielt.  Schon  in  der 
Mitte  des  siebenten  Jahrhunderts  vor  Chr.  stiftete  der  Tyrann 
Kypselos,  der  Herrscher  im  halborientalischen  Korinth,  eine  eherne 
Palme  als  Weihgeschenk  in  Delphi,  woselbst  die  natürliche  Palme 
nicht  wuchs:  die  unten  am  Stamme  angebrachten  Frösche  und  Wasser^ 
schlangen  machten  den  spätem  Mythologen  und  Hodegeten  viel  Kopf- 
brechens (Plut.  Conv.  sept.  sap.  21.  de  Pyth.  oracc.  12);  wahr- 
scheinlich hatte  der  Künstler  in  naturalistischer  Weise  nur  ausdrücken 
wollen,  dass  die  Palme,  das  Kind  der  Wüste,  doch  ohne  im  Boden 
verborgenes  oder  aus  der  Tiefe  hervorbrechendes  Wasser  nicht  leben 
kann,  brakiges  Wasser  aber  allem  Uebrigen  vorzieht  —  worüber  ihm 
in  Korinth  wohl  Kunde  zugekommen  sein  konnte.  Wie  Kypselos, 
weihten  auch  die  Athener  zu  Ehren  ihres  Doppelsieges  am  Eurymedon, 
vielleicht  um  damit  das  Land  zu  bezeichnen,  in  welchem  dieser  Sieg 
erfochten  war,    eine  eherne  Palme  in  Delphi  (Paus.  10,  15,  3)  und 

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Die  Dattelpalme.  221 

später  eine  gleiche  darch  Niidas  in  Delos  (Plut.  Nie.  3,  5);  Palm- 
bäome  sieht   man   auf  Münzen  von  Ephesas,   von  Hierapytna  and 
Priansas  auf  Ereta^  von  Earystos  auf  Euboa  (s.  Mionnet  unter  diesen 
Städten)   und   aaf  Vasengemälden   als  Attribut   der  Leto   und   des 
Apollo  oder  auch  den  Palmzweig  als  dem  Sieger  am  Ziele  winkend 
(z.B.  vor  einem  brausend  dahersprengenden  Viergespann  bei  Miliin 
1;  pl  24).    Dass  auch  das  argivische  Nemea  schon  zu  Pindars  Zeit 
seine  Palme  besass,  geht  aus  dem  von  Dionysius  de  comp.  yerb.  22 
aufbewahrten  Anfang  des  in  Athen  gesungenen  FrOhlings-Dithyram- 
kus  dieses  Dichters  hervor,  v.  12: 
Im  Argeischen  Nemea  bleibt  dem  Seher  nicht  verborgen 
Der  Palme  Spross,  wenn  der  Hören  Gemach  sich  öffnet 
Und  den  duftenden  Frühling  empfinden  die  nektarischen  Pflanzen  — 

wo  die  homerische  Formel  q>oivixog  sgvog  nichts  anderes  bedeutet 
ab  Palmbaum  (Hesych.  q>oivixog  sqvoq'  nBQiq>Qaa%ixü}q  %ov  q)oi- 
J'ixö),  der  Seher,  fidvtig^  aber  wohl  nur  der  priesterliche  Wächter 
ist,  der  den  geweihten  Baum  beobachtet  und  pflegt.  Auch  zu  Aulis 
vor  dem  Tempel  der  dortigen  Artemis  fand  Pausanias  9,  19,  5  Palm- 
bäome  stehen,  die  keine  so  schönen  Datteln  gaben,  wie  die  von 
Palästina,  aber  immer  s&ssere,  als  die  in  lonien  erzeugten.  So  hatten 
sich  denn  im  Laufe  der  Zeiten  trotz  des  pythagoreischen  Verbots: 
HTjde  q>oivixa  g>VTeveiv,  keinen  Dattelbaum  zu  pflanzen,  Plut.  de  Is. 
et  Os.  10  (weil  Zweige  dieses  Baumes  das  Siegeszeichen  abgaben, 
ein  solches  aber  den  Pythagoreem  gottlos  schien)  hin  und  wieder  in 
Griechenland  die  Umgebungen  der  Heiligthumer  und  Ortschaften  mit 
einzeben  oder  Gruppen  jener*  babylonisch-libyschen  Wunderbäume 
geschmückt,  zum  Staunen  Jedes,  der  sie  zum  ersten  Mal  sah. 

Wenden  wir  uns  zu  den  Schicksalen  der  Palme  in  Siciüen  und 
Italien,  so  müssen  wir  vor  Allem  die  Dattelpalme,  phoenia  dactylifera^ 
and  die  Zwergpalme,  Chamaeropa  kumilü,  genau  unterscheiden  — 
letztere  ein  in  Spanien,  Sicilien  und  auch  Unteritalien  auf  heissem 
Boden  wucherndes,  meist  verkrüppeltes,  blaugrünes  Gesträuch,  dessen 
jnnge  Blattsprossen,  Wurzeln  und  Früchte  gegessen,  und  aus  dessen 
fächerförmigen  Blättern  Kehrbesen  verfertigt,  Stricke  gedreht  und 
Körbe,  Matten  u.  s.  w.  geflochten  werden.  In  Folge  des  gleichen 
Namens  palma  sind  häufig  Notizen  der  Alten,  die  sich  auf  die  Zwerg- 
palme bezogen,  irrig  für  die  Geschichte  der  Dattelpalme  benutzt 
worden.  Schon  Theophrast  sondert  beide  Arten  aufs  Bestimmteste, 
h.  pL  2,  6,  11:  „die  sog.  Zwergpalmen  (pi  x(xfiaiQQig>€lg  xaXovfiavoi) 
sind  von  den  Dattelpalmen  verschieden,  obgleich  sie  denselben  Namen 

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222  I>ie  Dattelpalme. 

tragen:  sie  leben  nach  Entfernung  des  Gehirnes  fort  (die  schmack- 
haften Blätterknospen,  während  die  Dattelpalme  abstirbt,  v^enn  man 
ihr  das  cerebrum^  den  Gipfeltrieb,  nimmt)  und  abgehauen  schlagen 
sie  aus  der  Wurzel  wieder  aus  (dies  sind  die  caeduae  palmarum  sä'- 
vae,  germinantes  rursus  ab  radice  succüae  des  Plinius,  die  Dattelpalme 
treibt  nicht  wieder  aus  der  Wurzel).  Sie  unterscheiden  sich  auch 
durch  die  Frucht  und  die  Blätter:  letztere  sind  breit  und  zart  (sie 
sind  denen  der  Fächerpalme  nicht  unähnlich),  weshalb  man  auch 
Körbe  und  Matten  aus  ihnen  flicht  (wie  noch  heut  zu  Tage).  Die 
Zwergpalmen  sind  häufig  in  Kreta,  aber  noch  mehr  in  Sicilien.* 
Von  den  Wurzeln  und  Trieben  dieser  sicilischen  Küstenpalme  nährten 
sich  die  Matrosen  der  von  ihrem  Führer  verlassenen  Flotte  bei  Cic 
Verr.  II,  5,  87 :  posteaquam  paulum  provecta  classis  est  et  Pachynum 
quinto  die  denique  apptUsa:  nautae  coacH  fame  radice»  palniarum 
agrestium^  quarum  erat  in  iüis  locis^  sicut  in  rnagna  parte  Sicüiae, 
multitudo,  coUigebant  et  his  miseri  perditique  alebantur.  Wenn  Vergil 
Aen.  3,  705  sagt:  palmosa  Selinm,  so  dachte  er  an  die  Zwergpalme, 
die  noch  jetzt  die  Küstensteppe  um  die  Ruinen  dieser  Stadt  bei 
Castelvetrano  weit  und  breit  überzieht  Von  derselben  Palme  kamen 
die  Kehrwische,  mit  denen  der  musivische  Fussboden  gereinigt  wird, 
bei  Horaz  Sat.  2,  4,  83: 

Ten'  lapides  varios  luttdenta  rädere  pahna^ 
und  bei  Martial  14,  82: 

In  pretio  scopas  testatur  palma  fuisse. 
Zu  den  Stricken,  Seilen  und  Matten,  die  Varro  1,  22,  1  aus  Hanf, 
Flachs,  Rohr,  Palmen  und  Binsen  bereiten  lässt,  eben  so  zu  den 
Palmmatten,  mit  denen  Columellas  Oheim  in  der  Provinz  Bätica 
zur  Zeit  der  Hundstage  seine  Weinreben  bedeckte  (Col.  5,  5,  15), 
dienten  die  Blätter  der  einheimischen  Zwergpalme.  Palma  campestris 
bei  Colum.  3,  1,  2  ist  offenbar  Chanmerops  humilis^  und  eben  dahin 
gehört  die  regio  palmae  foecunda  bei  demselben  11,  2,  90.  Das 
Verbum  palmare^  Colum.  11,  2,  96:  caeterum  palmare  id  est  fnaterias 
aUigare  —  kann  weder  von  palma ^  die  flache  Hand,  mit  der  sieb 
nichts  anbinden  lässt,  noch  von  palmes,  palmitis^  gebildet  sein,  sondern 
nur  von  palma^  die  Zwergpalme.  Selbst  die  planta  palmarum  bei 
dem  späteren  Palladius  5,  5,  2,  quam  cephalonem  vocamtis^  und  die 
den  dürren  Boden,  der  sonst  keine  Frucht  trägt,  von  selbst  über- 
deckt, 11,  12,  2:  constat  autem  locum  prope  nuUis  utüem  fructibus  in 
quo  palmae  ^onte  nascuntur  —  kann  keine  andere  sein,  als  die 
Chamaerops  humilis^   die  noch  jetzt  in  Italien  cefaglione  heisst  (von 

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Die  Dattelpalme.  223 

iyxitpaXoQy  die  essbaren  obersten  jungen  Sprossen).  Auch  die  Insel 
Palfflaria,  jetzt  Palmarola^  hiess  so  von  dem  Palmengesträuch,  mit 
dem  sie  ursprünglich  bewachsen  war.  —  Aber  auch  die  Dattelpalme 
oder  die  Palme  als  wirklicher  Baum  tritt  uns  in  Italien  ziemlich 
frühe  entgegen.  Zwar  wenn  erzählt  WTirde,  Rhea  Silvia,  die  Mutter 
des  Romulus  und  Remns,  habe  im  Traume  am  Altar  der  Vesta  zwei 
Palmbäume  aufwachsen  sehen^  von  denen  der  eine  grössere  den  ganzen 
Erdkreis  beschattete  und  zugleich  den  Himmel  mit  dem  Gipfel  be- 
rührte, Ov.  Fast.  3;  31: 

Inde  duae  pariter,  visu  mirahüe,  palmae 

Surgunt.     Ex  iUü  altera  major  erat 

Et  gravibus  ramis  totum  protexerat  orhem 

Contigeratqtte  sua  sidera  summa  coma  — 

so  konnte  diese  griechische  Dichtung  erst  entstehen,   als  Kom  schon 
mächtig  und  an  Siegen  reich  war,    und  das  Vorbild  gab  der  Wein- 
stock ab,  der  aus  dem  Schooss  der  Mandane,  der  Tochter  des  Astyages, 
emporwuchs  und  ganz  Asien  überdeckte,    oder  jener  Oelkranz,    den 
Xerxes   im  Traum   sah   und    dessen  Zweige    über   die   ganze  Erde 
rächten,    Herod.  7,  19.    Aber   auch   in  Roms   früherer  Zeit,    da    es 
noch  klein  war  und  sein  Name  nicht  weit  reichte,    war  schon   die 
lunica  palmataj  die  die  Römer  mit  den  übrigen  Abzeichen  obrigkeit- 
licher Herrlichkeit  von  den  Etruskem  überkommen  hatten,    mit  den 
Blattformen   der    orientalischen   Dattelpalme    gestickt.      Palmzweige 
als  Siegespreis  in  den  römischen  Spielen  kamen,   wie  Livius  10,  47 
ausdrücklich  berichtet,    zuerst  im  Jahr  der  Stadt  459  oder  293  vor 
Chr.   vor,    in  Nachahmung    griechischer  Sitte:    trandato   e  Graecia 
more.    Hieraus,    wie  aus  der  Palmstickerei  wäre  freilich  noch  nicht 
mit  Sicherheit   zu   schliessen,    dass  die  Palmbäume  selbst  schon  in 
Italien  wuchsen:    die  zu  den  Siegespreisen  nöthigen  Blätter  konnten 
za  Schiff  nach  Italien    kommen,    wie   noch   heut  zu  Tage  der  See- 
handel  denselben  Artikel  für  jüdische   und  christliche  Feste  liefert, 
und  die»  um  so  leichter,    als  Palmblätter   lange    grün    bleiben  und 
nicht  welken.    Aber  um  dieselbe  Zeit  im  Jahr  291  vor  Chr.,  geschah 
folgendes  Wunder  im  Hain  des  Apollo  zuAntium:  die  Römer  hatten 
aus  Anlass  einer  Pest  die  Schlange  des  Aesculap  aus  Epidauros  ge- 
holt und  landeten  mit  ihr  in  der  genannten  Stadt;  die  Schlange,  die 
bis  dahin    den  Abgesandten  klug   und  willig  gefolgt  war  und  deren 
Absichten  errathen  hatte,  schlüpfte  aus  dem  Schiff,  ringelte  sich  um 
ie  dort  stehende  hohe  Palme  und  kehrte  nach  drei  Tagen  ruhig  in 
das  Schiff  zurück,   welches   dann  den  Tiber  hinauf  nach  Rom  fuhr 


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224  Die  Dattelpalme. 

u.  8.  w.  (Val.  Max.  1,  8, 2).  Man  mag  über  diesen  Vorgang  denken, 
wie  man  wolle:  die  Existenz  eines  Palmbaumes  in  Antiam  mnss  als 
Anknüpfungspunkt  für  die  Sage  vorausgesetzt  werden  und  hat  in 
einem  Hafen  mit  lebhaftem  Verkehr  und  Apollodienst  nichts  Un- 
wahrscheinliches. Das  Prodigium,  welches  Livius  24,  10  unter  dem 
Jahr  214  berichtet:  in  Apulia  palmam  viridem  armse^  konnte  nicht 
geschehen,  wenn  damals  in  Apulien  nicht  wenigstens  eine  Palme 
vorhanden  war.  Wie  in  Antium  standen  .wohl  auch  bei  den 
griechischen  Städten  in  Unteritalien  Dattelpalmen  hin  und  wieder  an 
der  schönen  Küste  als  Begleiterinnen  apollinischer  Heiligthümer.  Zu 
Varros  Zeit  fehlte  es  an  diesen  Bäumen  in  Italien  nicht,  wie  aas 
seiner  Bemerkung  hervorgeht,  der  Palmbaum  bringe  in  Judäa  reife 
Datteln  hervor,  in  Italien  vermöge  er  es  nicht,  2,  1,  27:  tum  scitis 
palmulas  (Aldina  richtiger:  palmas)  caryotaa  in  Syria  parere  in  Judaea, 
in  Italia  non  posse?  und  bei  Plinius  im  ersten  Kaiserjahrhundert  ist 
der  Baum  schon  in  Italien  gemein,  13,  26:  Suntquidem  et  in  Europa 
volgoque  Italia^  sed  Stiles.  Von  wem  aber  war  er  ursprünglich  in 
Italien  eingeführt  worden?  Wenn  nach  Livius  die  Palmen  als  Sieger- 
schmuck in  den  römischen  Spielen  aus  Griechenland  stammten,  wenn 
auch  die  etruskische  Palmenstickerei,  wie  Otfried  Müller,  Etrusker  1, 
373,  urtheilt,  ein  Ausfluss  griechischer  Sitte  war  —  woher  dann  der 
ungriechische  Name  palmaf  Das  Wort  ist  aus  dem  Lateinischen 
nicht  zu  erklären;  wie  sollte  auch  ein  so  fremder  exotischer  Baum 
einheimisch  benannt  worden  sein?  Palma  muss  aus  dem  semitischen 
tamar^  tomer  entstellt  (wie  aus  Tadg  der  Pfau  pavuSy  pavo  wurde), 
oder  es  muss  einer  semitischen  Sprache,  in  der  der  Anlaut  wie  p 
klang,  nachgesprochen  worden  sein.  Letztere  Annahme  findet  in  dem 
biblischen  Tadmor  und  der  entsprechenden  griechisch-lateinischen 
Benennung  Palmyra^  Palmira  (zuerst  bei  Plinius  und  Josephus),  wo- 
bei an  keine  Uebersetzung  zu  denken  ist,  einigen  Anhalt  ^  ^).  Noch 
vor  den  Griechen  also  oder  vielmehr,-  so  zu  sagen,  an  ihnen  vorbei, 
zu  einer  Zeit,  in  deren  Seeverkehr  uns  der  von  Polybius  autbewahrte 
Schifffahrtstraktat  einen  Blick  eröfiEnet,  müssen  entweder  taskische 
oder  lateinische  Schiffer  den  Baum  an  libyschen,  sicilischen,  sardi- 
nischen Küsten  erblickt  und  seinen  Namen  erfahren  oder  punische 
Kauffahrer  Zweige  desselben,  termites^  aTtddixeg^'^)^  an  die  italische 
Küste  gebracht  haben,  sei  es  als  Wunder  des  Südens,  wie  auch 
unsere  Schiffer  Papageien  und  Kokosnüsse  bringen,  sei  es  zom 
Schmuck  religiöser  Feste  oder  als  Zeichen  der  Huldigung  für  ein- 
heimische Fürsten  und  Oberhäupter.    So  könnten  auch  die  Etrusker, 

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Die  Dattelpalme.  225 

wie  die  Namen,  so  aach  den  Gebraach  der  Palmblätter  als  Insignien 
der  Herrscherwürde  ohne  griechische  Yermittelung  direkt  von  den 
Poniem  gelernt  haben.  An  die  Fracht  der  Palme  als  Handels- 
artikel ist  nach  dem  gleich  Anfangs  Bemerkten  in  jener  älteren  Zeit 
noch  nicht  zn  denken.  Das  dem  Semitischen  entlehnte  Wort  daxzvlog, 
dactybiSy  welches  mit  Finger  nichts  zu  thon  hat,  wie  palma  nichts 
mit  der  Hand,  kommt  erst  spät  vor  (bei  Artemidor  5,  89,  zar  Zeit 
der  Antonine,  und  unter  den  Lateinern  bei  dem  wahrscheinlich  noch 
Tiel  jüngeren  Apicius,  denn  bei  Plinius  13,  46  sind  die  dadyli  nur 
eme  bestimmte  Sorte  unter  vielen  andern),  ist  aber  in  alle  romani- 
schen Sprachen  (itaL  datterOj  span.  data,  franz.  datte)  und  von  diesen 
aach  in  die  germanischen  übergegangen.  Aelter  ist  eine  andere, 
gleichfalls  nur  einer  besonderen  nussförmigen  Art  Datteln  zustehende, 
später  verallgemeinerte  Benennung:  xagvonog,  xagvcSvig^  l&t  caryota, 
caryoiü,  häufig  im  ersten  Jahrhimdert  der  Eaiserzeit,  zu  allererst  bei 
Yarro  2,  1,  27,  dann  bei  Strabo  und  Scribonius  Largus.  Entsprechend 
dem  griechischen  q>oivi^  die  Dattel  sagten  die  Dichter  auch  palma 
für  die  Frucht,  z.  B.  Ov.  Fast.  1,  185: 

qtdd  vuU  palma  9ibi  rugosaque  carica  disi, 
wie  auch    das   verkleinerte   palmula    denselben   Begriff    ausdrückte, 
schon  bei  Varro  1,  67.    Doch   gingen   alle   diese  Ausdrücke  wieder 
Yerloren,  und  Dattel  wurde  der  allgemein  übliche  Name  in  der  west- 
europäischen Handelssprache. 

Da  der  in  die  Erde  gesteckte  Dattelkern  bald  keimt,  so  ist  es 
leicht,  Palmen  zu  erziehen  und  zu  vervielfältigen.  Trüge  der  Baum 
in  Europa  Frucht,  wie  im  afrikanischen  DatteDande,  gewiss  würden 
dann  an  zahlreichen  Stellen  der  drei  ins  mittelländische  Meer  aus- 
iaofenden  europäischen  Halbinseln  Palmenwälder  rauschen^  und  gewiss 
liätten  auch  dann  die  Menschen  Sorge  getragen,  beide  Geschlechter 
des  Baumes  neben  einander  zu  pflanzen  und  der  natürlichen  Be- 
frachtung, wie  im  Orient,  künstlich  zu  Hülfe  zu  kommen.  Als  nach 
dem  Untergang  der  antiken  Welt  Barbarei  über  jene  Gegenden  herein- 
brach und  der  Sinn  für  Anmuth  des  Lebens  erloschen  war,  da 
starben  auch  die  Palmbäume  allmählig  ab,  die  etwa  aus  dem  Alter- 
tham  sich  noch  erhalten  hatten:  sie  brachten  nichts  ein,  imd  neben 
der  Sehnsucht  ins  Jenseits  und  der  Selbstqual  herrschte  nur  noch 
der  grobe  gierige  Eigennutz.  So  weit  dann  die  Araber  an  den 
Küsten  des  Mittelmeers  sich  niederliessen,  ward  auch  die  Palme 
wieder  sichtbar.  In  Spanien  pflanzte  um  das  Jahr  756  der  christ- 
lichen Aera  der  Ealif  Abdorrahman  I  in  einem  Garten  bei  Gordova 

Tkt  Hebn,  Knltnrpflanzen.  15 

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226  ^^^  Dattelpalme. 

mit  eigener  Hand    die  erste  Dattelpalme,    von    der   alle  übrigen  im 
heutigen  Spanien  abstammen  sollen  (Gonde,  historia  de  la  dominacion 
de  los  Arabes  en  Espana,  part  2,  cap.  9),  und  betrachtete  sie  oft  in 
sehnsüchtiger   Erinnerung   an   die    arabische   Heimat,    von    der  sie 
beide,  der  Kalif  und  der  Baum,  so  fern  waren.    Aehnlich  thaten  die 
Saracenen  in  Sicilien  und  Ealabrien,  doch  hatte  dieser  Orientalismus 
auf  europäischem  Boden  nur   fluchtigen  Bestand.    Bis  in  die  neuere 
Zeit   waren    einzelne  Exemplare    wie   zufällig  stehen  geblieben,   zur 
Freude  und  Ueberraschung  der  Reisenden  von  Norden,  durch  welche 
die  Anwohner  erst  auf  den  malerischen    vegetativen  Schmuck,    den 
sie  an  dem  Baum  besassen,    aufmerksam  gemacht  wurden.     Wie  in 
so  Vielem,   war   unterdess    auch   in    dem  Symbol    der   Palmen   die 
christliche  Kirche  der  Bildersprache  des  Heidenthums  und  Judenthums 
treu  geblieben,  und  dieselben  Zweige,  die  bei  den  Festen  d^  Osiris 
in  Aegypten,  bei  feierlichen  Einzügen  der  Könige  und  Kriegshelden 
in   Jerusalem,   bei    den   olympischen    Spielen    und    auf  dem   Kleide 
römischer  Imperatoren  ein  Zeichen  der  Siegesfreude  gewesen  waren, 
wurden  auch  in  Rom  am  Palmsonntage  vom  Haupte  der  Christen- 
heit geweiht  und  an  alle  Kirchen  der  ewigen  Stadt  vertheilt.     Dies 
gab  Veranlassung  zur  Anlage  des  grössten  Palmenhaines,  den  das 
jetzige  Italien  besitzt,   des  von  Bordighera^  an  der  herrlichen  üfer- 
strasse,    die   von  Genua  nach  Nizza  führt,   zwischen  S.  Remo  und 
Ventimiglia,  unter  fast  44  Gr.  nördl.  Breite.    Die  Einwohner  dieses 
Stadtchens  haben  seit  alter  Zeit  (angeblich  seit  Errichtung  des  Obe- 
lisken auf  dem  St.  Petersplatze)  das  durch   Gewohnheit   geheiligte 
Vorrecht,    zum  Osterfest  Palmen  nach  Rom  zu  liefern,    und  diese 
Industrie  schuf  allmählig  die  über  mehrere  Meilen  sich  hinziehende 
Pflanzung,  die  über  4000  Stämme  zählen  soll.    Um  die  theueren  und 
besonders  geschätzten  weissen  Palmen  zu  erzielen,  werden  vom  Hoch- 
sommer an  die  Kronen  oben  zusammengebunden,  so  dass  die  innersten 
Blätter,  vom  Licht  unberührt,  kein  Chlorophyll  erzeugen  können  und 
dann  ein  Bild  nicht  bloss  des  Sieges,  wie  die  grünen,  sondern  zu- 
gleich  der   himmlischen  Reinheit   abgeben   —    ein  acht  christlicher 
Gedanke,  auf  den  die  Alten  nicht  verfielen.    Der  Reisende,  der  um 
die  genannte  Zeit  die  Riviera  di  Ponente  durchzieht  ^  sieht  dann  die 
Palmengipfel  in  Gestalt  riesiger  Tulpenknospen  sich  erheben  und  be- 
greift; AnfiEuigs  nicht,    was  die  Verstümmelung  des  schönen  Baumes 
bezweckt.     Von  Bordighera   aus   hat   sich   die  Palme   in  einzelnen 
Exemplaren  längs  dieser  ganzen  Küste  verbreitet;  in  Rom  bildet  die 
Palme   vor  S.  Pietro   in   vinculis   das  Studium   der  Maler,    die  an 

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Die  Dattelpalme.  227 

biblischen  Scenen  arbeiten;  wer  Capri  besucht  hat,  kennt  die  Pahne 
im  Garten  von  Michele  Pagano;  in  der  villa  nazionale  von  Neapel 
sind  jetzt   einige  prachtige  Exemplare   der  Umgegend  vereinigt,  die 
an  danklen  Sommerabenden,    von    dem    bleichen  Licht  der  weissen 
Gasflammen   getroffen,    über   den   Klängen  des  Orchesters  und  den 
Köpfen  der  ruhenden  und  auf-  und  abwandehiden  Menge  geisterhaft 
schweben.     Häufiger,    mit  der  zunehmenden  Kraft  der  Sonne,    wird 
der  Baum  nach  Calabrien  zu  und  in  Sicilien  und  Sardinien.    In  der 
Umgegend  des  calabrischen  Reggio  sollen  ehedem  ganze  Wälder  von 
Dattelpalmen    sich    erhoben   haben,    die   entweder  von  den  Arabern 
selbst,    als    sie   von  dieser  Küste  verdrängt  wurden,  oder  von  den 
Christen   als  Nachlass    der  Ungläubigen    zerstört   wurden  (G.  Vom 
Rath,  ein  Ausflug  nach  Calabrien,  Bonn  1871,  S.  15).    Auch  südlich 
von  Palermo  soll  durch  die  Könige  aus  dem  Hause  Anjou,  als  diese 
im  14.  Jahrhundert  die  Insel  Sicilien  wieder  zu  unterwerfen  suchten, 
eine  ganze  Palmenwaldung  ausgerottet  worden  sein  (Theob.  Fischer, 
Beiträge  zur  physischen  Geographie  der  Mittelmeerländer,  Leipzig  1877, 
S.  146  f.).     Wie  zu  Bordighera  in  Italien,  steht  in  Südspanien,  zu 
Elche  südwestlich  von  Alicante  nach  der  Grenze  des  heissen  Murcia 
hin,  zwischen  39  und  40  Gr.  nördl.  Br.,  ein  berühmter  Palmenwald, 
60,000  Stämme  stark,   der  nicht  bloss  Blätter  in  die  Hand  frommer 
Waller,    sondern   auch   süsse  Früchte  zum  Genuss  für  Knaben  und 
Mädchen  bietet.    Die  Araber  wurden  besiegt,   die  Moriscos   ausge- 
trieben und  vertilgt,  der  Wald  von  Elche,  obgleich  ursprünglich  von 
ungläubiger  Hand  gepflanzt,  blieb  stehen,  ein  Zeichen  von  Glaubens- 
schwäche selbst  bei  den  Zöglingen  Loyolas.     Im  äussersten  Westen 
mitten  im  Ocean  auf  den  Inseln  der  Glückseligen  fanden  die  ersten 
Entdecker  schon  fruchtbare  Dattelpalmen  vor:  wenigstens  berichtete 
der  numidische  König  Juba,  dessen  Ausssage  uns  Plinius  6,  205  auf- 
bewahrt hat,  hanc  (Canariam)  et  palmetis  caryotas  ferentibus  ac  niice 
pinea  (von  pinus  Canariensis)  abundare.    Waren  von  dem  gegenüber- 
liegenden Afrika  etwa  Dattelkerne  durch  die  Wellen  hinübergespült 
worden  und  so  die  genannten  Bäume  auf  jener  Insel  aufgegangen? 
In  der  entgegengesetzten  Weltrichtung  hatten  die   früheren  Araber 
sogar  am  Südufer  des  kaspischen  Meeres  noch  eine  ergiebige  Dattel- 
zucht  getrieben,    so    dass    das   kalte  Reich   der  Russen    hier   seine 
Grenzen  bis  fast  an  die  subtropische  Zone  der  Dattelpalme  vorgerückt 
hat;  wenn  aus  jener  Zeit  nur  noch  einzelne  Epigonen  ohne  Frucht- 
ertrag übrig  geblieben   sind,  so  scheint  v.  Baer,  der  zuerst  auf  ihr 
Vorkommen  aufmerksam  gemacht  hat,  mehr  geneigt,  den  Untergang 

15* 

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I 


228  ^^^  Cypresse. 

dieser  Kultur  auf  eine  Abkühlung  des  Klimas,  als  auf  die  Indoloiz 
der  jetzigen  Bewohner  zurückzuführen  (s.  v.  Baer  im  Bulletin  der 
Petersburger  Akademie,  1860:  „Dattelpalmen  an  den  üfem  des 
Kaspischen  Meeres,  sonst  und  jetzt"). 


Cypresse. 

(cupressus  temperwrena  L) 

Nach  A.  V.  Humboldt,   Kosmos  2,  132,    der  sich  auf  Edrisi  be- 
ruft,  scheinen    die  Gebirge   von  Busih   westlich  von  Herat  die  ur- 
sprüngUchc  Heimat   der  Cypresse   zu  sein.    Auf  der  Westseite  des 
Industhaies,  in  den  Plateaulandschaften  von  Kabul  und  Afghanistan, 
wo  der  Baum  zu  riesigen  Grössen  emporwachst,    besonders  aber  in 
dem  genannten  Busih  oder  Bushank,   Fuscheng,   findet   auch  Ritter, 
auf  Ibn-Hauqal  und  Edrisi  gestützt,  das  wahre  Vaterland  der  Berg- 
Cypresse  (Erdkunde,  Band  XI:   „die  asiatische  Verbreitung  der  Cy- 
presse").  Von  diesem  seinem  Ursitz  wanderte  der  Baum  im  Gefolge 
des  iranischen  Lichtdienstes  weiter  nach  Westen.    In  der  schlanken, 
obeliskenartigen,    zum  Himmel   aufstrebenden  Gestalt  der  Cypresse 
schaute   die  Zendreligion    das  Bild    der  heiligen  Feuerflamme;   nach 
dem  Schäh-Nämeh  stammte  sie  aus  dem  Paradiese,   Zoroaster  selbst 
hatte  sie  zuerst  auf  Erden  gepflanzt,  sie  ward  die  Zeugin  für  Onnuzd 
und  dessen  reines  Wort  und  prangte   durch  ganz  Iran  in  alten  ehr- 
würdigen  Exemplaren    vor   den   Feuertempeln,    in   den  Höfen  der 
Paläste,  im  Mittelpunkt  der  medopersischen  Baumgärten  oder  Paradiese. 
Frühzeitig,  mit  den  ältesten  assyrisch-babylonischen  Eroberungszögen, 
war  sie  in  die  Länder  des  aramäisch-kanaanitischen  Stanmies  gelangt, 
auf  den  Libanos,  auf  die  nach  der  Cypresse  benannte  Insel  Cypem^  ®), 
und  ward  auch  hier  ein  heiliger  Baum,  in  welchem  eine  Naturgöttin 
gegenwärtig  war,  dieselbe,  deren  uralten  verlassenen  Tempel  mit  der 
geweihten  Cypresse  Vergil   uns   im   troischen  Gebiete   zeigt,   Aen. 
2,  713: 

Est  urbe  egressis  tumulua  templumque  vetmtum 
Desertae  CererU  juxtaque  antiqua  citpressus 
EeUgione  patrum  mtdtos  servata  per  annoa  — 

und  die  er  wie  hier  Ceres,  so  an  einer  anderen  Stelle  Diana  nemit; 
Aen.  3,  680: 

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Die  Cypresse.  229 

Aeriae  querem  cnU  coniferae  cyparissi 
Constiterunt^  süva  aUa  Jovü  lucusve  Dianae. 
Mit  der  religiösen  Bedeutung,  dieselbe  theils  erhöhend,  theils  durch- 
kreuzend, verschmolz  eigenthümlich  der  technisch-praktische  Werth, 
den  die  Cypresse  bei  den  Phöniziern  gewann  und  später  durch  das 
ganze  griechische  und  römische  Alterthum  behielt  Das  Cypressen- 
kolz,  hart,  duftend,  in  der  Flamme  mit  angenehmem  Geruch  ver^ 
bremiend,  galt  zugleich  f&r  unvergänglich  und  unzerstörbar.  Plat 
de  legg.  5  p.  741:  die  Landloose  der  Bärger  sollen  in  den  Tempeln 
aof  cypressenen  Gredenktafeln  für  die  Nachwelt,  mq  tov  eneita 
XQovop^  verzeichnet  werden.  Theophr.  h.  pl.  5,  4,  2:  von  Natur  un- 
yerweslich  ist  die  Cypresse,  Ceder  (folgen  noch  eine  Anzahl  Hölzer); 
von  diesen  scheint  das  Cypressenholz  am  meisten  Dauer  zu  haben, 
jfonciraTa  doxel  xa  xvnagltziva  ehai.  Martial  6,  73,  7  (das  Bild 
des  Priapus  spricht): 

Sed  mihi  perpetua  nunquam  moritura  cupresso 

Pkidiaca  rigeat  mentida  cUgna  manu, 

Cypressenstamme  wurden  zum  Bau  der  phönizischen  Handelsschiffe 
allen  übrigen  vorgezogen;  wie  schon  die  Arche  No&h  aus  Cypressen- 
kolz  bestanden  haben  sollte,  so  baute  noch  Alexander  der  Grosse 
seine  Euphratflotte  aus  diesem  edlen  Material,  das  er  zum  Theil  quer 
über  Land  in  fertig  gezimmerten  Stücken  aus  Phönizien  und  Cypem 
bezog  (Strab.  16,  1,  11  und  Arr.  7,  19,  3),  so  wie  Antigonus  zu  der 
seinigen  im  Kriege  gegen  die  wider  ihn  verbündeten  Mitfeldherren 
die  prachtvollen  Cedem  und  Cypressen  des  Libanon  fallen  liess 
(Diod«  19,  58).  Das  Cypressenholz  wurde  zu  kostbaren  Kisten,  zu 
Thüren  der  Tempel,  z.  B.  zu  denen  des  ephesischen  Dianentempels 
(Theophr.  h.  pl.  5,  4,  2)  u.  s.  w.  verarbeitet;  es  war  im  Bezirk  des 
delphischen  Tempels  bei  dem  fiiXa&gov  verwendet  worden,  in  welchem 
Arkesilas  den  Wagen  weihte,  mit  dem  er  in  den  pythischen  Spielen 
gesiegt  hatte  (Pind.  Pyth.  5,  51);  es  diente  zu  Särgen  Verstorbener, 
denen  es  eine  lange  Dauer  versprach.  Als  z.  B.  in  Athen  zu  An- 
fang des  peloponnesischen  Krieges  jene  öffentliche  Bestattung  der  für 
das  Vaterland  Gefallenen  gefeiert  ward,  bei  welcher  Perikles  seine 
berühmte  Rede  zur  Verherrlichung  Athens  hielt,  da  umschlossen 
Schreine  aus  Cypressenholz,  XocQvuxeg  xvnaQlooivai^  je  einer  für  jede 
Phyle,  die  in  die  Erde  zu  bergenden  Gebeine  (Thuc.  2,  34).  Auf 
dem  schon  erwähnten  prachtvollen  Getreideschiff  Hiero  des  zweiten 
von  Syrakus,  diesem  Great  Eastem  des  Alterthums,  dessen  Bau 
Archimedes  als  Ober-Ingenieur  leitete,    bestanden  Wände  und  Dach 

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230  ^^^  Cypresse. 

des  Aphrodisiums  aus  Cypressenliolz,  die  Thür  aus  Elfenbein  und 
Thujaholz.  Besonders  aber  zu  Idolen  der  Götter  —  und  deren  waren 
in  grossen  und  kleinen  Heiligthümem  eine  Unzahl  über  ganz  Griechen- 
land zerstreut  —  wurde  gern  duftendes,  der  Zeit  und  den  Würmern 
widerstehendes  Cypressenholz  genommen:  wie  man  sich  das  Scepter 
des  Zeus  aus  diesem  Holz  bestehend  dachte  (Diog.  Laert.  8,  1,  8  (10), 
Jambl.  de  vit.  Pyth.  155),  so  schien  es  auch  für  §6ava  d.  h.  hölzerne 
Götterbilder  (neben  Eben-,  Cedem-,  Eichen-,  Taxus-  und  Lotosholz, 
Pausan.  8, 17, 2.  Theophr.  h.  pl.  5,  3,  7)  ein  besonders  würdiger  Stoff. 
Der  komische  Dichter  Hermippus,  der  im  Beginn  des  peloponnesischen 
Krieges  blühte,  nennt  in  einer  uns  erhaltenen  merkwürdigen  Stelle, 
die  den  Handel  des  mittelländischen  Meeres  in  parodischen  home- 
rischen Hexametern  schildert,  unter  den  Artikeln,  die  zur  See  nach 
Athen  kamen,  auch  kretisches  Cypressenholz  zu  Statuen  der 
Götter,  Meineke  Fr.  com.  gr.  2,  1,  p.  407: 

doch  aus  Kreta,  der  schonen,  Cypressen  zu  Bildern  der  Götter  — 
und  Xenophon  erzählt,  wie  er  nach  der  Rückkehr  aus  Asien  bei 
Olympia  einen  kleinen  Tempel  der  ephesischen  Artemis  und  darin 
das  Bild  der  Göttin  aus  Cypressenholz  gestiftet  habe  (Anab.  5,  3,  12). 
Auch  die  älteste  Athletenstatue,  die  Pausanias  in  Olympia  sah,  die 
des  Aegineten  Praxidamas,  vor  OL  59  (c.  540  vor  Chr.),  bestand 
aus  Cypressenholz  und  hatte  sich  besser  erhalten,  als  eine  andere, 
etwas  spätere,  die  aus  Feigenholz  gearbeitet  war  (Paus.  6,  18,  7). 
Nicht  anders  in  Italien.  Plinius  spricht  von  einem  sehr  alten  Idol 
des  Vejovis  auf  der  arx  in  Rom,  das  aus  Cypressenholz  bestand 
(Plin.  16,  216),  und  Livius  erzählt,  wie  im  Jahre  207  vor  Chr.  zwei 
aus  diesem  Stoff  gearbeitete  Bilder  der  Juno  Regina  in  feierlicher 
Prozession  in  den  aventinischen  Tempel  der  Göttin  gebracht  wurden 
(Liv.  27,  37).  Was  vor  Zerstörung  durch  Würmer  und  Insekten  be- 
wahrt bleiben  sollte,  wurde  auch  bei  den  Römern  in  cypressene 
Kästchen  eingeschlossen  z.  B.  Manuscripte  bei  Horaz,  ad  Pis.  332: 
cannina  —  levi  servanda  cupresso. 

Kein  Wunder  nun,  dass  einen  religiös  so  hoch  verehrten  und 
technisch  so  nützlichen  Baum  die  Phönizier  und  Philister  schon  in 
ältester  Zeit  überall  verbreiteten,  wo  sie  sich  niederliessen  und  wo 
das  Klima  es  erlaubte.  In  Kreta,  dieser  frühe  semitischen  Insel,  ge- 
dieh die  Cypresse  so  mächtig  und  stieg  so  hoch  die  Gebirge  hinan 
(Theophr.  h.  pL  4,  1,  3),  dass  diese  Insel  für  das  ursprüngliche 
Vaterland  derselben  gehalten  werden  konnte,  Plin.  16, 141 :  kuic  patria 
itmUa  Creta.    Der  homerische  Schiffskatalog  kennt  bereits  anf  dem 

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Die  Cjpresse.  231 

griechischen  Fesilande  zwei  nach  der  Cypresse  benannte  Oertlichkeiten, 
die  eine  in  Phocis  anf  dem  Pamass,  B.  2,  519: 

Die  Eyparissos  umher  uod  die  felsige  Pjtho  bewohnteo, 
die  andere  in  Triphylien,  im  Gebiet  des  Nestor,  IL  2,  593: 

Auch  die  KyparisseTs  und  Amphigeoeia  bestellten. 
Auch  an  der  lakonischen  Küste,  einem  frühen  Schauplatz  phöuizischer 
Einwirkungen,  lag  eine  Hafenstadt  KvnaQiaaia^  wie  denselben  oder 
einen  ähnlichen  Namen  auch  eine  messenische  Ortschaft  trug;  in 
beiden  Städten  ward  eine  ^uid^rjvS  KvnaQiaaia  verehrt,  in  der  wir 
eine  griechisch  benannte  semitische  Gottheit  vermuthen  dürfen. 
Wandert  man  an  der  Hand  des  Pausanias  durch  das  spätere  Griechen- 
land, so  trifft  man  hin  und  wieder  auf  Cypressenhaine,  in  denen, 
was  wohl  zu  beachten  ist,  meist  Dämonen  asiatischer  Herkunft  ver- 
ehrt werden,  so  auf  der  Burg  von  Phlius  die  Ganymeda,  eine  dem 
Dionysos  wesensverwandte,  in  keinem  Bilde  verehrte  Göttin,  sonst 
auch  Dia  genannt  (Strab.  8,  6,  24),  die  Löserin  der  Bande,  an  deren 
Cypressen  befreite  Gefangene  ihre  Fesseln  aufhingen  (Paus.  2, 13,  3), 
oder  im  Kraneion,  einem  Cypressenhain  bei  Korinth,  die  Heiligthümer 
des  Bellerophontes  und  der  Aphrodite  Melainis  (Paus.  2,  2,  4),  oder 
die  himmelhohen  Cypressen  von  Psophis  in  Arkadien,  die  am  Grabe 
des  Alcmäon  standen  und  von  den  Einwohnern  Jungfrauen  ge- 
heissen  und  nicht  angetastet  wurden  (Paus.  8,  24)^^).  Dass  die 
Cypresse  aus  semitischen  Landen  nach  Griechenland  eingewandert 
war,  wird  schon  durch  den  Namen  xvnoQiaaog  (im  älteren  Hebräisch 
gofer,  1.  Mos.  6,  14)  ausser  Zweifel  gesetzt.  Vielleicht  bildete,  wie 
so  oft,  die  Insel  Kreta  dabei  eine  Zwischenstation:  darauf  deutet 
wenigstens  eine  von  Serv.  ad  Aen.  3,  680  aufbehaltene  Version  des 
Mythus  von  der  Verwandlung  des  Kyparissos  in  einen  Cypressen- 
baom:  danach  war  dieser  Jüngling  ein  Eretenser,  wurde  von  Apollo 
oder  vom  Zephyr  geliebt,  flüchtete,  um  seine  Keuschheit  zu  bewahren, 
zum  Flusse  Orontes  und  zum  mons  Castus  (woselbst  Baal  als 
Himmelsgott  thronte,  ein  alter  den  Aramäem  und  Philistäem  ge- 
meinsamer Kultus)  und  wurde  dort  in  den  nach  ihm  benannten 
Baum  verwandelt.  Was  die  Zeit  dieser  Einführung  betrifFk,  so  kennt 
die  Bias,  oder  wenigstens  das  Stück  derselben,  welches  unter  dem 
N^amen  xcetaXoyog  %civ  vetSv  ein  abgesondertes  Ganze  bildet,  bereits, 
wie  so  eben  erwähnt,  zwei  nach  der  Cypresse  benannte  griechische 
Städte,  deren  Griündung  also  das  Dasein  des  Baumes  schon  voraus- 
setzt.   In  der  Odyssee  und  zwar  dem  ältesten,  ächtesten  Kern  der- 

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232  '  Die  Cypresse. 

selben,  wächst  der  duftende  Cypressenbaum  schon  in  dem  Park  um 
die  Höhle  der  Kalypso,  5,  63: 

Ringsher  breitete  sich  MschgrQnender  Wald  um  die  Grotte, 
Eller  und  Pappel  und  auch  die  balsamreiche  Cypresse  — 
und  in  dem  zweiten  Theil  der  Odyssee,  der  auf  Ithaka  spielt,  er- 
scheint das  Cypressenholz  wenigstens  als  Baumaterial,  entweder  ein- 
geführt oder  an  Ort  und  Stelle  gewonnen]:  Odysseus  lehnt  sich,  in 
Bettlergestalt  auf  der  Schwelle  seines  Palastes  sitzend^  an  die  Thür- 
pfosten  aus  Cypressenholz,  die  der  Zimmermann  einst  kundig  geglättet 
und  nach  dem  Richtmass  gefilgt  hatte  (17,  340).  In  dem  be- 
schränkteren Kreise  des  Hesiodus  ist  von  der  Cypresse  nirgends  die 
Rede. 

Da  die  Cypresse  kein  Fruchtbaum  ist  (Schwätzer  wurden  gern 
mit  den  fruchtlosen  Cypressen  verglichen),  und  da  ihre  religiöse  Be- 
deutung bei  den  Griechen  keine  sehr  ausgebreitete  war,  so  fällt  ihre 
Versetzung  nach  Italien  schwerlich  in  die  Zeit  der  ersten  Colonisation. 
Zwar  spricht  Plinius  (16,  236)  von  einer  Cypresse  im  Yolcanal  in 
Rom,  die  zu  Ende  der  Regierungszeit  Neros  zusammenbrach  und 
eben  so  alt  wie  die  Stadt  gewesen  sein  sollte,  aber  wer  besass  da- 
mals die  Mittel,  jenes  Alter  zu  berechnen?  Glaublicher  sagt  derselbe 
Schriftsteller  an  einer  anderen  Stelle,  die  Cypresse  sei  ein  in  Italien 
fremder  Baum,  dessen  Acclimatisation  schwierig  gewesen,  daher  auch 
Cato  so  umständlich  über  ihn  handle,  16,  139:  cupresstts  advena  et 
difßciUime  nascentium  fuit^  ut  de  qua  verbosius  saepiusque  quam  de 
Omnibus  aliü  prodiderit  Cato.  In  Theokrits  Idyllen,  die  auf  dem 
wärmeren  Boden  Siciliens  spielen,  ist  ein  Jahrhundert  vor  Cato  die 
Cypresse  schon  ein  öfters  erwähnter  und  gepriesener  Baum,  z.  B. 
11, 45,  wo  der  verliebte  Polyphemos  die  Galatea  in  seine  Höhle 
lockt,  die  von  Lorbeeren  und  schlanken  Cypressen,  ^adivai  xv- 
naqiaaoi^  umwachsen  ist  Von  Sicilien  scheint  der  Baum  über  Tarent 
ins  innere  Italien  gelangt  zu  sein,  wie  aus  Catos  Bezeichnung  tar en- 
tin ische  Cypresse  (151,  2)  hervorgeht,  Plin.  16,  141:  Cato  Taren- 
ünam  eam  appeUat^  credo  quod  primum  eo  venerit.  Dies  wird  in  der 
Zeit  nach  Unterwerfung  Tarents  geschehen  sein,  wo  der  hellenisirende 
Einfluss  der  Stadt  auf  das  neue  römische  Gebiet  mächtig  war,  und 
wo  zugleich  der  Geschmack  an  Villen,  Parks,  Grabmälem,  die  Freude 
an  der  Schönheit  der  Bäume  als  solcher  den  Römern  allmählig  auf- 
zugehen begann.  Dass  auch  der  Nutzen,  den  die  Cypresse  als  bei 
Tischlern  und  Schnitzlern  im  Preise  stehendes  Holz  brachte,  dem 
praktischen  Volke   bald  einleuchtete,   erhellt  aus  der  Nachricht  des 

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Die  Cypresse.  233 

Plinias,  die  Alten  hätten  eine  Cypressenpflanzung  die  Aussteuer 
far  die  Tochter  zu  nennen  gepflegt,  16,  141:  quaestümssima  in  satus 
ratione  sika  volgoque  dotem  JUiae  antiqui  plantaria  appeüabant:  man 
pflanzte  die  Bäume  etwa  bei  Geburt  einer  Tochter  und  mit  ihr  wuchsen 
sie  in  die  Hohe,  als  lebendiges  Kapital,  zugleich  ihr  Bild  und  Gleich- 
niss^**).  Auch  um  die  Grenzen  des  fundus  zu  bezeichnen,  wurden 
ausser  anderen  Bäumen  Reihen  von  Cy pressen  gepflanzt  (Varro  1, 15, 
der  aber  zu  diesem  Zweck  die  Ulmen  vorzieht).  Als  dann  das  rö- 
mische Reich  Afrika  und  Asien  umfasste,  verbreitete  sich  auch  die 
döstere  immergrüne  Cypresse  in  orientalischer  Weise  als  Sjrmbol  der 
chthonischen  Gottheiten  (Plin.  16, 139:  Diti  sacra  et  ideo  ßinebri  signo 
ad  dornus  posita\  zunächst  natürlich  bei  den  Vornehmen,  die  sich 
bald  die  mystische  Zeichensprache  des  Morgenlandes  aneigneten, 
Lucan.  3,  442: 

Et  tum  phbefos  luctus  testata  cupressua* 
Bei  den  Dichtem  des  augusteischen  Zeitalters  ist  die  Cypresse 
als  Baum  der  Trauer,  mit  dessen  Zweigen  Leichenaltar  und  Scheiter- 
liaiifen  besteckt  werden  und  der  gern  in  Gegensatz  zum  Genuss  der 
heiteren  Gegenwart  gestellt  wird,  schon  gewöhnlich,  z.  B.  Horaz 
Od,  2, 14,22: 

neqw  harunty  quas  colüy  arborum 

Te  praeter  invisaa  cupressos 

ÜUa  brevem  dominum  sequetur  — 

oder  Ovid.  Trist.  3,  13,21: 

Funeris  ara  mihi  ferali  cincta  cupreseo 
Convenü  et  structis  flamma  parata  rogis. 
Bei  Vergil  errichtet  Aeneas  dem  Polydorus  einen  Altar  mit  schwarzen 
Binden  und  Cypressenzweigen  umwunden,  Aen.  3,  64: 

etarU  manibus  arae^ 
Ccteruleis  maeetae  viUis  atraque  cupresso  — 

wie  auch  am  Scheiterhaufen  des  Misenus  Cypressen  angebracht  sind^ 
6,  215: 

Ingentem  stnixere  pyram:  cui  frondibus  atris 

Intexunt  latera  et  feralie  ante  cupressos 

Constituunt  decorantque  super  fülgentibus  armis. 

Seit  jener  Zeit  ist  der  herrliche  Baum,  der  neben  der  Pinie  die  eigent- 
liche Charaktergestalt  der  südeuropäischen  Landschaft  bildet,  in 
Italien  eingebürgert.  Wo  die  Cypresse  beginnt,  da  beginnt  das  Reich 
der  Formen,  der  ideale  Stil,  da  ist  klassischer  Boden.  Eigentliche 
Gypressenhaine,   cupresseta^   sind   in  Italien  indess  nicht  zu   finden: 

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234  I>ie  Platane. 

die  Cypresse  steht  meist  einsam  oder  in  kleinen  Grappen,  oder  sie 
zieht  in  eben  so  düsterer  als  anmathiger  Säidenreihe  dahin.  Wie 
in  der  Ebene  von  Neapel  der  Blick  besonders  häa%  auf  Pinien 
fallt,  so  im  Amothal  auf  Cypressen.  üeber  die  Alpen  geht  der 
Baum  nicht  hinaus.  So  mächtig  und  schlank  übrigens  einzelne 
Exemplare  hin  und  wieder  in  Italien  erscheinen  mögen,  z.  B.  in  der 
Yilla  Este  bei  Tivoli,  der  Baum  erreicht  in  diesem  fremden  Lande 
doch  nicht  die  Majestät,  wie  im  Orient,  wo  nach  Ritters  Worten 
„balsamisch  duftende,  ewig  grüne,  unvergängliche  Haine  solcher 
Pyramidengestalten"  über  die  weissen  Gräber  der  Gläubigen  ihre 
schimmernde  lichte  Dämmerung  verbreiten,  z.  B.  in  Scutari  bei  Eon- 
stantinopel  oder  noch  schöner  in  Smyma  oder  Brussa,  und  im  An- 
gesicht des  Todes  doch  das  Gefühl  des  ewig  sich  erneuenden,  empor- 
strebenden, unerschöpflichen  Lebens  erwecken. 

Eine  Abart  der  pyramidalen  Cypresse,  cupressus  horizontaliSy  mit 
nicht  aufstrebenden,  sondern  sich  seitwärts  ausbreitenden  Zweigen  ist 
in  Italien  und  Griechenland  selten,  in  den  wärmeren  Oertlichkeiten 
von  Eleinasien  häufiger.  Ein  herrliches  Exemplar  dieser  Spezies, 
die  Cypresse  des  heil.  Elias,  findet  sich  in  dem  Prachtwerk|:  die  Lisd 
Bhodus  von  A.  Berg,  Braunschweig  1862,  Beschreibender  Theü 
S.  146,  abgebildet 


Platane. 

(platanm  orientalis  L.) 

Der  Ruhm  des  Platanenbaumes  erfüllt  das  ganze  Alterthom, 
das  Morgenland  vn^  das  Abendland,  xmd  klingt  noch  heute  aus 
den  Berichten  älterer  und  neuerer  Reisenden  wieder.  Was  kann  in 
den  dürren  Felsenlabyrinthen  südlicher  Sonnenländer  erwünschter 
sein,  ja  mehr  zu  Andacht  und  Bewunderung  stimmen,  als  der  Baum, 
der  mit  herrlichem  hellem  Laube  an  grünlich-grauem  Stamme,  mit 
schwebenden,  breiten,  tiefausgezackten  Blättern  murmelnde  Quellen 
und  Bäche  beschattet  und  noch  heute  den  Ankömmling  empfangt, 
wie  er  vor  Jahrhunderten  die  Vorältem  empfangen  und  mit  Kühlung 
erquickt  hat?  Welche  Aussicht  ist  köstlicher,  als  die  von  verbrannten 
Bergzinnen  auf  eine  Platanengruppe  tief  unten,  die  Verkündigerin 
eines  Quells  im  feuchten  Thalgrunde,   wo  der  Wanderer  losbinden, 

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Die  Platene.  235 

sein  Thier  tränken^  seinen  eigenen  Durst  stillen  und  im  Schatten 
aosnüien  kann?  Mit  welchem  Entzücken  beschreibt  der  platonische 
Socrates  jene  Platane  in  der  Nähe  Athens,  unter  der  er  sich  mit 
Phädros  zum  Gespräch  lagert,  das  eiskalte  Wässerlein  an  ihrem 
Foss,  den  Blutenduft  von  oben,  die  wehende  Kühlung,  den  Chor  der 
Gicaden,  den  weichen  Rasen  —  in  Worten  von  so  süsser  Fülle,  dass 
das  gekünstelte  rhetorische  Compliment,  dass  ihnen  später  Cicero 
machte,  uns  recht  abgeschmackt  erscheint,  de  orat.  1,  7:  illa  (pla- 
tanus),  cujus  umbram  secutus  est  Socrates^  quae  mihi  videtur  non  tarn 
tpsa  aquula  quae  describitur,  quam  Piatonis  oratione  crevisse,  Klein- 
asien und  die  griechische  Halbinsel,  sonst  von  Menschenhand  so 
schmählich  yerwüstet,  weisen  doch  noch  immer  einzelne  Platanen  von 
ri^enhafter  Grösse  und  hohem  Alter  auf.  Weit  und  breit  berühmt 
ist  die  ungeheuere  Platane  von  Yostizza,  dem  alten  Aigion  in  Achaja, 
deren  Stamm,  eine  EUe  vom  Boden,  über  vierzig  Fuss  im  Umfange 
misst;  der  Baum  hat  noch  seine  vollständige  Krone  und  „würde 
vielleicht  noch  Jahrhunderte  leben,  wenn  man  nicht  während  der 
Revolution  den  unten  zum  Theil  hohlen  Stamm  zur  Küche  benutzt 
und  ihn  bei  dieser  Gelegenheit  angezündet  hätte,  so  dass  das  Feuer 
bis  oben  hinaus  brannte**  (Fürst  Pückler,  Südöstlicher  Bildersaal,  2, 
127).  Jeder,  der  Konstantinopel  besucht  hat,  kennt  die  Platanen 
von  Bajukdere,  genannt  die  sieben  Brüder,  aneinander  gewachsen, 
durch  Alter  und  die  Feuer  der  Hirten  ausgehöhlt,  aber  noch  immer 
majestätisch  und  herrlich.  Stackeiberg  (der  Apollotempel  von  Bassä, 
S.  14.  Anm.)  sah  in  der  Nähe  des  Tempels  eine  Platane,  deren 
Stamm  einen  Umfang  von  48  Fuss  hatte,  während  die  in  demselben 
befindliche  Höhlung  einem  Schäfer  für  seine  ganze  Heerde  als  Hürde 
diente.  Der  Verfasser  von  „Morgenland  und  Abendland"  belichtet 
(2,  S.  131  der  zweiten  Aufl.)  von  Stanchio  auf  der  Insel  Cos:  „Vor 
der  Moschee  steht  eine  Platane,  uralt  und  herrlich,  dreissig  Fuss  im 
umfang,  und  ringsum  gestützt  und  getragen  von  antiken  Marmor- 
ond  Granitsäulen,  denen  man  keine  schönere  Ruhestätte  anweisen 
könnte."  Von  demselben  Baume  sagt  der  Fürst  Pückler,  die  Rück- 
kehr, 3,  164:  „Mein  erster  Gang  am  folgenden  Tage  war  nach  der 
berühmten  Platane,  die  für  den  kolossalsten  Baum  dieser  Gattung 
im  Orient  gilt.  Der  Umfang  ihres  Stammes  misst  zwar  nur  fünf- 
imddreissig  Fuss,  aber  ihre  Aeste  beschatten  den  ganzen  kleinen 
Marktplatz  von  Stanchio.  Sie  werden  von  Marmorsäulen  gestützt, 
die  man  früher  aus  dem  Tempel  Aesculaps  entnommen  hat,  und  die 
jetzt  an  ihrer  Spitze  meist  schon  von  der  Rinde  der  ungeheuren  Aeste 

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236  Die  Platane. 

wie  mit  einer  dicken  Wukt  überwachsen  sind  und  sich  so  völlig  mit 
ihnen  amalgamirt  haben.  Zwei  Sarkophage  am  Fasse  des  Banmes 
dienen  als  Wasserbehälter.^  Bei  dem  in  der  arkadischen  Gebirgs- 
wildniss  liegenden  Höhlenkloster  Megaspeläon  steht  die  Platane,  im 
der  der  heilige  Lucas  das  wunderthätige  Bild  der  Mutter  Gottes 
malte:  „ihr  hohler  aber  frischer  Stamm  umschliesst  die  Eiipelle  der 
Panagia  Plataniotissa,  die  so  geräumig  ist,  dass  zehn  Menschen  darin 
Platz  haben"  (Ulrichs,  Reisen  und  Forschungen  in  Griechenland,  1,51 ;  s. 
auchRoss,  Königsreisen,  1, 169  flF.).  NachDodwell,  A  classical  and  topo- 
graphical  tour  through  Greece,  1,  121,  sind  noch  jetzt  die  Bazars  oder 
Marktplätze  der  meisten  griechischen  Städte  von  Platanen  beschattet, 
ganz  wie  einst  die  Agora  von  Athen  durch  Cimon  mit  Bäumen  derselben 
Gattung  bepflanzt  worden  war  (Plut.  Cim.  13,  11).  Schon  die  Alten 
bewunderten  einzelne  alte,  besonders  umfangreiche  und  ehrwürdige 
Exemplare.  So  erzählt  Theophrast,  h.  pl.  1,  7,  1,  von  einer  Platane 
in  der  Nähe  der  Wasserleitung  im  Lyceum  bei  Athen,  die,  obgleich 
sie  noch  jung  war,  doch  schon  Wurzeln  von  drei  und  dreissig  Ellen 
Länge  getrieben  hatte.  Auch  Pausanias  weiss  auf  seiner  Wanderung 
hin  und  wieder  von  gewaltigen,  an  die  Fabelwelt  geknüpften  Indivi- 
duen dieser  Bäume  zu  berichten.  So  sah  er  bei  Pharä  in  Achaja 
am  Flusse  Pieros  Platanen  von  solcher  Grösse,  dass  man  in  der 
Höhlung  der  Stämme  einen  Schmaus  halten  und  nach  Belieben  aacli 
darin  schlafen  konnte  (7,  22,  1),  und  bei  Kaphyä  in  Arkadien  die 
hohe  und  herrliche  Menelals  d.  h.  die  Platane  des  Menelaus,  die 
dieser  Held  selbst,  wie  die  Umwohner  sagten,  vor  der  Abfahrt  nach 
Troja  an  der  Quelle  gepflanzt  hatte  (8,  23,  3).  Nach  Theophrast, 
h.  pl.  4,  13,  2,  war  der  Baum  von  Kaphyä  •vielmehr  von  Agamemnon 
gepflanzt  worden,  auf  den  auch  die  Platane  am  kastalischen  Quell 
in  Delphi  zurückgeführt  wurde.  Nimmt  man  dazu  die  Platane  der 
Helena  bei  Theokrit  18,  43  ff.,  so  sieht  man,  wie  die  Sage  diesen 
Baum,  der  als  Schatten-  und  Wonnebaum  immer  den  Königen,  über- 
haupt den  Hohen  und  Reichen  gehörte,  gern  mit  den  Pelopiden,  als 
dem  eigentlichen  Herrschergeschlechte,  in  Verbindung  brachte.  Als 
unter  ihrer  Führung  die  Helden  in  Aulis  sich  zur  Abfahrt  rüsteten, 
da  brachten  sie  am  Quell  unter  einer  Platane  das  Opfer,  D.  2,  307: 

unter  der  schonen  Platane,  wo  blinkendes  Wasser  hervorquoll, 
und    dort   ward   ihnen   in   den  Zweigen    des   Baumes    das  Zeichen, 
welches  Kalchas  auf  zehnjährige  Dauer  des  Zuges  deutete.    Griechen- 
land hatte  den  Baum  und  die  Freude  an  ihm  (sie  drückt  sich  in  dem 
Adjectiv  schön,  xaA^,  aus)  aus  Asien  überkommen,  wo  die  Platane, 

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Die  Platane.  237 

wie  die  Gypresse,  von  Alters  her  bei  den  baamliebenden  Iraniem 
and  den  vorder-iranischen  Stämmen  Eleinasiens  in  religiöser  Verehrang 
stand.  Bekannt  ist  die  schöne  £pisode  im  Eriegszage  des  Xerzes 
gegen  Hellas,  die  uns  Herodot  7,  31  und  Aelian  Y.  H.  2,  14,  auf- 
bewahrt haben :  der  König  kam  auf  dem  Wege  nach  Sardis  in  Lydien 
m  einer  Platane,  deren  Schönheit  sein  Gemüth  so  ergriff,  dass  er 
sie,  wie  ein  Liebender  die  Geliebte,  beschenkte,  ihre  Zweige  mit 
Goldketten  and  Armbändern  umwand  und  einen  immerwährenden 
Wächter  für  sie  bestellte.  Hamilton,  Reisen  in  Eleinasien,  deutsche 
üebersetzuDg  1,  470,  zog  ganz  in  derselben  Gegend  an  dem  halb- 
Terrotteten  Stamme  einer  der  riesigsten  Platanen  vorüber,  die  er 
jemals  gesehen,  und  deutet  an,  es  könne  vielleicht  noch  die  nämliche 
sein,  die  einst  von  Xerxes  bewundert  wurde.  In  derselben  Land- 
schaft wurde  auch  die  hohe  Platane  des  Marsyas  gezeigt,  an  der  der 
Gott  Apollo  seinen  unglücklichen  Gegner  aufgeknüpft  hatte,  Plin.  16, 
240:  regionem  Aulocrenen  diaimtUy  per  gtuim  ab  Apamia  in  Phrygiam 
iiur;  ibi  platanus  ostenditur^  ex  qua  pependerit  Marsyas  victus  ab 
ApolUney  quae  jam  tum  magnitudine  electa  est  Einen  der  grössten 
Bäume  der  Art  beschreibt  derselbe  Plinus  12,  9  als  in  Lykien  befind- 
Kch,  wo  er  ohne  Zweifel  gleichfalls  durch  den  Mythus  geheiligt  war: 
er  stand,  wie  immer,  an  einer  Quelle,  fonUs  gelidi  socia  amoenitate^ 
und  die  Weite  seiner  Höhlung  betrug  81  Fuss,  obgleich  die  Krone 
noch  so  kräftig  grünte,  dass  sie  ein  breites  undurchdringliches 
Schattendach  bildete;  der  Consul  Licinius  Mutianus,  als  er  in  dieser 
Platane  mit  achtzehn  Gästen  gespeist  und  nach  dem  Schmause  geruht, 
gestand,  dass  sie  ihm  eine  schönere  Umgebung  gewährt  habe,  als 
die  gold-  und  bildgeschmückten  Marmorsäle  Roms  bieten  konnten. 
Bei  Homer  erscheint  die  Platane  nur  an  der  einen  so  eben  erwähnten 
Stelle,  die  möglicher  Weise  jüngeren  Datums  ist;  wenigstens  dem 
Dichter  der  herrlichen  Stelle  Od.  17,  204  ff.,  wo  der  pappelbeschattete 
Quell  in  der  Nähe  der  Stadt  Ithaka  beschrieben  wird,  kann  der 
Baum  schwerlich  bekannt  gewesen  sein.  Nach  Homer  findet  sich 
zuerst  wieder  bei  Theognis  ein  Platanenhain  in  Lakonien  erwähnt 
(unter  der  Form  nXaxaviaxovg)  und  auch  dieser  Hain  stand  an  einem 
kalten  Wasser,  mit  dem  ein  Winzer  seine  Reben  tränkte  (v.  879 — 884). 
Die  Phönizier  hatten  die  Platane  nicht  nach  Griechenland  gebracht, 
denn  sie  ist  kein  semitischer  Baum;  zwar  stand  bei  Gortyn  auf  Kreta 
die  angeblich  immergrüne  Platane,  unter  welcher  Zeus  mit  der  Europa 
ach  vermählt  hatte  (Theophr.  h.  pl.  1,  9,  5),  allein  in  dem  Europa- 
dienst von  Gortyn  muss  das  phönizische  Element  mit  lykisch-karischem 

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238  I>ie  Platane. 

sich  durchdrungen  haben  (Movere,  2,  2,  S.  80).  Denn  auch  den 
Karem  war  die  Platane,  wie  den  Lykiem,  ein  heiliger  Baum:  nach 
Herodot  5,  119  stand  bei  Labraynda  ein  ausgedehnter,  dem  ein- 
heimischen Zeus  Stratios  geweihter  Platanenhain,  in  dessen  Schutz 
sich  die  von  den  Persem  geschlagenen  Karer  zurückzogen  (ein 
iranischer  Zug  in  dem  sonst  semitischen  Charakter  der  karischen 
Religion).  Als  eigentliches  Heimatland  der  Platane  möchten  nach 
Grisebach,  Vegetation  der  Erde,  1,  310,  die  Gebirge  der  vorder- 
asiatischen Steppen  gelten  dürfen,  wo  die  Platane  am  Taurus  bis 
über  5000  Fuss  ansteigt.  Dass  die  Griechen  den  Baum  nicht  aus  se- 
mitischem, sondern  aus  phrygisch-lykischem  oder  überhaupt  iranischem 
Kulturkreise  empfangen  hatten,  beweist  auch  der  Name  desselben 
(jiXaxavLoto^  bei  Homer  und  Theognis  und  Herodot,  nXazavoq  bei 
den  Attikern):  an  phönizischen  Ueberlieferungen  haftete  auch  der 
phönizische  Name;  nXaxaviatog  aber  —  der  breitblatterige  oder 
weitschattende  Baum  —  ist  entweder  innerhalb  der  griechischen 
Sprache  selbst  gebildet  worden  {ulazvg  breit  u.  s.  w.)  oder,  was 
uns  wahrscheinlicher  ist,  lautete  schon  in  dem  verwandten  iranischen 
Idiom  ähnlich  (zendisch  fraih  ausbreiten,  pei^ethu  breit,  von  der 
Wohnung,  den  Wolken,  der  Erde,  Justi  Handbuch  S.  191.  Die 
spätem  persischen  Namen  des  Baumes,  dfulh^  dtdbar  und  tscfdnch'y 
tachandl  sind  auch  in  die  neueren  semitischen  Sprachen  übergegangen, 
die  sich  also  darin  von  iranischer  Kultur  abhängig  zeigen,  P.  de 
Lagarde,  Ges.  Abhandlungen  S.  31).  Eine  schöne  Abbildung  der 
orientalischen  Platane  findet  sich  in  der  Ausgabe  des  Marco  Polo 
von  H.  Yule,  London  1871,  1,  120. 

üeber  die  Verbreitung  des  Platanenbaums  weiter  in  den  euro- 
päischen Westen  haben  wir  ein  gewichtiges  Zeugniss  des  Theophrast, 
h.  pl.  4,  5,  6:  „In  den  Landschaften  um  das  adriatische  Meer  soll 
die  Platane  nicht  vorkommen,  ausser  um  das  Heiligthum  des  Dio- 
medes  (i  h.  auf  der  Diomedes -Insel,  einer  der  jetzt  sogenannten 
Tremiti-Inseln,  nordlich  vom  Garganos- Vorgebirge),  in  Italien  soll 
sie  selten  sein,  obgleich  es  dem  Lande  an  grösseren  Gewässern  nicht 
fehlt;  diejenigen  Platanen  wenigstens,  die  der  ältere  Dionysius  in 
Bhegium  in  seinen  Baumgarten  gepflanzt  hatte  und  die  jetzt  im 
Gymnasium  stehen, "wollen  trotz  aller  Pflege  nicht  recht  gedeihen.* 
Diese  Nachricht  wiederholt  Plinius  12,  6,  erweitert  sie  aber,  wir 
wissen  nicht  ob  aus  andern  Quellen  oder  bloss  durch  Interpretation 
der  ihm  vorliegenden  Stelle  des  Theophrast,  dahin,  dass  der  Baum 
zuerst  ins  adriatische  Meer  nach  dem  Grabe  des  Diomedes  auf  der 

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Die  Platane.  239 

nach  diesem  Helden  benannten  Insel,  dann  nach  Sicilien  nnd  früh- 
zeitig, inter  prinuzs^  nach  Italien  gebracht  worden  sei  —  worauf  die 
Geschichte  von  der  Aopflanzung  des  Dionysius  in  Rhegium  folgt. 
Bei  den  romischen  Grossen  des  letzten  Jahrhunderts  der  Republik  ist 
Anpflanzung  von  Platanen  ein  vornehmer  Zeitvertreib,  gleich  den 
Fischteichen  nnd  andern  kostspieligen  Anlagen  in  YiUen  imd  Qärten« 
wahrend  geringe  Leute  natürlich  lieber  einen  Fruchtbaum  setzten^ 
der  etwas  tragen  und  einbringen  konnte.  Dass  es  den  Platanen  gut 
thue,  mit  Wein  statt  mit  Wasser  begossen  zu  werden,  war  ein  der 
reichen  Aristokratie  willkommener  Aberglaube^  da  er  dem  Hange 
nach  exclusivem  Luxus  entgegenkam.  Von  dem  berühmten  Redner 
Hortensius,  dem  Zeitgenossen  des  Cicero,  wird  berichtet  (Macrob. 
Sat.  3, 13,  3),  er  habe  einmal  bei  einer  Gerichtsverhandlung  den  Cicero 
gebeten,  mit  ihm  die  Reihe  im  Reden  zu  tauschen,  da  er  nothwendig 
anf  seine  YiUa  bei  Tusculum  müsse,  um  seine  Platane  eigenhändig 
mit  Wein  zu  begiessen.  Wie  einst  Menelaus  und  Agamemnon  und 
später  Dionysius  nnd  wie  die  persischen  Könige,  die  fjeydloi  ßaoilelg, 
so  pflanzte  auch  der  grosse  Cäsar  am  Guadalquivir  eine  Platane, 
Ton  der  wir  durch  einen  Hymnus  das  Martial  wissen:  ihr  Wachs- 
thom  war  in  den  Augen  des  Dichters  ein  Sinnbild  der  unvergäng- 
lichen Herrlichkeit  des  Dictators  und  seines  Hauses,  9,  61: 

0  (Ulecta  deis,  o  magni  Caesaris  arbor^ 

Ne  metuas  ferrum  sacrüegosque  focos. 

Perpetuos  sperare  licet  tibi  frondis  honores: 

Non  Pompejanae  te  posuere  maniis, 

ha  dichten  Schatten  dieses  aristokratischen  Baumes  am  kühlen  Quell 
dem  Genüsse  der  Ruhe  und  des  Weines  sich  hingeben,  ist  auch  bei 
den  Dichtem,  den  Freunden  des  Hofes  Lieblingssitte.  Verg.  G. 
4,  146: 

Jamque  ministrantem  platanum  potantibus  umbram. 
Her.  Od.  2, 11,  13; 

Cur  non  mb  aUa  vd  platano  vd  hac 

Pinu  jacentes potamus  unctif 

Bei  Ovid,  Met.  10,  95,  heisst  die  Platane  genialis  d.  h.  ein  wonniger, 
der  Pflege  des  Genius  oder  dem  Lebensgenuss  dienender  Baum. 
Indess  regt  sich  in  acht  römischer  Weise  auch  wieder  das  Ge- 
wissen, den  heiligen  Boden,  die  fruchtspendende  Erde  durch  einen 
blossen  Schönheitsbaum,  der  keinen  Nutzen  brachte,  zu  entweihen  — 
etwa  wie  man  den  Kindern  verbietet,   mit  Brod   zu  spielen.    Daher 

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240  Die  Platane. 

die   Ausdrücke:  platanus    vidua^    sterüü^    caelebs^   z.   B.   Hör.   Od. 
2,  15: 

Jam  pauca  aratro  jugera  regiae 

Molen  retinquenty  undique  kUhis 

Externa  vieetUur  Lucrino 

Stagna  lacu  platanusque  caelehe 

Evmcet  ulmos  — 

welche  letztere  nämlich  Weinreben  za  tragen  geeignet  sind,  oder  die 
Klage  des  Nussbaumes  bei  Ovid,  Nuc.  17: 

At  poäquam  platanis  sterilem  praebentibus  umbramy 

Uberior  quavis  arbore  venu  hanoe: 

No8  quoque  frugiferae,  ei  nux  modo  ponor  in  tWt», 

Coepimus  in  patulae  luxuriare  comas, 
Plinius  drückt  dies  Gefühl  in  directen  Worten  aus,  12,  6:  quis  tum 
jure  miretur  arborem  ttmbrae  graUa  tantum  ex  alieno  pedtum  orbef 
Flatanus  —  jam  ad  Morinos  tisque  pervecta  ac  iribtUarium  etdam  de- 
tinens  solumy  ut  gentes  vecUgal  et  pro  wmbra  pendant  Dass  übrigens 
die  achte  Platane,  platanus  orientalü,  bei  den  Morinem  am  belgisch- 
firanzösischen  Seestrande  angepflanzt  worden  sei  and  daselbst  aas- 
gedauert  habe,  ist  nicht  glaublich:  es  wird  ein  ähnlicher  Schatten- 
baum gewesen  sein,  der  nordische  Ahorn,  acer  platanrndes^  von  Pli- 
nius selbst  16,  66  der  gallische  oder  weisse  Ahorn  genannt,  für 
welchen  Baum  eine  merkwürdige  gleichartige  Benennung  durch  die 
Sprachen  der  Kelten,  Germanen,  Slaven  und  —  Thraker  geht'*) 
Aus  noch  weiterer  Feme,  als  die  Platane  der  Alten,  und  auch  nur 
um  des  Schattens  willen  ist  der  gewöhnlichen  Meinung  nach  der 
amerikanische  Ahombaum,  platanus  occidentalisy  zu  uns  gebracht 
worden,  der  jetzt  in  Mitteleuropa  vielfach  zu  Baumgängen  verwandt 
wird;  Andere  wollen  in  ihm  nur  eine  Abart  der  orientalischen  finden. 
Nach  den  Beobachtungen  von  Theobald  Fischer,  Beiträge  150  ff, 
ist  indess  die  erstere  Annahme  bei  weitem  wahrscheinlicher. 


Die  Pinie. 

(pinits  pifua  L,) 

Die  Geschichte  des  Pinienbaumes  ist  aus  dem  Grunde  schwierig, 
weil  die  Alten,   wo  sie  der  zapfentragenden  Nadelbäume  erwähnen 

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Die  Pinie.  241 

die  Arten  derselben  nicht  strenge  zu  sondern  pflegen  und  also  der 
Deutung  und  Yermuthung  ein  freies  Feld  lassen.  Immerhin  können 
zwei  Gruppen  dieser  Bäume  mit  hinreichender  Sicherheit  unterschieden 
werden,  die  eine,  ikaTrj  genannt,  pinus  picea  Z/.,  die  andere  mit  dem 
Doppelnamen  nhvg  und  nevxr^y  unter  der  die  Pinie,  wo  sie  überhaupt 
?orkommt,  mitbegriffen  sein  muss.  Homer  kennt  schon  alle  drei  Be- 
oennangen;  iXätrj  ist  ihm  ein  hoher,  zum  Himmel  strebender  Baum, 
ovQovofirjxTjg^  negiin^xetog^  vxpi]Xijy  also  die  Tanne;  dass  er  aber 
anter  seiner  nixvg  die  Pinie,  pinus  pinea^  den  Baum  mit  dem  rei- 
zenden Schirmdach  und  den  essbaren,  mandelartigen  Früchten  ver- 
standen hat,  wie  Fraas,  Synopsis  p.  263,  annimmt,  geht  aus  den 
drei  oder  vielmehr  zwei  Stellen,  in  denen  das  Wort  vorkommt,  nicht 
hervor.  II.  13,  389  ff.  und  gleichlautend  16,  482  ff.  heisst  es  von 
dem  in  der  Schlacht  fallenden  Helden: 
Aber  er  stürzte  dahin,  wie  der  Eich  bäum  oder  die  Pappel 
Oder  die  Fichte,  die  schlanke  (ßhubpy])^  von  Zimmerern  hoch  im  Gebirge 
Mit  scbarfsch neidendem  Beile  gefallt  zum  Baue  des  Schiffes. 

Hier  führt  das  Prädikat  ßXtJx^Qogy  hochaufgeschossen,  und  die  Ver- 
bindung mit  Eiche  und  Silberpappel  weit  natürlicher  B^nipinus  Laricio 
oder  auch  auf  die  sonst  iXatr}  genannte  pinus  picea^  als  auf  den 
nüssetragenden  Pinienbaum,  wie  denn  auch  Odysseus,  Od.  6,  239, 
aof  der  Insel  der  Ealypso  sein  Schiff  aus  EUem^  Pappeln  und  Tannen, 
llitTi^  baut.  Ganz  ebenso  verhält  es  sich  mit  der  anderen  Stelle, 
Od.  9,  186  ff.,  wo  um  die  Höhle  desCyclopen  eine  Hürde  für  Schafe 
und  Ziegen  aus  Steinen  und 

Ans  langstammigen  (jjMxfi^iv)  Fichten  und  hochumwipfelten  Eichen  — 
gebaut  ist.  Tlixvg  und  nevxrj  sind  nur  verschiedene  Formen  desselben 
Wortes,  welchem  die  Bedeutung:  harzreicher  Baum,  Pechbaum  zu 
Grrande  zu  liegen  scheint  Je  nach  den  Landschaften  mag  bald  diese, 
bald  jene  Benennung  für  ein  und  dieselbe  Species,  oder  umgekehrt 
dieselbe  Benennung  für  verschiedene  Arten  im  Gebrauch  gewesen 
sein  —  Mne  denn  Theophrast  h.  pl.  3,  9, 4  ausdrücklich  sagt,  was  er 
^ivxTj  nenne,  heisse  bei  den  Arkadem  nizvg.  Standort,  Boden, 
Klima,  Altersstadium  brachten  gewiss  auch  damals  schon  Varietäten 
hervor.  Die  ausführliche  Darstellung  bei  Theophrast  (in  dem  so 
eben  angeführten  9.  Kapitel  des  drittenBuches  seiner  Pflanzengeschichte) 
ist  doch  nicht  bestimmt  genug,  um  in  unserem  Sinne  eine  feste  Syno- 
nymik der  Nadelhölzer  möglich  zu  machen.  In  der  dort  vorkommenden 
nUxTj  ij^egog,  die  mit  der  nevxrj  i}  xo)voq>6Qog^  2,  2,  6,  identisch  zu 
sein  scheint,   erkennt  man   die   Pinie,   da  jenes   Adjectiv   die   von 

Vkt.  Hehn,  KaUorpfl.ii.en.  16_  ^^  GoOglC 


242  I>ie  Pinie. 

Menschenhand  der  Früchte  oder  des  Schattens  wegen  gepflanzten, 
veredelten  Bäame  zu  bezeichnen  pflegt,  and  xwvoiy  Zapfen,  auch 
sonst  als  der  specifische  Ausdruck  für  die  essbare  Pinienfirucht  auf- 
tritt; aber  nichts  sagt  uns  zunächst,  ob  die  zahme  Kiefer  ihren 
wilden  Repräsentanten  in  den  griechischen  Bergen  hatte,  oder  ob  sie 
ein  fremder  Baum  und  im  letztem  Falle  wann  und  von  wo  sie  ein- 
geführt war.  Sehen  wir  auf  die  Namen  für  die  Nüsse  selbst,  so  ist 
uns  ein  solcher  angeblich  schon  aus  einem  Gedicht  des  Solon  auf- 
bewahrt: Phrynich.  p.  396,  ed.  Lob.  :  crt  yag  vvv  x&xxcciya  kiyovai 
oi  fioXkoi  6Qx>dfg.  xai  yaQ  26l(ov  kv  %6lq  noiijfiaai   ovro)  z^rar 

Koxxwvag  akXog,  azeQog  de  a^aafjia. 
Daraus  geht  nur  hervor,  dass  xoxxwveg^  die  bei  Solon  auch  Granat- 
kerne  oder  sonst  eine  Beere  bezeichnen  konnten,  in  der  spätesten  Zeit 
als  Pinienkeme  gedeutet  wurden.  Dasselbe  ist  der  Fall  mit  dem 
verwandten  Wort  xoxxakog  bei  Hippokrates,  von  welchem  Galenus, 
XV.  p.  848  Kühn,  erklärend  bemerkt,  es  sei  dasselbe,  was  sonst 
xürog  genannt  worden  sei,  bei  den  neueren  Aerzten  aber  atgoßdog 
heisse.  Dass  ein  ähnlicher  Ausdruck  in  späterer  Zeit  im  Munde  des 
Volkes  lebte,  beweist  auch  der  neugriechische  Name  für  die  Pinie 
xovxowaQtd,  Eine  frühere  Benennung  war  xcSvog,  eine  spätere  otgo- 
ßilog^  G^len.  XI  IT,  p.  10  Kühn:  ovg  vvv  anavTsg^EXlrivsg  ovofid^ovai 
OTQoßikovg^  %6  ndkai  de  nagd  toig  ^Aixtxoig  ixalovwo  xwvoi. 
In  der  attischen  Inschrift  bei  Böckh,  Staatshaushalt  2,  356  (der 
zweiten  Ausg.),  die  vielleicht  in  das  zweite  Jahrhundert  vor  Chr. 
gehört,  kommen  in  der  That  unter  anderem  Naschwerk  auch  xaivoi 
vor,  aber  ob  sie  in  Griechenland  gewachsen  oder  von  auswärts  ge- 
kommen waren,  wie  z.  B.  die  Datteln  und  die  ägyptischen  Bohnen, 
erfahren  wir  nicht  Pseudo-Herodot.  vit.  Hom.  20  sagt  von  der 
Pinienfrucht,  Einige  nennten  sie  azgoßiXog^  Andere  xüvog.  Die  Be- 
nennung azgoßtXog  tritt  zuerst  bei  Aristoteles  oder  bei  Theophrast 
auf  (Lobeck  zu  der  obigen  Stelle  des  Phrynichus).  Wenn  in  der  so 
eben  erwähnten  Inschrift  ausser  xwvoi  auch  nvgriveg  erwähnt  werden, 
so  deutet  Boeckh  die  ersteren  gewiss  richtig  als  Pignolen  mit  der 
Schale,  die  letztem  als  geschälte  (und  zugleich  gedörrte,  weil  sie  sich 
sonst  nicht  halten);  das  Wort  nvgi]v^  welches  in  älterer  Zeit  ganz 
allgemein  den  Kern  der  Früchte,  z.  B.  der  Weinbeere  oder  der 
Olive  (Herodot  2,  92),  bedeutet  hatte,  erfuhr  also  dieselbe  Entwickelang 
der  Bedeutung,  wie  xoxxiov^  xoxxakog,  xoxxog.  Eineji  andern  sonst 
nicht  vorkonmienden  und  von  der  Härte  der  Umhüllung  entnommenen 
Ausdruck  ooTgaxig  brauchte  der  athenische  Arzt  Mnesitheus,  wie  wir 

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Die  Pinie. 

au8  AtheD.  2.  p.  57  erfahren.  Dioskorides  im  ersten  Jahrhundert 
nach  Chr.  hat  die  abstractere  Benennung  niTvtg,  1,  87:  niwtdeg 
di  xaloTrrai  6  xagnog  twv  nttvov  xai  tijg  nsvxrjg  o  evQiaxo/iievog 
h  Toig  xiovoig  —  also  die  Kerne  selbst,  die  in  den  Nüssen  stecken. 
Halt  tkBXL  alle  diese  Zeugnisse  zusammen,  so  ergiebt  sich  als  Resultat, 
dass,  je  weiter  in  der  Zeit  hinab,  desto  deutlicher  die  Pinie  hervor- 
tritt, desto  bestimmter  allgemeine  Namen  auf  die  Pinienfrucht  sich 
&dren  und  desto  gewöhnlicher  die  letztere  als  Naschwerk  im  ge- 
meinen Leben  erscheint.  Bei  den  attischen  Komikern  geschieht  der 
Pignolen  keine  Erwähnung.  In  Sicilien  kennt  Theokrit  die  Pinien- 
nüsse bereits  als  beliebten  Leckerbissen:  5,  45  £P.  wird  ein  angenehmer 
Ruhesitz  beschrieben,  wo  Quellen  frischen  Wassers  sprudeln,  die 
Vogel  zwitschern,  die  Schatten  der  Bäume  Kühlung  verbreiten  und 
die  Pinie  von  oben  ihre  Nüsse  abwirft: 

ßaXXei  de  xal  a  nitvg  v\po9e  xcivoig  — 
(in  der  That  öffnet  der  Pinienzapfen,  nachdem  er  vier  Jahre  festver- 
schlossen am  Baume  gehangen,  von  selbst  die  Schuppen  und  lässt  dann 
die  Nüsse  herabfallen,  die  dann  nur  aufgeklopft  zu  werden  brauchen). 
Auf  dem  italienischen  Festland  treffen  wir  die  Pinie  auch  bei  Cato, 
der  die  Kerne  säen  lehrt,  48,  3:  ntices  pinecm  ad  eundem  modum^ 
msi  tanquam  alium  serito,  Plinius  15,  35  beginnt  seine  Aufzählung 
der  Banmfirüchte  schon  mit  vier  Sorten  essbarer  Zapfenkeme,  vier 
verschiedenen  Arten  Bäume  angehörig,  darunter  auch  die  picea  sativa 
and  der  Pinaster,  dessen  Nüsse  die  Tauriner  in  Honig  einkochten 
nnd  dann  aquicelos  nannten.  Wenn  der  jüngere  Plinius  in  seinem 
berühmten  zweiten  Briefe  an  Tacitus  den  aus  dem  Vesuv  aufsteigenden 
Rauch  mit  einer  pinas  vergleicht,  6,  20:  nubes  oriebatur^  cujus  simüi- 
iu^nem  et  farmam  non  alia  arbor  magü  quam  pintis  expresserity  so 
erkennen  wir  deutlich  unsere  Pinie  mit  der  gewölbten  Laubkrone 
aaf  schlankem,  oben  in  Aeste  sich  theilenden  Stamme.  Von  den 
Dichtem  wird  sie  bei  Schilderungen  ländlicher  Paradiese  mitaufjgeführt; 
sie  war  kein  Wald-,  sondern  ein  Gartenbaum  und  also  gewiss  fremder 
Herkunft.     Verg.  Ecl.  7,  65: 

Fraxinus  in  süvis  pvlcherrimay  pinus  in  hortis^ 

Populus  in  fluoiis,  abies  in  montibus  ahis. 

Ovid.  Art.  am.  3,  687: 

Est  prope  purpureos  colli»  florentis  Eymetti 
Föns  sacer  et  viridi  cespite  mollis  humus. 
Sika  nemus  non  alia  facit;  tegit  arbutus  herbam; 
Bos  maris  et  lauri  nigraque  myrtus  olent. 

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244  Die  Pinie. 

Nee  densum  foliis  huxum  fragilesque  myricae 
Nee  tenue^  cytisi  cultaque pinus  dbest. 
Petron.  sat.  131: 

Nohilis  aestivas  platanus  diffuderat  umbraa 

Et  baccü  redimita  daphne  tremulaeque  cvpresstts 

Et  circunUonsae  trepidanti  vertice  pinus  — 

wo  das  Bild  der  unten  zweiglosen,  ctrcumtonsa^  oben  ein  flüsterndes 
Schirmdach  tragenden  Pinie  deudich  wiedergegeben  ist.  Martial 
warnt  den  Wanderer  davor,  sich  unter  die  Pinie  zu  setzen,  denn 
ihre  schweren  Zapfen  könnten  ihm  auf  den  Eopf  fallen,  13,  25  nuces 
pineae : 

Poma  sumus  Oyhelae^  procul  Mnc  diacede,  viator^ 

Ne  cadat  in  miserum  nostra  ruina  caput. 

Die  Pinie  steigt  nicht  auf  die  hohen  Gebirge,  entfernt  sich  auch 
nicht  von  den  Vorbergen  und  Ufern  des  mittelländischen  Meeres, 
für  uns  ein  Beweis  mehr,  dass  sie  in  Italien,  ja  auch  in  Griechenland 
eingewandert  ist;  denn  was  ursprunglich  in  diesen  Ländern,  über  die 
doch  auch  schneidende  Nordhauche  hinwehen,  einheimisch  war,  be- 
sitzt auch  die  Kraft,  mit  Hülfe  pflegender  Kultur  die  Alpen  zu  über- 
steigen und  einzelne  begünstigte  Localitaten  Mitteleuropas  zu  betreten. 
Der  Pinie  ist  aber  bereits  die  Gegend  von  Turin  zu  kalt  Wir 
wissen  nicht,  ob  und  in  welcher  Landschaft  Asiens  sie  etwa  noch 
wild  vorkommt.  Nach  Fiedler  wächst  sie  im  heutigen  Griechenland 
nur  hin  und  wieder  und  meist  einzeln ;  was  an  Kiefemüssen  auf  der 
grösseren  Bazars  feilgeboten  wird,  kommt  meistens  aus  Russland  von 
pimis  cembra  L.  Nach  Grisebach,  Spicilegium  II,  347,  findet  sich  die 
Pinie,  vermischt  mit  pinus  Laricio^  als  hoher  Wald  auf  dem  nörd- 
lichen Ufer  der  Halbinsel  Hajion-Oros  (die  in  den  Berg  Athos  aus- 
läuft). —  Im  heutigen  Italien  bildet  die  Pinie  den  malerischen 
Schmuck  der  Villen  und  Gärten,  z.  B.  in  Rom ;  besonders  häufig  ist 
sie  neuerdings,  wie  schon  früher  bemerkt,  in  der  reichen  Campagna 
von  Neapel  angepflanzt,  über  der  weit  und  breit  ihre  reizenden  grünen 
Laubkugeln  schweben.  Hin  und  wieder  trifit  man  die  Pinie  auch  in 
zusammenhängenden  Beständen^  nirgends  so  ausgedehnt,  als  in  der 
berühmten  Pineta  von  Ravenna.  Dieser  Pinienwald,  dem  das  sumpf- 
umgebene Ravenna  nach  der  allgemeinen  Meinung  seine  gesunde  Luft 
verdankt,  erstreckt  sich  auf  altem  Meeresboden  in  einer  Breite  von 
einer  Stunde  und  in  einer  Länge  von  mehr  als  sechs  geographischen 
Meilen  dem  Ufer  entlang.  Schön  ist  er  von  Karl  Witte  beschrieben. 
Alpinisches   und  Transalpinisches,   Berlin  1858,    S.  308;    „Statt  der 


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Die  Pinie.  245 

Einförmigkeit  eines  schwebenden  Baldachins,  die  man  sonst  an  ihm 
gewohnt  ist,  entwickelt  der  Baum  hier  in  so  viel  hundert  uralter  und 
kräfUger  Exemplare  die  mannigfachsten,  oft  wunderbar  verschränkten 
nnd  knorrigen  Gestalten.  Unter  dem  Dache  der  Pinien  aber,  auf 
dem  feuchten  fruchtbaren  Boden  hin,  wuchert  ein  üppiges  Wachsthum 
von  niedem  Gesträuchen  und  Schlingpflanzen  in  buntester  Fülle. 
Schon  ein  Schriftsteller  des  vorigen  Jahrhunderts  zählte  fast  drei- 
hundert Pflanzenarten  in  dieser  Pineta.  Dazwischen  singt  und  summt 
und  zwischert  es  von  unzähligen  Yögeln  und  anderem  fliegenden  Ge- 
thier;  oben  durch  die  Pinienzweige  aber  flüstert  ohne  Unterlass  der 
Windeshauch  vom  nahen  Meere."  üeber  den  £rtrag  an  Früchten 
and  die  Art  der  Einsammlung  und  Reinigung  s.  ebendaselbst  S.  309  f. 
Die  Pineta  giebt  jährlich  etwa  9000  preussische  Scheffel  Pinienkeme, 
die  leeren  harzigen  Zapfen  bilden  das  schönste  Material  für  Eamin- 
fener.  Da  der  Wald  von  Ravenna  zum  grossten  Theil  auf  neuge- 
bildetem Boden  steht,  der  zur  Römerzeit  noch  Meer  war,  so  kann 
er  erst  im  Mittelalter,  nicht  vor  den  Zeiten  des  Procopius,  angelegt 
worden  sein.  Wohl  aber  war  jenes  ganze  Territorium  schon  frühe 
reich  an  Pinien,  Sil.  Ital.  8,  595: 

et  undique  aollers 
Arva  coronantem  nutrire  Faventia  pinum. 

Das  von  Ravenna  nicht  weit  abstehende  Faenza  pflegte  also  zu  Silius 
Zeit  schon  die  Pinie,  die  die  Saatfelder  krönt.  Dass  Augustus  weisen 
dieses  Baumes  Ravenna  zu  einem  der  beiden  Standorte  seiner  Flotte 
erhoben  haben  sollte,  glauben  wir  nicht,  da  Schiffswerft  und  Flotten- 
station  zweierlei  sind  und  bei  Wahl  der  letzteren  ganz  andere  mili- 
tärisch-politische Grunde  entscheiden.  Jordanis  57:  (Tlieodoriem) 
tramacto  Pado  amne  ad  Ravennam^  regiam  urbem^  castra  cotnjmnü 
terHo  fere  mtUtario  loco  qui  appellatur  Pineta.  Zur  Zeit  des  Einbruchs 
der  Ostgothen  gab  es  also  schon  einen  Ort  Pineta  bei  Ravenna,  der 
aber  nordwestlich  von  der  Stadt  gelegen  zu  haben  scheint  und  abo 
mit  der  heutigen  Pineta  nicht  zusammenfallt  (Palmann,  Gescbichte 
der  Völkerwanderung,  II,  489  f.).  Der  Wald  wurde  zum  Schatze 
Rayennas  gegen  das  Meer  zu  der  Zeit  angelegt,  wo  durch  ganz  Nord- 
italien im  Kampfe  mit  der  Natur  Kanäle,  Dämme  und  andere  Wunder- 
werke der  technischen  Kunst  ausgeführt  wurden.  Dante  kennt  und 
preist  ihn  bereits  und  benennt  ihn  nach  Chiassi  (dem  alten  Hafen, 
Classis,  von  Ravenna),  eben  so  Boccaccio.  Er  gehörte  sonst  mehreren 
Kirchen  und  Klöstern  und  bildete  dann  bis  zur  Entstehung  des  Kr*aig- 
reichs  Italien  ein  Eigenthum  der  apostolischen  Kammer:    dies©  trat 

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246  I^fts  Rohr. 

ihn  im  Jahre  1860  durch  Vertrag  (oder  Scheinvertrag)  an  die  Ka- 
noniker des  Lateran  ab,  die  ihrerseits  ihre  Rechte  auf  eine  Privat- 
person übertrugen.  Beide  Eontrakte  wurden  von  den  italienischen 
Gerichten  für  nichtig  erklärt,  da  wegen  Wechsels  der  Landessouveräne- 
tät  die  päpstliche  Kammer  nicht  mehr  als  Eigenthümerin  angesehen 
werden  konnte.  Indess  liess  sich  die  italienische  Regierung  zu  einem 
Abkommen  herbei,  vermöge  dessen  gegen  eine  verhältnissmässig  ge- 
ringe Abfindungssumme  die  Pineia,  deren  Eapitalwerth  auf  4  bis 
5  Millionen  Franken  geschätzt  wird,  in  die  Hand  der  neuen  Regierung 
überging  (heftige  Debatten  darüber  im  Florentiner  Parlament,  März 
1866).  Uebrigens  haben  nach  altem  Brauch  die  Bürger  von  Ra- 
venna  ausgedehnte  Nutzungsrechte  an  dem  Walde;  ja  man  beschwerte 
sich,  dass  der  leichte  Erwerb,  zu  dem  er  Gelegenheit  biete,  der  Faul- 
heit Vorschub  leiste  und  müssiges  Gesindel  aus  weitem  Umkreise 
herbeiziehe.  Dennoch  gilt  die  Pineta  für  das  Heiligthum  Ravennas, 
das  die  Stadt  und  ihr  Gebiet  gegen  giftige  Dunste  und  die  Meeres- 
strömungen schützt  und  demgemäss  hochgehalten  und  gepflegt  wird. 


Das  Rohr. 

(arundo  donax  L.) 

Der  nordische  Reisende  staunt,  wenn  er  jenseits  der  Alpen  ein 
dichtes,  hochwallendes,  im  Winde  rauschendes  Rohrfeld  sieht,  dessen 
schwankende,  in  Blätter  gekleidete,  knotenreiche  Halme,  oft  bis  za 
einem  Zoll  Dicke,  weit  über  seinen  Kopf  reichen.  In  fetten  be- 
feuchteten Gründen,  längs  den  Dämmen,  an  den  Ufern  der  Flüsse  und 
Kanäle,  aber  auch  auf  trockenen  Feldern  werden  die  Wurzelknollen 
{pculi  bei  den  Alten)  in  tiefe  Gräben  gelegt,  die  aufgeschossenen 
Rohre  im  Herbste  geschnitten  und  die  übrig  bleibenden  Stöcke  an- 
gezündet, damit  die  Asche  den  Boden  für  die  neuen  Triebe  des 
künftigen  Jahres  dünge.  Oft  sieht  man  dann  von  hohem  Punkten, 
z.  B.  auf  Abendspatziergängen  von  einem  der  sieben  Hügel  Roms, 
Feuer  und  Rauch  in  der  Feme  wunderbar  über  die  Ebene  ziehen. 
Dies  Riesengras  ersetzt  nicht  nur  im  waldlosen  Süden  das  fehlende 
Holz  zur  Feuerung,  sondern  es  stützt  auch  die  Weinreben,  umzäunt 
die  Aecker  und  Gärten,  dient  zu  Lauben,  Spalieren,  Gipsdecken  der 
Zimmer,  zum  Trocknen  der  Wäsche,  zu  Angel-  und  Leimrathen,  zo 

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Das  Rohr.  247 

Spulen  der  Weber  und  zu  hundertfältigem  anderem  Gebrauch.  Wie 
schon  im  Alterthum,  so  ist  noch  jetzt  ein  Stück  Rohr  die  leichte 
Spindel  des  Hirtenmädchens,  niit  der  sie,  ohne  an  ihr  schwer  zu 
tragen,  auf  Felsen pfaden  den  Zickehi  und  Lämmern  nachspringt;  wie 
im  Alterthum,  schneidet  noch  jetzt  der  Hirtenbursche  aus  dem  Rohr- 
hahne  sich  seine  Schalmei,  die  tibia^  fisiula^  syrinx.  Zwar  geschrieben 
wird  auch  im  Süden  nicht  mehr  mit  dem  Rohre,  aber  das  Tintenfass 
heisst  noch  immer  calamajo^  wie  die  Magnetnadel  calamita  und  das 
Brenneisen  calamistro^  und  die  Knaben  reiten  noch  immer  auf  dem 
langen  Rohrhalme  umher,  wie  die  Buben  zu  Horatius  Zeiten,  Sat. 
2,  3,  248:  equitare  in  arundine  longa.  Auch  diese  Kulturpflanze,  die 
mit  dem  europäischen  Sumpfrohr,  Phragmites  communü^  nicht  zu  ver- 
wechseln ist  (s.  Zeitschrift  für  allgemeine  Erdkunde,  Neue  Folge, 
Band  13:  „Die  Grasvegetation  Italiens,  nach  Pariatores  Flora  italiana 
bearbeitet  von  Dr.  C.  Bolle",  S.  298),  stammt  aus  dem  wärmeren 
Asien  und  verlässt  auch  jetzt  nicht  den  Bezirk  des  Mittelmeeres. 
Schon  in  homerischer  Zeit  brachten  die  Phönizier  mancherlei  aus 
(mmdo  donax  Gefertigtes  herüber  —  wie  wir  aus  einigen  Namen 
schliessen,  die  schon  die  epische  Sprache  kennt.  Das  dem  Semitischen 
entnommene  xavvrj^  ursprünglich  xdvrj  (Renan,  histoire  des  langues 
s^mitiques,  ^dit.  1,  p.  192,  193  und  Benfey  unter  diesem  Wort),  das 
wieder  die  Römer  den  Griechen  entlehnten  (canna  früher  cana,  wie 
eanalis  beweist),  gab  nämlich  das  homerische  xaveov^  xavewv  Brod- 
korb, und  den  xavciv  d.  h.  Kamm  oder  Spule  am  Webstuhl  und  da."^ 
Querholz  am  Schilde,  das  entweder  die  Handhabe  zu  befestigen  oder 
den  Schild  selbst  auszuspannen  diente.  Der  Brodkorb,  später  aueb 
in  der  erweiterten  Form  xdvaaxgov^  xdinoTQov^  aus  dem  beim  Mahl 
den  Grasten  das  Brod  vertheilt  wird,  war  aus  gespaltenem  Rohr  ge- 
flochten und  mag  ein  phönizischer  Handelsartikel  gewesen  sein.  Die 
xavoveg  am  Schilde  mussten  stark  und  zugleich  leicht  sein:  beide 
Eigenschaften  sind  die  Hauptvorzüge  eines  guten  Schildes,  und  beide 
besass  gerade  das  asiatische  Rohr.  Die  Wage,  deren  sich  die  Kauf- 
leate  bedienten,  wenn  sie  am  Strande  ihre  Waaren  ausbreiteten  und 
den  Kauflustigen  zuwogen,  wird  ein  gleichschwebendes  Rohr  gewesen 
sein  ^  2),  eben  so  das  Mass  und  das  Richtscheit  ein  grader  Rohratab, 
denn  in  beiden  Bedeutungen  finden  wir  das  Wort  xavciv  später  wieder. 
Die  cyclopischen  Mauern  von  Mycenä  waren  mit  dem  Kanon  und 
dem  Steinmeissel  gefügt,  Eurip.  Herc.  fiir.  944: 

Tci  KvxXtincDv  ßa&Qa 
q>oivixi  xavovi  xal  tvxoig  TjQfioafiiva^ 

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248  Das  Rohr. 

wo  das  Adjectiv  (polvi§  roth  —  dens  phönizisch  kann  es  ja  woU 
nicht  bedeuten  —  beweist,  dass  der  Dichter  sich  unter  xavcjv  bereits 
eine  Richtschnur  gedacht  hat,  die  beim  Abschnellen  eine  farbige  ge- 
rade Linie  zurücklässt.  Auch  Matten  und  Decken  aus  xapva  ge- 
flochten kommen  frühe  vor,  schon  in  einem  Fragment  des  Hipponax 
bei  Pollux  10, 183.  Das  Wort  xdvva^  xdvvr]  selbst  ist  im  griechischen 
Alterthum  selten  und  wo  es  erscheint,  hat  es  die  Bedeutung  des  ans 
Kohr  Geflochtenen,  nicht  der  Pflanze  selbst.  Wann  kam  die  letztere 
also  nach  Griechenland,  und  wie  allgemein  wurde  sie  angebaut?  Das 
Rohrdickicht;  in  welchem  Menelaus  und  Odysseus  die  Nacht  hindurch 
vor  Troja  im  Hinterhalt  lagen,  Od.  14,  474,  mag  aus  gewöhnlichem 
Sump&ohr  bestanden  haben ;  aber  waren  nicht  die  dovaxsg  xakdfioio 
an  der  Phorminx  des  Hermes^  Hymn.  in  Merc.  47,  aus  edlem  asia- 
tischem Rohr  geschnitten?  Das  letztere  liesse  sich  noch  am  ehesten 
bei  dem  Pfeil  voraussetzen,  mit  welchem  Paris,  IL  11,  584,  den  Eury- 
pylus  im  Schenkel  traf,  so  dass  das  Rohr  abbrach,  denn  hier  kam 
es  auf  einen  leichten  und  doch  kräftigen  Schaft  an:  aber  die  Pfeile 
konnten  eingeführt  und  das  Material  ein  fremdes  sein.  Auch  die 
ausführliche  Erörterung  über  die  Arten  des  Rohres  bei  Theophrast 
h.  pL  4,  11,  ist  nicht  präcis  genug,  um  arundo  donaa  mit  Sicherheit 
in  einer  derselben  wiederzuerkennen.  Indess  wenn  er  am  Schlnss 
des  Kapitels  hinzufügt,  alles  Rohr  wachse  schöner,  wenn  es  nach 
dem  Schnitt  abgebrannt  werde,  so  muss  er  doch  wohl  eine  wirkliche 
Rohrpflanzung  öder  wenigstens  ein  Geröhricht,  das  von  Menschenhand 
gepflegt  wurde,  im  Auge  gehabt  haben.  Deutlicher  bezeichnet  Dio- 
skorides  das  ächte  asiatische  Rohr,  wenn  er  1,  114  sagt:  „eine  Art 
des  Rohres  ist  dick  und  hohl,  wächst  an  Flüssen  und  wird  doncue^ 
von  Einigen  auch  cyprisches  Rohr  genannt"  —  von  welcher  Insel 
es  also  bezogen  wurde  oder  ursprünglich  gekommen  war.  Eine  weitere 
Uebergangsstation  mag  die  Insel  Kreta  gewesen  sein,  deren  Einwohner 
schon  bei  Pindar  To^oq>6QOt  sind  und  treffliche  im  ganzen  Alterthum 
berühmte  Pfeile  fuhren.  Cnidus  an  der  karischen  Küste  heisst  bei 
Catull  36,  13  arundinosa;  im  eigentlichen  Griechenland  eignete  sich 
keine  Oertlichkeit  mehr  zur  Aufnahme  des  fremden  Rohres,  als  die 
Ufer  des  kopalschen  Sees  in  Böotien  und  der  in  denselben  mündenden 
Flüsse,  eine  Gegend,  die  frühe  dem  orientalischen  Einfluss  geöffiiet 
war.  Das  später  dort  wachsende  Flötenrohr,  xaka^og  avlijuxog, 
kann  wohl  nur  ai^undo  donax  gewesen  sein,  aus  der  sich  noch  beute 
die  griechischen  Hirten  ihre  Syrinx  schneiden  (Fraas,  Synops.  298, 
denkt  an  eine  andere  seltenere  Rohrspecies,  Sacharum  Ravennae  L.)- 

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Das  Bohr.  249 

Vielleicht  waren  auf  sicilischem  Boden  die  ßohrbalme,  mit  denen 
Dionysios  der  ältere  Nachts  das  achradinische  Thor  in  Syrakus  an- 
zündete, and  die  er  aus  den  nahen  Sümpfen  hatte  holen  lassen,  Diod. 
13,  113,  von  Menschenhand  gezogen  worden  —  wie  noch  jetzt  am 
Anapus  arundo  donax  üppig  gedeiht.  In  Italien  giebt  schon  Cato 
6,  3  Anweisung,  an  Flussufem  und  feuchten  Stellen  ein  arundineium 
«nzulegen,  eben  so  seine  Nachfolger  Varro,  Columella,  Plinius  u.  s.  w., 
und  zwar  sind  die  Methoden,  das  Einlegen  der  Wurzelstöcke,  das 
Abbrennen,  die  Benutzung  zu  Hürden,  zum  Häuserbau,  zur  Stütze 
der  Weinstocke  u.  s.  w.  ganz  die  heutigen.  Wie  in  Griechenland 
erscheint  aber  auch  in  Italien  das  Wort  canna  erst  spät,  ja  es  ist 
der  Name  für  das  dünnere  und  schwächere  gemeine  Rohr  im  Gegen- 
satz zu  der  eigentlichen  arundo.  Der  älteste  Schriftsteller,  bei  dem 
68  vorkommt,  scheint  Vitruvius  zu  sein,  welcher  7,  3  die  Wände  zum 
Behuf  der  Stuckatur  mit  cannae  benageln  lehrt.  Ovid,  der  eine  Vor- 
liebe für  das  Wort  canna  hat,  dessen  sich  seine  poetischen  Zeit- 
genossen enthalten,  unterscheidet  die  kleinere  canna  von  der  langen 
wrundo,  Met.  8,  337: 

longa  parvae  mh  arundine  cannae, 
and  Columella  berichtet  ausdrücklich,  das  Volk  nenne  das  aus- 
geartete Rohr  canna,  7,  9,  7:  tanquam  scirpi  juncique  et  degenerü 
arunddnis  quam  vulgus  cannam  vocanty  uud  meint,  durch  Alter  werde 
der  Wuchs  des  Rohres  so  dicht,  dass  die  Halme  schlank  würden, 
wie  die  der  canna  4,  32,  3:  ....  w^  gracilis  et  cannae  similis  arundo 
prodeaL  Vitruv  in  dena  so  eben  angeführten  Kapitel  räth  für  den 
Fall,  dass  arundo  graeca  nicht  zur  Hand  sei,  als  Surrogat  dünnes 
Sumpfrohr  zu  nehmen:  sin  autem  arundinis  graecas  copia  non  erit, 
d£  paludibus  tenues  colligantur,  und  nennt  also  arundo  donax  noch 
immer  nach  dem  Lande,  aus  dem  es  zunächst  stammte.  Bei  Pal- 
ladius  endlich  in  der  spätesten  Kaiserzeit  ist  der  vulgäre  Ausdruck 
schon  ganz  so,  wie  noch  heute,  für  Rohr  überhaupt  herrschend,  1, 
13:  postea  palustrem  cannam  vel  haru;  crassio^^emy  quae  in  usu  est ,  .  . 
tubnectemus.  Dass  das  Wort  in  Italien  viel  älter  als  Vitruv  ist,  be- 
zeugt die  schon  oben  erwähnte  Ableitung  canalis;  auch  der  berühmte 
Flecken  Cannae  am  Aufidus  in  Apulien  wird  von  dem  dort  wachsen- 
den Rohr  den  Namen  gehabt  haben,  wie  von  demselben  Umstand 
die  äolische  Stadt  Kdvat  in  Kleinasien.  Die  neueren  europäischen 
Sprachen  besitzen  dann  noch  weitere  Anwendungen  und  Ableitungen 
des  Wortes,  denen  man  die  mannichfacLe  Geschichte,  deren  Nieder- 
schlag sie  sind,   nicht  ansieht:    Kanne  und  Kannengiesser,   Knaster, 

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250  Der  Papyrus. 

Canon ^  Kanone,  kanonisches  Recht,  Kaneel  (Zimmt),  chanaine  und 
chanoinesse,  chSneau  (Dachrinne),  engl.  Channel  (der  Kanal  zwischen 
England  und  Frankreich)  u.  s.  w.,  alle  in  letzter  Instanz  auf  das 
hebräische  kaneh  oder  dessen  phönizischen  Repräsentanten  zurück- 
gehend. 

Eine  den  Cyperaceen  oder  Halbgräsem  angehörende,  also  der 
arundo  donax  nar  halb  verwandte  Pflanze,  die  Papyrasstande, 
übertrifl^  diese  durch  tausendjährigen  Ruhm  und  reizende  Schönheit 
der  Erscheinung.  Dass  sie  auch  nach  Europa  gekommen  ist,  weiss 
Jeder,  der  das  alte  Syrakus  auf  der  Insel  Sicilien  besucht  hat.  Dort 
ist  ein  Nebenarm  des  Anapus,  der  zu  der  fabelberuhmten  Quelle  der 
Cyane  (jetzt  Testa  di  Pisima)  fuhrt,  von  beiden  Seiten  mit  Papyrus- 
schilf bewachsen,  der  unmittelbar  aus  dem  nicht  tiefen,  klaren,  leise 
rinnenden  Gewässer  aufsteigt.  Besonders  an  einer  Stelle,  wo  sich 
das  Flusschen  zu  einem  seeartigen  Becken  ausdehnt,  dem  sogenannten 
Camerone,  wird  die  Scene  märchenhaft  und  ganz  tropisch:  die  riesen- 
haften, zwölf  bis  sechzelin  oder  gar  achtzehn  Fuss  hohen  Stauden 
mit  ihren  anmuthig  geneigten  Kronenbuscheln  umschliessen  von  allen 
Seiten  wie  ein  dichter  Wald  die  Spiegelfläche,  auf  der  ihr  Bild  ruhig 
schwimmt  und  an  der  ihre  Wurzeln  und  Stengel  ewig  trinken.  Im 
alten  Aegypten  wuchs  diese  Pflanze,  wie  allbekannt,  in  ungeheurer 
Menge  und  wurde  zu  mannichfachen  Zwecken  verwendet,  die  Wurzeln 
zur  Nahrung,  der  Bast  zu  Stricken,  Körben,  Matten,  Flusskähnen, 
die  feinen  Häute  zu  Schreibpapier.  Die  Griechen  bezogen  ihr 
Byblos -Material  aus  dem  Nilthale  und  benannten  ihre  Bibeln  oder 
Bücher,  Schriften  und  Briefe  nach  dem  Namen  desselben.  Merk- 
würdig genug  ist  es,  dass  die  Papyrusstaude  im  heutigen  Aegypten 
ganz  ausgestorben  ist  —  denn  wenn  einzelne  Reisende  sie  gesehen 
haben  wollten,  so  war  höchst  wahrscheinlich  Verwechslung  im  Spiel 
—  und  dass  die  Pflanze  erst  am  weissen  Nil  und  Gazellenflusse 
wieder  vorkommt  und  zwar  in  ungeheurer  Menge.  Sie  ging  m 
Aegypten  unter,  wohin  sie  wohl  aus  den  oberen  Gegenden  eingeführt 
war,  und  theilte  darin  das  Schicksal  der  im  Alterthum  vielgenannten 
ägyptischen  Bohne  (^xvafing  Aiyvmi^og^  Nymphaea  Nelumbo  L.)  — 
zum  Beweise^  dass  die  Kultur,  wie  sie  ein  Land  oder  ganze  Welt- 
theile  bereichert,  so  auch  unter  veränderten  Umständen  ihre  (Jaben 
wieder  zurücknimmt.  Beiden  Gewächsen  ward  die  Concurren» 
anderer  Pflanzen  und  neuer  Erfindungen  verderblich,  die  des  Per" 
gaments  und  besonders  des  Lumpenpapiers,   des  Hanfes  und  Spart- 

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Der  Papyrus.  251 

grases,  mehlreicherer  Früchte  u.  s.  w.  In  Griechenlaad  selbt  hat 
sich  nie  eine  Spar  einer  Papyruspflanzung  gefanden:  am  so  räthsel- 
kfter  schien  ihr  Aoftreten  in  Sicilien,  bis  die  Untersuchungen  des 
Florentiner  Botanikers  P.  Pariatore  in  den  Schriften  der  Pariser 
Akademie  (^Mhnoires  prisenUs  par  divers  savants  etc.  Sciences  matlihn. 
et  physiques  T.  12.  1854.  p.  469  etsuiv,)  die  Geschichte  des  sicilischen 
Papyrus  aufklärten.  Pariatore  unterscheidet  zunächst  zwei  Arten 
der  Pflanze,  die  jetzt  verschwundene  ägyptische,  die  aber  in  Mumien- 
resten und  noch  lebend  in  Nubien  und  Abyssinien  vorhanden  sei, 
und  die  er  cyperus  papyrus  nennt,  und  die  sicilische,  viel  höher 
wachsende,  oben  in  einen  ausgebreiteten  Büschel,  nicht  in  einen 
Kelch  ausgehende,  die  aus  Syrien  stammt  und  der  er  daher  den 
Namen  cyperus  syriacus  giebt.  Diese  Unterscheidung  hat  wenig 
Glück  gemacht^  zumal  Syrien  seinen  Papyrus  doch  nur  durch  Ver- 
pflanzung iaus  Aegypten  besitzt,  historisch  sicher  aber  ist,  dass  die 
Alten  von  keiner  Papyrusstaude  in  Sicilien  wissen,  und  dass  sie  da- 
mals auf  der  Insel  noch  fehlte.  Vielmehr  brachten  sie  die  Araber 
kurz  vor  dem  10.  Jahrhundert  aus  Syrien  dahin:  Ibn-Hauqal,  der 
977 — 978  schrieb,  nennt  sie  zuerst;  Hugo  Falcandus  bei  Muratori 
Scriptt  t.  7  (gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts)  kennt  sie  gleichfalls 
in  Sicilien.  Zuerst  mag  sie  an  dem  Flusschen  bei  Palermo,  dem 
danach  benannten  Papireto,  angepflanzt  worden  sein:  dort  wuchs  sie 
reichlich  bis  zum  Jahr  1591,  wo  auf  Veranlassung  des  damaligen 
Vicekönigs  wegen  der  vom  Papireto  ausgehenden  Malaria  die  ganze 
Gegend  trocken  gelegt  wurde  und  damit  auch  der  Papyrashain  ver- 
schwand. Aber  noch  jetzt  heisst  jene  Oertlichkeit  p«a7w>  del  papireto^ 
und  in  dem  dort  angelegten  öffentlichen  Garten  wird  auch  die  Pa- 
pymsstaude  gepflegt.  Nach  Syrakus  muss  sie  erst  um  die  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  versetzt  worden  sein,  denn  ein  zuverlässiger  Autor 
vom  Jahr  1624  kennt  sie  daselbst  noch  nicht,  wohl  aber  ein  anderer 
Tom  Jahr  1674.  Jetzt  findet  sie  sich,  ausser  am  Anapus,  hin  und 
wieder  im  sudlichen  und  östlichen  Theil  der  Insel  wild  und  in  den 
Gärten  der  reichen  Aristokratie  mit  Vorliebe  cultivirt.  Die  Exem- 
plare in  den  europäischen  Gewächshausem  scheinen  alle  aus  Sicilien 
zu  stammen.  Hätten  die  Araber  ihre  Herrschaft  auch  auf  Griechen- 
land ausgedehnt  und  daselbst,  wie  in  Palermo,  einen  glänzenden  Hof 
gegründet^  so  würden  wir  an  dem  einen  oder  dem  andern  Flusse 
dieses  warmen  und  der  syrischen  Küste  näheren  Landes  vielleicht 
auch  dem  herrlichen  Uferschmuck  begegnen,  wie  einst  am  Papireto 
und  jetzt  am  Anapo. 

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252  Cucurbitaceen. 


Cucurbitaceen. 

Die  Früchte  dieser  Familie,  die  zu  den  grössten,  zu  den  wahren 
Riesen    des   Pflanzenreiches   gehören,    stammen    alle  aus  Asien,  die 
meisten  aus  Sudasien,    speciell   aus  Indien.    In  einigen  Arten  frühe 
in  den  Ländern  der  alten  Kulturwelt  verbreitet,  bilden  sie  noch  jetzt 
die  Lieblinge    der   südlichen,    besonders   aber   der  östlichen  Völker. 
Durch  eine  dichte  Schale  gedeckt,  die  die  Ausdünstung  der  inneren 
Feuchtigkeit   verhütet,    sammeln  sie  während   der  Monate,  wo  der 
Sonnenbrand  Alles   versengt,    einen    reichlichen  immer  kühlen  Safl 
an,  mit  dem  sie  dann  den  durstenden  Essej*  erquicken.    Je  nach  den 
Arten  ist  freilich  Menge  und  Geschmack  desselben  sehr  verschieden: 
bald  zerfliesst  das  Fleisch  der  Frucht  fast  zu  Wasser  und  träufelt 
beim  Essen  in  dicken  Tropfen  von  Hand  und  Mund,  wie  bei  der 
orientalischen  Wassermelone,  bald  bildet  es  eine  aromatische,  süsse, 
duftende  Masse,    wie  bei  der  Zuckermelone;    während   die  eben  ge- 
nannten Arten  im  Zustand  völliger  Keife,  nach  Entfernung  der  Saat, 
genossen  werden,  dient  die  Gurke  heut  zu  Tage  nur  unreif  mitsammt 
der  Saat  und  meistens  eingemacht  oder  mit  beissenden  Zuthaten  ver- 
sehen zur  Nahrung;  der  Kürbiss  aber  ist  nicht,  wie  seine  Verwandten; 
roh,    sondern  nur  gekocht  oder  gebraten  essbar.     Zu  der  oft  unge- 
heuren Grösse  der  Früchte  stehen  die  schwachen  Stengel  und  Ranken 
nicht  im  Verhältniss,  daher  die  ersteren  ruhig  auf  der  Erde  liegend 
anschwellen  und  ihre  Reife  erwarten,  nicht  etwa,  wie  die  Kokosnüsse 
oder  andere  Baumfrüchte,  lockend  von  oben  herabhängen  und  endlich 
zur  Verbreitung  des  Samens  auf  den  Boden  niederfallen.    Dies  setzte 
schon   die  Alten  in  Verwunderung.     So  nannte  Matron,   der  lustige 
Paröde,  den  Kürbiss  „den  Sohn  der  hehren  Erde",  was  Homer  von 
dem  Titanen  Tityos  gesagt  hatte,  und  wenn  der  Letztere  bei  Homer 
auf  dem  Boden  liegt  und  neun  Plethren  bedeckt,  so  lag  der  Kürbiss 
des   Matron   im   Gartenbeet   und   reichte    über    neun   Tische    weg, 
Athen.  3.  p.  73: 

Auch  den  Kürbiss  sah  ich,  den  Sohn  der  gewaltigen  Erde, 
Liegend  unter  dem  Kraut;  er  lag  neun  Tische  bedeckend. 
So   wächst   und  wächst  bei  Callimachus  der  Kürbiss  im  thauigen 
Beet  (ögoasQ^  ivi  %(iQ(fi^  d.  h.  nicht  am  luftigen  Zweige,  Athen,  ibid.) 
und  ist  daher  fjdvyaiog^  wie  Heraklides  von  Tarent  bei  Athenaeus 

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Cucurbitaceen.  253 

eben  da  sagt,    und   so  windet  sich  bei  Vergil  die  Gurke  durch  das 
Gras,  allmählig  zur  Bauchform  anschwellend,  G.  4,  121: 

tortusque  per  herbam 
Cresceret  in  ventrem  cucumis. 
Bei  keiner  Art  Früchte  sind  die  Abweichungen,  Uebergänge  und 
Ausartungen  so  gross,  als  bei  den  Cucuibitaceen.  Vielleicht  Hegt 
die  Ursache  in  demselben  strotzenden  und  daher  leicht  abirrenden 
Bildungstriebe,  der  auch  den  erstaunlichen  Umfang  einiger  derselben 
erzeugt.  Da  nun  schon  im  Alterthum  die  Grenze  zwischen  den  Arten 
in  der  Anschauung  des  Volkes  oft  unbestimmt  schwankte  und  die 
gebrauchlichen  Namen,  von  vieldeutiger  Allgemeinheit,  je  nach  Zeit 
und  Gegend  und  Umständen  Verschiedenes  bezeichneten,  so  ist  es 
jetzt  ausserordentlich  schwer,  ja  unmöglich,  die  Aogaben  der  Alten 
mit  unserer  Renntniss  der  Sache  zu  vereinigen  und  im  gegebenen 
Falle  mit  Sicherheit  zu  unterscheiden,  ob  ein  Kürbiss  und  welcher 
oder  eine  Gurkenart  und  welche  gemeint  sei. 

Das  älteste  Zeugniss  für  die  Existenz  der  Kürbissfrüchte  im 
Orient  oder  eigentlich  in  Aegypten  findet  sich  im  4.  Buch  Mosis  11^  5. 
Dort  erinnern  sich  die  Israeliten,  durch  die  wasserlose  Wüste 
wandernd,  sehnsüchtig  der  in  Aegypten  genossenen  Früchte:  „Wir 
gedenken  der  Fische,  die  wir  in  Aegypten  umsonst  assen,  und  der 
Kürbiss,  Pfeben,  Lauch,  Zwiebeln  und  Knoblauch.**  Was  hier  Luther 
mit  Kürbiss  und  Pfeben  wiedergiebt,  wird  von  neueren  Auslegern 
seit  Celsius,  Hierobotanicon  I,  356  und  II,  247,  wahrscheinlicher 
durch  Gurken  und  Melonen  gedeutet,  da  die  beiden  hebräischen 
Ausdrücke,  kischuim  und  abattichim^  bis  auf  den  heutigen  Tag  bei 
den  semitischen  Völkern  in  dem  angegebenen  Sinne  gebräuchlich 
sind.  Bei  der  Gurke  wird  dabei  an  die  ägyptische  cucumis  Chate  L. 
gedacht,  eine  grosse,  längliche  Frucht,  die  noch  jetzt  unter  diesem 
Namen  in  der  Levante  allgemein  frisch  verzehrt  wird,  nachdem  sie 
zur  Reife  gelangt  und  dann  in  Geschmack  und  Wirkung  einiger 
Massen  der  Melone  ähnlich  geworden  ist.  Doch  wäre  immer  möglich, 
dass  seit  jener  frühen  Zeit  bei  Syrern,  Arabern  und  Juden  die 
Namen  von  einer  Art  auf  die  andere  übergingen  und,  während  die 
eine  verschwand  und  die  andere  neu  auftrat,  doch  die  Bezeichnung 
dieselbe  blieb,  s«  unten. 

In  der  epischen  Poesie  der  Griechen,  bei  Homer  und  Hesiod, 
findet  sich  weder  eine  der  für  diese  Früchte  später  üblichen  Be- 
nennungen, noch  eine  Andeutung,  die  auf  Kenntniss  derselben  zu 
jener  Zeit  schliessen  liesse.    Eine  solche  könnte  in  dem  Namen  der 


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254  Cacurbitaceen. 

Stadt  Sicyon  liegen  d.  h.  der  Garkenstadt,  doch  geht  derselbe  in 
kein  hohes  Alterthum  hinauf.  Zwar  kennt  ihn  schon  die  Ilias  an 
zwei  Stellen,  im  Schiffskatalog  v.  572  und  bei  den  Leichenspielen 
zu  Ehren  des  Patroklus  23,  299,  aber  der  erstgenannte  Vers  ist 
auch  aus  anderen  Gründen  als  späteres  Einschiebsel  verdächtig,  und 
die  letzterwähnte  Partie  trägt  ganz  den  Charakter  einer  nachmaligen 
rhapsodischen  Erweiterung.  Der  frühere  Name  Sicyons  war  Mekone, 
die  Mohnstadt,  und  so  heisst  der  Ort  noch  in  der  hesiodischen  Theo- 
gonie;  als  den  Vater  des  Sikyon  nennt  der  Mythus  den  Marathon 
d.  h.  den  Fenchelmann.  Danach  trug  die  fruchtbare  Ebene  von 
Sicyon,  die  Asopia  längs  dem  unterep  Laufe  des  Asopus,  zuerst 
Mohn  (ein  uraltes,  mit  dem  Getreide  als  Unkraut  aus  Asien  ge- 
kommenes Gewächs,  mit  schöner  Blume  und  essbarem  Samen)  und 
Fenchel  (eine  einheimische  Doldenpflanze,  schon  frühe  von  den 
ältesten  Bewohnern  des  Landes  als  Gewürz  aufgefunden  und  seitdem 
durch  alle  Jahrhunderte  hindurch  hochgehalten),  dann  erst  in  weiterer 
Folge  die  aus  dem  Morgenlande  über  See  eingeführten  Gurken  (oder 
Kürbisse).  Bei  einer  Neugründung  erhielt  die  Stadt  dann  auch  nach 
dieser  Kultur  ihren  neuen  Namen.  Bestände  für  uns  nicht  die  lange 
traurige  Lücke,  die  in  der  griechischen  Literatur  das  älteste  Epos 
von  Pindar  und  Aeschylos  trennt,  so  würden  wir  den  Zeitpunkt,  in 
dem  die  Griechen  Kleinasiens  und  des  europäischen  Mutterlandes 
sich  zuerst  mit  Gurken  und  Kürbissen  befassten,  vielleicht  genauer 
präcisiren  können.  Aber  weder  die  Elegiker  und  Lyriker  sind  uns 
erhalten,  noch  Archilochus,  der  vielberühmte  zweite  Homer,  dessen 
Werke  noch  in  der  christlichen  Zeit  vorhanden  waren  und  erst  dem 
Vertilgungseifer  der  Kirche  und  ihrer  Bischöfe  erlagen.  Jetzt  wissen 
wir  durch  einen  Zufall  nur,  dass  Alcäus  einmal  das  Wort  <y/xt'5 
brauchte,  das  also  zu  seiner  Zeit  schon  bestand,  Athen.  3,  p.  73: 
^^Xxaing  de  „daxrjj  q^rjoi^  twv  aixvtüv^  ano  ei»'>€iag  Trjg  aixvg.  Aber 
was  dachte  sich  der  Dichter  unter  a/xi^c:?  Das  Wort,  mit  wechselnder 
Endung,  ist,  wie  wir  glauben,  eine  Neben-  und  Scheideform  von 
avxnv  die  Feige  (s.  Anmerkung  34)  mit  vertauschtem  oder  dissimi- 
lirtem  Vocal;  wie  bei  der  Feige,  war  es  auch  bei  der  Gurke  und 
dem  Kürbiss,  A^vpraegnans  Cucurbita^  zunächst  die  strotzen  de  Zengangs- 
kraft,  der  Samenreich th um,  woran  Sinn  und  Blick,  des  Natursohnes 
haftete.  Für  Kürbiss  setzte  sich  später  ein  anderer  Ausdruck  fest: 
xoloxvv&a^  xoXoxvvTTjy  wie  wir  aus  dem  Ausspruch  des  Phanias, 
eines  Schülers  des  Aristoteles,  sehen,  Athen.  2,  p.  68:  xoloxtfyrrj  ii 
wfii\  fiiv  äßgunog  •  eqp^j)  de  xai  oTttij  ßQwzii  —   denn  nicht  anders 

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Cacarbitaceen.  255 

als  gekocht  oder  gebraten  geniessbar  za  sein,  kann  nur  auf  den 
Eürbiss  gehen.  Die  Anschauung,  die  diesem  Namen  zu  Grunde 
liegt,  ist  übrigens  derjenigen,  die  zu  der  Benennung  aixvg^  oixvog^ 
aixia  fährte,  analog:  die  Frucht  wurde  nach  ihrer  kolossalen  Grösse 
so  benannt  (xoloaaog  für  xoXoxiog  mit  der  häufigen  Ableitungssilbe 
yw,  vif&;  eine  andere  Form  desselben  Wortes  enthält  der  Beiname 
der  in  Sicyon  verehrten  Koloxaaia  !^v^iyva,  der  Kürbiss-Göttin,  bei 
Athen.  3,  p.  72,  worunter  später  die  sog.  ägyptische  Bohne,  eine 
^eichfialls  durch  den  Wuchertrieb  und  die  Grösse  der  Blätter  auf- 
faUende  Pflanze,  verstanden  wurde).  Eben  dahin  deutet  das  Sprüch- 
wort: gesunder  als  ein  Kürbiss,  das  schon  Epicharmus  brauchte 
(Athen.  2,  p.  59)  und  später  Diphilus,  Com.  gr.  fr.  4,  420:  ^in  sieben 
Tagen  stelle  ich  ihn  dir  entweder  als  Eürbiss  oder  als  Lilie''  d.  h. 
entweder  strotzend  von  Gesundheit  oder  bleich  und  todt  als  ein  Bild 
der  Tergänglichkeit.  Dass  die  xoloxvwr]  als  etwas  Neues  und 
Ausserordentliches  gleichsam  in  die  bekannte  Naturordnung  nicht 
passte,  sieht  man  aus  dem  lächerlichen  Streit  der  akademischen  Phi- 
losophen im  Gymnasium  bei  dem  Komiker  Epikrates,  Athen.  2,  p.  59: 
dort  ist  die  Frage  aufgeworfen,  was  die  xoXoxvvttj  für  eine  Pflanze 
sei;  die  Denker  beugen  sich  nieder  und  versinken  in  tiefes  Sinnen; 
plötzlich  sagt  Einer,  es  sei  ein  rundes  Gemüse,  ein  Anderer,  es  sei 
ein  Kraut,  ein  Dritter,  es  sei  ein  Baum  (^laxc^ov  rig  eq^ij  axQoyyvXov 
«lyai,  noiav  ö*äXXog^  divÖQov  d^hegog);  da  unterbricht  sie  drastisch 
em  anwesender  sicilischer  Arzt;  worauf  Plato  mit  unerschüttertem 
Ernst  die  Untersuchung  fortführt.  Besonders  merkwürdig  aber  ist, 
dass  die  xoIoxvvtt]  noch  in  späterer  Zeit  hin  und  wieder  ^hdix-fi^ 
die  indische  Frucht,  genannt  wird,  mit  dem  ausdrücklichen  Beifügen, 
sie  heisse  so,  weil  sie  aus  Indien  stamme  (Athen.  2,  p.  59).  Ein 
dritter,  noch  späterer  Ausdruck  ist  ninojv^  eigentlich  das  Adjectiv 
reif,  welches  dann  ohne  hinzugefügtes  oixvog  diejenige  Frucht  be- 
zeichnete, die  zur  Reife  kommen  musste,  um  zur  Nahrung  zu  dienen. 
Der  Name  schloss  also  nur  solche  Gurken  aus,  die  im  ersten  zarten 
Stadium  genossen  wurden,  während  diejenigen  Sorten,  die  bei  der 
Reife  einen  melonenartigen  Wohlgeschmack  erreichten  und  nach 
orientalischer  Weise  frisch  aus  dem  Garten  gegessen  wurden,  eben 
80  wohl  ninoveg  heissen  konnten. 

AJle  bisher  erwähnten  und  auch  die  nicht  angeführten  Stellen 
der  Alten  lassen  sich  ohne  Zwang  auf  Gurke  und  Kürbiss  deuten, 
keine  einzige  mit  Sicherheit  auf  die  eigentliche  Melone.  Nirgends 
wd  die  honiggleiche  Süssigkeit  (eingekochter  Melonensafi  dient  den 

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256  Cncnrbitaceen. 

Orientalen  noch  jetzt  an  Stelle  des  Zuckers),    nirgends  das  auf  der 
Zunge  schmelzende,  den  köstlichsten  Baumfrüchten  ebenbürtige  Mark, 
die  goldgelbe  oder  auch  zartweisse  Farbe,  der  ambrosische,  die  Ver- 
kaufshalle, ja  den  Markt  erfQllende  Duft  hervorgehobeo.    Erst  unter 
den  späteren  römischen  Kaisern  erkennen  wir  in  der  von  den  scripto- 
res    historiae  Augustae   meh  genannten   Frucht,    die,    wie  Pfirsiche 
u.  s.  w.,  zu  den  Delicien  gerechnet  wird,  ohne  Schwierigkeit  unsere 
Zuckermelone.    Plin.  19,  67  berichtet,  in  Campanien  sei  zufallig  eine 
Gurke  entstanden,   mali   cotonei  effigie  (die  Farbe  des  Quittenapfels 
mit  eingeschlossen),    die  dann  durch  Saat  weiter  vermehrt  worden; 
das  Wunderbare   dieser  mehpepones  sei  ausser  der  Gestalt  imd  dem 
Dufte,   dass  sie  sich  nach  der  Reife  sogleich  vom  Stengel  ablösten. 
Hier  hören  wir  zum  ersten  Mal  von  dem  Duft,  odor,  dieser  Früchte 
sprechen;    der  griechische  Ausdruck    entstand  in   dem    griechischen 
Campanien  (jiiTJlov  die  Quitte)    und  wurde  später  nach  Verbreitung 
der  Frucht    im  Volksmunde   zu   melo    abgekürzt   —   wie    sie    auch 
Palladius  nennt.    Bei  Galenus  ist  das  Wort  itii]lo7can(t)v  schon  häufig. 
Dass  die  Melone  durch  ein  Naturspiel  in  Campanien  aus  der  cucumis 
entstanden  sei,  wird  Niemand  glaublich  finden;  woher  also  kam  sie? 
Nach  Alph.  Decandolle,  g^ographie  botanique  p.  907,    wäre  die  Me- 
lone ursprünglich  ein  Produkt  der  Tartarei  und  des  Kaukasus.    Unter 
der   ersteren   kann  wohl  nur  das   alte  Bactrien  und  Sogdiana,   die 
Oasen  am  Oxus  und  Jaxartes,    gemeint  sein,    und  von  dorther  also 
wäre  die  Fruöht  im  Laufe    des   ersten   christlichen  Jahrhunderts  in 
die  Grärten  Neapels    gebracht    worden.     Zwar   ist  über    die   letztere 
Thatsache  keine  positive  historische  Nachricht  aufbehalten  worden, 
aber   diese  Art  Früchte   sind  leicht  durch   die  Saat  in  die  weiteste 
Feme  zu   übertragen,    und  die  ersten  Versuche  konnten  unbemerkt 
bleiben  oder  in  Vergessenheit  gerathen.     Marco  Polo  sagt  von  der 
Landschaft  westlich  von  Balkh,  1,  26;  „hier  wachsen  die  besten  Me- 
lonen der  Welt.    Man  schneidet  sie  in  die  Runde  in  Streifen  und 
lässt  sie  an  der  Sonne  trocknen.     So  gedörrt   sind    sie    süsser   als 
Honig    und   gehen   als  Handelswaare    über   alles  Land."     Dasselbe 
rühmt  Ibn  Batuta  von  den  Melonen  von  Kharizm,  Pariser  Ausgabe, 
3,  15,  und  Vämb^ry  von  denen  von  Chiwa:  „Für  Melonen  hat  Chiwa 
keinen  Rivalen,   nicht  nur  in  Asien,    sondern  in  der    ganzen  Welt. 
Kein  Europäer   kann    sich    einen  Begriff  machen    von    dem  süssen 
würzigen  Wohlgeschmack  dieser  köstlichen  Frucht.    Sie  schmilzt  im 
Munde  und  mit  Brot  gegessen  ist  sie  die  lieblichste  und  erquicklichste 
Speise,    die   die  Natur   bietet."     Auch  Pcrsien   ist   ein  vorzügUches 

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CucurbitÄceen.  257 

MeloneDland,  in  welchem  die  feinsten  Sorten  erzogen,  mit  äusserster 
angeerbter  Sorgfalt  behandelt  und  aufs  Höchste  geschätzt  werden. 
Der  Varietäten  sind  dort  unzählige,  und  sie  wechseln  von  Dorf  zu 
Dorf;  darunter  einige  von  weitverbreitetem,  verdientem  Ruhme.  Zu 
den  wichtigsten  Lebensbedurfiiissen  der  persischen  Städte,  berichtet 
E.  Polak,  gehören  auch  die  Melonen :  in  den  Preistarifen  steht  gleich 
hinter  Brod,  Reis,  Fleisch,  Käse,  Butter  und  Eis  der  Marktpreis  der 
Melonen.  Sie  sind  dort  so  süss,  dass  der  Perser  über  den  Unver- 
stand der  Europäer  lacht,  die  ihre  Melonen  mit  Zucker  essen.  Das 
Alles  scheint  dafür  zu  sprechen,  dass  die  Zuckermelone  eine  in  jenen 
Gegenden  einheimische  Frucht  ist;  dem  Ausländer  aber  ist,  wie  Polak 
hinzusetzt,  ihr  Genuss  gefährlich,  zum  Theil  auch  dem  Inländer,  in 
so  fem  Unmässigkeit  in  diesem  Punkt  auch  bei  diesem,  obgleich 
häufig  begangen,  doch  sich  sogleich  bestraft. 

Die  lateinischen  Bezeichnungen  für  Gurke  und  Kürbiss,  cucumis 
und  cucurbitay  geben  den  Eindruck  strotzenden  Wachsthums,  den 
diese  Früchte  auch  dort  auf  die  Volksempfindung  gemacht  hatten, 
dorch  die  Reduplication  wieder;  zugleich  steht  Cucurbita  so  nahe 
zu  ccrhis^  Korb,  Gefass,  corbita  das  Lastschiff,  corbitare  einladen,  und 
eben  so  cucumis^  gen.  cucumis  und  cucumerisy  zu  cumera^  cumerum^ 
bedecktes  Gefäss,  Truhe,  dass  es  schwer  ist^  den  Zusammenhang 
zwischen  beiden  abzuweisen.  Kürbissschalen  dienten  von  jeher  zu 
Gefassen  und  dienen  unter  dem  Namen  Calebassen  dazu  noch  jetzt: 
erblickten  die  italischen  Strandbewohner  zuerst  solche  grüne  Schalen 
und  Töpfe  in  den  Händen  gelandeter  SchiflPer,  ehe  sie  die  Frucht 
selbst  zu  essen  und  später  auch  zu  pflanzen  Gelegenheit  hatten? 
Colum.  11,  3,  49:  nam  sunt  (Cucurbitae)  ad  usum  vasorum  satis  idoneae. 
Plin.  19,  71:  nwper  in  balnearum  usum  venere  urceorum  vicCy  jampridem 
vero  etiam  cadorum  ad  vina  condenda  —  also  Kürbissflaschen  zur 
Aufbewahrung  des  Weines.  (Nach  Fick,  Beiträge  7,  383,  wäre 
Cucurbita  mit  xvqßig  drehbare  Säule,  noQVfi]  Gipfel  d.  h.  Wirbel 
und  goth.  hvairban^  altn.  hverfa  zusammenzustellen  und  also  so  viel 
als  rund  gedreht).  Sonderbar  stimmen  zu  dem  lateinischen  cu- 
cumis und  Cucurbita  die  Glossen  des  Hesychius:  xvxvov  •  tov  gixvov, 
und  xvxvtl^a*  ylvxsla  xoloxw^a.  Leider  erfahren  wir  nicht,  wo 
das  Wort  xvxvog  gebräuchlich  war,  oder  welcher  Schriftsteller  es  ge- 
braucht hatte;  wie  die  jungem  Sprachen  aus  Cucurbita  durch  Laut- 
entstellung  neue  Wörter  geschaffen  haben,  lehrt  der  Artikel  cucuzza 
bei  Diez. 

Im  frühen  Mittelalter  trat  in  Byzanz  ein  neuer  Name  für  Gurke 

Vict.  Hehn,  EuUnrpflaDsen.  17  ^->,  , 

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258  Cucurbitaceen. 

auf^  der  aas  dem  Orient  gekommen  war  und  sich  im  Laufe  der  Zeit 
weit   über   Europa   von   Volk   zu   Volk   verbreitete.     Es    war   dies 
äyyovQiov^   ayyovQOv^    ayyovQiv^   ein  persisch-aramäiscbes  Wort,    zu 
dessen  Bildung  der  Anklang  an  ayysiov  Gefass  vielleicht  mitgewirkt 
hat     Neben   ayyovQia  sagte  man  auch  rezQayyovQa^   entweder   uro 
damit  eine  viermal  schwerere  oder  eine  viereckig  gestaltete  Sorte  zu 
bezeichnen,  oder  nach  Salmasius  gar  nicht  verwerflicher  Vermuthung 
als  Verstümmelung  und  Umdeutung  von  xvTQctyyvXov^   ital.  citriuolo^ 
franz.    citrouille,    von    citreum.    Ueber   die   Zeit,   wann   dieser   neue 
Name  auftrat,  sagt  E.  Meyer,    Geschichte  der  Botanik,  3,  361:    „In 
den  Geoponicis  heissen  die  Gurken  noch  wie  vor  Alters  aixikt;  erst 
Suidas  erklärt  diesen  zu  seiner  Zeit  ausser  Gebrauch  gekommenen 
Namen  durch  t«  TstgdyyovQa^  und  einen  Unterschied  zwischen  An- 
gurien  und  Tetrangurien  macht  erst  Michael  Psellus.*'    Indess,  wenn 
der  Arzt  A€tius  Amidenus,  der  unter  Justinian  lebte,  das  neue  Wort 
schon  brauchte,   so  muss  es  bedeutend  älter  sein,  als  die  Sammlung 
der  Geoponica  und  Suidas.    Die  damit  bezeichneten  Gurken  scheinen 
dieselben  Sorten   gewesen  zu  sein,   deren  wir  uns  jetzt  zu  unseren 
Salaten  und  zum  Einmachen  bedienen;  was  das  Alterthum  an  Gurken 
besass,    war  nach  allem  Obigen  eine  grosse,   jetzt  in  Europa  nicht 
mehr  angebaute  Art,  die  zur  Erfrischung  gegessen  und  je  nach  dem 
Stadium  der  Reife  auch  gesotten  und  gebraten  wurde.    Von  Byzanz 
kam    die  Gurke,    wie    der  Name   bezeugt,    zu  den  Slaven,    russisch 
ogurec,  poln.  ogörek  u.  s.  w.   und  ward  bei  den  Völkern  dieser  Race, 
so  wie  bei  den  unmittelbar  hinter  ihnen  wohnenden  Stammen  tata- 
rischer und  mongolischer  Abkunft,  zu  dem  allgemeinsten,  mit  grosser 
Vorliebe  genossenen  Nahrungsmittel.     Ohne  Gurken  kann  z.  B.  der 
Gross-  und  Kleinrusse  nicht  leben ;  in  Salzwasser  eingemacht  verzehrt 
er  sie  den  ganzen  Winter  und  schlägt  sich  mit  ihrer  Hülfe  durch 
die  langen,    strengen  Fasten  der  orientalischen  Kirche  durch.    Von 
den  Slaven  kam  die  Agurke,  später  mit  abgefallenem  Vokal  Gurke, 
wie  gleichfalls  der  Name  lehrt,  zu  den  Deutschen,  aber  erst  in  neuerer 
Zeit,    denn  die  Spuren  des  Wortes  gehen  nur  bis  in  das  siebzehnte 
Jahrhundert   hinauf   (s.  Grimm,    Wörterbuch,    unter  Agurke,   und 
Weigand   unter   Gurke).     Ethnographisch   beachtenswerth   ist   der 
Umstand,    dass  die  sogenannte  „saure  Gurke ^  nur  in   den  Theilen 
Deutschlands  üblich  geworden  ist,  die  ehemals  von  Slaven  bewohnt 
waren   und   sich  erst  nachmals  germanisirt  haben.     Uebrigens  soU 
die  kleine,   grünliche,   wohlschmeckende  slavische  Gurke,   wie  sie  in 

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Cucurbitaceen.  259 

ganz  RusslaDd  gemein  ist,  nach  Deutschland  versetzt  ausarten:    sie 
bedarf  also  wohl  eines  excessiven  Elimas. 

Gleichfalls  erst  ein  ADkömmling  des  Mittelalters  ist  die  saftreiche 
Wassermelone,    cucumü   citruUus,    denn    dass   sie   der  pepo  der 
Alten  sei,  wie  Manche  angenommen  haben,  lässt  sich  nicht  erweisen. 
Italienisch  trägt  sie  den  byzantinischen  Namen  anguria  (in  manchen 
Gegenden  cocomero  aus  cucumis)^  französisch  den  arabischen  pasüque. 
Sie  ist  jenseits  der  Alpen  beliebt,  da  sie  in  der  entsprechenden  Jahres- 
zeit ein  er&ischendes  Labsal  bietet,    und  überall  sieht  man  dann  die 
blutrothen  Halbfrüchte  mit  den  glänzend  schwarzen  Kernen  auf  den 
Märkten  und  an  den  Strassenecken  aufgethürmt  und  die  Tische,  wo 
sie  schnittweise   für   geringe  Kupfermünze    feil    sind,    von  durstigen 
Bauern,  Soldaten  u.  s.  w.  umdrängt.     Sie  reift  grade  in  der  grössten 
Hitze  des  Augustmonats  und  ist  um  so  süsser  und  saftiger,  je  heisser 
nnd  trockener  der  Jahrgang  gewesen.     Ungleich  wichtiger  aber  ist 
sie  im  Haushalt  des  orientalischen  Lebens  und  bei  den  Halborientalen 
des   europäischen  Südostens.    Die  glühenden  Sommer  und  strengen 
Lüfte  begünstigen  dort  das  Gedeihen   der  einjährigen   Pflanze.     Sie 
wird  auf  weiten  Feldern   gebaut  und  zur  bestimmten  Zeit  in  ganzen 
Wagenladungen  in  die  Städte  gebracht,    wo  Jung  und  Alt  sich  mit 
Leidenschaft  dem  Genüsse  hingiebt.     Die  Wassermelone  geht  durch 
ganz  Vorderasien,  Persien,  die  Kaukasusländer  bis  zur  Niederdonau, 
Ungarn,    der   Wallachei    (vergl.    schon   Plin.    19,   65:    cucumeres .  .  . 
phcent   ffrandissimi    Moesiae)^    besonders    aber    den    humusreichen 
trockenen  Ebenen  des   südlichen  Russlands    und    den  angrenzenden 
asiatischen   halb    Steppen-    halb    Gartenländern.      Mindestens    zwei 
Monatim  Jahr  lebt  der  russische  Steppenbewohner  nur  von  Arbusen  — 
dies  ist  der  tatarisch-slavische  Name  |der  Frucht    —  mit  ein  wenig 
Brod.   Ist  der  nordische  Reisende  in  seinem  unförmlichen  „Tarantas** 
allmählig  bis  in  jene  Gegend  gerollt,    dann  lehrt  ihn  ein  Blick  auf 
die  Melonenfelder  und  die  gewöhnlich  danebenstehenden  hochragenden, 
ursprünglich    aus    Amerika    stammenden    Sonnenblumen,    helianthus 
annuuSy  deren  Samen  ein  beliebtes  Oel  abgeben,  dass  er  die  Sch^  eile 
des  Orients  bereits  überschritten  hat.     Li  den  Kaukasusländern,    die 
so  überschwenglich  reich  an  dem  herrlichsten  Obst,  an  Trauben  und 
Nüssen  sind,    verschmäht  der  Eingeborene,    er  sei  welcher  Ract  er 
wolle,   neben  dem  Saft  der  Wassermelone,    der  dem  Deutschen  wie 
Gurkenwasser  mit  ein  wenig  Zucker  schmeckt,  jeden  andern  Lecker- 
bissen.    Auf  die  Herkunft  der  Frucht  wirft  der  neupersische  N.nme 
Mndevdne   d.  h.  indische  Frucht  ein   helles  Licht;    woher    sie  nach 

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260  I>er  Haushahn. 

Griechenland,  Russland  und  Polen  kam,  lehrt  die  tatarische  Be- 
zeichnung charpuz^  karpus  gegenüber  dem  neugriechischen  xagnovoia^ 
slayischen  arbuz.  (Die  Variante  arbuz  und  karpas  erinnert  an  ooxiov 
und  slav.  kosti^  "  Ynavig  und  Kuban  und  an  den  alanischen  Namen 
Aspar  und  dessen  deutsche  Form  Gaspar^  hochd.  Kaspar^  s.  Zeoss, 
die  Deutschen,  S.  461  Anm.).  Sie  wanderte  also  nach  Persien  ein, 
als  die  Verbindung  mit  Indien  neu  eröffiiet  war,  sei  es  zur  Zeit  der 
arabischen  oder  der  mongolischen  Herrschaft,  nach  Griechenland 
durch  die  Türken,  nach  Kussland  von  den  tatarischen  Reichen  Astrachan 
und  Kasan;  in  Kleinrussland  waren  wohl  die  Kosakenhorden  am 
Dniepr  die  Verbreiter.  Das  polnische  kawon  Wassermelone  ist  gleich- 
falls ein  orientalisches  Wort  (asiatische  Benennungen  der  Früchte 
dieser  Familie  finden  sich  gesammelt  und  untersucht  von  Pott  in  der 
Zeitschrift  für  Kunde  des  Morgenl.  7,  151  £F.)-  Das  altslavische 
tykvay  der  Kürbiss,  haben  wir  schon  früher  (bei  der  Feige)  an  das 
griechische  aixva  angelehnt;  das  altsl.  dynja^  Melone,  erklart  Miklosich 
aus  dem  Verbum  dqti  dunqti  flare^  also  die  aufgeblasene  Frucht; 
poln.  banja^  Wassermelone,  scheint  eins  und  dasselbe  mit  banjcL,  Ge- 
fass,  Wanne;  beides  letztere,  wie  man  sieht,  eine  der  Auffassung 
der  alten  Griechen  und  Römer  ganz  verwandte  Namensgebung.  Alt- 
und  südslavisch  (auch  albanesisch)  krastavici  cucumis  erklärt  sich  aus 
krastavi  acabidus^  scaber^  also  die  rauhe  Frucht,  alt-  und  südslavisch 
lubü^  Cucurbita  citrullus,  wohl  aus  liibü  calva^  Himschädel.  Die 
deutschen  Wörter  Kürbiss,  Pfebe,  Melone  stammen  aus  dem 
Lateinischen  und  die  damit  bezeichneten  Naturobjecte  aus  Italien,  also 
nicht  etwa  aus  Ungarn  und  dem  byzantinischen  Reiche. 


Der  Haushahn. 

Der  Haushahn  ist  in  Vorderasien  und  in  Europa  viel  jünger,  als 
man  denken  sollte.  Die  semitischen  Kulturvölker  können  ihn  nicht 
gekannt  haben,  da  das  Alte  Testament  seiner  nirgends  erwähnt  Er 
fehlt  auch  auf  den  ägyptischen  Denkmälern,  deren  Bildwerke  uns 
im  Uebrigen  das  Detail  des  Haushalts  der  Nilthalbewohner  so  an- 
schaulich vor  Augen  stellen:  wir  sehen  dort  Scharen  von  zahmen 
Gänsen,   wie  sie  von  der  Weide  heimgetrieben,    sie  selbst  und  ihre 

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Der  Haasliahn.  261 

Eier  sorgfältig  gezählt  werden  u.  s.  w.,  nirgends  aber  Hühner^  und 
wenn  Aristoteles  sagt,  die  Eier  würden  in  Aegypten  auch  könstlich 
twisgebrütet,  indem  man  sie  in  Mist  vergrabe  (hist.  anim.  6,  2,  3), 
nnd  Aehnliches  auch  Diodorl,  74  berichtet,  so  ward  diese  Industrie 
entweder  nur  an  Gänsen  und  Enten  geübt  —  welcher  Vermuthung 
Aristoteles  nicht  widerspricht,  da  er  nur  ganz  allgemein  von  Vogel- 
eiem  redet,  oder  gehört  in  die  Zeit  nach  der  persischen  Eroberung,  - 
wie  Diodor  selbst  anzudeuten  scheint,  da  er  seine  Erzählung  von  den 
Brutofen  mit  den  Worten  einleitet,  Vieles  in  Betreff  der  Züchtung 
und  Wartung  der  Thiere  hätten  die  Aegypter  von  den  Vorfahren 
überkommen,  Vieles  aber  hätten  sie  dazu  erfunden  und  darunter  als 
das  Wunderbarste  die  künstliche  Ausbrötung  der  Eier.  Der  Haushahn 
stammt  ursprünglich  aus  Indien,  wo  sein  Vorfahr,  der  Bankiva-Hahn, 
noch  jetzt  von  Hinterindien  und  den  indischen  Inseln  bis  nach  Kasch- 
mir hin  lebt,  und  verbreitete  sich  erst  mit  den  medisch-persischen 
Eroberungszügen  weiter  nach  Westen.  Der  Samier  Menodotus  be- 
hauptete in  seiner  Schrift  über  den  Tempel  der  samischen  Hera, 
wie  der  Hahn  von  der  Landschaft  Persis  aus,  so  habe  sich 
der  Pfau  von  dem  genannten  Heiligthum  aus  über  die  umliegenden 
Gegenden  verbreitet  (Athen.  14  p.  655).  In  der  Zoroaster- Religion 
waren  Hund  und  Hahn  heilige  Thiere,  der  eine  als  der  treue  Hüter 
des  Hauses  und  der  Heerden,  der  andere  als  Verkündiger  des  Morgens 
und  als  Symbol  des  Lichts  und  der  Sonne.  Der  Hahn  ist  vorzüglich 
dem  (^raosha  geweiht,  dem  himmlischen  Wächter,  der,  vom  Feuer 
geweckt,  selbst  wiederum  den  Hahn  weckt:  dieser  vertreibt  dann 
durch  sein  Krähen  die  Da^vas,  die  bösen  Geister  der  Finstemiss, 
besonders  den  Dämon  des  Schlafes,  die  gelbe,  langhändige  Büshya^ta. 
Im  18.  Fargard  des  Vendldäd  heisst  es  §  34  ff.  (nach  Spiegels  Ueber- 
setzung):  „Darauf  entgegnete  Ahura-mazda:  der  Vogel,  der  den  Namen 
Parödars  führt,  o  heiliger  Zarathustra,  den  die  übelredenden  Menschen 
mit  dem  Namen  Kahrkatäp  belegen,  dieser  Vogel  erhebt  seine  Stimme 
bei  jeder  göttlichen  Morgenröthe."  (Ebenso  18,  51  ff.).  Ormuzd 
hatte  den  Vogel  also  selbst  dem  Zoroaster  empfohlen.  Eine  Stelle 
des  Bundehesch  im  14.  Abschnitt  lautet  (übersetzt  von  Grotefend  in 
Lassens  Zeitschr.  4  S.  51):  „Halka  der  Hahn  ist  den  Dews  und 
Sauberem  feind.  Er  unterstutzt  den  Hund,  wie  im  Gesetze  steht: 
unter  den  Weltgeschöpfen,  die  Darudsch  plagen,  vereinigen  Hahn 
und  Hund  ihre  Kräfte.  Er  soll  Wache  halten  über  die  Welt,  gleich 
als  wäre  kein  Hund  zur  Beschützung  der  Heerden  (oder  Häuser)  da. 
Wenn   der  Hund  mit  dem  Hahn    gegen  Darudsch   streitet,    so  entr- 

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262  I^er  Haushahn. 

kräften  sie  ihn,  der  sonst  Menschen  und  Vieh  peinigt.  Daher  heisst 
es:  durch  ihn  werden  alle  Feinde  des  Guten  überwunden;  seine  Stimme 
zerstört  das  Böse**  oder  nach  der  üebersetzung  Windischmann's  (Zo- 
roastrische  Studien,  S.  95):  „der  Hahn  ist  zur  Vertilgung  der  Devs 
und  Zauberer  geschalPen;  mit  dem  Hund  sind  sie  Gehulfen,  wie  ge- 
sagt ist  in  der  Din:  von  den  irdischen  Geschöpfen  sind  diese  zum 
Schlagen  der  Drukh's  zusammen  Gehülfen,  Hahn  und  Hund.**  Wo 
sich  ein  persischer  Mann  niederliess,  da  sorgte  er  gewiss  so  sicher 
für  einen  Hahn,  als  er  die  Frühgebete  und  Reinigungen  vor  und  bei 
Sonnenaufgang  nicht  unterliess.  So  weit  die  Grenzen  der  persischen 
Herrschaft  reichten,  fand  ohne  Zweifel  das  so  zahme  und  nützliche, 
so  leicht  übertragbare  und  zugleich  in  Gestalt  und  Sitten  so  eigen- 
thümliche  Thier  in  den  Höfen  und  Haushaltungen  der  Menschen, 
auch  der  Andersgläubigen,  leichten  Eingang  und  willige  Au&ahme. 
Auf  dem  sogenannten  Harpyien-Monument  der  Akropolis  von  Xanthus 
in  Lykien,  das  sich  jetzt  in  London  befindet,  wird  einer  sitzenden 
Göttergestalt  ein  Hahn  als  Geschenk  oder  Opfer  dargebracht.  Stammte 
dies  Grabdenkmal,  wie  Welcker  in  seiner  Ausgabe  von  O.  Müllers 
Archäologie  der  Kunst  annimmt,  wirklich  aus  der  Zeit  vor  OL  58,3 
d.  h.  vor  der  Einnahme  der  Stadt  Xanthus  durch  die  Perser,  so 
wäre  der  Hahn  den  Lykiem  in  der  That  vor  der  Ausbreitung  der 
persischen  Macht  bekannt  gewesen.  Allein  der  archaistische  Stil  der 
dort  dargestellten  Scenen,  der  in  Griechenland  vielleicht  auf  eine 
mehr  oder  minder  bestimmte  Epoche  führen  würde,  bildet  für  Lykien, 
dessen  Kunstentwicklung  uns  unbekannt  ist,  kein  irgendwie  sicheres 
chronologisches  Merkmal.  Die  Akropolis  wurde  vor  der  Einnahme 
durch  den  persischen  Feldherm  von  den  Einwohnern  selbst  durch 
Feuer  vernichtet  und  dabei  gingen,  wie  man  glauben  muss,  auch  die 
daselbst  vorhandenen  Denkmäler  mit  zu  Grunde,  und  dass  zur  Zeit 
der  persischen  Herrschaft,  die  nur  eine  Art  Oberhoheit  war  und  die 
Lykier  in  relativer  Unabhängigkeit  beliess,  kein  solches  Grabmonument 
errichtet  werden  konnte,  ist  gewiss  eine  grundlose  Behauptung. 
Ginge  die  Bekanntschaft  mit  dem  Haushahn  in  Lykien  weit  in  die 
vorpersische  Zeit  hinauf,  dann  würde  die  griechische  Welt  sicher  an 
dieser  Kenntniss  Theil  genommen  haben.  Aber  auf  griechischem 
Boden  zeigt  sich  bei  Homer  und  Hesiod  und  in  den  Fragmenten 
der  altem  Dichter  von  Hahn  und  Henne  keine  Spur.  Und  doch 
müsste  der  bei  Nacht  die  Stunden  abrufende  Prophet  (unter  Menschen, 
die  noch  keine  Uhr  besassen),  der  vornehm  stolzirende,  lächerh'ch 
krähende,    blinzelnde    Sänger   (Herr   Chanteclers\    der    von    seinem 

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Der  Hanshahn.  263 

Hähnerharem  umgebene,  höchst  eifersüchtige  Sultan  (salax  galltis)y 
der  hitzige,  eitle,  mit  Kamm,  Troddel  und  Sporn  bewaffiiete  Kämpfer, 
die  ihr  Eierlegen  durch  schluchzendes  Crackern  der  Welt  verkündende 
Henne  (Frau  Kratzefuss),  überhaupt  diese  ganze  heitere  Parodie 
menschlicher  Familie  und  ritterlicher  Sitte  ein  häufiger  Gegenstand 
der  Besprechung  und  Vergleichung  bei  den  Dichtern  sein,  wenn  Be- 
kanntschaft damit  stattgefunden  hätte.  Auch  war  es  schon  den 
Alten  nicht  entgangen,  dass  Homer,  wenn  er  auch  die  Eigennamen 
'JUxzwq  und  uilexTQvwv  habe,  doch  das  Thier,  das  eben  so  be- 
nannt wurde,  nicht  zu  kennen  scheine,  Eastath.  ad.  B.  17,  602, 
p.  1120,  13:  „aber  des  Thieres  Name,  sagen  die  Alten,  werde  bei  ' 
Homer  nirgends  gelesen**  (ähnlich  p.  1479,  41).  Die  älteste  Erwäh- 
nung ist  die  bei  Theognis,  einem  Dichter  der  zweiten  Hälfte  des 
6.  Jahrhunderts,  der  ohne  Zweifel  die  Unterwerfung  der  lonier  durch 
Harpagus  und  die  Besetzung  von  Samos  durch  die  Perser  (im 
J.  522)  erlebte  und  schon  die  nahe  Besorgniss  vor  einem  Kriege  mit 
den  gewaltigen  Medem  ausspricht,  v.  863,  864: 

kanegiTj  %*e^Bt^L  xal  oQx^qIti  avrig  igeifii, 

7] flog  aXexjQvovüJv  (p^oyyog  iyeigo/iivtav 
—  obgleich  die  Zumischung  so  mancher  fremden  Bestandtheile  in 
unserer  Sammlung  der  Gedichte  des  Theognis  jeder  darauf  gebauten 
Zeitbestimmung  viel  von  ihrer  Sicherheit  nimmt.  Aus  derBatracho- 
myomachie,  wo  der  Hahn  gleichfalls  vorkommt,  ist  bei  dem  Zustand 
des  Textes  und  dem  vermuthlich  jungen  Ursprung  dieses  Werkes 
natürlich  noch  viel  weniger  zu  schliessen.  Zu  der  Zeit  des  Theognis 
würde  es  stinmien,  wenn  der  berühmte  Athlet,  Milon  von  Kroton, 
wirklich  von  der  gemma  alectoria  d.  h.  dem  im  Magen  des  Hahnes 
gefundenen  angeblichen  Edelsteine  als  Amulet  zur  Erringung  des 
Sieges  Gebrauch  gemacht  hätte  (Plin.  27, 144):  allein  dieser  Aber- 
glaube wurde  von  den  Späteren  nur  auf  Milon  übertragen,  dessen 
Leben  von  einer  Menge  Legenden  umsponnen  ist.  Aber  bei  Epi- 
charmus,  der  um  die  Zeit  der  Perserkriege  blühte,  bei  Simonides, 
Aeschylus  und  Pindar  finden  wir  den  Hahn  unter  dem  stolzen  Namen 
aXixTioQ  schon  als  gewohnten  Genossen  des  Menschen.  Der  Kampf 
der  Hähne  desselben  Hofes  mit  einander  wird  frühe  von  den  Dicli  lern 
als  Gleichniss  und  Vorbild  auf  den  Streit  der  Menschen  bezogen» 
In  den  Eumeniden  des  Aeschylus  (v.  848  ed.  Herm.)  warnt  Athene 
vor  dem  Bürgerkrieg,  als  dem  Kampf  der  Hähne  gleichend  (nach 
Otfr.  Müllers  Uebersetzung): 


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264  I>er  Haoshahn. 

Noch  auch  vergäll'  ihr  Herz  wie  eines  Hahnes  Sinn, 
und  pflanze  Eriegslust  meinen  Bürgern  in  den  Geiste 
Die  innem  Zwist  schafft,  Trutz  und  Gegentrutz  erzeugt. 
Jenseits  der  Marken  wüthe  Krieg,  vom  Heerde  fem. 
Wo  hohe  Sehnsucht  nach  dem  Ruhm  sich  offenbart; 
Den  Kampf  des  Yogels  auf  dem  Hof  wünsch  ich  hinweg. 

Eben  so  vergleicht  Pindar  im  12.  olympischen  Liede  den  ruhmlosen 
Sieg  in  der  Vaterstadt  mit  dem  des  Hahnes  daheim  auf  dem  Hofe 
(in  der  Epode):  ivdofiäxag  fix'  alexTWQ.  Auch  Themistokles  soll 
den  Math  seines  Heeres  einst  durch  den  Hinweis  aaf  zwei  kämpfende 
Hähne  belebt  haben,  die  bloss  für  den  Siegerruhm,  nicht  für  Heerd 
und  Gtötter  ihr  Leben  einsetzen  (Ael.  V.  H.  2,  28).  Wenn  man  die 
späteren  öffentlichen  und  künstlichen  Hahnengefechte,  die  sehr  beliebt 
worden  und  in  zahlreichen  Bildwerken  des  Alterthums  dargestellt 
sind  (O.  Jahn,  Archäologische  Beiträge,  S.  437  ff.),  von  dieser  Rede 
des  Themistokles  ableitete,  so  erhellt  daraus  wenigstens,  dass  man 
sich  diese  Wettkämpfe  nicht  älter  dachte,  als  die  persischen  Kriege. 
Bei  den  Komikern,  bei  denen  wir  mehr  die  Sprache  des  Lebens 
vernehmen,  heisst  der  Hahn  immer  noch  der  persische  Vogel: 
Cratinus  bei  Athen.  9,  p.  374 : 

äonsQ  6  neQOixog  äqav  naaav  xavaxfSv  oX6g)covog  akixtWQ, 
Aristoph.  av.  483: 

avtUcL  d^v/iuv  ngdiz^  irtidei^o)  tov  äXexTQv6v\  wg  hvQavvai^ 
rjQxe  TB  IleQawv  nQWxov  ticcvzcjv^  JaQslov  xai  Meyaßa^ov^ 
äoTS  xaXaixai  nsQOixdg  OQvig  and  zrjg  OQxrfg  et*  ixeivrjg. 

V.  707: 

o  fiiv  ÖQTvya  dovg,  6  de  noQq>vQia)v\  6  di  x^^\  o  de  TleQOixov  OQviv. 

(Nach  Aussage    des  Scholi asten    verstanden   hier   einige   unter   dem 
persischen    Vogel    den    Pfauen:    aber    die    Zusammenstellung    mit 
Wachtel,    Wasserhuhn    und  Gans    spricht  mehr   für  das  bescheidene 
Huhn,  als  für  den  kostbaren  Pfau). 
V.  883: 

OQvig  afp*  i^ftwv  zov  yivovg  xov  UeQaixov, 
oansQ  kiyezai.  deivozaiog  elvai  nctvxaxov 
u^gecjg  veottog. 

An  einer  anderen  Stelle  desselben  Stückes  (v.  276)  führt  der  Hahn 
den  komischen  Namen  M^dog^  der  Meder,  und  Peithetairos  wundert 
sich,  wie  er  als  Meder  ohne  Eameel  herbeigekommen  sei.     An  zwei 


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Der  Haushahn.  265 

Stellen  des  Tragikers   Ion,    die  Athenäus    (4,  p.  185)    erhalten   hat, 
lässt  die  Flöte  als  Hahn  das  lydische  Lied  erklingen: 

int  <J'  avXog  akixrioQ  Xvdiov  vfivov  ax^wv 

(nach  Meinekes  Emendation),  und  die  Hirtenpfeife  heisst  der  Hahn 
vom  Berge  Ida  in  Phrygien  : 

7iQ0&ei  (Mein,  ^o&ei)  de  toi  avQiy^  ^Idalog  älixzu)(). 

Woher  aber  das  Wort  alixrwQ^  äkexTQviiv  selbst,  das  ein  so  emi- 
nent griechisches  Gepräge  trägt?  Es  muss  in  lonien,  als  die  dor- 
tigen Städte  nach  dem  Sturz  des  Crösus  unter  persische  Botmässig- 
keit  fielen  und  wie  den  Besatzungen,  so  auch  dem  Kultus  des  Siegers 
and  dessen  heiligen  Thieren  ihre  Thore  öffneten,  entstanden,  oder 
vielmehr,  vielleicht  mit  Anklang  an  das  iranische  halka^  alka^  er- 
fanden worden  sein.  Der  wunderbare,  licht  verkündende  Sonnen  vogel, 
der  den  priester liehen  Namen  Parödars  führte,  wurde  in  einer  aus 
dem  Traume  des  Mythus  halb  erwachten  und  der  epischen  Sprache, 
wie  der  epischen  Sage  schon  in  beginnender  Reflexion  sich  gegen- 
überstellenden Zeit  mit  dem  auf  den  Sonnengott  hinweisenden,  gleich- 
falls mystisch-bedeutungsvollen  Worte  olUxtvjq  genannt.  Die  Namen 
flUnitDQ  ^YneQiiüv  (die  strahlend  wandelnde  Sonne),  t^Isxtqov  (glän- 
zendes Metall,  sonnenfarbiger  Bernstein),  ^HlixzQa  (Göttin  des  wieder- 
spiegelnden Wasserglanzes),  ^HlexTQiwv^  Sohn  des  Perseus,  die  elek- 
trischen Inseln,  das  elektrische  Thor  in  Theben  u.  s.  w.,  und  auch 
die  Formen  mit  anlautendem  a:  ^AXbxtqvcjv^  ^AUxiwq  waren  aus 
Homer  und  dem  Heroenmythus  jedem  gebildeten  Frommen  lebendig 
and  geläufig,  wie  auch  noch  Empedokles  in  dem  Verse,  in  dem  er 
die  vier  Elemente  aufzählt,  das  Feuer  hieratisch  riXexxwQ  nennt: 

^XixTWQ  ze  x^oiv  T€  xai  ovQavo^  /jöe  S-akaoaa, 
Mit  der  Zeit  freilich,  als  der  ursprüngliche  Sinn  des  alten  Wortes 
im  allgemeinen  Gefühl  erloschen  war,  wurde  es  in  populärer  Deutung 
als  Zusanmiensetzung  mit  Hxtqov  aufgefasst,  entweder  als  Lager- 
genosse, wie  Sophokles  alixxcoQ  für  alnxog  Gattin  gebrauchte 
(fr.  766  Nauck),  oder  als  der  Lagerlose,  nicht  Schlummernde,  was 
auf  den  Hahn  gut  zu  passen  schien.  Dass  aber  der  neue  Name  in 
den  beiden  Formen  qA€xtcoq  und  alsxiQvcuv  auftrat  —  von  denen 
die  erstere  sich  als  die  poetisch-edle  isolirte,  die  andere  dem  täglichen 
Gebrauche  zufiel  — ,  ist  ein  sprechender  Beleg  dafür,  dass  er  nach 
dem  Vorbild  jener  mythischen  Heroennamen  gebildet  ist.  Auch  dass 
zu  Aristophanes  Zeit  die  Sprache  noch  keine  feste  Form  des  Femi- 
ninums  zu  dem  Masculinum    alexTQvdv  gebildet  hatte,    so  dass  der 

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266  Der  Haushahn. 

Dichter  diejenigen  verlacht,  die  sich  des  Ausdrucks  alextgraiva  be- 
dienten (Nub.  658  ff.),   bestätigt   die  Neuheit   des  Namens   und   der 
Sache,  da  gerade  bei  diesem  Hausthier  die  fixe  Unterscheidung  bei- 
der Geschlechter   ein   dringendes    sprachliches    Bedör&iss   ist;    erst 
Aristoteles   braucht   die    weibliche  Form    älexxoQig  neutral    in    der 
Weise  unseres  Huhn    für    die  Gattung.     Der  Volksraund   m&fr  sich, 
ehe  dXexTQvviv  von  oben  herab  durchdrang,  mancherlei  Benennungen 
gebildet  haben,  von  denen  persischer  Vogel  eine  ist,  die  übrigen  aber, 
wie   natürlich,    auf   literarischem    Wege   nicht    bis   zu   uns    gelangt 
sind.  —   Da  der  Hahn  in   einer  jüngeren  Epoche    erschien,    wo  die 
mythische  Produktion  schon  im  Absterben  begriffen  war,   so  konnte 
er  keine  hervorstechende  religiöse  Bedeutung  erlangen.    Als  Kampf- 
hahn war  er  natürlich  dem  Ares  und  auch  der  Pallas  Athene  heilig; 
Plutarch  Marcell.  22  erzählt,   in  Sparta  sei  nach   vollbrachtem  Feld- 
zuge  eine    zwiefache  Art  Opfer  Brauch   gewesen:    wer  seine  Sache 
mit  List   und    Ueberredung   geführt,    opferte    ein    Rind;    wer    durch 
Kampf  seine  Absicht  erreicht,  einen  Hahn.    Als  die  Sonne  verkündend 
oder  bedeutend  war  der  Hahn  in  Olympia,  von  der  Hand  des  Onatas 
gebildet,    auf  dem  Schilde    des  Idomeneus  zu  sehen,    der  ein  Enkel 
der  Pasiphae  und  also  Abkömmling   des  Sonnengottes  war  (Pausan. 
5,  25,  5);    Plutarch  spricht    (de  Pythiae  oracc.  12)    von   einem  Bilde 
des  Apollo,  der  auf  der  Hand  einen  Hahn  trug,  also  als  Sonnengott 
gedacht  war;  auf  Münzen  vonPhaestus  in  Kreta  hält  ein  jugendlicher 
Gott,  offenbar  Personification  der  Sonne,  mit  der  Rechten  einen  auf 
seinem  Schoss- sitzenden  Hahn  (Welcker,  Gr.  Götterl.  2,  244).    Dass 
der  Hahn    dem    Heilgotte  Asklepios   geopfert   wurde,    ist   aus   dem 
Schlüsse   von  Piatos  Pbädon    allgemein    bekannt     Der  Hahnenaber- 
glaube  in   dem  Felsensiädtchen   Methana  zwischen   Epidaurus   und 
Trözen,    von  welchem  Pausanias  (2,  34,  3)  erzählt,   hängt  gleichfalls 
mit  dem  Dienst  des  Asklepios    in  jener  Gegend    zusammen:    um  die 
bösen  Wirkungen  des  ytitff^  des  Südostwindes,  auf  die  Reben  zu  ver- 
hüten, zertheilten  dort  zwei  Männer  einen  Hahn,  liefen  jeder  mit  der 
Hälfte    des  Thieres   von   entgegengesetzter  Seite   um  die  Weinberge 
herum  und  begruben  das  Thier  an  der  Stelle,  wo  sie  zusammentrafen. 
Dass  bei  dem  berühmtem  Beilager  des  Ares  und  der  Aphrodite  der 
Wächter  Alektryon  eingeschlafen,  den  Tag  zu  melden  vergessen  und 
dafür  von  Ares  in  einen  Hahn  verwandelt  worden,  erklärt  Eustathius, 
der  an  der  betreffenden  Stelle  der  Odyssee   (p.  1598  ex.)  diese  auch 
von  Lucian  (Somnium  seu  gallus  p.  292  f.  ed.  Bip.)  erwähnte  Fabel 
erzählt,   selbst  für  eine  spätere  Erdichtung.  —  Bald  nach  ihrem  Er- 
\ 

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Der  Haushahn.  267 

scheinen  in  Griechenland  werden  Hühoerfamilien  zu  SchifFe  —  nikhts 
ist  leichter,  als  diese  Thiere  zu  Schiffe  mit  sich  zu  führen  —  auch 
nach  Sicilien  und  Unteritalien  gekommen  und  wie  in  Griechenland 
von  Haus  zu  Haus  gewandert  sein.  Dass  die  Sybariten  keinen 
Hahn  geduldet,  um  nicht  im  Schlaf  gestört  zu  werden,  ist  eine  von 
den  spät  erfundenen  Anekdoten,  an  denen  der  Witz  sich  übte;  ihre 
Stadt  wurde  übrigens  schon  im  Jahr  510  oder  511  vor  Chr.  zerstört, 
als  der  Hahn  noch  gar  nicht  in  Italien  oder  daselbst  noch  sehr  jung 
war.  Auf  den  Münzen  von  Himera  in  Sicilien  sieht  man  den  Hahn, 
zaweüen  auch  auf  der  Rückseite  die  Henne,  vielleicht  als  Attribut 
des  Asklepios,  der  in  den  Heilquellen  der  Stadt  waltete.  Auch  was 
sonst  auf  Münzen  und  auf  Vasen  alten  und  ältesten  Stils  in  Griechen- 
land wie  in  Sicilien  und  Italien  an  Darstellungen  des  Haushahns  sich 
findet,  geht  über  die  von  uns  angegebene  Epoche  (zweite  Hälfte  des 
6.  Jahrhunderts)  nicht  hinaus. 

Die  Römer,  die  den  Vogel  direkt  oder  durch  Vermittelung  von 
einer  dieser  griechischen  Städte  empfingen,  benutzten  ihn  mit  acht 
römischer  religiöser  List  zur  Weissagung  im  Kriege:  da  nämlich  kein 
Aagur  das  ausziehende  Heer  begleitete  und  folglich  atispicia  ex  avibtcs 
nicht  möglich  waren,  schuf  man  sich  den  Answeg,  zahme  Hühner 
im  Kä6g  mitzuführen  und  mittelst  ihrer  sog.  aicspicia  ex  tripudiis 
anzustellen :  frassen  die  Thiere  mit  Begierde  von  dem  vorgeworfenen 
Brei  und  zwar  so,  dass  Stücke  desselben  aus  dem  Schnabel  wieder 
auf  die  Erde  fielen,  so  war  dies  ein  tripudium  solisümum  d.  h.  ein 
günstiges  Zeichen  für  die  bevorstehende  Unternehmung;  der  umge- 
kehrte Fall  ward  als  Wainung  und  Abmahnung  angesehen.  Natürlich 
hatte  dabei  der  pullarius^  je  nachdem  er  seinen  Thieren  vorher  zu 
fi^ssen  gegeben  hatte  oder  nicht,  den  Erfolg  ganz  in  seiner  Hand. 
Dass  die  Sitte  jüngeren  Ursprungs  war  (Cic.  de  divin.  2,  35:  qtio 
antiquissimos  augures  non  esse  usos,  argumento  est^  quod  decretum 
colleffii  vetm  habemus^  omnem  avem  tripudium facere posse\  gehtauch 
ans  der  verhaltnissmässig  kritischen  Au&ssung  hervor,  die  sie  in 
einer  religiös  bereits  herabgestimmten  Epoche  erfuhr.  Jener  Feldherr 
im  ersten  punischen  Kriege,  P.  Claudius  Pulcher,*  von  dem  Cicerü 
erzählt  (de  nat.  deor.  2,  3,  7),  Hess  die  heiligen  Hühner,  weil  sie  das 
vorgeworfene  Futter  verschmähten,  ins  Wasser  werfen;  wenn  sie 
nicht  fressen  wollten,  rief  er,  so  möchten  sie  saufen,  büsste  die 
Lästerung  freilich  mit  dem  Verlust  der  Flotte.  Cicero  selbst  aber 
drückt  sich  nicht  sehr  respectvoU  über  das  Hühnerorakel  aus  —  ei' 
nennt  es  ein  auspicium  coactum  et  eapressum  —   und  Plinius  10,  49 


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268  Der  Haushahn. 

ist  ironisch  erstaunt,  dass  die  ^nichtigsten  Staatsgeschäfte,  die  ent- 
scheidenden Schlachten  und  Siege  von  Hühnern  gelenkt  und  die 
Weltbeherrscher  wieder  von  Hühnern  beherrscht  würden.  In  Catos 
ländlicher  Oekonomie  spielen  die  Hühner  noch  keine  grosse  Rolle  — 
er  lehrt  nur  an  einer  Stelle,  wie  Hühner  und  Gänse  gestopft  würden  — , 
aus  der  ausführlichen  Unterweisung  aber,  die  Varro  3,  9  und  Colu- 
mella  8,  2  ff.  über  die  Behandlung  und  Pflege  derselben  geben,  er- 
sieht man,  wie  entwickelt  und  verbreitet  die  Hühnerzucht  zur  Zeit 
dieser  Schriftsteller  in  Italien  schon  war.  Grössere  edlere  Varietäten 
des  asiatischen  Haushahnes,  besonders  Eampfhähne,  wurden  aus  ver- 
schiedenen, durch  besondere  Zucht  und  Race  sich  auszeichnenden 
Orten  Griechenlands  bezogen.  In  früherer  Zeit  war  die  Insel  Delos 
in  dieser  Hinsicht  berühmt  gewesen:  Cicero  erzählt  (Acad.  2,  18), 
die  Delier  hätten  bei  Anblick  eines  Eies  die  Henne  angeben  können, 
von  der  es  gelegt  worden  (was  übrigens  nicht  so  schwer  ist,  denn 
das  Sprichwort:  so  ähnlich  wie  ein  Ei  dem  andern  —  trifil  nicht 
ganz  zu);  jetzt  standen  die  tanagräischen,  rhodischen,  chalcidischeu 
Hähne  als  stark  und  schön  in  besonderem  Ruf.  Varro,  Columella 
und  Pliuius  erwähnen  auch  der  grossen  sogenannten  meUschen 
Hühner,  gaüinae  melicae^  die  nach  dem  Erstgenannten,  der  auch  eia 
Sprachforscher  war,  wiewohl  nicht  immer  ein  glücklicher,  eigentlich 
medicae^  modische  Hühner,  heissen  sollten.  Wir  entnehmen  daraas 
die  Thatsache,  dass  noch  in  römischer  Zeit  Medien,  woher  die 
Hühner  zuerst  nach  Europa  gekommen  waren,  frisches  Blut  nach- 
lieferte; die  Form  melicae  könnte  aber  eben  desshalb  richtig  sein  und 
das  altbaktrische  meregha  avis^  persische  murgh,  kurdische  mmhk, 
ossetische  margh  gallina^  wiedergeben,  welches  dann  auch  die  Ur- 
form zu  dem  griechischen,  durch  Volksetymologie  entstellten  ^sle- 
ctyQig  wäre. 

Auf  welchen  Wegen  sich  das  Geschlecht  der  Haushühner  zu  den 
Barbaren  im  mittleren  und  nördlichen  Europa  verbreitete,  darüber 
giebt  es  natürlich  keine  direkten  historischen  Zeugnisse.  Diese  Vei^ 
breitung  konnte  geraden  Weges  von  Asien  zu  den  stammverwandten 
Völkern  der  südrussischen  Steppen  und  des  Ostabhangs  der  Karpathen 
gehen,  deren  Religion  der  der  übrigen  iranischen  Stämme  folgte  und 
die  in  einigen  ihrer  Glieder  schon  zu  Herodots  Zeit  Ackerbau  trieben, 
oder  durch  die  griechischen  Kolonien  am  schwarzen  Meer,  deren 
Einfluss  sich  bekanntlich  weit  erstreckte,  oder  von  Thrakien  zu  den 
'Stämmen  an  der  Donau,  oder  von  Italien  aus  auf  den  alten  Handels- 
wegen  über   die   Alpen,    oder   über   Massilia   in    die    Rhone-  und 


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Der  Haashahn.  269 

KheiDgegenden,  oder  endlich  auf  mehreren  dieser  Wege  zugleich. 
Je  mehr  ein  Volk  vom  nomadischen  Hirtenleben  zur  festen  An- 
siedelang  überzugehen  sich  anschickte,  desto  leichter  musste  dies  den 
geschlossenen  Hof  belebende,  körnerfressende,  von  Fuchs  und  Wiesel 
?erfolgte  Hausgeflügel  bei  ihnen  Aufnahme,  bleibende  Statte  und 
Gedeihen  finden.  Cäsar  traf  um  die  Mitte  des  ersten  JahrhuDderts 
Tor  Chr.  die  Henne  schon  bei  den  Britannen  (de  b.  gall.  5,  12),  in- 
dess  vielleicht  nur  bei  den  gallisch  gebildeten,  den  Boden  bestellenden 
Stämmen  in  der  Nähe  der  Südkuste.  Befragen  wir  die  Sprachen, 
so  ergeben  sich  einige  nicht  uninteressante  Resultate.  Wir  sehen 
Reihen  von  Benennungen  von  Volk  zu  Volk  gehen,  in  verschiedenen 
sich  kreuzenden  Richtungen,  die  auf  die  Sitze  und  den  Verkehr  dieser 
Völker  ein  dämmerndes  Licht  werfen.  Zwar  gestatten  auch  manche 
andere  Kulturbegriffe  ähnliche  Schlüsse,  selten  aber  mit  einem  ver- 
hältm'ssmässig  so  festen  chronologischen  Anhalt.  Da  der  Hahn  nicht 
vor  der  zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  vor  Chr.  in  Griechenland 
erschien,  so  werden  wir  seine  Ankunft  im  inneren  Europa  nicht  vor 
das  fünfte  Jahrhundert  setzen  dürfen.  Was  in  dem  civilisirten 
Griechenland  schnell  von  Statten  ging,  konnte  im  barbarischen  Norden 
nur  langsam,  allmäblig  und  stufenweise  sich  vollziehen.  Um  die  ge- 
nannte Zeit  müssen 

1)  die  Germanen  schon  ein  abgesondertes  Ganze  gebildet  haben, 
da  sie  den  Vogel  mit  einem  eigenen,  nur  ihnen  angehörenden  Namen: 
hana  bezeichnen;  sie  müssen 

2)  auf  engem  abgeschlossenem  Raum  zusammengewohnt  haben, 
da  alle  germanischen  Stämme  diesen  Namen  gleichmässig  besitzen; 
sie  zerfielen  folglich  noch  nicht  in  einen  scandinavischen  und  einen 
continentalen  Zweig  oder  nach  anderer  Ansicht  in  Ost-  und  West- 
germanen ; 

3)  die  Deutschen  müssen  unmittelbare  Nachbarn  der  Finnen 
gewesen  sein,  da  das  gothische  Wort  sich  finnisch  (nicht  aber  litauiscLi 
u.  s.  w.)  wiederfindet; 

4)  die  deutsche  Lautverschiebung  kann  noch  nicht  eingetreten 
gewesen  sein,  da  das  deutsche  hana  bei  den  Finnen  kana  lautet: 

5)  der  bildende  Trieb  war  in  der  Sprache  der  Deutschen  jeuer 
Zeit  noch  so  naturalistisch  fein  und  rege,  dass  er  mit  den  geringsten 
Lautmitteln  für  das  männliche  und  weibliche  Thier  und  das  Junge 
besondere  Benennungen  schuf,  etwa  wie  solche  für  Stier,  Kuh  und 
Kalb  schon  bestanden.  Aus  dem  gothischen  hana^  ahd.  hano^  ags. 
Aona,  altn.  hani  —   welches  selbst  sehr  alterthümliche  Gestalt  zeigt, 

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270  Der  Haushahn. 

da  es  darch  keinen  andern  Behelf,  als  das  bei  Nominalstammen  so 
häufige  w,  gebildet  ist  —  ward  ein  epicönisches  Neutrum  ahd.  hwm^  in 
der  Bedeutung  pulhis,  später  in  der  des  nhd.  Huhn,  also  gothisch 
h6n,  und  zur  Bezeichnung  des  weiblichen  Genus  vermittelst  eines; 
ahd.  hennd,  also  gothisch  hanjo^  abgeleitet  —  zwei  ungemein  primi- 
tive Bildungen; 

6)  Slaven  und  Litauer  müssen  bereits  von  einander  gesondert  ge- 
wesen sein,  da  sie  den  Hahn  abweichend  benennen;  • 

7)  das  Volk  der  Slaven  muss  schon  auf  dem  ursprünglichen 
Boden  in  die  spätere  nordost-südliche  und  die  westliche  Gruppe  zer- 
fallen sein,  da  pieüü  gallus  nur  bei  der  ersteren,  kogut^  kohtit  idem 
vorzugsweise  bei  der  letzteren  erscheint,  während  das  erstere  Wort 
zugleich  in  der  Bedeutung  (der  Sänger),  nicht  in  der  Etymologie 
mit  dem  litauischen  und  vielleicht  mit  dem  germanischen  zusammen- 
stimmt; 

8)  die  Slaven  müssen  nach  ihrer  Trennung  von  den  Litauern  in 
einem,  auch  durch  andere  Indicien  sich  verrathenden  Zusammenhang 
mit  medopersischen  Stämmen  (Skythen,  Sauromaten,  Alanen)  ge- 
standen haben,  da  das  gemeinslavische  hirü^  kura  gallus^  galUna, 
zugleich  persisch  ist:  churu^  churuh^  churüs; 

9)  das  tik,  tyuk  gallina  der  Magyaren  stimmt  genau  zu  dem 
kurdischen  dik  gallus  (beiLerch,  Forschungen  IL  130.  122),  welches 
selbst-  wieder  arabisch  ist:  erhielten  sie  es,  wie  ihr  Wort  für  den 
Begriff  tausend,  direkt  von  einem  iranischen  Volke,  damals  als 
sie  noch  jenseits  der  Wolga  im  Lande  der  heutigen  Baschkiren 
sassen? 

10)  Eine  seltsame  Kette  von  Namen  geht  vom  Kanal  bis  zum 
innersten  Winkel  der  Ostsee  oder  vom  französischen  (nicht  proven- 
palischen)  und  armorischen  coq  bis  zum  finnischen  kukko  und  zu 
anderen  finnischen  Stämmen,  während  ein  ähnliches  Wort  (Küchlein) 
in  etwas  veränderter  Bedeutung  bei  Niederdeutschen,  Angelsachsen 
und  Scandinaviem  (nicht  bei  Hochdeutschen)  herrscht,  also  auf  dem 
angegebenen  Parallel  am  Boden  haftete; 

11)  keine  Spur  weist  direkt  nach  Italien,  sondern  alle  fuhren 
mehr  oder  minder  deutlich  nach  dem  Südosten  des  Welttheils,  was 
nur  bei  iranischen,  nie  bei  semitischen  Kulturerwerbungen  der  Fall 
ist.  Wäre  uns  das  Alt-Thrakische  und  Alt-Illyrische  oder  Pannonische 
erhalten,  so  würden  die  Namensanklänge,  die  das  Griechische  gewährt, 
vielleicht  zur  vollen  Identität  werden; 

12)  das  altbaktrischo  kahrka  Huhn  (zu    erschliessen  aus  kcArk- 

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Der  Haushahn.  271 

flffl  der  Geier  d.  h.  der  Hühnerfiresser)  stimmt  unmittelbar  Zusammen 
mit  dem  altirischen  cerc  gaüina^  Glosse  bei  Zeuss*  p.  782:  cerodae^ 
gaUmaceus.  Dazwischen  liegt  das  ossetische  kjark  gaüina  und  die 
Glosse  des  Hesychius:  xiQxog'  aAfixr^vcJy  (welche  Benennung  irgend- 
wo auf  der  Hämus-Halbinsel  Brauch  gewesen  sein  muss),  so  wie 
yielleicht  gothisch  hruk  galUcinium^  mit  dem  dazu  gehörigeo  Verbum 
hruk/'an.  Das  Wort  geht  also  quer  durch  das  europäische  Festland 
Tom  PoDtns  bis  an  den  Kanal  und  jenseits  desselben  und  stammt 
tos  der  Zelt,  wo  keltische  Stämme  von  Gallieu  bis  zum  schwarzen 
Meer  theils  sich  tummelteu,  theils  sich  bereits  gelagert  hatten.  Die 
litauischen  und  slavischen  Yerba  karkti,  karkati^  h^okati  bedeuten 
mdir  krächzen,  schnarren,  und  gehen,  wie  graculus^  altn.  kraka^ 
x^'ffity,  crocire^  C7*ocitare  und  eine  Menge  anklingender  Ausdrücke 
auf  das  Genus  cortms; 

13)  es  war  naturlich,  dass  mit  dem  Thier  und  seinem  Namen 
auch  die  religiösen  Begriffe,  die  daran  sich  knüpften,  von  Land  zu 
Land  wanderten.  Die  Redensart:  den  rothen  Hahn  aufs  Dach  setzen, 
nennt  statt  des  Elementes  den  Vogel,  der  ihm  geweiht  und  in  der 
Anschauung  verwandt  war.  Eine  in  dem  Volumen  decretorum  des 
Bischofs  Burchard  von  Worms  (bei  Panzer,  Bayerische  Sagen  und 
Bräuche,  I,  S.  310)  enthaltene  Stelle,  wonach  es  geföhrlich  ist,  vor 
dem  Hahnenruf  Nachts  das  Haus  zu  verlassen,  eo  quod  immundi 
9piritu8  ante  gaUicinium  plus  ad  nocendum  potestatis  habent^  quam 
postj  et  gallus  suo  cantu  plus  valeat  eos  repellere  et  sedare  quam  illa 
drnna  mensy  quae  est  in  homine  sua  fide  et  crucis  signaculo  —  diese 
Stelle  klingt  wie  ein  direkter  Bericht  über  den  Glauben  der  alten 
Perser  an  die  von  ihnen  Da^vas  genannten  immundi  spiritus  und  an 
die  Kraft  des  Hahnes,  dieselben  durch  seine  Stimme  zu  verscheuchen. 
Noch  in  Shakespeares  Hamlet  (Act  1,  Scene  1)  sagt  Horatio  ganz 
ähnlich:  „Ich  habe  gehört,  dass  der  Hahn,  der  die  Trompete  des 
Morgens  ist,  mit  heller  Stimme  den  Gott  des  Tages  weckt  und  dass 
bei  seinem  warnenden  Ruf  all  die  Geister,  die  in  Wasser  oder  Feuer, 
in  Luft  oder  Erde  schweifen  und  irren,  jeder  an  seinen  Ort  zurück- 
schlüpfen." Demselben  Vorstellungskreise  gehört  es  an,  wenn  der 
Vogel  des  Lichts  bei  Nacht  der  Nachtgöttin  geopfert  wird,  Ov.  Fast. 
1,  455: 

Nocte  deae  noctis  cristatus  caedüur  ales. 
Aueh  die   slavischen  Pommern   verehrten   den  Hahn  und  fielen  an- 
betend vor  ihm  nieder  (die  Citate  bei  Panzer  a.  a.  O.  S.  317);    bei 
den  Litauern   werden  Hahn   und  Henne    der  Erdgöttin   geschlachtet 

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272  Der  Haashahn. 

(Matth.  Praetorius,  Deliciae  prussicae,  herausgeg.  von  W.  Pierson, 
Berlin,  1871,  S.  62),  eben  so  bei  Einsegnung  der  Häuser  zaerst  ins 
Haus  gelassen:  „diese  werden  gehegt  und  nicht  geschlachtet  noch  ge- 
gessen, aber  darum  nicht  vor  Götter  gehalten"  (S.  37).  In  dem  alt- 
indischen Gesetzbuch  war  das  Essen  von  Hühnerfleisch  nicht  erlaubt 
(Lassen,  Ind.  Alterth.  1,  297),  und  auch  die  Mysten  in  Eleusis 
enthielten  sich  dieser  Tögel,  die  der  chthonischen  Göttin,  der  Perse- 
phone,  und  der  Demeter  geweiht  waren  (Porphyr,  de  abst  4,  16): 
in  überraschender  Weise  berichtet  Cäsar  (a.a.O.)  von  denBritannen: 
leporem  et  gallinam  et  anaerem  gustare  fas  non  putant  — ,  die  also 
mit  dem  Thier  und  seinem  Namen  auch  die  Scheu  vor  seiner  Gött- 
lichkeit mit  übernommen  hatten.  Wie  die  Römer,  wo  keine  wilden 
Vögel  und  Yogelschauer  zur  Hand  waren,  mit  zahmen  Hühnern  sich 
halfen,  so  opferten  auf  Seeland  die  heidnischen  Dänen  alle  neoD 
Jahre  neben  Menschen,  Pferden  und  Hunden  auch  Hähne,  weil  die 
Raubvögel  nicht  zu  beschaflFen  waren,  Thietmar  von  Mersebui^  bei 
Pertz  Scriptt.  HI  p.  739 :  nonaginta  et  novem  hamines  et  totidem  equos 
cum  canibtts  et  gallis  pro  accipitribus  oblatis  immolant  —  was 
ihnen  vielleicht  kluge  Sclaven  aus  dem  Süden  vor  Alters  an  die 
Hand  gegeben  hatten.  Wie  femer  bei  Plutarch  de  Is.  et  Osir.  61 
Anubis  sowohl  über  die  Oberwelt,  tä  avio,  als  unter  dem  Namen 
Hermanubis  über  die  Unterwelt,  la  xdiw^  waltet  und  ihm  in  der 
ersteren  Eigenschaft  ein  weisser,  in  der  anderen  ein  safrangelber, 
gleichsam  schwefelfarbiger,  Hahn  geopfert  wird,  so  singt  in  der  Vö- 
luspä,  dem  ältesten  Theil  der  Edda,  der  goldkammige  Hahn,  Symbol 
des  Lichtes,  bei  den  Äsen,  der  schwarzrothe,  dämonische  in  der 
Unterwelt,  in  den  Sälen  der  Hei  (Völ.  35),  und  so  unterscheiden 
die  Volkssagen  auch  sonst  zwischen  dem  weissen,  rothen  und  schwar- 
zen Hahn  (s.  Reinhold  Köhler  in  der  Germania  XI,  S.  85  ff.).  Die 
Russen  unter  Sviatoslav  bringen  nächtliche  Todtenopfer  bei  Doro- 
stolum  am  Ister,  indem  sie  Säuglinge  und  Hähne  erwürgen  und  sie 
dann  in  die  Wogen  des  Stromes  versenken  (Leo  Diac.  9,  6);  auch 
bei  der  Bestattung  des  russischen  Häuptlings,  deren  Verlauf  uns 
Ibn-Foszlan  (bei  Frähn)  ausführlich  schildert,  werden  Hahn  und 
Henne  geschlachtet  und  dann  zu  dem  Todten  in  das  Schiff  geworfen. 
Wenn  es  wahr  ist,  was  in  der  Zeitschr.  für  d.  Mythologie  H.  S.  327  f. 
deducirt  wird,  dass  der  Hahn  dem  Donar,  Thunar,  Thorr  eigen- 
thümlich  gehört,  so  würde  dieser  deutsche  Gott  sich  dem  (^raosha 
oder  einer  entsprechenden  Gestalt  der  vermittelnden  Völker  substitoirt 
haben.    Da  die  nordischen  Stämme  zur  Zeit,  wo  dies  neue,  seltsame 

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.  Die  Taube.  273 

Hansthier  bei  ihnen  erschien,  noch  in  ganz  elementarem  Bewosstsein 
be&ngen  lagen  and  das  Qemüth  sich  der  Eindrücke,  die  es  erfuhr, 
nur  in  ahnender  Bildersprache  entäussem  konnte,  so  ^ird  ein  mannich- 
&cher  Hahnenaberglaube  seitdem  auch  spontan  bei  ihnen  Wurzel  ge- 
fitöst  und  sich  ausgebreitet  haben.  Die  Mythenvergleicher  aber,  die 
die  wirkliche  oder  angebliche  UebereinstimmuDg  von  mythischen  Vor- 
stellongen,  Namen,  Sprüchen,  Märchen,  Zauberformeln,  Gebräuchen 
u,  s.  w.  der  alten  und  neuen  europäischen  und  asiatischen  Völker 
zum  Aufbau  einer  reichen  und  phantasievollen  Urmythologie  des 
iodoeoropäischen  Stammyolkes  benutzen,  sollten,  wie  sich  auch  hier- 
bei wiederum  ergiebt,  drei  Momente  bei  jedem  Schritte  sich  gegen- 
wärtig halten:  erstens  dass,  so  weit  der  Blick  reicht,  eine  ungeheuere 
Eoltur-  und  Religionsentlehnung  Statt  gefunden  hat,  zweitens  dass 
dieselben  Umstände  und  Lebensstufen  auf  den  yerschiedensten  Punkten 
zu  sehr  verschiedener  Zeit  parallele  Anregungen  hervorriefen,  drittens 
dass  in  gewissen  Grenzen  auch  dem  Zufall  sein  Recht  werden 
muss. 

Statt  die  Geschichte  des  Hahnes  durch  das  Mittelalter  zu  ver- 
folgen und  durch  alle  fünf  Welttheile  zu  begleiten,  denn  dies  nütz- 
liche Hausthier  ist  selbst  bis  zu  den  Negern  im  innersten  Afrika 
gedrangen,  schliessen  wir  lieber  mit  den  Worten  des  alten  würdigen 
Thomas  Hyde  ( Veterum  Persarum  et  Parthorum  et  Medorum  religionia 
historta.  Ed.  11.  Oxonii  1760.  i^,  p.  22):  üsque  hodie  gaUinis  adeo 
tcatet  Media,  ut  eo  fere  solo  cibo  et  earum  ovis  (una  cum  came  ovina) 
exdpiantur  nostrates  ibi  peregrinantes.  Ab  illa  regione  jam  utilissima 
haec  avis  per  totum  orbem  mtUtiplicatur,  Hocque  novisse  juvat:  nam 
rdms  aliemgenia  longo  temporis  tractu  aptid  nos  f actis  tamquam  indi- 
genis,  unde  primum  venerint  tandem  ignoratur;  quod  de  miUtia  plantis 
et  arboribus  verum  et  de  arrnnalilus  havd  paucis  —  Worte,  die  wir 
diesem  ganzen  Buche  als  Motto  hätten  voranstellen  können  ^^). 


Die  Taube. 

Schon  Homer  erwähnt  nicht  selten  der  Tauben  unter  dem  Namen 
niUiat^  Tceleiädeg;  aber  nichts  Iftsst  vermuthen,  dass  er  die  Haus- 
taube darunter  verstanden  habe.    Die  Tauben  sind  ihm  das  Bild  des 

\itL  Hehn,  KaltQrpfl«nzeo.  18 


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274  I>i«  Taube. 

Flüchtigen  und  Furchtsamen:  so  entzieht, sich  Artemis  der  Hera,  die 

ihr  den  Köcher  geraubt  hat,  II.  21,  493: 

Weinend  aber  entfloh  sie  zur  Seite  sofort,  wie  die  Taube, 

Die  Yom  Habicht  verfolgt  in  den  Spalt  des  zerklüfteten  Felsens 

Schlüpft  —  nicht  wars  ihr  beschieden  des  Raubers  Beute  zu  werden. 

Hector  flieht  vor  Achilles,    wie  eine  scheue  Taube  vor  dem  Falken, 
H.  22,  139,  wo  das  Gleichniss  folgendermassen  ausgemalt  wird: 
Wie  im  Gebirge  der  Falk»  der  geschwindeste  unter  den  Vögeln, 
Leicht  im  Schwünge  des  Flugs  der  schüchternen  Taube  sich  nachstürzt; 
Seitwärts  fluchtet  sie  bang;  dicht  hinter  ihr  stürmt  er  best&ndig 
Nach  mit^ellem  Geschrei  und  brennt  vor  Begier  sie  zu  fangen. 

Daher  auch  das  Adjectiv  tqi^qcov^  scheu,  flüchtig,  das  Homer  dem 
Namen  der  Tauben  gern  hinzufügt,  wie  Aeschylus  Sept.  292  navxqo- 
fxog  TteXeiagy  die  ganz  zitternde  Taube,  sagt.  Auch  als  der  schnellste 
Yogel  erscheint  die  Taube  in  dem  Sagenkreise  von  den  Argonauten. 
Das  Schifif  Argo  war,  wie  der  Name  sagt,  wunderbar  schnell,  und 
wenn  die  Taube  zwischen  den  zusammenschlagenden  Felsen  hindurch- 
flog, durfte  auch  das  Fahrzeug,  das  die  Helden  trug,  unverletzt  hin- 
durchzusegeln hoffen.  Daher  vorher  mit  ihr  die  Probe  gemacht 
werden  soll,  Apoll.  Rh.  Argon.  2,  328: 

Macht  vor  Allem  zuerst  den  Versuch  mit  dem  Yogel,  der  Taube, 

Lasst  sie  zuvor  vom  Schiff  ausfliegen. 

Aus  der  Argonautensage  stammt  denn  auch  in  der  Odyssee  die  War- 
nung der  Circo  vor  den  glatten  Felsen,  12,  59: 

Rechtshin  sind  zwei  Felsen  und  hängen  herüber,  an  diese 
Donnert  die  mächtige  Woge  der  bläulichen  Amphitrite: 
Die  sind  irrende  Felsen  genannt  von  den  seligen  Gottern. 
Da  fliegt  selbst  kein  Yogei  vorbei,  ja  schüchterne  Tauben 
Nicht  einmal,  die  dem  Yater,  dem  Zeus,  Ambrosia  bringen; 
Auch  von  diesen  sogar  raubt  allzeit  eine  die  Felswand, 
und  eine  andere  sendet,  die  Zahl  zu  ergänzen,  der  Yater« 

So  verderblich  also  sind  diese  Felsen,  dass  selbst  die  geschwinden 
Tauben  ihnen  nicht  immer  entgehen  und  Vater  Zeus,  dem  sie  Am- 
brosia bringen  —  sie  schvnngen  sich  als  dimheig  durch  die  Hinmiels- 
bläue  — ,  die  verlorenen  durch  andere  ersetzen  muss.  Auch  bei  den 
Tragikern  ist  die  Taube  schnell  wie  der  Sturmwind  und  wie  die 
Wuth  oder  die  Kache,  Soph.  O.  C.  1081: 

€L&^  äsXlaia  taxvQQioaiog  neXeiäg 

al&s()iag  vBq)eXag 

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Die  Taube.  275 

Earip.  BaccL  1090  (die  Mänaden  stürzen  auf  den  Pentheus): 

jl^av  neXaiag  (ixvTrjT^  oix  7Joaoveg, 
Noch  schoeller  freilich  ist  der  Habicht  oder  Falke,  der  der  schnellste 
aller  Vögel  ist  —  da  er  ja  auf  die  Tauben  Jagd  macht  —  und  nur 
das  WunderschifF  der  Phäaken,  das  den  schlummernden  Odysseus  nach 
Ithaka  brachte,  übertrifft  ihn  an  Flüchtigkeit,  Od.  13,  86: 
Rastlos  lief  es  und  sicher  dabin:  kein  kreisender  Habicht 
Flöge  den  Lauf  ihm  nach,  der  geschwindeste  unter  den  Vögeln; 
So  hineilend  und  leicht  durchschnitt  es  die  Wogen  des  Meeres. 

Griechenland  war  in  Fels   und  Wald  so  reich    an  Tauben,    Ringel-, 
Felsen-,  Turteltauben,  dass  ihre  Rolle  in  Gedicht  und  Sage  nicht  auf- 
fallen kann.     Der    Schiffskatalog   bezeichnet   das   böotische   Thisbe 
(IL  2,  502)    und    das   lacedämonische  Messe  (582)   als  nolvTQtJQioVy 
taabenreich,  ebenso  Aeschylus  die  Insel  Salamis  als  neXsio^QiiA^wv^ 
taabennährend  (Pers.  309  Dindorf.).     Drosseln    und  Tauben   werden 
in  Netzen  oder  Schlingen  gefangen,  die  im  Gebüsch  aufgestellt  sind, 
Od.  22,  468: 
Wie  bisweilen  ein  Zug  breitschwin giger  Drosseln  und  Tauben 
Sich  in  der  Schlinge  verfangt,  die  aufgestellt  im  Gebüsch  ist, 
Wann  sie  zum  Nest  heimeilen;  ein  trauriges  Lager  empfängt  sie  — 

nnd  es  kann  daher  nicht  auffallen,  wenn  im  23.  Buch  der  Ilias 
Achilles  bei  den  Leichenspielen  des  Patroklus  eine  lebendige,  an  die 
Spitze  eines  Mastbaumes  gebundene  Taube  als  Ziel  aufstellt:  Teukros, 
der  gefeierte  Bogenschütze,  schiesst  zuerst,  aber  er  vergisst,  tlem 
Apollo  sein  Gelübde  zu  thun,  und  trifft  nur  die  Schnur;  die  befreite 
Taube  strebt  kreisend  zum  Himmel  auf;  da  ergreift  Meriones  schnell 
den  Bogen,  betet,  und  holt  den  flüchtigen  Vogel  mit  dem  Pfeil  vom 
Himmel  herunter  (IL  23,  850  ff.).  Daher  die  Taube  auch  das  my- 
thische Bild  des  der  Fesseln  sich  entledigenden  Gefangenen  und 
Flüchtlings  ist:  die  drei  Töchter  des  Anius  auf  Delos,  die  Oino, 
Spermo  und  Elais,  die  Alles,  was  sie  berührten,  in  Wein,  Kom  tmd 
Oel  verwandelten  und  desshalb  Oinotropoi  genannt  wurden,  sollten 
von  Agamemnon  in  Fesseln  geschlagen  und  mit  Gewalt  nach  Troja 
geschleppt  werden,  da  verwandelten  sie  sich  in  Tauben  und  flogen 
davon  (Ov.  Metam.  13,  650  ff.).  Dass  endlich  die  Taube  auch  ein 
dämonischer  weissagerischer  Vogel  ist,  beweist  das  Orakel  von  Do- 
dona:  dort  thaten  Eingeltauben  vom  Gipfel  der  heiligen  Eiche  in 
ihrem  Fluge  und  Girren,  dem  Geräusch  ihrer  Flügel,  ihrem  Konitiien 
und  Gehen,  Aufsteigen  und  Niederstürzen  die  Zukunft  und  den  Willen 
des  Zeus  kund,  wie  ja  Yogelorakel  auch  in  dem  gegenüberliegende&i 

18* 

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276  I>ie  Taube. 

in  Vielem  dem  epirotischen  Lande  so  verwandten  Italien  ein  uralter 
Brauch  waren  und  wie  die  Veneter  den  Dohlen  Euchen  auf  dem 
Felde  hinzustellen  pflegten,  damit  sie  die  -Saat  verschonten  (Theo- 
pompus  bei  Müller  Fr.  143). 

An  allen  angeführten  Stellen  des  Epos  wird  die  Taube  niXeta 
genannt  (im  Plural  auch  naleiadeg);  nur  einmal  kommt  bei  Homer 
das  später  übliche  qxiaoa  vor  und  zwar  als  erster  Bestandtheil  des 
Adj.  q>aaao(p6vog^  taubenmordend,  Prädikat  des  Habichts  (H  15,237). 
Ein  dritter  Ausdruck,  (fiiV^  Gen.  (paßbg^  findet  sich  zuerst  bei 
Aeschylus,  fragm.  206  Nauck.: 

aitoiifiivriv  övatrjvov  ad^liav  q>aßa^ 
fiiaaxTa  nlevQa  ngog  nrvoig  nenleyfiivrpf  — 
also  die  vom  Eom  naschende,  unglückliche  Taube,  der  mit  der  Worf- 
schaufel die  Knochen  zerschmettert  werden.  Die  spätere  wissen- 
schaftliche Zoologie  (bei  Aristoteles,  Anim.  hist.  5, 13,  2)  unterscheidet 
mit  diesen  Namen  die  besonderen  Arten  Tauben  und  fügt  noch  olvag 
(wörtlich:  die  Weintaube)  und  TQvyiiv  (die  Turteltaube,  vom  Girren, 
TQv^ü)^  benannt,  zuerst  bei  Aristophanes  in  den  Vögeln)  hinzu:  in 
der  Urzeit  gingen  diese  Benennungen  wohl  ohne  Unterschied  je  nach 
der  Landschaft  oder  nach  einer  der  Eigenschaften  des  Thiers,  die 
grade  in  das  Bewusstsein  des  Redenden  fiel,  auf  das  Geschlecht  der 
wilden  Tauben  überhaupt,  denn  die  dodonäische  niXeia,  die  in  den 
Bäumen  wohnte,  columba  palumbu8y  kann  unmöglich  mit  der  niXeiüy 
die  bei  Homer  in  einen  Felsspalt  schlüpft,  columba  livia^  dieselbe 
gewesen  sein.  Der  eigentliche  Name  für  die  Haustaube,  und  damit 
diese  selbst,  tritt  erst  in  der  spätem  attischen  Sprache  auf,  zuerst 
bei  Sophokles  (Fr.  781  Nauck.,  wo  sie  deutlich  als  oixhig  und 
iq>iaTing  bezeichnet  ist),  dann  bei  den  Komikern  und  bei  Plato: 
nsQiazeQogy  naQiaxBQa,  Täuberich,  Taube,  neQiaxeQtdavc^  negiate- 
gidiov^  neqLOTBQLovy  Täubchen,  nsQiaTCQBwv^  der  Taubenschlag  — 
neue  Wörter,  die  der  dorische  Dialect,  der  fortfuhr  nslsidg  zu  sagen, 
gar  nicht  annahm  (Sophron  bei  Athen.  9,  p.  394).  Woher  nun  kam 
den  Griechen  in  so  später  Zeit  dies  freundliche  Hausthier,  das  gegen 
das  Ende  des  5.  Jahrhunderts  vor  Chr.  in  Athen  schon  ganz  ge- 
w.öhnlich  ist?  und  war  die  zahme  Taube  etwa  identisch  mit  einer 
der  in  Griechenland  lebenden  wilden  Arten?  —  Sehen  wir  uns  zur 
Beantwortung  dieser  Fragen  zuerst,  wie  gewöhnlich,  in  der  semi- 
tischen Welt  um. 

Dass   in  den   syrischen  Städten   die  Taube  der  dort  unter  ver- 
schiedenenen    Namen    verehrten    weiblichen   Naturgottheit,    die    die 

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Die  Taube.  277 

Griechen  Aphrodite  nennen,  heilig  war  und  bei  ihren  Tempehi  in 
dichten  Schaaren  gehegt  wurde,  ist  eine  von  den  verschiedensten 
alten  Schriftstellern  bezeugte  Thatsache.  Xenophon,  als  er  im  Heere 
des  jungem  Cyrus  mit  andern  griechischen  Söldnern  Syrien  durch- 
zog, fand,  dass  die  Einwohner  die  Fische  und  die  Tauben  als  gött- 
liche Wesen  verehrten  und  ihnen  kein  Leid  anzuthun  wagten,  Anab. 
1,  4,  9:  „welche  (die  Fische)  die  Syrer  für  Götter  hielten  und  ihnen 
kein  Leids  anthaten,  so  wenig  als  den  Tauben.^  Nach  Pseudo- 
Lacian.  de  Syria  dea  54  waren  in  Hierapolis  oder  Bambyce  die 
Tauben  so  heilige  dass  Niemand  eine  derselben  auch  nur  zu  berühren 
wagte;  wenn  dies  Jemandem  wider  Willen  widerfuhr,  dann  trug  er 
für  den  ganzen  Tag  den  Fluch  des  Verbrechens;  daher  auch,  f&gt 
der  Verfasser  hinzu,  die  Tauben  mit  den  Menschen  ganz  als  Ge- 
nossen leben,  in  deren  Häuser  eintreten  und  weit  und  breit  den  Erd- 
boden einnehmen.  Ganz  dasselbe  berichtet  der  Jude  Philo  (bei 
Eoseb.  praep.  evang.  8,  14)  von  Askalon,  dem  ürsitz  der  ^uicpQodlxri 
OvQavlr]^  oder  der  Astaroth:  „ich  fand  dort,  sagt  er  wörtlich,  eine 
unzählige  Menge  Tauben  auf  den  Strassen  und  in  jedem  Hause,  und 
als  ich  nach  der  Ursache  fragte,  erwiderte  man  mir,  es  bestehe  ein 
altes  religiöses  Verbog  die  Tauben  zu  fangen  und  zu  profanem  Ge- 
brauch zu  verwenden.  Dadurch  ist  das  Thier  so  zahm  geworden, 
dass  es  nicht  bloss  unter  dem  Dache  lebt,  sondern  ein  Tischgenosse 
des  Menschen  ist  und  dreisten  Muth willen  treibt."  Die  Tauben  der 
paphischen  Göttin  auf  Cypem,  die  Paphiae  columbae^  die  im  Tempel 
ein-  und  ausflogen,  ja  sich  selbst  auf  das  Bild  der  Göttin  setzten, 
sind  so  bekannt,  selbst  aus  Münzen  und  Genunen,  dass  es  der  An- 
{Qhrung  eines  besonderen  Zeugnisses  nicht  bedarf.  Da  nun  die 
Astarte  von  Askalon  in  sehr  alter  Zeit  nachKythera  und  Lacedämon, 
überhaupt  die  semitische  Aphrodite  nach  Eorinth  und  an  die  ver- 
schiedensten Punkte  der  griechischen  Eüste  verpflanzt  wurde  und 
Cypem  schon  frühe  das  Ziel  griechischer  Seefahrten  und  Nieder- 
lassungen war,  so  musste,  wie  man  denken  sollte,  auch  die  Taube,  das 
Symbol  und  der  Liebling  der  Göttin,  mit  ihr  selbst  und  eben  so 
frühe  nach  Griechenland  gekommen  und  bei  ihren  Heiligthümem 
Gegenstand  der  Zucht  und  Pflege  geworden  sein.  Davon  aber  giebt 
es  durchaus  keine  Ueberlieferung.  In  dem  homerischen  Hymnus  auf 
Aphrodite  finden  sich  die  Tauben  nicht  erwähnt:  die  Göttin  betritt 
ihren  duftenden  Tempel  auf  der  Insel  Cypern,  sie  wird  von  den  Chariten 
mit  dem  unsterblichen  Oel  gesalbt,  mit  herrlichen  Gewändern  be- 
kleidet und  mit  goldenem  Geschmeide  geschmückt  und  schwingt  sich 

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278  I>ie  Taube. 

dann,  Cypem  verlassend,  hoch  durch  die  Wolken  nach  dem  quellen- 
reichen Ida.  Und  auch  am  Schlüsse  des  Hymnus  heisst  es  btess: 
sie  entschwebte  zum  wehenden  Himmel:  rfi'^e  nQog  ovqavov  ^ve- 
fioevta.  Auch  in  den  kleineren  Hymnen  Y  und  IX  bezieht  sich 
keines  der  der  Göttin  gegebenen  Prädikate  auf  ihre  Tauben;  sie 
heisst  %Qvaooteq>avQg^  iooticpavoq^  elixoßXiq>aQog\  yXvxvfieilix^g^ 
SaX(x(nvog  ivxTi^tivrig  fiediovaa  xai  naarjg  Kvtiqox\  ^  naarjg 
KvTiQOV  xQfjdß^va  XiXoyx^v  elvaXirjg  u.  s.  w.  In  der  uns  durch  Dio- 
nysius  von  Halikamassus  de  compos.  verb.  erhaltenen  Ode  der  Sappho, 
die  mit  den  Worten  beginnt: 

IIoLxiXd&QOv'  adavctt*  ^Aq^gdöna^ 
wird   der   Wagen   der   Göttin   nicht   von   Tauben   oder   Schwänen, 
sondern  von  schnellen  Sperlingen  durch  den  Himmel  gezogen  (£r.  !• 
Bergk.):  ' 

xaXoi  de  6*  ayov 

alx££S  OTQOv&oc  ucqI  yag  ^leXaivag 

nvxva  divevvieg  miQ*  an^  wqolvo)  aL&e- 
Qog  diä  fiF.aao), 
Von  einer  Erwähnung  der  Tauben  bei  derselben  Sappho  berichtet  das 
Scholion  zu  Pindar  Pyth.  1,  10:  bei  Pindar  nämlich  sitzt  der  Adler 
auf  dem  Scepter  des  Zeus,  die  Flögel  sinken  lassend :  aixeiav  Ttxiqvy* 
äfiq)otiQO)d'iv  xccXa^aic;  umgekehrt,  sagt  der  Scholiast,  äussert  eich 
die  Sappho  über  die  Tauben: 

Täiac  de  rpoxQog  fiiv  eyevto  dvf^og^ 

TtaQ  ö^  \'eiai  tä  miga  (fr.  16  Bergk.) 
Wir  wissen  weder,  mit  welchem  Worte  hier  die  Tauben  bezeichnet 
waren,  noch  ob  sie  als  Attribut  eines  Gottes  oder  einer  Göttin  vor* 
kamen;  da  ihnen  ein  kaltes  Gemüth  zugeschrieben  wird,  können  nur 
die  wilden,  nicht  die  kyprischen  gemeint  gewesen  sein.  In  der 
ganzen  übrigen  Lyrik  bis  auf  Pindar  hinab  —  so  weit  sie  uns  in 
Bruchstücken  und  Nachrichten  erhalten  ist  —  fehlt  die  Taube 
durchaus. 

Dies  späte  Erscheinen  des  nachher  in  Kunst,  Religion  und  Leben 
so  verbreiteten  Vogels  hat  seinen  Grund  offenbar  in  dem  gleichen 
Vorgang  in  Syrien,  Palästina  und  Cypem.  Auch  dort  geht  die 
zahme  Taube  nicht  in  frühes  Alterthum  hinauf,  sondern  wurde  erst 
Symbol  der  Astarte  und  Aschera,  als  in  Folge  von  Eroberungszügen 
und  Handelsverkehr  der  Dienst  dieser  Göttinnen  mit  dem  der  wesens- 
gleichen centralasiatischen  Semiramis  verschmolz.  Semiramis  war 
als  Taube  gedacht   und   bedeutete   so  viel   als  Taube,    Diodor2, 4: 

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Die  Tanbe.  279 

^Semiramis  ist  in  der  Sprache  der  Syrer  so  nach  den  Tauben  be- 
naoDt,  die  seit  jener  Zeit  von  allen  Bewohnern  Syriens  als  Göt- 
tiimen  verehrt  werden."  Hesych.  SefiiQa^ig'  nsQiatSQct  oqsioq 
^Ellrjviati.  Sie  wurde  in  Askalon  von  ihrer  Mutter,  der  Fischgöttin 
Derketo,  gleich  nach  der  Geburt  ausgesetzt,  von  Tauben  gen&hrt^ 
Tom  Hirten  Simmas,  der  sie  nach  seinem  Namen  benannte,  aufer- 
zogen; dann  trat  sie  in  Ninive  als  herrliche  Kriegerin  auf  und  ver- 
wandelte sich  zuletzt  in  eine  Taube  und  flog  mit  Tauben  davon 
(Diod.  2,  20  nach  Ktesias).  Nach  Hygin.  fab.  197  fiel  vom  Himmel 
ein  ungeheures  Ei  in  den  Euphrat;  Fische  wälzten  es  an  das  Ufer^ 
Tauben  brüteten  es  aus,  und  es  ging  die  Venus  daraus  hervor,  die 
spater  die  dea  Syria  genannt  wurde;  daher  die  Syrer  auch  Fische 
und  Tauben  für  heilig  halten  und  nicht  essen.  Der  Taubendienst 
kam  also  vom  Euphrat  nach  Yorderasien,  ebenso  die  Anschauung  der 
Natnrgöttin  als  Taube.  Im  Alten  Testament  findet  sich  die  erste 
einiger  Massen  sichere  Erwähnung  der  zahmen  Taube  bei  Pseudo- 
Jesaias  60,  8 :  »Wer  sind  die,  welche  fliegen  wie  die  Wolken  und 
wie  die  Tauben  zu  ihren  Fenstern  (Gittern  d.  h.  zum  Taubenschlage)?'* 
Diese  Partie  des  Jesaias  ist  in  der  Epoche  des  Exils  geschrieben, 
mid  um  diese  Zeit,  nach  den  babylonischen  Eroberungszugen,  mag 
sich  auch  die  Aneignung  der  Taubenzucht  in  Vorderasien  und  die 
Aufnahme  des  zärtlichen  Vogels  in  den  syrisch-phönizischen  Kultus 
und  als  Tempelbewohner  schrittweise  vollzogen  haben.  Sollten  die 
Taubengleichnisse  in  dem  Hohen  Liede  nicht  anders  als  von  zulimt^n 
Tauben  verstanden  werden  können  —  was  wir  dahin  ge^^iellt  sein 
lassen  — ,  dann  könnte  auch  dies  Gedicht,  dessen  Zeitalter  utigewiss 
ist,  nicht  höher  hinaufgerückt  werden.  (Nach  H.  Grätz,  das  Salo- 
monische Hohelied,  Wien  1871,  fiele  es  erst  in  die  macedonisch- 
griechische  Zeit,  nach  S.  J.  Kämpf,  das  Hohelied,  Prag  1877,  in  die 
vorexilische  Epoche  und  zwar  weil  die  Stimmung  darin  eine  freudige 
ist!)  Auch  auf  der  spätem  Königsburg  in  Jerusalem,  die  im  all- 
gemeinen Brande  unterging,  waren  nach  Josephus  b.  j.  fi,  4,  4  „viele 
Thürme  zahmer  Tauben." 

Von  den  syrischen  Küsten,  doch  auf  einem  Umwege,  kam  dann 
die  Haustaube  «mit  dem  Beginn  des  fünften  Jahrhunderts  auch  den 
Griechen  zu  —  wie  uns  ein  merkwürdiges  Zeugniss  belehrt,  dass 
nur  richtig  verstanden  werden  muss.  Charon  von  Lampsaku?,  der 
Vorgänger  des  Herodot,  berichtete  in  seinen  fleQaixdy  zu  der  Zeit, 
wo  die  persische  Seemacht  unter  Mardonius  bei  UmschiiTuDg  des 
Vorgebirges  Athos  zu  Grunde  ging,  also  zwei  Jahre  vor  der  Schlacht. 

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280  I>ie  Taube. 

bei  Marathon,  seien  zuerst  in  Griechenland  die  weissen  Tauben  er- 
schienen, die  bis  dahin  unbekannt  waren  (Athen.  9.  p.  394).  Was 
ist  hier  unter  weissen  Tauben  gemeint?  Nichts  anderes  als  Haus- 
und Tempeltauben  edler  ßace,  wie  die  wilden  als  schwarze,  graue, 
Rehfarbene,  fahle  gedacht  und  danach  genannt  werden,  und  zwar 
nicht  bloss  bei  den  Griechen,  sondern  auch  in  den  Sprachen  der 
urverwandten  europäischen  Völker.  Den  Tauben  von  Dodona  legt 
Herodot  ausdrücklich  schwarze  Farbe  bei,  2,  55  und  57,  wenn  er 
auch  das  schwarze  Gefieder,  so  wie  das  ganze  Taubenorakel,  bereits 
in  der  Weise  der  jüngeren  Zeit  rationalistisch  deutet.  Den  Namen 
des  Vogels  niXsia  erklärten  schon  die  Alten  aus  dem  Adjectiv  nelog^ 
nsXiog,  nsllog,  noliog  grau  (womit  einverstanden  ist  Pott,  Zeitschr. 
6,  282);  dasselbe  Wort  ist  das  lateinische  palumbus  oder  pahmbeSy 
auch  palumha^  dessen  erweiterte  Form  ans  dem  ursprünglich  auf  das 
l  folgenden  v  mit  hinzutretender  Nasalirung  entstand,  wie  in  palUdus, 
puüus  das  doppelte  l  aus  Assimilation.  Ganz  so  stammt  das  czechische 
(auch  polnische  und  russiche)  siwdk^  die  wilde  Taube,  aus  siwy^ 
caesius^  glaucus^  das  gleichbedeutende  russische  sis^ak  aus  sizyi  bläulich, 
das  französische  büet^  die  Holztaube,  aus  bis  schwärzlich.  Nicht 
anders  ist  auch  das  deutsche  Taube,  goth.  dvho^  ags.  deäf,  altn. 
daufr  mit  dem  Adjectiv  davhs^  taub,  stumm,  blind,  duster,  dunkel- 
farbig, zusammenzustellen,  für  welche  letztere  Bedeutung  das  Kel- 
tische willkommene  Bestätigung  bietet:  altirisch  dubh  niger^  dvb  atra- 
mentum^  Dvhü  der  Schwarzbach  (Zeuss^  p.  14).  Im  Gegensatz  da- 
zu wird  die  asiatische,  der  Aphrodite  geweihte  Taube  wegen  ihres 
zart  weissen,  in  hellen  Farben  schillernden  Gefieders  durchgängig 
die  weisse,  /«vx^,  dlha^  Candida  genannt.  Der  Komiker  Alexis 
bei  Athen.  9,  p.  395: 

l^vxbg  If^qiQodlTTjg  el^l  yaQ  TtßQiareQog. 
Catull.  29,  9: 

vt  albulus  columbus  aut  Ädoneus. 

Tibull.  1,  7,  16: 

Qutd  referam,  ut  volitet  crebras  intacta  per  urbes 

Alba  Palaestino  sancta  columba  viro. 
Ovid.  Metam.  2,  536  (vom  Eaben,    der  früher   schne^weiss   war  wie 
die  Taube): 

Nam  fuü  haec  quondam  niveis  argentea  pennis 

AleSy  tä  aequaret  totas  sine  labe  columbas, 
Martial.  8,  28  (der  Dichter  richtet   das  Epigramm   an   eine  ihm  ge- 
schenkte Toga   und   rühmt   die  Reinheit   ihrer  weissen  Farbe  durch 

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Die  Tanbt.  281 

Tergleichong  mit  der  Lilie,  der  Ligusterblüte,  dem  Elfenbein,  dem 
Schwan,  der  paphischen  Taube  und  der  Perle),  v.  11: 

Lilia  tu  vmcis  nee  adhuc  delapaa  ligustra 

Et  Tiburtino  monte  quod  albet  ebur. 

Spartanus  tibi  cedet  olor  Paphiaeque  columbae^ 

Cedet  Erythraeis  eruta  gemma  vadis. 

Apolej.  Met  6,  6,  p.  175:  de  multis  quae  circa  ctibiculum  dominae 
äabulant  procedunt  qiuituor  candidae  columbae  ethüaris  incessibus 
picta  coüa  torquentes  jugum  gemmeum  subeunt  suaceptaqtie  domina 
laetae  subvolant  Sil.  Ital.  3,  677  lässt  im  Anschluss  an  Herodot  und 
zugleich  einigerroassen  im  Widerspruch  mit  ihm,  also  vielleicht  nach 
Pindar,  der  in  seinem  Päan  an  den  dodonäischen  Zeus  derselben 
Stifiangssage  erwähnt  hatte,  ursprünglich  zwei  Tauben  aus  dem  Schoss 
der  Thebe  ausfliegen:  die  eine  schwingt  sich  nach  Chaonien  und 
weissagt  auf  dem  Wipfel  der  Eiche  von  Dodona;  die  andere,  weiss 
mit  weissen  Flügeln  (jene  erste  war  also  schwarz  oder  grau),  strebt 
über  das  Meer  nach  Afrika  und  gründet  als  Vogel  der  Cythere  das 
ammonische  Orakel: 

Nam  cui  dona  Jovis  non  divülgata  per  orbem. 
In  gremio  Thebes  geminas  sedisse  columbae  1 
^larum  Chaonias  pennis  quae  contigit  oras, 
Jmplet  faiidico  Dodonida  murmure  quercum, 
At  quae  Carpaihium  super  aequor  vecta  per  auras 
In  Libyen  niveis  tranavit  concolor  alis, 
Ilanc  sedem  templo  Cytherela  condidit  ales. 

Die  iBvxal  n£()iaT€Qai  des  Charon  von  Lampsakus  waren  also  zahme 
Tauben,  die  beim  Schiffbruch  der  persischen  Flotte  am  Athos  von 
den  scheiternden  Fahrzeugen  sich  aus  Land  gerettet  haben  mochten 
und  den  Einwohnern  in  die  Hände  fielen.  Da  die  Perser  nach  He- 
rodot 1,  138  die  assyrisch-babylonischen  ?.€vxag  neQioteQag  —  auch 
Herodot  nennt  sie  Xevxal  —  als  der  Sonne  feindlich  verabscheuten 
und  in  ihrem  Lande  nicht  duldeten,  so  werden  es  phönizische, 
cyprische,  cilicische  Schiffer  gewesen  sein,  die  mit  Idolen  ihrer  Göttin 
auch  die  Tauben  derselben  mit  sich  führten.  Ein  halbes  Jahrhundert 
später  ist  unter  den  Athenern,  die  mit  Thrakien  in  lebhaftem  poli- 
tischen und  Handelsverkehr  standen,  die  Taube  unter  dem  Namen 
niQKjTega^  der  vielleicht  auch  aus  jener  nördlichen  Gegend  stammt, 
ein  verbreitetes  Hausthier  und  wird,  wie  im  Orient,  zu  schnellen 
Botschaften  gebraucht,  Pherecr.  bei  Athen.  9,  p.  395  (Meineke,  fr* 
com.  gr.  II,  1,  p.  266): 


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282  Die  Taube. 

änone^ipov  äyyillovra  tov  neQiategov. 
Der  um  dieselbe  Zeit  lebende  Aeginet  Taurosthenes  sandte  seinem 
Vater  von  Olympia  aus  durch  eine  Taube  Botschaft  von  seinem 
Siege,  die  noch  an  demselben  Tage  nach  Aegina  gelangte,  AeL  V. 
H.  9,  2.  Müller.  Aegin.  p.  142  Anm.  Dass  von  nun  an  die  Tauben 
der  Aphrodite  untrennbar  gehörten,  dass  sie  in  deren  HeiligthQmem 
gehegt,  ihr  als  Geschenk  dargebracht  wurden,  in  Wirklichkeit  und 
in  Marmor,  dass  Tauben  unter  Liebenden  eine  bedeutungsvolle  Gabe 
bildeten,  das  Alles  ist  aus  bildlichen  Darstellungen  und  Erwähnungen 
der  Dichter  allbekannt. 

Italien  machte  mit  der  Haustaube  wohl  durch  Yermittelung  des 
Tempels  von  Eryx  in  Sicilien  zuerst  Bekanntschaft.  Auf  diesem 
Berge,  einem  alten  phönizischen  und  karthagischen  Cultussitze,  wohnten 
Schaaren  weisser  und  farbiger,  schmeichlerischer,  girrender  Tauben, 
der  dort  verehrten  grossen  Göttin  geweiht  und  an  deren  Festen 
theilnehmend.  Zog  die  Göttin  am  Tage  der  uivayciyia  fort  nach 
Afrika,  dann  verschwanden  mit  ihr  auch  ihre  Tauben;  erschien 
nach  neun  Tagen  die  erste  Taube  wieder,  dann  war  auch  die  Göttin 
nahe,  und  es  brach  das  lärmende  Freudenfest  der  KaTctywyict  an 
(Athen.  9,  p.  394.  AeL  N.  A.  4,  2).  In  der  traurigen  Zwischenzeit 
der  neun  Tage  mochten  die  Tauben  wohl  in  ihren  Kammern  veiv 
schlössen  gehalten  werden.  Vom  Eryx  stammten  denn  auch  die 
2ix€lixai  nBQiaxsQai,  die  in  Theophrasts  Characteren  V.  der  Selbst- 
gefallige  neben  Affen  sich  anschafft.  Den  Yogel  nannten  die  sici- 
lischen  Griechen,  als  sie  ihn  zuerst  erblickten,  x6XvfißoL\  xoXv/ußa 
(vergl.  xoXvfißaio),  wie  wir  aus  dem  lateinischen  columba^  coltmJm$ 
schliessen.  Schwärzlich  nämlich  war  die  die  Uferklippen,  Felsen- 
zinnen und  Kronen  hoher  Bäume  bewohnende  wilde  Taube  im  Gegen- 
satz zu  den  Wasser-  und  Schwimmvögeln,  welche  letztere  die  weissen 
hiessen:  z.  B.  ahd.  alpiz,  ags.  dlfety  altn.  dlft,  sl.  lebedi^  der  Schwan, 
identisch  mit  lat.  albm^  gr.  alq>6c.  Das  griechische  xoXvfißoc:  (ge- 
bildet wie  xcQVfißog  und  palumbus)  hat  sein  Analogen  im  litauischen 
gulhe  der  Schwan,  altir.  gall  idem  (Cormac  p.  84),  und  da  es  also 
den  weissen  Wasservogel  bedeutet,  so  lag  es  nahe,  auch  den  weissen 
Vogel  der  Aphrodite  so  zu  benennen,  die  ja  selbst  eine  pelagische 
Göttin  ist  und  deshalb  auch  den  Schwan  liebte.  In  Italien  wurde 
der  schöne  Vogel  erst  allmählig  näher  bekannt  und  seine  Zucht  zur 
allgemeinen  Sitte.  Wir  brauchten  sonst,  sagt  Varro,  ohne  unter- 
schied columbae  von  den  Männchen  und  Weibchen,  erst  später,  da 
der  Vogel  in  unseren  Häusern  gewöhnlich  ward,  lernten  wir  den  co- 

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Die  Taubb.  283 

kmlms  von  der  columba  unierscheiden,  de  1.  1.  9,  38.  SpeDgel:  Nam 
et  cum  omnes  mores  et  feminae  dicerentur  columbaey  quod  non  erant 
in  eo  usu  domestico  quo  nunc^  contra  propter  domesUcos  usus  quod 
intemovimus^  appellatur  mos  columbuSy  femina  columba.  Aus  den 
scriptores  rei  rusticae,  zuerst  aus  Varro,  3,  7,  ersehen  wir,  dass  auch 
eine  Art  der  einheimischen  Taube,  d^  genus  saxatile,  also  dieFelsen- 
taabe,  italienisch  sassajuolo^  in  den  Yillen  zu  einer  Art  halber  Zähmung 
gebracht  war:  diese  Tauben  bewohnten  die  höchsten  Thürrae  und 
Zinnen  des  Landhauses,  kamen  und  gingen  und  suchten  im  Uebrigen 
ihr  Futter  frei  im  Lande.  Die  andere  Art,  fügt  Varro  hinzu,  ist 
zahmer  und  lebt  nur  von  dem  innerhalb  des  Hauses  gereichten  Futter: 
sie  ist  hauptsächlich  von  weisser  Farbe,  während  jene  wilde 
Taube  gemischten  Gefieders,  ganz  ohne  Weiss,  ist.  Diese  völlig  do- 
mesticirte,  weisse  Taube  —  offenbar  die  aus  Babylonien  stammende 
kjrpriotisch-syrische  —  wurde  dann  auch  mit  der  einheimischen 
grauen  Art  zusammengebracht  upd  eine  Mischung  erzeugt,  miscellum 
tertium  genus^  von  der  in  den  grossen  Taubenhäusern,  neQiazsQBwv 
oder  nsQiateQOTQocpelov  genannt,  oft  bis  auf  5000  Stück  versammelt 
waren  (Varro  1.  L).  Den  Unterschied  beider  Arten,  der  xatoixiöiot 
oder  Haustauben  und  der  ßooxaÖBc^  ayQini  oder  Feldtauben,  kennt 
auch  Galenus,  der  noch  hinzusetzt,  bei  ihm  zu  Hause  d.  h.  in  der 
Gegend  von  Pergamum  in  Kleinasien  erbaue  man  auf  dem  Lande 
Thörme  zum  Anlocken  und  Unterhalt  der  letztgenannten  (de  compo^ 
ntione  medicamentorum  per  genera,  H.  10,  T.  XHL  p.  514  Kühn). 
Diese  Halbzucht  der  wilden  Taube  mochte  nicht  bloss  in  Kleinasien, 
sondern  im  Orient  überhaupt  und  in  Aegypten  sehr  alt  sein.  Wenn 
das  mosaische  Gesetz  Vorschriften  über  Taubenopfer  giebt,  die  He- 
bräer aber  sonst  wilde  Thiere  nicht  opfern,  so  müssen  in  dem  tauben- 
reichen Kanaan  solche  Anstalten  zur  Anlockung  der  columba  liria 
und  auch  der  Turteltaube  frühzeitig  bestanden  haben.  Auch  in  der 
Sage  von  Noah  und  seinem  Kasten  scheinen  die  Taube,  %velche 
wiederkehrt,  und  der  Rabe,  welcher  ausbleibt,  nicht  bloss  den  Gegen- 
satz der  Farbe,  sondern  auch  den  der  Zahmheit  und  Wildheit  aus- 
drücken zu  sollen.  Eben  so  in  Aegypten.  Zwar  bei  der  Krönungs- 
scene,  die  Wilkinson  hat  abbilden  lassen  (Second  series,  ])l  76), 
können  die  vier  Tauben,  die  als  Symbol  weitreichender  Herrschaft 
nach  den  vier  Weltgegenden  ausfliegen,  der  Natur  der  Sache  nach 
nur  wilde  gewesen  sein,  die  der  Bande  eutledigt  das  Weite  suchen, 
aber  das  von  Brugsch  (die  ägyptische  Gräberwelt,  S.  14)  beschriebene 
Wirthschaftsbild  enthält  wirklich  Tauben,  die  gefüttert  werden.    Man 

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284  Die  Taube. 

bemerke  übrigens,  da^s  die  beigefügten  iDschriften  sagen  sollen:  ,,die 
Gans  wird  gefüttert",  „die  Ente  erhält  zu  fressen*",  „die  Taube  holt  sich 
Futter"  —  welcher  letztere  Ausdruck  auf  die  eben  so  schüchterne, 
als  gierige  Feld  taube  trefiflich  passt.  Aber  die  Taube  der  Semiramis, 
die  von  Askalon  und  unsere  Farben-  und  Racentaube  —  verschieden 
von  den  sogenannten  Feldflüchtem  —  kann  in  so  alter  Zeit  in 
Aegypten  nicht  vorhanden  gewesen  sein,  da  sie  dann  auch  in  der 
asiatisch-europäischen  Eulturwelt  nicht  so  spät  erschienen  wäre. 

Von  Italien  ging  mit  der  Macht  und  Kultur  des  römischen  Reiches 
die  Haustaube  über  ganz  Europa  aus.  Die  keltischen  Namen  für 
dieselbe  (altirisch  colum^  wälsch  und  altkomisch  colomy  bretonisch 
kotUm,  klorn)  sind  dem  Lateinischen  entlehnt,  eben  so  die  slavischen 
(golqbi  u.  s.  w.).  Dem  Ghristenthum  diente  ihr  Bild  frohe  zum  Aus- 
druck der  neuen  Religion  und  der  damit  verbundenen  Seelenstimmung: 
die  Taube  war  ein  reiner,  frommer  Vogel,  einfaltig  und  ohne  Falsch; 
in  ihrer  Gestalt  stieg  der  heilige  Geist  nieder;  beim  Tode  des  Gläu- 
bigen schwang  sich  die  Seele  als  Taube  zum  Himmel.  Man  sieht 
sie  in  den  ältesten  christlichen  Katakomben  häufig  abgebildet,  und 
in  den  Heiligenlegenden  des  Mittelalters  ist  sie  das  sichtbare  Zeichen 
der  Einwirkung  des  Geistes  von  oben.  Als  der  Frankenkönig  Chlod- 
wig sich  in  Rheims  taufen  Hess,  da  brachte  eine  Taube  dem  h.  Remi- 
gius  —  wie  Hincmar  im  Leben  des  Heiligen  erzählt  —  das  Oel- 
fläschchen  zur  Salbung  vom  Himmel  herab.  Es  war  seit  den  Zeiten 
der  Kirchenväter  ein  allgemeiner  Glaube^  dass  die  Taube  keine  Galle 
habe;  daher  z.  ß.  bei  Walther  von  der  Vogel  weide  19,  13  Lachm.: 

rÖ8  dne  dorn,  ein  tübe  sunder  gallen. 
Der  Papst  verschenkte,  wie  die-  Rose,  so  auch  das  Bild  der  Taube. 
Den  europäischen  Naturvölkern  war  die  graue  Taube,  wie  sie  in  der 
Wildniss  lebt,  ein  düsterer  vorbedeutender  Vogel,  vielleicht  auch  ein 
Leichen-  und  Trauervogel  gewesen  (Grimm,  DM.^  S.  1087  f.  und 
daselbst  die  Stelle  aus  Paulus  Diaconus  6,  34) :  ihr  trat  jetzt,  wie 
dem  Heidenthum  das  Christentbum,  die  anmuthige  und  zärtliche, 
mit  dem  Menschen  lebende  und  aus  der  Hand  des  Menschen  ihre 
Speise  nehmende,  weisse,  fremdländische  Taube  gegenüber.  Im 
Westen  war  indess  die  Taube  immer  auch  ein  Hausvogel,  dessen 
Mist  und  Federn  verwandt  wurden  und  der  wie  Gans,  Ente  und 
Huhn  zum  Essen  diente;  in  den  Gremeinden  der  anatolischen  Kirche 
aber  bildete  sie  in  Anknüpfung  an  altorientalische  Vorstellungen 
einen  Gegenstand  religiöser  Verehrung  und  abergläubischer  Skrupel. 
Li  Moskau   und  den    übrigen  Städten  des  weiten  Russlands  werden 

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Die  Tanbe.  285 

fiberall  Schaaren  von  Tauben  von  den  Kaufleuten  unterhalten  und 
genährt,  und  einen  der  heiligen  Vögel  zu  tödten,  zu  rupfen  und  zu 
essen,  wäre  eine  Art  Schändung  des  Heiligen  und  würde  dem  Thäter 
übel  bekommen  —  ganz  wie  einst  zur  Zeit  Xenophons  und  Philos 
in  Hierapolis  und  Askalon.  In  dem  halbgriechischen  Venedig  be- 
wohnen noch  jetzt  Schwärme  von  Tauben  die  Kuppeln  der  Markus- 
kirche und  das  Dach  des  Dogenpalastes,  treiben,  von  Niemandem 
gekränkt,  auf  dem  Markusplatze  ihr  Wesen  und  erhalten  zur  be- 
stimmten Stunde  auf  öffentliche  Kosten  ihr  Futter  gestreut.  Die 
neueuropäische  Taubenzucht  theilt  sich  zwar  noch  in  die  beiden 
Tarronischen  Zweige,  aber  die  Arten  und  Varietäten  der  eigentlichen 
Haastaube,  der  sogenannten  Racen-  oder  Farbentaube,  haben  sich  in 
Folge  der  Züchtung  und  des  umfassenden  Weltverkehrs  ins  Unüber- 
sehbare vermehrt,  wie  jeder  zoologische  Garten  und  jede  Tauben- 
ausstellung  beweist.  Im  Orient  werden  noch  jetzt,  wie  ältere  und 
neuere  Reisende  berichten,  ungeheure  Taubenhäuser  unterhalten,  deren 
Hauptwerth  in  der  Erzeugung  des  für  die  Gartenkultur  unschätzbaren 
Taubenmistes  besteht:  sie  mögen  noch  dieselbe  columba  livia  ent- 
halten und  noch  die  Form  und  Grösse  haben,  wie  die,  deren  Galenus 
an  der  o.  a.  Stelle  erwähnt  und  die  wir  in  Aegypten  und  Palästina 
voraussetzten.  Auch  bei  Moscheen  und  Heiligthümern,  in  Mekka, 
und  anderswo,  unterhalten  die  Muhammedaner  gern  Tauben,  die  ihnen, 
TO  den  orientalischen  Christen,  fromme,  dem  Reiche  Gottes  ange- 
hörende Vögel  sind:  eine  Taube  war  es  gewesen,  die  dem  Proplieten 
Alles  ins  Ohr  flüsterte,  was  sie  gesehen  und  erspäht  hatte.  Zu  keiner 
Zeit  aber,  weder  im  Westen  noch  im  Osten,  hat  die  Taulie  im 
wirthschaftlichen  Leben  der  Menschen  die  Bedeutung  erreicht  wie 
das  Haushuhn  ^*). 


An  die  beiden  im  Obigen  behandelten,  zu  historischer  Zeit  aus 
Asien  nach  Griechenland  versetzten  Hausvögel  schliessen  sicli  drei 
andere  an,  gleichfalls  Fremdlinge  auf  dem  naturarmen  europäischen 
Boden,  gleichfalls  zur  Griechenzeit  herübergebracht,  um  das  auf 
höheren  Stufen  der  Civilisation  sich  regende  Bedürfniss  nach  Er- 
weiterung und  Bereicherung  der  Anschauung  zu  befriediger;  der 
Pfau,  das  Perlhuhn,  der  Fasan. 


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286  Der  Pfau. 


Der  Pfau. 

Noch  weniger,  als  die  Taube,  war  der  Pfau  unmittelbar  nutz- 
bar, aber  noch  mehr  geeignet,  durch  die  Pracht  seines  Gefieders,  das 
er  stolz  auszubreiten  verstand,  der  schauenden  Menge  zur  Augen- 
weide zu  dienen  und  den  Glanz  reicher  Häuser  und  Höfe  zu  erhöhen. 
Er  galt  für  den  schönsten  aller  Vögel,  Varr.  3,  6,  2:  huic  (pavoni) 
enim  natura  forviae  e  volttanlms  dedit  palmam;  Columell.  8,  11,  1: 
harum  autem  decor  avium  etiam  exteros^  nedum  dominos  oblectat  Der 
Weg  seiner  Einführung  zu  den  Kulturvölkern  des  Alterthums  lässt 
sich  im  Allgemeinen,  wenigstens  nach  den  Haupt- Haltepunkten,  noch 
erkennen.  Er  stammte  aus  dem  fernen  Wunderlande  Indien  und  ge- 
hörte, wie  das  blanke  Gold,  die  blitzenden  Edelsteine,  das  weisse 
Elfenbein  und  das  schwarze  Ebenholz  zu  dessen  angestaunten  und 
begehrten  Herrlichkeiten.  Alexander  der  Grosse  fand  dort  die  Pfauen 
in  wildem  Zustande  in  einem  Walde  voll  unbekannter  Bäume,  Gurt. 
9,  2 :  JStnc  per  deserta  ventum  est  ad  flumen  Hydraotim,  junctum  erct 
ßumini  nemuSy  opacum.  arboribics  alibi  intisitatis  agrestiumque  pavonum 
multitudine  frequens^  und  bedrohte,  von  der  Schönheit  der  Vögel  be- 
trofiFen,  Jeden,  der  sie  zum  Opfer  schlachten  wollte,  mit  den  schwer- 
sten Strafen,  Aelian.  N.  A.  5,  21:  xai  tov  xdl?.ovg  x^avfiaoag  i^nei- 
Xrjoe  Tip  xatadvoavii  xaihv  anat'kag  ßaQxrtazag.  Dort  also  lebte 
der  Vogel  frei  in  den  Wäldern,  und  von  dort  gelangte  er  auf  dem 
Wege  des  phönizischen  Seehandels  in  das  Gebiet  des  Mittelmeers, 
wie  nicht  bloss  ein  bestimmtes,  auf  den  Anfang  des  zehnten  Jahr- 
hunderts weisendes  Zeugniss  lehrt,  sondern  auch  die  Vergleichung 
der  Namen  bestätigt.  König  Salomos  in  den  edomitischen  Häfen 
ausgerüstete  Schiffe  brachten  von  der  Fahrt  nach  und  von  Ophir 
neben  andern  Kostbarkeiten  auch  Pfauen  mit  (1.  Könige  10,  22), 
die  im  hebräischen  Text  den  Namen  tukhjtm  führen.  Dieses  Wort 
ist,  wie  zuerst  Benary,  dann  Benfey  Griech.  Wurzelwörterb.  2,  236 
erkannt  hat  (dem  dann  Lassen,  Indische  Alterthumskunde  1, 538 
folgte,  ohne  Neues  hinzuzufügen;  Ritter,  Erdkunde  14,  402  fiF.  beruht 
auf  Lassen),  nichts  anderes,  als  das  Sanskritwort  ^sikht^  welches  alt- 
tamulisch  togei  lautet.  An  der  Küste  Malabar  also  lag  Ophir,  oder 
von  dort  kamen  jene  kostbaren  Waaren  nach  Ophir,  wenn  letzteres 
nur  ein  vermittebder  Stapelplatz  war,    —    und  neben  bunten  Papa- 

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Der  Pfau.  287 

geien  and  lächerlicheD  Affen  ward  auch  der  Pfau  Dicht  unwQrdig  be- 
ümden,  dem  Hofe  des  weisen  Königs  Unterhaltung  und  den  Schein 
des  Ausserordentlichen  zu  geben.  Eine  ferne  Seltenheit  muss  der 
Vogel  indess  noch  lange  geblieben  sein ;  er  war  theuer  zu  beschaffen, 
vielleicht  noch  nicht  ganz  gezähmt  oder  schwer  im  neuen  Klima  zu 
erhalten  und  zu  vermehren.  Wir  schliessen  dies  aus  der  Langsam- 
keit seiner  Verbreitung  nach  Westen  und  der  Schwierigkeit,  die  seine 
Zucht  und  Hütung  noch  gegen  Ende  des  funiten  Jahrhunderts  in 
Athen  machte.  Dass  die  Griechen  ihn  aus  dem  semitischen  Vorder- 
asien erhalten  hatten,  lehrt  schon  der  Name,  den  er  bei  ihnen  führt: 
jodg  (mit  schwankender  grammatischer  Form;  die  Attiker  sprachen 
in  sonst  ganz  ungewöhnlicher  Weise,  aber  der  ursprünglichen  Gestalt 
des  Wortes  näher,  die  zweite  Silbe  mit  Aspiration:  raufg).  Der 
erste  Punkt  auf  griechischem  Boden,  wo  Pfauen  gehalten  wurden, 
könnte  das  Heräum  von  Samos  gewesen  sein,  da  nach  der  Legende 
des  genannten  Tempels  die  Pfauen  dort  zuerst  entstanden  und  von 
dort  als  dem  Ausgangspunkt  den  andern  Ländern  zugeführt  sein 
sollten  (Menodotus  von  Samos  in  der  schon  oben  im  Abschnitt  vom 
Haoshahn  aus  Athen.  14.  p.  655  angeführten  Stelle).  Was  den  Pfau 
zam  Liebling  der  Hera  machte,  war  der  Augenglanz  seines  Gefieders; 
denn  die  Augen'  sind  Sterne,  und  Hera  war  auch  die  Himmelsgöttin, 
nicht  bloss  im  abgeleiteten  samischen,  sondern  auch  im  ursprüng- 
lichen argivischen  Cultus.  Hier  floss  der  Bach  Asterion,  also  der 
Stemenbach,  dessen  drei  Töchter  die  Ammen  der  Ilcra  gewesen 
waren;  am  Ufer  dieses  Flusses  wuchs  das  Kraut  Asterion,  also  das 
Stemenkraut,  welches  der  Göttin  dargebracht  wurde  (Pausan.  2, 17,  2). 
DerP&u,  der  Sternen vogel,  schloss  sich  so,  nachdem  er  bekannt  ge- 
worden, dem  Herakultus  ganz  natürlich  an.  Ein  sich  von  selbst  er- 
gebender Mythus  war  es  denn  auch,  dass  der  allschauende  Argus, 
der  die  Mondgöttin  lo  zu  bewachen  hatte,  nach  seiner  Tödtung  durch 
den  Argeiphontes  sich  in  den  Pfau  verwandelte  (Schol.  Aristoph. 
Av.  102)  oder  dass  der  Pfau  aus  dem  purpurnen  Blut  des  Getödteten 
mit  blumenreichen  Fittigen  hervorging  und  seine  Schwingen  entfaltete, 
wie  das  SeeschiflF  seine  Ruder  (Mosch.  2,  58)  oder  dass  die  Juno 
die  hundert  Augen  des  Wächters  auf  die  Federn  des  Vogels  setzte, 
Ovid.  Met.  1,  722: 

Excipit  hos  (oculos)  volucrisque  suae  Saiurnia  pennis 

CoUocat  et  gemmis  caudam  steüaniibus  impleL 
Der  Pfau   war  also  an  der  Kultusstätte  selbst  entstanden,   nicht  aus 
Indien  gekommen,    aber  in  „unvordenkliche  Zeit,"    wie  Movers  will, 

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288  Der  Pfau. 

darfen  wir  desshalb  seine  Aufnahme  in  den  Heradienst  nicht  setzen. 
Dass  bestehenden  religiösen  Gebräuchen  eine   anfangslose  Dauer  zu- 
geschrieben wird,    liegt   in   der  Natur   solcher  Institute    und    der  an 
dieselben  sich  knüpfenden  Sage.     Als  der   spätere  samische  Tempel, 
den  Herodot  für  den    grössten  aller    griechischen  seiner  Zeit  erklärt, 
vollendet  war,  da  schenkte  vielleicht  ein  reicher  Verehrer,  ein  Kauf- 
mann, der  nach  Syrien  und  bis  ins  rothe  Meer  handelte,  oder  ein  in 
einem  syrischen    oder  ägyptischen  Hafenplatz   angesiedelter  frommer 
Samier   dem  Tempel    das   erste  Paar;    ging    dieses  etwa  zu  Grande, 
dann  bemühte  sich  die  Priesterscbaft  um  ein  neues,  das  endlich  be- 
schafft   wurde   und   glücklich    ausdauerte  und  sich  fortpflanzte;    das 
Naturwunder  zog  dann  immer  neue  Wallfahrer  an  und  trug  dazu  bei, 
das  Ansehen  des  Tempels  und  dessen  Einkünfte  zu  mehren;  und  so 
stolz  war  die  Insel  zuletzt  auf  diesen  Besitz,    dass  sie  den  Pfau  auf 
ihre  Münzen  setzte  (Athen,  a.  a.  0.;  Mionnet  unter  den  Münzen  von 
Samos).     Zu  Polykrates  Zeit  wird  der  Vogel  indess  auf  Samos  noch 
nicht  vorhanden  gewesen  sein:  hätten  die  Dichter  Ibykns  und  Ana- 
kreon,  die  am  Hofe  des  Tyrannen  lebten,  den  Pfau  mit  Augen  gesehen, 
so  hätten  sie  desselben  in  ihren  Gedichten  doch   wohl   erwähnt  und 
Spätere,  wieAthenäus,  nicht  unterlassen,  diese  Stellen  zu  citiren  und 
für  uns  aufzubewahren^*).     Auch  nach  Athen  würde  dann  der  Ruf 
des  Vogels    und   der  Vogel   selbst   wohl  früher  gedrungen  sein.    In 
Athen   nämlich   finden   wir  ihn  erst  nach  Mitte  des  5.  Jahrhunderts 
und  zwar  als  höchste  Merkwürdigkeit  und  Gegenstand  äusserster  Be- 
wunderung.    Vielleicht   gab    der  Abfall    der  Samier   von    der  athe- 
nischen Hegemonie  in  Ol.  84,  4  oder  440  a   Chr.   und  der  Feldzug, 
den  Perikles    zur  Züchtigung    der  Insel   unternahm    und  mit  Unter- 
werfung derselben  beschloss,    den  Siegern  Gelegenheit,   auch  Pfauen 
vom  Heräon   nach  Athen  zu  entführen,    obgleich  Thucydides  1, 117 
nur  von  Auslieferung   der  Schiffe   und  Bezahlung   der  Kriegskosten 
spricht.    Wie  das  neugierige,  schaulustige  athenische  Volk  durch  die 
Erscheinung   des  glänzenden  Vogels    aufgeregt  wurde,   und  wie  sich 
die  Begierde,  ihn  zu  sehen  und  zu  besitzen,    durch  den  hohen  Preis 
und  die  Schwierigkeit  der  Zucht  und  Vermehrung  nur  steigerte,  dies 
Bild  malen  uns  in  einzelnen  treffenden  Zügen   die    bei  Athenäus  14. 
p.  654.  655  aufbewahrten  Stellen  der  Komiker  und  die  Inhaltsangaben 
eines  Xoyog  des  Redners  Antiphon    über    die  Pfauen   (ibid.  und  bei 
Aelian.  N.  A.  5,  21).    Aus    der   letzteren  Schrift   ersehen  wir  z.  B., 
dass    es  in  Athen  einen  reichen  Vogelzüchter  gab,    Namens  Demos, 
Sohn  des  Pyrilampes,  —  reich,  denn  er  stellte  eine  nach  Cypem  be- 

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Der  Pfan.  289 

sdmmte  Triere  und  besass  Yom  GrossköDig  eine  goldene  Triokschale 
als  ovfißolov^  vielleicht  weil  er  dem  Monarchen  einen  Pfauen  über- 
reicht hatte  (Lysias  de  bonis  Aristophanis  19,  25  flF.)?  Dieser  Demos 
Würde  seiner  Pfauen  wegen  von  Neugierigen  überlaufen,  selbst  aus 
fernen  Landschaften,  wie  Lacedämon  und  Thessalien.  Jeder  wollte 
die  Yögel  schauen  und  bewundern  und  wo  möglich  Eier  von  ihnen 
sich  verschaffen.  Jeden  Monat  einmal,  am  Tage  des  Neumondes, 
worden  Alle  zugelassen,  an  den  anderen  Tagen  Niemand.  „Und  das, 
setzt  Antiphon  hinzu,  geht  nun  schon  mehr  als  dreissig  Jahr  so 
fort**^*).  In  der  That  war  auch  schon  der  Vater,  Pyrilampes,  Be- 
sitzer einer  6Qn$l^o%Qoq>ia  und  sollte  seinem  Freunde,  dem  grossen 
Perikles,  bei  dessen  Liebeshändeln  Vorschub  geleistet  haben,  indem 
er  den  Weibern,  die  Perikles  zu  gewinnen  wünschte,  unbemerkt  Pfauen 
zuwandte  (Plut.  Pericl.  13,  13).  Die  Vögel  in  der  Stadt  zu  verbreiten, 
fahrt  Antiphon  fort,  geht  nicht  an,  weil  sie  dem  Besitzer  davon- 
fliegen; wollte  sie  Jemand  stutzen,  so  würde  er  ihnen  alle  Schönheit 
nehmen,  denn  diese  besteht  in  den  Federn,  nicht  in  dem  Körper. 
Daher  sie  lange  eine  Seltenheit  blieben  und  ein  Paar  10,000  Drachmen 
(dgaxfidiv  fivgiwv^  nach  anderer  Lesart  xtlliov)  kostete.  „Ist  es  nicht 
Wahnsinn,  hiess  es  bei  Anaxandrides,  einem  Dichter  der  mittleren 
Komödie,  Pfauen  im  Hause  zu  ziehen  und  Summen  dafür  aufzu- 
wenden, die  zum  Ankauf  von  Kunstwerken  ausreichen  würden?** 
Und  in  einer  Komödie  des  Eupolis  kamen  die  Worte  vor:  „So  viel 
Geld  zu  verthun!  Hätte  ich  Hasenmilch  und  Pfauen,  wahrhaftig  ich 
würde  das  nicht  verzehren!"  Die  Komiker  unterliessen  nicht,  den 
Werth,  der  auf  den  Besitz  von  Pfauen  gelegt  wurde,  aus  deren  Selten- 
heit zu  erklären  (Eubulus  bei  Athen.  9.  p.  397),  denn  an  sich  sind 
Pfauen  und  nichtige  Possen  an  Gehalt  einander  gleich,  wie  eine 
Stelle  des  Strattis  sagte.  Im  Laufe  des  4.  Jahrhunderts  mussten  die 
Pfauen  von  Athen  aus,  der,  wenn  auch  nicht  mehr  politisch,  doch 
im  Punkte  der  Sitten  und  des  Geschmackes  noch  immer  hegemo- 
nischen  Stadt,  sich  mehr  und  mehr  unter  den  Griechen  verbreiten. 
„Sonst  —  sagt  der  Komiker  Antiphanes  ohne  Zweifel  übertreibend  — 
war  es  etwas  Grosses,  auch  nur  ein  Paar  Pfauen  zu  besitzen,  jetzt 
sind  sie  häufiger  als  die  Wachteln!**  Nach  Alexander  dem  Grossen 
drang  mit  der  griechischen  Herrschaft  und  Colonisation  auch  der 
Pfau  in  die  Städte  und  Gärten  des  inneren  Asiens.  Zwar  wird  auch 
Babylonien  reich  an  schönfarbigen  Pfauen  genannt  (Diod.  2,  53)  und 
dass  ein  Naturobjekt,  welches  schon  König  Salomo  aus  der  Feme 
bezog,    auch  in  dem  verwandten,    durch  Krieg  und  Handel  mit  den 

Tiet  Hehn,  Kaltnrpfluizeii.  I9 

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290  I>er  Pf*tt- 

semitischen  Eüsteniändem  am  Mittelmeer  vielfach  verbandenen  Ba- 
bylon bekannt  und  dann  häufig  geworden,  hätte  an  sich  nichts  Un- 
wahrscheinliches; aber  der  Umstand,  dass  die  asiatischen  Pfaaennamen 
alle  dem  Griechischen  entlehnt  sind  (Pott  in  Lassens  Zeitschr.  4,  S.  28^ 
Paul  de  Lagarde,  Gesammelte  Abhandlungen,  227.  35  ff.))  spricht 
dafür,  dass  erst  die  griechische  Herrschaft  —  durch  Rückwanderung, 
die  auch  sonst  noch  beobachtet  werden  kann  —  den  Vogel  in  dem 
weiten  Continent  populär  machte.  Dass  Suidas  fir^öixog  oQvig  mit  Pfau 
glossirt  und  Clemens  von  Alexandrien  den  Pfauen  an  zwei  Stellen  das 
Prädikat  M^dog,  fifjöiHog  giebt,  will  eben  so  wenig  sagen,  als  wenn 
wir  den  aus  Amerika  stammenden  Mais  Türkischend?7eizen  oder  den 
gleichfalls  amerikanischen  Truthahn  Ealkutischen  Hahn  (d.  h.  Hahn 
von  Calicut)  nennen. 

Die  Griechen  hatten  den  Pfau  taioSs^  tatoSriy  tahSs  genannt:  die 
Römer  nannten  ihn  abweichend  pdvus  oder  pdvo^  pdvonü.  Dieses 
Eintreten  eines  p  statt  des  t  erinnert  an  das  gleiche  bei  tadmar  — 
palmüf  welches  wir  durch  eine  Yorausgesetzte  Differenz  semitischer 
Mundarten  zu  erklären  suchten.  Wäre  auch  hier  der  Vogel  aas 
phonizisch-karthagischen  Händen  direkt  den  italisch  redenden  Stämmen 
überliefert  worden?  Die  Notiz  bei  Eustathius  (II.  22,  p.  1257. 30): 
„der  Pfau  war  bei  den  Bewohnern  Libyens  heilig  und  wer  ihn  schä- 
digte, wurde  bestraft**  —  ist  zu  vereinzelt  und  bei  einem  so  späten 
Schriftsteller  ohne  Gewicht;  von  Pfauen  in  Afrika  weiss  die  Nator- 
geschichte  nichts  und  eben  so  wenig  die  Religionsgeschichte  von  solchen 
beim  Tempel  des  Ammon  oder  der  karthagischen  Juno.  Adler  und 
Pfau  auf  den  Münzen  von  Leptis  magna,  auf  die  sich  Movers  beruft, 
sind  nichts  als  Apotheosen  des  Augustus  und  der  Livia  oder  Julia^ 
die  demgemäss  als  Jupiter  und  als  Juno  erscheinen  sollten  (Müller, 
Numismat.  de  Tanc.  Afrique  U.  p.  13).  Die  Möglichkeit  indess,  dass, 
wie  ebur^  barrus^  palma^  so  auch  dies  Produkt  der  Ophirfahrten  aus 
Karthago,  Sardinien,  Sicilien  unmittelbar  an  die  italische  Küste  ge- 
langt sei,  lässt  sich  nicht  verneinen.  Pfauenfedern,  aus  ihnen  za- 
sammengebundene  Büschel  und  Wedel,  mit  ihnen  besetzte  Hüte,  sind 
wie  Glas-  und  Bemsteinperlen  ein  bei  Kindervölkem  beliebter  Ab- 
satzartikel, für  den  sie  ihre  Schafe  und  Felle  gern  hingeben.  Wenn 
Ennius  fingirte,  Homer  sei  ihm  im  Traume  erschienen  und  habe  ihm 
eröffnet,  er  (Homer)  erinnere  sich  in  einen  Pfau  verwandelt  gewesen 
zu  sein  (Vahlen,  Enn.  poes.  reliquiae  p.  6.  Charis.  ed.  Keil.  96:  'me- 
mini  me  fieri  pavuin\  so  war  dies  ohne  Zweifel  eine  pythagoreische 
Vorstellung,   die   sich   der  Dichter  in  Tarent   angeeignet  hatte:  als 


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Der  Pfan.  291 

Symbol  des  stemetragenden  Furmamentes  und  der  EIrd-  und  Himmels- 
göttin war  gerade  der  Pfau  würdig  befanden  worden,  Homers  Sede 
aofeanelmien,  der  ja  auch  f&r  einen  Samier  galt,  wie  der  Meister 
Pytiiagoras  einer  war.  Auch  als  römisches  Cognomen  tritt  Pcnms^ 
Pavo^  wie  andere  Yogelnamen,  schon  zur  2^t  der  Republik  auf  und 
die  Sache  kann  daher  in  Italien  nicht  neu  gewesen  sein:  so  der 
flrcellius  Payo  bei  Tarro  de  r.  r.  3,  2,  2,  der  auch  wenn  Reatinus 
nicht  dabei  stünde,  durch  Fircellius  (fircos  »  hircus)  sich  als  Sabiner 
Yerrathen  würde,  und  P.  Favus  Tuditanus  in  der  14.  Sat  des  Lucilius 
(ed.  L.  Müller,  p.  64): 

Publiü*  Pavo*  Tuditanus    mihi  quaestor  Hibera 
'    In  terra  fuit,  luci/ugusy  nsbtäoy  id  genu*  $ane. 

Bei  den  späteren  Römern  musste  ein  Thier,  das  schon  in  Athen  der 
üeppigkeit  gedient  hatte,  in  um  so  höherem  Masse  in  Aufnahme 
kommen,  als  der  römische  Luxus  und  Reichthum  den  attischen  hinter  sich 
liess.  Zuerst  sollte  der  Redner  Hortensius,  der  Zeitgenosse  des  Cicero, 
der  auch  in  andern  Dingen  den  Reihen  römischer  Ausschweifung  er- 
öffiiet,  den  Pfau  gebraten  auf  die  Tafel  gebracht  haben  und  zwar  bei 
dem  prächtigen  Antrittsmahl,  das  er  bei  seiner  Ernennung  zum 
Augur  gab  (Yarr.  de  r.  r.  3,  6,  6).  Obgleich  das  Pfauenfleisch,  we- 
nigstens das  der  älteren  Thiere,  ziemlich  ungeniessbar  ist,  so  fand 
das  gegebene  Beispiel  doch  bald  allgemeine  Nachfolge.  Schon  Cicero 
schreibt  in  einem  Briefe:  Ich  habe  mir  eine  Kühnheit  eriaubt  und 
sogar  dem  Hirtius  ein  Diner  gegeben  —  doch  ohne  Pfauenbraten 
(Ad  famil.  9,  20,  3:  sed  mde  audaciam:  eüam  Hirtio  eenam  dedi^  sine 
paoane  tarnen)^  und  Horaz  wirft  seinen  Zeitgenossen  vor:  wird  ein 
P&u  aufgetragen  imd  daneben  ein  Huhn,  da  greift  Alles  nach  dem 
P&a  —  und  warum  das?  weil  der  seltene  Vogel  Goldes  werth  ist 
und  ein  prächtiges  Gefieder  ausbreitet,  als  wenn  dadurch  dem  Ge- 
schmack geholfen  werde,  Sat  2,  2,  23: 

Vix  tarnen  eripiam^  poiito  pavone,  velis  quin 

Hoc  potius  quam  gaüina  tergere  palatum, 

Corruptus  vanis  rerum,  quia  veneat  auro 

Rara  avis  et  picta  pandat  spectacula  cauda, 

Tamquam  ad  rem  adtineat  quidquam  — , 

welchem  horazischen  quia  als  eigentliches  Motiv  das  stolze  Bewasst- 
sein  im  Besitz  grenzenloser  Mittel  zu  sein  and  Sonne,  Mond  und 
Sterne  in  die  Luft  yerpu£Pen  zu  können,  und  der  daraus  hervor- 
gehende Selbstgenuss  zu  Grande  lag.  Auch  zu  Fliegenwedeln 
dienten  an  reichen  Tafeln  Pfauenschweife,  wie  goldenes  Geschirr  und 

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292  Der  Pfau. 

Becher   mit   geschnittenen  Steinen,   Mart.  14,  67.     Mascarium  pa- 
Yoninum: 

Lambere  quae  iurpes  prohibet  tua  prandia  muscas^ 

AUlis  eximiae  cauda  superba  fuiU 

Da  so  der  Pfau  in  allgemeinein  Begehr  stand,    so  wurde    die  Zucht 
dieses  Vogels  in  ganzen  HeerdenGegenVand  landwirthschaftlicher  In- 
dustrie, die  Anfangs  nicht  ohne  Schwierigkeit  war.    Die  kleinen  Ei- 
lande um  Italien  herum  wurden  zu  Pfaueninseln  eingerichtet,  wohl 
nach  griechischem  Vorgange;  so  hatte  schon  zu  Varros  Zeit(3,  6, 2) 
M.  Piso  die  Insel  Planasia,  jetzt  Pianosa,  mit  seinen  Pfauen  besetzt 
Die  Vortheile   solcher   seeumgebenen   Pfauengärten   setzt   Columella 
8,  11  auseinander:    der  Pfau,    der  weder  hoch  noch   längere  Zeit  zu 
fliegen  vermag,  kann  über  die  Insel  nicht  hinaus,  lebt  aber  auf  dieser 
in  völliger  Freiheit  und  sucht  sich  den  grössten  Theil  seines  Futters 
selbst;    die   Pfauhennen   erziehen   in   der  Freiheit  ihre  Jungen   mit 
naturgemässer  SorgMt;  kein  Wächter  ist  erforderlich,  kein  Dieb  und 
kein  schädliches  Thier  ist  zu  fürchten;  der  Aufseher  hat  nur  nöthig, 
zur  bestimmten  Stunde    die  Heerde   um  das  "Wirthschaftsgebäude  zu 
versammeln,  den  herbeieilenden  Thieren  etwas  Futter  zu  streuen  und 
sie  dabei  zu  überzählen.    Da  solcher  Inseln  aber  doch  nur  eine  be- 
schränkte Zahl  war,  so  wurden  denn  auch  auf  dem  Festlande  Pfauen- 
parks mit  grossen  Kosten  angelegt.     Die  ganze  Einrichtung,  die  da- 
bei  zu   beobachtende  Vorsicht    und   die   mannigfachen   Operationen 
einer   solchen  Züchtung   beschreiben   uns    die  Alten  gleichfalls  aus- 
führlich.    Zu  Athenäus  Zeit   (gegen  Ende   des  zweiten  Jahrhunderts 
nach  Chr.)  war  Rom  so  voll  Pfauen,   dass  diese  nach  des  Komikers 
Antiphanes  prophetischem  Ausspruch   wirklich   gemeiner  waren,  als 
die  Wachteln,   während   gleichzeitig    der   indische  Handel   über  das 
rothe  Meer  und  wohl  auch  zu  Lande  über  Neu-Persien  immer  neue 
Exemplare  aus  dem  Vaterlande  des  Thieres   selbst  lieferte.     In  dem 
Gespräch  des  Lucian  Navigium  seu  vota  23.    wünscht  sich  der  eine 
der  Redenden,  Adimantus,   wenn  er  plötzlich  reich  würde,  für  seine 
Tafel   ausser   andern  Leckerbissen    aus   fernen  Ländern    auch  einen 
Taatg  i§  ^IvöLag^    der   also    damals    aus  jener  Gegend  noch  bezogen 
wurde. 

In  sämmtlichen  europäischen  Sprachen  beginnt  der  Name  des 
Pfauen  mit  dem  lateinischen  p,  nicht  dem  griechischen  t,  zum  deut- 
lichen Beweise,  dass  der  Vogel  von  der  Apenninenhalbinsel,  nicht  aus 
Griechenland  oder  dem  Orient  in  das  barbarische  Europa  gekommen 
ist.   Wie  die  Taube,  nahm  das  Christenthum  auch  den  Pfau  in  seine 


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Der  Pfau.  293 

Symbolik  auf,  theils  als  Bild  der  AuferstehuDg,  weil  nach  der 
märchenhaften  Naturgeschichte  der  Zeit  das  Pfauenfleisch  unverweslich 
sein  sollte  (August  de  Civ.  De^  21,  4:  quis  entm  nisiDetia  creator  om^ 
rUum  decUt  cami  pavonis  mortui  ne  putresceretf  der  Kirchenvater  will 
lächerlicher  Weise  bei  einem  von  ihm  selbst  angestellten  Versuche 
die  Sache  bestätigt  gefunden  haben),  theils  zum  Ausdruck  himm- 
lischer Herrlichkeit,  wegen  der  Pracht  seines  Aeussern.  In  letzterer 
Beziehung  erinnern  wir  nur  an  die  Pfauenfedern  in  den  Flügeln  der 
Engel  auf  Hans  Memlings  berühmtem  Bilde  des  jüngsten  Gerichts 
in  Danzig.  Das  Misstrauen  gegen  alle  sinnliche  Schönheit,  das  der 
christlichen  negativen  Weltansicht  eigen  war,  schärfte  den  Blick 
dann  auch  wieder  für  die  Unvollkommenheiten  des  schmuckreichen 
Geschöpfes,  z.  B.  in  Freidanks  Bescheidenheit,  43,  S.  142.  Grimm: 

der  phäwe  diehes  sliche  hdt^ 

tiuvels  stimme^  und  engeis  wdt^ 

und  gern  wies  man  im  Sinne  christlicher  Moral  auf  seine  nackten 
hasslichen  Füsse  hin,  als  eine  beschämende  Mahnung  zur  Demuth. 
Auf  den  schleichenden  Diebsgang  ging  wohl  auch  der  Name  Petitpas, 
den  der  Pfau  im  französischen  Kenart  führt.  Im  Uebrigen  sagte  die 
P&aenfeder  dem  barbarischen  Geschmacke  ganz  so  zu,  wie  einge- 
setzte Edelsteine  und  wie  überhaupt  alles  Schimmernde  und  Hervor- 
stechende. Pfauenfedern  prangten  auf  dem  Haupte  des  Ritters,  wie 
in  Gestalt  von  Kränzen  um  den  Hals  des  Fräuleins,  Petr,  Crescentius 
im  Kapitel  de  pavouibus:  pennae  puellis  pro  sertis  et  aliis  omamentis 
aptae,  und  wenn  z.  B.  im  Parcival  die  prächtige  E^eidung  des  kranken 
Königs  Amfortas  (225,  Lachmann)  oder  die  majestätische  Tracht  der 
furchtbaren  Kundrie  la  Sorciöre  (313)  oder  die  des  Königs  Gramo- 
flanz  (605)  beschrieben  wird,  da  fehlt  nirgends  unter  andern  kost- 
baren Gewandstücken  der  p/aewtn  oder  phawtn  huot,  Dass  solche 
Pfauenhüte  aus  England  kamen,  lehren  die  obengenannten  und  noch 
andere  Dichterstellen,  und  dort  müssen  auch  die  das  Material  dazu 
liefernden  Thiere  gezüchtet  worden  sein.  Schon  Karl  der  Grosse 
liatte  befohleu,  auf  seinen  Gütern  ausser  andern  Vögeln  auch  Pfauen 
und  Fasanen  zu  halten  (Gapitulare  de  villis  40),  und  diese  Sitte 
pflanzte  sich  wohl  auf  den  Schlössern  des  normannischen  Adels  in 
England  fort.  Auch  der  Gebrauch,  bei  Prunkmahlzeiten  einen  ge- 
bratenen Pfauen  im  ganzen  Schmuck  seines  Gefieders  auf  den  Tisch 
za  bringen,  war  seit  dem  Alterthum  nicht  verloren  gegangen  und  er- 
kielt sich  bis  ins  16.  Jahrhundert  hinein.  Gewöhnlich  trug  ihn  die 
Dame    selbst    unter    Trompetenschall    auf   goldener    oder    silberner 

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294  ^M  Perlhuhn. 

Schössel  feierlich  auf  und  der  Herr  zerlegte  ihn,  wie  im  Lanzelot 
König  Artas  dies  seinen  an  der  Tafel  yersammdten  Rittern  that 
Ueber  die  auf  den  gebratenen  Pfan  von  französischen  Rittern  abge- 
legten halb  wahnsinnigen  Gelfibde,  die  sogenannten  voenx  da  p&n,  in 
denen  es  immer  Einer  dem  Andern  zuyorzathun  sachte,  s.  Legrand 
d'Aussy,  Histoire  de  la  vie  priv4e  des  Francis,  Paris  1782, 1.  p.  299  ff. 
and  Grimm  RA.  S.  901,  der  die  Sitte  von  den  altnordischen  Ge- 
lübden auf  den  £ber  ableitet  Gegen  die  Zeit  der  Renaissance  be- 
gann dieser  P£aaen  Enthusiasmas  za  erkalten,  and  der  Vogel  trat 
allmählig  in  die  bescheidenere  Stellang  zurück^  die  er  heutiges  Tages 
einnimmt.  Er  verschwand  von  der  Tafel,  mit  manchem  anderen  in- 
haltslosen Prunk,  an  dem  sich  der  rohere  Sinn  ergötzte,  und  wenn 
der  Wilde  sich  mit  vorgefundenen  Naturgegenstanden,  wie  Yogelfedem 
und  Glimmerblattchen,  unmittelbar  behängt,  so  verschmäht  der  ge- 
bildete Geschmack  aUen  nicht  von  der  mildernden  und  ausgleichen- 
den Hand  der  Kunst  umgewandelten  und  dem  Reich  des  lE^lemen- 
taren  enthobenen  Schmuck.  Li  Parks  mag  auch  jetzt  noch  wohl 
unter  anderem  Gethier  ein  Pfau  stolziren,  obgleich  seine  hassliche 
Stimme  und  der  Schade,  den  er  anrichtet,  nicht  im  Yerhältniss  za 
dem  Vergnügen  steht,  das  sein  Anblick  gewährt:  die  Pfauenfedern 
aber  sind  immer  weiter  nach  Osten,  zu  Orientalen,  Tataren,  ras- 
sischen Kutschern,  Chinesen^  die  sie  zur  Auszeichnung  der  höch- 
sten Rangstafen  benutzen,  u.  s.  w.,  gedrängt  worden  und  stehen  nur 
noch  einem  blau  und  roth  tätowirten  Häuptling  gut,  wenn  er  sie  als 
glänzenden  Schurz  um  die  Weichen  gürtet. 


Das  Perlhuhn. 

Das  Perlhuhn,  Numida  meleagris  L.,  wird  für  unsere  Kennt- 
niss  zuerst  von  Sophokles  erwähnt,  der  in  seiner  Tragödie  Melea- 
gros  gesagt  hatte,  das  Electron  fliesse  jenseit  Indien  aus  den  Thränen 
der  den  Tod  des  Meleager  beweinenden  Vögel  dieses  Namens,  Plin. 
37,  88:  ITu?  (Sophocles)  ultra  Indtamfluere  diait  (electrum)  e  lacrm» 
meUagridum  avium  Meleagrum  deßentium,  Dass  die  Schwestern  des 
Meleager  bei  dem  Tode  ihrer  Mutter  und  ihres  Bruders  und  dem 
Untergang  ihres  Haoses   in  Vögel  verwandelt   worden,   mochte  eise 

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Dfts  PerUmhn.  295 

sehr  alte  Sage  sein,  da  der  Mythus  in  seiner  Sprache  das  oner- 
trägliche  Leid  der  Unglücklichen  durch  eine  Terwandlong  in  Vögel 
auszudrücken  pflegt  (s.  Feuerbach  in  den  annali  delP  instituto  T.  15. 
1843  über  die  Meleagerstatue  des  Berliner  Museums):  merkwürdig 
aber  ist,  dass  schon  zu  Sophokles  Zeit  diese  Vögol  nicht  als  irgend 
ein  einheimisches,  sondern  als  ein  fernes,  üabelhaftes  Geschlecht  be- 
stonmt  waren  und  das  Elektron  in  einem  über  Indien  hinaus  lie- 
genden Phantasielande  erzeugen  sollten.  Nimmt  man  die  andere 
Sage  hinzu,  dass  die  Meleagriden  atff  den  elektrischen  Inseln  am 
Aosfluss  des  Eridanus  —  den  Aeschylas  zu  den  Iberern,  dem  &us- 
sersten  Westvolke,  verlegte  —  leben  sollten  (Strab.  5, 1,  9),  eben 
da,  wo  Phaeton  herabgestürzt  war  und  von  den  Pappeln,  in  die  seine 
Schwestern,  die  Heliaden,  verwandelt  waren,  das  kostbare  goldgelbe 
Harz  niedertr&ufelt^  —  so  bestätigt  sich  die  Yermuthung,  dass  der 
Haushahn,  alix%(aQ^  nach  der  Sonne  und  dem  Sonnenstein,  dem 
Bernstein,  diesen  Namen  erhalten  hatte:  die  Perlhühner,  als  die 
nächsten  Verwandten  des  Haushuhns^  waren  gleichfalls  Sonnenkinder 
und  wurden  tief  im  Morgenlande,  wo  die  Sonne  sich  vom  Lager  er» 
hebt,  und  tief  im  Westen,  wo  sie  untertaucht,  oder  vielmehr  an  dem 
Punkte  gedacht,  wo  Osten  und  Westen  jenseits  Indien  zusammen- 
stossen.  Schon  geographisch  genauer,  obgleich  immer  noch  halb 
mythisch,  berichtete  Mnaseas  (bei  Plin.  37,  38),  es  sei  in  A&ika  eine 
Gegend  Sicyon,  wo  ein  See  durch  den  FIuss  Crathis  in  den  atlan- 
tischen Ocean  abfliesse:  dort  lebten  die  Vögel,  die  meUagrides  und 
penelopae  (eine  bunte,  gleichialls  fremdländische  Entenart)  genannt 
wurden,  und  dort  entstehe  auch  das  Elektron.  Ganz  dieselbe  Gegend, 
doch  mit  andern  Ortsnamen  und  mit  Weglassung  der  fabelhaften  Er- 
zeugung des  Bernsteins,  wird  dann  in  dem  Periplus  des  Scylax  von 
Garyanda  112  ab  einziger  Ort  bezeichnet,  wo  sich  fieleaygiÖBg 
finden:  wenn  man  zu  den  Säulen  des  Hercules  hinausschifPt  un^ 
Afrika  immer  zur  Linken  behält,  so  öffiiet  sich  bis  zum  Cap  des 
Hermes  ein  weiter  Golf  mit  Namen  Kotes  (^Kwtrjc);  in  der  Mitte 
dieses  Golfes  liegt  die  Stadt  Pontion  {Tlovriiav)  und  ein  grosser 
rohrumgebener  See,  Eephesias  (KTiq)i]aidg)  genannt;  dort  leben  die 
Vögel  fieXeayQideg  und  sonst  nirgends,  ausser  wohin  sie  von  dort 
hinübergebracht  sind.  In  der  That  ist  das  nordwestliche  Afrika,  die 
Gegend  von  Sierra  Leone,  des  grünen  Vorgebirges  u.  s.  w.  reich  an 
Perlhühnern,  aber  sie  fehlen  auch  im  Osten  des  Welttheils  nicht. 
Nach  Strabo  16,  4,  5  und  Diodor  3,  29  war  eine  Insel  des  rothai 
Meeres  von  Perlhühnern  bewohnt;  Kapitän  Speke  fand  auf  seiner  von^ 

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296  I>as  Perlhulm. 

Zanzibar  aas  zar  Entdeckung  der  Nilquellen  unternommenen  Reise, 
dass  „das  Perlhulm  der  häufigste  aller  jagdbaren  Vögel**  war  (S.  13 
der  deutschen  UebersetzuDg),  ja  selbst  von  Arabien  sagt  Niebohr: 
^Perlhühner  sind  daselbst  zwar  wild,  aber  in  Tehama  an  der  bergichten 
Gegend  so  häufig,  dass  die  Knaben  sie  mit  Steinen  werfen  und  nach 
der  Stadt  zum  Verkaufe  bringen"  (Beschreibung  von  Arabien,  Kopen- 
hagen 1772,  S.  168).  Ueber  den  Weg,  auf  dem  diese  Vögel,  sei  es 
vom  Westen  oder  vom  Osten  Afrikas,  zuerst  nach  Griechenland  ge- 
langt und  warum  sie  gerade  nach  Meleager  benannt  worden,  ist  uns 
nichts  Bestimmtes  aufbewahrt.  Vielleicht  dachten  sich  diejenigen 
unter  den  Griechen,  die  diesen  schönen,  dem  Haushahn  verwandten, 
mit  Perlen  oder  Thränen  über  und  über  besäeten  Vogel  zuerst  mit 
Augen  erblickten,  auch  den  blühenden,  starken,  dem  Mutterfluch  er- 
legenen  Jüngling  als  den  scheidenden  Sonnengott,  der  vom  Winter 
getödtet  worden,  und  daher  seine  Schwestern  als  in  Sonnenvögel 
verwandelt.  Wenn  Menodotus  von  Samos  in  der  schon  oben  zwei- 
mal von  uns  angezogenen  Notiz  Aetolien  als  Ausgangspunkt  derMe- 
leagriden  angiebt,  so  enthält  dies  Zeugniss  nichts  als  einen  Schluss 
aus  dem  Namen  und  ist  daher  historisch  werthlos.  Nach  dem  Schüler 
des  Aristoteles,  Clytus  von  Milet,  aus  dessen  Geschichte  von  Milet 
Athenäus  14,  p.  655  die  betrefifende  Stelle  des  ersten  Buches  wört- 
Uch  anführt,  wurden  auf  der  kleinen,  von  den  Milesiern  kolonisirten 
Insel  Leros  um  den  Tempel  der  Parthenos  d.  h.  der  Artemis,  die  bei 
den  Leriem  den  Namen  lokallis  geführt  zu  haben  scheint,  OQvi&iQ 
fisleayQideg  gehalten,  d.  h.,  wie  aus  der  nachfolgenden  ausführlichen 
Beschreibung  hervorgeht,  afrikanische  Perlhühner.  Wie  sie  dahin 
gekommen  und  warum  sie  der  jungfräulichen  Göttin  geweiht  waren, 
wird  nicht  gesagt.  Da  die  Perlhühner  noch  tapferer  und  streitsüch- 
tiger sind,  als  der  indische  Uaushahn,  so  schaute  die  mythische 
Phantasie  in  diesen  Vögeln  wohl  die  kriegerischen  Amazonen,  die 
Hierodulen  der  spröden  Artemis:  sie  waren  die  Genossinnen  der 
lokallis  gewesen,  ovvq&eig  ^ loxakUöog  Tfjg  iv  ytigt^  IlaQ&ivov,  tjv 
TifiußOi  daifioncog  (Suid.  und  Phot.  v.  MeXeayQiÖBc).  Die  Lerier 
wissen  wohl,  sagt  Ael.  N.  A.  4,  42,  warum  deijenige,  der  die  Gottheit, 
besonders  aber  die  Artemis  verehrt,  sich  des  Fleisches  dieser  Vögel 
enthält.  Kein  Raubvogel,  behauptete  die  dortige  fromme  Sage,  wagte 
es  mit  gebogenen  Krallen  die  lerischen  heiligen  Hühner  anzugreifen 
(Ister  bei  Ael.  N.  A.  5,  27).  Die  lokallis  mochte  wohl  einerlei  sein 
mit  der  arkadischen  Nymphe  Kallisto,  der  Tochter  der  "AQzefiig 
KaXlioTT]^    die   zusammen   mit  lo    auch   auf  der   Burg   von  Athen 

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Der  Fasan.  297 

stand  (Paasao.  1,  25, 1);  vielleicht  erklärt  sich  dadurch  die  sonst  un- 
erhörte Nachricht  des  Suidas  von  Perlhühnern  auf  der  Akropolis: 
MiUayQideg.  oqvbo  ansQ  kvefiovro  iv  %fi  ^AxQonoket.  Italien,  wel- 
ches dem  westafrikanischen  Ausgangspunkte  derselben  schon  näher 
lag,  mochte  sie  wohl  ohne  Yermittelung  der  Griechen  durch  die 
Scliiffiahrt  des  Westens,  vielleicht  erst  zur  Zeit  der  punischen  Kriege 
erhalten  haben,  darauf  deuten  wenigstens  die  lateinischen  Namen: 
Nunddicae^  Africae  aves,  gaUinae  Africanae  bei  Varro,  Afra  avü 
bei  Horaz  und  Juvenal,  Ubycae  voltccres  und  Numidicae  guttatae  bei 
Martial  u.  s.  w.  Als  man  die  damit  bezeichneten  Hühner  mit  den 
griechischen  fieleayQideg  vergleichen  konnte,  musste  die  Identität  in 
die  Augen  springen,  Varr.  3,  9,  18:  gallinae  Africanae  9unt  grandes^ 
vmae,  gibberae^  qua»  fieXsayQidag  appeüant  Oraeci,  Hae  novissimae 
in  tricUnium  ganearium  introierunt  e  culina^  proptei'  fastidium  ho^ 
minum.  Veneunt  propter  penuriam  magno.  Die  Perlhühner  waren 
also  zu  Yarros  Zeit  immer  noch  selten,  folglich  theuer  in  Italien;  sie 
kamen  schon  auf  die  Speisetische,  weil  die  Römer  Alles  in  den 
Mund  stecken  mussten  und,  je  neuer  und  kostbarer  ein  Gericht  war, 
mu  80  gieriger  danach  trachteten;  von  einer  religiösen  Scheu  oder 
Einführung  in  eine  Phantasiewelt  zeigt  sich  keine  Spur.  Mit  dem 
Untergang  des  römischen  Reiches  verschwand  auch  dieser  Ziervogel 
aus  dem  Bereiche  europäischen  Lebens  —  denn  das  Mittelalter  kannte 
ihn,  so  viel  wir  wissen,  nicht  — ,  um  nach  tausend  Jahren  mit  der 
Wiedergeburt  der  antiken  Kultur  und  den  Entdeckungen  der  Portu- 
giesen längs  der  Küste  Afrikas  sich  den  Europäern  wieder  zu  zeigen. 
Er  ward  von  den  nächsten  Nachbarn  Numidiens,  den  Portugiesen  und 
Spaniern,  auch  nach  Amerika  hinübergebracht  und  fand  dort  am 
entgegengesetzten  Ufer  des  atlantischen  Oceans  eine  ihm  so  zusagende 
Natur,  dass  er  in  den  Wäldern  Mittelamerikas  jetzt  in  grossen  Schaaren 
förmlich  verwildert  sein  soll. 


Der  Fasan. 

Dass  der  Fasan  oder  Vogel  vom  mythusberühmten  Flusse 
Phasis  in  dem  nach  Morgen  gelegenen  Zauberlande  Kolchis,  zu  dem 
ernst  in  der   uralten  Wuu derzeit   die   göttergleichen  Heroen   auf  der 

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298  I>er  Fasan. 

Bchnellen  Argo  geschiffi,  —  in  demselben  Jahrhundert  bei  Aea  Grie- 
chen erschienen  ist,  wie  der  älixzwQ  and  die  (ueleaygigj  geht  nicht 
ohne  Wahrscheinlichkeit  aas  diesem  seinem  Namen  hervor.  Er  ist 
ihm  von  Menschen  gegeben,  die  noch  die  Welt  nicht  anders  fiissteo, 
als  in  mythischer  Yerwandlang,  und  die  dennoch  mit  dem  Mythos 
schon  spielten.  In  den  Wäldern  Hyrkaniens,  südlich  vom  kaspischen 
Meer,  mag  der  'Vogel  ursprünglich  zu  Haase  sein  und  von  dort  den 
griechischen  Ansiedlem  am  schwarzen  Meer  und  weiter  den  euro- 
päischen Griechen  bekannt  geworden  sein.  In  der  Literatur  finden 
wir  ihn  vor  Aristophanes  nicht  Denn  dass  Solon  dem  Krösus,  als 
dieser  sich  ihm  einst  in  seiner  ganzen  königlichen  Herrlichkeit  zeigte, 
zur  Beschämung  gesagt  habe,  Hähne,  Fasanen  und  Pfauen  seien 
weit  schöner,  weil  von  der  Natur  selbst  geschmückt  (Diog.  Laert 
Sol.  51)  —  dies  im  Sinne  der  spätem  Zeit  erdachte  moralische  Ge- 
schichtchen wird  Niemand  historisch  nehmen  wollen,  wie  wir  auch 
beim  Hahn  und  beim  Pfauen  davon  keinen  Gebrauch  gemacht  haben. 
Die  Verse  des  Aristophanes  aber,  Nub.  108: 

ovx  av  fiq  tov  ^lovvaov^  $1  doirjg  yi  (xol 
Tovg  q>aaiavovg  oig  zQiq^et  ^etoyogag  — 

constatiren  zur  Zeit  des  Dichters  die  Fasanen  als  kostbaren  Luxus- 
vogel in  Athen.  Zwar  wollten  hier  einige  Grammatiker  nicht  Vögel, 
sondern  Pferde  vom  Phasis  verstanden  wissen,  allein  diese  Erklärung 
scheint  nur  eine  zum  Besten  der  Theorie,  nach  welcher  die  attische 
Sprache  nicht  q>aaiav6g.  sondern  (paaiavixog  gesagt  haben  sollte, 
erdachte  Auskunft.  An  einer  anderen  Stelle  desselben  Komikers, 
Av.  68,  kommt  allerdings  0aaiavix6g  als  Beiwort  zu  einem  erfundenen 
lächerlichen  Yogelnamen  vor:  nachdem  Euelpides  sich  für  einen  li- 
byschen Vogel,  Hypodedios,  ausgegeben,  fügt  Peithetairos  hinzu,  er 
sei  ein  phasianischer  Epikecbodos: 

^EnixBxodijjg  eywye  Oaaiavixog  — 

mit  ofienbarcr  Hindeutung  auf  den  also  den  Zuschauem  schon  wohl- 
bekannten kolchischen  Vogel.  Aristoteles  in  seiner  Thiergesdiichte 
spricht  von  dem  Fasan  hin  und  wieder  in  einer  Weise,  die  schliessen 
lässt,  dass  der  Vogel  ihm  und  seinen  Lesern  keine  ungewöhnliche 
Erscheinung  war.  Einige  weitere  historisch-geographische  Aufklärong 
giebt  uns  dann  eine  Stelle  aus  den  Schriften  des  ägyptischen  Königs 
Ptolemäus  Euergetes  U  oder  Physkon,  die  uns  bei  Athenäus  14.  p.  654 
aufbewahrt  ist  In  seinen  Denkwürdigkeiten  über  den  Palast  von 
Alexandrien  nämlich  sagte  dieser  König  da,    wo  er  auf  die  dort  ge- 


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Der  Fasan.  299 

haltaien  Thiere  zu  reden  kam,  von  den  Fasanen:  „diese  Yögel, 
die  man  xhagoi  nennt,  wurden  nicht  bloss  ans  Medien  eingefQhjrt, 
sondern  anch  dnrch  Züchtung  so  vermehrt,  dass  sie  auch  zor  Speise 
dienten,  denn  ihr  Fleisch  soll  köstlich  sein^  (der  Text  ist  zwar  ver- 
dorben, aber  der  Sinn  nicht  zwjsifelhaft).  Wir  ersehen  hieraus,  dass 
die  Fasanen  auch  nach  Alexandrien  aus  Medien  d.  h.  den  stldkas- 
{»sehen  Landen  kamen,  und  dass  ihr  eigentlicher  Name  thagot 
war  oder  wie  Athenäus  an  einer  andern  Stelle  (9.  p.  387)  nach  äl- 
teren Glossatoren  das  Wort  schreibt:  tarvQai,  So  hiessen  sie  in 
medischer  Sprache,  wie  das  heutige  persische  tedzrev  der  Fasan  und 
das  gleichbedeutende,  eben  daher  stammende  altslavische  tetreviy 
Uterem^  teirjcL,  teter§  bestätigt.  Das  Wort  zieht  sich  durch  den  Osten 
Eeropas  von  Volk  zu  Volk  fort  und  bezeichnet  dort,  da  der  Fasan 
fehlte  einen  der  grossen  einheimischen  Vögel,  Trappe,  Auerhahn, 
Birkhahn^  neuerdings  auch  Truthahn.  Russisch  teterev,  teterja,  pol- 
nisch cietrzew^  czechisch  tetefv^  litauisch  teterva^  tytarasy  preussisch 
tatarwü^  lettisch  tettera^  UUeriSy  estnisch  tedder^  finnisch  tetr%  schwe- 
disch ^Vwfer,  dänisch  tuir^  angeblich  auch  altnordisch  iMdr^  thidkr 
(das  Schneehuhn).  In  das  Scandinavische  kam  das  Wort,  welches 
den  germanischen  Sprachen  fehlt,  aus  dem  Finnischen  (etwa  wie  der 
Name  des  Fuchses:  altn.  refr^  schwedisch  ra/,  dänisch  rat?),  in  dieses 
aas  dem  Litauisch-Lettischen:  entnahmen  es  die  Litauer  und  die 
Slaven  von  ihren  einstigen  Nachbarn  im  Süden,  den  scythisch-sar- 
matisehen  Medem?  Gründe  und  Umstände  der  Entlehnung  lassen  sich 
mancherlei  denken:  Knechtschaft  und  Unterwerfung,  Jagd-,  Religions-, 
Marktverkehr,  Thiermärchen,  die  mit  sammt  den  Namen  weiter  erzählt 
werden  u.  s.  w.  Auch  das  griechische  tsxQaiov  (Hesych.  ogvig  noi6g\ 
titga^  (bei  Epicharmus  und  Aristophanes),  tizgi^  (bei  Aristoteles),  t«- 
tQcldiüv  beiAlcäus),  T^r^aZo)' (lakonisch)  ist  schwerlich  einheimisch,  son- 
dern aus  Asien  herübergenommen, aus  ähnlichem  Anlass,  wie  dieLateiner 
ihr  tetrao  aus  dem  Griechischen  erborgten.  —  Bei  der  ins  Ungeheure 
getriebenen  Zucht  der  Vögel  in  den  römischen  Aviarien  und  Parks 
fehlte  auf  römischen  Gasttafeln  der  pAonanua,  auch  tetrao  genannt, 
natürlich  nicht,  spielte  vielmehr,  wie  sich  denken  lässt,  eine  Haupt- 
rolle; in  dem  Edict  Diocletians  hat  der  gemästete  und  der  wilde 
Fasan,  phasianus  pastus  und  agrestü^  sowie  die  Fasanenhenne  ihren 
besonderen,  von  oben  anbefohlenen  Marktpreis;  auf  Karls  des  Grossen 
Villen  sollen,  wie  der  Kaiser  anordnet,  auch  Fasanen  gehalten  werden, 
and  so  hat  sich  der  schöne  auf  reichen  Tafeln  gesuchte  Vogel  das 
ganze  Mittelalter  hindurch  nicht  bloss  in  fürstlichen  Fasanerien  er- 

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300  I>er  Fasan. 

halten,  sondern  lebt  jetzt  in  manchen  Gegenden,  z.  B.  des  österrei- 
chtschen  Eaiserstaats,  im  Zustande  vollkommener  Freiheit,  so  dass 
ihm  Europa,  wohin  ihn  einst  die  menschliche  Hand  nicht  ohne 
Schwierigkeit  hinüberbrachte,  zum  zweiten  Vaterlande  geworden  ist 
Die  beiden  prächtigen  Abad^n  des  gemeinen  westasiatischen  Fasans, 
der  Silber-  und  der  Goldfasan,  die  man  jetzt  in  Parks  der  Vor- 
nehmen und  iu  Thiergärten  bewundert,  wurden  in  Folge  der  Ent- 
deckung des  Seeweges  nach  Ostindien  von  ihrem  Vaterlande  China 
her  bekannt  und  in  einzelnen  Exemplaren  nach  Europa  gebracht 
(Dass  sie  schon  froher  in  Eolchis  gewesen,  will  Dureau  de  la  Malle, 
Annales  des  sc.  naturelles,  XVIII.  p.  279  aus  den  Worten  des  Plinius 
10,  132  schliessen:  phasianae  in  Colchis  geminas  ex  pluma  auris  sub- 
mitttunt  svh'iguntque).  Den  wunderbar  geschmückten  Goldfasan 
hielt  Cuvier  für  den  alle  500  Jahr  erscheinenden  heiligen  Sonnen- 
vogel der  Aegypter,  den  Phönix  —  in  euhemeristischer  grober  Ma- 
terialisirung  eines  mythischen  Symbols  oder  einer  kosmogonisch- 
periodologischen  Phantasie,  wie  wir  ihr  von  Rationalisten  und  Natur- 
forschem  im  Felde  der  Wunderdeutung,  der  Urgeschichte  u.  s.  w.  oft 
genug  begegnen. 


Während    die  Zahl    der  Säugethiere,    die    der  Mensch    gezähmt 
und   sich    als  Hausgenossen  zugesellt    hat,    in    historischer  Zeit  nur 
um  ein  Geringes  sich  vermehrte,  haben  sich  in  relativ  später  Epoche, 
wie  aus    dem  Obigen  erhellt,    die  Gehöfte    und  Niederlassungen  der 
Menschen  mit   mannichfachem  zahmem  Hausgeflügel  belebt  und  be- 
völkert,   darunter  das  wichtigste   von    allem,    das  Haushuhn.     Zucht 
des  Geflügels  und  Rindviehzucht   stehen   in  einem   gewissen  Gegen- 
satz zu  einander:  nicht  wo  weite,  von  reichlichen  Niederschlägen  be- 
fruchtete Ebenen  in    unabsehbaren  Saatfeldern   und    grünen  Wiesen 
sich  dehnen  und  dichte  Wälder  und  Forsten  sich  anschliessen,  sondern 
im  sonnigen,  auf-  und  absteigenden  Gebiet  der  kleinen  Gartenkoltur, 
wo  Hof  an  Hof  stösst   und  Hecke   an  Hecke  sich  reiht,    da   picken 
und  flattern  die  geflügelten  Geschöpfe  um  den  an  und  neben  seinem 
Hause   hantierenden  Menschen  und  bilden  im  System  seiner  Wirth- 
schaft  eine  nicht  zu  unterschätzende  Quelle   des  Unterhalts  und  der 
Einnahme.    In  Europa  sind  daher  ihrem  W^ohnort  und  ihrer  Tradi- 
tion nach  die  romanischen  Völker  die  vögelessenden  und  vögelerzie- 
henden; die  Germanen  nähren  sich  mehr  von  dem  Fleisch  und  der 

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Gans.    Ente.  301 

Milch  ihrer  Binder.  Frankreich  besitzt  nach  einem  massigen  An- 
schlag über  100  Millionen  Hühner  und  fährt  jährlich  über  400  Mil- 
honen  Hühnereier  nach  England  aus;  in  südlichen  Ländern  ist  das 
einzige  Fleisch,  das  der  Reisende  oft  Monate  lang  zu  kosten  bekommt 
and  dass  der  einheimische  Bauer  an  Festtagen  sich  erlaubt,  ein  ge- 
bratenes oder  mit  Reis  oder  Polenta  gekochtes  Huhn. 

In  viel  höheres  Alterthum,  als  das  der  bisher  genannten  Vögel, 
geht  die  Zähmung  der  Gans  und  der  Ente  hinauf;  auch  sind  beide 
nicht  aus  Asien  eingeführt,  sondern  stammen  von  den  einheimischen 
wilden  Arten.  Der  Name  der  Ente  gehört  den  verwandten  Völkern 
gleichmässig  an :  sanscr.  äü  (für  anti\  lat.  anas^  anatis^  griech.  vrjaaa 
(wohl  aus  V1JTIQ),  ahd.  anut^  ags.  ened^  altn.  öndj  altkomisch  fioet 
(mit  müssigem  h  und  unterdrücktem  Nasal),  kambrisch  hwyad^  litauisch 
anik^  kirchenslavisch  qty^  qtg^  qtica^  qtuka^  russisch  utka^  serbisch 
utca  u.  s.  w.,  und  auch  der  der  Gans  geht  über  die  ganze  indo- 
europäische Gruppe  vom  altirischen  geidh^  gM,  auch  goss  (mit  unter- 
drücktem Nasal)  im  äussersten  Westen  bis  zum  sanskritischen  hansas^ 
hanst  im  äussersten  Osten.  Die  Gans  darum  für  ein  bereits  ge- 
zähmtes Hausthier  des  Urvolks  vor  der  Epoche  der  Wanderungen 
zu  halten,  wäre*  ein  voreiliger  Schluss:  sie  konnte  ein  gesuchtes 
Jagdthier  an  Seen,  Strömen  und  wasserreichen  Niederungen  sein,  wie 
sie  es  noch  jetzt  bei  Nomaden  und  Halbnomaden  in  Mittelasien  ist. 
So  lange  sie  häufig  und  leicht  zu  erlangen  war,  regte  sich  kein  Be- 
dürfiiiss,  sie  in  der  Gefangenschaft  künstlich  aufzuziehen,  und  war 
die  darauf  gerichtete  Bemühung  zwecklos,  und  so  lange  die  Lebens- 
art eine  unstäte  blieb,  passte  ein  Vogel,  der  dreissig  Tage  zum 
Brüten  und  eine  entsprechende  Zeit  zum  Aufziehen  seiner  Jungen 
braucht,  nicht  wohl  zum  Haushalt  der  Weidevölker.  Als  sich  aber 
an  den  ufern  der  Seen  relativ  feste  Niederlassungen  gebildet,  konnten 
junge  Thierchen  leicht  von  Knaben  aus  den  Nestern  genommen  und 
dann  mit  gebrochenen  Flügeln  aufgezogen  werden;  starben  diese  weg, 
so  wurde  der  Versuch  wiederholt,  bis  er  endlich  gelang,  zumal  die 
Wildgans  verhältnissmässig  zu  den  am  leichtesten  zähmbaren  unter 
den  Vögeln  gehört.  Da  sie  im  Süden  Europas  nicht  brütet,  sondern 
im  Herbst  mit  bereits  erwachsenen  Jungen  in  das  Gebiet  des  Mittel- 
meers fliegt,  so  ist  dieser  Vorgang  im  mittleren  Europa  leichter  denk- 
bar, als  in  den  klassischen  Ländern,  und  da  es  den  letztem  an 
Wasserspiegeln  fehlt,  so  ist  sie  dort  überhaupt  nicht  so  häaüg  und 
zugänglich,  als  in  den  Gegenden  amAusfluss  des  Rheins,  inMeklen- 
bürg,  Pommern  und  Scandinavien.     Bei  den  Griechen  galt  die  Gans 

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302  ^^s-    £nte. 

für  einen  lieblichen  Vogel,  dessen  Schönheit  bewnndert  wurde  und 
der  za  Geschenken  an  geliebte  Knaben  q.  s.  w.  diente  (s.  Jahn, 
Leipziger  Berichte,  1848,  S.  51  ff.).  Schon  Penelope  bei  Homer,  in 
der  herrlichen  Stelle,  wo  sie  ihrem  unbekannten,  in  Betüergestalt  ihr 
gegenübersitzenden  Gemahl  ihren  Traum  erzählt^  besitzt  eine  kleine 
Heerde  von  20  Gänsen,  an  denen  sie  ihre  Freude  hat:  sie  erscheine 
dort  ab  Hausthiere,  die  weniger  um  des  Nutzens  willen,  den  sie 
bringen,  als  wegen  der  Lust  des  Anblicks,  den  sie  gewähr^i,  von 
der  Herrin  des  Hofes  gehalten  werden.  So  hat  auch  Gkidrun  in  der 
Edda  ihre  Gänse  auf  dem  Hofe  und  diese  schrieen  hell  auf,  als  ihre 
Herrin  am  Leichnam  Sigurds  laut  jammerte,  erstes  Lied  von  Gudrun 
16  (nach  Simrock): 

und  hell  auf  schrien  Die  zieren  Vögel, 

Im  Hofe  die  Gänse,  Die  Gudrun  zog. 

Zugleich  sind  die  Gänse  nach  griechischer  Vorstellung  wachsame 
Hüterinnen  des  Hauses:  auf  dem  Grabe  einer  guten  Hausfrau  war 
unter  andern  Emblemen  eine  Gans  abgebildet,  um  die  Wachsamkeit 
der  Verstorbenen  auszudrücken,  Anth.  Pal.  7, 425,  7: 

Xäv  de  dojLKüv  q>vXaxag  fiskeöijfÄOva. 

Bei  den  Römern  wurden  sorgfaltig  die  ganz  weissen  Gränse  aus- 
gewählt und  zur  Zucht  verwandt,  so  dass  sich  mit  der  Zeit  eine  weisse 
und  zahmere  Abart  bildete,    die  sich    vor  der  grauen  Wildgans  und 
ihren  direkten  Abkömmlingen   merklich    unterschied.    Wie  noch  im 
heutigen  Italien,   war  auch  im  alten  die  Gans   in  der  kleinen  Land- 
wirthschaft   nicht   so  verbreitet,    wie  im  Norden:    theils  fehlte  es  an 
dem  nöthigen  Wasser,   theils  wurde  der  Schade  gefürchtet,    den  da« 
mit  den  Halsmuskeln  und  dem  kräftigen  Schnabel  die  jungen  Pflanzen 
abzupfende  und  die  Weide  verunreinigende  Thier  anzustiften   pflegt. 
Aber   in  den  grossen  Cbenoboskien    der  Unternehmer  und  Villenbe- 
sitzer  schnatterten   zahlreiche   Schaaren    dieser   Vögel;    dabei    ward 
durch   Zwangsfiitter   die   übergrosse   Leber   erzeugt,    nach   der  den 
Schweigern   der  Mund    wässerte^   —  eine  künstliche  Krankheit  zum 
Dank   für   die  Rettung   des   Kapitels.    Die  Benutzung   der   Gänse- 
federn  zu  Kissen   war   dem   eigentlichen  Alterthum  fremd:  erst  die 
spätem  Römer  lernten  diesen  Gebrauch   von  Kelten  und  Germanen. 
Zu  Plinius  Zeit  wurden  ganze  Heerden  von  Gänsen  aus  Belgien  nach 
Italien  getrieben,  namentlich  aus  dem  Gebiet  der  Morini,  die  an  den 
belgischen  Küsten  sassen;    auch  die  zarten  weissen  Federn,   die  von 
dorther  kamen,  waren  berühmt  und  sollten  einer  Art  angehören,  die 

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Zucht  der  YögeL  303 

den  Namen  gontae  fährte  (der  dentale  Auslaut  des  Wortes  ist  speci- 
fisch  keltisch,  findet  sich  indess  in  den  angrenzenden  niederdeutschen 
Mundarten,  sowie  im  ahd.  gamo^  der  Gänserich).  Es  war  kein 
Hausrogel,  sondern  eine  Art  wilder  Gans,  und  die  von  ihr  gewonnenen 
Federn  standen  in  so  hohem  Preis,  dass  auf  den  entfernten  römischen 
Militarstationen  oft  ganze  Gehörten  auseinandergingen,  um  dieser 
Jagd  obzuliegen.  Die  so  gestopften  Kissen  waren  eine  Neuerung,  zu 
der  die  echten  Römer  bedenklich  den  Kopf  schüttelten:  wir  sind 
jetzt,  fugt  Piinias  hinzu,  zu  dem  Grade  von  Weichlichkeit  gelangt, 
isßs  sogar  Männer  ohne  eine  solche  Vorrichtung  ihr  Haupt  nicht 
niederlegen  können  (Plin.  10,  54).  Bis  auf  den  heutigen  Tag  sind 
Federbetten  eine  mehr  nordische  Sitte  geblieben,  die  dem  wärmeren 
Süden  nicht  zusagt.  Ein  anderer  Gebrauch  der  Gänsefeder,  der  zum 
Schreiben,  war  dem  Alterthum  gleichfalls  unbekannt:  die  Schreibfeder 
tritt  genau  mit  Einbruch  des  eigentlichen  Mittelalters  auf  (zu  aller- 
erst zur  Zeit  des  Ostgothen  Theoderich  bei  dem  Anonymus  Valesii, 
8.  Beckmann,  Beyträge4,  289,  Isid.  Orig.  6, 14:  instrumenta  mnt  scri- 
bendi  calamus  et  pennd).  Jetzt  ist  sie  durch  die  Stahlfeder  verdrängt, 
«0  dass  sich  för  dieses  Werkzeug  drei  grosse  Perioden  ergeben:  die 
älteste,  die  yon  den  Anfangen  des  Schreibens  bei  den  Aegyptern  bis 
zum  Untergang  des  römischen  Reiches  geht,  die  des  gespaltenen 
Bohrs,  welches  Thucydides  und  Tacitus  in  der  Hand  führten;  — 
die  andere,  die  des  Gänsekiels,  mit  der  Dante  und  Voltaire,  Goethe, 
Hegel  und  Humboldt  geschrieben  haben;  endlich  die  im  19.  Jahr- 
hundert beginnende  der  Stahlfeder,  mit  der  Leitartikel  und  Feuilletons 
hingeworfen  werden,  um  noch  nass  in  der  Werkstatt  gesetzt  und 
mit  Dampfkraft  gedruckt  zu  werden.  Die  Perioden  dieses  Schreibe- 
werkzeuges fallen,  wie  man  sieht,  mit  denen  des  Materials,  auf 
wdches  geschrieben  wurde  und  wird,  nicht  zusammen. 

Das  Alterthum  hatte  in  Domestication  der  Vögel  nach  ver- 
schiedenen Seiten  hin  Wege  erö&et,  die  seitdem  nicht  wieder  be- 
treten worden  sind,  und  Resultate  erreicht,  die  die  heutige  Welt 
wieder  hat  fallen  lassen.  In  A.egypten  war,  wie  die  Monumente  lehren, 
ein  grosser  Wasservogel,  der  in  unbestimmter  Weise  Reiher  genannt 
wird,  zum  zahmen  Genossen  des  Menschen  geworden,  in  Rom  der 
Kranich,  der  Storch,  der  Schwan,  von  kleinerem  Gevögel  der  turdus, 
die  perdix,  cotumix  u.  s.  w.  Gegenstand  der  Zucht  und  Fütterung 
und  auf  den  Tafeln  ein  von  der  Mode  bald  empfohlener  und  gefor^ 
derter,  bald  wieder  verschmähter  Braten.  Man  sehe  bei  Horaz,  um 
nur  diesen  Dichter  zu  nennen,  die  Stellen:    Sat.  H,  2,  49  und  8,  87. 

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304  Die  Palkenjagd. 

Noch  in  den  leges  barbaroram,  wie  1.  SaL  7,  8  (wenigstens  in  der 
späteren  Redaction)  und  1.  Alam.  99, 17  ff.,  werden  dem  vorgefondenen 
Stande  römischer  Landhäuser  gemäss  auch  Schwäne,  Störche,  Kra- 
niche und  andere  Vögel,  deren  Namen  schwer  zu  deuten  sind,  zum 
Hausgeflügel  gerechnet  und  Strafen  auf  deren  Entwendung  gesetzt 
Die  Kirche  verbot  aber  den  Genuss  z.  B.  von  Störchen  (wie  auch 
von  Bibern,  Hasen  und  Pferden);  Papst  Zacharias  schreibt  am 
4.  Nov.  751  an  den  heiligen  Bonifacius:  in  primü  volatiUbus,  id  est 
de  graculü  et  comiculis  atque  ciconiis.  Quae  omnino  cavendae  sunt 
ab  esu  Christianorum,  Etiam  et  fibri  et  lepores  et  equi  süvatici  multo 
amplius  vitandi.  Das  spätere  Mittelalter  beschränkte  sich  daher  auf 
Gänse,  Enten  und  Huhner  und  überliess  es  der  Jagd,  die  in  den  un- 
geheuren, wenig  bevölkerten  Waldstrecken  Mitteleuropas  ein  ergiebiges 
Revier  fand,  die  Küche  mit  Wildpret  zu  versorgen.  In  Italien  hatte 
zur  Zeit  der  Römer  von  reicher  Jagdbeute  nicht  die  Rede  sein  können, 
und  das  Hochwild,  von  dem  die  germanischen  Wälder  belebt  waren, 
so  wie  das  Federwild  der  Moore  des  Nordens  nach  Italien  zu  schaffen, 
wurde  durch  die  Entfernung  und  das  warme  Klima  verhindert.  So 
sahen  sich  die  Römer  auf  künstliche  Zucht  delicater  Wildvögel  an- 
gewiesen, die  denn  auch  in  oft  kolossalen  Anstalten  der  Art  betrieben 
vnirde  und  auf  verschiedenen  Stufen  zu  mehr  oder  minder  erreichter 
Zähmung  führte.  Diese  Versuche  sind,  wie  gesagt,  von  der  neueren 
Thierzucht  nicht  wiederholt  worden,  und  wenn  auch  in  Europa  die 
Wildniss  immer  weiter  gerückt  ist,  so  führen  jetzt  die  Eisenbahnen 
die  erlegten  Jagdthiere  der  fernsten  Einöden  blitzschnell  den  grossen 
Consumtionscentren  zu:  der  Markt  von  Paris  bezieht  seine  Rebhühner 
schon  aus  Algier  und  dem  nördlichen  Russland.  Die  Varietäten  des 
einmal  bestehenden  Hausgeflügels,  besonders  der  Hühner  und  Tauben, 
haben  sich  dagegen  im  heutigen  Europa,  bei  der  immer  umfassen- 
deren und  beschleunigteren  Welt  Verbindung,  ins  Unendliche  vermehrt, 
und  die  vortheilhafteren  und  schöneren  unter  ihnen  verdrängen  all- 
mählig  die  aus  dem  Alterthum  zu  uns  übergegangenen  Racen. 

Eine  gezähmte  Vögelklasse,  von  der  das  frühere  Alterthum  nur 
als  Wunder  aus  der  Feme  gehört  hatte,  trat  mit  der  Herrschaft  der 
Barbaren  in  ganz  Europa  auf  und  ist  seit  dem  Anbruch  der  neueren 
Bildung  langsam  wieder  verschwunden  —  wir  meinen  die  zur  Jagd 
auf  andere  Vögel  abgerichteten  Raubvögel,  Geier,  Habichte,  Falken, 
die  Lieblinge  des  Ritters,  die  so  stolz  auf  seiner  Faust  sassen,  in 
denen  er  sein  eigenes  Ebenbild  erkannte  und  denen  er  oft  eine  leidai- 
schaftliche  Zuneigung  zuwandte.    Jacob  Grimm   hat  der  Falkenjagd 

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Die  Falkei^'agd.  305 

in  seiner  Geschichte  der   deutschen  Sprache  ein  eigenes  Kapitel  ge» 
widmet,   in   welchem    er    durch  Sammlung  von  Stellen  aus  Schrift- 
steilem    und  Dichtem  des  Mittelalters    die  herrschende  Vorliebe  für 
diese  Art  Jagd  ins  Licht  setzt  und  die  letztere  zugleich  als  nationale 
Sitte  in    das    höchste    vorhistorische   Alterthum    des    germanischen 
Stammes   zurnckverlegt.     Allein  wie  es   seiner  Phantasie  auch  sonst 
b^^et,  spät  Erborgtes  und  nachmab  Erlerntes,  das  auf  dem  neuen 
Boden  oft  am  üppigsten  wuchert,    wenn  es  auf  dem  alten  schon  im 
Absterben  begriffen  ist,  als  ein  in  den  Tiefen  der  Jahrhunderte  schatten- 
haft  sich  Bewegendes    und    von   dort   an   das   Licht  Aufsteigendes 
ahnungsvoll  zu  schauen,  —  so  auch  hier.     Die  Falkenjagd  ist  keine 
deutsche  Uebung,  vielmehr  den  Deutschen  von  den  Kelten  zugekommen, 
und  nicht  einmal  in  sehr  früher  Zeit    Die  Jagd  als  Kunst,  in  ver- 
feinerter und  berechneter  Ausbildung,  ist  ein  keltischer  Nationalzug, 
der  sich  durch  den  Bestand    eines   reichen   und  mächtigen  Adels  in 
dem   zu  Cäsars  Zeit   schon  hoch  civilisirten,    mit  Strassen,    Städten, 
Brücken,    Zöllen  u.  s.  w.    versehenen   und    doch   noch   frischen    und 
waldreichen  Gallien  leicht  erklärt.    Schon  die  Römer  lernten  von  den 
Edten  die  Hetzjagd  im  freien  Felde,  die  chasse  au  courre^  im  Gegen- 
satz zu  der  Birsch  (mit  Spürhund,  Armbrust  und  Bolzen,  im  Walde; 
das  deutsche  Wort  Birsch,  birschen  vom  altfranzösischen  berser)^  und 
entlehnten  daher  den  canü  gallicus  (schon  bei  Ovid  und  Martial,  er- 
halten  im  heutigen  spanischen  galgd)^    den  canü  vertragtis  (im  heu- 
tigen Deutsch  durch  Volksetymologie  in  Windhund  entstellt,  s.  die 
Geschichte  des  interessanten  Wortes  bei  Zeuss^  p.  145,    Diefenbach 
0.  E.  330  und  Glück  in  Fleckeisens  Jahrbb.  1864.  S.  597)  und  segimus 
(eine  besondere  Art  Jagdhund,  benannt  nach  einem  gallischen  Stamme 
an  der  Loire).     Beide   letzteren  Ausdrücke   kommen    schon   in  den 
deutschen  Gesetzbüchern  vor,    und    wenn    der  Falke   als  Haus-  und 
Jagdthier  eben  da  erwähnt  wird,  so  beweist  dies  also  nichts  für  einen 
altgermanischen  Ursprung.   Deutlich  aber  weist  der  Name  des  eigent- 
lichen deutschen  Jagdvogels,  des  Habichts,  auf  seine  Herkunft  aus 
Gallien:  altirisch  heisst  er  sebocc^  und  so  oder  ähnlich  muss  er  in  der 
ältesten  keltischen  Sprache  gelautet  haben.    In  dem  einen  der  beiden 
Zweige  des  Keltischen,  dem  britischen,  dem  sich  auch  das  Idiom  der 
GraUier  des  Festlandes  anschloss,  verwandelte  sich  aber  in  einer  An- 
zahl Wörter  das  8  in  h:   aus  sebocc    wurde  im  kambrisch-kornischen 
Munde  hebauc^   und  in  dieser   secundären  Gestalt  ging  das  Wort  zu 
den  Deutschen  über:  ahd.  hapuhj  altn.  haukr  u.  s.  w.    Die  Germanen 
der  ältesten  Zeit  kämpften  gegen  den  Bären  und  Wolf  und  erlegten 

VIct.  Hehn,  KuHnrpflanxen.  20 

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306  I>iö  Falkenjagd. 

den  Auer-  und  Bisonochsen,    den  Elch   und  Scheich  und  den  Eber: 
die  Falkenbeize  aber  lernten  sie  später  von  jenseits  des  Rheines  and 
der  Donau  her   kennen.     Auch  lässt  sich  nicht  behaupten,   dass  die 
letztere  jemals  in  Deutschland  yolksmässig  gewesen  sei.    Sie  war  die 
Lust  des  Edlen  hoch  zu  Ross,    seiner  Dame   und  des  Jagdgesindes: 
der   Bauer   trieb    sie   nicht;    er   staunte   die   adelige  fremdländische 
Kunst  an,    wie  er   die  Waffen   und  Eampfmanieren    des  Ritters   be- 
wunderte und  deren  romanische  Namen  allmählig  nachsprechen  lernte. 
Eine  andere  Frage  aber  ist,    ob  die  keltischen  Völker,    die  die   ger^ 
manische  Welt  von  Westen  und  Süden  her  ein-  und  abschlössen,  die 
Jagd    mit   abgerichteten  Stossvögeln    etwa   selbst   erfunden  oder  sie 
nur  ausgebildet,  und  im  letzteren  Falle  von  welcher  Seite  sie  sie  ur- 
sprünglich empfangen  hatten?     Die  älteste  Nachricht  über  Jagd  mit 
Raubvögeln   findet   sich   bei  Aristoteles  H.  A.  9,  36,  4   (das  9.  Bach 
rührt  zwar  in  seiner  jetzigen  Gestalt  schwerlich  von  Aristoteles  her, 
aber  die  Stelle  findet  sich  schon  bei  Antigonus  Carystius,  unter  dem 
zweiten    und    dritten  Ptolemäer^    im  Auszuge   wiederholt):    „In   der 
Gegend    von   Thrakien,    welche    ehemals    Kedreipolis    hiess   (iv   de 
&Q^xri  tfj  xalovfth'U  noti  KBÖQBinoXei)^    werden  in  einem  Sumpfe 
die  kleinen  Vögel  von    den  Menschen  in  Gemeinschaft  mit  den  Ha- 
bichten gejagt:  die  Menschen  schlagen  mit  Stöcken  an  das  Rohr  und 
Buschwerk,  damit  die  Vögel  auffliegen,  die  Habichte  aber  erscheinen 
von  oben   her  und    verfolgen  sie  und  die   erschreckten  Vögel  fliegen 
wieder  zur  Erde  hinab,  worauf  sie  die  Menschen  mit  Stöcken  schlagen 
und    ergreifen    und    den  Habichten    einen  Theil    von  der  Beute  ge- 
währen:   sie  werfen  ihnen  nämlich  einige  Vögel   entgegen  und  diese 
werden  von  den  Habichten  aufgefangen."    Statt  der  ©p^xiy  ^  xalovfiipTi 
noTB  KedQeinolig   wird  in  der  Schrift  de  mirab.  auscultat  118  die 
@Q(fHr]  ^  vneQ  IdfjKfinoXiv  genannt,    und    in    dieser  Gestalt   ist  die 
Notiz   auf  Plinius  10,  23    übergegangen.     Gewisse  Thraker   also   be- 
dienten sich  der  gezähmten  Raubvögel,  UgaxEg^  um  in  einer  Sumpf- 
gegend die  aufgejagten  Vögel  wieder  zur  Erde  zurückzuscheuchen,  wo 
sie  von  den  Jägern  mit  Stöcken  erlegt  wurden:  der  Raubvogel  fasst 
das  gejagte  Thier  nicht  selbst,  erhält  aber  von  der  Beute  seinen  An- 
theiL      (Letzeres   ganz   nach   der   Sitte    der    späteren   Falkenjäger). 
Der  Jude  Philo  lässt  in  seinem  verloren  gegangenen,  aber  in  der  ar- 
menischen Uebersetzung  erhaltenen  Dialog:    de  ratione  quam  habere 
etiam  bruta  animalia  dicebat  Alexander  (Opera  ed.  Richter,  T.  8,  §  37) 
seinen  Gegner   ganz   dieselbe  aristotelische  Angabe  wiederholen  und 
zwar  mit  dem  Zusatz:  „mir  schien  die  Geschichte  von  den  thrakischen 

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Die  Palkeiyagd.  307 

Habichten  anglaubUch,  bis  ich  mehrere  Eingeborene,  darunter  einen 
TöIIig  redlichen,  befragte,  die  mir  alle  die  Sache  bestätigten.^    War 
dies  thrakische  Erfindung?     Wir   wissen    es  nicht,    denn  wenn  auch 
Ton  Aehnlichem    in  Indien   berichtet   wird    (schon   von  Etesias    bei 
Photius  und  ausfuhrlicher  bei  Aelian  N.  A.  4,  26,  s.  MfÜler  Fr.  Ctesiae 
11  hinter  seiner  Ausgabe  des  Herodot;    die  Inder  jagen  Hasen  und 
Fdchse  mit  Raubvögeln;  die  Zähmung  der  letzteren  ist  ganz  die  der 
spateren  Falconiere,  die  Thiere  bekommen  ihr  Theil),  und  die  Aegypter 
einen  Raubvogel,  den  aaregiagj  so  zahm  gemacht  hatten,  dass  er  der 
menschlichen    Stimme   gehorsam   war   (Ael.    N.  A.  5, 36),    so    liegt 
zwischen  beiden  Ländern  und  Thrakien  ganz  Westasien  und  von  einer 
so  auffallenden  Jagdart  bei  den  Völkern  des  letztgenannten  Länder- 
gebietes   hätten  uns    die  Griechen    wohl  Meldung  geihan,    wenn  sie 
daselbst   üblich  gewesen  wäre.     Etesias   erzählte   von   ihr   als  einer 
Merkwürdigkeit   Indiens:   am   persischen  Hofe,   an    dem   er   lebte, 
mass  sie  also  unbekannt  gewesen  sein.     Dass  sie  bei  einem  der  das 
sogenannte  Eleinasien  bewohnenden  Völker,  der  Nachbarn  und  Ver- 
kehrsgenossen   der   Thraker   gangbar   gewesen,    ist   bei   dem   Still- 
schweigen der  Griechen  gleichfalls  nicht   anzunehmen.    Da  aber  die 
von  Etesias  ausführlich  beschriebene  Abrichtungsweise  mit  der  spä- 
teren europäischen    so   genau   zusammenstimmt,    so  mag    irgend    ein 
Zusammenhang,    den   wir   nicht   mehr    aufweisen  können,    von   dem 
diese  Jagd  betreibenden,  in  irgend  einem  Grenzgebirge  Indiens  hau- 
senden Stamme  (Etesias  spricht  von  Gebirgshasen,    die  so  gejagt 
werden)  bis  nach  Thrakien  reichen  —  wo  die  Zwischenglieder  etwa 
Ghorasmier  und  Massageten,  Sarmaten  und  Scythen  waren?  Layard, 
Niniveh    und  Babylon,  übersetzt  von  Zenker,    Leipzig  s.  a.,    enthält 
S.  369  Anm.  die  Notiz:  y^Ani  einem  Basrelief  in  Ehorsabad,  welches 
ich  bei  meinem  letzten  Besuche  daselbst  sah,  war,  wie  es  schien,  ein 
Falkonircr  mit  dem  Falken  auf  der  Faust  abgebildet."    Leider  macht 
der  Zusatz:    „wie    es   schien **    die  Sache   unsicher;    aber   wenn   die 
Herrschaft  der  grossen  Euphrat-  und  Tigris- Reiche  zu  Zeiten  bis  an 
die  Grenzen  Indiens  reichte,  mochte  eine  dort  gebräuchliche  Jagdart 
auch  einmal   in  der  Hauptstadt   an  einer  der  Wände  des  Königspa- 
lastes dargestellt  worden  sein.  —  Aus  Thrakien  konnten  die  Eelten, 
die   auf  zahlreichen  Eriegs-    und  Wanderzögen    die   Hämushalbinsel 
heimsuchten,  die  nicht  leichte  Eunst  der  Abrichtung  von  Raubvögeln 
zor  Jagd  sich  geholt  haben.    Auf  einer  gewissen  Lebensstufe  eignen 
sich   die  Völker  von   ihren  Nachbaren   nichts  bereitwilliger   an,    als 
neue  und  leichtere  Arten  dem  Jagdthier  beizukommen,  das  den  Gegen- 

20* 

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308  ^^^  Falkei^jagd. 

stand  ihrer  Begierde  bildet  Diejenigen  Kelten  wenigstens,  die  Italien 
überzogen  und  Rom  verbrannten,  können  die  Falkenjagd  noch  nicht 
gekannt  haben,  da  sich  bei  den  älteren  Römern  keine  Spur  einer 
solchen  findet«  Erst  in  den  Jahrhunderten  der  Eaiserzeit  taueben 
hin  und  wieder  Andeutungen  derselben  auf,  aber  in  sehr  unbestimmter 
Weise,  bis  plötzlich  in  den  letzten  Zeiten  der  Völkerwanderung  und 
bald  nachher  die  Sache  im  Munde  aller  Schriftsteller  ist  und  als  all- 
gemein üblich  vorausgesetzt  wird.  In  dem  Epigramm  des  Martial 
14,  216,    Accipiter: 

Praedo  fuü  volucrum,  farmdus  nunc  aucupis:  idem 

Decipü  et  capias  non  sibi  maeret  aves  — 

scheint  ein  ganz  deutlicher  Hinweis  auf  Verwendung  des  Habichts 
zur  Jagd  zu  liegen,  aber  gleichzeitig  berichtet  Pliuius  von  der  neuer- 
dings ergangenen,  höchst  wunderbaren  Sage,  in  der  Gegend  von 
Eriza  in  Asien  (dies  Eriza  war  eine  Stadt  in  Earien  an  den  Grenzen 
Lykiens  und  Phrygiens)  jage  ein  gewisser  Craterus  Monoceros  mit 
Hülfe  von  Raben,  die  für  ihn  das  Wild  aufspürten  und  trieben,  und 
wenn  er  ausziehe,  gesellten  sich  auch  wilde  Raben  dazu,  10, 124:  nee 
non  et  recens  fama  Crateri  Monocerotis  cognomine  in  Erizena  regione 
Asiae  corvorv/m  opera  venantis  eo  quod  devehebat  in  Silvas  eos  insidentis 
Comiculis  umerisque;  iUi  vesUgahant  agebantque  eo  perducta  consuetu- 
dine  ut  exeuntem  sie  comitarentu/r  et  feri.  Aus  der  zweiten  Hälfte 
des  folgenden  Jahrhunderts  scheint  eine  Stelle  bei  Apulejus  (Apologia 
s.  de  magia  lib.  34.  p.  44  ed.  Erueger.)  auf  Jagd  mit  Habichten  hin- 
zudeuten: wäre  es  nicht  absurd,  so  ungefähr  drückt  sich  der  Autor 
aus,  mit  missbrauchlicher  Anwendung  des  Gleichklangs  den  Fisch 
accipiter  zum  Vogelfang  brauchen  zu  wollen:  quam  si  dicas.... 
aucupandis  volantibus  piscem  accipitrem  (guaesitum\  aber  der  Schlnss 
aus  den  Worten  wird^  hinfallig,  wenn  man  das  unmittelbar  Folgende 
hinzuzieht:  aut  venandis  apris  piscem  apriculum.  Denn  wie  konnten 
Eber  mit  Hülfe  eines  Ferkels  gejagt  werden?  Höchstens  bei  Wölfen 
konnte  es  zur  Anlockung  verwandt  werden.  Vielleicht  liegt  in  fol- 
gender Beschreibung  einer  Art  Falkenjagd  in  der  Paraphrase  von 
Oppian.  de  aucup.  3,  5  die  Erklärung  des  obigen  Epigramms  von 
Martial  und  der  Worte  des  Apulejus:  „eine  angenehme  Jagd  ist  es, 
wenn  man  einen  Falken,  ÜQaxa^  mitbringt  und  diesen  unt^r  einen 
Busch  legt;  die  kleinen  Vögel  ol  oxQOvdoiy  erschrecken,  suchen  sich 
im  Laube  zu  verbergen,  schauen  aber  immer  auf  den  Falken,  von 
der  Angst  gebannt,  wie  wenn  ein  Wanderer  plötzlich  einen  Räuber 
erblickt  und,    starr  vom  Schreck,    sich  nicht  von  der  SteDe  bewegt; 


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Die  Palkenjagd.  809 

der  Vogelsteller  zieht  dieYögel  so  mit  aller  Müsse  yom  Baume  her- 
ab.' Hier  haben  wir  den  Anfang  einer  noch  sehr  onvoUkommenen 
Jagd  mit  Raubvögeln,  und  an  nichts  Anderes  dachten,  wie  gesagt, 
fielleicht  Martialis  und  Apulejus.  Aber  bei  Julius  Firmicns  Matemus, 
bei  Prosper  Aqoitanus,  Sidonius  Apollinaris  u.  s.  w.  im  vierten  und 
fonften  Jahrhundert  ist  die  Falkenjagd  eine  ausgebildete,  beliebte  und 
verbreitete  Kunst,  die  ohne  Zweifel  von  den  Barbaren  herrührte. 
Schon  in  der  halb  fabelhaften  Urgeschichte  der  Sachsen  bei  Widu- 
kind  tritt  ein  Jäger  mit  dem  Habicht  auf,  1,  10:  aus  der  belagerten 
Stadt  Scheidungen  an  der  Unstrut,  die  durch  die  Yerheissung  des 
Friedens  in  Sicherheit  gewiegt  war,  ging  ein  ThCLringer  mit  einem 
Habicht  hinaus  und  suchte  über  dem  Ufer  des  genannten  Flusses 
Nahrung;  als  er  den  Yogel  hatte  steigen  lassen,"]nahm  ihn  Einer  von 
den  Sachsen  am  jenseitigen  Ufer  alsbald  in  Empfiemg  und  weigerte 
sich  ihn  herauszugeben;  Jener  aber  sprach:  gieb  ihn  heraus,  so  will 
ich  dir  ein  wichtiges  Geheimniss  verrathen;  die  Mittheilung  des  Ge- 
heinmisses aber  führte  zum  Untergang  der  Stadt  —  lauter  in  Märchen 
nicht  ungewöhnliche  Motive.  Während  des  Mittelalters  stand  diese 
Jagd  im  ganzen  feudalcA  Europa  in  Blüte  (der  grosse  Kaiser  Frie- 
drich n.  schrieb  selbst  ein  Buch  de  arte  venandi  cum  avibus)  und 
wanderte  von  Deutschland  und  von  Byzanz  nach  dem  Osten  des 
Wdttheils  und  zu  den  Völkern  Asiens  an  die  Höfe  der  Grossfürsten 
und  Gzaren,  der  Emire,  Scheikhs,  Chagane  und  Schahs,  bis  zu  den 
Nomaden  der  Steppe  und  den  Beduinen  der  Wüste.  Marco  Polo 
fand  sie  in  den  Residenzen  der  mongolischen  Fürsten  bis  nach  China 
hio,  ebenso  neuere  Reisende  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  in  den 
Landern  des  Islams.  In  Europa  gerieth  sie  in  demselben  Masse, 
wie  das  Schiessgewehr  sich  ausbreitete  und  vervollkommnete,  in  Yer- 
&11  und  endlich  in  Vergessenheit,  wobei  es  charakteristisch  ist,  dass 
die  Namen  der  neuen  durch  die  Luft  treffenden  mörderischen  Waffen 
so  häufig  von  den  Stossvögeln  entnommen  sind,  an  deren  Stelle  sie 
traten  (vgl.  fdlconetto\  moschetto,  die  Muskete,  eigentlich  der  Sperber; 
terzeruolo^  eigentlich  das  Männchen  des  Habichts;  sagro^  ein  Geschütz, 
eigentlich  der  Sakerfalke).  In  Frankreich  gingen  bis  zur  Revolution 
bei  feierlichen  Aufzügen  des  Hofes  die  königlichen  Falkoniere  voran, 
oder  vielmehr  Leute,  die  deren  Abzeichen  trugen,  denn  in  Wirklich- 
lichkeit  gab  es  keine  fattconnerie  du  Roi  mehr.  In  England  soll  noch 
jetzt  bei  einem  oder  zwei  Landlords  in  ehrwürdiger  Tradition  ein 
Falkenstaat   aufrecht  erhalten   und   die  dazu   nöthigen  abgerichteten 

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310  ^^^  PflMunenbaam. 

Thiere  aus  Belgien  bezogen  werden.  In  Asien  aber  ist  die  Falken- 
jagd bis  auf  den  heutigen  Tag  in  vielen  Gegenden  eine  eifrig  be- 
triebene Lieblingsbeschäftigung^^). 


Der  Pflaumenbaum. 

(prunus  domestica  L.,  prunus  insitüia  L.) 

Der  Pflaumenbaum,  prunus^  wird  nur  einmal  bei  Cato  133  ge- 
nannt, w&hrend  er  in  der  Parallelstelle  51  übergangen  ist.  Von 
aUgemeiner  Kultur  in  den  Gärten  und  einer  dabei  sich  ergebenden 
Mannichfaltigkeit  der  Sorten  konnte  also  damals  noch  nicht  die  Rede 
sein.  Den  Dichtem  der  goldenen  Zeit  dagegen  ist  die  Frucht  schon 
ganz  geläufig,  Yerg.  EcL  2,  53: 

Addain  cerea  pruna;  honos  erit  huic  quoque  pomo. 
Was  cerea  pruna  sind,  erklärt  Ovid.  Met.  13,  817: 
Prunaque^  non  solum  nigro  liverUia  stwco. 
Verum  etiam  generosa  novasqvs  imüantia  cerea. 

Auch  das  Pfropfen    der   edlen  Pflaume    auf  den  Schlehdom    ist  all- 
gemein, Verg.  G.  4,  145: 

spinös  jam  pruna  ferentis. 

Auf  Horazens    Villa   waren    Pflaumen   auf  Domen   zu   sehen,    Ep. 
1,16,8: 

quidf  si  rubicunda  benigne 
Coma  vepres  et  pruna  ferunt? 

Columella  kennt  drei  Sorten:  cereohim^  Damasciy  onychinum^  Plinios 
aber  eine  verwirrende  Menge  von  Varietäten,  15,  41:  Ingens  postea 
turba  prunorum  —  folgt  die  Aufeählung  einiger  derselben.  In  pere- 
ffrinü  arborUms  dicta  sunt  Damascena  a  Syrien  Damasco  cognominata, 
jam  pridem  in  Italia  nascentia.  —  Simul  dici  posaunt  populäres  eorum 
myaaey  quae  et  ipsae  nunc  coeperunt  Romae  nasci  insitae  sorbis.  Diese 
Damascener-Pflaume,  als  die  alleredelste,  gab  bei  den  Byzantioem 
und  Neugriechen  den  Namen  für  Eulturpflaume  überhaupt  her;  der 
Name  prunus  ging  mit  dem  Baum  und  der  Frucht  von  Italien  ans 
durch  alle  Länder  West-  und  Mitteleuropas.  Die  Römer  hatten  ihrer- 
seits deu  Namen  von  den  Griechen  entlehnt;  ngovfivov  aber  galt  nach 

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Der  Pflanmenbanm.  311 

Gakous  eigentlich  för  die  Fracht  des  wilden  Baumes,  6,  p.  619  Kühn: 
0  t€  %ü}v  ayQioxoxievfii]X(ov  ^  a  nQovftva  noQ  ^fiiy  (d.  h.  im  nord- 
westlichen Kleinasien)  xaXovai^  fand  aber  dann  auch,  wie  in  ähnlichen 
Fallen  auch  sonst  geschah,  aof  die  eälepruntu  domestica  Anwendong, 
z.  B.  bei  Dioscor.  1,  174.  Sonst  hiess  bei  den  Griechen  die  Frucht 
der  letzteren  xoxxt/nT^lov  (die  erste  Hälfte  ein  orientalisches  Wort, 
8.  Pott  in  Lassens  Zeitschrift  7,  109),  die  Schlehenpflaume  ßgaßviof. 
Das  älteste  Zeugniss  für  den  ersteren  Namen  ist  in  einem  Citat  des 
PoUux  1,  232  aus  Archilochus,  also  aus  dem  Anfemg  des  siebenten 
Jahrhunderts,  enthalten,  dann  in  einem  Fragment  des  Uipponax  aus 
der  Mitte  des  sechsten  Jahrhunderts,  Fr.  81.  Bergk.: 

aziq>avov  eixov  xoxxvfxrjlfov  xai  ^iv^rjg. 
In  der  Abhandlung  über  die  Pflaumen  bei  Athenäus  2,  p.  49  ff.  wird 
nadi    dem   Peripatetiker   Clearchus   berichtet,    die  Rhodier  und  die 
Sikelioten  nennten  auch  die  Plaumen  ßQcißvXa^  und  nach  dem  Glossator 
Seleukus,    ßgaßvla^   ^Aa,    xoxxvfiTjXa^  fidÖQva  seien  dasselbe.     Der 
Sprachgebrauch  des  Theokrit  bestätigt  diese  Angabe  nicht:  von  den 
zwei  Stellen  dieses  Dichters,  in  denen  das  Wort  ßgaßvkov  vorkommt, 
wird  in  der  einen,  12,  3,  die  Ankunft  der  Geliebten  so  süss  genannt, 
wie  der  Frühling  im  Gegensatz  zum  Winter,  und  das  fifjlov  im  Ver- 
gleich mit  dem  ßQcißvXov:  hier  kann  unter  dem  letzteren  schwerlich 
die  köstliche  Pflaume  verstanden   werden,  vielmehr  wird  fn^Xov  nur 
als  kürzerer  Ausdruck  für  xoxxvfitjXov  zu  nehmen  sein.    In  der  anderen 
Stelle  7,  146,  werden  bei  Schilderung  eines  Lustortes  Birnen,  Aepfel 
und  ßgaßvXa  zusammen  genannt,    und  es  steht  nichts  entgegen,    sie 
auch   hier   als    die  einheimischen  Schlehenpflaumen   zu  fassen.     Die 
heutigen  romanischen  Sprachen  verwenden  für  die  Schlehe  das  Ver- 
kleinerungswort der  Pflaume:  prugnola^  pruneUe;  das  englische  bullace 
Schlehe    soll   aus    dem    Keltischen    stammen    (s.   Schuchardt   in  E. 
Zeitschr.  20,  1871,  S.  249);  dem  deutschen  Schlehe,  ahd.  slShä,  mhd. 
tWie   entspricht  buchstäblich   das    slavische  sliva  in    der  Bedeutung 
Pflaume;    dem   französischen   crkque   oder   vielleicht  direkt  dem  lat. 
graecum  ist  das  deutsche  Krieche,  niederdeutsche  Kreke  nachgebildet 
(Grimm,   Wörterb.  5,  2206),  auch  altpreussisch  krichaytos;  Zwetsche, 
welches  slavischen  Klang  hat,  aber  in  den  slavischen  Sprachen  nicht 
vorkommt,  ist  nach  Schmeller  4,  310  aus  daf,iaaxrfv6v  entstellt,  wie 
die  Engländer  aus  demselben  griechischen  Wort  ihr  damsin^  darMon 
gemacht  haben.     Das  italienische  «tmna,  spanische  endHncL,  vielleicht 
nach  Orten  oder  Menschen  benannt,  stimmen  wenigstens  in  der  Endung 
mit  den  Namen  bei  Plinius :  onychina^  maldna  n.  s.  w.  überein.     Dier 

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312  I>er  Pflaamenbaum. 

Mirabelle,  italienisch  mirabeUa,  fahrt  Diez  1,  280  auf  fivQoßdlavog 
zarQck^  welches  griechische  Wort  ursprünglich  eine  indische,  zu  Be- 
reitung einer  Salbe  dienende  Frucht  bedeutete,  dann  aber  auf  eine 
einheimische  Art  kleiner  gelblicher  Pflaumen  angewandt  wurde.  Das 
in  Tyrol  gebräuchliche  Zeiber  (s.  Schöpf^  Tyrolisches  Idiotikon)  lautet 
bei  den  benachbarten  Slowenen  cibara.  Von  den  obigen  Glossen 
i]la,  fiaÖQva^  zu  denen  man  noch  o^vf^aXa  und  ßadgva  hinzufügen 
kann  (Nauck  zu  Arist.  Byz.  p.  118),  ist  nur  ^la  allenfalls  aus  orien- 
talischen, zur  iranischen  Familie  gehörenden  Sprachen  zu  erklaren 
(Pott  a.  a.  O.  S.  108). 

Die  gegen  den  nordischen  Winter  abgehärtete  prunus  msitUia 
mit  runden  Früchten  mag  in  Europa  ursprünglich  heimisch  sein,  aber 
in  ikrer  veredelten  Gestalt  stammt  sie,  wie  die  ächte  Pflaume,  aas 
Asien.  Bei  den  Alten  wird  die  eine  von  der  anderen  um  so  weniger 
genau  unterschieden,  als  auch  die  erstere  unter  der  Hand  der  Kultur 
die  feinsten  Früchte  lieferte  und  noch  liefert,  z.  B.  die  Reine-CUmde. 
Wie  schon  der  letztere  Name  andeutet,  ist  auch  in  diesem  Zweige 
der  Obstbaumzucht  Frankreich  das  eigentUch  klassische  Land,  sei  es 
in  Folge  des  Klimas  oder  der  industriellen  Bemühung  seiner  Bewohner. 
Geht  man  weiter  nach  Süden,  zu  den  Küsten  des  mittelländischen 
Meeres  hinab,  so  scheint  auch  die  Pflaume  viel  von  ihrem  köstlichen 
Aroma  zu  verlieren.  Die  europäische  Gegend  aber,  wo  die  Pflaumen- 
zucht im  Grossen  betrieben  wird  und  als  integrirender  Factor  der 
Bodenproduction  auftritt,  ist  das  österreichisch-türkische  Grenzland 
(s.  darüber  G.  Thoemmel,  Geschichtliche,  politische  und  topographisch- 
statistische Beschreibung  des  Yilajet  Bosnien,  Wien  1867,  und 
F.  Kanitz,  Serbien,  Wien  1868).  Dort  begegnet  man  ganzen  Wäldern 
von  Zwetschenbäamen,  ihre  Früchte  bilden  4  bis  6  Wochen  hindurch 
frisch  gepflückt  die  Hauptnahrung  der  Bevölkerung  und  werden  in 
gedörrtem  Zustande  massenhaft  nach  Deutschland,  ja  bis  nach  Amerika 
hin,  ausgeführt.  Schweine  und  Pflaumen  sind  fast  die  einzigen  Aequi- 
valente,  mit  denen  diese  Länder  ihren  Bedarf  vom  Auslande,  von 
dem  sie  in  allen  Stücken  abhängig  sind,  bezahlen.  Die  Haupt- 
anwendung aber,  die  von  dem  reichen  Ertrage  der  Frucht  gemacht 
wird,  ist  die  zu  Pflaumenbranntwein,  der  beliebten  slivovica.  Obgleich 
von  diesem  Artikel  ungeheure  Mengen  an  Ort  und  Stelle  verbraucht 
werden  —  denn  wozu  besässen  jene  Racen  eine  tiefere  Prädestination, 
als  zum  Genuss  von  Raki?  — ,  so  ist  auch  die  Ausfuhr  noch  be- 
deutend. Wie  alt  diese  Kultur  dort  ist  und  ob  sie  vielleicht  über 
die  Zeit  der  slavischen  Einwanderung  hinausgeht,  ist  uns  unbekannt 

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Der  Maalbeerbanm.  313 

Ans  Beeren,  an  denen  der  Nordosten  reich  ist,  ein  Getränke  zu 
machen,  ist  ein  altslayischer  oder  osteuropäischer  Nationalzug,  der 
schon  von  Herodot  in  seiner  Beschreibung  des  hinterskythischen 
Landes  angedeutet  wird. 


Der  Maulbeerbaum. 

(morui  nigra  L.). 

Dieser  medisch-pontische  Baum  fand  seiner  blutrothen,  angenehm 
säaexüch-süssen  Früchte  wegen  ziemlich  fr&he  Verbreitung  nach 
Westen.  Er  erreicht  eine  ansehnliche  Höhe  und  trägt  ein  dunkles 
Laab,  das  im  Frühling  spät  hervorbricht.  Letztere  Eigenschaft  ver- 
schaffte ihm,  wie  Plinius  16,  102  sagt,  den  Beinamen  sapientissima 
arhcrwn  d.  h«  der  vorsichtige  Baum,  der  sich  erst  hervorwagt,  wenn 
kein  Frühlingsfrost  mehr  zu  fürchten  ist.  Die  Beeren,  der  Himbeere 
an  Grestalt  ähnlich,  im  eigentlichen  Yaterlande  oft  einen  Zoll  gross, 
munden  nur  und  sind  nur  gesund,  wenn  sie  die  völlige  Reife  haben, 
dann  aber  müssen  sie  rasch  verzehrt  werden,  weil  der  Saft  bald  in 
Grahrung  geräth  und  zu  Essig  wird.  Man  pflückt  sie  daher  frühmorgens 
und  kauft  und  geniesst  sie,  ehe  die  Hitze  des  Tages  sie  verdorben 
liat,  auf  den  Fruchtmärkten  heutiger  südlicher  Städte,  wie  einst  in 
Italien  zu  Horaz  Zeiten,  Sat.  2,  4,  21: 

nie  salubris 
Äestaies  peraget  qui  nigris  prandia  moris 
Finiet^  ante  gravem  quae  legerit  arbore  solem. 

Die  dankelrothe  Färbung  war  das  Merkmal,  das  den  Alten  an  ihnen 
besonders  auffiel.  Wie  Horaz,  so  nennt  sie  auch  Martial  schwarz, 
8,64,7: 

Sil  moro  coma  nigrior  caduco; 

bei  Vergil  sind  sie  blutig,  Ecl.  6,  22: 

Sanguineis  frontein  moris  et  tempora  fingit; 
so  auch  bei  Columella,  10,  401: 

cumulataque  moris 
Candida  sanguineo  manat  fisceüa  cruore; 

Sullas  Gesicht  war  von  grellem  Roth  mit  weissen  Flecken  untermischt, 

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314  Der  Manlbeerbanm. 

so  dass  ein  Spotter   in  Athen    dichtete,    es  sei   wie   eine  Maulbeere^ 
mit  Mehl  bestreut,  Flut  Sali.  2: 

2vxdfnvov  eab^  6  Svllag^  altpitip  nenaofthov. 
Elephanten,  denen  vor  der  Schlacht  der  Rüssel  mit  Maulbeeren 
bestrichen  war,  sollten  dadurch  kampfgierig  werden,  offenbar  wegen 
der  Aehnlichkeit  des  Saftes  mit  dem  Blute  (1.  Maccab.  6,  34  nach 
Luther:  „da  liess  der  König....  die  Elephanten  mit  rothem  Wein 
und  Maulbeersaft  bespritzen,  sie  anzubringen  und  zu  erzürnen"). 
Ueppige  Weiber  und  lastige  Leute^  die  Mummenschanz  trieben,  be- 
malten sich  Schläfe  und  Wangen  mit  Maulbeersafk,  und  dem  Weine, 
den  sie  dazu  tranken,  war  vielleicht  auch,  wenn  er  zu  blass  gewesen 
war,  ein  Zusatz  von  demselben  Saft  gegeben  worden,  um  ihn  dunkel* 
roth  zu  machen  (jtiilag  olvog^  wie  /nikav  alfia)  —  wie  noch  jetzt  im 
Soden  Praxis  ist. 

Fragen  wir,  wann  der  Maulbeerbaum  aus  seinem  asiatischen 
Yaterlande  zuerst  in  Europa  erschienen,  so  verweisen  uns  einige  bei- 
läufig aufbewahrte  Dichterstellen  auf  die  Zeit  der  attischen  Tragiker* 
andere  ein  Jahrhundert  später  auf  die  der  mittleren  und  neuen  Ko- 
mödie. Nur  dass  die  Verwechselung  mit  der  Sykomore,  dem  ägyp- 
tischen Maulbeerfeigenbaum,  und  andererseits  mit  dem  Brombeer- 
und  Himbeerstrauch  einige  Unsicherheit  in  die  Deutung  der  Zeug- 
nisse bringt.  Die  Sykomore  nämlich,  ein  weitschattender  Baum  mit 
feigenähnlichen  Früchten,  ursprünglich  in  Aegypten  zu  Hause,  aber 
auch  in  semitischen  Landen,  wo  der  Boden  es  erlaubte,  in  Palästina 
und  Cypem  vielfach  angepflanzt,  war  auch  den  Griechen  aus  ihrem 
Verkehr  mit  jener  Erdgegend  nicht  anbekannt  geblieben;  der  Baum 
empfahl  sich  nicht  bloss  durch  die  Kühlung,  die  sein  Laub  gewährte, 
sondern  auch  durch  die  Früchte,  die  eine  Nahrung  des  niederen  Volks 
bildeten,  und  durch  das  sehr  geschätzte  Holz,  das  eben  so  fest  als 
leicht  sein  sollte.  In  den  heiligen  Schriften  der  Hebräer  erscheint 
die  Sycomore  nur  in  den  beiden  Pluralformen :  schikmim  und  schikmotj 
und  vergleicht  man  dazu  die  beiden  griechischen  Benennungen,  die 
frühere  avxafiivog^  und  die  spätere  ovxofiOQog,  avxn^wQiay  so  ist 
augenfällig,  dass  sie  jenen  hebräischen  oder  vielmehr  den  entsprechen- 
den syrischen  oder  niederägyptischen  nachgebildet  sind.  Diesem  Sy- 
komorenbaum  erschien  nun  der  eigentliche  Maulbeerbaum  mit  Recht 
oder  mit  Unrecht  sehr  ähnlich  und  entlieh  ihm  auch  seinen  Namen. 
Theophr.  h.  pl.  4,  2,  1:  „der  Maulbeerbaum  kommt  der  dortigen  Sy- 
komore sehr  nahe,  denn  er  hat  ein  ähnliches  Blatt,  gleicht  ihm  auch 
in    der  Grösse    und    der    ganzen  Gestalt.''     Wiederholt   von  Plinios, 

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Der  Manlbeerbaum.  315 

13,  56:  Arber  (ficm  AeffypUd)  moro  wmüis  foUc^  magnitudine^  adspectu. 
Ebaiso  Dioscorides,  1,  181:  voig  (pvKloig  ioixog  ftogitf.  Daher  sagt 
Diodor  1,  34  geradezu:  es  giebt  zwei  Arten  SykamineD^  die  einen 
tragen  Maulbeeren,  die  anderen  Früchte  wie  Feigen.  Andererseits 
waren  die  Früchte  des  Maulbeerbaumes  denen  des  Brombeerstrauches^ 
ßdroCy  sehr  ähnlich,  und  der  uralte  Name  der  letzteren  f^oga^  h^Q^t 
mora  konnte  leicht  auch  auf  die  ersteren  angewandt  werden.  Athen. 
2.  p.  51 :  avxdfiii>a  a  »aXovaiv  kvioi.  fioga  .  .  .  Jr^^r^xQiog  di  'l§i(üv 
ra  alrra  avxifxiva  xai  ^oQa,  Phanias,  der  Eresier,  der  Schüler  des 
Aristoteles,  wollte  den  Namen  fiogov  auf  die  Frucht  der  wilden 
avxdfiivog  d.  h.  auf  die  Brombeere  beschränkt  wissen,  die  auch  sehr 
süss  sei  (Athen,  ibid.),  aber  die  Uebertragung  hatte  schon  zu  weit 
nm  sich  gegriffen.  Ja,  die  Alexandriner  brauchten,  wie  Athenäus 
eben  dort  berichtet,  ausschliesslich  ^OQa  für  Maulbeeren,  vermuthlich 
weil  ovxifiiva  iur  die.  bei  ihnen  häufigen  Früchte  der  ägyptischen 
Sycomore  schon  seine  feste  Verwendung  gefunden  hatte.  Selbst  der 
Ausdruck  ßavia^  der  doch  wörtlich  die  Beeren  des  Domstrauchs  be- 
deutet, wurde  hin  und  wieder  auf  die  Maulbeeren  angewandt,  Bekk. 
Anecd.  gr.  224,  13:  ßatia'  avxa^lvov  6  xaQJiog  vnd  2ala/niviü)v. 
Wenn  nun  berichtet  wird,  Aeschylus  habe  in  seiner  Tragödie  „die 
Phryger*'  von  Hector  gesagt,  er  sei  reifer  gewesen,  als  die  f^oga^ 
Athen.  2  p.  51: 

avi^Q  exeivog  ^v  narcaUsgog  fiogcav^ 

so  sind  wir  nicht  sicher,  ob  der  Dichter  hier  in  der  That,  wie  die 
Späteren  annahmen,  an  Maulbeeren  gedacht  und  diese  ihm  also  be- 
kannt gewesen,  oder  ob  er  nicht  vielmehr  die  einheimischen  Brom- 
l)eeren  im  Sinne  gehabt?  Bedenkt  man,  dass  die  Maulbeere  vor  der 
TöUigen  Reife  ungeniessbar  ist,  dann  aber  auch  unverweilt  gepflückt 
und  verzehrt  werden  muss,  so  kann  das  Erstere  allerdings  wahr- 
scheinlicher sein  und  besser  auf  Hectors  vollzogenes  Geschick  passen. 
Aber  dasselbe  Wort  ^oqov  hatte  Aeschylus  noch  bei  einer  andern 
Gelegenheit  gebraucht,  in  den  Erreterinnen,  und  zwar  vom  Brombeer- 
strauch, xavä  T^g  ßdxov^  Athen,  ibid.: 

udevxolg  %6  yäg  fiogoiai.  xal  fieXayxi^oig 
xai  fiilTonQimoig  ßgid^erat  talrov  XQdvov, 

Hier  würde  der  Wechsel  der  Farbe  an  den  Früchten  vom  Weiss 
durch  das  Röthliche  bis  zum  Schwarzen  in  der  That  auf  Maulbeeren 
rathen  lassen  (Plin.  15,  97:  moris,,.  trini  colores,  candidtis  primo^  mox 
mi^ns,   matwrü  niger^  cf.  Theophr.  de  caus.  pl.  6,  6,  4)^   wenn  nicht 

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316  I^er  Maolbeerbauin. 

Athenäas^  der  die  Stelle  excerpirte  und  den  ZosammenhaDg  dodi 
gekannt  haben  moss,  grade  die  ßdtog  ab  den  Gegenstand  der  Rede 
angäbe.  Eben  so  unbestimmt  als  diese  Stellen  desAeschylos  ist  die 
des  Sophokles  ans  einer  verlorenen  Tragödie,  Bekk.  Anecd.  gr.361,  20 
(Nauck,  Fr.  Soph.  n».  362): 

TiQwxov  ^lev  otpei  levxov  av&ovvra  araxw, 
STieiza  fpoivl^avca  yoyyvXov  (lOQOVy 
eneiTa  yrJQOtg  lafißdveig  AiyvTtTiov, 

Ausser  manchen  Bedenken,  die  diese  Verse  erwecken,  worunter  das 
unerträgliche  o  fiÖQog  für  rb  (xoqov^  welches  freilich  Eustathius  sich 
gefallen  liess,  erscheint  das  Beiwort  yoyyvXog  rund  weder  fOr  die 
Brombeere,  noch  für  die  Maulbeere  passend.  Ein  dritter  Zeuge  aus 
älterer  Zeit  für  das  Wort  iuopa,  welches  mehr  der  dorischen 
Mundart  angehörte,  ist  Epicharmus,  Phot  Lex.  v.  ovxafiLva' 
ta  de  fioQa,  Jdqiov  fiSlXov*  xai  ^EnixctQfiog*  litogiov  veov  %o  ipvtov. 
Muss  auch  hier  die  eigentliche  Bedeutung  zweifelhaft  bleiben,  so 
findet  sich  bei  den  jüngeren  Komikern  die  Maulbeere  deutlich  und 
unverkennbar,  Eubulas  (blühte  nach  Suidas  Ol.  101,  muss  aber  bis 
zu  Demosthenes  Zeit  gelebt  haben)  bei  Athen.  13.  p.  557: 

ovd'  äansQ  v^aig  avxainivq)  Tag  yva&ovg 
xBXQifJiBvai. 

PhiEppides  (zwischen  Ol.  118  und  122,  Freund  des  Königs  Lysimachus) 
bei  Phot.  1.  1.: 

zolg  avxafilvoig  d'  avrl  tov  q)vxovg  oXov 
t6  nQogionov  — 

denn  statt  der  Schminke  kann  zum  Färben  des  Gesichts  nur  der 
rothe  Maulbeersaft  dienen.  Theophrast  unterscheidet  in  seiner  ge- 
naueren Sprache  die  ovxafAivog  oder  den  Maulbeerbaum  von  der 
avxa^ivog  Aiyvmia  oder  der  Sykomore,  und  eben  so  sicher  ist  der 
erstere  unter  dem  Namen  fiogia  in  den  von  Athenäus  2.  p.  51  auf- 
bewahrten Versen  aas  den  retogyixa  des  Nicander  zu  erkennen: 

xai  (xoQerjg  ^  naial  niXu  ^eiliyfta  vioiai, 
TtQCüTov  inayyiXXovaa  ßgotoig  ^deiav  otkoqtjv. 

und  des  Maulbeerbaums  mit  den  jugendbeglückenden  Fruchten, 
Der  den  Menschen  zuerst  die  Fruchtzeit  kündigt,  die  süsse. 

In  der  That  ist  mortis  nigra  wie  mit  ihrem  Laube  im  Frühling  die 
späteste,  so  mit  ihren  Früchten,  der  Wonne  der  Jugend,  im  Sommer 
die  erste.    Zu  Galenus  Zeit   endlich  war  ptoQOv  schon  der  allein  ge- 

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Der  Manlbeerbauin.  817 

bräucUiche  Ansdruck  und  avxifiivoy  nicht«  als  eine  klassische  Anti- 
quität: „ich  will  lieber,  bemerkt  er  de  aliment.  facolt.  2,  11,  (jloqov 
sagen,  wie  es  Allen  geläufig  ist,  als  ax^Ha^uvov^  wie  die  Attiker  Tor 
600  Jahren  sich  ausdrückten:  thöricht  derjenige,  dem  es  mehr  auf 
sogenannte  korrekte  Sprache,  als  auf  Gesundheit  des  Lebens  ankommt.^ 
Um  so  auffaUender  ist,  dass  die  Neugriechen,  zwar  auch  fioQsay  da- 
neben aber  auch  övxafirjvBa  sagen  sollen. 

Bei  dem  Uebergange  des  Baumes  nach  Italien  war  die  Be- 
nennung ovnaiiivog  schon  verloren  gegangen:  er  trug  fortan,  wie  der 
Brombeer-  und  Himbeerstrauch,  nur  mora.  War  (hoqov  oder  (itiQov 
ein  dorisches  Wort  und  brauchte  es  Epicharmus  in  Sicilien,  so  wird 
Name  und  Sache  von  Ghrossgriechenland  aus  zu  den  Lateinern  ge- 
kommen sein.  Der  Name  in  so  fem,  als  das  Beispiel  der  Griechen 
die  lateinisch  Redenden  vermochte,  das  in  ihrer  Sprache  gewiss  alte 
Wort  morum  auf  die  neue  Beere  anzuwenden.  Wo  Verwechselung 
möglich  war,  da  mochte  man  sagen  Beere  vom  Baume,  morum  cebae 
arborüj  und  für  Maulbeerbaum  moros  ceha^  worauf  wenigstens  das 
italienische  geho  fuhrt.  Bei  den  Dichtem  wird  die  Frucht  nicht 
sdten  erwähnt;  Ovid  erzählt  uns  im  vierten  Buche  seiner  Metamor- 
phosen, woher  die  rotbe  Farbe  der  Beeren  stammt,  nämlich  vom  Blute 
des  Pyramus,  als  dieser  sich  wegen  der  Thisbe  unter  dem  Baume 
den  Tod  gab  —  eine  ganz  kleinasiatische,  auch  bei  andern  Pflanzen 
wiederkehrende  Sage,  die  diesmal  Babylon  zum  Schauplatz  gewählt 
hatte  und  darin  eine  Erinnerung  an  die  Herkunft  des  Baumes  aus 
dem  tieferen  Osten  bewahrte.  Sehr  zärtlich  war  der  Baum  nicht, 
denn  er  hat  seitdem  die  Alpen  überstiegen  und  gedeiht  nicht  bloss 
in  Frankreicb,  sondern  auch  in  England  und  Deutschland,  ja  in 
Scandinavien,  obgleich  es  wohl  vorkommt,  dass  er  in  hartem  Wintern 
erfiriert  Wichtiger  als  durch  seine  Früchte  wurde  er  ein  Jahrtausend 
später  durch  sein  Laub ;  er  machte  die  Einwanderung  der  ostindisch- 
chinesichen  Seidenraupe  möglich.  Die  ersten  Pflanzer,  die  nach  den 
schwarzen  Beeren  begehrten,  ahnten  nicht,  dass  die  rauhen  Blätter 
einst  durch  eine  mannichfache  Metamorphose  vermittelst  eines  kleinen 
Thierchens  sich  in  ein  kostbares,  weiches,  glänzendes  Gewebe  ver- 
wandeln würden.  Die  Römer  hatten  zwar  die  serischen  Gewänder 
allmählig  kennen  gelernt  und  wogen  sie  mit  Gold  auf,  aber  dass  diese 
wunderbaren  Fäden  nur  versponnene  Maulbeerblätter  seien,  kam  auch 
ihnen  nicht  zu  Sinn.  Im  weitem  Verlauf  der  Zeiten  freilich  trat 
mortis  nigra  das  Amt,  die  Seidenraupe  zu  füttern,  an  einen  andern 
noch   spätem  Ankömmling   aus    dem  centralen  und  östlichen  Asien 

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818  Mandeln.    Walnüsse.    Kastanien. 

ab,  an  die  morus  alha^  einen  Schwesterbaum  von  kleinerem  Wüchse, 
glatteren  und  zarteren  Blättern  nnd  weissen  honigsüssen  Früchten, 
der  gegen  Ende  des  Mittelalters  in  Europa  erschien.  Die  persischen 
Provinzen  am  kaspischen  Meere,  in  Europa  Italien  und  Frankreich, 
die  Hauptseidenländer  des  Westens,  sind  jetzt  in  den  Bezirken,  wo 
diese  Industrie  blüht,  über  und  über  mit  beschnittenen  und  bempften 
weissen  Maulbeerbäumen  bedeckt;  nur  hin  und  wieder  steht  der 
Maulbeerbaum  der  Alten  noch  angepflanzt  da  und  dient  nur  in  zurück« 
gebliebenen  und  abgelegenen  Gegenden  mit  seinem  Laube  zur  Er- 
nährung der  spinnenden  Raupe  und  zur  Erzeugung  einer  grobem, 
minder  edlen  Seide.  Eine  noch  dienlichere  Art  worus,  als  der  ge- 
wöhnliche weisse  Maulbeerbaum,  die  morus  alba  multicatUü,  ist  in 
neuerer  Zeit  aus  Manilla,  wohin  sie  aus  China  gekommen  war,  in 
Europa  eingeführt  worden  und  soll,  richtig  behandelt,  gut  gedeihen.  ^  ®) 


Mandeln.    Walnüsse.    Kastanien. 

In  der  römischen  Eaiserzeit  wusste  man  die  drei  in  der  Ueberschrifl; 
genannten  Früchte,  als  juglandes^  Walnüsse,  amygdalae^  Mandeln,  und 
nucea  castaneae,  Kastanien,  genau  zu  unterscheiden;  je  weiter  man 
aber  in  der  Zeit  hinaufgeht,  desto  mehr  verwirren  sich  die  Namen. 
So  lange  die  Bäume  selbst,  deren  Ansehen  und  Natur  so  verschieden 
ist,  dass  sie  gar  nicht  mit  einander  zu  verwechseln  sind,  nicht  allge- 
mein bekannt  waren,  und  nur  der  Seehandel  jene  Schalenfrüchte  in 
Säcken  oder  Thonfässern  auf  den  Markt,  z.  B.  den  von  Athen,  brachte, 
griff  man  bei  der  Benennung  zu  den  einheimischen  Wörtern  Nuss 
oder  Eichel  und  fügte  wechselnde  Beinamen  hinzu,  die  von  der  Be- 
schaffenheit der  Schale  oder  von  dem  Lande,  wo  die  Frucht  angeb- 
lich wuchs,  oder  von  dem  Handelshafen,  der  sie  geliefert  hatte,  her- 
genommen waren.  So  schwankend  aber  blieb  der  Gebrauch,  dass 
z.  B.  der  populäre  Name  Jupiters  Eichel,  ^log  ßdKaifog^  der  in 
Griechenland  in  den  meisten  Fällen  die  Kastanie  bezeichnete,  in  der 
entsprechenden  lateinischen  Form  juglans  die  Bedeutung  Walnuss  hat 
Am  frühesten  tritt  die  Mandel  auf^  die  unter  dem  Namen  äjuvydalrj 
bei  den  attischen  Komikern  schon  gewöhnlich  ist;  die  Namen  der 
Walnuss,  der  Kastanie  und  einiger  edlern  Arten  der  Haselnnss  laufea 

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[ 


Mandeln.    Walnüsse.    Kastanien.  319 

aber  noch  lange  durch  einander.  Hält  man  die  Hauptstellen  zu- 
sammen, so  ei^iebt  sich  wenigstens  eine  unzweifelhafte  pflanzen- 
geographische Thatsache,  nämlich  die  Herkunft  aller  dieser  Früchte 
aas  dem  mittlem  Kleinasien,  besonders  aber  aus  den  Poutusgegenden 
und  zwar  in  verhältnissmässig  später  Zeit.  Dorthin  weisen  alle 
Namen:  Hermippus  ap.  Athen.  1,  p.  28: 

Tag  de  /Jiog  ßaXavovg  xai  a/avydala  aiyaXoBvra 
IlacpXayoveg  nagi^ovoi:  za  yag  %"  dya^ij/Aaza  daudg, 
Plin.  15,  93  von  den  Kastanien:  Sardijbus  hae  provenere  prvmum: 
ideo  <qntd  Graecos  Sardianaa  balanoa  appellant  Dioscor.  1,  *145: 
ci  SaQdtavai  ßalavoi,  äg  Tiweg  Xonifia^  fj  xaarava  xaXovaiv,  ^ 
/lOTor,  ^  Jiog  ßdXavoi.  Galen.  6,  p.  778  Kühn.:  oV  ye  fi^v  if^oi 
aoXlzai,  xa9d7teQ  olv  xai  aXXoi  to/v  iv  ^Aai<fy  ^aQÖiavdg  xb  xai 
XtVM^vag  ovoftd^ovaiv  avtdg  (die  E^astanien)  dno  %Civ  x(aQiU)v^  h  olg 
nldarai  ysvvüvrai  (also  wo  sie  am  häufigsten  sind,  nicht  etwa  wo 
eine  besondere  feine  Sorte  wächst),  zo  ftiv  ovv  ^tbqov  twv  ovoftdtwv 
toito)y  svdrjXov  kativ  dno  zivog  yiyore*  Xevx^vai  de  dno  xcjqIov 
tivog  iv  zq  OQßi  zrj  ^Idrj  tiJv  nQogwvv/iiay  kaxiqxaaiv.  Amphilochus 
ap.  Athen.  2,  p.  54:  onov  öi  yivezai,  zd  xoQva  zd  Sivcanixd,  zavza 
divÖQa  ixdXow  dß(oza  (was  oben  Dioscorides  fxoza  nannte  —  beide 
Formen  schwer  deutbar  und  vielleicht  vordorben).  Strab.  12,  3,  12: 
i^  de  2ivct)nlzig  xai  ag>evdafivov  ej^ei,  xai  oQOxdQvoVj  i§  wv  zag 
tQani^ag  zi^vovaiv.  Theophr.  h.  pl.  3,  15,  1:  ^  de  'HQaxXewzix^ 
xoQva  —  folgt  die  Beschreib  ang,  die  auf  die  Haselnuss  passt.  In- 
schrift bei  ßoekh,  Staatshaushalt  2,  356;  negaixdg  S^gdg  xai  dfivy- 
dalag xai'HQaxXecazixd  xdgva  xai  xcuvovg xai  xaazdvaia.  Macrob. 
Sat  3,  18,  7:  nua  castanea  ....  vocatur  et  Heracleotica.  Nam 
vir  doctus  Oppius  in  libro  quem  fecit  de  süvestribm  arboribvs  sie  ait: 
Heracleotica  haec  nux^  quem,  quidam  caataneam  vocant,  Diocles  ap. 
Athen. 2,  p.  53 :  zd  de'HgaxXewzixd  xaXov^eva  xai  Jiog  ßdXavoi 
zqitpei  (lev  ovx  o^ioicug  zolg  dfxvyddXoig,  exet  de  zi  xeyxQf^deg, 

Nüsse  also  oder  Eichek^  benannt  nach  Sardes  in  Lydien,  nach 
einer  Gegend  am  Idagebirge,  »nach  Sinope  und  Heraklea,  den  beiden 
Hafenstädten  am  schwarzen  Meere  und  bezogen  aus  Paphlagonien,  der 
Landschaft  an  demselben  Meere.  Ganz  gewöhnUch  ist  aber  auch 
die  direkte  Benennung  pontische  Nüsse,  meistens,  aber  nicht  aus- 
schliesslich, für  eine  grössere  Art  Haselnüsse  gebraucht,  so  wie  per- 
sische oder  königliche,  weil  sie  aus  einer  Gegend  stammten,  die 
den  persischen  Königen  unterworfen  war.  Plin.  15,  88:  In  Asiam 
Graeciamqtie  e  Ponto  venere  ideoque  Ponticae  ntcces  vocantur.    Idem 

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320  Mandeln.    Walnüsse.    Kastanien. 

87 :  Et  hcuB  (juglandes)  e  Perside  regibus  translatas  indicio  sunt  Graeea 
namina;  Optimum  quippe  genus  earum  Persicon  atque  baailicon  vo- 
cant^  et  haec  fuere  prima  nomina.  Diosc.  1,  179:  ta  de  novzixa^ 
8  hfioi  XertToxaQva  xalovaiv.  Idem  1,  178:  Kaqva  ßaailixä,  a 
evioi  Tiegaixa  xaloiaiv,  Athen.  2,  p.  53:  "Ort  novzixwv  xakov- 
l^ivwv  xagviov,  o  lonifid  tiveg  ovo^a^ovöi,  fiyTjfioyevcL  NixtxpdQog. 
^EQ^iova^  de  xai  Ti^axidag  h  yXciaaaig  Jiog  ßaXavov  (priai  xa- 
Xeia&ai  to  novtixov  xagvov. 

Woher  aber  stammte  der  Name  Kastanie,  und  wann  taucht  er 
zaerst  auf?  Xenophon  kam  mit  den  Zehntausend  auch  zu  den  Mo- 
synöken,  einem  pontischen  Volke,  und  fand  bei  ihnen  viel  breite 
Nüsse  aufjgespeichert  —  sie  dienten  also  zur  Volksnahrung  — ,  die 
von  den  Spätem,  s.  Poll.  On.  1,  232,  für  Kastanien  gehalten  wordai 
sind,  Anab.  5,  4,  28:  xdgva  di  ini  twv  avioyalwv  rjv  nollä  tä 
nlatia,  ovx  exovxa  diaq)v^v  olde^iiav  —  viel  wahrscheinlicher  aber 
eine  grosse  Art  corybis  waren,  wie  sie  jene  Gegenden  hervorbringen; 
auf  jeden  Fall  aber  kennt  er  den  Namen  Kastanie  noch  nicht  Der- 
selbe würde  zuerst  bei  Theophrast  L  pl.  4,  8, 11  erscheinen:  ifi(peQrjg 
T(p  Kaazavaixfp  xagvif},  wenn  die  Lesart  sicher  wäre  uud  die  vier 
Worte,  da  sie  dem  sonstigen  Gebrauch  des  Theophrast  wider- 
sprechen, nicht  ganz  wie  ein  späteres  Glossem  aussähen.  Erst  der 
Dichter  Nikander  im  zweiten  Jahrhundert  vor  Chr.  spricht  deutUch 
von  der  Nuss,  die  das  Land  Kastanis  erzeugt,  Alexiph.  271: 

dvgXsniog  xoqvolo^  to  Kaaxavig  ^TQsqtev  ala. 
Aber  wo  lag  die  Gegend  Kastanis?  der  Scholiast  belehrt  uns:  nohg 
Oecaaliagy  o&ev  xd  xaaxdvia  anc  t^g  Kaaravidog  y^g^  und  ähnlich 
drückt  sich  das  Etymologicum  M.  s.  v.  Kaarayia '  s^us.  In  derTbat 
gab  es  an  der  thessalischen  Küste  am  Fuss  des  Pelion  in  der  Land- 
schaft Magnesia  einen  kleinen  Hafen  oder  nach  Strabo  ein  Dorf^ 
xiofii]^  des  Namens  Äaav^avcf/jy,  KaoTavaia,  zuerst  bei  Herodot  7, 183 
und  188  erwähnt;  auch  sagt  Theophrast  h.  pl.  4,  5,  4,  es  wüchsen  in 
Magnesia  und  auf  Euböa,  welche  Insel  der  Landschaft  Magnesia 
gegenüber  lag,  viel  Euboische  Nüsse  d.  h.  Kastanien.  Von  diesem 
wenig  bekannten  Flecken  also  hätte  die  Kastanie  ihren  Namen?  oder 
suchte  man  in  der  Verlegenheit  nicht  vielmehr  nur  irgend  einen  geo- 
graphischen Namen,  um  den  der  Frucht  damit  zu  erklären?  Aocli 
fügt  der  Scholiast  noch  eine  zweite  Deutung  hinzu,  die  an  sich  viel 
grössere  Wahrscheinlichkeit  hätte:  ?}  Kaaxavig  noXig  UovxoVy  onov 
7ileovd^€i  x6  xaoxdviov  —  wenn  sich  nur  sonst  von  einer  pontischen 
Stadt   oder  Gegend    dieses  Namens    eine  Spur   fände.     Oder  taucht 

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Mandeln.    WalniUse.    Kastanien.  321 

liier  jenes  r&thselhafte  Kaatafjiwy   südwestlich   von  Sinope  auf,   das 
wir  in  byzantinischer  Zeit  als  einen  bedeutenden  Ort  kennen  lernen, 
ohne  dass  die  Alten  seiner  erwähnten  (Ritter,  Erdkunde,  18, 414flf.)? 
Jene  Inschrift  bei  Boeckh,    in  der  dieser  Gelehrte   keine   römischen 
Sparen  fiuid,  kann  wegen  des  darin  Yorkommenden  Namens  natni" 
vaia  wenigstens   nicht  weit  von  der   römischen  Zeit  abliegen.     Dass 
auch  in    verschiedenen    orientalischen   Sprachen    die   Namen    gUms 
reffia,  Jiog  ßdlavog  oder  juglam  für  die  Kastanie  vorkommen  (Pott 
in  derZeitschr.  für  Kunde  des  Morgen!  7,  llOE),  würde  bedeutungs- 
ToU  sein,  wenn  nicht  Benennungen  wie  bendak^  pandek  für  ntuc  Pon- 
Ucoy  arabisch  mitkon  für  malum  Medicum  bewiesen,  dass  auch  abend- 
ländische Fruchtnamen    den  Rückweg   in  den  Orient  fanden.     Nicht 
in  den  semitischen,  wohl  aber,  wie  wir  glauben,  in  iranischen  Idiomen, 
l)e8onder8  im  Altarmenischen,   würden  Kenner  dieser  Sprachen  viel- 
leicht den  Ursprung  und    eine  Erklärung   des  Namens  Kastanie  ent- 
decken können.  —  In  Italien  nennt  Cato  gegen  die  Mitte  des  zweiten 
Jahrhunderts  vor  Chr.  weder  juglcmdes^  noch  Kastanien,  noch  Mandeln. 
An  einer  Stelle  aber,  8, 2,  giebt  er  die  Vorschrift:  nuces  calvaa  aveU 
lanas  praenestinas  et  graecas^   haec  facUo   uti  serantur.    Hier   sind 
nnter  nuces  aveüanae   die  aus  Gampanien   stammenden,    dorthin  von 
den  griechischen  Küstenstadten  verpflanzten  edlem  Haselnüsse,  unsere 
Lamberts-  d.  L  lombardischen  Nüsse  zu  verstehen,  die  den  Griechen 
sdbst  aus  dem  Pontus  zugekommen  waren;  aber  wie  sind  nuces  cal- 
vae  und  fff'oecae  zu  deuten?    Ernst  Meyer,   Geschichte  der  Botanik, 
1, 344,  vermuthet  in  der  ntue  graeca  die  Kastanie,   befindet  sich  da- 
mit aber  im  Widerspruch  mit  dem  Gebrauch  der  Spätem,  die  durch- 
gängig unter  nux  graeca  die  Mandel  verstehen.    Bei  Golumella  heisst 
der  Baum  amygdcUa^  die  Frucht  ntuü  graeca;  Plinius  15,  90  sagt  aus- 
drücklich:   haec  arbor  (der  Mandelbaum)   an  fuerü  in  Italia  Catanis 
aetate  dubitatury   qtumiam  graecaa   nominaty   und    eben   so  Macrob. 
Sat.  3,  18,  8:    nux  gra£ca   haec   est  quae  et  cmygdaU  dicitwr^   sed  et 
Thasia  eadem  nua  vocatur.    Testis  est  Cloatius  in  Ordinatorum  Orae- 
cofwn   libro   quartOj   cum  sie   ait:  Nua   graeca  amygdale.    Ist  also 
Gates  nua  graeca^  wie  nicht  zu  bezweifeln,  die  Mandel,  so  hätte  man 
bei  der  nua  calva  die  Wahl  zwischen  der  Walnuss  und  der  Kastanie. 
Vergleicht   man   die   vier  Sorten  Kastanien    bei  dem  Scholiasten  zu 
Nicandr.  Alex.  271:   fäv  de  xaatavwv  to  fiev  2aQdiavdv,  %6  de  16- 
nifiov^  ro  de  fialaxöv,  to  de  yvfiyoXonov  —  so  könnte  calvus  wohl 
einerlei  sein  mit  yvfjivoXonog,    nacktschalig,    und   nua   calva  folglich 
die  Kastanie   bedeuten.    Einen   ähnlichen   unbestimmten  Ausdruck, 

Vict  Hehn,  Knltnrpfluisea.  21 

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322  Mandeln.    Walnüsse.    Kastanien. 

moUusca  nux^  hatte  Plautus  gebraucht,  Macrob.  Sat  3, 18,  9:  FUmixu^ 
in  Calceolo  sie  ejus  meminit: 

moUuscam  nucem 
Super  ejus  dixit  impendere  Ugulas. 
Ecce  Plautus  nominat  quidem,  sed  quae  sit  nux  mollusca^  non  exprimdt. 
Halt  man  diese  Bezeichnung  zu  dem  obigen  nalaxov  beim  Scho* 
liasten  des  Nicander  und  zu  Vergils  castaneae  moUes  (Ecl.  1, 82; 
moUes  =  weichschalig,  nicht,  wie  man  gewollt  hat,  wohlschmeckend), 
80  wird  man  nicht  anstehen,  auch  hier  den  das  Dach  beschattenden 
Kastanienbaum  vorauszusetzen.  Auf  jeden  Fall  kann  bei  dem  Mangel 
fester  Namen  an  eine  allgemeine  Kultur  dieser  Bäume  in  Italien  zu 
Plautus  und  Gatos  Zeit  nicht  gedacht  werden.  Die  Walnüsse  finden 
sich  unter  dem  Namen  jv^glandes  schon  mehrmals  bei  Varro  und 
einmal  bei  Cicero  —  da  wo  er  erzählt,  der  Tyrann  Dionysiu«  der 
ältere  habe  sich  von  seinen  Töchtern  den  Bart  mit  glühenden  Nuss- 
schalen  abbrennen  lassen,  Tusc.  5,  20,  28  — ,  der  Eitötanien  er- 
wähnt zuerst  Yergil,  in  der  so  eben  angeführten  Stelle  und  Ecl. 
2,52: 

Castaneaeqae  nuces  mea  quas  Amaryllis  amabat^ 
der  amygdala  Ovid,  Art.  amat.  3,  183: 

Nee  glandeSy  Amaryllif  tuae  nee  amygdala  desunt, 
die  amygdala  amara  und  dulcia  finden  sich  so  bezeichnet  zuerst  bei 
Scribonius  Largus  in  dessen  compositiones  medicamentorum  vor  der 
Mitte  des  ersten  Jahrhunderts  nach  Ghr  Von  da  an  waren  die 
Bäume  sowohl  als  die  Namen  in  Italien  so  eingebürgert  wie  noch 
heut  zu  Tage  die  nod^  mandorle^  castagne.  In  allen  Gärten  stehen 
die  Mandelbäumchen  bei  mildem  Wetter  schon  im  Januar,  sonst 
aber  im  Februar  und  März,  ehe  noch  die  Blätter  hervorgekommen 
sind,  in  ihrem  schneeigen  Blütenschmuck  da,  die  Nussbäume  be- 
schatten mit  ihrem  dichten  aromatischen  Laube  die  Wege  selbst  in 
Deutschland^  und  die  Kastanien  haben  in  Italien,  Spanien  und  einem 
Theile  Frankreichs  sogar  zu  wirklichen  Wäldern  sich  vermehrt,  die 
je  nach  der  geographischen  Breite  in  hohem  oder  tiefem  Zonen  die 
Berge,  z.  B.  in  prachtvollen  Exemplaren  den  Kegel  des  Aetna,  um- 
gürten. So  sehr  sind  die  Früchte  der  letzteren  zur  allgemeinen 
Yolksnahrung  geworden,  dass  man  in  Frankreich  die  Trägheit  der 
Gorsen  ihren  Kastanien  zugeschrieben  und  deshalb  den  Untergang 
dieser  Bäume  gewünscht  hat  —  wie  die  Banane  den  Tropenmenschen 
faul  macht.  In  der  That  —  besitzt  eine  korsische  Familie  nur  zwei 
Dutzend  Kastanienbäume,    dazu  eine  Heerde  Ziegen,    die  das  ganze 


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Mandeln.    WalnQsse.    Kastanien.  323 

Jahr  hindurch  firei  weidet,  so  sind  alle  Bedürfnisse  gedeckt,  und  der 
Wunsch  des  Vaters  und  jedes  der  Söhne  geht  nur  noch  auf  Erwerb 
eines  Summchens,  um  damit  eine  —  Flinte  zu  kaufen.  Auch  im 
rauhen  italienischen  Apennin  lebt  der  Gebirgsbewohner,  da  wo  der 
Ackerbau  unmöglich  oder  unergiebig  geworden  ist,  einen  grossen 
Theil  des  Jahres  von  Kastanien  und  Eastanienmehl  und  geräth  in 
grosse  Noth,  wenn  einmal  in  einem  ungünstigen  Jahr  die  Ernte 
spärlich  ausfällt.  Ausser  den  Früchten  giebt  der  Eastanienbaum  in 
der  heissen  Zeit  auch  Schatten  und  Kühlung  und  das  Holz  dient 
nicht  bloss  zur  Feuerung,  sondern  auch  zu  Werkzeugen  und  Geräthen 
jeder  Art.  So  gehört  dieser  Baum  zu  den  allerwichtigsten  Erwer- 
bungen der  Kultur,  die  uns  das  Alterthum  hinterlassen  hat.  Auf 
die  Botaniker  pflegt  freilich  die  Kastanie  in  Südeuropa  den  Eindruck 
emes  dort  yon  Urbeginn  einheimischen  Gewächses  zu  machen.  So 
lasst  z.  B.  Link,  der  ein  Torzüglicher  Kenner  des  europäischen  Südens 
gewesen  sein  soll,  die  ersten  Menschengeschlechter  in  Europa,  noch 
vor  der  Epoche  des  Hirtenlebens,  Ton  dieser  Frucht  sich  hauptsäch- 
lich nähren  (die  Urwelt  und  das  Alterthum,  1,  355 — 361).  Allein 
dem  widerspricht  schon  der  Umstand,  dass  weder  die  Griechen  noch 
die  Römer  für  den  Kastanienbaum  und  seine  Frucht  einen  indivi- 
duellen Namen  haben.  Vielmehr  waren  Himmel  und  Boden  in  den 
Gebirgen  Süd-  und  zum  Theil  Mitteleuropas  für  diesen  Baum  so 
günstig,  dass  er  sich  rasch  verbreitete,  der  Hand  des  Menschen  sich 
entzog  und  in  weiten  Strecken  zum  Waldbaume  wurde.  Der  Fall 
ist  durchaus  nicht  der  einzige  dieser  Art.  So  wurden  nach  der  Er- 
oberung Teneriffas  durch  die  Spanier  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
Kastanien  auf  dieser  Insel  angepflanzt  und  „bilden  dort  jetzt  einen 
Wald,  der  fast  nur  durch  europäische  Blumen,  die  er  beschützt,  seinen 
europäischen  Ursprung  verräth"  (L.  v.  Buch,  Ueber  die  Flora  auf 
den  kanarischen  Inseln,  Abhandl.  der  Berliner  Akademie,  1816—1817, 
S.  351.)  Man  vergesse  nicht,  dass  seit  der  vorausgesetzten  Einführung 
dieses  Baumes  zweitausend  Jahr  und  mehr  verflossen  sind.  Nach 
eben  so  langer  Zeit  wird  Amerika  in  noch  grösserem  Massstabe 
ahnliche  Erscheinungen  bieten.  Auch  würden  die  Griechen,  wenn 
sie  in  ihrem  Lande  den  Kastanienbaum  vorgefunden  hätten,  seiner 
Frucht  gewiss  in  ihren  kulturgeschichtlichen  Sagen  erwähnen.  Wir 
hören  aber  immer  nur  von  den  Eicheln  der  dQvg^  der  Speiseeiche, 
und  die  ersten  Menschen,  wie  die  wilden  Arkader  in  ihren  Bergen 
und  Wäldern,  werden  immer  nur  als  Eichelesser,  ßalavrjqxiyoty  be- 
zeichnet, selbst  durch  Göttermund,  Orakel  bei  Herod.  1,  66: 

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324  Mandeln.    Kastanien.    Walnüsse. 

noXlot  iv  ^AQxadirj  ßaXavrjipa'yoi  avdgeg  eaaiv. 
Würde  Hesiodas  in  der  schonen  Stelle  der  Werke  und  Tage,  wo  er 
das    Gedeihen   preist,    das   Friede   und   Recht   über   die   Mensche 
bringen,  232: 
Ihnen  gewährt  viel  Nahrung  die  £rd\  im  Gebirge  die  Eiche 
Trägt  hoch  oben  die  Eicheln  und  mehr  zur  Mitte  die  Bienen, 
Reichlich  beschwert  sich  das  Schaf  zur  Schvn  mit  wolligem  Yliesse  — 

würde  er  die  Kastanien  yergessen  haben,  wenn  sie  damals  schon  in 
den  Bergen  wachsen  und  ihre  süsse  Frucht  den  Menschen  spendeten? 
Würden  sich  dann  die  lateinischen  Dichter,  wenn  sie  das  goldene 
Zeitalter  schildern,  nur  auf  Arbutusfirüchte,  Erdbeeren,  Comelkirschen, 
Brombeeren  und  Eicheln  beschränken,  z.  B.  Ov.  Met  1,  103 : 

Contentique  cibis  nullo  cogente  ereaUs 

ÄrbiUeos  fetu8  mofdanaque  fraga  legebant^ 

Comaque  et  in  duris  haerentia  mora  rubetis 

Et  quae  deciderant  patula  Jovis  arbore  glandes  —? 

Dass  aber  die  Gegenden  südlich  vom  Kaukasus  und  der  Nordrand 
von  Kleinasien  alle  Arten  Nüsse  und  Kastanien  in  höchster  Fülle  und 
Vollkommenheit  hervorbringen,  darüber  sind  ältere  wie  neuere  Rei- 
sende einstimmig.  Kolenati  sah  in  Armenien  fiaselnussbäume,  deren 
Stamm  zwei  bis  drei  Fuss  Durchmesser  hatte;  Wutzer,  Keise  in  den 
Orient,  11, 151,  traf  auf  dem  Wege  von  Nicaa  nach  Brossa  Platanen 
und  Kastanien,  deren  Grösse  ihn  in  Erstaunen  setzte:  „beide  Bäume 
bilden  die  Riesen  der  Vegetation  Westasiens,  in  welcher  die  Platane 
den  ersten,  die  Kastanie  den  zweiten  Platz  einnimmt  —  Es  war  die 
Zeit  der  Kastanienemte,  weshalb  denn  zahlreiche  mit  Säcken  be- 
ladene  Esel  umherstanden,  um  die  Früchte  aufzunehmen,  welche 
Männer  und  Knaben  von  den  hohen  Bäumen  herabholten,  während 
Frauen  sie  aufhoben  und  verpackten.  Die  glühenden  Sonnenstrahlen 
bemühten  sich  vergebens,  das  gewaltige  Laubdach  zu  durchdringen''. 
Von  diesen  Gegenden  kamen  die  Kastanien  auf  dem  Landwege  über 
Thrakien,  Makedonien  und  Thessalien  nach  Euböa,  nach  welcher 
Insel  sie  in  Athen  zu  Theophrasts  Zeit  euböische  Nüsse  hiessen. 
Heut  zu  Tage  sind  die  griechischen  Kastanien  klein  und  meist  mil 
der  den  Kern  umgebenden  bittern  Schale  durch-  und  verwachsen  und 
daher  nicht  angenehm  zu  essen  (nach  Fiedler).  Die  besten  durch 
Kultur  veredelten  Kastanien  liefert  von  den  europäischen  Ländern 
letzt  das  südliche  Frankreichs^). 

Die   wilde  oder   sogenannte   Rosskastanie,   aesculus   hippocastor 
num  L,y   gehört  zu  den  Gewächsen,   deren  Verbreitung  Europa  den 

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Der  Kirschbaum.  325 

Törken  verdankt.  Der  schöne,  schattige,  im  Frühling  unter  den 
erstai  sich  belaubende  Baum  kam  gegen  Ende  des  sechszehnten 
Ji^hunderts  über  Wien  aus  Eonstantinopel  und  inurde  bald  in  Gärten 
nod  auf  öffentlichen  Spaziergängen  beliebt  —  man  erinnere  sich  nur 
Jer  Ejistanien  des  Tuileriengartens  und  unter  ihnen  des  berühmten 
Ntpoleon-Baumes.  Die  aufrecht  stehende  stolz  prangende  Blüte  ent- 
sprach, wie  die  Tulpe,  dem  türkischen  Geschmack;  der  prosaische 
Name  Rosskastanie  soll  Ton  der  türkischen  Gewohnheit  stammen  den 
Hasten  der  Pferde  mit  der  Frucht  des  Baumes  zu  curiren. 


Der  Kirschbaum. 

(prunus  ceroBW  L.^ 

Das6  die  Kirschen,  die  Lust  der  Knaben  und  der  Vögel,  von 
dem  reichen  Lucullus,  dem  Sieger  über  Mithridates,  nach  Europa 
gebracht  worden,  das  weiss  auch  jeder  Knabe  aus  der  römischen  Ge- 
schichte, obgleich  ihm  yor  dem  vollen  Korbe  mit  den  süssen  rothen 
Beeren  die  Sache  so  gleichgültig  ist,  wie  dem  naschenden  Sperling 
aof  dem  Baum.  In  der  That  melden  von  Plinius  an  verschiedene 
Gewährsmanner,  dass  nach  Zerstörung  der  Stadt  Cerasus,  die  an  der 
pontischen  Küste  zwischen  Sinope  und  Trapezunt  lag,  der  römische 
Feldherr,  L.  Lucullus,  aus  der  Umgegend  derselben  den  Kirschbaum 
nach  Italien  verpflanzt  habe  —  jedenfalls  eine  kostbarere  und  länger 
dauernde  Kriegsbeute,  als  das  sechs  Fuss  hohe  goldeue  Kolossalbild 
des  Mithridates  und  der  gemmenbesetzte  Schild  und  die  vielen  gol- 
denen und  silbernen  Gefässe^  mit  denen  Lucullus  seineu  Triumph 
zierte.  Wo  Plinius  seine  Angabe  her  hat,  wissen  wir  nicht;  Plutarch 
im  Leben  des  Lucullus,  der  doch  eine  Meuge  Einzelheiten  gesammelt 
hat,  schweigt  über  die  durch  seinen  Helden  geschehene  Einführung 
einer  neuen  Obstgattung.  Indessen  stimmt  mit  der  Nachricht  des 
Erstem  gut  überein,  dass  die  Kirsche  bei  Cato  ganz  fehlt,  bei  Varro 
nor  einmal  genannt  wird  und  bei  den  Spätem  häufig  ist.  Eine 
völlig  neue  Entdeckung  war  die  Frucht  freilich  auch  zu  Lucullus 
Zeit  nicht.  Erstens  wird  bei  Athenäus  2,  p.  51  eine  Stelle  aus  den 
Schriften  des  -Diphilus  von  Siphnus,  eines  Zeitgenossen  des  Königs 
Lysimachns,  dessen  Reich  sich  auch  über  Yorderasien  erstreckte, 
angeführt,   in   der   die   diätetischen  Eigenschaften  der  Kirschen,   tct 


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326  ^^^  Kirschbaum. 

xegaaia^  erörtert  werden,  mit  dem  Beifögen,  die  rötheren  und  die 
milesischen  verdienten  den  Yorzug.  Zweitens  besass  auch  Italien 
einen  einheimischen  Verwandten  des  Baumes,  prunus  avium  Z/.,  der 
bei  den  Alten  Ton  dem  Comelkirschenbaum,  comus  maacula  L.,  nicht 
unterschieden  wird,  dessen  Früchte  aber  in  Europa  bisher  nicht  ver- 
edelt waren  und  sich  dort  vielleicht  auch  nicht  veredeln  liessen. 
Daher  Servius  ad  Yerg.  G.  2,  18  ganz  richtig  bemerkt:  hoc  caUem 
eüam  ante  Lucuüum  erat  in  Italia,  sed  durwm^  et  comum  appellabatur. 
Diese  wilde  Süsskirsche,  zusammen  mit  der  Komellenkirsche  und 
dem  Hartriegel,  wird  bei  Theophrast  h.  pl.  3,  12  unter  dem  Namen 
der  männlichen  und  weiblichen  xQaveia  beschrieben:  die  männUche 
hat  sehr  hartes  Holz,  die  weibliche  weicheres;  die  Bewohner  des 
troischen  Idagebirges  sagen  7on  der  weiblichen,  sie  trage  Fracht; 
diese  letztere  ist  essbar,  säss  und  duftend;  die  Macedonier  da- 
gegen behaupten^  beide  Geschlechter  seien  fruchttragend,  die  weib- 
liche Frucht  aber  nicht  essbar.  Solche  auf  kleinasiatischem  Boden 
am  Idagebirge  und  bei  Milet  zur  Zeit  des  Königs  Lysimachus  bereits 
veredelte  Süsskirschen  mögen  auch  die  xegaaia  desDiphilusSiphnius, — 
diejenigen  aber,  die  Lucullus  im  Reiche  Pontus  kennen  lernte  und 
mit  denen  er  Italien  beschenkte,  eine  edlere,  grössere,  saftreichere 
Art  Sauerkirsche  gewesen  sein.  Beide  Hauptarten  wurden,  nachdem 
diese  Frucht  einmal  bekannt  und  beliebt  geworden,  rasch  vermehrt, 
aus  Asien,  das  sich  bald  darauf  völlig  aufschloss,  vielfach  bezogen, 
auf  die  einheimischen  wilden  Bäume  gepfropft  und  eine  Menge  Varie- 
täten, darunter  die  allerköstlichsten  und  feinsten,  erzeugt.  Ein  be- 
sonderer Vorzug  der  Kirsche  war  es,  dass  sie  so  fruhe^  schon  mitten 
im  Sommer,  reifte  und  in  der  heissen  Zeit  ihren  erfrischenden  Saft 
spendete,  wenn  die  übrigen  Früchte  noch  im  Rückstande  waren.  Als 
aus  dem  Pontus,  einer  Gegend  mit  harten  Wintern,  stammend  und 
in  gemeinem  Arten  sogar  im  südlichen  Europa  einheimisch,  konnte 
dieser  Fruchtbaum  auch  durch  das  ganze  mittlere  Europa,  bis  in  den 
Norden  des  Welttheils  hinein,  weiter  wandern.  Wirklich  war  die 
Kirsche  zu  Plinius  Zeit,  hundert  zwanzig  Jahr,  nachdem  sie  zuerst 
in  Italien  erschienen^  schon  über  den  Ocean  nach  Britannien  gegangen 
(Plin.  15,  102);  sie  wuchs  an  den  Ufern  des  Rheins;  in  Belgien  gab 
man  der  nach  Lusitanien  benannten  Sorte  den  Vorzug,  in  welchem 
letzteren  Lande  sie  also  gleichfalls  vorkam  und  schon  eine  eigene 
Spielart  gebildet  hatte.  Ja,  in  den  Alpen  und  jenseits  der  Alpen 
in  den  ehemaligen  Barbarenländem  trägt  der  Baum  aromatischere 
Früchte,    als  an  den  Gestaden  des  Mittelmeers,    wo  ihm   unter  Ein- 

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Der  Einchbaiun.  327 

wirkniig  der  See  das  Elima  zu  gleichmässig  milde  ist,  Plin.  104: 
ßeptentrione  frigidüque  gaudet.  Tyrol,  die  Schweiz,  der  Oberrhein 
sind  jetzt  ein  reicher  Eirschenbezirk,  in  welchem  es  dem  Baume  be- 
sonders wohl  ist.  Wie  in  der  Schweiz  aas  dem  Ueberfloss  dieser 
Ernte  das  bekannte  Eirschwasser  destillirt  wird,  so  in  Dalmatien, 
Triest,  Venedig  aas  der  marasca  d.  h.  der  Saaerkirsche  der  marc^ 
9ckino  rosoUo^  der  an  Feinheit  seine  angarisch-serbische  Nachbarin, 
die  Pflaamen-SliYOvica,  übertrifft. 

Entsprechend  den  beiden  earopäischen  Haaptarten  der  Eirsche, 
der  süssen  and  der  saaero,  gehen  darch  die  europäischen  Sprachen 
zwei  Hauptnamen  für  diese  Frucht.  Das  lateinische  cerams,  grie- 
chische xigaaog^  x8Qaa6c^  ist,  wie  zuerst  Casaabonus  einsah,  nicht 
Ton  der  sinopischen  Eolonie  Kagaootg  hergenommen,  sondern  die 
Stadt  Tieimehr  nach  dem  Namen  des  dort  wachsenden  Baumes  be- 
nannt Kigaaog  scheint  nur  die  kleinasiatische  Form  für  das  eigent- 
Kch  griechische  xgdvBia  (schon  homerisch),  lat.  comusy  welche  Wörter 
niit  xeQag  nnd  comu  genau  verwandt  sind  und  den  Baum  nach  der 
homartigen  Härte  des  Holzes,  die  es  zu  Wurfspeeren  besonders  ge- 
eignet machte,  bezeichnen.  Man  beachte  die  Schilderung  des  Theo- 
phrast,  h.  pl.  3,  12,  1:  „das  Holz  der  xQavsia  ist  ohne  Mark  und 
ganz  fest,  an  Dichtigkeit  und  Stärke  dem  Home  ähnlich;  das  der 
weiblichen  xQavsia  aber  hat  ein  inneres  Mark  und  ist  weicher  und 
ausgehöhlt  und  taugt  daher  nicht  zu  Speejren.^  Im  homerischen 
Hymnus  an  den  Hermes  460  erhält  der  Speer  das  Prädikat  xQaviiov, 
ja  fj  KQavBia  hiess  später  ohne  Weiteres  die  Lanze.  (Da  merkwür- 
diger Weise  auch  im  Litauischen  ragötine  der  Speer  von  rdgas  Hörn 
abgeleitet  ist,  so  muss  der  Speer  aus  dem  Hombaum  oder  dem 
Hartriegel  eine  sehr  alte  europäische  Waffe  sein.  Auch  der  deutsche 
Homung;  lit  raguttis^  ist  nach  der  in  diesem  Monat  festgefrorenen 
Erde  so  benannt).  Theophrast  kennt  auch  den  Namen  xegaoog^  h. 
pL  3,  13;  4,  15,  1;  9, 1,  2;  aber  aus  seiner  Beschreibung  geht  hervor, 
dass  er  einen  Waldbaum  meinte,  dessen  Bast  zu  Stricken  verwendet, 
dessen  bohnengrosse  rothe  Früchte  mit  weichem  Kern  aber,  wie  es 
scheint,  nicht  essbar  waren.  Bei  den  Griechen  am  Pontus  hiess  die 
edle  Eirsche,  die  ja  gleichfalls  ein  Baum  mit  rothen  B'rüchten  war, 
niqaaog^  und  von  da  ging  der  Name  mit  dem  Baume  nach  Italien 
über,  von  Italien  ins  transalpinische  Europa.  Die  romanischen 
Sprachen  bildeten  ihr  Wort,  wie  gewöhnlich,  aus  dem  Adjectiv  ceraseus 
(die  Formen  bei  Diez,  1,  129);  das  deutsche  Eirsche  ist  nicht  aus 
dem  Romanischen,    sondern    unmittelbar   aus    dem  Lateinischen   ge- 


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328  Arbntas.    Medica.    Cytigas. 

nommen,  folglich  zur  Zeit  der  Yölkerwanderang  oder  bald  nachher; 
das  slavische  irjemja  wurde  seit  der  Einwaoderang  der  Slayen  in 
das  Donaugebiet  aus  dem  Deutschen  entlehnt  (wie  auch  das  ans 
dem  deutschen  Pluralzeichen  entstandene  n  lehrt  —  gleich  dem  deut- 
schen Femininum  aus  dem  lat.  cerasay  Wackemagel,  Umdeutschung, 
S.  42),  das  magyarische  tseresznye  wieder  aus  dem  Slavischen;  das 
byzantinische  x^paaog  ging  in  das  Türkische,  Persische,  Kurdische 
u.  s.  w.  über.  —  Dunkler  ist  die  Herkunft  des  andern  durch  ganz 
Europa  verbreiteten  Namens  der  Kirsche,  besonders  der  sauren: 
ital.  visciolüy  altfranz.  guüne^  jetzt  guigne^  span.  guinda;  deutsdi 
Weichsel,  ahd.  tmksela;  slav.  vUnja^  vünt^  lit.  vysznoy  neugr.  ßiaipfop, 
ßiaivov  (auch  walachisch,  albanesisch,  türkisch)  —  lauter  Formen 
desselben  Wortes,  ohne  regelmässige  Lautvertretung.  Liesse  sich 
irgend  ein  BegrifGszusammenhang  zwischen  den  Kirschen  und  den 
Beeren  der  Mistel  aufweisen,  oder  vielmehr,  —  da  ein  solcher  wohl 
herzustellen  wäre  — ,  versicherte  uns  irgend  ein  Factum,  dass  er  reell 
geltend  geworden,  so  wäre  nicht  bloss  durch  das  griech.  l^og  (mit 
Digamma),  lat.  viscus^  vtscumy  eine  Erklärung  des  Wortes  gefunden, 
sondern  auch  die  naturgemässe  Herkunft  der  Frucht  aus  Italien  durch 
den  Namen  bestätigt  Will  man  das  deutsche  Wort  an  die  Spitze 
stellen,  wozu  der  franzosische  und  spanische  Anlaut  gu  einladet,  so 
ist  zunächst  der  inlautende  Ghittural  als  jüngeres  Element  zu  ent- 
fernen: er  fand  sich  vor  sl^  wie  im  Flussnamen  Weichsel  (VüUda, 
Vkulüy  slav.  Visld)  ein,  während  im  niederdeutschen  Wispelbaum 
(Vogelkirsche,  Bremisches  Wörterb.)  durch  Einfügung  eines  p  ein 
deutscher  Klang  hervorgebracht  wurde  ^®):  In  einem  Fragment  des 
Komikers  Amphis  wird  die  Frucht  der  xgaveia  oder  des  Comel- 
kirschenbaumes  fiianilov  genannt,  Mein.  ft.  com.  gr.  3,  318: 
6  avxafiivog  avxdfiiv^  ^Q^Q^  g>0Q€iy 
6  ngivog  axvXovg,  6  xofiagog  fitfiaixvla^ 
xgaveia  fiianiXa. 
Wir  wissen  nicht,  ob  dies  auf  eine  Spur  führen  kann. 


Arbutus.   Medica.   Cytisus. 

Dem  heissen,    gebirgigen  Süden  sind  die  blumenreichen  Wiesen 
des  Nordens    und    die  grünen  Matten    der  Hochalpen   versagt:   ihre 

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Arbutns.    Medica.    Cytisns.  329 

Stelle  Yertritt  die  immergrüne  Strauchvegetation,  die,  nachdem  der 
Wald  längst  der  Eultor  gewichen,  die  Verberge,  die  felsigen  Küsten, 
die  Rander  der  Schlachten  and  Wasserrinnen  bekleidet.  Von  einem 
der  schönsten  Bäumchen  dieser  Region,  dem  fjrdbeerbaum^  arbutua 
unedo  L^  wissen  wir  nicht,  ob  er  immer  da  gewesen  oder  mit  den 
Mensdien  von  Südosten  her  eingewandert.  Mit  lorbeerartigen  Blättern, 
den  Erdbeeren  ähnlichen,  erst  grünen,  dann  allmählig  gelb  and  roth 
sich  färbenden  Früchten,  die  er  wie  der  Citronenbaum  gleichzeitig 
mit  den  Blüten  an  seinen  Zweigen  trägt,  mit  ewig  sich  emeuemdem 
Laabe,  dessen  gleichmässiges  Schwinden  und  Spriessen  schon  Theo- 
phrast  h.  pl.  1,  9,  3  richtig  beobachtet  hat,  —  geht  der  Baum  über 
das  mittlere  Italien  nicht  gern  nach  Norden  hinaus,  entwickelt  aber, 
wie  Juba  bei  Plinius  15,  99  übertreibend  behauptet,  in  Arabien  einen 
Wuchs  von  50  Ellen.  Varro  indess  2, 1,  4  rechnet  die  Arbutusfrucht, 
wie  Eicheln,  Brombeeren  und  poma  (Aepfel  oder  Beeren),  zu  den 
Nahrungsmitteln  der  Urwelt,  also  zu  den  Früchten,  die  die  jungfräu- 
liche Erde  selbst  darbot:  qucie  inviolata  ultra  ferret  terra^  und  die 
folglich  nicht  erst  die  Kultur  erzogen  und  verbreitet  hat.  Und  eben 
80  thut  Ovid  in  der  oben  S.  324  aus  dem  ersten  Buch  der  Metamor- 
phosen angeführten  Stelle.  Jetzt  gilt  die  Frucht  sowohl  in  Griechen- 
land als  in  Italien  für  ungesund  und  betäubend,  und  man  überlässt 
sie  den  Yögeln,  für  die  sie  den  gesuchtesten  Leckerbissen  bildet; 
dies  populäre  Yorurtheil  theilten  schon  die  Spätem  unter  den  Alten, 
80  bereits  Dioscorides  1,  175.  Theophrast  (s.  unten)  nennt  sie  ohne 
Vorbehalt  essbar;  nach  Galen,  de  alim.  fac.  2,  38  pflegten  Landleute 
sie  zu  gemessen:  tä  fiifiaixvXa  sad-iovai  avvrii^(aq  oi  xaza  zovg 
aygohg^  und  heut  zu  Tage  ist  sie  von  Nordländern  oft  ohne  Schaden 
gegessen  worden  (z.  B.  Fetter,  Dalmatien,  Gotha  1857,  1,  S.  76: 
»idi  habe  mit  meiner  Familie  die  schönen  rothen  Beeren  des  Erd- 
beerbaumes oft  genossen,  mit  Wein,  Zucker  und  Zimmt  zubereitet, 
wie  man  es  in  meiner  Heimath  mit  den  Erdbeeren  machte  aber  keine 
betäubenden  Eigenschaften  wahrgenommen^).  —  Die  Verschiedenheit 
der  Benennung  bei  Griechen  und  Römern  erlaubt  übrigens  den  Schluss, 
dass  in  dem  Lande^  wo  der  griechische  und  der  italische  Urstamm 
sich  trennten,  um  verschiedene  Wanderrichtungen  einzuschlagen,  der 
Erdbeerbaum  nicht  wuchs.  Das  lateinische  arbutus,  arbutmn  schliesst 
sich  sichtlich  an  a/rboe^  a/rbustum  an ;  das  griechische  xofiagog  erklärt 
Benfey  durch  gewunden,  kriechend,  was  aber  zu  der  Natur  des 
Baumes  nicht  passt;  nach  Fick^  33  wäre  es  ein  uralter  indoeuro- 
päischer Pflanzenname.     Der  Name  der  Frucht  fiifAaixvlov  (mit  Ya- 

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330  Arbutas.    Medica.    Cytisus. 

rianten  der  Schreibart)  kommt  zuerst  bei  Aristophanes  vor,  Athen. 
2.  p.  50  (nach  Meinekes  Correctur): 
iv  toig  ÖQBOiv  d'  avTOfidz^  avrälg  jct  ^tfiaixvX*  iq>v€To  nolla^ 
dann  aach  bei  Theophr.  h.  pl.  3,  16,  4:  17  de  xofnaQog^  1}  ro  /ue- 
fiaixvlov  (fiqovaa  %6  idtidi/nov  —  nach  Benfey  1,  219  eine  Zusammen- 
setzang  von  juifii-  mit  axvlog  die  essbare  Eichel.  Wir  deuten  lieber 
Winterfrucht  (fiaifidaao}^  fiaifidxtijgy  fiaifiaxmjgia)^  Lucret 
5,  940: 

quae  nunc  hiberno  tempore  cemis 
Arbuta  puniceo  fieri  matura  colore. 

Auch  arhutus  andrachne  Z/.,    avdqdxkri^   war   den  Alten  bekannt  — 
wohl  so  viel  als  der  Strauch,  der  eine  gute  Eohle^  av^gaE^  giebt. 

In  jenen  immergrünen  saltus  fand  die  Heerde  des  Ackerbauers 
zur  Noth  eine  genügende  Nahrung;  da  dieselben  aber  nicht  überall 
nahe  lagen,  mnssten  die  Alten  darauf  verfallen,  das  Laub  der  im 
Garten  gepflanzten  Bäume  abzustreifen  und  neben  der  theuren  Eom- 
und  Mehlnahrung  zur  Fütterung  der  Hausthiere  zu  verwenden.  Esel 
und  Ziegen  hatten,  so  zu  sagen,  Anleitung  dazu  gegeben;  der  Esel 
verzehrte  Alles,  was  abseits  wuchs,  es  mochte  noch  so  stachlicht, 
hart  und  klebrig  sein,  und  die  Ziege  ging  mit  Vorliebe  den  jungen 
Blättern  der  Sträucher  und  Bäumchen  nach.  So  wurden  die  Zweige, 
die  bei  Schneitelung  des  Oelbaumes  und  des  Weinstocks  abfielen, 
denXhieren  vorgeworfen  und  im  Herbste  das  welke  Laub  gesammelt 
und  zum  Unterhalt  des  Viehes  benutzt  Da  dies  nicht  ausreichte, 
so  erfolgte  der  weitere  Schritt,  die  Ränder  der  Aecker  und  die 
Gräben  und  Wege  einfach  und  doppelt  mit  Reihen  von  Bäumen  za 
bepflanzen^  die  zugleich  Holz  zur  Feuerung  und  zu  ländlichen  Werk- 
zeugen und  ihr  Laub  zur  Nahrung  des  Viehes  und  zur  Streu  ab- 
gaben. So  führte  die  südliche  Form  des  Ackerbaus  zu  Laub- 
fütterung und  Forstgärtnerei.  Schon  Cato  30  ertheilt  die  dem 
Ohr  des  nordischen  Landwirthes  seltsam  klingende  Vorschrift:  Gieb 
dem  Ochsen  Laub  von  Ulmen,  Pappeln,  Eichen  und  Feigenbäumen, 
so  lange  du  davon  hast;  den  Schafen  gieb  grünes  Baumlaub,  so  lange 
du  solches  hast  u.  s.  w.,  und  54,  2  wiederholt  er:  Hast  du  kein 
Heu,  so  gieb  dem  Ochsen  Eichen-  und  Epheublätter.  Auch  bei  den 
spätem  landwirthschaftlichen  Schriftstellern  wird  diese  Art  Füttenmg 
so  ofi  erwähnt  und  vorausgesetzt,  dass  sich  an  ihrer  Allgemeinheit 
nicht  zweifeln  lässt.  An  diesem  Punkte  sehen  wir  besonders  deutlich^ 
vrie  sehr  die  sudlich-antike  Bodenwirthschaft  von  der  neuem  in  nor- 
dischen Breiten  sich  unterschied  und  noch  unterscheidet;  die  letztere, 

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Arbutos.    Medioa.    Cjüsiis.  331 

die  grösseren  Raum  hat,  nimmt  die  Gaben  aus  der  Hand  der  Natur 
mehr  direct  entgegen,  die  erstere  verdankt  Alles  sich  selbst  und 
lebt  wie  in  einer  zweiten^  selbstgeschaffenen  Welt,  Yon  der  aus  ge* 
sehen  die  rohe  Natur  in  unabsehbar  weiter  Feme  liegt.  Auch  die 
Alten  aber  mussten  bemerken,  dass  nicht  jedes  Baumlaub  geeignet 
war,  den  Pflugstier  kräftig,  das  Schlachtvieh  fett,  die  Milchkuh  er- 
giebig zu  machen,  und  dies  gab  Anlass,  Futterpflanzen,  die  diesem 
Zwecke  besser  entsprachen,  aus  dem  Orient  einzufahren.  Eine  solche 
Erwerbung  waren  die  medica  oder  Luzerne  und  der  cytisus^  die  Cato 
beide  noch  nicht  kennt,  Varro  aber  erwähnt  und  die  also  in  der 
Zwischenzeit  von  der  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Chr.  bis 
nach  der  Mitte  des  ersten  Jahrhunderts  in  Italien  verbreitet  wurden. 
Die  fii]dixTJ  noa  oder  firjöixrj^  lat.  medica^  medicago  sativa  L.,  stammte, 
wie  der  Name  sagt,  aus  Medien,  aus  den  wohlbewässerten,  mit 
üppigem  Pflanzenwuchs  und  saftigen  Triften  gesegneten  Landschaftien 
südöstlich  vom  Kaukasus,  vnö  talg  Kaanloig  nvXaig^  die  Strabo 
ais  so  reizend  schildert  und  denen  er  ausdrücklich  die  gepriesene 
Staude  zuweist,  11, 13,  7:  xal  rrv  ßotdvrp^  de  %^v  (läXiata  TQiq>ovaav 
%ovg  tnnovg  äno  tov  nXeovd^eiv  ivrav&a  idlwg  Mijdixi^v  xaXovfisv, 
Besonders  den  Pferden  sollte  ihr  Genuss  zuträglich  sein,  und  den 
Rosse  züchtenden  und  dasRoss  verehrenden  Persern  wird  denn  auch 
ihre  Verbreitung  zugeschrieben,  in  genauerer  Angabe  den  Kriegs- 
zfigen  des  Königs  Darius,  Plin.  18, 144:  Medica  externa  etiam  Graeciae 
esty  ut  a  Media  advecta  per  hella  Persarum  quae  Darius  intulit 
Eine  schöne  Bestätigung  dieser  Nachrichten  giebt  der  Name  des 
Lozemerklees  bei  den  Persem  aspesty  wörtlich  so  viel  als  Pferdefutter 
(Nöldeke  in  ZDMG.  32,  408),  so  wie  die  hohe  Steuer,  die  der  sasa- 
nidische  König  Chosroes  I.  (Chosrau,  um  die  Mitte  des  6.  christ- 
Kchen  Jahrhunderts)  auf  die  Kultur  dieser  Pflanze  legte  (Nöldeke, 
Geschichte  der  Perser  und  Araber  zur  Zeit  der  Sasaniden,  aus  der 
arabischen  Chronik  desTabari  übersetzt,  Leyden  1879,  S.  244  Anm.: 
„bei  der  fiskalischen  Behandlung  der  Luzerne  muss  man  sich  die 
ungeheure  Bedeutung  der  Pferdezucht  im  eigentlichen  Iran  ver- 
gegenwärtigen.") Unter  den  griechischen  Schriftstellern  erscheint  die 
Lazeme  zuerst  bei  Aristophanes  und  zwar  gleichfalls  als  Pferdefutter, 
Eq.  606:  tjOx^iov  di  (ol  Vnnoi)  xovg  nayovgovg  avzi  nolag  fiTjöixrjg. 
Aristoteles  erwähnt  sie  wiederholt,  aber  in  Betreff  ihres  Nutzens  in 
ziemUch  abfUliger  Weise :  zwar  sollte  sie  den  Bienen  zuträglich  sein, 
hist  anim.  9^  40:  q)UT€veiv  de  avfiq>iQ€i  neQi  tä  ö^t^vti  ....  noav 
Mridixiji\    aber  ihr  erster  Schnitt  ist  untauglich,    8,  8:    rrjg  di  noag 

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332  Arbntas.    Medica.    Cjtisas. 

T^g  Mfjdtx^g  ij  TtQwtoxovQog  g>avXrj^   und  sie   entzieht  den  Thieren 
die  Milch,    besonders    den  Wiederkäuern,    3,  21 :    ttjq   di  TQoq>^g  f 
fiiv  aßiwvai  to  yaXa^  xai   fxakiata  %oig  (nrjQvxa^ovaiy.    In  Italien 
war  das  Urtheil   in  so  fem  ein  anderes,    als   wenigstens   die  Schafe 
durch  Futterung   mit  der  Medica   reicheren  Ertrag   an  Milch  geben 
sollten,   Yarr.  2,  2,  19:   maxime   amicum  cyimtm   et  medica,   nam  et 
pingues  facit  facüUme  (oves)  et  genit  lac.     Im  folgenden  Jahrhundert 
ist  Columella   über   diese    Futterpflanze   des    Lobes    voll,    2,  10,  25: 
ex  iü   (pcJnäorum  generibus),   quae  pldcet^    eximxa   est  herba  Medica, 
quod  cum  semel  serituVy   decem  annis  durat;   quod  per   annum   demde 
rede  quater^    interdum  etiam  sexies   demetitur;   quod   agrum  stercarat; 
quod  omne   emaciatum   amnentum  ex  ea   pinguescit;    quod   aegrotanti 
pecori  remedium  est;  quod  jugeru/m  ejus  toto  armo  tribus  equis  abunde 
suffidt     Da  sie  also  perennirend  ist,  bis  zu  sechs  Mal  im  Jahre  ge- 
mäht werden  kann,    den  Acker  nicht  erschöpft,   sondern    befruchtet, 
das  gesunde  Vieh  fett  macht,  das  kranke  heilt  und  von  einem  Morgen 
Medica  drei  Pferde  das  ganze  Jahr   erhalten  werden  können  —  wie 
sollte  sie  nicht  eifrig   angebaut  worden  sein,    besonders  in    den  Ter- 
brannten,  im  Sommer  wasserlosen  Gebirgsgegenden,  wo  noch  f6r  dsB 
kletternde  Schaf,  nicht  aber  für  das  Pferd  und  den  Ochsen  genügende 
frische  Nahrung    sich  feuid.     Die  Staude,    die,    weil  sie  die  Wurzeln 
sehr  tief  treibt,    die  Trockenheit  nicht  scheut,   wird  auch  jetzt  noch 
in  Italien  angebaut,  doch  viel  seltener,  als  im  Alterthum;  die  Namen, 
die  ihr  ausser   medica  je   nach    den  Landschaften   gegeben    werden, 
erba  spagnay  ßeno  d^üngheria^  scheinen  auf  eine  abermalige  Einführung 
in  neuerer  Zeit   zu  deuten.     Das  spanische   mielga  ist  nur  eine  Ent- 
stellung aus  medica,  das  gleichfalls  spanische  cdfalfa  stammt  aus  dem 
Arabischen,  ist  aber  vielleicht  eine  andere  Pflanze.    Das  französische 
luzeme^  das  auch  in  die  deutsche  Sprache  übergegangen  ist,  proven- 
^alische    lauzerdo   ist    etjrmologisch    dunkel,    denn    die  Herkunft  aus 
dem  Schweizer  Kanton  Lucem  oder   dem  piemontesischen  Oertchen 
und  Flüsschen  Luzema  oder  Ijuseme  wird,  so  viel  wir  wissen,  dorch 
kein  historisches  Zeugniss  belegt.     Der,  wie  es  scheint,   von  Belgien 
ausgegangene    Kleebau    mag    in    Nordeuropa    der    medicago    satica 
hinderlich  gewesen  sein.  —  Der  cytisus^  Medicago  arborea  Z/.,  ist  ein 
Strauch,    dessen  Laub    als   den  Hausthieren   erwönscht  und  heilsam 
von  Dichtem   und   technischen  Schriftstellern    des   Alterthums  ein- 
stimmig gepriesen  wird.    Wie  der  Maulbeerbaum  in  den  Seidebeziiken 
und  der  Tbeestrauch  in  China,  ward  er  nur  seiner  Blätter  wegen  g^ 
baut   und    musste   sich   gefallen  lassen,    derselben   in   regelmässigen 

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Arbntns.    Medica.    Cjtistis.  33S 

Fristen  grausam  beraabt  za  werden.  Man  köpfte  ihn  und  zog  ihn 
niedrig  und  benatzte  also  vorzugsweise  den  inuner  erneuten  Stock* 
aosschlag.  Nicht  bloss  dem  eigentlichen  Yieh,  auch  den  Hdhnem 
and  Bienen  war  er  zuträglich  und  die  specifische  Wirkung  auf  Ver- 
mehrung der  Milch  so  augenfällig,  dass  selbst  säugenden  mensch- 
lichen Müttern  ein  Decoct  aus  Cytisusblättem  mit  Wein  eingegeben 
and  das  Kind  dadurch  gestärkt  und  sein  Wuchs  befördert  wurde. 
Acht  Monat  lieferte  der  Baum  den  Thieren  grünes  Futter,  den  Rest 
des  Jahres  noch  gute  Nahrung  in  getrockneter  Gestalt.  Dabei  sollte 
diese  Kultur  nur  geringe  Kosten  machen,  die  Pflanze  selbst  mit  dem 
magersten  Boden  sich  begnügen  und  gegen  alle  Witterung  und  die 
Unbilden  excessiven  Klimas  unempfindlich  sein.  So  etwa  drücken 
sich  Cohunella  5, 12  und  Plinius  13,  130  ff.  aus,  wobei  der  letztere 
noch  hinzusetzt,  es  sei  um  so  mehr  zu  verwundern,  dass  der  Cytisua 
in  Italien  nicht  noch  häufiger  sei.  Zu  allererst  sollte  der  Strauch  auf 
der  Insel  Kythnos,  einer  der  Cycladen,  aufgetreten,  von  dort  auf  die 
übrigen  Inseln,  dann  auf  das  griechische  Festland  und  nach  Italien 
übergegangen  sein.  Ob  er  auch  nach  Kythnos  von  anderswo  ge- 
kommen, darüber  fehlte  die  Nachricht;  in  wie  frühe  Zeit  die  erste 
Benutzung  und  die  Verbreitung  fiel,  wird  nicht  gemeldet.  Das  Wort 
•xvnaog  kommt  in  einer  der  pseudo-hippokrateischen  Schriften  (de 
vietus  ratione  2,  64.  T.  III,  p.  447  Emierim)  vor,  deren  Zeit  wir 
nicht  bestimmen  können,  dann  mit  Sicherheit  bei  den  komischen 
Dichtem  Cratinus  (in  dem  Fragment,  das  die  Blumen,  die  zu  Kränzen 
dienen,  aufzahlt)  und  Eupolis  (in  dem  berühmten  Ziegenchor).  Ari- 
stoteles und  Theophrast  nennen  den  Cytisus,  ein  Athener  Amphi- 
lochus  hatte  über  ihn  und  die  Medica  eine  eigene  Schrift  geschrieben 
(Plin.  18, 144  und  jetzt  auch  13, 130.  Schol.  Nie.  Ther.  617),  aber 
wann  er  lebte,  wissen  wir  nicht.  Wenn  auch  aus  Democritus  ein 
Ausspruch  über  den  Cytisus  angeführt  wird,  so  führt  dies  auf  kein 
höheres  Alter,  denn  die  landwirthschaftlichen  Schriften,  die  unter 
dem  Namen  des  berühmten  Philosophen  gingen,  waren  spätere  Fäl- 
schungen. Ob  nicht  die  Insel  Kythnos  durch  eine  Art  etymologischer 
Sage  zur  ersten  Heimat  dieses  Strauches  oder  seiner  Kultur  ge- 
worden ist?  Das  griechische  xvTioog  (lateinisch  auch  als  Neutrum 
cytmMUy  aus  dem  Accusativ  xvtioov)  sieht  wie  ein  einheimisches 
Wort  aus  und  mag  mit  x6%tvog  der  wilde  Oelbaum  und  lat.  cotirmSy 
rhm  cotinus  L.,  verwandt  sein;  es  könnte  auch  aus  einer  der  Sprachen 
oder  Mundarten  Kleinasiens  stammen,  etwa  wie  xigaaog  im  Yer- 
hältniss   zu    xgaveia    und   comua.    In    der   neuem   Landwirthschaft 

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334  Der  Oleander. 

spielt  der  Straucb,  so  viel  uds  bekannt  ist,  keine  Rolle  mehr,  bildet 
aber  eine  Zierpflanze  unserer  Gärten.  In  den  Lobsprücben,  die  ihm 
die  Römer  ertheilten,  darin  dem  Vorgang  der  Griechen  folgend, 
drückt  sich  wohl  nur  die  Freude  an  dem  neuerfundenen  Futterbau 
überhaupt  und  dessen  überraschend  wohlthätigem  und  nachhaltigem 
Einfluss  auf  das  Gedeihen  der  ganaen  Wirthschafi  aus. 


Der  Oleander. 

(nerium  oUander  L.) 

Der  Oleander  oder  Lorbeerrosenbaum  schmückt  jetzt  in  Griechen- 
land und  Italien  nicht  bloss  die  Gärten,  sondern  begleitet  auch  die 
Wege  und  die  trockenen  Betten  der  Flüsse  mit  seinen  rosenartigen, 
lieblich  duftenden  Blüten  und  dem  fablen  Glänze  seiner  länglichen 
immergrünen  Blätter.  Wie  so  manche  andere  Pflanze  dieser  Gegenden 
schwebt  er  mitten  inne  zwischen  dem  Kultur-  und  dem  wilden 
Stande  d.  h.  einmal  herübergebracht,  wusste  er  sich  selbst  zu  helfen 
und  nahm  den  Schein  eines  freien  Naturkindes  an.  So  fand  ihn 
schon  Plinius;  auf  den  ersten  Blick  mochte  er  das  Bäumchen  for 
eingeboren  in  Italien  halten,  aber  als  er  sich  auf  den  Namen  besann, 
der  ein  griechischer  ist,  rhododendron^  Rosenbaum,  oder  hododnphne, 
Rosenlorbeer,  erkannte  er  wohl,  dass  er  einen  Fremdling  zunächst 
aus  Griechenland  vor  sich  hatte,  16,79:  rhododendron^  ut  nomine  adr 
paret^  a  Graecis  venit;  alii  nerium  vocarunt,  aUi  rhododaphnen,  sempi- 
temum  fronde^  rosae  simüitudine^  caulibtis  fruficosum;  jumeni^  capm- 
qu£  et  ovibits  venenum  est^  idem  homini  contra  serpentium  venena  re- 
medio.  Auch  der  Zeitgenosse  des  Plinius,  der  Arzt  Dioscorides, 
kennt  und  beschreibt  den  Strauch  genau,  der  als  giftig  zugleich  einen 
wirksamen  Arzneistoff  und,  wie  der  eigentliche  Lorbeer  und  vorzüg- 
lich die  Raute,  ein  Heilmittel  gegen  Schlangenbiss  abgab,  4, 82: 
y^vijQiov^  oder  ^ododd(pvrj^  oder  ^odoÖBvdQOv,  Ein  bekannter  Strauch, 
der  längere  und  dickere  Blätter  hat,  als  der  Mandelbaum"  —  (folgt 
die  weitere  Beschreibung,  dann:)  „er  wächst  in  Paradiesen  und  in 
Ufergegenden  und  an  den  Flüssen;  seine  Blüten  und  Blätter  wirken 
schädlich  auf  Hunde  und  Esel  und  Maulthiere  und  die  meisten  Vier- 
füssler,  den  Menschen  aber  sind  sie,  mit  Wein  getrunken,  heilsam 
gegen  denBiss  vonXhieren,  besonders  wenn  man  Raute  hinzumengt; 
kleinere  Thiere  aber,  wie  Ziegen  und  Schafe,  sterben,  wenn  sie  einen 

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Der  Oleander..  335 

Anfgoss  davon  trinken.^  Dass  der  Oleander  den  Thieren  verderblich 
sei,  war  eine  allgemeine  Meinung,  die  noch  jetzt  herrscht.  Palladias 
1,35,9  erwähnt  selbst  eines  Mittels  die  Mäuse  damit  zu  vertilgen, 
indem  man  nämlich  deren  Gänge  und  Löcher  mit  Blättern  dieses 
Baumes  verstopft,  und  die  bei  Lucian  in  der  lächerlichen  Geschichte 
Tom  verwandelten  Esel,  der  hungrig  in  einen  Garten  bricht,  Asin.  17, 
ausgedrückte  Furcht  vor  den  dort  wachsenden  Oleandern  liegt  noch 
dem  heut  zu  Tage  in  Süditalien  gebräuchlichen  Namen  amazza 
fasmo,  Eselsmörder,  als  Yolksmeinung  zu  Grunde.  In  der  römischen 
Kaiserzeit  also  ist  der  Kosenlorbeer  bei  den  Äerzten  and  im  gemeinen 
Leben  so  häufig  und  bekannt,  wie  noch  jetzt.  Sehen  wir  uns  bei 
den  älteren  Griechen  um,  aus  deren  Sprache  die  Namen  desselben 
stammen,  so  treffen  wir  nirgends  eine  Spur  von  Bekanntschaft  mit 
dem  doch  so  auffalligen  Gewächse  an.  In  Theophrasts  beiden  bo- 
tanischen Werken  findet  sich  in  der  langen  Reihe  der  von  ihm  beob- 
achteten oder  auch  nur  vorübergehend  erwähnten  Pflanzen  keine,  die 
auf  den  Oleander  passte,  denn  der  auf  Lesbos  und  anderswo  wach- 
sende, sliivvfiog  genannte  Baum  h.  pl.  3,  18,  13,  der  zwar  auch  den 
Schafen  und  Ziegen  tödtlich  ist,  aber  Blüten  trägt  wie  das  weisse 
Veilchen,  die  nach  Mord,  qfovoVy  riechen  (was  Plinius  13,  118  über- 
setzt: festem  denuntians)^  ist  kein  anderer  als  Evonymics  latifolius^ 
der  Spindelbaum.  Eben  so  wenig  stossen  wir  bei  Aristoteles  oder 
einem  Komiker  oder  sonst  einem  der  früheren  Prosaiker  oder  Dichter 
anf  eine  dahin  zu  beziehende  Notiz.  Der  andere  griechische,  zuerst 
bei  Plinius  und  Dioscorides  auftretende  Name  viJQiov  könnte  uns 
Terführen,  der  Pflanze  dennoch  ein  hohes  Alterthum  in  Griechenland 
beizulegen;  schliesst  sich  derselbe  nämlich  an  das  tragische  vaQog^ 
ffjQog  fliessend,  an  Nereus,  den  Wassergott,  und  die  Nereiden,  die 
Göttinnen  des  feuchten  Elements,  und  sagt  er  also  soviel  als  Wasser- 
pflanze aus,  so  muss  er  jener  frühen  Periode  der  Sprachbildung  an- 
gehören, aus  der  diese  alterthümlichen  Wort-  und  Fabelzeugen  in 
die  jüngere  Welt  herabgestiegen  waren.  Allein,  wenn  der  Oleander 
es  auch  liebt,  die  Rinnen  der  Bäche  und  die  kiesigen  Schluchten,  in 
denen  sich  vorübergehend,  oft  nur  einige  Stunden  lang,  die  wilden 
Wasser  hinabstürzen,  von  beiden  Seiten  in  langen,  blühenden  Reihen 
zu  verfolgen,  so  ist  er  doch  keine  eigentliche  Wasserpflanze  und 
ersteigt  auch  die  Berge;  und  sollte  die  liebliche  Blume  mit  ihrem 
Mandelduft,  wenn  sie  schon  so  frühe  Griechenlands  Landschaften 
zierte,  oder  das  den  Ziegen  und  Eseln  todbringende  Laub  nirgends 
in  Literatur   und  Mythus    einen  Widerhall   gefunden    haben?    Von 

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336  Der  Oleander. 

einem  späten  Schriftsteller,  der  in  der  zweiten  Hälfte  des  ersten 
christlichen  Jahrhunderts  lebte  und  allerlei  Sagen,  persönliche  Vor- 
fälle nnd  wunderbare  Zöge  sammelte,  dem  Ptolemäns  Chennus  aus 
Alexandrien  (auszugsweise  erhalten  in  des  Photius  Bibliothek),  er- 
fahren wir,  eine  Rhododaphne  sei  auf  dem  Grabe  des  Amycus  ge- 
wachsen und  wer  davon  genoss,  sei  zum  Faustkampf  angeregt  worden 
(p.  148  b.  Bekk.).  Es  ist  derselbe  Amycus  und  dasselbe  Grab,  von 
denen  schon  früher  bei  dem  Lorbeer  die  Rede  gewesen.  Was  dort 
dem  Lorbeer  zugeschrieben  wurde,  die  Kraft  die  Sinne  zu  yerwirren 
und  zu  Streit  zu  verführen,  das  vnrd  hier  dem  Oleander  bei- 
gelegt; aber  wie  alt  ist  diese  Variante,  und  aus  welcher  trüben  Qaelle 
mag  Ptolemäus  sie  abgeleitet  haben?  —  Bei  all  dem  ist  nicht  on- 
wahrscheinUch,  dass  der  Baum  aus  Eleinasien  und  speziell  der  Pontus- 
gegend,  dem  Vaterland  der  Gifte  und  Gegengifte,  nach  Griechenland 
herüberwanderte.  Dort  lebten  z.  B.  die  Sanni,  ein  Volk,  dessen 
Honig  betäubende  Kraft  hatte:  man  sachte  die  Ursache  davon  in 
den  Blüten  der  Oleanderbüsche  von  denen  dort  alle  Wälder  voll 
waren^  Plin.  21^  23,  45:  almd  ffenua  in  eodem  PonU  aüUy  gente 
Sannortim,  meUis  quod  ab  insania  quam  gignit  maenomenon  vacant 
Id  existwmatur  contrahi  flore  rhododendri  quo  scatent  sävae;  gensqus 
eOy  cfwm  ceram  in  tributa  Romanis  praestenty  mel^  quomam  eaitiale  est, 
non  pendit^^).  Noch  jetzt  wuchert  der  Oleander  in  ganz  Kleinasien 
an  den  Bächen  und  auf  den  Bergen;  mehr  nach  Süden,  in  dem  Ge- 
biet der  semitischen  Race,  trägt  er  bei  den  Arabern  den  sichtlich 
aus  dem  griechischen  ddg>vrj  abgeleiteten  Namen  difleh,  defte^  difnoj 
ist  also  nicht  vor  der  Bekanntschaft  mit  den  Griechen  dort  eingefühlt 
worden. 

Nach  Allem  kann  der  Oleander  erst  in  der  Zeit  zwischen  Theo- 
phrast  und  etwa  den  letzten  Zeiten  der  römischen  Republik  nach 
Griechenland  gekommen  sein,  nach  Italien  entsprechend  später.  Die 
älteste  literarische  Erwähnung  wäre  die  in  dem  Vergilischen  Culex^ 
V.  402: 

Laurua  item  Phoebi  Jürgens  d€cus\  kic  rhododaphne  — , 
wenn  wir  sicher  sein  könnten,  dass  dieses  Gedicht  vrirklich  ein  Jugend- 
werk dessen  ist,  dem  es  zugeschrieben  ward®*).  Sehen  wir  davon 
ab,  so  erscheint  der  Name  zaerst  ein  Jahrhundert  später  bei  Scribonios 
Largus,  während  er  bei  Oelsus  noch  fehlt;  bald  darauf  ist  das  Ge- 
wächs, wie  schon  bemerkt.  Jedermann  in  Italien  bekannt:  zuerst 
war  es  in  den  Gärten  (Dioscorides:  iv  nagaöeiaaig)  der  Zierde  wegen 
angepflanzt  worden,    dann  verbreitete  es   sich  auch  im  freien  Lande 

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Die  Pistftsie.  337 

am  80  schneller^  als  Ziegen  und  Esel,  die  Feinde  aller  jungen  Bäom- 
diCD,  die  nichts  aafkonunen  za  lassen  pflegen,  es  verschonten,  und 
von  da  an  leuchten  die  hellrothen  Oleanderrosen,  Termischt  mit  den 
sanften  blaaen  Bl&ten  des  vitea  agnusy  wie  gewundene  röthliche  Band- 
streifen  an  beiden  Ufern  der  vom  Gebirge  herabkommenden  Wasser- 
rinnen  Südeuropas.  Das  Yolk  in  Italien  aber  yerwandelte  das  ihm 
schwierige  griechische  Wort  rhododendron^  anter  Anlehnung  an  lauruSj 
allmählig  in  das  heutige  oleandrOy  leandro^  das  in  allen  Sprachen  und 
auch  in  der  wissenschaftlichen  Botanik  gilt;  nur  die  Neugriechen  sagen 
gewöhnlich  nixQodaq>vri  oder  bittrer  Lorbeer. 


Die  Pistazie. 

(pistacia  vera  L.) 

Die  köstliche  Pistaziennuss,  die  auch  in  nordischen  Ländern  den 
Zuckerbäckern  und  Glaciers  zu  einem  ihrer  feinsten  Ligredienzen 
dient,  wächst  auf  einem  kleinen  Baume  mit  gewflrzhaft  duftenden 
Blättern  aus  der  Familie  der  Terebinthaceen.  Sie  gleicht  an  Grrösse 
einer  Haselnuss,  ist  länglich-dreikantig  gestaltet  und  schliesst  einen 
grünen,  enganliegenden,  mandelartigen  Kern  ein.  Das  Yaterland  des 
Baumes  ist  das  wärmere  Mittelasien,  sein  Name  scheint  persisch^'). 
Im  semitischen  Syrien  war  er,  wenn  die  Deutung  nicht  trügt,  frühe 
zur  Zeit  der  Erzväter,  und  dann  wieder  ganz  spät,  als  im  Abend- 
lande schon  die  römische  Republik  ins  Kaiserthum  umschlug,  wegen 
seiner  Fruchte  hochgeschätzt  Aber  da  die  älteren  Griechen  von 
Pistazien  nichts  wissen,  kann  der  Handel  dieselben  in  jener  früheren 
Zeit  noch  nicht  den  europäischen  Küsten  zugeführt  haben.  Erst 
nachdem  Alexander  der  Grosse  das  Herz  des  Welttheils  aufgeschlossen 
hatte,  taucht  von  dorther  die  erste  Kunde  von  dem  Baume  und  seinen 
Nüssen  auf,  die  die  Einen  der  Mandel,  die  Anderen  der  Pignole 
vergleichen,  tmd  erst  in  der  ersten  Hälfte  des  ersten  Jahrhunderts 
nach  Chr.,  wird  uns  berichtet,  brachte  ein  Römer  die  Pflanze  selbst 
ans  Syrien  nach  Italien  hinüber  xmd  gleichzeitig  ein  anderer  nach 
Spanien. 

Als  die  Brüder  Josephs,  von  der  Hungersnoth  gedrängt,  zum 
zweiten  Mal  nach  Aegypten  zogen,  nahmen  sie  kostbare  Geschenke 
mit)  den  Yezir  des  Pharao,  in  dem  sie  ihren  Bruder  nicht  vermutheten, 
damit  günstig  zu  stimmen.    Unter  den  erlesenen  Landesfrüchten,  die 

Tiet.  Hehn,  Koltnrpflansen.  22 

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338  ^^^  Pistazie. 

bei  dieser  Gelegenheit,  Genesis  43,  11,  aufgeführt  werden,  stehen 
neben  Mandeki  auch  batnim  d.  h.  nach  der  Uebersetzung  der  Septua- 
ginta,  der  Yulgata,  der  arabischen  und  syrischen:  Terebinthen- 
beeren;  da  diese  aber,  wenn  sie  auch  in  manchen  Gegenden  ge- 
gessen werden,  doch  in  keinem  Falle  zu  den  Leckerbissen  gehorten, 
die  des  Mitnehmens  und  Darbringens  werth  gewesen  wären,  so  suchte 
zuerst  Bochart  Geogr.  sacra  II,  1, 10  den  Beweis  zu  führen,  es  seien 
vielmehr  Pistazien  gemeint.  Olaus  Celsius  im  Hierobotanicon  1,  24 
stimmte  ihm  bei,  und  seitdem  scheint  die  Sache  ausgemacht  zu  sein. 
Ffin  Umstand  aber  bleibt  dabei  bedenklich:  dass  nämlich  seit  Jacobs 
und  Josephs  Zeiten  der  Baum  wie  verschollen  ist,  die  Griechen  ihn 
nicht  kennen  und  erst  Theophrast,  offenbar  in  Folge  von  Alezanders 
Zügen,  nicht  von  Syrien,  sondern  vonBaktrien  her  von  dieser 
neuen  wunderbaren  Art  Terebinthus  durch  Hörensagen  Kenntniss 
hat.  So  kann  man  sich  der  Yermuthung  nicht  erwehren,  ob  nicht 
erst  die  persische  oder  gar  erst  die  griechisch-syrische  Herrschaft 
den  Baum  in  die  Gegend  der  von  den  syrischen  Königen  neu  ge- 
gründeten Stadt  Beroea,  Berroea,  des  heutigen  Aleppo  (J.  Oppert, 
Expedition  scientif.  en  M^opotamie,  1.  p.  39)  gebracht  habe.  Die 
Stelle  des  Theophrast  lautet,  h.  pl.  4,  4,  7:  „Man  sagt  aber,  dass  es 
eine  Terebinthe  gebe  oder  nach  Andern  einen  der  Terebinthe  ähn- 
lichen Baum,  bei  dem  zwar  Blatt  und  Aeste  und  alles  Uebrige  tere- 
binthenartig  sei,  nur  die  Frucht  eine  andere,  denn  die  letztere  gleiche 
der  MandeL  Diese  Terebinthe  komme  in  Baktrien  vor  und  trage 
Nüsse  wie  die  Mandeln  und  diesen  an  Aussehen  ähnlich,  nur  dass 
die  Schale  nicht  rauh  sei,  an  Geschmack  aber  und  zum  Genasse 
weit  vorzüglicher  als  die  Mandeln,  daher  sie  auch  bei  den  Einge- 
borenen mehr  im  Gebrauch  seien"  (wiederholt  von  Plinius  12,  25). 
Die  Beschreibung  ist  richtig,  obgleich  sie  bloss  auf  einem  q)aai  fef- 
vai  ruht,  der  Name  aber  fehlt  noch.  Dieser  erscheint  erst  bei  Ni- 
cander  im  folgenden  Jahrhundert,  aber  die  Pflanze  wächst  auch  bei 
diesem  Dichter  noch  am  indischen  Strome  des  Ghoaspes,  des  Flusses 
von  Susa,  Theriac.  890 : 

Und  wie  viel  nur  dort  an  des  brausend  wilden  Ghoaspes 
Indischem  Strom  gleich  Mandeln  Pistazien  tragen  die  Aeste. 
Der  erste,  der  der  syrischen  Pistazien  erwähnt,  ist  dann,  wieder 
ein  Jahrhundert  später,  der  Stoiker  xmd  Geschichtschreiber  Posi- 
donius  aus  Apamea  in  Syrien,  also  ein  Eind  des  Landes  selbst^  bei 
Athen,  14.  p.  649:  „In  Arabien  und  Syrien  wächst  auch  die  Persea 
und  die  sogenannte  Pistazie  (ro  xalovfievoy  ßiaiaxwv,  also  ein  noch 

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Die  Pistazie.  339 

neaer  Name),  welche  eine  tranbenförmige  Fracht  trägt,  weissschalig 
imd  lang,  ähnlich  den  Tbränen  (roTg  daxQvoig  —  so  auch  bei 
Möller,  Fragm.  6;  die  frühem  Herausgeber  haben  hier  äfAvyddloig 
oder  xagvoig  vermuthet),  diese  sitzen  wie  die  Weinbeeren  über  ein- 
ander; innerlich  sind  sie  grüulich  und  stehen  den  Pinienkemen  an 
Geschmack  zwar  nach,  haben  aber  schöneren  Duft.^  Die  Späteren 
wissen  Alle,  dass  Syrien  und  namentlich  Aleppo  diese  Frucht  in 
höchster  Vollkommenheit  hervorbringt;  so  Dioscoridos  1, 177:  nioxaxia 
fcr  ßh  yevvwfieva  iv  2i}Qi(^j  Sfioia  azQoßiXoig^  evavofiaxa.  Plin. 
13,  51:  Syria  —  peculiarü  habet  arbores:  in  ntumm  genere  pütacia 
nota.  Galen,  de  simpl.  medic.  temperamentis  et  £acult.  8,  21  (Tom. 
12  Kühn.):  maraxiov,  ivJSvgiif  nleiaroy  yewaTaiTovvo  to  qpvroy. 
Idem  de  aliment  facult.  2,  30  (T.  6  Kühn.):  neQt  niaraxtayv.  Fev^ 
varai  xat  xcträ  trjv  /leydlTjvltiXs^avdQeiav  (der  Baum  war  also  schon 
nach  Aegypten  verpflanzt),  noXi/  nleio)  d^iv  BeQQoiff  Ttjg  Ivgiag. 
Nach  Europa  und  zwar  nach  Italien  versetzte  den  Baum  Vitellius, 
nach  Spanien  zu  derselben  Zeit  der  römische  Ritter  Flaccus  Pompejus, 
PUn.  15,  91 :  haec  autem  {pütadd)  idem  Vitellius  in  Italiam  primus 
intulit  mmulque  in  Hispaniam  Flaccus  Pompejtis  eques  Ramanm  qui 
cum  eo  miUtabat;  L.  Vitellius,  der  nachher  Censor  wurde,  war  zur 
Zeit  des  Kaisers  Tiberius  Legat  in  Syrien  gewesen  und  hatte  seine 
Anwesenheit  in  jener  Provinz  dazu  benutzt,  mancherlei  Gartenfrüchte 
von  dort  auf  sein  Landgut  bei  der  Stadt  Alba  zu  versetzen  —  wie 
Plinius  kurz  vorher  15,  83  berichtet  hatte.  Ob  die  Pistazien  am 
letztgenannten  Orte  gediehen,  wird  uns  nicht  gesagt;  da  aber  die 
Stadt  Alba  nicht  weit  vom  Fuciner  See,  dem  vor  Kurzem  abgelei- 
teten lago  die  Celano,  also  mitten  im  rauhen  marsischen  Gebirge 
liegt  (der  See  fror,  als  er  noch  bestand,  mitunter  zu)  und  es  noch 
heat  zu  Tage  der  Pistazie  in  Nord-  und  Mittelitalien  zu  kalt  ist,  so 
wird  wohl  auch  L.  Vitellius  an  diesem  Theil  seiner  Pflanzung  wenig 
Freude  gehabt,  haben.  In  Galabrien  und  Sicilien  liess  sich  der 
Baum  eher  naturalisiren;  dort  liefert  er  jetzt  Früchte  zur  Ausfuhr, 
die  indess  für  nicht  so  gewürzhaft  gelten,  wie  die  orientalischen.  Da 
die  Pistazie,  vrie  alle  Terebinthaceen,  eine  diöcische  Pflanze  ist,  so 
sichert  auch  bei  ihr,  vrie  bei  der  Dattelpalme,  die  Hand  des  Gärtners 
die  Befruchtung,  indem  er  die  Blütenrispe  des  männlichen  Baumes 
künstlich  mit  der  des  weiblichen  in  Berührung  bringt  Sehr  ge- 
wöhnlich ist  es,  den  gemeinen  Terpentinbaum  mit  einem  Pistazien- 
reis zu  veredeln.  Ob  die  sicilischen  Pistazien  übrigens  aus  der  Zeit 
des  L.  Vitellius  und  überhaupt  aus  der  Römerzeit  oder  erst  aus  der 

22* 

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340  Ber  Terpeatiiibaum. 

Epoche  der  arabischen  Herrschaft  stammen,  könnte  fraglich  scheinen, 
zamal  da  der  sicilische  Name  fastuca  dem  arabischen  gleicht,  wenn 
nicht  Palladius  in  seinen  Büchern  de  re  rustica  wiederholt  über 
Pflanzung  und  Kultur  der  Pistazien  Unterricht  gäbe.  Palladius  be- 
sasSy  wie  er  selbst  berichtet,  4,  10,  16,  Güter  in  Sardinien,  und  auf 
dieser  warmen  Insel  konnte  allerdings  der  zärtliche  medisch-syrische 
Baum  theilweise  seine  ursprüngliche  Heimat  wiederfinden.  Wäre 
der  Orient  nicht  im  Gartenbau,  wie  in  allem  Uebrigen,  so  tief  in 
Barbarei  versunken,  die  Pistazienzucht  könnte  dort  unter  Yölkem^  die 
dem  Sorbette  und  allen  Sfissigkeiten  leidenschaftlich  zugethan  sind, 
für  den  Pflanzer  gewinnreich  werden.  Noch  immer  ist  der  Pistazien- 
hain von  Aleppo  weit  und  breit  berühmt;  von  Persien  berichtet 
Polak  (Persien,  2,  S.  47):  „Pistazien  ziehen  ausschliesslich  die  Be- 
wohner von  Easwin  und  Damgan  und  zwar  in  unübertrefflicher 
Qualität.  9  Dort  also  ist  auch  der  erste  Ausgangspunkt  de^  Baumes 
zu  suchen. 

Zu  den  Charakterpflanzen  der  Mittelmeerflora  gehören  die  nahen 
und  entfernteren  Yerwandten  der  Pistazie:  pistacia  lentis cuSj  der 
sog.  Mastixbaum,  der  mehr  in  Form  von  immergrünen  G^büseben 
in  der  süditalischen  Eüstenregion  häufig  ist,  dort  aber  keinen  Mastix 
und  aus  seinen  Beeren  auch  nur  ein  herbes,  höchstens  zum  Brennen 
dienliches  Oel  giebt;  pistacia  terebinthus^  der  Terpentinbaum, 
der  in  Italien  oft  seine  Blätter  abwirft  und  nur  ganz  im  Süden  ids 
inmiergrüner  Strauch  auftritt,  in  Europa  keinen  Terpentin  liefert, 
auch  keine  essbaren  Beeren  trägt;  rhus  cotinus^  der  Perrüken- 
baum  (warum  er  so  heisst,  weiss  Jeder^  der  den  Baum  nach  der 
Blüte  und  die  einem  verwirrten  Haarschopf  ähnlichen  Rückstände 
derselben  gesehen  hat);  endlich  rhus  coriaria^  der  eigentliche  Sa- 
mach,  dessen  Blätter  in  getrocknetem  und  gepulvertem  Zustand  den 
vorzüglichsten  Gerbestoff  für  feine  farbige  Lederarbeiten  aus  Ziegen- 
feilen,  für  Saffian,  Corduan,  Maroquin  abgeben,  jetzt  in  Sicilien  all- 
gemein angebaut  und  einer  der  wichtigsten  Exportartikel  der  Insel. 

Ob  diese  Bäume  oder  Sträucher,  alle  balsamisch,  inunergrün, 
gerbstoffhaltig,  der  Schmuck  südlicher  Felsenufer,  von  Urbeginn  zu 
der  europäischen  Flora  gehört  haben  oder  gleich  der  Myrte  erst  an 
der  Hand  des  Menschen  von  Asien  eingewandert  und  dann  verwildert 
sind,  erscheint  zweifelhaft.  In  Europa  halten  sie  sich  an  dem  wannen 
südlichen  Rande  des  Welttheils  und  wagen  sich  nicht  weit  nach 
Norden,  wie  doch  acht  italienische  Gewächse  zu  thun  pflegen;  sie 
erscheinen  in  Strauchgestalt,  während  ihre  Brüder  in  Asien  zu  statt- 

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Der  Terpentinbanin.  341 

Heben  Bäumen  aufwachsen;  sie  liefern  kein  balsamisches  Harz,  keine 
essbaren  Früchte,  kein  duftendes  Oel,  oder  nur  in  dem  Masse,  als 
sie  sich  dem  wärmer^i  Asien  nähern;  zu  ihrer  EinfCLhmng  konnten 
ihre  medicinischen  Kräfte,  ihr  technischer  Nutzen,  der  aromatische 
Dnfl  und  Geschmack  ihres  Harzes  und  ihrer  Beeren,  endlich  auch 
religiöser  Wahn  das  Motiv  abgeben.  Unter  ihnen  ist  der  Sumach 
technisch  am  wichtigsten,  die  Terebinthe  historisch  am  interessan- 
testen. Der  Terpentinbaum  weist  uns  in  die  älteste  Zeit  nach 
Persien.  Die  Perser  sind  Terebinthenesser:  als  Astyages,  König  der 
Meder,  auf  dem  Throne  sitzend,  erblicken  musste,  wie  die  Seinigen 
Ton  den  Schaaren  des  Cyrus  geschlagen  vrurden,  da  rief  er:  wehel 
wie  tapfer  sind  diese  terebinthenessenden  Perser!  Nicol.  Damasc. 
ed.  Möller.  66,  59.  p.  404:  ot  fini  rnvg  TeQiiiv&og>ayovg  nigaag^  ola 
agtativovat.  Ael.  V.  H.  3,  39,  die  Arkader  assen  Eicheln,  die  Perser 
aber  Terebinthen:  ßalavovg  l^gxddeg.,.  deinvov  el^ov...,  TSQfuv^ov 
ÖS  xai  xtxQda/Aov  JUgaai.  Unter  den  für  die  Tafel  der  persischen 
Könige  täglich  zu  liefernden  Artikeln,  deren  Betrag  neben  anderen 
Gesetzen  auf  einer  ehernen  Säule  im  Palaste  eingegraben  stand^  findet 
sich  auch  Terebinthenöl,  Polyaen.  Strat.  4,  3,  32:  ilaiov  and  reg- 
iiivdov  nivre  /ndgug,  das  also  auch  der  König  zur  Speise  nicht 
missen  wollte.  Die  Jugend  der  Perser  wurde  angehalten,  im  freien 
Felde  zu  leben  und  sich  von  Terebinthen,  Eicheln  und  wilden  Birnen 
ztt  nähren,  Strab.  15, 3, 18 :  xai  xagnoig  aygioig  XQfjo&ai^  T€Qfiivx^(p, 
dQvoßalavoig^  ax(>adi.  Terebinthen  wuchsen  auf  dem  Paropamisus: 
als  Alexander  nach  Bactriana  zog,  kam  er  durch  eine  furchtbare 
Bergwüste;  sie  war  ganz  baumlos,  Terebinthengebüsch  ausgenommen, 
Strab.  15,  2,  10:  nlfjv  teQfiivdov  ^afivcidovg  oXiyijg  (hier  Pistacta 
Vera  zu  yerstehen,  wie  Sprengel  zu  Dioscorides  und  nach  ihm  Ritter 
wollen,  ist  kein  Grund).  Zu  Dioscorides  Zeit  lieferte  der  Baum  vor- 
zugsweise in  der  Region,  die  den  Wohnplatz  der  semitischen  Völker 
bildet,  das  hochgeschätzte  Terpentinharz,  1,91:  ^das  Harz  dieses 
Baumes  kommt  aus  dem  peträischen  Arabien;  er  wächst  aber  auch 
in  Judäa  und  Syrien  und  Cypem  und  Libyen  und  auf  den  Cycladen", 
und  schon  früher  hatte  Theophrast  die  hohen  mächtigen  Terebinthus- 
bäome  der  Umgegend  von  Damascus  mit  dem  niedrigen  Terebinthen- 
gebüsch des  Idagebirges  und  Macedoniens  in  Contrast  gesetzt,  h.  pl. 
3, 15,3:  „die  Terebinthe  ist  am  Idagebirge  und  inMacedonien  klein^ 
strauchartig,  gewunden,  bei  Damascus  in  Syrien  aber  hoch,  zahlreich 
und  stattlich :  dort  sagt  man,  ist  ein  Berg  ganz  voll  von  Terebinthen, 
neben  welchen  nichts  Anderes   wächst   (dasselbe  bei  Plinius  13,  54). 

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342  I^er  Terpentdnbanm. 

Im  Alten  Testament  hat  der  Baum  religiöse  Bedeutung  und  zwar 
um  so  mehr,  je  älter  die  Zeit  ist,  um  die  es  sich  handelt.  Die 
beerentragende  Terebinthe  ist,  wie  die  eicheltragende  Eiche  von  der 
sie  nicht  immer  zu  unterscheiden  ist,  der  ürbaam,  unter  dem  die 
Erscheinung  des  Göttlichen  empfangen  und  der  Altar  erriclitet  und 
das  Opfer  dargebracht  wird.  Abraham  erhob  seine  Hütte  und  kam 
tmd  wohnte  bei  den  Terebinthen  Mamre,  die  zu  Hebron  sind  und 
baute  daselbst  dem  Herrn  einen  Altar  (Genes.  13,  18).  Und  dort 
ward  ihm  die  Erscheinung  des  Herrn  und  dessen  Yerheissung  (Genes. 
18).  Die  Stätte,  wo  der  Baum  des  Abraham  gestanden  hatte,  war 
noch  lange  Jahrhunderte  geweiht:  die  dortige  Terebinthe  sollte  so 
alt  sein,  wie  die  Welt,  Joseph,  de  bell.  jud.  4,  9,  7;  „man  zeigt  aber 
sechs  Stadien  von  der  Stadt  eine  sehr  grosse  Terebinthe,  die  seit 
ErschaflFimg  der  Welt  dastehen  soll."  Euseb.  demonstrat.  evang.  5, 9: 
„daher  wird  bis  auf  den  heutigen  Tag  der  Ort  von  den  Umwohnern 
ab  ein  heiliger  verehrt  wegen  der  daselbst  dem  Abraham  gewordenen 
Erscheinung,  und  auch  die  Terebinthe  ist  noch  dort  zu  sehen."  Auch 
die  femer  Wohnenden,  Phönizier  and  Araber,  kamen  dort  zusammen, 
spendeten  Wein,  schlachteten  Opferthiere,  schatteten  Gtiben  in  die 
Quelle,  und  wie  gewöhnlich  war  mit  dem  religiösen  Dienst  Handel 
und  Wandel,  Waaren-  und  Marktverkehr  verbunden.  Wegen  des 
Gräaels  solcher  Baum-  und  Quellvergötterung  befahl  Kaiser  Con- 
stantin  der  Grosse,  aaf  Andringen  seiner  Mutter,  der  heiligen  Helena, 
den  Altar  zu  zertrümmern,  die  Bildsäulen  zu  verbrennen  und  eine 
christliche  Kapelle  an  die  Stelle  zu  setzen  (Sozomen.  h.  e.  2,  3). 
Eine  andere  heilige  Terebinthe  war  die  des  Jacob  zu  Sichern 
(Genes.  35,  4),  unter  der  zu  Josuas  Zeit  die  Bundeslade  stand  uod 
von  Josua  ein  steinerner  Altar  errichtet  wurde  (Jos.  24,  26);  dort 
versammelten  sich  noch  zur  Zeit  der  Richter  alle  Männer  von  Sichem 
und  machten  Abimelech  zum  Könige  (Richter  9,  6).  Auch  zu  Grideon 
kam  der  Engel  des  Herrn  unter  einer  Terebiathe  zu  Ophra  und  Gi- 
deon baute  daselbst  einen  neaen  Altar,  nachdem  er  die  Aschera  der 
Midianiter  umgehauen  hatte  (Richter  6,  11  ff.)  Todte  wurden  unter 
Terebinthen  begraben.  Genes.  35,  8:  Da  starb  Debora,  der  Rebecca 
Amme,  und  ward  begraben  unter  Beth  El,  unter  der  Eichen  (Tere- 
binthe), und  ward  genennet  die  Klageiche.  In  späterer  Zeit,  da  der 
Jehovakultus  geistiger  geworden  war,  ist  es  den  Propheten  besonders 
anstössig,  dass  den  kanaanitischen  Heiden  die  Bäume,  darunter  die 
Terebinthen,  heilig  sind,  z.  B.  Hos.  4,  13:  Oben  auf  den  Bergen 
opfern    sie   und   auf  den  Hügeln   räuchern    sie,    unter   den  Eichen, 


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Mastixbftmn.    Peirükenbanm.    SmnaclL  343 

Pappeln  und  TerebintheD,  deDn  die  haben  feine  Schatten.  Elzech. 
6, 13:  dass  ihr  erfahren  sollet,  Ich  sei  der  Herr,  wenn  ihre  ErscUa- 
genen  unter  ihren  Götzen  liegen  werden,  am  ihren  Altar  her,  obea 
auf  allen  Bergen,  nnd  anter  allen  grünen  Bäumen  and  unter  allen 
dicken  Eichen  (Terebinthen).  Gerade  diese  Verehrung  aber  mochte 
frühzeitig  dazu  beigetragen  haben,  dass  der  Baum  sich  an  die  Küsten 
Europas  verbreitete.  Lieferte  er  indess  schon  in  Asien,  nur  geringe 
Mengen  des  kostbaren,  heilkräftigen,  reinen  Terpentins,  so  büsste  er 
in  Europa  mit  der  Höhe  des  Wuchses  auch  die  Kraft,  diesen  auszu- 
scheiden, gänzlich  ein;  einige  griechische  Inseln,  wieChios,  etwa  aus- 
genommen. Was  man  schon  bei  den  Römern  und  auch  jetzt  noch 
unter  Terpentin  versteht,  wird  von  pintcs  picea  und  dem  Lärchenbaum, 
krü,  gewonnen  und  kommt  dem  echten  Terpentin  natürlich  nicht 
gleich.  Das  Geigenharz,  Kolophonium  genannt,  trug  diesen  Namen 
schon  im  Alterthum,  KoXogxovia  niaaa,  weil  es,  wie  Dioscor.  1,  93 
berichtet,  ehemals  aus  dem  kleinasiatischen  Kolophon  bezogen  wurde. 

Der  Mastiic  bäum,  a^Iyog,  wird  anter  diesem  Namen  zuerst  bei 
Herodot  4, 177  genannt.  Das  Harz  des  Baumes,  fiaatix^j^  hatte  seinen 
Namen  von  der  Sitte,  es  zu  kauen  (iLiaara^u)  kauen,  /laara^  Mund), 
wie  aus  dem  Holze  auch  beliebte  Zahnstocher  gemacht  wurden.  Die 
Einwohner  der  Insel  Ohio,  wo  viel  Mastix  gewonnen  wird,  kauen 
noch  jetzt  beständig  dieses  Harz,  womit  sie  nicht  bloss  einen  ange- 
nehmen Athem  zu  gewinnen,  sondern  auch  ihrer  Gesundheit  zu  dienen 
glauben.  Es  gehört  dieser  Gebrauch,  wie  das  Betelkauen,  mit  zu 
dem  System  des  orientalischen  Müssiggangs,  kann  sich  indess  neben 
dem  amerikanischen,  in  der  ganzen  Welt  gemein  gewordenen  Tabak- 
rauchen immer  noch  mit  Ehren  sehen  lassen.  Der  lateinische  Name 
leniisctiSy  eine  Ableitung  von  lentus^  ist  entweder  von  der  zähen, 
klebrigen  Beschaffenheit  des  Harzes  oder  von  der  Biegsamkeit  der 
Aeste,  die  als  Reitgerten  beliebt  sind,  hergenommen. 

Der  Perrükenbaum,  rhu^s  cotinics,  findet  sich  bei  Theophrast 
h.  pl.  3,  16,  6  unter  dem  Namen  xoxxvyia  (so  ist  der  Text  nach 
Plm.  13,  121  und  Hesych.  v.  xexoxxvywidivrjv  sicher  festzustellen)  er- 
wähnt. Dass  dieser  Baum,  der  zum  Rothfarben  diente,  eins  ist  mit 
rhus  cotmus  Z/.,  geht  aus  dem  Zusatz  des  Theophrast  hervor:  idiov 
ii  e^si  xo  ixnannovox^ai  %bv  xagnov.  ndnnog  ist  nämlich  eben 
jenes  grosse  röthliche  Gefieder  der  Fruchtrispen,  von  dem  der  Baum 
seinen  deutschen  Namen  hat. 

Der  Sumach,  rhtts  coriaria,  wird  unter  dem  Namen  ^ovg  sehr 
frühzeitig,   nämlich   schon  von  Solon,    also  am  Anfang   des  6.  Jahr- 


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344  ^^T^  SnmaclL 

honderts,- genannt,  Phot.  p.  491,  21:  ^ovv  zo  Tjöva^a.  26lwv,  Die 
Beeren  bildeten  also  ein  Gewürz,  ijdvofia,  das  die  Speisen  schmack- 
haft machte,  wie  Myrtenbeeren  oder  wie  jetzt  der  Pfeffer  und  die 
Citrone.  Dioscor.  1,  147:  ^ovg  6  inl  tä  oipa,  ov  evioi  igv&Qov 
xalovai,  xoQnog  iazi  t^g  xaXov^ivrjg  ßvQOodeHfixijg  ^o6g.  ^EQv&Qog 
ist  ein  häufiger  Beiname  dieser  Fracht,  und  vielleicht  hegt  dieselbe 
Wurzel  dem  Namen  ^oZg  zu  Grunde,  der  entweder  auf  griechischem 
Boden  oder  in  einer  yerwandten  kleinasiatischen  Sprache  danach  ge- 
bildet wurde.  Dann  würde  der  Sinn  mit  dem  von  xoxxvyia  zu- 
sammentreffen, wie  auch  beide  Bäume  sich  nahe  stehen.  Schon  die 
Alten  brauchten  die  Blätter  des  Gewächses,  das  nach  seinem  Vater- 
lande Syrien  bei  Oelsus  und  Scribonius  Largus  rhus  syriacus  heisst, 
als  Gerberlohe;  dass  es  aber  in  Sicilien,  wo  es  jetzt  das  beste  Pro- 
dukt giebt,  erst  seit  der  arabischen  oder  mittelgriechischen  Zeit  an- 
gebaut wird,  verräth  der  Name  iommaco^  Sumacb,  der  dem  arabischen 
sommdq  und  byzantinischen  aovfidxi  bei  Du  Cange  ganz  gleich  ist 
Für  die  Kultur  des  Sumach  sind  übrigens  die  Inseln  Sardinien  und 
Sicilien^  so  wie  manche  Provinzen  der  pyreoäischen  Halbinsel  wie 
geschaffen,  denn  gleich  dem  Opuntiencactus  zieht  er  steriles  Stein- 
geröll und  dürren  Felsengrund  jedem  anderen  Boden  vor  und  findet 
darum  in  jener  Erdgegend  einen  fast  unbeschränkten  Verbreitungs- 
raum. Auch  hat  der  Anbau  seit  einem  Menschenalter  reissende 
Fortschritte  gemacht:  im  Jahre  1875  führte  der  Hafen  Palermo  Su- 
mach zum  Werthe  von  mehr  als  17  Millionen  Lire  aus  (nach  Theo- 
bald  Fischer,  Beiträge,  S.  124). 

Unter  dem  Räucherwerk  des  wärmeren  Asiens,  den  O-vftiafjara 
und  agtifittTa^  wird  von  den  Alten  häufig  auch  des  Styraxharzes 
gedacht,  welches  die  Phönizier  zu  Herodots  Zeit  nach  Griechenland 
ausfühlten,  Herod,  3,  107:  t^v  art^axa...  t^v  ig^'EllTjvag  Ooivixsg 
i^dyovat.  Vielleicht  aber  hatten  diesen  syrischen  Baum  die  Phö- 
nizier frühe  auch  um  ihre  europäischen  Niederlassungen  anzupflanzen 
gesucht.  Zwar  Theophrast,  da  wo  er  die  lange  Reihe  asiatischer 
aromatischer  Substanzen  aufführt,  darunter  auch  die  otifgaB^  h.  pl. 
9,  7,  3:  olg  fiiv  olv  eig  ra  aQiofxata  xQ^^^^^i  oxedov  rdde  i(ni^ 
xaaia  xivdfiio^iov,..  atvQaS:,  XQig  u.  s.  w.,  lügt  gleich  hinzu,  mit  Aus- 
nahme der  Iris  gehöre  nichts  davon  Europa  selbst  an:  Ix  yctQ  aitrjg 
EvQcinrjg  nvdiv  ioxiv  e^o)  z^g  iQijSog,  Aber  bei  der  böotischen 
Stadt  Haliartus,  in  einer  Landschaft,  an  die  sich  Ueberlieferongen 
früher  phönizischer  Kultur  und  religiösen  Verkehrs  mit  der  Insel 
Kreta  knüpfen,  wuchsen  nicht  weit  von  der  Quelle  Kiaaovaa^  in  der 

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PfirsiclL    Aprikose.  345 

die  Ammen  den  neugeborenen  Bacchus  abgewaschen  hatten,  Styrax» 
I>äame,  Plut  Lys.  28,  7:  ol  di  KQrjaioi  atvQaneg  nv  nQoaio  neQi-- 
mgfvxaoiv^  und  die  Haliartier  bestätigten  damit,  dass  Rhadamanthys 
bei  ihnen  gewohnt  habe,  und  wussten  auch  sein  Grab  noch  aufzu- 
zeigen. Von  Kreta  kam  auch  später  noch  Styrax,  doch  wurde  dieser 
natürlich  nicht  für  den  besten  gehalten,  Plin.  12,  25,  55:  styrax  lau* 
datur,,,  ex  Pisidia^  Sidone^  Oj/prOy  Greta  minume  —  wenn  die  Lesart 
richtig  ist.  Die  Bäumchen  von  Haliartus  lieferten  wohl  gar  keinen 
Ertrag,  aber  zu  Lanzenschäften  mochte  ihr  Holz  wohl  dienen.  Die 
latinisirte  Form  storax  beweist  übrigens,  dass  dies  bei  Opfern  beliebte 
Räocherwerk  frühe  nach  Italien  kam,  ganz  wie  wir  dies  aus  der  la- 
teinischen Benennung  des  Quittenbaums  schlössen,  dem  den  Alten 
zufolge  der  Styraxbaum  ähnlich  sehen  sollte. 


Pfirsich,  Aprikose. 

(amygdalus  peraica.L,  prunus  armeniaca  L.) 

Beide  Bäume  stammten,  wie  ihre  Namen  lehren,  aus  dem  inneren 
Asien,  noch  jenseits  des  Kirschenlandes,  und  wurden  im  ersten  J  ahr- 
handert  der  Kaiserherrschafb  in  Italien  bekannt.  Weder  Cato,  Yarro, 
Cicero  oder  sonst  ein  Schriftsteller  der  republikanischen  Zeit,  noch 
ein  Dichter  des  augusteischen  Alters  weiss  etwas  von  ihnen,  und 
eben  so  wenig  die  älteren  Griechen,  so  weit  sie  uns  erhalten  sind. 
Erst  als  sich  die  römische  Staatsmacht  seit  Mithridates  Untergang 
theils  direct,  theils  mittelbar  bis  zu  den  Thälem  Armeniens  und  an 
den  Südrand  des  kaspischen  Meeres  erstreckte  und  zwischen  ihr  nnd 
dem  Partherreiche  die  Grenze  ungowiss  schwankte  und  die  Bezie- 
hungen in  Krieg  und  Frieden  hin-  und  hergingen,  da  schlössen  ^\^ 
allmählich  auch  die  Naturschätze  dieser  fremdartigen,  fruchtreichen 
Gegenden  auf  und  wurden  theilweise  nach  Italien  hinübergeleitet. 
Die  Citrone,  „die  schwer  ruht  als  ein  goldener  Ball",  konnte,  ehe 
der  Baum  selbst  von  einem  Europäer  erblickt  war,  im  Abendland 
bewandert  werden  —  schneidet  sich  doch  jetzt  der  bärtige  Kaufmann 
in  Archangel,  der  nächste  Nachbar  des  ewigen  Polareises,  frische 
Citronenscheiben  in  seinen  chinesischen  Thee  — ;  nicht  so  die  weich- 
liche Aprikose    und   der   schmelzende   Pfirsich,    denn,    nach    Plinhxs 

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346  Pfirsich.    Aprikose. 

Wort,  non  aliud  fugacitia,  Indess,  gegen  die  Mitte  des  ersten  Jahr- 
hunderts nach  Chr.  hatten  gewerbsame  Grartner  diese  Fruchtbänme  in 
Italien  angepflanzt  und  liessen  sich  die  ersten  gewonnenen  persischen 
Aepfel  und  armenischen  Pflaumen  theuer  bezahlen.  S.  Plin.  15, 
cap.  11—13.  S.  10 — 13.  Dass  die  Namen  Anfangs  schwankten  und 
erst  später  constant  wurden,  war  bei  so  seltenen,  imbekannten,  aristo- 
kratischen Früchten,  die  dem  Blick  und  der  Zunge  der  Menge  erst 
nach  und  nach  vertraut  wurden,  und  bei  dem  Mangel  an  sicherer 
naturwissenschaftlicher  Systematik  nicht  zu  verwundern;  doch  ist 
gerade  hier  die  Geschichte  der  Namen  zugleich  die  der  betreffenden 
Frucht  and  ausserdem  lehrreich  für  die  Art,  wie  solche  Namen  über- 
haupt imVolksmunde  entstehen.  Anfangs  wusste  man  nur,  dass  der 
Pfirsich  und  auch  die  Aprikose  hinter  dem  im  engeren  Sinne  so  ge- 
nannten Asien  ihre  Heimath  hatten,  und  man  nannte  sie  demgemäss 
persische  Früchte,  die  Aprikosen,  die  der  Pflaume  ähnlich  und  ver^ 
wandt  sind,  auch  Früchte  aus  Armenien.  Der  Name  persisch  gab 
Verwechselungen  mit  der  ägyptischen  Persea,  wohl  auch  mit  dem 
modischen  Apfel  oder  der  Citrone,  und  die  Späteren  hatten  die  aber- 
gläubischen oder  unrichtigen  Vorstellungen  zu  widerlegen,  die  durch 
solche  Irrung  veranlasst  waren.  Weiter  fanden  sich  Abarten  ein, 
deren  besondere  Eigenschaften  durch  sprechende  Beinamen  hervor- 
gehoben wurden;  so  sagten  die  Obstzüchter  von  der  feinsten  Art 
Pfirsiche  duracina^  weil  diese  eine  stärkere  Haut  oder  ein  festeres 
Fleisch  hatten,  von  einer  andern  frühe  reifenden  Art  praecoqua, 
praecocia.  Letzterer  Name^  ein  auch  sonst  vielfach  angewandter, 
technischer  Gärtnerausdruck,  dessen  erster  Bestandtheil  dem  grie- 
chischen TiQfot^  deutschen  früh,  genau  entspricht,  musste  aber  be- 
sonders auf  den  Aprikosenbaum,  der  nicht  bloss  gleich  der  Mandel 
zeitig  blüht  und  also  UQCjiavx^tjg  ist,  sondern  auch  seine  Früchte  als 
nQCütxaQTtog^  hätif,  hdidveaUy  zeitig  reift,  Anwendung  finden  und  blieb 
zuletzt  als  Appellativum  völlig  auf  ihm  haften.  So  konnte  schon 
Dioscorides  1,  165  sagen:  rd  de  fdixQoteQa  xaXoifieva  agfisnaxä, 
^wfiatoTt  de  nQaixoxia.  Von  den  Römern  aber  entlehnten  femer 
die  Griechen  die  so  in  Italien  fixirten  Namen  —  deim  im  UmschwuDg 
der  Zeiten  war  die  Bewegung  schon  eine  rückläufige  geworden,  und 
orientalische  Naturprodukte  gingen  schon  von  Westen  nach  Griechen- 
land —  und  theilten  sie  wieder  dem  Orient  mit,  der  das  damit  Be- 
zeichnete ursprünglich  besessen  hatte,  aber  desselben  nicht  bewosst 
geworden  war.  Die  Pfirsiche,  deren  beste  Sorte,  wie  so  eben  be- 
merkt, die  Härtlinge,  duracina^  gewesen  waren,  hiessen  jetzt  mittel- 

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Pfirsich.    Aprikose.  347 

griechisch  und  neugriechisch  ^oddxivOy  der  Baam  ^odaxividy  ^oda-- 
xtvia,  nach  Salmasius  wahrscheinlicher  Yermuthong  nichts  als  eine 
ümstelliing  des  lat  duracinoy  dmqaxiva^  zu  welcher  in  dem  Anklang 
an  ^oioy  die  Rose  eine  VerfQhrung  lag.  Praecoqua^  ngaixoxia  ver- 
wandelte sich  in  mittelgriechischem  Munde  in  nQenvnxiov^  ngo^ 
toxxia,  ߀Q€X€xxov,  ßeQixwxoVy  ßagvxoxxov,  ßeqixovxa,  ßiQixoxa, 
und  da  man  in  der  zweiten  Hälfte  des  Wortes  das  griechische  xoxxog. 
Kern,  Beere,  oder  xoxxv^,  der  Eukuk,  zu  hören  glaubte^  auch  in 
xoxxofiTjXoy  fiTJlov  xoxxvyog,  den  alten  Namen  der  Pflaume  (Lang- 
kavel,  Botanik  der  späteren  Griechen,  S.  5).  Aus  einer  dieser  ent- 
stellten Formen  bildeten  die  Araber  dann  mit  dem  Artikel  ihr  al- 
harqäq^  und  als  dies  sorbettoschlJlrfende,  nach  Erfrischung  schmach- 
tende Volk  in  Spanien,  auf  den  Inseln  des  Mittelmeers  und  in  Süd- 
italien seine  Gärten  anlegte  und  gleichzeitig  in  den  Häfen  seine 
Waaren  ausschiffte,  da  ging  auch  dieses  Wort  in  seiner  arabischen 
Form  in  den  Mund  der  Abendländer  zurück  und  vollendete  so  seinen 
westöstlichen  Kreislauf:  ital.  cdbercoccOy  albicoccOy  bacocco^  span.  al- 
haricoque^  daraus  französ.  abricot^  aus  diesem  wieder  deutsch  Aprikose 
TL  8.  w.  Auch  armeniacum  hat  sich  in  dem  jetzigen  ital.  meliaca^ 
muliaca  erhalten,  wie  das  alte  persicum  in  den  heutigen  Formen 
persica^  pesca^  peche^  Pfirsich,  slavisch  je  nach  den  Mundarten  breskva^ 
proBkoa^  hroskvina^  magyar.  baraczk  u.  s.  w. 

Schon  zu  Plinius  und  Colamellas  Zeit  war  eine  Art  Pfirsich 
der  gallische  genannt,  Plin.  15,  39:  nationum  habent  cognomen  gaU 
Uca  et  asiatica.    Colum.  10,  409: 

Quin  etiam  efusdem  gentis  de  nomine  dicia 

Exiguo  properant  mitescere  Persica  malo, 

Tempestiva  madent,  quae  maxima  Gallia  donat; 

Frigoribus  pigro  veniunt  Asiatica  foetu. 

Da  es  auffallend  ist,  dass  schon  damals,  in  jener  Jugendzeit  der 
Frucht,  Gallien  eine  Abart  erzeugt  hätte,  so  könnte  man  an  Gallo- 
graecia  inEleinasien  denken;  doch  wurde  von  diesem  Lande  schwer- 
lich kurzweg  gallicus^  vielmehr  galaticus,  gesagt.  Der  Pfirsich  ist 
eine  Frucht,  die  leicht  abändert,  und  so  war  also  in  der  Provence 
schon  eine  grosse  Art  Früh-Pfirsich  erzeugt  worden,  die  in  Italien 
nach  dieser  Herkunft  benannt  wurde.  Jetzt  ist  die  Frucht  in  unzäh- 
lige Abarten  und  Spielarten  auseinandergegangen,  von  denen  wir  nur 
der  sog.  Nectarinen,  pescanod,  erwähnen  wollen,  entstanden,  wie  die 
Alten  fabelten,  durch  Impfung  des  Pfirsichs  auf  den  Wahiussbaum. 
^on  den  populären  Aprikosennamen  ist  der  interessanteste  das  nea- 


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348  Obstznclit,  Impfen  und  Pfropfen. 

politamsclie  criaiwmmolo,  dem  das  griechische  xQva6^7ii.ov^  goldener 
Apfel,  zu  Grunde  liegt.  Chrysomela  war  nach  Plinius  ursprünglich 
Name  einer  Art  Quitten:  als  diese  Frucht  selten  und  die  Aprikose 
häufig  und  beliebt  wurde,  ging  die  poetische  Benennung  bei  den  phan- 
tasievollen Neapolitanern  auf  die  letztere,  und  zwar  auf  die  sogenannte 
Mandelaprikose,  über. 


Blickt  man  auf  die  lange  Reihe  von  fruchttragenden  Bäumai 
zurück,  mit  denen  Italien  zur  Zeit  seiner  höchsten  Macht  und  Blüte 
sich  bereichert  hatte  —  edlere  Aepfel  und  Birnen,  Feigen  und  Gra- 
naten, Quitten  und  Mandeln,  Kirschen,  Pfirsiche,  Maulbeeren,  Pflaum^ 
Pistazien  u.  s.  w.  — ,  so  staunt  man  nicht  über  die  Aussage  Varros, 
Italien  sei  ein  grosser  Obstgarten,  1,  2,6:  non  arboribus  consitaltaUa 
estf  ut  iota  pomarium  videaturf  und  die  Schilderung  des  Lucretius: 
5,  1376: 

ut  nunc  esse  vides  vario  distincia  lepore 

omnia,  quae  pomis  intersifa  dulcibus  ornant 

arbustisque  tenent  felicibus  opsita  circum. 

Diese  Umwandlung  hatte  dieselbe  Zeit  gebraucht,  wie  die  Erhebung 
Roms  zum  Centrum  von  Italien  und  Italiens  zur  Herrscherin  der 
Welt.  Die  älteren  Griechen  kennen  die  Halbinsel  noch  als  ein  Land, 
das  im  Vergleich  mit  ihrem  eigenen  und  mit  dem  Orient  einen  nor- 
dischen primitiven  Charakter  trug  und  dessen  Produktion  hauptsächlich 
in  Getreide,  Holz,  Vieh  bestand.  Der  Komiker  Hermippus,  der  in 
der  ersten  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  dichtete,  weiss  unter  den 
Ausfuhrartikeln  Italiens  nur  Graupen  und  Ochsenrippen  zu  nennen, 
Athen.  1,  p.  27 : 

ix  S*avt^  ^Irallag  xovdgov  xai  nXevQa  ßoBia, 
Alcibiades  bei  Thucydides  6, 90,  da  wo  er  den  Lacedämoniem  die 
Vortheile  eines  Zuges  nach  Sicilien  und  Grossgriechenland  darstellt, 
beruft  sich  auf  den  Reichthum  Italiens  an  Schiffsbauholz  und  Korn. 
Anderthalb  Jahrhunderte  später  rechnet  Theophrast,  h.  pl,  4,  5,  5, 
Italien  zu  den  wenigen  Ländern,  wo  vavJirjYrjaifiog  vkrj,  d.  h.  Schiffis- 
bauholz,  vorkomme.  Als  Hiero  2.  von  Syrakus  sein  von  uns  wieder- 
holt erwähntes  riesenhaftes  Getreideschiff  von  Stapel  gelassen  hatte, 
da  fand  sich  ein  Baum,  der  zum  Hauptmast  dienen  konnte,  nur  in 
Italien  im  brettischen  Gebirge,  Athen.  5,  p.  208  (also  im  Sila-Walde, 
der  aus  Laricio-Kiefem  besteht;  da  ein  Sauhirt  der  Auffinder  ^ar, 
m&ssen   diese    auch   mit  Eichen    oder  Buchen   untermischt   gewesen 

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Obstzucht,  Impfen  nnd  Pfropfen.  349 

sein:  der  Wald  wird  von  Dioo.  Hai.  20  fr.  15  Eiessl.  ausführlich  ge- 
schildert) Von  angehearen,  unwirthlichen  W&ldem  hören  wir  auch 
durch  die  römische  Ueberlieferung.  Den  ciminischen  Wald  bei  dem 
heutigen  Yiterbo^  nördlich  von  der  römischen  Campagna,  im  Süden 
des  etruskischen  Gebietes,  beschreibt  Livius  unter  dem  Jahr  308, 
also  nach  der  Zeit  Alezanders  des  Grossen,  als  so  schrecklich,  wie 
nur  die  von  den  Römern  später  betretenen  Wälder  Germaniens,  9, 36: 
sika  erat  Cvminia  magis  tum  invia  atque  horrenda^  quam  nuper  fuere 
Germanici  saltus^  nuUi  ad  eam  diem  ne  mercatorum  quidem  adita. 
Und  ähnliche  Farben  braucht  Florus  1,  12  (17):  Ciminius  Interim 
sahus  in  meddo^  ante  invius  plane  quasi  Caledonitcs  vel  Herct/nius,  adeo 
imn  terrori  erat^  ut  senatus  c(yn»uli  denuntiaret^  ne  tantum  perundi 
ingredi  änderet  Als  der  Prätor  C.  Manlius  zu  Anfang  des  zweiten 
ponischen  Krieges  zum  Entsätze  des  von  den  Bojem  bedrängten 
Mutina  herbeiruckte^  wurde  sein  Heer  in  den  unwegsamen  Wäldern 
fast  aufgerieben,  Liv.  21,  25:  sävae  tunc  circa  viam  erant,  plerisque 
incultis  u,  s.  w.  Noch  übler  erging  es  dem  Praetor  L.  Postumius  in 
der  silva  Litana,  Liv.  23,  24,  von  dessen  Heere  in  dem  genannten 
Walde  fast  kein  Mann  übrig  blieb.  An  die  Stelle  solcher  Wild- 
nisse und  ihrer  Holz-  und  Pech-,  Jagd-  und  Weideerträge  war  jetzt 
eine  Waldung  orientalischer  Obstbäume,  an  Stelle  der  Fleisch-  und 
Breinahrung  der  Alten  der  orientalisch-südliche  Genuss  an  erfrischen- 
dem Fruchtsaft  getreten.  Die  Vermittler  dieser  Umwandlung  waren 
grossen  Theils  selbst  Asiaten  d.  h.  Sclaven  und  Freigelassene,  die 
Yon  dorther  gebürtig  waren,  Syrer,  Juden,  Phönicier,  Cilicier.  Italien 
wimmelte  von  ihnen,  lange  vor  Juvenal,  der  sich  bildlich  beklagt, 
es  sei  so  weit  gekommen,  dass  der  syrische  Orontes  sich  in  den  Tiber 
ergiesse,  3,  62: 

Jam  pridem  Syrus  in  Tiberim  defluxit  Orontes, 
Die  semitischen  Sclaven  waren  durch  Arbeitsamkeit,  Ausdauer  und 
leidende  Ergebung  Ideale  dieses  Standes  und  für  denselben  wie  ge- 
schaffen, Cic.  de  prov.  consul.  5, 10:  Judaeis  et  Syris^  natumtbus  natis 
sermtutL  Schon  Plautus  kennt  sie  als  genus  patientissimumj  Trinumm. 
2,4,141: 

Tum  autem  Surorum,  genus  quod  paiientissumumst 

Hominum,  nemo  exstat  qui  ibi  sex  nvensis  vixerit. 

Das  rauhe  Kriegshandwerk  war  nicht  ihre  Sache;  von  den  Soldaten 
des  Königs  Antiochus  sagt  der  Legat  T.  Quinctius  bei  Liv.  35,  49: 
Syros  omnes  essei  havd  pauUo  mancipiorwm  melius,  propter  sermUa 
ingenia^  quam  militum  gentis,  und  ganz  eben  so  drückt  sich  der  Con- 

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350  Obstzucht,  Impfen  und  Propfen. 

sul  M\  Acilius  vor  der  Schlacht  mit  dem  König  aus:  hie  Syri  et 
Asiatdci  Graeci  sunt,  lemssima  genera  hominum  et  servituti  naia. 
Gartenkunst  aber  und  Freude  an  dem  stillen,  liebevoUen  Geschäft 
der  Erziehung  und  Pflege  von  Pflanzen  war  ein  Erbtheil  des  ara- 
mäischen Stammes  von  Alters  her,  oder  vielmehr  das  Ergebniss  einer 
langen,  überalten  Kultur  und  des  Bodens,  auf  dem  diese  sich  ent- 
wickelt hatte,  Plin.  20,  33:  Syria  in  hortis  operosissima  est:  indeque 
proverbium  Graecis :  Multa  Syrorum  olera.  Wenn  die  römischen  Aristo- 
kraten aus  jenen  östlichen  Provinzen  nach  Ablauf  ihres  Jahres  heim- 
kehrten und  manche  scböne  Frucht,  die  dort  auf  ihre  Tafel  gekommen 
war,  nach  Italien  und  auf  ihre  "Villen  zu  versetzen  wünschten,  da 
boten  sich  ihnen  erfahrene  Gärtner  in  Menge  dar,  die  beim  Transport 
und  der  Anpflanzung  behülflich  waren  und  zur  Belohnung  die  Freiheit 
erhielten  oder  wenigstens  eine  milde  Behandlung  erfuhren.  Die  gleiche 
Geschicklichkeit  der  den  Syrern  benachbarten  und  stamm  verwandtcD 
Oilicier  war  in  Aller  Munde,  seitdem  Vergil  in  der  schönen,  viel- 
bewunderten Episode  des  vierten  Buches  seiner  Georgica  den  Garten 
des  corycischen  Greises  bei  Tarent  und  die  von  ihm  auf  ganz  ste- 
rilem Boden  erzielte  Fülle  des  Gemüses  und  der  Früchte  gepriesen 
hatte.  Wenn  einige  Grammatiker  den  Corycius  senex  des  Dichters 
so  verstehen  wollten,  doss  mit  diesem  Beinamen  eben  nur  die  Meistei^ 
Schaft  oder  die  Art  und  Weise  des  Gärtners,  nicht  seine  Herkunft, 
bezeichnet  werde,  so  setzt  die  Möglichkeit  dieser  Deutung  eben  eben 
auch  abgesehen  von  Vergil  bestehenden  allgemeinen  Ruhm  cilicischer 
Gartenkunst  voraus. 

Die  syrischen  Sclaven  brachten  aber  neben  anderen  sinnlichen 
Terführungsdiensten  des  Orients  auch  das  orientalische  Raffinement 
in  Behandlung  der  Thiere  und  Pflanzen  mit.  Wie  die  Entmannung, 
die  Circumcision  und  die  Bastarderzeugung,  war  dort  auch  die  Za- 
stutzung  der  Bäume  und  die  Vermischung  der  Fruchtarten  durch 
Impfen  und  Pfropfen  von  frühe  an  üblich.  Die  geflissentlich  er- 
zeugten Monstrositäten,  die  sorgfaltig  bewahrten  Naturspiele,  die 
Künsteleien  mit  der  Kraft  des  Wachsthums,  dies  Alles  war  freilich 
nur  derselbe  Trieb  in  seiner  Ausartung,  der  die  Olive  und  den  Dattel- 
baum ursprünglich  fruchttragend  gemacht  und  die  Caprification  der 
Feige,  die  Füllung  der  Rosen,  Violen  u.  s.  w.  erfunden  hatte.  In  den 
Gärten  Italiens  —  von  Cato  an,  der  cap.  52  und  133  schon  lehrt, 
^m  lebendigen  Baum  selbst  vermittelst  durchbrochener  erdegefällter 
Töpfe  oder  Körbe  künstliche  Wurzeln  und  einen  neuen  Baum  zu  er- 
.zeugen,  und  selbstzufrieden  hinzusetzt:  hoc  modo  quod  gentis  vis  propa- 

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Obstzucht,  Impfen  und  Pfropfen«  351 

qabis^  und :  eo  modo  quod  vis  genus  arborum  facere  poteria,  bis  za  dem 
opus  topiarium  der  Späteren^  wo  durch  Bescbeereo,  Bekleidung  mitEpheu 
0.  s.  w.  die  Bäume  in  Thiergestalten  u.  s.  w.  yerwandelt  wurden, 
sachte  nicht  sowohl  das  reine  NaturgefQhl  Ausdruck,  als  sich  die 
List  daran  übte,  die  Natur,  die  ewig  schaffende,  auf  fremden  wunder- 
baren Wegen  zu  Formen  und  Zwecken  zu  verführen,  die  sie  nicht 
gewollt  hatte.  Die  hohen  Bäume  wurden  in  Zwerggestalt,  die  zarten 
Frächte  in  Kiesengrösse  hervorgebracht,  und  was  in  Wirklichkeit 
sich  nicht  leisten  liess,  das  wurde  wenigstens  in  dem  allgemeinen 
Volksglauben,  bei  praktischen  Gärtnern,  wie  bei  denkenden  Natur- 
betrachtem,  als  vollbracht  und  möglich  vorgestellt.  Die  allmählige 
Steigerung  darin  liegt  in  der  Reihe  der  Schriftsteller  über  diesen 
Gegenstand  deutlich  vor.  Yarro  1, 40,  5  meint  noch,  Apfel-  und  Birn- 
baum liessen  sich  gegenseitig  auf  einander  pfropfen,  nicht  aber  ein 
Birnenreis  auf  einen  Eichbaum.  Bei  Yergil  aber  trägt  schon  der 
Erdbeerbaum  Nüsse,  die  Platane  Aepfel,  die  Kastanie  Bucheckern, 
die  Esche  Birnen  und  die  Ulme  Eicheln,  G.  2,  69: 

Inseritur  vero  et  nuds  arbutus  horrida  foetu; 

Et  steriUs  platani  ^malos  gessere  valentis; 

Castaneae  fagus  ornusque  incanuit  cdbo 

Flore  piri  glandemque  sues  fregere  sub  ulmis. 

Golumella  thut  erst  5,  11,  12  den  Ausspruch,  die  Insition  sei  nur  bei 
ahnUcher  Rinde  beider  Bäume  möglich,  dann  aber  tadelt  er  wieder 
die  Alten,  die  die  Möglichkeit  des  Gelingens  auf  gleichartige  Bäume 
beschränkt  hätten,  vielmehr  könne  jedes  beliebige  Reis  auf  jeden  be- 
liebigen Baum  gebracht  werden  —  worauf  die  Beschreibung  eines 
Kunstgriffes  folgt,  aus  einem  Feigenbaum  einen  Olivenzweig  hervor- 
wachsen zu  lassen.  Plinius  17,  120  will  einen  Baum  gesehen  haben, 
der  an  seinen  verschiedenen  Aesten  Nüsse,  Oliven  (bacae)^  Weintrauben, 
Bimen,  Feigen,  Granaten,  Aepfelsorten  zugleich  trug.  BeiPalladius 
endlich,  der  seinen  Büchern  de  re  rustica  ein  eigenes  Gedicht  in 
elegischem  Yersmass  de  insitionibus  hinzufügt,  und  in  der  Sammlung 
der  Geoponica  ist  kaum  ein  Baum,  von  dem  nicht  ausgesagt  würde, 
er  könne  die  und  die  fremden  Früchte  zu  tragen  gezwungen  werden. 
Plinius  ist  über  diese  Yirtuosität^  die  Natur  zu  irren  und  zu  miss- 
braucheo,  wie  über  einen  Frevel  erschrocken  1,  5,  57:  pars  J^aec  vttae 

jampridem  venit  ad  columen,   eapertis   cuncta   Jwminilms Nee 

quicquam  ampUus  excogitari  potest;  nullum  certe  pomvm  novom  diu 
jom  invenitur.  Neque  omnia  insita  misceri  fas  est  Plinius  war  zwar 
Qor  ein  Compilator,    der  bei  der  Last  der  Geschäfte   und  des  unge- 

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352  Obstzucht,  Impfen  und  Pfropfen. 

heuren  Materiales  nicht  immer  geoaa  sein  konnte,    und  dessen  Ans- 
dmck  manierirt  nnd  daher  oft  dunkel  ist,   aber  es  bricht  doch  nicht 
selten  bei  ihm  ein  grosser  Sinn  durch,   und    im  gegenwärtigen  Fall 
das  tragische  Gefühl  eines  beschlossenen,    nach  allen  Seiten  nnd  bis 
auf  den  Grand    seines  Inhalts    erschöpften  Lebens.    Italien,   will  er 
sagen,    hat  alle  Pflanzen  des  Erdkreises   in  sich  yersammelt  und  an 
ihnen  nut  Aufwand   alles  Witzes   alle  Bildungs-  und  Triebkraft  der 
Natur  versucht  —   was  steht  noch  bevor,    was  kann  noch  kommen, 
als  das  Nichts?    Und  es  kam  in  der  That  das  tausendjährige  Mittel- 
alter, und  in  Syrien  war  der  Mann  schon  aufgestanden,  dess^i  Lehre 
sich  wie  ein  fremder  tödtender  StoflF  durch  alle  Adern  der  griechisch- 
römischen Welt  goss,    der  wahre  ex  oasibus  tdtor  nicht  bloss  für  den 
Brand  Karthagos,   der  syrischen  Kolonie.     So  weit  die  alte  Religion 
noch  hielt,  widersetzte  sie  sich  auch  dem  Spiel  mit  der  organische 
Natur:   Bäume,   die  zweierlei  Aeste   trugen^   brachten  Lrung  in  de 
Situs  von  Beschwörung  und  Sühnung  der  Blitze,  und  dieser  Scrupel 
mag  Manchen  von  solchen  Versuchen  abgeschreckt  haben.    Li  dem- 
selben Sinne  hatte   schon  das  mosaische  Gesetz  verboten^   natürlich 
Geschiedenes  zu  paaren,    Bastarde  zu  erzielen,   Kleider  zugleich  aas 
Wolle  und  aus  Lein  gewebt  zu  tragen,   Ochsen  und  Esel  zusammen 
vor  den  Pflug   zu  spannen   und   den  Acker   mit  zweierlei  Saat 
zu   besäen    (Levit.  19,  19).     Lidess,    diese   eifrige   Bemühung  des 
Pfropfens,   Impfens  und  Lioculirens,    so  aberwitzig   sie  sein  mochte, 
wenn  sie  über  die  Grenzen  des  Natürlichen  hinaus  wollte,  trug  doch 
dazu  bei,  die  Mannichfaltigkeit  und  Vollkommenheit  der  einst  fremden, 
jetzt  eingebürgerten  Früchte   immer  weiter   zu   steigern.     Das  Obst, 
die  ursprüngliche,  des  Feuers  nicht  bedürftige  Nahrung  des  Menschen, 
der  nur  in  den  Himmelsstrichen  sich  schön  entwickelt,  wo  die  Baum- 
früchte  gedeihen,    veredelte    und    verbreitete   sich   nicht   nur  durch 
ganz  Italien,    und  wurde  bis  auf  den  heutigen  Tag  auch  in  der  Fa- 
milie des  Armen  ein  nothwendiger  Bestandtheil  des  täglichen  Mahles, 
sondern    ging   hoch    über    die  Alpen    in    das  mittlere  und  westliche 
Europa   hinüber,   wo    das    Klima    bei    entsprechender  Einsicht   und 
Thätigkeit   des  Kulturmenschen    diese  Zucht   noch    erlaubte,  ja  be- 
günstigte.    Frankreichs  Boden   und  Himmel    erzeugt  jetzt  das  aller- 
feinste  Obst,   England   hat   auch   in  diesem  Zweige  die  Kultur  aufe 
höchste  getrieben,    und  dem  Beispiel  beider  Länder  folgte  in  einiger 
Entfernung  Deutschland  nach.   Letzteres  Land  hielt  Tacitus  für  schon 
zu  kalt  zum  Obstbau,  obgleich  für  Getreidebau  noch  geeignet,  Genn.  5: 
terra  .  .  .  satis  ferax^   frugiferarum  arborum  impatien»^   und  die  Ein- 

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Obstzucht,  Impfen  und  Pfropfen.  353 

wohner  nährten  sich  yon  wilden  Beeren,  frischem  Wildpret  und  saurer 
Milch,  23:  cibi  9impl%ces\  agrestia  poma^  recens  fera  et  lac  concretum; 
in  der  That  trägt  der  Norden  Deutschlands  auch  heat  za  Tage  in 
offenen  Gärten  keine  italienischen  Feigen^  Mandeln  and  Pfirsiche. 
In  dem  Donangebiet  befinden  sich  die  meisten  Arten  noch  sehr  wohl 
und  die  Einfuhr  frischen  und  trockenen  Obstes  von  dort  (und  be- 
sonders Ton  Böhmen)  in  das  deutsche  Reich  betrug  schon  vor  einigen 
Jahren  gegen  300,000  Centner  zum  Werth  von  mindestens  9  Millionen 
Mark.  Je  weiter  nach  Nordosten,  in  die  Region  des  excessiven 
Klimas  mit  harten  Wintern  und  Frühlingsfrösten,  desto  mehr  ver- 
kümmert der  Fruchtbaum,  und  in  den  Dörfern  des  eigentlichen  Mos- 
kowien  &llt  es  den  Bauern  nicht  ein,  einen  Baum  zu  pflanzen  oder 
im  Herbst  eine  fröhliche  Aepfel-  oder  Bimenemte  halten  zu  wollen. 
Das  heutige  Europa  hat  die  Versuche  angegeben,  NQsse  auf  Eichen 
Bu  pfropfen  und  dergleichen;  es  veredelt  auch  den  Wein  nicht  mehr 
durch  Impfen,  wie  doch  Cato  that;  es  operirt  durch  zweckmässige 
Wahl  und  Pflege  und  sucht  f&r  den  jedesmaligen  Standort  die  ihm 
zusagende  Frucht.  Dass  die  Namen  der  mitteleuropäischen  Früchte 
aas  Italien  stammen,  haben  wir  bei  Besprechung  jeder  einzelnen 
gesehen;  dasselbe  tritt  grösstentheils  bei  den  Benennungen  der  Yer- 
edlungsmanipulation  ein.  Das  in  der  lex  Salica  vorkommende  inpotus 
ftr  Pfropfreis,  das  französ.  ente^  enter^  proven^alisch  entar^  ahd.  im- 
püon^  mhd.  impfetm^  ndl.  mten^  nhd.  impfen^  gehen  aUe  auf  das 
griechishe  €fiq>vTog,  i^g>VTev€iv  zurück;  i&sst  man  das  Gebiet  ins 
Auge,  in  welchem  dieser  Ausdruck  herrscht  —  er  kommt  unter  den 
italienischen  Mundarten  in  der  von  Piemont,  Parma,  Modena  vor,  s. 
Diez  — ,  so  wird  glaublich,  dass  die  damit  bezeichnete  Erfindung  den 
keltischen  Bewohnern  des  westlichen  Oberitaliens,  der  Rhonegegend 
und  durch  diese  den  Landschaften  am  Ober-  und  Dnterrhein  von 
einer  griechischen  Seestadt  zugekommen  ist  —  wobei  Jedem  zunächst 
Massilia  einfallen  muss.  Eine  griechische  Quelle  scheint  auch  dem 
französischen  grefe  Propfreis,  grefer  pfropfen,  zu  Grunde  zu  liegen, 
8.  Diez  unter  diesem  Wort.  Der  andere  deutsche  Ausdruck  pfropfen, 
Pfropfreis  führt  dagegen  direkt  auf  Italien  und  ins  Lateinische: 
prcpago^  ein  dritter:  pelzen  stammt  vom  proven^aL  errvpeltar^  welches 
selbst  von  pelUs^  der  Haut  d.  h.  der  Rinde  des  Baumes,  gebildet  ist. 
Nicht  minder  interessant  aber  als  diese  lebendigen  Zeugen  des 
Kaltureinflusses  vom  klassischen  Süden  her  ist  das  einheimische  Wort, 
welches  Ulfilas  an  mehreren  Stellen  im  eilften  Kapitel  des  Römer- 
briefes für  das  griechische  iyxevtQLt^Biv  braucht:  intrisgan,  intrvsgjan. 

Viet  Hehn»  Knltarpflanxen.  23  /^^  t 

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354  AgrurnL 

Es  fehlt  in  allen  übrigen  deutschen  Mundarten,  findet  sich  aber  aaf 
slavischem  Gebiet  wieder  und  gehört  also  zu  der  Zahl  merkwürdiger 
Erborgungen  der  ostgermanischen  Sprachen  aus  dem  Slavischen.  Die 
Bedeutung  war  spalten  und  mit  der  Pr&position  in:  einspalten, 
in  einen  Spalt  senken.  Im  Slavischen,  wo  dieser  Stamm  mannich- 
fach  verzweigt  ist,  entwickelt  sich  aus  der  YorsteUuDg  spalten,  platzen, 
die  des  Krachens,  ferner  die  des  Blitzes  als  spaltenden  Donnerkeik: 
nsl.  tr&notij  russ.  tremuti  findig  rumpiy  russ.  tregiaü  platzen,  treiOna 
Spalt,  altsl.  triska  sarmentmn^  tr&ku  .fuimen^  trimuM  percutere^  bdg. 
tr&k  Span,  croat.  triskati  einschlagen,  tr&kati  strepüum  edere  u.  s.  w. 
Litauisch  scheint  trukis  ein  Riss,  eine  Spalte,  trukti  platzen  (mit 
langem  Yocal,  Nessehnann  S.  118)  dasselbe  Wort  zu  sein.  Ob  auch 
das  griechische  'ri^x^og,  tgexvog  Ast,  Zweig  dahin  gehört?  Den  näm- 
lichen Bedeutungsübergang  von  spalten  zu  pfropfen  zeigt  ein  anderer 
slavisch-litauischer  Stamm:  cipati,  elpiti  findere^  dp  surctUus  iweriu^ 
cipina  segmentum^  lit.  czepiH  pfropfen,  ezepas  Pfröpfling  u.  s.  w. 
(Noch  andere  auf  die  Veredlung  der  Obstbäume  sich  beziehende, 
grösstentheils  secundäre  Benennungen  gesanmielt  von  Pott  in  den  Bei- 
trägen von  Kuhn  und  Schleicher  11,  S.  401  ff.). 


Agriimi- 


Der  Phantasie  des  Nordländers,  der  sich,  wie  alle  hyperboreischen 
Völker  seit  mehr  als  zweitausend  Jahren,  nach  dem  schönen  Süden 
sehnt,  schweben  vor  Allem  die  Hesperidenbäume  mit  den  goldenen 
Früchten  vor,  die  er  unter  seinem  Nebelhimmel  nur  in  Papier  ge- 
wickelt aus  der  Hand  des  Schiffers  oder  des  Eaa£D:ianns  erhält.  Und 
in  der  That,  welcher  Gartenbaum  könnte  der  Orange  an  Schönheit 
und  Adel  den  Bang  streitig  machen!  Hoch  und  stattlich,  wo  das 
EUma  mild  und  der  Boden  üppig  genug  ist,  mit  glänzendem,  dunklem, 
immergrünem  Laube^  mit  lilienartig  duftenden  weissen  Blüten,  die 
das  ganze  Jahr  hindurch  hervorbrechen,  mit  erst  grünlichen,  dann 
allmählig  golden  schimmernden  Früchten,  deren  Schale,  mit  flüchtigem 
Oel  gefüllt,  aromatisch  duftet,  deren  Geschmack  je  nach  den  Varie- 
täten von  balsamischer  Bitterkeit  und  der  strengsten,  aber  fdnsten 
Säure  bis  zum  süssesten  Nektar  aufsteigt,  mit  festem,  dichtem  Holze 
und  einer  Lebensdauer,  die  die  des  Menschen  bei  weitem  übertrifft  — 


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Agrumi  855 

in  welchem  anderen  Baume  des  Südens  wäre  so  die  Kraft  der  Sonne 
und  der  sanfte  Hauch  der  Lüfte  und  der  lichte  Glanz  des  TTtTnmftlfl 
ZQsammengeiasst  und  vegetativ  dargestellt,  als  in  den  Aorantiaceen! 
An  den  Gitronenhain  in  der  Nähe  von  Porös  im  Peloponnes,  an  die 
Agnuni  von  Messina  am  Fasse  des  Aetna  und  dem  gegenüberliegenden 
R^lgio  in  Calabrien,  an  die  Gärten  von  Sorrento  bei  Neapel  nnd  die 
saaberischen  Pomeranzenwälder  von  Milis  auf  der  Insel  Sardinien 
denkt  jeder  Reisende,  der  das  Glück  gehabt,  sie  zu  sehen,  immerfort 
mit  Entzücken  zurück.  Der  Agmmiwald  von  Porös  zieht  sich  etwa 
eine  Stunde  in  die  Länge  und  in  die  Breite  den  sanften  Abhang  des 
Gebirges  in  die  Ebene  hinab  und  gewährt  von  seinem  erhöhten 
Rande  zi^leich  eine  herrliche  Aussicht  über  Land  und  Meer  und  die 
geäiüimten  Felsgipfel;  reiche  Quellen,  die  aus  den  Bergen  kommen, 
bewässern  ihn  in  man^ichfach  vertheilten  Rinnsalen;  die  Bäume 
stehen  licht,  doch  so,  dass  sich  die  Zweige  gegenseitig  berühren;  die 
Zahl  der  Stämme  beträgt  30,000  (nach  Ross,  Königsreisen  11,  S.  7; 
bei  Fiedler,  Reise  I,  S.  282,  steht  2000,  wohl  durch  Druckfehler  statt 
20,000).  Ueber  die  Orangen  von  Milis  giebt  Alfred  Meissner,  Durch 
Sardinien,  S.  183  folgenden  kurzen,  aber  schönen  Bericht:  „Es  giebt 
der  Orangengärten  um  Milis  herum  über  dreihundert;  die  grössten 
gehören  dem  Domkapitel  von  Oristano  und  dem  Marquis  von  Boyl 
an.  Ich  liess  mich  zuerst  in  den  einen,  dann  in  den  andern  führen. 
Beides  sind  kleine  Wälder,  einzig  aus  Pomeranzenbäumen  gebildet. 
In  der  freien  Natur  hat  der  Baum  seine  steife  Eugelform  verloren, 
er  streckt  und  reckt  seine  Aeste  nach  allen  Seiten,  und  in  seiner 
Krone  leuchten  die  goldenen  Aepfel,  die  silbernen  Blüten.  Man 
wandelt  unter  einem  ununterbrochenen,  schattenden,  schimmernden 
Laubdach.  Eine  dicke  Schicht  herabgefallener  Orangenblüten  deckt 
den  Boden,  kleine  Bächlein  sind  an  den  mächtigen  schwarzen  Wurzeln 
Torübergeleitet,  ihr  Gemurmel  vereinigt  sich  mit  dem  Gesänge  der 
Vögel,  die  in  den  Zweigen  wohnen.  Man  kann  in  diesem  Haine 
der  Hesperiden  frei  umhergehen,  die  Zweige  bei  Seite  biegen,  die 
dem  Wanderer  ihre  Blüten  ins  Gesicht  schlagen,  und,  von  einem ' 
Dnf^  ohne  Gleichen  berauscht,  sich  in  den  Schatten  von  Orangen 
strecken,  die  so  mächtig  wie  Waldbäume  sind.  —  Der  gesammte,  den 
verschiedenen  Besitzern  gehörige  Orangenwald  von  Milis  soll  500,000 
Bäame  zahlen.  Er  giebt  in  einem  Durchschnittsjahre  zwölf  Millionen 
Stack  solch  goldener  Aepfel  ab^  (nach  einem  Gewährsmann  bei  La 
Marmora  60  Millionen,  wohl  übertrieben).  „Im  Garten  des  erz- 
bischöflichen Kapitels   ist  ein  Baum,    der  allein   jährlich  über  5000 

23* 

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356  Agrumi. 

Früchte  tragen  soll.  Melirere  Bäume  dort  sind,  wie  mir  der  Gärtner, 
ein  Geistlicher,  sagte,  nachweisbar  über  sieben  Jahrhunderte  alt. 
Der  Urvater  von  aUen  steht  im  Garten  des  Marchese  von  BoyL  Er 
ist  so  stark,  dass  ein  Mann  ihn  mit  ausgebreiteten  Armen  nicht  um- 
spannen kann;  seine  Krone  ist  majestätisch,  wie  die  einer  Eiche.  Der 
Gang  durch  den  Orangenwald  von  Milis  schien  mir  allein  schon  die 
Heise  nach  Sardinien  zu  lohnen.  In  einem  Pavillon  im  hochstgele- 
genen  Giirten  sitzend,  sah  ich  die  herrlichste  der  Campagnen  sich 
meilenweit  ausdehnen,  das  Abendroth  lieh  dem  freundlichen  Bilde 
eine  zauberische  Beleuchtung.*'  Aehnlich  ist  das  ürtheil  des  Frei- 
herm  von  Maltzan,  der  die  Vega  von  Milis  ausfuhrlich  schildert 
(Reise  auf  der  Insel  Sardinien,  Leipzig  1869,  S.  246  fif.).  Das  reizende 
Puerto  de  Soller  auf  der  Insel  Mallorca  soll  dem  sardinischen  Milis 
an  Schönheit  und  Fülle  dieser  Kultur  nicht  nachstehen.  Dort  ver- 
bindet sie  sich  mit  dem  Terrassenbau  an  heissen  schuttreicben  Fels- 
wänden, über  die  die  Winterbäche  herabstürzen;  während  die  fast 
senkrechten  Bergzinnen  ringsum  glühen,  hat  doch  die  Sonne  Raum, 
in  das  Thalbecken  zu  dringen,  und  ein  Flüsschen  entsendet  seine 
Wasserfaden  nach  allen  Seiten  hin  durch  Rinnen  und  über  Aquäducte 
in  die  Gärten.  Die  jährliche  Ausfuhr  aus  dem  Hafen  von  Soller 
betrug  nach  Pagenstecher  (die  Insel  Mallorca,  Leipzig  1867,  S.  97  ff.) 
über  50  Millionen  ausserordentlich  süsser  Orangen,  die  damals  an 
Bord  der  Schiffe  etwa  eine  Million  Franken  werth  waren;  nach 
M.  Willkomm  (über  Südfrüchte,  in  der  Sammlung  vnssenschafüicher 
Vorträge  von  Virchow  und  Holtzendorff,  Heft  266  und  267,  Berlin 
1877)  wäre  der  Werth  an  Ort  und  Stelle  gegen  4  Millionen  Franken. 
Leider  hat  in  den  letzten  Jahren  die  Gummikrankbeit  unter  den 
Orangen  von  Mallorca  bedrohliche  Fortschritte  gemacht 

Indess,  dies  Alles  sind  doch  nur  Oasen  in  dem  südlichen  Europa, 
welches  weit  entfernt  ist,  ein  eigentliches  Orangenland  zu  sein.  Der 
Tourist  muss  schon  eigens  darauf  ausgehen,  wenn  er  an  einzelnen 
Punkten  dem  momentanen  Genuss  oder  der  magischen  Täuschong 
einer  fr^en  Hesperidenwaldung  sich  hingeben  will.  In  Griechenland 
wird  die  Agrumikultur  weder  in  nennenswerthem  Umfang  betrieben, 
noch  sind  die  gewonnenen  Südfrüchte  von  sonderlicher  Güte,  viel- 
mehr bald  dickschalig  und  saftlos,  bald  sauer  oder  bitter  u.  s.  w.;  in 
Oberitalien  sind  die  im  Sommer  so  reizenden  sogenannten  giardm 
am  Westufer  des  Gardasees,  der  riviera  di  Salo,  doch  nur  an  Maaem 
gelehnt  und  werden  bei  Eintritt  der  rauhen  Jahreszeit  mit  einem 
Ziegeldach  und  bretternen  Seitenwänden  verwahrt;  durch  ganzOber- 

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Agromi.  357 

und  Mittelitalien  trifft  man  die  Limone  in  den  G&rten  zwar  hänfig, 
aber  immer  in  grossen  thönemen  Kübeln;  aach  in  dem  warmen 
SiciUen  furchtet  der  Baum  die  Dürre  des  Sommers  und  die  Stürme 
des  Winters  und  fehlt  darum  an  der  ganzen  West-  und  Südküste 
der  Insel,  mit  Ausnahme  weniger  begünstigter  Flecke.  Und  wie  diese 
Natorarmuth  geeignet  ist,  den  erwartungsvollen  Wanderer  zu  ent- 
täuschen, so  auch  die  historische  Jugend  des  (Baumes  in  Europa, 
der  den  Alten  in  ihrer  besten  Zeit  ganz  unbekannt,  in  der  späteren 
Zeit  nur  halb  bekannt  war.  Die  goldenen  Aepfel,  die  Herkules  dem 
Atlas  abnahm,  und  jene  anderen  aphrodisischen,  durch  welche  Ata- 
lante  im  Wettlauf  mit  ihrem  schönen  Freier  sich  aufhalten  liess, 
waren  keine  mala  citria^  wie  die  Alten  später  annahmen,  noch  we- 
niger Apfelsinen,  wie  Neuere  öfter  geträumt  haben,  sondern  zur  Zeit 
der  Einführung  dieser  orientalischen  Naturmythen  nur  als  wirkliche, 
wemi  auch  idealisirte  Aepfel,  Quitten  oder  Granaten  gedacht.  Erst 
als  Alexander  der  Grosse  durch  seine  Kriegszüge  und  die  Errichtung 
eines  griechischen  Reichs  im  Herzen  Asiens  den  Schleier  gehoben 
hatte,  der  das  Innere  dieses  Welttheils  deckte,  hörten  die  europäischen 
Griechen  von  einem  Wunderbaum  mit  goldenen  Früchten  in  Persien 
und  Medien.  Damals  schrieb  Theophrast  bei  Abfassung  seiner 
Pflanzengeschichte  die  berühmte  Stelle  nieder,  in  der  er  von  diesem 
Baum  Nachricht  gab  und  die  ein  halbes  Jahrtausend  lang  wiederholt, 
nachgeahmt  und  als  Quelle  benutzt  wurde,  4,  4,  2:  der  Osten  und 
Süden  besitzt  ihm  ganz  eigenthümliche  Thiere  und  Pflanzen,  wie 
Medien  und  Persien  neben  vielem  Andern  den  sogenannten  medischen 
oder  persischen  Apfel,  olov  ij  %e  Mtjdia  %iOQa  xai  Hegoig  akka  re 
^<t  nkeiü)  xai  to  fi^kov  %6  fiTjdixov  ij  to  negoixov  xaXovfxevov. 
Er  hat  Blätter  wie  die  Andrachle  und  spitze  Stacheln;  der  Apfel 
wird  nicht  gegessen,  duftet  aber  schön,  wie  auch  die  Blätter;  unter 
Kleider  gelegt,  schützt  er  diese  gegen  Motten;  wenn  Jemand  Gift 
bekommen  hat,  giebt  er  ein  wirksames  Gegengift  ab;  wenn  man  ihn 
kocht  und  das  Fleisch,  t6  eacod'ev^  in  den  Mund  ausdrückt  und 
hinunterschluckt,  verbessert  er  denAthem;  man  steckt  die  Kerne  im 
Frühling  auf  wohlbearbeiteten  Grartenbeeten,  die  alle  vier  oder  fünf 
Tage  gewässert  werden;  sind  die  Pflanzen  herangewachsen,  so  werden 
sie  wieder  im  Frühling  auf  einen  zarten,  feuchten,  nicht  allzuleichten 
Boden,  eig  xtoQiov  fiakaxov  xai  B(pvdQOv  xai  ov  liav  Xenrov^  ver- 
setzt; der  Baum  trägt  das  ganze  Jahr  hindurch  und  prangt  gleich- 
zeitig mit  Blüten,  mit  unreifen  und  mit  reifen  Früchten  (dasselbe 
auch  de  c.  pl.  1,  11,  1  und  1,  18,  5);  von  den  Blüten  smd  diejenigen, 

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358  Agrumi. 

die  in  der  Mitte  eine  Art  Spindel,  rjXaxdrrjv^  tragen,  fraditbar,  die 
anderen  nicht  (dasselbe  auch  1,  13,  4);  man  zieht  den  Baum  anch 
in  dorchlöcherten  tbonemen  Gefässen,  aneigsrai  de  xai  eig  ooTQaxa 
diatezQTifiiva^  wie  die  Palmen;  dieser  Baom  wächst,  wie  gesagt,  in 
Peisis  nnd  Medien,  tibqI  ti^v  JlaQaiöa  xai  tt/v  Mrjdiav.  An  dieser 
sehr  sorg&ltigen,  obgleich  aas  der  Feme  entworfenen  Schilderung 
fällt  nor  auf,  das»  die  Frucht  selbst  nach  Grösse,  Gestalt,  Farbe  und 
innerer  Beschaffenheit  nicht  näher  beschrieben  wird.  Waren  etwa 
medische  Aepfel  schon  nach  Athen  gekommen  und  den  Lesern  des 
Theophrast  nicht  unbekannt?  Wirklich  scheint  ein  uns  aufbehaltenes 
Fragment  des  der  sog.  mittleren  Komödie  angehörenden  Dichters 
Antiphanes  sich  dahin  deuten  zu  lassen,  Athen.  3,  p.  84  (nach  Meineke's 
Redaktion): 

xai  nsgi  fiiv  oxpov  y*  ^li^wv  to  xai  Xiyevv 
äaneg  nqbg  änlijaTovg,  dXXa  Tavri  Xafißave 
Ttag&eve  tä  fiijXü.  JB.  xaXa  y€.  J.  xaXd  d^r*  c3  %^«o/* 
vecjGti  yccQ  t6  oniQ^a  Tovi*  atpiyixivov 
elg  Tag  ^A&r]vag  iaxi  naga  xov  ßaeiXiaig, 
B.  naQ*  'Eanegidwv  ^littjv  ye.    A.  vii  ziqv  O(aaq>6Q0v 
(paoiv  xd  xQvod  lA^Xa  xavt*  elvai.    JB.  TQia 
fiovov  ioriy.    A.  oXiyov  to  xaXov  iaxi  navtaxov 
xai  Tifxiov, 
Die  Lebenszeit   des  Antiphanes   steht  nicht  ganz  fest:   nach  Suidas 
wäre  er  im  Jahre  328  vor  Chr.  gestorben,  also  gerade  zur  Zeit  von 
Alexanders  Zügen  in  Asien:  in  einem  andern  Fragment  des  Dichters 
wird  aber  der  König  Seleukus  erwähnt,  wonach  er  beträchtlich  länger 
gelebt  haben  müsste;  doch  könnte  dies  letztere  Fragment  dem  jüngeren 
Haupte   der  mittleren  Komödie,    dem  Amphis,    angehören    und   dem 
Antiphanes   durch  Verwechslung   mit   diesem  zugeschrieben   worden 
sein.    Da  in  unserer  Stelle  die  Früchte,  to  aniQjtia  Tovto,  vom  Ba- 
oiXevg  gekommen  sind  und  zwar  neulich,   vetoari^  so  ist  der  letztere 
und  sein  Reich  also  als  noch  bestehend  gedacht;  da  femer  während 
Alexanders  Vordringen    ein   häufiger  Verkehr   zwischen  dem  Heere 
und  der  Heimat  Statt   fand,   Verstärkungen    und  Kriegsmaterial  von 
Europa  dorthin,  von  dort  Kranke  und  Beutestücke  zurück  nach  Europa 
gingen,   so  mögen   während  dieser  Zeit   auch  persische  Aepfel  ihr<^ 
Weg  nach  Athen  gefunden  haben,   so  gut  wie  noch  jetzt  Apfelsinen 
von  Sicilien  bis  in  die  Hauptstadt  von  Sibirien  dringen.    Selten  und 
neu  sind  sie  noch,  mit  Bewunderung  werden  sie  angeschaut,  mit  den 
Hesperidenäpfeln  verglichen;    der  Geber  besitzt  nur  drei,  denn,  sagt 

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Agmmi.  359 

er,  das  Schöne  ist  überall  eben  so  rar  als  gesucht    Aber  nach  Grün- 
dung der  griechischen  Königreiche    im  innem  Asien  konnte  es  nicht 
feUen,  dass  die  Hesperidenfnichi  häufig  auf  dem  europäischen  Markt 
erschien;  doch  essbar  war  sie  nicht,  und  so  wundervoll  ihr  Aeusseres 
schien,  so  abscheulich  der  Zunge  ihr  Saft.    Der  Glaube  an  ihre  von 
Theophrast   zuerst   Terkündigten   Eigenschaften,    die   giftzerstörende, 
Ungeziefer  vertilgende  Kraft  und  die  Reinigung  des  Athems,   wurde 
eine  auch  im  Abendlande   allgemein    herrschende  Phantasie.     Yergil 
in  seiner  Schilderung  des  Baumes  und  der  Frucht,  Georg.  2,  126: 
Media  fert  tristü  succos  tardumque  saporem 
FeUcis  mali:  quo  non  pratsentius  uüum^ 
Poctda  si  quando  saevae  infecere  novercae  u.  8.  w. 

ist  ganz  von  Theophrast  abhängig,  dessen  Worte  er  nur  poetisch  um- 
setzt: glücklich  nennt  er  den  medischen  Apfel,  weil  er  den  guten 
Mächten  dient  und  den  Geschöpfen  des  bösen  Gottes,  Gift,  Gewiirm, 
unreinem  Athem  entgegenwirkt;  aber  sein  Saft  ist  trütis  d.  h.  stechend 
(wie  Ennius  den  Senf  triste  genannt  hatte,  s.  o.),  und  sein  Geschmack 
tardus  d.  h.  lange  haftend.  Dass  direkte  Versuche  die  in  der  Fracht 
liegende  antidotische  Lebenskraft  unwiderleglich  bestätigten,  brachte 
die  Natur  des  Wunderwahnes  mit  sich,  dem,  wenn  er  tief  gewurzelt 
war,  die  Erfolge  niemals  gefehlt  haben  (Marc.  9,  23:  „alle  ding  sind 
müglich  dem  der  da  glaubet*').  So  wird  bei  dem  fingirten  GasLmal 
des  Athenäus  3,  p.  84  nach  beglaubigten  Aussagen  erzählt,  dass  in 
Aegypten  Verbrecher,  die  zufällig  von  einer  solchen  Frucht  gekostet 
hatten,  wilden  Thieren  und  giftigen  Schlangen  vorgeworfen  wurden 
und  unversehrt  blieben:  dass  man  darauf  von  zwei  Verbrechern  dem 
einen  dies  G^engift  auf  seinem  letzten  Gange  mitgegeben,  dem  andern 
nicht,  und  der  letztere  auf  der  Stelle  vom  Schlangenbiss  getödtet 
worden,  der  erstere  ohne  Schaden  davongekommen  sei;  dass  dieser 
Versuch  dann  häufig  und  immer  mit  demselben  Erfolge  wiederholt 
worden  sei.  Als  die  Deipnosophisten  des  Athenäus  dies  hörten, 
griffen  sie  fleissig  nach  den  aufgetischten  medischen  Aepfeln,  nicht 
des  Geschmackes  wegen,  dürfen  wir  hinzusetzen,  und  wohl  uDter 
Gesichterschneiden.  Die  zweite  Eigenschaft  der  Frucht,  dass  sie 
verderbliches  Ungeziefer  abwehrte,  gab  zu  dem  lateinischen  Namen 
citrusj  malum  citreium u.  s.  w.  Veranlassung.  Das  griechische  xeditog^ 
mit  welchem  die  duftenden  unzerstörbaren  Coniferen-Hölzer,  Wach- 
holderarten,  Cedem,  Thuja  articulata  u.  s.  w.,  die  nicht  nur  selbst 
den  Würmern  widerstanden,  sondern  auch  die  Kleider  vor  denselben 
bewahrten,  bezeichnet  wurden,    —  dies  xiÖQog  war  in  Italien  durch 

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360  AgnimL 

populäre  Entstellang  zu  citrus  gewordeo  (wie  mala  coixmea  für  xt»- 
diüvia^  Euretice  für  Euryddce,  taeda  für  d^da  und  manches  Andere). 
Citrus  bedeutete  insbesondere  das  aus  Afrika  seit  alter  Zeit  einge- 
führte Holz  des  Lebensbaumes^  Thuja  articulata,  aus  dessen  Masern 
in  der  späteren  Epoche  des  Luxu^  und  Reichthums  kostbare  Tisch- 
platten gefertigt  wurden,  das  aber  mit  seinem  aromatischen  Dufte 
auch  die  Motte,  den  Erbfeind  der  wolletragenden  Völker  des  Alter- 
thums,  von  den  Eleiderkisten  fem  hielt,  Plin.  13,  86:  libros  citratos 
futsse;  propterea  arbitrarier  iineas  non  teügisse.  Auf  diese  Sitte,  die 
wollenen  Tuniken  durch  Harz  oder  Splitter  der  Thuja  oder  südlicher 
Wachholderspecies  vor  der  Zerstörung  zu  sichern,  bezieht  sich  viel- 
leicht der  schon  von  Nävius  in  seinem  Epos  vom  ersten  punischen 
Kriege  gebrauchte  Ausdruck  citrosa  vestis  d.  h.  das  citrusduftende 
Kleid  (Macrob.  Sat.  3,  19,  4),  obgleich  Festus  p.  42  Müller  und 
Isidorus  darunter  ein  wie  die  CitruSiT^em  geflammtes  verstanden 
wissen  wollen.  Da  nun  der  goldene  medische  Apfel  gleichfalls  und 
zu  dem  gleichen  Zweck  in  die  Kleiderladen  gelegt  wurde  —  und 
diese  Sitte  erhielt  sich,  wie  wir  aus  Athenäus  ersehen,  bis  zu  den 
Zeiten  der  Grossväter,  d.  h.  bis  in  den  Anfang  des  zweiten  Jahrh. 
nach  Chr.  — ,  auch  der  Duft  der  Schale  einiger  Massen  dem  des 
Cederharzes  analog  ist,  so  wurde  er  in  der  Vorstellung  des  Volkes 
zur  Frucht  des  Gitrusbaumes  und  im  gemeinem  Leben,  später  auch 
bei  den  Gebildeten,  ja  bei  den  Griechen  danach  benannt.  Dioscorides 
1,  166  sagt  noch:  ta  di  fiTjdcxä  Xeyofieva  ^  nsQOixa  ij  xedQo^r^hxy 
(fWfiaiaTl  de  xixQia^  aber  Galenus  de  aliment.  facult  2,  37  lacht 
schon  über  diejenigen  seiner  Collegen,  die  aus  gelehrter  Affeetation 
sich  des  allgemein  verständlichen  xitgiov  enthalten  und  statt  dessen 
To  firidixov  fifjkov  sagen.  Der  Zeitgenosse  des  Gtilenus,  der  Afrikaner 
Apulejus,  der  eine  Schrift  de  arboribus  geschrieben  hatte,  tadelte  da- 
rin, wie  Servius  zu  der  oben  angeführten  Stelle  des  Vergil  berichtet, 
die  Gewohnheit,  den  Baum  mit  dem  medischen  Apfel  als  citrus  zu 
bezeichnen,  da  beide  ganz  verschieden  seien:  Iianc  plerique  citrum 
volun%  quod  negat  Apidejus  in  libris  quos  de  arboribus  scripsit  et  docet 
longe  aliud  esse  genus  arboris.  Aber  der  Name  war  in  der  Sprache 
des  Volkes  herrschend  geworden  und  konnte  in  einer  Zeit,  deren 
Signatur  gerade  die  Reaction  des  Populären  gegen  die  Bildung  war, 
nicht  mehr  ausgerottet  werden. 

Seit  wann  aber  darf  man  annehmen,  dass  der  Baum  selbst  in 
Italien  gezogen  wurde,  und  welche  Art  des  Genus  citrus  war  es, 
welcher    die   einst   in  Athen,    dann   in  Italien   und   nach  Juba  von 

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AgrumL  361 

Maoritanien  auch  in  Libyen  als  Hesperidenäpfcl  angeschaute  Frucht 
angehörte? 

Hätten  die  älteren  unter  den  griechischen  und  römischen  Schrift- 
steilem  den  Baum  schon  in  Europa  mit  Augen  gesehen,    sie  hätten 
sich  nicht  so  lange  ausschliesslich  an  die  Beschreibung  des  Theophrast 
gehalten,   und  noch  viel  weniger  hätte  der  Name  citrus  für  ihn  auf- 
kommen können.    Plinias  giebt  ganz  die  Schilderung  des  Theophrast 
wieder,   dann    setzt  er   hinzu  12,  16:    temptavere  gentes  tramferre  ad 
uxe  propter  remecU  praestantiam  ßctilibus  in  vasiSy   dato  per  cavemas 
radicäms   spiramento  .  .  .  .,   sed  nisi   apud  Medos   et  in  Perside  nasci 
noluit    Also  Versuche  waren  bereits  gemacht  worden,    aber,  wie  es 
mit  ersten  Versuchen  oft  geht,  vergebliche;   man  hatte  Bäumchen  in 
thönemen  durchlöcherten  Kübeln  reisen  lassen,  sie  waren  aber  ausser- 
halb Mediens  und  Persiens  nicht  fortgekommen,   oder  hatten  wenig- 
stens keine  Früchte  angesetzt^  16,  135:  fastidit...  nataAssyria  malus 
alild  ferre.    Ohne  diese  ausdrücklichen  Zeugnisse  könnte  eine  andere 
Stelle  des  Plinius   für  die   entgegengesetze  Meinung  benutzt  werden, 
13, 103:  alia  est  arbor  eodem  nomine  (arbor  citn)^  malum  ferens  exe- 
crafyim  aliquis  odore  et  amaritudiney    aliis  eapetitum,  domtcs  etiam  de- 
corans^  nee  dicenda  verbosius.   Hier  sind  die  drei  letzten  Worte  durch 
die  schon   früher   von    dem  Autor   nach    Theophrast   gegebene  Be- 
schreibung motivirt,  die  drei  vorhergehenden:   domus   etiam  decorans 
erklaren   sich  durch    die  im  Text   eben    beendigte    ausführliche  Be- 
sprechung der  aus  dem  afrikanischen  Citrusholz  gearbeiteten  Pracht- 
üsche.    In  wie  fem  aber  schmückte,  wie  jener  afrikanische,  so  auch 
dieser  medische  Baum   die  Häuser?     Stand  er  in  Kübeln  unter  den 
Säulen  der  Halle  und  war  er  also  doch,  der  obigen  Versicherung  zu- 
wider,  auch   ausserhalb  Mediens   lebensfähig?     Oder    zierte   er    die 
Wohnungen  der  Reichen  nur  durch  seine  Früchte,  die  etwa  als  xe/- 
^iiilia  auf  Tischen   und  Gesimsen    prangten  und    die  Dämonen  des 
Verderbens  als   felicia  mala   abhielten?    Ein   oder  anderthalb  Jahr- 
hunderte  nach  Plinius   wenigstens   muss  der  Baum  schon  ein  wirk- 
licher Schmuck  der  Villen  und  Gärten  begünstigter  Landschaften  ge- 
wesen sein.   Florentinus,  der  im  ersten  Drittel  des  dritten  christlichen 
Jahrhunderts  gelebt  haben  wird  und  dessen  Werk  zwar  verloren  ge- 
gangen ist,   aber  dem  Inhalt  nach  zum  grossen  Theil  in  der  Samm- 
lung der  Geoponika  des  Cassianus  Bassus  sich  wiederfindet,  schildert 
10,  7  die  Kultur  der  xiTgiai  ganz  nach  dem  Bilde  der  heut  zu  Tage 
in  Oberitalien  z.  B.  in  den  giardini   des  Gardasees,    gebräuchlichen; 
man  zieht  sie  an  der  Südseite  von  West  nach  Ost  laufender  Mauern, 

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362  Agnuni 

bedeckt  sie  im  Winter  mit  Matten,  tpid&oigy  u.  s.  w.  Reiche  Leute, 
fügt  Florentinas  hinzu,  die  Aufwand  machen  können,  pflanzen  sie 
unter  Säulengangen,  die  der  Sonne  geoffiiet  sind,  an  die  Mauer,  be- 
giessen  sie  reichlich,  lassen  die  Sommerglut  auf  sie  wirken  und  be- 
decken sie,  wenn  der  Winter  naht  Also  doch  nur  Treibhauskultur. 
Bei  Palladius,  der  im  vierten  oder  vielleicht  erst  im  fOnften  Jahr- 
hundert lebte^  wachsen  Citronenbäume  auf  Sardinien  und  bei  Neapel, 
also  in  warmen,  durch  Seeluft  gemilderten  Gegenden,  auf  fettem, 
reichlich  bewässertem  Boden,  Winter  und  Sommer  unter  freiem 
Himmel,  und  die  bisher  nur  traditionellen,  halb  sagenhaften  Vor- 
stellungen konnten  jezt  an  der  Wirklichkeit  gemessen  und  berichtigt 
werden.  So  fand  sich  z.  B.,  dass  der  Baum  wirklich,  wie  schon 
Theophrast  angegeben  hatte,  immerfort  Blüten  und  Früchte  hervor- 
brachte, contitma  /oecunddtatej  4,  10,  16:  Asserü  MarticUis  (Gargäm 
Martialüy  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts)  a'pud  Assyrios  pomü  hone 
arborem  nunquam  (in  den  Handschriften  steht:  non)  carere:  quod  ego 
in  Sardinia  et  in  territorio  NeapoUtano  in  fundis  mm  comperi  (gmlm 
solnm  et  coelum  tepidvm  est  et  hvmor  exundans)  per  gradus  qtwsdom 
sibi  semper  poma  mccedere^  cum  maiuris  se  acerha  substituant^  acerbonm 
vero  aetatem  florentia  consequantur,  orbem  quendam  continuae  foecwk- 
ditaUa  sibi  ministrante  natura.  So  war  denn  im  Lauf  der  ersten 
christlichen  Jahrhunderte  der  immergrüne  Baum,  der  die  goldenen 
Aepfel  trug,  wirklich  in  Italien  naturalisirt  worden,  erst  in  Kübeln, 
mit  zweifelhaftem  Erfolge,  dann  durch  Mauern  gegen  Norden,  im 
Winter  durch  Bedeckung  geschützt,  endlich  in  erlesenen  Paradiesen 
auch  völlig  im  Freien,  und  damit  durch  ein  weiteres  Beispiel  be- 
wiesen, dass  die  Kaiserjahrhunderie,  diese  Epoche  unrettbaren,  be- 
schleunigten Yer&lls,  doch  auch  in  manchen  Zweigen  menschlichen 
Schaffens,  die  weniger  den  Blick  auf  sich  zu  ziehen  pflegen,  wie  in 
Austausch  und  technischer  Verwerthung  der  Naturobjecte  der  ve^ 
schiedensten  Länder,  eine  aufwärts  gerichtete  Entwickelung  zeigen. 
Fragen  wir,  welche  Art  der  Aurantiaceen  wir  uns  unter  dem  me- 
dischen  Apfel  und  der  arbor  citri  zu  denken  haben,  so  lässt  sich  mit 
Sicherheit  antworten:  die  Citronat-Citrone,  citrus  medica  cedra,  und 
zwar  aus  mehreren  Gründen.  Erstlich  heisst  diese  dickschalige,  oft 
köpf  grosse  Frucht,  mit  verhältnissmässig  geringem  saurem,  bei  einer 
Abart  auch  süsslichem  Fleische  oder  Safte,  noch  jetzt  in  Italien  cedro^ 
dann  findet  sich  in  der  persischen  Provinz  Gilän,  einem  Theil  des 
alten  Mediens,  der  Gitronatbaum  noch  ganz  mit  dem  Habitus,  den 
Theophrast  beschreibt,  namentlich  mit  häufigen  scharfen  Stacheln  be- 

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Agnmd.  363 

wa&et  (s.  Gmelin  Reise  durch  Rnssland  zur  Untersachang  der  drei 
Natorreiche,  Theil  3,  St.  Petersburg  1774,  S.  108,  wo  Theophrast 
nicht  genannt,  aber  die  Beschreibung  des  citrm  spinams  völlig  mit 
dem  Bilde  zusanunen&llt,  das  der  GrifiPel  des  alten  Meisters  ent- 
worfen); drittens  passen  die  gelegentlichen  Aeusserungen  der  Alten 
über  die  Gestalt,  Zusammensetzung  und  Essbarkeit  des  medischen 
Apfels  nur  auf  diese  Citrone;  Dioscorides  nennt  sie  inifjujxsg^  länglich, 
und  iQQVTidwfihoVj  runzlich  (s.  die  Abbildung  bei  Gmelin);  die 
Fracht  wird  mit  Wein,  mit  Honig  eingekocht,  sie  ist  essbar  und  ist 
es  nicht;  sie  ist  so  gross,  dass  bei  Apicius  jede  einzelne  in  einem 
besonderen  Topf  eingemacht  wird,  1.  21:  tn  vas  citrium  mitte^  gyp^ 
suspende  (wo  Andere  eine  Art  Kürbiss  verstehen  wollten);  wenn  sie 
noch  unreif  ist,  umgiebt  man  sie  mit  einer  thönemen  HüUe,  in  die 
sie  hineinwächst  und  deren  Gestalt  sie  annimmt;  das  Fleisch  d.  h. 
die  weisse,  dicke,  beinahe  den  ganzen  Raum  einnehmende  Schale 
wird  als  Uauptbestandtheil  mit  aufgezählt,  t^v  olov  aagtea  bei  Galen, 
de  ahm.  fac.  2, 37  —  lauter  für  die  citrus  medica  cedra  treffende  Züge; 
endUch  tragen  alle  übrigen  Arten  der  Hesperidenfrucht  Namen,  die 
jeden  Zweifel  über  das  spätere  Zeitalter,  in  welchem  sie  eingeführt 
wmden,  ausschliessen.  Die  Limone  —  die  wir  deutsch  falschlich 
Citrone  nennen — ,  eine  kleinere,  mehr  oder  minder  rundliche  Frucht 
mit  dünner  aromatischer  Schale  und  reichem  saurem  Saft  heisst  so 
nach  dem  arabischen  Umun;  dies  stammt  aus  dem  Persischen;  letzteres 
entlehnte  das  Wort  aus  dem  Indischen  —  womit  Herkunft,  Weg  und 
Zeit  genugsam  angedeutet  sind.  Zur  Zeit  Karls  des  Grossen  wuchs 
an  den  Ufern  des  Comersees,  über  welchen  damals  ein  Hauptweg 
von  Italien  nach  Norden  in  das  Bisthum  Chur  und  das  Rheinthal 
fährte,  ausser  Oliven,  Granaten,  Lorbeem,  Myrten  auch  der  persische 
Apfel^  citreon  genannt,  Paulus  Diaconus  in  laude  Larii  laci  (Haupt, 
Berichte  der  Kgl.  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften,  phil.- 
hist.  Klasse,  1850,  1,  6 ;  Dümmler,  Gedichte  aus  dem  Hofkreise  Karls 
des  Grossen,  in  der  Zeitschrift  für  deutsches  Alterthum,  12, 1865,  S.  451 ; 
neuerdings  auch  bei  Dahn,  Paulus  Diaconus,  p.  97)  15: 

Vmcit  odore  suo  delcUum  Perside  malum; 

Citreon  hos  omnes  vincit  odore  suo  — 

er  besiegt  sie  alle  mit  seinem  Duft  und  diese  Eigenschaft  wie  sein 
Name  kennzeichnet  ihn  als  dickschalige  citrus  medica  cedra.  Als  zwei 
Jahrhunderte  später,  um  das  Jahr  1000,  der  Fürst  von  Salemo  von 
Arabern  in  seiner  Stadt  belagert  wurde  und  vierzig  zufallig  aus  dem 
heiligen  Lande  heimkehrende  Normannen  ihn  befreit  hatten^  schickte 

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364  Agromi. 

er  in  die  Normandie  Gesandte  nnd   mit  ihnen  poma  cedrinaj   amdg- 
dolos  quoqm  et  deauratas  nuces  —  um  die  Nonnannen  zu  bewegen,  in 
ein    so    schönes  Land   zu   kommen   und   es  vertheidigen    zu    helfen 
(Chronica  Montis  Cassiniensis  bei  Pertz  Scr.  7  p.  652;  in  der  altfran- 
zösischen   Uebersetzung   des  Amatus   von   Montecassino,    herausgeg. 
von  Champollion-Figeac,  1,  19,    sind   die   poma  cedrina   durch   eure 
wiedergegeben).     Um    diese  Zeit   also    wächst   auch   in  ünteritali^i 
immer   nur   noch    die  Citronate   der  Alten.     Auch   als   Jacobus   de 
Vitriaco,    Bischof  von  Accon,   nachher  von  Tusculum  und  Kardinal, 
der   im   Jahre  1240   in  Rom    starb,    die  Naturwunder   des   heiligen 
Landes  beschrieb,  kann  der  Limonenbaum  noch  nicht  in  Europa  ge- 
wesen sein,    denn  er   führt   ihn   ausdrücklich   unter   den   in  Europa 
fremden    palästinensischen    Pflanzen    auf,    Bongarsii   Acta   Dei    per 
Francos,  Hanoviae  1611,  p.  1099  (bist,  hierosolymit.  1,  cap.  85):  mnt 
praetereo  aUae  arbores  fructus  acidos  pcntici  (nüttellateinisch  für  au- 
stertis,    8.  Du  C)  videlicet  saporü^    ex  se  procreantes,   quos  appeUant 
limones:  quorum  micco  in  aestate  cum  camibus  et  piscibus  libentissime 
utuntur^    eo  quod  sit  frigidus  et  exsiccons  palatum  et  provocans  oppe- 
titum.   Auch  die  Pompelmuse,  franz.  pamplemousse,  von  den  Italieneni 
pomo  di  paradiso  oder  d^ Adorno  genannt,    fand  Jacobus    unter  dem 
letzteren  Namen  in  Palästina:  sunt  ibi  aliae  arbores  poma  ptdcherrima 
et  citrina  ex  se  producentes^  in  quibus  quasi  morsus  hominis  cum  denr 
tibus  manifeste  apporet  et  idcirco  poma  Adam  ab  omnibus  appeUantur, 
Es   sind    dieselben  Früchte,    die   noch  jetzt   die  Juden  aller  Länder 
nach  Levit  23,  40  zu  ihrem  Lauberhüttenfest  brauchen  und  die  bloss 
zu   diesem  Zweck   in   mehreren  Gegenden    Italiens   gebaut   werden. 
Die  Kreuzfahrer  also   oder  Handelsleute    der   italienischen  Seestädte 
oder  die  Araber  bei  ihren  Kriegszügen  und  Niederlassungen  auf  den 
Inseln  und  Küsten  des  Mittelländischen  Meeres  brachten  die  Limonen 
hinüber,    deren  intensive  Fruchtsäure  in  Europa  wie  im  Orient  eine 
beliebte  belebende  Beigabe  zu  vielen  Speisen  bildete,  unreines,   übel 
schmeckendes  Wasser  trinkbar  machte  und  mit  dem  zugleich  bekannter 
werdenden  Zucker   die  köstliche,   vielbegehrte  limonata  abgab.    Der 
Epoche  der  Araber  verdankt  Europa   auch   die  Pomeranze,   citrus 
amrantium   amarum^   ital.    arancio^   melarancio,   franz.    orange.     Ur- 
sprünglich  war   auch    dieser  Baum   mit   der   glühend   rothgoldeneU; 
bitter  aromatischen  Frucht  und  den  wundervoll  duftenden  Blüten  aas 
Indien,    seiner  Heimath,    nach  Persien   gekommen,    persisch   näreng, 
von  dort  zu  den  Arabern,  arabisch  ndrang^  und  weiter  nach  Europa, 
byzantinisch  vegavt^tov.   In  der  kleinen  Abhandlung,  die  Silvestre  de 

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Agnmü.  365 

Sacy  der  Geschichte  der  Aorantiaceen  bei  den  Arabern  widmet  (in 
seiner  Aasgabe  der  Beschreibung  Aegyptens  von  Abd-AUatif,  Paris 
1810,  p.  115),  findet  sich  ans  Makrisi  folgendes  wichtige  historbche 
Zeogniss  des  Masadi  angefahrt :  Makrizi  dtt:  y^Mcacmdi  rapporte  dans 
«on  Mstoire  (statt  dessen  conjectnrirt  de  Sacy  mit  einer  ganz  leichten 
Yeränderung  des  arabischen  Wortes:  en  parlant  de  Vorange\  que  le 
cüron  rond  (die  Pomeranze)  a  M  apport^  de  Finde  postMeurement  ä 
Fan  300  de  Vhigire  (August  912  der  christlichen  Aera);  qiCü  fut 
iabcrd  semS  dans  VOman,  De  lä^  ajcute-lrü^  ü  fut  port^  ä  Boftra 
en  Irak  et  en  Sj/rie^  et  ü  devint  tr^  commun  dans  les  maisons  des 
habüants  de  Tarse  et  autres  viUes  frontüres  de  la  Syrie,  ä  Äntioche^ 
mr  les  cStes  de  Syrien  dans  la  Palestine  et  en  Egypte,  On  ne  le  con- 
ncdssaU  pomt  atiparacant.  Mais  ü  perdit  beaucoup  de  Vodeur  stuwe 
et  de  la  belle  couUur  quHl  avait  dans  Vlnde^  parceqtCü  n^avait  plus 
m  le  meme  climat,  ni  la  meme  terre^  ni  tout  ce  qui  est  partictdier  ä 
ce  pays.^  Bei  dem  weiteren  Uebergange  nach  Europa  musste  sie 
natürlich  noch  mehr  von  dem  süssen  Duft  und  der  schönen  Farbe 
yeriieren,  die  der  Araber  schon  in  Westasien  an  ihr  vermisste.  In 
einigen  italienischen  Mundarten  und  im  Spanischen  ist  das  anlautende 
n  des  arabischen  Wortes  noch  erhalten;  dem  franzosischen  orange 
gab  der  hineinspielende  Begriff  von  or,  aurum  seine  etwas  abweichende 
Form:  in  orange  liegt  schon  das  Goethe^sche  Goldorange.  Schon  Ja- 
cobus  de  Titriaco  hat  das  Wort  in  französischer  Gestalt:  in  parvis  f 
autem  arboribus  quaedam  crescunt  oMa  poma  citrina,  minoris  quanti- 
tatü  frigida  et  acidi  seu  pontici  saporis^  quae  poma  Or  enges  ab  inddr- 
gems  nuncupantur,  Albertus  Magnus  in  seinem  Buche  de  Yegetabi- 
Hbos,  welches  kurz  vor  1256,  also  nicht  sehr  lange  nach  lac.  de 
Yitriaco  geschrieben  ist,  tadelt  6,  53  diejenigen,  die  für  die  cedrus 
(den  Gitronenbaum  der  Alten,  quae  arbor  facit  poma  crocea  obhnga^ 
Wöjrwo,  quae  fere  figuram  praetendunt  cucumeris  et  habent  in  se  grana 
acetosa)  den  Namen  arangus  braueben:  sed  tarnen  arangus  pomum 
habet  breoe  et  rotundum  et  caro  ejus  est  moUis  u.  s.  w.  Nach  Aman, 
storia  dei  Musulmani  di  Sicilia,  vol.  2,  Firenze  1858,  p.  445  wäre 
die  in  einem  Diplom  von  1094  (bei  Pirro,  Sicilia  Sacra,  p.  770)  vor- 
kommende via  de  Arangeriis  in  der  Nähe  von  Patti  —  ein  Orangen- 
weg, also  der  Name  und  die  Frucht  schon  vor  den  Kreuzzügen  durch 
die  Araber  auf  die  Insel  Sicilien  gekommen. 

Noch  weit  jünger  ist  in  Europa  die  süsse  Pomeranze,  citrus 
mrantium  dtUce.  Auch  hier  liegt  in  der  deutschen  Benennung  Apfel- 
sine d.  h.  chinesischer  Apfel  und   in  der  italienischen  portogaUo  die 

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366  AgmmL 

Gescbichte  und  der  Weg  des  Baumes  aasgesprochen.   Erst  die  Porta- 
giesen  brachten  ihn  nach  Ausbreitung  ihrer  Schiffahrt  in  den  Meeren 
des  östlichen  Asien  ans  dem  südlichen  China  nach  Europa,  angebUch 
im  Jahre  1548,   und  der   europäische  Urbaum    stand  noch  lange  zu 
Lissabon  im  Hause  des  Grafen  St.  Laurent     Der  Jesuit  Le  Comte, 
der  lange  in  China  gelebt  hatte,  berichtet  darüber  in  seinen  Nonveanx 
m^moires  sur  l'^tat  pr^ent  de  la  Chine,  2*  Edition,  Paris  1679,  T.  1, 
p.  173:    On  les  nomme  en  France  Orange  de  la  Chine  parceqtie  ceUes 
que  neu»  vvmes  pour  la  premüre  fais   en   avaient  iU   appartSes.    Le 
premier  et  uniqtLe  oranger^  duquel  on  dit  qu^eUes  sont  toiUes  venues,  se 
canserve  encore  ä  Lübonne   dans  la  maüon   du  Comte  S.  Laurent  et 
(fest  aux  Portugals  que  nous  sommes  redevables  d!un  d  exceUent  fruit. 
Noch  Ferrarius  (Hesperides,   Romae  1646,  fol.)   nennt  die  Apfelsine 
auranüum  Olysiponeme^  Orange  von  Lissabon,  und  fügt  p.  425  hinzu, 
sie   sei   von  dort   nach  Rom   ad  Pias  et  Barberinos  hortos  geschickt 
worden.   Das  Letztere  ist  nur  ein  CompHment  für  den  Papst  Urban  8. 
Barberini,    unter    dem   der  Jesuit  Ferrari   sein  Werk   yer£asste;   die 
Gärten  der  Pier  können  aber  nur  die  der  beiden  Päpste  Pius  4  und 
Pius  5  sein,  die  von  1555  bis  1572  den  päpstlichen  Stuhl  einnahmen. 
Die   ([östliche  Frucht   verschafifte  dem  Baum   bald  Verbreitung  um 
die  Küsten  des  mittelländischen  Meeres  bis  tief  nach  Westasien  hin- 
ein, und  nicht  bloss  die  Italiener,   auch  die  Neugriechen  sagen  noQ- 
Toyalectj   die  Albanesen  protokale^  ja   selbst   die   Eurden   portoghal 
(Pott,  Zeitschr.  für  Kunde  desMorgeuL  7,  113),  während  im  Norden 
die  Russen,  die  Grenznachbam  der  Chinesen,  den  deutschen  Nameo 
Appelsin   angenommen   haben  —   lauter  Anzeichen  der  vollbrachten 
Umwälzung  im  Weltverkehr,  der  nicht  mehr  wie  zur  Zeit  des  Helle- 
nismus und  der  römischen  Kaiser  und  später  der  islamitischen  Araber 
quer  durch  Asien  von  Ost   nach  West  ging,   sondern   seit  Yasco  de 
Gama  die  umgekehrte  Richtung  genommen  und  sich  den  Ocean  zmn 
Schauplatz  gemacht  hatte.   Auch  nach  Amerika  brachten  Portugiesen 
und  Spanier  den  Baum,  der  in  den  tropischen  Gegenden  der  Neuen 
Welt  wunderbar  gedieh.    Eine  neue  Varietät,  die  sogenannten  Man- 
darinen,   citrus  madurensis,    kleiner^    süsser,    gewürzhafter,    als  die 
Apfelsinen,    trat  im  19.  Jahrhundert  auf  und  erwirbt  sich  mit  jedem 
Jahr  ein  grösseres  Terrain;  nach  Sicilien  sollen  die  Mandarinen  von 
Malta   gekommen   sein.    Zu  Abweichungen  ist  dies  ganze  Fruchtge- 
schlecht überhaupt  sehr  geneigt,    und  Oertlichkeit,  Impfung  und  Be- 
handlung haben  unzähUge  Spielarten  hervorgebracht   Solche  künstUch 
zu  erzeugen,  war  sonst  der  Stolz  der  Gärtner,  als  von  den  Tuilerien 

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Der  JohamusbrodbaiuiL  367 

und  später  Ton  Versailles  aas  neben  Oper,  Ballet^  Vergoldung  und 
Porcellan  anch  der  Besitz  weidäafiger  Orangerien  mit  kugelig  be- 
schnittoien  Bäumen  in  prachtvollen  Kübeln  und  Kasten,  die  im 
Sommer  lange  Alleen  bildeten,  zum  kostbaren  Erfordemiss  aller  Hof- 
lialtangen,  ja  der  Herrenhäuser  des  reichsunmittelbaren  Landadels  ge- 
worden war.  Später  verwandelten  sich  bei  steigender  Bildung  die 
Oraogerien  in  mehr  botanische  Treibhäuser,  und  als  der  ästhetische 
Humanismus  auch  den  mittleren  Ständen  den  dumpfeu,  theologischen 
Kerker  geöffiiet  hatte,  da  zog  der  junge  Schwärmer,  den  Hofgärten 
imd  ihren  Schneckengesimsen  den  Rücken  kehrend  und  Mignon  nach- 
singend, in  das  Land,  wo  unter  azurnem  Himmel  die  Goldorange  in 
dmiklem  Laube  glühte  und  in  reiner  Form  die  dorische  Säule  auf- 
stieg. Doch  musste  er  lange  wandern,  ehe  er  einen  Hesperidenhain 
betrat,  und  auch  da  war  Alles  in  prosaischer  Weise  auf  Ertrag,  Be- 
natzoDg  und  Absatz  berechnet;  die  Citronen  wurden  zerquetscht  und 
der  abfliessende  trübe  Saft  in  hölzerne  Fässer  gegossen;  die  Blüten 
worden  unbarmherzig  abgeschüttelt,  damit  aus  ihnen  kölnisches 
Wasser,  eau  deCohgne^  bereitet  werde;  der  Zuckerbäcker  versott  die 
Früchte  für  den  Markt  von  London,  Hamburg,  Bergen  in  Norwegen 
ond  Archangel  am  Eispol;  der  Destillateur  fabricirte  Bergamottol 
ans  den  Schalen.  Auch  war  damals,  als  Pästum  seine  Tempel  er- 
riehtete,  die  Tauromenier  im  Theater  sassen  und  Pindar,  Aescbylus 
and  Plato  von  den  Herrschern  von  Syrakus  als  Gäste  angenommen 
worden,  weit  und  breit  kein  blühender  Citronenbaum  zu  sehen,  ja 
jene  alten  Helden,  Künstler  und  Denker  hatten  nie  von  einem  solchen 
aach  nur  gehört  Erst  die  Villen,  in  denen  die  Humanisten  des 
fnn£sehnten  Jahrhunderts  und  die  Mitglieder  der  platonischen  Akademie 
wandelten,  waren  mit  Pomeranzen  geschmückt,  und  süsse  Orangen 
brachen  erst  die  schwarzen  Väter  Jesuiten  aus  den  immergrünen 
Zweigen  und  überreichten  sie  den  lächelnden  Hofdamen  in  Puder 
imd  Reifrock  zur  Erfrischung  für  die  schönen,  lechzenden,  geschminkten 

.8«) 


Der  Johannisbrodbaum. 

(Ceratonia  ailigua  L.) 

Der  Johannisbrodbaum   ist   ein  immergrüner,   nicht  sehr  hoher, 
aber  schattenreicher,   mächtig  ausgebreiteter  Baum,    der  am  liebsteti 

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368  I^er  Johannisbrodbamn. 

in  der  Nähe  des  Meeres  die  heissen,  sonneerwärmten  Felsenwände, 
die  ihm  zam  Schatz  gegen  kalte  Nordwinde  dienen,  mit  seinen 
Wurzeln  umklammert.  Er  wächst  langsam,  trägt  erst  nach  zwanzig 
Jahren  und  dauert  Jahrhunderte  lang.  Seine  Fruchte  —  braune, 
flache,  einen  Zoll  breite,  einen  halben,  ja  einen  ganzen  Fuss  lange, 
hom-  oder  sichelförmig  gekrOmmte  Schoten,  mit  glänzend  dunklen, 
bohnenartigen  Samen  und  süssem,  nahrhaftem  Fleisch,  das  sogenannte 
Johannisbrod  —  werden  von  Thieren  und  Menschen  gegessen  and 
bilden  einen  namhaft<m  Handelsartikel.  So  lange  sie  nicht  ganz 
reif  sind  und  ihre  braune  Farbe  noch  nicht  angenommen  haben, 
gelten  sie  für  schädlich^  ja  giftig,  nachher  aber  nähren  sich  Schweine, 
Pferde  und  Esel  von  ihnen,  und  auch  der  Schweinehirt  und  der 
Eseltreiber  verschmäht  sie  nicht,  nachdem  er  sie  sich  vorher  geröstet 
oder  gebacken.  Soll  der  Baum  nicht  bloss  Schatten  gewähren, 
sondern  auch  reichlich  Früchte  tragen,  dann  muss  er  von  Zeit  zu 
Zeit  beschnitten  werden,  wie  der  Weinstock  und  der  Oelbaum.  Seine 
nördliche  Grenze  föllt  ungefähr  mit  der  der  Citronen  und  Orangen 
zusammen.  Das  Johannisbrod  wird  weit  im  Orient  verfuhrt  ond 
fehlt  bis  tief  in  Russland  auf  keinem  Volksmarkt  unter  den  feilge- 
botenen Leckerbissen;  auch  in  Oberitalien  sieht  man  es  im  Winter 
viel,  es  kostet  wenig,  und  besonders  die  Knaben  stopfen  es  sich  gern 
in  den  Mund.  Im  alten  Griechenland  wuchs  der  Baum  nicht,  aber 
die  süssen  Hörnchen  kamen,  vom  Orient  eingeführt,  auf  den  Marlt 
Man  nannte  sie  ägyptische  Feigen,  aber  missbräuchlich,  denn  in 
Aegypten  war,  wie  Theophrast  mit  Nachdruck  versichert,  die  neqiavia 
gerade  nicht  zu  finden,  h.  pl.  4,  2,  4:  n  de  xagnog  elloßog  ov  xalovoi 
%iveg  alyvmiov  avxop  dirj/nagTijxoTeg'  ov  yiverac  yag  olog  ntgt 
AtyvTiTOV  alV  iv  ^vqltf  xai  iv  ^Iwvitf  de  xai  nsQi  Kvlöov  tm 
^Podov,  Es  war  also  ein  Gewächs  Syriens  und  loniens,  das  sich  bis 
Knidos  im  südwestlichen  Kleinasien  und  bis  Rhodus  verbreitet  hatte. 
Im  Uebrigen  beschreibt  Theophrast  den  Baum  richtig  und  genan, 
aber  er  beschreibt  ihn  eben  und  zwar  ausführlich,  zum  Beweise, 
dass  seine  Leser  selbst  ihn  nicht  kannten  und  täglich  beobachten 
konnten.  Auch  Strabo  kennt  ihn  nicht  in  Aegypten,  wohl  aber  in 
Aethiopien  oder  dem  Lande,  wo  Meroe  liegt,  17,  2,  2:  nleovalei  i^ 
twv  q>VTa)v  o  xe  q)olvL§  xat  ^  negaia  xai  eßevog  xai  xsQOfio. 
Schon  Theophrast  hatte  auf  eine  unfreundliche  Wirkung  der  Blüte 
hingewiesen:  av&og  exlevxov  ^ov  xai  ti  ßaQvvrjtog,  er  hätte  hin- 
zusetzen können:  auch  der  unreifen  Schoten;  Galenus  dehnt  die 
Schädlichkeit  auch  auf  die   reifen  Früchte   aus  und   meint,   es  wäre 

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Der  Johumisbrodbamn.  369 

besser,  sie  würden  aas  dem  Orient,  wo  sie  wachsen,  lieber  gar  nicht 
nach  Europa  gebracht,  de  aliment  fac  2,  33:  äat^  afieivov  ijv  ai%ä 
(itiii  xofii^sa^ai  ngog  fj^iag  ix  xcuv  avarokixwv  xtagliov  iv  olg 
yinSnai.  Bas  eigentliche  Vaterland  des  Baumes  war  das  an  Frucht- 
bäomen  so  gesegnete  Kanaan:  da  er  geimpft  werden  muss,  um  ess- 
bare Früchte  zu  spenden,  so  war  er  also  auch,  wie  Olive  und  Dattel- 
palme, ein  Product  menschlicher,  insbesondere  semitischer  Kunst  und 
Mühe.  Einst,  wie  jetzt,  bildeten  die  süssen  Schoten  in  Palästina 
eine  gemeine  Speise.  Der  Täufer  Johannes  hatte  damit  in  der  Wüste 
sem  Leben  gefristet,  und  noch  den  Reisenden  neuerer  Zeit  wurde  der 
angebliche  Baum  gezeigt,  der  den  Vorläufer  des  Messias  mit  seinem 
Johannisbrod  genährt  hatte.  In  der  Parabel  im  15.  Kapitel  des 
Lucas  begehrt  der  verlorene  Sohn,  der  zum  Hüter  der  Schweineheerde 
herabgesunken  ist,  seinen  Hunger  mit  den  Hörnchen,  ani  twv  xe- 
Qcniwv^  die  die  Schweine  frassen,  zu  stillen,  aber  Niemand  gab  sie 
ihm.  Auch  der  Name  des  kleinen  Gold-  und  Diamantengewichts, 
des  Karats,  der  von  den  Bohnen  der  Johannisbrodschote,  xegaTiOy 
genonmien  ist  (schon  bei  Isidor  cerates,  später  von  den  Arabern 
adoptirt  und  durch  sie  den  Sprachen  aller  Länder  mitgetheilt,  —  wo- 
for  aach  süiqua  gesagt  ward),  beweist,  wie  verbreitet  und  alltäglich 
die  Frucht  im  griechischen  Orient  war.  Bei  den  römischen  Schrift- 
stellern finden  wir  einige  Stellen,  die  auf  schon  damals  versuchte 
Anpflanzung  im  Abendlande  hindeuten.  Nach  Columella  7,  9,  6 
soUen  die  Schweine  im  Walde  ausser  von  anderen  vdldwachsenden 
Frachten  auch  von  graeccie  nliquae  sich  nähren.  Da  zu  Columellas 
Zeit  unmöglich  Johannisbrodbäume  einen  Bestandtheil  europäischer 
nenuyra  ausmachen  konnten,  so  mag  die  Notiz  aus  irgend  einem 
griechisch-orientalischen  Schriftsteller  über  Landwirthschaft  stammen. 
An  einer  anderen  Stelle  giebt  Columella  den  Rath,  den  Baum  im 
Herbst  zu  säen,  5,  10,  20:  siliqttam  graecam  quam  quidam  xbqoltlov 
vocant  et  Perncum  ante  brumam  per  av^ctumnum  serito.  Auch  dies 
ißt  wohl  nur  eine  aufjgenommene  fremde  Wirthschaftsregel;  Plinius 
wiederholt  sie  mit  denselben  Worten  (17,  136),  entweder  aus  Colu- 
mella, oder  aus  der  gemeinsamen  Quelle;  im  Uebrigen  nennt  er  die 
Frucht  praedulces  siliquae  (15,  95)  oder  süiquae  syriacae  (23,  151) 
und  behandelt  sie  nicht  als  einheimische.  Syriacae  heissen  die  Schoten 
auch  bei  Scribonius  Largus  ein  Menschenalter  früher;  wo  sonst  sili- 
quae  als  Speise  des  Armen  und  Genügsamen  vorkommen,  ist  kein 
Grund,  etwas  Anderes  ab  das  Nächste  d.  h.  als  Bohnen  oder  Erbsen 
darunter  zu  verstehen.    Bei  Galenus   gegen  Ende  des  zweiten  Jahr- 

Vict  HebD,  Kultorpflanseo.  ^^ 

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370  Der  Johaimisbrodbanm. 

hunderts  ist,  wie  wir  so  eben  gesehen  haben,  das  Johannisbrod  dorch- 
ans  nur  Gegenstand  der  Einfuhr  aus  dem  Orient.  Palladius  aber  in 
den  letzten  Zeiten  des  Römerreichs  lehrt  ausführlich  den  Baum  fort- 
pflanzen und  spricht  auch  von  seinen  eigenen  Erfahrungen  dabei, 
3,  25,  27:  siliqua  Februario  meme  seriiur  et  Nwembri  et  sermne  et 
planus :  amat  loca  maritima^  calida^  sicca,  campestria:  tarnen  ut  ego 
eapertua  sum,  in  locis  caMdis  foecundior  fiet^  d  adjuvetur  humore:  potest 
et  taleis  poni  u.  s.  w.  Da  diese  Stelle  in  einigen  Ilandschriften  feWt, 
auch  der  fleissige  Benutzer  des  Palladius,  Petrus  Crescentius,  über 
den  Baum  schweigt,  so  bleibt  Zweifel,  ob  wir  nicht  am  Ende  ein 
nachmaliges  Einschiebsel  vor  uns  haben.  Sollte  aber  auch  die  NaturaU- 
sation  des  Baumes  zur  Zeit  der  Römer  begonnen  haben,  so  lehren  doch 
die  arabischen  Namen:  ital.  carrobo^  carrvba^  span.  garrobo^  alga/rrobo^ 
portug.  alfarroba^  französ.  carovhe^  carouge^  dass  erst  die  Araber  ent- 
weder die  erloschene  Kultur  von  Neuem  aufiiahmen  oder  der  noch 
vorhandenen  die  heutige  Verbreitung  gaben.  In  der  südlichen  H&lfte 
der  italienischen  Halbinsel  sind  jetzt  die  Carroben  häufiger  und  die 
Ernte  reichlicher,  als  derjenige  Reisende  voraussetzt,  der  bloss  die 
gewöhnliche  Strasse  der  Touristen  gewandert  ist  und  den  syrischen 
Baum  etwa  nur  an  der  Felsenstrasse  bei  Amalfi  gesehen  hat.  Sicilien, 
die  arabische  Insel,  erzeugt  und  verschifft  viel  Johannisbrod;  auch 
auf  Sardinien  fehlen  die  Ceratonien  nicht  und  man  pflanzt  sie  gern 
in  Feldgegenden  einzeln  zur  Mittagsrast;  die  reichsten  Bäume  dieser 
Art  aber  stehen  am  apulischen  Grargano,  diesem  in  malerischer,  natur- 
wissenschaftlicher, auch  botanischer  Hinsicht  so  merkwürdigen,  aber 
auch  so  selten  besuchten,  massigen,  isolirten,  zum  Meer  abstürzenden 
Kalkstein- Vorgebirge.  Im  heutigen  Griechenland  finden  sich  Carroben- 
bäume  hin  und  wieder  auf  dem  Festlande  und  auf  den  Insehi  zer- 
streut, darunter  einige  von  ehrwürdigem  Alter,  wie  derjenige,  unter 
dem  Fiedler,  Reise,  1,  224,  auf  dem  skironischen  Wege  sein  Mittags- 
mahl hielt  und  dessen  Stamm  einige  Fuss  Durchmesser  hatte.  In 
Kleinasien,  Syrien  u.  s.  w.  geniesst  der  Baum  auch  religiöse  Ver- 
ehrung, und  zwar  bei  Muselmännern  wie  bei  Christen.  Er  ist  dem 
heüigen  Georg  geweiht  und  Kapellen  unter  oder  in  seinen  Zweigen 
sind  gewöhnlich.  Wie  bei  allen  Kulturgewächsen  haben  sich  auch 
bei  diesem  Varietäten  gebildet,  die  sich  durch  grössere  oder  geringere 
Süssigkeit  und  Haltbarkeit  und  durch  Form  und  Grösse  der  Schoten 
unterscheiden.  Im  Orient,  wo  die  Frucht  noch  mehr  Zucker  cnt- 
wickehx  mag,    und   zuweüen   auch   in  Europa   presst   man   aus  den 


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Das  Kaninchen.  371 

Schoten  auch  eine  Art  Honig,  mit  dem  andere  Früchte  eingemacht 
werd^,  nnd  wirit  die  Rückstände  den  Schweinen  vor.  Aach  das 
harte  Holz  wird  geschätzt  and  die  Rinde  dient  zum  Gerben. 


Das  Kaninchen. 

{Lepu$  cuniculus  L.) 

Von  Spanien  her  lernten  die  Römer  ein  dem  Hasen  verwandtes 
Haasthier  kennen,  das  den  Grriechen  im  Osten  des  Mittehneeres 
nicht  za  Gesicht  gekommen  war:  das  Kaninchen.  Es  war,  wie  das 
Spartgras  and  die  Korkeiche,  Spanien  eigenthümlich  imd  eng  an  den 
iberischen  Volksstamm  geknüpft,  mit  dem  es  über  Afrika  nach  dem 
westlichen  Earopa  gekommen  sein  mag.  Es  trug  bei  den  Römern 
den  Namen  cunictUus^  ein  Wort,  dessen  Stamm  möglicher  Weise  der 
iberischen  Zange  angehört  and  nar  mit  lateinischer  Endang  versehen 
ist**).  Mit  demselben  Aasdrack  bezeichneten  die  Römer  schon  seit 
Cicero  and  Cäsar  auch  unterirdische  Gänge,  und  es  war  Streit,  ob 
diese  nach  dem  Thier  oder  umgekehrt  das  Thier  nach  jenen  benannt 
sei;  die  Alten  entschieden  sich  meist  für  Letzteres,  aus  keinem  anderen 
Grunde,  als  weil  ihnen  die  Sache  und  also  auch  das  Wort  in  dieser 
Bedeutung  häafiger  aufstiess,  als  das  halb  unbekannte  Thierchen,  — 
während  wir  die  erstere  Annahme  für  natürlicher  halten,  wenn  auch 
die  römischen  Sapeurs  und  Mineurs  ihre  Kunst  nicht  gerade  den 
Kaninchen  abgelernt  haben,  wie  Martialis  meint,  13,  60: 

Gaudet  in  effossis  hahitare  cuniculus  aniris: 

Monstravit  tacitas  hostibus  ille  vias. 

In  der  Literatur  kommt  das  Kaninchen  zuerst  bei  Polybius  vor,  also 
am  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Chr.,  in  der  nach  dem 
Lateinischen  gebildeten  Form  xvvmXogy  12,  3:  auf  Corsica  giebt  es 
keine  wilden  Thiere  nX^v  aXconexcjv  xai  xvvixlcov  xai  nQoßaxov 
ayQiiov  (Moufflons).  Bei  Athenaeas  9,  p.  400  lautet  die  von  Polybius 
gebrauchte  Form  xovvixlog^  dem  Lateinischen  nicht  gerade  näher, 
da  das  u  in  cuniculus  kurz  ist.  Auch  bei  dem  Geschichtsschreiber 
und  Philosophen  Posidonius  von  Apamea  in  der  ersten  Hälfte  des 
ersten  Jahrhunderts  vor  Chr.  kam  das  Wort  vor.  CatuUus  kennt 
Spanien  als  ein  kaninchenreiches  Land  oder  als  ein  Land  reich  an 
Kaninchengängen,  37,  18:   Tu  cuniculosae  Celtiberiae  ßli  Egnati,   Aus- 

24* 

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372  ^^  Kaninchen. 

führlicher  verbreiten  sich  darauf  über   das  Thier,    seine  Ansiedelang 
und  Verbreitung   und  die  Art  es   zu   fangen,    Varro  3,  12,  6,  Strabo 
an   zwei  Stellen   des    dritten  Buches    2, 6   und  5,  2,    endlich  Plinius 
8,  217  ff.    Die  Iberer  müssen  besondere  Liebhaber  dieser  Zucht  und 
des  Kaninchenfleisches  gewesen  sein:    sie  hatten  das  Thier  auch  auf 
die  spanisch-italischen  Inseln,    auf  denen   sie   vor  Alters   angesessen 
waren,  mit   über  Meer  gebracht,    nicht  bloss  nach  Corsica,    wie  wir 
so  eben  von  Polybius  gehört  haben,  sondern  auch  auf  die  balearischen 
Inseln.   Für  den  grössten  Leckerbissen  galt  bei  ihnen  der  noch  nicht 
geborene  Fötus    oder  das   noch   säugende  Thierchen,   welches    ganz 
und  gar,  ohne  ausgeweidet  zu  werden,    verzehrt  wurde:   solche  noch 
erst  werdende  oder  eben  auf  die  Welt  gekommene  Kaninchen  hiessen 
laurices^   mit   einem   wohl    gleichfalls   iberischen  Namen.     Aber    die 
grosse  Fruchtbarkeit,   die  dem  Hasengeschlecht  eigen  ist  —  ein  Ka- 
ninchen  kann   sechs   bis  sieben  Mal   im  Jahre  vier  bis  zwölf  Junge 
werfen   und    beginnt   dies   Geschäft    schon    einige  Monate   nach  der 
Geburt   —   machte    das  Thier  zu   einer  wahren  Landplage  auf  dem 
spanischen  Festlande    wie   auf   den   Inseln:    es    überzog    mit    seinen 
Gängen  und  Höhlen  den  Kulturboden,  nagte  die  Wurzeln  und  Sprossen 
weg  und  untergrub  Bäume,  ja  sogar  die  Wohnungen  der  Menschen. 
Nach  Strabo    sollten   die  Bewohner   der  rvfivrjalai  d.  h.   Mallorcas 
und  Minorcas   einst   zu   den  Römern   Abgesandte   geschickt   haben, 
mit  der  Bitte,    ihnen  ein  anderes  Land   zum  Wohnplatz  anzuweisen, 
da  sie  sich  gegen  die  Menge  Kaninchen  nicht  mehr  halten  könnten. 
Als    gewiss   berichtet  Plinius,    sie   hätten    den  Kaiser  Augnstus   am 
militärische  Hülfe   angegangen,    da  sie  allein   mit  den  Thieren  nicht 
fertig  werden  könnten.    Und  nicht  bloss  durch  ganz  Spanien  herrschte 
diese  Noth,    sondern    erstreckte    sich  auch   bis  Massilia  —  vielleicht 
ein  Fingerzeig   mehr   für  die    ethnographische  Stellung  der  Liguren, 
die  vor  der  Ankunft  der  Kelten  von  Norden  den  ganzen  Küstenstrich, 
an  dem  Marseille  liegt,    bewohnt   hatten.     Die  Iberer   hatten  indess 
in  einem  anderen  halb  wilden,  halb  domesticirten  Thiere,  das  sie  aas 
Afinka  bezogen  hatten,    einen  wirksamen  Feind    und  Vemichter  des 
Kaninchens    und  höchst  eifrigen  Jagdgenossen  kennen  und  anstelleo 
gelernt,  das  Frettchen,  eine  Art  Iltis,  lateinisch  viverra  (lit  vaivaraSy 
das  Männchen  vom  Utis  und  Marder,  lit.  vovere,  preuss.  vevare,  slav. 
vSoerica^    das  Eichhorn),    span.  huron^    ital.  furetto^  französisch  fwret. 
Es  kroch  in  die  Kaninchenhöhle  und  trieb  die  Bewohner  zum  Aas- 
gang hinaus,    wo    der  Jäger   sie  auffing    und  erlegte.     Die  Griechen 
benannten  dies  Frettchen  mit  dem  allgemeinen  Ausdruck  yaAf ,  dem 

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Das  EanincheiL  373 

sie  zu  Däherer  Bestimmung  das  Prädikat  TaQtTjaala  UnzufQgten. 
Schon  Herodot  weiss  von  solchen  tartessischen  d.  h.  spanischen 
Wieseln:  er  sagt  4,  192  bei  natorhistorischer  Beschreibung  der  Nord- 
küste ?on  Afrika,  es  lebten  dort  unter  Silphiumstauden  yaXiaiy  den 
tartessischen  ganz  ähnlich  —  welche  letztere  also  im  fünften  Jahr- 
hundert vor  Chr.  schon  in  Spanien  zur  Jagd  üblich  waren.  Dass 
schon  zur  Zeit  der  Republik  Kaninchen  auch  von  den  Römern  in 
sogenannten  Leporarien  gehalten  wurden,  sehen  wir  aus  Varro;  an 
der  Tafel  des  Athenäus  hat  einer  der  Sprechenden  auf  der  Fahrt 
Ton  Dicäarchia,  dem  heutigen  Pozzuoli,  nach  Neapel  die  kleine  Insel 
an  der  äussersten  Landspitze,  also  das  heutige  Nisida,  von  wenig 
Menschen  und  viel  Kaninchen  bewohnt  gesehen  (Athen.  1.  1.)  —  was 
auch  noch  heut  zu  Tage  von  den  italienischen  Inseln  im  Verhältniss 
zmn  Festlande  gilt.  Immer  aber  ward  das  Thierchen  bei  den  Römern 
als  charakteristisches  Merkmal  des  Landes  Spanien  betrachtet:  wir 
sehen  dies  z.  B.  aus  Gold-  und  Silbermünzen  des  Kaisers  Hadrian, 
wo  auf  dem  Revers  mit  der  Legende  Hispania  vor  einer  liegenden 
weiblichen  Figur,  die  einen  Olivenzweig  hält  und  den  linken  Arm 
auf  den  Felsen  Calpe  stützt,  ein  Kaninchen  abgebildet  ist  (H.  Cohen, 
Description  historique  des . .  .  m^dailles  imperiales,  T.  2,  Paris  1859, 
Adrien  n»  270-276). 

Heut  zu  Tage  haben  sich  die  niedlichen,  so  eigenthümlichen 
Thierchen  mit  dem  wohlschmeckenden  Fleische  über  einen  grossen 
Theil  Europas  ausgebreitet,  sind  aber  besonders  in  Frankreich  und 
Belgien  unter  dem  Namen  lapin  (nach  Diez  für  clapiriy  Yolksausdruck: 
der  Ducker)  eine  häufige  und  beliebte  Speise.  Dies  muss  schon  zu 
der  Zeit,  die  Gregor  v.  Tours  beschreibt,  der  Fall  gewesen  sein,  denn 
5,  4  berichtet  er  von  Roccolenus:  erant  enim  dies  sanctae  Quadra- 
genrnae  in  qua  fetm  cuniculorum  (also  die  oben  genannten  laurices) 
saep'e  comedit.  Bei  Petrus  Crescentius,  dem  Zeitgenossen  Dantes, 
wohnt  das  Kaninchen  in  dem  zusammenhängenden  Strich  Landes  von 
Spanien  durch  die  Provence  bis  in  die  Lombardei,  9,  80:  quod  in 
Hispania  et  in  Provincia  et  in  partibus  Lombardiae^  sibi  cohaerentibus, 
nascitur  —  also  immer  noch  auf  iberischem  Urboden.  Jetzt  ist  es 
nicht  bloss  dem  Proven^alen,  sondern  auch  dem  Pariser  wohlbekannt 
tind  hat  nicht  bloss  die  Inseln  des  wesüichen  Mittelmeers,  sondern 
auch  die  des  östlichen  oder  griechischen  überzogen  und  mit  seinen 
Gangen  durchlöchert.  In  Frankreich,  England  und  den  Niederlanden 
ist  es  zugleich  durch  Züchtung  und  Kreuzung  wesentlich  verwandelt 

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374  I^i®  Katze. 

und  veredelt  worden,  sowohl  was  Zartheit  des  Fleisches,  Grosse, 
Frachtbarkeit,  Abhärtung  gegen  das  Klima,  als  die  seidengleiche 
Weichheit  des  Haares  betrifft®*). 


Die  Katze. 

Der  Hund  ist  ein  uralter  Begleiter  des  Menschen,  ja  gewiss  das 
früheste  und  erste  von  allen  Thieren^    die  der  Mensch  sich  zugesellt 
hat,  —  wer,  der  es  nicht  weiss,    sollte  glauben,  dass  die  lächerliche 
Feindin  des  Hundes,  die  Katze,  die  jetzt  fast  in  keinem  Hause  fehlt, 
so  weit  civilisirte  und  halbcivilisirte  Menschen  leben,  eine  ganz  junge 
Erwerbung   der  Kultur   ist?     Freilich    die   Bewohner   des    Nilthaies 
müssen  wir  dabei  ausnehmen.    Dass  das  geheimnissvolle,  mit  seinem 
Thun  in  die  Nacht  der  Zeiten    hinabreichende,   eben    so  anziehende 
ab  abstossende  Volk  der  Aegypter  die  Katzen  in  Menge  erzog,   sie 
heiUg  hielt,  sie  nach  dem  Tode  einbalsamirte,  melden  nicht  bloss  die 
Alten,  wie  Herodot  und  Diodor,   sondern  bestätigen  auch  die  Denk- 
mäler imd  üeberreste  (man  sehe  z.  B.  den  Hymnus  auf  die  Sonnen- 
katze  auf  einer  Stele,    übersetzt  von  Brngsch    in  der  Zeitschrift  der 
DM6.  10,  683).     Diodor  1,  83  erzählt  einen  Vorgang,  dessen  Augen- 
zeuge er  selber  war   und  der,    wie  er  hinzusetzt,    die  tiefe    religiöse 
Scheu  der  Aegypter  vor  der  Heiligkeit  dieses  Thieres  offenbar  machte. 
Es   war   die   Zeit,    wo    die    grösste   Furcht   vor   Roms   Uebermacht 
herrschte   und  Alles  gethan    wurde,    um  den  einzelnen  Römern,   die 
sich  grade  im  Lande  befanden,    zu  Willen    zu  sein  und  jeden  Streit 
mit  ihnen    zu  verhüten.     Da  geschah  es,    dass    ein  Römer,    ohne  es 
zu  wollen,   eine  Katze  tödtete;    sogleich   rottete  sich   das  Volk   zu- 
sammen,   der  Aufstand    richtete    sich    gegen   das  Haus,    in   dem  die 
That  verübt  war;  keine  Bemühung  des  Königs  Ptolemäus  und  seiner 
Beamten,    keine  Furcht   vor  Rom    und  den  Römern   vermochte   das 
Leben  des  Verbrechers    zu   retten.    Die  gezähmte  Art  war  die  feVi» 
maniculata  Ruepp.     (Dr.  Hartmann  in  der  Zeitschrift  für  ägyptische 
Sprache,    1864,    S.  11).      Das    Verschlossene    und   Stumme,    daher 
Ahnungsreiche,    das  nach  Hegel  alle  Thiere  haben,   ist  in  der  Katze 
und  deren    eigenthümlichen,    gleichsam    mystischen  Sitten    und  Nei- 
gungen  besonders  fühlbar.     Sie  hat  noch  jetzt  für  den,    der  sie  ge- 
währen lässt  und    sie   aufmerksam    beobachtet,   etwas  Aegyptisches, 

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Die  Katie.  375 

das  die  Vorliebe  der  Einen,  den  Widerwillen  der  Anderen  weckt. 
Dies  Thier  so  yoUkommen  zu  zähmen  und  an  den  Menschen  zu  ge- 
wöhnen —  denn  die  Haaskatze  verwildert  nicht  and  kehrt  immer 
wieder  zam  Hanse  zurfick  —  konnte  nur  dem  Aegypter  gelingen 
und  war  die  Arbeit  von  Jahrhunderten.  Nur  wenn  viele,  sehr  viele 
Generationen  des  Thieres  auf  dieselbe  behutsame,  pflegende,  liebevolle 
Art  behandelt  wurden  und  in  der  langen  Zeit  jede  Erfahrung  eines 
Terorsachten  Schmerzes  oder  zugefügten  Leides  aus  dem  Gedochtniss 
der  scheuen  Creatur  ausgelöscht  war,  konnte  aus  der  wilden  Ratze, 
deren  Geschlecht  von  allen  am  wenigsten  auf  Zähmung  angelegt 
scheint,  unsere  jetzige  anschmiegende  Hauskatze  werden.  Religiöser 
Aberglaube  hat  hier,  wie  so  oft,  das  Unglaubliche  geleistet  und  auch 
einmal  der  Kultur  gedient,  statt  sie  aufzuhalten.  Nach  Fr.  Lenormant, 
die  Anfange  der  Kultur,  1,  Jena  1875,  S.  242  f,  käme  übrigens  die 
Katze  erst  seit  der  12.  Dynastie  auf  ägyptischen  Bildwerken  vor: 
wenn  dies  richtig  ist,  dann  würde  das  Verdienst  der  ersten  Zähmung 
den  Bewohnern  der  obern  Nilländer  gehören  und  Aegypten  das  be- 
gonnene Werk  nur  fortgesetzt  haben.  Ein  Glück  war  es,  dass  die 
Weiterverbreitung  der  ägyptischen  Katze  noch  zur  Zeit  des  römischen 
Reiches,  ehe  das  ascetische  Christenthum  in  die  Tiefe  drang,  und 
vor  dem  Einbruch  des  islamitischen  Sturmes  Statt  fand;  sonst  hätte 
mit  der  Vernichtung  des  gesammten  alten  Aegyptens  und  der  Ver- 
tilgung seiner  religiösen  Vorstellungen  und  Sitten  auch  die  dieses 
Haosthieres  erfolgen  und  vielleicht  nicht  wieder  gut  gemacht  werden 
können.  Ist  doch  manches  Thier,  das  einst  dem  Menschen  diente, 
diesem  Schicksal  verfallen,  so  vor  Allem  der  afrikanische  Elephant^ 
der  Hannibals  B[rieger  trug,  durch  Schnee  und  Eis  über  die  Alpen 
stieg  und  jetzt  nur  noch  in  den  Wildnissen  des  innern  Afrika  von 
grausamen  Jägern  erlegt  und  langsam  ausgerottet  wird. 

Die  Griechen  und  Römer  litten  nicht  selten  unter  der  Plage 
ungeheurer  Vermehrung  der  Mäuse,  und  hin  und  wieder  werden  uns 
Geschichten  überliefert  von  wunderbarer  Rettung  einer  Gegend  vor 
den  Mäusen  oder  von  geschehener  Auswanderung  wegen  Unmöglichkeit, 
sich  dieser  Nagethierchen  zu  erwehren.  Als  Hausdiebin  kennt  die 
Maus  schon  die  voreuropäische  Sprache,  denn  dieser  Name,  der 
sich  in  Griechenland  und  Italien  und  an  der  Elbe  wie  am  Indus 
wiederfindet,  stammt  bekanntlich  von  einem  Verbum  mit  der  Be- 
deatung  stehlen.  Als  Feinde  der  Maus — und  sie  hat  deren  viele  — 
massten  auch  frühzeitig  die  das  Haus  des  Menschen  umschleichenden 
Thiere,    das  Wiesel  mit  seinen  Unterarten®^),   Iltis,   Marder,   wilde 

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376  Die  Katze. 

Katze,  beobachtet  werden;  einige  davon  wurden  desshalb  gehegt  und 
nicht  verfolgt  und  traten  in  eine  Art  Gemeinschaft  mit  den  Menschen; 
Wiesel  und  Marder  lassen  sich  zähmen  und  ehe  die  Katze  eingeführt 
war,  geschah  dies  viel  häufiger  ab  jetzt  Doch  litt  unter  diesen 
Baubem  auch  wieder  das  Federvieh,  besonders  dessen  junge  Brut, 
und  man  suchte  sie  dann  wieder  abzuhalten  und  machte  ihnen  den 
Krieg.  Griechisch  lauteten  die  Namen  yalitj,  xrig,  IxTig,  gen. 
ixTidog^  alilovQos  oder  al'lovQogf  lateinisch  mustelcL,  musteüa^  felis 
oder  feleSy  melü.  Genau  unterschieden  wurden  die  Thiere  nicht,  und 
auch  die  Benennungen  schwanken,  wie  im  Volksmunde^  so  auch  in 
der  Literatur.  An  keiner  Stelle  aber,  wo  wir  auf  einen  dieser  Namen 
stossen,  sind  wir  gezwungen,  ihn  auf  die  gezähmte  Hauskatze  zu 
deuten.  Besonders  das  Wiesel,  yaXitj^  mustela^  wird  als  Gegenstand 
der  Furcht  für  die  Maus  und  übermächtige  Feindin  mit  derselben  so 
zusammengenannt,  wie  wir  Katze  und 'Maus  in  Fabeln,  Redensarten 
und  Spielen  zu  verbinden  pflegen.  Zwei  Wesen,  sagt  die  Maus  am 
Anfang  der  Batrachomyomachie  zum  Frosche,  furchte  ich  vor  Allem 
auf  der  ganzen  Erde,  den  Habicht,  x/pxog,  und  Abs  Wiesel,  yalii]^ 
die  meinem  Geschlecht  viel  des  Leides  gebracht  haben,  dann  auch 
die  schmerzenreiche,  verhängnissvolle,  trügerische  Falle,  am  meisten 
aber  doch  das  Wiesel,  das  das  stärkste  ist,  und  mir  selbst  in  meine 
Locher  spürend  nachkriecht  Li  den  Wespen  des  Aristophaneß  ei^ 
widert  auf  die  Aufforderung  des  Einen:  erzähle  mir  eine  Hansge- 
schichte, der  Andere:  o,  damit  kann  ich  dienen;  also  es  war  einmal 
ein  Mäusel  und  ein  Wiesel,  oikw  no%*  ^v  fivg  xal  yaX^  —  wie  man 
bei  uns  den  Kindern  vorträgt:  es  war  einmal  ein  Kätzchen  imd  ein 
Mäuschen.  Auch  in  einem  Stück  des  Plautus  hat  vor  den  Füssen 
eines  der  Redenden  das  Wiesel  eine  Maus  gefangen.  Stich.  3, 460: 

spedatum  hoc  mikist: 
Mustella  murem  ut  abstulü  praeter  pedes. 

Die  ägyptische  Hauskatze  wird  von  den  griechischen  Berichterstattern 
ailovQog  genannt;  wo  das  Wort,  das  überhaupt  nicht  häufig  vor- 
kommt, auf  ein  griechisches  Thier  angewandt  wird,  hindert  nichts, 
an  den  Marder  oder  die  Wildkatze  zu  denken.  In  der  Stelle  des  in 
Alexandrien  dichtenden  Kallimachus  in  Cerer.  111  könnte  auf  den 
ersten  Blick  die  Wahrscheinlichkeit  für  die  ägyptische  Katze  sprechen: 
Erysichthon  bat  im  Heisshunger  Alles  im  Hause  verzehrt,  die  Euk, 
das  kriegerische  Ross, 

xal  Tccv  avlovQOV^  tov  etgefte  &i]Qia  xixxd  — , 
wozu  der  Schol.    die  Erklärung  fügt:    tov   idltog  Xeyofievov  xanov* 


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Die  Katze.  -  377 

Aber  dass  die  kleinen  Thiere  die  aikovQog  fürchten,  ist  noch  cha- 
rakteristischer für  den  Hausmarder,  als  für  die  zwar  auch  räuberische, 
aber  doch  auch  schmeichlerische,  weichliche  Hauskatze,  der  also 
der  Dichter  wohl  ein  auderes  Epitheton  gegeben  hätte.  Aehnlich 
steht  es  mit  einem  Verse  der  gleichfalls  in  Alexandrien  spielenden 
fünfzehnten  Idylle  des  Theokrit.  Dort  schildert  die  ungeduldige 
Hausfrau  eine  säumige  Magd  mit  den  Worten,  27: 

naliv  ai  yaliai  ^alaxcSg  xq/^ovti  xa&evdsiv; 
wollen  die  Wiesel  wieder  weich  schlummern?  Hier  könnte  der  Dichter, 
da  wir  uns,  wie  gesagt,  in  Alexandrien  befinden,  in  der  That  an 
ägyptische  Hauskatzen  gedacht  haben,  doch  werden  auch  zahme 
Wiesel  oder  Marder  ein  weiches  Lager  nicht  verschmäht  haben.  In 
einem  Fragment  des  komischen  Dichters  Anaxandrides  bei  Athen.  7 
p.  300  verhöhnt  der  Redende  einen  Aegypter  wegen  der  ägyptischen 
Sitten,  die  er  nach  dem  Vorgänge  Herodots  als  den  griechischen 
grade  entgegengesetzt  schildert:  wenn  du,  sagt  er  unter  Anderem, 
eine  Katze  leiden  siehst^  so  weinst  du,  ich  aber  schlage  sie  am  liebsten 
todt  und  zieh  ihr  das  Fell  ab: 

Tov  aliXovQOv  xaxov  ^ovt*  iav  Xdrjg 
Kldeig^  eytj  d'  rjdiGT^  anoxtelvag  diqu)  — 
wo  der  Grieche  sein  griechisches,  jenem  ägyptischen  entsprechendes 
Thier  im  Sinne  haben  konnte.  Das  lateinische  mtcstela  passt  genau 
auf  das  Wiesel^  aber  auch  felis  ist  nirgends  die  zahme  Katze,  sondern 
sei  es  der  Iltis  und  Marder,  oder  die  Wildkatze.  Die  landwirth- 
schaftlichen  Schrifi;steller  Yarro  imd  Columella  lehren  die  Entenhäuser 
und  Hasenparks  so  anlegen,  dass  keine  feles  und  77^2^  Eingang 
finden  können  —  wobei  sie  unmöglich  an  Hauskatzen  gedacht  haben 
können.  Die  Art,  wie  Horaz  Sat.  2,  6,  79  die  bekaimte  Fabel  von 
der  Land-  und  Stadtmaus  erzählt,  beweist  augenscheinlich,  dass  zu 
des  Dichters  Zeit  in  den  Häusern  der  Hauptstadt  noch  keine  Katzen 
gehalten  wurden:  „Eine  Stadtmaus  machte  der  Feldmaus  einen  Be- 
such und  wurde  von  dieser  nach  Kräften  bewirthet,  mit  Erbsen, 
Haferkömem,  wilden  Beeren  und  Stückchen  Speck.  Der  verwöhnte 
Gast  aber  verschmähte  die  gemeine  Kost  und  sprach:  Was  nützt  es 
dir  hier  in  Feld  und  Wald  einsam  imd  fem  von  den  Menschen  zu 
leben?  Komm,  •  folge  mir  in  die  Stadt,  da  giebt  es  bessere  Bissen. 
Beide  brachen  auf,  es  war  tiefe  Nacht,  krochen  durch  ein  Loch  der 
Mauer  und  schlichen  in  das  städtische  Haus.  Da  standen  noch  die 
Schüsseln  und  Körbe  vom  Gastmahl  des  vorigen  Abends,  sie  Hessen 
sichs  schmecken  und  ruhten  auf  purpurnen  Teppichen.    Da  plötzlich  — 

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378  ^ö  Katze. 

sehen  sie  die  Katze  herbeischleichen  und  retten  sich  kaum  aas 
äasserster  Todesnoth?  Ganz  und  gar  nicht,  sondern  die  Thnren 
offnen  sich  mit  Geräusch,  lautes  Hundegebell  erschüttert  das  Haus, 
beide  Mäuse  laufen  ängstlich  hin  und  her  und  färchten  sich  fast  zu 
Tode.  Da  sagte  die  Feldmaus:  ich  danke  schön  für  dies  schwelgerische 
Leben;  da  gefallt  mir  mein»  Loch  in  der  Erde,  wo  ich  sicher  und 
ungestört  bin,  mehr,  wenn  es  da  auch  nur  Erbsen  zu  nagen  giebt."  — 
Hier  würde  ein  neuerer  Fabeldichter  statt  des  Motivs  der  Bedienten, 
die  frühmorgens  zur  Reinigung  des  Speisesaales  eintreten,  unfehlbar 
der  Katze  ihre  Rolle  angewiesen  und  auch  von  den  bellenden  Hunden 
nichts  erwähnt  haben.  —  Bei  Plinius  findet  sich  einige  Bekanntscbafi 
mit  den  Eigenheiten  der  Katze,  felis,  aber  als  zahme  Hausfreundin 
der  Mensehen  stellt  auch  er  sie  nicht  dar,  10,  202:  Feles  quidem  quo 
silentio^  quam  levilms  vestigiis  obrepunt  avibtts!  quam  occulte  specidatae 
in  musculoB  exsiliuntf  excrementa  stia  effossa  obruunt  terra  intelligentes 
odorem  iUum  indicem  sui  esse.  Richtige  Beobachtungen,  die  aber  an 
der  europäischen  wilden  Katze  sich  ganz  eben  so  machen  liessen, 
wie  die  entsprechenden  am  Fuchse  und  anderen  Thieren  der  Wälder 
und  Berge.  Ein  pompejanisches  Mosaikbild,  jetzt  im  Museo  nazionale 
in  Neapel,  zeigt  „eine  Katze,  die  eine  Wachtel  zerreisst",  —  aber 
das  luchsartige,  etwas  gestreifte  Fell,  sowie  der  Ausdruck  des  Kopfes 
deuten  mehr  auf  die  wilde  Katze,  wenn  auch  eine  ähnliche  Bildung 
hin  und  wieder  bei  der  jetzigen  Hauskatze  vorkommen  mag.  Auch 
die  bei  Mazois  H,  t.  55  abgebildete  Katze  ist  zwar  ein  katzenartiges 
Thier,  aber  unmöglich  eine  Hauskatze;  auch  sagt  der  Herausgeber 
selbst:  un  chat  reprdsentd  avec  assez  peu  de  naturel.  Bei  den  Auf- 
grabungen in  Pompeji  haben  sich  nirgends  Reste  einer  Katze  gezeigt, 
s.  das  Ausland,  1872,  n®  7,  Zur  altem  Geschichte  des  Vesuv,  S.  167: 
Pferde,  Hunde,  Ziegen  und  Hausthiere  wurden  verschüttet  und  ihre 
Reste  sind  wieder  aufgefunden  worden;  „merkwürdiger  Weise  waren 
aber  alle  Katzen  schon  bei  Zeiten  verschwunden."  Die  Merkwür- 
digkeit hört  auf,  wenn  es  in  der  Stadt  eben  noch  keine  Katzen  gab. 
Auch  die  Thierchen  auf  frühen  tarentinischen  und  rheginischen 
Münzen,  die  von  Einigen  für  Katzen  genommen  worden  sind,  können 
bei  ihrer  Kleinheit  und  Unbestimmtheit  auf  jede  andere  Axt  gedeutet 
werden  —  wie  Jeder  zugeben  wird,  der  solche  Münzen  in  der  Hand 
gehabt  hat.  —  Sehen  wir  uns  in  der  Literatur  der  Fabel  um,  so 
gewährt  uns  diese  leider  keinen  sichern  chronologischen  Anhalt.  In 
den  im  Yolksmunde  in  alter  Zeit  lebenden  äsopischen  Fabeln,  so 
weit  sie  uns  in  Bruchstücken  und  Andeutungen  bei  den  Schriftsteilem 


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Die  Kfttze.  379 

der  klassischen  Zeit  erhalten  sind,  tritt  nirgends  die  Eatze  auf.  Bei 
Babrios,  dessen  Zeitalter  streitig  ist,  erscheint  in  zwei  Fabehi  der 
aUotfQog^  beide  Mal  deatlich  als  Marder,  der  dem  Hühnervolk  nach- 
stellt: in  Fabel  17  hängt  sich  der  allovQog  als  Sack  (cog  d'vXoHog 
nc,  als  Beutel  von  Marderfell)  am  Pflock  auf,  wird  aber  vom  Hahn 
an  dem  noch  dran  sitzenden  Gebiss  erkannt,  in  Fabel  121  ist  die 
Henne  krank  und  der  aiXovQog  schleicht  theilnehmend  herbei,  wo- 
laaf  Jene  sagt:  geh  nur  fort,  das  ist  die  beste  Art,  meinen  Tod  zu 
Terhüten.  Als  Feindin  der  Maus  sieht  auch  Babrios  das  Wiesel  an: 
Fabel  32,  wo  das  Wiesel  in  eine  schöne  Frau  verwandelt  wird  und 
bei  der  Hochzeit  sich  durch  Verfolgung  einer  Maus  verräth,  beweist 
dies  unwidersprechlich  (wir  sagen  dagegen:  die  Eatze  lässt  das 
Mausen  nicht),  eben  so  Fabel  31,  wo  die  Wiesel,  yalal^  und  die 
Mäuse  Krieg  führen.  In  den  Fabeln  des  Phädrus  ist  das  Yerhältniss 
ganz  dasselbe.  Auch  da  führen  4,  6,  die  Mäuse  und  die  Wiesel 
Krieg  und  ein  vom  Menschen  gefangenes  Wiesel  ruft  1,  22  aus: 
schone  mich,  qtiae  tibi  molestü  muribus  purgo  domum.  Aber  bei 
Palladius,  als  die  Tage  des  weströmischen  Reiches  bereits  gezählt 
waren,  erkennen  wir  unsere  Hauskatze  unter  dem  nur  für  dies  neue 
Hausthier  geltenden  Namen  catus,  der  seitdem  von  Italien  aus,  wie 
das  ägyptische  Thier  selbst,  zu  allen  Völkern  gewandert  ist,  nicht 
bloss  zu  allen  europäischen,  Basken,  Finpen,  Albanesen  und  Neu- 
griechen miteingeschlossen,  sondern  auch  weithin  in  den  Orient  zu 
Asiaten  des  verschiedensten  Stammes®®).  Die  Worte  des  Palladius 
lauten,  4,  9,4:  Contra  talpas  prodest  catoa  (in  anderen  Handschriften 
cattos)  frequenter  habere  in  mediis  cardicetis  (Artischockengärten.) 
mustelas  habent  pleriqtce  manmetas  (die  also  damals  noch  häufiger 
waren),  aliqui  foramina  earum  (oder  eorurn)  rubrica  et  succo  agrestis 
cucumeris  impleverunt  nonnulli  juxta  cabilia  talparum  plures  cavemas 
aperiunt,  ut  illae  territae  fugiant  solis  admissu.  plerique  laqueos  in 
aditu  earum  (eorum)  setis  pendentihus  ponunt  Unter  talpae  verstand 
Palladius,  der  schon  romanische  Neigungen  zeigt,  an  dieser  Stelle, 
wie  wir  glauben,  die  Maus,  nicht  den  Maulwurf,  italienisch  topo  masc. 
die  Maus  (aus  talpa)]  die  Variante  eo^nim  könnte  in  diesem  Falle 
schon  von  dem  Verfasser  selbst  herrühren,  wie  ja  auch  Vergil  das 
Wort  talpa  männlich  gebraucht  hatte.  Nach  Palladius  finden  wir 
das  Wort  vdeder  bei  dem  griechisch  schreibenden  Kirchenhistoriker 
Evagrius  Scholasticus,  4,23:  aXXovQOv^  ^v  ytaxtav  ^  auv^d-eia  Xiyei. 
Evagrius  lebte  in  Epiphania  in  Cölesyrien  und  führte  seine  Geschichte 
bis   zum  Jahre  594;    gegen   das   Jahr  600   also    war   der  Ausdruck 

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380  Die  Katze. 

xacra   in  Vorderasien   schon    ein   gewöhnlicher.    Das  avvrj&eia  des 
Evagrius    druckt   im    äussersten  Westen    der   ungefähr   gleichzeitige 
oder  nur  wenig   spätere  Isidorus    durch  vulffus  aus,    12,  2,  38:    hunc 
(murionern)  vtdgus  catum  a  captura  vocant     Auch  sonst  kommt  das 
Wort  in  diesen  Zeiten  und  mit  jedem  Menschenalter  häufiger  vor,  s. 
Ducange.     Es   war   eine   in   Italien    gebildete  Volksbenennung:    das 
Thierchen,   das  Junge,    wie  man  für  Gans  das  "Vögelchen,    auca^ 
für  Schaf  la  pecora  u.  s.  w.  sagte.     Wenigstens  ist  dies  immer  noch 
die  wahrscheinlichste  üerleitung.    Ob  aber  nicht  eine  besondere  Ver- 
anlassung, das  jetzt  gerade  ein  ägyptisches  Thier,  an  das  die  Griechen 
und  Römer  bisher  nicht  gedacht  hatten,  in  den  Häusern  gewöhnlicher 
wurde,  als  früher?  Die  Geschichte  schweigt  davon,  doch  drängt  sich 
folgende  Vermuthung   auf.     Zur  Zeit    der  Völkerwanderung   überzog 
von  Asien  her  ein  bis  dahin  unbekanntes  gefrässiges  Nagethier,    die 
Ratte,  mt^  rattus^   die  Keller,    Speicher  und  Wohnungen  der  euro- 
päischen Welt.     Der  Zeitpunkt   ihres  Erscheinens  und  die  Richtung 
ihres  Weges   ist  nicht  überliefert,    aber   der  Name  Ratte  findet  sich 
schon  in  frühen    althochdeutschen  Glossaren,    so  wie   in  dem  angel- 
sächsischen des  Älfric  in  England    und  ist  also  bedeutend  alter,   als 
Albertus  Magnus,    bei  dem  dies  Thier  von  Naturforschem  signalisirt 
worden   ist.     Zog  es   im  Gefolge    der  Yölkerströme   in  Europa   ein, 
ward   es  im  Herzen  Asiens  durch    den  Aufbruch    türkischer  Völker, 
z.  B.    der  Hunnen,    mitbeunruhigt?     Als   es  den  Osten  Europas  er- 
reichte, müssen  die  Slaven  sich  bereits   in  Stämme  gesondert  haben, 
denn   sie  benennen  es  ungleich:    der  Pole    sagt   szczur   (gleich   ahd. 
acero   die    Schermaus,    der  Maulwurf,    also   vne   talpa  =  Maus),   der 
Russe  krym^    die  Donauslaven    wieder  anders.     Der    deutsche  Name 
Ratte,    Ratz,    ahd.  rato^   wird  ein  anlautendes  h  verloren  haben  und 
mit  dem  altslavischen  krütü^  russischen  krot^  der  Maulwurf,  Ut  kertuSy 
die  Spitzmaus,  identisch  sein.    Altirisch  hiess  die  Ratte  fränkische 
Maus  (Stockes,  ir.  gl.  248),  sie  war  den  Iren  also  vom  Frankenlande 
zugekommen.    Eine  zweite,    noch  furchtbarere  Invasion   der  Art  hat 
Europa  seit  dem  ersten  Drittel  des  achtzehnten  Jahrhunderts  erlebt: 
da  erschien  die  grosse  Wanderratte,  mua  decumanua,  an  der  unteren 
Wolga,   überzog  mit  allmähligem,    oft  eigensinnigem  Vorrücken  eine 
Stadt  und  Gegend  nach  der  anderen,  verbreitete  sich  mit  Fluss-  und 
Seeschiffen  —  denn  sie  hat  eine  Vorliebe  für  Wasserfahrten  —  und 
in  den  Revolutionskriegen    mit  den  Magazinen    der   österreichischen 
und  russischen  Armeen  über  Deutschland   und  den  Westen  Europas 
und  hat  seit  lange  nicht  bloss  von  Paris  und  London  Besitz  genommen 

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Die  Katse.  381 

(vielleicht  zu  Schiffe  direkt  von  Ostindien),  sondern  im  Wege  des 
Handels  auch  die  neae  Welt  jenseits  des  atlantischen  Oceans  erreicht, 
überall  ihre  schwächere  Vorgängerin,  die  Haasratte  des  Mittelalters, 
ausrottend  (s.  v.  Middendorff,  Sibirische  Reise,  IV,  S.  887  ff.).  Auch 
die  kleine,  niedliche,  naschhafte  Hausmaus  muss  einst  so  aus  dem 
sfidlichen  Asien  zu  uns  hinübergekommen  sein  —  fiel  ihre  Ankunft 
etwa  mit  dem  Einbruch  der  Indoeuropäer  zusammen?  Noch  andere 
Thiere,  die  dem  Alterthum  anbekannt  waren,  scheinen  mit  der  Völker- 
wanderung oder  mit  dem  Eindringen  von  Eultar  und  Strassen  in  den 
dunklen  Osten  Europas  in  den  Gesichtskreis  der  Kaltarvolker  des 
Westens  getreten  zu  sein,  so  der  Dachs  und  der  Hamster.  Der 
Name  des  ersteren  verbreitete  sich  von  den  Germanen  her  über  das 
romanische  Gebiet,  dem  das  Thier  bis  dahin  fremd  gewesen  zu  sein 
scheint;  der  des  letzteren,  in  Italien  unbekannt,  in  Frankreich  roh 
ans  demDeatschen  herübergenommen:  le  hamster^  von  den  Germanen 
einem  slavischen  Worte  nachgesprochen,  deutet  auf  einen  von  Osten 
gekommenen  Erdbewohner,  dem  die  Lichtung  der  Wälder  durch  den 
Ackerbau  den  Weg  bahnte^®). 

Den  Germanen  kam  die  Katze  zu  einer  Zeit  zu,  wo  die  mythische 
Produktion,  wenn  auch  geschwächt,  doch  nicht  ganz  erloschen  war^®). 
Die  Eatze  wurde  das  Lieblingsthier  der  Freya,  der  Liebesgöttin, 
vielleicht  in  Vertretung  des  Wiesels.  Grimm  DM'  634:  „der  Freya 
Wagen  war  mit  zwei  Katzen  bespannt.  Katze  und  Wiesel  galten 
für  klage,  zauberkundige  Thiere,  die  man  zu  schonen  Ursache  hat." 
Im  späteren  Mittelalter  verwandeln  sich  Hexen  und  Zauberinnen  in 
Katzen,  wozu  das  schleichende,  nachtwandlerische  Wesen,  das  dunkle 
Fell,  die  im  Finstem  unheimlich  glühenden  Augen  des  Thieres  auch 
ohne  Erinnerung  an  das  Heidenthum  Anlass  geben  konnten.  Die 
märkische  Sage  bei  Kuhn  n^  134a  mag  statt  aller  übrigen  der  Art 
dienen:  „Am  letzten  April  war  ein  Müllergesell  noch  spät  Abends 
in  einer  Mühle  beschäftigt,  da  kommt  eine  schwarze  Katze  zur  Mühle 
lÜDein;  er  versetzt  ihr  einen  Schlag  auf  den  Vorderfuss,  dass  sie 
schreiend  davonläuft.  Andern  Morgens,  als  er  in  das  Haus  des 
HoUers  kommt,  bemerkt  er^  dass  dessen  Frau  mit  gequetschtem  Arm 
im  Bett  liegt,  und  erfährt,  dass  sie  das  seit  gestern  Abend  habe. 
Niemand  wisse  woher.  Da  hat  er  denn  gemerkt,  dass  die  Müller- 
fraa  eine  Hexe  war,  und  dass  sie  am  vorigen  Abend  als  Katze  zum 
Blocksberg  gewesen  sein  müsse."  Dass  auch  vornehme  Weiber  und 
Fürstinnen  schon  im  eilften  Jahrhundert  Lieblingskatzen  im  Schos» 
hielten   und   mit   Leckerbissen   fütterten,    beweist   das   Beispiel   der 

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382  l^er  Büffel 

Gemahlin   des   Kaisers  Constantin  Monomachus   bei    Tzetzes,    GhiL 
5,  522: 

äansQ  yal^v  xatoixioVj  yaXfjv  tüjv  fivoxrovwv 
ij  Movofjidxov  GvCvyog  ^fitSv  rov  atBq>7iq>6QOV  u.  s.  w. 
Noch  jetzt  ist  das  Thier  im  europäischen  Osten  und  Süden  und  bei 
Morgenländern  beliebter,  als  bei  den  Völkern  germanischer  Abkunft, 
in  Russland  giebt  es  keinen  Kaufladen,  an  dessen  Schnelle  nicht 
eine  wohlgenährte  Katze  im  Halbschlummer  blinzelnd  läge.  Ancb 
In  Frankreich  ist  die  Katze  die  gern  gesehene  Freundin  des  Hauses 
und  der  Familien  und  in  Italien  herrscht  eine  allgemeine  Vorliebe 
für  das  feine,  reinliche,  graziöse  Thier.  „In  mancher  Eörche  Ton 
Venedig  bis  Rom,  erzählt  Fridolin  Hoffmann  (Bilder  römischen 
Lebens,  Münster  1871),  sah  ich  wohlgenährte  Sakristei-Kater  auf 
den  Balustraden  der  Seitenaltäre  oder  selbst  auf  der  Communionbank 
sitzen;  sogar  der  Gottesdienst  stört  die  Thiere  nicht  in  ihrer  Behag- 
lichkeit. Ruhig  schreiten  sie  mitunter  hin,  während  der  Klänge  der 
Orgel,  über  den  vordem  hohen  Theil  der  Kniebänke,  und  die  Leute 
sind  sogar  so  artig,  ihre  Hände  mit  dem  Gebetbuch  zu  lüften,  nm 
den  Spaziergänger  ungehindert  vorbeizulassen  Angesichts  solcher 
Bevorzugung  ist  es  also  nicht  zu  wundem,  wenn  selbst  in  sehr  an- 
ständigen Wirthshäusem  auf  einmal  eine  oder  zwei  Katzen  sich  neben 
uns  auf  einem  Sessel  oder  einer  gepolsterten  Bank  niederlassen,  ge- 
häbig  spinnen  oder  sich  mit  der  Schnauze  seitwärts  magnetisch 
reiben."  Wie  einzelne  Menschen  von  diesem  Thier  in  unbegreiflicher 
"Weise  angezogen  werden,  dafür  ist  der  Beraer  Tagelöhner  Gottfried 
Mind,  der  Katzen-Rafael,  ein  Beispiel.  Er  war  als  Knabe,  wie 
später  als  Mann,  stumpf  für  Alles  und  fast  blödsinnig,  nur  das 
Leben  und  Treiben,  der  Katzen  beobachtete  er  mit  Verständniss 
und  Liebe  und  stellte  es  in  Aquarellbildem  meisterhaft  dar  (er 
starb  1814). 


Der  Büffel. 

In  Folge  der  Völkerwanderung  vermehrte  sich  auch  die  Familie 
der  Rinder,  dieses  Urthieres  der  aus  der  Wildheit  sich  erhebenden 
Menschen,  um  einen  aus  dem  fernen  Süden  gekommenen  Verwandten, 
den  schwarzen^  tückisch  blickenden,  mit  mächtiger  Zugkraft  begabten 

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Der  Büffel  383 

Büffel.     Er   lebt  jetzt   in   den   feuchten,    heissen  Malaria-Ebenen 
Italiens^   in  deren  Schlamm  ihm  wohl  ist   und  deren   giftige  Dünste 
er  nicht  fürchtet:  in  den  toskanischen  Maremrocn,  in  den  Niederongen 
der  Tibermündong,  in  den  pontinischen  Sümpfen,  bei  Pästum,  in  der 
Basilicata,  in  den  Landes  der  Gascogne,  in  manchen  Gegenden  Ungarns 
u.  s.  w.     Gleich  ungeheuren  Schweinen  wälzen  sich  die  pontinischen 
Büffel  in  dem  baumhohen  Schilfe,    beim  Geräusch  des  Wagens  still- 
haltend nnd  den  vorüberziehenden  Reisenden  dumm  anstierend,  oder 
stecken,  gesichert  vor  den  Stichen  der  Bremsen,  bis  an  die  Nüstern 
im  Schlamme  der  Sümpfe.    Der  Büffel  wird  benutzt  wie  das  gemeine 
Rind,   zieht  den    schweren  Pflug,    den   hochgethürmten  Erntewagen, 
den  gewaltigen,    mit  Steinen    beladenen  zweirädrigen  Karren,    liefert 
Milch  und  sehr  geschätzten  Käse    (die  in  Neapel  sogenannten  rnuz- 
zareüi)  und  nach  dem  Tode  das  grobe  Fell  zu  dem  schwersten  derben 
Leder.     Auch   im  Morgenlande   fand  Niebuhr   dies  Thier   sehr  ver- 
breitet, Beschreibung  von  Arabien,  Kopenhagen  1772,  S.  165:  „Den 
Büffelochsen  findet  man  in  den  Morgenländern  fast  in  allen  sumpfigen 
Gegenden    und    bei    grossen  Flüssen    und    daselbst   gemeiniglich   in 
grösserer  Menge  als  das   gemeine  Hornvieh.     Die  Büffelkühe   geben 
mehr  Milch   und  die  Büffelochsen    sind  zur  Arbeit   wenigstens  eben 
so  geschickt,  als  die  gemeinen.    Ich  sah  Büffel  in  Aegypten,  auf  der 
Insel  Bombay,  bei  Surat,  amEuphrat,  Tigris,  Orontes,  zu  Scanderone 
XL  8.  w.    Ich  erinnere  mich  nicht,  sie  in  Arabien  gefunden  zu  haben, 
und  da   ist  für   dieses  Thier   auch    zu   wenig  Wasser.     Das  Fleisch 
der  Büffelochsen  schmeckte  mir  nicht  so  gut  als  anderes  Ochsenfleisch. 
Es  ist  härter  und  grobfasriger.**    Während  der  unaufhaltsame  Kultur- 
process  die  königlichen,  eigenwilligen,  wüthendön  Bewohner  der  euro- 
päischen Wälder,   den  ür    und   den  Bison,    bis   auf   einen  geringen 
Rest  vertilgt  hat,  brachte  das  Völkergedränge  diesen  Fremdling  von 
den   Grenzen    Ostindiens    bis    an    die    Südküsten  Italiens.     Dort   in 
Arachosien,    nach    dem   heutigen  Kabul  zu,    kennt  Aristoteles    einen 
.wilden  Ochsen,  der  der  Beschreibung  des  Meisters  nach  kein  anderer, 
als  unser   heutiger  Büffel   gewesen   ist,    bist.    anim.  2,  1  (II,  4):    iv 
^Qaxokaigy    ovneq  xal  ol  ßoeg  ol  Hygior   diaq)€QovaL  d'  ol  ccyQioi 
rcüv  ^fieQwv  ooov  neq  ol  veg  ol  ayqioi  fiQog  Toig  fi^aqovg'  ftiXavig 
w  yaq   eiai    xai  lo%VQol  Ttp   ei'dei   xal    Bniyqvnoi^   %a    de    xigava 
i^ntidl^ovra  sxovai  fjiallov.    Von  dort  her  müssen  sich  in  den  fol- 
genden Jahrhunderten  die  Büffel  weiter  durch  Asien  verbreitet  haben; 
in  Italien  zeigten  sie  sich  zuerst  gegen  das  Jahr  600  nach  Chr.  unter 
der  Regierung  des  longobardischen  Königs  Agilulf,  Paul.  Diac.  4,  11: 

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384  Der  Büffel. 

twnc  pHmvm  caballi  süvatici  et  bubali  in  Italiam  delatd  ItaUae  popuUs 
miracula  fuerunt^^).  Wir  müssen  dem  longobardischen  Mönche  für 
diese  Nachricht  dankbar  sein,  denn  wie  selten  lassen  sich  die  Ge- 
schichtschreiber, die  mit  Kriegszugen  nnd  Thronstreitigkeiten  alle 
Hände  voll  za  thun  haben,  herab,  uns  einen  kulturhistorischen  Brocken 
zuzuwerfen,  —  hätten  aber  doch  etwas  nähere  Auskunft  gewünscht. 
Waren  diese  hubali  etwa  die  uri  und  büontes  der  europäischen  Wälder? 
Schwerlich,  denn  diese  mussten  doch  schon  viel  und  oft  in  Italien 
gesehen  worden  sein  und  hätten  weder  bei  Römern  noch  bei  Longo- 
barden  Verwunderung  errregt  Wenn  es  aber  wirkliche  Böffel 
waren,  —  woher  und  auf  welchem  Wege  kamen  diese  Bewohner 
warmer  Landstriche  in  das  ferne,  kalte  Europa?  Zu  Schiffe  konnten 
sie  nicht  eingeführt  sein.  Da  sie  in  Gesellschaft  wilder  Pferde  er- 
schienen, so  scheint  uns  wahrscheinlich,  dass  sie  ein  Geschenk  des 
Chans  der  Awaren  an  den  Longobardenkönig  waren;  denn  dies  No- 
madenvolk türkischen  Stammes,  das  damals  an  der  Donau  hauste 
und  in  furchtbaren  VerheerungszQgen  das  römische  Reich  heimsuchte, 
stand  mit  dem  longobardischen  Hofe  in  freundlichen  Beziehungen. 
Schickte  König  Agilulf  dem  Chan  der  Awaren  Schi&baumeister,  die 
ihm  die  Fahrzeuge  zur  Eroberung  einer  Insel  in  Thrakien  stellten, 
so  konnte  Jener  wohl  Produkte  aus  dem  Herzen  Asiens  als  Gegen- 
gabe bieten.  So  sind  denn  die  schwarzen,  nackten,  schwerwandelnden 
Büffel^  die  in  so  charakteristisch  asiatischer  Weise  von  flüchtige 
Hirten  zu  Pferde  mit  der  langen  Pike  im  Steigbügel  umkreist  and 
in  Ordnung  gehalten  werden,  noch  lebendige  Zeugen  jener  furcht- 
baren Zeiten,  wo  die  unermessliche  ösüiche  Landmasse,  mit  der  die 
Halbinsel  Europa  ohne  andere  Schutzwehr  als  die  Entfernung  zu- 
sammenhängt, ihre  Horden  ausspie,  um  wo  möglich  alle  Menschlichkeit, 
das  Werk  und  den  Gewinn  langer  veredelnder  Arbeit,  bis  auf  die 
Wurzel  zu  vertilgen.  Dass  die  ganzen  und  halben  Nomaden,  die 
sich  in  dem  schönen,  fruchtbaren,  einst  hochkultivirten  Pannonien 
wechselsweise  lagerten  und  verdrängten,  neue  Rindviehracen  mit- 
brachten und  vielleicht  vortheilhaftere,  als  das  Alterthum  sie  aus  der 
Ueberliefernng  derYorwelt  besass,  lag  in  der  Natur  der  Dinge;  eben 
so  dass  diese  auch  in  Italien  einwanderten  und  ihren  Stamm  daselbst 
behaupteten,  nachdem  die  Völkerwoge,  die  sie  herbeigetragen  hatte, 
längst  abgeflossen  war.  Die  dreifache  Race  der  südrussischen  Steppen, 
einer  klassischen  Rindviehgegend,  ist  ein  Niederschlag  von  eben  so 
viel  Nomaden-Einbrüchen.  Der  sogenannte  ukrainische  oder  podo- 
lische  oder  ungarische  Ochs,  gross,  grauweiss,  hochbeinig,  langgehömt, 

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Das  Rindvieh.  385 

reich  an  Talg  und  Fleisch,  das  Zugihier  der  Lastwagen  und  Fracht- 
fahren,   die  die  Steppe  oft   handerte  von  Wersten    weit  durchziehen, 
findet  seinen  Verwandten  in  der  südlich   vom  Po  durch  Mittelitalien 
herrschenden   grossen    weisslichen  Art  mit  den  langen  von  einander 
abstehenden  Hörnern,  die  auch  nach  Spanien  und  Algier  übergegangen 
ist   Da  schon  Yarro  sagt  2,  5,  10:  albi  in  Italia  non  tarn  frequentes^ 
quam   qui  in  Thracia  ad  fiilava  xolnov^   übt  alio   colore  pauci^   so 
könnte  dies  das  skythische  Vieh   gewesen  sein,    gekommen    mit  den 
iranischen  Weidevölkem  und  durch  Gothen   oder  Longobarden  nach 
Italien  verschlagen.    Eben  daher  würde  die  euböische  Race  stammen, 
die  gleichfalls   weiss   war,    AeL  h.  a.  12,  36:    xai    h  Elßoiif  de  oi 
ßo^g  levxoi  tixrovrai  o%idov  navxag^  evd^sv  toi  aal  agyißoiov  ixdlow 
Ol  noiTi%ai  ri^v  Evßoiav^  denn  Euböa  stand  frühe  mit  Thrakien  und 
überhaupt    dem  Norden    in  Verbindung.     Indess   ist   das   skythische 
Vieh  bei  Herodot  xoXov  und  bei  Hippokrates  xigeog  azsQ  und  gleicht 
also  dem    kleinen   germanischen,    dem   nach  Tacitus   die  Glorie    der 
Stime  fehlt.     Vielleicht  also  ist  der  zweite  südrussische  Schlag,    das 
kleinere,  rothe^    eigentliche  Steppenvieh,    ein  Abkömmling  jener  alt- 
skythischen  Heerden,    während  die  dritte  Race,    das  sogenannte  kal- 
mükische  Vieh,    wie    der  Name  sagt,    die   tatarischen   oder  gar  erst 
die  mongolischen  Horden   in  den  Westen    begleitet   hat.     Im  Italien 
des  Varro   war  die  gallische   (also   mit   den  Galliem  eingezogene?) 
Race  vorzüglich  zur  Feldarbeit  geeignet,  in  dem  des  Plinius  galt  das 
kleine,  unansehnliche  Alpenvieh  für  das  milchreichste,  8,  179:  pluri- 
mum  lactis  Alpinis  quibtcs  minumum  corporis^  wie  auch  bei  Columella 
6,  24,  5  die  Altinischen  Eühe  im  Veneterlande  humilis  statwraey  lactis 
abundantes  waren.    Noch  zu  des  Ostgothen  Theodorich  Zeit  war  das 
tyrohsche    Vieh    klein    aber   kräftig;    als   die  Alemannen,    von   dem 
Frankenkönig  Chlodwig  aufs  Haupt  geschlagen,  auf  gothischem  Ge- 
biet Schutz    suchten   und   zum  Theil   in  Italien   angesiedelt   werden 
sollten,   da  waren  die  Rinder  der  Flüchtlinge  von  der  langen  eiligen 
Wanderung  ermüdet  und  konnten  nicht  weiter,  und  der  König  befahl 
den  norischen  Provincialen,  die  grossen  alemannischen  Thiere  gegen 
ihre  kleinen  einzutauschen,  womit  beiden  Theilen  geholfen  sein  werde, 

Gassiod.  Var.  3,  50:  JProvincialibtis  Noricis  Theodor.  R decre^ 

vmus^  ut  Alamannorum  boves^  qui  videntur  preiioaiores  propter  corporis 
granditatem^  sed  itineris  hnginquitate  defecU  sunt,  commutari  vobiscum 
Uceatt  minorem  quidem  membrisj  sed  idoneos  ad  labores:  ut  et  iUorum 
profectio  aanioribus  animalUms  adjuveiur  et  vestri  agri  armentis  gran- 
dimbua  instruantur.    Itaque  fit  ut  ÜU  acquirant  viribm  robustos^  vos 

Vict  Hebo,  Kaltarpflanzen.  25 

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386  I>er  Hopfen. 

forma  conspictios.  Der  grosse  alemannische  Schlag  konnte  von  den 
gallisch-römischen  Ansiedlern  innerhalb  des  limes  herrühren,  deren 
Städte  und  Höfe  die  Alemannen  erst  beraubt  und  verheert  und  dann 
in  Besitz  genommen  hatten.  Das  hornlose  Yieh  ist  jetzt  in  Deutsch- 
land überall  durch  die  Kultur  ausgerottet,  findet  sich  aber  noch  in 
Skandinavien,  von  wo  es  durch  den  Verkehr  des  Mittelalters  auch 
in  die  Gegenden  am  weissen  Meer  gekommen  ist.  Das  älteste  euro- 
päische Rind  mag  zur  Zeit  der  Römer  noch  in  dem  ligurischen 
erhalten  gewesen  sein,  welches  für  schwächlich  und  elend  galt  (Varro 
nennt  die  dortigen  Ochsen  nugatorit)^  und  dessen  Reste  wir  vielleicht 
noch  aus  dem  Grunde  der  Pfahlbauten  ans  Licht  schaffen.  In  den 
Rindviehracen,  deren  Yertheilung  und  Ankunft  in  Europa  ist  noch 
viel  zu  untersuchen  und  vielleicht  zu  —  finden.  Dass  unser  zahmer 
Ochse  von  dem  Auerochsen  der  Urzeit  stammt,  leidet  keinen  Zweifel, 
aber  die  Zähmung  geschah  schwerlich  auf  europäischem  Boden. 


Der  Hopfen. 

(Humulus  lupulus  L.) 

Der  grosse  Linnö  behauptete  im  Jahre  1766  (in  einer  der  io 
die  Amoenitates  academicae  aufgenommenen  Dissertationen,  T.  7,  diss. 
148:  neces»itas  hütoriae  naturalis  Rossiae,  §  IIX  tmter  anderen  Küch^- 
gewächsen,  wie  spincusea  oleracea^  atnplea  hortensis^  artemtsia  dracun- 
ctUususrw.^  sei  auch  der  Hopfen  zur  Zeit  der  Völkerwanderung 
hinten  weit  aus  Russland  in  das  eigentliche  Europa  eingewandert: 
ignotae  fuere  veterUms  et  introdiu^tae  seculis  barbaris^  dum  Gotki  no- 
strates  occupabant  Italiamy  qui  sine  dubio  secum  aUulere  in  ItaUam 
plantas  suas  oleraceas  et  culinares.  Dass  der  Hopfen  jetzt  an  Hecken 
und  in  Wäldern  wild  wächst,  wäre  keine  Instanz  gegen  diese  Yer- 
muthung:  ein  soviel  angebautes  Gewächs,  vorausgesetzt  dass  KUma 
und  Boden  ihm  sonst  zusagten,  konnte  als  Flüchtling  den  Weg  leicht 
auch  in  solche  Gegenden  finden,  wo  es  vorher  nie  von  Menschenhand 
angepflanzt  worden.  Gewiss  sind  nur  folgende  drei  Sätze:  1)  dass 
die  Alten  nie  von  einer  ähnlichen  Pflanze  gehört  hatten,  deren  Bluten 
einen  angenehmen  Zusatz  zum  Biere  geben;  2)  dass  die  Denkmäler 
des  frühesten  Mittelalters,  in  denen  das  Bier  und  die  Produkte  süd- 
licher Gärten    oft  genannt  werden,    nirgends  bei  solcher  Gelegenheit 

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Der  Hopfen.  387 

des  später  so  uneDtbehrlichen  Hopfens  Erwähnung  thun;  endlich 
3)  dass  in  manchen  Ländern  Europas,  wie  England  and  Schweden, 
der  Gebraach,  Hopfen  zum  Biere  zu  thun,  erst  gegen  Ausgang  des 
Mittelalters  oder  gar  erst  im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  auftritt  und 
«UmäUig  allgemeiner  wird. 

In  der  lex  salica  und   in    den  Verordnungen  Karls   des  Grossen 
Sachen  wir  vergeblich  nach  einer  Andeutung  dieser  Pflanze  und  ihres 
Anbaues;  eben  so  wenig  nennt  sie  kurz  vor  der  Mitte  des  9.  Jahr- 
himderts    der  Oberdeutsche  Walafridus    Strabo   in    seinem   hortiUus. 
Um  dieselbe   Zeit   aber   tauchen    aus   anderen  Gegenden  die   ersten 
Sparen  derselben  auf.    In  einem  Schenkungsbriefe  des  Königs  Pipin, 
Vaters  Karls   des  Grossen,   vom    17.  Jahr   seiner  Regierung   an    die 
Abtei  St.  Denys   (bei    Doublet,    histoire   de   Tabbaye    de  S.  Denys, 
Paris  1625,  4®,  p.  699)   vergiebt  der  König  dem  Stifte  Eumlonarias 
cum  integritatej   worin  man   das   mittellateinische  humlo   der  Hopfen 
finden  kann;  indess  ist  dies  dort  ein  Eigenname  neben  vielen  anderen, 
d^   eine  Oerdichkeit    oder   ein  Besitzthum  f&hrt,    und  die  Lautähn- 
lichkeit ist   vielleicht   nur  zufällig.     Aber   in    dem  Polyptychon   des 
Irmino,  Abtes  von  St  Germains-des-Pr^s,   das  in  den  ersten  Jahren 
des  9.  Jahrhunderts,  noch  vor  dem  Ableben  Karls  des  Grossen,  auf- 
gesetzt ist,    werden  häufig  Zinsabgaben  von  Hopfen  erwähnt,  der  in 
dem  Text  humolo^  humelo^  umlo^  zwei  Mal  auch  fumlo,  genannt  wird 
(s.   Gufrard,    Polyptyque   de   l'abb^   Irminon,   Paris  1844,  4®,  1,  2, 
p.  714).    Nur  wenige  Jahre  später  werden  in  den  Statuten  des  Abtes 
Adalhardus  von  Corvey  vom  Jahre  822  (bei  d'Achery,    Spicilegium, 
Paris  1723,  fol.,  T.  I.,  Statuta  antiqua  abbatiae  S.  Petri  Corbeiensis, 
Hb.  1,  cap.  7,  p.  589)  die  Müller  von  der  Arbeit  mit  Malz  und  Hopfen 
oder  von  der  Lieferung  des  letzteren  befreit:  et  ideo  nolumtis  ut  (mo- 
linarius)  tälum  alium  Bervitvum  nee  cum  carro  nee  cum  eabaUo  nee  manibus 
operando  nee  arandonec  seminando  nee  messes  velprata  eoUigendo  nee  braces 
facienda  nee  humlonem   nee  ligna  solvendo  nee  quidquam  ad  opus  do- 
minicum  faciat.   In  den  Urkunden  des  Stifts  Freisingen  (bei  Meichel- 
beck,    Historia  Frising.  I,    Pars  instrumentaria)   kommen   schon   zur 
Zeit  Ludwigs    des  Deutschen   in   der  Mitte    und    der  zweiten  Hälfte 
des    9.   Jahrhunderts   nicht    selten    Hopfengärten,    humularia,    vor, 
die  also  auch  in  jener  oberdeutschen  Gegend  schon  Brauch  geworden 
waren.    In  den  folgenden  Jahrhunderten  wird  der  Hopfenbau  immer 
allgemeiner  in  Deutschland,  und  je  weiter  in  der  Zeit,  desto  häufiger 
erscheint  die  Steuer  an  Hopfen  in  Zinsbüchem  und  der  Hopfengarten 
anter  den  Bestandtheilen  der  durch  Kauf  oder  Schenkung  in  andere 

26» 

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388  ^^^  Hopfen. 

Hand  abergehenden  Grandstacke.  Die  Pflanze  ist  der  Aebtissin 
Hildegard,  dem  Albertus  Magnas  bekannt,  ihr  Anbaa  so  verbrdt^ 
dass  er  dem  Sachsenspiegel,  Schwabenspiegel  a.  s.  w.  Anlass  zu  aus- 
drücklichen Rechtsbestimmangen  giebt.  Auch  in  den  Gegenden  mit 
slavischer  Bevölkerung,  Schlesien,  Brandenburg,  Meklenburg,  ist  seit 
der  Zeit,  wo  sie  uns  näher  bekannt  werden,  die  Hopfenabgabe  ganz 
gebräuchlich,  wie  eine  flöchtige  Durchsicht  der  einschlagenden  Ur- 
kundenbucher  lehrt.  Nach  Stenzel,  Geschichte  Schlesiens,  1, 301, 
findet  sich  die  erste  Erwähnung,  dass  Hopfen  in  Schlesien  angebaat 
wurde,  im  Jahre  1224.  In  Folge  der  Beimischung  dieses  bitteren 
Aromas  wurden  die  Biere  haltbarer,  konnten  weit  verfahren  werden 
und  bildeten  allmählig  den  Gegenstand  lebhaften  Binnenhandels 
zwischen  den  Braustätten  und  entlegenen  Consumtionsbezirken.  Be- 
sonders Flandern  und  Norddeutschland  enthielt  solche  wegen  des 
Hopfenbieres  berühmte  und  durch  Bierhandel  sich  bereichernde 
Städte.  Unter  den  ersteren  ragte  z.  B.  Gent  hervor,  dessen  bürger- 
liche Bierbrauer,  die  beiden  Arteveldt,  Vater  und  Sohn,  es  mit  Kö- 
nigen aufnahmen,  unter  den  letzteren  z.  B.  Eimbeck;  der  baierische 
Name  Bockbier,  eine  Verstümmelung  aus  Eimbeck-Bier,  erhält  noch 
das  Andenken  daran  (Schmeller,  1,151  f.,  der  noch  von  einer  lächer- 
lichen Fortzeugung  des  Irrthums  berichtet:  „als  Gegenstück  zu  diesem 
stärker  stossenden  Bock  ging,  besonders  aus  den  Brauhäusern  der 
Jesuiten,  die  etwas  sanftmüthigere  Gaiss  hervor.^)  Wie  spät  ver- 
hältnissmässig  der  Hopfen  aus  Deutschland  in  die  Nachbarländer  ge- 
kommen, lehren  die  Belege  und  Ausführungen  bei  Becklnann,  Bey- 
träge  5,  222,  nach  England  z.  B.  nicht  vor  Heinrich  8.  und  Eduard  6. 
Von  Alters  her  waren  andere  Zusätze  üblich  gewesen,  Eichenrinde, 
Baumblätter,  bittere  Wurzeb,  vdlde  Kräuter  mancherlei  Art,  in 
Schweden  z.  B.  die  Srhafjgarbe,  Achülea  miUefolium,  oder  die  Pflanze, 
die  dort  Pors,  in  Deutschland  Porsch,  Porst,  Post,  ledum  pahtsire, 
genannt  wird.  Das  schon  zu  Hecatäus  Zeit  die  Päonier  in  Thrakien 
eine  Art  Bier  mit  Zusatz  von  xovv^i]  brauten,  ist  bei  früherer  Ge- 
legenheit bemerkt  worden  (S.  120);  aber  was  die  Päonier  in  so 
hohem  Alterthum  unter  conyza  verstanden  —  für  die  spätere  Zeit 
deutet  man  diesen  Namen  als  erigeron  viscosumy  invla  viscosa  oder 
graveolens  u.  s.  w.  —  lässt  sich  natürlich  nicht  mehr  ausmachen. 

War  aber  die  Pflanze  wirklich  erst  durch  die  Völkerwanderong 
ins  westliche  Europa  gekommen,  und  wo  wurde  sie  zuerst  zur  Würze 
des  Bieres  verwandt?  Da  die  Geschichte  uns  die  Antwort  versagt, 
so  sind  wir  auch  diesmal  genöthigt,  mit  Gegenüberstellung  der  Namen 

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Der  Hopfen.  389 

m  den  yerschiedenen  Sprachen  uns  zu  helfen.  Aber  auch  diese 
scheinen  uns  diesmal  nur  necken  und  in  die  Irre  fahren  zu  wollen. 
Halbe  Uebereinstimmungen,  mögliche  Uebergänge  locken  zur  Ver- 
kDüpfung  an;  Unsicherheit  gebietet^  dieselbe  wieder  fallen  zu  lassen; 
entschliesst  man  sich,  einen  Ausgangspunkt  zu  fixiren,  so  spinnt 
sich  von  daher  der  Faden  leidlich  fort,  aber  eben  so  wohl  liesse  sich 
aoch  das  letzte  Glied  zum  ersten  machen  und  der  Wanderung  und 
Entwickelnng  des  Wortes  die  umgekehrte  Richtung  geben. 

Die    einfachste  Form,    die   man   desshalb    versucht   ist,    an    die 
Spitze  zu  stellen,    ist  das   niederdeutsche  und  niederländische  hoppe^ 
hop  der  Hopfen     Es  kommt   schon  in    den  Glossen  des  Junius  bei 
Nyerup,    Symbolae  ad  lit.  teuton.  antiquior.,    vor,    die  von  GrafF  ins 
achte   bis    neunte  Jahrhundert  gesetzt  werden:    ftappe   Hmalus   (ver- 
schrieben oder  verlesen  statt  humaltcaf)^  feldhoppe  bradigalo  (bryoniat 
wofar  merkwürdiger  Weise  bei  Dioscor.4, 182  ein  dakisches  nQiaöjjXa}. 
Dass  dies  Aoppey  wie  Weigand  im  Wörterbuch  vermuthet,  selbst  erst 
aas  mittellat.    kupa   entstanden    sei,    hat   keine   Wahrscheinlichkeit; 
htpa  findet  sich  nach  Ducange  nur  in  einer  Quelle,  die  selbst  dem 
Boden  der  Niederlande  angehört,  und  ist  schwerlich  mehr  als  Latini- 
siruDg  des    deutschen  Wortes.     Eine  Etymologie   liesse  sich  in  dem 
Yerbum  hüpfen,    hoppen^  finden;   aber  eine  von  Ast  zu  Ast  sprin- 
gende Pflanze  statt  einer  rankenden  scheint  keine  natürliche  Vor- 
stellung und  Benennung.    Doch  welches  auch  seine  Herkunft  sei,  aus 
diesem  fioppe  entstand  eine  Verkleinerungsform  mit  hinzutretendem  l, 
aas  der  sich  das  französische  houblon  für  houbeloriy  so  wie  das  mittel-  * 
lat.  hubabis  (bei  Kleinmaym,  Juvavia,  Diplomatischer  Anhang,  S.  309: 
duo8  modtos  hubali)  erklärt.   Weiter  in  Italien,  wo  die  Pflanze  weder 
angebaut  noch  gebraucht  wurde,  verwuchs  der  fremde  Name  mit  dem 
Artikel  zu  dem  italienischen  Zwpofo,  luppolo^  aus  welchem  Vulgärwort 
dann   im   spätem  Mittellatein    das    gerade   bei  italienischen  Schrifb- 
stellem  auftretende  luptdus  der  Hopfen  entstand.    Bei  der  Abhängig- 
keit der  mittelalterlichen  Botanik  von  der  gleichsam  mit  kanonischem 
Ansehen  bekleideten  griechisch-römischen  Literatur  suchte  man  nach 
einem  ähnlich  klingenden  Pflanzennamen  bei  den  Alten  und  fand  ihn 
aach   glücklich  bei  Plinius  21,  86:    secuntur   herbae  sponte  nascentes 
quibus  pleraeque  genUvm   utuntwr  in  cibü ....  In  Italza  paucissimas 
nomnus^  froffa^   tamnum^  rvscum^    batim  marinamy  batim  hortensiam^ 
quam   aUqut   asparagum    gaUicum    vocant,    praeter    hos    pastinacam 
pratememj   lupum  salictarium,   eaque  verius  oblectamenta  quam  cibos. 
Also:  wildwachsende,  zur  Speise  dienende  Pflanzen  giebt  es  in  Italien 

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390  I>e'  Hopfen. 

wenige,  daranter  auch  ein  im  Weidengebüsch  wachsender  luptis;  doch 
gewähren  sie  mehr  eine  Art  Naschwerk  oder  Delikatesse,  als  eine 
Nahrung.  Vielleicht  ist  dies  derselbe  lupuSy  den  Martial  9,  26, 6 
erwähnt: 

Appetitur  posüo  vilis  oliva  lupo  — 

d.  h.  wenn  uns  lupus  vorgesetzt  wird,  verlangen  wir  nach  der  ge- 
meinen Olive;  der  lupus  war  also  eine  nicht  geschätzte  Würze  der 
Tafel.  Dass  er  eine  rankende  Pflanze  gewesen,  ist  nicht  gesagt,  und 
wenn  der  Name  sich  nicht  zum  mittellateinischen  lupulus  halten  liesse, 
würde  Niemand  auf  den  Hopfen  gerathen  haben.  —  Bei  dem  leichten 
Uebergange  des  6,  p  in  m,  zumal  vor  folgendem  Z,  entwickelte  sich 
aber  aus  hupa^  hubalus^  hubelo  auch  ein  mittellateinisches  humlo,  hu- 
mulus  und.  dies  ist  seit  dem  Ende  des  achten  Jahrhunderts  der  ge- 
.wöhnlichste  und  am  weitesten  verbreitete  Ausdruck,  der  mit  dem 
Hopfen  selbst  nach  Norden  und  Osten  wanderte.  Altnordisch  wurde 
daraus  htimaU^  finnisch  und  estnisch  humala^  humaly  bei  allen  Slaveo 
chmelij  chmfli^  magyarisch  komU^  neugriechisch  xovftili^  walachisch 
hemeju  u.  s.  w.  So  würde  das  Wort  selbst  in  seinen  Transfor- 
mationen auf  Ausgang  der  Sitte  vom  Niederrhein  weisen;  die 
deutschen  Franken  oder  schon  die  keltischen  Belgier  wären  die  Er- 
finder des  bitteren  Trankes,  und  Linn^s  Hypothese  ergäbe  sich  als 
grundlos. 

Wie  aber,  wenn  vielmehr  das  slavische  chmeli  das  Grundwort^ 
der  Ahnherr  aller  übrigen  Namen  wäre?  Könnte  es  nicht  in  slavischer 
Lautbildung  (ch  für  s)  das  griechische  afiiXa^^  Ofulos  sein,  welches 
zwar  nicht  unser  Hopfen,  aber  doch  eine  rankende  Pflanze  ist  (bei 
Theofhrsai inaXloxavlog  und  ßoTQvwdrjg^  vonHesychius  erklärt:  xitto- 
aidig  q>vTdv  iXiaaofievov  ?Q7t€i  de  asi  nqog  %b  vipog^  bei  Diodor  20,41 
mit  dem  Epheu  zusammengestellt:  xiTT<^  xal  OfxiXaxC)  und  zugleich  eine 
rauhe  (ufiiXa^  tQaxeid  bei  Dioskorides)?  Beachtenswerth  ist  die  all- 
gemeine Bedeutung  Berauschung,  Trunkenheit,  und  in  den  abgeleiteten 
Formen  sich  berauschen,  trinken  u.  s.  w.,  die  das  Wort  bei  den 
Slaven  hat.  Diese  Bedeutung  ist  sehr  alt,  wie  aus  einer  merkwürdigen 
Stelle  des  Zonaras  vom  Jahre  1120  hervorgeht  (in  den  not  ad  canon. 
Apostol.  3  bei  Beveregius,  Pand.  can.  1. 1.  p.  2):  cixiga  di  iavi  not 
To  av€v  oXvov  fiid'Tjv  ixnoiovvj  ola  elaiv  a  iniTrjdevovaiv  av^qmnoi^ 
mg  Xeyofiivrj  XOv^iXrj^  xal  oaa  bf-tiog  axevaJ^ovrai.  Euer  ist  also 
humeU  ein  Trank,  der  ohne  Wein  Berauschung  bewirkt,  wie  dasselbe 
slavische  Wort  auch  heute  noch  auf  den  Branntwein  und  die  Wir- 
kungen  desselben    angewandt  wird.     Auf  eine   noch  ältere  Zeit,  als 

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Der  Hopfen.  391 

die  des  Zonaras,  deutet  eine  sprichwörtliche  Formel  bei  dem  GhronisteD 
Nestor.  Als  Wladimir  im  Jahr  6493  (d.  h.  985  nach  Chr.)  gegen 
die  Bolgaren  an  der  Wolga,  welche  Stiefel  trugen,  gezogen  war  und 
sie  besiegt  hatte,  rieth  ihm  Dobrynja :  Lassen  wir  die  Stiefeltr&ger,  von 
denen  wir  keinen  Tribut  erzwingen  werden,  und  wenden  wir  uns 
gegen  die  Bastschuhträger.  Da  machte  Wladimir  Frieden  mit  den 
Bolgaren,  den  diese  so  lange  zu  halten  versprachen,  „bis  der  Stein  be- 
ginnen wird  oben  zu  schwimmen,  das  Hopfenblatt  aber  zu  Boden  zu 
sinken^.  Auch  in  den  russischen  Hochzeitsgebrauchen  hat  der  Hopfen 
seine  Stelle,  jetzt  wie  im  15.  Jahrhundert  and  gewiss  noch  früher:  ab 
Helena,  die  Tochter  Iwans  3.  Wassiljewitsch,  in  Wilna  mit  dem 
Grossfbrsten  Alexander  von  Litauen  getraut  wurde,  da  flochten  ihr 
die  Bojarinnen  in  der  Kirche  zur  Mutter  Gottes  den  Haarzopf  los, 
setzten  ihr  die  Kika  (Kopfputz  in  Gestalt  einer  Elster)  aufs  Haupt 
ond  Gberschütteten  sie  mit  Hopfen  (s.  Karamsin,  Band  6). 
Aach  hier  bedeutete  der  Hopfen  Berauschung,  Fröhlichkeit,  Fülle 
des  Gaten.  Brachten  somit  die  Slaven  ihr  Gewächs  nach  Deutsch- 
land und  wurde  der  slavische  Name  desselben  von  den  Deutschen 
adoptirt,  so  ergab  sich  daraus  das  lateinische  humtUus  und  in  weiterer 
Umgestaltung  die  Formen  mit  b  und  p. 

Nach  einer  dritten  Ableitung  könnte  der  lupii8  des  Plinius  und 
Martialis  sein  ^  welches  als  Artikel  genommen  wurde,  in  Frankreich 
verloren  haben  und  dann  durch  Anlehnung  an  hüpfen  (wie  aus  upupa 
dorch  Volksetymologie  niederdeutsch  der  Hophop,  hochdeutsch  der 
Wiedehopf  entstand)  zu  koppe  geworden  sein.  Schon  Ducange  war 
der  Meinung,  humulua  sei  eine  aus  luptdus  hervorgegangene  jüngere 
Form.  Zur  Bestätigung  liesse  sich  anführen,  dass  luptis^  eben  dieses 
Namens  wegen,  eine  bittere  Pflanze  gewesen  sein  muss,  wie  auch 
hpmus^  die  Wolfsbobne,  nach  eben  dieser  Eigenschaft  benannt  ist 
ond  schon  in  Aegypten  dem  Biere  zugesetzt  wurde  (s.  die  Yerse  des 
Columella  auf  S.  118). 

Was  man  auch  für  das  Wahrscheinlichste  halten  mag,  —  dass 
Hopfen,  humtdus  und  chmell  nur  Varietäten  desselben  Wortes  sind, 
entstanden  durch  Uebertragung  von  Mund,  zu  Mund  lässt  sich  nicht 
wohl  läagnen.  Das  Mittelalter  verbreitete  die  Pflanze  und  schuf  da- 
mit erst  das  eigentliche,  neueuropäische  Bier,  welches  von  dem  der 
Urzeit,  das  aus  Stierhömem  getrunken  wurde,  sich  weit  unterscheidet. 
Jetzt  sind  auf  dem  Kontinent  bekanntlich  Böhmen  und  das  baierische 
Franken,  ausserhalb  desselben  besonders  England,  auch  jenseits  des 
Oceans  Amerika  die  Länder,  wo  nicht  bloss  der  meiste,  sondern  auch 

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392  Rückblick. 

der  feinste  Hopfen  erzeugt  wird;  der  Osten  Europas,  Ton  wo  diese 
nordische  Weinrebe  yielleicht  herstammt,  bringt  nur  verhaltnissmässig 
wenigen  und  diesen  von  gröberer  Qualit&t  hervor.  Auch  hier  also 
würde  sich  der  Fall  wiederholen,  dass  eine  Pflanze  auf  neuem  Boden, 
unter  menschlicher  Pflege  edlere  Eigenschaften  entwickelt,  die  ihr  im 
wilden  Stande  und  in  ihrem  natürlichen  Vaterlande  abgehen.'') 


Wir  haben  im  Vorigen  die  Schwelle  des  Mittelaltei*s  schon  über- 
schritten und  es  ziemt  sich,  an  diesem  Wendepunkte  einige  allgemeine 
Rück-  und  Vorblicke  zu  thun. 

Das  Resultat  des  langen  Assimilationsprozesses,  dessen  einzelne 
Momente    wir   uns   zu   vergegenwärtigen    versucht   haben,    war   die 
Homogeneität  der  Bodenkultur  in  allen  Uferländem  des  Mittelmecres. 
Diese  Gleichartigkeit   stellte  sich    auch  äusserlich  in  der  Einheit  des 
römischen  Reiches  dar^  welches  in  seinem  wesentlichen  Bestände  eine 
Zusammenfassung   der   um  dies   innere  Seebecken    gelagerten  Land- 
schaften war.     Der  gartenartige  Anbau   und  die  wichtigsten  Eultor- 
gewächse    dieses  Gebietes  waren    semitischer  Abkunft  und,    wie  das 
Christenthum,    von  dem  südöstlichen  Winkel  desselben  ausgegangen. 
Die  einst  barbarischen  Länder  Griechenland,  Italien,  Provence,  Spa- 
nien, Waldgegenden  mit  groben  Rohprodacten,  stellten  jetzt  das  Bild 
einer  blühenden,  in  mancher  Beziehung  auch  ausgearteten  Kultur  im 
Kleinen,  mit  Gartenmesser  und  Hacke,  Wasserleitungen  und  Cistemen, 
gegrabenen  Weihern,  berupften  Bftumen  und  umgitterten  Vogelhäusern 
dar   —   wie   in   Kanaan    und    Cilicien.     Das   Sommerlaub    und   die 
schwellenden  Umrisse  der  nordischen  Pflanzenwelt  waren  der  starren 
Zeichnung  einer  plastisch  regungslosen,  immergrünen,  dunkel  gefärbten 
Vegetation  gewichen.     Cypressen,   Lorbeeren,  Pinien,  Myrtenbüsche, 
Granat-    und  Erdbeerbäumchen  u.  s.  w.    umstanden    die  Gehöfte   der 
Menschen  oder  bekleideten  verwildert  die  Felsen  und  Vorgebirge  der 
Küste.   Griechenland  und  Italien  gingen  aus  der  Hand  der  Geschichte 
als   wesentlich  immergrüne  Länder   hervor,   ohne  Sommerregen,   mit 
Bewässerung   als  erster  Bedingung    des  Gedeihens  und  dringendster 
Sorge  des  Pflanzers.    Sie  hatten  sich  im  Laufe  des  Alterthums  orien- 
talisirt,  und  selbst  die  Dattelpalme  fehlte  nicht,  als  lebendige  Zeugin 
dieser  merkwürdigen  Metamorphose. 

Indess,  neben  der  semitischen  Strömung  läuft  ein  anderer,  der 
Zeit  nach  späterer  Kultureinfluss,  von  den  Ländern  im  Süden  des 
Kaukasus    aus.     Wir   können    beide   integrirende   Bestandtheile   der 


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KückbUck.  393 

Enltarflora  des Mittelmeers  als  den  syrischen  und  den  armenischen 
unterscheiden  —  die  Namen  Syrien  und  Armenien  in  weiterem  Sinne 
genommen.     Die  armenischen  Bäume,  firuehtreicher  und  üppiger,  als 
die  Urvegetation  des  südlichen  Europa,  ertragen  doch  die  Winterkälte 
leichter,    als  die  Abkömmlinge  Syriens,   und  sind  wir  über  die  Her- 
konfi;  einer   dieser  Pflanzen  in  Zweifel^   so    brauchen    wir  nur  zuzu- 
sehen, ob  sie  sich  strenge  südlich  der  Alpen  und  etwa  derCevennen 
hält  oder  jene  klimatische  Scheidewand,    wenn   auch   in    spärlichen 
und   verkümmerten  Repräsentanten,    an    der  Hand  der  Kultur  noch 
übersteigt    Dass  die  Pinie  nicht  aus  Eleinasien  stammen  kann,  lehrt 
ans   ihre  Abwesenheit   in  Deutschland,   ja   in  Frankreich;    dass  der 
Weinstock  den  südkaspischen  Ländern  angehört,  aber  von  den  Syrern 
nns  zugebracht   ist,    erkennen   wir   an    der  Haltung  dieses  Ranken- 
gewächses in  Europa:   nur  in  Südeuropa  spendet  die  Rebe  reichlich 
imd  natürlich,    breitet  sich   behaglich  aus,    führt,    so  zu  sagen,    ein 
sorgloses  Leben,  aber  sie  lässt  sich  noch  in  Schlesien  ziehen,  sie  hat 
sich  hie  und  da  in  deutsche  Wälder  verirrt,    und   liefert  auf  ihr  zu- 
sagendem Boden,    wie   in    der  Champagne,   in   geschützten  Thälem, 
wie  am  Rhein,  an  vulkanischen  Hügeln,  vrie  in  Ungarn,  mit  Beibülfe 
der  Kultur  noch  edle  Früchte.    Die  Feige  ist  ein  semitischer  Baum, 
vor  Allem  aber  ist  es  die  Olive,  die  Herrscherin  des  innem  Meeres, 
die  von  Byblus  und  Gaza,  nicht  etwa  von  Cyzicus  und  Sinope  aus, 
ihr  mittelgrosses,    streng  begrenztes  Reich  gegründet  hat     Pontisch 
ond  kaspisch  dagegen  im  eminenten  Sinne  sind  die  Nussbäume,    so- 
wohl  die  eigentlichen,    als    die  Kastanien.     Die  Letzteren   ersteigen 
die  Gebirge    der   hesperischen  Halbinseln   in    dichten  ausgebreiteten 
Beständen,  ohne  den  frischen  Hauch  der  Höhe  zu  fürchten,  und  haben 
die  Bachen  vor  sich   her  auf  die   obersten  Abhänge  gedrängt,    doch 
auch  im  westlichen  Mitteldeutschland  begleitet  der  Walnussbaum  die 
Wege  und  sammeln    sich  die  Kastanien   zu  bescheidenen  Wäldchen. 
Hit  einsichtsvoller  Naturfreude   hat  Josephus    diese  Gesellung   ver- 
schiedener Bäume  aus  ungleichen  klimatischen  Zonen  in  der  mediter- 
ranen Flora  geschildert,  zunächst  mit  Bezug  auf  die  Gegend  um  den 
See  Genezareth,  de  bell.  jud.  3,  10,  8:    „Die  Traube    und  die  Feige, 
die  Könige   unter   den   Früchten,    reifen    dort   fast    ununterbrochen; 
neben  den  Feigen-  und  Oelbäumen,  denen  eine  sanftere  Luft  zusagt, 
stehen  in  unerm esslicher  Fülle  die  Nussbäume,  die  die  winterlichsten 
sind   (d.  h.  aus  dem  Norden  stammen),    und    die  Dattelpalmen,    die 
heissesten,    die  von  der  Glut   sich  nähren.    Und  es  ist,  als  hätte  die 
Natur  ihren  Ehrgeiz  darein  gesetzt,  hier  die  Fruchtgewächse  streitender 

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394  Rückblick. 

Himmelsstriche  mit  einander  wetteifern  zu  lassen.^  Etwas  Aelm- 
Uches  rühmt  Colamella  von  Italien :  nachdem  er  angeführt,  wie  auch 
manche  Duft-  und  Balsampflanzen  heisser  Länder  vermocht  worden, 
in  Rom  Laab  und  Blüte  zu  tragen,  fahrt  er  fort^  3,  9,  5:  hds  tarnen 
eaemplis  nimirum  admonemur^  curae  mortalium  obsequentissimafn  esse 
Italiam  quae  paene  totius  orbü  fruges  adhiibüo  studio  colonorum  ferre 
didicerit  —  Dass  auch  manche  Gewächse,  die  im  Rücken  Armeniens 
und  Syriens  im  beissen  Persien,  ja  ursprünglich  im  tropischen  Indien 
lebten,  in  Südeuropa  naturalisirt  werden  konnten,  dafür  gab  unter 
manchem  Anderen  die  Orange  das  leuchtendste  Beispiel,  und  wie 
aus  dem  Indus-  und  Gtmgeslande  etwa  sechshundert  Jahre  vor  Chr. 
Geburt  eins  der  nützlichsten  Hausthiere,  der  Haushahn,  gekommen 
war,  so  etwa  sechshundert  Jahre  nach  Chr.,  gleichsam  zum  Beweise, 
dass  die  Bewegung  des  Austausches  noch  nicht  völlig  ruhte,  der  ara- 
chosische  Ochse  oder  der  BüflFel. 

Im  ersten  Jahrhundert  vor  Chr.  hatte  das  weite  Reich,  dessen 
Mittelpunkt  Italien  war,  d.  h.  das  geographische  Gebiet  der  antiken 
Kulturperiode,  seine  Vollendung  erreicht;  es  umfasste  als  ein  grosses 
orientalisches  Eolonialland  das  Mittelmeer  von  allen  Seiten.  Die 
Grenzprovinzen  am  Euphrat  nach  Osten,  an  Rhein  und  Donau  nach 
Norden  bildeten  zu  äusserst  liegende  schwankende  Erwerbungen,  mit 
anderem  Charakter,  Beiwerke,  schon  zu  weit  von  der  Binnensee  ent- 
femt,  um  welche  die  klassische  Welt  gruppirt  war.  Innerhalb  dieser 
natürlichen  Schranken  und  der  entsprechenden  festen  und  spröden 
Gestalt  der  Sitten  und  des  Lebens  aber  begann  diese  Kultur  in  sich 
selbst  zu  ersticken.  Während  der  ersten  Jahrhunderte  der  christ- 
lichen Aera  vollzieht  sich  sichtlich  ein  unaufhaltsamer,  beschleunigter 
Process  des  Verfalls,  der,  wie  eine  rettungslose  Krankheit,  endlich 
zur  Auflösung  führte.  Es  ist  leicht,  diese  auf  den  ersten  Blick 
räthselhafte  Erscheinung,  die  von  Aussen  keine  zwingenden  Gründe 
hatte,  mit  dem  Altem  und  dem  Tode  des  organischen  Individuums 
zu  vergleichen;  aber  da  Völker  und  Epochen  keine  Pflanzen  oder 
Thiere  sind,  so  sagt  das  beliebte  Bild  über  den  Vorgang  selbst  und 
die  dabei  wirkenden  reellen  Ursachen  unmittelbar  nichts  aus.  Viel- 
leicht lagen  einige  der  letzteren  in  Folgendem. 

Ein  Grundfehler  und  der  eigentlich  schadhafte  Punkt  der  antiken 
Civilisation  war  die  unwirthschaftliche  Construction  der  Ge- 
sellschaft und  des  Staates  und  die  damit  zusammenhängende  Ab- 
wesenheit realistisch -technischen  Sinnes  bei  den  Menschen. 
Während    der   römischen  Kaiserzeit    wurde    die  Welt  immer  ärmer, 

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Bückblick.  395 

daher  immer  mathloser  und  gedrückter.  Die  Steaern  stiegen  von 
Begierong  zu  Regierung,  warfen  aber  immer  nicht  das  Nöthige  ab 
und  liessen  sich  immer  schwerer,  zuletzt  als  unerschwinglich  gar 
nicht  mehr  eintreiben.  Man  half  sich,  indem  man  sie  zu  möglichst 
hohem  Satze  Generalpächtem  in  die  Hand  gab:  welche  publicam 
sich  dann  wieder  durch  erbarmungslose  Aussaagang  schadlos  hielten^ 
wie  in  Frankreich  vor  der  Revolution.  In  den  Städten  mussten  ein- 
zelne reiche,  mit  hervorragenden  Ehrenämtern  bekleidete  Bürger 
(or  die  Gemeinde  haften  and  wurden  mit  ihrem  Vermögen  die  Beute 
des  Fiskus.  In  der  Noth  griffen  die  Kaiser  zu  Verschlechterung 
der  Münze  —  das  Papiergeld  mit  Zwangskurs  war  noch  nicht  er- 
fanden — ,  was  nur  zur  Folge  hatte,  dass  alle  Preise  in  die  Höhe 
gingen  und  das  Leben  immer  theurer  wurde.  Letzteres  wurde  dann 
dem  Eigennutz  und  bösen  "Willen  der  Verkäufer  und  Händler  zuge- 
schrieben und  demgemäss  z.  B.  vom  Kaiser  Diocletian  das  berühmte 
Edict  erlassen,  nach  welchem  die  Maximalpreise  aller  Lebensmittel, 
Rohstoffe,  Arbeitslöhne  und  gewöhnlichen  Manufacte  von  Staatswegen 
normirt  waren,  ein  schlagendes  Beweisstuck  für  die  Rohheit  national- 
ökonomischer Begriffe  —  die  übrigens  in  dem  sog.  Gesetz  des 
Maximam  von  1793  genau  sich  wiederholt.  Anders  als  auf  Symptome 
za  curiren,  vielmehr  den  gesteigerten  Anforderungen  des  Staates 
darch  Entfesselang  der  Production  und  freie  wirthschaftliche  Be- 
wegung zu  begegnen,  fiel  Niemandem  ein.  Zwar  hatten  die  Römer 
Strassen  und  Brücken  gebaut,  die  noch  jetzt  unsere  Bewunderung 
erregen,  aber  diese  dienten  mehr  dem  Glanz  und  der  Grösse  der 
Weltherrscher  und  der  Leichtigkeit  militärischer  und  administrativer 
Verbindung,  als  den  Zwecken  des  Handels  und  Verkehrs.  Sie  waren 
durch  Binnenzölle  gesperrt  und  diese  wieder  in  den  Händen  der 
Staatspächter,  mit  allen  Uebelständen  und  vexatorischen  Praktiken 
dieses  Systems.  Ausfuhr-  und  Einfuhrverbote  an  den  Grenzen, 
widernatürliche  Getreidegesetze  u.  s.  w.  hemmten  die  Circulation  der 
Güter  und  also  die  Vermehrung  des  Kapitals  und  Reich thams.  Da- 
zu kamen  die  Staats-  und  Regierungsmonopole,  deren  Zahl  immer 
zunahm,  und  die  kaiserlichen  Fabriken,  die  nur  scheinbar  vortheilhaft 
arbeiteten.  Der  unersättlichen  Habgier  des  Soldatenstaates,  der,  von 
Anfang  an  militärisch  construirt,  sich  in  fast  immerwährendem  Kriegs- 
zustand befand,  konnte  keine  Production  der  ackerbauenden  und  fa- 
bricirenden  Bevölkerung  genügen;  was  die  Abgaben  übrig  liessen, 
wurde  durch  die  Einquartierung  und  die  Natural  Verpflegung  der 
Trappen  verzehrt.     Die  Soldaten,    denen  schon  gegen  Ende  der  Re- 

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396  RückbUck. 

publik  gewaltsam  und  willkührlich  Aecker  in  Italien  zugeiheilt  waren^ 
spielten   seitdem   die   grosse  Rolle.     Sie   waren   meist  unverehdicht, 
verschwelgten  auf  grobe  Weise,  was  sie  im  Kriege  zusammengebracht^ 
waren  faul  zur  Arbeit  und  zu  UebergriflFen  geneigt  ^  *).    Bei  dem  un- 
entwickelten Zustande   des  Finanz-   und  Rechnungswesens   und    der 
Unbekanntschaft  mit  den  natürlichen  Gesetzen,  die  es  regeln,  konnte 
auch    der  Geldbandel    und   der   leichte  Umlauf  der  Kapitalien  kein 
Element   zunehmenden  Reichthums    bilden.    Der  Zinsfuss   stieg   auf 
eine    unerhörte   Höhe,   und   die  Verbote,    die   dem  Wucher   steuern 
sollten,  machten  das  Uebel  nur  schlimmer.    Wie  der  Zins  überhaupt 
im  Alterthum  für  verächtlich,   ja  för  unerlaubt   galt,   so    blieb  auch 
das  Prinzip    der   Arbeitstheilung   unbegri£Fen.     Schon   Cato   und 
und  Varro    warnen   gradezu    vor   derselben:    der  Erstere    will,    der 
Landwirth  solle  möglichst  wenig  kaufen,   2,  5:    patrem  famüias  ven- 
dacem^  non  emacem  esse  oportet;  der  Andere  giebt  die  Vorschrift,  was 
auf  dem  Landgute  vom  Gesinde  selbst  gemacht  werden  könne,  solle 
nicht  von  auswärts  gekauft  werden,  1,  22,  1 :  quae  nasci  in  fundo  ac 
fieri   a   domesticis   poterunt^    eorum  ne  quid  ematur.     Die  Arbeit   za 
Hause  also  wurde  nicht  als  ausgegebenes  Geld  gerechnet;  auch  unter- 
hielten die  grösseren  Wirthschaften  ihre  eigenen  Schmiede,  Zimmer- 
leute,   Schuster,    Bötticher  u.  s.  w.  selbst,    wogegen   in   den  Städten 
der  arbeitende  Bürger-  und  Handwerkerstand  fehlte.    Kein  Wunder, 
dass  die  Technik  des  Handwerks  unvollkommen  blieb«  welcher  ohne- 
hin in  dem  Naturell  der  Alten   keine  verwandte  Richtung  entgegen- 
kam.   Die  natürliche  Realität  der  Dinge  imbefangen  beobachten,  sich 
ihrer  zweck-  und  werkmässig  bedienen,  sich  durch  solches  Rüstzeug 
befreien,  ist  kein  antiker  Charakterzug.    Die  Alten  lebten  im  Traume 
religiöser    Phantasie,    in    idealem    Schein,    beherrscht    vom    Hange 
künstlerischer  Darstellung,  befangen  im  Zauber  des  Schönen,  als  ein 
adeliges  Geschlecht.     Sehen    wir  uns  in  den  pompejanisbhen  Resten 
die  Geräthe,    die  Werkzeuge  u.  s.  w.  an,    wie    schön    und  edel  sind 
sie  gezeichnet,    obgleich   vielleicht  von  Sclavenhand  gearbeitet,   aber 
auch  meistens  wie  kindlich!    Was  uns  daran  durch  rationelle  Technik 
erfreut,    war  nicht  Ergebniss    nüchterner  Beobachtung   und  verstän- 
diger Berechnung,   sondern  alte  Tradition,    bei  der  es  blieb  und  die 
als  solche  von  Menschenalter  zu  Menschenalter  sinken  musste.    Und 
mit  der  Technik  sank  auch  der  Geschmack,  die  Grazie  und  Reinheit 
der  Formen    und    der  Adel  des  Gedankens.     Denn  beide  sind  nicht 
absolut  getrennt;  was  die  Technik  gewinnt,  kommt  auch  dem  Geiste 
zu  Gute;  jede  Erweiterung  ihrer  Schranken,  die  der  erstem  gelingt, 

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RückbUck.  397 

gestattet  auch  dem  letztern  den  Flug  in  eine  bisher  unbekannte  Welt. 
Hätten  die  Alten  z.  B.  ihre  dürftigen  musikalischen  Instrumente 
maonichfEtcher  entwickeln  und  etwa  die  Orgel  und  die  Geige  —  die 
erst  mit  den  Arabern  auftrat —  erfinden  können,  es  ist  kein  Zweifel, 
dass  auch  ihre  Musik  selbst  eine  neue  Seele  gewonnen  hätte.  Wie 
stationär  die  mechanischen  Künste  bei  den  Römern  blieben  und  wie 
fem  ihnen  die  Natur  als  Object  verständiger  Forschung  lag,  lehrt 
insbesondere  die  Geschichte  der  römischen  Seefahrt  und  des  rö- 
mischen Ackerbaues.  Umfang  und  Grenzen  des  grossen  Reiches 
boten  Anlass  genug  sich  auf  der  hoben  See  zu  rersuchen.  Die  Welt- 
herrscher waren  in  Besitz  der  iberischen,  lusitanischen  und  mauri- 
tanischen  Küsten,  aber  die  nahe  gelegenen  canarischen  loseln  musste 
Plinius  nach  den  Aufzeichnungen  des  Königs  Juba  beschreiben:  rö- 
mischen SchifPem  oder  Handelsleuten  war  es  nicht  eingefallen,  sich 
80  weit  zu  wagen.  Die  Insel  Hibemia,  an  der  vielleicht  schon  Py- 
theas  drei  Jahrhunderte  vor  Chr.  gelandet  war,  blieb  den  Römern 
wie  im  Halbnebel  zur  Seite  liegen;  sie  verbarg  sich  hinter  dem 
schwierigen  biscayischen  Meerbusen  und  dem  stürmischen,  klippen- 
reichen irisch-englischen  Kanal.  Die  römischen  Schi£Fe  waren  und 
blieben  Küstenfahrer,  die  mit  herannahendem  Winter  die  Häfen  auf- 
sachten und  die  umbrausten  Vorgebirge  fürchteten.  Winde,  Wellen 
imd  Jahreszeiten  wurden  mythisch  angeschaut:  der  Schnabel  de& 
Schiffes  war  zierlich  und  künstlerisch  geschnitzt,  das  Schiff  selbst 
aber  unvollkommen  construirt.  Vom  rothen  Meer  ging  ein  alter 
lebhafter  Handelsverkehr  nach  Indien,  und  Strabo  erfuhr,  dass  aus- 
dem  dortigen  Hafen  Myos  Hormos  jährlich  1 20  Schiffe  nach  diesem 
Lande  ausliefen:  aber  weder  das  indische  Zahlensystem,  noch  die 
Mi^etnadel  gelangte  von  dort  in  den  römischen  Westen,  der,  in 
den  eigenen  engen  Kreis  gebannt,  gegen  das  Neue  unempfindlich 
war  und  vom  Orient  nicht,  wie  später  in  der  Epoche  der  Araber, 
Bereicherung  und  Anregung  erfuhr.  Nach  Nordosten,  am  Pontus- 
Euxinus,  stand  es  wie  am  rothen  Meer.  Die  Römer  besassen  eine 
Anzahl  befestigter  Plätze  an  den  Ufern  des  Pontus,  aber  der  Handel^ 
der  über  jene  Gegenden  ging,  lag  in  den  Händen  der  Asiaten  und 
die  Geographie  des  kaspischen  Meeres  erfuhr  •  keinerlei  Fortschritt. 
Wie  ganz  anders  thätig  bewiesen  sich  dort  im  Mittelalter  die  Genuesen, 
Bürger  einer  kleinen  Stadt,  denen  nicht,  wie  dem  civis  romanua^  die 
Furcht  und  das  Ansehen  des  römischen  Namens  schützend  zur  Seite 
stand.  Als  sie  sich  in  der  Krim  festgesetzt  hatten,  da  befuhren  sie 
auch   mit   eigenen  Schiffen    das    kaspische  Meer  und  ihre  Kaufleute 


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398  Rückblick. 

waren  zahlreich  in  Taoris  in  Persien  angesessen  —  und  so  £and  sie 
ein  anderer  Italiener,  der  Venetianex  Marco  Polo,  als  er  dort  vorbei- 
kam, um  den  ganzen  ungeheuren  Welttheil  zu  durchziehen  und  diesen 
dann,  als  der  Herodot  des  Mittelalters,  zu  beschreiben.  Zu  dem 
Einen  wie  zu  dem  Andern  fehlte  dem  Römer  der  offene  Sinn  fax 
die  fremde  Welt:  wo  er  nicht  mehr  erobern  konnte  und  die  von  ihm 
geschaffenen  politischen,  socialen,  rechtlichen  und  militärischen  Formen 
in  regelmässigen  Linien  wie  ein  festes  Mauerwerk  hinstellen  konnte, 
da  lockte  ihn  kein  Begehr,  da  war  die  Luft  nicht  mehr,  in  der  er 
athmete  und  lebte.  —  Der  römischen  Seefahrt  glich  der  römische 
Ackerbau;  auch  in  ihm  regte  sich  kein  Trieb  der  Entwickelung. 
Die  Werkzeuge  waren  und  blieben  die  durch  Ueberlieferung  ge- 
gebenen unvollkommenen,  die  Methoden  die  hergebrachten,  höchstens 
um  neue  eben  so  unwissenschaftliche  vermehrt,  die  ein  Gremisch  von 
bloss  praktischen,  wirklichen  oder  vermeintlichen  Erfahrungen  und 
abergläubischer  Phantastik  darstellten.  Düngung  und  Fruchtwechsel 
waren  bekannt,  aber  nicht  nach  Gebühr  gewürdigt  und  nicht  in  ihren 
Oonsequenzen  entwickelt.  Der  Boden  versagte  zuletzt,  Aecker  ver- 
wandelten sich  in  Weidegrund,  Hungersnoth  war  häufig  und  Getreide- 
zufuhr eine  Hauptsorge  der  Regierung;  Italien  trug  durchschnittlich 
nur  das  vierte  Eom  (Dureau  de  la  Malle,  Economic  politique  des 
Romains  II,  S.  121  ff.)  Der  eigentliche  Grund  des  steigenden  Miss- 
erfolgs lag  in  der  Höhe  der  Arbeitskosten,  diese  aber  beruhten  in 
dem  volkswirthschaftlich  -  technischen  Ungeschick  und  der  Gleich- 
gQltigkeit  gegen  reelle  Naturkenntniss. 

Zu  den  Gründen,  die  den  Untergang  der  antiken  Gesellschaft 
herbeiführten,  hat  man  sich  gewöhnt,  vorzugsweise  die  Sklaverei 
zu  rechnen.  Gewiss  ist  diese  mit  der  höchsten  industriellen  Ent- 
wickelung unverträglich,  aber  auf  manchen  Bildungsstufen  —  ganz 
abgesehen  von  der  Racenanlage  und  den  daher  rührenden  verwickd- 
ten  politischen  und  socialen  Problemen  —  ist  sie  ein  natürliches, 
unter  Umständen  sogar  wohlthätiges  Institut.  Sie  bestand  auch  bei 
den  Barbaren,  die  dem  antiken  Leben  ein  Ende  machten;  sie  währte 
in  dem  germanisch-romanischen  Europa  ungeschwächt  fort  und  löste 
sich  dort  im  Fortgang  der  wirthschafblichen  Kultur  durch  verschiedene 
Zwischenstufen  allmählig  und  natürlich  von  selbst  auf.  In  Rom 
unterschied  sich  das  Sclaven-  und  Colonenwesen  in  den  meisten 
Beziehungen  nur  dem  Namen  nach  von  der  strengen  Gesindeordnung 
und  der  feudalen  Gutsverfassung  modemer  europäischer  Länder  bis 
vor   nicht   langer  Zeit.    Ja,   im  Sklavenstande  lag  oft  noch  ein  g&- 


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Rückblick.  399 

sdiötzter  Rest  des  Yolksvermögens:  der  Sklave  konnte  wenigstens 
nicht  vom  Pfluge  weggerissen  und  in  das  Lager  der  Legionen  ge- 
schkppt  werden,  während  die  freie  Bevölkerung  durch  Conscription 
decimirt  wurde  uud  sich  nur  aihnahlig  durch  die  häufigen  Freilassungen 
ergänzte.  Auch  in  Rom  hätte  sich,  wenn  im  Uebrigen  die  Zeiten 
nicht  so  trostlos  rückläufig  gewesen  wären,  die  Sklaverei  vor  dem 
Wachsthum  der  winhschaftüchen  und  politischen  Kräfte  nicht  auf 
immer  halten  können. 

Ein  Ausdruck  dieses  allgemeineu  Elends  war  die  unaufhaltsame 
Verbreitung  der  neuen  visionären  Religion  vom  Orient  her,  die  dem 
?erzweifelnden  Geschlecht  einen  rettenden  Ausweg  in  das  Linere  des 
Gemüthes  zeigte.  Das  Christenthum,  indem  es  „das  Herz  im  Tiefsten 
löste*'  und  alles  Wesentliche  in  das  lunere  verlegte,  untergrub  aber 
eben  dadurch  die  Grundlagen  selbst,  auf  denen  die  alte  Welt  ruhte. 
Der  Christ,  dem  die  Armen  die  Seligen  und  der  Tod  ein  Gewinn 
war,  blieb  kalt  gegen  Erwerb  und  Vermehrung  irdischer  Güter:  sein 
Sinn  stand '  in  einer  anderen,  durch  Entzückung  geschauten  Welt, 
und  er  sammelte  Schätze  im  Himmel.  Bekannt  ist,  dass  bei  dem 
allgemeinen  Sinken  geistiger  Produktion  doch  die  Jurisprudenz,  dieser 
Kern  und  Stamm  römischen  Wesens,  sich  nicht  bloss  erhielt,  sondern 
weiter  gedieh:  aber  in  der  zahlreichen  Reihe  auf  einander  folgender 
Juristen  ist  kaum  ein  Christ;  was  konnte  diesem  an  der  Ordnung 
der  Verbältnisse  dieser  kurzen  Pilgerschaft  liegen?  nicht  um  Rechts- 
ansprüche festzustellen,  sondern  am  Heile  der  Seele  zu  schaffen,  war 
ihm  dies  zeitliche  Dasein  gegeben.  Auch  die  Erkenntniss  der  Natur, 
ja  Wissenschaft  jeder  Art  Hess  ihn  gleichgültig;  im  Glauben  besass 
er  alle  Wahrheit;  ohnehin  stand  der  Untergang  dieser  gegenwärtigen 
Dinge  jeden  Tag  zu  erwarten.  Auch  im  römischen  Feldlager  befand 
sich  der  Bekenner  der  neuen  Religion  dem  Feinde  mit  ganz  anderen 
Gefahlen  gegenüber,  als  der  echte  Römer  der  alten  Zeit:  der  Sieg 
brachte  ihm  keine  Freude,  und  Tod  und  Niederlage  befreite  ihn  von 
irdischer  Trübsal  oder  diente  ihm  zur  heilsamen  Prüfung.  Sein 
wahrer  Feind  war  der  Heide  und  dessen  Schönheitsdienst  und  Selbst- 
genügsamkeit. So  verloren  Recht  und  Krieg,  die  Grundpfeiler  Roms, 
vor  dem  Hauch  des  neuen  christlichen  Geistes  ihren  Halt  und  ihre 
tragende  Kraft. 

Eine  andere,  langsam  wirkende  Zerstörung,  mit  der  durch  das 
Christenthum  in  der  Wurzel  identisch,  war  durch  das  Racengemisch, 
den  Eindrang  orientalischen  Blutes  in  die  Bevölkerung  des  Abend- 
landes gegeben.    Das  römische  Reich  befasste  in  der  einen  und  all- 

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400  Nen-EüTopa. 

gemeiDen  politischen  Form  einen  sehr  verschiedenartigen  Inhalt  von 
sehr   ungleichem  Eultorwerth.     Rom    war   ein   Pandämoniom   theüs 
unreifer  und  roher,   theils  durch  uralte  Tradition  verhärteter,    tief  in 
Banden   li^ender  Yolksgeister.     So    unbeugsam    der  römische  Staat 
diese   dunkehi  Naturkräfte   der  Norm  des  Verstandes   unterwarf,   so 
sieber  ging  er  allmählig  an  deren  geheimer  Arbeit  zu  Grunde.    Der 
sich  beschleunigende  Verfall   war  nur  eine  Folge   der  Umbildung 
der  Race.     Eingeborene  Afrikas   und  Aegyptens,    Orientalen  jeder 
Art,    europäische  und  asiatische  Griechen,   spanische  Iberer,  Uljrier 
und  Thraker  überschwemmten  Italien,    kreuzten  sich  unter  einander, 
bemächtigten  sich  der  Organe  des  Staates,  der  Erziehung,  der  Literatur, 
ja  bestiegen  nicht  selten  sogar   den  Thron    der  Imperatoren.     Schon 
seit  Ciceros  und  Gäsars  Zeit  föUten  sich  alle  Städte,    darunter  Born 
selbst,  mit  Beschnittenen,  die  sich  unter  einander  verstanden  und,  so 
sinnlos,  so  allem  Menschlichen  abgekehrt  ihre  Meinungen  den  Römern 
erschienen,   doch  in  der  Hartnäckigkeit  ihrer  Anlage  unbemerkt  das 
allgemeine    Bewusstsein    umwandelten.     Die   jüdischen    Gemeinden 
waren   es,    die    dem  Ghristenthum    zunächst  die  Wege  bahnten  und 
dessen  Keime  in  allen  Provinzen,  wie  in  den  entfernteren  Quartieren 
der  Hauptstadt  ausstreuten.     Wer  behaupten  wollte,   nicht  die  Ger- 
manen,   sondern  die  Juden    hätten  das  römische  Reich  zerstört,   der 
würde  in  dieser  Schroffheit  der  Worte  zwar  zu  viel  sagen,    dennoch 
aber   der   Wahrheit   näher   kommen,    als    es   Unkundigen    scheinen 
möchte.     „O    wäre  Judäa  nimmer,   so   klagt  Rutilius  Namatianos  in 
seinem  Itinerarium,    von    Pompejus   imd    Titus   bezwungen   worden! 
Von    daher   kommt  jetzt   weit   und  breit   der  Stoff  der  Ansteckung 
und   die    einst  Besiegten    werfen    den  Siegern    das   Joch   über  den 
Nacken!" 

Nach  einer  anderen,  helleren  Seite  hin  öffiieten  sich  die  Schranken 
der  antiken  Kultur  durch  den  Eintritt  Nordwest-  und  Mitteleuropas 
in  die  Geschichte  der  Menschheit.  Diesen  Durchbruch  bewirkte  zu- 
erst der  grosse  Cäsar,  indem  er  Gallien  und  Belgien  eroberte  und 
Britannien  und  Germanien  betrat.  In  jenen  neuen  Gebieten  wehte 
schon  der  Athem  des  Oceans,  und  ungeheure  Wälder  mit  riesigem 
Baumwuchs  beschatteten  den  jungfräulichen,  noch  nicht  angebrochenen 
Boden.  Häufige  Nebel  und  Regen  erhielten  das  Land  auch  im  Sommer 
noch  feucht;  die  Bäume  Hessen  das  Laub  im  Herbste  fallen,  im 
Winter  gefroren  die  sumpfigen  Gründe  und  konnten  betreten  werden. 
Ln  Gegensatz  zu  den  engen  Landschaften  der  durch  Gebirge  ge- 
theilten   südeuropäischen  Halbinseln  und  der  gedrängten  Baumzacht 

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Nen-EüTopa.  401 

des  Ostens  und  Südens  streckten  sich  die  nordischen  Flächen  in  un- 
geheurer barbarischer  Weite  nach  allen  Seiten  fort,    und  das  Leben 
trag  das  Gepräge    dieser   grösseren  Verhältnisse^    wie  im  Ocean  die 
Woge  breiter  ist,    als  im  geschlossenen  Meere.     Wo    der  Acker  ge- 
baut wurde,  wie  in  gallischen  Landen,  da  wuchs  das  Korn  in  anab- 
sehbaren Auen,    daran  grenzte   überall    die  Waldregion,  die  Heimat 
der  grossen  Raub-  und  Jagdthiere,  je  weiter  östlich  vom  Rhein,  desto 
seltener  durch  sporadische  Eulturflecke  unterbrochen.    Die  Civilisation 
stand  in  den  Anfangen,  besonders  bei  Briten,  Beigen  und  Germanen; 
sie  war  bei  den  Galliem  schon  weiter  vorgerückt,  aber  im  Vergleich 
mit  Italien,    der  Erbin  Griechenlands  und    des  Orients,   immer  noch 
im  Stande  der  Kindheit.     Dennoch    hatte  die  mitteleuropäische  oder 
äansalpinische  Technik  des  Lebens,  so  unentwickelt  sie  war,  vor  der 
griechisch-römischen    manche    Vortheile    voraus,    die    durch   Klima, 
Vegetation,    Boden,   überhaupt  durch  den  ganz  anders  gearteten  na- 
türlichen Ausgangspunkt  von  selbst  sich  ergaben.    Eine  ganze  Reihe 
von  Erfindungen  liessen  sich  aufzahlen,  die  von  Gallien  den  Römern 
zukamen,   aber   von  diesen,    die   bereits  abgeschlossen  hatten,    mehr 
notirt,   als  in    lebendigen  Gebrauch    verwandelt  wurden;    wir  führen 
beispielsweise  nur  an:  den  Räderpflng,  den  rheda  genannten  Wagen, 
die  Seife,  das  linnene  Hemd,  die  Mergeldüngung.    Li  religiösen,  sitt- 
lichen und  Rechtsbegriffen  fanden  die  Römer  bei  Briten  und  Germanen 
ihre  eigene,   längst   vergessene  Jugendzeit   wieder:    sie,    die  Römer, 
hatten   diesen  Urständ   in  langer  Stufenfolge   zu  einem  ins  Einzelne 
ausgeführten,   überall   von   feinem  Verstände   und  reicher  Erfahrung 
des  Menschenlebens    durchdrungenen,    fest  gestalteten   und  mannich- 
fach  vermittelten  Systeme  entwickelt;  aber  dieser  unschätzbare  Kultur- 
gewinn  war   conventionell  erstarrt   und  ward  als  Fessel  empfanden: 
bei  den  Germanen  waltete  noch  das  unmittelbare,  rohe,   aber  frische 
Natorgefühl,  und  tiefdenkende  Römer,  wie  Tacitus,  sehnten  sich  nach 
diesen  Anfangen   des  Lebens,    die    sie  mit   unverkennbarer  Vorliebe 
schildern    und   von    denen   sie  in    wohlthuender  Täuschung  wie  von 
Freiheit   angeweht   wurden.      Um    sich    dies   Verhältniss    des   alten 
Kulturvolks    zu    den    nordischen    Waldbewobnern    klar    zu   machen, 
halte  man  etwa  die  lyrischen  und  epischen  Volkslieder  der  Germanen 
35U  den  Tragödien  desSeneca:  die  ersteren  sind  elementar,  aber  von 
dnnkler  Poesie  durchweht,  die  anderen  gehören  einer  höheren  Kunst- 
gattung an  (zu  der  das  ganze  Mittelalter  sich  nicht  erheben  konnte), 
tragen  das  Gepräge  formaler  Bildung,   aber  der  Geist  ist  entwichen: 
dort  ein  Ueberschuss  der  Phantasie   und  des  Gefühls  über  die  Dar- 

VicC  HebD,  Kultnrpflaiixen.  26 

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402  Neu-Europa. 

Stellung,  hier  frostige  Verwendung  fertiger,  einst  beseelter,  jetzt  hohler 
Formen.    In  einem  ähnlichen,  nur  noch  härteren,  oft  mit  staonendei* 
Sympathie    wahrgenommenen  Gegensatze    hatten    sich    Jahrhunderte 
früher    die  Griechen    zu  den  Pontusgegenden  befunden,    die    so  arm 
und  elend    und  doch  wieder  so  reich  waren:    die  griechische  Schiff- 
fahrt brachte  Wein   und  Oel  dahin,    das  Doppelsymbol    der  antiken 
Kultur,  und  was  sonst  civilisirtes  Leben  zu  bieten  hat,  Strab. 
11,  2,  3:  oaa  rrjg  ^fiiQov  dtaiTTjg  oixeia,  und  holte  von  dort  Getreide, 
Thierhäute,  Vieh,  Honig  und  Wachs,  gesalzene  Fische  und  —  kraf- 
tige Menschenleiber  zum  Behufe  des  Dienstes  und  der  Arbeit,  Polyb. 
4,  38:  t6  twv  eig  rag  dovXeiag  ayofiiviav  aio^atmv  nX^d'og  ol  xatä 
TOP  Hoviov   rifAlv  Tonoi   naQaaxattdl^ovai    daWikiatarov  xai  XQtjoi- 
ficitaTov  6fioloyovfi€V(og.    Schon  frühe  hatten  die  Griechen  in  jenem 
Norden  ein  Geschlecht  der  gerechtesten  Männer  geschaut,  und  selbst 
ein  weiser  Philosoph,  Anacharsis,  der  weitgewanderte  Urheber  wohl- 
thätiger  Erfindungen,  hatte  dort  seine  Heimat.    Griechen  hatten  sich 
im  Herzen  des  Skythenlandes  niedergelassen,   wie  römische  Händler 
in    der  Hauptstadt  des  Maroboduus.     Doch   ging   aus   dem  Contact 
der  Hellenen   und    der  Ackerbauer    und    Nomaden   im  Norden   des 
Pontus  keine  neue  Schöpfung,   noch  viel  weniger  ein  neues  Zeitalter 
hervor:  eine  Völkerwelle  nach  der  anderen  spülte  dort  das  unmittel- 
bar   Vorhergegangene    wieder   fort;    Türkenstämme   ritten   aus   den 
Wildnissen  Asiens    hervor,    Menschen    und  Saaten  niederstampfend; 
Slaven  von  Norden  ergossen  sich  über  das  Donauland  bis  zum  adria- 
tischen  Meer   und    tief  in   die   griechische  Halbinsel   hinein;   ihnen 
folgend    drängte    sich  noch  ganz  zuletzt  ein   finnischer  Stamm   vom 
Ural  her   mitten    zwischen  sie    hinein    und    behauptete    das    schöne, 
einst  von  gebildeten  Menschen  edler  Race  bewohnte,  jetzt  zur  Pferde 
weide    gewordene   Pannonien.     Anders   im  -Westen.     Dort    bildeten 
Italien,  Spanien,  Gallien,  die  britischen  Inseln,  Germanien  nach  dem 
politischen  Falle  Roms  immer  noch  ein  innerlich  zusammengehaltenes 
Ga^e,    die    europäische  Völkergemeinde,    deren   idealer  Mittelpunkt 
die^  ewige  Stadt   war.     Diesem  Schauplatz   des  Mittelalters   lag  das 
byzantinische  Reich   im  Osten   so   gegenüber,    wie   einst  Asien  den 
Griechen:    cultivirter  in  vieler  Beziehung,    aber  unfrei    und  tief  ent- 
artet, von  Barbaren  umlagert    In  dem  Wechselverkehr  des  Nordens 
und  Südens  oder  der  Germanen    und  Roms  besteht  der  Hauptinhalt 
d^    Geschichte    des    europäischen    Mittelalters.      Von    Deutschland 
waren  dieSchaaren  ausgegangen,  die  den  stolzen  militärisch-admim- 
strativen  Bau  des  Imperatorenreiches  in  Trümmer  geschlagen  hatten: 

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Nen-Europa.  403 

sie  wirkten  als  Befreier,  weil  sie  Ei  dz  elleben  an  Stelle  der 
wie  mit  ehernen  Klammem  festgefügten  Einheit  gesetzt  hatten.  Um- 
gekehrt hatte  Deatschland  schon  vor  der  Völkerwanderung  sich  der 
Verführungen  südlicher  Kultur  nicht  erwehren  können  und  erfuhr 
nun  während  des  Mittelalters  den  unaufhaltsamen  allmählig  alle  Adern 
durchdringenden Proce SS  der  Romanisirung  an  sich:  seine  Wälder 
worden  ausgerodet  (Caroli  M.  Capit  II.  de  813  §  19:  et  plantent 
vineas^  faciant  pomaria^  et  vhicunque  invenient  utUes  ullos  homines 
detur  Ulis  süva  ad  extirpandum)^  Ansiedelungen,  bald  auch 
Städte  gegründet  und  die  Sitten,  die  Regierungs-  und  Rechtsnormen, 
die  das  Alterthum  erfunden  hatte,  auf  den  neuen  Boden  angewandt. 
Ein  wichtiger  Mittelpunkt  der  hin-  und  hergehenden  Kulturbewegung 
war  Belgien.  Zur  Zeit  Cäsars  wohnten  dort  noch  kriegerische,  in 
derber  Naturfrische  verbliebene  Kelten,  den  Germanen  ähnlich,  von 
diesen  bedrängt,  später  mit  ihnen  sich  mischend:  den  Germanen 
nachher  ein  Vorbild  weitergeschrittener  Civilisation,  des  Ackerbaus, 
der  Industrie,  der  Freiheit,  den  alten  Römerlanden  eine  Quelle  der 
Jugend.  Belgien,  Nordostfrankreich  und  das  Rheinland  zu  beiden 
Seiten  des  Stromes  schienen  bestimmt,  ein  eigenes  Reich  mit  indi- 
viduellem Gepräge  zu  werden,  ein  Zwischenglied  beider  Hälfken 
Europas;  doch  vollzog  sich  dieser  Ansatz  nicht,  und  jene  Gegend 
blieb  ein  schwankender  Grenzstrich,  bald  dem  einen,  bald  dem  an- 
deren Theile  zufallend.  Flandrische  Kolonisten  aber  waren  es,  die 
in  Deutschland  die  höheren  Formen  des  Ackerbaus  lehrten;  von 
Burguod  ging  die  Tuch-  und  Leinwandweberei  aus;  dort  (in  St.  Denys, 
Rheims  u.  s.  w.)  ward  die  gothische  Architektur  erfunden  und  war 
eine  dichte  Saat  von  Städten  mit  Kathedralen,  eine  mächtiger  als 
die  andere,  ausgestreut;  dort  gingen  die  Fabeln  von  Reineke  Fuchs 
um  und  erwachte  zuerst  die  fanatisch-phantastische  Idee  der  Kreuz- 
züge; dort  hatte  die  modernste  Kunst,  die  Musik,  ihre  Geburtsstätte 
und  wurde  die  Oelmalerei,  wenn  nicht  erfunden,  so  doch  angewandt 
und  vervollkommnet.  Aber  während  Deutschland  mit  den  Mitteln 
antiker  Kultur  erzogen  und  gebildet  wurde,  erweiterte  es  seinerseits 
den  Bezirk  Europas  durch  unermüdlich  fortgesetzte  Kolonisation  nach 
Osten  —  eine  der  grössten,  nicht  genug  zu  beachtenden  Erschei- 
nungen des  Mittelalters.  Im  Süden  ging  diese  germanische  Expansion 
von  dem  Stamme  der  Baiem  aus,  dem  Laufe  der  Donau  nach;  im 
Norden  von  den  Sachsen,  quer  über  die  Elbe,  die  Oder,  die  Weichsel, 
bis  hoch  an  den  Küsten  der  Ostsee  hinauf;  in  jenen  deutsch  ge- 
wordenen Landen   erhielten    die   Nibelungen   wenigstens   ihre   letzte 

26* 

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404  Nen-Europa. 

Fassung  und  schwang  sich  die  Pflanzstadt  Wien  zum  Eaisersitz  au£^ 
in  diesen  trat  Copemicus  auf  und  wurden  nach  Jahrhunderten 
Eant,  Winckebnann,  Fichte  und  Humboldt  geboren;  und  während 
dadurch  im  Süden  das  Keich  des  heiligen  Stephan  in  den  Kreis  der 
neueuropäischen  Civilisation  gezogen  wurde,  wurde  im  Norden  auch 
das  weite  Gebiet  der  Piasten  und  Jagellonen  dem  geistigen  Leben 
des  -Westens  geöflhet 

Hatten  Germanen  das  weströmische  Reich,  Türken  und  Slawen 
die  nördliche  Hälfte  des  griechischen  Gebietes  überflutet,  so  brach 
seit  dem  7.  Jahrhundert,  um  den  Untergang  der  alten  Welt  voll- 
ständig zu  machen,  der  Arabersturm  über  Syrien  und  das  noch 
blühende  Nordgestade  Afrikas  los.  In  der  ersten  Wuth  des  Islam 
war  die  Zerstörung  furchtbar  und  ist  bis  auf  den  heutigen  Tag  noch 
nicht  wieder  gut  gemacht  —  „keimt  ein  Glaube  nea,"  so  wird  die 
Arbeit  vieler  vergangener  Geschlechter  ^wie  ein  böses  Unkraot  aus- 
gerauft" — ,  aber  nachdem  der  erste  fanatische  Paroxysmus  ver- 
flogen, vermehrten  die  Araber  das  aus  dem  Alterthum  vererbte 
Eulturkapital  durch  werthvolle  Beiträge:  den  Kompass,  die ''Soge- 
nannten arabischen  Zahlen,  die  Anfänge  der  Chemie  und  Pharmade, 
der  Kaufmanns-  und  Hafenpraxis,  manche  neue  Bodengewächse  u.  s.  w. 
Die  arabische  Kultur  selbst  verschwand  freilich  wie  eine  Episode, 
aber  das  von  ihr  Zugebrachte  wurde  im  Abendlande  weiter  entwickelt, 
und  als  die  italienischen  Seestädte  aufblühten  und  Banken  und 
Wechselgeschäfbe  einrichteten,  und  als  das  Schiesspulver  und  das 
Linnen-Papier  erfunden  waren  und  allgemeiner  angewendet  wurden, 
da  war  nach  langen  Jahrhunderten  der  Barbarei  und  des  Aber- 
glaubens ein  Punkt  der  Umkehr  erreicht,  von  dem  an  das  Leben 
wieder  aufzusteigen  begann.  Hätten  schon  die  Bömer  die  beiden 
letztgenannten  Erfindungen  machen  können^  vieUeicht  wäre  die  lui- 
geheure  Unterbrechung  stetigen  Kulturganges,  die  wir  das  Mittelalter 
nennen,  vermieden  worden.  Vor  dem  Schiesspulver  wären  vielleicht 
die  Hunnen  in  ihre  Steppen  zurückgeflohen,  und  das  Papier  hätte 
möglicher  Weise  den  Untergang  der  griechisch-römischen  Literatur  — 
denn  was  wir  besitzen,  sind  nur  kümmerliche  zerstreute  Reste  — 
verhütet  Im  fünfzehnten  Jahrhundert  war  Italien  bereits  wieder  so 
erstarkt,  dass  der  Humanismus^  sowohl  der  literarische,  als  der  sitt- 
liche und  politische,  da  anknüpfen  konnte,  wo  das  Alterthum  in 
seiner  Erschöpfung  den  Faden  hatte  fallen  lassen.  Die  Welt  ö&etc 
sich  dem  wieder  sehend  gewordenen  Auge,  der  Mensch  empfend 
wieder  Freude  an  dem  Dasein  in  dieser  Natur  und  begann  nach  Er- 

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Nen-Enropa.  405 

kenntniss  ilirer  Gesetze  und  ihres  geheimnissYoIlen  Iimem  sich  zu 
sehneu.  Mit  der  Magnetnadel  bewafinet,  segelten  kühne  Schiffer  von 
Lnsitanien  und  Iberien  aus  nach  Amerika,  Ostindien  und  China:  vor 
den  Blicken  breitete  sich  in  tausendfacher  Fülle  der  Naturwunder 
die  neue  Welt  aus,  die  einst  Seneca  jenseits  der  Meere  geahnt  hatte 
—  dorn  mehr  als  die  Ahnung  war  den  Römern  nicht  beschieden. 
Mathematik,  Physik,  Mechanik,  Astronomie,  Anatomie,  Botanik 
regten  sich  mit  jugendlichem  Eifer;  die  Earche  bewachte  sie  miss- 
traoisch,  konnte  sie  aber  nicht  mehr  ersticken;  mit  Hülfe  von  Messer 
und  Wage,  Schmelztiegel  und  Retorte,  Hebel  und  Pumpe,  Thermo- 
meter und  Barometer,  Teleskop  und  Mikroskop,  Pendel,  Loga- 
rithmen und  Infinitesimalrechnung  bereitete  sich  die  immer  vollere 
and  umfassendere  Befreiung  der  Menschheit  vor.  Was  die  moderne 
Welt  von  der  alten  unterscheidet,  ist  Naturwissenschaft,  Technik  und 
Nationalökonomie. 

Wenden  wir  uns  nach  diesen  allgemeinen  Betrachtungen  wieder 
zu  unserem  näheren  Thema,  so  lehrt  die  Nameugebnng  in  der  deut- 
schen Sprache,  dass  von  der  Epoche  der  Völkerwanderung  an  bis 
tief  in  die  mittleren  Zeiten  hinein  Alles,  was  der  deutsche  Garten 
trug  und  ein  grosser  Theil  der  Feldverrichtungen  aus  Italien  und 
Gallien  oder  Süd&ankreich  eingeführt  war.  So  weit  das  Klima  es 
erlaubte,  wui'de  durch  eine  fortgesetzte  Kulturwanderung  angeeignet, 
was  Italien  entweder  ursprünglich  besessen  oder  selbst  in  früheren 
Jabrhnnderten  aus  Grriechenland  und  Asien  bezogen  hatte.  Nicht 
bloss  die  Baumfrüchte,  Birnen,  Pflaumen,  Kirschen,  Maulbeeren,  die 
Trauben  und  alle  Manipulationen  der  Kelterung  und  Weingewinnung, 
dazu  auch  der  Keller  (cella\  die  Tonne  und  die  Kufe,  die  Flasche, 
die  Kanne,  der  Becher,  der  Kelch,  der  Krug  (ein  keltisches  Wort, 
Zeuss*  151.  778),  die  Kumme  (cucuma)^  der  Kumpen,  Kumpf  (cym- 
htum)y  der  Kessel  (catirms)^  der  Tiegel  (tegtdä)^  sondern  auch  Blumen, 
Gemüse,  Küchen-  und  Apothekergewächse,  wie  Kohl  (caulis)^  Kabes, 
Kappes  (caputium)j  Erbse  (^rrww),  Wicke (vtcia),  Linse  (Jens)^  Petersilie, 
Zwiebel,  Kümmel,  Beete  (slavisch  aveklü  entstellt  aus  aaiiTlov)^  Rettich) 
den  die  Bömer  selbst  erst  unter  den  ersten  Kaisem  aus  Syrien  als  radda 
Syfia  bezogen  hatten),  Meerrettich  (entstellt  aus  armoracia)^  Münze 
{menüia)f  Koriander,  Kerbel,  Liebstöckel  (libisticum  statt  liffti8ticum% 
Lavendel,  Melisse,  Polei  (pulegitm)^  Fenchel,  Anis,  Karde,  Lattich 
Qactuca)^  Spargel  und  vieles  Andere,  sind  lateinisch  benannt;  die 
Sichel  ist  das  lateinische  &^«^to,  Flegel — jlageUum^  Mergel  —  margok^ 
fnargüa^    Speicher   —   apicarvum;   lateinisch   sind  Butter   und  Käse, 

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406  Der  Beis. 

Pferd  and  Zelter,  die  Masse:  Meile,  Centner,  Pfand,  Matt  (modkui)^ 
Sche£Fel  (scaphum^  8capüus\  Seidel  (situla)  a.  s.  w.  Wie  die  italienische 
oder  gallische  Villa  mit  allem  Zabehör,  den  Gewächsen,  Thieren 
and  nothigen  Werkzeugen  and  Arbeiten  aaf  deutschen  Boden  Ter- 
setzt  wurde,  davon  giebt  Karls  des  Grossen  capitulare  de  viUis  und 
das  dpecimen  breviarii  verum  facalium  ein  deutliches  Bild.  In  Italien 
selbst  hatte  sich  trotz  der  Völkerwanderung  und  der  chaotischen 
Auflösung  die  Zahl  der  angebauten  Gewächse  und  der  gebräuchlichen 
Hausthiere  im  Allgemeinen  nicht  verringert:  so  zähe  ist  das  Privat- 
leben, und  so  unermüdlich  geht  in  den  kleinen  Kreisen  desselben 
der  Zerstörung  die  Heilung  und  Wiederherstellung  zur  Seite.  In  den 
tausend  Jahren  des  Mittelalters  bis  zur  Entdeckung  Amerikas  ist 
kein  gezähmtes  /Thier  m  eh  r  zu  verzeichnen ;  es  blieb  bei  dem  alten 
Bestände  trotz  der  Bewegungen  im  inneren  Asien,  der  grossen  ara- 
bischen Herrschaft  vom  Indus  bis  zum  Tajo  und  der  Einbrüche  der 
Türken  und  Mongolen.  Wohl  aber  bereicherten  die  eben  genannten 
Weltbegebenheiten  die  Kulturflora  des  Westens  um  einige  integrirende 
Glieder,  unter  denen  wir  uns,  wie  billig,  zunächst  zu  den  Früchten 
des  Ackers  wenden. 


Der  Reis. 

(oryza  scUiva  L.) 

Der  Reis,  eine  Pflanze  fetter,  wasserreicher  Niederungen  in  tro- 
pischem und  subtropischem  Klima,  wurde  von  Alters  her  in  Indien 
überall  gebaut.  Im  Mündungslande  des  Indus  musste  die  sumpfige 
Natur  des  Bodens  dieser  Art  Getreide  besonders  zusagen,  aber  auch 
auf  trockenen  und  höher  gelegenen  Strecken  konnte  die  Aussaat  so 
geregelt  werden,  dass  die  zu  bestimmten  Zeiten  eintretenden  tropischen 
Regen  der  aufschiessenden  Frucht  zu  Hülfe  kamen.  Obgleich  an 
eigentlichen  Nahrungsstoffen  hinter  dem  Weizen  zurückstehend,  war 
and  ist  der  Reis  doch  mehr  als  dieser  die  allgemeine  Yolksnahnmg 
nicht  bloss  im  eigentlichen  Indien,  sondern  auch  bei  den  Bewohnern 
der  Halbinsel  jenseits  des  Ganges,  Südchinas  und  der  Inseln  des  in- 
dischen Meeres,  bis  im  äussersten  Osten  die  Sagopalme  an  die  Stelle 
dieser  Grasart  tritt.  Reisfelder  fehlen  in  dem  bezeichneten  Gebiet 
nur  da,  wo  im  rauheren  Gebirge  die  Wärme  nicht  mehr  ausreicht 
oder  die  Monsunregen  ausbleiben  und  künstliche  Bewässerung  nicht 

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Der  Reis.  407 

möglich  ist  Eine  eigentliche  Brodfracht  ist  der  Reis  in  so  fem 
nicht,  als  er  selten  gemahlen  und  verbacken  wird;  er  bildet  als 
Lieblingsspeise  eine  kernige,  weiche,  aus  gequollenen  Eomem  be- 
stehende, wohl  auch  mit  Fett  getränkte  GrQtze,  die  die  alten  grie- 
chischen Berichterstatter  mit  ihrem  Wort  xo^^Q^S^  Graupenbrei,  die 
Lateiner  mit  cUica  bezeichneten.  Auch  die  Eunst  aus  Reis  ein  alkohol- 
haltiges Getränk,  den  Arrac,  wie  aus  dem  Saft  des  Zuckerrohrs  den 
Rum,  zu  bereiten,  ist  eine  altindische,  denn  schon  dio  (rriechen  haben 
dayoD  gehört,  Strab.  15, 1,  53:  olvov  re  yag  oi  nivaiv  (%ovg*lvöovg), 
alVky  ^itaiaig  iiovov,  nlvsiv  3*  ajt*  oqvQijq  arri  xgtd^lvwv  avvTi9iv^ 
tag'  xal  aizla  di  to  nXiov  oQvTl^av  elvai  ^og>T]%ijp.  Aelian.  de  nat. 
anim.  13,  8:  r(p  öi  eig  noXefiov  ad^lovvti  (eXi<pavTi)  olvog  fiiv,  ov 
fi^y  0  %wv  afiniXwv  inei  tov  fiiv  i£  oQv^rig  X6iQovQyovai^  rov  de 
ix  xaXapLOV.  Freilich  darf  man  sich  darunter  noch  nicht  jenes  stark 
destillirte  Wasser  denken^  was  wir  heut  zu  Tage  Arrac  und  Rum 
nenneu,  sondern  nach  den  Worten  der  Alten  eine  Art  Bier  oder 
Wein.  Der  Sanskritname  des  Reises  war  vrtki  (noch  nicht  im  Rig-, 
wohl  aber  im  Atharyayeda) ;  bei  Uebergang  in  die  iranischen  Sprachen 
mosste  dies  Wort  den  Lautgesetzen  gemäss  zu  hrtzi  werden;  aus 
dieser  altpersischen  Form  machten  die  Griechen  ihr  0Qv1I,a^  oQvt/ov^ 
welches  letztere  Wort  dann  durch  Vermittelung  des  Lateinischen  der 
bei  allen  neneuropäischen  Yölkem  vorhandenen  Benennung  zu 
Grunde  liegt. 

Die  erste  Bekanntschaft  mit  dem  Reis  machte  das  Abendland 
durch  die  Feldzüge  Alexander  des  Grossen,  obgleich  einzelne,  aller- 
dings unbestimmte  Spuren  schon  auf  die  Mitte  des  fünften  Jahr- 
hunderts weisen.  Nach  einer  Notiz  des  Athenäus  nämlich  hatte  So- 
phokles in  seinem  Triptolemos  von  einem  ogivdr^g  a(jtog  gesprochen, 
den  die  Späteren  entweder  als  Brod  aus  Reis  oder  aus  einem  in 
Aethiopien  einheimischen  sesamähnlichen  Korne  deuteten,  3.  p.  110: 
OQivdov  d'  aQZov  fiifivrjTai  2oq)oxX^g  iv  TgirnoXe/iifi^  rjioi  xov  i^ 
OQvCijg  yevofiivov  ij  and  tov  iv  Al9ioni(f  yivo^ivov  anigfiarog^  o 
ioviv  oiAOiov  OTjadfKp.  Pollux  6,  73  erklärt  ungefähr  ebenso,  lässt 
aber  den  Reis  weg:  dg  ogivdrjv  ztva  oqzov  Al9ioneg  %ov  i§  oqiv- 
diov  yivofievov  o  iaxi  onigfxa  inixwQWV^  oixotov  arjaafi(p.  Auch 
Hesychius  stellt  die  Aethiopier  an  die  Spitze:  oqMijv'  aQvov  nagä 
Ai^ioipf  xai  anigfia  naganXfjawv  ar]oafi(f,  oneg  ^xpoweg  anovv- 
tat.  zivkg  di  ogv^av,  während  Phrynichus  in  Bekk.  Anecd.  1.  p.  54 
ganz  kurz  sagt:  ogivda*  ^v  oi  noXXoi  oQV^av  xaXovaiv,  Hätte  So- 
phokles selbst  schon   an  jener  Stelle   des  Triptolemus   den  oghör^g 


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408  Der  Reis. 

a(»Tos  iiut  den  Aethiopem  in  Yerbindong  gebracht,   so  könnte  er  an 
die  Aethiopen  Homers,  die  nach  Sonnenaufgang  hin  wohnen,  oder  an 
die  uild^loneg  ol  ix  r^g  ^Aoitjg  seines  Freundes  Herodot  d.  h.  eben 
an  die  Anwohner   des   unteren  Indus   und  der   angrenzenden  Küste 
gedacht  haben,  und  beide  Deutungen    würden  zusammenfsdlen.    Die 
Namensform   oQlvda,    ogivdiop   stimmt   merkwürdiger  Weise   in  der 
Nasalisirung,    hinter   welcher   das  C  ii^  <^  überging,    mit   dem  arme- 
nichen  brinz^   neupersischen   biring^   birang  überein.     Herodot  selbst, 
der  ja  auch   schon  von  der  auf  Bäumen   wachsenden  Wolle   gehört 
hat,  erwähnt   einer  Abtheilung  der  Inder,    die  sich   von   einer  wild- 
wachsenden Pflanze  nähre,  deren  Eömer  von  der  Qrösse  eines  Hirse- 
korns in  einer  Hülse  steckten  und  mit  der  letzteren  gekocht  und  so 
gegessen  werden,  3,  100:  xal  avtoiai  iart  oaov  xiyxQog  %6  fiiyadvg 
iv  xalvxi^   avTOfiazov   ix  Trjg  yfjg  yivofiei^ov,   t6    avlXiyovreg  avr^ 
xdXvxi.   Stpovai   ta    xai   aniovcai,.     Auch    dies   kann  als  Reis   ge- 
deutet werden;    die  Fehler    der  Beschreibung,   z.  B.    dass   der  Reis, 
der  zu  Herodots  Zeit  längst   eine  Kulturfrucht  war,    als   atfTOfitnof 
bezeichnet  wird,  erklären  sich  durch  das  trübende  Medium  der  Feme, 
durch   welches    damals    noch  jenes    äusserste  Wunderland  geschaut 
werden  musste;   einen  Namen  der  Frucht   scheint  Herodot  nicht  er- 
fahren   zu  haben,    wogegen  sein  ^ipovac   richtiger  ist,    als  das  Brod 
des  Sophokles.    Mit   der  Eroberung  Asiens    durch    die    Macedonier 
trat,  wie  so  vieles  Andere,   so  auch  der  indische  Reis  vollständig  in 
den  Gesichtskreis    der  Griechen.    Gleich  Theophrast   beschreibt  die 
Pflanze  und   ihren  Gebrauch   genau,    h.  pl.  4,  4,  10:   fidliota  di 
aneiQovai  to  xaXoviasvov  oqvI^ov  i§  ov  tö  ^tprjfia,    Tovvo  de  ofioiof 
tJj  1^61$  xal  negiTtriad'iv  olov  x^^^Q^Sy  evnemov  di,   rrjv  oipiv  ti«- 
q>vx6g  ofjioiov  raig  aigaig  xai  tov  noXvv  xqovov  Iv  vdatiy  änoxeitai 
di  ovx  Big  avQXvVy  aXH  olov  q^oßrjv  äansQ  6  xiyxQ^S  ^^^  ^  eXvfiog. 
Noch  merkwürdiger  aber  ist  die  Nachricht  des  Aristobulus,  der  ein 
Begleiter  Alexanders  auf  dessen  Heerzügen  in  Asien  gewesen  war 
und  in  hohem  Alter  eine  Geschichte  des  grossen  Königs,  vwbunden 
mit  einer  Naturschilderung  der  durchzogenen  Länder  verfasste,  bei 
Strab.  15,  1,  18:   tjJv  d*  oQv^äv  q>i]atv  6  liQta%6ßovXog  iatavai  ^ 
vdati  xXeiaTip^  nqaoiag  d*  elvai  %ag  ixovaag  avti^v  vipog  di  tov 
g>VT0v  TevQoinrjxVj   noXvataxv  tb  xal  noXvxaQnov   ^eQU^ead-ai  de 
neql  dvaip  üXr/iddog  xal  ntioaear^ai  wg  Tag  ^etdg'    qweoi^ai  de 
xal  iv  rfj  BaxxQiavfj  xal  BaßvXiovlq  xal  2ovaidv  xal  ij  xdtoi  de 
2vQia  g>vei.     MiyiXXog  di   t^v   oQv^av  oneigeG^ai   fiiv   ngo  Tßf 
ofißQtov  q>rjalvj  ägdeiag  di  xal  (pweiag  dela^ai^  anb  twv  xXeiatiif 

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Der  Reis.  409 

mni^ofiirTf¥  vSanov.  Hier  also  wird  nicht  bloss  die  Eultarart  in 
geschlossenen,  überschwemmten  Beeten  überraschend  richtig  be- 
sehrieben, sondern  schon  Bactriana  (also  die  Gegend  am  oberen 
Oxns),  Babylonien  und  Susis  (also  schon  die  ontem  Eaphrat-  und 
Tigrisländer,  semitisches  Gebiet)  als  reisbauend  dargestellt.  Bestätigt 
wird  die  letztere  Angabe  durch  Diodor,  der  bei  Erzählung  der  Kämpfe 
zwischen  Eumenes  und  Selenkus  den  ersteren  wegen  Getreidemangels 
seine  Truppen  in  Susiana  mit  Reis,  Sesam  und  Datteln  nähren  lässt^ 
mit  welchen  Produkten  die  genannte  Gegend  ungemein  gesegnet  sei, 
19,  13:  Evfiivijg  di  diaßag  t6v  Tlygiv  xai  nagaye^ofiepog  elg  tt^v 
2ovouiP7]Vj  elg  tqia  fiiQfj  dulks  t^v  dvvafiiv^  dia  t^v  tov  aizov 
onmp.  inmoQevofieyog  de  z^vxwqav  xavä  iiiqog  alzov  fiiv  navteXwg 
hmdvi^sv,  oQvl^av  de  xai  a^aafiov  xal  (poLvixa  diiöcjxe  Toig  azQo^ 
tuizaig,  öatffiXtjg  ixovarig  r^g  X^Q^S  '^ovg  zoiovrovg  xagnovg.  Noch 
unter  der  Perserherrschafk  und  wohl  in  Folge  derselben  war  also  die 
Beiskultur  vom  Indus  bis  zum  Oxus  und  Euphrat  vorgedrungen, 
und  von  dort  stammte  denn  auch  der  Name  oQv^a,  Die  Worte: 
xai  1/  xatü)  de  2vQia  q>vei  scheinen  ein  Zusatz  des  Strabo  selbst  zu 
sein,  zu  dessen  Zeit  also  auch  Niedersyrien  schon  in  den  Kreis  dieser 
Kultur  einzutreten  begann.  Wer  der  gleichfalls  angeführte  Megillus 
war^  und  zu  welcher  Zeit  er  lebte,  wissen  wir  zwar  nicht,  auch  ist 
der  Text  des  Strabo  hier  verdorben,  aber  so  viel  deutlich,  dass  auch 
Megillus  von  der  Art,  den  Reis  zu  bauen,  eine  richtige  Vorstellung 
hatte.  Ein  dritter  Berichterstatter,  der  Zeit  nach  dem  Theopbrast 
und  Aristobulus  nahe  stehend,  Megasthenes  (er  war  Agent  des  Königs 
Selenkus  in  den  östlichen  Landen,  gegen  das  Jahr  300  vor  Chr.); 
hat  auch  gesehen,  wie  der  Reis  an  indischen  Höfen  gegessen  wurde, 
und  an  solchen  Mahlzeiten  ohne  Zweifel  selbst  Theil  genommen:  jeder 
der  Gäste  bekommt  einen  Tisch,  in  Form  eines  Behälters  oder  Unter- 
satzes; dieser  trägt  eine  goldene  Schüssel;  in  die  Schüssel  wird  ge- 
kochter Reis,  in  Art  unseres  Graupenbreis,  gethan  und  dann  mit 
vielen  Zusätzen  indischer  Fabrikation  gemengt,  Athen.  4.  p.  153: 
Meyaa&dvrjg  <f  iv  %^  ÖBvriqtf  twv  Uvöixwv  Toig  ^Ivöolg^  V^f^l^i 
h  T^J  deinvtff  naqaxid'ead'ai  exdarcp  Tgane^av  zavtTjv  d'  elvai 
bpLoiav  xdig  iy/v^f^xaig  xai  inixi^ea&ai  lii  avrfj  TQvßUov  xQvaovv^ 
dg  0  ifdßalelv  avtovg  nquitov  fiev  ttjv  OQv^av  €q)^^v,  dg  ar  xig 
hp^aeie  xo^^Qov*  eneixa  oxpa  noXXa  xexeigovQyijfiiva  Taig^Ivdixalg 
oxevaaiaig.  Also  schon  ganz  der  überall  im  jetzigen  Orient  ge- 
bräuchliche, je  nach  den  Gegenden  verschieden  bereitete  Pilav.  Seit 
der  Gründung  des  ägyptisch -griechischen  Reiches   musste  ein  leb- 

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410  l>«r  Reis. 

hafier  Handel,  wie  mit  anderen  indischen  Erzeagnissen,  so  auch  mit 
Reis  über  das  persische  and  rothe  Meer  zu  den  dortigen  Häfen  gehen. 
F5r  die  römische  Zeit  sehen  wir  dies  aus  dem  Periplos  maris  mbri 
des  sog.  Arrian,  der  diesen  Artikel  mehr  als  einmal  anter  den  Pro- 
dakten  der  von  den  Schiffern  besachten  Küsten  aafiPuhrt,  z.  B.  14: 
i^agri^eTai  di  avvrjx^wg  xai  aao  tdiv  eaa)  tottwi»,  x^g  i^gian^g 
xai  Bagvya^wVy  elg  xa  avra  zä  rov  niqav  ifinoQia  yhri  nQO- 
XWQoZvxa  and  xwv  xonatv^  aJxog  xai  oQv^a  u.  s.  w.  (Vergl.  aach 
31,  37  and  41).  Der  Reis  diente  seitdem  den  griechisch-römischen 
Aerzten  zu  einem  schleimigen  Getränk  and  wird  als  daza  bestimmt 
hin  and  wieder  angeführt;  dass  er  zar  Zeit  des  Horaz  noch  theaer 
war  —  in  der  That  masste  die  Feme,  aas  der  er  kam,  and  die 
Leichtigkeit  des  Verderbens,  der  er  aasgesetzt  war,  den  Preis  erhöhen 
—  erhellt  aas  Sat.  2,  3,  155,  wo  einem  Geizhals  eine  solche  Reistisane 
verschrieben  wird  and  er  vor  dem  Preis  erschrickt: 
agedum,  mme  hoc  ptisanarium  oryzae. 
Q^anti  emtctel  Parvo.  Quanii  ergo7  Octussüms.  Eheu. 
Za  einer  gewöhnlichen  Speise  diente  der  Reis  noch  nicht,  —  bei 
Apicias  kommt  nar  einmal  der  suacs  oryzae  als  Ingredienz  vor,  2,  51 
ed.  Schach.,  —  noch  viel  weniger  wnrde  zar  Zeit  der  Alten  irgendwo 
im  Abendlande  der  Versuch  gemacht,  die  Pflanze  anzubauen. 

Das  letztgenannte  Verdienst  gebührt  den  spanischen  Arabern. 
Längst  seit  alter  Zeit  durch  den  indisch- äthiopischen  Handel,  der 
durch  ihre  Hände  ging,  mit  diesem  Getreide  bekannt  und  schon  ao 
dessen  Genuss  gewöhnt,  hatten  die  Araber  nach  Eroberung  Aegyptens 
den  Reisbau  im  Nildelta,  dessen  natürliche  Beschaffenheit  sich  tre£flich 
dazu  eignete,  und  in  den  Oasen  einheimisch  gemacht  Bei  ihrem 
Bestreben,  die  neugewonnenen  Länder  nach  dem  Bilde  derer,  aas 
denen  sie  kamen,  einzurichten,  mussten  die  Mauren  auch  in  Spanien 
darauf  verfallen,  die  bewässerten  Niederungen  mit  dem  Lieblings- 
kome  zu  bestellen,  das  noch  jetzt  den  Orientalen  so  werth  ist.  Dazu 
boten  sich  ausser  den  Flussbecken  der  Guadiana  und  des  Guadal- 
quivir  besonders  die  fetten  Marschgründe  der  Provinz  Valencia,  and 
hier  gewannen  die  Araber,  ohnehin  Meister  in  der  Kunst  der  Be- 
wässerung und  des  Eanalbaues,  bald  die  gewünschten  Ernten,  deren 
Ueberfluss  der  Handel  sogar  den  Küsten  des  europäischen  Auslandes 
zuführte.  Nach  der  allmähligen  Eroberung  der  maurischen  König- 
reiche durch  die  Christen  gingen  die  arabischen  Reisfelder  in  die 
Hand  der  letzteren  über,  und  hierin  das  Werk  der  Ungläubigen  fort- 
zusetzen,   verbot  glücklicher   Weise  die  Religion  nicht    Als  gegen 

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Der  Reis.  411 

Ende  des  fänfzehnten  und  za  ÄDfaog  des  sechszehnten  Jahrhimderts, 
wo  die  Welt  wie  neu  werden  wollte  und  über  Alles,  was  aus  Afrika, 
Ostindien  und  Amerika  kam  oder  was  von  daher  berichtet  wurde, 
nicht  aus  dem  Staunen  fiel,  die  spanische  Macht  sich  in  Neapel,  dann 
in  Mailand  festsetzte,  indess  die  italienische  Seefahrt  nach  und  von 
der  Levante  noch  blühte,  da  wurde  auch  der  Reisbau  entweder  direkt 
ans  Spanien  oder  nach  dem  Beispiel  der  Spanier  aus  Aegypten  nach 
Italien  verpflanzt,  zunächst  natürlich  an  den  Punkten,  wo  Kanali- 
sation und  Ueberschwemmung  von  alter  Zeit  her  gebräuchlich  war, 
im  Mailändischen  und  Yenetianischen.  Es  schien  damit  fftr  den  Land- 
mann  eine  Quelle  des  Reichthums  geöflhet,  und  Alles  warf  sich  mit 
Eifer  auf  die  neue  Kultur,  etwa  wie  zur  Zeit  des  amerikanischen 
Bürgerkrieges  in  Süditalien  auf  die  der  Baumwolle.  Wiesen  und 
Weizenfelder  wichen  weit  und  breit  den  Reisbeeten  und  vom  Mün- 
dongslande  der  Alpenflüsse,  des  Po,  der  Etsch  u.  s.  w.,  von  den 
Niederungen  bei  Mantua,  Ravenoa,  Ferrara  u.  s.  w.  verbreitete  sich 
der  Reisbau,  der  in  der  That  einträglicher  war,  als  die  gewöhnliche 
Körnerfrucht,  auch  in  die  oberen  Gegenden  ^  in  die  Romagna,  nach 
Piemont  u.  s.  w.  Bald  aber  wurde  man  inne,  dass  dadurch  das  ganze 
Land  in  einen  künstlichen  Sumpf  verwandelt  wurde  und  Malaria  und 
Fieber  überhand  nahmen.  So  gross  nun  in  jenem  südlichen  Lande 
die  Gewinnsucht  ist,  so  gross  auch  die  aus  vielfacher  Erfahrung  ge- 
schöpfte Furcht  vor  böser  Luft  und  den  Wirkungen  stehenden  Wassers. 
Es  begann  das  Gegenstreben  sämmtlicher  Regierungen,  das  sich 
schon  seit  der  ersten  Hälfte  des  sechszehnten  bis  in  das  laufende 
neunzehnte  Jahrhundert  in  einer  Reihe  von  Verboten  und  gesetz- 
lichen Einschränkungen  kund  that.  Ueberall  wurde  eine  Entfernung 
von  so  und  so  viel  Meilen  festgesetzt,  innerhalb  welcher  die  Reis- 
felder sich  von  jeder  grösseren  und  kleineren  Stadt  abseits  halten 
mussten.  Dann  folgten  noch  strengere  Verordnungen,  nach  denen 
nur  solche  Ländereien  mit  Reis  bestellt  werden  sollten,  die  wegen 
ihrer  sumpfigen  Beschaffenheit  keines  anderen  Anbaues  fähig  wären, 
and  in  deren  Nähe  kein  bewohntes  Haus  läge  und  keine  befahrene 
Strasse  vorüberführe.  Eine  besondere  Aufsichtsbehörde,  ohne  deren 
Erlaubniss  kein  Reiskorn  gesteckt  werden  durfte,  wachte  über  Auf- 
rechthaltung der  gesetzlichen  Bestimmungen.  Obgleich  diese  im 
Interesse  der  öffentlichen  Gesundheit  erlassenen  Beschränkungen  immer 
noch  in  Kraft  sind,  hält  sich  der  Reisbau  in  Venetien  und  der  Lom- 
bardei doch  in  blühendem  Stande  und  liefert  einen  bedeutenden  Deber- 
schuss  zur  Ausfuhr.     Die  Kultur  selbst  erfordert  viel  Aufwand  von 

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412  I>«r  Mais. 

Axbeit  und  Sorge,  sowohl  bei  der  ersten  Einrichtung  und  Bestellung 
der  wagerechten,  mit  Damm  und  Graben  umzogenen  Beete  und  der 
späteren  Zu-  und  Ablassung  des  Wassers,  als  bei  der  Ernte  und  dem 
Dreschen,  Stampfen,  Reinigen  des  Kornes;  zudem  wirkt  das  Wühlen 
und  Waten  in  Schlamm  und  Wasser,  das  Jäten  u.  s.  w.  nicht  günstig 
auf  die  Gesundheit  der  Arbeiter  und  Arbeiterinnen  und  ihrer  Kinder. 
In  Süditalien^   wo    das  Klima  noch  wärmer   und   die  Gefahr  noch 
grösser  ist,  war  die  Verfolgung  der  Obrigkeiten  in  demselben  Masse 
lebhafter,    so  dass  dort  der  Reisbau,    so  wie  er  überhand  nehmen 
wollte,  immer  wieder  erstickt  wurde  und  jetzt  sich  auf  einzelne  un- 
bewohnte Punkte  beschränkt.     Der  Ertrag  der  ganzen  Halbinsel  an 
Reis  wird  auf  mehr  als  2  Millionen  Hectoliter  im  Werth  von  etwa 
70  bis  100  Millionen  Lire  geschätzt.    In  Spanien  soll  diese  altarabische 
Kultur  sehr  gesunken  sein,    wohl  auch  in  Folge  sanitätspolizeilicher 
Verbote;  aus  Südfrankreich  ist  sie  verschwunden,  in  der  europäischen 
Türkei  sah  Busbequius  im  16.  Jahrhundert  Reisfelder  bei  Philippopel, 
epist.  1:  fuimvA  Pfdlippopoli^  vidimus  in  locis  palustribus  et  cupum 
orizam  instar  tritici  crescentem.     So  vorzüglich  übrigens  die  Qualität 
des  südeuropäischen  Reises  im  Allgemeinen  ist,  so  wenig  fiUlt  der 
Handel  damit  in's  Gewicht  gegen  die  Massen,  die  Ostindien,   Java, 
besonders  aber  Amerika  auf  den  Markt  bringen.     Wie  nämlich  mit 
dem  Zucker  und  Kaffee  und   der  Baumwolle  geschah,    so  auch  mit 
dem  Reis:    erst  die  Versetzung  in  die  neue  Welt  hat  ihn  zu  einem 
Weltprodukt  gemacht.     Die  südlichen  Staaten  der  Union,    Florida^ 
Mississippi,  Alabama,  Louisiana,  Georgien,  besonders  aber  Südcarolina 
erzeugen  jetzt  Reis    fQr  Millionen  an  Ausfuhrwerth  und   trotz  der 
grossen  Entfernung  halten  die  Preise  die  Concurreoz  mit  den  italienischen 
aus.     Europa  war  für  diese  Frucht  die  Haltestation,    wohin  sie  die 
Araber,  die  alten  Zwischenhändler  des  Ostens  und  Westens,  brachten, 
und  von  wo  Andere  sie  weiter  nach  Neu-Indien  jenseits  des  Oceans 
schafften. 

Ein  noch  wichtigeres  Gegengeschenk  hat  übrigens  Amerika  der 
alten  Welt  durch  seinen  Mais,  zea  Mau  L.,  gemacht,  der  jetzt 
einen  grossen  Theil  von  Südeuropa  und  der  Levante  nährt  und  bis 
nach  China  und  Japan  und  ins  tiefste  Herz  von  Afrika  zu  Neger- 
stämmen, die  nie  einen  Europäer  gesehen  haben,  gedrungen  ist 
Schon  Columbus  fand  diese  Saatfrucht  in  Hispaniola  vor,  und  schon 
damals  wurde  sie  durch  ganz  Amerika  angebaut,  so  weit  nur  Ackerbau 
herrschte  und  das  Klima  es  erlaubte.  Seit  dem  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts wurden  Körner  davon  in  spanischen  und  italienischen,  aack 

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Der  Mohrhirse.  413 

französischen,  deutschen  und  englischen  Gärten  gesteckt  und  die 
Pflanze  bald  auch  im  Grossen  auf  Feldern  gezogen.  Die  Yenetianer 
verbreiteten  sie  im  Orient;  sie  siedelte  sich  unter  dem  Namen  Kukuruz 
in  der  Türkei,  den  Donauländem,  Ungarn  an,  und  gab  auch  dort 
eine  Lieblingsspeise  ab  (z.  B.  als  Mamaliga  bei  den  Walachen,  zu 
welcher  der  Branntwein  aus  Zwetschen,  die  sog.  Tsckukay  nicht  fehlen 
darf);  nach  Deutschland  kam  sie  als  türkischer  Weizen  oder  Wälsch- 
kom  aus  Italien,  „unser  Germania,**  sagt  Hieronymus  Bock  (Tragus), 
New  Kjeüterbuch,  Strasburg  1539  foL,  2,  21,  wird  hsILA  felix  Arcibia 
heissen,  dieweil  wir  so  viel  fremder  Gewächs  von  Tag  zu  Tag  aus 
fremden  Landen  in  unsem  Grund  gewöhnen,  unter  welchen  das  gross 
Welschkom  nit  das  geringst  ist."  Li  Norditalien  ist  jetzt  die  Polenta 
d.  h.  der  Maisbrei  die  gewöhnliche  Kost  des  Landmannes  und  der 
Maisbau  wetteifert  besonders  in  den  fruchtbaren  Flächen  des  nörd- 
lichen Theiles  der  Halbinsel  mit  der  Weizenkultur.  Liefert  die  letztere 
auch  ein  edleres  Rom  und  feineres  Mehl,  so  wie  eine  gesundere 
Nahrung,  so  steht  sie  dem  ersteren  doch  an  Ergiebigkeit  nach  und 
hat  ihm  deshalb  Schritt  für  Schritt  vom  besten  Boden  abtreten 
müssen^*). 

Leichter  als  den  Reis  muss  es  gewesen  sein,  den  Mohrhirse^ 
wrgum  vulgare  L.^  die  dhorra  und  dochn  der  Araber,  aus  Ostindien 
nach  Europa  zu  bringen,  denn  schon  kurz  vor  Plinius  war  er  in 
Itahen  erschienen,  18,  55:  müium  intra  hos  decem  annos  ex  India  in 
ItaUam  invectum  est,  nigrwn  colore,  amplum  granOy  harundineum  cuhno, 
adolescii  adpedes  altitudine  Septem^  praegrandtbus  comis  (ctdmis):  juba» 
(phobas)  vocant:  omnium  frugum  fertUissimum.  ex  uno  grano  sextari 
terrd  gignuntur.  seri  dehet  in  umidis.  Die  Beschreibung  ist  zutreffend 
and  an  der  Identität  nicht  zu  zweifeln;  auch  mit  der  Angabe,  dass 
der  Sorgo  das  fruchtbarste  aller  Körner  sei,  hat  es  seine  Richtigkeit. 
Leider  steht  der  Gehalt  bei  diesem  Getreide  nicht  im  Verhältniss  zu 
semer  Ergiebigkeit,  und  da  es  sich  auch  durch  Farbe  und  Geschmack 
nicht  sehr  empfiehlt,  so  mag  der  Anbau  nachher  wieder  aufgegeben 
worden  sein^*).  Wenigstens  hören  wir  nach  Plinius  nichts  wieder 
von  der  Dhorra,  und  erst  die  Araber  verbreiteten  dies  in  den  Gegenden 
am  das  rothe  Meer  bis  zu  den  Schwarzen  im  inneren  Afrika  gewöhn- 
liche Saatkorn  zum  zweiten  Male  über  die  Länder  am  Mittelmeer. 
Petrus  de  Crescentiis  (am  1300  nach  Chr.  oder  gleich  nachher)  kennt, 
es  genau  unter  dem  Namen  müica  (auch  heut  zu  Tage  melga^  melica^  in 
anderen  Gegendenso^^no,  sorgo  genannt)  und  beschreibt  die  Anwendung 

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414  I^er  BachweizeiL 

desselben  alsThierfutter,  in  Tbeurungsjahren  alsBeimischangzu  anderem 
Mehl,  zu  technischen  Zwecken  u.  s.  w.  ganz  in  heutiger  Weise,  üb. 
3  de  milica  (der  Basler  Quartausgabe  von  1538);  Melegaria  competunt 
ad  claudenda  tuguria  et  vias  in  tempore  luti  stemendas  et  competunt 
iffni  et  clibanis  fadendh^  cum  fuerint  easiccata^  et  plantU  saUcum  in- 
volvendüy  ne  excorientur  a  bestiis  et  ne  sole  urentur  aestioo  Semen 
milicae  bonus  cibus  est  porcis  et  bobus  et  equis  dari  potest  et  kommes 
eo  tempore  necessitatis  utuntur  et  cum  aUü  granü  in  pane  et  praecipue 
rusticis.  Die  verschiedenen  Arten  und  Varietäten  dieser  Frucht 
kommen  auch  im  jetzigen  Italien  vor,  doch  ist  ibr  Anbau  überhaupt 
beschrankt :  sie  dient  grün  als  Futterkraut  oder  in  Eömergestalt  zur 
Schweinemast,  denn  den  Vögeln  ist  sie  schädlich,  oder  mit  ilu^i 
Kispen,  je  nach  der  Grösse,  zu  Börsten  oder  Besen,  oder  endlich  mit 
den  Halmen  zu  den  geflochtenen  Wänden  der  einfachen  Bauexhütten. 
Wie  der  Roggen  ein  zu  nordisches,  ist  der  Mohrenhirse  ein  zu  süd- 
liches, ein  Negerkom,  und  beide,  ohnehin  wegen  ihres  schwärzlicheD 
Mehles  verachtet,  streifen  nach  Italien  nur  hinüber,  zum  gegen- 
seitigen Erstaunen  wo  sie  zusammentreffen^^). 


Der  Buchweizen. 

(polygonum  fagopyrum  L.) 
Gleichsam  zum  Ersatz  für  den  dem  Süden  gewährten  Mais  er- 
hielt zu  derselben  Zeit  oder  nur  wenig  früher  der  Norden  Europas 
aus  dem  Innern  Asiens  ein  der  civilisirten  Welt  bis  dahin  unbekanntes 
Korn,  den  Buchweizen.  Ihr  Vaterland  hat  diese  dikotyledone  Pflanze 
—  denn  sie  ist  keine  Grasart,  wie  die  übrigen  Cerealien  —  in  Nord- 
china, Südsibirien  und  den  Steppen  Turkestans  und  muss  sich  mit 
den  Völkern,  die  aus  jenen  uncrmesslichen  Weiten  aufbrachen,  weiter 
nach  Westen  in  Bewegung  gesetzt  haben.  Wie  Piano  Carpini,  Ru- 
bruquis  und  vor  Allen  Marco  Polo  zum  ersten  Male,  seit  es  ein 
Europa  in  geschichtlichem  Sinne  gab,  den  Weg  zu  jenen  Einöden 
mit  Glutsomroem  undEiswintem  und  den  barbarischen  Hofhaltungen 
schlitzäugiger  gelber  Menschen  sich  bahnten,  so  kamen  in  umgekehrtei 
Richtung  neben  dem  unsäglichen  Unheil,  das  jene  fürchterlichen 
Racen  brachten,  auch  einzelne  Sitten,  Fertigkeiten,  Pflanzen,  die  für 
Bereicherung  gelten  konnten,  aus  Asien  erst  zu  den  östlichen  Grenzen 
<ler  civiUsirten  Völker,    dann   zu    diesen  selbst   in   langsamem  Vor* 


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Der  Buchweixen.  415 

schreiten  hinüber.  Marco  Polo  selbst,  der  den  ächten  Rhabarber  in 
dessen  Vaterlande  mit  Äugen  sab,  und  aber  diese  ferne,  ^wunderbare 
Wurzel  berichtet,  schweigt  über  den  Buchweizen.  Aber  die  ersten 
botanischen  Schriftsteller  seit  dem  Beginn  des  sechszehnten  Jahr- 
hunderts kennen  dies  Saatkorn  bereits  als  ein  seit  Menschengedenken 
aus  der  Fremde  eingeführtes.  Joh.  Ruellius,  dessen  Werk  de  stirpium 
natura  zuerst  1536  in  Paris  herauskam,  hat  p.  324  (der  Basler  Aus- 
gabe 1537  fol.)  die  Notiz:  hanc  (Jrugem)  quoniam  avorum  nostrorum 
aetate  e  Cfraecia  vel  Asia  venerum  turcium  frumentam  nominant,  und 
gleich  darauf:  jam  agri  plerique  in  Gallia  hac  frage  rubent  Noch 
älter  wäre  die  Aussage  des  jüngeren  Champier  in  seiner  Schrift  de 
re  cibaria  libri  XXII,  Jo.  Bruyerino  Campegio  Lugdun.  authore, 
Lugduni  1560.  8*^,  wenn  seine  Behauptung  in  der  Widmung  an  den 
Kanzler  Michel  THdpital,  er  habe  sein  Buch  annos  abhinc  triginta 
flus  mmusve^  also  um  das  Jahr  1530,  geschrieben,  buchstäblich  und 
mit  Ausschluss  jedes  späteren  Zusatzes  zu  verstehen  wäre.  Dort 
heisst  es  lib.  5,  cap.  23,  p.  374:  serunt  praeterea  gaUici  rusUci  frugem 
dUam  non  ita  pridem  e  Graecia  Asiave  aliove  orhe  ad  no8  invectam  — 
folgt  die  Beschreibung  des  Buchweizens  und  dann:  vulgus  turcicum 
fmmentum  nominat.  Die  Worte  stimmen  fast  wörtlich  mit  denen 
des  Ruellius  überein,  welcher  letztere  das  Manuscript  des  Bruyerinus 
Campegius  noch  vor  dem  Druck  benutzt  haben  könnte.  Der  Aus- 
druck avorum  nostrorum  aetate  führt  für  Frankreich  auf  das  Ende 
des  15.  Jahrhunderts  und  für  Deutschland  entsprechend  frQher,  etwa 
auf  die  Mitte  oder  die  erste  Hälfte  desselben.  Ueber  den  Weg  der 
Einwanderung  erfahren  wir  nichts  Bestimmtes.  Die  Benennung  tur^ 
cicum  frtimentum,  statt  deren  sich  frühe  die  andere:  bl^  Sarrazin, 
grano  saraceno  einstellte,  weist  nur  ganz  unbestimmt  auf  die  asia- 
tische, über  die  christliche  Welt  hinausliegende  Heidenschaft  hin. 
Daher  Leonhart  Fuchs,  de  historia  stirpium,  Basileae  1542  fol.,  p.  824 
ganz  richtig  sagt:  e  Graecia  autem  et  Asia  in  Germaniam  veni%  unde 
turcicum  fmmentum  appellatum  est:  Asiam  enim  univen^am  hodie  im- 
manimmus  Twrca  occupat  Nord-  und  Süddeutschland  nennen  dies  Korn 
verschieden  tmd  haben  es  also  nicht  auf  gleichem  Wege  überkommen. 
Der  niederdeutsche  Namen  Buchweizen  ist,  wie  man  sieht,  an  Ort 
und  Stelle  gegeben  und  bezieht  sich  auf  die  Aehnlichkeit  der  Körner 
mit  den  Bucheckern;  das  niederländische  boekweyt  ging  in  der  Form 
hcuquette^  hucaü  u.  s.  w.  in  das  benachbarte,  nordöstliche  Frankreich 
über,  welches  also  den  Buchweizen  aus  Brabant  bekommen  hat. 
Schon  die  plattdeutschen  Bibeln,  die  von  Cöln  (nach  1470),  die  Lü- 

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416  I^ei*  Bachweixen. 

becker  von  1594  u.  s.  w.  setzen  Jes.  28,  25   boehcete  f&r   das  Wort, 
welches  Luther   später   mit  Spelt   übertrug   und  die  vorlutherischen 
hochdeutschen  Bibeln  mit  Wicken  wiedergaben.     Die  älteste  Erwäh- 
nung des  norddeutschen  Buchweizens  fände  sich  nach  Pritzel  (Sitzungs- 
berichte  der  Gesellschaft   naturforschender  Freunde   zu  Berlin,    Mai 
1866)   in  Originalregistem    des   meklenburgischen  Amtes  Gradebusch 
vom  Jahre  1436.     Der  andere,  in  Söddeutschland  übliche  Ausdrude 
Heidenkorn   (jetzt  durch  Umdeutung   gewöhnlich   Heidekom,    als 
wäre  es  ein  auf  Heidegrund   wachsendes  Kom),   der   sich    schon  in 
Glossensammlungen    der   zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts   findet 
(so  bei  Diefenbach   glossar.    lat.  germ.  s.  v.  cicer,    im  Anzeiger  für 
Kunde  deutscher  Vorzeit  6, 438  als  Verdeutschung  für  medica  u.  s.  w.), 
sagt  dasselbe  aus,    was  czechisch  pohankcL,   pofuminoy  poln.  pogankoy 
magyar.  pohdnka  —  ein  von  den  Heiden  gekommenes  Getreide;    da 
aber   andere   slavische    Sprachen   derselben  Weltgegend   auch   (^da, 
kajda^  hajdina  sagen,  welches  oflFenbar  ein  Lehnwort  aus  dem  Deut- 
schen ist,    so  bleibt  Zweifel,    ob  nicht   das  czechische  pohanka  auch 
nur   ein    übersetztes  Heidenkom    ist.     Ein   dritter   deutscher   Name 
Taterkorn,    Tatelkorn    ist  soviel   als  frumentum  Tatarorum  und 
hat    sein    Analogon    im    czechischen    und    kleinrussischen    tatarka^ 
magyar.  tatdrka^  finnischen  tattari^  estnischen  tatri,    Hierm  läge  ein 
deutlicher  Wink,    von  welchem  Volke  Osteuropa  diese  Frucht  be- 
zogen hätte,   nämlich   den    Tataren,    unter   welchem  Namen    sowohl 
die    Stämme    mongolischer  Race,    als    die   eigentlichen  Wolga-   und 
Erimtataren  verstanden  wurden ;  aber  dass  die  Russen  diesen  Namen 
nicht  kennen,    muss  bedenklich   machen,    und  es  scheint   uns  daher 
wahrscheinlich,    dass  damit  Zigeunerkom  ausgedrückt  werden   sollte, 
da  diese   wandernden  Horden   den  Namen  Tätern  oder  das  Heiden- 
volk   führten    und    zum    Theil   noch   führen    und    auf  ihren  Zügeo, 
mit    denen    sie    grade    im    15.  Jahrhundert    das    westliche   Europa 
überfluteten,    diese  Saat   verbreiten    mochten  (s.  C.  Hopf^    die  Ein- 
wanderung   der  Zigeuner  in  Europa,    Gotha  1870).     Das  russische 
greiay   grecucha^   grecicha^    kleinruss.  hreika^    poln.  gryka,   lit  plur. 
grUcai^    auch    in    deutschen    Mundarten    Ghücken    (walachisch   hridk, 
magyar.    haricshi)    bedeutet  griechisches  Getreide  d.  h.    ein  von 
Süden  gekommenes,   fremdes,    in  demselben  Sinne,  den  das  Beiwort 
wälsch  bei  den  Deutschen  hatte.    Daneben  gilt  in  Russland,  in  den 
Gegenden  an  der  Unterwolga  ein  dikuia^    so  viel   als  wildes  Eom, 
d.  h.  entweder  wildwachsendes,  oder  von  den  Wilden,  den  jenseitigen 
Nomadenstämmen  angebautes  oder  von  ihnen  bezogenes  Korn,  wofar 

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Der  Buchweizen.  417 

auch  das  tatarische  Wort  kurluk  gebraucht  wird.  Pallas  sab  auf 
seinen  Reisen  häufig,  wie  diese  Nomaden  bei  ihren  flüchtigen  Acker- 
baaTersuchen  den  tatarischen  Bachweizen,  polygcnum  tataricum^  theils 
anbaaten,  theils  sich  seiner  als  eines  Unkrautes  nicht  erwehren 
konnten.  Nach  Linde  (in  seinem  Wörterbuch  unter  grykd)  fände 
sich  Wort  und  Sache  in  polnischen  Inventarien  nicht  Yor  der  Re- 
gierung des  Königs  Sigismund  August,  also  nicht  vor  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts.  Doch  mag  diiQ  gryka  bis  dahin  nur 
seltener  gewesen  sein,  als  später,  und  ihre  Erwähnung  nur  spär- 
licher. Alles  in  Allem  genommen,  waren  es  die  Türken-  und  Mon- 
golenstämme, die  dies  neue  Eom  in  die  Gegend  des  schwarzen 
Meeres  brachten,  von  wo  es  dann  (wenn  man  die  Zigeuner  aus  dem 
Spiel  lassen  will)  der  Seehandel  über  Venedig  und  Antwerpen  weiter 
nach  Deutschland  und  Frankreich  und  beziehungsweise  nach  den 
Niederlanden  trug;  dass  es  von  den  Slaven  den  Deutschen  übermittelt 
worden,  dafür  spricht,  wie  wir  gesehen  haben,  kein  sicheres  An- 
zeichen in  der  Namengebung.  Es  empfahl  sich  durch  den  angenehmen 
Geschmack  und  die  kurze  Vegetationsperiode,  letzteres  zugleich  eine 
Bestätigung  seiner  Herkunft  aus  dem  strengen  hochasiatischen  Himmels- 
stricL  Jetzt  ist  das  weite  Russland,  seiner  geographischen  und 
kulturhistorischen  Stellung  gemäss,  ein  vorzügliches  Erzeugungsland 
dieser  Feldfrucht  und  die  aus  ihr  bereitete  Grütze,  die  sogenannce 
iaia^  die  aus  dem  Mehl  derselben  gebackenen  Vorfasten-Euchen 
Q.  s.  w.  eine  unentbehrliche,  nationale,  dem  Volke  nicht  wie  so  vieles 
Andere  aus  Europa  aufgedrängte  Kost  und  Sitte.  Auch  in  Nord- 
deatschland,  z.  B.  in  Holstein,  hängt  der  gemeine  Mann  von  Alters 
her  an  seiner  Ghrütze  aus  Buchweizen,  der  selbst  in  den  Niederlanden 
einen  wichtigen  ländlichen  Artikel  bildet  Im  Süden  wird  das  Heide- 
kom  seltener  und  verschwindet  am  Mittelmeer  ganz;  aber  in  den 
rauheren  österreichischen  und  tyroler  Alpen,  wo  der  Mais  nicht  mebi* 
trägt,  stösst  man  häufig  im  Herbst  nach  der  Ernte  auf  die  artig  aus- 
sehenden Felder  mit  den  rothen  Stengeln  und  weissen  Blüten  des 
Heidekoms.  Es  heisst  dort  Plent  (aus  polenta,  s.  Schöpf^  Tirolisches 
Idiotikon)  und  das  Gericht  daraus  Sterz. 


Schon  im  Vorhergehenden  ist  bei  Besprechung  mancher  einzelaen 
asiatischen  Kulturpflanze,  z  B.  der  Citrone  und  Pomeranze,  der 
Dattelpahne,  des  Safrans,  des  Mohrhirse,  derCeratonia  siliquau.  s.w. 
bemerkt  worden,  dass,  wenn  ihre  erste  Einwanderung  auch  schon  ia 

Viet  HebD,  Koltarpflaoun.  ^ 

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418  Araber. 

die  Zeit  des  Alterthums  fiel,  sie  doch  erst  durch  die  Araber  ein 
bleibender  Besitz  der  Küsten  des  Mittelmeers  geworden  sind.  Die 
Araber  nahmen  das  Werk  des  Alterthums  kräftig  auf  und  gaben  der 
Bewegung  einen  neuen  mächtigen  Impuls.  Es  war  eine  Zeit,  wo  das 
innere  Meer  ein  arabischer  See  heissen  konnte.  Zwar  Eonstantinopel 
zu  erobern,  gelang  diesem  kriegerischen  Kulturvolke  nicht,  obgleich 
dies  vielleicht  nicht  zum  Schaden  der  versunkenen  Hauptstadt  ge- 
wesen wäre  und  auch  sich  an  der  Loire,  also  im  kalten  Mitteleuropa, 
festzusetzen,  war  wider  die  Natur  und  konnte,  welches  auch  der 
Ausgang  der  gegen  Karl  Martell  gelieferten  Schlacht  war,  nicht  von 
Bestand  sein,  —  aber  in  Aegypten  und  ganz  Nordafrika,  in  Spanien, 
auf  Sardinien  und  den  Balearen,  in  Sicilien,  Kalabrien,  Apulieo,  an 
den  Küsten  der  Levante,  geboten  Araber,  bauten  den  Boden  und  be- 
luden Schiffe,  und  an  glänzenden  Höfen  der  Kalifen  und  ihrer  Statt- 
halter blühten  in  einer  Epoche  allgemeiner  Barbarei  die  Künste  und 
humane  Sitten.  Ja,  der  Trieb,  die  Vegetatien  Asiens  nach  Europa 
zu  versetzen,  wirkte  noch  tiefer  und  in  weiterem  Umfang,  als  jemals 
zur  Zeit  der  Römer,  deren  Macht  doch  auch  bis  ins  Linere  Asiens 
gereicht  hatte.  Durch  die  Araber  kamen  ostindische  Produkte,  von 
denen  das  spätere  Alterthum  nur  gehört,  oder  die  es  durch  den 
Handel  als  kostbare  Waare  empfangen  hatte,  lebend  und  leibhaftig 
an  das  Mittelmeer.  Zwar  den  Pfefferstrauch  zu  verpflanzen,  ging 
nicht  an,  und  vom' Kaffee  war  noch  nichts  zu  hören,  aber  die  Seiden- 
raupe ynirde  in  Spanien  und  Sicilien  angesiedelt,  und  maurische 
Seidenzeuge  aus  Palermo  dienten  dem  Herrn  der  Christenheit  zum 
prachtvollen  Krön ungs-  und  Kaisergewand,  an  stillen  Wassern  rausch- 
ten Papyrusdickichte,  und  die  Baumwolle  und  das  Zuckerrohr  ver- 
suchten in  den  wärmsten  Lagen  auf  europäischem  Boden  zu  ge- 
deihen —  letzteres  ein  Ereigniss  von  unberechenbarer  Wichtigkeit. 
Denn  wenn  auch  der  Anbau  des  Zuckers  und  der  Baumwolle  in 
Europa  selbst  keinen  nennenswerthen  Umfang  gewinnen  konnte  — 
erst  in  Folge  der  amerikanischen  Krisis  stieg  der  Ertrag  der  letzteren 
in  Süditalien  auf  etwa  100,000  Ballen  — ,  so  ward  er  doch  Anlass 
zu  der  ungeheuren  Produktion  jener  ostindischen  Gewächse  in  West- 
indien, zu  der  entsprechenden  Consumtion  bei  allen  Völkern  der 
Erde  und  dem  beide  vermittelnden,  die  Oceane  und  alle  Häfen  be- 
lebenden Welthandel.  Wer  heut  zu  Tage  nach  einem  Besuche  Pom- 
^jis  aus  dem  Thor  dieser  verschütteten  Stadt  tritt,  an  deren  Wänden 
flüchtig  gezeichnete  Landschaften  von  der  schon  damals  gelungenen 
Aneignung   so    mancher   subtropischen  Bäume  Zeugniss   geben,  der 

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Die  Tulpe.  419 

kann  an  den  Baumwollefeldem,  die  sich  dorch  die  Gegend  hinziehen, 
sich  yergegenwärtigen,  wie  die  Epoche  der  Maaren  dem  Alterthom 
io  dieser  Hinsicht  ebenbürtig  ist.  Gleich  den  Namen  zucchero  and 
cotone^  belegen  dies  noch  andere  aas  dem  Arabischen  stammende 
oder  darch  das  Arabische  vermittelte  Bezeichnangen,  z.  B.  melia 
azedarach^  ein  über  alle  Gestade  des  Mittelmeers  verbreiteter  Baam, 
lazzemolo^  der  Azerolenbaum,  mit  essbaren  Früchten,  gesminOy  gelso* 
minoj  der  ächte  Jasmin,  der  in  dem  genannten  Bezirk  fast  schon 
verwildert  ist,  a.  s.  w.^*) 


Als  die  Araber  zerfielen  und  alimälig  unterlagen,  war  unterdess 
im  Zeitalter  der  Ereuzzüge  der  Seehandel  der  italienischen  Städte 
aufgeblüht:  Venedig  und  Genua  beherrschten  die  Märkte  der  Levante 
und  unterwarfen  sich  Inseln  und  Territorien.  Auch  diese  Ver- 
bindung wandte  Europa  einen  Theil  des  Reichthums  jener  geseg- 
neten morgenländischen  Gebiete  zu,  und  selbst  als  die  Türken 
immer  weiter  erobernd  vordrangen,  schlug  auch  dies  der  Weltkultar 
zum  Gewinn  aus. 

Denn  die  Türken  waren  kein  bloss  zerstörendes  Volk,  wie  die 
Mongolen,  sondern  führten  Europa  aus  der  Besonderheit  ihres  ur- 
sprünglichen Heimatlandes  und  ihres  daran  geknüpften  Naturells 
manches  Neue,  Unerhörte  zu,  das  die  Schranken  der  gewohnten 
Sitte  und  den  Kreis  der  Vorstellungen  erweiterte.  So  waren  sie 
Freunde  der  Bäume,  besonders  der  Blumen.  In  den  kurzen,  hef- 
tigen Sommern  Turkestans  erblühen  auf  trockenen,  fast  ununter- 
brochen von  dem  Licht  der  Sonne  getrofifenen  Heiden  zahlreiche, 
feurbige,  stolze  Blumen,  und  diese  begehrte  der  Türke  auch  nach 
seiner  Wanderung  in  den  Südwesten  in  seinen  Gärten  zu  schauen 
und  gesellte  ihnen  aus  den  vielen  in  seiner  Hand  vereinigten  Ländern 
noch  andere  bisher  unbekannte  hinzu.  So  wurde  Stambul  und  das 
Tfirkenreich  überhaupt  das  Bezugsland  für  eine  neue  prächtige 
Gartenflora,  die  auf  zwei  Hauptwegen,  über  Wien  und  über  Venedig, 
in  Europa  einwanderte.  Die  berühmteste  und  wegen  ihrer  weiteren 
Schicksale  merkwürdigste  dieser  türkischen  Blumen  war  die  Tulpe, 
so  in  Italien  nach  dem  persischen  dulbend  oder  Turban  genannt, 
das  Staunen  und  die  Bewunderung  der  damals  noch  sehr  naiven 
Kinder  des  Westens.  Das  Wesentliche  der  Geschichte  dieses  stolz 
blühenden,  leicht  Spielarten  bildenden  Zwiebelgewächses  hat  J.  Beck- 
mann  in    seinen  Bey trägen  1,  233  ff.    und  2,  548  ff.   mit   gewohnter 

27* 

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420  JWo  Tulpe. 

Gründlichkeit  erzählt.    Conrad  Gesner,  der  Linn^  des  16.  Jahrhunderts, 
sah  die  erste  Tulpe  im  Jahr  1559  in  Äugsbarg  im  Grarten  eines  der 
dortigen  Patrider;  f&r  das  Jahr  1565  sind  blühende  Talpen  auch  im 
Garten  der  reichen  Fugger  bezeugt    Die  Saat  jener  ersten  sollte  aus 
Eonstantinopel  oder,  wie  Andere  sagten,  aus  Eappadocien  gekommen 
sein ;  nach  Clusius  war  Eaffia  in  der  Krim  ihr  Vaterland,  mit  anderen 
Worten   die    krimischen    Tataren,    die   Stammgenossen    der  Türken, 
hatten    sie   mitgebracht   und  angepflanzt  und  lieferten  die  Zwiebeln. 
Während  die  Italiener  eine  andere  Art  direkt  bezogen  und  ihr,   wie 
gesagt,  auch  den  Namen  tulipano  gegeben  hatten,  sollte  der  Kaiser- 
liche Gesandte  Busbeck,    der  sich  allerdings    mit    dieser  Blume   viel 
befasste,    die  erste  deutsche  Tulpe  nach  Prag  gebracht  haben.     Aus 
Wien   erhielt   sie   Nord-Europa,   namentlich  England;    die   grossten 
Liebhaber  aber  £and  die  Blume  an  den  unterdess  frei  und  reich  ge- 
wordenen, phantasielos  gebliebenen  Holländern.     In  Holland  erwachte 
der  Wetteifer,  immer  neue,  seltene,  wunderliche  Abarten  und  Farben- 
mischungen zu  erzeugen,  und  führte  endlich  in  der  ersten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts  zu  dem  weltbekannten  Tulpenschwindel,  dem  Kauf 
und  Verkauf  auf  Zeit  von  nie   dagewesenen  Exemplaren,  mit  Ent- 
richtung bloss  der  Differenz  zwischen  dem  vereinbarten  und  dem  am 
Verfalltage  notirten  Preise,    einem  „WindhandeP,    der   das  Vorspiel 
bildete    zu  den   ein  Jahrhundert   später   zu  Paris  in   der  rue  Quin- 
campoix  sich  abwickelnden  Scenen    und  zu  dem  oflen  und  verstedrt 
getriebenen  Glücksspiel  unserer  Börsen.     Die  Geschichte  sagt  nicht, 
ob  es  vielleicht  schon  damals    speculative  Kinder  Israels  waren,    die 
in  Amsterdam,  Harlem  und  Rotterdam  für  eine  Phantasie-Tulpe  den 
Preis  eines  Hauses  oder  Landgutes  bezahlten,  und  ob  sie  schliesslich 
die  einzig  Gewinnenden  waren,  indess  allen  übrigen  Spielern  der  er- 
träumte Reichthum    in    der  Hand   zerfloss.  —  Andere  Blumen    und 
Ziergewächse,    die  Europa   dem  Halbmond  verdankt,   sind   der  jetzt 
allgemein  verbreitete,  lieblich  duftende  Syringenstrauch,  syringa  vulr 
garis^  italienisch  und  spanisch  lilacj  franzos.  lilas —  ein  orientalischer 
Name    — ,    durch    Busbequius    aus    Stambul    herübergebracht;    der 
Hibücus  ByriacM  mit  den  prachtvollen  rosenartigen  Blüten;    die  aro- 
matisch   duftende   orientalische  Hyacinthe,  Eyacinthus  orientaUs,  ans 
Bagdad    und  Aleppo  nach  Venedig  und  Italien   gebracht,    später  die 
Nebenbuhlerin  der  Tulpe  auf  den  Blumenbeeten    der  Holländer  und, 
wie  diese,    in  unzähligen  Farben  und  Abarten   erzeugt;    die  Kaiser- 
krone, Fritülaria  imperialü^  eine  persische  Blume,  die  die  Europäer 
in  den  Gärten  Konstantinopels  kennen  lernten;   die  Gartenranunkel, 

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Amerika.  421 

ranunculus  asiaticuSj  die  Lieblingsblume  Mahomed  des  yierten,  die 
dieser  in  allen  Formen  ans  den  Provinzen  seines  weiten  Reiches  in 
den  Gärten  seiner  Haoptstadt  versammelte,  und  die  dann  von  dort 
nach  Italien  und  weiter  nach  Deutschland  und  den  Niederlanden 
wanderte.  Bei  der  einmal  erwachten  Blumenlust  kamen  dann  zu 
diesen  und  anderen  tfirkischen  Blumen  noch  andere  aus  anderen 
Geilenden,  so  die  schöne  Balsamine,  impatiens  BaUamina^  noch  jetzt 
fiberall  in  ItaUen  blühend,  im  16.  Jahrhundert  von  den  Portugiesen 
ans  Ostindien  gebracht,  und  die  in  ItaUen  selbständig  aufgetretene 
Nelke,  ital.  garofoh^  garofcmo^  fnanzösisch  oiUet,  das  Aeuglein,  ge- 
nannt, dianthus  caryophyUus^  die  Blume  der  italienischen  Renaissance 
—  denn  in  der  Epoche  des  Aufblühens  der  Städte  und  des  Handels 
hatte  das  Auge  des  Menschen  sie  in  dem  südlichen  Italien  wild  ge- 
fimden  und  seine  Kunst  und  Pflege  ihr  gesteigerten  würzhaften 
Doft,  Blätterfulle  und  alle  Abstufungen  der  Farbe  abgelockt.  Noch 
jetzt  ist  sie, 

Im  schönen  Kreis  der  Blätter  Drang, 

Und  Woblgeruch  das  Leben  lang 

Und  alle  tausend  Farben  — , 

obgleich  von  den  Alten  nicht  beachtet,  der  besondere  Liebling  des 
Volkes  jenseits  der  Alpen.  —  Dass  aber  nicht  bloss  Blumen,  sondern 
auch  Bäume  durch  die  Türken  über  die  Welt  verbreitet  sind,  beweist 
der  von  uns  an  anderer  Stelle  bereits  erwähnte  schöne  Kastanienbaum 
mit  den  pyramidalen  Blüten  und  dem  dichten  Schatten  schon  im 
Frühling,  Aesculus  hippocastanum,  aus  dem  Vaterlande  der  Türken 
stammend;  der  Kirschlorbeer,  in  der  zweiten  Hälft«  des  16.  Jahr- 
bonderts  aus  Trapezunt,  wo  ihn  Pierre  Belon  zuerst  sah,  durch 
Glnsius  nach  Wien  übertragen;  endlich  die  reizende,  zarte,  süss  duf- 
tende Albizzia  Jvlibrimny  deren  italienischer  landschaftlicher  Name 
goffffia  dt  Costantmopoli  verräth,  an  welchem  Punkte  sie  zuerst  den 
Boden  Europas  betreten  hat.  —  Von  dem  Bachweizen,  als  einem 
türkiscb-mongolischen,  aus  Hochasien  mitgebrachten  Korn  ist  bereits 
die  Rede  gewesen. 


Doch  was  bedeuteten  diese  verspäteten  Ankömmlinge  aus  dem 
Orient  gegen  den  ungeheuren  Umtausch,  der  mit  der  Entdeckung 
Amerikas  begann?  Amerika,  sagt  Kohl  sehr  schön  in  seiner  Ge- 
schichte der  Entdeckung  Amerikas,  Bremen,  1861,  S.  412,  tauchte 
anf^  wie  ein  unserem  Planeten  angehängter  neuer  Stern.    Was  Amerikas 


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422  Amerika. 

Tropen-  und  gemässigte  Zone  lieferteD^  war  nicht  ein  Nachtrag,  von 
Phöniziern,  Eleinasiaten,  Griechen  und  Römern  nur  zu&Uig  versäumt, 
sondern  Graben    und  Erzeugnisse    einer  ganz  neuen  Welt  —  und  es 
begann  die  zweite  grosse  Periode  der  Geschichte,  die  des  Verkehrs 
beider  Hemisphären,    da    die  erste   nur  die  Entwickelung   der  einen 
aus  sich  und    in  sich   gewesen   war.     Wir  stehen    noch   am  An£euig 
dieser  Epoche,  die  der  grosse  Genuese  eröffiiet  hat^   und  Transplan- 
tation   und  Acclimatisation   sind   bis  jetzt  nur  das  zufällige  Geleite 
des  Ebtndels  und  der  Schiflfahrt  gewesen.    Dennoch  fuhrt  schon  jetzt 
jeder  Spaziergang  durch  europäische  Parks  und  Gärten,   jede  Fahrt 
auf  Landwegen  und  Eisenbahnen  an  amerikanischen  Gewächsen  vor- 
über:   die   vitis   Labruscoj    der   sogenannte   wilde  Wein,    aus  Nord- 
amerika, bekleidet  Säulen  und  Wände,  rothgluhend  im  Herbste,  dodi 
keinen  Traubensaft   spendend,   wie    die   morgenländische    Schwester 
vom  Kaukasus  und  Demavend;    neben   ihr   klettert  mit   hochgelben 
Blüten  die  peruanische  Kapuzinerkresse,  Tropaeolum   majru^    empor; 
die  Pyramidalpappel,  populus  däatata^   zieht   wie  ein  grüner  Säulen- 
gang oder  paarweise  in  Procession  an  der  Heerstrasse  fort,  am  Mis- 
sissippi einheimisch,    für   uns    zunächst   aus  Italien    gekommen  und 
daher  lombardische  Pappel    genannt,    der   einzige  Baum, 'der  in  un- 
serem Norden  Gestalt  bat  und  daher  auch  von  den  Gemüthsschwärmem 
der   romantischen  Zeit   und  Schule    verachtet  und  verfolgt;    breiten, 
dichten  Schatten    wirft  die   amerikanische  Platane,  platanus  occidm- 
taUs'j  Hecken  nordamerikanischer  Acacien,   Robinia  pseudacacic^  om- 
geben    die    öffentlichen  Spaziergänge^   in    denen    IHnus  Strolms^   die 
Wheymouthskiefer,  Bignonia  Catalpay  der  Tulpenbaum,  Liriodendron 
ttUipiferum^  jenseits  der  Alpen  die  jetzt  allverbreitete  herrliche  Mag- 
nolie, MagnoKa  grandiflorcLt    die  aus   dem  tropischen  Amerika  stam- 
mende,   süssen    Veilchenduft    verbreitende    Acacia   Famesiana,   der 
australische  Eucalyptus  globulus^   mit   dem    man  jetzt   die   römische 
Campagna  bepflanzen  will,  der  japanische  Ligusterbaum,  der  gleich- 
fjAÜs  japanische   schöne  Mispelbaum   mit    den   duftenden  Blüten  im 
Herbst  und   den   goldenen  Fruchtbüscheln   im  Frühling  (Eriobotkrya 
japonica^  eine  jetzt  in  Süditalien  und  Sicilien  wichtige  Kulturpflanze), 
der   zarte  Pfefferbaum,   schmus   moUe^   der   prächtige  Korallen  baoin, 
Eryihrina  coraUodendron  u.  s.  w.    den  Eintretenden  empfangen.    Föf 
den  Weizen    und    das  Rind   und    das  Pferd  —  Geschenke   von  un- 
schätzbarem Werth  —  haben  wir  den  Truthahn,  den  Mais,  die  Kar- 
toffel,  den  Opuntiencactus,    Opuntia  fums  indica^   zurückerhalten. 
Was  die  Kartoffel  im  Norden  ist  —    auch  für  diese  Frucht  ist,  wie 

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Amerika.  428 

der  Name  lehrt,  Italien  das  Mittelland  gewesen  — ,  weiss  Jeder, 
weniger  dass  die  Opontienfeige  für  die  Wüsten  und  Felsen  des  Mittel- 
meeres fast  dieselbe  Bedeutung  hat,  wie  jenes  Knollengewächs  für 
die  Heiden  des  Nordens.  An  allen  Küsten  jenes  Südens,  vom  Atlas 
und  der  Sierra  Morena  am  Aetna  vorbei  bis  zum  Taurus  und  Sinai, 
hat  diese  südamerikanische,  blaugraue,  stachlichte,  in  sonderbarer 
Vegetation  ein  fleischiges  Stengelglied  aus  dem  Ende  des  anderen 
hervortreibende  Pflanze  die  dürrsten,  unfiruchtbarsten  Felswände  und 
Steingründe  überzogen  und  sie  so  durch  Humusbildung  der  Kultur 
wiedergegeben.  Man  pflanzt  sie  auf  den  Lavafeldern  des  Aetna,  um 
diese  rascher  urbar  zu  machen;  ihre  Stacheln  hüten  das  Feld,  von 
den  Blättern  nährt  sich  das  Vieh,  und  die  saftigen  Früchte  bilden 
vier  Monate  gegen  den  Herbst  jedes  Jahres  die  Nahrung  und  Er- 
frischung der  ganzen  Bevölkerung.  Neben  ihr  wuchert  ihre  Gefährtin 
und  physiognomische  Verwandte,  die  Aloe,  ixgave  americana^  mit  der 
riesengrossen  grünen  Blätterrosette  und  dem  aus  dieser  bäum-  oder 
kaodelaberartig  aufsteigenden  Blütenschaft;  beide  zusammen  haben 
den  Typus  der  mediterranen  Landschaft,  die  längst  vom  Orient  her 
ihr  strenges,  stilles  Kolorit  erhalten  hatte,  durch  ein  völlig  ein- 
stimmendes Element  wesentlich  ergänzt.  Die  Kartoffel  hat  sich  bei 
den  Südländern  nicht  beliebt  gemacht  ^^),  wohl  aber  eine  andere, 
der  Kartoffel  nahe  verwandte,  ursprünglich  giftige  amerikanische 
Frucht,  die  Tomate,  auch  pomi  d'oro  genannt,  Solanum  Lycopemctum^ 
deren  gelbrother  säuerlicher  Saft  die  italienischen  Schüsseln  zu  färben 
pflegt  und  überall  in  der  italienischen  Küche,  wo  es  nur  möglich  ist, 
angebracht  wird. 

Damit  dem  Bilde  des  Wechselverkehrs  mit  der  neuen  Welt  sein 
Schatten  nicht  fehle,  ist  auch  noch  des  Tabaks  zu  erwähnen.  Wie 
die  Europäer  nicht  bloss  die  wohlthätigen  Resultate  einer  dreitausend- 
jährigen Kultur  nach  dem  jungfräulichen  Lande  hinüberleiteten,  sondern 
mit  ihren  Schiffen  im  Süden  auch  Neger  und  Jesuiten,  im  Norden 
auch  die  Pocken  und  den  Branntwein  landeten,  so  verdanken  wir 
Amerika  nicht  nur  die  Kartoffel  und  die  edlen  Metalle  und  das  Bei- 
spiel republikanischer  Freiheit:  es  hat  uns  auch  das  genannte  nar- 
kotische Giftkraut  überliefert,  das  jetzt  ganz  unvertilglich  scheint 
Dass  ein  barbarischer  Gebrauch  der  Indianer,  den  Rauch  der  trockenen 
Blätter  einer  betäubenden  Pflanze  durch  ein  Rohr  oder  eine  zusammen- 
gedrehte Rolle  in  den  Mund  zu  leiten  und  dann  wieder  auszustossen 
oder  dieselben  Blätter  in  gepulvertem  Zustande  in  die  Nase  zu  stopfen, 
von  den  Rothhäuten  zu  weissen,   gelben  und  schwarzen  Menschen 

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424  Schlags. 

auf  der  ganzen  Erde  hat  übergehen  und  bei  allen  sich  so  tief  ein- 
wurzeln können,  ist  eine  Thatsache,  die  viel  zu  denken  giebt  Wie 
in  Europa  ^er  Arme,  der  Verbrecher  um  ein  Stückchen  Geld  zu  — 
Tabak  bettelt,  so  gewinnt  der  Reisende  oder  Eaufinann  auch  den 
Neger  im  inneren  Afrika,  den  Samojeden,  Malaien  u.  s.  w.  durch 
nichts  so  leicht  als  durch  eine  Gabe  Tabak.  Türken,  Araber  und 
Perser  hauchen  den  Rauch  dieses  Krautes  stillsitzend  yor  sich  her, 
als  ein  Bild  ihres  eigenen  unnützen,  apathischen,  träumerischen 
Lebens  ^^).  Hunderte  von  Millionen  sind  seit  zwei  Jahrhunderten 
auf  diese  hässliche  Gewohnheit  verwandt  worden,  die  au^ehäaft  oder 
productiv  angelegt  alle  Völker  hätten  wohlhabend  machen  können, 
und  noch  jetzt  sind  viele  Tausende  von  Morgen  oder  Hectaren  des 
kostbaren  Erdbodens,  der  Weizen  oder  Wein  hätte  tragen  können, 
mit  dieser  Species  giftigen  Nachtschattens  bestellt.  Aehnlicher  Er- 
scheinungen werden  die  kommenden  Jahrhunderte  vielleicht  noch  mehr 
bringen.  Denn  wie  die  Hellenen"  als  ein  Adel  der  Menschheit  rings 
Ton  Barbaren  umgeben  lebten,  von  abergläubischen  Aegyptem, 
knechtischen  Asiaten,  trunksüchtigen  Thrakern  u.  s.  w.,  so  auch  bisher 
die  Europäer,  umringt  von  farbigen,  untergeordneten  Racen  Der 
die  Erde  immer  dichter  umspannende  Verkehr  wird  den  weissen  Mann 
in  immer  nähere  Gemeinschaft  und  Berührung  mit  jenen  Massen 
bringen  und  diese  Kreuzung  vielleicht  die  Matter  mancher  bestialischen 
Ausgeburt  werden.  Der  Veredolungsprocess  der  Menschheit  wird 
auch  dann  seinen  Fortgang  nehmen  und  auch  diese  ungeheure  Auf- 
gabe wird  gelöst  werden,  aber  in  wie  langen  Zeiträumen,  über  welche 
barbarischen  Zwischenstufen,  unter  wie  viel  Opfern,  Rückfällen  and 
Trümmern! 


Schluss. 

Die  vorstehenden  Skizzen  tragen  in  mehr  als  einer  Hinsicht, 
auch  abgesehen  von  den  Unterlassungsfehlem,  die  der  Verfasser  be- 
gangen haben  wird,  und  deren  Folgen  er  auf  sich  nehmen  muss,  den 
Charakter  des  Fragmentarischen  und  der  Vereinzelung  an  sich.  Zu- 
nächst ist  die  Bodenkultur,  die  Garten-  und  Haaswirthschaft  nur  der 
Theil  eines  Gunzen,  ein  blosser  Ausschnitt  aus  der  allseitig  sich  voll- 
ziehenden Bildungsgeschichte  der  Menschheit.  Dennoch  spiegelt  sich 
auch  wieder  im  Einzelnen  das  Allgemeine,  und  wie  die  Kulturpflanzen 
von  Volk  zu  Volk,    von  Ost  nach  West,    von  Süd  nach  Nord  ge- 

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Schlags.  425 

wandert  sind,  so  in  derselben  Richtung  und  Zeit  auch  die  Freiheit 
üod  Kultur  selbst  in  jeder  Gestalt  Aus  Indien  und  Persien,  aus 
Syrien  und  Armenien  stammen  unsere  Feld-  und  Baumfrüchte,  eben 
daher  auch  unsere  Idärchen  und  Sagen,  unsere  religiösen  Systeme, 
alle  primitiven  Erfindungen  und  grundlegenden  technischen  Künste. 
Griechenland  und  Italien  ftihrten  uns  die  Nähr-  und  Nutzpflanzen  zu, 
mit  denen  wir  im  mittleren  und  nördlichen  Europa  unsere  Wohn- 
stltten  umgeben,  und  eben  diese  Länder  lehrten  uns  in  eben  dieser 
Reihenfolge  edlere  Sitte,  tieferes  Denken,  ideale  Kunst,  humane  Zwecke 
und  die  höheren  Formen  politischer  und  socialer  Gemeinschaft.  Was 
die  Pflanzengeschichte  bezeugt,  würde  auch  von  der  Kulturgeschichte 
im  umfEtösenden  Sinne  nicht  anders  ausgesagt  werden.  Auch  die 
letztere  ist  nur  eine  Geschichte  des  Verkehrs,  und  wie  der  einzelne 
Mensch  nur  in  der  Gesellschaft  seine  Bestimmung,  d.  h.  die  höchste 
Entwickelung  seiner  Anlagen  erreicht,  so  sind  auch  die  Völker  in 
demselben  Masse,  wie  sie  zur  Bildung  sich  erheben,  nur  Schüler  und 
Erben  anderer  umwohnender,  überlegener  Völker.  Die  grösste  Vater- 
landsliebe zeigten  daher  zu  allen  Zeiten  diejenigen  nationalen  Führer, 
die  nicht  die  heimische  Eigenart  am  hartnäckigsten  festhielten,  sondern 
am  offensten  und  bereitwilligsten  auf  die  Lehren  der  Fremde  und 
den  früher  und  anderswo  erreichten  Kulturgewinn  eingingen. 

Wie  die  Pflanzen  und  Hausthiere  von  Hand  zu  Hand  gingen, 
davon  enthält  dieses  Buch  eine  Anzahl  monographischer  Umrisse; 
eine  andere,  jene  erste  ergänzende  Aufgabe  wäre  es,  festzustellen, 
welche  seiner  eigenen  wilden  Pflanzen  das  Abendland  auf  die  gleiche 
Weise  zur  Kultur  erhoben  hat,  sei  es  direkt  oder  nach  dem  Vorbild 
des  Ostens  und  Südens.  Einiges  davon  ist  im  Vorhergehenden  ge- 
legentlich angedeutet  worden,  das  Uebrige  muss  einer  eigenen  Unter- 
suchung überlassen  bleiben.  So  wächst  oder  wuchs  der  Kohl,  jetzt 
eines  der  nützlichsten  und  verbreitetsten  Gemüse,  ohne  Zweifel  in 
Europa  wild;  wann  und  wo  aber  fing  man  an,  ihn  in  Gärten  zu  ver- 
setzen, ihn  umzubilden  und  immer  schmackhafter  zu  machen,  und 
unzählige  Varietäten,  eine  immer  zarter,  beliebter  und  von  dem  Grund- 
typus entfernter^  als  die  andere,  zu  erziehen?  Manches  ist  darüber 
in  e'mernnermesslichen  Literatur  zerstreut;  Vieles  muss  dunkel  bleiben; 
Einiges  lehren  die  Namen,  wie  sie  noch  jetzt  gangbar  sind  oder  es 
früher  waren.  Wo  der  Savoyer  und  Wirsing-Kohl  herstammt,  ist  in 
diesen  Beinamen  ausgesprochen,  denn  auch  letzteres  ist  nichts  als 
das  oberitalienische  verza  d.  h.  grüner  Kohl;  dass  überhaupt  Italien 
uns  lehrte,  Kohl  zu  essen  und  zu  pflanzen,  sagt  das  Wort  Kohl,  aus 

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426  ScUass. 

catäis,  eben  so  Eabes,  slavisch  kapus^  kapusta^  aas  caputium,  capuccio, 
unmittelbar  aus-,  auch  der  Kohlrabi ,  der  Raps  und  Rübsen  tragen 
lateinisch-italienische  Namen,  cauhrapa^  caulü  rapi  und  rapicium  und 
sind  jungen  Datums  in  Deutschland;  der  zarte,  seltsam  gebildete 
Blumenkohl  stammt  aus  dem  Morgenlande  und  kam  über  Venedig 
und  Antwerpen  nach  Europa^  nach  Deutschland  erst  kurz  vor  Beginn 
des  dreissigjäbrigen  Krieges;  das  Sauerkraut  mag  eine  tatarische, 
von  den  Slaven  adoptirte  Erfindung  sein,  die  sich  vom  Slavenlande 
weiter  nach  Nieder-  und  Oberdeutschland  verbreitete.  Wie  der  Kohl 
ist  auch  die  Artischocke  eine  in  Europa  einheimische,  veredelte 
Distel;  europäisch  sind  auch  die  RQbe  und  die  Möhre,  daucus  carotaL. 
Wenn  der  Apfelbaum  in  unseren  Wäldern  ursprünglich  wild  wuchs, 
so  sind  doch  die  edlen  Bäume  unserer  Gärten  nicht  gerade  Abkömm- 
linge von  ihm,  sondern  stammen  von  Zweigen,  die  über  die  Alpen 
gebracht  und  auf  den  einheimischen  Stamm  gepfropft  wurden  —  ein 
Gleichniss  für  viele  ähnliche,  jetzt  vordunkelte  Besitztitel  auf  geistigem 
Gebiet  ^^).  Im  Allgemeinen  hat  Europa  auch  von  dem,  was  es  von 
Natur  besass,  nur  Weniges  aus  eigenem  Impuls  aus  der  Wildmss 
gehoben  und  durch  Erziehung  nutzbar  gemacht;  es  musste  dazu  am 
Mittelmeer  aus  Asien,  in  seinen  mittleren  Gegenden  durch  den  Süden 
angeregt  werden,  in  dem  alle  Quellen  unserer  Bildung  liegen. 

Jahrhunderte,  ja  Jahrtausende  lang  haben  die  Kulturpflanzen 
unter  künstlichen  Bedingungen  mit  dem  Menschen  gelebt,  und  die 
Frage  liegt  nahe,  in  wie  fem  sie  dadurch  ihre  Natur  verändert  haben? 
Der  Mensch  sorgt  durch  einseitige  Wahl  und  berechnete  Pflege  far 
Häufung  bestimmter  organischer  Riebtungen  und  Ausweichungen; 
daraus  gingen  Abarten  hervor,  aus  diesen  wieder  andere;  wenn  die 
Zwischenglieder  als  minder  kulturmässig  sich  verloren,  so  sind  wir 
verlegen,  in  dem  Gartengewächs  den  Wildling,  von  dem  es  stammt, 
wiederzuerkennen.  Dies  ist  ein  Thema,  das  die  Naturforscher  jetzt 
vielfach  beschäftigt,  bei  dessen  Behahdlung  ihnen  aber  grössere  Be- 
kanntschaft mit  der  Geschichte,  der  Literatur  und  Sprache  der  Alten, 
ihren  bildlichen  Denkmälern  u.  s.  w.  von  Nutzen  sein  würde.  Noch 
bedeutungsvoller  erscheint  dieselbe  Frage  in  ihrer  Anwendung  auf 
die  Hausthiere.  Doch  da  dieselbe  jetzt  seit  Darwin  bei  den  Natur- 
forschem  auf  der  Tagesordnung  steht,  so  beschränken  wir  uns  auf 
folgende  den  Zusammenhang  des  physiologischen  Problems  mit  der 
menschlichen  Geschichte  betreffende  Bemerkungen. 

Es  ist  eine,  vöe  uns  dünkt,  unbestreitbare  Thatsache,  dass  nicht 
bloss  angeborene,  sondern  auch  individuell  erworbene  Charaktere  sich 

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Schluss.  427 

TererbeD,  mit  anderen  Worten,  dass  Schicksale  und  Erfahrungen 
froherer  Generationen  mit  den  jöngeren  als  feste  Nataranlage  wieder* 
geboren  werden.  Was  die  Vorfahren  erst  gelernt  hatten,  oft  mit 
Widerwillen  and  unter  Sträuben,  das  erscheint  in  den  Nachkommen 
als  gegebenes  Naturell;  was  dort  Resultat  war,  wird  hier  Ausgangs- 
punkt. Und  je  längere  Zeit  ein  Zustand  bei  den  Voreltern  durch 
die  Gewalt  der  Umstände  aufrecht  erhalten  worden,  desto  sicherer 
erscheint  er  als  Erwerb  der  Enkel.  Psychische  Regungen  bewirken 
leibliche  Veränderungen:  indem  die  letzteren  auf  die  Nachkommen- 
schaft äbergehen,  rufen  sie  mit  Noth wendigkeit  auch  die  ersteren 
wieder  hervor,  die  dann  als  geistige  Richtung  und  Fertigkeit,  als 
Mitgift  der  Geburt,  unmittelbarer^Stammcharakter  vorgefunden  werden. 
Was  wir  Geschichte  nennen,  ist  nichts  als  diese  langsame  leiblich- 
geistige  Umwandlung  der  jüngeren  Geschlechter  nach  den  Eindrücken, 
die  die  älteren  erfahren  haben,  —  eben  so  der  sogenannte  Zeitgeist 
nichts  als  das  in  den  Kindern  bewusstlos  wirkende  GemeingefQhl 
der  von  den  Vätern  und  Grossvätem  erlebten  Schicksale.  Könnten 
wir  bei  plötzlich  eintretenden;  scheinbar  unvermittelten  neuen  Ge- 
schichtsepochen, deren  Ideenreichthum  und  unerwarteter  Durchbruch 
uns  überrascht,  die  stillen  Vorbereitungen  in  den  nächstvorhergehenden 
Geschlechtem  übersehen,  alles  Wunderbare  würde  sich  verlieren.  Bei 
der  Langsamkeit  der  physiologischen  Metamorphose  ist  ein  Sprung 
nirgends  und  bei  keinem  Volke  je  möglich  gewesen.  Wird  eine  Race 
plötzlich  durch  eine  geschichtliche  Constellation  unter  eine  Civili- 
sation  geworfen,  für  die  sie  durch  ihre  früheren  Schicksale  nicht  be- 
fähigt ist;  dann  entsteht  ein  Chaos  von  Scheinkultur,  Rück&Uen, 
disparaten  Trieben,  barbarischem  Raffinement,  Rohheit  und  Siechthum, 
bis  nach  Jahrhunderten  eines  stürmischen  Processes  sich  endlich  Alles 
ins  Gleichgewicht  gesetzt  hat.  So  ging  es  z.  B.  den  Germanen  auf 
römischem  Boden:  sie,  die  noch  kaum  die  Anfänge  des  Ackerbaues 
sich  angeeignet  hatten,  sollten  in  ummauerten  Städten  wohnen,  der 
Ordnung  eines  auf  verwickelte  Lebensverhältnisse  und  die  feinsten 
Bedürfriisse  berechneten  Rechtes  sich  fügen,  in  die  spitzfindigen 
Distinctionen  der  durch  die  Kirchenväter  allseitig  abgesteckten  Dog- 
matik  und  in  den  symbolischen,  altorientalischen  Pomp  des  Rituals  sich 
finden!  Hatten  sie  vorher  ein  Jahrtausend  lang  nur  an  kriegerischen 
Zügen  Freude  gefunden  und  in  der  Stille  der  Wälder  an  einem  ganz 
allgemeinen  und  daher  ganz  primitiven  Naturkultus,  der  grausame 
Opfer  nicht  ausschloss,  sich  genügt,  so  war  wieder  ein  Jahrtausend 
eines  neuen  Lebens  nöthig,  ehe  an  die  Stelle  der  Körperbeschaffen- 

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428  Schloss. 

heit  jener  ersten  Periode  and  der  in  ihr  wurzelnden  Neigungen  neae 
Nerven,  Muskelfasern,  Oehimfibem,  anders  gestaltete  Blutkörperchen 
und  damit  auch  andere  Seelenregungen  traten.    Den  Uebergang  vom 
umherschweifenden  Jagdleben  zur  Zähmung  und  Weide  der  Thiere, 
eben  so  von  der  nomadischen  Freiheit  zur  Ansässigkeit  können  wir 
uns  daher  nicht  langsam  und  schwierig  genug  denken.     Die   Noth 
musste  gross  sein,  ehe  der  Hirt  sich  entschloss,  den  Weidegrund  auf- 
zagraben,  Körner  hineinzustreuen,  deren  Wachsthum  abzuwarten,  den 
Ertrag  ein  Jahr  lang  aufzubewahren  und  so  an  eine  bestimmte  Stelle 
der  Welt  wie  ein  Knecht  und  ein  Gefangener  sich  zu  fesseln.     Fiel 
der  Drang  der  Umstände  weg,  so  wandte  er  sich  sicherlich  wie  ein 
Befreiter   wieder  zum   Wanderleben,    der   inneren    Stimme    folgend. 
Nicht   anders  empfand  auch  der  Jäger  die  Viehzucht   als  Knecht- 
schaft.    Mit  Pfeil  und  Bogen,    mit  dem  geschäiften  Stein  am  Ende 
des  hölzernen  Speeres  durchstreifte  er  frei  die  Wälder,  und  die  An- 
fertigung dieser  Waffen  war  seine  einzige  Arbeit  und  Sorge.     War 
es  ihm  gegluckt,  einen  wilden  Stier  zu  erlegen,  dann  war  Tage  lang 
ein  schwelgerisches  Freudenfest  für  ihn.     Diesen  selben  Stier  oder 
die  Wildkuh  einzufangen,    aufzusparen,    an  Nachfolge  zu  gewöhnen, 
das  Kalb  aufzuziehen,  die  Heerde  auf  der  Weide  zu  bewachen,   die 
Kuh  zu  vermögen,  sich  ruhig  melken  zu  lassen  —  welch  eine  Reihe 
umständlicher,  einengender,  regelmässiger  Verrichtungen !    Um  sie  za 
unternehmen,  musste  die  Jagd  ganz  unergiebig  geworden  und  nach 
keiner  Seite  eine  Flucht  in  die  Weite  möglich  sein.     So  wie  sich 
eine  Zuflucht  öffnete,    war  der  Rückfall  in  das  freie  Jägerleben  un- 
ausbleiblich^^^).   Je  länger  aber  die   neue  Lebensart  zwangsweise 
aufrecht  erhalten  blieb,  desto  mehr  wurde  sie  Naturell:    in  den  Ur- 
urenkcln  begann  der  alte  Trieb  nach  Freiheit  allmählig  zu  erlöschen 
und  Kulturempfindung  schlug  Wurzel.  —  Dass  das  Alles  nicht  bloss 
Phantasie  ist,  sondern  wirklich  so  vorging  und  noch  vorgeht,   lässt 
sich  deutlich  an  den  Thieren  beobachten.     Auch  bei  diesen  werden 
Erfahrungen  der  Voreltern  zum  Instinkt  der  Nachkommen.   Weidendes 
Vieh  rührt  die  Pflanzen  nicht  an,    die  ihm  tödtlich  oder  schädlich 
sind;    bringt  man  es  in  ein  entferntes  Land,  in  einen  andern  Welt- 
theil,  wo  unbekannte  Kräuter  wachsen,  da  weiss  es  nicht  zu  unter- 
scheiden und  siecht  oder  stirbt  an  dem  genossenen  Gift.    Vögel  haben 
eine  unmittelbare  Angst  vor  dem  sie  verfolgenden  Raubvogel,   weil 
fr&here  Generationen  von  diesem  Feinde  bedrängt  worden  und  ihm 
in  einzelnen  Fällen  entgangen  sind.     Wo  der  Mensch  auf  sie  Jagd 
naacht,  fürchten  sie  den  Menschen  aufs  Aeusserste;  wo  er  aus  ii^end 

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Schloss.  429 

einem  Grunde  sie  schont,  da  sind  sie  zutraulich  und  dreist,  auch  ohne 
individuelle  Erfahrung  und  ohne  das  Beispiel  der  Eltern.  Hunde, 
die  längere  Zeit  hindurch  von  irgend  einem  Volke  zu  einer  bestimmten 
Art  Jagd  gebraucht  worden,  werden  mit  ausgesprochenem  Naturtriebe 
gerade  für  diese  Jagd  geboren;  junge  Schäferhunde,  deren  Vorfahren 
Jahrhunderte  lang  zur  Bewachung  der  Heerden  angehalten  worden, 
bringen  eine  unverkennbare  Neigung  und  Geschicklichkeit  zum 
Wächteramt  mit  zur  Welt  Wo  die  Ochsen  der  Landessitte  nach 
nicht  zum  Ziehen  gebraucht  werden,  da  hält  es  schwer,  den  jungen 
Abkönunling  ins  Joch  zu  spannen;  umgekehrt,  wo  dies  schon  frQher 
der  Fdl  war.  Ebenso  lassen  sich  Kühe,  deren  weibliche  Ascendenten 
nicht  gemolken  worden,  nur  schwer  dazu  bewegen,  beim  Melken  stille 
zu  halten.  Die  Haustaube,  haben  wir  gesehen,  wurde  so  vollkommen 
gezähmt,  weil  sie  Jahrhunderte  lang  ein  geheiligter  Vogel  war,  den 
Niemand  anrührte;  der  Haushahn,  weil  er  bei  Persem,  britischen 
Kelten,  Slaven,  Ungarn  u.  s.  w.  dem  Lichtgott  geweiht  und  unverletzlich 
war;  die  Katze,  weil  ägyptischer  Aberglaube,  verbunden  mit  ägyp- 
tischer Geduld,  lange  Zeiten  hindurch  dies  scheue  Raubthier  schonte 
nnd  pflegte.  Die  Summe  der  Erfahrungen  aller  einzelnen  Individuen 
wurde  endlich  zur  veränderten  Natur.  Die  Anwendung  von  diesem 
AUem  auf  den  Menschen  ergiebt  sich  von  selbst.  Auch  bei  diesem 
ist  der  Humanisirungsprocess  ein  langsamer,  das  Werk  der  Zeit,  und 
auch  hier  ist  der  Erfolg  nur  sicher,  wenn  dieselben  günstigen  Ein- 
flösse hinreichend  lange  gewirkt  haben.  Tausend  Jahre  der  Knecht- 
schaft bei  einem  Volke  sind  z.  B.  nicht  durch  einen  einmaligen  Eman- 
dpationsact  auszulöschen,  eine  an  andere  Lebensbedingungen  ge- 
knöpfte Race  nicht  über  Nacht  durch  Erlass  europäischer  Gesetze 
zu  einem  Gliede  der  civilisirten  Familie  zu  machen.  Je  weiter  ur- 
sprünglich der  Abstand^  um  so  länger  die  nöthige  Reihe  von  Ge- 
schlechtem und  die  stille  Arbeit  der  Umwandlung  —  so  lang,  dass 
man  oft  an  der  Möglichkeit  der  Lösung  der  Angabe  überhaupt  ver- 
zweifeln möchte.  Den  code  Napoleon  bei  irgend  einer  barbarischen 
oder  halbbarbarischen  Race  einführen,  den  Soldaten  europäische  Uni- 
formen und  Exerciermeister  geben,  Gasröhren  legen,  eine  Eisenbahn 
darch  das  Land  ziehen  und  beide  durch  europäische  Angestellte  be- 
sorgen lassen,  französisch  abgefasste  diplomatische  Noten  überreichen, 
die  von  einem  im  Hintergrunde  versteckten  europäischen  Sekretär 
geschrieben  worden:  dies  Alles  ist  so  leicht,  wie  jeder  andere  Anputz 
dorch  äussere  Farbe,  aber  nur  die  unreife,  abstrakte  Denkart  der 
Menge  wird  dies  für  einen  grossen  Gewinn  halten.    Eher  könnte,  da 

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430  Schloss. 

das  stille  Wachsthum  von  inDen  und  von  unten  dadurch  gestört  wird, 
nur  eine  ewige  Impotenz  die  Wirkung  sein. 

Wir  haben  gesehen,  vne  die  Flora  der  italischen  Halbinsel  im 
Laufe  der  Geschichte  immer  mehr  den  südlichen  Charakter  an- 
genommen hat.  Als  die  ersten  Griechen  in  Unteritalien  landeten, 
bestand  die  Waldung  noch  vorherrschend  aus  laubabwerfenden  Bäumen, 
die  Buchen  reichten  tiefer  hinab,  als  jetzt,  wo  sie  auf  die  höchsten 
Gebirgsregionen  beschränkt  sind.  Jahrhunderte  später  erblickt  man 
auf  den  Landschaften  an  den  Wänden  Pompejis  schon  lauter  immer- 
grüne Bäume,  laurus  nobilis^  den  Oelbaum,  die  Cypresse,  den  Oleander; 
in  den  letzten  Eaiserzeiten  und  im  Mittelalter  finden  sich  die  Limonen- 
4md  Pomeranzen  bäume  ein,  seit  der  Entdeckung  Amerikas  die  Mag- 
nolien, die  Agaven  und  indischen  Feigen.  Es  kann  keine  Frage 
sein,  dass  diese  Umwandlung  hauptsächlich  durch  Menschenhand  ge- 
schehen ist:  ob  aber  in  Ländern,  wo,  wie  in  den  südeuropäischen 
Halbinseln,  zwei  Vegetationstypen  zusammenstossen,  der  subtropische, 
immergrüne,  und  der  der  gemässigten  Zone,  nicht  der  Zug  und  Trieb 
der  Natur  selbst  das  Bemühen  der  Menschen  unterstützte?  Ob  jene 
mehr  südlichen  Pflanzen  mit  lederartigem  Blatt,  kräftiger  Rinde  und 
mannichfacher  Bewaffnung  nicht  im  sogenannten  Kampf  ums  Dasein 
durch  härteres  Leben  den  Sieg  davontragen  d.  h.  allmählig  bis  dahin 
vordrangen,  wo  erst  mit  dem  Apennin,  dann  mit  den  Alpen  der 
jetzigen  mediterranen  Flora  ein  Gränzwall  gesetzt  ist?  Auch  Deutsch- 
land, Frankreich,  England  haben  sich  zu  historischer  Zeit  bedeutend 
im  südlichen  Sinne  umgestaltet;  dass  aber  nordische  Eulturgewächse 
umgekehrt  über  die  Berge  gestiegen  wären  und  sich  über  Nord-,  dann 
über  Süditalien  ausgebreitet  hätten,  davon  enthalten  die  zwei  bis  drei 
Jahrtausende,  über  welche  unsere  geschichtliche  feinde  reicht,  kein 
Zeugniss.  Ist  es  mit  dem  Menschen  nicht  eben  so,  und  siegt  nicht 
stets  der  dunkelhaarige  über  den  blonden?  Liegt  in  der  Natur  des 
letzteren  nicht  das  Streben,  sich  der  des  ersteren  anzunähern?  Von 
welcher  Complexion  das  Urvolk  der  Indogermanen  gewesen,  wissen 
wir  unmittelbar  nicht.  In  der  Epoche,  wo  wir  es  kennen  lernen,  ist 
es  längst  in  Zweige  gespalten,  deren  Haar-,  Haut-  und  Augenfarbe 
zwei  verschiedene  Typen  zeigt.  Asiaten,  Griechen,  Römer  sind 
schwarz,  Kelten  und  Germanen  blondlockig,  blauäugig,  hellfarbig;  die 
erstem  dabei  von  kürzerer  Statur,  mit  lebhaften  Gesten,  kundige, 
kluge,  braune  Zwerge:  Kelten  und  Germanen  hochaufgeschossene, 
lothwangige  Riesengestalten  mit  wallendem  Haar  (s.  die  Belege  bei 
^uss,  die  Deutschen,  S.  49 ff.,  zu  denen  sich  noch  die  Stelle  des  AmnL 

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Schluss.  431 

Marcell.  15,  12  ffigen  lässt:    ceUwiHs  staturae  et  candidi  paene  OalU 
iunt  omnes  et  rutUi)^^^).     Wie  noch  jetzt  deo  Südländern,  erschien 
auch  dem  Griechen  das  blonde  Haar  als  besonders  schön  und  edel 
und    er  theilte  es   gern  den  jQnglingen  und  Frauen  .seines  idealen 
Helden-  und  Götterkreises  zu.     Nördlich  von  Griechenland,    in  Ost- 
europa, dem  Schauplatz  früher  Yölkermischung,  finden  wir  zwar  auch 
die  helle  oder  röthliche  Haut-  und  Haarfarbe  hin   und  wieder  her- 
vorgehoben,   aber  lange  nicht  mit  solcher  Entschiedenheit,    wie  im 
Westen.     Zwar  die  Budinen  schildert  Herodot  als  ein  Volk  yXavKov 
u  nav  iaxvQdk;  xal  nvQQov^  aber  sie  zeichneten  sich  eben  dadurch 
vor  den  übrigen  Stammen  aus.    Die  Slaven  nennt  nachher  Procopius 
IriBQv^Qoi  d.  L  weder  hell  noch  dunkel,    sondern  etwas  ins  Blonde 
Mend;  Ammianus  gieht  den  iranischen  Alanen  massig  blondes  Haar 
—  crinäms  mediocriter  flavis.     Auch  das  Haar  der  Thraker  und 
Skythen    unterschied    sich   von    dem    griechischen    durch    eine   Ab- 
weichung ins  Helle  und  so  erklärt  sich,  dass  sie  mitunter  ausdrück- 
lich als  weiss,  roth,  weichhaarig  bezeichnet  werden,   in.  den  meisten 
Fällen   aber  ihre  Gleichartigkeit  mit    den   Griechen    stillschweigend 
vorausgesetzt  wird.     Umgekehrt  gelten  die  Aegypter  für  besonders 
schwarz,    dabei  wollhaarig,    also  dem  Negertypus  sich  nähernd  (sie 
sind  bei  Herodot  ^uXayxQoeg  und  ovXoxQLXBg^  bei  Aeschylus  avdqBg 
ßilayxlfioig  yvioiai)^  ebenso  die  Kolcher  (vorsemitische  Autochthonen, 
bei  Pindar  xeXaivaineg)  —  so  dass  wir  uns  die  Griechen  selbst  zwar 
als  südlich  braun,  doch  nicht  vom  tiefsten  Schwarz  zu  denken  haben, 
lo  welchem  von  beiden  Typen  aber,  dem  dunkeln  oder  hellen,  dürfen 
wir  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  das  Abbild  der  Urzeit  erkennen? 
Alles  spricht  dafür,  dass  diejenigen  Stämme,  die  in  historischer  Iso- 
lirong  am  wenigsten   von  der  ursprünglichen  Lebensweise   sich  ent- 
fernt hatten,  nämlich  die  nordischen,   auch  die  leiblichen  Stammes- 
zeichen am  treuesten  bewahrt  hatten.    Wo  sie  seitdem  der  südlichen 
Natur  und  Lebensform  sich  genähert  oder  mit  der  dunkleren  Race 
sich  gemischt  haben,    da  hat  allemal  die   letztere  die  Oberhand  ge- 
wonnen.   Die  Gallier  der  späteren  Römerzeit  sind  schon  weniger  blond 
als  die  Germanen;  daher  die  ersteren,  um  bei  Caligulas  Triumphzug 
Germanen  vorstellen  zu  können,  sich  färben  müssen,    während  doch 
ihre  Stammverwandten  auf  der  britischen  Insel,  die  Caledonier,  noch 
80  rothhaarig  sind  und  so  gestreckte  Glieder  besitzen,  dass  Tacitus 
sie  desshalb  für  Germanen  ansehen  will.     In  ganz  Gallien  ging  im 
Contakt  mit  den  Römern  der  nordische  Typus  in  den  italischen  über; 
ver  erkennt  in  den  nervigen,  sehnigen,    braunen,  gewandten,  kurz- 


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432  Schloss. 

gewachsenen  Bewohnern  des  heutigen  Frankreich  die  hohen,  grob- 
knochigen Albinos-Natoren  der  alten  Kelten,  die,  wie  Cäsar  bemerkt, 
den  Romer  wegen  seiner  Kleinheit  verachteten?  Süddeutschland  oder 
die  Landschaften  längs  dem  Alpenabhang,  der  Donau,  dem  Oberrhein, 
ja  dem  Main  u.  s.  w. ,  tragt  jetzt  mindestens  kastanienbraones  Haar 
und  ist  dem  romanischen  Typus  verwandt;  in  Norddeutschland,  an 
der  Nord-  und  Ostsee,  gleichen  bei  Weitem  nicht  alle  Individuen 
mehr  dem  von  den  Römern  gezeichneten  Bilde.  Goethe,  den  wir  uns 
gern  als  Archegeten  seines  Volkes  denken,  hatte  braune  Augen  und 
braunes  Haar  und  auch  Wilhelm  Meister ,  sein  Ebenbild,  war  nicht 
blond  (Buch  5,  Kapitel  6);  Dorothea,  Hermanns  Geliebte,  hatte 
schwarze  Augen  (6.  Gesang)  —  freilich  stammte  sie  von  der  Grenze 
Frankreichs.  Bei  Mischehen  z.  B.  zwischen  Juden  oder  Griechen  und 
Germanen  zeigt  sich  in  dem  Habitus  der  Nachkommenschaft  die 
grössere  Energie  der  südlichen  Complexion,  die  geringere  Wider- 
standskraft der  nordischen.  Kein  Wunder,  dass  von  den  Gothen, 
Longobarden  u.  s.  w.  in  Italien,  von  den  Franken,  Burgunden,  West- 
gotben  in  Frankreich  und  Spanien  so  wenig  in  der  äusseren  Er- 
scheinung der  Menschen  mehr  zu  erblicken  ist.  Die  Walachen  sind 
als  Resultat  der  buntesten  nordsüdlichen  Mischung  ein  sehr  dunkd- 
haariger,  braungefarbter  Menschenschlag.  Sei  es  nun  in  diesen,  wie 
in  vielen  anderen  von  uns  übergangenen  Fällen  mehr  die  Nahrung, 
also  der  Stoffwechsel,  oder  die  gebildetere  Sitte  überhaupt  oder  endlich 
Vermischung,  was  diesen  Uebergang  der  Incamation  bewirkt  hat, 
inmier  ist  der  Process  jenem  anderen  analog,  durch  welchen  seit  deo 
ältesten  Zeiten  auf  dem  Wege  der  Natur,  hauptsächlich  und  un- 
bestreitbar aber  auf  dem  der  humanen  Kultur  die  Yegetaüonsformen 
des  Südostens  in  den  Westen  und  Norden  vordrangen  und  dort  eine 
andere,  immergrüne,  idealere  Landschaft  schufen  und  den  Gruppen 
und  Bildern  menschlicher  Ansiedelung  andere,  lichtvollere,  bestimmtere, 
reinere  Umrisse  gaben. 


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ANMERKUNGEN. 


1.  s.i. 

B.  Seemann,  Narrative  of  the  voyage  of  H.  M.  S.  Herald  doring  the  years 
1845—51  etc.  London  1853.  Vol.  II.  p.  268  und  275.  —  Diese  wegen  ihres  ob- 
jectiven  Charakters  höchst  schätzenswerthe  Reise  ist  auch  ins  Deutsche  übersetzt 
worden. 

2.    S.  15. 

Die  Eibe,  taxus  baccata^  war  schon  im  Alterthum  als  giftig  gefürchtet,  darum 
ein  dämonischer,  den  Todesgöttem  geweihter  Baum.  Als  Catuvolcus,  ein  König 
der  Eburonen,  an  seiner  Lage  verzweifelte,  nahm  er  sich  durch  Taxusgift  das 
Leben,  Caes.  de  b.  g.  6,  31,  2:  Catuvolcus,  rex  dimidiae  partts  Ehuronuniy  .  . .  taxo^ 
cujui  magna  in  Oallia  Qermaniaque  copia  est,  se  exanimavit.  Wie  bei  den  Alten 
wurde  auch  im  Mittelalter  die  Eibe  gern  auf  Leichenfeldem  gepflanzt,  und  da 
der  Baum  sich  zugleich  durch  eine  ausserordentlich  lange  Lebensdauer  aus- 
zeichnet, so  finden  sich  an  solchen  Orten  auch  jetzt  noch,  besonders  in  England 
nnd  Irland,  uralte  herrliche  Exemplare.  Er  war  nach  Oäsars  so  eben  angeführten 
Worten  in  Mitteleuropa  überaus  häufig,  aber  die  Schönheit  seines  Holzes,  die  es 
den  Drechslern  nnd  Schnitzlem  so  werth  machte,  wie  es  später  das  des  Buchs- 
banms  war,  führte  in  ganzen  Gegenden  zu  seiner  Ausrottung.  Besonders  aber 
zu  Bogen  verwandte  es  die  Urzeit,  die  darin  Bescheid  wusste,  so  ausschliesslich, 
dass  z.B.  das  altnordische  ir,  ^  gradezu  arctis  bedeutet  (wie  /Jt^XCn,  die  Esche, 
bei  Homer  die  Lanze  ist)  und  die  y-Rune  die  Form  eines  Bogens  hat.  So  steht 
auch  das  griechische  t6|ov  der  Bogen  in  naher  Verwandtschaft  mit  dem  lat. 
taxus  und  slav.  tisü  die  Eibe  und  zwar  in  der  Weise,  dass  diese  Wörter  sich  dem 
grossen  Wortstamm  bei  Curtius  no.  235  einordnen:  taxw  ist  das  Material  für  den 
Künstler  in  Holz,  wie  goth.  thaho  argilla  für  den  Bildner  aus  Erde,  und  beide 
könnten  Tvxioc  heissen,  wie  der,  der  bei  Homer  dem  Ajax  seinen  Schild  ans 
sieben  Ochsenhäuten  gefertigt  hat,  oder  auch  Tivxgog,  der  zwar  kein  Werkmeister 
war,  aber,  wie  auch  der  Künstler  muss,  immer  das  Richtige  traf.  —  Ein  anderer 
interessanter  Name  für  den  Baum  geht  durch  die  Reihe  der  Völker  von  Westen 
nach  Osten,  doch  so,  dass  er  in  der  letztgenannten  Weltgegend  mit  dem  Ge- 
wächse selbst  allmählig  erlischt:  altiriäch  eo  (=wus,  wie  heo  =  vivus  n.  s,  "w,), 
kymr.  yir,  com.  hiven ^  hret  ivtn,  in  erweiterter  Form  altirisch  Mar,  ibar,  jubar, 
welches  letztere  noch  heut  zu  Tage  taxus  und  arcus  bedeutet  und  nach  Zeuss'  88 
dem  Namen  der  oben  erwähnten  Eburonen  zu  Grunde  liegt;  spanisch  und  portug. 
wer,  franz.  if,  mit.  ivus;  ahd.  iva,  iga,  ags.  tv,  eöv,  engl,  yew,  dän.  ibe,  schwed.  id; 
ahprenssisch  iiwis  die  Eibe,  lit.  jeva  der  Faulbaum  (aus  jinva,  Joh.  Schmidt,  zur 
Gesch.  des  indog.  Vocalismus,  I.  68),  lett.  eva;  slavisch  tva  die  Weide.  Litauisch 
heisst  der  Eibenbaum  eglus  oder  oglus,  welches  dem  slavischen /s/»  oder  je/a  die 
Tanne  gleich  ist    Im  HeimatUande  der  Slaven  zwischen  den  Quellen  des  Dniepr 

Vict.  Hebn,  Kaltarpflansen.  28 


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434  Anmerkungen. 

und  der  Wolga  wuchs  der  Taxusbaum  nicht  mehr  (wie  auch  die  Buche  nicht  und 
und  wie  aus  demselben  Grunde  die  Finnen  ihr  tamnU  Eiche  aus  dem  slav.  dqbü 
oder  dem  germ.  Hmlfr  gebildet  haben)  und  so  weichen  in  ihrer  Sprache  die  Namen 
iva  und  tisü^  tisa  u.  s.  w.  in  die  Bedeutung  scUix  und  pinus  aus.  Doch  führte 
frühzeitig  der  Handelsverkehr  Eibenholz,  daraus  gefertigte  Eimer,  Bogen  u.  s.  w. 
aus  den  Rheingegenden  an  die  Ostsee,  wo  der  Baum  seltener  wurde,  Yon  da  zu 
den  Aisten  und  Wenden,  wo  er  ganz  aufhörte.  —  Dass  übrigens  neben  dem 
eibenen  auch  der  hörnerne  Bogen  im  Gebrauch  war,  lehren  Zeugnisse  des  früheren 
Alterthums  und  des  fernen  Ostens.  So  wendet  in  der  Odyssee  Odjsseus  seinen 
Bogen  hin  und  her,  um  zu  sehen,  ob  ihm  in  der  langen  Abwesenheit  die  Würmer 
nicht  das  Hom  durchbohrt  haben,  und  so  besitzt  in  der  Dias  der  Troer  Pandaras 
einen  Bogen,  den  ihm  der  xegao^oos  lixnoy  aus  den  Hörnern  eines  wilden  Stein- 
bocks  verfertigt  hat.  Auch  die  Ungarn  werden  uns  bei  ihrem  Erscheinen  im 
Abendlande  als  mit  Hornbogen  bewafEnet  geschildert:  auf  ihren  B^mem  sitzend 
und  die  Zähne  bleckend  sandten  sie  von  diesen  Bogen  ihre  sichern,  auch  ver- 
gifteten Pfeile  ab.  Im  Nibelungenliede  heisst  daher  einer  von  Etzels  Mannen 
nicht  ohne  Bedeutung  Homboge. 

8.    S.  15. 

Ein  Bild  dieser  frühesten  Wagen  geben  uns  noch  heut  zu  Tage  die  Karren 
der  Nogaier,  die  sogenannten  Arba^s.  Räder  und  Achse  drehen  sich  zusammen; 
da  sie  nie  mit  Fett  oder  Theer  geschmiert  werden,  so  bewegen  sie  sich  mit  einem 
widrigen,  weit  durch  die  Steppe  hörbaren  Aechzen.  Die  Nogaier  sind  stolz  auf 
dies  Gekreische  und  sagen:  wir  sind  keine  Diebe,  man  hört  uns  schon  von  Weitem 
( J.  V.  Blaramberg,  Erinnerungen,  I,  Berlin  1872,  S.  101).  Aehnliche  Wagen,  denen 
man  die  Herkunft  aus  ältester  Zeit  ansieht,  haben  sich  auch  sonst  noch  erhalten. 
Als  die  Oesterreicher  im  Herbst  1878  in  Bosnien  einrückten,  schrieb  ein  Augen- 
zeuge von  dort:  „Kein  bosnischer  Bauer  hat  einen  Wagen,  an  welchem  auch  nnr 
ein  Loth  Eisen  ist.  Räder,  Achsen,  Nägel  —  Alles  von  Holz.  Ein  Reif^  ein  Be- 
schlag sind  unbekannte  Dinge;  ein  sechsspänniger  bosnischer  Bauerwagen  macht 
ein  Geschrei,  das  einem  auf  eine  halbe  Meile  durch  Mark  und  Bein  geht  Dass 
man  ein  Wagenrad  schmieren  könne,  darauf  ist  der  Bosniak  noch  nicht  ver- 
fallen." —  Gewiss  glichen  die  Wagen  der  Cimbem  bei  Verona  im  Jahre  101 
vor  Chr.  den  jetzigen  bosnischen  auf  ein  Haar. 

4.    8.15. 

Das  Schaf  ist  ein  altes  Eulturthier,  aber  die  Kunst  es  zu  scheeren  war  den 
frühem  Menschengeschlechtern  unbekannt;  vielmehr  wurde  die  Wolle  mit  den 
Händen  abgerissen.  Noch  im  neunzehnten  Jahrhundert  fand  C.  J.  Graba  (Tage- 
buch geführt  auf  einer  Reise  nach  Färö  i.  J.  1828,  Hamburg  1830)  auf  den  ent- 
legenen Faröem  diese  Sitte  in  Kraft:  nachdem  er  S.  200 ff.  das  dabei  beobachtete 
Verfahren  ausführlich  beschrieben,  fügt  er  hinzu:  „Dies  sieht  grausamer  aus,  als 
es  ist,  denn  nur  diejenige  Wolle,  welche  fast  von  selbst  ausfällt,  wird  abgerissen, 
die  übrige  bleibt  sitzen  und  wird  vierzehn  Tage  später  genommen.*'  In  Italien 
war  selbst  zu  Yarros  und  Plinius  Zeit  das  Ausrupfen  noch  nicht  ganz  abgekommen, 
Plin.  8,  73:  ovei  non  uhique  tonderUur^  durat  guibusdam  in  /ocis  vellendimos;  nach 
Yarro  de  r.  r.  2,  11,  9  Hessen  diejenigen,  die  die  ältere  Methode  bei- 
behalten hatten,  die  Thiere  drei  Tage  lang  hungern,  damit  die  Wolle  sich 
leichter  ablöse.  Ja  Yarro  weiss  sogar  nach  einem  Öffentlichen  Document  den 
Zeitpunkt  anzugeben,  wo  aus  Sicilien  die  ersten  Schafscheerer  (natürlich  mit  den 
nöthigen  künstlichen  Scheeren)  nach  Italien  kamen,  2,  11, 10:  o7nnmo  tonsores  in 
Italia  primum  verUsae  ex  Sicilia  dictmt  post  R,  c.  o.  CCCCLlIlIy  ut  scriptum  » 


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Anmerkungen.  435 

publice  Ardeae  in  literis  extat^  eosque  adduxUse  P.  Ticinium  Menam,  Sie  kamen 
«OB  Sicilien  d.  h.  die  Griechen  waren  auch  hierin  die  Lehrer.  Oh  in  der  epischen 
Zeit  das  Schaf  schon  geschoren  oder  ihm  die  Wolle  noch  ausgerupft  wurde,  kOnnte 
nach  der  einen  homerischen  Stelle,  die  drauf  Bezug  nimmt,  fraglich  scheinen, 
IL  12, 451: 

toi  (T  or*  Ttoifdriy  ^(la  t^igfi  noxov  uQaivo^  o/6f, 
XffQ^^  laß<oy  h^QH,  oXfyoy  S4  ^iv  ax^og  fmfyiu 
Also;  Hector  höh  den  schweren  Stein  so  leicht  auf,  wie  der  Schäfer  —  entweder 
das  geschorene  Vliess  oder  das  Bündel  ausgerupfter  Wolle.   Aber  das  Wort  noxog 
spricht  für  die  zweite  der  beiden  Deutungen,    //oxoc  n&mlich,  so  wie  das  Verbum 
TttUtty  bei  Hesiod  Op.  et  d.  775:  ör»  nt^xar  und  bei  Theokrit  5,  98: 
ttXk*  fyoj  (s  x^"'^"^  fittXttxoy  noxoy^  onnoxa  nt^tj 
läy  oly  rny  ndXay^  KgaifSq  «foipiiffo/ictr  avroi  — 
ist  der  specifische  Ausdruck  für  carpere  lanam  im  Gegensatz  zu  xilgtiy^  xnQtjyat, 
scheeren,  abschneiden.    In  der  Odyssee  18,  814  ruft  Odjsseus  den  Mftgden  zu: 
Gehet  ins  Haus  zu  Eurer  Herrin  und  unterhaltet  sie;   dreht  bei  ihr  sitzend  die 
Spindel  oder  zupfet  die  Wolle  mit  den  H&nden:    5  «^C«  7rt{x€7i  x^QO^y  —  dem 
Rupfen  und  Zupfen  liegt  zugleich  das  Kämmen  nahe  (^nixitir^  pectere,  pecten), 
welches  mit  dem  Scheeren  nichts  gemein  hat    Diese  Urbedeutung  von  nixny 
wird  aufs  schönste  durch  das  identische   litauische  Verbum  p^$zH  (sz  =  k)  be- 
stätigt, welches  noch  heut  zu  Tage  raufen,  rupfen  bezeichnet.    Nicht  anders  ist 
slavisch  runo  das  Vliess  aus  rüvati  rupfen  gebildet;  dass  auch  vellus  nach  vellere 
so  benannt  sei,  hielt  Varro,  der  mehrmals  drauf  zurückkommt,  für  unzweifelhaft: 
Neuere  freilich,   wie  Corssen,   trennen  beide  Wörter,  indem  sie  v&llu$  zu  I^iok, 
oiJlof,  vellere  aber  zum  gothischen  vilvan  rauben  (d.  h.  eigentlich  zerren)  stellen. 
Varro  de  1.  1.  5,  8  führt  auch  die  Meinung  Einiger  an,  die  Velia^  der  Nebenhügel 
des  Palab'n,   habe  diesen  Namen  von  der  Gewohnheit  der  palatinischen  Hirten 
ihren  Schafen  an  jenem  Orte  die  Wolle  auszuraufen  —  woraus  wir  wenigstens 
ersehen,  dass  man  sich  jene  ältesten  Schäfer  nicht  mit  der  Scheere  in  der  Hand 
dachte.  —  Mit  der  Wolle  der  Schafe  ging  es,   wie  mit  dem  menschlichen  Haar 
zu  Zeiten  der  Trauer.    Dass  Verzweifelnde  es  sich  ausrauften,   war  bei  der 
leidenschaftlichen  Geberdensprache  des  Südens  und  des  Alterthums  in  der  Natur 
gegründet  und  so  braucht  in  solchem  Falle  Homer  das  Verbum  iCXXtiv^  xlXXfodai^ 
welches  ein  eigentliches  Ausraufen  besagt;    dass  in  späterer  Zeit,   wo  das  Haar 
nicht  mehr  der  Stolz  des  Mannes  war.  Trauernde  sich  das  Haupt  und  den  Bart 
sc  hören,  war  bloss   ein  conventionelles  Zeichen  und  so   erscheint  in  andern 
Partien  des  Epos  und  in  der  spätem  Dichtersprache  statt  jenes  Ausdrucks  der 
andere:    xitguy^  x((Q(o&ai,  —  Wie  frühe   im  Orient   die   Sitte,    das  Schaf  zu 
scheeren,  sich  einfand,  wissen  wir  nicht  genau;  auf  jeden  Fall  geschah  dies  früher, 
als  in  Griechenland.    Da  schon  in  den  ältesten  Theilen  der  Bibel  die  Abnahme 
der  Wolle  als  ein  ländliches  Freudenfest  erscheint,  so  hat  dies  neuem  Auslegern 
Anlass  gegeben,  an  eine  gemeinsame,  zu  bestimmter  Frist  vorgenommene  Schur 
zu  denken.    Sehr  bündig  freilich  ist  dieser  Schluss  nicht.    Man  erwäge  auch,  dass 
die  Schafheerden  der  Patriarchen  nicht  ausschliesslich  oder  vorzugsweise  wegen 
des  Wollertrages  gehalten  wurden,  dass  das  Schaf  vielmehr  neben  der  Milch  haupt- 
sächlich dazu  bestimmt  war,  geschlachtet  und  gegessen  zu  werden  und  sein  Fell 
zur  Kleidung  und  zum  Ruhelager  abzugeben. 

5.    S.15. 

Siehe    des   Verfassers    Schrift:    Das   Salz.     Eine    kulturhistorische    Studie. 
Berlin  1873.    Reichhaltiger  ist  das  Buch  von  M.  J.  Schieiden:   Das  Salz.    Seine 

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436  Anmerkungen. 

Geschichte,  seine  Symholik  und  seine  Bedeutung  im  Menschenlehen.  Eine  mono- 
graphische Skizze.  Leipzig  1875,  das  den  Gegenstand  von  allen  Seiten  zu 
fassen  sucht. 

Wir  benutzen  diese  Gelegenheit,  einige  kurze  Nachträge  zu  unserer  so  eben 
genannten  Studie  zu  geben. 

Nach  einem  Aufsatz  von  R.  Ludwig  in  dem  Archiv  für  Hessische  Geschichte 
und  Alterthumskunde,  Band  XI,  Darmstadt  1867,  S.  46  ff.,  war  das  Bad  Nauheim 
zwischen  Frankfurt  und  Giessen  eine  altkeltische  Saline.  Man  hat  dort  ausser 
keltischen  Silbermünzen  und  Broncegefässen  keltischen  Ursprungs  auch  thöneme 
Töpfe  zum  Salzsieden  gefunden.  Welchem  keltischen  Volke  gehörte  dies  Salz- 
werk an?  Vielleicht  den  Bojem,  da  die  Helvetier  in  ihrer  firühem  Zeit  möglicher 
Weise  bis  an  den  Mwn  wohnten,  doch  diesen  Flnss  schwerlich  überschritten 
haben.  Oder  wurde  auch  hier  mitten  im  germanischen  Lande  ein  Siedwerk  von 
Kelten  zwangsweise  oder  für  Lohn  betrieben?  —  Den  Namen  der  *Akavyo£  bei 
PtolemÄus  aus  dem  keltischen  kaloin  zu  deuten,  wie  wir  S.  33  mit  Zeuss  gethan 
haben,  ist  desshalb  bedenklich,  weil  die  Verwandlung  des  8  in  /*  in  früherer  Zeit 
nur  sporadisch  auftritt  und  erst  gegen  £nde  der  römischen  Herrschaft  allgemein 
wird.  Wohl  aber  könnte  im  Namen  der  keltischen  Salassi,  die  in  den  höchsten 
Alpen  sassen,  der  Begriff  des  Salzes  stecken;  dann  würde  auch  \7as  Appian 
niyr.  17  von  ihnen  erzählt  (sie  hätten  sich  den  Römern  wegen  Mangels  an  Salz 
ergeben  müssen;  später,  als  sie  wieder  abgefallen  waren,  hätten  sie  zum  Behuf 
der  Vertheidigung  eine  Menge  Salz  in  ihren  Bergen  aufgespeichert),  eine  sagen- 
hafte, zu  dem  Namen  in  irgend  einer  Beziehung  stehende  Motivirung  enthalten. 
—  Was  S.  49  über  den  Ursprung  des  Namens  Heilsbronn  vermuthet  worden,  wird 
durch  das  in  Zeitschr.  für  deutsches  Alterthura,  Neue  Folge,  Band  VI,  S.  153 ff. 
Angeführte  widerlegt.  —  Die  Saline  Salzungen  an  der  Werra  kommt  schon  in 
einem  Diplom  Karls  des  Grossen  vom  Jahr  775  vor  (bei  Wenck,  Hessische  Landes- 
geschichte, Band  3,  Urkundenbuch  No.  5):  ad  SaUunga  super  flavium  Uuisera .... 
%M  patelloH  ad  sah  facere  ponuntur,  —  Der  Fluss  Halys,  den  zuerst  Herodot 
nennt  und  der  nach  Strabo  12,  3, 12  nach  den  Salzquellen  benannt  ist,  an  denen 
er  vorüberfliesst,  hat  die  griechische  Form  seines  Namens  von  den  hellenischen 
Ansiedlem  an  der  pontischen  Küste.  Wenn  aber  in  dem  armenischen  agh{$ar) 
das  <7Ä  =  /  ist  und  das  anlautende  «  in  iranischer,  auch  griechischer  Weise  in 
Aspiration  übergegangen  oder  ganz  weggefallen  ist,  dann  würde  auch  die  ar- 
menische Sprache,  die  schon  nach  Europa  weist,  das  europäische  Wort  sal  be- 
sessen und  der  Name  des  Flusses  vielleicht  ursprünglich  ein  phrygisch-armenischer 
sein.  —  Harinc^  herinc  wird  von  Müllenhoff  auf  unmittelbar  treffende  Weise  aus 
dem  Deutschen  als  Heerfisch,  in  Schwärmen  ankommender  Fisch  gedeutet  (V.  Rose 
im  Hermes  VIII,  1874.  S.  226).  Damit  fällt  ein  Theil  der  Schwierigkeiten  weg, 
es  bleibt  aber  das  altn.  stld^  lit.  silke^  slav.  seidig  das  nur  Salzfisch  bedeuten  kann. 
Auch  wie  das  Problem  von  Saale  =  Salzfluss,  Hall  =  Salzwerk  anders  gelöst  werden 
soD,  als  durch  Annahme  keltischer  Lautform  für  das  letztere,  sehen  wir  noch 
immer  nicht  ein. 

6.    S.  16. 

Diese  unterirdischen  Wohnungen  finden  sich  in  den  verschiedensten  Gegenden; 
es  sind  die  olxoi  vnavjQoi  xai  xarnaxtot  der  Saken  bei  Aelian,  die  von  Xenophon 
beschriebenen  oixiai  xnrnystoi  der  Armenier,  die  demersae  in  humwn  sedes  und 
specus  aut  subfoasa  der  Satarchen  bei  Mela,  die  defossi  specus  der  Skjrthen,  die 
subterranei  specus  der  Germanen,  die  gegen  die  Kälte  von  oben  mit  Mist  bedeckt 
waren,  ahd.  und  mhd.  tunc,  woher  unser  Dung,  Dünger,  screona  in  der  lex  Salica, 


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Anmerkungen.  437 

altfranzösisch  escregne  u.  s.  w.  (s.  Wackemagel  bei  Binding,  Geschichte  des  bur- 
gnndisch-romanischen  Königreichs,  1,  S.  333,  der  das  Wort  für  deutsch  hält  und 
niit  dem  ags.  scrdf  antrum  zusammenstellt).  Griechische  Ausdrücke  für  solche 
Erdhöhlen  sind  yuTnj,  yvnaQiov  (bei  Hesjchius  und  Suidas,  Aristoph.  Equ.  790, 
altslavisch  zupiSte^  zupUUte  =  cumuhts,  sepulcrum,  polnisch  iupa  =  sali»  fodina\ 
qualiog^  la  (ptoUa  (auch  in  der  Form  yoiAeoc),  rpoJyAij,  wovon  derYolksname  der 
Troglodjten  am  arabischen  Meerbusen  und  am  Kaukasus  u.  s.  w.  AUmählig  hob 
sieh  das  Rasendach  und  die  Höhle  unter  dem  Hause  diente  nur  noch  zur  Winter- 
wohnung und  zum  Aufenthalt  der  Weiber.  Doch  hat  sich  jene  älteste  Sitte  noch 
hin  und  wieder  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten,  und  der  Fremdling,  der  sich 
einem  solchen  Dorfe  nähert,  hält  die  kaum  erhobenen  Dächer  für  natürliche  Auf- 
schüttungen des  Bodens.  Wo  in  Russland  Erdarbeiten  vorgenommen  werden  z.  B. 
bei  Führung  einer  Eisenbahn,  da  ist  das  Erste  der  Bau  solcher  Höhlen:  ein 
trichterförmiges  Loch,  Stufen  zur  Seite,  darüber  Baumstämme  mit  Rasen  belegt 
und  die  Wohnung  ist  fertig.  Die  walachischen  Bauerhütten,  die  sog.  bordeiu, 
haben  einen  schräg  geneigten  Eingang;  im  Innern  findet  sich  zuweilen,  doch 
selten,  ein  Fenster,  das  mit  einem  Stück  Papier  verklebt  ist  und  nur  wenig  Licht 
einlässt.  Gegen  Ende  des  Herbstes  werden  alle  Ritzen  verstopft,  Thüren  von 
Flechtwerk  angebracht  und  unterirdische  Ställe  gegraben  (s.  darüber  das  unter- 
richtende Buch  von  C.  Allard,  la  Bulgarie  Orientale,  Paris  1864).  Der  Mangel 
an  Lüftung  macht  diese  troglodytischen  Behausungen  zu  einem  ganz  unerträg- 
lichen Aufenthalt;  die  drin  herrschende  stinkende  und  erstickende  Atmosphäre 
treibt  selbst  die  stumpfen  Bewohner  zuweilen  in  die  Winterkälte  hinaus.  Dazu 
die  entsetzliche  Flohnoth,  über  die  alle  Reisenden,  hier  wie  durch  ganz  Sibirien, 
klagen.  Die  Flöhe  zwingen  buchstäblich  auch  den  Eingeborenen,  wenn  die 
Jahreszeit  es  irgend  erlaubt,  draussen  zu  schlafen,  die  Hauptursache  der  häufigen 
Wechselfieber.  Die  Insecten  besetzen  die  unterirdische  Wand  oft  so  dicht,  dass 
diese  wie  mit  einem  schwarzen  Schimmer  überzogen  erscheint.  Li  den  primitiven 
Zeiten  und  mehr  nach  Norden  hin,  wo  die  Winter  lang  sind  (z.  B.  in  Scandinavien, 
ehe  die  südliche  Kultur  bis  dahin  drang),  mussten  die  gleichen  Umstände  in 
demselben  oder  in  erhöhtem  Masse  wirken,  und  wer  sich  die  Vorzeit  vergegen- 
wärtigen will,  wird  gut  thun,  diese  Züge  des  Bildes  nicht  ausser  Acht  zu  lassen. 
Und  hier  sei  es  uns  erlaubt,  noch  einer  andern  Wohlthat  der  Kultur  zu  gedenken. 
Die  sibirischen  Reisenden,  von  Pallas  und  Humboldt  bis  auf  die  neuesten  herab, 
sind  einstimmig  in  Schilderung  der  Qualen,  die  ihnen  die  im  Sommer  die  Luft 
erfüllenden  xmd  Menschen  und  Thiere  anfallenden  Mücken,  Schnaken,  Kanker, 
Stechfliegen,  Bremsen  u.  s.  w.  bereiteten  (z.  B.  von  Middendorff,  Sibirische  Reise, 
Band  4,  S.  830ff.).  Sich  gegen  diese  Blutsauger  zu  vertheidigen,  ist  unmöglich; 
es  giebt  nur  ein  Mittel  gegen  sie:  ihnen  den  Boden  der  Existenz  entziehen,  d.  h. 
Entsumpfung  und  Entwaldung.  Deutschland  war  vor  der  Römerzeit  in  dieser  Be- 
ziehung sicher  dem  heutigen  Sibirien  ganz  gleich  (Middendorff  a.  a.  0. :  „Es  kann 
keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  unsere  Altvordern  auch  im  Kerne  Europas  den- 
selben Qualen  ausgesetzt  gewesen  seien,  welche  den  Reisenden  in  allen  Ur- 
gegenden  so  unausstehlich  peinigen/  „Den  Zweifler  daran,  ob  die  Kultur  der 
Menschheit  wirklich  zum  Vortheil  gereicht  habe,  schicke  man  in  die  ümatur  zu 
den  Moskitos."  „Die  Moskitoplage  ist  offenbar  die  Hauptursache  der  Wanderungen 
der  Rennthiere  und  des  Rothwildes").  Zwar  wird  die  Haut  der  alten  Deutschen 
gegen  Lisektenstiche  innerhalb  und  ausserhalb  des  Hauses  viel  abgehärteter  ge- 
wesen sein,  als  die  des  jetzigen  gebildeten  Europäers,  aber  wo  die  Haut  un- 
empfindlich ist,  da  ist  es  auch  Geist  und  Seele. 


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438  Anmerkungen. 

7.  S.  16. 

Dass  die  germanische  Sitte,  den  Sch&del  des  erlegten  Feindes  znm  Trink- 
gefäss  za  machen,  nicht  etwa  von  den  skythischen  oder  später  den  türkischen 
Nachham  im  Osten  stamme,  wird  durch  den  gleichen  Gebrauch  bei  den  Kelten 
in  früher,  vorgermanischer  Zeit  bewiesen.  Die  Bojer  in  Oberitalien  verfahren  so 
mit  dem  Kopfe  des  gefallenen  römischen  Consuls  Postumius,  Liv.  23,  24:  purgato 
inde  capite,  ut  mos  ü$  est,  calvam  auro  caelavere  idque  sacrum  vtu  üs  erat,  quo 
soUemnibtis  libarent  poculutnqtte  idem  sacerdoti  esset  ac  templi  anttstibtts,  und  von 
der  Vorzeit  der  keltischen  Scordisker  in  Illyrien  braucht  Amm.  l(arc.  27, 4  die 
Worte:  humanum  sanguinein  in  ossibus  capitum  cavis  bibentes  avidius, 

8.  S.  16. 

Der  Brauch,  Greise  aus  der  Welt  zu  schaffen,  herrschte  bei  Germanen  des 
Festlandes  und  Scandinaviens,  bei  Wenden,  Litauern  und  —  Römern,  s.  Grimm  RA., 
Cap.  4  am  Schluss  des  ersten  Bandes.  Auch  von  iranischen  Völkern  wird  Aehn- 
liches  berichtet,  so  von  den  Bactrem  (Strab.  11, 11,  3),  von  den  Kaspiem  (11, 11,8), 
den  Massageten  (11,  8,  6)  u.  s.  w.  Das  Greisenalter,  y^paf ,  ist  unerträglich  und 
selbst  die  Götter  hassen  es,  hymn.  in  Ven.  247: 

ovXo^iyov,  xajLtajfiQoy,  8  tt  aivy^ovoi  i^toC  mg. 
Der  Greis  selbst  wünscht  sich  hinweg  und  bittet  die  Seinigen  ihn  abzuthun. 
Naturvölker  sind  nicht  sentimental,  wie  auch  heutige  Bauern  nicht,  und  der  Tod 
eines  Verwandten,  der  Gedanke  des  eigenen  Todes  lässt  sie  gleichgültig.  Was 
Herodot  5,  4  von  dem  thrakischen  Volke  der  Trauser  erzählt,  sie  beklagten  das 
Neugeborene,  da  ihm  die  Leiden  des  Lebens  noch  bevorstünden,  und  priesen  den 
Tod  als  Befreiung  von  denselben,  und  was  Theognis  v.  425 ff.,  so  wie  Euripides 
in  der  berühmten  Stelle  aus  dem  Kresphontes  ausdrückte  (Nauck,  Euripidis  fi«g- 
menta,  Lipsiae  1869,  no.  452): 

iX9*i^  yo(i  i5^«ff  avkloyoy  notovfiiyovs 

joy  (fvyta  Ogr^ytTy  eis  da   iQxetat  xaxa^ 

toy  d*ttv  dayoyia  xnX  noyojy  ntnav^iyoy 

XttCgoyjtts  fvq)fjuovyictg  fxni/itnfiy  cfo^oiv  — 
—  dies  ist  im  Grunde  die  Anschauung  aller  Völker  auf  einer  gewissen  Ent- 
wickelungsstufe  der  erwachten  Reflexion.  Ein  Schritt  weiter  ist  es  dann,  sich 
mit  einem  bessern  Leben  jenseits  des  Todes  zu  trösten,  unter  Wegdenkung  aller 
Schranken  der  Endlichkeit,  wie  die  Geten  thaten,  die  Herodot  ol  ddayatC^oyiH 
nennt. 

9.  S.16. 

Die  Sitte  der  Menschenopfer  und  grausamer  Todtenbestattung  blickt  bei  allen 
indoeuropäischen  Stänmien  unheimlich  aus  dem  Dunkel  ihrer  Vorzeit  hervor  und 
schwindet  wie  jeder  reb'giöse  Wahn  nur  allmählig  je  nach  der  erreichten  Stufe 
der  Menschlichkeit  oder  der  Berührung  mit  gereifteren  Völkern.  Was  die  Griechen 
und  Römer  betrifft,  so  beziehen  wir  uns  in  dieser  Hinsicht  auf  die  reichhaltigen 
Sammlungen  in  der  Schrift  von  E.  v.  Lasaulx:  die  Sühnopfer  der  Griechen  und 
Römer  (in  den  Studien  des  klassischen  AJterthums,  Regensburg  1854,  ^\  S.  233ff) 
und  auf  Welcker,  Gr.  Götterlehre,  2  S.  769ff,  Auch  für  die  nordischen  Völker 
liegen  zahlreiche  Zeugnisse  vor,  die,  je  weiter  von  Westen  nach  Nordosten,  in 
immer  spätere  Zeit  hinabreichen.  Als  Alexander  der  Grosse  gegen  die  Taulantier, 
ein  illjrisches  Volk,  und  ihre  Nachbaren  anrückte,  schlachteten  diese,  bevor  sie 
die  Waffen  erhoben,  drei  Knaben  und  eben  so  viel  Mädchen  und  drei  schwarze 
Widder  (Arrian.  1,  5, 11).    Die  keltischen  Skordisker  opfern  die  gefangenen  Feinde 


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Anmerkungen.  439 

ihren  barbarischen  (jöttem,  Amm.  Marc.  27,  4:  Scorduciy  saevi  guondam  et  trucesy 
kmtiis  capHvorum  Bell<mae  litantes  et  Marti . , .  Eben  so  thnn  die  Galater  in 
Eldnasien:  der  Proconsnl  Cn.  Manlins  sagt  in  einer  Bede  im  Senat,  Liy.  38,  47, 
die  umwohnenden  Völker  seien  von  ihren  VerheerongsEugen  betroffen  worden, 
qtium  vis  redimendi  captivoi  copia  e$$ei  ei  mactatoi  kumcmaa  hostias  immolatosqtte 
liberos  suos  audirent.  Von  den  Galliem  im  eigentlichen  Gallien  berichtet  Cäsar 
anderthalb  Jahrhunderte  sp&ter,  de  b.  g.  6, 16:  Qui  sunt  affecti  gravioribxu  morbi$ 
quique  in  proeliis  periculisgue  versantur^  aut  pro  victimis  homnes  immohmt  aut  se 
immolaturos  vovent  admvmtrisque  ad  ea  sacrißcia  druidibu»  utuntur^  quody  pro  vita 
bominü  nisi  hominis  vita  reddatur^  non  posse  deorum  immortalium  numen  placari 
arbitrantur  publicegtte  ejusdem  generis  habent  instituta  aacrißcia,  und  Mela  bestStig^ 
dies  mit  dem  Ausdruck  des  Schauders,  3,  2,  8:  gentes  superbae^  superstitiosae,  ali- 
quando  etiam  immanes  adeo^  ut  hominem  optimam  et  gratissimam  Diis  victimam 
caederent.  Denselben  mordsüchtigen  Glauben  finden  wir  bei  den  Germanen,  Tac. 
Germ.  9:  Deorum  maxime  Mercurium  colunt^  cui  certis  diebus  humanis  quoque 
kostüs  litare  fas  habent:  39:  stato  tempore  in  siivam  . . .  coeunt  caesoque  publice 
homine  celebrant  barbari  ritits  horrenda  primordia,  Jord.  6:  Quem  Martern  Gothi 
semper  asperrima  placavere  cuitura  (nam  victimae  g'us  mortes  fuere  captorum), 
opinantesy  bellorum  praesulem  apte  humani  sanguinis  ^^tsione  placandum.  Procop. 
de  b.  g.  2, 15:  rtüy  ^i  hgeitoy  aqiai  i6  xdXXtaioy  ny&gtonog  iaxty^  ovntQ  av 
doQtttlojJoy  xrof^aavro  TiQ^ioy  lovioy  yoQ  rtß  ^Aqu  &vovoiy^  (ntl  d-ioy  avtby 
vojufCovai  /iiytaioy  tlyat  {ol  BovXTrai).  Als  die  Bömer  unter  Germanicus  das 
Schlachtfeld  betraten,  auf  dem  die  Legionen  des  Varus  von  den  Barbaren  um- 
zingelt worden  waren,  da  lagen  noch  die  Glieder  der  Pferde  umher,  auf  Baum- 
stämmen staken  deren  Köpfe,  in  den  nahen  Hainen  standen  noch  die  Altftre,  an 
denen  die  Kriegstribunen  und  obersten  Centurionen  geschlachtet  worden;  einige 
üeberlebende  zeigten  die  Stätten  der  Galgen,  an  denen  die  Soldaten  aufgehängt, 
die  Gruben,  in  denen  die  Leichname  verscharrt  worden  waren  u.  s.  w.  (Tac. 
Ann.  1,  61).  Nach  der  wüthenden  Schlacht  zwischen  Chatten  und  Hermunduren, 
von  der  bei  Tacitus  Ann.  13,  57  die  Rede  ist  und  in  welcher  die  Erstem  unter- 
lagen, wurde  alles  lebend  Ergriffene  nach  den  Worten  des  Geschichtschreibers 
der  Vernichtung  geweiht,  occisioni  dantur.  Ans  dem  Zucken  der  Muskelfasern, 
dem  Sprudeln  des  Blutes  im  Opferkessel,  der  Lage  der  Eingeweide  wurde  zugleich 
von  den  Weissagerinnen  das  kommende  Schicksal  gedeutet.  So  bei  den  Cimbem, 
Strab.  7,  2,  3:  „In  Begleitung  ihrer  Weiber  befanden  sich  heilige  Prophetinnen, 
grauhaarig,  weiss  angethan,  in  linnenen  spangenbefestigten  Umwürfen,  mit  ehernem 
Gürtel,  barfüssig;  diese  ergriffen  mit  dem  Schwert  in  der  Hand  die  Gefangenen 
im  Lager,  führten  sie  in  der  Opferverhüllung  zu  einem  grossen  etwa  zwanzig 
Amphoren  fassenden  ehernen  Kessel,  stiegen  die  Stufen  hinan,  die  zu  ihm  hin- 
aufführten, und  schnitten  hinübergebengt  jedem  Gefangenen  die  Kehle  ab:  aus 
dem  in  den  Kessel  hinabströmenden  Blute  weissagten  sie,  während  Andere  die 
Leiber  aufschnitten  und  aus  den  Eingeweiden  den  Sieg  verkündigten.''  Auch 
bei  den  Scandinaviem  waren  Menschenopfer  im  grossen  Stil  im  Schwange.  Die 
Dänen  feierten  alle  neun  Jahr,  wie  Thietmar  von  Merseburg  berichtet,  in  ihrer 
Hauptstadt  Lethra  ein  grosses  Opferfest,  bei  dem  neunundnennzig  Menschen  und 
eben  so  viel  Pferde  geschlachtet  wurden;  dies  thaten  sie,  wie  Thietmar  erläutert, 
um  sich  vor  den  Rachegöttem  von  aller  Schuld  zu  reinigen:  putantes^  hos  eisdem 
erga  in/eros  servituros  et  commissa  crimina  apud  eosdem  placaturos.  Dieselbe  Be- 
deutung eines  stellvertretenden  Sühnopfers  hatte  wohl  auch  das  ganz  ähnliche 
grosse  Fest,  das  die  Schweden  nach  Adam  von  Bremen  4, 27,  alle  neun  Jahre  in 
Upsala  begingen:   dort  wurden  von  allem  Männlichen  neun  Köpfe  dargebracht, 


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440  Anmerkungen. 

die  Körper  aber  im  nahen  Hain  an  Bäumen  aufgehängt  und  der  Verwesung  über- 
lassen und  Menschen  und  Hunde  hingen  dort  zusammen  —  das  Scholion  137 
setzt  noch  berichtigend  oder  ergänzend  hinzu:  „neun  Tage  lang  opfern  sie  jeden 
Tag  einen  Menschen  nebst  anderen  Geschöpfen,  so  dass  es  in  neun  Tagen 
72  Geschöpfe  werden;  dies  Opfer  findet  um  die  Frählingsnachtgleiche  Statt"  In 
schweren  Landesnöthen  oder  zum  Ausdruck  besonderen  Dankes  wurden  den 
Göttern  auch  ausserordentlicher  Weise  Menschenleben  dargebracht,  wie  die  alt- 
nordische Sagengeschichte  lehrt  (Grimm  DM,  Kapitel  Gottesdienst).  Auf  der 
gegenüberliegenden  Küste  der  Ostsee,  in  Estland  d.  h.  bei  den  Preussen,  sah  es 
nicht  anders  ans,  Adam.  Br.  de  situ  Daniae  224:  Dracones  adorant  cum  volucribus 
quKms  etiam  vivos  Ixbani  homines,  quos  a  mercatoribus  emuni,  diligerUer  omnino  pro- 
batos^  ne  maculam  in  corpore  habeant.  —  Ebenso  allgemein,  wie  diese  religiöse 
Sitte,  war  die  andere,  ihr  verwandte,  am  Scheiterhaufen  Verstorbener  Frauen, 
Knechte,  Gefangene,  Pferde  abzuschlachten.  Achilleus  im  23.  Buch  der  Ilias 
opfert  dem  Schatten  des  Patroklos  Bosse,  Hunde  und  zwölf  junge  Trojaner,  die 
er  sich  selbst  zu  diesem  Zweck  lebend  gefangen  hat,  und  auf  seinem  eigenen 
Grabe  wird  später  die  Polyxena  geopfert,  wie  in  der  *lXiov  tkqoCs  des  Arctinus 
zu  lesen  stand.  Bei  den  Galliern  wurden  noch  kurz  vor  Cäsars  Zeit  Knechte 
und  Schützlinge,  die  dem  Herrn  besonders  lieb  gewesen  waren,  mit  ihm  ver- 
brannt, de  b.  g.  6,  19:  paulo  supra  hone  mcmoriam  servi  et  cüentesj  quos  ab  ü» 
diUctos  esse  constabat,  justis  funeribus  con/ectis  una  cremabantur ,  und  Verwandte 
sprangen  auf  den  brennenden  Holzst^ss,  um  sich  mit  dem  Todten  zu  vereinigen, 
Mela  3,  2,  3:  olim  —  erant  qui  se  in  rogos  suormn^  velut  una  victuri,  libenter  im- 
müterent.  Bei  gewissen  Thrakern  drängten  sich  die  Frauen  des  Verstorbenen  zu 
der  Ehre,  an  seiner  Gruft  geschlachtet  zu  werden  —  wie  HerodotÖ,  5  erzählt; 
diejenige,  der  es  gelingt,  so  für  die  geliebteste  erachtet  zu  werden,  wird  von 
Allen  gepriesen  und  mit  dem  Manne  begraben,  die  übrigen  aber  bejammern  ihr 
Loos  und  tragen  grosse  Schande.  Dasselbe  in  noch  ausführlicherer  Schilderung 
berichtet  Mela  2,  2,  4  als  allgemein  thrakische  Sitte.  Bei  den  fierulem  (und 
also  wohl  auch  den  ihnen  näher  verwandten  Nachbarvölkern  an  der  Ostsee)  er- 
hängt sich  die  Frau  am  Grabe  ihres  Gatten  mit  einer  Schlinge:  die  dies  unter- 
lassen wollte,  würde  sich  ewiger  Schmach  und  zugleich  dem  Hasse  der  Ver- 
wandten ihres  verstorbenen  Mannes  aussetzen  (Procop.  de  b  g.  2, 14).  Bekannt 
sind  die  grausamen  Begräbnisse  der  Skythen  bei  Herodot4,  71  und  72:  wenn 
der  König  gestorben  ist,  wird  eine  der  Beischläferinnen  erdrosselt  und  mitbegraben, 
ebenso  der  Mundschenk  und  der  Koch  und  der  Marschalk  und  der  Leibdiener 
und  der  Bote  und  die  Pferde  u.  s.  w. ,  ums  Jahr  aber  werden  eben  so  fün&ig 
Diener,  die  der  König  aus  der  Zahl  seiner  Unterthanen  sich  gewählt  hatte  — 
denn  gekaufte  giebt  es  bei  ihnen  nicht  — ,  erwürgt  und  eben  so  fünfzig  der 
schönsten  Pferde.  Auch  bei  den  Slaven  wird  die  Frau  mit  dem  verstorbenen 
Manne  verbrannt,  wie  der  h.  Bonifacius  und  später  Thietmar  übereinstimmend 
melden,  Brief  des  Bonifacius  und  anderer  Bischöfe  an  den  König  Aethilbald 
von  Mercia  (zwischen  den  Jahren  744  und  747,  bei  Jaff^,  Monumenta  Moguntina 
p.  172) :  Winediy  quod  est  foedissimum  et  deterrimwn  genus  hominum ,  tarn  magno 
zelo  matrimonii  amorein  mutuum  ohservani^  ut  mulier,  viro  proprio  mortuOj  vivere 
recuset.  Et  laudabilis  mulier  inter  illos  esse  judicatur,  quia  proprio  manu  sibi 
mortem  intulit  et  in  una  strue  pariter  ardeat  cum  viro  stto;  Thietmar  von  Merse- 
burg 8,  2  von  den  Polen:  In  tempore  patris  sui  (d.  h.  des  Vaters  von  Boleslav 
Chrabry),  cum  is  jam  gentilis  esset,  unaquaeque  mulier  post  viri  exequias  sui  igne 
cremati  decollata  subsequitur.  Auch  die  Preussen  gaben  dem  Todten  Pferde, 
Knechte  und  Mägde,  Jagdhunde  u.  s.  w.  mit,  Petrus  von  Dusburg  3,  5  (Scriptores 


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Anmerkungen.  441 

lenan  prassicamm  I  p.  54):  unde  eontmgebat  quod  cum  nobiiibus  mortuü  armat 
eqvi,  servi  et  ancillae,  vesies,  ccmes  vmalici  et  avea  rapacei  et  alia  gyae  spectant 
od  mUtiam  werentur,  und  sie  müssen  bei  ihrer  Bekehrung  versprechen,  dass  sie 
ki  Todtenbestattnngen  in  Zukunft  keine  Pferde  oder  Menschen  mehr  mitver- 
brennen  oder  mithegraben  wollen,  Dreger  Cod.  Pomeran.  diplom.  no.  191,  vom 
Jahre  1249,  Friedensvergleich  zwischen  dem  deutschen  Orden  und  den  Preussen: 
firomüenmt  quod  ipsi  et  keredes  eorum  in  mortuü  combwrendis  vel  8ubterrandi$  cum 
equia  iive  hominibus  vel  cum  armis  seu  veatibm  vel  guibuscumgue  alü'i  preciosis 
rebus  vel  etiam  in  cJiis  guibuscumgue  ritus  gentilium  de  cetera  non  servabimt  Aber 
Gedimin,  der  Grossfurst  des  mehr  östlich  gelegenen  Litauen,  wo  sich  das  Heiden- 
tfaom  und  überhaupt  die  europäische  Vorzeit  am  längsten  erhielt,  wurde  noch 
gegen  das  Jahr  1341 ,  also  zur  Zeit  Petrarcas  und  der  beginnenden  Kenaissance, 
folgendermassen  bestattet  (Stryjkowski,  Kronika  polska,  Ende  des  XL  Buches): 
^  wurde  ein  Scheiterhaufe  von  Fichtenholz  errichtet  und  darauf  der  Leichnam 
gelegt,  in  den  Kleidern,  die  der  Lebende  am  meisten  geliebt  hatte,  mit  dem  Säbel, 
dem  Speer,  dem  Köcher  und  Bogen.  Dann  wurden  je  zwei  Falken  und  Jagd- 
hunde, ein  lebendiges  gesatteltes  Pferd  und  der  getreueste  Lieblingsdiener  unter 
Wehklagen  der  umstehenden  Kriegerschaar  mitverbrannt.  In  die  Flamme  wurden 
Luchs-  und  Bärenkrallen  geworfen,  so  wie  ein  Theil  der  dem  Feinde  abgenommenen 
Beute,  endlich  auch  drei  gefangene  deutsche  Ritter  lebendig  verbrannt.  Nachdem 
die  Flamme  erloschen  war,  wurde  die  Asche  und  das  Gebein  des  Fürsten,  des 
Dieners,  des  Pferdes,  der  Hunde  u.  s.  w.  gesammelt  und  in  einem  Grabe  an  der 
Stelle,  wo  die  Flüsschen  Wilna  und  Wilia  zusammenfliessen,  niedergelegt  und 
mit  Erde  bedeckt.**  lieber  den  Leichenbrauch  der  skandinavischen  Germanen  be- 
lehrt uns  die  Edda  im  dritten  Lied  von  Sigurd  dem  Fafuirstödter:  Brunhild  giebt 
sich  nach  Sigurds  Ermordung  selbst  den  Tod  und  ordnet  sterbend  an  (nach 
Simrocks  üebersetzung): 

Dem  Hunengebieter 

Brennt  zur  Seite 

Meine  Knechte  mit  kostbaren 

Ketten  geschmückt: 

Zwei  zu  Häupten 

Und  zwei  zu  den  Füssen, 

Dazu  zwei  Hunde 

Und  der  Habichte  zwei. 

Also  ist  Alles 

Eben  vertheilt. 
Dies  war  das  Todtengefolge  für  Sigurd,  für  sich  selbst  verlangt  sie: 

Ihm  folgen  mit  mir 

Der  Mägde  fünf. 

Dazu  acht  Knechte 

Edeln  Geschlechts, 

Meine  Milchbrüder 

Mit  mir  erwachsen. 

Die  seinem  Kinde 

Budli  geschenkt. 
Wie  es  die  Ost-Scandinavier  hielten,  die  unter  dem  Namen  Russen  den  Osten 
Europas  als  Krieger,  Räuber  und  Herrscher  durchzogen  und  unterwarfen,  ersehen 
^  aus  zwei  Meldungen,  die  eine  eines  Byzantiners,  die  andere  eines  Arabers, 
beide  um  so  wichtiger,  als  sie  dem  zehnten  Jahi'hundert  angehören,  bis  wohin 
OÄsere  übrigen  Quellen  nicht  reichen.    Leo  Diac.  ed.  Hase  9,  6  p.  92:   Die  Russen 


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442  Anmerkungen. 

unter  Swietoslav  in  Dorostolum  eingeschlossen,  liefern  den  Griechen  auf  dem 
Felde  vor  den  Mauern  häufige  Gefechte.    Einst,   als  wieder  ein  solcher  Kampf 
Statt  gefunden  hat,  in  welchem  Ikmor,  der  zweite  im  Range  nach  Swietoslav,  ge- 
tödtet  worden,  sammeln  die  Barbaren  Nachts  bei  Vollmond  die  Leichname  und 
verbrennen  sie  auf  Scheiterhaufen,   während  auf  denselben  zugleich  nach  väter- 
licher Sitte  (xarä  lov  nuTQiov  yo/uoy)  die  meisten  der  Kriegsgefangenen,  Männer 
und  Weiber,  geschlachtet  werden.   Sie  bringen  dazu  auch  Todtenopfer  {(yayiafiovi)y 
indem  sie  auf  der  Donau  Säuglinge  und  Hähne  erwürgen  und  sie  dann  im  Strom 
versenken.    Noch  ausfuhrlicher  ist  die  Beschreibung,  die  der  Araber  Ibn-Fosilan 
bei  Frähn  S.  13  ff.  von  einem  russischen  Leichenbegängniss  giebt,   dem  er  im 
Jahre  921  oder  922  als  Augenzeuge  beiwohnte.    Ein  Häuptling  war  gestorben  und 
eins  seiner  Mädchen,  das  sich  meldete,  starb  mit  ihm.    Der  Todte  ward  auf  dem 
Schiflf  in  halbsitzender  Stellung  auf  einem  Ruhebett  niedergelegt,  ein  Hund  in  zwei 
Theile  zerschnitten  und  ins  Schiff  geworfen,   alle  Waffen  des  Todten  ihm  bei- 
gegeben, zwei  Pferde  zerhauen  und  die  Stücke  ins  Schiff  geworfen,  eben  so  zwei 
Ochsen  u.'  s.  w.    Während  das  Mädchen  von  den  Männern  mit  einem  Strick  er- 
drosselt wurde,   stach  ihr  gleichzeitig  ein  altes  Weib,   das  sie  den  Todesengel 
nennen,  mit  einem  Messer  ins  Herz,  drauf  wurden  beide  Leichname  mit  den  Bei- 
gaben verbrannt.    Während  des  Abschlachtens   machten  die  Männer  mit  ihren 
Schilden  ein  Getöse,  um  das  Todesgeschrei  des  Mädchens  zu  übertönen,  welches 
andere  Mädchen  in  ähnlichem  Falle  hätte  abgeneigt  machen  können,   sich  mit 
ihrem  Herrn  wiederzuvereinigen.    Vor  dem  Tode  hatte  sie  ihre  beiden  Armbänder 
abgezogen  und  sie  dem  Todesengel  gegeben  (der  Araber  nennt  dies  alte  Weib 
einen  „Teufel  mit  finstrem,   grimmigem  Blick",   s.  oben  die  grauhaarigen  Pro- 
phetinnen der  Cimbem),  eben  so  ihre  beiden  Beinringe  und  sie  zwei  ihr  dienenden 
Mädchen,  den  Töchtern  der  alten  Mörderin,  gereicht  u.  s.  w.    Wir  übergehen  die 
übrigen  Einzelheiten,  die  diesen  Bericht  zu  eindm  der  kostbarsten  Denkmale  des 
frühen  nordischen  Alterthums  machen     J.  Grimm  freilich  (in  seiner  Schrift  über 
Leichenverbrennung)  geht  widerwillig  an  dieser  Erzählung  vorbei,  die  ihm  seine 
Kreise  stört;   der  Schöpfer  der  deutschen  Alterthumskunde  war  trotz  Allem  ein 
Zögling  der  romantischen  Zeit  und  sein  Absehen,  im  Gegensatz  zum  achtzehnten 
Jahrhundert,   hauptsächlich  drauf  gerichtet,   in  der  nationalen  Vorzeit  die  Züge 
tiefen  Sinnes   aufzudecken.  —  Die  obigen  Belegstellen  Hessen  sich  leicht  noch 
vermehren,  doch  reichen  die  gegebenen  hin,  die  Allgemeinheit  dieser  Sitte  und 
ihr  hohes  Alterthum  zu  beweisen.    Wenn  wir  heut  zu  Tage  die  Stein-  oder  Erd- 
grüfte der  europäischen  Urzeit  aufwühlen  und  ihren  Moder  auseinanderschütten, 
so  pflegen  wir  nicht  daran  zu  denken,  wie  viel  Gräuel,  wie  viel  Angst  und  Ent- 
setzen vergangener  Tage  hier   an  jedem  Stäubchen  haften!   Nichts  aber  fuhrt 
tiefer  ein  in  die  Gemüthsart  jener  frühen  Menschengeschlechter  und  die  finstre 
Gefangenschaft  ihres  Geistes,   als  das  Bild  dieser  Frauen,   die  wetteifernd  sich 
zum  Feuertode  drängen  müssen,  der  Diener,  die  zu  Dutzenden  dem  Herrn  mit- 
gegeben, der  zappelnden  Gefangenen,  die  im  düstem  Walde  oder  über  dem  grossen 
Kessel  geschlachtet  werden.    In  Gallien  war  der  Mord  bei  Leichenbegängnissen 
schon  vor  der  Ankunft  der  Römer  ausser  üebung  gekommen  —  durch  die  Macht 
zunehmender  Bildung  — ,  aber  die  religiösen  Menschenopfer  mussten  erst  durch 
strenge   Verbote    der  römischen   Kaiser   ausgerottet  werden,   Suet   Claud.  25: 
Druidarum  religionem   apud    Gallos   dirae  immanitatis  .  .  .   penitus   aholevü.     In 
fesselnder  Weise  malt  uns  Tacitus  die  Scene  bei  Eroberung  der  Insel  Mona  an 
der  britannischen  Küste  (des  heutigen  Anglesea),  in  deren  heiligem  Hain  die  Ge- 
fangenen bluteten,   ganz  wie  im  Heiligthum  der  Nerthus  oder  im  Teutoburger 
Walde  nach  der  Varus-Schlacht:  das  Ufer  war  mit  einer  bewafbeten  Menge  dicht 


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Anmerkungen.  443 

b^etzt,  weibliche  Furien,  in  die  Farbe  des  Todes  gekleidet,  mit  fliegendem  Haar, 
schwangen  hin-  und  herstreifend  die  Fackel  in  den  Händen,  die  Druiden  heulten 
mit  erhobenen  Armen  zum  Himmel  auf  —  Alles  vergebens,  die  Römer  erzwangen 
die  Landung  und  fällten  die  geweihten  Bäume,  die  Zeugen  blutiger  Mysterien 
seit  Jahrhunderten,  Ann.  14,  30:  excisique  lud,  saevis  superstitionibui  sacri,  nani 
cruore  captivo  adolere  aras  et  hominum  fibris  consulere  deos  fas  hahebant.  Dass 
die  blutigen  Begräbnisse  in  Gallien  von  selbst  abkamen,  die  religiösen  Menschen- 
opfer aber  nur  der  Gewalt  wichen,  beweist,  wie  viel  leichter  das  populäre  Her- 
kommen bei  steigendem  Lichte  sich  auflöst,  als  der  Wahnwitz  der  durch  einen 
festen  Friesterstand  bewachten  Glaubenssatzung.  Bei  den  Germanen,  Litauern, 
Wenden  war  es  erst  das  Christenthum,  das  der  letztem  ein  Ende  machte:  wenn 
man  sich  bisweilen  versucht  fühlt,  den  plötzlichen  Abbruch  der  organischen  Ent- 
wickelung  naturfrischer  Völker  durch  die  Bekehrung  zum  semitischen  Christen- 
thnm  zu  bedauern,  so  darf  man  sich  nur  solcher  Züge  des  heidnischen  Lebens 
erinnern,  um  sich  mit  dessen  unvermitteltem  Untergang  zu  versöhnen.  —  Wir 
fiigen  noch  hinzu,  dass  auch  jedes  erste  Beginnen,  jede  Unternehmung  und 
Gründung  Menschenblut  verlangte,  als  Bürgschaft  des  Erfolgs  oder  der  Dauer, 
eben  so  jedes  Geheimniss,  denn  nur  der  Tod  ist  völlig  stumm.  Als  die  Sachsen 
sich  gezwungen  sahen,  die  Westküste  Galliens  zu  verlassen  und  nach  Hause  zu 
schiffen,  da  wurde  der  Sitte  gemäss  jeder  zehnte  Gefangene  grausam  umgebracht 
and  dann  erst  der  Anker  gelichtet,  Sidon.  Apoll.  Ep.  8,  6 :  mos  est  remeaturis  de- 
cimum  quetnque  captorum  per  aeguales  et  cructarias  poenas^  plus  ob  hoc  tristi  quod 
superstitioso  ritu,  necare.  Die  schon  zum  Christenthum  bekehrten  Franken  machten 
mrter  ihrem  König  Theudebert  einen  Zug  nach  Italien,  um  das  Gothenreich  unter 
Witigis  zu  bekriegen:  im  Begriff  den  Po  bei  Pavia  zu  überschreiten  und  also  den 
eigentlichen  Krieg  zu  beginnen,  opferten  sie  die  dort  vorgefundenen  Kinder  und 
Weiber  der  Gothen  und  warfen  die  Leichname  in  den  Strom  —  als  Erstlings- 
spenden der  Unternehmung,  Procop.  de  bell.  goth.  2,  25:  naiödg  i€  xal  yvyaixag 
my  rot&üty^  ovgniQ  iytuüi>u  tvgoyj  Ugivoy  rs  xal  avrdiy  t«  aiofxaia  h  roy 
noxttfjiov  äxQo9£vta.  lov  noX^fiov  igotnjovy.  Bei  Aufbau  von  Vesten  und  Brücken 
wird  ein  Lebendiges  vermauert  (Grimm  DM.'  S.  1095 ff.),  bei  Anlage  von  Städten 
durch  einen  niedergemetzelten  oder  lebendig  vergrabenen  Menschen  dem  Boden 
Festigkeit  und  Sicherheit  gegeben.  Als  z.  B.  Seleucus  Nicator  die  Stadt  Antiochia 
am  Orontes  gründete,  da  wurde  grade  in  der  Mitte  der  Anlage  und  des  Flusses 
durch  den  Oberpriester  eine  Jungfrau,  xogt]  naodivo^^  geschlachtet  und  diese  als 
das  Glück  der  Stadt  angesehen  (Job.  Malalas  8  p.  256  ed.  Oxon.).  So  wurde  an 
der  Stätte,  wo  Moskau  1147  angelegt  werden  soUte,  der  Besitzer  des  Ortes, 
Kutschko,  in  einem  Teich  ersäuft,  ebenso  Krakau  (nach  der  Ursprungsage  bei 
Kadlubek)  auf  dem  Felsen  des  von  den  beiden  Söhnen  des  Krakus  getödteten 
Drachen  gegründet,  nachdem  der  jüngere  Bruder  den  altern  umgebracht, 
wie  Romulus  den  Remus  u.  s.  w.  Wo  Schätze  niedergelegt  werden,  wo  im  Aller- 
beiligsten  eine  Handlung  vorgeht,  von  der  Niemand  berichten  darf,  da  müssen 
die  dienenden  Arbeiter  sterben.  Der  Wagen  und  die  Kleider  und  das  Bild  der 
Nerthus,  der  Mutter  Erde,  wurden  in  einem  verborgenen  See  gewaschen  und  drauf 
die  Knechte,  die  dabei  behülflich  gewesen,  in  eben  dem  See  ersäuft.  Als  König 
Alarich  in  Unteritalien  plötzlich  gestorben  war,  leiteten  seine  Gothen  einen  Fluss 
ab,  begruben  den  Todten  in  den  Boden  und  Hessen  das  Wasser  wieder  drüber 
strömen;  damit  aber  Niemand  die  Stätte  wieder  auffinde,  wurden  die  dabei  ge- 
brauchten Gefangenen  umgebracht,  Jord.  29:  collecto  captivorum  agmine  sepulturae 
locum  ^odiunt .  ,  .  ne  a  quoquam  quandogue  locus  cognosceretur  fossores  omnes 
interemerunt.    Lange  vorher  hatte  Decebalus,  der  König  der  Daker,  seine  Schätze 


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444  Anmerkungen. 

in  ganz  ähnlicher  Weise  vor  dem  Kaiser  Trajan  zu  hüten  gesucht,  wie  Cassius 
Dio  68, 14  erzählt:  er  grub  den  Fluss  Sargetias,  der  an  seiner  Eönigsburg  vor- 
überfloss,  ab,  versenkte  sein  Gold  und  Silber  in  den  Boden  und  leitete  dann  den 
Fluss  wieder  drüber,  verbarg  auch  seine  prächtigen  Gewänder,  die  von  der  Feuch- 
tigkeit hätten  leiden  können,  in  einer  Höhle  und  liess  dann  die  Kriegsgefangenen, 
von  denen  beide  Arbeiten  ausgeführt  waren,  tödten,  damit  Keiner  etwas  davon 
verrathen  könne.  Es  half  ihm  freilich  nichts,  denn,  wie  Dio  weiter  berichtet, 
wurde  der  Vertraute  des  Königs,  BiMlis,  von  den  Kömem  gefangen  und  brachte 
das  Geschehene  an  den  Tag.  Den  Inhalt  der  Schatzhäuser  in  Kriegsnöthen  vor 
dem  Feinde  zu  bergen,  war  überhaupt  bei  allen  alten  Völkern  die  ewige  Sorge 
und  gewiss  verdanken  wir  diesem  Umstand  manchen  antiquarischen  Fund,  den 
wir  gemacht  haben  oder  in  Zukunft  noch  machen  werden. 

Wir  haben  uns  bei  allem  Obigen  auf  die  indoeuropäischen  Völker  beschränkt; 
dass  die  geschilderte  Sitte  aber  auch  über  den  Kreis  derselben  hinausgeht,  lehrt 
z.  B.  folgende  Stelle  des  Livius,  Epit.  49:  exstarU  tres  orationes  ejus  (Servii  Sulpicü 
Galbae)  —  una  in  qua  Lusitanos  propter  sese  castra  haberUes  caesos  /atetur,  quod 
compertum  hahuerit,  eqiMt  atque  homine  suo  ritu  immolatU^  per  speciem  pacis  adoriri 
exercitum  suum  in  animo  hahuisse.  Also  auch  die  Lusitaner,  ein  iberisches  Volk, 
opferten  bei  Beginn  einer  kriegerischen  Unternehmung  einen  Menschen  und  ein 
Pferd! 

Um  dies  düstere  Kapitel  mit  einem  heiteren  Zuge  zu  beschliessen,  wollen 
wir  noch  an  einen  Vorgang  aus  der  jüngsten  Geschichte  erinnern.  Als  Friedrich 
Wilhelm,  der  letzte  Kurfürst  von  Hessen,  gestorben  war  (in  Pi'ag,  Januar  1874), 
zogen  die  acht  isabellfarbigen  Pferde,  die  er  so  sehr  geliebt  hatte,  den  Leichen- 
wagen, sowohl  in  Prag,  als  später  bei  der  Bestattung  in  Kassel  —  und  sollten, 
einer  Zeitungsnachricht  zufolge,  nach  diesem  letzten  Dienst  erschossen,  also 
ihm  in  die  himmlischen  Gefilde  mitgegeben  werden,  wie  auch  den  Königen  der 
Skythen  ihre  Pferde  nachgeschickt  wurden. 

10.    S.  16. 

Unter  den  zahlreichen  Belegen  für  das  Looswerfen  der  alten  Völker  wollen 
wir  hier  nur  des  ergreifenden  Vorfalls  erwähnen,  von  dem  Cäsar  de  b.  g.  gegen 
Ende  des  ersten  Buches  berichtet.  Cäsar  hatte  zwei  Abgesandte  in  das  Lager 
des  Ariovistus  geschickt,  um  dessen  Vorschläge  entgegenzunehmen,  den  ihm  nahe 
befreundeten  Gajus  Valerius  Procillus,  einen  durch  Tugend  und  Bildung  ans- 
gezeichneten  jungen  Mann,  der  zugleich  der  gallischen  Sprache  kundig  war,  und 
den  M.  Metius,  der  mit  Ariovistus  auf  dem  Fusse  der  Gastfreundschaft  stand. 
Kaum  aber  hatte  Ariovistus  die  beiden  Römer  erblickt,  als  er  laut  ausrief:  Ihr 
seid  Spione,  ihnen  das  Wort  abschnitt  und  sie  in  Ketten  werfen  liess.  Es  folgte 
die  Schlacht,  die  mit  der  Flucht  der  Germanen  endigte;  bei  der  Verfolgung  stiess 
Cäsar  selbst  auf  den  dreifach  gefesselten  Valerius  Procillus  und  entriss  ihn  den 
Händen  der  ihn  mitschleppenden  Wächter.  Der  Befreite  erzählte,  wie  nur  der 
Zufall  ihn  gerettet  habe:  dreimal  sei  vor  seinen  Augen  das  Loos  darüber  ge- 
worfen worden,  ob  er  sogleich  zu  verbrennen  oder  für  spätere  Gelegenheit  auf- 
zusparen sei;  dreimal  sei  ihm  das  Loos  günstig  gewesen  und  so  sei  er  noch  am 
Leben.  Cäsar  war,  wie  er  selbst  sagt,  über  den  eben  errungenen  Sieg  nicht  höher 
erfreut,  als  über  diese  Rettung,  und  der  erstere  wäre  ihm  verdüstert  worden, 
wenn  sein  theurer  Freund  unter  den  Händen  der  Barbaren  geblieben  wäre.  Auch 
M.  Metius  ward  aufgefunden  und  Cäsar  wieder  zugeführt. 


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Amnerkimgen.  445 


11.    S.17. 

Uolii  und  populus  gehen  auf  den  Begriff  Fülle,  Menge  zurück,  thiuda  (woher 
unser  deutsch,  Deutschlands,  auch  in  den  italischen  Sprachen  und  im  Keltischen 
and  Litauischen  lebendig,  ist  aus  der  Wurzel  tu  =  crescere^  tumere  erwachsen,  das 
deutsche  Leute,  slav.  yudü  populus,  altpreussisch  Ivdis  der  Herr,  der  Wirth,  der 
Mensch,  lettisch  laudis  Leute,  Volk  hat  seinen  Boden  in  dem  noch  vorhandenen 
gotldschen  Verhum  liudan  =  pullulare,  das  slavische  narodü  genta,  populwty  homineSy 
wmdw  in  roditi  generare ,   parere  u.  s.  w.    Wir  lassen  uns  hier  auf  dies  reiche 
Hiema,  das  uns  zu  weit  fuhren  würde,  nicht  ein  und  wollen  nur  des  altberühmten 
Namens  der  Gothen  gedenken,  aus  dem  der  Naturgeist  der  ältesten  Zeiten  ver- 
nehmlich spricht.    Denn   dass   dieser  Name   aus   dem  Yerbum  gtutan^   giessen, 
gnecL //dtf,  \bL  fundo  zu  erklären  ist,   leidet  keinen  Zweifel.    Die  Gothen  sind 
g?«t,  prq/usiy  wie  die  Menschen  überhaupt,  wie  die  Blätter  des  Waldes,  die  der 
Wind  herahstreut  und  der  Frühling  hervortreibt,  wie  das  Gewimmel  der  Fische 
nnd  die  Keime  des  Lebens  überall.    Jes.  Sir.  14, 19:   „Gleichwie  die  grfmen  Blätter 
auf  einem  schönen  Baum  etliche  abfallen,  etliche  wieder  wachsen,  also  gehets  mit 
den  Leuten  auch,  etliche  sterben,  etliche  werden  geboren."    Homer  U.  6,  146: 
So  wie  der  Blätter  Geschlecht,  so  sind  die  Geschlechter  der  Menschen. 
Blätt«r  ja  schüttet  (x^fi)  zur  Erde  der  Sturm  jetzt,  andere  sprossen 
Neu  im  grünenden  Wald  und  wieder  gebiert  sich  der  Frühling: 
Also  der  Menschen  Geschlecht,  dies  treibt  und  das  andre  verschwindet. 
Sollte  ich  mit  dir,  sagt  Apollo  E.  21,  462 ff.  zu  dem  Erderschütterer,  der  armen 
Sterblichen  wegen  kämpfen,   die  den  Blättern  gleichen  und  bald  blühen,  bald 
vergehen? 

Die  Kikonen  zogen  heran,  wie  Blätter,  Od.  9,  51 : 

Zahllos  kamen  sie  nun,  wie  Blätter  und  Blüten  im  Frühling, 
ebenso  die  Achäer,  wie  Blätter  oder  Sandkörner,  D.  2,  800: 

Denn  wie  die  Blätter  des  Waldes,  wie  Sand  an  des  Meeres  Gestaden 
Ziehn  sie  daher  in  der  Ebene. 
Homer  sagt  (pvXltoy  x^aic,  Hesiod  Op.  et  d.  421: 

vXr^  tfvXlrc  J*lo«f€  X^^'t 
and  Pindar  von  der  Saat,  Pyth.  4,  42: 

(VQV^OQOV  oniQfjia  nniv  Sgag. 
Dasselbe  Verhum  bei  Homer  vom  Gedränge  der  Menschen  und  Thiere,  so  II.  5, 141 
von  den  Schafen,  die  fliehend  sich  drängen  (x/;^i/vTni),  H  16,  259  von  den  Myr- 
midonen,  die  unter  Patroklus  Führung  wie  ein  Wespenschwarm  sich  ergiessen 
{f^Z^oyru)^  D.  2,  465  von  dem  achäischen  Volk,  das  auf  die  Ebene  um  den 
Scamander  heranrückt  (nooxiovto)^  D.  15,360  von  den  Troern,  die  zum  Kampfe 
herbeiströmen  (^(io;^^oi^o),  D.  19,222  von  der  Fülle  der  Halme,  die  das  Erz  in 
der  Schlacht  niederstreut  (]^x^viv\  Od.  22,  387  von  den  Fischen,  die  schnappend 
am  Ge^stade  übereinander  wimmeln  (ief/vyini)  u.  s.  w.  Bei  Aristoteles  Hist. 
anim.  5,  9,  32  sind  x^rol  Xxf^viq  Zugfische,  die  sich  schwännend  drängen  und  mit 
Netzen  gefangen  werden;  Hesychius  hat  ein  reduplicirtes  xoxv  mit  der  Bedeutung 
viel,  reichlich,  der  Scholiast  zu  Theokrit  2, 107  ein  sonst  unbekanntes  Substantiv 
xbyoi  =  reichliche  Strömung.  Noch  näher  zum  lateinischen,  gothischen  und 
albanesischen  Worte  (alban.  hetk  huth  ich  giesse,  werfe)  stehen  xoxväio)  reichlich 
fliessen  (bei  Theokrit),  x*'^^  reichlich,  haufenweise,  ;fi;Jni(^öi,  ;^üJ«ro?,  /i/(f«iVjT/', 
Xv^aiow^  Xv^atoiTjg  —  Alles  vom  Volksmässigen,  daher  Gemeinen  und  Gewöhn- 


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446  AmnerkungeiL 

liehen.    Dass  auch  lat.  fundo  von  der  zeugenden  Kraft  der  Erde  gebraucht  wird, 
lehren  SteUen,  wie  Lucret.  5,  917: 

tempore  quo  primum  tellus  animaUa  fudit^ 
Cic.  terra  fruge»  fundit^  Verg.  fundü  vtctum  tellus,  fundit  humus  ßoresvLS.w. 
Grade  so  heisst  altnordisch  gjöta  parere,  procreare,  got  oder  gota  fetura  piscium, 
während  die  Bedeutung  giessen  in  dieser  Mundart  fast  erloschen  ist.  So  sind  die 
Gothen  des  Festlandes,  die  Gutox  oder  Outans,  und  die  scandinavischen  Gautar 
und  Ootar  nichts  als  die  Ergossenen  d.  h.  die  Erzeugten,  die  aus  dem  Schosse 
der  Erde  Geborenen,  die  Fülle  der  Lebendigen  (wie  die  Welt  gothisch  manaseth 
d.  h.  Menschensaat  heisst),  ein  Name,  der  yiel  alterthümlicher  ist,  als  die  stolzen 
Composita,  mit  denen  sich  keltische,  auch  germanische  Völker  in  jüngerer  histo- 
rischer Zeit  schmückten.  —  In  der  litauisch-slavischen  Sprache  ist  giutan  spurlos 
verloren  und  wird  durch  slav.  lijati,  litt  fundere,  lit.  leti  fundere,  letas  /usus,  /y/i 
pluere,  lytus  oder  letus  pluvia  ersetzt.  Es  liegt  nahe,  den  Namen  Litauens  und 
der  Litauer:  Letuva,  Letuvü  aus  diesem  Wortstamm  zu  deuten,  wie  den  der 
Gothen,  ihrer  Nachbarn  und  Kulturverwandten,  aus  giutan, 

12.    S.  17. 

Das  griech.  x^^'^h  äolisch  ;f/Ailio(  ist  neuerdings  dem  skr.  Bcdiasra,  send. 
hazanra  gleichgesetzt  worden.  Wenn  dies  richtig  ist  —  was  wir  dahingestellt 
sein  lassen  — ,  dann  haben  die  Griechen,  wie  milU  und  ihusundi  lehren,  ihr  Wort 
für  tausend  aus  Asien,  der  Heimat  der  grossen  Zahlen  und  der  Riesenperioden, 
entlehnt,  wie  sie  auch  aus  dem  zendischen  baevare  oder  einer  der  entsprechenden 
westiranischen  Formen  mit  der  gewöhnlichen  Vertauschung  von  b  und  m  ihr 
uvnioi  bildeten.  Benfey  meinte,  die  übrigen  europäischen  Völker  hätten  auf  der 
Wanderung,  wie  überhaupt  ihre  alte  Kultur,  so  auch  ihre  gemeinsame  Bezeiclmnng 
der  Zahl  tausend  eingebüsst  und  sie  sich  nachmals  wieder  neu  schaffen  müssen. 
Dies  ist  aber  wider  die  Natur  der  menschlichen  Seele.  Ein  Volk,  das  in  neue 
Sitze  rückt,  kann  mancherlei  Naturobjecte  der  früheren  Heimat  aus  dem  Ge- 
dächtniss  verlieren,  hat  es  aber  einmal  die  Fähigkeit  gewonnen,  den  Begriff 
tausend  zu  denken,  so  kann  es  von  dieser  Stufe  psychischer  Entwickelung  auf 
keine  Weise  wieder  zurücktreten.  Die  Vorstellung  einer  Vielheit  wie  tausend 
fällt  dem  Naturmenschen  überhaupt  gar  nicht  so  leicht,  wie  man  jetzt  wohl  glaubt, 
und  dass  die  einwandernden  Indoeuropäer  sich  dieselbe  noch  nicht  zu  bilden 
wussten,  ist  gar  nicht  so  wunderbar.  Die  Finnen  lernten  erst  von  den  Slaven 
hundert  denken  und  sagen,  und  zehntausend  nennt  der  gemeine  Russe  noch 
jetzt  tma  d.  h.  Dunkelheit. 

18.    S.51. 

Seit  unser  das  Pferd  behandelnder  Abschnitt  geschrieben  wurde,  sind  zvei 
für  dies  Thema  wichtige  Schriften  erschienen,  deren  Inhalt  mit  unserer  Aus- 
führung im  Allgemeinen  nicht  im  Widerspruch  steht,  vielmehr  von  einem  NachbM- 
gebiete  aus,  dem  der  Archäologie,  manche  Bestätigung  bietet.  Wir  meinen  die 
von  L.  Stephani  publicirte  Silbervase  von  Nicopol,  die  der  Herausgeber  in  das 
4.  Jahrhundert  vor  Chr.,  also  in  die  beste  Zeit  der  griechischen  Kunst  setzt,  und 
die  von  Wl.  Stassoff  beschriebene  Grabkammer  von  Kert^ch  (Chambre  sepulcrale 
avec  fresques  döcouverte  en  1872  pres  de  Kertch,  St.  P^tersbourg  1875.  gr.  4*). 
Da  der  scharfsinnige  und  belesene  Verfasser  der  letztem  Schrift  sich  zugleich 
während  seiner  Arbeit  der  Unterstützung  des  berühmten  Reisenden  und  Hippo- 
logen  A.  V.  Middendorff  zu  erfreuen  hatte,  auch  auf  die  Vase  von  Nicopol  ge- 
bührend Bezug  nimmt,   so  glauben  wir  uns  den  Dank  des  Lesers  zu  verdienen, 


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Anmerkungen.  447 

wenn  wir  hier  einen  gedrängten  Auszug  dessen  geben,  was  sich  den  genannten 
beiden  Forschem  für  die  Geschichte  des  Pferdes  auf  arch&ologischem  Wege  er- 
geben hat  Wir  fugen  unsererseits  kurze  Bemerkungen  in  Klammem  hinzu  und 
Tcrweisen  im  üebrigen  auf  das  Werk  selbst. 

Die  Denkmäler  des  orientalischen  und  klassischen  Alterthums  zeigen  uns 
drei  Typen  von  Pferden:  das  Steppenpferd,  das  Halb-Zugpferd  (mehr  zum  Ziehen 
als  zum  Reiten  geeignet,  demi-cheval  de  trait)  und  das  Reitpferd  (cheval  de  seile). 
Auf  der  Vase  von  Nicopol  sind  die  beiden  ersten  dieser  Typen  getreu  dargestellt: 
das  Pferd  des  Hüters  der  Heerde  ist  ein  gesatteltes  reines  Steppenpferd  und  den 
jetzigen  kalmükischen  Pferden  ähnlich;  die  Pferde  der  Heerde  selbst  gehören 
nicht  mehr  der  Drrace  der  Steppe  an,  sondern  sind  schon  mehr  Zug-  als  Sattel- 
pferde und  weisen  auf  fruchtbare  Niedemngen  als  ihre  Heimat  hin.  Sie  sind 
den  assyrischen  Pferden  an  den  Wänden  von  Khorsabad  verwandt:  dass  assyrische 
Pferd  ist  auch  ein  halbes  Zugpferd,  das  auf  Gegenden  von  noch  reicherem  Gras- 
wuchs deutet.  (Dass  das  scythische  veredelte  Pferd  von  dem  assyrischen  ab- 
zuleiten sei,  scheint  uns  nicht  annehmbar;  ihre  Aehnlichkeit  erklärt  sich  wohl 
durch  die  gleiche  Herkunft  aus  Medien.)  Ein  älterer  assyrischer  Schlag,  den 
wir  aus  den  ninivitischen  Abbildungen  kennen  lernen,  nähert  sich  dem  griechischen 
archaischen  Pferde  auf  Vasenbüdem.  Letzteres  wird  so  beschrieben:  sehr  feine 
Beine,  starkes  Kreuz,  langer  runder  Hals;  Uebergang  des  Halses  zur  Brust  hirsch- 
artig; das  Haar  des  Schweifes,  der  Mähne,  der  Stim  kurz,  der  Schweif  abstehend. 
Dieselben  Merkmale  finden  sich  bei  dem  ägyptischen  Pferde  und  das  griechisclvs 
hat  sich  unter  ägyptischem  Einfluss  gebildet  (historisch  kaum  möglich;  beide 
werden  in  nicht  sehr  verschiedener  Zeit  aus  derselben  Gegend  d.  h.  aus  Vorder- 
asien herübergenommen  sein).  —  Den  genannten  zwei  Typen  steht  der  dritte 
Schlag  gegenüber,  das  reine  Reitpferd  auf  den  Denkmälem  der  Sasaniden  und 
den  röulischen,  z.  B.  den  Basreliefs  der  Trajanssäule.  Es  ist  nicht  hoch  von 
Wuchs,  hat  einen  kurzem  Leib  und  niedrige  Beine,  ist  kräftig,  musculös,  sehr 
breit,  mit  nicht  langem  Halse:  es  muss  sich  aus  dem  arabischen  entwickelt  haben; 
sein  Vorfahr  zeigt  sich  auf  den  Bildwerken  von  Persepolis;  von  diesem  oder 
seinen  Blutsverwandten  hat  das  sasanidische  und  das  römische  Pferd  seine  Ge- 
drungenheit und  die  edle  Bildung  des  Hauptes.  (Als  das  persische,  dann  das 
macedonisch-griechische,  endlich  das  römische  Weltreich  einen  allgemeinen  Ver- 
kehr und  Austausch  möglich  gemacht  hatten,  verbreitete  sich  ein  immer  schönerer 
Pferdeschlag  in  immer  weiteren  Kreisen,  vom  Euphrat  bis  zum  Tiber  und  vom 
Tigris  bis  zum  Nil.  Dadier  die  Gleichartigkeit  der  Race  auf  späteren  Dar- 
stellungen des  iranischen  Ostens  und  des  europäischen  Westens.  Dieselben  Zeiten 
und  Umstände  sind  es  auch,  die  das  arabische  Pferd  geschaffen  haben,  welches 
seitdem  das  edelste  wurde,  wie  es  früher  das  medische  gewesen  war.)  Auf  den 
Fresken  der  Grabkammer  zu  Kertsch,  die  dem  Zeitraum  zwischen  dem  Anfang 
des  2.  und  dem  Ende  des  4.  Jahrhunderts  nach  Chr.  anzugehören  scheinen  und 
denen  alles  Griechische  oder  Römische  fehlt,  finden  wir  die  Bewohner  von 
Panticapaeum  im  Besitz  des  edleren  arabischen  Pferdes,  nur  das  Thier  auf  Tafel  6 
gleicht  einiger  Massen  dem  primitiven  Schlag  der  Steppe;  zugleich  zeigt  alles 
Beiwerk,  Schmuck,  Waffen,  Geräthe,  Tracht,  iranischen  Charakter  —  ein 
schöner  Beweis  mehr  für  den  Satz,  dass  wir  uns  die  Urbevölkerung  an  den  Küsten 
des  schwarzen  und  asowschen  Meeres,  unter  der  die  Griechen  sich  ansiedelten, 
als  iranischen  Blutes  zu  denken  haben,  das  erst  später  dem  türkischen  wich  oder 
sich  mit  ihm  mischte. 

Bei  all  dem  ist  natürlich  vorausgesetzt,  dass  die  Urheber  der  Zeichnungen 
und  Reliefs,  die  wir  mit  einander  vergleichen,  naturalistisch  verfuhren  und  den 

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448  Anmerkungen. 

ihnen  in  der  Natur  vorliegenden  Gegenstand  wirklich  in  seiner  Lebendigkeit  er- 
fassten  oder  erfassen  wollten.  Wie  aber,  wenn  sie  in  einer  religiös  und  künstlerisch 
gebundenen  Epoche  nur  den  starren  Ausdrucksformen  eines  gegebenen  Stiles 
folgten?  Oder  in  einer  freieren  dem  Gesetze  idealer  Schönheit,  wie  es  ihnen  vor- 
schwebte? Die  Menschen  auf  den  ältesten  griechischen  Bildern  sehen  wie  die 
Aegypter  aus  —  soUen  wir  daraus  schliessen,  dass  die  Natur  den  alten  Griechen 
ägyptische  Gesichter  gegeben  hatte  oder  gar,  dass  die  Griechen  von  den  Aegyptem 
abstammten?  Man  sieht,  auch  die  Kunstgeschichte  hat  hier  ein  Wort;  mitzu- 
sprechen, aber  nur  um  die  Untersuchung  nach  Daten  der  uns  erhaltenen  Ab- 
bildungen noch  unsicherer  und  verwickelter  zu  machen. 

So  viel  über  das  genannte  Werk.  Im  üebrigen  kann  es  dem  Verfasser  nicht 
einfallen,  durch  seine  mehr  historische  Darstellung  den  Gegenstand  für  erschöpft 
oder  alle  einschlagenden  Fragen  für  erledigt  zu  halten.  Doch  glaubt  er  die  haupt- 
sächlichen Gesichtspunkte  geltend  gemacht,  die  wichtigsten  Zeugnisse  vorgelegt 
und  letztere  nach  ersteren  geordnet  zu  haben.  Manches  an  sich  Interessante, 
wie  die  Castration,  die  von  osteuropäischen  Völkern,  den  Skythen,  Sarmaten  u.  s.  w. 
ausging,  Strab.  7,  4,  8,  oder  der  Huf  beschlag,  der  dem  Alterthum  unbekannt,  erst 
bei  den  Byzantinern  seit  dem  9.  Jahrhundert  sicher  bezeugt  ist,  Beckmann,  Bey- 
träge  3, 122  —  wurde  übergangen,  weil  es  für  die  Urgeschichte  nicht  von  Belang 
schien. 

14.  S.32. 

Die  Wortform  ritlrcayoi  selbst  ist  noch  nicht  befriedigend  erklärt,  aber  der 
Sinn  scheint  der  im  Text  angegebene.  Strab.  7,  Eic.  1.  und  2.:  qaal  Sk  xieJ 
xttid  Tr,v  laiv  MoXoxjtav  xaX  ^tanototuty  ykotjiny  läq  ygaiaq  mlCa^  x«lfT<f$tti 
x«l  7ov{  y^Qovttti  77 (lCov<:,  Dasselbe  gleich  darauf  mit  dem  Zusatz:  xaSumg 
xal  TtttQa  Maxföuoi'  neliyoras  yovv  xakovatr  fxtlyoi  roitg  (v  Ttfiniq^  xa$a 
^agu  Aaxtoai  xal  Maaaali<üTaiq  rovc  yioortni.  Dazu  albanesisch  pljak  =  Mntf, 
veius.  Bei  Aeschylus  nennt  sich  Pelasgus  selbst  den  Sohn  des  erdgeborenen 
Palächthon,  Suppl.  250: 

Tov  yriytyovs  yag  iifi   iy<n  UaXalx^ovoi 

Bei  Homer  Jtot  IJiXaayol  =  die  altehrwürdigen.    Denselben  Sinn  hat  der  Name 
-TjQffixo/,  Graeci^  den  umgekehrten  wahrscheinlich  der  der  Ywortf. 

15.  S.52. 

Neuere  Philologen  (z.  B.  Deimling,  die  Leleger,  Leipzig  1862),  halten  die 
lelegischen  Völker  und  Völkchen  für  frühe  Einwanderer  aus  Kleinasien:  dann 
dürften  sie  aber  nicht  für  Griechen  und  nahe  Verwandte  der  Pelasger-Hellenen 
ausgegeben  werden.  Wenn  sie  dies  aber  nach  Religion  und  Sprache  doch  waren, 
so  können  sie  keinen  anderen  Ausgangspunkt  gehabt  haben,  als  die  europäischen 
Indogermanen  überhaupt  und  die  Gräcoitaler  insbesondere.  Kleinasien  war  im 
Norden  von  westlichen  Ausläufern  des  grossen  iranischen  Stammes,  die  schon 
den  Uebergang  nach  Europa  bildeten,  den  Armeniern  und  den  diesen  nach  dem 
ausdrücklichen  Zeugniss  des  Eudoxus  und  des  Strabo  sprach-  und  stammverwandten 
Phrygem,  im  Südosten  von  Zweigen  der  semitischen  Familie,  in  der  Mitte  ron 
Bluts-  und  Kulturmischlingen  beider  besetzt  Von  der  Donau  herabdringende 
Thraker  mögen  frühe  über  den  Hellespont  und  an  die  Südküste  der  Propontis, 
Pelasger  und  Leleger  auf  einer  der  zahlreich  hinüberführenden  Insel-Bracken 
an  den  Band  des  gegenüberliegenden  Continents  gelangt  sein.  Sie  wurden  dann 
im  Norden  von  lydischen  und  phrygischen  Elementen  durchsetzt,  im  Süden  von 


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Anmerinmgen.  449 

den  Semiten  Terschlangen  oder  beherrscht.  Umgekehrt  gingen  auch  Karer  — 
ein  Volk,  das  sich  zn  Herodots  Zeit  für  autochthon  in  Kleinasien  hielt  —  auf 
die  Inseln  hinüber,  wo  sie  die  Leleger  zu  Sclaven  machten,  und  betraten  hin 
and  wieder  Punkte  des  Festlandes,  z.  B.  £pidaum8.  In  derselben  ost-westlichen 
Richtung  setzten  auch  phrjgische  Stftmme  nach  Thrakien  hinüber  und  brachten 
orientalische  Kultur,  so  weit  de  ihnen  damals  zugekommen  war,  nach  Europa 
mit  Herodot  erwähnt  einmal  (7, 20)  im  Vorbeigehen  eines  grossen  vor  der 
troischen  Zeit  erfolgten  Zuges  der  Myser  und  Teukrer  über  den  Bosporus,  wobei 
sie  aüe  Thraker  sollten  unterworfen  haben  und  bis  an  den  adriatischen  Meerbusen 
und  nach  Süden  bis  an  den  Fluss  Peneus  vorgedrungen  sein,  und  ein  neuerer  Ge- 
lehrter (Giseke,  Thrakisch-pelasgische  Stämme  der  Balkanhalbinsel,  Leipzig  1858) 
hat  auf  diese  Nachricht  ein  ganzes  Buch  gebaut  und  einen  grossen  Theil  der 
griechischen  Urgeschichte  darnach  construirt  Die  beiden  Meerengen,  die  die 
Propontis  einschüessen,  mögen  öfter  Zeugen  solcher  Züge  und  Gegenzüge  ge- 
wesen sein;  auch  die  Päoner  am  Strymon  mögen  der  Rest  eines  solchen  sein, 
obgleich  die  Angabe  der  beiden  p&onischen  Mfinner  bei  Herodot  (5, 12. 13.),  sie 
seien  Abkönmilinge  der  troischen  Teukrer,  vielleicht  nur  ein  Nachklang  aus  der 
Dias  ist,  in  der  die  Pftoner  Bundesgenossen  der  Troer  sind,  und  obgleich  die 
Sitten  des  pftonischen  Mädchens  dem  Darius  gerade  als  ganz  unasiatisch  auf- 
fallen; aber  die  grosse  Wanderung,  die  Griechenland  und  Italien  ihre  gleichartige 
Bevölkerung  gab,  und  die  weiterhin  auch  die  Kelten,  und  mehr  nach  Norden 
auch  die  Germanen,  Litauer  und  Slaven  in  sich  begreift,  geschah  gewiss  nicht 
von  Eleinasien  aus. 

16.    S.58. 

So  dankbar  wir  dem  verstorbenen  v.  Hahn  für  seine  Mittheilungen  aus  dem 
Gebiet  der  albanesischen  Sprache  und  Sitte  sein  müssen,  so  wenig  annehmbar 
sind  die  urgeschichtlichen  Speculationen,  die  er  hinzufügt.  —  Der  Versuch,  die 
altljkischen  Inschriften  aus  dem  heutigen  Albanesischen  zu  erklären  und  dies 
letztere  Idiom  zu  einem  speciell  iranischen  zu  stempeln  (0.  Blau  in  der  Zeit- 
schrift der  DMG.  XVU,  649),  ist  mit  zu  dürftigen  Mitteln  unternommen,  als  dass 
er  nicht  gänzlich  hätte  scheitern  sollen.  Man  darf  sich  daher  verwundem,  wenn 
Justi  (in  der  Vorrede  zu  seinem  Handbuch  der  Zendsprache  S.  X.)  geneigt  ist, 
auf  eine  so  luftige  Hypothese  einzugehen  und  das  Albanesische  „für  einen  Aus- 
läufer der  arischen  Sprachen  und  speciell  für  einen  Nachkommen  des  Lykischen" 
gelten  zu  lassen. 

Dass  die  Thraker  rein  und  geradezu  ein  iranischer  Stamm  gewesen,  wie 
P.  de  Lagarde,  Gesammelte  Abhandlungen,  S.  281,  und  nach  ihm  Roesler  (Dacier 
nnd  Romanen,  in  den  Sitzungsberichten  der  Wiener  Akademie,  1866,  S.  81)  zu 
behaupten  Anstalt  machen,  —  diese  Meinung  hat  bis  jetzt  noch  nichts  für  sich. 
Die  einzige  thrakische  Glosse,  die  unverkennbar  iranisches  Gepräge  hat,  ist  der 
Name  des  angeblich  thrakischen  Stammes  der  Saraparai  oder  Kopfabschneider  bei 
Strabo  11, 14, 14,  aber  dieses  wilde  Volk  wohnte  tief  in  Asien,  über  Armenien, 
in  der  Nähe  der  Guranier  und  Meder,  und  führte  diesen  Beinamen  dort.  Man 
sehe  sich  nur  die  Worte  des  Strabo  an:  rpaal  J^  (also  nur:  man  sagt)  xai  Sqaxiuv 
ityas,  tovg  nQoaayoQtvo/niyovg  (bei  den  umwohnenden  Völkern?)  Haganagae^  olov 
xitpttloro/Ltovg  ^  oixrjaat  vnig  i^?  ^AgfieyCaCy  nlriaiov  rovgavCtov  xai  Mvjdioyy 
^QtdSiis  dv^Qtonovg  xa\  dmi^ei?,  dgeCyovg^  niQiaxv&iaiai  rt  Jf«l  anoxitpaltarae. 
Wenn  das  thrakische  ßgiCt^  wirklich  mit  vrihi  Reis  zusammenhängt,  so  ist  es  ein 
Fremdwort,  das  den  weiten  Weg  von  Indien  über  Iran  und  Kleinasien  zu  den 
Thrakern  zurückgelegt  hat,  und  beweist  also  gar  nichts.    Der  thrakische  Dämon 

Vict.  Hehii,  Kaitarpflanzen.  29 

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450  AnmerkimgeiL 

Zalmoxis,  Zamolxis,  berichtet  Porphjrius  im  Leben  des  Pjthagoras,  sei  desshalb 
80  genannt  worden,  weil  über  ihn  gleich  nach  der  G^bnrt  ein  B&renfell  geworfen 
worden:    itir  yag  6ogay  Qg^xtg  ^aXfiov  xaXovaiy.    Soll  hier  oi|((  B&r  bedeuten, 
so  würde  dies  zwar  mit  arischen,   aber  nicht  weniger  mit  eorop&ischen  Wörtern 
zusammenstimmen:  gr.  o^xroc,  lat.  ursus  für  urctus.    Ziehen  wir  das  ßi  znr  zweiten 
H&lfte  hinzu:  /uo{/c,  so  bietet  sich  das  litauische  meazka,  slav.  mectka^   der  B&r. 
Da  man  aber  Fellb&r  für  Bärenfell  nicht  sagen  kann,  so  will  P.  de  Lagarde  Ca^- 
fio^ii  als  das  braune  Fell  deuten:   allein  auch  dabei  ergiebt  sich  nichts  spe- 
cifisch  Iranisches:  fio^i^  h&tte  auf  europäischem  Boden  sein  Analogon  im  slaTischen 
in^chü^  das  Fell,  und  die  Slaven  sind  keine  Iranier,  l^ak  ist  gleichfalls  in  Europa 
ganz  gewöhnlich,   z.  B.  lit.  zalas  grün,  delti  grünen,  zole  Gras,  slav.  zelije  Kraut, 
eelenyi  grün  u.  s.w.     Aber  die  ganze  Deutung  braunes  Fell   leidet   an  zwei 
wesentlichen  Fehlem:  erstens  kann  kein  Gott  oder  Mensch  einfach  Fell  genannt 
werden,  und  nur  das  ist  wahrscheinlich  und  im  Sinne  der  nordischen  Völker,  dass 
die  Thraker  ihren  Gott  in  B&rengestalt  oder  in  ein  Bärenfell  gehüllt  sich 
dachten  und  demgemäss  benannten;   zweitens  heisst  das  Wort,   welches  den 
ersten  Theil  des  Compositums  bilden  soll,  nie  braun  oder  gelbschwärzlich,  sondern 
immer  grün,  grüngelblich  und  passt  daher  nicht  zur  Bärenhaut.    Aus  Zamolxis 
also  ist  für  den  Iranismus  der  Thraker  nichts  zu  gewinnen,  und  Porphjrius  hat 
entweder,  wie  die  Alten  seit  Herodot  gewohnt  waren,  sein  ^aXfioi  für  Fell  aas 
dem  Namen  des  Zalmoxis  selbst  gebildet,  oder  Cf^fiog  entspricht,  wenn  die  An- 
gabe richtig  ist,   etwa  dem  griechischen  x^^f*^^  (^^  ^^^  Termuthet  hat),  in 
welchem  letzteren  Fall  die  zweite  Hälfte  des  Wortes  etwas  dem  lat.  pelle  amictuf 
oder  peiiitus  Aehnliches  aussagen  muss.  —  Im  Gegentheil  sind  die  Beziehungen 
der  Thraker  und  der  ihnen  nahe  verwandten  Daken  und  G^ten  —  sie  sprachen 
alle  eine  und  dieselbe  Sprache,  wie  Strabo  ausdrücklich  bezeugt  —  zu  den  Yölkein 
des   Nordens   mannichfache.    GWmm  hat  bei  Verfolgung  seiner  unglücklichen 
Hypothese  manche  verwandte  Züge  zwischen  G^ten  und  Germanen  aufgewiesen; 
dass  zwischen  getischer  und  slavi seh  er  Zunge  Analogien  walten,  hat  Müllenbof 
(Artikel  Geten  in  der  Encyclopädie  von  Ersch  und  Gruber)  scharfsinnig  erkannt; 
unter  den  dakischen  Pflanzennamen  sind  die  zwei  allein  durchsichtigen:  propedula 
das  Fünfblatt  und  dyn  die  Nessel  rein  ^keltisch.    Auch  bei  den  Illyriem  stösst 
Aehnliches  auf.    Im  heutigen  Albanesischen  heisst  mallj  der  Berg  und  di  zwei; 
schon  Niebuhr  (Vorträge  über  alte  Länder-  und  Völkerkunde,  Berlin  1851,  S.  305) 
machte  darauf  au&nerksam,   dass  dies  mit  dem  Namen  der  altülyrischen  Stadt 
Dimallum,  die  auf  einem  zwei  gipfeligen  Berge  lag,  genau  zusanmienstimme,  das 
Albanesische  also  wirklich  ein  Abkömmling  des  alten  Illjrischen  seL    Nun  giebt 
es  aber  überraschender  Weise  auch  ein  altirisches  Wort  meall  coUU^  locus  editus 
und  mit  diesem  waren  die  gallischen  Namen  Mellosectum,  MeHodunum  (wörtlich 
Bergfestung,  heut  zu  Tage  Melun  zwischen  Paris  und  Fontainebleau)  zusammen- 
gesetzt (s.  Glück,  die  bei  Cäsar  vorkommenden  keltischen  Namen,  S.  138  f.).  Die 
altinische,  also  venetische,  also  illjrische  ceva  die  Kuh  (bei  Golumella),  hent  in 
Tage  albanesisch  ka,  kau  der  Ochse,  stimmt  merkwürdiger  Weise  dem  verschobenen 
Anlaut  nach  mit  dem  Germanischen,  während  die  übrigen  Sprachen  hier  die 
Median  aufweisen  und  Griechen,  Lateiner  und  Kelten  aus  y  ein  6  entwickelten 
(sollte  nicht  xa^Xa  bei  Dioscorides  3, 146  als  Synonym  von  ßovfpd^uX^ov  in  der 
ersten  Hälfte  dasselbe   albanesische  Wort,  in  der  zweiten  aber  lit  akU,  l«t 
oculus  u.  s.  w.  enthalten?).    Das  albanesische  Ijope,  IJopa  die  Kuh  geht  in  den 
Alpen  weit  nach  Westen,  durch  die  Schweiz  bis  in  die  romanischen  Dialecte  am 
Genfersee  (Bridel,  Glossaire  du  patois  de  la  Suisse  romande,  Lausanne  1866, 
p.  266)  —  war  es  ein  venetisches  oder  euganeisches  Wort,  das  die  erobernden 


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Anmerknngen.  451 

Kelten  bei  den  Alpenbewohnem  vorfanden  und  das  sich,  wie  es  mit  Namen 
menschlicher  ürbeschaftigung,  zumal  im  Hochgebirge,  zu  geschehen  pflegt,  bis 
auf  den  heutigen  Tag  erhielt?  Das  messapische  ßij^ydog  Hirsch  (Mommsen, 
ünterit  Dial.  S.  70),  im  heutigen  Albanes.  dren  (mit  d  fiai  bf)  findet  sich  im  alt- 
prenssischen  braydis  Elen,  lit.  hredis  Elen  und  Hirsch,  lett  breedU  wieder.  —  Je 
langer  und  aufmerksamer  man  Thraker  und  nijrier  anblickt,  desto  mehr  befestigt 
sich  die  üeberzeugung,  dass  dieser  Doppelstamm,  dessen  eine  Hälfte  Herodot  für 
das  zahlreichste  Volk  nach  den  Indem  hielt,  wie  geographisch,  so  auch  ethno- 
logisch, religiös  und  sprachlich  eine  Centralstellung  einnahm,  von  der  aus  nicht 
bloss  zu  den  Iraniem,  sondern  nach  Nord  und  Süd,  West  und  Ost  des  Welttheils 
verbindende  Adern  ausliefen. 

17.    S.55. 

Wir  haben  im  Texte  bei  einer  Materie,  die  überhaupt  nur  schwankende  Ver- 
muthungen  gestattet,  und  bei  der  sich  nur  nach  dem  allgemeinen  Eindruck  ur- 
theilen  lässt,  den  der  Eine  so,  der  Andere  anders  empfängt,   eine  Art  Ackerbau 
vor  dem  Ende  der  Wanderungen  zugestanden,  neigen  uns  aber  persönlich  mehr 
der  entgegengesetzten  Ansicht  zu.    Die  gewöhnlichste  Annahme  ist,   dass  zwar 
das  indoeuropäische  Urvolk  noch  nicht  ackerbauend  gewesen  sei  —  da  die  ent- 
sprechenden Ausdrücke  im  Sanscrit  nicht  mit  Sicherheit  aufgewiesen  werden 
können  — ,  dass  aber  Benennungen  wie  ararcy  moler e  u.  s.  w.,  die  bei  europäischen 
Gliedern  desselben  sich  vriederfinden,   die  Existenz   eines   ackerbauenden  euro- 
päischen Muttervolkes  beweisen.    Dabei  ist  zuvörderst  zu  bemerken,   dass  die- 
jenigen, die  dies  behaupten  und  zugleich  über  die  frühere  oder  spätere  Abtrennung 
des  einen  und  des  andern  Yölkerzweiges  von  dem  gemeinsamen  Ausgangspunkte, 
z.  B.  des  keltischen  oder  des  slavodeutschen  u.  s.  w.,  Betrachtungen  anstellen  und 
darüber  Stammbäume  aufnehmen,   sich  einer  offenbaren  Inconsequenz  schuldig 
machen.    Denn  sind  nicht  alle  europäischen  Stämme  als  ein  ungetrenntes  Ganzes 
ond  zu  gleicher  Zeit  in  Europa  eingewandert,   so  kann  auch  ^(joTQoy^  slavisch 
radlo  u.  s.  w.  nur  entweder  von  dem  einen  zum  andern  übergegangen,   oder  von 
den  einzelnen,  vielleicht  in  sehr  verschiedener  Zeit,  analog  gebildet  worden  sein. 
Man  bedenke,  dass  in  jener  frühen  Epoche  die  Sprachen  sich  noch  sehr  nahe 
standen  und  dass,  wenn  eine  Technik,   ein  Werkzeug  u.  s.  w.  von  dem  Nachbar- 
volke übernommen  wurde,  der  Name,  den  es  bei  diesem  hatte,  leicht  und  schnell 
in  die  Lautart  der  eigenen  Sprache  übertragen  werden  konnte.    Wenn  z.  B.  ein 
Verbum  molere  in  der  Bedeutung  zerreiben,   zerstückeln,   ein  anderes  serere 
in  der  Bedeutung  streuen  in  allen  Sprachen  der  bisherigen  Hirtenstämme  be- 
stand UTid  der  eine  von  dem  andern  allmählig  die  Kunst  des  Säens  und  Mahlens 
lernte,  so  musste  er  auch  von  den  verschiedenen  Wortstämmen  ähnlicher,   aber 
allgemeinerer  Bedeutung  gerade  denjenigen  für  die  neue  Verrichtung  individuell 
fixiren,   mit  dem  der  lehrende  Theil  dieselbe  bezeichnet^.    Die  Gleichheit  der 
Ausdrücke  beweist  also  nur,  dass  z.  B.  die  Eenntniss  des  Pfluges  innerhalb  der 
indoeuropäischen  Familie  in  Europa  von  Glied  zu  Glied  sich  weiter  verbreitet 
hat,  und  dass  nicht  etwa  der  eine  Theil  sie  südöstlich  aus  Asien,  durch  Ver- 
mittehmg  der  Semiten  aus  Aegypten,  der  andere  südwestlich  von  den  Iberern  an 
den  Pyrenäen  und  am  Rhonefluss,  ein  dritter  von  einem  dritten  unbekannten  ür- 
volke  u.  8.  w.  erhalten  hat    Auch  die  Zusätze,  mit  denen  A.  Fick  (die  ehemalige 
Spracheinheit  der  Indogermanen  Europas,  S.  289 ff.)  die  hergebrachten  Beweis- 
mittel zu  vermehren  versucht  hat,  können  dies  Verhältniss  nicht  ändern.    Wer 
mit  den  alten  Wörtern  neue  Kulturbegriffe  verbindet,  wfrd  freilich  in  der  Zeit 
der  frühesten  Anfänge  ohne  Mühe  unser  heutiges  Leben  wiederfinden.    Was  soll 

29* 


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452  AnmerkimgeiL 

aber  z.  B.  lira  die  Furche  beweisen?  Dies  Wort  bedeutet  in  den  germanischen 
Sprachen  Geleise,  Spur  und  dies  war  offenbar  der  eigentliche  und  ursprünglieke 
Sinn  desselben,  —  der  noch  im  lateinischen  delirare,  von  der  Spur  abirren, 
durchblickt.  Nach  dem  üebergang  zum  Ackerbau,  vielleicht  in  sehr  verschiedener 
Zeit,  verwandten  die  Litauer  und  die  Slaven  das  vorhandene  Wort  zur  Bezeichnung 
des  Ackerbeetes,  die  Lateiner  zu  der  der  Furche,  w&hrend  die  Deutschen  bei  der 
Bedeutung  Spur  verblieben.  Noch  weniger  wollen  Wörter  wie  cuimms,  stipuloj 
pinsere  u.  s.  w.  sagen.  Der  Halm  braucht  ja  nicht  gerade  Getreidehabn  bedeutet 
zu  haben,  das  slav.  stlblo  heisst  Stengel  und  hat  viel  Verwandte,  das  deutsche 
Stoppel  ist  eine  späte  Entlehnung  aus  dem  Mittellatein;  pinsere  hatte  den  Sinn 
von  zerstampfen  überhaupt:  als  das  Eom  nicht  mehr  nach  urältester  Sitte  an- 
mittelbar aus  der  gerösteten  Aehre  gegessen,  sondern  vorher  durch  Stampfen  ans 
der  Umhüllung  befreit  und  zu  einer  Art  Grütze  oder  rohen  Mehles  verkleinert 
wurde,  da  bot  sich  das  vorhandene  Verbum  von  selbst  zur  Benennung  dieser  Ver- 
richtung oder  wanderte  mit  der  letztem  von  Gegend  zu  Gegend.  Noch  in  histo- 
rischer Zeit  hatten  sich  die  nordeuropäischen  Völker  kaum  die  nothdürftigsten 
Anfänge  des  Ackerbaus  angeeignet.  Die  Kelten  im  Innern  der  britischen  nnd 
irischen  Insel,  wie  sie  Strabo,  Tacitus,  Cassius  Dio  u.  s.  w.  uns  schildern,  oder 
die  Wenden  des  Tacitus,  die  die  Wälder  Osteuropas  latrociniU  pererrantj  als 
fleissige  Feldbauer  uns  zu  denken,  ist  unmöglich.  Von  dem  alten  Germanien 
sagt  Fick  S.  289:  „es  muss  ein  wohlbebautes  Land  gewesen  sein  —  denn  ohne 
intensive  Bodenbestellung  hätte  Deutschland  gar  nicht  diese  gewaltigen  Völker- 
massen entsenden  können,  die  das  römische  Reich  in  Trümmer  schlugen.''  Dass 
dieser  oft  gehörte  Satz  falsch  ist,  hat  Röscher  in  seiner  von  uns  in  Anmerkung  28 
angeführten  Schrift  unwiderleglich  dargethan.  Grade  der  umgekehrte  Schluss  ist 
richtig:  je  höher  die  Lebensform,  die  ein  Volk  erreicht  hat,  desto  geringer  der 
Procentsatz,  den  es  zu  kriegerischen  Zügen  verwendet;  bei  noch  unstäten  Völkern 
wandert  und  kämpft  jeder  erwachsene  Mann.  Hätten  die  Deutschen  emsig  den 
Boden  bestellt,  dann  wären  sie  überhaupt  nicht  ausgezogen,  das  römische  Reich 
in  Trümmer  zu  schlagen,  vielmehr  würde  ihr  Land,  wie  Gallien,  römische  Provinz 
geworden  sein. 

Wir  fügen  im  Folgenden  einige  zerstreute  Beiträge  zu  der  alten  Ackerbau- 
Sprache  hinzu,  welche  letztere,  vollständig  und  vor  Allem  kritisch  aufgestellt, 
eine  nicht  zu  verachtende  Ergänzung  zu  den  Untersuchungen  der  Naturforscher 
über  Herkunft  und  Vaterland  der  Getreidearten  u.  s.  w.  abgeben  würde. 

Gothisch  hvaiteis  der  Weizen  ist  das  weisse  Korn,  jJso  wie  aus  dem  Prä- 
dikat hervorgeht,  eine  spätere  Art,  deren  Name  die  Kenntniss  eines  schwärzeren 
Getreides  voraussetzt.  Der  Weizen  geht  nicht  so  hoch  in  den  Norden  hinauf, 
wie  andere  Cerealien,  und  ist  in  Mitteleuropa  erst  spät  erschienen  und  daselbst 
erst  allmählig  acclimatisirt  worden.  Das  litauische  kwetys,  plur,  kweczet\  preuss. 
gaydis  findet  sich  nicl^  bei  den  Slawen,  ist  also  aufgenommen  worden,  als  beide 
Zweige  sich  bereits  von  einander  getrennt  hatten.  Da  nun  auch  in  keltischen 
Sprachen  weiss  und  Weizen  auf  dieselbe  Wurzel  zurückgehen  (bretonisch  ^ireim 
weiss ,  gwiniz  Weizen  u.  s.  w.  aus  altgallischem  vindos  =  weiss  z.  B.  im  Namen 
Vindobona,  welchem  wieder  cvind  zu  Grunde  liegt),  so  folgte  dass  dies  Getreide 
seinen  Weg  von  Gallien  zu  den  Deutschen,  von  diesen  zu  den  Litauern  (Aestyem) 
nahm.  —  Das  griechische  al(pty  nXgpirov,  Gerstengraupen,  wörtlich  gleichfalls 
soviel  als  weisses  Korn,  mag  seinen  Namen  von  einer  neuen,  ein  reineres  Produkt 
rgebenden  Art  des  Schrotens  bekommen  haben.  —  Griechisch  nvgoc  Weizen, 
schon  homerisch,  findet  sich  im  altslavischen  pyroy  Weizen,  Erbsen,  Linsen  und 
im  litauischen  purai  Winterweizen  (dialectisch)  wieder.    Die  erste  und  älteste  Be- 


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Anmerkungen.  453 

deatong  ist  in  den  nordischen  Sprachen  erhalten:  russisch  pyrei,  ciechisch 
fnfrxL8.w.  Quecke,  preussisch  pure  Trespe,  angelsachsisch /yr»  lolium,  ruscuSy 
engL/urz^  furge.  Es  war  also  die  Benennung  för  eine  Grasart,  die  spftter  auf 
den  Reizen  und  Andere  Kömer  angewandt  wurde.  Die  Thraker  und  die  Znv&tu 
yw^yoC  mögen  den  von  ihnen  gebauten  und  in  unterirdischen  Gruben  auf- 
bewahrten Weizen  so  genannt  haben.  —  Das  slavische  zito  Getreide  ist  eine  klare 
Bildung  ¥on  zi-ti  leben  (mit  unterdrücktem  v);  das  schon  homerische  altoi  w&re 
damit  nur  zu  rereinigen,  wenn  es  ein  Fremdwort  vom  mjsisch-thrakischen  Korden 
wire,  was  gar  nicht  unmöglich  ist 

Ist  der  Weizen  ein  südliches  Korn,  so  ist  umgekehrt  der  Haber  ein 
nördliches.  Bei  den  Alten  galt  er  für  ein  Unkraut,  da^  sich  unter  das  Korn 
mischte  oder  in  welches  das  Korn  sich  Terwandelte,  in  beiden  F&llen  den  Ertrag 
mindernd  oder  aufhebend.  Theophr.  h.  pl.  8,  9,  2:  od*  niyCXtoxit  xal  6  ßQOjnos, 
aoTKQ  äyg^  atta  xa\  ayrifii(ta.  Cat.  de  re  rust.  37,5:  Frutnenta  face  bis 
sarias  runcesque  avenamque  deetringas.  Cic.  de  fin.  5,  30,  9:  ne  seges  quidem 
igitur  spicis  uberibm  et  crebris,  si  avenam  uspiam  videris.    Verg.  Georg.  1, 154: 

Infelix  lolium  et  stenies  dominaniur  avenae. 
Ovid.  Fast  1,691: 

Et  careant  loliis  oculos  vitiantibus  agri 

Nee  sterilU  culto  surgat  avena  ioco. 
Phn.  18,  149:  Primum  omnium  frumenti  Vitium  avena  est:  et  horddum  in  eam 
degenerat.  Indess  lernte  man  später  von  der  avena  fatua  auch  eine  fruchttragende 
Art  Haber  unterscheiden.  Plinius  a  a.  0.  meint,  wie  das  edle  Korn  sich  in  Haber 
verwandele,  so  gehe  dieser  auch  in  eine  Art  Getreide  über,  frumenti  instar,  und 
fügt  hinzu,  die  Germanen  säeten  sogar  Haber  und  lebten  ausschliesslich  von  dieser 
ArtMuss  oder  Grütze:  quippe  quuin  Oermaniae  populi  seranl  eam  neque  alia  pulte 
vivant.  Dasselbe  wird  noch  im  Mittelalter  von  den  britischen  Kelten  gemeldet, 
Girald.  Cambr.  descr.  40:  totus  propemodum  populus  armentis  pascitur  et  avenis, 
lacte,  caseo  et  butyro;  carne  plenius,  pane  parcius  vesei  solet.  Noch  jetzt  n&hrt 
sich  der  Schotte  von  seinem  Habermuss  und  geschmalzter  Haberbrei  ist  ein  Lieb- 
lingsgericht schwäbischer  und  alemannischer  Bauern.  Auch  die  späteren  Griechen 
kannten  den  Haber  wenigstens  als  Yiehfutter:  Galen,  de  alimentomm  facultatibus 
1, 14:  in  Asien,  besonders  in  Mjsien  ist  der  Haber  sehr  häufig:  rgotpii  d'  iarXy 
vno^vyltov^  ovx  dy&Q(6n(oy,  d  ^r^  non  aQcc  Xi^ioiroyin  iaxaras  dyayxaa^tTiy  fx 
Tovifyv  Tov  anigf^aioQ  agioTtoina^nr,  Was  die  Namen  dieser  Frucht  betrifft,  so 
hat  Grimm  (Gesch.  d.  d.  Spr.  66)  die  schöne  Entdeckung  gemacht,  dass  sie  zwar 
alle  verschieden,  alle  aber  vom  Schaf  oder  Bock  hergenommen  sind,  „sei  es,  fügt 
er  hinzu,  dass  das  Thier  dem  Haber  (vielleicht  einem  ähnlichen  Unkraut)  nach- 
stellt oder  vormals  damit  gefüttert  wurde."  Das  Letztere  aber  ist  unrichtig  und 
der  Grund  liegt  wo  anders.  Ln  Gegensatz  zu  ficus,  dem  fruchttragenden  Feigen 
bäum,  ist  caprificus,  der  Bocksfeigenbaum,  der  wilde,  unfruchtbare,  welchen  letztem 
die  Messenier  jQÜyoi  Bock  nannten  (nach  Pausanias  4,  20, 1).  Tgaycty  wurde  von 
Weinstöcken  gebraucht,  wenn  sie  keine  Frucht  trugen,  Suid.  s.  v.:  xal  iQctyay 
(pcioi  lovi  ttUTtiloug,  oray  ^rf  xoQnoy  tf'iQtoaiy.  The ophrast  leitet  diese  ünfrucht- 
bariceit  von  zu  üppigem  Wachsthum  ab,  de  caus.  pL  5,  9, 10:  ($  vntQßoliji  di  xai 
t6  TQttydy  T^j  (tjLtnfAoVj  xni  oaoig  aXXoig  axagntTy  ovfißa(yu  öiä  rriv  ivßXaantay, 
Dahin  gehört  auch  capreolus  der  Rebschoss,  italienisch  capriuolo,  sowie  das  ver- 
altete hirquitallu*,  hirquitallire  (gleichsam  einen  geilen  Bockszweig  treiben,  später 
nur  von  Knaben  gesagt,  die,  in  die  Pubertät  tretend,  ihre  Stimme  verändern). 
Wenn  ein  Weizenfeld,  sagt  Theophrast  h.  pl.  8,  7, 5,  ganz  nieder-  und  zusammen- 
getreten ist,   z.  B.  durch  den  Marsch  eines  darüber  weggegangenen  Heeres,   so 


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454  Anmerkungen. 

wachsen  im  nächsten  Jahre  nur  kleine  Aehren  und  solche,  die  man  aovfg^  L&mmer, 
Widder,  nennt  (d  h.  unfruchtbare,  verkümmerte).  Den  schon  von  Grimm  an- 
geführten griechischen  Pflanzennamen  aiyUatip  Schwindelhaber,  alyCnvQoi;  (bei 
Theocrit  mit  kurzem  t?,  dennoch  offenbar  von  nvQftc  Weizen,  nicht  von  nvQ)  und 
ßgoßiOi:  Haber  (welches  sich  mit  ßftaißiog  Bocksgeruch,  ßgtoßtaSrfi:^  ßgofimötig^ 
bockig  riechend,  berührt,  obgleich  später  die  Grammatiker  beide  Wörter  auf  die 
angegebene  Art  durch  kurzen  und  langen  Yocal  unterscheiden  wollten)  lässt  sich 
noch  xoloxuvt^«  a/yoc  (für  Cucurbita  ailvatica  bei  Dioscor.  4, 175)  und  nlptr  Lolch, 
i^atgova&tti  sich  in  Lolch  verwandeln  (verglichen  mit  lat.  aries,  lit  eris)  hinza- 
fngen.  Aus  all  dem  geht  hervor,  dass,  wenn  der  Haber  das  Bockskraut  genannt 
wurde,  er  damit  als  das  nichtige  und  leere,  als  das  getreideähnliche  Unkraut  be- 
zeichnet wurde;  die  Benennung  setzt  die  Bekanntschaft  mit  der  Komfrucht  schon 
voraus,  und  obgleich  die  Species  erst  im  Norden  zur  Menschennahrung  diente, 
so  muss  sie  mitsammt  ihrem  Namen  doch  von  Süden,  vielleicht  über  Thrakien, 
gekommen  sein. 

Der  Koggen,  der  die  Nordgränze  der  beiden  klassischen  Länder  nur  streift, 
galt  bei  den  späteren  Kömem,  als  sie  ihn  kennen  gelernt  hatten,  für  ein  hässlich 
schwarzes,  unschmackhaftes  und  unverdauliches  Korn.  Noch  jetzt  ist  er  den 
romanischen  Nationen  verhasst,  und  Goethe  bemerkt  mit  Recht  (Campagne  in 
Frankreich,  24.  Sept.  1792):  „Weiss  und  schwarz  Brod  ist  eigentlich  das  Schibolet, 
das  Feldgeschrei  zwischen  Deutschen  und  Franzosen."  Wo  die  Mädchen  schwarz 
sind,  da  ist  das  Brod  weiss,  und  umgekehrt: 

Soldatentrost. 

Nein  hier  hat  es  keine  Noth, 

Schwarze  Mädchen,  weisses  Brod. 

Morgen  in  ein  ander  Städtchen, 

Schwarzes  Brod  und  weisse  Mädchen.  (Goethe.) 
Unter  frumentum,  Getreide,  versteht  der  Romane  .vorzugsweise  Weizen  (fonnento, 
frofnent),  unter  Korn  der  Norddeutsche  vorzugsweise  Roggen,  wie  der  Schwede 
Gerste.  Indess  in  den  Alpen,  also  in  einer  kalten  Gegend,  bauten  die  Tauriner, 
ein  ligurischer  Yolkszweig,  Roggen,  den  sie  asia  nannten  (Plin.  18, 141);  lateinisch 
flnden  wir  zuerst  bei  PÜnius  den  Namen  «eca/e,  im  ed.  DiocL  sicak  (etwa  so  viel 
alsSichelkom?),  der  jetzt  durch  die  romanischen  Sprachen,  das  Walachische  mit 
eingeschlossen,  hindurchgeht  und  auch  in  keltische  Sprachen,  ins  Albanesische 
und  Neugriechische  vorgedrungen  ist  (alban.  thekere,  walach.  secdre,  neugr.  a^xaXi), 
mit  auffallendem  Zurückweichen  des  Accents  auf  die  erste  Silbe:  itaL  segola^  »egala, 
franz.  seigle  u.  s.  w.  Dies  war  der  Name  innerhalb  der  Grenzen  des  romischen 
Kaiserreichs;  bei  den  hyperboreischen  Völkern,  in  der  eigentlichen  Roggengegend, 
finden  wir  eine  andere  weitverbreitete  Benennung:  ahd.  rocco,  altn.  rugr,  ags. 
ryge,  preuss.  rvgis,  lit.  ruggys  (Plur.  rvggei),  russ.  roz\  czech.  resn.  s.  w.,  magyar. 
ro8z;  bei  den  Westfinnen  dasselbe  Wort  mit  dem  alterthümlicheren  ^,  ky  bei  den 
Ostfinnen,  Tataren  u.  s.  w.  mit  der  slavischen  Assibilation.  Die  letztere  Erschei- 
nung, wie  andererseits  die  Uebereinstimmung  zwischen  Germanen,  Litauern  und 
baltischen  Finnen  beruht  auf  Entlehnung  und  Wanderung  des  Wortes,  welchem 
Volke  aber  gehört  es  ursprünglich  an?  Benfey  (Griech.  Wurzellexicon,  2, 125) 
meinte,  Roggen  sei  Rothkom  und  vom  Slavenland  zu  den  Deutschen  gekommen; 
allein  die  Wörter,  die  roth,  rosten  u.  s.  w.  bedeuten,  haben  im  Slavischen  ein 
wurzelhaftes  (/,  aus  welchem,  nicht  aus^,  das  mit  dem  Schein  der  Aehnlichkeit 
täuschende  z  entstanden  ist.  Das  vereinzelte  cambrische  rhygen^  rhyg  Roggen  mag, 
wie  die  lautliche  Uebereinstimmung  lehrt,  aus  dem  Angelsächsischen  stammen, 
das   ebenso  vereinzelte  französisch  -  mundartliche  riguet  (in  der  Dauphin^,    s. 


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AnmerkoDgen.  455 

de  Bellognet,  ethnog^e  ganloise,  1,  p.  148)  durch  die  Yölkerwanderang  dahin 
versprengt  worden  sein.  Eine  andere  bedeutsame  Namensform  aber  überliefert 
nns  Galenus  de  alim.  facult  1, 13  (YI.  p.  514  Kühn)  aus  Makedonien  und  Thrakien. 
Er  fand  dort  eine  Art  Eom,  •• '«in  übelriechendes  schwarzes  Mehl  gab,  offenbar 
Boggen,  Ton  den  Eingeborenen  angebaut  und  mit  dem  einheimischen  Wort  ßQ(Cn 
bentuint.  Das  C  der  zweiten  Silbe  ist  leicht  als  ein  palatalesy  zu  erkennen,  das 
in  dieser  Verwandlung  bei  den  Slaven  wiederkehrt  und  bei  den  Skythen,  einem 
iranischen  Stamme,  wohl  auch  vorauszusetzen  ist  Ist  nun  das  v  vor  dem  r  weiter 
nach  Norden  verloren  gegangen  —  eine  häufige  Erscheinung  —  und  dürfen  wir 
zur  Erklftrung  des  Wortes  nach  Wurzeln  suchen,  die  mit  vr  anlauten?  Oder  ist 
ßglCn  eins  mit  dem  griechischen  oQvCn  Reis,  welches  die  Griechen  durch  persische 
Yermittelung  aus  Indien  (sanscr.  vrlM)  erhielten?  Aber  welchem  Volke  gehörte 
dann  die  Verdunkelung  des  Vocals  zu  dem  tiefem  u  und  die  Verwandlung  des  h 
mg  mit  ganz  germanischer  Lautverschiebung  an,  da  doch  die  Germanen  nord- 
westlich und  westlich  von  Thrakern,  Skythen  und  Slaven  wohnten  und  also  in 
der  Reihe  der  Empfänger  die  letzten  waren?  Oder  sollen  wir  annehmen,  dass  sie 
das  Wort  schon  zu  einer  Zeit  erhielten,  wo  bei  jenen  vermittelnden  Völkern  die 
Assibilimng  der  Kehllaute  noch  nicht  eingetreten  war?  —  De  Candolle,  Geographie 
botanique,  p.  938  hält  die  Gegend  zwischen  den  Alpen  und  dem  schwarzen  Meer, 
also  das  Gebiet  des  heutigen  österreichischen  Kaiserstaates,  für  die  Heimat  des 
Roggens,  freilich  aus  Gründen,  die  nicht  sehr  schwer  wiegen.  Ueber  die  Herkunft 
der  Getreidearten  überhaupt  verweisen  wir  auf  Humboldt,  Ansichten  der  Natur, 
3.  Ausgabe,  Stuttgart  1871,  I,  S.  206 fit.:  mehr  als  dort  enthalten  ist,  lässt  sich  über 
diesen  Gegenstand  vorläufig  nicht  sagen. 

Der  alte  Name  für  den  primitiven  Hakenpflug,  der  aus  einem  spitzen,  ge- 
krümmten Stück  Holz  bestand,  ist  litauisch  szaka  Ast,  Zinke,  Zacke,  Ende  am 
Hirschgeweih,  altslavisch  socha^  Stück  Holz,  Pfahl,  in  den  neueren  Sprachen  mit- 
unter Gabel,  Galgen,  hauptsächlich  aber  Haken.  Da  nun  das  slavische  «,  litauische 
^  zuweilen  aus  ursprüngUchem  A:,  deutschem  ä,  entsteht,  so  wird  es  erlaubt  sein, 
das  gothische  hoha  Pflug,  ahd.  kuohili,  mit  dem  lit.  szaka  und  slavischen  socka 
gleichzusetzen.  Hoha  selbst  aber  gehört  sichtlich  zu  dem  Verbum  hahan  mit 
der  nasalirten  Nebenform  hangan  (das  lange  o  aus  unterdrücktem  »?),  auf  welches 
Verbum  eine  Menge  Ausdrücke  für  die  Begriffe  gekrümmt,  eckig,  Bug  an 
Knochen  und  Gliedern,  hinkend  u.  s.  w.  zurückgehen  (z.  B.  Haken,  Hacke  =  Ferse, 
Henge,  Henkel,  ahd.  hahhila  =  Kesselhaken,  griechisch  xoxtavn^  xoxxv^  =  ossacrum; 
mit  8  weitergebildet:  die  Hachse  =  Kniebug,  lateinisch  coxa  =  Winkel  der  Feld- 
grenze, altirisch  cos,  cambr.  coes  =  femur,  mit  unterdrücktem  Guttural  u.  s.  w.). 
Damit  stimmen  auch  westfinnische  Wörter,  zwar  sämmtlich  aus  dem  Germanischen 
entlehnt,  aber  einige  darunter  —  ein  auch  sonst  zu  beobachtendes  Faktum  — 
vor  der  Lautverschiebung;  estnisch  konka  der  Haken,  kook  Haken  an  der  Egge, 
am  Brunnen  und  an  dem  der  Kessel  hängt,  buchstäblich  =  goth.  hoha  u.  s.  w. 
Dass  auch  das  griechische  yvr\<:  zu  allererst  weiter  nichts  als  ein  gekrümmtes 
Stück  Holz,  einen  winkeligen  Sjiochen  bedeutete,  lehren  die  verwandten  Wörter 
ta  yvTtt  die  Knie,  später  Glieder  überhaupt,  ywoc,  verkrümmt,  yvt6(o  lähmen, 
yvttlov  Krümmung,  "Afjuptyvr^dg  der  auf  beiden  Füssen  hinkende  oder  verkrümmte 
Hephaistos  (nicht  richtig  gedeutet  bei  Welcker,  Gr.  GötterL,  1,  633)  u.  s.  w.  üoha 
war  also  ursprünglich  ein  gekrümmtes  Hirschgeweih,  ein  hakiger  Ast  oder  Knochen, 
mit  dem  die  Erde  aufgeritzt  wurde.  Das  in  keltischen  Sprachen  sich  findende 
««Ä,  Boch  (vomer),  ahd.  «eA,  sech,  franz.  «oc  kann  demnach  mit  dem  slavischen 
socha  nicht  verwandt  sein. 

Zu  dem  slavisch-deutschen  Kulturkreise  gehören  auch  goth.  hlaifs  das  Brod 


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456  Anmerkungen. 

und  guaimus  die  Mühle,  der  Mühlstein.    Hlaifs,  hUUbs  (in  allen  deutschen  Mund- 
arten), litauisch  klepas^  lettisch  klaips,  slavisch  chl^bü  (in  allen  slaTischen  Sprachen), 
ist  dasselbe  mit  latein.  libum  („unzweifelhaft^  statt  cliöum,  Corssen  Kritische  Nach- 
träge zur  lateinischen  Formenlehre  S.  36)  und  pilUh.  xllßavov^  xQlßavov,    Dass 
das  Wort  und  also  die  Kunst  des  Brotbackens,   die  überall  eine  sp&te  ist,  tod 
den  Deutschen  zu  den  Slaven  gekommen  ist,  beweist  der  in  germuiischer  Weise 
verschobene  Anlaut;  die  Litauer,   denen  die  Kehlaspirata  fehlt,   setzten,  wie  in 
ähnlichen  Fällen,  die  entsprechende  Tennis  dafür.    Die  Urbedeutung  war  die  eines 
im  Ofen  in  rundlicher  Form  aus  Teig  gebackenen  Brotkuchens,  im  Gegensatz  sn 
dem  älteren  durch  Kochen  gebildeten  Brei  oder  der  Grütze.    In  Griechenland 
war  das  Wort  sehr  alt,  denn  schon  Alkman  brauchte  xgißavtoxog^  xgißdyri,  xgCßaror 
für  nlaxovQ  (Fragm.  62  Bergk.  mit  den  dazu  angeführten  Worten  des  Athenäos), 
mag  aber  auch  dahin  aus  Kleinasien  eingewandert  sein  (Alkman  war  selbst  in 
Sardes  geboren).    Von  Griechenland  oder  Italien   pflanzte   es  sich   durch  Ver- 
mittelung  der  dazwischenliegenden  Völker  zu  den  Deutschen  fort,  die  es  weiter 
den  Litauern  und  Slaven  übergaben.    W»im  halten  wir  für  entlehnt  aus  d^n 
Griechischen,  wie  puls  (jioXtog^  schon  bei  Alkman),  mana  (uaCa)^  placenta  (nla- 
xovyta)  u.  s.  w.    Dass  man  später  sagte,   ein  Laib  Brot,  altn.  ost-hleifr  ein  Brot 
Käse,  war  der  häufige  Begriffs-Uebergang,  wie  im  Italienischen  und  Französischen 
pane  dt  zucchero,  pain  de  sucre^  in  Salinen  ein  Brot  Salz  u.  s.  w.    Wie  Üaifs  nach 
dem  Ofen,  war  das  weitgewanderte  ital.  focaccia^  das  schon  Isidor  kennt  und 
welches  alt-  und  mittelhochdeutsch,  serbisch,  bulgarisch,  russisch,   magyarisch, 
walachisch,  türkisch,  neugriechisch  wiederkehrt,  nach  dem  focus  benannt,   d.  h. 
ein  in  der  heissen  Asche  des  Heerdes  gar  gebackener  Brotkuchen  (s.  Diez,  Wörterb. 
s.  V.,  und  Miklosich,  Fremdwörter  S.  118).    In  dem  deutschen  Brot  liegt,   wie 
wir  glauben,  der  Begriff  des  gesäuerten  Brotes,  des  ngroi  ^vfilirn^  wie  es  bei  dem 
Gastmahl,   das  der  thrakische  König  Seuthes  dem  Xenophon  gab  (Anab.  7, 3), 
mit  dem  Fleische  zusammengeheftet,  den  Gästen  vorgesetzt  wurde.  —  Quaimu$ 
die  Handmühle  (in  allen  deutschen  Sprachen),  lit.  gima  der  Mühlstein,  Plur.  ffimo$ 
die  Mühle,  slav.  zrünHvü  (in  allen  slavischen  Sprachen),  auch  altirisch  broon^  bröo, 
brö  (wo  b  für  ^),   ist  von  der  kreisrunden  Bewegung  benannt,  wenn  man   die 
griechischen  Wörter  vergleicht:   yvgot  krumm,  gebogen  (Odjss.  19,  246),   yvgog 
der  Kreis,  yvgsvto  im  Kreise  sich  bewegen,  yvgios  rund,  yvgic  feines  Weizenmehl, 
rugal  niigm  (runde  Meeresfelsen,  wie  Mühlsteine).    Das  lange  v  hinter  dem  y 
reflectirt  sich  in  dem  deutschen  qa;  mit  Kom,  Kern,  slav.  zrtmo^  lit.  zimis  kann, 
wie  der  Anlaut  des  slavischen  und  litauischen  Woi-tes  und  der  kurze  Vocal  der 
ersten  Silbe  lehrt,  gvairnus  und  gr.  yvgis  nichts  zu  thun  haben.    Jene  ursprüng- 
liche Handmühle  zu  drehen,  war,  wie  die  Führung  des  Hakens,  die  schwere  Arbeit 
der  Sclaven,  an  denen  es  den  rohen  kriegsgierigen  Hirtenvölkern  nie  gefehlt  haben 
kann:  wie  für  Mühle  und  Hakenpflug,  giebt  es  auch  für  diesen  Frohndienst  ein 
gemeinsames  deutsch-slavisches  Wort:  goth.  arbaU/is,  slav.  rabota,  welches,  wenn 
es  auch  mit  dem  lateinischen  labos  verwandt  ist,  doch  bei  Slaven  und  Deutschen 
dasselbe  ableitende  Suffix  zeigt,  ja  dessen  Stammwort  vielleicht  noch  in  d« 
Sprache  der  Erstem  erhalten  ist:   rab,  rob^  der  Knecht    Knechte  und  Mägde, 
indem  sie  sitzend  den  oberen  Stein  der  Mühle  drehten,  sangen  dazu  MahUieder: 
die  uralte  Sitte,  bei  jeder  Arbeit,  die  dies  erlaubt,  zu  singen,   herrscL*v  bis  auf 
den  heutigen  Tag  bei  Russen,  Beduinen  u.  s.  w.   Die  jetzigen  Benennungen  Mühle, 
Müller,  sind  im  Deutschen,  wie  in  den  übrigen  europäischen  Sprachen,  nicht  von 
dem  einheimischen  Verbum  malan  u  s.  w.  abgeleitet,  sondern  aus  dem  Lateinischen 
erborgt  und  verbreiteten  sich  mit  den  Wassermühlen  und  überhaupt  den  ver- 
besserten mechanischen  Einrichtungen  zur  Zerreibung  und  Reinigung  des  Ge- 


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Anmerkungen.  457 

treides  Yon  Italien  über  £uropa.  Das  Mehl,  wie  es  die  Handmahle  der  ältesten 
Zeit  lieferte,  war  unrein  und  mit  Erde  gemischt  und  knisterte  zwischen  den 
Zähnen;  so  findet  es  der  Europ&er  noch  jetzt  bei  entfernten  Barbaren  in  ab- 
gelegenen Gegenden. 

Der  eigentliche  Pflug  —  mehrfach  gegliedert,  mit  eiserner  Schar,  in  noch 
weiterer  Entwickelnng  mit  Bädern  —  ward  erst  ein  Bedürfoiss,  als  im  Laufe  der 
Jahrhonderte  der  Boden  freier  von  Wnrzehi  und  Steinen  ward  und  der  Ackerbau 
seinen  nomadischen,  accessorischen  Charakter  verlor.  Aus  dieser  Zeit,  wo  die 
nordöstiichen  Völker  aus  ihren  Wäldern  und  von  ihren  Weideplätzen  nach  Süd- 
westen theüs  vorgedrungen  waren,  theils  von  dorther  Bildungselemente  aller  Art 
empfingen,  stammt  der  germanisch-slavische  Ausdruck  Pflug,  slav.  plugü.  Die 
Geschichte  dieses  Wortes  lässt  sich  ziemlich  übersehen.  Bei  Plinius  18, 172  findet 
sich  die  Nachricht:  id  non  pridem  inventum  in  Raetia  Qalliae,  ut  duas  adderent 
tali  rotulas,  quod  genui  vocatU  plaumorati.  Unter  den  Bewohnern  des  zu  Gallien 
gehörenden  Rhätiens  werden  wir  subalpine  Ackerbauer  ursprünglich  keltischen 
Stammes  verstehen,  in  der  gegebenen  Benennung  aber,  obgleich  die  Lesart  nicht 
sicher  und  die  Wortform  dunkel  ist,  die  älteste  Erwähnung  des  späteren  Pfluges 
finden  dürfen.  Die  Angelsachsen,  die  im  6.  Jahrhundert  nach  Britannien  über- 
setzten, hatten  das  Wort  noch  nicht,  welches  erst  im  11.  Jahrhundert  auf  ihrer 
Insel  sich  einstellt.  Aber  in  der  Mitte  des  7.  Jahrh.  steht  bereits  im  longo- 
bardischen  (xesetz,  ed.  Roth.  288  (293) :  de  plovum.  Si  quis  plovum  (plobum)  aut 
arainan  u.  s.  w.  Aus  Deutschland  kam  das  Wort  dann  zu  den  Slaven,  als  auch 
diese  —  wie  immer  hinter  und  nach  den  Germanen  —  den  hohem  Formen  des 
Ackerbaues  sich  zuwandten.  In  jetziger  Zeit  finden  wir  bei  den  Kleinrussen  den 
Pflng,  bei  den  Grossrussen  noch  den  Haken  im  Gebrauch.  Wie  zähe  aber  Natur- 
völker sind,  deren  Sittlichkeit  in  Üeberlieferung,  deren  ganzes  Denken  in  reli- 
giösem Aberglauben  besteht,  und  wie  schwer  es  hält,  sie  auch  nur  um  eine  Kultur- 
stufe aufwärts  zu  heben,  lehrt  z.  B.  folgende  Nachricht  bei  Herberstein,  Rerum 
moscoviticarum  commentarii,  de  Lithuania:  „die  Litauer  bearbeiten  ihr  Land,  ob- 
gleich dies  nicht  sandig  ist,  sondern  ein  fettes  Erdreich  hat,  nur  mit  hölzernen, 
nicht  mit  eisernen  Pflügen.  Wenn  sie  zum  Ackern  aufs  Feld  gehen,  pflegen  sie 
mehrere  Pflughölzer  mitzunehmen,  damit  wenn  das  eine  zerbricht,  das  andere 
gleich  zur  Hand  sei  (denselben  Rath  giebt  der  alte  Hesiodus:  *f  x  ^^fQo*"  y 
a^atg^  hfgov  x  (nl  ßoval  ßaioio).  Einer  von  den  über  die  Provinz  gesetzten 
Statthaltern  wollte  ihnen  eine  bessere  Methode  beibringen  und  Hess  eine  grosse 
Menge  eiserner  Pflüge  kommen.  Da  aber  in  den  nächsten  Jahren  die  Erllte  nicht 
einschlug,  schrieben  sie  dies  den  eisernen  Werkzeugen  zu,  ein  Aufruhr  stand  zu 
befürchten  und  der  Statthalter  sah  sich  genöthigt,  seine  Pflüge  zurückzuziehen 
und  die  alte  rohe  Art  der  Feldbestellung  wieder  zu  gestatten.** 

In  der  Sprache  der  Griechen  und  Römer  herrscht  in  den  Getreidenamen 
grosse  gegenseitige  Verschiedenheit  Man  vergleiche  otro?,  nvQOi,  C«'«,  f^V'V^ 
olvga^  äl(f'ir(t^  akiCata^  X^^QOy  x^vÖgog^  xgCfivo^'^  niiuga,  xäxQVS  U.  S.  w.  mit  tri- 
tieum,  ador  (Adj.  adoreus  für  adoseus),  far  (Gen.  farri^  für  faresü^  farina  für 
farrina,  f(xrrago\  panicitm,  siligo,  polten,  alica,  acus  (Gen.  aceris  für  acesis),  paUa, 
fwfwr  u.  s.  w.  Eben  so  in  den  Werkzeugen  und  Verrichtungen,  z.  B.  die  Theile 
des  Pfluges:  laioßoivg^  ^X^'^V^  7"^V^y  vyyi^^  ^Ivfia  verglichen  mit  temo,  stiva,  bura, 
vomer;  oder  iix^oV,  Xtx^rjnjg^  nivov  Worfschaufel  (beide  homerisch),  Uxvoy  Ge- 
treideschwinge ^ymn.  in  Merc.  21.  63  in  der  Bedeutung  Wiege),  dKm  (homerisch), 
oA/uof  Mörser  zum  Zerstampfen  der  Körner,  iimgoq  Stössel  (beide  Hesiod.  Op.  et 
1423:  ... 

olfAOV  fiky  rginodriy  ra^yar,  vmgoy  6i  rginrixvy) 


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458  Anmerkungen. 

und  dagegen  vannuSf  eoailere,  area,  pila^  pilutn  u.  s.  w.  Die  lateinischen  Aosdraeke 
aarire  oder  scurrire,  runcare,  strigare^  lira,  parca,  elix^  colliciaej  metere^  me^is. 
ralium,  rasirwiif  ligOy  occa,  irpex,  crates  u.  s.  w.  fehlen  im  Griechischen  entweder 
ganz  oder  in  dieser  speciellen  Form  und  Bedeutung.  Lateinisch  sarpere,  sarmaUttm 
stimmt  zum  griechischen  oQTirj  (auch  zum  slavischen  sriipu),  deutet  aher  auf  ein 
Werkzeug,  das  über  die  Ackerbauzeit  hinaus  liegen  kann;  wie  sich  aifilSaU^  und 
simila^  similago  zu  einander  verhalten,  ist  dunkel;  ntCaatiy  mag  gleich  pinsere 
sein,  beweist  aber  weni^;  dass  a(>roc  und  pani»  (in  älterer  Form  pane)  nicht  über- 
einstimmen, ist  bei  einer  so  sp&ten  Erfindung  nicht  zu  verwundern.  Aus  dem 
Ackermass  die  ursprüngliche  Identit&t  gräcoitalischer  Bodenkultur  deducireii  zu 
wollen,  scheint  uns  vergeblich.  Zwar  wird  angegeben,  der  vorsus  der  Osker  und 
ümbrer,  von  100  Fuss  im  Quadrat,  entspreche  dem  griechischen  Plethron  (Mommsen, 
die  unterital.  Dialekte  S.  260  f.),  aUein  das  griechische  Plethron  war,  wie  der  Fuss 
und  das  Stadion,  babylonischer  Herkunft,  und  die  ursprüngliche  Länge  des  oscisch- 
umbrischen  vorsus  kennen  wir  nicht  Soll  sie  mit  der  des  griechischen  Plethron 
identisch  gewesen  sein,  so  kann  dies  Mass  nur  von  den  Griechen  oder  aus  der- 
selben orientalischen  Quelle  stammen.  Soll  die  Uebereinstimmung  aber  nur  in 
der  gleichen  Eintheilung  in  hundert  Fuss  bestehen,  so  ist  klar,  dass  dieselbe  bei 
Völkern,  in  deren  Sprachen  das  Decimalsjstem  herrscht,  gar  nichts  sagen  wilL 
Auch  das  gallische  candetum  yfBX^  wie  schon  der  Name  lehrt,  nach  der  Zahl  hundert 
gemessen.  Viel  bedeutsamer  ist  die  Differenz  der  römischen  Bodeneintheüimg 
von  der  griechischen.  Der  römische  actm  beträgt  120  Fuss,  die  acnua  120  Fuss 
im  Quadrat  (Yarro  de  r.  r.  1,  10,  2),  eine  Messung  nach  dem  Duodecimalsjstem, 
die  eben  so  etruskisch  und  vielleicht  auch  iberisch  war.  Auch  auf  den  Tafeln 
von  Heraklea  am  Siris  enthält  das  dort  gebräuchliche  Landmass,  der  a/or^oc, 
30  ÖQ^yfiata  zu  4  Fuss,  also  120  Fuss  (Corp.  Inscr.  IIE  n»  5774.  5775). 

18.    S.55. 

Wenn  fxtXtvr,,  miliuin  Honigfrucht  ausdrückte  (Plin.  22, 131:  Panicum  DhcUs 
medicus  mel  frugum  appdlavU) ,  so  wäre  damit  gesagt:  süsse  Frucht  der  Aehren, 
milde  Pflanzennahrung  überhaupt  im  Gegensatz  zur  blutigen  Fleischnahrung  des 
Nomaden.  Man  erinnere  sich  der  homerischen  Ausdrücke:  altov  tt  ykvxiQolo^ 
adoio  f4tlt^QOVogy  fjtfXirjd^a  oder  u(Xt(fgoya  nvifOVj  Ifatoto  uiliffi^a  xagnor, 
rowyfiy  ayotonriy  ufXirj(f/r.  Dann  aber  müsste  das  lit.  malnos  ein  Lehnwort  sein, 
da  diese  Sprache  nicht  zu  dem  Kreise  derjenigen  gehört,  die  den  Honig  mit  den 
Formen*  auf  /  bezeichnen.  Hirse  —  wir  unterscheiden  im  Folgenden  milium  nicht 
von  panicum  oder  xfyxQoc  von  fXvfioq  —  ist  die  Speise  der  iberischen  Völker  im 
äussersten  Westen  und  der  Kelten.  In  Aquitanien  —  dem  von  Iberern  bewohnten 
Lande  zwischen  Pyrenäen  und  Garonne  —  wächst,  wie  Strabo  4,  2, 1  versichert^ 
fast  nur  Hirse.  Plin.  18, 101 :  Pamco  et  QalUae  quidem,  praecipue  Aquitania  tUUur, 
Sed  et  Circumpadana  Italia  addita  faba  sine  qua  nihil  conficiunt.  Pytheas  (bei 
Strab.  4,  5,  5)  fand,  dass  die  Völker  der  von  ihm  besuchten  (keltischen)  Küste  sich 
von  Hirse,  von  anderen  Gemüsen  (kn^aydic,  Bohnen?)  und  Wurzeln  (Rüben?) 
nährten.  Als  Cäsar  Massilia  belagerte,  fristeten  die  Einwohner  ihr  Leben  mit 
altem  Hirse  und  verdorbener  Gerste,  die  seit  lange  in  den  Stadtmagazinen  auf- 
bewahrt waren,  de  hello  civ.  2,  22:  panico  enim  vetere  atque  ordeo  corrupto  onmes 
alebaniaVy  quod  ad  hujusmodi  casus  antiquitus  pnratum  in  publicum  contulerant.  Von 
dem  gallischen  Italien  berichtet  Poljbius,  der  es  mit  eigenen  Augen  gesehen 
hatte,  dass  dort  ein  überschwenglicher  Reichthum  an  beiden  Arten  Hirse  sei, 
2,  15, 2:  *EXvfiov  yt  uriy  xai  xiyxpov  rtX^toi  vnfgßaXXovaa  SaiplXan  ytyytia* 
nan   avrotc,  eben  SO  Strabo,  es  sei  als  wohl  bewässert  reich  an  Hirse  und  könne. 


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Anmerkungen.  459 

da  diese  Emclit  nie  versage,  auch  nie  Hanger  leiden,  5, 1, 12:  fait  di  xal  xeyxQo- 
(fo^t  S^atptQorttDi  dta  rrly  (vtSgiay'  lovto  dk  h/dov  fiiytatoy  tajiy  axoi'  ngog 
anarras  yag  xaiQOvg  aiQmv  ayr^/fi   xa\   ovd4noi    ^ntltCntiy  ivvatfd  ^    xay  toT 
ttllov  oftov  Y^ytiittt   andyic,  und  noch  ganz  spÄt,   in  den  letzten  Zeiten  des 
gothischen  Reichs  in  It^klien,  ergeht  bei  einer  Hongersnoth  der  Befehl,   aus  den 
Magazinen  von  Ticinom  und  Dertona  Panicom  für  einen  geringen  Preis  unter  das 
Toli  auszutheilen  (Cassiod.  Var.  12,  27).    Weiter  im  Osten  säten  die  Alazonen, 
ein  sijtliisches  Volk  am  Hypanis,  Weizen,  Zwiebeln,  Knoblauch,  Bohnen  und 
Hirse  (Herod.  4, 17).    In  Thrakien  marschirten  die  mit  Xenophon  zurückgekehrten 
Zehntaasend  l&ngs  dem  Pontus  nach  Salmjdessus  durch  das  Gebiet  der  Hirse- 
esser,    JVIdivotpayoi  y   und  enthielten  zu  Deraosthenes  Zeit   die   unterirdischen 
Granarien  EEirse   und   olvoa  (Demosth.   de  Chersoneso   p.  100   ex.  PhiL  4,  16). 
PHn.  18,  100  erklärt  Hirsebrei  für  die  Hauptnahrung  der  Sarmaten:   Sarmatarum 
quoque  gentes  hac  maxtune  pulte  aiuntur,  und  Panicum  für  die  Lieblingsspeise  der 
pontischen  Völker,  101:    Fonticae  gentes   nulium  panico   praeferunt   cibuin.    Die 
Mäoten  und  Sarmaten  nähren  sich  von  Hirse,   wie  die  Athener  von  Feigen  und 
Andere  von  Anderem,  AeL  V.  H.  3,  39;   ßakdyovg  *AQxaitiy  *Agyttot  d*  ditCovij 
A^i\yuioi  41  avxa^  Ttg^y&toi  <fi  a^Qu^as  dflnyov  il/oy^  ^ly6o\  xaldfiov;,  Kag/uayol 
ipofyixagy    x^y^poy  J^  Maiaiitti   xrtl  iavpounrni^    i/outyO^ny   tf^   xal  xnQ- 
dttßioy  JT^paat,    In  Pannonien  war  nach  Cassius  Dio  49,  36,   der  selbst  dort  ge- 
wesen war,  Hirse  und  Gerste  die  Volksnahrung,  und  Priscus  wurde  auf  der  Ge- 
sandtschaftsreise zu  Attila  ausschliesslich  mit  dieser  Frucht  bewirthet  (Müller, 
Fragm.  4.  p.  83).    Die  Japoden,   ein  keltisch -illyrisches  Mischvolk  auf  dem  Ge- 
birge der  illjrischen  Küste,  leben  von  Spelt  und  Hirse,  Strab.  7,  5,  4:   ^h^  xal 
*fyX9V  '«  noXld  rgnfoiufyor.    Bei  den  klassischen  Völkern  trat  der  Hirse,  wenn 
sie  ihn  etwa  vor  der  Trennimg  in  Pannonien  und  Illjrrien  gekannt  hatten,  vor 
andern  Cerealien  in  den  Hintergrund;  nur  die  Lacedämonier,  conservativ  in  Allem, 
werden  als  Hirsebrei-Esser  genannt  (.Hesych.  Hvuog'  an^pjua  o  hfjovrfg  ol  Adx(oyf<: 
ia&iovait),    Germanen,  Litauer  und  Slaven  wohnten  schon  zu  nördlich,  als  dass 
ursprünglicher  Hirsebau  bei  ihnen  vorauszusetzen  wäre.    Auch  benennen  sie  die 
Frucht  ganz  verschieden,  ahd.  hir8t\  slav.  proso,  lit.  soros  plur.  von  sora  Hirse- 
korn.   Als  die  Slaven  in  die  Donaugegend  rückten,   wurde  auch  bei  ihnen  der 
Hirse  ein  beliebtes  Korn,  was  er  bei  den  Germanen  nie  gewesen  ist;  im  heutigen 
Oberitalien  ist  er  durch  den  Reis  und  den  Mais  aus  seinen  alten  Rechten  ver- 
drängt worden.    Dass  die  Bohne  (lat.  faba^  slav.  bobü^  preuss.  babo,  lit.  pupa, 
altirisch  seib,  wo  s  für  f ,   kambrisch /a  für/oA;   über  das  deutsche  Bohne  s. 
Grimm  im  Wörterbuch)  sich  zum  Hirse  gesellt,   geht  aus  den  eben  angeführten 
Stellen  hervor;  in  Betreff  der  Rübe  (gr.  ^anvr,  lat.  rdpa,  räpum,  altn.  rofa,  slav. 
repa,  lit.  rope)  fügen  wir  noch  die  Nachricht  des  Plinius  18,  127  hinzu:   A  vino 
atque  m€s$e  tertius  hie  (die  Rübe)   TroMpadanU  fructtts.    Das   hohe  Alter  der 
Bohne,  und  zwar  der  Ackerbohne,   Vicia  Faba  L^  die  unter  dem  Namen  xvttuos 
(welches  sich  zu  der  Nebenform  rrvayoc^  nva^ioc  verhält,  wie  das  altlateinische, 
sabinische  und  faliskische  haba  zu  faba^  Monmisen,  ünterit.  Dial.  S.  358  f.)  schon 
in  der  Dias  (13,  589)  erwähnt  wird,  liesse  sich  noch  aus  manchen  Anzeichen, 
z.  B.  der  Rolle,  die  sie  in  den  Sacralalterthümem  spielt,  wahrscheinlich  machen 
(Pfund,  de  antiquissima  apud  Italos  fabae  cultura  ac  religione,  Berol.  1845) ;  dass 
sie  aber  dennoch  jünger  ist,  als  die  genügsame,  in  der  Asche  verbrannter  Waldung 
besonders  gedeihende  Rübe,  scheint  aus   der  Sprache   der  Westfinnen  hervor- 
zugehen, in  der  die  Bohne  (finnisch  papu,  estnisch  ubbä),  wie  fast  alle  Kultur- 
objecte,  indoeuropäisch  benannt  ist,   die  Rübe  aber  ihren  eigenen  Ausdruck  hat 
<finn.  naurü,  estn.  naris,  nairis,  weps.  und  karelisch  nagrü). 


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460  AnmerkungeiL 


19.  &&8. 
Die  Töpferscheibe  sollte  Yom  Skythen  Anacharsis,  nach  Theophrast  tob 
dem  Korinthier  Hyperbios  erfunden  worden  sein  (Schol.  zu  Pind.  OL  13,  27);  da 
nnn  Eorinth  ein  Hanptsitz  phönizischer  Enltur  war,  so  könnte  in  dem  Letzteren 
ein  Wink  über  die  Herkunft  dieser  Kunst  bei  den  Griechen  liegen:  aber  die  An- 
gabe hat,  wie  fast  Alles  in  den  Schriften  negl  evQtifitiTtjy ,  geringen  historischen 
Werth.  Der  Tyrann  Kritias  preist  den  xiQttfiog,  den  Sohn  der  Scheibe,  der  Erde 
und  des  Ofens,  als  Erfindung  seiner  Vaterstadt  Athen,  Fragro.  1, 12  Bergk.  : 

Toy  cf^  jgoxov  yaifjg  re  xa/niyov  i    t^xyovov  iVQtv^ 

xXuvotarov  xigafiov^  XQ'i^'f*^^  oixorofiov^ 

i;  TÖ  xalby  Afaga&divi  xaraariiaaaa  Tgonaioy, 
Auch  gab  es  einen  attischen  Demos  KtgaßiiTf^  dessen  Angehörige  dem  Heros 
Keramos  Opfer  brachten.  Da  ein  im  Töpferofen  gebranntes  und  ein  ungebranntes, 
ein  aus  freier  Hand  gearbeitetes  und  ein  gedrehtes  ThongefSss  sich  auf  den  ersten 
Blick  imterscheiden,  so  müssen  wir  uns  über  diesen  Punkt  auf  die  Forschung  der 
^ufgrabungsarchftologen  beziehen. 

Für  das  Weben  scheint  es  alte  Sprachzeugnisse  zu  geben,  die  auf  eine  Aus- 
übung dieser  Kunst  vor  der  Völkertrennung  und  den  Wanderzügen  deute«  würden: 
griech.  uipa^yw,  deutsch  weben,  lat.  texer e^  slav.  tukntixk,  s.  w.  Wüssten  wir  nur 
gewiss,  dass  diese  Wörter  in  der  Urzeit  nicht  auf  das  kunstreiche  Stricken, 
Flechten  und  Nähen,  sondern  auf  das  Drehen  des  Fadens  an  der  Spindel  und  anf 
das  eigentliche  Weben  am  Webstuhl  gingen!  Beim  Flechten  von  Matten  aus 
Lindenbast  mit  Lang-  und  Querstreifen,  einer  beinernen  Nadel,  an  di«  das  Bani 
befestigt  war,  oder  einem  Röhrknochen,  durch  den  es  Hef  u.  s.  w.,  konnten  sieh 
Ausdrücke  ergeben,  die  auf  das  spätere  Aufzug,  Einschlag  u.  s.  w.  leicht  Anwen- 
dung fanden.  Noch  heut  zu  Tage  wird  bei  conservativen  Völkchen  in  abgelegenen 
Winkeln  Europas  das  Weben  in  Weise  dieses  lu^prünglichen  Strickens  oder 
Flechtens  betrieben.  So  fand  es  C.  J.  Graba  im  Jahre  1828  bei  den  Bewohnern 
der  Faröer  und  neuerdings  Franz  Maurer  bei  den  Bosniaken,  Reise  durch  Bosnien, 
S.  266:  „Man  webt  ohne  Schiffchen  aus  freier  Hand,  ind^m  der  Einschlagsfaden 
mittelst  einer  langen  hölzernen  Nadel  (nach  Art  der  Netzstricknadeln)  durch  die 
paraUel  aufgespannten  Haltefäden  (das  sog.  Geschirr)  lundurchgeführt  und  dann 
mit  einem  durchgezogenen  Stocke  festgedrückt  wird."  Wer  dem  ürvolke  die 
Kenntniss  der  Weberei  zuschreibt,  sollte  nicht  vergessen,  dass  diese  Kunstfertigkeit 
von  sehr  rohen  Anfängen  durch  viele  Stufen  bis  zur  Vollendung  in  historischer 
Zeit  sich  entwickelt  hat  Wie  leicht  schiebt  sich  der  Phantasie  des  Sprach- 
vergleichers ein  jetziger  Webstuhl,  ein  hindurchfliegendes  Schiffchen  u.  s.  w.  unter! 
Im  üebrigen  sind  im  Griechischen  und  Lateinischen  die  Wörter,  mit  denen  Spindel 
und  Webstuhl  und  die  Verrichtungen  damit  bezeichnet  werden,  sehr  imgleich. 
Auf  der  einen  Seite:  utQaxxoq^  ijkaxarri^  xXfo&ai^  tjrgioy^  xaytuy,  fiCros  (Hom. 
IL  23,  760: 

tog  or€  lii  tt  yvyaixog  ivCtoyoio 

atri^eoi  iart  xayatyy  oyr   fv  ftaXa  /f^oi  rayvaatjiy 

Ttriyioy  f^fXxovaa  nagix  jnfroVy  ayxo&t  cT  fo^tt 

arrif>(o<:\ 
xtQxd^  xgixuy  (bei  Sappho  Fr.  90  Brgk.:   xgixriy  loy  Yaioy),  xgoxriy  Accusatir 
xgoxn  (Hes.  Op.  et  d.  538: 

otTjfjioyi  cf*  iy  TKtvgtp  nollriy  xgoxa  iLtrigvaaa&tti) , 
fffroff,  arriuioy  (lat.  stamen  vermuthlich  dorisches  Lehnwort),   and&ti  (lat  »paAa 
ein  spätes  Lehnwort)  dytCoy  (bei  Aristophanes),  äyyv&fq  (Ge¥richt8teine) ;  auf  der 


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Anmerkungen.  461 

Andern:  colus,  fusus,  fihtm,  giomtu,  jugum,  radius,  tela^  trama^  licium  u.  s.  w.  Die 
slAvische  Webersprache  hat  manches  Bemerkenswerthe :  kroBno  Webstuhl,  Gewebe 
(gleich  dem  griechischen  xoixftr^  xgoxri,  mit  der  slavischen  Verwandlung  des  k 
in«),  qiiikü  Einschlag  (=  albanes.  indi  und  griech.  äyrioy,  wie  das  vorige  ver- 
mnthlich  entlehnt),  mVi  Faden  (gehört  zu  v^cu,  vif^cu  u.  s.  w.),  navot  liciatorium, 
pr^*  nere,  pr^deno  tela,  yr^lica  fusus,  pr^divo  filum,  vrcUilo,  vreteno  (ganz  wie 
lat  verUcillus)^  brüdo^  russ.  berdo,  südslav.  brdo  pecten  textorius,  licium  u.  s.  w. 
Dass  diese  Ausdriicke  nicht  sehr  alt  sein  können,  beweist  ihre  Abwesenheit  im 
Litauischen,  welches  selbständige  Benennungen  hat:  xtdis  das  Gewebe,  attsti  weben, 
üzeiwa  das  Weberschiffchen,  ^^'a  Weberfaden,  Masche  (rtytis  bedeutet  den  Schaft 
am  Webstuhl),  stdkUs  der  Webstuhl  (ein  Plurale  t.,  slav.  slanu),  werpU  spinnen, 
warpste,  Spule,  Spindel,  drobe  die  Leinwand  u.  s.  w.  Das  altslav.  kqdeli  ist  viel- 
leicht nur  eine  Entstellung  des  deutschen  Kunkel,  welches  selbst  wieder  auf  das 
lateinische  colia  zurückgeht  Man  sieht  an  Allem,  dass  wir  uns  hier  auf  einem 
jüngeren  Boden  befinden. 

20.    8.58. 

Dass  Griechen  und  Lateiner  und  respective  Litauer  und  Slaven  das  Gold 
unter  sich  abweichend  benennen,  ist  ein  zwingender  Beweis  für  die  späte  Er- 
scheinung dieses  Metalles  in  Europa.  Das  lateinische  ourttm  Gold,  aurora  Morgen- 
rothe  u.  s.  w.  lautete  ursprünglich  aitsum,  ausom;  der  etruskische  Sonnengott  üsil 
lässt  vermuthen,  dass  auch  die  Etrusker  das  Gold  ähnlich,  wie  die  Latiner,  be- 
nannten; denselben  Namen  finden  wir  am  entgegengesetzten  Ende  Europas, 
prenssisch  ausi8,  litauisch  auksas  (mit  der  im  Litauischen  häufigen  Verstärkung 
durch  k  vor «) ;  wie  anders  gelangte  der  italische  Name  an  das  hochnordische 
Meer,  als  auf  dem  Wege  des  Bemsteinhandels,  der  auf  der  heiligen  Strasse  der 
Etrusker,  von  den  HeUaden  und  dem  Eridanus  im  innem  Winkel  des  adriatischen 
Busens  zu  den  Haffen  und  Nehrungen  Preussens  ging?  Die  Letten  brauchen  statt 
dessen  das  slavische  Wort  selU;  sie  wohnten  also  schon  damals  abseits,  wo  sich 
kein  Bernstein  mehr  fand  und  wohin  die  italischen  Einflüsse  nicht  reichten.  Später 
als  die  Preussen  haben  die  Kelten  das  Gold  von  Italien  her  empfangen,  nämlich 
zu  einer  Zeit,  wo  im  Wort  aurum  das  8  schon  in  r  übergegangen  war;  altirisch  ör, 
in  den  jüngeren  Dialecten  owr,  «r,  owr^  —  so  grosse  Freude  dieser  Volksstamm 
auch  später  an  dem  glänzenden  Goldschmucke  hatte.  Slaven  und  Germanen 
haben  ein  gemeinsames  Wort:  goth.  guUh,  slav.  tiato,  welches  später  Herkunft 
ist,  da  es  den  Litauern  fehlt,  und  nicht  nach  Italien,  sondern  nach  Südosten  in 
die  iranische  Welt  weist.  Das  griechische  xqvoo^,  das  sich  diesen  Formen  aller- 
dings anreihen  lässt,  wurde  von  Pott  schon  vor  länger  als  einem  Menschenalter 
für  entlehnt  aus  dem  Phönizischen  erklärt  und  auch  Renan  ist  dieser  Ansicht,  zu 
Max  Müllers  Mythologie  compar^e  p.  36:  y,xQyo6(;  me  parait  le  semitique  kharous, 
qui  aurait  passe  en  Qrece  par  le  commerce  des  Pheniciens,  comme  le  moi  uHnlXov,^ 
In  der  That  haben  neuere  Inschriftenfunde  gelehrt,  dass  das  im  Hebräischen  nur 
poetische  charus  bei  den  Phöniziern  der  gewöhnliche  Ausdruck  für  Gold  war.  Das 
Gold  bahnte  sich  erst  allmähüg  den  Weg  in  die  Wildnisse  Europas  und  des 
turanischen  Asiens,  worauf  dann  die  erwachte  Gier  darauf  führte,  auch  den 
heimischen  Boden  nach  dem  verborgenen  Schatze  umzuwühlen  und  auszuwaschen. 
Die  westlichen  Finnen  benennen  das  Gold  mit  dem  deutschen  Worte;  die 
Wolga-  und  Uralstämme,  darunter  auch  die  Magyaren,  brauchen  lauter  iranische 
(massagetische,  Herod.  1,  215)  Namen,  so  jung  und  trügerisch  ist  die  Sage  von 
dem  Sitze  des  Goldes  in  jenem  hohen  Nordosten.  — 

Auch  bei  dem  Silber  scheiden  sich  die  europäischen  Völker  nach  Gruppen: 


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462  Anmerkungen. 

Germanen,  Litauer  und  Slaven  haben  einen  Ausdruck  dafür,  Griechen  und  Römer 
einen  andern,  welcher  letztere  ganz  wie  ein  Kachhall  aus  Asien  klingt,  während 
jener  erstere  (goth.  siiubr,  slav.  srebro,  preuss.  siraplis)  lebhaft  an  das  homerische 
'Akvßri  am  Pontus  (für '-rfAi5/?i;  und  dies  Vai  £akvßt]?)^  Z&ty  agyvgov  iarl  yiy^dk^^ 
erinnert.  Auch  die  semitischen  Sprachen  gehen  in  Benennung  des  Silbers  weit 
auseinander;  seltsam  ist  es,  dass  die  Syrer  und  dann  die  Perser  ihre  alten  Namen 
desselben  ganz  oder  theilweise  aufgaben  und  dafür  das  griechische  aariuoi  (un- 
gemünzt)  in  der  Form  sem,  sm  annahmen. 

21.    S.68. 
Da  die  Eenntniss  des  Metalles  in  den  Combinationen  über  die  sogenannten 
Pfahlbauten  einen  hauptsächlichen  Eintheilungsgrund  abzugeben  pflegt,  so  be- 
nutzen wir  den  gegebenen  Anlass,   um  dieser  Reste  alten  Menschendaseins,  auf 
die  wir  noch  hin  und  wieder  werden  zurückkommen  müssen,  in  einigen  Worten 
2U  gedenken.    Da  ist  nun  zuvörderst  zu  sagen,  dass  es  nicht  gut  thut,   die  Ur- 
geschichte der  europäischen  Menschheit  nach  isolirten  Gesichtspimkten  ergründe 
zu  wollen:  haltlose  Phantasien  sind  die  Folge.   Aber  die  Gräberforscher  mit  ihren 
drei  Zeitaltem  wussten  oft  wenig  von  alter  Ethnographie  und  überlieferter  Ge- 
schichte;  den  reinen  Ethnologen  mit  ihren  Menschenracen  fehlte  das  Licht  der 
comparativen  Sprachforschung;   Sprachvergleicher  haben  nicht  immer  die  That- 
sachen  und  Möglichkeiten  der  Kulturgeschichte  in  Rechnung  gezogen;  theolo- 
gisirende  Urhistoriker  gaben  sich  nicht  die  Mühe  oder  konnten  sich  nicht  ent- 
schliessen,  das  Gewicht  der  Urkunden,  auf  deren  Text  sie  sich  bezogen,  vorher 
historisch- kritisch  festzustellen.    Was  nun  die  Wohnungen  auf  Pfählen  in  Seen 
und  Sümpfen  betrifft,  so  ist  es  nicht  wahr,  dass  die  Geschichte  gänzlich  über  sie 
schweigt.    Hippokrates  de  a6re,  locis  etc.  22.  p.  268  Ermerins  berichtet  von  den 
Kolchiem,  sie  hätten  ihre  Wohnungen  von  Holz  und  Rohr  mitten  in  den  Wassern 
errichtet:    t«   ts  oixriß.ittttt  ^vltyn   xal  xaXa^tva   4y    rotat    vJaai  fxiurixayrjftira. 
Diese  Kolchier  sind  das  von  Andern  Moavvoixoi  genannte  Volk,  das  eben  nach 
seinen  hölzernen  Thürmen  (uooi/yo/,  /noavyfg,  auch  mit  doppeltem  o)  so  geheissen 
war.    Freilich,  welcher  Völkerfamilie  die  Kolchier  angehörten,  ist  ungewiss.   Dass 
aber  auch  indoeuropäischen  Stämmen  diese  Bauart  nicht  fremd  war,   lehrt  der 
merkwürdige  Bericht  des  Herodot  5, 16  über  das  Volk  der  Päoner  in  Thrakien, 
eine  Stelle,  die  der  Welt  mehr  als  zweitausend  Jahr  vorlag,   ehe  bei  Meilen  im 
Zürchersee  zum  allgemeinen  ungeheuren  Staunen  alte  Pfähle  nebst  einer  „Kultur- 
Schicht"  entdeckt  wurden.    Die  Päoner,  erzählt  der  Vater  der  Geschichte,  wohnen 
auf  Pfählen  im  See  Prasias;   wer  eine  Frau  nimmt  —  und  sie  verheirathen  sich 
mit  mehr  als  einer  — ,  hat  drei  Pfähle  einzurammen,  zu  denen  ein  naher  Berg- 
wald das  Material  liefert;  die  Pfähle  tragen  ein  Verdeck;  auf  diesem  hat  Jeder 
seine  Hütte  (xalvßrj\  Fallthüren  öffnen  sich  gegen  den  See,  eine  schmale  Brücke 
führt  zum  Lande;  die  kleinen  Kinder  werden  am  Fusse  angebunden,  um  nicht  ins 
Wasser  zu  fallen;  Pferde  und  Hausthiere  werden  mit  Fischen  gefüttert,  denn  der 
See  ist  so  fischreich,  dass  man  durch  die  Fallthür  nur  einen  Eimer  herabzulassen 
braucht,  um  ihn  mit  Fischen  gefüllt  vrieder  heraufzuziehen  (offenbar  wegen  der 
reichlichen  Nahrung,  die  die  Abfälle  gewährten).    Da  die  Thraker  auch  sonst  io 
ihren  Sitten  sich  vielfach  zum  Norden  stellen,  warum  sollten  nicht  um  dieselbe 
Zeit  auch  die  Seen  im  innem  Europa  auf  ähnliche  Weise  bewohnt  worden  sein? 
um  so  mehr,  da  zu  einer  Zeit,  wo  Europa  fast  nur  ein  grosser  Wald  war,  Flüsse 
und  Seen  natürliche  Wege  und  Haltepunkte  abgaben,   solche  Wasserbauten  mit 
leicht  abgebrochenem  Zugang  aber  den  damaligen  Menschen  dieselbe  Sicherheit 
gewährten,  wie  den  heutigen  etwa  die  Festungen  Mantua  und  Comom.    Gewiss 


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Anmerkangeu.  463 

waren  die  sehr  alten  StAdte  Spina  und  Atria  im  Mündungslande  des  Po,  so  wie 
die  Wohnstatten  der  Veneter,  die  mitten  in  Sümpfen  und  Wassern  sich  erhoben 
(Strab.  5,  1,5:  raiv  ^i  noiftjy  al  ftlv  yrjaiCovaiy  nl  6'  ix  fi^()ovg  xkvCoytai),  in 
ähnlicher  Weise  auf  Pfählen  erbaut.  Ein  Bild  davon  giebt  uns  Eavenna  in  völlig 
heller  historischer  Zeit.  Ravenna  war  ganz  von  Holz  gebaut  und  von  Wasser 
durchströmt,  und  der  Verkehr  in  der  Stadt  geschah  durch  Brückenübergänge  und 
Gondeln  (Strab.  1.  1.  6:  ^vXonayii^  oXri  xal  StaggvTOi^  yicpvgatg  xn\  nogi^fidoig 
odivofiiyri);  alle  Gebäude  aber  ruhten  auf  Pfahlwerk  (Vitruv.  2,  9, 11:  est  autem 
maxime  id  considerare  Ravennae,  qtiod  ibi  omnia  opera  et  publica  et  privata  sub 
fundamentis  ejus  generis  habent  palos  —  nämlich  von  Erlenholz,  welches  unter  der 
Erde  von  unvergänglicher  Dauer  war:  die  Gebäude  selbst  bestanden  aus  Lärchen- 
holz, das  den  Po  hinabkam  und  dem  Feuer  Widerstand  leisten  sollte).  Wie  Ravenna 
war  auch  Altinum  nichts  als  ein  veredeltes  Pfahldorf,  und  dieselbe  Kunst  und 
Sitt«  ist  es,  die  später  in  den  Lagunen  an  der  Brentamündung  erst  kleine  An- 
siedelungen, dann  das  prächtige  Venedig  entstehen  Hess.  Cäsar  fand  das  Ufer 
der  Themse  mit  spitzen  Pfählen  verwahrt  und  Pfähle  eben  der  Art  im  Flusse 
steckend  und  von  Wasser  bedeckt  (de  b.  g.  12,  18:  ejusdemqite  generis  sub  aqua 
d^xae  Budes  flumine  tegebantur).  Dass  nun  unter  den  Besten  dieser  den  ver- 
schiedensten Punkten  des  indoeuropäischen  Gebietes  angehörenden  Bauten  sich 
auch  solche  finden,  die  nur  steinerne  Werkzeuge  enthalten,  ist  nicht  zu  ver- 
wundern. Die  einwandernden  Hirten  kannten  das  Metall  (in  Gestalt  des  Kupfers), 
wie  die  Gleichung  sanskr.  ayas,  zend.  ayanh^  lat.  aes^  goth.  at>,  altirisch  larn  für 
isam  beweist,  aber  dass  sie  es  nicht  zu  Werkzeugen  verarbeiteten,  sondern  sich 
der  Steinwaffen  bedienten,  kann  nicht  zweifelhaft  sein  und  wird  unter  vielem 
Anderen  durch  Wörter  wie  hatnar  und  sahs  (Grimm  DM*  165)  bestätigt.  Je  nach 
ihrer  Stellung  in  der  Völkerreihe  erhielten  darauf  die  einzelnen  Stämme  firüher 
oder  später  von  Süden  her  bronzene,  d.  h.  durch  Mischung  von  Kupfer  und  Zinn 
gehärtete  Messer  und  Schwerter,  aber  dass  diese  Umwandlung  plötzlich  geschehen 
sei,  wäre  eine  aller  Erfahrung  und  der  Natur  widersprechende  Annahme.  Es 
dauerte  gewiss  Jahrhunderte  lang,  ehe  in  Krieg  und  Jagd,  bei  Fällung  und 
Spaltung  der  Baumstämme,  beim  Schlachten  der  Thiere  u.  s.  w.  die  steinerne  Axt 
der  Concurrenz  des  bronzenen  Messers  wich  und  endlich  ganz  ausser  Gebrauch 
kam.  Gewohnheit,  ererbte  Fertigkeit  und  Uebung,  das  Beispiel  der  Vorfahren, 
Mythus  und  religiöser  Aberglaube,  die  natürliche  Stumpfheit  entlegener  Natur- 
völker, dies  Alles  entschied  für  das  Stein-  und  Beingeräth,  und  die  einzelnen 
bronzenen  Schwerter,  die  in  das  innere  Land  drangen,  werden  lange  Zeit  nichts 
als  Schmuck  und  Spielzeug  der  Häuptlinge  gewesen  sein.  Als  Cäsar  in  Britannien 
landete,  fand  er  eherne  oder  eiserne  Gewichtstangen  statt  Geldes  in  Gebrauch 
(5, 12:  utunlur  aut  aere  aiU  taleis  ferrevi  ad  certum  pondus  examinatis  pro  nummo\ 
also  eine  für  das  gallische  Festland,  das  längst  schon  Münzen  prägte,  vorüber- 
gegangene Epoche  in  Kraft;  die  Insel,  reich  an  Metallen,  auch  an  Zinn,  erhielt 
dennoch  ihr  Erz  nur  durch  Einfuhr  (aere  utuntur  importato)^  und  die  Stämme  im 
Linem,  die  meistens  keinen  Ackerbau  trieben,  von  Fleisch  und  Milch  sich  nährten 
und  mit  Fellen  bekleidet  waren,  werden  vom  Metall  wohl  noch  gar  keinen  Ge- 
brauch gemacht  haben.  Im  germanischen  und  slavischen  Norden  reicht  das  Stein- 
alter bis  tief  in  die  eigentlich  historische  Zeit  hinein,  ja  berührt  sich  in  einzelnen 
Fällen  sogar  mit  der  Epoche  des  Schiesspulvers.  Nach  aU  dem  scheint  die  Ver- 
muthung  nicht  zu  gewagt,  dass  die  Bewohner  auch  derjenigen  Schweizer  Pfahl- 
bauten, die  bisher  nur  Steingeräth,  dabei  aber  Beschäftigung  mit  Ackerbau  er- 
geben haben,  keltischen  und  speciell  helvetischen  Stammes,  die  der  Pfahldörfer 
in  der  Emilia  ümbrer,  entweder  selbständige  oder  von  Etruskem  unterjochte,  die 


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464  AmneTkungen. 

der  meklenburgischen  Seebauten  Gothen  u.  s.  w.  gewesen  seien.  Das  einzige 
Neue,  das  die  Aufdeckung  der  Pfahldörfer  geliefert  hat,  d.  h.  der  einzige  Cia- 
stand, den  die  bisherige  Geschichte  aUein  vielleicht  nicht  mit  solcher  Bestimmt- 
heit hätte  constatiren  können,  ist  die  Priorität  des  Ackerbaues  vor  den  Metallen 
und  zwar  eines  schon  vorgeschrittenen  Ackerbaues  mit  mehreren  Varietäten  Gerste 
und  Weizen,  zierlich  in  Bündel  gebundenem  geemteten  Flachs,  Baumfirüchten  u.  s.  w. 
Wenn  hier  keine  Beobachtungsfehler  vorliegen  und  wenn  nicht  etwa  spätere  Fund# 
das  bisherige  Resultat  wieder  umwerfen,  so  wäre  damit  erwiesen,  dass  die  Metallurg?  i 
der  Kulturwelt  des  Mittelmeers  erst  sehr  spät  in  die  Gegend  des  Bodensees  ge- 
drungen ist,  jedenfalls  später  als  die  feste  Ansässigkeit  und  der  Korn-  und 
Flachsbau.  Eine  bedeutungsvolle  Sage  bei  Plinius  12,  5  scheint  ausdrucken  zu 
wollen,  die  Schmiedekunst  sei  den  Galliern  aus  Italien  zugekommen  und  zwar 
gleichzeitig  mit  der  Kenntniss  des  Weines  und  Öles  oder  nicht  lange  vor  dem 
grossen  Bellovesus-  und  Sigovesuszuge:  ein  helvetischer  Bürger  Helico  (offenbar 
ein  Repräsentativname)  hielt  sich  der  Schmiedekunst  wegen  —  fahrilem  ob  artem 

—  in  Rom  auf  und  brachte  von  dort  eine  getrocknete  Feige  und  Weintraube, 
sowie  eine  Quantität  besten  Weines  und  Öles  in  die  Heimath  mit,  und  dies  beweg 
die  Gallier,  die  Alpen  zu  übersteigen  und  in  Italien  einzubrechen.  Da  dieser 
Einbruch  gegen  das  Jahr  400  vor  Chr.  erfolgte  (Zeuss,  die  Deutschen,  S.  165. 
Contzen,  Die  Wanderungen  der  Kelten,  S.  102ff.;  der  früheren  Datirung  des  Livins, 
dem  Otfr.  Müller  und  M.  Duncker,  Origines  germanicae  p.  14 ff.,  Glauben  schenken 
wollten,  steht  als  entscheidende  Instanz  Herodot  entgegen,  der  noch  von  keinen 
Kelten  in  Italien  weiss),  so  würde  die  Einfuhr  italischen  Metallwerks  in  das  yot- 
ausgehende  Jahrhundert  fallen,  seit  etwa  hundert  Jahr  nach  der  Gründung 
Massilias;  die  kombauende  Steinzeit  läge  darüber  hinaus.  Wir  wissen  nicht,  was 
sich  historisch  und  kulturgeschichtlich  dagegen  einwenden  Hesse.  Die  Kelten 
wurden  übrigens,  als  sie  nach  ihrem  grossen  kriegerischen  Wanderzuge  nach  Osten 
feste  Wohnsitze  längs  den  Alpen  gewonnen  hatten,  Meister  in  der  Metallarbeit: 
sie  waren  die  schmiedenden  Zwerge,  die  die  Germanen  und  den  ganzen  Norden 
mit  Schwertern,  Kesseln  u.  s.  w.  versorgten.  Das  norische  Eisen  wurde  berühmt, 
und  es  ist  nicht  auffallend,  wenn  deutsche  Wörter,  wie  Eisen  (goth.  eisarn  mit 
dem  keltischen  Suffix  ama,  s.  Schleicher  in  Hildebrands  Jahrbüchern  1,  S.  410) 
oder  Beil  (altirisch  biaii^  altcomisch  bahelly  Zeuss'  p.  1061)  oder  ahd.  gir  der 
Speer,  folglich  gothisch  gais  (die  keltischen  Am o« r ot  =  Speerträger,  Zeuss' 53; 
das  Wort  ist  auch  iranisch,  Justi  S.  98,  und  stammt  vielleicht  ursprünglich  von 
einem  iranischen  Volk)  oder  Brünne  (gothisch  brunjo,  slav.  brünja,  aus  altirisch 
bruinne  =  Brust,  Bauch,  Zeuss*  1058,  Arti,  Gen.  bronn^  Stockes  ir.  gl.  no.  647,  wie 
Panzer^  ital.  panciera,  aus  pantex  Wanst)  der  Entlehnung  aus  dem  Keltischen  ver- 
dächtig sind.    Nichts  wandert  so  leicht,  wie  Waffen  und  Waffennamen. 

22.    S.59. 

Auch  in  der  schönen  Stelle  des  Euripides  Bacch.  274  ff.  werden  die  Gaben 
der  Demeter  und  des  Bacchus  oder  Brot  und  Wein  als  die  ersten  Güter  des 
Menschengeschlechts  gepriesen. 

28.    S.61. 

Auf  die  Stelle  II.  7,  467 ff.,  wo  Euneos,  d.  h.  der  Wohlschiffende,  der  Sohn 
des  lason,  von  der  thrakdschen  Insel  Lenmos  zum  achäischen  Lager  weinbeladene 
Schiffe  sendet,  die  Erz  und  Eisen,  Felle,  Ochsen  und  Sclaven  gegen  den  olroe 
eintauschen,  während  die  beiden  Atriden  abgesondert  tausend  Mass  fii^v  erhalten 

—  auf  diese  Stelle  ist  wenig  zu  bauen  da  sie  den  jungem  Ursprung  an  der  Stirn 


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Anmerlnmgeii.  465 

trtgt  Das  Wort  iivSganoSov  gehört  der  attischen  Prosa  an,  Euneos,  der  lasonide^ 
stammt  aus  H  23,  747  n.  s.  w.  Der  Unterschied  zwischen  ofvoc  und  ^i^v  ist  also 
^eichfalls  nichtig. 

24.  s.ei. 

Maron  selbst  ist  nichts  als  eine  mythische  Personification  der  lakonischen 
Stadt  Ismaros,  welche  mit  Wegfall  des  a  vor  ß  und  erweiterndem  Suffixe  auch 
Maroneia  hiess,  während  ein  nahe  gelegener  See  den  Namen  Ismaris  trug  (Herod. 
7, 109).  Der  Sohn  des  thrakischen  Eumolpus  —  culturam  Vitium  et  arborum  (in- 
venit)  Eumolpus  AthemensiSj  Plin.  7, 199  —  hiess  Ismarus  oder  Immaradus  mit  , 
assimilirtem  Anlaut  und  genealogischem  Suffixe.  Die  Beihe  Ismaros,  Ismaris, 
Lnmaradus,  Maron,  Maroneia  enth&lt  interessante  Winke  für  thrakische  und  speciell 
kikonische  Lautverhältnisse  und  Gesetze  der  Wortbildung. 

25.  8.62. 

So  deuten  wir  ßovnltj^  hier,  nicht  als  Stachelstab  zum  Antreiben  der  Ochsen. 
Das  Beil,  die  uralte  Waffe,  die  aus  der  steinernen  Axt  stammt  und  noch  deren 
Form  zeiget,  dient  in  Eriegsscenen  immer  als  Attribut  der  Barbaren  (Annali  dell' 
institnto  arch.  1863.  p.  339.  340).  Bei  Homer  ist  es  als  Waffe  selten;  im  15.  Buch 
der  Dias  bek&mpfen  sich  Troer  und  Achäer  freilich  auch 

o^iai  ÖTj  ntUxeaai  xal  a^iyriai  (v.  711), 
aber  unmittelbar  am  Schiffe,  das  Hector  schon  fasst  und  anzuzünden  hofft,  also 
Leib   an  Leib,  wie  auf  Zimmerholz  und  Opferthiere  auf  einander  zuhauend. 
Einmal  führt  auch  der  Trojaner  Pisander  einen  Streich  mit  der  ä^iyfj  gegen 
Menelans,  wird  aber  von  diesem  mit  dem  Schwert  getödtet  (D.  13,  611). 

26.  S.68. 

Es  ist  nicht  allzukühn,  Semele  als  thrakisches  Wort  in  der  Bedeutung  Erde, 
Erdgdttin  zu  fassen.  Der  Stamm,  zu  dem  gr.;^a/ua/u.  s.  w.,  lat.  humvs  u.  s.  w. 
gehört,  erscheint  zendisch,  litauisch  und  slavisch  mit  assibilirtem  Anlaut.  Eben 
so  finden  wir  das  thrakische  und  phrygische  Sabos,  Sabazios,  die  macedonischen 
Savadat  bei  Hesjchius  u.  s.  w.  in  dem  Beinamen  des  Dionysos  "Yrii  oder  'Yfi^f, 
der  Feuchte,  Fruchtbringende,  dessen  Ammen  auch  die  Hjaden  sind,  wieder.  Es 
giebt  einen  Sabazios  Hjes,  und  auch  die  Semele  ward  von  Pherecydes  Hye  ge- 
nannt   ScU)08  und  *'Yrig  stimmen  buchstäblich  überein. 

27.  S.68. 

Ebendahin  würde  der  ß^ßktyoq  olyog  bei  Hesiod  Op.  et  d.  689  fahren,  in  so 
fem  er  bald  von  Thrakien,  bald  von  Naxos  abgeleitet  wird,  Steph.  Byz.:  BißXiyrjy 
X^Q^  Ogaxiji'  dno  javirig  6  BCßliyog  olyos,  ot  dl  dnb  BißlCag  ttfxniXov^  Zrjßog 
d*  6  ^rjliog  thy  Na^toy  q>ijaiy,  fTttid^  Na^ov  noiafxog  BCßlog,  Stammt  der  Name 
von  der  phönizischen  Stadt  Byblus  (phönizisch  Gybl  d.  h.  Höhe,  althebr.  Gobel, 
die  Stadt  der  Gibliter),  wie  in  dem  Yerse  des  Archestratus  bei  Athen.  1,  p.  28 
angedeutet  ist: 

Tby  (T  dnb  <PotyUrji  IgSg,  rby  ßvßltyoy,  alym, 
80  sind  die  Varianten  ßvßXtyog  und  ßCßXivog  gleich  richtig,  da  der  phönizische 
Yokal  auf  die  eine  und  die  andere  Art  wieder  gegeben  werden  kann;  nicht  weit 
liegt  auch  die  nasalirte  Form  ßC^ßXtyog  (bei  Hesychius)  ab.  Merkwürdig  ist,  dass 
dieser  Wein  uns  spftter  auf  sicilischem  und  unteritalischem  Boden  begegnet:  er 
kam  bei  Epicharmus  vor,  Theokrit  erwähnt  seiner  (14, 15),  der  Geschichtschreiber 
Hippys  von  Rhegium  erzählte,  er  sei  von  Italien  nach  Syrakus  verpflanzt  worden 

Viet.  HehD,  Kultarpflanzea.  30 

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^gg  Anmerkungen. 

(Athen.  1,  p.  31) ;  endlich  findet  er  sich  auf  der  ersten  der  beiden  heraUeotischen 
Tafeln,  wenn  die  dort  vorkommenden  Ausdrücke  a  ßvßX(a  und  juv  ßvßUyav 
fiaaxalay  von  Mazochi,  dem  Herausgeber  und  Erkl&rer  der  Inschrift,  richtig  als 
„byblische  Weinpflanzung**  gedeutet  sind  (das  C.  I.  III.  no.  5774  und  5775  stimmt 
ihm  bei:  recte  videtur  Mazochius  a  vUis  genere  ex  Byblo  Phoenida  repetendo  deri- 
vare,  unde  etiam  ßvßlivo^  olyog),    Dass  diese  Benennung  indess  in  ein  so  hohes, 
l&ngst  verschollenes  Alterthum  hinaufgehe  und  eine  Erinnerung  an  die  Kolonien 
der  Bjblier  enthalte,  die  die  frühesten  aller  phönizischen  waren,  kommt  uns  nicht 
wahrscheinlich  vor.   Weniger  phantastisch  möchte  es  sein,  an  den  Byblusstoft  zu 
denken,  da  Homer  dasselbe  Adjectiv  ßvßktrog  kennt;  er  legt  es  Od.  21,  391  einem 
Schiffeseil  bei,  welches  also  aus  Papyrus-Bast  gedreht  war.    Es  fragt  sich  nur, 
wie  eine  Art  Wein  danach  heissen  konnte.  Wurden  die  Beeren  auf  Byblus-Matten 
gedörrt  und  dann  erst  gekeltert,  so  dass  sie  eine  Art  Strohwein,  vwum  fMSsum, 
gaben?   Oder  rankten  sich  die  Reben  an  Byblus-Stricken  fort,  wie  zu  Varros  Zeit 
in  der  Gegend  von  Brundisium  in  Italien  ?   Auf  Letzteres  würden  die  Worte  des 
Hippys  von  Rhegium  führen,  bei  Athen.  1,  p.  31:  'InnCaq  (so  heisst  er  an  dieser 
Stelle)  dl  6  *Pr\Ylyoi  t^y  tiXeoy  italov^(yr\y  afiniloy  BißKay  tpr^al  xaltta^m. 
Oder  wurden  sie  mit  Byblus-B&ndem  an  die  Stützen  angebunden,  so  dass  die 
Trauben  sich  freier  entwickeln  konnten?  —  Grotefend  in  den  Annali  dell'  insi  VE. 
p.  275  und  nach  ihm  Göttling  zu  der  o.  a.  Stelle  des  Hesiod  leiteten  auch  den 
etruskischen  Namen  des  Bacchus  Fufluns  von  ßvßXiyog  ab;  Corssen,  Sprache  der 
Etrusker  1, 314  lehnt  diese  Zusammenstellung  ab,  da  griechischem  und  lateinischem  b 
im  Anlaut  p,  niemals  f  entspreche.  —  Welche  Bewandtniss  es  mit  dem  von  Homer 
an  zwei  Stellen  (IL  11,  638.   Od.  10,  235)  genannten,  zum  Weinbrei  oder  Misch- 
trank dienenden  pramn  eis  eben  Wein  eigentlich  hatte,  und  ob  dieser  Name  eine 
Art  Rebe  oder  Bereitungsart  oder  eine  Gegend  und  welche  bezeichne,  wussten 
die  sp&teren  Erklärer  offenbar  eben  so  wenig,  als  was  der  ßlßXiyoq  olyog  eigentlich 
sei,  obgleich  es  an  Yermuthungen  und  Behauptungen  nicht  fehlte  (s.  besondeis 
Athen.  1,  p.  30)  und  der  pramneische  oder  pramnische  Wein  auch  in  der  nach- 
homerischen Zeit  hin  und  wieder  erw&hnt  wird,  z.  B.  von  dem  Komiker  Ephippus: 

(fftldi  ys  ngaßvioy  olvoy  Xioßtoy 
(Athen.  1,  p.  28).  Erinnert  man  sich  des  thrakischen  oder  eigentlich  päonischen 
aus  Hirse  mit  Zusatz  von  xoyvCij  gebrauten  Mischtrankes  nagaß^rj,  dessen  HecatSns 
Erwähnung  that,  so  wird  man  von  der  Yermuthung  beschlichen,  das  AdjecÜT 
pramneisch  stelle  nur  eine  andere  Form  desselben  thrakischen  oder  phrygischen 
Wortes  dar. 

28.  S.65. 
Gehörte  olyoc,  vinurriy  wie  zuerst  Pott  aufjgestellt  hat,  in  eine  Reihe  mit  viere, 
viHs,  vitex,  vimen,  vitta,  fr^«,  ttvg  u.  s.  w.,  so  hätten  die  Griechen  und  Lateiner 
aus  einer  einheimischen  Wurzel,  die  winden,  ranken  bedeutete,  vermittelst 
eines  participalen  n  ihre  Benennung  des  Weines  gebildet.  Allein  da  1)  das  Ge- 
tränk sowohl  durch  die  mannichfache  technische  Procedur,  deren  Ergebniss  es 
ist,  als  durch  Wirkung  und  Eigenschaften  zu  weit  von  der  Pflanze  absteht,  nm 
nach  deren  rankender  Natur  benannt  zu  werden;  2)  bei  üebertragung  dieser 
Kultur  von  Yolk  zu  Volk  zuerst  das  fertige  Produkt  eingeführt  und  mit  dem 
fremden  Namen  benannt,  nachher  erst  der  Anbau  selbst  gelehrt  wird  —  wo  such 
dann  leicht  jüngere  Wörter  wie  of^tj,  oiyas^  otyagoy  u.  s.  w.  ergeben;  3)  die  nahe 
Uebereinstimmung  des  semitischen  Wortes  nur  durch  Entlehnung  von  Seiten  der 
Griechen,  die  mit  der  Sache  auch  den  Namen  empfingen,  ihre  Erklärung  findet; 
—  so  wird  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  vinum  nur  zufällig  an  vitü  anklingt. 


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Aiunerkungen.  4g7 

jenes  ein  Fremdwort,  dieses  ein  einheimisches  mit  der  Bedeutung :   „biegsames 
Gewichs"  ist  (s.  unten  Anmerkung  50).   Auch  die  Germanen  entlehnten  das  Wort 
Wein,  benannten  aber  die  Rebe  deutsch  (ahd.  repa).  —  Curtius  no.  694  sagt: 
„Warum   die  Frucht  der  Ranke  nicht  selbst  ursprünglich  Ranke  genannt  sein 
sollte,  ist  nicht  abzusehen.   Das  litauische  Wort  bietet  die  schlagendste  Analogie^ 
(nämlich  apvynys  Hopfenranke,  Plur.  apvynei  Hopfen).    Schlagend  wftre  die  Ana- 
logie, wenn  in  irgend  einer  Sprache  das  Bier  nach  der  stachlichten  Natur  der 
Aehre  benannt  w&re:   so  aber  ist  jener  litauische  Bedeutungsübergang  ungefähr 
derselbe  wie  in  aviaas,  Haberkom,  Plural,  ttvizoi  Haber  und  wie  in  hundert  ähn- 
lichen Fällen.    Man  erwäge  nur,  dass  vinum  ja  nicht  von  vitis  abgeleitet  ist,  wo 
die  Sache  denkbar  wäre,  sondern  unmittelbar  aus  einer  Wurzel  mit  der  Bedeutung 
flechten,  biegsam  sein  stammen  soll  —  denn  der  Begriff  ranken  ist  nur 
ontei^eschoben,   um  die  beliebte  Etymologie  scheinbar  zu  machen,  und  wird 
schon  durch  das  griechische  iUoj  die  Weide,  ein  zähes,  zu  Flechtwerk  dienendes 
Hok,  widerlegt 

Auch  Mommsen  hält  unter  Anlehnung  an  eine  angebliche  sanskritische  Ver- 
wandtschaft für  wahrscheinlich,  dass  das  in  Italien  einziehende  Urvolk  den  Wein- 
stock  schon  mitgebracht  habe  (an  mehreren  Stellen  seiner  Römischen  Geschichte, 
besonders  1, 173 f.  der  zweiten  Auflage).    Allein,   da  der  Weinbau  den  höchsten 
Grad  Ton  Ansässigkeit  voraussetzt,  so  ist  er  mit  den  Sitten  einer  wandernden 
Horde  nicht  vereinbar.  Völkerwanderungen  in  Masse  sind  auf  der  Stufe  kriegerischen 
Hirtenlebens  natürlich,  bei  ausgebildetem  Ackerbau  mit  Bodeneigenthum  und 
festen  Häusern  nur  unter  ganz  besonderen  Umständen  und  in  höchst  seltenen 
Fällen  möglich,  bei  Baumzucht  und  Weinbau  ganz  undenkbar.    Man  sehe  die 
Briten  oder  die  Germanen  des  Cäsar,  ihre  Rindviehzucht,  ihren  beginnenden, 
halb  nomadischen  Ackerbau,  ihre  aus  Milch  und  Fleisch  bestehende  Nahrung, 
ihre  Bekleidung  mit  Fellen  u.  s.  w.    Glaubt  man,  sie  hätten  Weinbau  treiben 
können,  der  so  viel  Sorge  für  die  Zukunft;,  so  viel  Vermittelungen  der  Kultur  in 
sich  schliesst?   Sie,  die  wahrscheinlich  nur  Sommerkom  bauten,  da  die  Winter- 
saat  schon  einen  zu  feinen  Plan  und  eine   zu  weite  Berechnung  voraussetzt 
(Röscher,  Ansichten  der  Volkswirthschaft,  Leipzig  und  Heidelberg  1861:   (Jeher 
die  Landwirthschaft  der  ältesten  Deutschen,  S.  75  ff.  —  v.  Sjbel,  Kleine  historische 
Schriften,  1868,  S.  Böffl),  sie  hätten  sich  mit  Rebstöcklingen  befassen  können,  die 
erst  nach  Jahren  die  ersten  Beeren  tragen?  Nun  stand  aber  das  in  Italien  ein- 
brechende Wandervolk  gewiss  auf  keiner  höheren  Lebensstufe,  als  die  Germanen 
der  ältesten  Geschichte,   eher  auf  einer  niedrigeren:   sie  kamen  mit  Rindern, 
Schweinen  und  steinernen  Aexten,  aber  sicherlich  nicht  mit  dem  Weinstock.    Der 
Unterschied  in  der  Entwickelung  der  grossen  Völkergruppen  Europas  besteht 
nur  in  dem  früheren  oder  späteren  Eintreten  in  bestimmte  Phasen  der  Kultur: 
die  Griechen  wurden  vom  Orient  aus  angeregt,  die  Italer  von  den  Griechen;  die 
Kelten  wandten  sich  zum  Acker-,   Städte-,  Wege-  und  Brückenbau  um  Jahr- 
hunderte später,  als  die  graecoitalischen  Stämme,   von  denen  sie  Mancherlei 
lernten;  wieder  um  Jahrhunderte  später  die  Germanen,  die  unterdess  die  ciriH- 
sirende  Einwirkung  der  Kelten  erfahren  hatten;  noch  später  im  Rücken  der  Ger- 
manen die  Slaven  unter  fortwährendem  Bildungseinfluss  des  germanischen  Westens. 
Der  Unterschied  des  Naturells  und  des  Klimas  versteht  sich  hierbei  von  selbst, 
aber  gerade  das  Klima  gebietet  ein  allmähliges  Aufsteigen  des  Weinstocks  von 
Südosten  und  verbietet  die  Herabkunft  desselben  von  jenseit  der  Alpen.    Dass 
vom  Gesichtspunkt  römischer  Quellen  und  Traditionen  der  Weinbau  in  Italien 
ab  sehr  alt  erscheint,  geben  wir  zu,  nur  fragt  sich  wie  alt?   die  Zeit  griechischer 
Einwirkung  ist  für  die  Feststellung  des  römischen  Rituals  und  überhaupt  für 

80* 


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468  Anmerkungen. 

Italien  —  von  Rom  aus  gesehen  —  immer  noch  eine  sehr  alte,  eine  Urzeit.  Wenn 
z.  B.  der  Stammgott  der  Sabiner,  Sancos,  als  Winzer,  vitücUor^  mit  der  gebogenen 
Sichel  gedacht  wurde,  so  wollten  dieselbt'n  Sabiner  doch  auch  von  Sabns  dem 
Lacedftmonier  abstammen! 

29.    S.67.      ^ 

Der  griechische  Ausdruck  xdfAtt^  (schon  bei  Homer  und  Hesiod)  bedeutete 
nur  die  leichte,  rohrartige  Ruthe  oder  Stange,  an  die  die  Reben  sich  klammerten 
oder  die  von  Baum  zu  Baum  gezogen  wurde:  der  Weinberg  auf  dem  Schilde  d^ 
Herakles  bei  Hesiod  (v.  897)  schwingt  sich  mit  Blättern  und  xdfiaxsq  hin  und  her: 

OHOfitvos  tpvlkotai  xaX  dQyvgif^ai  xdfiu^i, 
und  das  kot^xn  in  dem  entsprechenden  Verse  der  Hias  18, 563: 

kai^ixii  Sh  xdfda^i  ^la^un^gh  agyvQ^riaty  — 
will  wohl  nur  sagen,   dass  Rohrstützen  in  durchlaufenden  Reihen  eingesteckt 
waren  und  die  Reben  hielten.   Auch  die  jüngere  Benennung /a^ol  (wovon  nach 
Diez  das  französische  echalas)^   eigentlich  ein  zugespitzter  Steckling,   wird  ur- 
sprünglich im  Sinne  von  Rohr  oder  Ruthe  gebraucht:   die  x^gaxtg  z.  B.,  die  die 
fünf  reichen  Corcyr&er  bei  Thucydides  3,  70  aus  dem  Hain  des  Zeus  und  des 
Alkinoos  geschnitten  haben  sollten,  können  nur  Ruthen  geweseu  sein,  da  die 
Schuldigen  für  jedes  Stück  einen  Stater  bezahlen  sollten  und  die  Strafe  über- 
mässig hart  schien,  aus  einem  geweihten  Hain  aber  nicht  viele  Pffihle  unbemerkt 
gehauen  werden  konnten.    Der  eigentlich  griechische  Ausdruck  für  Weinpfahl 
wÄre  Ttriiof  oder  nrj^oy  (entsprechend  dem  lateinischen  pedare  vineam^  pedamenium, 
pedum  der  Hirtenstab  u.  s.  w.,  nur  mit  gesteigertem  Wurzelvocal,  buchstäblich  = 
goth.  fotu8\  aber  dies  Wort  kam  zu  keiner  Entwickelung:  es  erscheint  bei  Homer 
in  der  Bedeutung  Fussende  des  Ruders;  in  der  Stelle  D.  5,  838,  wo  von  der 
buchenen  Wagenachse  die  Rede  ist,  gab  es  eine  alte  Lesart  nti^ivo^  statt  (pr^ytpoq 
(s.  Eustath.  zu  der  Stelle)  und  bei  Theophrast  h.  pl.  5,  7,  6  hat  Schneider  nach 
Handschriften  nriöo^  für  den  Baum,  der  zu  Wagenachsen  und  Pflugbäumen  dient, 
wiederhergestellt  (s.  Schneid,  zu  Theophr.  h.  pL  4, 1,  3).  —  Sind  die  Oenotrer  von 
den  Weinpfählen  benannt,  so  führt  der  Name  der  in  Italien  ältesten  Traube,  der 
vüü  Aminaea  oder  Ammea^  seltsamer  Weise  zu  den  Peucetiem,  dem  Brudervolk 
der  Oenotrer.    Philargyr.  ad  Verg.  G.  2,  97:   Aristoteles  in  Politüs  scribü  Amineos 
ThcBsalios  fuüse,   qui  tuae  regionis  vites  in  Italiam  transtulerint ,   atque  Ulis  inde 
nomen  impositum.    Dazu  die  Glosse  des  Hesjchius:    i;  ydg  üevxeiia  'Afjitvala  U- 
yitai.    Auch  nach  Macrobius  Sat.  3,  20,  7  war  die  amineische  Traube  nach  einer 
Gegend  benannt:   Aminea,  scilicet  e  regione,  nam  Aminei  fuerunt  ubi  nunc  Fcdernum 
est    Galenus  verlegt  an  zwei  Stellen  seiner  Schriften  den  amineischen  Wein,  den 
er  wässerig,  vduTWifrjs,  und  leicht,  Itntosy  nennt,  in  die  Umgegend  Neapels,  de 
methodo  medendi  12,  4:    o   re  NeanoUrrig  6  ^Afiivaioq^   iv  joig  mgl  Nsdnohf 
XOigCoti  yivofiivoiiy  de  antid.  1,3:    o  is  (rNsanoXsi  xatd  tovi  i/noxHfiivovi  avx^ 
k6(povfy  ^Afxivttloß  ßkv  6yofiaC6f4€yog  x»  t.  L   Danach  besserte  Voss  in  der  so  -eben 
angeführten  Stelle  des  Macrobius  Salemum  statt  Falemum  (worin  ihm  VaL  Bo^e, 
Aristot.  pseudepigr.  p.  467  beizustimmen  scheint)  und  verstand  unter  dem  Pen- 
cetien  des  Hesychius  das  Land  der  Picentiner  südöstlich  von  Neapel    Allein  die 
amineische  Traube  war  gerade  in  dem  eigentlichen  Campanien  recht  zu  Hause. 
Wenn  Varro  die  vitis  Aminea  auch  Scantiana  nennt  (de  r.  r.  1, 58,  Plin.  14,47), 
so  ist  dies  Wort  doch  von  der  silva  Scantia  abgeleitet,   die  eben  in  Campanien 
lag.    In  alter  wie  in  neuer  Zeit  wurde  die  Rebe  in  Campanien  hoch  an  B&nmen 
gezogen,  und  eine  vitis  arbustiva  war  gerade  die  amineische.   Letzteres  geht  aus 
den  Beschreibungen  bei  ColumeUa  3,2,  8—14  und  Plinius  14, 21  ff.  und  aus  den 


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Amnerkungen.  469 

Vorschriften  der  Geoponica  4, 1,  8.  5, 17,  2.  ö,  27,  2  deutlich  genug  hervor.  So 
konnte  die  amineische  Traube  der  Gegend,  in  der  zu  Galenus  Zeit  der  amineische 
Wein  wuchs,  ursprünglich  angehören.  Die  Peucetier  freilich,  das  Fichtenvolk, 
dachte  man  sich  später  anderswo,  allein  dieser  Name  ist  ein  Appellativum ,  mit 
dem  der  Begriff  von  Wald  und  B&umen  verknüpft  wurde,  und  an  Wäldern  fehlte 
es  Campanien  auch  zu  Giceros  Zeit  nicht,  wie  ausser  der  so  eben  erwähnten 
Scaniia  die  silva  Oallinaria  am  Fluss  Voltumus  beweist,  ein  noch  jetzt  vorhandener, 
aus  Fichten  bestehender  Wald.  Die  thessalische  Herkunft  besagt  wohl  weiter 
nichts,  als  dass  diese  Traube  in  die  älteste  Zeit  der  griechischen  Ansiedelung 
hinaufging.  —  Liest  man  bei  Hesjchius  uoQytov  döog  d^tn^Xov  und  erinnert  sich 
der  von  Cato  MurgenHnum  genannten  Rebenart,  so  treten  auch  die  Morgeten, 
deren  Name  im  Uebrigen  von  dem  zugetheilten  Feldmass  (von  fd^fgofiai,  mit  Ver- 
dickung desy  in  y)  gebildet  scheint,  zum  Weinbau  in  Beziehung.  In  den  zahl- 
reichen Benennungen  für  Traubensorten  steckt  überhaupt  noch  manches  Alter- 
thum.  Dem  Namen  der  visuh  z.  B.  liegt  wohl  das  griechische  olaosy  oiaog^  olaov^ 
oiava  (das  Adjectiv  oiavi'yos  schon  homerisch)  zu  Grunde,  französisch  (wter,  bre- 
tonisch oazil.  Sollte  die  spionia  oder  apinea,  die  an  den  Pomündungen  heimisch 
war,  auf  das  griechische  ifj^vofittiy  ipiydg  zurückzuführen  sein,  da  an  die  alt- 
berühmte Stadt  Spina  zu  denken  allzukühn  wäre?  —  Merkwürdig  ist,  wie  die 
Verschiedenheit  in  Anpflanzung  und  Erziehung  der  Beben  je  nach  der  Landschaft 
vom  frühen  Alterthum  bis  auf  den  heutigen  Tag  sich  erhalten  hat  Die  Provence 
zieht  ihren  Wein  noch  jetzt,  wie  die  Phokäer  es  gewohnt  waren;  die  ähnliche 
catalonische  Methode  stammt  von  den  massaliotischen  Pflanzstädten;  in  Toskana 
und  in  der  Campagna  von  Neapel,  vom  Voltumo  südlich,  wächst  der  Wein  an 
hohen  Ulmen  und  Pappeln  empor,  in  der  Lombardei  schlingt  er  sich  an  Mass- 
holderbäumchen  {opulus,  gleich  popu/t4«  in  keltischer  Aussprache,  mit  unterdrücktem 
anlautenden  p,  wie  athir  =pat€r,  iasg  =  piBcis  u.  s.  w.)  in  Guirlanden  (rumpi,  tra- 
duc€8)  fort,  in  den  Alpenthälem  bildet  er  weite,  säulengetragene  Lauben  —  Alles 
wie  zur  Zeit  des  Varro,  Plinius  und  ColumeUa.  Den  Weinbau  in  der  baumlosen 
Levante  schildern  ünger  und  Kotschy,  die  Insel  Cypem,  S.  449:  ^Auch  ohne 
Stütze  muss  der  Kebenschössling  sein  Leben  fristen,  seine  Tranben  tragen  und 
sie  zur  Keife  bringen,  denn  woher  sollte  das  Holz  zu  den  Stützen  genommen 
werden,  die  ihm  wie  in  unseren  Weingärten  die  Last  der  Fruchtschwere  er- 
leichterten? Dazu  ist  weder  auf  den  ionischen  Inseln,  weder  in  ganz  Griechen- 
land, in  Syrien  und  Palästina,  noch  hier  auf  der  Insel  (Cypem)  das  Material  vor- 
handen. Wer  den  Orient  bereiset,  gewöhnt  sich,  dort  wo  der  Weinstock  nicht 
seinem  natürlichen  Triebe  folgen  und  in  den  Wipfeln  der  Bäume  grünen  und 
hausen  kann,  ihn  als  eine  planta  humifusa  in  grösster  Submission  und  Sclaverei 
zu  betrachten." 

80.    S.78. 

Etwas  ganz  Aehnliches  erlebte  Portugal  noch  in  der  zweiten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts.  Das  in  den  tiefsten  wirthschaftlichen  Verfall  gerathene  Land 
fand  eine  Quelle  des  Erwerbs  nur  noch  in  der  Weinproduction ,  die  sich  nun 
durch  das  ganze  Land,  auf  günstigem  und  ungünstigem  Boden,  an  Stelle  des 
Ackerbaues  gesetzt  hatte.  Der  Minister  PombaJ  befahl,  in  ganzen  Districten, 
namentlich  im  Thal  des  Tajo,  die  Weinstöcke  auszureissen  und  das  Land  mit  Ge- 
treide zu  besäen-  Der  Befehl  wurde  ausgeführt,  denn  der  gewaltsame  Reformator 
duldete  keinen  Widerspruch. 


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470  Anmerkimgeii. 


81.  8.74. 

Von  einem  sonderbaren  Vorläufer  •  des  Islam  bei  den  Geten  erzählt  Strabo 
7,  8, 11.  Dies  Volk  war  wie  die  Skythen  und  Thraker  und  nachher  die  Slayen 
wegen  seiner  Trunksucht  berüchtigt,  die  jeden  politischen  und  kriegerischen  Auf- 
schwung desselben  hemmte.  Da  trat  unter  ihnen  nicht  lange  Yor  Strabos  Zeit 
(oder  wie  Jordanis  11  nach  Dio  Chrysostomus  berichtet:  zur  Zeit  von  Sullas 
Dictatur)  ein  Zauberer,  Namens  Decaeneus,  auf,  der  viel  in  Aegypten  gewandert 
war  und  dort  die  Kunst  der  Weissagung  gelernt  hatte,  und  gewann  ausserordent- 
lichen Einfluss  auf  seine  Volksgenossen.  Sie  gehorchten  ihm  so  blind,  dass  sie 
auf  seinen  Bath  alle  Weinstdcke  im  Lande  ausrotteten  und  fortan  ohne  Wein 
lebten.  Dies  traf  mit  der  Herrschaft  des  Königs  Boerebista  zusammen,  der  den 
gleichen  Zweck,  das  Volk  mannhaft  zu  machen,  verfolgte  und  in  der  That,  nach 
allen  Seiten  siegreich,  ein  mächtiges  getisches  Reich  gründete,  bis  Parteiungen 
gegen  ihn  ausbrachen  und  die  getische  Macht  wieder  zerfieL  Ob  die  Tugend  der 
Enthaltsamkeit  sich  länger  erhielt  und  ob  Decaeneus,  wie  später  Muhamed,  als 
Ersatz  für  den  verbotenen  Wein  die  getische  Vielweiberei  bestehen  Hess  oder  gar 
begünstigte  —  wird  nicht  gemeldet.  Thraker,  Geten  und  Daken  waren  ein  Stamm 
von  ungezügelter  Sinnlichkeit,  welcher  letzteren  dann  wieder  (worauf  MüllenhofT 
aufmerksam  macht,  Artikel  Geten  in  der  Encyclopädie)  von  Zeit  zu  Zeit  eine  as- 
cetische  Reaction,  die  durch  Geisterglauben  genlöirt  wurde,  gegenübertrat. 

82.  S.77. 

Das  proven^alisch-franzosische  Wort  torutj  tonne  y   das  sich  auch  walachisch 
wiederfindet  und  in  alle  keltischen  und  germanischen  Sprachen  übergegangen  ist, 
aber  charakteristischer  Weise  im  Italienischen  fehlt,  muss  aus  einer  der  Alpen- 
sprachen stammen,  dem  Ligurischen  oder  Rhätischen.    Lateinisch  und  italienisch 
giebt  es  ein  Wort   mit  anderem  Wurzelvocal:    tina,  Weinkübel.    Nach  Strabo 
waren  im  cisalpinischen  Gallien  ausser  Pechsiedereien  (in  den  waldigen  Vorbergen 
der  Alpen)  auch  ungeheure  hölzerne  Fässer,  gross  wie  Häuser,  zur  Aufiiahme 
des  Weines  im  Gebrauch,  6,  1, 12:   i6  d*  oluov  to  nXfjS'Of  firjyvovaty  ol  nl^oi' 
ol  Svltyoi  yitg  fniCovg  otxtoy  iia(.   Auch  die  Illyrier  luden  nach  demselben  5, 1,8 
den  Wein,  den  sie  aus  Aquileja  bezogen,  in  hölzernen  Fässern,  ^n\  ^vUymy  nl^v^ 
auf  ihre  Wagen.  —  Mit  den  Holzgefässen  trat  noch  ein  anderes  weitverbreitetes 
Wort  auf:    Daube,  Dauge,   welches  durch  alle  romanischen  und  slavischen 
Sprachen  geht  und  auch  im  Magyarischen,  Albanesischen,  Walachischen  und  Neu- 
griechischen nicht  fehlt    Diez  führt  alle  vorhandenen  Formen  desselben  auf  ein 
der  sinkenden  Latinität  angehörendes  doga  zurück,  welches  selbst  wieder  aus  dem 
griechischen  doxi  entstanden  wäre.    Das  Wort  ist  in  das  Germanische  nur  ver- 
einzelt gedrungen,   wuchert  aber  in  den  slavischen  Sprachen  in  Form  und  Sinn 
üppig,   wird  z.  B.  auf  den  Regenbogen  am  Himmel  angewandt  (Miklosich,  die 
Fremdwörter  in  den  slav.  Spr. ,  S.  83)  und  erhält  daher  als  abgeleitetes  Adjectiv 
sogar  die  Bedeutrmg  bunt.    Der  Verbreitungsbezirk  des  Wortes  ist  das  wald- 
reiche Donauland,  und  dort  war  auch  die  Sache  einheimisch  —  wobei  es  immer 
möglich  ist,  dass  ein  griechisch-lateinischer  Ausdruck,  der  vielleicht  in  der  tech- 
nischen und  Handelssprache  von  Aquileja  üblich  war,   zu  Grunde  liegt.    Noch 
jetzt  kommt  das  Holz  zu  den  Fässern,  die  der  Orient  gebraucht,   grösstentheils 
aus  Ungarn,  und  auch  die  Reifen  dazu,  aus  corylus  pontica,  werden  über  Xon- 
stantinopel  eingeführt.  —  Ein  dritter,  in  dem  holzreichen,   neurömischen  Bezirk 
vielgebrauchter  und  begrifflich  sich  nach  allen  Seiten  weit  verzweigender  Aus- 
druck ist  cupa^   ein  ursprünglich  griechisches  Wort  (xunfj).    Als  Maximinus  im 


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Anmerkungen.  471 

Jahr  238  Aqnileja  belagern  wollte,  mit  seinem  Heere  aber  einen  reissenden,  an- 
geschwollenen Strom  nicht  überschreiten  konnte,  da  kam  ihm  der  ausgebreitete 
Weinhandel  und  Weinertrag  Aquilejas  zn  Statten:  er  fand  anf  dem  Lande  eine 
Menge  grosser,  leerer,  hölzerner  Weinkufen,  aus  denen  er  sich  eine  Brücke  baute, 
Herodian.  8,  4,  9:  vnißaiov  nytg  laiy  nx^ixtiVy  nollä  dyat  xtyä  olvoipoga 
axivti  7i€QKftQ0vs  Svlov  iv  toZs  igrjfAois  dygoTi^  otg  (;^pö)VTO  a^i' »rpoTi^oy  oi 
xaroixoüyTsg  tie  vnriQfatay  iavTcüv  xal  ucfgaTri/untiv  tov  olvoy  dacpaltüg  roZs 
SiOfiivoii,  Jul.  Capitolinus,  der  dasselbe  berichtet,  giebt  diesen  ungeheuren  Tonnen 
den  Namen  cupa^  Maximin.  22:  ponte  üaque  cupü  facto  Maximintu  ßuvium  transivit 
et  de  proximo  AguHejam  obiidere  coepit  Auch  die  Massilier  müssen  solche  be- 
sessen haben,  denn  als  Cäsar  ihre  Stadt  belagerte,  wSJzten  sie  dieselben,  mit 
brennendem  Theer  und  Pech  gefüllt,  von  der  Mauer  auf  das  feindliche  Schanz- 
werk herab,  de  b.  civ.  2, 11:  cupas  taeda  ac  pice  refertas  incendunt  eaague  de  muro 
in  muscttltmi  devolvunt,  wie  schon  früher  die  Bewohner  von  UxeUodunum  in  dem 
weinreichen  Aquitanien  in  gleichem  FaU  gethan  hatten,  de  b.  gaU.  8,  42:  cupas 
sevo,  pice,  scandulis  complent ;  eas  ardentes  in  opera  provolvunt  Von  der  Insel  bei 
Salona,  auf  der  der  Dichter  Lucanus  die  Cäsarianer  belagert  werden  l&sst,  suchten 
diese  bei  Nacht  auf  Flössen,  die  sie  aus  leeren  Weinkufen  gemacht  hatten,  zum 
illjrischen  Festlande  zu  entkommen,  4,  420: 

Namque  ratem  vacuae  sustentant  umUque  cupae^ 
deren  es  also  in  dem  weinbauenden  Lande,  dessen  Gebirge  noch  mit  Wald  be- 
standen waren,  wohl  geben  musste.  Der  Handwerker,  der  dem  Winzer  und  Kauf- 
mann solche  cvpae  machte,  war  der  cuparius,  wie  wir  z.  B.  aus  einer  Trierer  In- 
schrift sehen,  bei  Orelli  no.  4176 :  cupariua  et  saccarius  (der  zugleich  Säcke  ver- 
fertigte, also  für  den  Frachthandel  überhaupt  arbeitete).  Bei  den  Barbaren  diente 
die  cupa  auch  zur  Aufnahme  des  Bieres;  dass  in  ihr  auch  Korn  und  Mehl  ver- 
laden wurde,  sehen  wir  aus  verschiedenen  Stellen  der  römischen  Rechtsbücher. 
Was  aus  dem  Worte  im  Mittelalter  und  in  den  neurömischen  Sprachen  geworden 
ist,  davon  giebt  der  Artikel  coppa  bei  Diez  ein  wenn  auch  verkürztes  Bild:  das 
ursprüngliche  Kufe  und  Kübel  nahm  die  Bedeutung  von  Becher  und  Schale,  Kopf 
und  Büschel,  Berggipfel  und  gewölbte  Kuppel  an.  Im  Deutschen  stammt  nicht 
bloss  das  eben  genannte  Kübel  und  Kuppel  daher,  sondern  auch  Kopf,  denn  nach 
uralter  Art  sind  Schale  und  Haupt  oder  Schädel  gleichbenannt,  und  der  Name  der 
Gefässe  geht  auf  Schiff  und  Kahn,  Haus  und  Sarg  über.  —  Das  dem  lateinischen 
cupn^  cuppa  entsprechende  griechische  ßovjig,  ßovnoy,  ßviig,  ßviCyr\  hat  eine  gleich 
mannichfache  Anwendung  und  weite  Verbreitung  durch  ganz  Neueuropa  gefunden 
und  klingt  noch  heute  in  Bütte,  Böttcher,  Bouteille,  franz.  botte  der  Stiefel  u.  s.  w. 
täglich  an  unser  Ohr.  Daher  wohl  auch  altirisch  bothan  die  Hütte,  both  das  Haus, 
preussisch  buttan,  litauisch  buttaa  das  Haus,  ja  auch  das  deutsche  und  slavische 
Bude,  englisch  booth.  —  Unser  Ohm,  früher  Ahm  ist  das  entlehnte  griechische 
afiri^  lat.  hama^  unser  Seidel  das  lat.  situla^  unser  Flasche  wohl  in  letzter  Instanz 
das  lat.  vasculum,  welches,  wie  man  sieht,  jetzt  meistens  ein  Glasgefäss  bedeutet. 
Auch  das  Glas  ist,  wie  das  Holz,  ein  erst  im  Norden  und  in  nachrömischer  Zeit 
zu  allgemeiner  und  täglicher  Anwendung  gekommener  Stoff ;  aus  dem  hölzernen 
Fass  zapfen  wir  den  Wein  in  gläserne  Flaschen,  die  wir  mit  dem  Korkstöpsel 
schliessen.  Erstere,  die  Flaschen,  sind  schwerlich  älter,  als  das  fünfzehnte  Jahr- 
hundert (Beckmann,  Beyträge,  II,  S.  485 ff.);  die  Kunst,  die  enge  Oeffnung  eines 
Ctefässes  mit  der  elastischen  Binde  der  Korkeiche  zu  verscMiessen,  geht  gleich- 
falls in  kein  hohes  Alterthum  hinauf,  und  allgemein  geworden  ist  sie  erst  seit 
den  letzten  Jahrhunderten  und  zwar  sehr  langsam.  Die  Korkeiche,  querem  8ttber, 
ist  in  Griechenland  jetzt  vielleicht  gar  nicht  mehr  vorhanden,  im  Alterthum  war 


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472  Anmerkungen. 

sie  dort  selten;  sie  ist  ein  Baum  des  südwestlichen  Europa  mid  des  gegenüber- 
liegenden Aj^rika.  Unter  den  Eichenarten  des  Theophrast  l&sst  sie  sich  nicht  mit 
Sicherheit  constatiren;  den  Baum,  der  geschält  wird  und  nach  Verlust  der  Rinde 
nur  noch  besser  gedeiht,  versetzt  er  nach  Tyrrhenien,  also  in  das  Land  nach 
Westen,  giebt  aber  zugleich  an,  er  verliere  im  Winter  sein  Laub,  was  geeignet 
ist,  uns  wieder  irre  zu  machen  (H.  pl.  3, 17, 1).  Pausanias  8, 12, 1  fuhrt  unter 
den  Eichen  Arkadiens  eine  an,  deren  Binde  so  locker  und  leicht  ist,  dass  man 
sie  als  Ankerzeichen  und  an  Fischemetzen  auf  dem  Meere  schwimmen  l&sst,  — 
also  offenbar  die  Korkeiche,  aber  man  hört  es  seinen  Worten  an,  dass  er  damit 
eine  Naturmerkwurdigkeit  des  Landes  beschreibt,  die  seinen  Lesern  neu  ist  und 
die  anderswo  nicht  vorkommt.  Die  Bömer  hatten  einen  Lidividualnamen  für  die 
Korkeiche:  auber  und  unterschieden  sie  unter  diesem  genau  von  den  übrigen 
B&umen  des  Waldes.  Die  Binde  kommt  schon  in  der  Sage  von  CamiUus  vor. 
Camillus  soll  zum  Dictator  ernannt  werden,  aber  dazu  gehört  ein  Beschluss  des 
von  den  Galliern  im  Kapitel  eingeschlossenen  Senates.  Ein  Jüngling,  Namens 
Pontius  Cominius,  übernimmt  es,  die  Botschaft  auszurichten.  Da  die  Brücke  über 
den  Tiber  von  den  Feinden  bewacht  ist,  schwimmt  er  Nachts,  von  Stücken  Kork 
unterstüzt,  über  den  Fluss,  Flut.  Cam.  25,  3:  lois  (fsXloTg  ig>iU  t5  oufia  xal 
avv67iixovq)CC(ov  ry  mgatova^at  ngoc  rtjr  nohv  i^^ßrj.  Die  Sitte,  Gref&sse  mit 
verharztem  Kork  zu  verschliessen,  stammte,  wie  es  scheint,  von  den  Galliem, 
Colum  12,  23:  corticata  püe  qua  utuntur  ad  condüura»  Allobroges,  Cato  120  giebt 
die  Yorschriffc:  mustum  si  voles  totum  annum  habere  j  in  amphoram  mustum  indüo 
et  corticem  oppicato^  demittito  in  piscinam;  es  soll  also,  um  den  Most  das  ganze 
Jahr  hindurch  frisch  zu  erhalten,  die  OefEuung  der  Amphora  mit  Kork  und  Pech 
verschlossen  und  das  Gefäss  darauf  im  Grunde  des  Wassers  aufbewahrt  werden. 
Aehnüch  ist  bei  Horaz  die  weinhaltende  Amphora  mit  einem  cortes  adstrictu»  pice 
verwahrt.  Od.  3,  8,  9: 

hie  die*  anno  redeunte  festus 

corticem  adstrictum  pice  demovebit 

amphorae  fumum  bibere  institutae 

consule  Tullo. 
Deutlicher  spricht  Plinius  über  Gebrauch  und  Nutzen  der  Binde  des  Korkbaumes 
16,  34:  U8U8  ejus  (suberis)  ancoralibus  maxume  navium  (zu  Bojen,  zu  denen  jetzt 
meist  leichtes  Holz  genommen  wird)  piscantiumque  tragulis  (zu  Flossen  der  Fischer- 
netze, zu  denen  jetzt  leichte  Holztfif eichen  dienen)  et  cadorum  oplurainentis  (zu 
Verspundung  der  Fässer),  praeterea  in  hibemo  fefninarum  calciatu  (zu  Pantoffel- 
sohlen, wie  noch  jetzt).  Bei  all  dem  war  die  eigentliche  Verkorkung  bei  den 
Römern  nur  selten:  das  Gewöhnliche  ist  die  Verschliessung  durch  Pech,  Gyps, 
Wachs  u.  s.  w.;  darüber  gegossenes  Oel  bewahrte,  wie  noch  jetzt  häufig  in  Italien, 
den  Wein  vor  Berührung  mit  der  Luft;  auch  eignete  sich  die  Form  der  thonemen 
Krüge,  ihr  grösserer  Umfang  und  ihre  weitere  Oeffhung  nicht  zum  Verschluss 
durch  Korkrinde.  Das  Verhältniss  blieb  das  Mittelalter  hindurch  ungef&hr  dasselbe. 
Fässer  wurden  durch  Holzpflöcke  verspundet;  kleinere  Thon-,  Blech-  oder  Holz- 
behälter, die  man  sich  auf  der  Jagd,  zu  Pferde  u.  s.  w.  umhing,  silberne  und 
goldene  Flaschen  der  Vornehmen  wurden  mit  Zapfen  desselben  Materials  ver- 
stopft oder  zugeschraubt  oder  auch  mit  Wachs  verschmiert  u.  s.  w.  Erst  das 
Aufkommen  enghalsiger,  sehr  wohlfeiler  Glasflaschen,  der  sich  ausbreitende  Handel 
und  die  Versendung  brachte  in  neuerer  Zeit  den  Kork  (von  cortex^  zunächst 
wohl  vom  spanischen  corcha,  französisch  liege  d.  h.  der  leichte  Stoff  von  levis) 
in  allgemeinen  Gebrauch  —  der  uns  jetzt  besonders  bei  edleren  Weinen  so  un- 
entbehrlich scheint. 


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Anmerkungen,  473 


oo*      kI«  cKI« 

An  einem  anderen,  ungefähr  gleichzeitigen  Feste,  den  Thargelien,  waren  die 
beiden  (poQfiaxoiy  die  als  Sühnopfer  zum  Tode  geführt  wurden,  der  eine  mit 
weissen,  der  andere  mit  schwarzen  Feigen  behangen  und  wurden  mit  Feigen- 
rothen  gegeisselt  (A.  Mommsen,  Heortologie,  8.  417  ff.)-  ^s  ^^  ^ui  altionisches 
Fest,  aber  welchen  Sinn  hier  die  Feige  hatte,  ist  ungewiss. 

84.  S.81. 
Die  ficus  Buminalis,  so  genannt  Ton  dem  Jupiter  Ruminus  und  der  Dira 
Bmnina,  deren  Namen  wiederum  von  der  rutna  =  mamma  herstammten,  also 
Prochtbarkeit  und  Zeugung  symbolisiren,  s.  Preller,  Rom.  Mythol.  S.  368,  Corssen, 
Kritische  Beiträge  S..429.  —  Demselben  Vorstellungskreise  gehört  der  Brauch 
an,  die  Büder  des  Priapus  aus  Feigenholz  zu  machen.  Wie  Feigenbaum  und 
Schwein  als  Bilder  überschwänglicher  Zeugung  gleiche  Geltung  haben,  lehrt 
die  Yariante  einer  alten  Sage  bei  Strabo  (Hesiod.  Fragm.  CLXIX.  Göttling.): 
Hesiodus  erzählte,  Kalchas  habe  in  Eolophon  den  Mopsus,  den  Enkel  des  Tiresias, 
gefragt,  wie  viel  Früchte  der  vor  ihnen  stehende  Feigenbaum  trage;  als  Mopsus 
die  Zahl  und  das  Mass  richtig  angab,  starb  Kalchas  in  dem  schmerzlichen  Gefühl, 
einen  überlegenen  Seher  gefunden  zu  haben.  Dieselbe  Geschichte  berichtete 
Pherecydes,  nur  betraf  nach  diesem  die  Frage  nicht  die  Menge  der  Früchte  eines 
Feigenbaumes,  sondern  die  Zahl  der  Ferkel,  die  eine  daliegende  trächtige  Sau 
werfen  würde.  Demgemäss  hat  man  rrvxov  und  avs^  aus,  von  derselben  hypo- 
thetischen Wurzel  8u  (generare)  ableiten  und  in  ficus  eine  analoge  Bildung  von 
ßeri^  q>v(iy  finden  wollen.  Dieser  Etymologie  ist  aber  schon  deshalb  nicht  zu 
trauen,  weil  die  Zeit  der  Einführung  der  Feige  bei  Griechen  und  Römern  eine 
zu  späte  ist,  um  solche  primitive  Wortbildungen  zu  gestatten.  Benfey  1, 442  ver- 
muthet  Entlehnung  des  griechischen  Wortes  aus  dem  Orient  und  beruft  sich  dafür 
auf  avxd/uiyoe.  Dass  nach  dem  n  ein  Digamma  stand,  aus  dem  der  Vokal  v  her- 
vorging, lehrt  die  italische  Wortform:  ficus  wurde  aus  nnxov,  mefides  aus  aq(6€g 
und  wie  /allere  gleich  ntpaklttv,  fungus  gleich  aqooyyof  u.  s.  w.  ist.  Da  die  The- 
baner  ivxa  für  avxa  sagten  und  der  syrakusische  Stadttheil  Svxri  auch  Tvxfj 
geheissen  zu  haben  scheint,  woraus  durch  Missverstand  das  spätere  Tu^n  im  Sinne 
von  Fortuna  entstÄud,  so  hält  Ahrens  (de  dial.  dorica  p.  64)  tFixov  für  die  Ur- 
form. Oder  gaben  die  Griechen  den  anlautenden  fremden  Consonanten  bald  mit  s, 
bald  mit  t  wieder,  wie  in  Sor,  Sar  und  Tyrus?  Dass  im  Norden  der  griechischen 
Halbinsel  auch  bei  dem  verwandten  ntxia  (für  avxva^  avxM)  der  Anlaut  als  t 
gesprochen  wurde,  ist  aus  dem  slavischen  tykva  der  Kürbiss  zu  schliessen,  der 
den  Slaven  doch  aus  den  Donaugegenden  zukam.  Die  gothische  Benennung  für 
Feige:  smakka,  nach  welcher  Kuhn,  Zeitschr.  4, 17,  auch  für  die  Griechen  eine 
Urform  sFakva  annimmt,  ist  wohl  nur  eine  Umbildung  in  gothischem  Munde,  da 
das  lange  v  nicht  in  den  gothischen  Vocalismus  passte  —  wenn  die  Umformung 
nicht  schon  in  der  Sprache  der  den  Namen  vermittelnden  Nordstämme  der  Balkan- 
balbinsel  vorgenommen  war.  JVI  für  ß  zu  sagen,  war  barbarische  Sitte,  Steph. 
Byz.  *Aßaytig,  to  *jißavila  ^riXvxoy,  onfQ  xctju  ßaQßaqixriv  igonr^v  tov  ß 
tts  fi  *Afjtavi(n  Mx^fl  naga  u4yiiy6yqi  iy  Maxedoyix^  nsgitiyijati.  So  wechselte 
*AfivS(ov  (Stadt  der  Päoner  schon  bei  Homer)  mit  Aßv$mv^  Albanien  lautet  bei 
Ptolemäus  vielleicht  "AX^r\y7\^  der  Fluss  Boyj^poc  bei  Herodot  heisst  hernach 
Margus,  heut  zu  Tage  Morawa,  Bellerophontes  wird  in  Italien  zu  Melerpanta  u.  s.  w. 
Auchp  und  V  werden  zu  m:  ^naldq  hiess  macedonisch  aifftilo;,  der  Fluss  Tila- 
ventum  ist  der  heutige  Tagliamento  u.  s.  w.    So  konnte  das  ursprüngliche  Di- 


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474  Anmerkimgen. 

gamma  in  avxov  den  Gothen,  als  sie  an  die  Donan  gezogen  waren,  in  Gestalt 
eines  m  mit  dem  HöKsvokal  a  entgegenklingen.  Die  hinter  den  (Gothen  woh- 
nenden Wenden  konnten  die  Feige,  natürlich  in  getrockneter  Gestalt,  nnr  durch 
Yermittelung  der  ersteren  erhalten,  nnd  der  slavische  Name  (altslavisch  smokivi 
smoky^  smukva)  ist  folglich  dem  gothischen  nachgesprochen,  zn  einer  Zeit,  wo  die 
Assimilation  von  kv  zn  kk  noch  nicht  erfolgt  war.  Wir  bemerken  noch,  dass  der 
wilde  Feigenbaum  fgtvtoey  Ton  dem  aber  die  Kniturf eige  nicht  abgeleitet  werden 
kann,  schon  bei  Homer  vorkonmit,  nnd  dass  sein  Name  mit  dem  der  Fracht, 
olvp&o(y  vielleicht  etymologisch  eins  und  dasselbe  ist. 

85.  S.91. 

Die  griechischen  Benennungen  ila^Uy  Hatov  sind  in  römischem  Munde  o/itni, 
oleuin  geworden  (s.  Fleckeisen  in  den  Neuen  Jahrb.  für  Ph^L  und  F&dag.  1866. 1}, 
und  die  letzteren  Namen  finden  sich  dann  weiter  in  allen  europäischen  Sprachen, 
unter  verschiedenen  Formen,  die  Diefenbach,  Goth.  W.  1,  361,  gesammelt  hat 
Da  der  Gothe  kein  kurzes  o  oder  e  besass  und  dieses  naturgemäss  zu  a  wurde, 
so  ist  alev  Ol,  aUvabagiM  Ölbaum  dem  lat  oleum  oder  gr.  ^kaiov  ziemlich  genau 
nachgesprochen. 

86.  S«95. 

A.  de  la  Marmora,  Itin^raire  de  Tile  de  Sardaigne,  Turin  1860,  2,  p.  358  sagt 
von  dem  sardinischen  Ölbaum:  ,0/i  s'expriinerait  maly  ä  man  avi$,  si  ton  voulait 
parier  de  Vintroductlon  qu'on  y  aurait  faxte  da  cette  plante  puisque  ce  pay$  eet 
visiblement  sa  patrie  naturelle,'^  Diese  Bemerkung  des  trefflichen  Naturforschers 
ist  zwar  historisch  unrichtig,  beweist  aber,  wie  üppig  der  Baum  in  dem  neu- 
gewonnenen europäischen  Kulturbezirke  gedeiht  Auch  auf  Corsica  stehen  jetzt 
herrliche  Olivengruppen,  und  doch  hatten  die  Römer  Mühe  den  Baum  dahin  zn 
verpflanzen,  ja,  wenn  wir  Senecas  Rhetorik  glauben  wollen,  fehlte  zur  Zeit  dieses 
Schriftstellers  der  ölbau  noch  gänzlich  auf  der  wilden  Insel,  Epigr.  super 
ezilio  2,  8,  4: 

Non  poma  auctumnus,  segetes  non  educat  aestas^ 
Canague  Palladio  munere  bruma  caret. 
Selbst  auf  Sardinien  sah  sich  die  Regierung  veranlasst,  demjenigen  den  Adels- 
titel zu  versprechen,  der  eine  Anzahl  Ölbäume  erzogen  haben  würde,  wie  auch 
die  Venetianer  auf  ihren  griechischen  Besitzungen  durch  Belohnungen  zum  ölbau 
aufmuntern  mussten.  Der  wilde  Ölbaum,  sagt  La  Marmora  an  einer  andern 
Stelle  (Voyage  en  Sardaigne,  ed.  2, 1, 164),  bedeckt  ungeheure  Strecken  in  der 
Hügelregion  der  Insel  Sardinien  und  erwartet  nur  die  Hand  des  Impfers,  um 
herrliche  Früchte  zu  tragen.  Ist  der  Baum  hier,  möchten  wir  fragen,  wirklidi 
wild  oder  nur  —  verwildert?  Nach  drittehalb  Jahrtausenden  und  dem  unsäg- 
lichen Kriegselend,  mit  dem  sie  angefüllt  sind,  ist  die  letztere  Annahme  gewiss 
nicht  zu  gewagt 

87.  S.106. 

Bei  den  Arabern  in  Afrika  bleibt  bei  Verwüstungszügen  in  Feindesland  die 
Dattelpalme  verschont  G.  RoUfs,  Afrikanische  Reisen,  Aufl.  2,  Bremen  1869, 
S.  70:  „die  Felder  waren  verwüstet,  die  Wasserleitungen  zerstört,  die  Ksors 
(Dörfer)  überall  von  aussen  stark  verbarricadirt,  die  Obstbäume  umgehauen,  nur 
die  Palme,  die  immer  respectirt  wird,  erhob  traurig  ihr  Haupt  über  diese  Öden 
Felder,  wo  die  Menschen  seit  zwei  Monaten  um  nichts  sich  täglich  erwürgten.* 
S.  186:   „Palmen  abschneiden  gilt  unter  den  Muselmanen  für  eins  der  grössten 


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Anmerkungen.  475 

Verbrechen.  Als  er  (der  Ha^j  Abd-el- Kader)  mir  seine  Heldenthaten  erzählte, 
fragte  er  mich:  Hatte  ich  Hecht,  meinen  Feinden  die  Palmenbftnme  omzohanen? 
Ich  erwiederte  ihm:  Nein,  denn  hier  in  der  Wüste  ist  die  Palme  der  einzige 
Unterhalt  der  Menschen.  Diese  Antwort  freute  ihn,  er  sagte,  bisher  hätten  ihm 
Alle,  selbst  die  Tholba  gesagt,  dass  er  Recht  habe,  obgleich  eine  innere  Stimme 
ihm  zurufe,  dass  er  ein  grosses  Unrecht  begangen  habe.^ 

88.    S.107. 

Das  griechische  ovof,  lat  asintta,  leiten  wir  mit  Benfey  aus  einer  semitischen 
Benennung  ab,  der  im  Hebräischen  athön,  die  Eselin,  entspricht,  wobei  im 
griechischen  Wort  der  aus  dem  Dental  entstandene  Sibilant  als  vor  dem  n  aus- 
gefallen angenommen  wird.  Aus  dem  Lateinischen  stammen  dann  weiter  das 
gothische  a»Uus,  litauische  asilaSj  und  slavische  osilu.  Herodot  berichtet  aus- 
drücklich, in  Skythien  gebe  es  weder  Esel  noch  Maulthiere,  und  zwar  weil  das 
Land  für  diese  Thiere  zu  kalt  sei  (4, 129:  dtä  ra  t^v/f«),  und  fügt  hinzu,  die 
skythische  Reiterei  sei  durch  die  Stimme  der  Esel  in  Darius  Heer  wiederholt  zur 
Umkehr  genöthigt  worden.  Aristoteles  bestätigt  dies,  mit  dem  Zusatz,  auch  bei 
den  Kelten  über  Iberien  sei  es  für  den  Esel  schon  zu  kalt:  de  animal.  generat 
2,  8:  ^t6nt(j  iy  tois  x^^f^^9^^^''S  ov  ^iXei  yiytai^tu  lonotg  Jtd  t6  dviQiyov  ilyai 
rijy  (pvaiVj  olov  thqX  Zxv&ag  *«l  tjJv  ofiOQoy  /(ogav^  ovJk  ntgl  Kdrovs  rovs 
vTilg  rijg  */ßr]Q{ae'  %pv/Qc  yug  xal  avrij  i  X^9^'  Eben  so  bist.  anim.  8,  25:  Juj- 
giyoratoy  iT  iail  luiy  iotovT(oy  ^(ptüy  dio  xctX  mgl  Ilovioy  xal  iiiy  £xv&txr\v 
ov  yivoyiai  oyot.  Nicht  anders  Strabo  7,  4, 18:  oyovg  le  yoQ  od  igicpovai  (Jyf- 
piyoy  yag  lo  f^oy),  und  Plinius  8,  167:  iysum  animcU  (asinus)  frigoris  maxume 
impatiens,  ideo  non  generatur  in  Ponto.  Da  der  Esel  nicht  sowohl  ein  Heerden- 
als  ein  Hausthier  ist  und  sein  Geschäft  hauptsächlich  darin  besteht,  in  den  be- 
grenzten Räumen  fester  menschlicher  Ansiedelung  Lasten  hin  und  her  zu  tragen 
(daher  italienisch  somaro  der  Esel  d.  i.  Lastthier,  neugriechisch  yo/utigt  von  yofioi 
Last,  Fracht),  so  kann  er  an  den  ältesten  Wanderzügen  indoeuropäischer  Hirten- 
stämme überhaupt  nicht  Theil  genommen  haben.  Zu  den  Litauern  wird  das 
Wort  von  benachbarten  deutschen  Stämmen  gekommen  sein,  vielleicht  schon 
frühe,  z.B.  zur  Zeit  des  Gothenkönigs  Ermanarich,  denn  wie  die  Hausirer  aus 
Süden,  zogen  auch  Lustigmacher  mit  Eseln  und  darauf  sitzenden  Affen  in  den 
Barbarenländem  umher;  auch  die  ersten  christlichen  Sendboten  konnten  die  Kunde 
des  Thieres  verbreiten,  denn  der  Esel  fand  sich  in  den  Erzählungen  der  Bibel 
häufig  und  war  vielleicht  auf  rohen  Bildern  aus  der  heiligen  Geschichte  zu  sehen. 
Auch  das  slavische  Wort  ist  gothischen  Ursprungs.  Das  gothische  asilus  selbst 
aber  stammt  unmittelbar  aus  dem  Lateinischen,  nicht  aus  asellus,  welche  Form 
in  den  romanischen  Sprachen  fehlt  und  also  nicht  populär  war,  auch  wider- 
sprechend accentuirt  ist,  sondern  aus  asinus  mit  der  gewöhnlichen  Verwandlung 
des  n  in  das  der  deutschen  Zunge  geläufigere  1.  Ganz  ebenso  wurde  aus  lat. 
caiinus  das  goth.  katilSf  slav.  kotlüy  ans  lagma  ahd.  lagella,  mhd.  lagel  Fässchen, 
aus  Organum  Orgel,  aus  cuminum  ahd.  chumil  Kümmel.  Andere  deutsche  Sprachen 
haben  eine  Nebenform,  bei  der  das  lateinische  n  erhalten  ist.  Von  dem  keltischen 
assal  urtheilt  auch  Stockes  (Irish  glosses  296) ,  es  könne  nach  den  Lautgesetzen 
kein  einheimisches  Wort  sein,  sondern  müsse  aus  dem  Lateinischen  stammen; 
an  einer  späteren  Stelle  (S.  159)  fügt  er  hinzu,  auch  oyog  und  asinuB  scheinen 
nicht  indoeuropäischer,  sondern  orientalischer  Herkunft  —  In  den  sog.  Terra- 
mara-Lagem  von  Parma,  die  der  Bronzezeit  angehören,  wurden  nur  in  den  oberen 
Lagen  und  zwar  nur  zweifelhafte  Knochen  vom  Esel  angetroffen  (Mittheilungen 


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476  Anmerkimgen. 

der  Antiquarischen  Gesellsch.  in  Zürich,  Band  XIY,  S.  186).    Der  Esel  erschien 
also  in  jener  Gegend  Italiens  später  als  die  Bronze. 

89.    8.109. 

Das  homerische  ^^iokuv  aygoKQttoty  kann  nur  bedeuten:  auf  der  Weide, 
in  freien  Heerden  aufgewachsen,  noch  ungezähmt.  Solche  junge  Thiere  kamen 
von  den  Enetem  und  wurden  dann  von  dem  Empf&nger  gebändigt  und  abgerichtet, 
ganz  wie  solches  mit  den  Pferden  geschah.  Neuere  Erklärer  des  Homer  halten 
das  Maulthier,  diesen  Bastard  von  Pferd  und  Esel,  für  ein  natürliches  wild- 
lebendes Thiergeschlecht  oder  erinnern  an  den  equus  hemionus  der  Zoologen, 
den  Dschiggetai  in  den  Wildnissen  Asiens,  welcher  letztere  dann  ohne  Zweifel 
für  den  zoologischen  Garten  der  Trojaner  bestimmt  war!  —  Aber  die  Onager, 
die  Liudprand  auf  seiner  Gesandschaftsreise  im  J.  968  in  einem  Brühl  in  Eon- 
stantinopel  sah,  könnten  wirklich  Dschiggetais  gewesen  sein.  Leider  hatte 
Liudprand  nicht  Interesse  für  die  Sache  genug,  um  uns  diese  wilden  Esel  ge- 
nauer zu  beschreiben  und  sich  beim  Wächter  zu  erkundigen,  von  wo  sie  be- 
zogen waren. 

40.  S.110. 

Das  lat.  malus  wird  mit  Wahrscheinlichkeit  ron  dem  griechischen  uv^losy 
Zucht-  oder  Springesel,  abgeleitet,  wobei  der  Ausfall  des/  sich  in  der  Länge 
des  Vocals  reflectirt.  Mvxloi  war  nach  Hesychius  ein  phokäisches  Wort  und  die 
Phokäer  sind  ja  die  Seefahrer  und  Colonisatoren  des  Westens.  —  Das  albanesische 
(auch  walachische)  mttske,  das  slavische  müküy  misgü,  tnüt^,  welches  sich  von 
viesiti,  mtSati  mischen  nicht  ableiten  lässt,  muss  auf  ut;;^ilo(  zurückgehen;  es  fehlt 
im  Polnischen  und  Litauischen  und  wird  eine  thrakische  Wortform  sein.  Die 
heutigen  Russen  haben  ihre  beiden  Ausdrücke  für  Maulthier:  üchak  und  loschak, 
eben  so  wie  ihr  Wort  für  Pferd,  von  den  Tataren  genommen.  Wäre  uns  die 
Sprache  des  grossen  thrakisch-illjrischen  Volksstammes  erhalten,  der  gewiss  schon 
in  sehr  alter  Zeit  eine  Menge  Kulturbegriffe  nach  Norden  hin  vermittelte,  wir 
würden  in  der  Urgeschichte  Europas  bei  Weitem  klarer  sehen.  Manches,  was 
uns  jetzt  mit  dem  Schein  der  üiTerwandtschaft  täuscht,  würde  sich  dann,  wie 
wir  glauben,  als  Kulturwanderung  erweisen.  —  Die  beiden  Namen  für  Esel,  Pferd, 
Maulthier,  mannus  und  buricus,  deren  wechselnde  Formen  Diefenbach,  Origines 
europaeae,  S.  378 f.  gesammelt  hat,  scheinen  keltischer  oder  iberischer  Herkunft: 
wie  wenn  sie  nichts  als  populäre  Entstellungen  von  rjfi hvoc  und  optvc  (mit  Di- 
gamma,  welches  sich  als  ß  darstellt)  und  über  Massalia  und  die  spanisch- 
griechischen Städte  mitsammt  dem  Thiere  selbst  in  den  ligurischen  und  iberischen 
Westen  gedrungen  wären?  —  Das  lateinische  hinnus  für  den  Abkömmling  von 
Hengst  und  Eselin  (Varro  de  r.  r.  2,  8, 1 :  ej?  equa  enim  et  asino  fit  mulus,  contra 
ex  equo  et  asina  hinnus)  ist  gleichfalls  griechischen  Ursprungs:  fyvof,  tyvos^  yiryoc* 
Wenn  das  y  hier  einem  alten  Digamma  entspricht,  so  ist  die  Einwanderung  des 
Wortes  nach  Italien  in  eine  verhältnissmässig  späte  Zeit  zu  setzen,  was  auch 
ohnehin  der  Natur  der  Sache  nach  —  da  diese  Art  Paarung  weniger  gebräuchlich 
war  —  wahrscheinlich  ist. 

41.  S.110. 

Das  griechische  nff ,  aiyog  Ziege  findet  sich  im  Sanskrit  und  im  Litauischen 
wieder  und  geht  also  in  die  Zeit  vor  der  Völkertrennung  hinauf.  Daraus  folgt 
übrigens  noch  nicht  ohne  Weiteres,  dass  das  Urvolk  die  Ziege  schon  als  Haus- 
tliier  besessen  habe;  es  konnte  irgend  ein  springendes  Jagdthier  mit  einem  Namen 


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Anmerkimgen.  477 

beneimen,  der  sp&ter  bei  Bekanntwerden  mit  der  zahmen  2iiege  anf  diese  über- 
ging —  eine  Möglichkeit,  deren  sich  diejenigen,  die  so  sicher  ans  dem  Vor- 
handensein gewisser  gemeinsamer  Wörter  anf  den  Enltorstand  des  primitiven 
StammYolkes  schliessen,  in  ähnlichen  Fällen  häufiger  erinnern  sollten.  Movers, 
ganz  andern  Sparen  and  Combinationen  folgend,  sucht  die  Herkunft  der  Ziege 
aus  dem  gebirgigen  Theil  des  nördlichen  Afrika  zu  erweisen  (11,2,  S.  366  fr.). 
Die  Alten  erwähnen  hin  und  wieder  wilder  2iiegen  in  Griechenland  und  Italien. 
AUein  Ziegen  yerwildem  leicht  und  vermehren  sich  dann  schnelL  Auf  der  Insel 
Cerigo  waren  im  siebzehnten  Jahrhundert  alle  Einwohner  von  den  Türken  er- 
mordet oder  weggeschleppt  und  die  Wohnungen  niedergebrannt  worden.  Nur 
einige  Ziegen  waren  entflohen.  Fünfzehn  Jahre  später  hatten  sich  diese  zu  vielen 
Tausenden  vermehrt,  waren  aber  so  wild  wie  Gemsen  geworden  (Beckmann, 
literatar  der  älteren  Reisebeschreibungen,  1,  647).  La  Marmora  hatte  viel  von 
den  wilden  Ziegen  auf  der  kleinen  Insel  Tavolara  bei  Sardinien  gehört,  die  nichts 
als  ein  ungeheurer  Block  von  kohlensaurem  Kalk  ist.  Nachdem  er  nicht  ohne 
Mühe  und  Gefahr  einige  dieser  Thiere  erlegt,  ergab  die  Untersuchung,  dass  die 
wilden  Ziegen  nichts  als  —  verwilderte  zahme  waren  (Vojage  en  Sardaigne, 
Ausg.  2, 1, 171).  Gewiss  aber  ist,  dass  die  Ziege  in  den  Felsenlabyrinthen  der 
griechischen  Inseln,  Siciliens,  Sardiniens,  Calabriens,  so  wie  in  Palästina  und  am 
Atlas  sich  heimischer  fühlt,  reichlichere  Milch  giebt  und  einen  stattlicheren  Wuchs 
erreicht,  als  in  den  nebligen,  gras-  und  waldreichen  Niederungen,  auf  denen  in 
der  Urzeit  die  germanischen  und  lituslavischen  Stämme  ihre  Rinder  weideten. 

42.    S.111. 

Der  Südosten  von  Europa,  die  Abhänge  der  Karpathen  und  die  öich  an- 
schliessenden Ebenen  waren  von  Urbeginn  eine  grosse  Lindenwaldung,  die  noch 
in  historischer  Zeit  einen  unermesslichen  Honigertrag  lieferte  und  in  der  die 
unterdess  eingerückten  Slaven  hausten  und  schmausten.  Bei  steigender  Kultur 
des  Bodens  hatte  jeder  Zeidler  sein  bestimmtes  Revier  im  Walde,  und  die  Honig- 
bäume wurden  gezeichnet  Ganz  spät  erst  fanden  sich  von  Süden  und  Westen 
her  Bienenstöcke,  alvei^  alvearia  (mittellat.  api/e,  lit  avilys,  slav.  uleU  bei  Hesjchius 
dn^iXai'  aijxoO  bei  den  Häusern  und  in  den  Gärten  ein,  indess  gleichzeitig  der 
Wald  immer  weiter  rückte.  In  Litauen  und  Rassland  aber  blieb  das  Honig- 
sammeln in  den  Wäldern  noch  bis  in  späte  Zeiten  überwiegend.  Strahlenberg, 
das  nord-  und  ostliche  Theil  von  Europa  und  Asia,  Stockholm  1730,  4®,  S.  333: 
„In  Litauen  und  in  Rassland  an  vielen  Orten  heget  und  hält  man  Bienen  nicht 
häufig  in  Körben,  noch  in  aus-  und  abgehauenen  Klötzen  oder  Stöcken  bei  den 
Häusern,  sondern  in  den  W&ldem,  an  den  höchsten  und  geradesten  Tannen- 
bäumen, nahe  bei  deren  Spitzen"  u.  s.  w.,  worauf  noch  erzählt  wird,  die  Dörp- 
tischen  Bauern  (in  Lief land)  hätten  in  alter  Zeit  mit  den  Pleskauischen  Bürgern 
einen  Contrakt  gemacht,  „dass  sie  in  den  Pleskauischen  Wäldern  ihre  Bienen- 
stöcke halten  könnten**  —  „nachdem  aber  diese  Wälder  ruiniret  und  ausgehauen 
worden,  hat  solches  aufgehöret. **  Diese  Waldbienenzucht  war  das  Geschäft  des 
Zeidlers  oder  Beutners  (russ.  bortnik,  poln.  bartnik;  Beute  =  Bienenkorb)  und  hatte 
sich  im  Laufe  der  Jahrhunderte  von  Gallien,  wo  sie  einst  auch  geblüht  haben 
muss,  nach  Germanien,  wo  die  Bienen  zur  Mark  gehörten  und  die  Rechtsbücher 
über  die  Zeidelweide  Bestimmungen  treffen,  und  weiter  nach  Nordosteuropa,  wa 
sie  sich  am  längsten  hielt,  zurückgezogen. 

48.    S.115. 

Wir  konnten  im  Text  das  Thema  von  der  Baukunst  natürlich  nur  flüchtig 
berühren,  obgleich  es  bei  eingehender  Behandlung  die  fruchtbarsten  Gksichts- 


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478  '  Anmerkungen. 

pnnkte  eröffiien  würde.  Woher  stammt  z.  B.  das  gothische  ram  domusf  Wie 
dieses,  ist  auch  hus  das  Haus  (nach  Fick*  47  wSre  altn.  hus  domu$  einerlei  mit 
altn.  haus  cranium,  nach  Grimm  entspräche  das  lat.  curia,  nach  dem  Wörterbuch 
Iftge  die  Wurzel  sku  tegere  zu  Grunde;  das  slay.  chiza  die  Hütte  muss  entlehnt 
sein)  ein  noch  unaufgelöstes  Bäthsel;  wir  halten  es  für  ein  aus  einer  iranischen 
Sprache  geborgtes  Wort  (vergl.  Lerch,  Forschungen,  S.  88  und  103),  wie  auch 
das  vielbesprochene  Gott,  goth.  ^A,  ans  derselben  Quelle  stanmien  mnss.  Die 
iranischen  Stämme  auf  europäischem  Boden  haben  in  Kultur  und  Religion 
grösseren  Einfluss  geübt  und  in  den  Sprachen  mehr  Spuren  hinterlassen,  ab 
bisher  beachtet  worden  ist  Da  nach  Tacitus  die  Slaren  viel  Ton  den  Sitten  der 
Sarmaten  angenonmoen  und  z.  B.  ihren  alten  Namen  Gottes  mit  dem  iranischen 
Tertauscht  hatten,  wie  hätten  die  Germanen  sich  dieser  Einwirkung,  die  ihnen 
auf  mehr  als  einem  Wege  zukommen  konnte,  entziehen  sollen?  Nicht  alle  Skjthen 
waren  ein  nomadisches  Wagenrolk;  einzelne  ihrer  Abtheüungen,  6ie  ZxC&ai  apo- 
T^Qii  und  yecDQyoiy  bauten  den  Boden  und  betrieben  GetreidehandeL  Die  früh 
gegründeten  Kolonien  am  Pontus  mussten  so  bildend  und  erziehend  auf  sie 
wirken,  wie  Massilia  auf  die  Kelten,  und  dass  die  Landsleute  des  Anacharsis 
wenigstens  ein  entwickeltes  Göttersystem  besassen,  geht  aus  Herodots  Angaben 
klar  genug  hervor.  Später  waren  Quaden  und  Jazygen,  Gothen  und  Alanen 
Waffenbrüder  und  werden  oft  zusammen  genannt,  Amm.  Marc.  17, 12:  pemUstos 
Sarmatas  et  Quados,  vicinitcUe  et  simüüudine  morum  armaturaegue  Concorde»,  Auch 
der  Suevenkönig  Yannius,  der  30  Jahr  unter  römischem  Schutz  regierte,  halte 
eine  sarmatische  und  jazjgische  Reiterei 

44.  S.120. 

Niebuhr,  Beschreibung  von  Arabien,  Kopenhagen  1772,  4®,  S.  57:  „Man  hat 
ein  weisses  und  dickes  Getränk,  Busa,  welches  aus  Mehl  zubereitet  wird ...  In 
Armenien  ist  es  ein  allgemein  bekannter  TranL  Daselbst  wird  es  in  grossen 
Töpfen  in  der  Erde  aufbehalten  und  gemeiniglich  aus  denselben  ver- 
mittelst eines  Rohres  getrunken.'  Dazu  in  der  Anmerkung:  „das  Busa 
scheint  einige  Aehnlichkeit  mit  dem  Tranke  zu  haben,  welchen  die  Russen  Kisli- 
Schti  oder  mit  dem,  welchen  sie  Kwass  nennen. **  Letztere  sind  aber  nicht  be- 
rauschend, wie  der  Trank  des  Xenophon  war. 

45.  8.180. 

Das  herodoteische  Soviovai  findet  sich  noch  heute  im  Innern  Kleinasiens 
wieder.  Ein  rohrartig  ausgehöhlter  Baumstamm  ist  an  beiden  Enden  mit  einem 
Brett  verschlossen  und  hat  oben  ein  Loch.  Das  Gefäss  hängt  an  zwei  Stricken 
und  wird  wie  eine  Schaukel  von  einem  jungen  Mädchen  hin  und  her  geschwungen, 
bis  die  Butter  sich  abgesetzt  hat.  S.  die  Abbildung  bei  Van  Lennep,  Travels 
in  little-known  parts  of  Asia  minor,  London  1870, 1,  p.  131. 

46.  S.18«. 

Wenn  die  Behauptung  Parthejs  (in  seiner  Ausgabe  von  Flui  de  Iside  et 
Os.  S.  158)  richtig  ist,  dass  bei  den  allerältesten  Mumien  noch  Hüllen  von  Schaf- 
wollen angewendet  sind  und  erst  von  der  12.  Dynastie  an  leinene  Binden  sich 
finden,  die  von  da  an  im  allgemeinen  Gebrauch  blieben,  so  ist  auch  in  Aegyptra 
der  Flachsbau  erst  eine  verhältnissmässig  jüngere  Kulturerwerbung.  Wir  würden 
dies  auch  ohne  direktes  historisches  Zeugniss  annehmen  müssen,  denn  Aegypten 
war  bei  der  ersten  Besitzergreifung  gewiss  ein  Weideland,  ein  Land  der  vofioL 
wozu  es  die  Natur  gemacht  hatte;  nur  das  ist  bemerkenswerth,  dass  danach  die 


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Anmerkungen.  479 

Sitte  der  Einbalsaminmg,  die  Entwickelung  höherer  politischer  Ordnung  u.  s.  w. 
der  Bekanntschaft  mit  der  Leinpflanze  vorausging.  —  Auch  in  einem  altchal- 
duschen  Grabe  —  also  aus  einer  Zeit,  die  dem  Reiche  Babjlon  vorausgegangen 
sein  soll  —  wurden  angeblich  Stücke  Leinwand  gefunden,  Journal  of  the  R.  Asiatic 
Society,  t.  XV.  p.  271:  „Pieces  of  linen  are  observed  about  the  bones,  and  the  tohole 
dxleton  aeems  to  have  been  bound  with  a  species  of  thong.^  Aber  war  es  wirklich 
Leinwand  und  nicht  vielmehr  Geflecht  aus  irgend  einer  bastartigen  Pflanze? 

47.    S.187. 

Die  Zahl  der  F&den  860  entsprach  offenbar  der  Zahl  der  Tage  des  ältesten 
Jahres  (Peter  von  Bohlen,  das  alte  Indien,  2,  S.  270).  Der  Aegypter  war  so  tief 
in  Symbolik  befangen,  dass  nichts  für  ihn  ausserhalb  der  Beligion  lag,  dass  er 
das  Realste,  was  es  geben  kann,  die  nach  äusseren  Yerstandeszwecken  verfahrende 
Technik  des  Handwerks,  durch  Mystik  heiligte  und  an  den  Himmel  knüpfte.  Was 
politische  und  wissenschaftliche  Romantiker  des  neunzehnten  Jahrhunderts  ge- 
sucht und  als  Forderung  aufgestellt  haben,  christlicher  Staat,  christliche  Volks- 
wirthschaft,  christliche  Astronomie  u.  s.  w.,  war  im  alten  Aegypten  wirklich  einmal 
vorhanden.  Goethe,  Farbenlehre,  Zur  Geschichte  der  Urzeit:  „Stationäre  Völker 
behandeln  ihre  Technik  mit  Religion."  Literessant  aber  ist,  dass  in  dem  Bericht 
des  Plinius,  fünfhundert  Jahr  nach  Herodot,  statt  der  Zahl  360  schon  365  er- 
scheint, eine  stillschweigende  Verbesserung  der  Sage,  durch  welche  zugleich  die 
obige  Deutung  bestätigt  wird.  Auch  die  beiden  ägjrptischen  Masse,  die  den 
Namen  hinn  und  kiti  führten,  wurden  in  je  360  Theüe  zerlegt  (Lepsius  in  der 
Zeitschrift  für  ägyptische  Sprache,  1865,  S.  109),  —  eine  mystisch-religiöse  Ein- 
richtung, da  für  die  Praxis  die  ünterabtheilungen  zu  klein  waren.  —  Die  Webe- 
knnst,  bei  welcher  zwei  entgegengesetzte  Richtungen  ein  aus  ihrer  Durchdringung 
entstehendes  Drittes  erzeugen,  bot  übrigens  der  mythischen  Phantasie  der  ältesten 
Zeiten  von  selbst  das  Bild  zweier  Naturpotenzen,  einer  empfangenden  und  einer 
zeugenden,  und  ihrer  fruchtbaren  Vermischung. 

4S.  S.  188. 
Wäre  die  kolchische  Leinwand  über  die  lydische  Hauptstadt  Sardis  ge- 
kommen, so  hätte  das  Adjectiv  vielmehr  JS«pJr»jvov,  ^ag^irivixoy  lauten  müssen. 
Da  Herodot  sagt,  die  Kolchier  und  Aegypter  webten  auf  dieselbe  Art,  xaia  lai/idn 
—  gab  es  vielleicht  auch  in  Kolchis  ein  Gewebe,  dessen  Fäden  aus  360  noch 
feineren  bestanden,  und  hiess  ein  solches  sardonisch  nach  dem  lydischen  und 
ganz  allgemein  iranischen  Worte  aagötg,  das  Jahr?  —  Wie  Herodot  bringt  auch 
ein  neuerer  Naturforscher  den  ägyptischen  und  kolchischen  Flachs  in  Verbindung, 
ünger.  Botanische  Streifzüge  auf  dem  Gebiet  der  Kulturgeschichte,  Wiener 
Sitzungsberichte,  Band  38,  S.  130:  „Die  Leinpflanze  ist  nicht  in  Aegypten  ein- 
heimisch, sondern  daselbst  eingeführt  und  zwar,  nach  der  Natur  der  Pflanze  zu 
urtheOen,  aus  viel  nördlicher  gelegenen  Ländern,  wahrscheinlich  aus  Kolchis.^ 
Aber  letzteres  doch  gewiss  nicht  direct,  sondern  über  Babylonien. 

49.    S.189. 

Ritter,  üeber  die  geographische  Verbreitung  der  Baumwolle  u.  s.  w.  (in  den 
AbhandL  der  Akad.  der  Wissensch.  zu  Berlin  aus  dem  Jahre  1851),  deutet  S.  336  ff. 
die  o^ovttiy  6&6via  als  baumwollene  Stoffe,  aber  ohne  einen  haltbaren  Grund 
anzuführen  und  bloss  auf  eine  verfehlte  Etymologie  gestützt.  Nach  H.  Brandes, 
üeber  die  antiken  Namen  und  die  geographische  Verbreitung  der  Baumwolle  im 
Alterthum,  S.  106,  bezieht  sich  der  Ausdruck  6&6yfi  „nicht  sowohl  auf  einen  be- 


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480  Anmerkimgen. 

stimmten  Stoff,  als  vielmehr  auf  bestimmte  Arten  oder  Formen  Ton  Geweben, 
welche  als  Kleidungsstück  dienen  konnten.**  Mit  anderen  Worten  also :  die  6»6yat 
können  bei  Homer  sehr  wohl  LeingewÄnder  sein,  auch  wenn  späte  Schriftsteller 
unverkennbar  baumwollene  darunter  verstehen. 

50.    8.U9. 

Wie  die  europäische  Urwelt  in  der  Waldepoche  sich  Stricke  schaffte,  davon 
giebt  uns  eine  Stelle  der  Odyssee  10,  166  ff.  ein  anschauliches  Bild.    Odysseiis 
hat  auf  der  Insel  der  Circo  einen  HirSch  erlegt,  ein  ungewöhnlich  grosses  Thief  , 
und  es  handelt  sich  darum,   die  Beute  zu  den  Gefährten  am  Meeresstrande  zu 
schaffen.    Er  rafft  Gezweig  und  Ruthen,  ^wnus  n  luyovg  rt,   zusammen,  flicht 
daraus  einen  klafterlangen,  von  beiden  Enden  wohlgedrehten  Strick,   mlofAn 
tvajQi(pkg  äfi(poi4Qai»iVy  bindet  dem  Thier  damit  die  Füsse  zusammen,  hängt  es 
sich  um  den  Nacken  und  trägt  es  so  hinab  zum  schwarzen  Schiffe.    Damit  ver- 
gleiche man  folgendes  Wort  bei  Nesselmann,  Wörterbuch  der  litauischen  Sprache, 
S.  180:   kardelus  oder  kardelis  ein  starkes  Tau  zum  Anbinden  der  Holzflösse  und 
Wittinnen  (Art  Flussfahrzeuge),  meist  von  Bast  oder  Reisern  geflochten; 
das  Ankertau  auf  grösseren  Schiffen;   die  Drittstange  am  Wagen,   eine  junge 
mit  einer  geflochtenen  Oese  versehene  Birke  oder  auch  ein  Strick, 
woran  das  dritte  Pferd  gepannt  wird.   Was  in  dem  unentwickelten  Litauen  noch 
heute  Brauch  ist,   das  übten  auch  die  Germanen  in  einem  frühen  Zeitalter. 
Grimm,  RA.  683:   „Das  einfache  Alterthum  drehte  statt  der  hänfenen  Seile  Zweige 
von  frischem,   zähem  Holz,^  ahd.  uni,  mhd.  wicUt  lancwit^   widen  binden,   nhd. 
Wiede,  Langwiede,   auch  in  den  übrigen  deutschen  Sprachen,  so  wie  in  den 
keltischen  und  slavischen,  sich  wiederfindend  (die  verschiedenen  Formen  bei 
Diefenbach,  G.  W.  1, 146).    Die  Wiede  diente  zum  Zusammenbinden  der  Dächer 
und  der  Flösse,  am  Wagen  und  Joche,  zur  Koppelung  der  Thiere,  zur  Geisselung 
und  als  Seil  beim  Aufhängen  der  Verbrecher  u.  s.  w.    In  jeder  Hinsicht   ent- 
sprechend ist  das  lateinische  viti$.   Dieses  Wort  bedeutet  nicht  etwa  die  sich  um 
einen  Baum  oder  Stock  rankende  Pflanze,  sondern,  wie  vitex^  vimen  und  das 
griechische  /r/rr,  ein  biegsames,  dem  Menschen  zum  Winden,  Binden  und  Flechten 
dienliches  Gewächs.    Yergil  sagt  lentae  vites  wie  lenta  salix.    Wie   der  Sclave 
und  üebelthäter  mit  der  geflochtenen  Wiede  geschlagen  wird,  ja  das  mhd.  Yerbum 
widen  geradezu  schlagen  bedeutet,  so  bildet  bei  den  Römern  die  väis  in  der 
Hand  des  Genturionen  das  Werkzeug  der  Züchtigung  für  ungehorsame  Soldaten, 
z.  B.  Liv.  Epit.  57:   quem  tnilitem  extra  ordinem  deprehenditj  si  Romanus  esset,  vi- 
tibus,  si  extraneus y  fmtibus  cecidit.    Ein  der  Rebe  ähnliches  Rankengewächs,   die 
Brjonie,  lat.  viiis  alba,  dessen  Name  wahrscheinlich  auf  den  Weinstock  überging, 
wird  von  Ovid  ausdrücklich  mit  der  Weide  zusammengestellt,  Met  13, 800: 

Lentior  et  Salicis  virgis  et  vitibus  eUbis  — 
und  diente  wie  Ginster  und  Binse  zum  Eorbflechten,  Serv.  ad  Y.  G.  1, 165:  quo- 
niam  de  genistis  vel  junco  vel  alba  vite  solent  fieri.  Man  vergleiche  auch  altn.  sneis 
Zweig,  mhd.  sneise  Schnur.  Eben  so  ist  wohl  das  ahd.  repa  die  Rebe  mit  goth. 
skaudaraip  Schuhriemen,  ahd.  reif  das  Seil  verwandt,  bezeichnete  also  ein  zu 
Flechtwerk  und  Stricken  dienendes  Gewächs,  einen  Strauch  mit  biegsamen  Ruthen, 
in  dem  das  Rebhuhn  zu  nisten  pflegt,  und  wurde  später  auf  die  Weinrebe  nach 
deren  Bekanntwerden  angewandt  Französisch  hiess  und  heisst  die  Wiede  hard, 
hart,  die  zum  Binden  dienende  Weidengerte  harcelle,  also  gegen  das  litauische 
kardelus  mit  germanischer  Lautverschiebung  und  folglich  aus  dem  Deutschen 
stammend. 

Ein  Schritt  weiter  war  es,  wenn  der  Bast  der  Bäume,   ein  noch  weiterer. 


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Anmerbrngen.  431 

wenn  die  Fasern  der  Nessel  zu  Seilen,  Z&umen,  Gürteln,  Zeugen,  Kleidern, 
Sddlden  u.  s.  w.  verarbeitet  wurden.  Die  Massageten  kleiden  sich  in  Bast,  Strab. 
11,8,7:  afin^x^yjttt  d^  (ol  Maaaaydm)  roiff  raiy  Jiydotov  (fXoiOvSy  und  ebenso 
die  Germanen,  Mela  3,  3,  2:  mri  sagt»  velantur,  aut  libris  arborum,  guamvis  saeva 
kieme,  und  tragen  Schilde  von  roher  Baumrinde,  Val.  Flacc.  6,  97  (von  den 
Bastamen): 

guoSy  duce  Teutogono,  crudi  mora  corticis  armat. 
Zu  solchem  Bastgeflecht  diente  besonders  die  Linde,  die  auch  in  allen  Sprachen 
nach  dieser  Eigenschaft  benannt  ist.  Das  griechische  (piXvQu  heisst  Linde  und 
Bast  und  ist  sicher  mit  yicioj  Rinde  und  tfiXkoQ  Kork  verwandt.  Theophr.  h. 
pL5,  7,5:  l;f€t  6h  xn\  (17  (ptXvga)  roy  <f\Xoi6y  X9V^*f*^^  ^POf  ^*  ""*  0x01  v(a  xai 
ngbg  tag  xiomq.  Also  noch  Theophrast  kennt  den  Gebrauch  des  Lindenbastes 
zu  Stricken  und  zu  Kisten.  Li  der  grossen  Lindenregion  Europas,  in  Weiss-  und 
Kleinrussland  und  den  an  die  Karpathen  sich  lehnenden  Landschaften  ist  die 
Lindenrinde  noch  heut  zu  Tage  in  lebendiger  Anwendung  und  dient  je  nach  dem 
Alter  des  Baumes  zu  Wagenkörben  und  FlusskÄhnen,  zu  Matten,  Stricken,  Schuhen, 
Säcken,  Sieben  u.  s.  w.  Man  berechnet  die  Zahl  der  hier  und  in  dem  waldreichen 
russischen  Nordosten,  in  Wiatkau.  s.  w.,  zum  Behuf  der  Sch&lung  jährlich  ge- 
fällten Bäume  auf  etwa  eine  Million;  der  Bast  wird  in  Wasser  geweicht  und  das 
Material  ist  fertig.  Ahd.  lirUa,  ags.  und  altn.  lind  die  Linde,  altn.  lindi  der  Gürtel; 
das  Lind  in  deutschen  Mundarten  so  viel  als  Bast,  Lindschleisser  in  der  älteren 
Sprache  gleich  Seiler  (Grimm  RA.  S.  261  und  520).  Von  dem  deutschen  Lind 
kann  das  lateinische  linteum  nicht  getrennt  werden;  nach  Wackemagel  würde 
auch  das  romanische  barca  die  Barke  aus  dem  niederdeutschen  Borke,  altn.  borkr 
abzuleiten  sein,  doch  scheint  das  griechische  ßcigig^  welches  vielleicht  aus  Aegjpten 
stammt,  das  messapische  ßn^iQ  und  lateinische  barU  grösseren  Anspruch  zu  haben. 
Das  homerische  nur  im  Dativ  und  Accusativ  vorkommende  Air/,  Xtra  (also  für 
XiytC  Xiyjo)  ziehen  wir  mit  Pott  gleichfalls  hierher:  es  bedeutete  ein  gröberes 
Tuch,  ursprünglich  wohl  eine  Matte  aus  Lindenbast:  der  weggestellte  Wagen 
wird  damit  bedeckt,  es  wird  auf  den  Sessel  gebreitet  und  dajüber  die  schöne 
purpurne  Sitzdecke,  der  Leichnam  des  Patroklus  wird  damit  verhüllt  und  darüber 
das  weisse  Leichentuch  geworfen.  Ob  wir  uns  dabei  im  Sinne  der  Sänger  noch 
eine  wirkliche  Bastmatte  oder  schon  ein  grobes  Leinenzeng  zu  denken  haben, 
bleibt  ungewiss.  Lateinisch  tilia  Linde,  tüiae  Bast,  französisch  teilkr  Hanf  brechen, 
italienisch  Hglio  HanMnde.  Dem  slavischen  lipa^  litauischen  lepa  die  Linde  ent- 
spricht gr.  Xinny  schälen,  Xiniog  zart  (durchgängig  von  Zeugen  aus  Flachs  ge- 
braucht, Xiniä  i5</)ao^«Ta  =  linnene  Gewebe),  Ht.  Zupft  schälen,  ahd.  louft^  Inft 
Baumrinde.  Ebenso  gehört  lat  licium  ohne  Zweifel  in  dieselbe  Reihe  mit  lit. 
ImkaSy  russ.  pohu  czech.  lyko  der  Bast.  Wie  lat.  liber  beweist,  war  Bast  auch  das 
älteste  Schreibmaterial.  Ulp.  Dig.  32,  52:  Librorum  appellatione  continentur  amnia 
Volumina f  sive  in  Charta^  sive  in  membrana  sint^  sive  in  quavis  alia  materia:  sed 
et  91  in  philyra  aut  in  tilia,  ut  nonnulli  conficiunt,  aut  in  quo  alio  corio,  idem  erit 
dicendum.  Mit  Anbruch  der  historischen  Zeit  ist  dieser  vielgebrauchte  Stoff  überall 
im  Verschwinden,  aber  manche  Benennungen,  die  ihm  gegolten  hatten,  gingen 
auf  die  neuen  Pflanzen  über,  die  an  seine  Stelle  traten. 

Schon  dem  Flachse  näher  stehen  die  Gewebe  aus  den  Fasern  der  gemeinen 
wildwachsenden  Nessel.  Sie  sind  bei  den  Halbnomaden  an  der  Grenze  Asiens 
und  Europas,  einer  Gegend,  die  bei  dem  stufenmässigen  Zurückweichen  der  älteren 
Culturepochen  nach  Osten  uns  oft  in  überraschender  Weise  die  Gestalt  Ureuropas 
vor  Augen  stellt,  noch  heut  zu  Tage  ganz  gewöhnlich.  Die  Weiber  der  Basch- 
kiren, der  Koibalen,  der  Sagai-Tataren  u.  s.  w.  verarbeiten  die  urtica  dioeca  nicht 

Yict.  Hehn,  KultDrpflans«ii.  31 


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482  AnmerkimgeiL 

bloss  zu  Netzen  und  Gameo,  sondern  anch  zn  einer  Art  Leinwand,  s.  Storch, 
Tableau  historiqne  et  statistique  de  Pempire  de  Bnssie,  1801,  IL  249.  Ton  den 
Baschkiren  berichtet  Pallas,  Reise  durch  verschiedene  Provinzen  des  russischen 
Reichs,  St  Petersburg  1801,  L  8.  448:  „Ihr  grobes  Leinenzeug  zur  Kleidung  ver- 
fertigen sie  grossentheils  selbst,  indem  sie auch  von  der  gemeinen  grossen 

Nessel  Garn  spinnen.  Diese  Nessel  wächst  in  dem  fetten  Erdreich  bei  den  Woh- 
nungen h&nfig  und  wird  wie  der  Hanf  im  Herbst  ausgerauft,  getrocknet,  danach 
etwas  eingewässert,  der  Bast  am  meisten  mit  den  Händen  durch  das  Brechen  der 
Stengel  abgezogen  und  zuletzt  in  hölzernen  Mörsern  gestampft,  bis  nichts  als  das 
Werg  übrig  bleibt^  Ein  Handelsbetrug,  der  in  Turicestan  oft  vorkömmt,  besteht 
darin,  dass  Nesselfäden  mit  der  Seide  verwebt  werden  und  das  Zeug  als  reiner 
Damast  verkauft  wird.  Nestor  erzählt  an  einer  merkwürdigen  SteHe,  Oleg  habe, 
von  Konstantinopel  wegschiffend,  den  Schiffen  der  Russen  Segel  aus  powohka^ 
denen  der  Slaven  Segel  aus  Nesseln,  kropiva^  gegeben,  Schlözer,  Nestor,  HL, 
S.  295 f.  (Das  erstere  Wort  erklärt  Krug,  Zur  Münzkunde  Russlands,  St  Peters- 
burg 1805,  S.  109ff.  ab  verderbt  aus  „babylonisches  Zeug**  d.h.  Seide;  viel- 
leicht waren  die  Segel  von  Nesseln  linnene  mit  Beibehaltung  des  alterthümlichen 
Ausdrucks,  nur  feinere,  denn  die  Slaven  beklagen  sich,  dass  sie  ihre  gewöhnÜchen 
groben  nicht  bekommen  haben,  die  dem  Sturme  besser  Widerstand  geleistet 
hätten).  Dass  auch  die  Grermanen  Netze  aus  Nesselgam  strickten,  lehrt  die  ety- 
mologische Verwandtschaft  dieser  beiden  Wörter,  goth.  nati,  ags.  net  das  Netz, 
ags.  netele  die  Nessel  u.  s.  w.;  auch  die  Nessel,  preuss.  noatis,  lit  notere^  lett  ndtra^ 
altirisch  nenaid  (reduplicirt,  Cormac  p.  126),  scheint  vom  Nähen  so  benannt 
Noch  Albertus  M.  kennt  den  Gebrauch  der  urtica  zu  Geweben,  de  vegetabilibus 
ed.  Jessen  6,  462:  ducu  autem  habet  peiies  (urtica)  y  interiorem  et  exteriorem:  et 
illae  Munt,  ex  quibus  est  operatio,  sicut  ex  Uno  et  canabo.  Und  gleich  darauf: 
sed  panmtB  urticae  pruritum  excitat,  quod  non  facit  Uni  vel  canabi.  Auch  das 
Chinagras,  das  wir  jetzt  aus  Indien,  Java,  China  beziehen,  ist  nichts  als  die 
Brennnessel  oder  eine  Varietät  derselben  und  liefert  Stoffe,  die  der  Baumwolle  in 
jeder  Beziehung  überlegen  sind. 

Als  der  Flachs  den  europäischen  Völkern  zukam,  da  war  es  natürlich,  dass 
die  vorhandenen  Namen  des  Bastes  und  der  Nessel  und  der  aus  ihnen  gear- 
beiteten Produkte  auf  die  neue  Gespinnstpflanze  übergingen.  So  erhielt  das  la- 
teinische Unteum  den  Sinn  von  Leinwand,  während  im  Deutschen  Lind  die  Be- 
deutung Bast  und  Linde  die  des  basttragenden  Baumes  bewahrte.  Ein  keltisches 
Wort  für  Nessel  ist  kymbrisch  dynat^  danady  welches  altkomisch  Unhaden,  ar- 
morisch  Unad^  Unad,  Unaden  lautet  (Zeuss'  1076).  Das  Primitiv  davon  scheint  in 
dem  bei  Dioscorides  aufbewahrten  dakischen  Svy  =  xr^rj^  urtica  (Diefenbach 
O.  E.  S.  329)  und  mit  demselben  Wechsel  von  d  und  1,  wie  bei  dynad  und  Unad, 
in  dem  griechischen  X^roy  vorzuliegen.  Ist  die  letztere  Vermuthung  gegründet, 
so  würden  die  GWechen,  als  ihnen  in  vorhomerischer  Zeit  der  Flachs  und  die 
Leinwand  von  Asien  her  zugetragen  wurde,  ihre  Bezeichnung  der  Nessel  und  des 
Nesselgeflechts  auf  das  ähnliche,  wenn  auch  vollkommnere  Gespinnst  aus  Flachs 
angewandt  haben.  Der  ursprünglich  kurze  Vocal  wurde  mit  der  Zeit  und  in 
einigen  Landschaften  lang:  ITyoy  (der  umgekehrte  Vorgang  wäre  nach  den  sonst 
beobachteten  Gesetzen  sprachlicher  Entwickelung  minder  wahrscheinlich),  und 
80  lautet  das  Wort  bei  Aristophanes  Pac.  1178  und  beim  Komiker  Antiphanes 
(Athen.  10,  p.  455)  —  welch  letztere  Stelle  Meineke  mit  Unrecht  durch  Conjectur 
ändert  In  dieser  jüngeren  Gestalt  fnden  wir  das  Wort  in  Italien  wieder:  timm; 
von  da  kam  es  zu  den  transalpinischen  Völkern,  goth.  lein  u.  s.  w.  —  Die  deutsche 
Sprache  hat  noch  zwei  Ausdrücke  für  die  Pflanze  selbst,  beide  sichtlich  vom 


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Anmerkungen.  433 

ileckten  nnd  Weben  entnommen  nnd  mit  Wörtern  der  Bedeutung  Haar  sich  be- 
ruhend: ahd.  /Iah»  nnd  Aarti,  gen.  harawes  (ersteres  hat  im  litauischen  plaukoM 
und  slaTischen  o^otti  den  Begriff  Haar,  im  lit  plauizas  den  von  feinem  Bast; 
fahsj  das  Haar,  die  Nebenform  Yonßahi,  ist  eins  und  dasselbe  mit  dem  griech. 
a^xogy  näaxog,  welches  letztere  Wort  der  Scholiast  zu  Nie.  Ther.  549  erklart: 
nfaxog  Jk  lor  q>Xoi6y  i^f  ßoiayrj^y  also  Bast,  rt^xtj  k&mmen,  lai  pecto;  haruj 
altn.  kor^  der  Lein,  halten  wir  für  identisch  mit  dem  slar.  kropiva,  die  Nessel, 
und  dem  alban.  kerp  =  Hanf). 

Unter  den  aus  Schweizer  Seen  aufgefischten  Gegenständen  haben  sich  auch 
Böndel  geemteten  Flachses,   Stücke  linnenen  Zeuges,   aus  Flachs  geflochtene 
Matten  n.  s.  w.  gefunden.    Da  namhafte  Naturforscher  in  den  genannten  Ueber- 
resten  wirklich  die  Fasern  des  Flachses  erkannt  haben,  so  dürfen  wir  an  der 
Thatsache  nicht  zweifeln,  obgleich  bei  Garrigou  et  Filhol,  Äge  de  la  pierre  polie, 
Paris  et  Toulouse,  s.  a.,  4®,  p.  51  es  vorsichtiger  Weise  nur  heisst:   le  lin  leur 
üaU  probablemenl  cownuy  h  moinM  qu'  une  autre  plante  ä  ecorce  filamenteuse  (die 
grosse  Nessel?)  aä  pu  leur  foumir  de  quoi  faire  de»  vStement».    Der  Flachs  war 
übrigens  nicht  unser  jetzt  gebräuchlicher,  sondern  eine  besondere  YarietAt.  0.  Heer 
in  den  Mittheilungen  der  antiquarischen  Gesellschaft  in  Zürich  15,  312:  „Der  Pfahl- 
bautenlein ist  nicht  der  gemeine  Flachs.    Der  schmalblättrige  Flachs,  linum  an- 
guttifolium  Hud»,,  der  in  den  Mittelmeerl&ndem  von  Griechenland  und  Dalmatien 
weg  bis  zn  den  Pyrenäen  zu  Hause  ist,  darf  als  die  Mutterpflanze  des  kultivirten 
Pfiüilbautenleins  bezeichnet  werden.   Dass  die  Pfahlbautenleute  ihren  Flachssamen 
aus  dem  südlichen  Europa  bezogen,  beweist  das  kretische  Leimkraut^  —  welches 
letztere  sich  nämlich  als  Unkraut  unter  den  Flachsresten  findet.    Danach  also 
war  der  Schweizer  Flachsbau  erst  von  dem  italischen  abgeleitet.   Je  ausgebildeter 
wir  uns  überhaupt  den  Acker-  und  Obstbau  bei  den  Bewohnern  dieser  Wasser- 
bauten denken,  desto  tiefer  in  der  Zeit  müssen  wir  sie  herabrücken.   Man  erwäge 
wohl,   dass  die  aus  dem  Grunde  der  Seen  heraufgeholten  Gegenstände,   so  in- 
teressant ihr  Anblick  sein  mag,  doch  unmittelbar  chronologisch  nichts  aussagen 
imd  dass  Alles,  was  über  die  £poche  dieser  Kultur  vermuthet  worden  ist,  nicht 
der  Betrachtung  ihrer  Reste,  sondern  anderweitigen  oft  sehr  luftigen  Erwägungen 
imd  Voraussetzungen  entnommen  ist.    Wenn  es  das  Glück  so  fügte,   dass  sich 
mitten  in  einem  dieser  Flachsbündel  ein  massaliotisches  Geldstück  eingeschlossen 
fände,  oder  wenn  eine  gütige  Fee  uns  einige  wenige  Wörter  der  Sprache  dieser 
Pfahlbauer,  z.  B.   die  Namen,  mit  denen  sie   den  Flachs,  den  Weizen,   den 
Pflug  u.  8.  w.  bezeichneten,  vertrauen  wollte  —  welch  ein  heller  Lichtstrahl  fiele 
plötzlich  in  diese  dunkle  Welt!  Wir  würden  uns  nicht  wundem,  wenn  sich  dann 
ergäbe,  dass  diese  räthselhaften  Urmenschen  mit  den  steinernen  Werkzeugen  in 
der  Hand  Niemand  anders  als  die  Väter  der  uns  seit  Cäsar  wohlbekannten  Hel- 
yetier  waren  und  dass  die  höhere  Kultur,  deren  Spuren  wir  bei  ihnen  finden,  von 
den  Ufern  des  mittelländischen  Meeres  stammte. 

51.    S  157. 

MoYers,  Phönizier,  2, 3, 157  behauptet  ganz  grundlos:  „Hanf  zu  Schiffsseilen 
und  Segein  wurde  in  der  ausgezeichnetsten  Güte  in  Phönizien  gezogen.^  Das 
könnte  höchstens  von  der  Bömerzeit  wahr  sein,  wo  auch  der  Hanf  der  karischen 
Stadt  Alabanda  im  höchsten  Bufe  stand.  —  Der  an  einer  einzigen  Stelle  im 
Homer  vorkommende  Ausdruck  anagia  für  Schifistaue,  H.  2, 135: 
xal  (fjj  SovQot  aiarin»  vaav  xn\  ana^na  Ukvytai  — 
lässt  über  den  Stoff,  aus  dem  sie  gefertigt  waren,  im  Dunklen.  Vergleicht  man 
indess  das  verwandte  Wort  anvQd^  lat.  »porla  der  Korb,  so  wird  glaublich,  dass 

31* 


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484  Anmerkungeii. 

auch  onuQioy  aas  einer  Binsen-  oder  Ginsterart  gedreht  war.  Aher  die  anagra 
nvxya  fniQttfifjt^va  an  den  Leinwand -Harnischen  der  Chalyher  hei  Xenophcn 
Anah.  4,  7, 15  mögen  hänfenen  Stoffes  gewesen  sein,  da  die  Chaljher  derojenigren 
Landstrich  und  Yolksstamme  nahe  wohnten,  wo  der  Hanf  zuerst  auftritt. 

52.  S.15S. 
Kehen  dem  allgemein  europäischen  Ausdruck  hahen  die  Slaren  ein  eigen- 
thümliches  Wort  für  Hanf:  russisch  penka^  poln.  pienka,  czechisch  pinek,  penka. 
Sie  könnten  dies,  wie  so  vieles  Andere,  Ton  den  Skjrthen  oder  Sarmaten  entlehnt 
hahen,  denn  neupersisch  und  afghanisch  beng^  bang  und  schon  vedisch  bhanga 
der  Hanf,  zendisch  banha  Trunkenheit,  Baflga  Name  des  Daeya  der  Trunkenheit, 
8.  Justi,  Handbuch,  S.  209.  Ein  zweiter  slavischer  Ausdruck  poskanl  (so  auch 
russisch  und  czechisch)  stellt  sich  zu  ahd./oA«,  gr.  nioxtUy  das  polnische  pio$kon 
zu  ahd.  flahi  —  ein  merkwürdiger  Parallelismus  beider  Sprachgruppen.  —  Bischof 
Otto  von  Bamberg  fand  bei  den  heidnischen  Slaven  in  Pommern  viel  canapumj 
s.  Herbordi  vita  Ottonis  bei  Pertz,  Scr.  20  p.  746. 

58.    8.164. 

Wie  die  Lokrer  mit  den  Siculem  sollte  der  attische  Feldherr  Hagnon  mit 
den  Barbaren  am  Strymon  verfahren  sein:  er  leistete  ihnen  den  Eid,  drei  Tage 
nichts  unternehmen  zu  wollen,  warf  aber  bei  Nacht  seine  Befestigungen  auf  und 
gründete  so  Amphipolis  (Polyän.  6, 53).  Als  die  Perser  Barke  in  AMka  ver- 
geblich belagerten,  schwuren  sie  den  Barkäem  zu,  gegen  einen  zu  zahlenden 
Tribut  die  Belagerung  aufheben  zu  wollen.  Dies  Versprechen  sollte  so  lange 
gelten,  als  die  Erde,  auf  der  sie  stünden,  unter  ihren  Füssen  halten  werde.  Der 
Boden  war  aber  künstlich  unterhölt,  die  Erde  sank  zusammen  und  die  Stadt  wurde 
überfallen  und  eingenommen  (Herod.  4,  201).  Durch  buchstäbliche  Aaslegang 
erwarb  sich  auch  Dido  den  Boden  zur  Gründung  von  Karthago.  Bei  dem  Mönch 
von  Corvey,  Widukind,  landet  der  Stamm  der  Sachsen  zuerst  in  Hadeln.  Einer 
ihrer  Jünglinge  kauft;  den  Thüringern  für  viel  Gold  einen  Haufen  Erde  ab  und. 
wird  als  Betrogener  ausgelacht.  Hinterher  aber  bestreut  er  weit  und  breit  das 
Land  mit  dem  erkauften  Staube  und  so  gehört  der  Grund  und  Boden  den  Sachsen. 
Dieser  Anspruch  wird  dann  durch  eine  blutige  Schlacht  und  die  Niederlage  der 
Thüringer  bekräftigt  Auf  ähnliche  Art  kam  die  Wartburg  in  den  Bedti  der 
Landgrafen  von  Thüringen.  Zwölf  Ritter,  im  Burghof  stehend,  schwuren  bei 
ihren  Schwertern,  dass  sie  auf  landgräflichem  Boden  stünden:  sie  selbst  aber 
hatten  vorher  thüringische  Erde  in  den  Burghof  geschafft  —  Bei  Naturvölkern 
mit  noch  unentwickeltem  sittlichen  Gefühl  wird  die  List  bewundert,  wie  die 
Tapferkeit  Der  Eid  wird  gefürchtet,  aber  nur  als  Formel,  und  so  ist  auch  das 
Becht  noch  unabtrennbar  vom  SjmboL  Noch  jetzt  machen  ungebildete  Menschen 
den  Eid  unwirksam,  indem  sie  eine  Art  Gegenzauber  anwenden,  z.  B.  während 
sie  die  rechte  Hand  zum  Schwur  erheben,  die  drei  Finger  der  linken  hinter  dem 
Bücken  nach  unten  ausstrecken  u.  s.  w. 

54     S.  1S6. 

IjQurus  abgeleitet  von  /uo,  lavo.  Derselben  Herkunft  ist  Lavimoy  L<wmium^ 
die  angeblich  mit  Lorbeer  umpflanzte  Sühnstadt  Laurentum  u.  s.  w.  s.  Schwegler, 
Komische  Geschichte,  1,  S.  319f.  Diese  Herleitung  würde  noch  sicherer  sein, 
wenn  wir  mit  Benfej  das  griechische  dn<f>yri  mit  ^^qxo,  6i\p(a^  64^fto  in  der  nr- 
sprünglichen  Bedeutung  benetzen,  anfeucliten  in  Verbindung  bringen  dürften. 
Aber  störend  ist  das  thessalische  davxva  in  dem  zusammengesetzten  Worte  kqx*' 


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Anmerkungen.  485 

^avxvatfOQkiaag  bei  Boeckh  C.  I.  no.  1766,  so  wie  das  jetzt  bei  Nicander  an  zwei 
Stellen  (Ther.  94  und  Alexiph.  199)  wiederhergestellte  Savxvog  für  Lorbeer.  Andere 
haben  das  Wort  daher  von  einer  Wurzel  mit  der  Bedeutung  brennen  ableiten 
wollen  (Legerlotz  in  Euhn's  Zeitschr.  7, 293),  wo  denn  der  Lorbeer  hmner  noch  als 
lustrirender,  nur  nicht  als  durch  Spülen,  sondern  durch  aromatische  Bäucherung 
reinigender  Baum  benannt  wäre  (Paul.  Epit.  ed.  0.  MnUer,  p.  117:  iiaque  eandem 
launtm  omniims  suffittonibus  adhiberi  solitum  erat).  Stände  danach  das  /  im  latei- 
nischen lavTus  für  dy  wie  in  anderen  bekannten  Fällen?  Die  Pergäer  in  Klein- 
aden  sagten  k€iq}vri  für  dttq}yri  nach  Hesychius.  Derselbe  hat  ein  Wort,  welches 
wegen  der  Ableitung  mitr  nahe  an  das  lateinische  heranreicht:  Svage^a*  ij  iy 
toTg  Ti/nmai  dacpvTi*  —  Wenn  das  griechische  Wort  aus  einer  asiatischen  Sprache 
stammt,  dann  ist  natürlich  alle  Bemühung  um  etymologische  Erklärung  aus  dem 
Griechischen  yergeblich.  —  Auch  juvqtos  (jiVQaCvri^  fiuggCvri,  ^vQ(yri)  ist,  weil  von 
uvgov^  fivQQa,  ojuvgya  nicht  ZU  trennen,  ein  orientalisches  Wort.  Li  der  ältesten 
Zeit  wurden  die  Sträucher,  deren  Blätter  und  ausschwitzendes  Harz  zu  Wohl- 
geruch dienten,  nicht  genau  unterschieden.  Zu  den  im  Texte  angeführten  Stellen 
ist  noch  Serv.  adV.  A.  3,  23  zu  fügen,  wo  Myrene,  ein  schönes  Mädchen, 
Priesterin  der  Venus,  weil  sie  einen  Jüngling  heirathen  wiU,  von  der  Göttin  in 
eine  myrtus  verwandelt  wird.  Dass  im  Namen  der  Myrrha,  der  Tochter  des 
Cinyras,  der  Begriff  Trauer  stecke,  wie  Movers  1,243  wollte,  ist  nach  dem 
Obigen  nicht  glaublich. 

56.  S.  1S8. 
Schneider  zu  der  ang.  Stelle  des  Theophrast  bemerkt:  is  (Plinius)  igitur  out 
pJara  in  $uo  libro  scripta  legit,  aut  aliunde  inseruit  Mithridatis  nomen.  Aber  den 
Namen  des  Mithridates  kounte  Plinius  doch  nicht  in  seinem  Exemplar  des  Theo- 
phrast finden,  der  zweihundert  Jahr  vor  Mithridates  lebte.  Beispiel  gelehrter 
Zerstreutheit! 

56.    S.192. 

Sollte  nicht  umgekehrt  der  griechische  Name  nv^og  erst  von  den  Produkten 
der  feineren  Holztechnik  und  der  Eunstschreinerei  auf  den  Baum  übergegangen 
sein?  Dass  das  Wort  zu  nrvaao)  gehört,  darüber  kann  kein  Zweifel  sein;  der  zu 
Grunde  liegende  Begriff  kann  aber  nicht  biegsam  sein,  wie  Benfey  im  Wurzel- 
wörterbuch vermuthet,  denn  der  Buchsbaum  zeigt  gerade  die  entgegengesetzte 
Eigenschaffe,  eben  so  wenig  der  des  krausen,  krummen  Strauches,  wie  Grimm 
wollte,  denn  ntvoota  sagt  gerade  das  Gegentheil  aus:  falten,  schichten,  fügen, 
zurechtlegen,  aus  Tafeln  zusammensetzen.  Schon  Homer  hat  titvxh  für  die  Lagen 
des  Schildes,  iy* nCyaxt  nrvxt^  für  die  Doppeltafel,  auf  deren  innerer  Fläche 
Zeichen  eingegraben  waren,  Pindar  vfivtov  mv^aU  für  die  wie  bei  kunstreichen 
Gefässen  in  einander  greifenden  Fugen  der  Gesänge  u.  s.  w.  Hat  der  Baum  von 
solchen  aus  seinem  Holz  gefugten  Kisten  und  Tafeln  den  Namen,  so  folgt,  dass 
der  Handel  diese,  so  wie  vielleicht  Blöcke  des  rohen  Materials,  den  Griechen  zu- 
führte, ehe  der  Baum  selbst  ihnen  zu  Gesicht  gekommen  war,  —  eine  Bestätigung 
der  im  Text  geäusserten  Ansicht.  —  Der  Name  Kvitugogy  Kmtogoy  könnte 
griechisch,  nicht  barbarisch,  sein,  wenn  nämlich  darin  in  äolischer  Form  das  sehr 
alte  Wort  steckt,  welches  als  xoriyoj  bei  den  späteren  Griechen  den  Oleaster, 
bei  den  Lateinern  als  cotinus  irgend  einen  Strauch  in  den  Apenninen  bedeutete, 
bei  den  Sinopeem  aber  vielleicht  den  auf  dem  Gebirge  wachsenden  bttsus  be- 
zeichnete. 


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486  Anmerkungen. 

57.  S.198. 

Benfej,  2, 872.  Das  m  des  semitischen  rimtnon  ging  „dnrch  eine  sehr  natar- 
liche  Umwandlung^  in  das  griechische  Digamma  über.  Hesjchins  kennt  noch 
für  eine  Sorte  grosser  Granat&pfel  den  Namen  ^ißtßat.  (Wenn  freilich,  was  er 
hinzusetzt,  das  Wort  lante  besser  ^(fißau  ond  die  roransgehende  Glosse:  ^fyißQtu' 
^ofa/.  AioltTc  sicher  w&re,  so  würden  andere  Yermnthnngen  Platz  greifen). 
Dasselbe  semitische  Wort  steckt  yieUeicht  im  ersten  Theil  yon  ogoßaxxoi  (SchoL 
ad  Nie.  Ther.  869:  liytiai  dk  ofioCua  ^  i(dy&fiatg  xüy  ^oiüv  ogoßaxxoc)  oder 
6Qoß(ixx7j  (ILesjclL  ÖQoßnxxfl'  ßorayti  Tic.  ot  Sk  t^c  ^oiag  lovi  xaQnov(,  ov(  iyiot 
xvtiyovi),  Avjipoi  gilt  auch  für  die  Blüte,  ans  der  sich  die  Fracht  entwickelt, 
SchoL  ad  Nie.  Alex.  610:  xvrtyov  tpaat  t6  av^oc  xfig  ^otäg,  ZntQ  avitj^iy  ^oiä 
y^ycrai,    Zn  den  Yersen  des  Nicander,  Alex.  489: 

ß(ivxoi  i*  akXoit  xttQuoy  akii  q>oiytodta  a(dnQ 
KgriaidoQy  olytuTifjt  ri  xal  ^y  JT^o/u/kciov  l/iovai  — 
bemerkt  der  Scholiast:  otytonfjs'  dSoc  ^oiSs  xal  oiya^og.  xa\  nqofxiyaoy  ^  dSog 
^oiac,  tuyofiaat  d*  auj^y  ano  iiyoc  ÜQOfiiyov  JTpijro;.  Bei  aißdrj  erinnert  Pott 
EF.'4,  81  an  das  persische  $eb  =  pomum,  malum.  Yon  dem  Namen  der  Blüte 
ßalavauoy  (wohl  auch  ein  orientalisches  Fremdwort,  s.  Low,  Aram&ische  Pflanien- 
namen,  S.  364)  stammt  bekanntlich  das  italienische  balauslro,  balamtrata  vl  s.  "w. 
und  also  auch  unser  Balustrade. 

58.  8  198. 

Fiedler  (Reise,  1,625)  erz&hlt:  „Als  König  Otto  1834  an  den  Thermopylen 
war,  brachte  ein  altes  Mütterchen  einen  stattlichen  Granatapfel  und  wünschte  dem 
König  so  yiel  glückliche  Jahre,  als  Kerne  sich  darin  bef&nden.^  Dies  erinnert 
an  Herodot4, 143:  Als  Darius  einen  Granatapfel  öffnete  und  gefragt  wurde,  yon 
welchem  Ding  er  eine  so  grosse  Anzahl  wünsche,  als  Kerne  in  der  Frucht  wären, 
erwiederte  er,  so  viel  Getreue,  die  dem  Megabazus  glichen,  und  das  werde  er 
noch  höher  schätzen,  als  Griechenland  unterworfen  zu  sehen.  Dieselbe  Geschichte 
erzählt  Plutarch  (Regum  et  Lnp.  apophthegm.  m.\  aber  mit  Bezug  auf  Zopjns. 

59.  S.202. 

Solche  xQ^ya  werden  auch  die  Lilien  sein,  die  man  auf  assyrischen  Basreliefs 
geftmden  haben  will  (G.  Rawlinson,  the  five  great  monarchies,  1, 440},  so  wie  die- 
jenigen, nach  deren  Bilde  die  Säulenknäufe  des  salomonischen  Tempels  gearbeitet 
waren.  Auch  die  xoCya^  die  Phidias  auf  dem  Mantel  des  olympischen  Zeus  an- 
gebracht hatte  (nach  Pausan.  5, 11, 1  —  wenn  es  mit  dem  Text  seine  Richtigkeit 
hat),  sind  nicht  als  lilia  Candida,  sondern  als  stilisirte,  allgemeine  Blumenformen 
zu  denken.  Die  ägyptischen,  rosenähnUchen,  im  Flusse  wachsenden  xqCyta  werden 
als  Nymphaea  Nelumbo  L,  gedeutet. 

60     S.  202. 

üeber  {^oSoy,  ßgoSoy  und  die  identischen  Wörter  im  Armenischen,  Knr- 
dischen  u.  s.  w.  siehe  die  Citate  bei  Pott  EF.'  2, 817.  Das  armenische  vard  fahrt 
nach  Spiegel  Beiträge,  1, 817)  auf  ein  altpersisches  vareda,  aus  dem,  mit  Verlnst 
des  schliessenden  c?,  auf  regelmässige  Weise  das  heutige,  schon  im  Huzy&resch 
Torkommende  guly  die  Rose,  entstand.  Auch  Spiegel  bestreitet  die  semitische 
Herkunft  des  Wortes.  Für  unzweifelhaft  persisch  muss  Xdgioy  =  persisch  i(M 
die  Lilie  (Benfey  2, 137)  gelten.  Susa,  die  Winterresidenz  der  persischen  Könige, 
sollte  Ton  dem  Lilienreichthum  der  Gegend  den  Namen  haben,  denn  persisch 
oovaoy  =  griechisch  xglyoy. 


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Anmerbmgen.  487 

61.  S.204. 

Rosa  nach  Pott  aus  ^oS4a,  Rosenstrauch,  wie  die  italische  Yolkssprache 
CloMUM  ans  Claudius  n.  s.  w.  machte.  Knr  möchten  wir  statt  des  Substantivnms 
^o^ia^  wo  zugleich  ein  BegrÜTsübergang  yorausgesetzt  wird,  lieber  das  Ac^ectiv 
§oJ4a,  ^06 (a  zu  Grunde  legen.  Die  Rose  heisst  seit  alter  Zeit  ^06 ia  xalv^^  schon 
im  Hjmnus  an  die  Demeter;  xdlv^  nämlich  zum  unterschied  der  edlen  gefüllten 
Rose  yon  der  wilden.  Dies  war  so  gewöhnlich,  dass  auch  xalvi  allein  schon  für 
Rose  galt,  daher  xttlvxtoTiig  Nv/utpfj  und  xovgfj^  die  Nymphe  oder  das  Mädchen 
mit  den  Rosenwangen.  Umgekehrt  aber  Hess  auch  woU  die  Yolkssprache  das 
Substantiv  weg  und  sagte  bloss  rj  ^oöia  =  rosa.  —  Die  Macedonier  hatten  nach 
Hesychius  ein  eigenes  "Wort  für  Rose:  aßayra*  ^oda;  Macedonien  war  ja  für  den 
europäischen  Welttheil  auch  das  Vaterland  dieser  Kulturpflanze.  —  Bei  Zeuss* 
p.  1076  findet  sich  für  rosa  ein  altkomisches  Wort  breilu  (kambrisch  breila,  breilw) 
dessen  Deutung  und  Yerwerthung  für  die  Kulturgeschichte  wir  genaueren  Kennern 
dieser  Sprache  überlassen  müssen.  Eben  so  dunkel  ist  p.  168  die  kambrische 
Glosse:  ffuan  (rosae).  —  Lilium  statt  lirium  ging  aus  dem  Streben  nach  Assimi- 
lation hervor;  die  neulateinischen  Sprachen  fühlten  hier  umgekehrt  das  Bedürfniss 
nach  Dissimilation  und  sagten  giglio,  lirio  u.  s.  w.  Das  spanische  und  portu- 
giesische azucena  für  weisse  Lilie  stammt  aus  dem  Arabischen  und  ist  also  ur- 
sprünglich eins  mit  dem  alttestamentlichen  susan^  Susannah,  und  dem  Worte,  das 
nach  Stephanus  von  Bjzanz  dem  Namen  der  persischen  Hauptstadt  Susa  zu 
Grunde  liegt  Die  Araber  waren  Garten-  und  Blumenfreunde.  Die  Neugriechen 
haben  das  Wort  aufgegeben  und  sagen:  die  dreissigblättrige ,  xQiaviaq>vkXta 
(Fraas,  Synopsis,  p.  76,  ähnlich  schon  die  späteren  Griechen;  s.  Langkavel,  Botanik 
der  sp.  Gr.,  S.  7),  welches  Wort  auch  ins  Albanesische  überging;  die  Lilie,  xqIvoq^ 
führt  ungefähr  den  alten  Namen,  dessen  sich  auch  die  Walachen  bedienen  und 
den  die  altslavische  Kirchensprache  gleichfalls  adoptirte. 

62.  S.  209. 

Yergl.  das  ausführliche  Werk:  M.  J.  Schieiden,  Die  Rose.  Geschichte  und 
Symbolik  in  ethnographischer  und  kulturhistorischer  Beziehung.   Leipzig  1873,  8^. 

68.  S.218 
Später  haben  Hartmann  in  der  Zeitschrift  für  ägyptische  Sprache  1864  S.  21 
und  Ebers,  Aegypten  und  die  Bücher  Mosers,  1,  S.  267  vermuthet,  es  könnte  wohl 
aus  irgend  einem  uns  unbekannten  Grunde  den  ägyptischen  Malern  verboten  ge- 
wesen sein,  Kameele  abzubilden,  —  aber  wenn  das  Kameel  in  Aegypten  vor- 
handen gewesen  wäre,  dann  hätte  es  nicht  in  ganz  Nordafrika  bis  auf  die 
Römerzeit  gefehlt,  s.  Barth,  Wanderungen,  S.  3—7.  Auch  die  Hühner,  auf  die 
sich  Ebers  beruft,  sind  ein  spät  eingeführtes  Kulturthier,  s.  unten  den  Abschnitt 
vom  Haushahn.  Auf  die  Dromedarknochen,  die  bei  Bohrungen  im  ägyptischen 
Boden  neben  anderen  Thierresten  angeblich  gefunden  worden  sind,  ist  als  auf 
ein  viel  zu  vages  und  tausend  Möglichkeiten  unterliegendes  Argument  vorläufig 
noch  nichts  zu  bauen.  So  bleibt  es  dabei,  dass  zu  der  angenommenen  Zeit  der 
Pharao  dem  Abraham  noch  keine  Kameele  geschenkt  haben  kann,  wahrscheinlich 
ans  andern  Gründen  auch  keine  Esel,  während  das  Pferd,  das  zwar  in  Aegypten 
erst  eingeführt  ist,  aber  in  einer  Zeit,  die  den  jüdischen  Erinnerungen  und  Auf- 
zeichnungen lange  vorausging,  unter  den  Geschenken  nicht  fehlen  durfte. 

64.    S.  219. 

Movers,  Phönizier,  Th.  11.  zu  Anfang,  ist  der  umgekehrten  Meinung  und  leitet 
den  griechischen  Namen  des  Landes,  i)  <PoiyUtjy  von  (poCvt^  Dattelpalme  ab,  da 


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488  Anmerkimgen. 

Phönizien,  Pal&stina,  Idnin&a  nnd  Syrien  bei  den  Alten  für  palmenreiche  L&nder 
galten.  Allein,  was  wird  dann  aus  tpoCvt^  Scharlach,  welches  Wort  doch  offenbar 
denselben  Ursprang  hat?  Gesenios,  der  geneigt  war,  q>o(vt^  Pnrpnr  zum  Aus- 
gangspunkt zu  nehmen  (Monum.  phoen.  p.  338),  konnte  doch  wenigstens  eine  leid- 
liche griechische  Etymologie  ((po^if,  q>oty6g  u.  s.  w.)  für  sich  geltend  machen.  Wie 
aber  soll  <jd o/yil  Palme  aus  dem  Griechischen  sich  erklären  lassen?  Dazu  kommt 
der  entscheidende  Grund,  dass  Homer  die  Phönizier  längst  als  ein  die  Meere  be- 
fahrendes, Handel  und  Seeraub  treibendes  Volk  kennt  —  man  erinnere  sich  nur 
der  Lebensgeschichte  des  göttlichen  Sauhirten  Eumäus  — ,  yon  der  Bewunderung 
der  Palme  auf  Delos  aber  noch  ganz  erfüllt  ist.  ^»o/v/l,  der  Phönizier,  kann 
nicht  anders  als  aus  dem  einheimischen  Namen  des  Landes  entstanden  sein, 
dessen  hebräische  Form  Kanaan,  Eenaan  und  spätere  phönizische  Xvä,  *Oxya 
uns  überliefert  ist.  Der  Anlaut,  über  dessen  Aussprache  in  so  früher  Zeit,  die 
über  alle  schriftlichen  Denkmäler  hinausliegt,  wir  nichts  wissen,  sprang  entweder 
im  griechischen  Munde  in  den  Labial  über  oder  das  Wort  begann  in  einer  alter- 
thümlichen  semitischen  oder  halbsemitischen  Mundart,  z.  B.  der  der  Philister  oder 
der  Rarer,  wenn  diese  semitischen  Blutes  waren,  mit  einem  Laute,  der  in  Europa 
durch  q)  wiedergegeben  wurde.  Auf  der  Medialstufe  wurde  ganz  so  aus  hebräischem 
Gobel,  phönizischem  Gybl  das  griechische  BvßXos.  Dass  auch  eine  kürzere  Form 
in  alter  Zeit  im  Gebrauch  war,  geht  aus  dem  entlehnten  lateinischen  Poenua 
hervor,  welches  griechisch  <l>oiyog  wäre;  <l»otyos  aber  weist  auf  ein  noch  älteres 
^oyjos» 

65.    S.219. 

Plin.  16,  240:  Palma  Deli  ab  ^'usdem  dei  (Apollinis)  aetate  conspicitur.  Also 
die  delische  Palme  stand  noch  zu  Plinius  Zeit:  da  nun  die  natürliche  Lebensdauer 
der  Datt-elpalme  nicht  so  weit  reicht  und  seit  Odysseus  Zeiten  mehr  als  ein 
neues  Exemplar  das  alte  hatte  ersetzen  müssen,  so  mag  uns  dies  in  andern  Fällen, 
wo  lange  dauernde  Bäume  gleichfalls  von  der  mythischen  und  heroischen  Epoche 
abgeleitet  werden,  vorsichtig  machen. 

66.  S.  224. 

Gesenius  im  Thesaur.  S.  345  findet  im  griechisch-lateinischen  Palmyra  eine 
Wiedergabe  halb  nach  dem  Sinne,  halb  nach  dem  Klange,  ohne  eine  solche 
Halbirung  durch  irgend  einen  Grund  wahrscheinlich  machen  zu  können.  Die 
Römer  werden  bei  Eroberung  Asiens  den  Namen  doch  schon  vorgefunden  haben, 
die  Griechen  des  Seleucidenreiches  aber  konnten  bei  einer  üebersetzung  sich 
nicht  des  lateinischen  palma  bedienen.  Movers  2,  3,  S.  253  sagt:  „den  Namen 
Palmyra  halte  ich  für  eine  Corruption  von  Tadmor."  Da  aber  ganz  dieselbe 
Corruption  bei  dem  altlateinischen  Worte  palma  eintrat,  so  wird  dieselbe  wohl 
einen  andern  Namen  bekommen  müssen.  Der  üebergang  des  d  oder  t  in  l  vor 
einem  m  liegt  übrigens  nahe,  vergl.  z.  B.  xadfiCa^  xaöfiila  mit  dem  romanischen 
calamvie,  giallamina^  deutsch  Galmei,  oder  Patmos,  jetzt  Palmosa,  oder  arab. 
pers.  elinäs^  russ.  almaz,  der  Diamant,  aus  (vira/ias,  oder  den  Flussnamen  zendisch 
Haetumant^  griechisch  Etymandros^  mit  dem  heutigen  Hilmend  u.  s.  w. 

67.  S.224 

Dies  anaSi^  anaSixog  —  beide  Vokale  sind  lang  —  ist  in  so  fem  ein  merk- 
würdiges Wort,  als  es  ganz  in  die  Bedeutxmgen  von  goo/vil  eintritt.  Es  bezeichnet 
den  Palmenzweig,  angeblich  mit  der  daran  hängenden  Frucht,  dann  die  rothe, 
rothbraune  Farbe,  endlich  auch  ein  musikalisches  Instrument    Gellius  2,  26  er- 


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Anmerkungen.  4g9 

klärt  das  Wort  für  ein  doruches:  spadica  emm  Dorici  vocant  avulsum  ex  palma 
termitem  cum  fructu  —  also  nicht  die  männliche  Blütenrispe,  die  ana&rj^  eher  die 
Datteltranbe;  nach  Plntarch.  Sjmp.  8,  4,  8  bedeutete  es  den  Palmenzireig  d.  h. 
das  Blatt,  mit  dem  der  Sieger  gekrönt  wird:  xaitot  doxa  /uoi  fuyijfAoyfvHp  iy 
woU  *AtiixoX^  dyeyyaxtog  if^^yx^^y  ^"  ^^<(>to(  ^^  ^ril<p  Brjaevs  ayiüya  notaiy 
anianaae  xXdSoy  toD  hgov  (poiytxog*  §  xal  anddt^  toyofiaadri.  £ine  kürzere 
Form  erscheint  bei  Hesychios:  and*  t6  (pvioy  rov  q>olytxoi.  unter  den  Latei- 
nern braucht  das  Wort  Yergil  von  der  braunen  Farbe  der  Pferde,  die  sonst  mit 
badius,  itaL  %o,  franz.  bat  bezeichnet  wird,  Georg.  3,  82: 

honesH 
Spadices  glaucique:  color  deterrimus  albi. 
Die  Alten  leiteten  es  von  audta  ab,  wie  die  obigen  Stellen  des  Gellius  und 
Plntarch  lehren;  es  kann  aber  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  es  ein  Lehnwort  aus 
dem  Semitischen  ist.  Eine  spätere  Benennung  für  Palmzweig:  ßaU^  ßatoy,  die 
im  Neuen  Testament  gebraucht  ist,  stammt  aus  Aegjrpten*.  altägyptisch  bat  kop- 
tisch ßrit,  s.  Champollion,  gramm.  6gjpt  1,  p.  59.  Benfey  2,  369.  Der  eigent- 
liche lateinische  Ausdruck  ist  das  schon  oben  bei  Gellius  Torgekommene  termes, 
wie  die  SteUe  Ammian.  Marcell.  24,  3,  12,  lehrt:  et  quaqua  incesserit  quisqttam^ 
termites  et  »padica  cemit  adsidua,  quorum  ex  fructu  mdlis  et  vini  conficitur  abun- 
dantia.  Es  wird  Tom  griechischen  lig^Att  abgeleitet  sein  und  den  als  Siegespreis 
am  Ziel  aufgesteckten  Zweig  bedeutet  haben. 

es.  S.228. 
Cypem,  die  alte  Station  der  Seefahrer,  erhielt  den  Namen  von  den  Cypressen, 
die  dem  nahenden  Schiffer  von  fem  winkten,  oder  deren  Holz  von  hier  ausgeführt 
ward.  Bekannt  ist,  wie  auch  sonst  Inseln  nach  Bäumen  benannt  sind,  z.  B.  die 
Pityusen  bei  Spanien  von  der  Fichte,  tf/ivc,  oder  Madeira  vom  Bauholz,  a  inaierie. 
—  Bitter,  der  am  Anfang  seiner  schönen  Monographie  annimmt,  die  Cjrpresse 
habe  in  Afghanistan  ihre  wahre  Heimat,  und  von  hier  aus  sei  sie  mit  dem  alten 
Glauben  ursprünglich  ausgegangen,  ist  später  doch  wieder  geneigt,  den  Baum 
auch  in  Phönizien,  in  Kanaan,  ja  auf  den  ägäischen  Inseln  für  einheimisch  zu 
halten  (S.  577).  Würde  aber  dann  wohl  die  Einbürgerung  in  dem  verwandten 
Klima  Süditaliens  (s.  weiter  unten  im  Text)  so  schwierig  gewesen  sein,  und  würde 
dort  der  Baum  an  Wuchs  und  Kraft  so  merklich  zurückstehen?  Letztere  Er- 
scheinung erklärt  sich  leicht,  wenn  wir  eine  lange,  von  Afghanistan  ausgehende, 
allmählig  abnehmende  Reihe  voraussetzen,  deren  letztes  Glied  nach  Nordwesten 
das  Apenninenland  ist.  Auch  dass  die  Insel  Kreta  in  die  ursprüngliche  Ver- 
breitungssphäre  eines  Baumes,  der  in  Griechenland  selbst  fehlte,  eingeschlossen 
gewesen  sei,  ist  bei  der  Aehnlichkeit  der  Naturbedingungen  hier  und  dort  nicht 
glaublich.  Die  Cypressen  auf  dem  Libanon  mögen  imponirend  gewesen  sein,  da 
sie  sich  aber  mit  den  Riesen  im  Westgebiet  des  Indus  nicht  messen  konnten,  so 
erscheinen  sie  doch  nur  als  secundär  und  von  diesen  abgeleitet 

69.    S.281. 

Auch  sonst  sind  die  Ursprungssagen  von  Psophis  (bei  Pausan.  1. 1.  und  Steph. 
Byz.  s.  w.  4>riy(ta  und  ^'w(fig)  bedeutungsvoll.  Die  berichtete  Veränderung  des 
Namens  deutet,  wie  bei  Kyparissia  in  Phocis,  auf  den  Eintritt  einer  neuen 
Kulturepoche:  der  Ort,  der  früher  <Ptiyiia^  <p9jyia  d.  h.  Eichen-  oder  Buchenstadt 
hiess,  und  wo  Alphesiboia  d.  h  die  Rinderbringende  oder  Rindemährende  waltete, 
wurde  beim  Uebergang  zu  veredelter  Baumzucht  Psophis  genannt;  Psophis  aber 
war  die  Tochter  des  sikanischenlSönigs  Eryz  und  gebar  von  Herakles,  dem  wan- 


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490  Anmerkungen. 

dernden  Yollbringer  von  Eultorweiken,  den  Echephron  und  Promachns.  Aueh 
hier,  wie  in  der  Sage  TonMeleager,  tritt  das  einbreehende  Waldleben  in  Grestalt 
des  die  G&rten  yerwüstenden  Ebers  anf,  der  ron  Herakles  bezwungen  wird.  Das 
Halsband  und  der  Peplos  der  Harmonia  (Moyers,  1,  509  ff.),  die  Psophis  als 
Tochter  d^s  Eryx,  die  Verehrung  der  Aphrodite  Erycina  bei  den  PsophidienL, 
endlich  die  Cypressen  oder  Jungfrauen  am  Grabe  des  Alcmfton  deuten  un- 
vei^ennbar  aut  phöniiischen  Einfluss.  Auf  welchem  Wege  dieser  gekommen  war, 
lehrt  die  Verknüpfung  mit  Akamanien  (in  dieser  Landschaft  lag  ein  anderes 
Psophis;  nach  Akamanien  zog  Alcm&on,  gab  dem  Lande  den  Namen  und  kehrte 
von  daher  wieder)  und  mit  Zakynthos  (wo  die  Burg  Psophis  hiess  und  von  dem 
Psophidier  Zakynthos,  dem  Sohn  des  Dardanos,  gegründet  sein  sollte),  also  mit 
den  Sitzen  der  Teleboer  und  Taphier,  beide  yom  Lelegerstamme,  die,  wie  es 
scheint,  zuerst  von  Griechenland  aus  nach  Sicilien  schifften.  Zum  Bergbau 
musste  der  Ort  Psophis  frühe  einladen,  zufolge  der  eigenthümlichen  Lage  des 
Berges,  die  von  Polybius  4,  70  genau  beschrieben  wird.  E.  Gurtius  (Peloponn.  1, 
400)  vermuthet,  eine  Yerwandlungssage  habe  sich  an  die  psophidischen  Cypressen 
angeschlossen.  Dass  in  der  Cjpresse  eine  weibliche  Gottheit  wohnt,  und  dass 
umgekehrt  die  Jungfrau  mit  der  Cypresse  yerglichen  wird,  ist  religiöse  und 
Dichtersitte  im  Orient  yon  der  ältesten  bis  auf  die  gegenwärtige  Zeit  Goethe 
im  Westdstlichen  Diyan : 

Verzeihe,  Meister,  wie  Du  weisst, 
Dass  ich  mich  oft  yergesse. 

Wenn  sie  das  Auge  nach  sich  reisst, 
Die  wandelnde  Cypresse.  — 

An  der  Cypresse  reinstem,  jungem  Streben, 
Allschön^ewachsne,  gleich  erkenn'  ich  Dich.  — 
Ueber  die  Cypresse  als  mystisches  Attribut  handelt  yom  kunstarchäologischen 
Geächtspunkt  in  Weise  Creuzers  die  Schrift  yon  Lajard:  Recherche»  sur  U  cuUe 
du  cyprh  pyramidal  chez  les  peupUs  civüises  de  VarUiquite^  Paris  1854,  in  4^  Die 
bei  den  Alten  zerstreuten  Züge  des  Mythus  yom  Kyparissos,  dem  Liebling  des 
Apollo,  fasste  zur  Erläuterung  eines  pompejanischen  Gemäldes  Ayellino  zusammen: 
il  mito  dt  Ciparisso,  Napoli  1841,  4\ 

10.    S.288. 

Wir  können  es  uns  nicht  yersagen,  zu  dem  Ausdruck  des  Plinius:  dotemßiiae 
antiqui  plantaria  appellabant  folgende  Stellen  aus  Hebels  Schatzkästlein  herzu- 
setzen: „Wenn  ich  die  Wahl  hätte,  ein  eigenes  Eühlein  oder  ein  eigener  Kirsch- 
baum oder  Nussbaum,  lieber  ein  Baum.^  —  „So  ein  Baum  frisst  keinen  Klee 
und  keinen  Haber.  Nein  er  trinkt  still  wie  ein  Mutterkind  den  nährenden  Saft 
der  Erde  und  saugt  reines  warmes  Leben  aus  dem  Sonnenschein  und  frisches 
aus  der  Luft  und  schüttelt  die  Haare  im  Sturm.  Auch  könnte  mir  das  Kühlen 
zeitlich  sterben.  Aber  so  ein  Baum  wartet  auf  Kind  und  ICindeskinder  mit  seinen 
Blüten,  mit  seinen  Vogelnestern  und  mit  seinem  Segen."  —  „Wenn  ich  mir  ein- 
mal so  yiel  erworben  habe,  dass  ich  mir  ein  eigenes  Gütlein  kaufen  und  meiner 
Frau  Schwiegermutter  ihre  Tochter  heirathen  kann  und  der  liebe  Gott  bescheert 
mir  Nachwuchs,  so  setze  ich  jedem  meiner  Kinder  ein  eigenes  Bäumlein  und 
das  Bäumlein  muss  heissen  wie  das  I[ind,  Ludwig,  Johannes,  Henriette,  und  ist 
sein  erstes  eigenes  Kapital  und  Vermögen,  und  ich  sehe  zu,  wie  sie  mit  einander 
wachsen  und  gedeihen  und  immer  schöner  werden  und  wie  nach  wenig  Jahr«] 
das  Büblein  selber  auf  sein  Kapital  klettert  und  die  Zinsen  einzieht.*  —  Bei  den 
Arabern  in  Spanien  herrschte  die  Sitte,  bei  Gel)urt  eines  Kindes  ein  sog.  Silo  in 


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Amnerkimgen.  491 

den  Boden  aoszograben,  mit  Getreide  zn  füllen  und  dann  luftdicht  zu  bedecken. 
Das  Korn  hielt  sich  viele  Jahre  in  diesem  unterirdischen  BehSlter  und  bildete 
des  Kindes  Eigenthum,  wenn  dieses  erwachsen  war,  s.  Murphy,  the  history  of  the 
mahometan  empire  in  Spain,  p.  262  —  der  sich  dafür  auf  Jacob's  trayels  in  the 
flonth  of  Spain  beruft  Derselbe,  nur  wie  billig  barbarisirte,  Brauch  galt  bei 
den  Eleinrussen  am  Dniepr:  bei  Geburt  einer  Tochter  wurde  ein  F&sschen 
Branntwein  in  die  Erde  yergraben,  dann  bei  der  Hochzeit  des  M&dchens  hervor- 
geholt und  von  den  Gästen  mit  Jubel  geleert  —  wobei  natürlich  dafür  gesorgt 
war,  dass  noch  andere  und  wieder  andere  mit  jüngerem  Inhalt  gefüllte  Eimer 
oder  F&sser  die  begeisterte  Wuth  unterhielten. 

71.  S.240. 

Bussisch  kkn,  poln.  klon^  czech.  kierk,  Ht  kl^as  der  Ahorn;  altn.  hlynr,  hlinr 
(Schmeller  2,  465),  mhd.  linboum,  limboum,  nhd.  die  Lehne;  altkomisch  kelifit 
cambr.  kelyn,  armor.  keien^  kelennen  (Zeuss*  p.  1077);  mlat  clenus.  Zu  diesem  nor- 
dischen Worte  halte  man  die  Stelle  des  Theophrast  h.  pl.  8,  11,  1:  ^V  /niv  6ri 
(y^yog)  rp  xoty^  ngogayo^tvovai  atfiydafivov,  htgov  Jk  Cvyiay,  igdov  6k  xXt- 
rotgoxopy  tos  ol  mgl  Ziayugu.  Dies  war  der  Name  bei  dem  Landvolk  um 
Stagira,  wie  Theophrast  wohl  aus  dem  Munde  seines  Lehrers  wusste;  vielleicht 
drückte  die  zweite  Hälfte  des  Wortes,  nach  dem  Anlaut  ig  zu  schliessen,  den 
Begriff  Baum  aus.  Ein  anderes  macedonisches  Wort  yiftvov,  vklvov  (oder 
yXkivoi^)^  Theophr.  3,  3,  1:  aq>iySajuyoSf  ijy  (y  fxly  t(ß  ogti  napvxvTay  l^vyCay 
Molovaty,  (y  Sk  rtp  mdiqt  yXftyoyy  3,  11,  2:  xaXovat  cT  avTfjy  ?viot  yltiyoyt  ov 
atpMafiyoy^  muss  mit  den  obigen  Ausdrücken  verwandt  sein.  —  Das  lateinische 
(iceTy  acerU  (für  acesu)  scheint  eins  mit  axaaioi*  rj  aqiyöauvoi  bei  Hesjchius. 
Bekannt  ist,  dass  unser  Ahorn  (o  wegen  des  Anklanges  an  Hom)  aus  dem  latei- 
nischen acer  oder  eigentlich  aus  dem  Adjectiv  acernus  gebildet  ist;  aus  dem 
Deutschen  stammt  wieder  das  slavische  javor,  —  Ein  acht  slavisches  Wort  ripina 
für  Ahorn  (auch  albanesisch)  ist  von  ripij  der  Stachel  gebildet,  wie  lat.  acer  und 
griech.  o^va  von  der  Wurzel  ak  scharf  sein  (W.  Tomaschek  in  der  Zeitschr.  t  d. 
oesterr.  Gjmn.  1875.    S.  529). 

72.  S.247. 

Oder  bestand  nur  die  Zunge  an  der  Wage  aus  einem  Stück  Rohr?  oder  war 
das  Messen  mit  dem  Rohr  das  Erste,  und  wurde  der  Name  des  Rohres  in  der 
Bedeutung  Norm  erst  von  daher  auf  die  Wage  übertragen?  —  Das  dunkle  t^d- 
läyri,  lat.  tnUina  erklärt  sich  aus  dem  slavischen  triisti  arundo,  wo  das  s  regel- 
recht aus  dem  t  entstanden  ist,  und  bedeutete  also  ursprünglich  gleichfalls  Rohr. 

78.    S.278. 

Wir  fügen  hier  zur  genaueren  Ausführung  des  im  Text  Gesagten  noch  einige 
sprachliche  Bemerkungen  an,  wie  sie  uns  gelegentlich  sich  ergaben. 

Fr.  Beckmann  will  in  einer  gelehrten  Abhandlung  über  „Ursprung  und  Be- 
deutung des  Bemsteinnamens  Elektron''  (in  der  Zeitschr.  für  die  Geschichte  und 
Alterthumskunde  Ermlands,  I,  Mainz  1860,  S.  201  ff.  und  633  ff.)  sowohl  den 
rtXixitog  *Ynfgiü)y  als  das  iiXfxrgoy  und  den  altxigvtoy  von  äXixo),  aX^^m  ableiten, 
so  dass  allen  diesen  Benennungen  der  Begriff  des  Abwehrens  zu  Grunde  läge. 
Ob  nun  mit  der  Bezeichnung  iqXäxitog  der  G^tt  ursprünglich  als  strahlend  oder 
als  abwehrend  (etwa  wie  'AniXXtuy)  gedacht  worden,  ist  für  unseren  Zweck  gleich- 
gültig; der  Bemsteinname  aber  wurde  sicher  erst  nach  dem  des  Sonnengottes 
gebildet    Dass  in  späteren  Zeiten  das  Elektron  auch  als  phantastisches  HeU- 


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492  AnmerkungeiL 

mittel  and  wanderkräftiger  Talisman  gebraucht  wurde,  will  gar  nichts  sagen, 
denn  dasselbe  geschah  mit  tausend  andern  Naturobjecten  und  namentlich  mit 
allen  Edelsteinen.  Eben  so  wenig  hatte  die  g&nma  alectoria  eine  behütende  oder 
abwehrende  Kraft:  sie  half  den  Athleten  nur  desshalb,  weil  sie  angeblich  im 
Magen  des  Hahnes  sich  fand  und  dieser  ein  streitbares  Thier,  dXfxtgvtotf  fiaxt- 
fAOi,  ist. 

Das  lateinische  gcdlus,  gaUina  stellen  Pott  und  Leo  Meyer  mit  dem  griechi- 
schen ttyydkoi,  ayyeXog  zusammen,  welches  dunkle  Wort  im  Oriechischen  selbst 
nur  als  Kest  einer  yerschollenen  Wurzel  erscheint.  Dass  noch  um  das  Jahr  500 
vor  Chr.  in  Italien  aus  einem  dort  sonst  nicht  erhörten  Verbum  der  Art  kurzweg 
das  Wort  gallua  gebildet  worden,  ist  schwer  zu  glauben.  Wahrscheinlicher  hat 
daher  Curtius  vermuthet,  gallus  sei  eine  Assimilation  von  gar^  lus  aus  garrio, 
ytlQvaf,  Allein  auch  gar-lm  wäre  eine  zu  alterthümliche  Bildung,  da  die  Wurzel 
hier  ohne  das  ihr  längst  angewachsene  Suffix,  wie  in  garrulus,  erschiene.  Dazu 
kommt,  dass  garrire  nie  von  der  Stimme  des  Hahnes  gebraucht  wird,  wie  auch 
im  Griechischen  ytiQvnv  nicht,  und  dass  das  entsprechende,  nur  reduplicirte  slav. 
glagolati  (loqui)  zu  einem  ganz  anderen  Vogelnamen  dient:  gcUica,  galka,  die 
Dohle,  der  schwatzende  Vogel.  Vergleicht  man  das  lateinische  gallo,  der  Gall- 
apfel, mit  dem  gleichbedeutenden  griechischen  xrixist  so  kann  man  sich  der  Ver- 
muthung  nicht  erwehren,  auch  in  gallus  stecke  ein  assimilirter  Guttural,  und  der 
Vogel  sei  onomatopoetisch  als  der  gackernde  so  benannt  worden.  Hesych. 
xdxa'  xaxia  fj  ogyeoy. 

Das  deutsche  hana  wird  allgemein  mit  dem  lateinischen  canere  verglichen, 
welches  Verbum  gerade  vom  Krähen  des  Hahnes  gilt  (galliciniim,  canorwn  cmimal 
gallus  gallinaceus).  Dasselbe  Verbum  ist  auch  im  Altkelt^chen  vorhanden  und 
zwar,  wie  das  lateinische,  als  reduplicirendes.  Im  Griechischen  findet  sich  der- 
selbe Wortstamm  in  erweiterter  Gestalt:  xarax^y  Jf«i^«fw,  xoraßoiy  im  schon  an- 
geführten Verse  des  Cratinus  auch  vom  Hahn  gebraucht:  xopox^Sy  olotf^torog 
aUxKOQ,  Bedenklich  ist  nur,  dass  von  dem  hierbei  vorauszusetzenden  Verbum 
hmian  sich  weder  im  Germanischen,  noch  im  Litauischen  und  Slavischen  irgend 
eine  Spur  findet,  femer,  dass  das  älteste  und  ächtest«  deutsche  Wort  für  den 
Hahnengesang  hruk,  hrukfan  lautet,  noch  bei  Goethe,  Adler  und  Taube,  vom 
Girren  der  Tauben: 

Da  kommt 
Dahergerauscht  ein  Tanbenpaar 
Und  ruckt  einander  an. 
Danach  bleibt  der  Zweifel,   ab  nicht  das  deutsche  hana  irgend  ein  entlehnter 
südlicher  Name  ist.    Wenn  irgendwo  ein  Wort  im  Gange  war,  wie  das  in  der 
Glosse  des  Hesychius  steckende:   Tjtxnrog'  6  dlexigvciv  (von  Gerland  als  Früh- 
sänger erklärt,  Pott  EF.»  4,  283),  so  würde  das  deutsche  nicht  so  auffallend  ein- 
sam dastehen. 

Zu  dem  armorischen,  nordfranzösischen,  angelsächsischen  cog,  cocc,  finnischen 
xind  estnischen  kukko,  kuk  stellen  wir  das  zur  Bezeichnung  der  jungen  Brut 
dienende  nordgermanische  Wort,  altn.  kykllngr,  ags.  cicen,  cycen,  häufig  im  Nieder- 
deutschen, von  wo  es  in  der  Form  Küchlein  auch  ins  Neuhochdeutsche  gedrungen 
ist.  Von  dem  gothischen  qiiis^  nhd.  quick  und  allem  dazu  Gehörigen  sondert  sich 
dieser  Ausdruck  durch  die  constante  Verschiedenheit  des  Anlauts  und  der  Voca- 
lisirang,  wenn  auch  bei  der  Nähe  der  Laute  hin  und  wieder  Vermischung  Statt 
gefunden  haben  mag.  Dasselbe  Wort  aber  erscheint  wiederum  im  alten  Griechen- 
land als  der  eigentlich  populäre  Ausdruck  für  das  Singen  und  Krähen  des  Hahnes. 
Sophokles  nannte  den  Hahn  xoxxvßoag  ogytg  (Fr.  718  NaucL),  bei  Aristophanes, 


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Anmerkungen.  498 

Cimtinns  (Meineke  2,  1,  186:  xoxxvCny  toy  aXixiQvoy*  ovx  «K^/ovrai)  und  Theo- 
krit,  Tolksmässigen  Dichtern,  ist  xoxxvCia,  xoxxvadta  die  ungezwungene  Bezeichnung 
für  den  Hahnenschrei,  deren  sich  auch  die  Redner  Hyperides  und  Demosthenes 
bedienten  (PolL  5,  89).  Das  oberdeutsche  Göckelhahn  u.  s.  w.  mag  aus  dem 
^französischen  stammen. 

üeber  einen  ganz  anderen  Landstrich,  nämlich  die  weite  slavisch-byzantinische 
Welt-,  ist  ein  ähnlicher,  aber  nicht  identischer  Name  verbreitet:  slav.  kokotü  gallus, 
kokoicLf  kokoH  gallina,  walachisch  cocös,  magyarisch  kakas,  albanesisch  kokoiiy 
neugr.  leoxoioc  (mit  den  enstellten  Nebenformen  russisch  koöet  und  albanesisch 
kapoi).  Das  Sanskritwort  kukkuta  gallus  liegt  räumlich  und  zeitlich  zu  entfernt, 
um  damit  in  Verbindung  gebracht  zu  werden. 

Nur  bei  einem  Theü  der  slavischen  Völker,  der  sprachlich  auch  sonst  eine 
besondere  (jruppe  bildet,  findet  sich  altsl.  pietlt),  serbisch  pijetaoy  croatisch  petelin^ 
russisch  (mit  anderem  Suffix)  pietuch.  Dem  Sinne  nach  damit  übereinstimmend 
litauisch  gaidys  (der  Sänger,  von  gedöti  singen,  wovon  auch  gqsli,  das  bekannte 
slavische  Saiteninstrument,  die  Gusli),  und  das  albanesische  kendee»  (vom  Verbum 
kendoig  ich  singe,  welches  vermuthlich  das  entlehnte  lat  cantare  ist.) 

Einen  altkeltischen  Namen  des  Hahnes  neben  cerc  bietet  das  komische 
Vocabularium  bei  Zeuss*  p  1074:  chelioc,  colyek,  altirisch  coileach.  Zeuss  deutet 
es  zweifelnd  als  salax^  p.  849  und  816.  Das  bei  Marcellus  Empiricus  (E.  Meyer, 
(beschichte  der  Botanik,  II,  S.  312)  vorkommende  calocatanos  =  papaver  silvestre 
fände  hier  seine  erwünschte  Erklärung  (Hahnenblume,  wie  coquelicot  s.  Diez  s.  v. : 
nach  V.  Martens,  Italien,  2,  40  heissen  die  purpur-violetten  Blumen  der  campanula 
speculwn  L.  in  der  Gegend  von  Verona  cantagaktti  oder  cuchetti). 

Auch  an  dunklen,  ganz  vereinzelten  Benennungen  fehlt  es  auf  europäischem 
Boden  nicht:  so  das  alti^ambrische,  komische  und  bretonische  lar,  yar  die  Henne 
und  für  den  gleichen  Begriff  das  litauische  viazta,  lettische  vista.  Altpreussiscb 
hiess  der  Hahn  gertis,  die  Henne  gerto,  der  Habicht  gertoanax. 

Sicher  sind  viele  der  obigen  Ausdrücke  nur  Onomatopöien.  Die  Erklärung 
durch  unabhängig  von  einander  entstandene  Klangnachahmungen  reicht  indess 
aUein  nicht  aus.  Sie  widerlegt  sich  durch  den  Umstand,  dass  jene  Bezeichnungen 
offenbar  reihen-  und  zonenweise  auftreten,  und  durch  ihre  zu  nahe  Uebereinstim- 
mung.  Wären  sie  nicht  gewandert,  sondern  auf  jedem  Boden  von  selbst  ent- 
standen, so  würde  sich  ein«  viel  grössere  individuelle  Mannichfaltigkeit  zeigen, 
denn  jedes  Volk  hört  anders  und  liebt  andere  Lautcombinationen.  Nichts  spricht 
dagegen  ein  Nachbar  dem  andem  leichter  nach,  als  Onomatopöien,  Interjectionen, 
Ausbrüche  des  Affects,  emphatische  und  elementare  Ausdrücke  aller  Art.  Und 
wenn  der  herumziehende  Handelsmann  oder  Arzt  —  diese  beiden  Hauptmissionäre 
der  Kultur  unter  feindlichen  Barbaren  —  und  der  gefangene  Sclave  oder  das 
geraubte  Mädchen  den  Hahn  in  ihrer  Muttersprache  z.  B.  als  Sänger  zu  bezeichnen 
gewohnt  waren,  so  werden  sie  ihn  den  Barbaren  in  deren  Sprache,  wenn  sie  diese 
radebrechen  gelemt  hatten,  wohl  auch  nicht  anders  benannt  und  gedeutet  haben. 
So  hat  sich  das  griechische  xX(oCiiy^  lat.  glocire,  glocidare  (Colnmella  5,  4:  gh- 
cientilms:  sie  enim  appellant  rusiici  aves  eas  qttae  volunt  incubare)  wohl  auch  nicht 
ohne  Hülfe  von  Entlehnung  so  weit  durch  alle  europäischen  Sprachen,  auch 
durch  die  slavischen,  verbreitet 

74.    S.285. 
In  dem  spät  auftauchenden  ntQiareQd  die  zahme  Taube  fand  Benfey  2,  106- 
eine  Superlativ-  und  Comparativbildung  von  pri  lieben,  so  dass  es  „sehr  verliebt** 
bedeutete.    Wir  ziehen  vor,  an  slav.  pero  perma,  prati,  pariti  volare,  zendisch 


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494  Anmerkungen. 

parena,  perena  Feder,  Flügel^  neapers.  par^  kurdisch  per,  ahd.  fam  oder  fam^ 
ags.  feam  (Famkraut  d.  h.  das  gefiederte;  litauisch  und  slayisch  redupHcirt:  lit. 
papariiif  poln.  paprod,  russ.  paparoi;  altgallisch  rcUis,  nach  keltischer  Art  für 
pratis,  altirisch  rath,  raith,  altcomisch  reden,  cambr.  rkedyn)  zu  denken.  —  'Päifff 
^aßos  hat  schon  Pott  in  seinen  ersten  E.  F.  aus  q>4ßofiat  furchten  erklärt;  in 
(paaaa  muss  ein  assimilirter  Guttural  stecken,  wo  denn  das  mittelgriechische 
(pd/riK  t6  alfia  iiji  q>aaar}gy  das  mittellateinische  faehcL,  fad^a^  fakecha  und 
selbst  orientalische  Benennungan  anklingen  würden  (s.  Pott  in  Lassens  Zeitschr. 
rV,  ^28.  —  Diefenbach,  G.  W.  s.  y.  ahaks).  Ein  altrussisches  faga,  palumbes,  hfilt 
Miklosich,  Fremdwörter  in  der  slavischen  Spr.  S.  87,  für  entlehntes  griechisches 
qtdaao,  —  Zu  dem  preussischen  ketUarü  Ringeltaube  stimmt  altcom.  cudon^ 
cambr.  ysguthan,  altir.  ciadcholum  =  palumbei  (Zeuss*  1074),  ebenso  in  über- 
raschender Weise  preussisch  poalis  Taube  zu  niketbj  palumbus.  —  Das  slaTisehe 
golqbi  hat  ein  zu  genau  lateinisches  Aussehen,  als  dass  es  nicht  ans  der  Sprache 
der  Weltherrscher  und  des  Christenthums  entlehnt  w&re,  zumal  da  im  Htamschen 
gulbe  der  Schwan  die  Form  und  Bedeutung  vorliegt,  in  der  allein  das  Wort  in 
diesem  Osten  ursprünglich  sein  könnte.  Die  Erweichung  des  c  zu  g,  auch  sonst 
nicht  unerhört,  hat  kein  Gewicht  gegen  die  kulturhistorischen  Gründe,  die  für 
die  Entlehnung  sprechen.  —  Ob  das  räthselhafte  gothische  ahah  neQtaj€gd  den 
Gothen  rom  europäischen  Westen  oder  yom  asiatischen  Osten  zukam,  l&sst  sieh 
noch  nicht  ausmachen  (Diefenbach  s.  y.;  Tergl.  auch  altirisch  caog  die  Dohlos 
St  ir.  gl.  201,  und  lit  kogas  die  Rabenkrähe).  —  Das  Litauische  weist  noch  zwei 
Taubennamen  auf,  beide,  wie  es  scheint,  von  nur  localem  Grebrauch:  karvili»  und 
bcdandU.  Ich  weiss  nicht,  ob  Letzteres  zum  ossetischen  baldn  (nach  dem  andern 
Dialekt  bMny  bcUuon)  gehalten  werden  darf;  es  ist  auch  ins  Livlsche  übergegangen 
(Wiedemann  im  Bulletin  der  Petersburger  Akademie,  1859.  S.  694),  während  das 
Lettische  und  das  Estnische  ihre  Benennungen  der  zahmen  Taube  aus  dem  Ger- 
manischen genommen  haben.  —  Litauer  und  Slayen  benennen  den  Auerhahn 
nach  der  Taubheit:  lit.  kurtmys  taub  und  Auerhahn,  sl.  gluchü  turdus,  russ. 
glucharj,  poln.  gluszec,  sloy.  hluchan  u.  s.  w.  der  Auerhahn.  Da  dieser  Vogel  aber 
in  der  Falz  wirklich  wie  taub  zu  sein  pflegt,  so  ist  das  Yerhältniss  yon  tanb  zu 
Taube  ein  anderes. 

75.  S.288. 

Wenn  der  Aristoteliker  Cljtus  in  seiner  Schrift  über  Milet  (bei  Athen.  12 
p.  540)  yon  Poljkrates  erzählte,  derselbe  habe  die  Producte  aller  Länder  auf 
Samos  zusammengebracht:  vnh  tgvipfie  id  nayraxo&By  ovrayeiy  xvvag  fjikv  ^ 
*HntiQOVj  alya{  di  ix  ZxvqoVj  ix  6k  Mtli^iov  ngoßaia,  vg  6i  ix  ZixdUtq^  so 
sieht  man,  dass  der  Tyrann  sich  die  Yerbessemng  der  landwirthschaftlichen 
Thierracen  angelegen  sein  liess,  was  ihm  dann  als  rgvq>ri  yerdacht  wurde,  aber 
für  den  Pfau  ist  aus  dieser  Nachricht  nichts  zu  schliessen.  Dieser  kann  nämlich 
aus  einem  entgegengesetzten  Grunde  nicht  erwähnt  sein,  entweder  weil  er  bereits 
auf  der  Insel  sich  yorfand,  oder  weil  er  dem  Polykrates  und  den  Samiern  noch 
unbekannt  war;  auch  ist  er  ein  blosses  Luzusthier,  das  wohl  zu  der  igvcpriy  nicht 
aber  in  den  Zusammenhang  der  ökonomischen  Bemühungen  des  Tyrannen  passte. 

76.  S.2$9. 

Da  Antiphon  im  J.  411  hingerichtet  wurde,  so  würden  freilich  die  dreisdg 
und  mehr  Jahre  auf  ein  früheres  Datum  der  Bekanntschaft  Athens  mit  den  Pfauen 
führen,  als  das  yon  uns  yermuthungsweise  angenommene  Jahr  440.    Aber  die 


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Anmerkungen.  495 

B«de  über  die  Pfauen  rührte  schwerlich  Ton  Antiphon  her  und  wurde  wohl  erst 
nach  dessen  Tode,  wenn  auch  nicht  lange  nachher,  Terfasst.  • 

77.  S.810. 

Interessant  ist  es  zu  sehen,  wie  im  frühesten  Mittelalter  mit  der  neu  auf- 
tretenden und  mit  grosser  Vorliebe  und  beziehentlich  Verwunderung  aufgenommenen 
Fidkenbeize  der  Yolksmund  für  das  sonst  unbeachtete  Thier  sich  neue  Benennun- 
gen schuf,  die  dann  von  Land  zu  Land  wanderten.  Ein  mittellateinischer,  zuerst 
bei  Servius  auftretender  Name  desselben  war  falco^  der  in  die  meisten  europäischen 
Sprachen  überging;  das  Vorbild  desselben  war  das  griechische  &gnri^  welches  Raub- 
Yogel  und  Sichel  bedeutet  —  Accipiter  wurde  von  accipere  abgeleitet  und  desshalb 
auch  in  der  Form  acceptor  gebraucht,  gleichsam  den  auffliegenden  Vogel  in  Empfang 
nehmend,  wie  man  auch  Habich  mit  haben  in  Verbindung  brachte.  Von  capere  wurde 
ein  kurzes,  mittellateinisch  ganz  gebräuchliches  capus  gebildet;  die  Notiz  des  Servius, 
der  dies  capta  für  ein  alttuskisches,  also  nach  Jahrhunderten  plötzlich  wieder  auf- 
erstandenes Wort  eridftrt,  nach  welchem  auch  die  Stadt  Oapua  benannt  sei,  l&sst 
sich  nur  mit  Eopfschütteln  aufoehmen.  Ueber  das  spanische,  vielleicht  aus  capw 
erwachsene  gavilan  der  Sperber  s.  Diez  im  Wörterbuch.  —  Mittellateinisch  gyro 
falcOy  vom  Kreisen  (gyrus,  gyrare)  so  benannt,  itsl,  girfalco,  fnja,  gerfcwt ^  gab 
den  Deutschen  ihren  Geier,  s.  Diez.  —  Ein  sehr  weitverbreitetes  europäisches 
Wort  sacer  ist,  wie  wahrscheinlich  auch  das  deutsche  Weihe,  ahd.  tüio,  wtgo, 
wihoy  nur  eine  Uebersetzung  des  griechischen  Uga^i  mitteil,  sacer,  itaL  aagro, 
franz.  und  spanisch  sacre,  mhd.  sackers  der  Sackerfalk,  mittelgr.  naxgt.  Dasselbe 
Wort  drang  auch  in  den  Orient:  arabisch  sakry  persisch  sonkor,  kurdisch  aakkar, 
slav.  sokoluy  litauisch  sakalas.  —  Bei  Aristoteles  ist  ttojegtag^  gestirnt,  gefleckt, 
ein  Beiname  des  Ugn(  und  wird  auch  selbständig  als  Benennung  einer  Art  Raub- 
vögel gebraucht;  dasselbe  Wort  erscheint  ganz  spät  im  Lateinischen  (bei  Firmicus 
Matemus)  in  der  (Gestalt  asiur  (die  Endung  wohl  durch  vultur  oder  den  Volks- 
namen Astur  veranlasst);  davon  auf  nicht  regelmässige  Weise,  um  dem  Gleich- 
klang mit  <M(ro  Gestirn  zu  entgehen,  das  itsÄ,  astore,  provenQ.  austor,  altfranz. 
08tor,  neufranz.  autour  (welche  Formen  Diez  vorzieht  von  acceptor  herzuleiten, 
wobei  indess  die  Laute  gleichfalls  nicht  ungestört  sind),  und  die  slavischen  Habicht- 
namen: bI&v,  fastrqbüf  seThischjastrebJastrob,  TVLSsischjastreb,  polnischya«fr2r^6u.s.w. 
—  Der  litauische  und  lettische  Name  wannagas,  warmags  für  Habicht  ist  offenbar 
dem  Germanischen  erborgt:  es  ist  ein  heiliger  Raubvogel,  „dem  Wannen  an 
die  Häuser  ausgehängt  worden,  dass  er  in  ihnen  niste**  (Grimm  S.  50),  toannoweho, 
wannunwechely  lateinisch  timmctUus  von  tina  Gefäss.  Wanne  ist  das  entlehnte 
lateinische  vannw:  Wort  und  Sitte  stammen  aus  Italien.  —  In  dem  im  Text  an- 
gefahrten Buche  von  Lajard  finden  sich  S.  366  ff.  neben  ausführlichen  und  sehr 
interessanten  Nachrichten  über  die  Falkenjagd  im  heutigen  Orient  auch  eine  An- 
zahl dort  gebräuchlicher  Namen  für  Arten  und  Spielarten  des  Vogels.  Darunter 
ist  tschark  wohl  das  griechische  xigxot,  slav.  kredet.  Dieser  tschark,  der  gewöhn- 
liche Falke  der  Beduinen,  „greift  seine  Beute  immer  auf  dem  Boden  an,  ausser 
den  Adler,  auf  den  man  ihn  auch  in  der  Luft  stossen  lässt.  Er  geht  haupt- 
sächlich auf  Gazellen  und  Trappen,  aber  auch  auf  Hasen  und  anderes  Wild.** 
Also  Hasenjagd  mit  Falken,  wie  bei  Ktesias;  bei  der  Gazelleigagd  pflegen  Wind- 
hund und  FaUce  zusammenzuvrirken. 

78.  S.818. 

Fraas  in  seiner  Synopsis  florae  classicae  behauptet  mit  Unrecht,   die  Alten 
hätten  den  weissen  Maulbeerbaum,  schon  gekannt    Aeschylus  spricht  nur  von 


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496  Anmerkimgen. 

weissen,  röthlichen  und  dnnkelrothen  Beeren,  die  in  yerschiedenen  Stadien  der 
Beife  zu  derselben  Zeit,  ravjoi  xQorov^  am  Batune  h&ngen;  Ovid  erkl&ct  in  seiner 
Verwandlungsfabel  nur  den  Ursprung  der  rothen  Farbe,  wie  er  z.  B.  auch  das 
schwarze  Gefieder  des  Raben  durch  Metamorphose  aus  dem  früheren  weissen  ent- 
stehen lässt;  die  Geoponica  10,  69  lehren  nur,  wie  man  durch  Pfropfen  auf  eine 
Xsvxrjy  d.h.  eine  Weisspappel,  den  Maulbeeren  weisse  Farbe  geben  könne,  ein 
Kunststück  neben  hundert  andern  ähnlichen,  von  denen  diese  Sammlung  toU  ist. 
—  Das  ganze  Mittelalter  hindurch  ist  ron  morua  alba  in  Europa  keine  sichere 
Spur  zu  finden,  s.  Ritter,  Erdkunde  17,  495,  der  sich  vergeblich  nach  einer  solchen 
bemüht  hat  Auch  bei  Albertus  M.  de  Yegetabilibus  6, 143  wird  nur  morus  nigra 
beschrieben,  nicht  marus  alba  —  wie  der  neueste  Heraasgeber  annimmt. 

79.  S.824. 

Wenn  coryluSy  corulns  in  lateinischer  Weise  aus  cosilus  entstanden  und  also 
gleich  ahd.  haaal  und  dem  von  Zeuss '  p.  1077  erschlossenen  altgallischen  cosl  ist, 
so  könnte  xdaxayoy  dasselbe  Wort  in  einer  pontischen  Sprache  sein,  nur  mit 
anderem  Suffix.  Das  albanesische  arre  Nuss,  Nussbaum  erinnert  an  die  Gloss^i 
des  Hesjchius:  ocQva'  la  ^QaxXetorixtt  xagva  und  avaga'  ta  noPiixa  xagva»  Da 
eine  dialektische  Nebenform  charre  lautet,  so  wird  in  arre  der  ^*  Anlaut  abgefallen 
und  das  Wort  dem  griechischen  xagvoy  gleich  sein.  —  Das  slawische  orachuj 
orechii,  litauische  reszutas,  reszutys,  Nuss,  führt  nach  Persien:  aragh  Nuss.  üeber 
die  romanischen  Ausdrücke,  ital.  marroney  franz.  marron  weiss  auch  Diez  nichts 
Sicheres.  —  Nach  Movers  I,  578.  586.  wÄre  d^vySdlri  der  semitische  Name  der 
phrygischen  Cjbele  und  bedeutete  grosse  Mutter;  in  der  That  war  der  wach- 
same, d.  h.  Mhblühende,  zuerst  aus  dem  Winterschlale  erwachende  Mandelbaom 
aus  dem  Blut  der  Göttermutter  entstanden.  Auf  eine  einheimisch  griechische 
Ableitung  aber  führt  das  lakonische  fivxrigoq^  ^ovxrigoe  =  Nuss,  Mandel,  welches 
mit  dem  seltenen  lateinischen  nuceres,  nucerum  (gen.  pL,  Coelius  bei  Charis.  1, 40) 
identisch  zu  sein  scheint.  Halten  wir  /üivaaa),  /^i>if*,  lat  mucus  dazu,  so  war  die 
Bedeutung  wohl  weiche,  schleimige  Frucht,  wie  auch  eine  Art  Pflaume  myso, 
myxum  hiess. 

80.  S.  828. 

Die  Mistel,  ahd.  masc.  mistil,  war  in  der  Druidenreligion  eine  hochheilige 
Pflanze  und  die  doch  nur  geringen  Spuren  einer  gleichen  Anschauung  im  ger- 
manischen Mythus  werden  wohl  nur  ein  Reflex  aus  dem  Eeltenlande  sein,  zumal 
da  der  slavische  Volksglaube  die  Mistel  ganz  unbeachtet  l&sst  Auch  das  Wort 
ist  wohl  ein  Fremdling  in  Deutschland  und  dasselbe  mit  viscw^  vüculus;  auf 
welchem  Boden  aber  die  Verwandlung  des  t?  in  m  vor  sich  ging,  wollen  wir  nicht 
entscheiden.  Eine  andere  von  den  Druiden  zu  abergläubischer  Heilung  gebrauchte 
Pflanze  hiess  samolus  (Diefenbach  0.  E.  416);  denken  wir  uns  dieses  Wort  nach- 
mals seines  anlautenden  s  entkleidet  (durch  (Jebergang  in  h),  so  stimmt  es  zu  dem 
litauisch-slavischen  Namen  der  Mistel,  lit.  amalis,  emalas,  lett.  dmuls,  preuss.  emelno, 
slav.  omela.  —  Franz.  griotUy  Sauerkirsche,  lautet  italienisch  agrioUa  und  ist 
folglich  von  acer  abgeleitet;  merise  Vogelkirsche  scheint,  wie  ital.  amc^^TUL,  ama- 
rascaj  marasca,  auf  amarus  zurückzugehen.  —  Magyarisch  heisst  die  saure  Kirsche 
medgy^  der  Kirschbaum  medgyfa.    Woher  dies? 

81.  S.886. 

Neuere  haben  in  diesem  Rhododendron  des  Plinius  eine  unserer  Rhododen- 
dronarten, wie  zuerst  Toumefort,  oder  azalea  pontica  finden  wollen  (s.  E.  Meyer, 


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AnmerkimgeD.  497 

Botanische  Erl&uteningen  zn  Strabo's  Geographie,  S.  Ö2ff.  und  Langkavel,  Botanik 
der  späteren  Griechen,  S.  65).  Man  mag  nun  in  Wirklichkeit  die  schädliche 
Wirkung  des  pontischen  Honigs  ableiten  von  welcher  Pflanze  man  wolle,  —  die 
Alt«n  verstanden  unter  Rhododendron  immer  Nerium  okander  und  man  darf  ihnen 
kein  anderes  Gewächs  unterschieben,  von  dem  sie  nicht  reden  wollten  oder  konnten. 

82«  S«  o8v« 
Mit  dem  neuesten  Herausgeber,  0.  Ribbeck,  an  die  Authenticität  des  Culex 
zu  glauben,  hindert  uns  der  Charakter  des  Gedichts,  der  viel  mehr  aberwitzige 
Ueberreife,  als  jugendliche  Unreife  ausspricht.  Gleich  die  Anfangsverse  können 
nur  von  Einem  geschrieben  sein,  der  bereits  die  Georgica  und  die  Aeneis,  oder 
wenigstens  die  Belogen  vor  Augen  hatte: 

posterius  graviore  sono  tibi  musa  loquetur 
nostra,  dabunt  quom  tnaturos  mihi  tempora  fructus, 
ut  tibi  digna  tuo  poliantur  cannina  sensu, 
und  erinnern  an  die  Rede  Friedrichs  des  Grossen  an  seine  Generale  bei  Beginn 
des  siebenjährigen  Krieges:   Jetzt  eröf&ien  wir  den  siebenjährigen  Krieg!   Schon 
das  Wort  rhododaphne  ist  verdächtig;   hätte  der  junge  Vergil  es  gekannt,  dann 
wurden  wir  es  wohl  auch  bei  den  Spätem,   z.  B.  bei  Ovid,  lesen,  zumal  es  so 
schön  in  den  Hexameter  ging. 

88.    8.887. 

So  urtheilt  Benfey,2,  79,  der  7riar«xij,  Ttiaraxiov  als  mehlreich  erklärt. 
Nach  der  Glosse  des  Hesychius:  ßiara^'  6  ßaatXtvg  naQcc  Uigotttc  wollten 
Frühere  in  dem  Wort  so  viel  als  regiae  nuces  sehen,  wie  man  xdgva  ßaaiXixd  für 
eine  Ari;  Nüsse  oder  Wallnüsse  sagte  (persisch  pdshdäd,  pehlwi  peshddt,  Pisch- 
dadier,  zendisch  paradhäta).  Der  Anlaut  wechselt  übrigens  zwischen /r,  cp,  ß^ 
ja  iff;  nach  Steph.  Byz.  lag  am  Tigris  eine  Stadt  Vitia;?!/,  genannt  nach  den 
dort  wachsenden  Pistazien.  —  Auch  in}(ßtv9oq,  -tiafitv^oi  ist  woM  ein  persisches 
Wort,  worauf  auch  der  Wechsel  zwischen  ß  und  fx  führt,  der  bei  persischen  Namen 
im  Griechischen  einzutreten  pflegt.  S.  Pott,  Kurdische  Studien,  in  Lassens 
Zeitschr.  6,  S.  63  f.  Das  dort  angeführte  kurdische  dariben  kann  doch  schwerlich, 
da  es  sich  um  einen  in  Kurdistan  einheimischen  mächtigen  Waldbaum  handelt, 
aus  dem  Griechischen  entlehnt  sein.  Polak,  Persien,  2, 155:  „Kurdistan  besitzt 
neben  zahlreichen  Terebinthaceen,  welche  das  bekannte  Sakkesharz  liefern,  grosse 
Eichenwälder." 

84.  S.867. 

Die  Orangenkultur  ist  für  das  jetzige  Italien  ein  wichtiger  Productionszweig 
geworden.  Nach  einem  Vortrag  von  Langenbach  in  der  Berliner  Gesellschaft 
für  Erdkunde,  gehalten  am  2.  Nov.  1872,  führte  Palermo  im  Jahre  1864  22  Millionen 
Kilogr.  Südfrüchte  aus,  im  J.  1867  schon  37  Mill. ,  jetzt  gegen  60  Millionen.  Bei 
Palermo  bringt  eine  Hectare  Agrumi  3600  Franken  Bruttoertrag.  Die  Ausfahr 
geht  zu  zwei  Dritteln  nach  den  Vereinigten  Staaten. 

85.  S.371. 

Aelian,  freilich  kein  besonderer  Gewährsmann,  erklärt  das  Wort  direkt  für 
ein  iberisches,  N.  A.  13,  15:  xovixkoi  oyojua  av7(^'  ovx  ti^i  öi  noiriTtig  dyoftdicoyy 
o&tP  Xttl  iy  TJjJ«  tJ  auyyQag)^  (fvldito)  ir^r  (nayvfi^ay  irjy  (^  «p/?f,  tjyneg  oZv 
^lßn9^Q  ot  ^Ean^Qiot  i.^tyio  0/,  nag  oU  xaX  y(yi'iaC  i«  xai  ^ajt  ndßjnolvg.  —  Der 
iberische  Volksstamm,  seine  Zweige  und  deren  Ausbreitung,   seine  Sprache  in 

Vlct.  Uebn,  Kultarpflanzen.  32 


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498  Anmerkungen. 

ihren  Ältesten  Resten  und  ihrem  heutigen  jüngeren  Bestände,  erwarten  noch 
immer  ihren  Kaspar  Zeuss,  der  sie,  wie  dieser  die  Ursprünge  der  mitteleuropäischen 
Völker  und  die  Sprache  der  Kelten,  mit  den  Mitteln  und  der  Methode  der 
modernen  Wissenschaft  aus  dem  Dunkel,  das  sie  bedeckt,  emporhöbe.  Aber  die 
baskische  Sprache  ist  seit  W.  Humboldt  in  den  Händen  französischer  und  spanischer 
oder  einheimischer  Dilettanten  geblieben;  in  Deutschland,  wo  die  formale  Aus- 
rüstung eher  zu  erwarten  wäre,  hat  nur  die  germanische  Urgeschichte  seit  Zeuss 
üppig  gewuchert,  ohne  dass  mit  wenigen  Ausnahmen  die  Gh-enzen,  die  dieser  grosse 
Forscher  vor  mehr  als  vierzig  Jahren  sicher  umschrieben  hatte,  verrückt  oder  um- 
geworfen wären.  Aus  der  Flut  entgegengesetzter  Hypothesen  und  Berichtigungen 
haben  sich  „die  Deutschen  und  die  Nachbarstämme"  immer  wieder  hergestellt  — 
unter  anderen  Beispielen  nur  eins:  wo  sind  die  Skythen  mongolischen  Stamme« 
geblieben  und  sind  sie  nicht  wieder  Iranier  geworden,  wie  Zeuss  mit  wenigen 
Meisterstrichen  festsetzte?  Der  orphische  Yers,  den  Stockes  auf  die  keltische 
Grammatik  anwandte: 

Zfv(  ciQX^n  Zivg  fiiaaa,  Jio^  «f  ix  rrayra  iHvxxtti 
—  gilt  auch  für  jenes  ethnographische  Werk,  das  im  Hintergründe  blieb,  indess 
die  nebenbuhlerische  „Geschichte  der  deutschen  Sprache"  mehrere  Auflagen  er- 
lebte und  ihrem  Inhalt  nach  in  populäre  Handbücher  überging  —  kein  gutes 
Zeichen!  Wäre  —  dies  war  es,  was  wir  sagen  wollten  —  von  jener  vielgeschäftigen 
meist  vergeblichen  Bemühung  etwas  mehr  den  Iberern  oder  Albanesen  zu  Theil 
geworden,  einem  Gebiet,  wo  die  übereinanderliegenden,  halbvergrabenen  Ruinen 
die  reichsten  Entdeckungen  versprechen! 

86.    8.874. 

Was  die  Zoologie  nach  dem  heutigen  Stande  der  Forschung  über  die  ur- 
sprüngliche Verbreitung  des  lepus  cuniculus  zu  sagen  weiss,  findet  sich  in  ge- 
lehrter Vollständigkeit  in  der  Monographie  von  J.  F.  Brandt:  Untersuchungen 
über  das  Kaninchen  u.  s.  w.  (Mälanges  biologiques  der  Petersburger  Akad.  der 
Wissensch.  T.  9.  1876).  Da  die  Kaninchen  leicht  verwildem  und  dann  den  ur- 
sprünglich wilden  so  ähnlich  werden,  dass  sich  zwischen  beiden  kein  Unterschied 
entdecken  lässt  (S.  481),  so  ist  es  unmöglich,  aus  ihrer  jetzigen  Verbreitung  irgend 
welche  Schlüsse  zu  ziehen.  Zwar  finden  sich  in  Westeuropa  von  Portugal  bis 
England  und  Deutschland  angebliche  oder  wirkliche  fossile  Reste  des  Kaninchens, 
die  aus  der  Dilnvialzeit  stammen,  —  doch  das  ist  lange  her  und  die  zunehmende 
Erkaltung  des  Nordens  brachte  dem  gegen  niedere  Temperaturen  empfindlichen 
Thierchen  inzwischen  den  Untergang.  In  der  historischen  Zeit  kann  es  in  Griechen- 
land und  Italien  im  wilden  Zustand  nicht  gelebt  haben,  da  sonst  die  Griechen 
und  Römer  darüber  nicht  geschwiegen  hätten;  dagegen  erscheint  es  überall  in 
iberischen  Landen  und  eng  an  die  iberische  Race  gebunden. 

Von  dem  Tyrannen  Anaxilas  von  Rhegion,  der  sich  auch  der  Stadt  Zankle 
(seitdem  Messana  genannt)  bemächtigte,  vrird  berichtet,  er  habe  die  Hasen  in 
Sicilien  einheimisch  gemacht  und  desshalb  einen  Hasen  auf  seine  Münzen  gesetzt 
Fehlte  dies  Thier  bis  dahin  auf  der  Insel?  Man  könnte  an  Kaninchen  denken, 
die  der  Tyrann  etwa  bei  Messina  angesiedelt  hätte,  aber  die  Münzen  zeigen 
deutlich  einen  in  vollem  Lauf  begriffenen  Hasen. 

Noch  ein  griechischer  Name  des  Kaninchens  Xfßrjo^s,  den  Strabo  auf  keine 
Localität  beschränkt  (raiv  yetagv/tou  kayid^tov  ovi  tviot  leßriQi^ttg  nQogayoQfvovai^ 
wird  von  Erotianus  nach  dem  Grammatiker  Polemarchus  für  massaliotisch  er^ 
klärt:  0  'Püjfxatoi  fikp  xovyixlov  xakovaiy  Maaattltaitat  dk  leßtigi^a.  Wenn  es 
wirklich  ein  äolisches  d.  h.  altgriechisches  Wort  XinoQtg  der  Hase  gab,  so  konnte 


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Anmerkungen.  499 

darans  bei  den  an  der  spanischen  und  provenoalischen  Küste  seit  früher  Zeit  an- 
gesiedelten Griechen  mit  erweichtem  Labial  ein  k(ßiig(<:  erwachsen,  wie  UßnQ^ 
in  der  anderen  Bedeutung  Hülse,  Balg  mit  kinuv  schälen,  lonog  Schale,  BiJg 
Terwandt  ist  Liegt  aber  nur  das  lateinische  lepw  zu  Grunde,  so  hätten  wir  hier 
eins  der  Wörter,  wie  sie  in  der  sicilisch-italiotischen  Eolonialsprache  vorkamen, 
nfimlich  einen  gräcisirten  lateinischen  Ausdruck,  dessen  Form  durch  jenes  andere 
X«/9i}p/c  Balg  bestimmt  wurde,  der  aber  dann  nicht  ausschliesslich  massaliotisch 
sein  würde.  —  Dass  laurix,  welches  in  den  romanischen  Sprachen  und  im  Mittel- 
latein verschwunden  ist,  in  althochdeutschen  Glossen  sich  wiederfindet:  loricfn\ 
Icrichin  in  der  Bedeutung  cuniculus,  —  ist  merkwürdig  genug.  Wenn  übrigens 
laurix  nichts  als  andere  Form  oder  Aussprache  von  Ifßrjgii  wäre  —  Raum  für 
diese  Yermuthung  fände  sich  genug  in  dem  Gebiet  der  uns  unbekannten  Mund- 
arten zwischen  Gades  und  Massilia  — ,  dann  müsste  entweder  auch  laurix 
griechisch-römisch  oder  auch  ktßrjgii  ein  iberisches  Wort  sein.  —  Auf  eine  kel- 
tische Benennung  geht  englisch  rabbit  das  Kaninchen,  franz.  rabouilUere  die 
Kaninchenhecke  zurück  (MüDer,  Etymol.  Wörterb.  der  englischen  Sprache  unter 
diesem  Wort).  —  Einen  hübschen  Beitrag  zur  Volksetymologie  liefert  die  litauisch- 
slavische  Entstellung  von  cuniciUus:  lit  kralikkas,  russ.  koroleky  krolik,  poln. 
krolik  u.  s.  w.,  d.  h.  kleiner  König.  Der  grosse  Karl  hat  es  sich  wohl  nicht  träumen 
lassen,  dass  sein  Name  einst  jenseits  der  Oder  zur  Bezeichnung  des  Kaninchens 
dienen  würde!  Vielleicht  sind  diese  Ausdrücke  aber  nur  üebersetzungen  des  im 
9ltem  Deutsch  gebräuchlichen  küniglein  mhd.  künoU,  s.  Pott,  Doppelung,  S.  821, 
Formen,  die  gleichfalls  der  Volksetymologie  ihr  Dasein  verdanken. 

87.    S.875. 

„Als  Alkmene,  so  erzählt  Antoninus  Liberalis  29,  den  Herakles  nicht  gebären 
konnte,  weil  die  Moiren  und  Eileithyia  die  Geburt  hinderten,  überlistete  die 
€ralinthias  (bei  Ovid.  Met.  9,  806 ff.  heisst  sie  Galanthis)  die  Göttinnen,  so  dass 
die  Geburt  erfolgen  konnte,  und  wurde  von  diesen  zur  Strafe  in  ein  Wiesel,  yait^, 
verwandelt.  Aber  Hekate  empfand  Mitleid  mit  ihr  und  machte  sie  zu  ihrer 
heiligen  Dienerin.  Und  als  Herakles  erwachsen  war,  gedachte  er  ihrer  Hülfe- 
leistung und  errichtete  ihr  neben  dem  Hause  ein  Heiligthum  und  brachte  ihr 
Opfer.  Diesen  Brauch  beobachten  die  Thebaner  noch  bis  heute  und  bringen  vor 
dem  Feste  des  Herakles  zuerst  der  Galinthias  Opfer."  Bei  Aelian  N.  A.  16, 11 
heisst  es  dagegen:  „das  Wiesel,  habe  ich  gehört,  war  einst  ein  Mensch,  übte 
Zauberei  und  Vergiftimg  und  war  zügellos  in  unerlaubter  Liebe;  der  Zorn  der 
Göttin  Hekate  verwandelte  sie  in  dieses  böse  Thier.  Also  habe  ich  erzählen 
hören.**  In  umgekehrter  Wendung  wird  in  der  Fabel  32  des  Babrius  das  Wiesel 
von  der  Aphrodite  in  ein  schönes  Mädchen  verwandelt,  verräth  sich  aber  am 
Hochzeitstage  als  das,  was  sie  wirklich  ist,  —  ein  Wiesel.  Eine  Anspielung 
darauf  kam  schon  beim  Komiker  Strattis  vor,  der  von  OL  92  bis  nach  OL  99  Stücke 
aufführte  (Meineke  Fr.  com.  gr.  2,  2.  790). 

Diese  Verwandlungssage  ist  weit  gewandert  und  klingt  in  den  Namen  wieder, 
die  das  Wiesel  in  vielen  europäischen  Sprachen  trägt  Es  heisst  das  Jüngferchm, 
ital.  donnola^  neugr.  wiicpina,  Schonlhierkin  y  SchÖndinglem,  dänisch  den  kjönne 
(=  pulchra),  altenglisch /airy,  spanisch  comadreja  Gevatterin  (=  commatercula% 
baskisch  andereigerra  (andrea  =  Frau),  albanesisch  „des  Bruders  Frau**,  slavisch 
lagiotschka,  die  freundliche  oder  trügerische  (von  laskati  schmeicheln,  iistit* 
täuschen;  eben  so  heisst  die  Schwalbe),  slav.  nevestuka  die  Braut  oder  das 
Mädchen  u.  s.  w.  Die  Namen  in  vielen  italienischen  Mundarten  gehen  auf  das 
lateinische  bellula  zurück  (Flechia  im  Archivio  glottologico  italiano  11  p.  47ff.). 

32* 


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500  Anmerkungen. 

Keltische  Wörter  sind  nesa  (Zeuss*  49)  und  eds  (St  ir.  gl.  259),  letzteres,  wenn  e» 
ein  anlautendes  v  verloren  hat  (Zeuss'  55),  vielleicht  identisch  mit  ahd.  ttisHia, 
wisala.  Eomisch-bre tonische  Benennungen  bei  Zeuss^  1075  scheinen  die  Begriffe 
fröhlich,  geschwind  zu  enthalten.  Dunkle  Namen  sind  portugiesisch  tovrdo, 
spanisch  garduna^  litauisch  zebenksztis  (mehr  das  braune  Wiesel),  szarmonys, 
seermonys  (mehr  das  weisse,  identisch  mit  dem  deutschen  Hermelin  aus  HarmX 
altpreussisch  mosuco  (deutsch  Mösch,  Müsch,  vielleicht  =  mu$  moMcovUicusf)^  alba- 
nesisch  hukljeza,  Sie  mögen  euphemistische  Umschreibungen  enthalten,  denn  das 
Wiesel  wird  wegen  seiner  Beweglichkeit  und  seines  unterirdischen  Thuns  als 
dftmonisches  Wesen  empfunden,  ein  solches  aber  darf  nicht  genannt  werden, 
sonst  ist  es  da.  Auch  musteia^  die  Mausfängerin,  ist  aus  euphemistischer  Aus- 
weichung zu  erkl&ren.  Lateinisch  felis  erscheint  in  dem  kjmrischen  bele  der 
Marder,  woraus  französisch  belette  das  Wiesel  (s.  Diez  unter  diesem  Wort  und 
Diefenbach  0.  E.  p.  259),  deutsch  Bille,  Bilchmaus,  ahd.  pilih,  litauisch  peU,  alt- 
preussisch peles  die  Maus,  slav.  plüchü  glia  u.  s.  w. 

88.  S.879. 

Fr.  Müller  in  den  Sitzungsber.  der  philosophisch -histor.  Klasse  der  Wiener 
Acad.,  Bd.  42,  1863.  S.  250  deutet  das  zendische,  im  VendidM  oft  vorkommende 
gadhwa  mit  Katze,  und  Spiegel  in  Kuhns  Zeitschrift  13,  369  stimmt  ihm  beL 
Dagegen  ist  von  Justi  eingewandt  worden,  dass  die  Huzvaresch-Uebersetzung 
gadhwa  mit  Hund  wiedergiebt  und  dass  die  Katze  erst  im  Mittelalter  in  Asien 
erschienen  ist  In  der  That  kamen  sämmtliche  asiatische  Namen  des  Thiers, 
sowohl  in  den  semitischen  Sprachen,  als  im  Armenischen,  Ossetischen,  Persischen, 
Türkischen  u.  s.  w.  in  letzter  Instanz  aus  dem  byzantinischen  Griechisch,  welches 
selbst  wieder  den  seinigen  dem  Lateinischen  entnommen  hat.  Dass  catus  in  aUen 
romanischen  Sprachen  vorhanden  ist  und  nur  im  Walachischen  fehlt,  ist  bedeutsam 
für  die  Chronologie  des  Wortes:  es  trat  auf,  als  Dacien  bereits  eine  Beute  der 
Barbaren  geworden  und  die  dortige  lateinische  Sprache  isolirt  war.  üeber  andere 
ziemlich  weit  verbreitete  Formen,  itaL  micio,  deutsch  Büeze,  slavisch  ma6ika  u.  s.  w. 
8.  Diez,  Weigand  und  Miklosich  unter  diesen  Wörtern.  Wie  in  Miezchen  kleine 
Marie,  im  böhmischen  macek  kleiner  Matthias  steckt,  so  heisst  in  Bussland  die 
Katze  tpaska  d.  h.  kleiner  Basilius  oder  miscftka  d.  h.  Michelchen.  (S.  auch  Albert 
Höfer,  Deutsche  Namen  des  Katers,  in  der  Germania  2,  168  und  über  den  bei 
Germanen  und  Kelten  weitverbreiteten  Namen  Buse,  Bise  Grinmi  im  Wörterbuch). 

89.  S.881. 

Wir  folgen  hier  der  gewöhnlichen  Annahme,  wonach  tasso,  taxoy  taxu$  aus 
dem  Deutschen  ins  Romanische  und  Mittellatein  gekommen  ist.  Grimm  leitete 
das  Wort  Dachs  schon  in  der  Grammatik  2,40  vom  mhd.  Verbum  dehsen  den 
Flachs  schwingen,  linum  vertere,  circumagerey  ab;  dies  dehsen  ist,  mit  der  häufigen 
germanischen  Erweiterung  durch  ein  s,  einerlei  mit  lit  Ukinti  drehen,  drechseln, 
slav.  tociti  circumvolvere,  tokari  der  Drechsler,  und  läuft,  wie  auch  Deichsel  und 
goth.  thaho  der  Thon  d.  h.  Stoff  zum  Bilden  oder  Drehen,  in  den  grossen  weit- 
verzweigten Stamm  aus,  zu  dem  gr.  r//»'i?,  i^xnovy  itJ/cu,  ivicog  u.  s,  w.  gehören. 
Der  Dachs  Messe  der  Dreher,  weil  er  seine  Wohnung  in  die  Erde  gräbt  und  daher 
ein  Künstler,  ein  Baumeister  ist  Unterstützung  fände  diese  Deutung  in  dem 
griechischen  rgoxog  bei  Aristoteles  de  gener.  anim.  3,  6,  in  welchem  Wort  nicht 
sowohl  einfach  der  Läufer,  als  der  Dreher,  der  Läufer  in  die  Runde  läge  (vergL 
Tpo/o(  das  Rad,  die  Töpferscheibe,  und  der  Läufer  in  der  Mühle,  bei  den 
Seilern  u.  s.  w.). 


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Anmerkungen.  501 

Indess  bleiben  Zweifel,  ob  nicht  das  Wort  Dachs  vielmehr  keltisch  und  das 
Tfaier  schon  bei  den  Yölkem  dieses  Namens  popul&r  war.  Das  Dachsfett,  dem 
ein  aher  Yolksaberglaube  besondere  Wirkung  zuschreibt,  wird  schon  bei  Serenus 
Sammonicus  gepriesen: 

nee  spernendus  adeps^  dederit  quem  bestia  meles, 
wo  meUs  doch  nur  Dachs  sein  kann.  Marcellus  Empiricus  verschreibt  gleichfalls 
eine  Dosis  Dachsfett,  adipis  taxoninae:  also  schon  im  vierten  Jahrhundert  müsste 
das  deutsche  Wort  ins  Latein  gedrungen  sein.  Noch  weiter  zurück,  etwa  100  Jahr 
Tor  Chr.,  weist  das  Citat  aus  Afranius  bei  Isidor.  20,  2:  Taxea  lardum  est  gallice 
dictum :  unde  et  Afranius  in  Rosa :  öallum  sagatum  pingui  postum  taxea.  Also  mit 
Dachsfett  gen&hrt? 

Nicht  weiter  führen  andere  Namen  des  Thieres.  Die  Engl&nder  sagen  badger 
d.  h«  Komhändler,  die  Franzosen  ebenso  blaireau  d.  h.  bladarius^  die  Italiener 
^ajo  (vielleicht  =  agrarius)^  die  Scandinaven  und  Niederländer  grävlitig^  grevinc 
d.  h.  Gräber,  —  lauter  Euphemismen.  Das  dänisch-schwedische  brock  lautet  auch 
englisch  so  und  kambrisch  und  komisch  broch;  wenn  dies  Entlehnung  ist,  lief 
das  Wort  auf  dem  bezeichneten  Parallelkreis  von  Ost  nach  West  d.  h.  von  Scan- 
dinavien  nach  Britannieu,  etwa  mit  den  Dänenzügen,  oder  in  umgekehrter  Richtung 
von  den  alten  Briten  zu  den  Nordgermanen?  —  Das  russische  barsuk,  poln.  borsuk 
scheint  persischen  oder  türkischen  Ursprungs,  wie  auch  bars  der  Leopard  ein 
asiatisches  Wort  ist;  mit  dem  letztem  fällt  das  magyarische  borz  der  Dachs  zu- 
sammen. Das  slav.  jazvü  und  die  litauischen  Wörter:  altpreuss.  wobsdus,  lit. 
abstrus,  lett  dp^is  sind  dunkel,  obgleich  gewiss  einst  bedeutsam. 

Unverkennbar  ist  die  späte  Einwanderung  des  Hamsters  von  Osten.  Er  fehlt 
noch  in  vielen  Theilen  Deutschlands,  ist  aber  in  den  kombauenden  Ländem  Ost- 
europas häufig.  Das  russische  chomjak^  poln.  chomik,  und  noch  näher  das  bei 
Miklosich  verzeichnete  choftihtara  animal  quoddam  gaben  dem  deutschen  Hamster, 
ahd.  hamastro,  hamistro  Entstehung.  Auch  das  russische  karbysch  Hamster  weist 
den  Lauten  nach  auf  eine  tatarische  Quelle.  Altpreussisch  dutkis,  lit.  baiesas, 
beide  unverständb'ch. 

90.  8.881. 

Dasselbe  gilt  von  der  sprachlichen  Production:  die  Sprache  benutzte  den 
Abstand  der  hochdeutschen  und  niederdeutschen  Lautstufe,  um  zwischen  Katze 
und  Kater  zu  unterscheiden,  und  fügte  mit  einer  Art  Ablaut  hinzu:  die  Katze 
Mezt,  hat  gekiezt,  d.  h.  hat  Junge  geworfen. 

91.  S.884. 

Das  griechische  ßovßakig,  ßovßnlog  ist  unzweifelhaft  so  viel  als  Reh,  Antilope, 
Gazelle,  nicht  ein  Thier  aus  dem  Geschlecht  der  Rinder.  Schon  bei  Aeschylus 
Fr.  322  Nauck.: 

IfOVTOxoQiay  ßovßaXtv  vtndtQOV^ 
die  dem  Löwen  zum  Frasse  dienende  junge  Antilope.  Denjenigen  Thieren,  sagt 
Aristoteles  de  part.  anim.  3,  2,  denen  das  Horageweih  zum  Schutze  nichts  hilft, 
gab  die  Natur  ein  anderes  Rettungsmittel,  die  Schnelligkeit,  —  so  den  Hirschen, 
den  Antilopen,  ßovßaXoig,  und  Rehen,  Jooxaa»,  welche  letztere  sich  zwar  zu- 
weilen mit  den  Hömem  zur  Wehr  setzen,  vor  den  starken  Raubthieren  aber  sich 
schleunigst  auf  die  Flucht  begeben.  Besonders  in  Afrika  sind  diese  Thiere 
heimisch.  Dort  leben  nach  Herodot  4,  192  nvyauyoi  xul  ^oonndn  xn\  ßovßdkug 
xal  ovoi,  und  Polybius  12,  3,  5  setzt  hinzu:  wer  hat  uns  nicht  von  den  grossen 
Katzen  Afrikas  und  der  Schönheit  der  Antilopen,  ßovßdXtov  xdkloq,  und  der  Grösse 


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502  AnmerknngeiL 

der  Straasse,  oroov^toy  fityi&ri,  berichtet?  In  Italien  begann  das  Volk  mit  diesem 
griechischen  Wort  die  Auerochsen  nnd  Wisente  der  germanischen  WUlder  sn  be- 
zeichnen, die  mit  dem  flüchtigen  Rehe  nichts  gemein  haben,  Mart  Epigr.  ^  4: 

Uli  cessil  alrox  bubalus  atque  btson. 
Plinius  tadelt  dies  als  Missbrauch,  indem  er  bemerkt,  die  bubali  seien  Tielmehr 
afrikimische  Thiere,  mehr  dem  Kalbe  und  Hirsche  ähnlich,  8,  38:  guibus  (urü) 
inperitvm  volgus  bubalorum  noinen  rnponit,  cum  id  gignat  Africa  vüuli  potius  cervigtie 
quadam  similitudine.  Die  Verwechselung,  die  wohl  durch  den  Anklang  an  bo», 
bovis  in  der  ersten  H&lfle  des  Wortes  enstanden  war,  erhielt  sich  trotz  Plinius  in 
den  folgenden  Jahrhunderten,  wie  wir  aus  Stellen  späterer  Schriftsteller  ersehen, 
und  als  unter  den  Longobarden  die  Büffel  in  Italien  erschienen,  war  der  Name 
ganz  fertig.  Die  Geschichte  des  Wortes  würde  auf  diese  Weise  ganz  natürlich 
verlaufen,  wenn  die  slavischen  Sprachen  nicht  störend  einträten  und  uns  irren 
möchten:  slav.  byvolH,  russisch  bujvol^  der  Auerochs,  polnisch  bawoi^  bulgarisch 
bivol,  magyarisch  bival^  alban.  bual,  gr.  ßovßaXoq,  „Dass  diese  Wörter  zusammen- 
gehören, ist  nicht  zu  bezweifeln:  ob  aber  und  wo  Entlehnung  stattgefunden, 
möchte  schwer  zu  bestimmen  sein*^  (Miklosich).  Allerdings  mussten  die  Slaven 
in  der  Urzeit  beide  Arten  wilder  Stiere  in  ihren  Wäldern  kennen  und  benennen, 
aber  als  sie  in  die  Donauländer  rückten,  waren  dort  die  Auerochsen  doch  wohl 
schon  selten  und  wurden  es  im  Laufe  des  Mittelalters  dort  und  in  der  Urheimat 
des  Stammes  immer  mehr.  Sie  vergassen  die  alten  Namen  und  nahmen  später 
den  griechisch-lateinischen  an,  etwa  wie  bei  den  Germanen  der  Elch  ganz  Ter- 
schollen  war  und  später  durch  das  slavisch-litauische  Elen  wieder  ersetzt  wurde. 
Bei  der  Gestaltung  des  Wortes  wirkte  der  Anklang  an  volH  Stier  wahrscheinlich 
mit.  (Noch  andere  Namen  und  Zusammenstellungen  bei  Pott  E.  F.',  II,  1,  8061). 
—  Wir  fügen  noch  hinzu,  dass  diejenigen,  die  geneigt  sein  möchten,  in  den 
Worten  des  Paulus  Diaconus  wegen  der  Erwähnung  der  equi  siivatici  auch  die 
bubali  als  nordeuropäische  Auerochsen  zu  fassen,  die  Einführung  der  Büffel  in 
Italien  bis  auf  die  Zeit  der  Araber  oder  der  Ereuzzüge  herabrücken  müssen. 
Letzteres  nahm  auch  Humboldt  an,  Kosmos  2, 191:  „von  dem  indischen  Büffel, 
welcher  letzte  erst  zur  Zeit  der  Kreuzzüge  in  Europa  eingeführt  wurde."  Link 
lässt  den  Büffel  mit  den  Horden  des  Attila  kommen. 

92.    S.892. 

In  Nürnberg  erscheint  schon  seit  Jahren  eine  „Allgemeine  Hopfenzeitung' 
in  4^  Dieses  ohne  Zweifel  sehr  interessante  Blatt  ist  uns  leider  nie  zu  Gesicht 
gekommen.  Gewiss  enthält  es  über  die  im  Text  behandelten  schwierigen  Fragen 
vollständige  Aufklärung  —  da  doch  nicht  anzunehmen  ist,  dass  die  Verfasser 
bloss  auf  die  vortheilhafteste  Production  und  den  Preis  an  den  verschiedenen 
Märkten  geachtet  und  nicht  danach  gefragt  haben  werden,  woher  das  Kraut,  das 
ihnen  Nahrung  und  Beschäftigung  giebt,  ursprünglich  stammt,  von  wem  es  be- 
nannt ist  und  wer  es  zuerst  dem  Bier  beigemischt  hat. 

98.    S.896. 

Sprechend  für  die  Haltung  des  Soldatenstandes  in  dem  römischen  Kaiserstaat 
ist  folgende  kleine  Scene  aus  den  Metamorphosen  des  Apulejus  (gegen  Ende  des 
9.  Buches).  Ein  hortulanus  geht  mit  seinem  unbeladenen  Esel  die  Strasse  entlang 
nach  Hause.  Da  kommt  ein  baumstarker  Soldat,  miles  e  legione^  ihm  entgeg^ 
und  fragt  mit  herrischem  Ton,  wohin  er  den  Esel  führe?  Der  Bauer,  des  Latei- 
nischen unkundig  (denn  wir  befinden  uns  in  griechischen  Landen),  erwidert  nichts, 
sondern  geht  ruhig  seines  Weges  weiter.    Ueber  dies  Stillschweigen  ergrimmt. 


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Amnerkungeii.  503 

schwingt  der  Soldat  die  viti's,  die  er  in  der  Hand  führt,  über  den  Rücken  des 
Esels  und  seines  Herrn.  Da  entschuldigt  sich  der  Bauer  flehentlich,  er  habe 
wegen  Unkenntniss  der  Sprache  nicht  verstanden,  was  der  gestrenge  Herr  gesagt 
hii>e.  Darauf  spricht  der  Soldat  griechisch:  wohin  bringst  du  diesen  Esel? 
Jener  entgegnet:  in  das  nächste  Dorf.  Ich  aber,  versetzt  der  Soldat,  habe  den 
Esel  für  mich  nöthig;  er  soll  das  Gepftck  unseres  Kommandanten,  pramdis  nostri, 
aus  dem  Kastell  herschaffen  helfen.  Darauf  ergreift  er  den  Zügel  des  Thieres, 
um  dasselbe  abzuführen.  Alle  Bitten  helfen  nichts,  der  Soldat  kehrt  im  Gegen- 
theil  seine  vitis  um,  um  dem  Bauern  mit  dem  dicken  und  knotigen  Ende  den 
Schädel  zu  spalten.  Drauf  wird  weiter  erzählt,  wie  der  Bauer,  zur  Verzweiflung 
gebracht,  sich  ermannt,  den  Soldaten  durchprügelt,  ihm  die  spatha  abnimmt, 
ihn  Braun  und  blau  geschlagen  liegen  lässt  und  sich  nach  vollbrachter  That  voU 
Angst  im  Dorfe  bei  einem  Freunde  versteckt  Andere  Soldaten  aber  sind  ihrem 
halbtodten  Kameraden  zu  Hülfe  gekommen,  die  Obrigkeit  wird  auf  die  Beine  ge- 
bracht, der  Versteck  des  Thäters  entdeckt  und  dieser  in  den  publicua  carcer  ge- 
worfen, um  dort  seine  Hinrichtung  zu  erwarten.  —  Römischer  „Militarismus'',  an 
den  der  angebliche  neudeutsche  noch  lange  nicht  heranreicht! 

94.  S.  418. 

Die  Benennung  türkischer  Weizen  und  die  weite  Verbreitung  des  Mais  nicht 
bloss  in  der  Levante,  sondern  auch  in  Ostasien  und  im  innem  Afrika  haben  schon 
öfter  die  ketzerische  Behauptung  hervorgerufen,  dieses  Korn  stamme  gar  nicht 
aus  Amerika,  sondern  sei  ein  alter  Besitz  der  östlichen  Erdhälfte.  Fraas  in  der 
Synopsis  florae  class.  führt  allerlei  unzureichende  Gründe  dafür  an;  die  gleiche 
Ansicht  von  Bonafous  widerlegt  Alph.  De  Candolle  in  der  g^ographie  botanique 
S.  943  ff.  ausführlich  mit  siegreicher  Argumentation.  Türkisch  bedeutete  am  An- 
fang des  16.  Jahrhunderts  nur  überhaupt  fremdländisch  oder  über  Meer  ge- 
kommen: die  geographischen  Begriffe  waren  zu  jener  Zeit  noch  zu  unbestimmt, 
um  West-  und  Ostindien  und  von  beiden  das  Land  der  Türken  genau  zu  unter- 
scheiden. Noch  jetzt  heisst  der  doch  gewiss  aus  Amerika  stammende  Truthahn 
bei  den  Engländern  turkey-cock,  wie  der  Mais  turkey-com^  bei  den  Deutschen  kal- 
kutischer  Hahn,  als  wäre  er  aus  Kalekut  zu  uns  gebracht  worden,  während  ihn 
die  Türken  ägyptisches  Huhn  nennen  (Pott,  Beiträge,  6,  323). 

95.  8.414. 

Wenn  es  wahr  ist,  dass  in  einer  altägyptischen  Abbildung  Holcus  Sorgum 
erkennbar  ist  (A.  Thaer,  die  alt-ägyptische  Landwirthschaft,  Berlin  1881,  S.  19) 
und  Kömer  davon  in  Mumiengräbem  gefunden  sind,  dann  hätte  sich  diese  Frucht 
im  Laufe  der  Zeiten  aus  Aegypten  in  die  obem  Nilgegenden  zurückgezogen. 
Denn  der  arabische  Arzt  aus  Bagdad,  Abd-Allatif,  der  im  Jahre  1161  geboren 
war  und  dessen  Beschreibung  Aegyptens  S.  de  Sacy  herausgegeben  hat,  sagt 
S.  32  ausdrücklich,  beide  Arten  Mohrhirse  fehlten  in  Aegypten,  mit  Ausnahme 
der  oberen  Gegend  des  Said,  wo  besonders  der  dochn  angebaut  werde.  Und,  was 
noch  auffallender  ist,  selbst  Prosper  Alpinus  fand  dort  gegen  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts kein  anderes  Brod  als  Weizenbrod:  ibi  emm  nulla  alia  panis  gener a  co- 
gnoscuntur  quam  ex  tritico  parata.  Auch  wäre  es  zu  Plinius  Zeit,  wenn  sich  Sorgum 
in  Aegypten  fand,  nicht  nöthig  gewesen,  nach  Indien  zurückzugreifen.  Da  aber 
unter  der  Herrschaft  der  Römer  der  Verkehr  der  Häfen  am  rothen  Meer  mit 
Indien  nicht  unbedeutend  war,  so  konnte  ein  aus  Oberägypten  stammendes  Korn 
irrthümlich  als  ein  über  Aegypten  aus  Indien  eingeführtes  angesehen  werden. 


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504  Anmerkungen. 


96.  8.419. 

0.  HartwiA^  in  seinen  schönen  Enltur-  und  Geschichtsbildern  aus  Sicilien 
behauptet  mit  Bezug  auf  die  arabische  Kultur  in  Sicilien,  wo  neue  (Jewllchse  ein- 
geführt werden,  müsse  der  Ertrag  nothwendig  steigen.  Wäre  dieser  Satz  ganz 
wahr,  so  würde  er  für  die  Gesammt- Kulturgeschichte  von  höchster  Bedeutung 
sein.  Aber  er  unterliegt  vielfachen  Einschränkungen.  Einwanderer  können  die 
Gewächse  mitbringen,  für  die  sie  eine  Vorliebe  haben  und  die  in  der  Heimat 
vielleicht  die  vortheilhaftesten  waren:  sie  setzen  die  gewohnte  Kultur  traditionell 
fort  Eine  Kultur  kann  momentan  und  unter  gunstigen  Umständen  Yortheil 
bringen  und  wird  dann  aus  Trägheit  beibehalten,  auch  wenn  die  Conjuncturen, 
unter  denen  die  Einführung  geschah,  längst  vorüber  sind.  Auch  die  Gewerbe- 
nnd  Handelsgesetzgebung,  die  Art  und  das  Mass  der  Besteuerung,  Regierungsact« 
aller  Art  geben  dem  Landbau  Richtungen,  die  mit  dem  natürlichen  Beruf  des 
Bodens  nicht  immer  im  Einklang  sind.  Man  sieht,  die  Rechnung  muss  in  jedem 
einzelnen  Fall  immer  besonders  gemacht  werden. 

97.  S.  423. 

Als  Arthur  Young  Frankreich  bereiste,  kurz  vor  der  Revolution,  war  die  Kar- 
toffel eine  dort  fast  noch  unbekannte  Frucht  und  unter  hundert  Bauern  hätten 
sich,  wie  er  sagt,  gewiss  neunnndneunzig  geweigert,  sie  auch  nur  in  den  Mund 
zu  nehmen. 

9S.    S.424. 

Moltke  in  seinen  Reisebriefen  aus  der  Türkei  macht  die  feine  Bemerkung, 
die  Tabakspfeife  sei  der  Zauberstab  gewesen,  der  die  Türken  aus  einer  der  tur- 
bulentesten Nationen  zu  einer  der  ruhigsten  gemacht  habe.  Unnatur  ist  aller- 
dings die  erste  grobe  Form,  unter  der  sich  der  Mensch  dem  blinden  Triebe  ent- 
zieht, und  so  können  wir  alle  Abscheulichkeiten,  die  wilde  Völker  gegen  ihreu 
Körper  verüben,  hochschätzen  und  als  eine  Regung  der  Freiheit  begrüssen.  Opium, 
Tabak,  Branntwein,  Hanf,  Fliegenpilz  u.  s  w.  brechen  die  Wildheit,  aber  ersetzen 
sie  durch  Stumpfheit  Wenn  Moltke's  Beobachtung  richtig  ist,  dann  werden  auch 
unsere  Socialdemokraten  nächstens  zahm  werden,  denn  man  sieht  sie  selten  anders, 
als  mit  dem  Cigarren-Stumpf  im  Munde. 

99.    S.426. 

Auch  Link,  Urwelt  1,  428,  war  der  Meinung,  der  Apfelbaum  unserer  Gärten 
stamme  nicht  von  dem  europäischen  wilden  ab.  Der  Name  des  Apfelbaumes 
hat  darin  besonderes  Interesse,  dass  er  bei  Kelten,  Germanen,  Litauern  und  Slaven 
derselbe  ist  und  also  einen  näheren  Zusammenhang  des  äussersten  westlicheu 
Gliedes,  des  keltischen,  mit  dem  germano-slavischen,  als  mit  dem  italischen 
Stamme,  mit  beweisen  hilft:  altkeltisch  aball  (wo  all  ableitendes  Element  ist), 
angelsächsisch  äppel^  altn.  epli  (apaldr,  Apfelbaum),  ahd.  aphuly  lit  oholy»y  abolU^ 
altpreussisch  woble^  der  Apfel,  lit.  obelis,  abelis^  altpr.  wobalne  der  Apfelbaum,  alt- 
slavischyoÄ/wAro,  ablvko  der  Apfel,  jablani,  ablani^  der  Apfelbaum.  Wenn  die  in 
Mitteleuropa  von  Osten  her  einbrechenden  indogermanischen  Schwärme,  deren 
Vortrapp  die  nachmaligen  keltischen  Völker  bildeten,  den  Baum  in  den  neu  er- 
kämpften Landstrichen  vorfanden  und  ihre  rohe  Zunge  an  dessen  sauren  zu- 
sammenziehenden Früchten  Gefallen  fand,  so  konnte  es  leicht  geschehen,  dass  sie 
den  Namen  von  dem  Jäger-  und  Fischervolke  annahmen,  das  ihnen  zuerst  auf 
europäischem  Boden  entgegentrat,  —  den  Finnen.    Den  Namen  der  Frucht  bei 


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Amnerkungeii.  505 

diesen  keimen  wir  natürlich  nnr  in  seiner  jüngsten  Gestalt  nnd  wissen  nicht, 
welche  Veränderungen  er  seitdem  erfahren  hat:  estnisch  ti6in,  uvtn  oder  in  dem 
anderen  Dialekt  aun,  oun,  livisch  umärs,  finnisch  omena,  magyarisch  alma  (eben  so 
türkisch).  Wenn  erst  das  Stndium  der  finnischen  Idiome  so  weit  gediehen  ist, 
dass  ans  Vergleichung  der  verschiedenen  Zweige  dieses  Sprachstammes  feste 
Lautgesetze  sich  ergeben,  nach  welchen  auf  die  Urform  eines  gegebenen  Wortes 
geschlossen  werden  kann,  dann  wird  sich  auch  entscheiden  lassen,  ob  die  in  den 
obigen  Namensformen  enthaltenen  Anklänge  nur  zufällig  sind  oder  einen  wirk- 
lichen Zusammenhang  beurkunden.  Griechisch  und  lateinisch  hat  der  Apfel 
eigentlich  keinen  individuellen  Namen,  denn  griech.  fjctXov,  lat.  malum  bedeutete 
die  grössere  Baumfrucht  überhaupt  und  fixirte  sich  erst  allmählig  für  den  Apfel; 
ebenso  das  lateinische  7>omi/m;  auch  hat  malum  den  Schein  eines  Lehnwortes  ans 
dem  Griechischen.  —  Der  in  den  südlichen  Halbinseln  einheimische  wilde  Birn- 
baum —  die  Arkader  sollten  wie  von  Eicheln  so  auch  von  Birnen  sich  genährt 
haben  —  hiess  «;^(>«c,  «/fpcfoj,  der  kultivirte  oyxyri  (schon  bei  Homer)  und 
xoyxyri  (nach  Hesychius),  auch  «77105,  die  Frucht  amov;  aus  der  Vergleichung 
des  letzteren  mit  dem  lateinischen  pirm,  pirum  erhellt,  dass  im  griechischen  Wort 
ein  o  ausgefallen  (etwa  wie  ioi  das  Grift  lateinisch  virus  lautet)  und  das  a  nur 
ein  Vorschlag  ist,  wie  ihn  das  Griechische  liebt.  Das  lateinische  Wort  ging  zu 
den  Kelten  und  Germanen  über,  zum  Beweise,  dass  in  der  Heimat  beider  Völker 
der  Birnbaum  ursprünglich  nicht  wuchs.  Litauer  und  Slaven  aber  haben  für 
die  Birne  ihren  eigenen  Ausdruck:  lit.  krausze,  altpr.  crausios,  slav.  gruia,  chrusa. 
Da  nicht  anzunehmen  ist,  dass  die  Slaven  einen  Baum  sollten  gekannt  und  be- 
nannt haben,  der  in  den  milderen  Wohnstrichen  der  Kelten  und  Germanen  fehlte, 
so  muss  dies  gru^a  ein  Lehnwort  sein  —  aber  woher?  vermuthlich  aus  einer  der 
pontischen  oder  kaspischen  Sprachen,  denn  mit  ^XQ^ij  a^^odiJoq  kann  es  doch 
nicht  zusammengestellt  werden?  Auch  die  Albanesen  haben  ein  eigenes  Wort 
für  die  Bime:  darde.  —  Im  heutigen  Europa  ist  Nordfrankreich,  besonders  die 
Normandie,  das  eigentliche  Apfel-  und  Bimenland,  das  nicht  bloss  die  meisten, 
sondern  auch  die  feinsten  dieser  Früchte  trägt  und  wo  der  aus  ihnen  bereitete 
Cider  {cidrcy  ital.  s/c?ro,  cidro  aus  sicera^  aixtim^  welches  selbst  wieder  ein  alt- 
semitisches Wort  ist)  den  Wein  als  allgemeines  Volksgetränk  vertritt.  Weiter 
nach  Süden,  von  wo  sie  doch  stammen,  ist  es  diesen  Obstbäumen  weniger  wohl, 
—  eine  keineswegs  vereinzelte,  aber  darum  nicht  minder  merkwürdige  Er- 
scheinung. 

100.  S.  428. 

Der  Jäger,  schweigsam  und  scheu  („Im  Felde  schleich  ich  still  und  wild"), 
gleicht  noch  dem  Raubthier.  Thierzucht  aber  ist  schon  voll  Menschlichkeit: 
man  sehe  z.  B.  das  Bild  von  Heinrich  Bürkel  in  der  Neuen  Pinakothek  in 
München:  Schaf heerde  in  der  Römischen  Campagna.  Der  Hirt  geht  voran, 
die  Heerde  folgt;  er  hält  ein  neugebomes  Lamm  behutsam  in  den  Armen,  noch 
andere  trägt  das  Pferd  in  gleichschwebenden  Körben;  die  Mütter  gehen  zu  beiden 
Seiten  und  blöken  hinan.    Wie  human  und  idyllisch! 

101.  8.481. 

Neben  der  Farbe  gelten  auch  die  ocuH  truces,  die  torvitas  luminum^  die 
XaQOTtiiTjQ  i(ov  ou^artov  für  ein  Merkmal  der  germanischen  und  anderen  Bar- 
baren des  Nordens.  Erst  die  Kultur,  die  das  innere  Leben  weckt,  beseelt  auch 
das  Auge,  das  bei  den  Wald-  und  Steppenbewohnern  noch  den  eigenthümlich 
frischen  Blick  des  Jagdthieres  oder  den  scharfen  des  Raubvogels  hat.    Vämböry, 


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506  Anmerkungen. 

Globus  1870,  S.  29  vom  Kurden:  „Besonders  sind  es  seine  Augen,  diese  ewig 
funkelnden,  auf  Unheil  oder  Trug  sinnenden  Lichter,  durch  welche  er  unter 
hunderten  von  Asiaten  erkennbar  wird.  Es  ist  merkwürdig,  dass  sowohl  der 
Beduine,  wie  der  Turkmene  durch  diese  Kennzeichen  unter  seinen  ansässigen 
Stammesgenossen  eben  so  auffällt.  Ist  es  der  unüberwindliche  Hass  gegen  vier 
Wände  oder  der  grenzenlose  Horizont,  oder  das  Leben  im  Freien,  welche  diesen 
Glanz  in  die  Augen  der  Nomaden  hineinzaubem?'' 


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Wortregister. 


(Die  Buchstabenfolge  ist  die  des  lateinischen  Alphabets;  ch  =  x  ^^^^^  hinter  c, 

th  =  d  hinter  t.) 


maced.  äßoLym  487. 

kelt  aball  504. 

'AßdvTiqt  'AjüLOLVTiA  473. 

hebr.  abatticbim  253. 

franz.  abricot  347. 

'Aßv»u!v,  'AjxyMv  473. 

accipiter,  acceptor  495. 

acer,  acernus  491. 

acnua  458. 

actns  458. 

actis  457. 

ixpag  oLXepSog  505. 

did/uLöLg  488. 

hebr.  adaschim  176. 

ador,  adoreus  457. 

ieXkaSeg,  oLe^XonoSeg  37. 

aes  463. 

Aetoler  52. 

Africae     aves,     gallinae 

Africanae,    Afra   avis 

297. 
Agathyrsen  17. 
ager  55. 
ager  arbostus,    ager  ar- 

VU9,  ager  pascuus  101. 
drfyovßiov,  ctyyovpov,    «7- 

yovpw  258. 
armen,  agh  436. 
Syhg  164. 
Agrios  60. 
ital.  agriotta  496 
iypig  55. 
Agurke  258. 
goth.  ahaks  494. 
Ahorn  491. 
slav.  ajda  416. 


Alytxopsiq  1 10. 
OLiyiKwyp  454. 
cdyinvpoq  454. 
xoXoKuvft*  »1705  454. 
goth.  aihvs,  aihvus  36. 
cukovpoq,  OLWkovpog  376 ff. 
eLhjM(rtoL  102. 
dipa,  454. 
CLKTAXOg    184. 

slav.  aiva  200. 
arg  476. 
^oth.  aiz  463. 
axA/uLOLg  36. 
Akarnanen  52. 
äKdorog  491. 
goth.  akeit  73. 
lit.  akis  450. 
oiKpOiT<f>cLk€ig  50. 
goth.  akrs  55. 

OLXT^Ct,    fltXTIJ    14. 

indoeurop.  akva,  sanscr. 

a^va,    zend.,    altpers. 

a9pa  36. 
Alanen  11.  12.  44.  431. 
'Akoivvoi  436. 
alba  sacerdotalis  138. 
Albanesen  13.  53. 
Albanien,  'AXju>fv>)  473. 
span.  albaricoque,  arab. 

al-barqüq  347. 
ital.  albercocco,albicocco, 

bacocco  347. 
Albizzia  Julibrissin  422. 
albus,  aXtpog  282. 
Ak  125. 
iXeictroL  457. 
^AksKrwüyAkexrpvwVfOikex' 

Tojp  263. 


dXexrpvwv ,  d  "kBXTpvAivciL, 
aXexTopig^  gemma  alec- 
toria  265.  295.  491. 

Aleuaden  56. 

goth.  alev,  alevabagms 
474. 

span.  alfalfa  332. 

ctX(|>i,  äXi^iTov  452.  457. 

alica  407. 

alipedes  37. 

alium,  allium  164. 

Allermannsharnisch  163. 
170. 

magjar.  alma  505. 

russ.  almaz  488. 

otkoj^^og  265. 

Aloe,    agave    ainericana 

aXwv]  457. 

ahd.  alpiz,  ags.älfet,  altn. 

dlft  282. 
lit.  alus  126. 
alvei,  alvearia  477. 
'Akvßyi  462, 
lit.    aoQalis,   lett    ämuls 

496. 
maced.  diuLcckog  473. 
ifULA ual^vg  67. 
«/jt*6*  110. 
ital.   amarina,    amarasca 

496. 
äfjLri  104.  471. 
'Ajui^tyyj'^eig  455. 
vitis    Aminaea,    Aminea 
^468. 
cbjuLiTTnoi  48. 

ital.  ammazza  rasino335. 
otjjLfxi  174. 


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508 


Wortregister. 


a/uuuTA  319. 
amurca  92. 

ifvßy&ctkvi,  amygdala  318. 
^  321.  496. 

avoLSevSpclq  67. 

anas  301. 

bask.  andereigerra  499. 

dvipeino&ov  464. 

dv&poLTkvi,  «vdpal  330. 

ADgeln  45. 

ital.  aoguria  259. 

Anis  405. 

Anke,  ahd.  aochunsmero, 

aDcsm^ro  132. 
oivrlov  460. 
iit.  antis,  sl^v.  Qty,  qiq, 

qtica,  qtuka  301. 
ahd.  anut,  ags.  ened,  aitD. 

önd  301. 

ATTEkXoil    477. 

a7r>fv>j  110. 
Apfelbaum  426. 
Apfelsine  365.  366. 
ahd.  aphul,    ags.   äppel, 

altn.  epii,  apaldr  504. 
mittellat.  apile  477. 
olmog,  imov  505. 
ätroSeq  50. 
Aprikose  347. 
lett.  &p^is  501. 
Iit.  apyynys,  apYynei467. 
aquicelos  243. 
Araber  27.  28. 
pers.  aragh  496. 
äpoLxoq,  äpcny^og  180. 
ital.  arancio,  arangus  364. 
arare  55. 

ahd.  arawiz,  araweiz  178. 
goth.  arbaitbs  456. 
Arbusen,  slav.  arbuz  259. 

260. 
arbutus,  arbutum  329. 
arculuin,  inarculum  195. 
oipjl^iSciv'/yoLif^opela'cLq    484. 

485. 
area  458. 
Argos  56. 
goth.  aijan  55. 
aries  454. 
Aristaeus  91. 
ipxrog  450. 
ipjULevMKA  347. 
Armenien  32. 
slav.  armud  200. 
ipveg  450. 


iporpov  55.  451. 
(tpoiü,  apovpA  55    99. 
ionvi  458.  495. 
alban.  arre,  apuct,  AvcLpcL 

496. 
Iit.  arti  55. 
Artischocke  426. 
oLpToq  458. 
äprog  Cu/*iT>j5  456. 
arvum  55. 
asellus  475. 
itai.  asforo,  asfiori  216. 
taurin.  asia  454. 
goth.  asilus,  lit.asilas475. 
asinus  108.  475. 
alan.  Aspar  260. 
persisch  aspest  331. 
kelt  assal  475. 
Assyrer  30. 
Assyria  malus  361. 
A(rr£put;,a8tur,  ital.  astore, 

proven^al.  austor,franz. 

ostor,  autour  307.  495. 
preuss.  asvinan  36. 
Iit.  aszva  36. 
sanscr.  äti  301. 

OLTpOLKTOg    460. 

slay.  ^tükü  461. 
franz.  aube  138. 
ital.  auca  380. 
preuss.  auctan,  aucte  1 32. 
iit  auksas  461. 
aurantium    Olysiponense 

366. 
aurum,  aurora  461. 
preuss.  ausis  461. 
auspicia   ex   avibus,    ex 

tripudiis  267. 
Iit.  austi  461. 
Avaren  12. 
Duces  avellanae  321. 
Iit.  avilys  477. 

-    ayiza,  avizos  467. 
«|iwj  465. 
sanscr.  ayas  463. 
span.  azafran  215. 

B. 

preuss.  babo  459. 
engl,  badger  501. 
badius  489. 

ßASpVOL    312. 

zend.  baevare  446. 
ital.  bajo,  franz.  bai  489. 
j3*i5,    ßcttov,    agypt.    bä, 
kopt.  ßYiT  489. 


Iit.  baländis,  osset.  ba- 
lau,  balön,  balaoD  494. 

Aiog  ßotkcLvog  318. 

ßcnXciAJoriov,  ital.  balaa- 
stro,  balaustrata,  Ba- 
lustrade 486. 

Iit.  balesas  501. 

Balkh  12. 

Balsamine  421. 

zend.  banha,  Banga  484. 

poln.  baDJa  260. 

magyar.  baraczk  347. 

barca,  Borke,  altn.  borkr 
481. 

ßSpig^  bans  481. 

barrus  290. 

russ.  bars,  barsuk,  poln. 
borsuk,  magyar.  borz 
501. 

Bastarneu  47. 

Bataver  46. 

hebr.  batnim  338. 

ßoLTOq,    ßoLTltL    315. 

altpr.,   Iit.  bebrus,  slav. 

bebru  14. 
Becher  405. 
Beete  405. 
Beil  464. 
j3>fxÄ  67. 
cambr.  bele,   franz.  be- 

lette  500. 
bellula  499. 
pers.  beng,  bang  484. 
altir.  b^o  433. 
ags.  beofor  14. 
russ.  berdo,   südsl.  brdo 

461. 
Besser  61. 
altir.  biail,    altcorn.  ba- 

hell  464. 
kelt.  biber,   mhd.  biber, 

ahd.  bibur,  slav.  bibru 

14. 
ßlßhvoq  omq  465.  466. 
Bibracte,  Bibrax  14. 
bidens  104. 
Bier  125.  126. 
altn.  bifr  14. 
Bignonia  Catalpa  422. 

ßiKOq,   ßixloY   181. 

Bille,  Bilchmaus  500. 
pers.  biring,  biran^  408. 
Birsch,    birschen,  franx. 

berser  305. 
neugr.  ßi(r*;vov,  ßiVt!'ov328. 
franz.  biset,  bis  280. 


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Wortregister. 


509 


ßlaral  497. 
□ranz,  blaireau  501. 
slav.  bobrü  14. 
-      bobü  459. 
ßoeug  140. 
Boyypos,     Mar  gas,     Mo- 

rawa  473. 
slay.  bogü  44. 
Bohoe  55.  459. 
franz.  boisseau  192. 

-       botte,   boiter  192. 
ßokßog  164. 
Bolle  168. 
Bordeauxwein  71. 
walacb.  bordeitz  437. 
russ.  bortnik,  poln.  bart- 

nik  477. 
altir.  both,  bothan  471. 
Böttcher  471. 
franz.  botte  471. 
ßp<ißv\ov  311. 
brace,  bracisa,  bracii  1 24. 

127. 
bradigalo  389. 
slav.  braga,  braha,  braja 

127. 
Brauen    126. 
preuss.  brajdis  451. 
lit  bredis,    lett.  breedis 

451. 
altcorn.    breilu,    carnbr. 

breila,  breilw  487. 
messap.  ßp^viog  451. 
slav.    breskva,    praskva, 

broskvina  347. 
armen,  brinz  408. 
Briten,  Britten  17. 
ahd.  briuwan  126. 
ßpi'C«  449.  455. 
altir.   bro,    broo,    broon 

456. 
dän.,  scbwed.,  engl,  brock, 

cambr.  corn.  brochöOl. 
ßpo/üLOc;,   ßpofxwiyiq,    ßpw- 

jULog,  ßpiufjuuSvig  454. 
Brot  456. 
slav.  brüdo  461. 
altir.  bruinne,  brii  464. 
goth.  brunjo,  slav.brunja, 

Brunne  464. 
Brunnen  115. 
lit  bruwSle  126. 
Span,  bruxula  192. 
ßpvrov  120.  126. 
bubalus,  ßovßotXigy  j3ou- 

ßaXoq  384.  501. 


franz.  bucail  415. 
Büchse  191. 
Buchweizen,  niederländ. 

boekweyt  415. 
Bude  471. 
Budinen  431. 
franz.  buisson  192. 
alban.  bukljeza  500. 
engl,  bullace  311. 
Bulgaren  12. 
ßovnXr^i  62.  465. 
franz.  bouquette  415. 
bura  457. 

Burgunderwein  71. 
buricus  476. 
armen.  Busa  478. 
ital.  buscione  192. 
Buse,  Bise  500. 
engl,  bushel  192. 
franz.  boussole  192. 

buste,    ital.  busto 

192. 
engl,  booth  471. 
franz.  bouteille  471. 

ßoVTig^  ßoXJTlOVf  ßyjTic^  ßV' 
TlVYl    471. 

Bütte  471. 

preuss.  buttan,   lit.  but- 

tas  471. 
Butter  132.  405. 
ßoyjTjfov  130.  131. 
Bou[>o'>i  39. 
mhd.  bütze  115. 
buxus,  buxum  188.  189. 
ßyjßXmg  140.  465.  466. 
ByifiUg  488. 
ßv(r(rivov  nirikiufjm*»  143. 
ßyj^invoi  nin'koi  143. 
slav.  byvolü,  russ.  bujvol, 

poln .  bawol,  bulg.  bivol, 

magyar.  bival,    alban. 

bual  502. 


Caecuber  76. 
caelia  119.  127. 
caepa  capitata  163. 
ital.  calamaja,   calamita, 

calamistro  247. 
calamine,  giallamina,Gal- 

mei  488. 
Caledonier  46. 
calocatanos  493. 
calx  115. 
camisia  149. 


camisia  clizana  151. 
canalis  247.  249. 
gall.  candetum  458. 
Cannae  249. 
altir.  caog  494. 
capreolus,  ital.  capriuolo 

453. 
caprificus  453. 
ital.  capuccio  426. 
mittellat.  capus  495. 
Caput  163.  164. 
caracallae  150. 
carbasus  147. 
cardo  64. 
ital.     carrobo,     carruba, 

franz.  caroube,  carouge 

370. 
nuces  castaneae  318.  321. 

322. 
catus,  cattus,  xdrrA  380. 

500. 
ital.  cece,  russ.  <^edevica 

177. 
itel.  cedro  362. 

-  cefaglione  220. 
poln.,  bohm.  cegla,  cihla 

116. 
Centner  406. 
slav.  cepati,  cepiti,  cep, 

cepina  354. 
cepe,  caepa  163.  165. 
cepulla  168. 
altir.  cerc  271. 
cercitis  92. 
cerea  119.  123. 
russ.  deremsa,  deremica, 

(^eremuska  163. 
cervesia,  cervisia  125. 
slav.  desati  170. 

desnükü,     ciesnici 

170. 
ceva  450. 

cicer,  Kicher  177.  179. 
Cider,  franz.  cidre,  ital. 

cidro,  sidro  123.  505. 
sanscr.  pikhi  286. 
ital.  cipoila  168. 

-  citriuolo,   franz.  ci- 
trouille  258. 

citrus,  malum  citreum, 
citrosa  vestis,  citratus, 
Y,irpi(ti  360. 

franz.  cive,  civette  170. 
claie  115. 

claratum,  claretum,  cla- 
ret  75. 


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510 


Wortregister. 


provenQ.  cleda  115. 
mittellat.  clenus  491. 
kelt.  cleta,  mitteil,  cleta, 

slav.  kleti,    lit   kletis 

115. 
irisch  cliath  115. 
kymbr.  cluit  115. 
ital.  cocomero  259. 
poln.  coczka,  czech.  6o6o- 

vice  177. 
altir.  coileach,  coro,  che- 

lioc,  colyek  493. 
colliciae  458. 
altir.  colum,  cambr.,  corD. 

colom ,     bret    koulm, 

klom  284. 
colus  461. 

spaD.  comadreja  499. 
ital.  coppa  471. 
fraoz.  coq,   armor.  cocc 

270.  492. 
corbis,  corbita,  corbitare 

257. 
apan.  corcha  471. 
cornus  326. 
cortex  471. 
corylus,  corulus  496. 
altir.    cos,    cambr.    coes 

455. 
altgall.  cosl  496. 
ital.  cotoguata,  franz.  co- 

tignac  199. 
ital.  cotone  419. 
mala  cotonea  199.  360. 
cotIdus,  covioDUS  49. 
coxa  455. 
vicia  cracca  180. 
crates  458. 
ir.  creamh  163. 
slay.  <5remiga  116. 
franz.  creque  311. 
slav.  6rjesnja  328. 
ital.  crisuommolo  348. 
Cromlech  114. 
cucumis  259. 
Cucurbita  257. 
ital.  cucuzza  257. 
corn.  cudoD,  cambr.  ys- 

guthan,  altir.  ciadcho- 

lum  494. 
culcitae  149. 
culmus  452. 
cumera,  cumerum  257.  ^ 
cuniculus,  xuvtxXo;,  xov- 

vLxkog  371. 
cupa,  XU  TT*),  cuparius471. 


cupressus  Tarentina  232. 

Cypern  489. 

lit.  czepiti,  czepas  354 

Ch,  X. 

XaXctC*  180. 
y^aXxdtp /HAT og  41. 
yäXjco'g  58. 
X*?ug  115. 
XoljuiaI  465. 

'^ÖLjUUTiq    67. 

engl.  Channel  250. 
franz.  chanoine,  chanoi- 

nesse  250. 
Chanteclers  262. 
Xe/pctg  468. 
X(tpfJLoq9l. 
Chaussee  115. 
äolisch  -^{Khoi  446. 
abd.  cbeminata  115. 
franz.  ch^neau  250. 
'^duj  445. 

tranz.  chiche  177. 
XÖp*  457. 
YiXioi  446. 

Chinagras  156.  482. 
ynrwv,  xi»a/v  57.  137.  140. 
äav.  cbiia  478. 
yXä^v5  450. 
slav.  chlebü  456. 
abd.  chlopolouh,  chlovo- 

louh  170.  ^ 
slav.      cbmeli,      chmeli, 

neugriecbisch  y^ovfxih^ 

walach.  bemeju  390. 
phöniz.  Xvf,  'OxvÄ  488. 
russ.  cbomjak,  poln.  cho- 

mik,  slav.  cbomestarü 

501. 
YpVpo5  407.  457. 
Uhorasmier  34. 
y(jpv<rouy\kov  348. 
^pvcog  58.  461. 
pers.  cburu,  churüb,  cbu- 

rüs  270. 

y\j^<£i<ni^  yiy&dißw^  X^" 
&cnory\q  445. 
X^Tol  Hx^eg  445. 

D. 

Dachs  381.  500. 
^i^v^l  484. 
^a<j)v>)  lUMivojuL^Yi  187. 
Daher,  Daer  34.  48. 


Daken  17.  52. 
^«xniXo;,  dactylus  225. 
engl,  damsin,  damson  31 1. 
alban.  darde  505. 
kurd.  dariben  497. 
slav.  dqti,  duni|ti  260. 
franz.  datte,  ital.  dattero, 

span.  datil  225. 
Daube,  Datige  470. 
ffotb.  daubs  280. 
Jäv'xvä,  ^Auy^vog  484. 
i^ipw,  Ss^f^eixi,  &s>f/w  484. 
mhd.  dehsen  500. 
Deichsel  500. 
preuss.  deivas  16. 
delirare  452. 
»evSplrrig,  ^evJom;  101. 
kelt.  dess  168. 
lit  dgvas  16. 
arab.  dhorra  413. 
alban.  di  450. 
arab.  difleb,  defle,  difna 

336. 
kurd.  dik  270. 
^U*  104. 
russ.  dikusa  416. 
Dimallum  450. 
iifxfi^tLi  47. 
lit.  dimkas  164. 
arab.  docbn  413.  503. 
doga,  (ä^x^'  470. 
Dolmen  114. 
A)Wg  248. 
ital.  donnola  499. 
iip\)  219. 
alban.  dren  451. 
ip^nctvov  103. 
lit  drobe  461. 
druppa  92. 
altir.  dubh,  dub,  Dubis 

gotb.    dubo,    ags.    de«, 

altn.  daufr  280. 
pers.  dulb,  dulbar  238. 
pers.  dulbend  419. 
duracina  346. 
preuss.  dutkis  501. 
&u(tpeut  485. 
dak.,  kelt  dyn450.482. 
cambr.  dynat,  danad  482. 
slav.  dynja  260. 


ags.  earfe  177. 
altir.  eis  500. 


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Wortregister. 


511 


ebor  290. 
mag.  eczet  73. 
altir.  ech  36. 
franz.  eohalas  468. 
franz.  echalotte  161. 
IX^X*,^  457. 
jjTijTijpiÄ,  Y^yvifropltL  80. 
eyKitpaUg  223. 
)it.  ^glus,  oglus  433. 
altaachs.  ehuscalc  36. 
Eibe  14.  433.  434. 
vjixcLvog  492. 
elpsa-iijayyi  90.  93. 
Eisen,  goth.  eisarn  464. 
alts.  ekid  73. 

Jikit  311. 

ijXaxcmi  460. 

ehtU,  IXoLiw  85.  89.  474. 

fi<rrii  «>^«*  89. 

ehtuSdtvToq  87. 

ihtrri  241. 

Elch,  Eleo  502. 

yiyjicrwp    "TneplwVy    ^X«e- 

Tpovy  WJxrp<ty  'HXex- 

rpvwv  265.  491.  492. 
'^Xevb^piog  66. 
elix  457. 
6kKs<r(nenXoi,    IXxeYirwvec 

142. 
arab.,  pers.  elmäs  488. 
jftiovos  476. 
Airog,  tktpoq  131. 
tkvfjLA  457. 
fXuyuos  458.  459. 
lit.  emalas,  preuss.  emelno 

496. 

IfX^VTOqy    l/ULff>VT€\J€lV   353. 

proven^.  empeltar  353. 
hSev^pog  101. 
span.  endrina  311. 
Eneter  53.  108. 
franz.  ante,  enter,  proven<?. 
entar,  ndl.  enten  353. 
altir.  io  433. 
ags.  eoh  36. 
sallisch  ep,  Epona  36. 
haoi&ii  17. 
erriTOvoq  140. 
Ephyra  56. 
Epopeus  91. 
flnoi^vg  73. 

*HpÄxX€ourixa   xdpvüL  319. 
ital.  erba  spagna  332. 
Erbse  405. 
Erdrauch  164. 
Ipe'ßivbog  177—179. 


Erigone  61. 
ioiveoq  474. 
ipiov  435. 
lit  eris  454. 
Ipxos  102. 
ipvctrig  67. 
eryum,  ervilia  178. 
Esche  14. 

franz.  escregne  437. 
kelt.  ess  168. 
esseda,  essedum  48. 
Essig,  ahd.  ezih  73. 
Esten  44. 
y^Tpiov  460. 
Etrueker  54. 
lett.  eya  433. 
evallere  458. 
Eucalyptus  422. 
evLnnog  40. 
evww/uLoq  335. 
Euretice  360. 
svarp^TTTOKri  140. 
e^oLipovc^cLi  454.      , 

F. 

faba  180.  458. 

(j)otY*)T6,   facha,    facheta, 

rakecba  494. 
ahd.  fahs  483. 
alteugl.  fairy  499. 
4>o&x)J,  t^ditog   176. 
falco  495. 

ital.  falconetto  309. 
Faleroer  76. 
far,  farina,  farrago  457. 

(pCtpjULßLKol  473. 

ahd.  farn,  farm,  ags.  fearn, 

Farokraut  494. 
f^SCpog  140. 

(j)a(rxeTctt,  (j)fltcrxiW  150. 
(j)a(navo';,  ^(tcicuvLxoq  298. 
(()ctV(rÄ,  di(t<ro'o^vog  276. 

494. 
^oL-4^  276.  494. 
russ.  faza  494. 
^YiyetoL,  ^Yp/uL  489. 
felis,  feles  376£F.  500. 
Senoq  481. 
Fenchel  254.  405. 
Fenster  115. 
cambr.  ffa  459. 

ffuon  487. 
fiber  14. 
ficus  473. 
ficus  duplex,  bifera,  ficus 

caricae,  cauneae  81. 


ital.fieno  d'Ungheria  332. 

filum  461. 

öilv'pa.  481. 

Filz  14. 

Fimmel  158.   , 

Finnen  18. 

Flach  8(neu8eeländischer) 

156. 
ahd.  flahs  483. 
Flasche  405.  471. 
Flegel  405. 
<j)Xoto'5  481. 
ital.  focaccia  456. 
arab.  fokka  119. 
fodere  104. 
^oiviKf]  487. 
^olvixoq  ipvog  221. 
<|)oCwg^  179.  218.  487. 
Sw'keoq,  TOL  ^{uked  437. 
folium  86. 
ital.  formen to  454 
goth.  fotus  468. 
zend.  frath  238. 
franz.  froment  454. 
Fufluns  466. 
cj)ovxots  119. 
^llones  156. 
fumaria  165. 
fundo  445. 
ital.  furetto,  franz.  füret 

372. 
furfur  457. 
engl,  furz,  furze  453. 
fusus  461. 
({)*jXia,  (()uX>j,  <j)uXXov,  d)u- 

rov'y  <j)t/(ri(;,  (pv/uLOL  8d. 
ags.  fyrs  453. 
(j)ur6uw,  (J)UT*Xi*  99. 

G. 

hebr.  gad   173. 

zend.  gadhva  500. 

ital.    gaggia   di    Gostan- 

tinopoli  421. 
lit.  gaidys  493. 
ToLKraToi  464. 
yotX^v\  376  ff. 
slay.  galica,  galka  492. 
altir.  gali  282. 
galla  492. 
canis  gallicus,  span.galgo 

305. 
Gallier  47. 
Silva  Gallinaria  469. 
gallus,  gallina  492. 


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512 


Wortregister. 


Gslmei,  giallamina  488. 
span.  garduna  500. 
ags.  giriere,    eogl.  gar- 

lick,  altir.  gairleog  1 70. 
ital.    garofolo,    garofano 

421. 
garrire  492. 
spaD.  garrobo,  algarrobo, 

portug.  alfarroba  370. 
slay.  gqsli,  Gusli  493. 
Gaspar  260. 
Gautar  446. 
preuss.  gaydis  452. 
71}  (Txtppots  89. 

4»vTgu/x^  100.  105. 
altir.    geidh,    ged,    goss 

301. 
altn.  geirlaukr  170. 
yckyig^  yeX'^i^oOo'bci.i  164. 
Geloneo   17. 
ital.  gelso  317. 
ahd.  ger  464. 

gersta  54. 
preuss.  gertis,  gerto,  ger- 

toanax  493. 
yvjpveiv  492. 
ital.  gesmino,  gelsomino 

419. 
Geten  53.^ 
y^dvov,  7>)T€iov,  7>)ftuXXis 

164. 
albaD.  gjak  133. 

-       gjalpe  133. 
gjascbte  133. 
ital.  giglio  487. 
lit.  gija  461. 
alto.  gj6ta  446. 
lit.  girna,  fn^nos  456. 
git,  gith  173. 
goth.  giutan  445. 
slav.  glagolati  492. 
glans  regia  321. 
Glas  471.^ 
yXeivov,  7X.TV01'  491. 
glocire,  glocidare  493. 
glomus  461. 
slav.  glucbü,   russ.  glu- 

cbarj,    poln.    gluszec, 

slov.  hlucban  494. 
hebr.  Gobel,  pboniz.  Gybl 

488. 
GockelhabD  493. 
70»  173. 

slav.  ^golgbi  284.  494. 
ytvksog  437. 


I  neugr.  youetpL,  yo/mog  475. 
hebr.  gofer  231. 
russ.  goroch  180. 
altD.  got,  gota,  Gotar  446. 
Gothen  12.  445.  446. 

(skandiDavische) 

45. 
graculus  271. 
slav.  grachiiDeugr.7pa^)^o$, 

slov.  grab,  grahor,  gra- 

horica  180. 
TpcLixol,  Graeci  51.  448. 
ital.  grajo  501. 
Graoada  197. 
ital.  granato  198. 
malum  granatum  196. 
scandin. ,    ndl.    grävling, 

greving  501. 
russ.  greda,  greöicba,  gre- 

6ucba  416. 
franz.  greffe,  grefFer  353. 
lit.  grikai  416. 
fran:^  griotte  496. 
poln.  groch  180. 
alban.  grose,  grosa  180. 
Grücken  416. 
slav.  grusa,  cbrusa  505. 
poln.  gryka  416. 
franz.  guigne,  guisne  328. 
span.  guinda  328. 
pers.  gul  486. 
lit  gulbe  282.  494. 
gotb.  gultb  461. 
Gurke  258. 
Gutaos,  Gutos  446. 
gotb.  gutb  478. 
bretoD.    gwenn,    gwiniz 

452. 
yuaXov  455. 
yv'viq  455.  457. 
TÄ  7vT*,  7Vi05,  yoi^w  455. 
yvnrij  yjnctpiov  437. 
mittellat.    gyro,     gyrus, 

gyrare,    ital.    girfalco, 

franz.    gerfaut,    Geier 

495. 
yüpog,  TJpoq,  7^pi5,^  7^- 

p€uu>,  yijpioq^  TvpoLi  ni' 

rpai  456. 

H. 

haba  459. 
Habicbt,abd.  bapub,  altn. 

baükr  305. 
Häcbse  455. 


Hacke  456. 

ags.  hafela,  heafola  163. 

gotb.  hahan  455. 

abd.  bahbila  455. 

slav.  bajda,  bajdina416. 

Haken  455. 

gotb.  Haija  38. 

iran.  balka,  alka  265. 

Hall  436. 

kelt.  haloin  436. 

Halys  436. 

bama  471. 

abd.  bamar  463. 

Hamster,  abd.  bamastro, 

bamistro  381.  501. 
gotb.  bana,   abd.   bano, 

ags.  bona,    altn.  bani 

269.  492. 
ahd.  bauaf,    ags.  hfinep, 

altn.  banpr  158. 
goth.  bangan  455. 
sanscr.  bansas,  banst  301. 
franz.  bard,    hart,   bar- 

Celle  480. 
magyar.  baricska  416. 
ahd.  barinc,  herinc  436. 
Hartriegel   14. 
abd.  baru  483. 

-     basal  496. 
goth.  baubith  163. 
zend.  bazanra  446. 
cambr.,  corn.  bebaue  305. 
Heidenkom ,    Heidekora 

416. 
Helico  464. 
Hellenen  51. 
Henkel  455. 
Heneter  53. 
Henge  455. 
ahd.  henn&  270. 
alban.  heth,  buth  445. 
bibiscus  syriacus  420. 
pers.  bindev&ne  259. 
ägypt.  hinn  479. 
Hippobotos  32. 
hirquitallus,  hirquitallire 

453. 
ahd.  hirsi  459. 
gotb.  blaifs,  blaibs  455. 

456. 
altn.  ost-bleifr  456. 
gotb.  hleithra  115. 
altn.  hlinr  491. 
corn.  hoet,  cambr.  hwyad 

301. 
altn.  hofuth  163. 


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Wortregister. 


513 


foth.  holia  455. 
[olander  14. 
Honig  128. 
oiederd.,  nieder!,  hoppe, 

hop  389. 
altn.  hör  483. 
hordenm  54. 
Hornung  327. 
czech.  hrdch  180. 
ags.  hramsa  164. 
kleinniss.  hredka  416. 
walacb.  hrÜk  416. 
goth.  hmk,  hrukjan  271. 

492. 
mittell.    hubalus,   franz. 

houblon  389. 
mittellat  humlo,  humolo, 

humelo,  umio,   fumlo 

387.  319. 
mittell.    humulas,    altn. 

humall,  fion.,  estn.  hu- 

mala,  bumal  389. 
humus  465. 
Hunnen  12. 
ahd.  buohili  455. 

-     huoD  270. 
mitteil,  hupa  389. 
flpan.  huron  372. 
goth.,  altn.  hus  478. 
hvairban  257. 
hvaiteis  452. 
alto.  hverfa  257. 
HykBOS  26. 

I. 

slaT. jablüko,  ablüko,  jab- 

lani,  ablani  504. 
bebr.  jain  64. 
^oiovsg  448. 
Japygen  53. 
cambr.,  com.,  bret  iar, 

yar  493. 
altir.  Sarn  463. 
slay.jastr^bü,  niss.,  serb. 

jastreb,  jastrob,  poln. 

jastrzgb  495. 
lit.  Javas,  javai,  javena  54. 
slav.  javor  491. 
Jaxartes  34. 
slay.  jazYu  501. 
Jazygen  11. 
dän.  ibe  433. 
Iberer  18.  48.  114. 
altir.  ibbar^  ibar,  jnbar 

433. 

Vict.  Hcho,  Koltarpflansen. 


schwed.  id  433. 
slav.  jeli,  jela  433. 
lit.  jeva  433. 
fr-.nz.  if  433. 
ixrfe  476. 
lllyrier  52.  53. 
kelt  imb  132. 
Immaradus  465. 
ahd.impiton,  mbd.impfe- 

ten,  nbd.  impfen  353. 
albaD.  indi  461. 
Iwoq,  Xwogy  ylv^oq^  binnut 

476. 
inpotus  353. 
gotb.    intrisgan,   intrus- 

gjan  354. 
preuss.  invis  433. 
iov  210. 
altn.  iör  36. 
ixxoc  36. 
\mrd%y\  130. 

ITTTrijXfl^TÄ   40. 

^pnjyec  irtnoodfxoi^  Mijovec, 

Innoi  QpvitxMi  43. 

[nnoni'Koi  43. 

Ttttto;  36. 

"Inftcrdi-^c,  37. 

innorolc^^Ttti  34. 

Inirorpi^og  43. 

a,4>  'Irrnwv  48. 

K^opeg  Innwv  40.  41. 

altn.  ir,  ^r  433. 

irpex  458. 

russ.  iscbak  476. 

Ismariscber  Wein  60. 

Ismaros,  Ismaris  465. 

löToßogri;  457. 

I(rr6q  460. 

slav.  istöba  115. 

Wä,  Iru;  466. 

altn.  itrlaukr  J70. 

juglans  318.  322. 

jugum  461. 

Jüngfercben(Wie8el)499. 

Jute  156. 

abd.  iva,  iga,  ags.  tv,  eöv, 

slav.  iva  433. 
span.,  portug.  Iva,  mittell. 

ivus  433. 
bret  ivin,    corn.  hiven, 

433. 
i|o5  328. 
slav.  izba  115. 
I     -     izvisti  116. 


alban.  ka,  kau  450. 

Kabes  Kappes  405. 

Kabylen  107. 

xfl^X*  450. 

x(txX>ig,  x</xX«g  180. 

KüL-^vq  457. 

slav.  k^döli  461. 

xn&fxUy  KoSueU  488. 

Kc^^oc  58. 

zend.  kabrka  271. 

Kctipoa-^iuv  140. 

Kaiserkrone  420. 

KüixeL  492. 

xJhtfxoi  ÄvXi)Ti)e<fs  248. 

finniscb-estn.  kalja.  kalli 

127. 
Kalk  116. 
KorXXucfltpn'og,  KdiXkUdpitoc 

91. 
Kalmuk-Turguten ,    Kal- 

muken  18. 
Ut.  kaliipa  116. 
xaX\)%\unii  201. 
slav.  kamara  116. 
köIlm]^  468. 
bebr.  kammon  171. 
KAjULOVy  camnm  121. 
finn.  kana  269. 
bebr.    Kanaan,    Kenaan 

488.^ 
XÄVÄYif,   xotvACui,  Kovctßog 

49^. 
KolvöLi  249. 

xcLvciarpov^  xclviarpov  247. 
Kaneel  250. 
bebr.  kaneb  250. 
KtivsoVy  KAveiov  247. 
X0^wot/3f$,cannabi8,  canna- 

bus,    cannabinus  157. 

^158. 
KotvvY),  xdvYiy  canna,  cana 

247ff. 
Kanne,      Kannengiesser 

249. 
xAvujVy  Canon,  kanonisch 

247.  250.  460. 
Kanone  250. 
xatnero^  102. 
xdnict  163. 
xdnvioq  165. 

slav.  kapus,  kapusta  426. 
Kapuzinerlnresse  422. 
russ.  karbysch  501. 
83 

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514 


Wortregister. 


Karde  405. 

litkardelus,  kardeli8480. 
Karer  56.  238.  488. 
hebTy  karkom  212. 
lit.,  slay.  karkti,  karkati, 

krokati  271. 
Karmanien  31. 
xttpnovcioiy  tatar.  karpas, 

charpuz  260. 
lit.  karv^lis  494. 
KdLpvoL  ßAcikotdy    nepctxA 

320. 
KttpvwTig^    xapviüToqy  ca- 

ryota,  caryotis  225. 
ru8s.  kasa  417. 
Käse  405. 
Kaspaf  260. 
Ka(r<rüfxA  13. 
xo^(rr*i'*,x*öTavt*,  XÄcrrot- 

VOLM  320 ff. 
Kastanieobauni ,     aescu- 
lus hippocastanum  325. 

421. 
goth.  katils  475. 
polu.  kawon  260. 
preuss.  keckers,  lieutke- 

kers  177.  180. 

x€&po  HAviKüL  360. 

x^^^po;,  cedrus  359.  362. 
xe(j)«tX>f  162.  163. 
x£d>0trWppiCot,     xe(|>otXu)roV 

163. 
X^XP05  180. 
K€ip€iv^  KApyjveLiy  xeipso'ütti 

435. 
xtixfe  492. 
Kelch  405. 
goth.  kelikn,  kelt  celic- 

Don  115. 
altcorn.  kelin,  cambr.  ke- 

lyn,  armor.  kelen,  ke- 

lenoen  491. 
Keller  405. 
Kessel  405. 
Kelten  53. 
Keltiberer  48. 
mhd.  kemeuäte  115. 
alban.  kendees  493. 
%i)npov  56. 

yi^p(tiuLO(;.  KepctiiASig  460, 
Tot  KepcLa-ut,   x^poKTog,  > 

pcLo^g  326 — 328. 
xepclTM^  cerates  369. 
Kerbel  405. 
xepxfe  460. 


xe- 


lit.  kermusze  163. 
xepwvloL  368. 
alban.  kerp  483. 
lit.  kertus  380. 
preuss.  keutaris  494. 
xiiaXow  164. 
dän.  den  kjonne  499. 
xixt,  xwct  174. 
Kikonen  48. 
mrgisen  18.  21. 
xipxo;  495. 
Kirsche  327. 
Kirschlorbeer  421. 
hebr.  kischuim  253. 
ägypt.  kiti  479. 
phönizisch   kitonet,   ke- 

tonet  137. 
xiTpoLyyvkov  258. 
lett  klaips  456. 
slay.  klak  116. 
russ.,  czecb.  klen,  poln, 

klon  491. 
lit.  klepas  456. 
-    klevas  491. 
xXij3*vov  456. 
xkiv^Tpo^ov  491. 
xXu/dtü  460. 
KhJZeiv  493. 
poln.  kmin  172. 
Knaster  249. 
xv^xo?,  xvvixog  216. 
Knoblauch  170. 
xv/wvvi  455. 
xo^^oc,  xoy^vS^üj  445. 
xoYv  445. 
xoS\juoLkov  199. 
lit   kogas  494. 
xoyjKvvi  505. 

slavisch  kogut,  kohnt270. 
Kohl,  Kohlrabi  405.  425. 

426. 
xoxxa  iuLY}^Ay  uvikovxoxxvyoq 

347. 
xoxxüuv,   xoxxaXogy  xoxxog 

240. 
xoxxvy^cL  343. 
xoxxvuy{kov  311. 
xoxxv^  455. 

xoxxvZw,  xoxxvß^cLq  492. 
slay.  kokotü,  kokosa,  ko- 

kosi,     waJach.    cocos, 

magyar.  kakas,  neugr. 

xoxoToqy     russ.    kocet, 

alban.  kapos  493. 
slay.  koliba,  kolibü  116. 


Kokoxoi<rU  Xdijva  255. 
xokoxvvboLy  xoXoxuVni  254. 

255. 
xokoxvvbd  auy^g  454. 
xokoo'a'oq  255. 
xoXvjUißoqy   xohjjuißd,   co- 

lumba,  columbus  282. 

283. 
slay.  komara  116. 
xofjutpog  3 '29. 
magyar.  komlo  390. 
xofjLiJu,  174. 

russ.,  poln.  komnata  116. 
estn.  konks  455. 
xun'o;  242. 
xon;:>|  120.  388. 
estn.  kook  455. 
Kopf  471. 
Korallenbaum  422. 
Kork  471.  472. 
Koriander  405. 
xopwtwov  173. 
Korinthen  75. 
xop/xA  122.  123. 
xQp\)^if[  257. 
slay.  kosti  260. 
xorivo^y  cotinus  89.  333. 

485. 
slay.  kotlü  475. 
altn.  kräka  271. 
lit.  kralikkas,    russ.  ko- 

rolek,  krolik,  poln.kro- 

lik  499. 
xpilv€iA  327.  328. 
slay.  krastayi,  krastayici 

260. 
lit.  krausze,  preus«.  crao- 

sios  505. 
xpixtiv  460. 
slav.  kre^t  495. 
xplßctvov,  xptj3*v*|,   xpißflt- 

vwTog  456. 
Krieche,  Kreke  311. 
xpijuLvov  458. 
xpivov  202.  486. 
xpt&r  54. 
xpox>i  460. 
xp/xflc  212.  ^ 

Kpofxvwv^  Kpe/xvtüv,  xpo- 

jULXfOV  162. 

slay.  kropiya  482.  483. 

krosno  461. 
xpoca-wTwv  140. 
xpu/Cciv,  crocire,  crocitare 
271. 


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.Wortregister. 


515 


Krag  405. 

slay.   krütü,    niss.   krot 

380. 
rnss.  krysa  380. 
xrk  376. 
Kuban  260. 
Kufe  405. 
finn.,   estn.  kukko,  kuk 

492. 
neugriechisch  xoiocoumpto^ 

Kukuruz  413. 
KQmmelyahd.  chumil405. 

475. 
mhd.  künolt,   Küoiglein 

499. 
Kurbiss  260. 
niss.  kurluk  417. 
KoOpm  123. 
lit.  Kurtinys  494. 
slaT.  kurü,  kura  270. 
lit  kwetys  452. 
xuaiuLoq  459. 
f4S(kov  Kv^wviov  199. 
xviwvo  juLeKi  199. 
altn.  kjkiiogr,  ag8.  cicen, 

cyceo  492. 
xvxyt'ZA  257. 
Küxvoq  257. 
xv^t  174. 
xo/iuvov  171. 
Kumme,  Kumpen,Kumpf, 

^405. 
xvvtxXog^    xovvtKkog    371. 

499. 
xvnetpia'<rog  231. 
xupßig  257. 
xvTivog  486. 
xi/rt(ro5,  cytisas,  cytisum 

ILvTwpogy  KvTuipov  485. 


labos  456. 
'Kdtf^vvi  485. 
ahd.  lagella,  mhd.  lägel 

475. 
pers.  läleh  486.  ^ 
franz.  lapin  373. 
Larisa,  Larissa  56. 
laserpitium  159. 
slay.  lastoSka  499. 
Latiner  54. 
Lattich  405. 


hlbvpog  180. 
lett  laudis  445. 
altn.  laukr  168. 
laurix  372.  499. 
laurus,  Lauren  tum  484. 
laurus  insana  187. 
Lavendel  405. 
lavo,  Lavinia,  Lavinium 

484. 
ital.  lazzeruolo  419. 
ags.  Ie4c  168. 
slav.  lebedi  282. 
Ußyipk  499. 
gotb.  lein  482. 
Xeipiov,  lilium,  lirio  202. 

486. 
goth.  leithus  126. 

lekeis,  leikeis,  slay. 

lekari  17. 
Leleger  52. 
lens,  magyar.  lensce,  lit. 

lenszis  177. 
lit.  lepa  481. 
UnBLv,  Xenrog  481.  499. 
>Jnopigy  iepus  499. 
slay.  lesöa,  l^sta  177. 
lit.  leti,  letas,  letus  446. 
Letuva,  Letuvis  446. 
Leute  445. 
Leuconica  149. 
"kevx^oLy  "kevKdU  137. 
'ksvxd'kivov  137. 
kexjKonwkoi;  42. 
über  481. 
Liber,  Libera  66. 
mittel!.  Ubisticum  405. 
libum  456. 

Libycae  volucres  297. 
Libyer  18. 
licium  461.  481. 
Liebstöckel  405. 
franz.  lifege  472. 
altir.  lieig,  liagh  17. 
ligo  104.  458. 
Ligurer,  Ligyer,  Liguses 

54. 
Ligures  asperi  53. 
Ligusterbaum  422. 
slay.  lijati,  liti  446. 
hx/uL^g,  'KacfM'yin^p  457. 
"kixvov  457. 
ital.,  span.  lilac,   franz. 

lilas  420. 
limes  decumanus  64. 
ital.  limonata  364. 


Limone,  limones,   arab. 

limün  364. 
mhd.  linboum,  limboum 

nhd.  Lehne  491. 
altir.  lind  126. 
Lind,      Linde,      Lind- 

schleisser,  ahd.   linta, 

ags.,    altn.  lind,  altn. 

lindi  481.  482. 
Lingonica  149. 
altcorn.  linhaden,  armor. 

linad,  lenad,   linaden 

482. 
ir.  linn,  lionn,  leann,  llyn 

126. 
XiW,linuml40. 141. 143. 

144.  482. 
XtvoWptig  141. 
Linse,  ahd.  linsi,  mhd. 

linse  177.  405. 
legio  linteata  145. 
libri  liutei  144. 
linteum  481. 
alban.  Ijope,  Ijopa  450. 
slav.  lipa  481. 
lira  452.  458.  ^ 
XlarpoVy  ydOTpevix)  104. 
XiTÄl   17. 

Litauer  44. 

XiTi,  Wtä  481. 

goth.  liudan,  slay.  Ijudü 

445. 
Lokrer  52. 
/ioKpüjv  rJv^yi/xct  164. 
Xondg  499. 

ahd.  lorichi,  lorichin  499. 
russ.  loschak  476. 
ahd.  louft,  loft  481. 

.     louh  168. 
slay.  lubu,  lübü  260. 
preuss.  ludis  445. 
lit.  lukai,  slay.  luku  168. 
goth.  lukan  168. 
lit  lunkas  481. 
lue  484. 
lit  lupti  481. 
lupus,  ital.  lupolo,  lup- 

polo,    mitteil,  lupulus 

389.  390.  391. 
altir.  lus,  kymr.  llysiau, 

corn.  les  168. 
lütertranc  75. 
franz.  luzerne,  prov.  lau- 

zerdo  332.  333. 
Lykier  11. 
83* 


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516 


russ.,  poln.,  czech.  lyko 

481. 
AuVios  66. 
lit.  lyti,  lytus  446. 


slav.  ma^a,  macek  500. 
Madeira  489. 
wi^pvtt  311.  312. 
Magnolie  422. 
/uMifxti<r(rit} ,       ficti/iJLJixTyig, 

fJMljUMXT'^pM   330. 

Maira  61. 
Makedonen  52. 
fjLdlKeXhi  104. 
goth.  malan  456. 
sdban.  mallj  450. 
lit  maloo8  55.  458. 
julSlKovj  malum  505. 
uaXo^opog  101. 
Malz  126. 
Mamaliga  413. 

/ULAjüLOLTig   67. 

mantela,  mantelia  146. 

gotb.  roanaseths  446. 

mannus  476. 

ital.  marasca,  franz.  me- 
rise  327.  496. 

marca  marcisia  124. 

osset.  majgh  268. 

uAp'ioi  37. 

Märkte  115. 

portug.  marmelo,  Mar- 
melade 200. 

Maron,  Maroneia  465. 

ital.  marrone,  franz.  mar- 
ron  496. 

Mäschel  158. 

slav.  maslo  133. 

massa  456. 

Massageten  11.  12.  34. 

Massiker  76. 

ufltcm'/^tj  343. 

Mauer  115. 

^{ot  456. 

altir.  meall  450. 

slaT.  mechü  450. 
-     meöika  450. 

Meder,  Medien  31.  32. 

magyar.  medgy,  medgyfa 
496. 

/Li)]^>}    ItidL^    fXY\iiK1f[  331. 

/a/^o;,  cambr.  med,  lit.  me- 
du8,  slay.  medü,  med- 
Tinica,  medari  128. 


Wortregirter. 

Meerrettich  405. 

Mey cLp^iuv  &(iKp\jcL  163. 

Meile  406. 

ueipofjMi  469. 

ital.  melagrano  198. 

melantbium ,     melasper- 

mon  173. 
ital.  melarancio  364. 
Melas,  Melantheus,  Me- 

lantbios,  Ziegenhirt 60. 
juLsUAypk  294 £f. 
Melerpanta,  Bellerophon- 

tes  473. 
ital.  melga,  meliea  413. 

-  melia  azedarach  419. 

-  meliaca,  muliaca  347. 
jüLskiri  433. 

melimela  199. 
MeXivo<j)A70i  459. 
fieklvvi  55.  458. 
melis,  meles  376.  500. 
Melisse  405. 
ucXiTwv  128. 
Mellodünum,     Mellosec- 

tum  450. 
melo,   melopepones,  /xi]- 

Xoitiitijjv  256. 
fxvihi  juLeh   199. 

357.  358.  360. 
Melone  260. 
Melun  451. 
span.  membrillo  200. 
zend.  meregha  268. 
Mergel  405. 
ui(rnikov  328. 
Messapier  53. 
lit.  meszka  450. 
fxiToXKov  58.  462. 
metere,  messis  458. 
Meth  127.  128. 
ueropXiov  103. 
fiibxj  111.465. 
ital.  micio  500. 
altir.    mid,    lit.    middus 

128. 
span.  mielga  332. 
Mieze,  Miezchen  500. 
mitteil,  milica  413. 
milium  54.  458. 
goth.  milith  128. 
mille  446. 
uiUÄ&tuXöv  329. 
Minyer  52. 
kroatisch,    serbisch    mir 

116. 


Mirabelle  312. 
russ.  mischka  500. 
slav.  miskü,  misgii,  miäte 

476. 
jap.  Mispelbaum  422. 
ahd.  mistil,    Mistel  328. 

496. 
arab.  mitkon  321. 
uiTo;  460. 
Mohn  254. 
Möhre  426. 
molere  451. 
mollusca  nux  322. 
Molosser  52. 
fxujkv  167. 
Mongolen  12.  20. 
juöp*,  fjLwpA^  mora,  neugr. 

fjLiupsA  315.  317. 
moras  75. 
fxßpr/Lovy  Morgeten,  Mur- 

gentinum  469. 
uoputi  89. 
Mörtel  115. 
ital.  moschetto  309. 

-     mostarda  174. 
preuss.  mosuco  500.  ^ 
juuoTüVBqy  fjuliruvQiy  Moövwi- 

xoi  462. 

fJUOTA    319. 

kurd.  mrishk  268. 

mucus  496. 

Mühle,  Müller  456. 

mulus  388.  476. 

Münze  405. 

altir.  mdr  115. 

poln.  mur  116. 

pers.  murgh  268. 

Musin  19. 

alban.  mu^ke  476. 

mustela,  mustella  376 ff. 

500. 
franz.  moutarde  174. 
Mutt  406. 
/LLvylog  476.^ 
ymix>jp05,  jULOvnvipoq  496. 
juixßpioi  446. 
fjt,vpoßdhtvoq  312. 
fivpov,  fivplvyi  fMvppA,  ^vp- 

flivij,  /Liupcrinj,    (TfxyjpvfLy 

Myrene  485. 
uvpTog  485. 
Myser  62.  109. 
luL'J<r(ru}  496. 
yu-vg*,  myxa,  myxum  496. 


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Wortregister. 


517 


N. 

Nabatfier  29. 

v&TTü,  Dapus  173. 

pers.  nareD^,    arab.  d^ 

ran^i    byzant.    vepdvT' 

Ciov  364. 
slay.  narodii  445. 
goth.  nati  482. 
lett  Batra  482. 
Naukratische  Kranze  182. 
finD.  nauris,  estn.  naris, 

nairis,     weps.    nagris 

459. 
alay.  nayoT  461. 
Nelke  421. 
altir.  nenaid  482. 
vr,pi0V9  vvipoqy  vApog  335. 
NesaioD,  Nesaea,  l^fi<rog 

33. 
kelt  nessöOO. 
vrj<rccL  301. 
ags.  net,  netele  482. 
slay.  nevestüka  499. 
Ni^aya  34. 
Nisaea,  Nisiaea,  Nktcuoi, 

NT(ros  33. 
slay.  nitr  461. 
preuss.  noatis  482. 
lit  notere  482. 
nuceres,  nucerum  496. 
Numidicae  aves  297. 
Numidicae  guttatae  297. 
Nuragen  114. 
nuxpontica,  graeca,Duce8 

calvae  319—321. 
neugr.  vvfx^vTA  499. 
lit  nytis  461. 

0. 

bretoD.  oazil  469. 

lit.  obolys,  abolis,  obelis, 

abelis,   preuss.  woble, 

wobalne  504. 
lit  obszru8  501. 
occa  458. 
ags.  oced,  slay.  ocitii,  serb. 

ocat,  poln.,walacb.ocet 

73. 
oculi,  ocalus  246.  450. 
tüx/'os  180. 
franz.  oeillet  421. 
Ocnotrer  468. 
07X1^  505. 


russ.  ogurec,  poln.  og6rek 

258. 
Ohm  471. 
I  franz.  oignon  170. 
loivo^,    oivapov,    orv)}    276. 
I      466. 
Oinens  60. 
owoq  64.  465.  466. 
OivuiTput,   Owmrpoiy  olvui- 

rpov  67. 
Oinotropoi  275. 
oiffo^y  oi(rig,    ourov,   ourvcc-, 

oiax/'ivoci  469. 
iuxhg,ujxvno&sg,  luxvn^reig 

36. 
altn.  öl  126. 
ital.    oleandro,    ieandro 

337. 
oleastella  93. 
!  oleum  92.  474. 
oleum  Liburnicum  95. 
I  oliya  92.  474. 
^  felix  oliya  89. 
oliya  Liciniana,  Licinia, 

Sallentina,  Sergia  93. 
yiyax  oliva  90. 
ohiuLog  457. 

slay.  olü,  oloyina  127. 
Avvbog  474. 
ohjp(t  Abi. 
slay.  omela  496. 
finn.  omena,   liy.  umärs 

505. 
wjüuo'Kivov  137. 
onager  21. 
ivog  475. 
opulus  469. 

Opuntiencaclus  2.  422. 
altir.  6t  461. 
slay.  orachü,  or^cbü  496. 
franz.  orange  364.  365. 
orarium  146. 
orchis  92. 

Op5^0t,    <j)VTU)V  ipl/^ATOL  103. 

Orestheus  60. 

oü€\jgj  ovpevg  HO. 
Orgel  475.^ 
I^evyog  ipotov  110. 
oplvSvig  Aprog,  oplv&A,  oplv- 

Aov407.  408. 
^pivU  67. 

cjoo'ß«>exo?,  opoßclKXy\  486. 
opoßog  178. 
ipoxctpvov  319. 
oppdg  130. 
oithampelos  67. 


cfpvC*  408.  409.  455. 
franz.  osier  469. 
slay.  osilü  475. 
Osmanen  13. 
oarjpAKig  242. 
mvfj  137.  139.  140.479. 
oyatio  93. 
o^og  73. 
oxygala  132. 
oJ^^xpoLTOv  73. 

0^ fJLClXcf,   312. 

Ozolae  162. 

P, 

noLTüg  130. 

palea  457. 

pali,  pacli,  pagU  67. 

pallaca,  pallacana  165. 

pallidus  280. 

palma    237  —  240.    290. 

488. 
palmare,  tunica  palmata 

222.  223. 
Palmosa  488. 
palmula  225. 
Palmyra,    Palmira   224. 

488. 
palumbus,  palumbes,  pa- 

lumba  280. 
franz.  pamplemous9e364. 
ital.    panciera,     Panzer, 

pantex  464. 
ital.    pane    di  zucchero, 

franz.   pain    de   sucre 

456. 
panicum  457. 
panis,  pane  458. 
Pannonier  53. 
jravon'KU  142. 
lit.   papartis,   poln.   pa- 

pro6,  russ.  paporot  494. 
Paphlagonier  109. 
lombardiscbePappel  422. 
Trdnnog  343. 
finn.  papu  459. 
noLpAßdrai  47. 
noLpctßlvi  120.  466. 
zend.  paradbäta  497. 

parena,      perena, 

pers.   par,   kurd.  per 

494. 

tTApTOLg  67. 

Parther  11.  34. 
russ.  parus  152. 
noLO'caXog  67. 


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518 


Wortregister. 


franz.  past^qae  259. 
Patmos  488. 
pavus,  pavo  290. 
traoz.  pecbe  347. 
ital.  pecora  380. 
n>iSog,  nviSov,  ni^iivogy  pe- 

dare,  pedameotum,  pe- 

dum  468. 
TTviydLvov  iypiov  168. 
goth.  peikabagms  179. 
neiKeiVy  nixsiv  435. 

pecto,  pecten  435.  483. 
Pelasger  51.  448. 
lit.    pele,    preuss.    peles 

500. 
TrAeiÄ,  neXeio[Seg274.  275. 

276.  280. 
n£k€Kvq  465. 
jrfX/;,  nektogy  nek'kog,  no- 

Uq  280. 
pelzen  353. 
ru88.  penka,  poln.  pienka, 

czecli.    penek ,    penka 

484. 
niitiuv  255. 
zend.  perethu  238. 
nepiarepel^  nsaKTTepog  276. 

493. 
%€vx(tijr6pt<rT€paLi2S0,  281. 
nepiarepeujv^  nepiTrepoTpo- 

4)fTov  276.  283. 
slav.  pero,  prati,    pariti 

493. 
ital.  persica,  pesca  347. 

-    pescanoci  347. 
lit.  peska,  slav.  pesükü, 

ru8s.  pesok,  poln.  pia- 

Bek  179. 
lit.  p^szti  435. 
Petersilie  405. 
Petitpas  293. 
slay.  petlü,  serb.  pijetao, 

croat.  petelin  493. 
ru88.  petuch  493. 
Peucetier,  Picentiner468. 
n€\jx>i  241. 
Pfebe  260. 
Pfefferbaum  423. 
Pfeiler  115. 
Pferd  406. 
Pfirsich  347. 
Pflug  457. 
Pforte,  Pfosten  115. 
pfropfen,  Pfropfreis,  pro- 

pago  353. 


Pfund  406. 

mhd.  pbisel,  phieeel  115. 

Phönizier  56.  63. 

Phryger  11. 

Phytios  60. 

picea  sativa  243. 

Picti  17. 

slav.  pietlü  261.  493. 

-  pigva  200. 
naUpiov  130. 
neugriechisch  7rtxpo^otd>i^ 

337. 
pila,  pilum  458. 
pileus,  pilleus  14. 
ahd.    piJih,    nhd.    Bille, 

Bilchmaus  500. 
liiKog  14. 
pinguis  130. 
ttTvov,  nmg  126. 
pinsere  178.  452.  458. 
franz.  pioche  104. 
ahd.  pipar  14. 
alban.  pire  127. 
slav    pirü  127. 
pirus,  pirum  505. 
mittell.     pisalis,     pisale 

115. 
Pischdadier,  pers.  p(^sh- 

däd,    huzvar.  peshdät 

497. 
Tfurog,  Trio'o'?,  ttutov,  ttiVo'ov, 

pisum  179. 
iticrdKioVy    ßirrdKiov,   ni- 

öTÄx»!  338.  487. 
niTvtg  243. 
nlrvpct  457. 
niTvg  241. 
Pityusen  489. 
slav.  pivo  126. 
placenta,  nXctKOiig  456. 
Platane   (amerikanische) 

240.  422. 
nXATdvKTTog^  nXdroLvoq  238. 
litplaukas,  plausza8483. 
plaumorati  457. 
Pleot  417. 
nX^l^innog  41. 
alban.  pljak  448. 
slav.  plinüta  116. 

-  plita,  poln.,  lit.  plyta 
116. 

poln.  ploskon  484. 
plovum  457. 
slav.  plüchö  500. 

plugü  457. 

plüsti  14. 


noictg  ocloXot,  noSijjxeeq  36. 

slav.  podüsiva  13. 

Poenus  488. 

poln.  poganka,  czech.  po- 
hanka,  pohanina,  ma- 
gyarisch poh4nka  416. 

noxog  435. 

Polei  405. 

nohg  445. 

poUen  457. 

noXrog  456. 

ital.  pomata,  Pommade 
133. 

Pomeranze  364. 

ital.  pomo  di  paradiso, 
d'Adamo  364. 

Pompelmuse  364. 

pomum  505. 

mittellat  ponticus  364. 

populus  17.  445. 

porca  458. 

porrum  164. 

neugriech.  noproyaXeoiy  al- 
banesisch  protokale, 
kurd.  portoghal  366. 

posca  73. 

slav.  poskoni  484. 
povoloka  482. 

praecoqua,  praecocia346. 

pramneisch,  n'pa^uyiog  466. 

npdo'ov  164. 

slav.  pr^deno,  pr^divo, 
pr^slica,  pr^sti  461. 

Preussen  44. 

dac  npuL&vikA  389. 
-  ,  kelt  propedula  450. 

npagKS^oikAioL  150. 

slav.  proso  459. 

ital.  prugnola,  franz. 
prunelle  311. 

npov/mvov  310. 

prunus  310. 

Pruzzi  44. 

•d/ivdgy  >//ivo/ucii  469. 

Psophis  489. 

TTripvyeg  142. 

nTur<reiy  458. 

nrvov  457. 

itTViTtriu^  nrd'izgy  tttvxto; 
485. 

pullua  280. 

puls  456. 

malum  punicum  195. 

lit.  pupa  459. 

lit.  purai,  preuss.  pure 
452.  453. 


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Wortregister. 


519 


dav.  pu^ka,  puska,  pus- 
kari,  magjar.  puska 
192. 

abd.  puzza  1 )  5. 

TrücLjUioqy  TTUAvoq  459. 
czech.  pyr,   russ.  pyrei, 

slav.  pyro  453. 
TTüpyjysq  242. 
jrvpcg  452.  457. 
nvlog  188.  485. 


goth.  qualm  US  456. 

quius,  nbd.  quick 
492. 

R. 

eugl.  rabbit^    franz.   ra- 

bouilli^re  499. 
slay.  rabota  456. 

radlo  451. 
radius  461. 
radix  Syria  405. 
lit  rdgas,   ragotine,  ra- 

guttis  327. 
gotb.    skaudaraip,    abd. 

reif  480. 
rallum  458. 
Rams,  Ramse],  Ramser, 

engl,  ramsen,  ramson, 

buckrams  163. 
Ranunkel  421. 
rapa,  rapum,  pdrrvg  459. 
Raps  426. 
rastrum  458. 
gall.    ratis,    altir.    ratb, 

raitb ,      com.     reden, 

cambr.  rbedyn  494. 
Ratte,  abd.  rato  380. 
goth.  razn  478. 
Rebbubn  480. 
altn.    refr,   schwed.  räf, 

dän.  räv  299. 
ital.  renso  148. 
abd.  repa  467.  480. 
slav.  repina,  repij  491. 

repa  459. 
Relticb  405. 
]it  reszutas,  reszutys  496. 
slay.  revitovo  zrino  179. 
czecb.  Tei  454. 
rbododapbne,  rbododen- 

dron  334.  336.  496. 
cambr.  rhyg,  rbygen  454. 


ridicae  67. 
franz.  riguet  454. 
semit    rimmon,    plußcLi 

486. 
Rimmon,  Hadad-Rimmon 

193. 
Robinia  422. 
abd.  rocco  454. 
loSaxivA  347. 
*Po&€ut,  *Po»onfi  201. 
slav.  roditi  445. 
po&ov,  ßpo%v,  po^iA  202. 

486. 
altn.  rofa  459. 
^oitl^  pod  193. 
portug.    roma,    romeira, 

ital.     romano,     franz. 

roroaine  197. 
lit.  rope  459. 
rosa  204.  487. 
pascba  rosata,   rosarum 

208. 
Rossj  (Fluss)  24. 
magyar.  rosz  454. 
mss.  ro^  454. 
Rübe  54.  426. 
Rübsen  426. 
preuss.  rugis,  lit.  mggys, 

altn.  rugr  454. 
mma,    ficus    Ruminalis, 

Ruminus,  Rumina  81. 

473. 
mmpi  469. 
runcare  458. 
slav.  runo  435. 
poOg  344. 
slav.  rusalija  208. 

-  rüvati  435. 
ags.  ryge  454. 

S. 

Saale  436. 

sabaja,  sabajnm  120. 

Sabos,  Sabazios  465. 

mittellat.  sacer,  ital.sagro, 
franz. ,  span.  sacre, 
mbd.  sackers^  mittelgr. 

(TCLKpB  495. 

Sabellische  Stamme  54. 

Sabus  468. 

Saflor,      engl,     safflow, 

zaflfer  216. 
ital.  saggina  414. 

-  Bagro  309. 
lat  sagulum  152. 


sagum  151. 

sanskr.  sahasra  446. 

abd.  sahs  463. 

lit  sakalas,  slav.  sokolü 

495. 
Saken  11.  34. 

O'OLKKOg    58. 

arab.,  sakr.,  pers.  sonkor^ 
kurd.  sakkar  495. 

Salassi  436. 

Salbe  132. 

samolus  496. 

Sancus  468. 

franz.  sappe  104. 

Saracenen  29. 

grano  sai^ceno,  ble  Sar- 
razin 415. 

Saraparai  449. 

"ScLpOlOLVCU    ßothlLVOl    319. 

<rtip^g  479. 
'ScLpSovac^v  138. 
a-dpi  174. 

sarire,  sarrire  458. 
Sarmaten  17.  44.  45. 
sarpere,  sarmentum  458. 
sanscr.  earpis  131.  133.« 
ital.  sassajuolo  283. 
Satren  61. 
"^SdtjctäAi  465. 
ital.  scalogno  161. 
vitis     Scantiana,      silva 

Scantia  468. 
abd.  scgro  380. 
Schalotte  161. 
Scheffel  406. 
bebr.  scbikmim,    scbik- 

mot  314. 
(T^Tvo;  86.  343. 
Schmeer  132. 
ffXoivog  458. 
Schontbierlein ,      Schon- 

dinglein  (Wiesel)  499. 
ags.  scräf  437. 
mitteil,  screona  436. 
pers.  sßb  486. 
altir.  sebocc  305. 
secale,    walacb.     secdre 

454. 
Segel,   ags.  segel,  altn, 

segl  152. 
ital.  segola,  segala  454. 
canis  segusius  305. 
abd.  sßb,  sech  455. 
altir.  seib  459. 
Seidel  406.  471. 
franz.  seigle  454. 


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520 


Wortregister. 


goth.  seiteins  126.  179. 

slav.  seldi  436. 

lett.  selts  461. 

Semben  44. 

Semele  465. 

(TB/xl&ötXi^  458. 

'SBfxlpoLfjug  278.  279. 

Semiten  56. 

altirisch  seol,  sool  152. 

serere  451. 

kelt.  ses  168. 

(rdo'ehg  174. 

(revrXov  405. 

(rlßSvi  486. 

sicale  454. 

Sicyon  oiivifera,    Sicyo- 

nias  baccas  90. 
Sichel  405. 
(n'*»i  193. 
Siebe  147. 
Siegwurz  163.  170. 
Sigynnen  35. 
neugr.  cacoLki  454. 
a-UepoL^  sicera  505. 
(T&tu;,  Sicyon,  cUvoq,  ctxyjdt. 
.  254.  255.  473. 
altn.  Bild  436. 
(tOci  174. 
siligo  457. 
siliqua,  eiliqaae  syriacae 

369. 
lit.  Silke  436. 
slav.  ^ilo  13. 
SUphion  92. 
goth.  silubr462. 

(TifX^Ol,    111. 

Bimila,  similago  458. 

sinapi,  sinapis,  senapis 

173.  174. 
ariv&dveq  xotroLploLi  150. 
preuss.  siraplis  462. 
ü-{<rapov  174. 
(tTtoc  453.  457. 
ahd.  siula  13. 
ßlav.  siwak,  siw^  280. 
ital.  sizer,  sezer  180. 
russ.  sizjak,  sizyi  280. 
(TjcÄTTrctv,   (TxanTifp,  (Txä- 

ndvYi  104. 
slav.  skar^du  164. 
a-xy^  des  Orestes  183. 
(TK\XKa,  164. 

C^^poSoVy   (TK^p&OV    163. 

slay.  slana  180. 
-     slanutuku  180. 


Slayen  43. 

ahd.  sl^hä,   mhd.  siehe, 

slav.  sliva  311. 
slivovica  312. 
goth.  smakka  473. 

(T^JUM^     111. 

(TfxtkaL^y  CfMkog  390. 
lit.  smiltis  179. 
cjuuvyjg,  c/MvyjTi  104. 
slav.    smokÖYi,    smoky, 

smokva  474. 
schwed.     smör,     smorja 

132. 
franz.  soc  455. 
slay.  socSiYO,  poln.  socze- 

yica,     russ.     so6evica, 

czech.  soöovice  177. 
slav.  socha  455. 
Söller  115. 
ital.  somaro  475. 

-  sommaco,  arab.  som- 
mdq,  (royjfjLAKi  344. 

Sonnenblume  259. 
lit.  sora,  soros  451. 
ital.  sorgo  413. 
(rndhl  224.  488.  489. 
Spargel  405. 

(TTtipTtL  483. 

Spartgras  137. 
<ntibv\y  spatha  460.  489. 
Speicher  405. 
Spinde]  58. 

spionia,  spinea  67.  469. 
sporta  483. 
a-mjplg  483. 
slav.  srebro  462. 
srupü  458. 

-  stado  24. 
lit.  st4kles  461. 
slav.  stanü  461. 
(TTifyLtuiv,  stamen  460. 
Sterz  417. 
slay.  stiblo  452. 
arl/x/uu,  (Trißi  174. 
stipa    tenacissima     1 37. 

158. 
stipula  452. 
stiva  457. 
ags.,   altn.  stod,  lit.  sto- 

das  24. 
Stoppel  452. 
stramenta  148. 
Strasse  115. 
strigare  458. 
(Trpoßikog  242. 
malum  strutheum  199. 


Stube,  ital.  stufe  115. 

ahd.  stuot  24. 

stupea  messis  144. 

(TTupdl,  storax  344. 

suber  472. 

subula  13. 

sudarium  146. 

sudes  67. 

suere,  sutor  13. 

kelt.  suh,  soch  455. 

supparus  146. 

ahd.  surio,  sqito  170. 

ägypt.  sus  26. 

Susa,  <ro(}<rov^  susan,  Su- 
sannah 202.  486. 

ital.  susina  311. 

Svatovit  44. 

slav.  sveklü  405. 

lit.  svogunas  170. 

avMiuuvog.  avai fjuapo^  crv 
Kttfjuupeet,  neugr.  o^xo- 
l^y^ysd  314—317.  473. 

(TVKOv  255.  471. 

Syringe  420. 

TÜgy  sus  471. 

lit.  szaka  455. 
-    szarmonySy    szermo- 
nys  500. 

poln.  szczur  380. 

lit.  szeiva  461. 


finn.-estn.  taari,  taar  127. 
rcLTJTTujKoi  40. 
Tadmor  224.  488. 
taeda  360. 
finnisch  taivas,  estn.  tae- 

vas  16. 
talla,  tala  165. 
talpa  379. 

hebr.  tamar,  tomer  224. 
finn.  tammi  434. 
Tanais  34. 
rtiwg  287. 
Tarantas  259. 
Tarpan  19. 

7aX?  TapT^o-ff^  372.  373. 
czech.,  kleinruss.  tatarka, 

magyar.  tat4rka  416. 
preuss.  tatarwis  299. 
Taterkorn,Tatelkorn  41 6. 
finn.  tattari,   estn.  tatri 

416. 
tausend  17. 

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Wortregister. 


521 


taxo,  taxus,  tasso,  taxeus 

433.  501. 
estn.  tedder,   Add.  tetri 

299. 
pers.  tedzrev  299. 
tegula  405. 
franz.  teiller  481. 
lit.  tekinti  500. 

TÄCTüUV,    T^V>J    500. 

tela  461. 

temo  457. 

ripTto^,  rpsxvoq  354. 

rspißiv^oq^  T^pjuLivbog  341. 

497. 
termes  224.  489. 
ital.  terzeruolo  309. 
riroipoL,  rcLivpAi  299. 
lit.  teterva,  tytaras,  lett. 

tettera,  tetteris  299. 
rerpaiyyovpif.  258. 
Terp'/wv,    rh-poL^,   Thpil^^ 

rerpcLSwv,  rerpouovy  te- 

irao  299. 
alav.  tetreYi,  teterevi,  te- 

trja,  teter^,    russ.  te- 

terev,    teteija,     poln. 

cietrzew,  czecb.  tetefv 

299. 
Teukrer  62. 
TaJxpo;  433. 
texere  460. 
scbwed.  tjäder,  dän.  tuir 

299. 
Ti<|)>,  457. 
ital.  tiglio  481. 
magyar.  tik,  tyuk  270. 
Tilaventum,  Tagliamento 

473. 
tilia,  tiliae  481. 
rCKkeiy^  TiXXetrdat  435. 
timalus  389. 
tina  470. 
tinuDculus  495. 
tinus  186. 
slay.  tiau  433.  434. 
russ.  tma  446. 
-      tmin  172. 
alav.  toöiti,  tokari  500. 
tamulisch  togei  286. 
Tomate  423. 
tomenta  149. 
proveo^. ,     franz.     tona, 

tonne,  Tonne  405.  470. 
Töpferscheibe  58. 
topiarii  191. 
ital.  topo  379. 


portug.  tourÄo  500. 
liviscb  tövas  16. 
Togov  433. 
Tpy%vg  53. 
traducea  469. 
rpoLyog,  rpaySlv  453. 
trama  461. 

tranavectio  equitum  93. 
trapetum,  trapetua,  tra- 

petea  9L  92. 
alav.  tremü  116. 
TOvipwv  274. 
alav.    treanoti,    tresnuti, 

tresdati,  tres6ina,  tr^s- 

ka,  tr^akii  etc.  354. 
neugriech.  TpMVT(t^v)0^e(t 

487. 
Triglav  44. 
tripudium,       aolistimum 

267. 
triticum  457. 
rpifpt;,  rpüyog  58.  500. 
TpujyXv\  43y. 
lit.  trukis,  trukti  354. 
alav.  trüati  491. 
Tpvywv,  rpvZuj  276. 
TpvToivvi,  trutina  491. 
poln.     trzemcba ,     trze- 

mucba  163. 
oriental.  tacbark  495. 
pers.   tschindr.    tachan&l 

238. 
Tachuka  413. 
magyar.  taereaznye  328. 
alav.  tükati  460. 
hebr.  tukkijim  286. 
ital.  tulipano  420. 
Tolpenbaum  422. 
tunica  57. 

abd.,  mhd.  tunc  436. 
turcium ,    turcicum    fru- 

mentum  415. 
Türken  12.  18.  50. 
engl.  turkey-cock,turkey- 

corn  503. 
Tburm  115. 
Turkmenen  20. 
Tuaker  66. 
rvKOL,  Tvx>}  474. 
alav.  tykva  260.  474. 
TÜhti  150. 
TvXiog  433. 

th,  ^. 
gotb.  tbabo  433.  500. 
dotUoi  94. 


alban.  tbekere  454. 
^epdrnuv  40. 
Tbeaproten  52. 
altn.  tbidr,  tbidbr  299. 
gotb.  tbiuda  17.  445. 
Tbogarma  109. 
Tbraker  17.  43.  52.  53. 

61.  62.  63.  449. 
gotb.  tbuaundi  446. 

U. 

eatn.  ubba  459. 

ubin,  uvin,aun,oun, 

505. 
lit.  udia  461. 
russ.  ukaus,  lit.  uksosas 

73. 
slav.  ulei  477. 
ovKog  435. 
ulpicum  164. 
Umbrer  54. 
unio  170. 
Uranos  16. 
ursus  450. 
etruak.  Uail  461. 
ruaa.  utka,  serb.  utva301. 

V,  w. 

Wadmal  154. 
magyar.  vaj  132. 
ätbiop.,  arab.  wain  64. 
lit.  vaivaras  372. 
vanga  104. 
lit.,  lett.  wannagas,  wan- 

nags  495. 
abd.    wannowebo,    wan- 

nun  wecbeljWanne  495. 
vannus  458. 
armen,  vard,  pers.  vareda 

486. 
Warnen  45. 
Varunas  16. 
russ.  waska  500. 
weben  460. 
Webstuhl  58. 
Weichsel  328. 
Weiler  115. 
wilder  Wein,    vitis  La- 

brusca  422. 
vellere,  vellus  435. 
Veneter  53. 
lit.  verpti,  varpste  461. 
verticillus  461. 
canis  vertragus  305. 

.y,...oy  Google 


522 


Wortregister. 


Wheymouthskiefer  422. 

vicia  181. 

Wicke  181.  406. 

viere  467. 

Wiesel,  ahd.  wisala,  wi- 

sula  499.  500. 
ahd.  wihsela  328. 
gotb.  vilvan  4S5. 
TimeD  467. 
vina  Laticioa,   Gazitina, 

Gazetica,  Gazeta  77. 
Tina  Raetica  68. 
franz.     vicaigre ,     engl. 

vinegar  73. 
Windhund  305. 
altgall.    vindos,    Vindo- 

bona  452. 
yinum  65.  466. 

rooratum  75. 
passum  466. 
rraetutianum  68. 
Pucinum  68. 
ahd,  wio,    wigo,    wiho, 

Weihe  495. 
viola  210. 
virga  lanata  93. 
viridarii  191. 
viscus,  viscum,  ital.  vi- 

eciola  329.  496. 
slav.  Visla  329. 

viänja,    viini,     Ht. 

yyszna  329. 
Wispelbaum  328. 
visula  4G9. 

lit.  7i8zt4,  Iett.vi8ta493. 
ahd.    wit,    mhd.    wide, 


lancwit,    widen,    nhd. 

Wiede,  Langwiede  480. 
vitex  466. 
vitis  466.  480. 

-     alba  480. 

Aminaea,    Aminea 

468.  469. 
▼itis   Allobrogica,    Bitu- 

rica,  Biturigiaca,  hel- 

venacia,  elvenaca,  hel- 

vennaca  71. 
vitta  466. 
viverra  372. 
slav.  vlasü  483. 
preuss.  wobsdus  501. 
finn.,  estn.  ^oi,  woidma, 

woitoa,  wuoitelee  132, 
vomer  455.  457. 
ose.  vorsus  458. 
Ht   vovere,    preusa.   ve- 

vare,  slav.  veverica372. 
slav.  vratilo,  vrBteno  461. 
sanscr.  vrihi  440.  455. 
läpp.  WU03,  wuoitet  132. 


l^xKrrtlg  67. 


sanscr.  yava,  yavasa  57. 
'^Y.q,  ^Yct/s  465. 
engl,  yew  433. 
vfboLww  460. 
U105,  vitj  o7. 


vwig  457. 
'^noLviq  260. 
^nikouoq  87. 
itnepog  457. 
vtrTot^  67. 
kymr.  yw  433. 


ital.  zafiTerano  215. 
poln.  zagiel  152. 
lit.  ialas,  s^Iti,  zole  450. 
CctXftos  450. 

ZalmoxiSy  Zamolxis  450. 
ital.  zappa  104. 
lit.  ^^ebenksztis  500. 
-    ^glas  152. 
C€*Ä  54.  457. 
Zeiber,  slow,  cibara  312. 
Zeidler  477. 
Zeliwpoq  äponjptt,  54. 
slav.  zelije,  zelenyi  450. 
Zelter  406. 
Ziegel  115. 
Zieser  180. 
lit.  ^rnis  456. 
slav.  zito  453. 
-      zlato  46L 

zrüno  456. 

^rünüvü  456. 
ital. '  BUcchero  419. 
poln.  zupa,  slav.  zupiste, 

zupiliste  437. 
Zwetsche  311. 
Zwiebel  168.  405. 
Cw^o«,  zythom  118. 


Druckfehler. 


Seite  334  in  der  Mitte  Hes:  rhododaphne  statt  hododaphne. 


Drnck  Ton  G«br.  Uoger  (Tb.  Orimm),  Berlin  8  W.,  öchönebergerstr.  17  a 

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