;* ^
r^r.
? t f'
■sik^^
-r" '^A
^^
-%.^
' >Ä^"v
,-jf, «» t•■^l,■
'.r/.^
' ^^■^-
-'.. iiß-Vv'^ »■**>
' •:•"•;<'' «isS^'
''»•^:
-3- >S
,'>>V^
• ♦ ',
-MI'*
-3.. V
"t/*-
ft^
v,^
«if.
i^
JF-
t**»'.
W
.1^
8\A
x:'
5*/
^il'r
i«r
CTs^i
^W
■&i(--i
^' /Va
KUNSTGEWERBEBLATT
HERAUSGEGEBEN
VON
PROF. KARL HOFFACKER
ARCHITEKT IN CHARLOTTENBURO-BERLIN
NEUE FOLGE
ELFTER JAHRGANG
LEIPZIG UND BERLIN
VERLAG VON E. A. SEEMANN
1900.
Inhalt des elften Jahrgangs
Seite
Grössere Aufsätze.
Alphons Maria Mucha. Von Albert Hofmann (Beriin) i
Die gegenwärtige Lage der dekorativen Künste in
Frankreich 5
Die Zimmerausstattung auf den Ausstellungen in
Beriin, München und Dresden im Sommer 1899.
Von A. L. Plehn 19
Die Zeugdruck-Ausstellung im Österreichischen Mu-
seum für Kunst und Industrie in Wien. Von Dr.
Fr. Minkus 39
Der Sitzungssaal der Minister bei den neuen Gebäuden
des preussischen Landtages zu Berlin 45
Badisches Kunstgewerbe 57
Hat das Publikum ein Interesse daran, selber das
Kunstgewerbe zu heben? Von Hermann Obrist 62, 91
Vieriänder Kunst. Von O. Schwindrazheini . . 79, 111
Geschichte und Ästhetik des künstlerischen Buchein-
bandes. Von P. Kersten (Aschaffenburg) .... 101
K. k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie
in Wien. Die dritte Winterausstellung und die
Konkurrenz aus dem Hoftiteltaxfond. Von Dr.
Fräz Minkus 123
Neues über Altmeissner Porzellan. Von K- Berling . 133
Die 6. Kunstgewerbliche Ausstellung (arts and crafts
exhibition) London. Von H. Muthesius- 141
Das arabische Kunsthandwerk. Von Karl Eugen
Schmidt (Paris) 163
Das Kunstgewerbe auf der Pariser Weltausstellung.
Von Walther Gensei 171, 223
Van de Velde und die Berliner Tischlerei. Von A.
L. Plehn 183
Die deutsche Smyrnateppich-Industrie. Von L. Hagen 201
Bücherschau.
Altägyptisches Porzellan 100
Ausstellung von Kunstwerken des Mittelalters und der
Renaissance aus Berliner Privatbesitz 158
Böhaimd, Aug., Der Mäander 100
M eurer , M., Ursprungsformen des griechischen
Akanthusornamentes und ihre natürlichen Vorbilder 199
Meyer' s historisch-geographischer Kalender. 4. Jahrg.
1900 76
Schultze- Naumburg, Paul, Häusliche Kunstpflege . . 74
Schumacher, Fritz, Im Kampfe um die Kunst .... 74
Wagner, Otto, Moderne Architektur 198
Wallis, Henry, Persian Lustre Vases 99
Japanische Färbeschablonen 238
Seite
Vereine.
Berlin, Verein für deutsches Kunstgewerbe .... 137
Breslau, Kunstgewerbeverein 51, 73
Frankfurt a. M., Mitteldeutscher Kunstgewerbe-
verein 51, 116, 157
Kartsruhe, Badischer Kunstgewerbeverein 116
Königsberg i. Pr., Kunstgewerbeverein 137
Krefeld, 15. Jahresbericht des Museums-Vereins ... 179
München, Bayerischer Kunstgewerbeverein ... 13, 215
Stuttgart, Der neunte Delegiertentag des Verbandes
deutscher Kunstgewerbevereine 34
Stuttgart, Jahresbericht des Württembergischen Kunst-
gewerbevereins 116
Stuttgart, Verein für dekorative Kunst und Kunst-
gewerbe n6
Wien, Wiener Interieur-Club " 97
Schulen.
Berlin, Kgl. Kunstgewerbeschule 52
Dresden, Bericht über die Kgl. Sachs. Kunstgewerbe-
schule und das Kunstgewerbemuseum 178
Elberfeld, Bericht der Stadt. Handwerker- und Kunst-
gewerbeschule 194
Genf, Kunstgewerbeschule 194
Hanau, Jahresbericht der Kgl. Zeichen-Akademie . . 195
Karlsruhe, Grossherzogliche Kunstgewerbeschule . . 13
Kassel, Jahresbericht der gewerblichen Zeichen- und
Kunstgewerbeschule 214
Magdeburg, Bericht der Kunstgewerbe- und Hand-
werkerschule 158
Paris, Stadt. Kunstgewerbeschule 97
Paris, Neuer Lehrgang im französischen kunstgewerb-
lichen Unterricht 97
Pforzheim, Bericht über die Grossherzogl. Kunstge-
werbeschule 215
Plauen i. V., Bericht über die Kgl. Sächsische Industrie-
Schule für die Jahre 1898 und 1899 116
Museen.
Basel, Jahresbericht des Gewerbemuseums 213
BfA-//«, Oriop-Stiftung für Veröffentlichungen des Kunst-
gewerbemuseums 54
Berlin, Kunstgewerbemuseum 158
Bremen, Bericht des Gewerbemuseums 213
Brunn, Mährisches Gewerbemuseum 53, 214
IV
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
Graz, Bericht des Steiermärkischen kulturhistorischen
und Kunstgewerbemuseums über das Jahr 1898. . 14
Karlsruhe, Kunstgewerbemuseum 15
Krefeld, Kaiser Wilhelm-Museum 53
Leipzig, Kunstgewerbemuseum 36, 54
Lübeck, Bericht des Kunstgewerbemuseums .... 74
Troppau, Kaiser Franz Josef-JViuseum für Kunst und
Gewerbe 15
Ausstellungen.
Bericht des »Moniteur des Expositions« über die Ge-
winne und Verluste der Weltausstellungen .... 197
Berlin, Prof. Seliger, Ausstellung von Glasmosaik-
bildem 218
Düsseldorf, Der Arbeitsausschuss für die Industrie-,
Gewerbe- und Kunstausstellung 1902 98
Göteborg, Eine schwedische Buchgewerbeaussteilung 218
Kanea, 1. Internationale Ausstellung 98
Karlsruhe, Deutsche Giasmalereiausstellung i.J. 1901
138, 195
Paris, Französische Keramische Jahrhundert - Aus-
stellung 139
Paris, Industrie und Weltausstellungen 198
Paris, Sonderausstellungen 118
Paris, Weltausstellung «5, 55, 179
St. Petersburg, Kaiserliche Gesellschaft zur Hebung
der Künste in Russland 55
Vereinigte Staaten von Amerika 98
Wettbewerbe.
Aachen, Wettbewerb um Entwürfe für moderne Gas-
ofenmäntel 15
Berlin, Ergebnis des Wettbewerbs um Entwürfe zu
Plakaten für die Firma Jünger & Gebhardt .... 36
Berlin, Preisausschreiben des Vereins für deutsches
Kunstgewerbe um Entwürfe zu einem Banner für
die Innung »Bund der Bau-, Maurer- und Zimmer-
meister« 196
Berlin, Preisausschreiben für ein Plakat zur Ausstellung
für Feuerschutz 239
Berlin, Preisausschreiben für einen Kopf der Tischler-
zeitung 239
Bremen, Preisausschreiben für Entwürfe zu einem
Tafelbesteck in Silber, ausgeschrieben von der Firma
M. H. Wilkens & Söhne in Bremen 217
Breslau, Schlesisches Museum für Kunstgewerbe und
Altertümer. Wettbewerbe 179
Charlottenburg, Wettbewerb zur Erlangung von Ent-
würfen für die künstlerische Ausgestaltung der
Charlottenburger Brücke 197
Charlottenburg, Wettbewerb um ein Kaiser Friedrich-
Denkmal 239
Seite
Chemnitz, Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen
für ein König Albert-Museum 196
Dresden, Preisausschreiben um Entwürfe für den
Neubau der Kgl. Kunstgewerbeschule. ... 16, 74
Dresden, Preisausschreiben des Akademischen Senats 195
Dresden, Preisausschreiben der Cigarrettenfabrik
Laferme um Etiquetten für Cigarrettenpackung . . 10
Dresden-Loschwitz, Preisausschreiben zur Erlangung
von Entwürfen für Zimmerdecken und Wandver-
täfelungen 99
Düsseldorf, Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen
zu einem Plakat für die Rheinisch-Westfälische In-
dustrie und Gewerbe- Ausstellung in Düsseldorf 1902 217
Frankfurt a. M., Wettbewerb für den auf dem Römer-
hof zu errichtenden Brunnen 179
Hamburg, Ausführung der Deckengemälde in dem
neu zu errichtenden Schauspielhause 195, 217
Hannover, Preisausschreiben der KunstanstaU / C.
König & Ebhardt um farbige Plakat-Entwürfe . . 55
St. Johann a. d. Saar, Wettbewerb für eine malerische
Ausschmückung des Sitzungssales in dem Rathause 196
Köln, Wettbewerb um Entwürfe zu einem Kaiserin
Augusta-Denkmal 16
Köln a. Rh., Preisausschreiben der Gebr. Stollwerck
um Entwürfe für den Einband eines Stollwerck'schen
Sammelalbums 56
Leipzig, Preisausschreiben des Bibliographischen In-
stituts um Entwürfe von Bucheinbänden 119
Mainz, Preisausschreiben für künstlerische Lösungen
im Dienste der Feuerbestattung 196
München, Wettbewerb der Redaktion der »Liebhaber-
Künste« 99
Nördlingen, Wettbewerb um ein Brunnendenkmal . . 195
Oppeln, Ideenwettbewerb zur Erlangung von Ent-
würfen für einen Monumentalbrunnen auf dem
Minerva-Platze 138, 196
Paris, Konkurrenz um das Diplom, für die Pariser
Weltausstellung 1900 74
Radebeul, Wettbewerb um Entwürfe für Wandmale-
reien im Rathause zu Radebeul 217
Siegmar, Wettbewerb um Entwürfe zu einem farbigen
Plakat der A.-G. Deutsche Kognak-Brennerei vorm.
Grüner & Co 99
Stuttgart, Preisausschreiben des Vereins für dekorative
Kunst und Kunstgewerbe 180
Waidenburg i. Schi., Preisausschreiben um Entwürfe
für eine Denkmünze 17g
Wien, Wettbewerb um Entwürfe für eine Kopfleiste
für die Wiener Bauindustrie-Zeitung 16
Verschiedenes.
Zu unseren Bildern 76, 119, 140, 160, 219
Vermischtes 200, 219
Berichtigungen 36, 160, 180
INHALTSVERZEICHNIS
Verzeichnis der Illustrationen
Seite
Zierleisten, Vignetten, Initialen.
C. Adams '42, 237
A. Brunner, Bad Aibüng 202
Daniel Blick, Berlin 100, 193
Elly Hirsch, Berlin »"
E. Liesen, Berlin lOQ
H. Lührig »52
H. Meyer, Kassel »63, 201
Rob. Ore'ans, Karlsruhe 57
Hans Schulze, Berlin 163 ;
M. Seliger, Berlin »37 |
Helene Varges, Berlin 223 i
W. Winkler, Idstein 240
Innendekoration.
Eck? aus dem Zimmer von K. Gross auf der deutschen
Kunstausstellung zu Dresden 189g 7, 18
Stuckdecke im Zimmer von K- Gross auf der deutschen
Kunstausstellung zu Dresden 1899 8
Ecksitz (Mahagoni). Entworfen von R. Riemerschmid,
ausgeführt in den Vereinigten Werkstätten für Kunst
im Handwerk in München 16
Zwischenwand im Zimmer von K. Gross auf der
deutschen Kunstausstellung zu Dresden 1899 . . 21
Nische von der Dresdner Kunstausstellung 1899; an-
geordnet von Architekt Gräbner 22
Speisezimmer eines Landhauses, entworfen und ein-
gerichtet von Architekt M. Dülfer in München 24, 25, 26
Jagdzimmer, entworfen von H. E. von Berlepsch-
Valendas, München 31, 32
Der Sitzungssaal der Minister im neuen preussischen
Landtagsgebäude in Berlin 38, 43, 47, 48
Musikzimmer von Riemerschmid auf der Dresdner
Kunstausstellung 1899, ausgeführt von den Ver-
einigten Werkstätten für Kunst im Handwerk,
München 45, 49
Vorraum von Bruno Paul auf der Dresdner Kunst-
ausstellung 1899, ausgeführt von den Vereinigten
Werkstätten für Kunst im Handwerk, München . 50
Moderne Zimmerdecke. Entwurf von W. Lang,
Karlsruhe 56
Zimmer, entworfen und ausgeführt in der Hofmöbel-
fabrik H. Dietler, Freiburg i. Br 71
Kirche zu Altengamme, aufgenommen von H. Haase,
Hamburg 78
Dieleninterieur aus Neuengamme, aufgenommen von
H. Haase, Hamburg 79, 84
Vierländer Stube in Neuengamme, aufgenommen von
H. Haase, Hamburg 85
Bäuerlicher Sgraffito, aus alten Vierländer Bauern-
häusern, aufgenommen von H. Haase, Hamburg . 87
Ecke aus dem Schlafzimmer von Bernh. Pankok auf
der Dresdner Kunstausstellung 1899 (Vereinigte
Werkstätten für Kunst im Handwerk) 90
Interieur nach Entwurf von Professor J. AI. Olbrich,
ausgeführt von A. Ungethüm in Wien 122
Seile
Wohnzimmer eines verheirateten Arbeiters, ausgeführt
von S. jaray in Wien '23
Speisezimmer nach Entwürfen von Prof./. Hoffmann,
ausgeführt von A. Pospischill in Wien »27
Damenschlafzimmer, nach Entwurf von Max Jaray,
ausgeführt von Siegmund Jaray in Wien .... 129
Zimmer für ein Landhaus, entworfen und ausgeführt
von F. Schönthaler in Wien «3'
Schrankthürfüllung mit Intarsien, entworfen von Archi-
tekt O. Siedle, Berlin 148
Entwurf zur Büffetwand eines Speisezimmers von
R. Organs in Karlsruhe 154. '55
Innenraum aus Teheran »Ö2, 167
Aus dem Innenraum von Schneider & Hanau, Frank-
furt a. M. Ausgestellt auf der Pariser Weltaus-
stellung 1900 »71. '73> »75. '77
Treppenhaus im »Deutschen Haus« auf der Pariser'
Weltausstellung 1900. Architekt Bauinspektor /
Radke, Berlin 204, 206
Saal für die Sammlung Friedrich des Grossen im
»Deutschen Haus« auf der Pariser Weltausstellung
1900. Architekt Bauinspektor y. Radke, Beriin . . 211
Von der deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der
Pariser Weltausstellung igoo.
Durchgang des einen Treppenhauses. Architekt Pro-
fessor Karl Hoffacker, Chariottenburg . . .182, 234
Ansicht der Galerie des einen Treppenhauses. Archi-
tekt Professor Karl Hoffacker, Chariottenburg 187, 235
Pfeiler von der dekorativen Frontarchitektur des Licht-
hofes. Architekt Professor Karl Hoffacker, Char-
iottenburg '89
Diele, Holzschnitzerei von Professor G. Riegelmann,
Chariottenburg .... 191, 195, 208, 209, 210, 220
Hauplfront. Architekt Professor Karl Hoffacker,
Chariottenburg 222
Brunnennische, entworfen von Professor O. Gussmann,
Dresden 224
Mittelpartie auf der Galerie 227
Aus dem »Zimmer eines Kunstfreundes«, entworfen
von Maler Richard Riemerschmid, ausgeführt von
den Vereinigten Werkstätten für Kunst im Hand-
werk, München 228
Ecke eines Zimmers, entworfen von Maler Bernh.
Pankok, München, ausgeführt von den Vereinigten
Werkstätten für Kunst im Handwerk, München . 229
Ecke eines Jagdzimmers, entworfen von Maler Bruno
Paul, ausgeführt von den Vereinigten Werkstätten
für Kunst im Handwerk, München 230
Raum, Möbel im Besitz Sr. Maj. des deutschen Kaisers 231
Raum, entworfen von Proitssor Paul Pfaun, Schreiner-
arbeiten ausgeführt von Wenzel Till, München 232, 233
Möbel.
Lehnstuhl von Bernh. Pankok, München (Vereinigte
Werkstätten in München) 27
Schrank, entworfen von K Gross, ausgeführt von
Udluft & Hartmann, Dresden 28
VI
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
Hocker (Birnbaumholz), entworfen von H. Schlicht,
Dresden, ausgeführt von den Dresdner Werkstätten
für Handwerkkunst 29
Fussbank mit Garnknäuelbehäiter von J. V. Cissarz,
Dresden, ausgeführt von den Dresdner Werkstätten
für Handwerkkunst 29
Sessel mit Zeugdruckbezug und mit handbemaltem
Seidenbezug aus dem 18. Jahrhundert (Schloss
Feldsberg, Niederösterreich) 42
Schnitzerei von einer Bettschirmwand, entworfen von
Bernh. Pankok, ausgeführt von den Vereinigten
Werkstätten für Kunst im Handwerk, München . 52
Kredenz-Schrank, entworfen von H. Schlicht, Dresden,
ausgeführt von den Dresdner Werkstätten für Hand-
werkkunst 56
Büffet, entworfen und ausgeführt in der Hofmöbel-
fabrik L. J. Peter, Mannheim 65
Stuhl, Truhe und Wiege aus den Vierlanden, aufge-
nommen von H. Haase, Hamburg .... 80, 81
Kleiderschrank aus dem Schlafzimmer von Bernh.
Pankoli auf der Dresdner Kunstausstellung 1899
(Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk) . 89
Kinderzimmermöbel von K- Bertsch (Vereinigte Werk-
stätten für Kunst im Handwerk) 91
Postament und Stühle im nordischen Stil, entworfen
und ausgeführt in den Werkstätten von F. A. Schätz,
Hofmöbelfabrik, Leipzig 94. 95, 96
Etagere, entworfen und ausgeführt von Franz Zelezny
in Wien 125
Beleuchtungskörper.
Beleuchtungskörper in Messing von Bernh. Pankok,
München (Vereinigte Werkstätten, München) . . 30
Tischlampe für elektrisches Licht, entworfen von
A. Riegl, München 164, 165
Beleuchtungskörper für elektrisches Licht, entworfen
und ausgeführt von Ferd. Paul Krüger, Kunst-
schmiedewerkstatt, Berlin 200
Textilarbeiten.
Linzer Zeugdruck von 1812 (Fachschule für Textil-
industrie in Wien) 39
Stoffdruck von Oberkampf 1770—1780 (Oesterreichi-
sches Museum) 39
Javanischer Batik-Sarong (Österreichisches Museum . 40
Dienerschafts-Kleidung aus der Theatergarderobe des
fürstl. von und zu Liechtenstein'schen Schlosses zu
Feldsberg, 18. Jahrhundert, 2. Hälfte 41
Gednicktes Tuch, 18. Jahrhundert (Oesterreichisches
Museum) 42
Bemalter Behang aus dem fürstl. von und zu Liechten-
stein'schen Schlosse zu Feldsberg, um 1760 ... 53
Stickereien aus Vierlanden, aufgenommen von H. \
Haase, Hamburg 112, 113 |
Gewebter Brustlatz in Seide, aufgenommen von
H. Haase, Hamburg 115
Tapetenmuster von Architekt O. S/erf/«', Berlin 149,150 158
Stickereien von Frau Schtnidt-Pecht, Konstanz . 214, 215
Glasarbeiten.
Füllung Weinrebe, Füllung Iris, Aquarellentwürfe für
Glasfenster von Otto Vittali, Offenburg . . .
Olasfenster, entworfen von Prof. AGc/^g-fö, Freiburg i.Br.
Qlasfenster (dreiteilig), C. Oeck, Glasmanufaktur,
Offenburg
Seite
Olasservice, nach Entwurf des Prof. K- Moser, aus-
geführt von E. Bakalowits Söhnen in Wien . . . 126
Entwurf zu einer Glaskanne mit Silber- oder Zinn-
montierung von Architekt B. Möhring, Berlin 198, 199
Edelmetalle.
Ehrenpreis d. Grossh. Bad. Ministers d. L Entwurf
H. Götz; Ausführung L. Bertsch, Karlsruhe ... 58
Ehrenpreis Sr. Kgl. H. des Orossherzogs von Baden.
Entwurf von Prof. H. Götz, Karlsruhe; Ausführung
von Prof. K. Weihten, Pforzheim 73
Schmucksachen aus den Vierlanden, aufgenommen
von H. Haase, Hamburg 82, 83
Pariser Goldschmuck, ausgestellt von L. A. Gändel,
Juwelier, Leipzig gg
Ehrenpreis Sr. Kgl. H. des Grossherzogs Friedrich
von Baden zum Mannheimer Mairennen 1894. Ent-
wurf von Prof. H. Götz, Ausführung von Hof-
juwelier L. Bertsch. Karlsruhe 110
Ziervasen, nach Entwürfen von O. M. Werner, in
Silber ausgeführt von / H. Werner, Hofjuwelier,
Beriin 117
Ziergefäss, Vasen, Ourtschnalle, Kamm und Haar-
nadeln. Entworfen von O. M. Werner, ausgeführt
von Hofjuweliery. H. Werner, Berlin n8
Goldschmuck, entworfen von O. M. Werner, ausge-
führt von Hofjuweliery. H. Werner, Berlin . . . 120
In Silber montierte Tiffany-Oläser von Hofgoldschmied
H. Schaper 144, 145, 146
Schmuckgegenstände von Hofgoldschmied H. Schaper,
Berlin 147
Ehrenpreis Sr. Kgl. H. des Grossherzogs Friedrich
von Baden zum Iffezheimer Rennen i8g3. Entwurf
von Prof. H. Götz, Ausführung von Prof. R. Mayer,
Karlsruhe 159
Pokal aus vergoldetem Silber mit eingesetzten Ko-
rallenästen von A. Riegl, München 160
Silberner Weinkühler, Kaiserpreis, entworfen und aus-
geführt von O. Rohloff, Berlin 166
Silberne Bowle, Kaiserpreis für Hannover, Gr. Armee-
Jagd-Rennen. Entworfen und ausgeführt von O.
Rohloff, Berlin 203
Medaillen und Plaketten.
Entwürfe zu Tauf-Plaketten von den Bildhauern :
C. Gomansky, Berlin, Rad. Bosselt, Darmstadt,
Georges Morin, Berlin, und Adolf Aniberg, Char-
lottenburg 33, 34, 35, 36
Medaillon Bally, Avers und Revers von Bildhauer
H. Bauser, Karlsruhe 64
Tauf-Plakette von Bildhauer Ad. Amberg, Char-
lottenburg 92
Tauf-Plakette, Entwurf von Bildhauer Meinhard
Jacoby, Berlin 93
Plaketten »Medusa» und »Hygeia« von O. Rohloff,
Berlin 166
I
Arbeiten in Bronze und Kupfer.
5
70 I Henkelvase auf Ständer, in Kupfer entworfen und ge-
trieben von F. X. Abt, Mindelheim 27
76 j Entwurf zu einer Kanne von R. Oreans, Karlsruhe . 204
INHALTSVERZEICHNIS
VII
Seite
Keramik.
Fliesenbild von Prof. Max Länger, Karlsruiie ... 19
Porzellanvasen, entworfen von H. Schlicht und E.
Kleinhempel in Dresden, ausgef. von der Sächsischen
Porzellanfabrik in Potschappel bei Dresden ... 20
Fayencen von Fran Schmidt-Pecht, Konstanz ... 72
Ofen, nach Entwurf des Architekten Riid. Hammel
ausgeführt von L. & C. Hardtmiith in Wien . 125
Alt-Meissner Porzellan .... 130, 133, 134, 135> 136
Eisenarbeiten.
Schirmständer aus Eisen und Messing. Entworfen von
Prof. R. Weisse, ausgeführt von KUhnscherf & Söhne,
Dresden 52
Blumenkübel, Entwurf von ylü^. 0/as<'r, München 157, 170
In Eisen geschmiedete Gruppe von Gebr. Armbrüster,
Frankfurt a. M. Ausgestellt auf der Pariser Welt-
ausstellung 1900 180
Buchausstattung.
Entwurf zu einer Adressenmappe von Prof. ff. Götz,
Karlsnihe 60
Entwurf zu einer Urkundenmappe von Prof. ff. Götz,
Karlsruhe 61
Komposition einer Randverzierung von Georg Bötti-
cher, Leipzig 101
Bucheinbände von P. Kersten, Aschaffenburg 102, 103,
104, 105
Buchverzierung, gezeichnet von Liihrig .... 140
Einband eines alten Dresdner Gesangbuches vom
Jahre 1728. Im Privatbesitz aufgenommen von
Georg Bötticher, Leipzig 197
Buchverzierungen, gezeichnet von Ed. Liesen, Berlin
238, 239
Stein-Arbeiten.
Wandbrunnen, entworfen an der Grossherzogl. Kunst-
gewerbeschule Karisruhe von Wilh. Merten unter
Leitung von Prof. F. Dietsche 57
Steinversetzung in alten Vierländer Bauernhäusern,
aufgenommen von ff. ffaase, Hamburg .... 87
Steinzeuggefässe. K. k. Fachschule in Teplitz . . . 126
Relief in Stein am Haus des Vereins deutscher In-
genieure, ausgeführt von Prof. G. Riegelmann,
Charlottenburg 183, 184, 185, 186, 196
Brunnenschale und Kaminfries, nach Modell von
Professor G. Riegelmann in Alt-Warthauer Sand-
stein ausgeführt von Bildhauer G. ffartmann, i. F.
Gebr. Zeidler, Hofsteinmetzmeister, Beriin . . . 184
Seite
Sandsteinfiguren, ausgeführt von Bildhauer P. Hart-
mann, i. F. Gebr. Zeidler, Hofsteinmetzmeister in
Beriin 218, 219
Zimmerbrunnen auf der Pariser Weltausstellung 1900.
Entwurf Professor Otto Rieth, Berlin, Modell : Bild-
hauer Adolf Amberg, Ausführung: P. Bruckmann
& Söhne, Heilbronn 225
Malerei.
Plakat-Entwürfe von Alphons Mucha 2, 3, 9, 12, 13, 14
»Poesie« von Alphons Mucha 4
»Malerei von Alphons Mucha 5
»Tanz und Musik von Alphons Mucha 6
Entwurf zu einem Medaillonbild von Alphons Mucha
10, 1 1
»Salome-; von Alphons Mucha 12
Friese, gemalt von Otto Ubbelohde (Vereinigte Werk-
stätten für Kunst im Handwerk, München) ... 51
Madonnenbild für die Jakobskapelle in Gegenbach
von Prof. H. Götz, Karlsruhe 59
Akt, gemalt von Herrn. Göhler, Karisruhe .... 62
Porträt, gemalt von Herm. Göhler, Karlsruhe ... 63
Moderner Fries, gemalt von Herm. Göhler, Karlsruhe 63
Grabengel von Prof. F. Dietsche, Karisruhe .... 68
WeiblicherStudienkopf von Prof. /C/<o/-///ras, Karlsruhe 69
Naturstudien von Hermann Heidrich, Beriin . 142, 143
Lünettenbild im Treppenhaus des deutschen Hauses
auf der Pariser Weltausstellung 1900, gemalt von
Gustav Wittig, Charlottenburg 213
Fächer, entworfen von Maler C. Gehrts, ausgeführt
von C. A. Beumers, Düsseldorf 216
Naturstudie (Distel) von Maler A. Eckhardt, Hamburg 217
Verschiedenes.
Wappen von Prof. K- Kornhas, Karisruhe .... 69
Kamin im Sitzungssaal der Minister im neuen preus-
sischen Landtagsgebäude in Berlin 46
Kamin-Verkleidung, ausgeführt von Kimbel & Fried-
richsen, Beriin 106, 107, 109
Gaskamin von Prof. M. Länger, Karlsruhe; Gas-
apparat von Fr. Siemens, Dresden .... 20, 23
Arbeit aus der dekorativen Fachklasse der Kunstge-
werbeschule zu Karlsruhe 61
Jardiniere und Schalen, entworfen von Bildhauer Alb.
Mayer, Geislingen 169
Email-Füllungen. Entwurf von Prof. Karl Gagel und
Maler Aug. Gagel in Karlsruhe, ausgeführt durch
Bergmann' s Email-Werk in Gaggenau (Baden) 67, 75
Künstler-Porträts.
Alphons Maria Mucha. Nach einer Photographie . 1
I
z
y
-n
>
O
H
>
3
er
c
o
3
3
-i
O
<
H
H
>
a-
I
s:
ALPHONS MARIA MUCHA
VON ALBERT HOFMANN -^ERLm
IN der .lebhaften Bewegung, durch welche die
Kunst unserer Tage ausgezeichnet ist, ist der Name
des Künstlers, welcher Gegenstand dieser kurzen
Betrachtung ist, vielgenannt. Gleichwohl ist er kein
Neuerer und wenn er dennoch beachtet, ja vielfach
bewundert wird, so zwingt schon dieser Umstand da-
zu, der eigenartigen Kunst nachzugehen, die es ver-
standen hat, den oft
so phantastischen
und überlauten Äus-
serungen des Neue-
rungsfiebers gegen-
über nicht nur sich
zu behaupten, son-
dern trotz diesem
lauten Getriebe sich
steigender Anerken-
nung zu erfreuen.
Bei dieser Anerken-
nung darf ich frei-
lich nicht verschwei-
gen, dass es mir
scheint, als ob diese
Kunst ihren Höhe-
punkt erreicht, wenn
nicht überschritten
habe. Denn auch
Mucha bietet die
vielfach beobachtete
Erscheinung eines
schnell zu Ruhm und
Ansehen gekomme-
nen Künstlers dar,
auf den heute die
Aufträge in einer
solchen Überzahl
einstürmen, dass er
kaum im stände ist,
sie zu bewältigen,
geschweige denn so
durchreifen zu las-
sen, wie seine er-
sten Werke, die ihn
zur Höhe der An-
erkennung geführt
haben. Die Welle,
die sich ausbreitet,
verflacht; diese na-
türliche Erschei-
nung lässt sich lei-
der auch an unserem
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. i.
ALPHONS MARIA MUCHA. Nach einer Photographie.
Künstler beobachten und die Thatsache ist mit um
so grösserem Bedauern zu verzeichnen, als erfahrungs-
gemäss im Individuum selbst in einem solchen Stadium
der Entwicklung kaum mehr die Kraft vorhanden
zu sein pflegt., dem verheerenden Einfluss der zahl-
reichen Aufträge gegenüber sich widerstandsfähig, ja
ablehnend zu verhalten. Es ist aber auch natürlich;
denn schliesslich
geht auch die er-
habenste Kunst nach
Brot und wenn ein
Künstler wie Mucha
lange Jahre empfind-
licher Entbehrung
hinter sich hat, so
ist es am Ende nur
menschlich, wenn er
die gewinnbringen-
den Aufträge mit
offenen Armen auf-
nimmt.
Afphons Maria
Mucha, der zu den
gefeiertsten Plakat-
künstlern und Illu-
stratoren unserer
Zeit zählt, wurde
am 24. Juli 1860 in
einer kleinen Stadt
Mährens, in Eiben-
schitz, geboren und
ist tschechischer Na-
tionalität. Esistnicht
unwichtig, das zu
betonen, denn aus
diesem Umstände
erklärt sich manche
charakteristische Ei-
gentümlichkeit sei-
ner Werke, die eine
so merkwürdige
Vereinigung von
französischem und
slavischem Wesen
zeigen. Dieslavische
Kunst ist jederzeit
und in allen ihren
Zweigen gern der
französischen ge-
folgt und wenn sie
im modernen Kunst-
ALPHONS MARIA MUCHA
r.ntwurf zu dem Plakat: Die Cameliendame«. Von ALPHONS MUCHA.
leben eine Bedeutung erlangt hat, was unzweifelhaft der
Fall ist, so ist es auf eine gewisse nationale Wahlver-
wandtschaft zurückzuführen, die sie der französischen
Kunst folgen und diese zum Vorbild nehmen Hess. Die
Anmut der Linie, die Feinheit der Farbengebung, die
Grazie der Formen der Werke Mucha's sind ohne Zweifel
auf französischen Einfluss zurückzuführen, während die
Weichheit und die besondere Charakterisierung seiner
weiblichen Gestalten, ihre materielle Üppigkeit vielleicht
das slavische Element in der Weise des Künstlers
erkennen lassen. Mucha begann seine Studien in
München und setzte sie, wenn wir recht unterrichtet
sind, an der Wiener Akademie fort, als deren Stipendiat
er dann nach Paris ging, um hier an der Akademie
Julien und in den Ateliers von J. Lefebre, Boulanger
und Jean Paul Laurens sich weiter zu bilden. Laurens
war es, welcher die eigenartige Begabung des Künstlers
bald erkannte und durch seine Vermittlung erhielt
er schon früh Aufträge für französische Firmen. Auch
Mucha durchlebte die ' Bohemienne > der französischen
Künstler mit allen ihren Freuden und Leiden; auch
Mucha machte zehn Jahre des Elends und der Namen-
losigkeit durch, bis er eines schönen Tages durch
Brunhoff, den Direktor des Renaissance -Theaters in
Paris, den Auftrag erhielt, für Mme. Sarah Bernhardt
das Plakat zu ihrem ersten Auftreten in der Rolle als
Ghismonda zu zeichnen (S. 13).
Dieses Werk war es, welches den Ruf Mucha's
begründete. Es folgen nun in rascher Reihenfolge
zahlreiche Affichen, wie die für den Salon des Cent,
für die Theaterstücke Lorenzaccio (S. 3), die Came-
liendame (S. 2) und für «La Samaritaine> (S. 12);
ein interessantes Blatt schuf er für die ' Societe popu-
laire des Beaux-Arts>, wieder ein anderes für Sarah
Bernhardt, mit deren von Lilien umgebenem Kopf-
biid (S. 14). Ausserordentlich fein ist das Plakat
für Cigarettenpapier 'Job> (S. 9), sehr vornehm
die verschiedenen Plakate und Umschläge für die
Zeitschrift 'La Plume>. Prächtige Kompositionen
sind in Form und Farbe die beiden Rundbilder
mit weiblichen Köpfen, die wir auf S. 10 u. n wieder-
geben. Alle diese Werke zeigen, wie ein öster-
reichischer Beurteiler Mucha's sich ausdrückt, < tüch-
tige Durchbildung, Pietät für die Form, Feinfühligkeit
für Linien- und Farbenreiz. Wir lernen da Mucha
r.ls Meister der historischen Komposition, des Sitten-
bildes, der intimen Studie und als schöpferischen Geist
in Erfindung pikanter Plakate und von Illustrationen
kennen, welche ganz im Geiste der Dichtungen, welche
sie veranschaulichen sollen, ausgeführt sind. Ob er
uns nun in einem Karton, als Glasfenster auszuführen,
den Ritter Hubertus oder eine anmutige Scene aus
dem Foyer der Grossen Oper vorführt, immer zeigt
er sich vollkommen Herr des Vorwurfes, den er dar-
stellen soll. Der Cyklus 'Die vier Jahreszeiten >,
reizende weibliche allegorische Figuren, als Plakat für
eine grosse Industrie gedacht, sind mit derselben Sorg-
falt für alle Details ausgeführt, wie die Geschichtsbilder
Johann von Leyden >, < Der Prager Fenstersturz» u. s. w.
Ob er nun eine Affiche für eine Cigarettenpapier-
Fabrik oder das Titelblatt für die Zeitschrift < La Plume»
ALPHONS MARIA MUCHA
Entwurf zu dem Plakat Lorenzaccio für Sarah Bernhardt.
Von ALPHONS MUCHA.
ersinnt, sein Stift und sein Pinsel sind immer geist-
reich; man sehe doch nur das Bild, wie die Muse
dem Pegasus aus seinem Flügel eine Feder raubt und,
damit winkend, den Mitarbeitern des Blattes ein Zeichen
giebt, ihr es nachzuthun. Zahlreiche Studien nach
der Natur geben Zeugnis dafür, wie ernst es Mucha
mit seiner Kunst nimmt. >
Zu den Hauptwerken Mucha's zählt das in
der Buchhandlung der «Edition d'Art> des Herrn
Piazza in Paris herausgekommene Bändchen: ' llsec,
Princesse de Tripoli >, ein köstliches Werkchen, in
welchem Mucha für die Erzählung von Robert de
Flers die reizvollsten Abbildungen figürlichen und
ornamentalen Charakters lieferte. Unser österreich-
ischer Beurteiler sagt hierüber mit Recht: Eine an
fesselnden Einfällen unerschöpfliche Phantasie, eine
Virtuosität in der Veranschaulichung derselben, ein
Sinn für Wohllaut der Linien und Farben kommt da
zu Tage, welche es ganz begreiflich erscheinen lassen,
dass das Werk, kaum in Paris erschienen, auch schon
vergriffen war. Originell und sinnvoll sind auch die
ornamentalen Umrahmungen und Leisten; Mucha be-
nützt da alles, was die Natur an eigenartigen Er-
scheinungen bietet: Käfer, Schmetterlinge, Blätter, ja
totes, gefedertes Geflügel — das sieht sich, aus einiger
Entfernung betrachtet, wie stilisiert an, erscheint aber,
wenn man näher tritt, ganz naturalistisch, zierlich
und geschmackvoll im einzelnen und von höchster
Feinfühligkeit in der Bindung und im Zusammen-
fassen des Details. Mucha ist in allem und jedem
ein Bahnbrecher auf dem Kunstgebiete, der sich willig
dem Gewerbe zu Diensten stellt, ohne -dadurch an
seinem Werte etwas zu verlieren oder von seiner Vor-
nehmheit etwas aufzugeben.» Mit dieser interessanten
Arbeit befindet sich Mucha in den ersten Reihen der
französischen Buchillustratoren; die «Princesse de Tri-
polis tritt neben die «Quatre Fils Aymon > des köst-
lichen Eugene Grasset und neben «das Evangelium
der Kindheit unseres Herrn» von Carlos Schwabe.
Es ist nicht die einzige Buchillustration des Künstlers
geblieben. Die Abbildungen zu den «Scenes et
Episodes de l'Histoire d'Allemagne» von Charles
Seignobos, und die Bilder zu den halb ritterlichen,
halb orientalischen Abenteuern des Troubadours Jaufre
Rudel verdienen daneben die besondere Beachtung.
Ein interessantes Werk des Künstlers aus dem
Jahre i8q8 ist seine Zeichnung für das Titelblatt der
Wiener Zeitschrift Wiener Chic>, eine lebhaft bewegte
sitzende Frauengestalt, mit allem dem Beiwerk, welches
die Mucha'sche Kunst zu einer so dekorativen macht.
Grösser in der Auffassung als diese mehr genrehafte
Komposition ist das gleichfalls 1 898 entstandene Titel-
blatt: «Au Quartier Latin», mit einer Hauptfigur, die
in eigenartiger Auffassung eine allegorische Verkör-
perung der Stadt Paris darstellt. Zu den schönsten
seiner Zeichnungen gehören zwei Blätter, die der
Künstler für das Werk «L'Estampe Moderne» schuf.
Das eine «Incantation», giebt eine der schönsten Scenen
aus Gustave Flauberts farbenglühendem Roman Sa-
lammbö wieder; das andere stellt die Salome dar.
Wir geben das letztere Blatt in Abbildung S. 1 2 wieder.
ALPHONS MARIA MUCHA
»Poesie«. Von ALPHONS MUCHA.
Die Wahl des Gegenstandes dieser beiden Blätter ist
ungemein charakteristisch für die Kunst Mucha's, die
dem Weiblichen hauptsächlich in den Regungen nach-
geht, bei welchen das Diabolische in weicher und den
Sinnen schmeichelnder Weise zum Durchbruch kommt.
Mucha ist nicht der Künstler grosser Leidenschaften,
ihn beherrscht vielmehr das Weibische des Weibes,
die durch alles mögliche Beiwerk gesteigerte begierden-
reizende Einwirkung. Man darf diese Kunst deshalb
nicht kraftlos nennen, denn sie wendet sich einem
Gebiete zu, bei welchem männliche Kraft gegenstands-
los ist. Nur selten beschäftigt sich der Künstler, dessen
ganzer Ausdruck schon seine weiche, weibliche Em-
pfindung verrät, mit der männlichen Figur und wo
es geschieht, nimmt auch diese den Charakter der
Weichheit an. Ich möchte die Kunst des Alphons
Mucha als den entgegengesetzten Pol der Kunst des
Josef Sattler gegenüberstellen, ohne im übrigen den
Kunstwert dieser durchaus verschiedenen Künsder-
individualitäten aneinander messen zu wollen. Beide
aber scheinen ihr Empfindungsvermögen nur nach
einer Seite hin ausgebildet zu haben: Josef Sattler nach
der Seite des Männlichen, mit der Steigerung ins
Gewaltthätige, Rauhe, oft Titanenhafte, Alphons Mucha
nach der Seite des Weiblichen mit der Milderung ins
Betäubende, Erschlaffende, Weiche. Darf ich einen
anderen nicht erschöpfenden Vergleich wählen, so
möchte ich die Kunst Sattler's mit der rauhen Distel,
die Mucha's mit der betäubenden Tuberose vergleichen.
Einen interessanten Einblick in die Schaffensweise
unserers Künstlers gewährt das Heft des in Wien bei
Gerlach und Schenk erscheinenden < Kunstschatzes»,
welches ausschliesslich ihm gewidmet ist. Unter den
zahlreichen Studien, Entwürfen, ausgeführten Blättern
dieses Heftes ist kaum eines, auf welchem der Mann
die erste Rolle spielte, immer das Weib und noch
einmal das Weib in allen möglichen Auffassungen
des Lebens wie der Liebesleidenschaft, in allen mög-
lichen Stellungen und Lagen, wie sie nur ein reich
entwickeltes Sinnenleben, dessen starker Trieb in über-
wältigender Weise den Willen beherrscht, hervorbringen
kann. Dasselbe lässt sich sagen von dem Titelblatt,
welches der Künstler für Heft XI des I. Jahrganges von
< Ver sacrum» zeichnete und wiederum dasselbe drücken
auch die beiden Entwürfe zu Kalenderblättern aus, welche
in dem gleichen Hefte zur Veröffentlichung gelangten.
Diesen Entwürfen reiht sich ein interessantes Blatt an,
welches die No. 75 des Jahrganges 1896 des < Figaro
illustre» giebt, wieder eine weibliche Gestalt, in mo-
dernem Kostüm, mit aller Weichheit und mit all dem
betäubenden Einfluss ausgestattet, welchen das fran-
zösische Weib, welches sich des Willens bewusst ist,
den Mann zu erobern, ausstrahlt.
Ein Titelblatt für das < English illustrated Magazine»
in London führt uns auf den Weg, den Mucha bei
seinen Buchillustrationen einschlägt: die Verbindung
einer Art Stilisierung des Weibes mit einer eigenartigen
Ornamentik, welche die Motive unbekümmert um ihre
Herkunft frei wählt und ebenso frei mit ihnen schaltet
und waltet. Interessante Arbeiten, zum Teil in dieses
Gebiet einschlagend, zum Teil besondere Wege gehend,
sind des Künstlers Illustrationen zu < Le Verglas»,
Jahrgang 1897, S. 61 ff. des < Figaro illustre»; sie
lassen noch wenig von der Freiheit der Mucha'schen
Plakatkunst erkennen. Auch in den Zeichnungen zu
<Le Fou», legende hongroise, S. 221 f. des gleichen
Jahrganges des Figaro, ist noch eine gewisse Gebunden-
heit bemerkbar, die sich erst in den Zeichnungen für
die Weihnachtsnummer 1897 derselben Zeitschrift zu
grösserer Freiheit löst.
Für die ausgezeichnete Zeitschrift «L'Estampe Mo-
derne > schuf Mucha vier Kompositionen «Die Künste»
(S. 4, 5 u. 6), die, wenn sie auch nicht zu seinen
Werken ersten Ranges zählen, sondern unzweifelhaft
ein gewisses Nachlassen erkennen lassen, nicht nur.
durch ihre Auffassung, sondern auch durch ihre Er-
läuterung sehr charakteristisch für die Weise unseres
Künstlers sind. Ich kann mir nicht versagen, die Er-
läuterungen dazu, die auch ihrerseits der Weichheit der
Auffassung entsprechen, hierher zu setzen. Zur Poesie»
wird geschrieben: «L'approche du crepuscule guide
l'äme poetique vers les plages ideales du reve. A
contempler l'etoile d'or, qui s'est levee, lä-bas, au fond
du ciel, sa melancolie longuement s'attarde dans la
DIE GEGENWÄRTIGE LAGE DER DEKORATIVEN KÜNSTE IN FRANKREICH
tristesse du joiir qui decroit. » Ich setze als besonders
bemerkenswert noch die Beischrift für die Komposition
<Musique> hierher: Dans l'harmonie des soirs d'ete
que baignent les clartes lunaires, ce n'est pas seule-
ment les trilles melodieux des rossignols que notre
oreille entend: c'est aussi le chant joyeux — mais dejä
lointain — des beaux jours passes que croit percevoir
notre äme, qui se souvient.» Und in der Beischrift
zu der Komposition < Peinture» wird man die Eigen-
schaften des Mucha'schen Kolorits wiedererkennen:
«Toutes les radieuses couleurs de l'arc-en-ciel tiennent
— comme I'Ocean lui-meme — dans une seulegouttelette
d'eau. A la rosee brillante qui les rafraichit et les
epanouit, les fleurs ne semblent-elles pas emprunter les
exquises nuances du prisme dont elles sont revetues?»
Damit möchte ich die flüchtige Übersicht über
das Lebenswerk eines der feinsten aber auch weichsten
unserer modernen Künstler schliessen und nur noch
eine hervorragende Arbeit in aller Kürze erwähnen.
Es ist ein Entwurf Mucha's für das Plakat der 1898
abgehaltenen Ausstellung des Prager Ingenieur- und
Architekten -Vereins, den die Wiener Monatsschrift
«Der Architekt» veröffentlichte; er ist unberechtigter-
weise in die zweite Linie gedrängt worden und des-
halb nicht zur Ausführung gelangt. Daraus zu schliessen,
dass Mucha bei seinen engeren Landsleuten — es
handelte sich um eine Ausstellung mit czecho-slavischem
Charakter — nicht dasselbe Ansehen geniesst, wie
sonst allenthalben, wäre nicht zutreffend.
Ob das im Vorstehenden kurz skizzierte Lebensbild
Mucha's und die Charakterisierung seiner eigenartigen
Kunst bereits eine in sich abgeschlossene Kunst schil-
dern, steht bei dem noch nicht vorgerückten Alter
unseres Künstlers immerhin dahin. Ich wiederhole
aber, dass es mir scheint, als ob Anzeichen vorhanden
seien, welche darauf hindeuten, dass die Kunst Mucha's
ihren Höhepunkt überschritten hat. Sollte sich an ihm
das Wort bewahrheiten: < Die Flamme, die am hellsten
lodert, erlischt am schnellsten?»
»Malerei, von ALPHONS MUCHA.
DIE GEGENWÄRTIGE LAGE DER DEKORATIVEN KÜNSTE
IN FRANKREICH
IN der diesjährigen General-Versammlung der Union
centrale des arts decoratifs in Paris ist durch den
Vorsitzenden ihres Aufsichtsrates, Georges Berger,
namens desselben der in folgendem in seinem all-
gemeinen Teile wiedergegebene Bericht erstattet worden.
Dieser von einer hervorragenden Persönlichkeit an
hervorragender Stelle erstattete, vielleicht in manchen
Punkten nicht völlig objektiv gehaltene Bericht be-
schäftigt sich, seinem Thema nach, vorzugsweise mit
der derzeitigen Stellung des französischen Kunst-
gewerbes, auf welche er ungemein bezeichnende
und interessante Streiflichter wirft, enthält aber auch
sehr viele, für deutsche Verhältnisse gleichwie für
französische zutreffende Ausführungen und lässt es
namentlich in voller Klarheit erkennen, mit welchem
Mindestmass von Wohlwollen man an die Beurteilung
der »von jenseits unserer Grenzen« kommenden Aus-
stellungsgegenstände für die nächstjährige Pariser
Weltausstellung herantreten wird.
Der Bericht des Herrn Berger lautet:
Vor allen anderen Völkern hat Frankreich jeder-
zeit sich einerseits durch seine vortreffliche Rechnungs-
DIE GEGENWÄRTIGE LAGE DER DEKORATIVEN KÜNSTE IN FRANKREICH
»Tanz< und >Musik< von ALPHONS MUCHA.
führung, andererseits durch das Blühen und die Über-
legenheit seines künstlerischen Genius ausgezeichnet,
mochte es sich um die im engeren Sinne sogenannten
schönen Künste oder um die angewandten Künste,
das Kunstgewerbe, handeln. Sicherlich ist niemand
darauf gefasst gewesen, dass der Rechnungshof, dieser
verehrte Wächter unserer guten finanziellen Sitten, sich
eines Tages davon machen würde, aus staubigen Akten
mehr als hundertjähriger Archive Barrikaden zu er-
richten, um, wie ich überzeugt bin, gegen seine Ab-
sicht, jedoch mit einer ungewöhnlichen administrativen
Rauheit, den Fortschritt der dekorativen Kunst Frank-
reichs zu unterbinden. Das Hindernis hat sich gerade
in dem Augenblicke vor ihr aufgerichtet, wo die
Union centrale des arts decoratifs, mit Hilfe eines
kräftigen Vorgehens von privater Seite, dahin gelangt,
die Gunst der öffentlichen Gewalten zu gewinnen,
sich endlich in der Lage befand, diejenigen praktischen
Mittel zur Aufrechterhaltung des Übergewichtes unseres
Kunstgewerbes anzuwenden, durch welche es anderen
Nationen gelungen ist, ihren Geschmack zu heben
und sich ihren natürlichen Anlagen gemäss einzurichten.
Wir sehen diese Nationen sich zu einem er-
bitterten Wettbewerbe mit uns in der Herstellung von
Kunstgegenständen und künstlerischen Kleinarbeiten
erheben, worin wir lange Zeit hindurch die Allein-
herrschaft besassen. Es ist weit entfernt davon, dass
wir etwa in diesen Dingen übertroffen werden, und
nach wie vor wird der französischen Marke der Vor-
zug in denjenigen ausländischen Kreisen eingeräumt,
denen das Gefühl für die Schönheiten der Form so-
wie des schmückenden Beiwerkes angeboren ist. Diese
Kreise sind die Heimat einer uns treu bleibenden
Kundschaft, weil sie dasjenige herauszufinden wissen,
was den anderen künstlerischen Erzeugnissen versagt
ist. Werden letztere aber noch lange die Mängel
beibehalten, welche den Rest unserer Stärke aus-
machen? Diese Frage dürfen wir uns mit Besorgnis
vorlegen. Die Lähmung allen guten Willens verdammt
uns zu der Unmöglichkeit einer öffentlichen Beweis-
führung für die reichhaltigen und unendlich entwicke-
lungsfähigen Hilfsquellen der dekorativen Kunst,
vorausgesetzt, dass dieselbe in der Weise ermutigt und
gefördert werden würde, wie es bei uns der Fall sein
Ecke aus dem Zimmer von K. Gross auf der Deutschen Kunstausstellung zu Dresden 1899.
3
N
7;
O
DIE GEGENWÄRTIGE LAGE DER DEKORATIVEN KÜNSTE IN FRANKREICH
9
müsste und wie die mit uns in Wettbewerb stehenden
Nationen gefordert haben und mehr denn je fordern,
dass es bei ihnen geschieht.
Das in seiner Gesamtheit einen Besitz der Union
centrale bildende National -Museum der dekorativen
Künste hat seine ihm zugewiesene Unterkunft unter
dem Dache des Louvre, im
Pavillon Marsan. Dem Ge-
setze, welches ihm diese
Stätte zuwies, ist im Jahre
1897 seitens des Parlaments
mit Begeisterung zugestimmt
worden, allein die Räume
sind durch die kaum geord-
neten Massen von Wischen
des Rechnungshofes in An-
spruch genommen ! Der Neu-
bau für denselben verzögert
sich, nicht im geringsten
etwa durch ein Verschulden
des Architekten, sondern weil
gewisse reine Verwaltungs-
Formalitäten in Bezug auf
die freie Verfügung über den
gesamten erforderlichen
Grundbesitz nicht zum Ab-
schluss gelangen.
Ihr Verwaltungsrat hat
seine Beschwerden unabläs-
sig zu Gehör gebracht und
es auch durchgesetzt, dass
die Frage dem Ministerrate
unterbreitet worden ist. Die
Regierung hat darauf erklärt,
dass eine solche Lage nicht
länger geduldetwerden könne
und eine amtliche Note hat
feierlich kund und zu wissen
gethan, dass der Finanz-
minister und der Minister des
öffentlichen Unterrichts und
der schönen Künste den Auf-
trag erhalten haben, dem
Präsidenten des Rechnungs-
hofes die Räumung des Pa-
villon Marsan einzuschärfen
und ihm jede wünschens-
werte Erleichterung zu ge-
währen, um diese Räumung
ohne Verzug zu bewerkstel-
ligen. Man konnte darauf
eines Tages die zuständigen
Minister, den Präsidenten des
Rechnungshofes, den Architekten und , den Vorsitzenden
der Union centrale aus dem Finanzministerium, wo sie
sich bei Tagesanbruch versammelt hatten, in Prozession
sich nach dem Pavillon Marsan begeben sehen, wo sie
dem scharfen Staube in den Archiven des Rech-
nungshofes Trotz bietend, lange Beratschlagungen
hielten. Das war vor drei Monaten. Nichts ist seit-
dem geschehen, nichts gethan worden und der bisherige,
Kunstgewerbeblatt. N. f. XI. H. 1.
denkbar erschl äffen dste Zustand bleibt bestehen. —
Während solchergestalt auf der einen Seite das Mu-
seum der dekorativen Künste körperlich verhindert
wird, seine grossen und lehrreichen Sammlungen auf-
zustellen und seine Studien- und Vortragssäle zu
eröffnen, verfallen andererseits unsere Pariser nationalen
Entwurf zu einem Cigarettenplakat von ALPHONS MUCHA.
kunstgewerblichen Schulen und gefährden die Gesund-
heit ihrer Schüler in Bauten ohne die elementarsten
hygienischen Vorsichtsmassregeln. Die Verwaltung
der schönen Künste verzweifelt einem solchen Schau-
spiele gegenüber, doch ist es darutn nicht minder
wahr, dass dies das herzzerreissende Bild der Lage
der dekorativen Künste in Frankreich darstellt. Es
ist dem Staate nicht genug, aus sich selbst nichts
10
DIE GEGENWÄRTIGE LAGE DER DEKORATIVEN KÜNSTE IN FRANKREICH
leisten zu können, er muss sich auch noch daran
hindern lassen, von dem guten Bissen Nutzen zu
ziehen, welchen die Union centrale ihm zubringt,
indem sie sich ihm zu dem Zwecke zur Verfügung
stellt, dasjenige in Frankreich zu vollbringen, was die
fremden Regierungen seit langer Zeit und ohne Rück-
sicht auf die Kosten für ihr heimisches Kunstge-
werbe thun.
eines Publikums anzukämpfen, welches nicht danach
angethan ist, mit ihnen Fühlung zu nehmen, das viel-
mehr bedeutsame Arbeiten unseres neuzeitigen Kunst-
gewerbes hintansetzt, um in unverschämter Weise
zum Händler mit gefälschten Nippsachen zu stürzen,
wo es Summen ausgiebt, von denen so manche, der
Bewunderung werte zeitgenössische Künstler leben
könnten.
Entwurf zu einem Medaillonbild von ALPHONS MUCHA.
Unsere Handwerker und dekorativen Künstler
gelangen nicht dahin, die ihrem Scharfsinne, ihren
Fähigkeiten und ihrer vielseitigen und verfeinerten
erfinderischen Begabung gebührende Anerkennung zu
erwerben. Es bedarf ihrer ganzen Vaterlandsliebe,
um sie an dem Gedanken festhalten zu lassen, dass
die Kunst einen wesentlichen Bestandteil der nationalen
Ehre darstellt, sowie um gegen die Gleichgültigkeit
Inzwischen brechen nach und nach Waren über
uns herein, welche uns von jenseits unserer Grenzen
die Überspanntheiten einer Scheinkunst bringen, welche
darauf begründet ist, dass sie ihre Hässlichkeit unter
dem Scheine lügnerischer Eigenart verbirgt. Stoffe
mit übertriebenen Mustern und schreienden Farben,
gemalte oder lackierte Möbel von schmächtigen Formen,
Frauentoiletten, bei denen der anmutlose und unschick-
DIE GEGENWÄRTIGE LAGE DER DEKORATIVEN KÜNSTE IN FRANKREICH
11
liehe Schnitt des Schneiders an die Stelle der feinen
französischen Mode tritt, welche die Spitzen und
Stickereien so geschickt mit der Pracht ernster Stoffe
zu verbinden wusste das ist es, was wir überall
in den Geschäften bemerken, deren Inhaber auslän-
dische Namen tragen. Es ist Zeit, uns wieder zu-
sammen zu nehmen und in allem, was zur künst-
lerischen Verschönerung selbst der bescheidensten
Unser Mut ist indes nicht gesunken. Wenngleich
wir gezwungen sein werden, mit Schmerzen darauf
zu verzichten, die Pforten des Pavillon Marsan gleich-
zeitig mit denen der Ausstellung von iqoo zu öffnen,
so werden wir uns darauf einrichten, innerhalb der
letzteren würdig zu erscheinen. Wir haben einen
Baugrund in der Nachbarschaft desjenigen Teiles
der Ausstellungspaläste an der Invaliden- Esplanade
Entwurf zu einem Medaillonbild von ALPHONS MUCHA.
Wohnung und zum persönlichen Schmucke dienen
kann, unseres Stammes zu bleiben. Die Union cen-
trale des arts decoratifs beklagt weniger die lange
Probe, auf welche ihre Geduld und ihr guter Wille
gestellt werden, der angewandten Kunst gute Dienste
zu leisten, als das Schauspiel eines durch Oleichgültig-
keit und Unvermögen auf selten der Regierung be-
günstigten Verfalls,
zugewiesen erhalten, in welchem die Aussteller der
Gruppe XII (Dekoration und Mobiliar von öffentlichen
Gebäuden und Wohnhäusern) und namentlich die der
Klasse 66 (Unbewegliche Dekoration von öffentlichen
Gebäuden und Wohnhäusern) vertreten sein werden.
Auf diesem Grunde wird durch einen der hervor-
ragendsten Pariser dekorativen Architekten ein Pavillon
errichtet werden, in dessen Sälen die Union centrale
8*
12
DIE GEGENWÄRTIGE LAGE, DER DEKORATIVEN KÜNSTE IN FRANKREICH
Salome von ALPHONS MUCHA. Nach: L'Estampe Moderne.
des arts decoratifs als Gesamt- Ausstellerin, jedoch
unter Angabe des Namens der Verfertiger aller ein-
zelnen Gegenstände, die teils aus ihren Sammlungen
gewählten, teils aus den im Hinblick auf die Pariser
Wellausstellung von ihr ausgeschriebenen und noch
auszuschreibenden Wettbewerben hervorgehenden be-
merkenswertesten Erzeugnisse der zeitgenössischen
französischen dekorativen Kunst vereinigen wird. Die
mit der Verteilung der für diese Wettbewerbe ausge-
setzten Preise und der Empfehlung dey Ankaufes
einzelner preisgekrönter Arbeiten seitens unserer Ge-
sellschaft betrauten Richter haben eine so grosse
Strenge bewiesen, dass ein beträchtlicher Teil der
dafüi ausgesetzten Gesamtsumme unverbraucht ge-
blieben ist, welcher dazu Verwendung finden soll,
dass noch ein letzter Wettbewerb für den Anfang des
Jalirts 1900 ausgeschrieben wird. Derselbe gilt
1. für den unbeweglichen und beweglichen Schmuck
von Wohnhäusern (Innen -Architektur, Mobiliar,
Gerät u. s. w.),
2. für den persönlichen Schmuck (Stoffe, Geschmeide
u. s. w.)
und steht ebensowohl Bewerbern um einzelne dieser
Gegenstände, wie um grössere oder kleinere Zusammen-
stellungen von solchen offen. Da für diesen Wett-
bewerb ein Betrag von 22000 Francs verfügbar ist,
lässt sich mit Sicherheit auf eine zahlreiche Beteiligung
daran hoffen. C.
inmil ETI TR015'TRPLERU)!,En VERS
DE 117? HDTTDriD RDSTRHD
n7U5ioi;E DE TO'GRMELPIERTTE
a^^BKiBa^^i iii II. — .. M - iL^=»
Entwurf zu dem Plakat: La Saniaritaine" von ALPHONS MUCHA.
Kleine Mitteilungen
Entwurf zu dem Plakat Ghismonda für Sarah Bernhardt.
Von ALPHONS MUCHA.
VEREINE
MÜNCHEN. Der Bayerische Kunstgewerbeverein
hat beschlossen, zur Feier seines 50 jährigen Be-
stehens im Jahre igoi eine Deutsch -nationale
Knnstgewerbeaiisstellung abzuhalten. Zur Beteiligung
sollen auch Deutsch -Österreich und die Schweiz auf-
gefordert werden. Über die Platzfrage, ob Glaspalast
oder Kohleninsel, ist noch keine Entscheidung ge-
troffen, -u-
SCHULEN
KARLSRUHE. Grossherzogliche Knnstgew erbe-
schule. Dieselbe hielt am 28. Juli d. J. ihren
üblichen Schlussakt, der mit einer Ansprache
von Direktor Götz eingeleitet wurde und woran sich
dann die Preisverteilung an Schüler für gut gelöste
Konkurrenzaufgaben, die für die verschiedenen Fach-
gebiete gestellt waren, anreihte. — Die Beteiligung
an diesen Monatsaufgaben war in diesem Jahre eine
besonders starke und erzielte sehr erfreuliche Ergeb-
nisse. — Dem bei diesem Anlasse veröffentlichten
Jahresberichte der Anstalt ist zu entnehmen: Die
Schülerzahl betrug im abgelaufenen Jahre 206, von
welchen sich 113 auf die 6 Fachschulen, 3g auf die
Winterschule und 54 auf die Abendschule verteilen.
Dem Berufe nach waren Dekorationsmaler 81, Bild-
hauer 27, Zeichner 22, Schreiner 14, Lithograph 9,
Zeichenlehrer 7, Architekt 5, Dessinateur 4, Modelleur
4, Ciseleur 4, Techniker 4, Graveur 3, Glasmaler 3,
Keramiker 3, Steinhauer 3, Tapezier 2, Marqueteur,
Drechsler, Photograph, Vergolder, Buchbinder, Schrift-
setzer je 1 , unbestimmten Berufes 4 Schüler. Der
Staatsangehörigkeit nach gehören an: Baden 145 (dar-
unter Karlsruhe mit 45, das übrige Grossherzogtum
mit 100), Preussen 18, Bayern und Pfalz 11, Sachsen
8, Württemberg 4, Bremen, Mecklenburg, Braunschweig,
Hessen je 2, Elsass, Hamburg, Reuss je 1 Schüler;
dem Ausland: Dänemark 3, Schweiz 2, Norwegen,
Frankreich, Luxemburg, Nordamerika je 1 Schüler. —
Der Erweiterungsbau der Anstalt, welcher räumlich
umfangreicher wird als das jetzige Gebäude, hat im
abgelaufenen Jahre wesentliche Fortschritte gemacht
und steht zu erwarten, dass derselbe spätestens im
Frühjahr 1901 bezogen werden kann. Für die künst-
lerische Ausschmückung der Fassaden fertigt die An-
stalt eine Anzahl figürlicher Fayence-Medaillons mit
farbigen Reliefporträts alter Meister, ferner ein grösseres
Fliesen- und ein Fresco-Gemälde an. Zur Weihe der
neuen Räume ist eine grössere Ausstellung von
Schülerarbeiten in Aussicht genommen. — Der Unter-
richt des Holzschnitzens wurde durch die Errichtung
einer Werkstätte für Holzbildhauer erweitert. — Zum
Leiter der neu begründeten keramischen Fachklasse
wurde Professor Karl Kornhas ernannt, ferner die
14
KLEINE MITTEILUNGEN
Maler August Oroh und Hermann Göhler, sowie der
Bildliauer Otto Feist zu Lehrern der Anstalt berufen.
Maler Fridolin Fenker wurde als etatmässiger Lehrer
angestellt. — Zwei Lehrer der Anstalt waren bei der
künstlerischen Anordnung von gewerblichen Aus-
stellungen des Landes thätig. — Die Beteiligung des
heimischen Kunstgewerbes bei der Weltausstellung in
Paris wird von
dem Vorstande der
Anstalt geleitet
und ist die Kunst-
gewerbeschule
durch die Herstel-
lung zahlreicher
Entwürfe bei diesen
Vorarbeiten mit-
wirkend. Insbeson-
dere wurden ihr
seitens des Karls-
ruher Stadtrates die
künstlerische Aus-
schmückung des
neuen Rathaus-
Trausaales übertra-
gen. — Die Leis-
tungen der Anstalt
fanden vor kurzem
in zwei Nummern
der in Paris er-
scheinendenKunst-
zeitschrift: < Revue
des Arts decoratifs »
und imjuliheft der
illustrierten Zeit-
schrift «Kunst und
Dekoration > aner-
kennende Würdi-
gung. Bei der
im vorigen Jahre
abgehaltenen Zei-
chenlehrerprüfung
haben sämtliche
sechs Kandidaten
bestanden. Drei
frühere Schüler
wurden als Lehrer
an ausländische
Kunstinstitute und
Entwurf zu einem Plakat für Sarah Bernhardt. Von ALPHONS MUCHA
ein weiterer als
Lehrer an die Grossherzogliche Kunstgewerbeschule
Pforzheim berufen. —
MUSEEN
GRAZ. Dem Bericht des Steiermärkischen kultur-
historisciten und Kunstgewerbe- Museums über
das Jahr i8g8 entnehmen wir Folgendes: Die
Erwerbungen waren für sämtliche Abteilungen sehr
namhaft und betrugen 398 Nummern. Unter den
Ankäufen sind hervorzuheben neun Glasgemälde aus
der zweiten Hälfte des 1 4. Jahrh. DieTafeln sind je 1 ,02 m
hoch und 0,36 m breit, sie enthalten zumeist Darstel-
lungen aus dem Leben der Maria und ihres göttlichen
Sohnes. Von tiefer, sehr wirkungsvoller Farbengebung,
zeigt der figürliche Teil grosse selbständige Auffas-
sung; die Architektur enthält reich gegliederte Rund-
und Spitzbogen mit Fialen, Giebel und Baldachine
und erhebt sich von
einem dunklen
Grunde, der teils
mit roten und zum
Teil mit blauen
Blattornamenten
reich belebt ist.
Diese Glasmale-
reien zählen zu den
besten Arbeiten
ihrer Zeit und sind
daher sehr wohl
geeignet , der er-
zieherischen Auf-
gabe des Museums
in hervorragender
Weise zu dienen,
zumal nun auch
dieser schöne
Zweig der kirch-
lichen Kunst sich
in Graz zu beleben
beginnt und von
einigen strebsamen
Meistern geübt
wird. Aber auch
für die Kunstge-
schichte des Landes
ist diese Erwerbung
von hohem Werte,
da die Fenster dem
schönsten goti-
schen Kirchlein der
Steiermark, Maria
Strassengel , ange-
hören. Zu be-
dauern ist nur, dass
diese schönen
Werke nicht direkt
in den Besitz des
Museums gelangt
sind — sie wurden
an einen fremden Händler verkauft und nur ein glück-
licher Zufall und rasches Eingreifen des Direktors
ermöglichte es, dieselben dem Lande zu erhalten. An
wechselnden Ausstellungen wurde veranstaltet eine
grössere Sonderausstellung von Stickereien und Webe-
reien, darunter Webereien aus Scherrebeck und Chris-
tiania, und eine Plakatausstellung. Auch die im Museums-
gebäude errichtete ständige Ausstellungs- und Verkaufs-
halle des Steierischen Kunstgewerbe- Verein wurde im Be-
richtsjahre gut beschickt und besucht. Reges Interesse
wurde auch den vom Direktor des Museums veranstalteten
Führungsvorträgen im Museum entgegengebracht, -u-
KLEINE MITTEILUNGEN
15
KARLSRUHE. Kunstgewerbemuseum. Dasselbe
liat im Laufe des Jahres verschiedene Aus-
stellungen veranstaltet und zwar: Die Wander-
ausstellung des Centralvereins für das gesamte deutsche
Buchgewerbe in Leipzig, bestehend in 350 Original-
holzschnitten; eine Ausstellung älterer Bucheinbände
des 16., 17. und 18. Jahrhunderts; die Ausstellung
des künstlerischen Nachlasses vom Professor Ernst
Häberle (f); die Ausstellung schwedischer Webereien
des kulturgeschichtlichen Vereins in Lund; die Aus-
stellung von 700 Radierungen, Stahl- und Kupfer-
stichen aus dem Besitze von Direktor Götz und die
Ausstellung von 800 Aquarellen, Handzeichnungen,
Reisestudien und Originalentwürfen zu Künstlerpost-
karten badischer Künstler, nebst Radierungen von
Professor L. Kühn. Diese Veranstaltungen wurden
zum Teil sehr stark besucht, insbesondere auch von
auswärtigen Interessenten. Auch die Vorbilder des
Museums fanden in diesem Jahre für die Zwecke der
Praxis zahlreiche Benutzung. Die Sammlung des
Museums hat einen Zuwachs von 444 Nummern zu
verzeichnen, darunter eine grosse Zahl wertvoller
koptisch -ägyptischer Textile. Am stärksten sind die
Gruppen von Porzellan, Fayencen, Glas, Schmuck,
Silber, Bronzen, Eisen, Möbel und Bucheinbänden
vermehrt worden. Unter diesen Zugängen befinden
sich namhafte Stiftungen aus Privatkreisen, sowie der
Jahresbeitrag mit 1000 Mark seitens des Badischen
Kunstgewerbevereins.
TROPPAU. Nach dem Jahresbericht des Kaiser
Franz Josef-Museums für Kunst und Gewerbe
für das Jahr i8g8 wurde in einer ausserordent-
lichen Sitzung des Kuratoriums des Museums aus An-
lass der sojährigen Regierung des österreichischen
Kaisers, das Kaiser Franz Josef-Museum in eine Kaiser
Franz Josef-Jubiläumsstiftung umgewandelt, da der Be-
stand des Museums durch eine grosse Anzahl von
Subventionen für alle Zeiten gesichert ist. Aus einer
grösseren Reihe von Ausstellungen im Berichtsjahre
sind zu erwähnen: eine Ausstellung der bei dem Jubi-
läums-Wettbewerb der »Wiener Mode< prämiierten
Handarbeiten, verbunden mit einer Ausstellung von
Teppichen des norwegischen Hausfleissvereins in Chris-
tiania und der Webereien der Webschule in Scherre-
beck; eine Ausstellung von Bildern und Kunstblättern
von Hans Thoma, Max Klinger, Greiner, Stauffer-Bern,
Sattler u. a. Besonders die Kaiser-Jubiläums- Kunst-
ausstellung war ausserordentlich reichhaltig beschickt
durch eine grosse Anzahl älterer und moderner Bilder,
besonders des Vereins bildender Künstler Österreichs,
der Wiener >Sezession<, der Wiener Künstlergenossen-
schaft und der Worpsweder Malerkolonie, sowie durch
eine Sammlung mustergültiger, moderner englischer
und amerikanischer Möbel und schöner Tiffanygläser.
Im Berichtsjahre wurde zum ersten Male eine Weih-
nachtsausstellung veranstaltet, bei der nur die Erzeug-
nisse Troppauer Gewerbetreibender und Firmen be-
rücksichtigt wurden. Die Beteiligung war eine noch
ziemlich kleine. Unter den Ankäufen sind zu er-
wähnen eine Reihe keramischer Erzeugnisse schlesischer
Werkstätten, darunter ausserordentlich dekorative Schüs-
seln und Krüge, welche die Delfter Blaumalerei des
17. und 18. Jahrhunderts imitieren, und besonders ein
grosser Tauftopf aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Es ist die Absicht, diese Sammlung weiter auszuge-
stalten durch Ausstattung von Zimmern, die ein
genaues Bild des altschlesischen Bauernhaus-Interieurs
geben sollen. -u-
AUSSTELLUNGEN
PARIS. Die Anfertigung der Medaillen für die
Weltausstellung igoo ist den Künstlern Chaplain
und Roty übertragen worden. Chaplain soll
die Medaillen, welche als Anerkennung und Belohnung
verliehen werden, gravieren, während Roty die Er-
innerungs-Medaille schlagen wird. -u-
PARIS. Das goldene Buch der Buchdnickerkunst
wird auf der Weltausstellung zu sehen sein.
Es wird alle Erfindungen und Neuerungen auf
dem Gebiete der Buchdruckerkunst in Wort und Bild
enthalten. Die Titelvignetten und die Abbildungen
überhaupt sind von den ersten französischen Malern
und Graveuren entworfen. Das Papier ist von be-
sonders feiner und seltener Qualität. Der Einband
besteht aus Kupfer in getriebener Arbeit mit silbernen
Charnieren. Gedruckt wird dieses Kunstwerk von
der französischen National-Druckerei. -u-
PARIS 1900. Nach einer vor kurzem festgestellten
Liste wird die französische National-Manufaktur
der Gobelins, einem Berichte in Art et Deco-
ration zufolge, auf der nächstjährigen Pariser Welt-
ausstellung mit nicht weniger als 40 Arbeiten vertreten
sein, von denen eine Anzahl unter Angabe der Dar-
stellungsgegenstände und der Namen der Urheber der
Kartons einzeln aufgeführt werden. Der grösste dieser
Wandteppiche in den Massen von 7 m 18 cm zu
5 m 21 cm ist die Wiederholung einer älteren Arbeit
nach Charles le Brun und bringt eine Audienz des
päpstlichen Kardinal-Legaten Chegi bei Ludwig XIV.
in Fontainebleau zur Anschauung; der nächstgrösste
von 7 m 5 cm zu 4 m 66 cm stellt, nach Franz Ehr-
mann, den Charakter der Künste, Wissenschaften und
der Litteratur im Mittelalter dar.
Das genannte Blatt tadelt es, dass so viele ältere
Arbeiten, darunter allein fünf nach Frangois Boucher,
wiederholt werden, da eine genügende Zahl zeit-
genössischer Künstler vorhanden sei, deren Begabung
sie für die Herstellung von Kartons für Gobelins bestens
befähigen würde. -ss-
WETTBEWERBE
AACHEN. Zu dem Wettbewerb um Entwürfe für
moderne Gasofenmäntel der Firma J. G. Hauben
Sohn Carl wurden über hundert Entwürfe ein-
gesandt. Der erste Preis 400 M. wurde nicht verteilt,
sondern in zwei weitere zweite Preise zerlegt. Diese
i6
KLEINE MITTEILUNGEN
erhielten: die Architekten Alois Ludwig in Wien,
E. Kleinhempel in Dresden und Freiherr v. Tettau
in Charlottenburg. Zwei dritte Preise, je loo M.,
erhielten Direktor J. Malina in Turnau und Ad. Beuhne
in Hamburg. Fünf weitere Arbeiten wurden zum
Ankauf empfohlen. -u-
DRESDEN. Preisausschreiben um Entwürfe für
den Neubau der Kgl. Kunstgewerbeschule. Da
das Gebäude, in dem sich zur Zeit die hiesige
Kunstgewerbeschule nebst dem Kunstgewerbemuseum
befindet, schon lange den Ansprüchen der Gegenwart
nicht mehr genügt, so beabsichtigt die Regierung,
unter der selbstverständlichen Voraussetzung, dass die
Stände ihre Genehmigung geben, den Bau eines neuen
Gebäudes und hat zur Erlangung von Entwürfen be-
reits ein Preisausschreiben an die deutschen Architekten
erlassen. Für den ersten Preis sind 2500 Mark, für
den zweiten Preis 2000 Mark und für den dritten
1500 Mark ausgeworfen. Preisrichter werden sein:
Geh. Hofrat Prof. Dr. Wallot, Geh. Hofrat Prof. Graff
(Direktor der Kunstgewerbeschule), Geh. Baurat Wal-
dow, Landbaumeister Reichelt und der Leipziger Stadt-
baurat Prof. Licht. -ü-
KÖLN. In dem Wettbewerb um Entwürfe zu einem
Kaiserin Augusta- Denkmal fielen die beiden
ersten Preise den gleichen Bewerbern zu: den
Bildhauern Stockmann und Dorrenberg im Verein mit
dem Bildhauer Kirsch. Den dritten Preis erhielt
Professor E. Herter in Berlin. -u-
WIEN. In dem Wettbewerb um Entwürfe für
eine Kopfleiste für die Wiener Bauindustrie-
Zeitung erhielt den 1. Preis (100 Kr.) Archi-
tekt Professor Franz Schwertner in Wien, den 2. Preis
(50 Kr.) Hans Milde in Wien. Zum Ankauf empfohlen
wurden die Arbeiten des akademischen Bildhauers und
Illustrators J. Pfeiffer und Adolf R. Müller in Wien
(für je 30 Kr.). Eingegangen waren 10 Entwürfe.
-u-
Ecksite (Mahagoni); entworfen von R. RIEMERSCHMID, ausgeführt in den Vereinigten Werltstätten für Kunst im Handwerl< in München.
(Gesetzlich geschützt.)
Herausgeber und für die Redaktion verantwortlich: Professor Karl Hoffacker, Architekt in Charlottenburg- Berlin.
Druck von Ernst Hedricli Nachf. in Leipzig.
Fliesenbild von Professor MAX LÄUGER, Karlsruhe.
DIE ZIMMERAUSSTATTUNO AUF DEN
AUSSTELLUNGEN IN BERLIN, MÜNCHEN UND DRESDEN
IM SOMMER 1899
DIE Wiederkehr der sommerlichen Ausstelhingen,
die eine Übersicht in grösserem Umfange
über den augenbiicl<lichen Stand des deutschen
Kunstgewerbes ermöglichte, giebt Veranlassung eine
Reihe von Fragen aufzuwerfen, deren Beantwortung
nicht unwichtig ist. Die erste Frage lautet: Thun
die Ausstellungen das Ihrige, um eine gesunde Ent-
wicklung zu fördern? Zweitens: Ist ein einheitlicher
Fortschritt in bestimmter Richtung zu erkennen?
Endlich: Wohin könnte eine neue Stilbildung sich
wenden? Diese Fragen sollen im Folgenden an der
Hand der Zimmerausstattungen und Gebrauchsgegen-
stände, wie die Ausstellungen sie zeigten, geprüft
werden mit Beiseitestellung aller dem Schmuck dienen-
den Einzelwerke der Kleinkunst.
Wir haben fast bis zum Überdruss die Leitsätze
wiederholen hören, die beim Beginn dieser Bewegung
in Deutschland dem Auslande nachgesprochen wurden.
Aber haben wir sie befolgt? Da hiess es zuerst, der
Künstler solle sich nicht zu vornehm dünken, Hand-
werker zu sein. Er solle mit seiner Phantasie die
nüchterne Erfahrenheit im Technischen befruchten.
Und die Künstler gingen ans Werk. Sie hatten geist-
reiche Einfälle für Einzelheiten die Fülle, aber nun
drängte die Einzelheit sich vor und lebte als Schmarotzer
von der Kraft, die das Gebilde als organische Einheit
sollte wachsen lassen. Statt dass der Künstler selbst
Handwerker wurde, verdrängte er ihn. Und es war
nicht einmal überall der Künstler, der diese Stelle
einnahm. Hin und wieder war es der Dilettant.
So gut wie in der Malerei kann der Dilettantismus
auch in jeder angewandten Kunst förderlich wirken,
indem er Geschmack und Interesse für Dinge weckt,
die so lange geduldig und ohne viel Nachdenken
aus der Hand des Handwerkers angenommen wurden.
Es ist auch sehr begreiflich, dass ein Künstler, selbst
wenn er nicht grade neue Vorschläge für die Tisch-
lerei zu machen hat, sich das Möbel für seinen Gebrauch
nach eigenem Geschmack zeichnen will, wenn er die
Masse und die Zahl der Fächer an einem Schrank an-
giebt, die grade seinen Gewohnheiten und Ansprüchen
entgegenkommen. Aber wenn er solch einfaches Gerät
im Kastenstil entworfen hat mit einfach rechteckigen
Flächen und mit Bretterstärken, welche lieber zu plump
gewählt wurden, damit sie nur nicht zu schwach
gerieten — denn die Erfahrung im Technischen fehlt —
3'
20
DIE ZIMMERAUSSTATTUNG. AUF DEN AUSSTELLUNGEN IM SOMMER 1899
üe^-:-
■^^''^vn
Iessiurfrs0mfi*n:
Porzellanvasen, weiss mit blauer Ornamentik, i bis 5 entworfen von H. SCHLICHT, 6 und 7 entworfen von E. KLEINHEMPEL, Dresden,
ausgeführt von der sächsischen Porzellanfabrik in Potschappel bei Dresden.
dann braucht solch Stück nicht unbedingt ausgestellt
zu werden. Nachdem wir die englischen Vorbilder
lange genug gesehen haben, ist solche Leistung eben
keine Heldenthat mehr. Solche Schränke sah man
aber sowohl in Berlin wie in Dresden und München.
Auch ist das Selbstvertrauen, welches sich getraut
eine Wand zu dekorieren, weil ihm bisher Setzschirme
in japanisierendem Geschmack recht wohl gelangen.
für sich allein noch nicht des Lobes gewiss. An die
grosse Fläche stellt man andere Ansprüche. In Berlin,
wo der Dilettantismus ganz besonders eine Stätte
gefunden hatte, konnte man ein Zimmer sehen, dessen
stoffbespannte Wände in Stickerei, verbunden mit
Malerei, dekoriert waren. Die gelben und weissen
Blüten auf Blaugrau waren wirkungsvoll genug und
die Raumfüllung im ganzen glücklich ausgeführt.
Oaskamin von Prof. MAX LÄUOER, Karlsruhe; Oasapparat von FR. SIEMENS, Dresden. (Oesetzl. geschützt.)
Zwischenwand im Zimmer von K. Gross auf der Deutschen Kunstausstellnug zu Dresden 189g.
n
n
n PO
3 Z
?^
33
ras
!?«
=-.o
3 :2,
o
H
ni
Z
o
DIE ZIMMERAUSSTATTUNG AUF DEN AUSSTELLUNGEN IM SOMMER 1899
23
Aber nun die Blütenstiele. Ihnen wäre zwischen den
weitläufig gestellten Blumen die wichtige Aufgabe
zugefallen, als stimmunggebende Linien zu wirken.
Sie mussten konsequent und gefällig geführt sein und
hätten dann verraten, inwiefern die Fähigkeit zu wirk-
lichem Stilisieren der Naturform vorhanden war. Das
will denn doch etwas anderes heissen, als das blosse
Auslassen der charakteristischen Einzelheiten, womit
es manchmal verwechselt wird. Hier jedenfalls war
dieser Teil der Zeichnung recht oberflächlich zufalls-
niässig ausgeführt. Solche Dinge können natürlich
nicht vorbildlich wirken.
Dann wird gesagt, der Künstler solle für den
praktischen Gebrauch statt für den Luxus arbeiten.
Trotzdem sind in den Ausstellungen die Prunkgeräte,
die Schmucksachen und Vasen noch immer unbe-
dingter befriedigend als die Möbel und Hausgeräte.
Immerhin ist es mit Genug-
thuungfestzustellen, dass heute
mit Vorliebe für den Gebrauch
gearbeitet wird. Die Geräte
sollen dann gern so schlicht
und schmucklos auftreten, dass
man gewiss keine andere Ab-
sicht argwöhnen könne, als
die der praktischen Verwen-
dung zu dienen. Das gilt auch
von den Tassen und Bechern
aus Steingut. Ob man sie
gerne benutzen wird? Warum
denn nicht, sie sind kostbar
und das versöhnt vielleicht
manche verwöhnte Dame mit
der derben Form und mit der
Rauheit des Materials. Sie
gönnt den grauen und so os-
tentativ anspruchslosen Tassen
wohl einen Platz auf ihrem
Frühstückstisch und verbannt
dafür Silber und Porzellan.
Aber so lange die Tasse leer
dasteht, kann man doch ein
gewisses Unbehagen nicht los
werden, wenn man die dick
auf dem Boden zusammen-
gelaufene Glasur bemerkt,
welche die Vorstellung er-
weckt, als sei sie noch nicht
erhärtet und eben erst an dem
Rande des Gefässes herab-
gesickert. Dies Überfliessen
der Glasur, diese durch den
technischen Vorgang entste-
hende Zufälligkeit der Deko-
ration, ist eine Eigenheit, auf
welche die moderne Keramik
sich etwas zu gute thut. Auf
Schmuck- und Schaustücken
bewundert man sie willig, aber
hier sollen praktische Geräte
geschaffen werden und ohne
Rücksicht darauf, ob die Eigentümlichkeit des Materials
sich dafür eignet, musste es sich dem Eigenwillen des
Künstlers fügen.
Ein weiteres Beispiel: Man hat die Vorliebe für
die kleinen Linien, die unpraktischen Winzigkeiten
des Rokoko satt bekommen. Grosse, ehrliche Formen,
die ihren Zweck offen eingestehen, sind die Losung.
Die kleinen Schreibzeuge auf Damentischen z. B.,
deren zieHiches Gestell wenig Sicherheit gegen das
Umstossen bot, betrachtet man heute nur vollj,'mit-
leidiger Geringschätzung. Stellen wir eine grosse
Schale hin mit fester Basis, verzichten wir selbst auf
die plastischen Figuren, die eine Zeit lang an den
Geräten der Du Bois und Carabin unvermeidlich
waren, wenn sie auch mit dem Tintenbehäiter eigent-
lich nichts zu schaffen hatten. Aber nun kommen
doch]]einige einfache Ornamente, die mit ihren grossen
Oaskamin von Prof. MAX LÄUQER, Karlsruhe ; Qasapparat von FR. SIEMENS, Dresden.
(Gesetzl. geschützt.)
*i L
Speisezimmer eines Landhauses, entworfen und eingerichtet von Architekt M. DULFER-Mujichen.
u
o
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 2.
Speisezimmer eines Landhauses, entworfen und eingerichtet von Architekt M. DÜLFER- München.
DIE ZIMMERAUSSTATTUNG AUF DEN AUSSTELLUNGEN IM SOMMER 1899
27
Schwingungen we-
nig Raum für eine
Kleinigkeit übrig
lassen, die doch an
einem Tintenfass
Beachtungverdien-
te: Der Glasbehäl-
ter ist nämlich auch
hier nicht grösser
als an jenen für
abgethan erklärten
Miniaturschreib-
zeugen , in denen
die Tinte alle paar
Tage eingetrocknet
stand. Diese zu-
fällig herausgegrif-
fenen Beispiele wa-
ren französischen
Ursprungs, aber
dergleichen soll
auch bei uns vor-
kommen. So will
man z. B. am Mö-
bel jedem Wun-
sche nach Bequem-
lichkeit entgegen-
kommen. Ein Tisch
vor dem Sofa ver-
stellte oft störend
den Weg. Und
doch will man
dies oder das gerne
schnell aus der
Hand legen. Dar-
um ist aber noch
nicht jede Konsole
oder Etagere prak-
tisch, die sich neben, über oder — was auch vor-
gekommen ist - unter dem Polstersitz einschiebt.
Dies Zusammenschachtelsystem wird in dem Bestreben,
nur ja alles recht bequem einzurichten, oft zum direkten
Gegenteil. Manches in der Art war in den Ausstel-
lungen zu sehen. Den Triumph der grössten Findig-
keit im Umbauen eines Sitzmöbels mit solchen Auf-
bewahrungsgelegenheiten feierte aber ein Sofa von Jo-
seph Hoff mann in Wien, welches der > Artist« kürzlich
abbildete, ohne es auffällig zu finden, dass ein Baldachin
über dem Sofa mit seinen verschiedenen Stützen
die Bank nach vorne so absperrte, dass nicht mehr
als eine Person darauf Platz fand. Dafür durfte sie
ihren Kopf nach rückwärts gegen einen Spiegel lehnen!
Seitwärts davon war der Raum zu Bücherregalen
benutzt, welche über den ganzen Sitz reichten. Sollte
es nun jemand einfallen, trotz aller entgegenstehenden
Hindernisse in den verbauten Kasten hineinzusteigen,
um sich auf dem Ruhebett auszustrecken, so mag
man sich wohl hüten, dass man den Kopf nicht oben
an dem Regal stösst! Endlich fand sich noch ganz
oben ein Platz, welcher nach der Abbildung für die
Theemaschine bestimmt war! ! Nach demselben Prinzip
Henkelvase auf Ständer, in Kupfer entworfen
und getrieben von F. X. ABT, Mindeltieim.
sah man in München ein Büffet, welches zwar eine
Menge offener Fächer aufwies, dieselben aber durch
eine Art Lattenzaunsystem, das heute vielfach beliebt
ist, so verbaute, dass man wohl thun wird, nichts
hineinzustellen, was man in jedem Augenblick ver-
wenden will.
Das aber nennt sich für den Gebrauch arbeiten!
Wir hörten auch viel von der Notwendigkeit, das
konstruktive Prinzip recht zu betonen. Statt dessen
macht sich häufig eine Willkürlichkeit in der Linien-
führung bemerkbar, welche die Möbel beinahe wie
freigewachsene Gebilde erscheinen lässt und nicht als
das planvolle Anpassen an den Zweck. Und hier ist
es notwendig einen Namen zu nennen, um die
betreffende Richtung deutlich zu charakterisieren. Bern-
hard Pankok hatte sowohl in München wie in Dresden
eine Zimmereinrichtung ausgestellt. Hier war es ein
Schlafzimmer, dort ein Vor- oder Warteraum. In
beiden sprach sich dies launenhafte Schalten deutlich
aus. Die Füsse und Stützen, die Rücken- und Seiten-
lehnen schwingen und biegen bald nach dieser, bald
nach jener Richtung, es wird ein phantastischer Ein-
druck angestrebt und dem Ungewöhnlichen das Ver-
nünftige geopfert. So entsteht z. B. ein Schrank mit
einer sehr schmalen Standfläche, der sich nach oben
zu ganz beträchtlich verbreitert, und bei dem man die
Lehnstuhl von BERNHARD PANKOK-München (Vereinigte Werkstätten).
(Oesetzl. geschützt.)
28
DIE ZIMMERAUSSTATTUNG AUF DEN AUSSTELLUNGEN IM SOMMER iSqq
ungemütliche Vorstellung hat, dass er nicht feststehe.
Man überzeugt sich wohl durch den Augenschein,
dass er nicht fällt, aber unsere Augen lassen sich auch
durch diese Beobachtung nicht widerlegen, ihnen ist
ein Anpassen an den logisch notwendigen Aufbau
ein unübertretbares Gesetz, das durch keine selbst-
gefällig ausgeführten Manöver umgangen werden darf.
Dieselbe Willkür waltet auch in Bezug auf die Masse
und Holzstärken. Alles in allem liebte Pankok von
jeher das Behäbige, das bei ihm leicht in das Plumpe
umschlug. Aber auch darin erkennt er keine Kon-
sequenz an. Er wählt Hölzer von übertriebener Stärke
und bildet sie zu knolligen Formen aus, und dicht
daneben stellt er wieder ganz dünne Stäbe, die in
solcher Nachbarschaft doppelt zerbrechlich erscheinen.
Ein kleines Ziertischchen ruht auf ungeschlachtem
Gestell und ein grösserer Eckttsch im selben Raum,
der doch bestimmt ist, schwerere Lasten zu tragen,
auf einem unregelmässig gestellten Gittersystem leichter
Stützen. Nicht der feste Plan, der augenblickliche
Einfall scheint zu regieren. Dasselbe gilt auch sonst
von den mehrfach wiederkehrenden Möbelteilen, welche
demselben Zwecke dienen. Da finden sich an den
Armlehnen der Stühle Formen, ungefähr wie Hände,
welche die nach oben verlängerten Stuhlbeine um-
fassen. An der dazu gehörigen Bank ist an derselben
Stelle ein ganz anderes, wulstig faltiges Gebilde an-
gebracht, welches ohne sichtbare Trennung aus der
wagerechten zur senkrechten Richtung überleitet Auch
die Bekrönungen und die unteren Endungen der
Möbel zeigen keine Übereinstimmung. Jeder Fuss
ist für sich entworfen, das Bett ruht z. B. auf Delphin-
köpfen, der Waschtisch hat an der Vorderseite ge-
schwungene nach unten spitz zulaufende Füsse, und
selbst die beiden Schränke haben ganz verschiedene
Untersätze.
Was die Farbenzusammenstellung betrifft, so ist
die Harmonie von schwarz poliertem Birnbaumholz
mit der hellen ungarischen Esche an den vorderen
und Mahagoni an den seitlichen Flächen der Möbel
mit lachsfarbigem Atlas eine sehr glückliche. Über-
haupt sind Einzelheiten in diesem Zimmer durchaus
erfreulich. Die Form der Bettstelle ist zwar schwer,
aber verhältnismässig einfach und imponierend, und
es ist verdienstlich, an so viel betretener Stelle ein
Beispiel einer Fensterumfassung in Holz zu geben,
welche eine Gardine nicht nur entbehrlich, sondern
sogar unmöglich macht. Will doch die moderne
Hygiene aus dem Schlafzimmer alle irgend entbehr-
lichen Stoffe verbannen. Gegen den Einblick in den
Raum von aussen schützt undurchsichtiges Glas und
für den in hellen Sommernächten notwendigen Aus-
schluss des Lichtes mögen aussen angebrachte Jalousien
sorgen. Schliesslich dürfte man aber erwarten, dass
in einem Raum, den der Künstler sich in den Ab-
messungen nach freiem Gutdünken herrichten lassen
durfte, der so wichtigen Stellung des Bettes grössere
Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dieses sollte nie-
mals so gerichtet sein, dass der Erwachende direkt
in das morgens auch durch die herabgelassene Jalousie
dringende Licht sehen muss, was für die Augen und
Kopfnerven gleich schädlich ist. Es ist schon genug,
dass in fast jedem Hotelzimmer gegen diese Regel
Verstössen wird, wo man die höhere Kopfwand des
Bettes am häufigsten in die dem Licht gegenüber
liegende Zimmerecke rückt. Es bietet entschieden
eine Schwierigkeit, diese Aufgabe befriedigend zu
lösen, aber dies ist auch eine von den praktischen
Forderungen, welche massgebend auf die Anordnung
des Wohnraumes einwirken sollten. Wenn Zimmer-
einrichtungen in so anspruchsvoller Weise vorgeführt
werden, so sollten sie auch in jeder Weise vorbild-
lich sein.
Übrigens ist es keineswegs Pankok allein, der
jene Willkür in der Formgebung beliebt, von der
vorhin die Rede war. Auch andere, die mit weniger
Phantasie — was vielleicht nicht unbedingt ein Schaden
ist - aber mit ebensoviel freudigem Willen mehr
solide Gebrauchsmöbel schaffen, verfallen hie und da
demselben Fehler. Man kann nicht erwarten, dass
eine Einrichtung Stil habe, wenn die sonst ganz
Schrank, in Eiche braun gebeizt niil Eisenbeschlägen. Entworfen von]
K. GROSS, ausgeführt von UDLUFT und HARTJMANN, Dresden,
DIE ZIMMERAUSSTATTUNG AUF DEN AUSSTELLUNGEN IM SOMMER 1899
29
Hocker (Birnbaumholz), entworfen von H. SCHLICHT, Dresden,
ausgeführt von den Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst,
bürgerlich solid gestalteten Möbel im selben Zimmer
bald steife und dann wieder nach auswärts und end-
lich an dritter Stelle einwärts geschwungene Beine
haben. In demselben Zimmer - es war von Bruno
Paul fand sich an dem Büffet noch eine Son-
derbarkeit. Der untere Kasten des Mahagonimöbels
wuchs aus einer Art Verbrämung von grauem Eichen-
holz hervor. Um nun oben eine Übereinstimmung
damit zu erzielen, waren die Säulen, die den Aufsatz
trugen, in unregelmässig abgerundete, vorn breiter als
hinten gestaltete Untersätze hineingestellt, in denen sie
steckten, wie in Filzschuhen, als sollte dadurch die
Politur der Standfläche geschont werden. Solch
Zusammenstellen der regelmässigen und willkürlich
wie zufallsmässig gebildeter Formen macht natürlich
einen unruhigen Eindruck.
Auch von der Bevorzugung glatter Flächen am
Möbel hatten wir uns Vorteile versprochen. Die
Oesamtwirkung sollte einfacher werden und die hier
ersparten Kosten einerseits einer gediegeneren Arbeit zu
gute kommen, und andererseits die weitere Verbreitung
geschmackvoller Möbel erleichtern. Aber nun scheint
man auch der glatten Fläche schon wieder überdrüssig
zu sein. Sollten etwa die Schwierigkeiten abgeschreckt
haben? In der That verlangt es ein sicheres Form-
gefühl und mehr Erfindungsvermögen, um mit der
einfach ungeschmückten Fläche gefällig zu wirken,
als wenn durch irgend eine Verzierung die Aufmerk-
samkeit von der Hauptsache abgelenkt wird. So sah
man sich nach Bundesgenossen um: zuerst kam das
Xylektypon, mit seiner Musterung ohne Muster, der
durch Sandstrahlgebläse aus der weichen Holzmasse
herausgeschälten Maser, und wurde reichlich für Fül-
lungen verwendet. Auch das war noch nicht genug.
Das neue Material wurde durch Schablonenauflage
stellenweise gegen die Einwirkung des Sandstrahls ge-
schützt und so entstanden glatte Ornamente auf rauhem
Grunde, welche die vorhin noch ziemlich bescheidene
Flächenverzierung etwas unruhig machten. Auch die
schönfarbigen und gemaserten Holzarten genügen jede
für sich allein nicht mehr, es müssen mehrere zu-
sammengestellt werden. Endlich stellen die Metall-
beschläge sich ein, kleine Kunstwerke an sich, in
reicher Abwechslung über den ganzen Schrank ver-
teilt, womöglich an jedem Schub eine andere Form.
Ist die Schlüssellochumfassung in Messing ausgeführt,
so erhält die andere Seite der Thür einen Zinnbeschlag.
Im Münchener Glaspalast konnte man einen Schrank
sehen, der aus drei verschiedenen Holzarten bestand
und mit zweifarbigen Metallbeschlägen und überdies
mit Schnitzerei verziert war. Ein anderes Modell
zeigte ausser zweifarbigem Naturholz mit dunklen
Metallbeschlägen in drei lebhaften Farben bemalte
Schnitzerei. Wo ist da die vielbelobte Einfachheit
geblieben?
Selbst ein Künstler wie H. E. von Berlepsch wirkt
mit seinen Möbeln noch immer unruhig, besonders
durch die vielfache Gliederung, die er seinen Schränken
und Büffets zu geben liebt, und durch reichliche
Metall zugaben, wenn man ihm auch zugestehen muss,
dass er grade durch Verwendung des Xylektypon
seinem Stil viel von der Buntheit genommen hat, die
von seinem Schreibtisch vor zwei Jahren in München
her noch unvergessen ist. Damals ertränkte er die
Konstruktion förmlich durch die Überfülle höchst
geistreicher Verzierungen, von denen jede einzelne
dankbar begrüsst worden wäre.
Und wie die Farbenstimmung des einzelnen Möbels
häufig unruhig ist, so zuweilen auch die des ganzen
Raumes. Allerdings ist im allgemeinen die Forderung,
dass eine einheitliche Farbengebung den ganzen Raum
beherrschen soll, von allen Leitsätzen der neuen Be-
wegung am wenigsten Phrase geblieben. Und doch
kommen auch hier Entgleisungen vor. Was hilft es,
wenn die Farbenwahl für den ganzen Raum auf ganz
bestimmte, überall wiederkehrende Nuancen beschränkt
wird, dass auch Decke und Fussboden in die Einheit
hineingezogen werden, wenn diese Farben unter sich zu
fremd und gegensätzlich sind, als dass sie ruhig zu-
sainmen klingen könnten. In einem Billardzimmer
Fussbank mit Oarnknäuelbehälter von J. V. CISSARZ, Dresden, aus-
geführt von den Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst.
30 DIE ZIMMERAUSSTATTUNO AUF DEN AUSSTELLUNGEN IM SOMMER 189g
dem schweren Möbel den Ein-
druck der Plumpheit ersparen.
Die ganzen Zimmereinrich-
tungen, selbst wo man ihnen
eine gewisse Einheitlichkeit nicht
absprechen kann, wirken noch
selten recht befriedigend. Die
deutsche Stube von Billing in
Dresden ist in ihrem etwas ge-
waltsamen Archaismus ungefähr
das Muster der_ Unbequemlich-
keit. Max Rose's Treppenhaus
stellt eine Verschmelzung von
Empire und Van de Velde dar
und das Speisezimmer für ein
Landhaus von Martin Dülfer
schwelgt allzusehr in vielen
kleinen Nischen, Eckschränken
und Bordbrettern, wirkt auch
in der Farbenstimmung etwas
frostig.
Am konsequentesten auf
einen wirklichen Stil in der
Tischlerei hingearbeitet hat aber
bisher Riemerschmid, der am
häufigsten vollständige Zimmer-
einrichtungen zeigte und ohne
sich selbst zu wiederholen stets
der Einfachheit treu blieb. Er
arbeitet für einen soliden Bürger-
geschmack und macht in die-
sem Sinne fast immer den Ein-
druck der Behaglichkeit. Jeden-
falls wirkt er lieber einmal nüch-
tern, ehe er extravagant würde
und das Möbel verrät stets, war-
um es grade so gewollt wurde. Riemerschmid liebt die
festen Standflächen am Möbel und lässt den Aufbau
nach oben gern schlanker werden. So vermeidet er die
ewig senkrechten Linien, die an schlichten Oeräten,
im Raum häufig wiederholt, ermüden würden. Aus
dem gleichen Orunde fügt er in den rechteckigen
Holzrahmen gern eine von schwingender Linie um-
schriebene Füllung ein, aber auch hierin bescheiden
Mass haltend, so dass das Auge die Abweichung nur
eben wohlthuend empfindet und doch die Hauptrichtung,
das von oben nach unten < als massgebend bestehen
bleibt. So weiss er auch an einem vielthürigen Olas-
schrank durch einen in der Diagonalrichtung über die
Scheibe gelegten Holzstreifen eine willkommene Ab-
wechslung in die Linienführung zu bringen. Auch
seine Farbenzusammenstellungen sind stets bescheider.
Er kommt mit wenigen Nuancen Blau- oder Grüngrau
für die Wände und Stoffe aus, und er belebt sie je
nach der Bestimmung des Zimmers durch die Wahl
der Holzfarbe, oder er dämpft den Eindruck, wie dies-
mal für ein Musikzimmer, dadurch, dass er auch als
Holz etwas Stumpfes, nämlich gebeizte graue Wasser-
eiche wählt. In dieser Farbenstellung, die auch inner-
halb enger Grenzen nicht monoton wird, erkennt man
den feinen Koloristen, der sein Auge nicht vergebens
Beleuchtungskörper in Messing von BERNHARD PANKOK-München (Vereinigte Werkstätten).
(Oesetzl. geschützt.)
im 'Münchener Glaspalast sah man: Blau, Grün, Rot,
Gold und Weiss, alle Farben in ungebrochener Stärke
auf grossen Flächen ausgebreitet. Der Eindruck war
entschieden bunt und hart. Dazu waren noch nicht
einmal überall die Stoffe von derselben Farbe und
Oewebeart. Ein Vorhang grün, einer rot — wo soll
da eine gesammelte Stimmung herkommen?
Es giebt aber auch eine schlichtere, besonnenere
Richtung in der neuen Tischlerei. Da sind z. B. einzelne
Geräte von Michael in München, oder von Gross,
der sich bisher vorwiegend durch seine Zinnarbeiten
bekannt gemacht hatte, welche auf alle Spitzfindigkeiten
verzichten und doch neu und gefällig wirken. Be-
sonders die Schränke von Michael, die ganz in Maha-
goni ausgeführt waren, zeigten eine sehr glückliche
Verwendung stilisierter Naturform. Der wachsende
Stamm, zur Stütze umgebildet, wurde zum Träger der
vorspringenden oberen Schubfächer, auf denen er sein
Geäst als Flachschnitzerei ausbreitete, die sich ganz
organisch der streng regelmässigen Form des Möbels
anschmiegte. Hierher gehört auch der schon bekannte
Lesetisch von Schnitze -Naumburg, der so unaffektiert
eine neue Form aus dem praktischen Zweck ableitet
durch Schrägstellen der Füsse, die so der grossen
Tischplatte eine gesicherte Standfläche bereiten und
DIE ZIMMERAUSSTATTUNO AUF DEN AUSSTELLUNGEN IM SOMMER iSgg
31
lagdzimmer, entworfen von H. E. v. BERLEPSCH-VALENDAS, München.
an verdienstvollen Natiirstudien schulte. — Nur mit
einer Einrichtung eben jenes Musikzimmers konnte
man sich nicht befreunden und das war die An-
bringung des elektrischen Lichtes, ist auch Riemer-
schmid die Phrase einmal über den Kopf gewachsen?
Er wollte die Anlage aus dem Material und aus den
technischen Bedingungen heraus entwickeln, so will
es ja auch einer der populär gemachten Leitsätze. Um
nun seine Leitungsdrähte recht offensichtlich zur Gel-
tung zu brin-
gen, spannt er
in weitem Kreis
einen dünnen
Stab in einiger
Entfernung
von der Decke.
Hierüber legen
sich vom Mit-
telpunktaus die
Drähte, jeder
für sich und je
zwei hängen
zu der kleinen
Glocke herab,
welche die
Olühdrähte mit
ihrer Glasum-
kleidung be-
herbergt.
Wenn ich nicht
irre, waren es
24 solcher
Glocken, also
48 Drähte, die
wie ein riesiges
Spinngewebe
über dem Zim-
merschwebten.
Müssen die Lei-
tungen einmal
gezeigt wer-
den, so war dies
doch jedenfalls
ein Ubermass.
Ich für meine
Person gestehe,
dass ich dies
Sichtbarwer-
den der Strom-
zuführung ent-
behrlich finde.
Möge das Licht
da sein wie das
Tageslicht,
nach dessen
Herkunft wir
auch nicht fra-
gen, und also
ist mir die
Lichtquelle un-
mittelbaran der
Zimmerdecke die liebste. Eine sehr glückliche An-
ordnung hatte Gross dafür gefunden, der die Glas-
glocken unmittelbar in die Stuckornamente einer Decke
eingefügt hatte. Jedenfalls ist es für das elektrische
Licht und seine Entstehungsursache am charakteris-
tischsten, wenn von seiner Anbringung so wenig
Aufhebens gemacht wird wie möglich, da man die
eigentliche Kraftquelle, die stromerzeugenden Anlagen,
doch nicht zeigen kann. Dies Licht verbraucht keinen
32
DIE ZIMMERAUSSTATTUNO AUF DEN AUSSTELLUNGEN IM SOMMER 1899
Stoff, darf also
auch nicht mit
einem grossen
Materialauf-
wand prunken.
Jedenfalls kann
es der Kronen
entbehren, an
denen es oft
noch gewohn-
heitsmässig an-
geordnet wird,
und ganz be-
sonders sollte
es durch Ab-
wärtswenden
seine vorneh-
mere Natur ge-
genüber der
stoffverzehren-
den Flamme
deutlich ma-
chen, welche
an eine be-
stimmte Rich-
tung gebunden
ist. Bei der
Wichtigkeit der
Beleuchtungs-
anlagen fürden
ganzen Raum
ist es sehr dien-
lich, wenn gra-
de sie recht an-
schaulich vor-
geführt wer-
den, freilich
wäre dann noch
zu wünschen,
dass die Be-
leuchtung
selbst praktisch
gezeigt würde,
damit sich die
Wirkung auf
den Raum prü-
fen Hesse. Das
war freilich
weder in Mün-
chen noch in
Dresden der
Fall, weil die
Ausstellungen
vor Dunkelwerden schlössen. — Wenn ich nun zu
der Zusammenfassung dessen komme, was aus obigen
Betrachtungen für die Beantwortung der eingangs auf-
gestellten Fragen folgt, so ergiebt sich, dass die Aus-
stellungen nur dann ihre Aufgabe für die Ent-
wicklung des Kunstgewerbes voll erfüllen könnten,
wenn sie vorsichtiger in der Auswahl dessen wären,
was sie zulassen. Jeder noch so gut gemeinte Dilet-
Jagdzimmer, entworfen von H. E. v. BERLEPSCH-VALENDAS, München.
tantismus wäre völlig auszuschliessen. Die Vorführ-
ungen an diesen Stellen müssten ein Mustergültiges
bieten, das auch dem simplen Handwerk Ziele auf-
stellte, nach denen es streben könnte. Der Muster-
schutz, der all diesen Arbeiten zur Seite steht, soll
sie doch nur vor dem direkten Kopieren schützen.
Er kann und soll doch nicht mit einem Zaun umbauen,
was etwa an allgemeinen Prinzipien dabei gewonnen
DIE ZIMMERAUSSTATTUNO AUF DEN AUSSTELLUNGEN IM SOMMER 1899
33
wird. So oder so, diese Möbel werden nachgeahmt
werden, so gut die alten Stile oder die englischen
Möbel nachgeahmt wurden und so gut z. B. Van de
Velde's Kunst in ihnen selbst Einfluss geübt hat. Am
leichtesten nachgeahmt wird aber nicht das Beste, son-
dern grade das Dilettantische oder das, was charakte-
ristisch bis zur Übertreibung ist.
Ferner musste die Vorführung eine mustergültige
werden. Bei einem Durcheinandermengen verschieden-
artigster Ausstellungsobjekte wie es z. T. in Berlin und
im Münchener Olaspalast beliebt wurde, könnte selbst
dann kein voller Nutzen erzielt werden, wenn nur
auf den Ausstellungen immer neue, noch nicht da-
gewesene Musterstücke erscheinen, aber was hilft es,
wenn sie nur deshalb noch nie da waren, weil sie
dem Vernünftigen und Praktischen entgegenstreben.
Wo immer sich ein Stil bilden will, da kann er nur
in langsamer, folgerechter Entwicklung aus unkompli-
zierten Anfängen hervorwachsen. Alle jungen Stile,
so lange sie noch entwicklungsfähig waren, zeichneten
sich durch Einfachheit aus. Das heisst so viel als:
so lange ein kräftig lebensfähiges Prinzip sich erst
gegen Altes durchsetzen will, so lange eben dies
Prinzip an sich noch mit Freude empfunden wird,
ICy lAUFE JOICH m j^^,
yj-^^»kUH m yVÄTERS DES
I '' ' - ^1/ I SBHMES »KD TSeS HEILISEN tf'f
\ .y^'. ^/, 1! 6EISTES l AMEN f/
i»
Entwurf zu einer Tauf- Plakette von Bildhauer C. QOMANSKY, Berlin. Hl. Preis.')
Outes geboten würde. Das Anordnen einheitlicher
Räume wird stets am erspriesslichsten sein. Dresden
und die Sezessionsausstellung in München hatten
diesen Weg beschritten, es bliebe nur noch mit
grösserer Konsequenz vorzugehen. Hie und da fand
sich doch noch ein fremdes Stück, das willkürlich in
eine Einheit hineingestellt war.
Was nun die Frage nach den Fortschritten betrifft,
die etwa gemacht worden sind, so liegt ihre Beant-
wortung bereits in obigen Ausführungen. Die Oefahr
scheint nahe liegend, dass trotz aller schönen Reden
die Bewegung sich in viele kleine Willkürlichkeiten
zersplittern könnte. Es mag sehr anregend sein, wenn
1) Vgl. Kunstgewerbeblatt, N. F. X., S. 196.
so lange kommt es mit geringem Schmuck- und Bei-
werk aus. Ist dies Prinzip erst gefestigt und siegreich
geworden, dann greift es nach dem Zierat, gleichsam
den Siegeskränzen, mit denen es seinen Triumph
feiert. Was sollen aber die Trophäen, ehe noch ein
Sieg errungen wurde? Soldaten, die vor der Schlacht
frohlockten, kehrten oftmals als Besiegte von der
Walstatt zurück. Haben wir denn schon einen
Stil, d. h. ein Oemeinsames, an dem künftige Zeiten
die Werke unserer Epoche von früheren und späteren
unterscheiden werden? Wer heute im Kunstgewerbe
viel Kraft an die Einzelheit wendet, der bringt auf
den Oedanken, dass die treibende Idee für das Oanze
nicht eben stark in ihm nach Ausdruck verlangt.
A. L. PLEHN.
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 2.
Entwurf zu einer Tauf-Plakette von Bildhauer RUDOLF BOSSELT, Darrastadt. I. Preis.i)
KLEINE MITTEILUNGEN
VEREINE
STUTTGART. Der neunte Delegiertentag des Ver-
bandes deutscher Kunstgewerbevereine fand am
25. September, vormittags 10 Uhr im Sitzungs-
saale des Königl. Landesgewerbe-Museums in Stuttgart
statt, nachdem sich bereits am Abend vorher eine
grosse Anzahl Delegierter im Hotel Viktoria zu zwang-
losem Zusammensein vereinigt hatten. Die Tages-
ordnung lautete: 1) Wahl des Bureaus und Festsetzung
der Präsenz und des Stimmenverhältnisses. 2) Geschäfts-
und Kassenbericht des Vorortes. 3) Voranschlag für die
Geschäftsperiode 1899 bis 1901. 4) Festsetzung der
Vereinsbeiträge für 1899 und 1900. 5) Anträge des
Oldenburgischen Kunstgewerbevereins, betreffend aus-
giebigere gegenseitige Unterstützung der deutschen
Kunstgewerbevereine in ihren Bestrebungen für die
Hebung des Kunstgewerbes und zwar I. Über gegen-
seitige Herleihung von Sammlungsgegenständen zur
Benutzung bei Fachausstellungen; II. Über Austausch
von Dubletten aus den Muster- und Vorbildersamm-
lungen; III. Über ein engeres Zusammengehen der
deutschen Kunstgewerbevereine bei Preisausschreibun-
gen; IV. Jährliche gegenseitige Mitteilungen über Ziele
und Resultate des in den Vereinen erteilten kunst-
gewerblichen Unterrichts; V. Gegenseitige Mitteilung
über staatliche und sonstige Subventionen der ein-
zelnen Vereine, sowie über die Dotierung der Be-
amten derselben. Letzter Punkt der Tagesordnung:
Neuwahl des Vorortes. Zur Sitzung waren 27 Ver-
1) Vergl. Kunstgewerbeblatt, N. F. X., S. 196.
treter erschienen. Nach Eröffnung der Sitzung und
Begrüssung der Delegierten gedachte Bruckmann-Stutt-
gart des vor kurzem verstorbenen Fabrikanten Stotz,
der sich mit warmer Begeisterung stets den Arbeiten
des Verbandes und der Förderung des Kunstgewerbes
gewidmet hatte, und ersuchte die Versammlung sich zur
Ehrung des Verstorbenen von den Sitzen zu erheben.
Die Festsetzung der Präsenz und des Stimmenverhält-
nisses ergab die Vertretung von 17 Vereinen mit 36
Stimmen, von 24 dem Verband angehörenden Vereinen
mit 43 Stimmen. Als Vorsitzende wurden gewählt : Pro-
fessor Stier- Stuttgart und Direktor Dr. Brinckmann-
Hamburg und als Schriftführer Direktor Dr. Graul-
Leipzig und Maler Flemming-Berlin. Professor Stier-
Stuttgart verlas hierauf den Geschäftsbericht des Würt-
tembergischen Kunstgewerbevereins als Vorort des
Verbandes, sowie den Kassenbericht der mit einem
Kassenbestand von Mark 1009.10 abschliesst. Als
Revisoren wurden gewählt die Herren Gesell -Pforz-
heim und Merk-München. Der Voranschlag für die Ver-
waltungsperiode 1899 — iQOi wurde genehmigt, wo-
nach die Beitrageinheiten in derselben Höhe wie bis-
her beibehalten wurden. Von den Oldenburger An-
trägen (Referent Holtzinger-Oldenburg) wurde Punkt I,
Herleihung von Gegenständen aus den Sammlungen
dahin erledigt, dass von selten des Vorortes an alle
Verbandsvereine das schriftliche Ersuchen gerichtet
werde, vorkommenden Falles derartigen Aufforderungen
Folge zu geben, soweit die Vereine überhaupt im
Besitz von Sammlungen sind, was bei der Mehrzahl
derselben nicht der Fall ist. Bezüglich des Punktes II,
Austausch von Dubletten betreffend, glaubt der Dele-
KLEINE MITTEILUNGEN
35
Entwurf zu einer Tauf-Plakette von Bildhauer GEORGES MURIN, Berlin. Il.^Preis.,')
giertentag einen Beschluss nicht fassen zu können und
überlässt es den Einzelvereinen in direkten Verkehr
untereinander zu treten. Nach Verlesung der Referate
über die Punkte III, IV und V der Oldenburgischen An-
träge, sowie längerer Debatte über diese, zieht Oldenburg
den Antrag IV zurück, da von den Vereinen keine
Unterrichtskurse mehr unterhalten werden, da dieselben
von den betr. Regierungen übernommen worden sind.
Ebenso soll es den einzelnen Vereinen überlassen bleiben,
sich über die in Antrag V enthaltenen Punkte, Sub-
ventionen und Dotierungen u. s. w. im direkten Verkehr
zu informieren, da es nicht für angängig erachtet
wird, derartige interne Angelegenheiten der Einzel-
vereine der Öffentlichkeit zu übergeben. Bei Be-
sprechung des Punktes III, an den sich eine längere
Debatte schliesst, wurde der Wunsch geäussert, der
Verband möge in seinen einzelnen Vereinen den jetzt
öfters sich breit machenden Missständen bei Wett-
bewerben entgegentreten und auf deren Einschränkung
auf ein vernünftiges Mass hinwirken. Es wurde der An-
trag gestellt, dass von selten des Verbandes die er-
schienenen Ausschreibungen den Mitgliedern bekannt
gegeben werden möchten. Da dies bei den geringen
für Publikationen zur Verfügung stehenden Mitteln
nicht ausführbar ist, wird beschlossen auch diesen
Wunsch in dem den Verbandsvereinen vom Vorort
zuzusendenden Zirkular zu berücksichtigen. Die Re-
daktion dieses Schreibens wird dem nächsten Vorort
überwiesen. Angeregt durch eine Anfrage Hoffacker's
an den Vorort entwickelte sich eine lebhafte Aus-
sprache über den Stand der Pariser Ausstellungsarbeiten,
wobei aufrichtig bedauert wurde, dass der Verband
in Folge der Beschlüsse des früheren Delegiertentages
sich nicht an den Arbeiten beteiligte. Von verschie-
denen Seiten wurden einige Punkte genannt, z. B. die
Frage der geschäftlichen Vertretung der Aussteller, der
Reinhaltung der Gegenstände u. s. w., des Transportes,
die noch nicht gelöst sein dürften, und zur weiteren
Behandlung s. Z. dem jetzigen Vororte überwiesen
waren. Von Stöffler- Pforzheim wurde der An-
trag gestellt, der Delegiertentag möge an den Reichs-
kommissar den Wunsch richten, dass bei Ankäufen
für die Ausstellungslotterie in Paris die Erzeugnisse
des deutschen Kunstgewerbes Berücksichtigung finden
möchten, was bei früheren Gelegenheiten nicht ge-
schehen sei. Da die Befürchtung vorliegt, dass mit
schriftlichen Eingaben bei der Kürze der Zeit nicht viel
zu erreichen sei, so wurde beschlossen, eine Deputation,
bestehend aus zwei Herren des Vorortes Stuttgart, ferner
v. Thiersch-München, Götz-Karlsruhe und Haupt-Han-
nover binnen kürzester Frist an den Reichskommissar zu
entsenden, um über obige Punkte Rücksprache zu neh-
men. Gesell-Pforzheim regt an, für Paris eine Art kunst-
gewerblichen Führer herauszugeben, sowie in Paris
einen Vereinigungspunkt für deutsche Kunstgewerbe-
treibende zu schaffen. Auch diese Anregung wird
der Kommission überwiesen. Inzwischen hatten die
Revisoren die Rechnungslegung geprüft und richtig
befunden, so dass dem Vorort Decharge erteilt werden
konnte. Als Vorort für die nächste Geschäftsperiode
wurde Hamburg gewählt, welche Wahl vom dortigen
Kunstgewerbeverein angenommen wurde. Auf Vor-
schlag Stuttgarts wurde an Geh. Hofrat Prof. C. Graff-
Dresden zu seinem 25jährigen Direktorjubiläum eine
Glückwunschdepesche abgeschickt.
Nach Erledigung der geschäftlichen Angelegen-
heiten vereinigte ein vom Vorort Stuttgart gegebenes,
durch viele Reden gewürztes Festessen die Delegierten
in den Räumen des Hotel Viktoria. Am Dienstag
unternahm der grösste Teil der Delegierten einen vom
Wetter allerdings wenig begünstigten Ausflug nach
Tübingen und Bebenhausen unter liebenswürdiger
Führung der Stuttgarter Herren, von denen sich be-
sonders Herr Professor Stier in dankenswerter Weise
aufgeopfert hatte. E. FL.
1) Vergl. Kunstgewerbeblatt, N. F. X., S. 196.
5*
36
KLEINE MITTEILUNGEN
MUSEEN
LEIPZIG. Unter Teilnahme eines grösseren Kreises
von Geladenen wurde am 25. v. Mts. 1 1 Uhr
das 25jährige Jubiläum des Kunstgewerbe-Mu-
seums durch einen Festaktus im Vortragssaale des
Grassi-Museums in würdiger und weihevoller Weise
begangen. Von den einstigen Gründern des Museums
und den ersten Mitgliedern des geschäftsführenden
Ausschusses wohnten die Herren Handelskammer-
Sekretär Dr. Gensei, Oberbürgermeister Justizrat Dr.
Tröndlin der Feier bei, mit ihnen weiter zahlreiche
Vertreter von Kunst, Wissenschaft und Kunstgewerbe.
Nach dem Gesang des Thomanerchors Lobe den
Herren, den mächtigen König der Ehren« hielt Herr
Dr. Julius Gensei, der erste Vorsitzende des geschäfts-
führenden Ausschusses, dig Festansprache, mit dem
Rückblick auf die Thätigkeit des Kunstgewerbe-Museums
im abgelaufenen Vierteljahrhundert einen freudigen
Ausblick auf die kommenden Aufgaben und Ziele
desselben verbindend. Hieran schloss sich eine kurze
Rede des Herrn Direktors Dr. Graul, deren Inhalt der
Hinweis auf die von dem Kunstgewerbe- Museum
weiter einzuschlagenden Wege bildete. Nach einer
Begrüssung und Beglückwünschung durch Herrn Ober-
bürgermeister Justizrat Dr. Tröndlin verkündete Herr
Stadtrat Baurat Dr. A. Rossbach im Namen des Ver-
eins Kunstgewerbe-Museum die Ernennung des ersten
Vorsitzenden Herrn Dr. Julius Gensei in dankbarer
Bekräftigung seiner Verdienste um das Museum zum
Ehrenmitgliede desselben und überreichte ihm zugleich
eine von Felix Pfeifer kunstvoll modellirte Plakette.
Vorher hatte Herr Professor Treu - Dresden , der Di-
rektor der Antikensammlung, dem Museum die Grüsse
und Glückwünsche dieses Institutes überbracht. Mit
einem Dankeswort des Herrn Dr. Gensei und dem
Gesang des Thomanerchors schloss die weihevolle
Feier. Nach dem Festaktus unternahmen die Erschie-
nenen einen Rundgang durch das Museum, um bei
dieser Gelegenheit auch der heute eröffneten Aus-
stellung von Werken modernen Kunstgewerbes eine
eingehende Besichtigung zu widmen.
WETTBEWERBE
BERLIN. Ergebnis des Wettbewerbs um Entwürfe
zu Plakaten für die Firma Jünger & Oebhardt.
In dem Wettbewerb um das Plakat für Veilchen-
duft« erhielten den I. Preis (400 M.) A. Weisgerber
in München, zwei II. Preise (je 300 M.) A. Grote in
Hamburg und Meinhard Jacoby in Grunewald bei
Berlin. In dem Wettbewerb um das Plakat für - Lanolin-
Creme-Erzeugnisset erhielten den I. Preis (500 M.)
Albert Klinger in Charlottenburg, den II. Preis (300 M.)
Hans Looschen in Berlin. Über den III. Preis war
eine Einstimmigkeit nicht zu erzielen. Durch Zuschuss
der ausschreibenden Firma von 100 M. wurden drei
dritte Preise zu je 100 M. gebildet und verteilt an:
Julius Voss in Berlin, Ludwig Kuba in München und
K. Tuch in Leipzig. -u-
BERICHTIGUNG
Durch ein bedauerliches Versehen ist im Sep-
temberheft des X. Jahrgangs ein Preisausschreiben der
Kurkonnnission in Baden abgedruckt, das längst ent-
schieden ist und von dem wir s. Z. N. F. IX, Heft 1,
Seite 14 schon Notiz genommen hatten.
Entwurf zu einer Tauf-Plakette von Bildhauer ADOLF AMBERO in Cliarlottenburg. U. I'reis. (Vgl. Kunstgewerbeblatt, N. F. X., S. 196.)
Herausgeber und für die Redaktion verantwortlich: Professor Karl Hoffacker, Architekt in Charlottenburg- Berlin.
Druck von Ernst Hedrich Nachf. in Leipzig.
r
Mlf^^:
stoffdruck von Oberkampf, 1770 17S0. (Österreichisches Museum.)
DIE ZEUGDRUCK -AUSSTELLUNG
IM ÖSTERREICHISCHEN MUSEUM FÜR KUNST UND
INDUSTRIE IN WIEN
Linzer Zcugdrixk von 1S22.
(Fachodiule für Textil- Industrio in Wien.)
DAS österreichische Museum hat es sich, seitdem
mit der neuen Leitung neuer Geist in seine
Räume eingezogen ist, zur dankbaten Aufgabe
gemacht, die reichen, bislang in weiteren Kreisen
wenig bekannten Bestände seiner wertvollen Textil-
sammlung dem Publikum zu erschliessen und die
infolge ihrer Menge in toto nicht ausstellbaren Schätze
dieser Kollektion, jeweilig bereichert durch besonders
interessante Stücke aus fremden Sammlungen, in einer
Reihe von Spezialausstellungen vorzuführen.
Dank der ausserordentlichen wissenschaftlichen und
organisatorischen Tüchtigkeit des Verwalters der Textil-
sammlung des österreichischen Museums, Dr. Dreger's
- er ist in dieser Stellung der Nachfolger zweier
Gelehrten von Weltruf, Franz Wickhoff s und Alois
Riegl's — bieten diese Ausstellungen nicht nur dem
Kunstindustriellen förderndste Anregung, sondern auch
dem wissenschaftlichen Fachmann eine wahre Fund-
grube von Belehrung und dem Publikum künstlerische
und technische Aufschlüsse über Zweige des Kunst-
handwerks, mit welchen es, wenigstens in Wien, bisher
so gut wie gar nicht vertraut war.
So beweisen diese kleinen Spezialausstellungen des
österreichischen Museums, so manche gegensätzlichen
Prophezeiungen glücklich entkräftend, dass es einem
Kunstgewerbemuseum — eine zielbewusste Leitung
und fleissige, gründlich geschulte Beamte voraus-
gesetzt — sehr wohl gelingen könne, neben der an-
gelegentlichsten Pflege des modernen Geistes im
Kunsthandwerk, auch die kunsigcscliiclitliche Bildung
des Publikums rege zu fördern. Dies gilt namentlich
von der jüngsten, vor etlichen Wochen eröffneten
Ausstellung von Zeugdrucken, die einerseits in ihren
6'
40
DIE ZEUODRUCK- AUSSTELLUNG IM OSTERREICHISCHEN MUSEUM IN WIEN
lavanischer Batik - Sarong. (Österreichisches Museum.)
prächtigen modernen Sammet- und Kattundrucken vor-
nehmlich englischer und französischer Provenienz dem
Praktiker und unter den österreichischen Indus-
triellen bilden die Zeugdrucker eine bedeutsame
Gruppe — die gediegensten Vorbilder darbietet,
andererseits . dem Publikum zum erstenmal eine kunst-
industrielle Technik in ihrem historischen Entwicklungs-
gange vorführt, der, trotz ihres so ausgeprägten
stilistischen Eigenwertes, in den Augen der breiteren
Kreise, ja leider selbst in der Auffassung mancher
Fachleute das Odium der Surrogattechnik anhaftet.
Die Geschichte des Zeugdrucks bestätigt freilich
das Naheliegen dieses Irrtums: Jahrhundertelang hatte
sich der Zeugdruck durch die Nachahmung aller
möglichen textilen Techniken durchzukämpfen gehabt,
bis er seine eigene stilistische Sprache fand, und immer
wieder — bis in unsere Zeit — verfiel er gelegentlich
in sein altes Erbübel, die Imitationssucht! Aber auf
der anderen Seite lehrte auch die historische Ent-
wicklung des Zeugdrucks in ihren Kulminationspunkten
— die gute moderne Produktion zählt gottlob dar-
unter, — zu welcher Höhe stilistischer Selbständigkeit
der Zeugdruck sich aufzuschwingen vermag und sich
aufschwingen muss, um den Ehrenplatz einer kunst-
gewerblichen Technik in des Wortes höchstem und
engstem Sinne einzunehmen!
Die ältesten Gegenstände der Zeugdruckausstellung
des österreichischen Museums — Teile von hand-
bemalten ägyptischen Mumienumhüllungen — weisen
auf das Dekorationsverfahren zurück, dem der Zeug-
druck seinen Ursprung verdanken dürfte. Der älteste
Zeugdruck der Ausstellung befindet sich auf einem
Teil der Kleidung einer von Theodor Graf in Akhmin-
Panopolis ausgegrabenen, etwa 1500 Jahre alten Puppe:
das Muster ist in schwarzblauer Farbe auf ungefärbtem
Grunde in einer Art von Reservagedruck hergestellt
und ahmt in seiner Ornamentation die Wirkerei-
ornamentik der Spätantike getreulich nach. Das frühe
Mittelalter ist durch eine Reihe vornehmlich byzan-
tinischer und italienischer Zeugdrucke vertreten: haupt-
DIE ZEUGDRUCK -AUSSTELLUNO IM ÖSTERREICHISCHEN MUSEUM IN WIEN
41
sächlich sind es Nachahmungen blauer, gold- und
silberdurchwebter lucchesischer und palermitanischer
Seidenstoffe, die die billige Industrie jener Zeit mittelst
des Modeldruckes schlecht und recht hervorbrachte;
derartige gedruckte Surrogate der kostbaren Oold-
und Silberstoffe wurden im Mittelalter >Siglat' genannt
und spielten namentlich, wenn es galt, nach fernen,
minder kultivierten Ländern blendende und — billige
Geschenke zu senden, eine grosse Rolle: so schickte
Rudolf von Habsburg dem Sultan El Malik el Mansur,
neben anderen Gaben, fünf Lasten Siglat's zum Zeichen
seiner Freundschaft. Die spätmittelalterlichen Zeug-
drucke der Ausstellung, darunter eine wunderschöne
Heiligendarstellung in architektonischer Umrahmung
und prächtige, der Sammlung Figdor angehörende
Reste von granatapfelgemusterten Tiroler Leinwand-
tapeten, bestätigen den von der Forschung nachge-
wiesenen nahen Anteil unserer Technik an der Erfindung
des Buchdrucks.
Die Renaissance-Epoche ist durch gepresste, in
Färbung und Ornamentierung gleich schöne Sammete
italienischer Provenienz die Sammetpressung steht
ja der Technik des Zeugdrucks ungemein nahe —
und vornehmlich durch eine herrliche Casel des
XVI. Jahrhunderts repräsentiert, deren Stoff, in schwarz
auf weiss und weiss auf schwarz bedruckt, die denk-
bar feinst gezeichnete Musterung aufweist. Der Barock-
zeit gehören in unserer Ausstellung ein schwarz in
schwarz bedrucktes, der Pestzeit entstammendes Kelch-
tuch, ein in zwei Nuancen von Braun bedrucktes,
an Ledertapeten erinnerndes Stück kurzgeschorenen
Sammetes und eine technisch sehr interessante rotweiss-
goldene Tapete an, deren grossliniges Muster, zum
Teil mit aufgeklebtem Wollstaube bedeckt, den An-
schein des Sammetes vortäuscht.
Besonders reich vertreten sind die orientalischen
Zeugdrucke, deren starker Import im XVIII. Jahr-
hundert auf künstlerischem und zum Teile auch auf
technischem Gebiet den europäischen Zeugdruck so
entscheidend beeinflusste: die interessante Technik des
indischen Batekdrucks wird durch eine Serie von
Mustern in ihren verschiedenen Phasen aufs anschau-
lichste geschildert, der unerschöpfliche Schatz reizvoller
Dekorationsmotive in zahllosen Beispielen indischer,
persischer, cyprischer, chinesischer und japanischer
Zeugdrucke vorgeführt. Herrliche grossblumige Wand-
behänge rein chinesischen Charakters, mit originellen
Chinoiserien bedruckte Kleiderstoffe, japanisierende und
chinesisierende Handbemalungen von Möbelbezügen
bestätigen, in wie grosse Abhängigkeit sich die euro-
päische Gewebemusterung des XVIII. Jahrhunderts
zum ostasiatischen Geschmacke stellte. Aber auch
Proben reizvoller Rokokomusterung von Zeugdrucken,
die freilich in tadelnswerter Weise die Technik der
broschierten Seidenweberei nachzuahmen trachten, bietet
die Ausstellung in Hülle und Fülle und dazu noch
eine lange Reihe von Originalmodeln der im Jahre
1736 gegründeten Kattunfabrik zu Sassin in Ungarn.
Die Zeit des Aufgebens des Handmodeldrucks
und der Einführung des modernen Walzendrucks
bezeichnet in der Ausstellung des österreichischen
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 3.
««,,_'■ .•■.■•'
i #
a- '■ A'
e- >■
r^ %2^^ -^
.^'^^■^
Dienerscliafts-Kleidiillg; aus der Tlieatergarderobe des fürstl. von und zu
Liechtenstein'schen Schlosses Vi Feldsberg, XVIII. Jahrhundert, 2. Hälfte.
42
DIE ZEUGDRUCK -AUSSTELLUNG IM OSTERREICHISCHEN MUSEUM IN WIEN
Kl
■
^^^1
^' Ngav^^^^^^^^B
KiB-'^
RJ
^^^Hk^H^ iL .«jI^^^I
^^1
wS^^Z^^ ''«^1
■ > ''i^}
^^jin
^^^^^^^^^^^_^_^^^^B
Sessel mit Zeugdruckbezug. i8. Jahrhundert, 2. Hälfte.
Schloss Feldsberg, Niederösterreich.
Museums ein ausnehmend schönes Fabrikat Ober-
kampf's, des in Jouy bei Versailles thätigen Refor-
mators der Zeug-
drucktechnik.
Ungemein reiz-
volle, kupferstich-
artig feine Drucke
entstammen der
Empireperiode:
so ein Paar ita-
lienischer Karne-
valshandschuhe
und eine entzük-
kende Schärpe,
die mit buntfar-
biger mytholo-
gischer Darstel-
lung bedruckt ist.
Das Interes-
santeste und Über-
raschendste in der
Zeugdruckaus-
stellung des ös-
terreichischen
Museums aber
sind die zumeist
aus böhmischen
und oberöster-
reichischen Fabri-
ken herrührenden
bedruckten Kat-
Oedrucktes Tucli. Cypern (?). i8. Jahrhundert. Österr. Museum.
Sessel mit handbemaltem Seidenbezug mit teilweisem Mudell-
vordruck (von 1760). 18. Jahrh. Schloss Feldsberg, Niederösterreich.
tune des zweiten Drittels unseres Jahrhunderts in ihrer
geradezu frappierenden Verwandtschaft mit der Deko-
rationsweise der
allermodernsten
Zeit. Es war ein
kühnes Unterneh-
men Dr. Dreger's,
kunstgewerbliche
Erzeugnisse der
40er, 50er und
60 er Jahre, ge-
rade jener Periode
auszustellen, ge-
gen deren »ge-
schmackliche Mi-
sere« seinerzeit
das österreich-
ische Museum ins
Leben gerufen
worden war: es
hat sich in unge-
ahnter, staunen-
erregender Weise
bewährt, indem
es ein gutes Stück
des Schleiers ge-
lüftet hat, der uns,
wie stets den Zeit-
genossen, den
Werdegang un-
seres heutigen Ge-
Teil der Längswand im Sitzungssaal der Minister im neuen Preussischen Landtagsgebäude in Berlin.
7*
DER SITZUNGSSAAL DER MINISTER IM NEUEN PREUSSISCHEN LANDTAGSGEBÄUDE 45
schmacks verhüllt: es lässt sich, wenn man die
Zeugdruckmusier jener arg verschrieenen Zeit mit
den unserigen offenen Auges vergleicht, nicht mehr
verkennen, dass die Wurzeln des modernen kunst-
gewerblichen Geschmackes
im Kunsthandwerke der 40 er,
50er und 60er Jahre ruhen!
Nichts aber wäre ver-
kehrter, als aus dieser ent-
wicklungsgeschichtlichen
»Entdeckung« die Konse-
quenz zu ziehen, die Moderne
hätte sich ganz ebenso und
noch weitaus früher entfaltet,
wenn der rückblickende An-
schluss an »unserer Väter
Werke« in den 70er und
80 er Jahren ihre Entstehung
nicht gehemmt hätte! Dem
ist gewiss nicht so: die wu-
chernden Triebe des schran-
kenlosen und zum guten
Teile auch verständnislosen
Naturalismus der Mitte un-
seres Jahrhunderts mussten
mit erfahrener Hand gestutzt,
der ungejätete Boden des
damaligen Kunsthandwerkes
säuberlich bestellt und mit
dem erquickenden Jugend-
brunnen der alten Stile durch-
tränkt werden, um die Hoch-
blüte des modernen Stiles
zeitigen zu können.
DR. FRITZ MINKUS.
Ecke aus dem Musikzimmer von RIEMERSCHMID auf der Dresdner Kunstausstellung i8gg.
DER SITZUNGSSAAL DER MINISTER
BEI DEN NEUEN GEBÄUDEN DES PREUSSISCHEN
LANDTAGES ZU BERLIN
IN der stattlichen Raumflucht der neuen Gebäude
der beiden Häuser des preussischen Landtages,
welche sich nach den Entwürfen des Geheimen
Baurates Fr. Schulze auf dem Gebäude des alten
Herrenhauses und der alten Porzellanmanufaktur
zwischen Leipziger und Prinz Albrecht-Strasse erheben
oder in der Errichtung begriffen sind, ragt ein Raum
besonders hervor. Nicht sowohl durch die Grösse
der Abmessung er misst nur etwa 7,5 : 13 m -,
oder durch eine architektonische Gliederung von über-
raschender Neuheit, sondern durch das feine und intime
Empfinden, mit welchem er in reicher und doch wieder
nicht vordrängender Pracht und im Hinblick auf gute
Vorbilder der niederländischen und französischen Ver-
gangenheit geschaffen wurde. Es ist der kleine Sitzungs-
saal der Minister, in einem bescheidenen Verbindungs-
bau gelegen, welcher den Verkehr zwischen dem
Abgeordnetenhause an der Prinz Albrecht-Strasse und
46 DER SITZUNGSSAAL DER MINISTER IM NEUEN PREUSSISCHEN LANDTAGSGEBÄUDE
zwischen dem
in der Errich-
tung begriffe-
nen neuen
Herren hause
an der Leip-
ziger Strasse
ermöglicht.
Das zufäl-
lige Zusam-
mentreffen der
Arbeiten des
inneren Aus-
baues des
neuen Abge-
ordnetenhau-
ses mit den
Vorarbeiten
für die Berli-
ner Gewerbe-
Ausstellung
des Jahres
1 896 und die
Absicht der
Unterrichts-
anstalt des kgl.
Kunstgewer-
be-Museums
zu Berlin, für
die Schul-
abteilung der
genannten
Ausstellung
einen hervor-
ragenden
Ausstellungs-
gegenstand zu
schaffen , der
ein Zeugnis
von der hohen
künstlerischen
und prakti-
schen Leis-
tungsfähigkeit
der Anstalt ge-
ben könnte,
haben dazu
geführt, den
seiner Bestim-
mung nach zu
einer feineren
Ausstattung
wohl geeigne-
ten und seinen
Abmessungen
nach sich
innerhalb der
Grenzen des
Erreichbaren
haltenden Mi-
nistersitzungs-
Kamin im Sitzungssaal der Minister im neuen Preussischen Landtagsgebäude in Berlin.
saal zum Ge-
genstand einer
besonderen
künstlerischen
Ausgestaltung
zu wählen.
Dazu bedurfte
es allerdings
reicherer Mit-
tel, welche der
Baufond des
Abgeordne-
tenhauses al-
leinaufzubrin-
gen nicht in
der Lage war.
Zu den auf
etwa 50000 M.
veranschlag-
ten Gesamt-
kosten des
Saales steuerte
der genannte
Fond daher
nur looooM.
bei, während
der Betrag von
40 000 M. dem
sogenannten
150000 Mark-
Fond des
Kunstgewer-
be - Museums,
der eigens für
die Zwecke
der Ausfüh-
rung kunstge-
werblicher
Arbeiten be-
steht, die rei-
chere Mittel
beanspruchen,
entnommen
wurde. Über
ähnliche Sum-
men zu dem
gleichen
Zwecke, der
vornehmlich
darin besteht,
die Schüler
der Anstalt
nicht nurtheo-
retisch zu un-
terweisen,son-
dern sie auch
an hervor-
ragenden Aus-
führungen zu
bilden, verfü-
gen auch die
Mittelteil der Querwand im Sitzungssaa der Minister im neuen Preussisclien Landtagsgebäude in Berlin.
Teil der Laiigswaiid ini Sitzungssaal der IMinister im neuen Prcussischen Landtagsgebäude in Berlin.
DER SITZUNGSSAAL DER MINISTER IM NEUEN PREUSSISCHEN LANDTAOSGEBÄUDE 49
Anstalten anderer Staaten. — So besteht an der Kunst-
gewerbeschule des Österreichischen Museums für Kunst
und Industrie in Wien der sogenannte Hoftitel-Taxfond,
mit dessen Hilfe eine grosse Reihe hervorragender
kunstgewerblicher Werke geschaffen wurde, und es
besitzen die gleichen französischen imd englischen An-
stalten ähnliche Hilfsmittel zur Förderung der prak-
tischen Kunstübung. Dass 'diese Mittel reiche Früchte
tragen, beweist nicht nur der hier dargestellte Saal,
sondern es beweisen dies auch die Schülerausstellungen
der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbe-Museums.
Den Entwurf zu dem Sitzungssaale der Minister
lieferte der damalige Lehrer der Unterrichtsanstalt
Hr. Prof. Alfred Messel in Berlin; in seiner Klasse la.
Mtlsikzimmer von RIEMERSCHMID auf der Dresdner Kunstausstellung 1899, ausgeführt von den Vereinigten Werkstätten Kunst im Handwerk, München.
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 3. g
50 DER SITZUNGSSAAL DER MINISTER IM NEUEN PREUSSISCHEN LANDTAGSGEBÄUDE
wurden sowohl der architeWonische Teil des Entwurfes,
wie auch die Entwürfe zu den sämtlichen Teilen der
dekorativen Ausschmückung bearbeitet. Die Modelle
zu den Holzbildhauerarbeiten und diese selbst wurden
in der Klasse IV. unter der Leitung des Hrn. Holz-
bildhauer Taubert gefertigt, während die Herstellung
der Kaminmodelle unter Leitung des Hrn. Prof. Behrendt
die Klasse IL übernommen hatte. In der Klasse VII.
wurden unter Leitung des Hrn. Maler Prof. Max Seliger
die Kartons für die Ledertapeten bearbeitet, welche
das Kaufhaus >Hohenzollern<; des Hrn. Hirschwald
lieferte, in der Klasse Villa, unter Leitung des Hrn.
i
Vorraum von BRUNO PAUL auf der Dresdner Kunstausstellung 1899, ausgeführt von den Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk, Münclien.
KLEINE MITTEILUNGEN
51
Prof. E. Doepler die Gitter und Wappen entworfen,
deren erstere Paul Marcus ausführte. Die Einzel-
zeichnungen zu dem grossen, den Boden bedecken-
den Teppich wurden in Klasse Vlllb. unter Leitung
des Hrn. Maler Timler entworfen, die Malerarbeiten
der Decke durch die Klasse V. unter Leitung des Hm.
Maler V. Schmitt ausgeführt. Kleinere Arbeiten über-
wachten in ihren bez. Klassen die Hrn. Bastanier und
Rohloff. Die Ausführung der vorzüglichen Tischler-
arbeiten der Wände und Decke hatte Tischlermeister
G. Olm übernommen, die Möbel lieferte Aschenbach,
den Marzana-Kalkstein des Kamines Plöger.
Unter der Oberleitung des Architekten und der
verständnisvollen und unterordnenden Zusammenwir-
kung dieser hervorragenden künstlerischen Kräfte und
Kunsthandwerker ist ein Innenraum entstanden, welcher,
im Geiste der schönsten Innenräume der französischen
und niederländischen Renaissance, etwa des Schlosses
von Fontainebleau und des Musee Plantin in Ant-
werpen geschaffen, ein Meisterstück feingestimmter
Innen-Dekoration ist und zu den hervorragendsten
Teilen des neuen Monumentalbaues an der Prinz
Albrecht-Strasse zählt. Im einzelnen zeugen die Arbeiten
von einer hohen Leistungsfähigkeit der Unterrichts-
anstalt des kgl. Kunstgewerbe-Museums. Sowohl die
Beobachtung der feinen Stilunterschiede wie die kunst-
handwerkliche Fertigkeit in der Bearbeitung des Mate-
riales können an dem schönen Werke in rühmlicher
Weise festgestellt werden.
~ H. —
KLEINE MITTEILUNGEN
VEREINE
BRESLAU. Im Einverständnis mit der Direktion
des schlesischen Museums für Kunstgewerbe und
Altertümer hat der Kunstgewerbe -Verein zu
Breslau beschlos-
sen, die für den
Monat November
festgesetzte Eröff-
nung des Museums
durch eine gleich-
zeitig in den Räu-
men desselben statt-
findende Ausstel-
lung neuer kunst-
gewerblicher A rbei-
ten aus der Provinz
Schlesien zu feiern.
Die Ausstellung
wird nur solche
Erzeugnisse des
Kunstgewerbes
umfassen, die einen
künstlerischen
Charakter zeigen
und in Ausführung
wie Geschmack
die übliche Markt-
ware überragen.
-u-
Friese gemalt von OTTO UBBELOHDE.
Vereinigte Werlistätlen für Kunst im Handwerk München. (Ges. gesch.)
FRANKFURT A. M. Dem Jahresbericht des
Mitteldeutschen Kunstgewerbevereins für i8g8
entnehmen wir folgendes: Für die Kunst-
gewerbeschule bedeutet das Berichtsjahr eine Zeit
ruhiger und nor-
maler Weiterent-
wicklung im Rah-
men des feststehen-
den Lehrplans. Für
einzelne Klassen
war ein derartiger
Zuwachs zu kon-
statieren, dass sich
die Schulleitung
veranlasst sah, mit
besonderem Nach-
druck auf einer aus-
reichenden Vorbil-
dung als Aufnah-
mebedingung zu
bestehen. Die Aus-
stellung von Schü-
lerarbeiten aus dem
Schuljahr 1897/98
fand vom 1 7. April
bis zum 9. Mai im
Hörsaal der Poly-
technischen Gesell-
schaft statt. Das
8*
52
KLEINE MITTEILUNGEN
Zeugnis über hervorragende Leistungen im kunstgewerb-
lichen Beruf zum Zwecke von Erleichterungen beim Ab-
legen der Prüfung zum Einjährig-Freiwilligen -Dienst
konnteauch im Berichtsjahreeinem SchülerderFachschule
ausgestellt werden. Durch die städtischen Behörden wur-
den die Kräfte des Lehrerkollegiums wiederholt zu künst-
lerischen Leistungen herangezogen. Dadurch wurde be-
sonders den Schülern Gelegenheit gegeben, in der für die
Schule so unentbehrlichen Berührung mit der kunst-
gewerblichen Praxis zu bleiben. Die Bibliothek geht
mit der am Schluss d. J. zu erwartenden Fertigstellung
ihrer neuen Räumlichkeiten einer neuen Phase ihrer
Entwickelung entgegen. Der Besuch derselben ist
auch aus Kreisen, die dem Vereine bisher ferner
standen, in lebhafter Zunahme begriffen. Von den
Sammlungen des Museums hat besonders die kera-
mische Abteilung unter anderem durch Ankäufe auf
der Auktion Hirth in München eine nennenswerte
Bereicherung erfahren. Diese
Erwerbungen haben beson-
ders die in ihren ersten An-
fängen befindliche Samm-
lung italienischer Majoliken
um einige charakteristische
Typen vermehrt, doch gin-
gen auch die Abteilungen
der Fayencen und Porzellane
(Kleinplastik) nicht leer aus.
Nur einen geringen Zuwachs
erhielt die Möbelsammlung.
Zu erwähnen ist ein nieder-
ländischer Schrank aus dem
Ende des 16. Jahrhunderts
und die Vorderwand einer
Truhe mit gotischem ge-
schnitzten Laubwerk und
Tierfiguren. Die Edelmetalle,
die im Museum noch vor-
wiegend in Reproduktionen
vertreten sind, da die Er-
werbung von grösseren Ori-
ginalen der hohen Kosten
wegen nur ausnahmsweise
möglich ist,
hat durch
den Ankauf
von 16 gal-
vanoplasti-
schen Repro-
duktionen
nach Stük-
ken aus der
Zeit der Go-
tik und der
Renaissance
eine wesent-
liche Berei-
cherung er-
fahren. Der
noch vor
Ende des Be-
richtsjahres vollzogene Umzug des Museums in
die neuerbauten Räume hat eine vollständige Neu-
ordnung der Sammlungen bedingt. Derselben ist im
grossen und ganzen die technologische Anordnung
nach Materialien zu Grunde gelegt Mehr denn zuvor
ist dadurch klar geworden, was bisher in dem Museum
erreicht wurde und was noch anzustreben bleibt.
Auf die wechselnden Ausstellungen wurde besonderes
Gewicht gelegt, nachdem die Permanente Ausstellung
neuzeitiger kunstgewerblicher Erzeugnisse in Wegfall
gekommen war, da ein Bedürfnis dafür nicht mehr
vorlag. Dagegen soll durch Sonderausstellungen das
Publikum mit den Fortschritten und Wandlungen
des zeitgenössischen kunstgewerblichen Schaffens im
In- und Auslande bekannt gemacht werden. In solchen
Sonderausstellungen wurden vorgeführt: Möbel, Gläser
und keramische Erzeugnisse Emile Galle's in Nancy;
keramische Erzeugnisse der Kgl. Manufakturen in Ber-
lin und Kopenhagen und
Rörstrand- Aktiebelag in
Stockholm; Kunst- Lithogra-
phien, zusammengestellt von
der Düsseldorfer Hofkunst-
handlung Bismayer & Kraus;
schliesslich die Wettarbeiten
für eine Hochzeitsmedaille.
B=
Schirmständer aus Eisen und Messing. Entworfen von
Prof. R. WEISSE, ausgef. von Kühnscherf & Söhne, Dresden.
Schnitzerei von einer Bettschinnwand. Entworfen von B. PANKOK,
ausgeführt in den Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk. München.
-U-
SCHULEN
I ERLIN. Dem Jalires-
bericht der Königlichen
Kiinstgewerbeschule für
das Schuljahr 1898/99 ent-
nehmen wir folgendes: Der
ergänzende Unterricht im Akt-
zeichnen für die Fachklasse
für dekorative Malerei wurde
mit Anfang Januar von 6 auf
4 Nachmittage beschränkt, für
2 Nachmittage aber ein er-
gänzenderUnterricht im Pflan-
zenzeichnen eingeführt. Mit
dem Beginn
desSommer-
quartals
wurde eine
neue Abend-
klasse für
Pflanzen-
zeichnen er-
öffnet. Die
Abendklasse
für Fach-
zeichnen er-
hielt mit Be-
ginn des
Schuljahrs
diezutreffen-
dere Benen-
nung einer
KLEINE MITTEILUNGEN
53
Klasse für Architekturzeiclinen.
Die Ausstellung der Schülerar-
beiten der Kunstgewerbeschule
und der Kunstschule fand von
November bis gegen Ende De-
zember 1898 in gruppenweiser
Vorführung statt. Aus dem Fonds
für kunstgewerbliche Arbeiten
wurde ausser den abschliessen-
den Ausführungen der Einrich-
tung des Ministerial -Sitzungs-
zimmers im neuen Landtagsge-
bäude eine der Königlichen Kunst-
akademie zu ihrer Jubiläumsfeier
von den Königlichen Museen ge-
widmete Gedenktafel fertiggestellt.
Weitere Arbeiten sind in Angriff
genommen. An sonstigen Aus-
führungen, die den Schülern der
Anstalt Gelegenheit zu praktischer
Bethätigung boten, sind fertigge-
stellt Worden die Restaurierung
des Melanchthon - Zimmers zu
Wittenberg, die Erneuerung des
Fassadenschmucks der König-
lichen Kunstschule zu Berlin und
die malerische Ausschmückung
der Wandelhalle im Königlichen
Gymnasium zu Erfurt. Dazu
traten umfassende Versuche in
Freskomalerei nach dem Verfah-
ren des Malers O. Matthiesen, so-
wie die in dieser Technik von
Schülern der Malklassen ausge-
führte Dekoration der oberen
Wände des Treppenhauses der
Unterrichtsanstalt. Die zu Beginn
des Schuljahrs 1896/97 begrün-
dete Krankenkasse der Schüler
der Kunstgewerbeschule und der
Kunstschule hat sich weiterhin
der Ansammlung eines Reservefonds beginnen können
-u-
MUSEEN
BRUNN. Das Mährische Gewerbe- Museum hat
am 2g. Oktober eine reichhaltige »Ausstellung
historischer Trachten" eröffnet, in welcher zum
erstenmale die Entwicklung der männlichen und weib-
lichen Tracht von der Antike bis zum Beginn unseres
Jahrhunderts darzustellen versucht wurde. Dieser Ver-
such ist in jeder Hinsicht gelungen. Freilich mussten
zu diesem Behufe auch Nachbildungen ausgestellt
werden. Hierfür hat die k. u. k. General Intendanz der
Wiener Hoftheater in dankenswerter Weise die Gar-
derobe der k. k. Hofoper geöffnet, deren Kostüme,
vom Maler Franz Gau! in mustergültiger Weise und
völlig stilecht entworfen, in wissenschaftlicher und
künstlerischer Beziehung den höchsten Anforderungen
entsprechen. So war es möglich die Tracht der
Ägypter, Assyrer, Griechen, Rö-
mer, Kreuzfahrer u. s. f., für die
man sonst nur auf Abbildungen
angewiesen gewesen wäre, vorzu-
führen. Das Hauptgewicht lag
selbstverständlich auf den Origi-
nalkostümen, die in stattlicher
Zahl vom regierenden Fürsten
Liechtenstein, Grafen Hans Wil-
czek, Freiherrn von Llpperhcide,
Dr. Albert Figdor, Maler Franz
Gaul u. A., sowie von den öster-
reichischen Museen eingeschickt
wurden. Besonderen Reiz erhält
die hochinteressante Ausstellung
durch zahlreiche Porträts, Ölbil-
der, Miniaturen u. s. f. Der aus-
führlich beschreibende Katalog
umfasst 281 Nummern.
K'
Bemalter Behang mit teilweisem Modelvordrucl<
aus dem fürstl. von und zu Liechtensteinisclien Sclilosse
zu Feldsberg, um 1760.
entwickelt und mit Charakter zu geben
REFELD. Das Kaiser Wil-
helm-Museum hatte aus An-
lass der Eröffnung der
Elektrizitätswerke eine Ausstellung
von Beleuchtungsgegenständen für
elektrisches Licht veranstaltet, um
dadurch dem zu erwartenden Be-
darf an solchen Beleuchtungs-
körpern eine den ästhetischen
Anforderungen des modernen
Kunsthandwerks entsprechende
Richtung zu geben. Die Aus-
stellung war von deutschen, eng-
lischen und amerikanischen Fir-
men reich beschickt und zeigte,
welch ausserordentlich grosser
Formenreichtum sich auf diesem
noch jungen Gebiet des Kunst-
gewerbes entfalten lässt. Um der
Ausstellung einen wohnlichen
waren vier Räume, ein Herren-
zimmer, ein Salon, ein Damenboudoir und ein Schlaf-
zimmer hergerichtet worden, die mit Krefelder Tep-
pichen von vom Brück Söhne und modernen Mö-
beln von H. Stroucken ausgestattet waren. Unter den
deutschen Ausstellern sind zu nennen die Firmen:
Joh. Zimmermann & Cie. in München mit Beleuch-
tungskörpern nach Zeichnungen von O. Eckmann,
Paul Stotz in Stuttgart mit drei grossen Kronen, Otto
Schulz in Berlin mit Wandbeleuchtungsgeräten nach
Entwürfen von Bernhard Wenig in Berchtesgaden und
Steinicken & Lohr in München mit Lampen jeder
Art nach Entwürfen von Otto Lohr. Von den Eng-
ländern war die Firma Benson & Cie. mit einer grossen
Anzahl von Beleuchtungsgeräten vertreten, die beson-
ders durch ihre schlanken, knappen Formen die Schön-
heit mit grösster Zweckmässigkeit vereinigten. Aus
Amerika hatte L. Tiffany in New-York ausgestellt, der
es besonders versteht, durch seine Opalescentver-
glasungen entzückende Farbenwirkungen hervorzurufen
und durch sinnreiche Konstruktionen auch die Brauch-
54
KLEINE MITTEILUNGEN
barkeit zu erhöhen. Zu der Ausstellung hatte auch
das Kunstgewerbe-Museum in Berlin eine Reihe von
Gegenständen hergeliehen. -u-
B ERLIN. Orlop-Stiftung für Veröffentlichungen des
Kunstgewerbe-Museums. Durch letztwillige Ver-
fügung des in Genf am 2Q. Juni 1891 verstor-
benen Herrn Walter Eugen Alexander Orlop aus
Halberstadt ist dem Kunstgewerbe-Museum in Berlin
ein Kapital zugefallen, welches mit den aufgelaufenen
Zinsen z. Z. 186100 Mark beträgt. Mit demselben
wird eine dauernde Stiftung errichtet, welche den Na-
men führt: »Orlop-Stiftung für Veröffentlichungen des
Kunstgewerbe-Museums zu Berlin«. Der Zweck der
Stiftung ist die Veranstaltung von Veröffentlichungen
aus dem Arbeitsgebiet des Kunstgewerbe-Museums,
mit der Bestimmung, historische Kenntnisse oder vor-
bildliches Material zu verbreiten und durch vollendete
Ausstattung der Bildung des Geschmackes zu dienen.
Das Stiftungskapital ist zinsbar anzulegen und bis zur
Höhe von 186100 M. unangreifbar. Die Einnahmen
der Stiftung werden aus den Zinsen des Kapitals und
aus dem Erlös verkaufter Veröffentlichungen bestehen.
Der 1 86 1 00 M. übersteigende Betrag des Kapitals und
die Einnahmen sind für den Stiftungszweck verwend-
bar. Die Stiftung wird von einem Kuratorium ver-
waltet, welches aus dem Generaldirektor der Kgl.
Museen, den Direktoren des Kunstgewerbe-Museums
und dem Justitiar und Verwaitungsrat der Kgl. Museen
besteht. Sollten die jetzt als Kunstgewerbe-Museum
vereinigten Abteilungen in getrennte Verwaltungen
übergehen, so bleibt die Stiftung bei der Sammlung
und den mit ihr vereinigten Abteilungen. Der Stiftung
ist unterm 29. August d. J. die Allerhöchste Geneh-
migung erteilt worden. -u-
LEIPZIG. Das 25jährige Jubiläum des Leipziger
Kunstgewerbemuseums wurde am 14. November
durch ein Festspiel gefeiert, das von allen neun
Musen begünstigt zu sein schien. Phantasien in
Auerbach's Keller« lautete der Titel der geistreiciien,
humorgewürzten Dichtung Fritz Scfiumaclier's, die
das Gerüst abgab für eine Reihe bewegter lebender
Bilder, zu denen Otto Wittenbecher und Karl Frodl
eine gediegene, sorgfältig gearbeitete, bald heitere,
bald schwungvolle Musik geliefert hatten. Ein an-
sprechender Gedanke in geschmeidige, oft schlag-
kräftige Verse gekleidet, unterbrochen von witzigen
Couplets und einer Reihe farbenprächtiger, »kunst-
historischer Bilderbogen, die von melodramatischer
Musik begleitet waren: diese verschiedenartigen Ele-
mente waren zu so glücklicher Mischung vereinigt,
dassj^^die ganze Veranstaltung wie aus einem Gusse
geformt zu sein schien.
In Auerbach's Keller sitzen zu später Stunde
einige Kunstgewerbemeister, ein Kunstgelehrter^ und
ein Musiker im Gespräch am Stammtisch beieinander;
die Diskussion wird bald zur Debatte über den
Gegensatz alter und moderner Kunst. Mit dem
zwölften Glockenschlage der Mitternacht erscheinen
die ältesten Stammgäste des Lokals, Faust und Mephi-
stopheles, um »ein bischen zu revidieren <. Mephisto
in seiner Art drängt sich heran und nimmt bald Teil
am Kampf der Geister; ein Spezialist preist das
Gotische als das Urdeutsche, Mephisto erbietet sich,
die verblassten Gestalten der längstvergangenen Zeit
lebensfrisch an die Wand des Kellers zu malen ; man
nimmt ihn beim Wort und unter scherzhaftem Hin-
weis auf die Konzertmaler skizziert der Herr der
Ratten und der Mäuse sein Historienbild mit einem
grossen Besen an die Wand. Es erscheint darauf
eine bewegte Scene am Hofe Karls des Kühnen von
Burgund, vornehme Herren und Damen, letztere mit
dem bekannten zuckerhutähnlichen Kopfschmuck. Ein
Teil der historischen Gestalten sieht von erhöhter
Estrade einem gemessenen Reigen zu. Der teuflische
Kinematographiker erntet lauten Beifall ob seiner
Leistung und in erhöhter Stimmung, die durch ein
sächsisches Couplet des Kellermeisters auch aufs
Publikum übertragen wird, geht die Debatte weiter
Alsbald fordert man laut die deutsche Renaissance,
und abermals zeigt Mephisto, dass er hexen kann,
Ein Osterspaziergang vor den Thoren Nürnbergs mit
einem fahrenden Spielmann und einem Kupferstich-
verkäufer zeigt sich, eingeleitet durch eine heitere
Musik — das Ganze wie ein Ausschnitt aus den
Meistersingern. Natürlich entspinnt sich darauf ein
Gespräch über echte und falsche Renaissance und
Mephisto, so recht in seinem Fahrwasser, parodiert
die weichliche Butzenscheibenlyrik der vergangenen
letzten Jahrzehnte:
»ein Bub', ein Mädchen, Rosen, etwas Minne,
Ein ganz, ganz kleiner Kitzel für die Sinne
Und eine süsse Adjektivensauce
Hübsch umgerührt — und fertig ist die Chose!
Der Ursprung des Rezepts der liegt schon weit,
Der stammt noch aus der alten Schäferzeit,
Nur nahm man da, so wollte es der Stil,
Noch etwas Puder in den Federkiel,
Und ging dazu bei den Franzosen betteln.«
Nach diesem Übergang, den Mephisto selbst her-
beigeführt, wird nun auch der Stil des Boudoirs
und der Schminke« gefordert; wie der Kunsthistoriker
sich ausdrückt »kraft kunsthistorischer Gerechtigkeit.
Mephisto, der schon A und B gesagt hat, setzt das
Alphabet fort und giebt einige Bilder im Stile Wat-
teaus: Gesellschaft im Walde, die Figuren der italie-
lienischen Komödie treten auf, Harlekin erhält Prügel
u. s. w. Eine graziöse Gavotte erklingt und die
Reihen sondern sich zu Paaren. Immer lebhafter
schallt der Beifall, die Stimmung wird animierter;
die Biedermaierzeit von 1820 bildet eine weitere
Etappe, lustige Lieder von der Entstehung der Stile,
von der hypnotischen Wirkung der Musik werden
zu Gehör gebracht. In die Fidelität fallen nun zwei
späte Gäste, Vertreter der »Modernen«, ein Maler
und ein Poet. Natüriich reden diese Herren sogleich
von dem Neusten und wollen sich dabei »grenzenlos
erdreusten«. Auch der neuesten Richtung weiss der
Junker Satan zu entsprechen, indem er die Goldene
Treppe des Burne Jones in Scene setzt. Angeregt
durch diese Leistung zieht der mit Ȇberzeugung
dekadente« Poet ein eben verfasstes Gedicht aus der
KLEINE MITTEILUNGEN
55
Tasche, das, wie man hört, im nächsten Heft des
Pan erscheinen solL Der blühende Blödsinn dieses
Liedes weckt nun eine neue Erregung; noch einmal
lässt Mephisto : Die Kleinen von den Seinen« an-
tanzen und diesmal sind es die Plakatgeister, die in
grosser Zahl anschwirren und ein neues Oährungs-
ferment in die Parteien bringen. Ein lebhafter Wort-
wechsel erhebt sich:
1. Meister: Stil will entwickelt, nicht erklügelt
sein!
Maler: Ach Gott, ihr Bürcherwürmer, packt
doch ein!
2. Meister: Das Neue ist bisher mehr Schrei'n
als Sein!
3. Meister: Gesunde Kinder melden sich mit
Schrei'n!
Gelehrter: Es giebt auch Kinder, welche sehr
früh sterben!
3. Meister: Und es giebt Männer, die nichts thun
als erben! Vor dem Erwerbszweig hab ich keine
Achtung!
1. Meister: Mir scheint das »Neue« geistige Um-
nachtung!
2. Meister: Dazu ein widriges Sich-Überheben !
1. Meister: Nein, ein ästhetisches Sich -Über-
geben !
Maler: Ja, schimpft nur, schimpft! u. s. w.
Indes Mephisto dem wachsenden Lärm mit Be-
hagen zuhört, schlägt sich Faust ins Mittel und ver-
söhnt die Streitenden.
So ist es recht! Such' jeder nach dem Wahren,
In vielen Formen kann sich's offenbaren
Und in den besten Werken jeder Zeit
Steckt auch für uns ein Kern Unsterblichkeit.
Es ist die Kunst ein schöner, weiter Garten,
Drin manch' Geschlecht schon seine Bäume hegt.
Und wenn wir traulich jener Blüten warten.
Die unsrer Väter Kunst dort einst gepflegt.
So brauchen wir darum nicht zu verzichten.
Auch unsern eignen Steckling aufzurichten.
Mit einer Apotheose der Schönheit, die alle 200
Darsteller zu einem farbensatten Bilde vereinigt,
schliesst das Spiel.
Wir haben den Gang der Scenen ausführlicher
wiedergegeben, weil die in dramatische Form ge-
gossene Auseinandersetzung eine weit mehr als lokale
Bedeutung beanspruchen darf. So reich an guten
Sprüchen und in so heiterm Gewände ist uns noch
nie eine kunstgewerbliche Auseinandersetzung aktueller
Art begegnet. Schon die Dichtung hätte allein hin-
gereicht, die Spannung und das Interesse der Hörer
zu wecken und zu steigern; ihre Verbrämung mit
der Musik und die choreographischen Künste kamen
hinzu, den Abend zu einem unvergesslichen zu machen.
Der Beifall des dichtbesetzten Hauses war denn auch
ein tosender zu nennen. Der Dichter und die Kom-
ponisten, Komitee und Balletmeister wurden lebhaft
gerufen, zum Schlüsse auch Direktor Graul, der diesen
ganzen »Zauber« eingefädelt hatte und in dessen Hand
die Fäden dieses Gewebes zusammenliefen. In höchst
ermunterter Stinmmng begaben sich Spieler und Hörer
nach den festlich geschmückten Räumen des Krystall-
palasts, wo sich alsbald das bunte Bild eines Kostüm-
balles entwickelte. Da tanzte denn ein Dürer mit
einem neuen Plakatgeiste, Harlekin walzte mit einer
Engelsgestalt des Burne Jones und so reizvoll war das
ungebundene Dasein, dass die kunsthistorische Ent-
wicklung rückläufig wurde, insofern mancher Bieder-
maier sich benahm, wie weiland Karl der Kühne.
Trotz der hohen Eintrittspreise war auch bei der
dringend geforderten Wiederholung des Festspiels am
Sonntag Vormittag das Theater nahezu ausverkauft.
AUSSTELLUNGEN
PARIS. Der offizielle Qeneralkatalog der Welt-
ausstellung iQOO erhält das Format des Reise-
führers von Baedeker und wird infolgedessen
handlicher als diejenigen der beiden vorangegangenen
Pariser Weltausstellungen sein. Er umfasst 18 Bände,
entsprechend den 18 Hauptgruppen, in die die Aus-
stellung eingeteilt ist. Der Preis des Bandes ist auf
3 Eres, fixiert. Die Herstellung desselben wurde der
Firma Lemercier für die Summe von 453000 Frcs.
zuerkannt. -u-
ST. PETERSBURG. Die kaiserliche Gesellschaft
zur Hebung der Künste in Russland, welche
alljährlich in ihrem eigenen Ausstellungsgebäude
Ausstellungen von Werken aus der modernen Kunst
und des modernen Kunstgewerbes veranstaltet, beab-
sichtigt in den Monaten Januar bis März 1900 deut-
sche Kunst und deutsches Kunstgewerbe in aus-
erlesenen Stücken zur Ausstellung zu bringen. -u-
WETTBEWERBE
HANNOVER. Preis- Ausschreiben der Knnstan-
stalt J. C. König & Ebhardt um farbige Plakat-
Entwürfe für die Branchen: Chokolade und
Kakao, Fahrräder, Fleischextrakt, Bier, Parfümerien und
Seifen, Kognak und Liköre, Kaffee und Surrogate,
Nähmaschinen, Lederkonservierungsmittel bzw. Wichse,
Pianoforte, Bisquits und Cakes, Automobile, Kindernähr-
mittel,Schaumweine. Auch Entwürfe für andere Branchen
werden zur Konkurrenz zugelassen. Die Entwürfe
sind in den Hochformaten 82X108, 56X86, 48X72,
36X75 cm zu liefern, können in beliebiger Maltech-
nik (mit Ausschluss von Ölfarbe) ausgeführt sein und
müssen sich für die farbige lithographische Verviel-
fältigung ohne weiteres eignen. Ausgesetzt sind: ein
erster Preis von 1000 M., ein zweiter Preis von 750 M.,
ein dritter Preis von 500 M., vier Preise von je 300 M.,
sechs Preise von je 200 M. Ankauf weiterer Entwürfe
bleibt vorbehalten. Das Preisrichteramt haben über-
nommen die Herren Professor Max Liebermann, Maler .
Walter Leistikow, Professor Franz Skarbina, Professor
Direktor Hugo von Tschudi, Johannes Kirdorf (in
Firma Reuter & Siecke), sämtlich in Berlin und einer
der Teilhaber der ausschreibenden Firma. Einzuliefern
bis 15. Januar 1900. -u-
56
KLEINE MITTEILUNGEN
KÖLN a. Rh. In Angelegenheit des Preisaus-
ausschreibens der Firma Gebr. Stollwerck, betr.
Entwürfe für den Einband eines Stollwerck'schen
Sammelalbums haben die Preisrichter (s. Kunstgewerbe-
blatt, N. F. X. Heft 8, S. 157/158) bei ihrer am
18. Juni d. J. in Hamburg stattgefundenen Beratung
von der Vergebung eines I. Preises Abstand genommen.
Der entsprechende Betrag von 500 M. wurde jedoch
in Gestalt eines II. Preises von 300 M. und eines
III. Preises von 200 M. neben den im Ausschreiben
bereits ausgelosten II. und III. Preisen verteilt. 86 Ent-
würfe waren für den Wettbewerb eingegangen und
wurden der Beurteilung unterzogen. Mit einem 11. Preise
ausgezeichnet wurden die Entwürfe unter dem Kenn-
wort: »y4/a//Co7«« von Fritz He/muth Ehmcke-BtrVm
und »Märchen (No. 52) von > Ernst Neumann-München.
Dritte Preise wurden zuerkannt den Entwürfen unter
dem Kennwort: «Sophie« von Adolf Höfer und Walter
Püttner- München; '> Kater Murr« von Maximilian
Liebenwein -Burghausen a. d. Salzach in Oberbayern,
sowie »Blau und Oelb« von K.arl //o7fe- Hamburg-
Eilbeck. Ausser den fünf genannten wurden die fol-
genden Entwürfe zur engeren Wahl gestellt, auch den
Herren Gebr. Stollwerck zur Auswahl empfohlen, falls
sie den im Ausschreiben vorgesehenen Ankauf von
nicht prämiierten Entwürfen vorzunehmen beabsich-
tigten: y Hanne«, y-lm Abendgold«, «Interessant«,
»Hausmütterchen«, »Albumdeckel«, »Mohrenkuss«,
»Siesta«, »Drei Mann hoch«, »Märchen (Nr. 63)«,
»Fahre wohl«, »Bonbon«. Von der Ermittelung
der Urheber dieser Entwürfe hat das Preisgericht
abgesehen.
Credeiiz (helles Fölirenholz). Entworfen von H. SCHLICHT, Dresden.
Ausgeführt in den Dresdner Werkstätten (Schmidt & Müller).
E
O
z
't^ o
tu s
N M
Wandbnmnen : entworfen an der Orossherzogl. Kunstgewerbeschule Karlsruhe von WILHELM MERTEN unler Leitung
von Prof. F. DIETSCHE.
BADISCHES KUNSTGEWERBE
IE Grundbedingung für eine gediegene Pflege des Kunstgewerbes ist die Heranziehung und
Scfiulung befähigter Kräfte und ihre tüchtige Ausbildung, sowohl nach künstlerischer, wie
auch nach technischer Seite. Diese Erziehung müsste überall da geschehen, woselbst sich
eine Kunstindustrie als lebensfähig erwiesen hat, wo eine gesunde Grundlage für eine plan-
mässige Weiterentwicklung vorhanden ist. Dabei sollte aber auch stets die individuelle
Eigenart dieser Kunstindustrie, die ja meist mit dem Volke selbst in enger Beziehung
steht, gewissenhaft gewahrt bleiben. In diesem Sinne hat sich die staatliche Organisation
Deutschlands als vorteilhaft und weitaus günstiger erwiesen, als z. B. in unserem Nachbar-
staate Frankreich, bei dem die Hauptstadt Paris fast ausschliesslich einen tonangebenden und
bestimmenden Einfluss ausübt. Daher kann man auch in Deutschland von einem Münchener,
Berliner, von einem bayerischen, sächsischen und badischen Kunstgewerbe sprechen.
Unsere grösseren Ausstellungen haben diese Wahrnehmung zur Genüge gezeigt, denn
überall machte sich bei denselben die charakteristische Eigenart unserer verschiedenen Volksstämme bemerkbar. —
Über die Art und Weise dieser kunstgewerblichen Erziehung kann man ja verschiedener Ansicht sein, die
Ergebnisse allein bieten den Beleg, ob der betretene Weg der richtige ist. Um nach diesen Erfolgen zu
schliessen, hat das verhältnismässig kleine Badnerland sehr günstige Resultate aufzuweisen, da es überall bei
seinem öffentlichen Auftreten ebenso eigenartige wie tüchtige Leistungen vorführen und hierbei den Beweis
liefern konnte, dass das badische Kunstgewerbe sich im steigenden Fortschritte kräftig weiterentwickelt hat.
Im Grossherzogtum Baden hat man aber frühzeitig die Bedeutung dieser Schulung erkannt, da hier alle
Kunsfgewerbeblatt. N. F. XL H. 4. g
Initial, entworfen von
RGB. OREANS.
58
BADISCHES^KUNSTOEWERBE
Ehrenpreis des Gr. Bad. Minist, d. I. für das Iffezli. Rennen.
Entwurf H. GÖTZ; Ausführung L. BERTSCH, Karlsruhe.
massgebenden Faktoren, ein kunstsinniger Fürst, eine
weise Regierung und opferwillige Landstände gemein-
sam zusammenwirkten, um iiier für die Pflege des
Kunstgewerbes eine den Bedürfnissen des Landes ent-
sprechende Organisation zu schaffen. Für die grossen
altbewährten Industrien der Uhrenfabrikation des
Schwarzwaldes wurde die Uhrmacher- und Schnitzerei-
schuie in Furtwangen, für die Bijouteriefabrikation in
Pforzheim die Kunstgewerbeschule daselbst geschaffen.
Die Centrale für das ganze Land bildete nebst der
Grossherzoglichen Landesgewerbehalle hauptsächlich
die aus dieser Anstalt hervorgegangene Orossherzog-
liclie Kunstgewerbeschule Karlsruhe. Anfang der
siebziger Jahre begründet, hat sie seit ihrem Bestehen,
insbesondere aber seit der Errichtung ihrer Fachklassen
auf das Emporblülien des badischen Kunstgewerbes
einen ganz bedeutenden Einfluss ausgeübt. Später
entstand dann noch der von dem Vorstande der Anstalt
geschaffene Kunstgewerbeverein, der in wohlthuendster
Wirkung die f^eziehungen der Schule zu der Praxis
vermittelt, sowie die Sanunlung des Grossherzoglichen
Kunstgewerbe- Museums. Das gesunde Zusannnen-
wirken dieser verschiedenen Faktoren hat denn auch
eine Reihe der glänzendsten Erfolge aufzuweisen, da
sie bei allen grösseren kunstgewerblichen Unter-
nehmungen leitend an der Spitze standen.
Ausser den bereits schon angeführten grossen
Landesindustrien haben sich in Baden auch die übrigen
kunstgewerblichen Gebiete recht wacker herausent-
wickelt. So die Möbelfabrikation, die Silberschmiede-
kunst, die Emailtechnik, die Glasmalerei, die Ofen-
fabrikation und Keramik, die Tapetenfabrikation, die
Lithographie, die Kunstschmiedetechnik, die Kartonnage-
fabrikation und eine Reihe weiterer verwandter Gebiete.
Auch unser Januarheft istden Erzeugnissen Badens ge-
widmet, da indemselbenausschliesslich Illustrationen von
Werken badischer Meister und Schulen enthalten sind.
Von dem Leiter der Karlsruher Kunstgewerbe-
schule Professor Hermann Götz sehen wir zunächst
ein Madonnenbild, welches derselbe, einem Wunsche
seiner Heimat nachkommend, für die auf einem reizen-
den Aussichtspunkte des badischen Kinzigthales ge-
legene Jakobs-Kapelle in Gengenbach gemalt und als
eine Erinnerung an seine daselbst verlebten Jugend-
jahre gestiftet hat. Es ist ein Werk von edler Kom-
position und wirkungsvoller Farbenstimmung, in
Tempera gemalt, die Figuren etwas über Lebensgrösse.
Oötz versucht sich hier erstmals im Gebiete der kirch-
lichen Kunst, doch zeigt der vielseitige und in allen
Gebieten bewanderte Meister, dass er auch dieser
Aufgabe vollkommen gewachsen ist. — Weitaus be-
kannter sind seine künstlerischen Entwürfe für Edel-
metall. Zählen sie doch zu Hunderten, darunter eine
Reihe der wertvollsten und reichsten Prachtstücke,
welche die deutsche Silberschmiedekunst in den letzten
zwei Jahrzehnten geschaffen hat. Wir erwähnen nur
den Silberschatz badischer Städte und Gemeinden zur
Vermählung des Erbgrossherzogs, den Adressenschrein
des badischen Landes zum Jubiläum des Grossherzogs
und die Ehrengabe zum 70. Geburtstage von Rudolf
von Bennigsen. So fertigt Oötz seit 18 Jahren die
Entwürfe zu den kostbaren Ehrenpreisen, die der
Grossherzog alljährtich zu den Iffezheimer und Mann-
heimer Pferderennen stiftet. Dieselben werden durch
verschiedene Meister des Landes in Kartsruhe, Heidel-
berg, Mannheim ;und Pforzheim ausgeführt. Unsere
Illustration enthält den Goldpokal, der mit der Sunniie
BADISCHES KUNSTGEWERBE
59
von 100 000 Mk.
den diesjährigen
grossen Preis
von Iffezheim
bildete. Ei ist
nach dem Ent-
wnrfe des Künst-
lers durch Pro-
fessor K- Weib-
Icn in Pforzheim
ansgefiihrt nnd
nnnniehr in fran-
zösischen Besitz
übergegangen.
(Abbild. S. 73).
In dem weiteren
Pokale bringen
wir eine Arbeit
des Meisters,
die ans der
Werkstätte des
Hofjnweliers L
Bertsch in Karls-
rnhe hervorge-
gangeri ist. Un-
gemein zahl-
reich sind ferner
die Ehrendiplo-
me, die Direktor
Götz meist in
flotten Aquarel-
len angefertigt
und auch fürdie-
selben die ent-
sprechenden
Mappen gezeich-
net hat. Zwei
derselben in po-
lychromer Le-
dertechiuk sind
in unserem Hefte
vertreten. Das
Bedeutendste je-
doch, was von
ihm in dieser Art
gefertigt wurde,
istdieEhrenbür-
gerurkundej der
badischen Städte
an den Fürsten
Bismarck.
Von weite-
ren Arbeiten der
Karlsruher
Schule sehen wir
das flotte Modeil
für einen farbi-
gen Majolika-
Brunnen, wel-
ches ]. Merien
in der Bild-
Madonnenbild für die Jakobskapelle in Qengenbach von Prof. HERMANN GÖTZ, Karlsruhe.
hauerfachkiasse
der Grossher-
zoglichen
Kunstgewerbe-
schule unter Lei-
tung von Profes-
sor F. Dietschc
entworfen hat.
Von dem letz-
teren Meister
stammt auch die
Engelsfigur für
ein Grabmal.
Professor Diet-
sche ist z. Zt.
mit grösseren
Aufträgen für
das Rathaus in
Freiburg (Bron-
zegruppen), die
Karlsruher
Christuskirche
(Reliefs) und Fi-
guren für die
Stadt Duisburg
beschäftigt. —
Von dem Leiter
der neubegrün-
deten kerami-
schen Fachklasse
der Karlsruher
Kunstgewerbe-
schule Professor
Karl Kpriihas
finden wir in
zwei Majolika-
Reliefs, einem
weiblichen Stu-
dienkopf und
einem Wappen-
Medaillon Ar-
beiten, die leider
sehr unvollkom-
men wiederge-
geben sind, da
sie der Farben-
wirkung entbeh-
ren. Letztere be-
ruht hauptsäch-
lich in der ge-
flammten Lüs-
terglasur, einer
besonderen Spe-
zialität dieses Ke-
ramikers, bei der
die metallisch
schimmernde
und in allen Far-
ben reflektieren-
de Stimmung
eine besondere
9*
6o
BADISCHES KUNSTGEWERBE
a?!^ ■'fcirf >»**t^4ft.
agia&iaaMfiiffr" ' " -
;j^-.-.g.-j;^f;.:- jjt**.!-^,.
Adressen -Mappe; Entwurf von Direktor H. GÖTZ, Karlsruhe.
Eigenart bildet. Kprnhas, ein geborener Schwarzwäider,
hat diese Technik durch jahrelangen Aufenthalt in den
ersten italienischen Fabriken eingehend studiert. Die
Wirkung und der fördernde Einfluss dieser keramischen
Fachschule dürften sich für Baden in Bälde fühlbar
machen, denn die Städte Karlsruhe, Mosbach, Heidelberg,
Baden, Zell a. H., Hornberg, Villingen und Kandern
besitzen bedeutende Ofen- undThonwarenfabriken. Auch
Frau E. Schmidt -Pecht in Konstanz hat sich mit sehr
glücklichen Versuchen in Schwarzwald -Majoliken be-
fasst, wie ja auch die Erzeugnisse des aus der Karls-
ruher Kunstgewerbeschule hervorgegangenen Kera-
mikers Professor M. Läuger überall bekannt sind.
In das Gebiet der Medailleurkunst, die insbeson-
dere in Professor Rud. Mayer in Karlsruhe einen
trefflichen Meister besitzt, gehört ferner die Medaille,
für weiche Bildhauer H. Bau-
scr für die Silberhochzeit des
Kommerzienrats O. Bally in
Säckingen die in unserem
Hefte abgebildeten Modelle
gefertigt hat. Von weiteren
Lehrern derKarlsruherSchule
finden wir noch die poly-
chrom behandelte Decken-
skizze von Maler Wilhelm
Lang für einen Plafond des
neu restaurierten Blumen-
saales im Konversationshause
zu Baden-Baden; ferner die
figürlichen Studien, weib-
licher Akt und Portrait von
Maler Hermann Göhler, bei-
des sehr tüchtige Leistungen.
Auch der Reiherfries ist von
demselben Künstler, während
der andere Fries mit dem
Bildnisse von Albrecht Dürer
in der dekorativen Fachklasse
der Kunstgewerbeschule
Karlsruhe unter Leitung von
Professor Karl Eyth entwor-
fen und gemalt wurde. Als
weitere dekorative Arbeiten
sind die beiden für Email-
technik komponierten Friese
von Professor/<ö''/Oßg'^^und
dessen Bruder August Gagel
anzuführen, welche dieselben
für Bergmanns Emailwerke
in Gaggenau ausgeführt ha-
ben. Diese bis zu einer
Grösse von mehreren Metern
auf Eisenblech hergestellten
Emailarbeiten sind in Fach-
kreisen noch viel zu wenig
bekannt, da ihre Technik
sonst vielmehr Verwendung
finden würde. Sie eignet sich
namentlich für Fassaden-
schmuck, da sie sich für je-
den Witterungs- und Temperaturwechsel als äusserst
widerstandsfähig erweist und ungemein dauerhaft ist.
Fabrikant Bergmann, der sich seit vielen Jahren mit der
Vervollkommnung dieses Emailverfahrens befasst, hat
für sein eigenes, in dem badischen Murgthale gelegenen
Anwesen nach den Gagel'schen Entwürfen ein höchst
originelles Repräsentationshaus bauen lassen, welches
die praktische Verwendung dieser Einailarbeiten, so-
wohl an der Aussenfassade, als auch in der Innenaus-
stattung zur Anschauung bringt. Diese keineswegs
leichte Aufgabe hat Professor Oagel mit vielem Ge-
schick und so gelöst, dass diese Emailfüllungen in-
mitten der gebeizten Naturholzfriese eine äusserst har-
monische Farbenstimmung erzielen. Ein Teil dieser
Dekoration wird auch in Paris im nächsten Jahre zur
Ausstellung gelangen und so den weitesten Kreisen
BADISCHES KUNSTGEWERBE
61
Arbeit aus der dekorativen Facliklasse der Kunstgewerbescliule zu Karlsruhe.
zur Einsicht vorgefüiirt werden. Die ersten aber noch
unvollkommenen Versuche in der Anwendung solchen
Fassadenschmuckes wurden unseres Wissens in Ham-
burg gemacht.
Die Glasmalerei hat in Baden in den letzten Jahren
einen bedeutenden Aufschwung genommen, denn das
Land.zählt insgesamt acht zum Teil sehr grosse Fabriken
und Ateliers, die nicht allein die Bedürfnisse des Landes
decken, sondern der Hauptsache nach noch sehr
viel für das Ausland fertigen. So besitzt die Stadt
Offenburg allein vier grössere Geschäfte, in denen
ausserdem noch die Glasätzerei und die Anfertigung
des sogenannten Musselinglases betrieben wird. Aus
den Werkstätten dieser Fabriken sind schon zahlreiche
und äusserst tüchtige Leistungen nach Amerika, Eng-
land, Schweden-Norwegen, Russland, Spanien u. s. w.
hinausgesendet worden, woselbst sie dem badischen
Kimstgewerbe zur besonderen Ehre gereichen. Von
dem bekannten Freiburger Meister Fritz Gciges, der
namentlich in dem Gebiete der mittelalterlichen, kirch-
lichen Kunst Hervorragendes leistet und sich in geradezu
virtuoser Weise in diese Zeit eingelebt hat, finden wir
in unserem Hefte ein grösseres Kirchenfenster, welches
in zwei Teile gegliedert ist. Auch hier vermissen wir
leider die eigentliche Farbenwirkung, welche diesem
Werke den besonderen Reiz verleiht. Oeiges steht
neben dem Frankfurter Linneinann ausser Zweifel an
der Spitze der kirchlichen Glasmalerei, da er nicht
allein der künstlerische Erfinder seiner Werke ist, sondern
dieselben auch technisch meisterhaft ausführt. Seine
Arbeiten für die Münster in Freiburg i. B., Eichstätt,
Konstanz, Frankfurt a. M., Bonn, Magdeburg und für
zahlreiche sonstige Kirchen geben hierfür ein beredtes
Zeugnis. Auch für die Augusta- Gnadenkirche und
die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin hat
Oeiges prächtige Fenster gefertigt, die mit zum Besten
gehören, was in Deutschland überhaupt in neuerer
Zeit auf diesem Gebiete geleistet wurde. Professor
Oeiges ist z. Zt. mit drei grösseren Glasgemälden für den
Erweiterungsbau des Freiburger Rathauses beschäftigt,
welche geschichtliche Momente und historische Portraits
zur Darstellung bringen. Auch der dekorative Fassaden-
schmuck des Freiburger Rathauses ist ein sehr be-
achtenswertes Werk dieses Meisters. — Als weitere
Vertreter der badischen Glasmalerei nennen wir noch
Drinneberg in Karlsruhe, Beiler in Heidelberg, Heimle
und Merzweiler in Freiburg i. B., Wilhelm Schell,
Adolf Schell, Vittali, Börner und Gccit in Offenburg.
Von den letztgenannten enthält unser Heft noch ein
dreiteiliges Treppenhausfenster.
Aus dem Gebiete der Möbelfabrikation finden wir
von der Hofmöbelfabrik von A. Dietler in Freiburg i. B.
noch die Illustration eines Jagdzimmers. Diese be-
Eiilwurf zu einer Urkunden-Mappe der Säckinger Walfisch-Gesellschaft
von Direktor H. OÖTZ, Karlsruhe.
62 HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN?
Akt, gemalt von Herrn. OÖHLER, Karlsruhe.
kannte Firma, die sich auch nach aussen eines be-
deutenden Rufes erfreut, hat in den letzten Jahren
eine Anzahl reicherer Einrichtungen für die Schlösser
des Orossherzogs von Luxemburg, des Herzogs von
Anhalt u. a. geliefert. Von weiteren Möbelfabriken
des Landes sind hervorzuheben Gebr. Himmelheber,
A. Qehrig, L. Distelhorst und M. Reutlinger in Karls-
ruhe, Gebr. Müller in Baden-Baden,/. L. Peter m Mann-
heim. Von der letzteren sehr leistungsfähigen Firma
stammt auch das in unserem Hefte enthaltene Büffet.
Unterstützt werden diese Fabriken durch zwei be-
deutende Intarsiengeschäfte des Landes: R. Macco
in Heidelberg und H. Maybach in Karlsruhe. Die
farbigen Relief Intarsien des letztgenannten Meisters
sind eine besondere Spezialität, die auch durch zahl-
reiche Aufträge für das Ausland ausgezeichnet wird.
Alle hier angeführten Arbeiten liefern zugleich auch
den Beweis, dass die moderne Bewegung auch in
Baden die gebührende Beachtung gefunden hat inid
zwar in jener massvollen, gesunden Richtung, wie sie
durch die Karlsruher Schule vorbildlich gepflegt wird.
HAT DAS PUBLIKUM
EIN INTERESSE DARAN,
SELBER DAS KUNSTGE-
WERBE ZU HEBEN?
Von Hermann Obrist
DIE Beantwortung der Frage, die wir hier aufwer-
fen, ist nicht ganz einfach und ihre Berechtigung
wird wohl sogar angezweifelt werden. Man-
cher Leser wird vielleicht fragen: Was kann denn
das Publikum gross dabei eingreifen und mitwirken?
Dazu sind ja der Staat, die Gemeinde, die Herren
Fabrikanten und vor allem die Kunstgewerbetreiben-
den da!
Ich fürchte sogar, es werden viele so denken.
Haben sich doch die grossen Schichten des Bürger-
tums immer dabei beruhigt, dass die Regierung alles
Nötige, die Landwirtschaft, den Unterricht, die Hygiene
und natürlich auch die Kunst zu heben wissen würde;
wenn nicht, so würde man ihr in der Kammer, im
Landtage schon die nötige Rüge erteilen!
Es ist jedoch ein Irrtum anzunehmen, es genüge,
der Regierung die Pflege der Kunst allein zu über-
lassen. Wir möchten uns bemühen, diesen Irrtum
etwas zu zerstreuen und zu zeigen, wie wenig es ist,
was der Staat thun kann und wie enorm der Einfluss
sein könnte, den das Publikum, d. h. jeder einzelne
ausüben könnte. Mit dem Worte heben ist nun
schon der Begriff des Neuen, des Fortschreitens eng
verbunden. Der Staat aber kann es nicht gut ver-
antworten, mit dem Gelde der Steuerzahler in den
Kunstgewerbeschulen oder bei Vergebung grosser
Bauten Experimente mit neuen Kunstrichtungen zu
machen. Der Staat muss sicher gehen. Das, was
die Alten geschaffen, ist wirklich schön und bewährt
Man arbeite in diesen Stilformen, lehre sie in den
Schulen und man wird sicher gehen. Haben sich
dann im Laufe der Jahrzehnte neue Formen, neue
Systeme bewährt, so kann der Staat auch diese
brauchen. Vorläufig ist Vorsicht geboten. Darum
ist es schwer, Vorschläge zu machen, auf welche
Weise der Staat das Kunstgewerbe heben solle. Es
HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN? 63
sind ihrer schon genug gemacht worden, und es
geschah fast immer umsonst.
Was die Kunstgewerbetreibenden, insbesondere
die Kunsthandweri<er anbetrifft, so ist auch für sie
die Herstellung von etwas wirklich Eigenartigem eine
sehr riskante Sache. Sie sind alle mehr oder minder
abhängig vom Oeschmacke des Publikums, und erst
wenn das Verhältnis zwischen diesem und jenen ein
klareres, zuverlässigeres geworden ist, kann man von
ihnen Initiative verlangen. Vorher kann man den
Kunstgewerbetreibenden höchstens vorschlagen, Initia-
tive zu zeigen und sich freuen, wenn es ihnen ge-
lingt, den Geschmack des Publikums zu bessern.
Und eben dieses Verhältnis des Publikums zu den
Kunstgewerbetreibenden wollen wir jetzt etwas be-
leuchten.
Also das Publikum soll bei der Hebung des
Kunstgewerbes mitwirken, offenbar doch wohl, weil
dies noch nicht hoch genug steht?!
Es scheint mir sehr wahrscheinlich, dass gleich
von vornherein gegen diese Forderung Einspruch
erhoben wird. Ich höre Entgegnungen aller Art.
Man blicke doch um sich, wird man sagen, strotzen
nicht alle Läden von herrlichen kunstgewerblichen
Arbeiten, giebt es nicht Kaufhäuser genug, glänzende
Ausstellungen, wird nicht enorm produziert, erringt
das deutsche Kunstgewerbe nicht vielfach Triumphe
im Auslande? Und werden bei uns nicht auch
herrliche Einzelwerke geschaffen? Ist unser Kunst-
gewerbe nicht in der Lage, allen Anforderungen,
allen Bestellungen in jeglicher Stilart gerecht zu
werden ?
Kurz, es werden Gründe verlangt, weshalb denn
eigentlich das Kunstgewerbe noch mehr gehoben
werden soll. Nun gut: sehen wir uns einmal um,
was für Herrliches uns in unseren Läden geboten
wird. Um nicht ungerecht zu erscheinen, wollen
wir von vornherein zugeben, dass überall in be-
schränkter Anzahl ganz gute, sogar schöne Sachen
erstanden werden können. Wir müssen aber hier
einmal klar zu erkennen suchen, wie hoch der Durch-
schnitt der Ware künstlerisch steht.
Gehen wir z. B. in ein Warenlager von Möbeln
billigen Genres, so finden wir viele unbequeme
Sofas, Chaiselonguen, schwere Polstermöbel, Zimmer-
Portiät, gemalt von HERM. OOHLER, Karlsruhe.
einrichtungen in jener entsetzlichen missverstandenen
Schreinerrenaissance mit aufgeleimten Ornamenten.
Gehen wir in ein besseres Möbelgeschäft, so finden
wir teuere Einrichtungen im schwersten Architektur-
Möbelstil oder von goldstrotzenden Barockmöbeln,
alles schwerfällige, unbewegliche, unbehagliche Stücke,
oder im Gegensatz dazu neu-englische Stühle, die so
dünn und leicht sind, dass ein Bürger, der sich
achtete, sich noch in den 70er Jahren nicht darauf
gesetzt hätte.
Unsere heimischen Tapeten sind nur zu oft kreidig
oder staubbraun im Tone und mit Blümchen oder
mit Mustern aus längstvergangenen Zeiten bedeckt
oder den Engländern nachgebildet. Das Linoleum
imitiert in materialwidriger Weise Holzparkett und
Fliesen, das Porzellan kommt aus den Formen des
Rokoko oder der geblümten Muster nicht heraus.
Moderner Fries (Reihermotivj, gemalt von HERM. OÖHLER, Karlsruhe.
64 HAT DAS PUBLIKKM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN?
Medaillon Bally, Avers und Revers von Bildhauer H. BAUSER, Karlsruhe,
Unsere Goldschmiede machen Pokale nacii altdeut-
schen Vorbildern, Jardinieren in Barock, Tafelaufsätze
in Rokoko, unsere Juweliere fertigen Ringe und
Broschen, die Hunderte und Tausende kosten, imitieren
aber Blümchen und flatternde Bänder oder geben
überhaupt wesenlose Gebilde und die schönsten
Steine werden in aufdringlicher oder protziger Weise
montiert.
Die Trinkgefässe, Bowlen und Vasen aus Glas
sind so mit Emailmalereien bedeckt, dass man die
Form nicht mehr erkennen kann.
Treten wir in ein Lampengeschäft, so ist es fast
unmöglich, eine einfache Lampe zu entdecken. Die
Hängelampen sind mit Zierat bedeckt, alles ist ver-
goldete oder imitierte Bronze. Die Stehlampen sind
überall mit Buckeln, Köpfen, Festons, Gekringel
aller Art verziert. Und begeben wir uns erst in ein
Luxuswarengeschäft, wie flimmert es einem da vor den
Augen! Man sieht den Laden vor Prunkstücken
nicht. Was für Vasen aus Majolika mit Bronze
montiert, wie grossartig nutzlos! Krüge und Schalen
und Gefässe aller Art, bemalt, emailliert und ver-
goldet, aufdringlich von weitem, in der Nähe ordi-
när. Geschnittenes Glas, gewundenes Rokokopor-
zellan und verwirrende Mengen von Statuen, Statuetten,
Bronzen; dazu ein Sammelsurium von Tanagrafiguren,
altdeutschen Landsknechten, französischen Balleteusen,
ferner Masskrüge mit den geschmacklosesten Einfällen,
Münchener Kindl und Rokokoschmiedeeisen; und
vor allem jene gefährlichen Feinde der Kunst, die
Nippsachen, wahre Bazillen des Kunstgewerbes! Man
muss es erlebt haben wie wir, dass eine vornehme
Frau von Geschmack beim Weihnachtseinkauf den
Laden mit Thränen in den Augen vor Verwirrung
und Ratlosigkeit verliess, um den ganzen Jammer
dieser Überproduktion zu ermessen.
Kurzum, wohin man blickt, Überfülle, aber das
Einzelne zu oft kleinlich, banal, Fabrikware, aber bis
zur Grenze der Möglichkeit mit Ornament bedeckt.
Und diesem Zustande muss abgeholfen werden.
Und in der That, das Publikum wird langsam
inne, dass es von Bazarware, von Massenerzeugnissen
umringt ist, und dass auch die schönsten Arbeiten der
besten Werkstätten schwer darunter leiden, dass sie aus
der Formengebung der Renaissance, des Barock, des
Rokoko, des Empires und des neuerdings beliebten
neuenglischen Stiles nicht herauskommen.
Es fehlt nun bei uns nicht an Personen, die ganz
zufrieden mit ihrem prachtvollen Empfangssalon in
Rokoko, etwas verdrossen fragen: Ja, ist es denn wirk-
lich so nötig, da zu reformieren , muss denn durchaus
immer etwas Neues gemacht werden, ich finde, dass
wir so viel Auswahl haben, dass für jeden Geschmack
etwas da ist? Allein die überwiegende Zahl derer,
die zu dem Kunstgewerbe überhaupt ein Verhältnis
haben, hat doch die Erkenntnis gewonnen, dass es
zuviel Gute-Stube-Kunstgewerbe, zuviel Restaurant-
Luxus und vor allem zu viel Stilfexerei giebt und dass
dieses Überwiegen des Banalen und Aufdringlichen,
dies Kennzeichen der letzten Jahre, einer, aber auch
nur einer der Gründe ist, weswegen das Kunstgewerbe
gehoben werden muss. Man interessiert sich für das
Neue, das Einfache, das Gesunde, man sehnt sich
danach und das ist ein Anfang zur Besserung. Wie
diese bessere Einsicht nun bethätigt werden könnte,
darauf kommen wir später zurück. Zunächst wollen
wir klarstellen, dass und warum es den Kunstgewerbe-
treibenden nicht allein überlassen werden kann, an der
Beseitigung der Missstände zu wirken; Dazu ist ein
Blick auf ihre Lage und ihr Verhältnis zur allgemeinen
Produktion notwendig.
Wer in den Werkstätten der Kunsthandwerker zu
Hause ist, der kann nicht ohne Ernst die Sorgen be-
trachten, die jene Kreise in steigendem Masse erfüllen.
I
u
H
Kunstsewerbeulatl. N. p. XI. II. 4.
10
I
HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN? 67
Es wäre eine sehr irrige Meinung, aus der Masse der
Ware, die man auf dem Markte sieht, zu folgern,
es ginge diesen Leuten recht gut, sie hätten ja vollauf
zu thun. Die grosse Masse dieser Ware stammt aus
Fabriken und leider nur zu viele Kunsgewerbetrei-
bende arbeiten direkt oder indirekt mit oder für Fa-
briken. Die Mehrzahl aller gewöhnlichen Möbel
z. B. werden im Orossbetriebe angefertigt. Eben diese
Fabriken aber sind es, die mit solcher beklagens-
werten Energie den Markt mit schlechten und nach
unseren Begriffen oft unfassbar geschmacklosen Mö-
beln überschwemmen. Und gerade sie sind es, die
es dem Einzelarbeiter so schwer, oft sogar unmöglich
machen, aus seinen eignen Mitteln heraus eine Ein-
richtung zu schaffen, die ihm selber geschmackvoller
erschiene. Denn immer wird sie den Fehler haben,
dass sie etwas teurer wird als die Fabrikeinrichtung
und dass sie etwas anders aussieht, als die Massen-
ware, was den Bürger ja anstatt ihn zu erfreuen, er-
schreckt.
Die Fabrik treibt nur zu oft den Kunsthandwerker
gegen seinen Willen und gegen seine bessere Er-
kenntnis in die Bahn, etwas Ordinäres und Langwei-
liges machen zu müssen. In Ermangelung sicherer
Privataufträge ist er dazu gezwungen, um zu verdienen.
Daher kommt es, dass wir trotz der hochentwickelten
Technik bei den Kunsthandwerkern doch in ihnen
kein rechtes Gegengewicht haben gegen die geschmack-
lose Dutzendware der Fabriken. Aber viele Hunderte
dieser Kunsthandwerker ertragen die Zwangslage nur
mit innerem Widerstreben, sogar mit Groll. Sie
wissen, dass sie ewig dieselben Formen wiederkäuen,
dass sie nicht aus dem Kreislauf der Stile heraus-
kommen. Nicht einmal die Befriedigung haben sie,
dass sie oft genug einen Privatauftrag bekommen,
bei dem sie sich Zeit nehmen können, in diesen nun
einmal hergebrachten und ausgebildeten Stilen etwas
recht verstandenes und ausgereiftes auszuführen. Dann
kommen sie auch selber nicht recht dazu, an ihrer
künstlerischen speziell erfinderischen Ausbildung weiter
zu arbeiten. Denn dazu gehört Müsse; man muss
probieren, entwerfen. Und dann, wenn sie einmal
etwas versuchen, so bleibt ihnen meist nichts übrig,
als es in einer permanenten Kunstgewerbeausstellung
zu zeigen, wo es unter der verwirrenden Menge von
Kram nicht beachtet wird, und von den Kollegen,
die ja oft doch so gern ebenfalls etwas probieren
möchten, sonderbarer Weise recht abfällig kritisiert
wird. Wer viel in Werkstätten verkehrt, was ja unter
den Gebildeten beklagenswerter Weise nur selten ge-
schieht, der kann diese Stimmung der dumpfen Un-
zufriedenheit allerorten fühlen, die Sehnsucht nach
der Möglichkeit, sich einmal frei bethätigen zu dürfen,
der Hass auf die alten Formen, die Nervosität infolge
der Hetze und Überarbeit, die einen zu keiner Samm-
lung konnnen lässt. Hunderte von jungen Leuten,
Email -Füllungen; Entwurf von Prof. KARL OAGEL und Maler AUG. OAGEL in Karlsruhe, ausgeführt durch Bergmann's
Emailwerk in Oaggenau (Baden).
10*
68 HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN?
darunter gerade solche die etwas leisten, sind inner-
lich unzufrieden mit ihrem Berufe. Alles haben sie
gegen sich. Sie haben kein Geld, um auf eigenes
Risiko etwas auszuführen. Sie haben keine Müsse,
keine Sammlung, um etwas, das vielleicht in ihnen
schlummert, aussinnen und ausbilden zu können. Sie
haben sogar schwer zu kämpfen gegen die auf der
Schute nur zu gut angelernten Formen, die nun
so fest sitzen, dass sie fast nicht mehr zu verlernen
sind, und sich immer zwischen das Papier und
die naive Erfindung drän-
gen. Und sie haben auch
oft zu kämpfen gegen den
eigenen Charakter, gegen
die allzugrosse deutsche
Bedenklichkeit, die über-
triebeneVorsicht und gegen
den Mangel an frohge-
mutem Selbstvertrauen.
Und doch, alles in ihnen
treibt und gährt. Dazu
konnnt noch, dass es ihnen
nicht unbekannt bleibt,
dass in Frankreich und
England gerade im Kunst-
gewerbe ein reges und,
betonen wir das Wort,
ein erfinderisches Treiben
herrscht, das Trumpf- und
Losungswort wenigstens
für Kenner und Kritik dort
ist: eigenartig, unbedingt
eigenartig. Sie wissen
nicht, woran es liegt, dass
es dort geht und hier
nicht, und so probieren
sie denn in der Eile
die unglaublichsten
Dinge. Eine fieberhafte
Arbeit, aber ohne innern
Fortschritt ist volkswirt-
schaftlich nicht gesund.
Jedermaini wird verstehen,
dass es ein nicht gesunder
Zustand wäre, wenn die
deutsche Industrie jährlich
Hunderte von Lokomoti-
ven oder Kanonen produ-
zierte, die nicht zweckmässiger, ökonomischer oder
weittragender gebaut wären, wie solche, die vor drei
Jahren angefertigt wurden. Und was bei der Loko-
motive die grössere Leistungsfähigkeit, bei der Kanone
die grössere Präzision ist, das ist beim Kunstgewerbe
nicht etwa die immer sauberere und vollendetere Aus-
führung, sondern der neue praktische, künstlerisch kon-
OrabeiiEel von Prof. F. DIETSCHE, Karlsruhe.
struktive oder ornamentale
eigenartigen Ideen, die im
Und diese zu unterstützen
kums. Auf eigene Kosten
kaut, der Geld aber keine Einfälle hat, seine neue
Ware lancieren, der Kunsthandwerker aber, der Ideen
Einfall, die neuen ganz
Kunstgewerbe auftauchen,
ist die Pflicht des Publi-
kann vielleicht ein Fabri-
und keiri Geld hat, kann das nicht. Denn das Pu-
blikum geht vorbei, kritisiert oder freut sich, aber
kauft nicht, auch wenn es sich freut, nicht. Wir wie-
derholen also: eine fieberhafte Arbeit ohne inneren
Fortschritt ist volkswirtschaftlich nicht gesund. Und
es ist eine wirtschaftliche Pflicht der Reichen, die
freie eigenartige Erfindung im Volke energisch zu för-
dern. Wir wissen zwar, was deutsche Renaissance,
deutscher Barock, deutscher neu-englischer Stil ist, wissen
wir aber schon, was wahre, herrliche, deutsche Er-
findung in der dekorativen
Kunst ist?
Ich glaube hierdurch
einigermassen klargemacht
zu haben, dass sowohl des
Staates, wie der Kunstge-
werbetreibenden Macht,
das Kunstgewerbe zu he-
ben, eine nur beschränkte
sein kann und dass es
Pflicht des Publikums ist,
hier helfend einzugreifen.
Doch ich bemerke eben,
dass ich wieder das Wort,
Pflicht des Publikums<
gebraucht habe, worauf mir
leicht jedereinwerfen kann :
Das ist doch zu viel ver-
langt, dass ich mein Geld
ausgeben soll, um die
Kunsthandwerker zu för-
dern.
Nein, nicht von Pflicht
des Publikums wollte ich
reden, sondern von dem
eigenen Interesse dessel-
ben. Jeder ist sich selbst
der Nächste, und jeder hat
das Recht zu fragen, was
habe ich davon, wenn ich
mein Geld ausgebe. Nur
muss man sich wundern,
dass so ein moderner Mann
noch lange nicht genug
an sich selber denkt, dass
er sich der argen Selbst-
täuschung hingiebt, er habe
nun die allcrschönsten
Sachen und genösse in vollen Zügen die künstlerische
Atmosphäre seines Berliner altdeutschen Salons oder
des entzückenden Empireboudoirs seiner Gemahlin.
Ich sage Selbsttäuschung, denn er könnte diese gute
Meinung nicht haben, wenn er sich einmal bewusst
umschaute und sogar in seiner eigenen Stadt seines
Nachbars Heim mit dem seinen vergliche, oder wenn
er auf Reisen nicht bloss in Hotels, sondern auch
bei Gastfreunden verkehrte und etwas überlegte. Es
ist ja doch ein offenes Geheimnis, dass bei uns in
Deutschland in dem letzten Jahrzehnt der Dekorateur
und Tapezierer fast allmächtig herrschen ; das giebt jeder
zu, wenn er von dem Heim seines Nachbars spricht.
HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN? 6g
^^K^Li
F
1
■
■
^^^B
^^B!
w.
m
m
r^^^^^H
r
^A
'Ä
^'wJ
AcflH
1
' .-■
p
r
%
1^
1
1
^
1
IH
hh
Weiblicher Studicnl<opf von I'rof. K. KORNHAS, Karlsruhe.
Kürzlich fand ich in einem Zeitungsroman folgen-
den Passus: »Jetzt aber mit dem erwachenden Sommer
erwacht auch Schloss Petershagen. Handwerker, Tape-
zierer und Möbelhändler aus Berlin erschienen und
richteten das Schloss fast neu ein, nur die Zimmer
des verstorbenen Hans Joachim blieben unberührt in
ihrer schlichten altmodischen Einfachheit, alle andern
Räume wurden aufs Eleganteste hergerichtet, persische
und indische Teppiche, kostbare Bilder und Spiegel
mit goldenen venezianischen Rahmen, Möbel im Re-
naissancegeschmack oder nach altdeutschem Muster,
kurz das alte Herrenhaus von Petershagen wurde zu
einem hochmodernen Schloss, das von Grund aus
neu hergerichtet war. <
Dabei kann man sich eines Lächelns kaum er-
wehren und doch ist die hier geschilderte Pracht
noch zu oft der Traum unseres Bürgers. Vielleicht
ist der Leser der Meinung, ich übertriebe hier wohl
ein wenig. Es ist ihm aber wohl nicht dabei auf-
gefallen, dass, wenn er in die Villa seines Nachbars
einen Blick wirft, er ganz ähnliche Möbel findet, wie
in der seinigen. Es dürften wohl auch dieselben
stilechten Möbel sein, die bei der Firma X im Schau-
fenster stehen, vielleicht auch dieselben englischen
Möbel, die auf der Veranda der Frau B. stehen, und
die Teppiche sind ja auch orientalische Teppiche, wie
sie Herr A. gleichfalls besitzt; auch die Nippsachen
haben wir bereits in Berlin in der Leipziger Strasse
gesehen. Was würde man aber imn dazu sagen,
wenn man jemand zumutete, in seinem Salon dieselbe
Landschaft von Schönleber, dasselbe Bild von Böcklin
aufzuhängen, wie sie dieser und jener bereits im Be-
sitze haben, würde man das Geniessen nennen?
Das ist aber auch ein Kunstwerk, höre ich entgegnen.
Sollte denn ein Mobiliar im Werte von Tausenden
von Mark nicht auch ein Werk der Kunst sein dürfen,
das nur einer besitzt und das nicht ebenso in einem
beliebigen Laden erworben werden kaiui. Eine Hand-
zeichnung eines alten Meisters, die man für loo, 8o
oder 50 Mark erhalten kann, und die man mit Stolz
einrahmt, das ist doch sicher ein Kunstwerk; ein
Theekessel aber im Werte von 120 Mark braucht es
nicht zu sein; warum nicht? Wie seltsam mutet das
einen an, wenn man sieht, wie Tausende von reichen
Leuten nach alten echten Sachen fahnden, welchen
Spürsinn sie dabei entwickeln; und sie zählen das
Geld nicht, die Antiquare werden reich, und diese
Jäger nach dem Alten sind glücklich und stolz. Wir
haben auch Galerien-Mäcene, ja es giebt sogar schon
jene reichen Herren, die die jeweils neuesten raffi-
niertesten Sachen in Paris kaufen; ist aber schon
einer auf den göttlichen Einfall gekommen, bei uns
auf die Jagd nach erfinderischen Talenten zu gehen,
sich keine Mühe verdriessen zu lassen, schöne neue
Arbeiten des Kunsthandwerks zu erwerben schwer-
lich! und doch, welch ein ernstes Gefühl überkommt
den Betrachter, wenn ersieht, wieviele Hunderttausende
in einer einzigen Stadt alljährlich ausgegeben werden
für kunstgewerbliche Gegenstände, ohne dass die
Käufer und Besteller ahnen, was ihnen entgeht, welche
Freudigkeit, welche Befriedigung des eigenen Ehr-
geizes, welche Steigerung des Genusses "am eigenen
Heim sie erfahren könnten, wenn sie nur auf die
Idee kommen wollten, auf die eine erfösende Idee,
sich so einzurichten, wie das andre nicht thun.
Es ist ja doch neben vielem Reichtumsstolz und rein
Wappen von Prof. K. KORNHAS, Karlsruhe.
Olasfenster, entworfen von Prof. S. QEIOES, Freiburg i. Br.
HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN? 71
äusserem Ehrgeize viel starke intime Liebe zum eignen
Heim in unsern Bürgerkreisen vorhanden. Gerade
unsere Vorliebe, das ganze Heim in einheitlicher Art
etwas Neuartiges in sein Interieur zu setzen, da es
ja nicht hineinpasst' . Um so mehr ist es zu ver-
wundern, dass sich mit verschwindenden Ausnahmen
zu bauen und einzurichten, hat, da sie in gleicher
Weise bei den Bestellern wie bei den Ausführenden
vorhanden ist, im Laufe der Zeit zu der Stilfexerei
geführt, die es so manchem so schwer fallen lässt,
fast kein wohlhabender Mann findet, der in direktem
Gegensatze zum einheitlich stilechten etwas einheitlich
eigenartiges herstellen lässt, absichtlich, gewollt, be-
wusst eigenartiges. Etwas Neues, ja, das wollen sie
72 HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN?
Fayencegefässe von Frau SCHMIDT- PECHT, Konstanz.
schon, es soll wohl auch künstlerisch vornehm sein,
aber sie wollen immerhin dabei sicher gehen; sie
trauen sich selber die Initiative, das Urteil nicht zu.
Sie haben es auch immer viel zu eilig, sich ihr Haus
zu bauen, ihr Mobiliar zu kaufen, ihre Tapeten und
Teppiche zu besitzen. So wenden sie sich denn, um
ihr Geld nicht zu riskieren, an solche Kräfte, Archi-
tekten, Lieferanten aller Art, die schon Bewährtes
geschaffen haben. Dieses Bewährte aber ist bis
jetzt noch immer das jahrhundertalte, meinetwe-
gen ausgereifte, aber immerhin das aufgewärmte
oder missverstanden verwendete, wie der neue eng-
lische Stil.
Wir haben eben dank diesem vorsichtigen und
bedenklichen Misstrauen vor etwas Eigenartigem noch
wenig bewährte Kräfte auf neuen Bahnen, und doch,
man bedenke, dass einstmals es alle diese Stilarten,
die aufzuwärmen wir so stolz sind, nicht gab. Dfe
Renaissance in Deutschland war doch auch einmal
neu, wenn
sie auch nach
guter deut-
scher Sitte
von aussen
eingeführt
worden ist.
Und diejeni-
gen, die in
der Chronik
jener Zeiten
bewandert
sind, wissen
von einem
herrlichen
Eifer zu be-
richten, mit
dem damals
die Bürger,
die Besteller,
mit den
Fayencen von Frau SCHMIDT -PECHT, Konstanz.
Künstlern und den Kunsthandwerkern wetteiferten, um
die Gotik los zu werden, andere Häuser, andere
Möbel und allüberall andere Verzierungen zu schaf-
fen, zu besitzen. Welche Freude, welchen Stolz fühlte
ein reicher Kaufherr, wenn er seine Freunde nach dem
Mahle mit einer Kassette, einer Truhe, einem Pokale
überraschen konnte, der ganz neue Formen zeigte.
Wir haben das nur, wenn wir z. B. ein neues
Bild von Menzel erworben haben; das beleuchten wir
mit einem gewaltigen Reflektor. Aber wann kommt
es vor, dass uns ein Bankier in ein Speisezimmer
führt, wo die Möbel, das Tischzeug, das Porzellan,
das Glas, Formen, Farben, Anordnungen, Material
zeigen, die die unerwartete schöpferische Kraft mehrerer
individueller Künstler erkennen lassen, die notabene
eben nicht schon berühmte Maler und bekannte De-
korateure zu sein brauchen.
Und unter Neuem wollen wir ausdrücklich nicht
etwas Sonderbares, Bizarres verstanden wissen, was
das Publi-
kum in sei-
nem Miss-
trauen so oft
vermeint.
Ebensowe-
nig ist dar-
unter etwas
Kostbares
gemeint.
Nein, die
Grundele-
mente der
zweckmässi-
gen Kon-
struktion der
Gebäude-
teile, des Mo-
biliars, kön-
nen , dürfen
und sollen
I
KLEINE MITTEILUNGEN
73
niemals ignoriert werden einer Laune des Entwerfers
oder des Baulierrn zu Liebe. Eine Treppe ist und
bleibt eine Treppe und um stabil und bequem zu
sein, muss sie struktiv so gebaut werden, wie sie von
jeher gebaut worden ist. Das Geländer aber z. B.
muss denn das Renaissance, Barock oder neu englisch
sein, kann es nicht einmal anders geartete Stäbe, an-
dere Verzierungen, andere Verteilung, andere Holz-
arten, andere Farben haben? Man gebe uns einen
einzigen vernünftigen Grund an, warum man nicht
eine solche Treppe ausführen sollte.
Man stelle sich ein ganzes Haus vor, das gebaut
wäre mit dieser Lust, dieser Freude an etwas eigen-
artigem, das nicht jeder Nachbar, und wäre es der
Reichste, hat! Allgemein wird die Wirkung, die die
direkte tägliche Umgebung in der eigenen Wohnung
auf Gemüt und Stimmung hat, unterschätzt. Unbewusst
leben wir dahin; dass ein Zimmer nach dem Garten,
wo die Sonne hineinscheint, besser ist, als ein Zimmer
nach der Strasse zu, das ist uns allen klar. Auch die gute
Stube mit ihrer Symmetrie, ihren Sofas, ihren Photo-
graphien und ihren Araucarien wird jetzt schon vielfach
verhöhnt. Ein skulptiertes Renaissancekamin aber mit
Bronzelüstern links und rechts, wird, wenn es 4000 M.
gekostet hat, noch immer geschmackvoll gefunden und
ist doch bloss die gute Stube der Reichen.
Und wie rasch gewöhnt man sich an die Interieurs,
die man fix und fertig vom Architekten hergestellt
bezieht. Hat man aus Griechenland aber einen vor-
nehmen antiken Kopf, durch List und viel Geld
gewonnen, heimgebracht, wie anders hängt man an ihm.
Wie eifersüchtig stolz ist ein Sammler auf seine langsam
aufgespürten Schätze. Wie voll ist sein Leben mit Inter-
esse, Spannung, Zielbewusstsein. Wie gesteigert, ver-
schärft ist sein ästhetisches Wahrnehmungsvermögen.
Und alle diese Freude am selbst Entdeckten, selbst
Erworbenen auf kunstgewerblichem Gebiete lassen wir
uns entgehen aus Gleichgültigkeit, Misstrauen gegen
das Neue und vornehmlich aus Hast. Statt wie
Humboldt in unbekanntes Land zu dringen, mit aller
Spannung, Erregung und dem Hochgefühl des Ent-
deckers, ziehen wir es vor, mit 300 anderen per
Dampfschiff und Eisenbahn in Eile, müde und nur
etwas neugierig nach Chicago zu reisen. Jeder reiche
Mann aber, der sich wieder einmal ein Haus von Firmen
fix und fertig einrichten lässt, statt es nur für sich von
Künstlern ersinnen zu lassen, schlägt einen weiteren
Nagel ein in den Sarg des Kunstgewerbes.
(Schluss folgt.)
KLEINE
MITTEILUNGEN
VEREINE
BRESLAU. Kiinstgewerbeverein. Am 2. Juni d. J.
hielt Herr Zeichenlehrer Sonnenkalb einen Vor-
trag über >' moderne Reformvorschläge im Zeich-
nenunterricht , verbunden mit einer Ausstellung von
Kunsluewerbcblatt. N. F. XI. H. 4.
Ehrenpreis S. K. H. des Qrosslierzogs von Baden zum Ufezheimer
Rennen 189g. Entwurf von Direktor H. GÖTZ, Karlsruie
Ausführung von Prof. K. WEIBLEN, Pforzheim.
74
KLEINE MITTEILUNGEN
entsprechenden Schülerarbeiten. Nach Abtauf der
Sommerpause berichtete am 20. Oktober Herr Direktor
Dr. Masner über den Verbandstag. In einer ausser-
ordentlichen Versammlung beschloss der Verein, nach-
dem er seine Bibliothek dem neuen Kunstgewerbe-
museum überwiesen, nunmehr auch fortlaufend die
bisher für Büchereizwecke gebrauchten Geldmittel dem
Museum zu geben. G. SC/i.
MUSEEN
LÜBECK. Dem Bericht des Oewerbeinuseums über
das Jahr i8g8 entnehmen wir folgendes: Die
Neuerwerbungen kamen verschiedenen Abtei-
lungen zu gute. Die Medaillen- und Plakettensamm-
lung wurde durch französische Medaillen und Plaketten
der Künstler Oudine, Dupuis, Chaplain, Dubois, Pillet,
Borrel, Vernon, Degeorge bereichert. Die an sich
noch sehr kleine Gruppe der französischen Luxus-
bronzen wurde durch eine Schreibtisch-Stehuhr ver-
mehrt, ein hervorragend schönes Stück des 18. Jahr-
hunderts. Die im vorigen Bericht angekündigte
Plakatausstellung des Kunstgewerbe-Vereins hat im
September stattgefunden und bei einem allerdings
schwachen Besuch grosses Interesse und viel Aner-
kennung gefunden. Eine neue Einrichtung bilden
die populärwissenschaftlichen Vorträge, die für alle
Abteilungen seit Beginn des Winters eingeführt wor-
den sind. Dieselben finden regelmässig Sonntags in-
mitten der Besuchszeit statt und erfreuen sich eines
fleissigen Besuches. -u-
WETTBEWERBE
DRESDEN. In dem Wettbewerb um Entwürfe für
den Neubau der Kunstgewerbeschule mit Kunst-
gewerbemuseum erhielten den I. Preis Regierungs-
Baumeister Em. Heimann in Neubabelsberg, den II. Preis
Architekt Richard Senf in Düsseldorf, den III. Preis
Regierungs-Bauführer Koch in Bautzen. -u-
PARIS. In der Konkurrenz um das Diplom für
die Pariser Weltausstellung igoo ist der Preis
von 10000 Eres, dem Entwurf von Camille
Boignard, einem 22jährigen Künstler zuerteilt worden.
Der Entwurf zeigt eine allegorische Darstellung der
Arbeit mit einer zwischen Eiche und Olive aufragen-
den symbolischen Figur. Das Ganze unterscheidet
sich durch seine Originalität von den gewöhnlichen
Ausstellungsdiplomen und macht durch sinnige Auf-
fassung und markige Ausführung einen sehr vorteil-
haften Eindruck. -u-
BÜCHERSCHAU
Fritz Schumacher. Im Kampfe um die Kunst, Bei-
träge zu architektonischen Zeitfragen. Strassburg,
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1899. 2 M.
»Wir streben neuerdings danach, uns im Kunst-
gewerbe loszumachen von der Nachahmung unserer
Altvorderen, und was thun wir, um das zu erreichen?
Wir machen die modernen Engländer nach.« —
-Aber das Predigen allein thut's nicht. Man gebe
uns das natürliche Selbstbewusstsein dieser Nation,
und wir würden weiter sein als sie.« — »Das Orna-
ment ist nicht die Melodie, sondern die Begleitung.« —
»Bei jedem Urteil zuerst die Betrachtung des Ganzen,
dann erst die Kritik des Einzelnen! Wenn man diese
Kritik des Ganzen anlegt der Architektur unserer Zeit
gegenüber, dann erst kann man finden, ob und wo
Keime zu »Neuem« in unserem Schaffen liegen.« —
»Das was gemeinhin als die neue Stilentwicklung
erscheint und dafür ausgegeben wird, das ist eigentlich
nur ein leichtes Gespinnst flüchtiger Moden, hinter
denen wir in unbestimmten Umrissen die eigentliche,
wirkliche Stiluniwandlung sich sehr langsam vollziehen
sehen.« — Eine falsche Scheu muss man es nennen,
wenn ein Künstler, der aus modernem Empfinden
heraus selbständig arbeitet, sich bei der entsprechen-
den Aufgabe schämt, an historische Formen, die dem
vorliegenden Zweck und Aufgabecharakter konform
sind, anzuküpfen, bloss weil sie historisch sind. Soll
man alle alten Obstbäume verdorren lassen, weil man
sie nicht selber gepflanzt hat? Ist es eine Thorheit,
auch an alten Bäumen weiterziehend und veredelnd
nach neuen Sorten zu trachten?« Bedarf es nach
diesen Auszügen noch vieler Worte, um das Ganze
zu empfehlen? Da ist einmal ein Mann in der Hochflut
der heutigen Kunstschreiberei, der wirklich etwas zu
sagen hat; kein Litterat oder Professor, sondern ein
Künstler, ein Architekt von anerkanntem Ruf, der
zugleich eine Feder führt von seltener Kraft und Fülle.
Frei von landläufigem Modeurteil folgt er dem Kampfe
und Ringen der Architektur und des Kunstgewerbes
mit sicherem Blick, und was er in den zwölf Kapiteln
sagt, das fesselt, packt und belehrt auf jeder Seite.
Die Sehnsucht nach dem »Neuen, Stil und Mode,
Der Maler und das Kunstgewerbe, Englische Eindrücke,
das sind einige der Überschriften. Überall lebendiger
Geist in klarer Fassung. Er spricht von den steinernen
Citaten, in denen viele unserer Architekten reden; er
vergleicht den klassizierenden Unterricht auf unseren
technischen Hochschulen dem Latein des Gymnasiums
und nennt die gleichförmigen Granitdenksteine unserer
Kirchhöfe ein steingewordenes Adressbuch; er übt an
Van de Velde eine freimütige Kritik und verfolgt
das Dekorative in Klinger's Werken« mit dem ge-
übten Auge des Architekten. Kurzum: neben all den
behenden Schreibern und Schreiberinnen eine Per-
sönlichkeit, und aus dem Zeitungswirrwarr heraus ein
Buch, ein Buch für jeden, der selbst im Kampfe steht.
Möge es nicht vergeblich geschrieben sein.
Paul Schultze-Naumburg:. Häusliche Kunstpflege.
Mit Buchschmuck von J. V. Cissarz. Verlegt bei
Eugen Diederichs, Leipzig, 1900. 3 M.
Auch hier spricht ein Künstler, ein Maler von
Geschmack, der die Not unserer Wohnungkunst, be-
sonders in den Mietswohnungen, beobachtet hat und
die weiten Kreise der -Gebildeten' in gefälliger Form
zu belehren sucht, wie sie auch mit massigem Aufwand
die gegebenen Räume angemessen und geschmackvoll
herrichten und ausstatten können. Über alle ein-
Email-Friese. Entwurf von Prof. KARL OAOEL und Maler AUGUST GAOEL in Karlsruhe,
ausgeführt durch Bergmann's Emailwerke in Oeppenau (Baden).
76
KLEINE MITTEILUNGEN
schlägigen Fragen, die Dekoration der Wände und
der Deci<en, die Ofen, die Vorhänge und Teppiche,
die Möbel, die Beleuchtungskörper, das Tafelgedeck
u. a. weiss er nutzbare Ratschläge zu geben; besonders
verdient beherzigt zu werden, was er aus eigensten
Erfahrungen heraus über den Wandschmuck, die Ge-
mälde, die Rahmen u. s. f. zu sagen hat. Unserer
kunstgewerblichen Bewegung ist sehr damit gedient,
wenn ein solches Buch in möglichst viele Hände
kommt. Überdies ist der Band bei Drugulin so trefflich
gedruckt und nach besten Grundsätzen von Künstler-
hand geziert, dass er auch der ernsthaften Buchkunst
neue Freunde werben wird. p.jessen.
Meyer'S Historisch-geographischer Kalender, vier-
ter Jahrgang, 1 900, Preis 2 Mark, ist Ende November
dieses Jahres wieder zur Ausgabe gelangt. Den em-
pfehlenden Worten bei der Besprechung der früheren
Jahrgänge ist höchstens hinzuzufügen, dass der neue
Jahrgang gleich seinen Vorgängern die Empfehlung
rechtfertigt.
Der im gleichen Verlage, dem bibliographischen
Institut in Leipzig, erscheinende Hand-Atlas ist mit
1 1 3 Kartenblättern mit 9 Textbeilagen soeben voll-
ständig erschienen und es genügt, auf die zweite
Auflage dieses Buch-Atlas besonders hinzuweisen.
ZU UNSERN BILDERN
Wir bemerken nachträglich, dass der Entwurf des
farbigen Umschlags des ersten Heftes des laufenden
Jahres vom Maler Molitor in Leipzig herrührt, der
des zweiten Heftes vom Maler L. Sütterlin, Berlin,
der des dritten Heftes vom Professor E. Döpler d. j.
in Berlin, während Herr Maler H. Göhler in Karls-
ruhe i. B. den Entwurf zum Umschlag des vorlie-
genden Heftes lieferte.
Olasfenster (dreiteilig); C. OECK, Olasmanufaktur, Offenburg.
Herausgeber und für die Redaktion verantwortlich: Professor Karl Hoffacker, Architekt in Chadottenburg- Berlin.
Druck von Ernst Hedrich Nachf. in Leipzig.
Kirche zu Altengamme. Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
Dieleniiiterieur aus Neuengamme. Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
VIERLÄNDER KUNST
UNTER den vielen Zweigen, welche dem ge-
meinsamen Stamme der deutschen Kunst ent-
sprossen sind, ist einer, dem man bis heute
ausserordentlich wenig Beachtung geschenkt hat: die
deutsche Bauernkunst. Die Beschauer, welche uns
unsere deutsche Kunst bisher schilderten, haben sich
immer so gestellt, dass dieser eine Zweig ihnen un-
sichtbar blieb, weil er bescheiden sich unter den
vielen ihn überragenden anderen versteckte. Erst in
letzter Zeit ist man auch auf ihn aufmerksam ge-
worden, indem man die Sache einmal von anderem
Standpunkte aus betrachtete.
Die Bauernkunst unterscheidet sich in mancherlei
Beziehung äusserst auffallend von ihrer prunkenden
Schwester, der städtischen.
Zunächst dadurch, dass es keine eigentlichen Be-
rufskünstler oder -Kunsthandwerker sind, die sie aus-
üben, sondern Leute, die entweder halb Bauern, halb
Handwerker sind, oder die, von Beruf Bauern, nur
aus Liebhaberei für den Schmuck des eigenen Heims
diese oder jene Technik pflegen, es spielt also bei ihr
die Liebhaberkunst eine recht grosse Rolle.
Der zweite Unterschied liegt darin, dass die
Bauernkunst kein Kunstwerk kennt, das sich Selbst-
zweck ist. Sie ist lediglich praktisch angewandte
Kunst, sie stellt nichts dar, sondern stellt stets etwas
her. Es giebt in ihr nicht das, was wir im höchsten
Sinne Malerei und Bildhauerkunst nennen. Architektur
und Kunsthandwerk sind ihre beiden einzigen Zweige,
ein altertümlicher Zug, in dem sie der ältesten deut-
schen Kunst, die auch keine Staffeleigemälde u. dgl.
kannte, entspricht.
Zum dritten zeigt sie eine Eigentümlichkeit, die
zwar früher auch unserer städtischen Kunst eigen
war, von der wir heute aber so gut wie keine Spuren
mehr in der letztgenannten finden können: sie zeigt
einen ausserordentlich grossen Reichtum an landschaft-
lich begrenzten Sonderstilen, die bisweilen von Dorf
zu Dorf wechseln.
Wenn man eine Karte von Deutschland entwerfen
12*
8o
VIERLÄNDER KUNST
stuhl aus den Vierlanden. Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
würde, auf welcher diese Sonderstile gegen einander
abgegrenzt wären, würde man die merkwürdige Er-
scheinung beobachten können, dass dieselbe ausser-
ordentliche Ähnlichkeit mit einer Bevölkerungskarte
von Deutschland hat, auf der aufs Genaueste und
Kleinlichste die verschiedenen Volksstämme und Völker
eingetragen sind, ja, dass sie sich fast mit derselben
deckt. Slavische und germanische Stämme, reine und
gemischte germanische Stämme, Friesen, Sachsen,
Franken, Thüringer, Bajuvaren, Alemannen, Chatten
u. s. w., alteingesessene und Kolonistenbevölkerungen
heben sich in der Bauernkunst deutlich voneinander
ab. Andere Unterschiede, wie die Hauptbeschäftigungs-
art, z. B. ob Fischerei, ob Schiffahrt, ob Ackerbau,
Gartenbau u. s. w., wie ferner die Konfession, ob
katholisch, ob protestantisch, wie endlich die grössere
oder geringere Nähe einer grösseren Stadt u. a. m.
haben noch ferner mitgewirkt, um innerhalb der
grösseren, umfassenderen Stile kleine und kleinste
Sonderstile hervorzurufen, so dass das Bild des
Ganzen ein äusserst buntscheckiges wird.
Wie gesagt, man fängt heute erst an, der Bauern-
kunst Beachtung zu schenken, teils infolge des Auf-
blühens der neuen Wissenschaft der Volkskunde, teils
aber auch, weil die modernen Bestrebungen im Kunst-
gewerbe in der Eigenart, welche sich unsere deutschen
Bauernstile gegenüber städtischen Einflüssen in hohem
Masse gewahrt haben, ein Vorbild in ihrem Kampfegegen
die bis vor kurzem übermächtig herrschenden Stilarten
vergangener Zeiten und Völker sehen und auch in
der That sehen dürfen. Denn in mustergültiger
Weise sehen wir die Bauernkunst souverän mit irgend
welchen eindringenden Formen und Gedanken um-
springen, sie sich nmndgerecht machen, gerade so,
wie jede gesunde Kunst der Vorzeit das gethan hat
— ich erinnere nur an das Verhalten der deutschen
Renaissance gegenüber der italienischen. — Es wäre
zu wünschen, dass die tapfere Verteidigung der be-
sonderen Stammeseigenart, wie wir sie von unserer
Bauernkunst geübt sehen, unserem deutschen Kunst-
gewerbe auch ein Vorbild im Kampfe unserer deut-
schen Eigenart mit modern ausländischen Formen wäre!
Unter den deutschen Bauernstilen sind ein paar,
die, durch allerlei Umstände begünstigt, in höherem
Masse die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben.
Sei's, dass sie unter ihren Schwestern hervorragen,
sei's, dass sie durch ihre Lage nahe einem Verkehrs-
zentrum bekannt geworden sind, sei's, dass sie einem
von Sommerfrischlern oder Künstlern vielbesuchten
Ländchen eigen sind u. s. f.
Das ist z. B. der Fall mit dem tiroler Stil, mit
dem Schwälmer, das ist auch der Fall mit dem Vier-
länder Stil.
Der Vierländer Stil ist ein ganz besonders dras-
tisches Beispiel eines ausserordentlich unabhängigen,
mit den Grenzen eines bestimmten Volksstammes sich
deckenden Stiles. Nur geringe Spuren seines Ein-
flusses finden wir in den Nachbarländchen, in der
Winsener Marsch und den Landschaften Bill- und
Ochsenwärder; im Norden, in Stormarn finden wir
absolut keine. In der gesamten deutschen Bauern-
kunst anderer Landschaften finden wir niemals etwas,
das ihr auch nur im geringsten ähnelt.
Die Vierlande liegen oberhalb Hamburgs am
Nordufer der Elbe. Sie sind im Grunde ehemalige
Eibinseln, die durch Kolonisten, und zwar in der
Hauptsache holländischen, seit dem 12. Jahrhundert
eingedeicht worden sind. Zwei ehemalige Eibarme,
die Dove- und die Gose-Elbe durchströmen, mit
dem Ausgang des 15. Jahrhunderts an ihrem oberen
Ende durch Deiche geschlossen, das Ländchen,
das im Perleberger Frieden 1420 von Lauen-
burg an Hamburg und Lübeck abgetreten, nach
447 jähriger beiderstädtischer« Verwaltung 1867
Hamburger Gebiet geworden ist.
Die Bewohner sind ein Mischvolk aus allerdings
nahe verwandten Elementen, Holländern und Nieder-
sachsen beider Eibufer, in dem aber das hollän-
dische Blut stark vorwiegt. Klar beweisen das Vor-
namen, wie die Mädchennamen Gesche, Wobke,
Becke, Ancke, Elsche, Mette, Barber, Tiecke, Jan-
thrin, sowie die Männernamen Ties, Harm, Hencke,
Theis u. a. m. Das beweisen ferner die alte volks-
tümliche Tracht, der Schmuck u. a. m. Ja, man
möchte sagen, die Landschaft beweise das desgleichen.
Da giebt's z. B. eine Rembrandt'sche Radierung, eine
VIERLÄNDER KUNST
81
Truhe aus den Vierlanden. Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
Land-
schaft,
eine je-
nereigen-
tüm-
lichen,
zwecks
Durch
lassen ei-
nes Schif-
fes hoch-
zuziehen-
denBrüi<-
i<en dar-
stellend,
die wie
ein Ei
dem an-
dern ei-
ner Vier-
länder
Land-
schaft mit
genau derselben Brücke gleich sieht.
Die Vierländer haben in den ersten Jahrhunderten
offenbar tapfer um die Erhaltung ihres Landes gegen-
über der Gewalt des mächtigen Stromes, in dessen
Flutgebiet dasselbe noch liegt, kämpfen müssen. Mit
der Zeit aber sind sie zu Wohlstand gelangt, insbe-
sondere, als die Stadt Hamburg infolge ihres ge-
waltigen Aufschwunges seit dem 16. und 17. Jahr-
hundert ein immer dankbarerer Abnehmer für ihre
gärtnerischen Produkte wurde.
Mit dem Beginn
des allgemeinen Wohl-
standes hat in Vierlan-
den offenbar der an-
geborene Kunstsinn der
Bewohner kräftigeren
Aufschwung genom-
men. Die beiden präch-
tigsten alten Vierländer
Häuser, aus den Jahren
1593 und 1595 datiert,
reich mit Holzschnitze-
reien geziert, beide nahe
nebeneinander in gröss-
ter Nähe Hamburgs be-
legen, geben uns, sicher
in Zusammenhang mit
dem durch Hamburgs
Aufschwung verursach-
ten grösseren Wohl-
stande stehend, deut-
liche Merkzeichen für
den Beginn der Blüte
der Vierländer Kunst.
Dass schon vorher
allerlei Kunstübungvor-
handen war, davon le-
gen Reste alter Kirchen-
Wiege aus den Vierlanden. Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
Kunstgewerbeblalt. N. F. XI. H. 5.
bankthü-
ren , so-
wie ande-
re typi-
sche Bän-
ke (z. B.
auf der
Diele
Seite 79),
Schränke
und Tru-
hen, die
vereinzelt
sich fin-
den,
Zeugnis
ab. Ers-
tere stam-
men noch
aus der
Zeit des
gotischen
Stiles,
letztere bewahren, obschon später entstanden, charak-
teristische Züge der Gotik. Endlich weisen jene bei-
den Häuser durch die treffliche Ausführung und den
feinen Geschmack ihres Zierwerks auf eine schon
länger gepflegte Kunstübung hin. Renaissance, Ba-
rock, Rokoko, Louis XVI., ja sogar Empire haben
nachher ihre Wellen auch nach den Vierlanden ge-
worfen, immer aber sind sie typisch in Vierländer
Dialekt übersetzt und völlig eigenartig entwickelt, so
dass in Verbindung mit eigenen Zuthaten etwas durch-
aus Eigenes entstanden
ist, das absolut nicht
mit irgend etwas an-
derem verwechselt wer-
den kann. Da liegt z.B.
unterhalb Hamburgsauf
dem linken Eibufer das
Alte Land, dessen Be-
wohner, Brabanter Ko-
lonisten, den Vierlän-
dern blutsverwandtsind.
Es wäre somit nicht
verwunderlich, wenn
ihre nationale Kunst
der der Vierländer täu-
schend ähnelte - das
ist aber durchaus nicht
der Fall, beide Stile
unterscheiden sich total
voneinander. -
Werfen wir zunächst
einen flüchtigen Blick
auf die Architektur.
Im Gegensatz zu
den Altländern, deren
Hausgiebel in seinen
beiden in Schwanen-
form ausgesägten
>3
82
> Windfedern <, d. i.
Giebelbrettern, noch
typisch uralte Stam-
mestradition festhält,
haben die Vierlän-
der in ihrem Haus-
bau das niedersäch-
sische Einhaus mit-
samt seinem Pferde-
kopfgiebel adoptiert,
haben es aber ausser-
ordentlich reich aus-
gebildet. Vorkra-
gende obere Stock-
werke, geschnitztes
oder bemaltes Stän-
derwerk, Ziegelmus-
ter, reich verschnör-
kelte Pferdekopfgiebel, (es kommen auch Blumen- und
andere Formen vor), schön ausgebildete Thüren,
schmucke Hofeingänge in der Gartenhecke vereinen sich
zu einem ausserordentlich malerischen Gesamtbilde;
der stets schön gepflegte Garten, in dem Blumen-
und Gemüsezucht sich die Wage halten, die schönen
Obst- und anderen Bäume, Lauben u. s. w. thun ein
übriges hinzu.
Zwei andere Gebäude hat die Profanarchitektur
der Vierländer noch aufzuweisen, die künstlerisch
interessant sind, turmartige hölzerne Kornspeicher und
malerische, an siamesische Pagoden lebhaft erinnernde
Heuschober erstere, wie's scheint, rein vierlän-
disch, letztere kommen auch in anderen Hambur-
gischen Marschen vor. Von den schönen Korn-
speichern steht nur noch einer, von den Heuschobern
ist, glaube ich, in diesem Jahre der letzte vierländische
gefallen. Die Scheunen, die bei grossen Bauernhäusern
hie und da vorkommen, sind nur selten mit ein paar ge-
schnitzten Konsolen oder der-
gleichen versehen.
Die Vierländer Kirche hat
den alten Typus des freistehen-
den Glockenturmes bewahrt,
iTiit Ausnahme der Altengammer
wo er aber auch nur in locke-
rer Verbindung mit dem eigent-
lichen Kirchengebäude steht. Die
nicht grossen Kirchen sind äus-
serlich wenig ansehnlich; aus
gotischer Zeit stammend, ein-
fach im Grundriss, haben sie
höchstens im vorigen Jahrhun-
dert durch Anbau einer Ein-
gangshalle, Oberlicht- und an-
derer Fenster, deren Sprossen -
werk das Rokoko verrät, u. dgl.
m. eine Bereicherung erfahren.
Anders ist's im Innern, da
kann man, namentlich wenn
man die Altengammer Kirche
ins Auge fast, von wahren Mu-
seen volkstümlicher Kunst im
Brustkette der Frauen.
Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
VIERLÄNDER KUNST
Dienste des Gottes-
hauses sprechen.
Und das führt
uns zu dem Gebiete,
auf dem die Vier-
länder Kunst ihr
Höchstes geleistet
hat, auf die orna-
mentale Kunst und
das Kunstgewerbe.
Schon im Schmuck
des Hauses zeigt
sich die charakteris-
tische Neigung der
Vierländer Kunst zu
grosser Schmuck-
freude, die aber im-
mer Mass zu halten
weiss und Überla-
dung scheut, die manchmal einfach durch eine schöne
Linie, durch wenig, aber wirkungsvolles Ornament
ihren Zweck erreicht. Zierlichkeit und Sauberkeit in
der Ausführung sind desgleichen Eigenschaften, die
man ihr nachrühmen muss. Neben der Eigenart in der
Verwendung überkommener Formgedanken ist ihr eine
besonders hoch zu schätzende, grosse Urwüchsigkeit im
selbständigen Erfinden glücklicher neuer Formen eigen.
Ein Beweis dafür sind vor allem die schönen
schmiedeeisernen Huthalter der Kirchen, die ganz
original dastehen und nirgends ihresgleichen haben.
Ein gleicher Beweis dafür war, um noch ein einzelnes
Beispiel zu nennen, eine drollige Zierde der Spitze
eines jener merkwürdigen genannten Heuberge: ein
aus Weidenruten geflochtener Storch. Und anderes
mehr.
Seit der Mitte des letzten Jahrhtmderts, zusammen-
hängend jedenfalls mit der aufblühenden Blumenzucht,
beobachten wir ein ausserordentlich starkes Vorwiegen
des naturalistischen Blumenmo-
Hcnidspange aus den Vicrlandcn.
Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
tivs in der gesamten Ornamen-
tik, das, wie es alle Renaissan-
ce- und Rokokoornamente ver-
drängte, auch den später kom-
menden Motiven des Empire
fast nirgends Eingang gestattet
hat. Immer sind es die nach
der Natur gestalteten Blumen
des Gartens: Rosen, Tulpen,
Nelken, Lilien, Ringelblumen,
Maiglöckchen, Akelei, Schwert-
lilie, allerlei Beeren u. a. m.,
die wir antreffen. Auch sonst
hat man gelegentlich frisch in
Natur und Leben hineingegriffen.
Von Tieren finden die Vögel
viel Verwendung. Wir finden
ferner Bauern auf der Jagd,
Reiter u. dgl. dargestellt, wir
finden Wetterfahnen, welche die
Gestalt der Gemüseschiffe (Ewer)
haben, Windmühlen in Ziegel-
muster. Manchmal hat man in
VIERLANDER KUNST
83
barocker Laune auch bei Bank-
lehnen ' und Ofenthüren das
Profil eines menschlichen Kop-
fes als Motiv genommen.
Allegorische Figuren spielen
in der Kirchenornanientik eine
grössere Rolle. Neben dem ural-
ten Pferdekopfmotiv des Gie-
bels kommt der Donnerbesen
oftmals an der Hausfront vor. Der
Doppeladler, der in der deut-
schen Bauernkunst überhaupt,
z. B. in der süddeutschen und
pommerschen, ein beliebtes Mo-
tiv ist, spielt auch hier, unter-
stüzt durch den Umstand, dass
er zugleich das Wappen Lü-
becks, der ehemaligen Mitbe-
sitzerin Vierlandens, ist, eine grosse Rolle.
Hoch entwickelt ist die Verwendung von Schrift-
zügen als Ornament; der älteren, monumentalen An-
tiqua gesellte sich im vorigen Jahrhundert ausnehmend
schön geschwungene lateinische Schreibschrift, in der
namentlich die Namen der Besitzer in das Haus-
mobiliar eingelegt sind. Wappen, die in der Bauern-
kunst anderer Gegenden, z. B. Hadelns, Wurstens
u. s. w. eine Rolle spielen, kommen hier selten vor.
Betrachten wir zunächst die Ornamentik des
Hausäusseren.
In den Schnitzereien des Ständer-
werks finden wir die Halbsonnen der
deutschen Renaissance, daneben aber
auch schon im 16. Jahrhundert eigen-
artige, aber noch nicht naturalistische
Blumenzweige. Durch Verwendung von
etwas Rot ist gelegentlich die Wirkung
noch gehoben.
Die Pferdeköpfe des Giebels haben
reiche ornamentale Ausbildung erfah-
ren; bemalt sind sie nur sehr selten.
Ziegelmuster finden wir an ein
und demselben Hause in allerlei ver-
schiedener Zusammensetzung, obschon
lange nicht in demselben Masse, wie
an Altländer Häusern (Seite 87). An
einigen wenigen Häusern, besonders
in Altengamme, beobachten wir eine
andere Schmucktechnik, eine Art Sgraf-
fito, von der unsere Abbildung Seite 87
ein schönes Beispiel giebt. Über den
Ziegelsteingrund ist erst eine gleich-
massige, dünne, weisse Mörtelschicht
aufgetragen. Dann ist durch Über-
malen mit Rot mit Auslassung grös-
serer weisser Flächen und Wieder-
herauskratzen weisser Ornamente (Kreis-
linien und Blumenmotive) eine sehr
reiche und schöne Wirkung erreicht.
Dieselbe Technik finden wir, wenn-
schon heute sehr selten, im Innern
des Hauses bisweilen angewandt. Auch
Hemdknöpfe für Männer und Ehering.
Aiifijenommen von H. Haase, Hainbtirjj^
Pantoffel. Adler .auf rot Flanell, grün.
Kontur ziegelrot, blau, grün, rosa, gelb
weiss. Schwarz, rot, gelb Leder.
Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
auf Ziegelsteinumrahmungen
ovaler Giebelfenster finden wir,
aber gleichfalls selten, einen
Blätterkranz in ähnlicher Weise
hergestellt.
Die Fenster sind äusserlich
schmucklos, die Thür dagegen
ist ornamental schön ausgebil-
det. Ich muss hier einschieben,
dass die grosse Thür des Vier-
länder Hauses der Strasse abge-
wandt ist und selten besonders
verziert ist, die Schaugiebelseite
hat keine Thür (wieder im Ge-
gensatze zum Alten Lande), da-
gegen hat jede Langseite eine
solche. Anfangs geradlinig oder
viertelkreisförmig abgeschlossen,
hat der nut Schrift und etwas Ornament gezierte obere
Balken der Thüreinfassung später immer reicheren
Umriss angenommen. Die Thür besteht aus Ober- und
Unterteil, sie ist durch ein paar ausgesägte Leisten ein
wenig verziert, hie und da finden wir noch alte
eiserne Thürklopfer. Bei vielen Thüren findet man ein
kleines schmales Vordach mit einer hübschen, eigen-
artigen Krönung.
Fahnden wir nun einmal im Innern des Hauses
herum. Es ist da unumgänglich nötig, dass wir der
grossen Liebenswürdigkeit ein Lob zol-
len, mit welcher die Vierländer uns
ausnahmslos in ihrem Hause jederzeit
umherführen.
Es ist im Innern aber so viel zu
schildern, dass eine Einteilung absolut
im voraus erforderlich ist.
Ich nehme zunächst die Teile des
Hausrats heraus, die nicht Vierländer
Ursprungs sind, sondern aus der Stadt
Hamburg stammen. Das sind zunächst
die schönen Barock- und Rokoko-
schränke, die im Flett, d. h. der Quer-
diele des Hauses, stehen, das ist ferner
der blaubemalte Ofen der Wohnstube,
der in seinen schönsten Exemplaren
der hochentwickelten Hamburgischen
Ofenbaukunst des vorigen Jahrhunderts
entstammt (Seite 85). Wir finden aber
auch ältere, plastisch verzierte Öfen
Lüneburger Stils (obschon höchst selten)
und spätere mit leichtem, blaugemalten
Blumenwerk und schüchternen Louis
XVI.- Motiven verzierte Öfen aus dem
kleinen Städchen Bergedorf. Nicht
Vierländer Arbeit sind ferner die
Kacheln, welche zum Teil die Wände
der Stuben und den Unterbau der
deutschen Herde auf der Diele beklei-
den. Die ältesten Kacheln, die vorkom-
men, mit schön gezeichnetem, dunkel-
blauen Tulpenornament bemalt, sind
holländischen Ursprungs, ebenso die sie
13*
84
VIERLANDER KUNST
Dielenintericur aus Neucngamme. Aufgenoiiiineii von H. Haase, Hamburg.
einrahmenden und zugleich zu grossen Viereci<en zu-
sammenschliessenden manganvioietten, etwas marmo-
rierten Kaciieln. Die anderen Kacheln zeigen jene be-
kannten typischen landschaftlichen und figürlichen Mo-
tive, Mühlen, Bauernhäuser, Schiffe, phantastische
kleine Schlösser u. dgl. m. Ausserdem kommen noch
einfarbige grüne und gelbe Kacheln vor, die gern zur
Bekleidung des Herdunterbaues benutzt werden.
Diese Teile der Hausausstattung, dazu die Delfter,
englischen u. a. Teller der Wandbörten ausgenommen,
herrscht im Hause absolut Vierländer Eigenkunst.
Da haben wir zunächst die Ausstattung der Diele,
soweit sie aus Holz ist. Treppengeländer in ein-
fachen Rokokoformen ausgesägt, sowie die grossen
Thüren der Herde wären zu erwähnen. Letztere sind
wohl ganz original (Seite 84). Sie sind aus senk-
rechten Brettern zusammengefügt, oben mit wenigen
Ausnahmen halbkreisförmig abgeschlossen. Der obere
Halbkreis ist mit mehr oder weniger reichem, aus-
gesägten Ornament verziert. Kleeblattformen, Spät-
renaissance, Blumen- und Laubwerk wiegen vor. Die
Innenseite der Thür wird ausgenutzt, um daran Löffel,
Topfdeckel u. dgl. aufzuhängen - man möchte sagen,
es sei das ein Seitenstück zu der sorgsamen Aus-
nutzung des Gartenterrains bis ins Kleinste, die wir im
Lande überall beobachten.
Die Thüren der Alkoven der Diele, welche die
Schlafstellen der Knechte enthalten, sind nur ausser-
ordentlich selten etwas verziert, (s. Seite 79.)
An beweglichen Möbeln finden wir auf der Diele
Bänke, die zugleich lange Laden vorstellen und
immer originelle Seitenlehnen mit irgend einer be-
wegten Kontur oder mit durchbrochenem Ornament
haben. Echt Vierländer Schränke sind selten, indessen
giebt es doch alte, stark gotisierende grössere und
kleinere aus dem 16. Jahrhundert, sowie auch origi-
ginelle spätere Eckschränke, ihre Stelle ersetzen die
Truhen, die wir zwar auf der Diele finden, die wir
aber auch in der Stube antreffen und dort besprechen
wollen.
Die Stubenthür ist auch auf der Diele meist etwas
verziert, z. B. mit hitarsien in Sternform und Eisen-
beschlag. Ein kleines Fenster, das Stube und Diele
verbindet, ist bisweilen mit Blei verglasung in geo-
metrischem Muster verziert. Daran knüpfen wir gleich
die Erwähnung der sich noch heute findenden kleinen
bemalten Fensterscheiben, die gemäss ehemaliger Sitte
von Freunden beim Bezug des Hauses oder anderen
Vierländer Stube in Neuengamme. Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
VIERLANDER KUNST
87
Steinversetzung in den alten Vierländer Bauernhäusern. Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
^
freudigen Gelegenheiten gescheni<t wurden und aller-
lei Schmuck, einen Reiter, Wappen u. s. w. tragen.
In der Stube wollen wir uns zunächst die Wände
besehen. Sie sind, wie schon erwähnt, zum Teil mit
Kacheln belegt, in der Hauptsache aber sind sie reich
getäfelt. In frühester Zeit wurde die Schnitzerei zum
Schmuck des Getäfels benutzt, es giebt noch sehr
schöne Beispiele dieser Art, die Renaissance- und
Barockmotive zeigen. Sehr selten kommt, aus der
Rokokozeit stammend, Bemalung der Täfelung vor,
vorwiegend treffen wir überall als Schmuck derselben
die Intarsia an, die alte Lieblingstechnik der Vierländer
Möbeltischler. Es kommen Renaissance- und Barock-
niotive, sowie naturalistische Blumen vor, sehr beliebt
sind ferner reich detaillierte Sterne; die Namen der
Besitzer finden wir an Wand und Thür. In der Wand
finden sich, durch Schiebethüren abgeschlossen, Al-
koven für die Betten, auch Wandschränke, sowie über
den Thüren kleine Porzellanschränke, die immer Glas-
thüren, mit durchbrochenem Holzornament überzo-
gen, haben, um den Reichtum des Hauses an schönem,
goldschimmernden Porzellan und jenem wirkungs-
vollen, kupferüberzogenen und mit buntbemalten Re-
liefs verzierten, im Bruch rotbraunem Steinzeug zu
zeigen, das bei den Bauern in Norddeutschland überall
sehr beliebt war.
Bisweilen tritt der Alkoven etwas zu-
rück hinter der anderen Wand, so dass
eine kleine, besondere, durch einen Vor-
hang abzuschliessende Zimmernische ent-
steht, deren Eingang oben in verschiedener
Weise portalähnlich gestaltet ist. Korb-
bögen auf durchbrochenen Konsolen,
Doppelbögen, geradliniger Abschluss unter
Ausfüllung der Ecken durch Konsolen
u. dgl. kommen da vor.
Einen festen Bestandteil der Wand bil-
det neben dem schon erwähnten blaube-
malten, von der Diele aus zu heizenden
Ofen die hohe Standuhr, die zu einem
vornehmen, schönen Typus ausgebildet ist.
Wir kommen damit zu den Vierländer
Möbeln.
Der Tisch, bisweilen ausziehbar, zeigt
Kugel- oder Balusterfüsse. Die Verzierung
steigert sich bis zu grossem Reichtum an
geschnitzten oder eingelegten Ornamenten.
Eine sehr selten vorkommende Form
ist der mit einer Schmalseite an der Wand
befestigte Klapptisch, der auf der ande-
ren Seite sich auf ein hübsch ausgesägtes Brett
stützt.
In Bezug auf die Stühle müssen wir zwei Typen
unterscheiden, der ältere (Seite 80), steifer in der Form,
zeigt neben reicher Drechslerarbeit an den Rücklehnen
geschnitztes Ornament: Embleme, Renaissanceornament,
zwei Vögel mit Krone, Doppeladler u. dgl. m. Der
jüngere Typus, zu ausnehmend eleganten Formen
neigend, hat die Drechslerarbeit, fein ausgebildet, bei-
behalten und mit der Intarsia verbunden. Bemalte
Stühle, die sonst in der deutschen Bauernkunst stark
vertreten sind, finden sich hier nie. Neben einfacheren
Stühlen finden wir reichere mit Armlehnen, die auf zier-
lichen Docken aufliegen. Namentlich die sogenannten
Brautstühle sind manchmal ausserordentlich reich ausge-
stattet und bilden wahre Prunkstücke. Vasen, aus denen
naturalistische Blumen hervorspriessen, Blumenbouquets,
Vögel, die auf den Zweigen sitzen oder darüber fliegen,
sind die Hauptmotive für die Intarsia der Rücklehnen,
selten kommen Jagddarstellungen vor. Die Schmuck-
liebe geht bisweilen so weit, dass sogar die Rückseite
der Rücklehnen verziert wird, es zeugt aber von dem
feinen Geschmack der Vierländer, dass hier nur ein
kleines, ellipsenförmiges Ornamentstück oder ein Stern
in den dunklen Grund eingelegt ist.
Bäuerlicher Sgraffito, Füllung zwischen dem Ständerwerk an alten
Vierländer Bauernhäusern. Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
88
VIERLÄNDER KUNST
Die Vierländer Stuhlsitze haben binsen- oder
rohrgeflochtene Sitze und sind stets für Belag mit
Kissen berechnet. Unter diesen ragen aus den un-
schönen modernen Kissen aus geblümtem Stoff oder
in Straminstickerei die alten Flickenkissen, in geo-
metrischen, schönen Mustern aus verschiedenen bunten
Tuchstücken zusammengesetzt, und alte Oobelinkissen
mit Blumen oder Wappen hoch hervor, denen wir
auch in der Kirche begegnen werden.
Das dritte Hauptmöbel ist die Truhe. Ausser-
ordentlich selten nur treffen wir geschnitzte, überall
aber die mit Intarsia ausgestattete an und zwar in
zwei auffallend abweichenden Formen. Die eine,
offenbar ältere, erinnert an gotische Formen und steht,
nach unten ausladend, hochbeinig auf Brettfüssen, die
mit Vorder- und Rückfläche aus einem Stück ge-
arbeitet sind. Die andere, niederere Form hat Kugel-
füsse (Seite 84). Bisweilen wird erstere Form als
Männertruhe, die andere als Brauttruhe erklärt, und
da es vorkommt, dass man in einer Stube neben einander,
gleich datiert, mit ganz gleichem Ornament verziert, je
eine Truhe der beiden Formen stehen sieht, jene den
Namen des Bräutigams, diese den der Braut auf-
weisend, mag es oftmals so sein — die erste Form hat
in der That etwas Mannhafteres, Trutzigeres, als die
andere, welche einen weichlicheren, zierlicheren Ein-
druck macht. Einmal finden wir bescheidene, ja spär-
liche, aber stets gut verteilte Ornamentik, ein ander-
mal steigert sich 's zu grösster Fülle. Neben Vasen
mit Blumen u. dgl. kommt öfters ein stattlicher Reiter
in Rokokotracht als Ziermotiv vor.
Schränke finden sich in den Stuben nie; sie sind
durch Wandschränke und Truhen genügend ersetzt.
Die Wiege hat der Kunstsinn der Vierländer
ebenfalls schön ausgebildet, oftmals steht sie auf
einem besonderen zierlich ausgesägten Brett, das die
Wiege auf demselben Fleck festhält. Wie auch sie
mit Intarsien geziert ist, so auch allerlei kleine Kästen,
Uhrgehäuse, Wandschränkchen u. dgl. Kleingerät.
In Bezug auf Bänke kenne ich kein Beispiel von
Verwendung der Intarsia; an den Fensterwänden be-
findlich, zeigen sie nur ausgesägte Seitenlehnen und
Vorderbrett unterhalb des Sitzes. Rücklehne ist gar nicht
vorhanden, nur bei Gartenbänken findet sie sich, immer
sehr zierlich, bisweilen aus ausgesägten Formen gestaltet,
meist aber aus gedrechselten Gliedern zusammengefügt.
Die Decke der Stube zeigt einfache Täfelung oder
Rokokostuckverzierung, an den oft sichtbar durch-
gehenden Balken sind Haken zum Aufhängen von
Körben mit vorkeimenden Kartoffeln u. dgl. ange-
bracht. Auch durch daruntergenagelte Bretter gebil-
dete schmale Börter finden sich.
Durch die geöffnete Thür des Alkovens blicken
wir auf das aufgemachte Bett, das uns auf die Kunst
der Frauen und Mädchen bringt.
Die weissen Überzüge der farbigen Kissen sind
durch breite Streifenzwischensätze geziert, die in feiner
Netzstickerei gearbeitet sind. Allerlei symbolische
Motive spielen dabei neben Blumen- und Tierorna-
menten eine Rolle, die in der Bauernkunst überall be-
liebten, sich schnäbelnden Tauben, Herzen, von Figuren
gehalten, Engel, auch Wappen kommen vor. Die
Namen oder Anfangsbuchstaben sind in schwarzer
Seide in das Leinen eingestickt und mit schönem,
der Technik entsprechend umgestalteten Blumen- und
Blattwerk, namentlich Rosetten, zu einem wirkungs-
vollen Ganzen verbunden; ebenso sind die Sticke-
reien der Betttücher in gleicher Technik gestaltet.
Eine ganze Sammlung schöner Stickmotive weisen
die Mustersammlungen, die sogenannten Namentücher
der Vierländerinnen auf, Vasen mit Blumen, Doppel-
adler, Herzen, Kronen und alle anderen beliebten
Formen deutscher Bauernkunst begegnen uns, bis tief
in unser Jahrhundert hinein noch von hohem Ge-
schmack zeugend.
Bezüglich der Paradehandtücher ist es noch nicht
sicher, ob sie im Lande gewebt wurden, sie sind
reich mit roten oder schwarzen eingewebten Borten,
sowie schwarz gestickten Namen geziert.
Andere, sehr schöne Stickereien zeigt uns die
Tracht der Vierländerinnen, namentlich die Ärmel der
Jacken und die violetten Schürzen zeigen Namen und
in Plattstich eigenartig voll gestickte Vierecke mit
Blumenornamenten in blauer und roter Seide, die
den Grund vollständig verdecken; auch an den Hemden
kommen bunte Stickereien vor. Sehr reich gestickt,
in buntem, in Farbe fein gestimmtem Plattstich oder
Gold- und Silberstickerei unter Verwendung kleiner,
kreisrunder Goldplättchen, sind die Brustlätze der
Vierländerinnen, wobei auch Goldbrokatstoff und
in Hamburg geklöppelte Metallspitzen zur Verwen-
dung gelangen. Vasen mit Blumen, Vögeln u. dgl.
sind die Motive. Ersetzt sind die gestickten Brust-
lätze bisweilen durch schönfarbene, gleichmustrige
Sammetstücke, in Bergedorf gewebt. Gleichfalls findet
Sammet, in abwechselnd verschiedenfarbigen Quadraten
geschacht, an den Schürzen Verwendung. Dass auch
schön gestickte Pantoffeln u. a. m. vorkommen, zeigt
unsere Abbildung Seite 83.
Von der Tracht der Vierländerinnen zu ihrem
Schmuck ist ein kleiner Schritt. Auffällig ähnelt der-
selbe in einzelnen Stücken dem Schmuck seeländischer
Bäuerinnen, z. B. die kreisrunden grossen Hemd-
spangen (Seite 82) gleichen denen der Seeländerinnen
in Form und Technik vollständig. Sie sind in sehr
geschmackvollen, verschiedenen Mustern in Filigran
auf einer Silberplatte hergestellt und mit bunten Glas-
steinen verziert. Die Filigrantechnik finden wir auch
wieder an den Mittelstücken der Brustketten zum Zu-
sammenhalten der Jacken, sowie an den halbkugelförmi-
gen Zierknöpfen der Jackenärmel. Die genannten Brust-
ketten bestehen aus zwei halbkreisförmigen Seitenstücken
und den 5 13 sie verbindenden Ketten. Die zwei
Seitenstücke sind durchbrochen, in Silber gegossen
und zeigen wieder Blumen, Herz, Vögel und Krone
(Seite 82). Bisweilen ist in der Mitte der Ketten noch
das erwähnte schmale ovale Mittelstück in Filigran, so
breit wie das ganze Schmuckstück, in der Mitte mit
einem bunten Glasstein oder einer in Silber ge-
arbeiteten Blume besonders verziert, angebracht.
VIERLÄNDER KUNST
89
Auch die Trauringe waren ehemals besonders ausge-
stattet. Sie waren durchbrochen gearbeitet und mit
symbolischen Motiven, verschlungenen Händen, Herzen
u. s. w., verziert; die Abbildung Seite 83 zeigt als auf-
fallendes Motiv eine kleine Madonna. Von sonstigem
Schmuck sind noch die Halsketten aus Glasperlen
oder Granaten mit einfachem Schloss, zwei gravierten
Silberplatten, die Zierknöpfe der Männer an Hemd,
Kunstgewerbeblatl.
Kleiderschrank aus dem Schlafzimmer von B. Pankok auf der Dresdner Kunstausstellung 1899.
Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk, München. (Ges. gesch.)
N. F. XI. H. i;.
14
90
VIERLÄNDER KUNST
Jacken und Beinkleid (einer Art Pumphose), sowie
silberne Hutschnallen zu erwähnen; auch das Gesang-
buch kommt mit Silberschmuck (gravierte Platten an
den Ecken und Schliessen) vor. (S. über weibliche Hand-
arbeit und Schmuck Prof. J. Brinckmann's Führer d. d.
Hamb. Mus. f. Kunst-Gewerbe.) (Schluss folgt.)
•3
>
z
O
'S
4
#
Kopfleiste, gezeichnet von DANIEL BÜCK, Bciiin.
HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER
DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN?
Von Herimann Obrist
(Schluss.)
WAS sollen wir denn aber thun, so wird wohl
mancher denken. Wir sind doch nicht alle
reiche Leute, die sich ihr Haus bauen können.
Wir müssen doch kaufen was da ist, wir können uns
doch nicht darauf einlassen, extra zu bestellen. Über-
haupt, was sind denn das für phantastische und para-
doxale Pläne. Nun, schon bei den kleinen, alltäg-
lichen Einkäufen in den Läden, wo es sich darum
handelt, unter vielem etwas hübsches, auch dauerhaftes
zu wählen, kann vom Käufer ein Einfluss ausgeübt
werden. Freilich, wenn man das Geschäft eilig be-
tritt und verwirrt durch die grosse Menge der Gegen-
stände und geniert durch die Gegenwart und die Blicke
so vieler Angestellten ziemlich ratlos sich von den
Verkäufern herumführen und beeinflussen lässt, dann ^
kommt man nicht dazu, etwas zu kaufen, was einem [f
wirklich und ganz persönlich gefällt. Es steht ausser^;
allem Zweifel, dass wenn jemand nur suchen will,!;,
in mehreren Geschäften suchen will, er sehr oft etwas;
wirklich gutes, geschmackvolles finden kann. Thäte"
man das, so würde es sich herausstellen, dass sehr
viele Leute im Grunde einen ganz richtigen Geschmack
haben. Doch wollen wir diesem Mittel nicht mehr
Bedeutung zumessen, als es wirklich hat. Der wirk-
liche Einfluss jedoch, den das Publikum auf die Pro-
duktion ausüben kann, fängt dann an, wenn grössere
Bestellungen derselben Art von Gegenständen erfolgen
müssen. Und dahin gehören in erster Linie die Aus-
stattungen. Und hier ist eine Wandlung nur mög-
lich, wenn die Frauen uns helfen. Und diese Hilfe
muss eine bewusste, ausgebildete werden. Bis jetzt
ist das Kunstgewerbe von den Männern gemacht und
beherrscht worden. Und die Frauen sind nur auf
denselben Wegen nachgefolgt, die die Männer be-
schritten hatten. Sie beschränkten sich darauf, alles
das, was die Männer produzierten, zu kaufen und im
Hause zu verteilen. Die Frauen sind nie gefragt
worden, ob man denn alle diese alten Stile neubeleben
sollte und wir getrauen uns zu behaupten, dass sie,
befragt, davon abgeraten hätten. Nein, sie haben sich
diesen ganzen Geschmack wie so vieles andere auf-
drängen lassen, ohne auf den Gedanken zu kommen,
zu widerstehen und etwas neueres vorzuschlagen. Von
Natur liebt die Frau all das Alte nicht. Ihr ganzer
Instinkt treibt sie zum Neuen, zum Heitern, zu dem
was anregt und die ästhetische Neugier befriedigt.
Nicht nur zieht sie die Gegenwart der Vergangenheit
Kinderzimmer-Möbel von K. BERTSCH.
Ausgeführt von den Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk,
München. (Ges. gesch.)
•4'
92 HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN?
Tauf-Plakette von Bildhauer ADOLF AMBERO in Cliarlottenburg. II. Preis.')
vor, sondern
sie greift gern
der Zukunft
vor. Fast im-
mer haben die
Frauen wenig-
stens die Nei-
gung zum
fortgeschritte-
nen Ge-
schmack in
Kunst und Lit-
teratur. Und
wenn sie sich
nur auf sich
selber besin-
nen wollten,
so][würden sie
auch finden,
dass sie mehr
Sinn dafür
haben, ob ein
Gerät prak-
tisch,'bequem und zweckmässig ist, als die Männer, ganz
speziell die Männer, welche eben diese Geräte anfertigen.
Welcher Widerspruch liegt doch darin z. B., dass alle
diejenigen Handwerker, ganz speziell die Tapezierer,
welche alles das erzeugen, was in unseren Salons zum
Gebrauche und zur Zierde herumsteht, gar nicht in
die Lage kommen, in eben diesen Salons zu verkehren,
um so sich zu überzeugen, wie unzweckmässig und
direkt hässlich vieles darin ist. Und wir alle, nicht
zum wenigsten unsere Frauen, für die alles das in
erster Linie existiert, reagieren viel zu wenig und
lassen sich viel zu sehr tyrannisieren von Fabrikanten,
Ladeninhabern, Dekorateuren und von dem Geschmacke
desjenigen Teils des Publikums, der in der That, aber
leider, existiert; der das reich aussehende, das imi-
tierte, das in die Augen springende liebt, und auf
den die Fabrikanten in der That, aber leider, mit
Sicherheit spekulieren können und es auch reichlich
thun. Statt dass die Verfeinerten, die Vorgeschrittenen,
diejenigen, die Zeit und Müsse haben, sich der künst-
lerischen Ausgestaltung des Heims zu widmen, und
das sind in erster Linie die Frauen unserer wohlha-
benden Stände, die Initiative ergreifen, um den Ge-
schmack im Kunstgewerbe zu diktieren, lassen sie sich
im Strome treiben, nehmen was da ist, lassen sich
den ganzen minderwertigen Geschmack der Produ-
zenten gefallen, von dem dann jene sagen, dass es
der unsere ist. Der Fabrikant hat gut reden: Das
Publikum verlangt diese und jene Ware. Gewiss,
ein Teil des Publikums verlangt im Laden direkt ver-
goldete Kandelaber im Barockstil auf chinesischem
Vasenkörper. Aber der andere Teil des Publikums,
dessen Zahl leider viel zu gering angeschlagen wird,
verlangt sie nicht, sondern lässt sie sich nur gefallen,
ohne sie besonders zu goutieren. Die ganze Legende,
dass die Fabrikanten und die Kunstgewerbetreibenden
nur das produzieren, was das Publikum verlangt, be-
ruhtauf einem
subtilen, aber
folgeschwe-
ren Missver-
ständnis, an
dem Schuld
trägt die Indo-
lenz desjeni-
gen Teils der
Gebildeten,
welcher der
führende sein
sollte. Nie-
mand wäre er-
staunter als
der Produzent,
wenn das Pu-
blikum einmal
etwas ver-
langte. Man
stelle sich ein-
mal die Ver-
wirrung in
den Geschäften vor und die Ratlosigkeit der Ladenin-
haber, wenn innerhalb weniger Tage fünfzig Menschen
einmal ein Porzellanservice verlangten, das nicht
Meissener, nicht Nymphenburger und nicht neueng-
lischen Stil hätte.
Aber das können wir ja gar nicht verlangen, wird
man mir zurufen. Ich möchte wieder auf den oben
erwähnten Begriff Ausstattungen zurückkommen. Hier
ist es, wo das Publikum, speziell unsere Frauen, den
Hebel ansetzen können. Hier, wenn es sich um die
Einrichtung eines neuen Heims handelt, ist der Wende-
punkt im Leben jeweils zweier Menschen gekommen,
wo die Macht des Alten, des Ererbten einmal ge-
brochen werden könnte. Wer die Mittel hat, eine
Ausstattung bestellen zu können, sogar eine einfache,
und in dieser Lage sind doch jetzt zahlreiche Men-
schen, der sollte seinem Schicksale danken, der sollte
sich selber zurufen: Ich will jetzt aus dem mir vom
Schicksale oder von meiner eigenen Arbeit verliehenen
Mitteln das denkbar grösste Mass von Genuss mir
selber erzeugen. Es soll alles behaglich sein. Es
soll vornehm sein, was nur möglich ist bei Abwesen-
heit von Überladung und Imitiertem. Es soll meinen
persönlichen, nicht den sogenannten durchschnittlichen
Bedürfnissen angepasst sein. Es soll hübsch und
apart sein, wenn irgend möglich sogar schön und
eigenartig sein. Ich will mir das alles mit Mitarbeitern
extra ausdenken und wenn Freunde zu mir kommen,
sollen sie mich bewundern, ja beneiden. Es soll mir
Lust und Spass machen trotz der vielen Mühe, ich
will eitel stolz auf mein Heim werden und auf jeden
Stuhl darin, auf mein Heim, das nicht ist wie das
meines Nachbars. Ich will ihn nicht übertrumpfen
damit, dass ich überbiete, sondern damit, dass er
mich sobald nicht kopieren kann.
So soll der mit Gütern gesegnete reden. Statt
dessen wird nur zu oft folgendes gethan, wenn es
i) Vergl. Kunstgewerbeblatt, N. F. X., S. 196.
HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN? 93
Entwurf zu einer Tauf-Plakette von Bildhauer MEINHARD JACOBY, Berlin. III. Preis, i)
gilt ein neues
Heim zu grün-
den. Die
Hochzeit soll
in so und so-
viel Wochen
oder Monaten
sein. Da gilt
es sich zu spu-
ten. Die gros-
sen Geschäfte
werden aufge-
sucht, Möbel,
Tischzeug,
Geräte werden
rasch gekauft
oder nach vor-
handenen
Mustern be-
stellt, alles
wird vorsich-
tig ausge-
dacht, damit ja
nichts fehle später, ein Termin gesetzt für die Ablieferung
und wenn nur Geld genug da ist, dann geht ja alles
herrlich glatt. Und damit ist das erste Hemmnis ge-
schaffen für den weiteren Fortschritt. Je nobler und
je fertiger, je stilechter ein Zimmer hergestellt wird,
desto unmöglicher wird es dann den meisten Men-
schen, etwas eigenartiges, fremdartiges auch noch
später unterzubringen. Und das bischen Platz, was
an Wänden und auf Möbeln noch übrig bleibt, ist
mit Hochzeitsgeschenken anderer Leute besetzt, die
man nicht kränken darf, indem man ihre Sachen auf
den Speicher stellt. Und bei solchen Herrschaften,
die nun gar in ein altes, ererbtes Heim einziehen,
ist es erst recht schwer. Die wollen durchaus kein
neuartiges Büffet in ihr altes Speisezimmer stellen;
dieselben Menschen, die ohne weiteres in ihren Salon
einen Böcklin ganz nahe an einen Tizian und unweit
davon einen Watteau neben einen Uhde hängen wür-
den, wenn sie sie nur kriegten. Das stört sie nicht,
aus dem Grunde nämlich nicht, weil sie wissen, dass
solche Kunstwerke einen hohen Wert haben, Unika
sind, um deren Besitz und Genuss sie lebhaft beneidet
werden. Dass aber ein Büffet, ein Tisch, sogar in
ganz einfacher Ausführung, ein Kunstwerk sonder
gleichen sein kann, dass ein Treppenhaus ein Traum
sein kann wie nur irgend eine Radierung von Klinger:
wenn einer das sagt, läuft er bei uns Gefahr, für
einen überspannten Fanatiker des Kunstgewerbes ge-
halten zu werden, womit dann auch alle seine Er-
örterungen als abgethan betrachtet werden.
Wir wollen deshalb auch aus diesem Traumlande
wieder heruntersteigen und uns darnach umsehen, ob
mit den einfacheren Mitteln, die dem Bürger oder
seiner Gattin zur Verfügung stehen, etwas geleistet
werden kann. Und da liegt mir ein Fall vor, der
charakteristisch genug ist, um hier angeführt zu wer-
den. Ich habe einmal einen jüngeren Gutsbesitzer
1) Vergl. Kunstgewerbeblatt, N. F. X., S. 196.
gekannt. Er
war ein Träu-
mer und ein
stiller, nach-
denklicher
Mensch. Er
war aber
kunstliebend
und trotz sei-
ner Träumerei
ein praktisch
angelegter
Mann. Als er
heiratete, kam
er dazu, wie
die Ausstat-
tung von sei-
ner Schwie-
germutter be-
sorgt werden
sollte. Da gab
es schwere
Kämpfe. Ihm
passte nichts. Es war zum Verzweifeln. »Er hat
so eigenen Geschmack, er weiss nicht was er
will«, so klagten die Frauen. Und im Zorne
überantwortete man ihm den Kauf des Mobi-
liars. Mein Freund ging auf die Suche. Er Hess es
sich recht sauer werden. Wochen vergingen. In
einer Stadt, berühmt als Hochburg der massivsten
Renaissance, des prunkreichsten Barocks fand er einen
Tischlermeister, der nie ausstellte, der nie von sich
reden machte, der ihm aus Fichtenholz, aus nicht
fourniertem Fichtenholz, eine Ausstattung machte, fein,
ruhig, das Holz mildbraun, die matten Farben vor-
nehm abgestimmt, das Ornament apart, so dass sich
jeder freute, der die Möbel sah. Auch die Formen
waren ganz andere. Und das Unbegreiflichste war,
dass es nicht Renaissance, nicht Rokoko, nicht Empire
und auch nicht neuenglisch war. Ja, was war's denn für
ein Stil? Es war gar kein Stil, es hatte nur Stil. Ich
möchte nur noch sagen, dass die Schwiegermutter,
eine vernünftige Frau, mit der Ausstattung zufrieden
war, die Preise waren aber auch recht massige. Die
Braut aber war nicht zufrieden, und wie einmal eine
Freundin zu ihr sagte: »Du, es sieht aber alles ein
bischen dünne aus, da weinte sie vor Ärger. Denn
die Frau liebt zwar das Neue, traut sich aber doch
nicht leicht, die Kritik herauszufordern. Sie hatte eben
noch gar nicht verstanden, dass ihr Mann in mehr
oder weniger klarem Drange das ausgeführt hatte,
was wir alle thun sollten. Wir sollen uns nicht den
Fabrikantengeschmack aufnötigen lassen, von dem jene
behaupten, dass es der unsere ist. So also soll man
handeln. Ein Mann könnte mir hier einwerfen: 'Dazu
haben wir aber keine Zeit.« Eine Frau aber darf so
einen Einwurf nicht machen, ganz speziell nicht eine
wohlhabende junge Frau, die noch nicht die Sorgen
einer ganzen Familie auf sich genommen hat. Wenn
es die Frauen nicht thun, wird es sobald nicht anders
94 HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN?
werden. Selbstredend geht das nicht so rasch und
es gehört dazu Courage, Zähigkeit und Ausdauer.
Zuerst würde sie sich gewiss wohl an eine bewährte
Firma für Möbelschreinerei wenden mit dem ausdrück-
lichen Bedeuten, das Mobiliar müsse unbedingt anders
ausschauen als das, was man so wie so anfertigt. Zur
Erleichterung des Verständnisses würde es sich hierbei
empfehlen, als Richtschnur folgende Bedingungen zu
stellen: i) Es darf nicht deutlich an eine der vorhan-
denen Stil-
arten, inklu-
sive des
Neueng-
ischen er-
innern, je-
denfalls
nicht be-
züglich der
Verzierun-
gen und
Farben. 2)
Jedes Mö-
bel muss in
erster Linie
Postament und Stuhl im nordischen Stil, entworfen und ausgeführt in
Hofmöbelfabrik, Leipzig.
chend gebaut sein und alle Verzierung muss sich
der Konstruktion und der zweckmässigen Form
unterordnen, darf niemals, wie bei den Renaissance-,
Barockmöbeln üppig werden und nur als Selbstzweck
existieren. 3) Es darf und soll eigenartig wirken,
jedoch unter keinen Umständen bizarr oder lediglich
kurios sein. 4) Es soll einfach sein und massige
Kosten nicht übersteigen. Sollte eine Bestellung unter
solchen Bedingungen erfolgen, so könnte es ja pas-
sieren, dass der kühnen Bestellerin gleich Entwürfe
vorgelegt würden, die apart und gelungen wären.
Wahrscheinlich aber ist es, dass die Firma, die auf
solche Überraschungen nicht vorbereitet ist und deren
Zeichner ganz auf Stile dressiert sind, wenig gelungene
Zeichnungen lieferte. Dann würde es sich empfehlen,
sich an einen Kunstgewerbeverein zu wenden, dem
Vorstand Wunsch und Bedingungen zu unterbreiten,
Zahl der Stücke sowie anzuwendende Summe zu
nennen und ihn zu veranlassen, innerhalb des Vereins
eine Umfrage zu veranstalten. »Mein Gott«, so wird
manche Frau hier sagen, »da müssen wir ja zu all den
Leuten gehen, zu Vorstandsmitgliedern, die wir gar
nicht kennen. Das ist alles sehr genant.« Darüber
kann man sich beruhigen. Ein Mensch, der die Initia-
tive hätte, solche Bedingungen zu stellen, würde wie
Manna vom Himmel begrüsst werden, und es würde
an Zuvorkommenheit und Eifer nicht fehlen. Bei ein-
fachen Aufträgen wür-
de es nunmehr sehr
wahrscheinlich gelin-
gen, aus den vielen
eingereichten Skizzen
ganz interessantes, an-
ziehendes herauszule-
sen. Sollte die Be-
stellung eine ernstere
Sache sein, handelte
es sich nun gar um
eine fürstliche Aus-
stattung, so würde
sich wohl herausstel-
len, dass man künstle-
rische Kräfte auch aus-
serhalb des Kreises
der Gewerbtreiben-
den heranziehen
müsste. Esmüssteeine
weitere Umfrage ver-
anstaltet werden mit
Preisen zur Anfeue-
rung auch Fernerste-
hender. Es werden
Architekten, Künstler
aller Art mit dem
Besteller in Verbin-
dung treten müssen.
Davor wird nun man-
che, auch reiche Frau
zuerst zurückschrek-
ken. Schreckt aber
eine mutige nicht
den Werkstätten von F. A. SCHÜTZ,
HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN? 95
davor zurück, die Verwalterin iiires eigenen Gutes
zu sein oder ein Geschäft wie das von Bon-
Marche zu gründen, so braucht sie auch nicht
davor zurückzuschrecken, in Berührung zu kommen
mit einer gewissen Öffentlichkeit, immer eingedenk,
dass ihr daraus so viel Interesse, Freude und ge-
steigerte Regsamkeit erblüht, dass die Mühe reichlich
aufgewogen wird. Hier liegt ein reiches Feld der
Thätigkeit für unsere beschäftigungslosen Frauen, die
nicht alle einen Beruf ergreifen können, dürfen oder
mögen. Um nun aber einem Missverständnis vor-
zubeugen, wollen wir ausdrücklich betonen, dass es
nicht nur für die Reichen möglich ist, auf solche
direkte Weise in Kontakt mit den Kunstgewerbe-
treibenden zu kommen. Auch nicht bloss bei Be-
stellung von ganzen Ausstattungen, Mobiliar, Por-
zellan, Tischzeug. Nein, es giebt wenig Einzelgegen-
stände, die nicht extra bestellt werden könnten. Immer
Neues braucht ja ein Heim, das mit zunehmender
Wohlhabenheit immer behaglicher und luxuriöser wird.
Man braucht neue Tische, neue Lampen. Ein ganzes
Zimmer wird für die erwachsene Tochter eingerichtet.
Ein Rauchzimmer wird der Wohnung hinzugefügt.
Eine Blumenetagere, neue Stühle werden nötig, und
wenn es nur ein Spiegel wäre, stets kommt wieder
eine neue Gelegenheit, etwas Geschmackvolles zu
erwerben. Man wird mir nun aber einwenden: Das
wird alles viel zu teuer, es dauert auch viel zu lange,
ehe man es bekommt, wozu denn auch, es lohnt sich
doch nicht, es wäre schade um das Geld. Nun gut,
lassen wir einmal diese Einwände gelten. Zugestanden,
dass die Indolenz des Menschen so gross ist, dass
er sich nicht einmal die Mühe geben will, sich etwas
zu tummeln, um sich später freuen zu können. Es
bleiben doch noch die zahllosen Geschenke übrig,
die alljährlich zu Weihnachten, zum Geburtstag, zur
Hochzeit vergeben werden. Und hier kann man nicht
sagen, dass der Bürger es nicht für der Mühe wert hält,
Geld auszugeben. Ebenso wie er Hunderte für ein
stattliches Diner, Hunderte für einen wohlbestellten
Weinkeller ausgiebt, ebenso verausgabt er mit oder
ohne Zaudern grosse Summen für Geschenke und
Repräsentation. Er unternehme einmal das Wagnis,
bei einem Juwelier etwas ganz apartes, künstlerisch
eigenartiges zu bestellen unter obengenannten Be-
dingungen, und es ist ausser allem Zweifel, dass er
mit seinem Geschenk einzig dastehen würde unter
allen Gebern. Statt einer silbernen Fruchtschale in
Rokoko oder englischem Empire dringe er darauf,
verlange er, befehle er etwas ganz anderes, einfaches
aber neu ersonnenes. Man würde in der Werkstatt
sich vor Staunen nicht recht zu helfen wissen, aber
gerade die Verwirrung würde vielleicht, vielleicht
etwas neues entstehen lassen.
Und wenn die Männer keine Mühe scheuen, für
den Keller, die Jagd, den Sport, d. h. für Essen,
Trinken und Amüsement, das ihnen am besten kon-
venierende so lange zu suchen, bis sie es bekommen,
könnten auch die Frauen, die von der »Natur durch
geringere Ausbildung solcher, wie sollen wir sagen,
mehr physiologischer Triebe besonders bevorzugt sind,
das Suchen nach etwas apartem, neu ausersonnenen
zu ihrer grossen Lebensfreude ausbilden. Sie haben
doch Zeit, Müsse, Geld, Kraft für ihre Schneiderin,
warum nicht für die doch ganz anders anregenden
Gänge und Besprechungen in den Werkstätten der
Kupferschmiede, der Tischler, der Juweliere, und der
Glasmaler? Statt der erschöpfenden Seancen bei den
Schneiderinnen wären das Stunden der reinsten Freude,
der Freude, künstlerisch und schöpferisch thätige Meis-
ter und Gesellen an der Arbeit zu sehen, an einer Arbeit,
die für einen selber angefertigt wird, die man wachsen
sieht wie ein Kind wächst. Zweifelsohne ist das alles
nicht ohne beträchtliche Anstrengung und Mühe zu er-
reichen, jedoch darf man sich das nicht übertrieben vor-
stellen. Diejenigen Frauen und Männer, die die ersten
sein würden, solche neuen Wege zu wandeln, auf die
Suche zu gehen nach dem Schönen, dem noch nicht
tausendfach wiederholten Schönen, auf die Jagd nach
Talenten, statt in Eile das erste beste in einem Laden,
was ihnen leidlich gefällt, zu kaufen, die müssten sich
zuerst nicht abschrecken lassen, da ihnen nicht alles
auf dem Präsentierteller entgegengebracht werden kann;
vor allem müssten sie die verhängnisvolle moderne
Hast verlernen oder hintan setzen können. Der einzige
Einwand, den wir gelten lassen können, wenn man
solche Vorschläge als phantastisch bezeichnen sollte,
dürfte der sein, dass man so lange auf das auf diese
Weise bestellte warten müsste. Wenn aber ein Mann,
der die Jagd als Sport betreibt, es sich nicht ver-
Armlehnstuhl im nordischen iSii, ^:.i.vu.;^.i und ausgeführt in den
Werkstätten von F. A. SCHÜTZ, Hofmöbelfabrik, Leipzig.
96 HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN?
driessen lässt, Jahre lang sich abzumühen, um ein
brauchbares Tier zu erziehen, so ist nicht abzusehen,
warum er und seine Gemahlin zusammen nicht sich
gedulden sollten, um ein Interieur zu schaffen, das
einzig in seiner Art dastehen würde, ohne deswegen
irgendwie besonders kostspielig gewesen zu sein.
Wirklich kostspielig werden jedoch nurGegenstände, die
ohne besonnene Überlegung gemacht werden. Wenn
man aber mit den früher erwähnten Bedingungen an
einen Kunsthandwerker herantritt und nicht eher an-
gefangen wird, als bis Zeichnung oder kleines Modell
geprüft worden sind, deren Kosten nicht gross sind,
dann geht man so gut wie sicher.
Wenn nun die Kreise der Kunsthandwerker wieder-
holt innerhalb kurzer Zeit durch die energische Initia-
tive einzelner kunstsinniger Bürger durch solche Auf-
träge überrascht worden wären, so würde das ein-
treten, was sich anderorten, besonders in England,
längst gezeigt hat. Es würden sich an den un-
vermutetsten Stellen Talente melden. Wie man in den
Wald ruft, so schallt es heraus. Man entgegne mir
nicht, dass der Geschmack unserer Frauen noch nicht
genug entwickelt sei, dass, wenn sie kein eigenes
Vermögen haben, sie von ihren Männern abhängig
wären u. s. w.
Wenn die Diskretion es nicht verböte, so würde
es mir zur seltenen Freude gereichen, das Nähere von
Tisch und Stuhl im nordischen Stil, entworfen und ausgeführt in den Werkstätten
von F. A. SCHÜTZ, Hofmöbelfabrik, Leipzig.
einer Frau zu erzählen, die nicht etwa theoretisch vor-
handen ist, sondern die thatsächlich lebt, und die ich
persönlich kenne, die noch vor zwei Jahren ein ganzes
Haus voller ; guten Stuben« bewohnte und die jetzt
nicht nur zwei Töchter bei ihrer Verheiratung aus
eigener Initiative ganz einzig eigenartig ausgestattet
hat, sondern jetzt sogar angefangen hat, im eigenen
Heime eine »gute Stube« nach der andern systematisch
auszurangieren. Und ihr Mann, weit entfernt davon,
sie daran zu verhindern, lässt sie ruhig, wenn auch
mit etwas Staunen gewähren, denn sie macht es
systematisch und mit Erfolg, nicht launisch und hastig,
und ein Mann bewundert immer etwas, was mit Plan
und Überzeugung geschieht.
Diese Frau ist eine von den ganz wenigen Müttern,
die es begriffen haben und ihren Töchtern klar gemacht
haben, dass sie von dem, was sie zur Aussteuer er-
hielten, nunmehr zwanzig Jahre, wenn nicht noch
länger umgeben sein werden, und dass man garnicht
vorsichtig genug darin sein kann zu verhüten, dass
das, was einem jetzt elegant und hochmodern vor-
kommt, später als Krempel erscheine.
Und wenn man uns nun zuguterletzt noch ein-
wenden wollte, es sei doch zu viel verlangt, so auf
gut Glück blindes Vertrauen in etwas zu haben, wovon
so gut wie nichts zu sehen ist, so können wir auch
hier zur Beruhigung darauf hinweisen, dass in so
manchen Orten unserer schö-
nen deutschen Lande sehr hoff-
nungsvolle Anfänge zu einer
solchen neuen Zeit gemacht
worden sind, und dass das
Traumland, das ich schon
skizzierte, anfängt Gestalt zu
gewinnen. Die Anfänge sind
nichtmehrzu machen, sie sind
gemacht. Es haben Künstler
teilsaus eigener Initiative, teils
geholfen, angeregt durch
kunstsinnige Mäcene, neue
Bahnen im Kunstgewerbe be-
schritten und sie auch kom-
merziell so ausgestaltet, dass
der Käufer ohne grosse Mühe
das finden kann, wovon wir
gesprochen. In München, Ber-
lin, Dresden, Karlsruhe,
Darmstadt und in noch manch
anderer Stadt herrscht ein re-
ges Leben. Man unterstütze
dieses, wenn man am Orte,
wo man lebt, daran verzwei-
felt, das neue Leben zu
wecken. Das Beste aber ist:
den heimischen Kräften neues
Blut, neue Zuversicht einzu-
flössen.
Es würde ein Treiben
und Knospen sondergleichen
im Kunstgewerbe und unter
den Künstlern entstehen. Man
KLEINE MITTEILUNGEN
97
glaube uns, die wir mitten drin stehen und man denke Dingen so auch hier, das, was man ersehnt, erträumt,
vor allem an das eigene Interesse. Man gehe nicht wahr zu machen aus eigener Kraft. Man verlange
nach Hause indem man sagt: mag sein, wir wollen und es wird gehoben werden.
aber erst abwarten. Nein: man versuche, wie in allen
KLEINE MITTEILUNGEN
VEREINE
WIEN. Nach dem Vorbilde der Münchener
Vereinigungen hat sich unter dem Namen
> Wiener Interieur - Club , Oesellschaft zur
Pflege der K.unst im Handwerk' eine Gesellschaft von
Künstlern und Vertretern des Kunsthandwerkes gebil-
det, die eine Art Zentralstelle für die kunstgewerbliche
Bewegung moderner Richtung in Österreich sein will.
Die Zwecke der Gesellschaft sind die künstlerische
Förderung ihrer Mitglieder und die wirtschaftliche
Ausnutzung der künstlerischen Erzeugnisse derselben.
Das Österreichische Museum für Kunst und Industrie
steht den Bestrebungen sympathisch gegenüber. Für
den Monat März igoo plant die Gesellschaft ihre erste
Ausstellung. -u-
SCHULEN
PARIS. Die Ausstellung der städtischen Kiinst-
gewerbeschule. Alljährlich veranstaltet die Ecole
Boulle eine Ausstellung von Schülerarbeiten, um
so den Freunden der Anstalt und dem Publikum im
allgemeinen Gelegenheit zu geben, über die Leistungen
der Schule ein Urteil zu fällen. Die Ecole Boulle
hat ihren Namen von dem im Jahre 1642 geborenen
französischen Kunsttischler Boulle, dessen Möbel sich
besonders durch die reiche Verzierung mit eingelegtem
Schildpatt, Zinn und vergoldetem Kupfer auszeichnen.
Gegründet wurde die Anstalt im Jahre 1886 von der
Stadt Paris, um, wie es im Programm heisst, »Arbeiter
heranzubilden, die imstande sind, den traditionellen
Geschmack und die Superiorität der französischen Er-
zeugnisse auf dem Gebiete der Kunsttischlerei aufrecht-
zuerhalten . Etwa 250 Schüler, die beim Eintritt in
die Schule mindestens 13 und höchstens 16 Jahre
alt sind, werden daselbst praktisch imd theoretisch
unterrichtet. Die Schulzeit beträgt vier Jahre und um-
fasst die folgenden Fächer: Schreinerei, Polstern, Holz-
schnitzen, Drechseln, Ziselieren, Gravieren, Formen
u. s. w. Theoretischen Unterricht erhalten die Schüler
in Geometrie, Technologie, Kunstgeschichte, Muster-
zeichnen, Dekoration u. s. w. Die zu Anfang Oktober
eröffnete diesjährige Ausstellung zeigt, dass die Schüler
allerdings eine gewisse technische Handfertigkeit er-
KunstgewerbebUtt. N. F. XI. H. 5.
langen, dass aber im übrigen nicht viel zum Lobe
der Anstalt zu sagen ist. Die Lehrer versteifen sich
einzig darauf, die vorhandenen Stile sorgfältig kopieren
zu lassen, und der Schüler lernt zwar eine Kommode,
einen Stuhl oder sonst ein Hausgerät im Stile Louis
quinze oder Louis seize anzufertigen, darauf beschränkt
sich aber auch sein Wissen und Können. Von irgend
einem frischen, originellen Zuge ist nichts zu spüren,
und während man in Pariser Künstlerkreisen die Neu-
gestaltung unseres Hausrats anstrebt, bleibt die Ecole
Boulle den alten verknöcherten und versteinerten
Formen treu. Wir glauben nicht, dass auf diese
Weise die oben angeführte Absicht des Programms
erreicht werden kann, und unseres Erachtens thäte
die Stadt Paris gut daran, einen oder mehrere der
im Salon des Champ de Mars ausstellenden. Kunst-
handwerker für den Unterricht in der Ecole Boulle
zu gewinnen. Denn wenn es sich nur darum handelt,
Leute zu bilden, die vorhandene Muster treu kopieren
können, so mag man die Erziehung und Lehre
der jungen Handwerker getrost den Schreinerwerk-
stätten und Möbelfabriken überlassen. Was die Zög-
linge der Ecole Boulle in dieser städtischen Anstalt
lernen, könnten sie ebenso gut in irgend einer Möbel-
fabrik des Faubourg St. Antoine lernen. Die Stadt
Paris könnte mit dem Gelde, was sie jährlich für die
Ecole Boulle hergiebt, das Kunstgewerbe bedeutend
fördern und heben; aber die Sache müsste anders
angefangen werden. Es handelt sich dabei durchaus
nicht um Aufgabe der guten alten Tradition, aber
man müsste den Schülern daneben Gelegenheit geben,
auch die neueren Bestrebungen kennen zu lernen.
Bei dem sklavischen Kopieren der alten Schablonen,
wie es jetzt in der Ecole Boulle geübt wird, kann
von einer Belebung und Förderung des Kunsthand-
werkes nicht die Rede sein. SCH.
PARIS. Neuer Lehrgang im französischen kunst-
gewerblichen Unterricht. Die Zeitschrift »Art et
Decoration' berichtet: Im National-Konservato-
rium für Kunst und Handwerk ist im Laufe dieses
Jahres ein ausserordentlich zweckmässiger Lehrgang
eingerichtet worden, wie ihn unsere grossen indus-
triellen Schulen schon längst ihren Schülern hätten
bieten müssen. Allzuhäufig giebt der kunstgewerb-
15
98
KLEINE MITTEILUNGEN
liehe Unterricht ausschliesslich Regeln für die deko-
rative Anordnung, während die mit ihm verknüpften
praktischen Unterweisungen zu sehr für Anfänger ein-
gerichtet sind. Der neue, auf drei Jahre berechnete
Lehrgang wird sich abwechselnd mit den sämtlichen
Sondergebieten des Kunstgewerbes beschäftigen, die
Erfordernisse und Vorteile jeder Technik einer Be-
trachtung unterziehen und die auf diese Weise fest-
gestellten Grundregeln durch Beispiele aus der Kunst-
übung aller Zeiten belegen. Für diesen Anschauungs-
unterricht wird durch photographische Abbildungen
ein wesentliches Hülfsmittel geboten werden; mehr
aber noch werden die Zeichnungen des Lehrers an
der Wandtafel und die auf der Grundlage dieser Zeich-
nungen durch die Schüler ausgeführten Arbeiten diese
eingehend über die Unterschiede in der Behandlung
der verschiedenen Werkstoffe unterrichten. Diese Ar-
beiten sind bestimmt, mit der Zeit eine Art von prak-
tischem Museum zu bilden. Hiernach giebt der sehr
ausführlich gehaltene Artikel einen Abriss der Vor-
träge, welche zur Einführung in diesen Lehrgang ge-
halten worden sind. Eine vollständige Wiedergabe
würde hier zu weit führen, es seien deshalb nur die
einleitenden Sätze gegeben, welche den Geist und die
Richtung kennzeichnen, in denen der Unterricht ge-
führt werden soll. Sie lauten: Eine sogenannte Ein-
teilung der Kunst in eine hohe und eine niedere, in
schöne Kunst und Kunstgewerbe hat in der Wirklich-
keit keinen Sinn und der Schönheitsgedanke sowie
der der künstlerischen Vollendung ist der gleiche für
jedes aus der Menschenhand hervorgegangene Werk.
Die Kunst ist die nämliche beim Eisenschmiede wie
beim Maler, in der Bildhauerei wie in der Stickerei;
es sind lediglich die Ausdrucksmittel, welche vonein-
ander unterschieden sind. Des weiteren wird sodann
ganz besonders eindringlich auf die Beobachtung der
Natur hingewiesen, in welcher der eigentliche Auf-
schluss über die Kunstformen zu finden ist. Eine
Anzahl den Artikel begleitender Abbildungen veran-
schaulichen noch deutlicher die Eigenart und den
Gang des Unterrichts. So ist beispielsweise der näm-
liche Distelzweig als Vorlage für eine Steinmetz-Arbeit,
für eine solche in Schmiedeeisen und für ein Glas-
fenster in Bleifassung verwendet, ein Zweig blühender
Lilien in einer Vase für eine durchbrochene Arbeit in
Haustein und für ein Glasmosaik. Zwei weitere Ab-
bildungen zeigen, einander gegenübergestellt, ein aus
lauter geschwungenen Linien komponiertes metallenes
Gitterwerk und ein solches, das aus lauter gebrochenen
Linien zusammengesetzt ist. -ss-
AUSSTELLUNGEN
DÜSSELDORF. Der Arbeits-Ausschuss für die
Industrie-, Gewerbe- und Kunst-Ausstellung 1Q02
versendet soeben die^Ausstetlungsbedingungen.
Ausser Rheinland- Westfalen wird auch der Regierungs-
bezirk Wiesbaden zur Ausstellung zugelassen. Mit
Ausnahme von kunstgewerblichen Altertümern und der
Ausstellung technischer Lehranstalten und wissenschaft-
licher Vereinigungen dürfen nur solche Gegenstände
ausgestellt werden, die in den genannten Bezirken,
mittels gewerblicher Thätigkeit gewonnen aber durch
eine wesentliche Bearbeitung oder Verarbeitung von
auswärts bezogener Stoffe hergestellt sind. Für die
Dauer der Ausstellung ist die Zeit vom 1. Mai bis
20. Oktober 1902 in Aussicht genommen. Die An-
meldungen zur Ausstellung müssen bis zum 1. Januar
1901 eingesandt werden. -u-
V EREINIGTE STAATEN VON AMERIKA. Dem
Moniteur des Expeditions zufolge haben, nach
Mitteilungen des Times Herald in Chicago meh-
rere grosse amerikanische Städte die Absicht, in näherer
oder fernerer Zeit Ausstellungen ins Leben zu rufen.
Abgesehen von der Greater American oder nationalen
Ausstellung, welche seit dem 1. Juli d. J. die Erzeug-
nisse des neuen Kolonialbesitzes der Vereinigten Staaten
in Omaha (Nebraska) zur Anschauung bringt, ist die
Rede von einer Ohio-Hundertjahr-Ausstellung in Toledo
im Jahre 1902, anlässlich der hundert Jahre vorher
erfolgten Einverleibung des Staates Ohio. An dieser
Ausstellung werden insbesondere die Staaten Illinois,
Indiana, Michigan, Minnesota und Ohio beteiligt sein,
da sie den Hauptteil des nordwestlichen Territoriums
der Vereinigten Staaten bilden. Ferner rüstet die Stadt
St. Louis (Missouri) sich, die Erwerbung Louisianas
durch eine grosse Ausstellung im Jahre 1903 zu be-
gehen. Die nächste sämtlicher bevorstehender Aus-
stellungen wird die für Buffalo um das Jahr igoi
geplante panamerikanische Ausstellung sein.
Einer jeden dieser grossen Städte liegt es natur-
gemäss am Herzen, sich durch die Veranstaltung dieser
Ausstellungen ein besonderes, ihren eigenen Interessen
nützliches Ansehen zu geben. Nicht weniger aber ist
vielleicht die in den Vereinigten Staaten allgemein ver-
breitete Überzeugung, dass Ausstellungen der Beleh-
rung der Massen förderlich sind, einer der haupt-
sächlichsten Beweggründe für alle diese Pläne. Es
herrscht das Bestreben, sich zu unterrichten und zu
kräftigen, um mit immer wachsender Sicherheit an die
Eroberung der fremden Märkte gehen zu können.
Und das ist eine überaus dringende, durch die un-
gewöhnliche Entwickelung der Produktionsmittel des
Landes herbeigeführte Notwendigkeit. »Wir haben«,
äusserte kürzlich der Vorsitzende der Gesellschaft der
amerikanischen Ausfuhrhändler, eine Bevölkerung von
75 Millionen Seelen und sind im stände, Güter zur
Befriedigung der Bedürfnisse von 1 50 Millionen Seelen
zu erzeugen.« -ss-
KANEA. Eine 1. Internationale Ausstellung wird
vom 11. April bis 7. Mai 1900 unter dem
Protektorat des Prinzen Georg von Griechen-
land, Oberkommissars von Kreta, stattfinden und alle
Erzeugnisse auf dem Gebiete der Industrie, des Ge-
werbes, des Handels und der Landwirtschaft, der
Volksernährung, der Kunst und des Unterrichts um-
fassen. In Betracht kommen besonders Maschinenbau,
Elektrizität, Beleuchtung, Textilindustrie, Chemie, Sport.
Als Auszeichnung kommen zur Verteilung Ehren-
diplome, sowie Diplome der goldenen, silbernen und
KLEINE MITTEILUNGEN
99
bronzenen Medaillen. An der Spitze des Ausstellungs-
komitees steht der fürstliche Finanzrat Dr. Konstantin
M. Foumis. Zum Kommissar für die Ausstellung
wurde ernannt Arthur Oobiet in Prag- Karolinenthal,
an den die Anmeldungen zur Beschickung der Aus-
stellung zu senden sind. -u-
WETTBEWERBE
DRESDEN -LOSCH WITZ. Preisausschreiben zur
Erlangung von Entwürfen für Zimmerdecken
und Wandvertäfelungen, ausgeschrieben von
der Aktien -Gesellschaft für Kartonnagen -Industrie.
Ausgesetzt sind drei Preise von 300, 250 und
200 M. Einzuliefern bis zum 1. März 1900.
Näheres durch die ausschreibende Firma.
-u-
SIEGMAR. In dem Wettbewerb um Ent-
würfe zu einem farbigen Plakat der
»Aktien-Gesellschaft Deutsche Kognak-
Brennerei vorm. Grüner & Co. haben erhal-
ten den I. Preis Paul Perks in Dresden, den
II. Preis Paul Rössler in Dresden, den III. Preis
Gurt Tuch in Leipzig, den IV. Preis Joh.
Loawiu in München. -u-
M
ÜNCHEN. In dem Wettbewerb der Re-
daktion
der
>Liebhaber-
künste-'^ für
die besten Ge-
genstände
nach Vorlagen
und Motiven
aus den »Lieb-
haber-
künsten ' ha-
ben erhalten :
den I. Preis
(250 M.) Frl.
Else Kette aus
Kassel für eine
grosse Sam-
melmappe für
Bilder, hergestellt aus Holzdecken mit Flach- und
Kerbschnitzerei, den IL Preis (150 M.) Julius Schmitt
aus Esslingen in Baden für einen dreiteiligen Tisch-
Paravent, hergestellt aus Brettchen mit Flach- und
Kerbschnitzerei, den III. Preis (100 M.) Frl. Gertrud
Scherz aus Fretzdorf in der Ostpriegnitz für einen
kleinen Wandschrank aus Lindenholz mit Kerbschnitt
und Brandmalerei, den IV. Preis (75 M.) Frl. Emilie
Stickel aus Herleshausen bei Eisenach für einen Licht-
schirm aus Holzrahmen, verziert mit Stickerei und
Brandmalerei, den V. Preis (50 M.) H. Pfannstiel
aus Weimar für einen dreiteiligen Wandschirm in
Lederschnitt- und Treibarbeit, den VI. Preis (25 M.)
Frau Dr. B. Kräh aus Hannover für eine
Kastenmappe zur Aufbewahrung von Reise-
erinnerungen, -u-
BÜCHERSCHAU
Henry Wallis, Persian Lustre Vases. With
illustrations by the author. Leipzig, Karl
W. Hiersemann, 1899. 4". Mit 4 Farben-
tafeln und 25 Textbildern.
Mr. Henry Wallis ist den Freunden der
älteren Keramik als unermüdlicher Sammler
und Forscher auf dem schwierigen Gebiete
der persischen Fayencen bekannt. Seit 1885
hat er eine ganze Reihe stattlicher Bände
und Hefte ver-
öffentlicht mit
trefflichen
Farbentafeln,
für dfe er selbst
die Vorlagen
gezeichnet hat.
Darin hat er
die seltenen
Beispiele von
Gefässen und
Fliesen be-
kannt ge-
macht, die aus
der ältesten
Kunstepoche
des mohame-
danischen
Pariser
Ooldschmuck,
ausgestellt
von
L. A. GÜNDEL,
Juwelier,
Leipzig.
15'
100
KLEINE MITTEILUNGEN
Persiens, aus dem 13. Jahrhundert n. Chr., teils als Er-
gebnisse gelegentlicher kleiner Ausgrabungen, teils als
vereinzelte, nach Afrika oder Südeuropa verschlagene
Stücke aufgetaucht sind. Ihm stehen nicht nur die
wertvollen Privatsammlungen Londons, vor allem die
reiche Sammlung von Mr. F. Ducane Oodman, zu
Gebote, sondern er verfolgt mit bewundernswerter
Zähigkeit auch das entferntere Material, das in andern
Sammlungen europäischer Hauptstädte sich zerstreut hat.
Die Gattung, die Mr. Wallis durch seine rastlose
Arbeit zu Ehren gebracht hat, ist wohl zu unter-
scheiden von den bekannteren persischen und vorder-
asiatischen Fliesen des 1 6. und 1 7. Jahrhunderts, von
denen auch unsere kleineren Museen Proben auf-
zuweisen pflegen. Sie lässt sich nach einigen chrono-
logischen Anzeichen in das 13. Jahrhundert hinauf-
rücken. Ihre Glasur ist meist eine undurchsichtige
Zinnglasur, und ihr Hauptschmuck ist durch metal-
lische Lüsterfarben bewirkt, deren mannigfache, leuch-
tende Töne zu wunderbaren Wirkungen zusammen-
klingen, tiefer und glanzvoller als beispielsweise die
spanischen Lüsterfayencen, dem zauberhaften Farben-
spiel des Labradorfeldspats vergleichbar. Die Orna-
mente zeigen das bekannte, orientalische Rankenorna-
ment in reiner, edler Form, kufische Zierschriftzeichen,
Tiere und menschliche Gestalten.
Der vorliegende Band, der auch in deutschem
Verlage erschienen ist, bringt auf vier prächtigen Tafeln
in Naturgrösse je ein färben- und glanzreiches Bei-
spiel dieser schönen Ware, Oefässe von verschiedener
Form. Der Text ist durch weitere Beispiele von Vasen,
Schalen, Fliesen und Bruchstücken illustriert; er ergänzt
die früheren Werke und bespricht den Zusammenhang
dieser Arbeiten mit den Ausgrabungen in der ägyp-
tischen Ruinenstadt Fostat, der zerstörten Vorgängerin
des heutigen Kairo, und mit einer neuerdings auf-
getauchten Gruppe ähnlicher Stücke von noch un-
sicherer Herkunft. Es ist nicht leicht, die durch den
Kunsthandel verbreiteten Arbeiten dieser Art nach Ort
und Zeit zu bestimmen, weil die Händler den Ur-
sprung ihrer Ware sorgfältig zu verheimlichen suchen.
Wir dürfen wünschen, dass es den weiteren Studien
des Verfassers gelingen möge, noch mancherlei Zweifel
und Fragen über die Geschichte der mittelalterlichen
Keramik des Islam aufzuklären. Den deutschen Fach-
kreisen, denen die wertvollen Originale dieser Gruppe
schwer zugänglich sind, sei das Studium und die
Anschaffung des Werkes angelegentlich empfohlen.
P. JESSEN.
Der Mäander von August Böhaimd, kgl. Reallehrer
München, Verlagsanstalt und Druckerei Dr. Franz
Paul Datterer & Cie., G. m. b. H. Preis 10 M.
Auf 52 Tafeln giebt der Verfasser eine grosse
Anzahl Variationen der Mäanderformen unter Beach-
tung einer systematischen Entwicklung und Einteilung.
Die Verwendung des Mäanders zu Flächenmustern,
wie zu Einfassungen mit Ecklösungen werden gezeigt.
Wenn auch mit Rücksicht auf die billigen Anschaf-
fungskosten nur zwei bis drei Farben im allgemeinen für
die Muster in Anwendung kamen, so wird der Lehrer
leicht andere passende Farben durch die Schüler wählen
lassen können. Trotz der vielen Vorlagenwerke, welche,
wenn auch nicht ausschliesslich, den Mäander eingehend
behandeln, darf dieses Werkchen doch als ein sehr brauch-
bares für die Schule warm empfohlen werden. V-
Altägyptisches Porzellan. Einer der jüngsten
Sitzungsberichte der französischen Akademie der Wissen-
schaften enthält eine Mitteilung von H. Le Chatelier
über einen Fund altägyptischen Porzellans, der, voraus-
gesetzt, dass seine Echtheit unanfechtbar feststeht, von
grosser Bedeutung für die Geschichte der Keramik
sein würde. Es wäre dadurch nämlich erwiesen, dass
das Porzellan eine sehr viel ältere Erfindung ist, als
man bisher annahm und dass ihr Ruhm nicht den
Chinesen, sondern den alten Ägyptern gebührt. Die
bereits mehrfach erörterte Frage nämlich, ob dieselben
schon echtes Porzellan hergestellt haben, ist bisher
immer verneint worden, so auch von Brogniart in
seiner Traite des arts ceramiques, der erklärt, alle in
Ägypten gefundenen Proben von Porzellan seien
chinesischer Herkunft. Nunmehr aber ist dem oben
genannten Berichterstatter mit einer Sendung von Proben
aus Ägypten das Bruchstück einer aus Saggarah (Memphis)
stammenden kleinen Figur aus einem Grabmale zuge-
gangen, deren hieroglyphischelnschriften, seiner Behaup-
tung nach, nicht den geringsten Zweifel an ihrer ägyp-
tischen Herkunft lassen, und deren chemische Analyse
ergiebt, dass sie aus echtem Weichporzellan in einer
Zusammensetzung besteht, welche von der des chine-
sischen Porzellans durchaus verschieden ist. — ss —
Vignette ;
entworfen
von DANIEL BÜCK,
Berlin.
Herausgeber und für die Redaktion verantwortlich: Professor Karl Hoffacker, Architekt in Chariottenbiirg- Berlin.
Druck von Ernst Hedrich Nachf. in Leipzig.
GESCHICHTE UND ÄSTHETIK
DES KÜNSTLERISCHEN BUCH-
EINBANDES
VON P. Kersten-Aschaffenburo
DIE Technik unserer heuttgen Verzierungsweise des künstle-
rischen durch Handvergoldung und Ledermosaik verzierten
Bucheinbandes, d. h. der Gebrauch von Rolle, Bogen und
Stempel unter Verwendung von Blattgold, stammt ohne Zweifel
aus dem Orient und ist wahrscheinlich arabisch-persischen Ur-
sprungs. Sie wurde von Orientalen zuerst in Venedig ausgeübt
und von dort aus verbreitet. Der Ungarkönig Matthias Corvinus,
gest. 14Q0, ein eifriger Förderer der Künste, dessen Bibliothek von
50000 Bänden für damalige Zeit geradezu als erstaunlich zu be-
zeichnen ist, zog die bedeutendsten Buchschreiber und Miniatur-
maler, die damals auch die Einbände fertigten, an seinen Hof;
darunter den berühmten Attavante aus Florenz. Aus dieser Biblio-
thek nun stammen die ältesten bekannten Bucheinbände, die
mit obengenannten Werkzeugen verziert wurden. Bei jenen Ein-
bänden sind es hauptsächlich drei Stempel, die unsere Aufmerk-
samkeit erwecken und die den Beweis erbringen, dass die Art
und Weise unserer heutigen Einbandverzierung aus dem Orient
stammt. Die Stempel bilden ein gerades und ein im Halbkreise
gebogenes Band zwischen zwei glatten Rändern, mit schrägen,
schnurähnlich gewundenen Strichelchen und einem kleinen punzen-
artigen Kreis mit einem Punkt im Zentrum. Diese drei Stempel
finden wir nun ebenfalls in genau derselben Anordnung bei einem
im Düsseldorfer Museum befindlichen arabischen Einband. Es lässt
sich kaum ein besserer Beleg für obige Behauptung erbringen.
In Venedig war es Aldus Manutius, gest. 1515, der die
Einbandverzierung in Anlehnung an orientalische Bände und unter
Verwendung typographischer Ornamente umgestaltet hat. Aus
seiner Offizin stammen auch ohne Zweifel die ersten jener herr-
lichen Einbände, auf denen Verschlingungen von Bändern, Linien
und Ranken mit angesetzten Blättern und Blüten (Arabesken) die
ganze Decke überziehen, anfänglich farbig bemalt, später mit far-
^^ci^^^y^ <^^m^
^.
r-JT-
Komposition einer Randverzierung von GEORG BÖTTICHER, Leipzig.
Kunstgewerbeblatt. N. F. >(I. H. 6.
16
102
GESCHICHTE UND ÄSTHETIK DES KÜNSTLERISCHEN BUCHEINBANDES
Bucheinband von P. KERSTEN, Aschaffenburg.
bigem Leder ausgelegt. In Italien war der bekannteste
Liebhaber dieser Einbände Thomas Majoli. Durch
ihn wahrscheinlich wurde der, zu dieser Zeit in Italien
weilende französische Bücherfreund Jean Orolier,
Vicomte d'Aiguisy, gest. 1565, mit solchen Entwürfen
bekannt, und Groiier wieder verdankt die französische
Buchbinderei jene prächtigen, heute mit Gold aufge-
wogenen Einbände, zu welchen er meistens die Vor-
lagen selbst geliefert haben soll. Aus derselben Zeit
ist auch Demetrio Canevari, der Leibarzt des Papstes
Urban VIII., als grosser Bücherfreund bekannt; seine
Einbände zeigen gewöhnlich in der Mitte des Deckels
ein von Linien und Ranken umgebenes kameenartiges
Relief, meistens Apollo am Fasse des Parnasses dar-
stellend, mit griechischer Umschrift.
Von den Majoli- und Grolierbänden weichen die
Einbände des Geoffroy Tory ab, der, ein Zeitgenosse
Groliers, mit diesem in geschäftlicher Beziehung stand;
er war Buchdrucker, Buchbinder, Verleger, Maler und
Formschneider zugleich. Seine Einbände zeigen meis-
tens ein von unten aufsteigendes, von der Mittellinie
sich nach den Seiten zu entwickelndes Ornament, das
gewöhnlich mit seinem Firmenzeichen, einem zer-
brochenen Krug, verbunden ist. Unter Heinrich III.
ist Jacques Auguste de Thou, gest. 1617, als hervor-
ragendster Bücherfreund zu nennen. Seine Einbände,
fast immer in rotem, grünem oder gelbem Maroquin
oder rotgelbem Kalbleder, lieferten ihm die Eves, eine
Buchhändlerfamilie, die von 1578 bis 1631 den Titel
Relieurs du Roi« führte. Ihre Einbände waren
mit Bandverschlingungen verziert, in dessen freien
Feldern teils Lorbeerzweige, teils spiralförmige
Ranken (fanfares) angebracht sind.
Aus jener Zeit stammen auch die ä la Filigran
verzierten Einbände, die bisher allgemein einem
gewissen Le Gascon zugeschrieben wurden und
unter diesem Namen bekannt geworden sind. Den
Forschungen Leon Gruels verdanken wir den
wirklichen Namen des Verfertigers; er hiess Flori-
mond Badier und lebte noch in den ersten Jahren
der Regierung Ludwigs XIV. Mit ihm und seinen
Nachfolgern ist die grosse Zeit des französischen
künstlerischen Einbandes vorüber. Als besonders
hervorragend sind nur noch die Buchbinderfamilien
Padeloup und Derome unter Ludwig XV. und
Pierre Paul Dubuisson und Thouvenin unter Lud-
wig XVI. anzuführen.
In England finden wir den künstlerischen Buch-
einband in unserem Sinne viel später als in
Frankreich. Auch hier war es ein französischer
Edelmann namens Louis de Saint-Maure Marquis
de Nesles, der 155Q als Geisel der Königin Elisa-
beth übergeben, die Engländer zuerst mit den
herrlichen Lederbänden eines Groiier etc. bekannt
machte. Vor dieser Zeit wurden die meisten
kostbaren Bücher Englands in Geweben, beson-
ders in farbigem Sammet gebunden und mit
Metallbeschlägen verziert. Die Einbände Eduards
IV., Heinrich VIII. und der Königin Elisabeth
waren alle in dieser Art gehalten. Jacob I.
führte zuerst das Maroquin zu allgemeinerem
Gebrauch für die Bücher der königlichen Bibliothek
ein. Als bedeutendster Bücherfreund damaliger Zeit
ist Thomas Bodley zu verzeichnen. Auch die so
charakteristischen sächsischen Einbände, die in grossen
Mengen mit der Ausbreitung der Reformation in Eng-
land Eingang fan-
den, verbreiteten
den Geschmack für
den künstlerischen
Ganzlederband.
Der hervorragend-
ste unter den eng-
lischen Bibliophi-
len des 18. Jahr-
hunderts war Har-
ley Earl of Oxford,
der die Entwürfe
ähnlich wie Gro-
ber meistens selbst
lieferte; dieselben
haben in der Regel
einen roten Maro-
quinüberzug, der
Deckel eine breite
Umrahmung und
ein Mittelornament
aus meistens pf lanz-
lich stilisierten Mo- . „ , „
. „ .. Bucheinband von P. KERSTEN,
tiven m Spitzen- Aschaffenburg.
GESCHICHTE UND ÄSTHETIK DES KÜNSTLERISCHEN BUCHEINBANDES
103
Bucheinband von P. KERSTEN, Aschaffenburg.
musteraiiordming. In der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts steht Roger Payne, f 1 779, als der bedeutendste
an der Spitze der englischen Buchbinder. Seine Werke,
die sehr gesucht waren, sind mit grosser Accuratesse
vergoldet; er band besonders für Lord Spencer. Die
Zeichnungen zu seinen Einbänden und die Werkzeuge
dazu fertigte er selber. Weder vor ihm noch nach
ihm hat ein anderer seiner Landsleute es verstanden,
so künstlerisch individuelle Werke zu schaffen wie
er; auch war er einer der ersten, wenn nicht gar der
erste überhaupt, der die Einbandverzierung mit dem
Inhalt des Buches in Einklang zu bringen versuchte.
In Deutschland fand der künstlerische, mit Hand-
vergoldung verzierte Oanzlederband um die Mitte des
16. Jahrhunderts Eingang und zwar ebenfalls von
Venedig aus; teils geschah es durch die Frankfurter
Buchhändlermesse, auf welcher schon seit Jahren in
Venedig gedruckte Bücher gehandelt wurden, teils
durch gelehrte deutsche Mönche, die, in Italien stu-
dierend, mit den dortigen Druckern bekannt wurden
und deren Werke auch gebunden nach Deutschland
brachten, wie der gelehrte Mutianus Rufus des Klos-
ters Oeorgenthal, der mit Aldus Manutius persönlich
bekannt gewesen sein soll. Als Wiege des deutschen,
ganz besonders des sächsischen Einbandes ist die 1 502
von Kurfürst Friedrich dem Weisen gegründete Uni-
versität Wittenberg zu bezeichnen. Von den deutschen
Bücherfreunden damaliger Zeit ist besonders den
Fuggers in Augsburg, dem Grafen Mansfeld, vor
allem aber dem Kurfürst August von Sachsen, gest.
1586, die Einführung der neuen Art der Buchdecken-
verzierung zu verdanken. Letzterer rief 1566 den
Augsburger Buchbinder Jakob Krause an seinen Hof,
dem später, 1578, Kaspar Meuser nachfolgte. Die
Verzierung der deutschen Einbände bestand anfänglich
in Kartuschen- und Stempelrankenwerk, dem sich
dann das spitzen- und fächerartige Ornament anschloss.
Der dreissigjährige Krieg führte leider auch den
Verfall der Kunstbuchbinderei herbei.
Aus dem Ende des 18. und dem Anfang des
19. Jahrhunderts sind Bucheinbände von Bedeutung
fast gar nicht bekannt. Erst seit den vierziger Jahren
ist wieder ein Aufschwung in der Kunstbuchbinderei
zu verzeichnen, und zwar waren es zunächst die
Deutschen Purgold und Trautz in Paris, Baumgärtner,
Kalthöfer und ganz besonders Zähnsdorf in London,
die den Einbänden neuen künstlerischen Wert ver-
liehen. Weiter sind noch von französischen Buch-
bindern von Bedeutung die Pariser Michel sen., Duru,
Cape, Niedree, Cuzin, Lortic und ganz besonders
Amand, der sich durch wirklich originelle Einband-
entwürfe auszeichnete, zu nennen. In Österreich war
es zuerst Franz Wunder in Wien, der auf der Wiener
Weltausstellung 1873 m't seinen künstlerischen Buch-
einbänden in Handvergoldung und Ledermosaik ein
ungeheueres Aufsehen erregte; Wunder ist auch der-
jenige, dem wir die Wiederbelebung der Lederpunz-
arbeit verdanken. Durch seine Arbeiten wurden die
tüchtigsten deutschen Buchbinder angeregt, und lang-
sam begann sich der künstlerische Bucheinband wieder
Bahn zu brechen. Voigt, Collin und Demuth in
Berlin, Graf in Altenburg, Scholl in Durlach, Kreyen-
hagen in Osnabrück, Anderssen in Rom, Beck in
Stockholm, Vogel in Jena, Krehahn in Weimar,
Fritzsche und Julius Hager in Leipzig, Attenkofer in
München, Pollack und Franke in Wien, sind hier
zu nennen. Später waren es die Vergoldeschulen,
besonders die von O. Hörn und W. Patzelt in Gera
und von A. KuUmann in Glauchau geleiteten, die den
Sinn und das rechte Verständnis für künstlerische
Einbände in Hunderte ihrer fleissigen Schüler ver-
pflanzten.
Was die künst-
lerischen Einbände
der Jetztzeit betrifft,
so ist bei allen
Nationen teilweise
ein mehr oder we-
niger grosser Fort-
schritt zu verzeich-
nen; eine ausge-
bildetere Technik
in der Herstellung
des Buchblockes,
welches Privilegi-
um man früher nur
den Franzosen zu-
erkennen konnte,
und Originalität in
den Entwürfen
zeichnen die jetzi-
gen Einbände aus.
Wie allenthalben
;« Hör. rloU^-o+I.ra« Bucheinband von P. KERSTEN,
m den dekorativen Aschaffenburg.
i6»
104
GESCHICHTE UND ÄSTHETIK DES KÜNSTLERISCHEN BUCHEINBANDES
Bucheinband von P. KERSTEN, Aschaffenburg.
Künsten, so macht sicli auch im Buchgewerbe eine neue,
auf naturalistischen Grundlagen beruhende sog. moderne
Richtung in der Ornamentation bemerkbar, dieauchnatur-
gemäss einen mächtigen Einfluss auf die Verzierung
des Bucheinbandes ausübte. Englische Kunstbuch-
binder waren die ersten, die Dank den Anregungen
Walter Crane's und W. Morris' sich der neuen Rich-
tung in die Arme warfen und ganz hervorragende
Einbände lieferten. Ich nenne hier besonders Cobden-
Sanderson, Riviere, Roger de Coverly, Zähnsdorf jr.,
auch die Damen Prideaux, Birkenruth, Nichols und
JVlac Coli zählen zu den besten der englischen Bin-
derinnen. Da will ich hier einschalten, dass im An-
fange dieses Jahres in London sich eine Gilde von
Buchbinderinnen konstituiert hat, die bereits 67 Mit-
glieder zählt und alljährlich eine Ausstellung veran-
staltet. Hervorragende Vertreter der neuen Stilrichtung
sind ferner die Dänen Flyge, Petersen und A. Kyster
in Kopenhagen; der Schwede G. Hedberg in Stock-
holm, der seine Ausbildung in Paris fand, und der
Belgier Ciaessens in Brüssel. In Frankreich finden
wir M. Michel jr., Mercier, Gruel, Lortic jr., ChamboUe,
David, P. Ruban, Ch. Meunier in Paris als die be-
deutendsten lebenden Kunstbuchbinder, die sehr her-
vorragende Arbeiten geschaffen haben, aber in den
Geist der wirklich modernen Ornamentation sich nur
schwer hineinfinden können; ihre Landsleute Magnier
in Lyon und Rene Wiener in Nancy hingegen zählen
wieder zu den Vertretern der extremsten, symbolisieren-
den Richtung des neuen Stiles. In Amerika finden wir
zur Zeit (Matthews ist vor einigen Jahren gestorben)
nur einen Kunstbuchbinder von Bedeutung; es ist
unser Landsmann Otto Zahn in Memphis im Staate
Tennesee, jetzt Mitinhaber der Firma Toof & Co.,
stets künstlerisch entwerfend, die Dekoration der Buch-
deckel womöglich in Einklang mit dem Buchinhalte
bringend, ist er ein Virtuose in der Handhabung der
Vergolderwerkzeuge sowohl, als auch in der Behand-
lung des Maroquin ecrase. Seine Herstellung des
Buchblocks ist tadellos in des Wortes vollster Bedeu-
tung. Seine Handvergoldungen der letzten Jahre er-
innern stark an diejenigen Cobden-Sandersons und
sind doch wieder ganz eigenartig und anders in ihrer
Wirkung. Er bindet für die meisten New-Yorker
Millionäre.
So sehr wir nun auch die Fortschritte anerkennen
müssen, die die deutsche Kunstbuchbinderei in den
letzten Jahren genommen, so sehr zu bedauern ist es,
dass wir in Deutschland so wenig Bücherfreunde be-
sitzen, die Interesse für einen künstlerischen Einband
haben; dies ist auch die Ursache, dass wir so wenig
Kunstbuchbinder von Bedeutung haben. Die älteren
deutschen Meister habe ich schon oben genannt, die
der Gegenwart, die im Geschmacke der modernen
Verzierungsweise arbeiten, sind besonders E. Ludwig,
Frankfurt a. M., Paul Adam, Düsseldorf, Hulbe in
Hamburg, Georg Collin, G. Böttger und Herm.
Söchting in Berlin, Hans Bauer und F. Rudel in Gera,
Dannhorn in Berlin, F. Zichlarz in Wien u. a. —
Ich komme nun zur Ästhetik des künstlerischen
Bucheinbandes. Während sich in den früheren Jahr-
hunderten die Dekoration des Einbandes dem herr-
schenden Stil anpasste, begnügten sich die Kunst-
buchbinder der neueren Zeit im allgemeinen mit
sklavischen und schablonenhaften Nachahmungen
Bucheinband von P. KERSTEN, Asciiaffenburg.
GESCHICHTE UND ÄSTHETIK DES KÜNSTLERISCHEN BUCHEINBANDES
105
Bucheinband von P. KERSTEN,
Aschaffenburg.
alter Vorbilder, der
Groliers, Majolis,
LeGasconsu. s.w.,
selten einmal durch
moderne Auffas-
sung von Lederver-
schlingungen,
Stempelzusam-
mensetzungen u. s.
w. einen selbstän-
digen, originellen
Gedanken verra-
tend. Dies mag
wohl zum gröss-
ten Teil seine Ur-
sache darin haben,
dass besonders in
Deutschland Archi-
tekten die Vorlagen
zu den Einbänden
lieferten, die sich
streng an ihre his-
torischen Stilarten
und ihren gewohnten architektonischen Aufbau hiel-
ten; da ihre Entwürfe gewöhnlich ohne Kenntnis der
Vergolde-Technik gefertigt waren, so mussten diese,
um sie ausführbar zu machen, meist erst umgezeichnet
und korrigiert werden. Dass dadurch mitunter die
Wirkung verloren ging, kann natürlich nicht Wunder
nehmen. Die Buchbinderei steht erst dann auf der Höhe
ihrer Kunst, wenn der Entwurf Hand in Hand mit der
Ausführung geht, und die Meisterschaft ist nur dann
bewundernswürdig, wenn sie glückliche, das ästhetische
Gefühl befriedigende Er-
findungen zum Ausdrucke
bringt. Ein Umschwung
zu Gunsten einer moder-
nen Bucheinbanddekora-
tion macht sich seit etwa
zehn Jahren energisch be-
merkbar. Von den Japa-
nern abgelauschte, natura-
listische Motive waren es
zuerst, die von den Kunst-
buchbindern mit mehr oder
weniger Geschick ver-
wandt wurden, bis die
moderne Geschmacksrich-
tung sich selbständigen,
edlen Verzierungsformen
zuwandte. Meister der
englischen Kunstbuchbin-
derei, die von jeher schon
ihre eigene charakteristi-
sche Bahn gewandelt, ver-
suchten als erste, mit den
alten Arten der Verzie-
rungsweise zu brechen,
und die Bahn, die nun
einmal beschritten war, be-
traten bald die hervor-
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 5.
Bucheinband von P. KERSTEN,
Aschaffenburg.
Bucheinband von P. KERSTEN, Aschaffenburg.
ragendsten Fach-
leute aller Länder
und zwar meist mit
gutem Glück.
Die Ansichten
der ausübenden
Kunstbuchbinder
über die Art der
Einbandverzie-
rung sind natürlich
sehr verschieden.
Während die einen
das Buch nach ih-
rem eigenen oder
des Zeichners Gut-
dünken einfach ar-
chitektonisch aus-
schmücken und auf
den Inhalt des
Werkes gar keine
Rücksicht nehmen,
halten die anderen
sich streng daran,
den Buchdeckel mit dem Inhalt in Einklang zu
bringen; die ersteren verfallen dabei oft in Langweilig-
keit, die letzteren häufig in Extreme. Wieder andere
binden die Bücher im Geschmack und dem Stil der
Zeit, der dem Inhalt Stimmung giebt. Die Natura-
listen wenden mit Vorliebe Blumen, Zweige, Tierbilder,
Landschaften in möglichst getreuer Nachbildung und
unsymmetrischer Anordnung zur Verzierung an. Was
ist nun das richtige? — Die Antwort auf diese Frage
kann natürlich nur von dem Standpunkt aus erteilt
werden, den ich selbst in
dieser Sache einnehme; ich
kann also nur meine per-
sönliche Ansicht ausspre-
chen. Der Entwurf soll
in erster Linie wirken, be-
stechen, sich dem Auge
einschmeicheln, und das
ist jeder Zeichnung, die
im ganzen sowohl als auch
in den Einzelheiten dem
Auge wohlgefällig er-
scheint, die es immer von
neuem anzieht, nicht ab-
stösst, und die das Schön-
heitsgefühl anregt. Der
Entwurf soll auch modern
sein und sich in der herr-
schenden Geschmacksrich-
tung bewegen, die zur
jeweiligen Zeit die ge-
samte Kunstrichtung ein-
nimmt, und er soll schliess-
lich auch, wenn irgend
möglich, mit dem Inhalte
des Buches im Einklang
stehen.
Der Entwurf soll fef-
17
io6
GESCHICHTE UND ÄSTHETIK DES KÜNSTLERISCHEN BUCHEINBANDES
Geschnitzte Füllung zu der Kaniinverkleidung von KIMBEL & FRIEDRICHSEN, s. Abb. S. 107.
ner ein woiildurchdachtes Motiv haben, ein Muster,
das ihn in seinen verschiedenen Teilen als etwas
Ganzes und Zusammengehöriges erscheinen lässt.
Der Plan, die Ordnung und die richtige Einteilung
sind die ästhetisch wirkenden Faktoren.
Der einzige Zweck der Verzierung ist der, den
Buchdeckel zu verschönern, nicht aber ihn zu illu-
strieren. Der Entwurf muss daher originell sein, sich
nicht sklavisch an ältere Vorbilder anlehnen oder gar
schon vorhandene Motive direkt benutzen ; er soll eigene
Erfindung sein. Der entwerfende Einbandkünstler
muss notwendigerweise zeichnerisches Talent und
einen bis ins feinste ausgebildeten Farbensinn be-
sitzen und vor allem ideenreich sein; er muss ver-
stehen, dem Unbedeutendsten seine Aufmerksamkeit zu
schenken — das winzigste Ornament kann ihm dabei
das Motiv zu seinem Entwürfe liefern. Wie oft
schon hat mir eine kleine Vignette, eine Zierleiste,
ein verschnörkelter Initial, ein verziertes Schluss-
zeichen u. s. w. die Idee zu einem Entwurf gegeben.
Ein andermal gab ein Tapeten muster, eine gehäkelte
Spitze, ein eisernes Gitter, ein gemalter Plafond, eine
gewebte Gardine Veranlassung zu einer Einband-
dekoration. Daneben muss man natürlich die sämt-
lichen historischen Stilarten, besonders die gotische
gründlich kennen. Von ungeheurem Wert ist ein
energisches, frisches, Studium der Natur, speziell der
Pflanzenwelt, denn dass sich aus ihr der Zukunftsstil
des gesainten Kunstgewerbes entwickeln wird, ist
kaum noch zweifelhaft. Als Hauptbedingung soll
man es stets betrachten, die Entwürfe des Vorder-
deckels, Rücken, Hinterdeckel, Innenkante und Buch-
schnitt, falls er verziert wird, in vollständiger Über-
einstimmung miteinander zu bringen. In Bezug auf die
technische Ausführung der Entwürfe glaube ich, dass die
Zukunft des Handvergoldens hauptsächlich in der An-
wendung des Bogensatzes und der einfachen Linienrolle
mit spärlicher Anwendung von Stempeln liegen wird.
Was den im gesamten Gebiete der Kunst und
den dekorativen Künsten seit Jahren schon tobenden
Kampf zwischen > Alten' und >Jungen«, zwischen
Vertretern der »alten Richtung' und den Anhängern
des Modernen« betrifft, so ist ein endgültiges Urteil
darüber noch nicht zu fällen und müssen wir das
Geschnitzte Füllungen zu der Kaniinverkleidung von KIMBEL & FRIEDRICHSEN, s. Abb. S. 107.
»7'
Einzelheit der Kaminverkleidung von KIMBEL & FRIEDRICHSEN, s. Abb. S. 107.
einer späteren Zeit überlassen; soviel aber ist sicher,
dass sich eine durch nichts aufzuhaltende Umwälzung
zu Gunsten des modernen Stiles« bei den Künstlern
aller Nationen vollzieht. Wenn nun auch hie und
da einigemale nicht gerade ästhetisch wirkende Arbeiten
geschaffen wurden, so soll man nicht gleich -das
Kind mit dem Bade ausschütten« und die ganze
Bewegung verdammen. Die >Jugend« hat gesundes
Blut in ihren Adern, und alle bösen Säfte wird sie
mit der Zeit schon ausscheiden.
Und will der Most sich noch so absurd geberden,
Er giebt zuletzt doch noch 'nen guten Wein.
St
Schlussleiste, gez. von E. LIESEN, Berlin.
Ehrenpreis S. K. H. des Orossherzogs Friedrich von Baden zum Mannlieimer Mairennen 1894.
Entwurf von Direktor HERMANN GÖTZ, Ausführung von Hofjuwelier L. BERTSCH, Karlsruhe.
Kopfleiste, gezeichnet von Elly Hirsch, Berlin.
VIERLÄNDER KUNST
(Schluss.)
VonS^sonstiger Metallarbeit [käme noch das
Schmiedeeisen in Betracht, das wir im und am Hause
in Giebelkrönungen aus Blumen, in Thürklopfern,
ringförmig oder in Tierform, sowie in sonstigem Thür-
und Fensterbeschlag antreffen; die eisernen Kessel-
haken der Vierlande sind nicht verziert, wohl aber
treffen wir bisweilen Waffeleisen in Scherenform,
deren Platten eingegrabene Hohl Verzierungen, z. B.
Hamburger Wappen und Doppeladler zeigen.
Eine ganz andere Rolle, als im Hause, spielt das
Eisen in der Vierländer Kirche, der wir uns nunmehr
zuwenden.
Bei der Kirche des Dorfes Curslak sehen wir noch
heute den Eingang zum ummauerten Kirchhofe durch
ein hölzernes originelles Thor mit Ziegeldach, an
altländer Hofthore erinnernd, gebildet. Beim Herum-
wandeln um die Kirche sehen wir auf den Gräbern
allerlei typische Vierländer Kreuzformen, aus Holz ge-
arbeitet, stehen. Die Kreuzenden sind recht ver-
schiedenartig ausgebildet, wir treffen gleich lange
Arme, langen Mittelarm oder längere Seitenarme an.
Immer sind sie weiss gestrichen, bisweilen schwarz
umrändert. Auch hölzerne Grabtafeln in allerlei Aus-
gestaltungen der Krönung finden sich vor. Merk-
würdigerweise kommt das Schmiedeeisen, das in der
Kirche so sehr dominiert, auf dem Kirchhofe garnicht
vor, nur auf dem zu Kirchwärder stehen auf einem
allen liegenden Grabstein als auffallender Schmuck
zwei niedere geschmiedete Kreuze mit lilienförmigen
Enden. Dagegen zeigt uns die reich ausgebildete
Wetterfahne der gleichen Kirche, mit Lilienkranz, mit
einem ganzen Blumenstrauss und darüber schwebender
Taube, sowie dem die Gesetzestafeln in der Hand
haltenden Moses verziert, ein schönes Stück Vierländer
Schmiedekunst.
Treten wir ins Innere.
Hier zeigt sich die Vierländer Intarsiakunst in
ihrem höchsten Glänze, denn die weit überwiegende
Mehrzahl der Bankthüren und -wangen aller Kirchen
ist in dieser schönen Technik geschmückt. Zu den
Sternen, Vierländer Blumenornamenten, Namenszügen
und Renaissanceornamenten treten hier architektonische
Motive und Allegorien hinzu. Hier wie fast immer
sind es nur zwei Holztöne, die zusammengesetzt
sind, Farbe kommt nie vor, wohl aber Halbtöne, durch
Behandlung mit heissem Sand erzielt; die Innenkonturen
der Formen sind graviert und geschwärzt. Bisweilen ist
die Intarsia verbunden mit Schnitzerei und Kröpf-
arbeit. Die nicht eingelegten Thüren sind vielfach
reich geschnitzt, selten einmal auch in Kerbschnitt.
In der Altengammer Kirche finden wir ferner derb,
aber nicht ungeschickt gemaltes, naturalistisches
Biumenornament auf hellblauem Grunde vor, wie
auch sonst an Emporen, Orgel, Decke u. s. w. allerlei
bäurische Maierei sich entfaltet.
Eingelegte Arbeit zeigen auch die vor den
Sitzen an der Rückseite der Vorwand befindlichen
Gesangbuchkästen. An sonstigen Holzarbeiten ein-
heimischen Ursprungs finden wir noch alte Lesepulte,
durchbrochene Ornamente über Thüren, an Kanzel
und Kanzelgeländer, Aufsätzen u. s. w.; auch die
Rückwände der Bänke sind bisweilen oben durch-
brochen, aus senk- und wagrechten Sprossen fenster-
kreuzartig zusammengefügt. Altar und Kanzel, Kron-
leuchter, Taufstein und Orgel sind überall städtischen
Ursprungs oder doch in der Hauptsache, einzelnes
mag im Lande hergestellt sein.
Ein besonderer, höchst auffallender Schmuck der
Vierländer Kirchen verdankt den Schmieden des Lan-
des seinen Ursprung: die Huthalter. An jeder Bank-
wange und an den Rücklehnen derselben, da wo
Quergänge den Mittelgang kreuzen, ragen sie empor,
von der Decke hängen sie über den Emporen herab.
In diesem Falle sind sie meist nur einfach, anker-
förmig, in ersterem Falle aber sind sie ausserordent-
lich verschiedenartig und reich gestaltet. Niedere,
1 12
VIERLÄNDER KUNST
einfache, zwei- oder dreiarmig, mit Blumen endende,
wechseln ab mit meterhohen, ausserordenthch reich
verzierten, aus verschlungenem und gedrehtem Linien-
werk zusammengesetzt, aus Rokokoornamenten auf-
getürmt oder originelle Kompositionen aus Blumen-
motiven zeigend. Wieder finden wir die Blumen des
Vierländer Gartens, geschickt in Schmiedeeisen nach-
gebildet, lebhaft bunt gemalt und vergoldet. An Be-
sonderheiten kommen auch wohl Figuren vor, hohe
cylindrische Kronen, an die Kronen im Kölner Stadt-
wappen erinnernd, auch ein einfacher Blumentopf mit
Blumen findet sich, natürlich auch hie und da der
Doppeladler, sowie Schrifttafeln und durchbrochen ge-
arbeitete Schrift. Die Pferdeköpfe des Hausgiebels
finden sich auch wohl verwendet, ein Schmied hat
auch Hufeisen als Schmuck angebracht. Sehr stechen
von diesen für den fröhlichen eigenartigen Charakter
der Vierländer, wie der deutschen Bauernkunst über-
haupt bezeichnenden Huthaltern spätere messingene,
öde und langweilige Formen ab, die einen hervor-
ragenden Mangel an Erfindungsgabe zeigen und
sicher städtischen Ursprungs sind. Glücklicherweise
sind sie nur selten. (Siehe die Abbildung Seite 78.)
Die Sitze der Kirchenbänke sind mit Kissen be-
Zwischensatz an einem Staatskissen; gestickt, linke Hälfte. Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
Gestickter Einsatz aus den Vierlanden. Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
Kudstgewcrbeblatt. N. F. XI. H. 6.
18
114
VIERLÄNDER KUNST
legt, natürlich eine Menge moderner öder Fabrikate
darunter, aber es sind auch nicht wenig alte vorhan-
den, so Oobelinkissen, alte schöne, zerschlissene, gross-
blumige Stickereien, vor allem aber Flickenkissen in
abwechslungsreichen schönen Mustern. —
Haus und Kirche sind durchstreift, es bleiben
noch der Garten und das Feld. Als Erzeugnis der
Bauernkunst, wennschon der bescheidensten, untersten
Stufe, müssen wir auch den Feldzaun ansehen, in dem
man ja eine der ältesten Erfindungen des mensch-
lichen Geistes vor sich hat, und den wir mancher-
orts, z. B. in Tirol, der Lüneburger Haide u.a.O. drollig
ausgebildet finden. Auffallenderweise wiederholt sich
auch beim Zaun die der gesamten Bauernkunst eigene
Eigenschaft, von Stamm zu Stamm sich zu ändern.
Das einfache Thema hat bei all unseren deutschen
Stämmen verschiedene Lösungen gefunden. In den
Vierlanden ist er aus dem Grunde sehr selten, weil
er nicht nötig ist: alle Felder sind nämlich durch
schmale Gräben von einander getrennt. Wo wir ihn
einmal finden, besteht er aus weit von einander
stehenden Pfostenpaaren, die durch zwei Weidenruten-
schlingen oben und in halber Höhe verbunden sind,
und auf die Schlingen aufgelegten langen Latten.
Auch der Gartenzaun ist nicht häufig, da die Hecke
ihn ersetzt, und hat keinen besonderen Typus ausge-
bildet. Nur die Feldeingänge und Garteneingänge
sind ausgebildet. Erstere bilden ein langes, niederes
Gatter, das oben einen dicken, über den Drehpunkt
hinaus verlängerten Balken trägt. Dadurch ist das Gatter,
Heck genannt, leicht beweglich. Eine besondere
Stütze stützt das offenstehende Heck. Der ausgebil-
dete Garten- oder Hofeingang, der indes nicht besonders
häufig ist, besteht aus zwei oder drei dicken, abge-
fassten, profilierten und oben flach pyramidal abge-
schlossenen Pfosten, zwischen denen eine niedere
Doppelthür aus Latten und runden Stäben für Wagen
und eine einfache für Fussgänger sich bewegen.
Alles ist weiss gestrichen.
Hie und da finden wir im Garten anmutige
weisse Lauben aus Latten und runden Stäben recht
hübsch zusammengefügt, offenbar unter Einfluss des
Louis XVI.-Stiles entstanden, manchmal ist z. B. in
dem oberen Giebeldreieck eine strahlende Sonne aus
solchen Stäben gebildet. Desgleichen zeigen die
Gartenbänke Louis XVI. Einfluss. —
Lassen wir das Bild, wie es sich vor uns auf-
gerollt hat, in seiner Gesamtheit noch einmal an uns
vorübergleiten, so erhalten wir den Eindruck einer
ausserordentlich gesunden, an innerem Eigenleben
ausserordentlich reichen Kunst, die allezeit mitten im
Leben stand, die sich völlig deckt mit dem Charakter
der Bevölkerung, wie des Landes, einer Kunst, die
im wahren Sinne des Wortes volkstümliche Kunst ist
— gewesen ist, wie wir leider sagen müssen.
Wie es ein Jammer ist, wenn wir einen Mann
von ausgeprägtem Eigencharakter vom Schicksal dazu
verurteilt sehen, durch allerlei Misere an der Aus-
bildung und dem Ausleben seines Charakters verhin-
dert zu werden und in der grossen Masse von Nullen
spurlos unterzugehen, so ist es auch ein trauriger An-
blick, wenn man ein- so lebensvolles Gebilde, wie
solch volkstümliche Sonderkunst, in den Augenblicken
seines Absterbens beobachtet.
Die lebendigen Zeugen kräftigen eigenen Schön-
heitssinnes der Vorfahren treten in der Wertschätzung
der Enkel zurück vor den köstlichen Gebilden der
modernen Möbel- und Fünfgroschenbazare! — »Wat
schall Ein dorbi dauhn?« — achselzuckend schaut
man dem Schauspiele zu, 's ist ja so und sovielmal
theoretisch bewiesen, dass die alte deutsche Bauern-
kunst, der selbständigsten Zweige unserer deutschen
Kunst einer, der ehrwürdigsten einer, untergehen muss!
Muss er's wirklich?
Es sieht in den Vierlanden so aus. Die alten
Bauernhäuser machen hochmodernen Kästen im
Schweizerstil und mit griechisch sein sollenden Orna-
menten Platz, die alten Öfen verschwinden einer nach
dem andern, die Vertäfelungen weichen der Papier-
tapete u. s. w.
Nur die Lieblingstechnik der Intarsia wird von
den Tischlern des Ländchens noch ab und zu einmal
ausgeübt, ja mit Vergnügen hört man, dass einzelne
junge Tischlergesellen mit grösster Hingabe sie zu
pflegen sich bemühen.
Das ist aber gerade ein Umstand, der zu denken
giebt.
Es sind also unter der Jugend, der Zukunft des
Landes, Elemente vorhanden, welche die alte volks-
tümliche Kunst schätzen und weiterzubilden bereit
sind, wenn man's von ihnen fordert.
Was ist's, das der alten Kunst den Untergang
bereitet? Die Stadt. Nun sehen wir aber gerade die
städtische Kunst im Begriff, sich im Grunde umzu-
ändern und zwar gerade in einer Richtung, die sie
alter volkstümlicher Kunst wieder nähert, nachdem sie
so und so lange den Charakter künstlich getriebener
Kunst aufwies.
Eigenart will sie entwickeln, aus dem gegen-
wärtigen Bedürfnis heraus will sie ihre Formen ent-
wickeln, einfache Schönheit will sie bevorzugen, aus
der Natur will sie ihre Zierformen holen — ja ist
denn das etwas anderes, als was die deutsche Bauern-
kunst, die Vierländer mit in erster Linie, immer ge-
than hat?
Lassen wir ein paar Jahre einmal vorüber sein,
bis die neuen Gedanken Allgemeingut sind, bis auch
insbesondere unser deutscher Volkscharakter sich die-
selben unterworfen hat, thun wir dann etwas dafür,
dass, wie in der Stadt, so auch auf dem Lande etwas
für Handwerker- und Dilettantenausbildung geschieht
— erscheint es dann so undenkbar, dass es neben
einer gesunden, eigen-lebendigen deutschen städtischen
Kunst auch eine wiedererwachte gesunde bäurische
Kunst giebt, die uns erst wirklich von volkstümlich ge-
wordener Kunst sprechen lässt?
Inzwischen wäre es wünschenswert, dass man
sich die deutsche Bauernkunst einmal ein bissei ge-
nauer ansähe; abgesehen von Mielke's »Volkskunst«,
Zell's kürzlich erschienenen Bauernmöbeln aus den
Bayerischen Hochlanden« und dem Artikel von
A. Kurzwelly über die Bäuerliche Kleinkunst Sachsens
VIERLÄNDER KUNST
115
(in Dr. R. Wuttke's eben erschienenem Buciie
»Sächsische Volksi<unde<), giebt es ja heute so gut
wie keine Veröffentlichungen, die uns mit ihr bekannt
machen. Wir würden staunen, was alles zutage käme,
erhielten wir einmal genauere Kenntnis von all dem
Eigenartigen und Schönen, das unsere Bauernkunst
geschaffen hat! Haase's vortreffliche Zeichnungen
sind sicher geeignet, als appetitreizende Probe dafür
zu dienen!
Möchten namentlich unsere Regierungen, die die
Aufzeichnung und Aufbewahrung alter deutscher
Kunstdenkmale sich angelegen sein lassen, auch die-
sem Kleinod alter deutscher volkstümlicher Kunst
ihre Aufmerksamkeit schenken - es wird allmählich
höchste Zeit, wenn es gelingen soll, der Nachwelt
vollkommene Bilder der einzelnen deutschen Bauern-
stile aufzubewahren! Deutscher Volkskunde und
Kunstgeschichte, wie auch unseren modernen Be-
strebungen im Kunstgewerbe würde ein ausserordent-
lich grosser Dienst geleistet werden, dessen Wichtig-
keit man heute noch garnicht ganz absehen kann!
O. SCHWINDRAZHEIM- HAMBURG.
Gewebter Brustlatz in Seide. Muster durch Ausschneiden hervorgebracht. Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
i8*
KLEINE MITTEILUNGEN
VEREINE UND SCHULEN
BADISCHER KUNSTGEWERBEVEREIN. Die
jährliche Generalversammlung des Vereins
wurde am 22. Januar d. J. im Saale der Vier
Jahreszeiten in Karlsruhe unter dem Vorsitz des
Herrn Direktors Götz abgehalten. Die umfangreiche
Tagesordnung wurde Dank der gründlichen Vorarbeiten
rasch erledigt. Die vier satzungsgemäss ausscheidenden
Mitglieder: Architekt Bayer, Fabrikant Kammerer,
Professor Kossmann und Professor Volz wurden
wiedergewählt. Aus dem Jahresbericht des Vorsitzenden
ist hervorzuheben: im letzten Vereinsjahr wurden
Vorträge gehalten von Reallehrer Emele über »Die
Herstellung von Künstlerpostkarten <-, von Professor
Kornhas über »Die Beurteilung keramischer Produkte
unter Berücksichtigung der neuzeitlichen Bestrebungen«,
von Professor AferA über »Die Technik und geschicht-
liche Entwicklung des Kupferstichsund der Radierung«.
Der erste und letztgenannte Vortrag erfolgte im An-
schluss an die gleichzeitig vom Grossherzoglichen
Kunstgewerbemuseum veranstalteten Ausstellungen auf
den entsprechenden Gebieten. Für letztere Anstalt
spendete der Verein auch im vergangenen Jahre
einen Beitrag von 1000 Mark und ermöglichte
dadurch die Anschaffung von 26 kunstgewerblichen
Gegenständen. Sodann berichtete der Vorsitzende
über die Beteiligung des badischen Kunstgewerbes
an der Pariser Weltausstellung und gab einen aus-
führlichen Überblick über die zur Ausstellung ange-
meldeten kunstgewerblichen Gegenstände. Es ging
daraus hervor, dass das Badische Kunstgewerbe
namentlich auf den Gebieten der Möbel- und Uhren-
industrie, der Gold- und Silberschmiedekunst, der
Holzschnitzerei, Keramik, Kunstschmiedetechnik, Email-
malerei, Buchbinderei, Ledertechnik und kirchlichen
Kunst in mehr oder weniger umfangreicher Weise
vertreten sein wird. Ebenso wird die Uhrenfabrikation
des badischen Schwarzwaldes und die Bijouterie-
Industrie von Pforzheim zahlreiche Arbeiten ausstellen.
Besondere Erwähnung verdient die fördernde Unter-
stützung einer Reihe von Ausstellern durch Aufträge
S. K H. des Grossherzogs, sowie der Städte Karls-
ruhe, Mannheim, Heidelberg, Pforzheim, Freiburg
und Konstanz. Schliesslich gelangte ein Antrag des
Vorstandes zur Annahme, im Jahre 1901 in Karls-
ruhe eine Deutsche Glasmalereiausstellung abzuhalten,
die das ganze Gebiet dieser interessanten Kunsttechnik
in erschöpfender Weise vorführen soll. Über dieselbe
wird im nächsten Hefte Ausführliches berichtet.
STUTTGART. Unter dem Namen » Verein für
dekorative Kunst und Kunstgewerbe -^^ hat sich hier
eine Vereinigung gebildet, welche die Förderung
des heimatlichen Kunstgewerbes auf einer modernen,
gesunden Basis anstrebt. Der neue Verein macht es
sich zur Aufgabe, durch Veranstaltung von Vorträgen,
Studienkursen, Preisausschreiben und Ausstellungen
auf die verschiedenen Zweige des Kunstgewerbes an-
regend einzuwirken und im Publikum das Interesse
an künstlerisch durchdachten und gediegen ausge-
führten Arbeiten zu wecken. -u-
P LAUEN i. V. Wie wir dem Bericht über die
K Sächsische Industrie -Schule für die Jahre
i8q8 und i8gg entnehmen, ist die Nachfrage nach
tüchtig geschulten Musterzeichnern in stetiger Zu-
nahme begriffen. Es fanden daher sämmtliche Schüler,
welche zu Michaelis 1898 und 1899 nach zurück-
gelegtem viereinhalbjährigen Kursus die Schule ver-
liessen, sofort gute Stellungen als Musterzeichner, und
die Direktion war nicht immer in der Lage, allen Nach-
fragen zu genügen. Der Wirkungskreis der Anstalt
erfuhr durch die Eröffnung einer dritten Zweigabteiiung
zu Eibenstock am 16. April 1899 eine wesentliche Er-
weiterung. Die im Laufe der letzten Jahre vorge-
nommenen Erweiterungen und Veränderungen in der
Einrichtung der Industrieschule machten eine Neu-
aufstellung des Organisationsplanes notwendig. In
der Zeit vom 2. bis 14. Januar 1899 fand eine Aus-
stellung der von der nach Ostasien entsandten Reichs-
kommission erworbenen Gegenstände statt. Die Aus-
stellung der gewerblichen Lehranstalten des König-
reichs Sachsen zu Michaelis 1898 gab der Schule
Gelegenheit, ihre Leistungen und Ziele auch weiteren
Kreisen vorzuführen.
STUTTGART. Nach Aemjahresbericht des Württem-
bergischen Kunstgewerbevereins für das Jahr
/89S/99 zählte der Verein 413 Mitglieder, unter
den verstorbenen Mitgliedern beklagt er besonders
das Ableben des artistischen Vorstandes Paul Stotz.
Unter den in der Vereinsausstellungshalle veranstalteten
kunstgewerblichen Ausstellungen wurden als Sonder-
ausstellungen vorgeführt dekorative Malereien von
Josef Rösl in München, Pflanzennaturabgüsse von
Joh. Bofinger in Stuttgart und architektonische und
kunstgewerbliche Entwürfe, Skizzen und Studien von
G. Halmhuber. In seiner Eigenschaft als Vorort des
Verbandes deutscher Kunslgewerbevereine hatte der
Verein zum 25. September einen Verbandstag einbe-
rufen. Gleich zahlreichen anderen Vereinen und
Korporationen hatte auch der Verein aus Anlass der
Vermählung der Prinzessin Pauline von Württemberg
mit dem Erbprinzen von Wied eine Hochzeitsgabe,
bestehend in einem silbernen Theeservice, dargebracht.
-u-
F RANKFURT a. M. Dem Jahresbericht des Mittel-
deutschen Kunstgewerbevereins für i8gQ entnehmen
wir folgendes: Der Unterricht in der Kunstge-
werbeschule erfuhr keine Änderungen. Das letzte
KLEINE MITTEILUNGEN
117
Ziervase Nacht«
Ziervasen , nach Entwürfen
von O. M. WERNER. In
Silber ausgeführt von
J. H. WERNER, Hofjuwelier,
Berlin.
Ziervase »Tag«
Quartal weist eine niedrigere Ziffer für die Tages-
fachl<lassen, dagegen eine hohe für die Abendi<lassen
auf. In diesen Zahlen spiegelt sich einigermassen
die gesamte Lage des
Kunstgewerbes wieder, in-
sofern ein niedriger Stand
desselben vielen Kräften
während der Tageszeit zu
ihrer Ausbildung die nö-
tige IVluse giebt, bei einem
Hochstand der kunstge-
werblichen Produktion
aber, wie er seit einigen
Jahren eingetreten ist, der
Zudrang zu den kunstge-
werblichen Abendklassen
zunimmt. Eine Studien-
reise zur Aufnahme alter
dekorativer Wandmalerei-
en mit den Schülern der
Malerklasse wurde nach
Strassburg i. E. gerichtet,
wo die wahrscheinlich auf
Dietterlein zurückzufüh-
renden Wandmalereien im
»Frauenhause« reichesStu-
dienmaterial ergaben. Vier
Schülern konnte das zu
einer Erleichterung bei der
Einjährig - Freiwilligen -
Prüfung berechtigende Zeugnis über hervorragende
Leistungen erteilt werden. Eine Ausstellung der
Schülerarbeiten fand zu Beginn des Sommerquartals
statt. Eine wesentliche Be-
reicherung erfuhr im Be-
richtsjahre die gelegentlich
der Umgestaltung der Mu-
seumsräume in übersicht-
licher Weise neu eröffnete
Oypsabguss - Sammlung.
Zu erwähnen sind auch
die zahlreichen und bedeu-
tenden Aufträge , durch
welche die an der Schule
wirkenden Künstler mit
der Praxis in Verbindung
erhalten wurden. Die Bib-
liothek hat zu Ostern ihre
neuen Räume bezogen und
sieht damit eine der bedeut-
samsten Voraussetzungen
ihrer Weiterentwickelung
erfüllt. — Für die Entwick-
lung des Kunstgewerbe-
museums war das Jahr
1 899 ein sehr bedeutungs-
volles , indem der Er-
weiterungsbau fertigge-
stellt und hierdurch die
Neuordnung der Samm-
ii8
KLEINE MITTEILUNGEN
lung ermöglicht wurde. Die An-
ordnung erfolgte in bestimmten
Gruppen, für welche einesteils
das Material, aus welchem die
Gegenstände angefertigt sind, im
übrigen die zeitliche Zusammen-
gehörigkeit derselben massgebend
war. Die Neuerwerbungen des
Museums kamen auch in diesem
Jahre im wesentlichen der kera-
mischen Sammlung zugute. Im
Berichtsjahre fanden folgende Son-
derausstellungen statt: Japanische
Holzschnitte aus dem Besitz des
Ingenieurs C. Vogel in Cronberg,
Pflanzenstudien von H. von Ber-
lepsch in München, die Wettar-
beiten für eine Taufmedaille aus
dem vom Kultusministerium er-
lassenen Preisausschreiben, eine
typographische Ausstellung, eine
Buchkunstausstellung und eine
Ausstellung elektrischer Beleuch-
tungskörper.
AUSSTEL-
LUNGEN
PARIS.
Im
Winter
pflegen die
Pariser
Künstler
in Sonder-
Ausstellun-
gen die Werke noch-
mals zu zeigen, die das
Publikum bereits im
Salon gesehen hat und
die damals keinen Käu-
fer fanden. Dies Ver-
fahren würde Tadel
verdienen, wenn nicht
die Menge der Kunst-
werke im Salon jedes-
mal so gross wäre, dass
man achtlos an vielen
bemerkenswerten Ar-
beiten vorübergeht. Die
Sonderausstellungen,
die selten mehr als ei-
nige hundert Nummern
enthalten, gestatten da-
gegen eine genaue Be-
sichtigung ohne Ermü-
dung und Übersätti-
gung. In der Rue
Caumartin sind gegen-
wärtig ei n ige Möbel aus-
Vase, Ourtschnalle, Kamm, Haarnadeln. Ausgeführt nach
von O. M. WERNER von Hofjuwelier J. H. WERNER,
gestellt, die wir im Mai in der
Ausstellung des Champ de Mars
bereits gesehen haben, ohne ihnen
damals mehr als vorübergehende
Aufmerksamkeit schenken zu kön-
nen. Desto bereitwilliger ergrei-
fen wir jetzt die Gelegenheit, von
ihnen zu sprechen. Selmershelm,
Plumct und Sauvage arbeiten alle
drei in ganz ähnlicher Art, und
da man dieselbe Art auch bei den
modernen Kunsttischlern Englands
und Deutschlands findet, so könnte
man sich versucht fühlen, von
einem neuen Stil zu reden. Dieser
Stil geht von den eleganten und
zierlichen Louis Seize- Möbeln
aus, um nach einem Umweg über
England und durch den Garten
in das Boudoir zurückzukehren.
Unterwegs hat er den weissen
Lack abgestrichen und hat zum
natürlichen Holze gegriffen, wie
es uns von
jenseits des
Ozeans in so
prächtiger
Auswahl ge-
schickt wird.
Undmitdem
weissen Lack
hat auch so
mancher
ZieratderRo-
kokozeit ver-
schwinden
müssen: Der
neue Stil verlangt ein-
fache, schöne, elegante
und praktische Formen
und gestattet Zierat nur
da, wo er logisch be-
gründet ist. Die Schrän-
ke, Tische und Stühle
der drei genannten
Künstler entsprechen
allen diesen Anforde-
rungen ; sie sind ge-
schmackvoll und
brauchbar, und den
einzigen Zierat liefern
die Schlösser und Hen-
kel aus Bronze oder
Kupfer. Der in dieser
Ausstellung gezeigte
Toilettetisch von
Selmersheim und Plu-
inet ist in Berlin aus-
gestellt und für das dor-
tige Kunstgewerbemu-
seum gekauft worden.
Entwürfen
Berlin.
KLEINE MITTEILUNGEN
119
O. M. WERNER, Ziergefäss; ausgeführt von Hofjuwelier
|. H. WERNER, Berlin.
Kaum weniger graziös in ihrer schönen Einfachheit sind
die Stühle, der Schrank und der Tisch derselben Künstler.
Dampt, der gewöhnlich zu sehr den Bildhauer zeigt,
um einfache Gebrauchsmöbel herstellen zu können,
hat dieses Mal seinen Fehler ganz verborgen. In
seinem Schreibtische aus ungarischem Eschenholz
sucht und findet er vielmehr die glücklichsten Farben-
effekte; das grüne Holz bildet mit dem blassblauen
Seidenstoff, der die Wand hinter dem für das Boudoir
der Gräfin von Bearn bestimmten Schreibtisch be-
decken soll, eine äusserst wohlthuende, sanfte Farben-
harmonie, und der Tisch selbst ist einfach und schön
in seinen Formen. Auch Alexandre Charpentier hat
bei seinen beiden Sesseln den Bildhauer abzustreifen
gewusst und sich möglichster Einfachheit bei aller
Eleganz der Form befleissigt Ausser diesen Möbeln
sind eine Anzahl hübscher Teppich- und Vorhang-
muster von Felix Aubert ausgestellt; Moreau-Nelaton
hat mehrere seiner Fayencen gesandt, deren einfache
Form er den ländlichen Geschirren von Isle de France
ablauscht, wie auch die bunte Dekoration mit Blumen-
motiven nur die städtische Übersetzung bäuerischer
Anregungen ist, und Nau-Jahn ist mit einer Vitrine
Schmucksachen vertreten, die in dem an ägyptische
sowie auch altgallische Vorbilder erinnernden halb-
barbarischen Geschmack gehalten sind , wie ihn
Henry Nocq und einige andere Kunsthandwerker des
Champ de Mars kultivieren. k. e. s.
WETTBEWERBE
EIPZIQ. Preisausschreiben des Bibliographischen
Instituts um Entwürfe von Bucheinbänden. Ge-
wünscht wird zu vier näher bezeichneten Ver-
lagswerken des Bibliographischen Instituts eine farbige
Zeichnung des Buchrückens in ganzer Grösse und
Zeichnung von einem Viertel des an der Innenseite
des Buchdeckels befindlichen Vorsatzes. Jeder Rücken
soll als Titelschrift den Namen des Verfassers und den
Inhalt abgekürzt enthalten. Ausgesetzt sind für jede
der vier Aufgaben Preise von 300, 200, 150 und
100 M. Bei gleichwertigem Befund mehrerer Ent-
würfe behält sich das Preisgericht eine andere Ver-
teilung der Preise vor. Nicht prämiierte Entwürfe
können für 50 M. angekauft werden. Preisrichter sind
Direktor Dr. Kautzsch in Leipzig, Direktor Dr. P.Jessen
in Berlin, Buchbindereibesitzer A. Sperling in Leipzig
und, wie wir annehmen, ein Vertreter der ausschreiben-
den Firma. Einzuliefern bis zum 15. April igoo an
die ausschreibende Firma. -u-
ZU UNSERN BILDERN
Die in diesem Hefte abgebildeten Einbände von
P. Kersten in Aschaffenburg sind sowohl in der tech-
nischen Ausführung, wie in der Zeichnung und der
Wahl der verschiedenfarbigen Leder besonders be-
merkenswert. Bezüglich der Ausführung im einzelnen
sei bemerkt: Der Einband zu »Der Radfahrsport in
Bild und Wort« (S. 102 oben links) ist ausgeführt in
marineblau Ecraseleder, Handvergoldung und Leder-
mosaik. Die magnolienähnlichen Blüten sind heliotrop-
L
^^0^;^
X
E^^'
^\
^^i.- ^1
Ik"^
i^Jl^ft
P
^^^^^^
fIT
L
^
m ^^P|^
L
3
M
»-«"■■■■
Bluiuenvase; ausgeführt von Hofjuweiier J. H. WERNER, Berlin.
120
KLEINE MITTEILUNGEN
färben, die aufgelegten Ornamente olivgrün. Der auf
S. 102 unten abgebildete Einband zu einem Poesie-
buch zeigt saftgrünes Ecraseieder, weiss und violettes
Ornament, Handvergoldung und Ledermosaik. Auf
S. 1 03 finden wir einen Einband in dunkelrot Saffian-
leder zu einem Oästebuch oder einer Hauschronik
mit Handvergoldung und Ledermosaik. Das innere
Ornament ist olivgrün, das äussere Ornament hellrot
Blüten heliotropfarben gehalten, und in Handvergol-
dung und Ledermosaik ausgeführt. Der Einband wurde
mit dem ersten Preis der König Ludwigs-Preisstiftung
des Bayerischen Gewerbemuseums, Nürnberg 1898,
ausgezeichnet. Der Einband (S. 105 oben links) zu:
»Industrie- Ausstellung Leipzig 1897' ist in terracotta-
farbenem Ecraseieder, das innere Ornament im Mittel-
feld hellblau, das äussere Ornament olivgrün ausge-
Ooldschmuck. Nach Entwurf von O. M. WERNER, ausgeführt von Hofjuwelier J. H. WERNER, Berlin.
gehalten. Das auf derselben Seite abgebildete Poesie-
buch ist in hellblau Saffian gebunden, das Ornament
wassergrün gehalten. Der Einband zu einer Biographie
von »Bonnassieux* (ein französischer Bildhauer), S. 104
oben, zeigt marineblaues Ecraseieder, dunkelblau ge-
beiztes Ornament und Handvergoldung. Er ist für
die Buchbinderei H. Sperling, Leipzig, gefertigt worden.
Der Einband zu Uzanne's, L'art dans la Decoration
exterieure des livres (S. 104 unten), ist in orange-
farbenem Saffianleder, das Ornament olivgrün, die
führt, die Blüten hellblau. Der auf Seite 105 oben
rechts wiedergegebene Einband zu Berger's Novellen
zeigt dunkelgrünes Ecraseieder mit grünen Blättern
und hellblauen Blüten, während der unten auf S. 1 05
abgebildete Einband zu Uzanne's L'art dans la Deco-
ration exterieure des livres eine Ausführung in Hand-
vergoldung auf rotbraunem Ecraseieder erhalten hat,
wobei das punktierte Band dunkelrot gebeizt, die
Blüten hellblau gehalten sind. Dieser Einband wurde
für die Buchbinderei H. Sperling, Leipzig, gefertigt.
Herausgeber und für die Redaktion verantwortlich: Professor /Ca/-/ Hoffacker, Architekt in Charlottenburg- Berlin.
Druck von Ernst Hedrich Nachf. in Leipzig.
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 7.
19
5-
?
3.
O
r
so
n
c
z
o
CS
o
Wohnzimmer eines veriieirateten Arbeiters, ausgeführt von S. )ARAY in Wien.
K. K. ÖSTERREICHISCHES MUSEUM FÜR KUNST UND
INDUSTRIE IN WIEN.
DIE DRITTE WINTERAUSSTELLUNG UND DIE KONKURRENZ
AUS DEM HOFTITELTAXFOND.
Als ich vor zwei Jahren in den Spalten dieser
Zeitschrift die erste »Winteraussteliung« der
Aera-Scala, — das Debüt des »neuen Kurses«
besprach, schloss ich meinen Bericht mit einem Hin-
weis auf die fundamentale Wichtigkeit einer liebevoll
eingehenden Pflege der bis dahin, wenigstens bei
uns zu Lande, arg vernachlässigten billigeren, für ein-
fachere Kreise arbeitenden Kunstindustrie, als des
einzigen Weges, auf dem sich die neue Richtung
wahrhaft popularisieren, zugleich aber auch dauernd
über das Niveau der Mode erheben liesse. Und ich
glaubte, an ein paar Objekte der Ausstellung, die,
unter Wahrung einheitlicher künstlerischer und tech-
nischer Gediegenheit, dank ihrer bedeutenden Preis-
und daher auch Stilunterschiede durchaus verschie-
denen Gesellschaftsklassen galten, die freilich noch
einigermassen schüchterne Hoffnung knüpfen zu
dürfen, dieses wesentlichste Postulat einer gedeihlichen
Entwicklung über kurz oder lang verwirklicht zu
sehen. Thatsächlich hat die zweite Winterausstellung
des Österreichischen Museums in ihren vielen für
weniger bemittelte Gesellschaftsschichten berechneten
Arbeiten die Hoffnungen des Vorjahres in erfreu-
lichstem Masse erfüllt. Das heurige Jahr aber hat sie
aufs überraschendste übertroffen. Denn das Öster-
reichische Museum hat sich durch eine sehr bedeut-
same Preisausschreibung für die »Einrichtung des
Wohnzimmers eines verheirateten Arbeiters« mit
schöner Energie sogar jener Gesellschaftsklasse ange-
nommen, deren geschmackliche Sanierung selbst den
alleroptimistischsten Zukunftsträumern stets als allzu-
kühne Utopie erschienen war: des allerkleinsten
Mannes, dem bislang der unerhörte Schund schmäh-
lichster Trödelware — ohne dass sich die mass-
gebenden Stellen auch nur einen Pfifferling darum
gekümmert hätten — den letzten Rest ästhetischen
Gefühles erstickt hatte, der ihm etwa noch aus den
guten alten Zeiten, da das Handwerk auch ihm tüch-
tigen, anständigen Hausrat bot, geblieben sein mochte!
Obwohl die Ausstellung der bei dieser Konkurrenz
19'
124
K. K. ÖSTERREICHISCHES MUSEUM FÜR KUNST UND INDUSTRIE IN WIEN
eingelaufenen Arbeiten und Entwürfe — ich habe auf
sie weiter unten noch des näheren zurüci<zukommen —
erst einige Zeit nach der Eröffnung der diesjährigen,
dritten Winterausstellung des Österreichischen iVluseums
stattgefunden hat, glaubte ich doch einen Hinweis auf
sie der Besprechung dieser letzteren vorausschicken
zu sollen, denn nur die schöne Tendenz gleich-
massiger Förderung des strikte differenzierten Kunst-
gewerbes aller sozialen Klassen, die die erwähnte
Konkurrenz so glücklich verkörpert, scheint mir die
erfreuliche Erreichung des richtigen Niveaus vollauf
erklären zu können, auf dem sich die Arbeiten der
Winterausstellung in nahezu völliger Einheitlichkeit
halten.
Eine langatmige Auseinandersetzung dessen, was
ich — und mit mir wohl jeder, der der Entwicklung
des modernen Kunsthandwerks Anteil entgegenbringt —
unter diesem »richtigen Niveau« verstehen zu sollen
glaube, möge ein Hinweis auf die schönen und be-
herzigenswerten diesbezüglichen Ausführungen A. L.
Plehn's ersetzen, die das zweite Heft des laufenden
Jahrgangs dieser Zeitschrift enthalten hat. Was Plehn
an den Zimmerausstellungen der letzten Ausstellungen
in Berlin, München und Dresden, unter gerechter An-
erkennung des vielen Trefflichen, das sie boten, mit
Recht getadelt hat, — das peinliche Vordrängen der
Einzelheiten, die modische Spielerei einer gemachten,
raffinierten_ Einfachheit oder andererseits das ver-
wirrende Überwuchern des Dekorativen, kurz alle die
naheliegenden Konsequenzen einer rastlosen Sucht
nach dem Aparten, Nochnichtdagewesenen: all das
ist planmässig und nachsichtslos aus dem Boden des
Wiener Kunsthandwerks, wie es die diesjährige Winter-
ausstellung vorführt, ausgejätet worden.
Das nahezu einzige Objekt der Ausstellung, auf
das das Gesagte vielleicht nicht vollständig zutrifft,
ist das vielbesprochene, lebhaft angegriffene, lebhaft
verteidigte Interieur, das A. Ungethiim nach den Ent-
würfen Prof. Olbrich's ausgeführt hat, des genialen
Architekten, den die Darmstädter Künstlerkolonie dem
ihm so viele fördernde Impulse dankenden Wiener
Kunstleben entführt hat. Meines Erachtens lässt sich
nicht leugnen, dass die Konzeption des Raumes nicht
frei sei von einer gewissen Originalitätshascherei und
einer Unruhe in den Formen und namentlich den
Farben, die die Wohnlichkeit, — ich möchte fast
sagen, die Bewohnbarkeit des Zimmers höchst proble-
matisch macht: das helle Holzwerk der Möbel mit
seinen derb gefärbten Intarsien, die aschfarbenen
Polsterungen mit ihren feuerroten Applikationen, vor
allem die riesigen grün-blau-schwarzen Applikationen
der weisslich-grauen Wandbezüge — in der in unserer
Abbildung wiedergegebenen Kaminpartie des Raumes
wurden diese Wandappliken durch nachträgliches Ab-
spritzen mit weisser Farbe etwas gedämpft — dies
alles ergiebt einen ans Wirre grenzenden Gesamt-
effekt. Freilich entschädigt für die Dissonnanz des
Totaleindrucks die ausserordentliche technische Tüch-
tigkeit der Ausführung — A. Ungethüm, der sich
im Vorjahre durch ein brillantes Herrenzimmer aus-
gezeichnet hat, zählt ja zu den bewährtesten Firmen
Wiens — und insbesondere die unvergleichlich liebe-
volle Durchbildung, die geistvolle Erfindung der
Details, namentlich die Fülle von Motiven, in denen
Olbrich bei aller Dominanz seines Lieblingsmotivs
— des mit grosslinig stilisiertem Blüten- und Blatt-
werk gefüllten Kreises — unerschöpflich schwelgt;
von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist das Interieur
ein Unikum genialer künstlerischer Kraftäusserung;
doch muss man wünschen, dass es Unikum bleibe
und nicht Schule mache: »Quod licet Jovi «
Die übrigen Interieurs der Ausstellung erfreuen,
wenn man von einer misslungenen Zimmerausstaltung
C. Bamberger's absieht, die, im Gegensatz zu dem
vorjährigen prächtigen Sheraton-Speisezimmer derselben
Firma, in einem sehr banalen und aufdringlichen
Tapeziererstil gehalten ist, durch wohlthuende Zurück-
haltung gegenüber den Extravaganzen, zu denen neue
Richtungen so leicht verlocken, durch gesunde, auf-
richtig betonte Zweckmässigkeit, durch klare Knapp-
heit und Straffheit in der Formgebung und durch
feine Bescheidenheit im Dekorativen. Es zeigt sich in
ihnen deutlich, dass in der modernen Innendekoration
der Architekt den Tapezierer abgelöst hat: keine viel-
fältigen Draperien mehr, wie sie seinerzeit, licht-
raubend und luftraubend, die Zimmer ->schmückten«;
keine »schwellenden« Polsterungen mehr, wie sie ehe-
dem die Sitzmöbel zu marklosen, schwammigen Ge-
bilden machten! Aber auch beileibe keine »Archi-
tekturen«, wie es etwa, unter der Prädominanz der
Baukunst, in der Zimmerausstattung der späteren
Gotik der Fall war, sondern echte, wahre Tektonik,
die aus dem Material, aus dem Bedürfnis heraus, auf
dem kürzesten und einfachsten Wege Kunstformen
bildet, auf alles Überflüssige, Spielende verzichtet —
verzichten kann, weil sie es nicht zur Bemäntelung
grundgedanklicher Leere braucht !
Die diesen Bericht begleitenden Abbildungen des
Pospischill'schen Speisezimmers und des Schönthaler-
schen Landhauszimmers unserer Ausstellung werden
das Gesagte bestätigen; das erstere, ein überaus ele-
ganter, beinahe pompöser Raum — wenn man den
Ausdruck angesichts der Anspruchslosigkeit der
Formengebung lediglich in Hinsicht auf die Vor-
nehmheit des Materiales (schönstes Mahagoni, Kristall-
glas, Bronzebeschläge) und die ungemeine Feinheit
der Ausführung gebrauchen darf — ist von Prof.
J. Hoffmann entworfen, der durch seine eigenen
Arbeiten, sowie durch seine zu immer grösserer Be-
deutung heranwachsende Schule einen ebenso grossen
wie glücklichen Einfluss auf das Wiener Kunsthand-
werk nimmt, und kann als Typus einer wahrhaft ge-
sunden Moderne gelten; die Ausstattung des von
Schönthaler entworfenen und ausgeführten Zimmers
— ein selten bequemes und behagliches und dabei
bei der glänzenden Tüchtigkeit der Arbeit staunens-
wert billiges Mobiliar (es kostet nicht ganz looo Kro-
nen) — ist, wenn man von kleinen Anlehnungen an
den gemütlichen Biedermännerstil absieht, der ja seit
kurzem in die Reihe der »offiziell anerkannten« Stile
vorgerückt ist, gleichfalls durchaus modern im schönsten
Sinne des Wortes. — In beiden Räumen ist die nahezu
K. K. ÖSTERREICHISCHES MUSEUM FÜR KUNST UND INDUSTRIE IN WIEN
125
puritanische Schlichtheit der Formen und des ganzen
Arrangements wettgemacht durch den ^ Zauber der
Farbe: im Hoffmann -Pospischill'schen Zimmer hebt
an den Wänden und den Bezügen der Sitzmöbel ein
feines Grau- blau den prächtigen Ton des dunklen
Mahagoni und den Glanz der spiegelnden Kristall-
scheiben ; im
Schönthaler-
schen In-
terieur klingt
die reizvolle
Färbung des
schwach sie-
gellackrot
gebeizten
und in der
Maserung
leicht mit
grünlicher
Bronzefarbe
eingelasse-
nen Eichen-
holzes mit
den matten
Messingbeschlägen, dem Lawendel-
blau der Tapeten, den bunten Blu-
men des im Fond blauen Cretons
der Bettdecke, der Vorhänge u. s. w.
zu einem unvergleichlich schönen,
frischen und doch sanft abgedämpf-
ten Gesamtaccord zusammen.
Auch bei einem dritten Juwel
unter den neun Interieurs der dies-
jährigen Winterausstellung, einem
von M. Niedermoser reizend aus-
gestatteten Damensalon, spielt die
feindurchdachte Zusammenstellung
der Farben — hellgrau gebeiztes
Ahornholz, leuchtendgelbe Wand-
und mattblaue Möbelbezüge — die
Hauptrolle; doch ist hier das deko-
rative Moment nicht so schlankweg
negiert, wie in den beiden früher ge-
nannten Räumen; das gilt insbe-
sondere von dem zwecklich nicht
erforderten, aber im Effekt sehr hüb-
schen und flott gezeichneten Holz-
bogen, der, zwei einander gegen-
überstehende Pfeilerschränkchen ver-
bindend, das Zimmer in zwei Kom-
partimente teilt und dadurch die
malerische Wirkung des Raumes
wesentlich erhöht, ohne sie jedoch
im geringsten gesucht oder aufdring-
lich zu gestalten.
Diese richtige Mitte zwischen
Rein-Nutzmässigem und Dekorati-
vem, zwischen Streng- Tektonischem
und Malerischem ist auch in den
übrigen Interieurs der Ausstellung
glücklich eingehalten worden: in
Etagere, entworfen und ausgeführt von FRANZ ZELEZNY in Wien.
einer vom Architekten Leopold Müller entworfenen, von
J. W. Müller ausgeführten schönen, anheimelnden
»Hall«, in der eine nach der oben ringsumher-
laufenden Galerie führende, sehr malerisch wirkende
Treppe, eine eingebaute behagliche Kaminecke und
ein angebautes trauliches »Cosy Corner« ebenso durch
ihre reizvol-
len Details,
wiedurch ih-
re gelungene
Zusammen-
stimmung
gerechte Be-
wunderung
erregen; in
einem nach
den Entwür-
fen des Ar-
chitekten
Baron F.
Kraus von
Portois CrFlx
hergestellten
»Atelier«, in
dem das in den Einzelheiten einiger-
niassen an van der Velde gemah-
nende Holzwerk, trotz seiner etwas
missglückten, schmutzig graubraunen
Färbung, angenehm auffällt; in einer
ausserordentlich phantasievollen Jagd-
lialle (Entwurf von Max Schmidt,
Ausführung von F. O. Schmidt), in
der bequeme modernenglische Leder-
fauteuils die zweckmässige Möblie-
rung bilden, während eine eigen-
artige Architektur (flaches Kuppel-
gewölbe über mächtigen Penden-
tifs, breite Bogen, gedrungene Zwerg-
säulen) — ein glänzend gelungener
Versuch, mittelalterliche Bauformen
mit modernem Geiste zu durch-
setzen — den überaus poetischen,
fascinierenden Rahmen abgiebt');
schliesslich in dem interessanten nach-
Max Jaray's Zeichnung von Sieg-
mund Jaray geschaffenen Damen-
schlafzimmer, das eine unserer Illu-
strationen zeigt; dieser luxuriöse und
namentlich in der einheitlichen hell-
gelblich-violetten Farbenstimmung
märchenhaft schöne Raum ist ins-
besondere beachtenswert wegen der
aparten Schnitzereien, mit denen
F. Zelezny das durchgehends mit un-
poliertem Cedernholz fournierte Holz-
werk verziert hat: das Fournierholz
,Ofen , nach Entwurf des Architekten
RUDOLF HAMMEL ausgeführt von
L. & C. HARDTMUTH in Wien.
i) Leider Hess sich dieser hochin-
teressante Raum infolge Misslingens der
photographischen Aufnahmen nicht re-
produzieren.
126
K. K. ÖSTERREICHISCHES MUSEUM FÜR KUNST UND INDUSTRIE IN WIEN
■■
^^^^^^^^^^3
^^■j
■
HH|
^■■■■H
1
^^B-t" '1
1
'"'fvH
^
"9
1
^H^- *_y^^^3
H
1
_^_
■^H
^^H
SiiHl
w-fv
fcH
■^■^^1
^P>K..
B^^^^^l
m ' '
m^^r^ür ^H
1
il
^^B
1
1
^^^^^Hh^^'
i^^^B
[^■^g-- -^ : - ,. J^^H
Olasservice, nach Entwurf des Prof. K. MOSER ausgeführt von E. BAKALOWITS' SÖHNEN in Wien.
ist nämlich entsprechend den Konturen der geschnitz-
ten Rosen ausgeschnitten, und diese selbst sind in
flachstem Relief im Blindholz ausgeführt und leicht
polychromiert.
Die Werke F. Zelezny's, der sich in den letzten
Jahren zum virtuosesten Holzbildner Wiens heraus-
gebildet hat,
nehmen
auch unter
den zahllo-
sen Einzel-
gegenstän-
den unserer
Ausstellung
einen her-
vorragenden
Platz ein : die
hier abgebil-
dete Rosen-
etagere, in
der sich seine
Eigenart —
die nur auf
Grund phä-
nomenaler
Beherr-
schung der
Technik
mögliche
treffsichere Skizzenhaftigkeit der Darstellung — beson-
ders prägnant ausspricht, zählt zu seinen interessan-
testen Arbeiten; daneben hat er noch eine Reihe an-
derer Werke ausgestellt, so eine wundervolle holzge-
schnitzte Maske Beetho-
ven's, die, was Auffassung,
liebevolles Eingehen in
die Details, gewissenhafte
und doch keineswegs klein-
liche Ausführung anbe-
langt, ihresgleichen sucht!
Die Einzelmöbel der
Ausstellung bestechen
gleichfalls nahezu durch-
gehends durch die grosse
Gediegenheit der Arbeit;
insbesondere gilt dies von
einigen Nachbildungen
mustergültiger alter Möbel,
so einer von /. Kßpfer
ausgeführten Kopie eines
aus der Zeit um 1 8oo da-
tierenden englischen Toi-
lettetisches des South-
Kerisington-Museums: die
einsichtsvolle Leitung des
Osterreichischen Museums hält an dem löblichen
Prinzip fest, dass es den modernen Kunsthandwerker
nur fördern kann, wenn er ab und zu bei den alten
Stilen wieder einmal in eine strenge Schule geht!
Auf die ausgezeichneten Leistungen der Wiener
Kupfertreibkunst — an ihrer Spitze steht Georg
Steinzeuggefässe. K. K. Fachschule in Teplitz.
Klitnt — habe ich bereits im Vorjahre eingehender
hingewiesen; sie ragen auch in der heurigen Winter-
ausstellung ganz besonders hervor, ebenso die Bronzen,
auf deren Gebiet ein junger, an der Wiener Kunst-
gewerbeschule herangebildeter und dann in Paris
längere Zeit thätig gewesener, überaus talentvoller
Bildhauer,
G. Oursch-
ner, mit sei-
nen etwas an
Valgreen ge-
mahnenden,
für Aschen-
schalen, Be-
leuchtungs-
körper und
dergleichen
verwendeten
pikanten
Frauenfigür-
chen beson-
ders excel-
liert.
Unter den
Glaswaren
nehmen
nach wie vor
die Arbeiten
MOnE.Baka-
lowits' Söhnen und der im Tiffany-Genre arbeitenden
Spaun'schen Glashütte Klostermühle die ersten Plätze
ein, wenn sich ihnen auch in diesem Jahre zum ersten-
male wieder tüchtige Leistungen L. Lobmeyr's, der
endlich mit der »neuen
Richtung« ausgesöhnt ist,
an die Seite gestellt haben.
Viel Neues und ganz
hervorragend Schönes bie-
tet heuer die Keramik.
Zum erstenmale sieht man
einfache moderne Öfen
und Kamine ausgestellt,
darunter ein wirklich präch-
tiges Stück, den vom Ar-
chitekten R. Hammel, dem
trefflichen artistischen Bei-
rat des Österreichischen
Museums gezeichneten,
von L. & C. Hardtmuth
fabrizierten hellgrünen
Ofen, den unsere Abbil-
dung wiedergiebt. An
klein -keramischen Objek-
ten wären vornehmlich zu
erwähnen die hübschen
U^aÄ/Äss'schen Porzellane in Kopenhagener Art und
die ausgezeichneten Eosin -Fayencen von Zsolnay in
Fünfkirchen, die, nach einer recht langen Zeit höchst
unerfreulichen, unsicheren Umhertappens im Finstern,
nun auf einmal sowohl in formaler, als in kolo-
ristischer Hinsicht zu entzückendem Eigen - Charakter
r
o
o
<
S
u.
[I.
O
r
128
K. K. ÖSTERREICHISCHES MUSEUM FÜR KUNST UND INDUSTRIE IN WIEN
gelangt sind. Durch ganz ausnehmend schöne Stein-
zeugarbeiten (vergl. Abbildung) überrascht die k. k.
Fachschule in Teplitz, die sich unter der Leitung
ihres trefflichen Direktors Stäbchen -Kircher aus den
unscheinbarsten Anfängen zu hervorragender Be-
deutung aufgeschwungen hat: es sind Vasen, Krüge,
Blumentöpfe und dergl., die im allgemeinen einiger-
massen teils an Läuger, teils an die ähnlichen fran-
zösischen Arbeiten erinnern, dabei aber im Stil durch-
aus unabhängig und eigenartig sind und sich
namentlich durch erquickende Unmittelbarkeit der
Naturbeobachtung in ihrem plastischen Blumendekor
auszeichnen.
Neu sind im Österreichischen Museum auch die
schönen Juwelierarbeiten, die die Firmen Hauptmann
und Rozet & Fischmeister ausgestellt haben, desgleichen
die vorzüglichen Silberschmiedearbeiten von / Bannert,
V. Mayer's Söhnen u. a.
Die ausgezeichneten Leistungen moderner Stick-
kunst, mit denen schon im Vorjahre L. Nerotny, die
Frauenerwerbschule zu Ischl u. a. schöne Erfolge erzielt
haben, sind in diesem Jahre durch eine Reihe tüchtiger
Dilettantenarbeiten vermehrt worden, unter denen die
in Zeichnung und Ausführung gleich wunderbaren
Stickereien der Frau Bertha Landauer besonders
hervorragen.
Dass das Gesamt-Arrangement der Ausstellung ein
überaus ansprechendes ist, dafür bedarf es nur eines
Hinweises auf den anerkannt vornehmen Geschmack
des Direktors des Österreichischen Museums, Hofrats
von Scala und auf den Stab hingebender Mitarbeiter,
den er an den Beamten des Museums gefunden hat:
es geht ein eigenartiger Zug grossstiliger Noblesse,
der das Talmiehafte, Protzige, Gekünstelte und Ge-
schniegelte, ebenso fern liegt, wie die Philisterei, durch
alle Unternehmungen des Österreichischen Museums,
durch das gesamte Wiener Kunsthandwerk, soweit es
unter der Ägide dieses Institutes steht.
Der Hauptgrund aber für die innerliche Gediegenheit
des Wiener Kunsthandwerkes, für die ruhige, gleich-
massige, durch keinerlei modische Excesse gestörte
Fortentwicklung, die die Moderne hier gefunden, liegt
meines Erachtens — ich wiederhole es — darin, dass
das moderne Wiener Kunstgewerbe von vornherein,
soweit es anging, radikal gegen die Gefahren der Mode
gefeit ward, indem man sich massgebenden Orts be-
strebte, den vernichtenden Wirbel der Mode zu hemmen,
der alles Gute, Neue, verschlechtert und verbilligt in
alle gesellschaftlichen Kreise hinunterzieht und so zu
rastloser Neuerung, zum ewigen Haschen nach der
»höchsten Nouveaute« treibt; indem man die geschmack-
liche Leitung der unbemittelteren Schichten nicht mehr
der Plunderindustrie überliess, sondern sie selbst in
die Hand nahm. Damit bin ich auf die bedeutungs-
volle Konkurrenzausschreibnng des Österreichischen
Museums zurückgekommen, von der ich eingangs
dieser Zeilen gesprochen.
Die Preisausschreibung aus dem Hoftiteltaxfond,
jener seit den Zeiten Eitelberger's den Zwecken des
Osterreichischen Museums zur Verfügung gestellten,
reichen Einnahmsquelle i), die unter dem früheren
Regime fast ausnahmslos zur Anschaffung der un-
brauchbarsten Prunkstücke verwendet worden war,
hatte ausser der erwähnten, auf die Einrichtung eines
Arbeiterzimmers bezüglichen Aufgabe, noch drei
weitere Preisaufgaben gestellt, die der sehr reform-
bedürftigen Speisetisch -Ausstattung des einfacheren
Haushaltes — Damasttischzeug, Porzellan- und Glas-
services für 12 Personen — galten.
Die erste dieser Aufgaben hat-, dank den gut-
geschulten Zeichnern der grossen österreichischen
Leinwandwarenfabriken und dank der Trefflichkeit und
Universalität der Wiener Kunstgewerbeschüler, eine
Reihe höchst befriedigender Entwürfe eingebracht:
der erste Preis ist einem sehr vornehmen, einiger-
massen anglisierenden Entwurf J. Benesch's (Kgl. Wein-
berge, Prag) zugefallen, der die Musterung des Tisch-
zeuges — ein ziemlich streng stilisiertes Beerenmuster —
lediglich auf die Bordüren beschränkt; den zweiten
Preis hat M. Pillis (Mährisch-Schönberg) mit einem
flott gezeichneten Windenmuster errungen, das nur
in der Eckbildung einigermassen schwerfällig ist;
lobende Anerkennung fanden u. a. Fräulein M. Peyfuss
(Kunstgewerbeschule Wien) mit einem entzückenden
Schierlingmuster und M. Benirschke (Kunstgewerbe-
schule Wien) mit einem schönen, phantasiereichen
Paradiesvogelmuster, bei dem wieder einmal der hübsche,
aber, wie es scheint, im Publikum nicht goutierte
Gedanke, die Plätze der Teller in der Musterung
vorzuzeichnen, in Anwendung gebracht ist.
Die auf das Porzellanservice bezügliche Preis-
ausschreibung hat einen ziemlich kläglichen, immerhin
aber insofern dankenswerten Erfolg gehabt, dass der
geschmackliche Tiefstand eines gründliche Nachhilfe
dringend erfordernden, wichtigen Gebietes unseres
kunsthandwerklichen Schaffens klar vor Augen geführt
worden ist: die eingesandten Entwürfe sind durch-
gehends so geistlos, zweckwidrig und unschön, dass
sie eine auch nur flüchtige Erwähnung überflüssig
machen. Ich will hier nur auf den wahrschein-
lichen Grund dieser bedauerlichen Erscheinung hin-
weisen, der wohl darin zu suchen sein dürfte, dass
unsere zahlreichen grossen Porzellanfabriken ihr Haupt-
augenmerk auf die Erzeugung von künstlerisch sehr
minderwertiger Massenexportware richten und daher
auf gründlichere Ausbildung ihrer Dessinateure durch-
aus kein besonderes Gewicht legen.
Ganz ausgezeichnet ist hingegen die Konkurrenz
für das Qlasservice ausgefallen, und insbesondere ver-
dient das erstprämiierte, von Kolo Moser gezeichnete,
von Bakalowits ausgeführte, billige Service, das unsere
Abbildung zeigt, eingehendste Beachtung: ich möchte
namentlich, was seinen praktischen Wert anbelangt,
auf die kräftige und doch keineswegs schwerfällig
wirkende Bildung der Wandungen und der Stängel
und die kluge Verlegung der Schwerpunkte nach
i) Bei Zuerkennung des Titels eines K. u. K. Hof-
lieferanten hat die betreffende Firma eine Taxe zu ent-
richten, die über Anordnung des Kaisers dem Österreichi-
schen Museum zufliesst.
>
<
<
•—I
Q
Z
S
O
u
>
<
<
s
1
Kimstgewerbeblatl. N. F. XI. H. 7.
20
130
K. K. ÖSTERREICHISCHES MUSEUM FÜR KUNST UND INDUSTRIE IN WIEN
unten, was den künstlerischen Wert betrifft, auf die
noblen Silhouetten der einzelnen Gefässe und auf den
einfachen, der Technik des Gusses so entsprechenden
und die Brillanz so wesentlieh erhöhenden Dekor durch
stellenweise, scheibenförmige Abplattungen hindeuten.
Das weitaus lebhafteste Interesse aber nimmt nahe-
liegender Weise das Ergebnis der vierten Preisaufgabe
in Anspruch, welche die in praktischer und ästhetischer
Hinsicht befriedigendste Einrichtung des Wohnzimmers
eines verheirateten Arbeiters zum Gegenstande hatte.
Der Höchstbetrag der Kosten dieser Einrichtung war
mit 300 Kronen präliminiert, — nach einstimmigen
Urteil der Fachkreise der Minimalpreis einer wirklich
gediegenen Einrichtung — und, um etwaige in Wahrheit
teurere Reklamearbeiten fernzuhalten, hatte die Preis-
ausschreibung die Bedingung aufgestellt, dass die
Bewerber sich verpflichten mussten, gegebenenfalls
binnen Jahresfrist zwanzig solcher Einrichtungen zum
gleichen Preise anfertigen zu können. Trotz dieser
strengen Bestimmungen war die Beteiligung an der
Konkurrenz eine sehr rege: es liefen 33 Entwürfe
und 12 vollständig ausgeführte Mobiliare ein, und
unter den Konkurrenten waren nahezu alle bedeuten-
den Möbelfirmen Wiens vertreten, — erfreuliche Beweise
für die richtige Würdigung, die die schöne Tendenz
der Preisausschreibung in den Fachkreisen gefunden.
Unter den Konkurrenzarbeiten befinden sich einzelne
sehr hervorragende Leistungen. Der Hofmann-Schüler
C. Sumetzberger (Kunstgewerbeschule Wien) hat den
ersten Preis mit einem vorzüglichen Entwurf davon-
getragen, in dem die einzelnen Möbel sich ebenso
durch ihre grosse Zweckmässigkeit — keine staub-
fangenden und leicht zu beschädigenden Ornamente,
glatte, gut reinzuhaltende Flächen, praktische Formen
— als durch ihre sehr ansprechende Zeichnung er-
freuen. In dem zweitprämiierten ya/'oy'schen Interieur
(vgl. die Abbildung) steckt viel Gutes, doch scheinen
mir die eingelassenen Flachschnitzereien, abgesehen
davon, dass sie den Preis auf Kosten mancher wich-
tigerer Dinge unnötig erhöhen, zu fein und zart für den
derberen Geschmack des Arbeiters zu sein, während
andererseits die unpraktischen Strohpolsterungen der
Stühle ein höchst überflüssiges Kokettieren mit der
sehr zweifelhaften, sentimentalen Idylle der -glücklichen
Armut« darstellen dürften. Sehr tüchtig ist eine
behagliche Eichen-Einrichtung ScAö«//ra/e/s ausgefallen,
desgleichen ein prächtiges Rusten-MobiliarPos/j/sc/r/V/'s
und eine sehr zweckmässige Zimmereinrichtung
Niedermoser' s, die freilich einen etwas gar zu ernsten,
unfreundlichen Eindruck macht.
Es ist eben sehr schwierig, hier die richtige Mitte
zwischen unsolidem Scheinluxus und nüchterner Ge-
diegenheit, den Ausgleich zwischen dem naiven, rohen
Geschmack des Arbeiters und den geschulten und oft
blasierten Schönheitsideen der gebildeteren und wohl-
habenderen Kreise zu finden! Vielleicht müsste man,
um die gewiss nicht leichte Frage der zweckmässigsten
und gefälligsten Arbeiterzimmer-Ausstattung endgültig
und durchaus befriedigend zu lösen, weitergehen und
das Arbeiterhaus zum Ausgangspunkt nehmen.
Jedenfalls ist die ganze weittragende und seit Jahr-
zehnten verruderte Angelegenheit nunmehr im besten
Fahrwasser, da das Österreichische Museum ihr Steuer
in seine glückliche Hand genommen: das Museum
hat damit zum mindesten eine ebenso gute That
gethan, wie mit der durchgreifenden Reform unseres
in der Winterausstellung in so glänzender Vollkommen-
heit repräsentierten Luxus-Kunsthandwerks, an deren
Spitze es sich seinerzeit gestellt, und deren Leitung
es zielbewusst und unbeirrt in seinen Händen zu
behalten verstanden hat!
Wien, im Dezember 1 899. DR . FRITZ MINKUS.
Alt-Meissner Porzellan. Bunt bemalte Figuren, 14,5 cm hoch (TH. BEHRENS, Hamburg).
<
r
(-
z
o
I
o
E
E
N
20*
i
■1
^^Er^^
^
^^^^^^^^^Hi
^^^^^l^r^9
^m
K
^^^^^^^^n
^^^^1
^^^^^^^^^^II iL^'L^Ki M
^■7^
\
H^^
WM
|r/ ^ vtj Vk
^V^^V %^M
Hyl
^^yill
^^K^^//^
E^^l
1
g
^^^^n^^^^n^n^jfi
m
■S^r^^M|
Altnieissner Porzellan. Bunt bemalt, 34,5X22,3 cm. (Kgl. Scliloss in Dresden.)
NEUES ÜBER ALTMEISSNER PORZELLAN.')
Wenn ich einer Aufforderung der Redaktion
dieser Zeitschrift nachi<omme und zu der
Herausgabe eines von mir verfassten Werkes
selbst ein paar begleitende Worte schreibe, so wird
dies vielleicht hier und da einiges Befremden erregen.
Tadel oder Lob darf man natürlich nicht erwarten.
Ob das Werk dem von mir und dem mich unter-
stützenden Komitee (Gurlitt und von Haugk) ange-
strebten Zweck entspricht, ob es eine bis zum ge-
wissen Grade abschliessende Behandlung der Ent-
wicklungsgeschichte des Meissner Porzellans enthält,
ob die ganze Anordnung praktisch, ob dieser Gegen-
stand nicht hätte kürzer, jener ausführlicher behandelt
werden können, das Urteil darüber muss ich selbst-
redend andern überlassen.
Unsere Kenntnis von der Erfindung des sächsischen
Porzellans und der ersten zehn Jahre seiner Fabrikation
begründete sich im wesentlichen auf die von C. A. Engel-
hardt im Jahre 1 837 herausgegebene Lebensbeschreibung
Böttgers. Da aber Engelhardt nach Sitte der damaligen
Zeit seine Quellen nicht angab, ist man gewohnt,
Phantasiegebilde bei ihm zu vermuten. Ich gestehe,
dass ich früher die gleiche Ansicht hatte. Je mehr
ich indessen an der Hand des authentischen Akten-
1) Das Meissner Porzellan und seine Geschichte
1709— 1814 von Karl Beding. Mit 15 Chromolithographien,
15 Heliogravüren, 219 Textabbildungen und einer Marken-
tafel. 1900. Verlag von F. A. Brockhaus, Leipzig.
materials nachprüfte , um so mehr erkannte ich,
dass Engelhardt nicht nur fleissig, sondern auch ge-
wissenhaft gearbeitet hat. Es sind daher auch nicht
gerade allzuviel Thatsachen, die ich für die älteste
Zeit neu aufzuführen vermochte. In einer Reihe von
Schlussfolgerungen bin ich indessen auf Grund der
inzwischen gemachten Forschungen (W. von Seidlitz
und J. Brinckmann) und meinen eigenen Unter-
suchungen der Porzellane selbst zu anderen Resultaten,
vor allem zu einer höheren Wertschätzung von
Böttger's eigentlichem Können gekommen. Im übrigen
habe ich mich über die Verhältnisse der in Frage
kommenden Menschen, die Engelhardt breit und mit
allen Nebenumständen erzählt, möglichst kurz gefasst
und das Hauptgewicht auf das, was man in Meissen
schuf, gelegt. Mir war es vor allem Zweck, zu
schildern, welche Veränderungen das Meissner Porzellan
in den verschiedenen Entwicklungsperioden erfuhr,
und durch wen dies geschah. Damit gebe ich aber
gleichzeitig eine Art von Künstlergeschichte der
Meissner Fabrik. Allerdings habe ich sie, um nicht
zu ausführlich zu werden, kürzer gekalten, als ich
zuerst beabsichtigte. Meissner Personallisten haben
sich in grosser Anzahl erhalten. Nur für die Jahre
1731, 1775 und 1786 bin ich ausführlicher gewesen.
In den beiden zuletzt genannten Jahren wurden
wegen Lohnverkürzungen die Meissner Künstler ihren
Fähigkeiten gemäss in mehrere Klassen eingeteilt. Es
war mir daher möglich, die der »vorzüglichsten« bez.
134
NEUES ÜBER ALTMEISSNER PORZELLAN.
»ersten Klasse« herauszuheben (Anmkg 351). Das
im Wortlaut gegebene Aktenstück Nr. 4 enthält alle
Bildhauer und Maler, die im Jahre 1731 in Meissen
thätig waren, mit Angabe der Art ihrer Arbeit, wie
lange diese bereits gedauert, wann und wo sie ge-
boren. Auch sämtliche Vornamen sind hinzugefügt.
Dies ist aber
nicht ohne Be-
deutung, wenn
man berück-
sichtigt, dass in
Meissen immer
ein wenig-
Günstlingswirt-
schaft betrieben
wurde, wo-
durch verschie-
dene Personen
gleichen Na-
mens beschäf-
tigt worden
sind. So kom-
men u. a. zwei
Herold, zwei
Kaendler, drei
von Löwenfink,
vier Mehlhorn,
fünf Lücke vor.
An den von
mirangeführten
Thatsachen
wird sich nicht
allzuviel ändern
lassen. Sie be-
ruhen auf An-
gaben in den
im Dresdner
Hauptstaats-
archive aufbe-
wahrten Fabrik-
akten; einer
eventuellen
Kontrolle we-
gen gebe ich in
jedem einzelnen
Falle meine
Quelle an. Aber
so reichhaltig
diese Akten
auch sein mö-
gen, vollzählig
sind sie nicht. Ein oder das andere Stück scheint
während der Kriegsunruhen verloren gegangen zu
sein.') Mehrfach liess sich aber das von mir be-
treffs der künstlerischen Entwicklung für wichtig er-
achtete aus den Akten nicht herausfinden. Ich glaube
Altmeissner Porzellan. Uhr in Bronzegestell mit buntbemalten Porzellanfiguren und -Blumen.
65,5 cm hoch. (Kgl. Schloss Wilhelmsthal bei Kassel.)
1) Aus dem Jahre 1739 stammt ein Verzeichnis der
bei der Fabrik »gehaltenen Akten« (H. St. Arch. Loc. 1342.
Vol. X, Bl. 225), das mehreres heute nicht mehr Vor-
handenes enthält.
nun wohl , dass einige meiner in colchen Fällen ge-
machten Schlussfolgerungen auf Widerspruch stossen
werden. So meine Ansicht über das, was Tschirnhaus
gefertigt hat (S. 6 f.), über die Unterschiede der ver-
schiedenen Steinzeuge (S. 25 f.), über die sog. Callot-
figuren (S. 44), über die Goldmarken (S. 1 63 f.) u. dgl. m.
Ich habe hier
nur Vermu-
tungen ausge-
sprochen und
bin gern bereit,
mich belehren
zu lassen. Ge-
wiss hätte man
in der Beweis-
führung mehr-
fach weiter
gehen können,
man hätte z. B.,
um die Unter-
schiede zwi-
schen den Bött-
ger-Steinzeugen
undderenNach-
ahmungen wis-
senschaftlich
festzulegen, zu
der chemischen
Analyse greifen
sollen. Meine
Absicht war das
auch, ich fand
aber trotz
meiner Bemüh-
ungen nicht die
hierfür geeig-
nete Kraft. Ich
musste hierund
in einigen an-
deren Fällen auf
eine weitere
Verfolgung der
Angelegenheit
wegen der ge-
ringen mir zur
Verfügung
stehenden Zeit
verzichten.
Denn, um die
finanzielle Seite
des Unterneh-
mens zu ermöglichen, hatte ich die Fertigstellung des
Werkes zur Pariser Weltausstellung zusichern müssen.
Wenn aber auch in dieser oder jener Einzelheit
mit der Zeit eine andere Ansicht wie die meine für
richtig erkannt werden sollte, so gebe ich mich doch
der Hoffnung hin, in dem vorliegenden Buche zum
erstenmale ausführlich und für den Sammler und
Museumsmann brauchbar diesen Gegenstand auf Grund
des Aktenmaterials und meines Studiums der Porzellane
selbst behandelt zu haben.
NEUES ÜBER ALTMEISSNER PORZELLAN.
135
Derjenige, welcher mit der einschlägigen Fach-
litteratur nicht ganz vertraut ist, wird Mühe haben,
festzustellen , was in dem vorliegenden Buche neu
und worin von den bis dahin geltenden Ansichten
abgewichen ist. Ich will daher einiges hierauf Be-
zügliche herausheben.
Es ist hier zum erstenmale der Versuch gemacht
worden, das Aussehen der Glasflüsse zu beschreiben,
die W. von Tschirnhaus in der Absicht, den Chinesen
das Porzellan nachzuerfinden, herstellte. Damit ist
aber eine Handhabe gegeben, um sie von den vielen
unter Tschirnhaus' Namen in den Handel gebrachten
späteren Erzeugnissen zu trennen. Dann sind von
den Böttger - Steinzeugen die Formen und »Ver-
feinerungen' ausführlicher, als es bis dahin geschah,
behandelt. Letztere wur-
den dabei in folgende
vier Gruppen eingeteilt:
1) »Eisenporzellan«, 2) das
rotbraune Steinzeug mit
roh gelassener Oberfläche,
3) das polierte und ge-
schliffene und 4) das gla-
sierte Steinzeug. Mehrere
Seiten (21/25) sind der
Besprechung der Böttger-
Nachahmungen gewidmet.
Die sich hieraus ergeben-
den Unterscheidungsmerk-
male der Böttger -Stein-
zeuge von den chine-
sischen, von denen von
Plane a. d. H., von Bay-
reuth, von Böhmen und
von Kamenz sind am
Schlüsse dieses Abschnittes
nocheinmal kurz zusam-
mengefasst.
Auch über die Anfänge
des Porzellans bis zum
Tode Böttger's (f 1719)
wird der Leser manches
Neue finden. Besonders
die Behauptung, dass die Anwendung von Farbe in
dieser Zeit nur versuchsweise vorgenommen wurde,
wird viele überraschen.
In der Periode von 1720 — 35 war die Malerei
die Hauptsache, und Johann Gregor Herold die
Seele des ganzen Unternehmens. Er herrschte
über die Maler uneingeschränkt, denn er stellte
sie an , teilte ihnen die Arbeiten zu und bezahlte
sie nach seinem Ermessen. Die Fabrik hatte es
bei Abnahme der Gegenstände und Bezahlung nur
mit ihm zu thun. Diese Angelegenheit änderte sich,
als der König August II. im Jahre 1731 selbst die
Oberleitung übernahm. Denn damals erst stellte die
Fabrik die einzelnen Maler und zwar in Stücklohn
an. Nur Herold und 13 Maler erhielten festen Ge-
halt. Ausführlich ist behandelt worden, wen Herold
beschäftigte und wie man damals in Meissen arbeitete,
wobei ich besonders auf eine weitgehende Arbeits-
Altmeissner Porzellan. Bunt
(R. Bandli,
teilung aufmerksam machen musste. Diese Ausführungen
sind aber dazu angethan , die bisherigen Ansichten
von der Bemalung einzelner Stücke und deren
Markierungen zu berichtigen. Auch die Meinung
über das, was Herold selbst gemalt hat, dürfte eine
bedeutende Einschränkung erfahren. Es wurde weiter
entwickelt, dass das Abgehen von der früher fast
ausschliesslich herrschenden chinesischen Geschmacks-
richtung in Meissen besonders durch den Einfluss des
vom Grafen Hoym begünstigten Pariser Händlers
Lemaire eingeleitet wurde.
In der dritten Periode (1735 — 56) ist das sich
mehr und mehr zeigende Übergewicht Kaendler's über
Herold ausführlich geschildert. Das aktenmässige
Datieren des Schwanen- und Sulkowskiservices und
des Eindringens von Ro-
kokoformen in Meissen
mag hier besonders her-
ausgehoben werden. Aus
den Akten liess sich weiter
die Thätigkeit Kaendler's
in den Jahren 1740 und
1741 Stück für Stück be-
legen. Aus dieser Zeit
stammen von bekannten
Gruppen: der heilige Hu-
bertus, ein heiliger Nepo-
muk, der Schneider auf
dem Ziegenbock, die Frau
mit dem Dudelsack, der
Marktschreier,Joseph Fröh-
lich auf Schlitten, Fröhlich
und Schmiede! mit Mause-
falle und Eule u. a. m.
Um einen Begriff von
dem staunenswerten For-
menreichtum zur Blütezeit
Meissens zu geben, wurde
das Aktenstück Nr. 5 bei-
gefügt. Es enthält eine Auf-
zählung sämtlicher Porzel-
lane, die der Minister
Brühl im Jahre 1 753 besass.
Auch über die Malerei dieser Zeit im allgemeinen
und über die in einem besonderen Abschnitte be-
handelte Blaumalerei ist manches neue beigebracht
worden.
In der IV. Periode ist die noch vielfach verbrei-
tete Ansicht, dass die Preussen einen Teil der Arbeiter
und Formen von Meissen nach Berlin haben schaffen
lassen, aktenmässig widerlegt. Friedrich der Grosse
war im Gegenteil während des siebenjährigen Krieges
der Hauptauftraggeber und nahm an dem, was die
Fabrik für ihn schaffen musste, den regsten Anteil.
Nur so konnte es überhaupt geschehen, dass man
damals in Meissen noch Porzellan herstellte, das höhe-
ren künstlerischen Anforderungen genügte. Das ist
aber entgegen der gewöhnlichen Meinung in ausge-
dehnter Weise geschehen, wovon noch heute einzelne
Porzellane in den preussischen Schlössern Zeugnis
geben. Ich glaube dann ferner, das Verdienst des
bemalte Fi^^uren. 2S cm hoch.
Hamburg.)
136
NEUES ÜBER ALTMEISSNER PORZELLAN.
Vase, weiss ^belegt«, 33,5 cm hoch.
(Qraf K. v. Brühl, Seifersdorf.)
Kommer-
zienrats Hei-
big um die
Eriialtung
der Fabrii<
auf das rich-
tige Mass zu-
rückgeführt
zu haben
So uneigen-
nützig, wie
man früher
annahm,
scheint mir,
hat Heibig
niciit gehan-
delt.
hl den bei-
den folgen-
den Perio-
den habe ich
versucht, die
einzelnen
Qründe,wel-
che den all-
mählichen
Verfall her-
beiführten,
zu kenn-
zeichnen. Den ersten Anlass hierzu hatte sicher der
Krieg gegeben. Von dem Bezahlen grosser Pacht-
summen und dem unentgeltlichen Abgeben vieler
Porzellane hat sich Meissen bei dem damaligen Auf-
blühen der Konkurrenzfabriken lange nicht erholen
können. Dazu kam noch, dass es in dieser Zeit an
einer kräftigen und mächtigen künstlerischen Persön-
lichkeit fehlte. Dies alles, femer die Anstellung des
Pariser Bildhauers Acier, dessen Nebenbuhlerschaft
mit Kaendler, die Missstände unter der Leitung Mar-
colini's bis zu dessen am i. Januar 1814 erfolgter
Abdankung, ist ausführlich und mit vielen noch nicht
bekannten Einzelheiten, besonders betreffs des künst-
lerischen Betriebes, geschildert worden.
Am Schluss habe ich dem Markenwesen ein Kapitel
eingeräumt. Dies ausserordentlich schwierige Gebiet
ist meines Wissens bisher im Zusammenhange über-
haupt noch nicht behandelt worden. Einige gelegent-
liche Andeutungen und Markentafeln waren alles, was
man bis dahin hierüber kannte. Die letzteren waren
aber nicht allzuviel wert, da in ihnen, besonders nach
dem Vorgange von Graesse, eine grosse Anzahl in
der Form wenig voneinander abweichende Schwer-
termarken mit verschiedenen Jahreszahlen aufgeführt
waren. Darnach musste man glauben, dass die Form
der Schwerter in diesem Jahre so, in jenem anders
gewesen sei. Ich bin zu einem anderen Resultate
gekommen und zwar auf Grund meiner Untersuchungen
über die Art, wie die Markierung in Meissen bewerk-
stelligt wurde. Um dies ganze, immerhin etwas schwie-
rige Gebiet übersichtlicher zu gestalten, habe ich die-
jenigen Marken, welche nur auf den inneren Betrieb
Bezug nehmen, die Arbeitermarken, von den Fabrik-
marken getrennt.
Es war mir möglich, aktenmässig nachzuweisen:
die erste Anwendung von K. P. M., die Verfügung,
dass die Marke AR nur für die Porzellane der Könige
August II. und III. verwandt werden sollte, welche
Bedeutung der sogeannte Merkurstab mit und ohne
Punkt gehabt habe u. dgl. m. Ich spreche weiter die
Vermutung aus, dass K. P. M. von 1723 bis höchstens
1730, die Schwertermarke von 1725 bis heute, AR
von 1725 bis 1740 und der sogen. Merkurstab von
1727 bis 1735 gebraucht worden sind.
Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen,
dass mir die mit mir zum Komitee zusammengetre-
tenen Herren, Cornelius Gurlitt und Arthur von Haugk,
während der Herausgabe des Werkes jederzeit in
weitgehender Weise ihre Unterstützung zu Teil wer-
den liessen.
Meine Ausführungen sind von einem ausnahms-
weise reichen Abbildungsmateriale begleitet, das in
15 Chromolithographien, 15 Heliogravüren und 219
Textillustrationen weit über 500 den verschiedensten
Sammlungen entnommenen Meissner Porzellane ver-
anschaulicht. Jedes Kapitel zeigt ausserdem eine An-
fangsleiste, Initiale und Schlussstück, die sich aus für
die betreffenden Zeilen charakteristischen, Meissner
Porzellanen entnommenen Motiven zusammensetzen.
Die Verlagsbuchhandlung hat bei der Ausstattung
Altnieissner Porzellan. Vase, weiss »belegt«, 54,5 cm hoch.
(Oraf K. V. Brühl, Seifersdorf.)
KLEINE MITTEILUNGEN
137
keine Mühe gescheut. Sie hat die erwähnten Abbil-
dungen nicht nur ausserordenthch sorgfältig ausge-
führt, sondern auch des besseren Verständnisses wegen
die Böttger- Steinzeuge braun, die blaubemalten Por-
zellane blau drucken lassen. Auch das Vorsatzpapier
und der blau und weiss gehaltene Einband zeigen
Meissner Motive. Dass von der Verlagsbuchhandlung
ein sorgfältig und praktisch angelegtes, sehr ausführ-
liches Register hinzugefügt worden ist, wird den
Gebrauch des Buches wesentlich erleichtem.
K. BERLING.
Kopfleiste.^gez. von Maler M.f SELIGER, Lehrer am Kgl. Kuiistgew.-Mus., Berlin.
KLEINE MITTEILUNGEN
VEREINE
BERLIN. Im Verein für deutsches Kunstgewerbe
in Berlin wurden in der Zeit von Oktober bis
Ende Dezember 1899 folgende vier Vorträge
gehalten, die meist durch entsprechende Ausstellungen
und Lichtbilder illustriert waren: Am 11. Oktober
sprach Herr Professor Karl Hoffacker über die Ge-
staltung der Pariser Weltausstellung 1900; am 8. No-
vember führte der Direktor des Buchgewerbe-Museums
in Leipzig, Herr Dr. R. Kautzsch, den modernen Holz-
schnitt und seine Aussichten vor; am 29. November
sprach Herr Julius Leisching, Direktor des Mährischen
Oewerbemuseums in Brunn, über alte und neue
Möbelbeschläge und am 1 3. Dezember Herr C. Götze,
Vorsitzender der Lehrervereinigung für die Pflege der
künstlerischen Bildung in Hamburg, über die Reform
des Zeichnenunterrichtes. — In der am 10. Januar
stattgehabten Generalversammlung des Vereins wurden
bei der statutengemässen Vorstandswahl gewählt als
Vorsitzender: Herr Architekt Professor Karl Hoffacker;
1. Stellvertreter des Vorsitzenden: Herr Direktor Dr.
P. Jessen; 2. Stellvertreter des Vorsitzenden: Herr
Geh. Hofrat E. Schröer; Schatzmeister: Herr Fabri-
Kunstgewerbeblatt. N. F. XL H. 7.
kant Gustav Rading; Schriftführer: Herr Maler Ernst
Flemming; i. Stellvertreter des Schriftführers: Herr
Prokurist Ernst Heiberg; 2. Stellvertreter des Schrift-
führers: Herr Fabrikant Paul Schirmer. Als Aus-
schussmitglieder gingen aus der Wahl hervor die
Herren: Professor E. Doepler d. j., Wirkl. Geh. Oberreg.-
Rat K. Lüders, Fabrikant A. Müller, Fabrikant W. Quehl,
Schlossermeister R. Schaale und Goldwarenfabrikant
L. Schluttig. E. FL.
KÖNIGSBERG i. Pr. Der Kunstgewerbe -Verein
hat seit unserem letzten Bericht (Juni-Heft 1899)
eine weitere gedeihliche Entwicklung genommen.
In mehreren vorberatenden Sitzungen und zwei General-
versammlungen wurden neue Satzungen beschlossen,
aus deren Inhalt hier lediglich die Erhöhung des
Jahresbeitrags von 9 auf 1 2 Mark erwähnt sei. Während
des Sommers wurden der neue, edlem Sport gewidmete
und recht eigenartig eingerichtete Bau der Palästra
Albertina, ferner die Universität, das Simering-Museum
und die dem 17. und 18. Jahrhundert entstammenden
wertvollen Stuckdecken im Rathaus gemeinsam be-
sichtigt; auch wurde ein Ausflug nach Lochstädt,
einem Schloss der Deutschordensritter mit zierlichen
21
138
KLEINE MITTEILUNGEN
dekorativen Bildhauerarbeiten des 13. und umfang-
reichen, erst vor 3 — 4 Jahren entdeckten Wand-
malereien des 14. Jahrhunderts unternommen. Bei
den beiden vom Verein veranstalteten Preis-Ausschreiben
siegten die Herren C. Andreae (Bemalung eines ein-
fachen Schrankes) und Nitsch (farbiger Umschlag für
die Satzungen). Aus dem Verlauf der Vereinssitzungen
sei folgendes herausgehoben. In der Juni -Sitzung
sprach Herr Andreae über die Bedeutung des Bern-
steins für das Kunstgewerbe; infolge der lebhaften
Erörterung, die sich hieran knüpfte, soll der für das
Königsberger Kunstgewerbe so wichtige Gegenstand
späterhin nochmals zur Verhandlung gelangen. Am
1 7. November hielt Herr Messelhäuser einen fesselnden
Vortrag über: Stuckmarmor und stucco lustro, wobei
er die Technik auseinandersetzte und zahlreiche von
ihm bei Herrn Glaubitz in Königsberg ausgeführte
Arbeiten in z. T. recht grossen und durchweg vor-
trefflich gelungenen Platten vorlegte; zum Vergleich
waren auch die verschiedensten echten Marmorarten,
z. T. Originalstücke aus antikrömischen Kaiserpalästen
(Palatin, Villa des Hadrian u. s. w.) ausgestellt. Am
11. Dezember gab Herr Dr. Ehrenberg einen Über-
blick über die Geschichte der Töpferkunst mit be-
sonderer Berücksichtigung Bernard Palissy's; Frau
Rittergutsbesitzer Behrend aus Arnau bei Königsberg
hatte im Jahre 1898 in den Pyrenäen unter merk-
würdigen Umständen, die den Gedanken an eine
Fälschung ausschliessen, eine echte Schale Palissy's
(in der bekannten Art mit über Natur geformten
Tieren u. s. w.) entdeckt und sie, sowie eine in der
Sevres- Manufaktur angefertigte Nachbildung dem Verein
für diesen Abend überlassen ; Herr Direktor Dr. Jessen
hatte ausserdem eine grössere Zahl einschlägiger
Photographien gesandt, so dass sich ein übersicht-
liches Bild über Palissy's Wirksamkeit gewinnen Hess.
Am 8. Januar behandelte Herr Messelhäuser den Stuck
und führte die verschiedenen Arten des Gussverfahrens
praktisch vOr. An weitere Kreise des Königsberger
Publikums wandte sich ein Vortrag, den der Direktor
der Bibliothek des Berliner Kunstgewerbemuseums,
Herr Dr. Jessen am 12. Januar über »die Aufgaben
des heutigen Kunstgewerbes« unter Vorführung von
Lichtbildern hielt; die grosse Aula des Altstädtischen
Gymnasiums vermochte die Zuhörer kaum zu fassen,
die dem Redner für seine glänzenden, fast zwei
Stunden währenden Darlegungen mit lang anhaltendem
Beifall dankten. Zu diesem bedeutenden äusseren
Erfolge, den Herr Dr. Jessen in selbstloser Bereit-
willigkeit der Sache des Kunstgewerbes in Königsberg
bereitete, gesellte sich bald ein zweiter, indem Herr
Stadtrat Prof. Dr. Walter Simon dem Verein die
Summe von 500 Mark überwies, aus der in erster
Linie ein Skioptikon beschafft werden soll. Von
einem ungenannt gebliebenen Mitglied war dem Verein
vorher der Betrag von 100 Mark zugegangen. Eine
wesentliche Vereinsförderung ist auch darin zu er-
kennen, dass infolge eines besonderen Abkommens
die Mitglieder vom 1. Januar I. J. ab ohne weitere Nach-
zahlung Dauerkarten zum Besuche des neugegründeten
Kunstsalons von Bon bekommen, der nach dem Vor-
bilde von Keller & Reiner eine ständige und häufig
wechselnde Ausstellung hervorragender neuer Kunst-
werke und kunstgewerblicher Neuheiten unterhält. —
Den Vorstand des Vereins bilden seit November v. J.
die Herren: Dr. Ehrenberg, Vgl. Archivar und Privat-
dozent, Vorsitzender; Glaubitz, Fabrikbesitzer und
Architekt f. Kunstgewerbe, stellvertretender Vorsitzender;
C. Andreae, Architekt für Kunstgewerbe, Schriftführer;
Bernhardt, Malermeister, stellvertretender Schriftführer;
Emil Allzeit, Architekt für Kunstschmiede-Arbeiten,
Schatzmeister; Köhler, Malermeister, Bibliothekar;
Schwartz, Lithograph und Buchdruckereibesitzer. Über
die Aufnahme neuer Mitglieder entscheidet ein Aus-
schuss, der aus dem Vorstand und den Herren
Holzbildhauer Boy, Malermeister Leo Müller, Ver-
golder Trogisch und Malermeister Schultz zusammen-
gesetzt ist; die beiden letzten Herren sind zugleich
zu Rechnungsprüfern gewählt.
WETTBEWERBE
OPPELN. Ideenwettbewerb zur Erlangung von
Entwürfen für einen Monumental - Brunnen
mit figürlichen Darstellungen auf dem Minerva-
platze, 'ausgeschrieben von dem Ministerium der geist-
lichen u. s. w. Angelegenheiten unter allen preussischen
und in Preussen ansässigen deutschen Bildhauern. Aus-
gesetzt sind zehn gleiche Preise von je 500 Mark.
Über die Verteilung derselben entscheidet die Landes-
Kunstkommission, welcher zwei Vertreter der Stadt
Oppeln mit Stimmrecht hinzutreten. Es ist in Aus-
sicht genommen, mit dem Verfasser eines preisge-
krönten Entwurfes wegen der Ausführung des Werkes
in Verbindung zu treten oder einen engeren Wett-
bewerb unter mehreren preisgekrönten Verfassern zu
veranstalten. Einzuliefern bis zum 10. Mai d. J. Die
Preisausschreiben nebst Lageplan versendet unentgelt-
lich das Bureau der Kgl. Akademie der Künste in
Berlin NW., Universitätsstrasse 6 und das Magistrats-
bureau in Oppeln. -u-
AUSSTELLUNGEN
KARLSRUHE. Deutsche Olasmalereiausstellung in
Karlsruhe im Jahre igoi. Der Badische Kunst-
gewerbeverein hat auf Anregung seines Vorsitzen-
den, Herrn Kunstgewerbeschuldirektor Götz, in der Ge-
neralversammlung vom 22. Januar den einmütigen Be-
schluss gefasst, im kommenden Jahre igoi in Karlsruhe
eine Deutsche Glasmalerei-Ausstellung zu veranstalten.
Schon vor mehr als einem Jahrzehnt hat man bei uns
den Wert der Spezialausstellungen für einzelne kunst-
gewerbliche Betriebe erkannt und den Gedanken auch
alsbald in die That umgesetzt. Im Jahre 1 887 wurde
eine Deutsche Kunstschmiedeausstellung abgehalten,
vier Jahre später folgte eine Deutsche Fächerausstellung.
Beide haben nicht bloss nachhaltig die Entwicklung
der betreffenden Zweige kunstgewerblicher Thätigkeit
gefördert, sondern auch befruchtend auf das heimische
Kunstgewerbe überhaupt eingewirkt. Dem gleichen
Zweck soll auch die geplante Glasmalereiausstellung
KLEINE MITTEILUNGEN
139
dienen, die zum erstenmale das gesamte Gebiet der
einst so bedeutenden, dann aber lange Zeit vernach-
lässigten und erst in unsern Tagen wieder zu Ehren
gekommenen Kunsttechnik in erschöpfender Weise
vorführen wird. Bereits sind Einladungen zur Be-
teiligung an zahlreiche Interessenten ergangen, soweit
dieselben ermittelt werden konnten und ihnen die
betreffenden Bedingungen zugesandt worden. Durch
diese Zeilen sollen auch andere Anstalten für Glas-
malerei und ebenso die ausübenden Künstler, denen
etwa eine Einladung nicht zugekommen ist, sowie
weitere Kreise auf das Unternehmen aufmerksam ge-
macht werden.
Die geplante Ausstellung — wie schon erwähnt,
die erste ihrer Art — will ein übersichtliches Ge-
samtbild über die Glasmalerei und die verwandten
Techniken geben und wird daher zunächst eine
moderne Abteilung enthalten, welche eigentliche Glas-
gemälde, Kunstverglasungen und Glasmosaiken. Glas-
ätzungen und schliesslich Kartons und Entwürfe zu
einschlägigen Werken enthält. Während diese Gruppe
die mannigfaltigen Bestrebungen wie die technischen
Fortschritte und die erzielten Leistungen der Gegen-
wart auf den genannten Gebieten vor Augen führen
soll, wird eine zweite Abteilung stilistisch und technisch
interessante Arbeiten aus früheren Kunstperiuden ver-
einigen und bei hinreichender Beteiligung die ver-
schiedenen historischen Entwicklungsstufen der Glas-
malerei veranschaulichen. In einer dritten Abteilung
sollen schliesslich die wichtigsten Text- und Illustrations-
werke über Glasmalerei und verwandte Techniken
zusammengestellt werden, um den Besuchern der
Ausstellung weitere Anregung zu vermitteln. Die
Einladung zur Beteiligung ergeht daher an die
deutschen Glasmaler und an die entwerfenden Künst-
ler, an die Besitzer von Glasgemälden und an die
Buch- und Verlagshandlungen. Die hervorragendsten
Arbeiten der modernen Abteilung erhalten Auszeich-
nungen in der Form von Ehrenpreisen und Medaillen.
Das Preisgericht wird aus sieben Fachmännern be-
stehen: zwei Glasmalern, zwei Malern, zwei Archi-
tekten nnd dem Vorsitzenden der Ausstellungs-
kommission. Die Namen derselben werden später
bekannt gegeben.
Als Ausstellungsraum ist der ^bis Anfang des
kommenden Jahres fertiggestellte Neubau der Grossh.
Kunstgewerbeschule in Karlsruhe vorgesehen. Für
eine Ausstellung von Glasmalereien erscheint dieser
besonders geeignet, da er ausser den zahlreichen
sonstigen Lichtöffnungen allein 40 grosse Fenster mit
Nordlicht enthält, über deren Form und Grösse den
Interessenten ein autographiertes Fensterverzeichnis
auf Verlangen zugesandt wird. Für grössere Glas-
malereien, wie Kirchenfenster u. s. w., die wegen der
beträchtlichen Abmessungen im Schulgebäude nicht
unterzubringen sind, wird ausserdem nach Bedarf ein
besonderer Anbau mit Nordlicht erstellt, so dass allen
Ansprüchen in weitgehendstem Masse Rechnung ge-
tragen werden kann. Aus naheliegenden Gründen
ist für letztere Kunstwerke eine Platzmiete zu ent-
richten, welche für den Quadratmeter 20 M. beträgt.
während alle im Hauptbau aufgestellten Gegenstände
davon befreit sind. Die Aussteller grosser Fenster
haben daher im Anmeldebogen anzugeben, ob die
Unterbringung im Anbau gewünscht wird, oder ob
die Fenster, in Einzelteile zerlegt, im Schulgebäude
untergebracht werden sollen. Weiter ist zu erwähnen,
dass die Ein- und Zurücksendung der Ausstellungs-
gegenstände auf Kosten und Gefahr der Besteller
erfolgt, das Aus- und Einpacken und die Rücksendung
dagegen das Unternehmen auf eigene Kosten besorgt.
Auf Wunsch übernimmt die Ausstellungskommission
auch die Vermittlung über die Versicherung gegen
Feuersgefahr bei einer Ortsagentur auf Grund gegen-
seitiger Verständigung. Die Anmeldung zur Aus-
stellung hat längstens bis zum 1. November igoo zu
erfolgen. Im Anmeldebogen sind die für den herzu-
stellenden Ausstellungskatalog erwünschten Notizen
zu vermerken. Auch wird um Überlassung von etwa
vorhandenen Autotypieslöcken , die zur Illustration
des Katalogs geeignet erscheinen, gebeten.
Zur bleibenden Erinnerung an die Ausstellung
beabsichtigt der Badische Kunstgewerbeverein ein
Werk herauszugeben, welches die besten Arbeiten
der modernen wie der historischen Abteilung zu-
sammenfasst. —
Dem geplanten Unternehmen ist dadurch eine
wesentliche Förderung zuteil geworden, dass S. K- H,
der Grossherzog Friedrich von Baden das Protektorat
und S. K- H. der Erbgrossherzog das Ehrenpräsidium
übernommen haben. Gewiss wird denselben auch
eine rege Unterstützung von selten der_ Glasmalerei-
anstalten wie der ausübenden Künstler zuteil. Be-
kanntich ist der Sinn für künstlerisch behandeltes
Glas im Volk wieder erwacht, nicht bloss in Kirchen
und öffentlichen Gebäuden , auch in den bessern
Privathäusern findet es mehr und mehr Eingang.
Bedeutende Künstler wenden sich wieder dem inter-
essanten Kunstgebiet zu, zahlreiche Anstalten für
Glasmalerei sind entstanden. Auch Baden hat eine
Reihe leistungsfähiger Geschäfte in Freiburg, Karls-
ruhe, Offenburg, Heidelberg, Konstanz aufzuweisen.
EineZusammenfassung der mannigfaltigen Bestrebungen
in einer Fachausstellung erscheint um so wünschens-
werter, als bei allen grösseren und kleineren allge-
kleinen Ausstellungen die Glasmalereien nie recht zur
Geltung kommen, meist schon aus dem Grunde, weil
sie nur in ungenügender Weise aufgesellt werden
können. Ohne Zweifel hat der badische Kunstgewerbe-
verein mit der geplanten Ausstellung einen glücklichen
Griff gethan und er wird sie jedenfalls in ebenso
erfolgreicher Weise durchführen wie die vorausge-
gangenen Veranstaltungen auf anderen Gebieten kunst-
gewerblichen Schaffens. M.
PARIS. Französische keramische Jahrhundert-
Ausstellung. Im Namen der mit der Aufstellung
der französischen Abteilung der Klasse 72 der
Pariser Weltausstellung betrauten Personen hat Ed.
Garnier, der Konservator des keramischen Museums
von Levres, sich in einem offenen Briefe an den Her-
ausgeber des Journal des arts gewandt, um dessen
140
ZU UNSERN BILDERN
Beihilfe für den von ihnen unternommenen schwierigen
Versuch zu erbitten, eine nach Mögiichi<eit vollständige
und anziehende Ausstellung der französischen Keramik
des 19. Jahrhunderts ins Leben zu rufen.
In dem Briefe wird ausgeführt, dass man
für diese Ausstellung nicht, wie in der
Regel bei anderen, rückschauenden Aus-
stellungen, lediglich an bekannte Thüren zu
pochen brauche, denn es giebt keine Samm-
ler neuzeitiger Keramik, ausgenommen eine
kleine Anzahl von Liebhabern, die es sich
haben angelegen sein lassen, einzelne der
bemerkenswertesten, im Laufe der letzten
fünfzehn Jahre in den Salons ausgestellten
Arbeiten zusammen zu bringen. Das der
geplanten Ausstellung gesteckte Ziel ist in
der Hauptsache, die Art von Renaissance
vorzuführen, welche nach dem Zustande von
Stockung, oder richtiger Erstarrung, einge-
treten ist, in dem die keramische Kunst sich
während der ersten Hälfte des Jahrhunderts
fortgeschleppt hat. Diese Bewegung trat
zuerst etwa um 1850 schüchtern zu Tage,
um dann gegen das Jahr 1 875 zu der herr-
lichen Blüte zu gedeihen, welche vorzugs-
weise mit dem Namen Theodor Duck ver-
knüpft ist. Es wird verhältnismässig leicht
sein, einige schöne und interessante Proben
von Arbeiten der in dem Briefe namhaft ge-
machten Keramiker von Fach aus diesem Zeit-
abschnitte zusammen zu bringen ; ausserdem
sind aber noch andere, sehr viel seltenere,
jedoch vorzugsweise erwünschte Arbeiten
vorhanden, die von zahlreichen und her-
vorragenden, indes nur zeitweise auf kera-
mischem Gebiete thätig gewesenen Künst-
lern herrühren. Darüber, wo Arbeiten dieser
Art zu finden sind, bekennt der Verfasser
des Briefes in vollständiger Unwissenheit
zu sein und dankt im Voraus denen, die
ihn auf alles aufmerksam machen werden,
was dazu beitragen kann, an der Hand
der Erzeugnisse der französischen Keramik
des Jahrhunderts ihre bisher, aus Mangel
an Belegstücken, noch niemals geschriebene Geschichte
darzustellen. -ss-
ZU UNSERN BILDERN
Der Entwurf zum Umschlag dieses
Heftes rührt vom Architekt G. Siedle in
Berlin her, während die Zeichnung zum
Umschlag des letzten Heftes, wie nach-
träglich bemerkt sein mag, vom Maler
W. Weimar in Berlin geliefert wurde.
Die diesem Hefte mit gütiger Geneh-
migung der Herren F. A. Brockhaus beige-
gebenen Abbildungen aus dem Werke:
»Das Meissner Porzellan und seine Ge-
schichte 1709 — 1814 von Karl Beding«
können natürlich keinen genügenden Beweis
für die überaus sorgfältige und reiche Aus-
stattung des Werkes geben. Mit Rücksicht
darauf, dass das Werk auf der Pariser Welt-
ausstellung dieses Jahres in der deutschen
buchgewerblichen Abteilung berufen sein
soll, Zeugnis abzulegen für die gediegene,
künstlerische Ausstattung, welche man in der
letzten Zeit immer mehr den Erzeugnissen
des deutschen Buchgewerbes zu geben be-
strebt ist, hat Anlass gegeben, dass das
Werk aus den für die Weltausstellung be-
reit gehaltenen Mitteln vom Reichskommissar
dotiert worden ist. Wir heben diesen Um-
stand als Beweis dafür hervor, dass die
Verlagsbuchhandlung wie der Verfasser des
Werkes alles daran gewendet haben, dem
Werke eine dem Werte des Inhaltes ent-
sprechende Ausstattung zu geben. Für die
Illustrationen sind je dem Gegenstande ent-
sprechend die geeignetsten Reproduktions-
verfahren in Anwendung gekommen. Über
die Reichhaltigkeit der Abbildungen ver-
weisen wir auf die Schlussausführungen des
Verfassers des Werkes, der in seiner kurzen
Abhandlung auf S. 136 dieses Heftes da-
rüber nähere Angaben macht.
Buchverzierung, gezeichnet von LÜHRIG.
Herausgeber und für die Redaktion verantwortlich: Professor K^rl Hoffacker, Architekt in Charlottenburg- Berlin.
Druck von Ernst Hedrich Nach/., O. m. b. H. in Leipzig.
Kopfleiste, gezeichnet von C. ADAMS.
DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNG
(ARTS AND GRAFTS EXHIBITION)
IN NEW GALLERY, REGENT STREET, LONDON.
Seitdem im Jahre 1888 der »Verein für kunst-
gewerbliche Ausstellungen« (Arts and Grafts Ex-
hibition Society) in London zum erstenmale
seine Pforten öffnete und der Welt den neuen Geist,
der sich unter der Führerschaft William Morris' einer
ganzen Kunstgemeinde aufgeprägt hatte, offenbarte,
seitdem sind die Londoner Arts - and - Grafts - Aus-
stellungen in der gesamten Kunstwelt zu Ereignissen
ersten Ranges geworden. Auf diesen Ausstellungen
wurde es zuerst zur Oewissheit, dass sich auf eng-
lischem Boden in aller Stille eine neue Formenwelt
vorbereitet hatte, von der die Welt nichts geahnt
hatte, dass sich hier Knospen zum Aufbruch be-
reiteten, die möglicherweise einen neuen Kunstfrühling
in unsere alternde Kultur heraufzaubern konnten.
Vor allem wurde es den kontinentalen Ländern l<lar,
dass, während sie sich noch in dem Wiederholen der
alten Stile genügten, hier wirklich ein neuer Ausgang
genommen war, von dem sich manches und vielleicht
das Höchste erhoffen Hess. Wer die letzte dieser
Reihe von Ausstellungen im Herbst 1896 durch-
wanderte, konnte sich mit Erstaunen des weiten Ab-
standes bewusst werden , der die englische Kunst-
entwicklung von der festländischen in den Kleinkünsten
trennte.
Seitdem haben sich die Verhältnisse in einer merk-
würdigen Weise geändert. Eine neue Kunst ist auch
auf dem Kontinent in die Höhe geschossen, und es
wird in ihrer Bethätigung ein Eifer entfaltet, der alle
früheren Versäumnisse im Sturm wieder gut machen
zu wollen scheint. Kühn genommene Anfänge sind
in ganz kurzer Zeit zu einer Reife entwickelt worden,
die erstaunlich sein würde, wenn sie überall gesund
und natürlich wäre. Zum mindesten muss man in-
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 8.
dessen zugestehen, dass die neue kontinentale Kunst,
obgleich im letzten Grunde auf den Schultern der
englischen Bewegung stehend, eine selbständige ist
und in anderer Richtung sich entwickelt, wie die
englische.
Bei dieser Sachlage musste man auf die im
Herbst 1899 stattfindende sechste Ausstellung des
englischen Vereins ganz besonders gespannt sein.
Hatte England Schritt gehalten mit dem Kontinent?
Waren seine vorhandenen neuen Anfängn in derselben
Breite erweitert worden, wie die kontinentale Kunst
neugestaltet worden war? Wie stellte sich ein Ver-
gleich zwischen der englischen und der neuen fest-
ländischen Kunst?
Die Ausstellung in Regentstreet giebt die Antwort auf
diese Fragen nur in unvollkommenem Masse. Sie wird
dem Beschauer, und zumal dem kontinentalen, Ver-
anlassung geben , ein weniger günstiges Urteil zu
fällen, als die früheren Ausstellungen ihm abnötigten.
Wir sind bei uns daran gewöhnt, auf ähnlichen Aus-
stellungen besondere, von langer Hand vorbereitete
Veranstaltungen zu sehen, Aufstellung ganzer Zimmer,
Unterordnung der ganzen Aufstellungsart unter einen
einheitlichen künstlerischen Gedanken. Nichts von alle-
dem ist hier geschehen. Niemand hat besondere Vor-
kehrungen für die Ausstellung getroffen, nirgends hat
sich eine Künstlergruppe zu einer abgeschlossenen
Leistung vereinigt. Das sich hierin aussprechende
starke Mass von Gleichgültigkeit ist für die Wirkung
der Ausstellung bedauerlich, aber dem Kenner
englischer Verhältnisse geläufig. Einmal ist der eng-
lische Gewerbetreibende bei der jetzt herrschenden Hoch-
flut des Geschäftsdranges gerade augenblicklich stark
beschäftigt, er hat nicht Zeit, besondere Ausstellungs-
22
142 DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNO IN NEW GALLERY, LONDON
stücke herzustellen. Dann aber besitzt er überhaupt
eine starke Abneigung gegen jede Art von Ausstellungen,
die besondere Opfer von ihm verlangen. So kommt
es, dass eine ganze Reihe der bekanntesten englischen
Gewerbekünstler überhaupt nicht ausgestellt haben,
sie lassen Lücken, deren sich der Uneingeweihte nicht
bewusst wird. Die jetzige Ausstellung ist im allge-
meinen nichts als eine Zusammenstellung der in den
verschiedenen Künstlerwerkstätten zufällig vorhandenen
und abkömmlichen, für andere als für Ausstellungs-
zwecke gefertigten Sachen.
Freilich ist, das muss zu-
gestanden werden, bei Durch-
musterung der Ausstellerliste
der Umstand überraschend,
dass sie ziemlich genau mit
der Liste von 1896 überein-
stimmt. Fast kein neuer Name
tritt auf, kein neues Talent
macht sich geltend. Auch die
Ausstellungsgegenstände wei-
sen fast genau denselben Cha-
rakter auf, wie die vor drei
Jahren. Man hat wieder die
Stoffe von Voysey, die Metall-
\yr
Sachen von Dawson wie damals, man sieht die Schmuck-
sachen von Ashbee, die Einbände von Cobden Sander-
son, die man 1 896 bewunderte, und sie beherrschen ge-
rade noch so das Feld wie damals. In dieser Stetigkeit
scheint sich ein gewisserStillstand bemerklich zu machen.
Noch eineandere kleineNebenerscheinungist bedenklich;
man fängt an, sich einem deutlich hindurchblickenden
Selbstkultus in den Reihen jener Männer hinzugeben,
die einst so tapfer vorkämpften, um die Phalanx der
künstlerischen Interesselosigkeit des Publikums zu
durchbrechen. Abgesehen davon, dass etwa der vierte
Teil der ganzen Ausstellung
den Werken des seit drei Jah-
ren toten William Morris ge-
widmet ist, macht sich eine
gewisse Wichtigthuerei der Ge-
meinde, die dem Meister ihr
Dasein verdankt, in vielen Ne-
bensächlichkeiten bemerkbar.
Man hat oft Gelegenheit, die
feierliche Miene zu belächeln,
mit welcher nichtige Kleinig-
keiten vorgeführt werden, die
Wichtigkeit, mit welcher der
Katalog eine Reihe von oft
Naturstudien von HERMANN HEIDRICH, Berlin.
DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNG IN NEW GALLERY, LONDON 143
fünf oder sechs Personen aufzählt, welche an einem bescheidenen
Bauernstuhl, an einem silbernen Löffel mitgewirkt haben. Das sonst
sehr zu billigende Bestreben, dem Hersteller jeden Dinges sein Recht
zu gewähren, kann auch so weit getrieben werden, dass es lächerlich
wirkt.
Ist der Eindruck der Ausstellung der, dass sie nicht so gut ist,
wie man hätte erwarten können, so lehrt ein weiteres Studium der-
selben doch, dass sie besser ist, als sie auf den ersten Blick zu
sein scheint. Einzelne Gebiete sind vorzüglich vertreten, so vor allem
der Schmuck, die Metallarbeiten und die auf das Buch bezüglichen
Gewerbe. Stoffe sind in derselben Vorzüglichkeit wie früher vorhanden,
ein Schrank mit Gläsern erregt unsere Bewunderung, die dekorative
Malerei und Plastik hat einige gute Leistungen aufzuweisen. Dagegen
zeigen einige andere Gebiete wieder eine ganz auffallende Leere, und
dahin gehört vor allem dasjenige, das man als Hauptgebiet einer Aus-
stellung ähnlicher Art ansehen müsste, das des Möbels.
An Möbeln hat die meisten und auch die auffallendsten Stücke
C. R. Ashbee gesandt. Namentlich zwei reich verzierte Damenschreib-
tische fallen
durch ihre un-
gewöhnliche
Erscheinung
auf. Eine ziem-
lich plumpeGe-
samtform ist
durch reich ver-
zierte Zusatz-
teile interessant
gemacht, das
ganze Möbel so-
zusagen in zwei
Teile zerlegt, in
den Grundkör-
per und den
Schmuck. Der
letztere, an sich
sehr reizvoll,
verliert 'r durch
die gleichartige
Wiederholung
an Wirkung; die
in Handarbeit
hergestellten
Zierteile er-
wecken in ihrer
Vielheit den
Eindruck der
Fabrikarbeit.
Bei dem grös-
seren Schranke
stört die An-
bringung brei-
ter, die Ham-
merschläge zei-
gender schmie-
deeiserner Bän-
der auf der fein
polierten Maha-
gonifläche. Die
Schreibtafel
ruht in beiden
aa*
Naturstudien von HERMANN HEIDRICH, Berlin.
144 DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNG IN NEW GALLERY, LONDON
In Silber montiertes Tiffanyglas von Hofgoldschmied
SCHAPER, Berlin.
Fällen auf Ausschiebehölzern von einer ganz auf-
fallenden Massigkeit. Aber ein Gutes lässt sich
von beiden Schränken sagen, sie verkörpern den
wichtigen Gedanken, nicht nur das Äussere, sondern
auch das Innere gehörig auszubilden. Die ganze
bei geöffneten Thüren sichtbare Fläche des Innern
ist in feinem hellen Holze gearbeitet und zeigt die
kostbarste Ausbildung in eingelegtem, zum Teil
plastisch heraustretenden Holze. — Einige weitere
Stücke Ashbees zeigen ungefähr den gleichen Charakter,
man könnte sagen, sie taumeln zwischen Bauerntum
und Verfeinerung hin und her, nicht ohne dabei einen
starken Stich ins Affektierte zu zeigen.
Ganz anders treten Voysey's Möbel auf. Sie sind
klar und werkmässig gedacht, verkörpern ohne Um-
schweife ihren Zweck und atmen in der Erscheinung
der schlichten , ungeheizten Eichenholzflächen eine
gewisse saubere Bürgerlichkeit, aber sie streifen auch
stark ans Nüchterne. Sie sind kaum anders als in
einer Bauernstube denkbar. Das starke Unterstreichen
der Konstruktionsmotive, häufig, wie bei den Arm-
stühlen, auf Kosten der Bequemlichkeit, ist heute, wo
man wieder werkmässig zu arbeiten versteht, wohl
kaum mehr am Platze. Auch Voysey ist von Affektiert-
heiten nicht frei , wie die scharfen Spitzen an den
Rückenlehnen seiner Armsfühle zeigen.
Wie weit indessen die Verirrung in dieser
Richtung gehen kann, zeigt ein Anrichteschrank von
H. Barnsley, ein in einer Art Zimmermannsarbeit roh zu-
sammengefügtes Eichenholzmöbel, das etwa unserm
Kulturzustande zur Zeit der Römereinfälle entsprechen
würde. Selbst der Gedanke der Rahmen und Füllungen
erscheint dem Verfasser zu kultiviert, er wählt Bretter-
thüren; statt Metallgriffen zeigt das Möbel mit Huf-
nägeln aufgenagelte Holzgriffe, die Zapfen der Pfosten
reichen bis zur Tischplatte durch und zeigen oben
die eingetriebenen Holzkeile. Das Möbel atmet
förmlich die Atmosphäre des Bauernhofes. Und
doch geniesst es die Bewunderung der -Arts- and-
Crafts- Clique« und ihres litterarischen Anhanges.
Neben einer guten Anzahl braver Leistungen, die
aber nichts besonders Bemerkenswertes bieten, bleiben
eigentlich an guten Möbeln der Ausstellung nur zwei
Stücke übrig, ein Scl|jubfachschrank in Teakholz von
M. Macartney und ein Kleiderschrank von Heal. Der
letztere, einfach und vernünftig in der Form, hat
einen recht wirksamen Schmuck in einem Fries, der
in einem blau gebeizten Holzstreifen die Einlage von
Ornamenten und Zierschrift in Zink zeigt.
Auffallenderweise bemerkt man an vielen der
Möbel Mängel in der Ausführung, die in Deutschland
heute nicht mehr möglich sein würden. Nicht genau
eingepasste Holzteile, rohe Schrauben, zu grosse
Zapfenlöcher sind keine Seltenheit.
Die Möbel sind vielleicht die grösste Enttäuschung,
die die Ausstellung bietet. Weit entfernt, den guten
Eindruck derfrüheren Ausstellungen zu wiederholen oder
zu verstärken, scheint das dies Jahr Ausgestellte eher ge-
eignet, die Vermutung aufkommen zu lassen, dass es
mit dem mo-
eng-
Mö-
dernen
lischen
bei seinem
Ende entge-
gengeht.
Den ge-
wohnten
neuengli-
schen Stil
halten nur
noch Voy-
sey's Sachen
ein. Die an-
dern Aus-
steller ent-
gleisen mehr
oder weni-
ger auf Irr-
wegen. Lei-
der ist die
Olasgower
Künstler-
gruppe auf
der Ausstel-
lung gar
nicht vertre-
ten, ebenso-
wenig wie
der poetische
Baillie Scott
In Silber montiertes Tiffanyglas von Hofgoldschmied
SCHAPER, Berlin.
DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNG IN NEW GALLERY, LONDON 145
j//
il!v '*4
B/^
^^1
^^^B i^J^m
EpS
<^^
^^^-'■'' ^M
l^^o. äfl^B^I
?.
^^^^^^^^^jML^H
■v ^^^^^^ ..fl;^
1
1
^^^Hb^^^^^^^^^^H
r
1
m^.
1
1
ifc —
L^ _
j|
1
Tiffanyglas in Silber montiert
von Hofgoldschmied H. SCHAPER, Berlin.
und der begabte Geo. Walton. Es wäre sonst ein
besserer Eindruck von dem, was in England im
modernen Möbel jetzt geleistet wird, zu erwarten
gewesen. Indessen muss bemerkt werden, dass auch
die Bestrebungen dieser Künstler vereinzelt und
ohne sehr weitreichenden Einfluss sind. Was der
ganzen Richtung hemmend anhaftet, ist der ge-
ringe Sinn für die Bedürfnisse des feineren Hauses.
In diesem sind die bäuerlichen Anläufe der neueren
Schule wenig geschätzt und auch wenig am Platze.
Hier herrscht heute, nachdem die Chippendale-Periode
vorüber ist, durchaus das Sheraton-Möbel wieder,
das, in seiner natürlichen Entwicklung um die Wende
des letzten Jahrhunderts heimisch, heute eine glänzende
Neuherrschaft über das ganze bessere englische Haus
angetreten hat. Seine fein -schlichte Form und Aus-
bildung, die ihm den Charakter einer zur reicheren
Entwicklung und Verfeinerung der Lebensführung
gelangten Bürgerlichkeit verleihen, lassen diese Herr-
schaft gerechtfertigt erscheinen. Seitdem Morris tot
ist, scheint niemand mehr vorhanden zu sein, der
ein der vornehmeren Lebensart entsprechendes Möbel
in neuartiger Form erfinden kann. Während der
Kontinent jetzt die mindestens sehr interessanten
Möbel von van de Velde, Plumet, Eckmann und
Riemerschmidt aufzuweisen hat, scheint in England
die Quelle einer lebenskräftigen Empfindung auf diesem
Gebiet mehr und mehr zu versiegen.
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 8.
Ganz anders ist dies auf dem Gebiet des Stoff-
musters. Hier kommt den Engländern der grosse
unwägbare Schatz zugute, der durch die jahrzehnte-
lange Pflege der Stilisierung der Blume angehäuft
worden ist. Pflanzenstudium und Verwendung der
Pflanze zu dekorativen Entwürfen ist in England
heute eine ganz volkstümliche Kunst, die sogar schon
den Kern des Zeichenunterrichts in der Volks-
schule bildet. Das, was ein Morris, Walter Crane
und Voysey in dieser Kunst für das Stoff- und
Tapetenmuster geleistet haben, wird daher nicht nur
von den breitesten Volksschichten verstanden und ge-
würdigt, sondern diese Erzeugnisse werden auch
massenhaft verbreitet und gekauft. Die Verhältnisse
liegen heute in England so, dass das blöde Fabri-
kantenmuster, das die vorigen Jahrzehnte beherrschte,
zum mindesten durch das neuartige künstlerische
Muster stark verdrängt, wenn nicht ersetzt wird.
Hier hat England seine Kulturaufgabe, die Kleinkünste
auf eine neue Grundlage zu stellen, am vollkommensten
und glänzendsten erfüllt. Nach William Morris, der
die Prachtreihe von Stoffen schuf, die in der gegen-
wärtigen Ausstellung die Wände des Südsaales zieren,
hat für das Stoffmuster Voysey die Führerschaft über-
nommen. Seine Stoffe sind nicht so ernst und tief,
wie die des Altmeisters. Sie sind tändelnder und
leichter im Charakter und durchaus einer andern
Stufe in der Qualitätsleiter angehörig. Die ständige
Wiederholung des stilisierten Vogels und anderer
Kinderstubenmotive schwächt auf die Dauer den Ein-
druck ab. Aber er hat doch Treffer ersten Ranges.
Und die bestellenden Fabriken kommen ihm mit
einer vortrefflichen Technik und vor allem mit einem
äusserst sichern Nachfühlen seiner Farbenabsichten
entgegen. So lassen sich auch in der gegenwärtigen
Ausstellung wieder wahre Prachtstücke unter den von
seiner Hand herrührenden Stoffen entdecken. Voysey's
Arbeiten über-
wiegen auf
diesem Gebie-
te durchaus,
an Zahl so-
wohl wie an
Qualität. Wal-
ter Crane hat
einiges nicht
weiter Hervor-
ragende aus-
gestellt, ein
neuer Name
ist in Allan
F. Vigers zu
verzeichnen,
der einige sehr
interessante
Seidenstoffe
vorführt. Ta-
peten sind
ziemlich we-
nig vertreten,
d- «,,. Tiffanyglas in Silber montiert
le AUS- von Hofgoldschmied H. SCHAPER, Berlin.
23
146 DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNG IN NEW GALLERY, LONDON
wüchse des grossen grellen Musters, die sich auf dem
neueren Markte breit machen , erhalten wenigstens
durch die gegenwärtige Ausstel-
lung keine Rückendeckung.
Wie in Stoffen, so sind auch
in Metallarbeiten vortreffliche Lei-
stungen in grosser Zahl vorhan-
den. Die Palme gebührt, wie vor
drei Jahren, wieder dem Künstler-
ehepaar Nelson und Edith Daw-
son, sowie C. R. Ashbee. Nelson
Dawson hat ein gutes grosses
Eisengitter und einen kunstvoll
geschmiedeten Kamineinsatz nebst
zugehörigem Vorsatzgitter als
Hauptwerke ausgestellt. Eine Reihe
weiterer kleinerer Arbeiten in
Edelmetallen haben Nelson und
Edith Dawson in einem beson-
deren Schranke ausgestellt, dessen
Inhalt wohl zu dem besten ge-
hört, das die Ausstellung auf-
weist. Es handelt sich vorwie-
gend um Schmuckkästchen und
Schmuck. Der letztere ist ein
neues Gebiet für die Dawsons,
aber was sie geleistet haben, stellt
sie auch hier sogleich an die
Spitze. Den andern englischen
Arbeiten gegenüber ist ihnen eins
besonders gelungen: die Verfeine-
rung, das Verlassen der lediglich
derben Wirkungen, die dem bis-
herigen englischen Schmuck, be-
sonders dem Ashbee's anhafteten.
Schmelz und alle Zweigkünste
sind hier wie dort in Anspruch
genommen. Leider sind diese
Arbeiten der Dawsons so hoch
im Preise bemessen, dass ihre
Erwerbung naturgemäss auf eine
kleine Klasse von Menschen be-
schränkt bleiben muss.
Zwei grosse, mit Schmuck
und kleineren Metallarbeiten Ash-
bee's gefüllte Schränke, deren In-
halt in der von ihm geleiteten
Guild of Handicraft ausgeführt
worden ist, ziehen unbedingt das
Interesse auf diesem Gebiete am
stärksten auf sich. So anfechtbar
Ashbee's Leistungen im Möbel
sind, so überzeugend sind sie auf
dem Gebiete des Edelmetalles.
Wie 1896 erfreut vor allem wie-
der sein Tafelgerät. Seine Scha-
len, Theegefässe, Bratenschüsseln
mit zugehörigen Deckeln, Pfeffer-
und Salzbüchsen, Pokale und Blumengefässe sind ge-
nugsam und durch Ausstellung auch in Deutschland
bekannt. Entzückend sind jene faustgrossen Silber-
m
i M
'"^ ^-^.. fm^^..
Tiffanygläser in Silber montiert
von Hofgoldschmied H. SCHAPER, Berlin.
dosen mit Deckeln in blauem und grünen Schmelz,
eine einfache Zeichnung tragend. Sie haben eine in
ihrer Einfachheit packende Form,
verbunden mit dem hohen Reiz
der Farbe, den der Schmelz ge-
währt. In seinem Schmuck hat
Ashbee die ihm früher geläufigen
Formen durch neue bereichert
und zeigt eine grosse Mannig-
faltigkeit in Zusammenstellungen
von Steinen, Metallflächen und Or-
namentformen. Lebhafte Schmelz-
farben heben die Einzelteile treff-
lich heraus und verhelfen zu
grossen, hier und da glänzenden
Wirkungen. Aber dieser Schmuck
kommt doch über einen gewissen
bäurischen Charakter nicht hinaus
und passt nur für eine gewisse
Art von Frauen mit grossen Zü-
gen und von drastischer Erschei-
nung. Er war hochwillkommen
als Gegensatz gegen die verkom-
mene und verkleinlichte Kunst
unserer Juwelierläden, aber er ist
einseitig auf dem Standpunkt der
derben Wirkung stehen geblieben.
Immerhin verraten Ashbee's Ar-
beiten eine Frische, die sie zu
den erfreulichsten der Ausstellung
macht.
Im Schmuck, der vor drei
Jahren von Ashbee allein in neuer
Form vorgeführt wurde, sind eine
ganze Reihe anderer Künstler er-
standen, die dieses Jahr als Mit-
bewerber auftreten. Vor allem
H. Wilson. Dieser früher durch
seine genialen Architekturblätter
Aufsehen erregende Künstler
scheint sich jetzt ganz auf das
Gebiet der kleinen Metallkünste
begeben zu haben. Nicht frei
von Affektiertheit und von einer
düster-mystischen Phantasie ge-
leitet, hat er seinen Ausstellungs-
stücken zwar auch hier eine hohe
Eigenart zu geben vermocht, al-
lein immer nicht eine solche ge-
winnender Natur. Für seinen
Schmuck wählt er ganz helles
Gold von einer grüngelblichen
Farbe. Glänzende Blechflächen
wechseln mit getriebenen Gebil-
den, meist figürlicher Art, deren
mystische Verschwommenheit Rät-
sel zu lösen giebt. Besser sind
seine grösseren Metallstücke, Altar-
kreuze und dergleichen, in denen sehr interessante
Farbenversuche durch Anlaufenlassen der Metallfläche
angestellt sind.
DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNG IN NEW GALLERY, LONDON 147
Entschiedene Fortschritte sind in den letzten
Jahren in England in der Kunst des Schmelzes ge-
macht worden. Der Vater der wiedererweckten
Technik ist Alexander Fisher, seine Arbeiten sind
schon seit etwa zehn Jahren bekannt und waren
ihrerzeit die einzigen in England. In-
zwischen hat gerade diese Technik «n-
gemein an Boden gewonnen, sie wird
an allen Kunstschulen gelehrt und von
allen Metallkünstlern gepflegt, ja bereits
von einer Reihe von Dilettanten ausge-
übt. Auch Maler, wie Herkomer, und
Bildhauer, wie Frampton, widmen sich
ihr mit Glück. Sie gehört zu den po-
pulärsten der jetzt in England geübten
Kleinkünste. Und so weist auch die
gegenwärtige Ausstellung
eine ungemeine Anzahl
von Schmelzarbeiten jeder
Art auf. Am auffallendsten
sind die grossen Stücke
von Fisher, die in der
Behandlung des Schmel-
zes meisterhaft, im Ent-
wurf der Metallarbeit da-
gegen oft nicht unbedingt
glücklich genannt werden
können. Ein merkwürdi-
ges Zwitterding zwischen Gebrauchsstück
und Kunstwerk an sich ist ein elektrischer
Wandleuchter, der lediglich aus zwei
kleinen Glühlampen besteht, die auf ei-
nem mächtigen Schild mit einem als
Körper heraustretenden Pfau sitzen: ein
Werk ohne rechte künstlerische Über-
zeugungsfähigkeit.
An weiteren Metallarbeiten sind die
diesmal nicht so sehr hervortretenden
Erzeugnisse der Birmingham Guild
of Handicraft zu erwähnen, sodann
aber vor allem die trefflichen Be-
schläge Rathbone's, beides alte be-
währte Bekannte für jeden, der die
englische Kunstbewegung verfolgt
hat. Die Arbeiten beider Aussteller
haben sich seit der letzten Ausstel-
lung nur sehr wenig verändert. Die
Birminghamer Gilde pflegt als neues
Gebiet jetzt auch den Schmuck und
^WC
k
fertigt silberne Geräte in grösserer
Schmuckgegenstände von
Hofgoldschmied H. SCHAPER, Berlin.
Anzahl, ohne dabei die Höhe ihrer Sachen in Messing
und Kupfer immer beizubehalten. Ausser den hier
genannten wichtigsten Ausstellern sind noch ein gan-
zes Heer von Künstlern und Dilettanten vorhanden,
die getriebene Arbeiten jeder Art, Teller, Krüge, Töpfe,
Füllungen, Leuchter, Schmuckkästchen
u. s. w. ausstellen. Diese Arbeiten kön-
nen zumeist tüchtiggenanntwerden, einige
sind sogar von hohem Reize in Form
und Arbeit, ein näheres Eingehen auf
sie würde indes zu weit führen. Im
allgemeinen machen die ausgestellten Me-
tallarbeiten einen guten , um nicht zu
sagen vorzüglichen Eindruck. Ein treff-
licher Sinn für Werkmässigkeit geht mit
einer gewissen vornehmen Gesinnung in
Bezug auf Formengebung
und Ornament Hand in
Hand. Diese Art Arbeiten
haben immer etwas Er-
frischendes, und wenn sie
auch auf einer gewissen
primitiven Stufe stehen
bleiben, so sind an ihnen
doch Geschmacksverirrun-
gen, Übertreibungen und
phantastische Überladung,
zu der manche kontinen-
tale Arbeiten neigen, unbedingt ausge-
schlossen. Hier und da pocht man et-
was allzusehr auf den Handwerker. So
hat es wohl wenig Sinn , auf einem
glänzenden Theegeschirr aus Silber, das
einen vornehmen Tisch zieren soll, die
wuchtigen Hammerschläge der Treibar-
beit stehen zu lassen.
Eine ausgesprochen englische Tech-
nik, die hier zum erstenmal in grösserem
Umfange vorgeführt wird, verkör-
pern die Arbeiten in getriebenem
und gegossenem Blei. In der alten
englischen Kunst wurde Blei zu aller-
hand kunstgewerblichen Zwecken,
zur Herstellung von Gartengefässen,
Wasserbehältern , verzierten Abfall-
rohren und selbst zu Bildwerken in
grosser Ausdehnung verwendet. Der
Architekt Lethaby hat sich der Tech-
nik wieder angenommen und sie
zum Gegenstande eines Lehrfaches
23*
148 DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNG IN NEW GALLERY, LONDON
in der von ihm geleiteten Central School of Arts and
Grafts in London gemacht. Die ausgestellten Arbeiten
stellen allerhand grössere Gefässe, eine Sonnenuhr und
künstlerisch ausgebildete Regenrinnen vor. Die letz-
teren namentlich sind von hohem Interesse.
In Töpfer- und Glasarbeiten sind einige treffliche
Sachen vorhanden , ohne dass die allgemeine Ent-
faltung eine imponierende wäre. Auf dem ersteren
Gebiet beherrschen Doulton & Co., auf dem zweiten
Powell & Söhne das Feld, beides grosse Fabrikanten,
welche indessen doch die beste Art von Arbeit
pflegen. Die von
Japan her einge-
führten »Zufällig-
keitsglasur« , die
die Begriffe in
der Keramik heut-
zutage etwas zu
verwirren be-
ginnt, findet in
England noch
wenig Pfleger.
Doulton hat, aus-
ser seiner bekann-
ten rotornamen-
tierten Lüsterwa-
re (auf der selt-
samerweise und
mit Hohnspre-
chungderGrund-
sätze der Arts-
and - Grafts - Ge-
sellschaft eine Art
Glasurbruch
künstlich nach-
geahmt ist) eine
ganze Reihe von
Tellern, Schüs-
seln und Vasen
ausgestellt, die
sehr gute Farben-
wirkungen in ei-
ner Art Bauern-
majolika vorfüh-
ren. In Glasar-
beiten erregt ein
Schrank feiner
Tafel- und Zier-
gläser von Powell & Söhne gerechtes Aufsehen.
Ausser einer zierlichen, dabei doch grosse Einfachheit
des Umrisses einhaltenden Form sind feine Farben-
versuche gemacht, zum Teil durch die Wahl einer
interessanten Gesamtglasfarbe, zum Teil durch Ein-
blasen einer streifigen Textur in einem Farbentone,
zum Teil, indem der Kopf der Gläser ganz in tiefen
Glastönen gehalten ist. Gerade in letzterer Beziehung
sind einige Haupttreffer gelungen , die eine Freude
für den Sammler bilden müssen.
Eine Reihe feinerer Majolikaarbeiten stellt die
Della Robbia Pottery in Birkenhead aus, ein Haus,
dessen Waren auf keiner englischen gewerblichen
Schrank -Thürfüllung mit Intarsien, entworfen von Arcliitekf G. SIEDLE, Berlin.
Ausstellung zu fehlen pflegen. Die Sachen ahmen
im Charakter stark die Werke der Meisterfamilie nach,
deren Namen das Haus angenommen hat, ohne die
saftige Farbengebung der Originale zu wagen. Zu
Zeiten sind recht gefällige Wirkungen ereicht. Er-
zeugnisse ersten Ranges sind jedoch selten zu finden.
Auf dem Gebiet der dekorativen Plastik hat sich
in den letzten Jahren in England ein Kunstzweig ent-
wickelt, der jetzt von verschiedenen Künstlern gepflegt
wird, es ist das farbige Relief. Die erste, Aufsehen
erregende Arbeit dieser Art war ein Fries von dem
jungen Künstler
Moira im Traca-
dero - Restaurant
in London. In
der Folge nahm
Anning Bell die
Technik auf und
ausser einigen
Werken dieses
Künstlers weist
die jetzige Aus-
stellung auch
zwei grosse Re-
liefs von Walter
Crane auf. An-
ning Bell's Ar-
beiten zeichnen
sich durch jenen
grossen Liebreiz
aus, der auch den
Zeichnungen die-
ses Künstlers ei-
gentümlich zu
sein pflegt, ohne
indes tiefer zum
Herzen des Be-
schauers zu spre-
chen. Das in Eng-
land zurBerühmt-
heit gelangte Re-
lief »Musik und
Tanz« zeigt die
Stärke des Mei-
sters treffend. Die
Handhabung des
Farbigen ist in
beiden Reliefs
sehr gut gelungen. Das Relief ist, der Technik ent-
sprechend, ganz flach gehalten, die Färbung aber
dabei so erfolgt, dass die Vertiefungen einen dichteren
Farbenauftrag zeigen als die hochstehenden Teile,
so dass die plastische Wirkung durch die Färbung
gehoben wird. Die beiden grossen allegorischen Reliefs
Walter Crane's haben ein viel höheres Relief und eine
ziemlich bunte Färbung. Man kann die Empfindung
nicht unterdrücken, dass sie auch in der allgemeinen
Durchbildung etwas stark Dilettantisches an sich haben
und gegen die besseren früheren Arbeiten des Meisters
zurückstehen. Dasselbe lässt sich diesmal von zahl-
reichen ausgestellten Zeichnungen und Entwürfen
DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNG IN NEW GALLERY, LONDON 149
Walter Crane's sagen, die auf derselben Wand zu-
sammengestellt sind. Wie weit der erwähnte Selbst-
kultus in den Reihen der Gesellschaft gediehen ist,
kann man an einem kleinen Bücherschränkchen sehen,
das ebendaselbst unter Walter Crane's Namen ausge-
stellt ist. Es ist nichts als ein ganz gewöhnliches,
weisslackiertes Wandschränkchen von trivialster Form
und mit schlechten Beschlägen, und man fragt sich
vergeblich, unter welcher Berechtigung dieses voll-
kommen gleichgültige Stück seinen Platz einnimmt.
Wie die
dekorative
Plastik, so ist
auch die de-
korative Ma-
lerei in das
Programm
der Gesell-
schaft aufge-
nommen.
Hier sind ei-
nigetüchtige
Arbeiten aus-
gestellt, die
durch Farbe
und Kompo-
sition erfreu-
en , so ein
Wandschirm
von dem be-
kannten Künst-
ler Brangwin
und zwei präch-
tige Stellschir-
me von R. M.
Nance. An son-
stigen maleri-
schen Arbeiten
sind hier die
Entwürfe für far
b ige Glasfenster
zu erwähnen
(Fenster selbst
auszustellen
verbot die Ört-
lichkeit), zu de-
nen Walter Cra-
ne, der bekann-
te Glasmaler
Christopher
Whall, ferner Louis Davis, Anning Bell, Mary Newill
u. a. Beiträge geliefert haben, die zum Teil vielver-
sprechend sind. Des erstgenannten Künstlers Entwürfe,
die farbig vorgeführt sind, bewegen sich ganz in der
Richtung, die Burne-Jones dem farbigen Glas in Eng-
land vorgezeichnet hat. Die Arbeiten Whall 's, die nur
in flüchtigen Kohlezeichnungen gegeben sind, sind
durch einen gewissen modernen Bestandteil in Auf-
fassung und Linie bemerkbar.
Unter den weiblichen Handarbeiten fallen vor-
wiegend die Stickereien auf, zum Teil Arbeiten
•a»|55>'i|-'3!l«'».5»«
Tapetenbordüren, entworfen von Architekt Q. SIEDLE, Berlin.
grössten Masstabes, von denen sich indes nicht all-
zuviele zu Kunstwerken in einem höheren Sinne er-
heben. Viele verfehlte Versuche, Unmögliches zu
erreichen, können an den Wänden der Ausstellung
studiert werden. Am besten gefallen noch die-
jenigen Stickereien, die die Grundfläche nicht ganz
zudecken, sondern diese in einer gewissen Weise
mitsprechen lassen. In dieser Beziehung sind von
der Kunstschule in Birmingham, wo eine vortreffliche
Richtung in der Stickerei schon längst gepflegt
worden ist,
einige sehr
interessante
Stücke aus-
gestellt.
Auch einige
Altarvorhän-
ge sind vor-
handen, die
ein grosses
Stilgefühl
bekunden.
Merkwürdi-
gerweise ist
die sonst in
England ge-
übte Art von
Kunststicke-
rei (für die
in London
eine eigne Schu-
le vorhanden ist,
"die nächstens
ihr Heim in ei-
nem prächtigen
Neubau finden
wird) nicht ge-
eignet, unsertie-
feres Interesse
zu erregen. Man
bevorzugt einen
Plattstich, der in
einer die ganze
Fläche überdek-
kenden Zeich-
nung und in
meist stark zu-
rückgehaltenen
Farben von der
erwünschten
Gegensatzwirkung zu wenig Gebrauch macht, um die
besten Möglichkeiten, die sich für die Technik bieten,
zu erschöpfen. Zu einer ungemein packenden Wir-
kung ist dagegen die aufgenähte Arbeit neuerdings in
England entwickelt worden, und zwar hauptsächlich
von Godfrey Blount in Haselmere, der eine seiner
prächtigen Arbeiten in einem Vorhang vorführt.
Das letzte hier zu betrachtende Gebiet, das Ge-
biet der auf das Buch bezüglichen Gewerbe, ist zu-
gleich eins der erfreulichsten der Ausstellung. Ob-
gleich die gute Buchausstattung in England nie so
150 DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNO IN NEW GALLERY, LONDON
Tapetenmuster, entworfen von Architekt O. SIEDLE, Berlin.
vollständig ausgestorben war wie bei uns, so hat doch
auch hier mit dem Wiederaufblühen der Kleinkünste
eine äussere Umgestaltung des Buches stattgefunden,
wie sie einschneidender nicht gedacht werden kann.
Bekanntlich wies auch hier Morris die Wege, nicht
sowohl, indem er den Stil des Buches feststellte, als
indem er durch die unantastbare künstlerische wie
technische Qualität seiner Leistungen eine Höhenmarke
vorzeichnete, die sich von seinen Nachfolgern im
besten Falle wieder erreichen, aber keineswegs über-
schreiten liess. Von der Höhe dieser Leistungen
strahlt ein Wiederschein auch auf das gewöhnliche
Marktbuch zurück, der auch hier nur einen Ein-
fluss , bester Art ausüben kann. Aber auch im
Luxusbuch und hier erst recht, ist Morris' Einfluss
heute der massgebende. Schon seit i8q6 trat neben
Morris ein neuer Name auf mit eigenartigen, wenn
auch etwas excentrischen Arbeiten , es war Charles
Ricketts. Auf der diesjährigen Ausstellung hat er
eine ganze Reihe vorzüglich ausgestatteter Bücher
ausgestellt, die in der Vale Press gedruckt und von
ihm mit Borten und Abbildungen geschmückt sind.
Diese herzerfreuenden Leistungen erheben sich durch-
aus wieder auf die Höhe der besten Erzeugnisse der-
frühen Buchdruckerkunst. Einige nicht minder guten
Bücher stellen Lucien und Esther Pissaro aus. Neben
der Vale Press liefert die Chiswick Press Erzeugnisse
ersten Ranges und stellt eine Reihe davon aus. Zu
den von früher her bekannten Buchgewerbe-Künstlern
tritt endlich diesmal noch ein neuer Name: der
Ashbee's, welcher in seiner Guild of Handicraft eine
Druckerei eingerichtet und einen künstlerischen Verlag
mit einer typographisch vorzüglich ausgestatteten
Übersetzung von Benvenuto Cellini's Abhandlung
über die Emaillierkunst eröffnet hat.
Der Bucheinband ist wie auf den vorigen Aus-
stellungen, durch Cobden Sanderson in der allbekannten
musterhaften Weise vertreten. Veränderungen gegen
früher sind nicht bemerkbar, dieselbe ganz tadellose
technische Behandlung, dasselbe vorzügliche Material,
dieselbe stilistische Ausgestaltung, derselbe tiefe Ernst
in der künstlerischen Auffassung. Neben ihm treten
noch die bekannten Kunstbuchbinder Cockerell und
Zähnsdorf mit Arbeiten auf. Ricketts hat eine ganze
Sammlung von nach seinen Entwürfen gebundenen
Büchern ausgestellt , die eigenartigen , ebenfalls von
früher bekannten Arbeiten von Miss Maccoll sind
ebenfalls vertreten. Schliesslich sind noch die Buch-
binder-Erzeugnisse der zwei hervorragendsten eng-
lischen Kunstgewerbeschulen von heute, der von
Birmingham und der Central School of Arts and Grafts
in London zu erwähnen, die beide dem künstlerischen
Bucheinband ein hohes Mass von Aufmerksamkeit
widmen. Gepflegt wird vor allem der Lederband
mit Goldpressung durch Teilstempel; auch das Leder-
mosaik und überhaupt alle Arbeiten der besseren
Technik finden Beachtung. Dabei wird, was den
Entwurf anbetrifft, auf möglichste Selbständigkeit in
der Eifindung das grösste Gewicht gelegt, die Schüler
werden von Anbeginn vor die Aufgabe gestellt, selbst
einen Dekorationsgedanken auszudenken und seine
Darstellung mit den gegebenen Mitteln zu versuchen.
Was in dieser Beziehung aus den Schulen hervor-
geht, verdient unsere höchste Bewunderung, die vor-
Tapetenmuster, entworfen von Arcnitekt O. SIEDLE, Berlin.
DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNG IN NEW GALLERY, LONDON 151
geführten Beispiele stehen weit über dem, was man
als Schülerarbeit zu bezeichnen pflegt.
Für das künstlerisch gebundene Buch liegt in
England ein breiterer Bedarf vor als bei uns. Alle
besseren Buchandlungen halten eine grosse Auswahl
von allgemein begehrten Büchern in den besten
durch Handpressung verzierten Lederbänden vorrätig.
Eine grosse Bevölkerungsklasse ist vorhanden, welche
willig 20 bis 50 Mark für einen guten Einband aus-
giebt. Selbst eine Anzahl von Buchbindern, die
das Zehnfache des genannten Betrages für ihre Bände
verlangen, finden ihren Kundenkreis. Aber nicht nur
der als Kunstwerk auftretende Bucheinband, auch das
Marktbuch ist in England für gewöhnlich künstlerisch
einwandfrei, hier und da sogar ungemein anziehend
ausgestattet. Gerade auf diesem Gebiete kann uns
England noch lange als Lehrmeisterin dienen.
Die Buchillustration ist diesmal schlecht vertreten.
Ausser einer Anzahl Zeichnungen von Walter Crane,
die ziemlich weit unter dem Niveau dessen stehen,
was man von seiner Hand gewöhnt ist, ist so gut
wie nichts vorhanden. Dass trotzdem die Illustrations-
kunst in England nicht ruht, beweisen die fortlaufend
erscheinenden , meist vortrefflich in dem richtigen
Schwarz- und Weiss - Charakter illustrierten Bücher,
so dass die Leere der Ausstellung als rein zufällig
bezeichnet werden muss.
Der ganze südliche Saal des Ausstellungsgebäudes
ist mit Entwürfen und ausgeführten Arbeiten William
Morris' gefüllt. So wenig es am Platze erscheint,
diese Arbeiten in eine Ausstellung aufzunehmen, die
eigentlich den jetzigen Stand des Kunstgewerbes dar-
stellen soll, so dankbar wird jeder Besucher dem
Verein sein , diese einzige Sammlung zusammenge-
bracht zu haben. Nach den gemischten Eindrücken,
die die übrigen Säle hinterlassen, tritt man hier wie
in einen Tempel ein, in welchem der erhabene
Geist eines grossen Genies waltet, das unbeirrt von
der Strömung des Tages seine eigenen Wege ging.
Gegenüber dem Ernst dieser Werke schnellen die
Leistungen der übrigen Säle bedenklich in die Höhe.
Morris ist tot — das empfindet man, wenn man diese
Säle im Rückgang wieder durchschreitet. Von höchstem
Interesse, ja von kulturgeschichtlichem Werte, ist die
grosse Reihe von Werkzeichnungen, die die Wände
dieses Sales zieren, sie enthüllen uns die Seele des
künstlerischen Schaffens des Meisters, sie gewähren
einen Einblick in jenen Brunnen unversiegbarer
Erfindungskraft, aus dem er schöpfte. Denn wie
jeder grosse Künstler fasste er jede neue Aufgabe von
einem neuen Gesichtspunkt auf, er drang immer vor-
wärts und blieb immer ein Lernender. So bewahrte
er seinen Werken jene ewige Jugendfrische, die sie
von denen des Routiniers so grundverschieden macht.
Über den Werkzeichnungen sind die Stoffe und
Gobelinwebereien des Meisters aufgehängt, eine Reihe
von Schaukästen bergen seine Entwürfe für den Buch-
druck, sowie seine Bücher. Die Mitte des Zimmers
nimmt ein riesiger Teppich ein, der nach seinem
Entwürfe in seinen Werkstätten gefertigt ist.
Das Denkmal, das die Gesellschaft der Morris'schen
Kunst in diesem Saale errichtet hat, wirft seinen
Schatten über den ganzen übrigen Teil der Aus-
stellung. Morris war zwar in seiner Kunst im ge-
wissen Sinne archaistisch, ein Mann, der sich ent-
schieden dem Strom seiner Zeit entgegenstemmte und
sein Heil in mittelalterlichen Zuständen erblickte, aber
er war eine kraftstrotzende Erscheinung, eine Per-
sönlicheit, die ihren Jahrzehnten den Stempel auf-
drückte. Die Leute, die heute auf den von ihm
aufgesuchten Pfaden weiter wandeln, sind Epigonen,
und der Mehrzahl von ihnen fehlt, verglichen mit
dem Meister, Kraft und Saft. Ein merkwürdiger
Unterschied gegen den Kontinent: in England liegt
heute eine ungemeine Breite in der Entwicklung der
neuen Kunst vor, die gewerblichen Künste sind auf
der neu geschaffenen Grundlage ganz volkstümlich
geworden, ein Heer von Dilettanten übt sie aus, aber
es scheinen kraftvolle Führer zu fehlen, deren Genie
weitere Bahnen öffnete; auf dem Kontinent haben wir
einige bedeutende Führer, aber keinen volkstümlichen
Untergrund. Die gegenwärtige Ausstellung zeigt
viele brave Sachen, aber keine grössere, irgendwie
weiter ausfassende Leistung. Hunderte von Kästchen,
Schalen, Schränkchen, Gefässen und Metallsachen, fast
alle niedlich in sich, hier und da auffallend gut, im
Grunde alle werkmässig tüchtig und gesund, aber
alles Kleinkram.
Noch eine andere Erscheinung ist auffallend. Man
beschränkt sich ganz und gar auf das einseitige Ge-
biet des Primitiven. Und dem Kenner der englischen
Volkseigenart erscheint es ganz wahrscheinlich, dass
dies auch so bleiben wird. Das Ländliche, im ge-
wissen Sinne Bäurische, ist der ausgesprochendste
englische Zug, ein Zug, der dieses Land und seine
Bewohner so ausserordentlich verschieden von allen
Ländern des Kontinents macht. Man wird über
dieses Primitive schwerlich weit hinauskommen, vor
allem aber auch schon deshalb nicht, weil man das
Elegante gar nicht schätzt und versteht. Es kommt
hinzu, dass gerade die Arts-and-Crafts-Gesellschaft in
ihrer starken Beimischung von Demokratismus diesen
Hass gegen das Verfeinerte auf die Spitze treibt.
In dieser Einseitigkeit liegen die Grenzen vorge-
zeichnet, die der neuen englischen Kunstentwicklung
wahrscheinlich gesteckt sein werden. Sie wird immer
vernünftig und werklich gesund, aber wahrscheinlich
auch ziemlich schwung- und phantasielos bleiben. Hier-
aus soll ihr kein Vorwurf erwachsen, die ausgesprochene
Eigenart macht sie vielmehr selbständig und verleiht
ihr etwas ausgesprochen Bodenwüchsiges. Aber ge-
rade deshalb hat sie auf englischem Boden zu ver-
bleiben, und irgend welche Übertragungen können von
geringem Nutzen sein. Die englische Bewegung kann
uns nur das eine lehren, von denselben Grundlagen
von vorn anzufangen, von denen sie ausging, den
Grundlagen des Naturstudiums und der Werkmässig-
keit. Diese Grundlagen sind allgemein gültig. Wenn
wir dies thun, dann haben wir eine neue Kunst-
entwicklung, die von selbst von der englischen ver-
schieden ist. Sie wird die ganze Färbung der deut-
schen Eigenart enthalten, wie die englische die der
152 DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNG IN NEW GALLERY, LONDON
englischen Eigenart enthält, sie wird lebensfreudiger,
phantasiereicher und weitblickender, vielleicht aber auch
derber und zunächst weniger sicher im Auftreten sein
als die englische. Aber der Anfang von vorn, das
Aufbauen der Grundlagen von unten wird uns nicht
erspart bleiben. An den englischen Verhältnissen,
die uns auch diese Ausstellung wieder vorführt, bleibt
immer noch die Breite der Bewegung, die Volks-
tümlichkeit derselben und die Vielheit, in welcher die
technischen Künste in England bereits ausgeführt
werden, für uns beneidenswert. Dies bleibt auch dann
noch bestehen, wenn festgestellt worden ist, dass die
diesjährige Ausstellung weniger viel Gutes gebracht
hat, als man erwarten konnte, ein Umstand, bei dessen
Beurteilung man übrigens die eingangs erwähnten
Milderungsgründe, um nicht zu einem schiefen Ge-
samturteil zu gelangen, nicht ausser Betracht lassen
darf.
London, im Dezember 1899.
H. MUTHESIUS.
Schlussleiste, gezeichnet von H. LÜHRIG.
Kunslgewerbeblatt. N. F. XI. H. 8.
24
Entwurf zur Buffetwan.!i'
Biii]i«nrafln*iiJiiiiii!iiiinnKi3iinnninjiiiviiiiajiiaaiaiiiiiiii3Eti
-I f
Maasstab = 1-10.
Speisezimmers von R. OREANS in Karlsriilie.
KLEINE MITTEILUNGEN
STUTTGART. Nach dem Jahresbericht des Würt-
tembergischen Kunstgewerbevereins für das Jahr
i8g8jgg zählte der Verein 413 Mitglieder, unter
den verstorbenen Mitgliedern beklagt er besonders das
Ableben des artistischen Vorstandes Paul Stotz. Unter
den in der Vereinsausstellungshalle veranstalteten kunst-
gewerblichen Ausstellungen wurden als Sonderaus-
stellungen vorgeführt dekorative Malereien von Josef
Rösl in München, Pflanzennaturabgüsse von Joh. Bo-
finger in Stuttgart und architektonische und kunst-
gewerbliche Entwürfe, Skizzen und Studien von O.
Halmhuber. In seiner Eigenschaft
als Vorort des Verbandes deut-
scher Kunstgewerbevereine hatte
der Verein zum 25. September
einen Verbandstag nach Stuttgart
einberufen. Oleich zahlreichen
anderen Vereinen und Korpora-
tionen hatte auch der Verein aus
Anlass der Vermählung der Prin-
zessin Pauline von Württemberg
mit dem Erbprinzen Wied, eine
Hochzeitsgabe, bestehend in einem
silbernen Theeservice, dargebracht.
FRANKFURT a. M. Dem
Jahresbericht des Mittel-
deutschen Kunstgewerbe-
vereins für i8gg entnehmen wir
folgendes: der Unterricht in der
Kunstgewerbeschule erfuhr keine
Änderungen. Das letzte Quartal
weist eine niedrigere Ziffer für
die Tagesfachklassen, dagegen eine
hohe für die Abendklassen auf.
In diesen Zahlen spiegelt sich
einigermassen die gesamte Lage
des Kunstgewerbes wieder, inso-
fern ein niedriger Stand desselben
vielen Kräften während der Tages-
zeit zu ihrer Ausbildung die
nötige Müsse giebt, bei einem
Hochstand der kunstgewerblichen
Produktion aber, wie er seit
einigen Jahren eingetreten ist,
der Zudrang zu den kunstge-
werblichen Abendklassen zunimmt.
Eine Studienreise zur Aufnahme
alter dekorativer Wandmalereien
mit der Schülern der Malerklasse
wurde nach Strassburg i. Elsass
gerichtet, wo die wahrscheinlich
auf Dietterlein zurückzuführenden
Wandmalereien im »Frauenhause« Blumenkübel, Entwurf von
reiches Studienmaterial ergaben. Vier Schülern konnte
das zu einer Erleichterung bei der Einjahrig-Freiwilligen-
Prüfung berechtigende Zeugnis über hervorragende
Leistungen erteilt werden. Eine Ausstellung der
Schülerarbeiten fand zu Beginn des Sommerquartals
statt. Eine wesentlicheBereicherung erfuhr im Berichts-
jahre die gelegentlich der Umgestaltung der Museums-
räume in übersichtlicher Aufstellung neu eröffnete
Gipsabguss-Sammlung. Zu erwähnen sind auch die
zahlreichen und bedeutenden Aufträge, durch welche
die an der Schule wirkenden Künstler mit der Praxis
in Verbindung erhalten wurden.
Die Bibliothek hat zu Ostern ihre
neuen Räume bezogen und sieht
damit eine der bedeutsamsten
Vorausssetzungen ihrer Weiter-
entwicklung erfüllt. Für die
Entwicklung des Kunstgewerbe-
Museums war das Jahr 1899 ein
sehr bedeutungsvolles, indem der
Erweiterungsbau fertiggestellt und
hierdurch die Neuordnung der
Sammlung ermöglicht wurde. Die
Anordnung erfolgte in bestimmten
Gruppen, für welche einesteils
das Material, aus welchem die
Gegenstände angefertigt sind, im
übrigen die zeitliche Zusammen-
gehörigkeit derselben massgebend
war. Die Neuerwerbungen des
Museums weisen, abgesehen von
den zahlreichen Schenkungen, 39
Nummern auf, wovon 20 etwa
auf keramische Gegenstände ent-
fallen. Grössere Sonderausstel-
lungen sind fünf im Berichtsjahr
veranstaltet worden: Japanische
Holzschnitte des Herrn C. Vogel
in Cronberg, Pflanzenstudien von
H. F. v. Berlepsch, Entwürfe für
eine Tauf medaille, eine Ausstellung
von typographischen Leistungen,
eine Buchkunst-Ausstellung, end-
lich eine Serie von elektrischen
Beleuchtungskörpern. Die Be-
suchsziffer des Museums belief
sich auf 6703 Personen. Es
wurden sechs Vereinsexkursionen
veranstaltet. Die Zahl der Mit-
glieder ist von 494 auf 723 ge-
stiegen; das Wachstum sowie die
Beitragserhöhungen vieler Mit-
AuQ Ql'vsej^ glieder sind den Bemühungen
AUG. OLASER, München, der Kommission zu danken, die
t58
KLEINE MITTEILUNGEN
Tapetenmuster, entworfen von Architekt O. SIEDLE, Berlin.
dafür gewählt worden war. Die Jahresrechnung schhesst
wieder mit einem Defizit von M. 7234.28 ab, hervor-
gerufen durch die steigenden Anforderungen an den
Verein, mit denen die Einnahmen nicht gleichen Schritt
halten konnten. Durch Erhöhung behördlicher Sub-
vention, Steigerung der Mitgliederzahl und zum Teil
Erhöhung einzelner Beiträge ist diesem Übelstande
einigermassen abgeholfen worden. Dennoch wird
infolge grösserer Aufwendungen der Etat fürs künftige
Jahr im Voranschlage noch um mehr als 4000 M.
überschritten. Zum Vorstande wurden gewählt die
Herren Ed. Beit, Wilh. Flinsch, L. Orüder, M. Grune-
lius, F. Günther, W. Maus, H. Seckel, M. Sondheim,
W. Stock- de Neufville; zu Revisoren wurden die
Herren G. Flörsheim, Ch. Risdorf und C. Schaub
ernannt.
BERLIN. Im Königlichen Kunstgewerbe-Museum
ist zur Zeit eine Schriftsammlung des Malers
Ansgar Schoppmeyer, Lehrer für Schriftzeichnen
an der Unterrichtsanstalt des Museums ausgestellt,
welche sowohl in wissenschaftlicher wie künstlerischer
Hinsicht Interesse bietet. Sie enthält getreufarbige
Kopien von Initialen und Miniaturen der mittelalter-
lichen Bilderhandschriften und giebt zugleich auf
460 Tafeln eine Uebersicht über das gesamte Schrift-
wesen des 1 6. Jahrhunderts.
SCHULEN
MAGDEBURG. Nach dem Bericht der Kunst-
gewerbe- und Handwerkerschule über das Schul-
jahr iSgSjgg wurde die Anstalt im Sommer-
halbjahr 1898 von 1335, im Winterhalbjahr 1898/99
von 1494 Schülern besucht. Verhandlungen mit der
Uhrmacher-Innung führten dazu, dass vom 1. April
1898 ab das Uhrmacher-Fachzeichnen auf einen Wochen-
vormittag ausgedehnt wurde. Neben dem Tages-
unterricht im dekorativen Malen wurde vom 1. April
ab ein', Sonntags-Kursus hierfür eingerichtet. Das
bisherige »Freihandzeichnen nach Wandtafeln und
Körpern« erfuhr insofern eine Umgestaltung, als auf
das Körperzeichnen mehr Gewicht gelegt und dieses
dem Zeichnen nach Moser'schen Wandtafeln voran-
gestellt wurde. Das Körperzeichnen wird nunmehr
auf der Unterstufe nach Stuhlmann'schen Modellen
betrieben. Für vorgeschrittene Schüler kunstgewerb-
licher Fächer wurden in beiden Semestern je sieben
Wettaufgaben ausgeschrieben und bestimmt, die Ar-
beiten nicht wie bisher mit Namen, sondern mit Kenn-
wort versehen, einzureichen. Seit dem 1. Januar 1898
besteht für die Lehrer der Anstalt ein Kursus für
Körperzeichnen, welchen der Direktor leitet. Leider
konnte die Beschaffung der nötigen Klassenzimmer
mit dem Anwachsen der Schülerzahl nicht gleichen
Schritt halten, so dass zu Beginn des Winterhalbjahres
eine Anzahl neuer Schüler abgewiesen werden musste.
-u-
BÜCHERSCHAU
Ausstellung von Kunstwerken des Mittelalters und
der Renaissance aus Berliner Privatbesitz, veranstaltet
von der Kunstgeschichtlichen Gesellschaft, 20. Mai bis
3. Juli 1898. Berlin, G. Grothe'sche Verlagsbuch-
handlung, 1899. Gr. 4*. 178 S., mit Textbildern
und 60 Tafeln in Lichtdruck.
Der stattliche Band, der durch das opferwillige Zu-
sammenwirken von Kunstfreunden und Kunstgelehrten,
Tapelenmuster, entworfen von Architekt O. SIEDLE, Berlin
KLEINE MITTEILUNGEN
159
Drucktechnikern und der Verlagsfirma entstan-
den ist, ist ein Denkmal deutscher Arbeit im
Dienste der Kunst, auf das alle Beteiligten stolz
sein dürfen. Was vor zwanzig Jahren nur in
Paris oder London möglich schien, eine ge-
schlossene und ansehnliche Ausstellung alter
Kunstwerke einer begrenzten Epoche nur aus
Privatbesitz zu vereinigen, das ist durch die uner-
müdliche Anregung fast eines einzigen Mannes
und durch die kunstfreudige Teilnahme zahl-
reicher feinsinniger Sammler auch in Berlin
erreichtworden. Der Kunstbesitz in der Berliner
Gesellschaft um 1 870 war, von
wenigen Ausnahmen abgesehen,
recht bescheiden. Was der
preussische Adel besass, war
an sich nicht beträchtlich und
wurde grösserenteils auf den
Landsitzen aufbewahrt. Auf
die Beamten war nicht zu
rechnen. Die Bürgerkreise
hatten weder Kunstbesitz noch
Kunstsinn ererbt. Das künst-
lerische Interesse der Gesellig-
keit drehte sich um die Musik.
Die kunstgewerbliche Ausstel-
lung im Zeughaus 1872 musste
sich vornehmlich auf die
öffentlichen Sammlungen und
das königliche Haus stützen.
Das ist anders geworden, seit
die königlichen Museen in den
siebziger Jahren unter that-
kräftige und einsichtige Führer
gestellt wurden. Unter ihnen
waren Männer, die sich nicht
damit begnügten, ihreMuseums
bestände zu vermehren, son-
dern die es als ein Stück
ihres Amtes und ihres Berufes
ansahen, die Freude an guten,
alten Kunstwerken in weiteren
Kreisen planmäsig zu pflegen
und in Berlin neben dem
öffentlichen auch einen privaten
Kunstbesitz zu schaffen, der
uns so sehr fehlte. Das ist
nicht nur für die Museen ein
unschätzbarer Gewinn. Sie
bedürfen eines festen Kreises
verständnisvoller Freunde, Be-
obachter, Förderer; sie schwe-
ben in der Luft ohne einen
solchen Unterbau,
auch eine Frage der
Kunsterziehung, das
alte Kunstwerk, das
der Einzelne schätzt
und zum dauernden
Genuss erwirbt, sei
es ein Gemälde, ein
Ehrenpreis S. K. H. des_Orossh. Friedrich
Entwurf von H. GÖTZ, Ausführung
vonÄBadi
von Prof,
plastisches Kunstwerk oder ein gutes Stück
der Kleinkunst, wird ihm und seinen Freunden
als ein Masstat) dienen für die Schätzung der
Kunst; es führt sein Interesse weiter zu ver-
wandten Arbeiten; es wird über kurz oder
lang sein Kunstgefühl, sein Kunstbedürfnis,
seinen Geschmack heben und richten. , Es
ist kurzsichtig, wenn die Freunde lebender
Kunst sich über die Freude an solch altem
Besitz beklagen. Wie die Kunsthistoriker,
so gehören auch die Sammler heute zu
den wärmsten Förderern neuester Kunst. Als
ein Mittelpunkt dieser Interessen
ist 1 886 die Kunstgeschichtliche
Gesellschaft in Berlin begründet
worden. Sie hat bisher drei
Ausstellungen aus Privatbesitz
veranstalten können, eine für
niederländische Kunst, eine
für das 18. Jahrhundert und
als reifste und fruchtbarste im
Frühjahr 1 898 die Renaissance-
Ausstellung, von der dieser
Band berichtet. In den Aus-
stellungssälen der Kgl. Aka-
demie, Unter den Linden,
waren Gemälde, Bildwerke,
Zeichnungen, Möbel, Metall-
geräte, Majoliken und andere
Arbeiten des Kunsthandwerks
in sorgfältiger Anordnung auf-
gestellt; neben Ihren Majestäten
dem Kaiser und der Kaiserin
Friedrich und wenigen An-
stalten hatten siebzig Privatleute
beigesteuert. Durch das vorlie-
gende Werk werden ;die Kunst-
wissenschaft und die Kunst-
freunde in die Lage gesetzt,
aus der erfolgreichen Ausstel-
lung einen dauernden Gewinn
zu ziehen. Berufene Gelehrte
besprechen die einzelnen Grup-
pen nach ihrem kunsthistori-
schen und künstlerischen Wert;
die sechzig Tafeln und zahl-
reichen Textbilder geben die
Hauptarbeiten in vorzüglichen
Lichtdrucken wieder. Als Her-
ausgeber ist Wilhelm Bode
genannt. Jeder Kundige weiss,
dass seinem unerreichten
Schaffensmut nicht nur dieses
Werk, sondern auch die Aus-
stellung selbst
und ihre Ver-
anstalterin, die
Kunstgeschicht-
liche Gesell-
schaft, ja der
grösste Teil des
^fit^-^i
ex-^
en zum Iffezheimer Rennen 1893.
R. MAYER in Karlsruhe.
h
i6o
KLEINE MITTEILUNGEN
hier vorgeführten heimischen Kunstbesitzes ihr Dasein
danken. In dem vorliegenden Bande hat er ausser
der Einleitung noch einige besonders ausführliche, zu
selbständigen Bildern abgerundete Aufsätze g'eschrieben,
über die italienischen Bronzen, die florentiner Haus-
möbel und die altflorentiner Mosaiken, Studien, die
jeder Bearbeiter des alten Kunst-
gewerbes wird zur Hand haben
müssen. Unter der sorgfältigen
Redaktion von Richard Stettiner
haben ausserdem Max J. Fried-
länder, H.Mackowsky, O. Gronau,
W. Voege, L. Kaemmerer, H. von
Tschudi, F. Knapp, J. Menadier,
F. Sarre, W. Weisbach die ver-
schiedenen Gruppen behandelt.
Der Genuss an den abgebil-
deten Kunstwerken und die
Achtung vor der wissenschaft-
lichen Arbeit wird noch er-
höht durch das Äussere des
Buches, das in jeder Hinsicht
mustergültig ist und es mit allen
ähnlichen Publikationen des Aus-
landes aufnehmen kann. Das
Papier, der Druck in allen seinen
Teilen, der sorgfältige Lichtdruck,
den man nicht nur für die Ta-
feln, sondern sogar für die
Textbilder angewendet hat (eine
Mühe, die der Kundige würdigen
wird, weil es zweimaligen Druck
bedingt), alles ehrt ebenso die
Herausgeber wie die beteiligten
Druckanstalten (Reichsdruckerei
und Albert Fritsch) und die
opferwillige Verlagshandlung.
Möge der deutsche Bücher-
markt beweisen, dass er solchen
kunstfrohen Wagemut zu schätzen
weiss. Das gilt besonders auch
für unsere kunstgewerblichen
Kreise, Privatleute, Bibliotheken
und Museen.
Peter Jessen.
zu UNSERN BILDERN
Wir bingen in diesem Hefte verschiedene Ent-
würfe des Architekten] .,G. Siedle in Berlin. Der
Künstler denkt sich den Entwurf für Intarsie auf
Seite 148 als SchrankthürfüUungen. Es sollen diese
Füllungen gewissermassen Ge-
denkblätter an die Schwarz-
waldheimat des Künstlers sein.
Das Haus, auf der Höhe zwi-
schen Furtwangen und Oüten-
bach gelegen, zur Gemeinde
Neukirch gehörig, heisst »der
Bregema« und ist die Stamm-
heimat seiner Familie, das Haus
im Thal, »die Breg« bei Furt-
wangen die Geburtsstätte des
Künstlers.
Bei seinen Zugabenentwürfen
leitete den Künstler der Gedanke,
vor allem »deutsche Zugaben«,
d. h. also Zugaben zu liefern,
welche in ihrem Muster sich
nicht an englische und andere
Arbeiten anlehnen. Leider ist
es nicht möglich, die farbigen
Tapetenentwürfe in ihrem rich-
tigen Tonwerte zu reprodu-
zieren. Bei der Wahl der
Farben ging der Künstler von
dem Grundsatze aus, jedem
Raum eine seinen Zwecken
entsprechende Grundstimmung
zu geben. Sämtliche Arbeiten
waren auf der letztjährigen
grossen Berliner Kunstausstellung
ausgestellt gewesen.
BERICHTIGUNG
Der in unserem Heft 6 ver-
öffentlichte Kamin ist nach einem
Entwurf und unter Leitung der
Herren Architekten Kayser und
von Groszheim für das Schloss
Varchentin in der Werkstatt der
Firma Kimbel & Friederichsen,
Berlin, Yorkstr. 43, ausgeführt
Pokal aus vergoldetem Silber mit eingesetzten Korallenästen, entworfen von A. RIEOL, München.
Herausgeber und für die Redaktion verantwortlich: Professor Karl Hoffacker, Architekt in Charlottenburg - Berlin.
Druck von Ernst Hedrich NachJ'., G. m. b. H., Leipzig.
Kunsigewerbeblatt. N. F. XI. H. g.
25
Innenraum aus Teheran.
h.iMEYEK-CASjEL <,g
DAS ARABISCHE KUNSTHANDWERK
VON Karl Eugen Schmidt (Kairo).
IE arabische und im allgemeinen die ganze moslimische Kunst unter-
scheidet sich sehr wesentlich von allen abendländischen Kunstrichtungen
dadurch, dass hier niemals eine Trennung der Kunst vom Handwerke
stattgefunden hat. Der arabische Künstler war und ist heute noch zu-
gleich Handwerker, und der Handwerker ist Künstler. Diese Verbindung
ist so innig, dass man beim Schreiner, beim Schlosser, beim Gold-,
Silber- und Kupferschmied, beim Weber, beim Sticker und beim Leder-
arbeiter Nordafrikas nirgends die Linie ziehen kann, wo das Handwerk
aufhört und die Kunst anfängt. Zu keiner Zeit hat sich in den Ländern
mit arabischer Kultur das Bestreben gezeigt, die Kunst vom Handwerk zu
trennen und eine sogenannte reine Kunst zu schaffen, sondern wie in Europa
zur Zeit der höchsten Blüte des Kunsthandwerks hatte' und hat bei dem
Araber und bei den von arabischem Geiste durchdrungenen Völkern die
Kunst stets nur den Zweck, das Schöne mit dem Nützlichen zu ver-
binden! Es gab und giebt keine arabische Kunst um ihrer selbst willen,
sondern alle arabischen Kunstwerke aus alter und neuer Zeit dienen einem
nützlichen Zwecke, und die Kunst wurde und wird einzig dazu ange-
wandt, um notwendige Gegenstände zu verschönern, handele es sich nun
um die Dekoration einer Moschee oder eines Wohnhauses oder um die
Verzierung einer Truhe oder eines Kochtopfes.
Dass die arabische Kunst auf diesem festen Boden unwandelbar stehen
geblieben ist, während sich überall im Abendlande Kunst und Handwerk
trennten, hat sie vielleicht grossenteils der strengen Auslegung jener Koran-
stelle zu verdanken, welche die Götzenbilder verdammt. Diese an sich ganz
unschuldige Stelle, die sich lange nicht so gut zu einer derartigen Deutung
schickt, wie das jüdische »Du sollst Dir kein Bildnis noch irgend ein
Gleichnis machen', ist von den Kommentatoren zu einem Verbote der
Nachbildung aller lebenden Wesen und weitergehend aller existierenden
Dinge überhaupt verdreht worden. Obgleich nun das auf diese Weise
entstandene Verbot niemals allzugenau befolgt worden ist, so wurde doch
der arabischen Kunst gerade jene Stütze entzogen, die in allen Ländern und
bei allen Völkern von Anfang an der Haupthalt der aufblühenden Künste
gewesen ist. Während die höchsten Kunstbestrebungen des Urbewohners
von Australien, Afrika und Amerika der Herstellung und Ausschmückung
des Götzenbildes galten, und während in gleicher Weise die Bildhauer und
Maler Europas ihre schönsten Werke im Dienste der Kirche schufen,
blieben die arabischen Moscheen den Bildern des wirklichen Lebens ver-
schlossen, und im Gotteshause blieb die arabische Kunst eine angewandte,
dem Zwecke untergeordnete und rein dekorative Kunst, wenn auch mancher
Fürst die Säle seines Palastes mit Gemälden und Statuen ausschmücken mochte.
25*
104
DAS ARABISCHE KUNSTHANDWERK
In der Moschee durfte nichts in der Dei<oration
an in der Wirkhchkeit existierende Dinge erinnern,
und höchstens findet sich hie und da ein dekoratives
Motiv, was ursprünghch der Pflanzenwelt entnommen
scheint, obgleich es in seiner starken Stilisierung kaum
noch an sein natürliches Vorbild erinnert. Wenn man
bedenkt, eine wie grosse Rolle Religion und Kirche
in der Entwicklung der Kunst des Abendlandes ge-
spielt haben, so kann man leicht begreifen, dass dieses
Verhalten der moslimischen
Kirche fühlbare Folgen für
die arabische Kunst haben
musste. Sie wurde dadurch
von der Darstellung lebender
Wesen abgehalten, und so
konnte hier
weder der Hi-
storien- noch
der Porträt-,
weder der
Genre- noch
der Tiermaler
entstehen. Die
weitere Aus-
dehnung des
Verbotes auf
alle existieren-
den Dinge
überhaupt
machte auch
den Land-
schafter sowie
den Maler von Stillleben und Archi-
tektur unmöglich. Ebenso ging es
der Bildhauerei, und wie hätte sich
nun unter so gestalteten Umständen
eine der europäischen entsprechende
»hohe, reine Kunst«, ein art pour l'art,
entwickeln können?
Indem somit die arabische Kunst auf
fast alle jene Gebiete verzichtete, welche
der europäischen Kunst ihre Vorbilder
lieferte, zwang sie sich zugleich, dem
Handwerk treu zu bleiben,
denn was hätte der Schöpfer
eines selbständigen, keinem
praktischen Zwecke dienen-
den Kunstwerkes darstellen
können? Wenn deshalb dem
von den italienischen Schatz-
kammern der Kunst kom-
menden Rei-
senden dieara-
bischenKunst-
werke Kairos
uninteressant
und kaum be-
achtenswert
erscheinen, so
kann dies nur
für denjenigen
Tischlampe für elektrisches Licht, entworfen von A. RIEOL, München.
zutreffen, der Gemälde und Statuen sucht. Wer da-
gegen den Spuren der eigentlichen Volkskunst, des
Kunsthandwerks, nachgeht, der wird in den Ländern
arabischer Gesittung eine Fülle beachtenswerter Kunst-
werke finden. Nicht nur die hinlänglich bekannten
Ornamente der Decken und Wände der Moscheen,
jene als Arabesken bezeichneten endlosen Schnörkel
und Linien, die sich rastlos ein- und ausschlingen,
immer wieder neue Verbindungen eingehen und trotz
anscheinender Willkürlichkeit
und Planlosigkeit stets genau
berechnete geometrische Fi-
guren bilden; nicht nur die un-
übertroffene Meisterschaft der
Araber auf dem Gebiete der
dekorativen
Kunst, wie wir
sie in den von
märchenhafter
Farbenpracht
erglänzenden
Sälen der Al-
hambra zu
Granada und
desAlcazarszu
Sevillabewun-
dern , reizen
den Freund
der volkstüm-
lichen Kunst
in Marokko,
Algier, Tunis
und Ägypten, sondern mit nicht minder
hohem Genuss wird er in den Bazaren
und Werkstätten der Töpfer und Tisch-
ler, der Schmiede und Weber, derGold-
und Lederarbeiter Umschau halten. Denn
die Künstler der genannten Länder be-
gnügen sich heute noch mit der Her-
stellung und Ausschmückung von Ge-
brauchsgegenständen, und die drei-
hundert Goldschmiede, welche in den
engen Buden des Suk-en-Nahasin zu
Kairo ihrem Gewerbe ob-
liegen, sind richtige Kunst-
handwerker, Leute, die mit
Verständnis und Freude das
RohmateriaLselbständigzum
Armband.FussringoderOhr-
gehänge umwandeln. Eben-
so steht es mit den Kupfer-
schmieden,
deren Bazar an
den der Gold-
schmiede
stösst, mit den
Drechslern,
den Teppich-
wirkern, den
Verfertigem
der bunten
DAS ARABISCHE KUNSTHANDWERK
165
Vorhänge, den Webern, den Sattlern ir. s. w. So ein
kairenischer Sattel ist i<ein Schablonenstüci<, wie sie
zu Hunderttausenden aus der Fabril< kommen, sondern
ein stolzes Kunstwerk, verziert mit unzähligen bunten
Fransen, Messingnägeln, Perlenschnüren, Olöckchen
und Gott weiss was sonst noch. Ebenso herausge-
putzt ist der Zaum des Esels, und auf diese Weise
schmückt der Nordafrikaner von Ägypten bis Marokko
auch das gewöhnlichste Hausgerät.
In der Art der Dekoration folgt das heutige
arabische Kunsthandwerk ganz genau den alten Vor-
bildern, und man kann ruhig sagen, dass sich in der
arabischen Kunst seit vier Jahrhunderten nicht das Ge-
ringste geändert hat. Denn wenn ein reicher Ägypter
oder die Regierung von einem europäischen Bau-
meister ein Gebäude errichten lässt, so ist das eben
keine arabische Kunst, und wenn irgend ein Bey oder
Pascha einem arabischen Schreiner nach europäischen
Vorbildern Möbel anfertigen lässt, so stehen wir
wiederum nicht vor Erzeugnissen des arabischen Kunst-
handwerkes. In neuerer Zeit bemühen sich nämlich
die oberen Zehntausend Nordafrikas - Marokko allein
ausgenommen europäische Sitten nachzuäffen, und
besonders in Ägypten wird darin Erkleckliches ge-
leistet. Der reiche Ägypter kleidet sich nach Pariser
Mode, sein Haus ist
von einem deutschen
oder französischen
Architekten erbaut,
seinem Garten steht
ein europäischer Gärt-
ner, seinem Stalle ein
englischer Kutscher
vor, und in seinen
Zimmern sind nur
Wiener Möbel zu
sehen. Das geht so
weit, dass der reiche
Ägypter sogar die
herrlichen orientali-
schen Stoffe, die Vor-
hänge, Decken und
Teppiche aus seiner
Wohnung verbannt
hat, um dafür Chem-
nitzer, Krefelder und
Lyoner Erzeugnisse
anzuschaffen.
Nur die mittleren
und unteren Klassen
Ägyptens sind den
heimischen Trachten
und Sitten, dem hei-
mischen Hausrat und
der heimischen Kunst
treu geblieben, und
für diese Klassen ar-
beiten die Hand-
werker, die wie bei
uns im Mittelalter
nach den Gewerben
Tischlampe für elektrisches Licht, entworfen von A. RIEOL, iWünchen.
zusammenwohnen und den Strassen und Vier-
teln ihre Namen geben. Das ist an vielen Orten
Europas heute noch ein bisschen so: in Paris giebt
es immer noch ein paar Goldschmiede am Quai des
orfevres, und ich erinnere mich, dass ich einst in
Rom, um einen Koffer zu kaufen, die Strasse der
Koffermacher aufsuchte. In Nordafrika ist dieser alte
Brauch noch ganz im Schwang, und sowohl in
Marokko wie in Algier und in Ägypten habe ich be-
obachtet, dass ganze lange Strassen mit Schuster-
werkstätten angefüllt sind, während in einer anderen
Strasse die Schreiner, weiterhin die Schlosser, die
Bäcker, die Goldschmiede, die Büchsenmacher u. s. w.
ihre Kunst ausüben.
In Marokko, wo sich das Volk am reinsten er-
halten hat und am wenigsten von europäischer Tünche
bedeckt worden ist, bietet das Kunsthandwerk die
interessantesten Seiten. In Tetuan wird eine ganze
Breite des Marktes von den Büchsenschmieden ein-
genommen, die jene abenteuerlichen Flinten mit dem
zwei Meter langen Lauf, dem kühn geschwungenen
Kolben und den famosen Steinschlössern bauen. Alles
das wird von dem Meister mit seinen Gesellen vor
den Augen des Vorübergehenden gemacht: der
Büchsenschmied von Marokko ist kein Händler, der
im höchsten Falle
gerade noch im stände
ist, eine ihm von der
Fabrik zugeschickte
Flinte zu zerlegen
und wieder zusam-
menzusetzeUj sondern
die ganze Arbeit geht
aus seinen Händen
hervor. Er hobelt
und schnitzt den
Kolben zurecht, er
schmückt ihn mit ein-
gelegtem Silber, Perl-
mutter und anderen
bunten oder glänzen-
den Dingen, er schmie-
det die einzelnenEisen-
teile und verziert sie
mit eingeritzten Figu-
ren und Inschriften,
die häufig durch ein-
gelegte Silberplättchen
deutlicher gemacht
werden, und wenn
er mit all der Arbeit
fertig ist und das
Werkstück zusam-
mengesetzt hat, geht
er damit hinaus vor
das Stadtthor und
feuert die ersten
Probeschüsse aus der
neuen Waffe. Be-
sonderes Vergnügen
machte es mir, in
i66
DAS ARABISCHE KUNSTHANDWERK
Plaketten „Medusa" und „Hygeia" von O. ROHLOFF, Berlin.
Tetuan der Arbeit des Malers zuzusehen. Dies
war der Mann, der die bunten Wandbretter, Kre-
denzen und Truhen verfertigte, die den Kaffeehäusern
und Wohnstuben in Marokko zum Hauptschmuck
gereichen, sintemalen es daselbst weder Tische noch
Stühle, weder Spinde noch
Schränkegiebt. DerMarok-
kaner hängt an seineWände
eine Anzahl hölzerner bunt
bemalter Wandbretter, die
unseren kleinen Bücher-
brettern ähneln, und darauf
kommen dann die zumeist
in Fez hergestellten schö-
nen Vasen und Krüge zu
stehen. Die Frauen ber-
gen ihre Habseligkeiten
in hölzernen Truhen von
der Form eines etwas
kurzen und hohen Sarges,
der auf das bunteste mit
Gold, Rot, Grün und
Weiss bemalt ist. Im
übrigen giebt es in den
Zimmern nur Teppiche
und Kissen als Hausrat,
und die Belegung der
Wände mit bunten Kacheln
und noch bunterem Stuck
oder kunstvollem Holz-
getäfel vervollständigt die
Wohnlichkeit der Räume.
Dem Maler von Tetuan
habe ich stundenlang bei
seiner Arbeit zugesehen
und dabei gelernt, dass
diese Leute, obgleich der
■■1.
1
r'*^
■ ■ \
f -^
Silberner Weinkühler, Kaiserpreis, entworfen und ausgeführt von
O. ROHLOFF, Berlin.
geometrische Charakter ihrer Dekorationen die An-
ordnung von Schablonen geradezu herauszufordern
scheint, stets aus freier Hand arbeiten. Dies scheint
mir bemerkenswert, weil durch diesen Verzicht auf
mechanische Hilfsmittel, die doch in diesem Falle so
nahe lägen, der Hand-
werker seine Selbständig-
keit behauptet und seiner
Arbeit den Stempel der In-
dividualität d. i. der Kunst
aufdrückt. Zwischen einem
so bemalten Schrein und
einem nach der Schablone
geschmückten besteht der-
selbe Unterschied wie
zwischen einem Buche vor
und einem solchen nach
der Erfindung der Buch-
druckerkunst.
Etwas ähnliches be-
obachtete ich mit Bezug
auf die Herstellung der
bunten Kacheln, deren
man sich in Nordafrika
und Spanien zum Pflastern
der Fussboden und der
unteren Hälfte der Zim-
merwände, sowie auch
häufig zum Ausschmücken
der Aussenmauern und
Dächer bedient. Die alten
Arbeiten dieser Art, die
sich in der Moschee von
Cordoba sowie in anderen
Bauten aus der Mauren-
zeit in Südspanien erhalten
haben,^ unterscheiden sich
Innenrauin aus Teheran.
DAS ARABISCHE KUNSTHANDWERK
169
sehr wesentlich
von den »Azule-
jos«, die heute in
den Fabriken von
Triana bei Sevilla
hergestellt werden.
In der alten Zeit
war der Maurer,
der den Fussboden
und die Wand mit
diesen »Azulejos«
belegte, keine Ma-
schine, sondern ein
denkender Mensch:
er stellte die klei-
nen Plättchen, de-
ren jedes nur eine
einzige Farbe hatte,
so zusammen, dass
sie regelmässig verlaufende und immer
bindungen eingehende blaue, braune,
grüne Linien und Figuren bildeten. Es
dern hat die Ma-
schine den denken-
den Arbeiter um-
gebracht und aus
dem Handwerker
einen Maschinen-
teil gemacht, wäh-
rend bei den Völ-
kern arabischer Ge-
sittung die Ma-
schine ihren Sie-
geszug noch nicht
angetreten hat und
somit der Hand-
werker ein selbst-
thätiges, denken-
des Wesen geblie-
ben ist.
Auf die einzel-
neue Ver- neu Erscheinungen des arabischen Kunsthandwerks
weisse und einzugehen, dünkt mir wenig angebracht, weil sich
war das ein hierin seit Jahrhunderten nichts geändert hat. Die
Jardiniere, entworfen von Bildhauer ALB. MAYER, Geislingen.
aus kleinen Stückchen bestehender Mo-
saik aus Fayence. So ist es noch heute
in Marokko. In Spanien aber werden
jetzt nur noch quadratische Azulejos
hergestellt, die gleich mit der bunten
Zeichnung in mehreren Farben ge-
brannt werden. Der spanische Maurer
braucht also nur ein Quadrat neben
das andere zu legen, und die Zeich-
nung stimmt dann immer ganz von
selbst. Jeder Pudel könnte diese Ar-
beit verrichten, aber zu der altspani-
schen und maurischen Arbeit ist ein
Mensch erforderlich. Und so geht es
mit allen den Künstlern des Handwerks.
Überall in Europa und in den von
europäischer Kultur heimgesuchten Län-
Kunstgewerbeblalt. N. F. XI. H. 9.
Schalen, entworfen von Bildhauer
ALB. MAYER, Geislingen.
arabischen Kunstformen des Mittelalters,
die heute noch ganz unverändert das
Kunsthandwerk beherrschen, dürften all-
gemein bekannt sein und keiner Be-
schreibung benötigen. Es handelt sich
in der arabischen Kunst fast ausschliess-
lich um Flachornamentik, bestehe diese
nun aus dem Bekleiden der Wände mit
Fayenceplatten, aus dem Verschalen der
Kanzeln und Thüren mit Mosaik von
Holz, Metall oder Perlmutter, aus dem
Einkratzen geometrischer oder auch
pflanzlicher Muster in Kupfer- und
Bronzekessel oder aus dem obener-
wähnten bunten Bemalen des hölzernen
Hausrats. Von erhobenen Ornamenten
wussten und wissen die Araber so gut
26
170
DAS ARABISCHE KUNSTHANDWERK
wie nichts, und was sie in dieser Beziehung ge-
leistet haben — die Stalaktiten in ihrer Architektur
ausgenommen — ist auf fremde Einflüsse zurück-
zuführen.
Unser jetzt anscheinend zu neuer Blüte auf-
schiessendes europäisches Kunstwerk wird von dem
arabischen kaum etwas lernen können, vor allen Dingen
deshalb nicht, weil unsere modernen Bestrebungen im
Grundprinzip den arabischen Kunstformen diametral
gegenüberstehen. Wir suchen uns in Europa so viel
wie möglich an die Natur anzuschliessen; wir wollen
keine anderen als die Beispiele der Natur als Vor-
bilder anerkennen, — und die arabische Kunst hat
von jeher genau das Gegenteil gethan. Hat dies
einerseits die Folge gehabt, dass sich die der Volks-
kunst so schädliche Trennung des Handwerks und
der Kunst nicht vollzog, so ist andererseits durch das
Verwerfen aller natürlichen Vorbilder die arabische
Kunst in eine Sackgasse gedrängt worden, deren Ende
sie bald erreicht hatte und wo sie nun seit Jahr-
hunderten steht, ohne einen Schritt vorwärts zu thun.
Denn die Natur ist unendlich und bietet uns immer
wieder neue Formen in unerschöpflicher Fülle, während
selbst dem kühnsten Grübler und Tüftler nichts mehr
einfallen kann, was vor ihm andere Grübler und
Tüftler nicht schon gedacht hätten.
Blumenkübel, Entwurf von AUG. GLASER, München.
Tisch und Stuhl aus dem Innenraum von SCHNE1DEF< & HANAU, Frankfurt a. M. Ausgestellt auf der l'ariser Weltausstellung 1900,
DAS DEUTSCHE KUNSTGEWERBE
AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNO
I.
ALS im Jahre 1851 die erste Weltausstellung in
London stattfand, waren die > Schönen Künste«
vom Progamm so gut wie ausgeschlossen. Und
als der französische Kommissar, Graf de Laborde, es
dennoch versuchte, die Künstler seines Landes zur
Teilnahme zu bewegen, wurde ihm von fast allen
Seiten erwidert, man wolle sich nicht kompromittieren,
der Künstler gehöre nicht in einen »Bazar«. Der
Zusammenhang zwischen Kunst und Handwerk schien
für immer verloren, und die unausbleibliche Folge
davon, ein allgemeiner Rückgang des Geschmackes,
machte sich bereits deutlich fühlbar; schleunige Hilfe
war unbedingt nötig. Aus diesen Erfahrungen und
Erwägungen heraus entstand de Laborde's berühmter
Bericht über die Londoner Ausstellung, dessen leitende,
später in seinem Buche über die »Vereinigung der
Künste und Industrie« weiter ausgeführte Gedanken
nicht nur in Frankreich den grössten Widerhall fanden
und mit den wichtigsten Anstoss zu der allgemeinen
Bewegung für die Wiederbelebung des Kunstgewerbes
gaben. Aber die in London, Paris, Wien, Berlin,
Hamburg, Dresden, Leipzig und vielen anderen Städten
gegründeten Kunstgewerbemuseen und die überall
emporschiessenden Kunstgewerbeschulen führten im
allgemeinen nur zur verständnisvollen Wiederaufnahme
früherer Stilweisen. Man erinnert sich, welche Be-
geisterung in Deutschland eine Zeit lang für die ita-
lienische Renaissance herrschte, wie dann nach dem
70er Kriege »altdeutsch« die Losung wurde, wie man
dann, der schweren Eichenschränke und Eichenstühle
müde, dem Barock und Rokoko Eingang verschaffte
und schliesslich auch das Empire begeisterte Anhänger
fand. Von einem wirklich modernen Kunstgewerbe,
das seine Formen aus dem Gebrauchszwecke und der
Natur des Materials entwickelt und sich im Dekor an
die Motive der heimischen Fauna und Flora anlehnt
und diese zu stilisieren sucht, kann man erst seit der
Mitte der 80er Jahre reden. Heute erscheint uns die
26*
172
DAS DEUTSCHE KUNSTGEWERBE AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNG
einstige Veraclitung der »kleinen Künste« fast unbe-
greiflicli. Ja, die Rollen sind heute beinahe vertauscht.
Oiebt es doch schon Leute, die ein Gemälde oder
eine Skulptur nur auf ihre dekorative Wirkung hin
prüfen.
Es war zu hoffen, dass die diesjährige Weltaus-
stellung zum erstenmale einen grossen Überblick
über die neuen Bewegungen geben und so ein Urteil
über ihre Bedeutung erlauben würde. Diese Hoffnung
hat sich in der glänzendsten Weise erfüllt. Das Kunst-
gewerbe steht vielleicht an der allerersten Stelle. Es
füllt nicht allein zwei grosse Paläste und eine ganze
Anzahl Annexe auf der Invaliden-Esplanade aus, son-
dern ist auch in fast alle anderen Abteilungen ein-
gedrungen. Vor allem haben natürlich die meisten
Völker sich bestrebt, ihre am Quai d'Orsay gelegenen
eigenen Paläste bis in alle Einzelheiten aufs Vor-
nehmste und Geschmackvollste auszustatten und haben
einige überhaupt ihre besten kunstgewerblichen Er-
zeugnisse in ihnen vereinigt. Dann aber begegnet
man fast überall, bei den Nahrungsmitteln wie bei
den Garnen und Geweben, bei den wissenschaftlichen
Instrumenten wie bei den chemischen Produkten, dem
Bestreben, die Erzeugnisse in künstlerisch ausgeführten
Schränken oder Räumen aufzustellen und diese zu
einem architektonisch gegliederten harmonischen Ganzen
zu vereinigen, das zugleich die Natur dieser Erzeug-
nisse, soweit möglich, andeuten soll. Wenn man z. B.
früher dem Deutschen vorwerfen konnte, dass er seine
guten Waren geschmacklos und unvorteilhaft ausstelle,
so ist es um so höher anzuschlagen, dass Deutsch-
land und mit ihm Deutsch - Österreich diesmal auf
mehreren Gebieten in solchen Arrangements das Beste
geleistet haben. Überhaupt bekommt man nach den
ersten Besuchen den Eindruck, dass Frankreich in
mehreren Gruppen, wie vor allem der Juwelierkunst,
noch den ersten Rang behauptet, dass es aber in
vielen andern von den germanischen Völkern Deutsch-
land, Österreich, England und Skandinavien überholt
oder wenigstens eingeholt worden ist, und dass um-
gekehrt die südlichen romanischen Völker den Kampf
scheinbar aufgegeben haben.
Mit dieser Ungeheuern Bedeutung, die das Kunst-
gewerbe in der letzten Zeit erlangt hat, steht die Ver-
ständnislosigkeit, mit dem ihm an leitender Stelle be-
gegnet worden ist, in schneidendem Widerspruche.
Die offizielle Einteilung der Ausstellung kennt den
Begriff Kunstgewerbe überhaupt nicht. Sie hat wohl
eine Gruppe: Dekoration und Ausstattung von öffent-
lichen Gebäuden und Wohnräumen, aber in diese sind
weder die Bronzen noch die Juwelierarbeiten, noch
die Gold- und Silbersachen, dagegen Heizröhren,
Thermometer uud Lampencylinder aufgenommen wor-
den. Nach der Ansicht der Ausstellungsleitung gehört
ein silberner Tafelaufsatz nicht zu den Porzellanvasen,
sondern zu den Bürsten und Korbwaren, d. h. zu der
Verlegenheitsgruppe: Verschiedene Industrien. Auf den
Protest verschiedenerauswärtiger Kommissare hin hat man
sich dann entschlossen, die beiden Gruppen zusammen-
zuwerfen. Und so erleben wir es denn, dass bei
Amerika die Tiffany-Gläser dicht neben Tintenflaschen
und Reisekoffern stehen. Deutschland und ein paar
andere Völker haben sich so zu helfen gewusst, dass sie
für die nicht rein kunstgewerblichen Gegenstände der
beiden Gruppen besondere kleine Gebäude errichtet
haben.
Eine der wichtigsten modernen Bestrebungen ist
darauf gerichtet, die Zimmereinrichtungen in Form
und Ton so harmonisch wie möglich zu gestalten.
Eine völlig einheitliche Durchführung, die dem Zufall
und der Laune gar keinen Spielraum liesse, würde
sich allerdings mit Behaglichkeit und Eigenart nicht
immer vereinigen lassen; jedenfalls aber will man von
Bric-ä-brac nichts wissen. Nun aber sind die Aus-
stellungen immer geradezu eine Schule des Bric-ä-brac
gewesen. Der Besucher kam von ihnen zurück wie
von einer Reise in fremde Länder, hatte sich die
verschiedenartigsten Gegenstände zusammengekauft und
verwandelte seine Wohnung in.einMiniatur-Musum für
die staunenden Bekannten. Dieser Neigung galt es nach
Kräften zu steuern und dies Hess sich nur durch die
Schaffung von abgeschlossenen vorbildlichen Zimmern
bewerkstelligen. Andererseits aber soll eine Ausstellung
möglichst vollständige Übersichten über die einzelnen
Industriezweige geben und Vergleiche ziehen lassen.
Man. konnte sich also nicht damit begnügen, einzelne
Bronzen, Goldarbeiten, Porzellanvasen oder Steingut-
töpfe in die Zimmer zu stellen, sondern musste sie
in eigenen Räumen geschmackvoll vereinigen. Beide
Zwecke sind in der deutschen Abteilung durch ihren
Architekten Professor Hoffacker in trefflicher Weise
erreicht worden.
Kommt man von der amerikanischen Abteilung
her auf die deutsche zu, so wird man aufs angenehmste
überrascht. Die hässlichen Doppeltreppen im Eiffel-
stil sind verschwunden, und auch die mageren Rippen
der Eisenkonstruktion sind so viel wie möglich ver-
hüllt. Wir glauben in die Vorhalle eines vornehmen
Palastes zu treten. An der Eingangsseite ist der
Raum nur durch eine niedrige Mauer abgeschlossen,
an den üb:-gen drei Seiten bilden grau getönte, bis
zum Gelär.-'.cr des Oberstocks hinaufgehende und sich
nach allen Seiten in weiten flachbogigen Durchgängen
öffnende Wände den Abschluss, über welchen ein
reich geschmiedetes Gitter, unterbrochen von vorge-
legten Stuckbaikonen den Abschluss nach oben
bildet. Dieselbe Architektur wiederholt sich mit ge-
wissen Abweichungen im Oberstock, bildet aber hier,
da der Deutschland dort zugewiesene Raum fast
doppelt so gross ist, ein geschlossenes Viereck. In
der Mitte des ganz mit Kiefersfelder Marmor ausge-
legten Fussbodens erhebt sich auf einem mit Moos,
Epheu, Farren- und Haidekraut bewachsenen Felsen
eine grosse schmiedeeiserne Gruppe, die nach dem
Modell des Professors Fritz Hausmann von Gebr.
Armbrüster gefertigt worden ist: ein mächtiger Adler,
der den Drachen der Zwietracht besiegt hat. Dahinter
stehen, den Eingang zum Durchgangsraum flankierend,
auf hohen Sockeln die beiden bekannten Maison'schen
Reiter vom Reichstagsgebäude, in halber Grösse wie
die Originale von Knodt in Frankfurt a. M. in Kupfer
getrieben. Von der Mittelwand des Obergeschosses
Kaminecke aus dem Innenraum von SCHNEIDER & HANAU in Frankfurt a. M. Ausgestellt auf der Weltausstellung in Paris 1900.
174
DAS DEUTSCHE KUNSTGEWERBE AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNG
aber leuchten uns drei nach Kartons des Professors
Max Koch von Puhl und Wagner ausgeführte Mosaik-
gemälde entgegen: Der Friede beschützt die deutsche
Arbeit. Links und rechts unten stehen an Pfeilern
je zwei der in Bronze gegossenen Kaiserstatuen vom
Reichstag. Um diese festliche Halle gruppieren sich
nun mehr als ein Dutzend vornehm ausgestattete
Zimmer, zu denen fast ebenso viele im Oberstock
kommen. Wir finden die grösste Mannigfaltigkeit,
neben völlig modernen solche in früheren Stilweisen,
neben fürstlichen oder für öffentliche Gebäude be-
stimmten Prunkräumen schlichte Wohn- und Schlaf-
zimmer. Bedingung war nur, dass sie einen künst-
lerischen und einheitlichen Charakter tragen. Links
gelangen wir zunächst zu dem äusserst kostbaren
Schlafzimmer in Cedernholz, dessen Täfelung nach
Hoffacker's Entwurf von G. Olm, Berlin, dessen
Möbel von J. Zwiener für den deutschen Kaiser aus-
geführt wurden. Daneben befinden sich ein grösserer
und ein ganz kleiner Raum der Fabrik Buyten & Söhne
in Düsseldorf, der erstere nach Entwürfen von v. Ber-
lepsch-München, der andere nach Angaben des Land-
schaftsmalers Oeder-Düsseldorf. Rechts liegen andere
von Berliner Künstlern entworfene Räume, deren
Möbel zum Teil, neben einem Speisezimmer von
J. Groschkus, Berlin, ebenfalls für die königlichen
Schlösser bestimmt sind, und dahinter ein altnieder-
deutsches Zimmer von Heinrich Sauermann-Flensburg,
ein gewölbtes, gänzlich in Marketeriearbeit ausgeführtes
Musikzimmer von Wölfel-Stuttgart nach Entwürfen von
Gustav Halmhuber, ein kleiner Salon im Louis XVI.-
Stil von Schneider & Hanau in Frankfurt a. M.,
ein modernes Zimmer mit Marketerie von Robert
Macco-Heidelberg nach Entwürfen von J. Süssenbach-
Berlin, endlich zwei kleine ganz moderne Nischen
eines Treppenhauses von Bodenheim- Berlin, zu denen
der Architekt H. Werle die Zeichnungen geliefert hat.
Hinten bildet ein von Emanuel Seidl - München in
Anlehnung an den pompejanischen Stil entworfenes
Prunkzimmer mit Möbeln von Franz Stuck den Durch-
gang zur Porzellanabteilung. Daran schliessen sich
links ein Zimmer eines Kunstfreundes, ein Erkerraum
und ein Jagdzimmer, zu denen die Münchener Maler
Riemerschmied, Pankok und Bruno Paul die Entwürfe
geliefert haben und die in der Hauptsache von den
Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk aus-
geführt worden sind. Rechts von dem Prunkzimmer
befinden sich ebenfalls Münchener Räume nach Ent-
würfen von Gabriel Seidl und Paul Pfann. Die hinter
diesen Räumen gelegene, durch Oberlicht erleuchtete
Verbindungshalle ist neben einigen kleinen anderen
Räumen der Austeilung der Keramik eingeräumt.
Der grosse Saal hinter dem Prunkzimmer enthält die
Erzeugnisse der Berliner und Nymphenburger Por-
zellanmanufakturen und verschiedener Privatfabriken.
Auf ihn folgen links die Meissener Porzellanmanufaktur
und die Kunsttöpfereien Mehlem-Bonn und Villeroy &
Boch-Mettlaq];i und Dresden, rechts ein Raum mit ver-
schiedenen keramischen Erzeugnissen und eine Galerie
mit den Glasfenstern und Bronzefiguren für den Frei-
burger Rathaus-Neubau u. s. w.
Wir hatten gesehen, dass die ursprünglichen
Treppen des Kunstindustrie-Palastes von dem deutschen
Architekten beseitigt worden waren. An ihre Stelle
sind geräumige Treppenhäuser von bedeutender
Wirkung getreten. Zu ihnen gelangt man von den
abgeschrägten Ecken der Vorhalle aus durch sehr
reizvolle Durchgänge mit eigentümlichen Mittelsäulen,
deren gedrungene Schäfte mit Mosaik bekleidet sind
und deren phantastisch reiche, mächtige Kapitelle
durch eine Art Spangen mit den Gewölberippen ver-
bunden werden. Das linke Treppenhaus erinnert an
eine altdeutsche Diele. Die in drei Absätzen recht-
winklig emporführende Treppe besitzt ein von Prof.
Riegelmann-Charlottenburg mit Jagdscenen in Holz-
schnitzerei reich geschmücktes Geländer. Am ersten
Absatz ist in einer Nische ein kleiner Wohnraum mit
Kamin von Max Läuger-Karlsruhe angebracht, dessen
schöne Fliesen an verschiedenen Stellen der deutschen
Abteilung die Wände beleben und insbesondere auch
den unteren Teil des anderen Treppenhauses schmücken.
Dieses ist zum grössten Teil mit Stuckornamenten
verziert und macht einen ungemein prächtigen und
freundlichen Eindruck. Die Treppenflügel führen aus
einem mit gemalter Tonne überspannten Durchgang
in ziemlich niedrigen Gewölben empor, vereinigen sich
in halber Höhe auf einem Podest, um sich dann
wieder zu teilen und in offenen Galerien aufzusteigen.
Oben sind diese Galerien von in Holz geschnitzter
Bogenstellung unterbrochen. Die Halbrundfelder über
ihnen sind mit Bildern aus deutschen Märchen von Max
Koch geschmückt. Der Plafond ist mit deutschen Adlern
und die deutsche Kraft und Arbeit versinnlichenden Moti-
ven reich geschmückt. Die Galerien jenseits der Treppen-
häuser ähneln der entsprechenden unten, der Raum zwi-
schen ihnen wird fast völlig von dem nach Lechterschen
Entwürfen von Pallenberg-Köln ausgeführten und dem
dortigen Kunstgewerbemuseum geschenkten Saal mit
Erker ausgefüllt. An den Langseiten des oberen
Stockwerks finden wir links zunächst das vom Zeichen-
bureau der Karlsruher Kunstgewerbeschule unter
Leitung ihres Direktors H. Götz entworfene Trau-
zimmer des Rathauses zu Karlsruhe, dann ein modernes
Herrenzimmer der Münchner Möbelfabrikanten und
einen Raum mit Musikmöbeln und Teppichen
von Eckmann, rechts ein Badezimmer von Voltz &
Wittmer in Strassburg, ein Musikzimmer in Marketerie
vom Maler Carl Spindler und ein modernes Empfangs-
zimmer der Darmstädter Künstlerkolonie. Die übrigen
Räume sind auch hier wieder den Ausstellungen be-
stimmter Zweige des Kunstgewerbes gewidmet, und
zwar finden wir drei Zimmer mit Juwelierarbeiten,
Gold- und Silbersachen, mit Bronzen, Zinnsachen,
Kunstgläsern u. s. w. und zwei mit Spielwaren, ferner
je einen kleinen Raum mit Hulbe'schen und Collin-
schen Lederarbeiten und einen mit Ankersteinbaukasten.
Man sieht, die reinliche Teilung zwischen Kunstgewerbe
und Industrie war nicht völlig durchzuführen, nachdem
die beiden einmal zusammengeworfen worden waren.
So mussten beispielsweise die durchaus künstlerisch
ausgeführten Uhren der Münchner Werkstätten neben
solchen Erzeugnissen der Uhrenindustrie ausgestellt
Aus dem Inneiiraiim von SCHNEIDER & HANAU, hraiiKiur a. M. Ausgestellt auf der Pariser Weltausstellung iQoo.
Ecke aus dem Innenraum von SCHNEIDER & HANAU, Frankfurt a. M., ausgestellt auf der Pariser Weltausstellung s. Abb. S. 173.
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. g. 27
178
KLEINE MITTEILUNGEN
werden, deren Wert einzig auf dem mechanischen
Gebiete liegt, also unter den »Verschiedenen Industrien <
des Annexes. In diesem Annexe, der gleichfalls von
Hoffacker erbaut worden ist, kommt für uns haupt-
sächlich die ziemlich reich ausgeschmückte Kapelle mit
den Gegenständen der kirchlichen Kunst in Betracht.
Damit ist, wie aus dem früher Gesagten schon
hervorgeht, die Beteiligung Deutschlands auf den
Gebieten des Kunstgewerbes keineswegs erschöpft.
Vor allem ist natürlich auf die innere Ausschmückung
des vom Postbauinspektor Radke erbauten deutschen
Hauses die grösste Sorgfalt verwendet worden. Ganz
besondere Beachtung verdient hier die grosse Halle
mit ihrem wirkungsvollen Glasgemälde von Lüthi-
Frankfurt a. M. und den fein abgestimmten Wand-
malereien des Malers Gustav Wittig. In jeder Weise
gelungen erscheint auch die Dekoration des Wein-
restaurants vom Architekten Möhring. Ein Vorbild
edelsten Geschmackes ist ferner das Arrangement der
deutschen Kunstabteilung in dem Grossen Palaste der
Champs-Elysees. Allerdings scheint es hauptsächlich
als ein Rahmen für Lenbach's tieftonige Bildnisse
berechnet zu sein und stimmt weniger gut zu den
hellen modernen Bildern. Auch hier hat sich Emanuel
Seidl an die Antike angeschlossen. Den Glanzpunkt
bildet der ganz mit gelbem Damast ausgeschlagene
mittlere Saal mit seinem weissen Fries auf schwarzem
Grunde und den streng stilisierten Eingängen. Von
Seidl rührt auch das Münchner Spatenbräu mit seiner
fröhlich-bunten Ausschmückung her. Einen sehr reiz-
vollen Eindruck macht ferner der deutsche Schiffahrts-
pavillon des Hamburger Architekten Thielen. An der
Ausschmückung der im Innern der Industriepaläste
gelegenen deutschen Abteilungen haben besonders
die Architekten Hoffacker, Möhring und Radke mit-
gewirkt. Ausserdem sei auf die Schränke der chemischen
Industrie von Griesebach, diejenigen der Optik und
Feinmechanik von Otto Rieth und auf das elegante
Arrangement der Krefelder Seidenindustrie von Hugo
Koch hingewiesen.
Dieser flüchtige Überblick zeigt, wie grosse An-
strengungen von selten Deutschlands gemacht worden
sind. Wie nun auch das Ergebnis im einzelnen aus-
fallen mag — und dass Deutschland auf allen Ge-
bieten Triumphe feiert, wäre wahrhaftig zuviel ver-
langt — vergeblich werden sie nicht gewesen sein,
und Anerkennung werden sie in vollem Masse finden.
Das Erfreulichste ist, dass sie mit ganz vereinzelten
Ausnahmen nicht von der Sucht nach leerem Ge-
pränge, sondern von geläutertem Geschmacke geleitet
worden sind. Mögen wir auf manchen Gebieten
auch die anderen Völker noch nicht erreicht haben,
bei keinem zeigen sich so viele entwicklungsfähige
Keime, keins übertrifft uns in der Stetigkeit und
Freudigkeit des Vorwärtsstrebens.
WALTHER GENSEL.
KLEINE MITTEILUNGEN
VEREINE UND SCHULEN
DRESDEN. Dem Bericht über die Kgl. Säcli-
sische Kunstgewerbe- Schule und das Kunstge-
werbe-Museum auf das Schuljahr iSgyjgS und
i8g8JQQ entnehmen wir folgendes: Die von Jahr zu
Jahr gestiegenen Anforderungen, welche an die Kunst-
gewerbeschüler bei dem Eintritt in eine praktische Thätig-
keit gestellt werden, veranlassten die Direktion, dem Mi-
nisterium des Innern eine Abänderung des Stunden-
planes vorzuschlagen. Derselbe sollte wesentlich ver-
einfacht, alle Nebenfächer als vorbereitender Unter-
richt in die Unterklassen verlegt und die hierdurch
gewonnene Zeit von den Schülern zu Arbeiten ihres
Faches benutzt werden. Ferner sollte die Beschäf-
tigung einer grösseren Anzahl von Lehrern in einer
Klasse vermieden, vielmehr der Unterricht atelierartig
eingerichtet werden mit nur zwei, höchstens drei Lehrern
in einer Klasse. Dem Lehrer soll hiermit die Mög-
lichkeit geboten werden, die Eigenarten und Fähig-
keiten jedes einzelnen Schülers besser kennen zu
lernen und den Unterricht dementsprechend zu gestalten.
Das Ministerium genehmigte die Vorschläge und die
neuen Lehrpläne sind demgemäss seit Ostern 1898
zur Einführung gelangt. Die Unterklasse wurde ge-
teilt in eine Abteilung für Architekturzeichner, Mo-
delleure und Ciseleure und in eine Abteilung für De-
korationsmaler und Musterzeichner. Letztere Abtei-
lung ging an die im August 1897 wieder selbständig
gemachte Vorschule über. Der Stundenplan erfuhr
i8q8 noch insofern eine Erweiterung, als noch der
bisher fehlende Unterricht in Stillehre eingeführt
wurde. Derselbe wird in vier Gruppen erteilt und
zwar: 1. die antike Periode (Griechen, Römer und
deren Vorläufer), 2. das Mittelalter (romanisch und
gotisch), 3. die Renaissance bis zum Barock, 4. die
Neuzeit (Barock, Rokoko, Louis XVI., Empire, u. s. w.).
Jede Gruppe wird für sich in wöchentlich zweistün-
digen Vorträgen behandelt, mit den Vorträgen sind
Skizzierübungen verbunden, welche den Schülern die
Eigenarten eines jeden Stiles klar vor Augen führen.
Zu einer bessSren Ausbildung in figürlichen Dar-
stellungen sind sowohl der Unterricht im Zeichnen
nach dem lebenden Modell als auch die Vorträge
über plastische Anatomie des Menschen vermehrt
worden. Der in der Abendschule neu eingeführte
Unterricht im Zeichnen nach dem lebenden Modell
erfreut sich einer regen Beteiligung besonders aus den
KLEINE MITTEILUNGEN
179
Kreisen der Lithographen, Porzellan- und Dekorations-
maler. Dem stets empfundenen Mangel an Platz im
Schulgebäude soll durch einen Neubau abgeholfen
werden. Zur Beschaffung geeigneter Entwürfe für
dasselbe ist ein Preisausschreiben an deutsche Archi-
tekten ergangen. — Im Kunstgewerbe-Museum hat
die Beschränkung des Raumes die Leitung veranlasst,
grössere Gegenstände im Vestibül und Treppenflur
zur Aufstellung zu bringen und die Wandflächen der
Museumsräume durch eine völlig systematische Aus-
nutzung zu verwenden. Eine beträchtliche Entlastung
ist durch die Lehrmittelsammlung eingetreten. In
ihr wurden die als Unterrichtsmittel geführten Gegen-
stände mit den Dubletten und den weniger bedeu-
tenden Stücken des Museums für den Gebrauch von
Lehrern und Schülern in zwei gesonderten Räumen
vereinigt. -u-
K REFELD. Dem XV. Jahresbericht des Museums-
Vereins für das Jahr i8qq entnehmen wir Fol-
gendes: Am Schlüsse des Jahres 1898 war aus
dem Vorstande des Vereins unter dem Namen »Aus-
schuss für Kunstarbeit« eine Kommission gewählt
worden, um in weiteren Kreisen das Interesse für die
aufstrebende Kunstarbeit der Gegenwart zu verbreiten
und namentlich den Krefelder Kunsthandwerkern frucht-
bringende Anregungen zuzuführen. Zu diesem Zwecke
wurde besonders die regelmässige Abhaltung von Vor-
tragsabenden empfohlen. Es wurde beschlossen, für
die Mitglieder des Museums- Vereins sechs Vorträge
im Laufe des Winters abzuhalten, darunter auch so-
genannte Fachabende mit Vorführung mustergültiger
Kunstarbeiten aus der neueren Zeit zur Belebung des
einheimischen Kunsthandwerks, an die sich freie Be-
sprechungen schliessen sollen. Als Geschenke sind
zu erwähnen die Porträts des Fürsten Bismarck und
des Papstes Leo XIII., beide gemalt von Franz von
Lenbach; ferner ist es den mehrjährigen Bemühungen
einer Vereinigung von Kunstfreunden aus den Kreisen
des Museums -Vereins gelungen, eine grössere Anzahl
klassischer Bildwerke der italienischen Renaissance
aus der Sammlung Ad. von Beckerath zu erwerben.
Am Schlüsse des Berichtsjahres zählte der Museums-
Verein 138g Mitglieder gegen 1369 im Vorjahr, -u-
AUSSTELLUNGEN
PARIS. Der Amtliche Katalog der Pariser Welt-
ausstellung igoo wird 30 Bände umfassen, wäh-
rend derjenige der Ausstellung von 1889 nur
ihrer 12 füllte. Die Gesamtzahl der Aussteller wird
rund 100000 betragen, etwa 37000 mehr als bei der
letzten Weltausstellung. Als eine Neuerung wird der
Katalog an der Spitze jeder industriellen Klasse amt-
liche, auf Grund der Zählung vom Jahre 1896 her-
gestellte Tabellen enthalten, aus denen die Zahl und
die Verteilung der leitenden und arbeitenden Kräfte
Frankreichs in diesen Klassen ersichtlich ist.
WETTBEWERBE
RESLAU. Das Schlesische Museum für Kunst-
gewerbe und Altertümer schreibt folgende drei
Wettbewerbe aus: 1) Für ein Ex-libris der Bi-
B
bliothek des Museums. Das Ex-libris muss die Worte
»Schlesisches Museum f(ür) Kunstgewerbe u(nd) Alter-
tümer« enthalten, wobei nur die durch die Klammern
angedeuteten Abkürzungen statthaft sind, und einen
genügend grossen leeren Raum für handschriftliche Ein-
fügung des Namens des Geschenkgebers. Als äusserstes
Grössenmass ist ein Flächenraum von 135 qcm fest-
gesetzt. Mehr als drei Farbenplatten resp. Cliches
sind nicht zulässig. Preis 1 00 Mark. — 2) Für einen
künstlerischen Bibliotheksband des Museums in Quart-
format. Es dürfen nur fertige Einbände, nicht Ent-
würfe eingereicht werden. Auf dem Rücken des
Buches muss der Name des Verfassers und der Titel
des Buches stehen. Alles übrige bleibt dem Ermessen
des Buchbinders überlassen. Der Herstellungspreis,
der genau anzugeben ist, darf nicht mehr als 30 Mark
betragen. Zwei Preise im Betrage von 80 und 50
Mark. Die Museumsdirektion beabsichtigt, nach den
preisgekrönten Musterbänden bei den Verfertigern eine
Anzahl von Werken in Arbeit zu geben. — 3) Für
die Zeichnung eines künstlerischen Standrahmens zu
dem im Besitze des Museums befindlichen reichge-
stickten gotischen Kreuze von einem Messgewande
aus der ehemaligen Rathauskapelle. (Höhe 1,20 m,
Breite 0,64 m.) Der Rahmen ist bestimmt, vertikal
frei aufgestellt, nicht an eine Wand gehängt zu werden,
muss eine massige Tiefe haben, verglast sein und sich
versperren lassen. Er kann in gotischem oder mo-
dernem Stile gehalten, darf jedoch nicht so reich
gedacht sein, dass seine Ausführung in Holz mehr
als 250 Mark kosten würde. Preis 80 Mark. — Zu
diesen drei Wettbewerben sind nur schlesische Künstler
und Kunsthandwerker zugelassen. Die Entwürfe resp.
Musterbände sind, mit einem Motto versehen, bis
15. September 1900 bei der Direktion des Schlesischen
Museums für Kunstgewerbe und Altertümer (Graupen-
strasse) einzureichen.
WALDENBURG i. Schi. Preisausschreiben um
Entwürfe für eine Denkmünze aus Anlass der
Feier der 300jährigen Benutzung der Heil-
quelle Oberbrunn in Bad Salzbrunn i. Schi, igoi,
veranstaltet von der Fürstlich Plessischen Centralver-
waltung in Schloss Waidenburg i. Schi, unter Künstlern
aus Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz.
Ausgesetzt sind drei Preise von 600, 500 und 400 M.
Für die Überlassung des Eigentums des zur Aus-
führung bestimmten Entwurfes wird eine besondere
Entschädigung von 500 M. gewährt. Das Preisgericht
bilden die Herren Bildhauer Professor Chr. Behrens,
Maler Professor Ed. Kaempffer und Maler Professor
Max Wislicenus in Breslau. Einzusenden bis zum
1. Oktober d. J. an die Fürstlich Plessische Central Ver-
waltung, Dr. Ritter, Schloss Waidenburg i. Schi., welche
auch die Wettbewerbsunterlagen verabfolgt. -u-
F RANKFURT a. M. Zu dem Wettbewerb für den
auf dem Römerhof zu errichtenden Brunnen waren
30 Entwürfe eingegangen. Prämiiert wurde der
Entwurf des Bildhauers Josef Kowarzik in Frank-
furt a. M. und unter der Bedingung, dass der Künstler
noch ein Modell in grösserem Masstab liefert, zur
27*
i8o
KLEINE MITTEILUNGEN
Ausführung empfohlen. Den zweiten Preis erhielt
Architekt Karl Meckel in Freiburg i. Br., den dritten
Preis Professor Varnesi in Gemeinschaft mit Architekt
Hallenstein in Frankfurt a. M. -u-
STUTTOART. Zufolge des vom Verein für de-
korative Kunst und Kunstgewerbe im Auftrage
der Firma Alfred Bühler, Ledermöbelfabrik Stutt-
gart, veranstalteten Preisausschreibens zur Erlangung
künstlerischer Entwürfe liefen 60 Arbeiten ein. Den
I. Preis erhielt Schmidt Helmbrechts -München, den
II. Preis Herzog- Stuttgart, den III. Preis Kraus-Stuttgart.
BERICHTIGUNG
Infolge eines bedauerlichen Versehens sind einige
auf S. 1 1 8 und 1 20 des 6. Heftes des lfd. Jahrgangs
abgebildete Schmucksachen als von Herrn O. M. Werner
entworfen bezeichnet worden. Von S. 118 rührt nur
der Entwurf der Vase (oben), von S. 120 nur die
Entwürfe der oberen sechs Schmuckstücke von Herrn
O. M. Werner her, während alle übrigen Stücke nach
Entwürfen des Herrn Maler Hirzel in Berlin von
Herrn Juwelier Louis Werner ausgeführt sind.
In Eisen geschmiedete Gruppe von OEBR. ARMBRÜSTER in Frankfurt a. M. Ausgestellt in der deutschen Kunstgewerbe- Abteilung
auf der Weltausstellung in Paris 1900. (Spannweite der Adlerflügel ca. 3,60 m.)
Herausgeber und für die Redaktion verantwortlich: Professor Knrl Hoffacker, Architekt in Charlottenburg- Berlin.
Druck von Ernst Hedrich Nachf, G. m. b. H., Leipzig.
Künstgewerbeblatl. N. F. XI H. lo. 28
Durchgang nacli dem Treppenhaus. Deutsche kunstgcwerbhche Abteilung auf der Weltausstellung in Paris igoo.
Architekt Professor K. HOFFACKER, Berlin.
Relief in Stein am Haus des Vereins deutscher Ingenieure ^ausgeführt von Professor O. RIEGELMANN, Charlottenburg.
VAN DE VELDE UND DIE BERLINER TISCHLEREI
Initial, gezeiclinet von
HANS SCHULZE, Berlin.
NTER den neuen Erscheinungen, welche für die Berliner Tischlerei vor-
nehmen Stils gutes hoffen lassen, ist die wichtigste die Gründung der
Gesellschaft van de Velde, welche gerade begonnen hat, ihre praktischen
Beispiele vor die Augen der Öffentlichkeit hinzustellen. Angesichts dieser
neuen Bethätigung werden gewiss einzelne fortfahren, den vielunistrittenen
über alles Mass zu bewundern, viele werden ihn auch jetzt nicht verstehen,
manche werden ihn nicht lieben, aber keiner wird ihm bestreiten können,
dass er eine Erscheinung so aus einem Gusse ist, wie sich heute kaum
eine zweite auf diesem Gebiet finden dürfte — und aus solchen werden
die Mittelpunkte, von denen starke Impulse ausgehen.
Man kann von van de Velde's Arbeit für die dekorative Kunst nicht
sprechen, ohne des Verdienstes der englischen Tischlerei um eine einfache,
gesunde Konstruktion zu gedenken. Denn von dem englischen Möbel ist
auf Anregung von Serourier auch van de Velde ausgegangen. Seine frühen
Schränke waren so gradlinig und rechtwinklig, als nur irgend ein Ashbee
oder Voysey sie hätte machen können, und diese niedrigen Möbel stehen
auf den bekannten, dünnen, vierkantigen Beinen und laufen meist auf Rollen.
Offenbarungen sind da nicht zu finden, ja man will kaum glauben, es mit
Arbeiten desselben Mannes zu thun zu haben, welcher durch die Dresdener
Ausstellung von 1897 in ganz anderer Gestalt in weiteren Kreisen Deutsch-
lands bekannt wurde.
Während die englische Tischlerei, wo sie gesund blieb, nicht über
2S'
i84
VAN DE VELDE UND DIE BERLINER TISCHLEREI
Relief in Stein am Haus des Vereins deutsciier Ingenieure; ausgeführt von Professor G. RIEOELMANN, Charlottenburg.
die ewige Nüchternheit der parallelen Linien hin-
auskam, lockte ein Geist voll Schwung und Phan-
tasie van de Velde auf andere Wege. Aber seiner
Natur lag es gänzlich fern, in die spielerische Un-
symmetrie zu verfallen, welche die Kehrseite der eng-
lischen Tischlerei bezeichnet. Mir ist nur ein ein-
ziges unregelmässig gebautes Möbel von dem bel-
gischen Künstler bekannt. Es ist ein Schränkchen in
einem Berliner Privathause, dessen streng rechtwink-
liger Aufbau in der einen Hälfte um zwei Fächer
über die andere hinaufragt. Aber solch primitives
Motiv der Abwechslung erschien ihm bald allzu billig,
sein Ehrgeiz verschmäht neuerdings so leichte Arbeit.
Man weiss wie energisch van de Velde das Logische
als die Quelle der Schönheit bezeichnet hat. Da er
nicht nur ein produktiver, sondern auch ein polemischer
Geist ist, so hat er sich hier und da auch schriftlich
über seine Grundsätze geäussert. Es ist interessant,
zu untersuchen, wie weit Theorie und Praxis sich bei
ihm decken. Aus dem Zweck heraus erfindet er die
Form, und er giebt an, nur darum beständig seine
Modelle zu ändern, weil ihm noch nie eines seiner
Werke vollkommen genügt habe. Wenn ihm erst
einmal ein Stuhl wirklich vollendet gelungen sei, dann
wolle er weiterhin stets nur denselben wiederholen.
Ihn schreckt so wenig die sich hierdurch eröffnende
Perspektive der Gleichförmigkeit, dass er an derselben
Stelle hinzufügt, es sei sein Ideal, diesem einzigen
Möbel in möglichst vielen Exemplaren die weiteste
Verbreitung zu geben, denn höchste Aufgabe der
Kunst sei es, dem Schönheitsbedürfnis und dem Be-
hagen der grossen Masse der Menschheit zu dienen.
Diese Ansicht hängt eng mit der sozialen Anschauung
zusammen, welche die Menschen im Grunde für gleich-
artig hält, und welche dieselben Neigungen und das-
selbe Gefühl bei allen voraussetzt, so dass alle durch
die gleichen Formen befriedigt werden könnten. Wir
anderen, die wir an dieser Gleichartigkeit zweifeln,
und welche auch nicht glauben, dass jemals eine
solche Verarmung an individuellem Empfinden ein-
treten wird, dass man ihm mit einer einzigen Form
beikommen könnte; wir haben nur zu wünschen, dass
der Künstler sein Ideal niemals erreichen möchte,
damit er immer fortfahre, neues zu ersinnen. Einst-
weilen ist er rüstig am Werk, und wer der quellen-
den Frische seiner Erfindung aufmerksam gefolgt ist,
der wird sich sagen, dass jene sicherlich festbegrün-
dete Überzeugung wie bei manchem anderen Künstler
nicht allzuviel mit seinem wirklichen Schaffen zu thun
hat. Dass thatsächlich der Reichtum seiner Formen
nicht allein aus der nackten Notwendigkeit hervorge-
gangen ist, wird aus näherer Betrachtung mancher
Einzelheiten hervorgehen.
Für den ersten Blick ist in allem, was dieser
Künstler schafft, die Vorliebe für die geschwungene
Linie am bemerkbarsten. Freilich muss bei einem
VAN DE VELDE UND DIE BERLINER TISCHLEREI
Relief in Stein am Hans des Vereins deutscher Ingenieure; ausgeführt von Professor G. RIEGELMANN, Charlotleiiburg.
bestimmten Möbel, auch bei den erklärten Anhängern
des rechtwinkligen, die Rücksicht auf Bequemlichkeit
zur Vermeidung der geraden Linie führen. Das ist
der Stuhl und seine Lehne. Von hier aus breitet
sich dann die gebogene Linie über die übrigen Möbel,
ja bis zu den Umrahmungen der Thür- und Eenster-
öffnungen, wohl auch auf die Verbindung zwischen
Zimmerwand und Decke aus. Für van de Velde
besonders folgt hier ein Schritt aus dem anderen,
weil er von allen modernen, dekorativen Künstlern
am entschiedensten danach gestrebt hat, die Raum-
ausstattung als zusammengehöriges Ganzes zu behan-
deln. Nirgends erhält man stärker den Eindruck,
dass kein geschicktes Zusammenfügen verschiedener
Einzelpläne die Raunidekoration mit dem Gerät so
harmonisch verband, sondern dass ein klares Bild
des Ganzen im Geist des Erfinders das Ursprüng-
liche war, aus dem sich dann die Einzelheiten mit
Notwendigkeit entwickelten. So geht der gleiche
Grad von Solidität, von schwungvoller Repräsentation
oder von schlichter Zierlichkeit je nachdem , auf
welche dieser Eigenschaften die Bestimmung des
jedesmaligen Raumes hinweist, durch sämtliche Fak-
toren der ganzen Einrichtung. Das klingt, so nüch-
tern ausgesprochen, vollkommen selbstverständlich
und ist doch etwas so selten Vorkommendes, dass
sehr energisch auf diesen Punkt hingewiesen werden
muss. Ja die Zusammengehörigkeit ist so ernsthaft
gemeint, dass, wo es angeht, möglichst viel von dem
Gerät ganz eng untereinander zusammengeschlossen
auch wohl an eine Holztäfelung fest, angelehnt er-
scheint, eine Erinnerung an Gepflogenheiten des
gotischen Stiles und das direkte Gegenteil der eng-
lisch-japanisierenden Mode, welche so gerne mit dem
Mobiliar im Räume umhervagabundiert. Immer aus
dem gleichen Bestreben fliesst auch die Neigung, die
Höhenverhältnisse der Möbel einander zu nähern, um
dadurch den Eindruck behaglich zu machen und die
Aufmerksamkeit zu konzentrieren. Wo eine Holz-
täfelung angebracht ist, da ragen die Thüren und
Schränke nur gerade so viel über deren oberen Ab-
schluss hinaus, um durch wiederholte Überschneidungen
in die wagerechte Linie Abwechslung zu bringen.
Bei den Schränken und Büchergestellen spricht dabei
freilich vor allem wieder der Zweck sein Machtwort,
dem es besser entspricht, wenn die Fächer sich nicht
zu schwer erreichbarer Höhe türmen.
Bei so lebhaftem Einheitsstreben nuiss natürlich
die Linie nächst den Geboten der Zweckmässigkeit
die Verordnungen der Übereinstimmung befolgen,
und diese Übereinstimmung kann für einen Geist
von solchen Grundsätzen nicht im Zufälligen, Äusser-
lichen liegen. Man wird keine reiche Ausbeute
haben, wenn man in diesen Ausstattungen auf die
Jagd nach zusammenfassenden Ornamenten geht,
welche an anderer Stelle manchmal allein für den
Eindruck der Zusammengehörigkeit Sorge tragen
müssen. Hier liegt die Einheitlichkeit im Organischen.
Und doch regiert keineswegs die Uniform. Weit
davon entfernt, dass die Kurve mit plumper Aus-
i86
VAN DE VELDE UND DIE BERLINER TISCHLEREI
7 > \„ . ,.A -
Relief in Stein am Haus des Vereins deutscher Ingenieure;
ausgeführt von Professor G. RIEOELMANN, Charlottenburg.
schliesslichkeit überall den Fuss hingesetzt hätte.
Nur wo der Zweck es befiehlt, oder wo kein Zweck
berührt wird, füiirt sie ihre Bewegungen aus, während
unmittelbar daneben die rechtwinklige Tischplatte
oder die senkrechte Schrankfläche mit ihren gerade
abschliessenden Linien mit dem vollen Rechte der
Selbstverständlichkeit auftreten, wo eben nur sie allein
die Aufgabe befriedigend erfüllen können. Ein gutes
Beispiel für die vorurteilslose Verbindung der geraden
und der gekrümmten Flächen und Linien bildet das
bekannte Herrenzimmer von der Münchener Aus-
stellung. Hier bestimmte der Schreibtisch, als das
wichtigste Möbel die Haltung des Zimmers. Darum
war er in die Mitte gerückt. Indem somit die Rück-
sicht auf das feste Anlehnen an eine Wandfläche
fortfiel, welche neben anderen Rücksichten unseren
Möbeln die vorwiegend rechtwinklige Gestalt auf-
gedrängt hat, ergab sich die Möglichkeit, die Grund-
fläche als flache Bogenform zu gestalten. Dadurch
werden die seitlichen Schrankthüren und Fächer dem
Schreibenden, der im Augenblick eine Notiz ver-
gleichen will, bequemer erreichbar, als wenn sie sich
in gerader Richtung von ihm entfernten. Vor allem
aber wird die Gestalt des umfangreichen Möbels, auf
das sich an seinem bevorzugten Standort alle Auf-
merksamkeit konzentriert, durch die Schwingung ge-
fällig gemacht. Sie wird doppelt empfunden, da die
an den Wänden lehnenden Schränke für Mappen und
Akten nach den strikten Anforderungen ihrer Auf-
gabe nur von geraden Linien umschrieben sind und
nur in den Umrahmungen der Glasthürcn duich be-
scheiden bewegte Einfassungen eine reichere Lebendig-
keit erhalten, welche die Harmonie mit den Formen
des Schreibtisches herstellt.
Dass er kein besonderer Freund der geraden Linie
sei, bewies van de Velde schon längst durch die
Behandlung der Thür. Manchmal vermeidet er sogar
den senkrechten Abschluss nach den Seiten hin und
ersetzt ihn durch Teile von Kreislinien. Das kann
natürlich nur geschehen, wo der lichte Raum der
Maueröffnung weit genug ist, um eine teilweise Ver-
engung zu ertragen. Für den Privatwohnraum, wo
das nicht zutrifft, wird die Thür seitlich geradlinig
begrenzt und der Rahmen nach oben von vorsichtig
bewegten Schwingungen gekrönt. Bei dieser herr-
schenden Tendenz konnte es auch nicht überraschen,
dass es van de Velde war, der einen Bilderrahmen
aus bewegten Linien statt aus der rechteckigen Leiste
formte, eine Neuerung, welche manche von uns bereits
erwartet und vorhergesagt hatten, während bisher alles,
was von der Schablone abwich, eine Anlehnung an
die Fonrien des mittelalterlichen Altarrahmens oder
an die des Rokoko darstellte.
Schon aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass
es nicht nur eine einzige Form zu sein braucht, die
der Zweck vorschreibt. Die Thüre und das Fenster
würden z. B. ihre Aufgaben ebenso gut erfüllen, wenn
sie von den banalsten geraden Linien abgeschlossen
wären, als wenn Phantasie dabei verschönernd mit-
wirkte, und so giebt es noch weitere Beweise, dass
die vorhin erwähnten Theorien zu eng gefasst sind,
um auch nur das eigene Schaffen dessen, der sie
formulierte, erschöpfend zu bezeichnen, geschweige,
dass sie für alles Schaffell überhaupt massgebend
wären. Van de Velde selbst giebt z. B. an, dass er
bei einem Mänteliialter zuerst daran denke, in welcher
Höhe er die Haken zum Aufhängen anbringen wolle.
Danach berechne er dann die Breite der Standfläche
des Möbels und verbinde diese mit dem oberen Ende
durch seitliche Streben, welche sowohl der Festigkeit
zu dienen, wie auch das Hinausbauschen der aufge-
hängten Kleider nach den Seiten zu verhindern hätten.
Beiden Zwecken würden aber auch einfach schräg
gestellte, geradlinige Holzstützen genügen, und wenn
man wollte, könnte man diese Lösung als die logischste
bezeichnen, weil sie den Zweck vollkommen und mit
dem geringsten Kraftaufwand erreichte. Wenn trotz-
dem auch in diesem Falle die energische Schwingung
bevorzugt ist, welche durch ihre Gefälligkeit die Auf-
merksamkeit von dem Zweckdienlichen abzieht, so ist
das ein erneuter Beweis, dass es um Schönheit an
sich zu thun war, und solcher schönen Linien für
diese Stelle würden sich noch mehrere finden lassen,
welche alle die Aufgabe gleich gut erfüllen könnten.
Thatsächlich sind hier die Bewegungsmöglichkeiten
Ansicht der Galerie des einen Treppenhauses in der deutschen kunstgewerblichen Ahleilung auf der Pariser Weltausstellung looo.
Architekt Professor K. HOFFACKER, Berlin.
VAN DE VELDE UND DIE BERLINER TISCHLEREI
189
Pfeiler von der dekorativen Frontarcliitektur des Liclitliofes der
deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der Weltausstellung
in Paris 1900. Architekt Professor K. HOFFACKER, Berlin.
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 10.
für die Phantasie durchaus nicht eng begrenzt, und
van de Velde's Praxis beweist, dass er Veränderungen
findet und auch bewusst danach strebt, ohne dass
darum die erste weniger logisch und zweckdienlich
wäre als die folgenden Lösungen.
Wenn es demnach auch nicht nur eine zweck-
mässige und darum nur eine schöne Form giebt,
so liegt doch die Bedeutung dieses Künstlers un-
zweifelhaft, wie er auch selbst richtig empfindet, gerade
für unsere Zeit darin , dass er im Gegensatz zu
manchen deutschen Künstler-Handwerkern die Schön-
heit nie ausserhalb des Zweckmässigen sucht. Darum
kann sein Beispiel für uns wichtig werden, und es
ist freudig zu begrüssen , dass seit Begründung der
Gesellschaft in Berlin, die seinen Namen trägt, seine
Arbeiten häufiger bei uns erscheinen werden. Das
erste Werk dieser Gesellschaft in der Reichshauptstadt
ist die Ladeneinrichtung der Continental - Havanna-
Compagnie in der Mohren Strasse, welche vom ersten
bis zum letzten Stück den Plänen des Belgiers ent-
stammt. Diese Räume, welche stets dem grossen
Verkehr offen stehen, werden wirksamer als das, was
sich bisher in Ausstellungen begrenzten Gesellschafts-
klassen zeigte, dazu beitragen, die Augen der grossen
Masse an die zweckmässige Schönheit zu gewöhnen.
Viele werden dort einsehen lernen, dass die Ge-
fälligkeit eines Geräts nicht in dem äusserlich an-
gehefteten Schmuck liegt. Denn wenn es immer zu
den charakteristischen Eigenschaften dieses Künstlers
gehörte, dass er mit ganz wenigen Ornamenten aus-
kam, und dass diese sich nur als bescheidene Er-
weiterungen der notwendigen Biegungen seiner
Konstruktionsformen darstellten, so ist in diesem
Räume, der mit seinen rings die Wände umstellenden
Repositorien von der Menge der Waren reichlich
ausgefüllt ist, absichtlich jedes schmückende Ornament
vermieden. Nur an dem obersten Teil der Wände
füllt ein schablonierter Fries die leere Fläche und
Thür und Fenster zeigen in ihren Kunstverglasungen
farbige Ornamente. Es giebt einen Unterschied der
Gesetze für die Gestaltung eines dem nüchternen
Geschäft dienenden Raumes einerseits und anderer-
seits einer Halle, welche dem heiter festlichen Aufbau
von Kunstwerken dienen soll. In dem Laden der
Mohrenstrasse rings bescheidene Zurückhaltung in der
Linienführung und knappe Behandlung des Materials,
das sich jeder entbehrlichen Biegung enthält. In der
Verkaufshalle des Kunstsalons Keller & Reiner da-
gegen , wo reichlicher Platz vorhanden ist, und
die Aufstellung vielfacher Ziergegenstände zum Ver-
weilen und beschaulichen Geniessen einladet, findet
sich eine vornehm repräsentierende Fülle der Formen,
die, über das Notwendige hinausgehend, Auge und
Phantasie beschäftigen und sich doch streng logischen
Gesetzen unterordnen.
Merkwürdigerweise hat gerade die Sachlichkeit
und Zurückhaltung van de Velde's sogar in der
Fachpresse Äusserungen des Widerspruchs erfahren.
Man vermisst an ihm die Phanfasie, giebt zu, dass
seine »ungeheure Vernünftigkeit und überwältigende
Logik« dem Norddeutschen zwar imponieren müsse,
29
IQO
VAN DE VELDE UND DIE BERLINER TISCHLEREI
dem Süd- und Südwestdeutschen aber »befremdend,
wo nicht herausfordernd und ärgerlich« sei. Dort
zu Lande sei das Schmuckbedürfnis ein grösseres.
Gleichzeitig wird dann an derselben Stelle sogar ge-
klagt, dass wir in den Ausstellungen jetzt »Arme-
Leute-Einrichtungen für reiche Leuten zu sehen be-
kämen. Die modernen, deutschen Möbel seien zu
kostspielig, wenn sie so einfach gemacht würden.
Das nennt man nun allerdings einen Protzengeschmack,
welcher verlangt, dass der Kaufpreis deutlich aus dem
Gegenstand hervorschreie. Ausserdem scheint mir,
wie ich schon einmal an dieser Stelle angeführt habe,
dass Zimmereinrichtungen, wie Bruno Paul, Bernhard
Pankok und selbst von Berlepsch sie in München und
Dresden gezeigt haben, eher logische Einfachheit als
reichliche Schmuckzuthaten vermissen lassen. Wenn man
sie auffordert, »reichere« Formen zu erfinden, so klingt
das, als wenn man Leuten, die noch nicht einmal
Brot haben, anrät, sich nach Kuchen umzusehen.
Wir haben kaum angefangen, uns darauf zu besinnen,
dass wir Geräte für moderne Zwecke gebrauchen.
Auch Süddeutschland hat keineswegs auf eine fester
begründete Basis hinzudeuten. Gerade wollen sich
die ersten Keime für entwicklungsfähige Formen
aus manchen auf gut Glück gemachten Versuchen
herausschälen, und statt ihnen Zeit zu gesunder Ent-
wicklung zu lassen, sollen sie gleich bei ihrem Auf-
spriessen dadurch erstickt werden, dass man sie von
oben her mit Nebensächlichem behängt und verdeckt?
Warum denn diese Ungeduld, die natürliche Ent-
wicklung zu beschleunigen. Keine Frage, dass auch
der Wunsch nach Schmuck seine Berechtigung hat
und dass auch die moderne Nutzkunst einmal eifrig
danach streben wird, durch reiche Formen verwöhnten
Ansprüchen zu genügen. Aber heute ist die Zeit
noch nicht gekommen. Das Schlimmste, was der
neuen Bewegung geschehen könnte, wäre, dass ihre
Vertreter auf Ratschläge wie der angeführte hörten
und noch mehr, als dies schon hie und da geschieht,
ihrem Schmuckbedürfnis die Zügel schiessen Hessen.
Wenn wir einmal einfache, bequeme und gefällige
Möbel haben werden, wenn die Stuhl- und Tischbeine
nicht mehr zwischen erschreckender Plumpheit und
nervös machender Spindeldürre hin und her schwanken
werden, wenn kein Gerät mehr droht nach vorne
oder hintenüber zu fallen, wenn nicht mehr in einem
und demselben Raum widersprechende Konstruktions-
glieder möglich sein werden — dann ist die Zeit
gekommen, darüber zu reden, wie nun auch Luxus-
ansprüche befriedigt werden können. Bis dahin aber
wird man immer noch berechtigt sein, angesichts des
reichverzierten Möbels zu bezweifeln, ob sein Urheber
imstande gewesen wäre, die ungeschmückte Form
schön und logisch zu gestalten und den Verdacht
nicht gänzlich zurückweisen können, dass die Zuthat
nicht sowohl der Zierde, als vielmehr der Bedeckung
und Verheimlichung organischer Fehler dienen solle.
In diesem Sinne kann man gewisse Bestrebungen
der Berliner Tischlerei mit Genugthuung verfolgen.
Die Kunsthandlung Keller & Reiner hat seit dem
vergangenen Herbst die ersten Proben der in ihren
eigenen Werkstätten hergestellten Möbel gezeigt. Nach
dem Vorbilde von Bing in Paris, dessen art nouveau«
dem Berliner Salon von Anfang an massgebend war,
will er sich nun nicht länger begnügen, nur Sammel-
stelle für die Kunst aus aller Herren Länder zu sein.
Die Firma will selbst in die Entwicklung eingreifen.
Man wird die weitere Arbeit abwarten müssen, ehe
man Entscheidendes darüber sagen kann, was von
dem Unternehmen zu erwarten ist. Die bis zum Ende
des Jahres 189g gezeigten Proben gehen nicht über
ein Verwerten besonders englischer Anregungen hinaus.
Aber das muss betont werden, dass diese Möbel sich
vorteilhaft von dem unterscheiden, was man bis vor
kurzem in Berlin unter englischem Stil < verstand.
Jenes Tothetzen der Unsymmetrie und das Überkleben
des Möbels mit Bordbrettern und Galerien, welches
System für die allgemeine Begriffs- und Geschmacks-
konfusion so bezeichnend war, vermisst man bei den
Möbeln der Werkstätten Keller & Reiner zu seiner ent-
schiedenen Genugthuung. Höchstens dass sich hier
und da die Neigung zeigt, das verständig gebaute
Möbel mit einem Zuviel an Metallauflagen und far-
bigen Verglasungen zu »bereichern«.
Auch die Werkstätten des Hohenzollernkaufhauses
(Firma Hirschwald & Co.) lassen nach eigenen Ent-
würfen Zimmereinrichtungen herstellen. Auch hier
führt hauptsächlich der englische Stil das Regiment,
und zwar in seiner schlichtesten, gegen jeden Einwand
gesicherten Form. Ganz vernünftig praktische, aus
der rechtwinkligen Kastenform heraus entwickelte
Möbel setzen einen gesunden Sinn bei dem Publikum
voraus, an das sie sich wenden. Eigentlich Neues
wird also auch hier nicht angestrebt, dafür aber ein
Geschmack der Einfachheit verbreitet, welcher eine
sichere Grundlage für die weitere Entwicklung zu
werden verspricht. Ausserdem wird in denselben Werk-
stätten auch nach den Enfwürfen verschiedener deutscher
und ausländischer Künstler gearbeitet, welche ihrem
Werk ausser allgemeinen Zeittendenzen auch einen
persönlichen Stempel aufzudrücken vermögen. Von
den Deutschen ist besonders Professor Eckmann zu
nennen. Man kann dort einige der Möbel sehen, die
er für das Arbeitszimmer des Grossherzogs von
Hessen entworfen hat. Das Gebiet, auf dem sich
der Vielseitige hier bewegt, ist für ihn bisher
noch Neuland, man wird deshalb erst mit der Zeit
ergiebigere Ernten von ihm erwarten dürfen. Ver-
glichen mit seinen Tapeten und Teppichen, die mit
ihren Flachmustern innerhalb der eigentlichen Domäne
dieses Meisters der stilisierten Pflanzenform liegen,
zeigen die Möbel noch nicht die gleiche anmutige
Sicherheit, welche das Gewollte zugleich als das
Notwendige erscheinen lässt. Aber ein überlegtes
Zweckbewusstsein spricht sich in der Formenwahl
aus und besonders in dem Verschwinden jeder
naturalistischen Form, welche freilich auch dem
Möbel noch weniger angemessen wäre, als dem Be-
leuchtungskörper aus Metall, bei dem Eckmann
manchmal bis hart an die Grenze streifte, welche das
Gebrauchsgerät vom reinen Ziergegenstand trennt.
Bei den Möbeln giebt es auch kein Neuheitsbestreben
Diele, Holzschnitzerei von Professor O. RIEOELMANN, Charlottenburg, Deutsche kunstgewerbliche Abteilung
auf der Weltausstellung in Paris 1900.
29*
VAN DE VELDE UND DIE BERLINER TISCHLEREI
193
um jeden Preis, und nur hier und da wird eine
praktische i<ieine Veranstaltung als eigene Erfindung
ungezwungen in den Rahmen der Konstruktion ein-
gefügt: ein Bücherbrett, das am Innern der geöffneten
Schrankthür herabgelassen und nach dem Gebrauch
wieder aufgeklappt werden kann, oder ein Lesepult
innerhalb der Platte eines Tisches für ein Bibliothek-
zinimer, welches durch eine verstellbare Stütze in
dem Tischkasten aufgerichtet und ebenso wieder in
gleiche Ebene mit dem übrigen Teil der Platte zurück-
gelegt werden kann. Die Holzstärken dieses Tisches,
der bei Keller & Reiner ausgestellt war, wirkten
ebenso wie die dazu gehörigen Stühle etwas massiv,
was freilich dadurch besonders empfindlich wurde,
dass das Mobiliar mit verschiedenen anderen Möbel-
proben von abweichendem Charakter mehr bazarmässig
zusammengestellt war, als dies dem Programm jenes
Kunstsalons entspricht. Als kleinstes, aber in sich
vollendetstes Stück will ich eine Fussbank nicht un-
erwähnt lassen mit ihrem schräg gestellten Kissen,
das auf einem gefälligen und sehr natürlich ge-
schwungenen Holzgestell ruhte.
Aber auch für jene, die gar zu ungeduldig nach
dem ausschauen, was nach dem einfachen nur aus
der Konstruktion entwickelten Möbel kommen soll,
haben die Werkstätten des Hohenzollern -Kaufhauses
einen Wink zu geben. Dort steht in den Muster-
zimmern eine Saloneinrichtung, welche nach Plänen
der französischen Künstlerfirma Plumet-Selmersheim
in Berlin ausgeführt wurde. Die Franzosen sind
beide von Hause aus Architekten, während van de
Velde als Maler begonnen hat. Wer das nicht weiss,
könnte eher glauben, es verhielte sich umgekehrt.
Von dem Architekten sollte man erwarten, dass ihm
die Logik des Zusammenhanges aller Teile über alles
ginge, während man dem Maler eher zutrauen könnte,
dass ihn die Reize des Details besonders fesselten.
Und doch ist es diesmal der letztere, welcher von
dem Aufbau des Ganzen ausgeht und ihm jede Einzel-
heit unterordnet, während die Architekten zwar ihre J^
Konstruktion gefällig durchführen, aber es zugleich VB
nicht lassen können, den Blick auf Kleinigkeiten zu
heften und dadurch Überraschungen zu bereiten. Es
ist etwas von der Neigung des Rokoko zu tausend
Kriegslisten, was hier in völlig veränderter Gestalt
auflebt. Während man bei van de Velde durch einen
starken Charakter mit einem Schlage besiegt wird,
sind es bei den Galliern die angenehmen Plänkeleien
und Vielseitigkeiten, welchen sich unsere Augen ge-
fangen geben. Aber es sind ganz leise und ohne
viel Aufhebens vor sich gehende Manöver, die diesen
Erfolg erringen. Man kommt nicht mit einem Blick
hinter ihre Schliche. Man muss auch die tastenden
Finger zu Hilfe nehmen, um ihnen auf die Spur zu
kommen. Dann fühlt man sich mit Genuss an diesen
Formen entlang, die nach verborgenem Gesetz all-
mählich anschwellen und wieder abnehmen, folgt dem
Dehnen und Ineinanderschmiegen, als sei es ein leben-
diges Wachsen eines organischen Wesens. Und siehe
da, hier oder da löst sich auch schon ein Blatt aus
dem Stamm, schmiegt sich bescheiden an den grossen
Zug der Bewegung — ein erster verstohlener Realis-
mus. Dies ist das erste Deckblatt, das aus dem
Samenkorn hervorquillt, so lange es noch halb im
nährenden Erdreich verborgen ruht, das noch nichts
von der reichen Bildung der künftigen Pflanze verrät,
und welches doch mit voller Sicherheit anzeigt, wie
sich das Ganze einmal weit und reich entfalten wird,
mannigfache Schösslinge nach allen Seiten aussendend.
Mit wie sicherem Takt auch diese Franzosen sich
davor hüten, diese kommende Entwicklung vorweg
zu nehmen, so ist natürlich ihr Beispiel sehr leicht
dem Missverständnis ausgesetzt, als liege in den kleinen
Zuthaten das Geheimnis ihrer anmutigen Wirkung.
Das Schmuckdetail, so bescheiden es auch sei, wird
immer früher bemerkt werden als da? Konstruktions-
gesetz, und es ist für alle Fälle leichter — nach-
zumachen.
Die prinzipiell einfache Tischlerei, zu deren er-
folgreichsten Vertretern man immer van de Velde
wird zählen müssen, sammelt das Vermögen an sicherer
Gediegenheit an, das Grundkapital, dessen Erbschaft
einmal der Stil antreten wird, von dem man in den
Arbeiten der Franzosen die ersten Andeutungen er-
kennt. Besonders für bestimmte Zwecke, nämlich
überall da, wo es auf heitere Zierlichkeit ankommt,
wird er sich siegreich neben dem schlicht Zweck-
dienlichen seinen Platz erobern. A. L. PLEHN.
Schlussleiste, gezeichnet von Daniel Bück, Berlin.
n .fior-Tinn
'^'^'-^^ssriigc
KLEINE MITTEILUNGEN
SCHULEN
ELBERFELD. Nach dem Bericht der Städtischen
Handwerker- und Kunstgewerbe seh nie über das
Schuljahr iSggIrgoo hat sich die Anstalt im
letzten Jahre erfreulich weiter entwickeU. Die Schüler-
zahl betrug im letzten Winter Q20 Schüler gegenüber
711 Schülern im Winterhalbjahr 1898/99. Anfang
Juli 1899 konnte die Schule die Räume des früheren
Realgymnasiums in Benutzung nehmen; aber auch
diese Räume haben sich als völlig unzulänglich er-
wiesen. Diesen Übelständen wird durch den Neubau,
der in diesem Frühjahr begonnen werden soll, abge-
holfen werden. Eingerichtet wurde eine ständige
Ausstellung von Schülerarbeiten, welche ein anschau-
liches Bild von den Leistungen der Schule bieten
soll, ferner folgende neuen Klassen: ein Kursus für
Elektrotechniker und Installateure, zwei Kurse für
Musterausnehmen für Bandwirker, ein Parallel-Kursus
für Mathematik, ein Kursus für Gärtner. Im Berichts-
jahre nahmen zum erstenmale Damen an dem Unter-
richt teil. Um Schule und Werkstatt noch mehr zu
verbinden, wurden in der Schule ausgeführte Zeich-
nungen durch die Schüler in den Werkstätten ihrer
Meister unter Aufsicht des Fachlehrers zur Ausführung
gebracht. Derartige Versuche sind zunächst in der
Kunstschlosserklasse gemacht worden. Durch Erlass
des Herrn Ministers für Handel und Gewerbe wurden
vier Lehrern die Mittel gewährt, um unter Professor
Meurer's Leitung die im Vorjahre begonnenen Natur-
studien in Rom fortsetzen zu können. Die Schule
wird dadurch in die Lage versetzt, den Unterricht von
Grund aus auf das Naturstudium zu gründen, -u-
GENF. In einer, der Schweiz und ihrer Beteili-
gung an der Pariser Weltausstellung gewid-
meten Sondernummer bringt die Revue illustree
in Paris Mitteilungen über die Kunstgewerbeschule in
Genf, aus denen hier das rein Thatsächliche folgt:
Die Schule nimmt Zöglinge mit dem zurückgelegten
1 5. Jahre auf. Ihr Unterricht will in die nachstehend
bezeichneten Industrien einführen und umfasst: Kunst-
und Stilgeschichte; Bau-, Figuren- und Ornament-
zeichnen; Modellieren und Komposition von Figuren
und Ornament; Aktzeichnen; Ciselieren, Goldschmiede-
arbeit; dekorative Bildhauerei für Bauzwecke; Model-
lieren in Gips; Holzbildhauerei; Kunstbronze, künst-
lerische Schlosserarbeit (Schmiedeeisen); Holzschnitt,
Keramik und dekorative Malerei; Emailmalerei. Der
Unterricht ist unentgeltlich; das Schuljahr läuft von An-
fang August bis Ende Juni. — Nebenden in den einzel-
nen Klassen ausgezeichneten Arbeiten stellt die Genfer
Kunstgewerbeschule in Paris einen ausschliesslich
durch ihre Schüler hergestellten Speisesaal aus. -ss-
1. Brunnenschale vor dem sog. romanischen Haus. 2 und 3. Kaminfries im Hotel Bristol in Beriin, nach Modell von Professor O. RIEOELMANN
in Alt-Warlhauer Sandstein ausgeführt von Bildhauer O. HARTMANN i. F. Oebr. Zeidler, Hofsteinmetzmeister, Berlin.
KLEINE MITTEILUNGEN
IT
195
Diele, Holzschnitzerei von Professor O. RIEQELMANN, Charlottenburg. Deutsche kunstgewerblicla .,
auf der Weltausstellung in Paris igoo.
HANAU. Nach dem Jahres- Bericht der Kgl.
Zeichen-Akademie für iSggjigoo betrug die Ge-
samtzahl der Schüler und Schülerinen 307
gegen 296 im Vorjahre. Pfingsten 1899 fand eine
Ausstellung von Klassen- und Wettarbeiten der Schüler
statt, welche auch von den im Mai in Frankfurt a. M.
versammelten Deutschen Gewerbeschuimännern besucht
wurde. An Stipendien wurden verliehen die beiden
Staatsstipendien zu je 500 M. für ein Jahr und ein
Stipendium von 250 M. aus der Stiftung der Stadt
Hanau für Kunst und Wissenschaft. Ferner wurde
29 Schülern und einer Schülerin der unentgeltliche
Besuch des Unterrichts gewährt. Auf der Pariser
Weltausstellung ist die Anstalt durch eine Kollektion
von Goldschmuck-Gegenständen vertreten, welche in
den drei Fachwerkstätten im Laufe des letzten Jahres
hergestellt worden sind. -u-
WETTBEWERBE
DRESDEN. Preisausschreiben des Akademischen
Senats unter sächsischen und in Sachsen leben-
den Künstlern. Gefordert werden: 1. Gemälde
für zwei einander gegenüberliegende Wandflächen der
Schmalseiten des Sitzungssaales im Gewandhause zu
Bautzen, 2. ein Gemälde für die Stirnwand der Aula
des kgl. Lehrerseminars zu Annaberg. Die Entwürfe
sind im Masstab 1:10 bis zum 4. Juli bei der kgl.
Kunstakademie in Dresden einzuliefern, woher auch
die näheren Bedingungen zu erhalten sind. -u-
HAMBURG. Professor Carl Marr in München
ist auf Grund der zur Konkurrenz eingelieferten
Entwürfe mit der Ausführung der Deckengemälde
in dem neu zu errichtenden Schauspielhause beauftragt
worden. -u-
KARLSRUHE i. B. Deutsche Glasmalerei -Aus-
stellung iQOi. In dem im Aprilheft des Kunst-
gewerbeblattes erschienenen Artikel über die
Deutsche Glasmalereiausstellung hat sich ein Fehler
eingeschlichen, indem Seite 139 irrtümlich gesagt ist,
das Unternehmen besorge auf eigene Kosten auch
die Rücksendung der Ausstellungsstücke. Nach Ab-
satz 1 1 der Bestimmungen für die Beschickung hat
jedoch die Einsendung und Zurücksendung auf Kosten
und Gefahr der Aussteller zu erfolgen, worauf hiermit
nachdrücklichst hingewiesen wird.
NÖRDLINGEN. In dem Wettbewerb um ein
Brunnendenkmal wurde ein I. Preis nicht ver-
teilt. Zwei II. Preise erhielten die Herren
Jakob Bradl und H. Wrba, beide in München. -u-
ig6
KLEINE MITTEILUNGEN
MAINZ. Preisausschreiben für künstlerische Lö-
sungen im Dienste der Feuerbestattung. Der
Verband der Feuerbestattungsvereine deutscher
Sprache erlässt in Gemeinschaft mit den Vereinen für
Feuerbestattung in Mainz und Wiesbaden vier Preis-
ausschreiben, welche zunächst die Erlangung von
Plänen für den Bau eines Crematoriums auf dem
Friedhofe zu Mainz bezwecken. Zugleich soll aber
auch ein Versuch gemacht werden für die Beisetzungs-
stätten der Aschenreste und die Aschenurnen neue
eigenartige Formen zu ge-
winnen. Den Künstlern
soll hierdurch ein neues
Feld ihrer Thätigkeit er-
öffnet werden. Die Preis-
ausschreiben zerfallen in:
1. Einen Wettbewerb für
den Neubau eines Crema-
toriums in Mainz, mit
3 Preisen von looo Mk.,
600 Mk. und 300 Mk.
2. Wettbewerb für eine
Columbariumwand, aus-
gesetzt sind ein I. Preis
350 Mk., IL Preis 200
Mk., IIL Preis 125 Mk.
3. Wettbewerb für eine
Einzelbestattungsstätte. Es
sind ausgesetzt I. Preis
200 Mk., IL Preis 125
Mk., IIL Preis 75 Mk.
4. Wettbewerb für eine
Aschenurne. Zur Vertei-
lung kommt ein I. Preis
100 Mk., IL Preis 75 Mk.,
III. Preis 50 Mk. Die
Ausstellung der einlaufen-
den Arbeiten wird in
Frankfurt a. M. gelegent-
lich des Verbandstages der
deutschen Feuerbe-
stattungsvereine am 6., 7.
und 8. September, sodann
in Mainz und Wiesbaden
erfolgen. Als Preisrichter
werden fungieren die
Herren: Dr. Ed. Bracken-
hoeft, Vorsitzender des Verbandes deutscher Feuer-
bestattungsvereine in Hamburg, Professor K. Henrici,
Aachen, Stadtbaunieister Felix Genzmer, Wiesbaden,
Geh. Oberbaurat Hof mann, Darmstadt, Architekt R.
Opfermann, Mainz, Architekt W. Prösler, Frankfurt
a. M., Carl Schmahl, Kaufmann und Stadtverordneter,
Mainz. Das Programm für die Preisausschreiben ist
von Herrn Carl Schmahl, Mainz, kostenlos zu be-
ziehen. Die Einlieferung der Arbeiten hat bis 30.
August er. zu erfolgen.
BERLIN. In dem Preisausschreiben des Vereins
für deutsches Kunstgewerbe um Entwürfe zu
einem Banner für die Innung ^'Bund der Bau-,
Maurer- und Zimmermeistert haben erhalten: den
I. Preis (300 M.) Adolf Eckhardt, je einen Preis von
100 M. Georges Otto und Albert Klingner, sämtlich
in Berlin. -u-
O'
iPPELN. Zu dem Wettbewerb um Entwürfe für
einen Monumentalbrunnen waren 72 Arbeiten
eingegangen. Die in dem Preisausschreiben
ausgesetzten 10 Preise von je 500 M. wurden folgenden
Bildhauern zuerkannt: Professor Gustav Eberlein,
E. Gomanski, Herm. Hosaeus, Georges Morin, Stephan
Walter, E. Wenck, S. Wer-
' ~] nekinck, sämtlich in Ber-
i lin, R. Felderhoff, Fritz
I Klimsch, Alfred Raum
I sämtlich in Charlotten-
I bürg. Zur Gewinnung
eines für die Ausführung
zu bestimmenden Ent-
wurfs hat das Preisgericht
einen engeren Wettbewerb
zwischen den Bildhauern
Felderhoff, Gomanski,
Klimsch, Wenck u.Werne-
kinck vorgeschlagen, -u-
c
CHEMNITZ. Zudem
Wettbewerb zur Er-
langung von Ent-
würfen für ein König
Albert- Museum waren 45
Entwürfe eingegangen. Es
erhielten einen Preis von
3000 Mk. die Architekten
F. Hessemer und J. Schmidt
in München, einen Preis
von 2000 Mk. der Archi-
tekt F. Berger in Stettin
und Preise von je 1000
Mk. die Architekten M.
Lindemann in Dresden
und H.Behrens in Bremen.
b
._!_
Darnpf's Relief in Stein am Haus des Vereins deutscher Ingfenieure in
Berlin, ausgeführt von Professor G. RIEGELMANN, Charlottenburg.
ST.
S;
JOHANN a. d.
Saar. In dem Wett-
bewerb für eine male-
rische Ausschmückung des
Sitzungssaales in dem Rathause erhielt den I. Preis
(3000 M.) Maler Wilh. Wrage in Berlin, den IL Preis
(2000 M.) Maler O. Wichtendahl in Hannover, den
III. Preis (1000 M.) Maler H. Koberstein in Berlin.
-u-
DRESDEN. Zu dem Preisausschreiben der Ci-
garettenfabrikLaferme um Etiketten fürCigaretten-
packung gingen 909 Entwürfe ein. Es erhielten
den I. Preis (1000 M.) Bernsmeier & Perks in Dresden,
den IL Preis (500 M.) Leissner in Hamburg-Hohen-
felde, den III. Preis (300 M.) Leuteritz in Dresden,
den IV. Preis (200 M.) Kozel in Leipzig, den V. Preis
(100 M.) Gottschlag in Weimar und einen Extrapreis
(100 M.) Ignaz Taschner in München. -u-
KLEINE MITTEILUNGEN
197
c
AUSSTELLUNGEN
»HARLOTTENBURG. In dem Wettbewerb zur
Erlangung von Entwürfen für die künstlerische
Ausgestaltung der Charlottenburger Brücke
waren 52 Entwürfe eingegangen. Es erhielten den
I. Preis (3000 Mk.) Architekt F. Pützer in Darmstadt,
zwei H. Preise (je 1500 Mk.) Architekt J. Weiz in die fünfzehn wichtigsten derselben, über welche eine
Berlin und Regierungsbaliführer K. Winter in Ravens- Rechnungslegung vorhanden ist, insgesamt Gewinne
bürg (Württemberg). Zum Ankauf wurden drei Ent- von 25000000 Eres, erzielt, denen auf der anderen
würfe empfohlen. . Seite Fehlbeträge von 125000000 Frcs. gegenüber-
WIE der Boniteur des Expositions« in einer
kurzen Mitteilung über die Gewinne und
Verluste der Weltausstellungen angiebt, haben
l>»^»<^**1lr1»AA**^*»*V>*^*****»*^
FvvTyy'vyvvv^vVvv^fvvvv^
irvwyywvYVywrwri»'!^
'^^>^^^'
xJi,J^A4.xX'XJi,*JkJn.x.*.k*.i.it-%i
'Y'rY'frrrfy"^frrryyr'\
B®^S^'
Jt.J.JkJ.<*,J»^J*^'t*^<i*J»X^J,f»,^
•rryi'YVYTvrrr'irrrYTT
""I^BS^'I*
t^j»j»»k<J»j,j,jiji,j,j,j,j»j,^Xi
*YYTYYYTyyyri*'r'vt«ryv^_
Einband eines Dresdener Gesangbuchs vom Jahre 1728.^ Braunes Kalbleder, ..Ornament in Goldprägung mittels einzelner
Stanzen, im Privatbesitz aufgenommen von GEORG BOTTICHER, Leipzig.
Kunsigewerbeblatt. N. F. XI. H. 10.
30
198
KLEINE MITTEILUNGEN
Entwurf zu einer Glas-Kanne mit Silber- oder Zinnmontierung
von Architekt B. MÖHRINO, Berlin.
stehen. Aus der Reihe dieser Ausstellungen schloss
die Londoner von 1851 mit einem Überschuss von
2600000 Pres., dagegen die Pariser von 1855 mit
einem Fehlbetrage von 22000000 Pres, und die
Londoner von 1862 mit einem solchen von 250000 Pres.
Die Pariser Ausstellung von 1867 ergab einen Über-
schuss von beinahe 3000000 Pres., die Wiener von
1873 den höchsten bishervorgekommenen Fehlbetrag
von 50000000 Pres. Die Ausstellung in Philadelphia
1876 hatte einen bedeutenden Fehlbetrag, die in Paris
1 878, ungeachtet ihrer Eintrittsgelder von 1 5032 735 Prs.,
einen Fehlbetrag von fast 9000000 Pres. Hiernach
vergingen nahezu zehn Jahre ohne weitere Ausstellungen.
Diejenigen von 1887 in Manchester und von 1888 in
Glasgow ergaben ziemlich gute Überschüsse, die Pariser
von 1889 ebenfalls einen solchen von 8000000 Frcs.,
dagegen erhielt sie einen Zuschuss von 25000000 Pres.
Die Ausstellung in Chicago 1893 brachte einen Über-
schuss von fast 7000000 Pres. Das sind die rohen
statistischen Ergebnisse, allein es ist klar, dass der
Fremdenverkehr und der Geldstrom, die eine Welt-
ausstellung mit sich bringen, den buchmässigen Fehl-
betrag reichlich ausgleichen. -ss-
PARIS. Nach dem »Moniteur des Expositions« haben
in Paris bisher die folgenden Industrie- und Welt-
ausstellungen stattgefunden: Im Jahre 1798 auf
dem Marsfelde, 1801 und 1802 im Hofe des Louvre,
1806 auf der Invaliden-Esplanade, 1819, 1823 und
1827 im Louvre, 1834 auf dem Concordienplatz,
1839 und 1844 im Carree Marigny, 1849 auf den
elysäischen Feldern, 1855 die erste Weltausstellung
im Industriepalast, 1867 auf dem Marsfelde, 1878 auf
dem Marsfelde und dem Trocadero, 1889 auf dem
Marsfelde, bei den Invaliden, auf dem Trocadero und
dem Quai d'Orsay. Auf der ersten Ausstellung von
1798 waren 110 Aussteller vertreten, von denen 23
ausgezeichnet wurden und sie dauerte 13 Tage; die
Weltausstellung von 1867 zählte 50226 Aussteller
und war 217 Tage lang geöffnet. — Von den bis-
herigen Weltausstellungen bedeckte diejenige von 1 855
eine Fläche von 168000 qm, davon 120000 bebaut;
1867: 687000 qm, 166000 bebaut; 1878: 750000 qm,
280000 bebaut; 1889: 960000 qm, 290000 bebaut;
die diesjährige Weltausstellung nimmt eine Fläche von
1080000 qm in Anspruch, von denen 460000 bebaut
sind. Es ergiebt sich hieraus, dass die bebaute Fläche
im Verhältnis zum gesamten Umfange der Ausstellung
diesmal bei weitem grösser ist, als in den Jahren
1878 und 1889. — Von verschiedenen Seiten wird
behauptet, dass die bebaute Fläche zu gross sei, dass
Zwischenräume fehlen und dass die Bewegungsfreiheit
der zu erwartenden zahlreichen Besucher gehemmt sein
werde. Allerdings musste infolge der Anforderungen der
Aussteller eine sehr grosse Fläche bebaut werden, doch
hofft man, dass durch die für die Freiheit der Be-
wegung getroffenen Einrichtungen in Verbindung mit
der geschickten Benutzung des freigebliebenen Raumes
die Besucher nicht darunter leiden, wohl aber das
Interesse ah der Ausstellung wachsen werde. — (Die
Stauungen im Verkehr im Innern der Gebäude, welche
bei nur einigermassen starkem Besuche eintreten und
eine Besichtigung der Einzelgegenstände kaum zu-
lassen, beweisen leider, dass der für den Verkehr frei-
gelassene Raum zu knapp bemessen wurde. D. R.)
-SS-
BÜCHERSCHAU
Otto Wagner: Moderne Architektur. Zweite Auflage.
Wien, Verlag von Anton Scholl & Co.
Als der Oberbaurat Otto Wagner vor vier Jahren
seine individuell gefärbten Betrachtungen über den
Geist und die Ziele der modernen Baukunst veröffent-
lichte, hatte er damit nur im Sinne, seinen Schülern
einen Führer und Leitfaden, sozusagen ein theore-
tisches Einleitungs-Kapitel für seine praktischen Vor-
lesungen an die Hand zu geben. Bei der so ein-
flussreichen Stellung, die Wagner an der k. k. Aka-
demie der bildenden Künste zu Wien als Professor
einnimmt, war es begreiflich, dass seine Stimme weit-
KLEINE MITTEILUNGEN
199
hin gehört wurde, Beifall und Widerspruch erweckte.
Der Grundgedanke seiner Schrift, >dass die Basis der
heute vorherrschenden Anschauungen über die Bau-
kunst verschoben werden und die Erkenntnis durch-
greifen muss, dass der einzige Ausgangspunkt unseres
künstlerischen Schaffens nur das moderne Leben sein
kann.« Dieser Grundgedanke ist an sich ja unan-
fechtbar, aber durch so manche befremdende, dunkle
und provozierende Wendungen in der weiteren Be-
weisführung stachelte Wagner nicht nur die Anhänger
der älteren Richtung, sondern auch manche Für-
sprecher moderner Anschauung zu Entgegnungen
an und es entfaltete sich ein etwas wildes Streiten
und Plänkeln in jenem Zeitpunkt, da die Wiener
Kunst sich zu einer scharfen Biegung anschickte.
Auch für akademische Doktorfragen unter den Zunft-
genossen gab das Wagner'sche Buch reichlichen An-
lass, so entstand eine etwas hochtrabend theoretische
Entgegnungsschrift des polemisch veranlagten Wallot-
Schülers R. Streiter, gegen deren verzwickte Theoreme
im Grunde noch mehr Einwendungen zu machen
waren als gegen Wagner's präzis hingehauene Ge-
danken. Nun aber, da die zweite Auflage seiner
Schrift erscheint, steht Wagner als Sieger auf dem
Plan und mit ihm die von ihm verfochtene moderne
Wiener Kunst, die sich in den letzten drei Jahren
mit so heissblütigem Temperament der Hegemonie
in der Donau-Metropole bemächtigt hat. Das kon-
statiert Wagner mit einem triumphierenden Wohlge-
fühl. Er sagt: Durch den Vorstoss der Modernen
hat die Tradition den wahren Wert erhalten und
ihren Überwert verloren, die Archäologie ist zu einer
Hilfswissenschaft der Kunst herabgesunken und wird
es hoffentlich immer bleiben. Nicht alles was mo-
dern ist, ist schön, wohl aber muss unser Empfinden
uns dahin weisen, dass wirklich Schönes heute nur
modern sein kann. Wie gesagt, die Bedeutung der
Wagner'schen Abhandlung liegt darin, dass sich in
ihr der Geist der heute massgebenden Kunst getreu-
lich wiederspiegelt. — x.
M. Meurer: Die Ursprungsformen des griechischen
Akanthusornamentes und ihre natüriichen Vorbilder.
Mit 54. Illustrationen. Berlin, Verlag von G. Reimer.
In der Reihe der berühmten und grundlegenden
Untersuchungen Prof. Meurer's über die Entstehung
einzelner Typen des überlieferten Ornamentes aus
pflanzlichen Gebilden und anderen Formen der Er-
scheinungswelt steht die Untersuchung der Ursprungs-
formen des griechischen Akanthusornamentes an erster
Stelle. Es ist begreiflich, dass Meurer gerade mit
diesem Typus begann, der in der Weltgeschichte der
Kunst eine so glänzende Rolle gespielt hat und immer
noch spielt. Die eingehende Vergleichung der natür-
lichen und ornamentalen Formen ist dazu geeignet,
auf den eminent künstlerischen Gehalt der Natur-
formen aufmerksam zu machen und darin bietet sich
ein wesentliches Mittel, das äusseriiche Kopieren der
überiieferten Formen zu verhüten und das selbständige
und daher echt künstlerische Studium der Natur an-
zuregen. Die geniale Untersuchungsmethode Meurer's,
der auf klassischem Boden das ganze Bereich der
antiken Monumente wie die wechselnden und stark
variierenden Erscheinungsformen der Akanthusstaude
beherrscht, ist zu so schlagenden Ergebnissen gelangt,
dass die langandauernden Untersuchungen nunmehr
mit einem Schlage als völlig abgeschlossen zu betrach-
ten sind. Meurer weist zuerst nach, dass das Akan-
thusornament sich nicht aus dem üppig gestalteten
Laubblatt besagter Pflanze, sondern aus den mehr
rudimentären Stützblättern und weiter aus den Hoch-
blättern ,des Blütenstandes, aus der knospenartigen
Blüten-Aehre, also aus dem unscheinbarsten Teil der
stacheligen Staude entwickelt hat. Dafür sprechen
die ältesten Denkmäler mit schüchternen Akanthus-
formen, die Grabstelen aus der Mitte des 5. Jahr-
hunderts V. Chr. Seit daher datiert das Ornament,
es ist also bedeutend jünger als die Palmette. Dass
es sich zuerst als Stelenkrönung findet, kommt wohl
daher, dass die Pflanze im Totenkultus eine Rolle
Entwuif zu einer ülas-Kanne mit Silber- oder Zinnmontieruiii^
von Architekt B. iMÖHRlNQ, Berlin.
30'
200
KLEINE MITTEILUNGEN
spielte und in dieser Eigenschaft zu einer Kultur-
pflanze mit üppigeren Formen wurde, so ist uns
überliefert, dass der Leichenwagen Alexanders des
Grossen, mit goldenen Akanthusgehängen geschmückt
war. Im einzelnen verfolgt Meurer
die Entwicklung der Akanthus- Ur-
form an den Bracteen der Stelen,
an den weissgrundigen attischen
Lekythen, den Grabkrügen mit
skizzenhaften Zeichnungen, die den
Toten mit in die Gruft gegeben
wurden, dann an den Anthemien-
bändern, wo der Akanthus in Kelch-
form als Relief oder Malerei an
Simen und Friesen erscheint, ferner-
hin an den Stirnziegeln, wo er als
Stützblatt der Palmetten dient, und
endlich als Deckblatt am Schafte
plastischer oder gemalter Ranken.
Die naturalistische Ursprungsform
des Akanthus ist dann im späteren
Verlauf der Entwicklung zu diffe-
renzierten Gestaltungen gelangt, die
zackigen Rand-
gliederungen
vermehrten sich
reichlich und es
ist klar, dass
für diese Fort-
bildung des Or-
namentes die
entwickelten
Blätter am Mit-
telstengel der
Pflanze als Mo-
dell dienten. So
fand man den
Übergang zum
Akanthus am
korinthischen
Kapitell, und in
dieser endgültigen Gestalt erobert sich das Ornament
die Kulturwelt von Europa. Dieses Kapitell zeugt von
dem wunderbar feinen Natursinn der Griechen. Aus
der Art, wie sich die Blätter an den Stengel der Pflanze
anfügen, lernte der Grieche die Um-
schliessung des Säulenschaftes durch
Blattformen. Meurer schliesst mit der
tiefen Betrachtung, wie die tech-
nischen Kunstformen aus einfachen
Formenelementen allezeit hervorge-
hen und wie sie sich in der fort-
schreitenden Gestaltung und Ver-
vollkommnung den wechselnden
Daseinsbedingungen wunderbar an-
passen. Auch dafür giebt uns die
Natur, wie sie uns Darwin aufzu-
fassen gelehrt hat, ein unübertreff-
liches Vorbild. — x.
VERMISCHTES
IE kunstgewerbliche Anstalt
von Wilhelm Schell in Offen-
burg ist erfolgreich bemüht,
den Formen-
schatz ihrer Er-
zeugnisse den
modernen De-
korationsprinzi-
pien anzupas-
sen. Die Tafel,
die dem heuti-
gen Hefte in
leuchtendem
Farbendrucke
beiliegt, giebt
eine anschau-
liche und
erfreuliche Pro-
be von dem
Streben des In-
stituts.
Beleuchtungskörper für elektrisches Licht, entworfen und ausgeführt von FERD. PAUL KRÜGER,
Kunstsciimiedewerkstatt, Berlin.
Herausgeber und für die Redaktion verantwortlich: Professor Karl Hoffacker, Architekt in Charlottenburg- Berlin.
Druck von Ernst Hedrich Nachf., G. m. b. H., Leipzig.
|-t.[nei£rv(-rt3'^t-^ a
Kopfleiste, gezeichnet von H. MEYER-Cassel, Stnrnberg.
DIE DEUTSCHE SMYRNATEPPICH- INDUSTRIE
IN der Neuzeit, wo das Interesse an dem Empor-
blühen der verschiedenartigsten Verzierungsweisen
auf allen erdenklichen Gebieten des Kunstgewerbes
so ungewöhnlich gross ist, dürfte es nicht ohne
Nutzen und Interesse sein, der Geschichte der deut-
schen Smyrnateppich- Industrie einige Aufmerksamkeit
zu widmen. Sie ist nach verschiedenen Richtungen
hin der Beachtung wert, da sie einesteils zeigt, welche
vielseitigen Bedingungen für das Gedeihen einer Tech-
nik erfüllt werden müssen und weil sie andererseits
beweist, dass es immer noch bestimmte Grenzmarken
giebt, welche das Nebeneinanderbestehen von Hand-
arbeit und Maschinenarbeit anscheinend auf lange
Zeit hinaus sichern.
Bekanntlich ist die Industrie des Teppichknüpfens
mit Unterstützung der Regierung in Deutschland ein-
geführt worden. Durch Vermittelung der Gesandt-
schaften gestattete die türkische Regierung einem tüch-
tigen schlesischen Weber, das Knüpfen des unlöslichen
morgenländischen Teppichknotens zu erlernen. Dieser
Weber wurde dann vor reichlich fünfzig Jahren der
Lehrmeister vieler Schlesierinnen und Spreewäldlerin-
nen, die allmählich einen Grundstamm von geschickten
Knüpferinnen stellten. Es war keine geringe Aufgabe,
alle die Arbeiterinnen heranzuziehen, die gegenwärtig
in den verschiedensten Gegenden des deutschen Reiches,
in Spremberg, Kottbus, Hannover- Linden, Ansbach,
Würzen, Elberfeld u. s. w. thätig sind. Die unschein-
bare Arbeit des Knüpfens ist nämlich keineswegs so
einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint. Ab-
gesehen davon, dass weitaus nicht alle, die als Lehr-
linge eintreten, die unentbehrliche Fingerfertigkeit und
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. n.
Fingerfestigkeit erlangen, ist ein ganz erheblicher
Aufwand an Intelligenz erforderlich. Die Arbeite-
rinnen sitzen in langen Reihen auf einer Lade vor
dem Webstuhl. Auf letzteren ist die Kette aus kräf-
tigem Hanf- oder Leinenfaden aufgezogen. Jede
Arbeiterin hat ein patroniertes Muster vor sich. Sie
knüpft danach ihre bestimmte Zahl von Fäden in die
Kette hinein. Selbstverständlich ist sie für das rich-
tige Aufeinandertreffen der Übergänge verantwortlich.
Ferner giebt es Ecken und Musterfiguren von rechts
nach links umzusetzen; auch werden häufig die Vor-
lagen in andere Farbenstellungen übertragen. So
wird der Blick für Abstufungen und Schattierungen
geschärft und der Farbensinn in einer Weise geschult,
die nicht ohne Einfluss auf die Geschmacksbethätigung
der Arbeiterinnen in ihrer häuslichen Umgebung
bleiben kann. Dass die Thätigkeit am Teppichweb-
stuhl eine verhältnismässig gesunde ist, macht das
Aufblühen dieser Industrie besonders erfreulich. Da
besondere Maschinen zum Zerschneiden der Woll-
fäden in die erforderliche Länge vorhanden sind,
atmen die Arbeiterinnen nur wenig Wollstaub ein.
Aller vorhandene Staub wird überdies so bald und
so weit wie möglich beseitigt.
Das Schiffchen, welches den derben wollenen
Einschlagfaden zwischen dem Aufzug hin und her
führt, ist von einfachster Beschaffenheit; in der That
stellt es nur ein schlichtes Holzbrettchen mit Gabel-
enden dar. Der Einschlagfaden wird von den Ar-
beiterinnen mit einem schaufeiförmigen Kamm fest-
geschlagen, dessen Metallzinken in den Kettenfaden
hineingreifen. Zur Hersteilung des Einschlagfadens
31
202
DIE DEUTSCHE SMYRNATEPPICH- INDUSTRIE
'^.
dienen diejenigen Teile der Wolle, die
vom Wolf, von dem Käinmer und Sel-
factor zur Anfertigung des scliarfge-
drehten, aus vielen feinen Einzelfäden
bestehenden Knüpffadens nicht nach-
giebig genug befunden werden. Die
Erfahrung hat die deutschen Teppich-
fabrikanten gelehrt, dass man am besten
thut, den Faden an Ort und Stelle zu-
zubereiten und ihn in einer eigenen
Färberei ganz nach Bedarf zu färben.
Alle neuesten Vervollkommnungen des
Färbesystems werden in den Dienst der
deutschen Teppichweberei gestellt. Seit-
dem die Anilinfarben ihren Weg in das
Morgenland gefunden haben, ist es be-
kanntlich um die Farbenechtheit der
orientalischen Teppiche nicht sonderlich
gut bestellt. Um so mehr Veranlassung
liegt vor, bei der Herstellung der deut-
schen Teppiche das Beste zu benutzen,
dessen man habhaft werden kann. In
der Anwendung der Gärungsmethode,
die beim Indigo längst üblich war, hat
man ein Mittel gefunden, die Farben
wesentlich dauerhafter zu machen als
bisher. Ihre Leuchtkraft wird durch
Oxydation, d. h. durch Einwirkung der
Luft hervorgerufen. Eben diese Einwir-
kung der Luft ist es freilich auch, die
mit der Zeit wieder wegnimmt, was sie
gab. Immerhin ist der Vorgang, im
Vergleich zu dem, was mit den eigent-
lichen Anilinfarben zu geschehen pflegt,
um sehr vieles verlangsamt. Wichtiger
noch ist es, dass die durch das neuere
Verfahren gewonnenen Farben, genau
wie die alten Pflanzenfarben, gleich-
massig verblassen, während die Anilin-
farben sich derart verändern, dass alle
Farbenharmonie aufgelöst wird. Der
eigentliche Glanz der Farben tritt erst
hervor, nachdem der fertiggeknüpftc
Teppich von der Scherwalze bearbeitet
wurde. Diese Walze ist nach der Ana-
logie der Rasenscheren hergestellt und
giebt jene sammetweiche Ebenheit des
Schnittes, die auf den Teppichliebhaber
eine besondere Anziehungskraft ausübt.
Nachdem der Teppich geschoren ist,
vermag man erst endgültig darüber zu
entscheiden, ob die Arbeit wirklich ge-
lang. Hat es sich nämlich während des
Knüpfens herausgestellt, dass von einer
Farbe oder Schattierung nicht genug
Wolle vorhanden war, so muss nach-
gefärbt werden. Es ist aber nahezu un-
möglich , genau denselben Ton im
Durchschnitt der Wolle zu liefern,
wenn auch die Aussenseiten beider
Fäden gar nicht voneinander zu unter-
scheiden sind. Kapitalkräftige Fabrikan-
ten lassen daher immer mehr Wolle
färben, als sie voraussichtlich brauchen
werden. Selbstverständlich entsteht da-
durch ein beträchtlicher Verlust an
Material.
Der Besitz einer eigenen Färberei
ist auch deshalb für den Teppichfabri-
kanten unentbehrlich, weil sehr häufig
Dekorateure oder Hausbesitzer die An-
fertigung von Teppichen in ganz be-
stimmten Farbentönen verlangen. Eben-
so werden bestimmte Grössen Verhält-
nisse vorgeschrieben und auch über
den »Stil« der Ornamentation werden
bestimmte Anweisungen gegeben. Die
Möglichkeit, Teppiche in jeder belie-
bigen Grösse (bis zu 11X13 m) herzu-
stellen, wird dem Knüpfteppich immer
einen bestimmten Vorsprung vor den
Maschinenteppichen sichern. Man kann
Zierleiste von A. BRUNNER, Bad Aibling.
DIE DEUTSCHE SMYRNATEPPICH- INDUSTRIE
203
Teppiche so knüpfen, dass sie sich genau den Rundungen
und den verschieden gestalteten Winkein der Treppen-
absätze anpassen; es können Ausschnitte vorgesehen
werden, bei denen die Aufstellung der Möbel berück-
sichtigt wird u. dgl. m. Für alle diese besonderen
Fälle eigene Maschinen zu bauen, ist durchaus un-
möglich. Wer also für einen ganz bestimmten Fall
einen ganz besonderen Teppich braucht, wird immer
einen Knüpfteppich wählen. Einen solchen im Orient
in Auftrag zu geben, ist immer ein schwieriges Unter-
nehmen. Es bestand also ein wirkliches Bedürfnis
für die Einführung der Knüpfteppich -Industrie in
Deutschland. Dieses wirkliche Bedürfnis ist dann
auch der Hauptgrund, weshalb in derselben Zeit, wo
die Handweberei und hundert andere Industriezweige
gänzlich dem Maschinenbetrieb Raum geben mussten,
der handgeknüpfte Tep-
pich sich ein breites Ab-
satzgebiet erobern konnte.
Das Gesetz des wirklichen
Bedürfnisses wird stets der
Faktor bleiben, der das
Verhältnis der Handarbeit
zur Maschinenarbeit regelt
und man wird gut thun,
diesem Gesetze die gebüh-
rende Aufmerksamkeit zu
widmen, wo immer es sich
darum handelt, die Lage
des Handwerkes und der
Handarbeit zu heben. Be-
merkenswert ist auch das
feine Verständnis und die
Umsicht, mit der in dieser
Industrie jeder Hebel be-
nutzt wird, welchen die
Fortschritte der modernen
Technik und Chemie bie-
ten, um den Erfolg der
Handarbeit zu sichern
der Menschenhand und
dem Menschengeiste nur
gerade dasjenige Arbeits-
quantum zuzumuten, das
unbedingt erforderlich ist
und sie durch Maschinen-
arbeit zu unterstützen, wo
immer es angeht. Ge-
rade in dieser Hinsicht
sind die auf dem Gebiete
des Knüpfteppichs gesam-
melten Erfahrungen un-
gemein lehrreich für ver-
schiedene Zweige der
Luxusindustrie, die neuer-
dings die Berücksichti-
gung unserer dekorativen
Künstler gefunden haben.
Je feinsinniger der Ent-
wurf, desto dringender die
Notwendigkeit höchst voll-
Silberne Bowle, Kaiserpreis für
Entworfen und ausgeführt
endeter, in liebevoller Hingabe an die Sache durch-
geführter technischer Ausarbeitung des Entwurfes. In
dieser Hinsicht bleibt dem aufmerksamen Beobachter
in unserer neueren kunstgewerblichen Entwicklung
noch sehr vieles zu wünschen übrig.
In der Ausstattung der zahlreichen neueren Kunst-
salons in Berlin gelangen durchweg Perserteppiche,
oft auch neu -englische und wohl gar recht minder-
wertige deutsche Nachahmungen neu-englischer Sachen
zur Verwendung. Dann und wann sieht man einen
Eckmann oder Lenimen letztere natürlich niemals
so, dass sie von den Fussspuren der Besucher leiden
könnten. Mit Persern und sonstigen 'Orientalischen<',
die eine Zeit lang im Gebrauch waren, wird bekannt-
lich immer noch ein ganz schwunghafter Handel ge-
trieben. Ihre dunkle Farbe lässt nicht leicht erkennen,
wieviel sie schon benutzt
wurden. An den sogenann-
ten englischen Sachen, de-
ren riesengrosse helle Blät-
ter sehr bald recht un-
freundliche Spuren des
Vergänglichen aufweisen,
wird schwerlich ein Käu-
fer zum zweitenmal Ge-
fallen finden. Die Folge
davon ist die, dass die
grosse Masse des deut-
schen Publikums den sehr
minderwertigen Mustern
treu bleibt, die in Schleu-
derbazaren und Teppich-
lagern' anzutreffen sind.
In absehbarer Zeit wird
man auch leider auf die-
sem Gebiete schwerlich
Wandel schaffen. Man
wird vermutlich weder
durch Klagen, noch durch
Belehrung eine wesentliche
Besserung erreichen. Für
diejenigen aber, die den
Fortschritt des Dekora-
tionswesens aus Selbst-
erhaltungstrieb oder aus
Liebe zur Sache zu fördern
bemüht sind, dürfte es sich
lohnen, mit dem Ge-
schmack des Publikums
einen Augenblick als mit
einem gegebenen Faktor,
mit einem Gewordenen zu
rechnen. Die eingehende
Untersuchung der Ur-
sachen und der Eigenart
des Vorhandenen, des Ge-
wordenen, ist ja ein Haupt-
merkmal des Geistes der
Gegenwart. Man braucht
nur einen Teppich von
Tournay oder Brüssel an-
Hannover, Gr. Armee-Jagdrennen,
von O. ROHLOFF, Berlin.
204
DIE DEUTSCHE SMYRNATEPPICH- INDUSTRIE
tenwmwWM
MimM.J , . '^
Cntwurf zu einer Kanne, von R. OREANS, Karlsruhe.
zusehen, der etwa aus den fünfziger Jahren unseres
Jahrhunderts stammt, um zu begreifen, wie die
grosse Unsicherheit des Geschmacks gerade auf dem
Gebiete des Teppichs zu stände i<am. Brüllende Lö-
wen, plastisch abschattierte Blumenkränze, schwellende
Rokoko-Ornamente und andere mehr sind auf diesen
Teppichen keine Seltenheiten. Seitdem hat man nun
wohl die Teppichfabrikanten und auch einen Teil
des Publikums darüber belehrt, dass ein Teppich-
muster nicht erhaben erscheinen darf. Immerhin sind
die Teppiche aus der eben erwähnten Zeit von solcher
Dauerhaftigkeit, dass sie wenigstens in Grossmutter-
stübchen noch nicht aufgehört haben, ihren Einfluss
auszuüben auf die empfänglichen Gemüter der
Kinder, deren schönste Erinnerungen meistens mit
so einem Grossmutterstübchen verwachsen sind.
Natürlich wird die glückliche Braut, die bei der
Beschaffung des Hausrates für ihr eigenes Heim alles
Neueste wählt, in Bezug auf einen Teppich nur in
den seltensten Fällen ausgeprägtes Stilgefühl besitzen.
Ihre Mutter hat vor sechs oder sieben Jahren, als die
Familie eine grössere Wohnung bezog, eine Rokoko-
Einrichtung für den Salon angeschafft. Dazu kaufte
sie pflichtschuldigst einen Rokokoteppich, denn auch
die Stuckornamente der Zimmerdecke waren ja im
Rokokostil gehalten; Putten oder Nixen aus Stuck
trieben da oben in den Medaillons zwischen den
gebrochenen Muschelformen ihr Unwesen, oder, wenn
der Hausbesitzer weniger hochherrschaftlich ist, lächelt
eine Landschaft mit winterlich rutenförmigen Bäumen
oder sonst eine logische Unmöglichkeit von oben
herab« aus den Eckfiguren der Deckenornamente.
Wenn nun die Mutter glaubte, ihr Zimmer »stilvoll <'
eingerichtet zu haben, indem sie zu der Rokokodecke
und Rokokotapete einen Rokokoteppich fertigen Hess,
so darf man sich nicht darüber wundern, dass die
Tochter zu den »englischen' Möbeln, dem englischen
Wandfries und der englischen Tapete einen »eng-
lischen« Teppich wählt. Natürlich reichen die Mittel
nicht für einen besonders guten. Wäre das der Fall,
so könnte man sich kaum darüber freuen, denn es
würde nur bedeuten, dass ein schlechtes Muster auf
viele Jahre hinaus einen ungünstigen Einfluss auf das
Schönheitsgefühl der Bewohner ausübt. -
Sehr häufig wird übrigens die angehende junge
Hausfrau des deutschen Mittelstandes den grossblumigen
modern englischen Teppich unpraktisch finden, weil
er sehr bald fleckig wird. Nun kommen natürlich die
orientalischen Teppiche in Frage. In sehr wohlhaben-
den Häusern lässt man wohl einen Teppich direkt
aus Konstantinopel oder Smyrna kommen. Gewöhn-
lich aber wird eines jener wenig lobenswerten deutschen
Erzeugnisse genommen, die in harten, höchst unsym-
pathischen braunroten, grünlichen und gräulichen Far-
ben gehalten sind, welche als Ausfluss des ersten An-
stosses zur Benutzung des Renaissancestils in der
modernen deutschen Mittelstandswohnung hängen
geblieben sind. Diese farblosen, teils künstlich ver-
schossenen, teils unreinen Farben stehen noch heute
der Verbreitung einer munteren Farbenfreudigkeit im
deutschen Hause hindernd im Wege. Allein, wer einige
im wirklichen Leben wurzelnde Bekanntschaft mit den
breiten Schichten des deutschen Mittelstandes besitzt,
wird vollauf verstehen, dass man weder durch die Ein-
führung orientalischer Teppiche, noch auch durch Be-
vorzugung solcher im »Jugendstil« in eben diesen
Kreisen eine Geschmacksverbesserung erzielen wird.
Die solide Hausfrau aus der Masse des kauffähigen
Publikums sperrt sich schlankweg gegen die Be-
nutzung eines Teppichs im Jugendstil. Ihr gesundes
Gefühl sagt ihr, dass diese Dinge auf das Empfindungs-
leben einer schöngeistigen Gesellschaftsschicht gestimmt
sind, deren Nerven reizbedürftig oder auch wider-
standsfähig genug sind, um sich in einer Wohnung
wohl zu fühlen, deren Einrichtung jede Beziehung
zum traditionellen Arbeits- und Familienleben der Masse
des deutschen Volkes abgebrochen hat. Diese modernen
Einrichtungen im Spielzeugstil taugen für Leute, die
alle fünf Jahre ihre Wohnung frisch einrichten können.
Ein Dekorateur, dem daran liegt, sich seine Mittel-
standskundschaft zu erhalten, wird nur seinen reichen
Kundinnen den Ankauf von Sachen im Jugendstil
empfehlen. Seine Erfahrung auf diesem Gebiete reicht
schon jetzt hin, um zu bestätigen, dass selbst die
besten Sachen von Walter Grane oder H. Christ
ausserordentlich schnell Überdruss erwecken. Eben
Treppenaufgang im »Deutschen Haus* auf der Weltausstellung in Paris 1900.
Architekt: Bauinspektor J. RADKE, Berlin.
208
DIE DEUTSCHE SMYRNATEPPICH-INDUSTRIE
Diele auf der deutschen kunstgewerblichen Abteilung der Weltausstellung in Paris 1900. (s. S. 189 des lfd. Jahrg.)
Schnitzerei von Professor O. RIEOELMANN, Charlottenburg.
deshalb können sie nur in den Wohnungen der Hoch-
begüterten Verwendung finden.
Eigentümlich ist die Abneigung der deutschen
Mittelstandsfrau gegen orientalische Teppiche. Nur
sehr selten wird man sie dahin bringen, einen sol-
chen aus vollem Herzen zu bewundern. Allenfalls
haben einige erwachsene Töchter in modernen Roma-
nen etwas über Kelims, Djidjims und ähnliche fremd-
klingende Dinge gelesen. Infolgedessen gelingt es
von Zeit zu Zeit einem verschlagenen Bazarinhaber,
seine Ware, deren Muster von europäischen Zeichnern
beeinflusst, deren Wolle in Anilin gebadet ist, an den
Mann zu bringen. Fragt man aber die Käuferin auf
Ehre und Gewissen, ob und weshalb ihr der Teppich
gefällt, so wird sich herausstellen, dass er ihr gar
nicht gefällt, sondern, dass sie nur blindlings einer
Modevorschrift gefolgt ist. Lässt man das gesunde
Gefühl der deutschen Frau zur Geltung kommen, so
wird sie an dem orientalischen Teppich zweierlei aus-
zusetzen haben. Einmal passen seine Massverhältnisse
nicht in deutsche Wohnräume und zu deutschen Möbel-
formen und dann ist die zum Teil gekünstelt naive
unregelmässige Zeichnung dieser Teppiche nur sehr
schwer mit den Ornamentformen unserer Möbel,
Möbelbezüge, Fenster- und Thürbehänge u. dgl. m.
in Einklang zu bringen.
Selbstverständlich brauchen diese beiden Einwände
keinem echten Künstler oder künstlerisch empfinden-
den Dilettanten die Freude an einem schönen morgen-
ländischen Teppich zu verderben. Allein wir alle
wissen, dass schon vor zehn Jahren amerikanische
Händler die allergrösste Mühe hatten, noch Teppiche
aufzutreiben, die wirklich Kunstwerke im Sinne der
alten überlieferten Teppichkunst zu heissen verdienen.
Schon damals haben diese Händler die mühseligsten
Reisen nicht gescheut, um da und dort in einsamen
Wüstenorten einen alten Muselmann gegen schweres
Geld zur Hergabe seines Gebetsteppichs zu bewegen,
von dem ein solcher feiner Kenner dann wohl unter
Thränen Abschied nahm. Einen solchen Teppich aber
wird die deutsche Durchschnittsfrau wohl nur ganz
selten oder nie erlangen. Wenn sie ihn hat, wird
sie kaum verstehen, ihn zu benutzen, denn Kunst-
werke haben bekanntlich die Eigentümlichkeit, dass
ein Künstler dazu gehört, sie zur richtigen Geltung
zu bringen. Die Art, wie in manchen dilettantisch
»stilvollen« Wohnungen mittelmässige morgenländische
Erzeugnisse verwendet werden, trägt gerade nicht zur
Förderung des nationalen Kunstsinnes bei.
Man hat nicht selten das Vorhandensein natio-
nalen Kunstempfindens in der Gegenwart ganz und
gar in Abrede gestellt. Es fragt sich aber doch, ob
nicht das, was die grossen Massen von heute an
Kunstsinn und dekorativem Geschmack besitzen, viel-
fach verkannt wird, ob nicht vor allen Dingen in den
Kreisen derer, die den Geschmack pflegen und ent-
wickeln wollen, etwas von der Ungeduld der Kinder
herrscht, die Knospen ihrer schützenden Hülle berauben,
um die Blüten schneller zur Entfaltung zu bringen.
Die Masse der deutschen Frauen fordert — nicht
DIE DEUTSCHE SMYRNATEPPICH- INDUSTRIE
209
in wohlgesetzten
Worten , sondern
durch einen ge-
wissen Eigensinn
bei der Auswahl
— eine bestimmte
innere Verwandt-
schaft der Mass-
verhältnisse aller
Gegenstände in
ein und demselben
Raum. Sie fordert
ferner, dass die einzelnen
Ornamente, die zur Ver-
wendung kommen, auf glei-
cher Höhe der zeichneri-
schen Technik stehen. Der
Sinn für die Reize des
Naiven und Unbeholfenen
in morgenländischen Tep-
pichen geht ihr ab. Sie
empfindet dies Naive wie
etwas Unfertiges, Ordnungs-
widriges in der Kultur Zu-
rückgebliebenes. Schon darum lehnt sie sich gegen den
morgenländischen Teppich auf. Ferner leuchtet es ihr
nicht ein, weshalb man einen langen schmalen Teppich in
ein quadratisches Zimmer hineinlegen soll. Sie wird
allenfalls zugeben, dass ein sehr grosser Künstler dies
schwierige Problem so lösen kann, dass eine ästhetische
Wirkung erzielt wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach
wird aber der Künstler den Teppich so legen, dass
er täglich Anlass zu irgend einem Unglücksfall giebt.
Überdies hat Vittore Carpaccio, dieser phänomenale
Meister der schönen Abmessungen, in dem einzigen
Briefe, der uns von ihm erhalten ist, ausgesprochen,
dass man durchaus nicht alle Massverhältnisse will-
kürlich bezwingen kann. Das Gefühl der deutschen
Frau ist also in diesem Punkte ganz richtig. Sie
empfindet z. B., dass der Rhythmus einer recht eng-
lischen Tapete nicht auf den Rhythmus des deutschen
Fenster- und Thürformates gestimmt ist. Aussprechen
wird sie das selten, aber da, wo man ihr freie Hand
lässt, wird sie unwillkürlich nach einer Tapete von
Josef Rösl greifen, so gut ihr auch die
englischen Muster gefallen mögen.
Auch in Bezug auf die Farbenstellung
hat die deutsche Frau ihr eigenes Em-
pfinden — immer vorausgesetzt, dass sie
sich nicht blindlings von der Autorität der
Mode ins Schlepptau nehmen lässt. Und
selbst diese Mode wird trotz aller schwan-
kenden äusseren Einflüsse von einem inneren
Gesetze der Fortentwicklung beherrscht,
das sich unbewusst immer wieder Geltung
verschafft. Wäre das nicht so, so hätte
niemals eine Knüpfteppich - Industrie in
Deutschland heimisch werden können. Es
ist sehr viel darüber theoretisiert worden,
welche Farbentöne sich für Teppiche am
besten eignen. Immer wieder haben sich
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 11.
feinsinnige Schön-
heitslehrer für den
morgenländischcn
Teppich entschie-
den. Der brutale
Instinkt des deut-
schen Volksge-
schmacks hat sich
ebenso oft aber
wieder dagegen
aufgelehnt. Der
Deutsche verlangt,
dass sich eine Farbe der
anderen in Anlehnung an
den Geist der Zeichnung
unterordne — er fordert
Subordination, Schattierung
und Harmonie. Das Mor-
genland arbeitet — wie
schon G. Semper nach-
wies — mit Kontrastwir-
kung durch Nebenein-
anderstellung von Farben
gleicher Intensität, gleichen
Gewichtes.
Diese letzte Forderung des deutschen Volksge-
schmackes ist es auch, die uns schliesslich zu gesunden
Anfängen einer im vollsten Sinne des Wortes deutschen
Teppich-Industrie verholfen hat. Die Ironie des Schick-
sals will freilich, dass der Hauptmarkt für diese Er-
zeugnisse noch im Auslande gesucht werden muss.
Da besonders die Vereinigten deutschen Smyrna-
teppich - Fabriken den Sonderansprüchen der ver-
schiedensten Länder Rechnung tragen müssen, so
ist natürlich der Charakter der Zeichnung schwan-
kend und die speziell deutsche Musterproduktion ge-
ring. Gerade das aber, was an eigentlich deutschen
Mustern vorhanden ist, vereint so sehr die Eigenschaf-
Ffillungen vom Treppengeländer der Diele
auf der deutschen kunstgewerblichen
Abteilung der Welt.iusstellung in Paris 1900.
Holzschnitzerei von
Professor O. RIEQELMANN, Charlottenburg.
(s S. 189 des lfd. Jahrg.)
32
210
DIE DEUTSCHE SMYRNATEPPICH- INDUSTRIE
Holzschnitzerei aus der Diele auf der deutschen kunstgewerbhchen Abteilung der Weltausstclhing in Paris iqoo.
Von Professor O. RIEOELMANN, Charlottenburg.
ten absoluter Ruhe, gänzlich liegender Zeichnung und
wohlthuender farbiger Wärme, dass es sich zweifellos
die Herzen der deutschen Frauen erobern wird. Es wäre
dringend zu wünschen, dass sich befähigte Zeichner ein-
gehend mit den Eigentümlichkeiten gerade dieser Tep-
piche beschäftigten und die zweifellos vorhandenen
Ansätze zu einem künstlerischen Teppichstil fördern
möchten. Mit einem diktatorischen Eingreifen, das völli-
gen Bruch mit dem sorgfältig Herangezogenen, dem Ge-
wordenen, bedingt, würde man nur Vernichtung des
bisher Erreichten erzielen. Nur inniges Vertrautsein
mit allen technischen Existenzbedingungen und mit
den erworbenen künstlerischen Qualitäten des deutschen
Teppichs kann zur Erreichung des begehrenswerten
Zieles führen, ihn im deutschen Heim heimisch zu
machen. L HAGEN.
Der obere Teil des Paneels in der Diele auf der deutschen kunstgewerblichen Abteilung
der Weltausstellung in Paris 1900. Von Professor O. RIEOELMANN, Charlottenburg.
iaal liir die Saniiiiliing Friedrich's des Grossen im DcutscI'.en Hnus auf der Wcltai:ssteliiii;g in Paiis 1500.
Architekt: Bauinspel<tor J. RADKE, Berlin.
32*
Lünettcni)ild im Treppenhaus des > Deutschen Hauses < auf der Weltausstellung in Paris 1900.
Gemalt von GUSTAV WITTIG, Charlottenburg.
KLEINE MITTEILUNGEN
VEREINE UND SCHULEN
BASEL. Dem Jahresbericht des Gewerbe- Museums
für das Jahr i8gg entnehmen wir folgendes:
In erster Linie wurden die Amtsordnungen für
den Direktor und den Konservator neu aufgestellt und
vom Erziehungsrate genehmigt. Mit Herrn Dr. Stehlin
wurde namens der historischen Gesellschaft ein Ab-
kommen getroffen, wonach der Konservator eine Reihe
von Aufnahmen älterer Baseler Bauten aus dem
15. Jahrhundert für die Festschrift von 1901 bear-
beitet. Namens einer Anzahl kleinerer Schreinermeister,
die beabsichtigen, sich an der Ausstellung von 1901
zu beteiligen, war der Wunsch geäussert worden, das
Museum möchte ihnen durch eine Kollektivausstellung,
ähnlich wie s. Zt. in Zürich, hierzu behilflich sein.
Demzufolge beschloss die Kommission eine Kollektiv-
ausstellung zu veranstalten und allen Teilnehmern die
hierfür nötig werdenden Zeichnungen unentgeltlich
zu liefern. Von Sonderausstellungen verdient be-
sonderer Erwähnung die »Jugend «-Ausstellung, in der
die Originale der bedeutenderen Illustrationen und die
Titelblätter dieser Zeitschrift vorgeführt wurden, eine
Sammlung schöner Teppiche aus der Kunstwebeschule
zu Scherrebeck und Hoizschnittdarstellungen des
Züricher'schen Xylographen -Verbands. Der Besuch
der Bibliothek weist eine Zunahme gegen das Vor-
jahr auf, ebenso erfuhr die Zahl der im Auskunfts-
bureau ausgeführten Aufträge eine geringe Zunahme.
Die vorjährige Publikation über das Zscheckenbürlin-
Zimmer hatte zur Folge, dass einige der dortigen
modernen Möbel seither durch zeitgemässe im Stil
des Raumes ersetzt wurden und weitere diesen folgen
sollen. Die Entwürfe hierzu sind dem Museum über-
tragen worden. Mustersammlung und Bibliothek
haben sich auch im Berichtsjahre ansehnlicher Be-
reicherung zu erfreuen gehabt. Hervorzuheben ist
besonders die Rehfuss-Sammlung, eine reiche Samm-
lung von Goldschmiedemodellen aus der Werkstatt
der beiden Silberschmiede Rehfuss Vater und Sohn
in Bern. Weitaus die grösste Bereicherung erfuhr
jedoch die Holzabteilung durch den Ankauf von Mo-
dellen und Probestücken aus der Werkstatt des Holz-
bildhauers Burgi. -u-
BREMEN. Dem Bericht des Gewerbemuseums für
das Geschäftsjahr iSgg entnehmen wir folgen-
des: die im Winterhalbjahr des vorhergegangenen
Jahres durch den ersten Assistenten begonnenen öffent-
lichen und unentgeltlichen Vorlesungen wurden in
214
KLEINE MITTEILUNGEN
■»■■'»»i-^".«ir-'m-'-«*yi«>,'''«/'.w'~wr"->»' >»"'>c»''>i»--i- Ww- "• •'
■>J; »•■• 5»«''S»'*''*^"**'1fc'"&'*5»'^''*''^
-^i^lt;.'*«' '%■'%.■•«, *, «., • -% Tt -5: ."b %«V«n *
Ueslickte Decke von hraii SCHMID 1 - l'hCH f, Konstanz.
gleicher Weise fortgesetzt. Aus der Mustersammlung
für Kunstgewerbe wurde eine Reihe von Gegenständen,
welche s. Z. von der historischen Gesellschaft des
Künstlervereins der Anstalt überwiesen, aber wegen
geringer kunstgewerblicher Eigenschaft nicht ausge-
stellt, sondern als Depot betrachtet wurden, teilweise
aber doch für Bremen geschichtliche Bedeutung be-
sitzen, an die kunsthistorische Kommission abgegeben.
In gleicher Weise sind gerahmte farbige Wappenfenster
an die Verwaltung des Rathauses abgeliefert. Der ge-
samte Zuwachs betrug 136 Nummern, welche sich
auf die Gruppen Holz und verwandte Arbeiten, Me-
tallarbeiten, Textil-, Leder- und Papierarbeiten, Stein-,
Glas-, und Keramarbeiten verteilen. Die im ursprüng-
lichen Programm für die Permanente Ausstellung vor-
gesehene Einzelausstellung kunstgewerblicher Arbeiten
beginnt sich mehr zu geschlossenen Kollektivausstel-
lungen zu verdichten, gegen welche hervorragende
Bremische Einzelerzeugnisse zurücktreten. Durch Lage
und Grösse des Erdgeschosses sehr begünstigt, fanden
im Berichtsjahre zehn Sonderausstellungen statt. In
der Vorbildersammlung ist die Wahrnehmung gemacht
worden, dass von den Besuchern mit Vorliebe ge-
bundene Vorhilderwerke benutzt werden, während die
Benutzimg der in Mappen systematisch geordneten
Einzelblätter entschieden nachgelassen hat. Das mit
der Vorbildersammlungin Verbindung stehendeZeichen-
bureau erledigte 73 Aufträge mit 86 Zeichnungen.
-u-
C ASSEL. Nach dem Jahresbericht der Qewerb-
lichcii Zeichen- und Knnstgewerbeschule für
das Scliuljahr iSggligoo betrug die Zahl der
Abend- und Sonntagsschüler: 303 im Sommer- und
458 im Winterhalbjahr, die der Tagesschüler: 120 im
Sommer- und 184 im Winterhalbjahr. Auf Grund
von Zeugnissen über hervorragende Leistungen in der
Schule wurden neun Schüler zur erleichterten Prüfung
für Einjährig-Freiwillige zugelassen. Vom 6. bis 13.
August fand, nach mehrjähriger, durch Umbauten im
Anstaltsgebäude verursachter Pause, eine Ausstellung
von Schülerarbeiten statt. Nachdem in den letzten
Jahren durch Ergänzungs- und Umbauten die räum-
lichen Verhältnisse der Anstalt sich wesentlich ge-
bessert haben, ist auch die sichere Aussicht vorhanden,
dass noch im Laufe des Sommers 1900 die Frage der
festen Anstellung der vollbeschäftigten Lehrer der
Anstalt zu einem gewissen Abschluss kommen wird.
-u-
BRÜNN. Wie wir dem 25. Jahresbericht des
Mährischen Gewerbe -Museums für das Jahr iSgg
entnehmen, blieben die sämtlichen Abteilungen
auf der Bahn der bisherigen erfolgreichen Entwicke-
lung nicht nur nicht zurück, sondern weisen sowohl
dort, wo es sich um eine thätige Beeinflussung des
modernen Gewerbes handelt, wie im kunstgewerblichen
Atelier und in der technischen Abteilung, als auch
in den Sammlungen erfreuliche Fortschritte und eine
KLEINE MITTEILUNGEN
215
bedeutende Vermehrung auf. Für die höheren Klassen
der Staatsgewerbe- und Textilschulen, der Mittel- und
Handelsschulen wurden Führungen veranstaltet, ebenso
fanden offizielle Führungen durch den Direktor statt,
welche sich eines guten Besuches erfreuten. In den
Sammlungen gelangten zwei vollkommen eingerichtete
mährische Bauernstuben, eine deutsche und eine sla-
vische, zur Aufstellung, und zwar im Anschluss an die
Sammlung der mährischen Keramik als deren wün-
schenswerteste Ergänzung. Zur Neuordnung gelangte
unter gleichzeitiger Ausscheidung älterer minderwer-
tiger Erwerbun-
gen die Abteilung
der Schmiedear-
beiten. Einem im-
mer lebhafter ge-
äusserten Wun-
sche entspre-
chend, wurde im
Oktober ein Zei-
chen-, Mal- und
Modellierkursus
eingerichtet , zu
welchem überaus
zahlreiche An-
meldungen ein-
liefen. Im Be-
richtsjahre fanden
elf Sonderausstel-
lungenstatt, unter
denen besonders
zu nennen sind:
Moderne kunst-
gewerbliche Er-
zeugnisse aus
Österreich,
Deutschland,
England, Hol-
land, Frankreich,
Amerika, eine
Historische
Trachtenausstel-
lung und eine
Historische Mö-
belausstellung.
Besonders rege
gestaltete sich im
Berichtsjahre die
Veranstaltung
von Wanderaus-
stellungen in der Provinz. Sie umfassten ausschliess-
lich moderne Arbeiten des Kunstgewerbes und waren
mit einem Vortrage des Direktors über »Paris und seine
nächste Weltausstellung' verbunden. Die Abteilung
zur technischen Förderung des Kleingewerbes am Mu-
seum beendete mit dem Jahre 1899 ihre bei der Grün-
dung als Probezeit angesetzte fünfjährige Thätigkeit.
Diese Institution findet von Jahr zu Jahr eine immer
wachsende Inanspruchnahme, so dass der Weiterbe-
stand der Aktion als unbedingtes Bedürfnis und auch
als gesichert erscheint. -u-
M'
Stickerei von Frau SCHMIDT -PECHT, Konstanz
lÜNCHEN. Nach dem Bericht über die Oeneralver-
samm/iiiig des Bayrisclien Kunstgewerbcvereins
am 27. März 1900 zählte der Verein 1801 Mit-
glieder. In der Ausstellungshalle konnte im Jahre
1899 ein um fast 10 "/o höheres Ergebnis als im
Vorjahre festgestellt werden. Die Beschickung der
Halle blieb nach Stückzahl und Wert etwas hinter
dem Vorjahre zurück; der höhere Umsatz, einer der
höchsten bisher in der Halle erreichten, ist daher
hauptsächlich auf die rührige Thätigkeit der Hallen-
leitung zurückzuführen. Der Umsatz betrug 180016,85
Mark gegen
165 151,68M. im
Vorjahre. Aus der
Beteiligung an
der Glaspalast-
ausstellung hat
sich für den Ver-
ein trotz der Zu-
schüsse seitens
des Staates und
des Ausstellungs-
unternehmens
(Künstlergenos-
senschaft) ein
Fehlbetrag von
4000 M. ergeben,
und es gelang
auch nicht, bei
der Künstlerge-
nossenschaft den
Antrag auf Dek-
kung des Fehlbe-
trages aus den
Ausstellungs-
erübrigungen
durchzubringen.
Bedauerlicher-
weise hat eine
starke Gegenströ-
mung eines Tei-
les der Kunstge-
nossenschaftsmit-
glieder eine Be-
teiligung des
Vereins an der
Ausstellung im
Glaspalast un-
möglichgemacht.
Für Projektie-
rungsarbeiten zur Jubiläums-Ausstellung hatte der Aus-
schuss einen Kredit von 2000 M. eröffnet und nach
dessen Verbrauch sich eine Erhöhung des Kredits auf
5000 Mark von der Generalversammlung bewilligen
lassen. -u-
P'
IFORZHEIM. Nach dem Bericht über die Gross-
herzogliche Kßnstgewerbeschule für das Schul-
jahr iSggjigoo betrug die Schülerzahl 269,
gegen 235 im Vorjahre. Vom 14. bis 17. April 1899
fand eine Ausstellung von Schülerarbeiten statt, welche
p
o
rn
p
>
m
C
KLEINE MITTEILUNGEN
217
sich eines lebhaften Besuches von
Seiten der Einwohner, wie auch
von auswärts zu erfreuen hatte.
Eine ständige Ausstellung von
Schülerarbeiten ist in einem be-
sonderen Saale eingerichtet und
gewährt im grossen und ganzen
einen Überblick über die Organi-
sation des Unterrichts. Neu auf-
genommen wurde in den Lehr-
plan der Unterricht im Email-
malen und Emaillieren mit prak-
tischen Übungen. Mit Rücksicht
auf den Besuch der Weltausstel-
lung Paris 1900 durch die Leh-
rer der Anstalt sind die Studien-
reisen im Berichtsjahre unterblie-
Naturstudie (Distel), von Maler A. ECKHARDT, Hamburg.
Kunstgewerbeblait. N. F. XI. H. 11.
ben. Drei Schüler haben sich auf Grund
ihrer Leistungen in der Schule und in
ihrem Berufsgeschäft um die Berechtigung
zum einjährigen Militärdienst beworben
und haben dieselbe erhalten. Die Samm-
lungen sind auch im Berichtsjahre erwei-
tert worden durch Ankäufe von Vorlage-
werken und Modellen, letztere bestehend
in Gipsabgüssen allgemeiner ornamentaler
und figuraler Darstellungen, in kunstge-
werblichen Modellen in Metall, in Schmuckgegen-
ständen und Naturgebilden. -u-
WETTBEWERBE
BREMEN. Preisausschreiben für Entwürfe zu
einem künstlerisch eigenartigen und zweck-
mässigen Tafelbesteck in Silber, ausgeschrie-
ben von der Firma M. H. Wilkens & Söhne in
Bremen und Hamburg. Ausgesetzt sind drei Preise
zu 500, 300 und 200 M. Einzusenden bis zum
1. November 1900. Nähere Bedingungen durch
den Direktor der Kunsthalle Dr. G. Pauli, -u-
DÜSSELDORF. Zu dem durch den Central-
Gewerbe- Verein ausgeschriebenen Wettbe-
werb zur Erlangung von künstlerischen Ent-
würfen zu einem Plakat für die Rheinisch -west-
phälische Industrie- und Gewerbe-Ausstellung in
Düsseldorf 1902 waren gegen 900 Entwürfe einge-
gangen. Es erhielten den I. und II. Preis (1200
und 800 M.) Martin Wiegand-München, den
III. Preis (600 M.) Ida Störer- München und den
IV. Preis (300 M.) Hans-Looschen-Berlin. -u-
AMBURG. Zu dem Wettbewerb um Entwürfe
zu einem Deckengemälde des deutschen
Schauspielhauses waren 45 Entwürfe ein-
gegangen. Professor Karl Marr in München wurde
mit der Ausführung betraut. Ausserdem erhielten
Preise: Johannes Leonhard-München, Georg Drah
und Hugo Löffler- Wien. Zum Ankauf wurden
empfohlen die Entwürfe
den und Adolf Closs-
Stuttgart. -u-
R ADEBEUL. Wett-
bewerb um Ent-
h H würfe für Wand-
malereien im Rathause
zu Radebeul, ausgeschrie-
ben von der Herrmann-
Stiftung für alle sächsi-
schen und in Sachsen
lebenden selbständigen
Künstler. Der 1. Preis
(3500 M.) besteht in der
Ausführung, der II. Preis
beträgt 500 M., der III.
Preis 300 M. Stoff und
33
2t8
KLEINE MITTEILUNGEN
Romanisches Haus, Baurat SCHWECHTEN, Berlin.
Pfeiler-Aulsatz in Rackwit/cr Sandstein ausgeführt
von Bildhauer P. HARTMANN, in Firma:
GEBR. ZEIDLER, Hofsleinmetzmeister.
Anordnung sind freigestellt, nur sind reine allegorisctie
Darstellungen nicht erwünscht. Einzusenden bis zum
1. Oktober d. J. Näheies durch den Kastellan der
Dresdener Kunstgenossenschaft (Dresden, Schöner-
gasse 4). -u-
AUSSTELLUNGEN
BERLIN. Prof. Max Seliger hat in seinem Atelier
im Kunstgewerbemuseum zwei von der deut-
schen Glasniosaikgesellschaft Puhl & Wagner
ausgeführte grössere Mosaikbilder ausgestellt, die einer
Besichtigung empfohlen seien. Der Künstler hat die
Kartons gleichfalls ausgestellt, so dass sich ersehen
lässt, wie weit die musivische Ausführung seinen
Ideen gerecht geworden ist. Das eine Bild stellt die
Besiegung des Bösen durch das Gute dar. Die Fülle
fein zusammengestimmter Farbentöne in den Figuren
und Rüstungen verbindet sich harmonisch mit dem
tiefen Blau des Himmelsgrundes, aus dem die Sterne
funkeln und der Blitzstrahl zuckt. Gross und kühn
giebt sich die Komposition, entsprechend dem Gegen-
stande, den sie darstellt. Das zweite Mosaikbild stellt
Christus am Kreuz dar — eine Figur voll tragischer
Grösse und heiligen Schmerzes. Auch hier ist die
Farbenstimmung eine musterhafte. Während in der
Figur des Gekreuzigten die Farbe nur ernste Klänge
anstimmt, schlägt sie in der Gruppe der reich ge-
wappneten Kriegsknechte volltönende Accorde an.
Nächst dem Künstler verdient die Werkstatt, in der
die musivische Arbeit ausgeführt wurde, Anerkennung.
Mit hoher Feinheit ist sie den Intentionen ihres Auf-
traggebers gerecht geworden. Was in den Kartons
an Tönen .gegeben ist, findet sich auch im Mosaik
getreulich wiedergegeben. Dabei ist die Wirkung
auf das Grosse und Monumentale stets im Auge be-
halten, sowie die musivische Flachheit nach Gebühr
angestrebt worden. Mit einem gewissen Stolz nimmt
man wahr, zu welcher Höhe der Leistungen in
einigen Jahrzehnten unser deutsches Glasmosaik empor-
gestiegen ist, und wie wir nicht mehr nötig haben,
unseren Tribut auf diesem Gebiete Venedig zu ent-
richten, wo bekanntlich einst Salviati die alte Technik
wieder ins Leben gerufen hatte. Erwähnt mag noch sein,
dass die beiden Mosaikbilder für die neue romanische
Garnisonkirche in Dresden bestimmt und von dem
sächsischen Kriegsminister Frhr. von Planitz gestiftet
sind. Erbauer der Kirche sind die Architekten von
Lossow und Viehweger.
GÖTE-
BORG
Eine ■
Schwedische
Buchgewer-
be-Ausstel-
/««^findetin
Verbindung
mit der Jah-
resversamm-
lung des A!l-
gemeinen
Schwedi-
schen Buch-
druckerei-
Vereins und
zugleich als
Huldigungs-
feier für Jo-
hann Guten-
berg's 500-
jährigen Ge-
burtstag in
der Zeit vom
15. Juli bis
1 . September
d. J. in Go-
tenburg statt.
Die Ausstel-
lung wird in
grossen Zü-
gen eine
übersicht-
liche Darstel-
lung von der
Entwicklung
des Buchge-
werbes, von
der Erfin-
dung der
Buchdruk-
kerkunst an
bis zu ihrem
gegenwärti-
, , ' Sandsteinfigur, ausgeführt von Bildhauer
punkte, p. HARTiWANN, Berlin.
KLEINE MITTEILUNGEN
2IQ
Romanisches Haus, Baurat SCHWECHTEN, Berlin.
Pfeiler-Aufsatz in Rackwitzer Sandstein ausgefülirt
von Bildliauer P. HARTMANN, in Firma;
OEBR. ZEIDLER, Hofsteinmetzmeister.
geben. Die Ausstellung wird umfassen: i. Drucke von
der ältesten Zeit bis zur Gegenwart, 2. Bucheinbände,
3. a) Originalzeichnungen für Buchillustration, sowie
Kompositionen für Buchschmuck, b) Oiaphische Künste,
c) Cliche-Erzeugnisse. -u-
VERMISCHTES
PARIS. Das Modell der Ausstellungs-Qedenk-
Medaille ist von Roty in folgender Anordnung
entworfen worden. Das endende Jahrhundert
ist auf derselben durch eine Frauengestalt dargestellt,
die die Fackel des Fortschritts hoch emporhält. Ein
junger geflügelter Genius eilt herbei, um die Fackel
zu erfassen. In einem 'Sonnenstrahle, der die Zweige
einer Eiche umstrahlt, auf die sich das alternde Jahr-
hundert erschöpft stützt, liest man die beiden Jahres-
zahlen: ,,1801 — 1900". Die Rückseite der recht-
eckigen, 50 mm hohen Medaille zeigt einen mit
Rosen durchflochtenen Lorbeerzweig über den Worten :
»Exposition universelle internationale de 1900. Paris ,
ferner eine Perspektive der Avenue Alexander III, von
den Champs-Elysees aus genommen. -u-
ZU UNSERN BILDERN
Die Gebäude der fremden Staaten auf der Welt-
ausstellung in Paris sind alle an der Seine am
Quai d'Orsay, zwischen Pont des Invalides und
Pont de i'Alma errichtet worden und weisen, dicht
aneinander gereiht, eine ganze Musterkarte der ver-
schiedensten Baustile und der Bauformen der ver-
schiedenen Länder auf. Der Baumeister des deutschen
Hauses, Post- Bauinspektor J. Radke, hatte für die
äussere Gestaltung des Hauses, das von einem über
60 m hohen Turme überragt wird, sich an gotische
und Frührenaissanceformen angelehnt; war aber durch
die Zweckbestimmung des Hauses, das im Innern
eine Reihe von Ausstellungsgegenständen aufnehmen
musste, genötigt, da und dort diese mittelalterlichen
Bauformen Grössenverhältnissen anzupassen, die wir
an alten Bauwerken natürlich nicht zu sehen gewohnt
sind. Die vier Fassaden des Hauses wurden von
Maler Böhland, Berlin, mit vielfarbigen, ornamentalen
Malereien geschmückt. Auch das Innere, insbesondere
das grosse, monumental gehaltene Treppenhaus erhielt
farbigen Schmuck. Die Malereien der Decke des
Treppenhauses, wie das Lünettenbild der Abschluss-
wand des ersten Stockwerkes wurden von Maler
Wittig-Charlottenburg (s. Abb. S. 207 und S. 213) in
vorzüglicher
Weise aus-
geführt und
zeichnen
sich insbe-
sondere
durch ihre
feine Farben-
Stimmung
aus. Die
Frontwand
des Treppen-
hauses er-
hielt ein far-
biges Glas-
fenster von
Maler Lüthi
in Frankfurt
a. M., wäh-
rend die aus
den Abbild.
S. 205 und
S. 207 er-
sichtlichen
Wandbilder
von Prof.
Gussmann,
Dresden, ge-
maltwurden.
Die doppel-
arniige Trep-
pe ist in hel-
lem Unteis-
berger Mar-
mor von der
Aktiengestll
Schaft für
Marmor - In-
dustrie »Kie-
fer« in Kie-
fersfeldeaus-
geführt, die
Füllungen
desTreppen-
geländers
wie die Kan-
Holahoi- oiif Sandsteinfigur, ausgeführt von Bildhauer
ueidoer aui p, hartmann, Berlin.
33'
220
KLEINE MITTEILUNGEN
den Zwischenpodesten sind von Schulz und Holde-
fleiss, Berlin, in Aluminiumbronze geschmiedet wor-
den. Auf den Anläufen der Treppe stehen je zwei
aus dem Reichstagsgebäude herrührende, nach Pro-
fessor Vogel's Modellen von de Kock in Berlin in Holz
geschnitzte Figuren. Die Treppe führt zu den nach
der Seine zu im ersten Stockwerk gelegenen vier
Ausstellungsräumen, in welchen die aus der Kunst-
sammlung Friedrich 's des Grossen herrührenden
Kunstwerke französischen Ursprungs, Gemälde, Mar-
morbüsten und Bronzemöbel ihre Aufstellung gefun-
den haben. Wir bringen in diesem Hefte ein Bild
des grossen Mittelsaales, aus dem zu ersehen ist, dass
der Baumeister versucht hat, die Ausstattung des Rau-
mes dem Inhalte entsprechend zu gestalten. Die in
den Ornamenten versilberte Stuckdecke ist Motiven
eines Saales aus dem Potsdamer Stadtschlosse nach-
gebildet, für die Wände wurde nach einem ahen, im
königlichen Schlosse schon verwendeten Muster eine
gelbe Seidendamastbespannung eigens hergestellt. Die
Glaslüster lieferte die Aktien-Gesellschaft für Fabrika-
tion von Bronzewaren, vorm. J. C. Spinn & Sohn, Berlin.
Ferner geben wir
in diesem Hefte
noch einige Ein-
zelheiten der Holz-
schnitzereien der
Diele, welche wir
schon im vorigen
Hefte in der Ge-
samtansicht brach-
ten, und welche in
der deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der
Weltausstellung in Paris zur Ausstellung gelangte.
Da die diesmalige Pariser Ausstellung aus Platzmangel
in allen Gebäuden Galerien anordnete, so war auch
zur Verbindung mit dem Erdgeschoss die Anlage
grösserer Treppen nötig. In der deutschen Abteilung
hat Professor Hoffacker unter Verzicht auf die ge-
plante französische Treppe zwei grosse architektonisch
reich ausgestattete Treppenhäuser geschaffen. Das eine
dieser Treppenhäuser erhielt, soweit die Dimensionen
bei einer Stockwerkhöhe von 7 m dies zuliessen, den
Charakter einer altdeutschen Diele. Die Decke wie
das Treppengeländer wurden von Professor Riegel-
mann, Charlottenburg, nach dessen Entwürfen reich
in Holz geschnitzt, ebenso erhielt das Geschoss zu
ebener Erde Paneel und Sitzmöbel in Kiefern- resp.
Eichenholz. Professor Riegelmann wollte die »deutsche
Jagdo in den einzelnen Füllungen des Geländers, wie
den Schmuckmotiven der Treppe zur Darstellung
bringen. Die Abbildungen dieses wie des vorigen
Heftes geben einigermassen ein Bild der Arbeiten Riegel-
mann's. Als besondere Leistung muss hervorgehoben
^^^^ werden, dass es
'•* .> .{^9BHi Riegelmann gelun-
gen ist, bei der infol-
ge besonderer Um-
stände so knappen
Zeit von 2V2 Mona-
ten Entwurf und
Ausführung der
ganzen Holz-
schnitzarbeiten
herzustellen.
•^lii%
Figuren vom Treppenhause der Diele
auf der deu(sclien kunstgewerblichen Abteilung der Weltausstellung in Paris iQoo.
Holzschnitzerei von Professor O. RIEGELMANN, Charlottenburg.
(s. S. 189 des lfd. Jahrg.)
Herausgeber und für die Redaktion verantwortlich: Professor Karl Hoffacker, Architekt in Charlottenburg- Berlin.
Druck von Ernst Hedrich Nachf., G. tn. b. H., Leipzig.
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 12.
Hauptfront der deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der Weltausstellung in Paris 1900.
Architekt: Professor KARL HOFFACKER, Charlottenburg.
Kopfleiste, gezeichnei von HELENE VARGES, Berlin.
DAS KUNSTGEWERBE
AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNG
II.
DIE deutsche Abteilung, deren imponierender und
harmonischer Aufbau in der Juni -Nummer
beschrieben worden ist, befindet sich, von der
Seine aus gerechnet, fast am Ende des rechten Palastes
der Invaliden-Esplanade. Den noch übrigen Raum hin-
ter ihr haben sich Russland und Belgien geteilt und zwar
so, dass Russland die Galerien und die Hälfte des
Platzes zu ebener Erde, also etwa zwei Drittel des
Ganzen einnimmt. Ein monumentales Thor schliesst
seine Ausstellung gegen die belgische ab. Links vom
Mittelgang enthält ein hoher Glasschrank einige der
wertvollsten Erzeugnisse der verschiedenen kaiserlichen
Manufakturen zu Petersburg. Mehr ein Kuriosum ist
die in Marmor und Edelsteinen ausgeführte Karte von
Frankreich, ein Geschenk des Zaren an die Republik.
Andere wertvolle Gegenstände der kaiserlichen Fabri-
ken in edlem Material finden wir im Pavillon der
kaiserlichen Domänen im sibirischen Palaste des Tro-
cadero. Schmucksachen und Gefässe in Jaspis, Ne-
phrit u. s. w. hat ferner Faberge ausgestellt. Einen
grossen Raum nehmen die bekannten Email- und
Filigranarbeiten im byzantinischen Geschmacke ein;
die Firma Owtschinnikoff, von der auch zwei Riesen-
altäre herrühren, hat allein mehrere Schränke voll
ihrer Erzeugnisse ausgestellt. In einer Ecke machen
uns Photographien und Erklärungen die Herstellung
des riesigen schmiedeeisernen Gartenthores für den
kaiseriichen Winterpalast anschaulich, das unter den
Skulpturen der Champs-Elysees seine Aufstellung ge-
funden hat. Ausserdem enthält die Ausstellung Bron-
zen, Moskauer Porzellan und solches von der finn-
ländischen Fabrik Arabia in Helsingfors, Krystall-
waren und sehr eigentümliches Bauernsteinzeug von
dem Künstler Golowin, unter anderem einen hölzer-
nen Waschtisch mit eingelegtem Mosaik und origi-
nellem Geschirr und eine Bowle in Form einer Henne.
Golowin gehört zu einer Gesellschaft russischer Kunst-
freunde und Künstler, die die weitverbreitete bäuerliche
Hausindustrie zu heben suchen, indem sie unter An-
lehnung an die besten Erzeugnisse früherer Zeiten
den Bauern Zeichnungen und Material für Möbel,
Stickereien, Thonwaren, Damaszierungen u. s. w. liefern.
Eine reiche Sammlung dieses bäuerlichen Kunstge-
werbes findet man in dem an den sibirischen Palast
angebauten sogenannten 'Russischen Dorfe«, dessen
Architekt Korowin sich hauptsächlich Häuser und
Kirchen des Gouvernements Archangel zum Muster
genommen hat. Die oberen Galerien der russischen
Abteilung in den Invaliden werden zum grossen Teil
von Arbeiten der Kunstgewerbeschule des Barons
Stieglitz zu Petersburg eingenommen. Hingewiesen
sei ferner auf die Stickereien und Handwebereien der
Moskauer Firma Tschokoloff, unter denen sich man-
ches Eigenartige befindet.
Die Ausstellung Belgiens, das in der Entwicklung
des modernen Kunstgewerbes eine so wichtige Rolle
gespielt hat, bringt eine grosse Enttäuschung. Die
meisten grossen Firmen sind überhaupt nicht vertreten
und an ihrer Stelle macht sich billige Jahrmarktware
breit. Gut und reichhaltig haben eigentlich nur die
Fayencefabrik von Boch, die fast alle Arten der mo-
dernen Kunsttöpferei hervorbringt, und der Juwelier
Hoosemans in Brüssel ausgestellt. Von letzterem
seien ausser dem grossen Tafelaufsatz ein paar Leuchter
hervorgehoben, bei denen nackte weibliche Figuren
in Elfenbein sich mit dem matten Silber reizend ver-
binden. Wenn wir ausserdem den grossen dreiteiligen,
nach einem Karton von Oeets hergestellten Wand-
34*
224
DAS KUNSTGEWERBE AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNG
Bninnennische in der deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der Weltausstellung
in Paris igoo. Entworfen von Prof. O. OUSSMANN, Dresden.
feppicli der Mechelner Manufaktur Braquenie, den
monumentalen Kamin aus Sarrancolin-Marmor der
Firma Evrard Leonce in Brüssel und die Möbel von
Rosel nennen, so ist die Summe des Beachtenswerten
wohl erschöpft. In dem Annexbau befindet sich noch
ein hübsches vlämisches Speisezimmer nach Entwürfen
des Brüsseler Architekten van Massenhove.
Nördlich der deutschen und zur Hälfte in sie
hineingebaut liegt die Abteilung der Vereinigten
Staaten. Es ist eigentümlich, dass die Amerikaner
bei der äusserlichen Ausschmückung und Abgrenzung
ihrer sämtlichen Sektionen sich das klassischste Motiv
von allen ausgesucht haben, von goldenen Lorbeer-
guirlanden umwundene weisse korinthische Säulen,
deren Gebälk in gewissen Abständen mit dem Sternen-
banner geziert ist. Ihre kunstgewerbliche Abteilung
besteht aus einem mit Glasmalereien geschmückten
Centralbau, um den sich offene Säulengalerien grup-
pieren. Die Haupteingänge tragen den
amerikanischen Adler, ihre Bogenfelder
sind mit nicht sehr bedeutenden allegori-
schen Malereien geschmückt. Der sehens-
werteste Raum ist derjenige der Kunst-
töpfereien. Er enthält die Erzeugnisse von
zwei Fabriken, von denen die eine zum
allerersten Male in Europa auftritt und die
andere zwar schon i88g eine goldene
Medaille errungen hat, seitdem aber in
jeder Weise fortgeschritten ist. Die Grueby-
Fayencen sind in der Mehrzahl ganz
schlichte mattgrüne Vasen mit grossen
Blattornamenten, deren ganz feines Cra-
quele an die Maserung wirklicher Blätter
erinnert, die Rookwood-Töpfereien dagegen
sind unterglasierte Fayencen, bei denen
der Dekor ~ meist ziemlich einfache
Blumen leicht erhaben ist. Bevorzugte
die Fabrik früher dunkle Farben, z. B.
Verbindungen von tiefem Rot und Grün
oder von Gelb und Schwarz, so sind ihre
neuesten Vasen meist in ganz lichten,
zarten rosa, grünen oder violetten Tönen
gehalten, die zum Teil an die Porzellane
von Roerstrand erinnern. Seltener ange-
wendete Spezialitäten sind ihre auf galva-
nischem Wege erzeugten Metallverzie-
rungen und ihr an japanische Lackarbeiten
erinnernder Goldschimmer. Dem Pottery-
room gegenüber liegt ein Raum mit Er-
zeugnissen von Louis Tiffany. Neben
den bekannten prächtigen Gläsern und
Glasmalereien sind mehrere'grosse Lam-
pen mit trefflich patinierten Bronzefüssen,
ein grosser Glasmosaik-Fries und die ganz
neuen Bronzegefässe mit Emaildekor zu
beachten. Nächstdem treten besonders die
Ausstellungen der Juweliere Gorham & Cil.
und Tiffany & 0'"=. hervor, beide aus New
York. Landsberg -Chicago hat ein paar
gute Schmucksachen ausgestellt. Von Mö-
beln haben die Amerikaner fast ausschliess-
lich Schreibtische, Schulbänke, Aktenschränke und Bil-
lards gesandt, bei denen die rein praktische Seite allein
ausschlaggebend ist. Ein kleines Schlafzimmer mit
eingelegten Emails macht eine Ausnahme.
Auch die Engländer haben nicht so grosse An-
strengungen gemacht, wie man es wünschen möchte.
Als Gesamtheit entbehrt ihre Ausstellung jeglichen
Schmuckes. Am zahlreichsten ist ihre Beteiligung,
zumal wenn man die Einrichtung des englischen
Repräsentationshauses hinzurechnet, bei den Möbeln.
Aber auch hier fehlen einige der grössten Häuser,
wie Maple. Waring & Gillow stehen an erster Stelle.
Sie haben drei Zimmer des englischen Hauses aus-
gestattet und hier auf den Invaliden in einem mitten
in der Halle stehenden, aber nach allen Seiten ab-
geschlossenen Viereck fast eine ganze Wohnungsein-
richtung zur Schau gestellt: ein Schlafzimmer aus
Atlasholz im Sheraton-Stile mit feinster Intarsia, ein
Zimmerbrunnen auf der Weltausstellung in Paris 1900 (s. auch Abbild. S. 227).
Entwurf: Professor OTTO RIETH, Berlin; Modell: Bildhauer ADOLF AMBERO; ausgeführt von P. BRUCKMANN &3SÖHNE, Heilbronn.
DAS KUNSTGEWERBE AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNG
227
munteres Badezimmer, ein mehr originelles als allen
praktischen Anforderungen genügendes modernes
Kinderzimmer, einen trefflich gearbeiteten Speisesaal in
einem Übergangsstil von der jakobianischen zur elisa-
bethanischen Renaissance, eine komfortable Yacht-
kabine und einen echt englischen Landhaus-Drawing-
room. Hinter Waring und in dem hier anstossenden
Seitenflügel des Palastes finden wir Möbel von John-
son & Appleyards, zwei behagliche Schlafzimmer von
Heal & Son und Möbel in Citronenholz von J. S. Henry,
Waring gegenüber gute Möbel von Howard und da-
hinter Büffets, Bücherschränke u. s. w. von den Bath
Cabinet Makers. Im englischen Hause erregen haupt-
sächlich die Schlaf- und Ankleidezimmer von Johnson
& Appleyards und der Bromsgrove Guild Aufmerk-
samkeit. Ausserdem verdienen hier, um dies gleich
vorwegzunehmen, besonders die von Morris nach
Kartons des verstorbenen Bume-Jones ausgeführten
fünf Wandteppiche mit Darstellungen aus der Artus-
Sage, die prächtigen Vorhänge und Bettdecken der
königlichen Stickereischule, die von Elkington her-
gestellten Reproduktionen der überaus reichen silbernen
Möbel und Geräte aus Knole und Windsor und die
allerdings fast ausschliesslich retrospektive Ausstellung
der königlichen Porzellan - Manufaktur zu Worcester
Beachtung. Neben Waring und Howard haben, um
zur Invaliden - Esplanade zurückzukehren, die Gold-
smiths and Silversmiths Company und die Juweliere
Mappin Brothers in Sheffield besondere Räume. Das
Hauptstück der ersteren ist ein aus neun Stücken
bestehender silberner Tafelaufsatz
mit Nereiden. Ferner befinden sich
hier die Ausstellungen einiger kera-
mischer Fabriken, so besonders
von Doulton & Co. und von Elton
(Clevedon). Die auf den Galerien
und in dem oben erwähnten Seiten-
flügel ausgestellten Gegenstände
sind zum grössten Teil rein in-
dustrieller Natur. Doch finden wir
in dem letzteren noch gute Tep-
piche, Tapeten und bedruckte Stoffe
und den reizenden kleinen Pavillon
der Benson'schen Kupfergeschirre
und Beleuchtungsgegenstände. Ben-
son's Apparate für die elektrische
Beleuchtung sind nicht hier, son-
dern im Elektrizitäts- Palaste zu
suchen.
Die nun folgende italienische
Abteilung macht einen ziemlich
trostlosen Eindruck. Auch sie um-
fasst nur einen Teil des Kunst-
gewerbes, da die ganze, äusserst
umfangreiche Keramik- Ausstellung
und die Glaswaren in dem grossen
italienischen Palast am Quai d'Or-
say untergebracht worden sind.
Der Geschmack steht hier auf
einer bedenklich tiefen Stufe. Bei
den Möbeln werden die allerver-
schnörkeltsten und allergewundensten Vorbilder früherer
Epochen kopiert oder durch noch barockere neue Erfin-
dungen übertrumpft; die Marmorhändler lassen sich von
den Künstlern die allerfadesten und allersüsslichsten Mo-
delle liefern und machen mit ihnen leider glänzende
Geschäfte; die Keramiker leisten technisch zum Teil
Vortreffliches, wo sie alte Vasen und Teller kopieren,
und tappen fast überall völlig unsicher herum, wenn
sie Neues bringen wollen. Wie wenig Geschmack
auch die besseren Firmen besitzen, beweist das Bei-
spiel des berühmten Glasfabrikanten Salviati, der in
die helle gotische Halle des Palastes ganz massive
dunkle Renaissanceschränke für seine Ausstellung ge-
setzt hat. Am schlimmsten steht es auf der Galerie
des Invaliden-Palastes, wo die ganz billigen venezia-
nischen Schmucksachen feilgehalten werden. Man
glaubt hier wirklich in einem Bazar und nicht auf
einer Weltausstellung zu sein, bei der alle Völker
doch besondere Ehre einlegen wollen. Im einzelnen
wird der gewissenhafte Beobachter natürlich manches
Gute entdecken, vorausgesetzt, dass er nicht vorher
den Mut verliert. So
sei auf die unter dem
Einflüsse Tiffany's
entstandenen und zum
Teil nicht übel ge-
lungenen neuen Glä-
ser von Salviati, auf
die Schmucksachen
und die Nachbildung
Mittelpartie auf der Galerie der deutschen kunstgewerblichen Abteilung.
Weltausstellung in Paris 1900.
228
DASfKUNSTGEWERBE AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNO
Aus dem «Zimmer eines Kunstfreundes in der deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der Pariser Weitausstellung igoo.
Entworfen von Maler RICHARD RIEiHERSCHMID, ausgeführt von den Vereinigten Werkstätten, München.
des für die Kronprinzessin gearbeiteten Silbergeschirrs
des Juweliers Giacinto Melillo aus Neapel und auf die
Fayencen von Ruggieri-Pesaro und Cantagalli-Florenz
hingewiesen, bei denen neben vielem Geschmacklosen
doch manches Beachtenswerte zu finden ist.
Die dänische Abteilung bietet nach der italie-
nischen eine wahre Erholung. Sie ist nicht sehr reich,
aber aufs sorgfältigste ausgewählt. Fast jedes Stück
verdient Beachtung. Je eine aus Hartstuck errichtete,
mit gedrungenen vergoldeten Ornamenten sparsam ge-
schmückte weisse Mauer mit hohem Thor grenzt
sie nach beiden Seiten ab. Im Mittelpunkt stehen
die prächtigen Ausstellungen der Kopenhagener
Königlichen Porzellanmanufaktur und der Manufaktur
von Bing & Gröndahl. Mortensen und Liisberg haben
bei den ersteren wohl die schönsten Stücke gezeichnet,
ferner finden wir prächtige grosse Vasen mit sehr
stimmungsvollen Gemälden von Rode («Die Dämme-
rung-). Auch Tierfiguren sind sehr beliebt. Die
Krystallglasuren scheinen etwas abzunehmen, wahr-
scheinlich weil sie von den andeien Manufakturen
so häufig nachgeahmt worden sind. Dagegen hat
man in neuester Zeit, wohl zunächst nur ver-
suchsweise, begonnen, Vasen in grauen und braunen
Tönen herzustellen. Auch Bing & Gröndahl haben
vortreffliche Tiere ausgestellt; famose Stücke sind die
Eule, das Rhinozeros und vor allem die Möve von
Dalli -Jensen. Die Plastik spielt im allgemeinen hier
eine viel grössere Rolle als drüben. Willumsen's
Einfluss ist überall bemerkbar, besonders in der grossen
Vase »Das Wachstum < von Fräulein Plockross. Über-
haupt ist die Nebeneinanderstellung der beiden Fabriken
sehr interessant und lehrreich. Hier die Betonung
der weissen Masse, bei Kopenhagen fast alles farbig;
hier die tiefen Emailfarben, dort ganz zarte Töne.
Originalwerke von Willumsen finden wir in der
Kollektivausstellung von Gegenständen, die hauptsäch-
lich dem Kopenhagener Kunstgewerbe-Museum an-
DAS KUNSTGEWERBE AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNG
229
gehören. Kunsttöpfereien haben Hansen -Jacobsen,
Petersen, Frau Ipsen und insbesondere Kaehler aus-
gestellt, der bei seinen lachs- oder hummerfarbigen
oxydierten Gefässen nach sehr eigenartigen Formen
strebt und ebenfalls gern Tierleiber verwendet. Sehr
schön ist sein Fries mit den über das Meer fliegenden
Vögeln. Der Königlichen Porzellanmanufaktur gegen-
über befindet sich die Ausstellung des bekannten
Goldschmiedes Michelsen. Besonders in die Augen
fällt hier der grosse, aus mehreren Stücken beste-
hende silberne Tafelaufsatz, ein Ehrengeschenk für
den König, der nach Zeichnungen von Krog von
Hannleff und Brandstrup modelliert worden ist. Zu be-
achten sind ferner die silbernen Becher und Schalen nach
Zeichnungen von Bindesböll und Slott-MöUer und die
von Henriksen mit geschmackvollem Gold- und Silber-
dekor versehenen Porzellanvasen. Unter den Zeichnern
von Bucheinbänden steht wieder Bindesböll an erster
Stelle; ausser ihm haben Skovgaard und Jerndorf treff-
liche Arbeiten geliefert. Endlich seien die Arbeiten in
geschnittenem Leder von Cathrine Hassa-
ger erwähnt. An Möbeln enthält die Ab-
teilung nur eine Garnitur in Rosenholz
mit eingelegten bunten Blumen und
einige Möbel nach Zeichnungen des
Malers Rohde. Um zu sehen, was in
Dänemark auf diesem Gebiete geleistet
wird, muss man in das kleine dänische
Haus gehen. Die Einrichtung ist zwar
sehr einfach und hat den Kunsthand-
werkern nur in wenigen Fällen Ge-
legenheit zum Glänzen gegeben, ist aber
dafür ausgezeichnet zusammengestimmt,
anheimelnd und wohnlich. Der Verfasser
von »Palastfenster und Flügelthür« würde
an ihr seine Freude haben.
Auf der Galerie schliesst sich nörd-
lich an Deutschland Schweden an. Sein
Architekt hat die Abteilung durch Quer-
wände in sechs Räume geteilt und diese
Wände ebenso wie die hintere Mauer
mit Dachfirstmotiven von schwedischen
Bauernhäusern geschmückt. Darunter
läuft ein Fries von Kiefern hin, die die
drei Kronen des Wappens tragen. Das
Ganze macht in seinen graugrünen Tö-
nen einen ungemein freundlichen Ein-
druck. Den ersten Raum nimmt die
Stockholmer Porzellan- und Fayencen-
Fabrik Gustafsberg ein. Neu sind bei
ihr die nach Zeichnungen des Künstlers
Vennerberg mit einfachen Blattmotiven
grün auf hellgrün oder blau auf hell-
blau bemalten Fayencen. Dann folgt die
Krystallglasfabrik von Kosta, die neuer-
dings Galle'sche Farben und Muster in
etwas vergröbernder Weise aber nicht
ohne Glück nachahmt. Auch die be-
rühmte Porzellanfabrik von Rörstrand,
deren reiche Ausstellung den zweiten
Raum füllt, bringt vieles Neue. Grossen
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 12.
Erfolg haben die 1 897 zuerst ausgestellten, von Alf Wal-
lander entworfenen Vasen mit ganz lichtem Blumendekor
— Iris, Alpenveilchen, Mohn u. s. w. auf schwarzem
Grunde. Noch jüngeren Datums scheinen die Stücke
mit gelbem Dekor auf grünem Grunde zu sein.
Aber auch die älteren Erzeugnisse der Firma finden
viele neue Freunde. Im dritten Raum finden wir
die Sammelausstellung damaszierter Eisenarbeiten der
Fabriken von Eskilstuna in Södermanland und die
Ausstellungen der Stockholmer Goldschmiede. Ganz
besondere Aufmerksamkeit verdienen die nächsten
Räume, in die sich die Aktiengesellschaft für Kunst-
gewerbe S. Giöbel und die »Handarbeitsfreunde«
(Handarbetets Vänner) geteilt haben. Beide stellen
hauptsächlich Handwebereien und Handstickereien
aus, Gobelins, Fussteppiche, gestickte Decken, National-
trachten u. s. w., die alle in mehr oder minder freier
Anlehnung an die neu belebte uralte Bauernindustrie
von namhaften Künstlern entworfen sind. Den Go-
belins liegen Kartons von Alf Wallander und Karl
Erker eines Zimmers auf der deutschen I;::ns:ge\veihliclicii Abteilung der Pariser
Weltausstellung 1900. Entworfen von Maler BERNHARD PANKOK, München,
ausgeführt von den Vereinigten Werkstätten für Kunst itn flandwerk, O. m. b. H., München«
35
230
DAS KUNSTGEWERBE AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNG
Ecke eines Jagdzimmers in der deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der Weltausstellung in Paris 1900.
Entworfen von Maler BRUNO PAUL,
ausgeführt von den Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk, O. m. b. H. lV\ünchen.
Larsson zu Grunde. Ersterer zeichnet rein dekorativ,
letzterer erstrebt, besonders in dem trefflichen »Krebs-
fang« mehr bildähnliche Wirkungen. Giöbel stellt
ausserdem einige Stühle und Bauernschnitzereien aus.
Den Beschluss der schwedischen Abteilung machen
Möbel, unter denen ein gewaltiger reichgeschnitzter
und im Innern mit prächtigstem Intarsia geschmückter
Maliagonischrank von Boberg Aufsehen erregt.
Die durch keinerlei architekturale Gliederung aus-
gezeichnete spanische Abteilung ist sehr ärmlich.
Sie enthält hauptsächlich Damaszierungen und In-
krustationen von Gold in Stahl, zum Teil auch in
Silber in allen erdenklichen Stilarten, pompejanisch,
persisch, maurisch, Renaissance, ohne einen Ansatz zu
Neuem und Eigenartigem; ferner einige Rokoko- und
maurische Möbel.
Dagegen macht sich Norwegen schon von weitem
vorteilhaft bemerkbar. Der Architekt Fin Hörn hat
aus holzgeschnitzten Motiven von romanischen Kir-
chenportalen eine ungemein reizvolle Einfassung in
rotbrauner Tönung geschaffen. In drei Zweigen
zeichnet sich das nordische Kunstgewerbe noch immer
aus, in der Handweberei und Stickerei, in der Gold-
schmiedekunst und in der Holzschnitzerei. Wir ge-
langen zunächst zu einem Räume mit Möbeln von
Borgerson, unter denen einige trefflich gelungene
Nachbildungen alter Bauernsessel in romanischem
Stil besonders auffallen. Nebenan befindet sich die
Ausstellung der vom Staate unterstützten nordischen
#Hausfleissvereinigung« in Christiania, deren Be-
strebungen denen der schwedischen Handarbeitsfreunde
ähneln, aber sich auf viel mehr Industriezweige er-
strecken. An erster Stelle stehen auch hier gewebte
Wandteppiche und Fussteppiche, Tischdeken, Vor-
hänge, Kissen und Sofabezüge, zum Teil nach alten
bäurischen Mustern, zum Teil nach Zeichnungen
von Gerhard Muntlie, Holmboe, Fräulein Aubert und
anderen; dann Stickereien und Hardanger-Spitzen,
zum Teil von ausserordentlicher Schönheit. Einen
grossen Raum nehmen auch die Holzschnitzereien
ein, Stühle und Fussbänke, allerlei Etuis, Bierkrüge
und Trinkhörner, Messer, Salatbestecke u. s. w. Echt
norwegisch sind die mit grellen Blumenmustern bemal-
ten Kindermöbel, Schüsseln und Kannen. Weitere ähn-
liche Arbeiten befinden sich in einem Nebenzimmer. Auf
der nun folgenden Galerie ist die Wand mit Teppichen
behängt, die zum grössten Teil in der erst 1897 ge-
gründeten nordischen »Billedvaeveri« zu Christiania
hergestellt sind. Zwei Künstler treten hier in den
Vordergrund, die Leiterin der Anstalt Frida Hansen
und Gerhard Munthe. Frida Hansen ist zarter, lieb-
licher, gewinnt rascher, wirkt aber auf die Dauer
leicht ein wenig flau. Besser als ihre grossen Gobelins
»Der Tanz der Salome« und »Die klugen und thö-
richten Jungfrauen« sind die Vorhänge mit einfachen
grossen Blumenmustern, insbesondere die transpa-
renten. Dagegen wirken die Munthe'schen Teppiche,
insbesondere der grosse »Einzug König Sigurd's in
Konstantinopel« um so grossartiger, je öfter man sie
sieht. Es sind meines Erachtens weitaus die hervor-
DAS KUNSTGEWERBE AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNG
231
ragendsten Versuche einer wirklich neuen Teppich-
kunst. Vor den Teppichen befindet sich eine reiche
Ausstellung von Werken des in Deutschland ge-
borenen und in Paris lebenden Kunsttöpfers St. Lerche,
der bei seinen zum Teil an Paiissy anknüpfenden
Fayencen und Steinzeug viel metallische Verzierungen
anwendet und auch mehrere selbständige Arbeiten in
Bronze und Zinn ausgeführt hat. Unter den Gold-
sich Österreich und Ungarn an, die demnächst in
einem besonderen Artikel behandelL werden sollen.
Geht man oben durch die österreichische Abteilung
hindurch auf die andere Seite des Palastes hinüber,
so gelangt man zur Ausstellung Hollands. Die De-
koration ist einfach und freundlich, Geländer in leicht
geschwungenen Linien aus hellem Holz, hier und da
mit mattgrünen Sammetstoffen bespannt. Mindestens
Raum auf der deutschen kunstgewerblichen Abteilung der Pariser Weltausstellung 1900.
Möbel im Besitz Sr. Maj. des deutschen Kaisers.
schmieden ragt Tostrup - Christiania weit über die
anderen hinaus, dessen aus translucidem Email in
feinstem Cloisonne ausgeführte Vasen, Schalen und
Schmuckkästchen sich den Arbeiten des bekannten
Franzosen Thesmar würdig an die Seite stellen.
Ausserdem sei auf die seit einigen Jahren rühmlichst
bekannten Lederarbeiten der Frau Thaulow hin-
gewiesen.
Unten an Dänemark, oben an Norwegen schliessen
die Hälfte der gesamten Ausstellung wird von den
Fayencen in Anspruch genommen. Am meisten tritt
die Delfter Fabrik Thooft & Labouchere hervor.
Man ist hier bekanntlich in den letzten Jahren zu
den von den alten Delfter Fabriken angewendeten
Malereien auf Zinnemail zurückgekehrt, giebt aber
jetzt den blauen Dekor immer mehr zu Gunsten
eines polychromen auf. Besonders beliebt sind stark
impressionistische Malereien in Zusammenstellungen
35*
232
DAS KUNSTGEWERBE AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNG
Raum in der deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der Pariser Weltausstellung looo.
Entworfen von Professor PAUL PFAUN,
Schreinerarbeiten ausgeführt von WENZEL TILL, München.
von grauen, braunen, grünen, und gelben Tönen.
Unter den Künstlern stehen Le Comte und Senf
obenan. Der amüsanteste und originellste aber ist
Bodart, der auch ein paar reizende Tintenfässer ent-
worfen hat. Neu sind die Jakoba-Fayencen, bei
denen der Dekor vor dem ersten Brande eingraviert
und nach diesem mit Email- und Scharffeuerfarben
bedeckt wird; sie finden hauptsächlich bei grossen
Vasen, Jardinieren, Kacheln und Mosaikgemälden Ver-
wendung. Endlich stellt die Fabrik ganz neuerdings
Wanddekorationen in Steinzeug her, bei denen die
einzelnen Stücke nicht quadratisch sind, sondern sich
in der Form der Zeichnung anschmiegen. Hinter
Delft finden wir die Fabrik Rozenburg, die für die
Weltausstellung eine grosse Überraschung vorbereitet
hat. Ihr Direktor Kok hat nämlich im vorigen Jahre
nicht nur eine neue Porzellanmasse erfunden, in der
sich Gefässe von einer an die chinesische »coquille
d'oeuf« erinnernden Leichtigkeit und Transparenz her-
stellen lassen, sondern für diese neuen
Gefässe auch neue Formen und neue
Ornamente entworfen. Grosse Blu-
men, besonders Disteln, Schmetter-
linge, ausländische Vögel, Pfauen,
Drachen herrschen vor, oft ist der
Dekor aber auch völlig frei. Immer
ist er mit der grössten Leichtigkeit
und ganz impressionistisch aufgetra-
gen. Unter den Farben spielen Schwarz,
Rubinrot, Lila (mauve) neben Grün
und Gelb eine grosse Rolle, also
Farben, die noch nie auf Porzellan
zur Verwendung gekommen sind. Die
gegenüber ausgestellten Rozenburger
Fayencen sind gut bekannt. Die üb-
rigen Fabriken haben geringere Be-
deutung. Neben der Keramik ist ein
echtes Hindelooper Zimmer mit sei-
nen bunten Möbeln aufgebaut worden.
Ausserdem sei auf das nach Zeich-
nungen des Architekten Berlage van
Hillen-Amsterdam ausgeführte Speise-
zimmer, auf die Schmiedearbeiten von
Braat in Delft, die Kirchenfenster
von Schonten, die Batik-Stoffe aus
dem Haag und die Möbel von
Tekstra hingewiesen. Von den Silber-
schmieden hat Begeer-Amsterdam ein
sehr anmutiges Kaffeeservice ausge-
stellt. Über die anschliessende portu-
giesische Abteilung auch nur ein Wort
zu verlieren, wäre schade.
Hinter der österreichischen und
unter der holländischen befindet sich
die reichhaltige japanische Sektion.
Sie bietet insofern eine Enttäuschung,
als sie kaum irgend etwas Neues und
Überraschendes bringt. Allein wenn
man im Grand Palais der Ausstellung
gesehen hat, zu welch unpersönlicher
und langweiliger Nachahmung euro-
päischer Kunstweisen die »modernen« japanischen Be-
strebungen auf dem Gebiete der Malerei geführt haben,
kann man dies nicht bedauern. Ebenso ist es im Inter-
esse des europäischen Gewerbes nur freudig zu be-
grüssen, dass die Japaner ihre Preise ganz gehörig in
die Höhe geschraubt haben. Von »blosser Marktware«
aber zu reden ist durchaus ungerecht, da die Technik
auf vielen Gebieten immer noch auf einer von den
Europäern noch längst nicht erreichten Höhe steht
und inbesondere eine ganze Reihe Prachtstücke im
Werte von Zehntausenden von Mark ausgestellt sind,
macht sich die billige und schlechte
wie nicht geleugnet werden soll, auch
ist, bei ihnen lange nicht in der Weise
in Italien, Spanien, Belgien, Ungarn
in ein oder zwei Räumen der deutschen
bei denen der für ein Machtwort geeignete
Augenblick leider verpasst worden war. Das äussere
Arrangement ist höchst dürftig, schmucklose braune
Jedenfalls
Ware, die,
vorhanden
breit wie
und selbst
Abteilung,
DAS KUNSTGEWERBE AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNG
233
Glasschränke stehen in langen Reihen
nebeneinander. Gute Arbeiten sind
insbesondere bei den Bronzen und
Lackarbeiten , dann aber auch bei
den Elfenbeinschnitzereien zu fin-
den; in der sehr reichhaltigen ke-
ramischen Abteilung werden sie
von den Erzeugnissen zweifelhaften
Wertes etwas erdrückt. Märchen-
haft schön sind einige der auf
dem Marsfelde ausgestellten japani-
schen Stickereien. Die Teppiche fal-
len hauptsächlich durch ihre Billig-
keit auf.
In der Schweizer Abteilung, die
den Beschluss macht, überwiegen
gänzlich die Gewerbszweige, die
in der deutschen, als kein wesentliches
künstlerisches Interesse bietend, in den
Annexbau verbannt worden sind. An
erster Stelle stehen natürlich die
Uhren, für die in dem Hauptraum
ein mächtiger Holzbau in der Form
einer durchbrochenen Kuppel errichtet
worden ist Das Bestreben, die Ge-
häuse der Taschenuhren künstlerisch
zu gestalten, macht sich fast überall
bemerkbar, hat aber nur ganz selten
zu einem befriedigenden Ergebnis
geführt. Ebenso findet man unter
den Filigranarbeiten, Inkrustationen,
Schmucksachen und Emailmalereien
kaum etwas Beachtenswertes. Gut
sind ein paar Glasmalereien und die
Medaillen von Hans Frei in Basel,
ganz belanglos dagegen die Kera-
mik und die Holzschnitzereien. Hier
ist der Ausdruck »Marktware am
Platze. Wenigstens erwähnt seien
die von den Brienzer Holzschnitzerei-
schülern und den Genfer Tapezierlehrlingen herge- Teil dieses Palastes nimmt die französische keramische
stellten Zimmer. Den hier anschliessenden nördlichsten Abteilung ein. WALTHER GENSEL.
Raum in der deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der Pariser Weltausstellung 1900.
Entworfen von Professor PAUL PFAUN,
Schreinerarbeiten ausgeführt von WENZEL TILL, München.
Druckverzicrung, gezeichnet von ELLY HIRSCH, Berlin.
Aus dem einen Treppenhaus de^ deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der Weltausstellung in Paris 1900.
Architekt: Professor KARL HOFFACKER, Charlottenburg.
Ansicht der Galerie des einen Treppenhauses in der deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der Pariser Weltausstellung iqoo.
Architekt: Professor KARL HOFFACKER, Charlottenburg. (s. auch Abb. Heft lo, S. 187.)
BÜCHERSCHAU
Sammelwerke. Eine ganze Reihe von litterari-
schen Unternehmungen ist gegenwärtig darauf gegrün-
det, das weitschichtige Gut des Wissens und der For-
schung auf allen Gebieten der Kunst, des Kunstgewerbes
und der Wissenschaft in knappen und leichtfasslichen
Darstellungen zu popularisieren, für den Hausgebrauch
oder für die autodidaktischen Neigungen des Laien
und kleinen Mannes zurechtzulegen. Derartige instruk-
tive Büchlein sind gewiss nicht gering anzuschlagen
für die idealen Zwecke der Volksbildung und die
Erfahrung lehrt, dass die im Rahmen grösserer Sam-
melwerke gruppierten populären Veröffentlichungen
auch mit bestem Erfolg konsumiert werden. Den
kunstgewerbschen Kreis tangieren etwa folgende Werke:
In der Reihe von J. J. Weber's illustrierten Kate-
chismen hat der stark illustrierte 'Katechismus der
Kunstgeschichte« von Bruno Bucher bereits die fünfte
Auflage erlebt, was sowohl für die Gangbarkeit des
Weber'schen Unternehmens als auch für die Brauch-
barkeit des präzis und klar gehaltenen Büchleins
spricht. Ähnliche Zwecke verfolgt die Sammlung
Göschen. Hier wäre eine illustrierte 'Stilkundc des
bekannten Badener Architekten und Gewerbschul-
direktors Karl Otto Hartmann hervorzuheben. Von
der altegyptischen Kunst bis zur sprunghaften Renais-
sance unserer Tage hat der Verfasser in seiner Eigen-
schaft als gewerblicher Pädagoge die springenden Punkte
aus dem Formenschatz der Weltkunst für die Zwecke
des Unterrichts und der Selbstbelehrung sehr geschickt
zur Darstellung gebracht, namentlich scharf erfasst sind
die Wandlungen, welche die Renaissance auf ihrem
weiteren Etappenwege vom Barock bis zum Empire
durchlaufen hat. Eine wertvolle Beigabe dieses Taschen-
buches sind die ausserordentlich klaren Illustrationen.
Fernerhin wäre aufmerksam zu machen auf eine Samm-
lung wissenschaftlich gemeinverständlicher Darstel-
lungen »Aus Natur und Geisteswelt« aus dem Verlage
von B. G. Teubner. Das 8. Bändchen der Reihe ist
eine »Deutsche Baukunst im Mittelalter« des Kieler
Kunsthistorikers Prof. Dr. Adelbert Matthaei. Von
Kunstgewerbeblatt. N. F. XL H, 12.
schwerem wissenschaftlichen Ernst getragen, geht die
anschauliche Darstellung auf Grund der neuesten
Forschungen bis an die Wurzeln des Kunstschaffens,
aus der Tradition und aus dem Geist der Zeit heraus
werden die grossen Stilfolgen des Mittelalters erfasst
und an prägnanten Beispielen klar gelegt. Das Niveau
des Buches ist ein so hohes, dass es die Hörer
kunstgeschichtlicher Vorlesungen mit Erfolg in Ge-
brauch nehmen dürften. Mehr als ein Formenschatz
für Kunstgewerbler kennzeichnet sich das von Hubert
Jofy herausgegebene Sammelwerk von »Meisterwerken
der Baukunst und des Kunstgewerbes' aller Länder
und Zeiten aus dem Vertag von K. F. Koehler in Leip-
zig. In trefflichen Autotypien bietet die erste Lieferung
eine Blumenlese der hervorragendsten Werke italieni-
scher Kunst; bleibt das Weitere auf derselben Höhe,
so ist gewiss ein schätzenswertes Hülfsmittel für das
Kunststudium davon zu erwarten. Und endlich präsen-
tiert auch der Verlag von Siegfried Cronbach in Berlin
eine Serie populärer Darstellungen, für welche Paul
Bornstein als Herausgeber zeichnet. Der Sammeltitel
»Am Ende des Jahrhunderts« fasst in sich eine Rück-
schau auf hundert Jahre geistiger Entwicklung. Ein we-
sentliches Glied dieser dem endenden Jahrhundert ge-
widmeten Reihe ist ein Buch des Münchners Karl
Rosner, welches »Die dekorative Kunst im neunzehnten
Jahrhundert' dem Leser im Fluge vorführt, den Zu-
sammenhang von Kunstschaffen und Zeitgeist zu er-
fassen versucht, mit langen Namensreihen schaffender
Künstler und regsamer Kunstförderer paradiert und in
der Hauptsache sich begeistert für die modernen Phasen
des Kunstgewerbes ausspricht. Ein eigentlich hoher
wissenschaftlicher Standpunkt ist in dem Buch noch
nicht gewonnen, weiss doch niemand, wohin die neue,
hie und da noch chaotisch wogende und dilettanten-
haft gehandhabte Richtung führen wird, heutige Tages-
grössen werden in zehn Jahren verschollen sein. Zu
betonen ist, dass der Verfasser auf dem Münchener
Gebiet gut orientiert ist, dagegen hat er dem nord-
deutschen und Berliner Kunstgewerbe nichts weniger
als auf den Grund geschaut.
?6
238
KLEINE MITTEILUNGEN
Japanische Färbeschablonen. Hundert Muster
kleineren Formates. In Originalgrösse herausge-
geben und mit einer Einleitung versehen von Artur
Seemann. Leipzig und Berlin, Verlag von E. A.
Seemann. Preis in Mappe 20 Mark.
Die Kunst Japans birgt reiche Schätze; das zeigt
sich nirgends deutlicher, als in den Flachmustern des
japanischen Volkes. Hier offenbart sich ein ausge-
prägt feiner Raumsinn, und zwar ebenso für Sym-
metrie wie für das Ebenmass, das Gleichgewicht der
Dekorationselemente mit dem Grunde. Die symmetri-
sche Anordnung linearer, pflanzlicher und tierischer
Gebilde ist dem Japaner ein Leichtes; auch versteht
er virtuos zu stilisieren und das Naturprodukt immer
weiter umzubilden, so dass durch diese Manier, wenn
sie bis zur äussersten Konsequenz getrieben wird,
die Urform des Vorbildes in Linien- oder Punkt-
gewirre aufgelöst werden kann, die kaum noch das
zu Grunde liegende Motiv erkennen lässt. Diese
Überbildungen sind als Auswüchse bizarrer dekora-
tiver Laune nicht selten angewandt, und etwa anzu-
sehen wie zeichnerische Begriffswitze. Im allgemeinen
sind in den guten Erzeugnissen die natürlichen Ge-
bilde in ihrer struktiven Erscheinung ausserordentlich
treu wiedergegeben, und ihre geschickte Verwendung
zur Belebung von Flächen (Stoffe) zeigt den Japaner
als Meister des Gleichgewichtsgefühls. Scheinbar
regellos ausgestreut, sind diese Motive so in den
Raum gezeichnet, dass keine schwachen Stellen im
fortlaufenden Muster erscheinen. Hier können alle
Tapeten- und Teppichzeichner lernen: nicht durch
Kopieren und Übertragen, sondern durch oft wieder-
holte Betrachtung, durch Abwägen mit dem Auge.
Die japanischen Papierschablonen, welche dazu
dienen, Stoffe mit einem gefärbten Grund zu versehen,
bieten eine unübersehbare Menge des wertvollsten
Materials — nicht zum Nachzeichnen und Pausen,
sondern zur Schulung des Auges, als Anregung, nicht
als Krücke oder Eselsbrücke. Die Muster sind bald
symmetrisch auf einem Netz sich schneidender und
zwar häufiger schiefwinklig als rechtwinklig kreuzender
Linien entwickelt, bald freihändig in das gegebene
Quadrat oder Rechteck komponiert. — Der Schnitt
des Musters in dem zähen Papier erfolgt teils mit
Messern, teils mit Punzen. Bei denjenigen Mustern,
die ohne ein besonderes Hilfsmittel wegen ihrer Weit-
räumigkeit nicht halten würden, wendet der Japaner
ein sinnreiches Verfahren an. Er legt zwei Papier-
blätter zusammen, schneidet alsdann das Muster mit
dem Messer aus und klebt zwischen die beiden aus-
geschnittenen Musterblätter ein Netz von Seidenfäden.
Schon die grosse Zähigkeit des japanischen Papiers
gestattet dem Schablonenschneider weitgehende Frei-
heiten; die Applikation des Seidennetzes') gestattet
ihm, seine dekorativen Erfindungen fast ohne Rücksicht
auf den Zusammenhalt der Schablone zu entwerfen.
Die Zahl der Papierschablonen ist Legion. Im
Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe befinden
sich mehrere Tausend, in Aarau über zehntausend.
Wer eine solche Sammlung auch nur durchblättert,
staunt über den Reichtum der Motive, die Freiheit
1) Von den V<^rkäiifern werden die Seidenfäden, ver-
mutlicli um die Schablone interessanter und appetitlicher
zu machen, für Menschenhaare ausgegeben.
Buchverzierungen, gezeichnet von ED. LIESEN, Berlin.
KLEINE MITTEILUNGEN
239
der Erfindung, die charakteristische Zeichnung, die
ausgeschnitten noch ihren Reiz bewahrt hat, und wer
sich in den Geschmack des japanischen Stils gefunden
hat, muss sich sagen, dass die Japaner ein Volk von
Künstlern sind, deren Flächenmuster, z. B. mit un-
serm Tapetendekor verglichen, weit über den abend-
ländischen Erzeugnissen stehen. Überall gewahrt man
in diesen Kunstproben, dass Naturstudiuni, das liebe-
volle Versenken in die Gestalten der Flora und Fauna,
das A und O allen Künstlertums ist. Durch die
unendliche Liebe und Sorgfalt, mit der der Japaner
den Naturformen nachspürt und sie ins Handgelenk
zu bekommen? sucht, wird die gesamte japanische
Kunst ein Abglanz, ein treuer Spiegel der Natur selbst.
Von ihr gilt denn auch das Goethe'sche Wort:
»Und es ist das ewig Eine,
Das sich vielfach offenbart:
Klein das Grosse, gross das Kleine,
Alles nach der eignen Art.
Immer wechselnd, fest sich haltend.
Nah und fern und fern und nah.
Sich gestaltend, umgestaltend.
Zum Erstaunen bin ich da.<
So ist denn die Verbreitung dieser wohlfeilen
Mappe in allen kunstgewerblichen Ateliers zu wün-
schen. Dann und wann ein Blick in ihren graziösen
Inhalt vermag der versiegenden Erfindungsgabe neue
Kraft zu geben.
WETTBEWERBE
BERLIN. Preisausschreiben um Entwürfe für ein
Plakat zur Internationalen Ausstellung für Feuer-
schutz- und Feuerrettungswesen in Berlin igoi.
Ausgesetzt sind drei Preise von 1000, 500 und 250
Mark. Einzusenden zum 15. Oktober 1900. Dem
Preisgericht gehören an von ausübenden Künstlern:
Geh. Regierungsrat Ende, Professor Dettmann, Professor
E. Doepler d. J. und Maler Jüttner. -u-
B ERLIN. Preisausschreiben um Entwürfe für einen
modernen Zeitungskopf für die y> Deutsche Tischler-
zeitung«. Die Entwürfe müssen in Strichtechnik
mit schwarzer Tusche ausgeführt werden und 320 mm
breit und 163 mm hoch sein. Ausgesetzt sind zwei
Preise zu 150 und 50 Mark. Einzusenden bis zum
15. Oktober 1900 an F. A. Günther, Zeitungsverlag,
Berlin, Lützowstr. 6. Dem Preisgericht gehören an
die Herren Professor E. Doepler und Direktor Dr.
P. Jessen, beide in Berlin. -u-
CHARLOTTENBURG. Wettbewerb zur Erlangung
von Skizzen für ein auf dem Luisenplatz zu
errichtendes Kaiser Friedrich- Denkmal, aus-
geschrieben vom Magistrat zu Charlottenburg für
deutsche Künstler. Ausgesetzt sind drei Preise von
4000, 2500, 1500 Mark. Dem Preisgericht gehören
an Ober-Baudirektor Hinckeldeyn, Geh. Regierungsrat
Prof. Ende und Prof. Herter in Berlin, Prof. Maison
in München, Stadtbaurat Bratring und Stadtverordneter
Reg.-Baumeister a. D. Reimarus in Charlottenburg.
Einzusenden zum 15. November d. J. Nähere Be-
dingungen zu erhalten vom Magistrat in Charlotten-
burg, -u-
Buchvcrzierungen, gezeichnet von ED. LIESEN, Berlin.
36*
240
zu UNSERN BILDERN
ZU UNSERN BILDERN
Zu berichtigen ist zunächst, dass die auf Seite 164
und 1 65, Heft 9 des lfd. Jahrganges abgebildeten zwei
Tischlampen von Ernst Riegel, nicht A. Riegl, in Mün-
chen, entworfen sind, wie irrtümlicherweise gedruckt
wurde. Ferner sei ergänzend bemerkt, dass die auf
S. 218 und 219 des letzten Heftes abgebildeten Sand-
steinfiguren für das Verwaltungsgebäude der Stadt
Berlin am Mühlendamm bestimmt waren. Dieselben
wurden nach alten Sandsteinfiguren im Märkischen
Museum ergänzt und in Rackwitzer Sandstein ausge-
führt. — Der auf S. 225 abgebildete Brunnen von
P. Bruckmann & Söhne, Heilbronn, soll eine Allegorie
auf die deutsche Musik darstellen. In der Mitte des
dreiteiligen Aufbaues, der gegen drei Meter hoch ist,
steht die Figur der deutschen Musik, auf die Harfe
gelehnt, in der Linken einen Lorbeerzweig haltend.
Im reich ornamentierten Saum des Gewandes sind
die Namen deutscher Komponisten mit dem Orna-
ment verwoben. Zwei Putten unterhalb des Sockels
der Hauptfigur halten an jeder der drei Seiten die
Reliefs der drei Meister Mozart, Beethoven, Wagner.
Die grossen, wasserspeienden Masken, wie die weib-
lichen, am Fuss angebrachten Figuren sollen den
Charakter der Musik je eines der drei Meister zum
Ausdruck bringen.
Die drei von Adlern überschatteten Elfenbein-
masken tragen als Kapitale drei sitzende allego-
rische Figuren: Inspiration, Komposition und Direk-
tion. In den Medaillons zwischen diesen Figuren
ist die Streichmusik, Blasmusik und Schlagmusik dar-
gestellt.
Auf dem Hauptgesims ruht eine Kuppel aus
Strahlen, über welcher ein Tanzreigen, als Verkör-
perung der heiteren Musik, eine Art Tambour bildet.
Letzterer wird noch von einem kronenartigen Ab-
schluss überragt, und die oberste Endigung bildet
ein auf einer Elfenbeinkugel stehender Genius.
Das Wasserbecken ist aus Marmor, die drei
Streben und alle architektonischen Teile sind aus
Bronze, aller ornamentale und figürliche Schmuck ist
Silber (es wurden 250 Kilo Silber verwendet). Um eine
einheitliche Wirkung zu erzielen, wurde das Silber teils
vergoldet, teils grau oder grünlich oxidiert. Zu dem
Ganzen hat, wie schon erwähnt, Professor Otto Rieth
in Berlin den Entwurf, Bildhauer Amberg die Mo-
delle geliefert.
Zu der Abbildung des einen Treppenhauses der
deutschen kunstgewerblichen Abteilung (Abb. S. 234
und S. 235) sei noch bemerkt, dass sämtliche Modelle
für die ornamentalen Stuckteile nach Hoffacker's Ent-
würfen von der Bildhauerwerkstätte von R. Schirmer
in Berlin herrühren, gleichwie in dem in den früheren
Heften abgebildeten unteren Treppenhause, zu dem
Riegelmann die Holzschnitzereien der Decke und
Treppe lieferte. Das Lünettenbild hat Professor Max
Koch gemalt, das Bogengitter im Eingang Miksits in
Berlin geschmiedet; die dreiteilige Bogenstellung der
Galerie ist nach Hoffacker's Zeichnungen von Prof.
Riegelmann geschnitzt; die Bronzegusskrone für elek-
trisches Licht lieferte Paul Stotz in Stuttgart.
Schlussstück, gezeichnet von Maler W. WINKLER, Idstein ijTaun.
Herausgeber und für die Redaktion verantwortlich: Professor Karl Hoffacker, Architekt in Charlottenburg- Berlin.
Druck von Ernst Hedrich Nachf., Q. m. b. H., Leipzig.
Vis
it-m
L^-
NK
3
K5
n.F.
Jg. 11
Kunstgewerbeblatt
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
^^^:
ve .
.^■•^•#.^£^1,.'
v\> »
-3^'
4<^^^^
• ■», ^ ..V V
"^•l v% *^i?S£v
jr'i^.
^^ V.
>i^^.
/^ ' ^
v-di-
^A*t
.*':'«*^<
-^ «■,%** ^ , T > - ..... V -